/<- • EINLEITUNG IN DIE YERGLEICHENDE GEHIRNPHYSIOLOGIE UND VERGLEICHENDE PSYCHOLOGIE. MIT BESONDERER BERÜCKSICHTIGUNG DER WIRBELLOSEN THIERE. VON JACQUES LOEB, DIRECTOR DES PHYSIOLOGISCHEN LABORATORIUMS AN DER UNIVERSITÄT CHICAGO. MIT 39 ABBILDUNGEN. .y^. LEIPZIG, VERLAG VON JOHANN AMBROSIUS BARTH. 1899. D Von demselben Verfasser: er Heliotropismus der Thiere und seine Uebereinstiramung mit dem Heliotropismus der Pflanzen. . Würzburg 1890. G. Hertz. • Untersuchungen zur physiologischen Morphologie der Thiere. I. Theil. Heteromorphose. Würzburg 1891. G. Hertz. Untersuchungen zur physiologischen Morphologie der Thiere. II. Tbeil. Organbildung und Wachsthum. . Würzburg 1892. G. Hertz. • T)hysiological Archives. I. 1896. ll. 1898. -*- • Chicago. The University Press. Alle Rechte Vorbehalten. SEINEN LEHRERN, DEN HERREN PROFESSOR F. GOLTZ und PROFESSOR N. ZüNTZ zu STRASSBURG I. E. ZU BERLIN IN TREUER VEREHRUNG GEWIDMET. Vorwort. Die Veranlassung zur Abfassung des vorliegenden kleinen Buches waren meine Untersuchungen über die Tropisraen der Thiere. Ich konnte zeigen, dass Heliotropismus, Geotropismus und Stereotropismus nicht nur bei Thieren allgemein vorkommen, sondern dass sie auch hier in all ihren Einzelheiten mit den entsprechenden Tropismen der Pflanzen übereinstimmen. Die Tropismen der Thiere ordnen sich dem Reflex- begriff unter, auf dem ja die ganze Physiologie des Centralnerven- systems beruht. Es wird nun im Allgemeinen stillschweigend angenom- men, dass alle Reflexe durch speci fische Einrichtungen der Ganglien bestimmt sind. Der Nachweis der Identitcät der thierischen und pflanz- lichen Tropismen musste die Berechtigung dieser Annahme in Frage stellen. Es war deshalb nothwendig zu untersuchen, ob nicht die Ganglientheorie der Reflexe eine willkürliche und unnöthige oder gar falsche Annahme sei. Ich glaube, dass die Thatsachen der vergleichenden Hirnphysiologie die aufgeworfene Frage unzweideutig beantworten. Die Tropismen der Thiere bilden ferner einen erheblichen Theil im Complex jener Erscheinungen, welche Gegenstand der vergleichenden Psychologie sind. Die Identität der thierischen und pflanzlichen Tropismen zwingt nun dazu, entweder auch bei den Pflanzen Bewusst- sein anzunehmen, oder nach einem Kriterium für die Möglichkeit von Bewusstsein bei niederen Thieren zu suchen. In der Litteratur fand ich nichts über den Gegenstand, das mir practisch brauchbar erschien. Seit 5 Jahren habe ich in verschiedenen Abhandlungen den Nachweis zu führen versucht, dass das assoziative Gedächtniss die Grundlage aller Bewusstseinsthätigkeit sei und dass nur bei solchen Thieren Bewusstsein möglich sei, bei denen sich assoziative Gedächtnissthätigkeit nachweisen lasse. Ich behaupte nicht, dass überall, wo assoziatives Gedächtniss vorhanden ist, auch Bewusstsein vorhanden sein müsse. Dagegen be- haupte ich, dass wo der Nachweis von assoziativem Gedächtniss nicht zu führen ist, die Annahme von Bewusstsein wissenschaftlich unbe- rechtigt und eine reine Gefühlsangelegenheit ist. Der "Wuüsch, meine Arbeiten über die Tropismen nach der Seite der Gehirnphysiologie und vergleichenden Psychologie abzuschliessen, war nicht der einzige Umstand, der mich zur Abfassung dieses Buches veranlasst hat. Ich bin überzeugt, dass die heutige Schulphysiologie, welche nur ein paar Wirbelthiere berücksichtigt, durch eine vergleichende Physiologie ersetzt werden muss. In den verschiedenen Thierklassen mit ihrer verschiedenen Organisation hat die Natur ebensoviele Ver- suche im grossen Maasstab für uns angestellt, welche an Sicherheit und Vollkommenheit Alles übertreffen, was wir mit unseren relativ wenigen Vivisectioncn leisten können. Wenn die letzteren zur Er- gänzung oder Interpretation des Materials dienen, das die vergleichende Physiologie uns liefert, so sind sie werthvoll. Wenn man aber glaubt, dass die nothwendig spärlichen, oft unverständlichen oder zweideutigen Vivisectionsversuche an ein paar Wirbolthieren allein die ausreichende Basis für die Physiologie zu bilden im Stande sind, so ist das ein Irrthum. Der Inhalt des Buches ist schon seit mehreren Jahren von mir in meinen Vorlesungen benutzt worden. Das Manuscript wurde im April 1898 abgeschlossen und im September an die Verlagsbuchhandlung ab- geschickt. Die Litteratur der letzten 6 Monate konnte nicht mehr berücksichtigt Averden. Da keine zusammenhängende Bearbeitung des Gebietes vorlag, und da ich von neuen Gesichtspunkten ausging, so musste ich mich vielfach auf meine eigenen Versuche oder die meiner Schüler stützen. Der Verlagsbuchhandlung spreche ich für ihr freundliches Ent- gegenkommen meinen ergebensten Dank aus. The University of Chicago, Januar 1899. Jacques Loeb. Inhaltsverzeichniss. Seite I. Ueber einige Grundbegriffe und Grundthatsaciien der vergleichenden Ge- hirnphysiologie 1 II. Ueber das Nervensystem der Medusen und über Automatie und Coordination 10 III. Das Centralnervensystera der Ascidien und die Bedeutung desselben für Keflexe 22 IV. Versuche an Akliuien 30 V. Versuche an Echinodermen , . 39 VI. Versuche über die Gehirnphysiologie der Würmer . . 48 VII. Versuche über die Gehirnphysiologie der Arthropoden 68 VIII. Versuche an Mollusken 85 IX. Die Segmentaltheorie bei Wirbelthieren 89 X. Halbkreuzungen, associirte Stellungsänderungen der Extremitäten und Zwangsbewegungen 101 XL Beziehungen zwischen der Orientirung und Eunctiou gewisser Elemente der segraentalen Ganglien , . 108 XII. Versuche am Kleinhirn ... 115 XIII. Zur Theorie der thierischen Instincte 119 XIV. Centralnervensystera und Vererbung . . 132 XV. Kriterien für die Constatirung von Bewusstsein bei niederen Thieren . . 139 XVI, Gehirn und Bewusstsein 152 XVII, Centrentheorie (Functionslocalisatiou) und Segmentaltheorie im Groashirn lü8 XVIII. Theilseelentheorie und Localisation einzelner Erinnerungsbilder .... 184 XIX. Ueber einige Angriffspunkte für eine künftige Mechanik der Gehirnthätigkeit 193 2 8562 Ueber einige Grundbegriffe und Grundthatsaclien der vergleichenden Gehirnpliysiologie. 1) Die Analyse complicirter Erscheinungen besteht in der Zer- legung derselben in einfachere Bestandtheile. Fragen wir, was die einfacheren Bestandtheile in der Physiologie des Centralnervensystems sind, so werden wir auf eine Klasse von Vorgängen verwiesen, die wir als Reflexe bezeichnen. Unter einem Reflex versteht man be- kanntlich eine Reaction, welche durch einen äusseren Reiz auf das Thier veranlasst ist, und welche in einer geordneten Bewegung endet. Als Beispiel eines einfachen Reflex- Vorganges dient das Schliessen des Augen- lides auf Berührung der Conjunctiva oder das Verengern der Pupille auf Lichteinfall u. s. f. Die Berührung oder das Licht bringen in den Nervenendigungen der Conjunctiva oder der Netzhaut chemische Aende- rungen hervor; die chemische Aenderung (die Erregung) veranlasst eine Zustandsänderung in den Nerven, welche sich im allgemeinen bis in das Centralnervensystem fortpflanzt, von dort auf motorische Nerven übergeht, in den Muskelfasern endet und hier Contractionen veranlasst. Die Gehirnphysiologen haben sich mehr und mehr bemüht, die Analyse der Gehirnfunctionen so durchzuführen, dass die Reflexe die Elemente derselben bilden. In den Reflexen sieht man im allgemeinen die Ganglienzellen als die wesentlichen Umstände an, welche die Natur der Reaction auf den äusseren Reiz bestimmen. Der Name Reflex weist auf einen Vergleich mit der Lichtreflexion hin. Das Rückenmark ist gewissermaassen der Spiegel, von dem die von den sensibeln Nerven ausstrahlende Erregung auf die Muskeln reflectirt wird. Zerstörung des Rückenmarks macht diese Reflexion unmöglich, wie Zerstörung des Spiegels die Reflexion des Lichtes aufhebt. Der Vergleich des Reflex Vorganges im Central- nervensystem mit der Reflexion des Lichtes ist freilich längst gegen- standslos geworden, und nur Wenige, die den Ausdruck Reflex heute Loeb, Vergleichende Gehimphysiologie. J 2 Ueber einige Grundbegritfe u. Grundthatsachen der vergleich. Gelürnphysiologie. in der Physiologie gebrauclien, denken dabei an seine ursprüngliche Bedeutung. Statt dessen ist aber ein anderer Umstand im Reflexbegriff von Bedeutung geworden, nämlich der zweckmässige Character vieler Reflexbewegungen. Das Schliessen der Augenlider auf Berührung der Cornea ist von grosser Bedeutung für den Schutz der Hornhaut gegen Verletzung durch Fremdkörper, das Schliessen der Pupille auf Licht- reiz schützt die Netzhaut gegen die zerstörende Wirkung grellen Lichtes. Wenn ein decapitirter Frosch einen auf seine Haut gebrachten Tropfen Essigsäure mit der Pfote abwischt, so ist dieser Reflex zweckmässig. Noch ein anderer Umstand fällt bei diesen Reflexen auf: Die aus- geführten Bewegungen sind so wohl berechnet in ihrem Effect und ge- ordnet in ihrer Ausführung, dass ein Stück Intelligenz scheinbar bei ihrer Entstehung oder gar bei ihrer Ausführung im Spiele ist. Ein hervorragender Psychologe hat behauptet, dass die Reflexe als die mechanischen Folgen der Willenshandlungen vergangener Generationen aufzufassen seien, so erkläre sich der zweckmässige Character derselben. Kein Wunder, dass als der wesentliche Umstand im Reflexmechanismus die Ganglienzelle angesehen wird, denn wo sonst könnten solche mecha- nischen Folgen der Willenshandlangen aufgespeichert werden? Die Nervenfasern sieht man (und wohl mit Recht) als indifferente Leiter an. Aber auch diejenigen, die im Reflexvorgang nur einen rein maschinen- mässigen Vorgang sehen und die Zweckmässigkeit desselben vernach- lässigen, haben stets die Ganglienzelle als den wesentlichen Träger der complicirten geordneten Bewegungen beim Reflex angesehen. Ich würde ebensowenig wie irgend ein anderer Physiologe an der Richtigkeit dieser Auffassung gezweifelt haben, wonach die Ganglienzelle ein specifisches und wichtiges Glied in der Mechanik des Reflexvorganges bildet, wenn nicht der von mir geführte Nachweis der Identität des thierischen mit dem pflanzlichen Heliotropismus die Haltlosigkeit dieser Ansicht bewiesen und gleichzeitig eine andere Auffassung der Reflexe geliefert hätte. Das Fliegen der Motte ins Licht ist ein typischer Reflexvorgang. Das Licht reizt periphere Sinnesorgane oder Haut- elemente der Motte, der Erregungsvorgang geht zum Centralnerven- system und von hier zu den Muskeln der Flügel, und das Thier gelangt in die Flamme. Allein dieser Reflexvorgang stimmt Punkt für Punkt überein mit den heliotropischen Wirkungen des Lichtes auf die Pflanzen- organe, die gar keine Nerven besitzen. Die nothwendige Consequenz dieses Nachweises des thierischen Heliotropismus und seiner Identität mit dem pflanzlichen war der Schluss, dass diese Wirkungen nur auf Umständen beruhen können, welche den Thieren und Pflanzen gemein- sam sind. (1.) Ich gab dem am Ende einer Schrift über Heliotropis- lieber einige Grundbegriffe u. Grundtbatsaclien der vergleich. Gebirnphysiologie. 3 miis in folgenden Worten Ausdruck: „Wir liaben gesehen, dass bei Tliieren, welche jSTerven besitzen, die Orientirungsbewegungen gegen Licht in allen Stücken durch dieselben äusseren Umstände bestimmt sind und in derselben Weise von der äusseren Körperform abhängen, wie bei Pflanzen, welche keine Nerven besitzen. Folglich können diese heliotropischen Erscheinungen nicht auf specifischen Eigenschaften des Centralnervensystems beruhen.^' Man hat dagegen eingewendet, dass Zerstörung der Ganglienzellen den Reflexvorgang unterbricht. Aber dieser Einwand ist nicht stichhaltig, da ja der nervöse Reflexbogen bei höheren Thieren die einzige Protoplasmabrücke zwischen den sensibeln Organen der Körperoberfläche und den contractilen Elementen bildet. Zerstören wir also die Ganglienzellen resp. das Centralnervensystem, so unterbrechen wir im allgemeinen die Continuität der protoplasmatischen Reizleitung zwischen Körperoberfläche und Muskeln, und ohne diese Continuität ist keine Reizleitung zu den Muskeln und kein Reflex mehr möglich. Die Axencylinder des Nerven sind ja in erster Linie nichts als Protoplasmafädeu, und die Ganglienzellen sind eben auch protoplas- matische Gebilde. Wir haben erst dann ein Recht und eine Ver- anlassung, in ihnen mehr als die allgemeinen Protoplasmaeigenschaften zu suchen, wenn wir finden, dass mit den letzteren allein die Er- scheinungen nicht zu erklären sind. 2) Man hat nun weiter den Einwand erhoben, dass allerdings diese Reflexe bei Pflanzen ohne Nervensystem zu Stande kommen, dass aber bei Thieren Ganglienzellen nun einmal vorhanden sind, und dass sie folglich besondere Reflexmechanismen enthalten. Es war deshalb nöthig zu prüfen, ob es nicht Thierformen giebt, bei denen geordnete Reflexe auch dann noch weiter bestehen, nachdem man ihnen das Centralnerven- system zerstört hat. Ein solches Resultat war nur bei Formen zu er- warten, bei denen ausser durch das Centralnervensystem auch noch eine directe Leitung von der Oberfläche zu den Muskeln möglich ist. Das ist beispielsweise der Fall bei Ascidien. Es gelang, den Nachweis zu führen, dass nach Exstirpation des Centralnervensystems bei Ciona in- testinalis dennoch die complicirten Reflexe erhalten bleiben (2). Aehn- liches stellte sich bei Würmern heraus. Wir brauchen deshalb auch nicht mehr überrascht zu sein, dass die Blutgefässe der höheren Thiere, auch wenn alle Verbindungen mit dem Centralnervensystem abgeschnitten sind, dennoch ihre sogenannten Regulationseinrichtungen, d. h. ihre Reflexe bewahren. Es ist also ein Ergebniss der vergleichenden Physiologie, dass für Reflexe nur Erregbarkeit und Reizleitung nöthig und dass beide Um- stände allgemeine Eigenschaften alles Protoplasmas sind. Die specifische 1* 4 Ueber einige Grundbegriffe u. Grundthatsacben der vergleich. Gebirnphysiologie, Bedeutung des Centralnervensystems, resp. der Ganglienzellen als Träger von Reflexmechanismen muss fallen. Dagegen tritt eine wichtige Eigen- thümlichkeit der Nerven mehr in den Vordergrund, nämlich ihre leichtere Erregbarkeit und ihr besseres und schnelleres Leitungsvermögen. Hier- durch wird ein Thier in die Lage gesetzt, sich besser wechselnden Be- dingungen anzupassen, als es ohne Nerven möglich wäre. Für beweg- liche Thiere ist ein solches Anpassungsvermögen unumgänglich nöthig. 3) Während einzelne Autoren soweit gehen und bei allen Reflexen auf Grund ihrer Zweckmässigkeit ein psychisches Element voraussetzen, finden wir, dass die Mehrzahl der Forscher das nur bei einer gewissen Gruppe von Reflexen thun, nämlich den sogenannten Instinkten. Die Instinkte werden verschieden definirt. Aber allgemein handelt es sich um ererbte Reflexe, die nur so merkwürdig zweckmässig und compllcirt sind, dass man schwer verstehen kann, wie etwas Anderes als Intelligenz und Erfahrung zu denselben geführt haben könne. Dahin gehört bei- spielsweise die Thatsache, dass gewisse Insecten ihre Eier auf solches Material legen, welches die Larven als ihr Futter nöthig haben. Wenn man bedenkt, dass die weibliche Fliege, nachdem sie ihre Eier gelegt hat, sich nicht mehr weiter um dieselben kümmert, so kann man sich nicht genug über die scheinbare Fürsorge der Natur für die Erhaltung der Arten wundern. Wie kann die Handlung eines solchen Insectes bestimmt sein, wenn das nicht durch geheimnissvolle Strukturen geschieht, die nur in Ganglienzellen möglich sind? Wie können wir uns die Ver- erbung solcher Instinkte vorstellen, wenn wir es als eine Thatsache an- sehen, dass die Ganglienzelle für den Reflexvorgang nur als reizleitendes Element in Betracht kommt? Während der alte Standpunkt nun that- sächlich weder im Stande gewesen ist, eine Mechanik der Instinkte zu entwickeln noch die Vererbung derselben auf ungezwungene Weise zu erklären, wird das gerade durch unsere Auffassung möglich. Unter den Elementen, aus denen diese complicirten Instinkte sich zusammen- setzen, spielen die Tropismen (Heliotropismus, Chemotropismus, Geotropis- mus, Stereotropismus etc.) eine Hauptrolle. Diese Tropismen aber sind identisch für Thiere und Pflanzen. Die Umstände, aus denen sich die Tropismen erklären lassen, sind erstens die specifische Erreg- barkeit bestimmter Elemente der Oberfläche und zweitens die Symmetrie- verhältnisse des Körpers. Symmetrische Elemente der Körperoberfläche haben gleiche Reizbarkeit, unsymmetrische Elemente haben verschiedene Reizbarkeit. Die dem oralen Pole näheren Elemente haben höhere oder entgegengesetzte Reizbarkeit Avie die aboralen. Diese Umstände zwingen die Thiere sich gegen eine Lichtquelle oder Diffusionsquelle chemischer Stoffe etc. so zu orientiren, dass symmetrische Punkte der Körperober- Ueber einige Gruudbegriffe u. GrundtbatScachen der vergleich. Gehirnphysiologie. 5 fläche gleich intensive Reize erhalten. Dadurch werden die Thiere ent- weder zur Reizursache hin oder von ihr fort geführt. Für die gelieim- nissvollen Mechanismen der Ganglienzellen bleibt dabei nichts zu thun übrig als etwa den Reiz zu leiten, was ja jedes Protoplasma zu leisten vermag. Für die Vererbung der Instinkte braucht das Ei nichts weiter zu enthalten als besondere Stoffe, (welche die verschiedenen Tropismen bedingen) und die Vorbedingungen für die Hauptseitlichkeiten des Embryo. Die Ganglienzellenmystik hat nicht nur nicht zu bestimmten Einsichten in diese Vorgänge geführt, sondern sich nur als Hemmniss für die Ge- winnung Aveiterer Einsichten erwiesen. -i) Wenn so die Mechanik einer Zahl von Instinkten auf die Tro- pismen zurückgeführt wird, welche Thieren und Pflanzen gemeinsam sind, und wenn die Bedeutung der Ganglienzellen bei diesen wie bei allen Reflexvorgängen auf die Reizleitung beschränkt ist, so müssen wir die Frage aufwerfen, welche Umstände denn die geordneten Muskel- bewegungen bei den Reflexen, namentlich den complicirteren, bedingen. Die Annahme complicirter aber unbekannter und vielleicht unergründ- licher Structuren in den Ganglienzellen hatte bisher als bequemes Ruhe- kissen für alles Nachdenken in dieser Richtung dienen können. Mit dem Aufgeben dieser Annahme sind wir gezwungen die Umstände nachzu- weisen, welche den geordneten Character der Reflexbewegungen zu bestimmen im Stande sind. Versuche über den Galvanotropismus der Thiere haben zu dem Ergebniss geführt, dass eine einfache Beziehung bestehen muss zwischen der Orientirung nervöser Elemente im Central- nervensystem (in Bezug auf die Hauptaxen des Körpers) und der Rich- tung der Bewegung des Körpers, welche durch die Thätigkeit dieser Elemente hervorgerufen wird. Hiermit wird eine rationelle Basis für die weitere Erforschung der Coordination unserer Bewegung geschaffen, wobei der Ganghenzelle keine anderen Leistungen zugemuthet werden als solche, welche jedes einfache protoplasmatische Gebilde auszuführen im Stande ist. 5) Wie wir den Ganglienzellen jede speci fische Bedeutung bei den einfachen Reflexen und den Instinkten absprechen müssen (es sei denn, dass sie als protoplasmatische Leiter von Erregungsvorgängen in Betracht kommen), so müssen wir das Gleiche auch für die spontanen Bewegungen thun. Unter spontanen Bewegungen verstehen wir solche Bewegungen, welche anscheinend durch innere Umstände des lebenden Systems bedingt sind. In aller Strenge giebt es aber keine ausschliesslich durch innere Umstände bestimmten Bewegungsvorgänge lebender Ge- bilde, da ja Sauerstoffzufuhr von aussen und eine bestimmte Temperatur oder bestimmte Temperaturgrenzen stets nöthig sind, um die Thätigkeit G Ueber einige Grundbegriffe u. Gnuidtbatsacben der vergleicb. Gebirnpbjsiologie. über kleine Zeiträume hinaus zu erhalten. Davon abgesehen bedarf es aber für die spontanen Vorgänge keiner auffallenden äusseren Reizursachen. Wir unterscheiden nun zwischen schlechthin spontanen Vorgängen und bewusster Spontaneität. Wir Avollen zunächst die ersteren ins Auge fassen. Auch dann haben wir wieder zwei Arten von Vorgängen zu unterscheiden: Einfach spontane und rythmisch spontane, oder automa- tische. Die letzteren sind die wichtigeren für uns. Athmung und Herz- schlag gehören in diese Kategorie. Es ist kein Zweifel möglich, dass automatische Thätigkeit in Ganglien entstehen kann, die Athembewegungen beweisen das. Man hat nun weiterhin daraus geschlossen, dass alle automatischen Bewegungen durch 'Ganglienzellen bestimmt sind, sodass wir hier wieder ein Stück jener mystischen Einrichtungen dieser Zellen vor uns haben. So soll auch die Herzbewegung durch die letzteren be- stimmt sein. Gaskell (3), Engelmann (4) und Andere haben aber zu be- weisen versucht, dass die automatische Thätigkeit des Herzens nicht durch Ganglienzellen bestimmt ist, sondern dass die Bedingungen der Auto- matic in den Muskelelementen selbst enthalten sind. Die Thatsachen der vergleichenden Hirnphysiologie sind dieser Ansicht nicht ungünstig. Den coordinirten Character der automatischen Bewegungen hat man oft durch die Annahme eines „Coordinationscentrums" erklärt, das eine Art Polizeiaufsicht über die einzelnen automatisch thätigen Elemente führen und darauf achten solle, dass sie sich in der richtigen Folge bewegen. Dem gegenüber zeigen die Beobachtungen an niederen Thieren, dass die Coordination automatischer Bewegungen hier einfach da- durch hergestellt wird, dass das am raschesten thätige Ele- ment die übrigen zwingt in seiner Periode thätig zu sein. Noch weniger als die rythraische ist die einfache Spontaneität eine specifische Leistung von Ganglienzellen. Die Schwärmsporen von Algen also pflanzliche Organe, welche keine Ganglienzellen besitzen, zeigen ebensoviel Spontaneität wie die mit Ganglienzellen ausgerüsteten Thiere. Es fragt sich, wie wir die erwähnten Formen der Spontaneität dem Reflexbegriff subsumiren können. Das ist insofern möglich, als auch bei spontanen Vorgängen eine Veränderung die Ursache der Bewegung ist, und als auch bei diesen Vorgängen im Allgemeinen eine Fortleitung der Erregung stattfindet. Nur ist die Reizursache eine innere. 6) Wir haben bisher die Frage, die am allerwichtigsten ist, nämlich nach den psychischen Eigenschaften der Thiere, noch nicht berührt Wir nennen eine Erscheinung psychisch, wenn sie eine Function des Bewusstseins ist. Aber wie sollen wir entscheiden, ob ein Thier Be- wusstsein besitzt oder nicht? Einige Physiologen und Psychologen helfen sich einfach damit, dass sie die Zweckmässigkeit der Handlung /' lieber einige Grundbegriffe u. Grundthatsachen der vergleich. Gebirnphysiologie. 7 als Maassstab benutzen. Wenn ein Thier so reagirt Avie ein vernunft- begabter Mensch im gleichen Falle thun Avürde, so erklären diese Autoren, dass es Bewusstsein besitzt. Auf diese Weise werden viele Reflexe, besonders Instinkte, als psychische Leistungen angesehen und selbst dem Rückenmark wird Bewusstsein zugeschrieben, weil manche seiner Leistungen zweckmässig sind. Wir werden in den folgenden Vorlesungen sehen, dass viele dieser Reactionen nichts als Tropismen sind nnd genau ebenso bei Pflanzen vorkommen. Dann müssten wir also auch den Pflanzen psychisches Leben zuschreiben. Man raüsste es aber dann auch Maschinen zuschreiben, da die Tropismeu ja nur auf einfachen maschinellen Yorrichtungen beruhen. Man gelangt so schliess- lich bis zu den beseelten Molekülen und Atomen. Auf der anderen Seite haben Physiologen, die den metaphysischen und haltlosen Character derartiger Speculationen empfanden, den einzigen Ausweg darin gesehen, die Frage nach der Beseeltheit oder dem Bewusst- sein in der Physiologie ganz aus dem Spiele zu lassen und sich einfach auf das Studium der Folgen von Gehirnoperationen zu beschränken. Das aber heisst das Kind mit dem Bade ausschütten. Der Fehler der Metaphysiker liegt nicht darin, dass sie sich mit fundamentalen Fragen beschäftigen, sondern darin, dass sie sich einer falschen Forschungs- methode bedienen und Wortspielereien an die Stelle von Sacherklärungen setzen. Wenn die Gehirnphysiologie ihr fundamentales Problem, näm- lich die Entwickelung einer Theorie des Bewusstseins, aufgiebt, so schneidet sie sich damit die Quelle ab, aus der ihre besten Früchte stammen. Dagegen ist es nöthig, den Irrweg der Metaphysik zu ver- meiden und Metlioden zu wählen, welche zu Sacherklärungen und nicht zu Wortspielereien führen. Diese Methode ist für die Thierpsychologie dieselbe wie für die Gebirnphysiologie und sie besteht in der richtigen Erkenntniss des Grundvorganges^ der in allen psychischen Vorgängen als elementarer Bestandtheil wiederkehrt und hier dieselbe Rolle spielt, wie der Reflex im Thatsachengebiet der Gehirnphysiologie. Dieser V^or- gang ist meiner Ansicht nach die associative Gedächtnissthätigkeit. Was wir als Bewusstsein bezeichnen, ist nur eine Function associativer Gedächtnissthätigkeit. „Dabei versteheich unter associativem Gedächtniss diejenige Einrichtung, durch welche eine Reizursache nicht nur die ihrer Natur und der specifischen Structur des reizbaren Gebildes entsprechen- den Wirkungen hervorbringt, sondern ausserdem auch noch solche Reiz- wirkungen anderer Ursachen, welche früher einmal nahezu oder völlig gleichzeitig mit jenem Reiz an dem Organismus angriffen." (6), Wenn ein Thier dressirt werden, wenn es lernen kann, so ist associatives Ge- dächtniss vorhanden, und dann kann es Bewusstsein besitzen. Mit Hülfe 8 Ueber einige Grundbegriffe u. Grundtbatsacben der vergleicb, Gehirnpliysiologie. dieses Kriteriums lässt sich zeigen, dass bei Infusorien, Cöienteraten und Würmern keine Spur eines associativen Gedächtnisses, und deshalb auch kein Bewusstseiu vorhanden ist. Bei Insecten und Mollusken ist die Frage im Einzelnen noch nicht entschieden. Fest steht nur, dass zahlreiche Wirbelthiere Bewusstsein besitzen können. Dieses Kriterium dürfte sich von grossem Nutzen für die Entwickelung der vergleichenden Psychologie erweisen, da jetzt die fruchtbare und leicht lösbare Aufgabe gestellt ist, zu untersuchen, welche Repräsentanten der einzelnen Thier- klassen associatives Gedächtniss besitzen und welche nicht. Die Aus- führung dieser Aufgabe wird den Inhalt einer künftigen vergleichenden Psychologie bilden. 7) Unserem Kriterium gegenüber fällt die metaphysische Theorie der Allbeseeltheit der Materie oder der ganzen Thierwelt, ebenso wie die Beseeltheit des Rückenmarks vor ihr keinen Bestand hat. Auch die Annahme, dass die zweckmässigen Reflexe und Instinkte ein psychisches Element enthalten, wird ihr gegenüber unhaltbar. "Wenn Zweckmässig- keit ein Kriterium für Bewusstsein wäre, so müsste ja auch die Organ- bildung als ein bewusster Akt aufgefasst werden, da ja hier bekanntlich die Zweckmässigkeit womöglich noch schlagender ist als bei den In- stinkten und Reflexen. An die Stelle der Allbeseeltheit der Thierformen muss also die Theorie treten, dass nur bestimmte Thierarten Bewusst- sein besitzen, und dass bei ihnen das Bewusstsein auch nur dann auf- tritt, sobald sie ein bestimmtes embryologisches Entwickelungsstadium erreicht haben. Das erklärt sich daraus, dass das associative Gedächtniss an bestimmte maschinelle Vorrichtungen geknüpft ist, die nur bei bestimm, ten Thieren und bei diesen auch nur von einem bestimmten Stadium ihrer embryologischen Entwickelung an vorhanden sind. Mit diesen Ansichten stimmt die Thatsache, dass es bei Wirbelthieren ein Organ giebt, dessen Zerstörung das associativ^e Gedächtniss und nothwendig nur dieses beseitigt, nämlich das Grosshirn. Wir finden ferner, dass solche Wirbelthiere, bei welchen das associative Gedächtniss gar nicht oder nur schwach entwickelt ist (wie z. B. beim Haifisch oder Frosch) nach Verlust ihres Grosshirns sich in ihren Reactionen vom normalen Thier gar nicht, resp. wenig unterscheiden. Der Umstand, dass nur be- stimmte Thiere die für das associative Gedächtniss (und damit das Be- wusstsein) nöthigen maschinellen Vorrichtungen besitzen, ist nicht befrem- dender als der Umstand, dass nur bestimmte Thiere die maschinellen Vor- richtungen besitzen, um die von einem leuchtenden Punkte des Raumes ausgehenden Strahlen in einem Punkt ihrer lichtempfindlichen Organe zu vereinigen. Im Vorgange der Verflüssigung der Gase lehrt uns die Physik die Möglichkeit sprungweiser Zustandsänderungen bei stetiger Ueber einige Griindbegrifte u. Gruiultluitsachen der vergleich. Geliirnphysiologie. 9 Aenderung einer A^ariabelu kennen. Es wäre widersinnig, wenn wir die Möglichkeit sprungweiser Aenderiingen in der belebten Natur leugnen wollten. Nicht alle, aber viele Reflexe sind zweckmässig. Diese Zweckmässig- keit ist ein fundamentales physiologisches Problem. Aber ich bin der Meinung, dass weder die Anthropomorphismen der „natürlichen Zucht- wahl" noch die meist metaphysischen Speculationen der Lamarckianer uns hier weiter helfen. Ich glaube, dass besonders die physikalische Chemie berufen ist, uns die einstweilen noch fehlenden Einsichten zu gewähren. Als höchstes und wesentliches Ziel der Gehirnphysiologie dürfen wir wohl eine Mechanik der Hirnthätigkeit und ganz besonders der asso- ciativen Gedächtnissthätigkeit hinstellen, da ja das ßewusstsein nur eine Function des letzteren ist. Die heute herrschenden Anschauungen über die Localisation der Functionen in der Grosshirnrinde behandeln das Erinnerungsbild wie einen Stofl", welcher in einer Zelle oder in einer Gruppe von Zellen deponirt wird. In einer künftigen Mechanik der Gehirnthätgkeit wird wohl eine dynamische Theorie des Erinnerungsbildes an die Stelle der gegenwärtigen stofflich-histologischen Theorie desselben treten müssen. Litteratur zu I, 1) Loeb, J. Der Heliotropismus der Thiere und seine Uebereinstiuimuug mit dem Heliotropismus der Pflanzen. Würzburg 1890. 2) Loeb, J. Untersuchungen zur physiologischen Morphologie der Thiere II. Würzburg 1892. 3) Gaskell, W. H. On the innervation of the heart. Journal of Physiology Vol. 4. 1883. 4) Engelmann, Tb. W. Beobachtungen und Versuche am suspeudirten Herzen. Pflügers Archiv, Band 5G, 1894. 5) Engelraann, Th. W. Zur Physiologie des Ureters. Pflügers Archiv, Band 2, 1869. 6) Loeb, J. Beiträge zur Gehirnpbysiologie der Würmer. Pflügers Archiv Band 56, 1894. II. lieber das Nervensystem der Medusen und über Automatie und Co Ordination. 1) In einem kleinen Buche „Jelly-fish StaT--fish and Sea-Urchins" hat Romanes eine Reihe schöner Versuche über die Functionen des Nerven- systems dieser Thiere raitgetheilt, von denen wir einige über Medusen hier wiedergeben wollen. Der Schirm der Medusen besitzt an der con- vexen Innenseite eine sehr dünne Lage von Muskelfasern, die sich rjth- misch contrahiren. Bei dieser Con- a .''' ^c traction wird der Hohlraum des Schirmes verkleinert und Wasser aus demselben herausgepresst. Durch den Rückstoss, den das Thier dabei erleidet bewegt es sich vorwärts. In Bezug auf das Nervensystem müssen wir die Medusen in 2 Klas- sen theilen, die auch systematisch von einander getrennt sind: Erstens die freischwimmenden Medusen der Hy- droidpolypen (Hydroidea) (Fig. 1.) und zweitens die Acalephen, deren einer Vertreter, die Ohrenqualle (Au- relia aurita) (Fig. 2.), auch dem zoo- logischen Laien bekannt ist. Das Ner- Muskeln, vensystem der Hydroidea besteht aus c Manubrium, d Eand der Schwimmglocke einem am Rande des Schirmes (^Fig. 1.) mit dem Nervenring. angebrachten doppelten Nervenring. Der obere Nervenring bildet meist eine flache Schicht im Ectoderm und be- steht aus feinen Fasern mit spärlichen Ganglienzellen. Der untere Nerven- ring hat dickere Fasern und mehr Ganglienzellen als der obere Ring. Beide Nervenringe sind durch Nervenfasern verbunden. Ausser diesem Ring, der als Centralnervensystem bezeichnet wird, existirt noch ein sogenanntes Fig. 1. Hydronieduse. (Gonionemus vertens,) Schirm, b Subumbrella mit Ueber das Nervensystem der Medusen und ül)er Autoraatie und Coordination. H Fig. 2. Diagramm des Schirmes vonAurelia aurita mit 8 Sinnesorganen S. Nach Claus. peripheres Nervensystem, das als Plexus (bestehend aus Fasern und Ganglienzellen) sich in der ganzen Subumbrella (b Fig. 1) verbreitet. Es liegt zwischen dem Epithel und Muskellager. Die convexe Ober- fläche des Schirmes besteht aus nicht contractiler gelatinöser Masse und hier sind auch keine nervösen Elemente zu entdecken. Bei den Acalephen (Fig. 2) haben wir keinen geschlossenen Nerven- ring, der den ganzen Schirmrand umzieht, sondern eine Reihe ge- ^^^^''^' trennter Centren {S Fig. 2), die ^\ unter einander nicht durch Com- missuren in Verbindung stehen. Die Zahl der Centren entspricht (bei Aurelia aurita wenigstens) der Zahl der Sinnesorgane S. Diese Nervencentren liegen ebenfalls am Rande des Schirmes und zwar im Ectoderm von Stiel und Basis der Randkörper (Sinnesorgane). Die- ses Nervensystem enthcält keine Ganglienzellen, sondern nur besondere Epithelzellen, von denen Fortsätze ausgehen, die als Nervenfasern be- zeichnet werden. Auch soll ein peripheres Nervengeflecht in der Muskulatur der un- teren Schirmwand vorhanden sein. Romanos hat nun gefunden, dass ■wenn man bei einer Qualle der Hy- droidpolypen (Hydroidea) den Rand der Glocke ( b Figur 3 ) abschneidet, die rhythmischen Contractionen der Glocke (a Fig. .3) aufhören, w\ährend der Rand 6, welcher den Nervenring enthält, un- gestört fortfährt, rhy^thmische Contractio- nen auszuführen. Die Verwundung bringt nicht einmal eine Verminderung in der Zahl und der Energie der Contractionen ^\^: D^rrfjschneidungsversucb , -r, , , "^ ,, ^^ , . bei einer Hj^dromeduse. des Randes hervor. Der Versuch ist von Der abgescbnittene Eand b der Me- anderen Autoren mit dem gleichen Erfolg duse fährt fort, sieb rhythmisch zu wiederholt worden, und ich habe mich contrahiren, wälireud die Glocke a ebenfalls von der Richtigkeit der Angabe «'^^ ^^'^^'^ ^^^^r contrahirt. von Romanos überzeugt. Man kann den Schirm einer solchen Qualle beliebig verwunden. So lange der Schirmrand, d. h. der Nervenring, intact bleibt, gehen die rhythmischen Contractionen ungestört vor sich. 12 Ueber das Nervensystem der Medusen und über Automatie und Coordinatiou. Es scheint also, dass der den Ner^eiiring enthaltende Rand der Qualle der Sitz der rhythmischen Thätigkeit ist. Ich finde aber, dass das Ge- sagte nur für die ersten 48 Standen nach der Operation gilt. Nach dieser Zeit kann die rhythmische Thätigkeit wieder beginnen. Weiterhin suchte ßomanes sich davon zu überzeugen, wie viel vom Rande erhalten bleiben muss, um die rhythmischen Bewegungen des Schirmes zu erhalten. Er fand, dass wenn nur ein einziges Stückchen des Randes übrig ist, dasselbe genügt, um die spontane, automatische Thätigkeit der Qualle zu unterhalten. Es scheint also, dass jedes Ele- ment des Randes als ein Centrum für die rhythmischen Contractionen der ganzen Meduse angesehen werden kann. Die Versuche an Acalephen, z. B. Aurelia aurita, aber ergaben das Resultat, dass nach Abschneiden des Schirmrandes die rhythmischen Be- wegungen beider Theilstücke ununterbrochen weitergehen. Nur ganz vorübergehend (d. h. einige Secunden oder Minuten) mag nach der Ab- trennung des Schirmrandes die Meduse ruhig liegen, dann aber beginnen die rhythmischen Contractionen wieder. Man kann die Abtrennung des Randes hier mit der Stannius'schen Abtrennung des Sinus venosus beim Froschherzen vergleichen, welche ja auch nur einen vorübergehenden Stillstand der rhythmischen Thätigkeit bedingt. Diese vorübergehende Shockwirkung nach Abschneiden des Randes ist nach Romanes allein bedingt durch das Abtrennen der Theile des Randes, in denen die so- genannten Nervencentren gelegen sind, nämlich der Sinnesorgane (S Fig. 2). Wir sehen also hier, dass bei denjenigen Formen der Medusen welche das höher entwickelte Nervensystem enthalten, nämlich den Hy- droidea, die rtiythmische Spontaneität ausschliesslich in dem Theil locali- sirt ist, der den Nervenring enthält, nämlich im Rand, während bei den Acalephen mit dem weniger entwickelten Nervensystem jedes Element des Schirmes Sitz automatischer Erregung ist. 2) Der zweite Umstand, der bei dieser automatischen Thätigkeit von Interesse ist, ist die Coordinatiou der automatischen Thätigkeit. Darunter verstehen wir die Erscheinung, dass der ganze Schirm sich gleichzeitig zusammenzieht, dass also nicht beispielsweise ein Theil des Randes sich in Systole befindet, während gleichzeitig ein anderes Ele- ment in Diastole ist. Diese Coordination ist keineswegs selbstverständ- lich. Romanes hat auch darauf hingewiesen, dass diese Coordination nur bei gesunden Individuen vorkommt. Bei verletzten oder ge- schwächten Individuen bemerkt man in der That einen Mangel an syn- chronischer Thätigkeit der Elemente. Die Frage nach dem Mechanis- mus der Coordination ist aber deshalb für uns von besonderer Bedeu- tung, weil ja die Erscheinung der coordinirten Bewegungen bei höheren Ueber das Nervensystem der Medusen und über Automatie und Coordinatiou. 13 Thieren noch ein vollkommenes Räthsel ist. Die Lösung dieses Räthsels liegt für Viele in der Annahme eines mysteriösen, nervösen Centriims, das diese Coordination besorgen soll. Wir werden gleich in der Lage sein zu entscheiden, ob die Coordination bei niederen Thieren durch ein besonderes „Coordinationscentrum" besorgt wird oder ob sie nicht vielmehr die Folge von einfachen Gesetzen der Erregung und Reizlei- tung ist, Romanos fand, dass wenn man durch radiale Einschnitte in den Rand einer Acalephe jede directe Verbindung zwischen den nervösen Centren unterbricht, auch die Coordination aufhört. In dem Falle con- trahiren sich die einzelnen Sectoren nicht mehr synchron. Dasselbe ge- schieht durch ähnliche Einschnitte bei den Hydromedusen, wobei also die Leitung durch den Nervenring unterbrochen wird. Nur muss in allen Fällen der radiale Einschnitt weit genug hinauf reichen. Macht man aber derartige Einschnitte in den Schirm der Hydromedusen, ohne den Rand und den Nerveuring zu verletzen, so findet keine Coordinatious- störung statt. Die Continuität der im Randtheil des Schirmes gelegenen Gebilde ist also für die coordinirte Thätigkeit eine Bedingung. Wie kommt es nun, dass, so lange diese Continuität gewährt ist, alle Elemente synchron thätig sind, Avährend die Synchronie nach Unterbrechung der Continuität verloren geht? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns an ein Organ wenden, das die Erscheinungen der coordmirten ryhthmischen Thätigkeit in der wunderbarsten Weise zeigt, nämlich das Herz. Es ist bekannt, dass wenn man das Herz eines Frosches in ver- schiedene Stücke schneidet, dieselben alle rhythmisch thätig sein können, dass jedoch die Zahl der Contractionen in den verschiedenen Stücken ungleich ist. Die grösste Zahl hat der abgeschnittene sinus venosus, und zwar ist die Zahl seiner Contractionen diejenige, mit der das Herz vor der Durchtrennung schlug. Man sieht [also, dass das ganze Herz mit dem Rhythmus desjenigen seiner Theile schlägt, welcher die maximale Zahl der Contractionen in der Minute besitzt. Es liegt also nahe anzunehmen, dass die Coordination der Herzthätgkeit dadurch zu Stande kommt, dass der Theil, welcher sich am häufigsten contrahirt, die anderen Theile zwingt, in gleichem Rhythmus thätig zu sein. Hierzu ist es nur nöthig, dass die Erregung des sinus venosus auch jedesmal erregend auf die übrigen Herztheile wirkt, wodurch dieselben sich nothwendiger- weise im gleichen Rhythmus contrahiren müssen. Ein Coordinations- centrum ist deshalb ganz überflüssig. Bei den Medusen findet also syn- chrone Contraction aller Theile statt, wenn der Reiz von dem zuerst erregten oder thätigen Theile des Randes sich rasch genug auf den Rest 14 Ueber das Nervensystem der Medusen und über Automatie und Coordination. des Kandes fortpflanzen kann. Das ist nur möglich, wenn der Kand unverletzt ist. Dabei aber handelt es sich offenbar nicht um den Nerven- ring allein, sondern auch um das benachbarte Gewebe, weil ja der ra- diale Einschnitt recht weit gegen das Centrura geführt werden muss, wenn die Coordination aufhören soll. Muss aber die Erregungswelle sich im Zickzack um die eingeschnittenen Stellen herum fortpflanzen, so hat jede Stelle zwischen zwei Einschnitten Zeit, sich selbstständig zu contrahiren. Daher der Mangel an Synchronie. Auch bei verletzten oder absterbenden Medusen, wo die Zellen in weniger engem An- schluss an einander stehen, kommt es zu uncoordinirter rhythmischer Thätigkeit. Um diese Ansicht weiter zu prüfen, schlug ich Dr. Hargitt, der in meinem Laboratorium arbeitete, vor, den Versuch zu machen, zwei Hydromedusen zusammenzuheilen, und zuzusehen, ob sie nach der Zu- sammenheilung synchron oder unabhängig zu schlagen fortfahren. Zu diesem Zwecke war es nöthig, den Rand abzuschneiden, um sie zu im- mobilisiren und eine Wundfläche zu gewinnen. Die beiden so ver- stümmelten Medusen wurden dann mit den Schnitträndern an einander gelegt und künstlich zusammen gehalten. Solche Thiere heilten in kurzer Zeit zusammen. Fig. 4 zeigt zwei so zusammengeheilte Gonionemus. Die Verwachsung erfolgt bei diesen zwei Thieren am ganzen Schnitt- rand mit Ausnahme eines kleinen Stückes bei 0. Hier würden sich wohl mit der Zeit neue Tentakel gebildet haben, wenn wir das Thier nicht (um es zu conserviren) getötet hätten. Bei anderen Formen er- folgte die Verwachsung nicht in so ausgedehnter Weise. Es ergab sich nun, dass die Thiere, die in grosser Ausdehnung zusammen verwachsen waren, wie das in Fig. 4 gezeichnete, jedesmal wie ein einziges Thier sich synchron contrahirten, und zwar bereits zwei Tage nach der Ope- ration. Die Thiere dagegen, die nicht so ausgedehnt zusammengeheilt waren, contrahirten sich nicht synchron. Ich glaube, dass, wenn es ge- länge zwei Herzen völlig zusammenzuheilen, sie auch synchronisch schlagen würden. Die Erklärung der Coordination, die wir hier versucht haben, weicht von der von Romanos gegebenen ab. Romanos nimmt an, dass alle oder die meisten Ganglia dieselbe Zeit für ihre Ernährung brauchen und dass sie gleich sind in Bezug auf die Widerstände, die das benachbarte Gewebe ihnen entgegensetzt. Sie müssen so alle gleichzeitig schlagen. Er giebt aber selbst zu, dass es an positiven Beweisen für diese Ansicht fehlt, und dass der erwähnte Versuch mit den radialen Einschnitten nicht für seine Auffassung spricht. Mr. Hargitt's Versuch spricht eben- falls gegen die Ansicht von Romanes. Ueber das Nervensystem der Meduseu uud über Automatie und Coordiuation, l5 " ' o- Fig 4. Versuch von Dr. Hargitt. 2 Gonionemus, deren Ränder ab- Wir wollen aber hier noch eine Bemerkung über die Coordinatiou der Herzthütigkeit hinzufügen, die unsere Auffassung bestärkt, dass das Organ, welches die meisten Contractionen in der Zeiteinheit ausführt, die Zahl der Contractionen des Ganzen bestimmen muss^ vorausgesetzt, dass die Leitungsverhältnisse in allen Richtungen die gleichen sind. Denken wir uns das Froschherz in einen langen Schlauch ausgezogen, so dass es dem embryonalen Herzen vergleichbar ist, so folgen sich in diesem Schlauche die Hauptbestandtheile in folgender Ordnung: Sinus venosus, Vorhof, Ventrikel, Bulbus aortae. Da aber die Zahl der automatischen Contractionen im Sinus venosus grösser ist als im Bulbus aortae, so müssen sich die Contractionswellen stets in derselben Rich- tung über das Herz hin ausbreiten, näm- lich vom Sinus zum Bulbus. Denken wir geschnitten waren, werden mit uns aber die automatische Thätigkeit des i'^^en Schnittflächen an einander Bulbus wachsen, bis sie die des Sinus er- gelegt und zusammengeheilt. Nur ... .. . . -17- bei 0 ist eine Lücke. Beide Ge- reicht, SO müssen wir, wenn meine Vor- . , ,. • i i •. ' ' nionemus contrahiren sich bereits aussetzungen richtig sind und die Leitungs- ^^ 2. Tage nach der Operation fähigkeit des Herzschlauches in beiden Rieh- synchron, wie ein einziges Thier. tungen die gleiche ist, ein Organ von der Eigenschaft des Ascidienherzens (Fig. 5) erlangen. Das letztere ist be- kanntlich dadurch ausge- zeichnet, dass sich die Con- tractionswellen nicht wie im Herzen der übrigen Thiere stets in einer Richtung hin ausbreiten, sondern dass ab- wechselnd bald peristaltische, bald antiperistaltische Con- tractionswellen an ihm ab- laufen. Wenn es sich bei- spielsweise 500 Mal hinter einander von links nach rechts COntrahirt und sein nur in der Eichtung von b nach c. Blut nach rechts schickt, so folgen dieser Thätigkeit sagen wir 800 Pulsatio- nen von rechts nach links, wobei das Blut also in umgekehrter Richtung wie Fig. 5. Diagramm des Ascidienherzens. Im Ascidienberzen erfolgen eine Zeit lang Con- tractionen in der Eichtung von a nach b und dann von b nach a. Durchschneidet man es aber in der Mitte bei c, so contrahirt sich die linke Hälfte nur in der Eichtung von a nach c, die rechte Hälfte 16 Ueber das Nervensystem der Medusen und über Automatie und Coordination. vorhin durch das Gefässsystem fliesst. Dann folgen wieder eine grössere Zahl von Pulsationen von links nach rechts u. s. f. Dr. Lingle hat nun vor sechs Jahren in Woods HoU die folgenden Versuche am Ascidienherzen an- gestellt. Ist a b (Fig. 5) das Ascidienherz und schneidet man es bei c durch, so contrahiren sich beide Stücke a c und b c ununterbrochen in constanter Richtung, jenes in der Richtung von a nach c, dieses in der Richtung von b nach c. Ferner hat Dr. Lingle noch festgestellt, dass die Quelle der automatischen Thätigkeit anf zwei kleine Regionen bei a und bei b beschränkt ist, die etwa dem sinus venosus und dem bulbus aortae des Froschherzens entsprechen. Schnitt er diese beiden Stücke aus dem Herzen heraus, so schlugen sie ununterbrochen weiter, während das dazwischen liegende lange Mittelstück nicht mehr pulsirte. Diese Versuche lassen, wie mir scheint, keinen Zweifel daran, dass der Wechsel der Contractiousrichtung im Ascidienherzen dadurch bedingt ist, dass ab- wechselnd das eine der beiden Herzenden die Oberhand gewinnt und dann das andere Centrum für eine Zeit lang zwingt, in seinem Rhythmus mit thätig zu sein. Dieses „die Oberhand gewinnen'' dürfte aber mög- licher Weise in nichts Anderem bestehen, als dass es Zeit gewinnt, eine Erregung oder resp. Contractionswelle abzusenden, ehe das andere Ende mit der Contraction beginnt. Dazu ist es nur nöthig, dass einmal ein einzelner Herzschlag bei dem gerade führenden Ende des Herzens sich etwas verzögert oder ganz ausfällt, was ja auch bei menschlichen Her- zen gelegentlich beobachtet wird. Alsdann wird das andere Herzende Zeit gewinnen, eine Contractionswelle auszusenden, und seine auto- matische Erregung wird so lange die Reizursache für die Erregung des anderen Endes werden, bis eine Verspätung oder ein Ausfall einer Con- traction eintritt, wodurch das andere wieder Zeit gewinnt, automatisch thätig zu werden u. s. f. 3) Die Versuche von Romanes erwecken den Eindruck, als ob die automatische Thätigkeit bei den Medusen von den Ganglien des Randes ausginge. Ein zwingender Grund für diese Annahme ist bei den Aca- lephen aber sicher nicht vorhanden, da ja jeder Theil des Schirmes hier automatisch thätig sein kann. Wir wissen, dass das embryonale Herz automatisch thätig ist, lange ehe es Ganglienzellen enthält. Engelmann hat eine Reihe von Thatsachen angeführt, die darauf hinweisen, dass selbst im Herzen des Erwachsenen die Muskelelemente Sitz automatischer Thätigkeit sind. Bei Infusorien haben wir automatische Contractiouen der Vacuole, ohne dass hier Nervenelemente vorhanden wären. Vom Standpunkt der vergleichenden Physiologie hat also der Gedanke, dass automatische Thätigkeit nicht nothwendig an Ganglienzellen gebunden zu sein braucht (selbst wenn solche vorhanden sind), nichts Befremden- Ueber das Nervensystem der Medusen und über Automatie und Coordination. 17 des. Anderseits dagegen kennen wir Fälle, in denen die automatische Thätigkeit sicher von nervösen Elementen ausgeht, nämlich bei den Athemcentren. Was nun die Ursache der rhythmischen Thätigkeit betrijfft, so hat meines Wissens zuerst J. Rosenthal darauf hingewiesen, dass es keines- wegs nöthig ist, dass eine rhythmische Erscheinung auch eine rhyth- mische Ursache hat, sondern dass constante Umstände sehr wohl zu rhythmischen Wirkungen führen können. Wenn in eine Pipette Wasser A 7f/////^J^^^f^/^f^^////J//^^^/7Z'. W//////////W////////////////////f//////W//////////y'///.'ÄIJ/////J/J//J!///!, Fig. 0, Vorrichtung zur Herstellung automatisch pulsii'ender Luftblasen. Siehe Text. constant in einem sehr schwachen Strom einfliesst, so wird der Ausfluss rhythmisch (in Tropfen) erfolgen. Das Gewicht des Tropfens rauss grösser sein als die Oberflächenspannung in der Peripherie der Ausfluss- öffnung, ehe der Tropfen abreissen kann. So lange die Quantität Wasser, die in der Zeiteinheit einfliesst, unter einer gewissen Grenze bleibt, wird es immer eine Zeit lang dauern, ehe der Tropfen schwer genug ist, um abzureissen. Quincke hat eine einfache und elegante Methode angegeben durch die es sehr leicht ist, Luftblasen zu rhythmischen Contractionen zu veranlassen. Ich will den Versuch so mittheilen, wie ich ihn in der Vorlesung zeige. In einem mit Wasser gefüllten Gefässe B (Fig. 6) befindet sich eine Glasplatte P und unter derselben eine Luftblase b von etwa 5 mm. grösstem Durchmesser. Unter der Blase, im Centrum derselben, mündet die (in eine enge Oeffnung ausgezogene) Thermometer- röhre T, deren oberes Ende in das mit 95procentigem Alcohol gefüllte Gefäss A taucht. Der Alcohol steigt in einem dünnen Strahle S gegen Loeb, Vergleichende Gehirnphysiologie. 2 18 Uober das Nervensystem der Medusen und über Automatie und Coordinatiou. das Contrum der Blase. Sobald der Alcohol mit der Luftblase in Be- rührung kommt, breitet er sich an der Grenze zwischen Luft und Wasser aus, weil die Summe der Oberflächenspannungen zwischen Luft und Alcohol und Alcohol und Wasser kleiner ist als die Oberflächenspan- nung zwischen Luft und Wasser. Durch diese Abnahme der Oberflächen- spannung wird die Luftblase niedriger und breiter. Infolge der mit der Ausbreitung verbundenen Wirbelbewegungen im Wasser wird der Zu- fluss des Alcohols zur Luftblase unterbrochen. Die die Luftblase um- gebende Alcoholschicht diffundirt rasch ins umgebende Wasser und die Luftblase wird wieder höher, entsprechend der grösseren Oberflächen- spannung zwischen Wasser und Luft. Der Zufluss des Alcohols zur Luftblase wird, da die Wirbelbewegungen nunmehr aufgehört haben, wieder möglich und von Neuem findet das Flachwerden der Luftblase statt u. s. f. Unter den angegebenen Bedingungen erhielt ich bei Zimmer- temperatur etwa 80 Pulsationen der Luftblasen in der Minute, also un- gefähr die Periodicität des Herzens (4). Was nun die Entstehung der rhythmischen Thätigkeit der Medusen des Herzens und der Athemthätigkeit betrifft, so kann man sich leicht vorstellen, dass dem constanten Zufluss des Alcohols im Quincke'schen Versuche eine stetige fermentative Erzeugung von Stoffwechselproducten durch Wärmezufuhr von aussen in den automatisch thätigen Zellen ent- spricht. Diese Stoffe können recht gut von der Art sein, dass sie Aus- breitungserscheinungen in den Zellen herbeiführen wie im Quincke'schen Versuch. Aber es muss erst eine gewisse Quantität dieser Stoffe vor- handen sein, ehe es zu einer Ausbreitungserscheinung kommt. Daher die Periodicität. Es ist unmöglich einzusehen, warum solche Erschei- nungen ausschliesslich in Ganglienzellen erfolgen sollten, wie es die alte Meinung in der Physiologie verlangt und warum nicht ebenso gut Aus- breitungserscheinungen in Muskelzellen oder andern Zellen von Statten gehen sollten. Freilich ist es nur eine Vermuthung, dass gerade- Ausbreitungserscheinungen den Anstoss zur rhythmischen Tliätigkeit geben. 4) Der Leser weiss wohl aus eigener Anschauung, was geschieht, wenn man eine Stelle des Rückens eines Frosches mit einem Tropfen verdünnter Essigsäure betupft: der Frosch bringt den Fuss zur gereizten Stelle und wischt die Säure ab. Bindet man ein Bein fest, so benutzt er ein anderes zu dem Zweck. Aehnlich benimmt sich die Schildkröte, wenn man die Essigsäure auf den Rückenpanzer tupft. Sie kann den gereizten Punkt nicht erreichen, aber die Beine bewegen sich unter dem Panzer so weit als möglich dorsal gegen den gereizten Punkt. Die Physiologie begnügt sich diesen Erscheinungen gegenüber mit dem Hin- Ueber das Nervensystem der Medusen und über Automatic und Coordination. 19 weis auf die unnachahmliche Complicirtheit und die unergründlichen Strukturgeheimnisse des Centralnervensystems. Und doch haben wir dieselben Reactionen bei einer Hydroidmeduse, bei der der Ausdruck Centralnerveusystem nur eine conventionelle Bedeutung hat. Reizt man bei Tiaropsis indicans mit einer Nadel einen Punkt a (Fig. 7) der con- caven Seite des Schirmes, so wird das Manubrium an die berührte Stelle gebracht (Fig. 7), als wollte das Thier den irritirenden Körper entfernen. Diese Bewegung kommt so zu Stande, dass in demjenigen Meridian des Schirmes a ö, welcher durch den gereizten Punkt a geht, eine Krüm- mung des Manubrium so- wohl wie der Glocke erfolgt. Es ist so, als ob alle Muskel- fasern zusammenwirkten, um dasManubrium an die gereizte ÖL Fig. 7. Localisirungsreflex bei Tiaropsis indicans. Reizt man eine Steile a des Randes, so wird das Manubrium an die gereizte Stelle gebracht ; ähnlich wie der decapitirte Frosch einen Tropfen Essig- säure mit der Pfote abzuwischen versucht. Schematisirt nach Romanes. Stelle zu bringen. Das Central- nerveusystem hat nichts mit der Reaction zu thun, denn Romanes fand, dass nach dem Abschneiden des ganzen Randes mit den Ringnerven die Reaction erhalten bleibt. Macht man dagegen einen Einschnitt in den Schirm parallel zum Rande und reizt man einen unterhalb der Mitte der Schnittlinie gelegeneu Punkt, so zeigen sich zwar unbestimmte Bewegungen des Manubriums gegen den Quadranten, wo der gereizte Pimkt liegt, aber eine genaue Locali- sation ist unmöglich. Romanes schliesst daraus, dass alle Theile der Glocke von radialen Linien differenzirten Gewebes durchzogen werden, deren Function die Uebertragung von Eindrücken zum Manubrium ist. Er nimmt an, dass dieses Gewebe nervösen Characters ist. Ich glaube, die ganze Erscheinung erklärt sich ohne jede Annahme eines, besonders in radialen Richtungen, differenzirten nervösen Gewebes. Das blosse Vorhandensein der Muskelfasern auf der Unterseite des Schirmes und der Oberfläche des Manubriums genügt zur Erklärung. Ich stelle mir vor, dass jeder punktförmige Reiz etwa bei a Fig. 8 zu einer allseitigen Spannungszunahme der Muskeln führt, die am intensivsten in der Nähe des gereizten Punktes ist und um so mehr an Intensität abnimmt, je weiter man sich vom gereizten Punkt entfernt. Denkt man sich nun die vom gereizten Punct ausstrahlenden Linien der Spannungszunahme 2* 20 Uel)er das Nervensystem der Medusen und über Automatie und Coordination. a«\ ab\ ac,^ ad^, ae^ (Fig- 8j alle in je eine meridiüiiale aa^, dd\ bb^ etc. und eine darauf senkrechte äquatoriale Componente ab, ac etc. zerlegt, so ist es klar, dass die letzteren auf das Manubriuni keinen Einfluss haben können. Nur die radialen Componenten können einen Einfluss haben, und zwar muss diejenige radiale Componente ein Maximum sein, welche durch den gereizten Punkt geht. Das muss nothwendig zu einer Krümmung des Manubriums zum ge- reizten Punkt hinführen. Das zeigt auch ohne Weiteres, warum ein dem Rande des Schirmes paralleler Schnitt das ge- nauere Localisations vermögen aufhebt und nur unbestimmte Bewegungen gegen 2,. c. den gereizten Quadranten hin zulässt, Fig. 8. Diagramm zur Erklärung Ich glaube auch kaum, dass die des Localisirungsreflexes bei Medusen. Einrichtungen für den analogen Reflex beim Frosch oder der Schildkröte von einer höheren Ordnung der Complication sind. Denken wir uns einen Frosch mit derjenigen Einfachheit des Baues, wie er sich im frühen Embryo- nalstadium findet, so sieht man ohne Weiteres, dass dieselben Annahmen für den Frosch ausreichen, wie für die Medusen. Ich halte es aber für denkbar, dass trotz der Verschiebungen, welche die Muskeln bei der Entwickelung er- leiden, dennoch das einfache Schema protoplasmatischer Verknüpfungen erhalten bleibt, das zur Zeit der ürwirbel existirte. Die Complicirtheit der Einrichtungen für den Localisirungsreflex ist alsdann nur scheinbar. Die Natur arbeitet immer nur mit sehr einfachen Mitteln. Dieses Mittel ist beim Localisirungsreflex die Reizkrümmung, z. B. Contactkrümmung, die uns in der einfachsten Form bei Pflanzen gegen übertritt, bei denen die mit einem festen Körper berührte Seite concav wird. Bei den Pflanzen ist sicher kein Centralnervensystem mit geheimnissvollen Reflexstructuren im Spiele. Reizbarkeit und Reizleitung ist alles was zur Erklärung hier nöthig ist. Bei der Meduse ist die Sache nur insofern etwas complicirter, als das contractile Gewebe hier richtiges Muskelgewebe ist. Beim Frosch tritt als einzige weitere Complication der Umstand hinzu, dass die Reizleitung durch eine besondere Art von Gewebe erfolgt, nämlich Nervengewebe. Es lassen sich also alle erwähnten Erscheinungen an Medusen durch die einfachsten Thatsachen der Erregung und Reizleitung erklären, ohne dass wir nöthig haben, den Ganglienzellen andere geheimnissvolle Struc- turen und Functionen beizulegen, als wie sie in allem reizleitenden Protoplasma vorkommen. üeber das Xerrensystem der Medusen und über Äut.'matie und Coordination. 21 Litteratur zu IL 1) ßomanes, G. J. Jelly-fish, Star-fish Juid Sea-Urehins, The International Scientific Series 1893. Vergleiche ferner Eimer, Die Medusen, physiologisch und morphologisch auf ihr Nervensystem unter- sucht. Tübingen 187S. 2 1 Das Tollständigste und beste Werk über Anatomie und Histologie des Xenren- »vstems der Med äsen ist Hertwig, 0. und E.. Das Xervensyätem und die Sinnes- organe der Medusen. 3j Engelmann, Beobachtungen und Versuche am suspendirten Herzen. Pflügefs Archiv Bd. 56. 1S94. 4) Quincke, üeber periodische Ausbreitung an Flüssigkeits- Oberflächen etc. Sitzon^berichte der Berliner Akademie der Wissensch. 188S IL S. 701. III. Das Centralnervensystem der Ascidien und die Bedeutung desselben für Reflexe. 1) Wenn wir die Reihenfolge des natürlichen Systems unserer Dar- stellung zu Grunde legen wollten, so hätten wir kein Recht auf die Meduseu die Ascidien folgen zu lassen. Allein wir halten es für vor- theilhafter, die Reihenfolge der Untersuchungsobjecte so zu wählen, dass die einfachsten Untersuchungsobjecte den complicirteren voraufgehen. Nachdem wir am Ende des vorigen Abschnittes zu der Ueberlegung ge- führt worden w^aren, dass bei den Medusen die spontanen Leistungen und die Reflexe den einfachen Gesetzen der Erregung in protoplasma- tischen Gebilden folgen, müssen wir die Consequenzen einer solchen Anschauung bei einer Thierklasse prüfen, deren Centralnervensystem aus einem einzigen Ganglion besteht, welches sich sehr leicht entfernen lässt, nämlich den Ascidien. Am günstigsten ist für operative Zwecke die durchsichtige und sehr grosse Ascidie, Ciona intestinalis (Fig. 9), bei der das Ganglion bei d (Fig. 9) zwischen der oralen Oeffnung a und der aboralen OefFnung b liegt. Ciona (sowie die anderen mir bekannten Ascidien) besitzt einen sehr characteristischen Reflex. Berührt man die orale oder aborale OefFnung (a oder b Fig. 9) des Thieres, so schliessen sich diese beiden OefFnungen, und das ganze Thier zieht sich zusammen, so dass es klein und kugelig wird. Dieser Reflex ist, wie mir scheint, durch zwei Gruppen von Muskeln bestimmt, erstens Ringmuskeln an der oralen und aboralen OefFnung, zweitens Längsmuskeln, welche die ganze Oberfläche des Thieres durchziehen. Durch die Contraction dieser Muskeln ist das Thier gegen das Eindringen ungebetener Gäste in seinen Körper ge- schützt. Diese Reaction ist ein typischer Reflexakt, dem auch das Characteristicum der Zweckmässigkeit nicht fehlt. Nach den herr- Dci.s Cenlnihierveiisystciii der Ascidiun uiul ilie Bedeutung dessellK'U IVtr Keilexe. 2o sehenden Vorstellungen über die entscheidende Rolle der Ganglien für die Reflexe verläuft der Vorgang folgendermaassen. Die Erregung wird durch die peripheren Nerven zum Ganglion ge- leitet, hier wird der mysteriöse Reflexmechanismus in's Spiel gesetzt und den Muskeln der Befehl ertheilt, sich in der zweckentsprechenden Weise zu contrahirön. Ferrier beispielsweise führt in seinem Lehrbuch gerade die Ascidien mit ihrem Ganglion als typisches Beispiel für die Bedeutung des letztem für die Reflexe an. Ich entfernte bei einer Reihe von Cionen das Ganglion. Unmittelbar nach der Operation, gewöimlich etwa 24 Stunden lang, blieben die Thiere maximal contrahirt. Dann streckten sie sich wieder aus. Zu meiner grossen Ueberraschung aber fand ich, dass der typische Reflex der Thiere auch nach der Enthirnung weiter besteht: Lässt man nämlich einen Tropfen Wasser auf ein solches Thier fallen, so löst dieser Reiz wieder den typischen Reflexakt aus, wie beim normalen Thier (1). Der Reflex kann also nicht durch einen Reflex- mechanismus im Ganglion selbst be- stimmt sein. Wodurch aber ist er be- stimmt und was ist die Rolle des Ganglions? Hier geben Versuche über die Reizschwelle Auskunft: Die Reiz- schwelle für die Auslösung des Reflexaktes ist höher bei den operirten als bei den nichtoperirten Thieren. Als Reizquelle benutzte ich die kinetische Energie von Wassertropfen, die aus einer Röhre mit enger Oeff'nung (Pipette) auf das Thier fielen. Da das Gewicht des fallenden Tropfens für dieselbe Pipette stets das gleiche ist, so ist das Minimum der Fallhöhe, von der aus der Tropfen eine Contraction auszulösen ver- mag, ein bequemes Maass der Reizbarkeit (die letztere ist natürlich gleich dem reciproken Werth der ReizschAvelle). In einem Falle be- fanden sich in einem Aquarium (gleich nahe der Oberfläche) eine frisch operirte und eine normale Ciona. Beide waren gleich tief unter dem Wasser- spiegel. Die minimale Fallhöhe, von der noch eine Contraction ausgelöst werden konnte, war für die normale (a) und die operirte (b) wie folgt: Fig. 9. Ciona intestinalis. a orale, b aborale Oeffnung, c Fuss, d Lage des Ganglions. 24 Das Ceutralnervcnsystera der Ascidien uud die Bedeutung desselben für Reflexe. a (normal) b (enthirnt) 8 mm 65 mm 4 „ 75 „ 10 „ 80 „ 80 „ Bei zwei anderen Yersuchsthieren erhielt ich folgende Werthe: a (normal) b (enthirnt) . 6 mm 22 mm 8 „ 20 „ Dieser Unterschied der Reizbarkeit rührt meiner Ansicht nach daher, dass in der normalen Ascidie die Erregung durch die Nerven und das Ganglion fortgeleitet wird, wozu eine geringere Energie des auslösenden Reizes nöthig ist, während bei der operirten Ascidie die Muskeln direct erregt werden und vielleicht die Fortleitung der Erregung von Muskel- zelle zu Muskelzelle stattfindet, wie im Herzen. Wir wissen ja übrigens, dass die directe Erregbarkeit von Muskelfasern geringer ist als die der Nerven. Das Wesentliche aber, das der Versuch lehrt, ist der Umstand, dass der „Reflex" der Ascidie nicht durch geheimnissvolle Mechanismen im Ganglion bestimmt ist, sondern lediglich durch die Anordnung der peripheren Muskeln des Thieres; und dass das Ganglion wie überhaupt das Centralnervensystem nur die Rolle einer empfindlicheren und besseren Reizleitung spielt (1). 2) Man könnte nun geneigt sein, sich vorzustellen, dass diese Fälle keine Schlüsse erlauben auf die ,,Reflexcentren" höherer Thiere, dass bei höheren Thieren die Ganglien Functionen übernommen haben, welche liei niederen Thieren durch periphere Organe besorgt werden können. Es ist ja eine beliebte Behauptung, dass ein „Wandern" der Functionen um so höher hinauf im Centralnervensystem stattfindet, je höher ein Thier im System stehe. Wie man sich aber ein „Höherhinaufwandern'' von „Functionen" vorstellen solle, setzt leider keiner dieser Autoren aus- einander. Es lässt sich indessen leicht zeigen, dass die Dinge bei höhe- ren Thieren nicht anders liegen als bei niederen Thieren, nur muss man zum Vergleich mit dem niedern Thiere nicht das gesammte höhere Thier, sondern einzelne Segmente resp. Organe desselben auswählen. Wenn die Intensität des Lichtes plötzlich vermehrt wird, so verengert sich bekanntlich die Pupille. Der Sphincter Iridis contrahirt sich, und die Lichtstrahlen werden in ähnlicher Weise abgehalten, wie die un- gebetenen Gäste durch Schliessen der Sphinctern bei der Ascidie. Im Auge haben wir es, wie bei der Ascidie, mit einem typischen Reflexact zu thun. Die Zunahme der Lichtintensität reizt die Retina. Die Er- regung pflanzt sich durch den Sehnerv auf dessen Centren fort und Das Centraliun-vensystem dci- Ascidicn und dio Bedeutung- dessclboii ITir Keilexe. 25 wird von hior vermittelst des Ocuiomotorius auf den Öpliinctor Iridis übertragen, der sich contrahirt. Gleichwohl wäre es falsch, anzunehmen, dass das „Centrum" für den Pupillarreflex irgend eine andere Rolle bei diesem Vorgange spiele, als etwa die einer protoplasmatischen Verbin- dung zwischen Retina und Iris. Es ist nämlich von Arnold und später von Brown-Soquard und Budge gezeigt worden, dass selbst in der aus- geschnittenen Iris auf Lichteinfall noch die Verengerung der Pupille stattfindet. Ich selbst habe oft die Beobachtung gemacht, dass bei Hai- fischen, deren Gehirn ich entfernt hatte, die Verengerung der Pupille auf Lichteinfall noch mehrere Stunden nach dem Tode stattfand, als schon Zeichen von beginnender Fäulniss in der Schädelhöhle sich zeigten. Steinach hat in einer sehr gründlichen Arbeit den wichtigen Nachweis geführt, dass es sich hierbei um directe Erregung der pigmentirten Muskelelemente in der Iris handelt (3), Dieser Reflex ist also bestimmt durch die Muskulatur der Iris, und die nervösen Verbindungen dienen nur zur rascheren und bequemeren Reizleitung. Es benimmt sich also der Augapfel dem Licht gegenüber genau wie die Ascidie mechanischen Reizen gegenüber. Einige Physiologen scheinen die Möglichkeit zu bezweifeln, dass Muskeln direct ohne Vermittelung von Ganglienzellen, durch Licht er- regbar sind. Wir finden aber, dass Contractionserscheinungen auch bei Pflanzen und Protozoen durch das Licht ausgelöst werden, die doch sicher keine Ganglienzellen enthalten. Es zweifelt ferner Niemand daran, dass auch Muskeln ohne Ganglienzellen chemisch oder mechanisch er- regt werden können. Warum soll es nicht auch Muskelfasern geben, welche durch Licht direct erregbar sind? Es ist doch kein Grund zu der Annahme vorhanden, dass alle Muskeln sich genau wie die Muskeln des Froschschenkels verhalten müssen, bloss weil an ihnen zufällig die gegenwärtig herrschenden Anschauungen über die Eigenschaften der Muskeln gewonnen worden sind. Wir können ein anderes Beispiel wählen. Die Entleerungen des Mastdarms und der Blase höherer Thiere sind Reflexerscheinungen, ausgelöst im Rückenmark. Der Druck der Faeces oder des Urins wirkt als Reiz, der die Centren für die Entleerungen dieser Organe erregt und diese Erregung soll die Erschlaffung des sonst contrahirten Sphincters zur Folge haben. Goltz und Ewald haben aber gefunden, dass auch nach Entfernung des ganzen Rückenmarks bis auf's Halsmark die Ent- leerung der Blase und des Mastdarms ganz normal vor sich geht (4). Nur eine gewisse Zeit nach der Operation sind die erwähnten Sphincte- ren erschlafft, in Folge der Shockwirkung der Operation, später aber wird alles wieder normal. Der Fall ist wohl derselbe wie bei der Ascidie. 26 I^'is Centralnervensystera der Ascidieu und die Bedeutung desselben für Kellexe, Die Vorgänge bei der normalen Entleerung der Blase und des Mastdarms sind nicht durch geheimnissvolle Strukturen im sogenannten Reflex- centrum, sondern im peripheren Apparat der Blase und des Mastdarms, speciell der Muskeln bestimmt. Das Rückenmark dient nur für die be- quemere Reizleitung. Goltz und Ewald sind allerdings geneigt an- zunehmen, dass hier dennoch Ganglienzellen oder unbekannte nervöse Verhältnisse bestimmend wirken. Vom Standpunkt der vergleichenden Physiologie aus scheint mir diese Annahme nicht nothwendig zu sein. Die Actinia mesembryanthemum der Ostsee und des mittelländischen Meeres sind morphologisch vielleicht weniger verschieden als der Sphincter ani und der Gestrocnemius. Und doch zeigt die Actinia mesembry- anthemum des Mittelmeeres eine Form der Reizbarkeit, welche die gleich- namige Actinie der Ostsee nicht zeigt: nämlich negativen Geotropismus, Ich erwähne dieses Beispiel (dem ich viele ähnliche anreihen könnte) um zu zeigen, dass Strukturgebilde, die morphologisch gleich sind, den- noch nicht in allen ihren Reactionen gleich zu sein brauchen. Eine kleine stereochemische Verschiedenheit eines Kohlehydrates oder eines Eiweisskörpers kann, wie die Versuche über Gährung zeigen, ganz ver- schiedenes physiologisches Verhalten bedingen, ohne dass das morpho- logische Verhalten beeinflusst zu sein braucht. Es bleibt natürlich die Möglichkeit bestehen, dass auch bei Ascidien nervöse Plexus unter der Epidermis bestehen, wie bei den Medusen; Herr Hunter, der sich im hiesigen zoologischen Institut eingehend mit dem Nervensystem der Ascidien beschäftigt hat, findet, dass er an be- stimmten Stellen unter der Epidermis der Ascidien Zellen gefunden habe, die er als Ganglienzellen deutet. Es ist möglich, dass die Leitung der Erregung bei den enthirnten Ascidien zum Theil wenigstens durch diese Plexus stattfindet. Das ändert freilich nichts an der Thatsache, dass die characteristischen Reflexe der Ascidien auch nach Exstirpation des Centralnervensy stems fortbestehen . Neuerdings hat Schaper eine Beobachtung gemacht, welche dafür spricht, dass bei den jungen Larven der Amphibien ähnliche Beding- ungen vorhanden sein mögen, wie bei den Ascidien. Er amputirte einer Frosehlarve in den ersten Tagen das Gehirn und sah das Thier dennoch in den nächsten sieben Tagen sich spontan bewegen. Das Merkwürdige ist, dass bei der Zerlegung des Thieres in Serienschnitte gefunden wurde, dass auch das Rückenmark zu Grunde gegangen war (2). Diese Be- obachtung sollte erweitert werden. Es ist sehr wohl denkbar, dass auch bei den Froschlarven in den ersten Tagen der Entwickelung eine directe Fortpflanzung der Erregungswellen von der Haut auf die Muskeln statt- finden kann, olnie dass das Nervensystem in Thätigkeit treten muss. Das Centralncrvensystcni der Ascidien >iiul die Bedeutunj;- desselben für Reflexe. 27 8) Man könnte nun den Einwand erlieben, dass es sich im Falle der Blase oder des Mastdarms um kleine unwesentliche Organe des Körpers handele. Das Gesagte gilt aber für grössere Organgruppen ebenso: z. B. für die Blutgefässe. Wie wunderbar sind die Einrich- tungen, welche die Weite unserer Blutgefcässe den äusseren Bedingungen anpassen und es ermöglichen, dass die Hautgefässe weit werden, wenn Wärmeverlust wünschenswerth ist, dass sie eng werden in der Kälte, wenn der Wärmeverlust beschränkt werden soll. Auch hier nimmt man an, dass diese wunderbar zweckmässigen Einrichtungen durch geheim- nissvolle Strukturverhältnisse im Centralnervensystem bestimmt sind. Goltz und Ewald (4) haben aber gefunden, dass Hunde, die das Rücken- mark bis nahe an die Medulla oblongata verloren hatten, Jahre lang am Leben bleiben. Das allein beweist, dass die Blutgefässe sich unabhängig vom Centralnervensystem reflectorisch der Aussentemperatur anpassen können. Goltz hatte früher schon bewiesen, dass wenn man alle Ner- ven einer Gliedmasse durchschneidet und und die Gliedmasse nur mit- telst der Blutgefässe mit dem Thier im Zusammenhang lässt, die an- fänglich erschlafften Gefässmuskeln resp. contractilen Gefässelemente ihre Spannung (Tonus) wiedergewinnen. Dasselbe findet auch nach Zer- störung des Rückenmarks statt. Die Temperatur der Hinterpfoten bei Thieren, deren Rückenmark vom Brusttheil an zerstört war, wurde einige Zeit nach der Operation wieder gleich der Temperatur der Vorderpfoten, die nervös noch mit dem Centralnervensystem zusammenhingen. Es ist bekannt, dass wenn eine Hand eine Zeit lang im Schnee steckt, nachher eine locale Nachwirkung des Kältereizes auftritt, die sich in einer Er- schlaffung der Gefässmuskulatur und Temperaturerhöhung des betreffen- den Theiles geltend macht. Goltz und Ewald konnten zeigen, dass die- selbe Erscheinung auch beobachtet wird, wenn man die Hinterpfoten von Hunden mit zerstörtem Rückenmark eine Zeit lang in Schnee einpackt. Vom Standpunkt der menschlichen Physiologie sind diese Resultate befremdend, vom Standpunkt der vergleichenden Physiologie sind sie leicht verständlich. Wir sehen ja, wie sehr die Reactionen der Pflanzen gegen äussere Reize mit denen von Thieren übereinstimmen. Warum sollte es nicht denkbar sein, dass einzelne Organe und Gewebe höherer Thiere auch ohne Centralnervensystem zweckmässig auf äussere Reize reagiren? Während so die Ascidien uns helfen können, falsche Anschauungen über die Bedeutung der Ganglien des Centralnervensystems höherer Thiere los zu werden, helfen sie uns auch weiterhin die wirkliche Rolle des Nervensystems höherer Thiere festzustellen. Obwohl nämlich die 28 t)i>« Centralncrvensystem der Ascidieii und die Bedeutung desselben für Kellexe. rückenmarkslüseii Hunde von Goltz und Ewald noch im Stande waren, die Weite ihrer Blutgefässe den Temperaturverhältnissen anzupassen, war es doch nöthig, sie vor raschen Temperaturwechseln viel sorgfältiger zu schützen, als das bei normalen Thieren nöthig ist. Wie bei den Ascidien nach Verlust des Ganglions die Reizschwelle erhöht (und ver- muthlich die Geschwindigkeit der Leitung verringert war), so war das- selbe wohl auch in Bezug auf die Temperaturregulirung bei den rücken- markslosen Thieren von Goltz und Ewald der Fall. Zum Leben im Freien taugten diese Hunde deshalb nicht mehr, die Temperaturregulirung war bei ihnen zu langsam und die Reizschwelle wohl zu hoch. Wie ein Betrunkener würden sie rascher in der Kälte zu Grunde gegangen sein, als ein normales Thier. Die Rolle des Nervensystems besteht also nicht darin, dass es Regulationsmechanismen enthält, sondern, dass die Leitung durch dasselbe rascher stattfindet und dass es deshalb den pe- ripheren Organen erlaubt, mit grösserer Präcision zu arbeiten. 4) Bethe hat neuerdings einen schwierigen Versuch an einem Krebs (Carcinus maenas) angestellt, welcher allerdings nur in zwei Fällen ge- lang. Wenn dieser Versuch richtig ist, so beweist er, dass bei der Lei- tung eines Reflexes im Centralnervensystem der Leitungsvorgang gar nicht einmal durch die Ganglienzellen zu gehen braucht (5). Eine ana- tomische Betrachtung veranlasste Bethe zur Ausführung dieser Operation. „Fast alle Ganglienzellen von Carcinus sind unipolar und oft läuft der Axenfortsatz der Zelle weite Strecken dahin, ehe er die ersten Dendriten abgiebt und die periphere Faser entsendet. Es schien mir nun recht sonderbar, dass der durch die sensibeln Nerven in das Centralorgan tretende Reiz durch die Dendriten zu der weitentfernten motorischen Ganghenzelle einen grossen Theil desselben Wegs rückwärts und dann erst in die periphere motorische Faser gehen sollte, anstatt direct von den Dendriten auf dem viel näheren Wege auf die motorische Faser überzugehen. Diese Frage war leicht dadurch zu entscheiden, dass man die Ganglienzellen mit dem Axenfortsatz unter Schonung des Neuropils von motorischen Neuronen abtrennte. Wäre die Ganglienzelle zum Functioniren absolut nöthig, so müsste gleich nach der Operation eine Lähmung der betreffenden Muskeln eintreten ; im andern Falle, wenn der Reizstrom direct von Dendriten zur peripheren Faser, ohne die Ganglien- zelle passiren zu müssen, übergehen könnte, so müsste die Lähmung ausbleiben, wenigstens für einige Zeit." Die Operation hess sich bei Carcinus ausführen und zwar für die Ganglienzellen, welche die Mus- keln der 2. Antenne innerviren. Durchschneidung des peripheren Ner- ven (Antennarius secundus), welcher zu diesen Ganglienzellen geht, ruft sofort vollkommene Lähmung der Antenne hervor, ein Beweis, dass Das Centralnervensj'stem der Ascidien und die Bedeutung desselben für Iveflexe. 29 die Fasern dieses Nerven die einzigen Leiter der Erregung' sind, weiche reflectorische Bewegung dieser Antennen hervorrufen kann. Entfernte Bethe aber diese Ganglienzellen, ohne die ISTeuropile der zweiten An- tenne zu verletzen (so dass der Nerv der zweiten Antenne nur noch mit seineu der Ganglienzellen total entbehrenden Endstätten zusammen- hing), „dann behält die zweite Antenne ihren Tonus und ihre Reflex- erregbarkeit. Sie hängt nicht schlaff herab, sondern wird steif in der normalen Lage 'gehalten. Auf Reiz wird sie eingeklappt und nachher wieder beim Aufhören des Reizes vorgestreckt. Es geht daraus hervor das die Ganglienzellen zum Zustandekommen von Reflexen nicht noth- wendig sind, dass entweder der Reflexbogen überhaupt nicht durch die Ganglienzellen geht oder wenigstens nicht hindurchzugehen braucht. Ferner geht daraus hervor, dass die Ganglienzelle mit dem Tonus der Muskeln nichts zu thun hat, dass der dauernde Einfluss, den das Cen- tralnervensystem auf die Muskulatur ausübt, indem er sie in Spannung erhält, nicht in den Ganglienzellen erzeugt wird." (6) Die Neuronentheorie, \velche zu manchen Seltsamkeiten geführt hat (man denke nur an Ramon y Cajal's Hypothese der Aufmerksamkeit), wird durch die Arbeiten von Bethe und die vorausgehenden Arbeiten Apathy's erheblich modificirt. Litteratur zu IIL 1) Loeb. J. Untersuchungen zur Physiologischen Morphologie der Thiere. II. Würzburg 1892. S. .37. 2) Schaper, A. Experimentelle Studien an Amphibienlarven. Archiv für Eut- wicklungsmechanik. Bd. VI. 1898. 3) Steinach, E. Untersuchungen zur vergleichenden Physiologie der Iris Pflüger's Archiv Bd. 52. 1892. 4) Goltz und Ewald. Der Hund mit verkürztem Rückenmark. Pflüger's Arch. Bd. 63. 1896. 5) Bethe, A. Das Centralnervensystem von Carcinus maenas. I. Theil. II. Mit- theilung. Archiv f. mikroskop. Anatomie und Entwicklungsgeschichte. Bd. 50. 1897. 6) Bethe, A. Das Centralnervensystem von Carcinus maenas. II. Theil. Arch. f. mikrosko[). Anatomie und EntwicklungsgeschicJite. Bd. 51. 1898. IV. Versuche an Aktinien. 1) Wir gehen nach der Discussion der Ascidien weit in die Thier- reihe zurück zu den Aktinien. Von einem Centralnerven System, wie es bei den Ascidien vorhanden ist, kann bei den Aktinien nicht die Rede sein. Unter dem Ectoderm befinden sich bei Aktinien Elemente, welche als Ganglienzellen und Nervenfasern gedeutet werden. Wie wenig be- stimmt eine solche Deutung ist, geht daraus hervor, dass beispielsweise Claus dieselbe als unsicher betrachtet, und dass von ihm unter den Um- ständen, welche sich für diese Deutung anführen lassen, die Möglichkeit der Reizleitung erwcähnt wird. Aber Reizleitung findet doch auch bei Pflanzen statt! Ich habe über die Reactionen von Aktinien im Jahre 1888 in Kiel und 1889 und 90 in Neapel Versuche angestellt, über die ich schon früher berichtet habe, (1) die ich aber hier wieder erwähnen will, weil sie zeigen, wie wenig Veranlassung wir haben, von complicirten Reactionen auf Reflexcentren von ähnlicher Complication zu schliessen. Es ist vielmehr die Struktur und Reizbarkeit der peripheren Gebilde, welche die complicirten Reactionen bestimmt. Wir beginnen mit der Schil- derung von Versuchen an der Actinia equina (mesembryanthemum) der Ostsee. Wenn man auf den Mund einer solchen Aktinie ein Papier- kügelchen legt, das lange in Seewasser aufgeweicht wurde, so nimmt der Mund dieses Stück nicht an, während er ein Stück Krebsfleisch, das für unsern Geschmack bei blosser Berührung der Zunge sich von dem Papierkügelchen nicht unterscheidet, meist sofort nimmt. Ich band das eine Ende eines ganz kurzen Fadens um ein Papierkügelchen, das andere Ende um ein Stück Fleisch, und warf das Ganze auf die aus- gestreckten Tentakel eines hungrigen Thieres. Die Tentakel, die vom Fleischstück (a Fig. 10) berührt wurden, reagirten sofort mit Krüm- mungen, welche das Fleischstück an den Mund brachten; die vom Pa- Versuche an Aktinien. 31 pier b berührten Tentakel reagirten nicht. Ich zug den Faden wieder weg und legte ihn umgekehrt auf die Mundscheibe, so dass die vorhin vom Papier boi-ührten Tentakel jetzt vom Fleisch berührt wurden. Die Fig. 10. Untei-scheidurigsverm(>gen bei Aktinien. Die Tentakel pressen das Fleischstück a in den Mund der Aktinie, während sie das in Seewasser aufgeweichte Papierstück b herunterfallen lassen. vom Fleisch berührten Tentakel führten das Fleischstück zum Munde, während die vom Papier berührten Tentakel dasselbe herunterfallen Hessen. Das Fleischstück wurde dann in den Mund gewürgt, der Faden wurde mit hineingezogen, aber das Papierstück und ein Stück Faden blieb vor der Mundöffnung liegen (Fig. 11). In den nächsten 24 Stun- den änderte sich hier- an nichts; dann aber wurde der Faden aus- gespieen, aber ohne das Fleisch. Dasselbe war wahrscheinlich ver- daut. Ich habe den Versuch oft mit dem gleichen Erfolg wieder- iiolt; nur wurde ge- legentlich der Faden • rascher erbrochen und Fig. 11. Fortsetzung des Versuches in Fig. 10. dann hing das Fleischstück theilvveise oder ganz unverdaut am Faden. Für die Erklärung dieser Erscheinungen kann die Annahme mysteriöser Reflex- 32 Versuche an Aktinien. mechanismeo in Ganglienzellen ebenso aus dem Spiel bleiben, wie für die Erklärung des Verhaltens insektenfressender Pflanzen. Die vom Fleisch diffundirenden chemischen Stoffe, zusammen mit den tactilen Reizen des Fleisches verursachen eine Krümmung der berührten Tentakeln in dem Sinne, dass dieselben gegen das Fleisch concav werden und dass sie sich mit dem Fleisch gegen die Mundöffnung krümmen. Der Contact des Fleisches mit der Mundscheibe verursacht eine Erschlaffung des Sphincters der Mundöffnung, und der Druck der Tentakel und die Thätigkeit der Mund- scheibe befördern das Fleisch ins Innere der Verdauungsröhre. Fehlen aber diese specifischen chemischen Reize, giebt man dem Thiere beispiels- weise in Seewasser aufgeweichtes Filtrirpapier, so werden die Con- tractionen derjenigen Muskeln, welche die Tentakel zum Munde führen, nicht ausgelöst. Die Tentakel bleiben schlaff oder erschlaffen unter dem Reiz noch mehr und dieser Umstand, sowie eine Flimmerbewegung führen zum Abfallen des Papierkügelchens. 2) Es wird angegeben, dass in der Nähe der Mundscheibe die Nervenelemente in grösserer Dichte angehäuft seien. Man könnte denken, dass diese Anhäufung den Reflexmechanismus für die erwähnten Re- actionen bestimme. Ich machte deshalb Grebrauch von Ergebnissen, zu welchen ich im Verlauf von Untersuchungen über Heteromorphose ge- kommen war. Ich hatte gefunden, dass bei einer Aktinie des Mittel- meeres, Cerianthus membranaceus, durch einen seitlichen Einschnitt in den Körper des Thieres neue Tentakel und eine neue Mundscheibe her- vorgebracht werden können. Die Mundöffnung aber fehlt in manchen dieser Fälle. Fig. 12 stellt ein solches Thier vor. a ist der alte nor- male, b der neue Kopf. War der Einschnitt sehr klein^ so wurden nur einzelne Tentakel ohne Mundscheibe gebildet. Diese neuen Tentakel verhalten sich nun den Nahrungsstoffen gegenüber genau so, wie die Tentakel des alten Mundes. Bietet mau einem solchen neuen Kopf ein Stück Fleisch an, so ergreifen die Tentakel es und pressen es gegen das Centrum der Mundscheibe, wo der Mund sich befinden sollte, wo aber keine Oeffnung ist. Nach einigen Minuten vergeblichen Fressens erschlaffen die Tentakel und das Fleisch fällt ab. Diese Reaction be- stand Monate lang, so lange ich das Thier beobachtete. In anderen Fällen war der zweite Kopf dem alten so nahe, dass es ein Leichtes war, durch dasselbe Fleischstück die Tentakel des alten und des neuen Kopfes gleichzeitig zu reizen. In dem Falle entstand ein förmlicher Kampf zwischen den beiden Tentakelsystemen, indem jedes das Fleischstück zu seiner Mundscheibe zu ziehen suchte. Parker hat neuerdings gezeigt, dass selbst eine einzelne abgeschnittene Tentakel ein Stück Fleisch er- greift und au die Stelle führt, wo sich der Mund befinden sollte (3). Versuche an Aktiuien. 33 Steht man diesen Thatsachen unbefangen gegenüber, so kommt man zu der Ueberzeugung, dass die Eeaction der Tentakel nur bestimmt ist darch die Reizbarkeit der Tentakelelemente selbst und durch die An- ordnung der contractilen Elemente in denselben. In demselben Sinne dürfen auch wohl die folgenden weiteren Beobachtungen angesehen werden. 3) Durchschneidet man eine Actinia equina der Quere nach, so hat das orale Stück, welches wir das Kopfstück nennen wollen, an seinem oralen Ende den alten, normalen Mund; an seinem anderen aboralen Ende ist die Leibeshöhle ebenfalls offen und von hier aus wird eben- falls Nahrung aufgenommen; aber Tentakel sind hier nicht vorhanden. Der alte Mund eines Kopfstückes war nach der Durchschneid ung ebenso wählerisch wie früher. Der aborale Mund des Kopfstückes nahm dagegen Papierstückchen und ver- schlang sie. Ich sah jedoch auch, dass er Papierstückchen verschmähte, während er Krebsfleisch gierig nahm. Während der alte Mund eines solchen Stückes oft auch die Annahme eines Fleischstückes ver- schmähte, war der aborale Mund fast stets zur Nahrungsaufnahme bereit. Ich legte ein solches Bruchstück, welches an beiden Enden Nahrung aufnahm, auf die Seite und ver- suchte, ob beide Mäuler gleichzeitig Nahrung aufnehmen würden. Ich brachte ein Fleischstück zuerst an den aboralen Mund, um ihn zu bald das geschehen war und das Fleischstück anfing, in den Mund ge- zogen zu werden, bot ich auch dem oralen Mund ein Fleischstück an, das von diesem ebenfalls genommen wurde. In demselben Augenblick wurde der Schluckakt am anderen Mund dadurch sofort unterbrochen. Fig. 12. Aktiuie (Cerianthus) mit einem normalen Kopfe a und einem künstlich erzeugten partiellen Kopf b. Obwohl der letztere keine Mundöffnung hat, so betördern die Tentakel Fleisch- stücke an die Stelle, wo der neue Mund sich befinden sollte. veranlassen, sich zu öffnen. So- dass die Ringmuskulatur sich fest contrahirte. Nach einigen Augen- blicken aber, als das Fleischstück am oralen Munde hineingewürgt war, erschlaff'te die Muskulatur am aboralen Ende und das Fleischstück fiel wieder zum Munde heraus. Fütterte ich beide Mäuler nach einander so gab der Mund, der vorher gefressen hatte, seine Nahrung wieder von sich, wenn der andere seine Nahrung aufzunehmen begann. Loeb, Vergleichende Gohirnphysiologie. 3 34 Versuche an Aktinien. Wir haben bisher nur das Kopfstück einer der Quere nach ge- theilten Aktinie berücksichtigt. Wenden wir uns nunmehr dem Fussstück zu, so finden Avir, dass hier am oralen Ende sich alsbald eine neue Mundscheibe mit Tentakeln zu bilden beginnt. Aber schon ehe es so weit gekommen ist, nimmt der Mund Fleischstücke auf und verschluckt sie. Es machte mir den Eindruck, als ob dieser neue Mund schon vor der Bildung der Mundscheibe und der Tentakel mehr dem alten normalen Mund gleiche, insofern er keine Papierkügelchen und Sandkörner an- nahm, während er Fleisch ge^vandt verschluckte. 4) Wesentlicher ist aber beim Fuss die Contactreizbarkeit. Der Fuss einer normalen Actinia equiua heftet sich an der Oberfläche fester Körper an. Für die Auslösung dieser Anheftuugsvorgänge ist die Ober- flächenbeschaffenheit des festen Körpers von grosser Bedeutung. Die Aktinie heftet sich, wenn sie keinen anderen Körper findet, au die Glas- wand des Aquariums fest und gleitet auf derselben umher. Brachte ich aber die Schale einer Miesmuschel in das Aquarium und kam das Thier bei seinen Bewegungen an die Miesmuschel, so heftete es sich sofort an diese fest und blieb an derselben sitzen, gleichviel ob die Mies- muschel leer oder bewohnt war. Ebenso wirkte die Oberfläche eines Blattes von Ulven, die ich im Aquarium hielt. Während jederzeit, Avenn das Thier an der Glasplatte sass, der Contact mit einem Ulvenblatt zur Folge hatte, dass das Thier sich an die Ulva festheftete und die Glas- platte verliess, trat das Umgekehrte nicht leicht ein. Diese Contact- reizbarkeit des Fusses ändert sich nicht, wenn man dem Thier den Kopf oder die grössere orale Partie abschneidet. Die Mechanismen zur Auslösung dieser Reactionen müssen also im Fuss der Aktinie vorhanden sein. 5) Bei den höheren Thieren kennen wir ein Bestreben, ihren Kör- per in bestimmter .Weise im Raum zu orientiren. Wir nennen die betrefi'ende Orientirung bei höheren Thieren gewöhnlich die Gleich- gewichtsstellung des Thieres. Auch gewisse Aktinien zeigen solche Er- scheinungen. Setzt man einen Cerianthus in ein mit Seewasser gefülltes Reagenzglas so, dass der Kopf des Thieres unten, der Fuss oben sich befindet, die Längsaxe des Thieres aber in die Verticale fällt, so beginnt nach einigen Minuten die Spitze des Fusses sich vertikal abwärts zu krümmen. In Fig. 13 ist der Verlauf eines solchen Yersuches nach dem Leben abgebildet. Einige Minuten vor 12 Uhr war das Thier in der angegebenen Weise in das Reagenzglas gestellt w^orden. Um 12 Uhr hatte der Fuss seine Abwärtskrümmung begonnen (Fig. 13 a), in den nächsten 13 Minuten war die Krümmung gegen den Kopf hin fort- geschritten (b), 5 Minuten später hatte der Fuss die Basis des Reagenz- Versuche an Aktinieu. 35 glases erreicht (Fig. 13 c). Die Krümmimg ergriff immer neue, dem Kopf näher gelegene Elemente; da der Fuss auf den Boden des Kea- '^ C>J '^ <"^ < « s TS !'"> O J3 «2 ij; ^J bß^ M CVl a o iJ3 r- tJ bX) CS a5 ^^< (D c w ^ c; & -^ = - Sc 2 «= rv> — fan _^ 00 c5 r/; ^ ^ Ferner giebt Flourens an, dass bei Zerstörung der vorderen Kanäle ein Thier Purzelbäume nach vorn schlägt, bei Zerstörung der hinteren Ka- näle Purzelbäume nach hinten. Flourens nimmt nun an, dass die Ner- ven der drei Kanäle sich in die entsprechenden Kleinhirnschenkel fort- setzen und dass dieser Ursprung der AmpuUarnerven die Ursache der Erscheinungen sei, vrelche man nach Verletzung der einzelnen Halbzirkel- kanäle beobachtet (3). Das ist jedoch wohl nicht richtig, da der Hörnerv in der MeduUa endigt. Allein es ist wahrscheinlich, dass das Klein- hirn mit denselben motorischen Elementen in der Medulla in Ver- bindung steht, mit denen auch der Acusticus in Verbindung steht. Das Kleinhirn würde sich also wesentlich als ein Anhang zum Acusticus- segment darstellen. Damit stimmen die Ergebnisse der Reizversuche von Ferrier (1). Ferrier fand, dass Reizung der verschiedenen Stellen des Kleinhirns associative Augenbewegungen veranlasst und dass die Richtung der Be- wegung mit der Lage der Electroden wechselt. Auch der Kopf bcAvegt sich gleichsinnig mit den Augen. Bewegungen der Grliedmassen wurden ebenfalls beobachtet, aber es war nicht zu ersehen, ob sie mit den Kopf- bewegungen associirt waren oder nicht. Man darf danach sagen, dass möglicher Weise oder vielleicht wahrscheinlicher Weise die Bewegungen, welche durch Reizung des Kleinhirns ausgelöst werden, denen verwandt sind, welche durch Reizung der Halbzirkelkanäle ausgelöst werden, nur dass die Reizversuche am Kleinhirn nach Ferrier manchmal erfolglos bleiben. Bei den Durchschneidungs- und Exstirpationsversuchen am Klein- hirn bleiben die sensorischen und psychischen Functionen des Thieres ungestört. Nur im Gebiet der Bewegungen zeigen sich eigenthümliche Störungen, die von verschiedenen Beobachtern verschieden geschildert werden. Vielleicht sind die weit über das Ziel gehenden veitstanzartigen Bewegungen am characteristischsten. Einem Hund, dem das Kleinhirn verletzt ist, muss man in der ersten Zeit nach der Operation beim Fres- sen den Kopf in der Schüssel fixiren, weil derselbe sonst bei jeder An- strengung so weit über das Ziel hinausgeschleudert wird, dass er nie in den Napf geräth, so sehr das Thier sich auch bemüht, die Schüssel zu erreichen. Auch in den Gliedmassen zeigen sich solche Störungen. Das Thier taumelt oft wie ein Betrunkener und findet Schwierigkeiten, sich auf den Beinen zu erhalten. Alle diese Eigenthümlichkeiten weisen in letzter Instanz vielleicht auf eine Abnahme der Spannung der Skeletmuskeln hin. Die gemessenen Bewegungen des normalen Thieres sind nur da- durch möglich, dass die Spannung der Antagonisten zu gross ist, um Versuche am Kleinhirn. 117 Schleuderbewegungen zu Stande kommen zu lassen. Sind aber, wie das anscheinlich mit Recht für den Hund ohne Kleinhirn behauptet worden ist, die Muskeln der Wirbelsäule erschlafft, so kann leicht jede intendirte Bewegung weit über ihr Maass hinaus ausfallen. Auch nach den zahlreichen Versuchen von Luciani scheint Schwäche der Mus- keln oder Erschlaffung derselben den constantesten Bestandtheil unter den Folgen der Kleinhirnoperationen zu bilden. Die ergriffenen Muskel- gruppen scheinen aber mit der Lage der zerstörten Kleinhirnpartie zu variiren, wobei, wie es scheint, als Haupttypen die von Magendie beob- achteten Störungen nach Verletzung der drei Kleinhirnschenkel wohl wieder in Betracht kommen. Flourens, der jedem Abschnitt des Gehirns besondere Functionen zuwies, behauptete, dass das Kleinhirn das Co- ordinationsorgan sei, weil Zerstörungen des Kleinhirns die eben geschil- derten Störungen hervorrufen. Luciani (2) hat aber gezeigt, dass Thiere z. B. Hunde ohne Kleinhirn coordinirte Schwimmbewegungen auf dem Wasser ausführen und auch coordinirte Gangbewegungen machen Nur die Schwäche aller oder bestimmter Muskelgruppen führt zu atacti- schen Störungen, die aber sehr gering sein können. Die Flourens'sche Theorie, dass das Kleinhirn das Coordinationsorgan sei, ist also verfehlt. Es ist auch fraglich, ob nicht ein Theil der nach Kleinhirnverletzung beobachteten Störungen im Grunde nur Fernwirkungen auf die MeduUa oder die Vierhügel sind. Diese Auffassung findet eine Stütze in der vergleichenden Physio- logie. Bei Fischen und Fröschen, bei denen die Hemmungswirkungen gering sind, kann man das Kleinhirn entfernen, ohne dass irgend eine Störung im Verhalten der Thiere eintritt. (Vulpian, Steiner.) Ich selbst habe an Haifischen, bei denen das Kleinhirn stark entwickelt ist, zahl- reiche Durchschneidungsversuche und partielle wie totale Exstirpationen des Kleinhirns ausgeführt, ohne dass die geringste Aenderung im Ver- halten der Thiere eingetreten wäre. Es ist unmöglich und unberechtigt, hier von einer bestimmten ,,Function'' des Kleinhirns zu reden. Es mag noch im Hinblick auf das Gesagte und auf später zu be- sprechende Beobachtungen über die Folgen von Grosshirnverletzungen an eine Hypothese von Magendie erinnert werden. Magendie sah Thiere nach Verletzung einer gewissen Stelle der MeduUa oblongata dauernd rückwärts gehen resp. rückwärts fliegen. Er sah ferner, dass Verletzung der Streifenhügel einen Drang nach vorwärts zu laufen, hervorruft. Endlich beobachtete er die Rollbewegungen der Thiere, um ihre Längs- axe nach einseitiger Verletzung der Brücke. Er knüpft daran folgende Bemerkung: „Comme notre esprit a besoin de s'arreter ä certaines Images je dirai qu'il existe dans le cerveau quatre impulsions spontan ees 118 Versuche am Kleinhirn. ou quatre forces qui seraient plac6es aux extremit^s de deux lignes, qui se couperaient ä angle droit; l'une pousserait en avant, la deuxieme en arriere, la troisieme de droit ä gauche en faisant rouler le corps, la qua- trieme de gauche ä droite en faisant executer un mouvement semblable de Totation. Dans les diverses experiences d'oü je tire ces consequences, les animaux deviennent des especes d'automates montes pour executer tels ou tels mouvements et incapables d'en produire aucun autre." Die letztere Behauptung geht zu weit, aber der Grundgedanke Magendie's verdient mehr Beachtung, als die Physiologie ihm geschenkt hat. Die in Kapitel XI erwähnten galvanotropischen Thatsachen zeigen auf das bestimmteste, dass bei Krebsen und Wirbelthieren eine Beziehung be- steht zwischen Orientirung und Function gewisser motorischer Elemente und eine derartige Beziehung kommt auch in den Beobachtungen und Schlüssen Magendie's und Flourens' zum Ausdruck. Litteratur zu XII. 1) Ferrier. The Functions of the Brain. New York 1886, 2) Luciani, Luigi. Das Kleinhirn. Leipzig 1893. (Enthält eine vollständige Sammlung der Litteratur.) 3) Flourens, P. Fonctions du Systeme nerveux. Paris 1842. XIII. Zur Theorie der tMerisclieii Instinote. 1) Die Instincte sind immer stillschweigend der Centrentheorie untergeordnet worden. Für jeden Instinct giebt es nach der Centren- theorie ein oder mehrere bestimmte Centren. Wir wollen nun im Folgenden nachweisen, dass die Theorie segmentaler Ganglien für das Verständniss der Instincte ausreicht. Unter den Instincten versteht man im Allgemeinen nach einem Ziel gerichtete, unbewusste Handlungen der Thiere. Wenn eine Fliege ihre Eier auf Gegenstände legt, welche der ausschlüpfenden Made als Futter dienen, so ist das ein Instinct. Die periodischen Wanderzüge der Thiere bezeichnen wir als instinctiv. Dass gewisse Thiere sich in Ritzen und Spalten verstecken, wo sie vor Verfolgung sicher sind, dass andere in die Flamme fliegen etc., bezeichnen wir als instinctiv u. s. f. Diese und viele andere instinctive Handlungen haben das Interesse der Bio- logen und Psychologen lange auf sich gezogen, ohne dass man dem Ver- ständniss dieser Vorgänge erheblich näher gekommen wäre. Ich glaube, dass viele dieser instinctiven Handlungen nichts anderes sind als Special- fälle der thierischen Tropismen. Da diese aber erst in letzter Zeit be- kannt geworden sind, so war es nicht wohl möglich, eine Analyse der Instincte mit Erfolg in Angriff zu nehmen. Wir haben gesehen, dass, wenn gewisse Krebse z. B. Palaemonetes der Wirkung eines galvanischen Stromes ausgesetzt werden, solche Spannungsänderungen in den Muskeln der Extremitäten eintreten, dass diesen Thieren die Bewegung zur Anode erleichtert, zur Kathode da- gegen erschwert wird. Die Folge ist, dass bei genügend lange fortge- setzter Durchströmung alle sich am positiven Pol sammeln. Wer diesen Vorgang der Ansammlung beobachten Avürde, ohne die Wirkung des Stromes genügend zu analysiren, würde vielleicht auch zu der Ansicht kommen, dass diese Krebse den Instinct besitzen, zur Anode zu gehen wie die Motten den Instinct besitzen, in die Flamme zu fliegen. In der That ist das Fliegen der Motte in die Flamme nur die Folge eines Tro- 120 Zur Theorie der thierischen Instiucte. pismus, Heliotropismus, der sich vom Galvanotropismus dadurch unterscheidet, dass die Lichtstrahlen die Stelle der Stromcurven über- nehmen. Dem Leser ist es bekannt, dass gewisse Pflanzen, wenn sie einseitig der Wirkung des Lichtes ausgesetzt werden, z. B. wenn sie am Fenster gezüchtet werden, ihre Spitze so lange gegen das Fenster hin krümmen, bis dieselbe sich in der Richtung der Lichtstrahlen befindet. Alsdann wächst sie in dieser Richtung weiter. Wir bezeichnen diese Abhängig- keit der Orientirung von dem Licht als Heliotropismus und zwar spre- chen wir von positivem Heliotropismus, wenn die Spitze des Organs zur Lichtquelle sich hinkrümmt und von negativem Heliotropismus, wenn die Spitze sich von der Lichtquelle fortkrümmt. Die Mechanik der Reiz- krümmung besteht (analog wie beim Galvanotropismus) darin, dass das Licht chemische Wirkungen hervorruft, welche den Contractionszustand der protoplasmatischen Gebilde beeinflussen. Während eine solche Be- einflussung beim Strom durch die chemische Wirkung der ausgeschie- denen Jonen resp. der durch sie gebildeten chemischen Verbindungen stattfindet handelt es sich beim Heliotropismus um photochemische Wir- kungen in den vom Licht getroffenen Oberflächenelementen des proto- plastischen Gebildes. Diese Wirkungen können von zweierlei Art sein. Sie führen entweder zu einer Spannungszunahme des Protoplasmas oder der Muskeln, ^\ eiche mit dem gereizten Oberflächenelement in Ver- bindung stehen resp. welche das Thier nach der Lichtseite hin bewegen oder zu einer Spannungsabnahme des Protoplasmas oder dieser Muskeln. Im ersteren Falle wird die Pflanze oder das Thier zur Lichtquelle hin- geführt und wir bezeichnen es als positiv heliotropisch; im zweiten Falle virird es von der Lichtquelle fortgeführt und wir bezeichnen es als ne- gativ heliotropisch. Dabei spielen die Symmetrieverhältnisse der Pflanzen und Thiere eine eigenthümliche Rolle. Nehmen wir an, der Stamm eines Hydroid- polypen, Eudendrium, werde in der Nähe eines Fensters gezüchtet. Er krümmt sich alsdann wie eine am Fenster gezüchtete, positiv heliotro- pische Pflanze gegen das Fenster. Der Vorgang lässt sich folgender- massen beschreiben. Fällt das Licht von der Seite auf den Eudendrium-Stamm, so findet auf der Lichtseite desselben eine Contraction des Protoplasmas statt und auf dieser Seite wird also dem Längenzuwachs ein grösserer Widerstand geboten als auf der entgegengesetzten Seite. Die Folge ist, dass der Stamm sich krümmt und zwar wird er concav auf der Lichtseite. So- bald aber die Krümmung so weit fortgeschritten ist, dass der Stamm in die Richtung der Lichtstrahlen fällt, werden alle symmetrischen Elemente Zur Theorie der thieriscben Instincte. 121 unter gleichem Winkel vom Licht getroffen, und es ist kein Grund mehr vorhanden, dass der Stamm nach rechts oder nach links aus dieser Rich- tung abweicht. Er wächst demgemäss in der Richtung der Lichtstrahlen weiter. Negativ heliotropische Elemente (z. B. Wurzeln) unterscheiden sich von positiv heliotropischen Elementen dadurch, dass das Licht eine Erschlaffung des Protoplasmas herbeiführt (3). Bei einseitiger Beleuch- tung wird also auf der Lichtseite dem Wachsthum weniger Widerstand entgegenstehen als auf der dem Lichte abgewendeten Seite und die Spitze wird sich von der Lichtquelle fortkrüramen. Sobald die Spitze in die Richtung der Lichtstrahlen fällt und die symmetrischen Punkte alle unter gleichem Winkel von den Lichtstrahlen getroffen werden, fällt jeder Grund fort, der den Stamm zwingen könnte, aus der Richtung der Licht- strahlen abzuweichen und derselbe wächst in derselben Richtung weiter. Es war nun lange bekannt, dass viele Thiere vom Licht „angelockt" werden und in die Flamme fliegen. Das war eben ein besonderer In- stinct. Man sprach davon, dass diese Thiere „das Licht lieben", dass „Neugier sie zum Licht treibe", dass hier eine „Anziehung'' bestehe etc. Ich habe in einer Reihe von Arbeiten, von denen die erste im Januar 1888 erschien, gezeigt, dass es sich in allen diesen Fällen um nichts anderes handele als um diejenigen Erscheinungen, die bei Pflanzen längst als Heliotropismus bekannt waren. Es Hess sich zeigen, dass der Helio- tropismus der Thiere Punkt für Punkt übereinstimmt mit dem Helio- tropismus der Pflanzen. Nehmen wir an, eine Motte werde seitlich vom Lichte getroffen, so besteht die einseitige Wirkung des Lichts darin, dass diejenigen Muskeln, welche den Kopf des Thieres zur Lichtquelle führen, in stärkere Thätigkeit gerathen und dass dementsprechend der Kopf des Thieres gegen die Lichtquelle gerichtet wird. »Sobald nun der Kopf des Thieres gegen die Lichtquelle gerichtet ist und seine Medianebene (Sym- raetrieebene) in die Richtung der Lichtstrahlen fällt, werden die sym- metrischen Punkte seiner Oberfläche, besonders der Augen, von den Lichtstrahlen unter gleichem Winkel gietroffen und es ist kein Grund vorhanden, warum das Thier aus der Richtung der Lichtstrahlen nach rechts oder links abweichen sollte. Es wird so in die Lichtquelle ge- führt. Handelt es sich um Thiere mit rascher Progressivbewegung (wie bei der Motte), so werden sie in die Flamme gerathen, ehe die Wärme Zeit hat, ihre Progressivbewegung zu hemmen. Handelt es sich um Thiere mit langsamer Progressivbewegung, bei denen die zunehmende Hitze bei der Annäherung an die Flamme in Wirksamkeit treten kann, ehe das Thier bis in die Flamme selbst geräth, so wird das Thier in Folge seines positiven Heliotropismus bis nahe an die Flamme kommen, dann wird in Folge der hohen Temperatur die Progressivbewegung ge- 122 Zur Theorie der thierischen Instincte. hemmt, das Tbier entfernt sich von der Flamme, wird wieder orientirt u, s. f. Wie bei den Pflanzen sind auch bei den Thieren die mehr brechbaren Strahlen die wirksameren. Es handelt sich also bei dem „Instinct", der die Motte in das Licht treibt, um nichts anderes als um eine chemische und indirect mecha- nische Wirkung des Lichtes, von derselben Art, wie die, welche die Pflanzenstengel am Fenster zwingt, sich zur Lichtquelle zu krümmen oder welche Palaemonetes zwingt, sich an der Anode zu sammeln. Die Motte fliegt nicht aus Neugier zum Licht, sie wird auch nicht vom Licht „angezogen'', sie wird nur vom Licht orientirt und zwar so, dass ihre Medianebene in die Richtung der Lichtstrahlen gestellt wird und ihr Kopf zur Lichtquelle hin gerichtet wird. In Folge dieser Orientirung müssen ihre Progressivbewegungen sie zur Lichtquelle hinführen. Wir kommen nun zu der wichtigsten Frage dieses Abschnittes, nämlich zur Beurtheilung der Beziehung des Centralnervensystems zu den Instincten. So lange wir diese anscheinend complexen Dinge wie die Instincte nicht analysiren, sondern als ein Ganzes behandeln, müssen sie uns leicht auf den Gedanken führen, dass ihnen sehr geheimnissvolle nervöse Strukturen zu Grunde liegen. Es wäre im Sinne der Centren- theorie bei der Motte ein besonderes In-die-Flamme-fliegen-Centrum an- zunehmen und es wäre die Aufgabe der Gehirnphysiologie, nach seiner Localisatiou im Centralnervensystem zu forschen. Allein das In- die Flamme-fliegen der Motte ist nichts anderes als positiver Heliotropismus und der positive Heliotropismus der Thiere ist identisch mit dem posi- tiven Heliotropisraus der Pflanzen. Es muss also diese Reaction der Motte auf Umständen beruhen, welche Thieren und Pflanzen ge- meinsam sind. Die Pflanzen besitzen aber kein Centralnervensystem und so können auch meiner Ansicht nach die heliotropischen Reactionen der Thiere unmöglich auf specifischen Einrichtungen des Centralnerven- systems beruhen. Sie müssen vielmehr in Einrichtungen bestimmt sein, welche Thieren und Pflanzen gemeinsam sind. Es lässt sich sehr leicht aus dem Gesagten ableiten, was diese Eigenschaften sind: Erstens müssen die heliotropischen Thiere wie die heliotropischen Pflanzen an ihrer Oberfläche eine Substanz enthalten, welche durch das Licht themisch verändert wird und deren Veränderung Spannungsänderungen der con- tractilen Gewebe hervorrufen kann. Zweitens müssen heliotropische Thiere wie Pflanzen dieselben Seitlichkeiten und Symmetrieverhältnisse und dem entsprechend die gleiche Vertheilung der Reizbarkeiten besitzen. Durch diese beiden Gruppen von Umständen ist die heliotropische Re- action eindeutig bestimmt. Was aber hat das Centralnervensystem mit diesem Instinot der Motte ins Licht zu fliegen, oder wie wir jetzt Zur Theorie der thierischen Instincte. 123 sagen dürfen, mit dem Heliotropismus derselben zu thun? Meiner An- sicht nach nichts weiter, als dass das Nervensystem eine Reihe segmentaler Ganglien enthält, welche die protoplasmatische Verbindung zwischen Haut und Muskeln herstellt. Zerstören wir das Centralnervensystem, so hören damit die heliotropischen Reactionen bei vielen Thieren auf, aber lediglich deshalb, weil der Zusammenhang zwischen der durch das Licht afficirten Haut (resp. den Augen) und den Muskeln unterbrochen ist. Es wäre also ebenso verkehrt, ein Centrum für das In-die-Flamme- fliegen bei der Motte anzunehmen, wie es falsch wäre, ein besonderes nervöses Centrum für das Zur-Anode-gehen der Krebse anzunehmen. Beide Erscheinungen sind vielmehr nur auf Grund der Segmentaltheorie verständlich. 2) Wir wollen einen anderen Instinct auswählen, nämlich die Ge- wohnheit vieler Thiere, sich in Ritzen und Spalten zu verkriechen. Dieser „Instinct" ist sehr weit im Thierreich verbreitet. Er ist nament- lich auffallend bei Insecten, Würmern u. s. w. Man spricht in diesem Falle von einem Schutzinstinct, wobei man sich vorstellt, dass das Thier sich so seinen Verfolgern und Feinden entziehe. Die Centrentheorie w.ürde ein besonderes Centrum für diesen Instinct voraussetzen. Es handelt sich aber wieder nur um einen einfachen Tropismus. Viele Pflanzen und Thiere sind gezwungen, ihren Körper in bestimmter Weise gegen feste Körper, mit denen sie in Berührung kommen, zu orientiren. Ich bezeichnete diese Art Reizbarkeit als Stereotropismus. Wie es einen positiven und negativen Heliotropisraus giebt, so giebt es auch einen positiven und negativen Stereotropismus. Ich habe beispielsweise ge- funden, dass wenn man eine Tubularia der Länge nach mit einem festen Körper in Berührung bringt, der Polyp und die wachsende Spitze sich von dem festen Körper fortkrümmen, während der Stolon sich an den festen Körper anschmiegt und mit ihm verwächst. Der Polyp ist ne- gativ stereotropisch, der Stolon positiv stereotropisch. Der Stereotropis- mus spielt auch eine grosse Rolle in den Vorgängen der Fortpflanzung und der Organbildung. Die Neigung vieler Thiere, sich in Ritzen und Spal- ten zu verkriechen, hat nun nichts mit einem „sich verbergen'' zu thun, sondern ist bestimmt durch einen Zwang, den Körper möglichst allseitig in Berührung mit festen Körpern zu bringen. Den Beweis hier- für führte ich beispielsweise bei einer eigenthümlichen Art von Schmet- terlingen, Amphipyra, die rasche und flinke Läufer sind. Sobald sie frei sind, laufen sie rastlos umher, bis sie eine Ecke oder Spalte finden, in die sie sich verkriechen. Ich brachte nun diese Thiere in einen langen Kasten, der halb mit einem undurchsichtigen Körper und halb mit einer Glasplatte bedeckt war. Den Boden des Kastens bedeckte ich mit klei- 124 ^ur Theorie der thieriscben Instincte. nen Glasplättchen, die auf Klötzchen ruhten und die so hoch über dem Boden waren, dass eine Araphipyra gerade unter die Platte schlüpfen konnte. Die Amphipyren sammelten sich nun nicht in der dunkeln Ecke, wo sie dem Auge etwaiger Feinde verborgen waren, sondern unter den Glasplättchen, wo ihre Körper allseitig mit festen Gegenständen in Be- rührung waren. Sie thaten das auch dann, wenn sie dabei dem vollen Sonnenlicht ausgesetzt waren. Ebenso trat diese Reaction auch ein, wenn der ganze Kasten sich im Dunkeln befand. Hier konnten nur die stereotropischen Reize die Reaction auslösen. Ganz ähnliche Beob- achtungen kann man an Würmern, z. B. Nereis, anstellen. Setzt man ebenso viele Glasröhren in eine Schüssel mit Seewasser als Nereis darin enthalten sind, so darf man sicher sein, dass nach einiger Zeit jeder Wurm in einer Röhre sich befindet. Das findet selbst dann statt, wenn diese Röhren dem vollen Sonnenlicht ausgesetzt sind, in dem die Wür- mer zu Grunde gehen. Auch hier haben wir es mit einer Reaction zu thun, die Pflanzen, Hydroidpolypen und Thieren mit Centralnervensystem gemeinsam ist, und die daher auf Umständen beruhen rauss, die direct nichts mit dem Centralnervensystem zu thun haben. Diese Umstände sind voraussichtlich chemische Wirkungen in der Haut, die der Contact mit festen Körpern in diesen Formen hervorruft. Das Centralnerven- system spielt wiederum nur die Rolle eines protoplasmatischen Reizleiters. Es wäre völlig falsch, etwa nach einem Centrura für den „Verberge- reflex'' bei diesen Thieren suchen zu wollen. Das bestätigen auch die Versuche an zerstückelten Würmern. 3) Wir wollen uns nunmehr der Betrachtung von einigen compli- «irteren Instincten zmv enden. Es erschien mir immer als eine der wunder- barsten Einrichtungen in der Natur, dass bei einer Reihe von Species das Weibchen die Eier an solchen Orten ablegt, wo die auskriechenden Larven die für sie passende Art der Nahrung finden. Wer die ver- gleichende Physiologie hierbei nicht berücksichtigt und statt dessen in der bisher üblichen Weise versucht, diese Reactionen auf zweifelhafte Gehirncentren zurückzuführen, wird schwerlich weit kommen. Vom Standpunkt der vergleichenden Physiologie aber werden wir zu der Ein- sicht geführt, dass es sich hier um einfache Tropismen handelt, für deren Zustandekommen nur der Vorgang der Reizleitung, aber keinerlei son- stige mysteriöse Einrichtungen im Centralnervensystem erforderlich sind. Die Hausfliege legt ihre Eier auf faulendes Fleisch, Käse oder ähnliches Material und diese Substanzen bilden das Nährraaterial für die jungen Larven. Ich habe oft Stücke Fleisch und Fett vom nämlichen Thier nebeneinander an das Fenster gelegt, aber die Fliege machte nie einen Irrthum, sie legte ihre Eier stets auf das Fleisch und nie auf das Fett. Zur Theorie der thierischen Instiucte. 125 Ich machte ferner den Versuch, die Larven auf Fett zu züchten. Wie zu erwarten war, fand auf Fett kein Wachsthum statt und die Larven gingen bald zu Grunde. An den jungen Larven Hess sich die Mecha- nik des eigenthümlichen Instincts ihrer Mutter ermitteln. Die Larven werden durch bestimmte Substanzen, welche von einem Körper aus- strahlen, orientirt und diese Orientirung findet in derselben Weise statt wie die Orientirung heliotropischer Thiere durch das Licht stattfindet. An die Stelle der Lichtquelle tritt in diesen Versuchen das Dif- fusionscentrum und an die Stelle der Lichtstrahlen die Diffusions- linien, d. h. die geraden Linien, längs welcher die Molecüle vom Dif- fusionscentrum sich ins umgebende Medium fortbewegen. Die chemi- schen Effecte der diffundirenden Molecüle auf gewisse Elemente der Haut beeinflussen die Spannung der Muskeln in ähnlicher Weise wie die photochemischen Wirkungen der Lichtstrahlen im Falle heliotro- pischer Thiere. Man bezeichnet die Orientirung eines Organismus durch diffundirende Molecüle als Chemotropismus und wir sprechen von po- sitivem Chemotropismus, wenn das Thier gezwungen ist, seine Symmetrie- axe in die Richtung der Difl'usionslinien zu bringen und seinen Kopf gegen das Diffusionscentrum zu richten. Bei einer solchen Orientirung wird jedes Paar von Symmetriepunkten an der Oberfläche des Thieres unter gleichem Winkel von den Diffusionslinien getroffen. Es lässt sich leicht zeigen, dass die Fliegenlarven positiv chemotropisoh gegen gewisse chemische Substanzen sind, die in faulendem Fleisch und Käse gebildet werden, die aber beispielsweise nicht im Fett enthalten sind. Die frag- lichen Stoffe sind wahrscheinlich flüchtige stickstoffhaltige Verbindungen. Die junge Fliegenlarve wird durch diese Substanzen in derselben Weise zum Diffusionscentrum geführt, wie die Motte in die Flamme. Die weib- liche Fliege besitzt denselben positiven Chemotropismus für diese Stoffe wie die Larven und wird demgemäss zum Fleisch geführt. Sobald sie auf dem Fleische sitzt, scheinen chemische Reize reflectorisch die Ei- ablage auszulösen. Es könnte auch sein, dass zur Zeit, wo das Thier zur Eiablage bereit ist, der positive Chemotropismus für die erwähnten Stoffe besonders stark entwickelt ist. Sicher ist aber, dass weder Er- fahrung noch bewusste Wahl eine Rolle bei diesen Vorgängen spielen. Wenn wir nunmehr die Frage auf werfen, was nöthig ist, um diese Re- actionen auszulösen, so lautet die Antwort: Erstens die Gegenwart einer Substanz in der Haut des Thieres, die durch die erwähnten flüchtigen Stoffe, die im faulenden Fleisch enthalten sind, verändert wird, und zweitens die bilaterale Symmetrie des Körpers. Das Centralnervensystem spielt dabei keine andere Rolle, als dass es die protoplasmatische Brücke für die Reizleitung von der Haut zu den Muskeln bildet. In Organis- 126 Zur Theorie der thierischen Instincte. men, wo diese Reizleitung ohne Centralnervensystem möglich ist, bei Pflanzen z. B., finden wir aucli dieselben Reactionen (Instincte). Das entspricht der Segmentaltheorie, aber nicht der Centrentheorie. 4) Ein anderes Beispiel eines die Art erhaltenden Instincts finden wir bei den jungen Raupen vieler Schmetterlinge. Die Larven des Goldafters (Porthesia chrysorrhoea) kriechen im Herbst aus dem Ei und überwintern in Colonieen in einem Nest auf Bäumen oder Sträuchern. Die warme Frühlingssonne treibt die Larven aus dem Nest und sie krie- chen alle an den Zweigen des Baumes in die Höhe bis zur Spitze, wo sie in den jungen Knospen ihr erstes Futter finden. Nachdem sie die- selben gefressen haben, kriechen sie regellos umher, bis sie neue Knos- pen oder Blätter finden, die inzwischen in grosser Zahl hervorgesprosst sind. Es ist klar, dass der Instinct der Raupen, in die Höhe zu krie- chen, sobald sie aus dem Winterschlaf erwachen, ihnen das Leben rettet. Würden sie nicht durch einen solchen Instinct geleitet, so würden die- jenigen, welche abwärts kriechen, an Nahrungsmangel sterben. Welche Rolle spielt das Centralnervensystem bei diesem Instinct? Ich habe gefunden, dass die jungen Raupen von Porthesia, solange sie nüchtern sind, durch das Licht orientirt vt^erden, sie sind positiv he- liotropisch. Dieser positive Heliotropismus führt sie zu den Spitzen der Zweige, wo sie ihre Nahrung finden. Während des Winters sind sie starr und unbeweglich. Die höhere Temperatur des Frühlings bringt chemische Aenderungen in ihrem Körper hervor und diese chemischen Vorgänge veranlassen sie, sich zu bewegen. Die Richtung der Beweg- ung wird vom Licht dictirt. Im Freien, wo das Himmelslicht von allen Seiten auf das Thier fällt, können wir jeden Lichtstrahl in eine horizon- tale und vertikale Componente zerlegen. Die horizontalen Componenten vernichten einander und nur der Effect der vertikalen Componenten wird übrig bleiben. Die Thiere müssen also in Folge ihres positiven Heliotropismus in die Höhe kriechen, bis sie die Spitze eines Zweiges erreichen. Hier werden sie durch das Licht festgehalten. Die chemi- schen Reize, welche den Thieren von den jungen Knospen gegeben werden, lösen maschinenmässig die Fressbewegungen aus. Bei diesem Instinct, der für die Erhaltung des Lebens nöthig ist, handelt es sich also um einfachen positiven Heliotropismus und hierbei spielt das Central- nervensystem eben nur die Rolle einer protoplasmatischen Verbindung zwischen Haut und contractilem Gewebe. Diese Verbindung wird in Pflanzen mit demselben Erfolg von undifferenzirtem Protoplasma her- gestellt. Aber wir sahen, dass dieselben Larven, sobald sie gefressen haben die Spitzen der Zweige verlassen und herunter kriechen. Warum hält Zur Theorie der thierischen Instincte. 127 das Licht sie nicht dauernd am höchsten Punkte der Zweige fest? Meine Versuche ergaben, dass diese Raupen nur so lange positiv heliotropisch sind, als sie nüchtern sind. Sobald sie gefressen haben, verlieren sie ihren Heliotropismus. Das ist nicht die einzige Beobachtung dieser Art. Ich habe eine Reihe von Thatsachen gefunden, welche zeigen, dass che- mische Aenderungen im Thiere seine Reizbarkeit gegen Licht beeinflussen. Wir können uns vorstellen, dass die Nahrungsaufnahme zur Zerstörung von lichtempfindlichen Substanzen in der Haut des Thieres führt, von denen der Heliotropismus abhängt, oder dass durch die Nahrungsaufnahme die Wirksamkeit dieser Substanzen indirect vermindert wird. Es han- delt sich auch bei diesen Instincten nicht um Functionen bestimmter localisirter „Centren'*, sondern um Reizbarkeiten peripherer Gebilde und deren Verknüpfung mit Muskeln; das Centralnervensystem dient eben nur als protoplasmatischer Leiter. 5) Wie die Analyse dieser Schutzinstincte zum Ergebniss führt, dass sie nur auf Tropismen beruhen, die auch bei Pflanzen vorkommen, so führt auch die Analyse anderer Instincte, z. B. des Wanderungstriebes, zu demselben Ergebniss. Es wäre natürlich interessanter, an die Wan- derungen der Zugvögel anzuknüpfen, aber es ist schwer, über diesen Gegenstand Laboratoriumsversuche anzustellen und ohne Laboratoriums- versuche kommen wir nicht leicht zu sicheren Ergebnissen. Ich habe mich daher an eine andere Klasse von periodischen Wanderungen ge- wendet, nämlich die periodischen Tiefenwanderungen der Seethiere. Eine grosse Zahl von Seethieren beginnen eine vertikale Aufwärtswanderung zur Oberfläche des Oceans am Abend, während sie am Morgen abwärts wandern. Es ist nun eine merkwürdige Thatsache, dass diese Formen bei ihren Abwärtswanderungen niemals tiefer als 400 Meter gehen. Der letztere Umstand deutet an, dass das Licht die wesentliche bewegende Kraft in diesen Tiefenbewegungen ist. Wasser absorbirt das Licht und je dicker die Wasserschicht ist, um so mehr Licht wird absorbirt. Man hat gefunden, dass in der Tiefe von 400 Metern eine photographische Platte nicht länger afficirt wird. Die Thiere, welche frei an der Ober- fläche des Oceans leben, sind, soweit meine Untersuchungen ergeben haben, alle dauernd oder zeitweilig positiv heliotropisch (und häufig auch negativ geotropisch). Diejenigen unter ihnen, welche die erwähnten täglichen Tiefenwanderungen ausführen, besitzen einige Eigenthümlich- keiten, welche wir nur verstehen können, wenn wir etwas näher auf die Theorie des thierischen Heliotropismus eingehen. Wir haben schon er- wähnt, dass es ausser dem positiven, auch noch einen negativen Helio- tropismus giebt. Negativ heliotropische Thiere bringen ihre Medianebene ebenfalls in die Richtung der Lichtstrahlen, aber sie richten ihren ab- 128 Zur Theorie der thierischen Instincte. oralen Pol gegen die Lichtquelle. Der Unterschied im Verhalten der positiv und negativ heliotropischen Thiere besteht in Folgendem: Wenn Licht auf eine Seite eines positiv heliotropischen Thieres fällt, so findet eine Zunahme in der Spannung derjenigen Muskeln statt, welche den Kopf zur Lichtquelle drehen, während beim negativ heliotropischen Thier unter dem Einfluss einseitiger Beleuchtung eine Abnahme der Spannung derselben Muskeln eintritt. Die Folge ist, dass die negativ heliotro- pischen Thiere sich von der Lichtquelle fortbewegen müssen. Vielleicht ist noch ein anderer Umstand hierbei zu berücksichtigen, dass nämlich das Licht, wenn es das vordere Ende positiv heliotropischer Thiere trißt, die Frogressivbewegung fördert, während es, wenn es das vordere Ende negativ heliotropischer Thiere trifft, die Progressivbewegung hemmt. Das würde auf eine weitere Analogie des Heliotropismus und Galvanotropis- raus hinweisen. Groom und ich stellten Versuche an den Larven von Baianus per- foratus an, von denen es bekannt war, dass sie periodische Tiefenbeweg- ungen ausführen. Eines unserer Versuchsergebnisse bestand darin, dass wir fanden, dass die Thiere bald negativ, bald positiv heliotropisch sind und dass wir im Stande waren, sie nach Belieben positiv und negativ heliotropisch zu machen. Bei schwachem Licht, namentlich bei Gaslicht (das relativ wenig der heliotropisch wirksamen blauen Strahlen enthält), werden und bleiben sie positiv heliotropisch, während sie in starkem Licht sehr bald negativ heliotropisch werden. Dieser Umstand bestimmt die periodischen Tiefen bewegungen dieser Thiere. Wenn sie am Morgen in der Nähe der Oberfläche des Oceans sind, so macht das stärkere Licht sie negativ heliotropisch und zwingt sie vertikal abwärts zu gehen, da im offenen Meere nur die vertikale Componente des Himmelslichtes für die Orientirung in Betracht kommt. Sobald sie sich aber in ihrer Abwärtswanderung der Tiefe von 400 Metern nähern, wird das Licht so schwach, dass sie jetzt positiv heliotropisch werden. Sie müssen dem entsprechend anfangen, wieder in die Höhe zu wandern, aber sie können nicht bis zur Oberfläche vordringen, da sie ja alsbald während des Tages eine Region von so hoher Lichtstärke erreichen müssen, dass sie wieder negativ heliotropisch werden. So werden sie während des Tages in einer gewissen Tiefe, die aber geringer als 400 Meter ist, in der Schwebe gehalten. Aber sobald es dunkler wird, und die Intensität des Lichtes im Wasser mehr und mehr abnimmt, müssen sie in Folge ihres positiven Heliotropismus in beständig höhere Regionen empor steigen, bis sie, bei der geringen Lichtintensität der Nacht, beständig an der Oberfläche des Wassers festgehalten werden. Gegen Morgen mit Beginn der Dämmerung werden sie dann wieder negativ heliotropisch und sie Zur Theorie der thierischen Instincte. 129 beginnen wieder ihre Abwärtswanderung. Aber die Seethiere zeigen noch eine andere Tiefen bewegimg von einer grösseren Periode, welche mehr der Wanderung der Zugvögel entspricht. Im Golf von Neapel bleiben gewisse Formen, wie Chun gefunden hat, im Sommer auch wäh- rend der Nacht in grösserer Tiefe, ohne jemals an die Oberfläche zu kommen. Das ist wahrscheinlich durch die höhere Temperatur bedingt, welche das Seewasser während des Sommers an der Oberfläche annimmt. Ich habe nämlich gefunden, dass gewisse Thiere, z. B. die Larven von Polygor- dius, bei niederer Temperatur positiv heliotropisch sind, während sie bei höherer Temperatur negativ heliotropisch werden. Ich habe erwähnt, dass auch der Geotropismus bei diesen Tiefen- wanderungen mitwirkt. Dieselben Umstände, welche die Thiere negativ heliotropisch machen, machen sie auch positiv geotropisch und vice versa. So konnte ich zeigen, dass bei niedriger Temperatur Polygordius- larven nicht nur positiv heliotropisch, sondern auch negativ geotropisch sind, während sie bei hoher Temperatur nicht nur negativ heliotropisch, sondern auch positiv geotropisch sind. Vermöge dieses Geotropismus werden sie auch in der Dunkelheit gezwungen, an die Oberfläche zu gehen, wenn die Tempe- ratur des Seewassers gering ist. Es ist auch wahrscheinlich, dass bei man- chen Formen innere Umstände, ähnlich den nyctitropen Erscheinungen bei Pflanzen mit dazu beitragen, dass periodische Tiefenwanderungen stattfinden. Wir finden also, dass der „Wanderungsinstinct", soweit er in den perio- dischen Tiefenwanderungen der Seethiere zum Ausdruck kommt, be- stimmt ist durch die Anwesenheit von lichtempfindlichen Substanzen in der Oberfläche des Thieres, die aber je nach Intensität des Lichtes oder je nach der Temperatur (oder vielleicht auch nach inneren Zuständen) verschiedene Wirkungen hervorbringen. Sie sind ferner bestimmt durch die Symmetrieverhältnisse der Thiere. Das Centralnervensystem hat mit diesen Erscheinungen nichts weiter zu thun, als dass es die Protoplas- maverbindung zwischen Haut und Muskeln liefert. Bei niederen Formen und bei Pflanzen, wo diese Protoplasmaverbindung eine directe ist, kommen daher auch dieselben Wirkungen ohne Centralnervensystem zu Stande. Das steht im Widerspruch mit der Centrentheorie dieser In- stincte, es entspricht aber der Segmentaltheorie. 6) Man könnte nun denken, dass alle diese Verhältnisse nur für die Wirbellosen gültig sind. Goltz hat aber eine merkwürdige Entdeckung gemacht, die dafür zu sprechen scheint, dass auch bei höheren Thieren die Dinge nicht wesentlich anders liegen. Eine Hündin, die ein Junges geworfen, beisst die Nabelschnur ab, beleckt das Junge, ist überaus zärt- lich gegen dasselbe und erlaubt keinem Fremden es anzurühren. Diese mütterlichen Instincte sind ererbt, und es ist zweifellos, dass mit dem Loeb, Vergleichende Gehirnphysiologie. 9 130 Zur Theorie der thierischen Instincte. Geburtsakt und den darauf folgenden Vorgängen die Veränderungen im Thier vor sich gehen, welche jene Instincte möglich machen. Man könnte in erster Linie hier daran denken, dass das Centralnervensystem durch die Uterusnerven direct erregt wird. Goltz hat nun gefunden, dass diese Instincte auch dann voll entwickelt sind, wenn man das Rückenmark vor der Conception so hoch oben durchschneidet, dass die Reize vom Uterus her das Gehirn nicht erreichen können (6). Es ist wahrscheinlich, dass gewisse Stoffe, die während der Schwangerschaft, Geburt und Lac- tation gebildet werden, den Character des Thieres beeinflussen, wie ja auch gewisse Gifte, Alkohol, Tabak, Morphium, die Reactionen eines Menschen beeinflussen. Es bleibt freilich möglich, dass der Sympathicus im Spiele ist. Mit der Centrentheorie der Instincte fällt auch der Versuch, die In- stincte „historisch'* zu erklären. Wir haben im ersten Kapitel auf die Behauptung hingewiesen, dass die Instincte ursprünglich bewusste Hand- lungen gewesen seien, die durch „üebung" zur Ausbildung von Reflex- centren geführt hätten. So lange periphere Reizbarkeiten, wie Licht- empfindlichkeit etc., für die Reflexe bestimmend sind, ist es unmöglich an- zunehmen, dass es sich bei den Instincten um fixirte Erfahrungen der voraufgehenden Generation handelt. Ich vermag mir nicht vorzustellen, wie ein Thier oder eine Species lichtempfindliche Substanzen in seinen Augen oder auf seiner Haut auf dem Wege der „Erfahrung'* oder „Uebung" erwerben könnte. Ich glaube aber, dass der „historische'' Weg der Erklärung der Lebenserscheinungen d. h. der Versuch einer phylogenetischen Erklärung derselben erkenntnisstheoretisch ebenso ver- fehlt ist, wie w^enn man etwa darauf bestehen wollte, dass die Dampf- maschine geologisch zu erklären sei. Bei Maschinen interessirt uns die Umwandlung und Dosirung der Energie, die Geschichte unseres Pla- neten kann uns darin nicht förderlich sein. Lebende Wesen aber sind Maschinen und müssen als solche analysirt werden, sobald wir ein Ver- ständniss ihrer Reactionen erlangen wollen. In den erkenntnisstheore- tischen Irrthum „historischer" Erklärungsmethoden ist die Biologie nur dadurch gerathen, dass dem genialen Wiedererwecker des Evolutions- gedankens, Darwin, die energetischen Naturwissenschaften (Physik, Che- mie und Physiologie) weniger nahe lagen. Das schmälert natürlich sein Verdienst ebensowenig, wie es unsere Bewunderung für den Mann ver- ringern darf. Auf der anderen Seite aber ist auch kein Grund vor- handen, dass die erkenntnisstheoretischen Einseitigkeiten des Meisters nunmehr unter den Biologen erblich werden sollten. Selbst das Problem der Entstehung der Arten wird erst dann zu ernsten Resultaten führen, wenn es vom Standpunkt der energetischen Naturwissenschaften d. h. vom maschinellen Standpunkt aus in Angriff genommen werden kann. Zur Theorie der thieriscben Instincte. 131 Litteratur zu XIII. 1) Loeb. J. Der Heliotropismus der Thiere und seine Uebereinstimmung mit dem Heliotropismus der Pflanzen. Würzburg 1890. 2) Groom und Loeb. Der Heliotropismus der Nauplien von Baianus perforatus und die periodischen Tiefenwanderungen pelagischer Thiere. Biologisches Centralblatt, Bd. X. 1890. 3) Loeb, J. Ueber den Instinct und Willen der Thiere. Pflüger's Archiv, Bd. 47, p. 407. 1890. 4) Loeb, J. Ueber künstliche Umwandlung positiv heliotropischer Thiere in ne- gativ heliotropisehe und umgekehrt. Pflüger's Archiv, Bd. 54. 1893. 5) Loeb, J. On Egg Structure and the Heredity of Instincts. The Monist July 1897. 6) Goltz, F. Ueber den Einfluss des Nervensystems auf die Vorgänge während der Schwangerschaft und des Geburtsaktes. Pflüger's Archiv Bd. 9. 1874. 9* XIV. Centralnervensystem und Vererbung. 1) Die Frage, wie weit das Centralnervensystem für die Vorgänge der Vererbung in Betracht kommt, ist für die Probleme der Erziehung von ausserordentlicher Bedeutung. Wenn wir hoffen dürften, dass in Folge der Thätigkeit einer Generation die Nachkommen derselben mit einer Disposition für diese besondere Thätigkeit geboren werden, so würde sich ja ein fruchtbares Feld für die Verbesserung des Menschen- geschlechtes ergeben. Um diese Frage zu entscheiden müssen wir uns zunächst an solche Eigenthümlichkeiten wenden, deren Erblichkeit sicher ist, namentlich die Körperform und die Instincte. Die Analyse der In- stincte, die wir im vorigen Kapitel gegeben haben, setzt uns in die Lage, die Frage zu beantworten, wie eine üebertragung derselben durch das Ei möglich ist. Alle erblichen Eigenschaften der Form und der Instincte und Reflexe müssen durch die Sexualzellen übertragen werden. Die Schwierigkeit, die dabei zu Tage tritt, ist die: Wie können die Sexual- zellen, die nur eine flüssige Masse mit festen Einschlüssen darstellen, Träger von anscheinend so complicirten Umständen sein, wie die For- men, die daraus entstehen und ihre Instincte und Reflexe. Zwei Mög- lichkeiten sind vorhanden. Entweder ist die scheinbare Einfachheit der Struktur des Eis nur eine Täuschung und das Ei besitzt in Wirk- lichkeit eine unsichtbare complicirte Struktur, die an Complicirtheit der des erwachsenen Thieres nichts nachgiebt; oder die Gesammtheit der Dinge, die wir die Form und die Instincte des erwachsenen Thieres nennen, ist nur die Resultante einfacher Elemente, die sehr wohl durch das Ei übertragen werden können, ohne dass das letztere eine compli- cirte Struktur besitzt. Unsere Discussion über die Mechanik der In- stincte im vorigen Kapitel zeigt nun, dass das letztere der Fall ist Nehmen wir den Fall derjenigen Instincte, die auf heliotropischen Re- actionen beruhen, z. B. das Fliegen der Motte in das Licht. Dieser Instinct ist eindeutig bestimmt 1. durch die Anwesenheit einer licht- Centralnervensystem und Vererbung. 133 empfindlicheu Substanz in der Oberfäche des Thieres und 2. durch die Symmetrieverhältnisse des Thieres. Für die Uebertragung einer licht- empfindlichen Substanz durch das Ei ist keine coraplicirte geheimniss- volle Struktur nöthig. Ebenso ist für die Uebertragung der Symmetrie- verhältnisse des Thieres durch das Ei keine complicirte Struktur des letztern nöthig. Für die Vererbung von Formen ist die Lage der Dinge nicht we- sentlich anders. Das Ei ist nicht der Träger der Form des erwachsenen Thieres, sondern bestimmter chemischer Stoffe, besonders von Fermenten. Je nach der stereochemischen Configuration der letzteren fallen die Assimilationsproducte und damit das Körpermaterial verschieden aus. Der Vorgang der Entwickelung ist nicht nur eine morphologische, son- dern vor allem eine chemische Differenzirung und aus den anfänglichen Kohstoffen werden immer weitere Combinationen von Stoffen gebildet. Mit jeder Differenzirung der Stoffwechselproducte kann und wird auch häufig eine weitere Differenzirung der Form verknüpft sein. Mit dieser Auffassung, die ich im Anschluss an Sachs in einer Reihe von Arbeiten näher entwickelt habe, stehen die Versuchsergebnisse der experimentellen Morphologie in vollem Einklang. Ich erinnere nur an den Versuch, in dem man einem Seeigel-Ei (Arbacia) die Form einer Doppelkugel giebt und wobei dann jede der Halbkugeln sich in einen vollständigen Seeigel um- wandelt. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Umwandlung des Seeigels in eine Doppelkugel im frisch befruchteten Ei geschieht oder nachdem die Furchung schon bis ins 16. oder 32. Zellenstadium fort- geschritten ist. Diese Thatsachen sind nur verständhch, wenn man im Ei nichts weiter sieht, als den Träger bestimmter chemischer Sub- stanzen und nicht mysteriöser morphologischer Differenzirungen von ähn- licher Complicirtheit wie das erwachsene Thier; und wenn man den morphologischen Entwickelungsvorgang nur als Folge oder Begleiterschei- nung entsprechender chemischer Umwandlungen ansieht. Ich darf wohl ferner hier erwähnen, dass die Vorgänge der Heteromorphose, d. h. die Umwandlung resp. der Ersatz eines Organes durch ein morphologisch verschiedenes durch bestimmte äussere Einflüsse zu derselben Auffas- sung zwingen. Es Hessen sich auch noch andere Thatsachen zu Gunsten dieser Auffassung anführen. 2) Tornier hat eine Theorie der Vererbung erworbener Eigenschaften vermittelst des Centralnervensystems aufgestellt. Nach dieser Theorie soll jede Veränderung, die im Körper stattfindet, begleitet sein von einer entsprechenden Veränderung im Centralnervensystem. Die Verände- rungen im Centralnervensystem sollen dann eine entsprechende Aende- rung im Ei hervorbringen. Nach dieser Theorie müsste also ein ebenso 134 Centralnervensystem und Vererbung. inniger Zusammenhang zwischen dem Centralnervensystem und den morphogenetischen Vorgängen bestehen, wie zwischen Centralnerven- system und motorischen und sensorischen Functionen. Es lässt sich aber leicht zeigen, dass diese Annahme Tornier's viel zu weit geht. Wenn die Amblystomalarve sich in ein geschlechtsreifes Thier umwan- delt, so verliert sie ein am Kopf befindliches Organ, die Kiemen, und ein am Schwanz befindliches Organ, den Kamm. Beide Organe ver- schwinden gleichzeitig. Ich durchschnitt bei einer Reihe von Ambly- stomalarven das Rückenmark in der Nähe des Schultergürtels. Die vor und hinter der Durchschneidungsstelle gelegenen Theile des Thieres verhielten sich in motorischer wie sensorischer Beziehung wie zwei ge- trennte Thiere. Wären nun die morphogenetischen Vorgänge ebenso eng mit dem Centralnervensystem verknüpft, wie die sensorischen und motorischen Functionen — was die Theorie Tornier's verlangt — so hätte man erwarten sollen, dass die Kiemen und der Schwanzkamm nicht länger gleichzeitig sich zurückbilden, sondern zu verschiedenen Zeiten, wie bei zwei verschiedenen Thieren. Ohne Ausnahme trat bei diesen Thieren mit durchschnittenem Rückenmark die Rückbildung der Kopf- und Schwanzorgane gleichzeitig ein (1). Unter den Versuchsthieren befanden sich solche, bei denen die Verwandlung in wenigen Tagen nach der Durchschneidung eiutrat, so- wie solche, bei denen der Zwischenraum länger war. Es kann also keinem Zweifel unterliegen, dass der Zusammenhang zwischen den mor- phogenetischen Functionen und dem Centralnervensystem viel geringer ist, als der zwischen diesem Organ und den sensorischen und motori- schen Functionen. Schaper hat einen neuen Versucli hinzugefügt, der für die Unab- hängigkeit der morphogenetischen Entwickelung vom Centralnerven- system spricht. Er schnitt bei 6 mm langen Froschlarven das Gehirn und die Medulla oblongata heraus. Das Rückenmark schien, als das Thier sieben Tage später getödtet wurde, geschwunden zu sein. Nichts- destoweniger gingen Wundheilung, Wachsthum und Entwickelung wäh- rend dieser sieben Tage weiter (2). Wir brauchen uns übrigens ange- sichts der Thatsache, dass die ersten Entwickelungsvorgänge bei jedem Thier der Bildung des Centralnervensystems vorausgehen, über diese Resultate nicht zu wundern. Sie reichen aber aus, uns zu überzeugen, dass die Vorgänge der Entwickelung und Organbildung weniger eng mit dem Centralnervensystem verknüpft sind, als die sensorischen und motorischen Vorgänge. Wir können uns deshalb nicht gut zu der An- nahme entschliessen, dass jeder Eindruck auf das Centralnervensystem sich dem Ei mittheilen soll, mit dem es ja übrigens gar nicht direct verbunden ist. Centralnervensystem and Vererbung. 135 3) Wie aber sollen wir es mit dieser Ansicht vereinigen, dass gerade Geisteskrankheiten., bei denen doch das Centralnervensystem afticirt ist, erblich sind? Es ist vielleicht nicht ausgeschlossen, dass diejenigen Geisteskrankheiten, die sich vererben, im Grunde chemische Erkrankungen sind, veranlasst durch Gifte, die im Körper gebildet werden (3). Wie besondere Stoffe, z. B. Alkohol, Haschisch und andere berauschende Stoffe vorübergehende Geisteskrankheiten erzeugen, so dürften auch die Fieberdelirien sowie gewisse andere Geisteskrankheiten Giften ihren Ur- sprung verdanken, die im Körper gebildet werden. Es ist durchaus möglich, dass es sich um Gifte handelt, die der normale Körper auch bildet. Es ist nur nöthig, dass diese Gifte im Körper des Geisteskranken in etwas grösserer Menge gebildet oder in etwas geringerer Menge zer- stört werden, als beim normalen Menschen. Es ist auch ferner gar nicht nöthig, dass diese hypothetischen Gifte, welche den Geisteskrank- heiten zu Grunde liegen, im Centralnervensystem gebildet werden. Sie können in irgend einem Organ des Körpers gebildet werden. Es ist nur nöthig, dass sie auf das Centralnervensystem wirken, dass sie mit anderen Worten Nervengifte sind. Nichts ist geeigneter, diese Anschauung zu verdeutlichen, wie die Folge, welche die Zerstörung der Schilddrüsen auf die geistige und kör- perliche Entwickelung von Kindern hat. Es ist bekannt, dass bei der Entartung der Schilddrüsen das Wachsthum und die geistige Entwicke- lung von Kindern stockt. Idiotenthum kann die Folge der Zerstörung der Schilddrüse sein. Man hat gefunden, dass in solchen Fällen durch die innerliche Darreichung von gesunder Schilddrüsensubstanz von Thie- ren Besserung oder sogar Heilung erzielt wird. Baumann hat gefunden, dass die Schilddrüse ein Element enthält, das sonst in keinem Organ des Körpers sich findet, nämlich Jod. Es ist also durchaus denkbar, dass wir es bei erblichen Geisteskrankheiten mit chemischen Krankheiten zu thun haben. Dabei können sehr wohl auch die Keimzellen durch die im Blute circulirenden Gifte beeinflusst werden. 4) Wenn wir auch so die unmittelbare Beeinflussung des Keimes durch das Centralnervensystem leugnen, und uns durchaus auf den Bo- den einer chemischen Theorie der Vererbung stellen, so wäre es doch möglich, dass das Centralnervensystem indirect die Vererbung beinflussen könnte, nämlich insofern, als es den Chemismus des Körpers beeinflussen kann. Als Beispiele einer chemischen Wirkung der Nerven führt man den Umstand an. dass Reizung gewisser Drüsennerven Secretion hervor- ruft. Mathews hat aber gezeigt, dass wo Reizung des Sympathicus Se- cretion hervorruft, die Drüsen Muskelfasern enthalten, die sich bei der Reizung contrahiren und so mechanisch Flüssigkeit aus den Ausfüh- 136 Centralnervensystem und Vererbung. rungsgängen auspressen (4). Für die Secretion durch Chordareizung liegen die Dinge anders, es ist aber möglich, dass auch hier die Secretion nur eine indirecte Wirkung der Reizung ist. Dagegen giebt es aber an- scheinend andere Beispiele für eine chemische Wirkung der Nerven. Die Thatsache, dass die Gürtelrose dem Verlauf von Nerven folgt, legt es nahe, anzunehmen, dass diese Erkrankung durch abnorme chemische Vorgänge veranlasst ist, bei denen die Thätigkeit der Nerven eine Rolle spielt. Goltz hat gefunden, dass nach Durchschneidung des Rückenmarkes Yerschwärungen und Eiterungen auf der Haut hinter der Schnittstelle vorkommen, die so symmetrisch sind, dass sie unmöglich allein auf die Rechnung äusserer Insulte gesetzt werden können. Dieselben bestehen nur in den ersten Wochen nach der Operation und verschwinden später (5). Man darf daran denken, dass die Ursache dieser Erscheinungen in abnormen chemischen Vorgängen gesucht werden muss, die vielleicht indirect durch die vasomotorischen Nerven veranlasst sind, insofern, als dadurch Störungen der Sauerstoffversorgung u. s. f. bedingt werden. Diese Störungen können gelegentlich nach der Operation ausbleiben. Auch dem Arzt sind diese Erscheinungen des Decubitus nach Rücken- marksverletzung wohl bekannt. Für die Theorie dieser Vorgänge ist ganz besonders eine Thatsache interessant, welche Goltz und Ewald ge- funden haben. Wenn sie Thieren das Rückenmark durchschnitten, so traten diese Erscheinungen der Yerschwärung der Haut meist sehr dra- stisch auf. Operirten sie aber dann später in dem hinter der Schnitt- stelle gelegenen Stück Rückenmark, so waren die Störungen viel ge- ringer oder blieben ganz aus. Es ist also die Trennung eines Rücken- markabschnittes vom Gehirn von schwereren Folgen begleitet, als die Trennung eines Abschnittes vom Rückenmark allein (5). Man darf in dieses Gebiet indirecter chemischer Wirkungen der Nerven auch die Trigeminuskeratitis rechnen. Nach Durchschneidung des Trigeminus tritt eine Entzündung der Hornhaut derselben Seite ein. Diese Entzündung ist natürlich durch ßacterien veranlasst, aber der Um- stand, dass diese Bacterien gerade auf der Hornhaut wirksam werden, deren sensibeler Nerv durchschnitten ist, könnte zweierlei Ursachen haben : Entweder könnte das Thier in Folge der Empfindungslosigkeit der Horn- haut die Fremdkörper nicht beachten, welche auf das Auge fallen, oder es könnten in Folge der Nervendurchschneidung Veränderungen in der Hornhaut eintreten, welche die Entstehung von Entzündungen erleich- tern. Das letztere dürfte der Fall sein, wenn die Angabe von Gaule richtig ist, dass bereits 10 Minuten nach der Durchschneidung des Tri- geminus histologische Veränderungen in der Cornea nachweisbar sind (6). Es kann sich alsdann nur darum handeln, dass die Widerstandsfähigkeit Centralnerven System und Vererbung, 137 oder richtiger die chemische Beschaffenheit der Gewebe in Folge der Nervenverletzung verändert ist. Von trophischen Nerven braucht man deshalb nicht zu reden; wenn es wahr ist, dass der Einfluss jeder Nervenerregung auf die beeinflussten Gewebe ein chemischer ist, so sind in einem gewissen Sinne alle Nerven trophisch und es wäre geradezu falsch zu behaupten, dass besondere Nerven ausschliesslich trophischen Functionen dienten, während andere sensorisch und wieder andere motorisch seien. Es giebt keine specifisch trophischen Nerven, aber es ist möglich, dass manche Nerven so weit- gehende chemische Veränderungen indirect (etwa durch Circulationsstö- rungen und Beschränkung der Sauerstoffversorgung) hervorbringen kön- nen, dass morphologische Veränderungen der Gewebe folgen. Wenn nun das in der That der Fall ist, so ist nicht jede Möglich- keit ausgeschlossen, dass das Centralnervensystem indirect auch die Sexualzellen beeinflusst insofern, als durch Nerventhätigkeit (resp. durch Circulationsstörungen) Substanzen gebildet werden, welche die in den Hoden und Ovarien enthaltenen Geschlechtszellen chemisch modificiren. Es wäre so allenfalls denkbar, dass angestrengte Gehirnthätigkeit einer Generation zur Bildung chemischer Substanzen führen könnte, welche die Geschlechtszellen beeinflussen. Aber warum dieser Einfluss gerade so ausfallen sollte, dass diese Geschlechtszellen Nachkommen mit grösse- rem Intellect hervorbringen, ist schwer einzusehen. Denn der Intellect ist ein Ding, das nicht wie die Muskelarbeit chemischen Umsetzungen proportional ist, sondern bei dem alles auf der richtigen Combination der Ideen beruht. Im Gehirn eines Dummkopfes und eines Genies mögen die gleichen Stoffumsätze vor sich gehen. Der Unterschied zwi- schen beiden ist jedoch der, dass der Dummkopf werthvolle Ideenasso- ciationen unbeachtet lässt, während der Kopf des Genies dieselben fest- hält. Hierbei könnten freilich in letzter Instanz doch chemische Um- stände ausschlaggebend sein. Wir kommen also zu dem Schluss, dass eine Uebertragung erblicher Eigenschaften durch das Ei nur in der Form der Uebertragung specifischer chemischer Stoffe möglich ist, und dass das Centralnervensystem die Vererbung nur dann beeinflussen könnte, wenn es die Bildung besonderer Stoffe im Ei (durch Einfluss auf den Stoffwechsel) hervorrufen könnte. Dass das Centralnervensystem überhaupt einen solchen Einfluss hat, wäre freilich erst noch zu be- weisen. Es ist deshalb einstweilen unberechtigt, zu behaupten, dass die Thätigkeit einer Generation eine erbliche Erhöhung der Fähigkeiten und Neigungen der folgenden Generation in derselben Richtung hervor- bringen könne. Herbert Spencer führt zum Beweise dieser letzteren Möglichkeit den Umstand an, dass die Tastkreise an unserer Zungenspitze 138 Centralnervensystem und Vererbung. am kleinsten sind. Das soll nach ihm daher rühren, dass die Menschen seit Urzeiten die Neigung hatten, die Lücken zwischen den Zähnen mit der Zungenspitze zu untersuchen und abzutasten und das soll eine erb- liche Vermehrung der Nervenendorgane in der Zungenspitze veranlasst haben. Spencer übersieht, dass an der Nasenspitze die Tastkreise auch ein relatives Minimum erreichen und es ist sicher, dass dieses Organ zum Abtasten von Zahn- und anderen Lücken seit undenkbaren Zeiten sicherlich nicht gebraucht worden ist. Die relative Zahl der Nervenend- organe oder richtiger die relative Grösse der Tastkreise an der Zungen- spitze und der Nasenspitze dürfte vielmehr bedingt sein durch den re- lativ kleinen Krümmungsradius resp. die relativ kleine Oberflächenent- faltung an der Spitze dieser Organe. *) Litteratur zu XIV. 1) Loeb, J. Hat das Centralnervensystem einen Einfluss auf die Vorgänge der Larvenmetaraorphose? Archiv für Entwickelungsmechanik, Bd. 4. 1896. 2) Seil aper, A. Experimental Studies on the Influence of the Central Nervous System upoa the Developement of the Embryo. Journal of the Boston Soc. of Medical Science. Jan. 1898. 3) Meyer, Adolf. A Few Demonstrations of Pathology of the Brain and Kemarks on the Problems connected with them. Proceedings Am. Psychol. Ass. 95. 4) Mathews. The Fhysiology of Secretion. Annais N. Y. Academ. of Science. Vol. XI No. 14. 1898. 5) Goltz und Ewald. Der Hund mit verkürztem Rückenmark. Pflüger's Arch. Bd. 63. 1896. 6) Gaule, J. Der Einfluss des Trigeminus auf die Hornhaut. Physiologisches^ €entralblatt, Bd. 5. 1891. 7) Gaub, J, Wie beherrscht derTrigemnus die Ernährung der Hornhaut. Phy- siologisches Centralblatt. Bd. Vi. 1892. ') Spencer und Weismann haben vor einigen Jahren eine Controverse über die Frage der Vererbung erworbener Eigenschatten gehabt. Man möge nun nicht etwa schliessen, dass wir Anhänger aller Ansichten Weismann's seien, weil wir em von Spen- cer in dieser Angelegenheit benutztes Argument zurückweisen. Weismann's Ansichten gründen sich ebenfalls auf irrige Voraussetzungen. Er nimmt an, dass im Ei geheim- nissvolle Strukturen existiren von einem ähnlichen Grad der Complication wie der er- wachsene Organismus sie besitzt, der aus dem Ei hervorgeht. Weismann ist in diesen Irrthum gefallen, weil er übersieht, dass complicirte Erscheinungen durch die Combi- nation einfacher Elemente hervorgebracht werden können und dass für die Vererbung nur die Uebertragung der letzeren durch das Ei nöthig ist. Nur die physikalisch- chemische Analyse der Lebenserscheinungen kann uns vor solchen Irrthümern bewahren. Weder in Spencer's noch in Weismann's Schriften ist diese Analyse consequent und weit genug durchgeführt. XV. Kriterien für die Constatirung von Bewusstsein bei niederen TMeren. 1) Eine der bedeutungsvollsten Fragen auf dem Gebiete der ver- gleichenden Physiologie des Centralnervensystems ist die, wie weit in der Thierreihe Bewusstsein, Wille und Empfindung verbreitet sind, und inwieweit Bewusstsein und Empfindung und Wille an das Centralnerven- system oder Theile desselben geknüpft sind. Es wird von einigen Au- toren angegeben, dass diese Frage nach der Verbreitung von Bewusst- sein einer wissenschaftlichen Discussion unzugänglich sei, weil Bewusst- sein nur durch Selbstbeobachtung nachweisbar sei. Die Anhänger dieses Standpunktes übersehen aber, dass Bewusstsein die Function eines ganz bestimmten physiologischen Vorganges ist, nämlich der associativen Ge- dächtuissthätigkeit. Sobald die Gedächtnissthätigkeit zur Ruhe kommt, schwindet auch unser Bewusstsein. In der Ohnmacht, im tiefen Schlaf, bei gewissen Vergiftungen schwindet die Gedächtnissthätigkeit und da- mit auch das Bewusstsein. Was wir das Ichbewusstsein nennen, ist, wie E. Mach treffend dargelegt hat (1), nichts anderes als der Umstand, dass gewisse Gedächtnissbestandtheile sehr oft, ja fast immer in unseren Empfindungen und Vorstellungen auftreten. Den Complex dieser Ge- dächtnisselemente bezeichnen wir als das Ich, als unsere Persönlichkeit. Solche Gedächtnissbestandtheile sind beispielsweise das Gesichtsbild un- seres Körpers, soweit es ins Gesichtsfeld fällt, gewisse Tastempfindungen z. B. das Tastbild unseres Körpers, das Klangbild unserer Stimme, ge- wisse Ziele, die wir verfolgen, Interessen und Sorgen, gewisse Gefühls- elemente des Behagens oder Unbehagens. Ein Inventar aller Gedächtniss- bestandtheile des Ichcomplexes verschiedener Personen würde schon darauf hinweisen, dass das Ichbewusstsein keine bestimmte Einheit ist sondern, wie Mach behauptet, nur eine künstliche Absonderung gewisser Gedächtnissbestandtheile, die in den meisten oder vielen unserer Em- pfindungen auftreten. Auch in verschiedenen Lebensaltern müssen die Gedächtnissbestandtheile des Ich derselben Person erheblichen Schwank- 140 Kriterien für die Constatirung von Bewusstsein bei niederen Thierea. ungen unterliegen. Der Umstand nun, dass das Bewusstsein nur eine Function associativer Gedächtnissthätigkeit ist, erlaubt uns in der That die Frage zu beantworten, wie weit Bewusstsein in der Thierreihe ver- breitet ist. Wir können nämlich Bewusstsein nur da erwarten, wo associatives Gedächtniss nachweisbar ist. Wir müssen also zunächst eine bestimmtere Vorstellung geben, wie wir associatives Ge- dächtniss objectiv nachweisen wollen. ,.Wir verstehen unter asso- ciativem Gedächtniss diejenige Eigenthümlichkeit, durch welche eine Reizursache nicht nur die ihrer Natur und der specifischen Struktur des reizbaren Gebildes entsprechenden Wirkungen hervorruft, sondern ausserdem noch solche Reiz- wirkungen anderer Ursachen, welche früher einmal nahezu oder völlig gleichzeitig mit jenem Reiz an* dem Organismus angriffen" (2). Der Geruchsreiz einer Blume mag das Gesichtsbild einer Landschaft hervorrufen, in der derselbe Geruchsreiz uns vorher getroffen hatte oder einer Persönlichkeit, deren Bild auf unsere Netzhaut fiel, als wir vorher einmal dieselbe Geruchsempfindung hatten. Unser Gedächt- nissorgan muss also die Eigenthümlichkeit besitzen, dass Vorgänge, die gleichzeitig oder nahezu gleichzeitig in demselben vorgehen, Spuren hinter- lassen, die zu einer Einheit verschmelzen. Dieser Umstand wird für eine künftige Mechanik der Bewusstseinsvorgänge von der grössten Be- deutung werden. Es ist aber auch ein Beispiel einer solchen Gedächt- nissthätigkeit, wenn wir uns auf einen bestimmten Schallreiz, z. B. das Hören unseres Namens, umdrehen. Wir dürfen auf associatives Gedächt- niss schliessen, wenn ein Hund auf das Rufen seines Namens in ähn- licher Weise reagirt. Wir dürfen ferner auf associatives Gedächtniss schhessen, wenn ein Thier sich abrichten lässt, auf einen bestimmten Schallreiz zu einem bestimmten Ort zu kommen, um sein Futter zu suchen, oder wenn es überhaupt, sobald es hungrig ist, an einen be- stimmten Ort geht, wo man ihm sein Futter gewöhnlich hinstellt. Der optische Reiz des Orts, wo das Futter sich findet und die Hunger- und Sättigungsempfindungen haben nichts Qualitatives gemeinsam, sondern sie waren für das betreffende Thier nur gleichzeitig. Das Verschmelzen oder Verwachsen heterogener aber zufällig gleichzeitiger Vorgänge ist das Kriterium für associative Gedächtnissthätigkeit. Wir haben immer von associativem Gedächtniss gesprochen, weil das Wort Gedächtniss zuweilen in einem ganz anderen Sinne in der Wissenschaft angewendet wird, nämlich zur Bezeichnung irgend welcher Nachwirkung äusserer Umstände. Man bezeichnet es gelegentlich als Gedächtniss, wenn eine in den Tropen cultivirte Pflanze' niedrige Tem- peraturen nicht so gut erträgt, wie eine im Norden cultivirte Pflanze Kriterien für die Constatirung von Bewiisstsein bei niederen Tbieren. I4I derselben Species. Hier haben wir es allerdings damit zu thun, dass voraufgegangene Zustände die Reactionsfähigkeit der Pflanze beeinflus- sen; aber es handelt sich dabei nicht wie beim associativen Gedächtniss darum, dass eine gewisse Reizursache neben ihrer eigenen auch die Wirkungen einer anderen ganz heterogenen Reizursache hervorbringt, bloss weil die letztere in der Vorgeschichte des Individuums zufällig einmal mit jener gleichzeitig eintrat. Bei der geringeren Widerstandsfähigkeit der im tropischen Klima gezüchteten Pflanze gegen niedere Temperatur dürfte es sich darum handeln, dass die Tropenpflanze chemisch etwas verschieden ist von der im Norden gezüchteten Pflanze derselben Species. In dieselbe Kategorie einer zu weit gehenden Anwendung des Wortes Gedächtniss gehört das Folgende. Viele Motten schlafen am Tag und wachen auf am Abend, wenn es dunkel wird. Hält man sie aber Tage lang ununterbrochen in einem dunkeln Zimmer, so schlafen sie (anfangs wenigstens) deshalb doch nur bei Tage, während sie Abends aufwachen. Dieselben Erfah- rungen macht man in den ersten Tagen, wenn man gewisse Pflanzen im Dunkelzimmer cultivirt. Freilich tritt das nur in den ersten Tagen des Aufenthaltes im Dunkelzimmer ein. Man könnte auch hier sagen, dass der Schmetterling oder die Pflanze sich an den Unterschied von Tag und Nacht erinnert. Es handelt sich aber wohl nur darum, dass dem periodischen Wechsel von Tag und Nacht entsprechend innere Ver- änderungen im Organismus stattfinden, die auch dann noch eine Zeit lang in derselben Periodicität fortdauern, wenn das Thier ununterbrochen im Dunkeln bleibt (2). Die Frage nach der Verbreitung von Bewusstsein in der Thierreihe wird somit auf ein der objectiven Bestimmung zugängliches Kriterium zurückgeführt, nämlich wie weit associatives Gedächtniss in der Thier- reihe verbreitet ist. Wir finden associatives Gedächtniss wohl bei den meisten Säugethieren. Der Hund, der auf das Rufen seines Namens reagirt, der vor der Peitsche davonläuft, der seinen Herrn freudig be- grüsst, hat associatives Gedächtniss. Bei Vögeln ist dasselbe ebenfalls vorhanden. Der Papagei, der sprechen lernt, die Taube, die ihren Schlag wiederfindet, haben Gedächtniss. Dasselbe lässt sich aber auch bei nie- deren Wirbelthieren nachweisen. Laubfrösche, welche sich abrichten lassen, auf ein Geräusch hin an eine bestimmte Stelle zu kommen, um Futter zu empfangen, haben ebenfalls Gedächtniss. Bei anderen Fröschen z. B. Rana esculenta ist einstweilen keine Reaction bekannt, welche mit Sicherheit auf associatives Gedächtniss hinweist. Bei einzelnen Fischen ist anscheinend Gedächtniss vorhanden, bei Haifischen ist die Existenz desselben aber wohl schon zweifelhaft. Den grössten Schwierigkeiten 142 Kriterien für die Constatirung von ßewusstsein bei niederen Thieren. sehen wir uns aber bei Wirbellosen gegenüber. Die Angaben von En- thusiasten, welche überall Bewusstsein und Menschenähnlichkeit erblicken, sind mit der grössten Vorsicht aufzunehmen. 2) Bei meinen Versuchen über die Tropismen war es mir klar ge- worden, wie leicht ein anthropomorph denkender Beobachter die rein maschinenmässigen Wirkungen äusserer Reize auf niedere Thiere für den Ausdruck von Intelligenz ansehen kann. Er braucht nur die Ana- lyse der äusseren Reizursachen zu unterlassen, um überall menschen- ähnliche Intelligenz bei seinen Thieren zu entdecken; genau so wie der Wilde, der die physikalische Analyse unterlässt, in der Sonne und dem Feuer Götter, d. h. menschenähnliche Wesen entdeckt. Ich habe mich in einer Reihe von Arbeiten gegen diese Anthropomorphismen von Ro- manes, Eimer, Nagel etc. ausgesprochen (3) und darauf hingewiesen, dass nur der Nachweis von associativem Gedächtniss als ein Kriterium für Bewusstsein oder besondere Erscheinungsformen desselben, z. B. In- telligenz, gelten könne. Auch die Anthropomorphismen der Beobachter des Araeisenlebens konnten mich nicht überzeugen, dass dieser Nach- weis für die Wirbellosen bisher sicher erbracht sei. Meine Zweifel sind bestärkt worden durch die schönen Untersuchungen von Bethe an Ameisen und Bienen (4). Bethe nimmt ebenfalls das associative Ge- dächtniss als Kriterium für Bewusstsein an, wie ich das vor ihm gethan hatte; meine Arbeiten über den Gegenstand, sowie über die Tropismen der Thiere sind ihm offenbar unbekannt geblieben. Das Kriterium lautet bei Bethe folgendermaassen; „Ein Thier, das am ersten Tage seines Daseins schon dasselbe auszuführen im Stande ist, wie an seinem Lebensende, das Nichts lernt, das auf denselben Reiz immer in derselben Weise reagirt, besitzt nachweislich keine Bewusst- seinsvorgänge." Diese Definition reicht nicht aus. Es ist möglich, dass ein Thier nach der Geburt oder dem Ausschlüpfen noch nicht völlig entwickelt ist (wie z. B. der Mensch). Es kann dann später Leistungen ausführen, die es am ersten Tage nicht ausführen konnte, ohne dass deshalb diese Leistungen erlernt waren. Ich gebe daher meinem früher dargelegten Kriterium des associativen Gedächtnisses und des Bewusst- seins den Vorzug. Es ist eine bekannte Erfahrung, dass eine Ameise, die in ihr eigenes Nest zurückgesetzt wird, nicht angegriffen wird, wäh- rend eine zu einem anderen Neste gehörige in vielen Fällen angegriffen wird. Man hat hier von Gedächtniss und von Feindschaft und Freund- schaft der Ameisen gesprochen. Bethe bat nun folgenden Versuch ge- macht: Er nahm eine Ameise und wälzte sie in einer Quetschung von Nestgenossen. Wenn diese Ameise zu ihrem Nest zurückgesetzt wurde, so wurde sie nicht angegriffen. Wälzte er aber eine Ameise in einer Kriterien für die Constatirung von Bewusstsein bei rliederen Thieren. 143 Quetschung von Angehörigen eines „feindlichen'' Nestes, so wurde sie von' ihren Nestgenossen wie ein Thier des fremden Nestes behandelt und angegriffen und getödtet. Es sind also die chemischen Reize flüchtiger Stoffe, welche je nach ihrer Natur die Ameisen indifferent lassen oder sie erregen. Wir brauchen hierbei nicht mehr Intelligenz anzunehmen, wie im Falle der Tentakel der Aktinien, die ein in Fleischsaft aufgeweichtes Stück Filtrirpapier sofort in der höchsten Erregung „angriffen" und zum Munde führten, während sie ein in Seewasser aufgeweichtes Stück Papier ignorirten. Bei den Tentakeln der Aktinien kommen wir mit der An- nahme maschinenmässiger Reizvorrichtungen aus, Gedächtniss ist für die Reaction nicht nöthig. Es ist nicht anders mit dem Verhalten der Ameise. Dass diese Reactionen der Ameisen nicht etwa durch Erfahrung erlernt sind, sondern angeboren sind, hat Bethe dann noch durch besondere Versuche beweisen können. Das „Kennen" von „Freund und Feind" reducirt sich also bei den Ameisen auf verschiedene reflectorische Re- actionen, je nach der Natur des chemischen Reizes. Gedächtniss ist hier- bei nicht im Spiele. Man hat es ferner als einen Akt des Gedächtnisses und des In- tellects bezeichnet, dass eine Ameise den Weg zu ihrem Nest zurück- findet und dass wenn „Kundschafter" in irgend einer Richtung vom Neste Honig oder Zucker entdeckt haben, die Ameisen des Nestes sich alsbald in grosser Zahl zu dem Fundort begeben. Dabei sollte auch Mittheilungsvermögen eine Rolle spielen. Dem gegenüber hat Bethe durch sinnreiche Versuche fesstellen können, dass eine Ameise, die einen neuen Weg beschreitet, auf demselben Weg, den sie gekommen ist, wieder zum Nest zurückkehrt. Es muss also etwas, das dem alten Weg anhaftet, als Wegweiser zurück dienen. Kam ein Thier, das auf einem neuen Wege Nichts gefunden hatte, zum Nest zurück, so betrat nie eine neue Ameise diesen Weg. Hatte es aber Honig oder Zucker zurück- gebracht, so folgten immer andere Thiere der Spur, die es gegangen war. Es haftet also auch dem Wege etwas von den Stoffen an, welche von den Ameisen auf diesem Wege getragen werden. Diese Stoffe müssen stark genug sein, um chemotropisch auf die Ameisen zu wirken. Dass diese Annahme Bethe's gerechtfertigt ist, dass in der That Insecten durch chemische Reize von so geringer Intensität afficirt werden, dass ihr Ver- halten für uns ans Wunderbare grenzt, kann ich durch folgende Be- obachtung beweisen, die gewiss viele Schmetterlingszüchter vor mir an- gestellt haben. Ich brachte einen weiblichen Schmetterling einer ge- wissen Species in eine Cigarrenkiste, die ganz verschlossen wurde. Die Kiste wurde in halber Höhe zwischen Decke und Fussboden eines Zim- mers aufgehangen und dann das Fenster des Zimmers geöffnet. Zunächst 144 Kriterieu für die Constatirung von Bewusstsein bei niederen Thieren. war kein Schmetterling der Species weit und breit sichtbar. Nach we- niger als einer halben Stunde zeigte sich ein männlicher Schmetterling derselben Species auf der Strasse. Als er in die Höhe des Fensters kam, hemmte er seine Progressivbewegung und kam allmählich gegen das Fenster. Er flog ins Zimmer, ging aber weder zur Decke noch zum Fussboden, sondern flatterte bald in der Höhe der Cigarrenkiste, er- reichte dieselbe und blieb auf ihr sitzen. Im Verlauf des Nachmittags kamen noch zwei weitere Männchen derselben Species auf die Kiste. Es müssen also die Schmetterlinge und gewiss noch viele andere In- secten eine Feinheit der chemischen Reizbarkeit besitzen, w^elche die- jenige des besten Spürhundes womöglich noch übertrifft. Ich bin auch deshalb geneigt, Plateau beizustimmen, wenn er den Bkimenbesuch der Insecten mehr auf den G-eruch der Blumen und Pflanzen zurückführt, als auf deren Farbe und Zeichnung. Denn der dioptrische Apparat der Insecten steht weit hinter dem des menschlichen Auges zurück, während ihre chemische Reizbarkeit der unserer Riechschleimhaut ausserordentlich überlegen ist. Eins der merkwürdigsten Resultate der Yersuche von Bethe ist nun, dass die grossen Heerstrassen der Ameisen zwei Pfade enthalten, einen, der vom Neste fortführt und einen, der zu ihm hinführt. Die Spur, die die vom Nest fortschreitenden Thiere hinterlassen, unterschei- det sich chemisch von der Spur, die ein zum Nest gehen des Thier hinter- lässt. Bethe bewies das durch Versuche, welche schon vorher Lubbock unternommen hatte, der jedoch zu keinem bestimmten Resultate gelangt war. Bethe richtete es so ein, dass ein Stück einer breiten Ameisen- strasse über eine drehbare Brücke führte. Wenn er diese Brücke um 180 0 drehte, während ein Theil der Ameisen zum Nest, ein anderer vom Nest ging, so war es beiden unmöglich, ihren Weg fortzusetzen. Drehte man aber nach einiger Zeit die Strasse wieder um 180 ", so dass die Spuren wieder ihre alte Orientirung hatten, so setzten die Ameisen ihren begonnenen Weg fort. Damit stimmt auch eine Beobachtung von Forel, dass „eine Ameise, die man vom Wege aufhebt und wieder auf die Ameisenstrasse setzt, in welcher Richtung man auch ihren Körper orien- tirt, fast mit absoluter Sicherheit nach derselben Richtung geht, in der sie vorher ging.'' Das gilt jedoch nur für eine starke Spur, welche oft begangen ist. Dagegen ist eine schwache Spur, welche in einer Rich- tung führt, geeignet, auch in umgekehrter Richtung zu leiten, wie dar- aus hervorgeht, dass ein Thier, welches einen neuen Vorrath gefunden hat, denselben Weg zum Nest zurückgeht, den es gekommen ist." Was eine Ameise veranlasst, der einen oder anderen Spur (d. h. von oder zum Neste) zu folgen, ist offenbar die Belastung und der Mangel an Kriterien für die Constatirung von Bewusstsein bei niederen Thieren. 145 Belastung. Belastung löst reflectorisch den Gang zum Nest hin, Mangel an Belastung den Gang vom Nest fort aus." In dieser Weise führt Bethe die Reactionen der Ameisen, die stets als psychische Leistungen gegolten haben, auf reflectorische Leistungen, den Tropismen vergleich- bar, zurück. — Es war geschlossen worden, dass . wenn eine Ameise auf einen neuen Yorrath stösst, sie dies dem Neste „mittheile", worauf dann viele Kameraden sich zu dem neu entdeckten Eldorado begeben. Bethe hat nachweisen können, dass es sich in diesen Fällen nur um ein reflectorisches Verfolgen der Spur handelt, dass nichts zur Annahme eines Mittheilungsvermögens zwingt. Auch andere Fälle aus der Ameisen- mythologie werden von Bethe zergliedert und auf einfache Fälle von reflectorischen Eeactionen zurückgeführt. Wie das angebliche „Sich kennen" der Ameisen desselben Nestes so ist auch das „Sich kennen" der Bienen desselben Stockes nur ein Anthropomorphismus. Gewisse Gerüche z. B. die desselben Stockes, lassen die Biene indifferent, während andere Gerüche z. B. eines frem- den Nestes Greifreactionen hervorrufen. Es handelt sich hierbei eben- sowenig um ein Erkennen wie bei der Aktinie. Auch bei den Bienen bestreitet Bethe, dass das Finden ihres Weges, z. B. das Zurückfliegen zum Stocke, auf Gedächtniss beruht; er nimmt an, dass es sich hier um angeborene Reactionen auf einstweilen unbekannte Reize handelt. Es müssen aber doch wohl noch weitere Versuche angestellt werden, ehe wir, mit Bethe, behaupten dürfen, dass Ameisen und Bienen keine Spur von Gedächtniss besitzen. 3) Die Möglichkeit eines associativen Gedächtnisses ist bei Spinnen, gewissen Krebsen und Cephalopoden zuzugeben, bei Coelenteraten und Würmern ist aber wohl sicher kein Gedächtniss vorhanden. Damit glaube ich die Grenze des associativen Gedächtnisses bei Wirbellosen eher zu weit als zu eng gezogen zu haben. Man darf sich nämlich hier nicht durch Wortspielereien irre führen lassen. Wir sahen, dass Aktinien in Seewasser geweichte Papierkügelchen verweigern und Fleisch von Mus- keln annehmen, obwohl für unsere Geschmacksorgane kein Unterschied existirt. Romanes würde das für einen Ausdruck von Intelligenz er- klärt haben, da das Thier „unterscheide" und „eine Wahl ausführe". Danach müsste auch den chemischen Elementen Bewusstsein und In- telligenz zuerkannt werden, denn sie verbinden sich auch nicht mit je- dem beliebigen Element, sondern nur mit bestimmten Elementen. Was Romanes als „Unterscheidungsvermögen" bezeichnet, ist nichts weiter als ein unpassend gewählter Ausdruck dafür, dass verschiedene Ursachen verschiedene Wirkungen haben. Diese Verschiedenheit der Wirkungen kann in gewissen Fällen auf associativem Gedächtniss und damit auf Loeb, Vergleioliende Gehirnphysiologie. 10 146 Kriterien für die Consta tiruug von Bewusstseiu bei niederen Thieren. Bewiisstsein beruhea, aber um diese Fälle herauszufinden, müssen wir erst noch nachweisen, dass bei den betreffenden Formen associatives Gedächtniss vorhanden und im Spiele ist. Bei Aktinien aber fallen alle derartigen Versuche, associatives Gedächtniss nachzuweisen, negativ aus. Ich erwähnte die Versuche an Cerianthus, bei denen es mir gelungen war, einen zweiten Kopf unterhalb des normalen hervorzubringen. Der zweite Kopf besass eine Mundscheibe und Tentakel, aber keine Mund- öffnung (Fig. 12 S. 33), So oft ich nun auch dem mundlosen Kopf ein Stück Fleisch anbot^ so oft nahm er es, machte die energischsten Anstrengungen, es in den Mund zu pressen, der nicht vorhanden war, um es dann fallen zu lassen. Es war keine Rede davon, dass die Tentakel endlich lernten, dass hier alle Mühe und Hoffnung verloren war. Man findet aber auch gewisse Reactionen, die sich bei niederen Thieren nicht beliebig oft hinter ein- ander anstellen lassen. Man darf aber dann nicht schliessen, dass es sich hier um Bewusstseins Vorgänge handele, und dass das Thier gelernt habe. Es ist eine alte Erfahrung, dass viele röhrenbewohnende "Würmer sich plötzlich in die Röhre zurückziehen, wenn man einen Schatten auf sie wirft. Ich habe diesen Vorgang zuerst analysirt und gezeigt, dass der Schatten nichts damit zu thun hat, sondern dass es sich hier um eine Reaction gegen negative Schwankungen der Lichtintensität handele, vergleichbar der Oeffnungszuckung eines Muskels. Der Versuch gelingt nun nicht beliebig oft hinter einander, er versagt überhaupt leicht. Daraus schliesst Nagel, dass diese Würmer ,,Urtheilsfähigkeit" besitzen. „Das Thier erkennt, dass die mehrmalige Beschattung nicht auf dem Nahen eines Feindes oder einer sonstigen Gefahr beruhte, vielmehr unschädlich verlief." (Nagel.) Es handelt sich indessen bei diesen Reactionen um ererbte Formen der Reizbarkeit, die mit Erfahrungen nichts zu thun haben. Das Versagen der Reaction nach öfterer Wiederholung beruht einfach auf einer Nachwirkung des Reizes, wie wir sie ja in der Phy- siologie der Thiere und Pflanzen so häufig treffen. Die Annahme, dass so niedrige Thiere, wie augenlose Würmer und Schnecken, Vorstellungen und noch dazu, wie Nagel ausdrücklich betont, die Vorstellung „eines nahenden Feindes oder einer sonstigen drohenden Gefahr" besitzen sollen, ist eine ganz willkürliche Behauptung. So hatte auch Graber behauptet, dass die Thiere, die zum Licht gehen, das deshalb thun, weil sie das Licht lieben und Romanes hat geradezu behauptet, dass die Thiere aus Neugier in die Flamme gehen. Es handelt sich hier aber nur um dieselben heliotropischen Licht- wirkungen, die bei Pflanzen schon lange bekannt waren. Wenn eine Motte ins Licht fliegt, so ist nicht mehr Neugier im Spiele, wie wenn sich ein am Fenster cultivirter Pflanzenstengel gegen das Fenster hin Kriterien für die Constatirung von Bewusstsein bei niederen Thieren. 147 krümmt. Oder sollen wir auch hier annehmen, dass der Pflanzcn- stengel eine Vorstellung davon besitze, dass Leute am Fenster vor- bei gehen und dass Neugier ihn veranlasse, zum Fenster hinaus- zusehen? Es lohnt sich nicht, derartigen Anthropomorphismen in der biologischen Litteratur nachzugehen. Die Biologie kann dieselben mit ebensoviel Recht ignoriren w^ie die moderne Physik es ignorirt, Avenn der Wilde die Dampfmaschine durch ein darin enthaltenes Pferd erklärt. Dagegen erwächst der Biologie die Aufgabe einer systematischen Untersuchung der verschiedenen Thiere auf die Existenz von associati- vem Gedächtniss, und die Gesammtheit der Resultate einer solchen Unter- suchung wird das Material zu einer künftigen vergleichenden Psycho- logie liefern. 4) Unsere Bewusstseinsvorgänge bestehen aus bewusstem Empfin- den und bewusstem "Wollen. A.ls bewusstes Wollen bezeichnen wir die- jenigen Innervationsvorgänge, bei denen wir eine Vorstellung des Com- plexes der Endempfindungen haben, bevor die Bewegungen abgelaufen sind. Das bewusste Wollen ist also auch eine Function des associativen Gedächtnisses. Diese Auffassung stösst nur dann auf Schwierigkeiten, wenn wir an der veralteten Vorstellung festhalten, dass „wir" wollen, anstatt uns klar zu sein, dass „es" in uns will (1). Wenn irgend welche Erregungsvorgänge sich bis in die Muskeln ausbreiten können, so wird die Muskelthätigkeit unseren Körper in eine andere Orientirung zur Aussenwelt bringen und einen neuen Empfindungscomplex hervorrufen. Vermöge des associativen Gedächtnisses wird in Zukunft dieser letztere Empfindungscomplex immer wieder auftauchen, wenn derselbe motorische Erregungsvorgang auftaucht. Dabei aber werden wir das Opfer einer merkwürdigen Unvollkommenheit unserer Selbstbeobachtung. Es finden beim bewussten Willensvorgang drei Processe in unserem Innern statt, von denen eine die Ursache und zwei die Wirkung sind. Die Ursache ist irgend ein Innervationsvorgang, der entweder unmittelbar durch einen äusseren Reiz bestimmt sein kann oder mittelbar, insofern als der äussere Reiz eine Reihe innerer Veränderungen nach einander her- vorruft. In einer solchen Kette von Vorgängen ist dann der Inner- vationsvorgang, von dem wir ausgehen, ein einzelnes Glied. Dieser Innervationsvorgang breitet sich in die Muskeln aus und veranlasst eine Bewegung, die Willenshandlung. Das ist die eine Wirkung. Er veran- lasst aber auch das Wiederauftauchen der Empfindungen, die den Erfolg der Willkürhandlung das erste Mal begleiteten, und das ist die zweite Wirkung. Nun trifit es sich, dass die letztere Wirkung rascher eintritt und abläuft als die motorische Wirkung; es trifft sich aber ferner, dass der ursprüngliche Innervationsvorgang, der die beiden Effecte, die Ge- 10* 148 Kriterien für die Constatirung von Bevvusstsein bei niederen Tbieren. dächtriisswirkung und die Muskelwirkung veranlasst, meist ganz über- sehen wird. So kommen wir zu der falschen Annahme, dass die Ge- dächtnisswirkung die Ursache der motorischen Wirkung sei. ^) Die Ge- dächtnisswirkung des Innervationsvorganges enthält ferner naturgemäss jenen Complex von Empfindungselementen, die, wie wir oben sahen, das „Ich" ausmachen und so sind die Psychologen, die sich bloss auf Selbstbeobachtung stützen, zu der völlig verfehlten Idee gekommen, dass das „Ich" will oder dass „wir" die treibende Kraft der Willensvorgänge sind. Wir werden also auch nur bei solchen Thieren von Willen reden dürfen, bei denen die Existenz von associativem Gedächtniss nachge- wiesen ist. Wir müssen hier aber auch hinzufügen, welchen Sinn es hat, von Yerantwortlichkeit und Willensfreiheit zu sprechen. Wenn wir keinen metaphysischen Willen anerkennen, so erkennen wir auch keine meta- physische Willensfreiheit an. Aber daraus folgt noch nicht, dass erlaubt ist, was gefällt. Die Thatsache, dass das gebrannte Kind das Feuer scheut, enthält in nuce das ganze Problem der Willensfreiheit. Erfahrung und Erziehung füllen das Gedächtniss des modernen Menschen mit einer ge- nügenden Menge von Associationen, die hemmend in die motorischen Vorgänge eingreifen können (wo diese Yorgänge dem Codex der so- genannten Ethik zuwiderlaufen). Fehlen bei einem Menschen trotzdem diese Hemmungen, so weist das entweder auf einen organischen Fehler oder auf einen Fehler der Erziehung hin, wofür freilich in den meisten Fällen die Eltern oder richtiger die Gesellschaft verantwortlich ist. ^) Das Strafverfahren ist vielleicht insofern physiologisch gerechtfertigt, als es hemmende Associationen herbeiführt resp. die hemmenden Asso- ciationen schwächerer Mitglieder der Gesellschaft zu kräftigen im Stande ist. Allein es ist zu berücksichtigen, dass die wirksamen Hemmungen in der Jugend anerzogen werden müssen und dass in dem Alter, wo ^) leb stehe hiermit im Wesentlichen auf dem Standpunkt, den Münsterberg in diesen fragen einnimmt. ^) Niemand hat die Absurdität der Hegel'schen Metaphj'sik, die ihrer Zeit selbst von ernsten Köpfen ernst genommen wurde, erbarmungsloser aufgedeckt als Schopen- hauer, und es ist geradezu tragisch, dass derselbe Autor sich ebenfalls Hals über Kopf in die Metaphysik gestürzt hat, nämlich mit seinem „Willen" in der Natur. Er sah im Tischrücken de.i Ausdruck jenes „Willens" und erwartete, dass der Schwindel des Tischrückens seiner Philosophie zur dauernden Anerkennung helfen werde. In einem Anflug guter Laune schrieb er darüber in einem Briefe: „Der Wille, der die Welt Gemacht hat und erhält. Er kann sie auch regieren. Die Tische geh'n auf Vieren." Kriterien für die Constatirung von Bewusstsein bei niederen Thieren. 149 das Strafgesetzbuch in Wirksamkeit tritt, die Erziehung meist zu spät kommt. Grausamkeit des Strafgesetzbuches und die Tendenz, Strafen nach der strengen Seite zu übertreiben, ist das sichere Zeichen einer niedrigen Civilisation und mehr noch eines unvollkommenen Zustandes des Erziehungs Wesens in Familie und Schule. — Der völlig metaphy- sische Character der Frage nach der „Freiheit des Willens" bedarf keiner weiteren Erläuterung, sobald man sich einmal darüber klar ist, dass nicht „wir' wollen, sondern dass „es" in uns will. Das Spiel der Hemmungen der motorischen Associationen hat im Zusammenhang mit den principiell verfehlten Annahmen über die Natur des Willens zu dem metaphysischen Problem der Freiheit des Willens geführt. Was die Empfindungen betrifft, so sind sie eben nur so lange in uns vorhanden, als unsere associative Gedächtnissthätigkeit oder Bewusst- sein functionirt. In der Chloroformnarcose, in tiefer Ohnmacht, im tiefen Schlaf ist unsere Gedächtnissfähigkeit aufgehoben und wir empfinden auch nichts. Man sagt, dass im Anfang einer Ohnmacht noch Empfin- dungen vorhanden sind. Aber das ist nur dann der Fall, wenn am An- fang der Ohnmacht noch nicht alle associative Gedächtnissthätigkeit er- loschen ist. Im Traume ist ja ebenfalls eine lückenhafte und geschwächte Gedächtnissthätigkeit vorhanden und entsprechend treten Empfindungen auf. Ich glaube, wir dürfen es als eine sichere Thatsache ansehen, dass nur da und insoweit Empfindungen vorhanden sind, als associatives Ge- dächtniss vorhanden ist. 5) Unserer Auffassung erwächst eine scheinbare Schwierigkeit darin, dass Reize, welche bei uns Schmerzempfindungen hervorrufen, auch bei niederen gedächtnissloseu Thieren Reactionen auslösen, welche sehr leicht für den Ausdruck von Schmerzempfindungen angesehen werden können Was liegt näher als zu schliessen, dass solche Thiere wirklich Schmerz- empfindungen besitzen? Der verletzte Wurm krümmt und windet sich und es ist schwer, sich dem Eindruck zu entziehen, dass diese Beweg- ungen dem heftigsten Schmerz entspringen. Und doch hat W. W. Nor- man nachgewiesen, dass diese Schlussfolgerung gänzlich unberechtigt ist (.5). Er beobachtete nämlich, dass wenn mau einen Regenwurm der Quere nach durchschneidet, nur das hintere Stück diese Windungen und krümmenden Bewegungen macht, während das vordere Stück fort- kriecht, als ob nichts passirt sei. Es wäre natürlich absurd anzuneh- men, dass nur das hintere Stück der Schmerzempfindung fähig sei, wäh- rend das vordere hirnbegabte Stück keine Schmerzempfindung besitze. Die ganze Schlussfolgerung, dass dieses Winden und Sichkrümmen ein Ausdruck der Schmerzempfindung sei, wird noch hinfälliger durch fol- gende Beobachtungen, Fährt man nämlich mit den Durchschneidungs- 1.50 Kriterien für die Constatirung von Bewusstsein bei niederen Tliieren. versuchen fort und theilt man die hintere Hälfte des Wurms durch einen Schnitt in der Mitte, so kriecht das vordere Theilstück der hinte- ren Hälfte des Wurms ruhig fort, als ob nichts passirt sei, während das hintere Theilstück v^^ieder die windenden Bewegungen zeigt. Ebenso fällt eine weitere Durchschneidung der vorderen Hälfte des Thieres aus. Das vordere Theilstück kriecht weiter, während das hintere Theilstück anscheinend heftige Schmerzbewegungen zeigt. Wie man also auch den Wurm durchschneidet, stets zeigt das nach vorn von der frischen Schnitt- stelle gelegene Stück geordnete Kriechbewegungen, während das nach hinten gelegene Stück windende und krümmende Bewegungen macht. Es handelt sich also darum, dass der Schnittreiz andere Wirkungen aus- löst, wenn er sich nach vorn durch das Thier ausbreitet, als wenn er sich nach rückwärts ausbreitet. Breitet er sich nach vorn aus, so ver- ursacht er geordnete Progressivbewegungen. Breitet er sich nach hinten aus, so kommen ungeordnete windende Bewegungen zu Stande. Es ist also völlig unberechtigt, aus solchen Bewegungen zu schliessen, dass das Thier Schmerzempfindungen besitze. Diese Beobachtung Norman's ist deshalb werthvoll, weil sie zeigt, dass da, wo kein Gedächtniss vorhanden ist, auch der Schluss auf Schmerz- empfindungen bedenklich ist. Sie unterstützt also unsere Schlussfolge- rungen über die Verbreitung des Bewusstseins in der Thierreihe in will- kommener Weise. Aber es sind noch andere Thatsachen vorhanden, die dasselbe beweisen. Ich hatte schon früher gefunden, dass Planarien, wenn man sie quer durchschneidet, kein Zeichen von Schmerz geben. Das Vorderstück kriecht vorwärts, als ob nichts geschehen sei (2). Im äussersten Falle schwimmt oder kriecht es etwas rascher. Bethe hat beobachtet, dass man einer Biene, während sie Honig saugt, das Abdo- men abschneiden kann, ohne dass das sie in ihrer Beschäftigung stört (6). Ich habe 1888 Aehnliches an kleinen Krebsen Gammarus, während der Copulation beobachtet. Man kann dem auf dem Eücken des Weib- chens sitzenden Männchen das Abdomen abschneiden, ohne dass es das Weibchen loslässt. Ja, wenn mich mein Gedächtniss nicht täuscht, so waren diese des Abdomens beraubten Männchen, wenn man sie vom Weibchen losriss, bereit, ein neues zu umklammern, sobald sie eines solchen habhaft werden konnten. Natürlich lebten diese verwundeten Thiere nicht lange. Wir sehen jedenfalls, dass kein zwingender Grund vorhanden ist, bei Thieren, die kein associatives Gedächtniss besitzen, auf die Existenz von Empfindungen zu schliessen. Es ist aber bisher eine Seite der Empfindungen unberücksichtigt geblieben, nämlich die rein subjective Seite derselben. Wir können ana- lysiren, welche Umstände eine bestimmte Empfindung hervorrufen, aber Kriterien für die Constaliruiig von Bewusstsein bei niederen Tlneren. wir können einstweilen nicht angeben, wie es komme, dass wir gerade gewisse Kategorien von Empfindungen besitzen. Die beste Auseinander- setzung über die objective und subjective Seite der Empfindungen fin- det sich in Mach's Analyse der Empfindungen (1). Ein befreundeter Psychologe hat mir den Einwand erhoben, dass in meiner Auffassung der Bewusstseinsvorgänge als Function der associativen Gedächtniss- thätigkeit die „psychologische" Deutung der Gedächtnissthätigkeit ver- misst werde. Ich habe darauf zu erwidern, dass ich den Gedächtniss- Yorgang für einen rein physikalischen Vorgang halte und dass ebenso- wenig eine psychologische Deutung desselben nöthig ist, wie eine psy- chologische Deutung des Phonographen nöthig ist. Litteratur zu XV. 1) Macli, E. Beiträge zur Analyse der Empfindungen. Jena 188G. 2) Loeb, J. Beiträge zur Gebirnphysiologie der Würmer. Pflüger's Arcbiv,Bd- 56. (Diese Abhandlung enthält, so viel mir bekannt ist, die erste Darlegung, dass die associative Gedächtnissthätigkeit das Kriterium für die Existenz von Bewusstsein in der Tbierreihe bilden muss. Denselben Gedanken habe ich dann später in zwei Schriften, Zur Psychologie und Physiologie der Aktinien, Pflüger's Archiv, Bd. 59, 1896, und „Zur Theorie der physiologischen Licht- und Schwerkraftwirkungen", Pflüger's Ar- chiv, Bd. 66, 1897, ausführlicher begründet. Ich erwähne das, weil meine Arbeiten von Bethe, der später (1898) einen ähnlichen Standpunkt eingenommen hat, übersehen wor- den sind, 3) Loeb, J. Weitere Bemerkungen über den Heliotropismus der Thiere und seine Uebereinstimmung mit dem Heliotropismus der Pflanzen. Pflüger's Archiv, Bd. 47. Siehe auch Vorlesung: Zur Theorie der thierischen Listincte. 4) Bethe, A. Dürfen wir den Ameisen und den Bienen psychische Qualitäten zuschreiben? Pflüger's Archiv, Bd. 70. 1898. 5) Norman, W.W. Dürfen wir aus den Eeactionen niederer Thiere auf Schmerz- empfindungen derselben schliessen? Pflüger's Archiv, Bd. 67. 1897. 6) Bethe. Functionen des Centralnervensystems der Arthropoden. Pflüger's Archiv, Bd. 68. 1897. 7) Münsterberg. Die Willenshandluug. Freiburg 1888. XVI. Gehirn und Bewnsstsein. 1) Die Anschauung, dass Bewusstsein nur eine Function einer be- stimmten maschinellen Vorrichtung ist, nämlich des associativen Ge- dächtnisses, findet eine Stütze in den Erfahrungen an höheren Thieren. Wir finden hier, dass das associative Gedächtniss mit der Entfernung des Grosshirns schwindet und dass nach einer solchen Operation nichts mehr vorhanden ist, was wir als Bewusstseinserscheinung zu deuten im Stande wären. Entfernt man bei einer Rana esculenta oder temporaria das Gross- hirn, so ist der Presch dasselbe Thier, das er auch vorher gewesen ist. Das -ist durch die Arbeiten von Schrader über jeden Zweifel erhoben (1). Ein solcher des Grosshirns beraubter Frosch fängt noch Fliegen, er gräbt sich, wenn die kalte Jahreszeit kommt, in den Schlamm ein, er wechselt mit seinem Aufenthalt auf dem Lande und im 'Wasser ganz wie ein normaler Frosch. Aber alle die erwähnten Vorgänge sind keine Function des associativen Gedächtnisses, sie beruhen auf ererbten Reactionsfähig- keiten. Der Frosch hat kein associatives Gedächtniss, oder wenn eine Spur davon vorhanden sein sollte, so tritt es jedenfalls so weit zurück, dass der gänzliche Ausfall desselben keinen Unterschied im Verhalten des Frosches zurücklässt. So erklärt es sich, warum der Verlust des Grosshirns, der die Persönlichkeit eines höheren Thieres so gewaltig ändert, einen Frosch intact lässt. Was wir beim Frosch finden, finden wir auch beim Haifisch. Auch hier ist in den Gewohnheiten und Re- actionen des normalen Thieres wenig oder nichts von einem associati- ven Gedächtniss wahrzunehmen. Was an Reactionen existirt, ist im Wesentlichen ererbt. Entsprechend finden wir, dass Entfernung des Grosshirns das Thier ziemlich unverändert lässt. Trotz dem Ausfall des Grosshirns bleiben alle segmentalen Reflexe erhalten und die meisten Reactionen dieser Thiere setzen sich nur aus segmentalen Reflexen zu- sammen. Das Grosshirn ist gewissermaassen nur ein Anhang an das segmentale Neryiensystem. — Aber auch da, wo kein Gedächtniss vor- Gehirn und BeAvusstsein. 153 handen ist, kann das Grosshirn doch modificirend in das Spiel der seg- mentalen Reflexe eingreifen. Bei Nattern sind beispielsweise auch nach Verlust des Grosshirns noch alle segmentalen Reflexe erhalten. Aber doch zeigten solche Thiere, wie Schrader gefunden hat, keine Furcht mehr, es gelang nicht mehr, sie zu erschrecken, obwohl die Opticus- refloxe alle noch thätig waren (2). "Wir müssen daraus schliessen, dass Erregungen, welche von dem Opticussegment aus sich im Centralnerven- system verbreiten, andere Wirkungen haben können, solange das Gross- hirn existirt, als wenn es entfernt ist. Auch beim Frosch zeigt sich bereits etwas derartiges. Goltz hat gefunden, dass der Frosch ohne Grosshirn besser ist zur Demonstration von Reflexen, als der Frosch mit Grosshirn. Reibt man einem Frosch die Rückenhaut, so quakt er manchmal, manchmal aber auch nicht. Goltz zeigte, dass beim ent- grosshirnten Frosch dieser Quakreflex nie versagt (3). Beim normalen Frosch löst die Berührung der Rückenhaut aber noch einen anderen Reflex aus, nämlich die Tendenz, davon zu springen. Das Thier, welches noch Grosshirn besitzt, ist ein Reflexthier, wie das entgrosshirnte Thicr, d. li. alle seine Reactionen sind lediglich segmentale Reflexe. Aber beim Thier mit Grosshirn kann derselbe Reiz mehr als einen einzigen Reflex auslösen und das ist ein Umstand, der zu der grösseren Complicirtlieit und ünberechenbarkeit des Thieres mit Grosshirn beiträgt. Andrerseits kann aber auch das Grosshirn beschränkend in das Spiel der segmen- talen Reflexe eingreifen. Der Umarmungsreflex des Froschmännchens bei der Begattung ist ein segmentaler Reflex der Armsegmente während der Brunstzeit. Es scheint, dass SexualstofFe diesen Reflex bestimmen, da er bei Thieren, die vor der Brunstzeit castrirt werden, nicht nach- weisbar ist. Froschmännchen ohne Grosshirn sind nun viel gleich- gültiger in der Auswahl des Gegenstandes, den sie während der Brunst- zeit umklammern, als Thiere mit Grosshirn. 2) Anders wie bei Fröschen und Haifischen liegen die Dinge bei Vögeln. Eine genaue und in mancher Hinsicht classische Untersuchung der Wirkung, welche die Entfernung des Grosshirns bei Vögeln hat, ver- danken wir Schrader (4). Die Arbeit dieses Forschers über das Vogel- gehirn gehört neben Goltz' Abhandlung über den Hund ohne Grosshirn und Goltz' und Ewald's Schrift über den Hund mit verkürztem Rücken- mark zu den besten Abhandlungen auf dem Gebiete der Physiologie des Centralnervensystems. Es war ein Dogma der Physiologie gewesen (und ist es in vielen Lehrbüchern dieser Wissenschaft noch heute), dass Thiere ohne Grosshirn keine spontanen Bewegungen mehr ausführen. Namentlich Flourens ist für diese Angabe verantwortlich. Nachdem Schrader diesen Mythus in Bezug auf den Frosch zerstört hatte, gelang 154 Gehirn und Bewnsstsein. es ihm auch, die Unrichtigkeit dieser Angabe für Vögel nachzuweisen. „Keins unserer Beobachtungsthiere (Tauben) zeigte länger als die ersten 3 — 4 Tage (nach der Entfernung des Grosshirns) jenen schlafähnlichen Zustand, wie ihn Kolando und Flourens beschrieben haben, in dem an- scheinend auf bestimmte Reize der Hautsensibilität Bew^egungen aus- geführt werden, sonst aber das Thier in absoluter Euhe verharrt. In dieser Zeit entsprechen die Thiere allerdings vollkommen den bekannten Schilderungen. Sie stehen mit gesträubtem Gefieder und angezogenem Kopf, geschlossenen Augen, oft auf einem Bein, wo man sie hinstellt. Ab und zu schütteln sie sich, putzen das Gefieder mit dem Schnabel, recken sich wie schlaftrunken, nur bei der Kothentleerung werden einige Schritte gemacht. Lässt man die Thiere in ßuhe, so bekommt man nichts weiter zu sehen. Wirft man sie in die Luft, so fliegen sie schräg abwärts, stossen gegen die Wände und sonstige Hindernisse und kommen mehr fallend auf dem Boden an, um alsbald wieder in ihren Stupor zu versinken. Keizt man jetzt ihre Haut, so machen sie einige Schritte, rennen dabei auch wohl gegen ein Hinderniss an." Solche Thiere hatte Flourens offenbar vor sich, als er die Behauptung aufstellte, dass Vögel ohne Grosshirn alle Spontaneität verlieren und blind, taub u. s. f. werden. Aber der Unterschied zwischen den Beobachtungen von Flourens und denen Schrader's war der, dass im Falle von Flourens' Thieren dieses Verhalten dauernd war, während es bei Schrader's Tauben nur wenige Tage dauerte, bis der Effect des Shockes der Operation ver- schwunden war. Das könnte daran liegen, dass Schrader nicht das ganze Grosshirn entfernt hatte. Aber davon war keine Rede. Die Versuche Schrader's sind Meisterwerke in Bezug auf Vollkommenheit des Ope- rationsverfahrens und sorgfältige ControUe der Operation durch die Ob- duction. Der Widerspruch in den Angaben der verschiedenen Autoren rührt, wde so häufig auf dem Gebiet der Gehirnphysiologie, daher, dass die Nebenwirkungen der Operation in einem Falle und bei einem For- scher gross, bei dem andern klein waren, oder dass der eine Autor mehr die schwersten Störungen als die „gelungenen" Fälle für seine Publication auswählte, der andere dagegen die leichtesten Störungen. Das letztere ist aber in der Gehirnphysiologie das allein Zulässige, weil ja neben den Störungen, die der Ausfall eines Gehirntheils verursacht, auch noch die Shockwirkungen auf den Rest des Centralnervensystems im Symptomen- bild auftreten. Sind die Versuche von Schrader meistergültig in Bezug auf Technik, so gilt das Gleiche von den Versuchen von Flourens keines- wegs, worauf ja schon der treffliche Forscher Magendie, wiewohl ver- gebens, hingewiesen hatte. Gehirn und Eewusstsein. 155 Sind die ersten Tage nach der Operation vorüber, so sieht man die entgrosshirnte Taube den grössten Theil des Tages un- ermüdlich im Zimmer umherwandern. Die Spontaneität kehrt nicht nur zurück, sie ist sogar eher gesteigert. Das Thier ist nicht blind, sondern seine Bewegungen werden durch Gesichtseindrücke bestimmt. Es geht (wie der Frosch ohne Grosshirn) Hindernissen aus dem Wege. „Bestäubte Glasplatten, ganz durchsichtige Glasglocken wurden ebenso sicher vermieden, wie die Tisch- und Stuhlbeine oder die verschieden gefärbten Brettchen, mit welchen man ihnen den Weg ver- baute." Es zeigt sich also, dass die Fähigkeit des Räumlichsehens noch fortbesteht, wenn auch das Grosshirn (und damit, wie wir gleich sehen werden, das associative Gedächtniss) spurlos verschwunden ist. Wenn man nämlich eine solche Taube ohne Grosshirn in eine unbequeme Stel- lung bringt, so lässt sie sich nicht etwa an der ersten besten andern Stelle nieder, sondern sie hält Umschau nach allen Seiten und fliegt dann plötzlich und mit richtigem Ausmaass der Bewegung auf den Gegen- stand zu, auf dem sie Platz nimmt. Wie weit das geht, illustrirt die folgende Schilderung Schrader's. „Wir setzen unsere Taube auf die mit Zeugstoff überzogene Platte des Stöpsels einer grossen Glasflasche. Die Unterlage ist gross genug, dass das Thier mit beiden Füssen vollkommen unterstützt steht. Die Flasche ist so aufgestellt, dass die Taube sich 1 — 2 Meter über dem Fusshoden befindet. Sie steht in der Mitte eines geräumigen, vollkommen leeren Zimmers. Einige Minuten sitzt die Taube da mit angezogenem Kopf, gesträubtem Gefieder, im Zustande des Schlafes oder der Hemmung, dann schüttelt sie sich und beginnt sich herum zu drehen, nach allen Seiten Ausschau zu halten, hierauf duckt sie sich und blickt angestrengt nach unten auf den Fussboden, als wollte siedle Tiefe ausmessen. Sie macht Anstalten herabzufliegen, unterbricht sie aber wieder, wendet sich auf's Neue hin und her und richtet wieder ihre Aufmerksamkeit auf den Fussboden. Dieses Spiel geht so verschieden lange fort, endlich aber fliegt sie in seichtem Bogen herab und lässt sich geschickt auf den Fussboden nieder. Stellen wir jetzt 1 — 2 Meter von der Flasche ein gleich hohes Reck auf und setzen die Taube wieder auf ihren erhöhten Sitz zurück, so sehen wir bald, wie dieselbe viel schneller entschlossen dem Reck zufliegt und auf demselben festen Fuss fasst. Stellen wir nun wieder 1 Meter entfernt einen Stuhl auf, mit der Lehne der Taube zugewandt, so dauert es nicht lange und unser Versuchsthier sitzt auf der Stuhllehne." Diese Versuche beweisen, dass das Ausmaass der Bewegungen auch bei solchen Tauben noch durch Gesichtseindrücke bestimmt wird, die alle Gedächtnisseindrücke verloren haben und ausser Stande sind, neue Gedächtnisseindrücke zu erwerben. 156 Gehiro und Bewusstsein. Die Beobachtung von Schrader ist auch von Bedeutung für die Entscheidung der Frage, ob Raumempfindungen eine reine Gedächtniss- angelegenheit sind, wie U.A. Helmholtz annimmt, oder ob sie durch an- geborene Strukturverhältnisse bestimmt sind, wie beispielsweise Hering behauptet. Für die weitere Erforschung der Bewusstseinserscheinungen ist die Frage von grosser Bedeutung, und so mögen wir hier dieselbe beiläufig erwähnen. Man schliesst, dass die Raumempfindungen erworben sind, weil der Neugeborene noch nicht sofort die Zeichen der Orien- tirung im Raum giebt, die wir beim Erwachsenen finden. Man über- sieht aber dabei, dass der Neugeborene nnfertig auf die Welt kommt, d. h. dass viele Strukturverhältnisse, über welche er später verfügt, erst in dem ersten Lebensjahr oder später sich entwickeln. Die Empiristen hatten denselben Trugschluss in Bezug auf das Gehen gemacht. Sie sagten, das Kind müsse das Gehen „erlernen". Dass das Hühnchen im Stande ist zu gehen, wenn es aus dem Ei schlüpft, hätte ausreichen können, den Irrthum der Empiristen zu verhindern, wenn die Physio- logen die Bedeutung der vergleichenden Physiologie früher gewürdigt hätten. Der Unterschied zwischen dem Hühnchen und dem mensch- lichen Säugling besteht eben darin, dass die strukturelle Entwickelung bei jenem weiter vollendet ist im Augenblick des Ausschlüpfens, als bei diesem, wenn er geboren wird. Das Kind erlernt nicht das Gehen, son- dern es geht „von selbst", sobald die Nerven, Muskeln etc. den für diese Leistung nöthigen Entwickehmgsgrad erreicht haben. Genau so ist es auch mit dem Räumlichsehen. Das eben ausgeschlüpfte Hühnchen sieht räumlich, d. h. es pickt nach Punkten, die sich durch Lichtintensität und Farbe von der Umgebung auszeichnen. Es braucht diese Reaction so wenig zu erlernen, wie ein Pflanzenstengel seine heliotropische Re- action zu erlernen braucht. Aber ebensowenig braucht auch der Säug- ling die Raumreactionen zu erlernen. Sie sind ,,von selbst" da, sobald die embryonale Entwickelung des Säuglings weit genug fortgeschritten ist. Diese Auffassung, wozu die vergleichende Physiologie zwingt, wird weiterhin auf das Wirksamste unterstützt durch die Beobachtung Schra- der's (u. früherer Autoren z. B. Longet's), dass das Räumlichsehen bei Vögeln erhalten bleibt, auch wenn das Grosshirn exstirpirt ist. Die Möglichkeit, dass das nur für Vögel aber nicht für Säugethiere gelte, wird durch die entgegenstehende Angabe von Christiani am Kaninchen widerlegt. Dass aber die Raumreactionen durch das Gedächtniss modi- ficirt werden können, dass wir z. B. „lernen" können, uns vor dem Spiegel zu rasiren oder „lernen" können, trotz prismatischer Gläser rich- tig zu greifen, Aviderspricht dieser Auffassung nicht mehr Avie die an- gelernten Leistungen des Tänzers der Thatsache widersprechen, dass das Gehirn und Bewu=!,stsein, 157 Gehen und die geordneten Wischbewegungen des dccapitirten Frosches keine Gedächtnisssache sind. Die Thatsache, dass auf der Drehscheibe und durch den constanten Strom geordnete Progressivbewegungen in der Kichtung der Ebene der Drehung resp, der Stromciirven ausgelöst werden, spricht weiter für diese nativistische Auffassung und unser Hin- weis auf die Beziehung zwischen der Orientirung der nervösen Elemente und der Richtung der durch sie bestimmten Bewegungen giebt einen Ausgangspunkt, von dem aus sich wohl weitere Einsichten gewinnen lassen werden. Wir wollen nach dieser Abschweifung zu den Versuchen Schrader's zurückkehren. Die entgrosshirnte Taube, die sich den Tag über munter im Zimmer umher treibt, schläft in der Nacht. Wir wissen, dass der Schlaf mit Bewusstsein und Gedächtniss nichts zu thun hat, er kommt ja auch bei Pflanzen vor. Es ist selbstverständlich, dass auch das ent- grosshirnte Thier den Unterschied zwischen Schlafen und Wachen zeigt. Zur Zeit der Brunst umwirbt der Täuber das Weibchen mit Gurren. Schrader beobachtete zwei entgrosshirnte Täuber, .,welche mit ganz den Allüren des Werbens lebhaft gurrend fast den ganzen Tag sich im Zim- mer umhertrieben." Aber zwischen dem normalen Täuberich und dem entgrosshirnten bestand ein grosser Unterschied, der das Fehlen des associativen Gedächtnisses schlagend demonstrirt: Setzt man ein Weib- chen zu dem entgrosshirnten Täuberich, so bleibt es unbeachtet. Und dieses Fehlen allen Gedächtnisses ist der wesentliche Umstand, der das entgrosshirnte Thier vom normalen unterscheidet. „Für dies entgross- hirnte Thier ist jedes Ding nur eine raumerfüllende Masse, es geht einer anderen Taube ebenso aus dem Wege, wie einem Stein, oder versucht über beide hinwegzusteigen. Uebereinstimmend geben alle Autoren an, dass sie niemals bei ihren Thieren einen Unterschied gefunden, ob ein lebloser Körper oder eine Katze, ein Hund, ein Raubvogel dem Thiere im Wege stand, es hat keine Feinde und keine Freunde, in grösster Gesellschaft lebt es als Einsiedler. Das schmachtende Gurren des Männ- chens ruft ebensowenig einen Eindruck hervor wie das Klappen der Erbsen oder der Lockpfiff, auf den es in gesunden Tagen zum Futter- platz eilte. Ich habe ebensowenig wie die früheren Beobachter gesehen, dass eine entgrosshirnte Taube auf das Locken des Täubers reagirt hätte. Wie das Männchen kein Interesse mehr zeigt für das Weibchen, so dieses für seine Jungen. Die eben flügge gewordenen Jungen verfolgen die Mutter, unaufhörlich nach Futter schreiend, sie könnten ebenso gut einen Stein um Nahrung bitten. Die entgrosshirnte Taube ist im höch- sten Maasse zahm, sie fürchtet den Menschen ebensowenig wie die Katze und den Raubvogel". 158 Gehirn uud Bewusstseiu. Fassen wir alle ßeactioneu der entgrosshirnten Taube zusammen, so kommen wir, wie mir scheint, zu dem Resultat, dass der Yerlust des Grosshirus den Ausfall der associativ^en Gedächtnissthätigkeit bedingt. Was in den Reactionen einer Taube angeboren ist, bleibt nach Verlust des Grosshirns erhalten. "Was durch Gedächtnissthätigkeit im indivi- duellen Leben erworben ist, geht nach Verlust des Grosshirns unwieder- bringlich verloren. Um diesen Verlust des Gedächtnisses nach Exstirpation des Gross- hirns zu characterisiren, wollen wir noch folgende schöne Beobachtung Schrader's an einem entgrosshirnten Falken mittheilen (2). Der Falke ist bekanntlich ein guter Jäger. Schrader brachte einen entgrosshirnten Falken zusammen mit Mäusen. Jedesmal, wenn eine Maus sich bewegte und ihre Bewegung im Gesichtskreise des Falken stattfand, stürzte der letztere auf sie und erfasste sie mit seinen Klauen. Während nun der normale Falke in solchen Fällen mit der Maus aufräumt, war für den entgrosshirnten Falken die Angelegenheit mit dem Ergreifen der Maus zu Ende. Die associative Gedächtnissthätigkeit fehlte und so war die Maus vergessen, sobald sie keine Bewegung mehr machte. Sobald der Falke sich bewegte, wurde die Maus frei, und sobald sie sich wieder bewegte, stürzte der Falke wieder auf sie, um aber dann ihre Existenz gleich darauf wieder zu vergessen. Er würde natürlich in der gleichen Weise sich auf irgend einen leblosen, sich bewegenden Gegenstand ge- stürzt haben. Die merkwürdige Gesellschaft blieb beisammen, bis eines Tages die Mäuse den Falken im Rücken bei lebendigem Leibe auf- frassen. Das gedächtnisslose Thier war völlig wehrlos. Bei entgrosshirnten Thieren besteht nun eine Störung, die nicht mit den Gedächtnissstörungen auf eine Stufe zu setzen ist, nämlich die Unfähigkeit, Nahrung selbstständig aufzunehmen. Bei Fröschen, und nach Steiner's Beobachtungen auch bei Fischen (5) besteht die Fähigkeit selbstständig Nahrung aufzunehmen auch nach der Entfernung des Gross- hirns noch weiter. Vögel ohne Grosshirn verhungern, wenn man sie nicht füttert. Schrader kam zum Schluss, dass es sich hier um eine Störung der motorischen Innervation handele, welche die Thiere am Aufnehmen der Nahrung hindert. Sie sind nämlich auch nicht im Stande, eine vorn in den Schnabel gesteckte Erbse zu verschlucken, die Erbse muss weiter nach hinten in den Schnabel gesteckt werden. Ich glaube, man darf noch einen Schritt weiter gehen als Schrader und schliessen, dass hier die Spannung gewisser Muskelgruppen, welche für die selbst- ständige Aufnahme von Nahrung ins Spiel kommen, verringert ist. Wir werden eine derartige Abnahme der Spannung gewisser Muskeln nach Grosshirnverletzung noch kennen lernen. Dabei aber handelt es sich Gehirn und Bewusstsein. 159 um secundäre Wirkungen der Operation auf die noch erhaltenen seg- mentalen Gebiete des'Centralnervensystems, also nicht um eigentliche Grosshirnfunctionen. Es ist dabei auch sehr wahrscheinlich, dass man bei Fortsetzung der Schrader'schen Versuche Vögel finden wird, bei denen die Fressstörungen fehlen. Zu dieser Annahme veranlasst uns die Er- fahrung an Fröschen, für die man auch angenommen hatte, dass Ausfall des Grosshirns die Unfähigkeit der Nahrungsaufnahme nach sich zöge, bis Schrader bessere Resultate erzielte. 3) Das kühne "Wagniss, einem erwachsenen Hunde das gesammte Grosshirn zu entfernen und ihn dann Monate und Jahre am Leben zu erhalten, hat Goltz unternommen und mit Erfolg ausgeführt (6). Die Ergebnisse seiner Versuche laufen in Kürze darauf hinaus, dass bei einem solchen Hunde alle diejenigen Reactionen dauernd fehlen, bei welchen das associative Gedächtniss eine Rolle spielt, während die ein- fachen Reactionen, die sich nur auf ererbte Umstände stützen, erhalten sind; ganz wie bei Tauben und den übrigen Thieren. Der entgrosshirnte Hund schläft und wacht. Beim Wachen reckt er sich wie ein gesunder Hund. Er bewegt sich spontan, d. h. ohne nachweisbaren äusseren Reiz; die Spontaneität der Progressivbewegung findet sich ja auch, um es zu wiederholen, bei den Schwärmsporen von Algen. Die einzige Abnormität der Progressivbewegungen des gehirn- losen Hundes war, dass er nur z u unruhig war. Er ging, wenn er nicht schlief, rastlos im Käfig umher und das war vielleicht der Grund einer auffallenden Tendenz zur Abmagerung bei diesen Thieren. Die eigenthüralichen Stellungen, welche ein Hund beim Uriniren und Koth- lassen einnimmt, wurden auch noch von diesen gehirnlosen Hunden ein- genommen. Die Reactionen auf Sinnesreize waren zum Theil normal, soweit kein associatives Gedächtniss dabei nöthig war. Fleisch und Milch wurden gierig verschlungen, aber wenn diese Nahrungsstoffe durch Chi- nin und Coloquinthen bitter gemacht waren, wurden sie ausgespieen. Kniff man einem solchen Hunde die Pfote, so knurrte er und biss nach der Hand. Stellte man seinen Fuss in kaltes Wasser, so entfernte er ihn alsbald. Als er sich eine Pfote verletzt hatte, war er noch im Stande, auf drei Beinen. zu gehen. War er im Schlaf, so konnte er durch das Blasen eines Horns im benachbarten Zimmer aufgeweckt werden. War er im Dunkeln, so schloss er seine Augen, wenn man plötzlich ein grelles Licht in dieselben fallen liess. Er schien aufgeweckter und un- ruhiger, wenn er hungrig war und ruhiger, nachdem er gefüttert wurde. In Bezug auf das Fressen brachte der grosshirnlose Hund es w^eiter als die Schrader'schen Tauben. Während den letzteren das Futter tief in den Schlund gesteckt werden musste, bevor sie es schluckten, brauchte 100 Gehirn uud ßewusstsein. man dem grosshirnlosen Hunde die Fleischschüssel nur an die Nase zu halten. Sobald die Schnauze mit dem Fleisch in Berührung kam, fing der Hund an zu fressen. Allerdings bestanden hiei'bei motorische Stö- rungen. Diese letzteren, wie der Umstand, dass solche Hunde Hinder- nissen nicht aus dem Wege gingen, und sich in dieser Hinsicht wie blinde Hunde verhielten, darf man wohl als Nebenwirkungen auf die subcorticalen Opticussegmente ansehen, welche durch die Operation ausgeübt wurden. Der Hund war noch im Stande zu bellen und zu heulen. Aber alles, Avas associatives Gedächtniss erheischt, war bei diesen Hunden ausgefallen. Der Hund war nicht im Staude, seine Nahrung zu suchen. Er erkannte seinen Herrn nicht mehr und ebensowenig seine Spielgenossen. Er hörte, aber Scheltworte machten keinen Eindruck auf ihn, ebensowenig wie Schmeichelworte. Es war ihm unmöglich, sich aus irgend einer unbequemen Lage zu ziehen. Brunst wurde bei diesen Thieren nicht mehr beobachtet. Sie ent- sprechen im Wesentlichen den gehirnlosen Tauben Schrader's, nur mit dem Unterschiede, dass die Nebenwirkungen der Operation auf die erhaltenen Theile des Centralnervensystems bei Hunden stärker sind als bei Tauben. Das mag rein technische oder anatomische Gründe haben, es könnte aber auch auf einer grösseren Empfindlichkeit des Central- nervensystems bei Hunden beruhen. Man muss an die letztere Möglich- keit denken, im Hinblick auf die Thatsache, dass Herderkrankungen im menschlichen Grosshirn häufig von Lähmungen der Extremitäten be- gleitet sind, während das bei Hunden nie der Fall ist. Dieser Unter- schied zwischen Hund und Mensch zeugt von einem Unterschied der Empfindlichkeit der nervösen Organe und diesem Unterschiede dürften möglicher Weise chemische Unterschiede zu Grunde liegen. Der Verlust der associativen Gedächtnissthätigkeit ist also die we- sentliche Störung, die nach Verlust des Grosshirns eintritt. Beide That- sachen, dass bei Thieren, welche normalerweise kein Gedächtniss besitzen, Verlust des Grosshirns keine Störung herbeiführt, während bei Thieren mit Gedächtniss das letztere nach Verlust des Grosshirns verschwindet, beweisen, dass das Grosshirn für die Gedächtnissthätigkeit nöthig ist. 5) Pflüger hat vor vielen Jahren die Anschauung vertreten, dass auch das des Gehirns beraubte Thier Bewusstsein besitze ( 7 ). Er schloss das aus den Reactionen decapitirter Thiere. Wenn man den Schwanz eines decapitirten Aales an einer Seite sanft reibt, so schmiegt sich der Schwanz an den Finger, berührt man ihn dagegen mit einem brennenden Streichholz, so wendet er sich ab. Aus diesen und ähn- lichen, zweifellos richtigen Beobachtungen schloss Pflüger, dass das Rückenmark Bewusstsein besitze. Die Behauptungen Pflüger's erregten Gehirn und Bewusstsein. 161 eine lebhafte Discussion. Die Gegner konnten seine Schlüsse nicht di- rect widerlegen, aber sie brachten Argumente vor, welche zeigen sollten, dass dem Rückenmark Bewusstsein fehlt. Vor Allem sind hier die geist- reichen Versuche von Goltz zu erwähnen. Dieselben laufen darauf hin- aus, dass der decapitirte Frosch nicht im Stande ist, sich aus der Ver- legenheit zu ziehen. Setzt man einen geblendeten, aber sonst normalen und einen enthirnten Frosch zusammen in einen Trog mit Wasser und beginnt man das Wasser langsam zu erhitzen, so wird, wenn die Tem- peratur des Wassers steigt, der geblendete Frosch unruhig, springt umher und versucht trotz seiner Blindheit aus dem Gefäss zu ent- kommen. Der enthirnte Frosch bleibt dagegen ruhig sitzen und die Wärmestarre überrascht ihn in der Stellung, w^elche er ursprünglich ein- genommen hatte. Das spricht natürlich gegen die Anwesenheit von Be- wusstsein im Rückenmark. Aber da damit die Unrichtigkeit der Schlüsse von Pflüger nicht direct bewiesen war, so blieben die Meinungen ge- theilt. Ich glaube, wir sind jetzt in der Lage nachzuweisen, dass die Beobachtungen von Pflüger eine ganz andere Erklärung nicht nur zu- lassen, sondern bedingen und dass es unrichtig ist, sie zum Kriterium von Bewusstsein zu machen. Es handelt sich nämlich beim Versuch mit dem Aalschwanz um Tropismen. Der Aal ist positiv stereotropisch. Genau so wie Nereis und viele Insecten, wie die Stolonen von Hydroid- polypen und die Wurzeln vieler Pflanzen ist der Aal gezwungen, seinen Körper möglichst allseitig mit festen Körpern in Berührung zu bringen. Er hält sich meist in Spalten auf. Das ist so wenig ein Bewusstseins- vorgang wie das Einbohren der AVurzel in den Sand. Es findet sich in jedem Segment des Aales und wenn man ihn auf einer Seite mit dem Finger berührt, so treten positiv stereotropische Krümmungen nach dem Finger ein. Der Reiz der Reibung erhöht die Spannung der Mus- keln auf der gereizten Seite. Nehmen wir aber einen brennenden Kör- per, so erhalten wir eine Erschlaffung derjenigen Muskeln, die den Kör- per nach der gereizten Seite bewegen. Die Temperaturerhöhung bringt vielleicht so starke oder abnorme Stoffumsätze in der gereizten Haut- partie hervor, dass eine Abnahme des Tonus der Hautelemente und der damit verbundenen Protoplasmagebilde (der Nerven und Muskeln) ent- steht Der Körper wird nach der entgegengesetzten Seite bewegt. Auch hier ist das Bewusstsein nicht mehr betheiligt, als wenn wir ein positiv heliotropisches Thier durch Temperaturerhöhung negativ heliotropisch machen. Ich habe dieses Beispiel deshalb ausgewählt, weil es auch zu- gleich zeigt, wie das Thatsachenmaterial der vergleichenden Physiologie und namentlich die Tropismen Schwierigkeiten in der Physiologie der höheren Thiere zu beseitigen im Stande sind. — Es weisen so alle That- Loeb, Vergleichende Gohirnphysiologie. 11 XG2 Gehirn und Bewusstsein. Sachen der Psychologie und Physiologie darauf hin. dass das Bewusst- sein eine Function des associativen Gedcächtnisses ist. Das associative Gedächtniss setzt bestimmte maschinelle Vorrichtungen voraus, die einst- weilen noch unbekannt sind und deren Ermittelung das Hauptproblem der modernen Gehirnphysiologie ist. Es ist aber zweifellos, dass diese Vorrichtungen bei Wirbelthieren wahrscheinlich entweder ausschliesslich oder wesentlich im "Grosshirn sich finden, oder dass das Grosshirn ein nothwendiger Bestandtheil für das Zustandekommen der Bewusstseins- vorgänge ist. 5) Es ist nun vielfach die Idee verbreitet, dass Bewusstsein sich in der ganzen Thierreihe und in allen Stadien der embryonalen Ent- wickelung vorfindet, nur in verschiedenen Graden der Ausbildung, je nach dem ontogenetischen und phylogenetischen Entwickelungsgrad der betreffenden Form. Diese Auffassung muss natürlich auch den Pflanzen einen niedrigen Bewusstseinsgrad zugestehen. Da die Tropismen bei Thieren die gleichen sind wie bei Pflanzen, so muss Jeder, der annimmt, dass eine heliotropische Reaction bei einem Thiere von einem Bewusst- seinsvorgaug begleitet ist, auch dasselbe für die Pflanzen gelten lassen. Dann freilich ist aber auch kein Grund mehr vorhanden, der photo- graphischen Platte, die durch Licht afficirt -wird, Bewusstsein abzu- sprechen, denn photochemische Wirkungen bilden ja auch wohl die Grundlage aller heliotropischen Vorgänge. Damit aber gelangen wir zu der Annahme, dass Bewusstsein eine Begleiterscheinung aller Ver- änderungen in der Natur ist. Derartige Anschauungen werden in der That von einigen Naturforschern vertreten. Die Anhänger dieser Vor- steUung können es sich nicht gut denken, dass Bewusstsein nur bei be- stimmten Species von Thieren vorhanden sein soll, bei anderen nicht. Der Darwinismus hat den Gedanken allmählicher üebergänge so sehr zum Dogma gemacht, dass man nicht mehr den Muth hat, an sprung- weise Aenderungen zu glauben, obwohl Mathematik, Chemie und Physik uns auf Schritt und Tritt mit der letzteren Thatsache vertraut machen. Es mischt sich auch wohl etwas Sentimentalität in diese Annahme der Allbeseeltheit ein. Man denkt sich, dass wie die Zerreissung des Zu- sammenhangs unseres Körpers uns Schmerz verursacht, so müsse auch das Molekül bei seiner Zerreissung Schmerz empfinden. Die vorhin an- geführten Erfahrungen an niederen Thieren zeigen aber, dass wir mit unseren Schlüssen in Bezug auf Schmerzempfindung sehr leicht in die Irre gehen. Mir scheint, dass die Annahme von Schmerzempfindungen bei In- fusorien und Pflanzen getrost ins Reich der Mythologie verwiesen werden darf, von den Schmerzempfindungen der Moleküle gar nicht erst zu reden. Gehirn und Bewusstsein. 163 Man braucht aber die Annahme allmählicher Entwickelung gar nicht in Abrede zu stellen, um doch zu der Einsicht zu kommen, dass mit einem bestimmten Grade der Entwickelung plötzlich ein qualitativ ver- schiedenes Gebilde auftritt. Allmähliche Aenderung führt von der Ellipse zum Kreis, nichtsdestoweniger ist der Kreis ein Gebilde, das bestimmt von der Ellipse verschieden ist. Stetige Druckerhöhung führt bei hin- reichend niedriger Temperatur schliesslich zur Verflüssigung eines Gases, aber die Flüssigkeit hat Eigenschaften, die in dem Gase nicht einmal rudimentär enthalten sind. Wo chemische Reactionen stattfinden, ent- stehen neue Combinationen von Eigenschaften, die in den einzelnen Be- standtheilen vorher nicht vorhanden waren. Nicht anders hat man sich die Thatsache vorzustellen, dass trotz der Stetigkeit der embryonalen Entwickelung das associative Gedächtniss und damit das Bewusstsein nur von einem bestimmten Entwickelungsstadium an vorhanden sind; die stetige Entwickelung muss erst bis zu einem bestimmten Grade vor- ^ schreiten, ehe die physikalischen und chemischen Bedingungen gegeben sind, die für das associative Gedächtniss nöthig sind. Was für die ontogenetische Entwickelung gilt, 'gilt auch für die phylogenetische Ent- wickelung und so brauchen wir uns nicht zu wundern, dass weder alle Thiere noch alle Thiere mit Grosshirn mit associativem Gedächtniss aus- gestattet sind. Der Denkfehler, den wir hier rügen, kann vermieden werden, wenn wir den Zusammenhang mit der Physik und Chemie zu wahren suchen. Die Biologie kann keinen sicheren Fortschritt machen, ohne das Thatsachengebiet der Physik und Chemie als Grundlage zu be- nutzen. Wenn wir an dem Gedanken einer Continuität in der Ent- wickelung der Lebewesen festhalten, wie die Darwinisten, Aveun wir aber zugleich die Errungenschaften der Physik und Chemie im Auge be- halten, so ist keine Veranlassung für uns vorhanden, in die Mythologie der Allbeseeltheit der Organismen oder gar aller Materie zu gerathen. Selbstverständlich geben wir zu, dass bei den Thieren, bei denen associatives Gedächtniss vorhanden ist, Unterschiede in der Ausbildung desselben bestehen. Diese Unterschiede sind der Hauptsache nach Un- terschiede der Capacität und Resonanzfähigkeit. Unter Verschiedenheit der Capacität verstehe ich den Umstand, dass die' Zahl der Gedächtniss- elemente, welche das Gehirn, oder besonders das Grosshirn zu fassen und zu reproduciren im Stande ist, bei verschiedenen Formen ver- schieden ist. Unter Unterschieden der Resonanzfähigkeit verstehe ich sow^'ohl den Umstand, dass beim Entstehen eines grossen Empfindungs- complexes die Gedächtnissbilder, welche Bestandtheilen jenes Complexes entsprechen, leicht auftauchen, als auch den Umstand, dass beim Ent- stehen einer sehr elementaren Empfindung grössere Gedächtnissbilder 11* 164 Gehirn und Bewusstsein, leicht auftauchen, welche jene elementare Empfindung als Bestandtheile enthalten. "Was wir als Intelligenz bezeichnen, ist bestimmt durch die Zahl der möglichen Gedächtnissbilder (die Capacität) und durch die Re- sonanzfähigkeit. Der letztere umstand ist vielleicht der wesentlichere, solange die Capacität nicht unter den Durchschnitt sinkt. Der gescheite Kopf unterscheidet sich vom dummen Menschen u. a. durch die Leich- tigkeit der Analyse resp. Synthese der auftauchenden Empfindungscom- plexe mittelst des associativen Gedächtnisses; d.h. beim langsamen oder dummen Menschen werden nur solche Gedächtnissbilder associativ her- vorgerufen, die mit dem erregenden Complex eine sehr weit gehende Uebereinstimmung zeigen; während beim raschen Denker auch solche Gedächtnisscomplexe associativ hervorgerufen werden, die mit dem er- regenden Complexe nur in einzelnen Elementen übereinstimmen. 6) Es ist nach dem Gesagten klar, dass die absolute Masse des Ge- hirns nicht der wesentlichste Umstand für die Bestimmung der Intelligenz sein kann. Wir finden auch in der That, dass beispielsweise bei ver- schiedenen Hunderassen die Gehirnmasse ebenso variirt wie das Körper- gewicht. Hunde kleiner Rasse aber können intelligenter sein als Hunde grosser Rasse. Es folgt auch gleichzeitig hieraus, dass Geistesthätigkeit in einem ganz anderen Abhängigkeitsverhältniss vom Stoffwechsel des Centralnervensystems steht, wie etwa die Muskelarbeit vom Stoffwechsel des Muskels. Die Leistungsfähigkeit der Muskeln ist proportional ihrer Masse und ähnlich dürfte es sich bei Drüsen " verhalten. Die Gehirn- wägungen bei Menschen haben vollauf bestätigt, dass die Gehirnmasse sobald sie nicht unter ein gewisses Maass sinkt, keine Beziehung zum Grade der Intelligenz erkennen lässt. Speck, der auf diesen Unterschied zwischen Muskeln und Gehirn zuerst hingewiesen hat (8), hat auch eine andere wichtige Entdeckung gemacht, nämlich dass bei Sauerstoffmangel die associative Gedächtniss- thätigkeit zuerst schwindet und dass entsprechend Bewusstsein aufhört. Er athmete sauerstoffarme Luft aus einem Behälter und war genöthigt bei seinen Yersuchen zu zählen. Sobald der Partialdruck des Sauerstoffs der Einathmungsluft unter 8 **/o einer Atmosphäre fiel, vergass er das Zählen und verlor er alsbald das Bewusstsein, obwohl die übrigen Functionen seines Körpers keine Aenderung zeigten. Speck schliesst daraus, dass das Grosshirn am empfindlichsten gegen Sauerstoffmangel ist. Es ist nicht absolut nöthig, daraus zu schliessen, dass das Gross- hirn relativ den grössten Stoffwechsel unter allen Organen hat. Es wäre auch möglich, dass im Grosshiru oder in anderen Organen besonders ungeeignete Stoffwechselproducte entstehen, die durch den Sauerstoff, wenn er in genügender Menge vorhanden ist, unschädlich gemacht Gehirn und Bewiisstseiu. J (J5 Averclen, die aber, wenn der Sauerstoff fehlt, im Kürper circuliren und im Grosshirn giftige Wirkungen ausüben. Dabei braucht das, was wir als „giftige" Wirkung bezeichnen, nicht gerade eine chemische, sondern kann auch eine physikalische besonders molekularphysikalische Wir- kung sein. Man findet bei Psychiatern gelegentlich die Meinung verbreitet, dass, wenn das Gehirn recht viel Blut erhält, der Körper ein besonderes Glücks- gefühl empfinde. Ich entsinne mich eines populären Vortrages eines hervorragenden Psychiaters, in dem derselbe behauptet, dass wenn das Grosshirn sehr viel Blut erhalte, der Besitzer dieses Gehirnes das volle Glück (?) eines Champagnerrausches geniesse. Der betreffende Psychiater stellt sich offenbar vor, dass, je lebhafter die Blutversorgung, um so besser die Ernährung des Gehirns und mit steigender Ernährung des Gehirns, so wird angenommen, soll auch das Glücksgefühl zunehmen. Unter den Nahrungsmitteln, welche dem Gehirn bei der Erweiterung der Arterien in grösserem Maasse geboten werden, nimmt der Sauerstoff die erste Stelle ein. Früher nahm man au, dass die Menge des Sauer- stoffs den Stoffwechsel bestimme, wir wissen aber jetzt mit voller Be- stimmtheit, dass innere Vorgänge in den Geweben den Sauerstoff ver- brauch bestimmen, vermuthlich Fermentationsvorgänge. Ist genug Sauer- stoff im Gehirn vorhanden, um alle reducirenden Substanzen zu oxydiren, so ist der überschüssige Sauerstoff bedeutungslos. Dasselbe gilt für alle anderen Nahrungsbestandtheile. Unter normalen Bedingungen ist ohne- dies die Sauerstoffversorgung bei der durchschnittlichen Blutsversorgung des Gehirns ausreichend. Es gehört zu den elementarsten Thatsachen der Physiologie, dass Hebung der Saüerstoffzufuhr über das nothwendige Maass den Stoffwechsel nicht vermehrt. Es stimmt mit dem Gesagten überein, dass geistige Thätigkeit, wie Speck durch höchst sorgfältige Versuche festgestellt hat, die Oxydationsvorgänge nicht beeintlusst, soAvie dass sich überhaupt bis jetzt kein bestimmter Einfluss der geistigen Thätigkeit auf den Stoffwechsel hat nachweisen lassen. Daraus aber darf man nicht etwa schliessen, dass die Gehirnthätigkeit überhaupt ohne stoffliche Aenderungen verläuft, sondern nur, dass die stofflichen Aen- derungen, welche durch geistige Thätigkeit bedingt werden, zu geling sind, um im Gesammtstoff Wechsel erkennbar zu sein. Die Behauptung, dass Erweiterung der Gehirngefässe ein Glücksgefühl hervorrufe, beruht auf keiner wissenschaftlich begründeten Thatsache. Da wir die 01m- machten bei Sauerstoffmangel erwähnt haben, so soll hier nur kurz er- wähnt werden, dass die Anhänger der Theorie der Allbeseeltheit oder eines „Subbewusstseins" im Ei die ohnmachtsähnlichen Anfälle zur Stütze ihrer Anschauung verwenden. Sie berufen sich darauf, dass im Beginn 166 Gehirn und Beuusstsein. einer Ohnmacht noch dunkele Bewusstseiusvorgänge wie im Traum ab- laufen. Wo das der Eall ist, im Traum oder in der Ohnmacht, ist eben die Thätigkeit des Grosshirns noch nicht vollständig unterbrochen, son- dern nur erschwert oder gehemmt. Ein grosser Theil der Gedächtniss- bilder kann nicht auftauchen, der Umfang des Bewusstseins ist ver- ringert. Die maschinelle Vorrichtung für die associative Gedächtniss- thätigkeit geht ja im Schlafe und in der Ohnmacht nicht etwa zu Grunde, sie ist nur in ihrer Thätigkeit theilweise oder vollständig gehemmt. Dieser Zustand ist aber keineswegs vergleichbar dem Zustande des Em- bryo, in dem die maschinelle Vorrichtung für das associative Gedächt- niss überhaupt noch nicht existirt. Diese Auffassung würde sich gut mit der Ansicht Duval's (9) vertragen, dass im Schlaf wie bei der Anwendung von Chloroform die Protoplasmafortsätze der Ganglienzellen sich zusammenziehen und dass daher vielfach eine Unterbrechung der Continuität und Leitung der Er- regung im Centralnervensystem stattfindet. Das Erhaltenbleiben einzel- ner Associationen im Schlaf und im Traum würde darauf beruhen, dass nicht alle Fortsätze gleichmässig contrahirt sind. Das Zusammenhangs- lose und Unlogische der Träume würde so seine Erklärung finden. Ich halte es aber für möglich, dass die Erklärung dieser Erscheinungen auf einer chemischen und physikalischen Gruiidlage und nicht auf einer liistologischen Basis erfolgen wird. Wir finden nämlich auch die Er- scheinungen des Schlafes bei Pflanzen in Form der sogenannten nycti- tropen Bewegungen und hier ist eine Erklärung des Vorgangs im Sinne von Duval wohl unmöglich. Wir Avollen noch einmal einen Umstand besonders betonen: Alle Versuche weisen darauf hin, das das Grosshirn bei Wirbelthieren nn- nmgänglich nöthig ist für die Vorgänge des associativen Gedächtnisses und des Bewusstseins. Aber ich fürchte, dass wir über das Erlaubte hinausgehen, wenn wir sagen, das Grosshirn sei „das Organ'' des Be- wusstseins. Organ des Bewusstseins könnte sehr wohl das ganze Ge- hirn oder Centralnervensystem sein, so lange es mit dem Grosshirn ver- bunden ist, und das Grosshirn könnte nur ein absolut nothwendiger Theil des Ganzen für die eine Thätigkeit der Gedächtnissassociation sein. Nichtbeachtung dieses Umstandes könnte möglicher Weise für die weitere Entwickelung der Gehirnphysiologie gefährlich werden. Gehirn und Bewusstsein. 167 Litte ratiir zu XVI. 1) Schrader, Max E. G. Zur Physiologie des Froschhirns. Pflüger's Archiv, Bd. 41. 1887. 2) Schrader. Die Stellung des Grosshirns im Eefiexmechanismus. Archiv für experiment. Pathologie und Pharmakologie. Bd. 29. 1892. 3) Goltz, F. Beiträge zur Lehre von den Nervencentren des Frosches. Berlin 1868. 4) Schrader, Max E. G. Zur Physiologie des Vogelgehirns. Pfliiger's Archiv, Bd. 44. 1889. 5) Steiner, J. Die Functionen des Centralnervensystems und ihre Phylogenese. 11. Abth. : Die Fische. Braunschweig 1885. 6) Goltz, F. Der Hund ohne Grosshirn. Ptiüger's Archiv, Bd. 51. 1892. 7) Pflüger, E. Die seusorischen Functionen des Eückenmarks. Berlin 1853. 8) Speck. Physiologie des menschlichen Athmens. Leipzig 1892. 9) Duval, M. Theorie histolugique du sommeii. C. K. Soc. de Biol. 1895. XVII. Centrentlieorie (Functionsioc alisation) und Segmentaltheorie im GrossMrn. 1) Wir haben uns bemüht darzulegen, dass die vergleichende Phy- siologie uns zu der Anschauung zwingt, dass das Central uervensystem nicht aus einer Reihe von Centren für die verschiedenen Functionen be- steht, sondern aus einer Reihe segmentaler Ganglien, Diese Ganglien sind indifferent und nur die verschiedenen Reizbarkeiten der peripheren Segmentalorgane und die Anordnung der Muskeln bedingen die Ver- schiedenheiten der Reflexe in den verschiedenen Segmenten. Nur die Wachsthumsverschiedenheiten und -Verschiebungen modificiren die Mo- notonie dieses Schemas. Wir haben nunmehr auseinanderzusetzen, wie sich die sogenannte Functionslocalisation im Grosshirn zur Segmentaltheorie verhält. Das Grosshirn wie das Kleinhirn ist ein Anhängsel an das segmentale Central- nervensystem. Jedes der segmentalen Ganglien ist aber durch besondere Nervenfasern mit dem Grosshirn verbunden. Was man heute als Cen- tren der Grosshirnrinde bezeichnet, sind wohl nur die Einmündungs- bezirke der Fasern, welche das Grosshirn mit den verschiedenen seg- mentalen Ganglien verbinden. Das sogenannte Vorderbeincentrum in der Grosshirnrinde D Fig. 39 ist beispielsweise die Stelle, wo die Fasern von den Ganglien der Brachial segmente in das Grosshirn ein- münden, und wenn Reizung dieses Vorderbeincentrums Zuckungen des Vorderbeins hervorruft, so handelt es sich nur um eine indirecte Er- regung der segmentalen Brachialganglien. Es ist aber nicht einmal nöthig, dass die Verbindung zwischen den segmentalen Rückenmarks- ganglien und dem Grosshirn eine ununterbrochene ist. Es mögen auch Ganglien zwischen beiden Endstationen eingeschoben sein. Wir wollen nun kurz eine historische Uebersicht über den Ursprung der jetzigen Centrentheorie des Grosshirns geben und dann zur Begrün- dung der segmentalen Theorie übergehen. Ceiitrentheorie und Scgmeutallheorie im Grosshirn. 169 Die moderne Fiinctionslocaliscition im Grosshirn ist liistorisch die directe Fortsetzung der Gall'schen Plirenologie. Gall, der bekanntlich allen möglichen und unmöglichen „Seelenvermögen" einen besonderen Sitz im Grosshirn anwies, unterschied u. a. einen Wortsinn (Wortge- dächtniss) und Sprachsinn (philologisches Talent) (1). Er verlegte diese „Vermögen" in die Stirulappen hinter und über der Orbita. In den „Phrenological Transactions" Vol. III veröffentlichte Thomas Hood den ersten durch Autopsie illustrirten, genauer be- schriebenen Fall von Aphasie aus dem Jahre 1822. Es .fand sich eine Er- krankung des linken Stirnlappens. Der Nächste, der sich eingehend mit der Localisation des „Sprachorgans" im Ge- hirn beschäftigte, war ei-n Schüler Gall's, Bouillaud. Nach ihm waren die Stirn- lappen „principe legislateur de la parole". Er kämpfte für diese Idee vor der Pa- riser Akademie und in dieser Körper- schaft fand er heftigen Widerspruch. Den Zusammenhang mit Gall beweist schon der Titel seiner Hauptarbeit: Re- cherches cliniques propres ä demontrer que la perte de la parole correspond ä la lesion des lobules anterieurs du cerveau, et ä confirmer l'opinion de Mr. Gall sur le siege de l'or- Fig. 39. Grobshirnrinde des Hundes. A' A A Sehsphäre, G Hinterbein- region, D Vorderbeinregion, H Nacken- region. Nach I\Junk. gane du language articule. Arch.de Med. 1825. Dax wies 1836 darauf hin, dass er seit 1800 in allen Fällen von Hemiplegie mit Beeinträchtigung der Sprache die Lähmung stets rechts und die Hirnsläsion links gefunden. Sein Sohn brachte 1863 dieselbe These vor die Pariser Akademie, erregte aber den Widerspruch des Berichterstatters, der alle Versuche, die Sprache zu localisiren, schlecht- hin für Phrenologie erklärte, die er als pseudoscience bezeichnete. Bouillaud trat dabei für Dax ein. Man sieht, dass die erste Localisation des Sprachcentrums eine rein phrenologische Angelegenheit im Sinne Gall's war und von Freund und Feind auch in diesem Sinne aufge- fasst wurde. Unter den Gegnern Bouilland's in diesen Controversen hatte sich Broca befunden. Es erregte deshalb kein geringes Aufsehen, als dieser Autor 1861 mit einer Arbeit auftrat, in der er die Gall-Bouillaud'sche 170 Centreutheorie und Segmentaltbeorie im Grossliirn. Hypothese acloptirte und noch ferner präcisirte „es sei die Unversehrt- heit der 3. linken Stirnwindung, und vielleicht der 2. unerlässlich für die Ausbildung des articulirten Sprachvermögens.'" Es kamen dann die Beobachtungen hinzu, welche im Sinne von Dax zeigten, dass die linke 3. Stirnwindung von grösserer Bedeutung sei, als die rechte. Broca stellte nunmehr eine Hypothese zur Erklärung dieses Vorranges der linken Hemisphäre auf, die an die Rechtshändigkeit der meisten Menschen an- knüpfte und erklärte daraus die Fälle, wo bei angeborenem Mangel der linken 3. Stirn windung doch die Sprache erlernt wurde. Ein solcher von Moreau beobachteter Fall wurde von ihm selbst mitgetheilt. Eine von frühester Kindheit an epileptische 47iährige Person hatte sprechen, lesen und mit dei linken Hand nähen gelernt, obwohl ihr die ganze 1. linke ürwindung, welche die Fossa Silvii umgiebt, fehlte. Diese Person war genöthigt, die i'echte Grosshirn-Hemisphäre auf das Nähen und Sprechen einzuüben, weil die linke in Folge des Defects der 1. ürwin- dung dazu nicht befähigt war. — Die Fähigkeit sprechen zu lernen ist somit nach Broca an die Unversehrtheit mindestens einer 3. Stirnwin- duug gebunden. Die meisten Menschen üben nur die linke 3. Stirn- windung darauf ein." (Kussmaul.) Wir können hier schon zeigen, inwiefern Broca zu weit in seinen Schlüssen ging. Er behauptet, dass diejenige Stelle des Gehirns, deren Zerstörung motorische Aphasie hervorbringt, auch das Organ der Sprach- innervation sei; während die Segmentaltheorie auf eine andere Möglich- keit hinweist, dass nämlich an der betreffenden Stelle die Nervenfasern, welche das Grosshirn mit den segmentalen Ganglien der Mund- und Kehlkopfnerven in der Medulla oblongata verbinden, in die Rinde ein- münden. Damit Innervationen vom Grosshirn aus diese segmentalen Ganglien und die Sprachmuskeln erreichen, muss die Verbindung des Grosshirns mit diesen letzteren Organen offen stehen. Es kommt noch ein weiterer Umstand hinzu, welcher oft übersehen worden ist, nämlich die Shockwirkungen, die durch eine Verletzung oder eine Operation im Grosshirn, in dem übrigen Centralnervensystem ent- stehen, soweit es mit der verletzten Stelle durch Fasern verbunden ist. Auf Shockwirkungen dürfte es beruhen, das ein Kind, das durch ein- seitige Erkrankung der betreffenden Grosshirnpartieen von motorischer Aphasie befallen wird, nicht mehr sprechen lernt, trotzdem es doch noch die andere Hemisphäre besitzt und nunmehr doch im Stande sein sollte das andere Sprachcentrum der Phrenologen einzuüben. Nachdem Broca seine Unterwerfung unter die Phrenologie ange- kündigt hatte, ging man in hellen Haufen in's Lager der Centrentheorie über. Und dabei beging man, wie immer in derartigen Fällen, eine Centrentheone uml Segnientaltheorie im Grossliirn. 171 bittere Ungerechtigkeit. Anstatt Call, der der Vater der Localisation des Sprachcentrums war, die Ehre zu geben, gab man sie Broca, der in die- sem Falle doch nur ein Nachgänger von Gall und Bouillaud war. Man hatte Gall und Bouillaud so lange bekämpft, dass man nun, nachdem man ihre Fehlschlüsse adoptirte, nicht mehr den Muth iuitte, das einzugestehen, und diese Ungerechtigkeit haben die Functionslocalisatoren bis auf den heutigen Tag fortgesetzt. Aber jede wissenschaftliche Ungerechtigkeit ist auch gleichzeitig eine sachliche Schädigung der Forschung und hemmt die letztere. Wenn man sich allgemein klar darüber wäre, dass die iieutige Functionslocalisation nichts ist, als eine directe Fortsetzung der Gall'schen Phrenologie, so würden Physiologen und Psychologen viel eher bereit sein, die Centrentheorie des Grosshirns mit der nöthigen kritischen Zurückhaltung zu behandeln. 2) Es stellte sich in der Folge mehr und mehr heraus, dass auch bei den apoplectischen Lähmungen der Arme und Beine bestimmte Stellen des Grosshirns mit Vorliebe der Sitz der Erkrankung waren. Namentlich die blutigen Kriege zwischen 1860 und 1870 lieferten ein umfangreiches Material, das die topographische Diagnostik der Herd- erkrankungen im Grosshirn zu einer sicheren Disciplin erhob. Das Ge- fühl der Sicherheit und Berechtigung der Localisation der Herderkrank- ungen wurde aber ganz besonders erhöht, als es Hitzig und Fritsch ge- laug, den Nachweis zu führen, dass es bestimmte Stelleu im Grosshirn giebt, deren Beizung mit einem relativen Stromminimum die Bewegung bestimmter Muskelgruppeu hervorruft (2). Sie nannten diese Stellen „Centren" für die betreffende Muskelgruppe. Derartige Centren für die Bewegung der Vorder- und Hinterbeine, der Nacken muskeln, fanden sich hauptsächlich in der vorderen Hälfte des Grosshirns, während die hin- tere sich anscheinend unerregbar _ erwies. Dieses Resultat von Hitzig und Fritsch erregte noch höheres Aufsehen dadurch, dass die damalige Schulphysiologie behauptet hatte, dass das Grosshirn auf electrische und sonstige Misshandlung nie Bewegungen auslöse. Diese Marotte der damaligen Schulphysiologie war natürlich durch die Versuche von Hitzig und Fritsch widerlegt, und dieser Umstand trug mit dazu bei, den Ein- tluss ihrer Arbeit zu vermehren. Fritsch und Hitzig machten ihre Eeiz- versuchc durch folgende Probe auf die Richtigkeit derselben vollständig: Sie exstirpirten bei zwei Hunden diejenige Stelle der Rinde, deren Rei- zung Bewegung der vorderen Extremität ergeben hatte, also das Vorder- beincentrum (D Fig. 39): Man rausste in dem Falle Störungen der Extremität beobachten. Das war in der That der Fall. Das linke Vorder- beincentrum war exstirpirt worden und die rechte Vorderpfote zeigte folgende Störungen: „Beim Laufen setzten dieThiere die rechte Vorder- "L72 Centrentheorie und Segmentaltheorie im Grossbirn. pfote unzweckmässig auf, bald mehr nach innen, bald mehr nach aussen als die andere, und rutschten mit dieser Pfote (nie mit der anderen) leicht nach aussen davon, so dass sie zur Erde fielen. Keine Bewegung fiel ganz aus, indessen wurde das rechte Bein etwas schwächer ange- zogen. Beim Stehen ganz ähnliche Erscheinungen. Ausserdem kommt es vor, dass die Vorderpfote mit dem Dorsum statt mit der Sohle auf- gesetzt wird, ohne dass der Hund etwas davon merkt. Man konnte dem Hunde, wenn er ruhig dastand, leicht die Pfote in abnorme Stellungen bringen. Aus diesen Beobachtungen ziehen die Autoren folgenden Schluss: Die Thiere „hatten offenbar nur ein mangelhaftes Bewusst- sein von den Zuständen dieses Gliedes, die Fähigkeit, sich vollkom- mene Vorstellungen über dasselbe zu bilden, war ihnen abhanden gekommen." Aus der Gesammtsumme aller ihrer Versuche ziehen aber diese Autoren folgenden Schluss : „Es geht ferner aus der Summe aller unserer Versuche hervor, dass keineswegs, wie Flourens und die Meisten nach ihm meinten, die Seele eine Art Gesammtfunction der Ge- sammtheit des Grosshirns ist, deren Ausdruck man wohl im Ganzen, aber nicht in seinen einzelnen Theilen durch mechanische Mittel aufzuheben vermag, sondern dass vielmehr sicher einzelne seelische Functionen, wahrscheinlich alle, zu ihrem Eintritt in die Materie oder zur Entsteh- ung aus derselben auf circumskripte Centra der Grosshirnrinde ange- wiesen sind." Die Vorstellung, dass „seelische Functionen in die Materie eintreten" oder „aus ihr entstehen", ist übrigens so ungeheuerlich, dass sie sich der wissenschaftlichen Discussion entzieht. 3) Gegen die Deutung, welche Hitzig seinen Versuchen gegeben hatte, dass ein Centrum der Sitz der Theilseele für das betreffende Or- gan sei, führte alsbald Goltz die gewichtigsten Thatsachen an (8). Er zeigte, dass in den ersten Tagen oder Wochen nach der Durchschneidung des Rückenmarks in dem unterhalb des Schnittes gelegenen Theile des Thieres keine der segmentalen Reflexe mehr ablaufen. Soll man nun daraus schliessen, dass die segmentalen Reflexe höher oben im Rücken- mark localisirt seien? Aber er fand ferner, dass die Reflexe sich einige Wochen nach der Operation wieder einstellen. Soll man zu der meta- physischen Annahme greifen, dass sich im hinteren Rückenmarksstück nach der Operation neue „Centren" gebildet haben? Ich glaube, es liegt näher mit Goltz zu schliessen, dass die segmentalen Reflexe im hinteren Rückenmarksstück nur vorübergehend durch die jedem Chirurgen ge- läufige Shockwirkung der Operation gehemmt waren. Die gleichen Be- denken gelten aber auch für die Schlüsse von Hitzig, denn die Stö- rungen nach Verletzung eines Vorderbeincentrums sind eben- falls nur vorübergehend. Wir citiren, um das Gesagte klarer zu Centreiitbeorio und Segrnentaltheorie im Grosshirn. 173 machen, einige Stelleu ans der Arbeit von Goltz und Ewald „Ueber den Hund mit verkürztem Rückenmark.-' Sie beschreiben das Verhalten des hinteren Theiles eines Hundes unmittelbar nach .Durchschneidung des Rückenmarkes. ,.Druck auf die Hinterfüsse löst keine Reaction aus. Bei dem männlichen Thier kann keine Erection reflectorisch angeregt werden. Der Harn sammelt sich in der erschlafften Blase an. Der After klafft, kurz der ganze Hinterkörper scheint regungslos gelähmt. Schon wenige Tage darauf kann sich das gewissermaassen scheintodt gewesene Rückenmark fast vollständig erholt haben. Das Hinterthier bietet dann eine ganze Fülle von Reflexerscheinungen dar.'' (S. 397.) „Niemand wird annehmen, dass das vom Hirn abgetrennte Rückenmarkstück in kürzester Zeit völlig neue ihm bis dahin fremde Fähigkeiten als reflec- torisches Centralorgan erwirbt, sondern wir müssen schliessen, dass diese Fähigkeiten nur vorübergehend durch die Verletzung des Rückenmarks unterdrückt oder gehemmt wurden." Ebenso verhält es sich mit den Vasomotoren. Durchschneid ung des Rüchenmarks setzt den Tonus der Blutgefässe der hinteren Extremitäten herab. Nach einiger Zeit erholen sich die Blutgefässe und werden wieder normal. Ausrottung des in Folge der ersten Durchschneid ung vom Gehirn getrennten Rückenmark- stückes ruft von Neuem vorübergehend Lähmung der Vasomotoren her- vor, (während Zerstörung des oberhalb der ersten Durchschneidungsstelle gelegenen Rückenmarks keinen Einfluss auf die Vasomotoren hat). Durchschneidet man nun bei demselben Thiere wieder den Hüftnerven, und zwar an immer mehr peripher gelegenen Stellen, so tritt jedesmal wieder vorübergehende Lähmung der Vasomotoren ein. Das beweist, dass die bei der ersten Rückenmarksdurchschneidung in den Hinter- beinen aufgetretenen vasomotorischen Lähmungen eine Fernwirkung des Schnittes auf die Gefässmuskeln selber waren. Diese Annahme einer Fernwirkung einer Operation ist übrigens besser gestützt als irgend ein anderer Schluss der Nervenphysiologie. Wir erinnern an den Versuch von Cyon über die Folge der Durchschneidung der hinteren Wurzeln der Rückenmarksnerven auf die Spannung der Muskeln, welche von der entsprechenden vorderen Wurzel ihre motorischen Fasern erhalten (4) Die Spannung dieser Muskeln nimmt nach der Durchschneidung der entsprechenden hinteren Wurzel des Rückenmarks ab. Es liegen zwei Möglichkeiten der Erklärung vor: Entweder f Hessen von der Hautober- fläche beständig Erregungsimpulse zu dem Rückenmark und von da zu den Muskeln, welche die Spannung der letzteren beständig auf einem hohen Erregungsgrad erhalten; die Durchschneidung der hinteren Wur- zeln verhindert alsdann den Aveiteren Zufluss dieser Erregungen und daher die Abnahme der Muskelspannung. — Oder die Operation bringt 17 4 Centraltheorie und Segmeiitaltheorie im Grosshirn. eine chemische Veränderung in dem verletzten Neuron hervor, die sich bis auf den Muskel fortpflanzt und eine Herabsetzung seines Tonus ver- anlasst. Das Letztere muss der Fall sein, wo es sich um vorüber- gehende Störungen handelt, es kann aber auch der Fall sein, wo die Störung dauernd ist. Eine gute Illustration des Gesagten bieten auch die Beobachtungen über Verletzung des inneren Ohres oder über Durch- schneidung des Hörnerven. Bei einseitiger Durchschneidung des Hör- nerven nimmt die Spannung gewisser Muskelgruppen so weit ab, dass alle Glieder in abnorme Stellungen, in Zwangsstellung gerathen. Bei den Versuchen am Ohr ergiebt sich nun eine Thatsache, die für die Kritik der Functionslocalisation von der allergrössten Bedeutung ist. Die Spannungsabnahme der Muskeln wird um so geringer, je weiter ihr segmentales Ganglion von den segmentalen Ganglien des Hörnerven entfernt ist. So sind beim Haifisch, dem man ein Ohr exstirpirt hat, die Brustflossen stark um die Längsaxe des Körpers gedreht, während bei den übrigen Flossen diese Drehung um so geringer wird, je weiter sie nach hinten gelegen sind. Ganz dasselbe beobachtet man bei Fröschen und Krokodilen: Die Abnahme der Spannung gewisser Muskelgruppen und der Betrag der Zwangsstellung der Extremitäten (welche ja der Ausdruck des Unterschiedes der Spannung der geschwächten Muskeln und ihrer Antagonisten ist) ist am grössten bei den Nacken- muskeln, dann folgen die vorderen Extremitäten, während sie bei den hinteren Extremitäten noch geringer ist. Der Grund ist leicht einzu- sehen. Es handelt sich um Widerstände für die Fortpflanzung der Shock- wirkung. Mit der Zunahme der Zahl der segmentalen Ganglien, welche der Reiz zu passiren hat, nimmt der Widerstand zu und die Wirkung ab. Die Berechtigung der Uebertragung dieser Daten auf die Be- urtheilung der Centrentheorie des Grosshirns sehen wir darin, dass auch die Störungen, welche Hitzig nach Exstirpation der Centren beobachtet hat, nur vorübergehender Natur sind. Das stimmt sehr wohl mit der Segmentaltheorie, aber nicht mit der Centrentheorie des Grosshirns. Wir wollen nun im Einzelnen nachweisen, dass die Auffassung von Goltz resp. die Segmentaltheorie richtig und die Centrentheorie falsch ist, d. h. wir wollen zeigen, dass die sogenannten Centren eben nur die Stellen sind, wo die Fasern von den verschiedenen segmentalen Ganglien in das Grosshirn einmünden, und dass die Störungen, die nach Verletzung dieser Stellen zur Beobachtung gelangen, im AVesentlichen nur Shock- wirkungen sind. 4) Wir beginnen mit den sogenannten Centren der Extremitäten. Nach Hitzig bewirkt die Entfernung des linken Vorderbeincentrums (D Fig. 89) beim Hunde „Verlust des Muskelbewusstseins" der rechten Centren theorie und Segraentaltheorie im Grosshirn. 175 Vorderpfote. Wir wollen den Umstand, dass wir kein Bewusstein un- serer inneren Organe^ also auch kein Muskelbewusstsein besitzen, un- berücksichtigt lassen, und nur darauf hinweisen, dass die Störungen des angeblichen „Muskelbewusstseins'" in Wirklichkeit in der Spannungs- änderung bestimmter Muskelgruppen und Abnahme der Sensibilität der Extremität bestehen. Xach Entfernung des sogenannten Vorderbeincentrums von Hit/.ig tritt eine Spannungsabnahme der Strecker der vorderen Extremität (und vielleicht auch anderer ^luskelgruppen) ein. Die Folge ist, dass das Bein leicht ausrutscht und leicht im Fussgelenk einknickt, so dass das Thier gelegentlich mit dem Rücken statt mit der Sohle des Fusses auf- tritt. Diese Spannungsabnahme bewirkt auch, dass es leicht gelingt, das Bein zu verschieben, ohne dass der Hund es merkt: Da die Muskel- widerstände gegen die Verschiebung geringer sind, so ist ein geringerer Druck auf die Pfote ausreichend, um eine Verschiebung herbeizuführen. Ausserdem ist aber auch die Sensibilität der Pfote in der betreffenden Pfote verringert. Es bedarf eines stärkeren Druckes, um eine Reaction auszulösen. Der Hund merkt es auch beispielsweise nicht, wenn man ihm die betreffende Pfote in kaltes Wasser stellt. Es handelt sich also hier darum, dass die Exstirpation des „Centrums des Vorderbeins'' in der Grosshirnrinde nicht etwa einen Verlust des „Muskelbewusstseins" her- vorruft, wie Hitzig will, sondern eine Erschlaffung der Strecker des Vor- derbeins (und gewisser anderer Muskelgruppen), sowie eine Abnahme der Hautsensibilität. Bis zu einem gewissen Grade ähnliche Wirkungen können durch Durchschneidung der hinteren Wurzeln der Armnerven hervorgerufen werden. Es wird aber Niemand einfallen, darauf hin zu behaupten, dass das „Centrum" der Armbewegungen in den hinteren Wurzeln localisirt sei. Dass es sich in der That bei diesen Störungen, die Hitzig beschreibt (und die ich aus eigener Anschauung kenne), um Abnahme der Spannung der Strecker handelt, wird ferner durch eine Thatsache der vergleichenden Physiologie unterstützt, die ich aber dies- mal einem höheren Thier entnehme, nämlich dem Menschen. Im Falle der Lähmung eines Armes nach einer Herderkrankung im Grosshirn tritt, nachdem die Lähmung eine Zeit lang bestanden hat, eine Con- traction des Armes in Beugestellung ein. Das beweist, dass dieser Arm in Folge der Herderkrankung im Grosshirn nicht gänzlich gelähmt ist, sondern dass nur die Spannung der Strecker abgenommen hat und dass in Folge dessen der Spannungszustand der Beuger allein die Stellung des Arms bestimmt. Das ist aber dasselbe wie beim Hunde, bei dem ja auch noch nach Verletzung des „Vorderbeincentrums" die Spannung der Strecker im Ellbogengelenk abnimmt. 176 Centreutheorie und Segmentaltheorie im Grosshirn. "Welche Anhaltspunkte haben wir nun dafür, dass diese Wirkungen der Exstirpation der Beincentren nur Sliockwirkungen auf die segmen- talen Ganglien sind? Zunächst haben wir zu betonen, dass die Yon Hitzig beobachteten Wirkungen nur ganz vorübergehender Natur sind. Zwei- tens aber können wir einen mehr positiven Nachweis führen, dass es sich bei Störungen nach Verletzung der Grosshirncentren nur um in- directe Shockwirkungen auf die segmentalen Rückenmarksgangiien han- delt. Die Störungen der Vorderbeine, deren segmentale Ganglien in den Brachialsegmenten des Rückenmarks liegen, sind nämlich nach Gross- hirnverlust viel stärker als die Störungen der Hinterbeine, deren seg- mentale Ganglien so viel weiter nach hinten im Rückenmark liegen. Ich zeigte das durch folgenden Versuch. Ein Hund wurde gelehrt, sich auf die Hinterbeine zu erheben und auf diesen zu gehen, wenn er Futter vv^oiite. Dann wurden ihm beide Hinterbeincentren entfernt (G Fig. 39). Der Hund war trotzdem im Stande, weiter auf den Hinterbeinen zu gehen. Dagegen bestanden leichte aber deutliche Aenderungen der Haltung der vorderen Extremitäten, hervorgebracht durch die erwähnten Aenderungen der Muskelspannungen. Die sogenannten Centren der Vorderbeine in der Grosshirnrinde liegen nämlich in der Nähe der cor- ticalen „Hinterbeincentren" (Fig. 39). Die leichte Reizung der ersteren bei der Exstirpation der Hinterbeincentren ist genügend, eine stärkere Wirkung auf den Tonus der Muskeln der Vorderbeine auszuüben, als die Exstirpation der Hinterbeincentren auf die Muskeln der letzteren auszuüben im Stande ist, einfacli aus dem Grunde, weil die segmentalen Ganglien der Hinterbeine im Lendenmark liegen und deshalb vom Operationsfeld erheblich weiter entfernt sind, als die segmentalen Gan- glien der Vorderbeine. Die Shockwirkungen der Operation sind also stärker im Vorderbein, als im Hinterbein. Ich zeigte diesen Hund auf der Naturforscherversammlung in Berhn 1886. Am nächsten Tage zeigte ich das Gehirn des inzwischen ge- tödteten Thieres und wies nach, dass die „Hinterbeincentren" vollständig entfernt und die „Vorderbeincentren" erhalten waren. Auch beim Men- schen dürfte es sich wohl darthun lassen, dass die Lähmungen der Beine nach Apoplexieen rascher verschwinden, als die Lähmungen der Arme. Aber man kann nicht nur ein Centrum fortnehmen, sondern man kann eine ganze Hemisphäre fortnehmen und dennoch bleiben in einer Reihe von Fällen die Armbewegungen erhalten. Man kann beispiels- Aveise einen Hund abrichten, sein Futter mit einer, etwa der rechten Vorderpfote aus einem Haufen Kies herauszugraben. Das „Centrum" der rechten Pfote liegt bekanntlich in der linken Hemisphäre. Goltz zeigte auf dem Physiologencongress in Basel (L889) einen Hund, dem Centreutbeorie und Segmentaltheorie im Grosshirn. 177 or die ganze linke Hemispliäre entfernt liatte und der im Angesicht der Versammlung sein Fleisch mit der rechten Vorderpfote aus dem Kies- haufen herausscharrte. Wäre das Vorderbeincentrura, wie die moderne Locahsationstheorie das lehrt, ein nothwendiges Organ für alle Leistungen des Vorderbeins, so hätte der Hund nicht mehr im Stande sein dürfen, sein Fleisch aus dem Kieshaufen mit der ihres „Centrums" beraubten Pfote zu graben. Aber das „Vorderbeincentrum" ist nichts weiter, als die Stelle der Rinde, von der aus Fasern zu den eigentlichen Ursprungs- nerven der Armnerven im Rückenmark entweder direct oder indirect verlaufen. Verletzung oder Ausfall des ,, Vorderbeincentrums" bringt eine chemische Aenderung in allen mit ihm verbundenen Fasern und Ganglien und schliesslich auch in den mit ihnen verbundenen Muskeln hervor, die in einer Abnahme der Spannung der letzteren resultirt. Von diesem Standpunkt aus begreifen wir die Versuche Hitzig's sowohl wie die von Goltz und meine eigenen Versuche. Damit harmonirt es auch ferner, dass dieselbe Operation manchmal mit schweren Spannungsände- rungen der betreffenden Muskeln verläuft, und manchmal mit geringen, je nach dem Individuum und sonstigen einstweilen unberechenbaren, weil unbekannten Umständen. Auch beim Menschen bringt Ausfall des Armcentrums durch eine Herderkraukung bald eine Lähmung des Armes hervor, bald geht sie unbemerkt oder mit so geringen Symptomen vor- über, dass der pathologische Anatom überrascht ist, bei der Obduction eine Herderkrankung zu finden. Wäre das Armcentrum ein nothwen- diges Organ für die Armbewegungen, so müsste derselbe Symptomen- complex jedesmal eintreten. Handelt es sich aber bei der Zerstörung dieses Centrums nur um Nebenwirkungen, Shockwirkungen auf die seg- mentalen Ganglien im Rückenmark und die Armmuskeln, so begreifen Avir, dass dieselbe Herderkrankung manchmal mit schweren und manch- mal mit leichten Symptomen verläuft. Leider verhindern die gegen- wärtig herrschenden localisatorischen Vorurtheile die Aerzte sehr oft- Obductionsbefunde von Herderkrankungen im Grosshirn, die ohne Sym- ptome verliefen, zu publiciren; gerade wie vor Broca den Aerzten der Muth fehlte, solche Fälle zu veröffentlichen, die Gall im Sinne der Phre- nologie hätte verwerthen können. Es ist aber klar, dass die Kenntniss beider Klassen von Erfahrungen von Bedeutung ist: Die Fälle von Herd- erkrankungen mit positiven Symptomen, weil sie die topographische Diagnostik und die Gehirnanatomie fördern, die Fälle von Herderkrank- ungen ohne Symptome, weil sie für die Auffassung der „Centren" von fundamentaler Wichtigkeit sind. Die angeführten Beispiele über die Wirkungen von Exstirpation der Hinterbein- und Vorderbeincentren könnten aus den Mittheilungen Loeb, Vergleichende Gehirnphysiologie. J2 178 Centrentheorie und Segmentaltheorie im Grossliirn. von Goltz und meinen eigenen Erfahrungen vermehrt und auch auf die übrigen motorischen Centren in der Grrosshirnrinde übertragen werden. Für die Feststellung der Principien dürfte aber das hier Gesagte ge- nügen. Wir werden also an der Ansicht festhalten dürfen, dass die „Beincentren" nichts anderes sind als diejenigen Stellen, wo Fasern von den segmentalen Beinganglien in die Grosshirnrinde einmünden. Die Störungen, welche nach Verletzung dieser „Centren" beobachtet werden, sind lediglich Shockwirkungen auf die segmentalen Rückenmarksganglien der Extremitäten. 5) Wie verhält es sich mit der Functionslocalisation der Sinnes- organe? Wir wissen, dass Verletzung bestimmter Theile der Hinter- hauptslappen Sehstörungen verursacht. Man bezeichnet die betreffenden Stellen als Sehcentren oder Sehsphären (Fig. 39). Was ist die Bedeutung dieser Sehsphären? Sind sie, wie H. Munk annimmt, die unmittelbaren Opticusendigungen oder sind sie die Stelle, wo die Fasern von den seg- mentalen Opticusganglien (Thalamus etc.) in die Hirnrinde einstrahlen? Es lässt sich leicht nachweisen, dass die letztere Annahme die wahr- scheinlichere ist. Nach der Ansicht von Hermann Munk (5), der das Verdienst be- sitzt, zuerst die Eintrittsstelle der segmentalen Opticus- und Acusticus- fasern in die Hinterhaupt- resp. Schläfenlappen des Grosshirns experi- mentell genauer bestimmt zu haben, giebt es auf dem Hinterhauptslappen des Hundes innerhalb der Sehsphäre eine bestimmte Region (A^ Fig. 39), deren Exstirpation den Verlust aller optischen Erinnerungsbilder für das gegenüberliegende Auge bedingen soll. Der Hund, dem diese Stelle entfernt ist, wird damit „seelenblind". Er sieht, er vermeidet z. B. Hin- dernisse, aber erkennt nicht mehr, was er sieht. Dieser letztere Zustand war schon von den früheren französischen Hirnphysiologen richtig er- kannt und gedeutet worden, und auch Goltz hatte ihn schon vor Munk in all seinen Einzelheiten beschrieben und als Hirnsehschwäche bezeich- net. Nun beobachtete Munk weiter, dass die Seelenblindheit oder Hirn- sehschwäche nach Exstirpation der betreffenden Rindenstelle (A^) nicht dauernd ist, sondern dass nach einiger Zeit der Hund auch wieder er- kennt, was er sieht. Er schloss daraus, dass der Hund wieder neue optische Erinnerungsbilder gesammelt habe. Munk stellt sich vor, dass der Hund nach der Operation wieder lerne, und dass er so mit der Bedeutung dessen, was er sieht, wieder bekannt werde. Die so er- worbenen neuen Erinnerungsbilder sollen in der Umgebung der ex- stirpirten Stelle A* deponirt werden. Die Umgebung dieser Stelle (A Fig. 39) ist eine Art Reservemagazin für optische Erinnerungsbilder. Und zum Beweis der Richtigkeit seiner Ansicht führt Munk an, dass Centrentheorie und Segmentaltheorie im Grosshirn. 179 wenn man bei einem solchen Hunde, der sich von seiner Seelenblind- heit erholt hat, die Hirnrinde in der Umgebung der Stelle A* abträgt, die Seelenblindheit wieder auftritt. So lange noch ein Stück der Seh- . Sphäre intact ist, kann sich aber der Hund von seiner Seelenblindheit erholen, indem er neue optische Erinnerungsbilder in der erhaltenen Partie der Sehsphäre deponirt. Ist aber die ganze Sehsphäre auf einer Seite entfernt, so ist der Hund dauernd seelenblind. Sind die That- sachen, auf die Munk seine Schlüsse basirt, richtig und sind seine Schlüsse berechtigt? Ich habe eine grosse Zahl von Yersuchen ange- stellt in der Absicht, die Vorstellungen Munk's 7Ai prüfen, und habe die Ergebnisse dieser Versuche in meiner Erstlingsarbeit veröffentlicht (6). Ich fand, dass Entfernung der Stelle A^ die Folge haben kann, welche Munk beschreibt, dass aber in der Mehrzahl der Fälle ein so operirter Hund schon unmittelbar nach der Erholung aus der Chloroform.narkose oder doch am nächsten Tage alles erkennt was er sieht. Ich habe meine Beobachtungen noch dadurch sicher gestellt, dass ich eine Zahl einäugiger Hunde verwendete und denselben die Stelle A^ auf der dem erhaltenen Auge gegenüberliegenden Hemisphäre des Grosshirns entfernte. Ein Theil dieser Hunde erkannte am Tage nach der Operation alle Gegen- stände, (z. B. seinen Herrn aus der Ferne, er zeigte Furcht vor der er- hobenen Peitsche, lief auf die Futterschüssel zu etc.). Diese Versuche beweisen, dass die Seelenblindheit keine nothwendige Folge des Verlustes der Stelle A^ ist. Sie legen den Gedanken nahe, ob nicht in den Fällen, in welchen eine solche Störung nach Exstirpatiou der Stelle A^ beobachtet wurde, eine vorübergehende Nebenwirkung der Operation auf tiefer gelegene Theile vorlag. "Wenn das so wäre, so wäre die Rückkehr des vollen Sehvermögens bei dem Thiere bedingt durch das Aufhören der Hemmungs- oder Shockwirkung der Operation und würde nicht davon abhängen, dass das Thier allmählich wieder neue Erinnerungsbilder erwirbt. Ich prüfte diese Ansicht, indem ich Thiere, welche unmittelbar nach der Exstirpatiou der Stelle A^ volle Seelen- blindheit zeigten, 6 Wochen lang isolirt in einem dunkeln Kasten hielt in dem sie keine Gelegenheit hatten, neue optische Erinnerungsbilder zu sammeln (6 "Wochen war ungefähr die Zeit, die ein Thier mit schwe- rer Seelenblindheit brauchte, um zur Norm zurückzukehren). Als diese Thiere ihr Dunkelgemach verliessen, waren sie völlig normal ! Das Ver- schwinden der Seelenblindheit beruht also nicht auf der Neuerwerbung optischer Erinnerungsbilder, wäe Munk schloss, sondern darauf, dass eine Neben- oder Shockwirkung der Operation (und vielleicht auch des "Wund- heilungsvorgauges) auf tiefergelegene Theile, nämlich die segmentalen Opticusganglien allmählich sich verliert; und die Seelenblindheit selbst 12* 180 Centrentheorie und Segmentaltheorie im Grosshirn. ist nur bedingt durch diese Neben- oder Shockwirkung der Operation. Nun behauptete Munk, dass ein Thier, das sich von der Seelenblindheit erholt habe, wieder seelenblind wird, wenn man ihm Substanz in der unmittelbaren Umgebung der Stelle A* wegnimmt. Er schloss daraus, dass bei der zweiten Operation die neuerworbenen Erinnerungsbilder wieder exstirpirt worden seien. Meiner Ansicht nach handelt es sich bei der zweiten Seelenblindheit auch wieder nur um eine Shockwirkung der Operation. Ich konnte nämlich genau dieselbe Seelenblindheit wieder hervorbringen, indem ich die Narbe der alten Operationsstelle mecha- nisch reizte (kratzte), ohne neue Substanz zu entfernen. In diesem Falle war nichts als eine Shockwirkung erzielt worden und doch folgte eine Seelenblindheit oder Hirnsehschwäche auf dem gegenüberliegenden Auge. Wenn es sich aber nicht um Yerlust der Erinnerungsbilder bei der Seelenblindheit nach der Verletzung der Sehsphäre handelt — die Stelle A^ spielt dabei keine privilegirte KoUe — sondern nur um eine vorüber- gehende Shockwirkung der Operation, so bleibt uns die Aufgabe, die Natur der Sehstörung genauer zu bestimmen. Dem Leser ist es be- kannt, dass Erkrankung eines Hinterhauptlappens beim Menschen häufig Hemianopsie, d. h. Erblindung der mit der verletzten Hemisphäre gleich- namigen Eetinaseiten hervorbringt. Munk fand ebenfalls, dass ein sol- cher Zusammenhang zwischen Hinterhauptlappen und Ketiuae existirt und er nahm au, dass eine Projection der beiden Retinahälften auf die {gleichnamige Sehsphäre stattfinde, der Art, dass die einzelnen Stellen der Sehsphäre bestimmten Zellen der Retinae entsprechen. Zer- störung einer Stelle der Sehsphäre soll aber zur dauernden Blindheit der entsprechenden identischen Punkte beider Retinae führen. Ich habe viele Yersuche gemacht, die Ansicht Munk's zu bestätigen, aber mit durchaus negativem Resultat. Ich halte aber eine solche projective An- ordnung der Opticusenden im Gehirn keineswegs für ausgeschlossen, nur entspricht sie nicht den Angaben Munk's, falls sie existirt. Auch in einem zweiten Punkt kann ich Munk nicht beistimmen. Er giebt an, dass Abtragung der Rinde einer Sehsphäre Hemianopsie bedinge, wie beim Menschen. Was ich finde, ist Folgendes. Nach Abtragung irgend eines kleineren oder grösseren Bezirkes einer Sehsphäre tritt häufig eine Störung ein, die ich als Hemiamblyopie bezeichnet habe und die darin besteht, dass die Erregbarkeit in den der verletzten Sehsphäre gleich- seitigen Retinahälften herabgesetzt ist. Entfernt man einem Hunde ein Stück der linken Sehsphäre, so tritt Hemiamblyopie für seine rechte Gesichtsfeldhälfte ein. Stellt man sich vor einen solchen Hund und hält man ihm symmetrisch rechts und links gleichzeitig zwei Fleisch- ?:tücke vor, so wählt der Hund ausnahmslos das linke. Das sieht fast Centrentheorie und Segmentaltheorie im Grosshirn. 181 SO aus, als ob er das rechte nicht sähe. Nun ist es bekannt, dass ein bewegter Gegenstand als ein stärkerer optischer Reiz wirkt als ein ruhen- der. Hält man jetzt dem Hunde wieder die zwei Meischstücke in der angegebenen Weise vor, nur mit dem Unterschied, dass man das in der rechten Gesichtsfeldhälfte gelegene leicht bewegt, so springt der Hund nach dem letzteren (7). Das beweist, dass bei dem Hund eine Erhöh- ung der Reizschwelle für optische Reize auf der rechten Gesichtsfeld- hälfte besteht. Der Hund benimmt sich, nach Koränyi's Ausdruck, als ob seine Aufmerksamkeit nach rechts verringert wäre. Aus dieser Herab- setzung der Reizschwelle für optische Eindrücke leite ich das Entstehen der Seelenblindheit ab. Sind beide Hinterhauptlappen in nicht zu starker Ausdehnung verletzt, so erhält man eine Amblyopie, bei der der Hund genug sieht, um Hindernissen aus dem Wege zu gehen, aber nicht ge- nug, um die Gegenstände in ihrem Detail zu erkennen. Sobald die Wirkungen der Operation geringer werden, d. h. mit der Zeit wird auch im Allgemeinen sein Sehvermögen wieder besser. Es handelt sich also um eine Wirkung der Operation, die der Wirkung, welche die Ex- stirpation eines motorischen Centrums hat, analog sind: In beiden Fällen haben wir es mit einer Herabsetzung des physiologischen Tonus zu thun, der beim Muskel in einer Spannungsabnahme zum Ausdruck kommt, beim Sinnesorgan in einer geringeren Erregbarkeit. Der Zusammenhang mit der Grosshirnoperation ist in beiden Fällen derselbe: Die Nerven- fasern, welche an bestimmten Stellen der Grosshirnrinde eintreten, wer- den durch eine Zerstörung ihrer Ganglienzellen in einen chemisch ver- schiedenen Zustand versetzt und diese Zustandsänderung pflanzt sich über die ganze Länge dieser Fasern bis zu den segmentalen Ganglien und ihren peripheren Endungen (Muskeln und Sinnesorganen) fort und bewirkt in diesen eine Thätigkeitsabnahme. Die letztere ist um so ge- ringer, je weiter das betreffende Element vom Herde der Operation ent- fernt ist oder je mehr Neuronen zwischen den beiden Stationen liegen. Wie es kommt, dass man beim Menschen nur Hemianopsie, aber nie Hemiamblyopie beobachtet, vermag ich nicht zu erklären. Aber wir be- obachten ja beim Menschen sehr häufig Lähmung des Armes nach Herd- erkrankungen im Grosshirn, während beim Hunde niemals eine Läh- mung in solchen Fällen eintritt. Vielleicht liegt der Grund dieses ver- schiedenen Verhaltens in Strukturunterschieden beider Klassen, die viel- leicht mit dem aufrechten Gang beim Menschen und dem Gang auf Vieren bei Hunden in einer Correlation stehen. Es könnte sich aber auch darum handeln, dass die Shock «ärkungen beim Menschen stärker sind als bei Hunden. Die letztere Möglichkeit lässt sich nicht abweisen im Hinblick auf die Thatsache, dass bei Fröschen und Haifischen die 1S2 Centrentheorie und Segmentaltheorie im Grosshirn. Shockwirkungen gering sind und dass sie bei manchen Wirbellosen an- scheinend ganz fehlcD. Die Behauptung Munk's, dass beiderseitige Abtragung der Rinden- oberfläche, welche er als Sehsphäre bezeichnet, bei Hunden nothwendig und dauernd Blindheit bedinge, kann ich nicht zugeben. Dagegen trat Blindheit in allen bisher beobachteten Fällen von totaler Exstirpation des Grosshirns oder der gesammten hinteren Hälften desselben bei einer Thierklasse, nämlich bei Hunden, ein. Es ist aber sehr wohl möglich, dass bei Fortsetzung dieser Versuche Hunde zur Beobachtung kommen, welche auch nach Yerlust des Grosshirns noch auf Lichtreize, ähnlich wie Schraders Tauben, reagiren. Fassen wir alle diese Thatsachen zusammen, so sehen wir, dass die Centrentheorie in der Grosshirnrinde ein Beispiel der zu hohen Locali" sation ist, auf die wir schon in einer früheren Vorlesung aufmerksam gemacht haben. Alle die ,,Functionen", welche diese Theorie in die ver- schiedenen Theile der Grosshirnrinde legt, sind segmentale Functionen und die sogenannten Grosshirncentren sind nur die Einmündungssteilen für Faserzüge, welche von den verschiedenen segmentalen Ganglien in das Grosshirn einstrahlen. Dass diese Einmündungssteilen im Grosshirn nicht der Anordnung der segmentalen Ganglien im Rückenmark, der Medulla und dem Mittelhirn entsprechen, beruht auf den Raumverhält- nissen, "WachsthumsbedingLingen und -Verschiebungen während der em- bryonalen Periode. Die Störungen, welche nach Verletzung eines Cen- trums folgen, sind nur "Wirkungen der Verletzung auf die segmentalen Ganglien. Wenn wir so die Centrentheorie des Grosshirns durch die segraen- tale Theorie ersetzen, so ist das nicht so zu verstehen, als ob wir die topographische Diagnostik der Hirnerkrankungen bekämpfen. Die topo- graphische Diagnostik der Hirnerkrankungen ist ein Triumph der Wissen- schaft und die Centrentheorie hat der topographischen Diagnostik der Hirnerkrankungen sicherlich grosse Dienste geleistet, da durch die Cen- trentheorie zuerst die Einmündungssteilen der verschiedenen segmentalen Faserzüge in die Grosshirnrinde ermittelt worden sind. Irrig wird die Centrentheorie nur dadurch, dass sie über die Thatsache der anato- mischen Localisation hinausgeht und Schlüsse über die physiolo- gische Bedeutung der Localisation zieht, welche mit den Thatsachen in directem Widerspruch stehen. Gegen diese Fehlschlüsse kämpfen wir, weil sie nothwendig die weitere Entwickelung einer Mechanik der Hirn- thätigkeit hemmen müssen. Sie ist aber auch ein Hinderniss für eine umfassende topographische Diagnostik, weil sie zu dem Glauben ver- leitet, dass jede Erkrankung der Rinde zu einer Störung der segmentalen I Centrentheorie und Segmentaltheorie ira Grossbirn. 183 Organe führen müsse. Die Thierversuche sowohl wie die Befunde am Obdiictioastisch zeigen, dass Verletzung von „Centren" symptomlos ver- laufen kann. Der Ersatz der Centrentheorie durch die Segmental- theorie lässt die topographische Diagnostik der Hirnerkrankungen unver- sehrt, vermeidet aber die Fehlschlüsse der Centrentheorie. Endlich haben meine Yersuche auch zu dem Ergebniss geführt, dass wenn auch ein und dieselbe Stelle vorwiegend mit einem bestimmten segmentalen Gan- glion in Verbindung steht, das doch nicht ausschliesslich der Fall zu sein braucht. Ich beobachtete beispielsweise auch Hemiamblyopie nach Verletzungen ausserhalb der Sehsphären (6 u. 7). Litteratur zu XVII. 1) Kussmaul, A. Die Störungen der Sprache. Leipzig 1881. (In der Dar- stellung der historischen Entwickelung der Localisation des Sprachcentrums folge ich Kussmaul.) 2) Hitzig, E. Untersuchungen über das Gehirn. Berlin 1874, und Eeicbert's und Du Bois-Eeymond's Archiv 1870. 3) Goltz, F. lieber die Verrichtungen des Grosshirns. ^ I. Abhandlung Pflüger's Archiv, Bd. 13. 1876. n. „ „ „ „ 14. 1877. III. „ „ „ „ 20. 1879. IV. ., „ „ „ 26. 1881. V. „ „ ,. ,. 34. 1884. 4) V. Cyon, E. Gesammelte Physiologische Arbeiten. Berlin 1888. S. 197 u. f 5) Munk, H. lieber die Functionen der Grosshirnrinde. Berlin 1881. 6) Loeb, J. Die Sehstörungen nach Verletzungen der Grosshirnrinde. Pflüger's Archiv, Bd. 34. 1884. 7) Loeb, J. Beiträge zur Phj^siologie des Grosshirus. Pflüger's Archiv. Bd. 39. 1886. XVIII. Theilseelentlieorie und Localisation einzelner Erinnerungsbilder . 1) Yiele Anhänger der Centrentheorie stellen sich vor, dass die Einmündungsstelle der Fasern eines segmentalen Ganglions in die Gross- hirnrinde, das sogenannte Rindencentrura, die Theilseele für die Organe des betreffenden Segmentes enthalte, oder m. a. W., dass sich ausschliesslich in dem „Centrum" eines Organes alle die Bewusstseinsvorgänge abspielen, bei welchen das betreffende Organ mitwirkt. So ist die ,,Sehsphäre" der Grosshirnrinde nach diesen Autoren das Theilseelenorgan für alle optischen Vorgänge, das Armcentrum das Tlieilseelenorgan für alle bewussten Bewegungen des Armes etc. Eine solche Vorstellung wäre an sich mit der Segmentaltheorie durchaus vereinbar. Es giebt aber, wie Goltz gezeigt hat, andere Thatsachen, die gegen eine solche Annahme sprechen. Es ist bekannt, dass Personen, die von Kindheit an taub- stumm und blind gewesen sind, nicht nur eine normale, sondern eine relativ hohe Intelligenz besassen. Wäre die Theilseelentheorie richtig, so müsste die beiderseitige Entfernung der Sehsphäre und der Hörsphäre im Grosshirn nicht mehr Einfluss auf die Intelligenz haben wie Blind- heit und Taubheit. Goltz hat aber nachgewiesen, dass ein Hund, der beide Hinterhauptsschläfenlappen verloren hat, hoffnungslos blödsinnig ist (1). Im Gehirn eines solchen Hundes kommt es entweder überhaupt nicht mehr zu Associationsvorgäugen oder sie laufen in einer unvoll- ständigen oder veränderten Form ab. Aus dieser Thatsache folgt, dass die Theilseelentheorie entweder falsch oder unvollständig ist. Es fragt sich nun, ob und welche Thatsache wir besitzen, um die Lücken auszufüllen resp. richtige Anschauungen zu gewinnen. Es scheint mir, dass hier vor Allem eine Entdeckung von Goltz berücksichtigt wer- den muss, die zu den merkwürdigsten Thatsachen der Gehirnphysiologie gehört. Er hat gefunden, dass wenn man einem Hunde eine Hemisphäre des Grosshirns entfernt, die Persönlichkeit des Thieres, d. h. sein Ge- dächtnissinhalt und sein Intellect unverändert bleiben (1). Ein solches Thier erkennt seinen Herrn, hat dieselben Freunde und Feinde wie vor Theilseelentbeorie imd Localisation einzelner Erinnerungsbilder. 185 der Operation. Entfernt man aber etwa denselben Betrag an Grosshirn- masse nur mit dem Unterschiede, dass man die Vorderhälften beider Hemisphären oder die hinteren Hälften derselben exstirpirt, so ist der Hund dauernd verdummt (1). Was die negative Bedeutung dieser That- sachen betrifft, so sind sie mit der Theilseelentbeorie ohne die gewalt- samsten Hülfshypothesen nicht zu vereinigen. Nach Zerstörung einer Hemisphäre müssten ja die Theilseelen für eine Reihe von Gliedern verschwinden. Was aber die positiven Folgen der Operation anbetrifft, so ist es schwer einstweilen aus diesen Thatsachen diejenigen Schlüsse zu ziehen, welche für die weitere Entwickelung unserer Einsicht in die Mechanik der Hirnthätigkeit fruchtbar werden können. Bei der Bedeu- tung des Gegenstandes möge man es entschuldigen, wenn ich eine Ver- muthung äussere, die einstweilen sehr wenig bestimmt und beweisbar ist. Ich meine, dass hier die Sjmmetrieverhältnisse und Polaritäten des Körpers resp. die Orientirungsverhältnisse der nervösen Elemente von Bedeutung sind. Die rechte und linke Körperhälfte sind wenig von einander verschieden. Entfernt man die ganze linke Hemisphäre, so können alle Vorgänge noch angenähert in derselben Form stattfinden, wie wenn beide Hemisphären noch vorhanden wären. Entfernt man aber die beiden vorderen Hälften der Hemisphären, so fällt ein Theil fort, der von dem noch vorhandenen in Bezug auf die Orientirung der Elemente erheblich verschieden ist. Das könnte bedingen, dass in dem noch übrigen Grosshirn die Vorgänge nicht mehr in derselben Form ablaufen können, wie in dem normalen Gehirn und daher die Verblö- dung und Verdummung des Thieres. Einige Autoren haben behauptet, dass die Stirnlappen der Sitz der Intelligenz seien. Dem gegenüber be- tont Goltz mit Recht, dass ein Thier, das die beiden hinteren Hälften der Hemisphäre verloren hat, entschieden ebenso blödsinnig ist, wie ein Thior, das sie bei den vorderen Hälften beider Hemisphären eingebüsst hat. Ich habe ferner direct nachgewiesen, dass nach Verlust der Stirn- lappen allein die Intelligenz eines Hundes nicht verändert wird (2). Es ist schwer verständlich, wie die irrige Angabe, dass die Stirnlappen „Sitz" der Intelligenz seien, immer wieder auftauchen und Glauben finden kann. Was mich dazu geführt hat, daran zu denken, ob nicht der Unter- schied der Orientirung der Elemente eine Bedeutung für die Verschie- denheit der Folgen eines Eingriffes im Grosshirn besitzt, ist folgender Umstand. Goltz hat betont, dass ein Thier, dem man beide hinteren Hälften der Hemisphäre entfernt, schwer dazu zu bringen ist, sich fortzu- bewegen (1). Das Thier ist übertrieben ruhig und erinnert an stuporöse Patienten. Goltz entdeckte noch eine andere Eigentiiümlichkeit an diesen 186 Theilseelentheorie und Localisatiou einzelner Erinnerungsbilder. Thieren: Sie sind schwer oder gar niclit dazu zu bewegen, treppab zu gehen, während man sie viel leichter dazu bringt, sich treppauf zu bewegen. Auch die Haltung der Thiere ist eigenthümlich : Sie stehen steifbeinig, d. h. die Beine, namentlich die Vorderbeine, sind abnorm gestreckt. Ganz das entgegengesetzte Yerhalten zeigen diejenigen Hunde, denen die beiden vorderen Hälften beider Hemisphären entfernt sind. Die Thiere bewegen sich übermässig leicht vorwärts, sie haben oft einen förmlichen Laufdrang, wobei sie gegen Hindernisse anrennen, obwohl sie keineswegs blind sind. Sie laufen oder kollern unbedenklich treppab und die Haltung ihres Körpers ist gerade umgekehrt wie bei den beider- seits hinten operirten Hunden: Die Spannung der Beuger im Ellbogen der Yorderbeine überwiegt über die der Strecker, so dass diese Thiere leicht mit den Yorderpfoten einknicken. Hitzig hat bemerkt, dass sie gelegentlich mit der dorsalen Seite des Fusses auf den Boden treten, statt mit der Plantarseite. Das rührt, wie schon erwähnt, wohl eben daher, dass die Spannung der Beuger des Fussgelenkes abnorm über die der Strecker überwiegt. Mir scheint nun, dass diese Gegensätze im Yerhalten beider Thiere eine Analogie zeigen mit dem früher erwähnten Yerhalten der Amblystomen, die in der Längsrichtung von einem con- stanten Strom durchflössen werden. Der Hund, der die beiden vorde- ren Hälften des Grosshirns verloren hat, gleicht dem in absteigende!- Eichtung durchströmten Amblystoma insofern, als bei beiden derartige Aenderungen in der Spannung der Muskeln der Beine (und des Körpers) erfolgen, dass die Yorwärtsbewegung erleichtert und die Rückwärts- bewegung erschwert ist. Der Hund dagegen, der die beiden hinteren Hälften der Hemisphäre verloren hat, gleicht einem Amblystoma, das in aufsteigender Richtung durchströmt wird. Die Spannung der Muskeln ist so verändert, dass die Yorwärtsbewegung erschwert ist. Zur wirk- lichen Rückwärtsbewegung kommt es nun nicht bei einem derartigen Hunde, aber die Yorwärtsbewegung ist fast unmöglich. Auch die fast unüberwindliche Abneigung eines solchen Hundes, treppab zu gehen, rührt meines Erachtens daher. Wie aber ist es möglich, dass Zerstörung der vorderen oder hinteren Partieen des Grosshirns Erscheinungen her- vorruft, die eine Analogie zeigen mit dem Yerhalten von Thieren, die in der Längsrichtung von einem galvanischen Strom durchflössen werden ? Bei unseren Yersuchen über Galvanotropismus sind wir zu dem Resultate gedrängt Avorden, dass eine einfache Beziehung bestehen muss zwischen der Orientirung der motorischen Elemente im Centralnerven- system und der durch sie bestimmten Bewegungsrichtung. Die Yersuche an den crura cerebelli weisen auf eine solche Beziehung mit solcher Theilseelentheorie und Localisation einzelner Erinnerungsbilder. 187 Deutlichkeit hin, dass Flourens sie ausdrücklich betont. Beim Grosshirn begegnen wir derselben Beziehung wieder. Die Elemente der vorderen Hälften des Grosshirns sind umgekehrt in Bezug auf die dorsoventrale Axe des Körpers orientirt, als die Elemente der hinteren Hälften. Es ist möglich, dass die vorderen und hinteren Partieen des Grosshirns mit jenen motorischen Elementen der Medulla oblongata verknüpft sind, mit denen auch die entsprechenden crura cerebelli und die entsprechenden Halbzirkelkanäle verbunden sind. Es stimmt ferner mit unserer Auf- fassung, dass Zerstörung einer Hemisphäre, z. B. der linken Grosshirn- hemisphäre, bei einem Hunde wie allbekannt Reitbahnbewegungen nach links hervorruft. Man erhält diese Eeitbahnbewegungen auch vorüber- gehend, wenn man kleinere Bezirke einer Hemisphäre zerstört, gleich- viel ob das zerstörte Stück in der sogenannten motorischen oder sen- sorischen Region (d. h. nach hinten) gelegen ist, wenn man nur eine genügende Zahl von Stabkranzfasern oder Ganglienzellen einer Seite ver- nichtet. Der Zusammenhang ist auch hier Avohl wieder so zu denken, dass Zerstörung der hnken Hemisphäre die Spannung und Energie- entwickelung derjenigen Muskeln herabsetzt, welche den Kopf und Kör- per nach reciits bewegen. In Folge dessen ist die Linksdrehung für das Thier erleichtert, die Rechtsdrehung erschwert. Ob es sich hierbei nur um eine Shockwirkung auf motorische Elemente der Medulla oder der segmentalen Rückenmarksganglien handelt, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls besteht eine unverkennbare Analogie in der Wirkung der Entfernung der vorderen Hälften der Grosshirnhemisphären und der nach vorn verlaufenden crura cerebelli ad corpora quadrigemina einerseits und der Entfernung der hinteren Hälften der Grosshirnhemisphären und der crura cerebelli ad medullam. Es geht ferner aus den galvano- tropischen Versuchen an Krebsen und niederen Wirbelthieren hervor, dass eine einfache Beziehung zwischen Orientirung der Elemente und der durch sie bestimmten Bewegungsrichtung sehr weit in der Thierreihe verbreitet ist. Es folgt aus dem Gesagten, dass überall, avo man das Gehirn eines Tliieres so theilt, dass man alle die Hinterhauptseleraente, welche eine Vorwärtsbewegung bestimmen, entfernt, Avährend die Vorderhaupts- elemente, welche die Progressivbeweguug hemmen, erhalten bleiben, Verminderung oder Verlust der Progressivbewegung entstehen muss; dass aber weiterhin nach Entfernung der die Progressivbewegung hem- menden Elemente die Progressivbewegung wieder möglich ist. Ein Hund, der nur die hinteren Partieen des Grosshirns verloren hat, macht wenig Progressivbewegungen und gleicht darin einem Stuporösen. Ent- fernt man ihm aber dann noch die vorderen Partieen des Grosshirns, 188 Theilseeleutheorie und Localisatioii einzelner Erinnerungsbilder. SO tritt die freie Vorwärtsbewegung wieder ein. Ich glaube, hierhin gehört auch die Beobachtung von Steiner, dass ein Haifisch, dem man die vordere Partie der Medulla entfernt, keine Progressivbewegung mehr macht, während wenn man etwas mehr von der Medulla (und dem Rücken- mark?) entfernt die Progressivbewegungen wieder eintreten (1). Ebenso gehören wohl dahin die Beobachtung von Schrader, dass ein Frosch nach Entfernung der Grosshirnhemisphären und des Thalamus opticus keine Progressivbewegungen mehr macht, dass er aber nach Yerlust des Restes des Gehirns inclusive der pars commissuralis der Medulla oblongata ununterbrochen Progressivbewegungen ausführt und in seiner abnormen Ruhelosigkeit den Hunden vergleichbar wird, welche die vor- deren Hälften beider Hemisphären des Grosshirns verloren haben. Bringt man alle diese Thatsachen in Erwägung, so ist die Möglich- keit nicht von der Hand zu weisen, dass Hunde, welche die vorderen oder hinteren Hälften beider Hemisphären verloren haben, deshalb ver- dummen, w^eil in den Empfindungscomplexen und der Associationsthätig- keit dieser Thiere wesentliche Momente ausfallen, während die Thiere, die noch eine ganze Hemisphäre besitzen, trotz des Verlustes der ande- ren Hemisphäre ihre Persönlichkeit nicht ändern, weil sie noch alle Empfindungselemente und Associationseleraente in nahezu ungeänderter Form hervorbringen können. "Wie es möglich ist, dass Ausfall einer Klasse von Rindenelementen mit bestimmter Orientirung die Gehirn- vorgänge verändert, kann man natürlich einstweilen nur durch ein Bild erläutern. Wie der Character der Vocale verwischt wird wenn gewisse Töne (die Determinanten) ausfallen, so könnten auch die Processe im Gehirn bis zur Wirkungslosigkeit verstümmelt werden, wenn alle Ele- mente von gewisser Orientirung ausfallen. Wenn wir versuchen, die Consequenz dieser Vorstellung zu ziehen, so würde das Grosshirn als einheitliches Organ etwa im Sinne der Re- tina anzusehen sein, wo jeder Zapfen je nach seiner Orientirung gegen die Fläche der Retina einen anderen Raumwerth besitzt. Dagegen würde es nicht als einheitliches Organ im Sinne einer Drüse angesehen werden können, wo alle Elemente durchaus gleichwerthig sind. Wie nun die Empfindung der Lage und Form eines Sehdings bestimmt ist durch die Lage und Anordnung der durch das Netzhautbild bedeckten Zapfen, so könnte auch wohl im Grosshii-n eine Empfindung oder gewisse Bestand- theile derselben bestimmt sein durch die Lage und Anordnung der erregten Elemente. Dasselbe Rindenelement könnte nach einander zu der Ent- stehung aller möglichen Empfindungen und Vorstellungen beitragen, wie dasselbe Retinaelement nach einander zur Entstehung unzähliger Retina- bilder beiträgt. Die consequenten Anhänger der Centren- und TheilseeleH- Theilseelentheorie und Localisation einzelner Erinnerungsbilder. 189 theorie haben eine andere, weniger dynamische und mehr corpusculäre Theorie des Empfindungsvorganges und des Erinnerungsbildes oder der Vorstellung entwickelt. Die Mechanik des Gedächtnisses besteht für sie darin, dass je ein Erinnerungsbild in einer besonderen Zelle oder Zell- gruppe „niedergelegt" wird, gerade wie wenn das „Erinnerungsbild" et- was Körperliches wäre. Ein Anhänger dieser Theorie hat auch aus der Zahl der Ganglienzellen ausgerechnet, wie viele Erinnerungsbilder unser Kopf zu fassen im Stande sei. Dieser Hypothese würde in der physio- logischen Optik die monströse Annahme entsprechen, dass für das Sehen eines jeden verschiedenen Gegenstandes ein verschiedenes Retinaelement benutzt würde. Der Autor, der aus der Zahl der Ganglienzellen in un- serer Kinde ausrechnete, wie viele Erinnerungsbilder in unserem Ge- hirn Platz haben, hätte wohl mit ebensoviel Recht aus der Zahl unserer Retinaelemente berechnen können, wie viele Dinge wir im Laufe unse- res Lebens zu sehen im Stande sind. 2) Historisch sind diese corpusculären „Theorieen" der associativen Gedächtnissthätigkeit wohl im Hinblick auf gewisse Thatsachen der Aphasie entstanden. Es sind Fälle bekannt, in denen einzelne Buch- staben des Alphabetes oder einzelne Zahlwörter etc. dem Gedächtniss entfallen, während andere erhalten bleiben. Da die Histologie den Aerz- ten näher liegt, als die Physik, und da es dem Nichtphysiker einfacher erscheint, alles substanziell anstatt dynamisch zu erklären, so war es nicht zu verwundern, dass die Kliniker auf die Idee kamen, dass jeder Buchstabe und jeder Zahlbegriff und endlich überhaupt jedes Erinne- rungsbild in einer besonderen G.anglienzelle „enthalten" sei. Die er- wähnten Fälle der Aphasie fanden ihre „einfache" Erklärung in der An- nahme, dass die Zellen für die fehlenden Buchstaben zerstört seien, und ich entsinne mich, dass ein Kliniker allen Ernstes die Behauptung auf- stellte, dass beim Lesen des Wortes Haus nach einander die H-Zelle die a-Zelle, die u-Zelle und s-Zelle in unserer „Sehsphäre" in Thätigkeit ge- rathen! "Wenn man ihm gesagt hätte, dass seine „Theorie" des Lesens auf dem Niveau der bekannten Erklärung der Locomotive durch ein darin enthaltenes Pferd stehe, so würde er das wohl sehr ungläubig auf- genommen haben. Die Untersuchung eines derartigen Falles von Aphasie durch Kon- rad Rieger hat aber, wie mir scheint, ergeben, dass in der That die Symptome dieses Krankheitsbildes keineswegs eine corpusculäre Theorie der Erinnerungsbilder, sondern eine dynamische erfordern (3). Unter den vielen Thatsachen des von Rieger glänzend analysirten Beobachtungs- materiales will ich nur die folgende hier erwähnen. Der Patient war nicht im Stande, irgend welche Zahlen mit Ausnahme von 1, 2 und 3 190 Theilseelentheorie und Localisation einzelner Erinnerungsbilder. ZU erkennen. Die corpusculäre Theorie der Erinnerungsbilder nimmt an, dass alle Zahlwörter, welche der Patient ursprünglich besessen hatte, jedes einzeln in einer besonderen Zelle localisirt gewesen sei, und dass diese Zellen alle zu Grunde gegangen seien, mit Ausnahme der gerade die drei ersten Zahlen beherbergenden Zellen. Das erscheint von vorn- herein seltsam und wird noch seltsamer durch die folgende Beobach- tung. Es dauerte jedesmal eine geraume Zeit, bis der Patient im Stande war, eine vorgehaltene 1 als solche zu benennen. Die Reactionszeit für das Benennen einer 2 war erheblich länger und die Reactionszeit für das Benennen der 3 war noch viel länger. Er war auch noch im Stande, alle Rechenoperationen mit diesen drei Zahlen auszuführen, aber wenn eine 3 in der Operation vorkam, so dauerte die Ausführung entsprech- end länger, als wenn nur eine 2 vorkam. Diese Reactionszeitbestim- mungen lieferten den Schlüssel für das Yerständniss der Thatsache, dass alle Zahlen über 3 fehlten. Es stellte sich nämlich bei allen Yersucben Rieger's an diesem Patienten heraus, dass wenn es ihm nicht gelang, in einer bestimmten Zeit (ca. 18 Secunden) nach dem Erblicken eines Gegenstandes den Namen desselben zu finden, er überhaupt ausser Stande war, den Gegenstand zu benennen. Nun brauchte er zum Benennen der 3 eine Zeit, welche nahe der Grenze des für ihn Möglichen lag, und in der That versagte auch das Erkennen dieses Zahlwortes bei ihm schon gelegentlich. Es sind aber gerade die ersten drei Zahlwörter diejenigen, welche ein Kind zuerst lernt und die auch im Leben öfter genannt werden als alle anderen. Es ist auch eine bekannte Erfahrung, dass unserm Gedächtniss diejenigen Worte am leichtesten entschwinden, die wir am seltensten gebrauchen (z. B. Eigennamen, fremde Sprachen, die wir nicht üben etc.), während Worte, die häufig gebraucht werden, auch relativ stärker haften, namentlich solche, die in unserer Kindheit schon eine Rolle spielten. Es handelte sich also bei den Rieger'schen Patien- ten darum, dass eine Erschwerung resp. Verstümmelung gewisser Vorgänge im Gehirn stattfand, bei der die häufigst gebrauchten Zahlworte noch über die Schwelle treten konnten, während das bei den seltneren und schwereren Zahlworten nicht mehr möglich war. Diese Auffassung wird weiterhin noch dadurch bestätigt, dass er im Stande war, ein 10 und 50 Pfennigstück noch in Folge ihres verschiedenen Randes mit dem Tastsinn zu unterscheiden, obwohl im Uebrigen die Zahl- wörter 10 und 50 ihm entschwunden waren und die auf diesen Geld- stücken stehenden Zahlen 10 und 50 nur die Bedeutung von Hiero- glyphen für ihn hatten. Wäre die corpusculäre Theorie richtig, so hätte der Patient nicht den Begriff des 50 Pfennigstückes besitzen dürfen, da ja der Behälter für den Begriif 5 zerstört war. Der Geldbegriff des Theilseelentheoiio und Localisation einzelner Erinnerungsbilder. 191 10 und 50 Pfennigstückes haftete zäher im Gedächtniss dieses Mannes, der als Steinmetze um sein Dasein zu kämpfen hatte, als die abstractcn Begriffe 10 und 50, die in seinem Gedächtniss mehr als scholastischer Luxus existirt hatten. Will man sich also ein Bild vom "Wesen der Erkrankung dieses Mannes machen, so muss es ein dynamisches sein, welches darauf hinausläuft, dass im verletzten Gehirn dieses Patienten gewisse Vorgänge mit geringerer Intensität oder nur unvollständig ab- zulaufen im Stande waren. Dadurch können solche Wortinnervationen, deren Schwellenwerth ein relatives Minimum ist, oder die einen Bestand- ■ theil von relativ vielen oder bedeutungsvollen Associationen bilden, noch zu Stande kommen, während andere Innervationen unmöglich werden, i) Es wäre dagegen ebenso falsch, anzunehmen, dass die einzelnen Begriffe oder Buchstaben alle besonders in einzelnen Zellen localisirt sind und dass die betreffenden Zellen bei diesen Patienten zu Grunde gegangen wären, wie es falsch sein würde, in einem Falle von Interferenz von Tönen zu schhessen, dass die Schallquelle beseitigt sei. "Wie in der Theorie des Lichtes die corpusculären Vorstellungen durch eine "Wellen- theorie ersetzt werden mussten, so muss auch, wie mir scheint, die Ge- hirnphysiologie ihre histologisch-corpusculären Vorstellungen durch dy- namische Vorstellungen ersetzen. Munk hatte behauptet, dass es bei einem Hunde gelinge, direct nach- zuweisen, dass die einzelnen Erinnerungsbilder des Gesichtssinnes in isolirten Zellen resp. Zellgruppen jener Stelle A^ localisirt seien. Er führt zum Beweise zwei Versuche an, „bei welchen nach Exstirpation der Stelle A^ unter Verlust aller anderen Erinnerungsbilder der Ge- sichtsempfindungen ein einzelnes solches Erinnerungsbild unversehrt er- halten gefunden wurde; in dem einen Falle das Bild des Eimers, aus welchem der Hund zu trinken gewohnt war, in dem anderen Falle das der Handbewegung, auf welche die Pfote zu reichen der Hund vor der Operation eingeübt worden war." Diese Angabe Munk's war die Ur- sache, welche mich als Student zu Hirnversuchen führte. Ich glaubte an .die Richtigkeit seiner Angaben und hoffte, dass nun ein Weg zu einer exacten Psychologie gefunden sei. Ich begann meine Versuche im Laboratorium von Goltz als überzeugter Anhänger von Munk. Je mehr Versuche ich anstellte, um so mehr stellte es sich heraus, dass viele der Behauptungen Munk's unrichtig waren, ganz besonders aber seine allerdings spärlichen Angaben über die angebliche Localisation ein- ^) Man kann ähnliche Zustände, wie sie bei diesem Patienten vorhanden waren, künstlich hervorrufen durch die Dynamometerversuche, welche wir im nächsten Kapitel schildern werden. 192 Theilseeleutheorie und Localisation eiozelaer Erianerungsbilder, zelner Erinnerungsbilder. Es handelt sich bei Munk's Hunden, wie in der voraufgehenden Vorlesung gezeigt worden ist, überhaupt nicht um Verlust von Erinnerungsbildern, sondern um Hemiamblyopie. Litteratur zu XVIII. 1) Goltz, Ueber die Verrichtungen des Grosshirns. 5. Mittheilung. Pfliiger's Archiv, Bd. 34. 1884. 2) Loeb. Beiträge zur Physiologie des Grosshirus. Pfliiger's Archiv, Bd. 39. 1886. 3) Eieger, K. Beschreibung einer Intelligenzstöruug in Folge einer Hirnver- letzung etc. Verhandl. der Würzburger Physikalisch-MedicinischenGesellschaft. Bd. 22 und 23. 1889 und 1890. XIX. Ueber einige Angrififspunkte für eine künftige Mechanik der Gehirnthätigkeit. 1) Wir haben gesehen, dass der Segmental theorie nirgends ein Hinderniss im Wege steht. Wir müssen nunmehr die Consequenz dieser Theorie für eine Mechanik der Hirnthätigkeit höherer Thiere ziehen. Wir hatten gefunden, dass bei den Reactionen eines Thieres das seg- mentale Ganglion nur die Rolle eines protoplasmatischen Leiters spielt, dass die Reactionen aber in Wirklichkeit bestimmt sind durch die Reiz- barkeiten (resp. Sinnesorgane) der peripheren Gebilde und die Anordnung der Muskeln. Nur solche Umstände wie die Anordnung und Orienti- rung der nervösen Elemente, (möglicher Weise die geotropische Reizbar- keit derselben), sowie die associative Gedächtnissthätigkeit kommen als specifische Eigenschaften des Centralnervensystems in Betracht. Es ist klar, dass ein grosser Theil von dem, was wir heute als Gehirnfunctionen bezeichnen, nur Functionen der peripheren Gebilde sind. Damit gewinnen wir die Zuversicht, dass eine Analyse der Reiz- barkeiten der Sinnesorgane und der Empfindungen die Basis für das Yerständniss der sogenannten Hirnfunctionen bilden muss. Helmholtz hat betont, dass unsere Sinne uns nur Sj^mbole der Aussenwelt liefern. Jeder physikalische Vorgang, der ein Sinnesorgan trifft, ruft hier Vercänderungen hervor, welche durch die periphere Struk- tur oder wie die Physiologie das seit Joh. Müller nennt, durch die spe- cifische ,,Energie" des Sinnesorgans bestimmt ist. Ob ein Schlag, ein elektrischer Strom oder Aetherschwingungen von rund 0.0008 — 0.0004 mm. Wellenlänge die Netzhaut erregen : die Empfindung ist stets eine speci- fische, nämlich Licht, während Schlag und elektrischer Strom im Ohr Schallempfindungen hervorrufen. Dieses sogenannte Gesetz der speci- fischen Energie der Sinnesorgane ist nicht nur den Sinnesorganen eigen- thümlich, es passt, wie Sachs hervorgehoben hat, auf alle lebende Sub- stanz, ja es gilt für jede Maschine. Es ist eben nur ein anderer Aus- Loeb, Vergleichende Gehirnphysiologie. 13 194 Ueber einige Angriffspunkte für eine künftige Mechanik der Gehirnthätigkeit. druck für die Thatsache, dass Auge, Ohr und überhaupt jedes Sinnes- organ und lebende Gebilde nur in bestimmter Form Energie um- zusetzen im Stande sind, d. h. dass sie besondere Maschinen bilden. Die Feststellung dieser Form würde die nähere Bestimmung dessen sein, was wir uns eigentlich unter der specifischen Energie der Sinne vorzustellen haben. Die Physiologie giebt uns auf die letztere Frage keine Antwort. Man hat den Begriff der specifischen Energie stets als das letzte in der Sinnesphysiologie angesehen, bis zu dem die Forschung vordringen könne. Um so höher ist das Verdienst von Mach und Hering anzuschlagen, die mit ihrer chemischen Theorie der Farben- empfindungen jene Grenze zuerst überschritten haben. Mach hat weiter neuerdings mit aller Bestimmtheit den Gedanken ausgesprochen, dass che- mische Umstände den Empfindungen zu Grunde liegen (1). Es ist klar, dass, wenn wir die Natur der Vorgänge kennen, welche durch die äusse- ren Einwirkungen in unseren Sinnesorganen hervorgerufen werden, wir in der Lage sind zu bestimmen, in welcher Form die Erregungen un- serem Centralnervensystem von den Sinnesorganen zufliessen. Für das Auge dürfen wir es allerdings als wahrscheinlich ansehen, dass das Licht chemische Wirkungen hervorruft. Es werden ver- schiedene Substanzen in der Retina gebildet und zersetzt und die chemischen Vorgänge der Bildung und Zersetzung dieser Substanzen bestimmen die Licht- und Farbenempfindungen. Die Aetherschwingungen bestimmter Wellenlängen beeinflussen diese Zersetzungen in bestimmtem Sinne. Die elektromagnetische Theorie des Lichts wird hier wohl noch zu reichen Einsichten führen. Durch den elektrischen Strom werden ebenfalls derartige Umsetzungen hervorgerufen. Der Strom selbst kann nur durch Elektrolyse die Retina durchsetzen und es könnte sein, dass die durch die freiwerdenden Jonen gebildeten secundären Zersetzungs- producte erst die Sehsubstanzen angreifen. Es ist aber auch nicht aus- geschlossen, dass die sogenannten Sehsubstanzen selbst Elektrolyte sind. Wir können es also leicht verstehen, dass auch der elektrische Strom im Auge Lichtempfindungen auslöst. Dass auch Druck und Stoss auf das Auge solche Wirkungen hat, kann nicht befremden. Carey Lea hat gefunden, dass in gewissen Verbindungen, z. B. auf photographischen Platten, Druck den chemischen Umsatz vermehrt resp. hervorruft. Die specifische Energie des Auges wäre danach nichts weiter, als der Umstand, dass ganz bestimmte Verbindungen und zwar jedes Mal in derselben Weise in der Retina Umsetzungen erleiden, gleichviel ob die Umsetzungen durch Aetherschwingungen, durch den elektrischen Strom oder durch Druck, Zug oder Stoss veranlasst sind. Die Erregungen, welche dem Gehirn vom Auge aus zufliessen, werden also genau die Mannig- Ueber einige Angriffspunkte für eine künftige Mechanik der Gehirnthätigkeit. 195 faltigkeit und Eigenthümlichkeiten aufweisen, welche der Mannigfaltigkeit und dem Verlauf der chemischen Vorgänge in der Retina entsprechen. Für die Erregungen, welche dem Gehirn von den Geschmacksorganen und der Nase zufliessen, gilt das Gleiche. Die chemische Natur der die Empfindung auslösenden Umstände liegt hier zu sehr auf der Hand, um noch eines Nachweises zu bedürfen. Es ist klar, dass auch hier zum Theil Jonenwirkungen im Spiele sind. Schwieriger liegen die Dinge für die Hautsinnesorgane. Aber den- noch wäre es wenigstens denkbar, dass auch hier die Möglichkeit einer chemischen Grundlage der Sinnesthätigkeit besteht. Ich stütze mich da- bei auf einen Gedankengang, mit dem ich den merkwürdigen Einfluss der Schwerkraft auf die Orientirung von Thieren und Pflanzen und auf deren Organbildung klar zu machen suchte (2). In diesen Fällen ist es zweifellos, dass Aenderung der Orientirung der betreffenden Organe eine Aenderung des chemischen Umsatzes herbeiführt, da ja sonst nicht zu verstehen wäre, wie die Spannungsänderungen der Muskeln und die Aenderung der Organbiidung und des Wachsthums zu Stande kommen könnten. Bestehen die chemischen Vorgänge in den betreffenden Fällen beispielsweise in hydrolytischen Spaltungen, so muss der Betrag des chemischen Umsatzes in der Zeiteinheit ceteris paribus eine Function der Reactionsfläche oder der Zahl der in Berührung kommenden Ferment- moleküle und der spaltbaren Moleküle sein. Nehmen wir an, dass beide in verschiedenen Formbestandtheilen der lebenden Zellen vorhanden sind, dass beispielsweise das Ferment in festen Bestandtheilen, die spaltbare Substanz in flüssigen Bestandtheilen der Zelle vorhanden ist, so ist es klar, dass eine Umlagerung der Zelle, wenn das ein Fliessen der flüssi- gen Bestandtheile veranlasst, die Folge haben kann, dass neue Moleküle der spaltbaren Substanz mit den Fermenten in Berührung kommen und dass so der Sto ff Umsatz vermehrt wird. Das kann eine chemische Weiter- leitung des vergrösserten Umsatzes durch die Nerven, und damit eine chemische Fernwirkung zur Folge haben. Es ist einstweilen nicht mög- lich, aber auch nicht nöthig, über die Andeutung von Möglichkeiten einer chemischen Auslösung der geotropischen Reactionen in besonders orientirten Zellen, wahrscheinlich in gewissen Gehirntheilen, hinauszu- gehen. In demselben Sinne könnte der Druck auf die Tastnerven der Haut eine Vergrösserung der Reactionsfläche zwischen Ferment und spaltbarer Substanz und entsprechend eine Zunahme des Stoffumsatzes bedingen. Am gezwungensten, wenn nicht unmöglich, erscheint dagegen die Uebertragung dieser Anschauungen auf die Schneckenorgane des Ohres. Wir könnten uns hier vorstellen, dass die Vibrationen der Mem- brana basilaris in den entsprechenden Hörnervenendigungen Erschütte- 13* 196 Ueber einige Angriffspunkte für eine künftige Mechanik der Gehirnthätigkeit. rungen hervorruft, wobei ebenfalls für die Dauer der Vibrationen die Zahl der in Berührung kommenden reactionsfähigen Moleküle vermehrt wird. Mit einer solchen Theorie würde aber eine Schwierigkeit ge- schaffen, von der ich einstweilen nicht sehe, wie sie zu umgehen ist, nämlich: die Mannigfaltigkeit unserer Empfindungen und die Unter- schiede ihrer Form sind zu gross, als dass alle auf Vorgänge ein und derselben Art^ nämlich chemische Umsetzungen, zurückgeführt werden könnten. Es wird deshalb besser sein, einstweilen eine chemische Theorie für die Thätigkeit aller Sinnesorgane nur als Möglichkeit im Auge zu behalten. Ich glaube, dass die wesentlichsten Thatsachen der Gehirn physiologie, soweit sie auf vivisectorischem Wege zu gewinnen sind, feststehen. Die weiteren Einsichten knüpfen sich an eine tiefere Analyse der Empfin- dungen resp. der Reizbarkeiten. Wir müssen vor allem die Lücken unseres Wissens, die wir bisher mit dem Hinweis auf die specifische Energie der Sinnesorgane ausgefüllt haben, durch bestimmtere Einsichten ausfüllen. 2) Ein weiterer Angriffspunkt für eine künftige Mechanik der Hirn- thätigkeit liegt im Problem der associativen Gedächtnissthätigkeit. Wie kommt es, dass zwei nahezu gleichzeitig stattfindende Vorgänge soweit verschmelzen, dass später das Eintreten des einen Vorganges auch den. zweiten wieder zum Vorschein bringt? Verschmelzen gleichzeitig statt- findende Vorgänge im Gehirn? Wenn wir mit einer Hand rasch ein Rad drehen, ohne uns weiter um die Art und Geschwindigkeit der Drehungen zu kümmern, und gleich- zeitig in Gedanken ein Gedicht declamiren, ohne die Lippen dabei zu bewegen, so steht die Zahl der Drehungen in einem einfachen Ver- hältniss zu der Zahl der Intensitätsschwankungen bei der Innervation für das Declamiren des Gedichts. Im Deutschen, wo die Arsen mit grösserem Nachdruck gesprochen werden, als die Thesen, ist die Zahl der Drehungen im Allgemeinen gleich der Zahl der Arsen. Brücke hat zuerst auf eine derartige Beziehung hingewiesen und ich habe vor 12 Jahren viele (noch nicht veröffentlichte) Versuche über diesen Gegen- stand angestellt, die dasselbe ergaben. Ich fand aber weiter, dass wenn man mit Absicht sehr rasch dreht und laugsam declamirt, die Zahl der Drehungen ein einfaches Multiplum der Arsen ist. Man macht 2, 3 oder mehr Drehungen im Intervall einer Arse. Declamirt man sehr rasch und dreht man mit Absicht sehr langsam, so wird die Zahl der Arsen ein einfaches Multiplum der Zahl der Drehungen. Am häufigsten ist in letzterem Falle die Zahl der Drehungen der Zahl der Verse gleich. Nehmen wir an, dass bei dem Denken wie bei dem Aussprechen des Ueber einige AngrifiFspunkte für eine künftige Mechanik der Gehirntliätigkeit. 197 Gedichtes die Innervationen, welche den Rhythmus zum Ausdruck bringen, sich als harmonische Curven darstellen lassen, und dass das- selbe für die Innervationen gilt, welche für das Drehen des Rades ver- antwortlich sind, so folgt aus diesen Thatsachen, dass gleichzeitig stattfindende harmonische Innervationsvorgänge sich so be- einflussen, dass die Perioden beider Yorgänge entweder gleich werden oder doch im Verhältniss einfacher ganzer Zahlen stehen. Es gehört Absicht und grosse Entschlossenheit dazu, gegen jenes Gesetz zu Verstössen. Ich bin nicht einmal ganz sicher, ob nicht, wo das gelingt, die Abweichung vom Gesetz nur scheinbar ist. In Wirklichkeit dürfte es sich so verhalten, dass wir einen der beiden Vorgänge vorübergehend zum Stillstand bringen. Darüber sind noch weitere Beobachtungen anzustellen. Die Thatsachen reichen aber jetzt schon aus, um festzustellen, dass natürlicher Weise zwei gleichzeitig stattfindende harmonische Innervationsvorgänge verschiedener Inner- vationsgebiete sich gegenseitig beeinflussen und am leichtesten Vorgänge gleicher Periode bilden. Diese Thatsachen sprechen nicht dafür, dass der Innervationsvorgang des sprachlichen Denkens bloss auf das moto- rische Sprachcentrum der Grosshirnrinde und die Innervationen des Armes auf das „Armcentrum" beschränkt sind. Es folgt vielmehr aus diesen Beobachtungen, dass, wenn wir sprachlich denken, der Inner- vationsvorgang sich dem Rest des Grosshirns (und event. auch weiteren Theilen) mittheilt und dasselbe gilt auch für die motorischen Innervationen des Armes. Das Gleiche gilt ferner nicht nur für gleichzeitige Innervationsvor- gänge, sondern auch für gleichzeitige Sinneserregungen und Innervatio- nen. Beim Tanz haben wir denselben Fall vor uns, nur dass der Rhyth- mus der Musik die Periode der Innervationen bestimmt. Handelt es sich um aperiodische Vorgänge, so muss dasselbe Prin- cip, das bei harmonischen Vorgängen fördernd eingreift, sich oft als Stö- rung bemerklich machen. So erkläre ich die bekannte Erfahrung, dass wir nicht gut zwei Dinge auf einmal thun können. Allgemein gültig ist das nicht, bei harmonischen Innervationsvorgängen fanden wir ja gerade das Gegentheil. Aber es gilt für viele aperiodische Vorgänge. Wenn wir über einen breiten Graben springen, so können wir nicht gut gleichzeitig eine Gleichung lösen. Fechner fasste das so auf, als ob dem Gehirn nur eine bestimmte Menge Energie auf einmal zu Gebote stehe. Beim Sprung über den Graben solle nun alle Energie den Muskeln zufliessen und nichts mehr für den Denkprocess übrig bleiben. Ich habe schon vor zwölf Jahren gezeigt, dass Fechner's Auffassung falsch ist. Die Hemmung eines Denkprocesses durch gleichzeitige Muskelthätigkeit 198 Ueber einige Angriffspunkte für eine künftige Mechanik der Gehirn tbätigkeit. ist nämlich die gleiche, wenn wir einen Arm in maximale Thätigkeit setzen oder beide Arme oder alle Muskeln unseres Körpers. Sie ist eher noch grösser, wenn wir nur einen Arm in Thätigkeit setzen, als wenn wir beide gleichzeitig innerviren. Nach Fechner müsste aber um so mehr Energie im Gehirn aufgebraucht werden, je mehr Muskelgruppen innervirt werden. In diesen Versuchen bediente ich mich einer messen- den Methode, welche darin bestand, dass ich die Grösse des maximalen Druckes ermittelte, welchen die Beuger unserer Hand auf ein Dynamo- meter auszuüben im Stande sind. Dieser Druck nimmt nicht nur nicht ab, wenn man gleichzeitig die andere Hand oder alle Muskeln innervirt, sondern sogar zu. Versucht man dagegen gleichzeitig zu rechnen, so erreicht der Dynamometerdruck nicht das Maxiraum, das er ohne gleich- zeitige Geistesthätigkeit erreichen würde (3). Die weitere Anwendung dieser Methode ergab denn auch die Erklärung der Ausgangsthatsache, dass wir nicht gut gleichzeitig geistig und körperlich thätig sein können. Beginnen wir mit dem Lösen einer nicht gerade leichten Aufgabe im Kopfrechnen und versuchen wir, wenn wir mitten in der Aufgabe begriffen sind, mit der Hand den höchsten dynamometrischen Druck zu erreichen, so bleibt der Druck etwa 20 — 30 °/o unter dem Maximum, das wir sonst erreichen, wenn wir alle Aufmerksamkeit dem Drucke allein zuwenden (4). Manchmal aber erreicht man auch beim Rechnen den maximalen Druck, den man in der Ruhe beobachtet. Allein in dem Ealle hat die Versuchsperson das Rechnen während des Drückens sicher unterbrochen, was sich darin zeigt, dass sie entweder mit einem sinnlos falschen Resultat endigt, oder die Aufgabe, die ihr gestellt war, gänzlich vergisst und erstaunt fragt, worin die Aufgabe bestanden habe. Es ge- hört zu den grössten Ausnahmen, dass die Versuchsperson beim Rechnen den maximalen Druck erreicht und dennoch die Aufgabe richtig löst. Ganz anders aber fallen die Versuche aus, wenn die Versuchsperson zuerst mit dem Drucke beginnt und ihr die Rechenaufgabe erst gestellt wird, wenn sie den maximalen Druck schon erreicht hat und sie nur nöthig hat, den Druck aufrecht zu erhalten. In dem Falle habe ich in meinen Versuchen keinen oder einen sehr geringen Einfluss beider Thätigkeiten bemerkt: Die Person konnte richtig rechnen und der Ab- fall der Curve während des Rechnens war gar nicht oder nur wenig steiler als ohne gleichzeitiges Kopfrechnen. "Wir sehen also, dass eine gleichzeitige statische Innervation, sie mag noch so stark sein, das Kopfrechnen nicht verhindert, dass dagegen eine rasch zunehmende Innervation, eine steile positive Innervations- schwankung den Rechenprocess empfindlich stört. Ich habe versucht, ob auch ein steiler Innervationsfall, d. h. ein plötzliches Erschlaffen der lieber einige Angriffspunkte für eine künftige Mechanik der Gehirnthätigkeit, 199 Innervation den Rechenprocess stört. Das war aber nicht der Fall. Der Vorgang des Kopfrechnens besteht aus einer Reihe dynamischer Vor- gänge (den Theiloperationen, in die die Aufgabe zerlegt wird) und aus statischen Processen, die in dem Behalten der Resultate der einzelnen Theilrechnungen bis zum Feststellen des Gesammtresultats bestehen. Handelt es sich nun um ein plötzliches Aufgeben des dynamo- metrischen Druckes während der Rechnung, so erfolgt das meist, wenn eine Theilrechnung gerade vollendet ist, d.h. der Abfall der Hand- innervation fällt zusammen mit dem Abfallen des Innervationsvorganges beim Abschluss eines Theiles der Rechnung. Es hat so keinen Einfluss auf die Rechenoperation. Ich bin aber nicht sicher, dass es mehr Ein- fluss besitzt, wenn die Versuchsperson während des Rechnens plötzlich aufgefordert wird, das Dynamometer loszulassen, anstatt dass die Wahl des Zeitpunktes des Loslassens ihr selbst überlassen bleibt. Was auch die Erklärung dieser Erscheintmgen sein möge, wir sehen, dass zwei gleichzeitige maximale aperiodische, mit Anstrengung verknüpfte Innervationsvorgänge, die verschiedene Organe betreffen, sich gegenseitig stören. Sind sie dagegen nicht von maximaler Intensität, so können sie ruhig gleichzeitig ablaufen. Ich fand, dass leichte Rechenaufgaben oder das Reproduciren von Gedächtniss- material das Druckmaximtim nicht herabsetzen. In dieselbe Kategorie von Erscheinungen gehören atich vielleicht die bekannten Hemmungen von Reflexen. Wir haben erwähnt, dass ein Htmd mit dtirchschnittenem Rückenmark pendelnde Bewegtingen der Hinterbeine zeigt, wenn dieselben frei herabhängen. Kneift man aber die Haut am Hinterkörper des Thieres, so hören die pendelnden Be- wegungen sofort auf (Goltz). Die Rolle, welche die Intensität bei dem gleichzeitigen Ablauf von zwei Innervationsvorgängen spielt, erinnert an die Zusammensetzung von Wellenbewegungen, bei denen ja auch eine Stiperposition nur dann möglich ist, so lange die Amplitude nicht zu gross würd. Es wäre denk- bar, dass zwei Vorgänge nur dann in unserem Gehirn gleichzeitig un- gestört ablaufen können, wenn ihre Intensität gering genug ist, um eine kStiperposition zu gestatten. Es ist vielleicht erlaubt, die Aussichten, welche diese Analogie der Gehirnvorgänge mit Wellenbewegungen und deren Zusammensetzung bietet, einen Schritt weiter zu verfolgen und zu sehen, wie sich die Associationsvorgänge diesem Bilde einfügen. Ein Vorgang bleibt mit denjenigen Vorgängen in unserem Gehirn associirt, welche völlig oder nahezu gleichzeitig mit ihm ablaufen, so dass wenigstens der letzte Theil des einen Vorganges und der Anfangstheil des anderen zusammenfallen. 200 Ueber einige Angriffspunkte für eine künftige Mechanik der Gehirnthätigkeit. Wir stellen uns nun vor, dass jeder Yorgang in unserem Centralnerven- systeni eine bestimmte Form besitzt insofern, als sich sein "Verlauf in einer Curve darstellen lässt. Finden nun zwei Vorgänge gleichzeitig statt und ist ihre Intensität nicht zu stark, so superponiren sie sich. Die Spuren, welche dieser Vorgang in unserem Centralnervensystem zurücklässt, entsprechen der Curve, welche durch die Zusammensetzung beider Vorgänge bestimmt ist. Findet später der eine Vorgang statt, so erklingt auch der früher associirte Vorgang mit. Umgekehrt bringt ein sehr complicirter Vorgang einfachere Vorgänge zur Resonanz, welche als Theilbestandtheile in ihm enthalten sind und die früher in einfacher Form schon einmal abliefen. Die Lehre von den Tonempfindungen giebt uns Anaiogieen dafür, wie einfache Töne sich zu einem Klang zusammen- setzen und wie wir umgekehrt in einem Klangbild die elementaren Be- standtheile heraus zu hören im Stande sind. In unseren Gehirnvor- gängen wirkt das, was wir in der psychologischen Terminologie als das Gedächtnissbild eines Vorganges bezeichnen, wie der Helmholtz'sche Re- sonator beim Heraushören eines Theiltons aus einem zusammengesetzten Klang. Ich glaube, dass zum grossen Theil auf der Ausbildung der Resonanzfähigkeit in beiden Richtungen — des associativen Heraus- klingens der Theilbestandtheile aus einem complicirten Vorgange und der Erregung complicirter Vorgänge durch einen in ihnen enthaltenen elementaren Vorgang — das beruht, was wir als Intelligenz bezeichnen. Das kann natürlich nichts mit dem Gewicht des Gehirns zu thun haben. Der zweite Umstand, der neben dieser Resonanzfähigkeit für die geistige Leitungsfähigkeit in Betracht kommt, ist, wie schon oben erwähnt, die Capacität, die Zahl der im Gehirn bleibenden Gedächtnissbilder. Man versucht heute alle Erscheinungen der Gehirnthätigkeit rein auf Grundlage anatomischer Nervenverbindungen zu erklären, ohne zu berücksichtigen, dass dynamische Theorieen ganz andere Möglichkeiten zulassen. Wenn gewisse Töne einen Hund zum Heulen bringen, ge- wisse Laute ein Kind zum Sprechen, gewisse Gerüche einen männlichen Hund sexuell erregen, das Reiben der Rückenhaut einen Frosch zum Qnaken veranlasst, so ist für Viele die Sache damit abgethan, wenn sie sagen, es führe eine Bahn von dem Acusticuscentrum zu den Stimm- muskeln etc. Dabei aber wird übersehen, dass nur bestimmte Töne den Hund zum Heulen veranlassen, nur bestimmte Gerüche ihn ero- tisch beeinflussen, andere Gerüche dagegen nicht u. s. w. Es ist also nicht ausschliesslich die nervöse Verbindung, sondern ein Umstand, den wir als die Form des Erregungsvorganges bezeichnen, welcher für den Erfolg entscheidend ist. Wollten wir die Parallele der Gehirnvorgänge mit Wellenbewegungen noch weiter führen, so hätten wir anzunehmen, üeber einige Angriffspunkte für eine künftige Mechanik der Gehimthätigkeit. 201 dass vielleicht auch die Centralendigungen verschiedener Organe als Re- sonatoren anzusehen sind, die auf ganz bestimmte und begrenzte Er- regungsvorgänge abgestimmt sind. Ich glaube aber, dass eine derartige Theorie einstweilen so gehalten werden muss, dass sie dem Einflüsse chemischer Vorgänge den grössten Spielraum lässt. Die correlativen Aenderungen, welche wir bei vielen Thieren zur Brunstzeit beobachten, müssen ja wohl durch Stoffe bedingt sein, die während dieser Zeit im Blute circuliren (innere Secretion) und die in den Stoffwechsel gerade derjenigen Organe eingreifen, welche während dieser Zeit Aenderungen des Aussehens oder der Reizbarkeit aufweisen. Ich will diese hypothetischen Betrachtungen hier nicht weiterführen. Nur darauf wollte ich hinweisen, dass die histologisch-corpusculären Vorstellungen der Anhänger der Centrentheorie nicht zu einer Mecha- nik der Gehimthätigkeit führen, sondern dass eine dynamische Theorie der Associationsvorgänge nöthig ist. 3) Eine gesonderte Stellung in der Mechanik der Hirnthätigkeit nehmen die Raumempfindungeu ein. Wie kommt es, dass unsere Raum- empfindungen eine Mannigfaltigkeit von drei Dimensionen sind, und wie kommt es, dass die Erfassung von geometrischen Beziehungen gewisser Art uns so leicht fällt? Mach hat auf die Bedeutung unserer Körper- form und unserer Innervationsverhältnisse für die Erfassung der Sym- metrie aufmerksam gemacht (5) und seine Ausführungen gehören zu dem Geistvollsten, das die physiologische Litteratur besitzt. Unsere Versuche über Galvanotropismus weisen darauf hin, dass eine einfache Beziehung bestehen muss zwischen der Orientirung gewisser Elemente des Central- nervensystems und der durch sie bestimmten Richtung der Bewegung. Unsere Erfahrungen über Augenbewegungen — insbesondere das Hering- sche Innervationsgesetz — die Erfahrungen über das Verhalten der vorn und hinten im Grosshirn operirten Hunde etc. lassen daran denken, ob jene Elemente des Centralnervensystems nicht etwa parallel den drei Hauptaxen unseres Körpers orientirt sind. In dem Falle wäre es mög- lich, dass die drei Urcoordinaten unserer Raumempfindungen bestimmt sind durch den Umstand, dass die für die Raumempfindungen wesent- lichen Elemente des Centralnervensystems von dreierlei Art sind, die sich von einander durch ihre Orientirung gegen die drei Hauptaxen unterscheiden. Wir haben in Vorlesung XI darauf hingewiesen, dass der Vorgang, den wir als willkürliche Innervation bezeichnen, vielleicht ein Vorgang ist, bei dem die Richtung, in der er abläuft, von be- sonderer Bedeutung ist, ähnlich wie bei galvanischen Vorgängen. In dem Falle können wir es verstehen, wie es beispielsweise kommt, dass, 202 Ueber einige Angriffspunkte für eine künftige Mechanik der Gehirnthätigkeit. wie Mach betont hat, der Wille Blickbewegungen auszuführen, mit der Eaumempfindung identisch ist. Da ich hier keine Theorie der Raum- empfindungen geben, sondern nur zeigen will, welche Stellung dieselben in einer künftigen Mechanik der Hirnthätigkeit einnehmen dürften, so mögen diese Andeutungen genügen. Ich hoffe, dass meine weiteren Untersuchungen mir eine Gelegenheit bieten werden, die Thatsachen dieses Kapitels weiter zu entwickeln. Litteratur zu XIX. 1) Mach, E, Die Principien der Wärmelehre. Leipzig 1896. S. 3G0. 2) Loeb, J. Zur Theorie der physiologischen Licht- und Schwerkraft-Wirkungen. Pflüger's Archiv, Bd. 06. 1897. 3) Loeb, J. Muskelthätigkeit als Maass psychischer Thätigkeit. Pflüger's Ar- chiv, Bd. 39. 1886. 4) Welch, J. C. On the Measurement of Mental Activity through Muscular Activity etc. The Anaerican Journal of Physiology, Vol. I, 98. 5) Mach, E. Beiträge zur Analyse der Empfindungen. Jena 1885. Register. Aal 94. 100. 111. 160. Acalephen 11. 12 u. ff. Actinien 30 u. ff. 145. Amblystnma 108—110. 134. Ameisen 142 — 145. Amphipyra 123. Anneliden 56 u. ft. Apäthy 29. 91. Aphasie 169-171. 189-191. Arnold 20. Arthropoden 68 u.ff. Ascidien 22 u. ff. Ascidienherz 15. 16. Associative Gedächtnissthätigkeit, noth- weudig für Bewusstseiu 7. 8. 140. 149.162. , Verbreitung 141. 145—147. , abhängig vom Grosshirn 152 — 160. , beeiuflusst durch Innervationen 196—201. — — , corpusculäre Theorie derselben 9. 188. 189. 191. 192. , dynamische Theorie derselben 9. 188. 190. 191. 196—201. Astacus siehe Flusskrebs. Asterina gibbosa 45. Asterina tenuispiua 46. Athemzentren bei Arthropoden 71. 72. 73. — bei Wirbellhieren 73. 74. 97. Aurelia aurita 11. 12. Automatische -Vorgänge 6. 10. 16. 17. 18. Baianus perforatus 128. 129, Baumann 135. Bell 90. Beseeltheit der Pflanzen und aller Materie 7. 162. Siehe auch Bewusstsein. Bethe 28. 29. 75. 77—81. 83. 84. 87. 105. 142—145. 150. 151. Bewegungsdrang entbirnter Würmer 62 u.ff. — bei Krebsen 77. 78. — „ Mollusken 87. — „ Fröschen 93. — „ Hunden 117. 186. 187. Bewusstsein. Kriterium und Verbreitung 7. 8. 139-151. 162. — abhängig von Grosshirn 153 u. ff. — Entwickelung desselben 162 — 163. — Unterschiede des Umfanges 163 — 164. — abhängig von Sauerstoff 164 — 165. Siehe auch Localisation. Bienen. Gehirnphysiologie 81. — Intelligenz 145. — Schmerzerapfindungen 150. Bickel 100. Blasius 111. Blutgefässe 27. 28. 173. Bouillaud 169. 171. Broca 169. 170. 171. 177. Brown-Sequard 25. 74. 100. Brücke 196. Budge 25. Cajal 29. Carcinus maenas 28. 79. Centren im Grosshirn 168 — 183. — im Piückenmark 89 — 100, Siehe auch Localisation. Cephalopoden 86. Cerianthus 32. 33. 34 u. ff. 146. Characteränderungen nach Gehirnverletzung bei Würmern 62—67. bei Krebsen 77—78. „ Mollusken 87. „ Fröschen 92—93. „ Hunden 117. 186 u.ff. Chemische Eeizbarkeit bei Actinien 30 u. ff. — — bei Krebsen 78. Siehe auch Chemotropismus. Chemische Theorie der Empfindungen 194 bis 190. 201. der Vererbung 133—138. „ Geisteskrankheiten 135. „ Triebe und Instinkte 96. 119 bis 130. des Electrotonus 109. der Shockwirkungen 174. 181. Siehe auch Chemotropismus. 204 Kegister. Chemotropismus 4. 60. 61. 124. 125. 143. Christiani 156. Chun 129. Ciona 3. 22 u. ff. Compensatoriscbe Bewegungen 95. Siehe auch Hörnerv und Geotropismus. Contaktreizbarkeit bei Actinien 34. 37. — bei Seesternen 41. — Siehe auch Stereotropismus. Coordination der Athmung 72. 73. Coordination der Bewegung.5.6.13— 16. 113. — beim Eegemvurm 58. 59. „ Hunde 59. 117. „ Frosch 98. 94. Kleinhirn und — 117. Siehe auch Orientirung und Function motori- scher Elemente. Coordination der Herzthätigkeit 13 — 15. Cucumaria 43 u. ff. Cyon, V., E. 90. 103. 173. 183. Darwin 130. Dax 169. 170. Deviation conjuguee 102. Dohrn 89. Duval 166. 167. Dayne, van 55. 67. Djmamometerversuche 197 — 2C0. Dytiscus 69. Echinodermen 39 u. ff. Eimer 21. Electrische Keizung 96. lüS-114. 116. 171. 193. 194. Electrotonus 109 u. ff. Eledone 86. Empfindungen 149-151. 162. 194—196. 201. 202. Engelmann 6. 21. 91. Entwickelung des Bewusstseins 8. 9. !62 bis 163. Erinnerungsbild. Siehe associative Ge- däclitnissthätigkeit u. Localisatiou. Eudendrium 120. Ewald 25-29. 96. 100. 136. 138. 153. 173. Faivre 69. 70. 71. 75. 83. Falken ohne Grosshirn 158. Fechner 197. 198. Ferrier 116. 118. Fische 96. 103. 104. 117. Fliege 124. Fliegenlarve 125. Flourens 70. 73. 74. 77. 92. 93. 100. 115. 116—118. 153. 172. 187. Flusskrebs 75-80. 110 u. ff. Forel 144. Fressstörungen 90. 158. 159. 160. Friedländer, B. 58. 59. 60. 67." Fritsch 171. Frosch. Nervensystem 91. Frosch. Eückenmark 92—96. — Grosshirn 152. — Localisirungsreflex 20. Froschlarve 134. Funetionslocalisation 97—100. 168—183. 184—192. 197—202. Gall 169. 171. 177. Galvanotropismus 5. 119. 128. — Theorie des 109 u. ff. — bei Amblystoma 108 — 111. — beim Flusskrebs HO. — bei Palaemonetes 111. Gammarus 150. Ganglien, Bedeutung für anatomische Thä- tigkeit 5. 6. 16. 18. — , Bedeutung für Reflexe 2—5. 22—29. — , „ „ Coordination 5. 12 — 16. Gan^j^lienzelle, tropische Function derselben 90. 91. — , unnöthig für den Eeflex 28. 29. Garrey 108. 111. 114. Gaskell 6. Gaule 136. 138. Gefässreflexe 27. 28. 173. Gehirn der Planarieu 48 u. ff. — „ Mollusken 85 u.fF. — „ Wirbelthiere 89 u. ff. Siehe auch Grosshirn undOberschlundgauglion. Gehirn und Bewusstsein 152 u. 11'. Gehirnmasse ohne Bedeutung für Intel- ligenz 164. Geisteskrankheiten, chemische Theorie der- selben 135. Geotropismus bei Actinien 34 u. ff. — bei Seesteruen 41. 42. 45. — „ Insecten 43. — „ Cucumaria 48. — „ Krebsen 79 und Tiefenwanderungeu der Seethiere 129. Geppert 72. Golgi 91. Goltz 25. 29. 59. 64. 74. 91. 94. 96. 98. 100. 129. 130. 131. 136. 138. 153. 159. 161. 167. 172. 173. 174. 176. 178. 183. 184. 185. 191. 192. 199. Gonionemus 10. 11. 14. 15. Graber 67. 146. Grillen 81. Groom 128. 131. Grosshirn, Exstirpation des. bei Fröschen 152. 153. bei Haifischen 152. „ Vögeln 153 — 159. „ Hunden 159—160. „ Kaninchen 156. Siehe auch electrische Reizung und Localisatiou. Grosshirn, Segmentaltheorie desselben 168ff. Grosshirn und Reflexe 152 — 153. Haifisch 103. 104. 152. 153. Halbkreuzung 101—103. Kegister. 205 Halbzirkelkanäle 115. 116. Siehe auch Hörnerv. Hargitt U. 15. Hegel 148. Heliotropismus 2. 4. — bei Asterina 46. — „ Eudendriuin 120. — „ Motten 121. — „ Eaupen 126. — „ Seethieren 127—129. — Umwandlung des Sinnes des H. 128. 12;». Helmholtz 19.3. 200. Hemiamblyopie 180. 181. Hemianopsie 180. 181. Hemmung der Eeflexe 153. 196—201. — der Progressivbewegung 92 — 93. 106 bis 107. 115. 185—188. — durch electrischen Strom HO — 114. Siehe auch Shockwirkung. Hering 107. 156. 194. 201. Hertwig, 0. und E. 21. Heteromorphose 32. 133. Heuschrecken 81. Hintere Wurzeln, Einfluss auf Muskeltonus 90. 103. 173. 174. Hinterhauptslappeu 178—182. 185—188. Hitzig 171. 172. 174—177. 183. 186. Hood, Thomas 169. Hörnerv, Folgen der Verletzung 103. 104. 107. 115. 116. 174. 187. Hummer 76. Hund, Eückenmarksreflexe 59. 91. — , Eückenmarksentfernung 25 — 28. — ohne Grosshirn 159. 160. — , Grosshirnlocalisation 171 — 183. — , ürosshirn und Intelligenz 185. — , Erinnerungsbilder 191. Hunter 26. Hyde, Ida 69. 70. 83. 105. 106. Hydromedusen 10. 11. Hydrophilus 82. Hydrotropismus 45. Ichbewusstsein 139. 140. Innervationsvorgang, Natur des 113, — , Analogie mit Wellenbewegungen 196 bis 201. — und Eaumempfindungen 113, 201. 202, Instinkte 4. 96. — , Theorie der 119—131. Intelligenz bei Seesternen 42. — , Vererbung von 137. — und Tropismen 142. — , Unterschiede der 163. — , Localisation der, im Stirnlappen 185. — , Störung der, nach Gehirnverletzunsr 184. 185. 188. 189. — und associatives Gedächtniss 200. Jonen, siehe chemische Theorie. Iris 24. 25, Kettenreflex 96, Kleinhirn 115, 118. Koränyi 181, Krebs, siehe Arthropoden. Kussmaul 170. 183. Langendorff 74, 83. Lea 194. Le Gallois 73. Limulus 68 — 75. 106. Lingle 16. Localisation, Kritik und Fehlerquellen der- selben 73. 74. 96-100. 172. 173. 174. 176. 177—183. 184—192. 197. Localisation von Eeflexen im Eückenmark 89-100. im Grosshirn 168—192. Erinnerungsbildern 178 — 181. 188 bis 192. Localisirungsreflex 18 — 20. Locomotionscentrum, allgemeines 93. 106. 107. Locy 89. Loeb 9. 29, 38, 47. 67. 107. 114. 131. 138. 151. 183. 192. 202. Longet 156. Lubbock 144. Luciani 117. 118. Lumoricus 61, Mach 139. 151. 194. 201. 202. Magendie 115. 117. 118. 154. Mathews 135. 138. Maxwell 60. 62. 65. 66. 67. 87. 93. HO. 111. 112. 114. Macaskill 65. Mechanik der Gehirnthätigkeit 193 u. ff. Medulla oblongata, Functionen 73. 92. 93. 95. 97. 98. 103—105. 115-118. Medusen, Nervensystem 10 u. ff. Meyer, Adolf 138. Mollusken 85 u. ff. Moreau 170. Motorische Zone des Grosshirns 168 — 178. 184—188. Motte 119. 121. 122. Müller, Joh. 193. Munk 178—180. 182. 183. 191. 192. MüDsterberg 148. 151. Muskelbewusstsein 174. 175. Muskelthätigkeit als Maass physischer Thätigkeit 197 u. ff. Nagel 38. 142. 146. Nahrungsaufnahme, nach Exstirpation des Grosshirns 1.58 — 160. Nereis 57. 62—66. 124. Noeud vital. Siehe Athemzentrum. Neuronentheorie 28. 29. Norman 42. 149—151. 206 Register. Oberschlundganglion bei Anneliden 57—66. — bei Limulus 71. — „ Astacus 77—79. — „ Squilla 80. — „ Bienen 81. — „ Hydrophilus 82. Ohr. Siehe Hörnerv. Ophiuriden 42. Orientirung und Function motorischer Ele- mente 108—114. 115. 118. 185-189. 200. 201. Oxydation. Siehe Sauerstoff. Palaemouetes 111. 112. 119. Parker 32. Patten 70. Pflüger 160. 161. 167. Pfropfversuche an Medusen 14. Phrenologie 169—171. Planaria torva 52 — 56. Plateau 144. Pollock 38. Polygordius 129. Porthesia chrysorrhoea 126. 127. Preyer 42. 46. 47. Progressivbewegung. Siehe Locomotions- centrum, Coordination, Spontaneität, Hemmung. Psychische Erscheinungen. Siehe Be- wusstsein. Pterotrachea 85. Quakreflex 153. Quincke 17. Raumempfindungen 113. 156. 201. 202. Eeflexe, allgemeines 1 — 4. 22 — 29. Spe- cielles, siehe die verschiedenen Thier- klassen. — , — , geordneter Character derselben 5. 113. - , — , ohne Ganglien 3. 28-29. — , — , zweckmässiger Character derselben 2. 4. 9. Eegenwurm 57 u. ff. 149. Eeitbahnbewegungen. Siehe Zwangsbe- wegungen. Eeizsch welle nach Exstirpation von Ganglien 23 u. ff. Eheotropismus 45. Ehythmische Vorgänge 6. — — Ursache derselben 14. 17. 18. bei Medusen 12. 13. 15. im Herzen 12 — 16. Eieger 189—192. Eolando 154. EoUbewegungen. Siehe Zwangsbewegungen. Eomanes lOu.ff'. 41. 142. 145. 146. Eosenthai 17. Eückenmark, Function des 25 — 28. 59. 73. 74. 89—100. 133. 134. 136. 160—162. 172—174. 176. Eückenmarksbewusstseiu 160. 161. Sachs 133. 193. Salamander 94. 108 u. ff. 134. Sauerstoff und Gehirnthätigkeit 164. 165. Schaper 26. 29. 134. 138. Schilddrüse 135. Schildkröte 18. 20. Schlaf. - Duval's Theorie des 166. Schmerzempfindungen bei Thieren 149. 150. 162. Schmetterlinge 121. 123. 143. 144. Schopenhauer 148. Schrader 92—95. 100. 106. 152—160. 166. 167. 182. 188. Schweizer 111. Seelenblindheit 178 — 181. Seesterne 39 u. ff. Segmentaler Character der Eeflexe bei Würmern 56 u. ff. — bei Krebsen 83. — — „ Fröschen 93. „ bei Hunden 91. Segmentaltheorie , allgemeine 56. 57. 66. Ö8. 83. 96—99. — — bei ^Ylrbelthieren 89 u. ff. „ Würmern 56 u. ff. — — „bei Arthropoden 68 u. ff. — — „ Grosshirn 168 — 183. Sehsphäre 178—183. Sherrington 107. Shockwirkungen als Fehlerquelle bei Loca- lisatiou 73. 74. 96—98. 172—174. 176. 177. 179—181. — , Erklärung der. Siehe chemische Theorie. Spannungsänderung der Muskeln nach Gehirnverletzung bei Würmern 67. bei Arthropoden 77. 105. — Grosshirn Verletzung 175. 176. 181. 186. — — Durchschneidung der hinteren Wurzeln 90. 103. 173. Specifische Energie der Sinnesorgane 193 bis 196. Speck 164. 165. 167. Spencer 137. 138. Sphincterreflex 25. 26. Spontaneität 5. 6. — bei Planarien 49 u. ff. — „ enthirnten Anneliden 61 u. ff. — „ Krebsen 77. — „ Fröschen 92. — und Grosshirn 152—160. 185—188. — , unabhängig von Ganglien 6. 105 — 107. Squilla 80. Stechreflex bei Bienen 81. Steinach. 25 29. Kegister. 207 Steiner 85. 87. 88. 93. 100. 106. 107. 117. 158. 167 Stellungsänderung der Extremitäten. Siehe Spannungsänderung. Stereotropismus bei Actinien 38. — bei Seesternen 42. — „ Thysanozoon 50. Eegenwurm 61. Nereis 64. Krebsen 79. Amphipyra 123. Aal 161. Stirnlappen 185—187. Tastkreise 138. Tauben ohne Grosshirn 153 — 159. Theilseelentheorie 148-192. Thysanozoon 48 — 52. Tiaropsis 19. Tiefenvertheilung der Seethiere 45. 46. 127—129. Tornier 133. 134. Trigemiuuskeratitis 136. Trophische Nerven 137. Tropismen, Identität der thierischen und pflanzlichen 2. 4. 5. 120—122. — , Bedeutung für Instinkte 4. 121 — 131. — , „ „ Psychologie 7. 146. 161. — . Mechanik der 109. 120. 121. 125. 126. 128. Tubularia 123. Uexküll, V. 87. 88. 105. Umarmunffsreflex 153. Unterscheidungsvermögen bei Actinien 31 ff. Unterschiedsempfindlichkeit bei Planarien 52. 53. — bei Würmern 60. 61. 62. 65. 146. Unterschlundganglien bei Anneliden 65. — bei Limulus 71. — „ Astacus 79. — „ Mollusken 85. Vasomotoren. Siehe Blutgefässe. Vererbung 131—138. 156. Vulpian 75. 83. 117. Ward 77. Weismann 138. Welch, J. C. 202. Wellenschema der Innervationsvorgänge 196—201. Wendung der Seesterne 39. Wille 147. 148. Willensfreiheit 148. 149. Würmer 48 u. ff. 146. 149. Tersin 81. Zuntz 72. Zwangsbewegungen 101 — 107. 115. 117. 118. 187. Zweiköpfige Planarien 55. 56. — Actinien 55. Zweckmässigkeit, Kriterium für Bewusst- seiu 7. 8. Druckfehlerverzeichniss. S. 10. Zeile 5 von oben lies „concaven" statt convexen. S. 166. Zeile 27 von oben lies „dass" statt das. S. 170. Zeile 8 von unten lies „dass" statt das. S. 181. Zeile 9 von oben lies „Erhöhung" statt Herabsetzung. S. 181. Zeile 18 von oben lies „ist" statt sind. S. 185. Zeile 13 von unten lies „die beiden" statt sie bei den. Druck von C. Grumbach in Leipzig. r EliNLEITUNG IN DIE VERGLEICHENDE (iEHIRNPHYSIOLOUIE UND VERGLEICHENDE PSYCHOLOGIE MIT BESONDERER BERÜCKSICHTIGUNG DER WIRBELLOSEN THIERE. VON DL JACQUES LOEB, DIRECTOR DES PHYSIOLOGISCHEN INSTITUTS AN DER UNIVERSITÄT CHICAGO. MIT 39 ABBILDUNGEN. LEIPZIG, VERLAG VON JOHANN AMBROSIUS BARTH. 1899, V. Verlag von Johann Ambrosius Barth in Leipzig. |f ttr«J|ttf t für |lfij(l)olo!ii( uNb p|)i)ft0lo(|i( kt Sinnraotganr. In Gemeinschaft mit S. Exner, E. Hering, J. v. Kries, Th. Lipps, G. E. Müller, C. Pelman, C. Stumpf herausgegeben von Heriii. El)l)mghaiis und Arthur König. Jährlich erscheinen 2 — 5 Bände, jeder zu 6 Heften. Preis des Bandes 15 Mark. Im Jahre 1899 erscheint der 19. — 21. Band. Käufer der ganzen Serie erhalten einen ermässigten Preis eingeräumt und macht die Verlagsbuchhandlung gern Offerten. CAJAL, Prof. Dr. S. RAMON, Beitrag zum Studium der Medulla oblongata, des Kleinhirns und des Ursprungs der Gehirnnerven. Deutsch vou Dr. Johannes Bresler. Mit einem Vorwort von Prof. Dr. E. Mendel. VIII, 139 S. gr. 8'^ mit 40 Ahh. 1896. M.6.— , geb. M. 7.— Die hochinteressanten Hirnuntersuchungen des berühmten spanischen Gelehrten werden nicht nur bei Ana- tomen, sondern auch bei jedem Psychiater, Psychologen, Irren- und Nervenarzt lebhaftester Anteilnahme sicher sein. DELBRÜCK, Direktor Dr. A. , Gerichtliche Psychopathologie. Ein kurzes Lehrbuch für Stu- dierende, Aerzte und Juristen. VIII, 224 S. 1897. M. 5.60, geb. M. 6.60 In seinen Vorlesungen über ,, Gerichtliche Psychopathologie" sah sich Verfasser vielfach genötigt, von der in den gebräuchlichen Lehrbüchern üblichen Darstellung nicht unerheblich abzuweichen, um den durch die modernen Forschungen gewonnenen Anschauungen des Strafrechts und der criminellen Anthropologie gerecht zu werden. Dies veranlasste ihn, seine Vorlesungen in einem kurzen Lehrbuch zusammenzustellen. Er hat sich dabei bemüht, das jetzt allgemein Gültige und allgemein Diskutierte, wenn auch mit besonderer Berücksichtigung der neueren Anschauungen, in Kürze möglichst objektiv wiederzugeben. f^OLDSCHEIDER, Prof. Dr. A., Gesammelte Ahandlungen. 1. Band: Ueber die Physiologie der Hautsinnesnerven. X, 432 S. mit Abbikl. u. 3 Tafehi. 1898. M. 12.— 2. Baud: Ueber die Physiologie des Wuskelsinnes. VI, 323 S. m. Abb. 1898. M. 8.— Zeitschr. f. Nervenheilkunde: Die Untersuchungen Goldscheider's nehmen unter den sinnesphysiologischen Arbeiten der letzten Jahre einen allgemein anerkannten hervorragenden Platz ein. Für den Neurologen sind die- selben von noch besonderem Interesse , weil sie vielfach an pathologische Verhältnisse anknüpfen, und vielfach mit Rücksicht auf gewisse pathologische Erscheinungen unternommen sind. Deutsche medizin. Wochenschrift: Möge das Buch in keinem physiologischen und experimentell-psycho- logischen Laboratorium fehlen I GOLDSCHEIDER, Prof. Dr. A., Die Bedeutung der Reize für Pathologie und Therapie im Lichte der Neuronlehre. IV, 88 S. 1898. M. 2.40 Das vorliegende Buch wird jedem eine (Juelle der Anregung bieten und ihm den Weg zeigen, wie eine grosse Reihe sowohl von täglich beobachteten und deshalb als ,, selbstverständlich" angesehenen Dingen als auch von Symptomen seltener und scheinbar widersinniger oder gar scheinbar vorgetäuschter Art ihre Erklärung finden können. HANSLICK, Prof. Dr. ED., Vom Musikalisch-Schönen. Ein Beitrag zur Eevisiou der Aesthetik der Tonkunst. 9. Aufl. XII, 221 S. 1896. geb. M. 3.- Die berühmte Schrift, die unbekümmert um alle Vorurtheile und Angriffe den Begriff des Musikalisch- Schönen zuerst aus nebelhafter Dämmerung herausgearbeitet hat, bleibt neu und behält ihren bestimmten Werth für alle wahrhaft Gebildeten. UENNIG, Prof. C. R., Aesthetik der Tonkunst. VIII, 232 S. 1896. M. 4.—, geh. M. 4.75 ■ ' Die vorliegende Arbeit geht davon aus, dass der menschliche Geist die Fähigkeit „reinen Anschauens" als eine Hauptkategorie seines Wesens besitzt; sie erläutert Begriffe wie die der Idee, des Ideals, der Phantasie, der Intuition u. s. w. und stellt auf dieser Grundlage die Natur des Kunstschaffens und des Kunstgeniessens fest. iUeberall werden die Beziehungen zwischen der ,, Aesthetik" und der ,, Psychologie" aufgesucht und verwerthet, so entsteht ein System der Aesthetik, welches sich an keines der vorhandenen ästhetisch-ph-'osophischen Systeme anlehnt. IRSCH, Dr. M., Suggestion und Hypnose. Ein kurzes Lehrbuch für Aerzte. 1893. VI, 210 S. geb. M. 3.75 Dr. Hirsch in Berlin hat sich der Aufgabe mit grossem Geschick entledigt. Grosse Klarheit bei knapper Kürze und gleichwohl eine Besprechung aller wissenswerten Fragen mit specieller Berücksichtigung der Bedürf- nisse des prakt. Arztes zeichnen das kleine Buch aus. H Verlag von Johann Ambrosius Barth in Leipzig. KRAFFT-EBiNG, Prof. Dr. R., Arbeiten aus dem Gesamtgebiete der Psychiatrie und Neuropathologie. 4 Hefte. 1897—1899. zusammen geheftet M. 18.— iu einem Band geb. M. 20. — Die Hefte sind auch einzeln zw haben. Preis je M. 4.50, geb. M. 5.50. Inhalt: i. Heft: i. Ueber transitorisches Inesein auf neurasthenischer Grundlage. 2. Beziehungen zwischen Neuralgie und transitorischer Psychose. 3. Ueber Hemicranie und deren Beziehungen zur Epilepsie und Hysterie. 4. Ueber transitorische Geistesstörung bei Hemicranie. 5. Zur Intermittens larvata. 2. Heft: Die Aetiologie der progressiven Paralye. 2. Ueber Vortäuschung organ. Erkrankungen des Nervensystems durch Hysterie. 3. Zur Athetotis bilateralis. 4. Varia. 3. Heft: Enthaltend zehn längere und kürzei'e Aufsätze über Paralyse, I'ämmer- imd Trauinzustände, Delirien, epileptische Psychosen etc. 4. Heft: Zui Aetiologie der multiplen Sklerose. Zur Lehre von den Zwangsvorstellungen. Zur Psycho- und Neuropathia se.xualis. KRAEPELIN, Prof. Dr. EMIL, Psychiatrie. Ein Lehrbuch für Studierende und Aerzte. Sechste, vollständig umgearbeitete Auflage. 2 Bände. 1899. M. 24. — , gel). M. 26.50 I. Band: Aügemeine Psychiatrie. XIII, 362 S. M. 9.-, geb. M. 10.—. IL Band: Klinische Psychiatrie. XIV, 607 S. mit Abbildungen und 9 Tafeln. M. 15.—. geb. M. 16.50. Das Werk wird von einem grossen Teil der Fachpresse für das beste deutsche Lehrbuch der Psychiatrie augesehen; es ist daher erklärlich, dass bereits 2 Jahre nach dem Er.scheinen der 5. Auflage sich eine neue Auflage nothv/endig macht. KRIES, Prof. Dr. J. VON, Abhandlungen zur Physiologie der Gesichtsempfindungen. 1. Heft. YIII, 198 S. u. 1 färb. Tafel. 1897. M. 5.— Inhalt: Ueber die Funktion der Netzhautstäbchen. Ueber den Einfluss von Lichtstärke und Adaption auf das Sehen des Dichromaten (Grünblindeni. Ueber die Wirkung kurzdauernder Lichtreize auf das Seliorgaa. Ueber Farbensysteme. Ueber den Einfluss des Makulapigments auf Farbengleichungen. LIPPS, Prof. Dr. TH., Zur Psychologie der Suggestion. Vortrag mit angeschlossener Diskussion. 45 S. 1897. M. 1.20 MACH, Prof. Dr. E., Populär-wissenschaftliche Vorlesungen. VIII. 336 Seiten mit 46 Abbil- dungen. 2. Aufl. 1897. M. 5.—, geb. M. 5.75 Aus dem Inhalt: Ueber die Cortischen Fasern des Ohres. Die Erklärung der Harmonie. Zur Geschichte der Akustik. Wozu hat der Mensch zwei Augen. Die Symmetrie. Bemerkungen zur Lehre vom räumlichen Sehen Kölnische Zeitung: Der Verfasser dieses Buches ist einer der geistvollsten Physiker der Gegenwart, ein Forscher, der nicht allein als E.xper'imentator, sondern auch als philosophischer Denker unter den Ersten glänzt. Dass er auch IMeister in der Kunst des populären Vortrags ist, beweist das vorliegende Werk. Naturwissenschaftliche Wochenschrift: Die geistreichen Vorträge des trefflichen Gelehrten gehören zu dem Gediegensten, was die Litteratur in diesem Genre besitzt. Sie stehen auf derselben Stufe, wie etwa Helm- holtz' Vorträge, MARTIN, L. u. Prof. Dr. G. E. MÜLLER, Zur Analyse der Unterschiedsempfindlichkeit. VIII. 233 S. 1899. M. 7.50 In dem vorliegenden Buche wird der Standpunkt vertreten, dass nicht die Gewinnung äusserlicher Maass- grössen, sondern die Ermittelung der psychologischen Faktoren, welche die Urtheile bestimmen, und die Fest- stellung der Abhängigkeit, in welcher diese Faktoren zu den verschiedenen Versuchsbedingungen und individuellen Dispositionen stehen, die erste Aufgabe der L^ntersuchung auf diesem Gebiete ist. lUlÖBlUS, Dr. P. J., Neurologische Beiträge. 5 Hefte. 1894—1898. M. 18.— Inhalt: i. Heft: Ueber den Begriff der Hysterie und andere Vorwürfe vorwiegend psychologischer Art VI, 2IO S. 1894. M. 4.— _'. Heft; Ueber Akinesia algera. Zur Lehre von der Nervosität. Ueber Seelenstörungen bei Chorea V, 137 S. 1894. M. 3.— 3. Heft: Zur Lehre von der Tabes. IV, 154 S. 1S95. M. ^_ 4. Heft: Ueber verschiedene Formen der Neuritis. Ueber verschiedene Augeumuskelstörungen. "IV, 216 S. 1895. M. ^ _!. 5. Heft: Ueber die Eintheilung der Krankheiten. Ueber die Behandlung der Nervenkranken und die Er- richtung von Nervenheilstätten. Zur Bekämpfung der Nervosität. Ueber die Ursachen der Krankheiten. Ueber den Kampf gegen den Alkoholismus, gegen die Tuberkulose und die venerischen Krankheiten. Ueber das Rauchen. Ueber die V'eredelung des menschlichen Geschlechts etc. etc. IV, 176 S. 1898. M. 4.— MÖBIUS, Dr. P. J., Ueber das Pathologische bei Goethe. 208 S. 1898. M. 2.40, geb. M. 3.— In seinem Buche über Goethe hat der Verfasser zweierlei gethan : Einmal hat er alles zusammengestellt, was Goethe über krankhafte Geisteszustände gedacht hat, insbesondere die lange Reihe pathologischer Gestalten in Goethe's Dichtungen geschildert und besprochen. Sodann aber hat er Goethe's Person vom ärztlichen Stand- punkte aus betrachtet und hat gezeigt, dass auch für Goethe der Satz gilt: le genie est une nevrose. Es werden also Goethe's Werke und Person von einem durchaus neuen Standpunkte aus betrachtet, und man gewinnt nach beiden Richtungen hin eine Fülle neuer Einsichten. Verlag von Johann Ambrosius Barth in Leipzig. MÖBIUS, Dr. P. J., Nervenkrankheiten. Eiu kurzes Lehrbuch. VIII, 188 S. 1893. §el) M. 4.50 Deutsche Medizinal-Zeitung : Das gediegene kleine Bucli wird sich schnell iibemll einbürgern. Es enthält bei aller Kürze das Wissenswerteste aus dem Gebiete der Nervenkrankheiten und zwar in so ansprechender origi- neller Form, dass es das Interesse des Lesers stets fesselt. MÖBIUS, Dr. P. J., Ueber Schopenhauer. 264 S. mit 12 Porträts. 1899. M. 4.50, geb. M. 5.50 M. hat hier die Person und die Lehre des Philosophen besprochen. Im i. Theil wird gezeigt, dass Seh. eine ,,patholog. Mehrwertigkeit" war; ein Anhang enthält eine Abhandlung über die Seh. -Bilder. Der >. Theil enthält eine Kritik der Philosophie Schopenhauers. PARISH, EDMUND, Zur Kritik des telepathischen Beweismaterials. Vortrag-. 1897. 48 S. M. 1.50 PIERSON-SPERLING, Elektrotherapie. 6. Auflage bearb. von Dr. A. Sperling. XII, 420 S. mit 88 Abb. 189B. geb. M. 6.75 Münchener ärztliches Intelligenzblatt: Nicht sowohl für den Specialisten, als vielmehr für den praktischen Arzt geschrieben, der nicht Zeit hat, dickleibige Specialwerke zu studieren, aber doch Kenntnis von den Fort- schritten eines der hervorragendsten Teile der modfernen Therapie haben muss, behandelt das Werkchen in prägnanter Kürze und dabei in anregender, leicht verständlicher Weise die ganze Lehre der Elektrotherapie. SCHRENCK-NOTZING, Dr. VON, prakt. Arzt, Ueber Suggestion und Erinnerungsfälschung im Berchtold-Process. 110 S. 1897. M. 3.— Gerade der Fall Berchtold liefert eine Fülle von Belegen für die praktische Wichtigkeit der Suggestions- lehre und die forensische Bedeutung der rückwirkenden Erinnerungsfälschungen. Cchriften der Gesellschaft für psycholog. Forschung. Erschienen sind bis jetzt: Heft 1. v. Schrenclc-Notzing, Die Bedeutung narkotischer Mittel für den Hypnotismus mit besonderer Berücksichtigung des englischen Hanfes. Forel, Ein Gutachten über einen Fall von spontanem Somnambulismus mit angeblicher Wahr- sagerei und Hellseherei. M. 3. — . — Heft 2. Münsterberg, Ueber Aufgaben und Methoden der Psychologie. M. 6.—. — Heft 3/4. Moll, Der üapport in der Hypnose. Untersuchungen über den thierischen Magnetismus. M. 8.—. — Heft 5. v. Koeber, Jean Paul's Seelenlehre. Ein Beitrag zur Geschichte der Psychologie. Offner, Die Psychologie Charles Bonnet's. Eine Studie zur Gesclüchte der Psychologie. M. 7.—. — Heft 6. v. Bentivegni, Anthro- pologische Formeln für das Verbrecherthum. M. 1.20. — Heft 7/8. Farish, lieber die Trugwahrnehmung (Hallucination und Illusion). Mit besonderer Berücksichtigung der internationalen Enquete über Wachhallucination bei Gesunden. M. 7.—. - Heft 9 10. Lipps, Raumästhetik und optische Täuschungen. (1897). M. 12. — . — Heft 11. Wreschner, Methodologische Beiträge zu psycho-physischen Messungen (1898) M. 7. — . CTUMPF, Prof. Dr. CARL, Beiträge zur Akustik und Musikwissenschaft. ^ 1. Heft: Stumpf, Konsonanz und Dissonanz. VIII, 108 Seiten. M. 3 60 2. Heft: Versch. Aufsätze von C. Stumpf und M. Meyer. IV, 170 S. 1888. M. 5.- An Stelle der noch rückständigen zwei Bände "seiner Tonpsychologie hat Verfasser sich entschlossen seine Untersuchungen zur Musiktheorie künftig in diesen Beiträgen zu veröffentlichen, die sich ihrem Inhalte nach sowohl an die psychologischen Fachgenossen wie an die Musikgelehrten wenden werden. Das i. Heft beleuchtet Helmholtz' und Anderer Theorien für Konsonanz kritisch und versucht eine neue Theori.^ aufzustellen. — Ein 3. Heft ist in Vorbereitung. VOGT, Dr. 0., Die directe psychologische Experimentalmethode in hypnotischen Bewusstseins- zuständen. 64 S. 1897. M. 2.— Der Verfasser beabsichtigt, die Stellung der Psychologen zu den Hypnotisten zu klären und weist darauf hin, welche Vorteile die Psychologie a. d. Hypnot. ziehen kann, wenn die richtigen Methoden angewandt werden. W ENTSCHER, Dr. MAX, Ueber physische und psychische Kausalität und das Prinzip des psycho- physischen Parallelismus. X, 122 S. 1896. M. 4.— Eine sehr interessante Studie aus der Schule Stumpfs. Verf. bekennt sich zu Lotze's philosophischen Grundsätzen. Er verwirft den Parallelismus und sucht auf besondere Weise die Annahme einer Wechselwirkung zu ermöglichen. OLFF, Dr. GUSTAV, Ueber krankhafte Dissoziation der Vorstellungen. IV. 70 S. 1897. M. 2.- W Zeitschrift für Hypnotismus, Psychotherapie sowie andere psychopatholog. und psychophysiolog. Forschungen. Unter besonderer Förderung von Prof. Dr. A. Forel herausgegeben von Dr. 0. Vogt. pro Band M. 12.— Die Zeitschrift stellt sich jetzt als strengwissenschaftliches Fachorgan dar, das dem Psychiater, Psycho- logen und dem prakt. Nervenarzte kaum noch entbehrlich sein dürfte. Jährlich erscheinen i — 2 Bände, im Jahre 1899 Band 8 und 9. Lippert & Co. (G. Fätz'eche Buchdr.), Naumburg a. S.