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BOOK 248.2.B85E c. 1

BUBER # EKSTATISCHE KONFESSIONEN

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MEISTER ECKHART

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DIESE Mitteilungen von Menschen über ein Erlebnis, das sie als ein übermenschliches empfanden, sind weder um einer Definition noch um einer Wertung willen zusammengestellt worden, sondern deshalb, weil in ihnen die Gewalt des Erlebnisses, das Sagenwollen des Unsagbaren und die vox humana eine denk- würdige Einheit geschaffen haben. Was von diesen Elementen zeugte, was das Zeichen des Wortes trug, ist mir der Aufnahme wert erschienen.

Es ist mir nicht darum zu tun, die Ekstase „einzureihen''. Was mich angeht, ist das an ihr, was nicht eingereiht werden kann. Ge- wiss hat auch sie eine Seite, durch die sie in den kausalen Zu- sammenhang der Vorgänge eingestellt werden kann; aber die ist nicht der Gegenstand dieses Buches. Der Ekstatiker mag psycho- logisch, physiologisch, pathologisch erklärt werden; uns ist das wesentlich, was jenseits der Erklärung bleibt: sein Erlebnis. Hier hören wir nicht den Begriffen zu, die Ordnung schaffen wollen auch noch in den dunkelsten Verstecken ; wir lauschen dem Spre- chen eines Menschen von seiner Seele und von seiner Seele unaus- sprechlichstem Geheimnis.

Es ist wie mit der Freiheit des Willens. Gewiss, die grosse Welt- orientierung darf keine Lücke haben. Gewiss, alles ist determi- niert. Aber dieser Mensch hat sich frei gefühlt. Widerlegt sein Gefühl mit euren Begriffen ! Beweist, dass sein Gefühl eine Täusch- ung ist: wie der Theologe beweist, dass Gott ist, weil alles eine Ursache hat und also auch die Welt eine Ursache haben muss. Ihr lacht den Theologen aus: die Kausalität gelte nur innerhalb der Erfahrung; aber vielleicht ist das Erlebnis eben das, was jenseits der Erfahrung steht: weil es vor der Erfahrung steht. Ich bin die dunkle Seite des Mondes; ihr wisset um mein Dasein, aber was ihr für die helle festsetzet, gilt für mich nicht. Ich bin der Rest der Gleichung, der nicht aufgeht; ihr mögt mich mit einem Zeichen be- legen, aber auflösen könnt ihr mich nicht. You would pluck out the heart of my mystery? Dieser Mensch hat sich frei gefühlt; hat Freiheit, Gottesfreiheit über seinem Handeln gefühlt. Eine Täuschung? Gut denn, so ist die Täuschung das, was uns an ihm wesentlich ist.

So ist es mit der Ekstase : das Wort geht uns an, das Wort des Ich. Ich bringe in diesem Buche auch Äusserungen einiger Menschen, die zu denen gehören, welche man krankhaft nennt. WiedieTäusch- ung an der ,, Wahrheit", so wird die Krankheit an der „Gesund- heit'' gemessen. Aber mich interessiert nicht, ob ein Arzt, der die Anna Vetterin (S. i86ff,) untersuchen würde, sie als hyste- risch befände; mich interessiert, wie dieses Frauenzimmer aus der Not seiner Seligkeit redet. Ich weiss nicht, was der Wahn- sinn ist; aber ich weiss, dass ich da bin, die Stimme des Menschen zu hören.

Also ästhetisch? Nein, auch nicht ästhetisch. Ich meine nicht die Worte und ob sie schön gefügt sind, ich meine das Wort. Dies ist eine andere Schönheit als die des Ästhetischen: die Stimme des Menschen, die in meinen Ohren schallt.

Des Menschen; und ich weiss nichts mehr von Graden, von der Rangordnung der Geister. Da sind Plotin der Hohe und Attär, der kühnste der Dichter, da ist Valentinos, der heimliche Dämon einer Zeitenwende, und da Rämakrishna, durch den sich das ganze Indertum in unseren Tagen noch einmal offenbart hat, da ist Sy- meon, der byzantinische Freund und Sänger Gottes, und da Ger- lach Peters, sein niederländischer Bruder, jung und sterbensfroh und meinem Herzen weit näher als der Admirabilis; und da, neben ihnen, ist diese Hirtin, Alpais (die mir fast schon zu klug redet), da ist diese wilde Bauernmagd, Armelle, da sind die Camisarden, die mir richtig beichten, von Sünde und Erlösung, da sind diese einfältigen verliebten Nonnen, da sind diese ungelenken Bürgers- leute, die ihre Wundermär herstammeln, Hans Engelbrecht und Hemme Hayen. Da sind sie beieinander, miteinander, in der Ge- meinschaft deren, die von jenem Abgrund zu erzählen wagten, ich lebe mit ihnen, ich höre ihre Stimmen, ihre Stimme: die Stimme des Menschen.

Man wird verstehen, warum ich, nur das Eine suchend, von dem Vielen, sehr Vielen, das ich in den Jahren des Suchens zusammen- brachte, nur dieses Wenige hier aufgenommen habe. Warum ich nicht aufgenommen habe:

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alle nichtsubjektiv gehaltene Rede über die Ekstase (ich habe aber aus einzelnem scheinbar Unpersönlichen das Persönlichste heraus- zulösen versucht, und überdies in einem Anhang einige bedeutende Dokumente nichtsubjektiver Äusserung aus Völkern und Kreisen, die im Hauptteile nicht berücksichtigt werden konnten, zusammen mit einem Stück aus dem „Traktat von Schwester Katrei", den ich in diesem Buche nicht missen wollte, beigefügt); so fehlen hier Philon und Proklos, Kabasilas und die Viktoriner, Ruysbroek und Johannes vom Kreuze ;

alle Beschreibungen von Visionen nichtsubjektiven Charakters, das ist in denen nicht ein wesenhaftes Wirken oder Leiden des Schauenden selber sich darstellt (mit Ausnahme einer Vision der Birgitta, die ganz subjektiv erscheint, obwohl sie selbst fast unbe- teiligt ist); darum sind auch so merkwürdige Menschen wie Joa- chim von Floris, Marguerite d'Oyngt, Zuster Hadewyck unberück- sichtigt geblieben, insbesondere auch jene Topographen derVision von Swedenborgs Art, dessen ungeheure spirituale Diarien mir nur eine ungeheure Verwunderung geschenkt haben; alles in scholastischer oder rhetorischer, das ist in mittelbarer Weise Gesagte ;

alle autobiographischen Mitteilungen über Ekstasen als Gegen- stand der Kuriosität und der Analyse (Cardano scheint mir hier der Eigentümlichste zu sein);

alles Dichterische, das sich als eine Unterwerfung des Erlebnisses unter den Rhythmus, das ist als ein Ersetzen des Hervorbrechenden und Hinstürmenden durch ein gebundenes Auf- und Niederwogen erweist (auch Jacopone, mir einer der Liebsten, muss ich hierher zählen, wogegen ich Attär, Rumi, Symeon, Mechthild von Magde- burg, Seuse glaubte aufnehmen zu dürfen; eine Scheidung, die ich nicht durch die Formulierung eines Kriteriums, sondern nur durch die Aufforderung zur Prüfung vertreten kann und die mir für Jacopone nicht leicht geworden ist);

alle Psychologisierung des Erlebnisses, das ist jene Art des Be- richtes, die das Erlebnis wie einen Vorgang des Kausalzusammen- hanges beschreibt, es objektiviert, nicht aus seiner fortwirkenden Gewalt, sondern aus einem Rekapitulieren, einem Darüberdenken

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redet, gleichsam nicht das Nachbild, sondern das Erinnerungsbild betrachtet; verwandt damit ist die klassifizierende Darstellung der berühmten Teresa, von der ich nur das Subjektivste und auch das nicht ohne Widerstreben aufgenommen habe. Anderseits ist weggeblieben alles Fragmentarische, das nicht zur Gestalt der Aussprache einer Persönlichkeit gediehen ist; hievon habe ich namentlich die indischen und gnostischen Stücke, sowie ein reiches Material aus slavischen Sekten nur ungern unberück- sichtigt gelassen (wie ich überhaupt von dem Vielen, das ich aus neueren Sekten gesammelt habe, nur die eine Camisarden- Kon- fession als repräsentativ gebracht habe; aus den älteren schien mir nur Einiges aus dem urchristlichen Ketzertum zu wesenhaft, um fehlen zu dürfen).

Wenn ich aber überall das Unmittelbare suchte, so habe ich doch die Unmittelbarkeit der Überlieferung nicht zum Grundsatz für die Aufnahme gemacht. Ich habe Konfessionen einbezogen, die nicht von dem Mitteilenden selbst, sondern von Menschen seiner Umgebung niedergeschrieben worden sind (die Worte Rämakrish- nas und Anderer, insbesondere viele Dokumente der Klosterek- stase sind von dieser Art), zuweilen von solchen, die irgendwie an seinem Erlebnisse teilnahmen, so jenes seltsame Zeugnis einer Ekstase zu Zweien, das von dem Beichtvater der Katharina von Siena herrührt; einzelnes Anonyme, das der Untersuchung wider- stand (der Sang von Blossheit und jene Vision des unbekannten ,, Edelknaben") ; ja auch manches offenbar Legendäre, in dem Worte des Ekstatikers weiterlebten, durch die Treue, die Generationen von Gläubigen dem Worte halten, unverkennbar bewahrt (so die ersten Sufis, Aegidius von Assisi).

Vollständigkeit irgend einer Art habe ich nicht angestrebt. Jeder Grundtypus schien mir durch wenige bedeutende Stücke hinrei- chend vertreten. Nur ein Gebiet habe ich mehr berücksichtigt, als es das Gleichmass des Buches verlangte: die Klosterekstase. Das habe ich getan, weil mir hier in der äusseren Gleichförmigkeit einer Institution, ja in der einer Regel ein wunderbar mannig- faltiges Leben entgegentrat, weil es sich mir hier am Klarsten zeigte, wie das innerlichste Erlebnis des Menschen zugleich das

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allgemeinste und das persönlichste ist, das, an dem er sich zugleich ganz als die Kreatur und ganz als ein unwiederholbar Einziges be- kundet. Wie etwa in vier Jahrhunderten vier italienische Frauen einander folgen: in der Zeit Duccios und der letzten Byzantiner die kontemplative, gestaltfremde Angela, in der Zeit Giottos die mit ihrem ganzen Körper inbrünstigeSienesin, in derZeitder Hoch- renaissance die ruhevolle, klare, selbstgewisse Caterina Fiesca von Genua, in der Zeit des Barocks die alle Schranken überstür- mende Maddalena. Oder im ganz engen Raum und in einer kurzen Zeitspanne: wie in dem Kloster Töss bei Winterthur, wahrschein- lich nebeneinander, zwei sind, die Sofia von Klingnau, die nur sich, und die Jützi Schultheiss, die nur die Welt erleben kann, aber die erste nicht etwa Einzelnes von sich, sondern in allem ihr ganzes Ich, und die zweite nicht etwa irgendwelche Dinge, sondern in allen die ganze Welt: wie beide eigentlich dasselbe erleben und wie verschieden. Noch Manches dieser Art wird man in den Doku- menten der Klosterekstase finden können. Schlimmer erscheint mir eine andere Ungleichmässigkeit : dass ich aus dem Orient viel weniger bringe als aus dem abendländischen Christentum. Das liegt ja zunächst daran, dass mir die meisten orientalischen Sprachen unzugänglich und dass z. B. von den per- sischen Texten nur sehr wenige in eine europäische Sprache über- tragen sind. Aber da ist noch etwas Anderes : es scheint mir, dass das asiatischeSchrifttum verhältnismässig wenige eigentliche Kon- fessionen enthält. Die Ekstase ist im Orient eine weit häufigere, gewöhnlichere, sozusagen normalere Erscheinung als in Europa; ihre Äusserung geht daher, anstatt in ein besonderes Bekenntnis, irgendwie in die Werke des Tages ein, in einen Liebesvers oder in ein Tongefäss; man kann sie von persischen Zweizeilern, von chinesischen Vasen ablesen. Nur selten schafft sich das Erlebnis eine eigene Strasse. Dazu kommt, dass der Orientale nicht wie der Europäer das Erlebnis als das seine in emporgehobenen Hän- den vor seinen Blick hält; er fühlt: dieses wird erlebt.

Dies mag zur Erklärung dessen, was in diesem Buche steht, und dessen, was darin fehlt, genügen. Ich muss noch einiges über die

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Art bemerken, wie ich die Texte behandelt habe. Dass ich Aus- züge bringen, unwesenthche Stellen weglassen musste (sie sind stets durch Punkte bezeichnet), ist in der Intention des Buches begründet. Die lyrischen Stücke habe ich in Prosa übertragen, da nur in dieser jene Art von Treue, die ich brauchte, möglich war. Vorhandene deutsche Übertragungen habe ich nur in zwei Fällen benützt, wo ich mir das Original nicht verschaffen konnte, sowie in einem, wo ich einen persischen Text in keiner anderen Übertrag- ung vorfand, und in einem, wo für einen indischen Text eine klassi- sche deutsche Übertragung (die Paul Deussens) vorlag. Die Aus- gaben und Übertragungen, die ich benützt habe, sind am Schlüsse genannt.

Biographien der Menschen, von denen die Konfessionen stammen, habe ich nicht beigefügt. Ihre Lebensumstände haben mit dem, was hier von ihnen gegeben wird, nichts zu tun. Nur Zeit und Sphäre habe ich angegeben, um die Einstellung der oft wenig be- kannten Personen in den Weg der Menschheit zu erleichtern. Wo Weiteres immerhin erwünscht sein könnte, wird man einen knap- pen Literaturhinweis in den bibliographischen Notizen finden, so- weit er nicht schon durch die Nennung von Ausgaben oder Über- tragungen, die auch Nachricht über die Lebensumstände bringen, hinreichend gegeben war.

MARTIN BUBER

EKSTASE UND BEKENNTNIS

UNSER menschliches Lebensgetriebe, das alles ein- lässt, das ganze Licht und die ganze Musik, alle Toll- heiten des Gedankens und alle Varianten desSchmerzes, die Fülle des Gedächtnisses und die Fülle der Erwartung, ist nur einem verschlossen: der Einheit. In jedem Blick blinzeln heimlich tausend Blicke mit, die sich ihm nicht verschwistern wollen, jedes schöne reine Staunen wird von tausend Erinnerungen verwirrt, und noch in das stillste Leid zischeln tausend Fragen. Das Getriebe ist üppig und karg, es häuft und versagt das Umfangen, es baut einen Wirbel von Gegenständen und einen Wirbel von Gefühlen, Wirbelwand zu Wirbelwand, dass es ge- geneinander und übereinander fliegt, und lässt uns hin- durchgehen, diesenunsern Weg lang, ohne Einheit. Das Getriebe lässt mich die Dinge haben und die Ideen dazu, nur nicht die Einheit: Welt oder Ich, gleichviel. Ich, die Welt, wir nein,ichWelt bin das Entrückte, das nicht zu Fassende, nicht zu Erlebende. Ich gebe dem Bündel einen Namen und sage Welt zu ihm, aber der Name ist keine Einheit, die erlebt wird. Ich gebe dem Bündel ein Subjekt und sage Ich zu ihm, aber das Subjekt ist keine Einheit, die erlebt wird. Name und Subjekt sind des Ge- triebes, und mein ist die Hand, die sich ausstreckt ins Leere.

Aber das istder Gottessinn des Menschenlebens, dass das Getriebe eben doch nur das Aussen ist zu einem unbe- kannten und allerlebendigsten Innen und dass dieses In- nen sich nur der Erkenntnis, die eineTochter desGetrie- bes ist,nichtaberder schwingenden und sich befreienden

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Seele zumErlebnis versagen kann. DieSeele,die sich ganz gespannt hat, das Getriebe zu sprengen und ihm zu ent- rinnen, diese ist es, die die Gnade derEinheit empfängt. Sie mag einem liebenMenschenbegegnenoderderLand- schafteineswildenSteinhaufens, an diesem Menschen, an diesem Steinhaufen entzündet sich die Gnade, und die Seele erlebt nicht mehr ein Einzelnes, um dastausend andere Einzelne schwirren, nicht den Druck einer Hand oder den Blick der Felsen, sondern sie erlebt die Einheit, die Welt : sich selber. Alle ihre Kräfte spielen, alle Kräfte geeint und als Eines gefühlt, und mitten unter den Kräf- ten lebt und strahlt der geliebte Mensch, der geschaute Stein : sie erlebt die Einheit des Ich, und in ihr die Einheit von Ich und Welt; nicht mehr einen Inhalt, sondern das, was unendlich mehr ist als aller Inhalt. Und doch ist auch dies der Seele noch nicht eine ganze Freiheit. Sie hat es nicht aus sich, sondern von dem An- dern empfangen, und das Andere ist in der Hand des Ge- triebes. So kann irgend ein Vorgang des Getriebes ein Gedanke, derdasGesicht des Geliebten, eine Wolke, die das Gesicht des Felsens verwandelt Macht über sie ge- winnen und ihre Einheit verderben, dass sie wieder ver- lassen und geknechtet steht im Wirbel der Gefühle und der Gegenstände. Und auch in dem reinen Augenblick selbst kann es erscheinen wie einZerreissen, wie einHer- vorschauen, und statt der Einheitsind zwei Welten, und der Abgrund, und dieschwankste allerBrücken darüber; oder das Chaos, das Gewimmel der Finsternis, das keine Einheit kennt.

Allein es gibt ein Erlebnis, das aus der Seele selber in ihr wächst, ohne Berührung und ohne Hemmung, innack-

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ter Eigenheit. Es wird und vollendet sich jenseits des Ge- triebes, vom Andern frei, dem Andern unzugänglich. Es braucht keine Nahrung und kein Gift kann es erreichen. Die Seele, die in ihm steht, steht in sich selber, hat sich selber, erlebt sich selber schrankenlos. Nicht mehr weil sie sich ganz an ein Ding der Welt hingegeben, sich ganz in einem Ding der Welt gesammelt hat, erlebt sie sich als die Einheit, sondern weil sie sich ganz in sich ein- gesenkt hat, ganz auf ihren Grund getaucht ist. Kern und Schale, Sonne und Auge, Zecher und Trank zugleich. Dieses allerinnerlichste Erlebnis ist es, das die Griechen Ekstasis, das ist Hinaustreten, nannten.

Wenn wirklich die Religion, wie man sagt, sich »ent- wickelt« hat, so kann man als ein wesentliches Stadium dieses Vorganges die Wandlung ansehen, die sich in der Auffassung Gottes vollzogen hat. Zuerst scheint der Mensch mit dem Namen Gottes vornehmlich das er- klärt zu haben, was er an der Welt nicht verstand, dann aber immer öfter das, was der Mensch an sich nicht ver- stand. So wurde die Ekstase das, was der Mensch an sich am wenigsten verstehen konnte zu Gottes höch- ster Gabe.

Jenes Phänomen, das man nach einem optischen Begriff als Projektion bezeichnen kann, das Hinausstellen eines Innerlichen, zeigt sich in seiner reinsten Gestalt an der Ekstase, die, weil sie das Innerlichste ist, am weitesten hinausgestellt wird. Der Gläubige des christlichen Zeit- alters kann sie nur an den Polen seines Kosmos lokalisie- ren : er muss sie Gott zuschreiben oder dem Teufel. Noch Jeanne de Cambray schreibt an ihren Beichtvater: »Ich

II Buber, Konfessionen

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bin genötigt, Euch die innere Not bekannt zu machen, worin ich mich seit Euerm letzten Zuspruch befunden habe, da Ihr mich noch immer im Zweifel lasset, ob es Gott oder der Teufel sei, der mich regiert. Ist es der Teu- fel, so ist all mein Gebet,worin ich mich nunmehr sieben- unddreissig Jahre geübt habe, nichts nutze. « Aber nicht bloss jene Zeiten, die das Leben zwischen Göttliches und Teuflisches aufteilten, weil sie die Macht und Weite des Menschlichen nicht kannten, haben die Innerlichkeit der Ekstase nicht erfasst: es gibt fast keinen Ekstatiker, der nicht sein Icherleben alsGotterleben gedeutet hätte (und wie sehr man Gott auch zu verinnerlichen suchte, ganz ins Ich als dessen Einheit hatihn kaumeinergenommen). Das scheint mir im Wesen des Erlebnisses begründet zu sein.

Im Erleben der Ekstase selbst weist noch nichts nach Innen oder Aussen. Der die Einheit von Ich und Welt er- lebt, weiss nichts von Ich und Welt. Denn so heisst es in denUpanischaden so wie einer,von einem geliebten Weibe umschlungen, kein Bewusstseinhatvondem,was aussen oder innen ist, so auch hat der Geist, von dem Ur- selbst umschlungen, kein Bewusstsein von dem, was aussen oder innen ist. Aber der Mensch kann nicht um- hin, auch noch das Subjektivste, Freiste, nachdem es ge- lebt worden ist, in die Kette des Getriebes einzustellen und dem, was zeit- und fessellos wie die Ewigkeit durch die Seele fuhr, eine kleine Vergangenheit, die Ursache, undeinekleineZukunft,dieWirkung,anzuschmieden.Je eigener und gelöster aber das Erlebnisist, um so schwerer muss es sein, es in den Kreis des Andern, Gebundenen einzustellen, um so natürlicher und unwiderlegbarer, es

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einem zuzuschreiben, der über der Welt und ausser aller Bindung ist. Der Mensch, der in den Funktionen seiner Körperhaftigkeit und Unfreiheit einherstapft Tag um Tag,empfängtin derEkstase eineOffenbarungseinerFrei- heit. Er, der nur differenziertes Erleben kennt Erleben eines Sinnes, des Denkens, des Willens, miteinanderver- knüpft, aber doch geschieden und in dieserScheidung be- wusst , erfährt ein undifferenziertesErleben : das Erle- ben des Ich. Überihn, der immer nur Einzelnes von sich empfindet und weiss. Begrenztes, Bedingtes, gerät das Wetter einerGewalt, eines Überschwangs, einer Unend- lichkeit, in der auch seine ursprünglichste Sicherheit, die Schranke zwischen ihm und dem Andern, untergegangen ist. Er kann dieses Erlebnis nicht dem allgemeinen Ge- schehen aufladen ; er wagt nicht, es aufsein armes Ich zu legen,von dem er nicht ahnt, dassesdasWeltich trägt; so hängt er es an Gott. Undwaservon Gott meint, fühltund träumt, geht wieder in seine Ekstasen ein, schüttet sich in einem Schauer von Bildern und Klängen über sie aus und schafft um das Erlebnis der Einheit ein vielgestal- tiges Mysterium.

Die elementare Vorstellung darin ist die einer mehr oder minder körperhaft gedachten Vereinigung mit Gott. Ekstasis ist ursprünglich: Eingehen in den Gott*, Enthusiasmos : Erfülltsein vom Gotte. Essen des Gottes, Einatmen des göttlichen Feuerhauchs, Liebeseinungmit dem Gott(diese Grundform ist allerspäteren Mystik eigen

*Zu den bei Dieterich, Eine Mithrasliturgie (dieses Buch, das ein Vermächt- nis ist, darf hier nicht unerwähnt bleiben), angeführten Belegen für die Auf- fassung Gottes als des pneumatischen Elements, in dem der Gläubige steht, sollte vielleicht noch der spätjüdische Gottesname Makom, das ist Ort, heran- gezogen werden, der wie die letzte Spur eines urzeitlichen Bildes erscheint.

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geblieben), Neugezeugtwerden,Wiedergeburt durch den Gott, Auffahrt der Seele zum Gotte, in den Gott, sind Ge- stalten dieser Vorstellung. Paulus weiss nicht, ob seine Seele in dem Leibe oder ausser dem Leibe war, und Haj Gaon weist eineMeinung derMengezurück,wenn er von dem Adepten, der die zehn Stufen überwunden hat, sagt : »Dann öffnet sich der Himmel vor ihm, nicht dasserin ihn aufstiege, sondern es geschieht etwas in seinem Her- zen, wodurch erin das Schauen der göttlichen Dinge ein- tritt. « Und wie weit auch der Weg ist, der von diesem zu den Piatonikern, zu den Sufis, zu den deutschen Gottes- freunden führt, auch bei ihnen lebt immer nochder Gott, mit dem die Ekstase vereinigt. NurinindischenUrworten und vielleicht hernach noch von Einzelnen in seltener Rede wird das Ich verkündigt, das eines mit dem All und die Einheit ist.

Von allen Erlebnissen, von denen man, um ihre Unver- gleichbarkeit zu kennzeichnen, sagt, sie könnten nicht mitgeteilt werden, ist die Ekstase allein ihrem Wesen nach das Unaussprechliche. Sie ist es, weil der Mensch, der sie erlebt, eine Einheit geworden ist, in die keineZwei- heit mehr hineinreicht.

Das, was in der Ekstase erlebt wird (wenn wirklich von einem Was geredet werden darf), ist die Einheit des Ich. Aber um als Einheit erlebt zu werden, muss das Ich eine Einheit geworden sein. Nur der vollkommen Geeinte kann die Einheitempfangen. Nun isterkein Bündel mehr, er ist ein Eeuer. Nun sind der Inhalt seinerErfahrung und dasSubjektseinerErfahrung, nun sind Welt und Ich zu- sammengeflossen. Nun sind alle Kräfte zusammenge-

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Schwüngen zu einer Gewalt, nun sind alle Funken zu- sammengelodert zu einer Flamme. Nun ist er dem Ge- triebe entrückt, entrückt ins stillste, sprachloseste Him- melreich,— entrückt auch der Sprache, diedasGetriebe sich einst in der Mühsal schuf zu seiner Botenmagd und die,seitdem sie lebt,ewignach dem Einen, Unmöglichen verlangt: ihren Fuss zu setzenaufdenNacken desGetrie- bes und ganz Gedicht zu werden Wahrheit, Reinheit, Gedicht.

» Nun spricht « so heisst es bei Meister Eckhart » die Brautim Hohenliede : Ich habe überstiegen alle Berge und all meine Vermögen, bis an die dunkle Kraft des Vaters. Da hörte ich ohne Laut, da sah ich ohne Licht, da roch ich ohne Bewegen, da schmeckte ich das was nicht war, da spürte ich das was nicht bestand. Dann wurde mein Herz grundlos, meine Seele lieblos, mein Geist formlos und meine Natur wesenlos. Nun vernehmet, was sie meint! Dass sie spricht, sie habe überstiegen alle Berge, damit meint sie ein Überschreiten aller Rede, die sie ir- gend üben kann aus ihrenVermögen, bis an die dunkle Kraft des Vaters, wo alle Rede endet. « So ganz über die Vielheitdes Ich, über das Spiel der Sinne und des Denkens gehoben, ist der Ekstatiker auch von derSprache geschieden, die ihm nicht folgen kann. Sie ist als eine Speicherungvon Zeichen für die Affektionen und Nöte des Menschenleibes entstanden ; sie ist gewachsen, indem sie Zeichen bildete für die empfindbaren Dinge in Nähe und Ferne des Menschenleibes; sie ist der werden- den Menschenseelenachgegangen auf immer heimliche- ren Wegen und hat Namen geformt, gelötet, ziseliert für die trotzigsten Künste und für die wildesten Mysterien

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der Tausendfältigen; sie hat den Olymp des Menschen- geistes erstürmt, nein, sie hat den Olymp des Menschen- geistes gemacht, indem sie Bildwort auf Bildworttürmte, bis auch noch die höchste Aufgipfelung des Gedankens imWorte stand ; und solches tut sie und wird sie tun ; aber sie kann immer nur von Einem empfangen, Einem Genü- ge tun: der zeichenzeugenden Vielheit des Ich. Niemals wird sie in das Reich der Ekstase eingehen, welches das Reich der Einheit ist.

Sprache ist Erkenntnis: Erkenntnis der Nähe oder der Ferne, der Empfindung oder der Idee, und Erkenntnis ist das Werk des Getriebes, in ihren grössten Wundern ein gigantisches Koordinatensystem des Geistes. 'Aber das Erleben der Ekstase ist kein Erkennen. Das ist der Sinn dessen, was wir in dem Buche des Hiero- theos (des Syrers Stefan bar Sudaili.^) lesen desselben Hierotheos, soweit wir urteilen dürfen, von dem es in den areopagitischen Schriften heisst, er habe das Gött- liche nicht bloss erfahren, sondern auch Qr\\tten,ovfiovop

» Mir scheint es recht, ohne Worte zu sagen und ohne Er- kenntnis zu verstehen das, was über Worten und Er- kenntnisist: dieses meine ich nichts anderes zu sein als das geheime Schweigen und die mystische Ruhe, die das Bewusstsein vernichtet und die Formen auflöst. Suche denn, im Schweigen und im Geheimnis, jene vollkom- mene und ursprüngliche Vereinigung mit dem wesen- haften Urgut. «

Aber nicht bloss seiner früheren Vielheit gegenüber ist, der die Ekstase erlebt, eine Einheit geworden. Seine Ein- heit ist nicht relativ, nicht vom Anderen begrenzt, sie ist

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grenzenlos, denn sie Ist die Einheit von Ich und Welt. Seine Einheit ist Einsamkeit, die absolute Einsamkeit: die Einsamkeit dessen, der ohne Grenzen ist. Er hat das Andere, die Anderen mit in sich, in seiner Einheit: als Welt; aber er hat ausser sich keine Anderen mehr, er hat keine Gemeinschaft mehr mit ihnen, keine Gemein- samkeit. Die Sprache aber ist eineFunktion der Gemein- schaft und sie kann nichts als Gemeinsamkeit sagen. Auch das Persönlichste muss sie irgendwie in dasgemein- same Erlebnis der Menschen überführen, irgendwie aus diesem zurechtmischen, um es auszusprechen. Die Ek- stase steht jenseits des gemeinsamen Erlebnisses. Sie ist die Einheit, sie ist die Einsamkeit, sie ist die Einzigkeit: die nicht überführtwerden kann. Sie istder Abgrund, den kein Senkblei misst: das Unsagbare.

In jener Stelle des grossen Pariser Zauberbuches, die den Apathanatismos, die Weisung an den Mysten zur höch- sten Weihe, der Neugeburt zur Unsterblichkeit, enthält, wird ihm gesagt : » . . . Sehen wirst du aber, wie die Götter dich anblicken und gegen dich heranstürmen. Du aber lege sogleich den Zeigefinger auf den Mund und sprich: Schweigen, Schweigen, Schweigen Symbolon des le- bendigen, unvergänglichen Gottes beschütze mich, Schweigen! . . .WenndunundieobereWeltreinundein- sam erschaust und keinen der Götter oder Engel heran- stürmen, bereite dich zu hören Krachen gewaltigen Don- ners, dass du erschüttert wirst. Du abersprich wiederum: Schweigen. Gebet: Ich bin ein Stern, der mit euch die Bahn wandelt und aufleuchtet aus der Tiefe. <^ Das Schweigen ist unser schützendes Symbolon gegen

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die Götter und Engel des Getriebes: unsere Hut wider seine Irrgänge, unsere Reinigung wider seine Unreinheit. Wir schweigen das Erlebnis, und es ist ein Stern, der die Bahn wandelt. Wir reden es, und es ist hingeworfen un- ter die Tritte des Marktes. Wir sind dem Herrn stille, da macht er Wohnung bei uns; wir sagen Herr, Herr, da ha- ben wir ihn verloren. Aber so gerade ist es mit uns: wir müssen reden. Und unsere Rede wölbt einen Him- mel überuns, überuns und die Andern einen Himmel: Dichtung, Liebe, Zukunft. Aber eines ist nicht unter die- sem Himmel; das Eine, das not tut. DasBewusstsein stellte die Ekstase hinaus in der Projek- tion; der Wille stellt sie zum andern Mal hinaus in dem Versuch, das Unsagbare zu sagen. Auch das innerlichste Erlebnis bleibtvordemTriebezurVeräusserung nichtbe- wahrt. Ich glaube an die Ekstasen, die nie ein Laut be- rührte, wie an ein unsichtbares Heiligtum der Mensch- heit; die Dokumente derer, die in Worten mündeten, lie- genvormir. Hier sind Menschen, die ihre Einsamkeit,die höchste, die absolute, nicht ertrugen, die aus dem Unend- lichen, das sie erlebt hatten, mitten ins Endliche stiegen, aus der Einheit mitten indiewimmelnde Vielheit. Sobald sie sprachen, sobald sie wie es der Rede Vorspiel zu sein pflegt zu sich sprachen, waren sie schon an der Kette, in den Grenzen; der Unbegrenzte spricht auch nichtzusich,insich,weilauchinihmkeineGrenzensind: keine Vielheit, keine Zweiheit, kein Du im Ich mehr. So- bald sie reden, sind sie schon derSprache verfallen, die al- lem gewachsen ist, nurnichtdemGrunddesErlebens,der Einheit. Sobald sie sagen, sagen sie schon d as An d ere. Es gibt freilich ein allerstillstes Sprechen, das nur Dasein

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mitteilen, nicht beschreiben will. Es ist so hoch und still, als sei es garnicht in der Sprache, sondern wie ein Heben der Lider im Schweigen. Es übt keine Untreue, denn es sagt nur aus, dass etwas ist.

Dieser kundige Rednerund Kirchenmann, Bernhard von Clairvaux,hälteinmal plötzlich mitten in der Predigt inne und sagtdann leise, nicht prahlend undauchnichtdemü- tig, es ist kein Kunstgriff, sondern die Erinnerung hat ihn überkommen und die Rede zerbrach in seinem Munde: Fateor et mihi adventasse verbum: Ich bekenne, dass auch mir das Wort genaht ist. Sodann spricht er weiter, etwas lauter wohl, aber doch die wieder Einlass verlan- gende Kunst mit schlichter Seele bezwingend: wie er fühlte, dass es da war, wie er sich entsinnt, dass es da ge- wesen ist, wie er geahnt hatte, dass es kommen würde, und wie er doch Kommen und Gehen nicht empfand. Wie es durch keinen Sinn eintreten konnte, das Unsinn- liche, wie es nicht aus ihm selbst stammen konnte, das Vollkommene. »Wenn ich hinausschaute, fand ich es jenseits alles meines Aussen; wenn ich hineinsah, war es meinem Innersten innerlicher. Und ich erkannte, dass es wahr ist, was ich gelesen hatte : dass wir in ihm leben, uns bewegen und sind; aber der ist glückselig, in dem es ist, dervon ihm lebt,derdurch es bewegt wird. « Ich glaube ihm sein Bekennen. Ich fühle, dass er einst, als er noch nicht wie heute reden konnte. Stunden hatte, da auch er das Göttliche erlitt. Und all die schamlose Zierlichkeit seines Redens ist mir dadurch erkauft, dass er so von sei- nerStunde berichtet, dass er dasWort nicht denWorten zum Prasse hinwirft, sondern für das Wort mit seinem Schweigen zeugt wie ein Märtyrer mit seinem Blute.

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Von diesem Sprechen führen viele Stufen zu jenem Er- zählen von Gott und seinen Gaben, das nicht erschrickt und nicht umkehrt, sondern sagt und sagt. Es ist nicht weniger redlich, seine Sprache klingt nirgends gesprun- gen, wir wissen, dass es nicht lügt, sondern Gemeintes bekennt. Aber die Stille fehlt ihm, und wo keine Stille ist, da ist die Stimme der Notwendigkeit wie eine Stimme der Willkür zu hören.

Schon dasPhänomenderProjektion selbst dass einer, der sein Ich erlebt hat, sich und Andern verkündet, er ha- beGott erlebt muss Manchem als Willkür erscheinen: dem Gottlosen als die Willkür eines überflüssigen Theis- mus (oder unreinen Pantheismus), dem Frommen als die Willkür der Überhebung und Blasphemie. »Und wenn sie « , sagt Jeremy Taylor, der ein viel zu feiner Geist war, um sich zu empören, statt zu verstehen, » Entzückungen leiden über die Lasten und dieStütze der Vernunft hinaus, leiden sie, sie wissen nicht was, und nennen es, wie es ihnen beliebt (they suffer they know not what, and call it what they please). « Und dochist da in WahrheitkeineWillkür, sondern Not und Notwendigkeit. Willkürlicher noch muss der Inhalt der Konfession des Ekstatikerserscheinen,vorallendem,dernichtandereig- nen Seele die Tragödie erfahren hat, die aus dem Zusam- mentreffen des Triebes nach Veräusserung des Inner- lichsten und Persönlichsten mit der gegebenen Men- schensprache entsteht: den Kampf des Irrationalen mit dem Rationalen, der ohne Sieg und Niederlage endet, in einem beschriebenen Blatt Papier, das dem sehenden Auge das Siegel eines grossen Leidens zeigt. Bossuet, ein Geist weit geringerer Ordnung als Taylor

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und ein Liebhaber der Logik (solange das Dogma durch sie nichtgekränkt wird), will die Ekstatiker mit dem Witz der Aufdeckung eines Widerspruchs vernichten. Sie sa- gen, so ruft er aus, die Betrachtung schliesse nicht allein alle Bilder im Gedächtnis und alle Spuren im Gehirn aus, sondern auch jede Idee und jede geistige Erscheinung; und während sie das sagen, sind sie gezwungen es nieder- zureissen, nicht allein hinsichtlich der geistigen Erschei- nungen und Ideen, sondern auch hinsichtlich der körper- haften Bilder selber, da ja die Bücher, in denen sie sie aus- schliessen, davon erfüllt sind.

In der Tat, ein Widerspruch ist aufgedeckt. Aber was kann er für die Beurteilung von Menschen bedeuten, die ihr Leben in der Pein eines Ungeheuern Widerspruchs verbringen: des Widerspruchs zwischen dem Erlebnis und dem Getriebe, aus dem sie emporstiegen und in das sie wieder hinabstürzen Mal für Mal.?^ Das ist der Wider- spruch zwischen derEkstase,die nicht in das Gedächtnis eingeht, und dem Verlangen, sie für das Gedächtnis zu retten, im Bild, in der Rede, in der Konfession. Ja, es ist wahr : der Ekstatiker kann das Unsagbare nicht sagen. Er sagt das Andere, Bilder, Träume, Gesichte; die Einheit nicht. Er redet, er muss reden, weil das Wort in ihmbrennt.DernichtzudenMenschenredete,hatzusich geredet; er war heiliger, weil er nach aussen einsam blieb, aber vielleicht blieb er einsam, weil es ihn nicht so schlug und stiess, Botschaft zu den Andernzu tragen, dieunmög- liche Botschaft .r*

Er lügt nicht, der in Bildern, Träumen, Gesichten von der Einheit redet, von der Einheit stammelt. Gestalten und Klänge, die, aus seinem Gottgefühl geboren, um das

XXIII

Urerlebniskreisten,sind in seinem Gedächtnis geblieben: rings um den treibenden Brand, der allein als Spur des Erlebnisses selber in ihm lebt ; vielleicht mischen sich, aus dunklen Sphären seiner Seele tauchend, andere Gestal- ten und Klänge darein, von denen er nicht weiss, woher sie kommen, und nach denen ergreift, um sich selber zu verstehen. Denn er versteht sich nicht; und doch ist in ihm das Verlangen erwacht, das in der Ekstase erloschen war : sich zu verstehen. Er sagt dieGestalten und Klänge, und merkt, dass er nicht das Erlebnis sagt, nicht den Grund, nicht die Einheit, und möchte innehalten und kann nicht, und fühlt die Unsagbarkeit wie ein Tor mit sieben Schlössern, an dem er rüttelt, und weiss, dass es nie aufgehen wird, und darf nicht ablassen. Denn das Wort brennt in ihm. Die Ekstase ist gestorben, hinter- rücks ermordet von derZeit, die nicht will, dassman ihrer spotte; aber sterbend hat sie das Wort in ihn geworfen, und das Wort brennt in ihm. Und er redet, redet, er kann nicht schweigen, es treibt ihn die Flamme im Worte, er weiss, dass er es nicht sagen kann, und versucht es doch immer und immer, bis seineSeele erschöpft istzumTode und das Wort ihn verlässt. Dies ist die exaltatio dessen, der in das Getriebe zurückgekehrt ist und sich mit ihm nicht abfinden kann; dies ist seine Erhebung, die Erheb- ung eines Redenden: der Erhebung des Dichters ver- wandt, geringer als sie im Besitz, gewaltiger im Dasein. Dies ist die Spannung zum Sagen des Unsagbaren, eine Arbeit am Unmöglichen, eine Schöpfung im Dunkel. Ihr Werk, die Konfession, trägt ihr Zeichen.

Und doch ist das Sagenwollen desEkstatikers nicht bloss

XXIV

Ohnmacht und Stammeln : auch Macht und Melodie. Er will der spurlosen Ekstase ein Gedächtnis schaffen, das Zeitlose in die Zeit hinüberretten, er will die Einheit ohne Vielheit zur Einheit aller Vielheit machen. Der Ge- danke an den grossen Mythos erwacht, der durch dieZei- ten der Menschheit geht : von der Einheit, diezur Vielheit wird, weil sie schauen und geschaut werden, erkennen und erkanntwerden, lieben und geliebtwerdenwill,und, selberEinheit bleibend, sichalsVielheitumfasst; vondem Ich, dasein Du zeugt; von dem Urselbst,dassichzurWelt, von der Gottheit, die sich zum Gotte wandelt. Ist der My- thos, den Veden und Upanischaden, Midrasch und Kab- bala, Piaton und Jesus kündeten, nicht das Sinnbild des- sen, was der Ekstatiker erlebt.? Haben die Meister aller Zeiten, die ihn schufen und immer wieder neu schufen, nicht aus ihrem Erlebnis geschöpft ? Denn auch sie haben die Einheit erfahren ; und auch sie sind aus der Einheit in die Vielheit gegangen. Aber wie ihre Ekstase nicht das Hereinbrechen einesUnerhörten war, das dieSeele über- wältigt, sondern Einsammlung und tiefstes Quellen und eine Vertrautheit mit dem Grunde, so lag auf ihnen das Wort nichtwie ein treibender Brand : es lag auf ihnen wie die Hand eines Vaters. Und so lenkte es sie, das Erlebnis einzutun nicht als Ereignis in das Getriebe, nicht als Bericht in die Kunde der Zeit, sondern es einzutun in die TatihresLebens, es einzuwirken in ihrWerk,darausneu zu dichten den uralten Mythos, und es so hinzusetzen nicht als ein Ding zu den Dingen der Erde, sondern als einen Stern zu den Sternen des Himmels. Aber ist der Mythos ein Phantasma.? Ist er nicht eine Of- fenbarung der letzten Wirklichkeit des Seins.? Ist nicht

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das Erlebnis des Ekstatikers ein Sinnbild des Urerleb- nisses des Weltgeistes? Ist nicht beides ein Erlebnis? Wir horchen in uns hinein und wissen nicht, welches Meeres Rauschen wir hören.

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INDIEN: Bäba Läl Rämakrishna

DIE MYSTIK DES ISLAM; DIE SUFIS UND IHRE NACH- FOLGE: Räbia Bäjezid Bestämi Husain al Hallädsch Attär Rumi Ein Schüler des Mollä-Shäh

DIE NEOPLATONIKER: Plotinos

GNOSIS UND URCHRISTLICHES KETZERTUM: Valentinos Die Montanisten

DAS GRIECHISCHE MÖNCHTUM: Symeon

DAS ZWÖLFTE JAHRHUNDERT: Hildegard Alpais von Cudot

DIE FRANZISKANER: Aegidius

DAS DREIZEHNTE JAHRHUNDERT IN DEUTSCHLAND: Mechthild von Magdeburg Mechthild von Hackeborn Ger- trud von Helfta

DAS VIERZEHNTE JAHRHUNDERT IN DEUTSCHLAND: Seuse Die Ebnerinnen Adelheid Langmann Der Sang von Blossheit

AUS DEUTSCHEN SCHWESTERNBÜCHERN: Adelhausen Töss

DAS VIERZEHNTE JAHRHUNDERT IM NORDEN: Birgitta- Juliana von Norwich

DIE NIEDERLÄNDISCHE MYSTIK: Gerlach Peters

DIE ITALIENISCHEN FRAUEN: Angela von Foligno Katha- rina von Siena Katharina von Genua Maria Maddalena de'Pazzi

DIE SPANISCHEN FRAUEN: Teresa Anna Garcias

DAS SIEBZEHNTE JAHRHUNDERT IN FRANKREICH: Ar- melle Nicolas Antoinette Bourignon Jeanne-Marie Guyon Die Camisarden

DAS SIEBZEHNTE JAHRHUNDERT IN DEUTSCHLAND UND DEN NIEDERLANDEN: Böhme Ein Edelknabe Hans Engelbrecht Anna Vetterin Hemme Hayen

DAS NEUNZEHNTE JAHRHUNDERT: Katharina Emmerich

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ANHANG

DAS ALTE INDIEN: Aus dem Mahäbhäratam

DIE CHINESISCHE MYSTIK: Lao-tse und seine Schüler

DIE JÜDISCHE MYSTIK: Die Chassidim

KIRCHLICHE UND UNKIRCHLICHE MYSTIK DES FRÜH- CHRISTLICHEN ZEITALTERS: Makarios Die areopagiti- schen Schriften

AUS DEM TRAKTAT VON SCHWESTER KATREI

XXVIII

AUS DEM GESPRÄCH DES FÜRSTEN DARA SHE- KOH MIT DEM ASKETEN BÄBA LÄL IN DEN GÄR- TEN DES DSCHAFFER KHAN SADUH, IM JAHRE

(niedergeschrieben von einem KschatriaundeinemBrah- manen aus dem Gefolge des Fürsten)

1 ^ER Fürst: Wodurch unterscheiden sich die oberste

J y Seele und die lebende Seele?

Der Asket: Sie unterscheiden sich nicht, und Lust und Leid, die derlebenden Seele zugeschrieben werden, kom- men von ihrer Gefangenschaft im Körper. Das Wasser des Ganges ist das gleiche, ob es im Strombette fliesst, ob es in eine Kanne geschüttet wird. Der Fürst: Welchen Unterschied mag dies erzeugen. f^ Der Asket: Einen grossen. Ein Weintropfen, zum Wasser in der Kannegefügt,wirddemGanzen seinen Geschmack mitteilen ; im Strome wäre er verloren. Die oberste Seele ist daher ohne Zufall, aber die lebende ist von Sinn und Leidenschaft heimgesucht. Wasser offen über ein Feuer gegossen wird das Feuer löschen ; setze dieses Wasser in einem Topfe aufs Feuer, und das Feuer wird das Wasser verdunsten. So ist der Körper das eingrenzende Gefäss, Leidenschaft das Feuer, und die Seele, das Wasser, ist weit umher zerstreut. Die eine grosse oberste Seele ist dieser Eigenschaften unfähig. Glückseligkeit kann dem- nach nur in derVereinigung mit ihr erlangt werden, wenn die zerstreuten und gesonderten Teile sich wieder mit ihr verbinden wiedie Wassertropfen mit demväterlichen Strom. Daher soll, wiewohl Gott des Dienstes seines Sklaven nicht bedarf, dieser gedenken, dass er durch den

I Buber, Konfessionen

Körper allein von Gott getrennt Ist, und mag beständig ausrufen: Gesegnetseider Augenblick, daichdenSchleier von diesem Angesichthebenwerde. DerSchleier vordem Angesicht meines Geliebten ist der Staub meines Leibes. Der Fürst: Welches sind die Gefühle des vollkommenen Fakirs?

Der Asket: Sie sind nicht beschrieben w^orden, sie sollen es nicht, wie gesagt ist. Jemand fragte mich, welches die Empfindungen eines Liebenden seien. Ich antwortete: » Wenn du ein Liebender bist, wirst du es wissen « .

AUS DEM LEBEN RÄMAKRISHNAS ( 1 8 3 3 1 886) Nach den Aufzeichnungen seines Schülers Vivekänanda

ER begann das Bild der Göttin Kali als seine Mutter und die Mutter des Alls anzusehen. Er glaubte daran, es lebe und atme und nehme Speise aus seiner Hand. Nach den regelmässigen Formen des Dienstes mochte er da Stunden und Stunden sitzen, Hymnen singend zu ihr und zu ihr redend und betend wie ein Kind zu seiner Mutter, bis er alles Bewusstsein der äusseren Welt verlor. Zuweilen mochte er stundenlang weinen und wollte sich nicht trösten lassen, weil er seine Mutter nicht so vollkommen sehen konnte wie er wünschte . . . Seine ganze Seele zerfloss in eine Tränenflut und er rief die Göttin an, sie möge sich seiner erbarmen und sich ihm offenbaren . . . Eine versammelte Menge umgab ihn und versuchte ihn zu trösten, wenn das Blasen der Muschelschalen den Tod eines neuen Tages verkün- dete, er aber gab seinem Gram freien Laufund sprach: ,, Mutter, o meine Mutter, wieder ist ein Tag vergangen, und ich habe dich noch nicht gefunden . . ." Als er an einem Tage seine Trennung von der Göttin sehr heftig fühlte und daran dachte, sich selbst ein Ende zu machen, da er seine Einsamkeit nicht länger zu tragen vermochte, verloreralleäussereEmpfindungundschaute seine Mutter (Kali) in einer Vision. Diese Visionen kamen wieder und wieder zu ihm, und er wurde ruhiger . . . Diese Visionen wuchsen immer mehr und seine Ver- zückungen wurden immer länger, bis jeder sah, dass es ihm nicht mehr möglich war, seine täglichen Obliegen- heiten zu verrichten. Es ist zum Beispiel in den Sästras I*

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vorgeschrieben, ein Mann solle auf sein eigenes Haupt eine Blume legen und an sich als an eben den Gott oder die Göttin denken, der zu dienen er sich anschickt. Wenn Rämakrishna sich die Blume auflegte und sich als mit seiner Mutter einsgeworden dachte, wurde er ver- zückt und blieb stundenlang in diesem Zustand. Dann wieder pflegte er von Zeit zu Zeit seine Identität völlig zu verlieren, so sehr, dass er die der Göttin dargebrachten Gaben sich selber zueignete. Zuweilen vergass er das Bild zu schmücken und schmückte sich selbst mit den Blumen . . .

Rämakrishnas brennende Seele konnte bei diesen häufi- gen Visionen nicht untätig bleiben, sondern sie eiferte be- gierig, die Vollkommenheit und die Vergegenwärtigung Gottes in all seinen verschiedenen Erscheinungen zu er- reichen. Er begann daher zwölf Jahre eines unerhörten Tapasya, dasistasketischerÜbungen. Als er in seinen spä- teren Tagen auf diese Jahre der Selbstpeinigung zurück- blickte, sagte er, ein grosser religiöser Wirbelwind habe dieseJahre hindurch in ihm gewütetund allesdurcheinan- der geworfen. Er hatte damalskeineAhnung davon, dass es so lange dauern sollte. Er hatte während dieser Jahre nie einen Augenblick gesunden Schlafes, konnte nicht einmal schlummern, sondern seine Augen blieben stets offen und starr. Er dachte zuweilen, er sei ernstlich krank, und einen Spiegel vor sich haltend, legte er seinen Finger in seine Augenhöhle, um die Lider zu schliessen, aber sie liessenes nicht zu. In seinerVerzweiflungschrieer:,, Mut- ter, o meine Mutter, ist dies die Frucht meines Rufens zu dir und meines Glaubens an dich.r^" Und sogleich kam eine süsse Stimme, und ein noch süsseres lächelndes Ange-

sieht, und sprach: » Mein Sohn! wie kannst du hoffen, die höchsteWahrheitzuempfangen,wenndudieLiebezudei- nemKörperundzudeinemkleinenSelbstnichtaufgibst?« ,Ein Strom geistigen Lichtes*, sagte er später, ,kam da, überflutete meinen Sinn und zwang mich vorwärts. Ich pflegte zu meinerMutter zu reden: »Mutter! Ich kann nicht von diesen herumirrenden Menschen lernen, aber ich will von dir lernen, und von dir allein« , und dieselbe Stimme sprach: »Ja, mein Sohn!«' ,Ich sah nicht einmal auf die Erhaltung meines Körpers. Mein Haar wuchs bis es sich verwirrte, und ich hatte keine Ahnungdavon. MeinNefTe Hridaya pflegte mir täglich ein wenig Speise zu bringen, undanmanchenTagengelangesihm,anmanchenTagen nicht, einige Bissen in meinen Schlund zu zwingen, wie- wohl ich davon keine Ahnunghatte. Zuweilen pflegte ich in dieStube der Diener und Bodenfeger zu gehen und sie mit meinen eigenen Händen zu säubern, und ich betete: »Mutter! zerstöre in mir alle Vorstellung, dass ich gross seiund dassich ein Brahmane sei, und dass sie niedrig und Parias seien, denn wer anders sind sie als du in vielen Gestalten?«' . . .

Ein Sannyäsin (Asket) konnte Rämakrishnas Liebe zu seiner Mutter (der Göttin) nicht verstehen. Er redete da- von als von blossem Aberglauben und spottete darüber. DagabihmRämakrishnazuverstehen,dass es in dem Ab- soluten kein Du, kein Ich, keinen Gott gebe, dass es über allem Sprechen und Denken sei. Solange jedoch noch das letzte Korn der Relativität da sei, sei das Absolute inner- halbdesDenkensundSprechensundinnerhalbderGren- zen desGeistes, welcher Geistdem allgemeinen Geist und Bewusstsein unterworfen sei; und dieses allwissende,

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allgemeine Bewusstseln sei für ihn seine Mutter und Gott ...

Er begann das Vaishnava-Ideal der Gottesliebe zu üben und zu verwirklichen. Diese Liebe wird nach den Vaish- navas in einer der folgenden Bezieh ungen offenbar der Beziehung eines Dieners zu seinem Herrn, der eines Freundes zu seinem Freunde, der eines Kindes zu seinen Eltern und umgekehrt, und der eines Weibes zu seinem Gatten. Die höchste Stufe der Liebe ist erreicht, wenn die Menschenseele Gott lieben kann wie ein Weib seinen Gatten liebt. Die Schäferin von Braja hatte diese Art von LiebezumgöttlichenKrishnaunddarinwarkeinGedanke an eine leibliche Verbindung. Niemand, so sagen sie, kann diese Liebe von Sri Rädhä und Sri Krishna verstehen, ehe er ganz frei ist von allen leiblichen Begierden. Sie ver- bieten sogar gewöhnlichen Leuten die Bücher zu lesen, die von dieser Liebe von Rädhä und Krishna handeln, weil sie noch unter der Gewalt der Leidenschaft sind. Rämakrishna kleidete sich, um diese Liebe zu erfüllen, mehrere Tage in Frauengewänder, dachte sich als Weib und es gelang ihm zuletzt sein Ideal zu gewinnen. Er schaute die schöne Gestalt Sri Krishnas in einer Ver- zückung und war befriedigt . . .

In seinen späten Tagen dachte er daran, die Lehren des Christentums zu üben. Er hatte Jesus in einer Vision ge- schaut, und drei Tage lang konnte er an nichts anderes denken und von nichts anderem sprechen als von Jesus und seiner Liebe. InallenseinenVisionenwardiese Eigen- tümlichkeit, dass er sie stets ausserhalb seiner sah, aber wenn sie entschwanden, schienen sie in ihn eingetreten zusein . . .

Erwar eine wunderbare Mischung von Gott und Mensch . In seinem gewöhnlichen Zustand sprach er von sich als von einem Diener aller Männer und Frauen. Er sah sie alle als den Gott an. Er selbst wollte nie als Guru, das ist Lehrer, angesprochen werden. Niemals beanspruchte er für sich einesohoheStellung. Erberührte ehrerbietig den Boden, den seine Schüler getreten hatten . Aber dann und wann kamen seltsame Anwandlungen vonGottbewusst- sein über ihn. Da verwandelte er sich in ein völlig anderes Wesen. Ersprach von sich alsfähigalleszutunundzu wis- sen. Ersprach, alshätteerdieMacht, allen alles zu geben. Er sprach von sich als derselben Seele, die vordem alsRä- ma,alsKrishna,alsJesus,alsBuddhageborengewesenwar und nun als Rämakrishna wiedergeboren wurde. Er sagte zu Mathuränatha, lange bevor ihn irgend jemand kannte, er habe viele Schüler, die bald zu ihm kommen würden, und er kenne sie alle. Er sagte, er sei frei von aller Ewig- keither, und die religiösen Übungen und Anstrengungen, die er durchmachte, hätten bloss die Absicht, dem Volke denWegzur Erlösung zu zeigen. Erhabefürsie alles allein getan. Er sagte, er sei ein Nitya-mukta, das ist ewig frei, und eine Verkörperung Gottes selbst. »Die Frucht der Kürbispflanze«, sagte er, »kommt zuerst, und dann die Blüten; soistesmitdenNitya-muktas,denen die von aller Ewigkeit her frei sind, aber niedersteigen um des Heiles der andern willen«.

Worte Rämakrishnas

I . Der Namen Gottes sind viele, und unendlich die Ge- stalten, die uns hinleiten ihn zu erkennen. Mit welchem Namen, in welcher Gestalt du ihn zu rufen begehrst, in

eben diesem Namen, in eben dieser Gestalt wirst du ihn schauen.

2. Wie viele vom Schnee gehört aber ihn nicht gesehen haben, so sind da viele religiöse Prediger, die nur in Büchern von Gottes Attributen gelesen, aber sie nicht in ihrem Leben erfahren haben. Und wie viele den Schnee gesehenaberihnnichtgekostethaben,sosinddavielereli- giöse Lehrer, die nur einen Blick der göttlichen Glorie er- hascht aber ihr wahres Wesen nicht verstanden haben. Wer den Schnee gekostet hat, kann sagen, wie er schmeckt. Wer die Gemeinschaft Gottes in verschie- denen Erscheinungen genossen hat, jetzt als Diener, jetzt als Freund, jetzt als Geliebter, oder als in ihm Ver- sunkener, der allein kann sagen, welches die Attribute Gottes sind.

3 . Auf einer bestimmten Strecke seiner Andachtsbahn findet der Andächtige Befriedigung im gestalteten Gotte, auf einer andern im gestaltlosen.

4. So lange ein Mensch laut »Allah Ho! Allah Ho!« (O Gott ! O Gott !) ruft, seid gewiss, dass er Gott noch nicht gefunden hat, denn wer ihn gefunden hat, wird still.

5 . Ein Logiker fragte einst Sri Rämakrishna : » Was sind Erkenntnis, der Erkennende und der erkannte Gegen- stand.f^« Darauf erwiderte er: »Guter Mann, ich weiss all diese Unterscheidungen der Schulweisheit nicht. Ich weiss nur meine göttliche Mutter und dass ich ihr Sohn bin « .

6. Die Erkenntnis Gottes kann einem Manne, die Liebe Gottes einem Weibe verglichen werden. Erkenntnis hat Zugangnurin die äusserenRäumeGottes, aber niemand kann in Gottes innere Mysterien eintreten als ein Lieben-

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der allein, dennwie demWelbe sind ihm die heimlichsten Gemächer erschlossen.

7. Gott ist in allen Menschen, aber alle Menschen sind nicht in Gott : darum leiden sie.

8. Er sprach zu den Frauen, die die Gesellschaft nicht an- rühren mag: »Mutter, in der einen Gestalt bist du in der Gasse und in einer andern Gestalt bist du das All. Ich grüsse dich, Mutter, ich grüsse dich « .

VON RABIA (8. Jahrhundert)

MITTEN in der Nacht ging sie oftmals auf das Dach . und rief: » O mein Gott ! Nun schweigt das Getüm- mel des Tages, die Stimmen schweigen, und im heimli- chen Gemach erfreutsich das Mädchen des Geliebten, ich Einsame aber erfreue mich deiner Gegenwart, denn dich bekenne ich als meinen wahren Geliebten! «

Einst wallfahrtete Räbia nach Mekka. Als sie die Kaaba erblickte, zu deren Verehrung sie gekommen war, sprach sie: » Ich bedarf des Herrn der Kaaba, was taugt mir die Kaaba? Ich bin so nahe an ihn herangekommen, dass sein Wort :,WermireineSpannenaht,demnaheich eine Elle^ von mir gilt, was soll mir noch die Kaaba? «

Von Hassan Basri ermahnt, eine Ehe einzugehen, sprach sie: »MeinWesenistlängstschonehelichgebunden. Des- wegen sage ich, dass mein Sein in mir erloschen, in ihm (Gott) aufgelebt ist. Und seit jener Zeit lebe Ich in seiner Gewalt, ja ganz bin ich er. Wer mich nun zur Braut ver- langt, verlange mich nicht von mir, sondern von ihm«. Hassan fragte sie, wie sie sich zu dieser Stufe erhoben hätte. Sie sprach: »Dadurch, dass ich alles, was Ich ge- funden hatte, in ihm verlor«. Als jener weiterfragte: »Auf welche Weise hast du ihn erkannt?« antwortete sie: >0 Hassan ! du erkennst auf eine bestimmte Art und Weise, ich aber ohne Weise « .

Sie sprach: »Eine innere Wunde meines Herzens ver- zehrt mich, die nur durch die Vereinigung mit meinem

IG

Freunde geheilt werden kann. Ich werde krank bleiben, bis ich am jüngsten Tage mein Ziel erreiche « .

Räbia sprach zu Gott: »Ich bewahre mein Herz für den Umgang mit dir, und lasse meinen Leib mit denen ver- kehren, die nach meiner Gesellschaft verlangen. So ist mein Leib derGefährtemeines Besuchers, abermeinViel- geliebter ist der Gefährte meines Herzens « .

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VON BÄJEZiD BESTÄMI (9. Jahrhundert)

MAN erzählt, dassBäjezid sprach: 'Zwölf Jahre hln- ^ter einanderwar ich der Schmied meinesWesens. Ich legte es auf den Herd der Askese, Hess es aufglühen im Feuer der Prüfung, setzte es auf den Ambos der Furcht und schlug es mit dem Hammer der Ermahnung. Ich machtesoausihmeinenSpiegel,dermirdazudiente,mich selbst fünf Jahre lang zu betrachten, indem ich nicht auf- hörte, mit Taten der Frömmigkeit und der Andacht den Rost von diesem Spiegel zu lösen« .

Er sprach ferner: »Dreissig Jahre lang ging ich auf der Suche nach Gott, und als ich am Ende dieser Zeit die Au- gen geöffnethatte, entdeckte ich, dass er es war, der mich suchte«.

Yahya, der Bäjezid zu sehen begehrte, machte sich auf den Weg zu ihm, aber er fand ihn nicht zu Hause, weil er damals inmitten der Gräber war, mit Taten der Andacht beschäftigt. Es war die Stunde des Abendgebets. Yahya ging Bäjezid zu suchen und fand ihn alsbald. Er sprach zu sich: »Jetzt ist es Nacht, aber morgen in der Frühe werde ich ihn begrüssen « . Bis zu den ersten Strahlen der Morgenröte sah er Bäjezid aufrecht auf den Füssen, Worte murmelnd, und er war von Staunen darüber be- troffen. Als die Sonne aufgegangen war, ging Yahya, Bäje- zid zu begrüssen. »Was machtest du in dieser Nacht«, fragte er ihn. »In dieser Nacht«, antwortete Bäjezid, >hat man mir zwanzig Grade gezeigt, die ich nicht ange- nommenhabe,weilsieallewieVorhänge waren, die mich

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hinderten, vorwärts zu gehen « . Da sagte Yahya : » O Bä- jezid! gib mir einen Rat«. »Wohl«, sprach Bäjezid, »wenn man dir auch den Grad anbieten sollte, den alle Propheten erreicht haben, willige nicht ein, ihn anzu- nehmen. Verlange noch weiter zu gehen, steigere deine Ansprüche; denn wenn du einen Grad annimmst, wird er für dich ein Vorhang werden, der deinen Gang hem- men wird«.

Bäjezid sprach zu Ahmed Khizreviyeh: »Wie lange noch wirst du die Welt nach allen Richtungen durch- schreiten .^< »Wenn ein Wasser irgendwo stockend wird«, antwortete Ahmed, »verdirbt es«. »So sei wie das Meer«, sprach Bäjezid, »und du wirst nicht ver- derben«.

Bäjezid sprach : » Als ich auf der Stufe der Nähe angelangt war, hörte ich mich anrufen : » O Bäjezid ! Verlange alles, was du zu verlangen hast « . » Mein Gott « , antwortete ich, »du bist es, den ich verlange« . Es sprach: »O Bäjezid! solange in dir ein Stäubchen weltlicher Begier bleibt und du nichtaufderStufedesEntwerdens zu nichtsgeworden bist, wirstdu nicht fähig sein unszufinden « . » MeinGott« , sagte ich, »ich werde von deinem Hofe nicht mit leeren Händen zurückkehren, ich will etwas von dir verlangen « . » Wohl, so verlange es « . » Gewähre mir die Gnade für alleMenschen und erbarme dich ihrer« . EineStimme erscholl: »O Bäjezid! erhebe die Augen«. Ich erhob die Augen und sah, dass der erhabene Herr noch mehr als ich selbst zur Nachsicht gegen seine Diener bewegt war. »Mein Gott«, rief ich da, »schenke deine Gnade dem

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Satan!« »O Bäjezid!« antwortete mir die Stimme, »der Satan ist aus Feuer, und das Feuer bedarf des Feuers « .

Als man ihn über sein Alterfragte, antwortete er, er sei vier Jahre alt. » Wie das, o Scheich ? « » Siebzig Jahrelang warich in dieSchleier der niederenWelt gehüllt, und erst seit vier Jahren bin ich ihrer entledigt und schaue Gott « .

In einerNacht sah ich den Herrn im Traume, der zu mir sprach: »Was begehrst du, Bäjezid?« »Was du selbst begehrst, mein Gott!« »O Bäjezid, du bist es, den ich begehre, wie du mich begehrst « . » Aber welches ist der Weg, der zu dir führt?« *0 Bäjezid, wer sich selbst entsagt, kommt zu mir« .

Bäjezid sprach : » Ich bin wie ein Meer ohne Anfang, ohne Ende, ohne Grund « .

Man fragte Bäjezid, was der neunte Himmel sei. » Ich bin es « , antwortete er. » Und der Thron, der darauf ruht?« » Auch dies bin ich « . Als man ihn weiter fragte, sprach er: »IchbindieTafel,ichbinderGriffel. Ich bin Abraham, Moses, Jesus. Ich bin Gabriel, Michael, Israfil. Wer in das wahre Wesen kommt, geht in Gott auf, ist Gott « .

Bäjezid sprach: »Als der erhabene Herr mich in seiner grossmütigenGnadezuden oberenStufen erhobenhatte, erleuchtete er mit seinen Strahlen mein ganzes äusseres und inneres Wesen, entschleierte mir alle seine Geheim- nisse und offenbarte in mir seine ganze Grösse . . . Als der erhabene Herr mein vergängliches Wesen ver- nichtend mich an seiner unvergänglichen Dauer teilneh-

men Hess, ward die Klarheit meines Auges ins Unbeirr- bare gesteigert. Gott mit Gottes Auge betrachtend, sah ich Gott durch Gott; und mich in der Wahrheit verschan- zend, blieb ich ruhig und friedsam . Ich schlossdie Öffnung meines Ohres, ich zog meine Zunge in meinen ohnmäch- tigen Mund zurück, und ich warf das geliehene Wissen hin, das ich von den Kreaturen gelernt hatte. Dank dem Beistande des erhabenen Herrn entfernte ich von mir mein sinnlichesWesen, und in erneuter Huld gab mir der Herr das anfanglose Wissen. Durch seine Grossmut hat er in meinen Mund eine Zunge gesetzt, die zu reden ver- mag,undhat mir ein Auge gegeben, dasaus seinem Lichte stammt«.

Bäjezid sprach: »Wie lange noch wird es zwischen mir und dir das Ich und das Du geben.? Hebe zwischen uns mein Ich auf, mache, dass ich ganz in dich eingehe, dass ich nichts werde. Mein Gott«, fügte er hinzu, »wenn ich bei dir bin, tauge ich mehr als alle, und wenn ich bei mir selbstbin, tauge ich wenigerals alle. Mein Gott, dieÜbung derheiligenArmutundderunablässigen Strengehat mich bis zu dir kommen lassen. In deiner Grossmut hast du nicht gewollt, dass meine Mühen verloren seien. Mein Gott, nicht die Askese ist es, deren ich bedarf, nicht das Auswendigkönnen des Koran, und nicht die Wissen- schaft; abergibmireinTeilindeinenGeheimnissen. Mein Gott, ich suche meine Zuflucht in dir, und du bist es, durch den ich zu dir komme. Mein Gott, dass ich dich liebe, ist nicht erstaunlich, denn ich bin dein Diener, schwach, ohnmächtig, bedürftig; aber seltsam ist, dassdu mich liebst, du, der König der Könige! Mein Gott, jetzt

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fürchte ich dich, und doch liebe ich dich in so grosser In- brunst! Wie erst werde ich dich lieben, wenn ich mein Teil deiner Gnade empfangen habe und mein Herz von aller Furcht frei sein wird < .

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VON HUSAIN AL HALLÄDSCH (starb 3 09 H = 92 1 n. Chr.)

BEI dem Fest am Berge Arfat sprach er: » O du Weg- weiser derStumpfsinnigen! « Und da er sah, dass alle Menschen beteten,gingeraufeinen Hügel undschautezu, und da alle zurückkamen, schlug er sich selbst und rief da- bei: »Du erhabner Herr, ich weiss: du bist rein, und ich sage : du bist rein von allem Lobe der Lobenden und allem Preise der Preisenden und allen Gedanken der Denken- den. Mein Gott! Du weisst, dass ich die Pflichten deines Lobes nicht zu erfüllen vermag. Lobe du selber dich an meiner Statt, das ist das wahre Lob « .

Man fragte ihn, ob ein Beschaulicher Zeit für sich übrig habe. »Nein«, sagte er, »Zeit drückt den Zustand dessen aus, derErleuchtungszeiten bedarf; wer nun mit diesem seinem Zustande sich nicht begnügen kann, istein Erken- nender. Dasheisst,man mussmitMuhammed sagenkön- nen: Ich habe Zeiten bei Gott, wo kein Engel, ja kein Cherub mich fasst« .

Man fragte ihn: »Welches istderWegzuGott.^^« Er ant- wortete : » Ziehe beide Füsse zurück, und du bist bei ihm, deneinenausdiesem,denandernausdemandernLeben«.

Desgleichen sagte er: »Erkenntnis bedeutet die Dinge sehen, aber auch wie sie alle untergehen im Unbeding- ten«.

Er sagte: »Wenn der Knecht zur Staffel der Erkenntnis gelangtist, schickt Gottihm eine Eingebung, seineFreude

2 Buber, Konfesäonen

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wirdstumpfundnichtsistmehrnachseinem Geschmack, als allein der Genuss Gottes « .

Ferner sprach er: »Das sind grosse Leute, auf die die Schmach derWelt nicht mehr wirkt, nachdem sie Gott erkannt haben«.

Ferner: » Die Zunge ist das Verderben stiller Herzen ; das GeschwätzistmitUrsachenverbunden, und Handlungen mit Unglauben, das Wahre aber ist ein Leben, das von alle dem frei ist«.

Er sprach ferner: » Die Blicke der Sehenden, die Kennt- nisse der Erkennenden, das Licht der geistig Wissenden, und der Weg der schnell Vorschreitenden, und die Ewig- keit des Vordem und die Ewigkeit des Darnach und alles was in der Mitte liegt, sind: Zeitlichkeit«. Wodurch er- kennt man das.?* Husain antwortet : » Wer da ein Herz hat, der werfe das Auge weg, dann wird er schauen « .

Desgleichen: »Der Gott sucht, sitzt im Schatten seiner Busse, den Gott sucht, im Schatten seiner Unschuld « .

Desgleichen: » DerGottsucht,dessenLaufenrenntseinen Offenbarungen voran, den Gott sucht, dessen Offenba- rungen überholen sein Laufen « .

Desgleichen: »Göttliche Erleuchtungsstunden sind Mu- scheln, die im Meere unseres Herzens liegen, der Morgen der Auferstehung wirft sie ans Ufer und sie springen auf« .

Er sprach : » Ich bin erden ich liebe, und er den ich liebe ist ich;wirsindzweiSeelendieineinemLeibewohnen.Wenn

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dumichsiehst,siehstduihn,undwennduihnsiehst,siehst du uns«.

Da nun die Leute über ihn in Staunen gerieten , wurden Lügner ohne Urteil und auch unzählige Anhänger offen- bar. Man sah wunderbare Dinge von ihm. Man spitzte die Zunge zur Afterrede und brachte seine Aussprüche vor den Kalifen. Die Imamevon Bagdad gaben auch ihr Urteil für seinen Tod, weil er gesagt hatte: Ich bin Gott! Man verlangte, er solle sagen: Er ist Gott! Er erwiderte: »Ja, Alles ist Er! Ihr sagt, er ist untergegangen [in den Wesen], aber Husain ist untergegangen, das Weltmeer geht nicht unter und vernichtet auch nicht « .

Als er zur Richtstätte zog, tanzte er auf dem Wege, die Hände schleudernd, gleich einem übermütigen Hengste, obwohlmitsechzehn Kettenbeladen. Mansprach: »Was ist das für ein Gehen. f^« Er antwortete: »Gehe ich nicht zu meiner Opferstätte.^« Darauf schrie er laut und sang diese Verse: Nimmer wollt ich, dass mein Ereund der Grausamkeit

beschuldigt werde. Er reichte mir, was er selbst trinkt, wie der Gastwirt

dem Gaste tut. Da aber die Becher kreisten, rief er nach dem Richt- block und dem Schwerte. So geht's dem, der Wein trinkt mit dem Drachen in des

Sommers Glut.

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FARID-ED-DIN ATTÄR (geboren um 1 1 20) Die sieben Täler (Aus dem » Gespräch der Vögel « )

DAS erste Tal, das sich darbietet, ist das Tal desSu- chens, nach ihm kommt das der Liebe, das keine Grenze hat, dasdritteistdasderErkenntnis,dasviertedas der Selbstgenügsamkeit, dasfünftedasderreinen Einheit, dassechstedasderBestürzung,dassiebenteendlichistdas Tal der Auflösung und der Vernichtung, über das hinaus du nichtfortschreiten kannst. Dawirstdu dich angezogen fühlen und wirst doch nicht weiter ziehen können; ein einziger Wassertropfen wird für dich wie ein Meer sein.

Das Tal des Suchens

Sobald du in das Tal des Suchens eingetreten bist, wird hundertfache Pein dich wieder und wieder überfallen. In jedem Augenblick wirst du da hundert Prüfungen er- fahren; derPapageidesFirmaments^istdanureineFliege. Du wirst viele Jahre in diesem Tale in mühevoller Span- nung und steter Wandlung deines Zustands verbringen. Du wirst deine Schätze verlassen und alles was du be- sitzest ins Spiel werfen müssen. Du wirst in einem Blut- strom schreiten müssen, dem Allverzicht ergeben. Und hast du die Gewissheit gewonnen, dass du nichts mehr besitzest, musstdu noch dein Herz ablösen von allem was ist. Ist es von allem Anblick der Sonderung befreit, dann leuchtetihmdiegöttlicheHerrlichkeitaufund durch die- ses Licht, das sich dir offenbart, wächstdeinBegehrenins Unendliche. Und erschiene ein Feuer am Pfade des geist-

* Der Perser nennt den Himmel grün, nicht blau 20

liehen Wandrers und tausend Schluchten öffneten sich immer unwegsamer, von der Sehnsucht bewegt, würde er wie ein Toller in die Schluchten dringen, wie ein Schmetterling in die Flamme stürzen. Vom Liebeswahn getrieben, wird er dem Suchen leben ; von seinem Mund- schenk wird er einen Trunk verlangen. Hat er dieses Weines etliche Tropfen gekostet, wird er beide Welten vergessen. Eingetaucht im Meer des Schrankenlosen, wird er seine Lippen trocken verspüren, und auf dem Grunde seiner selbst wird er dem Geheimnis der ewigen Schönheit nachfragen. In seiner Begier, es zu erkennen, wird er vor den Drachen nicht weichen, die die Seelen verzehren. Würden in diesem Augenblick der Glaube und der Unglaube vorihn treten, er würde sie beide gleich willig empfangen, wenn sie ihm nur die Pforte öffnen. Ist diese Pforte offen, was ist dann noch Glaube oder Un- glaube, da es doch jenseits des Eingangs weder den einen noch den andern gibt.? .. .

Zusammengekauert wie das KindimSchossederMutter, sammle dich in dir selber ein, in Blut getaucht. Verlasse nicht dein Inneres, um dich ins Äussere zu bringen. Tut dir Speise not, ernähre dich vom Blute. Das Blut allein nährt das Kind im Schosse seiner Mutter; und aus der Wärme des Inneren kommt es her . . .

Das Tal der Liebe

Um hier einzutreten, muss man ganz in Feuer tauchen, ja man muss selber Feuer sein, denn sonst könnte man da nicht leben. Der wahrhaft Liebende muss dem Feuer gleich sein, entflammten Angesichts, brennend und un- gestüm wie das Feuer. Um zu lieben, darf man keinen

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Hintergedanken haben; man muss bereit sein, hundert Welten ins Feuer zuwerfen; man muss weder Glauben noch Unglauben kennen, weder Zweifel noch Zuversicht hegen. Auf diesem Wege ist kein Unterschied zwischen Gut und Böse; wo die Liebe ist, sind Gut und Böse ent- schwunden . . .

In diesem Tale ist die Liebe das Feuer und sein Rauch ist die Vernunft. Wenn die Liebe kommt, entflieht die Ver- nunft in Eile. DieVernunftkannmitderRaserei der Liebe nicht zusammen wohnen; die Liebe hat nichts zu schaffen mit der Vernunft des Menschen. Gewännest du einen rechten Blickder unsichtbaren Welt, dann erst vermöch- test du zu erkennen die Quelle der geheimnisreichen Liebe, die ich dir verkündige. Das Dasein der Liebe wird Blatt für Blatt völlig zerstört von der Trunkenheit der Liebe selbst.

Das Tal der Erkenntnis

Wenn die Sonne der Erkenntnis an der Wölbung dieses Wegesstrahlt, den man nicht würdig zu beschreiben ver- mag, . . zeigt sich in Klarheit das Geheimnis des Wesens der Dinge, und der feurige Ofen der Welt wird zum Blu- mengarten. Der Wandrer wird die Mandel unter ihrer Schale schauen.* Erwirdsichselbstnichtmehrerblicken, nichts mehr wird er erblicken als seinen Freund allein ; in allem was er sehen wird, wird er sein Antlitz schauen, in jedem Atom die Sphäre des Alls ; unterm Schleier wird er zahllose Heimlichkeiten betrachten, die leuchten wie die Sonne . . . Die sichtbare Welt und die unsichtbare Welt sind für die

* Das ist: Gott in den Kreaturen 22

Seele nichts; der Körper ist der Seele nicht verborgen, noch die Seele dem Körper. Bist du aus der Welt ausge- gangen, die nichts ist, dann findest du den Ort, der dem Menschen bestimmt ist .. .

Das Tal der Selbstgenügsamkeit

HieristkeineSucht undkein Forschen. Ausdieser Bereit- schaft der Seele zur Genügsamkeit erhebt sich ein kalter Sturm, dessen Gewalt in einem Augenblick einen unge- heuren Raum verwüstet. Die sieben Ozeane sind dann nur noch eineWasserlache; die sieben Wandelsterne ein Funken; die sieben Himmel ein Leichnam; die sieben Höllen zerschelltes Eis . . .

Sähest du eine ganze Welt, deren Herz ein Feuer frässe, du hättest nur einen Traum. Die Tausende von Seelen, die unablässig an diesem Meere niedersinken, sind da nur ein leichter und unwahrnehmbarer Tau . . . Dieses Tal ist nicht so leicht zu durchschreiten, wie du es in deiner Einfalt glauben möchtest. Wenn auch das Blut deines Herzens sich in dieses Meer ergösse, könntest du nur die erste Station erreichen. Und durchliefest du alle StrassenderWelt, du fändest dich immer,wenn du drauf wohl achtetest, beim ersten Schritt. In der Tat hat kein Wandrer das Ziel seiner Reise geschaut und die Heilung seiner Liebe gefunden. Hältst du inne, wirst du verstei- nert, oderdu stirbst und wirst eine Leiche. Setzest du den Schritt weiter und schreitest immer vorwärts in dei- nem Laufe, bis zur Ewigkeit wirst du den Schrei hören : »Weiter noch!« Es ist dir nicht gestattet, fortzuschrei- ten noch stehenzubleiben; es ist dir nicht erspriesslich zu leben noch zu sterben. Welchen Gewinn hast du aus

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all der Mühsal genommen, die du ertragen hast? Es gilt gleich, ob du dir den Kopf schlägst oder ihn nicht schlägst, o du der mich hört! Bleib stille, lass all dies und handle. . .

Trachte danach, unabhängig und dir genug zu sein . . In diesem vierten Tale strahlt der Blitz der Tugend, die dar- in besteht, sich selber zu genügen , so stark, dass seine Wärme Hunderte von Welten aufzehrt. Da Hunderte vonWeltenzuStaubw^erden,wäreesaussergevv^öhnlich, w^enn auch die Welt, die w^irbev/ohnen, verschwände.?.. In diesem Tale darf niemand in der Untätigkeit bleiben, und nur in der Reife darf man es betreten. Es ist nun an der Zeit zu handeln, anstatt in der Ungewissheit oder in der Sorglosigkeit zu leben: erhebe dich also und durch- schreite dieses mühsameTal,nachdemdu deinemGeiste und deinemHerzenentsagthast; denn w^enndunichtdem einen und dem andern entsagst, treibst du Vielgötterei und die sorgloseste der Vielgöttereien. Opfre also deinen Geist und dein Herz auf dieser Bahn, sonst musst du ver- zichten, dir genügen zu können ...

Das Tal der Einheit

Dies istderOrtderEntblössung von allen Dingen und der Einung. Alle, die in dieser Wüste das Haupt erheben, ziehen es aus dem gleichen Kragen. Magst du auch viele Einzelwesen sehen, es gibt in Wirklichkeit nur wenige, nein, es gibt eines nur. Da die Mengevon Personen wahr- haft nur eine ausmacht,istdiesevollkommeninihrer Ein- heit. Was sich dir aber als eine Einheit darstellt, das ist nicht verschieden von dem, was gezählt wird. Da das Wesen, das ich verkündige, ausser dieser Einheit und

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der Zahl ist, lasse du ab, der Ewigkeit des Vordem und der Ewigkeit des Darnach nachzusinnen; und da die beiden Ewigkeiten zerronnen sind, gedenke ihrer nicht mehr. ..

Wenn der Wanderer in dieses Tal eingetreten ist, ver- schwindet er wie die Erde unter seinen Füssen. Er wird verlorensein,denndaseinzigeWesen wird offenbar sein. Er wird stumm sein, denn das einzige Wesen wird reden. Der Teil wird das Ganze werden, oder vielmehr er wird weder Teil noch Ganzes sein. Es wird eine Gestalt ohne Körper und Seele sein . . Was ist der Verstand.?* er ist an derSchwelledesToresgeblieben,wie ein blindgeborenes Kind. Wer etwas von diesem Geheimnis gefunden hat, wendet das Haupt vom Reiche beider Welten ab . . Das Wesen, das ich verkündige, ist nicht gesondert da; die ganze Welt ist dieses Wesen; Sein oder Nichtsein, es ist immer dieses Wesen . . .

Das Tal der Bestürzung

Auf das Tal der Einheit folgt das der Bestürzung. Da ist mandieBeute derTraurigkeit und desStöhnens. Da sind die Seufzer wie Schwerter, und jederHauch ist eine bittre Klage. Da ist nichts als Weheruf, als Leid, als zehrende Glut; da ist Tag und Nacht zugleich, und da ist weder Tag noch Nacht. Da sieht man von jedes Haares Ende, ohne dass es abgeschnitten würde, das Blut tropfen . . Wie wird der Mensch in seiner Bestürzung weitergehen können.?* Er wird betäubt werden und sich auf dem Wege verlieren. Aber der die Einheit im Herzen eingegraben hat,vergisst alles und vergisst sich selbst. Wenn manihm sagt: »Bist du oder bist du nicht; hast du das Gefühl des

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Seins oder hast du es nicht; bist du in der Mitte oder bist du am Rande; bist du sichtbar oder verborgen; bist du vergänglich oder unsterblich; bist du das eine und das andere oder wieder das eine noch das andere; bist du du selbstoderbistdues nicht? « wird erantworten: „Ich weiss nichtsdavon,ichbin dessen unkundig und ich bin meiner unkundig. Ich bin verliebt, aber ich weiss nicht in wen; ich bin weder treu noch ungetreu. Was bin ich doch.? Ich bin selbst meiner Liebe unkundig; ich habe das Herz von Liebe voll und von Liebe leer zugleich" . . . Wer in das Tal der Bestürzung eintritt, der tritt in jedem Augenblick in einen so grossen Schmerz ein, dass er hin- reichen würde, um hundert Welten zu betrüben. Aber wie lange noch werde ich dieTrübsal und die Wirrnis des Geistes ertragen.? Da ich verirrt bin, wohin werde ich gehen.? Ich weiss es nicht, aber möge es Gott belieben, dass ich es wisse ! . . .

Das Tal der A uflösung und der Vernichtung

Esistunmöglich, diesesTal zu schildern. Als sein wesent- licher Zustand ist anzusehen das Vergessen, die Stumm- heit, die Taubheit und die Ohnmacht. Da siehst du in einem einzigen Strahl der Sonne die Tausende ewiger Schatten verschwinden, die dich umgaben. Wenn das Meer der Unendlichkeit seine Wogen zu regen beginnt, wie sollten die Bilder dauern, die auf seiner Fläche gezeichnet waren.? Diese Bilder sind die gegen- wärtige Welt und die kommende Welt. Wer erklärt, sie seien nicht, erwirbt ein grosses Verdienst. Wessen Herz sich in diesem Meere verloren hat, ist darin für immer ver- loren und bleibt in der Ruhe . . .

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Ein unreiner Gegenstand mag in ein Meer von Rosen- wasser fallen, er wird in derNichtigkelt bleiben durch sei- ne Eigenschaft. Aber wenn ein reines Ding in dieses Meer fällt, wird es sein besonderes Dasein verlieren, es wird an der Bewegung der Fluten teilnehmen; indem es geson- dertdazusein aufhört, beginnt es schön zu sein. Esistund ist nicht. Wie kann dies geschehen ? Es ist dem Geiste un- möglich, es zu fassen . . .

Wer die Welt verlassen hat, um dieser Bahn zu folgen, findet den Tod, und nach dem Tode die Unsterblich- keit...

Schlage den Mantel des Nichts um dich und trinke vom Becher der Vernichtung, bedecke deine Brust mit der Liebe zum Dahinschwinden und setze den Burnus des Nichtseins aufs Haupt. Stelle den Fuss ins Steigeisen des unbedingten Verzichtes und treibe entschlossen dein Ross zum Orte, wo nichts ist. In der Mitte und ausser der Mitte, drunter,drüber, in der Einheit, umgürtedeineLen- den mit dem Gürtel des Entwerdens. Öffne deine Augen und schaue, tue blaue Augensalbe an deine Augen. Wenn du verloren sein willst, wirst du es in einem Augenblick sein,dannwiederaufeineandereWeise; aber du schreite ruhig, bis du zum Reiche der Aufhebung kommst. Besit- zest du nur das Ende eines Haares aus dieser Welt, wirst du nie eine Kunde von jener Welt empfangen. Bleibt dir die kleinste Ichsucht, werden die sieben Ozeane dir voll des Unheils sein...

Wirfalles was du hast ins Feuer, bis zu den Schuhen. Wenn du nichts mehr hast, denk nicht einmal ans Lei- chentuch und wirf dich nackt ins Feuer . . . Wenn dein Inneres im Verzicht gesammelt sein wird,

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dann wirst du jenseits von Gut und Böse sein. Wenn es für dich weder Gut noch Böse geben wird, dann erst wirst du lieben, und du wirst endlich würdig sein der Er- lösung, die das Werk der Liebe ist.

Was mich betrifft, der ich weder ich noch ein andrer als ich geblieben bin, . . ich habe mich ganz verirrt, weithin von mir; ich finde in meinem Zustande kein andres Heil als die Verzweiflung. Als die Sonne der Auflösung über mich leuchtete, verbrannte sie beide Welten so leichtlich wie ein Hirsekorn. Als ich die Strahlen dieser Sonne sah, bin ich nicht gesondert geblieben: der Wassertropfen ist ins Meer zurückgekehrt. Ob ich auch in meinem Spiele zuweilen gewonnen und zuweilen verloren habe, zuletzt warfichallesindasschwarzeWasser. Ich bin ausgewischt worden, ich bin verschwunden ; nichts ist von mir geblie- ben. Ich war nur noch ein Schatten, kein kleinstes Stäub- chenwarvon mir da. Ich war ein Tropfen, im Ozean des Mysteriums verloren, und jetzt finde ich auch diesen Tropfen nicht mehr.

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DSCHALÄL-ED-DINRUMl (1207— 1273)

Aus dem Masnawi

ZU Zeiten gleicht mein Zustand einemTraume, mein ^Träumen erscheint ihnen alsUngläubigkeit. Meine Augen schlafen, aber mein Herz ist wach; mein Körper, der starre, istTrieb und Kraft. . . Eure Augen sind wach, undeuerHerz schläft fest, meine Augen sindgeschlossen, und meinHerz istam offenen Tor. Mein Herzhatseineeig- nen fünf Sinne ; diese Sinne meines Herzens erfahren die beidenWelten.EinSchwächlingwieihrsollmichnichtrü- gen; waseuchNachtscheint, ist mirlichterTag,waseuch Kerker scheint, ist mir ein Garten, mühsamstes Tun ist mir Rast. EureFüsse sind im Schlamm, mir wandelt sich der Schlamm in Rosen, die Leichenklage eures Ohrs ist mir die Hochzeitstrommel. Auf Erden scheineich zu sein, miteuchim Hause zu weilen, und steige indes wie Saturn zum siebenten Himmel auf. Nicht ich bin euch hier zuge- sellt, es ist mein Schatten . MeineErhebung übersteigt eu- re Gedanken, denn ich habe dasDenken überstiegen. Ja, ich bin dem Bereich des Denkens enteilt. Ich bin Herr des Denkens, nicht von ihm beherrscht, wie der Baumeister der Herr des Baues ist. Alle Kreaturen sind dem Denken unterworfen; darob sind sie traurig im Herzen und kum- mervoll. Ich sende mich als Botschaft zum Denken und entspringe ihm wieder nach meiner Lust. Ich bin wie der Vogel des Himmels, das Denken wie die Fliege, wie kann die Fliege mir helfen wollen.?

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Aus dem Diwan

Was ist zu tun, o Moslems? Denn ich erkenne mich selber nicht. Ich bin nicht Christ, nicht Jude, nicht Parse, nicht Muselmann. Ich bin nicht vom Osten, nichtvom Westen, nicht vom Land, nicht von der See. Ich bin nicht von der WerkstattderNatur,nichtvondenkreisendenHimmeln. Ich bin nicht von Erde, nicht von Wasser, nicht von Luft, nicht von Feuer. Ich bin nicht von der Gottesstadt, nicht von dem Staube, nicht von Sein und nicht von Wesen . . . Ich bin nicht von dieser Welt, nicht von der andern, nicht vom Paradies, nichtvon derHölle. Ich bin nicht von Adam,- nicht von Eva, nicht von Eden und Edens Engel. Mein Ort ist das Ortlose, meine Spur ist dasSpurlose ; es ist we- derLeib nochSeele, denn ichgehöre derSeeledesGelieb- ten. Ich habe Zw^eiheit abgetan, ich habe geschaut, dass die zw^ei Welten eine sind. Einen suche ich, Einen kenne ich. Einen schaue ich. Einen rufe ich. Er ist der Erste, Er ist der Letzte, Er ist der Äusserste, Er ist der Innerste. Ich Weissnichts andres als »O Er« und »OEr der ist«. Ich bin vom Becher derLiebe berauscht, die Welten sind aus meinem Blick geschwunden; ich habe kein Geschäft, als Geistes Gelage und wilde Zecherei. Habe ich einmal in meinem Leben einen Augenblick ohne dich verbracht, von dieser Zeit und von dieser Stunde will ich mein Leben bereuen. Werde ich einmal in dieser Welt einen Augen- blickmit dirgewinnen, will ich beideWelten niedertreten, will imTriumphe tanzen in Ewigkeit.

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AUS DER ERZÄHLUNG DES TEWEKKUL-BEG, SCHÜLERS DES MOLLÄ-SHÄH(M. starb 1071 H = 1660/61 n.Chr.)

Über sein Mystisches Noviziat

W'ÄHREND einer ganzen Nacht sammelte er (der Meister) seinen Geist auf mich, während ich meine Betrachtung auf mein eigenes Herz richtete; aber der Knoten meines Herzens löste sich nicht. So gingen drei Nächte hin, während deren er mich zum Gegenstande seiner geistigen Aufmerksamkeit machte, ohne dass irgend eineWirkung sich fühlen Hess. In der vierten Nacht sagte Mollä-Shäh:„IndieserNachtwerdenMollä-Senghin und Salih-Beg,diebeidedenekstatischenErregungen sehr zugänglich sind, ihrenganzen Geistauf diesen Neophyten richten « . Sie gehorchten diesem Befehle, während ich die ganzeNacht,dasAngesichtgegenMekkagewendet, sitzen blieb und zugleich alle Fähigkeiten meinerSeele auf mein eigenes Herz hinsammelte. Um die Morgendämmerung zeigtesicheinwenigLichtundKlarheitinmeinemHerzen, aberichkonnte weder Farbenoch Gestaltunterscheiden. Nach dem Morgengebete begab ich mich mit den beiden Personen, die ich eben genannt habe, zum Meister, der mich begrüssteund sie fragte, wassieausmirgemachthät- ten.Sie antworteten ihm: »Frage ihn selbst «.Zu mir ge- wendet, forderte ermich auf, ihm meineEindrückezu er- zählen. Ich sagte ihm, dass ich eine Helligkeit in meinem Herzen wahrgenommen habe, worauf der Scheich leb- hafter wurde und mir sagte: » Dein Herzschliesst eine Un- endlichkeitvonFarbenein, aber esistso finster geworden, dass die Blicke dieser beiden Krokodile des unendlichen

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Ozeans (des mystischen Wissens) ihm den Glanz und die Durchsichtigkeit nicht haben wiedergeben können. Der Augenblick ist gekommen, da ich selbst zeigenwerde, wie man es erleuchtet." Nach diesen Worten hiess er mich, mich ihm gegenübersetzen, während meine Sinne wie berauscht waren, und befahl mir, in meinem Innern sein eigenes Bild zu erzeugen ; und nachdem er mir die Augen verbunden hatte, forderte er mich auf, alle meine Seelen- kräfte auf mein Herz hinzusammeln. Ich gehorchte, und im Augenblick, auf die göttliche Gunst und den geistigen Beistand des Scheichs hin, öffnete sich meinHerz. Ich sah, dass in meinem Innern etwas war, das einem umgestürz- ten Becher glich; als dieser Gegenstand aufgerichtet wor- den war, erfüllte ein Gefühl uneingeschränkter Glück- seligkeitmeinWesen. Ich sagte zum Meister: »Vondieser Zelle, in der ich vor Dir sitze, sehe ich ein treues Bild in meinem Innern, und das erscheint mir, als ob ein anderer Tewekkul-Beg vor einem anderen Mollä-Shäh sässe « . Er antwortete: »Das ist gut; die erste Erscheinung, die sich deinem Blicke bietet, ist das Bild deines Meisters; deine Gefährten (die anderen Novizen)sind daran durch andere mystische Übungen verhindert worden; aber was mich anlangt, ist es nicht das erste Mal, dass dieser Fall sich mir darstellt«.

Er befahl mir sodann, meine Augen aufzudecken, was ich tat, und da sah ich mit dem leiblichen Organe des Sehens ihn vor mir sitzen ; er Hess mich sie von neuem verbinden, und ich erblickte ihn in meinem geistigen Gesichte ebenso vor mir sitzen. Des Staunens voll rief ich aus : » O Meister, ob ich durch meine leiblichen Organe oder durch mein geistiges Gesicht schaue, immer bist du es, den ich sehe! «

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Ich fügte mich genau den Vorschriften meines Meisters und von Tag zu Tag entschleierte sich mir die geistige Welt immer mehr; am nächstenTagesahichdieGestal- ten des Propheten und seiner Hauptgefährten, und Legi- onen von Engeln und Heiligen zogen vor meinem innern Blick vorbei. Drei Monate vergingen in dieserWeise, da- nach öffnete sich mir die Sphäre, v^o jede Farbe verfliesst, und da verschwanden alle Bilder. Während dieser Zeit hörtederMeister nicht auf, mir die Lehre derVereinigung mit Gott und des mystischen Schauens zu erklären ; aber die absolute Wirklichkeit wollte sich mir noch nicht zei- gen.Erstnach einem Jahre kam zu mir dasWissen der ab- soluten Wirklichkeit in Beziehung auf die Erfassung mei- neseigenen Daseins. DiefolgendenVerse offenbarten sich in diesemAugenblickmeinemHerzen,vondem siegleich- samohne mein Wissen auf meine Lippen übergingen : Ich wusste nicht, dass dieser Leichnam etwas anderes sei als Wasser und Erde ;

Ich kannte nicht die Kräfte des Herzens, der Seele, des Leibes;

Welch Missgeschick, dass ohne dich diese Zeit meines Lebens verging! Du warst ich und ich wusste es nicht.

3 Buber, Konfessionen

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PLOTINOS(204— 269)

OFTMALS wenn ich aus dem Leibe zu mir selber er- wache und aus der Anderheit in mich selber trete, schaue ich eine gar wunderbare Schönheit. Ich glaube dann am stärksten, der grösseren Bestimmung anzu- gehören, und wirke in meiner Kraft das vollkommene Leben, und bin mit dem Göttlichen Ein Ding geworden, und da ich darein gegründet bin, gelange ich zu jener Ge- walt und hebe mich über alles Erkennbare. Steige ich, nachdem ich so im Göttlichen gestanden habe, aus dem Geiste insDenken nieder, dann weiss ich nicht : wie kann dies sein, dass ich jetzt niedersteige, und wie konnte es sein, dassdieSeele einst in meinen Leib geriet, da sie doch das ist, als was sie sich mir nun, wiewohl im Leibe ver- harrend, in sich selber offenbarte.?

Wer es geschaut hat, weiss, was ich sage : dass die Seele dann ein anderes Leben empfängt, wenn sie herantritt und schon herangetreten ist und schon Ihn besitzt, also dass sie, dieses erfahrend, erkennt: der Chorführer des wahren Lebens ist da und nun tut nichts anderes mehr not, nein das Andere ist abzutun, und in diesem Einen soll ich stehen und dieses Eine werden, wenn ich alles, was mich umhüllt, weggestreift habe. So müssen wir denn eilen hinauszukommen und unwillig werden über unser Gebundensein, auf dass wir mit unserem ganzen Wesen ihnumfangenundkeinenTeilmehranunshaben, mit dem wir nicht Gott berührten. Dann dürfen wir ihn hier schauen und uns selber, wie zu schauen frommt: uns selber in derGlorie, des geistigen Lichtes voll, nein reines

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Licht selber, unbeschwert, leicht, Gott geworden, nein Gott seiend. Entbrannt sind wir da, sinken wir aber wieder, wie ausgelöscht.

Warum bleiben wir aber nicht dort.?^ Weil wir uns noch nicht ganz losgemacht haben. Es wird aber eineZeit sein, da wir beständig schauen werden, ohne irgend eine Un- ruhe des Leibes zu erfahren. Nicht aber istdasSchauende das Beunruhigte, sondern das Andere ist es: wenn das Schauende die Betrachtung entlässt , aber das Wissen nicht endässt, das in Beweisen und Meinungen und in dem Denken der Seele wohnt; das Schauen jedoch und das Schauende ist nicht mehr Gedanke, sondern grösser als der Gedanke und vor dem Gedanken und über dem Gedanken, wie das Geschaute ist. Wer aber sich selber geschaut hat, der wird, wenn er schaut, einen sehen, der einfach geworden ist, vielmehr er wird mit sich als mit einem solchen Zusammensein und wird sich als einen solchen wahrnehmen. Vielleicht darf man sogar nicht sagen: er wird schauen. Das Geschaute aber wenn man von diesen, dem Schauenden und dem Ge- schauten, als von zweien zu reden hat und nicht viel- mehr von beiden als von Einem, was freilich eine kühne Rede wäre schaut der Schauende dann nicht und scheidet nicht und empfindet nicht Zweiheit, sondern er ist gleichsam ein anderer geworden und ist nicht mehr er selber und gehört sich dort selber nicht mehr: Jenes Eigen gev/orden ist er mit ihm Eines, wie Mitte auf Mitte gefügt; wie ja auch hier zusammenfallende Dinge Eines sind und nur gesondert zwei. So reden auch wir jetzt von einer Verschiedenheit. Darum auch ist das Schauen unsagbar. Denn wie sollte einer das

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als ein Verschiedenes künden, was er, als er es sah, nicht als einVerschiedenes schaute, sondern als Eines mit ihm selber?

Dies meint offenbar das Gebot der Mysterien, den Un- geweihten nichts mitzuteilen. Denn da Jenes nicht sag- bar ist, verbot das Göttliche, es denen zu künden, denen nicht gewährt ist, selbst es zu schauen . Da also nicht zwei waren, sondern Eines waren der Schauende und das Geschaute, gleich als wäre da nicht Geschautes,nurGeeintes,so magwohl,derda mit Jenem vermischt zu Einem wurde, in sich,wenn er sich entsinnt, ein Bild von Jenem haben. Er war aber damals auch sel- ber Eines und hatte in sich keinerlei Scheidung,nichtvon sich und nicht von anderen; denn nichts bewegte sich in ihm, nicht Zorn, nicht Begier nach anderem war inihm, als er aufgestiegenwar, aber auch nicht ein Gedanke oder irgendein Erkennen, ja ganz er selber nicht, wenn man auch dieses sagen darf; sondern wie entrückt und be- geistert stand er in einsamer Ruhe und wandellosem Be- harren, mit seinem Wesen nirgendhin abweichend und sich auch nicht um sich selber mehr drehend, gänzlich feststehend und gleichsam Stillstand geworden. Auch nicht dem Schönen gehörte er mehran, sondern auch das Schöne hat er schon unter sich, auch über den Reigen der Tugenden ist er hinweggeschritten, wie einer, der in das innere Heiligtum eingedrungen ist und die Götterbilder hinter sich im Tempel gelassen hat, sie, die ihm zuerst wieder begegnen, wenn er aus dem Heiligtum tritt, wo er geschaut hat und sich vereint hat mit dem, was nicht Bild und Gestalt, sondern es selber ist ; nunmehr werden jene ihm ein zweiter Anblick. Es war aber wohl gar kein

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Schauen, sondern eine andere Art des Gewahrens, ein Hinaustreten und Einfachwerden und sich Weggeben und ein Verlangen nach Berührung und eine Ruhe und ein Sinnen auf Vereinigung : wenn wirklich einer das Sei- ende im inneren Heiligtum schauen wird.

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VALENTINOS (2. Jahrhundert)

VALENTINOS sagt, er habe ein kleines, eben ge- borenes Kind gesehen, von dem er durch Fragen er- forscht habe, wer es sei. Das aber antwortete und sprach, es sei der Logos. Dann setzt er einen tragischen Mythos hinzu...

(Anfang des Mythos:)

Wie alles hangt, sehe ich im Geiste.

Wie alles getragen wird, erkenne ich im Geiste.

Das Fleisch sehe ich an der Seele hangen.

Die Seele von der Luft getragen werden.

Die Luft am Äther hangen.

Aus dem Abgrund aber sehe ich Früchte entsprossen,

Aus dem Mutterschosse ein Kind entsprossen.

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WORTE MONTANS UND DER MONTANISTIN- NEN (2. Jahrhundert)

Montanas

DER Paraklet spricht : Siehe der Mensch ist wie eine Lyra, und ich fliege hinzu wie ein Plektron. Der Mensch schläft, und ich wache. Siehe der Herr ist's, der Menschenherzen aus der Brust nimmt und ein Herz den Menschen gibt.

Priska

Reinheit vereint, und sie sehen Gesichte, und das Antlitz niederbeugend hören sie auch deutliche Worte, sowohl heilsame als verborgene.

Maximilla

(Der Geist redet durch sie:) Ich werde verfolgt wie ein Wolf unter Schafen ; ich bin kein Wolf; Wort bin ich und Geist und Kraft.

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SYMEON DER NEUETHEOLOGE(etwa97o- 1 040)

Liebesgesänge an Gott (ep2te2 t£n eEmN'YMNSiJV)

KOMM, den meine arme Seele verlangt hat und ver- Jangt. Komm, Einsamer, zumEinsamen;denn ein- sam bin ich, wie du siehst. Komm , der du mich abgeson- dert und einsam auf Erden gemacht hast. Komm, der du meinVerlangen geworden bist, und der du gemacht hast, dassichdichverlange, dem zuzustreben niemand vermag. Komm, mein Atem und mein Leben. Komm, Trost mei- ner Seele. Komm, Jubel und Herrlichkeit, und mein be- ständiges Ergötzen . Ich sage dir Dank, da du mit mir ohne Vermischung,Umwandlungund Eintauschung einGeist geworden bist, und der du Gott über allem bist, mir alles in allem geworden bist. Unerklärliche Speise, die unmöglich verzehrt werden kann, und die den Lippen meiner Seele sich unablässig eingiesst und in der Quelle meines Her- zens übervoll strömt. Blitzendes Gewand, das die Dämo- nen versengt. Heimsuchung, die mich reinigt durch die steten und heiligen Tränen, die deine Gegenwart denen spendet, zu denen du kommst. Ich sage dir Dank, weil du mir ein Tag ohne Abend geworden bist und eine Sonne ohne Untergang : der du nicht hast wohin du dich verbär- gest, da du mit deiner Glorie die Welten füllest. Niemals hast du dich je vor irgend einem verborgen, sondern wir selber verbergen uns vor dir, da wir zu dir nicht kommen wollen. Denn wo solltest du dich verbergen, der du nir- gends einen Ort zu ruhen hast.?* Oder warum solltest du dich verbergen , der du von allen keinen verschmähst, keinen scheust? So schlage denn, liebreicher Herr, ein

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Zelt in mir auf und wohne in mir, und bis zu meinem Ab- scheiden trennedichnicht und sondredich nichtvon mir, deinem Diener, dass auch ich in meinem Tode und nach meinem Tode mich in dir erfinde und mit dir herrsche, Gott, der alles beherrscht. Bleibe, Herr, und lasse mich nicht allein, dass wenn meine Feinde kommen, die unab- lässig suchen meine Seele zu verschlingen, sie dich in mir weilend erschauen und weit und weiter entfliehen, und mir nicht obsiegen, da sie dich, der stärker ist als alle, drinnen inderWohnung meinerdemütigen Seele ruhend erblicken. Fürwahr, wie du eingedenk warst dessen, o Herr, dass ich auf der Welt war, und ohne mein Wissen mich erwählt und von der Welt weggehoben und vor das Antlitz deiner Glorie hingestellt hast, so mache mich innen gefestigt, immerdar unbewegt, und beschützemich durch deinWohnen in mir, dass dich täglich anschauend ich Toter lebe, dich besitzend ich Armer reich sei. So werde ich mächtiger alsalle Könige sein : und dich essend und trinkend und in besonderen Stunden mich in dich hüllend unsagbarer Wonnen geniessen.

Meine Zunge entbehrt der Worte, und was in mir ge- schieht, sieht mein Geist wohl, aber er erklärt es nicht. Er betrachtet und will aussprechen, aber das Wort findet er nicht. Erschaut dasUnsichtbare, das allerGestalt Ledige, durchaus Einfache, nicht Zusammengesetzte, und an Grösse Unendliche. Denn er erblickt keinen Anfang, und keinEndeschauter, und istgänzlich keinerMittebewusst, und weiss nicht, wie er das sagen soll, was er sieht. Etwas Ganzes erscheint, wie ich meine, und nicht mit dem We- sen selbst, sonderndurcheineTeilnahme.DennanFeuer

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entzündest du Feuer und das ganze Feuer empfängst du : jenes aber bleibt ungemlndert und ungeteilt wie vordem. Gleichwohlsondert sich,wasmitgeteiltwird,von dem Er- sten; und alseinKörperhaftesgehtesinmehrereLeuchten ein. JenesaberisteinGeistiges,unermesslich, untrennbar und unerschöpflich. Denn nicht scheidet es sich,wenn es sichhingibt, in viele, sondern verharrt ungeteilt,und ist in mir, und geht drinnen in meinem armen Herzen aufw^ie eine Sonne oder runde Sonnenscheibe, dem Lichte ähn- lich, denn es ist ein Licht. Ich weiss nicht, was ich davon sagen soll. Und ich wollte schweigen, dass ich's doch vermöchte: aber das Wunder, des Schauers voll, erregt dieSeele, und erschliesst meinen unreinen Mund : und der nun in meinem dunkelnHerzendenAufgangerweckthat, zwingt mich Unwilligen zum Reden, zum Schreiben.

Welches ist, omein Erlöser, dieses dein ungemessenes Erbarmen.^ Wie wolltest du mich Unreinen, mich Ver- lorenen, mich Verbuhlten zu deinem Gliede werden las- sen.?^ Wie hast du mich mit dem hellsten Gewände be- kleidet, das vom Glänze der Unsterblichkeit blinkt und alle meine Glieder hell macht.^^ Denn dein ganzer, unbe- fleckter, göttlicher, unvermischter, undin unaussprech- licher Weise vermischter Körper blitzt im Feuer deiner Göttlichkeit,unddieseshastdumirgeschenkt, mein Gott. Denn dieser meiner schmutzigen, vergänglichen Hütte vereint sich dein unbeflecktester Körper, und mein Blut mischt sich deinem Blute, ich weiss, vereint bin ich auch deiner Gottheit und bindein allerreinsterLeib geworden, ein leuchtendes Glied, ein Glied, wahrhaft heilig, weithin schimmernd. Ich schaue die Schönheit, ich schaue den

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Glanz, ich betrachte das Licht deiner Gnade, und starr e in den unerklärten Blitz, und gerate ausser mir, da ich merke, welcher ich gewesen, welcher, oWunder, gewor- den bin : und ich verehre und ich scheue mich selber, und wie dich ehre und fürchte ich mich, und bin verwirrt, und verzage, wohin ich mich setzen, wem mich nähern, wo deine Glieder lehnen, zu welchen Werken, zu wel- chen Taten ich so verehrungswürdigeundgöttlicheGlie- der brauchen soll.

Mich liebt er, der nicht in dieser Welt ist. Und inmitten meiner Zelle sehe ich ihn, der ausser der Welt ist. Auf meinem Bette sitze ich, und weile ausser der Welt. Ihn aber, der ewig und doch geboren ist, sehe ich, und rede mit ihm und wage zu sagen : Ich liebe, denn er liebt mich. Ich nähre mich vonderBetrachtung, ich kleide mich dar- ein; ihm vereint übersteige ich die Himmel. Und dass dies wahr und gewiss ist, weiss ich. Wo aber dann dieser Leib ist, erkenne ich nicht. Ich weiss, dass hinabsteigt, der unbewegt ist. Ichweiss, dass von mir geschaut wird, der von Natur unschaubar ist. Ich weiss, dass er, der aller Kreatur weit entrückt ist, mich in sich aufnimmt und mich in seinen Armen verbirgt, und ich finde mich ausser der ganzen Welt. Hinwieder schaue ich Sterblicher, und in der Welt ein Geringer, den ganzen Schöpfer der Welt in mir: und dieweil ich im Leben bin, umfange ich in mir das ganze blühende Leben und weiss, dass ich nicht ster- ben werde. In meinem Herzen ist er, und wohnt im Him- mel : hier und dort sehe ich ihn in gleichem Leuchten.

Wir sind Glieder Christi, Christus unsere Glieder. Und

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meine, des Allerärmsten Hand ist Christus und mein Fuss ist Christus. Und Christi Hand und Christi Fuss ich, der Ärmste. Ich bewege die Hand auch Christus, denn er ist ganz meine Hand: du musst verstehen, dass die Gott- heit ungeteilt ist. Ich bewege den Fuss er leuchtet wie Jener. Sage nicht, ich lästerte, sondern bestätige dieses, und bete Christum an, der dich so gemacht hat. Denn du auch,wenndu willst,wirst zu seinem Gliede werden. Und so werden alleGlieder einesJedenvon unsGliederChristi werden und Christus unserGlied, und er wird alles Häss- liche und Unförmliche schön und wohlgestaltet machen, esschmückendmitderHerrlichkeitundEhreseinerGott- heit; und wir werden allesamt Götter werden, mit Gott vertraulich geeinigt, keines Makels an unserem Leibe ge- wahr, sondern ganz der Ähnlichkeit des ganzen Leibes Christi teilhaftig geworden,werden wir Jeder den ganzen Christushaben. Denn derEine, zu Vielen geworden, bleibt Einer ungeteilt; jeder Teil aber ist der ganze Christus.

Er selbst ist in mir gegenwärtig und strahlt in meinem ar- men Herzen, kleidet mich in unsterblichen Glanz und durchleuchtet alle meineGlieder, umfängt mich ganz,ge- währt mir ganzdenKuss,undgibt sich ganz mir Unwürdi- gem, und von seiner Liebe und Schönheit sättige ich mich und werde erfüllt von derWonne und Süssigkeit der Gott- heit. Teilhaft werde ich des Lichtes, teilhaftder Herrlich- keit, und mein Angesicht leuchtet wie dessen, der mein Begehren ist, und alle meine Glieder werden hell, präch- tiger als die Prächtigen werde ich da, reicher als die Rei- chen, machtvoller als alle Machthaber, und grösser bin ich alsdie Könige, und um einVieles geehrter als allesicht-

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baren Dinge, nicht als die Erde bloss und was auf Erden ist, sondern als der Himmel auch und alles was in den Himmeln ist, da ich den Bildner aller Dinge bei mir habe, dem gebührt der Ruhm und die Ehre jetzt und in Ewig- keit. Amen.

Als er mich mit himmlischer Freude erfüllt hatte, entflog er und nahm meinen Geist, meinen Sinn und aller irdi- schen Dinge Begier mit sich. Und ihm folgend verlangte mein Geist den geschauten Glanz zu umfassen, aber er fand ihn nicht als Kreatur und es geriet ihm nicht, aus den Kreaturen zu gehen, dass er jenen unerschaffenen und unerfassten Glanz umfange. Dennoch umzog erallesund strebte jenen zu schauen. Er durchforschte die Luft, er umwandelte den Himmel, er überschritt die Abgründe, erdurchspähte,wie ihm schien, dieEndenderWelt. Aber in alle dem fand er nichts, denn geschaffen war alles. Und ich klagte und trauerte und brannte in Kerne, und wie ein im Geiste Entrückter, so lebte ich. Er aber kam, als er wollte, und wie eine lichte Nebelwolke niedersteigend, schien er mein ganzes Haupt zu umlagern, dass ich be- stürzt aufschrie. Er aber wieder entfliegend Hess mich al- lein. Und als ich ihn mühevoll suchte, erfuhr ich jählings, dasserinmirselberwar, undinderMittemeinesHerzens erschien er wie das Licht einer kreisrunden Sonne. Als er so sich offenbarte und ich ihn erkannteund empfing, trieb er den Wirbel der Dämonen in die Flucht, stiess die feige Scheu zurück, gab die Stärke ein, entblösste mein Gemüt vom irdischen Sinn und umkleidete mich mit dem Sinne des Geistes. Von den Dingen, die gesehen werden, schied er mich ab, und mitdenen, die nichtgesehen werden,ver-

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band er mich. Er gewährte mir, das Unerschaffene zu schauen, und mich dessen zu erfreuen, dass ich vom Er- schaffenen, vom Sichtbaren, vom Schnellvergänglichen gesondert war und vereinigt dem Unerschaffenen, dem Unsterblichen, das des Anfangs bar ist und von Keinem erblickt werden kann. SolcherArt ist das Erbarmen.

Lasset mich allein, in meine Zelle eingeschlossen. Ent- lasset mich mit Gott, der allein der Gütige ist. Tretet zu- rück, entfernet euch. Lasset mich allein im Angesichte Gottes sterben, der mich gebildet hat. Keiner poche an dieTür. Keiner erhebe die Stimme. Keiner von den Ver- wandten und Freunden suche mich heim. Keiner ziehe meinenGeistvonderBetrachtungdesguten und schönen Herrn. Keiner reichemirSpeise, keiner bringe mirTrank. Denn es wird mir genügen zu ersterben im Anblick mei- nes Gottes, des barmherzigen, des gütigen Gottes, der zur Erde herabstieg, um die Sünder zu rufen und sie mit sich in das himmlische Leben zu führen. Ich will nicht länger das Licht dieser Welt schauen, noch die Sonne selber, noch alles was auf der Welt ist. Denn ich schaue meinen Herrn, ich schaue den König. Ich schaue das wahrhaft seiende Licht und alles Lichtes Schöpfer. Ich schaue die Quelle alles Schönen. Ich schaue dieUrsache allerDinge. Ich schaue den Anfang, derdes Anfangs ermangelt, durch den alles hervorgebracht wurde und durch den alles lebt und Nahrung empfängt ; und aus dessen Willen alles ver- scheidet und aufhört ... Da ich ihn schaute, kam ich von Sinnen. Ihralso,denendieSinnebefehlen, entlasset mich, und gewähret mir nicht bloss mich allein in der Zelle zu verschliessen und drin zu sitzen ; sondern wenn ich mich

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drin wie in einer Grube verbergen und ein Leben ausser der ganzen Welt leben werde, anschauend meinen un- sterblichen Herrn und Schöpfer, werde ich durch seine Liebe sterben wollen, und werde wissen, dass ich durch- aus nicht sterben werde.

Der du von der Allgemeinheit nicht ergriffen werden kannst, wahrlich klein wirst du irgendwie in meinen Händen, und meinen Lippen neigst du dich leuchtend wie ein lichtes Euter und eine Süssigkeit, o des Geheim- nisses. Und nun gib dich mir, dass ich michdeinersättige, dassichküsseundumfangedeineunsägliche Herrlichkeit, das Licht deines Angesichtes,und erfüllt werde und allen anderen mitteile und abgeschieden ganz verherrlicht in dich komme. Aus deinem Lichte selbst zu Licht gewor- den, möge ich bei dir stehen, und der Sorgen der vielen Übel entledigt, möge ich auch von derFurchtbefreitwer- den, dass ich nicht wieder eingewandelt werde. Gib mir auchdieses, Herr, teile mir auch dieses zu, der du mir Un- würdigem alles andere gegeben hast. Dieses tut mir am meisten not und in diesem ist alles. Denn wenn du auch jetzt von mir geschaut wirst,wenn du dich auch jetztmei- ner erbarmst, wenn du mich auch jetzt erleuchtest und mystisch lehrest und mich bewachest und mit deiner mächtigen Hand mich beschützest und mir beistehst, und die Dämonen in die Flucht treibst, und sie vernich- test, und alles mir unterwirfstund allesmirdarreichst und mich mit allem Guten erfüllest, mein Gott, dennock gewinne ich aus alle diesem nichts, wenn du mir nicht ge- währst, ohne Scham die Pforten desTodes zu überschrei- ten; wenn nicht der Fürst der Finsternis herantretend

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deine Herrlichkeit bei mir wohnen sieht und zu Schan- denwird,derDunkleversehrtvondeinem unzugänglichen Lichte , und mit ihm alle feindseligen MächtedasZeichen deines Siegels schauen und sich davor zur Flucht wen- den, ich aber deiner Gnade vertrauend unverzagt hin- überschreite , mich dir nähere und vor dir niederfalle. Welche Frucht werde ich davon empfangen, was jetzt in mir geschieht? Wahrhaft keine, sondern dasFeuer in mir wird es noch mehr entzünden.

Ich sah ihn wieder ganz in meinem Hause, und inmitten dieses Gerätes erhob er sich unvermutet, und vereinte sich mir unaussprechlicher Weise, verband sich unsäg- licherWeisemit mirundschwangsich mirohneMischung zu wie das Feuer dem Eisen, wie das Licht dem Glase. Und ermachtemich dem Feuer, machtemichdemLichte gleich. Und ich wurde das, was ich ehedem sah und aus der Ferne schaute. Ich weiss nicht, wie ich dirdiese wun- derbare Weise berichten soll. Denn ich konnte nicht er- kennen und erkenne auch jetzt ganz und gar nicht, wie er in mich eintrat, wie sich mir vereinte. Vereint aber mit ihm, wie soll ich dir sagen,wer er ist, der mir, dem ich hin- wieder mich vereint habe.? Ich fürchte, du möchtest et- wa,wennichessage,esnichtglauben,undausdemNicht- wissen in die Lästerung fallend, mein Bruder, deineSeele verlieren. Eines sind ich und er geworden, dem ich ver- eint bin. Aber wie soll ich mich nennen, der mit ihm vereint wurde.? Gott,von Natur doppelt,vonWesen eins, macht auch mich zwiefach, und wie du siehst, gab er mir auch einen doppeltenNamen ein. Dies ist die Scheidung: Mensch bin ich von Natur, von Gnaden Gott.

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Wieder strahltmirdasLicht.Wiederschaueichdas Licht in Klarheit. Wieder öffnet es den Himmel, wieder ver- treibt esdieNacht.Wieder offenbart esalles. Wieder wird es allein geschaut. Wiederführt es mich von allen sicht- baren, allen dem Sinne zugehörigen Dingen ab, reisst mich von ihnen los. Und der über allen Himmeln ist, den kei- nerderMenschenjeerblickte,derkehrtwiederin meinem Geiste ein, ohnedenHimmel zuverlassen, ohnedieNacht zu zerteilen, ohne die Luft zu durchbrechen, ohne das Dach des Hauses niederzuschlagen, ohne irgend ein Ding zu durchdringen, und in die Mitte meines Herzens, o er- habenes Geheimnis, da alles bleibt wie es ist, stürzt mir das Licht und hebt mich über alles empor. Und ich, der ich inmitten allerDinge war, stehe ausser allem, ich weiss nicht, ob nicht auch ausser dem Leibe. Nun bin ich in Wahrheit ganz da, wo das Licht allein und einfach ist, und aus seiner Betrachtung gehe ich einfach in Unschuld hervor.

4 Buber, Konfessionen

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HILDEGARD VON BINGEN(i loo— 1 178) Aus einem Brief e

O treuer Diener, ich armselige weibliche Gestalt rede zu dir im wahren Gesichte diese Worte. Wenn es Gott gefiele, dass er in diesem Gesichte meinen Leib erhöbe, wie er die Seele erhebt, würde die Furcht aus meinem Geiste und Herzen dennoch nicht weichen, denn ich weiss, dass ich ein Mensch bin, wiewohl von meiner Kindheit an eingeschlossen. Viele Weise sind durch Wunder so verwirrt worden, dass sie manches Geheime enthüllt haben, doch um des eitlen Ruhmes willen haben sie es sich selber zugeschrieben und so sind sie gefallen. Aber die im Aufstiege der Seele von Gott die Weisheit schöpften und sich für nichts erachteten, die sind dieSäu- len des Himmels geworden . . .

Und wie sollte dies sein, wenn ich Armselige mich nicht erkennte.? Gott wirkt, wo er will, zum Ruhme seinesNa- mens und nicht des irdischen Menschen. Ich aber habe immer eine zitternde Angst, denn ich weiss keine Zuver- sicht irgend einer Möglichkeit in mir; sondern meine Hände strecke ich zu Gott, dass ich wie eine Feder, die aller Schwere der Kräfte entbehrt und im Winde fliegt, von ihm getragen werde. Und was ich schaue,vermag ich nicht vollkommen zu wissen, solange ich im körperlichen Amte bin und in der unsichtbaren Seele; denn in diesen beiden ermangelt es dem Menschen. Von meiner Kindheit an aber, da ich an Gebeinen und Nerven und Adern noch nicht erstarkt war, schaue ich dieses Gesicht immer in meiner Seele bis zur gegenwär- tigen Zeit, da ich schon mehr als siebzig Jahre bin. Und

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meine Seele steigt, wie Gott es will, in diesem Gesichte zur Höhe des Firmamentes und indenWechsel verschie- dener Lüfte und breitet sich zu mannigfachen Völkern hin, die in weiten Ländern undRäumenmirentferntsind. Und da ich dies in solcherWeise in meiner Seele schaue, nehme ich esauchnachdemWechselderWolkenschicht und anderer geschaffenen Dinge wahr. Nicht aber höre ich es mit den äusseren Ohren, noch empfange ich es in den Gedanken meines Herzens, noch irgend unter ei- nem Beitrage meiner fünf Sinne, sondern in meiner Seele allein bei offenen äusseren Augen , so dass ich niemals in ihnen die Ermüdung der Ekstase erleide, sondern wachend am Tage und in der Nacht schaue ich es. Und beständig werde ich von Krankheiten bedrängt und oft- mals in schwere Schmerzen so sehr verwickelt, dass sie mir den Tod zu bringen drohen; aber Gott hat mich bis zu dieser Zeit aufrecht gehalten.

Das Licht aber, das ich schaue, ist nicht örtlich, sondern weit und weit heller als die Wolke, die die Sonne trägt. Und nicht vermag ich Tiefe noch Länge noch Breite darin zu erblicken. Und genannt wird es mir der Schatten des lebendigen Lichtes. Undwie Sonne, Mondund Sterne im Wasser Widerscheinen, so erglänzen mirdarindieSchrif- ten und die Reden und die Kräfte und etliche Werke der Menschen im Gebilde.

Was ich aber in diesem Gesichte schauen oder erfahren mag, dessen Gedächtnis habe ich durch eine lange Zeit, so dass ich mich entsinne, wann ich es geschaut und ver- nommen habe. Und zur gleichen Zeit sehe ich und höre ich und weiss ich es, und was ich weiss, besitze ich im Augenblick. Was ich aber nicht schaue, das weiss ich

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nicht, denn ich bin ohne Gelehrsamkeit, und nur die Buchstaben in Einfalt zu lesen bin ich unterwiesen wor- den. Und was ich im Gesichte schreibe, das sehe und höre ich, und ich setze keine anderenWorte,alsdie ich höre, und in ungefeilter Sprache bringe ich sie vor, so- wie ich sie im Gesichte höre. Denn nicht wie die Philo- sophen schreiben,werde ich in diesem Gesichte zuschrei- ben gelehrt. Und dieWorte in diesem Gesichte sind nicht wie die Worte, die aus dem Munde des Menschen tönen, sondern wie eine schwingende Flamme und wie eine Wolke in reiner Luft bewegt.

Dieses Lichtes Gestalt vermag ich in keiner Weise zu erkennen, wie ich das Kreisrund der Sonne nicht voll- kommen anblicken kann. In diesem Lichte aber sehe ich zuweilen und nicht häufig ein anderes Licht, das mir das lebendige Licht genannt wird, und wann und in wel- cher Weise ich dieses sehe, das weiss ich nicht zu sagen. Und da ich es schaue, wird mir alle Traurigkeit und alle Not entrafft, also dass ich alsdann die Sitten eines ein- fältigen Mägdleins und nicht einer alten Frau habe. Aber wegen der beständigen Schwäche, die ich leide, widerstrebt es mir, dieWorte und die Gesichte, die mir da gezeigt werden, auszusprechen. Doch bin ich in der Zeit, da meine Seele sie schaut und geniesst,in eine so andere Verfassung gebracht, dass ich, wie ich sagte, alles Weh und Leid dem Vergessen übergebe. Und was ich da in diesem Gesichte schaue und vernehme, das schöpft meine Seele wie aus einer Quelle, die jedoch bleibt voll und unerschöpft. Meine Seele aber entbehrt zu keiner Stunde jenes Lichtes, das der Schatten des lebendigen Lichtes geheissen wird. Und ich schaue es, wie ich in

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einer lichten Wolke das Firmament ohne Sterne be- trachte. Und darin schaue ich, was ich oftmals rede und was ich antworte, wenn man mich nach dem Blitze jenes lebendigen Lichtes befragt.

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ALPAIS VON CUDOT(i 1 50— 121 1)

^ / ON einem frommen Manne befragt, ob sie ihre Vi- V sionen in dem Leibe oder ausser dem Leibe schaute, und ob sie je im Geiste verzückt würde oder nicht, ant- wortete sie: »Ob ich verzückt bin oder war, wage ich nicht zu sagen, noch meine ich es, sowie ich nicht wage, von diesen Visionen, die ich auf euer Drängen berichte, zu be- haupten, in derWirklichkeitder Dinge sei es so geschehen oder geschehe es so, wie es mir in meiner Ruhe als ge- schehend gezeigt wird, sondern sicherer überlasse ich dies dem göttlichen Urteil, dem nichts verborgen ist. Die Ge- sichte aber, die ich euch berichte, die sehe ich in meiner Ruhe so geschehen, wie ich sie berichte. Aber worauf sie zielen oder was sie meinen oder was die meisten von ihnen wollen und ob sie in dieser Weise und Ordnung geschehen und eingerichtet werden , in welcher Weise und Ordnung sie mir zu geschehen und eingerichtet zu sein erscheinen, das erkenne ich nicht gut. Wie immer sich aber auch die Wahrheit dieses Dinges verhalten mag, dieses eine weiss ich, dass ich nicht getäuscht werde noch täusche, denn was ich euch sage, sehe ich, wie ich es sage, und ich sage es, wie ich es sehe. Ob ich aber, was der Herr mir in seinem Wohlgefallen zeigt, wenn er in mir oder mein Geist in ihm ruht, im Leibe oder ausser dem Leibe sehe, weiss ich nicht. Er allein weiss es, der alles weiss und der auch mich bald im Wachen bald im Schlafen oder vielmehr im Ruhen schauen macht. Ein- mal jedoch ist es mir erschienen —wenn ich es sagen darf, obgleich ich es für gewiss nicht zu behaupten wage— ich sei ausser meinem Leibe gewesen. Aber wie und wann

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meine Seele aus ihrem Leibe ging und wie sie ihn ab- streifte, das weiss ich durchaus nicht. Denn so leicht und so plötzlich, in einem Augenblick, wie es mir schien, streifte meine Seele das Gewand des Fleisches ab, wie wenn ein mit einem oben offenen Gewände Bekleideter eilend auf dem Wege läuft und dem Laufenden das Ge- wand jählings von den Schultern gleitet, da er allein dem Eifer des Weges und Laufes ergeben ist, und ganz ohne sein Wissen zur Erde fällt; er aber merkt erst dann, dass es gesunken ist, da er sich nackt und sein Gewand unter sich am Boden liegend erblickt. So ist, wie mir scheint, ganz ohne mein Wissen meine Seele jählings aus meinem Leibe gegangen. Ich aber erfand es erst, als die Seele des Fleisches entblösst ihren Leib zu betrachten begann, der unbewegt auf dem Bette lag. Sie sah den Leib an und freute sich am Schauen und ergötzte sich daran, denn sehr schön war er ihrvon Ansehen, köstlich ihrem Blicke, und sie betastete ihn undhobihnempor. Undsehrschwer und lastend warmeinerSeele seinGewicht,dennochaber liebte sie ihn und umarmte ihn mit wunderbarer Leiden- schaft. Während meine Seele so ausser dem Leibe war und ihn betrachtete, sah sie um sich schauend rings- um eine unendliche Menge von Menschen hin und her rennen nach derArtderwildenTiere,wie rasend und von Sinnen, als begehrten sie zu fliehen und fänden den Pfad derFluchtnicht. Bei ihrem Getöseerzitterteunderschrak meine Seele, und schneller als ein Wort trat sie wieder in ihren Leib, ich aber wusste ganz und gar nicht, wie und wannsiedareinzurückkehrte.Dennwieichnichtwusste, noch fühlte, in welcher Weise sie aus dem Leibe ging und ihn abstreifte, so fühlte und fand ich nicht, in welcher

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Weise sie in ihn heimkehrte. Wie einer in einem Schiffe schlief, das sanft über das Wasser des Flusses hinfliegend schon den Hafen erreicht hat, er aber weiss und versteht nicht, in welcher Weise erzürn Ufer gekommen ist« . Befragt, was für ein Ding die Seele sei und ob die Seele sich selbst ebenso wie ihren Leib sehe, den sie verlassen hat, und was für Augen sie habe, sich oder den Leib zu schauen, antwortete sie, sie könne dies nicht deutlich er- klären, denn es lasse sich in der ganzen Welt kein Gegen- stand finden, nach dessen Bilde die Gestalt oder die Natur der Seele darzulegen wäre. » Denn die Seele » , sprach sie, »ist einfach, unsichtbar und unkörperhaft, ist nicht in Teile geschieden wie der Körper noch in Glieder, denn sie hat keine Hände oder Füsse, mit denen sie gehen oder tasten, keine Augen und Ohren, mit denen sie sehen oder hören könnte. Denn in allen ihren Handlungen und Bewegungen ist sie ganz gegenwärtig. Was immer sie daher berührt, sie berührt es ganz zugleich, und ganz zugleich erfährt und erprobt sie Weiches oder Hartes; Warmes und Kaltes unterscheidet mit der Fin- gerspitze sie ganz; was sie riecht, riecht sie ganz und nimmt ganz die Düfte auf; was sie schmeckt, schmeckt sie ganz und unterscheidet ganz jeden Geschmack; was sie hört, hört sie ganz und entsinnt sich ganz der Töne; was sie sieht, sieht sie ganz und gedenkt ganz der Bilder. Kurz: ganz tastet , ganz riecht, ganz schmeckt, ganz hört, ganz sieht, ganz gedenkt die Seele. Und so sieht sie sich auch, wenn sie vom Fleische gelöst ist. Denn solange sie im Fleische ist, kann sie sich nicht ganz sehen, weil sie sich nicht ganz in sich einsam- meln kann, dass sie sich allein erblicke: Vorstellungen

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und Bilder körperhafter Dinge laufen ihr unter, die sie durch die Aussensinne des Körpers empfängt und durch die sie gehindert wird, ganz sich selber zu schauen. An keinem Orte ist die Seele gefasst, denn sie ist nicht ört- lich, von keinem Räume wird sie begrenzt, denn sie entbehrt der Ausdehnung, von keinen Gliedern wird sie eingeschränkt, denn sie ist unkörperhaft. Sie wird nicht durch des Ortes Grösse aufgehalten, dass sie mit einem grösseren Teile einen grösseren Raum einnähme, mit einem kleineren einen kleinen, oder dass in einem Teile ihrer weniger wäre als im Ganzen. Denn in allen Teil- chen des Körpers zugleich ist sie ganz gegenwärtig. An welchem Orte immer daher ein noch so geringer Teil des Körpers geschlagen oder gestochen wird, fühlt sie ganz den Schmerz. Und nicht geringer ist sie in den klei- neren Gliedern des Körpers, nicht grösser in den grösse- ren, sondern in den einen blüht sie stärker, in den andern schwächer, aber in dem kleinsten ganz, in den grössten ganz, in allen ganz und in den einzelnen ganz. Denn wie Gott überall ist, Gott ganz in seiner ganzen Welt und in jeder seiner Kreatur ganz, alles belebend, bewegend und regierend, wie der Apostel sagt, dass wir in ihm leben, uns regen und sind, so ist die Seele in dem Leibe über- all stark, gleichsam in ihrer Welt, so belebt, bewegt und regiert sie ihn, kräftiger wohl im Herzen und im Gehirne, sowie man sagt, Gott sei in besonderer Weise im Him- mel. Und wie er in seiner Welt innen und aussen, oben und unten ist, so ist die Seele in ihrem Leibe, ihn re- gierend oben, ihn tragend unten, ihn erfüllend innen, ihn umgebend aussen. So ist sie innen, wie sie aussen ist, so umgibt sie, wie sie durchdringt, sie leitet, wie sie

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trägt,sIeträgt,wiesIeleitet,undwIeGottwederimWach- sen der Kreaturen wächst, noch in ihrem Schwinden schwindet, so wird die Seele bei Minderung der Glieder nicht gemindert, bei ihrer Mehrung nicht gemehrt « .

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AEGIDIUS VON ASSISI

(von 1 208 an Jünger des heiligen Franziskus, starb 1 262)

IM sechsten Jahre nach seiner Bekehrung, als er im Kloster zu Fabriano wohnte, kam eines Nachts die Hand des Herrn über ihn. Während er mit Inbrunst be- tete, wurde er von so grosser göttlicherTröstung erfüllt, dass es ihm schien, Gott wolle seine Seele aus dem Leibe führen, damit er seine Geheimnisse in Klarheit schaue. Und er begann zu spüren, wie sein Körper erstarb, zuerst in den Füssen und dann weiter, bis die Seele ausging. Und ausserdem Leibe stehend, wie ihm schien, nach dem Willen dessen, der sie dem Leibe verbunden hatte, er- götzte sie sich ob der übergrossen Schönheit, mit der sie der heilige Geist geschmückt hatte, daran, sich selbst zu betrachten. Denn sie war sehr zart und sehr hell über alles Mass, wie er selbst vor dem Tode erzählte. Dann wurde diese sehr heilige Seele zum Schauen der himm- lischen Geheimnisse hinweggeführt, die er niemals offen- baren wollte.

Einmal sprach er: »Ich weiss einen Menschen, der Gott so klar geschaut hat, dass er allen Glauben verlor« . Ein andermal sprach Bruder Andreas zu ihm : » Du sagst, dassGott dir in einerVision den Glauben genommenhat; sage mir, wenn es dir gefällt, ob du die Hoffnunghast« . Er antwortete : » Wer den Glauben nicht hat, wie sollte der die Hoffnung haben .^< Sprach zu ihm Bruder Andreas: » Hoffst du nicht,dass du das ewige Leben besitzen wirst ? « Er antwortete : » Glaubstdu nicht, dassGott, wenn esihm gefällt, ein Unterpfand des ewigen Lebens geben kann?«

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Bruder Aegidius sagte einmal, er sei viermal geboren. » Das erste Mal « , sprach er, » bin ich von meiner leiblichen Muttergeboren, das zweiteMalimSakramentederTaufe, das dritteMal,als ich in diesen heiligenOrden eintrat, das vierte Mal, als Gott mir die Gnade seiner Erscheinung schenkte«. Da sprach Bruder Andreas zu ihm: »Wenn ich in ferne Länder ginge und ich würde gefragt, ob ich dich kennte und wie es dir ginge, könnte ich so ant- worten: ,Zweiunddreissig Jahre sind es, seit Bruder Aegidius geboren wurde''', und bevor er geboren wurde, hatte er den Glauben, aber nach seiner Geburt hat er den Glauben verloren' « . Antwortete Bruder Aegidius: »Wie du gesagt hast, so ist es. Wohl hatte ich vordem den Glauben nicht so recht, wie ich ihn hätte habensollen, dennoch hat ihn Gott mir genommen. Wer immer aber ihn in vollkommener Weise hat, wie man ihn haben soll, dem wird Gott ihn auch nehmen. Danach habe ich sol- ches getan, dass ich verdiente, es würde mir ein Strick um den Hals gebunden und ich würde schimpflich durch alle Strassen dieser Stadt geschleppt« . Sprach abermals Bru- der Andreas: »Wenn du den Glauben nicht hast, was würdest du tun , wenn du ein Priester wärest und das Hochamt feiern woUtest.r^ Wie könntestdu sprechen:, Ich glaube an einen Gott.^' Wie es scheint, müsstest du spre- chen: ,Ich erkenne einen Gott' '<. Da antwortete Bruder Aegidius mit sehr freudigem Angesichte und sang mit lau- ter Stimme: »Ich erkenne einen Gott, den allmächtigen Vater«.

* D.h. seit der Erscheinung 60

Als der heilige Ludwig, der König von Frankreich, be- schloss, zu den Heiligtümern zu pilgern und den Ruf der Heiligkeit des Bruders Aegidius vernahm, nahm er in sein Herz auf, ihn heimzusuchen. Als er deswegen auf seiner Wanderschaft nach Perugia kam,wo,wie er gehörthatte, jener weilte, ging er an das Tor der Brüder wie ein armer Pilgrim und ungekannt, im Geleite weniger Gefährten, und begehrte inständig nach dem heiligen Bruder Aegi- dius. Der Pförtner ging und sagte esBruder Aegidius, dass ein Pilgrim am Tore seiner begehrte. Sogleich erkannte er durch den Geist, wer es war. Und wie trunken aus der Zelle tretend, kam erineiligem Laufe zumTore undbeide fielen miteinander in eine wunderbare Umarmung und gaben einander knieend Küsse grosser Andacht, als ob sie einander in uralter Freundschaftkennten. Und alssie sich die Zeichen der innigen Liebe gegeben hatten, sprach kei- ner zum andern ein Wort, sondern in jeder Weise das Schweigen bewahrend, schieden sie voneinander. Als aber der heilige Ludwig von dannen zog, fragten die Brüder einenvon seinen Gefährten,werdieser sei, der mit Bruder Aegidius so innige Umarmung gepflogen hatte. Er antwortete, es sei Ludwig, der König von Frankreich, der auf der Pilgerfahrt den heiligen Bruder Aegidius hätte schauen wollen. Da klagten es die Brüder dem Bruder Aegidius und sprachen : » O Bruder Aegidius,warum hast du einem so grossenKönig,derausFrankreich gekommen ist, um dich zu sehen und ein gutes Wort von dir zu ver- nehmen, nichts sagen wollen.?« Antwortete Bruder Aegi- dius: »TeuersteBrüder,wunderteuch nicht,wennweder er mir, noch ichihm etwas sagenkonnte; dennsobald wir einander umarmt hatten, offenbarte mir das Licht der

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göttlichen Weisheit sein Herz und ihm das meine. Und im ewigen Spiegel stehend, erfuhren wir mit vollkom- mener Tröstung, was er mir zu sagen gedacht hatte, was ich ihm, ohne Geräusch der Lippen und der Zunge, und besser, als wenn wir mit den Lippen geredet hätten. Und hätten wir das, was wir innen fühlten, mit stimmlichen Klängen erklären wollen, diese Rede hätte uns eher zur Schwermut als zur Tröstung gereicht. Wisset also, dass erwunderbargetröstetvondannenging«.

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MECHTHILD VON MAGDEBURG (12 12— 1277)

Von der Hof reise der Seele bei der sich Gott zeigt

W'ENN die arme Seele zu Hofe kommt, ist sie weise und wohlgezogen; da sieht sie ihren Gott fröhlich an. Oh wie freudenreich wird sie da empfangen. Da schweigt sie und begehrtunermesslich sein Lob. Da zeigt erihrmitgrosserBegierseingöttlichesHerz. Das istgleich dem roten Golde, dasda brennt in einem grossen Kohlen- feuer. Da tut er sie in sein glühendes Herz, dass sich der hohe Fürst und das kleine Mädchen also umhalsen und vereint sind wie Wasser undWein. Da wird sie zunichte und kommt ausser sich, soviel sie nur vermag. Da ist er krank vor Liebe zu ihr, wie er von je war, denn ihm geht weder etwas zu noch ab. Da spricht sie: Herr, du bist mein Trost, mein Begehr, mein fliessender Quell, meine Sonne, und ich bin dein Spiegel. Dies ist die Hofreise der liebenden Seele, die ohne Gott nicht sein kann.

Wie die Seele Gott empfängt und preist

Oh fröhliche Anschauung! Oh freundlicher Gruss! Oh liebreiche Umhalsung! Herr, deinWunder hat mich ver- wundet, deine Gnade hat mich überwältigt. O du hoher Stein, du bist so wohl verborgen, in dir kann niemand nisten als Tauben und Nachtigallen.

Wie Gott die Seele empfängt

Sei willkommen liebe Taube, du bist so sehr geflogen im irdischen Reich, dass deine Schwingen gewachsen sind fürs himmlische Reich.

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Gott vergleicht die Seele vier Dingen

Du schmeckst wie eine Weintraube, du riechst wie ein Balsam, du leuchtest wie die Sonne, du bist ein Zuwachs meiner höchsten Liebe.

Die Seele preist Gott in fünf Dingen

O du giessenderGott in deiner Gabe! O du fliessender Gott in deiner Liebe! O du brennender Gott in deiner Begier! O du schmelzender Gott in der Einung mit dei- ner Geliebten! O du ruhender Gott an meinen Brüsten, ohne den ich nicht sein kann !

Gott sagt der Seele Liebes in sechs Dingen

Du bist mein Lagerkissen, mein liebliches Bette, meine heimlichste Ruhe, meine tiefste Begier, meine höchste Ehre. Du bist eine Lust meinem Gottsein, ein Trost mei- nem Menschsein, ein Bach meinem Brande.

Die Seele erwidert Gottes Lob in sechs Dingen

Du bist mein Spiegelberg, meine Augenweide, das Ver- lieren meiner selbst, derSturm meines Herzens, der Zer- fall und UntergangmeinesWesens, meine höchste Sicher- heit.

Von der Erkenntnis und dem Genuß

Liebe ohne Erkenntnis dünkt die weise Seele eine Fin- sternis. Erkenntnis ohne Genuss dünkt sie eine Höllen- pein. Genuss ohne Sterben kann sie nicht verschmerzen.

Von Sankt Mariens Botschaft

Der süsse Tau der anfanglosen Dreifaltigkeit hat sich gesprengt aus dem Quell der ewigen Gottheit in den

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Schoss der auserwählten Magd, und des Schosses Frucht istein unsterblicher Gott und ein sterblicherMensch und ein lebender Trost der ewigen Freude, und unsre Erlö- sung ist Bräutigam geworden . Die Braut ist trunken wor- den vom Anschauen des edlen Antlitzes. In dergrössten Stärke kommt sie aus sich selber, und in der grössten Blindheit sieht sie am allerklarsten. In der grössten Klar- heit ist sie zugleich tot und lebendig. Je länger sie tot ist, umso fröhlicher lebt sie. Jefröhlicher sie lebt,um so mehr erfährt sie. Je kleiner sie wird, um so mehr fliesst ihr zu. Je reicher sie wird , um so ärmer ist sie. Je tiefer sie wohnt, um so breiter ist sie. Je gebieterischer sie ist, um so tiefer werden ihre Wunden. Je mehr sie stürmt, um so liebrei- cher ist Gott gegen sie. Je höher sie schwebt, um so schö- nerleuchtetsievon dem GegenblickderGottheit, je näher sie ihm kommt. Je mehr sie arbeitet , um so sanfter ruht sie. Je mehr sie erfasst, um so stiller schweigt sie. Jelauter sie ruft, um so grössere Wunder wirkt sie mit seinerKraft nach ihrem Vermögen. Je mehr seine Lust wächst, je enger ersieumschliesst,um sogrösserwird das Glück der Braut. Je inniger die Umhalsung wird, um so süsser schmeckt das Mundküssen. Je liebreicher sie sich an- sehen, um so schwerer scheiden sie. Je mehr er ihr gibt, um so mehr verzehrt sie, wieviel sie auch haben mag. Je demütiger sie Abschied nimmt, um so eher kommt sie wieder.Jeheisser sie bleibt, um so eher entglimmt sie. Je mehr sie brennt, um so schöner leuchtet sie. Je mehr Gottes Lob verbreitet wird, um so weniger schwindet ihre Gier.

Ei, wohin fährt unser Erlöser -Bräutigam in dem Jubel der heiligen Dreifaltigkeit.? Da Gott nicht mehr wollte in

C Buber, Konfessionen

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sich selber sein, da machte er die Seele und gab sich ihr zu eigen aus grosser Liebe. Woraus bist du gemacht, Seele, dass du so hoch steigst über alle Kreaturen, und mengst dich in die heilige Dreifaltigkeit und bleibst doch ganz in dir selber? Du hast gesprochen von meinem Ursprung, nun sage ich dir wahrlich : Ich bin an jener Stätte gemacht ausderLiebe,darumkannmirkeine Kreaturnachmeiner edeln Natur genugtun und keine mich öffnen als allein die Liebe.

Du sollst bitten, dass dich Gott minne gewaltig, oft und lang, so wirst du rein, schön und heilig

O Herr, minne mich gewaltig und minne mich oft und lang ; je öfter du mich minnest, um so reiner werde ich ; je gewaltiger du mich minnest, um so schöner werde ich ; je länger du mich minnest, umso heiliger werde ich hier auf Erden.

Wie Gott der Seele antwortet

Dass ich dich oft minne, das habe ich von meiner Natur, denn ich bin selber die Liebe. Dass ich dich gewaltig min- ne, das habe ich von meiner Begier, denn auch ich be- gehre, dass man mich gewaltig minne. Dass ich dich lange minne, das ist von meiner Ewigkeit, denn ich bin ohne Ende.

Gott fragt die Seele, was sie bringe

Du jagest sehr in der Liebe. Sage mir, was bringst du mir, meine Königin }

Herr, ich bringe dir mein Kleinod: das ist grösser als die Berge, es ist breiter als die Welt, tiefer als das Meer,

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höher als dIeWolken, glänzender als die Sonne, mannig- faltiger als die Steine ; es wiegt mehr als die ganze Erde.

O Bild meiner Gottheit, erhöht mit meinem Mensch- tum, geziert mit meinem heiligen Geiste, wie heisstdein Kleinod?

Herr, es heisst meines Herzens Lust, die habe ich der Welt entzogen, mir selber erhalten und allen Kreaturen versagt, nun kann ich sie nicht weiter tragen. Herr, wo- hin soll ich sie legen.^

Deines Herzens Lust sollst du nirgendhin legen als in meingöttlichesHerzund an meinemenschliche Brust. Da allein wirst du getröstet und mit meinem Geiste geküsst.

Von der Liebe Weg in sieben Dingen, von drei Kleidern der Braut und vom Tanze

Gott spricht: O liebende Seele, willst du wissen, welches dein Weg sei .f^

Die Seele : Ja, lieber heiliger Geist, lehre mich . Gott spricht: Wenn du über die Not der Reue kommst und überdiePeinderBeichte,und über dieQualderBusse, und über die Lust derWelt, und über die Versuchungdes Teufels, und über den Überschwang des Fleisches, und über den verderbten Eigenwillen, der manche Seele so arg zurückzieht, dass sie nie mehr zu rechter Freude kommt, und wenn du alle deine schlimmsten Feinde niedergeschlagen hast, dann bist du so müde, dass du sprichst: »Schöner Jüngling, mich gelüstet nach dir, wo sollich dich finden. f^«

Dann spricht dtx Jüngling: » Ich höre eine Stimme,die tönt mir wie von Liebe. Ich habe um sie geworben manchen Tag, aber die Stimme war mir nicht nah. Nun bin ich be-

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wegt, ich mussihr entgegen. Sie ist die, die Kummer und Liebe zugleich trägt. Des Morgens in demTaue, dasist die umschlosseneAndacht,diezuerstindieSeelekommt«. Nun sprechen ihre Kämmerer, das sind die iüni Sinne: » Herrin, Ihr sollet Euch ankleiden « . Die Seele: » Liebe, wo soll ich hin ? « Sinne: »Wir haben das Raunen wohl vernommen, der Fürst will Euch entgegenkommen in dem Tau und in dem schönen Vogelsange. Wohlan, Herrin, so säumet nicht lange « .

Nun zieht sie ein Hemd der sanften Demut an, und so de- mütigist es,dasssienichtsuntersich leidenkann. Darüber ein weisses Kleid der lauteren Keuschheit, und so rein ist es,dasssieanGedanken,anWorten und anBerührungen nichtsmehrzuertragenvermag,wassiebeflecken könnte. Dann nimmt sie den Mantel des heiligen Rufes um , den sie mit allen Tugenden erworben hat. So geht sie in denWaldjindieGesellschaftheiliger Leute. Da singen tag- und nachtlang die allersüssesten Nachti- gallen derwohlgestimmten Einung mitGott und manche süsse Stimme hört sie da von den Vögeln der heiligen Er- kenntnis. Noch kam der Jüngling nicht. Nun sendet sie Boten aus, denn sie will tanzen, und sendet um den Glau- benAbrahams, und um dieSehnsuchtder Propheten, und um die keusche Demut unserer Frau Sankt Maria, und um alle die heiligen Tugenden Jesu Christi, und um alle die Frömmigkeit seiner Auserwählten. Da hebt sich ein schönes Lobtanzen an.

Da kommt der Jüngling und redet sie an : »Jungfrau, Ihr sollt so fromm nachtanzen, wie Euch meine Auserwähl- ten vorgetanzt haben « .

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Da spricht ^/e;

» Ich kann nicht tanzen, Herr,wenn du mich nicht führst. Willstdu, dass ich hüpfe, so musst du selber voran singen. Dann tanze ich in die Liebe, aus der Liebe in die Er- kenntnis, aus der Erkenntnis in den Genuss, aus dem Genuss über alle menschlichen Sinne. Dort will ich blei- ben und will doch weiter schwingen « . Und so muss denn der Jüngling also zum Tanze singen : »Eür mich zu dir und für dich ausser mir, gerne bei dir, ungern von dir weg « . Dann spricht der Jüngling:

»Jungfrau, dieser Ehrentanz ist Euch wohlgelungen. Ihr sollet mit dem Sohn der Magd Euern Willen haben, denn Ihr seid nun zu innerst müde. Kommet zu Mittag zum schattigen Quell in das Bett der Liebe. Da sollet Ihr Euch mit ihm kühlen « . Da spricht die Jungfrau :

» O Herr, das ist übergross, dass die ist deiner Liebe Ge- npss, die nicht Liebe in sich selber hegt, sie werde denn von dir bewegt«.

Dann spricht die Seele zu den Sinnen, die ihre Kämmerer sind : » Nun bin ich eineWeile des Tanzens müde. Lasset mich, ich muss dahin gehen, wo ich mir Kühlung finde « . Darauf sprechen die Sinne zu der Seele: »Herrin, wollt Ihr Euch in den Liebestränen Sankt Maria Magdalenens kühlen, da kann Euch wohl werden « . Die Seele: »Schweigt, ihr Herren; ihr wisset nicht alles, was ich im Sinne habe. Lasst mich ungehindert ziehn. Ich will jetzt vom ungemischten Weine trinken « . Sinne: »Herrin, in der Jungfrauen Keuschheit ruht die grosse Liebe«.

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Seele: » Das mag wohl sein, mir ist es nicht das Höchste « . Sinne: »Im Blute der Märtyrer könnt Ihr Euch herrlich kühlen«.

Seele: » Ich bin gemartert so manchen Tag, dass ich jetzt nicht dahin gehen mag« .

5mnß;»ImRatederBekennerwohnenreineLeutegern«. Seele: » ImRate will ich immerstehn mitTun undLassen, doch mag ich jetzt nicht dahin gehn« . Sinne: »In der Apostel Weisheit findet Ihr grosse Sicher- heit«.

Seele: » Ich habe dieWeisheit hier bei mir, mit der will ich das Beste wählen«.

Sinne: » Herrin, die Engel sind rein, und lieblich strahlend anzusehen ; wollt Ihr Euch kühlen, hebet Euch dahin « . Seele: » Der Engel Freude tut mir in meiner Liebe wehe, wenn ich ihren Herrn und meinen Bräutigam nicht bei ihnen sehe«.

Sinne: »So kühlet Euch in dem heiligen Büsserleben, das Gott Johannes dem Täufer hat gegeben « . Seele: »Zu der Pein bin ich bereit, doch geht der Liebe Kraft über alle Mühseligkeit«.

Sinne: » Herrin, wollt IhrEuch in Liebe kühlen, so neiget Euch in der Jungfrau Schoss zu dem kleinen Kind, und schauet und kostet, wie die Wonne der Engel aus der ewigen Magd die übernatürliche Milch sog«. Seele: » Das ist eine Kinderlust, eines Kindes Säugen und Wiegen. Ich bin eine vollerwachsene Braut, ich will zu meinem Geliebten gehen«.

Sinne: » O Herrin, gehst Du dahin, dann müssen wir ganz erblinden. Denn die Gottheit ist so feurig heiss,wieDu selbst gut weisst, dass alles Feuer und alle die Glut, die

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den Himmel und alle Heiligen durchleuchtet und durch- brennt, all das geflossen ist aus seinem göttlichen Atem und von seinem menschlichen Munde, durch denWillen des heiligen Geistes. Wie könntest Du da auch nur eine Stunde bleiben?«

Seele: »Der Fisch kann im Wasser nicht ertrinken, der Vogel inderLuftnichtversinken. DasGoldkannimFeuer nicht verderben, es empfängt da seine Reinheit und sei- ne leuchtende Farbe. Gott hat allen Kreaturen das ge- geben, dass sie ihrerNatur nach leben. Wie könnte ich da meiner Natur widerstehen.? Ich musste aus allen Dingen in Gott gehen, der mein Vater ist von Natur, mein Bruder von seiner Menschheit, mein Bräutigam von Liebe und ich sein ohne Anfang. Wollt ihr, dass ich das Meine nicht ganz finde } Er kann beides, kräftig brennen und tröstlich kühlen . Betrübt euch aber nicht zu sehr. Ihr werdet mich einst noch lehren. Wenn ich wiederkehre, bedarf ich eurerLehresehr,denndieErdeistvielerGefahrenvolI«. SogehtdenndieAllerliebstezudemAllerschönstenindie heimliche Kammer der unschuldigen Gottheit; da findet sie der Liebe Bett und der Liebe Gelass und Gott und Mensch bereit. Da spricht nun unser f/^rr." > Bleibt stehn, Frau Seele«. »Was gebietest du, Herr.?^« »Ihr sollt Euch ausziehen«. »Herr, wie soll das sein können .f^« »Frau Seele, Ihr seid so sehr in mich genaturt, dass zwischen Euch und mir nichts sein darf. Es war nie ein Engel so hehr, dem das für eineStunde verliehen gewesen wäre, was Euch auf ewig gegeben ist. Darum sollt Ihr Furcht und Scham von Euch tun und alle äusseren Tu- genden. Die Tugend allein, die Ihr in Eurem Innern von Naturtraget,diesolltIhrinEwigkeitfinden wollen. Essind

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Euer edles Verlangen und Euregrundlose Begier. Diewill ich ewig füllen mit meinem endlosen Reichtum « . » Herr, nun bin ich eine nackte Seele , und du in dir ein herrlicher Gott. Unser beider Gemeinschaft ist ewige Wonne ohne Tod « .

Nun wird da ein seliges Stillen nach ihrer beider Willen. Er gibt sich ihr und sie gibt sich ihm.Wasihrdageschieht, das weiss sie, unddamit bescheide ich mich. Aber eskann nicht lange dauern. Wo zwei Liebende heimlich zusam- men sind, da müssen sie oft gar schnell voneinander gehen.

Lieber Gottesfreund, diesen Weg der Liebe habe ich dir beschrieben. Gott möge ihn dir ins Herz geben. Amen.

Ein Sang der Seele zu Gott in fünf Dingen, und wie Gott das Kleid der Seele ist und die Seele Gottes

DuleuchtestinmeineSeele,wiedieSonneinsGoldscheint. Wenn ich in dir, Herr, ruhen darf, ist meineWonneüber- gross. Du bekleidest dich mit meiner Seele und du bist auch ihr nächstes Kleid. Dass da ein Scheiden sein muss, nie fand ich ein gröss'res Herzeleid. Wolltest du mich stärker minnen, ich käme sicherlich von hinnen und könnte dich dann ohne UnterlassnachmeinemWunsche minnen. Nun hab ich dir gesungen, noch ist's mir nicht gelungen ; wolltest du mir singen, es müsste mir gelingen.

Ein Gegensang Gottes in der Seele in fünf Dingen

Wenn ich scheine, musst du leuchten. Wenn ich fliesse, musst du wogen. Wenn du seufzest, ziehst du mein gött- lichesHerz in dich. Wenn du nach mirweinst, nehme ich dich in meinen Arm. Wenn du aber minnest, werden wir

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zwei Eines. Und wenn wir zwei also Eines sind , da kann nimmer ein Scheiden geschehen, nur ein wonniges War- ten wohnt zwischen uns beiden. (Die 5e^/e spricht:)

Herr, so warte ich denn mit Hunger und mit Durst, mit Jagen und mit Sucht, bis an die spielende Stunde, da von deinem göttlichen Munde die erwählten Worte fliessen, die von Keinem gehört sind, nur von der Seele allein, die sich der Erde entkleidet und legt ihrOhr an deinen Mund ihr wirdder Schatz der Liebe kund.

Von der Klage der liebenden Seele, daß Gott ihrer schone und ihr seine Gabe entziehe. Von Weisheit, wie die Seele Gott fragt, wer er sei und wie er sei. Von dem Garten, von den Blumen und vom Gesang der Jungfrauen

O du unermesslicher Schatz in deiner Fülle! O du un- fassbares Wunder in deiner Vielfältigkeit! O du unend- liche Gewalt in der Herrschaft deiner Majestät! Wie weh mir nach dir ist, da du meiner schonen willst, das könnten dir alle Kreaturen nichtvöllig sagen, müssten sie für mich klagen. Denn ich leide unermesslicheNot, mir täte viel sanfter ein menschlicherTod. Ich suche dich mit den Gedanken, wie eine Jungfrau heimlich ihr Lieb. Ich muss heftig kranken, denn ich bin an dich gebunden. Das Band ist stärker als ich bin, so kann ich die Liebe nicht los werden. Ich rufe dich mit grosser Gier, mit jammervoller Stimme. Ich harre dein mit schwerem Herzen, ich kann nicht ruhen, ich brenne unauslöschbar in deiner heissen Liebe. Ich jage dich mit aller Macht. Hätte ich aber auch eines Riesen Kraft, sie ginge mir doch bald auf deiner Spur verloren. Ach, Lieber, laufe mir nicht so weit voran

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und ruhe ein wenig in Liebe, auf dass ich dich greifen kann.

O Herr, da du mir alles entzogen hast, was ich von dir habe, so lass mir doch von Gnaden dieselbe Gabe, die du von Natur einem Hunde gegeben hast, das ist, dass ich dir getreu sei in meiner Not ohne alles Widerstreben. Da- nach verlange ich wahrlich mehr als nach deinem Him- melreich.

Liebe Taube, nun höre mich. Meine göttliche Weis- heit ist so gewaltig über dir, dass ich alle meine Gaben dir so zuteile, wie du sie mit deinem armen Leibe tragen kannst. Dein heimliches Suchen muss mich finden, dei- nesHerzensJammerdarfmich zwingen, deinsüsses Jagen macht mich so müde, dass ich begehre, mich zu kühlen in deiner reinenSeele,dareinichgebundenbin.Deineswun- den Herzens seufzendes Beben hat meine Gerechtigkeit von dir vertrieben. So ist es recht für dich und mich. Ich kannnichtohnedichsein.Wiesehrwir auch zerteilt sind, wir können doch nicht geschieden sein. Wenn ich dich noch so leicht berührte, täte ich deinem Körper masslos weh. Sollteich mich dir zu allenZeiten geben nach deiner Begier, ich müsste meiner süssen Erdenwohnung in dir entbehren; denn tausend Leiberkönnten einerliebenden Seele ihre Begier nicht erfüllen. Darum, je höher eines Menschen Liebe , destomehr ist er ein heiliger Märtyrer.

O Herr, du schonst meines unreinen Kerkers allzu- sehr, darin ich der Welt Wasser trinke und mit grossem Herzeleid den Aschenkuchen meiner Schwachheit esse. Und ich bin verwundet auf den Tod von dem Strahl dei- ner feurigen Liebe. Nun lassest du, Herr, mich ungesalbt in grosser Qual liegen.

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Liebes Herz, meine Königin, wie lange willstdu so un- gebärdig sein? Wenn ich dich am allerschmerzlichsten verwunde, salbe ich dich am allerinnigsten in derselben Stunde. Die Fülle meines Reichtums ist alle dein, und über mich selber sollst du gewaltig sein. Ich bin dir in Liebe hold; hast du dasWaglot, ich habe das Gold. Alles was du um meinetwillen getan, gelassen und gelitten, das will ich dir alles aufwiegen und will dir mich selber für dieEwigkeitgeben,sovieldu mich immerwollen kannst. Herr, ich will dich um zwei Dinge fragen, deren belehre mich nach deiner Gnade. Wenn meine Augen unselig trauern und mein Mund einfältiglich schweigt und meine Zunge ist im Herzeleid gebunden und meineSinne fragen mich von Stunde zu Stunde, was mir sei, dann steht mir, Herr, all das nach dir. Und mein Fleisch fälltab, mein Blut verdorrt, mein Gebein erfriert, meine Adern krampfen sich,undmeinHerzschmilztnachdeinerLiebe,und meine Seele brüllt mit eines hungrigen Löwen Stimme. Wie mir dann ist, wo du dann bist, Viellieber, das sage mir.

Dir ist wie einer jungen Braut, von der im Schlaf ihr einzig Geliebter gegangen ist, zu dem sie sich mit aller Treue geneigt hatte, und sie kann es nicht ertragen, dass er für eine Stunde von ihr scheide, und wenn sie nun er- wacht, hat sie nicht mehr von ihm als soviel nur, wie sie in ihren Sinnen trägt. Davon hebt ihre grosse Klage an. So- lange der Jüngling seiner Braut nicht heimgegeben ist, muss sie oft ohne ihn sein. Ich komme zu dir nach meiner Lust, wann ich will. Sei du fromm und still, und birg dei- nenKummer,wohindukannst;dann mehrt sich indirder Liebe Kraft. Nun sage ich dir, wo ich dann bin. Ich bin in mir selber an allen Orten und in allen Dingen, wie ich von

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je ohne Anfang war, und ich harre dein in demGarten der Liebe und breche dir die Blume der süssen Einung und mache dir da ein Bett aus dem lieblichen Grase der hei- ligen Erkenntnis, und die lichte Sonne meiner ewigen Gottheit bescheint dich mit dem verborgenen Wunder meinerWonne,davon du einweniges heimlichhastkosten dürfen. Und da neige ich dir den höchsten Baum meiner heiligen Dreifaltigkeit, und du brichst dann die grünen, weissen, roten Äpfel meines milden Menschtums, und dannbeschirmtdichderSchattenmeinesheiligenGeistes vor aller irdischen Traurigkeit, dann kannst du nicht mehr denken an deinHerzeleid.WenndudenBaum um- fängst, lehre ich dich der Jungfrauen Gesang, die Weise, die Worte, den süssen Klang, den, die von der Unkeusch- heit durchzogen sind, allein von sich aus nicht verstehen können, aber sie alle werden einmal den süssen Wandel gewinnen.

Liebe, nun heb an und lass hören, wie du es kannst. O weh, mein Viellieber, ich bin heiser in der Kehle meiner Keuschheit, aber der Zucker deiner süssen Milde hatmeine Kehle zumTönengebracht,dassichnun singen kann also, Herr: Dein Blut und meines ist eins und un- verderbt, deine Liebe und meine ist eins und ungeteilt, dein Kleid und meines ist eins und unbefleckt, dein Mund und meiner ist eine Seligkeit. Dies sind dieWorte, die der Liebe Stimme sang, aber der süsse Herzensklang muss wegbleiben, denn den kann ir- dische Hand nicht schreiben.

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MECHTHILD VON HACKEBORN (1242— 1299)

Von allerlei Pein

DA sie in dieser Verlassenheit [krank und ohne » Got- tes Besuch«] mehr als sieben Tage geblieben war, goss der sehr gütige Herr, der immer nahe ist denen , die betrübten Herzens sind, so überfliessenden Trost und Süssigkeit über sie, dass sie oftmals von der Mette bis zur Prime und von der Prime bis zur None mit zugetanen Augen wie tot in Gottes Genüsse lag. In dieser Zeit offen- barte ihr der sanfte Herr die wundersamen Dingeseiner Heimlichkeiten und erfreute sie so sehrmitderSüssigkeit seiner Gegenwart, dass sie wie trunken nicht länger an sich halten konnte und jene innerliche Gnade, die sie so vieleJahreverhehlt hatte, auch Gästen und Fremden mit- teilte. Daher gaben Viele ihr Botschaft zu Gott; von denen sieJeglichem,jenachdemGott sie der Kundewür- digte, das Begehren seines Herzens eröffnete, darob sie sehr erfreut Gott den Dank erwiesen . . . Da sie klagte, dass sie durch Schmerzen des Hauptes den Schlafverloren hätte, sagten die Leute, sie irre aus Krank- heit, denn sie meinten, sie tätenichts anderes alsschlafen. Aber da ihre Dienerin sie fragte, was sie täte, wenn sie so mit geschlossenen Augen läge, antwortete sie: »Meine Seele vergnügt sich in göttlichem Genüsse, schwimmend in der Gottheit wie ein Fisch im Wasser oder einVogel in der Luft; und kein Unterschied ist zwischen dem Gott- genusse der Heiligen und der Einung meiner Seele, als dieser, dass sie in derFreude, ich in der Pein ihngeniesse«. In diesen Tagen ihrer Krankheit, als die Fastenzeit kam und sie sich vorgesetzt hatte, mit dem Geiste beim Herrn

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in derWüste zu sein, fragte sie in einer Nacht, daes ihr er- schien, sie sei mit dem Herrn in der Wüste, ihn, wo er die erste Nacht bleiben wolle. Da zeigte ihr der Herr einen wundersam schönen aber hohlen Baum, der war der Baum der Demut genannt, und sprach : » Hier werde ich über Nacht bleiben « . Nachdem er dies gesagt hatte, ging derHerr in den hohlen Baum. Da sprach sie: »Und wo werde ich bleiben.?^« Darauf derHerr: »Weisst du nichtin meinen Schosszu fliegen und da zu ruhen,wie die Vögel zu tun pflegen ? « Und sogleich sah sie sich selber in der Ge- stalt eines Vögleins in den Schoss des Herrn fliegen, und ruhte darin gar friedsam . Und sprach zum Herrn : » Aller- mildesterHerr, lege deinen Finger auf mein Haupt, dass ich so einschlafe. « Und der Herr : » Weisst du nicht, dass die Vöglein, wenn sie den Schlaf empfangen wollen, den Kopfunter das Gefieder legen. ?^« Und sie: »Herr, welches ist mein Gefieder.?« Er antwortete: »Dein Verlangen ist eineroteFeder,weilesimmerbrennt. Deine Liebe ist eine grüne Feder, weil sie immer grünt und wächst. Deine HoiTnung aber ist eine gelbe Feder, weil du unablässig zu mir eilst«.

Von der Macht der Liebe

Tax einer andern Zeit, da sie in der Wirkung der Gnaden dieMachtder göttlichen Liebe bedachte, sprach derHerr zu ihr : » Siehe, ich gebe mich in Gewalt deinerSeele, dass ich dein Gefangener sei und du mir gebietest , was immer duwillst:undichbinwieeinGefangner,dernichtsvermag, als was sein Herr ihm befiehlt, zu all deinem Willen be- reitet« . Sie aber, in wundersamem Danke solcher Huld Worte vernehmend, bedachte in sich, was sie am besten

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von Gottes Liebe begehren solle. Sie fand in ihrem Her- zen, dass sie nichts der Gesundheit vorzöge, weil schon dasOsterfest bevorstand und sievom Adventbis zu dieser Zeit, mit Ausnahme der Weihnacht, um ihrer steten Krankheit willen den Chor nicht betreten hatte. In sich jedoch eingekehrt, da die Treue gegen den Herrn sie zwang, sprach sie zu ihm : » O Süssester und Geliebtester meiner Seele, wiewohl ich nun alle Stärke und Gesund- heit, die ich je hatte, wiedererlangen könnte, möchte ich es keineswegs. Sondern dieses eine will ich von dir, dass ich nie uneins sei mitdeinemWillen, sondern alles,wasdu willst und in mir wirkst, sei es Günstiges oder Widriges, das möge ich immer mit dir wollen« . Sogleich erschien es ihr, dass der Herr sie mit der Linken umfing und ihr Haupt auf seine Brust neigte und zu ihr sprach : » Dieweil dualleswillst,wasichwill,wirddeine Seele immer in mei- ner Umarmung sein, und allen Schmerz deines Hauptes werde ich, ihn in mich selber einziehend, mit meinen Leiden opfern « .

Von der Umarmung und dem Herzen des Herrn

Zu einerandernZeit,dasieGottinihrer Krankheitklagte, dass sie nicht in den Chor gehen und andre gute Werke nicht tun könne, erschien es ihr, dass der Herr sich in das Bett neben sie neigte, sie mit dem linken Arm umfangend, so dassdieWunde seines holden Herzens sich ihrem Her- zen verband. Da sprach er zu ihr: »Wenn du krank bist, umfange ich dich mit der Linken , und wenn du genesen bist, mit der Rechten ; aber dies wisse : wenn du von mei- ner Linken umfangen bist, gesellt sich dirviel näher mein Herz«.

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wie Gott der Seele seine Sinne schenkt, dass sie sie gebrauche

Sie bat einmal den Herrn, dass er ihr etwas schenke, was beständig in ihr sein Gedächtnis erregen möchte. Darauf empfingsievom Herrn dieseAntwort: »Siehe,ichgebedir meine Augen, dass du mit ihnen alle Dinge sehest, und meine Ohren, dass du mit ihnen alle Dinge vernehmest; auch meinen Mund gebe ich dir, dass du alles, was du an Reden,BetenoderSingen auszusprechen hast, durch ihn tuest. Ich gebe dir mein Herz , dass du dadurch alles den- kest und mich und um meiner willen alle Dinge liebest « . In diesemWorte zogGottdieseSeele ganz in sich und ver- einte sie also mit sich, dass es ihr erschien, sie sehe mit Gottes Augen, und höre mit seinen Ohren , und rede mit seinem Munde , und fühle kein andres Herz zu haben als das Herz Gottes. Dies ist ihr auch hernach oftmals zu fühlen gegeben worden.

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GERTRUD VON HELFTA (12 56— 1302)

Von der Lieblichkeit der Einwohnung des Herrn

DA du also an mir tatest und also meine Seele auf- riefest, trat ich eines Tages, zwischen Ostern und Himmelfahrt,vorderPrimeindenHof,setztemichanden Weiher undbetrachtetedie Lieblichkeit diesesOrtes, der mir wohlgefiel durch die Klarheit desvorüberfliessenden Wassers, durch das Grünen der umstehenden Bäume, durch die Freiheit der umherfliegenden Vögel und son- derlich der Tauben, aber über allem durch die heimliche Ruhe des verborgenen Sitzes. Ich begann in der Seele zu bewegen,wasich diesen Dingen beifügen wollte, dass mir das Ergötzen dieses Sitzes vollkommen erscheine : dieses verlangte ich, dass der vertraute, liebende, schmiegsame und gesellige Freund gegenwärtig sei und meine Einsam- keit lindre. Da, o Urheber unschätzbarer Wonnen, mein Gott, der du,wieich hoffe, den AnfangdieserBetrachtung gelenkt hast, da zogestdu auch ihrEnde auf dich hin und flösstestmirdiesesein : Wenn ich inunversieglicherDank- barkeit ausderEinströmung deiner Gnaden mich in dich zurückgiesse gleich dem Wasser; wenn ich in derÜbung der Tugenden wachse und im Grün der guten Werke blühegleichden Bäumen; wenn ich vonobendasirdische überschauend dem HimmlischeninfreiemFlugezustrebe gleich der Taube, und mit diesen körperlichen Sinnen dem Getümmel der äusseren Dinge entfremdet, mit dem ganzen Geiste dir obliege dann wird meinHerzdireine Stätte geben, die köstlicher ist als alle Lieblichkeit. Da ich an jenem Tage mein Gedenken in diese Dinge ver- senkt trug und am Abend vordem Schlafe mit gebogenen

6 Buber, Konfessionen

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Knieen mich zum Gebete neigte, kam mir plötzlich diese Stelle in den Sinn: »Wer mich liebt, der wird mein Wort halten ; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen, und Wohnung bei ihm machen« . Da fühlte in mir mein erdhaftes Herz, dass du gegenwärtig- lich angekommen warst.

Von der göttlichen Einströmung

Da ich so Unzusammenhängendes zu schreiben meinte, dass ich meinem Gewissendarinnichtbeizustimmen ver- mochte und daher diese Niederschrift bis zum Tage der Kreuzerhöhung verschoben, an eben diesem Tage aber unter der Messe mich anderen Dingen zuzuwenden be- schlossen hatte, führte Gott meinen Geist durch diese Worte zurück: »Wisse fürwahr, du wirst niemals aus dem Kerker des Fleisches ausgehen, bis du auch diesen Heller, den du jetzt zurückhältst, bezahlt hast« . Und als ich in der Seele bewegte, dass ich alleZuteilungen Gottes, wenn auch nicht durch die Schrift, so doch durch die Rede zum Heile der Nächsten bewahrt hatte, warf mir der Herr dasWort entgegen, das ich in der gleichen Nacht bei der Mette hatte vorlesen hören: »Hätte der Herr seine Lehre nur den Anwesenden gekündet, wäre nur Rede, nicht Schrift. Nun aber ist auch Schrift zum Heile der Vielen«. Und der Herr gab hinzu: »Ohne Wider- spruch will ich ein gewisses Zeugnis meiner göttlichen Liebe haben in deiner Schrift für diese letzten Zeiten, in denen ich Vielen wohlzutun bestimme« . Hierdurch belastet, begann ich in mir zu überdenken,wie schwer, ja unmöglich es für mich wäre, solchen Sinn oder solche Worte zu finden, mit denen das oft Gesagte ohne

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Anstoss dem menschlichen Geiste übergeben werden könnte. Der Herr, der wider solchen Kleinmut Hilfe spendet, schien einen überreichen Regen über meine Seele zu ergiessen, unterdessen ungestümem Sturze ich geringes Menschlein, eine so junge und zarte Pflanze, ge- beugt niedersank und nichts zu einem Nutzen einsaugen konnte, als einige gar schwere Worte, zu denen ich mit dem Verständnis der Sinne durchaus nicht hinanzurei- chen vermochte. Dadurch noch mehr beschwert, über- legte ich, was aus solchem kommen könne. Diese Last enthob mir deine gütige Liebe, mein Gott, mit der ge- wohnten Liebkosung und belebte meineSeelemitdiesen Worten: »Weil die Überschwemmung dieser Fluten dir nicht frommt, werde ich dich nun an mein gött- liches Herz lehnen und sanft und mild, allmählich, nach dem Masse deines Fassens das Wort in dich ergiessen « . Dies allerwahrste Versprechen hast du gewisslich erfüllt, Herr mein Gott. Du hast vier Tage lang in der Frühe zur geeignetsten Stunde stets einen Teil der Rede mir so hell und hold eingeflösst, dass ich ohne alle Mühe, wie etwas, das ich viele Zeit im Gedächtnis gehalten hätte, das vor- dem nicht Gedachte schreiben konnte. Du tatest es aber mitdieserMässigung,dassich,wenn ich einen zusammen- hängenden Teil niedergeschrieben hatte , mit der An- strengung aller meiner Sinne nicht ein Wort von dem zu finden vermochte, was mir am nächsten Tage so zuströ- mend und ohne alle Schwierigkeit bei der Hand war. So belehrtest und zugehest du mein Ungestüm, wie die Schrift lehrt: niemand dürfe der Tätigkeit so sehr an- hängen, dass er nicht der Betrachtung ergeben wäre. Du eifertest mein Heil an und gewährtest den Aufschub, auf

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dass ich mich Raheis süsser Umarmungen erfreue, aber auch Leas ruhmreiche Fruchtbarkeit nicht entbehre. Möge deine weise Liebe mir verleihen, beides zu deinem Wohlgefallen zu vollziehen.

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HEINRICH SEUSE (etwa 1 29 5 1 3 66)

IN seinem Anfang geschah es einstmals am St. Agnesen- tag, dass er, als der Konvent das Mittagsmahl beendet hatte, in den Chor kam. Er war da allein und stand in dem niederen Gestühle des rechten Chores. Zur selben Zeit hatte er eine sonderliche Bedrängung von schwerem Leiden, das auf ihm lag. Und da er also trostlos stand und niemand bei ihm noch um ihn war, wurde seine Seele verzückt, in dem Leibe oder ausser dem Leibe. Da sah er und hörte, was allen Zungen unaussprechlich ist. Es war formlos und weiselos und hatte doch aller Formen und Weisen freudenreiche Lust in sich. Das Herz war gierig und doch gesättigt,derSinn fröhlich und wohlgeschaffen; ihm war Wünschen gestillt und Begehren verloren. Er tat nichts, als in den glanzreichen Widerschein starren,' in dem er ein Vergessen seiner selbst und aller Dinge ge- wann. War esTag oder Nacht, er wusste es nicht. Es war eine hevorbrechende Süssigkeit des ewigen Lebens in gegenwärtiger stillstehender ruhiger Empfindung. Er sprach danach: »Ist dieses nicht Himmelreich, so weiss ich nicht, was Himmelreich ist; denn all das Leiden , das man in Worte zu bringen vermag, kann diese Freude nicht zuRecht verdienen dem, der sie ewig besitzen soll » . Diese überschwängliche Entrücktheit währte wohl eine Stunde odereine halbe; ob die Seele im Leibe blieb oder vom Leibe geschieden war, das wusste er nicht. Da er wieder zu sich selber kam, war es ihm in jeder Weise wie einem Menschen, der von einer anderen Welt gekom- men ist. Dem Leibe geschah so weh von dem kurzen Augenblick, dass er nicht glaubte , eskönne irgend einem

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Menschen ohne den Tod in so kurzer Frist solches Weh geschehen. Er kam mit einem urtiefen Seufzen zu sich, und der Leib sank zur Erde nieder wider seinen Willen, wie ein Mensch, der vor Ohnmacht zusammenbrechen muss. Er schrie innerlich auf und seufzte im inneren Grunde seiner selbst und sprach : » O wehe Gott, wo war ich, wo bin ich nun?« undsprach: »Ach, herzliches Gut, diese Stunde kann nimmermehr aus meinem Herzen kommen« . Er ging da im Leibe, und niemand sah oder merkte auswendig etwas an ihm, aber Seele und Sinn waren in ihm inwendig voll himmlischen Wunders; die himmlischen Blicke gingen hin und wiederinseiner innig- sten Innerlichkeit, und es war ihm, als ob er in der Luft schwebte. Die Kräfte seiner Seele waren vom süssen Himmelsduft erfüllt, wie wenn man einen guten Balsam aus einer Büchse giesst und die Büchse dennoch danach den guten Geruch behält. Dieser himmlische Duft blieb ihmdanach vieleZeit undgab ihm eine himmlischeSehn- sucht nach Gott.

EinesTages las man bei Tische von derWeisheit, und da- von wurde sein Herz von Grund aus bewegt. Sie sprach also: »Wie der schöne Rosenbaum blüht und wie der edle Weihrauch ungemengt duftet und wie der unver- mischte Balsam riecht, so bin ich ein blühendes, wohl- riechendes, unvermischtes Lieb ohne Reue und ohne Bitterkeit in abgründlicher liebreicher Süssigkeit. Aber alle anderen Liebchen haben süsse Worte und bitteren Lohn, ihre Herzen sind des Todes Zugnetze , ihre Hände sind Eisenfesseln, ihre Rede versüsstes Gift, ihre Kurz- weil Ehrenraub«. Er dachte: »Ach, wie ist dies so

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wahr!« und sprach freimütig in sich selber: »Wahrlich, es muss so sein , sie muss fürwahr mein Lieb sein, ich will ihr Diener sein«. Und dachte: »Ach Gott, wann könnte ich die Liebste nur erst sehen , wann könnte ich nur erst ihre Rede empfangen! Ach wie ist das Lieb gestaltet, das so viele liebliche Dinge in sich verborgen hat? Ist es Gott oder Mensch, Frau oder Mann, geheimes Wissen oder Zaubermacht, oderwas mag es sein?« Und soweit er sie in den dargelegten Gleichnissen der Schrift mit den inne- ren Augen sehen konnte, zeigte sie sich ihm also: sie schwebte hoch über ihm auf einem Wolkenthrone, sie leuchtete wie der Morgenstern und schien wie die spie- lende Sonne; ihre Krone war Ewigkeit, ihr Kleid war Seligkeit, ihr Wort Süssigkeit, ihr Umfangen aller Lust Erfüllung. Sie war fern und nah, hoch und niedrig,siewar gegenwärtig und doch verborgen; sie Hess mit sich um- gehen und doch vermochte sie niemand zu ergreifen. Sie reichte über das Oberste des höchsten Himmels und rührte an das Tiefste des Abgrunds. Sie breitete sich ge- waltig von Ende zu Ende und schlichtete alle Dinge in Süssigkeit. Wenn er jetzt wähnte, eine schöne Jungfrau zu haben, geschwind fand er einen stolzen Jüngling. Bald gebärdete sie sich wie eine weise Meisterin , bald hielt sie sich wie ein stattlichesLiebchen. Sie beugte sich ihm lieb- reich zu und grüsste ihn mit vielem Lächeln und sprach gütig zu ihm: »Praebe, fili, cor tuum mihi! Gib mir dein Herz, mein Sohn!« Er neigte sich zu ihren Füssen und dankte ihr herzlich aus dem Grunde seiner Demut. Dies wurde ihm damals, und mehr konnte ihm zu der Zeit nicht werden. Wenn er um diese Zeit manchmal in Gedanken an die

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Allerlleblichste ging, tat er eine innerliche Frage und fragte sein liebesuchendes Herz also: »Ach mein Herz, schau, woher fllesst Liebe und alle Lieblichkeit? Woher kommt alle Zartheit, Schönheit, Herzenslust und An- mut? Kommt es nicht allesaus dem ausquellenden Ur- sprung der reinen Gottheit? Wohlauf denn, Herz und Sinn und Mut, hin in den grundlosen Abgrund aller schö- nen Dinge! Wer will mich jetzt aufhalten? O ich um- fange dich heute nach der Begier meines brennenden Herzens!« Und dann drückte sich in seine Seele der ur- sprüngliche Ausfluss alles Gutes, in dem fand er geistig alles, das schön, lieblich und begehrenswert war; das war alles da in unsäglicher Weise.

Damit kam er in eine Gewohnheit, wenn er Loblieder singen hörte oder süsses Saitenspiel erklingen oder von zeitlicherLiebehörtesagenodersingen,sowurdeihmsein Herz und Sinn plötzlich mit einer abgelösten Einschau in sein köstliches Lieb eingeführt, aus dem alle Liebe fliesst.WieoftdieHerzlIebstemitliebeweinendenAugen, mit weitgeöffnetem abgründigem Herzen umfangen und an das liebereiche Herz inbrünstig gedrückt worden ist, daswäre unsagbar. Ihm geschah davon, gerade wie wenn eine Mutter ihr saugendes Kindlein in den Armen auf dem Schosse stehen hat: wie das mit seinem Kopfe und der Bewegung seines Leibleins sich der liebkosenden Mutter entgegenregt und seines Herzens Freude mit den lächelnden Gebärden erzeigt, regte sich ihm oft das Herz im Leibe der lustreichen Gegenwart der ewigen Weisheit in einem Hinfliessen seines Innern zu. Er dachte dann: »O mein Gott, wäre mir jetzt eine Königin ver- mählt, des genösse meine Seele, oh, jetzt aber bist du

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meines Herzens Kaiserin und aller Gnaden Geberin! In dir habe ich Reichtums genug, Macht so viel ich will. Von allem was die Erde hat, wollte ich nicht mehr haben!« Und als er so sann, ward sein Antlitz so fröhlich, seine Augen so glücklich, sein Herz ward jubelnd und alle seine innern Sinne sangen das: Super salutem usw., über allem Glück, über aller Schönheit, du meines Herzens Glück und Schönheit; denn mit dir ist mir das Glück ge- kommen und alles Gut besitze ichin dir und mit dir< .

Wenner nach seinerGewohnheitnach der Mette inseine Kapelle gekommen war und da zu einer kleinen Ruhe in seinen Stuhl sich setzte dieses Sitzen war kurz und währte nicht länger als bis derWächter den aufgehenden Tag ankündigte , dann gingen ihm auch seine Augen auf und er fiel schnell auf die Kniee und grüsste den auf- steigenden lichten Morgenstern, die zarte Königin des Himmelreichs, und meinte: wie die kleinen Vöglein im Sommerden lichten Tagbegrüssen undihn fröhlichemp- fangen, so grüsse er in der fröhlichen Begierde die Licht- bringerin des ewigenTages ; und er sprach dann dieWor- te nicht einfach hin, er sprach sie mit einem süssen stillen Tönen in seiner Seele.

EinstmalssassersozurselbenZeitinseinerRuhe, da hörte er etwas in seinem Innern so herzlich erklingen, dass sein ganzes Herz bewegt ward, und die Stimme sang mit ei- nem reinen süssen Hallen, indessen derMorgenstern auf- ging, und sang diese Worte: »Stella Maria maris hodie processit ad ortum, der Stern des Meeres Maria ist heute hervorgekommen« . Dieser Gesang erscholl so überna- türlich schön in ihm, dass ihm all sein Gemüt dahinge-

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nommen wurde und er froh mitsang. Da sie es miteinan- der freudig ausgesungen hatten, wurde ihm ein unsäg- liches Umfangen, und darin wurde also zu ihm gespro- chen : > Je liebreicher du mich umfängst und je unkörper- licher du mich küssest, um so liebreicher und um so freundlicher wirst du in meiner ewigen Klarheit umfan- gen. « So gingen ihm die Augen auf, die Tränen stürzten ihm das Antlitz hinab und er grüsste den aufgehenden Morgenstern nach seiner Gewohnheit.

Es war in der Engelnacht*, da war es ihm in einem Ge- sichte, als hörte er Engelsgesang und süsses himmlisches Tönen. Davon ward ihm sowohl, dass er all sein Leiden vergass. Da sprach ihrer einer zu ihm: »Sieh, wie du gern von uns den Gesang der Ewigkeit hörst, so hören wir gern von dir den Gesang von der ewigen Weisheit « . Und danach sprach er wieder: »Dies ist aus dem Liede, das die auserwählten Heiligen fröhlich singen werden am jüngsten Tage, wenn sie schauen, dass sie in immer- währender Freude der Ewigkeit bestätigt sind. « Er hatte ein andermal an ihrem Feste viele Stunden in solcher Anschauung ihrer Freuden verbracht, und da es dem Tage zuging, kam ein Jüngling, der gebärdete sich, als wäre er als himmlischer Spielmann von Gott zu ihm gesendet. Mit dem kamen viele stolze Jünglinge, in glei- cher Weise und Gebärde wie der erste, nur dass jener mehrWürde als die anderen hatte, aiswäre er einEngels- fürst. Dieser Jüngling kam recht wohlgemut zu ihm und sagte, sie seien darum von Gott zu ihm herabgesendet, dass sie ihm inseinenLeidenhimmlischeFreudemachen

* Vorabend des Festes aller Engel (29. September) 90

sollten, und sprach, er solle seine Leiden aus den Sinnen werfen und Ihnen Gesellschaft leisten, und er müsste auch mit Ihnen himmlisch tanzen. Sie nahmen den Die- ner zum Tanze bei der Hand, und der Jüngling begann ein fröhliches Lied von dem JesuskIndleIn,dasalsolautet: in dulci jubllo usw. Da der Diener den gellebten Namen Jesus so süss erklingen hörte , wurde sein Herz und seine Sinne so recht wohlgemut,dassIhm entschwand, waser je anLeldengehabthatte. Nunsah ermItFreuden,wIesiedie allerhöchsten und die allerfrelesten Sprünge taten. Der Vorsänger konnte sie gar wohl in Bewegung bringen, und er sang vor und sie nach, und sie sangen und tanzten mit jubelndem Herzen. Der Vorsänger machte den Kehrvers wohl dreimal: Ergo merlto usw. Dieses Tanzen war nicht In der Weise beschaffen, wie man in dieser Welt tanzt; es war ein himmlisches Auswallen undWiederein- wallen in den wilden Abgrund der göttlichen Heimlich- keit. Diesesund ähnliches Himmelstrostes wurde ihm In diesen Jahren unsäglich viel zuteil, und am allermeisten zu den Zelten , da er mit grossen Leiden umgeben war, und die wurden Ihm dann umso leichter zu leiden.

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CHRISTINE EBNER ( 1 277 - 1 3 5 5)

ZU einer Zeit, da sie 24 Jahre war, träumte ihr, dass sie unseres Herrn schwanger worden sei, und sie war so voll Gnaden, dass kein Glied an ihrem Leib war, das nicht besondere Gnaden davon empfand. Und sie kam in eine solche Zärtlichkeit für das Kindlein, weil es sich selbst so behütete, wie es ihr schien, dass sie, als sie einmal auf ein Hüglein getreten war, fürchtete, es hätte dem Kindlein weh getan. Und da dies in der Süssigkeit war ohne allenVerdruss, so dass kein Kummerund keine Traurigkeit sie berührte, und eine Zeit vergangen war, da träumte ihr, wie sie ihn ohne alle Schmerzen gebären sollte, und sie empfing eine gar überschwängliche Freude von seinem Anblick. Und da sie eine Zeitlang mit dieser Freude umging, da konnte sie es nicht mehr verhehlen und nahm das Kindlein auf ihre Arme und trug es mitten unter die Versammlung im Refektorium und sprach: »Freuet euch mit mir allesamt, ich kann euch meine Freude nicht länger verhehlen, ich habe Jesum empfan- gen und habe ihn nun geboren. « Und sie zeigte ihnen das Kindlein. Und da sie also in grosser Freude war, erwach- te sie.

Er sprach: »Ich will dich ansehen mit meinen barmher- zigen Augen, ich will dich bereichern mit meinem Reich - tum,ich will dich erhöhen mit meiner Höhe « . Er sprach : »Was soll ich dir noch tun.?' Ich habe so grosse Wunder an dir getan, dass es dem Herzen unglaublich ist. Ich habe den Schatz meiner Süssigkeit in dich gegossen. Du bist der Menschen einer, denen ich vom Anfang der Welt das

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Allerherrlichste gegeben habe. Meine Güte spielt mit allen, denen ich gut bin« . Eines andern Tages sprach er zu ihr : » Die hernach deine Schrift lesen, die wunderba- ren Dinge, die ich dir getan habe, die sollen sich darüber nicht wundern. Du hast sie um mich nichtverdient. Mich hat ihrer gelüstet. Ich habe es von meiner spielenden Gottheit, dass ich tue,was mich lüstet. Hätte ich tausend Welten, dann hätte ich genug, jedem Menschen mit ei- nem Dinge wohlzutun, das ich dem andern nicht täte « .

An einem Freitag sprach er : » Ich bin aus Liebe dein Ge- fangener und komme willig zu dir. Ich will dich krönen mit meiner Barmherzigkeit. Ich bin der Überwinder dei- ner Sinne « . . . . Am Samstag sprach er zu ihr : » Du kommst bald an einen Ort, wo all dein Elend ein Ende hat. Der göttliche Strom, der da fliesst von mir in die Heiligen und in die Laien, der fliesstindichundfliesst wieder ausdir«.... Am Sonntag sprach er: »Ich komme zu dir wie einer, der ausLiebe tot ist. Ich komme zu dir mit Begierde wie ein Gemahl zu seinem Brautbett. Ich komme zu dir wie einer,

der grosse Gabe gibt« Am Montag sprach er zu ihr:

» Ich bin der Überwinder deiner Sinne < . Es wurde auch zuihrgesprochen:»Siehdenan,dendieEngelansehen«.... An Sankt Nikolaus Tag sprach er : » Ich mache dich edel von meineredelnArt. Ichmachedichwürdigvonmeinem Adel. Ich habe dich betaut mit meinem göttlichen Tau « . Am Freitag sprach er : » Meine Geliebte , lass mich bei dir ruhen, dass ich meine Feinde vergesse. Ich willdeine Tu- gend reich machen » An Sankt LuciensTagsprach er:

»IchhabediralleGattentreuegehalten«.... Ersprach: »Es spielt mir in meiner Gottheit, dass ich dir Gutestue. Es ist

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mireineWonne,dass ich dir Gutes tue« »Er sprach:

» Meine Geliebte, nimm meineRede liebreich an, ich rede jetzt mit niemanden so viel wie mit dir«. An Sankt Jo- hannis Tag sprach er : » Ich will an dir all das tun , was an einer Kreatur zu tun möglich ist « . Er sprach : » Ich erfülle dich mit meiner göttlichen Süssigkeit, aber die dabei sind, die will ich ansehen mit meinen barmherzigen Augen. Ist dasnichteinWundervonmir, dassichdirmehrGnadeer- weise als denen, die in den Wäldern und in hohlen Bäu- men wohnen und ein hartes Leben haben, und dass ich dir der Gnaden mehr erweise?«

Am Pfingsttag sprach er: »Dieses Tags muss Himmel und Erde inne werden. Ich will dich alles Guten teilhaf- tig machen « . Und er meinte die besondere Gnade , die er seinen Freunden tut. Da fragte sie ihn , warum er ihr ein so grosses Einströmen der Süssigkeit gebe. Da sprach er: » Die Welt ist fortwährend in Unruhe. Wo ich daher ein ruhiges Herz finde, da ist mir wohl « .

Sie fragte ihn : » Lieber Herr, hast du es [die Wunder, die er mit ihr gewirkt] je einem Menschen mehr kundge- tan als mir.f^« Da sprach er: »So gänzlich habeich es nie einem Menschen kundgetan wie dir. Ich habe dir mehr Süssigkeit gegeben als tausend andern Menschen. Ich habe dich in ein göttliches Leben aus dir selber gezogen. Ich habe dich wie ein Bild angesehen«. Das verstand sienicht, wie er das meinte. Da antwortete er ihr: »Als ich deine Seele formte in meiner Gottheit, da schaute sie mir entgegen und sah alle die Dinge an, die ich mit dir tun wollte. Da hat dich meine liebreiche Hand zu mirgezo-

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gen. Ich, der Herr der Barmherzigkeit, habe dasWunder der Wunder an dir getan « .

EinesTages hat sie unsern Herrn zu sich genommen. Da sprach er: »MeinAdelhatdichhochgemacht.MeineHöhe hat dich gross gemacht. Meine Gunst, die spielt mit dir. Du bist der Menschen einer, dem ich jetzt auf Erden das Allerbeste tue. Ich bin ein armer Pilgrim. Die Heiden, die kennen mich nicht. Die Juden, die wollen mich nicht. Es ist so grosse Wirrung in den christlichen Landen, dass sie mich nicht wahrnehmen. Wo ich denn ein williges Herz finde, da spiele ich darin, wie die Sonne in sich sel- ber tut«.

Am heiligen Osterabend . . . mehrte sich die Gnade Got- tes in ihrem Herzen in unaussprechlichem Reichtum, al- so dass die Gnade aus der Seele in den Leib und in alle ihre Glieder überfloss, dass sie von der Gnade besessen und beschwert war wie eine schwangere Frau von einem Kinde, und in dieser Fülle derGnade war sie lange Zeit.

Er sprach: »Ich wohne in dir wie der Duft der Rose. Ich wohne in dir wie der Glanz in der Lilie. Ich edle Frucht, ich habe aus dir geblüht«.

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MARGARETHA EBNER ( 1 29 1 1 3 5 1 )

DA man nun zu der Zeit Alleluja geläutet hatte, fing Ich mit der grössten Freude zu schweigen an und insbesondere in derFastnachtwar ich in grossen Gnaden. Und dageschahesamFastnachtsdienstag,dawarich nach der Mette allein im Chorund kniete vordem Altar, und es kam mir eine grosse Furcht, und da in der Furcht ward ich umgeben mit einer übermässigenGnade. Ichberufe mich für meineWorteaufdielautereWahrheit Jesu Christi. Mir geschah ein Griff von einer inneren göttlichen Kraft Got- tes, dass mir mein menschlichesHerz genommen wurde, und ich spreche in der Wahrheit die mein Herr Jesus Christus ist , dass ich desgleichen nie wieder empfand. Mir wurde da übermässige Süssigkeit gegeben, dass mir war, als würde mir die Seele vom Leibe getrennt. Und der allersüsseste Name Jesus Christus wurde mir da mit einer so grossen Inbrunst seiner Liebe gegeben , dass ich nichts beten konnte alsnurein fortwährendes Sagen, das mir von der göttlichen Kraft Gottes eingegeben wurde und dem ich nicht zu widerstehen vermochte und von dem ich nichts schreiben kann, ausser dass der Name Jesus Christus beständig darin war.

Ich habe ein Bild der Kindheit unseres Herrn in einer Wiege. Wenn ich dann von meinem Herrn so kräftig ge- zwungen werde mit so grosser Süssigkeit und mit Lust und Begierde und auch von seiner gütigen Bitte, und mir auch von meinemHerrn zugesprochen wird : » Säugest du mich nicht, so willich dir mich entziehen , wenn du mich am allerliebsten hast« ,sonehmeich das Bildaus derWie-

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ge und lege es an mein nacktes Herz mit grosser Lust und Süssigkeit und empfinde dann die allerkräftigste Gnade mit der Gegenwart Gottes, dass ich mich danach wun- dere, wie unsere liebe Frau die stete Gegenwart Gottes je ertragen konnte: dann wird mir geantwortet mit den wirklichen Worten des Engels Gabriel »Spiritus sanctus supervenit in te« . Aber meine Begierde und meine Lust ist in dem Säugen , dass ich aus seinem lauteren Mensch- tum gereinigt werde und mit seiner inbrünstigen Liebe aus ihm entzündet werde und ich mit seiner Gegenwart und mit seiner süssen Gnadedurchgossen werde, dassich damit gezogen werde in das wahre Geniessen seines gött- lichen Wesens mit allen liebenden Seelen, die in der Wahrheit gelebt haben.

Am SanktStephanstag gab mir mein Herr eine liebreiche Gabe für meine Begierde , da mir aus Wien ein liebliches Bild gesandt wurde, das war ein Jesus in einerWiege und dem dienten vier goldene Engel. Und von dem Kinde wurde mir eines Nachts gegeben, dass ich es mit Freuden und lebhaftem Gebahren mit sich selber in der Wiege spielen sah. Da sprach ich zu ihm : »Warum bist du nicht artig und lässt mich nicht schlafen.? Ich habe dich doch gut gebettet«. Da sprach das Kind: >Ich will dich nicht schlafen lassen. Du musst mich zu dir nehmen « . So nahm ich es mit Begier und mit Freude aus der Wiege und stellte es auf meinen Schoss. Da war es ein lebendiges Kind. Da sprach ich: »Küsse mich, so will ich es fahren lassen, dass du mich geplagt hast« . Da fiel es mit seinen Armen um mich und halste mich und küsste mich.

7 Buber, Konfessionen

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Wenn ich hernach an die Gesichte dachte, empfand ich neue Süssigkeit, und es begann in mir eine neue Weise mit geschlossenem Munde und mit inneren Worten zu reden, die niemand verstand noch merkte als ich. Und diese Worte machten mir eine süsse ungeformte Stimme im Munde. Es waren diese : » Ego vox clamantis in deser- to« usw., sodann: »Fac me audire vocemtuam,voxtua dulcis« usw. , und dies geschah miroftmalsdanachindem Jahr. Und dann wird mir der Mund mit Gewalt geschlos- sen,dass ich keinWort auszusprechen vermag,und wenn ich gleich sterbenmüsste. Und diese innere Rede, vonder ich viel geschrieben habe, kommt mir dann mit einer fröhlichen Leichtigkeit aus dem Herzen heraus, und sie hebt da gerade so an, wie man ein liebliches Stück auf ei- nem Saitenspiel in einer meisterlichen Weise mit einem lieblichen Vorspiel beginnt und mit einem lieblichen Nachspiel endet. Und es ist mir diese Frist übernatürlich süss: gäbe eskein weiteresHimmelreich, mich dünkt,ich hätte trotzdem genug, und alle Kreaturen miteinander könnten mich von Gott nicht um ein Haar entfernen.

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ADELHEID LANGMANN (st. 1375)

"XVy^AS schicklich, wohlgefällig, fromm und gottselig Wwar, das hielt das Kind und war doch fröhlich mit den Leuten ohne alle Ausgelassenheit. Wenn es mit sei- ner Mutter zur Predigt ging, was es da hörte, das schloss es in seines Herzens Schrein. Wenn es dann heimkam und allein war, betrachtete es, was es in der Predigt ge- hört hatte, und vornehmlich unseres Herrn Marter, die betrachtete es gar gern, so sehres nur konnte. Das merk- ten die Leute, die bei dem Kindewaren und sich seiner annahmen. Die sprachen oftmals zu seiner Mutter: »Das Kind gehört nirgends hin als in ein Kloster« . Das dauerte, bis das Kind zu dreizehn Jahren aufwuchs. Daverlobten sie ihre Freunde einem Jüngling. Derwurde todkrank. Und als man die Hochzeit feiern wollte und sie auf dem Brautstuhl sass, lag er den ganzen Tag zu Bette. So siechte er immer mehr hin bis in das nächste Jahr, da er starb.

Danach wollten sie ihre Verwandten wieder hingeben. Da sprach unser Herr zu einem Menschen: »Und gebe man sie dreissigen, sie müssten alle sterben. Sie muss mir werden«. Da bat sie gute Leute, dass sie Gott für sie bäten, er möge ihnen zu erkennen geben, was sein lieb- ster Wille wäre. Ein guter Mensch war bei seiner An- dacht, der bat unsern Herrn für sie, ob es sein Wille wäre, dass sie in ein Kloster sollte. Da sprach unser Herr: »Ja es ist mein Wille. Ich will sie haben, wo sie eins mit mir ist«. Da sprach der Mensch: »Herr, wo ist sie eins mit Dir?« Da sprach unser Herr: »Wo sie Niemandes ist«. Danach an dem Tage der Apostel Philippus und Jacobus

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bat dieser Mensch die heiligen Apostel für sie und sprach: » Vielliebe Heilige, ich verlange das von euch, dass ihr un- seren Herrn befraget wiegen dieses Mädchens, ob es sein Wille sei, dass sie in ein Kloster komme«. Da sprachen die Heiligen: >Ja es ist sein Wille, dass sie uns nachfolge, den Heiligen, und dass sie ihren eigenen Willen lasse w^ie wir « . Da sprach der Mensch zu unserem Herrn : > Herr, w^asw^illst du ihr dafürgeben?« DasprachunserHerr: »Ich will ihr das Himmelreich geben « . Nun hatte diese junge Witwe die Gewohnheit, dass sie alle Tage sieben scharfe Disziplinen nahm, wenn ihre rechtmässige Notdurft und Beschäftigung es zuliess. Nun geschah es zu einerWeihnacht, dasssieam Christtage un- sern Herrn empfing, und als sie unsern Herrn im Munde hatte, legte er sich ihr so kräftig an den Gaumen, dass sie ihn nicht verzehren konnte. Sie trank, das half ihr nicht. Da dachte sie : > Viellieber Herr, was habe ich wider deine Huld getan. f^« Da sprach unser Herr in ihrem Munde zu ihr: »Du hast nichts wider mich getan. Du sollst mir ge- loben, dass du in das Kloster zu Engeltal kommst, dann empfängst du mich« . Da sprach sie : »Herr, das tue ich nicht. Ich bin zu krank, ich kann nicht übel leben« . Da sprach unser Herr: » Dann empfängst du mich nicht« . Sie dachte, sie wolle es dem Pfarrer sagen, dass er ihr helfe. Da antwortete unser Herr ihren Gedanken und sprach: > Weder Priester noch alle die in der Kirche sind, können dir dazu helfen, dass du mich empfangest, du gelobest es mir denn « . Sie dachte, sie wolle es ihm geloben und wolle den Pfarrer bitten, ihr das Gelübde zu lösen, weil sie es nicht mit Willen getan hätte. Da antwortete unser Herr wieder ihren Gedanken und sprach : » So will ich es

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nicht. Ich will, das du es mir so gelobst, dass du es tust, ob du auch sterben solltest«. Sie dachte: »Herr, so gelobe ich es dir, ob ich auch sterben sollte « . Auf der Stelle emp- fing sie ihn. Sie sprach: »Herr, ich habe dir heute meinen Willen undmeinen jungen Leibgegeben. Sollichdennim Kloster selig werden.?« Er sprach: »Ja, denn ich will dich nimmer verlassen und willdirselberausallem Leidenhel- fen, in das du je kommst, und will dir recht gütlich tun als meiner Liebsten und willmichnimmervondirscheiden«. An derselben Stelle nahm ihr unser Herr alle vergäng- lichen Dinge und es wurde ihr einerechte Freude, dasssie in das Kloster sollte.

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AUS DEM KLOSTER ADELHAUSEN IN EREI- BURG (13. und 1 4. Jahrhundert)

(Chronik der Anna von Munzingen)

Else von Neustadt

ES war eine Schwester, die hiess Schwester Else von Neustadt und war wohl siebzig Jahre im Kloster gewesen, und einige Zeit vor ihrem Tode wurde sie bett- lägerig und wurde so lahm, dass sie einen Schritt nicht gehen konnte. Da musste sie in einer besonderen Kam- mer sein und wurde da so vereinsamt, dass sie von den Leuten wenig Zuspruch hatte, nur so viel als sie zu ihrer Notdurft brauchte. Und dass Gott ein Freund ist aller elenden Leute und derer, die von allem leiblichen Tröste abgeschieden sind, das hat er an dieser Schwester erzeigt, wie sie es einer Schwester, die oft zu ihr ging, bestätigte. Die Schwester fragte sie, ob sie noch an irgend ein Ding dächte, das in der Welt wäre. Da sprach sie: »Ich habe alle Dinge vergessen, ich kann aber wohl Gottes geden- ken. Ich bin auch von der ganzen Welt verlassen, allein Gott hat mich nichtverlassen, derhandelt allerwegen gut und getreu an mir. Und sonderlich, da ich so siech und ohnmächtig am Leibe geworden bin, übt er an mir beson- dere Gnade«.

Da fragte sie die Schwester, ob es sie verdriesse, dass ihr Leib in solcher Pein und Gebundenheit sei und so ganz von den Leuten vereinsamt. Da sprach sie: »Mir ist so wohl, als es einem Menschen auf Erden nur sein kann, Gott hat mir mein armes elendes Leben vergütet und will es immer mehrtun. Wie könntedenverdriessen,derGott

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sieht? Ermachtmir die Zeit kurz und wohlgefällig«. Da fragte sie die Schwester, ob sie unseren Herrn mit äusse- rem Gesicht oder mit innerem sehe. Da sprach sie: »Ich sehe ihn beides, äusserlich und innerlich« . Da fragte sie wieder die Schwester, ob das äussere Gesichtbesser wäre oder das innere und wie das innere wäre. Da sprach sie : » Das äussere Gesicht ist nichts gegen das innere, denn das innereGesichtisteinvollesundeingarstolzesDing«. Und sie sprach wieder: » Es ist ein göttliches Gesicht, von dem niemand sagen kann als der es sieht, und noch die, die es sehen, die können nicht recht davon sagen « . Da fragte siedieSchwester,obsie dann jemandesgedenken könnte. Da sprach sie: >>Ich kann dann meiner selbst nicht gut gedenken. Wohin Sinn oder Herz komme, als allein in ihn, das weiss ich nicht. MeineSeelelegt sich dann in Gott und weiss alle Dinge in ihm, und dann sehe ich die Lauter- keit meiner Seele und dass sie ohne alle Flecken ist« . . . Da fragte wieder die Schwester, wie derwäre, den sie mit äusserem Gesicht sehe. Da sprach sie: »Er erscheint wie ein schöner liebreicher Jüngling und die Kammer wird voll von Engeln und Heiligen. Er sitzt bei mir und sieht mich gar gütig an. Aber die Engel stehen alle vor ihm, er kommtnieallein,die Engel kommen immermitihm.Und er spricht zu mir: ,Ich will wieder und wieder kommen und will dich bald zu mir nehmen und will mich ewiglich nicht von dir scheiden' . Und er umfängt mich mit inner- lichem Umfangen « . Da fragte sie die Schwester, was für ein Gewand er an hätte, undnannteihrmancherlei Farbe vor. Da konnte sie es keiner Farbe vergleichen, sondern sprach : » An ihm erscheint alles was er will «... Sie hatte ihren Willen so ganz in seinen Willen gegeben,

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dass sie weder leben noch sterben wollte, sondern wie er wollte,undsprachauchzuweIlen: »Wäre es Gott Heb und gefiele ihm, ich wollte In dieser Pein sein bis an den jüng- sten Tag«. Und wenn sie in sonderlichen Gnaden war, war sie sehr fröhlich und redete gar liebliche Worte von Gott, und sonderlich sprach sie diese Worte gar oft : » Gott ist in mir und ich in Ihm, er ist mein und ich bin sein, er Ist mir und ich bin ihm. Meine Seele ist schön und stolz und hochgemut, denn Gott hat mir seine Gnade aufgetan und Ichbinvonihmgeminnt.Dashatermirkundgetaninseiner Herrlichkeit« . Da fragte sie sle,wie seine Rede wäre,wenn er mit ihr redete. Da sprach sie: »Seine Rede ist solieb- reich,dassdavonnIemandsagenkann.Erkannreden,dass es durch die Seele geht und durch des Herzens Grund « . Sie sprach auch gar oft : » Gott Ist in meinem Herzen und In meiner Seele und geht selten von mir, nur manchmal flieht er, das kann er auch gar wohl, da jage Ich ihm nach mit meinem Gemüte und werde dann so froh. Und spreche: Herzlieb, mein Trauter«. Viel solcher Worte, diegarfreundlichundliebreIchwaren,sprachsIevonGott. Sie fragte sie auch, woran sie es empfände, wenn Gott In ihrer Seele wäre. Da sprach sie : » Ich empfinde es an aller Freude undSeligkelt, die er mitsich bringt. Ererfreutund weitet mein Herz und tut mir meine Seele auf und er- schllesst sie mit seinen göttlichen Gnaden « . Da fragte sie sie, wie man zu solcher Vertrautheit mit Gott kommen könne. Da sprach sie : » Wenn man Ihn mit ganzer Treue liebt und alle Sünde abtut und alles wird ein Lob Gottes, so Ist es zugegangen «...

Als sie vor Alter und vor Siechtum wenig mehr leben mochte, sprach die Schwester zu ihr: >Ach, was lebt In

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Euch?« Da sprach sie: »Gott lebt in mir und ich in ihm«. Und da sie bald sterben wollte, fragte sie die Schwester, wie ihr wäre. Da zeigte sie ihr, wie sie da konnte, dass ihr am Leibe gar weh wäre und im Herzen gar wohl zu Mute. Da fragte sie, wessen sie sich freute. Da sprach sie: »Ich freue mich Gottes, dass er mein ist und ich sein. Erhatmir gesagt, er wolle mich zu sich nehmen, und alle die Furcht und der Schrecken, die ich vor dem Tode hatte und vor der Pein, die sind gänzlich aus meinem Herzen«. Die Schwester sprach auch zu ihr: »Wie sollen wir. Eure be- sonderen Freunde, uns verhalten, wenn Ihr sterbet.?*« Da sprach sie: »Ihr sollt lachen und fröhlich sein, denn der Himmel ist mir aufgetan«. Danach tat sie die Augen zu und lag, als ob sie im Schlafe läge. Und die Schwester rief sie an und fragte, ob sie schliefe. Da sprach sie: »Ich schlafe nicht,meineRuheistinGott«. Dabegannsiesichgarübel zu fühlen und sich dem Tode schnell zu nähern. Da er- mahnte sie sie, dass sie sich die Mühsal nicht verdriessen lasse, Gott wolle bald ein Ende machen. Da sagte sie ihr wieder, es verdriesse sie nicht, wie lange auch Gott ihre Mühsal ausdehnen wolle, das wolle sie gern leiden. So verschiedsieheiligundseliginderZuversicht,dasssiebald zu Gott kommen sollte.

Anna von Seiden

Sie hatte die Gewohnheit, wessen sie von Gott begehrte, davon Hess sie ihm nimmer ab, biseres ihrgewährte. Und einmal kam sie in eine solche Vereinigung mit Gott in ihrem Gebete , dass ihr Gott so klar erschien , dass es danach fünf Wochen währte, was immer sie da sah, da- von wähnte sie, es wäre Gott.

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Berchtevon Oberriet, die Ältere

Als sie sterben wollte, lag sie in ihrem Gebete und übte nach ihrer Gewohnheit mit Lobpreisen unseres Herrn Marter. Und es warihr, als würde sie auf ein Feld geführt, da wollte man Gott martern, und ward ein grosser Ruf, den hörte sie: »Will sich jemand für Gott hängen und martern lassen?« Da rief sie: »Ja, ich gern«. Und ebenda stiess sie der Tod an und die Andacht blieb ihr, bis ihr die Seele ausging. Da tat sie das Wort: »Herr, ich hänge an deinem Rücken , du musst mich von dir schütteln, ich komme nimmer von dir«. Und in der Andacht ver- schied sie.

ItavonNellenburg

Sie sprach : » Alles was in mirist, dasistGott, und zwischen mir und Gott ist nichts als der Leib « .

Metze (MechthildJ Tüschel

Sie stand einmal vor dem Altar und begehrte von Herzen, dass sie und Gott ein Ding würden. Und nach vieler Be- gierde, die sie hatte, sprach sie : » Herr, du hast mich dazu geschaffen, dass du billiger in meiner Seele wohnen soll- test als in der Büchse«. Da sprach eine Stimme zu ihr: » Wenn du so leer und aller vergänglichen Dinge so ledig wirst wie diese Büchse aller Dinge ledig ist denn meiner allein, so will ich in dirwohnen,sowesenhaftwie indieser Büchse«.

Berchtevon Oberriet, die Jüngere

Sie hatte ein gar seliges Leben. Undeinmalwarsieineiner grossen Begierde, dass ihr Gott eine besondere Gnade tue,

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und in dIeserBegierde wurde sie so erfüllt von überfliessen- der Gnade, dasssiedavon nicht sprechen konnte, nur dass es sie dünkte, ihre Seele wäre weiter als die ganze Welt. Und als die Gnade so übermässig in ihr war, begehrte sie von unserem Herrn, er möge sie mit leiblichem Auge das Wunder sehen lassen, das in ihrer Seele war. Da dünkte sie, es geschehe ihr, wie wenn man einem vollen Fasse den Boden ausschlägt, gleicherweise war ihr, als ob die Gnade ganz zu ihrem Munde ausginge. Und dIeseGnade war das wonnigste Kind, das je ein Menschenauge sah. Und sie hatte eine lange Weile gar grosse Freude mit dem Kinde. Aber die Gnade und die Freude, die sie mit ihm hatte, die war den tausendsten Teil so gross, wie da sie in ihr war. Und sie begehrte von unserem Herrn, dass er ihr die Gnade wiedergebe, die sie vordem gehabt hatte und die so sehr gross war, als sie in ihr war. Da entzog ihr un- serer Herr die Gnaden beide, dass sie das Kind nimmer sah und auch die frühere Gnade ward ihr nicht v/ieder.

Reinlind von Villingen

Sie hatte eine Begier, dass sie gern gewusst hätte, wie ihre Seele Gott gefiele; und als sie einmal in ihrer Andacht war, da sah sie ihre Seele lauter wie ein Krystall. Und sie sah, dass Gott ihrer Seele vereinigt war, wie eine lautere Leuchte.

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AUS DEM KLOSTER TÖSS BEI WINTERTHUR

(13. und 14. Jahrhundert)

(Elsbet Stagels Schwesternbuch)

Sofia von Klingnau

ALS sie das Jahr mit grosser Bitterkeit überstanden chatte, sagte sie niemandem davon, welchen Trost sie da von Gott empfangen hatte, bis sie am Tode lag und baldsterbenwollte. DakameineSchwesterzuihr.dersie lange besonders vertraut und hold gewesen war und die auch oftmals an ihr befunden hatte, dass sie von Gott ge- tröstet wurde. Die bat sie eifrig, sie möchte ihr um Gottes willen sagen, wie der Trost wäre, den sie von Gott emp- fangen hatte. Daraufantwortete sie und sprach : >Wüsste ich, dass esGottesWille wäre, so sagte ich dirwohl etwas. Nun weiss ich das nicht: darum kann ich dir jetzt nichts sagen. Komm bald wieder; was dann Gottes Wille ist, das sage ich dir « . So ging die Schwester von ihr und war- tete, bis man die Complet gesungen hatte und es Nacht wurde, und kam dann wieder zu ihr und fragte sie,wessen sie sich mit Gott beraten hätte. Da sprach sie: » Richte mich auf und gib mirWasser in den Mund, dass ich reden kann ; so sage ich dir, was du gern hörst « . Da das geschah, hub sie an zu sagen und sprach: »In dem zweiten Jahr, nachdem ich das Gelübde des Gehorsams getan hatte, am Feste der heiligen Weihnacht, blieb ich einesTages nach der Mette allein im Chor und ging hinter den Altar und legte mich da an eineVenie und wollte nach meiner Ge- wohnheit mein Gebet sprechen. Und in dem Gebet kam mir mein altes Leben in den Sinn, wie viele und wie lange

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Zeit ich in der Welt üppig vertrieben hatte. Und sonder- lich begannichdieUntreuezubetrachten und zuerwägen, die ich Gott damit erzeigt hatte, dass ich des edlen und würdigen Schatzes meiner edlen Seele, für die er sein hei- liges Blut am Kreuze vergoss und die er mir in so grosser Treue anbefohlen hat, dass ich die so nachlässig gepflegt hatte und dass ich sie mit so vieler Sünde und Untugend entreinigt und befleckt hatte, also dass sie seinen gött- lichen Augen missfällig und zuwider sein müsste, die ihm einst so wohlgeflel. Und von diesem Gedanken kam ich in so grosse Reue, dass mein Herz bittrer und ungewöhn- licher Qual voll wurde, unddie Qual wuchs so sehr in mir, dassmirschien, ich empfändeleiblichesLeid und Schmer- zen, als ob mein Herz eine leibliche Wunde hätte. In die- sem Schmerz rief ich mitklagendemSeufzenmeinenGott an und sprach : »Weh mir, weh mir, dass ich dich je er- zürnte, mein Gott ! Vermöchte ich das zu wenden, dann wollte ich mir erwählen, dass eine Grube hier vor meinen Augen wäre, die bis in den Abgrund ginge, und dass darin ein Pfahl geschlagen wäre, der bis an den Himmel ginge, und dass ich mich an dem Pfahl immerhinaufwinden soll- te bis an den jüngsten Tag: die Mühsal wollte ich gern lei- den dafür, dass ich dich, meinen Gott, nie erzürnt hätte ! < DaichindiesemWillenundindieserBegierdezuGottwar, beganndieQualundderSchmerz,dermir im Herzen war, so gewaltig zu wachsen, dass es mir war, ich könnte es nicht ertragen, mein Herz müsste denn entzweibrechen. Da dachte ich : Steh auf und sieh wasGott mitdirtun will. Und da ich aufstand, war der Schmerz so gross und die ÜbermachtderQual,dassmiralleleiblicheKraftund aller Sinn entging, und ich fiel meiner ungewaltig nieder und

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fiel in eine Ohnmacht, dass ich weder sah noch hörte noch sprechen konnte. Und als ich so lange gelegen war, wie Gott wollte, kam ich wieder zu mir und stand auf; aber sobald ich aufstand, brach ich zusammen und fiel wieder in Ohnmacht, und so geschah mir wieder zum dritten Mal. Und als ich dann wieder zu mir kam, begann ich zu sorgen, wenn ich an der Stelle eineWeile bliebe, möchten die Schwestern mich entdecken und innewer- den, was mir geschehen war. Und darum bat ich unseren Herrn, er möchte mir soviel Kraftgeben, dass ich an einen heimlichen Ort kommen könnte,wo mich niemand sähe und merkte, wie es mir erging. Und so stand ich auf und mit grosser Mühe kamichvordenAltarundstanddaund sprach zu unserm Herrn : » O Herr, mein Gott, nun bitte ich dich umGnade : nun erkenne ich michselbergänzlich unwürdig aller der Gnaden, die du irgend einer Kreatur auf Erden tust, und achte mich selber unwürdiger und schmählicher vor deinen Augen als einen Wurm, der auf der Erde kriecht, denn der erzürnt dich nie, ich aber habe dich über alle Massen erzürnt; darum wage ich nicht zu bitten,sondern ich ergebe michganzindeingöttliches Er- barmen«. Und als ich das gesprochen hatte, neigte ich mich und ging in das Dormitorium an mein Bett; da, so dünkte es mich, wäre ich am allerverborgensten. Und als ich an dasBett kam,war ich so sehr krank,dass ich dachte : Dir ist wieder schlimm, du sollst eine Weile ruhen. Und also machte ich ein Kreuz vor mir und wollte mich zur Ruhe legen und las den Vers: Inmanustuas. Und als ich den gelesen hatte, sah ich, dass ein Licht vom Himmel kam, das war unermesslich schön und wonnig, und es umgab mich und durchleuchtete mich und durchglänzte

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mich ganz und gar, und mein Herz wurde gar plötzlich verwandelt und mit einer unsäglichen und seltsamen Freude erfüllt, also dass Ich ganz und gar all die Trübsal und Qual vergass, die ich vorher je gekannt hatte. Und in dem Licht und in der Freude sah ich und verspürte, dass mein Geist aus dem Herzen emporgenommen und zum Munde hinaus hoch in die Luft geführt wurde, und da wurde mir gegeben, dass ich meine Seele klar und eigen- tümlich mit geistigem Gesichte sah,wle ich mit leiblichen Augen kein Ding je gesehen habe, und alle ihre Gestalt und ihre Zier und Ihre Schönheit wurden mir völlig ge- zeigt. Und was für Wunder ich an ihr sah und erkannte, das könnten alle Menschen nicht zu Worten bringen « . Da ermahnte sie dIeSchwester bei allerTreue und bat sie mit allem Ernste, dass sleihrsage,wledle Seele beschaffen gewesen sei. Da antwortete sie und sprach : » DieSeele ist ein so ganz geistiges Ding, dass man sie keinen leiblichen Dingen eigentlich vergleichen kann. Weil du es aber so sehr begehrst, gebe Ich dir ein Gleichnis, daran du ein wenig verstehen magst, wie ihre Form und Ihre Gestalt war. Sie warein rundes,schönesunderleuchtendesLicht, gleich der Sonne, und war von einer goldfarbenen Röte, und diesesLIcht war so unermesslich schön und wonnig, dass ich es mit nichts vergleichen kann. Denn wären alle Sterne, die am Himmel stehen, so gross und so schön wie die Sonne, und glänzten sie alle in eines zusammen, der Glanz aller könnte der Schönheit nicht gleichen, die an meiner Seele war. Und es dünkte mich, dass ein Glanz von mir ausging, der die ganze Welt erleuchtete, und ein wonniger Tag wurde über der ganzen Erde. Und in die- sem Lichte, das meine Seele war, sah ich Gott wonnevoll

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leuchten , wie ein schönes Licht aus einer schönen, strahlenden Lampe leuchtet, und ich sah, dass er sich so liebreich und so gütig an meine Seele schmiegte, dass er ganz mit ihr und sie mit ihm vereint wurde. Und in dieser Liebeseinung bekam meine Seele von Gott die Gewiss- heit, dass mir alle meine Sünden vollkommen vergeben worden seien, und dass sie so rein und so lauter wäre und so ganz ohne alle Flecken,wiesiewar,daichausderTaufe kam. Und hievon wurde meineSeelesohohen Mutesund so freudenreich, dass es ihr schien, sie besässe alleWonne und alle Freude, und hätte sie auch Wunsches Gewalt, sie möchte und könnte und wollte nichts mehr wün- schen . . .

Und als ich jetzt in der besten und obersten Freude war, begann sich meineSeele wieder herabzusenken, wieGott wollte, und kam über den Leib, der vor dem Bette lag wie ein Leichnam, und es wurde ihr Frist gegeben, dass sie nicht sogleich wieder in den Leib musste, aber sie musste eine ganze Weile über dem Leibe schweben, bis sie seine Ungestaltund Hässlichkeitwohl gesehen hatte. Und als sie ihn recht gut beschaut hatte, wie todähnlich und wie jämmerlich er war und wie ihm Haupt und Hände und alle Glieder wie einem Toten dalagen, da gefiel er ihr gar übel und erschien ihr gar widerlich und greulich. Und gar bald kehrte sie ihren Blick von ihm ab und sich selber zu. Und als sie hinwiederum sich selber ansah und sich so schön und so edel und so würdig dem Leibe gegenüber fand, da schwebte sie spielend mit solcher Freude und Wollust über ihn hin, wie alle Herzen sie nicht erdenken könnten. Und als ihr jetzt am allerbesten war und sie in der obersten Wonne ihrer selbst und Gottes genoss, den

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sie mit sich geeint sah, da kam sie in den Leib zurück, sie wusste nicht wie. Und als sie wieder in den Leib gekom- men war, wurde sie dieser fröhlichen Schauung nicht be- raubt, sondern auch noch im Leibe wohnend schaute sie sich selber und Gott in sich, so lauter und wesenhaft, wie als sie aus dem Leibe verzückt gewesen war. Und die Gnade währte in mir acht Tage, und als ich zum ersten Male wieder zu mir kam und inne wurde, dass ein leben- diger Geist in mir war, da stand ich auf und war der freu- denreichste Mensch, so dünkte es mich, der je auf Erden war. Denn ich achtete alle die Freude,die alle Menschen je gewannen oder je bis an den jüngsten Tag gewinnen können, so klein gegen meine Freude wie eines kleinen Mückchens Kläulein gegen die ganze Welt ist. Und von demÜberschwangeder masslosen Freude war mein Leib so leicht und so behend geworden und so ganz ohne alles Gebreste, dass ich die achtTage über nie empfand, ob ich einen Leib habe, so dass ich keiner leiblichen Krankheit, klein oder gross, innewurde und dass es mich nie hungerte noch dürstete noch nach Schlaf verlangte, und doch ging ich zu Tisch und zu Bett und zum Chore und glich mich da den Anderen an, dass meine Gnade verborgen sei und niemand sie bemerke. Und da ich die acht Tage so won- nig verbracht hatte, wurde mir die Gnade entzogen, so dass ich das Schauen meiner Seele und Gottes in meiner Seele nicht mehr hatte, und da empfand ich erst, dass ich «inen Leib habe«.

Jützi CLiiciaJ Schultheiss

... Da verhängte Gott eine grosse Anfechtung über sie, dass es siedünkte und ihre Meinungwurde, sie soUteGott

.8 Buber, Konfessionen

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niemals schauen. Und davon kam sie in eine so grosse Verachtung ihrer selbst, dass sie den Himmel nicht anzu- sehen wagte und dass sie sich unwürdig dünkte, dass sie derErdboden trug. Und dies währteanihrTagundNacht, also dass ihr niemals eine Unterbrechung wurde, als nur so lange, dass sie zu ihrer Notdurft ein Weniges ass und schlief. Und in dieser grossen Not und Mühsal Hess sie nie vonihrerAndachtabundvondemErnste,densiezuGott hatte, und nahm noch mehr an göttlicher Liebe zu, so dass sie völlig den Willen gewann, sollte sie bis zum jüng- sten Tage leben , ihre Übung und den Ernst gegen Gott nimmerabzutun,wiewohlsiekeineZuversichthatte,dass es Gott von ihr genehm wäre. Aber durch die Milde Got- tes kam ihr alles zu Gute, was ihr begegnete, und was sie sah oder hörte, davon wuchs ihre Liebe zu Gott und sie lobte ihn in ihremHerzen. Wenn sieeinenMenschensich fröhlich gebärden sah, dachte sie : » Segne dich Gott, es ist recht, dass du fröhlich seist, denn Gott hat dich dazu ge- schaffen und bestimmt, dass du die ewige Freude und Gottes Angesicht geniessen sollst, dessen ich armer Mensch unwürdig bin « . Diese Pein litt sie von dem Tag an, da man Alleluja zu sagen aufhört, bis zum grossen DonnerstagvorderMette. Dawurde ihr garweh, dennsie hatte ein neues Fieber bekommen zu der Krankheit, die sie ehedem hatte, und war so krank, dass sie andemTage das Gebet nicht gesprochen hatte, wie ihre Gewohnheit war. Denn sie hatte den Brauch, dass sie es gern im Chore sprach,oftauchwennsie so krankwar, dass man siekaum in denChor bringen konnte, denn eswarihreGewohnheit, dass sie esnichtanderswo vollbrachte. Und das hat sie an diesem Tage unterlassen vor übermässiger Krankheit.

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Und in der Nacht vor der Mette richtete sie sich im Bette auf und wollte dasGebet sprechen. Da wurde ihr so übel, dass sie esnichtmehrkonnte. Unddoch wolltesie esnicht unterlassen, und fing wieder damit an. Und da hörte sie eine Stimme, die sprach gar liebreich zu ihr: »Du sollst ruhen und sollst mich dir weisen lassen, um was du bitten sollst«. Unddaerschraksieundfürchtete, dass eseinTrug wäre. DasprachaberdieStimmediegleichenWorte,und da schwieg sie und lauschte. Und da sprach wieder die Stimme : » Du sollst bitten für deine vergessenen Sünden und fürdeine ungesagten Sünden undfürdeineunerkann- ten Sünden und für die Sünden, die du nicht zu Worte bringen kannst.Unddannsollstdubitten,dassdu Ein Ding mit Ihm werdest, wie er mit dem Vater ein Ding war, ehe er Mensch wurde. Und sollst bitten, dass nie mehr etwas Trennendes zwischen dir und dem Vater sei. Und sollst bitten, wie er heute ein Kommen geworden ist und eine ewigeSpeise allderChristenheit,dass er alsodir ein Kom- men werde und eine ewige Speise. Und sollst bitten, dass er selber zudeinem Ende komme und diesallesvollbringe und ewiglich bestätige« . Hievon empfing sie grosse und masslose Freude und gewann Kraft am Herzen und am Leibe. Doch erschien sie sich selber unwürdigderGnade und des Trostes, so dass sie nicht gänzlich sicher zu sein vermochte, ob es von Gott wäre. Und als die Mette her- ankam, sie aber allein in ihrer Ruhe blieb und in dieser Sorge war, da hörte sie eine Stimme über ihrem Haupte, die sang so übermässig süsse deutscheWorte,dass weder Weise noch Worte irgend welchen leiblichen Dingen gleichen mochten. Und da richtete sie sich auf und wollte hören, ob sie etwas von den Worten verstehen könnte.

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Und da begann sich dieStimmevon ihr zu entfernen, dass sie keinWort zu begreifen vermochte. Und wohinsie sich nach der Stimme kehrte, dünkteessie,eswäreanderswo, und sie dachte: Herr Gott, ich kann mir nichts denken, was dies andres sein mag als deine ewige Güte, dass du mich sichern willst, dass ich keinen Zweifel haben soll. Und da hörte sie die Stimme nicht mehr. Und da wurde ihr die Anfechtung gänzlich genommen. Und danach gingen alle Tage neueWunder und neue Er- kenntnisse Gottes in ihr auf, dass sie im Klaren und jedes für sich alle die Wunder erkannte, die Gott je im Himmel und auf Erden gewirkt hat. Sie war auch so weise in die- sen Stunden,dasssiealleWeisheiterkannteund verstand, in der Schrift und in äusseren Werken; das verstand sie besser als alle die Meister, die je davon, von Jeglichem ins- besondere, gelernt hatte. Sie erkannte auch klar, wie das ewige Wort war Fleisch worden in der Jungfrau Leib . . . Und sie schauteunmittelbar, wie wirseine Gliedergewor- den sind und zu ihm gefügt und geheftet, wie die Äste an den Baum. . . Sie erkannte auch . . .,wie wir alle einander gleich sind und ganz Ein Ding sind, und wie der Mensch dem andern allesGuteschuldigistwie sich selber. Unddie Erkenntnis,diesie von allenDingenhatte,dieGott je getan hatoder noch tun will,war ihr an Jeglichem insbesondere so offen,wie den Engeln im Himmelreich, und sie schaute es so klar, wie sie es nach diesem Leben in der Ewigkeit schauensollte. Und wenndieseErkenntnisvon Jeglichem herankam, so ging sie so vorbei, dass ihr Herz nie darin stehen blieb und dass sie keinen Trost daran gewann, wie wenn es nie geschehen wäre. Sie erkannte auch son- derlich, wie Gott in allen Dingen und in allen Kreaturen

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ist . . Sie erkannte auch, wie Gott in einem jeglichen Gräs- lein und in einem jeglichen Blümlein und Blatt ist, und wie er allenthalben um uns und in uns ist . . . Einmal sass sie in ihrem Bette in grosser Krankheit und kam in so grosse Liebe und Gnade und kam Gott so nahe und begehrte sogrosse Dinge von Gott, die überschwäng- lich gross waren, und da sie in der Begierde war, hörte sie eine Stimme, die sprach: »Was weisst du, ob dich Gott dazu erwählt hat?« Da sie die Stimme hörte, erschrak sie so sehr, dass sie in so grosseVerachtung ihrer selberkam, dasssie ganz zu nichte ward. Und sie erkannte, dass sie schmählicher war denn je ein Wurm und dass sie aus sich selber nichts hatte als Sünde. Und in dieser grossen Ver- achtung ihrer selbst erkannte sie doch,wasGottwar,und fand keine Stätte in sich selber noch in der Hölle noch im Himmel, deren sie sich würdig dünkte, denn allein im Grunde der Hölle ... In diesem Dinge blieb sie bis zum Morgen in der Messe. Da hörte sie wieder eine Stimme inwendig, die sprach und gab ihr das vorgesprochene Wort, das ihr in dem Gebete geworden war, lauter zu erkennen, dass er und der Vater Ein Ding war, ehe er den Menschen schuf oder selbst Menschwurde; dassdies nicht anders ist, denn dass er Ein Wille und Eine Liebe ist, und dass auch sie also mit ihm Ein Wille und Eine Liebe werden solle. Und da kam sie in ein stetes Bleiben und vereinte ihren Willen mit ihm . . . Sie schaute auch klar was das ist : Gott sehen von Augen zu Augen. Hievon konnte sie nicht sprechen. Sie schaute auch klar und erkannte, wie der Sohn ewiglich von dem Vater geboren wird , und dass all die Freude und die Wonne,die da ist, inderewigen Geburt ruht. Wiesie tiefer

kam in das ewige Wesen Gottes, davon konnte sie nicht sagen und wusste es auch nicht, denn sie verlor sich da selber so sehr, dass sie nicht wusste, ob sie ein Mensch wäre. Danach kam sie aber wieder zu sich selber und war ein Mensch wie ein anderer Mensch und musste glauben und alle Dinge tun wie ein anderer Mensch . . . Inden sieben Jahren, da GottdieseWundermitihrwirkte, kam sie fünf Jahre in keineStube und blieb nie eineWeile bei den Leuten, wenn sie es vermeiden konnte. Und ein- mal war es sehr kalt, so dassdieSchwester,die sie pflegte, sie ernstlich bat, sie möchte sich indieStubehelfen lassen, dieweil die Schwestern zu Vesper wären. Und da sie so sehr krank war, folgte sie ihr und Hess sich in die Stube zum Ofen führen. Und da sprach sie zu ihrer Pflegerin: »Nun geh du zu Vesper und lass mich hier, dass Gott etwas Lobes davon geschehe«; denn es war ein heiliger Tag. Und da sie so allein blieb, sah sie, dass unser Herr hereinkam, und er war in den Jahren, als er auf Erden ging und predigte. Und mit ihm gingen Sankt Johannes und Sankt Jacobus der Ältere, und sie erkannte sie zu- sammen undaucheinjeglichesAntlitzinsbesondere.Und sie führten ihn wie einen Herrn, um den sie sorgten, wer ihnen etwa entgegentreten könnte, und hatten ihn um- schlungen mit den Armen, einen Arm hinten, den andern vorn. Und als sie so hereinkamen, Hessen sie ihn aus den Armen,und erstellte sich vor ihnen hinundsprach: »Nun schau, wie mein Leben auf Erden war!« Da schaute sie klar, dass er so leidvoll war: seine Augen waren einge- fallen, und seineWangen waren so jämmerlich von über- schwänglichergrosserTrübsaldie erlitt. Unddannsetzte er sich undkehrteihrdenRückenzu. Und daersich setzen

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wollte, erkannte sie, dass er gar müde war von grosser Mühsal, dass sein Rücken und alle seine Glieder erkrach- ten und dass er in sich selber erknirschte. Und als er nie- dersass, da setzten sich Sankt Johannes und Sankt Jaco- bus zu ihm. Und danach sah sie, dass die Schwestern aus und eingingen, und doch sprach keine : » Gottgrüss euch « oder » Was wollt ihr.?^ « Und das sah so verschmäht und so elend aus, dass es kein Herz betrachten könnte. Und als dieSchwestern so aus- und eingingen, standen die Jünger auf; aber unser Herr sass still. Sie sah auch, dass unseres Herrn Kleid und Sankt Jacobi Kleid gleich waren, und waren innen rot; aber Sankt Johannis Kleid war innen nicht rot, aussen aber war es wie ihre Kleider. Die Jün- ger waren gar wohlauf am Leibe. Und als sie in diesem Schauen war, kam eine Schwester und redete mit ihr und brachte sie wieder zu sich , und da sah sie nichts mehr.

Ita von Sulz

Man hatte sie einmal zur Kellermeisterin eingesetzt, und davon wurde sie sehr betrübt,denn siebefürchtete,durch die Unruhe würde ihre Andacht gestört werden. Und da ging sie in den Chor und klagte es unserm Herrn. Da trö- stete er sie gar lieblich und sprach zu ihr: »Man findet mich an allen Orten und in allen Dingen«. Und hievon wurde sie gar wohl getröstet und empfing das Amt fröh- lich, und unser Herr war ihr so vertraut und tat ihr so gütlich wie nur je.

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Mezzi Sidmbrin (Mechthild SeidempeberJ

Wie süss ihr Leben war, das kann man nicht zu Worte bringen. Nur so viel, dass ihr Mund von süssen Worten überfloss, ihre Augen ergossen beständig die süssen Lie- bestränen, und mit Worten und mit Wandel tat sie ganz als wäre niemand denn sie und Gott. Zuweilen sprach sie vor grosser Liebe : » Herr, wärest du Mezzi Sidwibrin und wäre ich Gott, so wollte ich dich doch Gott sein lassen und wollte Mezzi Sidwibrin sein « .

Anna von Klingnau

Sie hatte so grossen Eifer zu den gewöhnlichen Arbeiten, dass sie oft am Bettespann, und vorsieh auf der Kunkel hatte sie diese Worte :

Je siecher du bist, desto lieber bist du mir.

Je verschmähter du bist, desto näher bist du mir.

Je ärmer du bist, desto gleicher bist du mir. Diese Worte sprach sie oft mit Begierde, und sie sagte, Gott spreche dies zu einem Menschen. Aber wir glauben, dass sie der Mensch war.

Adelheid von Lindau

Wir hatten auch eine gar selige Laienschwester, die hiess Schwester Adelheid von Lindau und war wohl hundert Jahre alt, da sie starb, und war gänzlich erblindet,und lag wohl drei Jahre lang vor ihremTod zu Bett in solcher Ge- duld, dass ihre Pflegerin von ihr sagte, sie habe sie nicht ein einziges Mal ungeduldig gesehen. Und sie betete gar eifrig, so dass die Pflegerin sie immer betend fand bei Tag und beiNacht, und warsofröhlich,dasssieoftmals schöne Liedlein von unserm Herrn wohlgemut sang. Zuweilen

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redete sie auch so liebreich mItGott,als sässeerinGegen- wartvorihr. Zuweilen sprach sie:

»Ach lieber Herr, du bist mein Vater und meine Mutter

Und meine Schwester und mein Bruder.

Ach Herr, du bist mir alles was ich will.

Und deine Mutter ist mein Gespiel « .

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DER SANG VON BLOSSHEIT

(Eine früher Tauler zugeschriebene Kantilene)

ICH will von Blossheit singen neuen Sang, Denn rechte Lauterkeit ist ohn Gedank. Gedanken mögen da nicht sein, So ich verloren hab das Mein : Ich bin entworden. Der zumal entgeistet ist, der mag nicht sorgen.

Mich irret nimmermehr mein Ungleich,

Ich bin so gern arm als reich.

Mit Bildern mag ich nicht umgehn.

Mein selbst muss ich ledig stehn :

Ich bin entworden.

Der zumal entgeistet ist, der mag nicht sorgen.

Wollt ihr wissen, wie ich von den Bildern kam ?

Da ich rechte Einigkeit in mir vernahm.

Das ist rechte Einigkeit,

So mich entsetzt nicht Lieb noch Leid :

Ich bin entworden.

Der zumal entgeistet ist, der mag nicht sorgen.

Wolltihrwissen,wie ich von dem Geiste kam.?

Da ich weder dies noch das in mir vernahm.

Denn blosse Gottheit ungegründet.

Da mocht ich längerschweigen nicht,ichmusste künden:

Ich bin entworden.

Der zumal entgeistet ist, der mag nicht sorgen.

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Seit ich also verloren bin in dem Abgrunde,

Da mocht ich länger reden nicht, ich war ein Stummer.

Also hat mich die Gottheit klar in sich verschlungen.

Ich bin entsetzet.

Des hat mich die Finsternis wohl ergötzet.

Seit ich also durchkommen bin vor den Ursprung, Da mag ich länger altern nicht, ich musste jungen. Also sind alle die Kräfte mein zumal verschwunden Und sindgestorben. Der zumal entgeistet ist, der mag nicht sorgen.

So wer nun also verschwunden ist

Und hat befunden eine Finsternis,

Ist so reich ohn allen Kummer.

Also hat mich das liebe Feuer

Zumal verbrennet.

Und bin erstorben.

Wer also entgeistet wird, der mag nicht sorgen.

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BIRGITTA VON SCHWEDEN (um 1 302— 1 373)

ES wurden von der Braut gesehen zwei Teufel, im göttlichen Gerichte stehend, einander gleich an allen Gliedern. Ihre Münder waren offen wie der Wölfe, dieAugen flammendwie ein von innen erleuchtetesGlas, die Ohren hängend wie der Hunde, derBauch geschwol- len und allzuweit vorgestreckt, die Hände wie einesGrei- fen, die Beine ohne Gelenke, die Eüsse waren wie ver- stümmelt und wie bis zur Mitte abgehauen. Da sprach der eine von ihnen zum Richter : » Richter, richte die mir ähnliche Seele dieses Ritters mir zum Gemahl zu meiner Vereinigung«. Der Richter antwortete: »Sage, welche Gerechtigkeit und welchen Beweisgrund hast du gegen sie.r^« Der Teufel antwortete: »Fürs erste frage ich dich, weil du gerecht bist, ob man nicht, wo ein Tier einem an- dern ähnlich befunden wird, zu sagen pflegt, dieses Tier sei vom Löwen- oder vom Wolfsgeschlecht oder derglei- chen. Nun frage ich dich, von welchem Geschlecht ist diese Seele, oder wem gleicht sie, den Engeln oder den Teufeln.?« Der Richter sprach: »Sie gleicht nicht den En- geln,sondern dirunddeinesgleichen,wiegenugsam offen- bar ist«. Da sprach der Teufel wie spottend: »Als diese Seele von der Glut der Salbung, das ist deiner Liebe, ge- schaffen wurde, glich siedir.Jetztaberhatsie deine Süssig- keitverschmähtund istnachdreifachem Rechte mein ge- worden. Zum ersten,weil sie mir gleich ist in der Bestim- mung. Zum zweiten, weil wir einen gleichen Geschmack haben. Zum dritten, weil wir einen gleichen Willen ha- ben«. Der Richter antwortete: »Wiewohl ich alles weiss, so sage doch wegen dieser meiner Braut, die gegenwärtig

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ist, inwelcherWeiselstdirdieseSeele in der Bestimmung gleich?« Und der Teufel sprach: »Wie wir gleichgestal- tete Glieder haben, so haben wir auch gleichgestaltete Taten. Denn wir haben offene Augen , aber wir sehen nichts. Denn ich will nichts sehen, was dir und deiner Liebe eignet, und so hat auch sie, als sie es konnte, nicht sehen wollen, was dir und dem Heil der Seele eignet, son- dern sie achtete nur ergötzlicher und weltlicher Dinge. Auch haben wir Ohren, aber wir hören nicht zu unserem Nutzen, so hat auch sie nichts hören wollen, was deiner Ehre eignet,und gleicherweise ist mir alldasDeinebitter; darum wird die Stimme deiner Süssigkeit und Vortreff- lichkeit niemals in unsre Ohren zu unsrem Trost und Frommen eingehen. Wir haben offene Münder; denn wie sie ihren Mund offen hatte für alle Köstlichkeiten der Welt, für dich und deine Ehrung geschlossen, so habe auch ich meinen Mund offen zu deiner Beleidigung und Betrübung, und niemals würdeich ihn hemmen, dirÜbles zu tun, wenn es möglich wäre, dich zu zerstören oder aus der Herrlichkeit zu wandeln. Ihre Hände sind wie eines Greifen , denn was sie von den zeitlichen Dingen er- langen konnte,das hat sie bis zumTode festgehalten, und länger hätte sie es gehalten, wenn du ihr erlaubt hättest weiter zu leben. So halte auch ich alle, die in die Hände meiner Gewalt kommen, so mächtig, dass ich sie nie ent- liesse,wenn sie nicht durch deine Gerechtigkeit mir Un- willigem entführt würden. Ihr Bauch ist geschwollen, weil ihre Gier sich ohne Mass erstreckte, denn sie füllte sich und wurde nicht satt,und sogrosswar ihreGier,dass, hätte sie allein die ganze Welt erlangen können, sie gern sich angestrengt hätte und hätte noch überdies in den

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Himmeln regleren mögen. Eine gleiche Gier habe auch ich. Denn wenn ich alleSeelen im Himmel und aufErden und im Fegefeuer gewinnen könnte, ich würde sie gerne erraffen. Und wäre eineeinzigeSeelegeblieben,obmeiner Gier entliesse ich sie nicht frei von der Pein. Ihre Brust istganzkaltwie auch die meine; denn sie hatte keinerlei Liebe zu dir und deine Ermahnungen haben ihr nicht ge- schmeckt; so bin auch ich von keiner Liebe gegen dich berührt, vielmehr vom Hasse, den ich wider dich hege, und gern Hesse ich mich immerdar mit dem bittersten Tode verderben und immerdar in der gleichen Marter er- neuern,damitdu getötet würdest,wenn es möglich wäre, dich zu töten. Unser beider Beine sind ohne Gelenke, weil unser Wille einer ist. Denn vom Anbeginn meiner Schöpfung bewegte sich mein Wille wider dich, und nie- mals wollte ich wie du. So war auch ihr Wille immer deinen Geboten entgegen. Unsere Füsse sind wie ver- stümmelt,dennwiemanmitdenFüssenzumNutzendes Körpers schreitet, so schreitet man mit der Inbrunst und gutem Werke zu Gott. Und wie diese Seele niemals mit der Inbrunst oder mit gutem Werke zu dir schreiten wollte, so auch ich nicht. Also sind wir einander in der BestimmungderGlieder in allem gleich. Wir haben auch den gleichen Geschmack, denn wiewohl wir wissen, dass du das höchste Gut bist, schmecken wir nicht, wie süss und gut du bist. Da wir demnach in allen Dingen gleich sind, so richte uns zur Vereinigung ... Ist es nicht geschrieben in deinem Gesetze: wo ein Wille und eine eheliche Übereinstimmung ist, da kann eine rechtliche Vereinigung geschehen .^ So ist es zwischen uns, denn ihr Wille ist der meine, und mein Wille ist der ihre. Warum

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also werden wir der Vereinigung beraubt?« Der Richter sprach : » Die Seele eröffne ihren Willen und was sie von derVereinigungmitdirmeint«.DieSeeleantwortetedem Richter : » Lieber will ich in der Höllenpein sein, als in die Freude des Himmels kommen, auf dass du Gott keine Tröstung von mir habest, denn so sehr bist dumirver- hasst, dass ich mich um meine Qual wenig bekümmere, wenn du nur nicht getröstet wirst« . Da sprach der Teufel zum Richter:» Einen solchenWillenhabeauch ich. Denn lieber wollte ich in Ewigkeit gemartert sein, denn in die Herrlichkeit kommen,dass du davonTröstung hättest«. Dasprach derRichterzurSeele DeinWilleistdein Rich- ter, und nach ihm wirst du das Urteil empfangen « .

In der Nacht der Geburt desHerrn kam der BrautChristi ein so wunderbarerund grossen AufschwungdesHerzens, dass sie sich vor Freude nicht fassen konnte. Und in dem gleichen Augenblick verspürtesie im Herzen eine fühlbare und erstaunliche Bewegung, wie wenn in ihrem Herzen ein lebendiges Kind sich hin und her rollte. Als diese Be- wegung andauerte,wies sie es ihrem geistlichen Vater und einigen geisdichen Freunden, ob es nicht etwa ein Trug wäre. Die prüften es durch Anblick und Berührung und bewundertendie Wahrheit. Danach erschien ihramglei- chenTageimHochamtdieMutterGottesund sprach zur Braut: »Tochter, du verwunderst dich über die Bewe- gung, die du in deinem Herzen spürst. Wisse, dass es kein Trug ist, sondern eine Darzeigung des Gleichnisses mei- ner Süssigkeit und der Barmherzigkeit, die mir geschah. Denn wie du nicht weisst, in welcher Weise dir unver- sehens der Aufschwung des Herzens und die Bewegung

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kam, so war das Kommen meines Sohnes in mich wun- derbar und eilend. Denn als ich dem Engel zugestimmt hatte, der mir die Empfängnis desSohnesGottes verkün- digte, spürte ich sogleich in mir ein Erstaunliches und Le- bendiges. Und als es aus mir geboren wurde, ist es mit unsäglichem Jubel und ungemeiner Eile aus meinem ge- schlossenen jungfräulichen Schosse gegangen. Darum, Tochter, fürchte keinen Trug, sondern freue dich, denn diese Bewegung, die du spürst, ist dasZeichen, dass mein Sohn in dein Herz gekommen ist. Und wie mein Sohndir den Namen seiner neuen Braut gegeben hat, so heisse ich dich nunmehr Sohnsfrau. Denn wie Vater und Mutter alternd der Sohnsfrau die Last aufladen und sie unter- weisen, was im Hause zu tun sei, so wollen Gott und ich, indenHerzenderMenschen altgeworden undvon ihrem Liebesmangel erkaltet, unseren Freunden und der Welt durch dich unsernWillen anzeigen. Diese Bewegung dei- nes Herzens aber wird bei dir bleiben und wird sich meh- ren nach deines Herzens Fähigkeit« .

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JULIANA VON NORWICH (Datum der Revelationen : 1 3 7 3)

UNSER guter Herr sprach zu mir segensvoll : » O, wie ich dich liebe «.Als ob ergesagthätte:»MeinLiebling, verharre und schaue deinen Gott,der dein Bildner ist und deine endlose Freude. Schaue deinen eigenen Bruder, deinen Erlöser, verharre und schaue, welches Ergötzen und welche Seligkeit ich in deinerErlösung habe. Und für meine Liebe freue dich mit mir« . Und um es noch besser zu verstehen: Dieses gesegnete Wort: »O wie ich dich liebe« war gesagt, als ob er sagte: ^Verharre und schaue, dass ich dich so sehr geliebt habe, bevor ich fürdich starb, dass ich für dich sterben wollte. Und nun bin ich für dich gestorben und habe willig erlitten, was ich mochte. Und nun ist alle meine bittere Pein und meine harte Wander- schaft zu ewig währender Freude und Seligkeit gewor- den, für mich und für dich. Wie sollte es nun Wohlsein, dass du mich um irgend ein Ding bätest, das mir wohl ge- fällt, dass ich es dir nichtgerngewährte.MennmeinWohl- gefallen ist deine Heiligkeit und deine endlose Freude und Seligkeit mit mir«.

Ob der grossen, unendlichen Liebe, die Gott zur ganzen Menschheit hat, macht er keine Scheidung in der Liebe zwischen der gesegneten Seele Christi und der geringsten Seele,dieerlöst werden soll . . .Wir sollen unshochfreuen, dass Gott in unserer Seele weilt, und noch höher sollen wir uns freuen, dass unsere Seele in Gott weilt. Unsere Seele ist gemacht, Gottes Wohnstätte zu sein, und die Wohnstätte unsererSeeleistderungemachte Gott. Eine

9 Buber, Konfessionen

hohe Erkenntnis ist es, innerlich zu sehen und zu wissen, dass Gott, der unser Schöpferist, in unserer Seele wohnt. Und eine höhere Erkenntnis und eine innerlichere ist es, zu sehen und zu wissen, dass unsere Seele, die geschaffen ist, in Gott imWesen wohnt. Aus diesemWesen bei Gott sind wir was wir sind. Und ich sah keinen Unterschied zwischen Gott und unserem Wesen, sondern es war ganz Gott.

Und dieses sah ich in voller Gewissheit, dass es für uns leichter ist zur Erkenntnis Gottes zu kommen, als unsere eigene Seele zu erkennen. Denn unsere Seele ist so tief in Gott gegründet und so unendlich eingesammelt, dass wir zu ihrer Erkenntnis nicht kommen können, ehe wir Er- kenntnis Gottes haben, der der Schöpfer ist, dem sie eig- net. Doch sah ich, dass es uns not tut zu begehren, weise und wahrhaft unsere eigene Seele zu kennen; und daher sind wir gewiesen, sie zu suchen, wo sie ist, und das ist in Gott. Und so werden wir durch die gnädige Leitung des Heiligen Geistes sie beide in Einem erkennen. Ob wir be- wegt sind, Gott oder unsere Seele zu erkennen, es ist bei- des gut und wahr. Gott ist uns viel näheralsunsere eigene Seele, denn er ist der Grund, in dem unsere Seele steht . . . DennunsereSeelesitztinGottin wahrer Ruheundunsere Seele steht in Gott in sicherer Kraft und unsere Seele ist in Gott gewurzelt in endloser Liebe. Wenn wir daher Er- kenntnis unserer Seele haben wollen und Gemeinschaft und Bund mit ihr, ziemt es uns, sie zu suchen in Gott un- serem Herrn, in dem sie eingeschlossen ist.

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Unser Herr öffnete mein geistiges Auge und zeigte mir in- mitten meines Herzens meine Seele, und ich schaute die Seele so weit, als wäre sie eine unendliche Welt und als wäre sie ein gesegnetes Königreich.

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GERLACH PETERS ( 1 3 78— 1 4 1 1 )

DANK dir, du mein Licht, du ewiges Licht, du niege- mindertes Licht, du höchstes und unwandelbares Gut, vor dessen Angesicht ich stehe, dein armer und ge- ringer Knecht.

Dank dir! Nun sehe ich ; ich sehe das Licht, das da leuch- tet in der Finsternis. Und was siehst du in diesem Lichte? Ich sehe, wie gewaltig du mich liebst; und dass, wenn ich indirbleibe, es so unmöglich ist, dassdunicht zuallerZeit, an allen Orten und in allen Fällen mir zugetan wärest, wie es unmöglich ist, dass ich dir je nicht zugetan wäre. Und du gibst dich selber mir ganz, also dass du ganz und ungeteiltmein bist, solangeichganzundungeteiltdeinbin. Und bin ich so ganz dein, dann hast du, wie du dich von Ewigkeit her geliebt hast, auch mich von Ewigkeit her ge- liebt; denn dies ist nichts anderes, als dass du dich selber in mir geniessest, und dass ich aus deiner Gnade dich in mirgeniesse und mich in dir.

Und liebe ich mich so, dann liebe ich nichts anderes als dich, denndu bist in mirundichindirwieeineinigesDing, das aus Einung geworden ist und in Ewigkeit nicht mehr geteilt werden kann. Und da jeder dasGute und die Kraft im Andern liebt, so istdies nichts anderes, als dass dudich selber liebst.

Bleibe ich aber ganz und vollkommen in dir: wie du nicht zu Grunde gehen kannst, so kann ich nicht zu Grunde gehen.

Ein Armer im Geiste, vom Herrn gestärkt, sprach, von dem obern Teile seines Geistes redend, also :

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siehe, Ich bin reich und habe Überfluss; denn Ich habe schon das Ganze, was Ich von dieser Welt begehre; und eben dies, das Ich habe, habeich, als hätte Ich es nicht; denn nicht mit Liebe besitze Ich und könnte es auch ent- behren, ohne dass Ich etwas von mir selber verlöre. DIehöchste,blosse,unbIldlIcheundunwandelbareWahr- helt selbst wohnt In dem obersten Teile meines Geistes und zeigt mir Ihre unaussprechlichen Schätze,dlekelnem Dinge sich vergleichen lassen; das eine einfache Wort, In dem alles beschlossen Ist und über das Ich nichts anderes suche.

Da wird mir mein Nichts und meiner selbst, als meiner selbst, Nichtsein gezeigt; und alle Gebrechen, die dasGe- müt nach Irgend einer Seite beugen könnten; und gezeigt wird mir auch das wahre Wesen aller Dinge. Auch schaue Ich nicht von unten die unteren Begeben- heiten und Zufälle nach der wandelbaren Sinnlichkeit; sondern von oben schaue Ich alles, und die Wahrheit ruft für mich mItfurchtbarerStImmeauf alles Fremde,dasmlt ihr nicht eins Ist, hinab : Nahet euch nicht, denn der Ort, wo er steht, ist heilig.

Und so zeigt sie mir oftmals Ihr Angesicht, Im Chore, auf dem Bette, am Tisch, in der Zelle, im äusseren Lärme, in der Arbelt und bei mancherlei Geschäften; und sie lehrt mich alle Dinge, die aussen sind, innen zu vereinfachen und In ein Innerliches und gefestigtes Schauen zu ver- wandeln.

Dies Angesicht aber ist so stark, dass es Herz und Leib machtvoll überwältigt, also dass nicht bloss die Grund- festen, sondern auch die Herzensschwellen des Gottes- tempels bewegt werden zu antworten, sich hinzugeben.

getreu zu folgen, wohin es auch gehe, mit allen Kräften dem gezeigten Lichte nachzufolgen und ohneUnterlass alleszu opfern, was ist und sein kann, samt allem Geschaf- fenen in der Zeit und in der Ewigkeit. Und alsdann wäre es mir eine grosseTröstung und Leich- terung des Herzens, wenn ich mich auch mit dem Leibe unter alles Geschaffene beugen, niederdrücken, demüti- gen und hinwerfen könnte.

Und das Angesicht macht mich als mich selber, den Gebrechlichen fast zu nichts: es zeigt mir, dass alles, was sich in ihm nicht eint, nichts ist. Und nachdem ich also entworden bin, nimmt es mein wollendes Schauen,drücktesseinem Schauen ein, vereint es ihm unmittelbar , dass meines und seines Ein helles Schauen werden, von keiner Seite zurückgewendet; und alles, was ist und werden kann, schaue ich nach meiner Art, in ihm und mit ihm, wie das Angesicht selber tut. Daher bin ich meinetwegen unbesorgt , und getrost in allem, was über mich kommen mag. Und was über mich zu kommen Erlaubnis hatvonder unwandelbarenWahr- heit und ewigen Bestimmung meines Herrn dem ich mein Leben und meinen Tod und alles, was ich bin und sein kann, in Zeit und Ewigkeit übergeben habe, nichts vermessentlich vorempfindend, nichts nach dem Beha- generwählend— ,demgebeauchichErlaubnis,übermich zukommen.

IM

ANGELA VON FOLIGNO

(zweite Hälfte des 1 3 .Jahrhunderts)

EINMAL in der Fastenzeiterschien es mir, ich seisehr trocken und ohne Andacht. Und ich bat Gott, er möge mir von sich geben , dieweil ich alles Guten ledig sei. Und da wurden die Augen der Seele aufgetan und ich sah die Liebe, die auf mich zukam. Und ich sah den Anfang, aber ihr Ende sah ich nicht, nur ihren Fortgang. Und von ihren Farben weissichkeinGleichniszusagen.Undalsdie Liebe zu mir kam, sah ich alles dieses mit den Augen der Seeleenthüllter, alsmanmitden Augendes Körpersetwas sehen kann. Und die Liebe näherte sich mir in der Gestalt einer Sichel. Man muss das aber nichtso verstehen, als sei die Gestalt in der Grösse messbar gewesen, sondern sie war wie eine Sichel, weil sie erst vor mich hintrat, dann sich zurückzog, und nicht im gleichen Masse sich mit- teilte, indemsie sich zu erkennen gab. Undalsbaldwurde ich mit Liebe erfüllt und einer unaussprechlichen Sätti- gung, die, wiewohl sie mich sättigte, doch den grössten Hungerinmirerzeugte,sounsäglichgross,dass alle meine Glieder sich lösten unddieSeeleschmachteteundzudem Übrigen zukommenbegehrte. Undichwolltekeine Krea- tur weder sehen noch hören noch verspüren. Und ich sprach nicht. Aber meine Seele redete innen und schrie, dass die Liebe sie nicht in so grosser Liebe schmachten lasse, denn ich achtete das Leben für einen Tod. Und als ich durch die Annäherung selbst ganz die Liebe zu sein glaubte, die ich fühlte, sprach ich : Viele sind, die glauben in der Liebe zu stehen, und stehen im Hasse ; und viele hinwieder, die glauben im Hasse zu stehen, und sind

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in der Liebe. Meine Seele aber suchte dieses in grosser Gewissheit zu schauen, und Gott gab es mir offenbar zu fühlen, also dass ich da ganz befriedigt blieb. Von jener Liebe aber bin ich so erfüllt, dass ich glaube, sie fürder nie entbehren zu können. Und einer Kreatur, die Anderes sagte, könnte ich nicht glauben ; und wenn ein Engel mir Anderes sagte, ich würde ihm nicht glauben, sondern ant- worten : Du bist der vom Himmel Gestürzte. Und ich schaute in mir zwei Seiten, als wäre in mir eine Strasse gemacht. Und aufder einen Seitesah ich die Liebe und alles Gute, was von Gott war und nicht von mir ; und aufder andern Seite sah ich mich dürre und dass von mir nichtsGutesherstamme. Und dadurch erkannte ich, dass nicht ich es sei, die da liebe, obgleich ich mich in der Liebe sah, sondern jenes Liebende kam allein vonGott, und um das Liebende sammelte sich die Liebe und teilte eine grössere und feurigere Liebe mit als vordem,und ich hatte ein Verlangen, zu jener Liebe hinzueilen. Und zwischen dieser Liebe, die so gross ist, dass ich damals nicht wissen konnte, es könne eine grössere Liebe geben, bis jene an- dere todgleiche Liebe mich überkam, zwischen der rei- nenLiebe also undder andern todgleichenundallergröss- ten Liebe ist ein Mittleres, davon ich nichts zu erzählen vermag : denn esist von so grosser Tiefe,und von so grosser Wonne, und von so grosser Freudigkeit, dass es nicht in Worte gefasstwerdenkann.Undichwolltedamalsnichts weiter von dem Leide hören, noch auch dass Gottvormir genannt werde ; denn wenn ervor mirgenannt wird, fühle ich ihn mit so grossem Ergötzen, dass ich vom Ver- schmachten gepeinigtbinvor Liebe; undallesandere,was weniger ist als er , wird mir zum Hindernis. Und nichtig

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erscheint mir, was vom Evangelium gesagt wird oder vom Leben Christi oder von irgend einer Rede Gottes; denn Grösseres und Unvergleichliches schaue ich in Gott. Und bleibe ich von jener Liebe zurück, ich bleibe ganz befrie- digt, ganz engelhaft; also dass ich Kröten und Gewürm, und auch die Teufel liebe. Und wenn ich in jenem Zu- stande bin, wenn mich da ein wildes Tier verzehrte, ich kümmerte mich nicht, und es erschiene mir, als litte ich keinen Schmerz. Und dann ist auch das Erinnern und das Gedenken des Leidens Christi nicht schmerzlich. Auch gibt es in jenem Zustande keine Tränen.

Einmal wurde meineSeeleerhoben,und ich schauteGott in so grosserKlarheit,wie ichihnniezuvorgeschauthatte, und in einer so vollen Weise wie nie. Und ich sah in ihm die Liebe nicht, und ich verlordie Liebe, dieich vordem ge- tragenhatte,und ich wurdeNichtliebe. Und danachschau- te ich ihn in einer Finsternis, und deswegen in Finsternis, weil er ein grösseres Gut ist, als gedacht oder verstanden werden kann, und keines, das gedacht oder verstanden werden kann, reicht an diesesheran. Und dazumal wurde der Seele ein urgewisser Glaube, eine zuversichtliche, fest- gegründete Hoffnung, eine stete Sicherheit von Gott ge- geben,alsodass sie alleFurchtverlor. Und in jenem Gute, das in der Finsternis geschaut wird, sammelte ich mich ganz, und wurde Gottes so sicher, dass ich niemals daran zweifeln kann , Gott in grosser Gewissheit zu besitzen. Undin jenem überaus wirksamen Gute, das in der Finster- nis geschaut wird, ist meine ganze Hoffnung gesammelt und sicher. Oftmals schaue ich Gott in dieser Weise und in diesem Gute, das äusserlich nicht erzählt, noch auch

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mit dem Herzen gefasst werden kann. In jenem ganz ge- wissen und verschlossenen Gute, dasichmitderso grossen Finsternis meine, habeich meine ganze Hoffnung, undim Schauen habe ich, was immer ich haben will, ganz, und was immer ich wissen will, weiss ich ganz, und ich sehe darin alles Gute. Und im Schauen vermag die Seele nicht zu denken, dass jenes Gut von ihr, noch dass sie von ihm gehen könnte, noch auch dass sie von ihm würde schei- den müssen, sondern sie ergötzt sich unaussprechlich in jenem ganzen Gute. Und durchaus nichts sieht die Seele, wassiemitdemMundeerzählenodermitdemHerzenbe- greifen könnte; und sie sieht nichts, und sieht durchaus alles. Und weil jenes Gut in der Finsternis ist, ist es um so gewisser und allen Dingen um so überlegener, je mehr es in der Finsternis geschaut wird, und es ist sehrverborgen. Und später sehe ich in der Finsternis, dass es jeglichem Gute überlegen ist,unddassallesund jegliches Anderevor ihm finster ist und alles, was gedacht werden kann,weni- ger ist als dieses Gut.

Und sogar dies,wenn die Seele die göttliche Macht schaut, und wenn sie diegöttlicheWeisheitschaut,undauchdies, wenn sie den göttlichen Willen schaut, was alles ich auf eine wunderbare und unsägliche Weise geschaut habe, all dies ist weniger als jenes ganz gewisse Gut. Denn jenes Gut, das ich schaue, istdasGanze,diese anderen alle aber sind ein Teil. Und wenn diese anderen geschaut werden, bringen sie, wiewohl sie unaussprechlich sind, doch eine grosse Freudigkeit, die sich in den Körper ergiesst. Wenn aber Gott in jener Weise in der Finsternis geschaut wird, bringt es kein Lachen in den Mund, kein Feuer und keine Andacht ins Herz, und keine brennende Liebe. Denn der

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Leib zittert nicht und wird nicht bewegt, noch auch ver- ändert, wie es beim Schauen der andern zu geschehen pflegte. Denn der Leib schaut nichts, sondern die Seele schaut, der Leib aber ruht und schläft, und die Zunge ist abgeschnitten, da sie alsdann nichts zu sagen vermag. Und alle die vielen und unsagbaren Freundschaften, die Gott mir erzeigt hat, und alle die süssenWorte, die er mir gegeben hat, und alle andern Gaben und Taten sind um ein so Vieles geringer als jenes Gut, das ich in der grossen Finsternisschaue, dassich auf jene Dinge meine Hoffnung nicht setze. Sondern wenn es möglich wäre, dass sie alle nicht wahr wären,würde dies in keinerWeise meine Hoff- nungmindern. . .

Und alles, was ich darüber sage, erscheint mir, als ob ich nichts sagte. Ja es ist mir, als redete ich Übles, was immer ich sage, und mein Reden erscheint mir als ein Lästern. So sehr übersteigt jenes Gut alle meine Worte. Und wenn ich jenesGutschaue, entsinneich mich,solange ich darin bin, nicht der Menschheit Christi und nicht des Gottmenschen, und keines andern Dinges, das Gestalt hätte. Und doch schaue ich dazumal alles, und ich schaue nichts.

Bin ich aber von jenem Gute geschieden, dann schaue ich den Gottmenschen, und er zieht die Seele mit so grosser Milde an sich, dass er zuweilen spricht : » Du bist ich, und ich bin du. « Und ich schaue jene Augenund jenessohuld- reiche Angesicht, dass meine Seele umfangen und ange- zogen wird mit unendlicher Innigkeit. Und was aus jenen Augen und aus jenem Angesicht hervorbricht, das eben ist jenes Gut, von dem ich gesprochen habe, dass ich es in der Finsternis schaue. Und es strömt hervor und kommt

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aus dem Innern, und es Ist eben dieses, das mich so sehr erfreut, dass es nicht erzählt werden kann. Und in dem Gottmenschen stehend ist meine Seele lebendig; weit mehr aber stehe ich in ihm als in jener Finsternis. Jenes Gutder Finsternis jedoch ziehtdieSeele weit mehr als das des Gottmenschen, unvergleichlich mehr. Aber im Gott- menschen stehe ich fast beständig, und dermassen be- ständig, dass mir einmal von Gott Gewissheit gegeben wurde, dass nichts Mittleres zwischen mir und ihm ist, und seither war nicht ein Tag, noch eine Nacht, da ich nicht beständig diese Freude von der Menschheit gehabt hätte. Und ich habe dann das Verlangen zu singen und Gott zu loben, und ich spreche: Ich lobe dich, geliebter Gott. Aufdeinem Kreuze habe ich mich gebettet. Und als Kopfkissen und Flaumbett habe ich die Armut gefunden, und alsRuhelagerdenSchmerzunddieVerachtung. Denn auf diesem Bette wurde ergeboren, daraufruhteundstarb er. Und diese liebende Gemeinschaft, mit der Armut, dem Schmerze und der Verachtung, hatGott Vater so sehr ge- liebt, dass er sie seinem Sohne gab, und der Sohn wollte immerdar auf diesem Bette liegen, und liebte es immer, und war einig mit demVater. Und auf diesem Bette habe ich geruht und ruhe, mein Bett ist es, und darauf hoffe ich zu sterben, und dadurch glaubeich erlöst zu werden. Und dieFreude,dieich erwarte von jenen Händen und Füssen, kann nicht genannt werden. Denn wenn ich ihn schaue, möchte ich niemals von dannen gehen, sondern näher und näher kommen, und so ist mein Leben ein Sterben. Und gedenke ich sein, kann ich nicht sprechen, denn die Zunge ist abgeschnitten. Und gehe ich von ihm, dann treibt mich die Welt, und alles was ich finde treibt mich,

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jenes Bett noch mehr zu verlangen. Und so ist mir mein Verlangen wegen derSchwermutder Erwartung einetöt- lichePein.

Darnach wurdeich im Geiste erhoben undfand mich ganz innen in Gott in einer anderenWeise, die ich nie erfahren hatte. Und es erschien mir, ich sei mitten in der Dreieinig- keit, in einerhöheren undgrösserenWeise,alsdieichsonst kannte ; denn ich empfing grössere Güter aisgewöhnlich, und war beständig in diesen Gütern , und war voll der grössten und unsagbaren Freuden und Wonnen , die durchaus über allem sind,was ich je erfuhr. Es geschahen in der Seele so namenlose götdiche Wirkungen, dass sie kein Heiliger, kein Engel erzählen oder erklären kann. Und ich verstehe, dass jene götdichen Wirkungen und jenen urtiefen Abgrund kein Engel noch irgend eine Kreatur zu fassen fähig ist. Und es erscheint mir dieses, was ich sage, als eine üble Rede und Lästerung. Und ich bin aus allem gezogen, das ich vordem hatte und darin ich mich zu ergötzen pflegte, das ist vom Leben und der Menschheit Christi, und von derBetrachtung jener sehr tiefen Gemeinschaft, die Gott von Ewigkeit so sehr ge- liebt hat, die er auch seinem Sohne gab, und in der auch ich meine Freude zu finden pflegte, nämlich in der Ar- mut, in dem Schmerze, in der Verachtung des Sohnes des lebendigen Gottes war gemeiniglich meine Rast und meine Lagerstatt. Und auch aus jener ganzen Weise Gott in der Finsternis zu schauen, die mich so sehr er- freut hat, bin ich hinausgestellt. Und ich bin aus jenem ganzen früheren Zustand mit so grosser Weihung und Befriedigung gezogen, dass ich ihn mir in keiner Weise

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vorstellen kann ; ich entsinne mich nur, dass ich ihn nicht mehr habe.

Und in jenen unaussprechlichen Gütern und göttlichen Wirkungen, die in meinerSeelegeschehen,zeigtGott sich zuerst in der Seele und wirkt das Unsagbare. Danach of- fenbart er sich und eröffnet sich der Seele und gewährt ihr noch grössere Gaben mit noch grösserer Gewissheit und in namenloser Helle.

Zuerst aber zeigt er sich der Seele in zwiefacherWeise. In der einenWeise stellt ersieh innerlichin meiner Seeledar, und dann gewahre ich ihn gegenwärtig und erkenne, wie er in aller Natur gegenwärtig ist, und in jedem Dinge, das Dasein hat, in dem Dämon, in dem guten Engel, in der Hölle, im Paradiese, im Ehebruch, im Morde, in jedem guten Werke, und in jedem Dinge, das in irgend einer Weise Dasein hat, so in dem schönen wie in dem häss- lichen. Daher freue ich mich in der Zeit, da ich in dieser Wahrheitbin, ingleicherWeise, wenn ich Gott sehe oder einen Engel oder ein gutesWerk oder aber ein böses ; und in dieserWeise stellt sich Gott gar oft in meiner Seele dar. Und dieses Sichdarstellen oder diese Gegenwart ist eine Erleuchtung mit grosser Wahrheit und mit göttlicher Gnade; also dass die Seele, wenn sie dieses schaut, an kei- nem Dinge Anstoss nehmen kann . . . In einer anderen Weise stellt sich Gott auf eine mehr be- sondere und von jener sehr verschiedene Art dar und gibt eine andere Freude und sammelt die ganze Seele in sich ein und wirkt ein Grosses in der Seele mit weit mächtige- rer Gnade und mit dem unnennbaren Abgrund der Freu- den und Bestrahlungen , so dass dieses Sichdarstellen Gottes ohne andere Gaben jenes Gut ist, das die Heiligen

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im ewigen Leben besitzen. Und wiewohl ich nicht tauge davon zureden, ja mein Reden mehr ein Verwüsten und Lästern als irgend ein Mitteilen ist, so sage ich doch, dass darin Erweiterungen der Seele sind, wodurch die Seele fähiger wird, Gott zu fassen und zu haben. Und sogleich, nachdem Gott sich derSeelegezeigthat, of- fenbart er sich und eröffnet sich ihr,und erweitertdie Seele und gibt ihr die Gaben und die Süssigkeiten, die sie nie vor- dem erfuhr, und mit weit grösserer Tiefe, als ich gesagt habe. Und alsdann ist die Seele aus aller Finsternis gezo- gen, und ihr wird ein grösseres Erkennen Gottes zuteil, als dessen Möglichkeit ich verstehen kann, und das mit einer so grossen Helle und mit einer so grossen Süssigkeit und Gewissheit und in einem so tiefen Abgrund, dass es kein Herz gibt, das dieses erreichen könnte. Daher kann auch mein Herz nachher nicht dazu kommen, etwas da- von zu verstehen, noch etwas davon zu denken; dies eine nur, dass es der Seele von Gott geschenkt wird, dass sie darin erhoben wird , dass sonst aber nie ein Herz sich da- hin zu spannen vermag. Und daher kann sie auch gar nichts davon sagen, und nicht kann irgend ein Wort ge- funden werden, das Jenes sagte oder austönte, noch auch kann ein Gedankeoder irgend ein Verstand sich zudiesen Dingen hinbreiten : um ein so Grosses sind sie über allem, in diesem und in jedem andern Sinne, dass Gott durch nichts, was gesagt oder gedacht werden kann, zu über- geben ist. . .

Und wiewohl ich von aussen einGeringesanTraurigkeiten undFreuden empfangenkann, so istdochinnen inmeiner Seele eine Kammer, in die keine Freude oderTraurigkeit oder das Ergötzen irgend einer Tugend oder irgend eines

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nennbaren Dinges eingeht; sondern dahin kommt jenes alleinige Gut. Und in diesem Offenbaren Gottes (wiewohl ich lästere, wenn ich Christum so nenne, denn ich kann ihn mit keinem Worte vollkommen bezeichnen) ist die ganze Wahrheit. Und in ihm erkenne und besitze ich die ganze Wahrheit, die im Himmel und auf Erden und in der Hölle und in aller Kreatur ist, mit so grosser Wirklichkeit und mit so grosser Gewissheit, dass ich in keiner Weise, und wenn die ganze Welt das Gegenteil bezeugte, ein An- deres glauben könnte, ja ihrer spotten würde. Denn ich schaue den, der das Sein ist; und so wie er das Sein aller erschaffenen Wesen ist. Und ich sehe, wie er mich fähig gemacht hat, alle diese Dinge besser zu verstehen, als ich bisher getan habe, da ich ihn in jener Finsternis schaute, die mich sosehr zu erfreuen pflegte. Und ich sehe mich allein mit Gott, ganz rein, ganz geheiligt, ganz wahrhaft, ganz redlich, ganz vergewissert, ganz himmlisch in ihm, und wenn ich indiesemZustande bin, gedenke ich keines anderen Dinges mehr. Und einmal, als ich in diesem Zu- stand war, sprach Gott zu mir: »Tochter der göttlichen Weisheit, Tempel des Geliebten, Wonne des Geliebten, und Tochter des Friedens,in dir ruht die ganze Dreieinig- keit, die ganze Wahrheit, also dass du mich besitzest und ich dich besitze« . ..

Zu diesem Zustande aber bin ich nicht vorgeschritten, sondern geführt und erhoben wurde ich von Gott, so dass ich nicht wusste, diesen Zustand zu wollen noch zu be- gehren noch anzustreben, und nun bin ich beständig dar- in. Und gar oft wird meine Seele von Gott erhoben, und meineZustImmung wird nicht gefordert. Denn während ich es nicht erhoffe und nicht daran denke, wird plötzlich

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die Seele von Gott dem Herrn erhoben, und ich umfasse die ganze Welt, und es erscheint mir, ich sei nicht auf der Erde, sondern stünde im Himmel, in Gott. Und dieser er- habeneZustand,in dem ich nun bin, ist überden anderen Zuständen, dieich bisher besass; denn eristvon so grosser Fülle und von so grosser Klarheit und Gew^issheit und Veredlung und Erweiterung, dass ich fühle : kein anderer Zustand kommt ihm nahe. Und dieses Offenbaren Got- tes hatte ich mehr als tausendmal; immer neu und im- mer in verschiedener Weise.

10 Buber, Konfesdonen

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KATHARINA VON SIENA(i 347— 1 380)

Aus den Aufzeichnungen des Raimund von Capua, ihres Beichtvaters

ALS sie einmal, von vielen Schmerzen belastet, auf JhremBettleinlag und mit mir etliche ihrvomHerrn offenbarte Dinge zu besprechen begehrte, Hess sie mich im Geheimen rufen. Und als ich zu ihr gekommen war und an ihrem Lager stand, begann sie, wiewohl fiebernd, nach der gewohnten Weise von Gott zu reden und die Dinge zu erzählen, die ihr an diesem Tage offenbart wor- den waren. Da ich aber so Grosses und Unerhörtes hörte, sprach ich in mir selber, der ersten vordem empfangenen Gnade uneingedenkundundankbar: »Vermeinst du, alle die Dinge, die sie sagt, seien wahr.?*« Und während ich so dachte und mich ihr, die redete, zukehrte, verwandelte sich in einem Augenblick ihr Angesicht in das Angesicht eines bärtigen Mannes, der, mich mit starren Augen be- trachtend, mir einengrossen Schrecken gab. Unddas Ant- litz war länglich, von mittlerem Alter, und hatte einen nicht langen Bart von der Farbe des Kornes, und wies im Anblick eine solche Majestät, dass es dadurch sich als der Erlöser offenbarte. Auch konnte ich dazumal kein an- deres Angesicht unterscheiden als dieses. Und da ich, be- stürzt und entsetzt, dieHändezudenSchulterngehoben, ausrief: »Wer ist es, der mich anschaut.f^« antwortete die Jungfrau: »Er der ist« . Als dies gesagt war, verschwand dieses Angesicht plötzlich, und ich sah deutlich die Züge der Jungfrau, die ich vorher nicht zu unterscheiden ver- mochthatte. Als sie einmal mit grosser Inbrunst betete, sprechend mit

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dem Propheten : » Ein reinesHerz schaffe mir, o Gott, und einen getreuen Geist erneuere in meinem Innern«, und sonderlich bat, dass der Herr ihr eignes Herz und ihren eignenWillen ihr nehme, tröstete er selber sie mit diesem Gesichte. Es erschien ihr, der ewige Bräutigam kämein gewohnter Art zu ihr, öffnete ihre linke Seite, nähme ihr Herz heraus und schiede von ihr, sie aber bliebe gänzlich ohne Herz zurück. Dieses Gesicht war so nachhaltig und dem Gefühle des Fleisches so einträchtig, dass sie in der Beichte dem Beichtvater sagte, sie habe kein Herz mehr in der Brust; und da er ob dieses Wortes scherzte, und scherzend sie in gewisser Weise tadelte, wiederholte sie, was sie gesagt hatte, und bestätigte es, sprechend: »In Wahrheit, Vater, soweit ich nach dem körperlichen Ge- fühleerkennenkann, dünke ich mich, desHerzensdurch- aus zu entbehren, da mir der Herr erschien, mir die linke Seite öffnete, dasHerz herausnahm und schied « . Und als er erwiderte, essei unmöglich, dasssieohne ein Herz leben könnte, erklärte die Jungfrau des Herrn, bei Gott sei kein Ding unmöglich, und sie glaube gewisslich, des Herzens beraubt zu sein. Und so wiederholte sie viele Tage das Gleiche und sagte, sie lebe ohne Herz. Da sie aber eines Tages in derKapelle derBrüderPredigerordens zuSiena, wo sich dieSchwesternzuversammelnpflegen, nachdem Fortgehen der andern im Gebete verblieben war und so- dann, aus dem Schlafe der gewohnten Ablösung er- wachend, sich erhob, um nach Hause zurückzukehren, erglänzte plötzlich rings um sie ein Licht des Himmels, und in dem Licht erschien ihr der Herr, der in seinen ge- weihten Händen ein rötliches und leuchtendes Men- schenherz trug. Und da sie bei der Ankunft des Urhebers

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des Lichtes zitternd zur Erde fiel, nahte ihr der Herr, öff- nete von neuem ihre linke Seite, legte jenes Herz hinein, das er in seinen Händen trug, und sprach: »Siehe, viel- liebesTöchterlein, wie ich am andern Tage dir dein Herz genommen habe, so gebe ich dir jetzt mein Herz, mit dem du fortan leben wirst « .

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KATHARINA VON GENUA (i 447— 1 510)

DIE reine und klare Liebe kann von Gott kein Ding wollen, so gut es auch sein mag, das Teilnahme hiesse,denn sie will Gott selber,den ganzen reinen, klaren und grossen wie er ist; und wenn ihr das kleinste Pünkt- chen fehlte, sie könnte sich nicht zufrieden geben , ja es würde ihr scheinen, sie sei in der Hölle. Darum sage ich, dass ich keine erschaffene Liebe will,keine Liebe,die man kosten, fassen und geniessen kann. Ich willnicht, sageich, eine Liebe, die durch den Verstand, durch das Gedächt- nis, durch den Willen ginge; denn die reine Liebe über- schreitet alle die Dinge und geht über sie hinweg und spricht : Ich werde mich nicht beruhigen, bis ich verschlos- sen und eingetan bin in jenen göttlichen Busen, wo sich alle geschaffenen Formen verlieren und so verloren gött- lich bleiben. Und anders kann sich nicht beruhigen die reine, wahrhafte und klare Liebe. Ich habe daher beschlossen, solange ich lebe, zuder Welt zu sprechen; Aussen tue mit mir, was du willst, aber im Innern lasse mich ; denn ich kann nichtund willnicht, und möchte nicht wollen können, mich beschäftigen, es sei denn in Gott allein, der sich mein Inneres genommen und es in sich so eingeschlossen hat, dasser keinem öffnen will. Wisse, dass er nichts anderes tut, als diese Menschheit, sein Geschöpf, innen und aussen auszehren ; und wenn sie ganz in ihm aufgezehrt sein wird, werden sie beide aus die- sem Körper gehen und vereinigt zur Heimat aufsteigen. Ich kann daher im Innern nichts anderes sehen als ihn, da er keinen anderen einlässt, und mich selber weniger als die andern, weil ich ihm feindseliger bin.

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Und wenn es dennoch geschieht und mir not tut, dass ich dieses Ich nenne, um des Lebens derWeltwillen,die nicht anders zuredenweiss,nämlich wenn ichmichnenneoder von anderen genannt werde, spreche ich in mir : Mein Ich istGott, und keinandereslchkenneich,alsdiesenmeinen Gott. Das Gleiche sage ich, wenn ich vom Sein spreche. Jedes Ding, das das Sein hat, hat es von der höchsten Wesenheit Gottes durch die Teilnahme; aber die reine und klare Liebe kann sich nicht damit begnügen, sich durch Teilnahme Gottes teilhaftig geworden zu sehen, und nichtdamit, dass er in ihr als Kreatur sei, wie er in an- deren Kreaturen ist, von denen die einen mehr, die an- deren weniger an Gott teilhaben. Diese Liebe kann sol- ches Gleichnis nicht ertragen, sondern mit grosser ver- liebter Gewaltspricht sie : Mein Sein ist Gott, nicht durch Teilnahme, sondern durch wahre Verwandlung und durch Vernichtung des eigenen Wesens . . . So ist in Gott mein Sein, mein Ich, meine Stärke, meine Seligkeit, mein Trieb. Aber dieses Ich, das ich jetzt so oft nenne, ich tue es, weil ich anders nicht reden kann, in Wahrheit jedoch weiss ich nicht mehr, was das Ich sei oder dasMein oder derTrieb oderdasGute oder auch die Seligkeit. Ich kann das Auge auf kein Ding mehr richten, wo es auch sei, im Himmel oder auf der Erde. Und sage ich doch einige Worte, die in sich die Gestalt der Demut oder der Geistigkeit haben, drinnen im Innern weiss ich nichts,fühle ich nichtsdavon ; ja ich binbestürzt, da ich so vieleWorte sage, die von der Wahrheit und von dem,was ich fühle, so sehr verschieden sind.

Ich will keine Liebe, die für Gott oder in Gott wäre. Ich 150

kann dieses Wort /wr, dieses Wort in nicht sehen, denn sie deuten mir auf einDinghin, daszwischen mirund Gott sein könnte. Dieses aber kann die reine und klare Liebe nichtertragen,unddieseReinheitundKlarheitistso gross, wie Gott selber ist, um sein eigen sein zu können.

Ich finde in mir durch die Gnade Gottes eine Befriedigung ohne Nahrung, eine Liebe ohne Furcht, nämlich dass sie mir je fehlen könnte. Der Glaube scheint mir im ganzen verloren, die Hoffnung gestorben; denn ich scheine mir zu haben und in Gewissheit zu hallen das, was ich zu an- deren Malen glaubte und hoffte. Ich sehe keine Einung mehr, denn ich weiss nichts mehr und kann nichts mehr sehen, als ihn allein ohne mich. Ich weiss nicht, wo das Ich ist, noch suche ich es, noch willich davon wissen, noch Kunde haben. Ich bin so eingesetzt und untergetaucht in der Quelle seiner unmessbaren Liebe , als wäre ich im Meere ganz unter Wasser und könnte von keiner Seite ir- gend ein Ding tasten, sehen, fühlen alsWasser. So bin ich eingetaucht in dem süssen Feuer der Liebe,dass ich nichts anderesfassen kann, alsdieganze Liebe, die mir allesMark derSeeleund des Körpers schmelzt. Und zuweilen fühle ich mich so, als ob der Leib ganzaus weichem Stoffe wäre ; und durch dieEntfremdung, in der ich zu den körperlichen Dingen stehe, vermag ich ihn nicht zu tragen. Daher scheint es mir, ich sei nicht mehr von dieser Welt, da ich nicht mehr wie die anderen die Werke derWelt tun kann; ja jede Handlung, die ich von anderen sehe, stört mich, denn ich wirke nicht,wie sie, noch wie ich selbst zu tun pflegte. Ich fühle mich ganzden irdischen Dingen ent- fremdet, und den meinen am meisten; so dass ich, bei

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ihrem blossem AnblickjSienichtmehrertragenkann. Und ich sage zu jedem Dinge : Lasse mich gehen,denn ich kann deinnichtmehrSorgenochGedächtnishaben, sondern es ist so, als ob du für mich nichtda wärest. Ich kann nicht ar- beiten, nicht gehen, nicht stehen, nicht reden, sondern all dies scheint mir ein unnützes und der Welt überflüssiges Ding. Viele wundern sich darüber,und da sie die Ursache nichtverstehen,nehmensieAnstoss.Undwahrlich,wenn nicht dies wäre, dass Gott mir beisteht, würde ich man- ches Mal von der Welt für toll gehalten werden ; und dies ist, weil ich fast immer ausser mir selber lebe.

Gott ist Mensch geworden, um mich zu Gott zu machen, daher will ich ganz reiner Gott werden.

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MARIA MAGDALENA DE' PAZZI(i 566—1607)

7\ USSER der beständigen Inbrunst, die Ihr das Herz .jT^schmelzen, sie unablässig an Gott denken, von Gott reden, für Gott wirken machte und sie oftmals von Sinnen brachte und ganz In Gott setzte, kam sie zuweilen In eine so grosse Glut, dass sie sich nicht mehr In Ihrer Brust ver- schlIessenlIess,sondernsIchüberIhrAngesIcht,InIhrTun ergoss und InIhrenWorten ausbrach. Sie, die gewöhnlich infolge der Busseübung schwach, hinfällig, bleich und ab- gezehrt war, erstarkte ganz, wenn sie von diesen Flam- men derLIebeüberraschtwurde,undIhr Angesichtwurde voll und glühend, Ihre Augen wie zwei glänzende Sterne, und der Blick heiter und froh wie eines seligen Engels. Sie fand keine Ruhe, kein Bleiben. Um diese Glut auszu- schütten, die sie In sich nicht halten konnte, war sie ge- zwungen, sich zu regen und In wunderbarerWelse zu be- wegen. Daher sah man sie In diesen Ausbrüchen schnell von Ort zu Ort laufen ; wie rasend vor Liebe ging sie durch das Kloster und rief mit lauter Stimme: »Liebe, Liebe, Liebe.« UnddasIeelnensogrossenBrandderLIebenlcht ertragen konnte, sprach sie: »O mein Herr, nicht mehr Liebe, nicht mehr Liebe« ... Zu den Schwestern, die ihr folgten, sagte sie: »Ihr wisset nicht, teure Schwestern, dass mein Jesus nichts anderes ist als Liebe, ja toll von Liebe. Toll von Liebe, sage ich, bist du, mein Jesus, und stets werde ich es sagen. Du bist ganz lieblich und fröh- lich, du erquickst und tröstest, du nährst und vereinigst, du bist Pein und Kühlung, Mühe und Rast, Tod und Le- ben in einem. Was ist nicht in dir.r' Du bist weise und mut- willig, erhaben und masslos, wunderbar und unsäglich« .

Andere Male brannte sie vor Begier, dass dieser liebende Gott von den Menschen erkannt und verehrt werde, und zum Himmel gewendet sprach sie : » O Liebe, o Liebe ! gib mireinesostarkeStimme,omeinHerr,dasswennsiedich Liebe nennt, sie gehört werde vom Osten bis zumWesten und von allen Teilen der Welt bis in die Hölle, damit du erkanntundverehrtwerdestalsdiewahre Liebe. O Liebe, du durchdringst und durchbohrst, du zerreissest und bin- dest, du regierst alle Dinge, du bist Himmel und Erde, Feuer und Luft, Blut und Wasser: du bist Gott und Mensch«.

Einem Bilde des Jesuskindes die Zierate abstreifend, sprach sie: »Ich will dich nackt, o mein Jesus, denn ich könnte dich in der Unendlichkeit deiner Tugenden und Vollkommenheiten nicht ertragen ; ich will deine nackte, nackte Menschheit« .

Aus ihren Mitteilungen

Ich sah, dass Jesus sich seiner Braut mit engster Einung vereinigte, sein Haupt auf das Haupt seiner Braut legte, seine Augen auf die ihren, seinen Mund , seine Hände, seine Füsse, alle seine Glieder auf die ihren, so dass die Braut Ein Ding mit ihm wurde und alles wollte, was der Bräutigam wollte, alles sah, was der Bräutigam sah, alles kostete, was der Bräutigam kostete. Und nichts anderes will Gott, als dass die Seele sich ihm in dieser Weise ver- einige und dass er ganz mit ihrvereinigt sei. Und wenn die Seele ihr Haupt an Jesu Haupte hat, kann sie nichts wol- len, als sich mit Gott zu vereinigen, und dassGott sich ihr vereinige. Gott sjeht sich ganz in sich und aus sich allein

ist er seiner fähig und sieht sich selber in allen Kreaturen, auch in denen, die kein Empfinden haben, und in ihnen durch die Kraft, da er ihnen das Sein gibt und sie wirken und fruchttragen macht. So sieht die Seele, da sie ihre Augen an denen Jesu hat, sich selbst in Gott und Gott in allen Dingen.

Nach der allerheiligsten Kommunion betrachtete ich die grosse Einung der Seele mit Gott durch das Sakrament, und in einem Augenblick fand ich mich ganz mit Gott ge- eint, in Gott verwandelt, und ausserhalb aller leiblichen Empfindung, so dass ich, hätte man mich in einen Feuer- ofen geworfen und verbrannt, nichts verspürt hätte. Ich wusste nicht, ob ich tot, ob lebendig, ob im Leibe, ob in der Seele, ob auf der Erde, ob im Himmel sei; ich sah al- lein den ganzen glorreichen Gott in sich selber, sich selber lauterlieben, sichselberunendlich erkennen, allegeschaf- fenen Dingeinlauterer unendlicher Liebe umfangen, eine Einheit in Dreien, eine ungeteilte Dreifaltigkeit, ein Gott an Liebe schrankenlos, an Güte allerhaben, unfassbar und unforschbar: so dass ich, da ich mit ihm war, nichts mehr von mir fand ; sondern nurdieses sah ich, dass ich in Gott bin, aber mich sah ich nicht, nur Gott allein.

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THERESA VON JESU (i 5 1 5—1 582) Brief an ihren Beichtvater, Pater Rodrigo Alvarez

ES ist so schwer,von den inneren Dingen zu sprechen, und noch schwerer, dies auf eine Art zu tun, dass sie verstanden werden könnten, namentlich aber in kur- zer Weise, dass, wenn es der Gehorsam nicht wirkt, es ein Schwieriges ist, das Rechte zu treffen, zumal bei so schwierigen Gegenständen. Es schadet wenig, wenn ich Ungereimtes vorbringe, da dieses in Hände kommt, wel- che noch grössere Torheitenvon mir erhalten haben wer- den. In allem,was ich sagen werde, bitte ich Euer Gnaden zu bedenken, dass ich keineswegs die Absicht habe zu meinen, ich hätte das Rechte getroffen; denn es könnte möglich sein, dassichesselbernichtverstünde.Versichern aber kann ich, dass ich nichts sagen werde, was ich nicht einige Male oder viele Male selbst erfahren habe. Ob es gut sei oder nicht, mögen Euer Gnaden beurteilen und mich davon in Kenntnis setzen . . . Das erste, wie mir scheint, übernatürliche Gebet, das ich in mir wahrgenommen habe, . . . isteine innerlicheSamm- lung, die in der Seele so empfunden wird, dass es ihr vor- kommt, als habe sie andere Sinne als die äusseren und als wolle sie sich aus dem Getöse dieser äusseren zurück- ziehen. Es zieht sie zuweilen so nach sich, dasssiedie Lust anwandelt, die Augen zu schliessen und nichts zu sehen, nichts zu hören, nichts zu verstehen, als das, womit die Seele sich eben beschäftigt, nämlich mit Gott ganz allein zu verhandeln. Es verliert sich hier kein Sinn, keine Kraft, alles bleibt unversehrt, jedoch nur um mit Gott umzu- gehen. Dem so etwas gegeben wurde, wird es leicht ver-

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stehen, nicht aber, wem es nicht geschah ; wenigstens be- darf es bei einem solchen vieler Worte und Gleichnisse. Aus dieser Einsammlung entsteht oftmals eine Ruhe und ein innerer Frieden, wobei die Seele sich also befindet, dass ihr nichts zu tun übrig scheint; sogar das Reden ist ihr lästig, ich meine das Hersagen des Gebetes und das Sinnen der Betrachtung; sie will nichts als Liebe. Dies währt eine Weile, und manche Weile. Aus diesem Gebete geht gewöhnlich ein Schlaf hervor, den man den Schlaf der Kräfte nennt, die jedoch weder so betäubt noch so schwebend sind, dass man ihn eine Verzückung nennen könnte; es ist auch keine Einung. Zuweilen, ja oftmals nimmt die Seele wahr,dass ihrWille allein geeint ist, und erkennt sehr klar (so scheint es mir wenigstens), dass er ganz in Gott beschäftigt ist. Zugleich fühlt die Seele die Unmöglichkeit, etwas Anderes zu sein und etwas Anderes zu wirken. Die beiden andern Seelen- kräfte sind frei für alle Geschäfte und Übungen im Dienste Gottes . . .

Wenn eine Einung aller Seelenkräfte geschieht, ist es ganz anders; denn alsdann können sie in keinem Dinge wirken, denn derVerstand ist wie entsetzt. DerWille liebt mehr, als er versteht; aber er versteht auch nicht, ob er liebt, noch was er tut, dass er es sagen könnte. Das Ge- dächtnis ist, wie mir scheint, hier gar nicht da, noch das Denken, und die Sinne nicht wach, sondern es ist, als ob man sie verloren hätte, damit die Seele dem, was sie ge- niesst, mehr obliegen könne, wie mir scheint. Dieser Zu- stand verliert sich in kurzer Zeit und geht schnell vor- über . . . Die Verzückung und die Erhebung sind,wie mich dünkt,

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eines . . . Der einzige Unterschied zwischen ihr und der Verzückung ist dieser : die Verzückung dauert länger und ist im Äusseren wahrnehmbarer. Der Atem wird so ver- kürzt, dass man nicht reden, auch die Augen nicht auftun kann... Wenn dieVerzückunggrossist,werdendieHände eiskalt und strecken sich zuweilen aus wie Stangen, und der Körper verharrt in dem Zustand,worin sie ihn ergriff, auf den Füssen oder kniend. Die Seele steht dabei so sehr im Genüsse dessen, was der Herr ihr darstellt, dass es ist, als vergesse sie den Leib zu beleben und lasse ihn hilf- los zurück. Dauert dieser Zustand länger an, so bleibt in den Gliedern eine Empfindung davon zurück . . . Der Unterschied, der zwischen der Verzückung und der Hinwegführungbesteht, istdieser, dassin derVerzückung die Seele allmählich den äusseren Dingen abstirbt, die Sinne verliert und Gott lebt ; die Hinwegführung aber fin- det sich mit einer einzigen Erkenntnis ein, die Gott mit einer solchen Schnelligkeit dem Innersten der Seele ein- gibt, dass es scheint, ihr höherer Teil werde entführt; es dünkt sie, er enthebe sich dem Leibe. Und sie bedarf im Anfang des Mutes, um sich in die Arme des Herrn zu werfen, dass er sie hebe, wohin er will. Denn solange Gott die Seele nicht in den Frieden setzt, wohin er sie er- heben will erheben, sage ich, damit sie hohe Dinge ver- nehme — muss sie wahrlich im Anfange wohl entschlos- sen sein, für ihn zu sterben; denn die arme Seele weiss nicht, was daraus werden solle . . . Der geistige Flug ist ein Etwas, das ich nicht zu nennen weiss und das aus dem inneren Seelengrunde aufsteigt . . . Eskommtmirvor,alsmüsstenSeeleundGeistEinWesen sein. Etwa wie ein Feuer, das gross werden soll und alles

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zum Brennen bereit hat, so Ist die Seele mit der Bereit- schaft, die sie für Gott hat, wie ein Feuer; es entbrennt schnell,wirft eine Flamme und lodert empor, obwohl das Feuer in seinemWesen unten ist, auch dadurch nicht auf- hört, Feuer zu sein, dass die Flamme nach oben steigt. So begegnet es der Seele, die aus sich so schnell etwas und zwar etwas so Köstliches hervorbringt, das in die oberen Sphären steigt und dahin kommt, wo Gott es haben will. Es erscheint in Wahrheit als ein Flug; ich weiss kein an- deres mehr geeignetes Gleichnis. Ich weiss nur, dass man den geistigen Flug sehr deutlich wahrnimmt und dass man ihn nicht verhindern kann.

Es scheint, als ob jenes Vöglein, der Geist, diesem Elend desFleisches,diesemKerkerdes Leibessich entschwinge, damites,ausihmbefreit,sichmehrdem hingeben könne, was der Herr ihm gewährt. Es ist ein so zartes und feines, köstliches Ding darum , soweit die Seele es verstehen kann, dass es ihr vorkommt, es könne darin keine Täu- schung obwalten, noch in irgendeinem dieser Dinge. Ist der Zustand vorüber, so bleibt ein Bangen zurück, weil, der da empfing, so gering ist, dass er alle Ursache zur Furcht zu haben meint; wiewohl im Innern derSeeleGe- wissheit und Zuversicht bleiben . . . Den Ansturm nenne ich eine Begierde, die die Seele zu- weilen befällt, ohne dass ein Gebetvoraufgegangen wäre; meistens ist auch eine jähe Kunde da, dass Gott nicht hier sei, und kein Wort, das die Seele vernähme, das zu ihm ginge. Diese Kunde ist zuweilen so mächtig und von sol- cher Stärke, dass sie in einem Augenblick von Sinnen bringt. Wie wenn einem Menschen plötzlich eine schmerzliche Nachricht oder eine grosse Überraschung

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mitgeteilt wird oder anderes dieser Art, das dem Gedan- ken die Überlegung raubt, sich trösten zu können, sodass er wie betäubt ist. So ist es auch hier, nur dassdie Pein von einer solchen Sache kommt, von der die Seele die Er- kenntnis hat, dass ein Tod für sie wohl angewandt ist. Daher kommt es, dass alles, was die Seele nun empfängt, ihr nur zu grösserer Pein gereicht, als wolle der Herr nur dies, dass ihr ganzes Sein zu nichts anderem nütze sei und dass sie keinen Trost erhalten noch sich erinnern solle, es sei Gottes Wille, dass sie lebe. Sie vermeint viel- mehr, in einer grossen Einsamkeit und Verlassenheit von allem zu sein, die sich nicht beschreiben lässt; denn die ganze Welt mit allen ihren Dingen macht ihr Pein und es kommt ihr vor, als ob keine Kreatur ihr Gesellschaft leis- ten wolle.

Die Seele begehrt nichts als ihren Schöpfer; sie erkennt nun, wie dieses ohne ihren Tod unmöglich ist; da sie sich aber nicht selbst töten darf, stirbt sie aus Verlangen zu sterben dergestalt, dass in Wahrheit Gefahr des Todes darinist.Sieerblicktsich gleichsam zwischenHimmelund Erde hängend und weiss nicht, was sie aus sich machen soll. Von einer Zeit zur andern gibt Gott ihr eine Kennt- nis seiner, auf das sie innewerde,wassieentbehrt;diesge- schieht auf eine so seltsame Art, dass man es nicht sagen kann, noch die Pein beschreiben; denn es gibt auf Erden keine, wenigstens unter allen, die ich erllttenhabe, dieihr gliche. Wenn sie nur eine halbe Stunde währt, wird der Körper so aus seiner Verbindung gebracht und die Ge- beine so zerrissen, dass den Händen nicht mehr so viel Kraft bleibt, dass sie zu schreiben vermöchten . . . Von alledem spürt die Seele nichts , bis jener Ansturm

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vorüberist. Dennsiehatgenug damit zutun, ihn Innerlich zu fühlen, und ich glaube , sie würde schwere Martern nichtverspüren.SieistjedochbeivollenSinnenundkann reden und blicken, gehen aber nicht,weil der grosseStoss der Liebe sie niedergeworfen hat . . . Die Seele erkennt wohl, dass es eine grosse Gnade des Herrn ist; dauerte es aberan,dasLeben würdenichtlangemehrstandhalten . . . Eine andere Art des Gebetes gleicht einer Verwundung, die der Seele in Wahrheit erscheint, als ob sie ein Pfeil durch das Herz, In Ihr Eigenstes träfe. Das erweckt einen grossen Schmerz, der in Klagen ausbricht, aber so süss ist, dass die Seele seiner nie entbehren möchte. Dieser Schmerz ist nicht ein Empfinden der Sinne, noch ist zu verstehen, dIeWunde sei eine leiblicheWunde, denn nur im Innern der Seele ist der Eindruck, ohne dass ein Leid des Körpers erschiene. Aber da es nicht anders kundzu- geben ist als durch Gleichnisse, geraten sie wohl plump, allein ich weiss es aufkelneandereWeisezusagen. Solche Dinge lassen sich weder sagen noch schreiben ; denn es ist keinem möglich sie zu begreifen, alsdem, der es selber er- fahren hat, ich meine wie tief der Schmerz eindringt

Zuandern Malen erscheintes, alsob dleseWundederLIe- be aus dem Innern Grunde der Seele die grossen Bewe- gungen hervorlockte,dieheraufzubringen,wenn der Herr sie nicht gibt, sie durchaus nicht vermag, deren sie sich nicht erwehren kann, wenn es sein Wille ist, sie ihr zu geben. Diese Bewegungen sind so lebendige und zarte Wünsche nach Gott, dass man sie nicht aussprechen kann ; da aber die Seele sich gefesselt sieht, dass sie Gott nicht , wie sie möchte , genlessen kann , fasst sie einen grossen Abscheu gegen den Leib. Er erscheint der Seele

II Buber, Konfessionen

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wie eine hohe Mauer, die sie verhindert, daszugeniessen, was sie vor dieser Zeit, wie ihr scheint, ohne dasHemm- nisdes Leibes in sich geniessen würde.

Brief an Petrus von Alcantara

Die Weise, die ich jetzt im Gebete inne halte, ist diese: Selten vermag ich, wenn ich im Gebete bin, mit dem Verstände nachzudenken, denn alsbald beginnt dieSeele sich einzusammeln und in die Ruhsamkeit oder Verzük- kung zu gelangen, so dass siedieSinne durchaus nicht ge- brauchen kann, dasGehör etwaausgenommen, undauch dieses taugt dann nicht, etwas anderes zu vernehmen. Es geschieht mir oftmals, dass ich, ohne irgendwie an Gott denken zu wollen, vielmehr ganz anderen Dingen nachsinnend, und in derMeinung, ich könnte es bei noch so starkem Bemühen nicht zum Gebetebringen, weil ich in grosser Dürre bin, wozu die körperlichen Schmerzen beitragen, so jählings von der Einsammlung und der geistigen Erhebung ergriffen werde, dass ich mich nicht bewahren kann. Aber ein Augenblick reicht hin, um die Wirkungen und den Gewinn zu hinterlassen, die daraus folgen. Das vollzieht sich, ohne dass ich eine Vision hätte oderetwas vornähme, oder wüsste,woich bin, nurscheint mir meine Seele sich zu verlieren. Zugleich aber schaue ich sie in so grossem Gewinne, dass, wenn ich auch ein ganzes Jahr daraufwenden wollte, ihn zu erlangen, es mirunmöglich gelingen würde.

AndereMaleüberfälltmicheinsomächtigerAnsturmmit einem solchen Zergehen vor Gott, dass ich mich nicht wahren kann. Es dünkt mich, mein Leben wolle zer- rinnen, und so treibt esmich, laut aufzuschreien und Gott

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anzurufen. Dies überfällt mich mit grosser Gewalt. Zu- weilen vermag ich nicht, sitzenzubleiben, so grosseÄngste werden mir eingetan. Diese Pein kommt mir, ohne dass ich danach trachte, sie ist jedoch so beschaffen, dass die Seele nimmer, so lange sie lebt, aus ihr herauskommen möchte. Diese Ängste meinen den Willen, nicht mehr zu leben,und eserscheintun^, aiskönne manimLebenkeine Hilfe empfangen, der Tod aber sei das Mittel, Gott zu sehen, ihn aber darf man sich nicht erwählen. Damit scheint es dann meinerSeele, aisseien alle wohlgetröstet, nur sie nicht, und als fänden alle Hilfe in ihrer Trübsal, nur sie nicht. Dies schafft eine solche Bedrängnis, dass, gewährte der Herr nicht Hilfe mit einer Verzückung, in der sich alles beruhigt und die Seele in grossen Frieden und grosses Genügen kommt, es unmöglich wäre, aus dieser Pein sich su befreien.

Noch andere Male ergreift mich eine Begierde, Gott zu dienen, unter einem so heftigen Ansturm, dass ich ihn nicht gross genug darstellen kann; ihn begleitet ein Schmerz über dieWahrnehmung, wie wenig nutzichbin. Alsdann dünkt es mich, mir könne nichts, keine Be- schwerde, keinTod, keine Martergeschehen, dieich nicht mit Leichtigkeit ertragen müsste. Dies geschieht eben- falls ohne Nachdenken in einem Augenblicke, darin ich mich gänzlich verwandle, ohne dass ich wüsste, woher solche Kraft mir kommt. Ich vermeine, ich müsste laut rufen und allen zu erkennen geben, wie notwendig es für sie ist, sich nicht mitWenigem zu begnügen, und wie gross das Gut ist, das Gott uns geben wird, wenn wir uns dafür bereiten. Ich sage, dass jenes Verlangen so heftig ist, dass ich mich in mir selber zerstöre. Es scheint mir

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dann, ich begehrte das, was mir nicht möglich ist. Es scheint mir, ich sei an diesen Leib gebunden worden, um ausserstand zu kommen, Gott und meinem Orden auch nur in etwas zu dienen. Denn stünde ich nicht darin, ich würdeungemeineDinge vollbringen, soweitmeineKräfte es ermöglichen. Weil ich nun sehe, wie ganz ohne alle Macht ich bin, Gott zu dienen, empfinde ich diesen Schmerz dermassen, dassich ihn nicht darstellen kann. Zuletzt aber erlange ich die Gabe: die Tröstung Gottes.

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ANNA GARCIAS (ANNA A SAN BARTOLOMEO, 1549 1626)

ICH sah einmal meine Seele beschaffen wie ein kleines Seiden würmlein, dasvon denen, die es aufzogen, fleissig gespeist und sorgfältig bewahrt wird. Wenn es aber er- wachsen ist, fängt es an mit seinem Schnäblein ein zartes Seidenfädchen zu spinnen und sich ein kleines Hüttchen zu machen, wobei es eine solche Süssigkelt geniesst, dass es sein Sterben nicht merkt, bis es, aller seiner Kräfte beraubt. In seiner Schale eingeschlossen und tot bleibt. Nun sah meine Seele etwas Ähnliches In sich, denn eben mit einer solchen Süssigkelt und Stille gab sie Gott dem Allmächtigen alles, was sie an sich hatte, und schloss sich wie das Seidenwürmlein in Ihrem NIchtwesen und der Erkenntnis ihrer Nichtigkeit ein mit einer süssen Liebe, die spinnt alle Zeit in meinem Herzen, das nicht mehr sein und leben will, denn Sterben Ist das wahre Leben def Seele.

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ARMELLE NICOLAS (1606— 1671)

ICH sah mich wie eine arme Missetäterin an, die in ihres Fürsten Gunst und Freundschaft zu kommen begehrt ... je elender ich mich sah, desto mehr wünschte ich mit dem, den ich als mein einziges Gut und mein Alles er- kannte, mich zu vereinigen.

So brachte ich die ganze Passionszeit zu. Am Charfreitag aber ging ich in die Predigt. Da ich da noch keine Viertel- stundelangvon den Leiden meinesHeilandsredengehört hatte, war mein Herz schon von Schmerzen so gewaltig gerührt und durchbohrt, dass ich, weil ich nicht mehr bleiben konnte, gezwungenwar, wegzugehen, ausFurcht, esmöchtemirinStückezerspringenoderdochseineheftige Bewegung auf die eine oderdie andereWeiseoffenbaren. Ich ging dann nach Hause, wo zur Zeit kein Mensch war. Da schloss ich mich ein und lief von einem Ort zum andern und rief, dass mir der Atem ausging, wie eine Rasende oder wie eine, die ganz ausser sich selbst ist. Hernach warf ich mich auf die Erde und schrie : » Gnade, Herr, Gnade ! « Ich bat die ganze Himmelsschar um Bei- stand und beschwor alle Heiligen, mir zu helfen .Und mich zu Gott kehrend , sagte ich zu ihm mit flammender Inbrunst : » O mein Herr und mein Gott, siehe der Tag ist gekommen, da ich ganz dein sein muss. Reinige und wasche mich in deinem teuren Blut. Salbe mein Herz mit demÖldeinerBarmherzigkeit.Durchbohremichmitden Pfeilen deiner heiligen Liebe. Nimm mich in die Zahl deiner Jüngerinnen auf. Zeige dich mir und vereinige mich mit dir«. Mitten in diesem Gebet, da ich eben diese Worte sagte,

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die mir innerlich eingegeben und gleichsam vorgespro- chen wurden denn ich selber wusste nicht, was lehr sagte, verstand auch den Sinn dieser Worte nicht, noch auch die darin enthaltenen Geheimnisse, allein ich war ge- nötigt und gezwungen, sie zu sprechen und dieses tat ich mit einer gewaltigen Heftigkeit , dass mich dünkte , jedes Wort wäre ein scharfer, spitziger Pfeil, um bis in Gottes Herz hineinzudringen wie ich nun mitten in diesem Gebet lag und mich abgemüht und abgequält hatte, da wurde ich in einem Augenblick auf den höchsten Bo- den des Hauses geführt und wusste doch nicht wie , son- dern ich fand mich da, ob ich gleich vorhin nicht daran gedacht hatte.

Da warf ich mich auf die Erde, weil ich mich nicht mehr halten und tragenkonnte, sosehrwarichinalleräusserste AngstundNotgebracht. Und siehe, indemselben Augen- blick Hess Gott im Grunde meines Herzens einen Strahl seines göttlichen Lichtes leuchten, durch den er sich mir oflfenbarteundmir klar zu erkennen gab, dass der, nach dem ich so sehr verlangt hatte, in mich einging und mich in völligen Besitznahm. Wiemirdiesegrosse Gunstwider- fuhr, fand ich mich wie mit einem Licht ganz umkleidet und umgeben. Anfangs überfiel mich ein Entsetzen, aber es währte nur einen Augenblick, denn sogleich wurde mein Herz wieder in Sicherheit gesetzt und dergestalt verändert, dass ich mich selber nicht mehr kannte, und ich fühlte eine solche Sättigung aller Begierde, dass ich nicht wusste, ob ich im Himmel oder auf Erden war. Ich blieb einige Zeit unbeweglich wie ein gehauenes Bild, so- dass ich mich nicht regen konnte. Und von dieser Zeit an waren alle KräftemeinerSeelesoerfülltundvergnügtund

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in allen meinen Sinnen war ein so grosser Friede, dassich keineswegs zweifeln konnte, dass Gott sich nunmehr mit mir aufs Innigste vereinigt und verknüpft hatte, wieesbis- her mein inbrünstigerWunsch gewesen war. Und diese Wahrheit war in mir so unfehlbar gewiss, als hätte ich sie mit meinen eigenen Augen gesehen, denn das Licht, das mir damals mitgeteilt wurde, übertraf bei weitem alles, das man mit Augen sehen mag.

All mein Gut ist Gott allein, und weil er nunmehr durch seine grosse Barmherzigkeit und Güte ganz mein eigen ist, gleich wie ich ganz sein eigen bin, so ist es mir nicht mehr vonnöten, mich zu mühen, etwas von neuem zu erwerben. Ich habe weiter nichts zu tun, als in seinen Gütern zu ruhen; wie er in mirruht, ruhe ich auch in ihm, weil ich ganz in ihn eingeschlossenund vernichtetbin. Da finde ich mich selber nicht mehr,und wenn ich sage: » Ich geniesse, ich liebe, ich besitze «,sobinichs nicht mehr, die dieses empfängt, sondern seine Liebe ist meine Liebe, sein Reichtum ist mein Reichtum, sein Friedeistmeine Ruhe, seineWege sind meine Lust und mein Ergötzen und so ist es mit all seinen göttlichen Vollkommenheiten. Es gibt nunmehr nichts mehr, was ich verlangen könnte, denn ich bin mitGütern ganz überhäuft, muss auchnichtmehr fürchten, sie zu verlieren, denn sie gehören ihm allein, meiner Liebe und meinem Alles. Ich aberbesitze sienicht mehr mit Eigenheit, sodass ich nicht zu fürchten habe, dasssiemirgenommen werden könnten.

Jetzt ist Gott alles, ich aber bin nicht mehr, ich bin durch sein Erbarmen wieder dahin gekommen, woraus ich ge-

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gangen war. Er allein, und nichtmehrich selbst, lebt und regiert in mir, denn ich bin nicht mehr in mir selber, son- dern in ihm, wo ich mich nicht mehr finde, sondern mich verloren habe. Er istsallein,dersich selber das Leben gibt, denn ich sehe nun nichtsmehr, dasnichterselberwäre. . .

OLiebe! OunendlicheGüte! Ich kanndirnichtmehrent- fliehen, du läufst mir allenthalben voran und ich findedich allenthalben. Ich sehe dich jetzt nicht mehr durch eine Wolke, ich sehe dich ganz klar und offenbar, ohne Decke oder Vorhang. Nun ist nichts mehr zwischen dir und mir. Waswillst du, dassich tunsoll, undwiewerdeichkünftig- hin auf Erden leben können bei dieser grossen Helligkeit und diesem grossen göttlichen Feuer, das mich verzehrt.? Niemalshabeichmichin solch einemZustandebefunden. Die übermässige Gewalt, die ich fühle, übertrifft alles Übermass und ich weiss nicht mehr, wohin ich mich wenden, noch was ich sagen soll, nur dies, dass die Liebe mich überall aus mir selber hinwegführtund überall mich überwindet.

SeitdemFestmeinerheiligen Mutterhabeich meineSeele von allen Dingen los und frei gesehen, so rein, so einsam, soabgeschieden, dass es scheint, aiswohne sienichtmehr inmeinemLeibe,derwiemichdünktnichtsanderessucht als der Seele wie unempfindlich zu folgen. Ich habe keine Gedanken noch irgend etwas mehr, das mich aufhielte oder beschäftigte, wie es sonst gemeiniglich geschieht. DasWesenunddieUnermesslichkeitGottesistdereinzige Gegenstand, der meine Seele auf eine unbegreifliche Weise durchdringt und verzehrt und durch dieses Ver-

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zehrensiedergestaltausbreitet,dassichkeinZielundEnde davon sehen kann. Zuvor wollte ich alles tun und allesan- greifen, aber jetzt ist es ganz anders mit mir, denn nichts nähert sich mir mehr. Ich begreife alles und werde von nichts begriffen. MeineSeeleisteinsam, einfältig und rein, und wenn ich sie so sehe, sehe ich ein grosses Wunder. Wenn dieses noch einige Zeitinmirwährt,ichglaube, ich werde darüber sterben müssen. Ich gehe und wirke im Äusseren nachmeinerGewohnheit, ohnediesesSchauen zu verlieren, aber mein Gott nimmt es mir zuweilen und lässtzu, dass mir einige Gedanken ins Gemüt kommen, diemichdavonabwenden,sonstwäreich schongestorben. Die Liebe, die mich verzehrt, kann niemand aussprechen, niemandverstehen.Sieistunendlichundwächstdennoch alle Tage mehr und mehr.

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ANTOINETTE BOURIGNON (r6i 6—1680) Aus einem Briefe

UM die Anfrage zu beantworten, die Sie mir so oft wiederholt haben, nämlich, wie ich Gottvernehme und mit ihm rede, werde ich einfach sagen, was ich sagen kann.

Gott ist Geist, die Seele ist Geist : sie teilen sich einander im Geiste mit. EssindkeinesprachlichenWorte, sondern geistige Mitteilungen, die jedoch verständlicher sind als die kundigsten Beredsamkeiten der Welt. Gott gibt sich der Seele durch innere Bewegungen kund, die die Seele in dem Masse vernimmt und begreift, als sie von irdischen Vorstellungen ledig ist; und je mehr die Kräfte der Seele aufhören, desto verständlicher sind ihr die Bewegungen Gottes.

Die Mitteilungen Gottes sind unfehlbar, wenn die Seele alles Bildes leer ist und im Vergessen aller geschaffenen Dingesteht; aber sie sindzweifelhaft, wenn siedurch Ein- bildungen wirkt und die Empfindsamkeiten sucht oder etwas anderes, was nicht in blosser Weise Gott ist. Die Heiligen selbst haben in diesem Punkte geistige Eitelkei- ten begangen, durch Visionen, Stimmen, Ekstasen und andere Empfindsamkeiten , zu denen die Einbildungs- kraft beiträgt.

Gott ist reiner Geist, die gereinigte Seele verwandelt sich in ihn und bedarf keiner Worte und keines Blickes, um ihn zu vernehmen, ebensowenig wie wir des Auges oder der Zunge bedürfen, um unsere eigene Vorstellung zu vernehmen. . . Ich bin ein reinesNichts; aberGott istallesinmir. Erlehrt

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mich, erwirkt, er redet in mir, ohne dass die Natur dazu mehr beitrüge als das einfache Werkzeug, wie ein Pinsel zur Kunst eines schönen Gemäldes beiträgt.

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JEANNE MARIE BOUVIERES DE LA MOTHE

GUYON(i648— 1717)

EINE solche Seele empfängt alles aus dem Grunde unmittelbar, und von da ergiesst es sich sodann auf die KräfteundaufdieSinne,wieesGottwohlgefällt. Nicht also ist esmitden andern Seelen, diemittelbarempfangen: da fällt dasEmpfangene indie Kräfte und von davereinigt es sich mit dem Mittelpunkt. In jenen Seelenaber entlädt es sich aus dem Mittelpunkt auf die Kräfte und auf die Sinne. Sie lassen alles vorübergehen, ohne dass etwas auf ihren Geist oder auf ihr Herz einen Eindruck machte. Überdies erscheinen ihnen die Dinge, die sie kennen oder erfahren, nicht als aussergewöhnliche Dinge, als Weis- sagung und dergleichen, wie sie den anderen erscheinen ; man sagt sie ganz natürlich, ohne zu wissen, was man sagt, und warum man es sagt; ohne irgend etwas Ausser- ordentliches. Mansagtundschreibt,wasman nichtweiss; und es sagend und schreibend, sieht man, dass es Dinge sind, an die man nie gedacht hat. Es ist wie eine Person, die in ihrem Grunde einen unerschöpflichen Schatz be- sitzt, ohne je an ihren Besitz zu denken ; sie weiss ihre Reichtümer nicht, sie schaut sie nicht; aber sie findet, wenn es ihr nottut, in diesem Grunde alles, wessen sie be- darf. DieVergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft sind da in derArteines gegenwärtigen und ewigen Augen- blicks, nicht alsWeissagung, die die Zukunft als ein Ding betrachtet, das kommen soll, sondern alles in der Gegen- wartin ewigem Augenblick, in Gott selbergeschaut; ohne zu wissen, wie sie es sieht und kennt; mit einer sicheren Treue im Sagen der Dinge, wie sie gegeben sind, ohne Ab-

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sieht und Rückschau, ohne zu sinnen, ob man von der Zukunft oder der Gegenwart rede ; ohne sich darüber zu mühen, ob die Dinge sich erfüllen oder nicht, in dereinen Weise oder einer andern, ob sie die eine Deutung haben oder eine andre. Aus diesem also verlorenen Grunde gehen die Wunder hervor.

Aismein Geisterleuchtetworden war, wurdemeineSeele in eine unendlicheWeitegesetzt. Ich erkannteden Unter- schied derGnaden, die diesem Zustande vorausgegangen waren,undderen,dieihmgefolgtsind. Vordemsammelte und verband sich alles innen, und ich besass Gott in meinem Grunde und in der Heimlichkeit meiner Seele; dann aber war ich von ihm besessen, in einer so weiten, so reinen und so unendlichen Weise, dasses nichts Ähn- liches gibt. Einst warGott wie in mireingeschlossen,und ich war mit ihm in meinem Grunde vereinigt; dann aber war ich wie untergegangen in dem Meere. Ehemals ver- loren sich wohl die Gedanken und die Absichten, aber in einer, wiewohl wenig, bemerkbaren Weise, die Seele Hess sie fallen, und das ist noch ein Tun ; dann aber waren sie mir verschwunden, und in einersonackten, so reinen, so verlorenen Art, dass dieSeele keinerlei eignes Tun hat, so einfach und zart es auch sei ; zumindest keines, das zu ihrer Kenntnis geraten könnte. . . Diese Weite, die von keinem noch so einfachen Ding be- grenzt ist, wächstmit jedem Tage; sodass es scheint, die Seele, die an den Eigenschaften ihres Bräutigams teilhat, habe vorallem teil anselnerllnendllchkelt. Einst warman wie nach innen gezogen und eingeschlossen; dann ver- spürte Ich, dass eineHand, weit stärker als die erste, mich

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aus mir selberzog und mich ohne Blick, ohne Licht, ohne Erkennen in Gott versenkte.

Im Anfang des neuen Lebens sah ich klar, dass die Seele mit ihrem Gott ohne Mittel und Mittleres vereinigt war; aber sie war noch nicht vollkommen verloren. Sie verlor sich mit jedemTage in ihm, wie man einen Fluss, dersich im Ozean verliert, zuerst sich in ihn ergiessen, dann in ihm aufgehen sieht, so aber, dassder Fluss sich noch eineZeit- lang von dem Meere unterscheidet, bis er sich endlich all- gemach in das Meer selber wandelt, das, ihm allgemach seine Eigenschaften mitteilend , ihn so sehr in es um- tauscht, dass er mit ihm nur noch ein einziges Meer ist. Ich habe dieselben Dinge an meiner Seele erfahren, wie Gott sie allgemach in ihm selber verliert, sie aus ihrer Eigenheit zieht und ihr das Seine mitteilt.

DieSinne sind zuweilen wie schweifende Kinder, die um- herlaufen; aber sie verwirren nicht diesen Grund ohne Grund, der ganz verloren, ganz bloss ist und der durch nichts mehr gehindert wird, wie er durch nichts mehr ge- stützt wird.

Mein Gebet war immer das gleiche; nicht ein Gebet, das in mir wäre, sondern in Gott, sehr einfach, sehr rein und sehr klar. Es ist kein Gebet mehr, sondern ein Zustand, von dem ich wegen seiner grossen Reinheit nichts sagen kann. Ich glaube nicht, dass es auf der Welt etwas Ein- facheres und Einigeresgeben kann. Esistein Zustand,von dem man nichts sagen kann, weil er allen Ausdruck über- trifft; ein Zustand, in dem die Kreatur so ganz verloren

und versunken Ist, dass sie, mag sie auch aussen frei sein, innen nichts mehr besitzt. So ist denn auch ihrGlück un- wandelbar. Alles ist Gott und die Seele wird nur noch Gottes gewahr. Sie hat keine Vollkommenheit mehr zu verlangen, hatkeinStreben mehr, keinenZwischenraum, keine Vereinigung : alles ist in der Einheit vollzogen, aber in einer so freien, so leichten, so natürlichen Weise, dass die Seele in Gott und von Gott lebt , so unbefangen , wie der Körper von der Luft lebt, die er einatmet.

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AUS EINER AUSSAGE DES CAMISARDEN-FÜH- RERS ELIE MARION IM JANUAR 1707

AM ersten Tage des Jahres 1703, als wir, die Familie und einige Verwandte, uns zurückgezogen hatten, um einen Teil des Tages mit Gebeten und anderen frommen Übungen zuzubringen, empfing einer meiner BrüdereineBegeisterung;undeinigeAugenblickedanach fühlte ich plötzlich eine grosse Wärme, die mir das Herz erfassteund sich in meinem ganzen Körper ausbreitete. Ich fand mich auch ein wenig bedrückt und das zwang mich, grosse Seufzer auszustossen ; ich hielt sie jedoch zurück, soweit es mir möglich war, um der Gesellschaft willen. Einige Augenblicke danach bemächtigte sich meiner völligeineGewalt, der ich nichtmehrwiderstehen konnte, und Hess mich in grosse Schreie ausbrechen, die von tiefem Schluchzen unterbrochen waren, und meine Augen vergossen Bäche von Tränen. Ich wurde durch eine furchtbare Vorstellung meiner Sünden heftig ge- schlagen, die mir schwarz, grauenhaftund in unendlicher Zahl erschienen. Ich fühlte sie wie eine Last, die meinen Kopf niederbeugte, und je mehr sie sich mir aufluden, desto stärker wurde mein Schreien und Weinen. Sie füllten meinen Geist mit Entsetzen ; und in meiner Angst konnte ich weder reden noch zu Gott beten. Dennoch fühlte ich etwas Gutes und Glückseliges, das meinem Schrecken nicht erlaubte, sich in Murren oder Verzweif- lung zu kehren. Mein Gott schlug mich und ermutigte mich zugleich . Da fiel mein Bruder in eine z weiteVerzük- kung und sprach mit lauter Stimme, es seien meine Sün- den, die mich leiden machten. Und zur gleichen Zeit be-

12 Buber, Konfesäonen

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gann er eine lange Aufzählung dieser Sünden herzusagen und sie vor all den Leuten, die da waren, darzustellen, wie wenn er sie gesehen oder in meinem Herzen gelesen hätte: ich selbst hätte kein getreueres Bild meines eige- nen Zustandes machen können.

Als er diese fürchterliche Schilderung beendigt hatte, ohne irgend etwas zu vergessen, und mit Betonung der Sünden, die am meisten meinen Geist betrübten, fühlte ich mich sehr erleichtert. Da so einige Ruhe gekommen war, wurde auch meine Last leichter und ich genoss mit einer grossen Freude die Freiheit, die mirwieder gegeben war, mein Herz und meine Stimme zu Gott zu erheben. Ich nützte diese glückliche Zeit und hörte nicht auf, die Gnade meines himmlischen Vaters anzuflehen, der nach seinem unendlichen Erbarmen zu meinem Herzen vom Frieden sprach und dieTränen meiner Augen trocknete. Sanft verbrachte ich die Nacht; aber beim Erwachen fiel ich in ähnliche Bewegungen wie die, die mich von dieser ZeitbisjetztimmerinderVerzückung ergriffen haben und die von sehr häufigem Schluchzen begleitet waren. Dies geschah mirdreioderviermal täglich, während dreierWo- chen oder eines Monats; und Gott gab mir insHerz, diese Zeit auf Fasten und Beten zu wenden. Je weiter ich vor- wärtsging,destomehr nahm meineTröstung zu, und end- lich, gelobt sei dessen mein Gott, trat ich in den Besitz dieser glückseligen Zufriedenheit des Geistes, die ein grosser Gewinn ist. Ich fand mich ganz verwandelt. Die Dinge, die mir die angenehmsten gewesen waren, bevor mein Schöpfermir ein neuesHerzgemachthatte, wurden mir widerwärtig, ja unerträglich. Und zuletzt war es eine neue Freude für meine Seele, als nach einem Monat

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stummer Verzückungen, wenn Ich sie so nennen darf, es Gott gefiel, meine Zunge zu lösen und sein Wort in mei- nen Mund zu legen. Wie sein heiliger Geist meinen Körper bewegt hatte, um ihn aus seinem Starrkrampf zu er- wecken und seinen Hochmut niederzuwerfen, so war es auch sein Wille, meine Zunge und meine Lippen zu regen und sich dieser schwachen Organe nach seinem Wohlge- fallen zu bedienen. Ich werde nicht versuchen auszu- sprechen, welche meine Bewunderung und meine Freu- de war, als ich einen Bach heiliger Worte durch meinen Mundströmenvernahm,derenUrhebernicht mein Geist war und die meine Ohren erfreuten. In der ersten Begei- sterung, die Gott mir sandte, als er meine Zunge löste, sprach sein heiliger Geist zu mir in diesen Worten : » Ich versichere dich, mein Kind, dass ich dich vom Mutter- schosse an zu meiner Ehre bestimmt habe. « Glückselige Worte, die bis zum letzten Seufzer meines Lebens in mei- nem Herzen eingegraben sein werden. Dieser selbeGeist der Weisheitund der Gnadeerklärte mir auch, es tuenot, dass ich die Waffen nehme, dass ich mich meinen Brü- dern anschliesse, die seit ungefähr sechs Monaten tapfer für die Sache Gottes kämpften. Ich verliess daher das Haus meines Vaters im Anfang des Monats Februar und ging, mich einer Truppe christlicher Soldaten einzu- reihen, die ich einige Zeit darauf zu befehligen die Ehre hatte.

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JAKOB BÖHME (i 575—1624)

ALS ich aberin solcherTrübsal meinen Geist, von dem »^ich wenig und nichts verstand, was er war, ernstlich in Gott erhob wie in einem grossen Sturme, und mein ganzes HerzundGemütsamtallen andern Gedanken und Willen sich darein schloss, ohne nachzulassen, mit der Liebe und Barmherzigkeit Gottes zu ringen, und ohne nachzulassen, er segnetemich denn, dasist,er erleuchtete mich denn mit seinem heiligen Geiste, damit ich seinen Willen möchte verstehen und meiner Traurigkeit los werden, so brach der Geist durch. Als ich aber in meinem angesetzten Eifer also hart wider Gott und aller Höllen Pforten stürmte, als wären meiner Kräfte noch mehr vorhanden, willens, das Leben daran zu setzen, welches freilich nicht mein Vermögen wäre gewesen ohne des Geistes Gottes Beistand, alsbald nach etlichen harten Stürmen ist mein Geist durch der Höllen Pforten durchgebrochen bisin dieinnerste Geburt der Gottheit und allda mit Liebe umfangen worden, wie ein Bräutigam seine liebe Braut umfängt. Was aber für ein Triumphieren in dem Geiste gewesen sei, kann ich nicht schreiben oder reden, es lässt sich auch mit nichts vergleichen als nur mit dem, wo mitten im Tode das Leben geboren wird, und vergleicht sich der Auferstehung von den Toten. In diesem Lichte hat mein Geist alsbald durch alles ge- sehen und an allen Kreaturen, auch an Kraut und Gras, Gott erkannt, wer er sei, und wie er sei, und was sein Wille sei.

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EIN EDELKNABE (um 1 596)

^^ [ACH vier Wochen erschien mir abermals der süsse X N EngelmeinesTrostes und redetemit mirvielvon der Schönheit der Kinder Gottes und machte mir ein herz- liches Verlangen, sie in ihrer herrlichen Majestät zu be- schauen. Zu dem sprach ich : Ach du mein liebes Engelein, du mein zartes Brüderlein, führe rriich doch noch einmal in den Saal des hohen Himmels, zu den schönen Kindern Gottes, dass ich ihr Antlitz sehen möge in Gerechtigkeit. Und er nahm mich auf und führete mich in den Himmel, da ich vor vier Wochen gewesen w^ar, und stellte mich mitten unter die Kinder Gottes, die alle darin versammelt waren. Ich sah aberGott den Herrn nicht auf seinem gol- denenThronesitzen. Dasprachich:WoistGottderHerr, mein allerliebster Vater.r* Er sagte: »Er ist in seinen Kin- dern. Siehe, die Wahrheit Gottes ist in seinen Kindern. DennseineSöhneundseineTöchtersindseineTempel,in denen er wohnetunddieermitseiner Herrlichkeit erfüllet hat. « Und ich sah mich um nach den tausendmal tausend Gotteskindern, und ward gewahr, dass sie glänzten von der innerlichen Wahrheit Gottes wie helle klare Sonnen. Da sah ich lebendige Saphire und Rubine. Das Licht des Herrn funkelte inihremKörperundtriebsie,dasssienicht stille stehen konnten, denndieKlarheit desHerrn ist eine lebendige Klarheit. Sie wurden aber gehalten von dem Engel Gottes, dass sie nicht fliehen mussten, wohin sie wollten, denn ihre Zeit war noch nicht gekommen. Da sprach einervon den obersten derEngel : » Ihrseid alledes lebendigen Geistes voll. Das ist eure Ehre wider derWelt Unehre. Leidet auch deswegen und tröstet euch dieser

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grossen Herrlichkeit. « In mir aber ging solch ein Lichtauf von der Klarheit des Herrn, dass ich Gott mitten ins Herz sehen undseinegrosseLiebeund seinen himmlischen Rat gegen michwohl erkennen konnte. Ich sah ihnwohl nicht äusserlich, und erkannte ihn doch innerlich, denn sein Licht war in mir, ward auch voll derFreudenGottes, dass ich davon bald gestorben wäre. Denn wo Gott der Herr ist, da ist seine Weisheit und Freude. Mir ward aber bald nach diesem Augenblick ein Pfahl ins Fleisch, das ist grosse Traurigkeit ins Herz gegeben, auf dass ich mich solchergrossen Herrlichkeit nicht erheben, noch sie zur Sicherheit missbrauchen sollte. Es kam auch ein jeglicher Erleuchteter mit mir wiederum an seinen Ort und in sein Elend bis an den Tag der Wieder- bringung.

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HANS ENGELBRECHT (i 599—1642)

NUN wie ich also in solchem Streit im Kampf lag, so traf mich mit derWeile der Tod an von unten auf; und ich lagund starb von unten auf: zwölf Stunden währte es, dass ich so starb, da ich ungefähr in acht Tagen nichts gegessen und getrunken hatte. Wie ich mich am Freitag niederlegte und krank ward, also am Donnerstag über acht Tageungefähr, da starb ich. Den Donnerstag Nach- mittagumzwölfUhr,dafühlte ich deutlich,dass mich der Tod von unten auf antrat; und starb also von unten auf, dass mein ganzer Leib so steif war, dass ich nichts mehr fühlte von Händen und Füssen, ja nichts vom ganzen Lei- be; und ich konnte auch endlich nichts mehr sprechen, oder sehen; denn der Mund war mir so steif, ich konnte denselben nicht mehr auftun, und fühlte ihn nicht mehr, desgleichen auch die Augen, die brachen mir im Kopfe, dass ich es deutlich fühlte. Aber ich verstand gleichwohl, wassiemirvorbeteten,undhörtewohl, dass sie einer zum andern sagten : » Fühlet ihm doch an die Beine, wie steif und kalt sie ihm sind; es wird nun nicht lange mit ihm währen. « Das hörte ich wohl, aber ich fühlte es nicht. Da der Wächter aber elf rief zu Mitternacht, das hörte ich noch wohl, und um zwölf um Mitternacht, da verging mir auch das leibliche Gehör.

Da däuchte mich, ich ward mit dem ganzen Leibe aufge- nommen und ward schnell weggeführt, wie ein Pfeil von der Armbrust nicht tun kann : wie ich nachdem auch sonderlich danach fragte, ob mein Leib weggewesen wäre. Aber sie haben mir hernachgesagt, mein Leib wäre nicht weg gewesen: wie lange aber meine Seele sei weg

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gewesen,dashabensiesoeigentlichnIchtmerkenkönnen. Doch so weit war ich gleichwohl vor ihren Augen tot ge- wesen, dass meine Mutter hatte das Hemd allbereits hergekriegt, und sie vermeinten mich anzukleiden: aber Gott hat es nicht haben wollen und hat ihnen ihre Augen verblendet, dass sie das nicht haben merken können, da meine Seele ist verzückt gewesen aus dem Leibe vor die Hölle und in den Himmel. Das ist gerade im Augenblick vor sich gegangen: denn Gottkann jemandim Augenblick mehr offenbaren und lehren, als man die Zeit seines Le- bens aussprechen kann. Wie dieses Lernen zugeht, das kann kein Mensch mit seiner Vernunft begreifen; das ist übernatürlich im Geiste geschehen.

Wie lange aber meine Seele ist weg gewesen, das weiss Gott und kein Mensch. Wäre meine Seele in der Freude und Herrlichkeit geblieben, mein Leib würde längst auf demKirchhof liegen. AberzuMitternacht,daderWächter elf rief, da war die Entzückung noch nicht geschehen ; da war ich steif und kalt, und fühlte nichts von meinem Lei- be, konnte auch nicht mehr sehen und sprechen, nur das leibliche Gehör hatte ich noch allein. Die umstehenden Leute, die bei mir waren, die haben die Zeit eben nicht merken können, da meine Seele vor der Hölle und im Himmel war. Da aber der Wächter zwölf rief, da war die Entzückung geschehen. Gleichwie ich denn von unten aufwar gestorben, also lebte ich von oben an wieder auf, bis unten hinaus.

Da ich nun wieder aus der Klarheit geführt ward, da däuchtemich, ich wurde wiedermitmeinemganzenLeibe auf die Stättegelegt, und da hörte ich erst leiblich wieder,

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dass sie mir etwas vorbeteten. Das Gehör war also das erste, das ich wieder bekam. Danach begann ich meine Augen zu fühlen, dass so allgemach allmählich und all- mählich mein ganzer Leib wieder stark wurde. Und da ich denn meine Beine und Füsse wieder fühlte, da stand ich wieder auf; und war so stark, als ich vormals mein Leben lang nicht gewesen war: so stark war ich von der himmlischen Freude, dass die Leute sehr darüber er- schraken, dass ich in so geschwinder Eile wieder stark wurde.

Ich bin nur ein totes Instrument, wie eine steifeOrgelpfeife; wennnichtdaraufgeschlagenwird,kannsienichtklingen. Also, wisset, binauchichgarsteif und kalt gewesen und konnte nicht klingen: dass ich aber jetzt in dem Reden klinge, das regiert der heilige Geist, und ich nicht. Ich bin hier gelegen, wie ein toter Handschuh : wenn da keine Hand drin steckt, kann sich der Handschuh nicht regen und bewegen; aber wenn sich einelebendige Handdarein steckt, kann sich der Handschuh regen. Aber der Hand- schuh regiert sich nicht, sondern die Hand, die in dem Handschuh steckt, die regt sich in dem Handschuh und regiert den Handschuh : der Handschuh kann sich selber nichtregieren. . . So ist es auch mit mir. Ihrhabt voreuren Augen mich hierliegen sehen,wieeinentotenHandschuh, dersich nichtregenund bewegenkann : aberdielebendige Hand Gottes hat sich in mich gesteckt, in mein totes Fleisch und Blut, das gar steif und kalt war, und hat es wieder lebendig gemacht durch seine himmlische Kraft; und die allmächtige Hand Gottes regiert jetzt in mir, und ich nicht.

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ANNA VETTER (Datum derVIsionen : 1 662)

Aus ihrem Lebenslauf, den sie auf Begehren eigenhändig aufgeschrieben

ES möchte jemand fragen, wie ich so hoch von Gott geliebt bin worden und was mein junger Lebenslauf

gewesen Ich war ein fröhliches und freies Mägdlein

und den Leuten lieb, suchte Ruhm in der Nähekunst bei denMenschen, war frisch wie ein jungerHirsch,gerneum Spielleute, liebte ehrliche Tänze und behielt darin vor anderen Mägden den Preis ; ein jeder wollte mit derWeis- senburgerin tanzen. Es ist mir aus dem Himmel kund worden, dass es Gottes Willen gewesen, dass ich habe hierher kommen müssen und habe mich mit einem Mau- rer verheiratet ; und wie ich hernach gehört, haben wohl zehn andere auf meinen Mann gewartet, da er ist mein Liebster worden. Er sollte mich wieder fahren lassen, allein ichhabe ihm verbleiben müssen, undhabeeineehr- licheHochzeitgehaltenmitLustigkeit,undhabemitdem stürmischen und fluchenden Manne zehn Jahre lang ge- haust und immer mit ihm ums Ewige gestritten. Habe keine Furcht Gottes bei ihm spüren können, dass er nach dem Himmel getrachtet hätte; war ein irdischer Welt- mann und ich wollte immer nach dem Himmel trachten und dachte, er solle sein wie ich ; aber er wollte mir nicht folgen, und wurde mir mein Leben recht sauer mit ihm. Je länger ich mit ihm hauste, desto saurerermirsmachte, bis die zehn Jahre herumkamen, in welcher Zeit ich mit ihm sieben Kinder erzeugt habe, drei Knaben und vier Töchter; und sind noch bei dem Leben zwei Söhne und zwei Töchter, so lang Gott will. Im dreissigsten Jahre

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meines Lebens wurde ich krank, fünf Wochen lang, und musste ganz an meinem Fleisch absterben ; wobei ich an- fänglich Verdacht hatte auf eine Nachbarin, welche der Zauberei verdächtig war, und öfters sagte, dass sie die Leute krumm und lahm machen könnte, mich auch oft wegen meines fleissigen Kirchengehens verspottet und gefragt hat, ob denn noch etliche Bilder in der Kirche wären, denen ich die Köpfe noch nicht abgebissen ; allein es äusserte sich bald, was die Ursach meines Abschwin- densam Leibe war; ich sollte nämlich ein ganz anderer Mensch werden, leiblich und geistig erneuert. In dieser meinerKrankheitkam mein Mann einstsehrfrühausdem Schloss und legte sich zumirundzwang mich, seines Wil- lenszusein,und ich wurdezueinerTochterschwangerwi- der meinen Willen und Begierde, denn ich war schwach und krank. Diese Tochter hatte keine Seligkeit bei Gott, so ganz war des Vaters Samen in den Sünden verderbt, dass daher offenbar ist der Mensch der Sünden und das Kind des Verderbens. Sie wurde zwar getauft, aber nicht geschrieben in das Buch des Lebens. Da ichzehnTag mit diesem Kind schwangerging, wurde ich in den Himmel verzückt und sah unbeschreibliche Freude. O Freude! O Herrlichkeit! O Ewigkeit! O Schönheit! . . . Endlich sah ich auch den Predigtstuhl in der oberen Kirche zu Onoldsbach [Ansbach] und ein grosses Volk, dass ich ihnen predigen sollte; alsbald kamein brennendes Feuer aus dem Himmel über mich unddurchflammtemichund ich wurde des heiligen Geistes voll, mein Mund wurde voll Feuerund Himmelspreis, lobeteJesumChristum und seinen heiligen Namen ; und da ich zu mir selber kam, da musste ich diese Geschichte schreiben, da ich vorher kei-

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nen Buchstaben schreiben konnte, denn in der Jugend musste ich in der Fremde herumziehen, kam in keine Schule. Ein weniges vor meinem Ehestand lernte ich fast verstohlenerWeise von meinesMannes Bruder ein wenig lesen und las weiter nichts als die Evangelien und den Psal- ter, über welchem Lesen ich oftmals weinen musste. Das wardasersteGesichtund Offenbarung, soichgehabt; dies verschwieg ich dreiviertel Jahr lang, bis ich zu dem Kind ins Kindbett kam; da ich ausdem Kindbettging und zwei- mal in die Kirche ging, wann ich nach Haus kam, hatte das Kind allezweimaldasFrais oder schwere Krankheit, so dass ich wegen des Kindes nicht mehr in die Kirche gehen durfte. Endlich musste ich aus Antrieb des heiligen Geistes zu den drei Pfarrern gehn und ihnen anzeigen,was ich vor dreiviertelJahren im Himmelgesehen. Sobald ich wieder untermeinen Fenstern insHausging, da weissagte' der heilige Geist mir und offenbarte sich bei mir und den andern Tag auch wieder, da kam des Herrn Wort zu mir aus dem Himmel : So spricht der Herr, Gott wolle ein Grosses tun, aber jetzt hätte ich ein Schweres vor mir; und zeigtemiran,dassich musste eineeiserne Kette tragen an meinem linkenArm; einer grossenSau halber aufdem Rathause würde man sie mir anlegen, aber ich würde die junge Sau von der hohen Stiege stürzen, dass sie musste herabfallen samt ihren Jungen. Da wurde mir angst und bang und ging zu den Pfarrern und zeigte es wieder an; und da ich heim kam, da sollte ich des andern Tages auf den Predigtstuhl gehen und ich wollte lange nichtundge- dachte, was die Leute sagen würden, predigtedoch sonst kein Weib nicht ; da war der Herr zornigund schlugmich mit einem grossen Stein auf meinen Kopf, ich sollte auf

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den Predigtstuhl gehen; dawollte ich doch nichtundwar dem Herrn ungehorsam ; da kam Jesus Christus auf dem grossen Wasser zu mir in einem Schiff und stellte mir die zwei Städte vor das Gesicht, Onoldsbach und Weissen- burg. Diese zwei Städte liegen in dem tiefenWasser und ist stockfinster bei ihnen, und der Herr Jesus sprach zu mir, gehe hin und nimm diese zwei Städte ein, so wirds besser mit dir werden, spricht der Sohn Gottes; fürchte dich nicht, esgeschiehtdirnichts.Ichmusstealsodochaufden Predigtstuhl gehn in der Stadtkirche, aber der Kirchen- diener führte mich wieder herunter, da weinte ich sehr und sprach, er solle mich mit Frieden lassen, es sei mir von Gottbefohlen, dassich predigen müsse; erabersprach zu mir, wenns gleich von Gott befohlen wäre, ich sollte in meinen Kirchenstuhl gehen. Ich war kaum nach Hause gekommen, da kamen dieHerrnvomRathausegegangen, der Stadtvogt und der Stadtschreiber, derBürgermeister und derStadtknecht, bringen eine eiserne Kette mit sich, machen ein Loch durch die Wand und legen sie mir um mein linkes Bein, und fragen mich alles aus , wie mir ge- schehen sei ; da sagte ich ihnen alles und sie sprachen zu mir : Gott helfe, dass es möge ausschlagen zu Gottes Lob, Ruhm und ewigem Preis! Und gingen von mir. Dalag ich an der Kette und konnte meinem kleinen Kind nichts tun, dass ich seinerwartete, und bat, man sollte mich in meine andere Stube hinablegen, dass ich meines Kindes dabei warten könnte. Da gab mein Mann einen grossen, vier- eckigen, eichenen Klotz her, dassmandenKlobendarein schlagen könnte, und legten ihn mir an die Beine, da musste ich den Stock überall mitmir herumtragen in dem Hause, was ichzutun hatteüberall.EtlicheWochen trug

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ich den grossen, schweren Stockso mit mir herum, bisich nicht mehr daheim bleiben konnte, da trug ich denStock an der Kette mit der Hand und angeschlossenem Bein unter dasTor ; da schlössen sie mich ab, trugen den Stock heim und schlössen mich an den Bettstollen an, dass ich nicht mehr gehen konnte, taten mir eine Kachel aus dem Ofen heraus, dass ich meinem Kinde seinen Brei in der Stube kochen könnte. Da fing mein Leiden gross an, wie Gott zu mir geredet, er wolle ein Grosses tun, aber ich hätte ein Schweres vor mir. Wie mich nun der Herr zu leiden bereitet und zur schweren Last bestellt, wie ich gezwungen bin worden zum Gehorsam, des Höchsten Willen zu tun, istwundersam zu hörenundzuglauben. .. Über eben dieses hatte ich auch dieses Gesicht : Ich hörte in derStadt die armeSünderglockeläuten, derMarktwar voller Menschen, und man führte den armen Sünder die Stadt herab mit blossem Haupt und will den Stab über ihmbrechen, dass ergerichtet werde; da kam ich, und der arme Sünder erbarmte mich und ich fiel auf meine Knie und sprach : Ach Herr, erbarme dich des armen Sünders, vergib ihm seineSünden und nimm ihn wieder inGnaden

an

Ach Herr Jesus, erbarme dich doch wieder über uns; es glaubtsdoch niemand, dass du so sehr zürnest, und wer fürchtet sich vor deiner Ungnade überuns.^^ Herr, deine Magd weinet, deine Magd flehet, deine Magd seufzet, deine Magd betet ; Tag und Nacht trage ich Sorge für die, so du mir gegeben hast, denn sie sind alle in den grossen Schuldturm geworfen; du gerechter Richter Christus Jesus, das Kerbholz hast du ganz vollgeschnitten von unserenSünden,daistkeineBezahlung,keineRechnung

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nach Ersetzung der grossen Schuld ; denn dasVolk ist toll und voll geworden in ihrer Hurerei. So und auf derglei- chen Art betete ich für das Volk; denn ich sah im Gesichte einenWirtinseineStubehineintreten,derhatteein Kerb- holz, das war ganz voll angeschnitten, und um Tisch und Banksassen und lagen lauter vollgesoffene Männer, ein Teil schliefen, ein Teil wachten und derWirt forderte die Zeche; und ob sie sich gleich entschuldigten, sie hätten nichts, drang er doch auf die Bezahlung, oder sie sollten ins Gefängnis geworfen werden; und die Männer hatten weder Hut noch Röcke, noch Schuhe an ihren Füssen; da erbarmten mich diearmenLeuteundich bat denWirt, ich wolle für sie bezahlen, er solle nur Geduld mit ihnen haben ; da gab er sich zufrieden. DerWirt ist Jesus Chris- tus, die Gäste das lutherisch Volk, meine Fürbitte jetzt beschriebenes Gebet.

Endlich sah ich die Stadt als ein grosses, schwangeres Weib, deren Zeit herbeigekommen, dass sie gebären sollte, und ihre Ammenweiber sassen alle um sie herum, undsiekonntendasKindnichtmit ihr gebären, und muss- ten Mutter und Kind sterben und ewig verderben lassen. Da gedachte ich, ich darf dies Weib nicht so verderben lassen samt dem Kind, und machte mich zu dem Weib und gebar mit ihr ein Knäblein, das brachte ich zu Gott. Ich musste so grosse Schmerzen leiden, wie das Weib in der Geburt mit grossem Geschrei ; Gott sei gebenedeit und hochgepriesen, der mir hat überwinden helfen, es hat mein Blut mit gekostet; es ist diese Geburt nichts anderes als desSohnesGottes Leiden undSterben, da ich seinem Bild muss gleich werden. Sein Spottund Gericht, Marter und Pein ist an mir wieder völlig vollbracht wor-

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den; Ansbach ist wütend über mich worden, sie wissen nicht, wassie tun, siesind trunken,ichfandsiesoimWirts- haus der Welt. DiesKnäblein aber sind alle Seelen der Menschen in der ganzen Stadt zusammen verbunden, in einesKindesGestaltmirvorgestellt,das hatoben aus dem Herzen müssen geboren werden und nicht wie ein leib- liches Kind unten aus der Mutter brechen ; dies hat eben aus dem Herzen kommen müssen und hatdiesaureArbeit mir das Blut aus der rechten Seite gepresst,und ein Engel, so im Gesicht bei mir war, der sprach , als ich darüber er- schrak, es müsste also sein, eswürde bald besserwerden. MeineTochter, so ich aisein verlorenes Kind mitmeinem Mann gezeugt von seinem Samen, und dasKnäblein von dem schwangern Weib sind eins; da bin ich siebenund- zwanzigWochenfürsieinKettenundBandengelegen,bis ich siebeidezu Gottgebracht, und damit ich für dieandern Seelen der Menschen, so dasKnäblein abgebildet, desto eifriger betete, musste mein eigenes Kind in dasBuch des Lebens so lange nicht geschrieben sein, bis ich überwun- den und versöhnt; da kamen zwei Engel vom Himmel herab, schrieben an meines Kindes Wiege, und da ich sie fragte, was sie da machten, antworteten sie, sie täten was sie wollten, da wurde meine Tochter und das Knäblein wieder in dasBuchdes Lebensgeschrieben. DieseBeiden sind nun desTestamentsund Abbundes Anfang und En- de; da ichdas Knäblein geborenhatte, ist derDrache, der Teufel zornig über mich worden und schoss ein grosses Wasser aus den Wolken nach mir und wollte mich ersäu- fen, aber die Erde tat sich auf und verschlangden Wasser- strom; da stieg ich in den Graben, welcher dies Wasser verschlang, und schaute, wie tief er war, und er reichte

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mir bis an die Mitte des Leibes; da musste ich fliehen vor dem Drachen, und wurden mir, da ich zum Fenster hinaus sah, viel Federn und ganze Flügel darunter gezeigt, und stunden etliche Männer von Wedelsheim dabei, die sprachen, komme zu uns; da nahm ich ein Messer und schnitt die eisernen Ketten entzwei und floh wahrhaftig dahin gegen Wedelsheim, fünf Meilen von Ansbach. Wenn ich nicht aus dem Weib das Kind gebo- ren hätte, so würde jetzt kein Mensch mehr selig; die vorige Erlösung hat ein Ende, denn das Kind ist alle Menschen zugleich, soviel tausend in einem einzigen zu- sammen verbunden, ein Knäblein. Freue dich, du Toch- ter Zion, Ansbach, die du dein Kind geboren und keine Schmerzen empfunden; ich trete hier die Kelter alleine und ist niemand mit mir gewesen Noch eines sehet an, das ich mit Jammer habe müssen innewerden, da ich noch an meinemKreuzindenKetten lag. Es war im Schloss eine Hochzeit und mein Mann musste daselbst aufwarten den Gästen, da brachte er mir gutes Essen heim, ich sollte es essen ; und da ich gegessen hatte, mussteich des Mannes Willen sein, erüberwältigte mich, ich konnte nicht entlaufen an den Ketten. Auf das- selbige Mal wurde ich aus dem Himmel Verstössen, dass ich des Mannes Willen gehorsamt; ich wusste nicht, dass ich keinen Mann mehr erkennen durfte. O Herzeleid, das ich zwei Tage und zwei Nächte erlitten, da ich von Gott Verstössen war! Es kamen im Gesicht die Herren vom Rathaus zu mir, und legten mir einen Schraubstock an meine Finger und schraubten an und sagten : Warum ich mich zu dem Mann gelegt.?^ Ich sollte es nicht mehr tun. Und ich schrie überlaut, dass ich es nicht gewusst, dass

13 Buber, Konfessionen

ich keinen Mann mehr erkennen dürfte, und sie zwangen mir meine Hände und Finger wie einer Übeltäterin. Da Hess ich nicht ab, zwei Tage und zwei Nächte zu beten und schreien, weinen und heulen, bis ich bin wieder auf- genommen worden bei dem Vater und Sohn Bald

nach diesem Jammer erweckteGott dieNatur in mir und ich wurde zur ehelichen Liebe mit dem Mann begierig; und mirerschienderMann,alswenn ich mit ihm scherzte; und ich sah in meinen Garten hinaus, und sah einen schönen, jungen Baum aufwachsen, der hat mich hoch erfreut. Das ist die Deutung, dass ich in derselben Nacht bin von meines Leibes Samen schwanger worden, und sollte das Kind aufwachsen in der Furcht des Herrn, wie ein junger, schöner Baum in einem Garten aufwächst, der allen Menschen gefällt; und das ist geschehen. Wie ich von des Mannes Samen eine Tochter gebar, die hatte keine Seligkeit im Himmel gehabt samt dem Knäblein ausdem schwangern Weib, die wardesTestaments Ende und Abbund ; als ich aber eine Tochter geboren von dem Samen meines Leibes, die sollte in der FurchtGottes auf- wachsen wie ein junger Baum, die ist in der Mutter heilig und selig, und bedeutet einen Muttersamen. Mein Same ist heilig und selig, aber des Mannes Samen wäre ver- loren, wenn ich nicht ihm geholfen und ihn versöhnt hätte.

Bald nach derGeburtdesKnäbleinskam der Sohn Gottes zu mir vor mein Fenster und sprach, ich sollt ihm ein Wasser geben ; da ich ihm nun Wasser zum Fenster hin- ausgab, verwandelte er es in Wein und ich trank davon; da merkte ich, dassdas Wasser Wein worden, und ich gabs ihm wieder zum Fenster hinaus, da machte er das

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Geschirr wieder ganz voll, und ich trank wieder davon; da war der Wein noch besser, und was ich heraustrank, das war gleich wieder ganz voll. Da erkannte ich, dasses der Sohn Gottes war; und wurden mir meine Augen ge- öffnet, und ich sprach zu ihm : O Herr Jesus, dies Zeichen hast du mir gegeben. Da sprach der Sohn Gottes: Ich will dir noch mehr Zeichen geben, verschweig es nicht. Da sprach ich : O Herr, weil du mir das Zeichen gegeben, so will ichs dem Stadtpfarrer hintragen, vielleicht glaubt er mirdestoeher.Undichredeteweitermitihmundsprach: Herr, was soll ich anheben mit dem Volk.? Sie wollen mir nicht glauben, dass du mich zu ihnen gesandt. Da sprach der Herr: Sie verfolgen mich wohl, sie verfolgen mich ge- nug. Ich sprach: Herr, wo gehest du hin, wobei soll ich dich erkennen, dass ich nicht verführet werde, der Satan kann sich in allerlei Gestalt verstellen. Alsbald war er bei mirin der Stube und stand vor mir; und ich sah ihn an, und er stand in eines Bauern Gestalt mit einem hohen Hut, groben Rock, niedrigen Schuhen an seinen Füssen, freundlicher Rede, holdseligen Gesichts. Mein Geist hat sich hoch über ihn erfreut; da verschwand er wieder vor mir, und ich sah ihn nicht mehr .... Ich sah ferner ein Gesicht, als ob ich an meiner Hochzeit mitmeinenGästen auf dasTanzhaus ginge, und ein frem- derMannkamzumeinerHochzeitaufdasTanzhaus,und Sprach auf dem Tanzhaus überlaut: Wo ist die, die so wohl tanzen kann.?* Und ich gedachte, ich weiss wohl, dass ich's bin, wenn er mich nur sähe vor den Leuten und nähmekeineandere;daersichaberunterdenHochzeits- gästen umgeschaut, da griff er nach mir und tanzte mit mir einen Reigen und verschwand vor unser aller

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Augen; da weiss ich gewiss, dass Jesus Christus schon an meinem Hochzeitstag zu mir gekommen und auf mich gesehen hat, sich aus Liebe und Verbündnis zu mir gemacht vor allen Hochzeitsgästen, nach derjenigen gefragt, die so wohl tanzen kann ; denn in meinen jungen Jahren habe ich unter den andern Mägden diesen Ruhm gehabt, und da ich zehn Jahr in der Ehe gelebt habe, da kam mein rechter Himmelsschatz und Bräutigam und verband sich mit mir.

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HEMME HAYEN (2. Hälfte des 17. Jahrhunderts)

Aus seinem Lebenslauf, von ihm selbst erzählt und von seinen Freunden treulich aufgeschrieben am 10. Mai i68<^

ALS die Zeit meiner Erleuchtung herannahte, war ^ unser ganzes Hausgesind mit äusseren Heimsu- chungen überschüttet. Da sagte ichoftmalszumirselber: Wenn Gott uns heimsucht, denkt er an uns . . . Besonders aber wurde unser Haus mit grossen Krankheiten ange- tastet in eben der Woche, da mir Gott sein Gnadenlicht offenbarte... Da begab es sich, dass mein Sohn sich den Fuss verrenkte. Deswegen entbot ich am Sonnabend einen Mann von den Mennoniten aus Oldenborg, einem Dorf nahe bei Opgant gelegen, dass er den Fuss meines Sohnes besehen möchte und dass ich sogleich mit ihm von seiner Religion sprechen könnte. Doch als er am Sonntag Vormittag nach Opgant kam, hatte mich Gott bereits gnädiglich mit seinem heilsamen Licht besucht. Denn an dem Morgen des 4. Februar 1 666 kurz vor Tag wurde ich durch die Kraft dieses Lichtes aufgeweckt und meine Gedanken fielen auf bestimmte Sprüche aus der Schrift, dieich sogleich in ihrem geistigen Sinne verstand, und ich hatte darin ein sehr tiefes Schauen, wie es mir zu- vor niemals geschehen war. Ich dachte an andere Worte der Heiligen Schrift und verstand auch diese alsbald sehr klar. Ja worauf nur meine Sinne fielen, das begriff ich so- gleich auf eine geistliche Weise und hatte da eine über- natürliche,ganz unaussprechliche und wohl aufs höchste übermenschliche himmlische Süssigkeit und eine Ge- meinschaft mitdemallgemeinenWesen,sodassich durch den Überfluss dieser Freude laut aufschrie und mich

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dessen nicht enthalten konnte. Da stiess ich meine Frau an und sagte sofreudigwie ich war: » Kind bist du wach?« Sie aber wunderte sich, dass ich so fröhlich sprach, und sagte: »Ja, ich wache und höre dich wohl. Was soll ich tun.?« Ich antwortete: »Nun gibt unser lieber Herr mir, um was ich ihn so lange gebeten habe. « Hierüber war sie wie ich nicht wenig erfreut und selig vergnügt und sag- te: »Ach hast du das nun bekommen.f^ Das ist gut. Aber warum schreist du denn so.?« Ich antwortete: »Ich schreievor grosser Freude.« Ich bliebauch die ganze Zeit unablässig im Schreien und die Freudigkeit war sounaus- sprechlich gross, dass ich mich des Schreiens nicht enthalten konnte.

Als dies nun einige Zeit gewährt hatte, begann es allmäh- lich ein wenignachzulassen, so dassich dann aufstandund meine Kleider anzog, was ich zuvor wegen der grossen Herrlichkeit dieser Gnade nicht hätte tun können. Indes kam der Mennonit aus Oldenborg, sah nach dem Bein meines Sohnes, verband es, und weil er um Mittag ange- kommen war, ass er mit uns. Nach dem Essen ging ich ein StückWeges mit ihm nach seinem Hause zu und wir gerietenin einGespräch überJakob Böhme,damirdieser erleuchtete Mannsehrim Sinne lag. Alsbald fragte er mit einerRedensart,dieunterdiesenLeutengebräuchlichist: »IstJakob Böhme auch von unseren Leuten gewesen.?« Seine Meinung war: von seiner Religion. Dies verdross und bekümmerte mich sehr, dass er die Gottseligkeit an seine Gemeinde allein binden wollte. Auch verbarg sich das Licht in mir während der Zeit, da wir mit einan- der redeten ; aber einige Glut blieb noch zurück. Als wir nun Abschied voneinander genommen hatten, kam ich

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wieder nach Hause und wusste nicht, ob hierauf noch mehr folgen sollte; aber die innere Arbeit wurde so stark, dass ich desWeges dreiTagelangnichtausgehen konnte. Während dieser Tage, vornehmlich am Montag und Dienstag,warichüberausunruhig.Baldsassich ein wenig, bald wandelte ich hin und wieder durchs Haus und war gleich einerschwangeren Frau, die gebären sollte. Es war wie eine Pein und dennoch mehr eine Süssigkeit als eine Pein zu nennen, denn es war keinVerdruss dabei, son- dern eine seltsame ganz übernatürliche Annehmlichkeit. Mein Leibwardamals innerlich so sehrdavonerfülltjdass ich das Bewegen deutlich fühlen konnte. Am Sonntag Abend ging ich zu Bett und schlief diese Nacht über. Am Montag stand ich bei Zeiten wieder auf und hielt mich von allen Geschäften frei. Und als ich ein wenig ermuntert war, las ich in Jesaia vom 5 5. bis zum 6 1 . Kapitel. Da verstand ich alles nach dem innern Grun- de und sah sehr deutlich, wie der Geist Gottes da nicht allein spricht von der Ankunft Christi im Fleische, son- dern vornehmlich von seiner Ankunft nach dem Geiste. Denn es ging mir zur Zeit, wie Paulus sagt: ich kannte niemand mehr nach dem Fleische. Ja was ich las, wurde mir alsbald hellscheinend in meinem Gemüt und ich dachte bei mir selber: wie bin ich doch zuvor so blind ge- wesen, dass ich dieses nicht habe sehen können. Danach konnte ich eine Zeitlang nicht mehr lesen, weil meine innereArbeit so grosswar; ichhabe es wohl versuchtaber vergebens.

Diese Gnade wurde je länger desto grösser. In Sonderheit offenbarte sie sich recht stark und mit grosser Kraft am Dienstag in einem sehr angenehmen Geschmack oder

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besser In einer unaussprechlichen Süssigkeit, so wie kein Ding auf der Erde sein kann. In der Nacht von Montag auf Dienstag und in der von Dienstag auf Mittwoch hatte ich gar keinen Schlaf, ebenso in den drei folgenden Näch- ten ; ja auch in der Nacht zwischen Samstag undSonntag schlief ich fast garnicht. Ich hatte bisweilen wohl einige sanfteSüssigkeiten und Erleichterungen, allein es konnte kein Schlaf genannt werden. Die hohe Wirkung, die in meinem Gemüte war, verursachte, dass ich nicht schla- fen konnte.

Allein ich muss nun wieder fortfahren zu erzählen, was ich übergangen habe. Als am Mittwoch Morgen die schwerste Arbeit für diesmal vorbei war, ging ich um acht oderneun Uhr wiederum einmal nach Marienhofen um den Prediger Benjamin Potinius zu besuchen. Allein sein Bruder, der Prediger von Dornum, war bei ihm, der hin- derte mich daran, sogleich mit ihm zu sprechen, so dass ich einige Zeit am Feuer bei ihnen sass, wie wohl mit Ver- druss, denn es verlangte mich, den Prediger allein zu sprechen und ihm zu erzählen, was sich mit mir zugetra- gen hatte. Da begab es sich, dass des Predigers Söhnlein, ein Kind von ungefähr drei Jahren, mich um einen Apfel ersuchte, denn es war gewohnt, dass ich ihm etwas mit- brachte, wenn ich kam ; doch diesmal hatte ich nicht da- ran gedacht, das Gemüt war zu voll. Da stand der Vater aufund gingin seineStudierstube um einen Apfel zu holen, damit ich ihn dem Kinde gebe. Ich folgte ihm sogleich in seine Studierstube auf dem Fusse nach und sagte sehr fröhlich und eifrig, denn ich konnte mich nicht zurückhalten: »Herr Prediger! Nun tut unser lieber Herr mir die Gnade, um die ich ihn so lange gebeten

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habe.« Er sprach: » Wie denn, Hemme Hayen?« Ich sag- te : » Weil ich nun weiss und verstehe, wie ein Mensch zu Gott kommen kann und dass es nicht an den Sekten liegt, sondern allein daran, dass man Gott von Herzen suche. Und was das tausendjährige Reich angeht, wovon wir letzthin miteinander sprachen, als ich mich darüber ver- wunderte, dass solche Meinungen in der Christenheit wären, weil ich nichts wusste, davon ist mir aufgegangen, dass es eine Zeit ist, die mit und unter der andern Zeit durchgeht, die aber von denen allein empfunden und er- kannt wird, an denen Gott die Gnade tut. Und ich habe nun wohl gesehen, dass viele Menschen sind", die wahr- haft und wesentlich diese allerglückseligste Zeit leben.« Als der Prediger dies hörte, wurde er dergestalt bewegt, dass ihm die Tränen über die Backen herunterliefen. Ich schrie auch mit ihm, ja ich war beinahe niemals ohne Schreien, nur wenn ich mich gewaltsam vor den Men- schen zurückhielt. Wir wischten unsere Tränen ab und gingen wieder in die Küche zu dem andern Prediger ans Feuer. Da es Mittag war, nötigte mich der Prediger, bei ihm zu essen, was ich auch tat. Doch von dem Tage an habeich inden neun folgendenTagen und Nächten nichts gegessen, nur bisweilen ein wenig Trank gebraucht zur Erquickung, denn Durst hatte ich wohl dann und wann. Dies schien mir den Durst zu bedeuten, der in mir nach der Gerechtigkeit war. Deswegen sagte ich zu meinem Hausgesind : » Ihr Leute solltet auch so dürsten nach der Gerechtigkeit. « Was aber die Speise angeht, die war zu dieser Zeit für mich zu grob.

Während wir bei dem Prediger am Tische sassen, spra- chen die beiden Lehrer über verschiedene Stellen der

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Schrift. DIeskammirfremd vor undich sagte zumirselbst: Wie ist das? Mit diesen Sachen ist es ja ganz anders und siesind so klar. Wie ist es,dasssiedasnichtverstehen können .f^

Nach vollendeter Mahlzeit ging ich nach Hause und ge- noss beständig eine süsse Gemeinschaft mit Gott. Am nächsten Tage, es war der Donnerstag, kam mir in den Sinn, diese fröhliche Botschaft auch meinerSchwesterzu verkündigen, die zu Engerhofen eine Stunde südlich von Opgant wohnte. . . Als ich hineinkam, sah ich sie beim Herdeund siehatte eine Arbeit inden Händen. Daserste, dass ich zu ihr sagte, war : » Schwester, ich bin im Him- mel I« Denn die Freude war so gross, dass ich ausbrach und mich nicht halten konnte.. . Wir führten liebliche Reden miteinander und gegen Abend ging ich wieder nach Hause und meine Schwester begleitete mich ein Stück des Weges. Da sagte ich zu ihr: »Es ist noch eine Zeit vormir,indermiretwas Sonderbares begegnensoll.« Ich wusste aber selbst nicht, wie, was, oder wann es sein oder geschehen sollte. Ich fühltees nur so im Gemüt spie- len und sprach bisweilen die Worte aus, ehe ich es dachte. . .

Ich ging nach Hause, ganz empor gehoben von Freuden, und innerlich über die Maßen erfüllt und durchglüht, dass ich meinte, ich müsste vergehen von der Herrlich- keit. Denn der Leib war zu schwach, diesen Glanz zu er- tragen. Dabat ich und sagte : » Herr, nicht mehr, oderich muss zerbersten!« Und so ging ich in Süssigkeit weiter nach Hause. Es war damalsauf das Höchste gekommen, und hätte auch meiner leiblichen Schwäche nach nicht höher sein dürfen.

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Aisich nach Hause kam, fand ichunsereLeutezuBettund setzte mich auch, mich auszukleiden. Da wurde mir als- bald seitwärts vom Feuerherd auf einem platten Back- stein ein kreisrundes Ding wie ein Reichstaler gross ge- zeigt, das ganzhell und klar von Licht warwieein Kristall. Darüber erfreute sich mein Gemüt aufs neue. Doch zwei- felte ich, ob dies etwas Besonderes oder Gewöhnliches sei, und ging ans Fenster zusehen, ob es durch den Mond Verursachtsein könnte. Allein als ich mich recht bedach- te, wusste ich, dass der Mond nicht schien. Da ging ich wiederdarauf zu und besah esmit grosser Verwunderung und es wurde mir innerlich sehr deutlich gesagt : » Dasist einTeilchenvon der neuen Erde.« Nachdem ich oftmals rund herum gegangen war und es genug besehen hatte, kam es vor meinen Augen wieder weg. Seht, diese und die vorigen Dinge erweckten immerneue Verwunderung in mir. Ich überlegte die grossen Dinge und stellte wieder meine Kleinheit dagegen. Dann ging ich zu Bett. In einer dieser Nächte, ich weiss nicht mehr in welcher, bekam ich eine ganz süsse Empfindlichkeit an den äusseren Sinnen. Das Gesicht wurde sehr hell und dasGehör so lieblich, dass der Klang, den ich da hörte, alle weltlichen Melodien unvergleichlich übertraf und hin- reichend bewies, dass er himmlisch war. . . Alles war himmlisch und ganz vollkommen, sodass man dies nie- mandem so erzählen kann, wie es geschehen ist. Nur die esselbereinmal erfahren oder erfahren haben, können es verstehen.

Am nächsten Tage, Freitag morgens, sobald der Tag an- brach, sagte ich zu meiner Frau: »Stehe auf und mach ein grosses Feuer an. Denn mir ist gezeigt, dass heute et-

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was Wunderbares geschehen soll.« Ichwusste nicht ei- gentlich,was; allein dass etwas kommen sollte, das hatte mir derGeistschon kund getan. Darauf standmeineFrau auf und tat es. Ich stand auch alsbald danach auf, kleidete mich an und setzte mich ans Feuer. Und zurStundewur- de in mir ein Zwiegespräch, wie zwischen einem Vater und einem Sohn,daswohldrei Stunden währte, sehrklar und stimmlich, und alles musste ich mit meiner natür- lichenZungeaussprechen und beantworten. MeineHaus- genossen, die dabei waren, hörten die göttliche Sprache nicht, wiewohl sie sehr stark und unterschiedlich in mir geschah, und darum musste ich sie nachsprechen. Dies Gespräch ging ohne das geringste Nachdenken so leben- dig und munter weiter, dass es nicht auszusprechen, zu begreifen, noch zu glauben ist. Es war auch im Klange unterschieden, anders die Stimme des Vaters, anders die des Sohnes. Der allererste Anfang ging sanft inwendigvor sich, nicht stimmlich, und hernach wurde es stimmlich. . . . Der Sohn, das ist der neue Mensch, der in mir wieder- geboren war, sagte : » Vater, spielst du so mit deinen Kin- dern.? Bistduunssonahe.f^ wie bist duuns dann zuvor so weit entfernt gewesen.?« Der Vater antwortete: »Ich bin allezeit bei dir gewesen. Allein was dünkt dich wohl von diesen Dingen.?« Dasagteich: »Herr, du weisstes. Und ich vertraue, dass du allein dies bist und dies tust, und kein anderer.«

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ANNA KATHARINA EMMERICH (1774— 1824)

DER Engel ruft mich und führt mich dahin und dort- hin. Gar oft bin ich mit ihm auf der Reise. Er bringt mich zu Menschen, die ich kenne oder einmal gesehen habe ; aber auch zu solchen, welche mir sonst ganz unbe- kannt sind. Er bringt mich selbst übers Meer; aber das ist schnell wie ein Gedanke, und ich sehe dann so weit, so weit! Er war es, der mich zur Königin von Frank- reich in ihr Gefängnis geführt hat. Wenn er zu mir kommt, mich auf irgend eine Reise zu leiten, sehe ich meist zuerst einen Glanz und dann tritt eine Ge- staltplötzlich leuchtend aus der Nacht, wie etwa wenn eine Blendleuchte auf einmal in der Nacht geöffnet wird. Wenn wir reisen, ist esNacht über uns; an der Erde aber fliegt Schimmer. Wir reisen von hier durch bekannte Gegenden nach immer ferneren aus, und ich habe die Empfindung ungemeiner Entfernung. Bald geht es auf geraden Strassen, bald quer über Felder, Berge, Flüsse und Meere. Ich muss allen Weg mit den Füssen messen, oft mit Anstrengung selbst Berge hinanklimmen. Meine Kniesind dann schmerzlich ermüdet, meine Füsse bren- nen, ichbin immerbarfüssig. Bald mir voraus, baldneben mirschwebtmeinFührer. Nieseheich, als bewegteerdie Füsse. Er ist sehr schweigsam, ohne viele Bewegung, ausser dass er seine kurzen Antworten mit derHandoder mit dem Neigen des Kopfes begleitet. Er ist so durchsich- tig und glänzend, oft ganz ernst, oft mit Liebe gemischt. Seine Haare sind schlicht, fliessend und schimmernd. Er ist ohne Kopfbedeckung und trägt einen langen, blond schimmernden Priestertalar.Ichredemitihmganzdreist,

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allein ich kann ihm nie recht in das Gesicht sehen, so ge- beugtbinichvorihm. ErgibtmiralleWeisung. Ichscheue mich, ihn viel zu fragen ; es hindert mich das selige Genü- gen, wenn ich bei ihm bin. Er ist seinen Worten nach immerso kurz. Ich sehe ihn auch in wachendem Zustan- de. Wenn ich für andere bete und er ist nicht bei mir, so rufeich nach ihm, dass er zum Engel der anderen gehe. Oft auch sage ich, wenn er bei mirist, nun will ich bleiben, gehe du da und da hin und tröste! und ich sehe ihn hin- wandeln. Komme ich an grosse Wasser und weiss nicht, wie hinüber, bin ich auf einmal drüben und sehe verwun- dert rückwärts.

Ich wusste nichts von mir, ich dachte nur an Jesum und meine heiligen Gelübde. Meine Mitschwestern verstan- den mich nicht. Ich konnte ihnen meinen Zustand nicht erklären. Ich war mitten darin. Jedoch hatte Gott noch viele Gnaden, die er mir erwies, vor ihnen verborgen, sonst würden sie ganz irran mir geworden sein. Bei allen Schmerzen und Leiden war ich nie in meinem Innern so reich. Ich war überglückselig. Ich hatte einen Stuhl ohne Sitz und einen Stuhl ohne Lehne in meiner Zelle, und sie war doch so voll und prächtig, dass mir oft der ganzeHim- mel darin zu sein schien. Wenn ich aber manchmal nachts in meiner Zelle von der Liebe und Barmherzigkeit des Herrn hingerissen in trunkener vertraulicher Rede gegen ihn ausbrach, wie ich es von Kind auf getanhabe, und ich wohl belauert ward, ward ich grosser Keckheit und Vermessenheit gegen Gott beschuldigt, und da ich einmal unwillkürlich erwiderte, es scheine mir eine grös- sere Vermessenheit, den Leib des Herrn zu empfangen,

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ohne so vertraut mit ihm gesprochen zu haben, ach da wurde ich sehr ausgeschmäht. Bei alledem lebte ich mit Gott und all seinen Geschöpfen in seligem Frieden. Wenn ich im Garten arbeitete, kamen die Vögel zu mir, setzten sich mir auf den Kopf und die Schultern und wir lobsan- gen Gott zusammen. Ich sah meinen Schutzengel immer an meiner Seite, und so viel auch der böse Feind gegen mich hetzte, ja mich selbst mit Foltern, Schlagen und Werfen misshandelte, konnteer mirdochkeinengrossen Schaden tun, ich hatte immer Schutz und Hilfe, und Vor- warnungen. Meine Sehnsucht nach dem heiligen Sakra- mente war so unwiderstehlich, dass ich oft nachts im Schlafe zu ihm hingezogen meine Zelle verliess, und in der Kirche, so sie offen war, oder an der verschlossenen Kirchentüre, oder an der Kirchenmauer selbst im stren- gen Winter mit ausgebreiteten Armen in Erstarrung kniete oder lag, und so von dem Priester des Klosters, der barmherzig früher kam, mir die heilige Kommunion zu, reichen, gefunden wurde. Wie er aber nahte und die Kirche öffnete, erwachte ich und eilte an die Kommu- nionbank, und fand meinen Herrn und Gott. In meinen Verrichtungen als Küsterin wurde meine Seele oft plötz- lich wie weggerisssn, und ich kletterte, stieg und stand in der Kirche auf hohen Stellen, an Fensterblenden, Vor- sprüngen und Bildwerk, wo es menschlicher Weise hin- zugelangen unmöglich schien. Da reinigte ich und zierte dann alles. Immer war mir, als seien gütige Geister und Wesen um mich, die mich oben hielten und mir halfen. Ich hatte keinen Arg darüber, ich war es von Kind auf ge- wohnt, ich war nie lang allein. Wir taten alles so lieblich mitsammen. Nur unter manchen Menschen war ich so

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allein, dass ich weinen musste, wie ein Kind das heim will.

Ich sah unendlich Vieles, was sich gar nicht aussprechen lässt. Wer kann mit der Zunge sagen, was eranderssieht, als mit den Augen? . . .

Ich sehe das nicht mit den Augen, sondern es ist mir, als seheich es mit dem Herzen, so mitten in der Brust. Es bricht mirauch da der Schweiss aus. Ich sehe durch die Augen zugleich die Gegenstände und Personen um mich her; aber sie kennen mich nicht, ich weiss nicht, wer und was sie sind. Ichbinjetztnochschauend,daichspreche... Seit einigen Tagen bin ich stets zwischen sinnlichem und übersinnlichem Sehen. Ich muss mir sehr Gewalt antun ; denn mitten im Gespräch mit Anderen sehe ich auf ein- mal ganz andere Dinge und Bilder vormir und vernehme dann meine Rede, wie die eines anderen, der aus einem hohlen Fasse grob und dumpfig spricht. Es ist mir auch, als wäre ich berauscht und könnte fallen. Meine Rede gegen die Sprechenden geht ruhig und oft lebhafter als ge- wöhnlich fort, ohne dass ich nachher weiss, was ich ge- sprochen, und doch rede ich ganz in der Folge. Ich muss mich mit Mühe in diesem Doppel-Zustand halten. Ich sehe mit den Augen das Gegenwärtige trüb wie ein Ein- schlummernder, dem der Traum aufsteigt. Das zweite Sehen will mich mit Gewalt hinreissen und ist heller als das natürliche; aber es ist nicht durch die Augen.

Als sie einmal ein Gesicht erzählt hatte, legte sie ihre Ar- beit weg und sagte: Ich bin den ganzen Tag so fliegend und sehend, dass ich immer bald den Pilger [Brentano]

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sehe, bald nichtsehe. Höret er dann nicht singen? Es ist mir, als sei ich auf einer schönen Wiese und als wölbten sich Bäume über mir. Ich höre es so wunderbar schön singen, als seien es süsse Kinderstimmen. Es ist mir, als sei die nahe, wirkliche Umgebung ein Traum ; es scheint in ihr alles so trüb, undurchsichtig und unzusammen- hängend, dass sie ein roher Traum scheint, zwischen dem ich eine lichte, durch und durch verständliche und immer bis in den innersten Ursprung und Zusammen- hang aller Erscheinungen verständliche Welt schaue, in welcher das Gute und Heilige tiefer ergötzet, weil man seinen Weg aus Gott und in Gott erkennt, und in welcher alles Böse und Unheilige tiefer betrübt, weil man seinen Weg aus dem Teufel und in den Teufel und gegen Gott und die Kreatur erkennt. Dieses Leben, in welchem ei- nen nichts hindert, nicht Zeit, nicht Raum, kein Körper, keine Verschwiegenheit, wo alles spricht und allesleuch- tet, scheint so vollkommen und frei, dass dieblinde, lah- rne, stammelnde Wirklichkeit ein leererTraum darin er- scheint.

In diesem Gebete wurde ich ruhig und ich sah ein Antlitz mir nahen, in meine Brust eingehen, als verschmelze es mit mir. Und es war mir, als gehe meine Seele in diesem Einswerden mit dem Antlitz in sich zurück und werde immerkleiner,und mein Leib erschien miralseingrosses, plumpes Wesen, gross wie ein Haus. Das Antlitz, die Er- scheinung in mir schien wie dreifaltig, ward unendlich reich und mannigfaltig und war doch immer eins. Esging (d. h. seineStrahlen, seine Blicke) in alle Chöre der Engel und Heiligen auseinander. Ich empfand Trost und Freu-

14 Buber, KoDfesstonen

de darüber und dachte : sollte dies Alles wohl vom bösen Feinde sein? Und indem ich dies dachte, zogen alle Bil- der klar und deutlich, wie ein Zug lichter Wolken, noch- mals durch meineSeele durch, undichfühlte,dasssienun ausser mir, zu meiner Seite in einem lichten Kreise stan- den. Ich fühlte auch, dass ich wieder grösser war und mein Körper mir nicht mehr so plump erschien. Es war nur wie eine Welt ausser mir, in welche ich durch eine LichtöfFnung hineinschauen konnte. . .

Die Art, wie man im Gesicht Mitteilung von seligen Gei- stern empfängt, ist schwer zu sagen. Alles, was gesagt wird, ist ungemein kurz. Mit einem Worte erfahre ich mehr, als sonst mit dreissig. Man schaut den Begriff der Redenden, sieht aber nicht mit den Augen, und doch ist Allesklarer, deutlicher als jetzt. Man empfängt es mit ei- ner Lust, wie kühles Windwehen im heissen Sommer. Man kann es mit Worten nie ganz wiedersagen. . . . Alles, was diese arme Seele mir sagte, war zwar auch kurz, wie in allen solchen Mitteilungen, doch hatdas Verstehen bei der Rede der Seele im Reinigungsort eine grössere Schwierigkeit; ihre Stimme hat etwas Dumpfes, als schalle sie durch eine den Ton trübende Hülle, oder als wenn einer aus einem Brunnen, einem Fasse spricht. Zu- gleich ist der Sinn schwerer zu fassen und ich muss viel genauer achtgeben, als wenn mein Führer, oderderHerr, oder ein Heiliger spricht; dann ist es, als wenn die Worte Einen wie ein klarer Luftstrom durchströmen, und man sieht und weiss alles, was sie sagen. Ein Wort stellt mehr in unsere Seele, als eineganze Rede. . . .

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Am 25. Juli 1821 rief Anna Katharina dem Pilger zu: T> DerPilger ist ohne Feierlichkeit und betet in Angst alles durcheinanderganzkurz.Oftseheich durch seinen Kopf allerlei böse Gedanken laufen; sie sehen aus, wie ganz wunderliche garstige Tiere! Er fängt sie nicht, treibt sie auch nicht schnell fort; es ist, als wäre er sie gewohnt. Sie laufen, quer durch, wie durch einen gebahnten Weg.« DerPilger bemerkte hierzu : » Das ist sehr wahr leider! « .

Ich sehe aus dem Munde der Betenden eine Linie von Worten wie einen feurigen Strahl hervorgehen und zu Gott empordringen . Ich sehe und erkenne in den Worten die Art der Schriftzüge des Betenden und lese Einzelnes. Die Schrift ist bei jedem Menschen verschieden. In dem Strome selbst wird einzelnes flammender, anderes blas- ser, bald weitläufiger, bald reissender und enger. Kurz, es ist so, wie man schreibt.

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ANHANG

AUS DEM MAHABHARATAM

NUN aber will ich euch verkündigen jene ein verbor- genes Dasein bewirkende, selige Einkehr, welche in der Mitte aller Wesen erfolgt durch milde oder rauhe Mittel.

Das Verhalten, welchem Tugend nicht mehr für Tugend gilt, welches ohne Anhänglichkeit, einsam und frei von denUnterschieden ist, diesesganzinBrahman aufgehende Verhalten nennt man das auf die einzige Stätte gerichtete Glück.

Der alsWeiser dieBegierde von überallher in sich zurück- zieht wie die Schildkröte ihre Glieder, ein solcher leiden- schaftsloser und nach allen Seiten freier Mann ist immer- fortglücklich;dieBegierdeninseinInnereszurücktragend, den Durst vernichtend, absorbirt und gegen alle Wesen wohlwollend und freundlich, wird er tauglich zum Brah- mansein.

Durch Niederhaltung aller nach den Dingen trachtenden Sinnesorgane wird in dem Muni [Schweiger, Einsiedler], indem er die Wohnstätten der Menschen meidet, das Feuer des eigenen Selbstes entzündet. So wie das durch Brennholz entflammte Feuer mit grossem Scheine aufleuchtet, so wird durch Niederhal- tung der Sinnesorgane der grosse Atman [das Selbst] auf- leuchten.

Wenn einer alle Wesen mit ruhigem Selbst in seinem eigenen Herzen schaut, dann dient er sich selbst als Licht und gelangt aus dem Verborgenen zu dem allerhöchsten Verborgenen. Seine Sichtbarkeit ist Feuer, sein Fliessendes ist Wasser,

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seine Fühlbarkeit ist Wind, sein scheussliches Schmutz- tragendes ist Erde und sein Hörbares ist Äther; von Krankheit und Leid ist er erfüllt, von den fünf Strom- pforten [den fünf Sinnen] umgeben, aus den fünf Elemen- ten zusammengeflochten, mit neunToren,vonzwei Göt- tern [der höchsten und der individuellen Seele] bewohnt, unsauber, unansehnlich, dreigunahaft[guna: Qualität], dreigrundstoffhaft [Schleim, Galle, Wind], berührungs- süchtig und voUTorheit, das ist der Leib, das ist ge- wiss.

Überall in dieser Welt schwer zu behandeln und die In- telligenz als Stütze habend, rollt der Leib in dieser Welt aufdem Wagen der Zeit dahin.

Diesen furchtbaren, unergründlichen, grossen Ozean, der da heisst Verblendung, soll man abtun, soll man ver- nichten und die unsterbliche Welt in sich zum Erwachen bringen.

Begierde, Zorn, Furcht, Habsucht, Tücke und Unwahr- heit, diese alle wirft er durch Unterwerfung der Sinnes- organe ab, obgleich sie schwer abzuwerfen sind. Wer diese, die Dreigunahaften, Fünfelementhaften in der Welt überwunden hat, dessen Stätte ist im Himmel, dem wird Unendlichkeit zuteil.

Ihm, der die fünf Sinne als grosse Ufer, der den Drang des Manas als mächtige Strömung hat, den Fluss, der sich zum See der Verblendung ausbreitet, soll man durch- schwimmen und beides überwinden, die Begierde und den Zorn.

Dann schaut man, befreit von allen Gebrechen, jenes Höchste, dessen Manas [hier: Wille] in seinem Manas einschliessend und das Selbst in seinem Selbst schauend.

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In allen Wesen allwissend, findet er in seinem Selbst das Selbst, indem er sich in eines oder in viele wandelt, bald hier, bald dort.

Dann durchschaut er völlig dieGestalten, sowie man mit einer Fackel hundert Fackeln entzündet, dann ist er Vishnu und Mitra, Varuna, Agni und Prajäpati [die Göt- ter];

dann ist er Schöpfer und Ordner, der Herr, der Allgegen- wärtige, dann wird er als das Herz aller Kreaturen, als der grosseÄtman erstrahlen ; dann werden ihm Brahma- nenscharen, Götter, Dämonen, Halbgötter, Unholde, Manen und Vögel, Koboldscharen, Gespensterscharen und alle grossen Weisen für und für lobsingen.

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WORTE LAO-TSES UND SEINER SCHÜLER (6. und 5 . Jahrhundert v. Chr.)

Aus dem Buche des Wen-tse

WER die grosse allgemeineHarmonledurchdringt, hält sich zurückgezogen wie einer, der von einem edlenWeine trunken ist und sich infreundlichenCefühlen niederlegt. Er bewegt sich in dieser unermesslichen Har- monie als wäre er nie aus dem Schöpfungsgrunde der Wesen gegangen. Dieses nennt man die grosse Durch- dringung.

Dieses ist das Tun des Heiligen. Es regt sich der vollkom- menen Leere zu. Er ergeht sein Herz in dem unbedingten Nein. Er schreitet aus allem Räume hinaus. Er nimmt seinen Weg wo keine Pforteist. Erhört was keinen Klang hat. Er sieht was keine Gestalt hat. Er haftet nicht an der Zeit. Er hat keine Gemeinschaft mit den Ungeweihten. So bewegt er die Welt.

Aus den Büchern des Tschuang-tse

Die Menschen der höchsten Geistigkeit steigen zum Lichte auf, und das Körperhafte entschwindet. Dieses nennen wir hell und himmelhaft sein. Sie bringen die Kräfte, mit denen sie begabt sind, zum Äussersten empor und lassen nicht eine einzige Eigenschaft unerschöpft. Ihre Freude ist die von Himmel und Erde, und die Bin- dungen der Sachen schmelzen, vergehen; alle Dingekeh- ren zum eigenen Wesen zurück. Dasistwasgenanntwird: das Dunkel des Chaos.

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Nach drei Tagen schied er sich vom Irdischen ab. Nach sieben Tagen löste er sich von allen Dingen. Nach neun Tagen schritt er aus seinem Sein hinaus. Danach ward sein Geist strahlend wie der Morgen, und er schaute das Wesen , sein Ich , von Angesicht zu Ange- sicht.

Als er geschaut hatte, wurde er ohne Vergangenheit und Gegenwart.

Er betrat das Reich, wo kein Tod und kein Leben ist, wo man das Leben töten kann ohne sterben zu machen und es erzeugen ohneleben zu machen, wo nichts ohne seine Vollendung ist.

Tse-tschi von Nan-kuo sass über einen Tisch gelehnt. Er sah zum Himmel, atmete leicht und schien entrückt zu sein, als wären Leib und Seele geschieden. Yen TschengTse-yü, der vor ihm stand, rief: »Was ist dies, dass dein Körper wie ein dürrer Baum wird und dein Geist wie tote Asche.^* Wahrlich, der Mann, der jetzt über den Tisch lehnt, ist nicht der, der vordem hier war. « Tse-tschi sprach: »Du fragst zu Recht, Yen. Ich hatte mich selber begraben. Aber wie kannst du das ver- stehen.? Du magst die Musik des Menschen gehört ha- ben, aber nicht die Musik der Erde. Du magst die Musik der Erde gehört haben, aber nicht die Musik des Himmels.«

Aus dem Buche der steten Reinheit und Ruhe

Wer sich loszumachen vermag, der schaut innen in sich sein nacktes Herz, und dieses Herz ist nicht sein Herz. Er schaut aussen seine Körpergestalt, und diese Gestalt ist

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nicht seine Gestalt. Weiter weg schaut er seine Gegen- stände, und diese Dinge sind nicht seine Dinge.

Aus dem Buche T>Die rot gestreifte Höhle«

Ich trage es unablässig im Geiste: ununterbrochen ein- dringend, schafft esalleScheidungenzwischenLeben und Tod hinwegund macht mich eins mit Himmel und Erde. Wenn das Sehen vergessen ist, wird das Licht unendlich reich. Wenn das Hören vernichtet ist, sammelt sich das Herz auf die ewigen Tiefen. Wenn die Sinne des Wahr- nehmens aufgehoben sind, wird der Mensch fähig, sich von allen Reizen der Weltloszuschliessen, rein, offenund vollständig, in vollkommener Einung mit dem All, weit, schrankenlos, wie ein belebender Lufthauch, keinen Scheidungen des Menschentums Untertan.

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VON DEN CHASSIDIM

{ostjüdische Sekte, entstanden um die Mitte des i8. Jahr- hiindertsj

UEBER einen Zaddik* geriet die Inbrunst jedesmal, wenn im Vortrage der Schrift die Worte kamen: Und Gott sprach. Ein chassidischer Weiser, der diessei- nenSchülernerzählte,fügtehinzu: »Aberauch ichmeine: wenn einer in Wahrheit redet und einer in Wahrheit empfängt, dann ist es genug an einem Worte, die ganze Welt zu erheben und die ganze Welt zu durchläutern « .

Ein Zaddik stand im ersten Morgendämmer am Fenster und rief zitternd: »Vor einer kleinen Stunde war noch Nacht und jetzt ist Tag Gott bringt den Tag herauf! « Und er war voll der Angst und desZitterns. Auch sprach er: »Jeder Geschaffene soll sich vor dem Schöpfer schä- men. Denn wäre ervollkommen, wie ihm bestimmt war, er müsste erstaunen und erwachen und entbrennen über die Erneuerung der Kreatur zu jeder Zeit und in jedem Augenblick«.

Von einem Meister wird erzählt, er habe in Stunden der Entrückung auf die Uhr sehen müssen, um sich in dieser Welt zu erhalten, und von einem anderen, er habe, wenn er dieEinzeldingebetrachtenwollte, eine Brille aufsetzen müssen, um seingeistigesSehen zubezwingen, dennsonst sah er alle Einzeldinge der Welt als Eines.

Als ein Schüler einmal eines Zaddiks »Erkalten« be-

♦Zaddik: Gerechter, Heiliger, Name der chassidischen Rabbis, die als Mittler zwischen Gott und Mensch angesehen werden.

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merkte und tadelte, wurde er von einem andern belehrt: »Es gibt ein sehr hohes Heiligtum. Wenn man dahin kommt, wird man alles Wesens los und kann nicht mehr entbrennen«.

Von dem Tanz einesZaddiks wird erzählt : Sein Fuss war leicht wie eines vierjährigen Kindes. Und alle, die sein hei- liges Tanzen sahen da warnichteiner, der nicht zu sich heimgekehrt wäre; denn er wirkte im Herzen aller, die es sahen, beides, Weinen und Wonne in einem.

Ein Zaddik stand in den »furchtbaren Tagen« [Neujahr undVersöhnungstagJimGebeteundsangneueMelodien, Wunder der Wunder, dieernie gehört hatte und die kein Menschenohr je gehört hatte, und er wusste gar nicht, was er singt und welche Weise er singt, denn er war an die obere Welt gebunden.

Es wird von einem Meister gesagt, er habe sich wie ein Fremdling geführt, nach den Worten Davids des Königs : » Ein Fremder bin ich im Lande « . Wie ein Mann, der aus derFernekam, ausderStadtseinerGeburt. Ersinnt nicht auf Ehre und nicht auf irgend ein Ding zu seinem Wohle. Nur darauf sinnt er, heimzukehren zur Stadt seiner Ge- burt. Nichts kann ihn besitzen, denn er weiss: das ist Fremdes und ich muss heim.

Worte der Chassidim

Wenn ein Mensch die ganze Lehre und alle Gebote erfüllt hat,aberdieWonne und dasBrennenhaternicht gehabt, wenn der stirbt und hinübergeht, öffnet man ihm das

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Paradies, aber weil er in der Welt die Wonne nicht ge- fühlt hat, fühlt er auch die Wonne des Paradieses nicht.

Der Mensch soll den Stolz lernen und nicht stolz sein, den Zorn kennen und nicht zürnen. Der Mensch vermag sich mitallenWonnen zu kasteien. Er vermag zu blicken nach welchem Orte er will und sich nicht über seine vier Ellen hinaus zu verlieren, Worten des Scherzes zu lauschen und sichzu betrüben. Undsogeschiehtes,dasserhiersitzt und sein Herz ist oben, er isst und vergnügt sich in dieser Welt und geniesst aus der Welt der geistigen Seligkeit.

Der Mensch vermag eitle Worte mit seinem Munde zu reden und die Lehre des Herrn ist in seinem Innern zu dieser Stunde; flüsternd zu beten und sein Herz schreit in seiner Brust; in einer Gemeinschaft von Menschen zu sitzen und er wandelt mit Gott, vermischt mit den Krea- turen und abgeschieden von der Welt.

Wer eine Frau sehr begehrt und ihre buntfarbnen Ge- wänder betrachtet, dessenSinn geht nicht auf dasPrunk- zeug und die Farben, sondern auf die Herrlichkeit der be- gehrten Frau, die in sie gehüllt ist. Aber die Andern sehen nur die Gewänder und nichts mehr. So schaut, wer Gott in Wahrheit begehrt und empfängt, in allen Dingen der Welt nur die Kraft und den Stolz des Bildners des Urbe- ginns, der in den Dingen lebt. Wer abernicht auf dieser Stufe ist, sieht die Dinge von Gott getrennt.

Wenn der Mensch gewürdigt wird, die Gesänge der Kräuter zu vernehmen, wie jedes Kraut sein Lied zu Gott

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sprichtohneallesfremdeWollen und Denken, wie schön und süss ist es, ihr Singen zu hören. Und daher ist es gar gut, in ihrerMitte Gott zu dienen in einsamem Wandeln über das Feld hin zwischen den Gewächsen derErdeund seine Rede auszuschütten vor Gott in Wahrhaftigkeit. Alle Rede des Feldes geht dann in deine ein und steigert ihre Kraft. Du trinkst mit jedem Atemzuge die Lüfte des Paradieses, und kehrst du heim, ist die Welt erneuert in deinen Augen.

Wie die Hand vors Auge gehalten den grössten Berg ver- deckt, so deckt das kleine irdische Leben dem Blick die ungeheuren Lichter und Geheimnisse, deren die Welt voll ist. Undweresvor seinen Augen wegziehenkann, wie man eine Handwegzieht, derschautdas grosse Leuchten desWelteninnern.

Die Schöpfung des Himmels und der Erde ist die Entfal- tung des Etwas aus dem Nichts, das Hinabsteigen des Oberen indasUntere. AberdieHeiligen,diesichvomSein ablösen und Gott immerdar anhängen, die sehen und er- fassen ihn in Wahrheit, als wäre das Nichts wie vor der Schöpfung. Sie wandeln das Etwas in das Nichts zurück. Und dies ist das Wunderbarere : das Untere emporbrin- gen. Wie es geschrieben steht in der Gemara : » Grösser ist das letzte Wunder als das erste « .

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AUS DEN SCHRIFTEN MAKARIOS DES AEGYP-

TIERS(3oi— 391)

WENN die Seele dem Herrn anhangt, und der Herr von Erbarmen und Liebe bewegt zu ihr kommt und ihr anhangt, und der Sinn beständig in der Gnade des Herrn verharrt, dann werden die Seele und der Herr Ein Geist, Eine Beschaffenheit und Ein Sinn. Und da der Leib dieser Seele am Boden liegt, lebt ihr Geist ganz im himmlischen Jerusalem, steigt bis zum dritten Himmel empor, hängt sich da an den Herrn und dient ihm. Und er, der da sitzt auf dem Throne der Herrlichkeit und der Höhe in der himm- lischen Stadt, er ist ganz und gar bei ihr in ihrem Lei- be. Denn ihr Bild hat er aufgerichtet in der himm- lischen Stadt der Heiligen, im oberen Jerusalem, sein Bild aber, seines heimlichen Lichtes und seiner Gott- heit, hat er aufgerichtet in ihrem Leibe. Erdient ihr in der Stadt des Leibes, sie aber dient ihm in der himmlischen Stadt. Sie besitzt ihn als ihr Erbteil in den Himmeln, und er hinwieder besitzt sie als sein Erbteil auf Erden. Denn der Herr wird das Erbe der Seele und die Seele wird das Erbe des Herrn.

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AUS DEN DIONYSIOS DEM AREOPAGITEN ZU- GESCHRIEBENEN SCHRIFTEN

Aus der Schrift von der mystischen Theologie

DARUM sagt der heilige Bartholomäus, die Gottes- weisheit sei zugleich vielfältig und klein, das Evan- gelium weitund gross und zugleich gedrängt. Mir scheint er das übernatürlich gemeint zu haben: dassdie Ursache aller Dingezugleich wortreich ist und wortkarg und wort- los, dass sie weder Rede noch Denken besitzt, da sie über alles Seiende überwesentlich hinausliegt und allein de- nen unverhüllt und wahrhaft erscheint, die über alle Schuld und Unschuld hinausschreiten, und über alles Aufsteigen zu heiligen Höhen hinausschreiten, und alle göttlichen Lichter und Töne und himmlische Rede ver- lassenund indasDunkeltauchen,wo,wie dieSchriftsagt, der wahrhaft ist, der jenseits von allem ist. Und nicht von Ungefähr wird daher dem göttlichen Moses geboten, zu- erst sich selber zu reinigen, sodann sich von den nichtGe- reinigten zu sondern, und nach aller Reinigung hört er die vieltönigen Posaunen, sieht viele Lichter, die reine und vielfältige Strahlen werfen ; dann sondert er sich von der Menge, und mit den auserwählten Priestern kommt er zu der Höhe der göttlichen Aufstiege. Nach all diesem aber ist er noch nicht zum Gotte gesellt, er sieht den Un- sichtbaren nicht, nur den Raum darauf er steht. . . . Dann aberwirderauch von dem Gesehenen und von demSe- hendengelöstundtauchtindasDunkel desNichtwissens, das wahrhaft mystische, in dem eralleWidersprüche des Erkennens abstreift und in das durchaus Unfassbare und Unschaubare aufgenommen wird, ganz dessen gewor-

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den, der über alle hinaus ist, und niemandes eigen, nicht seiner selbst noch eines Andern, mit dem vollkommen Unerkennbaren durch die Authebung alles Erkennens dem Kerne des eignen Wesens nach vereint, und indem er nichts erkennt, über den Geist hinaus erkennend.

tS Buber, Konfessionen

AUS DEM (MEISTER ECKHART ZUGESCHRIE- j BENEN) TRAKTAT »SCHWESTER KATREI« ^

NUN kommt die vorher genannte Tochter zu ihrem ehrwürdigen Beichtvater und spricht: Herr, höret mich um Gott. Er sprach : Von wannen kommst du ? Sie sprach: Von fernen Landen. Er sprach : Wer bist du .?* Sie sprach : Erkennet Ihr mich nicht.? Er sprach : WeissGott, nein! Sie sprach: Das ist mir ein Zeichen, dass Ihr Euch selber nie erkanntet. Er sprach: Das ist wahr. Ich weiss wohl, erkennte ich mich selber, wie ich sollte, auf das Al- lernächste, so kennte ich alle Kreaturen auf das Aller- höchste. Sie sprach: Das ist wahr. Nun lassen wir diese Rede bleiben. Höret mich um Gott. Er sprach: Gern, sage an. Die Tochter tat ihre Beichte ihrem ehrwürdigen Beichtvater so wie es in ihr war, dass seine Seele in ihm erfreut wurde. Er sprach: Liebe Tochter, komm bald wieder zu mir. Sie sprach: Fügt es Gott, es ist mir lieb. Er ging hin zu seinen Brüdern und sprach : Ich habe einen Menschen gehört, ich weiss nicht und zweifle, ob es ein Mensch oder ein Engel sei. Ist er ein Mensch, so wisset, dass alle Kräfte seiner Seele mit den Engeln im Himmelreich wohnen, denn seineSeele hat ein Engelwe- sen empfangen. Sie erkennt und liebt über allen Men- schen, von denen ich je Kunde gewann. Die Brüder spra- chen alle: Gelobt sei Gott. Der Beichtvater sucht die Tochterin derKirche, wo er sie weiss, und bittet sie ge- treulich um Gott, dass sie mit ihm rede. Sie sprach : Er- kennt Ihr mich noch nicht.? Er sprach: Nein, das weiss Gott. Sie sprach : So will ich es Euch aus Liebe sagen. Ich

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bin der arme Mensch, den Ihr zu Gott gezogen habt. Da offenbart sie ihm, wer sie sei. Da sprach er : Ach ich armer Mann, wie mag ich mich schämen vor den Augen Gottes, dass ich so lange geistigen Schein getragen habe und noch so wenig gefunden habe göttlicher Heimlichkeit. Er sprach : Ich bitte dich, liebeTochter, um der Liebe willen, die du zu Gott hast, dass du mir offenbarest dein Leben und deine Übung, die du seither gehabt hast, seit ich dich zuletzt sah. Sie sprach: Davon wäre viel zu sagen. Er sprach: Es kann nicht zu viel sein, ich höre alles gern. Wisse, mir ist viel Wunders von dir gesagt. Die Tochter hub an und sagte dem Beichtvater und sprach : Ihr sollt mich nimmer verraten solange ich lebe. Er sprach: Ich gebe dir mein Versprechen, dass ich dich nimmer an dei- ner Beichte verrate, solange du lebst. Siefinganund sagte ihm so viel Wunderbares, dass es ihn Wunder nahm, wie ein Mensch so viel leiden möge. Sie sprach : Herr, mir ge- bricht es noch. Ichhabealldas gelittenundüberkommen, was meine Seele begehrt hatte, nur dass ich nicht wegen meinesGlaubensangeklagt worden bin. Ersprach:Gelobt sei Gott, dass er dich je erschuf; und nun lass es dir genü- gen. Sie sprach: Nimmer solange meine Seele kein Blei- ben hat an der Stätte derEwigkeit. Er sprach : Mir genüg- te wohl, hätte meine Seele den Aufgang, den deine hat. Sie sprach: Meine Seele hat einen steten Aufgang ohne alles Hindernis; sie hat aber nichtein stetes Bleiben. Wis- set, derWille genügt mir nicht; wüsste ich doch, was ich mehr tun soll, dassich bestätigtwerde in der steten Ewig- keit. Er sprach : Hast du danach so grosse Begierde. ^^ Sie sprach: Ja. Er sprach: Dessen musst du bloss werden, wenn du je bewährt werden sollst. Sie sprach: Ich tue es

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gern, und setzt sich in eine Blossheit. Da zieht Gott sie in ein göttliches Licht, dass sie wähnt eins mit Gott zusein und es ist solange dies währt. Dann wird sie mit einer überschwänglichen göttlichen Empfindung wieder in sich selber geschlagen, dass sie spricht: Ich weiss nicht, ob mir je Rat wird. Der Beichtvater geht hin zu derTochter und spricht : Sage mir, wie geht es dir nun .? Sie sprach : Es geht mir übel, mir ist Himmel und Erde zu eng. Er bat sie, ihm etwas zu sagen. Sie sprach : Ich weiss so Geringes nicht, dass ich esEuchsagen könnte. Er sprach: Tu es um Gott und sage mir etwas. Sage mir doch ein Wort ! Er ge- wann ihr eines ab. Da redete sie mit ihm so wunderbar und so tief von der nackten EmpfindunggöttlicherWahr- heit, dass er sprach : Wisse, dasist allen Menschen fremd, und wäre ich nicht ein Gelehrter, dass ich es selber erfah- ren habe in der Gottesweisheit, es wäre mir auch fremd. Sie spricht : Das gönne ich Euch übel : ich wollte, dass Ihr es mit dem Leben gefunden hättet. Er spricht: Dusollst wissen, dass ich davon so viel gefunden habe, dass ich es so gut weiss, wie dass ich heute Messe las. Doch wisse: dass ich es nicht mit dem Leben in Besitz genommen ha- be, das ist mir leid. Die Tochter sprach : Bittet Gott für mich, und gehtinihreEinsamkeitundgeniesst Gottes. Die Weile aberwährt nicht lang, dakommt sie wieder vor die Pforte und verlangt ihren Beichtvater undspricht: Herr, freuet euch mit mir, ich bin Gott geworden. Er sprach: Gelobt sei Gott ! Nun geh von allen Leuten wieder fort in deine Einsamkeit: bleibst du Gott, ich gönne dirs wohl. Sie ist dem ehrwürdigen Beichtvater gehorsam und geht in einen Winkel in der Kirche. Da kam sie dazu, dass sie all das vergass, was je Namen gewann, und ward so fern

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aus sich selber und aus allen geschaffenen Dingen gezo- gen, dass man sie aus der Kirche tragen musste, und lag bis an den dritten Tag, und man hielt sie für sicherlich tot. Der Beichtvater sprach : Ich glaube nicht, dass sie tot sei. Wisset, wäre der Beichtvater nicht gewesen, man hätte sie begraben. Man versuchte alles, was man erdenken konnte,ob dieSeele im Leibe wäre; daskonnte man nicht erfahren. Man sprach : Gewiss, sie ist tot. DerBeichtvater sprach : Gewiss, sie ist es nicht. Am dritten Tage kam die Tochter wieder zu sich und sprach: Ach, ich Arme, ich bin wieder hier.?^ Der Beichtvaterwar bereit und redetezu ihrundsprach : Lass mich göttlicherTreuegeniessen und offenbaremir,wasduerfahrenhast. Siesprach: Gottweiss wohl, ich kann nicht. Was ich erfahren habe, das kann ich nicht zu Worte bringen. Er sprach : Hast du nun alles, was du willst.? Sie sprach: Ja, ich bin bewährt.

Sie sprach: Ich hatte alle Kräfte meiner Seele gezäumt und gezähmt, so dass, wenn ich mich sah, ich Gott in mir sah und alles wasGott je schuf im Himmel und auf Er- den. Dies will ich euch noch besser erzählen. Ihr wisset wohl, wer inGott gekehrtistundindenSpiegelderWahr- heit, der sieht alles was nach dem Spiegel gerichtet ist, das sind alle Dinge. Dies war meine innere Übung, ehe ich be- währt wurde. Habt Ihr den Sinn wohl verstanden.?* Er sprach : Es muss notwendig so sein. Ist aber deine Übung nun nicht so.f* Sie sprach: Nein. Ich habe mit den Engeln und mit denHeiligen nichts zu schaffen noch mit alle dem was je geschaffen ward. Mehr: was je zu Worte ward, damit habe ich nichts zu schaffen. Er sprach: Davon berichte mir mehr. Sie sprach: Das tue ich. Ich bin be-

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währt in der nackten Gottheit, darin nie Bild noch Form bestand. Er sprach: Bist du da beständig? Sie sprach: Ja. Er sprach: Wisse, diese Rede höre ich gern, liebe Tochter, rede weiter. Sie sprach: Ich bin da wo ich war, ehe ich geschaffen wurde, da ist bloss Gott in Gott. Daist weder Himmel noch Heilige noch Chöre noch Engel noch dies noch das. Manche Leute sagen von acht Himmeln und von neun Chören; dasistdanicht,woichbin.Ihrsolltwissen, alleswasman so zu Worte bringt und den Leuten mit Bildern vorlegt, das ist nichts als ein Anreiz zu Gott. Wisset, dass in Gott nichts ist als Gott. Wisset, dass keine Seele in Gott kom- men kann, sie werde denn zuvor so Gott wie sie Gott war ehe sie geschaffen wurde.

Sie sprach: Ihr sollet wissen, wer sich damit lässt begnü- gen, was man zu Worte bringen kann Gott ist ein Wort, Himmelreich ist auch ein Wort , wer nicht wei- ter kommen will mit den Kräften der Seele, mit Erkennt- nis und mitLiebe,alsjezu Worteward,dersollgerechter- weise ein ungläubiger Mensch heissen.Was man zu Wor- te bringt, das begreifen die niederen Kräfte der Seele. Da- mit begnügen sich die oberen Kräfte nicht: sie dringen immer weiter, bis sie vor den Ursprung kommen, daraus die Seele geflossen ist. Ihr sollt wissen, dass die Kräfte der Seele nicht in den Ursprung kommen können. Die neun Kräfte der Seele sind alle Knechte der Seelengewalt und helfen der Gewalt vor den Ursprung und ziehen sie aus den niederen Dingen. Wenn die Seele in ihrer eigenen Majestät über allen geschaffenen Dingen vor dem Ur- sprung steht, dringt die Gewalt der Seele in den Ur-

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Sprung und alle Kräfte der Seele bleiben draussen. Das sollt Ihr so verstehen. Es ist die Seele aller namenhaben- den Dinge nackt und bloss. So steht sie die Einein dem Einen, also dass sie ein Vorwärtsgehen hat in der nack- ten Gottheit, wie das Öl auf dem Tuch, das fliesst weiter und fliesst immer vor und vor, so lange, dass das Tuch davon ganz übergeht. So sollt Ihrwissen: solangeder gute Mensch in der Zeit lebt, hat seineSeele einen steten Fort- gang in der Ewigkeit.

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Ich habe die folgenden Editionen und Übertragungen benützt:

BÄBA LÄL H. Wilson : Sketch of the religious sects of the Hindus. ^Calcutta 1846 (auch schon in Asiatic Researches XVII).

RÄMAKRISHNA Max Müller: Rämakrishna. Hislifeandsayings. London and Bombay 1898. Swami Vivekananda : Speechesand writings. Madras 1905.

RÄBlATholuckiSsufismussivetheosophiaPersarumpantheistica. Berlin 1 82 i . Ibn Challikan: Biographical dictionary, translated by de Slane. I. Paris 1842. Tezkereh-i-Evliä. Le memorial des saints, traduit par A. Pavet de Courteille. Paris 1889.

HUSAIN AL HALLÄDSCH Tholuck : Blütenlese aus der morgen- ländischen Mystik. Berlin 1825.

BÄJEZID BESTÄMI Tezkereh-i-Evliä. Le memorial des saints, trad. par A. Pavet de Courteille. Paris 1889. Tholuck: Ssufis- mus sive theologia Persarum pantheistica. Berlin 1821. Für den Anfang der letzten Stelle, dessen Wortlaut in den Über- setzungen mir zweifelhaft erschien, habe ich durch die Freund- lichkeit des Herrn Dr. Gotthold Weil den persischen Text ver- gleichen können.

FARID-ED-DIN-ÄTTAR Mantic Uttair ou le langage des oiseaux, traduit par Garcin de Tassy. Paris 1863. Pend-Nameh ou le livre des conseils, traduit par Silvestre de Sacy. Paris 18 19. (In den Anmerkungen hat de Sacy Stücke aus dem ,, Gespräch der Vögel" nach einem andern Text als der von Garcin de Tassy benützte übertragen.)

DSCHALÄL-ED-DIN RUMI Masnavi i ma'navi, translated by E.H.Whinfield. Londoni887. Selected poems from the Diväni Shamsi Tabriz, transl. by R. A. Nicholson. Cambridge 1898.

DER SCHÜLER DES MOLLA-SHAH A. de Kremer : Mollä-Shah et le spiritualisme oriental. Paris 1869.

PLOTINOS IV. Enn. 8, i; VI. Enn. 9, 9, 1 1. (Plotini Enneades rec. H. F. Mueller. Berlin 1878.)

VALENTINOS Hippolytus Phil. VI. 42, V. 37. Weinel: Die Wirk- ungen des Geistes und der Geister im nachapostolischen Zeit- alter. Freiburg i.B. 1899.

232

MONTANISTEN Die erhaltenen Worte sind bei Bonwetsch, Die Geschichte des Montanismus, Erlangen 1881, zusammenge- stellt.

SYMEON Tou ociou /cai 8-eo<popou Traxpo; i^jy.tov Sujy.swv tou veou -S-soXoyou Ta £6pi<T;cop-£va. Venedig 1790. 2u[X£tov TOU vsou ^eo^-oyou Ta suptGxo-

f7.£va TravTa in Mignes Patrologiae GraecaeT. CXX. Paris 1 864. Für einzelneStellen habe ich die Münchner Handschriftzur Text- vergleichung herangezogen.

HILDEGARD AnalectaSanctaeHildegardisoperaSpicilegioSoles- mensi parata ed J. B. Card. Pitra. Paris 1882. (Der Brief ist an Gilbert von Gembloux gerichtet.)

ALPAIS Vie de la bienheureuse Alpais, publice pour la premiere fois en latin d'apres un manuscrit chartrain du XIII. siecle par l'abbe P. Blanchon. Marly-le-Roy 1893.

AEGIDIUS Chronica XXIVGeneralium Ordinis Minorum (Ana- lecta Franciscana III.) Quaracchi 1897. C)ie Ludwig- Legende nach dem Text der Actus beati Francisci et sociorum ejus (ed. Sabatier, Paris 1 902), der älter ist als der der Fioretti.

MECHTHILD VON MAGDEBURG Offenbarungen der Schwe- ster Mechthild von Magdeburg, herausgegeben von P. Call Morel. Regensburg 1869.

MECHTHILD VON HACKEBORN Revelationes Gertrudianae ac Mechtildianae II. Paris 1877.

GERTRUD Revelationes Gertrudianae ac Mechtildianae I. Paris

1877.

SEUSE Heinrich Seuse: Deutsche Schriften, herausgegeben von Dr. Karl Bihlmeyer. Stuttgart 1907.

CHRISTINA Lochner: Leben und Gesichte der Christina Ebnerin, Klosterfrau zu Engelthal. Nürnberg 1872. Strauch: Marga- retha Ebner und Heinrich von Nördlingen. Freiburg i. B. und Tübingen 1882. Zwei Stellen habe ich der Stuttgarter Hand- schrift entnommen. S. auch Strauchs Mitteilungen im Anzeiger für deutsches Altertum IX.

MARGARETHA Strauch: Margaretha Ebner und Heinrich von Nördlingen. Freiburg i. B. und Tübingen 1882.

ADELHEID Die Offenbarungen der AdelheidLangmann, Kloster-

25?

frau zu Engelthal, herausgegeben von Philipp Strauch. Strass- burg 1878.

DAS KLOSTER ADELHAUSEN J. König: Die Chronik der Anna von Munzingen. (Freiburger Diöcesan-Archiv XIII. Band. Freiburg i. B. 1880.)

DAS KLOSTER TÖSS Das Leben der Schwestern zu Töss, be- schrieben von Elsbet Stagel, herausgegeben von Ferdinand Vetter. Berlin 1906. Die Nürnberger Handschrift ist herange- zogen w^orden.

Andere Dokumente der deutschen Klosterekstase in : Der Nonne von Engelthal Büchlein von der genaden überlast. Tübingen 1871. Pez: Biblioteca ascetica (Regensburg 1723/6) VIII. (s. auch Catharina von Gebsweiler: Lebensbeschreibungen der ersten Schwestern der Dominikanerinnen zu Unterlinden, deutsch von Clarus 1863.) Chronik des Bickenklosters zu Vil- lingen (von Juliana Ernst), hsg. v. K. J. Glatz. Tübingen 1 88 1 . Leben der Schwestern zu Diessenhofen, hsg. v. Birlingen, Ale- mannia XV. (1870). Anderes Alemannia XI. u. XXI. (Kirch- berg) und Zürcher Taschenbuch auf 1889 (Oetenbach).

DER SANG VON BLOSSHEIT Tauler: Von eym waren Evan- gelischen Leben. Köln 1 543. Die letzte Strophe, die ins Dog- matische einlenkt und wie künstlich angeheftet erscheint, ist weggeblieben.

BIRGITTA Revelationes caelestes sanctae matris Birgittae. Mün- chen 1680.

JULIANA Revelations of divine love shewed to Mother Juliana of Norwich. London 1902. (Titel der Urausgabe: XVI Revela- tions of Divine Love, Shewed to a Devout Servant of our Lord, called Mother Juliana, an Anchorete of Norwich. 1 670.)

GERLACH PETERS Gerlaci PetriSoliloquia Divina. Paris 1659.

ANGELA BeataeAngelaeFulginatisvitaetopuscula.Foligno 1724.

KATHARINA VON SIENA Raimondo da Capua: Lavita di Santa Caterina da Siena. Mailand 1842.

KATHARINA VON GENUA Marabotto e Vernazza: Vita mira- bile e dottrina Celeste di Santa Caterina Fiesca Adorna da Ge- nova. Padua 1743.

234

MARIA MADDALENA Vita e ratti di santa Maria Maddalena de'Pazzi. Lucca 171 6. Puccini: La vita di santa Maria Madda- lena de'Pazzi vergine nobile Fiorentina. Venedig 1675.

TERESA Cartas de Santa Teresa de Jesus. I. II. Madrid 1771 und 1778.

ANNA GARCIAS Aus ihrer Autobiographie (deutsch Köln 1669) wiederabgedruckt bei Tersteegen : AuserleseneLebensbeschreib- ungen heiliger Seelen. II. Frankfurt und Leipzig 173 5.

ARMELLE NICOLAS Die Schule der reinen Liebe Gottes, den Gelehrten und Ungelehrten eröffnet in dem Wunderleben einer armen unwissenden Weibsperson, die von Geburt eine Bäurin und dem Stande nach eine Dienstmagd gewesen. Augsburg 1 73 6.

ANTOINETTE BOURIGNON La vie de Dlle. Antoinette Bouri- gnon. (Oeuvres I.) Amsterdam 1683.

JEANNE MARIE GUYON La vie de Madame J.M.B.dela Mothe- Guyon, ecrite par elle-meme. Nouvelle edition. Paris 1791.

CAMISARDEN Theatre sacre des Cevennes. London 1707 (vgl. auch Ehe Marion: Avertissemens prophetiques 1707.)

BÖHME Morgenröte im Aufgang. Amsterdam 1682.

DER EDELKNABE Stephanus Praetorius: 58 schöne, auser- lesene geist- und trostreiche Traktätlein von der güldenen Zeit. .Goslar 1622.

ENGELBRECHT Der vom Tode erweckte Protestant, oder des Einfältigen Busspredigers Hans Engelbrechts Schriften. 1 76 1 .

ANNA VETTER Beschreibung eines schon vor dreissig Jahren erweckten, bisher aber anderer Orten verdeckten und unbe- kannten prophetischen Weibes, namens Anna Vetterin, des Schlosswächters zu Onoldsbach Eheweib. Aus ihrer eigenen Handschrift und mündlichen Erzählung getreulich zusammen- getragen. Abgedruckt bei Arnold: Kirchen- und Ketzer-Historie. Frankfurt a. M. 1700. III.

HEMME HAYEN Levensloop van Hemme Hayen. Haarlem 1 7 1 4. Deutsch bei J. H. Reitz: Historie der Wiedergebornen. 4. Aufl. V. Bd. Itzstein 1 7 1 7. Eine andere Übertragung erschien unter demTitel: Lebensgeschichte des Hemme Hayen, eines niederlän- dischen Bauern und wahrhaften Clairvoyanten. Nürnberg 1 8 1 o.

KATHARINA EMMERICH Die Tagebücher Clemens Brentanos, denen der Text entnommen ist, sind bisher nicht vollständig veröffentlicht worden. Die von mir gebrachten Stellen finden sich zum Teil bei Schmöger: Das Leben der gottseligen Anna Katharina Emmerich (2 . Aufl. Freiburg i. B. 1873), zum andern in dem vielfach aufgelegten ,,Das bittere Leiden unsers Herrn Jesu Christi. Nach den Betrachtungen der Anna Katharina Emmerich". Vgl. auch Emmerich: Das Leben Jesu Christi, Regensburg 1 8 5 8 60, und Leben der heiligen Jungfrau Maria (mehrfach aufgelegt).

AUS DEM MAHÄBHÄRATAM Die Übertragung ist dem Buche Paul Deussens „Vier philosophische Texte des Mahäbhäratam, Leipzig 1 906" mit Erlaubnis des Übersetzers entnommen, dem ich meinen Dank für sein gütiges Entgegenkommen ausspreche. Dieses Buch hat jetzt in der dritten Abteilung von Deussens Allgemeiner Geschichte der Philosophie (Leipzig 1 908) eine wichtige Ergänzung erhalten.

LAO-TSE F. H. Balfour: Taoist texts, ethical, political and spe- culative. Shanghai 1884. J. Legge: The texts of Täoism (The sacred books of the East. XXXIX. XL) Oxford 1891. C. de Harlez: Textes täoistes (Annales du musee Guimet. XX.) Paris 1891. H. A. Giles: Chuang Tzu, moralist, mystic and social reformer. London 1899. Das Hauptwerk der Schule, Lao-tse's Tao-te-king, liegt in mehreren Übertragungen vor, von denen neben der von Alexander Ular (Leipzig 1903) auch die vonViktor v. Strauss (Leipzig 1 870) die manche Stelle einem treuen Ver- ständnis näher bringt als die sprachmutige Ularsche Beacht- ung verdient.

DIE CHASSIDIM Buber: Die Geschichten des Rabbi Nachman. Frankfurt a. M. 1906. Buber: Die Legende des Baalschem. Frankfurt a. M. 1908.

MAKARIOS SS. PP. Gregorii Thaumaturgi, Macarii Aegyptii et Basilii Seleuciae opera omnia. Paris 1622.

DIONYSIOS Migne: Patrologiae Graecae T. III. IV.

KATREI Ich habe den Birlingerschen Text (Tractate Meister Eck- harts, Alemannia III, 1875) unter Vergleichung und für einzelne

236

Stellen auch Heranziehung des Pfeifferschen (Deutsche Mystiker des 14. Jahrhunderts II, Leipzig 1845) benützt. Über den Stand der Textkritik informiert Otto Simon : Überlieferung und Hand- schriftenverhältnis des Traktates „Schwester Katrei''. Halle a. S. 1906.

An sonstiger Literatur seien hier nur genannt:

Über die Sufis: Browne, A literary history of Persia I, London 1902 (wo aber über al Hallädsch nur die feindlichen Quellen benützt sind) ; Nicholson im Journal of the Royal Asiatic Society 1 906 ; Kremer, Geschichte der herrschenden Ideen des Islam, Leipzig 1868; Merx, Grundlinien einer allgemeinen Geschichte der Mystik, Heidelberg 1893.

ÜberSymeon: Holl, Enthusiasmus und Bussgewalt im griechi- schen Mönchtum, Leipzig 1 898, und dessen Artikel in Herzogs Realenzyklopädie, 3. Aufl., Bd. XIX.

Über Gerlach Peters: Auger, Etüde sur les mystiques des Pays- Bas, in Memoires de l'academie royale en Belgique 1892. Moll in Kerhistorisch archief II. (1859).

BERICHTIGUNG

S. 3 1 soll die Überschrift lauten: Aus der Erzählung des Tewek-

kul-Beg . . . über sein Mystisches Noviziat. S. 39 soll es heissen : Prisca. S. 40 soll es im Untertitel heissen: Aus den Liebesgesängen an

Gott. S. 59 soll die Überschrift lauten : Von Aegidius von Assisi. S. 92 soll es in der Überschrift heissen: Christina. S. 1 3 2 sollte nach der drittletzten Zeile eine Zeile frei bleiben, da

mit den Worten ,,Ein Armer im Geiste" ein neues Stück

anfängt. S. 146 soll die Überschrift lauten: Von Katharina von Siena. S. 1 5 3 soll es in der Überschrift heissen: Maddalena. S. 1 56 soll es in der Überschrift heissen: Teresa. Zwischen S. 2 1 6 und 2 1 7 sollte eine Zeile frei bleiben, da auf S.2 1 7 ein neues Stück anfängt.

INHALT

VORWORT V

EINLEITUNG: EKSTASE UND BEKENNTNIS XI

INHALTSBLATT XXVII

INDIEN: Aus dem Gespräch des Fürsten Dara Shekoh mit dem Asketen Bäba Läl i- Aus dem Leben Rämakrishnas 3.

DIE SUFIS UND IHRE NACHFOLGE: Von Räbia lo- Von Bäjezid Bestämi 12- Von Husain al Hallädsch 17- Farid-ed-din Attär 20- Dschaläl-ed-din Rumi 29- Aus der Erzählung des Tewekkul-Beg, Schülers des Mollä-Shäh, über sein Mystisches Noviziat 31

DIE NEOPLATONIKER: Plotinos 34

GNOSIS UND URCHRISTLICHES KETZERTUM: Valentinos 38. Worte Montans und der Montanistinnen 39

DAS GRIECHISCHE MÖNCHTUM: Symeon der neue Theologe 40

DAS ZWÖLFTE JAHRHUNDERT: Hildegard von Bingen 50- Alpais von Cudot 54

DIE FRANZISKANER: Von Aegidius von Assisi 59

DAS DREIZEHNTE JAHRHUNDERT IN DEUTSCHLAND: Mechthild von Magdeburg 63- Mechthild von Hackebom ']']• Gertrud von Helfta 8i- Heinrich Seuse 85

DAS VIERZEHNTE JAHRHUNDERT IN DEUTSCHLAND: Christina Ebner 92- Margaretha Ebner 96- Adelheid Langmann 99- Der Sang von Blossheit 122

AUS DEUTSCHEN SCHWESTERNBÜCHERN: Aus dem Kloster Adel- hausen in Freiburg 102- Aus dem Kloster Töss bei Winterthur 108

DAS VIERZEHNTE JAHRHUNDERT IM NORDEN : Birgitta von Schwe- den 124- Juliana von Norwich 129

DIE NIEDERLÄNDISCHE MYSTIK: Gerlach Peters 132

DIE ITALIENISCHEN FRAUEN: Angela von Foligno 135- Von Katharina vonSiena 146« Von Katharina von Genua 149- Maria Maddalenade'Pazzi 153

DIE SPANISCHEN FRAUEN: Teresa von Jesu 156- Anna Garcias (Anna a San Bartolomeo) 165

DAS SIEBZEHNTE JAHRHUNDERT IN FRANKREICH: Armelle Ni- colas i66- Antoinette Bourignon 171- Jeanne-Marie Bouvieres de laMothe Guyon 173- Aus einer Aussage des Camisardenführers Elie Marion 177

DAS SIEBZEHNTE JAHRHUNDERT IN DEUTSCHLAND UND DEN NIEDERLANDEN: Jakob Böhme iSo- Ein Edelknabe 18 1- Hans Engelbrecht 183- Arma Vetter i86- Hemme Hayen 197

238

DAS NEUNZEHNTE JAHRHUNDERT: Anna Katharina Emmerich 205

ANHANG

DAS ALTE INDIEN: Aus dem Mahäbhäratam 213

DIE CHINESISCHE MYSTIK: Worte Lao-Tses und seiner Schüler 216

DIE JÜDISCHE MYSTIK: Von den Chassidim 219

KIRCHLICHE UND UNKIRCHLICHE MYSTIK DES FRÜHCHRIST- LICHEN ZEITALTERS: Aus den Schriften Makarios des Aegyptiers 223- Aus den Dionysios dem Areopagiten zugeschriebenen Schriften 224

AUS DEM TRAKTAT »SCHWESTER KATREI« 226

BIBLIOGRAPHISCHE NOTIZEN 232

TITEL UND EINBAND VON EMIL RUDOLF WEISS VON DIESEM BUCHE WURDEN 20 ABZÜGE ZUM PREISE VON FÜNFUNDZWANZIG MARK FÜRJEDES EXEMPLARAUF ECHT JAPAN -BÜTTENPAPIER HERGESTELLT/ IN GANZPERGA- MENT GEBUNDEN UND HANDSCHRIFTLICH NUMERIERT

DRUCK VON

POESCHEL & TREPTE

IN LEIPZIG

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