4 Die Aktionsströme der menschlichen Unterarmflexoren \>ei Zuckungen. beider Halbwellen beträgt annähernd Vioo Sekunde und variiert kaum deutlich, wenn der gegenseitige Abstand beider Elektroden abgeändert wird. Für das Verhalten beider Stromphasen ist es ziemlich gleichgültig, ob von Punkt 3 und 5 oder von Punkt 3 und 4 oder von beliebigen zwei andern übereinander gelegenen Punkten in den unteren zwei Dritteln des Unterarms abgeleitet wird. Das erklärt sich daraus, daß die Punkte 4 und 5 schon sehr nahe oder sogar über dem Sehnenende des Muskels liegen. Man verkürzt also bei Veränderung des Elektrodenortes zwischen diesen Punkten nicht die zwischen den Elektroden liegende Muskelstrecke, sondern schaltet nur das Sehnenende mit ein oder aus. Der Ursprungsort für die in diesem Aktionsstrom nachge- wiesene Kontraktionswelle dürfte etwa an der Grenze von oberem und mittlerem Drittel des Muskels anzusetzen sein. Ich stelle mir diese Welle, aus Gründen, die weiter unten näher anzugeben sind, als dichtgedrängten Schwärm von fibrillären Kontraktionswellen vor. Der ganze Schwärm hat also in jedem Zeitteilchen seines Bestehens oder seines Ab- laufes nur einen kleinen Querschnittsbereich des Muskels inne. Die Nervenendorgane, von denen er ausgeht, müssen dann auch am Ursprungsort in ähnlicher Anordnung wie die Wellen im Schwärm beisammen liegen, d. h. sie müssen in einer kurzen Muskelzone dicht zusammengedrängt sein. 2. Ableitung von zwei Punkten, die im oberen Drittel des Unterarmes, d. li. oberhalb vom nervösen Äquator liegen. Verschiebt man die Elektroden so weit nach oben, daß die eine A auf Punkt 1, die zweite B auf Punkt 2 (Abb. 10) lokalisiert ist, so wird bei Erzeugung einer Einzelzuckung durch Reizung des Nervus ulnaris wiederum ein doppelphasischer Aktionsstrom abgeleitet (Abb. 12). Auch das hat Hermann^) bereits 1877 be- schrieben. Dies beweist ohne weiteres, daß auch in diesem Falle eine Kontraktionswelle im Muskel zuerst durch den Querschnitt der einen und kurze Zeit später durch den der anderen Elektrode hindurchläuft. Es ist aber zu bemerken, daß jetzt beide Strom- ^) Hermann 1. c. Ableitung von zwei Punkten im oberen Drittel des Unterarmes. 25 phasen umgekehrte Richtung haben, vergUchen mit der bei gleichem gegenseitigen Lageverhältnis der Elektroden erhaltenen Aktionsstromwelle vom unteren Teil des Armes. Während näm- lich die früher beschriebene Stromwelle ihre erste Phase als eine nach oben, ihre zweite als eine nach unten ausgebuchtete Halb- welle zeigt, ist jetzt das Verhältnis umgekehrt. Das bedeutet ohne Frage, daß im oberen Drittel des Muskels die Kontraktions- welle von unten nach oben läuft, während sie im unteren Teil von oben nach unten, also handwärts läuft. Die Länge der vom oberen Unterarmdrittel abgeleiteten Strom- welle ist sehr annähernd gleich der Länge des vom unteren Muskelteil dargestellten Aktionsstromes, beträgt also nahezu V50 Sekunde. Inbezug auf den Gipfelabstand aber zeigen sich bemerkenswerte Unterschiede. Die Gipfel beider Halbwellen liegen nämlich jetzt sehr nahe beisammen und sind durch ein steil verlaufendes Kurvenstück miteinander verbunden. Der Gipfelabstand beträgt nur etwa 0,004 Sekunden. Die Ursache für den eigentümlichen und von der vorher beschriebenen Stromwelle abweichenden Verlauf dieses Aktions - Stroms dürfte in folgendem zu suchen sein: Man muß wohl an- nehmen, daß die nach oben laufende Kontraktionswelle eine etwa gleich lange Muskelstrecke und mit gleicher Geschwindig- keit zurückzulegen hat wie die abwärtslaufende. Ich stelle mir aber vor, daß die Formation des Schwarmes von fibrillären Kontraktionswellen in diesem Falle eine andereist. Nimmt man an, daß der Schwärm im Vergleich zu dem nach unten ziehenden lang ausgezogen ist, so daß er in jedem Zeitteilchen seines Bestehens eine relativ lange Strecke des Muskels ein- nimmt, so muß er ziemlich allmählich vom nervösen Äquator aus- gehend in den Bereich der unteren Ableitungselektrode B eintreten, so daß das negative Potential hier langsam ansteigt. Wenn der Schwärm dann vollständig in die Ableitungsstrecke eingetreten ist, so liegt sein Schwerpunkt schon nahe der Mitte der Ab- leitungsstrecke. Er hat also nur ein kleines Stück weiterzu- rücken, um aus dem Bereich der unteren in den der oberen Elektrode zu gelangen. Dieser Übergang wird also schnell er- folgen, so daß die Stromrichtung von einem Extrem zum anderen rasch wechselt. In der Stromkurve kommt das darin zum Aus- druck, daß die Gipfel beider Stromphasen nahe beisammen liegen 26 Die Aktionsströme der menschlichen Unterarmflexoren bei Zuckungen, und durch ein steil verlaufendes Kurvenstück verbunden sind. Bis der lang ausgedehnte Schwärm dann vollständig den Bereich der oberen Elektrode verlassen hat, vergeht aber eine gewisse Zeit, in der das Potential an dieser Elektrode allmählich auf Null sinkt. Dieser Vorgang kommt in dem flachen Gefälle des letzten Stückes der Stromkurve zur Darstellung. Die Unterschiede des Verlaufes, welche die vom oberen und die vom unteren Teil des Armes abgeleiteten doppelphasischen Aktionsströme erkennen lassen, werden hier also durch die Annahme erklärt, daß der nach oben ziehende Schwärm fibrillärer Kontraktionswellen langgedehnt, der nach unten ziehende aber kurz- und dichtgedrängt formiert ist. Was hierdurch namentlich verständlich wird, ist die Tatsache, daß trotz der auffallenden Verschiedenheit der Gipfelabstände beide Wellen gleiche Länge oder Dauer haben, und daß die Gipfel der vom oberen Muskelteil abgeleiteten Stromwelle zeitlich zwischen die Gipfel der unten abgeleiteten fallen, wenn die zeitlichen Abmessungen vom Reizmoment ab gerechnet werden. Für diese Tatsachen steht mir eine andere Deutung nicht zur Verfügung. Der Ursprungsort für den nach oben laufenden Wellen- schwarm dürfte, wie noch näher zu begründen sein wird, weiter unten zu suchen sein, als der nervöse Äquator für die ab- wärts laufende Kontraktionswelle. Er dürfte im mittleren oder sogar etwas imterhalb vom mittleren Bereich des Muskels anzu- setzen sein, und zwar müssen hier die Nervenendorgane, von denen die fibrillären Kontraktions wellen ausgehen, ähnlich ange- ordnet sein, wie die Wellen innerhalb des ganzen nach oben ziehen- den Seh warmes zueinander liegen. Sie dürften also über einen relativ großen mittleren Bereich des Muskels verteilt liegen. Man sieht, daß dieser nervöse Äquator, d. h. der, von welchem der nach oben laufende Wellenschwarm ausgeht, seine Nervenendorgane in anderer Anordnung zu enthalten scheint, als der Äquator für die abwärts laufende Kontraktionswelle, bei dem wir dichtgedrängte Lage der Nervenendplatten in einem kurzen und etwas höher gelegenen Bereich des Muskels annahmen. Man wird daraus folgern, daß die nach oben laufenden Kon- traktionswellen ihren Sitz in anderen Muskelfasern haben als die abwärts laufenden. Ableitung von zwei Punkten im oberen Drittel des Unterarmes. 27 HH ^ S Cd e S .!'• t-< :3 O 'iZ tc J2 ö ^ K i; C3 fc-i ^ g -^ .2 .2 ^ 5! O o c ^ M v3 c; 3 cS s Ä 2 -r (-1 .a CJ Sa. "5 SP 1 -'; "1 « 1 "eh; g o ■" CS o MZ ■5 S 5 . -2 2 .-H .2 => e c. 1 o Q a 3 S tr a 'c to 'S o 3 OJ bc b& •a ^ ^ 3 -l; a 3 c 3 T- ^^ < 'et '? in n t-4 .a •ö 2 o M rt a 3 ^ ^ 'S S a ~ CO < 1 % ot m a 1 o a S ■3 ^ 3 ^ a o •ö 6C c ■r: a "5 a O 5 3. 00 3 S •3 > s s cc CO e a ü ^ 3 fc^ CO C» o o 4) a .M c* 1 tH a ■S *j "-i c6 a 'S 1S3 ■ö j2 o -^ ^^ .2 3 C3 ■< ;S a ■ö 'S 1 Eh P- <5 o p s — e (-1 p o > 3 ^ ^ s a -3 C o C, 3 p a o '0$ ."ti a J2 o o '■3 -!! ^ -O ^ 00 (N ^ -< _a .s T3 ■o _■ e> p a — •r* -*^ .« 3 — .s-g « a ^ "3 .= , 28 Die Aktionsströme der menschlichen Unterarmflexoren bei Zuckungen. Genau genommen läßt die Tatsache, daß die beiden bisher betrachteten doppelphasischen Ströme umgekehrte Richtung beider Halbwellen haben, eine doppelte Deutung zu. Nämlich ent- weder, daß der Kontraktionsvorgang von der Muskelmitte nach beiden Enden fortschreitet, oder daß er sich von den Enden nach der Muskelmitte fortpflanzt. Um den letzten, an sich unwahr- scheinlichen Fall dieser Alternative auszuschließen, ist der Nachweis erforderlich, daß die zeitlich früheren Halbwellen beider Aktions- ströme durch funktionelle Vorgänge in der Muskelmitte bedingt sind und daß die zweiten Phasen durch spätere Prozesse in den Muskelenden verursacht werden. Daß dies so ist, läßt sich leicht durch die Betrachtung der Stromrichtung erweisen. Die erste Halbwelle der Aktionsströme hat eine solche Stromrichtung, daß das negative Potential in der Muskelmitte, das positive am Muskelende liegt, daß der Strom also vom Muskelende durch das Galvanometer zur Mitte, also dem Äquator fließt. Für die zweite Phase ist es umgekehrt, das negative Potential liegt jetzt am Muskelende, das positive in der Mitte. Da ganz allgemein funktionell tätige Teile sich zu ruhenden elektronegativ verhalten, das negative Potential aber von der Muskelmitte zum oberen und unteren Ende fortgeschritten ist, so muß auch der funktionelle Prozeß, die Kontraktionswelle, diesen Weg genommen haben. 3. Ableitung von einem im oberen und einem im unteren Teil des Unterarmes, d. h. diesseits imd jenseits vom nervösen Äquator gelegenen Punkte. Wenn die Elektroden etwa an den Punkten 2 und 4 loka- lisiert werden, so stehen sie im Bereich sowohl der nach oben wie der nach unten ablaufenden Kontraktionswelle, und der Ur- sprungsort beider Wellen, der nervöse Äquator, liegt zwischen den Elektroden. Die Aktionsströme der beiden Kontraktions- wellen interferieren jetzt mit Phasenunterschieden im Ableitungs- strom, so daß dieser einen komplizierten Verlauf annimmt. Man erhält eine Stromkurve von dem in Abb. 13 dargestellten Verlauf. Bezeichnet man die vier Hauptwendepunkte der Kurve, wie in Abb. 15, Kurve III geschehen, mit a b c d, so ergibt sich die Beziehung zu den früher betrachteten Stromkurven beim Ableitung von einem Punkte usw. j!'I Vergleich sehr leicht. Verschiebt man nämlich beide Elektroden vom Punkt 2 und 4 nach unten auf Punkt 3 und 5, so bleiben nur zwei Kurvenwendepunkte übrig, die ihrer zeitlichen Lage nach im Kurvenverlauf mit dem Punkt a und d annähernd übereinstimmen, und die Zipfel h und c (Abb. 15, Kurve I) fallen aus. Die Phasen a und d entsprechen also Vorgängen, die sich in den unteren zwei Dritteln der Flexorengruppe abspielen, und sind, wie oben auseinandergesetzt wurde, das Stromäquivalent derjenigen Kontraktionswelle , die von dem weiter oben gelegenen ^ nervösen Äquator zum unteren Muskelende hin abläuft. Verschiebt man dagegen ^ die Elektroden von den Punk- ten 2 und 4 nach oben, so daß A auf 1 und B auf 2 fällt, so ^ fallen die Kurvenwendepunkte a und d aus und nur c und h bleiben übrig(Abb. 15, Kurvellj. iv Die Gipfel h und c sind also durch Vorgänge bedingt, die im oberen Teil des Muskels ab- laufen und entsprechen den beiden Phasen des Aktions- stromes, der zur Ableitung kommt, wenn die Kontrak- tionswelle vom weiter unten ge- legenen nervösen Äquator zum oberen Muskelende hinläuft. Es ist nun wichtig, zu konstatieren, daß man die Stromkurve, welche bei Ableitung von einem diesseits und einem jenseits des nervösen Äquators liegenden Muskelpunkt registriert wird, und welche die doppelphasischen Ströme, sowohl der nach unten wie der nach oben laufenden Kontraktionswelle superponiert enthält, durch Konstruktion aus den beiden für sich aufgenommenen Stromwellen ableiten kann. Man überzeugt sich dann ohne weiteres, daß das Ergebnis dieser Synthese mit dem tat- J S \ r n;* x 7 ^ J c \ a. ^. c N \ ^ 5" \ d Abb. 15. Die Stromkurven der Abb. 11 bis 14 sind so untereinander gezeichnet, daß alle Punkte von gleichem Zeitwert (von der Zeit des Reizes an ge- rechnet) auf gleichen Abszissenorten liegen. Die Wendepunkte sind in den Kurven III und IV mit denselben Buchstaben bezeichnet, wie die analogenWendepunkte in den Kurven I und II. :\{) Die Aktionsströnie der menschlichen Unterarraflexoren bei Zuckungen. sächlich registrierten Stromablauf übereinstimmt. Man zeichne die beiden doppelphasischen Stromkurven, die vom unteren und oberen Muskelabschnitt abgeleitet wurden, in ein System rechtwinkliger Koordinaten so übereinander ein, daß die als Abszissenachse genommene Nullinie beider Kurven zusammen- fällt und immer je zwei Punkte von gleichem Zeitwert auf der- selben Ordinate liegen; das letztere erreicht man, indem man den Zeitpunkt der Reizung und Beginn und Ende beider Strom- kurven auf gleiche Abszissenorte legt. Die resultierende Kurve wird konstruiert, indem man die bekannten Regeln anwendet, Abb. 16. Oben: Die gestrichelt-punktierte Kurve ist gleicli der Aktiousstronikurve Fig. 11 und Fig. 151, erlialten bei Ableitung von Punkt 3 und 5 (Abb. 10). Die gestrichelte Kurve ist gleich der Stromkurve Abb. 12 und 15 II, erlialten bei Ableitung von Punkt 1 und 2 (Abb. 10). Durch Super- position erhält nun die ausgezogene Kurve als Resultierende. Diese konstruierte Stroinkurve ist gleich derjenigen, welche bei Ableitung von Punkt 2 und 4 (Abb. 10) tatsächlich registriert wird. Diese ist zum Vergleich unter die Konstruktion gezeiclmet. nach denen resultierende Wellen aus einfachen durch Interferenz zusammengefügt werden. Man hat also für eine Reihe von Abs- zissenpunkten die Ordinalen beider Kurven, ihren Vorzeichen entsprechend zu superponieren. In Abb. 16 sind die beiden doppelphasischen Stromkurven, die vom oberen und vom unteren Teil des Muskels für sich registriert worden waren, punktiert gezeichnet. Die ausgezogene Kurve ist die durch Kon- struktion erhaltene resultierende Interferenzkurve. Darunter ist die Stromkurve gezeichnet, die bei Ableitung von den Punkten 2 Ableitung von einem Punkte usw. :i! und 4 tatsächlich registriert worden ist. Man sieht ohne weiteres, daß die konstruierte und die direkt registrierte Kurve fast vollständig übereinstimmen. Wie aus der oben angegebenen Konstruktion ersichtlich ist, zeigen die beiden doppelphasischen Ströme, welche in dem von Punkt 2 und 4 abgeleiteten Aktionsstrom als Komponenten ent- halten sind, dieselbe Richtung, welche der eine bei Ableitung von 2 Punkten des oberen Muskelteils aufwies und die der andere hatte, wenn nur der untere Muskelabschnitt zwischen den Elek- troden lag (zwischen Punkt 3 und 5.) Nun ließ aber der doppel- phasische Strom bei Ableitung von Punkt 1 und 2 erkennen, daß die zugehörige Kontraktions welle von unten nach oben lief, zu- erst also die untere Elektrode B und dann die obere A passieren mußte. Ganz ebenso verhält sich die dem oberen Muskelteil zugeordnete Komponente der komplizierten Stromperiode, die bei Ableitung von Punkt 2 und 4 registriert wurde. Auch jetzt ist die Stromrichtung der beiden Phasen so, als ob die vom Äquator nach oben laufende Kontraktionswelle zuerst die untere in Punkt 4 lokalisierte Elektrode B und dann die obere auf Punkt 2 angesetzte Elektrode A passiert hätte. In gleicher Weise läßt sich für die zweite, dem unteren Muskelteil zugeordnete doppelphasische Komponente zeigen, daß ihre Phasen die gleiche Richtung in der von Punkt 2 und 4 abgeleiteten Stromperiode aufweisen, welche sie bei Ableitung von Punkt 3 und 5 hatten. Im letzteren Fall war aber deutlich, daß die zugehörige Kontraktionswelle von oben nach unten lief, und zuerst die obere in Punkt 3 lokalisierte Elektrode A und dann die untere in Punkt 5 angesetzte B passieren mußte. Wenn die Richtungsverhältnisse beider Stromphasen bei Ableitung von Punkt 2 und 4 ebenso sind, so beweist das, daß auch in diesem Falle die Kontraktionswelle, vom nervösen Äquator ausgehend, zuerst die obere in Punkt 2 lokalisierte Elektrode A und dann die untere in Punkt 4 angesetzte B passiert. Bei Zerlegung der von Punkt 2 und 4 abgeleiteten Strom- periode in ihre beiden doppelphasischen Komponenten kann man also ersehen, daß der nervöse Äquator für die nach oben laufenden fibrillären Kontraktionswellen weiter unten liegt, als der Äquator für die nach unten laufenden Wellen (Abb. 17). Bei Erzeugung einer Einzelzuckung würden sich also in der Mitte des Unter- 32 Diß Aktionsströme der menschlichen Unterarm flexoren bei Zuckungen. armes auf gleicher Muskelstrecke die nach oben und die nach unten fortschreitenden Wellen in entgegengesetzter Richtung laufend begegnen. Es ist bemerkenswert, daß die Unterschiede, die im Verlauf der beiden für sich registrierten doppelphasischen Ströme der Flexoren konstatiert worden waren , in gleicher Beschafifenheit erhalten bleiben, wenn sie miteinander interferieren und einen Ableitungsstrom von komplizierterer Periode geben. Die Unterschiede des Gipfel- abstandes und des Gefälles beim Anstieg und Abfall der Stromwellen sind, wie aus Abb. 16 ersichtlich ist, fast unverändert in die von Punkt 2 und 4 abgeleitete Strom- periode übergegangen. Auch unter diesen Bedingungen also tritt klar zutage, daß der nach oben und der nach unten lau- fende Schwärm von fibrillären Kontraktions- wellen eine verschiedene Formierung haben maß, d. h. daß, wie oben schon ausge- führt wurde, die einzelnen fibrillären Kon- traktionswellen im ganzen Wellenschwarm eine unterschiedliche gegenseitige Anord- nung haben müssen. Läge der nervöse Äquator in einem bestimmten Muskelquerschnitt und wäre er für die nach oben und unten laufende Kontraktionswelle identisch, könnte man ferner annehmen, daß beide Arten von Kon- traktionswellen bei jeder Zuckung gleich- zeitig in gleicher Zahl und in gleicher An- ordnung zueinander innerhalb jedes Wellenschwarmes vom nervösen Äquator durch den Muskel hinlaufen, so müßten sich diesseits und jenseits vom nervösen Äquator Paare von Ableitungspunkten finden lassen, die sich stromlos verhalten, und diese Punkte müßten sym- metrisch, d. h. in gleichem Abstand ober- und unterhalb vom ner- vösen Äquator liegen. Wenn das so wäre, so würden die beiden Aktionsstromwellen, die den beiden Kontraktionswellen ent- sprechen, gleichen Verlauf haben und im Ableitungsstrom mit Abb. 17. Die hypothetischen beiden ner- vösen Äquatoren der Unterarm- flexoren sind durch Querstriche schematiscii angedeutet. Die Ab- laufbahn der nach oben und der nach unten laufenden Kontrak- tionswelle ist durch gestrichelte Pfeile bezeichnet. Aljieitiing von einem Punkte usw. 33 Gegenphasen interferieren, so daß sie sich aufheben. Solche Ableitungspunkte existieren aber für die Flexoren nicht, sondern man erhält immer Aktionsströme, man mag die Elektroden lokalisieren wie man will. Gerade dies beweist, daß die oben postulierten Bedingungen für die Auffindbarkeit stromloser Ab- leitungspunkte hier nicht verwirklicht sind. Vielmehr ist das ganze Verhalten der Ströme derart, daß die nach oben und die nach unten laufende Kontraktionswelle weder vom gleichen nervösen Äquator ausgehen kann, noch auch, daß die fibrillären Wellen im ganzen Schwärm in beiden Fällen gleiche Anordnung haben können. Daher können sich die vom oberen und unteren Muskelteil abgeleiteten doppelphasischen Stromwellen nie voll- ständig durch gegenphasische Interferenz aufheben, sondern müssen sich immer zu den beschriebenen komplizierten Wellen- perioden zusammensetzen. Man kann nun noch den oben bereits erbrachten Nachweis vervollständigen, daß in jedem doppelphasischen Strom die erste Phase durch Vorgänge bedingt ist, die sich in der Muskelmitte abspielen und daß die zweite Phase Prozessen an den Muskelenden entspricht. Lokalisiert man nämlich die Ableitungselektroden nahe der Muskelmitte, etwa in Punkt 2 und 3, so werden überwiegend die elektromotorischen Äquivalente der sich hier abspielenden Prozesse abgeleitet und die entsprechenden Teile der Stromkurve fallen sehr groß aus, während die Stromphasen an Größe zurücktreten, die ihre Entstehung Vorgängen an den Muskelenden verdanken (Abb. 13 und in Abb. 15 Kurve III). Das tritt auch noch bei Ableitung von den Punkten 2 und 4 in- sofern deutlich hervor, als die Kurvengipfel a und h stark aus- gebildet sind, während c, verglichen mit der sogleich zu be- sprechenden Kurve IV (in Abb. 15), schwach ausgeprägt ist. Die Zacken a und h müssen also durch die nach oben und unten laufenden Kontraktionswellen unmittelbar nach ihrem Abgang vom nervösen Äquator und im mittleren Bereich des Muskels hervorgebracht sein. Diese Zacken sind gleichwertig mit den ersten Phasen beider doppelphasischer Aktions- ströme des Muskels. Macht man nun den entgegengesetzten Versuch, d. h. leitet man nicht von zwei Punkten der Muskelmitte, sondern von zweien, die am oberen und unteren Muskelende liegen, Piper, Elektrophysiologie. 3 34 Die Aktionsströme der menschlichen Unterarmflexoren bei Zuckungen. ab, etwa Punkt 1 und 5, so wird überwiegend das elektro- motorische Äquivalent der hier sich abspielenden Prozesse im Ableitungsstrom zur Geltung kommen. Man sieht nun, daß jetzt die Kurvenzacken c und d sehr stark hervortreten (Abb. 14 und in Abb. 15 Kurve IV), während a und h relativ klein sind. Die Kurvenzacken c und d vertreten aber die zweiten Halbwellen der beiden doppelphasischen Aktionsströme des Muskels. Wenn die Größe dieser Zacken bei Ableitung von den Muskelenden also zunimmt, so beweist dies wiederum, daß der funktionelle Prozeß von der Muskelmitte aus zum oberen und unteren Muskelende hin fortgeleitet wird und somit an dem Ende später erscheint als in der Mitte. Noch eine Bemerkung ist hier am Platze. Die komplizierten Stromperioden, die man bei Ableitung von zwei Punkten dies- seits und jenseits des nervösen Äquators erhält, bieten für sich und ohne Zusammenhang mit den früher analysierten doppel- phasischen Strömen betrachtet, nur das Bild eines in mehreren Oszillationen ablaufenden Stromes ; man sieht die vier Wellen a, b, c, und d. Es wäre nun falsch, zu schließen, daß der Muskel auf Einzelreize durch rhythmische Tätigkeit reagiert hat. Eine solche Deutung ist ausgeschlossen, nachdem das Zustandekommen des kompliziert ablaufenden Ableitungsstromes durch Interferenz der Aktionsströme zweier entgegengesetzt laufender Kontraktions- wellen erwiesen ist. Daß dem so ist, geht übrigens nicht nur daraus hervor, daß man die von Punkt 2 und 4 abgeleitete Stromperiode ohne weiteres in zwei doppelphasische Ströme von derjenigen Ablauf form zerlegen kann, wie sie bei Ableitung vom oberen und unteren Muskelabschnitt tatsächlich für sich registriert wurden, und daß man durch Zusammenfügen der beiden doppel- phasischen Ströme eine komplizierte Stromperiode von der von Punkt 2 und 4 abgeleiteten Form synthetisch darstellen kann; es ist dies vielmehr auch daraus mit Sicherheit zu erkennen, daß die Dauer der vom Muskel abgeleiteten Ströme, sie mögen doppelphasisch sein oder kompliziert verlaufen, immer die gleiche ist, so daß in der Kurve die Wellen- länge stets einen Zeitwert von sehr annähernd V50 ^^" künde hat. Zusammenfassend kann man aus allen bisherigen Dar- legungen das folgende wohl als gesichert entnehmen: Ableitung von einem Punkte usw. 35 1. In den Flexoren des Unterarmes verläuft bei Erzeugung einer Einzelzuckung durch Reizung des motorischen Nerven mit einem einzelnen Induktionsschlag von einer mittleren Muskel- zone aus eine Kontraktions welle nach oben und eine zum unteren Muskelende. 2. In der mittleren Muskelzone, dem Ursprungsort der beiden Kontraktionswellen, muß die Mehrzahl der motorischen Nerven- endorgane des Muskels verdichtet beisammen liegen, so daß das Übergewicht der Erregung von hier aus zum einen und andern Muskelende weiter geleitet wird. 3. Diese mittlere Muskelzone, die die Mehrzahl oder den ,, Schwerpunkt" der Nervenendorgane verdichtet enthält, ist der nervöse Äquator des Muskels. Mehr hypothetisch kann man die physiologischen Verhält- nisse, die im Muskel vorliegen, noch weiter speziaHsieren und kommt dann zu folgenden Vorstellungen : 1. Die Kontraktionswellen sind aufgebaut zu denken aus einer großen Zahl von einzelnen Wellen, die durch die Muskel- fasern hinlaufen, und als zusammengehaltener Schwärm die Kontraktionswelle des ganzen Muskels bilden. 2. Die Verschiedenheit des elektrischen Äquivalents, die für den nach oben und den nach unten laufenden Wellenschwarra konstatiert wurde, läßt darauf schließen, daß jeder dieser beiden Schwärme die fibrillären Wellen in anderer Anordnung enthält, und zwar ist anzunehmen, daß der nach oben laufende Schwärm in jedem Zeitteilchen seines Bestehens einen ziemlich großen Längenbereich des Muskels einnimmt, daß also die fibrillären Wellen in lockerer gegenseitiger Anordnung im Schwärm ent- halten sind. Damit verglichen dürften dagegen die nach unten - laufenden fibrillären Kontraktionswellen einen dicht zusammen- gehaltenen Schwärm bilden, der in jedem Zeitteilchen seines Bestehens nur eine kurze Muskelstrecke im ganzen Längenbereich des Muskels inne hat. 3. Diesen Unterschieden in der Formierung der beiden Schwärme von Kontraktionswellen dürften ganz gleichartige Diffe- renzen in der gegenseitigen Anordnung der Nervenendorgane in den beiden nervösen Äquatoren des Muskels entsprechen, denn es ist anzunehmen, daß alle fibrillären Kontraktionswellen gleichzeitig von deren Nervenendorganen abgehen und mit gleicher 3* 30 Die Aktionsströme der menschlichen Unterarmflexoren l)ei Zuckungen. Geschwindigkeit ablaufen ; wenn das so ist, so ist die Anordnung der Wellen im Schwärm durch die Anordnung der zugehörigen Nervenendorgane im nervösen Äquator direkt bestimmt. 4. Wenn man auf diese Weise zu der Annahme zweier ver- schiedener nervöser Äquatoren kommt, eines für die nach oben laufenden und eines für die nach unten laufenden Kontraktions- wellen gültigen, so führt zu dieser Annahme auch das eigentüm- liche Verhalten der doppelphasischen Ströme in den oben be- sprochenen Interferenzkurven. Diese lassen erkennen, daß der nervöse Äquator für die nach oben laufende Kontraktionswelle etwas unterhalb der Muskelmitte anzusetzen ist, und daß die nach unten laufende Kontraktionswelle ihren Äquator etwa an der Grenze von oberem und mittlerem Muskeldrittel haben muß. 5. Konsequenterweise wird man annehmen müssen, daß die nach oben und die nach unten laufenden Kontraktionswellen in verschiedenen Muskelfasern ablaufen. IV. über die Fortpflaiizuiigsgescliwiiidigkeit der Koiitraktioiiswelle. Man kann die zeitlichen Abmessungen der doppelphasischen Muskelströme als Grundlage nehmen, um die Ablaufgeschwindig- keit der Kontraktionswelle der Größenordnung nach zu bestimmen ; es ist aber anzuerkennen, daß gegen eine solche Berechnung ge- rade bei den Unterarmflexoren begründete Bedenken erhoben werden können, weil die Grundlagen und die Bedingungen für das Zustandekommen der doppelphasischen Ströme nicht mit wünschenswerter Vollständigkeit und in allen Einzelheiten ganz sicher theoretisch übersehbar sind und in mancher Beziehung nur einer hypothetischen und auf Vermutungen basierenden Deutung bisher zugänglich sind. Das wird im folgenden noch näher zu erörtern sein. Wenn man die Ableitungselektroden auf die Flexoren so auf- setzt, daß man einen doppelphasischen Strom von einfacher Ab- laufform erhält (Punkt 3 und 5 Abb. 10), so entspricht der Gipfel- punkt der ersten Phase oder der ersten Halbwelle ungefähr der Zeit, in der die Kontraktionswelle den Muskelquerschnitt passiert, der der oberen Elektrode zugeordnet ist. Der Gipfelpunkt der zweiten Phase dagegen entspricht ungefähr der Zeit, in der die Kontraktions welle an der zweiten Elektrode vorüberläuft. Der zeitliche Abstand beider Kurvengipfel gibt also zwar nicht genau, aber doch annähernd die Zeit an, welche die Kontraktions- welle gebraucht, um das zwischen beiden Elektroden gelagerte Muskelstück zu durchlaufen. Wenn man diese Strecke kennt, so kann man die Fortpflanzungsgeschwindigkeit pro Sekunde be- rechnen. Das hatte schon Hermann^) getan, als er die doppel- phasische Stromkurve mit Hilfe des Rheotoms darstellte. Er 1) Hermann, Pflügers Arch., Bd. Ki, 8. 418. 38 Über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Kontraktionswelle. fand die Fortpflanzungsgeschwindigkeit etwa zwischen 12 und 15 m pro Sekunde Hegend. Man kann ohne Schwierigkeit an den mit dem Saitengalvanometer aufgenommenen Stromkurven die Richtigkeit dieser Rechnung bestätigen. Ich^) finde den un- korrigierten Wert für die Geschwindigkeit nach dieser Methode gleich nahezu 10 m pro Sekunde. Diese Zahl kann aber nur die Größenordnung einigermaßen zutreffend angeben und bedarf einer Korrektur, die allerdings auch nicht zahlenmäßig genau angebbar und höchstens zu schätzen ist. Eine genaue Be- stimmung des absoluten Wertes für die Fortpflanzungsgeschwin- digkeit erlaubt die hier benutzte Methode nicht. Es ist nämlich zu beachten, daß in der Kurve des Ableitungs- stromes die Gipfel beider Phasen nicht etwa proportional mit der Längenänderung der Ableitungsstrecke, d.i. der von beiden Elektroden begrenzten Muskelstrecke, ihren Abstand ändern. Dies erklärt sich durch verschiedene Um- stände: zunächst kommt in Betracht, daß der Ableitungsstrom schon die Resultierende zweier einphasischer Ströme ist, von denen jeder schnell an- und wieder abschwillt und welche ent- gegengesetzte Richtung haben (Abb. 3). Beide Ströme erreichen zu verschiedenen Zeiten ihr Maximum, d. h. die Gipfel ihrer Kurven. Aber der erste ist noch lange nicht über seinen Maximal- wert hinaus, wenn der zweite bereits in umgekehrter Richtung im Anschwellen begriffen ist, und wenn der zweite sein Maximum erreicht hat, so ist der erste noch keineswegs auf 0 gesunken. Wenn man aus zwei so verlaufenden einphasischen Strömen den resultierenden doppelphasischen Strom konstruiert, so liegen hier die beiden Intensitätsmaxima, also die Gipfelpunkte der Kurve weiter auseinander als die Maxima der beiden für sich dar- gestellten einphasischen Ströme. (Abb. 3). Dieser durch die Inter- ferenz bedingte und durch eine einfache Konstruktion leicht zu veranschaulichende Unterschied zwischen dem Abstand beider Gipfel der abgeleiteten Stromkurve und dem Abstand der Gipfel der beiden für sich gezeichneten einphasischen Komponenten, d. h. der Quotient beider Werte ist um so mehr von 1 entfernt, je näher die beiden Gipfel der einphasischen Ströme aneinandej- rücken, je kleiner also bei der Ableitung vom Muskel der Elek- 1) Piper, Zeitschr. für Biologie, Bd. 52, S. 111. und Pflügers Arch.,Bd. 129, S. 164. über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Kontraktionswelle. 39 trodenabstand ist. Dabei wird die resultierende Kurve zugleich von immer kleinerer Amplitude. Man sieht hieraus, daß es kaum möglich ist, aus dem Abstand der Gipfel der doppelphasischen Ströme und aus der Elektrodendifferenz den genauen Wert für die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Kontraktionsvvelle im Muskel zu finden. Man kann nur ungefähr die Größenordnung daraus zunächst direkt finden und zu 10 m pro Sekunde angeben. Da die Gipfel der beiden einphasischen Ströme einen kleineren zeit- lichen Abstand haben als die des resultierenden doppelphasischen Stroms, so ist die für den Ablauf der Kontraktionswelle be- nötigte Zeit tatsächlich kleiner, die Fortpflanzungsgeschwindigkeit also größer, als sie hier berechnet ist. Man kann sie mit Hermann zu 12 — 15 m pro Sekunde schätzen. Möglich ist auch, daß der Gipfelabstand in der doppelphasischen Welle deshalb nicht mit der Elektrodendistanz merklich variiert, weil die Richtung der Muskelfasern einen Winkel mit der Ableitungsstrecke bildet. Als vielleicht recht bedeutsames ursächliches Moment für die Unabhängigkeit des Gipfelabstandes in der Stromkurve von der Elektrodendistanz muß aber auch in Betracht gezogen werden, daß sehr wahrscheinlich die vom nervösen Äquator abgehende Kontraktionswelle im Muskel nicht in jedem Zeitteilchen ihres Ablaufes nur einen sehr kleinen Bereich der ganzen Muskel- länge einnimmt; man hat sie sich vielmehr als einen mehr oder weniger gedehnten Schwärm fibrillärer Kontraktionswellen vor- zustellen, der einen endlichen Bereich der ganzen Muskellänge in jedem Augenblick einnimmt. Wenn ein solcher Schwärm bei großer Elektrodendistanz wenigstens teilweise innerhalb der Ab- leitungsstrecke seinen Ursprungsort hat, und auch erlischt, so muß sich dies im abgeleiteten Aktionsstrom in dem Sinne geltend machen, daß die Maxima der doppelphasischen Welle ihren Ab- stand nicht einfach mit der Elektrodendistanz ändern, sondern eine annähernd konstante Lage beibehalten. Auch ist zu bedenken, daß man beim Heraufrücken der unteren Ableitungselektrode wohl im wesentlichen nur die Sehnen der Muskeln, nicht aber die unteren Teile des Muskels selbst aus der Ableitungsstrecke ausschaltet. So viel geht jedenfalls aus allem hier Angeführten hervor, daß gegen diese Methode zur Berechnung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Kontraktions- welle im menschlichen Muskel begründete Einwände erhoben 40 Über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Kontraktionswelle. werden können und daß der so berechnete absolute Wert mit einiger Unsicherheit behaftet ist und nur die Größenordnung der Geschwindigkeit mit einer gewissen Annäherung angeben kann. Es wurde gezeigt, daß der Gipfelabstand der doppelphasischen Stromwelle, die vom oberen Muskelteil abgeleitet wurde, erheblich kleiner ist, als der Gipfelabstand der weiter unten abgeleiteten Strom welle. Es lag vielleicht nahe, hieraus zu schließen, daß ent- weder die nach oben laufende Kontraktionswelle sich schneller fortpflanzt als die zum unteren Muskelende gehende, oder daß sie einen kürzeren Weg zurücklegt. Das letztere nahm Hermann^) an. Indessen dies kann nicht richtig sein, denn dann müßte nicht nur der Gipfelabstand, sondern auch die Länge oder Dauer der oben abgeleiteten Stromwelle kleiner sein als die des unten abgeleiteten Stromes, und die Kurve beider Stromwellen müßte sich zwar mit gleicher Latenz nach dem Reiz von der Abszissenachse abheben, aber die vom oberen Muskelteil registrierte müßte einen kürzeren Abszissenbereich einnehmen, und ihre beiden Gipfelpunkte oder Wendepunkte müßten, verglichen mit den Gipfeln der zweiten, vom unteren Muskelteil abgeleiteten Welle in der Kurve beträcht- lich nach dem Reizpunkt zu verschoben liegen. Beides ist nicht der Fall. Vielmehr ist die Wellenlänge beider doppelphasischer Ströme gleich und die beiden Wendepunkte der oben abgeleiteten doppelphasischen Welle liegen zwischen den Gipfelpunkten der unten abgeleiteten. Die Deutung für die Unterschiede im Verlauf beider doppelphasischer Ströme kann demnach nicht in Unterschieden der von den Kontraktionswellen zurückgelegten Weglängen und auch nicht in Differenzen der Fortpflanzungs- geschwindigkeit beider Kontraktionswellen gesucht werden; sie dürfte vielmehr, wie oben entwickelt wurde, in dem Umstand gegeben sein^), daß die nach unten laufende Kontraktionswelle aus einem relativ dicht zusammengehaltenen Schwärm, die nach oben laufende dagegen aus einem mehr locker formierten Schwärm fibrillärer Wellen besteht. Es läßt sich aus den Stromkurven mit Wahrscheinlichkeit dartun, daß die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Kon- traktionswelle unabhängig von der Intensität des f unk- 1) Hermann, Pflügers Arch., Bd. 16, S. 49. ^) Piper, Verlauf und Theorie des Elektromyogrammes der Unterarm- flexoren. Pflügers Arch., Bd. 129, S. 145, 1909. über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Kontraktionswelle. \ \ tionellen Prozesses konstant bleibt. Engelmann^) hat in Versuchen am Sartorius des Frosches nachgewiesen, daß die Geschwindigkeit, mit der sich die Kontraktionswelle über diesen Muskel hin fortpflanzt, unabhängig ist von der die Zuckung aus- lösenden Reizstärke. In diesen Versuchen schrieb der Muskel seine Zuckungskurve graphisch auf, indem er mit dem einen genügend fixierten unteren Ende einen Schreibhebel durch Zug in Bewegung setzte. Der Muskel wurde einmal ganz nahe an die- sem Schreibhebelende mit einem Induktionsschlag gereizt, das andere Mal am oberen Ende. In beiden Fällen findet man ver- schiedene Latenzzeiten, und deren Differenz ist die Zeit, welche die Kontraktionswelle gebraucht, um vom oberen bis zum unteren Reizpunkt abzulaufen. Wenn man die Länge der durchlaufenen Muskelstrecke kennt, so ist die Fortpflanzungsgeschwindigkeit pro Sekunde zu berechnen, und Engelmann fand diese je nach der Zeitdauer des Versuchs und der Art der Präparation zwischen 1,1 und 5,2 m pro Sekunde, also in erheblichem Betrage schwan- kend. Dabei war aber die Reizstärke ohne Einfluß auf die Ab- laufgeschwindigkeit der Kontraktionswelle. Wenn man dasselbe Problem, d. h. die Frage der Abhängig- keit der Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Kontraktionswelle von der Reizstärke am menschlichen Muskel auf elektro-physio- logischem Wege prüfen will, so kommt es darauf an, Einzel- zuckungen der Flexoren von verschiedener Hubhöhe zu er- zeugen. Dies geschah^) durch elektrische Reizung des Nervus medianus mit Induktionsschlägen von verschiedener Intensität. Die eine mit der sekundären Rolle des Induktoriums verbundene Elektrode war eine 20x30 cm große, mit Flanell überzogene Metallplatte und wurde auf die Haut des Rückens aufgesetzt. Die andere knopfförmige Elektrode wurde am Reizpunkt des Nervus medianus in der Bizepsfurche handbreit oberhalb der Ellenbeuge oder in der Achselhöhle angesetzt. Die letztere war die Kathode des öffnungsinduktionsschlages. Wurde der Nerv mit Einzelschlägen gereizt, so traten Zuckungen der Flexoren ein, und der doppelphasische Aktionsstrom des Muskels kam in typischer Form zur Beobachtung. Es zeigte sich nun, daß der zeitliche Abstand beider Gipfelpunkte des Stromes einen kon- 1) Engelmann, Pflügers Archiv, Bd. 66. S. 574. 1897. 2) H. Piper, Zeitschr. für Biologie, Bd. 52, S. 41. 42 Über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Kontraktionswelle. stanten Wert beibehält, nämlich sehr annähernd ^/^^^ Sekunde und daß auch die ganze Aktionsstromwelle eine konstante Länge (Dauer) innehält, etwa ^/^o Sekunde, ganz gleich- gültig, ob Zuckungen von sehr kleiner oder von maxi- maler Hubhöhe durch Variierung der Reizstärke erzeugt wurden. Mit der Reizstärke änderte sich nur die Ampli- tude der abgeleiteten und registrierten Stromwelle. Das bedeutet, daß die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Kontraktions- welle in Abhängigkeit von der Reizstärke nicht variiert, sondern bei schwachen und starken Zuckungen gleichen Wert behält. Wenn also auch die Intensität des Prozesses, der sich im Bereich der Kontraktions- welle in der Muskelsubstanz ab- spielt und weiter geleitet wird, in ausgiebigem Maße variiert wird, so beeinflussen doch solche Intensitätsschwankungen die Ge- schwindigkeit der Leitung nicht merklich. Es würden also zur theoretischen Erklärung des Er- regungs- und Leitungsvorganges im Muskel ,,nur solche Wirkun- gen herbeigezogen werden dürfen, deren Fortpflanzungsgeschwindig- keit unabhängig von der Inten- sität ist" (Engelmann). Ganz dieselbe Tatsache, nämlich die Unabhängigkeit der Wellenlänge des abgeleiteten Aktionsstromes und der zeitlichen Lage seiner Wendepunkte von der Intensität des Kontraktionsprozesses läßt sich auch sehr schön an den komplizierteren Stromperioden dartun, die man bei Ableitung von zwei Punkten erhält, die zu beiden Seiten des nervösen Äquators (Punkt 2 und 4, siehe Abb. 10) liegen. Auch in diesem Falle behalten die Wendepunkte der abgeleiteten Stromkurven ihren Abstand unverändert bei, wenn bei konstanter Lage der Elek- troden die Reizstärke und abhängig davon die Hubhöhe der Muskelzuckungen beliebig variiert wird. Wie Abb. 8 zeigt^), 1) H. Piper, Pflügers Archiv, Bd. 129, S. 165. Abb. 18. Drei Elektromyogramme der Unterarmflexoreii; bei verschiedenen Reizstärken aufgenommen. Ableitung von Punkt 2 und 4 (Abb. lOi. Die erste Zacke in jeder Kurve Reizeinbruch wie in Abb. 11 bis 14. Die Dauer der ganzen Aktions- ßtromperiode und die zeitliche Lac;e der Kurven- wendepunkte ist in allen drei Kurven gleich. über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Kontraktionswelle. 43 ändert sich nur die Amplitude der Stromwellen, die Wendepunkte aller Kurven liegen aber über Abszissenorten, die, vom Reiz- moment ab gerechnet, gleichen Zeitwert haben. Aus Beobachtungen von Ranvier^), Kronecker und Stir- ling'), Grützner^) und seiner Mitarbeiter ist bekannt, daß die roten und weißen Muskeln beträchtliche Unterschiede der Geschwindigkeit des Erregungsablaufes und der zeitlichen Ver- hältnisse der Zuckungen bieten. Fischer*) zeigte insbesondere durch graphische Registrierung, daß die Zuckung des roten Soleus des Kaninchens, der Katze und Ratte etwa doppelt solange dauert wie die des weißen Muse, gastrocnemius, und daß die Er- regung in den roten Fasern viel langsamer abläuft, als in den weißen. Man kann dasselbe in ganz sicherer Weise auch dadurch dartun, daß man die zeitlichen Verhältnisse des Aktionsstrom- verlaufes bei Zuckungen beiderlei Muskelarten vergleicht. Kohl- rausch^) hat im Berliner physiologischen Institut den Gastrocne- mius und Soleus des Kaninchens und der Katze freigelegt, die motorischen Nerven präpariert und durch Reizung derselben mit einzelnen öffnungsinduktionsschlägen Zuckungen der beiden Mus- keln erzeugt. Die Aktionsströme wurden mit unpolarisierbaren Elektroden zum Saitengalvanometer abgeleitet und registriert. Der Elektrodenabstand betrug in diesen Versuchen etwa 15 mm. Abb. 20 zeigt nach Kohlrausch einen doppelphasischen Aktions- strom vom roten Soleus, Abb. 19 einen ebensolchen vom Gastro- cnemius des Kaninchens. Man sieht sofort, daß die Wellenlänge des vom roten Muskel erhaltenen Aktionsstromes beträchtlich größer ist, als die des weißen, und zwar etwa im Verhältnis 4:3. Ebenso ergibt die Ausmessung der Gipfelabstände beider Strom- wellen für den roten Muskel einen beträchtlich größeren Wert als für den weißen. Auch hier ist das Verhältnis etwa 4:3, und in diesem Zahlenverhältnis würden vermutlich auch die Fort- ^) Ranvier, Arch. d. physiol. norm. et. pathol., VI, 1874. ~) Kronecker u, Stirling. Arch. f. Physiologie, 1878, S. 1. 3) Grützner, Breslauer Ärztl. Zeitschr., 1883, Nr. 18 und 1887, Nr. 1; Bonhöffer, Pflügers Arch., Bd. 47, S. 125, 1890; Schott, ebenda, Bd. 48, S. 354, 1891; Oßwald, ebenda, Bd. 50, S. 215, 1891. 4) Fischer, ebenda, 1908, Bd. 125. ^) Kohlrausch, noch nicht publiziert. Erscheint in Rubners Archiv für Physiologie 1912, 44 Über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Kontraktionswelle. Abb. 19. Aktionsstrom vom weißen Muse. Gastrocnemius des Kaninchens bei Reizung des motorischen Nerven mit einem einzelnen Induktionsschlag und Ableitung vom Muskel mit einer Elektroden- distanz von 15 mm. (Nach Kohlrausch.) Stimmgabel: 250 Schwingungen pro Sekunde. Abb. 20. Dasselbe vom roten Milsc. soleus. Längere Dauer des Aktionsstroms und größere Zeitdistanz der (iipfelpunkte, als in Abb. 19. ('Nacli Kohlrausch. i Pflanzungsgeschwindigkeiten der Kontraktionswellen zueinander stehen. Vergleiche der doppelphasischen Ströme vom Gastrocnemius und Soleus der Katze führen zu demselben Ergebnis wie beim Kaninchen. Der Vergleich der Abb. 21 und 22 zeigt auf das deutlichste den Unterschied in den zeitlichen Verhältnissen des Erregungsablaufes zwischen roten und weißen Muskeln. Mißt man die Gipfelabstände der doppelphasischen Stromkurven aus, die vom roten und weißen Muskel bei 20 mm Elektroden- über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Kontraktionswelle. 45 Abb. 21. AUtionsstroni bei Eüizelzuckung des weißen Muse. Gastrocncmius der Katze. Elelvtiodendistanz 20 mm. iNach Kohlrausch.i Abb. 22. Dasselbe. Koter Muse. Soleus der Katze. Elektrodendistanz 20 mm. Erheblich längere Dauer und größerer Gipfelabstand der Stromperiode, als in Abb. 21. (Nach Kohl rausch.) abstand aufgenommen sind, so ist auch hier das Verhältnis etwa 4:3. Der Wellenlängenunterschied ist aber noch beträcht- lich größer. Das Verhältnis ist hier etwa 3:2. Die relative Trägheit der roten Muskeln kommt also in diesen Messungen ganz eklatant zum Vorschein. V. über die Gescliwiiidigkeit der Erreguiigs- leituiig im markhaltigen menscliliclieii Nerven und über die Latenzzeit einiger menschlicher Reflexe. Man kann die Methode der Registrierung der Muskelströme dafür nutzbar machen, um die Geschwindigkeit der Erregungs- leitung im motorischen Nerven zu finden. Die früheren Unter- suchungen über die Leitungsgeschwindigkeit in den Nerven der Warmblüter, insbesondere des Menschen, haben zu keinen ge- nügend sicheren und übereinstimmenden Werten geführt. Helm- holtz^) suchte diese Frage zuerst dadurch zu lösen, daß er die Reaktionszeiten maß, einmal wenn eine Hautstelle sehr nahe am Kopf, also mit kurzem sensiblen Nerven gereizt wurde, und das andere Mal, wenn ein weit vom Zentralnervensystem entfernter Punkt am Arm als Reizstelle diente. Wenn man annehmen darf, daß in beiden Fällen die zentrale Leitungszeit übereinstimmt, so kommt die Differenz der gefundenen Werte auf Rechnung des größeren Weges, den die Erregung vom entfernt gelegenen Reizpunkt zurückzulegen hat. Man findet also auf diese Weise die Leitungszeit für die Nervenstrecke, um die der lange den kurzen sensiblen Nerven an Länge übertrifft. Helmholtz fand nach dieser Methode die Leitungsgeschwindigkeit im sensiblen Nerven zu etwa 60 m in der Sekunde, betont aber die große Unsicherheit, die dem so berechneten Wert anhaftet und hebt hervor, daß man ganz außerordentlich variable Werte für die Reaktionszeit findet und daß die Variabilität für die Differenz der beiden Reaktionszeiten, die die Grundlage der Rechnung bildet, noch beträchtlich größer sei. Andere Forscher haben 1) Helmholtz, Vortrag in der physiol.- Ökonom. Gesellsch. z. Königsberg, 13. Dez. 1850 (nach Hermanns Handbuch d. Physiologie, Bd. 2, S. 18). über die Geschwindigkeit der Erregungsleitung usw. 47 nach der gleichen Methode die Leitungsgeschwindigkeit zu be- stimmen gesucht, finden aber vielfach Werte, die ganz erheblich von den He Im holt z sehen abweichen. Hirsch^) berechnet 30 m Leitungsgeschwindigkeit aus Versuchen, in denen die Di£ferenz der Reaktionszeiten bei Reizung an Hand und Fuß zugrunde gelegt wurde. Schelske^) reizte in der Leistengegend und am Fuß und versuchte wiederum aus der Differenz der Weglängen der sensiblen Nerven und aus der Differenz der Reaktionszeiten die Geschwindigkeit der Nervenleitung zu finden. Sein Wert ist 25 — 32,6 m pro Sekunde, und nahe bei diesen liegen die Werte von Donders^), der 26 m fand, und von Wittich*), der 34 — 44 m angibt, Kohlrausch^) dagegen kommt zu viel höheren Zahlen. Er berechnet aus Reaktionsversuchen Werte, die zwi- schen den sehr weit auseinanderliegenden Zahlen 56 und 225 m pro Sekunde bei verschiedenen Versuchspersonen schwanken, im Mittel aber etwa 94 m ergeben. Oehl^) kommt wieder auf Werte von 32 m und ebenso Kiesow'), der 30 — 33 mim Mittel findet. Wenn man diese ganz erheblich voneinander abweichenden Zahlen überblickt, und noch mehr, wenn man die Zahlenreihe sich ansieht, aus denen diese Mittelwerte erst abgeleitet worden sind, so kommt man wohl sicher zu der Überzeugung, daß man aus Messungen der Reaktionszeiten bei Reizung verschieden weit vom Gehirn abliegender Reizpunkte zu keinem sicheren Ergeb- nis kommen kann. Helmholtz, den seine nach dieser Methode unternommenen Versuche nicht befriedigten, betont mit Recht, daß die große Variabilität der Werte hauptsächlich darauf be- 1) Hirsch, Moleschotts Untersuchungen, Bd. 9, S. 183. 2) Schelske, Arch. f. Anat. und Physiol., 1864, S. 141. 3) Donders, Arch. f. Anat. und Physiol., 1868, S. 657. 4) von Wittich, Zeitschr. f. ration. Medizin, 1868, Bd. 31, S. 87. 6) Kohlrausch, Zeitschr. f. ration. Medizin, Bd. 28. S. 190, 1866; Bd. 31, S. 410. 1868. ^) Oehl, Fasola et Prediger!, Sur la velocite de transmission de l'exci- tation dans les fibres sensitives de rhomme. Arch. ital. de Biologie t. 17 p. 400. 1892. — Oehl, L'influence de la chaleur sur la velocite de transmission de l'exci- tation dans les nerfs sensitives de l'homme. Arch. ital. de Biologie t. 21 p. 401. '') Kiesow, Contribution ä l'etude de la velocite de propagation du Stim- ulus dans les nerfs de l'homme. Arch. ital. de Biologie t. 40 p. 273. 48 Über die Geschwindigkeit der Erregungsleitung usw. ruht, daß ein großer Bruchteil der direkt gemessenen Zeit immer die Leitnngszeit durch die zentralen Ganglienmassen darstellt. Diese Zeit ist aber recht variabel, und es ist kein Wunder, daß man auch durch Berechnung des Mittelwertes aus sehr zahl- reichen Beobachtungen die großen Schwankungen der für die Leitungsgeschwindigkeit sich ergebenden Zahlen nicht genügend ausgleichen kann. Besonders beachtenswert ist, daß gar nicht selten die Reaktionszeit bei Reizung des weiter abliegenden sen- siblen Punktes kürzer ausfällt, als diejenige, die man bei Rei- zung des kurzen sensiblen Nerven mißt. Dieses Versuchsresultat würde negative Werte für die Fortpflanzungsgeschwindigkeit im Nerven ergeben und diese sind natürlich unmöglich; gerade solche Versuche demonstrieren aber ganz eklatant die Unzuläng- lichkeit dieser Methode für die Auswertung der Geschwindigkeits- größe der Nervenleitung. In Erkenntnis dieser Sachlage verließen Helmholtz und Baxt^) diese Methode und gingen dazu über, dasjenige Verfahren für die Leitungsmessung auf den Menschen zu übertragen, das am Nervus ischiadicus des Frosches zu unzweideutigen Ergeb- nissen geführt hatte. Die Verdickung der Muskeln des Daumen- ballens wurde graphisch registriert, während der Nervus medianus einmal am Handgelenk, das andere Mal am Oberarm oder in der Achselhöhle mit einem Induktionsschlag gereizt wurde. Die Zeit, die vom Augenblick der Reizung bis zum Beginn der Muskel verdickung vergeht, wurde in beiden Fällen verschieden gefunden, und zwar war sie größer, wenn der Reizpunkt des motorischen Nerven weiter vom Muskel ablag. Aus der Diffe- renz der Latenzzeiten und aus der Differenz der Nervenstrecken, vom Reizpunkt bis zum Muskel gerechnet, war die Fortpflanzungs- geschwindigkeit pro Sekunde zu berechnen und wurde in den ersten Versuchen etwa zu 33,9 m im Mittel angegeben. Helmholtz undBaxt^) nahmen später (1870) ihre Versuche wieder auf und fanden zunächst ähnliche Werte wie früher. Später aber er- 1) Helmholtz und Baxt, Über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reizung in den motorischen Nerven des Menschen. Monatsbr. der kgl. preuß. Akademie der Wissensch. 1867, S. 228 ~) Helmholtz und Baxt, Neue Versuche über die Fortpflanzungs- geschwindigkeit der Reizung in den motorischen Nerven des Menschen. Monatsbr. der kgl. preuß. Akademie der Wissensch. 1870, S. 184. über die Geschwindigkeit der Erregungsleitung usw. 49 gaben sich beträchtlich liöhere Geschwindigkeiten, im Mittel etwa 64 m pro Sekunde. Durch Abkühlung des Armes ließ sich die Leitung bis auf 36 m pro Sekunde herabsetzen, durch Er- wärmung beträchtlich steigern, in einer Versuchsreihe bis zu 47 m, in einer anderen bis 56,8, und in wieder einer anderen sogar bis 89,4 m pro Sekunde. In ihren ersten Versuchen glaubten Helm- holtz und Baxt, wenn auch unsicher festgestellt zu haben, daß die Leitungsgeschwindigkeit im Vorderarm etwas größer sei als im Oberarm. In den späteren Versuchen dagegen fand sich um- gekehrt die Geschwindigkeit im oberen Nerventeil größer als im unteren. Die Versuche von Helmholtz und Baxt sind des öfteren wiederholt worden. OehF) findet die Leitungsgeschwindigkeit des Nervus radialis von der Temperatur abhängig; bei Erwärmung findet er 50 m, bei Abkühlung im Mittel 25 m pro Sekunde. Für die normale Körpertemperatur gibt er den Wert zu 30 m pro Sekunde an. Zu beträchtlich höheren Zahlen kam aber Alcock.^) Er reizte den Nervus medianus oberhalb der Clavicula und in der inneren Bizepsfurche und registrierte den Fingerdruck, der bei den Zuckungen der Fingerbeuger auf eine Luftkapsel aus- geübt wurde. Die Geschwindigkeit der Erregungsleitung im Nerven findet er ^ 66,8 m pro Sekunde. Man sieht, daß auch alle Versuche, in denen die mechanische Zustandsänderung eines Muskels als Indikator für den Reizerfolg benutzt wurde, nicht zu befriedigend konstanten Werten für die Geschwindigkeit der Erregungsleitung im menschlichen Nerven geführt haben. Dabei wird man kaum annehmen, daß die Ge- schwindigkeit tatsächlich so variabel ist, wie es die so gemessenen Zeiten anzugeben scheinen, sondern man wird vermuten, daß die Methode keine genauen Bestimmungen erlaubt. Man kann nun zu sehr viel sichereren und weniger variablen Zahlen kommen, wenn man nicht die Latenzzeit der mechanischen Zustands- änderung des Muskels, gerechnet vom Reizmoment ab, ausmißt, ^) Oehl, Nouvelles experiences touchant l'influence de la chaleur sur la velocite de transmission du mouvement nerveux chez rhomme. Arch. ital. de Biologie t. 24. p. 231, 1895. 2) Ale 00 k, On the rapidity of tlie nervous Impulse in tall and short individuals. Proceedings Roy. Soc. London vol. 72 und Journ. of Physiology vol. 30, p. 25. Piper, Elektropliysiologie. 4 50 Über die Geschwindigkeit der Erregungsleitung usw. sondern die Latenzzeit der elektromotorischen Reaktion. Diese Versuche habe ich ausgeführt^). Es wurden die doppelphasischen Ströme der Unterarmflexoren (von Punkt 3 und 5 Abb. 10) in ganz derselben Weise zum Saiten- galvanometer abgeleitet und registriert, wie es oben beschrieben wurde. Der Nervus medianus wurde einmal handbreit oberhalb der Ellenbeuge im Sulcus bicipitis internus, das andere Mal in der Achselhöhle gereizt; der Abstand beider Reizpunkte betrug etwa 16 cm. Dies ist wenigstens der Abstand der beiden Haut- stellen, an denen die Elektroden angesetzt wurden. Diese Haut- stellen dürften aber sehr annähernd den Punkten entsprechen, an denen der Reizstrom in den Nerven einbricht, denn wenn man die Reizelektrode nur sehr wenig von dem Punkt über dem Nerven verschiebt, gelingt es nicht mehr, mit den hier ange- wendeten Reizstärken eine Zuckung des Muskels zu erzielen. Für die Reizung wurde eine große plattenförmige Elektrode auf die Haut des Rückens gesetzt und eine kleine knopfförmige auf den Reizpunkt des Nerven. Die letztere war, wie in den früheren Versuchen, die Kathode des öffnungsinduktionsschlages. Wenn man die Latenzzeit zwischen Reizmoment und dem Beginn der elektromotorischen Muskelreaktion ausmessen will, so müssen die beiden Punkte, die diese Zeiten in den Kurven angeben, genau zu bestimmen sein. Es ist nun ein großer Vor- teil der von mir angewandten Methode, daß beide Zeiten in den Kurven mit großer Genauigkeit festgestellt werden können. In jeder Kurve verzeichnet sich der Reizmoment ohne weiteres, da der öffnungsinduktionsschlag eine Induktion auf den Galvano- meterstromkreis ausübt, so daß die Saite des Galvanometers momentan zum Ausschlag gebracht wird. So markiert sich in den Kurven der Reiz kurz vor Beginn des Muskelstromes in Form einer kleinen Zacke, und der Punkt, in dem diese Zacke sich von der Abszissenachse abzuheben beginnt, ist der Reiz- moment. Da das Saitengalvanometer praktisch ohne Latenz auf durchgeleitete Stromstöße reagiert, so verzeichnet sich die Zeit der Reizung auf diese Weise mit größter Genauigkeit. Der Be- 1) H. Piper, Über die Leitungsgeschwindigkeit im markhaltigen mensch- lichen Nerven. Pflügers Arch. Bd, 124, S. 591. — Weitere Mitteilungen übfr die Geschwindigkeit der Erregungsleitung im markhaltigen menschhchen Nerven Pflügers Archiv Bd. 127, S. 474. über die Geschwindigkeit der Erregungsleitiing usw. 51 ginn der Muskelreaktion ist durch den Punkt in der Kurve an- gegeben, in dem die doppelphasische Aktionsstrom kurve sich von der Abszissenachse abzuheben beginnt. Auch dieser Punkt läßt sich mit großer Genauigkeit in den Kurven festlegen. Abb. 23. DoppoJphasischer Aktionsstroin der Unterarmflexoren. Reizung des Nervus ulnaris in der Biceps- t'urche mit einem Offnungsinduktionsschlag. Erste Kurvenzacke durch Reizeinbrucli bewirkt. Das Intervall zwi.schen Reiz und Beginn des Aktionsstromes ist durch zwei senkrechte Markierungs- striche abgegrenzt. Stimmgabel 100 Schwingungen pro Sekunde. Abb. 24. Wie Abb. 23. Nur wurde der Nervus ulnaris in der Achselhöhle gereizt. Das Intervall zwischen Reiz und Beginn des Aktionsstromes ist beträchtlich größer als in Abb. 23. Bei diesen Messungen findet sich nun, daß das Zeitinter- vall zwischen Reiz und Beginn der Muskelreaktion stets größer ist bei Reizung in der Achshöhle als bei Reizung in derBizepsfurche. Die Differenz dieser beiden Latenzzeiten ist die Zeit, welche die Leitung der Erregung durch die zwischen 52 Über die Geschwindigkeit der Erregungsleitung usw. beiden Reizpunkten gelegene, etwa 16 cm lange Nervenstrecke erfordert. Daraus ist die Leitungsgeschwindigkeit pro Sekunde ohne weiteres zu berechnen. Wenn der Nervus medianus in der Bizepsfurche mit starken ö£fnungsschlägen gereizt wurde, so ergab sich das zwischen Reiz- moment und Beginn der Muskelreaktion verstreichende Zeitinter- vaU gleich 0,0044 Sekunden. Dieser Wert fand sich mit großer Konstanz in weitaus den meisten Kurven und die Abweichung nach oben und unten betrug nicht mehr als ^/loooo Sekunde, Bei Reizung des Nerven in der Achselhöhle mit den gleichen Reiz- intensitäten ist die Latenz vom Reiz bis zum elektromotorischen Reizerfolg im Muskel im Mittel 0,0057 Sekunden, Der kleinste überhaupt gefundene W^ert war 0,0056, der größte 0,0058 Sekun- den, Die Differenz der beiden Latenzzeiten, deren eine bei Reizung des Nerven in der Bizepsfurche, und deren zweite bei Reizung in der Achselhöhle gemessen wurde, beträgt 0,0013 Sekun- den. Das ist die Zeit, welche die Leitung der Nervenerregung für den Weg vom oberen bis zum unteren Reizpunkt, d. h. für eine Nervenstrecke von etwa 16 cm beansprucht. Die Fort- pflanzungsgeschwindigkeit pro Sekunde ist danach zu 123 m zu berechnen. Die Zeit zwischen Reizmoment und Beginn der elektro- motorischen Muskelreaktion enthält vier Summanden. 1. Die Latenzzeit des Nerven. Diese dürfte so klein sein, daß sie ver- nachlässigt werden darf. 2. Die Leitungszeit im Nerven, 3. die Latenz der Nervenendorgane und 4. die Latenzzeit der Muskel- substanz. In der oben durchgeführten Berechnung der Nerven- leitungsgeschwindigkeit wird angenommen, daß die eigentliche Muskellatenz und die Latenz der Nervenendorgane, also die Zeit, die vom Eintreffen der Nervenerregung im Muskel bis zum Be- ginn der Muskelreaktion verstreicht, konstant ist, gleichgültig ob in der Bizepsfurche oder in der Achselhöhle gereizt worden ist. Zu dieser Annahme ist man fraglos berechtigt, wenn die Reizstärken so gewählt sind, daß die Zuckungen immer maximal sind und daß auch die vom Muskel abgeleiteten Stromwellen maximale Amplitude haben. Das war in den Reiz versuchen, die der obigen Berechnung zugrunde liegen, der Fall. Man kann aus dem Zeitintervall, das zwischen Nerven- reizung und Muskelreaktion verstreicht, und aus den berech- über die Geschwindigkeit der Erregungsleitung usw. 53 neten Werten für die Leitungsgeschwindigkeit des Nerven die eigentliche Latenz der Nervenendorgane und der Muskel- substanz finden. Setzt man die Nervenstrecke vom Reizpunkt in der Bizepsfurche bis zu den Nervenendorganen in den Unter- armflexoren = 10 cm an, so würde die Nervenerregung diesen Weg in 0,000833 Sekunden zurücklegen, bei Annahme der Lei- tungsgeschwindigkeit zu 120 m. Nun verstrichen aber bei Reizung des Nervus medianus in der Bizepsfurche im Mittel 0,0044 Sekun- den bis zum Beginn der Muskeheaktion. Zieht man von diesem Wert die Nervenleitungszeit 0,000833 ab, so erhält man die Latenz der Nervenendorgane plus der des Muskels und findet diese gleich 0,003587 Sekunden. Eine weitere Frage ist die, ob die Latenz des Muskels bei Variierung der auf den Nerven wirkenden Reizinten- sität konstant bleibt oder nicht. Tigerstedt^) fand in Versuchen an Froschmuskeln, daß bei direkter Reizung, also nicht vom Nerven aus, die Latenz nur bei maximaler und über- maximaler Reizung konstant war, daß sie aber bei submaximaler Reizung um so länger wurde, je schwächer der Reiz und je kleiner die Hubhöhe des Muskels war. Ob dasselbe bei indirekter Reizung vom Nerven aus gilt, ist nicht einwandfrei festgestellt. Tigerstedt hält dies aber für wahrscheinlich. Ich habe diese Frage für die vom Nervus medianus innervierten menschlichen Muskeln zu beantworten gesucht. Es handelte sich also darum, festzustellen, ob bei Reizung des Nerven das zwischen Nerven- reiz und elektromotorischer Muskelreaktion verstreichende Zeit- intervall — also Nervenleitungszeit -\- Latenzzeit der Nerven- endorgane -1- Latenz der Muskelsubstanz — mit der Reizstärke variiert oder konstant bleibt. Bleibt es konstant, so muß man schließen, daß jedes der drei Glieder dieser Summe einen von der Reiz- und Erregungsstärke unabhängigen Wert hat. Speziell den Nerven betreffend wäre zu schließen, daß er starke und schwache Impulse gleich schnell leitet. Variiert dagegen das in den Kurven ausmeßbare Zeitintervall abhängig von der Reiz- stärke , so bleibt zunächst noch fraglich , welcher der drei Summanden, die in dieser Zeit enthalten sind, variiert, ob die 1) Tiegerstedt, Untersuchung über die Latenzdauer der Muskelzuckung in ihrer Abhängigkeit von verschiedenen Faktoren. Arch. f. Physiologie 1885, Suppl., S. 162, 170 und 225. 54 Über die Geschwindigkeit der Erregungsleitung usw. Geschwindigkeit der Nervenleitung oder die Latenz der Nerven- endorgane oder die Latenz der Muskelsubstanz. Ob die Nerven- leitung verschieden schnell vor sich geht, läßt sich entscheiden, wenn festgestellt wird, ob bei Reizung des Nerven am unteren Reizpunkt in der Bizepsfurche das Intervall zwischen Reiz- und Muskelreaktion in demselben Maße wie bei Reizung in der Achselhöhle abhängig von der Reizstärke variiert. Ist das der Fall, so ist die Differenz der beiden Zeitintervalle, die in den Kurven ausgemessen werden, bei schwachen Reizungen ebenso groß wie bei starken. Mithin ist die Leitungszeit in der 16 cm langen Nervenstrecke in beiden Fällen gleich und die Leitungs- geschwindigkeit eine von der Erregungsstärke unabhängige Konstante des Nerven. Es stände also dann allein noch zur Diskussion, ob die Latenzzeit der Nervenendorgane und der Muskelsubstanz abhängig von der Erregungsstärke variiert. Die Versuche ergaben, daß man bei Reizung des Nerven in der Achselhöhle die Reizstärke in weiten Grenzen variieren kann, ohne daß das Zeitintervall sich ändert, welches zwischen Reiz und Beginn des elektromotorischen Vorgangs im Muskel einge- schaltet liegt. Es behält eine zwischen 0,0056 und 0,0058 Sekun- den liegende Dauer, wenn auch die Höhe der Zuckung und die Amplitude der abgeleiteten Strom welle stark variiert. Die Leitungsgeschwindigkeit im Nerven erweist sich also als in weiten Grenzen von der Stärke des Reizes unab- hängig. Nur bei ganz niedrigen schwellennahen Reizstärken, die minimale Zuckungen auslösen und Stromwellen von ganz kleiner Amplitude im Gefolge haben, nimmt manchmal das Intervall bis zum Werte von 0,006 Sekunden zu. Es fragt sich, ob diese Tatsache auf eine Verlängerung der Latenz im Muskel oder auf eine Verzögerung der Leitung im Nerven zu beziehen ist. Dies läßt sich entscheiden durch den Vergleich mit analogen Reiz- versuchen von der Bizepsfarche aus. Reizt man von hier aus den Nerven, so verstreichen bei starken, mittelstarken und ziem- lich schwachen Reizen zwischen physikalischer Einwirkung und Beginn der Muskelreaktion Zeitintervalle, die unabhängig von der Reizstärke konstant einen zwischen 0,0043 und 0,0045 liegen- den Wert beibehalten. Nur bei ganz minimalen Reizstärken beobachtet man manchmal das Ansteigen dieses Intervalls bis über die Greschwindigkeit der Erregungsleitung usw. 55 auf Werte von 0,0048, ja sogar 0,005 Sekunden. Das ist also ganz dieselbe Erscheinung, die festgestellt wurde, wenn der Nerv in der Achselhöhle durch schw^ellennahe Reize in Erregung versetzt wurde. Legt man der Berechnung der Leitungsgeschwindigkeit immer je zwei Reizintervalle zugrunde, von denen das eine bei Reizung in der Bizepsfurche, das andere bei Reizung in der Achselhöhle erhalten wurde, so wird man die Differenz beider Werte unter der Bedingung konstant finden, nämlich 0,0013 Se- kunden, w^enn man nur solche Werte miteinander in Beziehung bringt, die Versuchen mit gleichen Reizstärken entsprechen. Daraus ergibt sich, daß die Leitungsgeschwindigkeit des Nerven in der zwischen beiden Reizpunkten liegenden 16 cm langen Strecke unabhängig von der Reizstärke konstant ist; der Nerv leitet starke und schwache Impulse gleich schnell. Es bleibt nun noch zu erwägen, ob die manchmal zu beob- achtende Verlängerung des zwischen Reiz und Muskelreaktion liegenden Zeitin tervalles bei schwellennahen Reizungen auf einer Dehnung der Latenz des Muskels und der Nervenendorgane beruht, oder ob dies vorgetäuscht sein kann. Hier ist nun hervorzuheben, daß es nicht möglich ist, bei sehr flachen Stromkurven den Punkt mit genügender Genauigkeit festzustellen, in dem sich die Kurve von der Abszissenachse abzuheben beginnt. Es ist sehr wohl möglich, daß auf diese Weise eine nur scheinbare Verlängerung des Intervalles zwischen Reiz und Beginn der Muskelreaktion bei schwellennahen Reizungen zustande kommt. Man wird um so mehr dieser Auffassung zuneigen, weil man gar nicht selten auch bei schwellennahen Reizungen Latenzzeiten findet, die von den bei starken Reizungen ausgemessenen nicht abweichen. Immerhin bleibt eine Verlängerung der Latenz des Muskels und der Nervenendorgane bei sehr schwachen Reizungen möglich, wenn sie auch nicht erwiesen ist. Das Ergebnis, daß die Nervenleitung unabhängig von der Stärke der Erregung gleiche Geschwindigkeit beibehält, stimmt überein mit den Resultaten, die du Bois - Reymond ^) und Engelmann '^) am motorischen Nerven des Frosches, und ^) du Bois-Reymond, Über die Geschwindigkeit der Nervenleitung. Arch. f. Physiologie 1900, Suppl., S. 68. 2) Engelmann, Graphische Untersuchungen über die Fortpflanzungs- geschwindigkeit der Nervenerregung. Arch. f. Physiologie 1901, S. 1. 56 Über die Geschwindigkeit der Erregungsleitung usw. Nikolai^) am Riechnerven des Hechtes erhalten haben. Es dürfte sich also um einen Vorgang im Nerven handeln, der, einmal ausgelöst, sich mit einer vom Nerven allein bestimmten Geschwindigkeit ausbreitet. Daß die Temperatur die Geschwindigkeit der Erregungsleitung zu variieren vermag, ist für den Ischiadicus des Frosches eine durch viele Versuche gesicherte Beobachtung, Ob freilich die mit dem Wechsel der Jahreszeit einhergehenden Schwankungen der Eigentemperatur der menschlichen Gliedmaßen genügen, um die Leitungsgeschwindigkeit des tief in den Geweben eingebetteten Nerven in solchem Maße zu beeinflussen, wie Helmholtz und Baxt^) annehmen, scheint mir sehr fraglich. Helmholtz und Baxt fanden ja in den ersten im Winter angestellten Versuchen einen Mittelwert von 30 — 33 m, in den späteren Sommerver- suchen etwa 60 m Leitungsgeschwindigkeit. Vielleicht sind doch auch diese Differenzen darauf zurückzuführen, daß die Versuchs- methodik hier ihren Dienst versagt, daß also die Registrierung der mechanischen Zustandsänderung des Muskels keine hinläng- lich konstanten Ergebnisse liefern kann, die eine sichere Be- rechnung der Leitungsgeschwindigkeit des menschlichen Nerven erlauben. Hoffmann^) hat die Untersuchung im Berliner physio- logischen Institut weiter ausgedehnt auf die Frage nach den Zeiten, die einfache Reflexe, der Patellarsehnen- reflex und der Achillessehnenreflex, vom Reiz bis zum Beginn der Muskelreaktion benötigen. Hier litt früher die Methodik an denselben Mängeln, die eine richtige Bestimmung der Leitungsgeschwindigkeit im Nerven unmöglich machte. Man war auch hier auf die mechanische Registrierung der Muskel- kontraktion angewiesen und diese gab für die Reflexzeiten eben- so unsichere und schwankende Werte, wie für die Nervenleitungs- zeiten. Indem Hoffmann den Beginn der elektromotorischen Reaktion des Muskels und nicht der mechanischen Zustands- ') Nicolai, Über Ungleichförmigkeiten in der Fortpflanzungsgeschwindig- keit des Nervenprinzips nach Untersuchungen am marklosen Riechnerven des Hechtes. Arch. f. Physiologie 1905, Suppl., S. 341. 2) 1. c. 1871. 3) Hoffmann, Beiträge zur Kenntnis der menschlichen Reflexe mit be- sonderer Berücksichtigung der elektrischen Erscheinungen. Rubners Arch. f. Physiologie 1910, S. 223. über die Geschwindigkeit der Erregungsleitung usw. 57 änderung für die Ausmessung der Reflexzeiten benutzte, kam er zu sehr viel konstanteren Zahlen, Wertheim- Salomonsohn^) hatte vorher bereits diese Methode auf das gleiche Problem an- gewandt. Wenn man die Reflexzeiten vom Reiz bis zur beginnenden Muskelreaktion rechnet, so sind in dieser eine ganze Reihe von Summanden enthalten : die Latenz der Sinnesorgane, die Leitungs- zeit durch den sensiblen und motorischen Nerven und die Zeit für die Durchleitung durch das Rückenmark und endlich die Latenz des Muskels. Von besonderem Interesse ist es, die Zeit zu berechnen, welche die Erregung benötigt, um die kurze Strecke durch das Rückenmark zu durchlaufen. Es war früher unmög- lich, diesen Wert richtig zu finden, weil für die Geschwindigkeit der Nervenleitung falsche, nämlich viel zu niedrige Werte ange- nommen wurden, und weil auch für die Latenz des Muskels keine sicheren Werte festgelegt waren. Die experimentelle Aufgabe besteht zunächst darin, die Zeit der Reizung und die Zeit der Muskelreaktion genau zu regi- strieren. Die letztere wird durch den Beginn des Ausschlages des Saitengalvanometers vollkommen exakt angegeben, wenn man den Aktionsstrom des reflektorisch kontrahierten Muskels regi- striert. Um den Reiz zu markieren, verfuhr Hoff mann bei der Aufzeichnung des Patellarsehnenreflexes folgendermaßen : Ein Holzstab wurde um eine mittlere Achse drehbar senkrecht so aufgestellt, daß sein Schatten sich neben dem Projektionsbild der Galvanometersaite mit dem Spalt der Registriervorrichtung kreuzte. Am unteren Ende dieses Stabes war ein Querholz an- gebracht und dieses lag der Patellarsehne der Versuchsperson an und wurde hier durch ein Gummiband angedrückt gehalten. Wurde nun der Schlag zur Auslösung des Patellarreflexes auf das untere Querholz ausgeführt, so machte der vertikale Stab einen Ausschlag, der sich durch seinen Schatten bei der photo- graphischen Registrierung aufzeichnete. Ganz ähnlich, nur für den besonderen Zweck etwas abgeändert, fand die Aufzeichnung des Reizes bei der Untersuchung des Achillessehnenreflexes statt. Um den Beginn der elektromotorischen Reaktion des Muskels 1) Wertheim-Salomonsohn, Clonus of organic and functional origin Folia neurobiologica 1910, IV, S. 1. — Annales d'electrobiologie et de radio- logie, Mai 1908. 58 Über die Geschwindigkeit der Erregungsleitung usw. kurvenmäßig aufzuzeichnen, wurden ganz ebenso, wie früher bei der Untersuchung der Aktionsströme der Unterarmflexoren ge- schildert, Trichterelektroden auf den Quadrizeps femoris oder auf den Gastroknemius aufgeschnallt, und von diesen wurden die Aktionsströme, die bei jeder Reflexzuckung auftraten, zum Saiten- galvanometer abgeleitet. Es ergab sich zunächst in Übereinstimmung mit den Angaben von Wertheim-Salomonsohn (1. c), daß beide Muskeln bei Auslösung ihrer Reflexe durch das Auftreten einer einfachen f\/\/^^'-^\j-\/''Kj^^j\/^^^^2^^^^^r^^ Abb. 25. Doppelphasischer Aktionsstrom vom Muse. Gastrocnemius des Menschen, registriert bei Erzeugung des Achillessehnenreflexes. Obere Kurve: Stimmgabel von 250 Schwingungen pro Sekunde. Mitt- lere Kurve Saitengalvanometerkurve des Aktionsstromes. Untere sehr dick geschriebene Kurve : Reizschreibung. Die Zeit, in welcher der Schlag auf die Achillessehne erfolgte, ist durch den steilen Anstieg der Reizschreibungskurve markiert. Von da bis zum Beginn des Aktionsstromes ist die Eeflexzeit 0,01 Sekunde zu berechnen. (Nach Hoffmann.) Zuckung reagieren. Dies Avird dadurch bewiesen, daß entweder einfache doppelphasische Aktionsströme auftreten, oder daß Aktionsstromkurven registriert werden, die bei komplizierterer Ablaufform erkennen lassen, daß sie durch Interferenz mehrerer doppelphasischer Ströme entstanden sind, daß diese aber ver- schiedenen Muskelfasergruppen angehören und nur infolge der komplizierten Faseranordnung mit Phasenunterschieden in den Ableitungsströmen eingegangen sind. Bei gleicher Lage der Ab- leitungselektroden hatte der Aktionsstrom der reflektorisch aus- gelösten Muskelkontraktion denselben Verlauf wie der, welcher bei Reizung des motorischen Nerven durch einen einzelnen Induktions- schlag erhalten wurde. Dies beweist, daß die Reflexkontraktion über die Geschwindigkeit der Erregungsleitung usw. 59 eine Zuckung ist, und daß vom Rückenmark aus bei der Reflex- zuckung zu allen Muskelfasern eine „Salve" von Innervations- impulsen geschickt wird, ganz ähnlich wie eine solche bei Einzel- reizung des motorischen Nerven zum Muskel gelangt. Hoffmann untersuchte die Reflexzeiten nach zwei Methoden, einmal bei Reizung in der üblichen Weise durch Schlag auf die Sehne, das zweite Mal durch Reizung des motorischen Nerven mit einem Induktionsschlag. Im letzteren Falle erhielt er nicht nur eine direkt bewirkte Zuckung, sondern auch darauffolgend noch eine reflektorische ; die letztere ist nun frei von der Latenz der sensiblen Nervenendorgane. Die Zeiten, die sich bei Erzeugung des Patellarsehnenreflexes ergeben, betragen 0,019 — 0,024 Sekunden. Für den Achillessehnen- reflex ergaben sich in Übereinstimmung mit den früheren An- gaben Eulenburgs^) größere Reflexzeiten und zwar 0,032 bis 0,036 Sekunden. Bei ausgiebigen Reflexzuckungen, die einen Aktionsstrom von großer Amplitude ergaben, schien die in den Kurven ausmeßbare Reflexzeit kürzer zu sein als bei schwachen Zuckungen, doch kann dies vorgetäuscht sein, weil an den flach verlaufenden Stromkurven der Abhebungspunkt sich nicht genau festlegen läßt und leicht irrtürmlich zu spät angesetzt wird. Bei Erzeugung der Reflexe durch Reizung des Nerven mit einem Induktionsschlag ergaben sich, wie zu erwarten, kürzere Reflexzeiten. Wurde der Nervus femoralis am Ligamentum puparti gereizt, so betrug die Zeit für den Patellarsehnenreflex 0,017 bis 0,0178 Sekunden. Für den Achillessehnenreflex betrug die Zeit bei Reizung des Nervus tibialis in der Kniekehle 0,0282 bis 0,029 Sekunden. Die Differenz der beiden Reflexzeiten, deren eine bei Aus- lösung durch Schlag auf die Sehne und deren andere bei Reizung des Nerven gefunden wurde, ist die Zeit, die be- nötigt wird für die Erregung der Nervenenden oder der Sinnes- organe -|- der Leitungszeit in der Nervenstrecke von der Sehne bis zum Reizpunkt des Nerven. Man findet für diese einen so kleinen Wert, daß bei Annahme der Nervenleitungsgeschwindig- keit zu 120 m pro Sekunde für die Latenz der sensiblen Nerven- 1) Eulenburg, Über die Latenzdauer und den pseudoreflektorischen Charakter der Sehnen phänomene. Neurolog. Zentralbl. 1882, S. 3. — Latenz des Achillessehnenreflexes. Ebenda, S. 313. (30 Über die Geschwindigkeit der Erregungsleitung usw. endorgane höchstens 0,0014 Sekunden übrig bleiben. Doch ist diese Rechnung ziemhch unsicher. Hoffmann versuchte weiter, aus der direkt im Experiment gefundenen Reflexzeit diejenige Zeit zu ermitteln, die für das Durchlaufen der Erregung durch die Rückenmarksubstanz übrig bleibt. Er stellt die folgende Berechnung an: Für den Patellar- reflex ergibt sich aus der direkt registrierten Kurve eine Reflex- zeit von 0,02 Sekunden. Setzt man nun die Nervenstrecke vom Ort der Reizung bis zum Rückenmark und wieder vom Rücken- mark bis zu den Nervenendorganen des Muskels gleich 80 cm, so durchläuft das Nervenprinzip diese Strecke in 0,007 Sekunden. Setzt man die Muskellatenz gleich 0,004 Sekunden, so bleibt für die Zeit, welche die Erregung zur Durchsetzung des Rückenmarkes bedarf, übrig 0,009 Sekunden. Bei einer ähnlichen Berechnung ergab sich für den Achillessehnenreflex als Übertragungszeit im Rückenmark 0,013 Sekunden. Zu noch etwas besser übereinstimmenden Werten gelangte Hoffmann, wenn er nicht die Berechnung auf Grund der Messungen durchführte, die bei Erzeugung des Reflexes durch Schlag auf die Sehne angestellt wurden, sondern wenn er die Zeiten nahm, die der Reflex bei Auslösung durch Reizung des Nerven bedarf. Er findet dann als Übertragungszeit im Rücken- mark für den Patellarreflex 0,01 Sekunden und für den Achilles- sehnenreflex 0,012 Sekunden. Von besonderem Interesse bei diesem Ergebnis ist die Tat- sache, daß man bei allen so durchgeführten Berechnungen über- haupt nicht auskommt, wenn man nicht die Geschwindig- keit der Nervenleitung so hoch ansetzt, wie ich sie ge- funden habe, also 120 m pro Sekunde. Man muß diese Annahme nicht nur für den motorischen, sondern auch für den sensiblen Nerven machen. Dann ist die früher immer wieder angezweifelte Reflexnatur der betrachteten Muskelreaktion eindeutig sichergestellt, aus folgenden Gründen: 1. Die Zeiten, die vom Einsetzen des Reizes bis zum Be- ginn der Muskelreaktion verstreichen, sind viel zu groß, um eine direkte Reizwirkung auf den Muskel möglich erscheinen zu lassen. So lange Zeiten können nur auf eine Übertragung des Reizes auf dem Reflex wege bezogen werden. 2. Wenn die Reflexzeit für den Achillessehnenreflex größer über die Geschwindigkeit der Erregungsleitung usw. ()] gefunden wird als für den Patellarsehnenreflex, so kann dies nur auf der größeren Weglänge beruhen, welche die Nervenerregung vom Fuß aus, verglichen mit dem Reizpunkt auf der Patella zum Rückenmark hin und zurück zu durchlaufen hat, was wiederum für die Reflexnatur der Bewegungen beweisend ist. 3. Die beiden Phasen des Aktionsstromes haben dieselbe Richtung und dieselbe Form wie bei Einzelreizung des moto- rischen Nerven. Die Kontraktionswelle läuft also vom nervösen Äquator zum Muskelende, sie geht also nicht von dem Ort der Reizung, sondern von den nervösen Endorganen aus, und das heißt wiederum, daß sie reflektorisch bedingt sein muß. VI. Ül)er die willkürlich innervierten 3Inskel- kontraktionen. Historisches. Man hat sich früher vielfach bemüht, die willkürhche oder reflektorisch innervierte Muskelkontraktion in ähnlicher Weise zu analysieren, wie es mit den durch elektrische Reizung hervor- gerufenen Muskelbewegungen geschehen war. Man hat versucht, zwischen beiderlei Arten der Muskeltätigkeit Analogien ausfindig zu machen und ist dabei zu dem, wenn auch immer wieder in Zweifel gezogenen Ergebnis gekommen, daß jede natürlich inner- vierte Muskelverkürzung, auch wenn sie dem mechanischen Ver- halten nach ganz stetig ist, doch ihrem Wesen nach oszilla- torischer Natur ist, und daß niemals einer solchen Kontraktion eine einfache Zustandsänderung in der kontraktilen Substanz zu- grunde hegt. Diese Anschauung drängte sich schon von selbst auf, wenn man nur annahm, daß zwischen den künsthch durch Nervenreizung erzeugten tetanischen Kontraktionen und den vom Zentralnervensystem innervierten im großen und ganzen eine Ana- logie besteht. Für die oszillatorische Natur der durch elektrischeReizung erzeugten tetanischen Kontraktion sind eine Reihe von Be- weisen anzuführen, deren Gültigkeitsbereich man auf die natür- lich innervierten Tetani auszudehnen versucht hat. Zunächst war festgestellt worden, daß ein Muskel in der Regel nur dann in mechanisch stetigen Tetanus gebracht werden kann, wenn man Reihen von Stromstößen, die eine gewisse Minimal- frequenz pro Zeiteinheit nicht unterschreiten dürfen, entweder auf den Muskel selbst oder auf den motorischen Nerven ein- wirken läßt. Einen solchen Effekt erzielt man im allgemeinen durch den konstanten Strom nicht, sondern man erhält abge- gesehen von der Verwendung sehr starker Ströme nur bei Strom- Xjher die willkürlich innervierten Muskelkontraktionen. Historisches. ()8 Schließung und bei Stromöffnung Einzelzuckungen. Daß bei Darstellung eines solchen künstlichen Tetanus nicht nur die Reizung in frequentem Wechsel vor sich geht, sondern daß auch der im Muskel ablaufende Prozeß in ebenso frequenten Oszilla- tionen sich abspielt, ließ sich aus verschiedenen Erscheinungen erschließen. Man konnte z. B. im Muskel einen Ton während der Kontraktion hören. Noch besser aber ließ sich die oszilla- torische Natur des Kontraktionsprozessse dadurch nachweisen, daß die begleitenden Aktionsströme entweder zum Telephon abgeleitet und hörbar gemacht werden konnten, oder daß durch ihre tetani- sierende Wirkung auf den stromprüfenden Froschschenkel die Diskontinuität ihres Verlaufes und somit die Rhythmizität der Muskelprozesse nachgewiesen wurde, oder endlich dadurch, daß diese Ströme durch direkte Registrierung vermittels geeigneter elektrischer Meßinstrumente zur Anschauung gebracht wurden. Der in der kontraktilen Substanz auftretende Muskelton ist ein zwingender Beweis für die Diskontinuität des Kontraktions- prozesses, und die Bestimmung der Tonhöhe und der Abhängig- keit dieser Höhe von der Reizfrequenz läßt Schlüsse zu über die Zahl der im Muskel ablaufenden Oszillationen und über die Grenzen der Beweglichkeit der Muskelteilchen. Man hat unter- sucht, bis zu welcher Zahl von Reizen pro Zeiteinheit der Mus- kel mit gleich vielen Oszillationen seiner Substanz zu folgen vermag und fand, daß diese Schwingungen der Muskelsubstanz in weitgehendem Maße durch die Zahl der einwirkenden Reize direkt bestimmt ist. Loven^) stellt z. B. fest, daß die Beinmuskeln des Kaninchens bei Reizung des Nervus ischiadicus Muskeltöne geben, die unter Umständen bis zu 704 Schwingungen pro Sekunde mit dem erzeugenden Strom unisono bleiben. Bern- stein^) hörte bei Reizfrequenzen von 933 Schwingungen pro Se- kunde noch den Muskelton in gleicher Höhe, Bei Froschmuskeln scheint die Beweglichkeit der kontraktilen Substanz nicht so groß zu sein. Wedenskj^) leitete vom Kaninchen- und Frosch- mukel die Oszillationen der Aktionsströme während künstlicher Tetanisierung zum Telephon ab und fand, daß Froschmuskeln bis zu etwa 200, die Warmblütermuskeln bis zu etwa 1000 Reizen 1) Loven, Arch. f. Physiologie 1883. S. 363. 2) Bernstein, Pflügers Arch. Bd. 11, S. 191. 3) Wedenski, Arch. f. Physiologie 1883, S. 317. (54 Über die willkürlich innervierten Muskelkontraktionen. Historisches. pro Sekunde mit der gleichen Zahl von Erregungsoszillationen folgen können. Buchanan^) registrierte die Schwingungen der Aktionsströme elektrisch tetanisierter Froschmuskeln direkt mit Hilfe des Kapillarelektromotors und fand, daß der Muskel den Reizen bis zu einer Frequenz von 270 pro Sekunde unter Um- ständen noch zu folgen vermag. Jenseits dieser für Warm- und Kaltblüter verschiedenen Grenzwerte sind die Oszillationen im Muskel nicht mehr direkt durch die Reizfrequenz bestimmt; manchmal ist nur jeder zweite oder dritte Reiz wirksam und die entsprechenden Muskeltöne kommen zu Gehör. Bei sehr hohen Reizfrequenzen wird aber der Muskel in unregelmäßige Schwin- gungen versetzt, so daß Muskelgeräusche entstehen, für die eine bestimmte Tonhöhe nicht angegeben werden kann (Stern^). Man wird durch diese Versuchsergebnisse zu der Auffassung geführt, daß die Kontraktilität der quergestreiften Muskeln an eine unserer Kenntnis bisher unzugängliche chemische Substanz gebunden ist, deren große Beweglichkeit sich in der Fähigkeit zu sehr frequenten Zustandsänderungen pro Zeiteinheit äußert und die bei der Kontraktion sehr schnell umkehrbaren Reak- tionen unterworfen ist. Man wird ferner annehmen müssen, daß dieser reversible Prozeß sich, nach der in den Aktions- strömen frei werdenden elektrischen Energie zu urteilen, mit Wahrscheinlichkeit an Elektrolyten abspielt und vielleicht als ein elektrolytischer Dissoziationsvorgang und dessen Umkehrung zu betrachten ist. Wenn man nach diesen Ergebnissen versuchen wollte, diese für den elektrisch erzeugten Tetanus gültigen Vorstellungen auf die Physiologie der natürlichen Muskelkontraktionen auszudehnen, so galt es, möglichst an der Hand der gleichen Beweismittel die Oszillationen und deren Rhythmik im Muskel bei willkürlichem Tetanus aufzufinden. Sind diese nachgewiesen, so liegt es nahe, daß man sich die Zahl und die Art des Aufeinanderfolgens der Oszillationen bei der natürlichen Kontraktion ganz analog dem künstlichen Tetanus direkt von der Zahl und den Eigen- schaften derjenigen Nervenreize abhängig denkt, die vom Zentralnervensystem ausgehen müssen. Diese Ana- 1) Buchanan, Journal of Physiology vol. 27, 1901. 2) Stern, Pflügers Arch. Bd. 82, S. 34. über die willkürlich innervierten Muskelkontraktionen. Historisches. (j5 logieschlüsse vom elektrisch erzeugten auf den natürlichen Tetanus und namentlich die Rückschlüsse von den Eigenschaften und der Frequenz der Muskeloszillationen auf die Art der Tätigkeit des zentralen Tnnervationsmechanismus beherrschen in der Tat und mit Recht vollständig die Bahnen, in denen sich die Erörterungen über die physiologische Innervierung von Kontraktionen bewegen. Die Bestimmung der Oszillationsrhythmik im willkürlich kontrahierten Muskel ist auf sehr verschiedene Weise versucht worden. Zunächst hat man mit Recht das auch bei der will- kürlichen Kontraktion im Muskel auftretende Geräusch als Beweis für die Periodizität der Vorgänge in der kontraktilen Substanz angeführt, und man hat versucht, aus Tonhöhen- bestimmungen die Zahl der Oszillationen zu erkennen. Indessen so sicher das Muskelgeräusch die oszillatorische Natur des na- türlich innervierten Tetanus beweist, so wenig hat es sich bewährt, als es galt, daraus die Frequenz der im Muskel ablaufenden Schwingungen zu enthüllen. Wollaston^), der den Muskelton zuerst beschrieb, schätzt ihn auf höchstens 36, im Minimum auf 14 — 15 Schwingungen pro Sekunde und findet ihn zwischen diesen Werten schwankend. Helmholtz^) gab zuerst 35 — 45 Schwin- gungen an, fand aber später, daß dies gerade ein Eigenton des Ohres sei und deshalb subjektiv verstärkt gehört werde. Er glaubt diesen Ton für den ersten Oberton der dem richtigen Muskelrhythmus entsprechenden Schwingungszahl erklären zu müssen, setzt also letztere auf 18 — 20 pro Sekunde an. Er findet, daß dieser Grundton, der z. B. bei der Kontraktion der Kaumuskeln hörbar ist, bei Vermehrung der Muskelspannung sich nicht in seiner Höhe ändert, daß aber das beigemischte Brausen höher und stärker wird. Mehr war aus diesem Muskel- ton nicht zu schließen, und wahrscheinlich gehen auch diese mit aller Vorsicht geäußerten Wahrnehmungen Helmholtz"') schon über die Grenzen des Möglichen hinaus. Denn die Unterschei- dung von Tonhöhen im Bereich so niedriger Schwingungsfre- quenzen sind selbst bei Beobachtern mit so geschärften Sinnen wie Helm hol tz problematisch, zumal die Resonanzverhält nisse des Ohres die Bestimmung ganz unsicher machen. 1) Wollaston, Gilberts Annalen Bd. 40, 1812. 2) Helmhol tz. Wissenschaf tl. Abhandl. Bd. 2, S. 924 und 429. 3) Helmholtz, 1. c, S. 929. Piper, Elektrophysiologie. 5 6(5 Über die willkürlich innervierten Muskelkontraktionen. Historisches. Die Unbestimmtheit dieser Ergebnisse, welche die akustische Untersuchung der Muskeln liefert, hat man durch die mecha- nische Analyse der rhythmischen Formveränderungen zu ergänzen gesucht. Helmholtz legte verschieden abgestimmte Federn auf die kräftig konthrahierten Armmuskeln und suchte diejenige aus- findig zu machen, die am leichtesten in Mitschwingungen versetzt wurde. Er fand hierzu die Federn am besten geeignet, die auf 18 — 20 Schwingungen abgestimmt waren und schloß, daß dies die Schwingungsfrequenz der kontraktilen Substanz im Muskel sein müsse, daß also der Ton von 35 — 40 Schwingungen, den er am deutlichsten hören konnte, der durch die Resonanz- verhältnisse des Ohres verstärkte erste Oberton des muskulären Grundtones gewesen sei. Indessen ließ die allem Anschein nach un- regelmäßige Rhythmik der Schwingungen im Muskel die Auffindung der gleich abgestimmten Feder nicht mit befriedigender Sicherheit bewerkstelligen. Auch v. Kries^), der diese Versuche Helmholtz' wiederholte, betont die große Unsicherheit der Ergebnisse. Stanley Hall und Kronecker^) versuchten dann, durch direkte mechanische Registrierung der Dickenschwankungen des tetanisch kontrahierten Muskels dessen Schwingungsfrequenz fest- zustellen. Nach Durchschneidung des Hirnstammes wurden beim Kaninchen dicht neben der Medulla oblongata Reizelektroden an- gebracht, durch die schwache Induktionsströme zugeleitet wurden. Es stellten sich tetanische Verkürzungen des Bizeps femoris ein, mit denen Dickenschwankungen des Muskels einhergingen, die unabhängig von der Frequenz der Reizströme eine Oszillations- zahl von 20 pro Sekunde beibehielten. Zu anderen Ergebnissen kamen Horsley und Schäfer^), die bei Reizung der Hirnrinde, des Hirnstammes oder des Rückenmarkes, wie auch bei natürlicher Innervation 10 Muskel- vibrationen pro Sekunde im Mittel fanden. Auch Canney und Tunstall*) registrierten diesen Rhythmus in Versuchen an mensch- lichen Muskeln. V. Kries^) fand dann bei Aufzeichnung der Dickenschwankungen, die menschliche Muskeln bei willkürlicher 1) V. Kries, Arch. f. Physiologie 1886, Suppl. 2) Stanley Hall und Kronecker, Arch. f. Physiologie 1879. 3) Horsley und Schäfer, Journal of Physiology vol. 7, p. 96. *) Canney und Tunstall, Journal of Physiology vol. 6. 6) V. Kries, 1. c. über die willkürlich innervierten Muskelkontraktionen. Historisches. (j7 Kontraktion zeigen, daß der Rhythmus muskulärer Zustands- änderungen und somit die Zahl der physiologischen Innervations- impulse in weiten Grenzen variabel sei, und zwar zwischen 8 und 40 pro Sekunde schwanke. Für die Flexoren des Armes ergaben sich bei angestrengter stetiger Kontraktion 11,8, für die Fuß- beuger 7,7 Dickenschwankungen pro Sekunde. Bei sehr schnellen kurzen Bewegungen wurden bis zu 40 Oszillationen pro Sekunde erzielt. Die Erklärung für die auch von Loven^) vertretene Vorstellung, daß 8 Impulse pro Sekunde einen mechanisch ste- tigen Tetanus erzeugen können, sieht v. Kries, wie schon Lo- ven in der Annahme, daß die vom Zentralnervensystem aus- gehenden Reize nicht momentan wie etwa die öffnungsschläge- eines Induktoriums ansteigen und wieder verschwinden, sondern langsam an- und abschwellen, daß sie also nach v. Kries' Bezeichnung nicht Momentreize, sondern Zeitreize sind. Als V. Kries die Form der zeitlichen Schwankung dieser supponier- ten physiologischen Reize künstlich nachahmte, indem er elek- trische Reize von zeitlich gedehntem Gefälle auf Muskel oder Nerven applizierte, fand er in der Tat, daß die Zuckungskurven gedehnter verliefen als bei Einwirkung von Momentreizen; dem- entsprechend genügten dann auch erheblich weniger solcher Zeit- reize pro Zeiteinheit, um glatten Tetanus im Froschmuskel zu erzeugen, als Momentreize dazu erforderlich sind. v. Kries sieht in diesen Zeitreizen, was die Steilheit des Verlaufes betrifft, Übergangsformen zwischen den elektrischen Momentreiz sn und denjenigen Impulsen, die bei Innervierung willkürlicher oder reflektorischer Dauerkontraktionen vom Zentralnervensystem aus- gehen. Im übrigen nimmt er an, daß je nach der Geschwindig- keit und der Kraft einer zu innervierenden Muskelaktion der Rhythmus der Impulse und deren zeitliche Schwankungsform in ziemlich weiten Grenzen variabel sei. Bei kurzen Bewegungen sollen Innervationsstöße von steiler Schwankungsform und großer Frequenz, bei Dauerkontraktion dagegen zeitlich gedehnte Im- pulse von um so geringerer Zahl pro Zeiteinheit eintreffen, je kräftiger der zu erzielende Tetanus ist. Überblickt man all diese Deduktionen, die vom Studium der Formveränderungen der Muskeln bei der Kontraktion und der Bedeutung von Rhythmus und Form der Reizs dazu führen 1) Loven, Med. Zentralblatt 1881, Nr, 7. (38 Über die willkürlich innervierten Muskelkontraktionen. Historisches. sollten, den physiologischen Tetanus aufzuklären, so wird man gestehen müssen, daß zwar allerlei Möglichkeiten durchgeprüft worden sind, daß aber ein bestimmter Modus der Bewirkung normal innervierter Muskelkontraktionen nicht besonders wahr- scheinlich hat gemacht werden können. Nach den zweifelhaften Ergebnissen, welche die akustische und die mechanische Untersuchung der Muskelrhythmik gebracht hat, hat man mit etwas besserem Frfolg versucht, mit Hilfe der Aktionsströme die Vorgänge im Muskel bei der tetanischen Kon- traktion zu analysieren. Man ist dabei nach dreierlei verschie- denen Methoden vorgegangen : bei den früheren Untersuchungen diente der stromprüfende Froschschenkel als Reagens auf die muskulären Stromschwankungen, später sind die im Muskel auf- tretenden oszillatorischen Ströme zum Telephon abgeleitet worden, und der hier auftretende Ton ist auf Höhe, Klangfarbe und beigemischte Geräusche geprüft worden. Schließlich sind elek- trische Meßapparate, die schnelle Stromschwankungen direkt zu registrieren gestatten, namentlich das Kapillarelektrometer und das Saitengalvanometer mit Erfolg verwendet worden. Grundlage für die Wege der Untersuchung und für die theoretische Auffassung der elektrischen Erscheinungen beim Reflextetanus bilden wiederum die Feststellungen über den Ver- lauf und die Oszillationsfrequenz der Aktionsströme im künstlich tetanisierten Muskel. Was zunächst die Versuche betrifft, in strom- prüfenden Froschschenkel sekundären Tetanus zu erzeugen, so geht man hier ja von der Tatsache aus, daß eine Dauerkon- kontraktion sich im allgemeinen nur durch Reizreihen von be- stimmter Minimalfrequenz pro Zeiteinheit erzeugen läßt. Da nun bei elektrischer Tetanisierung eines Muskels vom Nerven aus ein zweites Nervmuskelpräparat gleichfalls in Tetanus gerät, wenn sein Nerv auf den ersten Muskel aufgelegt wird, so ist zu schheßen, daß oszillatorische Aktionsströme im ersten Muskel als Begleit- erscheinung des Tetanus entstehen und als Reizströme von teta- nisierendem Erfolg in den Nerv des zweiten Präparates ein- brechen. Indessen der Versuch, auf diesem Wege den diskon- tinuierlichen Verlauf der Aktionsströme beim willkürlichen Te- tanus zu zeigen, versagte vollständig. Du Bois-Reymond^), 1) Du Bois-Reymond, Untersuchungen über tierische Elektrizität Bd. 2, S. 305. über die willkürlich innervierten Muskelkontraktionen. Historisches. ()<| der zuerst Versuche dieser Art an willkürlich kontrahierten Muskeln machte und an solchen, die in Strychnintetanus versetzt worden waren, zweifelte trotz der Unmöglichkeit, sekundären Tetanus zu erhalten, nicht an der oszillatorischen Natur der physiologisch innervierten Kontraktion. Er suchte vielmehr die Eigenart der Aktionsstromschwankungen, die er für den natürlich kontrahierten Muskel annahm, verantwortlich zu machen für das Ausbleiben des sekundären Tetanus. Er glaubte zu sehen, daß für die Re- flextetani eine eigentümliche Unstetigkeit charakteristisch sei, und dies stützte seine Annahme, daß die einzelnen Faserbündel des Muskels ungleichzeitig und in verschiedener Stärke ihre Impulse vom Zentralnervensystem erhalten. Zu der gleichen Vorstellung gelangten Hering und Friedrich^). Brücke-) hat dieser Idee in einem bekannten Vergleich einen prägnanten Ausdruck gegeben, indem er sagte, daß bei elektrischer Reizung des Nerven die Innervationsimpulse in den einzelnen Muskel- fasern salvenmäßig eintreffen, daß dagegen bei der natürlichen Innervierung die Impulse vom Rüchenmark aus in unregelmäßigen Zeitintervallen durch die einzelnen Nervenfasern und zu den einzelnen Muskelfasern geschickt werden, daß sie also in den Nervenendorganen ,,pelotonfeuermäßig" eintreffen. Dazu kommt, daß in vielen Muskeln nach den Untersuchungen Kühnes^) die Nervenendorgane über weit voneinander liegende Querschnitte verteilt liegen, so daß die Kontraktionswellen in den einzelnen Muskelfasern von verschiedenen Querschnitten des ganzen Muskels ihren Ursprung nehmen. Wenn infolge solcher anatomischer Verhältnisse oder infolge pelotonfeuermäßigen Eintreffens der Innervationsimpulse die Kontraktionswellen der einzelnen Fasern in jedem gegebenen Zeitteilchen über die ganze Länge des Muskels mehr oder weniger zerstreut liegen, so müssen die Aktionsströme der einzelnen Fasern großenteils im Ableitungsstrom mit ent- gegengesetzten Phasen interferieren und sich aufheben. Der letztere wird also geringe Intensität haben und unregelmäßig oszillieren. Hat der Ableitungsstrom tatsächlich diese Eigen- 1) Hering und Friedrich, Sitzungsber. der Akad. der Wissenschaften zu Wien Bd. 72, Abt. III, S. 413. 1875. 2) Brücke, ebenda Bd. 79, S. 237. 1877. 3) Kühne, Untersuchungen aus dem physiolog. Laboratorium der Uni- versität Heidelberg Bd. 3, S. 68. 70 Über die willkürlich innervierten Muskelkontraktionen. Historisches. Schäften, so ist es erklärlich, daß er zur Erzeugung eines sekun- dären Tetanus nicht fähig ist. Harleß^) freilich, der beim Frosch weder auf reflektorische Kontraktion, noch bei solchen, die auf elektrische Reizung des Halsmarks erhalten wurden, sekundären Tetanus sah, kam zu dem Schluß, daß die natürliche Dauer- kontraktion nicht nur dem mechanischen Effekt, sondern auch dem Wesen nach ein stetiger Vorgang sei und nicht mit der elektrischen Tetanisierung vergleichbar sei. Zusammenfassend wird man aber über die Versuche, in denen der stromprüfende Froschschenkel als elektrophysiologisches Reagens diente, sagen müssen, daß die Erklärung der sekundären Unwirksamkeit des natürlichen Tetanus im wesentlichen in der Annahme gesucht worden ist, daß die Aktionsströme in diesem Falle, vergUchen mit denen der elektrisch erzeugten Tetani, nur geringe Inten- sitäten, andere Frequenzen und Störungen in der Regelmäßigkeit des Rythmus aufweisen. Als ein weiteres Reagens, das auf oszillatorische Ströme an- spricht, hat man zur Analyse der Muskelströme das Telephon zu verwenden gesucht; man konnte hoffen, aus den Eigenschaften des auftretenden Tones auf Rhythmus und Charakter der durch das Instrument geleiteten Aktionsstromoszillationen Schlüsse zu gewinnen. Indessen hat auch hier die Untersuchung des natür- lichen Tetanus zu sehr bestreitbaren Folgerungen geführt. Wie bei der direkten Auskultation des Muskeltones zeigte sich, daß im Gegensatz zu den wirklich musikalischen und der Höhe nach wohl definierbaren Tönen, die der Muskel bei regelmäßiger elek- trischer Reizung gibt, bei der Ableitung vom willkürlich kontra- hierten Muskel ein Geräusch von kaum angebbarer Tonhöhe im Telephon zu Gehör kommt. Wedensky^), dem wir diese Untersuchungen hauptsächlich verdanken, beschreibt dieses Ge- räusch für den Triceps femoris des Frosches als ein Hauchen, für den durch eingestochene Nadeln abgeleiteten menschlichen Bizeps bei mäßiger Kontraktion als Rollen, bei kräftiger An- spannung als einen frequenter schwingenden Ton von etwa 36 bis 40 Vibrationen pro Sekunde. 1) Harleß, Zeitschrift für rationelle Medizin von Henle u, Pfeuffer Bd. 14 S, 97. 2) Wedenski, Arch. f, Physiologie 1883, S. 316, und Arch. de Physiologie na' male et pathol, t. 3, 1891. über die willkürlich innervierten Muskelkontraktionen. Historisches. 71 Wedensky versuchte diejenige Art der elektrischen Nerven - reizung ausfindig zu machen, bei der dieses selbe Geräusch künstlich darstellbar ist. Er fand, daß die Frequenz der muskulären Strom- oszillationen mit der Reizzahl nur innerhalb bestimmter Grenzen der Frequenz, bis etwa 200 beim Frosch, bis höchstens 1000 beim Warmblüter, parallel geht, daß aber bei hohen Reizfrequenzen, 2500 bis 5000 pro Sekunde, und bei geringen Intensitäten der Reize die Zahlen der Aktionsstromoszillationen , dem Telephonton nach zu urteilen, unabhängig von der Zahl der Reize ist. Unter solchen Reizbedingungen bot nun das Telephon ein Geräusch, das dem bei willkürlicher Kontraktion gehörten glich. Niemals dagegen ließ sich dasselbe hören, wenn in dem meist ange- nommenen Innervationsrhythmus von zwanzig Reizen oder mit Reizzahlen bis zu 200 beim Frosch, oder bis zu etwa 1000 pro Sekunde beim Warmblüter gereizt wurde. Auch bei chemischer Reizung des Nerven, dann auch bei Reizung der Hirnrinde mit Induktionsströmen kam das natürliche Muskelgeräusch heraus, nahm mit Intensität und Dauer der Reizung an Stärke zu, war aber in seiner Schwingungszahl unabhängig von der Reizfrequenz. Wedensky schließt aus seinen Ergebnissen, daß bei hohen Reizfrequenzen der natürliche Innervationsrhythmus nachgeahmt sei. Da nun die im Muskel auftretenden Stromoszillationen eine erbebhch kleinere Schwingungszahl haben, als die Reizfrequenz, so nimmt W^edensky an, daß der hochfrequente Innervations- rhythmus im Endorgan in den langsameren muskulären Eigen- rhythmus transformiert wird. Hiernach wäre im allgemeinen der direkte Schluß von der Schwingungsfrequenz der kontraktilen Muskelsubstanz auf den Innervationsrhythmus unzulässig. In den Ansichten Wedenskys tritt also bereits der später von Burdon-Sanderson^) und Garten^) weiter begründete Gedanke hervor, daß ein muskulärer vom Zentral-Nervensystem unab- hängiger Eigenrhythmus existiert. Es kann kein Zweifel sein, daß es einen großen Fortschritt bedeuten mußte, wenn es gelang, die Stromoszillationen, anstatt sie mit den primitiveren Methoden des stromprüfenden Frosch- 1) Burdon-Sanderson, Journal of Physiology vol. 18, p. 117. 1895, u. vol. 23, p. 325. 1898. — Ferner in Schäfer, Textbook of Physiology Part. II, p.425. 2) Garten, Abhandl. d. K. Sachs. GeselJsch. d. Wissensch., math.-phys. Klasse, Bd. 26, Nr. 5, S. 330. 72 Über die willkürlich innervierten Muskelkontraktionen. Historisches. schenkeis oder des Abhörens im Telephon zu verfolgen, direkt graphisch zu registrieren. Nachdem das Kapillarelektrometer in die elektrophysiologische Versuchsmethodik eingeführt war, hat man dieses Instrument auch für die Analyse der Reflextetani nutzbar zu machen versucht. Zwar liegen aus früherer Zeit keine Versuche vor, die natürlich innervierten Kontraktionen auf diesem Wege zu untersuchen ; erst in allerneuester Zeit hat Buchanan^) die von mir am Saitengalvanometer angestellten Beobachtungen am Kapillarelektrometer wiederholt. Darauf wird noch zurückzukommen sein. Wohl aber ist mehrfach der Strych- nintetanus in dieser Weise geprüft worden. Loven^) hat bereits 1881 festgestellt, daß während des Strychninkrampfes vom Gastro- cnemius des Frosches 5 — 8 Aktionsstromschwankungen pro Sekunde abzuleiten sind. Er fand ferner, daß der natürliche Reflex- tetanus bei Kröten 6 Stromschwankungen in der Sekunde gibt. Die Beobachtungen am strychninvergifteten Tier sind von V. Kries^), Delsaux*) u.a. bestätigt worden. Daß der Strych- nintetanus ebensowenig wie der reflextorische zur Erzeugung eines sekundären Tetanus fähig ist, sondern nur eine oder mehrere Einzelzuckungen im stromprüfenden Froschschenkel erzeugt, haben bereits du Bois-Reymond^), Harleß^) und später Friedrich und Martins') festgestellt. Martins freilich hält, wie auch Friedrich und Hering^) den Strychninkrampf nicht für einen solchen, den man dem physiologischen Reflextetanus gleichstellen könnte, sondern er betrachtet ihn als eine Folge von unregel- mäßigen Einzelzuckungen, die teilweise miteinander verschmelzen, also für einen mehr klonischen Krampf. Loven^) aber glaubte in seinen Versuchen die Zahl der Innervationsimpulse gefunden zu haben , die normalerweise vom Zentralnervensystem aus- geschickt werden, und er sah auch die Stromoszillationen in der Abt. I Buchanan, Quartery Journal of experimental Physiulogy Bd. I. Loven, 1. c. V. Kries, 1. c. 1804. Delsaux, Travaux du Labor, de L. Fredericq t. 4. 1892. Du Bois-Reymond, Untersuchungen über tierische Elektrizität Bd. 2, S. 515, und Abt. I, S. 304. Harless, 1. c. Martins, Arch. f. Physiologie 1883, S. 542. Hering und Friedrich, 1. r. Löven, Med. Zentralbl. 1887, Nr. 7. . . über die willkürlich innervierten Muskelkontraktionen. Historisches. 73 Muskelsubstanz als die der Norm entsprechende nach Zahl und Rhythmik an. Da nun eine Frequenz von 8 der gewöhnlich benutzten elektrischen Momentreize in der Sekunde nicht genügt, um eine glatte Kontraktion zu erzeugen, so äußerte er die später von V. Kries^) experimentell verfolgte Vermutung, daß die vom Rückenmark ausgehenden Impulse keine so steile zeitliche Schwankungsform haben, wie die Induktionsschiäge, sondern das sie zeitlich gedehnt verlaufen, daß es sich also um sogenannte Zeitreize (v. Kries) handelt. Diese Vorstellungen wurden von v. Kries weiter entwickelt. Er konstruierte ein Instrument, das Rheonom, das es ermöglicht, elektrische Stromschwankungen von langsamem Intensitätsanstieg zu erzeugen, und er fand, daß bei Einwirkung der hiermit erzeugten ,, Zeitreize" Zuckungen erhalten werden, die einen ge- dehnteren Ablauf haben als die durch einen Momentreiz erzeugten. Zugleich ergab sich, daß der Aktionsstrom, der diese Zuckung begleitet, gleichfalls eine längere Dauer hat, als derjenige, der bei Momentreizung des Muskels erhalten wird und daß ein durch Zeitreizung in Tetanus versetzter Muskel erheblich weniger Reize pro Zeiteinheit nötig hat, um in mechanisch stetige Kontraktion zu verfallen, als bei Momentreizung. Der Versuch,, von einem Muskel aus, der durch Zeitreize tetanisiert war, das physiologische Rheoskop in sekundären Tetanus zu versetzen, gelang nicht. V. Kries nimmt danach an, das die Vermutung Lovens zu- treffend sei, es handle sich bei den vom Rückenmark aus- gehenden Impulsen nicht um Momentreize, sondern um zeitlich gedehnte. Hiernach läge die Unfähigkeit des Reflextetanus zur Erzeugung eines sekundären nicht so sehr an den Eigentümlich- keiten der Intensität und der Frequenz seiner Aktionsströme, als vielmehr an den Besonderheiten der zeitlichen Schwankung jeder einzelnen Aktionsstromoszillation. Die besonders von du Bois- Reymond^), Brücke^), Hering*) und Kühne^) entwickelte Erklärung der sekundären Unwirksamkeit der natürlichen Tetani durch die Hypothese von der pelotonfeuermäßigen Innervation 1) V. Kries, Arch. f. Phj'siologie 1884, S. 337, und 1886, Suppl., S. 1. 2) Du Bois-Reymond, 1. c. 3) Brücke, 1. c. 4) Hering und Friedrich 1. c. 5) Kühne, 1. c. 74 Über die willkürlich innervierten Muskelkontraktionen. Historisches. und der resultierenden gegenseitigen Vernichtung der Aktions- ströme durch phasenverschiedene Interferenz hält v. Kries für unwahrscheinlich und überflüssig. Wenn die einzelnen Fasern ihre Impulse nicht gleichzeitig, also salvenmäßig erhielten, so könnten, wie v. Kries hervorhebt, weder negative Schwan- kungen überhaupt auftreten, noch könnte man die oben erwähnten rhythmischen Dickenschwankungen des Muskels verstehen. Überblickt man die bisher besprochenen Untersuchungen, so treten einerseits die Bemühungen hervor, alle diejenigen charakte- ristischen Merkmale des natürlich innervierten Tetanus festzu- stellen, die ihn gegenüber dem durch faradische Reize erzeugten auszeichnen. So wurden die Besonderheiten des Muskelgeräusches bei natürlicher Kontraktion, dann die Unfähigkeit, sekundären Tetanus zu erzeugen, und andere Eigenarten des mechanischen und elektromotorischen Verhaltens festgestellt. Andererseits aber hat man sich auf das angelegentlichste bemüht, die Bedingungen für eine vollständige künstliche Nachahmung des Reflextetanus mit allen angeführten Merkmalen aufzufinden und damit die Ent- stehungsweise der natürlich innervierten Muskelkontraktion dem Verständnis zu erschließen. Zu letzterem Zweck hat man Fre- quenz, Intensität und Schwankungsform der elektrischen Reize in jeder möglichen Weise variiert und den Einfluß der einzelnen Varianten auf die mechanischen, akustischen und elektromotori- schen Eigenschaften des tetanischkontrahierten Muskels studiert. Die Versuche, auf diesem Wege zu einer Synthese des natürlichen Tetanus zu gelangen, haben zu diametral entgegengesetzten Theo- rien über die Rhythmik der im willkürlich kontrahierten Muskel ablaufenden Vorgänge und über die Innervation geführt, v. Kries, der die mechanischen Besonderheiten und gewisse Eigentümlich- keiten des elektromotorischen Verhaltens, besonders die Unfähig- keit zu sekundärer tetanischer Erregung in den Vordergrund des Interesses stellt, und die Frequenz der von ihm gefundenen Dickenschwankungen des Muskels bei Willkürkontraktion zu- grunde legt, hält die Reizung durch Zeitreize von geringer Fre- quenz für die beste Annäherung an die Eigenschaften der natür- lichen Muskelinnervation. Wedensky dagegen kam bei seinem Bestreben, die telephonisch beobachteten Eigenschaften der Strom- oszillationen im Muskel künstlich darzustellen, zu dem umgekehrten Schluß, daß nämlich sehr frequente Impulse pro Zeiteinheit zum über die willkürlich innervierten Muskelkontraktionen. Historisches. 75 Muskel gelangen, und sich hier in einen muskulären Eigenrhythmus von geringer Frequenz umsetzen. Die meiste Anerkennung hat wohl die Annahme von v. Kries gefunden; man kann aber kaum sagen, daß der von ihm angenommene Modus der Innervation nach Analogie der Zeitreize physiologisch tatsächlich als realisiert erwiesen ist. Die vonWedensky entwickelten Vorstellungen vom Eigen- rhythmus der Muskelsubstanz haben eine interessante und wich- tige Ausgestaltung erfahren durch die neueren Untersuchungen von Burdon-Sanderson^), Buchanan^) und Garten^). Hier- nach muß in der Tat die Frage aufgeworfen werden, ob überhaupt die Vorstellung als gesichert richtig gelten darf, daß durch die Feststellung der Oszillationsfrequenz des Muskels auch die Zahl der Innervationsimpulse als bestimmende Variable direkt er- schlossen werden kann. Nach weitaus den meisten der bis vor kurzem bekannten Tatsachen über die Muskelreizung lag es aller- dings nahe, sich die Zahl der Schwingungen im willkürlich kontra- hierten Muskel ebenso direkt von der Zahl der Innervations- impulse abhängig zu denken, wie sich die Rhythmik des künst- lichen Tetanus von der Reizfrequenz bis zu ziemlich hoch liegenden Grenzen abhängig erwiesen hat. Neueren Erfahrungen zufolge wird man aber die Frage nach der Zahl der Innervationsimpulse auch nach Feststellung der Schwingungsfrequenz des Muskels noch einmal gründlich erörtern müssen. Es scheint nämlich, daß die kontraktile Substanz des Muskels tatsächlich einen, wenn auch nicht sehr fest aufgeprägten Eigenrhythmus hat, der zwar nach Ausweis der elektrischen Reizversuche nicht völlig, nach neueren Befunden, aber doch bis zu einem hohen Grade un- abhängig von der Rhythmik der Reizung aufrecht erhalten werden kann. Bei elektrischer Tetanisierung hätten wir es nach dieser Vorstellung sozusagen mit ,, erzwungenen Schwingungen", nicht mit dem Eigenrhythmus der Muskelsubstanz zu tun. Die bisher bekannt gewordenen Tatsachen, die eine gewisse Abstimmung der kontraktilen Substanz auf bestimmte Eigen- 1) Burdon-Sanderson in Schäfer, Textbook of Physiology Part. II, p. 425. 2) Buchanan, 1. c. 3) Garten, Abhandl. d. Sachs. Gesellsch. der Wissensch., math.-phys. Klasse, Bd. 26, S. 330. 76 Über die willkürlich innervierten Muskelkontraktionen. Historisches. Schwingungen verraten, sind folgende: zunächst machte schon Wedensky, wie oben erwähnt, auf Grund seiner telephonischen Untersuchung der Muskelströme darauf aufmerksam, daß bei hohen Reizfrequenzen die Muskelrhythmik offenbar nicht der Reizzahl folgt, sondern vermutlich in selbstbestimmtem Rhythmus schwingt. Buchanan fand dann bei Ableitung der Ströme von Froschmuskeln zum Kapillarelektrometer, daß nach Reizung mit hochfrequenten Wechselströmen, ferner beim Ritterschen Öffnungstetanus und nach Strychninvergiftung die Aktionsströme in konstantem Rhyth- mus von etwa 1 00 Oszillationen pro Sekunde zur Ableitung kommen. Burdon-Sanderson, unter dessen Leitung die Untersuchungen ausgeführt worden waren, hatte bereits früher gleichartige Wellen der Muskelströme beim Schließungstetanus und beim Strychnin- tetanus festgestellt und erklärte diesen von der Reizfrequenz und der Reizart unabhängigen Rhythmus von etwa 100 Schwingungen in der Sekunde für die Eigenschwingungen der kontraktilen Muskel- substanz. Beim Strychnintetanus waren die frequenten kleinen Stromoszillationen den groben aus den Untersuchungen von Loven, V. Kries u. a. bekannten Stromschwankungen superponiert. Endlich hat Garten wichtige Argumente für die Existenz eines von der Innervationsrhythmik unabhängigen Eigenrhythmus der Muskelschwingungen gleichfalls auf Grund von Untersuchungen über die Oszillationen der Muskelströme beigebracht. Er fand, daß bei verschiedenen Arten der Reizung Aktionsströme im Froschmuskel auftreten, deren Rhythmus von etwa 0,009 Sekunden Perioden- dauer unabhängig von der Reizart festgehalten wird. Diese Strom- oszillationen traten bei Anlegung eines künstlichen Querschnitts durch einen abgekühlten Muskel auf, gingen als ,,Negativitäts- wellen" von der Schnittstelle aus und liefen mit der Fortpflanzungs- geschwindigkeit der Kontraktionswelle über den Muskel hin. Die- selben Schwingungen traten beim Ritterschen Öffnungstetanus auf, auch zeigten sie sich bei jeder Reaktion des Muskels bei Schließung des konstanten Stromes, er mochte den Muskel selbst durchströmen oder beim Kaltfroschmuskel vom Nerven aus mehr oder weniger vollständigen Schließungstetanus erzeugen. Kälte verlangsamte die Schwingungsperiode und Äthernarkose lähmte die Fähigkeit zur Erzeugung oszillatorischer Ströme vollständig. ,,Da trotz der Verschiedenheit der Reizmittel doch dieselben rhythmischen Folgen der elektrischen Vorgänge im Muskel auf- über die willkürlich innervierten Muskelkontraktionen. Historisches. 77 traten, so war schon hierdurch die WahrscheinUchkeit groß, daß der erregbaren Substanz des Muskels selbst jene Fähigkeit inne- wohne, mit periodischen Reihen von Erregungen zu antworten." Garten betont, daß der von ihm beschriebene Rhythmus von ganz anderer Größenordnung sei, als die mechanisch aufgezeich- neten rhythmischen Formveränderungen des Muskels, die Bieder- mann^) mit einer Frequenz von 5 — 15 pro Sekunde bei chemischer Reizung oder konstanter Durchströmung des Muskels auftreten sah. Vermutlich umfaßt jede dieser mechanischen Perioden eine ganze Reihe der Gartenschen Rhythmen. Dieser Gedankengang ließe sich auch auf die niedrig frequenten Rhythmen von v. Kries, Hall und Kronecker, Loven u. a. ausdehnen. Nach diesen Feststellungen wäre also mit der Möglichkeit zu rechnen, daß einerseits der Innervationsrhythmus, andererseits der Kontraktionsprozeß im Muskel mit selbständiger Periode vor sich geht. Nach Wedenskys Ansicht würden die Nervenimpulse viel frequenter als die muskulären Oszillationen aufeinander folgen. Umgekehrt könnte die Sachlage sein, wenn der Muskel in der frequenten, von Burdon-Sanderson und Garten gefundenen Periode bei natürlich innervierten Kontraktionen schwingen sollte und immer mehrere Oszillationen durch je einen Nervenimpuls, der etwa nach Art der v. Kriesschen Zeitreize beschaffen sein könnte, ausgelöst würden. Möglich bleibt aber auch, daß physio- logisch beide Rhythmen, der nervöse und der muskuläre, un- beschadet ihrer Selbständigkeit gleich sind, daß also eine Art Abstimmung beider Apparate aufeinander vorliegt. In neuerer Zeit hat Garten und im Anschluß an ihn Dittler die Versuche, den Eigenrythmus der Muskelsubstanz ausfindig zu machen, ausgedehnt auf mannigfache andere Objekte als den Froschmuskel. Garten^) hat die Bedingungen angegeben, unter denen Eigenrhythmen von den Muskeln der Warmblüter zu erhalten sind, nachdem zuvor von Piper'") solche Rhythmen an ^) Biedermann, Sitzimgsber. d. Wiener Akad. d. Wissensch. Bd. 82, Abt. III, und Bd. 87. Abt. III. 2) Garten, Beiträge zur Kenntnis des Erregungs Vorganges im Nerven und Muskel des Warmblüters. Zeitschr. f. Biologie 52, S. 534. 3) Piper, Zur Kenntnis der tetanischen Muskelkontraktionen. Zeitschr. f. Biologie 52, S. 86. — Über die Rhythmik der Innervationsimpulse bei willkür- lichen Muskelkontraktionen und über verschiedene Arten der künstlichen Tetani- siorung menschlicher Muskeln. Zeitschr. f. Biologie 53, S. 140. 78 Über die willkürlich innervierten Muskelkontraktionen. Historisches. menschlichen Muskeln bereits beschrieben worden waren. Dittler^) hat in ähnlicher Weise am Zwerchfell von Katzen und Kaninchen Aktionsstromrhythmen nachgewiesen und in neuester Zeit auch an Schildkrötenmuskeln ^). Auf manche Details dieser Untersuchungen wird später noch an geeigneter Stelle zurückzukommen sein. 1) Dittler, Über die Innervation des Zwerchfelles als Beispiel einer tonischen Innervation. Pflügers Arch. Bd. 130. Weitere Untersuchungen über die Aktionsströme des Nervus phrenicus bei natürlicher Innervation. Ebenda Bd. 136. 2) Dittler und Oinuma, Über die Eigenperiode quergestreifter Skelett- muskeln nach Untersuchungen an der Schildkröte. Pflügers Arch. Bd. 139. VII. Versuche über die Willkürkontraktion. 1. Tatsächliche Befunde. Als Hermann^) im Jahre 1879 seine Rheotom versuche über die doppelphasischen Aktionsströme veröffentlichte, die er bei Reizung des Nervus medianus mit einem Einzelschlag von den Unterarmflexoren erhielt, sagte er, er sei auf einen der sichersten Versuche der Elektrophysiologie geführt worden, in dem aus- nahmsweise einmal der Mensch schönere und weitergehende Resultate gibt, als der Tierversuch. Für die willkürlich inner- vierten Kontraktionen gilt das in noch viel höherem Grade, Die Vorteile, die in diesem Falle dem Versuch am menschlichen Muskel gegenüber dem Tierexperiment Überlegenheit verleihen und ein erfolgreiches Arbeiten ermöglicht haben, sind mannig- facher Art. Bedeutsam ist schon der Umstand, daß die elek- trische Untersuchungsmethode gestattet, die Aktionsströme vom intakten menschlichen Muskel durch die bedeckende Haut hindurch abzuleiten. Man kann also das Organ unter den nor- malen Bedingungen der Ernährung, Zirkulation und Temperatur untersuchen und die Störungen dieser Verhältnisse ausschließen, die sich beim blutigen Versuch an Warmblütern leicht in hohem Maße und in oft nicht übersehbarer Weise geltend machen. Außerdem hat man im menschlichen Muskel ein stets disponibles Versuchsobjekt, das nach Monaten und Jahren in unverändertem Zustand von neuem dem Experiment unterworfen werden kann. Dazu kommt ein weiterer, für die Untersuchung der Willkür- bewegungen sehr bedeutsamer Vorzug des menschlichen Muskels. Man kann nämlich durch Einsicht in den Versuchszweck die- jenigen Muskeln oder Muskelgruppen willkürlich zur Kontraktion bringen, welche der Untersuchung unterzogen werden sollen, und 1) Harmann, Pflügers Archiv Bd. 16. 80 Versuche über die Willkürkontraktion. man hat es auf diese Weise in der Hand, einen Muskel nach dem andern in weitgehender Isolierung durchzuprüfen; auch hat es keine Schwierigkeit, die Kontraktion nach Intensität und Dauer beliebig zu variieren. Im Tierversuch ist man da- gegen auf einzelne sicher erzielbare Reflexbewegungen angewiesen, bei denen häufig die gleichzeitige Kontraktion anderer Muskeln den Versuch stört und die registrierte Stromkurve so komphziert gestaltet, daß sie nicht mehr deutbar ist. Ein sehr bedeut- samer Vorteil bei manchen menschlichen Muskeln ist dann auch darin gegeben, daß die theoretische Analyse der bei Willkür- kontraktion erhaltenen Stromkurven eine sehr gute Basis dadurch erhält, daß es gelingt, dieselben Muskeln auf ihr elektromotorisches Verhalten bei Einzelreizung des motorischen Nerven zu untersuchen und die so erhaltenen Stromkurven miteinander in Beziehung zu setzen. Den besten Beweis für die Überlegenheit der menschlichen Muskeln als Untersuchungsobjekt bei dieser Fragestellung liefert schließlich der Erfolg des Experimentes. DieKonstanz, die Klarheit und der Umfang der Versuchs- ergebnisse übertrifft bei weitem die der bisherigen gleichartigen Tierversuche. Unter den menschlichen Muskeln hat sich besonders die Gruppe der Unterarmflexoren für die Untersuchung als geeignet erwiesen. Der Grund liegt darin, daß es, wie oben gezeigt wurde, gelingt, durch Reizung des Nervus medianus oder ulnaris mit Einzelschlägen doppelphasische Aktionsströme in typischer und einfacher Ablaufform abzuleiten und darzustellen. Aus dieser Feststellung ist zu ersehen, daß die Nervenendstellen für die Mehrzahl der fibrillären Kontraktionswellen, die zu einem Muskel- ende hin ablaufen, annähernd um einen bestimmten Muskelquer- schnitt herum verdichtet gruppiert liegen. Von diesem nervösen Äquator gehen bei Einzelreizung des Nerven die Kontraktions- wellen der Muskelfibrillen ab und laufen als Schwärm zusammen- gehalten durch den Muskel hin. Es liegen also bei den Unter- armflexoren relativ einfache Verhältnisse der Muskelinner- vation, der Anordnung der Nervenendorgane und der Muskelfasern und infolgedessen auch des Ablaufs der Kon- traktionswelle und des zugehörigen Aktionsstromes vor. Die Gunst dieser Verhältnisse läßt diese Muskelgruppe gerade zur Feststellung der Oszillationsfrequenz in jeder Einzelfaser, bei Tatsächliche Befunde. 81 willkürlichen Kontraktionen geeignet erscheinen. Muskeln, bei denen die Darstellung des Aktionsstromes bei Einzelreizung des Nerven sich durch die Verhältnisse ihrer anatomischen Lage oder der Lage ihres Nerven verbietet, und auch solche Muskeln, deren Aktionsstrom infolge komplizierter Verteilung der Nervenendstellen in sehr verschiedenen Querschnitten des Muskels oder infolge komplizierter Anordnung der Muskelfasern ein anderes Bild als das der einfachen doppelphasischen Schwankung bieten, wären zur Untersuchung sehr viel weniger geeignet gewesen, denn es wäre mit großen Schwierigkeiten verbunden, die bei der willkürlichen Kontraktion abgeleiteten Stromwellen mit denjenigen nach Form und Maß zu vergleichen, die bei elektrischer Nervenreizung er- halten werden. Der Vergleich aber mit den Beobachtungen bei elektrischer Nervenreizung, besonders mit der durch Einzelreiz erzeugten einmaligen Zustandsänderung des Muskels und mit der dabei ableitbaren doppelphasischen Aktionsstromwelle muß die Grundlage bilden für die Analyse der komplizierteren Folge von Stromwellen, die bei der Willkürkontraktion registriert werden. Diese Stromoszillationen müssen auf doppelphasische Wellen zurückgeführt werden. Um die Aktionsströme bei Willkürkontraktionen der Unter- armflexoren zu registrieren, wurde ^) in ganz derselben Weise mit Trichterelektroden zum Saitengalvanometer abgeleitet, wie es bei der Registrierung der doppelphasischen Ströme bei Einzelzuckungen geschah, und zwar wurde eine Elektrode etwa handbreit unter- halb der Ellenbeuge, die andere etwas oberhalb des Handgelenkes auf der die Flexorengruppe bedeckenden Haut angesetzt. Es war von Interesse, sogleich die Frage in die Untersuchung ein- zubeziehen, welchen Einfluß die Variierung der Kontrak- tionskraft auf die Rhythmik der abgeleiteten Strom- wellen hat. Zu diesen Versuchen wurden vorzugsweise die Finger- beuger benutzt, da sich die Kraft des Händedrucks ja sehr leicht willkürlich varneren läßt. Die Versuchsperson nahm einen Dyna- mometer in die Hand, den bekannten bei der Krankenuntersuchung gebräuchlichen federnden Stahlring, der durch zunehmenden Handdruck in eine flach elliptische Form gepreßt werden kann. 1) H. Piper, Über den willkürlichen Muskeltetanus. Pflügers Archiv Bd. 119, S. 301. — Neue Versuche über den willkürlichen Tetanus der quer- gestreiften Muskeln. Zeitschr. f. Biologie Bd. 50, S. 393. riper, Elektrophysiologie. 6 82 Versuche über die Willkürkontraktion. Das Maß des jeweiligen Druckes kann an dem Instrument ab- gelesen und während der Ausübung des Druckes dauernd kon- trolliert werden. Es zeigte sich, daß während der Ausübung einer solchen Willkürkontraktion der Fingerbeuger die Saite des Galvanometers in frequenten Schwingungen oszillierte, daß also der abgeleitete Abi). 26. Aktionsströme der Unterarniflexoreu bei WilUiürlvoiitraktion 50er Rhytlimus der Hauptwellen, diesen superponiert die Xebenzacken. Zeitsohreibung ' =, Sekimdennhr. Projektion der Galvano- nieterweite bei lOOOfacher Vergrößerung. Abb. 27. Dasselbe wie Abb. 2G. Am Ende der Kurve etwas unregelmäßigere Eliytlimik, da hier die Xebeu- zacken mehr hervortreten. Aktionsstrom ein Wechselstrom ist; Abb. 26 und 27 zeigen den registrierten Kurvenzug der abgeleiteten Aktionsstrom wellen. Die Kurven sind zu prüfen auf die Wellenzahl pro Zeiteinheit, auf die Verhältnisse der Amplitude und der Länge, auf die Form- verhältnisse der Einzelwellen und endlich auf die Art der Auf- einanderfolge und die Distanzvariationen der Wellen. Was zunächst die Frequenz der Stromwellen betrifft, so zeigte sich, daß Tatsächliche Befunde. 83 diese, sofern man nur die „Hauptwellen" auszählt und zunächst von den vielfach vorkommenden superponierten kleinen Zacken oder Nebenwellen absieht, mit großer Konstanz einen Wert von etwa 50 pro Sekunde beibehält. Hieran wird nichts geändert dadurch, daß man etwa die Ausdehnung der Kontakt- fläche der Ableitungselektrode größer oder kleiner macht ; bei Abb. 28. Abb. 28 und 28a. Aktionsströnic l)oi Willkür- kontraktion 50er Rhythmus. Saite so weit ent- spannt, daß ein Millivolt ohne Zusatzwiderstände im Stromkreis das Projektionsbild der Saite etwa um 7 mm ablenkt (Abb. 28a). Vergrößerung des Saitenbildes TOOfach. (Nach Kohlrausch.) Benutzung von Trichterelektro- den kleinerer Öffnung wird nur die Amplitude der abgeleiteten Stromwellen kleiner, und das ent- spricht der einfachen Tatsache, daß in diesem Falle weniger Stromschleifen die Elektroden schneiden als bei großer Kontakt- fiäche. Auch bei Änderung der Saitenspannung im Galvanometer bleibt der 50er Rhythmus der Aktionsstromoszillationen in typischer Ausprägung erhalten. Spannt man die Saite maximal, also nahe zum Zerreißen, so reagiert sie schneller, aber nicht mehr aperiodisch auf durchgeleitete Stromschwankungen (vgl. Fig. 28 und 29). Auch unter diesen Bedingungen bleibt der 50 er Rhyth- mus der Hauptwellen bestehen; die superponierten frequenten kleinen Nebenzacken treten dabei etwas deutlicher hervor, als bei Registrierung mit erschlaffter Saite. Neuerdings hat auch Abb. 283.. 84 Versuche über die Willkürkontraktion. Buchanan^) meine hier beschriebene Versuchsmethodik über- nommen, die Ströme aber mit dem Kapillarelektrometer registriert. Es werden in dieser Arbeit mehrere Kurven mit typisch aus- geprägtem 50er Rhythmus abgebildet. Es handelt sich also um einen Tatsachenkomplex, der sich mit sehr verschiedenen Methoden in immer gleicher Weise darstellen läßt. Abb. 29. Abb. 29 und 29a. Dasselbe. Saite stark gespannt, so daß ein Millivolt 1 mm Ausschlag des Saitenbildes bei 700» facher Vergrößerung gibt und daß die Saite sich nicht mehr aperiodisch einstellt (Abb. 29a). Der 50er Rhythmus bleibt, stellt sich also unabhängig von Saitenspannung dar. Vergrößerung des Saitenbildes TOOfach. (Nach Kohl raus eh.) Sehr wesentlich ist es aber, daß auch bei Variierung der Kon- traktionskraft die Frequenz der registrierten Hauptwellen nicht abgeändert wird. Es treten dabei Abb. 29a. ausschließlich Wellen kleinerer Ampli- tude auf, die aber die Frequenz von etwa 50 pro Sekunde konstant festhalten. Abb. 30 zeigt einen solchen Kurvenzug, bei dem die Flexoren mit so großer Kraft innerviert wurden, daß das Dynamometer sich auf Skalen- teil 20 einstellte. In der Abb. 31 wurde das Instrument nur bis auf den Skalenteil 5 zusammengedrückt und bei dem Versuch der Abb. 32 blieben die Einstellungen etwas unter dem Wert 5. 1) F. Buchanan, The electrica! response of muscle to voluntary reflex and artificial Stimulation. Quarterl. Journ. of exper. Physiol. Bd. 1. Siehe hierzu meine kritischen Bemerkungen in H. Piper, Zur Kenntnis der tetanischen Muskelkontraktionen. Zeitschr. f. Biol. Bd. 52, S. 90. Tatsächliche Befunde. 85 Abb. 30. /^/V1a^^//MvW/W/vv?M,v^^^^^^^^ — — — — -^ y^— — — -^-\ / Abb. 31. VV^AMV^''^Vy^*^AYv^S^ Abb. 32. Alil). 30 bis 32. Aktionsströme bei Willkürkontraktiou der Unteiarmflexoien. Zusamintadriicken eines Dynamometers bei Kurve 28 bis auf Skalenteil 20 (maximal), bei Kurve 29 bis auf Skalen- teil 5, bei Kurve 29 sehr schwache Kontraktion (weniger als Skalenteil 5 am Dynamometer). Frequenz der Hauptwellen in allen Kurven etwa 50 pro Sekunde ; nur die .\mplitüde variiert ab- hängig vom Grad der Kontraktion. In Kurve 29 treten stellenweise die Xebenzacken stark hervor. Vergrößerung des Saitenbildes SOOfach. y(j Versuche über die Willkürkontraktion. Alle diese Kurven zeigen dieselbe Frequenz der Hauptwellen pro Zeiteinheit, nämlich 50 pro Sekunde. Diese Zahl ist also eine von der Kontraktionskraft unabhängige Konstante des untersuchten, aus Innervationsapparat und Muskel be- stehenden Systems. Man kann ohne Schwierigkeit, wie schon bemerkt, in jedem Kurvenzug Hauptwellen und superponierte Nebenzacken unterscheiden (vgl. Abb. 26 u. 27). Auf die Bedeutung der Neben- zacken wird bei der theoretischen Analyse noch näher einzugehen sein. Nur sehr wenige von den Hauptwellen haben einen ganz ein- fachen glatten Ablauf, die meisten haben im ansteigenden oder ab- steigenden Schenkel manchmal 3 oder 4 aufgesetzte Nebenzacken, und es sind doppelte, dreifache oder vierfache Gipfelpunkte an den Wellen ausgebildet. Aber fast überall gelingt es ohne weiteres, die Hauptwellen zu erkennen und von den aufgesetzten Neben- erhebungen zu unterscheiden. Nur an wenigen Stellen des Kurvenzuges kann man bei der Auszählung der Hauptwellen Zweifel haben. So ist es bei meinen Muskeln und bei der Mehr- zahl der anderen auf diese Weise von mir untersuchten Ver- suchspersonen ; nur selten findet man Individuen, bei denen der 50er Rhythmus, wenn auch vorhanden, doch nur wenig ausge- sprochen in der Aktionsstromkurve hervortritt, und man kann in solchem Falle zuerst den Eindruck haben, daß eine inkonstante Zahl von Stromwellen pro Zeiteinheit von beträchtlicher Varia- bilität der Wellenlänge und meist kleiner Amplitude vorliegt. Aber auch dann wird man sich bei genauerer Prüfung der Kurven und namentlich beim Vergleich mit solchen, die den 50er Rhythmus typisch zeigen, wohl stets überzeugen, daß der 50er Rhythmus, wenn auch undeuthch und verhüllt, vorliegt. Die Amplitude der abgeleiteten Stromwellen variiert mit der Kraft der Muskelkontraktion, ohne daß es vorläufig angängig erscheint, eine zahlenmäßige Beziehung zwischen Größe der Muskelkontraktion und elektromotorischer Begleiterscheinung an- zugeben. Die Stromwellen, welche aufgesetzte Nebenwellen zeigen, sind regelmäßig von geringerer Amplitude als diejenigen Haupt- wellen, die ganz einfache Ablaufformen aufweisen. Sehr be- merkenswert ist die Tatsache, daß regelmäßig die Ablenkung der Saite aus der Ruhelage nach oben einen gleich großen Aus- schlag nach unten im Gefolge hat, d. h. zu einem Wellenberg in Tatsächliche Befunde. 87 den Kurven von großer Amplitude gehört stets ein Wellental von gleichfalls großer Amplitude, während auf kleine Wellenberge auch kleine Täler folgen (Abb. 26 und 27). Dadurch markiert sich ein Wellenberg und das darauf folgende Wellental (nicht das voran- gehende Wellental in den hier wiedergegebenen Kurvenbildern) als zusammengehörig. Eine solche Welle entspricht, wie zu zeigen sein wird, einer doppelphasischen Stromschwankung, wie sie bei Einzelreizung des motorischen Nerven aufgenommen wurde, und zwar der Wellenberg der ersten Phase, die zur Ableitung kommt, wenn die Kontraktionswelle unter der oberen Elektrode hinläuft, das Wellental der zweiten Phase, die dem Durchgang der Muskelwelle unter der unteren Elektrode entspricht. An diesem Amplitüdenverhältnis kann man in dem sonst ununterbrochenen Stromwellenzug die zusammengehörigen Halbwellen herausfinden, und das ist für die theoretische Analyse unter Umständen von großem Wert. Die Amplitude der bei Willkürkontraktion abge- leiteten Stromwelle ist im übrigen von nicht beträchtlich ver- schiedener, aber wohl etwas geringerer Größenordnung als die- jenige des doppelphasischen Stromes, den man bei elektrischer Einzelreizung des motorischen Nerven registriert (vgl. Abb. 33 mit Abb. 34). Was die Länge oder Dauer der Einzelwellen betrifft, so ist diese von dem Punkte ab zu rechnen, in dem die Ab- weichung der Saite von der Mittellage beginnt, und bis zu dem Punkt zu messen, in dem nach Beendigung einer doppel- phasischen Schwankung die Mittellage wieder erreicht wird. Da die einzelnen Wellen ohne Zeitabstand aufeinanderfolgen, so ist es schwierig, beide Punkte genau festzustellen; da aber die Längen aller Hauptwellen einander annähernd gleich sind, und da 50 solcher Hauptwellen pro Sekunde aufeinander folgen, so beträgt die Länge oder Dauer jeder Hauptwelle im Mittelwert ^/so Sekunde. Auf W^ellen, deren Längen über diesen Wert hinausgehen, folgen regelmäßig solche von weniger als ^/^g Sekunde Dauer ; infolgedessen bleibt trotz der Längenvariation der Einzel- wellen im ganzen Kurvenzug die Oszillationsfrequenz pro Sekunde konstant. Auf die theoretische Deutung der Wellenlängen- differenzen wird unten zurückzukommen sein. gg Versuche über die Willkürkontraktion. 2. Theoretische Analyse. Die historische Betrachtung der früheren Untersuchungen über die Willkürkontraktion hat gezeigt, daß die Ansichten über das Zustandekommen natürlich innervierter Muskelkontraktionen sehr auseinandergehen. Das nunmehr besprochene Tatsachen- material bietet die Unterlage, um auf viele bisher offene Fragen eine eindeutige Antwort zu geben. Zuerst ist die Frage auf- zuwerfen, ob überhaupt der Rhythmus der muskulären Oszillationen direkt und einfach von dem Rhythmus der Innervationsimpulse abhängig gedacht werden darf, oder ob angenommen werden muß, daß die Impulse des Zentral- nervensystems in bestimmter Ordnung und Frequenz zum Muskel gelangen, daß dieser aber die Reize beantwortet, indem er sie in einen andern, nämlich in den Eigenrhythmus seiner kontrak- tilen Substanz übersetzt. Dabei wäre möglich, daß der Rhyth- mus der Nerventätigkeit entweder in höherer oder geringerer Frequenz oszilliert als der Muskelrhythmus, Für die unabhängige Existenz eines nervösen und eines muskulären Eigenrhythmus läßt sich anführen, daß die von Kronecker und HalP) undHorsley undSchäfer-) auf 20 ange- setzten, von V. Kries^) auf 10 gezählten Dickenschwankungen des Muskels eine ganz andere Frequenz haben, als die hier auf etwa 50 pro Sekunde festgesetzten muskulären Aktionsstromoszilla- tionen. Auch das Zittern bei erheblicher Muskelanspannung geht in viel langsamerer Periode als die elektrischen Oszillationen vor sich. Faßt man also die mechanisch nachweisbare Schlag- frequenz des Muskeltremors als Ausdruck für die Zahl der zu- strömenden Nervenreize auf, so müßten durch jeden Innervations- impuls mehrere, etwa 4 — 5 Muskelwellen ausgelöst wsrden. In- dessen schon ohne Rücksicht auf die hier neu mitgeteilten Ver- suchsergebnisse lassen sich die genannten Befunde mit gleicher Wahrscheinlichkeit durch die Annahme von Intensitätsschwan- kungen der Innervationsimpulse oder von Erregbarkeitsschwan- kungen der Muskelsubstanz erklären, wie sie als direkte Zeichen der Innervationsperiode betrachtet werden können. Auch die 1) Stanley Hall und Kronecker, Arch. f. Physiologie 1879. 2) Horsley und Schäfer, Journal of Physiology vol. 7, p. 96. ^) V. Kries, 1. c. Theoretische Analyse. j^9 Schlagfrequenz des bei maximaler Muskelanspannung auftreten- den Zitterns läßt keine begründeten Schlüsse auf den Innervations- rhythmus zu und dürfte auf Schwankungen in der Intensität der Muskelkontraktion oder auf einer labilen Ausbalanzierung der Flexoren und der gleichzeitig kontrahierten Antagonisten beruhen. Für die Selbständigkeit eines muskulären Eigenrhythmus sprechen ferner die Versuche von Burdon-Sanderson^), Bucha- nan-), Garten') und Dittler*), die unter manchen Bedingungen oszillatorische Prozesse im Muskel feststellten, deren Periode un- abhängig von der Periode der Reizung war. Hiernach läge gleich- falls die Möglichkeit vor, daß der Muskel auf jeden Impuls mit mehreren Oszillationen antwortet, daß also die Innervations- Impulse und die Reaktionsschwingungen der Muskelsustanz ver- schiedene Frequenz haben. Es ist indessen zu bemerken, daß solche Eigenperioden im Muskel nur unter bestimmten, der Norm ziemlich fernliegenden Bedingungen beobachtet werden, daß da- gegen der intakte Muskel auf Einzelreize im allgemeinen mit einer einzigen Zustandsänderung reagiert, und nicht in periodische Tätigkeit eintritt. Andere Gründe, die gleichfalls beweisen, daß der Muskel nicht mit seinen Eigenschwingungen bei der natür- lichen Innervation reagiert, werden weiter unten besprochen werden. So viel ist jedenfalls sicher, daß bei elektrischer Tetani- sierung des motorischen Nerven und Innehaltung von Reiz- frequenzen, die für die physiologische Innervation überhaupt in Frage kommen , ein vollkommener Parallelismus zwischen Reiz- zahl und Zahl der Kontraktionswellen erwiesen ist. Da hier eine direkte Abhängigkeit der Zahl der muskulären Zustands- änderungen von der Zahl der zuströmenden Nervenimpulse vor- handen ist, wird man diese Vorstellung auch für die physio- logische Muskelinnervation festhalten, es sei denn, daß ganz stringente Gegenbeweise erbracht werden. Solche liegen indessen 1) Burdon-Sandorson, Journal of Physiology vol. 18, p. 117. 1894, und vol. 23 p. 325. 1898. — Ferner in Schäfer, Textbook of Physiology Part. II, p. 425. '-) Buchanan, Journal of Physiology vol. 27. 1901. ^) Garten, Abhandl. d. K. Sachs. Gesellsch. d. Wissensch. , math.-phys. Klasse, Bd. 26, Nr. 5, S. 330 *) Dittler, 1. c. 90 Versuche über die Willkürkontraktion. keineswegs vor, vielmehr sprechen sehr gewichtige Gründe für die Richtigkeit der Analogie von elektrischer und natürlicher Te- tanisierung des Muskels. Der unter den Versuchsbedingungen von Burdon-Sanderson und Garten hervortretende muskuläre Eigenrhythmus ist jedenfalls nur sehr locker; bei elektrischen Reizversuchen unter normalen Verhältnissen verrät er sich über- haupt nicht, und die Eigenschwingungen lassen sich ohne weiteres durch Abänderung der Reizfrequenz in „erzwungene" überführen, und solche liegen, wie zu beweisen sein wird, auch bei der Will- kürkontraktion vor. Die Gründe, die Wedensky^) aus seinen telephoni&chen Untersuchungen über die Aktionsströme des Muskels für die An- sicht entnahm, daß ein hochfrequenter Innervationsrhythmus in einen muskulären Eigenrhythmus geringer Frequenz übersetzt werde, scheinen mir so unsicherer Art zu sein, daß sie gegen die Feststellungen an Gewicht ganz zurücktreten müssen, die mit den neueren, sehr viel leistungsfähigeren Instrumenten, z.B. dem Saitengalvanometer, sich ergeben haben. Wenn man die Kurve der Muskelströme betrachtet, so wird man für den ge- räuschartigen Charakter der Telephonrhythmen die unregel- mäßigen Schwankungen der Länge, Amplitude, Ablaufform und der Art der Aufeinanderfolge der Aktionsstromwellen und der auslösenden Nervenimpulse verantwortlich machen, aber kaum dem Gedanken Raum geben, daß diese durch hochfrequente Innervationsimpulse und Transformierung derselben in einen andern Muskelrhythmus bedingt sind. Immerhin hat auch Garten diese Möglichkeit ins Auge ge- faßt, indem er angibt, daß der Muskelrhythmus bei Willkür- kontraktion und derjenige, den man bei Reizung des motorischen Nerven mit hochfrequenten Stromstößen erhält, von gleicher Oszillationsfrequenz sei. Diese Angabe steht aber mit meinen'-) Erfahrungen und denen Hoffmanns^) in Widerspruch. Wir erhalten niemals bei hochfrequenter Nervenreizung den für die Willkürkontraktion typischen 50er Rhythmus wieder. 1) Wedenski, Arch. f. Physiologie 1883, S. 317, und Archives de Phys. 1891. -) H. Piper, Über die Rhythmik der Innervationsimpulse usw. Zeitschr. f Biologie Bd. 53, S. 154. 3) Hoffmann. Rubners Archiv f. Phv^^iologie 1910. Theoretische Analyse. <)1 Entscheidend für die Vorstellung, daß der Muskelrhythmus direkt durch gleichfrequente Innervationsimpulse bestimmt ist, fallen m. E. die Tatsachen in die Wagschale, die bei elektrischer Reizung des Muskels vom Nerven aus festgestellt sind. Nament- lich zwei hierher gehörige experimentelle Befunde werden noch mit eingehender Begründung als Beweise für die direkte Abhängig- keit des Muskelrhythmus von der Zahl der Innervationsimpulse eingehend zu besprechen sein: erstens die Tatsache, daß sich der 50er Rhythmus der Willkürkontraktion nur durch eine gleichfrequente Nervenreizung künstlich nach- ahmen läßt, und durch keine andere Methode der Reizung, daß also 50 Innervationsimpulse erforderlich sind, und zweitens der Nachweis, daß jede einzelne der Strom wellen, die bei der Willkürkontraktion abgeleitet wird, äquivalent ist einersolchen doppelphasi sehen Strom welle, die bei Einzel- reizung des Nerven vom Muskel erhalten wird. Nimmt man diese Vorstellung an, so sind wiederum ver- schiedene Möglichkeiten ins Auge zu fassen. Es handelt sich um die Entscheidung in der Alternative, die Brücke (1. c.) durch die Gegenüberstellu ng der Möglichkeit einer salvenmäßigenund einer pelotonf euermäßigen Innervation der Muskeln prägnanten Ausdruck gegeben hat. Die Frage ist also, ob zur Innervierung einer Willkürkontraktion den Fasern des Muskels 50 aufeinander- folgende Salven von Innervationsimpulsen zugeschickt werden, oder ob die Impulse die einzelnen Nervenfasern mit solchen Ab- ständen durchlaufen, daß sie in den Nervenendorganen der ein- zelnen Muskelfasern ungleichzeitig, ,,pelotonfeuermäßig" eintreffen. Hier ist es nun am Platze, ehe die Beantwortung dieser Frage versucht wird, eine genauere Orientierung über das Zu- standekommen der vom Muskel abgeleiteten Aktionsströme zu suchen. Was man zum Galvanometer ableitet, sind die elek- trischen Potentiale und deren Schwankungen, die an den die Elektroden tragenden Punkten zur Entwicklung gelangen. Diese Potentiale sind aber die auf den Ableitungsort bezogenen Resul- tanten aller derjenigen Einzelströme, die mit dem Ablauf der Kontraktionswellen in jeder einzelnen Muskelfaser ent- stehen. Natürlich gehen die Ströme der einzelnen Fasern je nach ihrer Entfernung ihres Ursprungsortes vom Ort der Ab- leitungselektrode und je nach den Widerstandsverhältnissen der 92 Versuche über die Willkürkontraktion. zwischenliegenden Gewebsschichten mit sehr verschiedenen Werten in das dort erzeugte elektrische Potential ein. Sie interferieren miteinander und üben durch Größe und Vorzeichen in derselben Weise auf die Resultanten, d. i. den abgeleiteten Strom ihren Einfluß aus, wie dies etwa für die Superposition interferierender Schallwellenzüge bekannt ist. Es ist nun zu beachten, daß durch jede einzelne Muskel- faser eine Kontraktionswelle hinläuft; würden an jeder einzelnen solchen Faser an zwei Punkten der Oberfläche Ableitungselektroden angelegt, so würde man von jeder eine doppelphasische Aktions- stromwelle einfachster Ablaufform erhalten. Wenn man ein Bündel solcher Muskelfasern hat und von diesen die Aktions- ströme von zwei Oberflächenpunkten ableitet, so gehen alle doppelphasischen Strom wellen, die den fibrillären Kontraktions- wellen entsprechen, in den Ableitungsstrom ein. Laufen die fibrillären Kontraktionswellen dichtgedrängt wie einSchwarm durch das Faserbündel hindurch, so fügen sich alle doppelpha- sischen Ströme im Ableitungsstrom mit gleichen Phasen additiv zusammen und die resultierende Stromwelle wird eine erheblich größerere Amplitude zeigen, als jede Welle, die man von einer einzelnen Faser hätte erhalten können. Sie wird aber dieselbe Ablaufform oder die gleichen Ordinatenverhältnisse auf- weisen, die jede einzelne fibrilläre Aktionsstrom welle gezeigt hat. Wenn aber die Kontraktionswellen nicht seh warmartig zu- sammengehalten durch das Muskelfaserbündel hindurchlaufen, sondern in Abständen aufeinanderfolgen, so können die Aktions- stromwellen der einzelnen Fasern nicht gleichphasisch im Ab- leitungsstrom interferieren; die den Einzelfasern zugeordneten doppelphasischen Stromwellen sind vielmehr im Ableitungsstrom zeitlich gegeneinander verschoben; folgen sich die Kontraktions- wellen mit so großem Abstand, daß die einen bereits an der unteren Ableitungselektrode angekommen sind, wenn die anderen noch unter der oberen sich befinden, so sind die zugehörigen doppelphasischen Stromwellen um ^^ Periodendauer gegenein- ander verschoben, sie interferieren im Ableitungsstromkreis mit Gegenphasen und heben sich gegenseitig auf. Man erhält also gar keinen Ableitungsstrom. Hieraus geht hervor, daß man den Ableitungsstrom immer betrachten muß als die Resultierende sehr vieler doppelphasischer Einzelströme, die mit Theoretische Analyse. 93 gleichen oder mit verschiedenen Phasen miteinander interferieren können. So liegt es auch bei den hier zu betrachtenden Verhältnissen der Willkürkontraktion in den Unterarmflexoren. Wenn die Kontraktionswellen aller Einzelfasern des Muskels, als Schwärm zusammengehalten, zuerst am Ort der einen, später am Ort der zweiten Elektrode vorüberlaufen, wenn sie also sämtlich a tempo jeden gegebenen Muskelquerschnitt passieren, so sind in einem Augenblick alle Fasern unter dem Ort der einen Ab- leitungselektrode, eine kurze Zeit später unter dem Ort der andern Elektrode elektronegativ. Die zur Ableitung kommenden doppelphasischen Aktionsströme aller Einzelfasern interferieren also im Ableitungsstrom ohne Phasendifferenz, d. h. die elektromotorischen Kräfte der Einzelfibrillen addieren sich, der resultierende Strom wird durch Summation groß und er zeigt in seinem zeitlichen Ablauf die gleichen Ordinatenverhältnisse oder die gleiche Schwankungskurve, welche der jeder Faser zugehörige Aktionsstrom aufweisen würde, d. h. die einfache Form einer doppelphasischen Aktionsstromwelle. Wenn mehrere solcher Schwärme von Kontraktionswellen nacheinander durch den Mus- kel hindurchlaufen, so läßt die Zahl der abgeleiteten Stromwellen ohne weiteres die Zahl der in jeder Fibrille pro Zeiteinheit abgelaufenen Kontraktionswellen erkennen. Ganz anders würden die Verhältnisse liegen, wenn die Kon- traktionswellen der einzelnen Fasern zu ungleichen Zeiten durch jeden gegebenen Muskelquerschnitt, bzw. durch die Orte der Ableitungselektroden hinlaufen. Sind in jedem gegebenen Zeitteilchen die Kontraktionswellen aller Einzelfibrillen so über den ganzen Muskel verteilt, daß in jedem Muskelquerschnitt gleich viele und in gleichmäßiger Verteilung im Durchgang be- griffen sind, so interferieren unter jeder Elektrode gleich viel positive wie negative Stromwellenphasen, die Ströme heben sich gegenseitig auf, es entsteht keine Potentialdifferenz zwischen beiden Ableitungsstellen, und von den fibrillären Aktionsstrom- wellen kommt nichts zur Ableitung. Ist keine derartige Ordnung in der Verteilung der Kontrak- tionswellen eingehalten, sind also die fibrillären Kontrakt ions- wellen ganz regellos vereinzelt oder in Gruppen in jedem ge- gebenen Zeitteilchen über den Muskel hin verteilt, so interferieren 94 Versuche üljsr die Willkürkontraktion. die doppelphasischen Aktionsströme aller Einzelfasern derart, daß der resultierende Ableitungsstrom in manigfachen unregel- mäßigen Schwankungen von geringer Amplitude, variabler Wellenlänge und inkonstanter Zahl pro Zeiteinheit verlaufen müßte. Die Zahl der Stromwellen würde dann keine Schlüsse auf die Periode ihrer Komponenten, d. h. der Fibrillenströme zulassen und man könnte aus den Aktionsströmen nicht erkennen, in welcher Rhythmik die Muskelsubstanz jeder einzelnen Faser schwingt. Dies wäre höchstens denkbar, wenn eine periodische Wiederkehr desselben Stromkurvenbildes zu beobachten wäre, d. h. wenn nur relativ wenige Phasendifferenzen zwischen den Einzelströmen vorkämen und wenn zwischen diesen eine zeitliche Verschiebung ausgeschlossen wäre. Ursache eines solchen Ver- haltens der Ströme müßte eine Gruppenbildung unter den ab- laufenden Kontraktionswellen sein. Setzen wir, wie wohl anzunehmen ist, voraus, daß die Kon- traktionswellen sich in allen Fibrillen eines Muskels und zu jeder Zeit mit derselben Geschwindigkeit fortpflanzen, so können zeit- liche Abstände ihrer Querschnittsdurchgänge durch zwei Faktoren bedingt sein, einmal dadurch, daß die Wellen zwar gleichzeitig, aber von verschiedenen Muskelquerschnitten aus ihren Ursprung nehmen, und zweitens dadurch, daß sie von einem bestimmten Querschnitt zu verschiedenen Zeiten ausgehen. Natürlich können beide Momente kombiniert Geltung haben. Die Kontraktionswellen würden in sehr verschiedenen Quer- schnitten des Muskels ihren Ursprung nehmen, wenn die Mehr- zahl der Nervenendstellen der einzelnen Muskelfasern nicht ver- dichtet in einer mittleren Zone, dem nervösen Äquator, bei- sammen, sondern über dem ganzen Muskel hin gleichmäßig verteilt läge. Sie würden mit Zeitabständen vom gleichen Querschnitt ausgehen, wenn die Nervenendstellen zwar in einem bestimmt lokalisierten Äquator lägen, wenn aber die Erregungen bei den einzelnen Endapparaten ungleichzeitig einträfen, wenn also Brückes Pelotonfeuerhypothese der Muskelinnervation zu Recht bestände. Für die Flexoren des Unterarmes ließ sich nachweisen — und das machte sie ja gerade für die theoretische Analyse be- sonders geeignet — , daß die örtlich differente Lage der Nervenend- stellen in verschiedenen Muskelquerschnitten nur in so geringem Theoretische Analyse. 95 Maße und so theoretisch übersehbar in Betracht kommt, daß eine mittlere Muskelzone als „nervöser Äquator" erwiesen werden kann. Wäre dies nicht der Fall, so müßte sich das offenbar dadurch gel- tend machen, daß bei elektrischer Reizung des Nerven mit Einzel- schlägen die abgeleiteten Aktionsströme der einzelnen Muskel- fasern mit Phasenunterschieden interferieren. Der Akfcionsstrom der Unterarmflexoren zeigt aber den einfachst möglichen Ablauf, die bekannte doppelphasische Schwankung. Da nun in diesem Versuch die Innervationsimpulse gleichzeitig bei allen Nerven- endorganen salvenmäßig eintreffen, und da nach Ausweis des Muskelstromes die Kontraktionswellen aller Fasern annähernd gleichzeitig durch jeden gegebenen Muskelquerschnitt als Schwärm zusammengehalten hindurchgehen, so müssen die Ursprungsorte dieser Wellen in einer bestimmten Muskelzone, d. h. dem ner- vösen Äquator liegen. Ohne diesen Versuch wäre die Analyse der bei Willkürkontraktionen erhaltenen Stromkurven sehr schwierig gewesen. Wenn der bei Einzelreizung abgeleitete Strom eine komplizierte Wellenperiode hätte erkennen lassen, so wäre die Deutung aller andern Befunde erheblich komplizierter gewesen und vielleicht ziellos geworden. Die Ausführung des elektrischen Reizversuches und die Auswahl solcher Muskeln zur Untersuchung, die hierbei einen klaren und einfachen Aktions- strombefund ergeben, ist also zur Gewinnung einer sicheren Basis für die Deutbarkeit der Stromkurven, welche bei Willkürkontrak- tionen gefunden werden, unumgänglich notwendig. Für die willkürliche Innervierung ist nun die Frage auf zu- werfen, ob die Muskelfasern sämtlich gleichzeitig ihre Innerva- tionsimpulse erhalten oder ob derartige Salven von Impulsen nicht anzunehmen sind. Wenn wir die Aktionsströme ins Auge fassen, so ist die Frage so zu formulieren: beweisen die Ergeb- nisse der objektiven Registrierung der Aktionsstromoszillationen, daß die Kontraktionswellen der einzelnen Fasern alle gleichzeitig vom nervösen Äquator abgehen, oder lassen die Kurven das Gegenteil schließen, daß nämlich die einzelnen Kontraktions- wellen ungleichzeitig vom nervösen Äquator abgehen, daß sie also ihre Impulse vom Zentralnervensystem nicht salvenmäßig sondern mit Zeitabständen pelotonfeuermäßig erhalten. Wenn salvenmäßige Innervation erfolgt, so entspricht jede der Stromwellen, die mit der Frequenz 50 pro Sekunde re- »K; Versuche ül)er die Willkürkontraktion. gistriert wurde, dem Ablauf eines Schwarmes von fibrillären Kontraktions wellen, und folgerichtig wird zu schließen sein, daß dem Muskel 50 Innervationssalven pro Sekunde zuströmen. Man kann zeigen, daß dies tatsächlich der Fall ist; um den Beweis zu führen, wird darzutun sein, daß die abgeleiteten Stromwellen diejenigen Merkmale bieten, die bei phasengleicher Inter- ferenz aller Fibrillenströme zu erwarten sind, und ferner wird zu zeigen sein, daß jede der bei willkürlicher Inner- vation gefundenen Stromwellen gleichzusetzen ist der doppelphasischen Stromschwankung, die bei Einzel- reizung des motorischen Nerven, also auf eine einzige Innervationssalve, registriert wird. Als erstes Argument, das dies beweist, sei hier angeführt, daß die Form der einzelnen Stromwellen eine solche ist, wie sie bei annähernd phasengleicher Interferenz der Einzelströme zu erwarten wäre. Weitaus die meisten Stromschwankungen, besonders bei kräftigen Kontraktionen oszillieren ziemlich glatt, um die Ruhelage auf und nieder und den im 50er Rhythmus oszillierenden Hauptwellen sind nur wenige kleinere superponiert. Dies alles weist schon darauf hin, daß sehr wahrscheinlich die Innervationsimpulse als Salven bei den Nervenendorganen ein- getroffen sind, allerdings nicht mit solcher Präzision wie bei der elektrischen Reizung des Nerven, sondern mit, wenn auch ge- ringen. Zeitabständen. Infolgedessen dürfte auch der Kontrak- tionswellenschwarm nicht so dicht beisammengehalten durch den Muskel hinlaufen, wie bei elektrischer Reizung, sondern in etwas mehr gelockerter Anordnung. Daraus ergibt sich dann, daß die doppelphasischen Ströme der fibrillären Kontraktionswellen im Ableitungsstrom zwar angenähert, aber nicht vollständig gleichphasisch interferieren, was doppelphasische Ströme mit superponierten Zacken im Gefolge haben muß. Ein weiterer Grund, der für eine salvenmäßige Inner- vierung der Flexoren bei der Willkürkontraktion spricht, ist aus den Größenverhältnissen der Stromoszillationen zu entnehmen. Die Amplitude der Stromwellen, besonders bei kräftiger Will- kürkontraktion, ist eine so große, daß sie wohl nur durch an- nähernd phasengleiche Interferenz der Fibrillenströme, also durch Summation entstanden sein kann (vgl. Abb. 33 mit 34). Würden die Einzelströme der Muskelfasern mit verschiedenen Phasen inter- Theoretische Analyse. 97 federen, so müßten vielfach Potentiale von entgegengesetztem Vorzeichen in jedem gegebenen Zeitmoment am Ableitungsort zusammenkommen und sich gegenseitig aufheben; man hätte also erheblich kleinere Ströme zu erwarten, als in den Fällen, wo phasendifferente Interferenz der Einzelströme nicht vorkommt. Abb. 33. Aktionsströme der Unterarraflexoren bei Willkürlvontraktion. Etwa lOOOfache Vergrößerung des Projektionsbildes der Saite. Abstände der dickeren Ordinaten 0,01 Sekunde. Projektion des Saitenbildes bei lOOOfacher Vergrößerung. Abb. 34. Doppelphasischer Aktionsstrom bei Einzelzuckuug der Unterarmflexoren ; Reizung des Nervus medianus durch einen Offnungsinduktionsschlag. Dauer und Amplitude der Stromwelle ist von gleicher Größenordnung wie die der Wellen in Kurve 30. Projektion des Saitenbildes bei lOOOfacher Vergrößerung. Von erheblich größerer Beweiskraft für die Auffassung, daß die Innervation bei der Willkürkontraktion salvenmäßig erfolgt ist, ist nun der Vergleich der dabei registrierten Strom- wellen mit derjenigen, die bei elektrischer Einzelreizung des motorischen Nerven als doppelphasischer Aktionsstrom zur Beobachtung kommt. Bei kräftiger Willkürkontraktion ist die Piper, Elektrophysiologie. ' 98 Versuche über die Willkürkontraktion. Amplitude der abgeleiteten Stromwellen von etwas, aber nicht wesentlich niedrigerer Größenordnung als die doppelphasische Stromwelle bei elektrischer Einzelreizung hat. Im letzteren Falle findet sicher salvenmäßige Innervation und sehr annähernd phasengleiche Interferenz der Fibrillenströme statt, also wird es auch bei der Willkürkontraktion der Fall sein. Noch auffälliger ist die folgende Übereinstimmung: die doppelphasische Strom- welle, die bei elektrischer Einzelreizung des Nerven registriert wird, hat eine Dauer, d. h. eine Wellenlänge von sehr annähernd ^/go Sekunde, jede der Hauptwellen, die bei der Willkürkontrak- tion in einer Frequenz von 50 pro Sekunde registriert werden, hat gleichfalls im Mittel eine Länge von Vso Sekunden. Dies beweist wohl schlagend, daß jede der im 50er Rhythmus ablaufenden Aktionsstromwellen äquivalent ist einer solchen, die bei elektrischer Einzelreizung des Nerven erhalten wird. Daraus ergibt sich, daß 50 Innervations- salven pro Zeiteinheit vom Zentralnervensystem zum Muskel zur Auslösung einer Willkürkontraktion geschickt werden und daß vom nervösen Äquator 50 Schwärme von fibrillären Kontraktionswellen proZeiteinheit durch den Muskel hinlaufen. Noch einmal ist allerdings zu betonen, daß viele von den Hauptwellen, die bei der Willkürkontraktion gefunden werden, nicht die einfache Form des Ablaufs zeigen, wie man sie meistens beim elektrischen Reizversuch beobachtet. Die superponierten kleineren Nebenwellen lassen schließen, daß innerhalb jedes Schwarmes von Kontraktionswellen kleinere Untergruppen von- einander abgegrenzt sind und in kurzen Zeitabständen die unter den Elektroden liegenden Muskelquerschnitte passieren. Solche Gruppenbildung innerhalb eines Hauptschwarmes muß darauf beruhen, daß die Innervationssalve nicht mit ganz voll- kommener Präzision in allen Muskelfasern gleichzeitig ein- trifft, sondern daß die Fasern der Flexoren bündelweise mit kleinen Zeitintervallen ihre Impulse erhalten. Immerhin aber sind die Salven so präzise, daß die Hauptwellen fast überall deutlich erkennbar und sicher zählbar bleiben. Sicher bleibt also , daß überhaupt 50 Innervationssalven pro Sekunde zum Muskel gelangen und daß 50 Schwärme von Kontraktionswellen vom nervösen Äquator bis zum Muskelende ablaufen, nur hat Theoretische Analyse. 99 die Präzision der Salve und die Dichte des Zusammenhaltens jedes Muskelwellenschwarmes ihre Grenzen, die indessen so eng gezogen sind, daß durch annähernd phasengleiche Interferenz der Fibrillenströme bei fast jedem Kontraktionswellenschwarm eine Hauptwelle als Resultante zur Ableitung kommt. Die Untergruppen in einem Schwärm nehmen also im allgemeinen nicht so großen Querschnittabstand voneinander ein, daß auf- einanderfolgende Schwärme von Kontraktionswellen ohne Grenze ineinander übergehen. Diese bleiben vielmehr, wie das Bestehen- bleiben der elektrischen Hauptwellen beweist, durch Zwischen- räume, die merklich frei sind von Kontraktionswellen, während ihres Ablaufens voneinander abgegrenzt. Bei den Versuchspersonen, deren Stromkurven den 50er Rhythmus nur undeutlich zeigen und bei denen der Eindruck einer unregelmäßigen frequenteren Rhythmik überwiegt, muß man annehmen, daß die Präzision der Innervationssalven mangel- haft ist und daß infolgedessen die aufeinanderfolgenden Schwärme der fibrillären Kontraktionswellen nicht mehr deutlich durch wellenfreie Intervalle voneinander abgegrenzt sind. Dann ist es nicht wie bei den Stromkurven der meisten Versuchspersonen so eklatant demonstrabel, daß der Muskel, und zwar jede Einzel- faser, im 50er Rhythmus tätig ist; der abgeleitete Strom läßt also dann nicht so sichere Schlüsse auf die Rhythmik der Prozesse in der Muskelsubstanz zu. Man muß aber auch in diesen — übrigens seltenen — Fällen annehmen, daß die Innervation jeder Faser und der Ablauf der Kontraktionswellen in jeder Faser im 50er Rhythmus vor sich geht. Das ist in fast jeder Kurve bei genauer Betrachtung doch zu erkennen und wird sicher durch den Vergleich mit solchen Stromkurven, welche den 50 er Rhythmus typisch zeigen. Daß der 50er Rhythmus im Ableitungsstrom- kreis undeutlich sein kann, ist also darauf zurückzuführen, daß die im 50 er Rhythmus oszillierenden Aktionsströme der einzelnen Muskelfasern oder Faserbündel mit Phasenunterschieden inter- ferieren und sich zu einer Folge von Stromwellen zusammenfügen, in welcher der originäre 50er Rhythmus durch frequentere, kleinere Wellen, durch ein Interferenzphänomen also, mehr oder weniger ausgelöscht oder undeutlich gemacht wird. Eine Dissoziation der Salven und als Folgeerscheinung Wellenschwärme im Gesamtmuskel, innerhalb deren eine ge- ] 00 Versuche über die Willkürkontraktion. wisse Gruppenbildung stattgefunden hat, tritt manchmal ziemlich ausgesprochen bei schwachen Kontraktionen hervor. Es macht sich hier, wie es scheint, ein Tendenz zu alternierendem Arbeiten der einzelnen Faserbündel geltend (Abb. 32). Dies führt indessen in der Regel nicht so weit, daß sich nicht mehr 50 Hauptschwärme von Kontraktionswellen, die über die Gesamtheit der Fibrillen hinlaufen, pro Sekunde ohne Zwang unterscheiden ließen. Es sind in den so aufgenommenen Stromwellenzügen die 50 er Haupt- wellen meist sicher auszuzählen. Im übrigen wechseln die auf- gesetzten Nebenzacken bei den Hauptwellen ganz außerordentlich mannigfaltig von Welle zu Welle, so daß es nicht angängig ist, etwa eine Frequenz für diese Nebenwellen pro Zeiteinheit anzu- geben, die auch nur mit annähernder Konstanz gültig wäre. Ebenso sicher wie die Betrachtung der Amplitude und der Ablaufform der einzelnen Stromwellen, und wie auch der Vergleich mit den doppelphasischen Wellen, die bei elektrischer Einzel- reizung registriert wurden, spricht die Art der Oszillations- rhythmik dafür, daß die Kontraktionswellen aller Fasern gleich- zeitig vom nervösen Äquator ausgehen und daß jede Hauptwelle in der registrierten Kurve durch annähernd phasengleiche Inter- ferenz der Fibrillenströme entstanden sein muß. Die konstante und von der Kontraktionsstärke unabhängige Frequenz der Stromschwankungen könnte bei phasenverschie- dener Interferenz der Fibrillenströme unmöglich auf- rechterhalten bleiben. Unter solchen Verhältnissen wäre vielmehr eine sehr große und pro Zeiteinheit inkonstante Zahl unregelmäßig verlaufender kleiner Stromschwankungen zu er- warten gewesen. Die Tatsache der konstanten Strom wellenzahl pro Zeiteinheit beweist also wiederum phasengleiche Interferenz der Fibrillenströme und als Folgerung die Annahme, daß ge- schlossene Schwärme von fibrillären Kontraktionswellen durch den Muskel laufen und daß diese wieder durch salvenmäßige Innervation erzeugt werden. Auch die Tatsache, daß bei Verkleinerung der Kontaktfläche der ableitenden Elektrode nur die Amplitude, aber nicht die Zahl der abgeleiteten Stromwellen abnimmt, spricht dafür, daß die Ströme in jeder Fibrille in derselben Frequenz wie im ganzen Muskel sich bilden, und daß sie ohne erhebliche Phasendifferenzen im Ableitungsstrom interferieren, d. h. aber wiederum, daß die Theoretische Analyse. 10^ Kontraktionswellen in allen Fibrillen gleichzeitig vom nervösen Äquator abgehen. Ist dies so, so ergibt sich, daß sich alle fibrillären Wellen zu der großen Kontraktionswelle des ganzen Muskels bei der physiologischen Innervierung in ähnlicher Weise zusammenfügen, wie beim elektrischen Reizversuch. Die Peloton- feuerhypothese der Innervation ist aber damit unvereinbar. Zusammenfassend kann man also über die Ergebnisse dieser Analj'se der Willkürkontraktion der menschlichen Unterarm- flexoren folgendes sagen: 1. Die Zahl der Aktionsstromwellen, die bei willkürlichem Tetanus vom Muskel ableitbar sind, ist konstant und beträgt ungefähr 50 pro Sekunde. Die speziellen Verhältnisse der Form, der Größe und des Rhythmus dieser Stromwellen lassen schheßen, daß ihre Zahl identisch ist mit der Frequenz der in jeder Muskelfaser ablaufenden Kontraktionswellen. 2. Bei Veränderung der Kraft der Muskelkontraktionen variiert nicht die Frequenz der abgeleiteten Aktionsstrom- oszillationen, sondern nur die Amplitude, Das beweist, daß die Zahl der pro Zeiteinheit über die Faser hinlaufenden Kontraktions- wellen von dem Grade der Muskelanspannung unabhängig ist. 3. Der Vergleich dieser Aktionsstromwellen mit den doppel- phasischen Strömen, die bei elektrischer Nervenreizung mit Einzel- schlägen erhalten werden, lehrt, daß jede der im 50er Rhythmus oszillierenden Wellen äquivalent ist einer doppelphasischen Strom- welle. Da nun eine solche einzelne Welle durch eine Salve von Innervationsimpulsen erzeugt wird, so müssen dem 50er Rhythmus bei der Willkürkontraktion 50 Innervationssalven pro Sekunde entsprechen. Der Rhythmus der beim Willkürtetanus über den Muskel hinlaufenden Kontraktionswellen ist also direkt bestimmt durch den Rhythmus der vom Zentralnervensystem zum Muskel gelangenden Impulse. Diese treffen in Form von 50 Salven pro Sekunde im nervösen Äquator des Muskels ein und variieren bei Innervierung verschieden starker Kontraktionen nur ihre Intensität, aber nicht ihre Zahl, Ein Eigenrhythmus der Muskelsubstanz macht sich in diesen Versuchen nicht geltend, der Muskel erweist sich vielmehr als ein Organ, in dem der Rhythmus der Bewegungs- vorgänge durch die Art der Innervation direkt bestimmt wird. 4. Die Innervationsimpulse trefifen bei der Willkürkontraktion annähernd gleichzeitig, d. h. als Salven bei den Nervenendorganen ]()2 Versuche über die Willkürkontraktion. aller Muskelfasern ein und die Kontraktionswellen laufen als Schwärm zusammengehalten in der Frequenz der Salven, d. h. 50 pro Sekunde, durch den Muskel hin. Die Präzision der Salven ist nicht so vollkommen, wie bei elektrischer Reizung des motorischen Nerven, sondern es macht sich eine gewisse, wenn auch geringe, Dissoziation bemerkbar. Infolgedessen sind die Kontraktions wellenschwärme nicht so dicht zusammengehalten wie bei elektrischer Reizung, sondern sie sind in Untergruppen aufgelockert. Dies geht aber nicht so weit, daß nicht aufein- anderfolgende Kontraktionswellenschwärme durch Pausen von- einander abgegrenzt wären. In den registrierten Aktionsstrom- kurven kommen diese Verhältnisse dadurch zur Geltung, daß zwar ein Rhythmus von 50 Hauptwellen pro Sekunde regelmäßig ausgezählt werden kann, daß aber vielen dieser Hauptwellen kleinere Zacken superponiert sind, die nach Größe, Zahl und Lage auf jeder Hauptwelle außerordentlich mannigfaltig variieren können. 3. Fortsetzung der theoretischen Analyse. Beziehungen zwischen Rhythmus und Fortpflanzungs- geschwindigkeit der Kontraktionswellen bei der Willkür- kontraktion. Es wurde gezeigt, daß die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Kontraktionswelle im Muskel von der Intensität des Kon- traktionsvorganges unabhängig ist; denn wenn man doppel- phasische Stromwellen durch Reizung des Nervus medianus oder ulnaris mit Einzelschlägen erzeugt, so findet man, daß die Wellen- längen und die Gipfelabstände constant bleiben, auch wenn die Stärke des Reizes und abhängig davon die Größe der Zuckung und die Amplitude der abgeleiteten doppelphasischen Wellen in großem Umfange variiert wird. Dies Ergebnis hat gewisse Be- ziehungen zu der Tatsache, daß beim willkürlichen Tetanus die Zahl der pro Zeiteinheit über den Muskel hinlaufenden Kon- traktionswellen bei schwach und stark innervierten Kontraktionen gleich ist. Jede der dabei abgeleiteten Aktionsstromwellen hat, gleichgültig, ob stark oder schwach kontrahiert wurde, eine mittlere Dauer von Vso Sekunde, hat also dieselbe zeitliche Ausdehnung, wie der doppelphasische Strom, den man bei Er- zeugung einer Zuckung durch elektrische Einzelreizung des Fortsetzung der theoretischen Analyse. 103 Nerven erhält. Daraus ist im einen wie im anderen Falle zu schließen, daß die Kontraktions welle unter beiderlei Bedingungen die gleiche und von der Reizstärke unabhängige Ablaufdauer hat, und daß jede der beim Willkürtetanus ablaufenden Kon- traktionswellen einer Zuckungs welle äquivalent ist. Die Fort- pflanzungsgeschwindigkeit der Kontraktionswellen ist also auch bei der Willkürkontraktion von der Intensität des Kontraktions- prozesses unabhängig und konstant und hat denselben Wert, der aus der doppelphasischen Welle bei Einzelzuckung abgeleitet werden konnte, nämlich etwa 12 — 15 m pro Sekunde. Das Wesentliche bei tetanischen Willkürkontraktionen ist sehr wahrscheinlich darin zu sehen, daß in jeder einzelnen Muskelfaser nach x^blauf ejner Kontraktionswelle alsbald am oberen Ende eine neue abgeht und daß so Welle auf Welle über die Faser hinläuft. Die Analyse der registrierten Strom welle läßt erkennen, daß nicht nur auf dem ganzen Muskel, sondern auch auf jeder am Tetanus beteiligten Faser an irgendeiner Stelle ihrer ganzen Länge in einem gegebenen Zeitteilchen eine Welle im Ablauf begriffen sein kann, daß aber im Bereich einer Faser niemals zwei oder mehr hinter- einander folgende Wellen gleichzeitig hinlaufen. Jede neue Welle beginnt also am oberen Faserende erst dann, wenn die vorhergehende am unteren Ende angekommen und erloschen ist; dann aber setzt auch der Ablauf der neuen Welle normaler- weise ohne erheblichen Zeitverlust ein. Es kommen zwar Pausen zwischen dem Erlöschen einer und dem Abgang der folgenden Kontraktionswelle vor; wären diese aber von beträchtlicher Größe, so müßten sich zwischen je zwei Hauptwellen des ab- geleiteten Stromwellenzuges besonders zwischen solchen Haupt- wellen, die ohne aufgesetzte Nebenzacken ablaufen, geradlinige der Abszissenachse parallele Kurvenstrecken einschalten, die einer Einstellung der Galvanometersaite in die Ruhelage ent- sprächen. Das ist nicht der Fall, vielmehr geht das Wellental einer doppelphasischen Hauptwelle stets ohne Unterbrechung in den Wellenberg der folgenden über. Das beweist aber, daß die neue Welle sehr bald nach Ablauf der alten einsetzt. Sie kann aber auch nicht vor Beendigung des Ablaufs der vorher- gehenden Welle beginnen, etwa derart, daß zwei oder mehr Kontraktions wellen gleichzeitig die eine hinter der anderen in J()4 Versuche über die Willkürkontraktion. einer Faser im Ablauf begriffen wären, denn unter solchen Ver- hältnissen müßten die zugehörigen Aktionsstromwellen im ab- geleiteten Strom mit Phasendifferenzen interferieren, und dies müßte sich durch Störungen des Rhythmus, in Beeinträchtigung der Wellenamplitüde und in erheblicher Variabilität der Wellen- länge geltend machen. Namentlich aber könnte unmöglich eine Konstanz derWellenzahl pro Sekunde im Ableitungs- strom zustande kommen. Solche Interferenzerscheinungen finden sich an den Stromwellenkurven nicht. Beim Willkürtetanus ist einerseits die Zahl der über den Muskel laufenden Kontraktionswellen pro Zeiteinheit konstant, andererseits folgt aber aller Wahrscheinlichkeit nach Wellen- ablauf auf Wellenablauf ohne erhebliche Pausen. Auch die Wellen- länge der abgeleiteten Stromoszillationen liegt um einen kon- stanten Mittelwert, nämlich um ^/^g Sekunde herum. Dies läßt erkennen, daß eine normale Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Muskelwellen pro Sekunde innegehalten wird. Es kommen nun gewisse Abweichungen der Wellenlänge von diesem Mittelwert vor, und es liegt nahe, daraus doch auf eine Variabilität der Fortpflanzungsgeschwindigkeit zu schließen. .Bei näherer Be- trachtung der Stromwellenkurven ergibt sich aber dieser Schluß weder als der einzig mögliche, noch als der wahrscheinlich richtige. Auch in diesem Falle dürfte es sich vielmehr um eine Erscheinung handeln, die dadurch zustande kommt, daß die Aktionsströme der einzelnen Fasern und Faserbündel im abge- leiteten Strome zwar annähernd, aber nicht vollkommen gleichphasisch interferieren. Denkt man sich nämlich, daß am oberen Muskelende in einigen Fasern bereits neue Kontraktions- wellen einem neuen Schwärm vorauslaufend ihren Ablauf beginnen, bevor die letzten Nachläufer des vorhergehenden Schwarmes am unteren Ende ganz angekommen und erloschen sind, so müssen die Aktionsströme der oben und unten gerade befindlichen Kontraktionswellen im abgeleiteten Strom mit entgegengesetzten Phasen interferieren, so daß er seinem Nullwert zugeführt wird. In diesem Falle würden also die Interferenzen das Ende der einen und den Anfang der neuen Hauptwelle des abgeleiteten Stromes bestimmen. Nun wechselt allem An- schein nach die Anordnung der Kontraktionswellen innerhalb der einzelnen Schwärme nicht unerheblich. Einige sind lang aus- Fortsetzung der theoretischen Analyse. ] Q5 gezogen und haben viele Vorläufer und Nachzügler, andere durchlaufen dichtgedrängt zusammengehalten den Muskel; je nachdem nun, wie diese verschiedenartig angeordneten Schwärme aufeinander folgen, werden sich die angegebenen Interferenzen im abgeleiteten Strom verschieden gestalten und die Wellen- längen der registrierten Stromoszillationen müssen in demselben Maße variieren, wie die Ausdehnung des Gesamtschwarmes der Kontraktionswellen und wie die Anordnung der Faserwellen innerhalb desselben. Tatsächlich beobachtet man denn auch Abweichungen im einen oder anderen Sinn von dem Mittelwert (^/so Sekunde) gerade bei solchen aufeinanderfolgenden Wellen, die auch durch superponierte kleine Zacken eine unregelmäßige und von Welle zu Welle wechselnde Anordnung der Kontrak- tionswellen im Schwärm erkennen lassen. Dagegen liegt die Wellenlänge der Stromwellen von einfacher Ablauf form, nament- lich wenn auch die vorhergehenden und folgenden Wellen ein- fach und ohne aufgesetzte Zacken verlaufen, stets sehr nahe dem Mittelwert von V50 Sekunde, Daß die Variabilität der Wellenlänge des abgeleiteten Stromwellenzuges durch das hier angewendete Interferenzprinzip und nicht durch die Annahme einer wechselnden Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Kontrak- tionswellen zu erklären ist, wird endlich durch die Tatsache wahrscheinlich, daß jedes Überschreiten des Mittelwertes der Länge einer Aktionsstromwelle dadurch kompensiert wird, daß in der Regel schon die folgende Welle unter dem Mittelwert bleibt. Auf diese Weise kommt die Konstanz der Stromwellenzahl zustande, die wohl bei Variabilität der Fortpflanzungsgeschwindig- keit kaum aufrecht erhalten werden könnte, man müßte denn annehmen, daß auch diese um einen Mittelwert oszilliert und eine Überschreitung beim Ablauf einer Welle sofort durch Unter- schreitung bei der folgenden ausgleicht. Dies aber scheint mir eine gekünstelte und unwahrscheinliche Konstruktion zu sein. Wenn die zur tetanischen Verkürzung führenden Vorgänge im Muskel tatsächlich so verlaufen, daß der Ablauf einer Kon- traktionswelle nach dem vorhergehenden Wellenablauf ohne er- hebliche Pause folgt, so ergibt sich die Frage, wie sich die Frequenz der Wellen pro Zeiteinheit und ihre Fortpflanzungs- geschwindigkeit bei Muskeln verschiedener Länge vergleichsweise stellt. Es liegen hier theoretisch betrachtet zwei Möglichkeiten IQQ Versuche über die Willkürkontraktion. vor. Entweder die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Kontrak- tionswelle in allen Muskeln ist gleich ; wenn das der Fall ist, so muß ihr Ablauf in einem kurzen Muskel erheblich kürzer dauern als in einem langen. Soll hier Wellenablauf auf Wellenablauf ohne Pause folgen, so müssen über eine kurze Faser pro Zeit- einheit erheblich mehr Kontraktionswellen hinlaufen als über eine lange Faser, d. h. umgekehrt proportional mit der Faserlänge müßte die Wellenzahl bei verschieden langen Muskeln variie- ren, und das Produkt aus Wellenzahl und Muskellänge ergäbe sich dann für alle Muskeln als gleich und konstant. Die andere Möglichkeit wäre folgende : Die Zahl der Wellen pro Zeiteinheit könnte für alle Muskeln gleich sein, unter dieser Bedingung kann ein Wellenablauf dem anderen nur dann ohne größere Pause folgen, wenn die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregungs wellen in kurzen Muskeln einen erheblich kleineren Wert hat als in langen, d. h. wenn die Fortpflanzungsgeschwin- digkeit direkt proportional der Faserlänge von Muskel zu Muskel variiert. Wenn man zwischen diesen beiden Möglichkeiten die Ent- scheidung finden will, so muß zunächst die Oszillationsfrequenz bei kurzen und langen Muskeln festgestellt werden. Als kurze Muskeln können hierbei die Daumenmuskeln, Flexor und Oppo- nens pollicis brevis, dienen, die nur etwa ^/g der Länge der Unterarmflexoren haben. Hat hier die Fortpflanzungsgeschwin- digkeit der Kontraktionswellen denselben Wert wie bei den Flexoren und folgt auch hier ohne Zeitintervall Wellenablauf auf Wellen ablauf, so müssen dreimal soviel Wellen in der Zeit- einheit über den Muskel laufen als bei den Flexoren. Liegt aber die Zahl der Wellen den für die Flexoren gefundenen Werten nahe, so müssen die Wellen mit etwa ^/g der Fort- pflanzungsgeschwindigkeit der Flexorenwellen über die Daumen- muskeln hinlaufen. Die experimentelle Untersuchung ergibt, daß die Zahl der in der Zeiteinheit ablaufenden Kontraktionswellen für Unterarm- flexoren und Daumenmuskeln von nahezu gleicher Größenordnung ist. Man findet sie bei etwa 50 pro Sekunde liegend. Ferner geht bei den Daumenmuskeln, ebenso wie bei den Flexoren jede Welle in die folgende ohne Grenze kontinuierlich über. Daraus wird man entnehmen , daß im Muskel stets der Ablauf einer Fortsetzung der theoretischen Analyse. 107 Kontraktionswelle der vorhergehenden ohne erhebliche Pause folgt. Daraus ergibt sich aber weiter, daß die Zeit, welche die Kontraktionswelle zum Ablauf über die etwa 5 cm langen Daumenmuskeln benötigt, nicht erheblich kleiner ist als die Abiaufzeit der Welle über die viel längeren Unterarmflexoren. Dann muß aber die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Kon- traktionswelle in den Daumenmuskeln etwa 73 von dem Wert haben, der für die Flexoren gilt. Darf man dies Ergebnis verallgemeinern, so ergibt sich als Regel, daß die Fortpflan- zungsgeschwindigkeit in jedem Muskel in einem bestimmten Verhältnis zu seiner Länge steht, derart, daß in kurzen Muskeln ihr Wert gering, in langen aber groß ist. Für einen gegebenen Muskel aber würde sie einigermaßen konstant sein, wie nament- lich daraus zu entnehmen ist, daß die gleichen Werte für die Unterarmflexoren beim elektrischen Reizversuch und bei der Willkürkontraktion mit größter Wahrscheinlichkeit zu finden waren. W^enn die Dinge so liegen, so wäre klar, daß der Rhythmus von 50 Impulsen dem Zentralnervensystem eigen sein muß und festgehalten wird, gleichgültig um welche Muskelinnervation es sich handelt. Der Muskel richtet sich je nach seiner Länge durch Abstimmung der Fort- pflanzungsgeschwindigkeit seiner Kontraktionswelle so ein, daß beim Tetanus Wellenablauf auf Wellenablauf ohne zwischen- geschaltete größere Pausen folgt. Die Fortpflanzungsgeschwindig- keit wäre demnach in jedem Muskel eine andere und durch die Länge der Fasern und die Inner vationsfrequenz bestimmt. Diese Schlüsse haben, wie schon betont wurde, die An- nahme zur Voraussetzung, daß nach Erlöschen einer Kontrak- tionswelle am einen Ende alsbald eine neue am anderen Ende einer jeden am Tetanus beteiligten Muskelfaser beginnt. Man muß aber im Auge behalten, daß diese Deutung nicht die allein mögliche ist. Anders würden z. B. die Verhältnisse liegen, wenn man annimmt, daß jeder Schwärm von Kontraktionswellen, der über den Muskel hinläuft, in der Mitte die dichteste Anhäufung von Wellen hat, daß aber diesem Zentrum des Schwarmes Wellen vorauf- und nachlaufen, deren Dichte mit dem Abstand vom Zentrum abnimmt ; dann sind die vorauslaufenden Wellen bereits am unteren Muskelende angekommen und erloschen, wenn die hinteren noch im Ablaufen begriffen sind. Würden nun erst, wenn 208 Versuche über die Willkürkontraktion. diese letzteren ihren Ablauf beendigt haben, am oberen Muskel- ende neue Wellen ihren Ablauf beginnen, so wäre es möglich, daß durch solche Verhältnisse der Verteilung der Wellen im ganzen Schwärm und durch solche Art der Aufeinanderfolge der Schwärme Stromwellen zur Ableitung kommen, die ohne Grenze ineinander übergehen, während doch zwischen dem Abläufen zweier Fibrillenwellen Pausen eingeschaltet liegen könnten. Die Stetigkeit des Tetanus könnte dann da- durch garantiert sein, daß die Pausen zwischen den Wellen- abläufen einer Einzelfaser durch die inzwischen im Gange befind- lichen Wellenabläufe auf anderen Fasern im Effekt ausgeglichen werden. Mit Hilfe solcher Vorstellungen könnte man wohl die An- nahme vermeiden, daß die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Kontraktionswellen von Muskel zu Muskel je nach seiner Länge verschieden ist. Dann müßte aber die Pause zwischen je zwei Wellenabläufen in kurzen Fasern erheblich größer sein als bei langen, weil eben ein Wellenablauf in der kurzen Faser viel ge- ringere Zeit beansprucht, in beiden Fällen aber etwa 50 Wellen in der Sekunde ablaufen. Im Wellenzuge des abgeleiteten Stromes finden sich entsprechende Pausen im einen Falle so wenig wie im andern. Will man diese Tatsache ohne die Annahme einer verringerten Fortpflanzungsgeschwindigkeit im kurzen Muskel_und ausschließhch durch die Hjrpothese einer eigenartigen Anordnung der fibrillären Kontraktionswellen im Schwärm erklären, so ist dies durch die Vorstellung möghch, daß jeder Wellenschwarm um so länger ausgezogen ist, je kürzer der Muskel ist. Man müßte z. B. annehmen, daß über die kurzen Daumenmuskeln er- heblich länger ausgezogene Schwärme hinlaufen als über die Flexoren. Im ganzen scheint sich mir aus dieser Diskussion aller Mög- Hchkeiten die folgende Vorstellung als die richtigste zu ergeben: Das Zentralnervensystem schickt 50 Impulse pro Sekunde zu jeder Muskelfaser; während der Pause zwischen je zwei auf- einanderfolgenden Impulsen läuft die Kontraktionswelle bis zum Muskelende ab. Die Ablauf dauer würde, wenn die Fortpflanzungs- geschwindigkeit gleich wäre, in kurzen Muskeln kleiner sein als in langen, weil ein kürzerer Weg zurückzulegen ist. Es würde also, wenn die Kontraktionswelle am Muskelende erloschen ist. Fortsetzung der theoretischen Analyse. 109 eine Pause verstreichen, ehe ein neuer Impuls in der Nerven- endplatte eintrifft und eine neue Kontraktionswelle von hier ihren Ablauf beginnt. Die Pausen würden um so größer sein, je kürzer der Muskel ist, und während ihrer Dauer würde an keiner Stelle der Muskelfaser eine Kontraktionswelle im Ablauf begriffen sein, sie würde im Ruhezustand sich befinden. Daß aber diese Pausen nicht zu erheblich werden und die Stetigkeit der Kontraktion gefährden, dafür wird dadurch gesorgt, daß die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Kontraktionswelle in kurzen Muskeln kleiner ist, als in langen. Doch trifft dies nicht in dem Maße zu, daß die Pausen vollständig verschwinden, es ist vielmehr anzunehmen, daß sie mit einer, wenn auch nicht erheblichen und von Muskel zu Muskel wechselnden Dauer bestehen bleiben. Sie sind größer in kurzen Muskeln als in langen, und ebenfalls größer in weißen Muskeln als in roten. Wären die Pausen zwischen zwei Wellenabläufen in allen Muskeln durch eine der Muskellänge angepaßte Fortpflanzungsgeschwindig- keit ganz ausgeglichen, so müßte ja der doppelphasische Strom, den man bei Einzelzuckung ableitet, für alle Muskeln eine Dauer von ^/go Sekunde haben. Das ist aber nicht der Fall, sondern man findet bei kurzen und bei weißen Muskeln kleinere Zeit- werte. Bei einer Innervation dieser Muskeln im 50er Rhythmus müssen also auch größere Pausen zwischen zwei Wellenabläufen eingeschaltet sein, als bei langen oder roten Muskeln. Für welche Ansicht man sich nun auch in der Frage nach den Pausen zwischen zwei Wellenabläufen und nach der Ab- stimmung ihrer Fortpflanzungsgeschwindigkeit entscheiden mag, so viel scheint mir sicher zu sein, daß in jeder Faser in jedem gegebenen Zeitteilchen nie mehr als eine Kontraktions- welle bei der Willkürkontraktion im Ablauf begriffen ist. Dies ergibt sich mit Sicherheit aus der Tatsache, daß die Zahl der Stromwellen pro Zeiteinheit konstant ist, und daraus, daß jede dieser Stromwellen äquivalent ist einer solchen, die bei Ablauf einer einzigen Kontraktionswelle registriert wird. Gegenüber diesen Tatsachen erscheinen mir die von Dittler^) erhobenen Einwände nicht haltbar. Er betont, daß bei Ableitung der Aktionsströme vom Zwerchfell auch dann die Stromwellen ohne zwischengeschaltete Pausen ineinander übergehen, wenn 1) Dittier, Pflügers Archiv Bd. 130. wo Versuche über die Willkürkontraktion. das zwischen den Elektroden liegende Muskelstück sehr kurz ist. Es ist aber zu bedenken, daß auch in diesem Falle eine lang- ausgezogene Konfiguration der Kontraktionswellenschwärme einen kontinuierlichen Übergang von Welle zu Welle im Ableitungs- strom bewirken muß. Wenn tatsächlich mehrere Kontraktions- wellen bei der Willkürkontraktion auf eine und derselben Muskel- faser in jedem gegebenen Zeitteilchen im Ablauf begriffen wären, so müßten sich Interferenzen der zugeordneten doppel- phasischen Ströme im Ableitungsstrom geltend machen und das müßte in einer Inkonstanz der Wellenzahl pro Zeiteinheit zum Ausdruck kommen oder sogar so, daß gar kein Ableitungsstrom erscheint. Es scheint mir mathematisch unmöglich, die Konstanz der Stromwellenzahl pro Zeiteinheit in Einklang zu bringen mit der Vorstellung, daß mehrere Kontraktionswellen auf einer Faser gleichzeitig im Ablauf begriffen sind. Daß dies bei der Willkür- kontraktion nicht vorkommt, dürfte die allgemeine Regel sein, die ohne nennenswerte oder merkliche Ausnahmen gültig ist und die für ein typisches Merkmal der abgeleiteten Strom- kurve bestimmend ist, nämlich für die Konstanz der Stromwellenzahl pro Zeiteinheit. VIII. Andere Muskeln. Nachdem die Grundlagen für die Analyse der Willkürkon- traktion an dem für die Untersuchung günstigsten Objekt, den Unterarmflexoren , mit Hilfe der Aktionsstromregistrierung ge- wonnen worden sind, ergibt sich die Aufgabe bei einer möglichst vollständigen Anzahl von anderen Muskeln dieselbe Untersuchung durchzuführen. In vielen Fällen wird es hier nicht möglich sein, mit derselben Sicherheit die Innervationsverhältnisse und den Ablauf der Kontraktions welle so klarzustellen, wie es bei den Unterarmflexoren durch den Versuch der elektrischen Einzel- reizung geschehen konnte. Wenn es aber gelingt, auch hier eine Konstanz der Stromwellenfrequenz pro Zeiteinheit festzustellen, so liegt es nach den Untersuchungen an den Unterarmflexoren nahe, zu schließen, daß auch bei den anderen Muskeln die Strom- wellenfrequenz die Zahl der über jede Faser ablaufenden Kon- traktionswellen erkennen läßt. Daß dies im allgemeinen zutrifft, soll nunmehr gezeigt werden^). 1. Untersuchung verschiedener menschlicher Muskeln. a) Die Extensoi'en des Unterarms. Eine Trichterelektrode wurde an der radialen Seite des Unterarms etwa drei Finger breit unterhalb der Ellenbeuge, die andere handbreit oberhalb des Handgelenks auf der radialen Unterarmfläche angesetzt. Die Extensoren wurden kontrahiert, so daß die Finger gestreckt und die Hand dorsal flektiert stand. Gegen diese Handhaltung wurde die Zugkraft von 5 kg Gewicht, die an den Fingern ihren An- griffspunkt hatten, zur Wirkung gebracht. Die abgeleiteten 1) Piper, Weitere Beiträge zur Kenntnis der willkürlichen Muskelkon- traktion. Zeitschr. f. Biologie Bd. 50, S. 504. ]^ 2 2 Andere Muskeln. Aktionsstromwellen wurden in konstanter und gleicher Frequenz wie bei den Unterarmflexoren registriert, nämlich etwa 50 pro Sekunde. Es ist also anzunehmen, daß auch hier 50 Kontrak- tionswellen pro Sekunde über jede am Tetanus beteiligte Muskel- faser hinlaufen. b) Bizeps. Die Elektroden wurden unmittelbar oberhalb der Ellenbeuge und an der unteren Insertionss teile des Musculus deltoideus angesetzt. Der Bizeps wurde in kräftigen Tetanus gebracht, indem bei rechtwinklig gebeugtem Ellenbogengelenk in der supinierten Hand ein Gewicht von 15 kg gehalten wurde. Die Zahl der abgeleiteten Aktionsstromwellen betrug konstant 45—48 pro Sekunde und dürfte wiederum identisch sein mit der Zahl der über den tetanisch kontrahierten Muskel hinlaufenden Kon traktions wellen . c) Abdiictor und oppoiiens pollicis brevis. Eine Elektrode wurde am Karpometakarpalgelenk, die andere am Metakarpo- phalangealgelenk des Daumens angesetzt, die Muskeln wurden kräftig innerviert dadurch, daß dem Bestreben, den Daumen zu abduzieren und ulnarwärts herumzuführen und so den anderen Fingern gegenüberzustellen, durch Gegendruck entgegengearbeitet wurde. Die Zahl der Aktionsstromwellen war 47—50 pro Sekunde, also ebenso groß, wie bei den Flexoren und Extensoren. d) Musculus deltoideus. Die Elektroden wurden über dem Akromion des Schulterblattes und über der Insertionsstelle des Muskels am Humerus angesetzt; eine kräftige Kontraktion wurde bewirkt, indem ein Gewicht von 10 kg in der Hand durch Ab- duktion des Armes bis zur Horizontale gehoben wurde. Die Aus- zählung der registrierten Stromkurven ergibt eine Wellenzahl von annähernd 60 pro Sekunde. e) Gastroknemius. Bei der Untersuchung dieses Muskels wurde eine Elektrode handbreit unterhalb der Kniekehle, die zweite auf der Haut über dem Übergang des Muskels in die Achillessehne angesetzt. Der Muskel wurde dadurch in kräftige Kontraktion gebracht, daß auf dem einen Fuß stehend Zehen- stellung angenommen wurde, so daß der Gastroknemius des be- lasteten Fußes das ganze Körpergewicht zu heben und zu tragen hatte. Die Frequenz der abgeleiteten Aktionsstromwellen stellt sich auf 42 — 44 pro Sekunde. Untersuchuno; verschiedener menschlicher Muskeln. 1J3 f) Tibialis {inticus. Die Elektroden wurden unterhalb der Patella und handbreit oberhalb der Fußbeuge am Außenrande der Tibia angesetzt. Der Tibialis anticus wurde durch kräftige Dorsalflexion des Fußes in tetanische Kontraktion gebracht, während der Fuß mit einem nahe den Zehen angreifenden Ge- wicht belastet war. Die Zahl der abgeleiteten Stromwellen be- trug 42 — 44 pro Sekunde. ft') Quadrieops tVmoris. Eine Elektrode wurde unmittelbar oberhalb der Patella, die andere etwa handbreit unterhalb der Spina anterior inferior auf der Haut über dem Quadrizeps an- gesetzt. Der Muskel wurde in tetanische Kontraktion versetzt, indem das Bein bei gestrecktem Knie ein am Fuß befestigtes Gewicht von 10 kg hob. Die Frequenz der registrierten Aktions- stromwellen und somit wahrscheinlich auch der Kontraktions wellen betrug etwa 40 pro Sekunde. h) Steriio-cleido-mastoideus. Zur Untersuchung der Ströme dieses langen, parallel faserigen Muskels wurde eine Elektrode etwas unterhalb des Processus mastoideus, die andere wenig ober- halb der sternalen und klavikularen Insertionsstelle angesetzt. Der Muskel wurde zur Kontraktion gebracht, indem der Kopf nach vorn und unten bewegt wurde. Gegen die Stirn wurde ein kräftiger Druck ausgeübt, durch den der Wirkung des Muskels entgegengearbeitet wurde, so daß der Muskel zur Beibehaltung der Kopfstellung zu intensiver tetanischer Kontraktion innerviert werden mußte. Auch hier erhält man eine konstante Strom- wellenzahl, nämlich etwa 40 — 43 pro Sekunde. i) Masseter. Besondere Schwierigkeiten bot der Musculus masseter. Man findet hier sehr schwankende Stromwellen- frequenzen pro Zeiteinheit. Ich glaube ^), daß die Ursache für dieses Verhalten in der Annahme zu suchen ist, daß die Nervenendstellen über die ganze Länge dieses sehr kurzen Muskels hin verteilt liegen, so daß die Kontraktionswellen der einzelnen Fasern von sehr verschiedenen Querschnitten ausgehen. Dann müssen die abgeleiteten Aktionsströme aller Einzelfasern mit unregelmäßigen Phasendifferenzen interferieren. Immerhin findet man dann und wann Kurvenstellen, an denen eine regelmäßigere Rhythmik zu 1) H. Piper, Über den willkürlichen Muskeltetanus. Pflügers Archiv Bd. 119, S. 332, Anmerkung. l'iper, Elektrophysiologie. 8 J ] 4 Andere Muskeln. beobachten ist, und gerade hier zeigt sich in der Regel eine Oszilla- tionsfrequenz von 60^) oder etwas mehr Schwingungen pro Sekunde. Ich möchte namentlich auch nach den letzten Untersuchungen über diesen Muskel von Hoffmann-) diese Zahl für diejenige halten, die mit größter Wahrscheinlichkeit die Frequenz der Innervationsimpulse und der über jede Faser ablaufenden Kon- traktionswellen angibt. Bei diesen Versuchen wie auch bei meinen früheren wurde die eine Elektrode am unteren Unterkieferrand unmittelbar vor dem Angulus mandibulae, die andere auf der Haut über der Jochbeininsertion des Masseter angesetzt. Durch kräftiges Zusammenbeißen der Kiefer kamen die Muskeln in in- tensive tetanische Kontraktion. In einer früheren Untersuchung habe ich gleichfalls etwa 64, in einer anderen^) aber eine nahe um 100 liegende Schwingungszahl pro Sekunde gefunden. Ich habe es aber als möglich bezeichnet, daß in diesem Falle die Stromwellenzahl nicht direkt der Zahl der über den Muskel laufen- den Kontraktionswellen entspricht. Es sind Interferenzen der den einzelnen Muskelbündeln zugehörigen Aktionsströme im Ab- leitungsstromkreis denkbar, bei denen jeder einer Einzelzuckung äquivalente Aktionsstrom eine komplizierte, aber annähernd sich immer wiederholende Ablaufform annimmt. Dann könnte eine konstante Stromwellenzahl pro Sekunde auszuzählen sein, die ein Vielfaches, etwa das Doppelte der Zahl wäre, welche die über jede Faser ablaufenden Kontraktionswellen angibt. Ich hatte da- bei die Möglichkeit im Auge, es könnten Verhältnisse vorliegen, wie man sie etwa vor sich hat, wenn man nur den mittleren Teil der Unterarmflexoren ableitet und dabei schon bei Einzel- zuckung eine Aktionsstromperiode von komplizierter mehr- phasischer Ablaufform erhält. Nimmt man für den Masseter also z. B. an, daß die Nervenendorgane der verschiedenen Faser- gruppen oder der beiden auch anatomisch getrennten Portionen des Muskels in zwei verschiedenen Querschnitten verdichtet bei- sammen liegen, die einen oben und die andern unten, so müssen bei salvenmäßiger Innervation die Kontraktionswellen in entgegen- gesetzter Richtung von diesen beiden Stellen aus ablaufen und ^) Piper, Neue Versuche usw. Zeitschr. f. Biologie Bd. 50, S. 412. -) Hoffmann, Über die Aktionsströme des Muse, masseter. Archiv f. Physiologie 1909. ^) Piper, Weitere Beiträge usw. Zeitschr. f. Biologie Bd. 50, S. 509. Verschiedene Versuchspersonen. 1 1 5 aneinander vor überlaufen. Dabei könnte auch bei Willkürkon- traktion eine konstante Stromwellenzahl pro Sekunde gefunden werden, deren Zustandekommen aber nicht auf dieselbe Zahl von Kontraktionswellen in jeder Faser begründet wäre, sondern auf die Hälfte zurückzuführen wäre. Ob dies tatsächlich der Fall ist, kann wohl nur durch Reizversuche an den Kiefermuskeln in ähnlicher Weise wie bei den Unterarmflexoren bewiesen wer- den; da diese nicht ohne weiteres ausführbar sind, so möchte ich vorläufig die Schwingungszahl des Masseter auf ungefähr 60 ansetzen. Denn wenn eine Anzahl einfacher Wellen miteinander interferieren, so können zwar leicht höhere Schwingungszahlen zustande kommen, als die der einfachen Komponenten; es ist aber nicht möglich, daß aus höher frequenten Komponenten durch Interferenz Stromwellenoszillationen niedrigerer Frequenz sich bilden (abgesehen von Schwebungen). Aus diesem Grunde ist die niedrigste überhaupt gefundene Oszillationszahl beim Masseter am wahrscheinhchsten die, welche die Schwingungsfrequenz in jeder einzelnen Muskelfaser angibt. Beim Musculus temporalis liegen die Verhältnisse ebenso. 2. Verschiedene Versuchspersonen. Kehren wir zur Besprechung der Willkürkontraktionen der Unterarmflexoren zurück, so ist es von Interesse, zu wissen, wie groß die Variationsbreite der Schwingungszahl sich bei Unter- suchung verschiedener Versuchspersonen stellt. Ich habe nach gleicher Methodik jetzt mehr als 30 männliche Versuchspersonen im Alter zwischen 25 bis 40 Jahren untersucht. Bei fast allen fand sich eine Schwingungsfrequenz des Aktionsstromes, die sehr annähernd mit der für meine eigenen Flexoren gefundenen Zahl übereinstimmt, aso ungefähr 50 pro Sekunde beträgt. Unter 47 blieben die Zahlen bei keiner Versuchsperson, bei einigen wurde aber eine höhere StromweUenzahl gefunden, bei einer 54 — 56, bei einer anderen 55 — 58 pro Sekunde. Vielleicht werden die so gefundenen Grenzen der Variationsbreite bei Untersuchung einer großen Zahl von Individuen sich nach oben und unten noch etwas weiter ausdehnen. 11(3 Andere Muskeln. 3. Tierversuche. Anschließend an meine ersten Versuche an den Unterarm - flexoren habe ich^) versucht, die Aktionsströme bei natürhcher Innervierung vom Gastroknemius des Kaninchens abzuleiten. Der Muskel wurde freigelegt und eine Elektrode nahe der Achilles- sehne, die andere nahe der Kniekehle angesetzt. Versuchte man das Bein zu beugen, so machte das Tier stemmende Abwelir- bewegungen. Dabei wurden die Aktionsströme des kontrahierten Muskels registriert und es fand sich eine Frequenz von etwa 50 pro Sekunde. Später hat Dittler-) ähnliche Versuche am Zwerchfell des Kaninchens und der Katze gemacht. Das Zwerchfell wurde frei- gelegt und die Elektroden wurden am vorderen Schenkel dieses Muskels angesetzt, während bei natürlich innervierter Atmung rhythmische Kontraktionen im Muskel abliefen. Es fand sich eine Oszillationsfrequenz von sehr annähernd derselben oder etwas höherer Größenordnung, die ich bei den menschlichen Muskeln und am Gastroknemius des Kaninchens festgestellt hatte. In den Versuchen an den menscliHchen Muskeln ist die Oszillations- rhythmik des Muskels direkt beobachtet. Die Rhythmik der Innervationsimpulse ist aber als gleich nicht direkt beobachtet, sondern erschlossen. Dittler^) ist es gelungen, den auf diesem Wege von mir erwiesenen 50 er Rhythmus der Innervation durch direkte Beobachtungen über die Innervationsimpulse zu bestätigen Er registrierte, wie beschrieben, einmal die Oszillationen der Muskelströme am Zwerchfell bei natürlicher Innervierung der Atmungskontraktionen . Dann aber leitete er vom durchschnittenen Nervus phrenicus unter Anlegung der einen Elektrode am Quer- schnitt, der andern an der Oberfläche die Nervenströme ab. Es zeigte sich, daß das Zentralnervensystem durch den Phrenikus, auch wenn er von seinem Erfolgsorgane, dem Zwerchfell abgetrennt ist, dauernd weiter Innervationsimpulse hindurchsendet. Es handelt sich also um eine intendierte Innervation ohne Erfolgsorgan. Die vom Phrenikus abgeleiteten Nervenströme waren oszillato- risch und hatten eine Schwingungsfrequenz von gleicher Zahl wie 1) Piper, Pflügers Archiv Bd. 119, S. 332, Anmerkung. 2) Dittler, Pflügers Archiv Bd. 136. 3) Ebenda Bd. 139. H _ Tierversuche. -[ ] der Muskelrhythmus im Zwerch- fell. Dies bestätigt vollkommen die von mir aus den reinen Muskel- versuchen abgeleitete Theorie, daß die Muskelrhythmik durch eine gleich frequente Rhythmik der Innervationsimpulse direkt bestimmt ist. In neuester Zeit hat Hoff- mann^) im Berliner physiologi- schen Institut oszillatorisclie Ak- tionsströme auch an den Augen- muskeln beobachtet. Bei Kanin- chen wurde ein Auge enukleiert, nachdem zuvor der Muse, rectus internus und externus freigelegt und das vordere Sehnenende an- geschlungen war. Wurde der Mus- kel an der Schlinge vorgezogen, so konnten Wollfadenelektroden i^^^^,^^^^^_ daran angesetzt werden und es ^^^^B^^^^^H ^M < zeigt sich zunächst die bemerkens- werte Tatsache, daß bei manchen Versuchstieren fortwährend, auch bei stundenlanger Dauer des Ver- suches frequente , Stromoszilla- tionen sehr kleiner Amplitude abgeleitet wurden. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß es sich um eine schwache tonische Er- regung der Muskeln handelt, die eine Besonderheit der Augen- muskeln sein würde und die bis- her in dieser Art bei anderen quer- gestreiften Muskeln nicht beob- achtet ist. Es scheint nicht, daß 1) Hoff mann, noch nicht publiziert. Erscheint iiu Arch. f. Physiol. 1912. ■5 " x> 11^ Andere Muskeln. das Hervorziehen und Spannen des Muskels und die Abkühlung durch die ganze Präparation als Ursache in Betracht kommt. Wenn nun durch Drehen des Tieres auf der Drehscheibe reflek- torischer, labyrinthärer Nystagmus hervorgerufen wurde, so machten die Muse, recti externus und internus die rhythmischen Nystag- muskontraktionen mit, als ob das Auge noch in situ wäre. Bei Abb. 36. Dasselbe wie Abb. 35. (Nach Hoff mann.) Projektion des Saitenbildes bei 700facher Vergrößerung. jedem solchen Nystagmusschlag der Muskeln wurden oszilHerende Aktionsströme größerer Amphtüde abgeleitet, deren Wellenzahl pro Sekunde sich als nahe bei 60 liegend auszählen ließ. Dem- nach wäre auch hier die Frequenz der Innervationsimpulse mit den Unterarmflexoren und den anderen untersuchten Muskeln von gleicher Größenordnung. 4. Theorie. In den Stromkurven aller soeben besprochenen Muskeln wurden die Hauptwellen ebenso und auf Grund derselben Über- legungen ausgezählt, wie bei den Beugern des Unterarmes. Die Auszählung der Hauptwellen ließ sich bis auf die angegebenen Einschränkungen überall zuverlässig ausführen, und es ergaben sich für jeden Muskel Schwingungsfrequenzen pro Zeiteinheit, die innerhalb der angegebenen Grenzen konstant gefunden wurden. Gestützt auf diese Tatsache darf man wohl mit Wahrscheinlich- keit schließen, daß ebenso wie bei den Flexoren die Zahl der gefundenen Stromwellen identisch ist mit der der Kontraktions- wellen, welche pro Sekunde über jede am Tetanus beteiligte Muskel- faser hinlaufen. In der Beweiskette fehlt freilich der elektrische Theorie. 119 Reizversuch, der den Nachweis zu liefern hätte, daß jede der- jenigen Stromwellen, die beim Willkürtetanus registriert sind, äquivalent ist dem doppelphasischen Aktionsstrom, der bei Einzel- reizung vom Nerven aus erhalten wird. Ohne diesen Versuch bleiben Interferenzen der Fibrillenströme denkbar, wenn auch nicht wahrscheinlich, die eine erheblich höhere Stromwellenzahl im abgeleiteten Strom ergeben könnten als die Zahl der über jede Faser laufenden Kontraktionswellen beträgt. Man kann sich jetzt die Frage vorlegen, welcher Faktor im ganzen untersuchten System des zentralen Inner- vationsapparates und des Muskels bestimmend für die Frequenz der Kontraktionswellen ist, und man wird sich zunächst davon überzeugen, daß sich keine dem Muskel selbst innewohnende Eigenschaft als maßgebend für die Schwingungs- zahl des abgeleiteten Aktionsstromes erweisen läß^ Daß die Muskellänge z. B. ohne Bedeutung ist, wurde schon früher nach- gewiesen. In den hier besprochenen Versuchen tritt dies von neuem mit Evidenz hervor. Die kurzen Daumenmuskeln und ebenso die Augenmuskeln haben dieselbe Schwingungszahl wie die langen Flexoren und Extensoren des Unterarms, nämHch 50 pro Sekunde. Man kommt auch auf Grund des hier bei- gebrachten Tatsachenmaterials immer wieder zu der Vorstellung, daß die Frequenz der muskulären Kontraktionswellen bestimmt wird durch die Zahl der pro Zeiteinheit zu jedem Muskel ge- langenden Inner vationsimpulse. Der Rhythmus nun, mit dem die Ganglienzellen die quergestreiften Muskeln in- nervieren, ist normalerweise ein fest dem Zentralnerven- system eingeprägter und hat eine Schwingungsfrequenz, die zwischen 40 und 60 pro Sekunde liegt. Diese Zahl bedeutet also für den motorischen Innervationsapparat aller Wahrscheinlichkeit nach eine wichtige Konstante. Möglich bleibt, daß zwischen den Zentren für die Inner- vation verschiedener Muskeln gewisse Unterschiede bestehen, die gerade in den verschiedenen Aktionsstromzahlen der einzelnen Muskeln hervortreten. Man kann so vielleicht gewisse anatomisch nahe zusammenliegende und funktionell eng verknüpfte Ganglien- zellengruppen zu einem motorischen Innervationszentrum zu- sammenfassen und durch die Zahl der pro Zeiteinheit von ihnen ausgehenden Nervenimpulse charakterisieren. Die enge funktionelle 120 Andere Muskeln. Verknüpfung der in solchem Zentrum zusammengefaßten Ganglien- zellen kommt darin zum Ausdruck, daß ihnen Muskelgruppen als Erfolgsorgane zugehören, die in der Regel zu koordinierter Tätigkeit gleichzeitig innerviert werden. Alle Muskeln, die einem solchen bestimmten Innervationszentrum zugeordnet sind, werden vollkommen gleiche Zahl von Innervationsimpulsen erhalten und infolgedessen gleich viele Kontraktionswellen pro Zeiteinheit beim Tetanus ablaufen lassen. Ein solches Innervationsgebiet würde z. B. die Flexoren und Extensoren des Unterarms und die Muskeln der Hand umfassen und durch eine normale In- nervationszahl von 47 — 50 pro Sekunde charakterisiert sein. Ein anderes Gebiet umfaßt den Bizeps und vielleicht den Coraco- brachialis und hat eine Schwingungszahl von 45 — 48 pro Sekunde. Das Deltoideuszentrum ist durch eine Zahl von 58 — 62 Nerven- impulsen pro Sekunde charakterisiert. Der Gastroknemius und Tibialis anticus haben ein Zentrum von geringerer Schwingungs- frequenz, nämlich von 42 — 44 Impulsen pro Sekunde, und noch kleiner ist die Innervationszahl für den Quadrizeps, nämlich etwa 40, Der Sterno-cleido-mastoideus hat nach den oben erwähnten Versuchen eine Schwingungsfrequenz von 40 — 43 pro Sekunde. Wenn also auch gewisse Unterschiede in der Innervations- zahl für die einzelnen Muskelgebiete und für die zugehörigen Nervenzentren bestehen mögen, so bleiben doch die Schwankungen innerhalb der eng gezogenen Grenzen zwischen etwa 40 — 60 pro Sekunde für alle Wülkürinnervationen der Warmblütermuskeln, und in dieser Zahl ist allem Anschein nach eine Konstante des Zentralnervensystems gegeben. IX. Verschiedene Versiichsbedinguiigen. 1. Veränderungen der Kontraktionskraft. Es wurde in den bisherigen Ausführungen über die Muskel- ströme bereits hervorgehoben, daß bei Abänderung der Kon- traktionskraft niclit die Zahl der pro Zeiteinheit ab- geleiteten Aktionsstromwellen variiert, sondern nur die Amplitude. Man kann aber gewisse Unterschiede konstatieren, je nachdem ob der Muskel in einem stetigen Verkürzungszustand fest verharrt oder ob die Verkürzung und die Kraftentfaltung im Muskel noch im Zunehmen begriffen ist. Die Unterschiede er- strecken sich nicht auf die Wellenzahl pro Zeiteinheit, wohl aber auf die Amplitude und die Form des Ablaufs der Einzelwellen. Während des Fortschreitens der Verkürzung beobachtet man näm- lich häufig Stromwellen von auffallend großer Amplitude, die gut voneinander abgrenzbar sind und relativ einfache Form des Ab- laufs zeigen. Dies Verhalten der Aktionsstromwellen läßt schließen, daß bei der Innervation eines Tetanus, dessen Kraft im Lauf der Kontraktion noch anwächst, die Kontraktionswellen aller Muskelfasern als sehr dicht zusammengehaltener Schwärm jeden gegebenen Muskelquerschnitt passieren, daß also auch die Salven der Innervationsimpulse mit großer Präzision im nervösen Äquator des Muskels eintreffen. Die Aktionsströme der Muskel- fasern interferieren dann im abgeleiteten Strom mit annähernd gleichen Phasen, und es kommen auf diese Weise Stromwellen von großer Amphtüde und einfacher Form des Ablaufs zustande. Dasselbe beobachtet man, wenn im Laufe einer stetig gewordenen tetanischen Kontraktion zu irgend einer Zeit durch eine neue Willensanstrengung der Muskel zu kräftigerer Kontraktion inner- viert wird. 122 Verschiedene Versuchsbedingungen. Wenn auch eine so präzise Innervierung durch die Salven der Impulse und eine so dichte Formierung der Kontraktions- wellenschwärme während einer ganz gleichmäßig stetigen Kraft- entwicklung nicht besteht, so behalten doch auch dann die Kontraktionswellenschwärme so viel Zusammenhalt, daß sie durch wellenfreie Intervalle fast immer voneinander abgegrenzt bleiben. Das ist aus dem Bestehenbleiben abgrenzbarer Hauptwellen im abgeleiteten Aktionsstrom mit Sicherheit zu erschließen. Ist der Tetanus im Abnehmen begriffen, so sind die Innervations- salven und die Kontraktionswellenschwärme noch mehr gelockert und dissoziiert, und an den Kurven der Aktionsstromwellen treten in Form zahlreicher kleiner, den Hauptwellen super- ponierter Zacken die Merkmale einer phasenverschiedenen Inter- ferenz der Fibrillenströme noch ausgesprochener hervor. Es kann zweifelhaft sein, wie Kontraktionen verschiedener Stärke in einem Muskel von statten gehen. Auf der einen Seite liegt die Möglichkeit vor, daß hierbei die Zahl der beteiligten Muskelfasern variiert, daß aber über die beteiligten Muskelfasern stets Kontraktionswellen von gleicher Länge und Intensität hinlaufen, daß also nur funktionelle Zustandsänderung einerlei Art und einerlei Grades möglich ist ; auf der anderen Seite ist denkbar, daß sich der funktionelle Prozeß auch in jeder einzelnen Faser mit variabler Intensität abspielen kann, wobei die Frage offen bleiben mag, ob die Kontraktionswellen bei größerer Kraft der Kontraktion einen längeren Bereich der Faser in Anspruch nehmen, ob also deren Länge wechselt oder ob je nach der Intensität des zufließenden Impulses der funktionelle Vorgang sich im Bereich einer konstant ausgedehnten Kontraktionswelle mit variabler Intensität abspielt. Mir scheint, man kann die Variabilität der Kontraktionsgröße jeder Einzelfaser nicht be- streiten, denn es ist leicht, durch Veränderung der auf den Nerven applizierten Reizintensität verschiedene Kontraktions- grade zu erzielen. Dabei ist aber kaum anzunehmen, daß die Zahl der gereizten Nervenfasern variiert, vielmehr dürfte nur die Intensität ihrer Reizung wechseln und es dürften in jedem Falle alle Muskelfasern innerviert werden, nur muß sich je nach der Stärke der Reizung der Kontraktions Vorgang in allen Fasern in variablem Maße abspielen, so daß Verkürzungs- und Sparuiungseffekte verschiedenen Grades resultieren. Hält Kürzeste Bewegung. 123 man durch diesen Versuch für erwiesen, daß die Intensität des Kontraktionsvorganges in jeder Einzelfaser variabel ist, so ist natürlich damit nicht ausgeschlossen, daß auch von dem anderen Mittel, die Kraft einer Kontraktion abzustufen, Gebrauch gemacht wird, nämlich dem, die Zahl der beanspruchten Fasern je nach Bedarf abzuändern. 2. Kürzeste Bewegungen. Wenn man von den Unterarmflexoren die Aktionsströme ableitet, während ganz kurze, scheinbar zuckende Flektionen Abb. 37. Aktionsströme der Uutercarmflexoreu bei kürzesten Willkürbewegungeu. Nicht Zuckung, sondern kurzer Tetanus. Oszillationsfrequenz der Strouiwellen: ca. 50 pro Sekunde. 7 bis 8 Stromwellen. Zeitschreibung 1/5 Sekunde. Projektion des Bildes der Galvanometersaite bei TOOfacher Vergrößerung. Abb. 38. Wie Fig. 37. Nur 3 Stromwellen, ebenfalls im 50-K,hythnius pro Sekunde. ausgeführt werden, so zeigt sich, daß es sich auch bei diesen schnellsten und kürzest dauernden Willkürkontrak- tionen stets um Tetani handelt (Abb. 37 u. 38). Man erhält niemals einen einfachen doppelphasischen Strom von ^/^^ Sekunde Dauer, wie bei den Einzelzuckungen, sondern stets mehrere auf- 124 Verschiedene Versuchsbedingungen. einanderfolgende derartige Strom wellen. Die geringste Zahl, die ich von meinen Flexoren habe darstellen können, waren 3 — 4 Haupt- wellen, so daß also in diesem Fall 3 — 4 Innervationsimpulse dem Muskel zugeschickt sein müssen und die gleiche Zahl von Kon- traktionswellen über ihn abgelaufen ist. Häufig ist die Zahl der abgeleiteten Stromwellen noch erheblich größer und beträgt, auch wenn man sich bemüht hat, eine sehr kurze Bewegung auszuführen, 6 — 9 Stromwellen. Ob es durch Übung gelingt, noch kürzere Tetani als solche von 3 — 4 Schwingungen durch Willkür- innervation zu erzielen, muß dahingestellt bleiben. Vielleicht sind Klavier- und Viohnspieler dazu imstande, die ja große Übung in der Ausführung äußerst schneller und sehr prompter Fingerbewegungen haben. Berechnet man aus der Wellenlänge der Stromwellen, die bei solchen kürzesten Bewegungen in der Zahl von 3 oder 4 registriert worden sind, die Oszillations- frequenz pro Sekunde, so erhält man wieder dieselbe Zahl, die auch für lang dauernde, mechanisch stetige Kontraktion gefunden wurde, nämlich 50 pro Sekunde. 3. Ermüdung. Wenn der Rhythmus der Innervation und der Muskelvor- gänge von der Kraft und der Dauer der Kontraktion sich unab- hängig erwiesen hat, so läßt sich doch zeigen^), daß die Fre- quenz der abgeleiteten Aktionstromwellen durch ge- wisse Bedingungen abgeändert werden kann. Ein Faktor der dies bewirkt, ist die Ermüdung des Nerv-Muskel- systems, wie jetzt gezeigt werden soll. Abb. 39 zeigt eine Kurve von Stromwellen, die bei kräftiger Kontraktion des nor- malen Muskels aufgenommen worden ist. Man erkennt ohne weiteres die „Hauptwellen" und zählt deren Frequenz auf 50 pro Sekunde aus. Viele zeigen superponierte Nebenzacken, die in Frequenz und Lageverhältnis zur Hauptwelle außerordentlich variabel sind und durch phasenverschiedene Interferenz der Fibrillenströme zustande gekommen zu denken sind. Man kann eine derartige kräftige Kontraktion der Unterarmflexoren unte Zusammendrücken eines Dynamometers eine beträchtliche Zeit- 1) Piper, Über die Ermüdung bei willkürlichen Muskelkontraktionen. Rubners Archiv für Physiologie, S. 491. 190Ü. Ermüdung. 12: ö w S £- Ä 3 - W 0 "O (3 W CS is ■Ö ii a a 3 ^ bo a t.« ./\y^ fti^B^BH ^^' ""'■*i ?, . . /' %:. . , . ' , ■•'■■■ ~r . . . . y l il -1 E_,^_, -i:_._^^-_^ -,._.=^^^Z,=KI;-S_^ >kXX>* F- - - --- l .J Abb. 59. Reizfrequenz 600 pro Sekunde. Die .\ktionsstrom- oszillationen sind von geringerer und inkonstanter Fre- quenz pro Zeiteinheit und wechseln regellos Amplitude, Wellenlänge und Ablaufform. (Nach Hoffmann.) 10* \ 4g Künstliche Tetani. Reizung gelingt es, den 50 er Rhythmus der natürUchen Muskel- tätigkeit nachzuahmen, und gerade deshalb muß man notwendig schließen, daß dem Muskel bei der natürlichen Kontraktion vom Zentralnervensystem in gleicher Weise wie bei künstlicher Reizung von entsprechender Frequenz 50 Innervationsimpulse pro Sekunde zugeschickt werden. Daß übrigens auch der Muskel auf diese Reizzahl vorwiegend abgestimmt ist, geht auch daraus hervor, daß 50 Reize pro Sekunde eine Kontraktion von maxi- maler Kraft hervorzurufen vermag und daß in dieser Beziehung die höheren Reizfrequenzen zurückstehen. Ferner vermag der menschliche Muskel bei der 50er Reizfrequenz am längsten und ohne schmerzhafte Sensationen in gleichmäßigem Kontraktions- zustand zu verharren, während bei anderen Arten der Reizung eine ziemlich schnelle Ermüdung Platz greift und zugleich ein sehr unangenehmes Schmerzgefühl im Muskel sich einstellt. Auch neuere im Berliner physiologischen Institut angestellte Versuche von Hoffmann^) fallen zugunsten der Auffassung ins Gewicht, daß der 50er Rhythmus der Innervation den nervösen Zentren imprägniert ist. Hoffmann leitete die Aktionsströme vom freigelegten Musculus sartorius beim Hunde ab und erzeugte tetanische Kontraktionen, indem er den motorischen Fokus dieses Muskels in der Großhirnrinde mit verschiedenen Frequenzen von Induktionsschlägen reizte. Es zeigte sich, daß bei niedrigen Reiz- frequenzen (15 — 25 pro Sekunde) das nervöse Zentrum die Neigung hat, den Reizrhythmus in einen Eigenrhythmus von etwa 50 Innervationsimpulsen zu transformieren, so daß diese Wellenzahl am muskulären Aktionsstrom auftritt. Die stetigste Kontraktion und eine sehr regelmäßige Folge von Aktionsstromwellen in der Frequenz der Reizung wurde bei Applizierung von 40 — 60 In- duktionsschlägen auf das Zentrum der Großhirnrinde erhalten. Bei höheren Reizfrequenzen wurden sehr unregelmäßige Strom- wellen vom Muskel abgeleitet, die der Reizzahl nicht parallel gehen und die ähnliche Störungen aufweisen, wie sie oben für die Ermüdung beschrieben wurden. Aus allen diesen Darlegungen geht zugleich hervor, daß die Annahmen von Wedensky^) bezüglich der natürlichen Inner- 1) Hoffmann, Über die Innervation des Muskels bei Großhirnreizung. Arch. f. Physiologie 1910. 2) Wedensky, Arch. f. Physiologie 1883. S, 316 und Arch. de Physiol. norm, et pathol. III, 1891. Verschiedene Reizfrequenzen. 149 vation nicht richtig sein können; dieser Forscher schloß ja aus seinen Telephonversuchen, daß das Zentralnervensystem dem Muskel sehr hochfrequente Erregungsoszillationen durch den motorischen Nerven zusendet, daß aber der Muskel diesen Nerven- rhythm'us in seinen eigenen, viel niedriger liegenden transformiert. Nun läßt sich aber mit Hilfe der Registrierung der Aktions- ströme leicht zeigen, daß die Reizung des motorischen Nerven mit hochfrequenten Stromstößen (400 bis über 1000) durchaus keine künstliche Nachahmung der natürlich innervierten Kon- traktion ergibt, vielmehr ist der Kontraktionszustand des Muskels unter diesen Reizbedingungen nach Ausweis der Aktionsströme ein ganz anderer als bei der natürlich innervierten Kontraktion. Der für letztere typische 50er Rhythmus fehlt und man erhält nur ziemlich frequente kleine Aktionsstromwellen von kleiner Amplitude, ziemlich variabler Wellenlänge und inkonstanter Zahl pro Zeiteinheit. Auch Garten^) glaubte seinen Stromkurven entnehmen zu können, daß man bei Reizung des Nerven mit hochfrequenten Stromstößen (etwa 1000 — 2000 pro Sekunde) die- selben Muskelrhythmen erhielte, wie bei natürlich innervierten Kontraktionen und er schließt daraus, daß die Beobachtung der Muskelrhythmen keine Schlüsse zulasse auf die Art und Weise, wie das Zentralnervensystem die Innervation besorgt. Die Richtig- keit dieser Angaben muß ich bestreiten^) und habe bereits längere Zeit vor Gartens Versuchen gefunden, daß man bei Reizung mit dem konstanten Strom ganz andere Muskelrhythmen registriert als bei Willkürkontraktion. Namentlich vermißt man, wie ge- sagt, den für die natürliche Kontraktion typischen 50er Rhythmus. Aus dem Gipfelabstand und aus der Wellenlänge eines doppelphasischen Aktionsstromes kann man, wie oben geschehen, die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Kontraktionswelle im Muskel mit einer gewissen Annäherung berechnen. In den mensch- lich Flexoren betrug die Wellenlänge ^/j^ Sekunde. Dies ist die Ablaufdauer der Kontraktions welle. Wenn man nun mit bis zu 50 Reizen pro Sekunde den Nerven reizt, so bleibt die Wellen- länge jedes doppelphasischen Stromes ^/^^ Sekunde und die Kon- traktionswelle läuft durch den Muskel m it derselben Geschwindigkeit, die sie bei Einzelreizung hat. Erhöht man aber die Reizfrequenz, 1) Garten, Zeitschr. f. Biologie Bd. ö2, S. 534. 2) Piper, Zeitschr. f. Biologie Bd. 50, S. 416 und Bd. 53, S. 148. ] 50 Künstliche Tetani. SO gehen die doppelphasischen Ströme, die man bei 50 oder weniger Reizen pro Sekunde beobachtet hat, kontinuierhch in Wellen über von geringerer Länge und geringerem Gipfelabstand. Dies scheint darauf hinzuweisen, daß unter dem Einfluß des fort- währenden Nachdringens neuer Kontraktionswellen die Ablauf - geschwindigkeit erhöht wird. Nur so ist es zu verstehen, daß noch bei 100 oder 150 oder noch höheren Zahlen von Reizen pro Sekunde immerfort doppelpHasische Stromwellen zur Ableitung kommen. Würde die Fortpflanzungsgeschwindigkeit sich nicht abändern bei hohen Reizfrequenzen, so müßte man annehmen, daß etwa bei 150 Reizen pro Sekunde immer gleichzeitig drei Kontraktionswellen auf der ganzen Faserlänge des Muskel im Ablauf begriffen sind. Wäre dies der Fall, so könnte aber un- möglich eine Folge von doppelphasischen Aktionsströmen, und zwar die gleiche Zahl, wie die der Reize, abgeleitet werden, denn die von den drei Wellen verursachten Stromschwankungen müßten im Ableitungsstrom miteinander interferieren und sich gegenseitig aufheben, so daß entweder gar nichts oder doch nur mehrphasische unregelmäßige Stromoszillationen zur Beobachtung kommen könnten. Dies aUes ist nicht der Fall, vielmehr behalten die abgeleiteten Stromwellen die Frequenz bei, mit der gereizt worden war, und es findet bei stetiger Zunahme der Reizfrequenz ein ganz kontinuierlicher Übergang von den sicher doppelphasischen Stromwellen, die man bei niedriger Reizfrequenz erhält, zu den- jenigen statt, die man in kontinuierlicher Folge aneinandergereiht bei höherer Reizfrequenz (etwa 150 pro Sekunde) beobachtet. Es scheint mir also aus diesen Versuchen als wahrscheinliche Folgerung zu entnehmen zu sein, daß die Kontraktionswellen bei zunehmender Reizfrequenz ihre Ablaufgeschwindigkeit be- schleunigen. So viel scheint mir sicher, daß eine Übereinstimmung der abgeleiteten Stromwellenzahl mit der Zahl der Reize nur dann möglich ist, wenn jede Stromwelle dem Ablauf einer Kontraktionswelle entspricht und wenn in jedem ge- gebenen Zeitteilchen nur eine Kontraktionswelle auf dem Muskel im Ablauf begriffen ist, und daß die folgende immer erst dann ihren Ablauf beginnen oder vielmehr in die Ableitungsstrecke eintreten kann, wenn die vorhergehende daraus verschwunden oder erloschen ist; wäre dies nicht der Fall, so Verschiedene Reizfrequenzen. 151 könnte unmöglich als elektrisches Äquivalent des Ablaufs der Kontraktionswelle eine Reihe von doppelphasischen Strömen im Ableitungsstrom zum Vorschein kommen, sondern es müßten die Ströme der einzelnen Wellen sich durch Interferenz ganz beträchtlich stören. Es bleibt übrigens möglich, wenn auch nicht gerade wahrscheinlich, daß die Kontraktionswellen bei frequenter Reizung (100 oder mehr pro Sekunde) entweder während ihres Ablaufes schnell an Intensität verlieren oder sogar unterwegs erlöschen, ohne das Ende der Muskelfasern zu erreichen. Dann mußte die zweite Phase jeder Stromwelle entweder sehr klein ausfallen oder vollständig fehlen. So könnte die Frequenz der Aktionsstrom- wellen gleich der Reizzahl bleiben, ohne daß eine erhöhte Fort- pflanzungsgeschwindigkeit anzunehmen wäre. Mir scheint dies alles nicht recht begründet; es müßte dann doch der Muskel in der Zone des nervösen Äquators stark kontrahiert sein, an seinen Enden aber nicht. Solche Kontraktions wulste sieht man aber bei frequenter Reizung nie. Störungen durch phasenverschiedene Interferenz der Fibrillen- ströme scheinen tatsächlich einzutreten, wenn man mit Fre- quenzen von mehr als 300 pro Sekunde reizt. Die dann auf- tretende unregelmäßige Folge kleiner Aktionsstromoszillationen scheint darauf hinzuweisen, daß die Kontraktionswellen der ein- zelnen Muskelfasern nicht mehr als Schwärm zusammengehalten durch den ganzen Muskel hinlaufen. Sie dürften vielmehr in jedem bestimmt gegebenen Zeitteilchen über die ganze Muskellänge mehr oder weniger verteilt sein, so daß die doppelphasischen Ströme, die jeder fibrillären Kontraktionswelle entsprechen würden, im Ableitungsstromkreis mit beträchtlichen Phasenunterschieden interferieren und sich zu den tatsächlich beobachteten Strömen zusammenfügen. Möglich ist auch, daß die frequenten kleinen Stromwellen, die man unter diesen Verhältnissen beobachtet, den Eigenrhythmus von Nerv- und Muskelsubstanz wiedergeben. Mir erscheint allerdings wahrscheinlicher, daß in diesem Falle Schlüsse auf die Schwingungsfrequenz in dem einzelnen Muskelelement nicht zulässig sind und daß die Deutung der abgeleiteten Stromkurven unter Anwendung des Interferenzprinzips die richtigere ist. 152 Künstliche Tetani. 2. Konstanter Strom. Man hat durch weitere Reizmethoden versucht, die natürlich innervierte Muskelkontraktion künstlich nachzuahmen und auf diese Weise Einblicke zu gewinnen in die Art, wie das Zentral- nervensystem die Muskelkontraktion veranlaßt. Man kann z. B. einen tetanischen Kontraktionszustand des Muskels durch Reizung mit dem konstanten Strom erzeugen, wenn man die Kathode als differente Elektrode auf den motorischen Nerven ansetzt und hin- länglich starke Ströme anwendet^). Für die Reizung der mensch- lichen Unterarmflexoren sind Stromspannungen von 20—40 Volt erforderlich. Wenn man dabei die Aktionsströme des Muskels ab- leitet, so sieht man, daß bei Beginn der Reizung, also im Augen- blick des Stromschlusses, zunächst eine doppelphasische Strom- schwankung auftritt, die etwa ^/g^ Sekunde Dauer hat und voll- ständig dem doppelphasischen Aktionsstrom einer Einzelzuckung äquivalent ist (Abb. 61). Es läuft also im Beginn dieser Muskel- reaktion ein typischer, dicht zusammengehaltener Schwärm von Kontraktionswellen durch den Muskel hin. Auf diese Anfangs- reaktion folgen sehr f requente Stromwellen von kleiner Amplitude , variabler Länge und inkonstanter Zahl pro Zeiteinheit. Dies ist ein Verhalten, das sehr annähernd mit dem übereinstimmt, welches bei Reizung des Nerven mit hochfrequenten Stromstößen beobachtet wurde. Dieser Kathodenschließungstetanus ist also ebensowenig wie derjenige, der bei Reizung mit hochfrequenten Strömen sich einstellt, eine Nachahmung der natürlichen Kon- traktion. Es fehlt der für letztere typische 50er Rhythmus, und wenn man die Stromwellen, die man unter beiderlei Bedingungen registriert hat, miteinander vergleicht, so wird man ohne weiteres konstatieren, daß beide nichts miteinander gemeinsam haben, als daß sie eben beide Oszillationen aufweisen ; im übrigen aber sind sie total verschieden in Wellenlänge, Wellenzahl und der ganzen Art der Rhythmik. Der Kathodenschließungstetanus hat demnach eine wesentlich andere Konstitution als der willkürlich innervierte. Die Unterschiede lassen sich woh in folgender Weise deuten : 1) H. Piper, Zur Kenntnis der tetanischen Muskelkontraktionen. Zeitschr. f. Biologie Bd. 52, S. 36. — Über die Rhythmik der Innervationsimpulse usw. Ebenda Bd. 53, S. 140. Konstanter Strom. 158 bei der willkürlichen Kontraktion und bei der Tetanisierung mit geringen Reizfrequenzen zeigen die Kurven alle Merkmale von an- nähernd phasengleicher Interferenz der fibrillären Aktionsströme. Der Ableitungsstrom zeigt eine konstante Zahl von Stromwellen pro Zeiteinheit, und da diese beim elektrisch erzeugten Tetanus mit der Zahl der auf den Nerven applizierten Reize übereinstimmt, so wird man bei der Willkürkontraktion ebenfalls annehmen, daß ■v\/ AA^^■^7v^^^W^A^ r t / MAAÄT^ Abb. ü(). Aktionsströme der Uuterarmflexoren bei Willkürkontralitiou. 50 ige Khytlimus. Zeitsclireibuug, Stimmgabel von 100 Schwingungen pro Sekunde. k,v-^^ .^ -^-^=--5=^ :^.=-^N^y:^^>~=:^ — ^-=--^-- ^.....^ ^....s^v^ : '- J< ^ji:>mHtrN\f't^tJ*' /vA^A'A'' :1 ' -^w^^v^'w»■Vv:v^'v■o^.^v^v■■.^v^■v^.>■.^^^/^Vw/^lr- Abb. 61. Aktionsströme der Unterarmreflexoren bei Reizung des Nervus ulnaris mit einem konstanten Strom von 40 Volt Spannung (Kathodenschließungstetanus). Zuerst als Anfangsreaktion auf den Strom- schluß ein typischer doppelphasischer Aktionsstrom; darauf folgend sehr frequente kleine Strom- weUen von inkonstanter Zahl pro Zeiteinheit, wechselnder Amplitude, Länge und Ablaufform. die Zahl der muskulären Stromwellen direkt bestimmt ist durch die Zahl der Innervationsimpulse, zumal da jede einzelne Strom- welle einer solchen äquivalent ist, die man auf einen einzelnen, dem Muskel zufließenden Innervationsimpuls erhält. Im Gegensatz hier- zu bieten die Kurven bei der Reizung mit dem konstanten Strom alle diejenigen Merkmale, die bei phasen-verschiedener Interferenz der fibrillären Ströme im Ableitungsstromkreis zu erwarten sind. Der Ableitungsstrom verläuft in zahlreichen Wellen von kleiner Amplitude und variabler Wellenlänge, Es dürften also in diesem 154 Künstliche Tetani. Falle die fibrillären Kontraktionswellen nicht wie bei der Will- kürkontraktion als zusammengehaltener Schwärm durch den Muskel hinlaufen und nicht im ganzen Muskel wohlabgegrenzte Kontraktionswellen bilden. Sie dürften vielmehr in jedem ge- gebenen Zeitteilchen regellos und ungeordnet über den ganzen Muskel verteilt sein. Möglich ist auch, daß bei solch abnormen Reizungen mehrere Kontraktionswellen an verschiedenen Punkten ein und derselben Faser gleichzeitig existieren, was bei der natür- lich innervierten Kontraktion allem Anschein nach nie vorkommt. Die Stromkurve, die man dann ableitet, erlaubt weder die Zahl der über jede Muskelfaser pro Zeiteinheit ablaufenden Kontraktions- wellen — und auf diese kommt es an, wenn von der Rhythmik der Muskelsubstanz die Rede ist — noch die Frequenz der jeder Faser pro Zeiteinheit zuströmenden Innervationsimpulse zu erkennen. Wenn nach dieser Auffassung vom nervösen Äquator keine geschlossenen Schwärme von Kontraktionswellen beim Kathoden- schließungstetanus ausgehen, so werden auch hier keine präzis formierten Salven von Inner vationsimpulsen eintreffen. Der kon- stante Strom dürfte also am Ort seines Eintritts in den Nerven Zustandsänderungen bewirken, die periodisch eine Grenze er- reichen, bei welcher ein Umschlag erfolgt, der dann den Ablauf einer Nervenerregung mit sich bringt. Diese Umschläge erfolgen aber nicht in allen Fasern des Nerven gleichzeitig, sondern in regellosen Zeitabständen. So gelangen dann die Innervations- impulse nicht in Form von geschlossenen Salven in den Nerven- endorganen des Muskels an, sondern ,,pelotonfeuermäßig". Die Folge ist, daß vom nervösen Äquator die fibrillären Kontraktions- wellen nicht als zusammengehaltener Schwärm durch den Muskel hinlaufen, sondern in jedem Zeitmoment über den ganzen Muskel mehr oder weniger ungleichmäßig und unregelmäßig verteilt sind. Ihre Aktionsströme interferieren dann im Ableitungsstrom- kreis mit verschiedenen, zum großen Teil entgegengesetzten Phasen und der resultierende Strom wird die Merkmale solcher Interferenz, d. h. zahlreiche Stromwellen von wechselnder Länge und kleiner Amplitude aufweisen, wie es tatsächlich der Fall ist. Auch mit Bezug auf den Kathodenschließungstetanus hat Garten^) ebenso wie für den durch hochfrequente Strom- 1) Garten, Zeitschr. f. Biologie Bd. 52, S. 534. Konstanter Strom. 155 stoße erzeugten angegeben, er sei von dem natürlich innervierten nicht zu unterscheiden. Der Muskelrhythmus erlaube also nicht, zu erkennen, ob das Zentralnervensystem nach Analogie des konstanten Stromes oder nach irgend einer anderen Art etwa des hochfrequenten Wechselstromes arbeitet. Demgegenüber ist aber zu betonen, daß es sehr leicht ist, sich mit Hilfe der Aktions- ströme von den durchgreifenden Unterschieden zwischen der Willkürkontraktion und diesen beiden Arten der künstlichen Tetanisierung zu überzeugen. Im ersten Falle erhält man den typischen 50er Rhythmus, den man im letzteren stets vermißt, dafür aber bei der Willkürkontraktion nicht in derselben Weise auftretende frequente kleine Stromwellen erhält. Die Reizung mit hochfrequenten Wechselströmen und die mit dem konstanten Strom führt zu der sicheren Erkenntnis, daß sie eine künstliche Nachahmung der Innervationsweise des Zentralnervensystems nicht sind, sondern sich ganz verschieden davon verhalten, und daß nach einem solchen Modus die natürliche Innervierung der Muskel- kontraktionen sicher nicht vor sich geht. Wendet man zur Nervenreizung schwächere konstante Ströme an, etwa von 10 Volt Spannung, so erhält man bei Kathoden- schließung nicht Tetanus, sondern eine Einzelzuckung; der dabei abgeleitete Aktionsstrom des Muskels verhält sich ganz ähnlich wie derjenige, der bei Reizung des Nerven mit einem einzelnen Induktionsschlag beobachtet wird. Es ist die bekannte doppel- phasische Stromschwankung und diese hat wieder eine Wellen- länge von etwa ^/^q Sekunde Zeitwert. Das beweist, daß durch den Stromschluß eine Kontraktionswelle im Muskel vom Nerven aus ausgelöst wird und daß diese mit normaler Geschwindigkeit durch den Muskel hinläuft. Ganz ähnlich wie die Zuckung bei Kathodenschließung verhalten sich diejenigen, die bei Anoden- schließung oder bei Öffnung mittelstarker oder starker Ströme sich einstellen. Durch die mit der Stromöffnung oder Schließung verbundene plötzliche Zustandsänderung des Nerven wird eine Innervationssalve vom Punkte der Reizung aus abgeschickt und veranlaßt, wenn sie am nervösen Äquator eingetroffen ist, den Ablauf einer Kontraktions welle. l^Q Künstliche Tetani. 3. Über die Wirkung von Zeitreizen. Im allgemeinen hat sich gezeigt, daß der Erregungsvorgang im Muskel, einmal in Gang gebracht, nach einer festen Norm abläuft. Man kann zwar die Intensität des Pro- zesses abändern, aber die Geschwindigkeit des Ablaufes ist konstant, abgesehen vielleicht von den oben besprochenen Verhältnissen bei mittelfrequenter Reizung (50 — 200 pro Sekunde), bei der eine Erhöhung der Ablaufgeschwindigkeit nicht unwahr- scheinlich ist. Nun fand aber v. Kries^), daß unter der Einwirkung der von ihm so genannten Zeitreize die Zuckung eines Muskels gedehnter ausfällt, als bei Momentreizung, und zugleich ergab sich, daß auch der Aktionsstrom bei Beobachtung am Kapillar-Elektro- meter eine größere Dauer aufwies. Wenn man einen konstanten Strom plötzlich schließt oder öffnet, so steigt und fällt die Stromintensität im Augenblick des SchUeßens oder öffnens äußerst schnell. Man hat es also ebenso wie bei Einwirkung eines Induk- tionsschlages in diesem Falle mit Momentanreizen zu tun. Durch gewisse Vorrichtungen kann man aber dafür sorgen, daß der Strom nicht mit solcher Steilheit sich ändert, sondern daß er langsam anschwillt und wieder langsam absinkt. Instrumente, die eine solche Veränderung eines konstanten Stromes vorzu- nehmen gestatten, haben v. Kries und Fleischel angegeben und als Rheonome bezeichnet, v. Kries glaubte in derartigen Reizformen von langsamem zeitlichen Gefälle die Eigenschaften der Impulse nachgeahmt zu haben, die das Zentralnerven- system zum Muskel schickt. Er nahm dies an, weil er der Anschauung war, daß der natürliche Tetanus nur eine Schwingungs- frequenz von etwa 10 pro Sekunde habe. Durch eine so lang- same Periode von Momentreizen ist ein glatter Tetanus aber über- haupt nicht zu erzielen. Die Zeitreize dagegen geben nicht nur gedehnte Zuckungen, wenn sie einzeln auf den Nerven zur Wirkung gebracht werden, sondern man kann auch mit einer beträchtlich geringeren Zahl einen glatten Tetanus zustande bringen als bei Anwendung von Momentreizen. Die Voraussetzung, daß der physiologische Tetanus eine Oszillationsfrequenz von 10 pro Sekunde hat, ist nach den bis- herigen Darlegungen nicht zutreffend. Setzt man, wie ja naeh- 1) V. Kries, Archiv für Physiologie 1884, S. 33 f. über die Wirkung von Zeitreizen. 157 gewiesen, die Zahl der Inner vationsimpulse für den Warmblüter- muskel auf etwa 50 pro Sekunde an, so leisten Momentreize ganz dasselbe wie Zeitreize, nämlich glatten Tetanus, und man hat nicht nötig, für die natürlichen Innervationsimpulse eine zeitlich gedehnte Ablauf form als typisch anzunehmen. Hoffmann^) hat es auf meinen Wunsch unternommen, die Wirkung der Zeitreize auf das Nervmuskelpräparat des Froschgastroknemius von neuem unter Anwendung der Saiten- galvanometrie zu prüfen. Es zeigte sich dabei, daß man bei sehr kurz dauernden Zeitreizen ganz gleiche Aktionsströme erhielt wie bei Momentreizen (Abb. 62). Wurden die Ableitungselektroden 60 ■!>■**■ Abb. 63. Abb. 62. Doppelphasischer Aktions.stron) vom Gastro- knemius des Frosches bei Reizung mit Momentanreiz. Wellenlänge etwa i/joo Sekunde. (Nach Hoffmann.) Abb. 63. Aktionsstrom vom Gastroknemius des Frosche.s bei Zeitreizung. Tetanische Kontraktion, fünf Strom- oszillationen. (Nach Hofimann.) am Muskel an den richtigen Stellen angebracht, so erhielt man in beiden Fällen einfache doppelphasische Ströme. Die mechanisch registrierte Zuckungskurve war, was ihre Dauer betrifft, in beiden Fällen gleichfalls übereinstimmend. Wurden aber Zeitreize von gedehnter Ablaufform auf den Nerven zur Einwirkung gebracht, so zeigte sich übereinstimmend mit den Angaben von v. Kries, daß der Muskel in einen länger dauernden Erregungszustand verfiel, und zwar war ohne weiteres zu bestätigen, daß bei mechanischer Registrierung des Bewegungs Vorganges dieser eine längere Dauer aufwies im Vergleich zu den Zuckungen bei der Momentanreizung. Die gleichzeitige Registrierung des Aktions- stromes lehrte aber, daß es sich bei solchen zeitlich ge- dehnten Bewegungen nicht um Zuckungen, sondern um ^) Ho ff mann. Über die Aktionsströme von Kontraktionen auf Zeitreiz. Rubners .\rchiv für Physiologie 1910, S. 247. 158 Künstliche Tetani. kurze Tetani handelte; es wurden Aktionsstrom wellen re- gistriert von 2 — 5 Schwingungen, deren jede ungefähr ViooS^^uii^ö Dauer hatte. Da nun dies auch ungefähr die Dauer eines vom Froschgastroknemius dargestellten doppelphasischen Aktions- stromes ist, so ist die Erregung bei Zeitreizung ungefähr auf das Fünffache verlängert und besteht in ebensovielen Zustands- oszillationen der Muskelsubstanz, v. Kries, dem das Saiten- galvanometer bei seinen Versuchen noch nicht zur Verfügung stand, konnte mit dem bedeutend träger reagierenden Kapillar- Elektrometer diese schnellen Stromoszillationen nicht beobachten. Hoff mann fand weiter in Übereinstimmung mit v. Kries, daß die ganze Ausdehnung des Aktionsstromes mit der Dauer des Stromanstiegs beim Zeitreiz zunimmt. Die einzelnen Strom- wellen haben eine erheblich geringere Amplitude als der doppel- phasische Strom bei Einzelreizung aufweist. Alles dies weist darauf hin, daß wir es mit einem ähnlichen Erregungsvorgang im Muskel zu tun haben, wie beim Kathodenschließungstetanus, nur daß in letzterem Falle die Erregung noch über eine viel längere Zeit ausgedehnt wird. So viel ist jedenfalls klar, daß man durch die Zeitreizung nicht denjenigen Erregungszustand erzeugen kann, der bei der natürlich innervierten Kontraktion sich einstellt. Die Zeitreize sind also nicht eine künst- liche Nachahmung der Reizform, die für die Impulse des Zentralnervensystems charakteristisch ist. 4. Strychnintetanus. Auch der Strychnintetanus ist in enge Beziehung zu der Kontraktion gebracht worden, die unter normalen Verhältnissen das Zentralnervensystem bewirkt. Es handelt sich hier ja tat- sächlich um Reflextetani. Schon ohne die modernen Hilfsmittel der Aktionsstromregistrierung haben Friedrich und Hering^) und ebenso Martins^) betont, daß der Strychnintetanus der normal innervierten Kontraktion nicht gleichzustellen sei; sie beobachteten ein eigentümliches und regelloses Durcheinander- arbeiten der einzelnen Muskelfasern und kamen zu dem Ergebnis, 1) Friedrich und Hering, Sitzungsber. d. Akad. d. Wissensch. zu Wien Bd. 72, Abt. III, S. 413. 1875. 2) Martius, Arch. f. Physiologie 1883, S. 542. Strychnintetanus. 159 daß es sich mehr um eine Art klonischen Krampfes, als um eine stetige natürliche Kontraktion handele. Loven^) registrierte mit Hilfe des Kapillar-Elektrometers zuerst die Aktionsströme vom Gastroknemius oder Triceps femoris des Frosches während des Strychninreflexkrampfes. Er fand, daß 7 — 10 Stromwellen pro Sekunde zur Ableitung kamen und glaubte darin eine Be- stätigung für die von ihm zuerst entwickelte Anschauung zu finden, daß dies die Frequenz der natürlichen Innervationsimpulse sei. Auch v. Kries'^) übernahm dieses Argument zugunsten Aiiii. 04. AktloDSströme vom Muse, triceps femoris des Frosclies bei Reflexkontralition, erzeugt durch Eeizun^ des Nervus ischiadicus der gleichen Seite mit 70 Induktionsschlägen pro Sekunde. Der Muskel erhält vom Rückenmark Impulse von teils gleicher, teils geringerer Frequenz als die der elektrischen Reize. Zeitschreibung durch 1/5 Sekunden-Uhr. (Nach Hoffmann.) seiner Auffassung, daß die natürliche Kontraktion durch eine so geringe Frequenz zeitlich gedehnter Innervationsimpulse bewirkt werde. Burdon-Sanderson^) und Buchanan*) haben von neuem mit Hilfe eines hochempfindlichen Kapillar-Elektrometers die Muskelströme während des Strychninkrampfes registriert und fanden zunächst dievonLoven und v. Kries beobachteten groben Stromschwankungen in der Frequenz von 7 — 10 pro Sekunde ') Loven, Mediz. Zentralbl. 1881, Nr. 7. 2) V. Kries, Arch. f. Physiologie 1884, S. 337, und 1886, Suppl. S. 1. 3) Burdon-Sanderson in Schäfers Textbook of Physiology 11, Journ. of Physiology Bd. 18, S. 117, 1895, und Bd. 23, S. 325, 1898. *) Buchanan, Journ. of Physiology Bd. 27, 1901. ]t)() Künstliche Tetani. •-2 "o 3 Ö „ wieder. Es konnte aber festgestellt werden, daß jeder einzelne dieser Ströme aus einer Folge sehr schnell oszillierender kleinerer Stromwellen besteht, und zwar haben diese eine Frequenz von etwa 100 pro Sekunde. Es läßt sich nun in der Tat unschwer nach- weisen, daß der Kon- traktionszustand des Muskels beim Strych- ninkrampf von ganz anderer Art ist als bei natürlicher Innervie- rung von Seiten des iinvergif teten Zen- "^ll tralnervensystems. 1 1 'S In letzterem Falle be- ^ I o _^- obachtet man eine Folge 3 I s g kontinuierlich ineinander ' 1"^ = übergehender Stromwel- s 'S § len und der für die •=3 5 s "^ I Strychninvergiftung ty- I "^^ I pische grobe Rhythmus t| . von etwa 10 pro Sekunde "fll fehlt vollständig. Man kann also den Strych- ninkrampf nicht da- zu nutzbar machen, um in der Erkennt- nis der natürlichen Innervation von Muskelkontraktionen voranzukommen. Er zeigt so erhebliche und fundamentale Abweichung gen, daß man seine pathologische Natur durch einen Vergleich seiner Aktionsströme mit dem normalen ohne weiteres erkennen kann. = O -y, ^ g 3 =2 o I Stiyclinintc'tanus. [ßl Eine Gegenüberstellung der Aktionsströme, die ein vom un- vergifteten Zentralnervensystem bewirkter Reflextetanus gibt und derjenigen, die man beim Strychninkrampf erhält, hat auf meine Veranlassung vor kurzem Hoff mann') gegeben. Reflextetani im Muse, triceps femoris des Frosches wurden erhalten, wenn entweder der Querschnitt des Halsrückenmarkes oder des Nervus ischiadicus der gleichen oder entgegengesetzten Seite gereizt wurde. Bei sehr frequenten Reizungen (etwa 100 pro Sekunde) wurden anfangs ebensoviele Aktionsstromwellea vom Muskel erhalten. Bei fort- gesetzter Reizung aber fiel er in einen Rhythmus von 20 — 80 pro Sekunde. Bei sehr niedriger Reizfrequenz (10 pro Sekunde) wurden oft 50 Aktionsstromwellen abgeleitet. Das Zentralnerven- system ist also imstande, den Reizrhythmus in einen anderen Innervationsrhythmus zu transformieren. Die bei diesem Reflex- tetanus beobachteten Aktionsstromwellen sind zwar untereinander nach Amplitude und Ablaufform verschieden, reihen sich aber in ununterbrochener Folge aneinander an. Demgegenüber ist für den Strychninkrampf charakteristisch, daß eine ganze Reihe kurzer Tetani aufeinanderfolgt, die durch vollkommene Ruhe des Muskels voneinander abgegrenzt sind, die Pausen werden um so größer, je länger der Krampf bestanden hat. In den Aktionsströmen prägt sich alles dies darin aus, daß durch Pausen getrennte Perioden von Stromwellen aufeinander folgen. Solcher Perioden werden 5 — 10 in der Sekunde beobachtet; die in jeder Periode enthaltenen Stromwellen wurden in Übereinstimmung mit Burdon - Sandersoa und Buchanan zu etwa 100 pro Sekunde ausgezählt. Daß beide Rhythmen zentral bedingt sind, geht daraus hervor, daß man sie in gleichen Frequenzen vom Nervus ischiadicus, wie vom Muskel registrieren kann. 1) Hoff mann. Rubners Aicli. f. Physiologie 1911, Heft 5 und (i. Piper. Kloktrophysiologie. XI. Schluß. In allen hier besprochenen Versuchen konnte gezeigt werden, daß die natürliche Kontraktion der Muskeln vom Zentralnervensystem in der Weise besorgt wird, daß es beim Säuger und beim Menschen etwa 50 Impulse pro Sekunde zum Muskel schickt und daß dann durch jeden einzelnen dieser Impulse der Ablauf einer Kontraktions- welle veranlaßt wird. Den für die natürliche Innervation typischen 50er Rhythmus kann man nur dadurch nach- ahmen, daß man 50 Reize pro Sekunde auf den moto- rischen Nerven einwirken läßt und durch keine andere Art der Reizung. Diese Frequenz der . natürlichen In- nervationsimpulse liegt mitten in denjenigen, bei wel- chen der Muskel imstande ist, der Reizzahl mit gleich- vielen Erregungsoszillationen zu folgen. Außerdem kann man zeigen, daß jede der Aktions- stromwellen, die in der Frequenz von 50 pro Sekunde bei der natürlichen Kontraktion abgeleitet werden, äquivalent ist der doppelphasischen Stromwelle, die bei Einzelreizung des Nerven registriert wird und die dem Ablauf einer einzigen Kontraktionswelle zu- geordnet ist. Diese letztere Tatsache bildet zugleich die Grund- lage für die Analyse der Kurven von Strom wellen, die bei der natürlich innervierten Kontraktion registriert wurden. Die Stromwellen des 50er Rhythmus müssen inbezug auf Wellenlänge und Amplitude mit den doppelphasischen Aktionsströmen bei Einzelzuckung in Parallele gebracht werden, und es ist dies auch durchaus möglich. Damit ist der leitende Gesichtspunkt ge- wonnen, der der Analyse der Stromkurven zugrunde zu legen ist. Es ist nämlich durchaus notwendig, hier ständig im Auge zu behalten, daß der Ableitungsstrom durch Interferenz der den einzelnen Muskelfasern zugeordneten doppelphasischen Aktions- ströme zustande kommt und daß man die Erscheinungen solcher Interferenz an alle Stromkurven in mannigfaltiger Weise fest- Schi I iL!. ]{]:] stellen kann. Man findet dann, daß die 50 Hauptwellen durch annähernd phasengleiche und daß die superponierten kleinen Zacken durch phasenverschiedene Interferenz der Fibrillenströme zustande kommen. Das ist. eine Tatsache, die zwar schon aus der einfachen Betrachtung der Stromkurven direkt ersichtlich ist, die aber erst vollkommen klar wird durch den Vergleich der bei Willkürkontraktion erhaltenen Stromwellen mit denen, welche bei Einzelreizung des Nerven abgeleitet und als doppelphasische Aktionsströme registriert werden. Der Umfang, in dem das Inter- ferenzprinzip bei der Kurvenanalyse zu verwerten ist, bestimmt sich dann durch die Abmessungen (Amplitude und Länge) der bei Einzelzuckung registrierten Stromwellen. Ohne diese Überlegungen fehlt der leitende Gesichtspunkt, der die Auszählung der Haupt- welle als notwendig motiviert. Erst die durchgreifende und nach diesen Gesichtspunkten auch wieder beschränkte Anwen- dung des Interferenzprinzips für die Analyse der Kurve führt zu einer richtigen Bewertung der Haupt- und Nebenwellen, und zwar zur Bestimmung derjenigen Schwingungsfrequenz, die auf eine gleiche Zahl von funktionellen Oszillationen in jedem ein- zelnen Muskelelement schließen läßt. Weder die Reizung mit hochfrequenten Stromstößen, noch der Kathodenschließungstetanus, noch die Rei- zung mit Zeitreizen, noch auch der Strychnintetanus sind eine künstliche Nachahmung der normal innervier- ten Kontraktion. In allen diesen Fällen fehlt der für die natürliche Kontraktion typische 50er Rhythmus, und demnach wissen wir, daß nach einem solchen Modus die natürliche Kontraktion sicher nicht bewirkt wird. Den 50er Rhythmus erhält man nur durch gleich- frequente Nervenreizung, und der Schluß ergibt sich von selbst, daß das Zentralnervensystem Innervations- salven von 50 Impulsen pro Sekunde zum Muskel schicken muß und somit die Zustandsänderungen im peripheren Erfolgsorgan dem Muskel direkt durch die Rhythmik seiner Ehi- wirkungen bestimmt. Der 50er Rhythmus und die salven- mäßige Ordnung der Innervationsimpulse sind hier- durch als eigenartige Charakteristika für die Funktions- weise der nervösen motorischen Zentren und des In- ner vationsappar ates erwiesen. Druck von Oscar BrandstoUer in Lcipzi;