FESTSCHRIFT

ZUM

FÜNFZiejÄHEIÖEN DOCTORJUBILÄUM

LUDWIG FRIEDLAENDER

DARGEBRACHT

VON SEINEN SCHÜLERN

LEIPZIG

VERLAG VON S. HIRZEL 1895.

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InhaltsYerzeiclinis.

Seite H. Baumgart, Zur Lehre des Aristoteles vom Wesen der Kunst und der

Dichtung 1

0. Carnuth, Über das Verhältnis des etymologicum gudianum zu dem soge- nannten etymologlcum magnum genuinum 67

0. Eichhorst, Die Lehre des Apollonius Dyscolus vom Pronomen possessivum 105

M. Hecht, Zur homerischen Beredsamkeit 113

0. Hirschfeld, Zur Camillus - Legende 125

M. Jacobson, Erinnerungen an Alt- Königsberg 139

R. Jonas, Über den Gebrauch der verba frequentativa und intensiva in Ciceros

Briefen 149

A. Joost, Beobachtungen über den Partikelgebrauch Lucians ...••• 163

E. Kammer, Zur Erinnerung an K. Lehrs 183

E. Kleb s, Das lateinische Geschichtswerk über den jüdischen Krieg . . . 210

E. Lagenpusch, Der Traum 242

E. Loch, Zu den griechischen Grabschriften 275

A. Lud wich. Die Homerdeuterin Demo 296

R. Maschke, Profan- und Sakralrecht 322

F. Olck, Der Akanthus der Griechen und Römer 337

J. Plow, Über die Divination in der Geschichtsschreibung der röm. Kaiserzeit 360

W. Prellwitz, Eine griechische und eine lateinische Etymologie 382

K. Ed. Schmidt, Nachträge zum Parallel-Homer 399

P. Stengel, Chthonischer und Totenkult 414

J. Tolkiehn, De primo artis amatoriae Ovidianae libro 433

E. Wagner, Über Piatos Euthyphron, zur Frage seiner Echtheit und zu seiner

Erklärung 438

M. Wiesenthal, Quaestio Thucydidea 456

E. Zimmermann, Bezogener Gebrauch scheinbar selbständig gebrauchter

Präterita im Lateinischen 467

G. Zippel, Das Taurobolium 498

G. Busolt, Beiträge zur attischen Geschichte 521

C. F. W. Müller, Zu Caesars bellum civile 543

Zur Lehre des Aristoteles vom Wesen der Kunst und der Dichtung.

(Aristoteles: „lieber die Dichtkunst". Kapitel 1 11). Von

Hermann Banmgart (Königsberg i. Pr.).

Ein langes und oft wiederholtes Studium des aristotelischen Buches „Von der Dichtkunst" kann leicht zu der Ueberzeugung fuhren, dass das Verständnis dieses tiefsinnigen Urevangeliums aller ästhetischen Theorie mehr noch als durch die Unbilden der Ueberlieferung durch den Eifer der Interpreten und Konjekturisten verdunkelt sein möchte.

In dem Urteile, dass uns in der Schrift keine stilistisch durchge- führte und geglättete Arbeit oder auch nur Teile einer solchen vorliegen, werden alle zusammen stimmen; darüber aber werden die Meinungen auseinandergehen, ob ihre lapidaren Sätze für Zusammenziehungen und Verderbungen aus einem systematisch entwickelten Texte zu halten seien oder für das Material zur Herstellung eines solchen, mit andern Worten, ob das Fragment tieq! rexvrjg noLrjTiyirjg den Charakter eines Auszugs oder eines Entwurfes trägt.

Nicht aber eine Disquisitio über diese grundsätzliche Frage soll hier angestellt werden, sondern eine einfache Untersuchung, ob der Text in der Gestalt seiner ältesten Ueberlieferung, des Codex Parisiensis A c, wenn man Aenderungsversuche nur in den allerdringendsten Fällen zulässt, dem Verständnis einen Sinn und Zusammenhang eröffnet, die für sich selbst sprechend die Sache ihres Autors führen: eine Prüfung des Textes also auf die Voraussetzung hin, dass er in der That die Aufzeichnungen eines im höchsten Grade klar und scharf denkenden, seinen Gegenstand nach allen Seiten völlig beherrschenden Kopfes enthielte, allerdings zunächst nur für seinen eigenen Gebrauch, grade darum jedoch nicht minder streng geordnet, nur im Ausdruck durchweg summarisch, oft nur andeutend gefasst.

2 Hebmann Baühgabt

Das Verhältnis eines solchen Sinnes und Zusammenhanges müsste vor allem durch eine dem Wortlaute sich auf das Genaueste anschlies- sende Uebersetzung, die dennoch schon für sich selbst sich erläuterte, und sodann freilich durch eine eingehende Begründung aus dem Umfange der aristotelischen Kunstanschauung nachgewiesen werden.

Ein solches Verfahren kann von jeder Polemik, ja von dem Eingehen auf die vorhandene Litteratur überhaupt absehen, sofern nicht ein solches darin zu finden wäre, dass aufgestellte Konjekturen abgelehnt, oder, wie in einigen Fällen natürlich unvermeidlich, angenommen werden, was dem Kundigen ohne weiteres sich darthut.

Im Folgenden sollen den einzelnen Abschnitten des Textes die An- merkungen, durch kleineren Druck unterschieden, unmittelbar sich an- schliessen.

Kapitel L

„Ueber die Dichtkunst selbst') und über ihre Gattungen, was für eine Wirkungskraft-) jede einzelne besitzt, und wie die Fabeln^) aufge- baut werden müssen, wenn die Dichtung recht gedeihen soll, femer aus wie vielen und aus was für Teilen jede einzelne Gattung*) besteht, in gleicher Weise'^) auch über alles übrige, was auf dem Wege dieser Unter- suchung'') sich darbietet, will ich sprechen, indem ich naturgemäss damit beginne, zuerst die Grundbegriffe') zu behandeln."

1) avtrjg. Das Wesen der Dichtung, als Kunst, soll erörtert werden, sodann wie es in den einzelnen Gattungen {sI'ötj), immer sich gleich bleibend, sich differenziert.

2) Svvaßiv. Diese Differenzierung tritt am stärksten charakteristisch in der Verschiedenheit der Wirkung der einzelnen Dichtungsgattungen hervor, üeber- setzt man övvafxig mit „Wesen", so geht dieser höchst wesentliche, für den Zusammenhang entscheidende Gedanke verloren; es ist daher genau anschliessend zu setzen: „Wirkungskraft". Gleich in der ersten Zeile ist damit das oberste und leitende Prinzip der aristotelischen Kunstbetrachtung ausgesprochen : das Wesen der Dichtung erhält sich unveränderlich in allen ihren Gattungen ; die Verschieden- heit der in jeder einzelnen zur Verwendung gelangenden Mittel stellt jedesmal die Aufgabe, die in diesen Mitteln liegende Möglichkeit der Wirkungskraft zu vollem Ausdruck gelangen zu lassen. Die einer jeden Gattung eigentümliche Wirkungsfähigkeit muss also untersucht, dargestellt und aus ihr müssen dann die Gesetze für sie abgeleitet werden. Das geschieht, indem aus solcher Untersuchung das Ziel (zeXog) sich ergiebt, worauf eine jede Gattung sich zu richten hat, und durch die Richtung auf dieses Ziel die Art der Verwendung der Mittel in allem WesentKchen und bis ins kleinste bestimmt wird.

3) ßvS^ovg. Unter den Mitteln der Dichtkunst betrachtet Aristoteles als das vornehmste die Darstellung von Handlungen, wie sich daraus ergiebt, dass er dieses Satzglied als Erläuterung dem Vorangehenden hinzufügt. Er fasst die Poesie, dem Etymon der Bezeichnung folgend, in erster Linie als die ars fingendi auf; sie stellt sich ihm also zunächst in allen den Gattungen dar, denen Fabeln (ßv^oi) zu Grunde liegen, in den verschiedenen Arten des Dramas und des Epos und den ihnen verwandten. Die Lyrik würde demnach immer noch so weit in Betracht

Zur Lehre des Aristoteles vom Wesen der Kunst und der Dichtung. 3

kommen, als sie zum Wesen der Dichtkunst, zur noirjzixrj avxr] gehört, aber nicht als besondere Gattung im speziellen Teile der Abhandlung.

4) jede einzelne Gattung. Der Satz ist als die Fortsetzung des zweiten Satzes zu betrachten, während die dazwischenliegenden beiden Sätzchen parenthetisch eine Erläuterung zu diesem geben. Das Subjekt bleibt also sxaatov eUoq. Das unmittelbar vorangehende noiTjaig kann dem Sinne nach unmöglich das Subjekt des darauf folgenden Satzes sein; denn die Poesie als solche besteht nicht aus einzelnen Teilen, sondern diese kommen in ihren einzelnen Gattungen zur Er- scheinung. Es erhellt auch hier, dass wie zuvor an Epos und Drama gedacht wird, von deren einzelnen „Teilen" die „Poetik" ja ausführlich handelt.

5) 6(jiol(j)Q. Das Wort ist nicht lediglich als verbindende Partikel , sondern im strengen Sinne genau zu fassen: die vielfachen, im Laufe der Untersuchung sich ergebenden Fragen sollen nach der im Beginn angegebenen Disposition ihrem Wesen nach theoretisch und dann im Einzelnen technisch erörtert werden, wie es auch geschieht.

6) fxe&oöov. Da das Wort disciplina und via ac ratio zugleich bedeutet, so kann es deutsch nur durch die Zusammensetzung „Weg der Untersuchung" wieder- gegeben werden.

7) aQ^dfievoL xazä (pvotv tiqüjzov dno zcöv tiqwtcdv. Dieser Ausdruck ist bei A. formelhaft; ra xaxcx. (pvoiv n^cöza sind bei ihm die allgemeinen, einer Unter- suchung zu Grunde zu legenden Begriffe (vgl. 160« 22; 655'' 28 und namentlich 646« 3).

Der ganze Abschnitt enthält weder eine Ungenauigkeit noch eine Nachlässig- keit in der Anordnung, sofern zuerst die ßv&oi erwähnt sind, sodann die fjLOQia, da doch die „Fabel" zu den „Teilen" gehöre; vielmehr ist die strengste Folge- richtigkeit in dieser Disposition vorhanden, die auch thatsächlich in der „Poetik" durchgeführt wird. Die Wirkungskraft bestimmt den Charakter der poetischen Gattung, wie umgedreht jene durch diesen indiciert ist ; diese beiden Begriffe stehen im engsten Wechselverhältnis. Daraus gehen notwendig die Regeln also die eigentliche zeyvi] für die avazaaiq TCQayfiüzmv, die Einrichtung der Fabel hervor; die beiden Sätze von der övvafxig und dem ßv&og bilden also zusammen ein Ganzes, das zu dem Begriff der „Gattung" in der Poesie sogleich jene wesentlichsten Hauptmerkmale hinzufügt, auf die A. überall den höchsten Wert legt. Daran schliesst sich dann das andere, untergeordnetere, die Sonderung und Charakterisierung der einzelnen „Teile" in den poetischen Hauptgattungen und die Behandlung der übrigen sich ergebenden Fragen.

„Das Epos nun und die Tragödiendichtung, ferner die Komödie und die Dithyrambenpoesie und der grösste Teil der Auletik und Kitharistik*), sie alle stimmen darin überein, dass sie überhaupt Nachahmungen sind. Doch unterscheiden sie sich voneinander in dreierlei Dingen: dass sie entweder durch Mittel verschiedener Gattung nachahmen oder verschiedene Gegenstände oder verschiedenartig, nicht auf die gleiche Weise." ^)

8) ZTJg avXrizix^g tJ nXelazrj xal xi^cc^iozixrjg. Bei der Auletik denkt A. in erster Linie an eine Verbindung von Flötenspiel und Textgesang. Das geht mit Sicherheit aus einer Stelle der Eth. Nik. (vgl. 10,5: 1175»>i) hervor: £tl 6s ßäXkov zovz' av (pavELij ix zov zag d(p hzeQwv rjdovccg ifiTioölovg zalg ivsQysiaig ilvai. OL yccQ (plkavkoi dövvcczovai zolg loyoig itQogsxeLV, idv xazaxovawaiv avXovv- zog, (jLÜXlov /alQOVzeg avlrizixy zrjg naQOvarjg ivsQyeiag' rj xcczd zrjv avXrjzixrjv ovv 7JÖOV7] zijv tceqI zov ).6yov ive^yeiav (pd^sigei. Es ist anzunehmen, dass ebenso

1*

4 Hebmann Baümgabt

die KithariBtik als eine solche Vereinigung von Instrumentalmusik mit dem ge- sungenen Worte vorschwebt. Insofern nun beide Künste an und für sich genommen bestrebt sein müssen, den Mitteln, wodurch sie wirken, dieselbe Wirkungskraft zu verleihen, die dem poetischen Text, dem sie die erhöhende Begleitung hinzufügen, innewohnt, sind sie auch als blosse, reine Musik {fiovaixrj ipth]) mimetisch, d.h. wie sich weiterhin zeigen wird , zielen sie mit ihren Mitteln und auf ihre Weise darauf ab, dieselben Empfindungen, Seelenstimmungen, Gemütsdispositionen un- mittelbar anregend in Bewegung zu setzen, deren Erregung der poetische Text bezweckt und deren gesamte Reihe eben das gemeinsame Objekt der „Nach- ahmung" für alle Kunst bildet. Da man nun aber die blosse Musik der Flöte und der Kithara sich nichtsdestoweniger auch ohne dieses höhere Ziel der Nach- ahmung, also amimetisch, vorstellen kann, und sie erfahr ungsmässig oft genug nur als äusserlich sinnliche Unterhaltung sich darstellt, so sagt A. auch nur von jenem andern Teile dieser instrumentalen Künste, dass er Mimesis zum Inhalte habe und damit den höheren, eigentlichen Charakter der Kunst trage.

9) Nach den hier genannten drei Einteilungsgründen gliedert sich nun das Folgende, worin zunächst die allgemeinen grossen Gesichtspunkte erörtert werden und zwar für die Verschiedenheit der Mittel 1447^ 19— 144S« 1, für die der Nach- ahmungsobjekte 1448^ 1 18, für das verschiedene Verfahren in der Nachahmung 1448» 18—25. Schon aus der Reihenfolge geht hervor, dass A. den Hauptnachdruck auf die Verschiedenheit der Mittel legt, denn durch diese unterscheiden sich die Künste überhaupt von einander; innerhalb derselben findet dann der zweite Unterschied statt, wie wenn die Tragödie ihre Nachahmungsobjekte in der Sphäre des Grossen, Bedeutenden, Edlen zu suchen hat, die Komödie in der des Mangelhaften, Geringen, Schlechten, eine Unterscheidung, die A. ebenso auf dem Gebiete der Orchestik, Auletik und Kitharistik stattfinden lässt (vgl. 1448* 10). Für die dritte Verschiedenheit der Künste, die des Verfahrens, ist hier nur wenig zu sagen, da sie recht eigentlich den speziellen Teil der „Techne", der Kunstlehre zu bilden hat.

„Denn wie aucli mit Farben und Figuren die Leute allerlei nach- ahmen, und zwar die Dinge abbildend ^°), die einen kunstgemäss, die andern handwerksmässig,") wie andre wieder mit der Stimme *^) dasselbe bewirken, so geschieht es auch durch die oben genannten Künste." '^j

10) üjansQ yaQ xal xQtofiaai xal axvf^aai noXXa ßifjLovvzaL tlveq dnsixaL^ovxeq. Der ganze Rest des ersten Kapitels von hier ab gehört nach den Kommentationen zu den am schlechtesten überlieferten Partien; so sind denn auch die Heilungs- versuche hier sehr zahlreich. Grade jedoch, wenn man dem überlieferten Texte genau folgt, entdeckt sich der tiefe Sinn dieser Sätze, die freilich in äusserster Kürze, wie zu Hörern sprechen, denen die in Betracht kommenden Hauptbegriffe nach dem Sinne des Redenden völlig vertraut sind. Sollte man nicht auch durch- aus berechtigt sein anzunehmen, dass die Hörer, denen A. seine Poetik vortrug, aus dem Dialog negl Ttoir^zöjv hinlänglich über seine allgemeinen Kunsta.nsichten, z. B. auch über seine Meinung von der Katharsis unterrichtet waren? und sollte, was unsre Stelle angeht, dort nicht auch davon gehandelt sein, dass die Mimesis nicht mit Plato als die Nachahmung der Naturdinge selbst aufzu- fassen sei wie, beiläufig gesagt, alle Welt sie bis auf den heutigen Tag den- noch immer wieder auffasst sondern die durch das den einzelnen Künsten zu Gebote stehende Material von Mitteln, die je nach Umständen frei erschaffen oder auch der Natur entnommen sein können, bewirkte Nachbildung der höchsten Wirkungen im Gemüt, die wir in der

Zur Lehre des Aristoteles vom Wesen der Kunst und der Dichtung. 5

Natur und im Leben erfahren können, der höchsten, nicht quantitativ oder dynamisch verstanden, sondern qualitativ, d. h. der reinsten, gesundesten, mit einem Worte richtigsten Bewegungen unsrer empfindenden Seele? Freilich gälte dieses letztere nur von der Mimesis, sofern sie in dem Dienst der edelsten Kunst zugleich auf deren letzten Zweck, auf die Katharsis, die Herstellung der nachahmend hervorgebrachten Seelenbewegung zur Lauterkeit und zum Eben- mass, gerichtet wäre. Es liegt aber auf der Hand, dass im aristotelischen Sinne Mimesis überall da vorhanden ist, wo überhaupt durch Kunstmittel die Nach- ahmung von Natur- und Lebenswirkungen im Gemüt bezweckt und erreicht wird.

An unsrer Stelle, wo die Mittel der Malerei, die Farben und Figuren, und die Mittel der Poesie und Musik, der Rhythmus, das Wort und die Tonfolge in Bezug auf ihre Verwendung zur künstlerischen Mimesis in eine Reihe gestellt werden, giebt jenes kleine Sätzchen gradezu das Grundthema an für den ganzen folgenden Abschnitt bis zum Schlüsse des Kapitels. Durch die blosse Gegenüberstellung der Begriffe des fzifxslaS^aL und aTteixat^eiv, wobei das letztere durch die pointierte Ver- weisung ans Ende des Satzes noch einen besondern Nachdruck erhält, wird die ganze Reihe der Unterscheidungen zwischen echter Poesie und fälschlich sogenannter, die das folgende bringt, typisch eingeleitet. Das blosse „Abbilden" ist nach A. noch lange kein „Nachahmen" im künstlerischen Sinne. Man kann auf allen Ge- bieten noXXa dnemät^siv, vielerlei abschildern, so ist man damit noch kein ßLßrftriq und daher kein Künstler. In diesem kritischen Apergu liegt die Anregung nicht nur zu einer Erweiterung, sondern sogar zu einer Berichtigung des Lessingschen Laoküon. Nicht nur die bloss abbildende Schilderung von Körpern ist unpoetisch, sondern ebenso die bloss abschildernde Erzählung von Begebenheiten und Handlungen. Auf das Wesen der „Nachahmung" selbst, das Lessing zu untersuchen versäumte, kommt alles an. Worin liegt es? Höchst lehrreich dafür ist die Beantwortung einer Frage, die sich A. selbst stellt, vgl. Probl. 29,10: „Warum bewirkt die Ge- meinschaft mit einem Gesunden, Starken, Schönen nicht ein Wachstum der betreffen- den Eigenschaft, wohl aber die mit einem Guten und Weisen?" i] öiozi za fihv dßLfiTjza , xa 6e (XLfiriza. zy ipvx^> dya&bg öh zy ipvxfh vyiijg 6s z(p awfiazi- e&L^8zai ovv xalQSLV OQS^ojg xal AVTtslaS-ai. Das ist bei der Gemeinschaft mit einem Gesunden nicht der Fall : ov yaQ iv ziö zial /a/pf^v // fx^ 6 vyujq- ovölv ykiJ zovzojv noLSl vyialveiv. Daraus ergeben sich die einfachen Schlüsse: das Organ für die Mimesis ist die Seele; ihr Objekt kann also nur etwas sein, das mit ihr Gemeinschaft hat, oder insofern es als mit ihr Gemeinschaft habend auf- gefasst wird; ein solches fxifji^zöv zy ipvyj] ist nur dasjenige, was die Seele zum XCiLQSLV oder IvnEta&at bringt, sie zu einer wohlgefälligen oder missfalligen Be- wegung veranlasst. Es macht nichts aus, dass in jenem Problem (vgl. 951« -1) von ethischer Einwirkung die Rede ist; darin steht die ethische Wirkung der aesthetischen vollkommen gleich, dass ihr Organ die Seele ist, hier zumal, wo von einer Wirkung auf die empfindende Seele die Rede ist. Nur das also, was einer psychischen Bewegung homogen ist, kann wieder psychische Bewegung erzeugen, oder ganz all- gemein ausgedrückt: die psychische Bewegung selbst ist das Objekt der Mimesis. Eine jede Kunst richtet sich mit der Wahl ihrer Mittel und der Art ihrer Verwendung auf dies eine, aber in dem Reichtum seiner Wandlungsfähig- keit unendlich mannigfache Ziel. Was damit nicht in unmittelbarer Beziehung steht oder nicht mittelbar durch die Art der Behandlung damit in Beziehung gesetzt wird, und was nicht gerade in eine Bewegung der empfindenden Seele sein Ziel setzt, ist dfiifxrizov, kein Objekt der Mimesis, ist unkünstlerisch, und mag man es auch mit der äussersten Sorgfalt und Naturtreue „nachbilden" ~ ccneixat^ecv.

Umgekehrt geht aus dem Gesagten unmittelbar und ohne Beweis hervor, dass

B Hermann Baumgabt

es ein fAifisla^ai ohne ansixaC^eiv sehr wohl geben kann, dass das Wesen der Kunst, die Mimesis, sehr wohl erfüllt werden kann, ohne dass ein Naturobjekt nachge- bildet wird, dneixal^izuL. So geschieht es in der Musik, in der Architektur, so kann es im Tanz geschehen, so verfährt überhaupt alle symbolische Kunst, wenn sie unbeseelte Naturgegenstände durch Analogie und Supposition mit der Welt seelischer Bewegung in sinnlich wahrnehmbare Beziehung setzt.

Sehr absichtsvoll ist in zweiter Linie unter den Mitteln der Nachahmung dann die Stimme txsQoi 6e öia rr^? (pwvriq zum Vergleich herangezogen: denn einerseits steht, da man mit der Stimme ja auch Wirklichkeit nachbilden kann, dieses Verfahren dem „Abbilden" durch Figuren und Farben noch näher; andrer- seits bildet es doch schon den Uebergang zu der Mimesis ohne dnaixui^siv.

11) ol fjLev ÖLK zixvrjg ol Ö6 6ta avvTj^siag. Hierzu hat man für das folgende stsqoi 6h öia trjq (pcavrjg als drittes Glied zu jener Alternative öl' avztjg rriq (pvosioq konjiziert, als ein schlagendes Beispiel dafür, wie der aristotelische Text nicht zu behandeln ist. Etwas Müssigeres wäre nicht zu denken als an dieser Stelle eine Belehrung darüber, dass man die Kunst mit theoretischer Einsicht, als Routinier und mit blosser Naturanlage betreiben kann. Darüber geht dann aber der scharf ausgesprochene leitende Gedanke, der die ganze folgende Ausführung beherrscht, spurlos verloren. Er ergiebt sich aus dem genauen Wortlaut des über- lieferten Textes unzweifelhaft als der folgende:

Alle echte Kunst ist Nachahmung. Die künstlerische Nachahmung Mimesis geht anfänglich hervor aus der blossen Nachbildung (vgl. dazu den Schluss des ersten Alinea von Kap. 4: 1448^ 23). Das liegt am nächsten und ist am besten zu beobachten bei der Malerei, da diese mit ihren Mitteln auf das „Abbilden" an- gewiesen ist. Sogleich aber hier stellte sich der Unterschied heraus zwischen denen, die dabei künstlerisch verfuhren, d. i. mimetisch, nämlich die Mittel der „Nachbildung" lediglich als b(iOL(a[iaxa seelischer Bewegungen verwendend, und denen, die, gedankenlos dem hergebrachten Beispiel folgend, eben nur abbildeten um abzubilden, wobei es dann lediglich von ihren Mustern abhängt, ob noch ein Rest wirklicher Mimesis in ihren Werken sich erhält, oder ob sie völlig daraus verschwindet. Diese fundamentale und für jede aesthetische Beurteilung von vorneherein und vor allem anderen entscheidende Unterscheidung ist für alle Kunst und für alle Kunstgeschichte massgebend und wird mit Recht von A. allem übrigen voran gestellt

12) 6 La rijg (pwvrjg. Ueber die Meinung des A. von der Bedeutung der Stimme als eines Mittels für künstlerische Mimesis geben die folgenden Stellen nähere Aufklärung: Psych. II 8. 42u^ 5. rj (pcavi] \p6(pog xig iatLV ifiipvyov. ibid. 420'' 29 ff.: ov yaQ nüg t,(DOV \p6(pog (fiovr] . . . dXXa dal Sfxxpvxov elvai xo xvnxov xal fiexd (pavxaaiag xtvog' arjfiavxixbg yccQ ötj xig xpocpog iaxlv ^ (ptovri, xal ov xov dvaTcvsofiivov dsQog, oiansQ rj ß^§. Pol. I, 2. 1253» 10 ff. 7} fiev ovv <p(ovi] xov XvTtTjQOv xal riöeog iaxl orjfzslov, 6lo xal xolg d?J.oig vnaQXSL 'C,(6oLg' iih^Qi- yd-Q xovxov ri cpvOLg avxcöv i?.7jkvS-sv, waxs alod^dveo^aL xov /AmriQOv xal Tjöeog xal xavxa GrjfialvELV dkX^koig. Rhet. III, 1: 1404« 21. vtctjqce 6e xal 17 <p(ov7] Tidvxcüv fZLfjL7]XLX(6xaxov xcöv ßOQicDv -^(Xlv. Die Stellen werfen zugleich ein Licht auf die aristotelische Auffassung der Mimesis selbst, indem sie bestätigen, dass ihm die Mimesis immer in der Erregung einer seelischen Bewegung besteht. Noch stärker beweisen dies Nr. 27 und 29 im 18. Buch der Probleme, die im Fol- genden näher zu erörtern sind.

13) ovxQ) xal xalg elgTjfxevaig xeyvaLg. Auch die poetischen und musi- kalischen Kunstgattungen sind „Nachahmungen", und zwar sowohl da, wo sie sich Vorbildern der Wirklichkeit anschliessen , jedoch so, dass sie sich ihrer als

Zur Lehre des Aristoteles vom Wesen der Kunst und der Dichtung. 7

Mittel für ihre mimetischen Zwecke bedienen, als da, wo sie durch frei erfundene Mittel wirken. Ebenso giebt es auch in diesen Künsten eine gedankenlose Routine, die durch amimetisches Abschildern, Aufzählen, Darstellen irgend welcher Art Afterbilder der Kunst schafft, die mit ihr nichts gemein haben als den fälschlich usurpierten Namen, In den obigen Textworten die Ankündigung dieses im folgenden Texte entwickelten Inhaltes.

„Und zwar bewirken sie alle die Nachahmung vermittelst des Rhyth- mus und der Rede und der Tonfolge *'') , entweder derselben sich einzeln oder in Vermischung bedienend, wie z. B. nur der Tonfolge und des Rhythmus das Flötenlied und das Citherlied'^) und was es vielleicht sonst noch für, der Wirkungsweise nach von jenen sich unterscheidende Musik- arten geben mag^^), wie das Syringenlied ; ferner des Rhythmus allein ohne Tonfolge diejenigen, die von den Tänzern hier in Betracht kommen"), denn auch diese ahmen durch die in Gestaltungen zum Ausdruck kom- menden Rhythmen sowohl Seelenzustände als Empfindungen und Hand- lungen nach."'^)

14) ccQfjLovla „Tonfolge". Unsere „Harmonie" nennt A. ovfjLfpojvla und schreibt ihr keine Fähigkeit zu, Ethos nachzuahmen; dagegen nennt er die aQfJLOvla mimetisch für das TtQaxrixov. Die nach allen Seiten viel aufklärende Stelle steht Probl. 18, 27 {91^^ 26): z/m ti xo dxovozov fxovov rjS^oc e/ei xcäv alo^rj- tü)V; xal yuQ iav y avsv köyov fieXog, oß(og exsi ijS^og' cc?X ov zo xQ^f^f^ ot'rfe tj oafxt] ovöh 6 xvßoq e/ff ri ozi xlvrjGiv syei (xövov ovyj, rjv o \p6(poq rifxäq xivsZ ; zoiavzfj ßsv yccQ xal zolq äkkoig vnaQyji' xivel yaQ xal zo yQÖi^a zi]V oipiV «AAa z^g knoßsvijg z(ö zoiovzo) \p6<fcp ala^avofjied^a xiv/jOEcog. avzrj 6s eyei ofioiözijza £v ze zolg Qvd-uolg xal iv zy Z(ov cpS-oyycov zd^si Z(öv o^scov xal ßagsayv, ovx iv zy /Äi^€i. aAA' ^ avfi<pcDvia ovx syst r/O-og. iv 6h zolg alkotg alaS-TjzoIg zovzo ovx sazLV. ai 6h xtvrioeig avzcci UQaxzLxai elaiv, al 6h ngd^eig rjd-ovg aTjfiaala iazlv. „Warum sind von allen sinnlich wahrnehmbaren Eindrücken {alad-rjzä) allein die durch das Gehör wahrnehmbaren (dxovazixä) fähig, Ethos zu erzeugen?" {eysi Tj&og == sie haben Ethos, sc. in sich. Was bedeutet das anders als: sie haben es als ein ßifxrjzöv, als ein Nachahmbares und Nachgeahmtes in sich, sind also fähig, „Ethos", d. i. Stimmung, Empfindungszustand, zu erregen.) „Und zwar hat das Lied, auch ohne Wort, gleichwohl diese Fähigkeit {syst ^^og); aber die Farbe hat sie nicht, ebensowenig der Geschmacks- oder Geruchssinn. Liegt der Grund wohl darin, dass bei jenen allein die durch sie hervorgebrachte Bewegung nicht lediglich die mit dem Schalle verbundene ist? Denn eine derartige Bewegung findet auch bei den übrigen Sinneswahrnehmungen statt; auch die Farbe setzt den Gefühlssinn so in Bewegung. Es giebt aber eine Art des Schalles, bei dem wir eine Bewegung empfinden, die auf jene erst folgt. Für diese liegt das Aehnlichkeitsmoment sowohl in den Rhythmen, als in der Ordnung der Klänge nach Höhe und Tiefe, nicht in ihrer Vereinigung. Vielmehr hat der Akkord {avßcpajvia) nicht die Fähigkeit, Empfindungszustände zu erzeugen {ovx syst Tj&og)." (Also jene hnofjtivTj xirtjaig, jene aus der bloss physikalischen Schallbewegung hervorgehende Bewegung, die in den Rhythmen und den qualitativen Tonunterschieden liegt, ist es, welche die Aehn- lichkeit, Analogie mit jener Bewegung der empfindenden Seele in sich birgt, die A. das Ethos nennt. In jener liegt also auch das qualitative Nachahmungsmaterial für diese. Sehr sorgfältig abwägend schreibt A. dem blossen Zusammenklang der

8 HBRMAmT Baühgabt

Töne im Akkord ebensowenig diese mächtige Wirkung zu als der blossen Farbe, die beide nur einen hinzukommenden Schmuck für die Mimesis bilden, die immer das Hauptwerk der Kunst ausmacht. Er kennt den Reiz der „Symphonia" und führt ihn Probl. 18, 38 auf das Wohlgefallen zurück, mit dem wir die Ordnung in dem Verhältnis der gleichzeitig erklingenden Töne empfinden und mit dem wir das reicher Gemischte dem Einfacheren vorziehen. Wenn uns Modernen diese geringere Schätzung des Akkordischen in der Musik zunächst befremdet, so giebt eine ge- nauere Betrachtung dem Philosophen umsomehr Recht. Wir denken gar zu leicht dabei an die Wirkung der Akkord folge, während doch auch diese auf der im aristotelischen Sinne „harmonischen" Folge der einzelnen den Akkord bil- denden Töne beruht, vollends in der polyphonen Musik, wo mehrere solche Ord- nungen gleichzeitig wirken.) „Bei den übrigen Sinneseindrücken findet das Verhältnis nicht statt. Jene Bewegungen aber sind zum Handeln erregende {nQuxzixal), die Handlungen wiederum sind Kundgebung von Ethos {rjS-ovq arjfiaala iatlv).'^ Zu beachten ist hierbei noch dies eine, dass also auch Handlungen, namentlich insofern sie aus Empfindungsbewegungen entspringen oder davon Zeugnis geben, Gegenstand der Mimesis sein können, sogar für solche Künste wie Musik, die gar keine Mittel besitzen, das äussere Geschehen abzuschildern, die also jene Be- wegungen nur ihrem innersten Wesen nach erregen können, indem sie gleichsam ihren Keim in der Seele erwecken und zur Entwickelung drängen.

Die ganze Frage hat A. noch einmal in den Probl. IS, 29 (920« 3) etwas anders und weiter gehend beantwortet: /lia xL oi gvO-fiol xal za ßs?.Tj <p(ovri ovaa rjOsaiv eoücev, OL ös XW^^ ov, «AA* ovöh za /()(Wjaarc: xal at oofiai; rj ozi xivijasig eialv üJOTCSQ xal al ngd^eiq; ^lörj rj fxsv ive^ysia i^Q-ixbv xal noieZ 7J&og, ot ös yvfiol xal za /^cy^ara ov noiovGiv oßolcog. „Wie kommt es, dass die Rhythmen und Melo- dien, die doch Klänge sind, mit Empfindungszuständen Analogie haben {soix€v)j die Geschmackseindrücke aber nicht, ebensowenig aber auch Farben- und Geruchs- eindrücke? Vielleicht wohl, weil sie Bewegungen sind wie auch die Handlungen? Denn schon die innere Bethätigung (ivsQyeia) ist gemütsbewegend {-q^ixov) und bringt Empfindungszustände {tj&oq) hervor; Geschmacks- und Farbeneindrücke wirken in solcher Weise nicht." Das kann doch nur bedeuten: Rhythmus und Melodie vermögen durch das in ihnen liegende Bewegungsmoment eine Energie der Aisthesis, eine Bethätigung der Wahrnehmungs- und Empfindungskräfte zu bewirken, die identisch ist mit der zu ethischen, d. h. zu Gemütszuständen und dadurch zu Handlungen führenden Bewegung der empfindenden Seele: sie ver- mögen daher unmittelbar Ethos und Praxeis ,,nachzuahmen".

Eine fernere Bekräftigung dafür, dass diese Anschauungen und Gedanken aristotelisch sind, gewährt die Stelle im Kap. 5 des 8. Buchs der Politik (1340* Uff.): stceI öh avfißsßrjxsv slvai zt]V f/.ovaixrjV Z(uv rjöäcov, zr^v d' aQBzriv negl z6 x^dgeiv og&(üg xal (piXelv xal (jllgbIv, öel örjlov ozi fiavd^äveiv xal avveS-l^eaO^ai firjösv ovziog wg zb xqLvslv og&djg xal zb ;fai()f4V zoZg inisixeaiv rjd^eaiv xal zalg xa/.aig ngä^eciv. sgzl d' b fioiw [xaza fidliaza naga zag dXj]&ivag (pvoetg iv zolg. Qvd^fJLOlg xal zolg fiiXsai ogy^g xal ngaozrjzogi ezi d' dvögelag xal a(0(p Qoavv^g xal ndvzmv zcöv ivavzlcov zovzoig xal xtöv äkXmv rj&ixcSv. örilov 6h ex ztöv sgywv' fjLszaßdkXofiev ydg ztjv ywxrjv dxpotöfxsvoi zoiovrwv. b 6* iv zolg bfioioig iS^ia/iibg xov Xvnslo&at xal ;fa/()6fv iyyvg iazi zä) TtQog zriv dhjd-siav zbv avzbv exetv zQonov. Wie überall, so betont auch hier A., dass eben nur den durch Rhythmus und Melodie hervorgebrachten Gehörseindrücken diese grosse Macht über das Gemüt beiwohne; unter allen anderen besässen nur die Gesichtseindrücke eine verwandte Kraft, aber in geringem Grade ^d)X iv zolg bgazolg riQSßa). Zwar käme auch der Wirkung der Gestalten {oxrif^aza) auf unser Empfinden eine fast ausnahmslose Allgemeinheit zu [dk'K inl (jLixgbv xal ndvzsg

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Zur Lehre des Aristoteles vom Wesen der Kunst und der Dichtung. 9

trjg roiavxrig ccia&rjascüg xoivcDVOvoiv)*); dennoch sei diese Wirkung, wie gesagt, eine weit geringere, weil die bei dem Vorgange der Empfindungen (iv zolg nd^söLv) sichtbar zur Erscheinung kommenden Gestaltungen des Körpers nicht die Aehn- lichkeit mit den Gemütszuständen unmittelbar in sich trügen, sondern nur äussere Anzeichen (ffT/^fta) davon wären (fV^ de ovx saziravTa d/uoioj/zata T (öv ^Q-ojv, dXXa afinela iiäXXov XU yiyvöfxeva ayjifiaxa xal ygtüfjiaxa xcäv i^^dtv, xal xavx^ iaxlv inl xov awfxaxog iv xolg ndd-eaiv).

15) avXriXLicri y,al xtd-agiazixrj. „Flöten- und Citherlied", in dem oben erörterten Sinne einer auch ohne Text nach bestimmter Kichtung hin mimetisch wirkenden Instrumentalmusik.

16) xäv SL xivsg sxsQat zvyxccvcDGi ovoul xtjv övvafxiv , olov rj zcüv öVQlyycDv. Abermals eine von den Stellen, wo die vielfach aufgestellten Konjekturen den guten Sinn vernichten, den der Text ergiebt. Das axegui ist zu ovoai zu kon- struieren, und zu verstehen sind alle die Arten von Musik, die allenfalls noch zur Kunst zu rechnen wären und in ihrer spezifischen Wirkungsweise {övvafxig] von den beiden Hauptarten der griechischen Instrumentalmusik, wie sie in den Schau- spielen angewendet aber auch für sich allein betrieben wurden, abwichen. Das Beispiel der Syringen ist sehr bezeichnend, wie wenn wir Modernen neben unseren kultivierteren Instrumenten etwa die Schalmei erwähnten.

17) avx(p ÖS Xiö gvd-fziö fiLßOvvxac ycoglg a Qßoviag ot x(üv ogyi]- oxüiv. Auch hier ist der Text in völliger Ordnung; aus dem Wortlaut ergänzt sich von selbst zu dem Genitiv das Participium fAif^ovfxevoi und zwar dem Sinne genau entsprechend: „diejenigen von den Tänzern, die überhaupt eine Mimesis, d. i. eine die Seele der Zuschauer bewegende Wirkung, 'bezwecken." Sie allein kommen hier in Betracht, die andern ebensowenig wie die Musiker, die nur auf Ohrenkitzel ausgehen.

18) xal yag ovxol öia xiüv a/Ty^ccrf^o/zevcy v gvQ-ßdjv fiifxovvxai xal ^&rj xal ndS-rj xal ngd^stg. Eine der wichtigsten Stellen des ganzen uns erhaltenen Buches! Wenn die wuchtigen Sätze, aus denen es besteht, vermuten lassen, dass sie aufgezeichnet wurden, um dem freien Vortrage als Grundtext zu dienen, so hatte hier der Autor Veranlassung, den Kern seiner Theorie, wie sie aus seinen exoterischen Schriften den Hörern in ihren Haupteigentümlichkeiten bekannt sein musste, in energischer Zusammenfassung zu entwickeln und zwar im engsten Anschlüsse an sein philosophisches System, wie er es namentlich in der Psycho- logie und Ethik dargestellt hatte. Das für alle Kunst für alle Zeit immer sich gleichbleibende eine und doch so unerschöpflich mannigfaltige Objekt der Mimesis wird hier geradezu ausgesprochen, und zwar gerade hier, weil die ungeschulte Auf- fassung es hier am wenigsten als vorhanden vermuten möchte und dennoch auch die Tanzkunst, sofern sie eben eine Kunst ist, den Kreis dieses Objektes eben- sowohl völlig durchmessen können muss, wie jede andere fortschreitende Kunst: „Ethe und Pathe und Praxeis!" Nach der aristotelischen Lehre erschöpfen die drei Begriffe die ganze Reihe der Veränderungen, deren die empfindende Seele fähig ist. Pathe sind die einfachen Empfindungen, wie Liebe, Hass, Zorn, Eifersucht, Neid, Furcht, Mitleid u. s. w., kurz alle, die mit einem Lust- oder Unlustgefühl verbunden sind (vgl. Eth. Nik. 2,4. 1105'>2lff.). Der in der Kürze schwer zu definierende Begriff des Ethos bezeichnet das Gesamtverhalten des Einzelnen gegenüber den Empfindungen, wie es unter den Einwir- kungen der Vernunft und des Verstandes, am meisten jedoch durch die Gewohnheit seines Handelns sich bei ihm herausgebildet hat, wie es also als Gesamtheit am

*) Die Stelle, an der viel vergeblich kuriert ist, wird unmittelbar verständlich, wenn man die falsche Interpunktion hinter [xixqov fortlässt und dieses statt zum vor- ausgehenden Satze vielmehr, wie oben geschehen, zum folgenden konstruiert.

10 Hebmann Baumoabt

meisten von allem seiner Eigenart das Gepräge verleiht, wie es nun aber andrerseits auch bei jeder einzelnen Gelegenheit, in jeder seiner Empfindungsäusserungen, in jeder seiner Handlungen, seiner Worte und Werke zur Erscheinung kommt. Fftr die Arten dieses Gesamtverhaltens haben die Sprachen auch Namen ausgeprägt; sie sind aber gegenüber der unendlichen hier vorhandenen Wandlungsfähigkeit nicht zahlreich. Solche wären in unserem Sprachgebrauche: Treue, Achtung, Verehrung, Andacht, Zartheit, Menschlichkeit, Gerechtigkeitsgefühl, Ehrgefühl, Schicklichkeits- gefühl u. s. w., auch solche wie Patriotismus, Idealismus, Enthusiasmus u. s. w. und ihre Gegenteile. Es leuchtet ein, dass sie für die Tugenden eine der wesent- lichsten Voraussetzungen bilden, sofern sie positiv geartet sind; wie denn auch A. die Tugenden als s^sig rj&ixal definiert. Hieraus geht von selbst hervor, inwiefern auch die Praxeis zu dem Objekt der künstlerischen Mimesis gehören, was ja für den ersten Blick etwas Befremdendes hat. Durchaus fern zu halten ist dabei zu- nächst der Gedanke an die äussere Verwirklichung der Handlung, vielmehr ins Auge zu fassen ihre innere mit dem Entschluss (ngoat^eaic) sich vollendende Entstehung und zwar auch diese vornehmlich, sofern Pathos und Ethos dazu mitwirken, und erst in zweiter Linie, sofern auch die Verstandeserwägung dabei mitspricht. In solcher rein innerlicher Weise können Musik und Orchestik „praktisch" mimetisch wirken, d. h. jene zu Entschlüssen führenden pathischen und ethischen Bewegungen (nQaxzixöv) in der Seele hervorbringen. Etwas anderes ist es, und was durch die technische Beschaffenheit ihrer Mittel mit Notwendigkeit so geboten wird, dass in der epischen und dramatischen Poesie jene „praktischen" Seelen- bewegungen auf keine andere Weise zur Erscheinung gebracht werden können als dadurch, dass eine Reihe äusserer Geschehnisse, wie sie anheben, sich entwickeln und zum Abschlüsse gelangen, dargestellt werden, eine ovozaaig n^ayficircov (vgl. hierzu: Eth. Nik. 1106'*34: ovz* avsv vov xal öiavoiaq ovr* avev i^&ucijg iaziv €§6ü)Q rj nQoaLQsaig. 1111^6: ^ nQOalQBüig fiälkov zu 7Jd-T] xqIvel zcüv ngd^swv. 1139" 35: svnQa^la %al zo ivavziov iv ngd^si avev öiavoiag xal rjS-ovg ov% eaziv. Khet. n, 21. 1395^13: 7id-og s'/ovaiv ol Xoyoi, iv oooig örj/.rj tj ngoulQeCLg. III, 16. 1417" 19: ovx S'/ovglv ol fjLad-rjiiaziy.ol löyoi TJf^rj. Polit. 8, 5. 1339*21; rj /id?J.ov otrjzeov TiQog dgezriv zi zsiveiv ztjv /uovaixjjv, cy? 6vva/z^V7]v, xa&aTCSQ tj yv,uvaazixi] zo 0(öfxa TtOLOv ZL TtaQaaxevät.eL , xal ztjv (lovaix^v zo 7}S-og noiov zi noietv, id-lt,ovaav övvaaO^ai /aiQsiv cgi^wg, eine Ausdrucksweise, die recht augen- fällig den rein ästhetischen Charakter der aristotelischen Kunstauffassung zeigt und jeden Gedanken an paränetische oder moralisierende Tendenzen ausschliesst. 1340" 39: iv zolg [lileoLV avzolg iozt fiLfjLi]fiaza züJv riO^wv. 1340^ 8: zcüv Qv^iimv OL (ikv ijd^og exovoL azaoLfjLwzegov ol öh xlvtjzlxov. 1340*11: 6 ivd^ovaiaa/jiog zov nsgl zijv tpvxrjv rjd^ovg ndO^og iazlv. 1341*>33: zwv jbts?.(üv . . . fzhv ^&ixd za Ss ngaxzLxa za d' svd^ovaiaazixd . . . xal zwv agßoviwv ztjv (pvoiv ngög t'xaaza zov- zcDV oLxelav dlXTjv ngog aü.o fikgog zi^kaoLv. Es wären noch sehr viele Aeusse- rungen des Philosophen anzuführen, doch wäre eine eingehendere Behandlung der speziell vorliegenden Frage hier nicht an ihrem Orte, Der Verf. verweist dafür auf sein „Handbuch der Poetik". Stuttgart, Cotta 1S8T, und auf die Monographien „Pathos und Pathema im arist. Sprachgebrauche", Königsberg 1873; „Der Begriff der tragischen Katharsis", Fleckeisens Jahrbücher 1875; „Aristoteles, Lessing und Goethe", Leipzig, Teubner 1877.)

„Die Dichtkunst^®) bewirkt die NachahmuDg durch die einfache ^°) Rede oder durch die Verse und zwar nach dem Lauf der Dinge bis jetzt durch diese letzteren -'), ob nun sie miteinander vermischend oder unter Anwendung einer einzigen Versart, denn wir hätten kein Wort, das

Zur Lehre des Aristoteles vom Wesen der Kunst und der Dichtung. 11

zugleich auch die Mimen des Sophron und Xenarch und die sokratischen Dialoge mit einbegriffe, auch nicht, wenn jemand etwa bei dieser Art von Nachahmung den Trimeter oder das elegische Mass oder irgend ein andres dafür geeignetes Mass zur Anwendung brächte.^-J Es sind eben nur die Leute, für die mit den Versen auch die Vorstellung des Dichtens verknüpft ist, die hier von Elegikem, dort von Epikern sprechen und nicht auf Grund der künstlerischen Nachahmung, sondern ganz allgemein nach dem Versmass solche Dichterbezeichnungen aus- teilen. Denn sie haben sich gewöhnt auch die so zu nennen, die etwa eine medizinische oder musikalische Theorie in Versen vorbringen. Es ist aber keine Gemeinschaft zwischen Homer und Empedokles ausser der des Metrums : deswegen trägt doch jener seinen Dichternamen mit Recht, dieser ist vielmehr ein Naturphilosoph als ein Dichter zu nennen. Eben- so würde aber, wenn jemand mit Anwendung sämtlicher Metra durch- einander es erreichte, die Nachahmung zu schaffen^) wie eine solche Dichtung in dem Centauren des Chäremon ^^) vorliegt, eine bunte Ehapsodie aus allen Versarten der Name eines Dichters auch ihm zu erteilen sein. Das sind die Bestimmungen über diesen Punkt. Es giebt aber einige Künste, die sich der sämtlichen genannten Mittel bedienen, also des Rhythmus, der Melodie und des Verses, wie die dithyrambische und nomische Dichtung einerseits und die Tragödie und Komödie andrerseits; sie unterscheiden sich jedoch darin, dass jene durchweg so verfahren, diese nur in einzelnen Teilen. Diese Unterschiede der Künste nenne ich nicht solche, worin sie die Nachahmung vollziehen."^'*)

19) snonoda. Der Ausdruck ist nicht zu streichen, sondern im weitesten Sinne zu nehmen als Schöpfung durch das Wort, Wortdichtung, in solchem Sinne also einfach: „Dichtung", noirjatg konnte A. hier nicht brauchen, weil es allgemein die „schaffende Thätigkeit" bedeutet.

20) Xoyoiq xpikolq. „Blosse Rede", ohne rhythmischen oder irgendwelchen, z. B. melischen Schmuck; also was wir Prosa nennen, wofür A. kein besonderes Wort zu Gebote steht, geschweige denn für Prosadichtung, musische Rede, wie sie Plato mit seinem Xöyoq [xovglx^ xsxQafjthoq umschreibt.

2\)ieal rovroig si'xe f.iiyvvaa ßex' aXXrjkcov, el'd-' kvL zivi y^vei '/qod- (jlsvti x(üv fjL^xQCDv xvyx^vovoa /utxQt xov vvv. Zahlreiche Konjekturen ver- dunkeln oder vernichten den an sich guten und klaren Sinn der Stelle, die nur durch die in ihrer äussersten Kürze gelegene allerdings grosse Härte Anstoss giebt. Voraus geht: ?; de Snonoda ßovov xolq Xoyoiq xpüMqy] xolq (xexQoic, wozu aus dem früheren uif^elxai zu ergänzen ist

In den vorausgehenden parallelen Satzgefügen folgt auf die allgemeine Angabe der Nachahmungsmittel ein spezialisierendes /(jcü^Mf' vt; ; da dieses nun hier ohnehin in der Alternative d'xe fxiyvvaa . . eYxe hvi xivi ysvsc xQ^f^^vr^ auftritt, so schliesst sich an dieses letztere das Participium xvyxdvovaa leicht an, während es, genau konstruiert, doch eigentlich zu einem dem Sinne nach vorschwebenden, nicht zu dem Zwischensatze, sondern zu xal xovxoiq gehörenden ygoiiiivri gehören müsste.

12 Hebmakn Baühoabt

Darin liegt die Harte und die Schwierigkeit der Stelle. Es ist also so zu verbinden : xal xovxoiq (sc. tolq (xdtQOLQ) xvyxuvovaa ixi'iQi rov vvv xQojfiivri shs ßiyvvaa ELTS hl ZIVI ybvsi. Das entspricht auf das genaueste dem geforderten Sinn. Wie schon gesagt, ist dieser ganze Abschnitt des ersten Kapitels, der sich mit der Angabe der Mittel der fortschreitenden Ktlnste befasst, zugleich der Durchführung jenes wichtigsten Fundamentalsatzes der gesamten Aesthetik gewidmet, dessen Verken- nung das Grundübel aller unfertigen und aller sinkenden Kunst, nicht zum wenigsten unsrer modernen bildet: des Satzes, dass der Zweck der künstlerischen Thätigkeit niemals und nirgend in der, wie immer beschaffenen Anwendung der ihr zu Gebote stehenden Mittel besteht, sondern einzig und allein in der durch sie erreichten „Mimesis" und den damit notwendig verbundenen Wirkungen im Gemüt der Empfangenden. So liegt denn auch hier, wo A. zuerst über die Poesie zu handeln beginnt, in Sätzen , von denen jedes Wort den Anlass zu fruchtbaren Erörterungen liefert, ausgesprochen : dass die „Epopoiia", die dem Wortlaut nach das künstlerische Schaffen durch das Wort bedeutet, in diesem weitesten Sinne über das Wort in jeder Gestalt als über ihr Darstellungsmittel gebietet; dass aber eine unkünstlerische Gewöhnung und die Oberflächlichkeit der landläufigen Beurteilungsweise, die sogar im Sprachgebrauche zur Verlegenheit des wahren Kenners sich unüberwindlich festgesetzt haben, jenen wahren Sachverhalt mit doppeltem Irrtum trüben. Es hat sich im Lauf der Dinge so gefügt {eTvyev)^ dass man den Begriff der Dichtkunst nur auf die Nach- ahmung der Verse beschränkte, und der Sprachgebrauch ist dieser Einschränkung ge- folgt. Indem man nun aber verkannte, dass ihr Wesen grade auf der Nachahmung beruht, die auch durch das Wort in halbrhythmischer Weise, wie in den Mimen des Sophron und Xenarch und sogar in ganz unrhythmischen Darstellungen wie den sokrati- schen Dialogen erreichbar ist, verfiel man, das Wesen der Dichtung mit der äusseren Gestalt ihrer bevorzugten Mittel verwechselnd, in jenen noch schlimmeren Irrtum, nun jede versifizierte Rede für Poesie zu halten, ja nach der Form des Versmasses die poetische Geltung bestimmen zu wollen. Dieser klare Gedankenzusammenhang wird auch durch die auf den ersten Blick so ansprechende Bemayssche Konjektur dvcavvfjLoq zvyyävovaa verwischt, ganz abgesehen von der Schiefheit des Ausdrucks, die dadurch geschaffen wird. Für die Gesamtheit der Dichtung fehlt die Bezeich- nung der Sprache keineswegs; nolrjaig und sKonodu wären dafür vorhanden. Wo- rauf es ankommt, ist, dass durch den mehr oder minder zufälligen Lauf der Dinge iz-v'/f]) diese Bezeichnungen verengt sind, so dass der Sprachgebrauch sie nur noch für Nachahmungen in Versen zulässt und es ihm nun an einem W^orte für die Prosadichtung und für die Nachahmung in freien Rhj'thmen fehlt. Daraus gehen nun die oben besprochenen Verwirrungen hervor.

22) ovöh ei' zig öia z qi^sz qü)V rj iXeye icDV rj zwv äk/.cov zivojv zcov zotovzcov noiolzo ztjv fii^rjaiv. Auch hier ist nichts zu ändern ; und dadurch, dass man im vorangehenden Satze dem ursprünglichen Texte folgt, erhält auch dieser Gedanke und zwar in voller Ueberein Stimmung mit dem diesen ganzen Abschnitt beherrschenden Grundgedanken sein volles Licht : in so hohem Masse mangelt das Verständnis für das Wesen der Dichtung, dass es nämlich ganz allein in der Mimesis liegt, dass z. B. in den sokratischen Dialogen, selbst wenn sie versifiziert würden, das in ihnen liegende mimetische Element nicht anerkannt werden und durch die vorhandenen Sprachmittel nicht kenntlich zu machen sein würde. Mit solcher Schärfe tritt die aristotelische Mimesistheorie dem unentwickelten ästhetischen ßewusstsein gegenüber, zu deren Verständnis doch schon diese einzelne Stelle den rechten Weg hätte weisen müssen. Was ist denn an den „sokratischen Dialogen" mimetisch? doch nicht etwa die hier und da eingestreuten Natur- und Lokalschilderungen oder die mythologisierenden Fiktionen. Vielmehr ist es die per- sönliche und ethische Gesamtfärbung der Darstellung, oder, ohne Umschreibung,

Zur Lehre des Aristoteles vom Wesen der Kunst und der Dichtung. 13

es ist die darin durchweg angewandte Kunst, der Gedankenentwickelung die un- mittelbare Wirkung auf das Gemüt des Hörers zu verleihen, d. h. die „Mimesis eines Ethos". Von einem äusseren Objekte der „Nachahmung" kann da keine Rede sein; eben deshalb liegt eine so bedeutsam aufklärende Kraft darin, wenn A. die SojxQaxixovg ?.6yovg kurzweg für /xifirjosig erklärt, wie er es in dem bei Athenäus aufbewahrten Fragment (vgl. 14 86^9.) gethan hat: „ovxovv ovöh i/xfxtxQovg rovg xaXovfi^vovg 2J(6(pQovog fxißovg /urj (p(öfxsv elvai ?.6yovg xal (jn^riaeLg, 7/ xovg kks^ccf^Evov rov Ttjlov zovg ngozfQOvg ygacphtag z(öv Scoxgazixcöv öiaXoycov " „Soll man denn die nicht versifizierten Mimen des Sophron, die schon durch ihren Namen daraufhinweisen, zugleich als Reden und als künstlerische Darstel- lungen (Mimeseis) bezeichnen können oder die Dialoge des Alexamenos von Teos, die noch früher geschrieben wurden als die sokratischen?" (vgl. Bernays, Tragöd. S. 187) Das ist sicherlich von A. in jenem Dialog „über die Dichter" gesagt worden, wo er seinen Hörern zuerst seine Theorie der Mimesis entwickelte ; ebenso das Frag- ment bei Diogenes Laertius (p. 1486^16): zr/v z(öv Xoycuv cöiav avzov {IlXdzoivog) fXEza^v noLTjfjiazog slvat xal tze^ov Xöyov, „dass die Kunstform seiner Darstellung die Mitte halte zwischen dem Gedicht und der Prosa".

23) noioLzo ZTjv (iL(jirjOLV. Der ganze Nachdruck des Satzes liegt auf diesen Worten. Die geltende Observanz, nach dem Metrum der Dichtungen die Dichter einzuteilen, also in Epiker, Elegiker, Jambendichter u. s. w., die in die Brüche gerät, wenn sie nur einmal alle möglichen Metra durcheinander angewendet findet, ist unwissenschaftlich und grundverkehrt. Die Frage nach der Mimesis ent- scheidet allein und alles.

24) XcciQrjfÄwv. A. erwähnt ihn Rhet. 3, 12 (1413^ 13). Es wird dort von dem Stil der öffentlichen Rede gehandelt {Xs^ig dyojviozixTj), dass er der starken Ausdrucks- mittel der Bühne bedarf. Diese seien entweder ethisch oder pathetisch. Die letzteren, also die Stellen leidenschaftlichen Empfindungsausdruckes werden von den Schauspielern bevorzugt, und auch die Dichter bemühen sich um solche Darsteller. Gepriesen aber werden diejenigen Dichter, deren Dramen sich zum Vorlesen eignen, wie der Dithyrambendichter Chäremon, der an Sorgfalt und Klarheit des Ausdrucks einem Prosaiker gleicht: ßaozät,ovzai öh ot dvayvwazixol, olov Xaigjjßcov (dxQißijg yccQ coGTiEQ XoyoyQdq)og) xal Aixvßviog zwv diS^vgafißonoKÖv. Es liegt nach dem Zusammenhange auf der Hand, dass im Gegensatze zu den für den Schauspieler ge- arbeiteten pathetisch-leidenschaftlichen Glanzleistungen die Dichtung des Chäremon als besonnene, eine strengere Kritik vertragende „ethische" Mimesis gerühmt wird.

25) zavzag fxhv ov ?Jy(o zag öia^OQccg z(öv zs/voJv, iv alg notovvzai zi]V /xlfXfj- GLv. Wenn man hier das ov in oiv wandelt, so wird allerdings der Satz in das Ge- genteil von dem verkehrt, was A. gesagt hat und was der Sinn verlangt, wodurch dann neue Aenderungen nötig werden. Den formalen Abschluss hat die Materie schon sechs Zeilen früher erhalten: negl fxsv ovv zovzcov öhüqLgQ^o} zovzov zov zq6- nov. Wie sollte man dem Autor zumuten, dass er nun doch noch weiter von der abgehandelten Sache gesprochen hätte, um gleich darauf noch ein zweites so aus- drückliches Punktum zu setzen! Die sechs Schlusszeilen enthalten vielmehr einen neuen Gedanken und zwar einen solchen, der schlechterdings seinen Platz nur hinter dem Schluss des Kapitels haben konnte. Das war, wie gesagt, erschöpft mit der Erwähnung jener Dichtungen, die sämtliche Versarten in bunter Mischung anwen- den, für die Chäremon als Beispiel angeführt wurde. Was nun A. nachträglich noch hinzufügt, würde, weiter ausgeführt, so lauten: „Wenn nun eingewendet werden sollte, dass in ähnlicher Weise wie in den Dithyramben und Nomen ja doch auch in der Tragödie und Komödie die verschiedensten Metra zur Anwendung kommen, so wäre zu erwidern, dass da ein grosser Unterschied vorliegt. Die letztgenannten Kunstgattungen verfahren so xazd f^tgog, d. h. sie wenden in verschiedenen Teilen,

14 Hermann Baümgabt

die ganz verschieden geartet sind, auch verschiedene Metra an, wobei sie bestimmten, allgemein gültigen Gesetzen folgen. Man sieht, wie notwendig nun der Schlubssatz folgt: die Besprechung solcher Unterschiede gehört nicht hierher; es sind nicht solche Verschiedenheiten, die in der Betrachtung über die Mittel der künstlerischen Darstellung in Betracht kommen, sondern, wie auf der Hand liegt, da, wo es sich um die Art und Weise derselben handelt. Durch die Konjekturen wird nicht nur der Sinn dieses Satzes, sondern der des ganzen Zusanunenhanges völlig vernichtet.

Kapitel H.

„Da man nun, indem man die künstlerische Nachahmung ausübt, handelnde Personen nachahmt,^"} diese aber notwendig entweder gute oder schlechte sein müssen denn fast immer '-") bewegt sich die Ge- fühlsweise nur nach diesen beiden Richtungen; durch falsches oder rich- tiges Empfinden ^^) unterscheiden sich ja doch die Menschen in ihrer Gefühlsweise so stellt die Nachahmung entweder solche Menschen dar, die besser sind als wir Durchschnittsmenschen oder schlechter oder auch solche wie wir.^^) So auch die Maler: Polygnot bildete Menschen höherer Art ab, Pausen Figuren niederer Gattung, Dionysios solche wie wir.^") Es ist also klar, dass auch eine jede von den oben genannten Arten der Nachahmung diese Unterscheidungen in sich begreifen wird, dass also für die Unterscheidung nach den Gegenständen der Nach- ahmung dieses der Einteilungsgrund sein wird.^*) Denn auch in der Tanzkunst und in der Musik der Flöte und der Kithara können diese selben verschiedenen Richtungen sich entwickelnd^), und ganz dasselbe^) findet statt auf dem Gebiete der redenden Künste in Prosa und Versen.**) So führt uns Homer Menschen besserer Art vor, Kleophon^'*) dagegen unsersgleichen, Hegemon von Thasos endlich, der zuerst Parodien dichtete, und Nikochares, der Dichter der Deliade, niedrige Charaktere. In der gleichen Weise könnte man aber auch die Nachahmung auf dem Gebiete des Dithyrambos und des Nomos gestalten, wie das ja Timotheos und Philoxenos in ihren^^) Cyklopen gethan haben.^^) Das ist aber derselbe"*) Unterschied, aus dem sich der Abstand ^^) zwischen der Tragödie und der Komödie ergeben hat: diese will Personen in ihrer Nachahmung dar- stellen, die schlechter sind als die Umgebung, in der wir leben ^°), jene solche, die sich darüber erheben."

26) 'Enel 6s fufxovvzai oc fxifioviJLSvoL nQaxxovxctq . . Das Schema ety- mologicum ist keineswegs absichtslos; wie tief aber der Sinn der wenigen Worte geht, erkennt man am besten aus der Zusammenhaltung mit einer Stelle aus Kapitel 24 der Poetik, die ihrerseits freilich nicht nur dem Sinne, sondern auch dem Wortlaute nach unverstanden geblieben und dem tötenden Konjekturalgeiste zum Opfer ge- fallen ist. 1460« 5 heisst es: '^'OfirjQog öh aXla re no/.Xa a^iog inatvEla&ai, xal örj xal oxL fxovog xcHv 7C0t?]X(öv ovx dyvosl 8 6si noistv avxov. avxov yccQ öel xov

Zur Lehre des Aristoteles vom Wesen der Kunst und der Dichtung. 15

noiTjTTjV iXayjaza XeysiV ov yaQ iarc xaxä xavxa iiuxrizr^q. o\ /ägv ovv ä?.?.oi avzol (JLSV öl oXov dycDvl^oviai, fzißovvzai öh 6).iya xal oXiyuxig' 6 dh oXlya g)QOifuaaa- ßevog evd^vg eladysi dvöga iq yvvalxa t\ dlXo zl ijS^og, xal ovötva tJS-t], «AA' £'/ovza r]d-7j. So schreibt die älteste Handschrift und gerade so ist zu lesen: „Wie Homer in so vielem andern des Preises wert ist , so auch darin, dass er allein unter den Dichtern nirgends darüber im Unklaren ist, was für eine Rolle seiner eigenen Person im Gedichte zusteht (wörtlich : „was er in eigener Person avzöv dichten muss"). Denn der Dichter selbst soll so wenig als möglich sprechen ; ist er ja doch in solchen Partien nicht nachahmender Künstler. Die andern halten von Anfang bis zu Ende in eigener Person ihren Vortrag, aber die Kunst der Nachahmung üben sie nur an wenigem und an wenigen Stellen ; er jedoch, nur wenige einleitende Worte vorausschickend, lässt sofort einen Mann auftreten oder ein Weib oder irgend etwas anderes Seelisches, und nicht die Seelenzustände sind es, die er uns vorführt, sondern die Dinge zeigt er uns, die die Seelenzu- stände in sich tragen." Durch die beliebte und allgemein angenommene Kon- jektur ical ovöev dr]d"r], dk?J Sforza rjd-7] werden die Sätze zu flacher Geschwätzig- keit herabgedrückt, die in Wahrheit zwei der wichtigsten und feinsten Beobachtungen über die dichterische Kunst enthalten, die erst nach mehr als zweitausend Jahren auf anderem Wege Lessing wieder entdeckte, und auch er nicht in dem hier vorliegen- den, trotz aller Kürze tief begründenden Zusammenhange. Homers Kunst ist echte Mimesis, d. h. psychische Wirkung; nur was selbst sich psychisch bewegt, vermag auch uns mimetisch, die eigene Bewegung nachahmend in uns übertragend in unserm Empfinden zu bewegen, also der handelnde Mensch; nun aber neben ihm alles andere, die ganze Natur und alles Erdenkbare, sofern wir es in dem ihm eigenen Leben, nach den von ihm ausgehenden Äusserungen uns beseelt, empfindend und aus solchen Seelenbeschaffenheiten handelnd vorstellen, d.i. sofern wir ihm Ethos verleihen. Das ist das Geheimnis der homerischen Kunst, die nicht Schilderung ist, sondern seelenbewegende Lebenswirkung durch die Einführung {elaccyeiv) der Naturdinge als ethisch beseelter Kräfte, Mimesis! Und eine zweite Beobachtung liegt in jenen wenigen einfachen Worten: auch der würde sein Ziel verfehlen , der mit der besten Absicht , Ethos , d. i. also Gemütsbewegung her- vorzubringen, nun diese selbst schildern wollte. Wem fiele dabei nicht unsere eigene Poesie aus der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts ein! Wenn der tief und stark fühlende Haller etwa anhebt: „Soll ich von Deinem Tode singen? 0 Ma- rianne! welch ein Lied, wann Seufzer mit den Worten ringen und ein Begriff den andern flieht!" und mit minutiöser Selbstbeobachtung die Beschreibung seiner Trauer durch mehr als hundert Verse fortsetzt. Dagegen spricht A. sein einfaches: ovösva rj&r] ttXX^ £;fovTa ^'^t;! Dies ist der eigentliche Grund des von Lessing wieder erneuten Gesetzes: die Poesie soll Handlungen darstellen, das doch durch die richtige Begründung zugleich auch eingeschränkt wird. Wesen und Dinge soll der Dichter uns vorführen , sofern sie von Ethos beseelt sind ; freilich zeigt sich das zumeist im Handeln; vermag er jedoch das Ethos der Dinge auch durch ihre blosse Gegenwart uns mimetisch zum Gefühl zu bringen, so wird er seine Auf- gabe nicht minder erreicht haben. Aber zeigen können muss er sie uns, und durch nichts wird er das in dem Grade bewirken können, als indem er sie als rjd-Tj exovza wie ein Zauberer vor unserm geistigen Auge lebendig macht. So ist bei Homer die ganze Natur mit beseeltem Leben erfüllt, Nacht und Morgen, Licht und Schatten, Wasser, Wind und Himmel, Gebirge und Strom, und wie er durch menschliches Empfinden die Götter zur Erde hinabzieht, so hebt er ebenso die Tiere zum Men- schen hinauf.

So erhält nun auch der Beginn des zweiten Kapitels, der für sich allein hätte ausreichen sollen , um den bis heute noch immer auf dem Verständnis der aristote-

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lischen Mimesis- Theorie lastenden Bann zu lösen, sein rechtes Licht. Die eigent- lichen Gegenstände der Mimesis: Empfindungen, Gemütszustände, innere Hand- lungen — Pathe, Ethe, Praxeis , die der Maler durch die „Abbildung" ihrer äusser- lich erscheinenden Zeichen nachahmt, der Musiker unmittelbar mit seinen Rhythmen und Melodien erweckt, kann der Dichter nicht anders zur Darstellung bringen , als indem er sie erfasst, wie sie im handelnden Leben sich äussern. Eben darum „ahmt er Handelnde nach", insofern er tlberhaupt ein ßißovfitvog, d. h. insofern er „nachahmender Künstler" ist. Das eigentliche Objekt der Mimesis sind nicht die äusseren Szenen und Begebnisse der Wirklichkeit, es ist daher nicht ein man- nigfaltiges, immerfort wechselndes, sondern es ist das eine, immer gleiche: die bewegte Seele, die das Abbild ihrer Bewegungen in den Gemütern der Empfangen- den wiederholt.

27) dväyxT] 6h zovzovg (sc. TiQäzzovTag) ij onovöaLovq rj ^av/.ovg slvai' za yap rjS^T] axsöov ael zovzoig dxo?.ov&eZ fiovoig. Zwei bedeu- tende Gedanken liegen in diesen Worten, die scharfe Hervorhebung verlangen. Er- fahrungsmässig scheiden sich die Handlungen nach den Kategorien von gut und schlecht. Der Dichter, der uns Handelnde vorführt, muss sie also nach einer von beiden darstellen. Wie lebendig aber A. von der Erkenntnis durchdrungen ist, dass die Kunst es nur mit dem empfindenden Menschen zu thun hat, nicht mit dem moralischen Gesetz seines Handelns, geht aus der höchst bedeutungsvollen Erläute- rung hervor, dass jene Kategorien von gut und schlecht in den Handlungen für den Dichter nur deshalb, also auch nur insofern, in Betracht kommen, als sie von der Gemütsbeschaffenheit der Handelnden Zeugnis ablegen: „denn fast immer bewegt sich die Gefühlsweise nur nach diesen beiden Richtungen". Dieses axsöov dsL, das Anstoss erregt hat und wohl ganz eliminiert ist, stellt grade die klare und tiefe Einsicht des A. ins hellste Licht. Das „Ethos" ist die mehr oder minder gefestigte Gewöhnung, in seinem Empfinden sich den Dingen gegenüber zu verhalten. Die Empfindungen geben nach der sie begleitenden Lust oder Unlust ihr bejahendes oder verneinendes Urteil ab und beeinflussen ebenso den Willensimpuls (zum ÖKoxeiv oder (pevyeLv). Alles kommt darauf an, ob sie dies der unveränderlichen Wahrheit der Dinge gegenüber mit Recht oder Unrecht thun (bei A. kurz ausge- drückt ob: (jisza. löyov dkrjd-ovg)] das Richtige ist hier wie überall nur eins {/Liovax(ög), die Arten der Verfehlung sind sehr vielfach {no/J.axaig). Nichtsdesto- weniger wird im Ganzen und Grossen mit der Gesundheit und Richtigkeit des gefestigten Empfindens auch die Trefflichkeit der Handlungen zusammenfallen, und umgekehrt mit dieser jene in Uebereinstimmung stehen. Dagegen wird Fehlerhaftig- keit, Verderbtheit im Empfinden auch schlechtes Handeln im Gefolge haben und umgekehrt. Dies wird die Regel sein, und nach A.*8 Ueberzeugung hat die Kunst das Normale, Typische darzustellen. Nun ist aber A. sich dessen sehr wohl be- wusst, dass im Leben sich dieses Verhältnis nicht immer so klar darstellt, dass also Ausnahmen zu verzeichnen sind. Es wird damit aus der Zweiteilung eine Dreiteilung, die auch in den folgenden Ausführungen des Kapitels durchweg zur Geltung kommt und die durch die Konjektur denn auch gelegentlich kurzweg be- seitigt ist. Die Dichtung wählt die Fälle, in denen die Gegensätze klar geschieden sind; zwischen jenen giebt es im Leben, bei der Masse der Durchschnittsmenschen, mannigfache Mischungsverhältnisse, denen gegenüber die Beurteilung nach ver- schiedenen Seiten hin sehr leicht ins Schwanken geraten kann. So unterscheidet A. im Folgenden: i'izoL ßsXzlovag ij xad^ vf^äg ij ysiQOvag rj aal zoiovzovg. Also an dritter Stelle „solche wie wir", „Durchschnittsmenschen". Nun ist es klar, dass auch bei diesen das von A. aufgestellte Verhältnis zwischen Handeln und jenem Verhalten des Empfindens, das wir mit „Gesinnungs weise" zu bezeichnen pflegen, in der Regel zutreffen wird, nur dass es nicht so klar zur Erscheinung gelangt;

Zur Lehre des Aristoteles vom Wesen der Kunst und der Dichtung. 17

doch leuchtet es ebenso ein, dass hier sich auch jene selteneren, problematischen Fälle finden werden, in denen die Kompliziertheit der Mischungsverhältnisse die feinste Unterscheidung des Psychologen herausfordert, und denen die moderne Kunst sich mit Vorliebe zugewandt hat. Die Alten lehnten dergleichen von sich ab; dass aber A., in seiner alles erwägenden Besonnenheit, der Existenz solcher Fälle sich klar bewusst war, davon giebt die objektive Prüfung unserer Stelle ein unwiderlegliches Zeugnis.

28) xaxia yaQ xccl d^szy xa ri%-ri öiatpegovaL navxeq. Es geht aus dem Obigen ohne Beweis hervor, wie sinnentstellend es an dieser Stolle wirken muss, xaxia und dgexri durch „Schlechtigkeit und Tugend" oder etwas irgendwie Aehn- liches wiederzugeben. Es kann nur bedeuten „Fehlerhaftigkeit und treff- liche Kichtigkeit"; für das Empfinden kommen die moralischen Kategorien eben nicht zur Anwendung, sondern die objektive üebereinstimmung mit dem ).6yoq cc^.rjS^g oder die Abweichung davon. Welche Schwierigkeit, beiläufig bemerkt, die Wieder- gabe des Wortes ^9-og verursacht, da wir nun einmal ein deutsches Wort dafür nicht besitzen, und wie hier die konsequente Anwendung ein und derselben Bezeichnung schlechterdings unthunlich ist, sondern in jedem Falle die Annäherung an die durch den Sinn geforderte Nuance des Begriffs gefordert wird, ist jedem, der mit der vollen Kenntnis seiner Bedeutung den Versuch gemacht hat, sicherlich bekannt.

29) r/ xal xoiovxovg: jene dritte, oben erwähnte Gattung handelnder Men- schen, deren Erwähnung durch das axsäöv del des vorhergehenden Satzes vor- bereitet ist.

30) /JiovvoLog ÖS oßolovg si'xat^sv. Das oixoLovg bezeichnet hier auf dem Gebiet der Malerei mit höchst präcisem Ausdruck jene dritte Gattung von Menschen, die zuvor mit xaS-' rjfzäg, xoiovxovg von den beiden andern unterschieden war. Sehr absichtsvoll und treffend ist auch das Verbum sl'xa^ev gewählt, um abermals zu erinnern, dass die vom Maler dargestellten Figuren nicht der Gegen- stand seiner künstlerischen Nachahmung der Mimesis sind, sondern nur das Formenmaterial, das er „abzuschildern" hat, weil es die Zeichen {arjßela) in sich birgt, durch deren Komposition er seinen höheren Nachahmungszweck xsXog fiifxrjaecog allein erreichen kann.

31) xal saxai hxsga. xw (allgemein angenommene Aenderung für x6) srega ßißelad-ai xovxov xov xqotcov. Die ausserordentliche Schärfe und Prägnanz der Diktion geht verloren, wenn nicht jedes Wort und auch seine Stellung gewogen wird. Der im Vorangehenden erörterte Unterschied der „Ethe** geht durch das ganze Gebiet aller Künste, und so wunderbar es auf den ersten Blick er- scheinen mag in ihm erschöpfen sich alle Verschiedenheiten, die in Bezug auf den Gegenstand der künstlerischen Nachahmung überhaupt stattfinden können. Nicht also nach ihren Gegenständen unterscheiden sich die Künste, sondern nur nach ihren Mitteln und in Folge dessen nach der Art ihrer Nach- ahmung. Abermals hätte dieser Satz allein hinreichen müssen, um alle die seichten Interpretationen der aristotelischen Mimesis und alle die insipiden Einwürfe, die Jahrhunderte hindurch dagegen erhoben sind und noch erhoben werden, unmög- lich zu machen. In dem obigen Satze liegt der Nachdruck auf dem xovxov xov XQonov, das darum ans Ende gestellt, aber mit saxcci hxsga zu verbinden ist, dazu dann der Instrumentalis x(5 ^xsga ßifxsla&ai. Dieser im ersten Kapitel an zweiter Stelle genannte Einteilungsgrund erstreckt sich also in der Weise über alle Künste, dass er in jeder derselben für sich zwei Hauptgruppen schafft.

32) So heisst es ausdrücklich im folgenden Satze : xal yaQ iv oq'/^tigel xal avXi^aei xal xiS-aglosi saxi ysvsad^ai xavxag xag dvo (JLOiöxrjxag. ünsre moderne Opernmusik liefert uns zwar auch in ihrem rein instrumentalen Teile Ana- logien für diesen aristotelischen Satz, aber nach dem, was wir in dem sogenannten

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18 Hermann Baümgabt

achten Buche seiner Politik über die Musik lesen, müssen wir uns vorstellen, dass Ohr und Sinn der Griechen für diese uvofioiozrjrag der Musik , also für ihre Fähig- keit, alle Arten von Ethos, die hohen und edlen, wie die fehlerhaften und gemeinen, nachahmend in uns hervorzubringen, in ungemein hohem Grade ausgebildet waren. Darauf freilich, uns von ihrer Tanzkunst ein irgendwie zutreffendes Bild zu machen, müssen wir ein für allemal verzichten.

33) xal to nsQl xovq Xoyovq öe xal ttjv \piXo fiex qLuv. Für das x6 des Textes, das keinen Sinn giebt, lese ich xuvto, wozu aus dem Vorangehenden taxL ysvia&at hinzuzudenken wäre.

34) Warum sagt A. nsgl xovg Xoyovq etc., während es vorher hiess iv oq/i]- 08L etc.y Weil Tanz und Musik mit ihren Mitteln selbst es vermögen, die Ethe nachzuahmen; jene Verschiedenheiten finden also in ihnen statt. Die Worte und Verse können das nicht; sie führen uns vielmehr die handelnden Personen vor, in denen jene Unterschiede der Ethe sich erst uns darstellen. Daher sagt A. „auf dem Gebiete" „in dem Umkreise" der redenden Künste, was negl im eigentlichen Sinne bedeutet.

35) KXeofpöjv ö'k dßoiovq. Kleophon wird von Suidas als Tragödiendichter genannt; und an dramatische Dichtung ist hier nach dem Zusammenhange unzweifel- haft zu denken, durchaus nicht jedoch an den Dialog „Mandrobulos" desselben Autors, der von A.Sophist, elench. p. 174'' 27 als ein Beispiel besonders ausgeprägt sophistischen Streitverfahrens erwähnt wird. Der Beginn des 22. Kapitels der Poetik (vgl. 14582 18) widerspricht dieser Annahme nicht allein keineswegs, sondern bestätigt sie vielmehr. Dort heisst es: Ae^ecaq ös dgexri aacpri xal (jirj xansivrjv elvai. oa(peaxäzri /uhv oiv iaxiv ^ ix xcöv xvqlcov ovoßäxwv, dlXa xaneLViq. nagd- öeiyfxa dh rj KUocpcüvxoq nolrjctq. Die hier an der Ausdrucksweise des Kleophon geübte Kritik trifft auf einen sophistischen Dialog von der Art, wie A. den Man- drobulos kennzeichnet, nicht zu, wo ja der deutlichste Ausdruck {aa^eaxdxrj) und die Anwendung der Worte in ihrem eigentlichen Sinne (xvgia ovofiaza) gerade gefordert werden. Desto mehr bedeutet sie einen Tadel in der Poesie. Das Prädikat aber, das dem poetischen Ausdruck Kleophons im Kapitel 22 beigelegt wird, stimmt zu dem, was A. in Kap. 2 von ihm sagt, vollkommen; denn die ?Jqiq xansivri, der zwar höchste Deutlichkeit nachgesagt wird, die aber eben in der Deutlichkeit, auf alles Uneigentliche, Bildliche, Geschmückte Verzicht leistend, zu weit geht, ist grade die Stilgattung, die wir bei einem Dichter erwarten, der Personen und Vorgänge des gewöhnlichen Lebens (oßolovq) darzustellen sich erwählt hat. Daher ist es weder zu übersetzen mit „niedrig, vulgär, malt oder dürftig", weil alles das im Tadel zu weit geht, noch mit „schlicht oder einfach", weil damit ein Lob verbunden wäre; das treffende möchte unser dem Lateinischen entlehntes „plan" sein.

36) ofioicoq ös xal Ttsgl xovq öi&vgdßß ovq xal negl xovq vofLOvq (jjaneg xovq KvxXcoTtaq TißöS-soq xal ^^iXo^evoq fjLiixriaaix o dv xiq. Für das im Text stehende sinnlose eye negyäq habe ich dyaneg xovq geschrieben, gewiss eine so einfache Korrektur, zumal sie mit den überlieferten Thatsachen zu- sammenstimmt, dass sie ein jeder hätte machen müssen, der nur den Worten und ihrem Sinne aufmerksam folgte. Das den speziellen Abschnitt des Kapitels be- herrschende Thema ist: auch in der Poesie giebt es den einen Unterscheidungsgrund für die Gegenstände der Nachahmung, der sich über alle einzelnen Gattungen der Dichtung erstreckt. Nun ist zuletzt die Parodie erwähnt, die Personen niedrigeren Charakters uns vorführt; und A. fährt fort: oßolcoq sc: fiifx^aaixo avT/?„man könnte das gleiche Verfahren der Nachahmung ja auch einschlagen", also doch das parodische, auf Gebieten {negl vgl. Anmerk. 34.), die das am wenigsten er- warten Hessen, wie auf denen des Dithyrambos und Nomos, für welchen letzteren sogar zwei Beispiele, und zwar gleich betitelte, vorliegen. So dass also jene Ein-

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teilung eine überall durchgehende ist; das alles dient dann zur begründenden Erklärung dafür, wie die Tragödie und die Komödie sich naturgemäss entwickelt haben. Die für inkurabel geltende Stelle bietet nicht die geringste Schwierigkeit, sobald man nur imiiioaLxo als das Verbum des Hauptsatzes erkennt, das gleich- bedeutend mit itOLTjaeie av xig ttjv fxlfzi]Giv sein Objekt in sich selber trägt. Das Verständnis der Stelle hängt also allerdings an dem Verständnis des Begriffes der Mimesis.

37) Sachlich sei noch bemerkt, dass sowohl Timotheos als Philoxenos in der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts lebten, und Athenäus uns von jedem der beiden berichtet, dass er einen Nomos, „der Cyklop" betitelt, verfasst habe.

38) iv 06 T^ ccvz^ 6ia(pOQä xal rj tQay(x)6La itgoq rrjv X(OfXü)6lccv öieoTijxev. Der Text hat iv avt^ 6h zy. Es ist nur der Artikel umzustellen, was schon Vettori gethan hat ; dagegen würde durch die Konjektur xavij^ in logisch störender Weise auf das zuletzt Vorangehende hingewiesen, während, wie im Obigen ausgeführt ist, die letzte Schlussfolgerung aus der ganzen vorausgehenden Erörte- rung gezogen wird, und zwar grade über die zuletzt eingeschobene Abschweifung hinweg.

39) Sehr plastisch ist der Ausdruck öiearrjxsv und iv t^ öiatpoga „sie traten auseinander", „der Abstand zwischen ihnen bildete sich heraus in dem Punkte dieser Verschiedenheit' ' .

40) x(äv vvv. Ein neuer Ausdruck für dasselbe, wofilr vorher ot xad-'rjfzäg oder xoLOvxoL oder ofioioi gesagt war; also die Menschen der Umgebung, in der wir leben, örtlich, zeitlich und der Qualität nach.

Kapitel IH.

„Für diese zuletzt genannten''^) Kunstgattungen existiert nun noch als dritter Unterschied die Verschiedenheit der Art, wie ihre Gegenstände"*^) nachgeahmt werden können. Denn man kann innerhalb desselben Mate- rials von Mitteln und bei gleichartigen Gegenständen einmal als Erzäh- lender nachahmen und zwar entweder, indem man sich in eine beliebige andere Gestalt ''^) verwandelt so dichtete Homer ^*) oder, indem man dieselbe Gestalt^'), ohne sie zu verändern''^), beibehält, oder, indem die Nachahmenden^^) sämtlich zu handelnden Personen werden und in Aktion treten."'^)

41) xovxcDv. Die Erörterung engt sich nun auf die eigentliche poetische Kunstlehre ein und zieht bei der Betrachtung der Mittel der Mimesis also nur noch die poetischen Gattungen in Erwägung, von denen zuletzt die Rede war.

42) sxaaxcc xovxiov. Die bei jeder dieser also den loyoi und der \piXo- fiBxgia zugehörigen Gattungen in Betracht kommenden, dreifach verschiedenen Nachahmungs Objekte.

43) xal yaQ iv xoZq avrolg xal xd avvd fiifjiela&aL Maxiv oxh fihv dnayyiXXovxa // s'xegov xi ycyvofievov, wansg "Ofirjgog noisZ, rj otg xov avxov xal fjtrj (xexaßdXXovxa, rj ndvxag (hg ngdxxovxag xal ivsQ- yovvxaq xovg fiißovfisvovg. Die Sätze erhalten volles Licht aus der oben (vgl. Anmerk. 24) behandelten Stelle aus dem 24. Kapitel der Poetik. Aus dem dort Gesagten geht auch hervor, dass im Texte wiederum das richtige steht rj hegov xl, während die Aenderung xiva nicht allein einschränkend, sondern sogar völlig

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20 Hbbmamn Baümgabt

sinnzerstörend wirkt. Die Stelle enthält allerdings eine kleine Unregelmässigkeit im Ausdruck, dass nämlich dem ozh fiev vor dnayyiX'/.ovza nicht am Schlüsse ein bze öe entspricht (vgl. Vahlen, Beitr. I. S. 42). Andrerseits erklärt sich diese Ab- weichung aus dem Sinn der ganzen Stelle. Sie unterscheidet zwischen der Nach- ahmung durch £rzählung und durch Handelnde und bereitet die Nennung der letzteren dadurch vor, dass innerhalb der künstlerischen Erzählung zwei Arten unterschieden werden, die eine Steigerung der Entwickelung zur dramatischen Nach- ahmung bedeuten. Hierdurch erklärt es sich auch, dass der Verfasser, vielleicht mit voller Absicht, bei dem r] im engsten Anschluss an die vorangehende Alternative vorblieb, statt äusserlich korrekt das Schema der Einteilung festzuhalten. Das eine hätte doch von vornherein allen Interpreten und üebersetzern feststehen müssen, dass von einer Erzählung, wobei der Dichter in eigener Person vorträgt, hier über- haupt keine Rede sein kann. Denn eine solche gilt dem Verfasser der Poetik über- haupt für keine künstlerische, ftir keine Mimesis und mit Recht. Er unterscheidet also innerhalb der künstlerischen, mimetischen Erzählung zwei Arten: entweder der Erzähler nimmt in unaufhörlicher Wandlung die Gestalten der Personen und Dinge an, mit jedem beliebigen so sich identifizierend, dass es selbst statt seiner zu uns spricht

also nicht als ein steqÖv tiva, sondern als ein steqov xl yiyvofisvov, und

44) „so dichtet Homer", das noieZ emphatisch, im eigentlichen Sinne ge- nommen, er „schafft"

45) oder wg rov avxov, was, wie sich von selbst verstehen sollte, nimmermehr bedeuten kann: „in eigner Person", sondern „ein und dieselbe sc. angenommene

Gestalt in seiner Erzählung festhaltend".

46) xal (iri fiszaß dkXovza „durch nichts von dieser Fiktion ab- vp^eichend". Hier ein aufklärender und verstärkender Zusatz, in dem anderen, freilich garnicht zu statuierenden Falle eine ganz überflüssige Floskel. Das sinn- zerstörende Missverständnis der Stelle rührt auch daher, dass wg zov avzov und ebenso dann ß^ fiezaßäXXovza fälschlich zu dnayysXXovza gezogen werden, während sie doch der Konstruktion wie dem Sinne nach ebenso wie das vorangehende exs- Qov ZL als Prädikate zu yiyvöfjLsvov gehören. Diese zweite Art des recitierenden Vor- trages, wobei der Dichter aus dem Ethos einer bestimmten Person heraus in un- unterbrochener Haltung die Dinge darstellt, macht ja doch offenbar den üebergang von der epischen Darstellungsweise Homers zu jener anderen, wo nun der Dichter alle Personen unmittelbar sich darstellen lässt, so dass aus der blossen Darstellung ihres Ethos nun auch notwendig eine Darstellung der wirklichen äusseren Hand- lungen werden muss, in denen es sich offenbart. Daher die eigentümliche Fassung des Schlusssatzes:

47) 7] ndvzag ajg UQazzovzag xal svsgyovvzag zovq fiinovfisvovq. Auffallend ist die Fassung, weil der ganze Satz von eaziv fufielad^ai abhängig ist. Sie will eben betonen, dass fufxovfisvoif d. i. in ihren inneren Seelenzuständen Nach- geahmte, die Personen überall in der Dichtung sein müssen, dass hier aber der Schritt der ununterbrochenen Durchführung solcher Nachahmung bei einer Person auf sämtiiche Personen ausgedehnt wird, und zwar so, dass:

48) er sie nicht allein als ngazzorzag, sondern auch als ivsgyovvzag vor- ftlhrt. Denn das ngazzeiv, das innere Handeln, käme ihnen auch dort zu, wo sie von der äusseren Verwirklichung desselben uns in eigner Person berichten, vde wenn Odysseus sich selbst als „Handelnden" darstellt; hier muss nun aber die faktische Bethätiguüg, die äussere Ausübung der ngä^ig hinzukommen, das ivs^yalv. Die Personen treten, da sie sämtlich sich ihrem Ethos nach unmittelbar darstellen, „in Aktion". Hierfür wird später um des Etymons im Worte „Drama" willen TiQÖLZZovzag xal ÖQcövzag gesagt.

Zur Lehre des Aristoteles vom Wesen der Kunst und der Dichtung. 21

„In diesen drei Unterschieden stellt sich das Wesen der künstleri- schen Nachahmung dar''), wie in der prinzipiellen Einleitung gesagt wurde '^'^), in ihrem Material an Mitteln, ihren Gegenständen und ihrer Art und Weise.") Demgemäss übte nach dem einen Gesichtspunkte Sophokles dieselbe nachahmende Kunst wie Homer, weil beide edle Charaktere nachahmen; nach dem andern wie Aristophanes, weil die Nachahmungs weise beider uns die Personen in Handlung und in drasti- scher Aktion Torführt.'^'') Wie man sagt, soll auch die dafür übliche Be- zeichnung „Drama" davon herkommen, dass sie eben „drastisch" Agierende darstellen. Deswegen betrachten auch die Dorier die Tragödie sowohl als die Komödie als ihr Eigentum: die Komödie nehmen die Megarenser in Anspruch, und zwar ebensowohl die einheimischen als ein Produkt aus ihrer demokratischen Epoche als auch die sicilischen, weil Epi- charmos dorther stammte, der lange vor Chionides und Magnes dichtete"^) ; auch die Tragödie beanspruchen verschiedene von den Peloponnesiem ; sie rufen die Benennungen als Zeugnis dafür an. Denn bei ihnen ^), sagen sie, nennt man die Landbezirke „Komen", die Athener nennen sie „Demen" wobei sie die Bezeichnung der „Komöden"^^) nicht von dem Umherschwärmen „Komazein'* ableiten, sondern von dem Umher- ziehen in den „Komen", weil man sie in der Stadt gering schätzte; ebenso hätten sie für „Thun^' das Wort „Dran", die Athener dagegen „Prattein". Das sind die Bestimmungen über die Unterschiede der künstlerischen Nachahmung ihrer Zahl und Beschaffenheit nach."

49) iv xqlgI 6ri xavxaiq öiatpogalq rj fil/iTjoig saziv. Prägnant zu fassen: sie ist darin enthalten, erschöpft sich darin, „stellt ihr Wesen dar".

50) (bg elnoßsv xax^ (XQX^<^- ^gi« Anmerk. 7. Auch hier bedeuten die Worte des Autors nicht ein einfaches „wie oben gesagt", sondern einen Hinweis auf die „prinzipielle" Erörterung seiner Mimesis-Theorie, deren missverständlicher Auffassung als blosser Naturnachahmung er nicht müde wird vorzubeugen. Die sich anschliessende Ausführung dient wieder diesem Zwecke, durch ein neues frappantes Beispiel auf die Innerlichkeit des Wesens der Mimesis hinzuweisen gegen- über den in die Augen fallenden äusseren Verschiedenheiten der Kunstformen.

51) Im Texte steht: iv olq xe xal wq, und es fehlt die Erwähnung der dritten öiacpoQa, wofür das mangelnde xal a an zweiter Stelle schon von Aldus eingeschoben ist.

52) ngdxxovxccq yccQ /xtfiovvxai xal ÖQüivtaq afzg)(o. Vgl. Anmerk. 48. Für das frühere ivsgyovvxaq lässt A. hier das ÖQwvxaq eintreten, um den folgenden etymologisch-historischen Exkurs daran zu knüpfen, den er übrigens beiläufig genug behandelt und darum als gelegentlichen Appendix hier seine Stelle finden lässt.

53) 'EnlxciQfxoq 6 noirjxy'jq, TtoXXw ngoxsgoq (xiv. Das Attribut noi' rjxi^q ist zugleich Subjekt für das Participium tov, daher gehört es im Deutschen als Prädikatsverbum in den Nebensatz: „der viel früher dichtete*'.

54) Das ovxoi des Textes, das sehr natürlich und nachdrücklich an das yor- ausgehende evwi xdiv iv Ilekonovvriaqt anknüpft, ist durchaus beizubehalten.

22 Hebkamm Bauhoabt

Was die Konstruktion anbetrifft, so ergänzt sich das zu xalelv gehörige Subjekt eavxovq von selbst.

55) x(üfiü)SovQf die Wortbildung „Komöden" in Analogie von „Tra- göden'^, wird hier gestattet sein, da es ja auf das Etymon des Wortes eben allein ankommt.

Kapitel IV.

„Als die Ursachen, die überhaupt den Anlass für das Entstehen der Poesie gegeben haben, erscheinen zwei, und beide liegen sie in der Natur des Menschen: einmal der angeborene Trieb der Nachahmung, der von Kindheit auf sich im Menschen zeigt und durch den sich der Mensch von den übrigen Wesen unterscheidet; er hat zugleich die höchste Fähig- keit und die stärkste Neigung zur Nachahmung^), durch sie erwirbt er auch die erste Erkenntnis und sodann der Umstand , dass die Freude an solchen Nachahmungen allen Menschen gemeinsam ist Ein Zeichen davon ist unser Verhalten den Bildwerken gegenüber. Wir betrachten Abbilder von Gegenständen, deren Anblick uns in der Natur unangenehm ist, auch wenn sie mit höchster Treue ausgeführt sind, mit Vergnügen, wie z. B. die Gestalten von verachteten Tieren oder von Leichnamen. Eine Ursache davon liegt auch darin"), dass das Erkennen nicht nur den Philosophen, sondern ähnlich auch allen andern etwas höchst Er- freuliches ist, nur dass sie ihm ihre Teilnahme auf kurze Zeit zuwen- den. Denn der Grund, warum man die Abbildungen mit Vergnügen be- trachtet, ist der, dass bei der Betrachtung ein Erkennen stattfindet und eine Schlussfolgerung, was ein jedes darstelle, wie z. B. dies Bild jene Person.^^) Denn wenn jemand dazuträte, der sie nicht zuvor gesehen hätte, so würde es keineswegs als Nachahmung das Vergnügen erregen, sondern durch seine sorgfältige Arbeit, durch die Farbe oder aus einem anderen derartigen Grunde. Da nun also das Nachahmen in unserer Natur liegt, und ebenso die Harmonie ^^) und der Rhythmus denn das Versmass ist doch offenbar eine Unterabteilung des Rhythmus so haben zunächst Männer, die von der Natur dazu geschaffen waren ^°), und dann solche, welche diese Anfänge^') meistens in allmählicher Entwicke- lung^*) weiter fortfahrten, aus den Erstlingsversuchen die Poesie her- vorgebracht."

56) fiifZ7]Tix(6rarov. Die prägnante Bedeutung des Ausdruckes giebt in der Uebersetzung weder „Neigung", noch „Fähigkeit zum Nachahmen" vollständig -wieder, sondern nur die Kombination von beidem.

57) aXxLOv öh xal rovxov, ort ßavS-dvsiv x. x. X. Das xal gehört doch unzweifelhaft zu acxiov und nicht zu xovxov: „Ursache davon ist auch, dass das Erkennen . . . erfreulich ist." Es muss dieser an sich klare Umstand aber besonders hervorgehoben werden, weil mit der vorliegenden Aeusserung des A. ein ähnlicher Missbrauch getrieben ist, wie, in allerdings noch höherem Grade, mit dem Satz über

Zur Lehre des Aristoteles vom Wesen der Kunst und der Dichtung, 23

die Schönheit im siebenten Kapitel: zo yccQ xalov iv (leye^SL xal ra^ei iatlv, und in manchen anderen Fällen. Das Verfahren dabei ist dieses, dass ein von ihm bei- läufig und gelegentlich an einem Begriffe hervorgehobenes Attribut, das demselben freilich seiner Natur nach zukommt A. nennt das ein avfißsßtjxbg xad-' avro so aufgefasst wird, als sei damit eine Wesensdefinition beabsichtigt; eine Verwechse- lung, die von A. selbst als einer der schwersten logischen Fehler gekennzeichnet ist, der man aber nichtsdestoweniger überaus häufig begegnet. Welche grundfalsche Ansicht von dem aristotelischen BegriflFe der Mimesis muss entstehen, wenn man er- fährt, der Philosoph lehre : das Wesen der künstlerischen Nachahmung bestehe darin, dass sie uns durch die Abbildung der Dinge dazu vermöge, uns an ihnen zu erfreuen, selbst wenn sie an sich hässlich oder uns sonst unangenehm seien, und das komme daher, dass das Wiedererkennen der Dinge im Bilde uns Vergnügen mache. Schlimmer können die Begriffe nicht verwirrt und auf den Kopf gestellt werden, als es hiermit geschehen würde und gewohnheitsmässig geschehen ist. Das vierte Kapitel enthält überhaupt von einer Definition der „Mimesis" kein Wort; bei solchem schwierigen Beginnen geht A. ganz anders zu Werke. Es handelt in seinem ersten Abschnitte von den natürlichen Antrieben des Menschen, die ihn zur Kunstthätigkeit geführt haben und skizziert im Folgenden die daran sich knüpfende früheste Entwickelung der Poesie in ihren historischen Grundzügen. Unter diesen Naturtrieben hebt er als den mächtigsten den dem Menschen ange- borenen Nachahmungstrieb hervor. Mit wie gutem Recht, das ersieht man, wenn man die unermessliche Bedeutung des Triebes ins Auge fasst, an den der Be- ginn aller Erkenntnis geknüpft ist. Es zeigt sich dann, wie bei diesem heilsamsten und gefährlichsten der menschlichen Triebe vom frühesten Anbeginn das äusserliche Nachbilden das cc7t6ixdt,£Lv lediglich das tief untergeordnete Mittel ist für die Reproduktion der in tiefster Seele mit dem Sinneseindruck empfangenen seelischen Wirkung, sei es von der momentan erschütternden einzelnen Empfindung, sei es von der milden Kraft des nach aussen tretenden Ethos, sei es von dem gebieterisch in die Seele des anderen sich hinüber pflanzenden Im- puls zum Handeln. Oder was wären es anders für Vorgänge, die das lallende Kind zum Nachbilden der Sprachlaute bewegen, die es doch nur in der unablässigen engsten Verbindung mit den Eindrücken der rings umher sich darstellenden und be- wegenden Welt der Dinge und Vorgänge verstehen lernt! Wenn es schon, ehe es soweit sich entwickelt, auf die leisesten Veränderungen in der Harmonie und dem Rhythmus der an sein Ohr schlagenden Stimmlaute nachahmend reagiert, und ganz ebenso auf die feinsten Wandlungen in den Linien des Antlitzes, der Haltung der Ge- stalt, den Zeichen der Vorgänge im Gemüt! Hierin, in dieser unendlichen Fülle der Wirkungen, liegt auch der eigentliche Grund der unerschöpfKchen Freude des Menschen an der Nachahmung als solcher zo xa/()av zoig fxifii^ßaac ndvzag ; und es ist nur ein äusserlich zutreffendes Anzeichen davon, dass uns die getreuen Abbilder der Dinge, auch an sich unerfreulicher, so anziehen, weil in ihnen allen das stets willkommene Rätsel jener Zeichenschrift sich uns zur fruchtbaren Lösung darbietet. Dazu, zu diesem letzteren, also nun noch die besondere Freude am fiav- d-dvBLV und av?.koyi^ead^ai zL exaazov, dieses Herauserkennen aller einzelnen Züge in ihrer Bedeutung und das Zusammenfassen derselben in ein Schlussurteil, das man sich doch hüten muss, auf die Enge des zur Erläuterung angeführten Beispieles olov ozL ovzoq ixelvog einzuschränken. Auch vergesse man nicht, dass es sich hier doch zunächst um die primitivsten Regungen auf diesem Gebiete handelt.

58) ozi ovzog ixelvog. Dass mit dem ovzog die Person im Bilde gemeint ist und dass dieses „Bild" nun für den folgenden Satz Subjekt bleibt, wozu dann das ovxl (jLifxrifjLa (was nicht zu ändern ist) als Attribut tritt, ist eine natürliche und erlaubte Freiheit des Ausdruckes.

24 HEBMAim Baumgabt

59) xal tfjg uQ/zovlag xal zov ^v^fiov. Der Text ist richtig: weder ist einer falsch verstandenen Vollständigkeit zu Liebe als das dritte der Musik und Dichtung gemeinsam angehörende Mittel noch xal zov ?.6yov voranzustellen , noch ist die uQiMovia als störend wegzulassen, weil sie ein lediglich musikalisches Aus- drucksmittel sei. In einem Satze, dessen Inhalt die Entstehung der Poesie aus dem Naturtrieb des Menschen, sagen wir, zur kunstverwandten Nachahmung ist, wäre die nachdrückliche Erwähnung, dass er dazu des Wortes sich „naturgemäss" bedienen müsse, höchst pedantisch noch pedantischer freilich ist es, sie zu ver- missen; dagegen wie völlig zutreffend ist, was wir bei A. lesen! „Es liegt in der Natur des Menschen, nachzuahmen, und zwar zunächst gelegentlich aus dem Steg- reif — avtoox£Si(xo(jLaxa ~, was irgendwie Auffallendes, d. h. doch nach der einen oder andern Seite hin ihn im Gemüte Erregendes ihn dazu hinreisst. Dazu gehören Körperbewegungen und Anwendung der Stimmmittel, die der Erwähnung nicht weiter bedürfen; der Anfang der Kunst liegt vor, sobald über das naturalistische Nachbilden dnsixu^siv hinausgehende Mittel, also Kunstmittel, dabei zur Anwendung gelangen. Auch der Zug zu diesen hin ist uns angeboren; es sind die beiden allgewaltigen Kräfte, die, quer darüber hinweg sich erstreckend, das ganze Gebiet der fortschreitenden Künste beherrschen: die von den höheren Gesetzen ethischer Mimesis geheimnisvoll regierte Anordnung der Klänge nach ihrer Qualität und der Klänge, wie auch der Bewegungen nach ihrer Betonung, Stärke und Dauer, Harmonie und Rhythmus.

60) 6^dQxV'S^^<P^^ozeg. Schon bei den Stegreifversuchen der Nachahmung, die vielleicht mit der Kopierung bestimmter Personen ihren Anfang nehmen, thun sich die dafür besonders „Beanlagten" hervor; den Grund für die Entwickelung der Kunst legen nicht sowohl diejenigen, die dabei mit geschmackvoller Auswahl verfahren, sondern die von der Natur Hochbegabten, die durch die Anwendung jener höher gearteten Mittel die Nachahmung von der abbildenden Wiederholung des Einzelnen loslösten und sie auf das jenen idealen Mitteln homogene All- gemeine lenkten, d. i. auf die allen äusseren Veränderungen zu Grunde liegenden ethischen Bewegungen als auf ihr eigentliches Objekt. Sie schufen die Kunst- formen.

61) xal avza . . .TtQodyovzeq. Das avzd steht proleptisch für jene von dem Genie in und aus den Erstlingsversuchen geschaffenen Kunstformen; sie werden von den Nachfolgern übernommen und fortentwickelt, und zwar:

62) (jidkiaza xaza fiixQov, meistens in allmählicher Entwickelung, ein, wie die Geschichte der Poesie beweist, mit Recht so sorgfältig limitierter Ausdruck. Denn wenn der Regel nach der Gang der Entwickelung in der dichterischen Kunst von den einmal vorhandenen Mustern aus ein langsamer ist, so fehlt es doch nicht an einzelnen die Regel gewaltig durchbrechenden Erscheinungen.

„Je nachdem nun aber die eigene Sinnesart derselben beschaffen war, spaltete sich die Dichtung nach zwei Seiten hin®^): die Höhergesinnten ahmten die edlen Handlungen dichterisch nach und das Thun und Treiben von Menschen wie sie selbst®'), die leichter Gesinnten das der Schlechten, indem sie ihrerseits den Anfang damit machten, Spottverse zu dichten, wie andere mit Hymnen und Lobliedern begannen.^) Aus der Zeit vor Homer können wir freilich von keinem Verfasser solcher Gedichte reden, sicher- lich hat es aber viele gegeben; fangen wir indes von Homer an, so ist, wie von ihm selbst der Margites, auch diese Gattung vorhanden ^^), worin

Zur Lehre des Aristoteles vom Wesen der Kunst und der Dichtung. 25

das mit dem Inhalte zusammenstimmende^'') jambische Versmass aufkam. Es heisst daher auch heute das spottende [laußelov), weil man in diesem Versmass einander zu verspotten pflegte (id/xßiKov). Es wendeten also von den Alten die einen sich der heroischen Dichtung zu, die anderen der Jambendichtung. Wie aber auch in der ernsten Dichtung Homer der Hauptdichter war er allein, und zwar nicht insofern seine Dichtung schön in ihrer Form ^^), sondern weil sie auch künstlerische Nachahmung lebendig bewegter Handlung ist^^) , so hat ebenso er zuerst die Grundform der Komödie aufgewiesen, indem er nicht ein Spottgedicht machte, sondern das Lächerliche in lebendiger Handlung zur Darstellung brachte: denn in diesem Punkte '") ist Margites jener Form verwandt; wie Hias und die Odyssee zu den Tragödien, so verhält sich dieser '^ zu den Komödien. Gegenüber der neuen Erscheinung'^) der Tragödie und der Komödie wur- den nun, je nach ihrer Leidenschaft für die eine der beiden poetischen Eichtungen oder die andere, diese aus Jambendichtem zu Komödien- dichtem, und jene, statt Epen zu dichten, setzten Tragödien in Szene"), weil diese Formen höher stehen und angesehener sind als jene."

63) öisGTtda&ij öh xaxa zd olxsXa rjd-i] ^ nolrjaig. Damit ist das Thema für den folgenden Abschnitt angegeben ; massgebend für die historische Entwickelung der Poesie nach ihren Hauptrichtungen ist nicht die äussere Form gewesen, sondern das Objekt der Mimesis. Bei der Entscheidung für die eine oder die andere von ihnen wurde, wie natürlich, jeder von den durch ihre Anlage zu dichterischer Aeusserung Getriebenen durch die eigene Gemüts- und Sinnesart bestimmt (rd oly.ela rjd-T]).

64) OL ßhv ae[jLv6zeQ0L zccg xakag sfxifxovvzo ngd^eiq xal zag z(öv zoLovziov. Es liegt keine Nötigung zu einer so gezwungenen Konstruktion vor, wie sie Bernays (vgl. Tragöd. p. 153) vorschreibt, dass nämlich „ziäv zoiovzwv bloss das vorhergehende Adjektiv xaXdg in personaler Modifikation wieder aufnimmt". Der volle Sinn, dass nämlich nicht „edle Handlungen" ausschliesslich für die ideal gerichteten Dichter das Nachahmungsobjekt bilden, sondern neben ihnen die ge- samte Handlungsweise ihrer eigenen Natur verwandter Personen, ergiebt sich, wenn man einfach zcöv zoiovzmv als zdiv zolg osfivozsQOig bßoicDV fasst.

65) OL öe svz sXsazsQOi zag ziov cpavXiov, nQÖizov yjoyovg noiovv- Tf g, ojansQ €^z€qoi vfivovg xal iyxojßia. Zu den beiden letzteren Objekten ist das 7CQ(özov als ebenso zugehörig zu betrachten, wie zu xpöyovg.

66) eazLv, olov ixFivov 6 Magylzrjg, xal zd zoiavza. Zu verbinden ist 80ZIV xal zd zoiavza, nicht 6 Magylirig xal zd zoiavza. Denn der klar hervor- tretende Gedanke des A. ist dieser: die Gattung der Spottlieder ist sicherlich so alt wie die Dichtung überhaupt; doch wissen wir von ihr aus der Zeit vor Homer nichts, von da ab ist sie vorhanden.

67) xazd zd aQfxozzov. Wenn hier der Ausdruck mit Beziehung auf die innere Zusammengehörigkeit des Versmasses mit dem Inhalte gebraucht wird, so beweist das umsomehr, ein wie wesentliches Element die „Harmonia" in diesem weiteren Sinne nach des A. Meinung im Gebiete der Poesie ist (vgl. oben Anmerk. 59).

68) ovx ozL ev, dlX* ozi xal (xifiriasig ÖQaßazixdg iTtoirjOEv. In dieser Gegeneinandersetzung kann sv nur die Schönheit der äusseren Form bedeuten, während :

26 Hbbhann BAtmaABT

69) SQafiaxLxaq nach dem Zusammenhange und nach der früheren Anwendung des Stammwortes öqüv oflfenbar die Handlung mit dem NebenbegrifF bedeutet, dass sie mit starker, lebenerfüUtcr Bewegung in die Erscheinung tritt.

70) xo yaQ MaQylxrjq dvd^.oyov t'/ei. Auch hier ^ebt der Text das richtige und wird durch die Konjektur 6 für xb verdorben. Was wäre das für eine Art von Diktion, wenn auf das o yccg M. dvdloyov t/^si in demselben Satze nun noch obendrein das ovxcd xal ovxog folgte! Der Artikel x6 ist emphatisch betont und bedeutet: Die Analogie des Margites mit der Komödie besteht eben in dem- jenigen, was als die entscheidende Neuerung Homers berichtet wurde, dass das komische Element an sich, das in den Handlungen steckt, darin zum Gegenstand der Mimesis gemacht wurde. Dieser Gedanke wird dann durch den folgenden Satz noch näher erläutert, dass also;

71) SaneQ 'ikidg xal rj 'Oövaaeia ngoq xdg xgayipdlag, ovx(o xal ovxog TCQog xdg xcofKpölag, „ebenso wie das heroische Epos für die Tragödie, auch dieser für die Komödie vorbildlich gewesen sei". So sind die Worte ovxo) xal ovxog völlig begründet und stehen ganz an ihrem Platze, während, wenn man sie mit dem in den Worten dvdXoyov axsi endigenden Satz in eins zusammenzieht, sie in jeder Beziehung störend wirken müssen.

72) TcaQacpaveLarjg. Um die in der Präposition liegende Bedeutung wieder- zugeben, dass neben der alten epischen Poesie nun die spezifisch dramatischen Gattungen hervortreten, ist übersetzt: „Gegenüber der neuen Erscheinung u. s. w "

73) xQayiüöoÖLödoxaloL. Sehr passend ist durch den gewählten Ausdruck zugleich an die szenische Aufführung mit allem, was sie in ihrem Gefolge hatte und haben musste, erinnert.

„Ob^O ii^ß die Tragödie diesen Satz schon durch die Vielartigkeit") ihrer Formen genugsam in die Augen springen lässt, oder ob diese Frage an und für sich beurteilt und verneint oder bejaht wird'^) im Hinblick auf die Theater, ist hier nicht zu erörtern. Zu Anfang entstand auch sie^') aus Stegreifversuchen ebenso wie die Komödie, jene von den Vor- sängern des Dithyrambus her, diese von denen der phallischen Lieder, wie sie auch noch jetzt in vielen Städten sich im Gebrauch erhalten haben; sie wurde dann allmählich zu höherem Ansehen gebracht durch diejenigen, die das jedesmal erreichte Stadium weiter fortentwickelten, und so ist die Tragödie, nachdem sie viele Wandlungen durchgemacht, endlich zum Stillstand gekommen, nachdem sie die ihrer Natur gemässe Gestaltung erreicht hat."^) TJnd'^) zwar war esAeschylus, der zuerst so- wohl die Anzahl der Darsteller von einem auf zwei gebracht als auch die Beteiligung des Chors vermindert und die Rede zur Hauptsache ge- macht hat; Sophokles führte dann drei Darsteller ein und die malerische Ausstattung der Szene. Auch zu der Grösse der Fabelstoffe und der da- mit verbundenen Würde®") erhob sich die Tragödie erst spät von ursprüng- lich kleinen Fabeln und von der auf Lächerlichkeit zielenden Ausdrucks- weise, die von ihrer Entwickelung aus dem Satyrspiel herstammte®*), und ihr Versmass wurde statt des Tetrameters das jambische. Denn zuerst war der Tetrameter im Gebrauch gewesen, weil die Dichtung damals im

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Charakter des Satyrspiels und tanzmässiger gehalten war; als sie aber zur Kede geworden war^^), so fand sich das ihr zugehörige Yersmass von selbst, denn von allen Massen ist der Jambus dem Ton der Kede am nächsten verwandt ; ein Zeichen dafür ist, dass wir im Gespräch mit einander sehr häufig in jambischen Massen reden, in Hexametern ^^j da- gegen selten und nur wenn wir aus Ton und Weise") der gewöhnlichen Rede herausgehen. Was femer noch die Frage ^^) über die Menge der Zwischenhandlungen angeht und was sonst noch alles, was für die ein- zelnen Teile als Schmuck angesehen wird, so mag hier die Erwähnung genügen, denn es würde wohl zu weit führen, das alles im Einzelnen durchzugehen."

74) zb (JLSv ovv sc axonsTv naQS^si rjöi] tj x Qayt^öla zoZg ei'öeaiv Lxavmq ij ov, avxo xe xad-' avx b xQtvexairjvalTtQogxaS^iaxQcc, akXoq koyog. Diesem ganzen Abschnitte, vor allem dieser Stelle, ist mit Emendationen dermassen zugesetzt worden, dass, wenn man alles zusammennimmt, kaum ein Wort unverändert und an seiner Stelle bleibt; der Sinn ist dabei aber immer nur noch schiefer und lahmer geworden. Der vorangehende Abschnitt schliesst mit dem Satz, dass die dramatischen Formen für höher stehend und angesehener galten als die alten epischen. Was sollte nun dem gegenüber hier die Frage, zu der ganz allgemein unsre Stelle umgebogen wird, ob die Tragödie schon den höchsten Grad ihrer Ausbildung erreicht hat? Und vollends wie käme die Unter- scheidung xal TtQbg xa d-eccxQa denn hierher? Zu allem andern entstände durch diesen an sich immer noch sehr hinkenden Satz ein flagranter Widerspruch gegen die acht Zeilen später folgenden Worte rj xgaycoöla snavaaxo (fisxccßa/.ovaa) insl saxs ttjv avxrjg (pvatv. Deshalb ist nichts zu ändern, als das eine, was durch den Schluss älXog Xoyog und das doppelte rj erfordert wird : die fehlende Fragepartikel st muss in den Satz hineinkommen. Wo steckt sie? Nicht in dem TtdQhxsL, wo die Konjekturen sie suchen und das keineswegs im Satze zu entbehren ist, sondern in dem iTtioxoneZv, das der Text hat, und das oben in et axonslv geändert ist. So wäre auch der Schreibfehler plausibel erklärt. Das xb fiiv ovv weist also auf das im vorangehenden Schlusssatze enthaltene Urteil zurück und ist Objekt zu axonslv = ^ecagelüS^ai. Für die Beantwortung der Frage, ob jenes Urteil zu Rechte besteht, werden nun drei Eventualitäten aufgestellt: 1) Der Satz stellt sich als selbstverständlich dar; wörtlich: die Tragödie bietet es der Betrach- tung schon durch ihre Gestaltung (vgl. die folgende Anmerk.) als hinlänglich gewiss dar; 2) das Urteil wird verneint vom Standpunkte der Theorie aus, der Epos und Dramen gleichwertige poetische Formen sind, was des A. eigene Meinung ist; 3) es wird bejaht, vom empirischen Standpunkte aus, wie denn das Zuströmen der Menge zu den Aufführungen in den Theatern im Vergleich zu ihrer Beteiligung an den Recitationen der Rhapsoden den Beweis dafür liefert, ivzifioxsQci soxlv xa oyt]iJLaxu xavxa ixeivcDv. Mit dieser geringfügigsten aller Aenderungen erhält die Stelle nicht allein ihren guten Sinn, sondern den einzig durch den Zusammenhang geforderten

[und mit dem Folgenden in Uebereinstimmung stehenden.

75) xolg ei'öeaiv. Es sind die el'ör] ihrer ayjiixaxa^ von denen ja das in Rede [stehende Urteil gefällt ist. Diese sind vielfach daher der Plural , im Gegensatz

5U der Einförmigkeit des Epos, also: „durch ihre Vielgestaltigkeit".

76) 71 ov . . . . Tj val. Hierzu die Parallelstellen: Soph. elench. 175'' 13: viv Uh öia xb ßt] xaküig i^ioxäv xovg nvvQ^avofievovq dvdyxTj TZQoganoxQiveo&al xi

28 Hebmann Baumgabt

zbv igcotcofzsvov , öioqO^ovvtcc ti/v fxoyßrjglav z^g nQoxdaetoq, Inel öieXofisvov Ixa- vü)g rj val rj ov dvdyxt] X^yeiv xov dnoxQivößevov, und für den Gebrauch des val nicht nur in direkter Antwort, sondern als Ausdruck der Affirmation in der ge- wöhnlichen Rede vgl. Met. VI. p. 1034" 16: oocov ovv TOiavzij rj vXrj, olov ol ?ü&oii dövvaxov (hol xivjj&rjvai ei firj vn^ ukkovy dt dl fisvzoival. Dass aber das Yerbom xglvBZttL zu ov und ebenso zu vai hinzuzudenken ist, wird durch das zu avzo hin- zugefügte ze deutlich angezeigt.

77) yevofxevri 6' ovv: so zu schreiben für ysvofxhrjg ovv, wie der Text des Cod. Parisiensis lautet; nach einem Teil der Codd. und einer von Becker und fast allen Edd. angenommenen Konjektur.

78) inel eax^ '^v'^ avzijg (pvaiv. Wie oben schon angedeutet, ist damit ausgesprochen, und zwar als eine historisch eingetretene Thatsache, dass die Tragödie ihre Vollendung erreicht hat, denn etwas Höheres als die ihr von Natur zukommende Gestalt kann ihr doch nicht als Ziel gesteckt sein.

79) xal z6 ze zcöv vtzoxqlzcüv x. z. X. Es ist nicht der kleinste Grund vorhanden, hier eine Lücke zu vermuten. Nach dem im Vorstehenden nachgewiesenen Zusammenhange ist nichts natürlicher, als dass nun in einigen grossen Zügen die Entwickelung angegeben wird, welche die Tragödie bis zu ihrer Vollendung durch- laufen hat.

80) €zi öh zb fzsye&og . . . dneaeßvvvO^i]. Der im Prädikat steckende Begriff der aeßvozr^g musste durch ein zweites Subjektsnomen wiedergegeben werden: „sie erhob sich zur Grösse und Würde".

81) öicc zb ix aazvQLXov (MezaßaXeZv. Diese historische Entwicke- lung enthält keinen Widerspruch gegen den früheren Satz, dass das „der Grösse und Würde'* sich zuwendende „tragische" Spiel sein sachliches Vorbild im alten heroischen Epos fand.

82) ;.€|fft>c ÖS yevof^BVTjg. Das ist nur verständlich, wenn man Xs^ewg als das logische Prädikat auffasst und die Tragödie als logisches Subjekt hinzu- denkt, was Konstruktion und Zusammenhang des Sinnes in gleicher Weise nahe legen. Die Unklarheit über die Auffassung der Stelle ist wohl nur daher entstanden, dass wir Neueren mit der Poesie von selbst den Begriff verbinden , dass das Mittel der Rede in ihr das Wesentliche sei, während bei dem alten Satyrspiel vielmehr die Gesanges- und Tanzaktion die Hauptsache war.

83) s^dfiezQa. Es handelt sich nur um den Gegensatz des ?.8xzix6v (sc. fis- zQov), des dem Gesprächston angemessenen Verses zu den weiter davon entfernten üblichen Versmassen ; es kann daher sehr wohl statt des erwarteten Tetrameters hier nun auch noch ein anderes der in der hochstilisierten Dichtung gebräuchlichen Metra genannt werden.

84) z^g XexzLXTJg aQßovlag. vgl. oben die Anmerk. 59 und 67. Ton und „Weise" der Umgangsrede, in dem prägnanten Sinne, wie Herder in der Vorrede zu den „Stimmen der Völker in Liedern" den Begriff' für die Lyrik definiert: „Mo- dulation, gehaltener Gang und Fortgang derselben".

85) szi 6s sneiaoÖLcov nk7]&7j xal zd dXX'aJg sxaaza xoofzrj&ijvai ksyezai, sazw r^ßZv elQrjfisva. Der Pluralis nXi^&rj scheint auf die verschiedenen, in diesem Punkte geübten Verfahrungsweisen und die damit zusammenhängenden Kontroversen hindeuten zu sollen (vgl. Kapitel IX. 1451^ 33); daher die Uebersetzung: „die Frage über die Menge der Zwischenhandlungen". Für das im Texte stehende zd dXkwgi das unverständlich wäre, ist zd all' d>g oder allenfalls olg zu. setzen.

Doch ist im Folgenden nun weder eine Umstellung noch ein Zusatz zu machen, sondern zu lesen, wie die älteste Handschrift schreibt: sozo) ^ficv ecQtjfisva, eine noch etwas schärfer accentuierte Variante der bei A. üblichen Formel: negl zovzcDV eiQTja&ü), womit er ein weiteres Eingehen auf ein angeschlagenes Thema

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ablehnt. Vielleicht ist in der Stelle noch die folgende Nuance zu finden: die in- eiaoöia, die zwischen den einzelnen Chorgesängen liegenden Teile der Gesamthandlung, nehmen zwar relativ für sich ein besonderes Interesse in Anspruch, stehen aber doch unter dem strengen Gesetz der Einheit des Ganzen. Nun ist hier im Anschluss an das kurz zuvor erwähnte fisye^og von den weiteren „sogenannten" Verschöne- rungen die Rede ; es könnte also die Buntheit und der äusserliche Reiz einer ngä^iq insiaoöiojörjg ins Auge gefasst sein, wie sie später von A. (Cap. IX) im Widerspruch zu solchem „Isysza" als sehr schlecht bezeichnet wird. Auffallend bleibt immer sowohl dieses Isyszat als der Pluralis nXrjS-rjy womit indess vielleicht die verschie- denen Phasen der Entwickelung gemeint sind.

Kapitel Y.

„Die Komödie aber ist, wie schon gesagt ^^j, zwar eine Nachahmung von unwürdigeren Gegenständen, keineswegs hinsichtlich jeder Art der ihnen anhaftenden Schlechtigkeit^^), sondern des Hässlichen^^), dem als seinem Gattungshegriff das Lächerliche zugehört.®^) Denn das Lächerliche ist Fehlerhaftigkeit oder Hässlichkeit, die weder Schmerz erregt noch Ver- derben droht®"), wie z. B. gleich die komische Maske etwas Hässliches und Verzerrtes ist, ohne dass dabei ein Schmerz wäre. Die Entwickelungs- stadien nun und die Namen derer, die sie herbeiführten, die wir hei der Tragödie kennen, sind hei der Komödie, weil sie nicht von Anheginn ernst- haft kultiviert wurde, im Dunkel geblieben. Ist doch auch ein Chor für die Komödie erst spät von der Obrigkeit bewilligt worden, er bestand zu- vor aus Freiwilligen. Die vielgenannten Dichter derselben werden erst erwähnt, als sie schon gewisse feste Formen angenommen hatte. Wer die Masken eingeführt hat oder die den Chören vorangehenden Eeden®') oder die Vermehrungen®^) in der Zahl der Schauspieler und was derglei- chen mehr ist, wissen wir nicht; die Einführung erdichteter Fabeln stammt von Epicharmos und Phormis.®^) Diese Neuerung nämlich kam aus Sici- lien; von den athenischen Dichtern aber war es Krates, der zuerst damit begann, sich von der Form des jambischen Spottliedes ®^) loszumachen und Reden und Fabeln von künstlerischer Allgemeinheit zu dichten.*'

SQ) (üGTiSQ si'nofÄSv. Der ganze Abschnitt schliesst sich dem Grundgedanken nach an den Satz 1448^37 an: ov xpoyov dlka xo yeXolov ÖQafiazonoiriaaq. Damit war im vorigen Kapitel der entscheidende Schritt bezeichnet, der zur Entwickelung der Komödie führte. Es lag nun, um die mit dem Kapitel IV in grossen Zügen be- gonnene Darstellung von der Entwickelung der beiden Hauptrichtungen der Poesie zu vollenden (vgl. 1448'^ 25: öteanaaQ-T] 6s xaza zcc olxela. rjd^ ?] nolrjoig), die Not- wendigkeit vor, auch von der Komödie einleitend das Wesentlichste zu sagen und vor allem, den vorher eingeführten Begriff des „Lächerlichen", besonders in seinem Verhältnis zu der die ganze Gattung charakterisierenden ßif^rjaig (pavXozsgmv, scharf zu begrenzen.

87) (xifjLijGLg (pavXoz6Qü)v fxiv, ov /uivzoi xaza näaav xaxiav. Der Sinn der Stelle und damit das Verständnis des Folgenden wird wieder völlig ver- fehlt, wenn man näaa xaxla absolut als „völlige Schlechtigkeit" oder in ähnlicher

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Weise auffasst. Die Rede ist von dem Nachahmungsobjekt, das die „schlechteren Charaktere" darbieten. In den alten Spottliedem, die sich einzelnen Personen an- hefteten, da war es wohl der Gebrauch, „alle Arten von Schlechtigkeit", die man an ihnen fand, zum Gegenstand der spottenden Nachahmung zu machen: von der höheren Kunstgattung der Komödie wurde schon oben gesagt (ojaneQ eXno- fi€v)y dass sie unter allen den niedrigeren Charakteren anhaftenden Arten von Schlechtigkeit nur diejenigen auswählt, durch deren Nachahmung die "Wirkung des Lächerlichen erzielt werden kann.

88) «AA« Tov aiaxQOv. Damit ist das Wesentlichste, nämlich die Gattung, angegeben, innerhalb deren jene Wahl zu treffen ist. Diese Gattung ist das Hässliche. Ein glänzendes Zeugnis von A.*s Tiefsinn und Geistesschärfe giebt ebenso diese Bestimmung als seine Definition des Begriffes alaxogy die uns in einem Fragment aus seinem Dialog „Eudemus" aufbewahrt ist (vgl. 1482" 6): ry aQfiovlcf tov acifiatog ivavtlov iarlv rj dvagnoaxia zov aojßcctog, dvagfioaxLa Sh xov i/jixpvxov Oüifiarog voaog xal da&evsLec xal alaxog' wv to fiev davfifxeTgia X(üv axoixsicav ^ voaog, xb 6h xtüv ofioiofieQÜiv i] do&evsia, xb de xcHv ogy avixcüv x6 alaxog. et xoivvv ^ uvaQfxoaxia voaog xal da&aveia xal aiaxog, ^ ÜQßovla uQa vyisia xal laxvg xal xdlXog. Hässlichkeit also ist: der Mangel der gesetzmässigen Verbindung (davfifzsxgla) und inneren und äusseren Uebereinstimmung {dvagiioaxLa) zwischen den zu einem lebendigen Ganzen zusammenwirkenden Teilen {oQyavixwv). Nach seiner Weise dehnt A. nun diesen Begriff zugleich auch auf die Thätigkeit und das Verhalten der psy- chischen Kräfte aus : wo hier eine Fehlerhaftigkeit, ein Zuviel oder Zuwenig auftritt, eine Störung in dem richtigen Zusammenwirken, da ist die Erscheinung des „Häss- lichen" vorhanden. Wer sähe nicht, dass damit ein rein objektiver Massstab gegeben ist, bei dessen Anwendung die sittliche oder jede andere vom höheren Ver- nunfts - Interesse ausgehende Wertbestimmung entweder von selbst fortfällt oder durch die Art der Beurteilung doch ausgeschlossen wird! Es ist der Massstab der rein ästhetischen Beurteilung. Das Fehlerhafte, das Schlechte, sofern es als hässlich, als missfällig erscheint, wäre also der Gattung nach das Objekt der Mimesis für die Komödie.

89) ov iaxi xb yelolov (jloqlov. Im Texte fehlt das ov, das wegen des vorausgehenden aiaxQov leicht ausgefallen sein kann. Die so naheliegende Aende- rung, die als sinnwidrig einmütig verworfen wird, ist die einzige, die dem Sinne völlig gerecht wird. Im einfachsten Ausdruck und mit der dem A. dafür eigentüm- lichen Terminologie weist der Satz dem yelolov als dem eigentlichen Nachahmungs- objekt der Komödie seinen Platz als einer Art in der Gattung des alaxQOv an. Es fehlt nur noch die Angabe seiner differentia specifica, und diese ist im Folgenden enthalten.

90) x6 ydg yeXolov saxiv afJLaQxri^d xi xal alay^og dvwövvov xal ov (pS^agxixov. Es ist die vollkommenste Definition des Lächerlichen. (Bezüglich der näheren Ausführungen über den reichen und fruchtbaren Gehalt dieser Definition verweist der Verf. auf sein „Handbuch der Poetik", namentlich Abschnitts, S. 107 ff., 14. S. 277 ff., und Abschnitt 30 „lieber das aristotelische Fragment negl xü)/iü)ölag"j S. 659—700). Hier sei nur auf zweierlei hingewiesen: dass die Ausschliessung des Schmerzerregenden und des Verderbendrohenden identisch ist mit dem Ausschluss der spezifisch tragischen Affekte aus der Darstellung des Lächerlichen, des Mitleids und der Furcht; und dass durch die Vorschriften, die sich unmittelbar aus dieser Muster-Definition ergeben, nicht nur die Auswahl der Objekte für die komische Kunst, sondern noch mehr die Art ihrer Behandlung in allem Wesentlichen und bis in die kleinsten Einzelheiten geregelt wird. Und noch eine weitere Bemerkung ist hier auszusprechen, die noch

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mehr für den Anfang des sechsten Kapitels in Betracht kommt: es geschieht mit Unrecht, dass man in dem uns überlieferten Büchlein tcsqI T6'/vi]g noirjzixrjg, das von der Theorie und den Regeln der Dichtkunst zu handeln verspricht, die aus- führlichen psychologischen Erörterungen über die Natur der komischen und tragischen Affekte, über das Wesen der Katharsis und ähnliches mehr vermisst und daher allenthalben sich dazu genötigt sieht, Lücken zu vermuten. Die diesem Gebiete angehörigen Definitionen bedürfen einer weitreichenden, tief in die Gebiete der Psychologie und Ethik eingreifenden Begründung, die in dem engen Rahmen dieser knapp gefassten Anleitung unmöglich gegeben werden konnte. Aristoteles setzte ihre Kenntnis, wie z. B. auch die des Begriffs der Mimesis, bei seinen Hörern vor- aus, mag sie übrigens bei den Akroasen oft genug mündlich in Erinnerung gebracht haben. Die Stelle, wo er sie in voller Breite entwickelte, wird der Dialog „negl 7coi7]T(öv" gewesen sein. Damit steht die bekannte Stelle der Politik nicht im Widerspruch. Sie besagt (vgl. 1341'' 38) rl 6e Xsyof^sv trjv xdS-ccQOiv, vvv (xkv anXioq näXiv ö'tv xolq negl 7toi7]Zix^g igov/asv aarpsazsQOv. Das nsgl TtoLrjZLxrjq ist hier im Gegensatz zur fjLovaixri gesagt, von deren Wirkungskraft und Zielen die Rede ist; keineswegs aber ist speziell auf das Buch negl zs^vtiq Tcoirjzücrjg verwiesen, sondern einfach auf eine Schrift über die dichterische Kunst, worin dieses zugleich philosophische, psychologische und ästhetische Thema eine gründliche Behandlung erfahren sollte. Dass für solche weitumfassende, die höchsten Fragen angehende, von Kontroversen erfüllte Probleme die dialogische Form sich als ganz besonders geeignet und anreizend darstellen musste, liegt auf der Hand.

9l)7tQO Xoyovg. Wenn hier wieder mit Einmütigkeit das Textwort in Xoyovg, „Dialoge", geändert wird, ausser von Vahlen, der in seiner dritten Ausgabe der „Poetik" (Leipzig 1885) wie an vielen andern Stellen so auch hier den Text des Cod. Paris, mit ebensoviel Sachkunde als Scharfsinn verteidigt, so übersieht man, dass an dieser Stelle von einer gegliederten, ausgebildeten dramatischen Form noch garnicht geredet wird, sondern im strikten Gegensatz dazu von jenen dunkeln Vor- stadien, in denen zuerst den bakchischen Chören irgend ein Einzelner einen ver- mutlich burlesken, mit persönlichem Spotte gewürzten Vortrag vorausschickte, wofür denn „Prologus" im eigentlichen Sinne des Wortes der geforderte Aus- druck wäre.

92) rj nkrid-rj vTtoxQizwv. Dieser Fortgang bezeugt umsomehr, dass von einem Entwickelungsstadium die Rede war, wo zu dem einen nun erst der zweite und dann der dritte Darsteller hinzukommen sollte. Es war also, ehe das geschah, ein „Dialog" Xoyoi garnicht möglich; jene angebliche Emendation ist abermals eine Verderbung. Der Pluralis Ttkrj^rj weist mit sachlicher Genauigkeit auf die wiederholt eingetretenen Vermehrungen von eins auf zwei und drei hin.

93) z6 6h fxvd-ovg Ttoietv ^Enixcx^Q^og xal ^^ogfxig. Der Text ist in bester Ordnung und bedarf weder der Emendationen, noch der Umstellungen, noch der Annahme von Lücken. Für die Konstruktion ist aus dem vorangehenden Satze einfach dnedwxev als Prädikat hinzuzunehmen. Dem Sinn und Zusammenhange ist damit auf das klarste und schönste entsprochen: die Vorgeschichte der Komödie liegt im Dunkel; der entscheidende Schritt, durch den sie, wie wir sagen würden, litterarhistorische Existenz gewann womit also der engste Anschluss an den vor- letzten Satz genommen wird geschah in Sicilien durch Epicharm und Phormis, indem sie das komische Spiel auf eine zusammenhängend erdichtete Fabel gründeten und es dadurch erst zu einem dramatischen Spiel, zu einer eigent- lichen Kunstgattung umschufen. Sie „verliehen" ihm, „fügten ihm ein" zo tivd^ovg Ttoietv.

94) Kgdzrjg ngdüzog rjg^ev dcp^fievog zijg lafißLx^g löeag xad^öXov noieZv Xoyovg xal fiv^ovg. Für das Textverständnis bieten diese Worte keinen

32 Hebmann BAüHaABT

Anstoss, wohl aber vorlangt ihr Sinn eine scharfe Beleuchtung. Denn wenn man in diesem Satz einen Beweis mehr für den angeblichen Vorzug finden will, den A. der mittleren und neueren Komödie zu Ungunsten des Aristophanes gegeben habe, so dürfte das ein sehr starker Irrtum sein. Dieser Schlusssatz des Abschnittes kehrt zu dem in seinem Beginne angeschlagenen Thema zurück, indem er mit Beziehung auf das dort aus Kap. IV angezogene Wort als die Vollendung der Kunstform der Komödie den Schritt bezeichnet, den sie in Attika that: ov xpoyov ciXXa xo ysXolov 6Qafiaxonoir]aaq. Sie machte sich von der »Jambischen Form" los, d. h. sie hörte auf, sich auf die Verspottung einzelner Personen und Vorkommnisse einzuschränken was auch in einer erdichteten und durchweg festgehaltenen Handlung sehr wohl noch ihr untergeordnetes Ziel bleiben konnte; sie richtete sich dagegen darauf, das Ver- kehrte in den menschlichen Gesinnungen, Leidenschaften und Handlungsweisen überhaupt dem Lachen preiszugeben was sehr wohl auch so geschehen konnte, dass dabei Namen lebender Personen angewendet, Anspielungen auf wirkliche Zu- stände gemacht wurden, nur dass in den „Reden" der Personen wie in der Kom- position der Handlung jener höhere und allgemeine Gesichtspunkt das xü,oq fufitjascai bestimmte. Das hat aber Aristophanes von allen uns bekannten Dichtern der Ko- mödie am besten zu erreichen gewusst. Dass dabei Xoyovg also weder mit /iv&og gleichbedeutend ist, noch etwa „Wahrheit" bedeutet, im Gegensatz zur „Dichtung*', sondern „Reden", geht aus dem Obigen hervor. Mit Unrecht möchte Vahlen (a. a. 0., S. 113) für das, was im Folgenden ?} lafxßixrj Uta genannt wird, die „Ritter**, des Aristophanes als das „passendste" Beispiel anführen. An Hinweisen auf „ein- zelne" Personen und „einzelne" Vorkommnisse ist freilich dieses Stück noch weit reicher als irgend eine andere Komödie des Aristophanes, aber es thut zugleich allen aristotelischen Anforderungen an eine gute Komödie in vollem Masse Genüge. Vor allem: eine frei und zwar, von aller Wirklichkeit entfernt, höchst phantastisch er- fundene Handlung bedingt das Stück xo yekoZov ögafiaxonoii^aag, und alle die zahl- reichen Einzelbeziehungen, die uns, die wir diese Art der phantastisch - politischen Komödie ohne den eingehendsten Kommentar nicht verstehen können, sofort und fast als die Hauptsache in die Augen springen, dienen in dem lebendigen Körper der drastischen Handlung einzig dem sQyov und xskog des Ganzen: xa&6?.ov noislv yeXcoxa xal jjdov^v. Gerade aber, weil in diesem letzteren Faktor zu einem sehr grossen, ja völlig ebenmässigen Teile die Wirkung der aristophanischen Komödie beruhte, ist es uns Neueren schwer, ja fast unmöglich, sie völlig zu würdigen. Wie wäre es uns möglich, von allen jenen Elementen der mannichfaltigsten Kunstmittel, die vor dem geübten und feinen Sinn der Athener sich zu einer überwältigenden Schönheitswirkung vereinten, uns eine irgend annähernde Vorstellung zu bilden?

„Es hat sich also das Epos®'*) in der Tragödie, soweit**) es eben eine in grossem Massstab gehaltene") Nachahmung von edlem Gehalt ist, fortgesetzt®^); insofern es aber ein einheitliches Versmass hat und eine Erzählung ist®®), so ist dies der Punkt ^°*'), worin sie auseinandergehen; ebenso auch hinsichtlich ihres TJmfanges. Denn die Tragödie hat das Streben, so viel als möglich innerhalb eines Umlaufs der Sonne sich ab- zuspielen oder doch wenig darüber hinauszugehen; dagegen ist das Epos der Zeit nach unbeschränkt; also auch hierin liegt ein Unterschied, ob- wohl man es zu Anfang in den Tragödien ebenso gemacht hat wie in den Epen. Was die Bestandteile betrifft, so sind einige beiden gemeinsam, andere sind der Tragödie eigentümlich. Wenn daher jemand weiss, was

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eine gute und was eine schlechte Tragödie ist, so weiss er dasselbe auch von den Epen ; denn alles, was das Epos ausmacht, ist der Tragödie eigen, was aber diese*"') ausmacht, ist keineswegs alles im Epos vorhanden.**

95) Hier wird allgemein eine grössere Lücke angenommen; mit Unrecht! Mit diesem Abschnitt schliesst die ,, prinzipielle" Einleitung ab, um im folgenden sechsten Kapitel der speziellen Gesetzgebung für die Tragödie Platz zu machen. Der Gang der Darstellung war bis dahin der folgende: nachdem mit dem dritten Kapitel die Untersuchung über die poetische Mimesis nach ihren Mitteln , Gegenständen und nach ihrer Art und Weise abgeschlossen war, eröffnete das vierte einen Blick auf ihren Ursprung und ging dann mit den Worten „öisaTtdad-rj Sh xaza oixela tJStj" auf die beiden Hauptrichtungen der Dichtung nach den Gegenständen ihrer Nach- ahmung ein. Nachdem auch diese Erörterung nun zu Ende geführt ist, bildet der vorliegende Abschnitt höchst konsequent den Uebergang zu dem speziellen Teile. Es war gezeigt, wie aus der epischen sich die dramatischen Gattungen entwickelt hatten und besonders, wie die Tragödie aus dem heroischen Epos hervorgegangen war; da nun die Absicht des A. dahin geht, nichtsdestoweniger vor allen anderen Gattungen zuerst die Tragödie und zwar diese am ausführlichsten zu behandeln, so war es erforderlich, dieses Verfahren zu begründen. Das geschieht, indem gezeigt wird, was dem Epos mit der Tragödie gemein ist, was sie unterscheidet, und dass die letztere vermöge ihrer reicheren Entwickelung die umfassendere Gattung gewor- den sei, so dass aus ihrer Theorie und Gesetzgebung das Wesentlichste über das Epos auch gelernt werden könne.

96) ^ jusv ovv iTtonoLLa ry zQayipölcc (JlbxQi- ßövov [jlszqov (xsyoi- Xov fxlfXTjaig elvat anovöalojv rjxokovd-rjasv' xo 6s zo fiszgov anXovv eXELV xal aTtayyeXLav slvcci, ravzi^ öia<p6Q ovaiv. Die unverstanden ge- bliebene Stelle ist einer Anzahl von Verbesserungsversuchen unterworfen; ein klarer und gesunder Sinn in scharf formuliertem Ausdruck ergiebt sich nur, wenn man ohne die geringste Aenderung dem überlieferten Texte folgt. Die Schwierigkeit liegt zu- nächst in dem fi^xQt und dem dazu gehörigen Genitiv. Dies ist der Genitiv des Infinitivs üvat, der als solcher statt durch den Artikel durch das hinzutretende ßovov gekennzeichnet ist. f^exQt bedeutet bei einem Verbum der Bewegung den Weg der- selben bis zum Ziel; wenn also gesagt wird: Epos und Tragödie haben denselben Weg gemacht, so giebt die Präposition mit dem von ihr bestimmten Begriff an, wie weit die beiden desselben Weges gingen. Die Antwort ist: nur so weit das Epos ßifXTjaig anovöalcDV ist „ßix^t fiovov .... sivai". Diesem Infinitiv entsprechen dann im zweiten Teil der Periode die beiden Infinitive zb öh . . . sx^t-v xal . . . slvai.

97) fxszQOv fisyä?.ov. Dieser Genitiv dagegen hat mit fxövov und fzsxQt nichts zu thun, sondern tritt attributiv als Genit. qualit. zu ßi/xrjaig hinzu. Das Wort (jiBZQOv ist in seiner eigentlichen Bedeutung gebraucht: eine Grösse, die dazu dient, eine Ausdehnung als solche erkennbar zu machen, also „Massstab". Eine Mimesis [xezQov (xeyäXov ist eine solche, die zu ihrer Würdigung „eines grossen Massstabes" bedarf, der das Attribut des (xiye^oq, das für Epos und Tragödie gleich wesentlich ist, zukommt.

98) rjxoXovd-Tjaev. Auch dies Verbum hat zu missverständlicher Auffassung Anlass gegeben, ausser bei Vahlen (vgl. a. a. 0., S. 114); man hat entweder Tragödie |imd Epos ihre Stellung im Satze vertauschen lassen oder doch wenigstens den Aus- 'druck für unzutreffend und nachlässig gehalten, da die Tragödie später entstanden

sei als das Epos, und also nur von jener gesagt werden kann, dass sie diesem folgte. dxoXov^elv bedeutet die parallele Fortbewegung und noch viel häufiger, in einer

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34 Hebmann Badmgart

grossen Menge von Stellen bei A., das parallele Verhalten eines Dinges mit einem andern in bezog auf irgend eine bestimmte Qualität; dieser Gebrauch geht so weit, dass dxoXovi}el zi zivi geradezu gleichbedeutend wird mit v7iug/ti zl zivi. A. hat sich den Vorgang also gerade umgekehrt vorgestellt wie seine Ausleger: das Epos folgt der Tragödie in ihrer Entwickelung, nicht so, dass es dieselbe Ent- wickelung durchmacht, was widersinnig wäre, sondern so, dass es sie dabei begleitet, seinem wesentlichen Teile nach darin gegenwärtig ist. Sie, die ja aus dem Epos entstammt, nimmt diesen wesentlichen Teil von ihm in ihre Entwickelung mit hintlber. Diese Auffassung wird unzweifelhaft, wenn in dem Satze auch die Bestimmung, die durch sie gefordert wird, vorhanden ist: eine Begrenzung für den Wesensinhalt des Epos, bis wie weit er in die Entwickelung der Tragödie hinein ihr „gefolgt" ist, „sich in ihr fortgesetzt*' hat. Die oben gegebene Erklärung des fie/Qi (jLovov ulfxrjaig elvai anovöalwv erhält dadurch ihre volle Bestätigung, wie sie umgekehrt die Auffassung des ^xoXov&rjaev bekräftigt.

99) zo öh fiezQOv anXovv sx^iv xal dnayyeXiav slvau Wie schon gesagt, entsprechen die beiden Infinitive dem vorausgegangenen (jdxQi- elvai x. x. /. und zwar so, dass sie als Accusat. graec. in derselben Weise angeben, in bezug auf welchen Teil des Subjektsbegriffs das Prädikat Geltung habe. Es ist also keineswegs das in rw zu ändern, das sich einerseits mit dem nachfolgenden zavz^ nicht vereinigen lässt, andererseits auch in den Sinn eine Schiefheit bringt. Wenn vor- ausgeht: „dadurch, dass das Epos die und die Eigenschaften hat", so müsste folgen: ÖLacpsgei zf^g zgaycodiaq und nicht, wie hier: zavzi^ 6ia(p i q ov a lv. Geht aber voraus: „insofern das Epos u. s. w.", so ist:

100) auch der Nachsatz in Ordnung, dessen nachdrückliches zavzy nun auch verständlich wird: hier hat das dxokov&elv, das Mitfortexistieren des epischen Wesens in der Tragödie sein Ende, und hier liegen die formalen Gründe, um derentwillen ein Auseinandergehen und eine ganz getrennte Entwickelung stattfinden musste.

101) Für avzy wird von den meisten avz?] geschrieben; doch ist von Vahlen (a. a. 0., S. 116) mit guten Gründen avz^ verteidigt worden, das den völlig befrie- digenden Sinn ergiebt, wenn man statt des früher vorangehenden exei das unmittel- bar voranstehende vnaQXBi- hinzunimmt: d 6s avz^ (vTtdgxsi), ov ndvza iv zy ino- Tcoda.

Kapitel VI. „Von der in Hexametern nachahmenden Dichtung und von der Ko- mödie werden wir später sprechen, jetzt soll von der Tragödie die Rede sein und die Definition ihres Wesens, die sich aus dem bisher Gesagten ^^) ergiebt, festgestellt werden. Darnach ist die Tragödie die Nachahmung einer Handlung von edlem Gehalt und in vollständiger Durchführung, und zwar einer solchen, der das Attribut der Grösse zukommt, in künstlerisch gehobenem Ausdruck, dessen verschiedene Arten in den einzelnen'**^) Teilen gesondert auftreten , in leibhaftiger Aktion und nicht in erzählen- der Form, welche die Kraft besitzt, durch die Empfindungen des Mitleids und der Furcht die denselben entsprechenden Gemütsbewegungen zur völligen Lauterkeit gelangen zu lassen.*"^) Unter dem künstlerischen Aus- druck verstehe ich den Inbegriff der rhythmischen Gliederung, der musi- kalischen Begleitung und des Gesanges*^), und wenn ich von der nach

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den Arten derselben gesonderten Anwendung spreche, so ist damit darauf hingewiesen, dass in manchen Teilen die Wirkung der Tragödie ^°^) ganz allein durch das rhythmische Wort hervorgebracht wird, in andern wieder durch den Gesang.'°')"

102) ix z (öv s LQrj fx6v ü)V. "Wie oben (vgl. Anmerkung 90) schon ausgeführt, sind die eingehenden Erörterungen über die psychologisch-ästhetische Wir- kung der Tragödie, also über Mitleid und Furcht und namentlich über die Katharsis nicht hier, sondern in dem Dialog „über die Dichter" zu vermuten. Die wesent- lichsten Bestimmungen über ihre formale Beschaffenheit sind aber „durch das bis- her Gesagte" in der That so vorbereitet, dass nur übrig bleibt, sie im Einzelnen technisch zu erläutern, was im Folgenden geschieht,

103) Für das kxaoTOv des Textes, das durch fälschliche Beziehung des voran- gehenden '/cD^lg verschrieben sein mag, ist hxäa reo zu setzen, was fast allgemein angenommen ist.

104) Auf die Katharsis-Frage sachlich einzugehen ist hier nicht der Ort; der Verf. verweist dafür auf die oben citierten drei Monographien und auf sein mehrfach angeführtes „Handbuch der Poetik", worin die in Betracht kommenden Probleme nach allen Richtungen hin eingehend behandelt sind. Das eine aber muss zur Bekräftigung der eben ausgesprochenen Ansicht bemerkt werden: es wäre ein grosser Irrtum anzunehmen was, wie es scheint, allgemein geschieht , dass nach des A. Meinung die Katharsis eine der Tragödie allein zukommende Wir- kung sei, wodurch diese als Kunstform charakterisiert wilrde, und nicht vielmehr eine Wirkung der Kaust überhaupt, ohne die sie entweder zum blossen Zeitvertreib herabsinkt oder in dem Dienst einer irgendwie beschaf- fenen Tendenz ihre Freiheit und damit den Anspruch auf höchste Vollendung verliert. Das ist eine Konsequenz, die aus der Gesamtheit der aristo- telischen Philosophie, seinen psychologischen, ethischen und ästhetischen Lehren, unwiderleglich hervorgeht, die aber auch speziell durch die oben angezogene Stelle der Politik (VIII, 7. 1341 ^ 38) in betreff der Musik wörtlich bestätigt wird. Sie kann, wie es dort heisst, der naiösta dienstbar gemacht werden, sie kann auch sich ledig- lich auf die Zwecke der diayojytj beschränken, die als ävsaig und zijg avvzovlag dvdnavaig definiert wird, sonst ist ihr Ziel die Wirkung der xdd-agaig. Die daran sich schliessenden Ausführungen beweisen dasselbe, was, wie gesagt, durch die gesamte Philosophie des A. gelehrt wird: die Kunst, und zwar alle Kunst in jeder ihrer Äusserungen, hat die ungeheure Kraft (övvafxig) und daher die hohe Auf- gabe (TeXog)f alle die unmittelbaren seelischen Wirkungen, mit denen die Welt in allen ihren Erscheinungen, das Leben mit allen seinen Vorgängen das Gemüt der Menschen bewegt also Pathe, Ethe und Praxeis, d.i. Empfindungen, Gemütszu- stände und Entschliessungsimpulse e b e n s 0 in unmittelbarer Nachahmung in ihren Gemütern zu erzeugen, in unmittelbarer, nicht durch Verstandes- oder Vernunft-Reflexion erst bedingter. Da es nun ferner die unzweifelhaft richtige Überzeugung des A ist, dass in jedem einzelnen Falle jeder einzelnen Erschei- nung gegenüber nur eine einzige Art der Seelenbewegung das Rechte trifft, wie es für jedes Verstandes- und jedes Vernunft-Problem nur eine einzige rich- tige Lösung giebt, während im Leben die Verfehlungen dieses Rechten, Ge- sunden und Normalen der Zahl und Art nach unendlich vielfach sind; da ferner nach seiner einfachen und grossartigen Lehre an eine jede richtige auf ein richtiges Ziel gestellte Bethätigung nach einem Naturgesetz unsrer Seele die beglückende Erscheinung der Freude geknüpft ist: wie kann man da nur einen Augenblick darüber in Zweifel bleiben, dass die Kunst jener ihrer hohen

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36 Hbbmank Bauhgabt

Aufgabe nur dann genügt, wenn sie die ihr jedesmal zu Gebote stehenden Mittel ausschliesslich auf jenes hohe Ziel richtet! Dass sie also die Auswahl, die Verwen- dung, die Verknüpfung, den Aufbau ihrer Mittel allemal so einzurichten hat, dass durch die ihnen naturgemäss beiwohnende Wirkung jedes Abirren der empfindenden Seele von der einen, rechten Art der Bewegung und Haltung verhindert, und dass die ßcele wie durch Naturgewalt in den Stand gesetzt wird, dem gegebenen Anlass in der immerhin nun doch frei und selbständig von ihr hervorge- brachten rechten und freadigen ästhetischen Bethätigungr zu folgen! Es geht aus dem allen hervor, dass A. seine Lehre von der Katharsis mit der Ent- wickelung seiner Theorie der Mimesis aufs engste verknüpft haben muss, und dass beide Begriffe sicherlich an derselben Stelle von ihm entwickelt wurden. Aus den oben angegebenen Gründen ist als diese Stelle aber nicht die zhxvrj noir^Tixj], son- dern der öidXoyoq tibqI noirjxwv anzunehmen ; wie denn auch die philosophische De- finition der Mimesis, die doch der übergeordnete und noch weit wichtigere Begriff ist, von niemandem in der „Poetik" vermisst wurde.

105) Xiyü) 6s riöva (JLSvov (jlbv koyov xov s^ovra ^vS-fiov xal agfJLO- vLav xal /ueXog. Als drittes Glied ist ßeXog beizubehalten und nicht etwa nhgov dafür zu setzen; denn dieses letztere ist schon durch das erste Glied, ).6yov xov exovxa QvQ^ßov, bezeichnet. Die beiden folgenden geben die Gesamtheit dessen, was A. später ßeXonoäa nennt, nach ihren beiden Bestandteilen an : nämlich agfioviu, die rein musikalische Tonfolge, also was wir die Instrumentalmusik nennen, und [isXoqy das gesungene Lied, Gesang.

106) xo ÖLo, iiixQ(üv svia fiovov negalvsad^ai. Es ist bei diesem Ver- bum an die gesamte Wirkung der Tragödie zu denken, die auch in den blossen rhythmischen Worten, da eine gute Tragödie auch beim Lesen ihre Wirkung doch keineswegs verliert, zum wesentlichen Teile schon gelegen sein muss.

107) xal TtaXiv sxsga öid fisXovg. Welche Mittel zur Verstärkung dieser Wirkung aber lagen für die Alten in dem Hinzutreten des Liedes und überhaupt des musikalischen Elementes : also für die Verstärkung der Affekte des Mitleids und der Furcht ebensowohl als für ihre wechselseitige Herabminderung, wenn auf den Höhe- punkten der Handlung der Dichter gegen das Übermass des einen, gerade vorwal- tenden Affektes nun für den anderen die ganze, überwältigende Macht des Gesanges in die Wagschale warf! Durch solche Betrachtung tritt uns Neueren erst die eigen- tümliche Bedeutung des Chors, die den Hörern des A. sicherlich gerade nach dieser Richtung hin als eine selbstverständliche Sache, als ein <pavsQÖv, galt, klar vor das Auge: seine nicht hoch genug anzuschlagende Bedeutung für die Erreichung des Hauptzieles der Tragödie, des eigentlichen sgyov zQaywölag, der Katharsis der durch die tragische Handlung zum stürmischen Auf- und Abwogen erregten Furcht- und Mitleidsaffekte!

„Da es nun handelnde Personen sind, welche die Nachahmung aus- führen, so möchte zunächst ein notwendiger Bestandteil der Tragödie die künstlerische Anordnung der szenischen Vorstellung *°*) sein, sodann die musikalische Komposition und der sprachliche Ausdruck; denn dies ist das Material an Darstellungsmitteln, mit denen man die Nachahmung ausführt. Und zwar verstehe ich unter dem sprachlichen Ausdruck die Verse selbst, aus denen das Stück sich aufbaut ^°^}, unter der musikalischen Komposition alles das, was die an sich ja offen zu Tage liegende Wirkung in ihrer Gesamtheit ausübt *°^'.) Ferner ist aber der Gegenstand der Nach-

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ahmung eine Handlung, und es sind handelnde Personen, die sie aus- führen und die notwendig eine bestimmte Beschaffenheit in Gesinnungs- und Denkweise "°) haben müssen, denn das sind ja die Elemente, nach denen wir den Handlungen selbst eine bestimmte Beschaffenheit beilegen. Es sind also diese beiden die innerlich begründenden Ursachen der Hand- lungen ^'0» die Denkweise und die Gesinnungsweise („Reflexion" und „Cha- rakter")^*'^), und solche Handlungen sind es*"), wonach für einen jeden Gelingen und Fehlschlagen sich entscheidet. Die Nachahmung der Hand- lung nun ist die Fabel, das Wort Fabel ^n dem Sinne genommen '''}» dass es den Aufbau der Begebnisse bedeutet. Unter „Charakter" verstehe ich alles das, wonach wir den Handelnden eine bestimmte Beschaffenheit bei- legen, unter „Reflexion" alles dasjenige, worin die Sprechenden etwas dar- legen oder eine Meinung kund thun."^) So muss also die Tragödie not- wendig sechs Bestandteile haben, wonach sie ihre Beschaffenheit bestimmt; es sind: Fabel, Charaktere, sprachlicher Ausdruck, Reflexion, szenische Vorstellung und musikalische Komposition. Die Mittel der Nachahmung nämlich ergeben zwei Teile, die Art der Nachahmung einen und die Ge- genstände derselben drei und weiter giebt es keinen. Diese also gebraucht man, und nicht etwa eine kleinere Zahl davon als eigentümliche Be- standteile für die einzelnen Arten der Tragödie"^); denn eine jede der- selben umfasst sowohl die szenische Vorstelluri^ , als Charakter, Fabel, sprachlichen Ausdruck und Gesang und ebenso auch Reflexion."

108) b xriq Öxpswq xoG/uog, die wohlgefällige Anordnung alles dessen, was dem Auge sich darstellt, am treffendsten und kürzesten also wiederzugeben, da die Kürze des griechischen Ausdrucks nicht zu erreichen ist , durch : „künstlerische Anordnung der szenischen Vorstellung".

109) Xsyct) öh ke^iv ^ev avrijv xriv zwv (xstqcdv avvd-eaiv. Sämt- liche Konjekturen, die zahlreich an der Stelle versucht sind, verderben ihren an sich klaren und guten Sinn, avvd-eaig bedeutet nicht nur den Akt der Zusammen- setzung, sondern, ganz wie bei uns das entsprechende Wort, auch das Zusamm en- ge setzte selbst, die,, Kompositio n", und zwar ganz speziell auch die stilistische. A. will also hervorheben, dass er unter Xs^ig nicht etwa den in den Trimetern vor- liegenden Text des Stückes verstanden wissen will, sondern ebenso auch den Text der Chorlieder und sonstigen melischen Partien, kurz „die textliche Kompo- sition aus den verschiedenen wechselnden Versen selbst", den gesamten Wortlaut des Stückes. Fremdartig mutet der Satz nur deshalb an, weil uns druck- und lesegewohnten Modernen sein Inhalt allzu selbstverständlich erscheint, während es für den griechischen Hörer darauf ankam, auch in den melischen Partien den sprachlichen Ausdruck von dem musikalischen zu trennen.

109*) fieXoTtoilav öh o ztjv övvaßiv (pavEQccv e/et Tiäaav. Die Kon- jektur Tiäaiv verwischt den Sinn, wie ihn die Uebersetzung „ist seinem ganzen Wesen nach klar" gleichfalls nicht wiedergiebt. Auf dem Tiäaav liegt grade der Nachdruck; ohne dies Wort wäre der Satz nichtssagend! Es soll in dem zusammenfassenden Ausdruck ßeXoitoda beides verstanden werden, was oben ge- trennt genannt wurde (vgl. Anmerk. 105 und 107): „Harmonia" und „Melos", in-

38 Hbsmanit Baümgabt

Strumentale Musik und Gesang. Korrekter würde es freilich heissen: näv o ^x^i u. 8. w, ; A. Hess aber um des Nachdruckes willen das wichtigste Wort ans Ende treten und assimilierte es dabei dem vorausgehenden dvvufjLiv (puvsQÜv, wozu es ja mit geringer Modifikation der Fassung des Gedankens auch treten kann, also: „die offen zu Tage liegende Wirkung in ihrer Gesamtheit**.

110) ri^oq xal xijv öiävoiav. Sehr scharf und treffend wird hier von der Empfindungs- und auf dem Empfinden beruhenden Gesinnungsweise „Ethos" die „Denkweise" unterschieden, das Wort im strengen Sinne genommen: also der Grad von Klarheit im logischen Schlussverfahren und der daraus und aus der persönlichen Erfahrung hervorgegangene Vorrat von objektiven Erkenntnissen und von subjektiven Meinungen.

111) 7i^<pvx€v ai'zia ovo xwv ngd^sojv slvai. Wie sie beide unser Urteil über die Handlungen und über die Handelnden bestimmen, so liegen andrerseits in ihnen ja auch die natürlichen Ursachen, aus denen die Handlungen entstehen, necpvxsv aizia slvai, nach der inneren Natur der Dinge sind sie die Ursachen.

112) Wenn im Folgenden nun für -^^og und öidvoia unsere uns geläufigen Aus- drücke „Charakter" und „Ke flexi on" gesetzt werden, so geschieht das nur, weil wir keine besseren, kurz gefassten, Ausdrücke dafür haben, und mit dem "Vorbehalt, dass sie ungeachtet ihrer im gewöhnlichen Sprachgebrauch etwas ab- weichenden Bedeutung, hier in dem oben (vgl. Anmerk. 110) präcisierten Sinne ver- standen werden.

113) xal xazd xavraq xal zvyydvovac xal dnoxvyyävovaL ndvxeq. Wieder bringt es hier die Konjektur xaxd xavxa für xaxd xavzaq fertig, den Sinn völlig zu ruinieren. Es ist gamicht wahr, dasa von Gesinnung s- und Denk- weise" der Menschen Gelingen und Fehlschlagen, Glück und Unglück für sie ab- hängen, sondern das entscheidet sich durch ihre Handlungen. Auf die Behaup- tung dieser an sich gewiss nicht neuen These kam es hier dem A. aber durchaus nicht an, sondern auf einen Satz, der allerdings für die Poetik von der allerhöchsten Wichtigkeit ist. Für die künstlerische Nachahmung von Handlungen, wobei Gelingen und Fehlschlagen, Glück und Unglück der Menschen, kurz ihre Schicksale vor allem in Betracht kommen, sind nur solche Handlungen geeignet, die auf dem Grunde der ihnen eigenen Gesinnungs- und Denkweise naturgemäss erwachsen sind, und nur, insofern sie auch so dargestellt werden. Daher das scharf betonte xaxd xavxaq.

114) Xsyo) ydg /zvd^ov zovzov zrjv avvd-saiv zcüv ngay [xdzoDV. Was für eine lahme und ungeschickte Ausdrucksweise mutet man dem A. zu, wenn er hier zovzo statt zovzov geschrieben haben sollte. Eine von den vielen Verlegenheits- Konjekturen, wie die Verlegenheit auch das gradezu unglaubliche Permutationsspiel ersonnen hat, das in diesem Abschnitt, wie in so manchen andern, mit der Stellung der einzelnen Sätze getrieben ist! Das zovzov bedeutet, nach dem allgemein be- kannten Gebrauch dieses Pronomens, so viel als „hier", ,,an dieser Stelle", „in diesem Sinne"; es ist die Wendung, durch die ein Wort abweichend von seiner weiteren Bedeutung im Sprachgebrauch zu einem terminus technicus ge- stempelt wird.

115) Öidvoiav öe iv oaoiq Xsyovzeq dnoöeixvvaai zi ij xal dno^al- vovxaL yvaifXTjv. Einer der am schwersten verdächtigten und verfolgten Sätze, während doch nichts einfacher sein kann als sein Inhalt ! A. zeigt an, was er unter „Dianoia" verstanden wissen will, insofern er sie als einen der Bestandteile be- trachtet, aus denen die Komposition der Tragödie sich aufbaut Wie kann das denn überhaupt anders verstanden werden, als dass er dabei an diejenigen Stellen des Dramas denkt, in denen der Dichter es für erforderlich hält und halten muss, seine handelnden Personen nach dieser Seite sich äussern zu lassen, von dieser

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wesentlichen Seite her ihre Handlungen zu begründen und zu beleuchten. Nur so wird doch die „Reflexion" ein Stück seiner Komposition, fz 6 ^lov r^g zgaycp- dlagl Und wie pflegen denn die Personen des Dramas ihre Handlungsweise von der Seite des „Denkens" her zu motivieren? Einmal indem sie sich auf all- gemeine Gründe stützen, wirklich allgemeine oder vermeintliche, und dem- gemäss in Sentenzen reden, klar erkannten und Wahrheit enthaltenden oder irr- tümlich aufgefassten , gefärbten oder ganz usurpierten: sei dem nun, wie immer Charakter und Situation das mit sich bringen, immer wird dabei die Form des Beweis- und Schlussverfahrens zur Anwendung kommen dnodsixvvaai ri. Oder aber es handelt sich im einzelnen Falle um die bestimmten Gründe, wodurch der Handelnde vor dem Hörer sich offenbart nach den subjektiven Ansichten, Meinungen, Vorstellungen über die Dinge, die ihn beherrschen: dnocpaivovrai yvojßrjv. Beides unterscheidet scharf alle die Stücke der Dichtung, in denen, wie wir zu sagen pflegen, die „Reflexion" zur Erscheinung kommt im Gegensatz zu Empfindung, Leidenschaft, Gemüt; und die Einteilung erschöpft zugleich den Begriff, man könnte mit aristotelischen Worten hinzufügen: xal nagä zccvza ovöiv.

116) TovTOig f/.6V ovv, ovx oXlyoig ccvxwv cog olxeioig xexQrivxat roXg eiöeaiv. Im Text steht statt mg OLXsloig, das der Verf. zur Heilung der völlig unverständlichen Stelle vorschlägt, cog elnsZv. Die Änderung wäre nur eine leichte, oLxeioig für dnelv , und der Schreibfehler aus der Gewöhnlichkeit der Verbindung zu erklären, während das otxsloig sich dem Verständnis entzog. Für das oklyoi des Textes wäre ferner olLyoig zu schreiben. Alle Heilungsversuche gingen darauf hin, den folgenden Sinn zu konstruieren: ,,dass nicht wenige Tragödiendichter, sondern alle die genannten sechs Bestandteile zur Anwendung gebracht haben". Es hat aber erstlich so gut wie gar keinen Sinn, einen solchen Satz auszusprechen, sodann würde er sich an das Folgende schlecht oder garnicht anschliessen. Anders, wenn man dem obigen Vorschlage folgt. Der Hauptsatz lautet: zovroig jxhv ovv xsxQ^vzai, „der genannten sechs Bestandteile der Tragödie bedient man sich"; dazu nun als Gegensatz : ovx oUyoi avzwv twg slnelv . . . zolg EiötOLv. Es liegt nahe, das öXlyoi als dem zovzoig parallel gehend zu fassen und also oklyoig zu setzen: „nicht einer kleineren Zahl von ihnen für die Arten", wobei doch nur an die „Arten" von Tragödien gedacht werden kann. Nun ist es aber bei A. stehender Gebrauch, dass er das die öiacpogä eiöonoiog, den artbildenden Unterschied ausmachende Attribut als zo oixslov z(ä sl'ösl bezeichnet; in dem cog sltislv wäre also die in dem Satze fehlende Angabe „(og olxeloig^^ zu finden. Für diesen Gebrauch von OLxelog vgl. Kapitel 24. lAbQ^ 26: iv 6h zy inonoila ötcc zo öifjyrjaiv slvai sozl noV^ fJLsgri a(JLa noitlv nsQaivofisva, v(p* (ov olxsiwv ovzcdv av^szai 6 zov noi^fxazog oyxog, wo das olxeicüv ovzcdv ebenso wie in der Stelle des Kap. 6 die (isqti be- stimmt, als dem Gattungscharakter der Dichtung zugehörig. Der Sinn des Satzes läge dann klar zu Tage, zumal für uns Neuere, denen grade das umge- kehrte Verhältnis das gewohnte ist. Denn für uns liegt doch die Sache grade so, wie sie A. nicht kannte und garnicht statuiert wissen wollte: dass schon das Metrum gegenüber der ungebundenen Rede eine besondere Art der Tragödie bildet, ferner wieder eine ganz andre die teilweise oder gar die durchgehende Anwendung der Musik, ganz zu geschweigen davon, dass wir auch „Buchdramen", die ohne szenische Aufführung gedacht sind, haben und „tragische Monodramen" ohne Handlung.

Ihr wichtigster Bestandteil aber ist der Aufbau der Begebnisse ; denn die Tragödie ist die Nachahmung nicht von Menschen, sondern von Hand- lung und Leben; auch hängt Glück und Unglück vom Handeln ab, und

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das letzte Ziel"') ist die That und nicht die Beschaffenheit des Wesens. Nun prägt sich in den Charakteren''*) der Menschen ihr Wesen aus, aber nach ihren Handlungen sind sie glücklich oder das Gegenteil So lässt der Dichter sie also nicht handeln, um ihre Charaktere nachahmend vor- zuführen, sondern um ihrer Handlungen willen zieht er in seine Nach- ahmung die Charakterdarstellung mit hinein."") Der Endzweck, auf den die Tragödie sich richtet, ist demnach die Darstellung der Begebnisse und der Fabel; der Endzweck aber ist in allen Dingen das wichtigste. Es dürfte auch eine Tragödie ohne Handlung nicht denkbar sein, ohne Cha- rakterdarstellung dagegen ganz wohl; die Tragödien der Mehrzahl unter den neueren Dichtern sind ohne Charakteristik, und überhaupt giebt es viele derartige Dichter, gerade wie unter den Malern Zeuxis dasselbe Ver- hältnis im Vergleich zum Polygnot zeigt. Denn Polygnot ist ein guter Charaktermaler, die Malerei des Zeuxis enthält keinerlei Charakteristik.**") Auch möchte jemand, wenn er das ganze Stück aus einer Folge nach Char rakteristik, Diktion und Gedankengehalt vortrefflich gearbeiteter Reden '^') bestehen Hesse, damit die Wirkung der Tragödie wohl noch*^^) erreichen können, bei weitem eher aber würde eine Tragödie wirken, die in allen diesen Stücken recht mangelhaft wäre, aber eine Fabel enthielte und einen Aufbau von Begebnissen. Überdies gehören ja auch die Partien der Tragödie, durch die sie am stärksten ergreift, der Fabel an: es sind die Peripetien und Erkennungen. Ein weiteres Zeichen davon ist, dass die Anfänger in der Dichtung es eher erreichen, im Ausdruck und in der Charakteristik das Richtige zu treffen als in dem Aufbau der Handlung, wie auch die frühesten Dichter fast sämtlich. Es ist also die Fabel die Grundlage und gleichsam die Seele der Tragödie; erst in zweiter Linie stehen die Charaktere; ganz ähnlich'''^) ist es ja auch in der Malerei: denn wenn ein Künstler unter den schönsten Farben, mit denen er sein Bild'^*) ausmalte, die Umrisse verschwimmen'^^) liesse, so würde er einen geringeren künstlerischen Genuss erzielen als durch eine einfache Zeich- nung; der Gegenstand der Nachahmung ist die Handlung und um ihret- willen vornehmlich sind es dann die handelnden Personen."

117) rb T€kog, emphatisch für der „Endzweck", „der letzte Zweck". Der Ausdruck : zb zeXog n^ä^lg tig iatlv, ov noLoxTjg ist in seiner Kürze und schlagen- den Wahrheit geradezu klassisch zu nennen. Goethe sagt: „Auch in Wissenschaften kann man eigentlich nichts wissen, es will immer gethan sein."

118) Tcc 7J&r]. Wie oben bemerkt (vgl. Anmerk. 112) ist die üebersetzung „Charaktere" nur in dem scharf begrenzten Sinne von „Empfindungs- und Ge- sinnungsweise" zu verstehen. Das muss gerade an Stellen, wie der vorliegenden, be- sonders betont werden, weil unser Sprachgebrauch mit dem Worte gern die gerade durch die Gewohnheit des Handelns bekundete Willensbeschaffenheit bezeichnet. Freilich handelt es sich auch dann um eine noLoirig, und ein anderes Goethesches

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Wort sagt: „Es ist nicht genug zu wissen, man muss auch anwenden; es ist nicht genug zu wollen, man muss auch thun."

119) avßTtsQLlafißccvovaiv. Es liegt kein Grund vor, weder hier noch in der Stelle Rhet. ad AI. 1438*^26, die ausdrucksvollere Komposition mit ns^l, die ein „Mitumfassen", „Mithineinziehen" bedeutet, gegen die mit na^d zu vertauschen, die lediglich ein „Mithinzunehmen" besagt.

120) Tj ÖS Zev^iöoq yQa(pri ovöhv sx^i ^S-og. Es können nur Gemälde der Menschengestalt gemeint sein, welche, die blossen sinnlichen Schönheiten wieder- gebend, nichts von den Anzeichen (oijf^sloig) enthalten, welche in Antlitz und Körper- beschaffenheit und Haltung die momentan erscheinenden oder fest gewordenen Züge ausmachen, in denen ein irgendwie bestimmtes inneres seelisches Leben erscheint. Also ein Musterbild von Schönheit {nagdöeiyiÄa) , das uns aber nichts giebt als die Yereinigung der vollendetsten Körperformen, die im Leben zu finden sind, das aber eben durch ihre Vereinigung über das Leben hinausgehend etwas Höheres darstellt (ßiXxiov). Ein Musterbild also, das uns von seinem Inneren nichts sagt und nichts sagen kann, eben weil es ein naQdöeiyfia und, mit dem vrirk- lichen Leben verglichen, ein dövvaxov ist; denn das Leben müsste den Formen, indem es sie nach irgend einer Richtung hin zu sprechenden Zügen bestimmt, von ihrer absoluten Vollendung und Mustergiltigkeit etwas abgebrochen haben. So scheinen, wenn man eine kleine und naheliegende Ergänzung hinzufügt, die Worte zu verstehen zu sein, mit denen im 25. Kapitel A. noch einmal die Malerei des Zeuxis als Beispiel anführt. Zu dem Satze : „In der Dichtung ist ein glaubwürdiges unmögliches einem unglaubwürdigen Möglichen vorzuziehen" (vgl. 1461^11: uQoq xe yaQ xrjv nolrjoiv olqsxüjxsqov ni&avbv dövvaxov rj dnt&avov xal övvaxov), inso- fern nämlich dadurch ein Höheres ßsXxiov erreicht wird, fügt er hinzu: dövvaxov (dies aus dem Schluss des vorangehenden Satzes ergänzt) xoiovxovg slvai olov Zsv^ig eyQa(pev, dXXd ßsXxiov x6 yaQ na^dösiy^a öel vnsQSx^iv. „Es ist eine Unmöglichkeit, dass es solche Menschen gebe, wie Zeuxis zu malen pflegte, aber sie dient einem höheren Zweck; denn das Vorbildliche soll den Vorrang haben." (Das olov ist nicht in o"ovg zu verändern, denn es zielt auf dövvaxov, wie ßikxiov auf beides.) Aehnlich also hätte man sich die Tragödien vorzustellen, die A. dri^eig nennt; also Dichtungen, in denen die Menschen paradigmatisch handeln. Es ist offenbar, dass, was in der Malerei noch seinen grossen Vorzug behält, weil dort eine vorgestellte Handlung und sogar innere Bewegung fortfallen kann, im Drama zu einem sehr schweren Fehler werden muss, so dass also A.'s oben aufgestellter Satz, das „Ethos" sei ein unentbehrlicher Teil einer guten Tragödie, bestehen bleibt. Von modernen Beispielen könnte man an die sogenannte klassische Tragödie der Franzosen, namentlich an Corneilles Märtyrertragödien, denken oder auch an Klop- stocks geistliche Dramen und Bardiete und für die übrigen Dichter, von denen A. spricht, z. B. an Gessners Idyllen und überhaupt an das Pseudo-IdylL

121) Qriaeig rj&ixdg xal U^eig xal öiavolag sv TcsTioirjfxivag. Das Attribut ev nen. gehört zu jedem der drei Objekte.

122) Die Verneinung ov steht nicht in den Handschriften, sondern ist schon von Aldus hinzugefügt und kann allerdings, ohne dem Gedanken eine höchst gezwungene und kaum annehmbare Wendung zu verleihen , nicht aufgegeben werden, wenn der Nachsatz seine Form behält. Hier aber gerade scheint durch eine leichte Aende- rung sich ein Fehler eingeschlichen zu habeo, der nicht nur in dieser Periode, son- dern auch im Folgenden Verwirrung angerichtet hat. Der Abschreiber ist auf das idv d'y des Bedingungssatzes mit dem ihm geläufigen Futurum Ttoiijaei fortgefahren, während A. wohl die zweifelnde Form des Optativs gewählt hatte. Aus dem noi- t'josisv dv ist dann das noiijaei o ^v des Textes geworden. Wenigstens ergäbe jene Form des Ausdruckes einen befriedigenden Sinn, ja der Gedanke erhielte hier

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wie im Folgenden dadurch eine bedeutende Vertiefung und würde so erst völlig verständlich. Es wäre doch eine sinnlose Annahme, die A. gamicht zum Vergleich herangezogen haben kann, dass jemand Reden voll feinen ethischen Gehaltes, voll vortrefflicher Gedanken und aller Schönheit des Ausdruckes aneinander reihte, ohne dass sie durch einen inneren Handlungs- Zusammenhang zu einer Tragödie verbunden wären, ohne dass sie also eben durch die rein ethischen Wandlungen, die sie vorführten, Furcht und Mitleid zu erregen geeignet wären. Nur einen solchen Fall kann er im Auge ge- habt haben, also eine rein ethische Tragödie, bei der die äussere Handlung sich zu einem Minimum verflüchtigt und der Glücks Wechsel allein aus den dar- gestellten ethischen Veränderungen hervorgeht. Dafür fehlt uns zwar ein antikes Beispiel, die Gattung aber wird von A. charakterisiert, und uns Neueren liegt eine Tragödie vor, auf welche die aristotelischen Sätze bis ins Kleinste zutreffend ihre volle Anwendung finden: Goethes „Tasso"! Von einer solchen sagt A.: „Man könnte damit wohl auch noch die Aufgabe der Tragödie erfüllen" noi^aeiev av TTJg TQayipöiag egyov. Wie sehr aber hat er recht zu behaupten, dass eine Tragödie, die ihre ergreifende Kraft aus dem Aufbau einer durch die Macht der Ereignisse bewegenden äusseren Handlung schöpft, auch wenn sie aller Vorzüge entbehrt, die jene auszeichnen, dennoch einer bei weitem stärkeren und vor allem allgemeineren Wirkung sicher ist! So erst wird auch das Beispiel aus der Malerei völlig deutlich, bei dem doch ebenfalls an ein Kunstwerk zu denken ist, nicht an die in gleicher Weise unmögliche Annahme von „planlos aufgetragenen schönen Farben"! Zugleich zeigt sich aber auch, dass das Beispiel zu dieser Stelle nicht passt, sondern im Texte an seiner rechten Stelle steht. Das Gleichnis spricht von einem Bilde, das vorzüglich durch Farbenpracht wirken will, bei dem daher der durch die Zeichnung bestimmte Inhalt, bis zur Gleicbgiltigkeit und Undeutlichkeit herabgedrückt, vor dem koloristischen Effekt verschwindet. Es passt daher nur zu der Stelle, wo der Text es bringt ; nachdem die ganze Erörterung in dem Satze zu- sammengefasst ist: die Seele der Tragödie ist der Mythos, erst den zweiten Rang nimmt das Ethos ein, heisst es: ebenso steht in der Malerei die Farbe hinter der Zeichnung zurück.

123) Der willkürliche Zusatz des ov in dem Anmerk. 122 behandelten Satze hat dann die meisten Herausgeber veranlasst, da das Gleichnis von der Malerei dem so gewendeten Sinne besser zu entsprechen schien, es um ein paar Sätze weiter nach oben zu rücken, während es an seiner richtigen Stelle, wenn man den voraus- gehenden Text unverändert lässt, auf das genaueste passend sich anschliesst.

124) el yaQ tig ivaXeitpets zolg xccXXlaroig ^aQfiäxoig xv6riv , ovx av ofiOLcog exxpQavsiev xal XevxoyQacpriöag slxöva. Es giebt keinen vor- stellbaren Sinn für das Gleichnis ab, wenn man, wie allgemein geschieht, das Ver- bum ivaXslxpeisv als intransitiv auffasst. Was sollte das für eine Art von Malerei sein? Es hat mit Xevxoy^a(pTjaag das Objekt sixova gemein, und der Nachdruck liegt auf x^^V^- I^i® schönsten Farben in einem Bilde, wenn sie ineinanderfliessen und nicht vielmehr dazu dienen, die Contouren desto klarer und belebter hervor- treten zu lassen, werden von der einfachen Zeichnung weit übertroffen. Zur näheren Erklärung und zur Bestätigung dürfte die folgende Stelle aus n. ^. yev. II (vgl. 743*» 24) dienen: anavxa ös zalg n£QiyQa<paLg ötogi^stcci tcqoxsqov, voxeqov 6e XafjLßdvsi za yQ(ü[xaza xal zag fxakaxozjjzag xal zag axXrjQOTtjzagj dz£xv(^Q waneg av vno ?a»- yQacpov zijg (pvastog örjfziovgyovfisva ' xal yd^ ol y^atpslg vnoygdrpavzeg zalgygafJL- (xalg ovzmg ivaksig}Ovai zolg xQ^ßf^^t- "^o t^wov.

125) Für x^^^'^f wörtlich „im Gusse hingeschüttet", scheint in diesem Zusammenhange unser „verschwommen" die treffende Wiedergabe.

I

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„Der dritte '^^) Bestandteil ist die „Reflexion": sie besteht in der Fähigkeit, das der Situation zu Grunde liegende und ihr angemessene auszusprechen, also was für die Kode die politische Sachkunde und die Rhetorik zu leisten hat; denn die älteren Dichter Hessen ihre Personen sachlich (in der Weise des Staatsmannes) sprechen, die jetzigen lassen sie rhetorisch reden. Es ist aber alles das zur Charakter darstellung zu rechnen, was die Willensentscheidung des Redenden darüber klar legt, wofür er unter Verhältnissen, in denen das nicht von selbst zu Tage tritt, sich entscheidet oder was er verwirft^"). Deswegen enthalten alle diejenigen Reden nichts Charakteristisches, worin es sich überhaupt nicht um Willensentscheidung für etwas oder gegen etwas handelt. „Reflexion" aber ist die Darlegung einer Sache, wie sie ist oder nicht ist, und über- haupt die Äusserung einer Meinung.'^®) Das vierte ist der Ausdruck in Worten. Wie schon gesagt, verstehe ich darunter die Bekundung mittelst der Sprache, deren Wesen in der gebundenen Rede dasselbe ist wie in der ungebundenen. Von dem übrigen ist fünftens ^^) die musikalische Komposition der wichtigste Teil des künstlerischen Schmuckes; denn die „szenische Vorstellung" ist zwar ergreifend, sie hat aber mit dem Wesen der Kunst am wenigsten zu schaffen und fällt garnicht in den Bereich der Poetik. Denn die^^°) Wirkung der Tragödie besteht ja doch ohne Aufführung und Schauspieler; auch ist für die Herstellung der szenischen Darstellungen die Kunst des Dekorateurs wesentlicher als die des Dichters."

126) TQLTov 6h rj öiccvoia. Im Vorangehenden ist von den beiden wichtigsten Bestandteilen der Tragödie zugleich gehandelt, von Mythos und Ethos. Daher steht xQLzov hier mit Recht, ohne dass hier eine Lücke anzunehmen wäre; wie auch das Folgende ohne dieses hier wieder vielfach in Anwendung gebrachte Aus- kunftsmittel seinen völlig bündigen Sinn und Zusammenhang hat. Dass nun von dem „Ethos" dennoch sogleich wieder gesprochen wird, hat seinen guten Grund darin, dass auf keine bessere und kürzere Weise die klare Ausscheidung dessen, was in den Reden der Handelnden als reine „Reflexion" zu betrachten ist, be- wirkt werden könnte.

127) eaxL öh ij&og (jlbv z6 xolovzov o ötjXoI xriv ngoalgeaiv, bnold xiq iv olg ovx eoxi öijlov tJ' TtQoaiQstxac i] (pevysi' ötÖTisQOvxsxovaiv r,d-og x(üv X6yü)v iv olg ^^rf' 6X(og eaxiv o xi ngoaiQslxai i] (pevysL 6 kiycav. Im Texte steht: TiQoalQsaiv ojio'la xtg. Ferner fehlt nach dem ersten (psvysL die Interpunktion, und am Schlüsse steht o xig statt o xi. Trotzdem es sich nur um die Änderung eines Accentes und eines xig in xi handelte , erschien die ganze Periode durch die falsche Interpunktion unverständlich, so dass man, um sie zu heilen, zu dem bedenklichen Mittel der Umstellung geschritten war, indem man dem ersten mit iv olg beginnenden Relativsatz unmittelbar vor dem zweiten ebenso beginnenden seine Stelle anwies und ihn durch ein eingeschobenes tj mit diesem verband. Gegen diese angebliche Sanierung hat Vahlen (a. a. 0. S. 125) durch die angegebenen leichten Änderungen mit unzweifelhaftem Recht den ursprünglichen Text wieder zu Ehren gebracht. Das Verhältnis ist hier dasselbe wie an so vielen

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Stellen: der möglichst integer erhaltene Text erschliesst die grössere Feinheit des Gedankens. Es handelt sich um die Definition der „Dianoia", die ausschliesslich in den Reden Xöyoig der Handelnden zur Erscheinung kommt. Ein Teil von diesen jedoch ist unter den Begriflf des „Ethos" zu subsumieren; freilich zeigt sich das „Ethos" vorzüglich im Handeln, in dem Entschluss ngoaL- Qeaiq —, etwas zu erwählen oder etwas zu verwerfen. Es giebt jedoch in der Tragödie viele Fälle, in denen solche „ethischen Willensentscheidungen", ohne dass sie durch Handlungen „an den Tag gelegt werden" iv olq oix lau Sf^Xov —, doch in solcher Weise an den Handelnden herantreten, dass eine Äusserung darüber XöyoL seinerseits für die Handlung höchst wesentlich ist. Solche „Reden" sind ethisch, und nur diejenigen fallen unter den Begriff der „Dianoia", in denen eine Willensäusserung für etwas oder gegen etwas nicht in Betracht kommt. Wie scharf und klar aber A. nun von den „Ethos" und „Dianoia" enthaltenden „Reden" den Begriff der ke^ig der „Diktion" —als eines besonderen Teiles der Dichtung unterscheidet, ist aus dem Schluss des Kapit. 24 (1460*» 3) zu ersehen: T^ 6h Xe^ei ösl öianoveZv ^v zotg uQyolq (xiQtaiv xal (xrixe i^^ixolq /^jjrf ÖKxvoTjTixolg' anoxQvnxei yaQ naXiv rj liav ?.af47iQa ?.i^ig tu ze ^&i] xal rag öiavo Lag.

128) Das Erschöpfende dieser Definition ist schon oben (vgl. Anmerk. 110 und 115) dargethan.

129) Der Text hat nevre, wofür nach vielfach angenommener, sicherlich richtiger Vermutung nsfimov zu setzen ist. Also: zwv öh Xoitcwv nifiTttov jj HEkoTtoiLa fxsyiazov zmv Tjövaßdzwv. „Übrig" sind noch die beiden Be- standteile: Musik und Szenerie, die gemeinschaftlich kurz abgehandelt werden, so dass auch hier jede Veranlassung zu Konjekturen und Interpolationen wegfällt. Ganz überflüssig ist es, das Sätzchen über die Musik aus dem aristotelischen Frag- ment TtsQl xwnwöiag hier einzuschieben. Wie er es schon früher angekündigt hat, enthält sich A. des Eingehens auf diese ausserhalb der eigentlichen Poetik liegenden Künste grundsätzlich. Er begnügt sich, die ungleich höhere Wichtigkeit des musikalischen Teiles vor dem dekorativen zu konstatieren, wodurch der üeber- gang auf diesen letzteren von selbst gegeben ist.

130) Für das atg der Handschrift Ac ist von den Herausgebern mit einer Anzahl späterer Hss. ^ geschrieben, wogegen Vahlen (a. a. 0. S. 128 ff.) das cJg yag durch eine grosse Zahl von Parallelstellen siegreich verteidigt.

Kapitel Yü.

„Auf Grund dieser Grenzbestimmungen soll nun also zunächst von dem Aufbau der Handlung die Rede sein, da dies für die Tragödie das Erste und Wichtigste ist. Unser Satz war: dass die Tragödie die Nachahmung einer vollständigen und ein Ganzes bildenden Handlung ist, welche ein gewisses Mass von Grösse ^^') besitzt. Denn der Begriff des Ganzen bleibt bestehen, auch wenn es keine Grösse hat*^-) Ein Ganzes nämlich ist dasjenige, welches einen Anfang, eine Mitte und einen Schluss hat. Ein Anfang aber ist, was für sich selbst nicht notwendig auf ein andres folgt, worauf aber ein weiteres naturgemäss eintritt oder sich entwickelt; im Gegensatz dazu ist ein Schluss, was für sich selbst natur- gemäss auf ein andres folgt entweder mit Notwendigkeit oder nach der

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Wahrscheinlichkeit, worauf aber ein andres weiter nicht erfolgt; die Mitte endlich ist, was sowohl für sich selbst auf ein andres folgt als auch ein weiteres im Gefolge hat."^) Demgemäss ist es keineswegs in das Be- lieben gestellt, wo eine gut eingerichtete Fabel zu beginnen hat oder wo sie ihren Abschluss finden muss, sondern es sind die angegebenen Regeln dabei zu beobachten."

„Nun muss aber das Schöne, sei es ein Bild'^) oder überhaupt ein jedes Ding, das aus mehreren Teilen besteht, nicht allein dieselben in gesetzmässiger Anordnung enthalten, sondern es muss auch die Eigenschaft der Grösse besitzen und zwar keineswegs in beliebigem Grade. Denn zum Schönen gehört Grösse und Ordnung ^^'^) ; deshalb würde weder ein sehr kleines '^^) Bild schön sein können denn die Betrachtung fliesst in eins zusammen, wenn sie sich der Grenze des Zeitmoments *^'') nähert, wo die bewusste Wahrnehmung aufhört; noch ein übergrosses denn hier erfolgt die Anschauung nicht auf einmal, sondern es trennt sich für den Betrachtenden das Einzelne von dem Ganzen in seiner Anschauung, wie wenn es ein Bild von zehntausend Stadien gäbe. Wie man also bei Körpern und ebenso bei Bildern ^^^) Grösse verlangt, doch so, dass sie völlig übersichtlich bleiben, so verlangt man von den tragischen Fabeln ausgedehnten Umfang *^^), doch so, dass leichte Fasslichkeit damit ver- bunden sei. Eine Grenzbestimmung des Umfanges für die Beurteilung *^°) bei den Wettkämpfen und seitens der Zuschauer ^^0 kann aber von der Theorie nicht gegeben werden, denn sonst würde man, wenn etwa ein Wettkampf unter hundert Tragödien nötig würde, sie wohl nach der Wasser- uhr um den Preis streiten lassen müssen, wie das anderswo ja auch wohl geschehen soll. Die in der Natur der Sache selbst liegende Grenze ist diese: die umfangreichere Fabel ist immer, soweit sie deutlich ist, hin- sichtlich der Grösse die schönere, und, um ein allgemeines Gesetz auf- zustellen^"^): bei welcher Grösse der Fabel der Wahrscheinlichkeit oder der Notwendigkeit gemäss in der Reihenfolge der Begebenheiten ein Um- schwung zum Glück aus dem Unglück oder aus dem Glück in Unglück zum Vollzug gelangt, da ist das richtige Mass der Grösse vorhanden." ^*^)

131) SxovoTjg XL fxeys&og- Das Wort (dye^oq bedeutet Grösse, und n fiiys^og „ein gewisses Mass von Grösse"; es kann aber nun und nimmermehr bedeuten: „eine gewisse Ausdehnung'^, wie seltsamerweise allgemein angenommen wird. „Grösse" ist ein relativer Begriff und bezeichnet zwar immer eine Aus- dehnung, aber im Griechischen wie im Deutschen und überall immer nur diej enige , welche dem Gegenstande innerhalb seiner Gattung den Anspruch auf [besondere Bedeutung und Beachtung verleiht. Sie erhält also ihr Mass [auf das bestimmteste durch die Eigenschaften der Gattung und wird allemal von ler durchschnittlichen Ausdehnung, welche diese vorschreiben, bis zu der äussersten, lie sie zulassen, gefunden werden. Der Satz, dass ein Ding eine „gewisse Aus-

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dehnung" haben müsse, ist eine Plattheit, die man niemandem zutrauen sollte, am allerwenigsten aber einem A. 1 Was er sagt, ist, die Tragödie müsse eine bedeutende Ausdehnung haben; eine solche aber nennen wir „Grösse", wie er sie (xtyt^oq nennt. Das Wort, das die Ausdehnung ohne jene Relation auf die Gattungseigen- schaften bezeichnet, ist im Griechischen fxrjxoQ und im Deutschen „Länge" oder „Umfang". Die Argumentation des ganzen Kapitels geht darauf hinaus, für die Tragödie denjenigen Umfang fxr^xog zu bestimmen, der ihr Anspruch auf Bedeutung verleiht, also dasjenige /atjxoq, das für sie ßeys^oq ist, welches letztere daher zu ihren wesentlichen Attributen gehört. Höchst folgerichtig entwickelt er, dass eine allgemeine Vorschrift darüber, welches dieses fitixoq sei, von der Theorie nicht gegeben werden könne, eben weil es in jedem Falle von der inneren Beschaffenheit der tragischen Fabel abhängt. Aber wer sähe nicht, dass grade hierin die Begründung dafür liegt, dass das /nsye^og die „Grösse" als eine Wesenseigenschaft der Tragödie verlangt wird I Der Inhalt ihrer Handlung ist, kurz gesagt, ein Schicksalswechsel; je bedeutender, wichtiger und darum in jeder Hinsicht ergreifender ein solcher ist, desto mehr Umfang fjtijxog wird er erfordern, und die Tragödie, die hierin bis an die äusserste Grenze des ihr Erlaubten geht, wird die beste und schönste sein.

132) sazL yccQ SXov xal firjöhv b^ov /xeye&og. Zu welchem Widersinn die im Obigen widerlegte Auffassung führt, zeigt die ebenfalls allgemein acceptierte Übersetzung dieser Worte: „denn es giebt auch ein Ganzes ohne bestimmte Ausdehnung". Eine logische Ungeheuerlichkeit, wenn es je eine gegeben hat. Ein Haufe, eine Masse, eine Menge kann niemals ein „Ganzes" bilden, und auch bei Stoff- und Sammelnamen, bei denen die Kategorie der Quantität allerdings un- bestimmt ist, kann der Begriff des „Ganzen" erst dann in Betracht kommen, wenn im einzelnen Falle die Quantität für sie eben schon genau bestimmt ist. So kann bei „Wald", „Heer", „Volk", „Stadt" an sich von einem „Ganzen" nicht die Rede sein, sondern nur bei „dem" Walde, eben dem bestimmt begrenzten, bei dem Volke, dem Heer, der Stadt. So gefasst unterliegen auch diese Begriffe der Schätzung nach dem Massstabe der „Grösse". Ein „Ganzes" aber „ohne be- stimmte Ausdehnung" ist eine contradictio in adjecto, ein logischer Nonsens.

133) Die hier gegebenen Definitionen des „Ganzen", ferner die Begriffe des „Anfanges", „Endes", der „Mitte" könnten auf den ersten Blick als überflüssig und allzu selbstverständlich erscheinen. Der genaueren Prüfung stellen sie sich nicht nur in ihrer logischen Schärfe dar, sondern auch in ihrer überaus grossen Frucht- barkeit, besonders für die Komposition der dramatischen Fabel, sowohl was die Wahl als was die Behandlung des Stoffes anbetrifft. Für die Auswahl des tragischen Stoffes wird immer das Moment des Glückswechsels entscheidend sein, sei es nun ein als wirklich überlieferter oder ein erdichteter. Für den von diesem Mittelpunkt aus rückwärts und vorwärts Schauenden dürfte es nun nur eines einzigen Blickes bedürfen, um über die Brauchbarkeit eines Stoffes für die Tragödie zu entscheiden, wenn er sich dabei genau nach den obigen aristotelischen Distinktionen orientiert. Aus der Labdakiden-Sage lässt sich z. B. die zu dem Schicksal Antigenes gehörende Handlung als ein „Ganzes" leicht herausschneiden. Mit dem Bestattungsverbot ist ihr „Anfang" gegeben, das „Ende" bildet nicht Antigenes Tod, sondern der Tod Hämons und der Eurydike, als dessen unmittelbare Folgen, und Kreons Jammer; was darüber hinaus liegt, also was aus Kreon fernerhin wird, gehört nicht zu dem „Ganzen" dieser Handlung. Man sieht an jedem einzelnen Beispiele, dass jene Definitionen von Anfang und Ende, da im Grunde doch alles mit allem zusammen- hängt, doch immer nur als von dem Kerne der das „Ganze" bildenden Handlung aus bestimmt ihre Geltung haben. Derselbe Nachweis wie an der Antigonesage lässt sich am Agamemnon, an der Orestie, an der Iphigeniensage , am Ajas führen.

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Ebenso springt es sofort ins Auge, dass die Rüdiger- Episode aus den Nibelungen sich der dramatischen Behandlung durchaus entzieht; denn sie ist in ihrem Anfang und Ende so fest und innig mit dem Organismus des gesamten Epos verwachsen, dass sie nicht daraus abgelöst werden kann, ohne dass dessen Handlung ihrem wesentlichsten Gehalte nach mit hinüber genommen wtlrde. Umgekehrt steht es mit der Philoktetes-Sage , einem Beispiel, an dem sich die Fruchtbarkeit der ari- stotelischen Definitionen nach einer andern Seite erweist. Diese Handlung sondert sich leicht und vollständig aus dem epischen Cyklus ab ; aber bei aller ergreifenden Kraft des darin enthaltenen Schicksalswechels würde der Körper dieser Handlung ausser in den Händen eines Genies sich für die tragische Gestaltung als zu schmal und dürftig erweisen. Sophokles Hess den Kern der Handlung, die [xeraßoXri ix övoTvyJag eiq svtvxiccv , sich in dem Innersten der Seele des Helden entwickeln, er legte ihn in die Entscheidung des dort tobenden Kampfes. So bringt der deus ex machina nur symbolisch die Vollendung der dort im Grunde schon vollzogenen Umwandlung. Von diesem Gesichtspunkte aus sind „Anfang", .jMitte" und „Ende" ermessen und erfunden; denn es galt den Verlauf dieses Kampfes zu exponieren, durchzuführen und zum Abschluss zubringen, was „gross- artiger" nicht geschehen konnte als durch die Neoptolemus-Aktion und ihre „notwendige" Wirkung auf den Helden. Hierdurch erhält die Tragödie nicht allein den vollen Umfang fifjxog eines rechten Kunstwerks, sondern eben da- mit ihre „Grösse" fÄsysd-og —, Es zeigt sich, wie eng die Begriffe der „Ganz- heit" und „Grösse'* mit einander verbunden sind; in diese engste Verbindung treten ebenso noch die Begriffe der „Einheit" und „Vollständigkeit" ein. Ein modernes Beispiel, wie eine an sich dürftige Handlung durch Erhebung ihres inneren Gehaltes zu einem „Ganzen", das in seinem Anfang und Ende und seiner mittleren dazwischenliegenden Entwickelung sich vor uns entrollt, sogleich auch mit der da- durch gewonnenen Fülle die hohe Bedeutung, die künstlerische „Grösse" gewinnt, bietet Goethes „Tasso". Mit einem Worte, es liegt in jenen Definitionen die Kraft, sowohl der Überfülle des Stoffes zu wehren, mit untrüglichem Urteil die be- lastenden Nebenhandlungen auszusondern, die störenden Episoden wegzuschneiden, als auch, was Lessing in einer bekannten Bemerkung als das eigentliche Werk des Genius bezeichnet, das kahle Skelett eines schicksalentscheidenden Faktums durch die Bekleidung mit Sehnen und Muskeln, Adern und Nerven zum blühenden Körper zu gestalten.

134) t,(i)ov. Das Wort ist hier und im Folgenden, wie der Zusammenhang zeigt, durchaus in dem Sinne von „Bild" zu verstehen. Es scheint von A. des- halb gewählt zu sein, weil es sich hier durchweg ganz absolut um den Begriff eines Bildes handelt, während sich mit elxcov notwendig die Beziehung auf den „abgebildeten" Gegenstand verbindet, besonders die Vorstellung einer dargestellten Menschengestalt, was hier grade vermieden werden soll.

135) To yccQ xaXov iv fieys&ei xal xd^ei iaxlv. Ein aristotelischer Text kann, wie die Stelle zeigt, nicht genau genug übersetzt werden. Es würde grundfalsch sein hier zu sagen: „Das Schöne liegt in Grösse und Ordnung" oder etwas dem Ähnliches, was im Deutschen gamicht anders verstanden werden kann, als ob damit eine Wesens-Definition gegeben sein soll. Eine solche ogog rijg ovaiag - hat bei A. immer die strenge Form, dass zu dem Subjekt der Prädikats- nominativ hinzutritt. Auch die obige Form iaxlv iv hi bei ihm häufig, aber in einem Sinne, den man sich am besten räumlich vorstellt und zwar so, dass das Gebiet des einen Begriffs in das des andern hineinreicht, und sie also wechsel- seitig an einander Anteil haben. So ist hier das Verhältnis des xaXov zu den beiden Begriffen des fiaye&og und der za^ig also dieses: dass das Schöne wesent- liche Eigenschaften besitzt, die in dem Gebiete des einen und des andern jener

48 Hebmann Bäümgabt

beiden gelegen sind, die innerhalb jener Gebiete also zu ihm gehören. Höchst not- wendig, ja ganz unumgänglich ist es aber, dass der Anschein vermieden wird, als sollte gesagt sein, das Gebiet des Schönen fällt mit jenen beiden andern zu- sammen, ist mit ihnen identisch, was nur so ausgesprochen werden darf, um in seinem Widersinn zu erscheinen. Das Geforderte dürfte kaum durch eine andre Wiedergabe geleistet werden, als durch die oben vorgeschlagene: „Zum Schönen gehört Grösse und Ordnung". Sehr auffallend wird das Gesagte durch Aussprüche des A. an andern Stellen bestätigt, in denen der Gedanke in ähnlicher Gestalt wiederkehrt. So in der Politik (VIII, 4), wo von der Grösse die Rede ist, die für einen Staat das Maximum seines Wachstums darstellen solle. Ordnung und üebersichtlichkeit, wie sie in einem gesetzmässig eingerichteten, in seiner Kraft sich sicher und selbständig und frei bewegenden Organismus herrschen müssten, seien mit allzugrosser Ausdehnung der Volkszahl nicht verträglich. Es gebe auch für die Staaten daher ein, gleichsam durch göttliches Walten bestimmtes, unüberschreitbares Mass der Grösse, wenn er ein xa?.6v sein sollte, „eine rechte und gute, Gott und Menschen wohlgefällige Institution": rd ye xa).ov Sv nXrjQ-€L xal fiey^d-si eicoB-s ylveali-ai (vgl. 1326*33). Also: „da, wo Fülle und Grösse ist, entsteht das Kalon", sie gehören zu seinem Entstehen, und zwar in einem ganz bestimmten Masse, das aus der Natur des Gegenstandes sich ergiebt. Ähnlich heisst es in der Nikom. Ethik (vgl. 1123'» 6) zu dem Satze: iv fieyi^si yccQ 1] fisyaXoipvxlcc vergleichsweise: waneg xal to xd'/loq iv fisyd?.^ acifiari: „die Schönheit ist in einem grossen Körper", was wieder deutsch nur so ausgedrückt werden kann: „Zur Schönheit gehört ein grosser Körper". Die Ansicht des A. über den Gegenstand giebt die bekannte Stelle der Metaphysik (vgl. XII, 3. 1078« 36) gradehin, wo zum Erweis der Behauptung, dass auch für die Erkenntnis des Guten und des Schönen aus den mathematischen Wissenschaften sehr wesentliche Lehren abzuleiten seien, der Satz steht: zov Sh xaXov ßkyiora sl'öij zd^tg xal av/x- fjLexQLa xal x6 wqlohsvov. Was doch nur heissen kann : „Zu dem Gattungs- begriff des Schönen gehören als höchst wichtige Artbegriffe die Begriffe der Ordnung, der Symmetrie und des Masses. Die Beweise für diese Sätze nimmt A. lediglich aus der Erfahrung. Zum Gattungsbegriff des Schönen gehört zweierlei: dass es erstlich seinem Inhalte nach gut und recht ^qi uya^6v\ und dass es der sinnlichen Wahrnehmung (rj; alaS-ijaeL) sich darbietend im Gemüt die Freude hervorbringe dass es rjöv sei. Die Freude rjöovi^ aber entsteht in uns als die Begleiterscheinung der auf richtige Ziele gelenkten Bethätigung; sie ist um so grösser, je höher geartet diese Ziele sind und je mehr sie mit dem Gesetz unserer Natur in Übereinstimmung stehen. Alle Erfahrung aber bestätigt, dass das Geordnete unsrer Natur gemässer ist als das Ungeordnete; Gesetz und Regel selbst wirken daher, sinnlich wahrgenommen, schon erfreulich. Darin liegt das Geheimnis der mächtigen Wirkungen des „Rhythmus", der „Symmetrie", der „Symphonia", d. i. des „Zusammenklanges von Tönen" (also was wir „akkordische Harmonie" nennen). Bei allen Verrichtungen lieben wir sie, die Arbeit wird uns dadurch leichter, die Kraft wird durch sie nicht nur erhalten, sondern sogar ge- mehrt. So heisst es in den Probl. XIX, 38 (vgl. 920^33): ^v&fx(p 6h -/(^iQOfiev öid zo yvioQLfjLOv xal zszayfisvov dgiO-fiöv ejjffv, xal xivslv ^fiäg zszayfiivcag' olxeiozsga ydg Tj z€zayfi£vr] xlvrjaig (pvasL zfjg dzdxzov, aiazs xal xazd (pvaiv ixäkXov. atjfislov ÖS' novovvzeg ydg xal nivovzsg xal iaS^lovzsg zezayfieva aiot^ofiev xal av^ofiev zrjv fpvOLV xal zr^v övvafjiiv, dzaxra öh (pS^slQOfiev xal i^iazafisv cruz^v . . . avfiqxovia 6s xalgoiisv, ort xQaaig iari Xoyov iyovxiov ngog aXX?]Xa. 6 fihv ovv Xoyog rd^cg, o i^v (fvasL Tj6v. Ebenso liegt es erfahrungsgemäss in unsrer Natur, dass ein Gegenstand unser Wohlgefallen dadurch erregt, dass er über das seiner Gattung zukommende Mittelmass hinausgeht; ebenso dass es dafür eine natürliche und not-

Zur Lehre des Aristoteles vom Wesen der Kunst und der Dichtung. 49

wendige Grenze aj^tafxbvov giebt. „Ordnung" und „Grösse" sind also nach A. Artbegriffe, die dem Gattungsbegriff des „Schönen" inhärieren, ohne dass er etwa das Wesen desselben erschöpfend bezeichnet zu haben meinte.

136) Im Texte steht näv (itxgöv und näv fxsysS-og, was wohl unzweifelhaft richtig in näixßixQOv und naßfxsysS^sg geändert ist.

137) ovyxslzai yccQ ri &sa)Ql<x iyyvg r ov dvcciad-tjrov XQOt'ov. Mit Unrecht wird hier xQo^ov emendiert oder gestrichen. Es ist eine ganz zutreffende Vorstellung, dass der Akt der Betrachtung, obwohl wir uns dessen umsoweniger be- wusst werden, je mehr uns der Anblick gefangen nimmt, eine gewisse Zeit erfordert, und zwar um so grössere grade, je mehr wir uns gefesselt fühlen. Eine minimale Erscheinung aber übersehen wir in so geringer Zeit, dass ein Unterscheiden des Einzelnen, worauf alles ankommt und wodurch eben eine Reihe von Zeit- momenten erfordert wird, aufhören muss. Also wörtlich: „auf nahezu unmerk- bare Zeit eingeschränkt fliesst die Betrachtung in eins zusammen".

138) inl zcöv aojfjLurcüv xal inl zwv i^ojcdv. Dadurch, dass (^ißov in der Bedeutung „Bild" genommen wird, fällt der Anlass zu der Änderung von acoßdrcov in ox^ßccTcov fort. Es werden völlig konsequent organische Körper mit Werken der bildenden Kunst in Parallele gestellt.

139) fXTJxog. Es lässt sich in der Übersetzung der Ausdruck „Länge" nicht gut wählen, da gerade in der Anwendung auf dichterische Produktionen der Sprach- gebrauch ihm die Nebenbedeutung des Tadels angeheftet hat. Daher ist die Um- schreibung „ausgedehnter Umfang" vorzuziehen.

140) TCQog zovg dywvag. Auf den Gesichtspunkt der „Beurteilung" kommt es hier allein an. Der griechische Ausdruck enthält ihn implicite, im Deut- schen muss er also entsprechend ergänzt werden.

141) xal TtQog zrjv ai'ad-rjaiv. Es gilt hier dasselbe für den Standpunkt des Zuschauers wie bei den „Agones" für den der Preisrichter. Daher die im Aus- druck vom Texte abweichende Wiedergabe.

142) (og ÖS an 1(5 g ÖLOQiaavzag einslv. Das Verbum öiOQtt^siv ist der eigentliche Ausdruck für die Begriffsbestimmung; anliäg bedeutet, dass diese Be- stimmung hier eine absolute, allgemein gültige sein soll.

143) ^v oa(p fieysd^EL . . . ., Ixavog ogog iazl zov fieysS^ovg. Vielleicht hat die Fassung dieses „allgemeinen Gesetzes" mit am meisten dazu beigetragen, bei den Auslegern den inhaltsvollen Begriff des „ßsyed-og"' zu dem nichtssagenden „eine gewisse Ausdehnung" zu verflüchtigen. Der beste Teil seines Sinnes wird damit wieder erstickt. „Grösse" ist die unentbehrliche Wesenseigenschaft der Tragödie. Das einfach für sich dastehende Faktum des Glückswechsels erhält sie, indem der Dichter es aus dem Aufbau der i<p8§TJg yiyvofisvcov hervorgehen lässt [avixßalveiv) und zwar xaza zo elxbg rj zo dvuyxaZov, also durch die Vollständigkeit der äusseren und inneren Motivierung. So erst gewinnt es die volle und ergreifende, die allgemeine, die grosse Bedeutung. Umgekehrt setzt jene allgemeine Bestimmung die Grenze den an sich übergrossen, allzu weitgreifend wichtigen Stoffen gegenüber, z. B. bei den historischen Sujets, man denke an die „Perser", an „Wallenstein" und ähnliches: hier beschränkt das aristotelische Gesetz den Tragödienstoff eben auf das Moment des Glückswechsels, dem allein der Aufbau der Begebenheiten zu dienen hat.

Kapitel Vm.

„Einheitlich aher ist eine Fabel nicht, wie man meint, wenn sie von einer Person handelt; denn gross und der Art nach unendhch mannig- faltig ist die Menge der zusammentreffenden Ereignisse^ ^^), und eine Einzel-

50 Hbbmamn Bauhoabt

gruppe daraus ist keine Einheit •'"). Ebenso"*') sind auch die Handlungen des einen Einzigen eine Vielheit, aus der sich keineswegs eine einzige Handlung gestaltet. Deshalb sind augenscheinlich '*') alle die Dichter, die eine „Herakleis" oder „Theseis" oder dergleichen Gedichte gemacht haben, in die Irre gegangen : sie meinen, weil Herakles ein einzelner war, so folge daraus, dass auch der Mythos von ihm eine Einheit sein müsse. Homer freilich, wie er ja auch im übrigen hervorragt, zeigt auch hierin den richtigen Blick, mag nun seine Kunst oder sein Genie ihn geleitet haben : in seiner Odyseedichtung besang er nicht die Gesamterlebnisse seines Helden, wie die Verwundung auf dem Pamass und den verstellten Wahn- sinn vor dem Zuge nach Troja Ereignisse, von denen jedes geschehen konnte ohne die Notwendigkeit oder"**) Wahrscheinlichkeit, dass das andere sich daraus entwickele , sondern um eine einzige Handlung, wofür wir die Odyssee erklären möchten, baute er sie auf und ebenso seine Hias.*^ Damach muss, gerade wie in den andern nachahmenden Künsten die einzelne Nachahmung einen einzelnen Gegenstand hat, so auch die Fabel, die die Nachahmung einer Handlung ist, eben nur eine und zwar diese im ganzen Umfang nachahmen ; und die Teile der Begebnisse müssen in solchem Aufbau verbunden sein, dass keiner umgestellt oder entfernt werden könnte, ohne dass dadurch das Ganze verändert und erschüttert würde; denn ein Umstand, den man, ohne eine offenbare Einwirkung zu veranlassen, hinzuthun oder in Wegfall bringen kann, ist kein Bestandteil des Ganzen."

144) noXXa yccQ xal aneiQa t(p ysvsi avfxßcclvsi, i^ (bv ivimv ovösv iaziv €v. Der richtige und scharfe Ausdruck der Stelle wird durch die beliebte Konjektur t(Ö y' evi für rw ysvei verdorben. Hierdurch soll in Verbindung mit dem Folgenden der Sinn herauskommen: sowohl die Ereignisse, die dem Einzelnen zustossen, als seine Thaten sind vielfältig, entbehren also der Einheit. Es wird aber damit das xal änsiQu zu einem wenn nicht störenden, so doch überflüssigen Zusatz, femer verlöre in dem folgenden Relativsatze das ivlcuv seinen Sinn. Denn es soll doch gerade bewiesen werden, dass die Gesamtheit dessen, was dem Einzelnen man nehme das z(p svi nun als Masculinum oder als Neutrum widerfährt, was in ihm zusammentrifft, keine Einheit bildet, wohl aber eine bestimmte Gruppe daraus, also evia xwv t<5 kvl avßßaivovxcav. Es dürfte aber schwer angehen, dieses konjizierte kvi als Neutrum aufzufassen, wie es Vahlen (vgl. Poet. ^ 1885. S. 135) will, da nur um fünf Worte vorher es als Masculinum gebraucht ist und wenige Worte später wieder ebenso. Vahlen will die Stelle so verstanden wissen: „ut in unam rem innumera cadunt, quae non omnia coeunt inunum"; es kann aber ^^ <Lv iviwv doch unmöglich durch quae omnia übersetzt werden! In der dem Sprachgebrauch des A. nicht fremden Verbindung nokXa xal äitsiga an sich läge auch das Störende nicht, sondern darin, dass dieses „Viele und Un- endliche" auf die Ereignisse bezogen werden sollte, die „einer einzelnen Per- son" oder „Sache" widerfahren, während es doch gerade diese letzteren sind, die A. als eine Gruppe evia aus der unendlichen Vielheit und Vielartigkeit der überhaupt zusammentreffenden Ereignisse aussondern will, um auch

Zur Lehre des Aristoteles vom Wesen der Kunst und der Dichtung. 51

sogar dieser Gruppe die Eigenschaft der Einheit abzusprechen. Das Beispiel, das Vahlen a. a. 0. anführt, passt zu der vorliegenden Stelle nur scheinbar: „sie avfißalvsiv cum saepe alias tum in compari enuntiato phys. ausc. 2,5, 196 •» 28 ansLQa yag äv reo kvl avfißalrj ponitur, quam sententiam, ne de illa explicatione verborum noXXa xal ccTtsiQa dubites, Plutarchus ibi ubi hac disputatione physicae utitur, de fato 7, 572 ita refert noXXcc yccQ xal dneiga xiö svl vtcÜqx^i- navtdnaoLV dXX^lo)v ÖLaipeQOvxa" . An dieser Stelle ist die Bedeutung von avßßalveiv eine ganz andere; es besagt: im Unterschiede von der das Wesen eines Dinges ausmachen- den Eigenschaft, die nur eine ist, können ihm andere Eigenschaften in beliebiger, unbegrenzter Zahl „zukommen". Hier ist also ausdrücklich von genereller Verschiedenheit die Rede, was ja auch in dem Citat bei Plutarch ausdrücklich her- vorgehoben wird. In der obigen Stelle der Poetik dagegen, wo ovfxßaiveiv „zu- sammentreffendes Ereignen" bedeutet, musste diese generelle Verschieden- heit ausgesprochen werden: änsiga z(ö ysvsi. Das schlimmste aber ist, dass durch jene angebliche Emendation die logische Begründung des ausgesprochenen Gedan- kens völlig unterdrückt wird, die freilich auch in den Übersetzungen nirgends zur Erscheinung gelangt. A. begründet den das Kapitel eröffnenden Satz, indem er zu- nächst hervorhebt, dass freilich im Leben alles mit allem verknüpft sei (der Nachdruck liegt dabei auf dem Prädikat avfißalvet): die Dinge und Ereignisse, die mit einander hergehen, in zeitlicher, örtlicher, innerer und äusserer Ver- bindung miteinander stehen, bilden eine solche Vielheit, ausserdem wird diese Vielheit durch den Artunterschied zu einer so grenzenlosen (änsiQa x<J5 yevsL' dass A. den Dativ rw yevsL in dieser Verbindung ebenso gebraucht wie xazd z6 ysvog wird durch Stellen bezeugt wie 206 ^ 16 und 233 « 19 in Verbindung mit 233 3 24, wo cctcsiqov ÖLaigsast und xarä öialgeaiv gleichbedeutend angewendet wird. Für die Definition des äneiQov vgl. 978« 17: äjteiQov o äv firj s'/V ^^^ccg öexTixov ov negatog), dass der obwaltende Zusammenhang sich uns entziehen muss. In Lessing'schem Geiste wäre hier zu ergänzen, dass die Totalität der so zusammen- gehörigen Ereignisse nur ein Schauspiel für einen höheren Geist wäre. Diese Kon- sequenz wird von A. nicht gezogen ; er bleibt vielmehr streng bei seinem thema pro- bandum und fährt also fort, dass aus dieser miteinander hergehenden Vielheit da- durch, dass man ein Stück daraus nimmt, eVi«, also doch dasjenige Stück, das um einen Einzelnen, nsQc eVa, sich gruppiert, nimmermehr eine Einheit werden könne.

145) SV. Eine besondere Schwierigkeit entsteht für die Wiedergabe dadurch, dass, während das Griechische immer bei der einen Bezeichnung für den in Rede stehenden Begriff bleiben kann, elg^ h'v, wir im Deutschen gezwungen sind, wegen des Gleichklanges des unbestimmten Artikels bald „einzeln", bald „einzig" dafür zu setzen, bald „Einheit", bald „einheitlich". Doch empfiehlt es sich, so viel als möglich bei dem Gebrauch des blossen Zahlwortes zu bleiben.

146) ovTcog ÖS xal ngd^sig kvög noXXai staiv, i^ wv ivlwv ovöiv iariv SV. Aus der vorangeschickten Begründung wird die Konsequenz gezogen. Auch die Handlungen des Einen, Einzelnen sind eine Vielheit, und nach dem hier wie zuvor sich einstellenden enthymematischen Zwischengedanken könnte man sagen, dass, von einem höheren Gesichtspunkte aus gesehen, auch diese Vielheit, wenigstens bei einem bedeutenden Menschen, der Einheit nicht entbehrt. Diesen Sinn kann man auch in dem sogleich folgenden insl elg ijv 6 '^Hgaxlrjg nicht nur finden, son- dern es ist der einzige, der in den Worten liegt, wenn man sie nicht als blosse Floskel auffassen will. Aber diese höhere Einheit, die der philosophischen Betrach- tung erscheint, hilft der poetischen Technik, und vollends der dramatischen, nicht zu dem, was sie zu verlangen hat: eine einzige Handlung, die ein Ganzes bildet mit Anfang, Ende und Mitte, die den oben gegebenen Definitionen entsprechen.

4*

52 Hebmamn Baümgabt

Jene Vielheit von Handlungen kann niemals zu dieser einen Handlung werden, durch deren vollständigen Aufbau der Mythos, die Fabel, zu gestalten ist.

147) iolxaaiv. Der Perfektform dieses Verbums entspricht weit mehr als unser zweifelndes „scheinen" ein Ausdruck starker Evidenz: „es hat sich als gleich herausgestellt, als zutreffend erwiesen".

148) (Ivuyxalov ijv r] elxoq. In Ac fehlt das tJ', das nicht entbehrt wer- den kann.

149) dkXd tceqI filav ngä^iv, o'iav XlyoifjLev ttjv 'OSvaasluv, avv- eazriaev. Das Xiiyoiixev der Handschrift Ac ist richtig und keineswegs in HyoyLtv zu ändern, doch ist das Komma nicht nach UyoLixsv , sondern erst nach 'Oövaaslav zu setzen. Durch die Konjektur und ebenso durch das falsche Komma wird der Satz völlig verändert. Zu fiiav tiqü^lv, was eben noch aufs neue zu der Vielheit der Erlebnisse und Handlungen des Odysseus in Kontrast gesetzt ist, wäre der Zu- satz o'lav Xeyo(jL£v „wie wir den Begriff fassen" durchaus überflüssig. Da- gegen sagt der Satz : o^iav XeyoLfiev tt}v ^Oövaoelav „wofür wir die Odyssee erklären möchten", etwas ganz anderes. Er spricht eine offenbar den bisherigen Ansichten völlig widersprechende Behauptung in urbaner Form aus, die von diesen Dingen eine so neue Anschauung erweckt, dass sie in neuerer Zeit erst wieder aufs neue entdeckt werden musste. Dass zu avviazTjaev dann das Objekt aus dem Vor- angehenden hinzuzunehmen ist, dürfte sich von selbst verstehen, obgleich das Miss- verständnis der Stelle offenbar daher rührt, dass man 'Oövaaslav unmittelbar zu avv- saxriasv und allein zu diesem hinzuzog.

Kapitel IX.

„Aus dem Gesagten ergiebt es sich klar, dass nicht***) die Darstellung des wirkKch Geschehenen die Aufgabe des Dichters ist, sondern dass er die Dinge darzustellen hat, wie sie geschehen könnten und wie sie nach dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit möglich sind. Denn der Geschichtsschreiber und der Dichter unterscheiden sich nicht durch die gebundene oder ungebundene Rede ; man könnte das Werk des Herodot in Yerse bringen, und es würde nichtsdestoweniger eine Geschichtserzäh- lung bleiben in Yersform wie ohne Verse ; sondern darin liegt das Unter- scheidende *^')> dass dieser wirklich geschehene Begebnisse erzählt, während jener die Begebnisse so darstellt, wie sie geschehen könnten. Deshalb ist auch an philosophischem und sittlichem Gehalt *^^) die Poesie der Ge- schichte überlegen; denn die Poesie stellt in höherem Masse das Allge- meine in dem Gange der Dinge*") dar, die Geschichte ihren Verlauf im einzelnen. Und das „Allgemeine" liegt darin, dass ein jeder das spricht und thut, was nach der Wahrscheinlichkeit oder nach der Notwendigkeit ihm zu sprechen oder zu thun zukommt; nach diesem Gesichtspunkte verfährt die Dichtung bei der Benennung ihrer Personen *'"). Das „Ein- zelne" dagegen ist, was ein Alcibiades gethan hat oder was ihm wider- fahren ist. Für das Gebiet der Komödie wurde das schon klar gelegt: denn die Dichter, die aus innerlich übereinstimmenden Begebnissen den Aufbau der Fabel gestalten *'^*), verfahren, wenn sie die gerade sich dar-

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bietenden Namen ^^^) ihren Personen unterlegen, nach diesem Gesetz^"), und sie knüpfen ihre Dichtung nicht an die einzelne Person ''^^), wie es die Spottdichter thun. In der Tragödie aber hält man an den mit den wirklichen Ereignissen verknüpften Namen ^^®) fest. Die Ursache ist, dass die Glaubwürdigkeit von der Möglichkeit abhängt ; nun bringt etwas, was nicht wirklich geschehen ist, die Überzeugung von seiner Möglichkeit noch nicht mit sich, bei dem wirklich Geschehenen liegt sie am Tage, denn es wäre nicht geschehen, wenn es nicht möglich wäre. Nichtsdestoweniger kommt es auch in der Tragödie vor, dass in manchen '^°) ein oder zwei historisch bekannte Namen sind, alle übrigen jedoch erdichtet, in man- chen auch gar keiner, wie z.B. in der „Blume" des Agathon; hier sind die Ereignisse ebenso wie die Namen erdichtet, und der Genuss, den das Stück gewährt, wird dadurch nicht gemindert. Man muss sich daher nicht ausschliesslich darauf vereifern, an den überlieferten Fabelstoffen, in deren Kreise sich die Tragödien'") bewegen, festzuhalten. Das wäre ein lächer- liches Bestreben, denn auch die historisch bekannten Stoffe sind doch nur wenigen bekannt und gleichwohl gewähren sie den künstlerischen Genuss Allen. Hieraus geht klar hervor, dass es vielmehr die Fabeln sind, an denen der Dichter sich als Dichter zu erweisen hat, als die Wirklichkeit^*''^), sofern er Dichter ist durch nachahmende Kunst und es die Handlungen sind, die er nachahmt. Dann wird er, wenn es sich nun doch einmal so fügt, dass er wirklich Geschehenes dichterisch gestaltet, um nichts weniger ein Dichter sein; denn nichts hindert, dass unter den wirklichen Begeb- nissen manche nicht auch einen solchen Verlauf haben, wie es wahrschein- lich ist, dass sie geschehen seien, und sogar wie sie notwendig'®^) ge- schehen sein müssen, also nach den Gesetzen, nach denen ein solcher*®^) Dichter sie gestaltet."

150) Dass hier in Ac ovtü) zcc yivofzsva verschrieben ist und dafür ov to yev oßsva zu setzen, ist zweifellos.

151) Wenn Ac schreibt: dXXa xovxo 6ia<p€Q8i, xm xov fxsv x.z.X., so ist der Sinn zwar deutlich, aber die Form inkorrekt, und entweder das x(p in x6 zu ändern oder noch besser xovxo in xo-ixtp, was beides verschiedentlich vorge- schlagen ist.

152) öto xal (piXoaoqxoxe Qov xal anov6ai6x6QOv x, x. X. Die Über- setzung: „an philosophischem und sittlichem Gehalt überlegen" erschien als die treffendste, weil in den Vergleich mit der Geschichte die Fassung von anovöalov als „bedeutend" oder „ernst" etwas Schiefes hineinbringen würde, und weil, wie die Nikom. Ethik erweist, im aristotelischen Sprachgebrauch dem Worte der Begriff der „ethischen Tüchtigkeit" am meisten zukommt: vgl. 111,6 1113" 29. o anov- öalog yaQ sxaaxa xQivei oq&üjq, xal iv kxäoxoig xdXrjd-hg avxio (paivExai ' xa&^ kxdax7]v ycLQ h'^iv löicc iaxi xaXd xccl ^öia, xal öiacp^gst nXelaxov l'awg 6 anovöalog Xiö xdXrjS^hg iv exdaxoig OQäv, (oansQ xav(ov xal (xsxqov avxcöv itiv.

153) xd X ad- 6 Xov. Der Artikel xd verlangt die Hervorhebung der Vielheit

54 Hbbüann Baümgabt

der Erscheinungen, in denen ,tö xa&6).ov\ „das Allgemeine" sich zeigt, also: „das Allgemeine in dem Gange der Dinge".

154) ovo (JL Uta iniTi&Ef^tvrj. Hier schon hebt das Missverstandnis an, das sich in der Auffassung der ganzen folgenden Ausführung festgesetzt hat. Jene Worte sagen ganz allgemein : „wenn sie Namen beilegt*'; sie bedeuten keines- wegs, „wenn sie fingierte Namen beilegt". Die Namen können erdichtet sein, aber ebensowohl können es historisch bekannte, yvoiQi/xUf sein; was A. aber behauptet, ist dieses : der echte Dichter wählt für seine Tragödie die Personen und ihre Benennungen so aus, dass der allgemeine Gehalt der Handlung dadurch um so besser zur Darstellung gelangt. Sind beide historisch bekannt, so erteilt er ihnen durch den Aufbau und die Durchführung der Handlung jenen allgemeinen Ge- halt, nicht aber bindet er sich sklavisch an das, was die Geschichte oder die Mei- nung als faktisch von ihnen berichtet, was eben nur das Individuum angeht und „Einzelheit" ist. Dahin zielt die unmittelbar folgende Definition: zo 6h xa&' exaaxov, zl k?,xißici6i]g enga^ev y zl tnad^ev (wobei statt des zov, das Ac hat, in Übereinstimmung mit dem korrespondierend vorangegangenen xa^O' Xov sicherlich rd zu setzen ist).

155) ovGzt'jGavzeg yccQ zov ßvO^ov did zwv sixozwv. Gerade diese Behandlungsweise hatte A. schon mehrfach als das für die Form der Komödie eigentlich Entscheidende bezeichnet: dass die komische Handlung nach innerer Wahrscheinlichkeit und innerer Übereinstimmung (Jm zujv ebeozwv selbständig aufgebaut würde, dass sie sich also von dem blossen Spott über aktu- elle Ereignisse losmachte. Es dürfte darnach klar sein, dass A. gamicht daran denkt, der Komödie den Gebrauch historisch bekannter Namen und die Beziehung auf notorische Zustände und sogar Vorkommnisse historischer, politischer, sozialer Art zwv yvcDQlfiwv zu verbieten. Das steht ihr so gut frei wie der Tragödie, wenn sie nur in der Behandlung der Dinge und Personen den Gesichtspunkt des Allgemeinen nicht aus dem Auge verliert azoxa^szai zov xa&6Xov. Auch diese Stelle bietet also nicht den geringsten Anlass, auf eine missliebige Beurteilung der aristophanischen Komödie durch A. zu schliessen.

156) So bedeutet za zvxovza ovoßaza auch nicht „beliebige, erdichtete Namen", sondern die durch den gewählten Stoff gegebenen, nach dessen innerer Natur sich darbietenden, mochten das nun fingierte oder bekannte Namen wirk- licher Personen sein.

157) ovzoD. d. h. „nach den im obigen entwickelten Gesetzen" und in Über- einstimmung mit dem Aufbau der Fabel: avazriaavzeq zov ßv&ov ölu sIxozodv ovzco za. zv^övra ovöfiaza vTtozi&saaiv. Es Hegt kein Grund vor, dies letztere Wort durch i n izlS-ekoiv zu ersetzen; im Gegenteil zeigt der Ausdruck „unter- legen" in noch höherem Grade an, wie es zunächst auf die Fabel ankommt und dann erst die Wahl der Personenbenennung in Betracht kommt.

158) Tcsgl zov xa&' sxaazov. Die Form des Ausdrucks ist einwandfrei, und das Masculinum hier ganz an seiner Stelle, so dass eine Änderung in rd, wie sie zuvor erfordert wurde, hier störend wirken würde.

159) z(öv ysvofisvcDV ovofjLazcDv. Die Übersetzung: „wirkliche Namen" giebt die Kraft des griechischen Partizips nicht wieder; es muss zur Umschreibung gegriffen werden: „die in den Ereignissen gegebenen Namen".

160) iv zalq zQay(p6laig iviaiq. Die ungewöhnliche Ausdrucksform, dass trotz des nachfolgenden unbestimmten Pronomens der bestimmte Artikel gebraucht ist, dürfte ihre Richtigkeit haben. Es wird damit der Beobachtung zuerst die all- gemeine Form gegeben: Es kommt auch in den Tragödien vor", und dann die Spezialisierung hinzugefügt: „dass einige u. s.w."

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161) nsQl ovg al rgayojölai stalv. Der Zusatz die „berühmten" ist gar nicht erforderlich; denn dass nicht a 1 1 e Tragödien „sich im Kreise der herkömm- lichen, überlieferten Fabelstoffe bewegen", ist selbstverständlich, das Gegenteil wird durch das präs. indicat. sialv auch nicht besagt, das hier die im Griechischen wie im Deutschen gleich übliche Nebenbedeutung des „Zutreffens für die Mehrzahl der Fälle" , des „Pflegens" hat.

162) örjlov ovv ix xovttav ort xov tioitjz^v ficc?.lov t(öv fiv&cav stvai Sei TioiTjZTJv ij t(Öv fisx^wvy oaa> Ttoirjr^g xazd Tr}v (ilßriaiv iaxLV, fiLfjLElTaL 6s xäq ngd^eiq. Während an so vielen Stellen der Text des Kodex Ac gegen Emendationen in Schutz zu nehmen war, liegt hier einmal der um- gekehrte Fall vor. Hier ist ein höchst anstössiger Fehler allgemein und anstandslos als das Richtige acceptiert worden. Das Kapitel ist für das Verständnis der künst- lerischen Mimesis von höchster Wichtigkeit. Im Mittelpunkt steht der das Ganze beherrschende Gedanke, dass das Drama die Ereignisse xaxd xo elxoq xal xaxu x6 dvayxalov zu verknüpfen habe, also wie sie verlaufen sollen und müssen, nicht wie sie im einzelnen Falle wirklich verlaufen sind. Das allgemeine Gesetz der Dinge soll daraus hervorleuchten; die ganze Schärfe der Polemik richtet sich gegen die falsche Auffassung, dass die Kunst eine Nachahmung der Wirklichkeit sei, wie sie im einzelnen Falle sich darstellt. Hieraus wird in kurzen, schlagenden Sätzen der Unterschied der Poesie von der Geschichte abgeleitet; dabei wird mit dem Neben- gedanken, dass eine versifizierte Geschichtserzählung keine Poesie abgeben könne, auf den schon im ersten Kapitel abgehandelten Satz zurückgegriffen, dass das Me- trum eben das Wesen der Poesie nicht ausmache. Das Folgende führt die ftlr die Technik des Dramas überaus wichtigen Gesetze näher aus, die für die Behandlung historischer Stoffe in der Tragödie und in der Komödie zu gelten haben, und gipfelt in dem Satze, dass auch durch die völlige Entfernung von den durch die Sage und durch die Geschichte gegebenen Stoffen, also durch die Behandlung ganz frei er- fundener Handlungen die Tragödie von ihrer Höhe keineswegs herabsteige. Hier aber musste es dem besonnenen Gesetzgeber nun erforderlich erscheinen, sich gegen ein naheliegendes Missverständnis zu verwahren : dass nämlich die Verwertung histo- rischer Handlungen in der Poesie doch darum nicht ausgeschlossen sein dürfe, weil sie wirklich geschehen sind, wenn sie, was ja durchaus denkbar ist, in einem gege- benen Falle schon an sich jene Beschaffenheit haben, die der Dichter ihnen zu geben hätte. Hierzu nun macht der obige Satz den Übergang; wie sollte nun aber in diesen Satz jener längst abgethane Gedanke kommen, der in dem Vorangehenden nur zu beiläufiger Verwendung gelangte, dass den Dichter mehr die Fabel -Kompo- sition mache als das Metrum? Und wie sollte obenein dieser Gedanke nun gar als das Resultat der ganzen Erörterung gelten dürfen? Kein Zweifel, dass xaiv fzs- xQ(ov hier nicht hingehört! Vermutlich ist es in den Text gekommen, weil dieser Gegensatz dem Abschreiber wohl geläufig war, während er den wirklich von A. auf- gestellten Gedanken eben wegen seiner bedeutungsvollen Tiefe nicht verstand: dass das Wesen des Dichters und seiner Kraft sich zu zeigen hat an der dichterischen Gestaltung der Fabelwelt und nicht der Wirklichkeit. Zu lesen wäre also: OXL xov TtoiTjXtjv (jLaXXov xaiv [xv^cov eLvai öel 7ioi?]xrjv rj xcov yevofzfycuv. Damit wäre dann allerdings die Ausführung zu ihrem Ausgangspunkt zurückgekehrt, wie es durch das äTJ/.ov ovv ix xovxwv angezeigt wird. So bekommt auch der Zusatz seine volle Bedeutung : ooco tioiijxtjq xaxd xrjv filfzrjolv iaxi, fxifisZxai öh xdg ngd^sig. Auch diese Limitierung ist sehr weise erdacht und sehr genau formuliert; denn in der That hat der Dichter alles übrige gerade der Wirklichkeit, den Ereignissen, die er um sich her geschehen sieht und von denen er erfahren hat, zu entnehmen : nur mit dem Teile seiner Kunst, auf den es für den dramatischen Dichter am meisten ankommt, in bezug auf den er „Nachahmer" ist, nur also insofern er „Handlungen"

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nachahmt oauj , soll er von dem wirklich Geschehenen und Geschehenden völlig unabhängig und frei schaffender Dichter sein tcHv fiv&cuv noijjrrjg. Wie treff- lich schliesst sich nun das Folgende an! xuv äga avfiß^ ysvofievu noitlv , ovSfv ^txov TtoiTjtijg iariv, denn Subjekt ist hier der Dichter, wie er oben geschildert wurde: „wenn es einem solchen begegnet" u. s. w.

163) oiov elxog yevead^ai xal dvvuxä yevda^ai. Dass öwatd hier nicht hinpasst, kann nicht bestritten werden; denn alles, was sich dafür anführen liesse, wird dadurch hinfällig, dass mit elxog schon weit mehr gesagt worden ist. Umgekehrt verlangt gerade die emphatische Wiederholung des yspia^ai eine starke Steigerung. Eine solche aber ist in dem formelhaften und gleich im folgenden Satze, der an diesen Abschluss anknüpft, wiederkehrenden elxog xal uväyxr] gegeben. Es dürfte also für das falsche öwatd wohl dvdyxrj zu schreiben sein.

164) xad-^ 0 ixelvog avzdJiv noirizrig iaziv. Durch diesen Relativsatz erh&lt die obige Konjektur ihre volle Bestätigung; denn xazu zo elxog xal zb dvayxalov avvlazaoO^ai zovg fzv&ovg, das ist es gerade, was als das den echten Dichter charakterisierende im vorangehenden bezeichnet wurde, und dasselbe muss hier von der wirklich geschehenen Handlung als die sie charakterisierende Eigen- schaft verlangt sein, wodurch sie unmittelbar für „einen solchen Dichter** als sein Stoff geeignet wird , xad-^ o ixelvog avzwv noLrjXTig iaziv.

„Unter den einfachen ^°^) Fabeln und Handlungen sind die episoden- artigen die schlechtesten. Episodenartig aber nenne ich die Fabel, in der die Episoden d. h. die zwischen den grossen Chorgesängen liegenden einzelnen Abteilungen der Handlung ^^^) ohne Wahrscheinlichkeit und Notwendigkeit auf einander folgen. Solche Stücke werden von den schlech- ten Dichtern gemacht, weil es in ihrer Art liegt, bei den guten geschieht es wegen der Schauspieler*"); denn sobald sie für die Preisbewerbungen dichten, so kommen sie, wenn sie über die ihr eignende Kraft hinaus die Fabel erweitert haben *°^), auch oft in die Lage, die Folge der Ereig- nisse gewaltsam verändern zu müssen."

„Nun"^) verlangt aber die Nachahmung eine Handlung, die nicht allein vollständig ist, sondern auch furchtbar und mitleiderregend ; solche Ereignisse aber entstehen sowohl im höchsten Grade als auch auf die schönere Weise "°) dann, wenn sie wider das Erwarten sich aus sich selbst entwickeln; denn so werden sie den Eindruck des Wunderbaren in höherem Grade machen, als wenn sie ohne inneren Grund und zufällig eintreten, da ja auch unter den zufälligen Ereignissen diejenigen am wunderbarsten erscheinen, die so aussehen, als ob eine Absicht sie gelenkt hat, wie z. B. wenn die Statue des Mitys in Argos auf denjenigen, der der Urheber seines Todes war, während er sie betrachtete, herabstürzte und ihn tötete; denn so etwas hat das Ansehen, nicht von ungefähr geschehen zu sein es müssen also derartige Fabeln auch die schöneren sein.**

165) z(üv 6 h anletiv fzv&iov. An dem Ausdruck anXdäv hier Anstoss zu nehmen, weil er als technischer Terminus erst im folgenden Kapitel eingeführt wird, ist unrichtig. Einer Definition bedarf die Bezeichnung „einfache" Fabel nicht;

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eine solche wird Kap. 1 0 auch nicht gegeben, sondern nur eine negative Abgrenzung des Begriffs: „einfach" ist die Fabel eben, sofern sie nicht „verwickelt" ist. Es ist bis dahin überhaupt nur von einfachen Fabeln die Rede gewesen, mit anderen Worten, es ist nichts erörtert worden, was diesen Begriff kompliziert. Eben dazu aber geht A. jetzt über, und die zweite Hälfte des neunten Kapitels ist diesem Über- gang gewidmet. Der erste Abschnitt davon erwähnt im engsten Anschluss an den zuletzt vorangegangenen Satz den schlimmsten Fehler, der in der Komposition der einfachen Fabeln begangen werden kann; der zweite bereitet mit seinen Erör- terungen die Definition der „verwickelten" Fabel vor.

166) Dieser den Begriff der „Episoden" erklärende Zusatz, der im 12. Kapitel steht, soll nicht etwa dem Text einverleibt werden. Er ist nur in der Über- setzung unentbehrlich, weil der Ausdruck „Episoden" in anderem Sinne un- serm Sprachgebrauch geläufig geworden ist. Die Wiedergabe durch „Akte" ist zu vermeiden, weil sie schiefe Vorstellungen nach der andern Seite hin erweckt. Zu- dem ist es nicht möglich, für ineiaoöiajörjg ein entsprechendes Eigenschaftswort von „Akt" abzuleiten. Es dürfte von A. damit eine Fabel-Komposition bezeichnet sein, deren Gesamt-Einheit dadurch verloren gegangen ist oder doch gestört wird, dass die einzelnen, zwischen den grossen Chorgesängen von den Schauspielern dargestellten Teile der Handlung die „Episoden" —jeder für sich zwar eine, vielleicht wir- kungsvolle, Einheit bilden, dass ihnen aber der Zusammenschluss zu einem „Gan- zen" in dem streng definierten Sinne fehlt: „episoden artige" Fabeln.

167) ÖLcc Tovg vTCO'AQixaq. Erwartet wird statt dessen „wegen der Preis- richter" oder doch „wegen der Aufführungen"; beide Änderungen sind vor- geschlagen. Dennoch dürfte das Textwort beizubehalten sein, weil mit dem nach der formalen Logik inkorrekten Ausdruck sich Nebenbeziehungen entwickeln, die den ausgesprochenen Gedanken im Detail bereichern. Denn was A. verstanden wissen will, ist doch offenbar dieses : wenn ein sonst vortrefflicher Dichter sich zu dem ge- rügten Fehler verleiten lässt, so geschieht es um des äusseren Erfolges willen. Er weiss aus Erfahrung, und auch wohl weil es in der Natur der Sache liegt, dass dieser mehr in den Händen der Schauspieler liegt als in den Leistungen der Choreuten. Er bemüht sich daher, jenen möglichst viel zu thun zu geben. Hat er aber einmal dieser falschen Intention nachgegeben und auch nur an einer Stelle seinen Stoff über die ihm innewohnende Wirkungskraft t^v övva^iv „erweitert", sei es ex- tensiv oder intensiv, so hat er die sichere Herrschaft über die Disposition seiner Fabel aufgegeben und ist genötigt ihr Gewalt anzuthun, vorzugreifen, nachzuholen, überhaupt Flickarbeit zu machen. Wie sehr darunter auch die dem Chore zu- kommende Bedeutung leiden muss, liegt auf der Hand, wovon die Tragödien des Euripides zum Teil sehr auffallende Beispiele geben.

168) TcuQaretvavreq. Gerade der Aorist, der von vielen in das Praesens umgewandelt wird, ist die durch den Zusammenhang geforderte Form, wie aus der Übersetzung und der obigen Ausführung hervorgeht.

169) in ei. Der Fall, dass auf einen mit inel eingeleiteten Vordersatz der erwartete Nachsatz in der gewohnten, regelmässigen Form ausbleibt, ist ein in den aristotelischen Schriften häufig wiederkehrender, ohne dass man dabei eine Anako- luthie im eigentlichen Sinne anzunehmen hat. Erschöpfende Untersuchungen hat darüber Bonitz im zweiten und dritten Hefte seiner „Aristotelischen Studien" an- gestellt. Er weist nach, dass in der grossen Mehrzahl dieser Fälle dem Gedanken nach der entsprechende Nachsatz keineswegs fehlt, sondern dass er nur in anderer Form auftritt, als wie sie durch die grammatische Konstruktion geboten wird. Durch eine kleinere oder grössere Zahl von dem Sinne nach parenthetischen Zwischen- sätzen von dem Vordersatz getrennt, erhält der Nachsatz äusserlich die Form eines selbständig für sich stehenden Satzes, dessen Zusammenhang mit dem Vordersatz

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aber meistens durch ein ßsv ovv erkennbar gemacht ist, oder in manchen Fällen auch durch ciate (vgl. dafür Bonitz a. a. 0. S. 106 ff. und speziell S. 111). Solche Fälle sind der hier vorliegende und ebenso die Stelle im siebenten Kapitel 1450^ 34 1451' 6. tri 6' insl to xaXbv xal t,(pov x.r.X. wäre dtl xai^untQ im raiv aca- fidzwv X. T. A. Ebenso folgt hier am Schlüsse der Nachsatz in selbständiger Form: wäre dvdyxrj xovq tolovtovq elvai xa?Movg fxvd^ovg.

170) xal f^ccXiata xal (jLäXXov ozav y^-vrjxai naQu xnv Öo^av 6i^ aXXrjXa. Obwohl die Verbindung eines Superlativs mit einem darauf folgenden Komparativ, sofern diese Steigerung durch ein nun hinzutretendes Argument nach einer bestimmten Seite hin begrtlndet wird, weder bei A. noch sonst etwas Unerhörtes ist, so ist dem obigen Satze doch nur durch starken und unstatthaften Zwang ein Sinn abzugewinnen, etwa indem man fiühaza als „meistens" und fxü'/.?.ov als „besonders" fasste. Dennoch würde eine derartige Ausdrucksweise niemals glaub- haft gemacht werden. Man hat nun angenommen, dass die erste Hälfte des Be- dingungssatzes schon bei fidXioza gestanden habe und dann bei (xüklov mit dem steigernden Zusätze öl' äXlrika wiederholt sei. Vahlen fügt noch ein Sätzchen hinzu, um die Entstehung des Abschreibefehlers plausibel zu machen; er schreibt also: zavza öh yivezai xal fidhaza (zoiavza, ozav nagd doqav ytvrjzai, ix7i?.^zzeL yaQ fidhaza}, xal (xüXlov ozav ybvrizai nagd ztjv öö^av. Andre schreiben xd?Juaza für fxdhaza und trennen den Nebensatz, indem sie das erste Glied nagd zrjv öö^av zu xdlXiaza nehmen, das zweite d^' dXKriKa zu (läXlov, oder vermuten überhaupt eine grössere Lücke. Gegen die angenommene Trennung jedoch , ob man nun bei der Steigerung den ganzen Nebensatz wiederholt oder nur die zweite Hälfte, und ob man zuerst xdXXiaza schreibt oder fidXiaza, sprechen die stärksten Gründe. Der Abschnitt bereitet, wie schon oben gesagt, die Unterscheidung der „verwickelten" Fabeln von den „einfachen" vor und soll zugleich den Vorrang begründen, den die ersteren vor den letzteren haben. Nun hat sich die ganze Erörterung zuletzt vorzüglich um den einen Punkt gedreht, dass die tragischen, also Furcht und Mitleid erregenden, Ereignisse so in der Handlung verbunden sein müssen, dass sie öi'dXXrjXa auseinander sich entwickeln xazd zb elxoqxal z6 dvayxalov. Dies also ist die Grundbedingung, ohne die überhaupt eine gute Tragödie gar- nicht denkbar ist, auch nicht eine mit einfach er Handlung. Aber einer Steigerung ist ihre Wirkung noch fähig, eben weil sie Ereignisse darzustellen hat, die furcht- bar sind und mitleiderregend (poßsQd xal iXssivd. Diese Steigerung tritt ein, wenn die streng ursächlich verbundene Entwickelung zu einem uner- warteten, überraschenden Resultat führt, ozav ytvrjzac nagd zj]v öogav öt'dXXrjXa. Die beiden Bestimmungen sind schlechterdings nicht zu trennen; denn eben durch die Verbindung der beiden Beschaffenheiten erreicht die Handlung jenen höchsten Grad der Kraft zur Erregung von Furcht und Mitleid, der durch den Superlativ ausgedrückt wird, so dass eine Steigerung nach dieser Seite durch (jiäXXov nicht mehr zu denken wäre. Die Lösung aber der ganzen Schwierigkeit ist so einfach und liegt so nahe, dass es nur verwunderlich ist, dass sie sich der Konjektur immer entzogen hat. Das xal fidXiaza xal ßäXXov ist sprachlich an dieser Stelle und in solcher Verbindung völlig undenkbar. Dass aber der Irrtum an der zweiten Stelle liegt und vermutlich durch das sogleich darauf folgende (xäXXov erzeugt ist to ^avßaazov ovzcoq s^el (xäXXov , das geht aus dem Folgenden zur Evidenz hervor. Man kann hier einmal mit voller Sicherheit sagen: A. hat geschrieben xal fidXiaza xal xdXXiov „im höchsten Masse und auf die schönere Weise". Zu sagen fidXiaza xal xdXXiaza verbot der unschöne Gleichklang; dem Sinne aber entspricht beides auf das genaueste : jene Vereinigung steigert die tragische Wirkung zu ihrem Maximum und sie bedingt eine Ver- wickelung der Ereignisse die unentbehrlich ist, wenn das in streng ursäch-

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lieber Verkettung sich Ereignende nun dennoch zu völlig überraschendem Ausgang führen soll welche die Schönheit der Fabel notwendig erhöhen muss. Dies aber gerade, und zwar wörtlich genau so ausgedrückt, sind die Konsequenzen, die A. aus seinem Satze zieht. Und zwar sprachlich grade in derjenigenForm, durch die der ganze Periodenbau vor dem Vorwurf der Anakoluthie, nach Bonitz*8 überaus sorgfältigen mit dem umfänglichsten Material geführten Untersuchungen, geschützt wird. Denn auf jenen Satz folgt zunächst die Motivierung des /waAfcxra : das &av(jLttax6v das Wunderbare, Überraschende wird durch jene Bedingungen erhöht xo yaQ d-av^aarbv ovtcdq h'^st fiälXov. Daran knüpft sich parenthetisch die Berufung auf die wirklichen Zufallsfügungen, die den Anschein der Planmässig- keit, der vernünftigen Veranstaltung an sich tragen, mit dem Beispiel der Mitys- Statue, um endlich zu dem Schlüsse zu führen, der sich durch seine Form als der Nachsatz der ganzen Periode ankündigt: waxe dvdyxr] xohg xoiovxovg ehaiica?.- ILovq (jLvS-ovq. Damit ist A. bei der Unterscheidung der „verwickelten" Fabel von der einfachen angelangt, die das Thema des folgenden Kapitels bildet. In Übereinstinmiung damit heisst es Kapitel 13 (1452'' 31) ineidi] ovv öel xrjv avv- ^£GLV slvai XTJg xakXiaxTjg XQaycpöiag (lii ccTtXrjv dX?.d nsTtXeyfiivijv x.x.X.

Kapitel X.

„Es giebt aber unter den Fabeln neben den einfachen die verwickel- ten; wie auch die Handlungen, deren Nachahmungen die Fabeln sind, genau dasselbe Verhältnis aufweisen. Einfach nenne ich eine Handlung, in der durch eine nach den obigen Definitionen zusammenhängend und einheitlich sich vollziehende Entwickelung der Glückswechsel ohne Peripetie und Erkennung eintritt; verwickelt ist diejenige, deren *'0 Glückswechsel durch Erkennung oder Peripetie oder durch beide verwickelt ist. Der- artige Entwickelungen aber müssen in der Fabel aus ihrem Aufbau selbst erwachsen, so dass aus den vorgängigen Ereignissen es sich mit Not- wendigkeit oder nach der Wahrscheinlichkeit ergiebt, dass sie daraus er- wachsen; denn es ist ein grosser Unterschied, ob eins durch das andre geschieht oder nach dem andern."

171) Für das offenbar verschriebene nenXsyßevr] öh Xi^ig ist zu setzen TtenX. ÖS iaxiv ^g, wie vielfach angenommen.

Kapitel XL „Peripetie ist der Umschlag dessen, was in der Handlung unter- nommen wird ^''^), in sein Gegenteil, der in der Weise, wie es soeben be- schrieben wurde *^^), erfolgt und so, dass er den im Obigen ausgesprochenen Gesetzen der Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit entspricht. Wie im Oedipus der Bote, der kommt '^''), um dem Oedipus Freude zu bringen und ihn von der Furcht wegen seiner Mutter zu befreien, da er es an

I den Tag bringt, wer er ist, das Gegenteil bewirkt; und wie im Lynkeus der Gang der Handlung es so fügt, dass, während dieser hinausgeführt iirird um zu sterben und Danaos ihm folgt, um ihn zu töten, nun dieser I

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stirbt und jener gerettet wird. Eine „Erkennung" aber ist, wie schon das Wort es anzeigt, ein Umschlag von Unkunde in Kenntnis, der zu Freund- schaft oder Feindschaft führt bei Personen, die durch die Umstände vor die Entscheidung von Glück oder Unglück gestellt sind *''). Am schönsten ist die Erkennung, wenn zugleich Peripetie dabei stattfindet, wie es im Oedipus der Fall ist. Es giebt nun auch noch andere Arten von Er- kennungen; denn es kann geschehen, dass sie auch unbeseelten Dingen und überhaupt allem möglichen gegenüber in der beschriebenen Weise "") vorkommen"'), auch wenn jemand eine That begangen hat, wenn einer eine That- nicht begangen hat"*), kann darüber eine Erkennung stattfinden. Jedoch die am meisten für den Fabelstoff und am meisten für die Handlung geeignete ist die oben beschriebene Art; denn eine solche Erkennung und ebenso eine solche Peripetie"^) wird entweder die Er- regung von Mitleid **'') oder von Furcht mit sich führen, und dass solche Handlungen der Gegenstand der Nachahmung für die Tragödie sind, ist für sie die oberste Voraussetzung; es wird femer in ihnen die Entschei- dung über den unglücklichen wie über den glücklichen Ausgang unmittel- bar gegeben sein "0. Fasst man aber die Erkennung als Personen-Erken- nung, so kann entweder die eine von der andern erkannt werden, wenn es von dieser offenkundig ist, wer sie sei, oder es müssen beide sich wechselseitig erkennen, wie Iphigenie von Orest durch den Brief erkannt wird, den sie absenden will, für Iphigenie aber ihm gegenüber es einer zweiten Erkennung bedurfte."

„Zwei von den Bestandteilen des Fabelstoffes, wie sie aus dem letzten Gesichtspunkt sich darstellen'*^), sind also „Peripetie" und „Erken- nung", ein dritter ist noch das „Leiden"'*^). Hiervon sind die Begriffs- bestimmungen für Peripetie und Erkennung gegeben ^*^), für das „Leiden" ist es diese : es ist die Vollziehung des Verderblichen und Schmerzlichen in der Handlung ^*°) , wie Tod auf offner Szene, heftige Schmerzanfalle, Verwundungen und alles dem ähnliche."

172) 7] slq ivavTiOv rtöv itQaxzo ßsvtov (JLSxaßoXri. Das mit gutem Bedacht gewählte Participium Präsentis nQaxxo[jLevo)v, „des gethan werdenden", kann weder mit „Handlung", noch mit „That" oder allgemeiner mit „Unternehmungen" adäquat wiedergegeben werden, sondern nur durch Umschreibung: „dessen, was in der Handlung nämlich der Fabel ins Werk gesetzt, unternommen wird."

173) xa&ccTtsQ siQTjxai. Keineswegs ist dies ein etwa eine Lücke verratender Hinweis auf eine ausdrückliche Definition, sondern die Berufung auf das, was am Schlüsse des neunten Kapitels zur Vorbereitung des hier erst bestimmt formulierten Begriffs von A. „gesagt wurde": dass nämlich „in schönerer Weise" xdX- Xiov , als es durch die einfache Fabel geschehen kann, das Hauptwerk der Tragödie, Furcht und Mitleid zu erwecken, gethan wird, wenn die Handlung :7ra(>a x-qv 66§av öl ällriXa, geschieht, „in ursächlicher Verknüpfung, aber wider die

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Erwartung", also „in das Gegenteil von dem umschlagend", was nach dem, was darin unternommen wird, von den Handelnden erwartet wird. Denn um die öo^a, die Erwartung dieser handelt es sich dabei nicht zum wenigsten. xa&dnsQ sl'QTjxai heisst also: „in der Weise wie beschrieben worden ist". Die Übersetzung hat aber noch den besondern Umstand zu berücksichtigen, dass diese Worte sich an den Verbalbegriff von fjLexaßokri aufs engste anschliessen : „in der Weise wie das ixExaßdXleLV beschrieben worden ist", wodurch sie also als eine besondere Art der ^sxdßaoLq gekennzeichnet wird, welches letztere das Wort für den ein- fachen Übergang vom Glück zum Unglück oder vom Unglück zum Glück ist. Die (xeraßolrj ist jener durch das Unerwartete um so stärker bewegende „Schicksals- umschlag", den Goethe in poetischem Ausdruck und doch mit völliger Präzision beschreibt: „von der Freude zu Schmerzen und von Schmerzen zur Freude tief er- schütternder Übergang". Noch ist zu bemerken, dass xad^dneg oder waneg sl'Qrjtai oder Tcc elgfjfxsvcc und ähnliches bei A. keineswegs als ein blosses „wie schon ge- sagt" aufzufassen ist, sondern dass es dieselbe Kraft hat wie wansQ ägiazai oder zd wQLafisva, „wie definiert wurde". Nur dass das letztere auf den sachlichen Inhalt einer Definition im allgemeinen zurückweist, das erstere auf ihren bestimmten Wortlaut im einzelnen, also auf das an einer füheren Stelle in bestimmter Form Ausgesprochene, Erklärte, Beschriebene, ganz besonders auf die Art, wie A. irgend einem Begriff für die Bedeutung, in der er ihn fortan gebrauchen will, die giltige Prägung verliehen hat. Die Beispiele dafür sind in allen Schriften des A. so zahllos, dass eine darauf angestellte Prüfung die Richtigkeit des Gesagten sofort erweist.

174) il^üjv (og X. r. A. vgl. Oed. R. v. 1002 die Worte des „Boten": zi öijz' syco ovxl zovös xov <p6ßov a\ dva^, inelTtsg svvovg TJkd-ov, i^skvadßijv ;

175) dvayvcoQiaig . . . e^ dyvoLag eig yvcoaiv /A,€zaßoX^ rj eig (pillav 7] eig sxd-Qav zcöv ngog z^v evzvxLav rj övazvxiav dj Qia fxsvwv. Daraus sind nicht zwei Fälle zu machen: „dass Unkenntnis in Kenntnis umschlägt oder dass ein Freundschafts- oder Feindschaftsverhältnis unvermerkt zu Tage tritt", sondern die Vereinigung von beiden macht den Begriff, und auch diese noch nicht vollständig. Denn es handelt sich hier, wie bei der „Peripetie" und dem „Pathos", um einen von A. für seine Theorie speziell präzisierten Terminus. Was im gewöhnlichen Sprachgebrauch eine Erkennung bedeutet, braucht A. nicht zu definieren, wohl aber bedurfte die „Erkennung" als ein artbildenderBestand- teil der tragischen Fabel der genauesten Bestimmung. Ausser der Bedingung, dass von ihr die unmittelbar eintretende Veränderung von Feindschaft in Freund- schaft oder die umgekehrte abhängen muss, ist aber noch die zweite zu ihrem Begriffe erforderlich, dass diese doppelte Wandlung bei Personen vorgeht, die sich in einer ganz besonders verhängnisvollen Schicksalssituation befinden. Denn wenn solche, d. h. plötzliche Verwandlung von Feindschaft und Freundschaft verursachende, Erkennungen unter gewöhnlichen Umständen vorkommen, so werden sie zwar immer etwas stark erregendes an sich haben, aber nichts tragisches. Diese letztere Be- dingung drückt A. 80 aus: zcüv ngog evzvxlav rj övazvxiccv (üQiaf/.sv(ov, Können diese Worte den angedeuteten Sinn haben? Einer der besten Kenner des Griechischen, K. Lehrs, schrieb (vgl. Königsb. Wissensch. Monatsblätter 1875, 10) über die Wieder- gabe durch „bei zum Glück oder Unglück bestimmten Personen" folgendes: „Ist denn das ein erhörtes Griechisch, es ist einer wozu bestimmt ojQiazai ngog zi'i" Auch bei ähnlich lautenden Übersetzungen vermisst er die Beachtung des Etymons OQog und hält die Stelle für verdorben. Ungewöhnlich dürfte an der Stelle die Anwendung des Participiums cijQiafztvoL auf Personen sein, obwohl d(po)QLafievog so gebraucht wird. Es würde also Personen bedeuten, die „durch Grenzen bestimmt", „eingegrenzt", „eingeschränkt" sind. Nun ist zuzugeben, dass es nicht nur un-

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griechisch wäre zu sagen, jemand wäre „in Bezug auf Glück" TtQog oder in Bezug auf Unglück eingeschränkt oder „zum Glück u. s. w.", sondern auch unlogisch, denn das Bild wäre ganz unzutreffend. Das Anstössige verschwindet aber völlig, wenn man die Worte uQog svzvxlccv rj övarv/Jav als einen einzigen Begriff auffasst, als den einer bestimmten Alternative. Man kann sehr wohl sagen, dass jemand „zu einem entweder oder eingegrenzt", „auf ein entweder oder be- schränkt" ist, zumal wenn, wie hier, unter den „Grenzen" bestimmende Umstände zu denken sind. Dann ist der Tropus nicht allein zutreffend, sondern sogar sehr bezeichnend, und für den Ausdruck dieser Relation ist die Präposition nQÖg die einzig anwendbare. Damit dürfte die obige Umschreibung gerechtfertigt sein: „bei Personen, die durch die Umstände vor die Entscheidung von Glück oder Unglück gestellt sind". Ein ganz ähnliches Bild ist uns sehr geläufig: „auf die schmale Grenze zwischen Glück und Unglück gestellt sein".

176) xal yhg TCQoq ätpvxcc xal zh xvxovxa eaxiv alaneg eiQijtai cvußaiveLv. An dem wansQ eiQrjxai ist nichts zu ändern. Über die Bedeutung der Worte ist in der Anmerkung 173 gehandelt worden; hier weisen sie auf die „Erklärung" des Begriffs der Erkennung durch die beiden in den Anmerkungen 174 und 175 besprochenen Bedingungen zurück, besagen also, dass auch Dingen gegenüber „so geartete" Erkennungen vorkommen können.

177) Im Texte steht avßßalvei, das dem vorangehenden saxiv zufolge in avfißaivetv geändert werden muss.

178) xal st TtsTigays xig el fii] nsTtQayev saxiv dvayvwQtaai. Durch die allgemein angenommene angebliche Emendation des zweiten el in ^ wird der Sinn des Satzes entstellt, denn es sind zwei Fälle darin angegeben. Es handelt sich nicht um die Alternative, ob jemand etwas gethan hat oder nicht, sondern der eine Fall ist der, dass entdeckt wird, jemand habe etwas gethan, während man es nicht wusste; der zweite der, dass man glaubt, jemand habe etwas gethan, und nun er- kennt, er habe es nicht gethan. Die erste Entdeckung macht Brunhild in bezug auf Siegfried im Nibelungenlied, die zweite Othello in bezug auf Desdemona, Post- humus in bezug auf Imogen. Daher auch das doppelte nengaye im Text, während sonst A. geschrieben haben würde et nsngays xig ?] fitj.

179) ^ yccQ xotavxrj dvayvw giotg xal nsQtnsxeia. Man hat an der Erwähnung der Peripetie an dieser Stelle Anstoss genommen und sie für einge- schoben erklärt, weil hier doch eben von der Erkennung die Rede ist. Es ist dabei übersehen, dass xotavxrj, das eben so zu neQinsxELa wie zu dvayv(oQiGig gehört, auf das unmittelbar vorangehende stQrjfiEv?] zurückweist, und wiederum dieses auf die Definition der „Erkennung", deren wesentliche Bestimmung, dass sie unter TiQog svxvxtav ?/ övcxv^tav (bgtofisvotg vor sich gehen müsse, ganz ebenso auf die Peripetie ihre Anwendung findet. Beide werden nur als solche xoiavxai Furcht und Mitleid erwecken, also tragisch wirken können.

180) rj sXeov e^st rj (poßov. Trotz Lessings bekannter und stark er- zwungener Beweisführung für die Untrennbarkeit der beiden Affekte sind die Par- tikeln jj-rj dennoch hier wie noch an mehreren späteren Stellen als disjunktiv zu verstehen. Es ist ganz unrichtig anzunehmen, dass tragische Stoffe nur diejenigen seien, die beide Affekte gleichmässig hervorbrächten. Es genügt vielmehr, dass ein Handlungsstoff einen von beiden stark errege; es wird dann die erste Hauptaufgabe des Dichters sein, an deren Gelingen sich seine Befähigung zu erweisen hat, dass er durch die Behandlung seines Stoffes in ihm die Kraft entwickelt, den andern, reziproken Affekt ebenmässig zu erwecken und dadurch zugleich das pathematische Überwiegen des andern zum rechten Ebenmass herabzumindern (vgl. hierüber die ausftüirliche Erörterung dieser Frage wie überhaupt der ganzen Furcht- und Mit-

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leid -Kontroverse in des Verfassers oben schon citierter Schrift: „Aristoteles, Lessing und Goethe").

181) 6Zi ÖS xal xb dxvxslv xal xo svxvxelv inl twv xoiovxcov avßßijoexai. Dieser Satz, wie er aus der oben (Anmerkung 179) erörterten Auf- fassung des xoiavxT] von selbst hervorgeht, rechtfertigt zugleich die dort entwickelte Ansicht. Aus den Definitionen von Erkennung und Peripetie ergiebt sich der Satz als ein ovfißsßi]%dg xaO-^ avxo.

182) ovo . ..ßSQTi nsQl xavx' iaxlv. „Zwei Bestandteile beziehen sich auf dieses", d.i. ergeben sich aus dem Gesichtspunkte des Zwecks der Tragödie, nämlich in möglichst hohem Grade und zugleich schöner Weise die tragischen Em- pfindungen in Bethätigung zu setzen. Es waren oben, im sechsten Kapitel, ihre Be- standteile nach den Mitteln, Gegenständen und der Art der Nachahmung angegeben; im folgenden, zwölften, Kapitel ist ein neuer Gesichtspunkt, die äussere Folge und quantitative Sonderung massgebend für eine dritte Unterscheidung von „Bestand- teilen" der Tragödie. Hierauf bereitet das obige einleitende Sätzchen vor, nachdem es zuvor noch einen Zusatz zu jenen beiden Bestandteilen eingeführt hat.

183) Ttd&oQ. Das an sich so vieldeutige Wort wird an dieser Stelle für diese spezielle Sphäre der Theorie der dramatischen Dichtung zu einem terminus technicus gestempelt (vgl. das nähere in des Verfassers „Pathos und Pathema im aristotel. Sprachgebrauch", S. 29 fi'.).

184) eiQrixaiy vgl. Anmerkung 173, 176, 179.

185) ngä^iq <pQ-aQxixr] xal odvvrjQci. Unser Wort „Handlung" ist nicht so leicht wechselnder Anwendung fähig, dass es in demselben Zusammenhange den zu einer Einheit verbundenen Komplex von Begebenheiten und Einzelhandlungen und sodann den blossen Begriff des „Thuns" bezeichnen könnte, wie an dieser Stelle 7f Qä^iq nach den hinzugefügten Beispielen zu fassen ist. So müsste auch die wörtliche Übersetzung lauten : „verderbliches Thun und schmerzliches Be- zeigen"; denn auch dieses letztere liegt in dem Worte uQÜ^iq. Daher die in der obigen Übersetzung gewählte Umschreibung: „die Vollziehung des Verderb- lichen und Schmerzlichen in der Handlung". Solche Partien (isqtj der Gesamthandlung werden in keiner Tragödie ganz fehlen, wenn auch die moderne Tragödie dergleichen bisweilen ganz auf das Gebiet des Seelischen überträgt, wie es in Goethes „Iphigenie" und noch mehr in seinem „Tasso" der Fall ist; einen art- bildenden Unterschied wird es nur begründen, wenn es in dem Aufbau der Hand- lung eine entscheidende Rolle spielt, wie im „Ajax" und im „Philoktet" des Sophokles.

Hier endet der allgemeiner gehaltene Teil der aristotelischen Poetik , die sich nach dem lediglich die äussere Einteilung der Tragödie behandelnden zwölften Ka- pitel zunächst der spezielleren Untersuchung über ihre qualitativen Bestandteile zu- wendet, wie sie im sechsten Kapitel unterschieden wurden, so weit diese in das Ge- biet der Theorie der Dichtung fallen. Der vorliegenden Untersuchung war es um die allgemeinen Grundbegriffe der aristotelischen Lehre von der Dichtung zu thun; sie schliesst daher hier ab, zumal der Verfasser über das Sachliche der weiterhin in Betracht kommenden wichtigsten Fragen in den oben mehrfach citierten Schriften seine Meinung gesagt hat, vor allem in dem „Handbuch der Poetik", wo auch das aristotelische Fragment „Über die Komödie" ausführlich behandelt worden ist (vgl. S. 659-700).

Von der weittragenden, das gesamte Kunstgebiet beherrschenden Bedeutung des aristotelischen Begriffs der Mimesis, der so gröblich verkannt ist und noch heute verkannt wird, ist oben die Rede gewesen. Wie grundlegend und anwendungs- fähig aber auch die übrigen von A. in diesem allgemeineren Teile entwickelten Be-

64 Hebmann Baumgart

griffe fttr die Theorie der Dichtung sind, mag hier an dem Beispiel der „Erkennung" noch näher in Betracht gezogen werden.

In ebenderselben Weise, wie der Begriff der Erkennung in bezug auf Personen angegeben ist, nämlich als eine durch plötzlich erlangte Kunde bewirkte Sinnes- wandlung zur Freundschaft oder Feindschaft, von welcher Glück und Unglück ab- hängen, ferner am besten so, dass damit ein plötzlicher Schicksalsumschwung ver- bunden ist, können auch gegenüber leblosen Dingen oder überhaupt allen Ver- hältnissen gegenüber Erkennungen stattfinden. Also auch die plötzlich eintretende Erkennung obwaltender wichtiger Umstände, z. B. in bezug auf Personenstand, Ge- burtsrechte, Stand, auf die Gemütsdisposition entscheidend einwirkender vorgängiger Ereignisse, die so lange verborgen waren, ebenso, was A. ausdrücklich erwähnt, dass jemand eine That begangen hat, von der man nichts wusste, dass jemand eine That nicht begangen hat, die man ihm zuschrieb, alles dieses sind tragische Erkennungen, wenn sie von den erwähnten Umständen begleitet sind. Für die beiden letzteren Fälle sind die Beispiele zahlreich. Seltener sind die Handlungen, in denen die Er- kennung von Dingen und Verhältnissen die von A. verlangte Wirkung hat. Es wird auf einer Erkennung dieser Art allein wohl auch kaum eine gute tragische Fabel gebaut werden können, wenigstens wüsste ich keine solche zu nennen ; sondern diese werden wohl nur in Verbindung mit Peripetie diese Kraft haben. Eine solche Er- kennung, oder nennen wir es Erkenntnis, bedingt das tragische Verhängnis für Deianira in den „Trachinierinnen", nachdem die Peripetie erfolgt ist ; die Peripetie selbst beruht hier auf einer ein bestimmtes Ding betreffenden Unkenntnis, die sich, das Unglück der Handelnden entscheidend, in Kenntnis wandelt.

Und was hindert, diesem offenbaren und klaren Sinn der aristotelischen Defi- nition eine noch weitere Ausdehnung auch auf die Erkennung geistiger Verhältnisse zu geben und somit dem weiten Ausdruck xa xvyövxa eine bestimmtere Deutung zu verleihen ? Es scheint, als ob von dieser Stelle aus das Verhältnis der modernen Tragödie zur antiken sich genauer bestimmen Hesse.

Immer werden die Handlungen, in denen die Personen durch die Schicksals- verhältnisse in die so scharf begrenzte, unabweisbare Alternative zwischen Glück und Unglück gestellt sind, nur in geringer Zahl vorhanden sein. Ein Blick auf das tragische Repertoir bestätigt das: Sage und Überlieferung fast aller Völker bieten eine, denn auch vielfältig ausgebeutete, beschränkte Auswahl derartiger erlesener tragischer Sujets dar. Die konzentrierte Kraft, die bei solchen Stoffen in den Si- tuationen liegt, gestattet nicht nur, sondern verlangt, indem sie geringeren Raum für die Nachahmung der Handlung selbst in Anspruch nimmt, als Gegengewicht eine breitere Entfaltung der öidvoia, des Gedankeninhalts, und des durch die Schönheit versöhnenden und individuelle Zustände zum Allgemeinen erhebenden melischen Schmuckes. So ist die antike Tragödie beschaffen. Welch eine hoch- bedeutsame Rolle dabei die „symbolischen Behelfe" von Orakeln, Träumen und un- mittelbarer Einwirkung der Gottheit spielen, davon war Schiller tief durchdrungen, als er in seiner „Braut von Messina" die alte Grundform wieder lebendig machte.

Wenn aber die moderne Tragödie auf diese tiefsinnige Symbolik , die , richtig verwendet, im mythischen Gewände doch immer nur die Wahrheit, den echten Rea- lismus vertritt, mehr und mehr verzichten musste, auf die sie in ihren grössten Schöpfungen dennoch immer wieder zurückzugreifen sich gezwungen sieht, so konnte sie nur selten in dem von A. geforderten Sinne eines plötzlichen Um- schwunges die „Peripetie" und ebenso selten die tragische „Erkennung" zu Stande bringen. Dennoch blieb ihr der Raum, den Grundbedingungen jener Formen gerecht zu werden.

Ein aus Irrtum oder Leidenschaftlichkeit oder wie ja beides sich leicht vereinigt aus beidem hervorgehender Fehler lässt den Helden Handlungen begehen,

Zur Lehre des Aristoteles vom Wesen der Kunst und der Dichtung. 65

die zu seinem oder anderer Unglück seiner Absicht entgegengesetzt enden tPeripetie! Unkenntnis von Personen, Sachen oder Verhältnissen lässt ihn Handlungen be- gehen oder beabsichtigen, eintretende Kenntnis macht ihn oder einen andern oder beide unglücklich oder löst das drohende Unheil auf: Erkennung! Beide, Peripetie und Erkennung, können aber bei dem Mangel jener zur letzten Entscheidung drängenden Schicksalsverwickelung sich nicht unmittelbar und plötzlich vollziehen: sie müssen also in allmählicher Entwickelung herbeigeführt werden. Leichter als jene ausnahmsweisen , tragischen Situationen sind solche aufzufinden sowohl als, zumal bei dem Verzicht auf die tragische Symbolik, zu ersinnen, in denen, statt dass die Verwickelung vorzugsweise in den Verhältnissen liegt, und die Charaktere nur in zweiter Linie sie unterstützen, umgekehrt die Verwickelung vorzugs- weise in den Charakteren liegt und die Verhältnisse nur in zweiter Linie sie unterstützen.

Jene haben eine grössere dramatische Kraft, diese ein höheres philosophisches Interesse; jene erfordern die höchste Simplizität in der Darstellung der Handlung und der Charaktere, diese vielfache Erweiterung der Haupthandlung durch mannig- fache Nebenhandlungen und die sorgfältigste psychologische Charakteristik; jene bedürfen des idealen Schmuckes, des Chores und der Musik, diese begnügen sich, was die idealisierende Form der Nachahmung betrifft, mit dem Metrum und ver- wenden den Gedankengehalt als Mittel zur Darstellung der Charaktere.

Deswegen kann A. sagen: die Tragödie ahmt Handlungennach, die Charaktere nur um der Handlungen willen. Von der modernen Tragödie kann man sagen: durch die Nachahmung der Charaktere gelangt sie zum Aufbau von Hand- lungen, und dieser ist überall durch jene bestimmt. Die antike Tragödie ist mehr drastisch als ethisch, die moderne mehr ethisch als drastisch. Vorwiegend auf ethischem Wege also, vornehmlich durch die Charaktere bedingt, vollzieht sich bei den Neueren die Peripetie demgemäss allmählich, im Sinne eines Umschwunges der Handlung, der herbeigeführt wird durch eine Verdüsterung des Gemütes, die Unheil, oder eine Klärung, welche glückliche Lösung bringt. Ebenso die Erkennung als ein allmählich innerhalb der Charakterentwickelung erfolgender Übergang von der völligen Unkenntnis zur vollen Kenntnis: sie kann folglich in diesem übertrageneu Sinne nur richtig hergestellte Kenntnis, richtige Erkenntnis von Dingen und Verhältnissen bedeuten. Zu bemerken ist übrigens, dass in solchem Falle, wo die „Erkennung" nur in Bezug auf Sachen oder Verhältnisse stattfindet, auch die antike Tragödie sogleich eine stärkere Ent- faltung des Charakteristischen verlangt; weil, um dem Zuschauer einen derartigen entscheidenden Einfluss auf die handelnden Personen verständlich zu machen, es notwendig ist, sie von der seelischen Beschaffenheit derselben überhaupt und von ihrer grade vorhandenen Gemütslage insbesondere genau zu unterrichten. Des Sophokles „Philoktet" und „Trachinierinnen" bieten dafür Beispiele.

Der Nachweis für das Gesagte lässt sich an Shakespeares dramatischer Welt leicht führen, an seinem „Othello", „Romeo" und „Cymbeline", besonders aber an seinem „Hamlet", „Lear" und „Macbeth", nicht minder an unserer eigenen klassischen Tragödie.

Einer je schärferen Analyse man die klassischen Kunstwerke der Poesie in

Itertum und Neuzeit unterwirft, desto stärker tritt ihre innere Wesensgleichheit

lervor, desto fester begründet sich die Überzeugung, dass die grossen Wirkungen

[der Kunst ewig aus denselben Quellen fliessen und dass, wenn die äussere Gestalt

irer Mittel auch unaufhörlich wechselt, diese doch ihrem innersten Wesen nach

imer die gleichen bleiben, weil jene grossen Wirkungen auf den unveränderlichen

Irundfesten unsrer Seele sich aufbauen, auf den einfachen Grundempfindungen von

i'reude und Schmerz.

5

66 IIbbmann Baumgabt, Zur Lehre des Aristoteles u s. w.

Gegenüber der mattherzigen und schwachgeistigen Irrlehre, dass die Aesthetik keine Wissenschaft sei, sondern nur registrierend die wechselnden Geschmacks- richtungen des Tages zu beobachten habe, die, mit einem scheelen Seitenblick auf den unerschöpflich tiefsinnigen Begriff der aristotelischen Mimesis, der Kunst keine höhere Aufgabe zuzuweisen vermag als an der möglichst getreuen Reproduktion der Wirklichkeit ein im besten Falle interesseloses Wohlgefallen zu erregen, und über die grossartige Idee der kathartischen Wirkung aller Kunst mit verständnis- loser Überlegenheit hinwegsieht: gegenüber diesem den Markt des Tages laut er- füllenden Rufen gewährt es eine grosse und schöne Gewissheit , den fest gefügten, tief durchdachten Regelbau, den der grösste Weise des Altertums, aus dessen edelsten Schöpfungen er ihn erkannte, für alle Zeiten aufgerichtet hat, als das von innen heraus bestimmende Gesetz in allem Grossesten wiederzufinden, was unsere Zeit und Vorzeit geschaffen hat, im Volksepos wie in der Lyrik , in Shakespeares Dramen wie in der Dichtung unsrer Lessing, Schiller und Goethe.

IL

Über das Verhältnis des Etymologicum Gudiannm zu dem sogenannten Etymologicum Magnnm genninum.

Von

Otto Garnnth.

In der Berliner philologischen Wochenschrift vom 16. November 1889 Nr. 46 S. 1461 ff. und in den Verhandlungen der 40. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner in Görlitz 1890 S. 405 hebt ßeitzenstein hervor, er kenne in nicht weniger als zwanzig Handschriften, die von ihm an der zuerst genannten Stelle auch aufgezählt werden, ein Werk, welches Wort für Wort den Text des Etymologicum Gu- dianum, aber ausserdem erheblich mehr biete. Das letztere, dessen etwaige Neuausgabe wertlos sein würde, könne nur als ein Auszug aus einem uns auch vollständiger und besser erhaltenen Wörterbuche be- zeichnet werden.

Diese Behauptung, welche Krumbacher auf Treu und Glauben in seine Geschichte der byzantinischen Litteratur S. 272 aufgenommen hat, bedarf ebensosehr der Richtigstellung, wie die S. 406 der Verhandlungen auf der Görlitzer Philologenversammlung ausgesprochene Meinung ßeitzen- steins, dass das Verhältnis des 'ETVfuoXoytyidv allo zu dem echten ^Etv ^oXoyrAov jnsya schwer zu bestimmen sei. „Ein Teil der Quellen des echten fieya, sagt er, scheint in dem alXo ebenfalls und zwar selb- ständig benutzt zu sein. So stimmen z.B. die aus Orion entlehnten Glossen des akXo mehr mit der uns erhaltenen Epitome Orions überein als die entsprechenden Glossen des echten f^eya. Ein anderer Teil der JJuellen des aXXo ist im fieya nicht benutzt. Doch bleibt nach Abzug lieser Bestandteile ein Rest von Glossen, welche dem 'ErvinoXoyiyidv akko id (.uya gemeinsam sind, und welche der Verfasser des ersteren aus lem letzteren entnommen haben kann."

Seltsamerweise hat Reitzenstein nicht gemerkt, dass das so genannte

68 Otto Cabnuth

echte 'ETvfiokoyixdv fifya, welches uns in dem von ihm aufgefundenen Vaticanus Gr. 1818 (saec. X) und in dem von Miller herausgegebenen Florentinus *j S. Marci 304 {saecX)^ ausserdem in mehreren Auszügen und Überarbeitungen erhalten ist, dem Gudianum ebenso zu Grunde liegt wie dem Magnum, nur dass jenes seine Quelle weniger oft benutzt, dafür aber um so getreuer überliefert hat als dieses.

Zum Erweise dieser Thatsache wird es genügen, wenn sämtliche unter einen Buchstaben gehörigen Artikel des Flor, mit denen der beiden ge- nannten Wörterbücher einmal verglichen und die allen drei gemeinsamen einander gegenübergestellt werden. Ich habe zu diesem Zwecke den Buch- staben K gewählt, weil er einer der reichsten ist, und dann auch, um bei dieser Gelegenheit den cod. Hauniensis und den Parisinus 2636 mit heranziehen zu können, die beide eine Überarbeitung des echten 'Etv- fioXoyLyiov (xsya bieten. Reitzenstein ist dies bei der zuletzt genannten Hand- schrift merkwürdigerweise nicht aufgefallen, obgleich sie für viel wichtiger als der Hauniensis angesehen werden muss, schon deshalb, weil sie uns ganz erhalten ist. Wenn er und Gramer **) Recht haben, gehört auch der Ambros. L. sup. 107 {saec, XV) hierher, aus welchem Paris. 2638 abgeschrieben sein soll, so dass also zu den bis jetzt bekannten Auszügen und Überar- beitungen des %Q]iiQTi^ETvixoXoyLy.bv (xeya auf Grund meiner Beobachtungen drei neue hinzukommen würden.

Zum Verständnisse der nachfolgenden Tabelle bemerke ich, dass F den Florentinus {ed. Miller)^ M das Etymol. Magnum {ed. Gaisford), G das Etymol. Gudianum {ed. Sturz), S den von mir vollständig verglichenen Sorbonicus {supj)L gr. 172), welcher bis jetzt als die beste Handschrift des ''ETVfzokoyiyiov allo gilt, H den Hauniensis, P den Parisinus 2636 {cf. Cramer I.e. S. 59 bis 81) und Z das dem Zonaras (Antonios Monachos?) zugeschriebene Lexikon {ed. Tittmann) bedeuten. Die blossen Hinweisungen in F auf andere Stellen sind klein gedruckt ; ein Sternchen bei den Zahlen in G sagt, dass der Artikel hier in ursprünglicherer Fassung geboten wird als in M, dessen Verfasser den Florentinus oft gekürzt und mit anderen Zuthaten versetzt hat. Ein Kreuz bei den noch nicht herausgegebenen Handschriften zeigt an, dass die Glosse sich auch in ihnen findet, eine Null, dass sie fehlt.

*) Bemerkt sei hier, dass H. Keil bereits im Jahre 1846, also 22 Jahre vor Miller, im Philol. I S. 182 in seinem Aufsatze: Die Marcusbibliothek in Florenz den Florentinus erwähnt („304. Etymologicum magnum saec. X. cf. Mehus , ep. Travers. p. 70^% und dass F. W. S. in der Rezension des Gaisford'schen Etym. M. (Göttingische gelehrte Anzeigen 178. St. 1848 S. 1782) ausdrücklich darauf aufmerksam macht.

**) CAP d. i. Anecdota Graeca e codd. manuscriptis hihliothecae Regiae Parisiensis ed. Cramer IV S. 59.

Das Verhältnis des Etym

Gud. zum Etym. Magnum genuinum.

69

F

M

G

S

p

H

z

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18

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1141

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1154

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34

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1161

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1145

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1177

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1145

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1154

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1145

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12

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1145

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0

16

0

4-

0

0

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484, 47

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1155

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1146

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1155

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70

Otto Caenuth

F

M

G

S

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43

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1161

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a

3

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1154

Das Verhältnis des Etym

. Gud. zum Etym. Magnum genuinum.

71

F

M

G

s

p

H

z

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i 1147

KccTtTtagig . . .

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1177

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41

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0

KaQxccQoöovg . .

493, 2

44

0

4-

0

1148

Kaooaßdg . . .

28

f 301, 55 1 302, 35

0

0

0

1157

KaaiyvrjTog

14

301,57

+

4-

0

1148

Kdoaa ....

« 28

302, 35*)

0

4-

0

1152

Kaoravsa . . .

25

0

0

4-

0

1157

KaoowQevovaa

0

0

0

4-

0

0

KaooojQig . . .

493,31

302,45*)

0

4-

0

0

KaraßoGTQvxog .

494, 43

56

0

4-

0

0

Kaxaöcngb^üv .

0

303, 6

0

0

0

0

KaTaQXiCio . . .

0

» 7

0

0

0

1178

Kazelwov . . .

494, 53

0

0

4-

0

0

Kara&vfxiog . .

0

303,56

0

0

0

1160

KaTaCyöiqv . . .

494, 48

57*)

0

0

0

0

KaraelaaTO . .

495, 1

0

0 1

4-

0

0

72

Otto Carnuth

F

T "

G

S

p

H

z

Karayidoa . . .

494, 38

304, 1

0

0

0

0

KarayiXeig . . .

495, 19

5

0

4-

0

0

KaTa7ciiprj . . .

666, 10

0

0

+

0

0

KaTaörjiiioßoQrJGai

0

304,11

0

+

0

1177

KardxXcüä^eg . .

495, 23

12

0

+

0

0

KarazTaviead^e .

0

0

0

0

0

0

KaralrvS . . .

494, 28

304,16

-h

4-

0

0

KaTay,Qrjd-BV . .

495, 29

52

0

0

0

0

Kaxaxxdq . . .

0

0

0

+

0

0

xara firiQ hat] .

0

304, 55

0

4-

0

0

KazenetpvTi . .

0

0

0

0

0

0

KaTCfiv^aTO . .

0

305, 1

0

0

0

0

KaTaTtQo'Claod^ai .

495, 32

3*)

0

4-

0

1178

Kazanellaq . .

0

0

0

0

0

0

Kardax^oig

0

0

0

0

0

0

KaTaqQETcig . .

0

0

0

4-

0

0

KaiciüxeOLv . .

0

305, 9

0

0

0

0

KaTax^vrj . . .

495, 47

11

+

0

0

1158

Kaxaxprixwv . .

49

13

0

4-

0

0

Ka7;eL(A,evov vlrjv .

0

0

0

4-

0

0

KaT€KTa^€V . .

495, 52

305, 22

0

4-

0

1178

KaTEXTave . . .

0

0

0

0

0

1178

KaTioxvcod^evza .

497, 22

0

0

0

0

1178

Kaz' svwrca . .

496, 7

307, 26

0

4-

0

1157

KarsTtod-r] . . .

14

306, 33

+

4-

0

1178

Kareqe^s

0

307, 33

0

0

0

0

KatSQV'KCü

0

0

0

0

0

0

KarrjyoQSiv

497, 17

307,34*)

0

+

0

0

KaTrjkvGiT}

8

38

0

0

0

1157

Kaxfiqee .

15

42

0

4-

0

1179

Katrirprig

496, 54

45

0

0

0

1148

KaTiqcpöveg

497, 4

52

0

0

0

0

Kdr^ave

0

0

0

+

0

0

KaxoQeaipi

0

0

0

0

0

0

Kazovldg

497, 24

308, 19

0

0

0

1157

KavrjS .

493, 48

0

+

4-

0

1148

KavKCOv . .

0

308, 26

0

4-

0

0

KavXcovla

494, 8

0

0

0

0

0

KaTco/nadov

497, 28

308,22*)

0

0

0

1180

KaiOTiLv

27

24

0

0

0

0

KavXog .

493, 57

29

0

4-

0

1149

Das Verhältnis des Etym. Gud. zum Etym. Magnum genuinum.

73

F

M

G

S

p

H

z

Kavf.ia . . . .

493, 51

305, 21

+

4-

0

1163

KavGTQog

40

308,32u. 306, 20

0

0

0

0

KavQog .

52

308, 33

0

+

0

1149

Kavola .

487, 49

38

0

+

0

0

KavOTBLQog

493, 44

0

0

+

0

1149

Ka%la^o)

494, 10

308, 44

0

+

0

1179

Kccipa

20

51*)

0

+

0

0

KeaQ . .

511,12

57

0

0

0

1191

Kaaq .

0

0

0

0

0

0

Keaaev .

498, 30

0

0

0

0

0

Kiatai .

0

309, 1

0

+

0

1193

Keßlri .

498, 42

0

0

+

0

1189

KexQivrig

36

309, 6

0

0

0

1181

KeÖQog .

44

13

+

+

0

1189

Kedvög . .

51

309, 18

0

+

0

1181

KbWsv .

508, 23

23*)

0

+

0

1201

Kel&c. .

0

0

0

+

0

1202

Kel^iat . .

508, 56

309, 41*)

0

+

0

0

Keiliirjhog .

7

310, 5

0

+

0

1192

Kslvog . .

40

12*)

0

+

0

1183

Kelog . . .

507, 51

45

+

0

0

0

KeiQia . .

508, 12

309, 35

+

0

0

1189

KeIcü . . .

3

0

0

+

0

1197

Keöai^iü . .

498, 55

311,30

0

+

0

1193

KÜQEiV . .

508, 1

32

+

0

0

1196

Ksliov . .

508, 5

0

0

4-

0

1197

Ke/MÖrjOeL .

499, 26

311,34

0

+

0

1195

Key.aöriGOfxe'y

d'a

30

41

0

0

0

1197

Kexadojv

15

46

0

+

0

1197

Keyidfxtü . .

6

49

0

4-

0

0

Key.aG^Levs .

35

53

0

0

0

1197

Keuveatm .

41

0

0

+

0

1197

Ks'AacprjOTa .

37

311,54

0

0

0

1198

K€'AXavf.ievrjv .

0

57

0

+

0

0

K€xlaf,i€va}v

500, 27

312, 1

0

+

0

0

Kevlev^a . .

0

5

0

0

0

0

Key,ayttüfj,svoc .

0

0

0

0

0

0

KsäIbto . . .

500, 31

0

0

0

0

0

Kezkfjxa . . .

0

312, 8

. 0

0

0

1198

Ke'Ah]yovTeg

.

500, 3

11

0

+

0

0

74

Otto Carnuth

F

M

G

S

p

H

z

KsTcUatai . . .

500, 8

0

0

+

0

1198

KixXixcc

0

0

0

0

0

0

KeyihfihoL

500, 25

312,24*)

0

0

0

0

Kexlrjato

499, 49

34

0

0

0

0

Ke}iXo/j,ivoL

500, 36

0

0

+

0

1198

Kiytkv^i .

520, 48

312, 36

0

4-

0

1198

Kiyclvrai

38

41

0

+

0

0

KeKOQvS^fxevog

500, 51

49

0

0

+

1198

KenoQvd^ixiva

43

„51U.55

4-

+

+

1199

Ki^lo) . .

37

313, 3

0

4-

4-

1199

K^TCjurjKa .

499, 47

9

4-

0

4-

1199

KiY,ova .

500, 55

14

0

0

+

0

KixQOLxa .

0

0

0

0

0

0

mxQayßL .

0

0

0

0

0

0

KsKQaf^hag

0

0

0

0

0

0

Key.OTrjOTa

0

0

0

0

0

0

KizQLYM .

501,12

313,17

0

-f-

4-

0

KexTTjfxac

26

28*)

0

+

4-

0

Kelaöeivog

31

34

0

0

4-

1182

KeXaöov .

32

0

0

+

0

0

Kelddwv

36

0

0

0

0

0

KelaLvecpeg

48

313,42

+

0

0

0

Kekatvov

44

0

0

0

0

1192

KeXagv^Siv

37

0

0

0

0

1196

Kelo) . .

502, 5

313, 36

-h

0

0

0

KiXeai .

5

36

+

0

4-

1199

KeXeog .

10

56

+

0

4-

1184

Kelevd'og

21

314, 6

0

+

4-

1188

Kelev^a

23

8

0

0

4-

1189

K^kevfia .

,, 19

0

0

0

0

0 1185

Kekr^g . .

36

0

0

0

0

il82

KelrjTl^Eiv

33

0

0

0

0

1199

KeXevTioo)

16

0

0

0

0

0

KsXXsLv

0

0

0

0

0

0

KeXriYJi .

502, 50

0

-H

0

0

0

Kelioi .

45

0

0

0

0

1185

Kelvq)ri .

52

314, 4

+

0

0

1192

mXwQ .

54

22*)

0

-f-

+

0

Ke/ndg .

503, 1

» 17

+

0

4-

1188

lUv . .

0

0

0

0

0

0

Das Verhältnis des Etym

. Gud. zum Etym. Magnum genulnum.

75

F

M

G

S

p

H

Z

Kevd-iTtTtri . . .

503, 34

0

0

0

0

0

Keveog . .

0

0

0

0

0

0

Kev€inßaTa) .

503, 32

314,21

0

0

0

1196

Kevecov . . .

28

0

4-

0

0

1184

Kevog . .

12

314,24

0

0

0

1185

Ksvoai . . .

35

0

0

0

0

0

KevTai . .

48

314,38*)

0

+

+

0

KevTavQog .

50

43*)

0

0

-h

0

K€yTQr]V€X€ag

,, 41

0

0

+

+

1190

KivTQLOV

39

314, 58

0

0

0

0

KevTQOv . .

39

j> ?>

0

0

0

0

KeVTQOTVTtOV

47

60

0

0

+

0

Ki{.icpog . .

504, 1

0

+

0

4-

0

Kegaßazrjg .

3

315,11

0

+

+

1185

KeQccfxog

13

15

+

0

+

1185

KegaCtsiv .

,, 6

26

0

0

4-

0

KeQatrrjg

9

28*)

0

+

4-

0

KeQajußrjXog

0

22

0

0

0

0

Ksgaf-ieizog .

504, 16

0

-H

+

4-

0

KeQaiQe , . .

36

315,31

0

-h

4-

1197

Keqavvvg

25

33

+

0

+

1200

KsQag . .

43

» 40

0

+

4-

1192

Kega^oog .

505, 10

0

0

0

0

1185

Keqavvog

0

316,10

4-

0

+

0

Kegöaleog .

505, 35

0

0

0

0

1186

K€QÖaXE6q)QWv

40

316,15

0

0

4-

0

KeQÖaivstv .

33

20

0

0

+

1197

KSQÖIOV . .

44

0

+

+

+

1192

KigÖLOTog .

53

0

0

0

0

1186

Keqdog . .

,, 29

317, 3

+

0

4-

0

KSQÖCÜ . .

34

316,30*)

+

0

+

0

KeQY.Lg . .

57

35

0

0

4-

1190

KeQiiolvQa .

506, 18

0

0

0

0

1190

K€Qy.ovQog .

15

0

0

+

4-

1186

KegKVQ . .

,, 20

316, 39

0

+

+

0

KeQxcüTteg .

8

0

0

4-

4-

1186

Kegu) . .

504, 33

317, 8

0

+

4-

0

KsQoeig . .

505, 13

10*)

0

■+■

4-

1186

lUgoat . .

506, 19

0

0

+

4-

1200

KegT6f.iog .

,, 33

317,20

+

0

4-

0

KegrofiLOV .

35

» 23

0

0

4-

0

76

Otto Cabnuth

F

M

G

8

p

H

z

KeQTOfiiicüv , . .

506, 38

317,25

+

0

0

1200

Keatog . .

46

» 28

+

4-

4-

1187

Kevd'ilog

507, 1

38*)

0

0

4-

1187

KsfpaXri . .

4

47*)

0

4-

4-

1190

K€q)aXXrjvla

26

0

0

0

0

1191

KeXccvöoTa .

33

318,12

0

0

0

1200

KexccQTjora .

41

15*)

0

0

0

1201

Kexaoolaro

35

21

+

4-

0

1201

KexoXojaeraL

46

29

+

0

0

1201

Kewg . . .

51

0

4-

0

0

1191

Kevd^O(.iai .

0

0

0

0

0

1200

Krideod^ai .

0

318,34

0

0

0

0

Krjöeog . .

509, 46

0

0

4-

0

1203

KvideGtrig .

50

318, 56

+

4-

0

1203

KrjöiGTOi

510, 3

319, 5

0

4-

0

0

Krjdeiv . .

0

0

0

4-

0

0

Kriöea . .

509, 38

319, 7

+

0

0

0 .

KrjÖLOTog .

0

0

0

+

0

1203

Krjdo) . . .

509, 22

318, 36

+

0

0

0

Krjycdg . . .

510, 8

319, 9*)

4-

4-

0

1202

Krjmecv . .

19

0

0

0

0

1206

KrjXevg . . .

0

319, 39

0

0

0

1204

KrjX€(p . . .

510, 28

0

+

0

0

1202

K^Xrj. . . .

» 41

0

0

0

0

1204

Kr]lr]d^fi6g . .

31

0

0

0

0

0

KrjUg . . .

0

0

0

0

0

1204

KrjXov . . .

510,45

319, 18*)

0

4-

0

1205

KrjXoveiog . .

49

,, 25*)

0

4-

0

1205

KrjkcDavd . .

0

0

0

0

0

0

K7]k(jÜV . . .

510,51

319, 32

+

0

0

1202

KrJTtog . . .

511, 6

53

0

0

0

1203

KrjQ ....

11 u. 22

320, 2

4-

4-

0

1206

Kr]QafivvTOV .

511,28

0

0

0

0

0

KrjQeoGupoQ7]Tovg

31

0

0

0

0

0

Kr^QVKSiov . . .

47 u. 52

320, 15

0

0

0

1206

KriQovX'Aog . . .

,, 33

0

0

0

0

1205

KriQv^ ....

40

320, 42

0

4-

0

1204

Kiqcpri'iöa yctlotv .

512, 14

0

0

0

0

1205

Krjq)T^Gcöi . .

.

16

0

0

0

0

0

Das Verhältnis des Etym. Gud. zum Etym. Magnum genuinum.

77

F

M

G

S

p

H

z

Krjcprjveg. . . .

512,18?

0

0

0

0

1203?

KrjQoS'i .

0

0

0

0

0

1207

KrjcüCLQ .

512,28

321, 1*)

+

0

0

1204

Krjojörjg .

34

0

0 .

0

0

0

Kiavlg .

« 37

0

0

0

0

1207

Klßörjlov

44

321,13

-f-

0

0

1213

KlßLOig .

54

0

-H

0

0

0

KißcJTog .

49

321, 6*)

+

0

0

1210

U.11

lUßog .

52

9

+

0

0

0

KiyzUg .

513, 4

0

-f

0

0

1210

KiyycXlaai .

9

0

0

+

0

1215

KiöaXla . ,

19

0

0

0

0

0

KlöaQLV .

17

321, 30*)

0

+

0

1211

KLe . .

0

.38

0

0

0

1215

Kid^aQig .

513,23

40

0

+

0

1211

Kid^agog

26

50

+

0

0

0

KiQ^KLQÖivOi

' Unaq

0

0

0

0

0

0

KUig . .

513,32

0

+

0

0

0

KUoveg . .

37

0

0

0

0

0

KUvg

33

0

+

0

0

1208

KlTiVW .

0

321,53

0

+

0

1215

KLAhjGiiw

513, 38

322, 8

0

0

0

1215

Kikiytla .

41

0

0

0

0

0

Kifzf^sQLOvg

44

0

0

0

0

1208

Kivadog . .

514, 5

0

0

0

0

1208

Klvaiöog

15

322,11*)

0

0

0

1208

Kivd'KTjg .

27

0

0

0

0

0

KLvöaxpog

34

0

0

0

0

1209

Klvövvog

37

322, 17

0

4-

0

0

Kivr]Oi^ .

513,56

31

+

0

0

0

Kivdf,i(jü!nov

514, 2

58

+

0

0

0

Kivvf-ievog

17

56

0

0

0

0

KlWQl] .

0

0

0

0

0

0

KivtJ . .

513,52

322, 37

0

+

0

1216

KtvwTceda

57

0

+

0

0

1214

Kiovlg .

514,47

0

0

0

0

0

Ki6y.Q(xva

53

0

0

0

0

0

KiqKaiOv

515, 9

0

0

0

0

0

KlQKrj

6

323, 3*)

+

0

0

0

KLQY.og .

0

,, 7

0

+

0

1209

78

Otto Cakhuth

F

M

G

1 B

p

1 H

i 2

Klgga . . . .

515, 18

0

0

0

0

0

KiQQig .

141 28f

323, 44*)

0

0

0

0

KLorjQig .

11

0

+

0

0

Kioar]lg .

0

0

0

0

0

0

Ktoovßtov

515, 33

323, 14*)

0

+

0

1214

Kiarri .

0

324, 5

+

0

0

0

Kiaaw .

515,38

323, 20

+

4-

0

1216

KLtqlov .

48

0

0

0

0

0

KL%ri(j.evov

0

0

0

0

0

0

IUX(^ . .

515, 58

323,26

+

+

0

0

Kix^lw .

58

27

+

0

0

0

KiXrjlag .

516,13

34

0

0

0

1209

Klwv . .

514,54

36

+

0

0

1209

Kkalct) .

516, 51

324, 27*)

+

+

0

1221

Klia . .

517,21

33

0

+

0

1220

ladtco .

516,26

36*)

0

+

0

0

Kleagig .

0

0

0

0

0

0

KkeiÖLOv

0

0

0

0

0

0

Klelv .

518, 5

325, 25

0

0

0

1218

KXslQ .

0

0

0

0

0

0

Kletod-^vrjg

517,51

325, 31

0

+

0

0

KlsLTayogag

,, 50

45

0

+

0

0

KleiTTj . .

54

35

H-

+

0

0

KkeiTog . .

48

0

0

0

0

0

KXsLTocpwv .

50

325, 45

0

0

0

0

KleiTvg . .

0

0

0

0

0

0

Kleiu} . .

517,15

0

0

0

0

1221

Kkelcofxev .

0

325, 47

0

0

0

1221

KXiog . .

517,18

326, 5*)

+

0

0

1220

Kkecoval

27

0

0

0

0

1218

KXiTiTTjg

39

0

+

+

0

1216

KXeocpcvTTjg

31

326, 19

0

+

0

0

KXevag . .

498, 31

28*)

0

+

0

0

KXevd'OixaL .

517,45

0

0

0

0

0

Klißdiov . .

519, 36

326, 45*)

0

0

0

1218

/a?^Cw . .

0

0

0

-h

0

0

KXfj^Qa . .

518, 10

326, 48

0

0

0

1220

KXr^öriv . .

519, 34

52

0

+

0

0

/a^tg . .

518,20

54

+

+

0

0

KXritdeg . .

27

327, 28*)

0

0

0

1218

KXriQov6(.iog

519, 21

48

H-

0

0

1217

Das Verhältnis des Etym. Gud. zum Etym. Magaum genuinum.

79

F

M

G

S

p

H

z

KlrJQog . . . .

519, 3

327, 32*)

+

0

0

1217

Klliiia^ .

55

328, 47

+

+

0

1219

laivr] .

520, 3

11

0

+

0

0

KUv^rj .

0

0

0

0

0

0

Khö^olOL

520, 6

328, 14

0

+

0

1217

Khrvg .

519,46

16

0

+

0

1219

KkiTOQLa^ei

V

50

20*)

+

+

0

0

lOuGiöiov

520, 15

28

0

+

0

0

Khola .

» 8

0

0

+

0

1219

KXowg .

521, 7

329,3u.8

+

0

0

1217

Kkovlog .

10

328, 56

0

+

0

0

KXov^ovTa

22

0

0

0

0

0

KX07ttT€U€lV

23

0

0

0

0

0

Klvd^i ,

0

329, 12

0

0

0

1222

Klvfxevog

521, 4

0

0

0

0

0

KXvTog .

520, 53

13

0

0

0

0

KkvTaifivrjGTQa

521,17

15

+

0

0

0

KlvxojtoJlog .

0

0

0

0

0

0

Klvw . . .

0

329, 19

0

+

0

1222

KklüOTTJQ

495, 27

41

0

0

0

0

Khüip .

521,24

329, 43

0

4-

0

1217

K?^tü7t7]iog

0

0

0

0

0

0

Kfieled^Qa

521, 8

330, 1*)

0

+

0

0

KvaicD .

0

0

0

0

0

0

Kvdffog .

521, 35

330, 15

0

+

4-

1224

Kvicpctg .

52

. 20

0

+

4-

1225

KvrjfiT}

« 57

25

0

+

4-

1223

Kvrj . .

522, 14

31*)

0

+

+

0

Kvioa

21

34

0

+

4-

1224

Kw^wao) .

47

38

0

+

4-

0

Kvvoao) . .

45

0

0

4-

0

0

KvcoöaXa

,, 38

331, 4

0

+

4-

1225

KvüJGG€lV .

42

0

0

0

4-

1226

Koale{.iog .

524, 21

0

0

0

0

1227

Koßalog . .

27

332, 3

4-

0

4-

1227

KoÖQLTrig .

37

0

0

4-

4-

0

Ko&OQvog .

39

332,11

+

0

4-

0

Kod-ovqog .

41

13

0

0

4-

1227

Kodla . .

523, 12

15

0

4-

4-

1235

Koi(.i(lJf,iat .

» 17

28 1

-h

4-

4-

1243

Kocvog . .

26 !

36 i

+ !

4-

4"

1228

80

Otto Cabhuth

F

L"

G

8

p

H

z

Kolov . . . .

523, 49

0

0

0

0

0

Kolog

47

332, 60

-f-

0

4-

0

KoLgavog

54

333, 1

0

+

4-

1228

KocQavicüv

524, 3

7

0

0

4-

1243

Kohr]

12

9*)

0

4-

4-

1235

Koltig .

15

15

-1-

4-

4-

0

Kolq)i

,, 18

0

0

0

0

0

KOAY.O'VL .

54

333, 18

0

0

4-

1240

KoY.QvdeQ

0

0

0

+

4-

0

KoTivag .

524. 53

333, 20

+

0

4-

1228

KOYXV^ .

50

22*)

0

4-

4-

0

Kola^ .

56

,, 25*)

0

4-

4-

1228

KolacpLt^o)

525, 4

32

0

4-

4-

1244

Koleog .

12

42

+

0

4-

1230

Kololq)Qv^

526, 1

0

0

4-

4-

0

Kolov .

0

333, 48

0

0

4-

1240

Kolog

525, 1

49

0

0

4-

0

Koloöoog

16

50

4-

0

4-

0

KoloGvQTog

12

» 55*)

+

4-

4-

1229

KollrjevTa

526,10

0

0

0

0

0

KollrjTOlg .

15

0

0

0

0

0

Kollaß OL .

21

0

0

4-

0

1229

KolloTteg

» 19

333, 60

+

4-

0

0

KollovQca .

27

334, 6

+

0

0

0

Kolloxp .

525, 30

9*)

■4-

4-

0

0

KolTzog . .

526, 5

56

+

0

0

0

Kolvfußäv .

2

14

+

0

0

1244

Koloiog .

525, 54

17

+

0

0

1229

Kolcjvsia .

38

0

0

0

0

0

Kolcovr] . .

34

334, 23*)

+

4-

0

0

Kol(^6g . .

53

27*)j u. 44 )

+

4-

0

1230

Kofx^ayrjvi] .

526, 33

335, 26

0

4-

0

0

KofxelTYjv .

45

29

0

0

0

1245

Koixfxelv . .

37

336, 13

-h

0

0

1245

Ko^iq , . .

527, 10

335, 33

0

4-

0

1235

Kofiriq . .

0

0

0

0

0

0

Kofli^OJ . .

0

0

0

4-

0

1245

Kofii/Äog . .

527, 45

336, 18

4-

0

0

1231

Ko^LÖTq . .

16

335, 48

+

0

0

1235

Ko^xpog . .

49

336, 20

•+•

0

0

1231

p

Das Verhältnis des Etym. Gud. zum Etym. Magnum genuinum.

81

F

M

G

S

p

H

Z

Kovaßog. . . .

0

336, 39

0

+

0

1231

Kovdvlog .

528, 21

52

0

+

4-

1231

Kovla . .

35

56 u. 58*)

0

4-

0

0

Koviouovg .

529, 2

0

-f

0

0

0

KoviOQTÖg .

528, 55

337, 4

0

0

+

0

Kovig . .

38

,, 8

0

+

+

1236

Kovl^o) . .

48

14

0

0

+

1245

Kovlaakog .

52

18

0

0

+

1232

KovLoovoi .

45

0

0

+

+

1246

Kovlo) . .

0

0

+

+

+

1266

Kovrilog

529, 8

0

0

+

0

0

KovTog . .

5

337, 39

0

0

-f-

1232

KoTtaev . .

13

0

0

0

0

0

KoTtBQQa

22

337, 44

+

-f-

0

0

KoTtLg . .

25

56*)

0

+

+

1232

KoTtQog . .

14

46*)

+

0

4-

1236

KOQQTJ . .

M 32

338, 3

0

-f-

+

1237

KoQrjaaTe .

45

0

0

H-

+

0

KoQLvd-og .

« 47

0

0

0

0

1236

KoQd-vsTai .

,, 56

338, 10

-4-

0

+

1247

KoQig . . .

0

0

0

0

0

0

KoQvd-akr] .

531, 53

338, 13

-f-

0

4-

0

KoQOTtkaOTtjg

530,11

339, 52

+

0

0

0

KoQog . .

8

0

0

0

0

0

KOQQIOV . .

529, 48

0

0

+

-h

0

KoQvßavteg

531, 5

338, 20

+

0

+

1232

KoQOicpog .

,, 23

0

0

0

0

0

KoQOrj . .

530, 48

338, 26*)

0

-f

4-

1236

KoQead-fjvat

529, 50

32

0

+

4-

0

KoQxacpog .

541,23

39*)

0

+

4-

1233

KoQvd-aUL .

0

46

0

0

4-

0

KoQvd^aLoXog .

531,39

49*)

0

0

4-

1233

KoQv&ov q)aX6

V .

787, 5

57

0

+

4-

0

KoQvvrj . . .

531,31

339, 1*)

0

0

4-

1238

KoQvq . . .

35

6*)

0

0

4-

1236

KoQvcpTq . . .

13

M 10*)

0

-t-

+

1237

KoQOJvr] . . .

530, 18

23*) U.340, 33

0

-h

4-

1237

KoQwvog . .

27

339, 30

0

-1-

4-

0

Koo^og . . .

532, 10

340,37*)

0

4-

4-

6

1234

82

Otto Caemuth

F

M

G

S

p

H

z

Koreoaafievog . .

0

0

0

0

0

0

KoTTaßl^ü} .

533, 13

340, 51

0

0

+

0

Koxog . .

532, 52

53

0

0

+

1234

Kot V kr) . .

533, 3

341, 15

0

4-

-h

1238

KoTLvog . .

532,46

29

0

+

4-

1234

KOVQO. . .

534, 4

35

0

0

-r

0

KovQlöag .

8

0

0

0

0

0

KOVQL^ . .

533, 57

0

0

0

0

0

KovQeiüTig .

41

0

0

0

0

0

Kgaöawv .

534, 35

342,32

0

0

0

0

KovQoq

0

0

0

0

0

0

KovaeiQOva

0

0

0

0

0

0

KovQTJTeg .

534, 12

342, 1

-h

0

0

0

KoxUÖlov .

23

11

+

0

1 +

1242

KoxXcaQLOv .

1 22

0

0

-1-

i 0

1242

Koxlog . .

j 27

342, 24

0

+

+

0

KQctjxßri . .

45

. 42

-\-

0

4-

1252

Kgä^a . .

49

0

0

0

0

0

Kgalvu) . .

i 535,56

342, 52

0

+

4-

1257

KQavdrjg . .

1 534,50

56*y

0

0

4-

1252

KctQTtad^og .

1 ^

0

0

+

4-

0

KQaTeia . .

i 535,18

343, 8

0

+

4-

0

KQUTeVTCtWV

20

9

0

0

4-

0

Kgata . . .

» 3

12

0

+

4-

0

Kqaviov . . .

534,53

342, 56

0

0

4-

1252

KgavieoS^ai

536, 6

343, 6

0

+

+

0

KQaiTtvog . .

10

60*;

0

+

4-

124S

KgaOTcedov . .

534,54

55

+

0

4-

1255

K^araLrceöov .

535, 1

47

0

+

0

0

KQaTEQOCpQOVOg

0

0

0

0

0

0

KQccvsQog . .

535, 27

343, 21

-i-

0

4-

0

KQatrJQeg . .

0

» 49

+

0

4-

0

Kgazug . . .

535, 41

51

0

0

4-

0

KgaTO) . . .

16

52

0

0

4-

1257

KgavyiTj . . .

43

0

0

0

4-

0

Kqiag . . .

536,21

344, 5

-f

0

4-

1255 u. 57

KqbIov . . .

54

11*)

+

0

4-

0

Kgeiovoa . .

537, 10

19

0

-f

4-

1253

Kqelöowv . .

16

23*)

0

0

4-

1249

Kqeiwv . . .

5

34

+

0

4-

1055

Das Verhältnis des Etym. Gad. zum Etym. Magnum genninum.

85

F

M

G

S

p

H

z

Kgeavöeilog . .

1 536, 32

344, 38

0

0

4-

0

Kge^oo) . .

35

40

0

4-

4-

0

KqeyfK^ . .

0

0

0

0

0

0

KQYiyvov . .

537,23

345, 25

+

0

4-

1256

Kgijdefivov .

28

30*)

0

4-

4-

1256

KQTjrjvai . .

0

37

+

0

0

1258

KQTfiviq . .

537, 34

47*)

0

0

4-

1258

KQTfjfivog .

39

43

+

0

4-

1249

KQTjoega

538, 5

0

0

4-

4-

0

KQiqocpvyeTa

537, 57

346, 10

+

0

4-

0

KQfiteg . .

54

19

4-

0

4-

1251

KQrjTvlg . .

50

5

+

0

4-

1253

KqZ . . .

538, 12

22

4-

0

4-

1256

KQtßavog .

,, 17

26*J

+

0

4-

1249

Kgl^rj . .

20

33

+

0

4-

1254

KqUe . .

51

347, 21

0

4-

4-

1258

KgUog . .

41

0

+

0

4-

1249

KqL^va . .

0

347, 37

0

0

0

0

KqLvov . .

0

46

-h

0

0

0

Kqlog . .

539, 20

346, 44*)

+

0

4-

0

Kgiol . . .

10

347, 3*)

+

0

4-

1249

KgiTT^g . .

538, 32

55*)

+

0

4-

1250

Kgoalvü)

539, 38

348, 7

0

4-

4-

1259

KgoKoöedog

50

10*)

4-

0

4-

1250

KgoKog . .

48

18

4-

0

4-

1250

KooKiKpaXog

45

32

4-

0

4-

0

KgoKaka

57

21*)

0

0

4-

0

Kqoi^vov

540, 2

25*)

4-

0

4-

1257

KgoyiT] . .

539,42

27

0

0

4-

1254

Kgoviog Xocpog

0

0

0

4-

4-

0

KQOviörjg

0

348, 35

0

4-

4-

0

KQOOOag

540, 40

53*)

0

4-

4-

1254

Kqoaog . .

541, 6

0

0

0

0

0

KQ6Taq)0L .

17

349, 12

0

0

4-

1251

Kqotcüv . .

! 9

19

0

4-

+

0

Kqov^ü) . .

47

0

0

4-

4-

0

Kgovvwv

,, 44

349, 38

4-

0

4-

1251

Kqovoj . .

! 38

41*)

0

0

0

1259

Kgvegog

i » 51

47

0

0

4-

1251

KQvoeooa .

54

0

0

4-

4-

1255

Kgv^og . .

1 542, 1

349, 49

0

+

4-

1251

6*

84

Otto Caenuth

F

M

G

8

p

H

z

Kqvoq . . . .

541, 49

349, 52

+

0

0

1257

KqvTtTcidia

0

0

0

0

0

1257

KQCüßlaXog

541,34

0

0

0

0

0

KqwßvXog

,, 33

0

0

.0

0

0

Kgwaoog

30

349, 57*)

0

4-

4-

0

KzedTiaa

0

0

0

0

4-

1262

KTedreaai

542, 8

0

0

0

0

0

Ktw . .

12

350, 12

4-

0

0

0

Kviqag .

7

0

0

0

0

0

KtbqlovOl

0

0

0

0

0

1262

KteLg. .

542, 18

350, 19*)

0

+

4-

1260

KTi]vrj .

. 27

25

0

4-

4-

1261

Kvrjoiv .

0

30

0

+

4-

1261

KtÜ^o) .

0

0

0

0

0

0

KTllog .

542, 34

350, 36*)

0

+

4-

1260

KtvTtog .

44

351, 5

+

0

4-

1261

KTi^fXTqv .

49

0

0

0

0

0

Kvavea .

48

0

0

0

0

1268

Kvdqag .

51

0

0

0

0

0

Kvßelov .

54

0

0

0

0

0

KvßiXri .

543, 2

0

0

0

0

0

KvßegvT^Trjg

3

351, 9

0

0

4-

0

Kvßrißeiv

11

26

+

0

0

1270

Kvßr]hg .

1

0

0

4-

4-

1262

Kvßog .

18

351, 34

+

0

4-

1263

KvßrjTog .

6

0

+

0

4-

0

Kvöalvo)

0

0

0

4-

4-

1270

KvdidveiQav

0

351, 38

0

0

4-

1266

Kvdiiiog .

543, 32

0

0

0

0

1262

Kvöiowv

0

351,45

0

4-

4-

1270

KvöoLfÄog

34

46

0

0

4-

1262

Kvöolfieov .

, 33

0

0

0

0

1271

KvÖQog . .

, 30

0

0

4-

4-

1262

KvMqeia .

, 40

351, 57

+

4-

4-

1266

Kv^ga . .

, 36

352, 21

-h

0

4-

1266

Kv^QloaL .

, 37

0

0

4-

4-

1271

KvKavdv . .

, 53

0

0

0

0

0

KvTiecü . .

, 51

0

0

4-

4-

1263

Kvyiw . . .

' 0

0

0

0

0

1271

Kvyteojv . .

543, 50

352, 27

0

0

4-

1263

Kvw^d-riTriv .

0 1

0

0

0

0 '

1271

Das Yerhältiiis des Etym. 6ud. zum Etym. Magnum genuinum.

85

F

M

G

S

p

H

z

KvyXcl . . . .

544, 12

352, 29*)

0

0

0

1268

Kv^lriooiiev . .

23

0

0

0

0

1268

KmXct) . . . .

0

0

0

+

+

1272

KvTiloTSQeg . . .

0

352, 41

0

0

+

0

KvxkwTteg . . .

544, 6

43*)

+

0

+

1263

KvyiVLTTjg . . .

0

353, 3

0

0

+

0

KvXlotavog . .

544, 30

0

0

0

0

0

KvllaQog . . .

54

353, 22*)

+

0

0

0

KvUvöei . . .

0

0

0

0

0

0

KvhvÖTj^Qa . .

544, 34

0

0

0

0

0

KvXlo) . . . .

27

353, 19

0

0

+

0

Kvlivöopievog . .

0

0

0

+

+

0

KvXXoL . . . .

544, 50

0

0

0

0

0

KvlXriVLog . . .

» 41

0

0

0

0

0

KvXkoTtoölwv . .

47

0

0

0

0

1263

Kvfxßaxog . . .

545, 21

0

0

0

0

1263

Kvfxßaka . . .

33

353, 27

0

0

+

1269

Kv^ßla ....

34

0

0

0

0

1269

Kv^ßcii . . . .

36

0

0

0

0

1268

KvfxaTL ytwcpcp . .

» 9

353, 44*)

0

0

0

1269

Ät;jMi]

13

0

0

0

0

0

KvfXLvdig . . .

17

353, 52

0

+

+

0

Kvv<xf.ivia . . .

47

0

0

0

0

0

Kvv^rj ....

37

354, 6

+

0

0

1267

Kvviog TtBQ eav .

0

353, 56

0

0

+

0

KvvoQaiOTiiüv . .

546, 10

58

4-

0

0

0

KVVTEQOV . . .

1

354, 1

0

+

+

1269

ÄVTTfiAAov

4

48*)

0

0

+

1269

KvTCQLg .

0

51

0

0

4-

1267

KvTCQog .

546, 9

355, 24

0

0

-f-

1267

KvqßavTeg

547, 39

0

+

0

0

1264

Kvqßeig .

45

355, 38

+

0

0

0

KvQrjßdoei

548, 5

0

0

0

0

1272

KvQKav^

42

0

0

0

0

0

KvQOV

36

0

0

0

0

0

KvQTjTa .

8

0

0

0

0

0

KvQ(,ia .

45

356, 9

+

+

0

1269

KvQQog .

0

0

0

0

0

1268

KvQOag .

548, 16

0

0

0

0

0

KvG&ov€q)€krj . .

0

0

0

0

0

0

KvQTOV .

. .

548, 47

356, 10

+

0

+

1269

66

Otto Caehuth

F

M

G

S

p

H

z

Kvarcg ....

548, 55

356, 18

0

4-

4-

1268

KvTcaQoq

0

0

0

0

0

0

Kviaudog

548, 57

0

0

0

0

0

KvTatöog

0

0

0

0

0

0

KvTog

0

0

0

0

0

0

KxxpeXXa

0

356, 22

4-

0

0

1270

Kvxpelri .

549, 22

25

+

0

4-

1268

Kv(x)v .

27

. 37

+

4-

4-

1265

Kuag

550, 16

56

0

4-

4-

0

KcüÖlov

6

58

0

4-

4-

1276

Kwea .

549, 53

0

0

0

0

1277

K(x)lrixp

0

0

0

0

4-

0

Kcohdg

550, 46

0

0

0

0

0

KMa .

38

357, 37

0

0

0

1277

K(6Ö€ia

549, 57

25

+

0

0

1275

Kwd-CDveg .

550, 28

30*j

0

0

4-

0

KcüTCVfiata

» 29

. 33

0

0

4-

0

Kd)fj,a

551, 5

46

-h

0

4-

1277

Kwfid^eiv

550,491 555, 1)

50

-h

4-

H-

1278

Kcofxri

0

57

0

0

4-

1276

Kcjf^og .

550, 50

358, 3

+

0

4-

0

K(jJV€LOV .

551, 15

0

0

0

0

1277

Kiavrjaai

22

358, 22

+

0

0

1278

Ki^vog .

26

0

0

0

0

0

K(^og . .

29

358,27*)

0

4-

4-

1275

lixaitt]

36

36

+

0

4-

1276

KoiTfflBVtüL

41

0

0

4-

4-

1278

Ko}Qvy.LOV

55

0

0

0

0

0

K(Zg . .

507, 54

358, 44

4-

4-

4-

1276

KwTUkog

551, 56

,; 46

4-

0

4-

1275

KwtUXwv

55

. 48

0

0

4-

1279

Ka)q)6g .

552, 1

51

+

4-

4-

1275

KgaLTtakr]

536, 16

312, 17

4-

0

4-

1252

KatagycH

0

303, 42

H-

0

4-

1176

Kgovog .

540, 8

586, 21

0

0

0

0

KsQaoßoXog

505, 19

0

0

0

0

0

KeQa/Lieiyi

6g

'

504, 16

0

0

0

0

^

Das Verhältnis des Etym. Gud. zum Etym. Magnum genuinum.

87

596 468

182 279 224

378

Zieht man das Facit dieser Aufstellung, so ergiebt sich ein Resultat, welches wohl jeden nach den Reitzenstein'schen Äusserungen überraschen wird: Von den 722 Artikeln, welche der Florentinus unter K enthält, finden sich

in M

0

(davon 108*)) . S

P

„H

Z

wieder. G hat also von F nur 128 Glossen 'weniger entnommen als M, übertrifft aber S um 286, P, das nur die Überarbeitung des echten 'Etv- fioloyiyiov /nsya bietet, nichts weiter, immerhin noch um 189. Auch Parisinus 2631 und 2630 (CAP IV, 21—52) bringen nur 3 Artikel mehr aus F als S, also 185, d.i. 283 weniger als G. Durch diese Thatsache allein wird Reitzensteins Behauptung, dass die von ihm genannten Co- dices Wort für Wort den Text des Gudianums, aber ausserdem erheblich mehr bieten, wenigstens für sechs derselben schlagend widerlegt, und diesem bleibt sein Wert als selbständige Redaktion des ^ETV(,ioloyLY,6v aXlo, den es auch noch in mancher anderen Beziehung verdient, gewahrt, wenn ich auch bereitwilligst zugebe, dass der Sorbonicus und die beiden Parisini 2630 und 2631 sonst viel mehr enthalten und viel höher stehen als der Gudianus.

Ich habe ausserdem sechs andere Buchstaben von F verglichen ; das Ergebnis ist folgendes:

unter / hat:

F: . . .

. 219 Artikel

davon

G: . . .

. 111

11

(26 allein)

S: . . .

. 91

»

(6 allein);

unter A hat:

F: . . .

. 155

»»

, davon

G: . . .

. 54

»»

(9 allein)

S: . . .

. 49

)>

(4 allein);

unter X hat:

F: . . .

. 150

»»

, davon

G: . . .

. 47

»>

(6 allein)

S: . . .

. 41

V

(3 allein);

unter W hat:

F: . . .

. 26

»

, davon

G und S:

. 16

»

(gemeinsam) ;

88 Otto Caenuth

unter Q hat:

F: .... 56 Artikel, davon G und S: .25 (gemeinsam). Nur unter B bietet S mehr als G;

F hat:. . . 205 , davon G: .... 79 (2 allein) S: .... 90 (13 allein). Augenscheinlich hat der Verfasser von G den Florentinus sehr hoch geschätzt; so hat er sich in seinem Lexikon hinter "Iwvag noch 18 Ar- tikel nachgetragen, die mit / beginnend ebenso aus F stammen, wie die- jenigen Stellen, welche Sturz am Schlüsse des Werks S. 585 588 unter der Überschrift: Sequuntur omissa quaedam, eadem, qua praecedentia, manu scripta, suis locis inserenda hat abdrucken lassen. Mit Ausnahme von TQiaxovTairrjQ, TtagaGTazai, und T^g yvvaLzog finden sie sich sämt- lich in F wieder ; wahrscheinlich sind die drei hier ausgefallen, denn das Original, welches G benutzt hat, war in mancher Beziehung reichhaltiger als F. Man vergleiche z. B. folgende Glossen in den beiden Handschriften :

293, 23 : KaKoxaQTog 316, 35 : KcQxlg

294, 50 : KalavgoTta 321, 1 : Krjajsig

295, 3: KaXid 322,11: Klvaiöog 41 u. 44 : KdfiTjkog 325, 25 : KXelv

296, 4: Kdllrj 35: KXeir^ 6: KalhyvvacAa 329, 19: KXvoj

25: KdkTtig 331, 4: Kvcoöala

297, 14: Ka^jcri 335, 26: Koinfiayrjvrj 24 : Kav^og 338, 20 : KoQvßavTsg 49 : Kdvcüßog 26 : Kogarj

299, 6 : KccQÖOTtog 339, 23 : KoQwvrj

301, 6: KccQQwv ' 343, 60: Kgainvog 57 : KaGlyvrjrog 346, 5 : KQrjTtig

302, 45 : Kaoacoglg 22 : KqI

304, 1 : KaTttüdaa 347, 55 : KgiTi^g 52 : KaraTiQ^d^sv 348, 18 : Kgoxog

305, 22 : KaxiviTad^ev 351, 34 : Kvßog u. KvßiovriQ 309, 6 : KeyxQlvrjg 353, 22 : KvUagig

41 : Keif^ai 358, 36 : KcjTtrj.

312, 24 : KeKlifxivoi G bietet bei diesen allen mehr als F, sei es an Citaten, sei es an Belegstellen, oder in sonstiger Beziehung, vorausgesetzt, dass Miller ge- nau verglichen hat.

Das Verhältnis des Etym. Gud. zum Etym. Magnum genuinum. 89

G hat auch einige Glossen, die sicher seinem Original entnommen sind, aher in F fehlen; vielleicht stehen sie im Vaticanus.

Millers. 175: ,,KaöÖQa&irr]V elg rb Tidy^rave. £7^/ mM". G 293,16 bringt den citierten Artikel.

Miller S. 69 ist unter Bovgiqiq aus Chöroboscus CAO*) II 242, 10. 227, 30 und 228, 8 (Herodian ^egl og&oygacpiag Lentz II 437, 1 und 534, 19) die Regel über die Schreibung der Barytona auf"^ entnommen, und es wird unter den Beispielen auch KlQig genannt. G allein (323, 44) hat die Erklärung dieses Wortes und dieselbe Regel.

Da der Hauniensis und Parisinus 2636 nur solche Artikel enthalten, welche aus F stammen, so werden auch wohl diejenigen wenigen Glossen, welche in H und P vorkommen, aber bei Miller vermisst werden, dieser Quelle angehören, zumal wenn sie in G und M oder Z wiederkehren. Das sind aber folgende:

G 305, 38: Kar sfxavrov, auch in MP, aus Herodian negi ccvtüiw- l^uwv II, 845, 16.

G 330, 10: KvacpevQ, auch in MPHZ, aus OMlevog sv rcp tvsqI (.lovoövXXaßwv QrjfxaTCüv (Orion 84, 6).

G 342, 35: Kgaörj, auch in MPHZ, aus Orus.

G 350, 10: KTai^iw, auch in PH.-

P hat ausserdem:

66, 15: KaQxaUog, auch in M.

67, 6: KaTaTtovrcüd-ijvai, auch in Z.

68, 12: KaT7]6vcüv, auch in MZ. 74, 22: KoTiQvdeg, auch in H. 77, 21: Kgavya, auch in H.

Zur YervoUständigung von Miller 180 dient P (68, 15):

Käxd-ave: r] (f. add. xar) y,aTa KccTd-avev: 17 xara ovyTiOTcrj iav

ovyxoTtTjv eav ex7] '^^ €7tay6fi€vov exj] enayofxevov daav, 10 x eavrrjg

öaav tb eavtrjg r eig ib avrl- eig tb avxioTOLXOv tov €7tayofX€vov

aroLXOV lov Ijtayofxivov ö^. . . . öaoiog ipikbv fxsTaßdXXeCy öid tb

xfjil f^etaßdkXec y-al rd (xi] dvvaa&ac ovXXaßrjV eig öta

loiTtd, i^c) TCOTaXi^yeiv j olov naTad-avelv

xaT^avelv, xard^ave xdr^ave ' xal

7ta .... Y,aTa(paXaQa y.a7tq)dXaQa.

Nachdem wir gesehen haben, dass das Verhältnis des 'ErvfioXoyixbv

uXXo zu dem echten ^Exv^oXoyiyibv (.ifya sich auf die denkbar einfachste

*) d. 1. Anecdota Graeca e codd. manuscriptis bibliothecarum Oxoniensium ed. Cramer,

90

Otto Caentjth

Form, Benutzung desselben Originals, zurückführen lässt, bleibt noch übrig, die letzte Reitzenstein'sche Behauptung, ein Teil der Quellen des echten fxiya scheine in dem akXo ebenfalls und zwar selbständig benutzt zu sein, zu widerlegen. Die nachstehende, der Reitzenstein'schen Anord- nung von I— XII" folgende Analyse wird zeigen, dass sämtliche Quellen des echten jiifya auch im Gudianum ausgebeutet sind; XII'* XVI sind von ihm nicht genannt worden.

I. Herodian.

a. ^Ey, TCuv 'Hgcodiarov tisqI Ttad-uiv.

Gudian,

Lentz*) Gudian.

Lentz

294, 37 301, 6 301,35

308, 26

309, 23 312, 1 312, 24

312, 41

313, 3

313, 28

314, 38

KaXrj^w

KaQQCüv

KaQxa

Kav'/,ovTeg . . .

(1. Kavy.ojveg)

Kel&ev

KeKlLfxivog . . .

KexlvTS

KizXü)

K^yiTTjiiiai . . . . KivTav

11,331,24 316,30 \KeQ8(o !II,207, 8

383,13 316,35 KegyLlg | 385,13

,. 384, 1 316,39 KeQ%vQ j 212,13

218,12 317, 10 \KeQ6eig | fehlt

330,25u.i ^ , oiß -

,257,23 331,23^^''^^'? - ^^^ '

fehlt 331, 4 I KvüJÖala . . . . j 246, 7

224,21 334,17 ^KoloLog I 375,21

177,27 337,44 KÖTtegga . . . .{ fehlt

177,19 345,30 Kg^deof^ov . . .[ 238,12 187, 8 [l. KgrjÖ€iiivov) \

375,17 350,36 Krllog ; 186, 7

I TO flhv TCgCJTOV

I *i}guüv, TovTO de I 'Hgwöiavog rtegl I Ttad-wv.

b. 'Ex rwj' '^HgwÖLavov Tcegl 'Of^rjgixrjg Ttgoüatölag.

304, 52 304, 55

KaTa xg^d-ev. . Kaxa iirig' eycdr^

KaT^ evcjTta . . j 11, 94, 38 Ke^Xriyovreg . . 1 81, 6

n,102,29jj307,26 28, r'312,11

c. jEx twv ^Hgvod iavov Ttegl y.ad-okiY.ijg Ttgooroölag. 330,38: Klv^wGat = l 444,22.

d. Ex T(üv ^Hgwöcavov negl ovvia^ewg Tiov OTOix^lfJ^v-

324,36 KXd^ü) n, 399, 25

(Gud. hat die Stelle besser überliefert, als die von Lentz abgedruckten Ep. Cr. I, 236.)

330, 1

KfÄsXed^ga

n, 396, 12

*) Herodiani Technici reliquiae ed» Augustus Lentz.

Das Verhältnis des Etym. Gud. zum Etym. Magnum genuinum. 91

e. ^Ex TcJr ^Hgwd Lavov rtegl og^oygacp lag.

Gndian.

Lentz

Gudian.

Lentz

322, 31

323, 44

Kivrjaig

KiQQig

11,534,15 . 19

356, 58 358, 27

Kcüöiov in, 540, 22

Kioog 111,541,11

f. ^Ey. TWv'HQCüdiavov Ttegl BTttd-iTuv eul kvqlwv t€&4vt(0v.

328, 55 : Klovlog = 11, 3, 8.

g. 'jEz twv 'Hgojd Lavov 7C€qI avTwvvfxcäiv.

305,38: Kut" «^«ütov == II, 845, 16.

h. Ek twv ^iXiov ^HqcüÖ Lavov axrjfiaTiafiwv ^OfxrjQmaiv.

Gudian.

Egenolff*) Gudian.

Egenolff*)

298, 52 311,54

KaQadoY.elv . .

KeKaq)6Ta . . .

(1. Ke/,acpri6Ta)

344,109 318,12

342, 70 335,48

357, 55

KexctvdoTa . Koj,iiöt] . . . Kü)^d^€tv . .

342, 73 344,110 344,111.

n. Philoxenos.

a. Mit blosser Nennung des Namens:

329, 19 330, 25u. 331, 23 330, 38 334, 44

349, 42 356, 25

308, 51 339, 23u. 340, 33

319, 32

321, 1 327,32

330, 10

342, 24

KXvw . .

Kvrifiri . .

Kw^waat Kolfpov .

Kqovü) . .

(CAP IV, 185, 4: ovTwg Odo^evog,)

(CAO n, 88, 16: ovTcog'HQCüdiavog xal OiXo^evog.)

afisivov (DiXo^hco avy^aTaTld^eöd^ai.

(Gud. und cod. Paris. 2631 : WiloTtovog, die übrigen

Handschriften: Odo^svog). (Orion 85, 8 und 90, 8) ovtw 0M^evog.

KvxpiXrj . . I (Orion 81,6: Oilo^evog)

b. Iv T(^ TteQi (rrjg) 'Pojfj,alcüv 6 iaXiy.TOv: Kdxpa ... I ovTCi) (DlXwv (sie) ev t(^ Ttegl '^Pcojualwv diaXdxTOv. KoQüJvrj . . (schol a 441 und rj 90: ovtw Otlo^evog ev t(^ Tcegi TTJg '^PwiiaLvjv öcaX^Tov.

c. ev T(^ Ttegl ^ovoavXldßwv grj^aTwv:

Krjlwv . .

Krjweig . KXiJQog .

Kvaq)evg .

KoxXog. .

(Orion 84,24: ovtw OM^evog ev T(p jceql fnovo-

GvXXdßwV QT^flCCTWv).

(Orion 85,35: ovtw Odo^evog). (Orion 84,9) Kleist, de Philoxeni Grammatici Alexan- drini studiis etymologicis p. 44. OVTW (DiXog {sie) ev Tip Ttegl fxovoovXXdßwv qtj-

flOCTWV.

(Orion 88, 2) Kleist 1. c.

*) Fleckeisen, neue Jahrbücher 1894 S. 337 flf.: Zu Herodianos Technikos.

Otto Carnuth d. kv T(^ Ttegl diaXi^Twv:

339, 13

KoQV(pri . .

0 ök Oilo^evog kv Tip tzbqI dialhctütv, Toran geht

Soranus (Orion 82, 1). e. kv T(^ jcbqI T/Jg 'laöog diaXixTOv:

ovTw OiXo^evog {ev t(^ 7C€qI Trjg 'ladog diaXixtov

Orion 87, 1) ovro) Oilo^evog kv t(^ tcbqI Trjg 'idöog öiakh.tov.

Wenn die von Kleist in der genannten Disseri;ation gemachten Be- obachtungen richtig sind, was ich noch nicht habe prüfen können, ver- mehri: sich die Zahl der aus Orion oder direkt entnommenen Philoxenos- Artikel im Gudianum um ein Bedeutendes. III. Orion.

340, 37 348, 53

Koofiog . . KgoGOag. .

Gudian.

Orion*)

Gudian.

Orion*)

289, 39

Kdyyiava . . .

87,15

Ttoaiio , Lentz

47

Kayxf^^^'^

80,10

n, 905, 8.

52

Kdöog . . . .

89,23

300, 1

Kaglg ....

85,18

293, 1

Kaxdßrj . . .

87,26

(teilweise)

(Gud. und Paris.

19

KaQTilvog . . .

85,17

2636: ovTwg

(teilweise)

'QqIcüv; Paris.

305, 3

KataTtgot^a-

2638 und Zona-

o^ai ....

82,21

ras : ovTwg

(ovTwg evQOv kv

'QQog 6 mdrj-

VTCOilVrifACClL

Oiog.)

k7t(pöwv ^Aqxi-

295, 44

KdfiTjXog . . .

83,19

Xoxov)

(ovTwg "^HQdy.lei-

11

KaTaxrjvrj . . .

85, 3

tog)

308, 33

KavQog. . . .

n 23

296, 6

KctlXiyvvaiv.a. .

88,19

57

Kiag ....

83,14

11

KdlXifxog . . .

89, 9

. 16

297, 45

Kavovv . . .

83,25

309, 18

Keövog ....

85,15

55

KcCTtTj ....

und schol. zu Q

79,20

311,32

KbLqelv . . . [ovTwg kyw)

80,24

434, ö 40.

315, 15

KcQafxog . . .

15

298, 40

Kdga ....

81,19

i^TtoXXoöwQog)

und Herod. 7t€()l

316, 10

Keqavvog . . .

83,21

Ttad'wv ;

20

KeQÖaLveLV . .

79,21

Lentzü, 215,13.

317,47

Kecpalrj . . .

81,10

46

Kdqaßog . . . (ovTwg 'HgcjÖLa-

89, 2

(xaTtt !djcoXX6-

ÖlüQOV)

vbg kv Tip ov(x-

318,56

KrjöeGTTjg (teilw.)

89,20

") Orionis Thehani Etymologicon ed. Sturz.

Das Verhältnis des Etym. Gud. zum Etym. Magnum genuinum.

93

Gudian.

Orion |

Gudian.

Orion

319,18

KrjXov (ovrco Ol- lo^evog ev r<^ TtsQi (xovoavX- Xdßwv qrif.id-

84,24

MvÖQOvUov eig t6 öog 1. !dQL- OTOvlxov eig ttjv 'Oövaoelav)

Twv) IL Teil

334, 14

Kolvfißdv . . .

83,30

25

KrjXovLOv . . .

83,10

{ovTwg ^HgoTclei-

321, 1

K7]W€ig. . . .

85,36

drjg)

{OVTÜ) 0tl6§€vog

336, 20

Ko/^xpog . . .

90,29

ev rcp Tcegl fio-

(ovTwg EiQTjvalog

VOGvXldßcüV

6 !ät;t LKiOtrig

qrjfxoLTüJv)

ev T(^ ä (/. x)

324, 27

Klaloj ....

86,17

84,22

52

GToix^lq}) Kovdvloi (cf.

fehlt

327, 28

KlrjtdeQ . . .

90,14

Ritschi p. 30)

32

KXrJQog .... (Hgcoöiavog ev

eTtLiieQLOfiolg;

Lentz XXIV,

13)

84, 9

56

Kovig .... ('HQCüöiavog ev

^ETtifzegiGfif^ ;

Lentz XXIV,

14)

88,23

328, 10

KUvr] ....

86,20

337, 4

KovLOQTog . . .

86, 8

329, 3

Kloiog ....

82,19

8

Kovig . . . .

89,29

19

Klvo) ....

85,10

(Hgcüöiavog)

{pmwgOiXö^evog

18

KovlaaaXog . .

79,11

CAPIV, 185,4)

39

KovTog ....

86,11

41

KXwaTTjQ . . .

87,24

338, 3

KOQT] . . . .

80,24

43

330, 10

Klojxp .... Kvacpevg ((DlKo- ^evog)

86, 4

84, 6

20

KoQvßavxeg . . (ovTO) JLöviiog ev

85,29 90, 5

333, 1

KoLqavog . . . [qvTwg "Hgcüöia-

89, 4

V7toy,vritiaTL MevdvÖQOv)

vog y.al Aitoh-

49

KoQvd-alokog . .

88,16

Xojviog ev ttj

339, 6

KoQvg . . . .

86,32

^etoxfj; Lentz

10

KoQvcpri . . .

82, 1

XXrV, 15)

(6 Oilö^evog iv

25

Kolcc^ . . . .

86,23

T(^ Ttegl öia-

33

Kolaq)l^o) (cf.

fehlt

A^XTWV)

Ritschi p. 30)

340, 37

Koa^iog. . . .

87, 1

42

Koleog ....

83,11

(ovTO) OiXo^evog

334, 9

KoUoxp . . . (ovTwg evQOv ev

VTtO^Vri^CLIL

80, 5

ev Ti[j Ttegl (Trjg) ^Idöog öcakixT(i) l. diaUycTOv)

94

Otto Cabhuth

GudUn.

OrioB

Ondian.

Orion

341, 15

KoTvXriQQvtov in

346, 30

KQißavog . . .

82,17

KoTvlrj . . .

80,19

349, 12

KgoTmpoL (cf.

fehlt

35

KOVQ^ ....

89,14

Ritschi p. 30)

342,24

Kox'^og ....

88, 2

42

Kqovü) ....

85, 8

343, 12

Kgara ....

81,20

{ovT(x) (Dilo^evog)

und Chöroboscus

52

Kgvog ....

83,28

16,26; 367,21

57

KgcüTtog (/. x^a-

(Gud. : dvrwg

oog) ....

84,14

^ÜQog; Orion:

350, 35

KTlXog ....

79,12

^(jjQavög)

(tO fiky TtQtMOV

343, 60

KgaiTCvog . . (Gud. : 0d6öiü-

Qog; ebenso der Haun. 1971; Zonaras:

88, 5

'QqIcdv C^Qog 6 MUrjOtog Ritschi p. 18), TOVTO dk 'Hq(d- öiavog Ttegl rta^^LJv; Lentz

346, 5

KQTqnlg. . . .

89,33

n, 186, 7)

(ot;TWg ^HQCüöta-

351, 5

KTVTtog . . .

85,21

vog; Lentz

57

KvMQBLa . . .

79,23

XXV, 16)

iiyu) di)

346,10

KQTqocpvyera . .

85,32

353, 27

Kvfj.ßaXa . . .

86,27

346, 19

KQrjTeg ....

(IdTcokXodwQog

79, 8

356, 25

Kvipekri . . . (OiLkoSevog)

81, 6

ev hv^oloyi-

357, 46

Kcüfia ....

84,18

aig; Gud.: !^-

358, 50

Ku)(p6g ....

85,27

TCoXkojviog)

Wie der Augenschein lehrt, giebt der Gudianus sowohl, wie der Floren- tinus die bei Orion nach Quellen geordneten Artikel in streng alpha- betischer Reihenfolge. Nur Ka^riXog in der ersten Handschrift und xQTjTtlg in der zweiten durchbrechen dieselbe; y^gaTu steht in beiden an falscher Stelle vor zgaiTcvog, wohl ein deutlicher Beweis für die enge Zusammengehörigkeit beider Codices in Bezug auf diese Quelle.

Von den Excerpten des Orion bei Sturz S. 611 ff., welche grössten- teils im Gudianus sich wiederfinden, stimmen 6 Stellen aus K auch mit dem Florentinus überein:

332, 15 : KoiUa

== 614, 33

348, 25 : Kgofivov = 614, 41

344, 5 : Kgiag

= 42

(ovTiog 'HgoTiXeldi^g)

347, 55 : KgiTi^g

= 26

354, 48 : Kijiellov = 28

356, 18 : KvOTig

= 614, 33.

Das Verhältnis des Etym. Gud. zum Etym. Magnum genuinum.

95

Dagegen ist das in der Ausgabe des Orion S. 174 ff. abgedruckte "Werkchen: Ttegl hvixoXoytujv y.ata OToi^elov Ix twv zara ^^Quova tov Qrjßalov zwar ganz im Sorbonicus, zum grössten Teil auch im Gudianus enthalten, aber der Florentinus hat nichts davon.

IV. 'Qqoq 6 Mihfiaiog.

a. ovTtjg ^^QOQ\

296, 1 296, 42

297, 8

KctXXaTig Kakxiqöov KafiTtavol

297, 49

298, 24 301,37

Kavcüßog KaTtrtaQLQ

KaQVKT]

307, 34

308, 38 322, 11

KaTrjogeiv

KavGia

Klvaiöog

325,35 332, 3

335, 26 : Kofi^ayj]vrj, 342, 35 Kgaörj (fehlt im Flor.)

b. Orus und Chöroboscus: 321,6: KißcoTog. 344,34: Kqelwv,

c. Orus und Theognostus: 332,28: Koifiw^ai.

d. Orus und andere:

Klsitri (schol. zu Apoll. Ehod. 1,976).

Koßalog. 342,56: Kgavarjg. 349,19: Kqotwv. -

e. Orus oder Orion (c/. Ritschi p. 18):

293,1: Kayiaßrj.

343,12: Kgara. 349,12: Kgoracpoi, 350,36: KTlXog.

f. Orus als Quelle durch das Citat anderer Etymol. erwiesen:

300,54: KaQTtog {avTcog Iß^og b Mdrjoiog Zonaras 1148,2) 315,28: Kegalotrig (Qq. Florentinus)

336,52: KovövXot Cilgog Etym. M. 528,28, was Gaisford in: ovfw Sw gavog geändert hat.

g. Orus verschrieben für 'Hgcjöiavog:

328,28: Khoiov (Herodian Tiegl oqd^oyqacplag II, 415,21) 344, 11: Ä^eiov ( —desgl.— 538, 1).

96

Otto Carnüth

V. Zenobius.

Gudian.

Schoemann*)

Gudian.

Scboemann^

312,36 312,41

Kizlvre

Nr. 36 36

344, 40 347, 21

Kgefiow (Chö-

roboscüs)

KgUe (Herodi-

an 7C€qI QYjfid-

Twv; Lentz II,

803, 5.)

Nr. 24 27

Wahrscheinlich stammt auch 292, 25 : Kai acpeag {ovtoj ZrjvodoTog) aus Zenobius.**)

VI. Photius.

Gudian.

Naber***)

Gudian.

Naber*»*)

292, 59

KdüT] . .

306

327, 19

KXiJQog (und CAO n, 454,15.) . .

345

314,21

Keve^ßarel

333

332,13

Kod-ovQog . . . .

j 349

321,30

KldttQLV .

341

338, 32

Koqeod^rjvai (Ow- Tiog)

; fehlt

1

586, 21 : Kqovoq (ovTwg eycu OcuTiog 6 Trargtdgxi^g) fehlt vgl. schol. zu Hesiod, Theog. 459.

yn. Schollen zu Homer.

292, 20

Kaigooiwv . .

schol. zu rj 107 (Suidas).

294, 50

Kalavgoip

W 845 in D und A.

296, 55

Kdfxa^ . .

,. 2 563 in D.

297, 41

Kavovag .

0 193 in BD.

297, 55

KctTtri . .

, 0 434 in AD u. ö 40 in BE (Orion).

298, 21

KaTtTteae .

, 0 280 in AD.

304, 16

KavalTv^ . .

, ,, K 258 in AD.

308, 22

KaTCüfiadov

, ^ 500 in B.

308, 29

KavXog .

, ,. N 162 in D und P 607 in D.

311,49

KsTidfio) .

, A 168 in A.

313, 34

KeladsLvog

, n 183 in AD.

314, 6

Kikevd-og,

A 312 in A.

314, 8

KiXev^a .

Xo

, ^ 312 in A {ovTcog evgov Ttaga tc^ igoßoOTicp Gud. ovTwg evgov oxohov Flor.)

*) Georgii Schoemann Commentaiio de Zenohii Commentario Rhematici Apollo- niani Danziger Programm Ostern 1881.

**) Derselbe de Zenobii praeter commentarium rhematici Apolloniani scriptis verisimilia. Danziger Programm Ostern 1887. S. 5. *♦*) Naber, Photii Patriarchae leoncon.

Das Yerhältiiis des Etym. Gud. zum Etym. Magnum genuinum.

97

314,43

KevTcxvQog . .

schol.

zu A 268 in AD.

317, 8

KSQIO ....

M

„0 189 in ABD.

317,23

KeQTOfx^wv . .

»9

A 539 in D.

324, 5

KloTig ....

C 76 in PQV.

334, 27

KoXmoq . . .

11

A 575 in A. (CAO IIL 366,21)

334, 44

KoXqjov . . .

(

ovrcog OM^evog; Gud. OüoTtovog.

338, 10

KoQd-vsTaL . .

schol.

zu / 7 in D.

341,15

KoTvlrj . . .

?>

E 306 in AB und ^ 34 in AD.

343, 9

KgatevTcicüv . .

,

7 214 in AD (Apoll. Soph. 103,24).

343, 47

KqaraiTteöov .

,,

\p 46 in Q (Hesychius).

348, 7

Kgoalveiv . . .

,

Z 507 in A (Apollon. Hes. Phot.)

349, 47

Kgvegov . . .

»

/ 2 in DV.

352, 27

Kvzeojv . . .

,,

X 290 in V.

353, 58

KwogaCOTfcov .

,

Q 300 in V.

358, 36

KwTtri ....

>

(p 7 in V.

Dem Didymus gehört an 307, 52 Karrjcpoveg

Dem Nicanor: 348, 53 Kgoooag .

schol. zu ß 253 in A.

M 258 und Hesychius {lyw de evqov G%6Uov TtaQa^eLixevov). Dem Aristonicus: a. aus den orjfxela: 353,44 Kv^aTL yiwq)(^ . schol. zu H 16 in A. b. aus den vTtofxvriixaTa',

234, 9 348, 18

KvlXoxp KqoKog .

(Orion 80, 5) omijog evgov ev vTtofivrjfiari 'AqiotovUov eig 'OövGoeiav). i;Twg 6VQ0V ev v7to(xvr]fiaTc llidöog Aqu

ovTwg evQOv vUov

ia%o-

VIII. Scholien zu Hesiod. 332, 60: Äorog = Theog. 134*) i 351,57: Ä:?;i9^%ta =Theog. 192 flf. 333,55: KoXogvqtov 880 | bSQ, 21 : Kqovog = 459

{ovTwg eyw 0WTiog 6 TtaTQiaQxrjg.)

IX. Scholien zu Apollonius Rhodius.

Gudlan.

Keil**)

Gudlan.

Keil**)

289, 20

KdßeiQOi . . .

355,11

307, 38

KaTTjAvalr} . .

509, 37

295, 3

KaXid ....

314, 1

308, 19

KaTovXdg . . .

530, 19

296, 25

297, 28

Kdlrttv . . . Kdvaorqa . .

424, 18 336, 6

314,17 u. 19

Kefidg . . .

485, 18

298, 57

K(xQ(xfxßig . .

410, 12

323, 7

Klgxog . . .

365, 23

303, 57

KaTatyörjv . .

422, 28

325, 35

KXeLTijimitOms)

361, 5

334, 23 : KoXwvt] == 424, 6.

*) Flach, Glossen und Scholien zur Hesiodischen Theogonie mit Prolegomena. **) Scholia vetera e codice Laurentiano ed. Henricus Keil.

98

Otto Cabnüth

X. Schollen zu Aristophanes.

296, 22: KaloA.(xy(x(>La = schol. zu Ar. Ran. 549 unter avTq^LiJjßoXala.

332,11: Ko&oQvog = ., Eccles. 346

333,60: KoXXaßoi {L-KoXXoTteg) Vesp. 574.

Die Schollen zu Lykophron, auf die 299,3: KagßavoL 301,55: Kaaaaßag. 302,35: Kdooa. ~ 302,45: Kaoowglg. 304, 12: KaraKXwd^eg. 314,22: KUcjq, 319,9: Krjyidg zurückzugehen scheinen, ebenso die zu Theokrit, mit denen wohl 295,18: Kdkkog. 323, 14 KiGGvßtov zusammenhängen, und die zu Nikander, auf welche 297, 24 Kav^og. 299, 6 KdgöoTtog. 308, 32 Kavargiog, 309, 6 KsXQlvTjg. 330, 31 Kvrj tvqov. 341, 29 Könvog hinweisen, habe ich noch nicht vergleichen können.

XL Chöroboscus. a. Aus den Dictata in Theodosii canones:

Gud.

Chörob.*)

Quelle

290, 40

Kd&rj . .

672, 29

Herodian Ttegl nad^wv bei Lentz ü, 298, 1 4

291, 48

Ka&rjoTO

591, 1

za^. TtQoo. 1,468,20 (vgl. CAO I, 220, 3 und CAP m, 365, 24)

299, 32

Kdgrjva .

380, 20

Herodian negl ytXlaewg

6vo(xdTiov bei Lentz IT, 769, 19

300, 30

Kagog . .

317, 1 u. 345, 23

309, 1

KeaTttL. .

697, 14

309, 41

Kelfieva .

667, 2 u. 25

Herodian Ttegl grjfidTcov H, 809, 41 und,, Tca&wv 325, 4

312, 5

KezXstxa .

685, 2

313,14

Key.ova . .

552, 15

313,17

K^xQiva .

540, 35 u. 542, 17

322, 17

Klvövvog .

282, 23

Herodian Tiegl yillGewgovo^dTwv IE, 720, 1 9

324, 33

KXia . . .

372,15

Tta&wv 245,11

325, 25

Klelv, . .

421,33

326, 19

KXeocpöv-

49, 17u.

rrig. . .

149, 6

Ttegl 'Älloecjg orofidrcov 686, 12

326, 28

Kkevac. .

95, 2

649, 8

329, 12

Kki^i . .

873, 5

343, 12

Kqdra . .

16,26u. 367, 21

» 632, 12

*) Georgii Choerohosci Dictatata in Theodos Canones necnon Epimerismi in Psalmos ed. Thomas Gaisford.

Das Verhältnis des Etym. Gud. zum Etym. Magnum genuinum.

99

Gud.

Chörob.

Quelle

344, 40 350, 19

Kge^oto . Krelg. . .

663, 19 197, 23

Herodian Ttegl qr^iaxiov II, 806. Zenobius.

b. Ix TWr 7C€qI TtQOOf^ÖLoiv.

291,42

Ka^' ri-

/ilWV . .

Bekk. Anecd. 704, 28

Herodian Tteql xa&oXtyirjg

TtQoat^dLag I, 547, 10

c. Ix TTJg oQd-oyQacpLag bei CAO U, 167 ff.

KafXLVog . KslqLov .

Kelvog . . Kelog. . . KrjQvyi€LOv

KißojTog .

KiQQig . . Klwv . . .

V€L . . . KX€LTog)üJv KXfjd-Qa . KXiTvg . .

KXitOQia- KsLV . . KXifxa^ . KoQvd'd'L^ KoxXLÖlov KgccTCia . Kgelov . . Kgeiovoa Kgelootov Kgetiov .

229,

22 1

230, 14

230,

22

232, 31

206,

9 .

232,

3

230, 28 u.

Theognost

129,

8

230,

5u.

Orus

228,

8

230,

10

231,

10 u.

253,

7

231,

7

232,

14

233,

5u.

^poU

.Soph.

100,27

227, 31

229,

10

170,

10

230,

16

231,

23

231,

17

231,

29

232,

6

231,

33

Herodian Tiegl oQ^oygacpLag II, 529, 2 530, 4

531, 30

Ool, 25

504,27 » 5ol, 27

jj Ooo, \o

(und I 373, 22 rtegl yca&ohxrjg 7tgoo(pölag)

Herodian fcegl ogd^oygacplag II, 533,23

534, 19 u. 473, 1 ooo, 4

OoO, 14

Herodian Tcegl dgd'oyga(piag IT, 535, 18

535, 7 u. 24 535, 20

536, 4 535, 31 431,20 537, 13 537, 26 538, 1 538, 8 538,11

Tiegl 7ca^(x)v 11, 318, 12; fehlt in der

Orthogr.

7*

100

Otto Caenuth

Gud.

Chörob. i

Quelle

346, 22

KqI. . . .

226, 28 u. Dict.375,6

Herodian

jcbqI OQ&oyQacpLag

II, 538,18

346, 26

Kglßavog

226, 24

»»

»)

538,21

346, 33

KQi&rj . .

226, 32

«

M

538,24

346, 44

Kglog . .

226, 16

»

W

» 413, 1

347, 14

Kgwg . .

226, 21

»♦

412,21

348,10

KgoxodeL-

log. . .

229,17

»>

»»

539, 5

348, 35

KqovLdrig

230, 19 u. 201, 7

»>

M

435, 2

328, 28

KUotov .

?

«

»

,, 415,21

d. Ix T(JJV STtljtieQLGlilWV GVV -3^ (^ TOV 'tp aXt 7] Q L ov.

292, 18

KaiQog

46,32

322, 37

Klvw ....

134, 13

293, 12

Kaxog . . .

133,13

323, 20

Kloow , . .

148,25

295, 18

Kailog . .

138,23

327, 48

KlrjQovofila . .

90,30

300, 54

KaQTtog . .

46,21

(^rjrsL eig Tovg

305, 9

KaraöxsoLV .

92,20

€7rifi€QLafiovg

306, 33

KaT€Tc6^rjGav

174,26

TOvXoiQoßO'

309, 13

KdÖQog . .

168, 25 u.

oy.ov)

137,29

330, 25

Kvritiri . . .

187,12

312, 17

KeyiQatTtalrj-

u. Hesych.

xwc . . .

163, 1

332, 28

KoLnwfxai . .

100, 20

315,40

Kigag . . .

126, 19

333, 9

KoLTTJ . . .

105, 30

und 50

334, 56

KolTtog . . .

140, 10

320, 3

KiJQ . . .

3, 3

347, 3

KQLog . . .

137,26

Reitzenstein meint S. 407, erst der Verfasser des unechten E. M. habe die Epimerismen des Chöroboscus benutzt; dass auch diese Ansicht irrig ist, zeigen ausser dem ausdrücklichen Citat bei KlrjQovofila in F i^rjTei eig Tovg e7cifi€QiGfiovg tov XoigoßoGxov) die unter d aufgeführten 18 Stellen, welche in F ebenfalls vorkommen. G hat ausserdem noch 31 Artikel allein in K dieser Quelle entlehnt, (vgl. S. 103 unten.)

XTT. ETtC^SQLG (XOl.

a. '^OfiTjQOv ^ETtifieQLGfiol xar^ alq)aßi]TOv in CAO I.

Gudian.

CAO I

Quelle oder Bemerkungen

299. 19 301,57

306. 20

KoLQiq . . . KaGlyvTjTog . KavGtQiog .

226, 26 238, 12 235, 25

ergänzt durch Herod. Tieql oQ&oyg. n, 441, 14.

l

Das Verhältnis des Etym. Gud. zum Etym. Magnam genuinam.

101

Gudian.

CAO I

Quelle oder Bemerkungen

312,55 313,36 313,42 317,25 317,28 317,60

318,15 318,21 318,36

323, 3 323, 26 326, 5 326, 54 330, 34

335, 33

336,13

336, 58 342, 52 343, 21 345, 25 345, 37 350, 12

351, 5

352, 29 352, 43 354, 6

Key.oQvd^fxeva KeX(xiveq)ig '

KSQTO^W . .

KeoTog . . .

KexccQrjora KexccQolaTO Krjöw . .

KIqxjj . Kixw

Kleog . KXrf'Cg . KvLöoa . KofiT] .

Kofxslv .

Kovlrjat

KqciLvo)

KgaTSQog

Kgr^yvov

KQTjrivov

KTdfA.€Vog

KTVTtog

KvxXa .

KvxXwTteg

Kvvir] .

355, 39 i KvQßeig 356, 14 I KvQTog.

356, 45 I Kvcüv .

i

236. 22 242, 21 234, 23 233, 3

240. 23 239, 1

251,29

244, 6

228, 26 u.

244. 16

254. 18 232, 5 231,10 229, 20 219,23

243. 17

254, 22 218,16 239,12 228, 10 242, 33 241,34 240, 30 254, 29

250. 19 254, 1 239, 31 221, 5 232,15 241,12

Herodian Ttsgi Ttad-wv IE, 377, 13.

vgl. CAP ni, 326, 32.

Herodian ^cegl Tta^cHv II, 259, 14.

und schol. D zu S 214.

Herod. ttsq! Ttad-wv U, 229,15 und

Ttegl TtaQwvvjucjv 11, 861, 6. Ari-

stonicus zu r 273. Herodian Ttegl Tta&ajv IE, 296,22.

Herodian Ttegl ogd-oyQacpLag 11, 462, 22

und CAO n, 383, 23.

Herodian Ttegl ölxqovcov IT, 18, 14.

und Herodian tcsqI ^a^oXm^g 7tQoo(pö. 325,11.

Herodian Tiegl nad-äiv 11, 304, 20 . 232, 12 ,. Ttegl ^Ihay,rjg TcgoGtpö. ü, 26, 4. vgl. CAP 111,331, 18 und schol. zu ^106. vgl. CAP in, 318, 18.

Herodian kv eTti^egLOinolg XXX.

vgl. 11,455,15 CAO und Suidas.

vgl. CAP in, 304, 33. Herodian rcegl ^Uoewg övo^aTwv H, 643, 15.

b. 'EuLixegLOfiol rrjg A 'Ofzjjgov 'iXtdöog aus dem Coisl. 387.

296,16: KaXXLTtdgrjog = CAP IH, 335, 5 ^00,dl: KagTcaXliiiwg = 351,13

Z2%\^\ Klvtai^vr^OTga = 331,25. Andere Stellen, die sich mit CAO I decken, habe ich hier nicht er- wähnt.

102

Otto Cabnuth

C. 'Ek Tuiv 67tLfj.eQiOf.idjv xaza otolx^^ov CAO II, 331 426: 294, 33 : KdXa&og = 380, 23 u. 456, 10. 303, 42 : Karagyio = 381, 4. 326, 9:KXiog (2. Teil) = 383,23. 332,50: Koivog = 380,26. 336, 18 : Äo/MTTog = 380,31, 350,25: Kt^vt} (2. Teil) = 381,21.

d. 'Eü^oyai ÖLaq)6Qwv Xi^ewv avvrjXey fiiviov ex re trjg yqacprig xal titjv d-v gad- ev Tigayfiatetaiv. Unter diesem Titel ist uns in CAO ü, 427-— 469 ein Werkchen über- liefert, welches nach den Angaben am Rande der Handschrift (Baroccia- nus 50, XI saec.) li^ecg rfjg yQafjfiaTixrjg, Xi^ecg tov ipalr^gog, '/J^etg h TTJg loToglag zov aylov NL7crjq)6gov und ausserdem eine Reihe von Artikeln ohne Quellenangaben enthält. Von diesen und den Glossen aus dem Psalter findet sich eine grosse Zahl bei Suidas wieder. Ob wir es hier mit einer Quelle dieses Lexikons oder mit einem Auszuge aus ihm zu thun haben, den auch der Florentinus und Gudianus benutzt hat, vermag ich zur Zeit noch nicht zu übersehen; jedenfalls will ich aber konstatieren, dass die folgenden 20 Artikel aus Ä in F und G sich mit den hloyal decken, und dass die unter XIII aufgeführten 18 Artikel desselben Buchstabens auch bei Suidas stehen. Da dessen Werk im Jahre 976 schon im Gebrauche gewesen sein muss*), so wäre auch seine direkte Benutzung durch den Verfasser des echten 'ETVfioÄoyr/.dv fieya, dessen Entstehung in die zweite Hälfte des zehnten Jahrhunderts fallt**), nicht geradezu unmöglich.

Gudian.

CAO II

Gudian.

CAO U

294, 28

Kccllri ....

455, 4

327, 39

Klrjgog (und

294, 35

Kdka^og . . .

456, 10

Photius) . . .

454, 15

296, 35

KaXvifjüj (Suidas)

454, 1

332, 60

Koiog . . . .

453, 18

297, 24

Kav&og. . . .

453, 11

333, 15

KolTtg ....

456, 17

298, 1

KaTtrjkog . . .

455, 28

339, 52

KogoTtkdaTijg

454, 10

305, 21

Kavfia ....

454, 19

342, 42

Kgdfißrj (vgl.

314, 4

KeXvq)7i. . . .

453, 20

schol. zu Ari-

317,20

Kegxofiog . . .

457, 22

stophanes Eq.

319, 7

Krjöea . . . .

456, 15

539, 12 und

319, 39

Krjlevg ....

454, 17

Suidas)

455, l

(Zonaras 1204:

343, 55

KgdoTtedov . .

457, 24

ovTCjg evgov ev

351, 26

Kvßrjßrj (Suidas)

453, 22

VTtOfivrjfzaTi

353, 22

Kvklagog (desgl.)

456,11

^Oövaaelag.Ygl,

356, 22

Kvcpella . . .

453, 28

schol. V zu y 2).

358, 7

K(aq)6g ....

454, 7

*) Bernhardy p. XXIX: Nee tarn dubitari potest, quin Suidae lexicon tarn sub a. 976 in manibus et ore hominum versari coeperit. **) Reitzenstein S. 404.

Das Verhältnis des Etym. Gud. zum Etym.

Magnum genuinum. 103

Xm. Suidas.

Gudian.

Gudian.

1 Gudian.

290, 20

Kdörjg

307, 42

KatiiQee

322, 58

KLVCCfXWfXOV

292, 20

KaiQOG€(x)V

308, 38

Kavola (Oru

s) 334, 6

KoXkovQLa

296, 4

KaXXrj

311,30

Keöd^w

335, 29

KojiielTTjv

296, 31

Kdkvj^vog

314, 56

KivTQiov

347, 46

Kqlvov

297, 22

Kdvövkog

315,31

IGgaLQe

348, 32

KQom)(pavtog

304, 1

KaTaxocGa YTV TT o a TT f

322, 56

» Vi 1 n Q

Kivvßcvog

351, 34

Kvßog

Mit Hesychius berühren sich folgende Stellen aus FG;

Gudian.

Gudian.

Gudian.

292, 13

Katvög

312,49

Ke'KOQvd^fihog

349, 38

Kqovvvjv

297, 6

Kd^(AOQog

318,34

Ki^öead^at

351,38

KvöidveiQa

299, 6

KdcQÖOTtog

333, 7

Koigavewv

45

Kvöiocüv

307, 33

KaT€Q€^€

48

Kolov

46

Kvöoifiog

311,53

KeY.aOfj.ev7i

49

Kolog

356,10

KVQTOV

312,34

KeuXriaTO

348, 53

KqoöOag (Ni- canorj

357,30

Kwd^ijv

Ich schliesse daran drei Stellen aus dem Cyrillus-GIossar Voss. 63 und Coisl. 347 (CAP IV); beide sind vom Etym. Gud. öfter ausge- schrieben worden:

295,23: KaloTtovg. 315,15: KeQa(.wg. 319,32: Kriltov {ovTiog OM^evog Cyrill. und Sorbonicus).

XV. Apollonius Sophista.

Gudian.

Bekker Gudian.

Bekker

298, 30

303, 56

304,12

311,46

315,26

319,18

338, 26

KdTtexog . . Karad^vfiLog Katay.lcjd^eg Kexaöwv . . Kegat^eiv . . K^Xov (I. Teil) KoQorj

95, 8

97, 1

96, 3 97,20

98, 6

99, 2 103,2(?)

338, 55

342, 1

343, 9 356, 9

37 357, 25

102,31

103, 14

24

105, 26

29

Kioöeia 106, 4

KoQv&aloXog . (letzter Teil) KovQTJTeg . . . KgarevTacov . KvQ(xa .... KviüV

XVI. Theognostus.

332,28 Koifiwfjai ^^ ,, I4fi 15 und 333, 9 Kohrj ^^^ ^' ^^^» ^^•

Zum Schlüsse darf ich nicht unerwähnt lassen, dass sich sowohl in G, als auch in M eine stattliche Reihe von Artikeln vorfindet, die aus

104 Otto Cabnuth, Das Yerbältnis des Etym. Gud. zum Etym. Magntun genainum.

denselben Quellen stammen, wie die hier von mir aufgeführten, die aber in F nicht stehen. Dasselbe wiederholt sich gegenüber dem uilf-noöelv- Etymologicum, dem von Ritschi aufgefundenen Etymologicum Angelica- num {saec, XV) und dem Etymologicum Florentinum parvum isaec. X, bei Miller S. 319—340), die alle nach Reitzensteins Ansicht (S. 408) für die Textkritik und mehr noch für die Sonderung der Quellen in dem echten Etymologicum Magnum von hoher Bedeutung sein und unab- hängig von dem ^eya wie dem aXXo auf ältere Werke zurückgehen sollen, was ich freilich für das Etymologicum Angelicanum stark bezweifle. Das Aifxo)öelv-M,^mo\og\Q,\xm bringt unter:

K 2 Artikel, von denen stehen in E 0, in M 2, in G 0, in S 2;

/ 7 - - - -

ui 1 „—

^ 1 - - ~ -

ß 4 - ., - - -

B 4 - - -

Von den 37 Glossen des Etymol. Angelicanum unter K hat G S : 35, M: 31, F: 32, und von den 68 Erklärungen des Florentinum parvum aus demselben Buchstaben enthält GS alle, M 52, F 23!

Darnach müssten wir annehmen, dass entweder diese sämtlichen Artikel in F ausgefallen sind, oder dass die Verfasser von M und GS neben den aus F entnommenen Glossen noch selbständig dessen Quellen excerpiert haben. Da beides gleich unwahrscheinlich ist, so wird nach meiner Ansicht durch diese Thatsache neben den obenangeführten die ganze Reitzenstein'sche Hypothese vom echten ^Exv^oloyiyiov fieya und dem akko stark ins Wanken gebracht, doch ist ein endgültiges Urteil über dieselbe wohl erst dann erlaubt, wenn das von ihm angekündigte Etymologicum Magnum genuinum erschienen sein wird.

2

7

7;

2

7

7;

0

1

1;

3

4

4;

2

4

4.

Nachtrag zu Seite 87.

Während des Druckes dieser Abhandlung habe ich noch die Buchstaben Z, Hj 0, W vergleichen können ; das Kesultat ist folgendes :

unter Z hat : F .

63 Artikel, davon stehen in

G .

35

,^

S .

37

., (2 allein);

unter /f hat: F .

235

davon stehen in

G .

64

(8 allein)

S .

61

(5 allein);

unter 0 hat: F .

220

davon stehen in

G .

86

(14 allein)

S .

77

(5 aUein);

unter <? hat: F .

295

davon stehen in

G .

86

(13 allein)

S . . .

87

(14 aUein).

III.

Die Lehre des ApoUonius Dyscolns vom Pronomen possessivum.

Von

Otto Eichhorst (Wehlau i. Ostpr.).

ApoUonius Dyscolus hat über das Possessivpronomen am ausführ- lichsten in seiner Schrift über das Pronomen gehandelt. Hier umfasst seine Darlegung den ganzen letzten Abschnitt der Schrift, welcher in der I. Bekker'schen Ausgabe von Seite 128B bis Seite 148 reicht. Ausserdem kommen an verschiedenen Stellen dieser Schrift gelegentliche Bemerkungen über das Possessivpronomen vor. Ferner ist in seiner Syntax ein grösserer Abschnitt dem Possessivpronomen gewidmet, nämlich im zweiten Buche die Kapitel 21 und 22, wozu noch gelegentliche Bemerkungen an anderen Stellen dieses Buches und in den übrigen Büchern treten. Femer sind zur Beurteilung von ApoUonius' Lehren auf diesem Gebiete noch zwei andere Schriftsteller wichtig, welche sich in ihrem Vortrage fast durch- weg an ApoUonius anschliessen , nämlich Planudes^) am Schlüsse seiner Abhandlung Ttegl ovwd^eiog und Priscianus im 12., 13. und 17. Buche nebst manchen Stellen in anderen Büchern. Auch die Scholien zur Gram- matik des Dionysius Thrax gewähren einige Ausbeute.

Die Definition des ApoUonius Dyscolus über das Pronomen lautet*): 'Oqlotsov ovv Trjv avT(x)vvf.iL(xv wöe' Äk^LV clvt' ovojuaTog tiqoowtcwv tvQLO(.dvix)v 7taQaOTaTL^r]v, ÖLaq)OQOv zara Trjv TCttoöLV xa« agid'^ov, ote xal yhovg eotl kutci ttjv g)(ovrjv ct7t(xQefxq)aiog. Er definiert also das Pronomen als ein Wort, welches statt eines Nomens gebraucht wird und bestimmte Personen hinsteUt. Mit diesem ersten Teil seiner Definition

1) Einzelne Partien dieser Syntax führen allerdings nicht auf ApoUonius zurück. Man vergl. z. B. S. 138, 22 -p. 139, 1.

2) De Pron. S. 10 A. Bekk. Die Citate sind ilberall nach Bekker gegeben, wäh- rend der Wortlaut des Textes nach der Ausgabe von Richard Schneider angeführt ist.

106 Otto Eiohhoest

stimmt die von Dionysius Thrax in § 21 seiner Grammatik gegebene dem Inhalte nach überein. Sie lautet nämlich: 'Avtwwiiia di Iotl ki^ig ccvtI ovofiaTog TtaQaXafißavofiivr], 7CQ00W7C0)v (jjQLO/Äivtov örjXcJTiy.i], Der zweite Teil in der Definition des Apollonius ist eigentlich entbehrlich, weil sie sich nicht auf alle Pronomina, sondern nur auf das Personal- pronomen bezieht; denn nur auf dieses geht seine Bemerkung „abweichend in Casus und Numerus, wenn es auch das Genus lautlich unbezeichnet lässt". Also ein Pronomen, welches für die drei Geschlechter nur eine Form hat, ist in der Bildung der Casus und Numeri anomal. Diesen zweiten Teil der Definition des Apollonius finden wir bei Dionysius Thrax nicht, sondern statt dessen eine Aufzählung der sechs Accidenzien des Pronomens. Dagegen findet sich in den Schollen zum Dionysius Thrax eine Definition, welche der des Apollonius sehr ähnlich ist^j Dass Apol- lonius unter itqooMnct togLO^ha die Nomina propria versteht, hebt er an mehreren Stellen hervor, z. B. de Pron. S. 32 A und B und besonders Synt. S. 112, 19 und 20: Kai yag övvdfiet, zvqiov ovoina voelzai dia T^g avTwvvfilag.*) Er begründet dieses näher de Pron. S. lOB. Diesen Gedanken giebt auch Priscian in seiner Definition wieder:^) Pronomen est pars orationis, quae pro nomine proprio uniuscuiusque accipitur personasque finitas recipit.

Die Possessivpronomina nennt Apollonius avTwwinlaL xriyr^xa/ oder Ttagaycoyoi.^) Er scheint die Benennung, welche Draco ihnen gegeben hatte, nämlich öiTtgoGcoTtoi, nicht geradezu abzulehnen, da bei jedem Possessivpronomen zwei Personen zu denken sind, nämlich die des Be- sitzers und der dabei mitzuverstehende Besitzgegenstand. So ist also £fx6g zweimal singularisch, vcjltsqw zweimal dualisch und rjucTegot zwei- mal pluralisch zu denken.^) Auf diesen Gedanken kommen wir weiter unten ausführlicher zurück.

Die Possessivpronomina werden vollständig nach Genus, Numerus und Casus fiektiert und zeigen am Ende die Abwandlung nach Casus in regel- mässiger Weise wie Adjectiva auf og, am Anfange die Reihenfolge nach Personen in unregelmässiger Form wie die Personalpronomina, von denen sie gebildet sind. Synt. S. 95, 18 und S. 96, 1: T(^ fihv yag rilet drj?,ol

3) S. 906, 7— 11.

4) Vergl. Synt. S. 73, 23--28, S. 19, 16 und 17, Planud. Synt. S. 120, 8 und 9, S. 133, 11-13, S. 135, 8— 11, Priscian. XVII, S. 149, 8-10, S. 150, 14—17. Ausgabe von Hertz.

5) Priscian. XII, S. 577, 2 und 3.

6) De Pron. S. 19B. Vergl. S. 40 A.

7) De Pron. S. 20 A und B. Vergl. Bekk. Anecd. S. 921, 5—7.

Die Lehre des Apollonius Dyscolus vom Pronomen possessivum. 107

TTIV TCTCJTLTiTjV MgLV, TC^ Ök (XQXOVti TOV TW^ TlQOOWTtOJV STtlfZeQLOfXOV.^)

Ihre Maskulinform endigt deshalb auf og, weil diese Endung die gene- rellste ist.') Vom Personalpronomen werden die orthotonierten Genetive zur Bildung des Possessivpronomens verwandt, während von den enkli- tischen Genetiven kein Possessivpronomen gebildet wird, und jedes Posses- sivpronomen kann mit der enklitischen Form des entsprechenden Personal- pronomens im Genetiv vertauscht werden/") Die Possessivpronomina sind wie die Personalpronomina in der ersten und zweiten Person deiktisch, aber in der dritten Person anaphorisch.") Sie bezeichnen wie jedes Pro- nomen eine ovo La, d. h. eine Wesenheit, ein Seiendes.") So gilt also von dem Possessivpronomen folgendes: To avc^ ovofxatog TCCLQaXay.ßaveod-ai, t6 re la. TcgoowTta fcdvTore oQLQeiv tov yiTrjaafi^vov, ro ovo lag rcaga- GTartyidv elvaL.^^) Mit jedem Possessivpronomen stimmt der Besitzgegen- stand in der Form überein, z. B. rif^ezegoL dovXoi. Wenn aber statt des Possessivpronomens der Genetiv, der ein Besitzverhältnis bezeichnet, ge- wählt wird, so stimmt dieser Genetiv mit dem Besitzgegenstande nicht überein, z. B. avrov dovXot, amov öovlai, avrov olY.og.^'^)

Was den Vokativ der Possessivpronomina betrifft, so wird ein solcher nur von der ersten Person gebildet.^^) Aber von ey,6g findet sich im Vokativ e^e nicht, welches dem Accusativ vom Personalpronomen gleich lauten würde, sondern der Nominativ wird auch als Vokativ verwandt.'®) In der dritten Person ist ein Vokativ zwar möglich, z. B. öcpkisQe, aber er ist nicht gebräuchlich/')

8) Vergl. de Pron. S. 12C-13A, S. 20 B und C, S. 132 A. Synt. S. 62, 16 und 17. Vergl. Priscian. XVII, S. 166, 12 und 13, XIII, S. 3, 21 S. 4, 3, XVII, S. 140, 3-9, S. 141, 7 und 8.

9) Synt. S. 106, 5 und 6, 9 und 10. Vergl. de Pron. S. 20 B und C.

10) De Pron. S. 20 C, S. 11 IC, 128B, 129 B und C, 137 B, 19B und C, 45 B, 117 C, 131 B. Synt. S. 62, 13 und 14, S. 158, 15—18, S. 164, 13 und 14. Planud. Synt. S. 163, 5-14, S. 164, 25—29. Priscian. XII, S. 588, 13—15, XVII, S. 161, 15—24, S. 166, 8 und 9, S. 169, 12 und 13, S. 170, 28 und 29, S. 173, 19 und 20. Bekk. Anecd. S. 915, 14—27 und 29—33, S. 921, 10-13.

11) De Pron. S. lOB, S. 129B. Synt. S. 60, 4 und 5.

12) De Pron. S. 9B, S. 10 A, S. 33 B, S. 37 C. Priscian. XVII, S. 131, 8-10, S. 146, 18 und 19.

13) De Pron. S. 9B. Vergl. de Pron. S. 33 C, S. 41 B.

14) De Pron. S. 128C, S. 87 A. bis C.

15) De Pron. S. 26 A und B. Synt. S. 219, 16-220, 5. Planud. Synt. S. 162, 36 bis S. 163, 4. Bekk. Anecd. S. 917, 21— S. 918, 2 und 4-11. Priscian. XII, S. 582, 15-20. XIII, S. 1, 15- S. 2, 2. XVII, S. 166, 6 und 7, S. 204, 21—24, S. 205, 14-17, S. 207, 17—19.

16) De Pron. S. 27 A und B. Synt. S. 221, 21 S. 222, 9, S. 214, 1-4.

17) De Pron. S. 27 A. Synt. S. 220, 6-8. Priscian. XVII, S. 205, 17-26.

108 Otto Eichhobst

Mit besonderer Ausführlichkeit bespricht Apollonius diejenigen Casus der Possessivpronomina, welche mit orthotonierten Formen der Personal- pronomina lautlich zusammenfallen, also if^ov, oov, kfioi, aoi oder mit Formen des postpositiven Artikels wie f/I, ^, ov. Ueber tßov lehrt er, dass es der Genetiv vom Personalpronomen ist, wenn es von einem Ver- bum abhängt, z. B. efxov ct-Kovet Qiwv. Dagegen kann ifiov in possessiver Bedeutung nicht gebraucht werden, sondern dann wird die einsilbige en- klitische Form fiov gewählt. Wo e/^ov in possessiver Bedeutung steht^ ist es der Genetiv des Possessivpronomens, aber nicht der Genetiv des Personalpronomens. Ebenso sind die anderen vorher erwähnten gleich- lautenden Pronomina dann Possessivpronomina, wenn ein dazu gehöriger Besitzgegenstand im gleichen Casus gefügt ist. Die lautlich zusammen- fallenden Formen der dritten Person hingegen sind im Accent unter- schieden; denn die personale singularische Form ol ist ein Perispomenon, die Possessivform ot aber ein Oxytonon.'*)

Die Possessivpronomina im Pluralis und im Dualis schliessen wie die Personalpronomina im Pluralis und im Dualis mehrere Personen in sich; darüber sagt Apollonius: ^fthegog yccQ 6 sfxdg xat oog xal, ei tvxoty aXkov rov y,ai v(x)lT€(jog 6 kfiog Kai Gog, rj e^iog aal eKslvov.^^) Die possessiven Pronomina und die possessiven Nomina haben manche Eigen- schaften gemeinsam, manche aber auch nicht. Gemeinsam ist beiden possessiven Wortarten, dass der Besitzgegenstand dabei mitzuverstehen ist, also die Person des Besitzers und des Besitzgegenstandes darin enthalten ist und dass für das Possessivum der Genetiv des Besitzers mit dem Be- sitzgegenstande gesetzt werden kann. Der Unterschied besteht darin, dass die Pronomina jeden beliebigen Besitzer, die Nomina nur einen bestimmten Besitzer bezeichnen können, femer darin, dass in dem possessiven Nomen immer zwei dritte Personen enthalten sind, dagegen in dem possessiven Pronomen nicht immer, endlich darin, dass in dem Pronomen die Zahl der Besitzer bestimmt ist, in dem Nomen aber nicht; denn wenn ich z. B. sage avd^QWTteia ixvTq, SO weiss man nicht, ob dabei av&QCuTtov oder av- ^QWTzwv zu denken ist. Diese Zweideutigkeit lässt sich nur dadurch be- seitigen, dass man statt des possessiven Nomens den Genetiv des Appel- lativums wählt. Dagegen ist das von einem Eigennamen abgeleitete possessive Nomen immer singularisch zu verstehen.'^^) Apollonius unter-

18) DePron. S. 81C S. 82A. Synt. S. 158, 6-S. 162, 24. S. 163, 5-8, 17-21. S. 164, 26 S. 165, 2. S. 62, 1—17. S. 63, 1—16. S. 222, 10 S. 223, 19. Priscian. XUI, S. 4, 4—23. XVII, S. 173, 21— S. 175, 11.

19) De Pron. S. 133 A.

20) De Pron. S. 133 A S. 134B. Priscian. XII, S. 588, 16 S. 589, 8.

Die Lehre des Apollonius Dyscolus vom Pronomen possessivum 109

scheidet bei dem Possessivpronomen ein zweifaches Personenverhältnis und spricht von rb kvTog tvqöowtvov, d. h. der Person des Besitzers, und von To eviTog TCQOGWTtov oder t6 b^wS-bv tcqogwtcov^ d. h. der Person des Besitzgegenstandes.^0 Man erhält die Person des Besitzers, wenn man das Possessivpronomen in den Genetiv des Personalpronomens verwan- delt") So ist also die Person des Besitzers durch das Possessivpronomen immer bekannt und zwar in der ersten und zweiten Person vermöge der Deixis, in der dritten Person vermöge der Anaphora.")

Der Artikel, welcher vor dem Possessivpronomen steht, gehört zu dem Besitzgegenstande, nach dem er sich im Genus, Numerus und Casus richtet, aber nicht zu dem Pronomen. Aus diesem Grunde ist der viel gebrauchte Name ovvaQd-QOL avTwvv^äai für die Possessivpronomina ein unberechtigter.''^) Dafür, dass der Artikel vor dem Possessivpronomen nicht zu diesem, sondern zu dem Besitzgegenstande gehört, wird der Be- weis an mehreren Stellen in polemischer Form geführt, und zwar in fol- gender Weise.*^) Ein Satz wie 6 TtaTrjQ 6 Ifibg q)iloöoq)Bl gab zu der Annahme Veranlassung, dass der erste Artikel zu naTriQ^ der zweite zu Bfxog gehöre. Dagegen weist Apollonius darauf hin, dass vielfach zwei Artikel zu einem Casus gehören, z. B. 6 TtarrjQ 6 sxelvov oder 6 öovkog 6 Tov ^QLOTocQxov.^'^) Dieser Gebrauch zweier Artikel ist aber nicht zu- lässig, wenn das Pronomen dem Nomen vorausgeht ; man könnte also nicht sagen 6 B^iog o öovXog, Wenn aber das Nomen vorangeht, so können beide Artikel gebraucht werden, von denen jeder seine besondere Ana- phora bezeichnet; denn wenn ich sage 6 öovXog 6 babLvov, so bezeichnet das erste o: kein anderer als jener, der vorher gedacht wurde, während das zweite 6 besagt: der Sklave keines anderen als des vorher gedachten Herrn. Ebenso ist der Ausdruck 6 jcatiiQ 6 Bfiog aufzufassen.") Endlich ist noch zu berücksichtigen, dass der Artikel auch deswegen nicht zu dem Possessivpronomen gehören kann, weil, wie früher erwähnt, die erste und zweite Person deiktisch ist, also den Artikel ausschliesst, während die dritte

21) De Pron. S. 12C. S. 17B. Planud. Synt. S. 162, 16-19, 31-36. Bekk. Anecd. S. 921,24 S. 922, 2. Priscian. XII, S. 580, 24-S. 581, 4. S. 588, 1—8. S. 597, 13-19. XVII, S. 204, 25-27. S. 205, 5-9.

22) De Pron. S. 17 C.

23) De Pron. S. 19 B. S. 129 A und B. Synt. S. 60, 3—5. Priscian. XII, S. 581, 4—8, 16-21.

l 24) De Pron. S. 15A. Bekk. Anecd. S. 922, 23-32.

25) De Pron. S. 86 B. Synt. S. 63, 1—16. Bekk. Anecd. S. 913, 10—20. S. 914, 17 und 18, 25, 33 S. 915, 3. S. 922, 12-17. S. 923, 15-19. Priscian. XII, S. 582, 4-7.

26) Synt. S. 60 und 61.

27) Synt. S. 80, 7— S. 81, 3.

110 Otto Eichhobst

Person anaphorisch ist, also den Artikel nicht mehr nötig hat**) Wenn der Artikel bei dem Possessivpronomen nicht steht, z. B. Ifxog oherrjg uQoarjXd'e, so wird damit auf eine Mehrheit von Besitzgegenständen ge- deutet, während bei der Hinzufugung des Artikels, z. B. 6 kfxbg oly.eTr]g TtaqeyevETo, an einen Einzelbesitz gedacht wird.*") Femer fehlt der Artikel, wenn das Possessivpronomen das Prädikat bildet.^)

In gleicher Weise wie die vorangestellten Artikel können auch die nachgestellten Artikel, d. h. die Pronomina relativa, sich an kein Posses- sivpronomen anschliessen.^*)

Da die Possessivpronomina zwei Personen darstellen, die des Besitz- gegenstandes und die des Besitzers, bo erscheinen sie notwendig in drei syntaktischen Verbindungen. Nämlich die Verba, welche mit den posses- siven Fürwörtern verbunden sind, stehen entweder erstens in der Person des Besitzgegenstandes, z. B. 6 e(x6g Xunog iq^x^l, oder zweitens in der Person des Besitzers, z. B. tov Ifjibv aygov eoxaxpa, was man in tov kfiavTov ccyQov %o-/.a\pa umwandeln muss, oder drittens in einer anderen von aussen hinzutretenden Person, z. B. ibv efxov vlov eölöa^e. In dem ersten Falle steht das Possessivpronomen stets im Nominativ, das Verbum in der dritten Person, und das Possessivpronomen kann nur mit dem einfachen Personal- pronomen im Genetiv vertauscht werden. In dem zweiten Falle muss das zusammengesetzte, d. h. das reflexive Pronomen gewählt werden. Der Be- sitzgegenstand steht nicht in den obliquen Casus allein, sondern es kommt auch der Nominativ vor, wenn das Verbum ein Sein bezeichnet, z. B. IfxavTov eijUL olyJzi^g. Hieran schliesst Apollonius die Bemerkung, dass, wenn das Verbum in der zweiten Person steht, zu dem Possessivum das Participium ojv hinzutreten muss, z. B. ef^dg wv d'SQoiTtMv rgexeig. In dem dritten Falle stehen die possessiven Bestimmungen stets in einem Casus obliquus.^*)

Während Apollonius bei dieser Auseinandersetzung vom Verbum aus- geht, macht er an einer anderen Stelle das Possessivpronomen zum Mittel- punkte seiner Darlegung und sagt, dass das Possessivpronomen der ersten Person auf eine dritte oder zweite Person übergeht, z. B. i/nog kortv, ifiog el cpLXog, Das Possessivpronomen der zweiten Person aber geht über auf

28) Synt. S. 57, 25 27. S. 58, 18 20. S. 60, 2 10. De Fron. S. 15 A und S. 17A S. 19 C.

29) Synt. S. 79, 6—11. S. 72, 1—10. S. 26, 22-26.

30) Synt. S. 79, 17- S. 80, 6. De Fron. S. 16 C.

31) De Fron. S. 15 B und C und S. 16 C.

32) Synt. S. 149, ISAF. De Fron. S. 88A— C. Vergl. Flanud. Synt. S. 162, 19—31. Friscian. XVII, S. 165, 20—26. S. 170, 20—22.

Die Lehre des ApoUonius Dyscolus vom Pronomen possessivum. 111

eine dritte oder erste Person, z. B. oog sotlv, aXla TtarrjQ xeog ei^i (7t 188). Das Possessivpronomen der dritten Person geht in der Kegel auf eine dritte Person über. Es ist jedoch auch möglich, dass ein Pos- sessivpronomen der dritten Person auf eine erste Person übergeht, z. B. (Ig ei(XL, was gleich aviov ei^i ist. Wenn aber eine erste Person auf eine erste oder eine zweite Person auf eine zweite übergeht, so tritt das Reflexivpronomen ein. Alle diese syntaktischen Verbindungen erfordern ein Verbum des Seins : r] Toiavtr} ouvra^ig Qi^^iaTa aTtaiiel mtagBiv arjfial-

Aber nicht nur in gelegentlichen Bemerkungen weist ApoUonius dar- auf hin, dass zum Ausdruck possessiver Verhältnisse dann das reflexive Pronomen gewählt werden muss, wenn das Verbum in der Person des Be- sitzers steht, sondern er spricht über diese sprachliche Erscheinung auch mit ausführlicher Begründung und Besprechung bezüglicher Homerstellen. Hier lautet die Hauptstelle: ^l KTtjTixal öh ofxoiwg ^eralricpd^riaov'caL eig ovvd-hovg rj eig ccTtXag .... ctcccv fiev ^ Sidßaoig tov gr^fiarog ccTto trjg yevLY.rig, rix Lg ex T^g XTi^rix^g fxeTaXafxßdveTai,, Trjv öidßaoiv stcI %o avio TiQOGMTtov TtoirJTai, Ttdvtojg eig ovvd-eTov fxeTaXaf.ißdveTaL' ertav öh t6 Qrj^a fii] oltco lijg yevixrjg vorjzac, ccTto [alXov) de rivog TtgoGw- Ttov, TÖie Kai aTtXrj ij dwwvvf.ua.^^) Hier weist ApoUonius also deutlich darauf hin, dass das Reflexivpronomen zu wählen ist, wenn das Subjekt dieselbe Person ist, wie die in dem Possessivpronomen enthaltene Person, während das einfache Possessivpronomen zu wählen ist, wenn das Subjekt eine andere Person als die in dem Possessivpronomen enthaltene ist.^*)

Auch den Umstand lässt ApoUonius nicht unerwähnt, dass von allen Fürwörtern avxog das einzige ist, welches Composita er meint die Reflexivpronomina bUden kann.^') In einer anderen gelegentlichen Be- merkung macht er darauf aufmerksam, dass diejenigen Pronomina, welche besondere Formen für alle drei Geschlechter haben, wie die Possessiv- pronomina, nur orthotoniert werden.^') An anderen SteUen spricht er da- von, dass avTog im Genetiv zum Possessivpronomen hinzutritt, also in diesem Genetiv die Person des Besitzers, ib evrog tcqoowtvov zeigt, z. B.

33) De Pron. S. 130A— C. S. 88B und C. Priscian. XII. S. 582, 9 13, 23 bis S. 583, 11. XVII, S. 166, 13—20. Planud. Synt. S. 163, 18—25.

34) De Pron. S. 59A und B. Vergl. Planud. Synt. S. 164, 16—18. Priscian. XIII, S. 18, 9-11. XVII, S. 167, 1-7. S. 168, 18-20. S. 175, 22 S. 176, 1. S. 176, 14—18.

35) De Pron. S. 82 B. S. 86A-C.

36) De Pron. S. 71A.

37) De Pron. S. 20 B. S. 77 C. Er hätte hier auf den von manchen Erkl&rem enklitisch gebrauchten Accusativ avxov hinweisen soUen (de Pron. S. 33 A. S. 41 C. S. 45C. S. 77C. Synt. S. 136, 1—11). S. 78B. S. 95C.

112 Otto Eichhoest, Die Lehre des Apollonius Dyscolus vom Pronomen possessivum.

avTwv yccQ acpet^Qrjaiv (a 7), rj eov avrov XQelog (a 409).") Ganz kurz erwähnt er den Umstand, dass das Possessivpronomen mit dem Verbum verbunden keinen vollständigen Satz giebt.'")

Die vorstehende Abhandlung enthält eine Zusammenstellung der Lehren des Apollonius Dyscolus vom Possessivpronomen, und zwar mit Ausschluss von fast allem Dialektischen. Die kritische Würdigung seiner Lehren, wozu an dieser Stelle nicht genügend Raum vorhanden war, behalte ich mir für eine andere Gelegenheit vor.

38) De Pron. S. 79 B. S. 131 B und C. 8ynt S. 62, 20-28. Vergl. Planud. Synt. S. 164, 30-35.

39) De Pron. S. 20C.

IV.

Zur homerisclieii Beredsamkeit

Von

Max Hecht (Gumbinnen).

Bekanntlich verehrte das Altertum in Homer nicht nur den grössten Dichter, sondern es schrieb seinem Universalgenie auch die Urheberschaft fast aller Wissenschaften zu. Auch die Rhetorik führte man auf ihn zu- rück, und von ganz besonderem Interesse ist jenes begeisterte Lob, das Quintilian, dieser geistvolle und berufene Beurteiler hellenischer Geistes- werke in Wissenschaft und Kunst, Homer, dem Eedner, spendet. Er ver- ehrt in ihm das Urbild aller Beredsamkeit. ^yHic enim omnibus elo-

quentiae partibus exemplum et ortum dedit"y sagt er in seinem Werke (X, 1, 46). Dann fährt er fort: „A^ec po'etica modot sed oratoria virtute eminentissimus. Nam ut de laudibus^ exhortationibus taceam: nonne vel nonus liber, quo missa ad Achillem legatio continetur, vel in primo inter duces illa contentio, vel dictae in secundo sententiae, omnes litium ac con- siliorum explicant artes? Affectus quidem, vel illos mites, vel hos con- cilatos, nemo erit tarn indocttis, qui non in sua potestate hunc auctorem habuisse fateatur. Age vero, non utriusque operis ingressus in paucissimis versibus legem prooemiorum, non dico sei'vavit, sed constituit'^ Nam bene^ volum auditorem invocatione Dearumt quas praesidere vatibus creditum est, et intentum proposita verum magnitudine, et docilem summa celeriter comprehensa facit, Narrare vero quis brevius, quam qui mortem nuntiat Patrocli, quis significantius potest, quam qui Curetum Aetolorumque prae- lium eivponit? lam similitudines, amplificationes, exempla, digressus, signa rerum et argumenta, ceteraque, quae probandi ac refutandi sunt, ita multa, ut etiam, qui de artibus scripserunt, plurimi harum rerum testimonium ab hoc poeta petant. Nam epilogus quidem quis unquam poterit Ulis Priami rogantis Achillem precibus aeqari? ....

Verum hie omnes sine dubio, et in omni genere eloquentiae procul a se reliquit,"

Eine erschöpfende Behandlung der homerischen Beredsamkeit wäre

114 Max Hecht

gewiss eine ebenso lohnende als reizvolle Aufgabe, sowohl an sich als auch wegen der nahe liegenden Beziehung auf die rednerischen Verhältnisse im homerischen Zeitalter. Diese Untersuchung müsste, wenn man mit Quintilian von der Voraussetzung ausgeht, dass „bene dicendi seien tia" den Redner macht (instit. II, 15, 38), streng genommen, sämtliche Reden der Ilias und Odyssee zur Grundlage haben, und diese umfassen nach Bergk (Griechische Litteraturgeschichte I [1872J, 830) mehr als die Hälfte der Ge- dichte.') Leider ist bei dem geringen Raum, der diesem Versuche gewährt ist, Beschränkung des Stoffs geboten; wir berücksichtigen daher nur die Reden der Ilias, und hier wiederum auch nur die- jenigen, in welchen die Redenden zur Erreichung eines Zweckes auf andere bestimmend einzuwirken suchen. Der- gleichen Redner sind in der Ilias unter anderen Nestor (z. B. A 254—284, J5 337 368, If 124— 160, 327— 343, / 53— 78, 96 bis 113, 163 172); Odysseus (z. B. B 284 332, / 225 306, H 83 102, T 155— 183); Diomedes (/ 32 49, H 110—132); Achilleus (T 56—73, Tl 49 96, 200—209); Agamemnon {B 370—393, J 234 ff., / 17—28, T78— lllj; Phoinix (/ 434—605); Aias (/ 624—642, O 502—513); Patroklos (J7 21 45, 269 274); Priamos (X 38 76, Q. 486 506); Hektor (F 39—57, H 67—91, 0 496—538, -S 285— 309); Polydamas (M61— 79, 216 ff. 2 254—283); Sarpedon (M 310—328); Andromache (Z 407— 439).

Zuerst wollen wir untersuchen, welcher besonderen Mittel sich die Redner bedienen, um ihre Absichten zu erreichen. Dieselben werden sich im allgemeinen nach zwei Gesichtspunkten hin verfolgen lassen, je nach dem sie die tractatio animi oder die tractatio cogitationis betreffen.

Wir betrachten zunächst die Einwirkung auf das Gemüt

Hier muss der Redner es vor allem verstehen, in den Seelen seiner Zuhörer solche Empfindungen und Leidenschaften zu wecken, welche ge- eignet sind, dem Handeln derselben die Richtung auf das von ihm erstrebte Ziel zu geben.

Welches sind nun die hauptsächlichsten Gefühle, welche als derartige Triebfedern in Bewegung gesetzt werden?

Obenan steht das Ehrgefühl. Dies suchen die Führer immer von

neuem in ihren Mannen zu wecken, weil es am wirksamsten zu mutigem

Vorgehen gegen den Feind antreibt. Der Ehrtrieb ist bei den homerischen

Helden stark ausgeprägt; ihnen geht der Ruhm über alles, Schillers Worte

„Von des Lebens Gütern allen

Ist der Ruhm das höchste doch"

1) Ich zählte in 17 Gesängen der Ilias unter 11010 Hexametern 5224, welche auf Reden fallen.

Zur homerischen Beredsamkeit. 115

sind ihnen recht aus der Seele gesprochen. Die Art nnd Weise, wie in den einzelnen Fällen das Ehrgefühl erregt wird, ist durch die Beschaffen- heit der zu beeinflussenden Naturen bedingt.

Wenn Sarpedon, von unwiderstehlichem Kampfesmute fortgerissen, Glaukos in seiner Rede (M 310 321) an die königlichen Ehren und an die Hochachtung erinnert, die sie daheim im Lykierlande gemessen, an das stattliche Krongut, das sie an des Xanthos Ufer bebauen, so genügt dies, in dem ehrliebenden Herzen der verwandten Heldenseele den Drang nach Thaten zu wecken, die solcher Auszeichnungen würdig sind.

Gleich mit den ersten Worten schlägt Poseidon in der Brust der beiden Aias die rechte Saite an, wenn er sagt: TV 47 f.

AXavTE, ocptj ^iv T€ GacüO€T€ Xaov 'Axaiüiv aXxrjg (.ivriGafxhcj, jLirjöh -/.Qveqolo cpoßoLO.

Agamemnon versteht es wohl, im vierten Gesang vor der Schlacht in militärisch kurzer Rede durch Lob und Tadel zum Kampfe anzufeuern, wenn er sich auch mitunter, wie es z/ 338—348 und 370—400 geschieht, in den Mitteln vergreift. Aber Achill, dessen Rede auch sonst an poe- tischer Kraft und Schönheit hervorragt, ja in der ganzen Ilias einzig da- steht, nähert sich mit seiner kurzen, kernigen Ansprache an seine Myrmi- donen (il 200 209) dem Ideal einer Feldherrnrede weit mehr als der Oberkönig mit allem, was er in dieser Beziehung vorbringt: ,jMvQ(.ud6veg, f.irj rlg fxoi aTtetXacjv kelad'tö&w, ag €7tl vTqvol &ofjoiv aTtsiXelxe Tqcüsoglv Ttctv-d- vTtb ^rjVL^iLwv xal (ii* rjtidaGd-e exaGTog. ^Gx^tXlc, niqXiog vli, xÖXm aga g^ 6TQ€q)€ f^rjTrjQ, viqXeig, og nctqa vtjvgIv e^sig ccexovrag eTalQOvg. oinaöe TtSQ Gvv vr]VGl vew/Lced-a TtovTorcoQOLGLv avTig, kicel qö. toi wöe Kaycog %6Xog s/HTteGs S-v^i^^ Tavrd ^ ayeiQojLievoL &djLi ißd^ere' vvv de 7tiq)avzai cpvXoTCLÖog iieya egyov, erjg to tcqLv y kgaaGd-e. svd-a Tig akY.L(.iov '^toq €%wv Tqcosggi ^axiod-wJ^

Diese Worte, mit denen die Myrmidonen aufgefordert werden, ihren bis dahin in selbstbewussten Reden geäusserten Heldenmut nunmehr durch die That zu beweisen, sind ein ebenso wirksamer Appell an das Ehrgefühl der Myrmidonen, als wenn II 269 274 Patroklos von ihrer Tapferkeit den Triumph über Agamemnon abhängig macht, dessen der beleidigte Achill zu seiner Genugthuung bedürfe. Allerdings werden hier ausser dem Ehrgefühl auch Liebe und Verehrung für den berühmten Führer in den Herzen seiner Mannen mit in Schwingung gesetzt.

116 Max Hecht

In anderen Fällen wird ein thatkräftiger Ehrtrieb durch mittelbare, indirekte Einwirkung hervorgerufen. So durch beabsichtigt« Beschämung J 372—400, wo Agamemnon den Kampfgenossen Diomed und Sthenelos die bewunderungswürdige Unerschrockenheit und Tapferkeit des Tydeus, die dieser beim Zug der Sieben gegen Theben an den Tag gelegt, als Muster vorhält. Oder wenn Nestor, als auf Hektors Herausforderung zum Zwei- kampf keiner der griechischen Helden hervortritt, ihnen als Beispiel sein ganz entgegengesetztes Verhalten in ähnlicher Lage vorfuhrt {H 150 156).

Beschämend wirkt es auch, wenn man jemanden der Inkonsequenz oder des Widerspruchs in seinem Handeln überführen kann.

Sonach müssen die auf Heimfahrt sinnenden Griechen sich getroffen fühlen, wenn Odysseus, dieser Redner von Gottes Gnaden, in seiner auf Wirkung meisterhaft berechneten Rede (JB 284—332) ihnen vorhält, dass sie ihr früheres Versprechen, erst nach Trojas Zerstörung heimzukehren, nicht zu erfüllen im Begriffe wären.

„ovdi TOI (Agamemnon) eKTeXiovaiv vTtoaxeatv 7]v tceq vTtioxav evd^dö^ BTi OTslxovTeg an ^Aqyeog iuTtoßoTOLO,

"ihov exTtdQGavT^ evTslxeov ccTcoviea^ai."

Das Gleiche erreicht Nestor, der die kampfesunlustigen Griechen an ihre früheren Drohungen und Gelübde erinnert, den Trojanern den Unter- gang zu bereiten {B 339 ff.}.

Wenn bei edleren Naturen schon ein leiser Anstoss genügt, sie für die Forderungen der Ehre empfänglich zu machen, so müssen bei dem gemeinen Mann zu diesem Zwecke stärkere Hebel, Spott, Schmähung und Verachtung angesetzt werden.

Als die flüchtigen Achäer von den Troern ins Schiffslager zurück- geworfen sind, ruft Agamemnon ihnen zu 0 228 ff.:

„Aidwg, ^AqyBiOL, xax eXeyxsa, eiöog dyrjToL Ttfj sßav €^/wAof/, 6t€ drj (pafxev eivat agtaroi, dg 07x6% kv ^ri(.ivco, y.eveavxe€g v^yogaaGd-e, eod'OVTeg xgia 7toX%d ßowv ogS-OTigaLgdcov, TcLvovteg xgrjrrjgag efciOTecpiag oUvoio, Tgcüwv dv^"' exaTov t€ ÖLTjaoamv ts exaOTog OTYiOEod^ kv 7voXi(xo}' vvv J' ovö^ svog d^ioi d(iev."

Aehnliche Beispiele finden sich 0 502 513, Tl 422—425, iV95ff.

Bei der Innigkeit der Bande, welche die Glieder der Familie um- schlingen, erklärt sich das tief ausgeprägte Gefahl der Pietät, die das homerische Zeitalter auszeichnet. Der grossen Autorität des Vaters steht die anhängliche Liebe und Verehrung des Sohnes gegenüber. Wenn der Redner

; Zur homerischen Beredsamkeit. 117

diese zarte Seite des Gemüts geschickt zu berühren weiss, wird er des;

Eindracks nicht verfehlen. Mit diesem wirksamen Motiv beginnt PriamoS'

sogleich seine berühmte Rede, in welcher er den Peliden zur Auslieferung

der Leiche Hektors zu bewegen sucht, ß 486 506:

„Mvrjoat Ttatqbg aoio, ^€oig eTtieUek ^xMev, TTjXUov o)g Tteq eyojv, okoip eul yi^gaog ovS(^. xal fiiv Ttov nelvov TceqivaLiTai aficplg kovieg TslQova , ovöe Tig eariv ccqtjv y,al Xoiyov ctfxvvatJ^

Ein anderes Beispiel dieser Art bietet die lange Rede Nestors. Er ruft in dieser (A 786 789) dem Patroklos seines Vaters Menoitios Mahnung ins Gedächtnis, welche dieser seinem Sohne bei dessen Auf- bruch nach Troja ans Herz legt:

jytEKvov Efxov, yevefi ^ev vrcsQTeQog Iötiv l^xMevg, 7CQ€oßvT€Qog öh ov lüOi' ßlj] ö' 0 ys TtolXov a^eivwv, aAA' ev OL cpao^at TtvKivov ercog rjö^ yTtod-iad-at, xal OL arji^alveiv' 6 öh TtelosTat elg aya&ov tisq.''

Wenn nun der berühmte Redner der Pylier fortfährt:

wg BTieTeX^ 6 yigwv, ov de kij^eai. aXk eti xal vvv TavT^ UTtotg lÄ%üJrii öatq)QOvt, ai xe Ttl&rjTai,,

so weiss er seinen Auftrag gleichsam zu einer Herzenssache des Menoi- tiaden, zu einem Gegenstande der Pietät zu machen, den Patroklos um so williger ausführen wird, da er sich dessen bewusst geworden ist, zu- gleich im Sinne seines Vaters zu handeln.

Ganz ähnlich, wie hier Nestor, verfährt Odjsseus in seiner Rede an Achül 1 252—258.

Bei der zweckdienlichen Einwirkung auf das Gemüt bieten sich dem Redner ferner Furcht und Mitleid als willkommene Mittel dar.

Nestor dämpft den Griechen die Lust, nach Hause zu fahren, durch die Drohung: B 357 ff.

ei öi Tig kxuayXwg Id'iXeL olxovöe viead-aiy

aTcxiad^u) rig vr]6g evaoiX(X0L0 (xeXalvrjg,

ocpga Tcqöad' aXXwv d-avaiov xal Ttöxfxov STclaTtrj,

Agamemnon führt hierauf aus, dass es in der bevorstehenden Schlacht heiss hergehen werde, und sucht durch folgende, noch stärkere Worte von zaghaftem Fembleiben abzuschrecken:

„ov d^ X eywv arcavevd'e jnaxrjg e^iXovia vot^oü) (HilLivd^eLv Ttaga vijval xogcüvlaiv, ov ol BTteita agxiov eooeltat q)vyi€iv xvyag rjd oiwvovg."

118 Max Hecht

Ebenso empfänglich wie für Furcht ist das menschliche Gemüt für Mitleid. In wie herzergreifender, rührender Weise versteht Andromache es in Hektor zu wecken in jener berühmten Rede am skäischen Thor! (Z 407—439.)

Welche herzzerreissenden Worte spricht Priamos X 38—76 von der Mauer herab, von verzweiflungsvoller Sorge um das Leben des teueren Sohnes gefoltert, zu Hektor, der gerüstet vor dem Thore steht und den nahenden Peliden erwartet.

Nie aber ist von einem Sterblichen, worauf schon Quintilian hinweist, die Saite des Mitleids im Herzen des unbarmherzigen Feindes voller und mächtiger angeschlagen worden als in der Rede des die Auslieferung der Leiche seines Sohnes von Achill erbittenden Priamos 486—506).

Sobald der greise König die Seele des Peliden durch den Hinweis auf ein mögliches Unglück des eigenen hilflosen Vaters in eine mildere, für seine Bitte empfänglichere Stimmung versetzt hat, leitet er das Mit- leid desselben sogleich durch eine Antithese auf sich über.

490 aXX iJTOi y.€lv6g ye Gid^ev Kojovtog cckovojv

Xcclgei T ev ^vfxc^, ercL t^ eXrcsTaL rjfiara 7cdvTa oxpeod-ai q)LXov vlov oltco TgoLri^e (.lokovTa' avTccQ eyix) 7cava7tOT;fjLog, ETiei tskov vlag aglaTOvg TqoIjj ev evQeljj, tcJv ö^ ovriva (prjfiL XeXelq)S'ai.

Die nun folgende weitere Schilderung seines namenlos traurigen Loses muss auch ein hartes Feindesherz zum Mitgefühl und zu inniger Rührung erweichen; und doch versteht es der Dichter, diese Wirkung durch jene unvergleichlich schönen Schlussworte noch zu steigern:

al^ aldelo d^eovg, ^Äxilev, avtov t eUrjOOv fivrjGafievog oov TcaTQog' eyw ö" kkeeivoregog tveq, srkrjv ö ol ov Ttto itg STtix^oviog ßgoTog aXXog, avÖQog 7iatöoq)6vow tvotI oiofxa x^iQ ogiyeod^ai.

Bei der Einwirkung auf Gemüt und Willenskraft bedienen sich die Redner öfters der anspornenden Kraft des Beispiels. Wenn Nestor seinen Zweikampf mit dem Riesen Ereuthalion erzählt, dem er, der Jüngling, allein unter allen Pyliern entgegenzutreten wagte und den er niederstreckte {H 150—156); wenn Agamemnon den bewunderungswürdigen Mut und die heroische Tapferkeit des Tydeus beim Zuge der Sieben gegen Theben dessen Sohne vorstellt, so wird in den Helden zugleich mit dem Ehrtriebe der Drang zur Nacheiferung rege.

Jedoch das Beispiel wird auch von den Rednern angewandt, imi den

Zur homerischen Beredsamkeit. 119

Verstand des Zuhörers, bezw. der Zuhörer zu bestimmten Erkenntnissen und Einsichten zu veranlassen. Das führt uns zur Betrachtung der trac- tatio animorum und der dabei üblichen logischen Operationen.

Wir behandeln zuerst solche Beispiele, welche dem vorliegen- den Falle ganz analog sind, und aus welchen für diesen eine Lehre gezogen werden soll.

Dahin gehört des Phoinix Erzählung vom Zorn Meleagers (J 529 605), der sich, ähnlich wie Achill, grollend des Kampfes enthielt und den man ebenso in höchster Not vergeblich durch grosse Geschenke zur Ver- teidigung seiner Vaterstadt zu bewegen suchte. Als er dann, in seinem eigenen Hause bedroht, zu kämpfen gezwungen wurde und den Aitolem den Tag des Verderbens abwehrte, empfing er keine Geschenke. Indem nun Phoinix das Verhalten des kalydonischen Helden auf seinen grossen Zögling bezieht, will er ihm zu verstehen geben, dass es klug sei, wenn er sogleich, solange es noch Zeit sei, „ejtl öcSqwv'' die Troer bekämpfe.

Achill fordert ß 602 den durch Hektors Tod in tiefste Trauer ver- senkten Priamos, der sich der Nahrung enthalten will, auf, des Essens zu gedenken, indem er ihm Niobe als Beweis dafür anführt, dass auch solche, die das Geschick schwer heimsuchte, Speise zu sich genommen haben.

xai ydg x^ rjvyiO(xog Nwßrj s/^vT^oaro gItov TTJ 71EQ öwöexa Ttalöeg evl f-ieyccgoioiv oXovro €§ (Äsv ■9'vyaT€Q€g, e^ ö' vleeg rjßojovreg.

Anders sind die Beispiele, welche durch einen Schluss a ma- iori ad minus auf den vorliegenden Fall bezogen werden. Phoinix hält Achill / 496—501 vor:

ovde iL as XQV vTjXeeg tjtoq ex^iV otqstctoI öe ts "/.al ^eol avTol, Twv u€Q y.al f.i€l^a)v ccQSTr] Tt^iq re ßlrj t€. xal (.iBv Tovg d-veeoGL Y.al evxo^^fjg ayavfJGiv Xoißfj te xvlar] t€ jtaQatQWTCujo avd-qwTCOL XtooöfXEvoi, o%e 'Aev Tig v7t€Qßi]7] xai ai-idQTr].

Der logische Gehalt dieser Ausführung ist folgender: Götter selbst sind versöhnlich und lassen sich durch Opfer und Gebete gewinnen. Die Menschen, also auch Achill, haben noch weit mehr Ursache dazu. Achills Unversöhnlichkeit ist mithin auch vom logischen Gesichtspunkt aus nicht zu rechtfertigen.

Das Nämliche sucht Aias ihm nahe zu legen / 632 ff.

120 ^^^ Hecht

Aal jLiiv rlg te v.aaiyvy]xoio (povrjog Ttoivrjv T} ov jcaiöog löi^axo Te&vrjwtog' %ai ^' 0 fxhv ev ör)fi({) fiivec ovtov tcoXV oTtorloag, lov öh t' eQTjTVCTaL XQaölrj ycai d-v^og ayrivcjg Tcoivrjv ÖE^afiivov, ool ö^ aXkrj'KTov t€ xaxov re d'vixov €vl OTrjO^eaoL x^eol 0-ioav elvEAa Kovgrjg o'lrjg. Er führt aus : Mancher lässt sich für den Mord seines Bruders oder Sohnes durch ein einfaches Lösegeld versöhnen. Damit ist zugleich ausgesprochen : Kleinere Vergehen sind noch leichter sühnbar. Angesichts dessen darf Achill keinen unversöhnlichen Zorn hegen, denn ihm ist nur ein Mädchen genommen (v. 637) und für dieses Unrecht ihm unendlicher Ersatz geboten (v. 638).

Um die leidenschaftlich erregten Gemüter Agamemnons und Achills zu beschwichtigen, spricht Nestor:

u4 266 yidQTLGTOt ö^ xelvoL kTCLx^ovLwv tqacpev ccvÖqwv'

Y.aQTLGvoL fAEv EOav xal TcagiloTOig i^axovTO,

cprjQolv OQEO'/.c^OLOL, HOL EY.7taylo)g aTto^EOOav.

xal fiEv TolOLV eycj fXEd^ofiilEov Ix Ilvkov Ikd-uiv

'/.ELVOLOi Ö\v OV Tig

TWV Ol VVV ßgOTOl eIoLV ETtlX^OVlOL (Xa^EOlTO. Xat f-liv fiEV ßovXicüV ^VVIEV, TCEid-OVTO TE fiv-d-qj.

akXcc TtLd^EOd'E xai v^i^Eg'

Auch hier soll das übergeordnete Beispiel mit dem Nachdruck der Hebelkraft auf den vorliegenden Fall wirken. Ich verkehrte einst mit stärkeren und tapferem Menschen als die heutigen sind, und sie hörten auf meine Kede und folgten meinem Rat; so folget auch ihr.

Kurz gesagt besteht die logische Kraft des Beispiels in der Dar- bietung eines thatsächlichen Verhalts , mit welchem der vorliegende Fall zu seinem Ungunsten entweder im Widerspruch steht oder übereinstimmt.

Gebräuchlich ist femer die disjunktive Art des indirekten Beweises im alternativen Falle.

Handelt es sich darum, ob dies oder jenes zu thun sei, und sind die aus der einen der beiden Möglichkeiten entspringenden verderblichen Folgen klar nachgewiesen, so muss man sich für die andere entscheiden.

Die siegesgewissen Troer sind im Begriff, mit ihren Streitwagen durch Graben und Thor in das Lager der Griechen einzubrechen. Da macht Polydamas, dieser klare und besonnene Kopf, den Vorschlag, die Gespanne

Zur homerischen Beredsamkeit. 121

unter Aufsicht der Wagenlenker vor dem Graben zurückzulassen und zu Fuss einzudringen. (M 61 79).

Er gewinnt die Troer für diesen Rat dadurch, dass er ihnen die Gefahren veranschaulicht, denen sie sich aussetzten, falls sie mit den Wagen in das Lager hineinfahren wollten, und indem er die Katastrophe vergegenwärtigt, welche sie im Falle einer Flucht infolge der unver- meidlichen Stopfung im Graben erleiden würden.

Agamemnon, an dem glücklichen Ausgange des Kampfes verzweifelnd, macht Nestor, Diomed und Odysseus gegenüber S 75 ff. den Vorschlag: die vorderste Reihe der Schiffe ins Meer zu ziehn und in den auf hoher See fest geankerten Schiffen die Nacht zu erwarten; wenn dann die Troer vom Kampfe abständen, die übrigen Schiffe herabzuziehen und zu fliehen.

Odysseus beleuchtet nun S 96 102 diese Idee in ihren unheilvollen Folgen mit eben soviel sittlicher Entrüstung als überzeugender Klarheit der Begründung:

og Y.ilaai TtoXifxoio avveOTaoTog xal avTrjg vrjag evoGel(.iovg aXad slK^f-iev, ocpQ en /naXXov TqcüoI (,iev evxTcc yevrjTai iTtLXQaxeovoL tvgq e/LiTcrig, ri(.uv ö alrcvg oXed-Qog €7tiQQ€7tr]' ov yctQ ^A^CLioi oyrriGovüiv n6lef,iov vrjwv dXad^ eXKO^evamv, alk^ aTVOTtaTCTaviovGiv, €qcüi^govgl öh xäQfxiqg. evd-a x€ GY] ßovlrj ör]Xi]G£Tai, oQXCCjue Aorwv."

Somit ist die Fortsetzung des Kampfes als notwendig dargethan.

Als Zeus schwankt, ob er seinen Sohn Sarpedon lebend aus der Schlacht nach Lykien entführen oder dem Tode durch die Hand des Menoitiaden anheimgeben solle, weiss Hera ihn zu letzterem zu bestimmen durch Betonung der bedenklichen Folgen, welche die Rettung des Helden nach sich ziehen würde: denn diese Handlung würde von manchen Göttern gemissbilligt werden (JT 443), auch würden dann andere Götter ihre Söhne retten wollen (v. 445 ff.)

Der Redner erhöhte die Überzeugungskraft seines Rates, wenn er nicht nur vor dem einen Fall warnte, sondern auch die Vorteile des entgegengesetzten begründete.

So verfährt derselbe Polydamas 2 254—283, wo er die ausserhalb der Mauern befindlichen Troer zu bewegen sucht, in die Stadt zu gehen und im Schutz der Wälle zu übernachten. Er fordert zur doppelseitigen Erwägung auf. Auf freiem Felde zu übernachten sei jetzt zu gefährlich, da Achill wieder am Kampfe teil nehme; augenblicklich halte ihn wohl die Nacht fern, am nächsten Tage aber werde er schrecklich anstürmen,

122 Max Hecht

und während die Griechen und Troer auf dem gewohnten Schlachtfelde sich in einen Kampf verwickelten, die Stadt bestürmen (257 272).

Dieser Gefahr würde vorgebeugt werden, wenn sie in die Stadt ein- rückten, das Heer während der Nacht auf dem Marktplatz zusammen- hielten und in der Frühe des nächsten Morgens die Türme besetzten.

T(jj 6' a/.yiov, al x ed-ikjjoiv Ikd-ihv Ix vriwv Ttegl Tslxeog afifit ^axeoO^cxi. aifj TtaXiv eio^ stiI vfjag, kfcel x' IqLavxevag Iltctvovq TtavToLov ÖQOfiov qorj vtco TtroXiv rjlaOKa^iov. elou) ö ov fiiv S^vfiog scpoQ/arjd^^vaL edaei, ovöi TtoT iKTtSQoei' tcqLv ^lv 'Avveg agyol eöovTai (y, 274: 283).

Wir haben an einer Reihe von Beispielen gesehen, wie Homer seine Redner die tractatio animi et cogüationis anwenden lässt, wie die Helden es verstehen, bewusst durch Erweckung von Einsichten und Gefühlen die Willensentschliessung ihrer Zuhörer zu beeinflussen. Beruht auch der Erfolg der Rede zumeist auf dem richtigen Gebrauch dieser beiden Momente, insbesondere auf ihrer geschickten Verbindung zu einer Wirkung, so darf doch keineswegs der Eindruck der von der Sache ganz erfüllten und durchdrungenen Persönlichkeit des Redners und der ursprünglichen Kraft der Rede unterschätzt werden.

Was nach Goethe den Dichter macht, ein Herz, ganz voll von einer Empfindung, das gilt auch vom homerischen Redner.

Von liebender Sorge um sein Leben erfüllt, sucht Andromache Hektor vom Kampfe zurückzuhalten (Z 407 439). Das geängstete Gefühl inniger Bruderliebe veranlasst Agamemnon zu einer phantasievollen Ausmalung des Unglücks, das der Tod des verwundeten Menelaos für ihn bedeuten würde {J 155—182). Verzweifelte Angst um das durch den Peliden be- drohte Leben Hektors giebt der Rede des Priamos eine herzzerreissende Kraft {X 38 76). Aus leidenschaftlicher schmerzlicher Sehnsucht ent- springt jene unwiderstehliche Rede des die Leiche seines gelieb testen Sohnes losbittenden Greises 486 506). Qualvolles Mitleid mit der Not der Griechen reisst Patroklos zu scharfen, vorwurfsvollen Worten gegen Achilles hin {II 21 45). Zorn und Entrüstung sind Triebfedern kraftvoller Reden, so bei Poseidon, der die mutlosen Griechen tadelt (A^ 95— 124), bei Odysseus, der Agamemnons Fluchtplan zurückweist (H 83—102), bei Hektor, der den feigen Paris schmäht (F 39 57). Tief ins Mark ge- drungene Kränkung bewirkt jenen hinreissenden Seelenerguss in der herr- lichen Rede des Thetissohnes.

Bei solch innerem Drange und dem Vorwalten bewegender Gefühle

Zur homerischen Beredsamkeit. 123

sucht der Redner nicht viel nach einer seinen Gegenstand vorbereiten- den Einleitung ; er sagt vielmehr sogleich heraus, worum es sich handelt. Der Vorzug, den Horaz an der Darstellung des Dichters überhaupt rühmt, dass er gleich in medias res hineinkomme, gilt ganz besonders von den Reden. Aus der gefühldurchglühten Beredsamkeit der homeri- schen Gedichte entspringt der Reichtum all der Redefiguren und Tropen. Sie sind von ganz besonderer Schönheit. Was ihnen einen unvergleich- lichen Reiz giebt, das ist ihre Ursprünglichkeit. Fem von jeder rheto- rischen Absichthchkeit sind sie aus der Seele geboren und gleichsam die treuen Abdrücke ihrer mannigfach gearteten Regungen und Bewegungen. Wer also ihren psychologischen Ursprung ergründen will, wird in den homerischen Gedichten den besten Anhalt finden.

Die beiden grössten Redner der Uias sind wenn man von Achill absieht, der für sich zu betrachten ist, unstreitig Nestor und Odysseus. Wir wollen mit einer kurzen Charakteristik derselben schliessen.

Nestor nimmt unter den griechischen Helden eine ganz einzig gear- tete Stellung ein. Die hohe Ehrfurcht vor seinem Alter und dem über- legenen Reichtum an Lebenserfahrungen, die Hochachtung vor seiner in der Vergangenheit weit zurückliegenden Heldenlaufbahn, sein ideenreicher Geist und die Liebenswürdigkeit seines Wesens geben seiner Persönlich- keit ein Übergewicht über alle anderen Helden. Er ist der Kopf des griechischen Heeres, der in allen ernsten Fragen und bei wichtigen Ent- scheidungen den rechten Rat erteilt; der achtsame Hüter des Gemein- wohls, der drohende Gefahren voraus erkennt und durch Empfehlung ge- eigneter Massregeln ihnen zu begegnen sucht. Sein leidenschaftsloser Blick erschaut klar das Ziel, das teIoq /xv^wv, das er auch in dem rei- chen, mitunter zu breiten Strom seiner Reden nicht aus dem Auge ver- liert. Wegen seiner leichten, anmutigen Rednergabe nennt Homer ihn rjöv€7trjg, kiyvg Ilvklwv ayoQrjTi^g, tov xai ccTto ykajoatjg ^ikitog y/.vxlwv Qtev avöi].

Gleichwohl können wir Agamemnon nicht beipflichten, wenn er von

Nestor sagt:

fj jiiav avT ccyoQTj rix^g, yiqov, vlag ^Axaivjv,

denn Odysseus dürfte wohl auch in der Ilias als Meister der Beredsam- keit anzuerkennen sein.

Bei seinem hellen Verstand und der unerschöpflichen Erfindungskraft seines Geistes besitzt dieser feine Menschenkenner ein seltenes Geschick, durch klug berechnete Einwirkung auf Verstand und Gemüt seine Zu- hörer für sich zu gewinnen. Aus seiner ungewöhnlichen Selbstbeherr- schung und Besonnenheit entspringt jene sachliche Ruhe, welche seine

124 Max Hecht, Zur homerischen Beredsamkeit

Reden auszeichnet, und die Fähigkeit, seine Gedanken in logischer Folge und erschöpfend darzulegen. T 186 ev fiolQ/j ya() 7cdvTa diUeo xal

Wird gegen seinen Vorschlag Widerspruch erhoben, so weiss er mit verdoppelter Energie, wenns zum Guten dient, seinen Willen durchzu- setzen. Von sittlicher Entrüstung getragen strömt seine Rede unaufhalt- sam fort, trotz des Affekts ungeschwächt in der Klarheit und Überzeu- gungskraft der Gründe.

Seine Rede vor Achill übertrifft das rhetorische Kunststück Mark Antons in Shakespeares Julius Caesar soweit, als innere Wahrheit dem glänzenden Schein vorzuziehen ist. Dass dieser den erwünschten Erfolg hat, jener nicht, will wenig sagen. Der Plan der Dias gestattet es nicht, dass Odysseus durch die Macht seiner Worte den Sinn des Peliden wan- delt. Andrerseits konnte uns der Dichter auf keine treffendere Weise ver- anschaulichen, wie tief Achill die Kränkung seiner Ehre empfindet, als dadurch, dass er selbst diese Beredsamkeit an seinem Groll scheitern lässt.

In der Beredsamkeit des Odysseus der Ilias erkennen wir jene Zau- berkraft der Rede wieder, mit welcher der Held der Odyssee alle hin- reisst, die der Dichter in seiner naiven Art so einfach und doch so ein- drucksvoll mit den Worten schildert {v 1 f.) :

äg €q)aT\ ol ö^ aga TtdvTeg dmrjv eyevovxo Gccü/cf/, Tirjlrjd^fK^ ö^ 60X0VT0 xard fiiyaga oxioevTa.

V.

Zur Camillus- Legende.

Von

Otto Hirschfeld (Berlin).

Wenn wir die ersten 120 Jahre der römischen Republik durch- mustern, so treten uns die Bilder zweier Männer entgegen, die mit reichen Farben ausgemalt sich scharf von den übrigen Schattenrissen abheben: im dritten Jahrhundert Cn. Marcius Coriolanus, im vierten M. Furius Ca- millus. Beide werden, nach grossen Thaten von der undankbaren Plebs in die Verbannung getrieben, zu Rettern ihres Vaterlandes, aber der Makel des Landesverrats haftet nur an dem Ersteren, während Camillus auch im Exil sich rein und treu erhält. Ob dieselbe Hand in der Gestaltung unserer Tradition beider Helden thätig gewesen, kann fraglich erscheinen, denn die in der Darstellung verwandten Mittel zeigen mannigfache Ver- schiedenheiten. Aber wenn auch die Erzählung von Camillus einen un- gleich festeren historischen Kern in sich birgt, als die ganz von Sage umsponnene und von tendenziöser Fälschung zurechtgemachte Episode von Coriolanus 0, so wird man doch Niebuhr kaum der Übertreibung zeihen dürfen, wenn er von dem ,Lied oder der Sage von Camillus, wie jeder es nach seinen Ansichten nennen mag' spricht und sie als eine epische Erzählung bezeichnet, deren Züge mit der Geschichte unvereinbar sind.^) Andererseits ist aber die Gestalt des Helden so eng mit grossen und sicher beglaubigten historischen Ereignissen: der Eroberung Veji's, der gallischen Katastrophe und schliesslich dem Entscheidungskampf zwi- schen Patriciem und Plebejern verknüpft und steht so unmittelbar an dem Wendepunkt, an dem sich Sage und Geschichte in der römischen Über- lieferung scheiden, dass wir uns der Pflicht nicht entziehen dürfen, jede Nachricht über Camillus nicht allein auf ihren Wert, sondern auch auf

1) Ich verweise auf Mommsen's Darlegung in seinen Römischen Forschungen 2 S. 113 ff.

2) Römische Geschichte 2 S. 534.

126 Otto Hirschfbld

ihre Entstehung zu prüfen. Wenn auch nicht die vollständige Lösung dieser Aufgabe, so doch einen Beitrag dazu zu geben, sind die folgenden Zeilen bestimmt.

Über die erhaltenen Quellen für die Zeit des Camillus wird ein kurzes Wort genügen. Sehen wir ab von dem kurzen Abriss der Gallierkriege bei Polybius, der für unseren Zweck kaum in Betracht kommt, so schei- den sich zwei Gruppen der Überlieferung, deren eine von Diodor vertreten wird, die andere von der gesamten übrigen Tradition, in erster Linie von Livius, Dionys und von Plutarch in seiner Camillus-Biographie. Dass Diodors Bericht, mag demselben nun Fabius oder ein anderer Annalist zu Grunde liegen, an Glaubwürdigkeit weitaus die übrigen übertrifft und von späten Verfälschungen frei ist, wird allgemein anerkannt; jedoch stimme ich den Ausführungen Burger's durchaus bei, der die nicht sel- tenen Notizen, die bei Diodor mit den Worten svlol öe q)aai oder wg öe Tiveg eingeführt werden, nicht der Hauptquelle Diodors, sondern einem jüngeren Werke zuweist.') Livius und Dionys folgen, soweit wir nach dem sehr fragmentierten Zustande dieses Teiles seines Werkes schliessen können, im wesentlichen derselben Überlieferung , d. h. der Tradition der spätesten Annahsten, wenn auch einige ältere Notizen von Dionys seiner Darstellung eingefügt worden sind. Plutarch's Biographie ist, wie richtig erkannt wor- den ist"*), zum grossen Teil aus Dionys geschöpft, für dessen verlorene Angaben sie daher einen gewissen Ersatz bietet; daneben hat er aber nach seiner eigenen Angabe und zwar gewiss in höherem Grade, als Peter anzunehmen geneigt ist, Livius benutzt, und es liegt nicht der ge- ringste Grund vor, an Stelle direkter Abhängigkeit die beliebte gemein- same Quelle, die dann Beide wörtlich wiedergegeben haben sollen, zu substituieren. Derselben Gruppe gehören, abgesehen von den Ausschreibern des Livius: Valerius Maximus, Florus, Victor, Eutropius, auch das zum Teil in Stein erhaltene Elogium des Camillus und die dürftigen Fragmente des Appian und Dio an, aus dem mit Heranziehung Plutarch's Zonaras geschöpft hat.

Bis auf die Eroberung von Veji erfahren wir über CamiUus so gut wie nichts; aus seiner Jugendzeit hat Plutarch offenbar in seinen Quellen

3) G. P. Barger: Sechzig Jahre aus der älteren Geschichte Roms (418—358). Amsterdam 1891, Ygl. besonders S. 217 ff. In wie weit seine Annahme von vier ver- schiedenen Annalisten, die Diodor mittelbar zu Grunde liegen sollen, das Richtige trifft, können wir füglich hier auf sich beruhen lassen. Dass Diodor Zusätze zu seiner Hauptquelle und anderen Büchern gemacht hat, hält auch Wachsmuth; über das Geschichtswerk des Diodor II (1892) S. 8 und Andere vor ihm für un- zweifelhaft.

4) H. Peter: Die Quellen Plutarchs in den Biographieen der Römer S. 17 ff.

Zur Camillus - Legende. 127

nichts vorgefunden. Nach der Angabe der Fasten hiess sein Vater Lu- cius, sein Grossvater Spurius, aber keiner von Beiden, geschweige denn seine älteren Ahnen werden genannt, während aus den übrigen Zweigen des uralten Geschlechts der Furier die Fusi und MeduUini bereits im dritten Jahrhundert, die Pacili im Anfang des vierten Jahrhunderts zum Konsulat gelangt sind. ^) Dass Plutarchs Nachricht, Camillus sei in dem Kampfe gegen Aequer und Volsker unter dem Diktator Postumius Tuber- tus, also im J. 323 verwundet worden und habe sich in diesem Kriege hohen Ruhm erworben, auf zuverlässiger Überlieferung beruhe, glaube ich nicht; denn erst dreissig Jahre später hat er sein erstes konsularisches Militärtribunat bekleidet, während allerdings die Censur ihm bereits, als erstes höheres Amt, im J. 351 zu teil geworden ist.®) Erst mit seiner Diktatur im J. 358 tritt Camillus in den Vordergrund und wird dann sofort durch die Einnahme von Veji der erste Held seiner Zeit

Ich übergehe die Wunderzeichen, die den Fall der Etruskerstadt ver- künden und begleiten, die Eintreibung des Weihgeschenks an den del- phischen Apollo, den angeblichen Antrag auf Übersiedelung nach Veji und seine Hintertreibung durch Camillus^), die Ausführung einer Kolonie ins Volskerland und die Aufteilung der vejentischen Feldmark*), schliess-

5) CIL. P p. 349 s,v. Furii; Mommsen R. F. 1 S. 115. Wenn Plutarch Ca- millus c. 2 sagt: ovnct) 6e vors nsQl zbv rcöv <Povqlü)V olxov ovarjg (jisyäkriq int- (pavsiaq, avxoq oi(f havxov TtQÖixoq eiq öo^av TtQoijk&ev, 80 wird man dies auf die Stirps der Camilli zu beschränken haben.

6) Vgl. über diese Censur, in der nach der Angabe des Festus s. v. trihutorum conlatio p. 364 M. der letzte Census vor der gallischen Katastrophe abgehalten sein soll: de Boor fasti censorn p. 52 ff. Ich bemerke gelegentlich, dass meines Erach- tens in der stark verderbten Stelle des Festus anstatt temer arium zu lesen ist: in aerarium, wie die folgenden Worte: quom et senatus et populus in aeraiium quod habuit detulit zeigen, und das angebliche, nur an dieser Stelle erwähnte iribu- tum temerarium ganz zu streichen sein wird.

7) Vgl. Mommsen R. F. 2 S. 333 , der mit Recht diese Erzählung als späten Zusatz verwirft; verfehlt ist Burgers Versuch a. 0. S. 84 ff., die Tradition umzu- kehren und auf eine gezwungene Übersiedelung der Vejenter nach Rom zu deuten. Der durch ein 6jähriges Intervall getrennte Doppelbericht über den Übersiedelungs- antrag, wie auch über die Hingabe des Goldschmuckes seitens der römischen Ma- tronen, ist gewiss mit Burger aus der Benutzung von in der Chronologie um diesen Zeitraum abweichenden Quellen zu erklären. Die Angabe, dass den Frauen aus diesem Anlass ausser anderen Ehren das Recht der laudatio verliehen sei, wie Plu- tarch (nach der Eroberung Veji's) und Livius (nach der gallischen Katastrophe) berichten, halte ich für einen späten Zusatz, gegen den sich vielleicht Cicero's Worte {de oratore II, 11, 44) betreffs der von dem Konsul des J. 652 Q. Lutatius Catulus seiner Mutter gehaltenen Laudatio richten: cum a te est Popilia, mater vestra, lau- data, cui primum mulieri hunc honorem in nosira eivitate iributum puto.

8) Die Grösse der Ackerlose betrug nach Livius (V, 30, 8) 7 iugera nebst einem

128 Otto Hibschpeld

lieh den Krieg gegen Falerii samt der Anekdote von dem verräterischen Schulmeister, um bei dem Prozess gegen Camillus verweilen zu kön- nen, da mir derselbe für die Beurteilung der Entstehung unserer Tra- dition und zwar der altrömischen Tradition überhaupt beachtenswert erscheint.

Dass Camillus vor ein Volksgericht gestellt und in demselben zu einer Geldstrafe verurteilt worden sei, der er sich durch freiwillige Verbannung entzogen habe, erzählen unsere Berichte, soweit sie überhaupt in Betracht kommen"), übereinstimmend, während sie über die Zeit, den Gegenstand der Klage, die Person und Qualität der Ankläger und die Höhe der Strafe ziemlich weit auseinander gehn. Ich stelle zunächst die wesentlichen Dififerenzpunkte hier kurz zusammen/")

Eine genaue Angabe der Zeit findet sich nur bei Diodor (XIV, 117, 6) : evioi S^ (paoiv avTOV cltco Tovoy,(jov d-Qlafxßov ayayeiv hc\ Xevy.ov tb- -d-qiTtTtov Y.al öia tovto dvalv vatSQOv STsaiv vtco tov Öiq^ov tio)- ^olg xQTifxaai y.aTaöixaGd^rjvat' Ttegl ov Tiara Tovg ol/.elovg xQovoig €7tL!xvrjod^r]o6(.i€d^ay ein Versprechen, das er aus begreiflichen Gründen nicht eingelöst hat. Er verlegt also die Anklage zwei Jahre nach dem Triumph, aber nicht dem über Veji, sondern dem im J. 365 gefeierten (oder nach Diodor a. a. 0. von den Tribunen hintertriebenen) dritten Triumph des Camillus über Etrusker, Aequer und Volsker^^). Ob hier Diodor seine Vorlage missverstanden hat oder in der That von dieser der Prozess

Zuschlag für jedes liberum caput im Hause, nach Diodor 4 oder nach anderer An- gabe {(og ÖS tlveq) 28. Letztere Zahl wollte Niebuhr (R. G. 2 S. 562 flf.) durch Ver- anschlagung der Familie auf 4 Köpfe erklären (vgl. auch Burger a. 0. S. 130 ff.). Meines Erachtens liegt hier nur ein Missverständnis eines späten Annalisten zu Grunde, der aus den zwischen 4 und 7 Morgen schwankenden Angaben durch Mul- tiplikation die für jene Zeit ganz undenkbare Zahl 28 herausrechnete.

9) Denn nicht in Betracht kommt die Angabe des ungenau nach Livius be- richtenden Valerius Maximus (V 3, 2), Camillus sei duris atque ferreis sententiis in exilium missusj umsoweniger als er selbst unmittelbar darauf die Geldstrafe angiebt, zu der er verurteilt worden sei.

10) Aufgezählt sind die Stellen bei Schwegler R. G. 3 S. 174 A. 1, wozu Momm- sen noch Dio 52, 13 gefügt hat. Erwähnt könnte noch die seltsame Mähr bei Suidas s. V. 4>sßQOV(xQiog werden, nach der er von einem Konsul Februarius gallischen Stam- mes des Strebens nach der Tyrannis beschuldigt worden sei und nach Überführung des falschen Anklägers der nach jenem benannte Monat Februarius um einige Tage verkürzt worden sei. Diese für byzantinische Gelehrsamkeit charakteristische Notiz wird von Cedrenus und Malalas ganz ähnlich von einem Senator Februarius, aber von Manlius Capitolinus berichtet. Sie knüpft daran an, dass der Abzug der Gallier in den Februar gesetzt wurde.

11) Die Zeugnisse in CIL. V S. 170 z. J. 365.

Zur Camillus- Legende. 129

erst einige Jahre nach der gallischen Katastrophe angesetzt worden ist, kann zweifelhaft erscheinen, obschon mir eine einfache Verwechslung des ersten und dritten etruskischen Triumphes die nächstliegende An- nahme dünkt '^). Keineswegs aber kann ich in dieser Ansetzung der An- klage die älteste Tradition sehen, die erst von den späteren Annalisten des grösseren Effektes wegen vor die gallische Katastrophe gestellt worden sei"), da die Einführung durch evioc ö6 cpaatv sicherlich auf einen Zusatz aus einer jüngeren Quelle deutet ^^). Unsere gesamte übrige Tradition setzt dagegen die Anklage unmittelbar vor die gallische Kata- strophe'^), und ich zweifle nicht, dass, mag der Prozess und das frei- willige Exil des Camillus historisch sein oder, was mir wahrschein- licher ist, auf freier Erfindung beruhen, wir hierin die ursprüngliche Tradition zu erkennen haben.

Betreffs des Anklagegrundes teilt sich unsere Überlieferung in zwei Gruppen'^): die eine vertreten durch Diodor, d. h. durch seine Neben- quelle, lässt ihn wegen des Gebrauchs eines weissen Viergespanns, also wohl wegen aaißeia anklagen. Auch Livius hat offenbar diese Version gekannt), wenn er auch nicht darauf die Anklage gründet, wie dies ausser Diodor nur noch Dio in der dem Agrippa beigelegten Kede thut^*),

12) Eine Fälschung des von ihm als C bezeichneten Annalisten nimmt Burger a. a. 0. S. 44 an.

13) So Mommsen KF. 2 S. 337 ff.

14) S. oben S. 126. Matzat Chronologie 2 S. 99 A. 1 sieht in dem vorangehen- den Passus ein Einschiebsel Diodors und lässt ihn dann mit den Worten svlol öS (paaiv zu seiner ursprünglichen Vorlage zurückkehren, was das meines Erachtens richtige Verhältnis geradezu ins Gegenteil verkehrt.

15) Livius V, 32; Plutarch Camillus c. 12 (daraus Zonaras VII, 22); gewiss auch Dionys, denn wenn wir auch nicht wissen, woran die Worte (XIII, 5) : /zf r' ov noXv angeknüpft haben, so ist dafür doch das Fragment XIII, 7 beweisend: ini^xovaav 6h avzov taZg evxcüg ol d^eoL xalvno KeXxäiv fiezd (jllxqov tj nöXiq hdXo).

16) Die alleinstehende Angabe Applaus Italic, frgm. 8, es habe jemand den Camillus beschuldigt: <hq aiziov ysyovoza zy noXsi (paaßäz(ov xal zegdztov ;faAf- nüjv beruht wohl nur auf einem Missverständnis seiner Quelle, vielleicht des Livius V, 32: neque deorum modo monita ingruente fato spreta, sed hiwianam quo- que opem . . . M. Furium ah urbe amovere, woran sich dann sofort bei Livius der Bericht über das Exil und die Verurteilung anschliesst. Ich bemerke gelegentlich, dass bei Livius in § 6 vor saceUum (vielleicht zwischen via und uhi) der Name An (vgl. c. 50) einzusetzen sein wird.

17) Livius V, 23: maxime conspectus ipse est curru equis albis iuncto ur- hem invectus parumque id non civile modo sed humanum etiam visum. lovis Solisque equis aequiperalum dictatorem in reliyionem etiam trahehant trium- phusque oh eam unam maxime rem clarior quam gratior fuit. Ähnlich Plutarch Camill. c. 17.

18) Dio 52, 13: zov Kdfjiikkov vnsQioQiaav , insiÖTj Xsvxolq mnoig ig zd im- vixia ixQr]Oazo.

130 Otto Hibschpeld

während Aurelius Victor diese Version mit der zweiten gleich zu he- sprechenden verbindet. '°).

Wie bedenkhch diese Angabe ist, hat bereits Schwegler ''"j gebührend hervorgehoben und darauf hingewiesen, dass ein Triumph mit weissem Viergespann nicht vor Caesar, dem dies als besondere Ehre im J. 708 vom Senat gestattet wurde '^'), abgehalten, in der Kaiserzeit dann freilich üblich geworden ist; er sieht in dieser Nachricht 'sicherlich keine historische Thatsache, sondern gewiss nur die Erfindung eines späteren Annalisten, der um ein Motiv verlegen war, Camillus' raschen und jähen Sturz zu erklären.' Ich halte es sogar für wahrscheinlich, dass diese Version erst in Caesars Zeit als litterarischer Protest gegen die übermenschlichen ihm zugestandenen Ehren in Kurs gesetzt sei, denn, soweit ich sehe, steht der Annahme nichts im Wege, dass Diodor's Nebenquelle ein erst während der Ausarbeitung seines Geschichtswerkes") erschienenes und nachträglich von ihm für einzelne Zusätze herangezogenes Buch gewesen sei.^) Keines- wegs aber kann ich mich entschliessen , ihr mit Bürger*-^'') ein relativ hohes Alter im Gegensatz zu der in der übrigen Tradition vertretenen Überlieferung zuzuerkennen, in der die Unterschlagung oder ungerechte Verteilung der Beute den Anklagegrund bildet.

Dieser Tradition folgen Livius und die von ihm abhängigen Schrift-

19) Victor V. ilL 23, 4: postmodum est crimini datum quod albis equis trium- phasset et praedam inique divisisset.

20) R G. 3 S. 228 A. 1.

21) Dio 43, 14; es übertreibt also Plutarch oder er folgt einer vorcaesarischen Quelle Camill. c. 7 : oväevog xovxo noi^aaviog rjyeßovog nQoxsQov ovo' vazsQov. Wenn Properz den Romulus, Ovid den A. Postumius Tubertus im J. 323 mit weissen Rossen triumphieren lassen, so wird man darin natürlich nicht ein Zeugnis sehen wollen.

22) Dass das Werk erst nach 733 geschrieben sei, schliesst Mommsen R. F. 2 S. 549 A. 1 aus der Erwähnung der von Augustus in diesem Jahre vollzogenen Grün- dung der Kolonie Tauromenium, dem Wachsmuth: über das Geschichtswerk des Sikelioten Diodoros I (1892) S. 3 beistimmt; mir scheint die Ansicht von Cuntz: de Augusto Plinii geographicorum aucioi'e S. 35, dass das Werk etwa zwischen 694—724 geschrieben und nur mit einigen Zusätzen in späterer Zeit versehen sei, wahrschein- licher.

23) Ich denke dabei an Schriften, wie Nepos' exempla oder de viris illustribus. Dass Livius die Exempla des Nepos bei seiner Darstellung des Scipionen-Prozesses mit dem Bericht des Antias verschmolzen habe, nimmt gewiss mit Recht Niese de antialibus Romanis ohservationes aiterae (Marburg 188S) an, vgl. besonders p. X: ^apparet Livium ita Valerio Antiate usum esse, ut eum ex exempUs Cornelianis exorna- ret et ampliaret.^ Die Benutzung des geographischen Werkes des Nepos durch Livius in der gallischen Wandersage habe ich in den Sitzungsberichten der Berliner Akademie 1894 S. 343 ff. zu erweisen versucht. Wie ich nachträglich sehe, hat bereits Ettore Pais in den Sludi storici I (1892) S. 161 Anm. 1 auf Nepos als wahrscheinliche Quelle kurz hingewiesen. Warum sollte aber nicht auch Diodor solche Bücher gekannt und für Einzelheiten benutzt haben? 24) S. 87 ff.

Zur Camillus-Legende. 131

steller Valerius Maximus, Florus, Eutropius'-'^j, ferner Dio-Zonaras, Servius, Suidas (s. v. OovQtog). Aus Dionys, dessen Bericht hier verstümmelt ist, hat ohne Zweifel Plutarch im Camillus c. 12 geschöpft, der aber der Anklage wegen xAo/r?} Ttegi ra TvQQr]VLxa xQW^f^^^^) ^^^^ ^^® eigen- tümliche Notiz anfügt: xa« örjxa y.al d-vgat Tivkg kXeyovro xa'kY.ol 7caQ^ avTw cpavrjvaL twv atxf^akojTCJv , eine Angabe, die sich ebenfalls bei Plinius n. h. 34, 7, 13 wiederfindet: Camillo inter crimina ohiecil Spurius Cai'vUius quaestor ostia quod aerata haberet in domo. Schon an und für sich macht dieser Bericht einen älteren Eindruck, denn schwerlich würde der Besitz gerade eines solchen Beutestückes von den Annalisten der Sullanischen Zeit als Anklagegrund erdichtet worden sein. Wir sind aber in der Lage, mit ziemlicher Sicherheit die Quelle des Plinius (und der damit übereinstimmenden dionysisch-plutarchischen Variante) nach- zuweisen. Zunächst ist nicht zweifelhaft, dass die Notiz einem römischen Schriftsteller entnommen ist, denn unter den griechischen Schriftstellern, die Plinius als Quellen für dieses Buch anführt, ist kein einziger, dem man möglicherweise die Autorschaft zutrauen könnte. Als seine römischen Gewährsmänner nennt Plinius L. Piso, Antias, Verrius, M. Varro, Cornelius Nepos und nach ihnen andere, die an und für sich für diese Nachricht nicht in Betracht kommen können und zwar um so weniger, als sie sich im Anfang des Buches findet und Plinius nach dem von Brunn erbrachten Nachweis in der Kegel wenigstens in seinem Autorenverzeichnis die Reihenfolge einhält, die er in seinem Werke bei der Benutzung seiner Quellen beobachtet hat.^') An der Spitze der diesem Buche zu Grunde liegenden Schriftsteller wird nun von Plinius L. Piso genannt, ein von ihm überhaupt stark benutzter Autor, ^®) der auch der erste ist, der in diesem Buche mit Namen citiert wird, und zwar für eine unmittelbar auf die obige Nachricht folgende Angabe über den ältesten Gebrauch von Triclinien und Tischen aus Erz in Rom, entnommen allem Anschein nach einer Ausführung über die Zunahme des Luxus in Rom, die in dem moralisierenden Geschichtswerk des Censorius Frugi eine passende Stätte findet. Zwar wird sofort darauf auch Antias als Gewährsmann für eine ähnliche Notiz angeführt, ^^j aber einerseits bezieht sich diese

25) Auch Aurelius Victor, wenn er daneben auch die andere Überlieferung be- rücksichtigt.

20) örifjLoaiaL xXonal in der Schrift neQl tvxv? ^Pcofjialwv c. 12.

27) H. Brunn: de auctorum indicibus Plinianis. Bonn 1856.

28) Er erscheint in dem Autorenverzeichnis zu Buch 2. 3. 8. 12—18. 28. 29. 33. 34. 36; im 34. Buch wird er sogar an drei Stellen namentlich citiert. !Nicht zum geringsten Teil sind die Fragmente des Piso uns durch Plinius erhalten.

29) Plinius n. h. 34, 14: Antias quidem (auctor est) heredes L. Crassi oratoris muUa etiarn triclinia aerata vendidissc.

9*

132 Otto Hibbchpeld

auf die späte Zeit der Republik, andererseits wäre es kaum denkbar, dass, wenn jene Nachricht über Camillus aus Antias geschöpft wäre, Plinius vor Nennung dieses Autors das Citat aus Piso eingeschoben hätte. Man muss nun zwar mit der Möglichkeit rechnen, dass Plinius die obige Nachricht aus einem erst später citierten Autor, z. B. Varro, entnommen habe, aber man wird nicht in Abrede stellen, dass alle Wahr- scheinlichkeit hier für Piso spricht, und ich stehe daher nicht an, diese Nachricht als die älteste, die uns über den Prozess des Camillus erhalten ist, zu bezeichnen.

Ist sie nun ihres Alters wegen für glaubwürdig zu halten? Es wäre ja interessant, wenn uns hier in der That der wirkliche Name des An- klägers erhalten und demgemäss der Prozess gegen Camillus, da die Anklage von dem Quästor erhoben wird, als Kapitalprozess anzusehen wäre.^) Auch ist diese Überlieferung insofern der vulgären vorzuziehen, als Unter- schlagung der Beute in der That eine Anklage auf Pekulat oder, wie man es in älterer Zeit nannte, auf furtum pecuniae publicae rechtfertigte, während ihre ungleiche oder ungerechte Verteilung durch den Feldherm kraft des ihm zustehenden freien Verfügungsrechtes wohl Missbilligung finden, jedoch ihn nicht auf die Anklagebank bringen konnte.^') Aber der Name des Anklägers kann sicherlich nicht als historisch beglaubigt gelten, ^^) sondern ist mit einer für unsere Anschauung verblüffenden Ungeniertheit, für die es aber in der römischen Geschichtsschreibung keineswegs an Analogien mangelt, ^^) dem gleichartigen Prozess gegen den betrügerischen Armeelieferanten M. Postumius Pyrgensis im J. 542 ent- nommen, in dem zwei Tribunen mit Namen Sp. und L. Carvilius als Ankläger fungieren.

30) Vgl. Mommsen St. R. IP S. 539 A. 1: 'womit wohl zu combinieren ist, dass nach Cicero de domo 32, 86 der Prozess vor den Centurien geführt ward, also capital war'. Cicero nennt hier Camillus zusammen mit Kaeso Quinctius und C. Servilius Ahala als in Centuriatcomitien verurteilt, mag dies auch in den '^annales populi Romani et monumenta vetustatis\ auf die er sich beruft, gefunden haben, vielleicht gerade bei Calpurnius Piso, dessen Annalen er zwar nicht hoch geschätzt, aber benutzt hat.

31) Ich verweise auf die lichtvolle Auseinandersetzung Mommsens R. F. 2 S. 443 ff. über die Behandlung der Beute und den Pekulatsprocess, insbesondere auf S. 448 fg.: 'Unterschlagung von Beutestücken, einerlei ob sie ein Anderer begeht oder der Feldherr selbst, ist unzweifelhaft stets als Pekulat betrachtet worden' und die dort angeführten Worte Modestins in den Digg. 48, 14, 13: is qui praedam ab hostibus captam swiripuit lege peculatus tenetur.

32) Herrscht doch nicht einmal über den Ankläger des P. Scipio, wie Livius 28, 56 klagt, Übereinstimmung bei den Berichterstattern.

33) Einige Fälle derart hat kürzlich Niese: de annalibus Romanis observa- tiones 1886 p. VI ff., vgl. ohservat. alterae (1888) p. III fg. erwiesen.

Zur CamiUus - Legende. 133

Und nicht anders ist das Verfahren unserer ührigen Gewährsmänner gewesen, die, um den Camillus-Prozess auszustaffieren, einfach die späteren, historisch beglaubigten Pekulats- oder die diesen ähnlichen Multprozesse geplündert haben. So finden wir die Anklage wegen ungerechter Ver- teilung der Beute wieder in dem Prozess gegen M. Livius Salinator im J. 535 ;^0 die Höhe der Strafsumme, die in der vulgären Tradition gewiss nach willkürlicher Schätzung auf 15 000 As normiert wird,'^) giebt Dionys,^^) wahrscheinlich im Anschluss an den gegen M.' Acilius Glabrio im J. 565 erhobenen Strafantrag auf 100 000 As an;^^) endlich die Nachricht, dass die Klienten und Freunde des Camillus die Strafsumme zusammengeschossen hätten oder zusammenschiessen wollten,^®) ist offen- bar dem berühmtesten dieser analogen Fälle: dem Scipionenprozess ent- lehnt, in dem nach Livius oder richtiger nach Valerius Antias : ^^) collata ea pecunia a cognatis amicisque et clieniibus est L. Scipioni, der aber, ebenso wie Camillus, die Annahme verweigert.

Wenn demnach die Details des Camillus-Prozesses sich unzweideutig als Anleihen aus verhältnismässig später Zeit erweisen, so wird man sicherlich den in der jüngeren Überlieferung als Ankläger auftretenden^") L. Appuleius nicht als historische Persönlichkeit gelten lassen oder ihn gar mit Rudorff"*') zum Urheber eines alten Gesetzes de sponsu machen

34) Vgl. Yictor v. ilL c. 50 und besonders Frontin strategem. 4, 1, 45: damnatus est a populo , quod praedam non aequaliter diviserat militibus , fast wörtlich mit Florus, Victor, Eutropius, Servius stimmend.

35) Livius V. 32, 9 (daraus Valerius Maximus V, 3, 2 undPlutarch Camillus 13); Zonaras VII, 22. Die 500 000 As bei Appian Italic, c. 8 sind ein offenbares Miss- verständnis. Diodor XIV, 117, 6 nennt keine Summe, sondern spricht nur von noXXolq iQyniaGL.

36) Dionys 13, 5; il^rifjiiojoav avxov ö^xa (ivgidoLV [daaaQiojv].

37) Livius 37,58: centwn milium mulla irrogata erat. Vgl. über diesen Prozess Mommsen R. F. 2 S. 459 ff.

38) Livius V, 32, 8 : cwn accitis domum tribulihus clieniibus . . . responsum tulisset, se conlaturos quanti damnatus esset, absolvere eum non posse (dieser letztere Zug ist wohl hinzugefügt, um den Entschluss des Camillus, ins Exil zu gehen, noch schärfer zu motivieren). Noch mehr stimmt Dionys 13, 5 (aus ihm wohl Appian Ital. c 8) mit dem scipionischen Berichte überein: zd fihv ovv dgyvgiov oc TtsXäzat TS xal avyyevelq avxov avvetcsveyxavxeq ix x(ov löiwv xQVl^dxiov dniöoaav. Aus ihnen schöpfen dann Plutarch Camill. c. 12; Dio fragm. 23, 8 ed. Melber. Dass Camillus die Annahme verweigert, wird sicher dabei vorausgesetzt.

39) Livius 38, 60, 9; vgl. Mommsen R. F. 2 S. 498.

40) Livius V, 32, 8 (aus ihm Valerius Maximus V, 3, 2); Plutarch Camill. 12 (aus Livius und Dionys, bei dem jedoch der Name nicht erhalten ist) ; Victor v. ill. 23, 4. Diodor nennt keinen Namen.

41) Rudorff R.-R.-G. I S. 50: 'lex Appuleia de sponsu, älter als die lex Furia, die wieder älter als die lex Valeria (412) ist, rührt vielleicht vom Volkstribunen Appuleius 364 her.' Aber diese angebliche lex Valeria, die vermutungsweise dem

134 Otto Hibschpeld

dürfen. Entweder ist der Name ganz beliebig als ein bekannter plebe- jischer gewählt oder, was ich für wahrscheinlicher, halte, er ist von dem berüchtigten Tribunen L. Appuleius Satuminus entlehnt. Ist letzteres der Fall, so kann er erst im letzten Jahrhundert der Republik von einem anti- demokratischen Schriftsteller eingesetzt sein, und wir werden schwerlich fehl gehen, wenn wir Valerius Antias als denjenigen bezeichnen, der den Prozess des Camillus in diese Form gebracht hat, wie er das Gleiche auch für den Scipionen- Prozess besorgte."^) Dass aber neben Licinius Macer, der hier keineswegs in Frage kommen kann, Antias im 5. Buche des Livius die Hauptquelle gebildet hat, lässt sich mit Sicherheit erweisen/^}

Zu den in neuerer Zeit am eingehendsten behandelten Teilen der Camillus -Legende gehört sein Auftreten bei der gallischen Katastrophe und die Wiedergewinnung des den Galliern für ihren Abzug gezahlten Goldes. Nach der besten, d. h. der polybianischen Überlieferung gelangen die Gallier mit ihrer Beute unbehelligt nach Hause. Nach Diodor gelingt es dagegen dem Diktator Camillus, nach glücklichen Kämpfen gegen Volsker, xiequer, Etrusker, die Gallier bei Belagerung einer mit Rom ver- bündeten Stadt Oveaoyitov^^) zu überraschen und ihnen das Gold und die gesamte Beute abzunehmen, was dann in der jüngsten, durch Livius, Plu- tarch, Dio-Zonaras vertretenen Fassung zu der bekannten theatralischen Szene, in der Camillus den Brennus bei der Zuwägung des Goldes in Rom selbst niederstösst, dramatisch gesteigert worden ist. Die sicher lokale, bei Strabo erhaltene Tradition, nach der die Caeretaner die von Rom zurückkehrenden Gallier geschlagen und ihnen die Beute abgenom- men hätten"^), schliesst die Wiedergewinnung des Goldes durch Camillus

Diktator des J. 412 M. Valerius Corvinus zugeschrieben wird, heisst im Veronensis vielmehr lex Vallia, ein Name der verdorben sein kann, aber keineswegs notwendig in Valeria zu restituieren ist (vgl. Krüger zu Puchta Institutionen P*^ § 162 Anm. n und s) ; demnach ist die Datierung ganz zweifelhaft und alle drei Gesetze sind gewiss weit später anzusetzen ; vgl. auch Bruns - Pernice Gesch. und Quellen d. R. R. (5. Aufl.) S. 128: 'die Gesetze gehören in die Zeit nach dem zweiten punischen lurieg, denn das älteste setzt Provinzen voraus.'

42) Vgl. Mommsen R. F. 2 S. 493 tf.

43) Vgl. Clason R. G. 2 S. 73 ff., der aber Licinius Macer gegen Antias zu sehr in den Vordergrund stellt. Auch die Angaben bei Livius V, 31 (also in dem un- mittelbar vorhergehenden Kapitel) über L. Valerius Potitus und seinen Triumph über die Aequer dürften trotz ihrer alt-annalistischen Kürze auf Antias zurückgehen.

44) Gegen die Annahme Mommsens R. F. 2 S. 335, dass für Veascium gemäss einer Nachricht des Servius zur Aeneis 6,826 üioav^ov einzusetzen sei, vgl. die Einwände Burgers a. a. 0. S. 40 ff. Niebuhr wollte Ovokaiviov verbessern, Borger

45) Strabo V, 2, 3; auch Diodor XIV, 117, 7 bringt die Nachricht, anscheinend aus einer Nebenquelle, lässt jedoch die Gallier aus Apulien konmien.

Zur Camillus - Legende. 135

indirekt ebenso aus, als die Erzählung des Trogus/^) nach der die Massa- lioten den Eömem Gold und Silber als Ersatz für das den Galliern ge- zahlte Lösegeld gesandt hätten. Bedeutungsvoller für die Kritik der Camillus-Erzählung erscheint mir die Angabe Suetons^'): Drusus, kostium duce Drauso cominus trucidaio, sibi posterisque suis cognomen invenit; traditur etiam pro praetore ex provincia Gallia retulisse aurum, Seno- nibus olim in obsidione Capitolii datum, nee, ut fama est, extortum a Camillo. Diese Überlieferung ''als Produkt rationalistischer Kritik und später, wahrscheinlich gentilicischer Fälschung' einfach zu verwerfen,^®) kann ich mich nicht entschliessen , wenn sie auch in dieser Form, d. h. in Anknüpfung an das einst gezahlte Lösegeld, natürlich nicht zu halten ist. Aber einerseits sind solche abseits von dem unreinen Strom der römischen Annalistik erhaltenen Nachrichten nicht selten von höherem Wert, als die durch den ganzen Tross der Berichterstatter anscheinend verbürgten Thatsachen, andererseits handelt es sich hier um ein erst spät zu einiger Bedeutung gelangtes plebejisches Geschlecht und um einen obskuren Mann, der nach Ausweis der Fastenliste es nicht einmal zum Konsulat gebracht hat und für die ja sonst recht thätige gentilicische Fälschung kein besonders geeignetes Objekt bilden konnte. Gewiss mit Recht hat bereits Pighius und nach ihm Mommsen diese Nachricht auf die Ausrottung der Senonen durch Dolabella im Jahre 471 bezogen, und es mag wohl sein, dass damals reiche Beute an Gold von dem Sieger oder von dem mit dieser Mission betrauten Drusus nach Rom gebracht worden ist. Wenn nun dieses Gold mit der Aufschrift aurum de Senonibus cap- tum oder receptum auf dem Kapitol niedergelegt wurde, so lag die Kombination mit dem im Jahre 365 den Galliern gezahlten Lösegeld ausserordentlich nahe, wie auch wohl infolge dessen erst die Über- lieferung, dass gerade die Senonen Rom erobert hätten''®), entstanden sein mag.

Aber auch die Bildung der Tradition, dass dieses Gold durch Ca- millus selbst den Römern wiedergewonnen worden sei, findet bei dieser Annahme, wie ich glaube, eine einfache Erklärung. Denn das gallische Gold befand sich, wie wir wissen, bis zum Jahre 702 unter dem Throne des kapitolinischen Jupiter, wo es angeblich bereits von Camillus niedergelegt

46) Justinus 43, 5.

47) Tiberius c. 3.

48) So Mommsen R. F. 2 S. 340; der Titel pro praetore und die provincia Gallia ist allerdings anstössig und wird einer späten Fassung zuzuschreiben sein.

49) Diodor XIV, 113; Livius V, 35,3: Senones . . . hanc gentem Clusium Romamque inde venisse coynperio ; id parum certum est, solamne an ah omnibus Cisalpinorum Galloi'um populis adiutam. Polybios nennt keinen bestinuuten Stamm.

136 Otto Hibschfbld

sein sollte. In der Cella des Gottes befanden sich aber, wie Livius ^) be- richtet, bis zum Brande des Kapitols im Jahre 671 auch drei goldene Schalen, die aus dem Erlös der etruskischen Beute im Jahre 365 vonCamillus geweiht waren: quas cum titulo nominis Camüli ante Capitolium incensum in lovis cella constat ante pedes lunonis posüas Juisse. Die technischen Bedenken, zu denen diese Worte Veranlassung gegeben haben,'^*) können wir hier füglich auf sich beruhen lassen; jedenfalls müssen die mit dem Namen des Camillus bezeichneten Weihgeschenke aus der etruskischen Beute sich in unmittelbarer Nähe des senonischen Goldes befunden haben. Dann lag aber nichts näher, als die Kückgewinnung und Niederlegung desselben dem Camillus zuzuweisen und so den Retter Roms auch zu seinem Racher für die erlittene Schmach zu machen, ja sogar, wie es bei Diodor geschieht,^*) diese Revanche unmittelbar an jenen etruskischen Feldzug anzuknüpfen. Unter der Voraussetzung, dass das bis zum Jahre 702 im kapitolinischen Tempel befindliche Gold aus dem Senonenfeldzug des Jahres 471 stamme, also mit dem Lösegeld gar nichts zu schaffen habe, würde sich endlich auch die bereits den alten Schriftstellern recht unbequeme und von ihnen in verschiedener Weise zu deuten versuchte") Thatsache erklären, dass, wäh- rend das nach der gewöhnlichen Tradition, die auch bei Diodor sich findet, gezahlte Lösegeld 1000 Pfund betragen hat, sich damals 2000 Pfund Gold vorgefunden haben.

Schliesslich noch ein Wort über die Tempelbauten des Camillus. Drei Tempel soll er teils erbaut, teils wiederhergestellt haben : die Tempel der Juno Regina auf dem Aventin, der Mater Matuta auf dem Ochsen- markt und der Concordia am Abhänge des Kapitels."} Die Weihung des ersten Tempels nach Überführung der Schutzgöttin Vejis nach Rom ist unzweifelhaft historisch, wie auch die Niederlegung der oben erwähnten goldenen Schalen zu Püssen der Juno Regina auf ein enges Verhältnis des Camillus zu dieser Göttin hinweist. Auch an der Wiederherstellung des angeblich von Servius Tullius erbauten Tempels der Mater Matuta durch Camillus zu zweifeln, liegt kein Grund vor, wenn ich auch der Angabe des Livius und Plutarch,^^) dass derselbe gleichfalls im Vejenter-

I

. 50) Livius VI, 4.

51) Jordan R. Topogr. I, 2 S. 93 A. 91.

52) Diodor XIV, 117.

53) Vgl. Schwegler R. G. 3 S. 266 ; Varro hat den Widerspruch einfach da- durch zu heben versucht, dass er das Lösegeld auf 2000 Pfund erhöhte.

54) Der Tempel der Juno Moneta (vgl. Gilbert Geschichte und Topographie 3 S. 400 A. 3) wird von seinem Sohne Lucius im Aurunker-E[riege gelobt und im J. 410 geweiht.

55) Livius V, 19 und 23; Plutarch Camillus c. 5.

Zur Camillus- Legende. 137

Kriege gelobt und sofort nach Beendigung desselben geweiht worden sei, geringes Vertrauen schenke. Denn der berühmteste Tempel dieser Göttin befand sich in der Volskerstadt Satricum,^) also gerade in der Stadt, die im Jahre 368 von Camillus erobert und im Jahre darauf zur lati- nischen Kolonie gemacht wurde. Daher möchte ich glauben, dass so wie der Tempel der Juno, der Schutzgöttin von Veji, nach der Eroberung dieser Stadt erbaut wurde, der Tempel der Mater Matuta erst nach dem Falle von Satricum durch Camillus geweiht worden sei.

Ungleich schlechter bezeugt ist dagegen die Weihung des Concordia- Tempels durch Camillus aus Anlass der Versöhnung der Patricier und Plebejer im Jahre 387. Livius weiss von der Weihung überhaupt nichts; nur Plutarch, der hier wohl aus Dionys schöpft, und Ovid") schreiben sie ihm zu. Aber sowohl die fünfte, wie die ein Jahr zuvor von Camillus be- kleidete vierte Diktatur können, wie allgemein anerkannt ist, auf Glaub- würdigkeit keinen Anspruch machen, und die Vermittlerrolle, die Camillus nach dem dionysisch-plutarchischen Bericht bei dem Ständekampf spielt, passt schlecht zu dem Bilde des nichts weniger als volksfreundlichen Helden, wie es bei Livius und bei Plutarch selbst erscheint. Dass Camil- lus den licinisch- sextischen Verfassungskampf überhaupt noch erlebt hat, kann keineswegs als sicher bezeugt gelten, und wenn die Vertreter der jüngeren .Tradition: Livius, Plutarch, Zonaras ihn unmittelbar darauf von der grossen Pest des Jahres 389 hingerafft werden lassen , so ist das eigentlich auch nur ein verhülltes Eingeständnis, dass über das Todes- jahr und die Todesart des Helden keine Kunde auf die Nachwelt ge- kommen war.

So erweist sich, abgesehen von der Eroberung Vejis und dem Feldzug gegen die Volsker, Äquer und Etrusker, fast kein einziger Zug in dem farbenreichen Bilde des Camillus als sicher echt. Wohl mag die Tradition in ihren wesentlichen Punkten schon in der Entstehungszeit der römischen Geschichtsschreibung fixiert worden sein, ohne dass sie jedoch dadurch an Glaubwürdigkeit gewinnt. Denn überall verrät sie mehr die Hand des Dichters, als des Historikers, und vielleicht ist es kein anderer als Ennius gewesen, der in seinen Annalen der Camillus -Legende bereits die Züge verliehen hat, die sie, mit mancher späteren Ausschmückung im Einzelnen, dauernd bewahrt hat. Tritt uns doch in Camillus unverkennbar das Ab- bild des Freundes und Gönners des Dichters, des älteren Scipio Africanus

56) Vgl. Preller R. Mythol. P S. 323.

57) Plutarch Camill. c. 42; Ovid fasti I 641 fif., wo die Worte populi superator Etrusci die Beziehung auf ihn unzweifelhaft machen.

138 Otto Hibsohfkld, Zur Camillus - Legende.

entgegen: beide Retter des Staates aus schwerer Kriegsgefahr,**) beide mit Undank vom Volke gelohnt und durch die gleiche schmähliche Be- schuldigung in ein freiwilliges Exil getrieben.'^') Ihre letzte Form, in der sie uns in der Erzählung des Livius, Dionys, Plutarch und der gesamten jüngeren Überlieferung vorliegt, hat die Camillus-Legende freilich erst in späterer Zeit, vorzüglich wohl durch den grossen Lügenschmied Valerius Antias erhalten, während die Hauptquelle des Diodor sich auch hier als frei von den Fälschungen der sullanischen Zeit erweist.

58) Fatalis dux heisst mit einem vielleicht ennianischen Ausdruck dem Livius sowohl Camillus (V, 19, 2), als Scipio (XXII, 53, 6; XXX, 28, 11). Interessant ist lerner die Verbindung des Vorfahren des Scipio: P. Cornelius Scipio mit Camillus, der an der erstgenannten Stelle des Livius (ebenso Plutarch Camill. 5) durch Inter- polation an Stelle des in den kapitolinischen Fasten genannten Maluginensis zum magister equitum des Diktator Camillus gemacht wird (vgl. Borghesi oeuvres 9 S. 209 ff.; CIL. I p. 13 n. 1). Auch auf die nur von Livius überlieferten Interregna desselben Scipio (V, 31 und VI, 1), einmal als Nachfolger, das andere Mal als Vorgänger des Camillus, ist gewiss nichts zu geben; wahrscheinlich haben wir hier die Hand des Antias zu erkennen.

59) Als typische Beispiele für die Undankbarkeit der Menge werden sie neben- einander noch in der Kaiserzeit genannt: Valerius Maximus V, 3 (de ingratis) § 2; Dio 52, 13 § 3-4.

VI.

Erinnerungen an Alt -Königsberg.

Von

Max Jacobson (Königsberg i. Pr.).

Karl Rosenkranz sagt in dem Vorwort zu seinen „Königsberger Skizzen" (1842) S. X, dass sich ihm das Material dazu ganz ohne Absicht an- gesammelt hätte. „Ich setze den Wert meiner Beobachtungen in ihre Unbefangenheit. Ich ging, während ich sie machte, nicht darauf aus, sie zu veröffentlichen. Ich lebte nicht, um das Erlebte zu beschreiben. Ich beobachtete, weil, wenn man es so nennen will, weil ich beobachten muss, weil ich Natur und Kunst, weil ich das Volk liebe, weil ich meinem Wesen nach in einem grossen Menschenverkehr stehe und als ein starker Eussgänger weit umherkomme." Eosenkranz lebte damals das neunte Jahr in Königsberg, er fühlte, dass er nun durch „tausendfache Be- ziehungen" mehr und mehr mit diesem Ort verwuchs und hielt daher diesen Zeitpunkt für den geeigneten, seinen bisherigen Eindrücken einen gewissen objektiven Abschluss zu geben, indem er sie zu einem Buche zusammenfasste.

Ein solches unbefangenes, aber darum nicht minder treues Beob- achten der Stadt und ihres Lebens hatte R. gleich nach seiner Über- siedelung von Halle (im Herbst 1833) begonnen, wie dies auch die Briefe darthun, welche er damals an Freunde in Deutschland schrieb. Die uns noch vorliegenden sind an den Hegelianer Hinrichs*) (seit 1824 Professor der Philosophie in Halle) und an Karoline Pfaff*) (Witwe des 1825 in Halle gestorbenen Professors der Mathematik Job. Friedr. Pfaff) gerichtet, und die in denselben wiedergegebenen ersten Eindrücke und Schilderungen von Königsberg sind, wenn auch nur Fragmente, doch in verschiedener Hinsicht interessant. Sie führen uns in die Stadt, wie sie

1) Über die Beziehungen von R. zu beiden vgl. Rosenkranz, Von Magdeburg bis Königsberg (1873). Über Hinrichs bes. S. 280 ff. u. S. 444 ff. Über Karoline Pfaff S. 451.

140 Max Jacobson

in ihrer ausgeprägten Eigenart vor sechzig Jahren war, als die Provinz Preussen noch nicht zum deutschen Bunde gehörte. Königsberg, die Hauptstadt dieses „germanisierten Slaventums", lag bei den damaligen Verkehrsverhältnissen für den im Binnenlande, mitten in Deutschland Aufgewachsenen in „nebelgrauer Ferne", so dass R., der „mit sehr schwerem Herzen" von Halle geschieden war (vgl. Von Magdeburg bis Königsberg S. 484 f.), hier eine Fülle ganz neuer und fremdartiger Erscheinungen fand. Diese Briefe zeigen uns nun aber zugleich, als ein Beitrag zur Charakteristik R.'s, wie sein lebhafter, für alles Konkrete und Individuelle so empfänglicher Geist die ihm entgegen tretenden lokalen Zustände nach allen Richtungen hin zu erkennen und zu begreifen suchte, in der Beschränktheit derselben oft eine gewisse Poesie fand, und wie er selber inmitten der dortigen Verhältnisse sich weiter zu entwickeln begann. So lassen sich diese freundschaftlichen Berichte aus jener Anfangszeit wohl mit Recht als erste, unbewusste Versuche zu den Königsberger Skizzen bezeichnen.*)

Am 2. Oktober in Königsberg angelangt, schreibt R. am 11. Oktober an Karoline Pfaff: „Die Stadt liegt in einer absoluten Ebene, ist unend- lich gross und im Innern noch verwickelter als gross. Ich hatte viel Mühe mich zu orientieren. Die Lage unseres Gasthofes, des Deutschen Hauses, war uns dazu günstig. . . . Die Waarenpreise finden wir nicht so theuer, als man uns zuerst glauben machen wollte, und abermals sind es nur die weiten Wege in den schlecht gepflasterten Strassen, in denen noch dazu mit grosser Hast gefahren wird, die beschwerlich fallen." Die neugemietete Wohnung lag ziemlich ausserhalb der Stadt auf der sogen. Klapperwiese, „idyllisch-ländlich", wie R. im folgenden Sommer an Hinrichs schreibt, im Gegensatz zu den übrigen Häusern an den Enden der Stadt mit zwei Stockwerken versehen. Die Bau-Verhältnisse

2) Vor denselben gab R. in seiner Geschichte der Eant^schen Philosophie (1840) S. 99—104, eine allgemeine Schilderung der Stadt, indem er ihren Einfluss auf die geistige Entwickelung des in ihr Aufwachsenden betrachtete. Zu solchen Reflexionen über die „Lokalatmosphäre" fand er durch die Beschäftigung mit Kant und dessen Zeitgenossen auch sonst öfters Anlass, wie die in den „Studien" zer- streuten Aufsätze zeigen. Vgl. auch die Bemerkung über Zach. Werner, dessen Wohnung, nahe der Burgkirche, R. eine Zeit lang inne hatte, in den Studien I, 311, wo ausgeführt wird, wie die Umgebung derselben als ein Bild des ganzen Mannes erscheinen konnte. Als ein „Ergänzungsblatt" zu den Königsb. Skizzen erschien später (1857) das Schriftchen „Königsberg und der moderne Stadtbau." Dasselbe geht auf die Fortschritte in dem Leben der Stadt ein und trägt einen universellen, spekulativen Charakter, indem es Parallelen mit anderen Städten zieht, welche R. eingehend studiert hatte. (Vgl. „Die Topographie des heutigen Paris und Berlin". Zwei Vorträge von K. Rosenkranz. 1850, auch die Schilderung von Venedig 1853: Neue Studien I, 183 ff).

^

Erinnerungen an Alt -Königsberg. 141

werden als wenig günstig geschildert^): „Der feuchte Grand schlägt überall durch die Mauern und verursacht ein triefendes, widerwärtiges Ansehen. Nach dem Schlosse zu, dem Mittelpunkt der Stadt, sind die Häuser drei, vier Stock hoch, allein, mit einzelnen rühmlichen Ausnahmen, selten schön gebauet. Innere Bequemlichkeit, Ineinandergreifen der Ge- mächer, helle Küche, geräumig etc. ist eine Seltenheit der modernen Architektur. Die Börse ist das geschmackloseste Gebäude von Holz und Blech ; griechische Säulen tragen in schlechten Verhältnissen ein hollän- disches Mansardendach! Nur durch die Grösse wirkt sie malerisch." Ein ganz anderes Interesse, insbesondere auch Anregung für seine Phantasie, fand R. an dem nahen Flusse mit seinem bunten Treiben. „Was nun schön ist, das ist der Pregelstrom, der gleich unterhalb der Stadt in das Haff tritt, das am Horizont wie ein Silberspiegel glänzt. Hier habe ich nun meine Freude an dem Schifferleben. Leider ist der lahme Handel Schuld, dass es diesen Sommer (Juli 1834) etwas lau her- geht. Um so aufmerksamer bin ich auf alles. Ich habe Nordamerikaner aus Boston, Engländer aus London, Norweger aus Bergen, Dänen, Schweden (mit Heringen) und Holländer unterscheiden gelernt. Die Namen der Schiffe, die Nationalfarben der Flaggen, die Sonntags aufgezogen werden, die Jacken der Matrosen und die Sprache sind, logisch zu reden, für mich die Hauptunterscheidungsmerkmale, denn von dem Bau der Schiffe ver- stehe ich noch nichts und vergesse auch immer die Namen der verschie- denen Masten. Da gedenke ich denn Ihrer so oft, wie Sie mir mit be- redten Zügen das Meer und Ihre Heimat schilderten!') Die friesischen Frauen sind immer recht schmuck. Es sieht rührend aus, eine solche Frau auf dem Deck zu sehen, Küchenarbeit verrichten, stricken, ein Kind abwarten etc. Meist tragen diese Frauen einen breiten, stark vergol- deten Reif um den ganzen Kopf herum, was eine königliche Stirn als Diademband recht hübsch kleidet, sonst aber die Haare zu sehr ver- deckt. Ausser diesen Nationen kommen Pommern, Danziger, Elbinger und Polen. Von diesen sind jetzt über 140 Schiffe nach und nach ge- kommen, die man Vitinnen nennt ; die Leute selbst, ein gutmütiger, nicht hässlicher Menschenschlag, heissen Schimki's <so). Sie führen unter der Leitung polnischer Juden Hanf, Flachs, Matten, Holz etc. Die Schiffe werden nach Löschung der Fracht zerlegt und als Nutzholz verkauft Sie sind unten breit; auf dieser Basis sind Hütten gebauet. Vor vierzehn Tagen sah der Pregel wie ein polnisches Dorf aus. Diese Leute tragen selbst- geflochtene Schuhe von Bast, eine leinene Hose, Hemd und darüber einen

3) Vgl. aus den Königsb. Skizzen hierzu das Kapitel: „Architektur" (I, 80 ff.).

4) Hinrichs stammte aus Ostfriesland.

142 Max Jacobson

langen Flauschrock und einen kurzkrempigen Strohhut. Sie sind in ihrem Essen wie das liebe Vieh; essen alle zusammen aus hölzernen Mulden, um die sie herum liegen etc. Sie sind aber musikalisch. Vor einiger Zeit habe ich fünf in meinem Hausflur gehabt, von denen zwei Violine spielten ; einer schlug das Tamburin ; zwei tanzten äusserst zierlich gegen einander.') Sie sehen, ich studiere die Anfänge der Kultur, d. h. die Barbarei. An das Polnischreden Hören (wo man denn einzelne Worte aufschnappt) und an den Judenjargon habe ich mich ganz gewöhnt, da hier in meiner Nähe eine Menge der grössten Speicher sind, wo die Juden in Haufen von 20—40 sich zusammenfinden, oft sehr schöne Leute; an Christus und die Apostel muss ich oft zurückdenken. Wenn sie in Schuh und Strümpfen, im schwarzseidenen Kaftan, weissem Hemdkragen, gut gestutztem Bart, breitkrempigem Hut erscheinen, sind sie ein nobler An- blick. Aber auch nichts Cynischeres, als der gemeine Jude, wie sie hier auf den Brücken liegen, Nüsse zu verkaufen." Von der Stadt selber heisst es in demselben Briefe: „Jetzt im Sommer sieht sie ganz versüd- licht aus; überall wo ein Balkon, ein Altan, eine Treppe ist, sind Lein- wandzelte mit roten Einfassungen ausgespannt, worunter man sitzt, Kaffee trinkt, nähet, die Zeitung liest u. s. w. Namentlich die Kneiphöfische Langgasse sieht zu Zeiten wie ein grosses Gesellschaftszimmer aus."

Die nähere Umgebung der Stadt lernte Rosenkranz bald nach allen Richtungen kennen. „Arnau ist darunter ein ganz himmlischer Punkt, wie ihn niemand ahnen kann. Ich war wie in einer Gegend des Jean Paul'schen Titan, als ich von dem Berg des Dorfes den reizenden, vom Pregel durchschlängelten Wiesengrund, links kleine Berge, rechts in der Ferne die Stadt erblickte." Wie sehr ihn dabei das Volksleben interes- sierte, zeigt ein eingehender Bericht über ein grosses ländliches Fest^) an Karoline Pfaff . . . „Das meiste Vergnügen genoss ich aber in der Ge- sindestube. Hier hatte sich ein alter Invalide eingefunden, um ein Puppen- spiel, unterstützt von einigen Dorfmusikanten, aufzuführen. Es hiess : 4)er Fürst von Frühlingsfelde oder die verliebte Heiratschaft.* Ein Fürst kommt aus einem Feldzug verschuldet zurück. Seine Frau empfängt ihn mit Vorwürfen. Er hat seine Tochter Lisettchen einem alten General ver- sprochen, der ihm Geld vorgeschossen. Sie hat aber einen Lieutenant Klapowsky zum Liebhaber, der durch den verschmitzten Bedienten be-

5) Aus den Königsberger Skizzen sind hierzu besonders zu vergleichen die Abschnitte „Ein Morgengang am Bohlenwerk" II, 137 ff. und „Die Dschimken" (I, 173 ff); über den Pregel als das belebende Element der Stadt auch I, 76 ff.

6) In Rothmannshöfen, einer Besitzung des Kaufmanns Toussaint. Über das mitgeteilte Stück vgl. auch Königsb. Skizzen I, 227 f., wo ß. die Ansicht aus- spricht, es sei eine eigene Komposition des Invaliden gewesen.

Erinnerungen an Alt - Königsberg. 143

günstigt wird. Der Fürst entdeckt dies Verhältnis und tobt gewaltig. Aber Klapowsky ist ein wegen eines Duells aus Belgien geflüchteter Prinz, der jedoch wieder 'pardonniret' worden , und so hat denn der Vater nichts dagegen und es endigt mit einem lustigen Tanz ä la cosaque, den die blos von den Fingern regierten Marionetten sehr gut ausführten. War' es möglich, so würde ich Ihnen nun die drolligen Witze mitteilen, die sich besonders im Plattdeutschen sehr spasshaft ausnahmen."

K. hatte bei seinem lebhaften, geselligen Wesen bald einen weit ausgebreiteten Verkehr gefunden, worin ihn seine amtliche Stellung be- günstigte, und so die verschiedenen Stände kennen gelernt. Als äusserlich an der Bevölkerung, besonders bei den unteren Klassen, hervorstechend schien ihm das massenhafte Geniessen. „An der sogenannten hohen Brücke sind einige Buden, wo ich das Volk in seinem Himmel beobachte, wie es gebratene Fische, Heringe, Speck, Wurst, Kauchfleisch etc. mit Brod und Semmel in riesenhaften Quantitäten verzehrt."^) Aber auch auf den Gesellschaften fiel ihm der materielle Luxus auf. „Diese sind hier äusserst glänzend. Vier bis fünf Zimmer sind brillant erleuchtet; Lohnbediente laufen umher; in besonderen Garderoben empfängt man, da oft andert- halb hundert Menschen zusammen sind, für Mäntel etc. eigene Marken; Thee, Punsch, Wein etc.. Fleisch werk aller Art, Gelees, Kuchen wird auf ungeheuren Präsentiertellern umhergetragen, von denen man kleine Tellerchen herunternimmt." Das Lokal der öffentlichen Bälle war in jener Zeit der Kneiphöfische Junkerhof, welcher eingehend nach seinen Bestandteilen beschrieben wird : „Eine doppelte Garderobe, für die Damen mit grossen Spiegeln etc.; zwei Vorzimmer; ein ungeheurer Saal, von dem aus nach einem höher liegenden Seitenzimmer Fenster durchbrochen sind, von wo aus man bequem zusehen kann; eine Konditorei und ein Speisesaal, der so gross ist, dass sechs Kronleuchter darin brennen. Der Tanzsaal ist 1706 erbaut und hat eine Decke mit grossen Stukkatur- arbeiten ; die Figuren sind aber schlecht und fallen sämtlich in das Wul- stige; bei der Erleuchtung jedoch, wo die Goldverzierungen und grellen Farben hervortreten, macht es einen zum Tanzen ganz lustigen Eindruck."

Über seinen Umgangskreis und die sonstigen Anregungen, welche ihm die Stadt bot, schrieb R. im Herbst 1835 an Karoline Pfaff: ,Jch lebe hier in einer sehr weiten geselligen Bewegung. Ich will Ihnen nur einen ungefähren Umriss geben. Mit dem Prediger Detroit, unserm Ver- wandten, Professor Voigt, Dr. Rosenberger, Assessor Wartemberg, Ober-

7) Vgl. auch Königsb. Skizzen I, 229 ff. („die Volksküche") I, 263 ff. („der Reiz zu solchen Genüssen muss hier wohl ein klimatischer sein") und die dort ge- gebene Beschreibung des ersten in Königsberg verlebten Tages.

144 Max Jacobson

lehrer Witt und Jung findet in der Weise ein Umgang statt, dass auch die Frauen sich besuchen. Ich verkehre ausserdem mit den meisten meiner Kollegen, besonders mit Lehnerdt, Moser, Jacobi, Sachs, v. Bohlen, Hagen. Ferner mit dem Superintendenten Wald, wo sich auch die Frauen zu nähern anfangen. Dann kommen eine Reihe von Studenten, Offizieren, Referen- darien und Lehrern, mit denen ich in Verbindung bin, besonders mit einem Herrn v. Lossow, Sohn des Generallieutenants , dem Dr. Lehrs und dem Herrn Lobedan. Ausserhalb der Stadt haben wir im Sommer mit dem Kaufmann Toussaint, unserm alten Wirt, und ich noch mit dem Ober- präsidenten V. Schön in Arnau Umgang, freilich sparsam, weil es zu kost- spielig ist. Dann habe ich auch eine Bekanntschaft mit dem Oberlandes- gerichtsrat Förster, der bei den Juristen das philosophische Examen hat, und mit dem Landvogteigerichtsdirektor Olschewsky in Heilsberg, einem sehr interessanten Mann, der Werner und Hoffmann sehr gut gekannt hat und die intimste Freundschaft des Fürstbischofs von HohenzoUem besitzt. Mehrerß befreundete Menschen sind schon, während ich hier bin, geschieden : Professor v. Baer und Baumeister Jacobi nach Russland, Olshausen nach Erlangen, Sietze, ein Hegelscher Jurist, nach Treuenbrietzen. Während der Badezeit bin ich näher mit unserm Arzt, dem Dr. Hirsch, einem vor- trefflichen, so geistreichen, als gemütvollen Menschen, einem polnischen Pfarrer Gregor und einem Oberlehrer Muttrich, einem Witzbold, bekannt geworden, habe auch endlich an der Bekanntschaft eines jungen Mädchens Pauline Prin, Tochter eines hiesigen Kaufmanns, vielen Genuss gehabt Dazu kommen noch entferntere Verhältnisse, z. B. zu meinem jetzigen Wirt, dem Apotheker Gamm, wo ich unter anderem einem splendiden Mittags- mahl beiwohnte, das mit allen Chikanen dem Komiker Gemsohn zu Ehren gegeben wurde und worin ich neben dem Theaterdirektor Hübsch zu sitzen kam. Rechnen Sie dazu, dass ich als Mitglied des Kantvereins, der Deut- schen und Physikalischen Gesellschaft von Zeit zu Zeit in Anspruch ge- nommen werde, dass ich weder Kirche, noch Theater und Konzerte ver- säume, dass ich bei dem Konditor Siegel französische Zeitungen, ,Con- stitutionel', ,Charivari', ,Journal de Francfort* und ,Messager des Chambres* lese, so werden Sie gestehen müssen, dass ich nicht isoliert bin. Königs- berg ist in vieler Hinsicht unangenehm, aber doch schon durch seinen Umfang sehr beschäftigend. Es ist nichts Gedrücktes hier. Es kommen doch auch Künstler hierher, und manches Sehenswürdige gestaltet sich.*)

8) Über Kunstausstellungen, Theater etc. giebt R. in diesen Briefen mehrfach eingehende Berichte. Vgl. auch die Abhandlung „Zur Kritik der heutigen Malerei." (Studien II, 251 ff.), welche sich mit Königsberger Kunstausstellungen in den Jahren 1835. 1836. 1837 beschäftigt.

Erinnerungen an Alt - Königsberg. 145

Ich habe hier ein grosses Lager gesehen, ein Schiff vom Stapel laufen, Illuminationen und Feuerwerk, herrliche Strassenbekränzungen, das Dampf- schiff Ischora, Königs transparente Bilder, zwei Kunstausstellungen, zwei Weihnachtsausstellungen, einen Waffentanz bei der Jubelfeier eines Regi- ments, Bachs Passion, Grauns Tod Jesu, Handels Samson, den Tambour- major Kock (der auf 14 Trommeln zugleich, rückwärts und vorwärts Musik macht), die Bauchrednerin Schulz, Puppentheater und soeben einen Taschen- spieler, Herrn v. Olivo, gesehen . . .

Sie werden sich verwundem, wie ich Ihnen dies alles so trocken her- schreiben kann. Der Grund ist, dass es vorgestern schon zwei Jahre sind, wo ich Halle verliess und dass mir in diesen Tagen nun alles durch den Kopf geht, was ich hier an geistigem Besitz unmittelbar durch die Stadt erlangt habe. Ich suche durch solche Betrachtungen mich zur Dankbar- keit gegen meine Verhältnisse zu stimmen, weil mir das stete Klagen, das ewige Unzufriedensein mit der jedesmaligen Lage, das ich mir auch angewöhnt hatte, je länger je mehr an mir selbst unausstehlich ist. Die Welt ist immer mehr als wir, und der Einzelne wird immer aus dem Allgemeinen Nahrung schöpfen können. Dass ich die See kennen ge- lernt, auch einen furchtbaren Sturm erlebt habe, gehört ebenfalls zu dem dankbar zu Erwähnenden."®)

Was nun die akademische Thätigkeit R.'s in jenen ersten Jahren anlangt, so machten die Studenten freilich, im Gegensatz zu Halle, zu-

9) R. fand in dem von nun an bald alljährlich wiederkehrenden Aufenthalt am Strande einen immer grösseren Genuss. Er schreibt darüber etwa zwanzig Jahre später: „Das Baden, das Herumlaufen in den Wäldern und auf den Bergen, das Lungern am Strande beim Sonnenuntergang, der köstliche Appetit, die ün- geniertheit der geselligen Verhältnisse, das Alles ist mir die schönste Erholung und ~ weltmüde, wie ich bin oft möchte ich mich auf ein Bauerngut des reizen- den Samlandes zurückziehen. So wie ich nur über das Wäldchen des Eulenkrugs hinauskomme und dem Warnicker Thal zufahre und die erste Brise reiner Seeluft fühle, kommt ein Frieden über mich, als hörte alle meine Mitverantwortlichkeit für unsere abscheuliche Weltgeschichte auf." Den Morgenaufenthalt an dem Meere bei Rauschen schildert R. in einem Briefe an Hinrichs aus dem Jahre 1858 folgender- massen: „Ich nehme ein Buch und eine Cigarre und gehe auf die Hochebene, die von unserem Berg aus zwischen dem See und Meer sich hinzieht, statte dem heiligen, himmlischen, entzückenden Meer meinen Morgenbesuch ab, wie es von Brüsterort, wo der Leuchtturm steht, bis zum Vorgebirge von Wangenkrug mit seinen malerischen Buchten in bläulichem Sommerduft sich ausbreitet, mit seinen Schaum- wellen an das Ufer brandet, in das Ohr den tausendstimmigen Chor seines Rauschens erschallen lässt und hinten, als Erdumgürtender Okeanos, den ernsten, dunkelblauen Reifen zieht. Dann werfe ich mich zwischen Birken und Fichten auf das Moos oder Haidekraut. beobachte die Ameisen, Käfer, Bienen, Möwen, Spechte, träume, lese, bete, wandere ein Streckchen, ruhe wieder und gerathe nahe an die Neuplatonische Ekstase. Ach, wer immer am Meer wohnen könnte!"

10

146 Max Jacobson

nächst keinen besonders günstigen Eindruck auf ihn. „Die Studenten sind hier sehr faul," klagt er Hinrichs, „haben auch nicht den inneren Trieb wie in Deutschland. Wegen ihrer geselligen Fertigkeit, ihrer anstandsvoUen Aussenseite überschätzte ich sie anfangs, bin aber sehr davon zurück- gekommen. Ein deutscher abgeschabter Rock birgt mehr als ein schwarzer Frack und blendend weisse Vatermörder. Dabei sind sie auf Biertrinken und Vergnügungen erpicht und doch so arm, dass ich seit Michaelis bis jetzt (Sommer 1834) 20 Rthl. jedes Semester Honorar eingenommen habe. . . . An das Schreiben sind sie in den philosophischen Vorlesungen (durch Herbart) gar nicht gewöhnt; in der Geschichte der Philosophie habe ich es mit Mühe dahin gebracht." Die philosophische Richtung, welche R. damals als der einzige Lehrer seines Faches vertrat, war in Königsberg völlig neu. „Die Kantische und Herbart'sche Philosophie sind hier in der ganzen Gesinnung Fleisch und Blut, hauptsächlich der erstere ; der zweite nur in der Neigung, alles abstrakt und mit eigentümlich verschlungenen Wendungen zu behandeln. Der erstere ist aber ein wahrhafter National- philosoph; der Dualismus des Diesseits und Jenseits ist hier der König des Bewusstseins was, sehen wir uns einmal wieder, gehen wir wieder einmal auf der unvergesslichen Wiese (nach Beuchlitz bei Halle) spa- zieren — durch hübsche Anekdoten erläutert werden soll. Unter Hege- lianismus oder, wie Rühl von Lilienstem sagt, Hegelianik stellt man sich entweder Unsinn, oder Katholicismus, oder Pietismus vor; mein Stand ist daher nicht leicht, besonders da ältere Leute meine Vorlesun- gen frequentieren, die dann an Einzelheiten haften bleiben, z. B. letzt- hin hatte ich einen Memel'schen Stadtrath, der hier seine Pension ver- zehrt, zur Reflexion über Gott gebracht, weil ich als Beispiel einer guten Definition: Gott ist der absolute Geist, aufgestellt hatte; dagegen hatte er nun die Definition gehalten, die er bei Kant gehört hatte u. s. w. Lehnerdt ist es gelungen, eine Menge Theologen auf bessere Wege zu bringen, und ohne ihn würde es mir noch schwerer werden. Mit Natur- wissenschaft denke ich mich mehr abzugeben; die empirische Physik steht hier in grossem Ansehen." Aber auch in der Gesellschaft erregten die Ansichten, welche R. mit Freimütigkeit in seiner lebhaften Weise aus- sprach, oft Verwunderung, selbst Anstoss. Er schreibt darüber im Herbst 1834 an Karoline Pfaff: „Ich kam mit einem Kreise von gebildeten Pie- tisten in so nahe Berührung und verletzte diese gutgesinnten Menschen durch mein Sprechen dermassen, dass ich es waren auch drei Damen betheiligt momentan ganz irr ward, ob sie nicht Recht und ich Un- recht hätte.*") Namentlich bekämpfte mich die Tochter eines hiesigen 10) Vgl. hierzu aus den Königsb. Skizzen den Abschnitt: „Kirchliches Leben",

Erinnerungen an Alt -Königsberg. 147

frommen Superintendenten so mit Bibelsprüchen, dass ich, wollte ich nicht mephistophelisch werden, gar nicht dagegen aufkommen konnte. Als ich inne ward, welches Entsetzen meine weltliche Weisheit erregt hatte, bat ich, man möge meine in dem Eifer des Gesprächs oft grellen Worte nicht in aller Strenge nehmen. Sogleich fing man nun an, mir Vorsicht zu empfehlen ; man schätze meine Offenheit, allein meine Ausdrücke seien oft sehr anstössig für zarte Gemüter, die ganz im Heiligen leben wollten. Ich hatte z. B. geäussert, dass die Sprachverwirrung beim babylonischen Thurmbau eine rechte Schalkheit Gottes gewesen sei Gott und ein Schalk ! Oder, sagte ich nun, auch ein gespenstischer Spuk zur Strafe der Thor- heit; die Menschen müssen wie aus einem Irrenhaus Entsprungene durch- einander gefaselt haben. Etwas besser fand man das schon. Nun, meinte ich, Gott sei doch unter anderem auch ein Künstler; er habe viel Phan- tasie ; wie er sich auf liebliche Engelsköpfe verstehe, so auch auf Szenen des Grausens, wie so viele Gegenden bewiesen. Aber das war wieder nicht recht. Gott als einen Poeten zu behandeln, welch' ein Frevel! Wüsten aber, Eisberge, Tiger u. s. f. hat der Teufel geschaffen. Mit den Männern zerfiel ich besonders deswegen, dass ich auch Geschichten, wie sie im Boccaz vorkommen, zu erzählen und darüber zu lachen Miene machte, be- sonders aber, dass ich für das französische Volk, ohne seine gefährlichen Extreme zu verleugnen, Begeisterung blicken liess. Hier, gestehe ich, mag ich nun zuweilen wie ein Jacobiner gesprochen haben. . . . Als ich einst sagte, die Ruhe und Ordnung sei oft nichts als Trägheit und diese sei auch eine That des Satans, fand der Gedanke wegen der Form Beifall, aber doch nicht lange. Man gab mir zu verstehen, ich sei wohl von der Religion bereits ergriffen, aber die letzte Stufe hätte ich lange noch nicht betreten und ,meine ironische Witzader* verführe mich noch oft zu un- heiligen Ansichten, Spöttereien u. s. w. Auch die Philosophie mache mich denkstolz etc. Soche Mahnung liess ich denn nicht unerhört verklin- gen und revidirte mein Leben, mein Inneres, meine Philosophie. Allein ich bin nach ernstlichstem Erwägen doch wieder auf den alten Fleck an- gelangt, nur mit höherer Andacht. Der Pietismus ist eine engherzige Religion; für die Welt ist Christus gekommen; damit aber die Pietisten Religion haben, bleibt ihnen die Welt notwendig, sich von ihr im Selbst- gefühl ihrer göttlichen Herrlichkeit auszuscheiden. Knieen, Engelglaube, ßibellesen, Tischgebete, Versuchungsgeschichten, Fürbitten, Bitten um Fürbitten und wie der wohlfeile Apparat heisst, der dazu gehört. Ich las in diesem Sommer Religionsphilosophie, wodurch ich sehr erregt ward,

1,272 ff., bes. 309 ff. auch den Aufsatz aus dem Jahre 1837: Die Emancipation des Fleisches (Neue Studien I, 1 ff), worin eine Kritik des Pietismus.

10*

148 Max Jacobson, Erinnerungen an Alt -Königsberg.

auf diese Materie einzugehen. Ich habe in dieser Zeit 12 Gedichte ge- macht, die aus meiner Seele gekommen sind, und die ich gern Ihnen mitteilte, wäre es nicht so weit."

Doch lernte man sich in den folgenden Jahren mehr und mehr kennen und schätzen. Bald nach dem Erscheinen der Königsberger Skizzen schreibt R. am 8. Oktober 1843 an Hinrichs: „Die Kritik der reinen Vernunft wird hier nie ganz ausgehen. Königsberg ist für den Fremden eine düstere, ungeniessbare , abschreckende Stadt, aber wenn man die trübe, schroffe Aussenseite der Stadt und den Egoismus der Königsberger, Königs- berger zu sein, überwunden hat, so gewinnt man Respekt vor so viel Bildung und Charakter in solcher ungastlichen Natur. Ich sehne mich oft weg, weil Leben und Klima hart, rauh, genusslos, künstlich sind, und doch fürchte ich, von anderwärts mich wieder herzusehnen." So hatte sich R. in dieser ihm anfangs so fremden Welt schon in dem ersten Jahr- zehnt völlig eingelebt und entfaltete, von nun ab etwa dreissig Jahre lang, eine Wirksamkeit, die ihn bald auf das engste mit derselben verknüpfte. Man sah in ihm den Lehrer Altpreussens, welcher hier eine Kulturmission durchführte. Von diesem Verwachsensein mit Stadt und Provinz hatte er als Greis eine lebhafte Empfindung. Er sprach dies unter anderem, als er nach vierzigjährigem Aufenthalt in Königsberg, sein Leben über- schauend, den ersten kürzeren Teil desselben in dem Buche „Von Magde- burg bis Königsberg" darstellte, in dem Vorwort aus (S. V): „Diese Stadt ist so sehr meine zweite Heimat geworden, dass ich mich nach ihr, wenn ich einmal längere Zeit von ihr entfernt war, immer wieder zurücksehnte. Die Freude an meinem Lehramt, die Anhänglichkeit meiner Zuhörer, die Liebe meiner Kollegen und die Freundschaft so vieler ausgezeichneter Menschen haben mich die bekannten Unbilden der hiesigen Lokalität längst vergessen lassen."

VII.

über den Gebrauch der verba frequentatiya und intensiva

in Ciceros Briefen.

Von

R. Jonas (Krotoschin).

In einigen früheren Abhandlungen habe ich den Gebranch der verba frequentativa und intensiva in der älteren lateinischen Sprache und bei Livius untersucht (De verbis frequentativis et intensivis apud comoediae latinae scriptores, pars I, Posen 1871, pars 11, Meseritz 1872; Zum Ge- brauch der verba frequentativa und intensiva in der älteren lateinischen Prosa (Cato, Varro, Sallust), Posen 1879; Über den Gebrauch der verba frequentativa und intensiva bei Livius, Posen 1884). Von ganz beson- derem Interesse müsste es sein, zu sehen, in welchem Umfange Cicero jene Arten von Verben anwendet. Vorerst habe ich einen Teil der Schriften Ciceros darauf geprüft, und zwar schienen die Briefe mit ihrer Umgangs- sprache ganz besonders hierfür in Betracht zu kommen. Die Ergebnisse dieser Untersuchung sollen die folgenden Blätter bieten, die auch an ihrem bescheidenen Teile etwas zur Erkenntnis des lateinischen Sprach- gebrauches beitragen wollen.

Hinsichtlich der Ableitung der verba frequentativa und intensiva be- ziehe ich mich auf das, was in meinen früheren Untersuchungen darüber ausgeführt ist. Wir sind jetzt allgemein daran gewöhnt, nur solche Verba dazu zu rechnen, welche der sog. ersten Konjugation angehören, während ursprünglich sicherlich noch eine ganze Zahl anderer (wie flecto, necto u. s. w.) zu dieser Gattung gehörten. Auch viele Verba der ersten Kon- jugation mit der frequentativen oder intensiven Ableitung werden kaum noch dahin gerechnet, weil ihre Stammverben nicht mehr in Gebrauch sind und deshalb das Bewusstsein ihrer Ableitung verloren gegangen ist Dies gilt u. a. von specto , dessen Stammwort specio nur in Zusammen- setzungen vorkommt, auch von recito, mit dessen Stammwort es ähnlich steht. Frequentative Bildung zeigen auch mehrere von Nominibus abge- leitete Verba; ich nenne debilito, suppedito.

150 R. Jonas

WeDn wir nun im Folgenden nach den 3 Suffixen, welche man bei dieser Verbalgattung beobachtet, üo, —to und so, geordnet, die in den Briefen Ciceros vorkommenden verba frequentativa und intensiva aufführen unter Hinzufügung dessen, was für den Sprachgebrauch zu be- merken ist, so beschränken wir uns dabei auf die im engeren Sinne so genannten Verba.

L Die mit dem Suffix —ito gebildeten Verba.

1. actito: egi . . omnes illos adulescentes, quos ille actitat ad fam.

11, 9, 1 mit zweifellos frequentativer Bedeutung, was sich schon aus der Gegenüberstellung des einfachen agere ergiebt.

2. agito : agraria lex ... . vehementer agitabatur auctore Pompeio ad Attic. I, 19, 4 und saepius me iam agitas ad Att. XIV, 18, 1. Auch hier ist der frequentative , bez. intensive Sinn einleuchtend, wenngleich dem agitare an der ersteren Stelle das auch in den Briefen nicht selten ge- brauchte einfache agere nahekommt.

Hierher gehört das Compositum:

2*. exagito: insectandis .... exagitandisque nummariis iudicibus ad Attic. I, 16, 8. exagitatus senatus ad Attic. I, 19, 3. acueram me ad exa-

gitandam hanc eins legationem ad Attic. ü, 7, 2. ne meum mae-

rorem exagitem ad Attic. III, 7, 2. Die Verstärkung der Bedeutung liegt auf der Hand, an der ersten Stelle wird sie durch den Gebrauch zweier intensiva noch deutlicher.

3. cenito: ego si foris cenitarem ad fam. VII, 16, 2. non desino apud istos, qui nunc dominantur, cenitare ad fam. IX, 7, 1. (puto te audisse) me apud eos cenitare ad fam. IX, 16, 7. id foris cenitando facillime consequere ad fam. IX, 24, 3. An allen 4 Stellen ist wohl der Begriff der Wiederholung mit dem Verbum verbunden. Allerdings kommt das einfache cenare (wie ad Quint. fratr. III, 1, 10) dem ziemlich nahe.

4. clamito : me causam inimicitiarum quaerere clamitavit ad fam. Vlll,

12, 2. audiebam enim nostros proceres clamitantes ad fam. Xm, 15, 1. Eine Steigerung der Bedeutung im Vergleich zum einfachen clamo (wie ad fam. XVI, 12, 2) ist ziemlich ersichtlich. Dazu das Compositum 4* declamito: puto te audisse illos apud me declamitare ad fam. IX, 16, 7 mit der auch sonst bekannten gesteigerten Bedeutung.

5. cursito (neben dem einfacheren curso, s. weiter unten): non esse te, ad quem cursitem ad fam. VIII, 3, 1 mit zweifellos frequentativer Be- deutung.

6. diclito (daneben dicto, s. weiter unten, in ganz anderem Sinne)

über den Gebrauch der verba frequentativa und intensiva in Ciceros Briefen. 151

an 7 Stellen : quem post reditum dictitant fracto animo et demisso fuisse ad fam. I, 9, 16. Appius in sermonibus antea dictitabat, postea dixit etiam in senatu palam, sese ... ad fam. I, 9, 25. ut quidem ipsi dictitant liber- tatis auctores ad fam. XI, 28, 3. Antonium porro in cogendis pecuniis dic- tilare ad Attic. I, 1 2, 2. qui Romae tribunatum plebis peteret, cum in Si- cilia aedilitatem saepe dictitasset ad Attic. ü, 1, 5. dictitat se a me apud Caesarem oppugnari ad Attic. XI, 8, 2. Quintus certe ea dictitat, quae scribis ad Attic. XIV, 2, 2. Die frequentative Bedeutung scheint mir überall er- wiesen, am klarsten tritt sie vielleicht ad fam. I, 9, 25 durch die Gegen- überstellung des einfachen dicere hervor.

7. dormito: cenato mihi et iam dormitanti .... epistula est illa reddita ad Attic. 11, 16, 1, vielleicht zu übersetzen: „als ich bereits in tiefem Schlafe lag".

8. exercito : in illis rebus exercitatus animus ad fam. IV, 5, 2. nostros animos maximis in rebus et gerendis et sustinendis exercitatos ad Quint. fratr. I, 1, 2. (hominis) valde exercitati et boni ad Quint. fratr. III, 3, 4. in arithmeticis satis exercitatum ad Attic. XIV, 12, 3. in quibus satis exerci- tati sumus ad Attic. XIV, 20, 2. Überall lässt sich die Absicht der Stei- gerung des Sinnes erkennen, jedoch ad Quint. fratr. II, 16, 3: Scauri iudi- cium statim exercebitur ist vielleicht in der Bedeutung nicht viel davon verschieden. Übrigens sei hier bemerkt, dass exercitatus in der Regel als Part. perf. pass. von exerceo gebraucht wird, während exercitus die Bedeutung „gequält" hat.

9. factilo: atque hoc eo diligentius factito ad fam. VIII, 3, 1 und quod idem acceperam et cognoveram a summis viris factitatum ad fam. , XII, 21 ebenfalls mit klar erkennbarer intensiver Bedeutung.

10. lectito: habes nonnullos ex iis, quos nunc lectito, auctores ad Attic. XII, 18, 1, wohl nicht viel von dem einfachen lego unterschieden.

11. minitor: tibi paene minitanti nobis per litteras hoc rescribo atque respondeo ad fam. V, 2, 10. Rosciae legi, etiam frumentariae, minitabantur ad Attic. n, 19, 3. horribile est, quae loquantur, quae minitentur ad Attic. XIV, 4, 1. qui quidem nostris mortem minitantur ad Attic. XIV, 12, 2. Eine gewisse Steigerung soll jedenfalls an allen 4 Stellen angedeutet sein, wenngleich sich minari ähnlich findet ad Attic. IV, 3, 3.

12. quirito: (cum) .... illi misero quiritanti .... responderet ad fam. X, 32, 3, jedenfalls mit verstärkter Bedeutung.

13. sciscitor: ac non desino per litteras sciscitari ad Att. VII, 13% 2. quod ex ipso velim .... sciscitere ad Att. XII, 7, 1, an beiden Stellen in- tensiven Sinnes.

14. scriptito: et haec et si quid aliud, ad me scribas velim vel po-

152 R. Jonas

tius scriptites ad Att. VIT, 1 2, 6. Die Verstärkung der Bedeutung des Fre- quentativs ist aus der Stelle ganz klar ersichtlich.

15. transüo: is, ceteroqui abstinens sed lulia lege, transitans ad Att V, 21, 5. Ob frequentativ, ist aus der Stelle nicht recht zu ersehen.

16. vendito: (Quintus frater) Tusculanum venditat ad Att. I, 14, 7.

in 60 me etiam TuUiae meae venditabo ad Att. IV, 16*, 4. hunc 07covdti- d^ovta, si cui voles tcuv vewreQwv, pro tuo vendita ad Att. VII, 2, 1. (du- bitemus) an ei nos etiam cum periculo venditemus ad Att. X, 8, 3. Das Verbum erinnert nur an der ersten Stelle an die eigentliche Bedeutung, es heisst aber auch da nicht verkaufen, sondern verkaufen wollen. An den 3 übrigen Stellen steht es in übertragenem Sinne, etwa: sich hingeben.

17. ventito: ad quem .... frequentes .... ventitare reperies ad fam. XI, 28, 7. cum his temporibus non sane in senatum ventitarem ad fam. Xin, 77, 1. dies fere nuUus est, quin hie Satrius domum meam ventitet ad Att. I, 1, 3. Zweifellos liegt an allen drei Stellen ein frequentativer Sinn vor.

18. volüo: volitat, furit, nihil habet certi ad Att. II, 22, 1, ebenfalls ohne Zweifel mit frequentativer Bedeutung.

n. Die mit dem Suffix —to gebildeten Verben.

1. advenio: nondum erat auditum, te ad Italiam adventare ad fam. II, 6, 1. cum iam te adventare arbitraremur ad Attic. I, 4, 1. cum adventare milites dicuntur ad Attic. III, 22, 1. adventare et prope adesse iam debes ad Attic. IV, 17, 4. Afranium cum magnis copiis adventare ad Attic. VIII, 3, 7. adventare videtur ad Attic. XIV, 10, 3. ego propero, ne ante Sextus, quem adventare aiunt ad Attic. XV, 21, 3. adventabat autem ßov/.ioei ad Attic. XV, 27, 3. legiones enim adventare dicuntur ad Attic. XVI, 4, 4. ille enim iam adventare potest ad Attic. XVI, 12. An allen Stellen passt die auch sonst diesem Verbum eigentümliche Bedeutung „im Anzüge sein", in der es unter anderem an fast sämtlichen livianischen Stellen zu ver- stehen ist. Dem Sinne nach ist das Wort weder frequentativ noch intensiv.

2. afflicto: hie tu me accusas, quod me afflictem ad Attic. III, 12, 1 und de quibus acerbissime afflictor ad Attic. XI, 1, 1; an beiden Stellen sicherlich in intensivem Sinne zu fassen.

3. Von dem an einer ganzen Anzahl von Stellen (so ad fam. I, 9, 21, ad Attic. II, 8, 2. 10. 15, 2. VIII, 2, 4. 7, 1. 16, 1. IX, 15, 1. XII, 47, 2. XIV, 13, 2. 21, 35. XV, 4% 1. 18, 2. 20, 4. 26, 1 (zweimal). XVI, 7, 7) vor- kommenden specto finden sich die nachstehenden Ableitungen:

über den Gebrauch der verba frequentativa und intensiva in Ciceros Briefen. 153

a) aspeclo : quem aspectabant ad fam. IX, 26, 2, eine Anführung einer Dichterstelle, vielleicht in intensivem Sinne zu verstehen.

h) inspecto: (ut) me inspectante saepe eum in senatu modo severe seducerent ad fam. I, 9, 19. inspectante et tacente te ad Attic. III, 15, 7. inspectante Urbe ad Attic. lY, 3, 2. quod utinam inspectare possis timorem de illo meum ad Brut. I, 4, 5. Die Bedeutung ist wohl kaum intensiv aufzufassen.

c) prospecto: tanquam avis illa, mare prospecto ad Attic. IX, 10, 2, wahrscheinlich intensiv zu verstehen : mit Erwartung oder Sehnsucht hin- schauen.

4. assentor: mihi ipse assentor fortasse ad fam. in, 11, 2. nisi forte te amant et tibi assentantur ad fam. IX, 12, 1. non sum veritus, ne viderer assentari ad Attic. VIII, 9, 1. An den beiden letzten Stellen ist die Bedeutung der Schmeichelei ganz klar zu erkennen. Dies ist denn wohl auch der Grund, weshalb assentari statt des einfachen assentior (wie es sich z. B. ad Attic. IV, 10, 2 und XIV, 19, 1 findet) oder auch assentio (s. ad Quint. fratr. II, 1, 2. 13, 1; ad Attic. II, 1, 8) gebraucht ist.

5. canto: Pamphilam cantatum provocemus ad fam. I, 9, 19 in einer Anführung aus dem Eunuch des Terenz, jedenfalls in einer Art von inten- sivem Sinne. Davon findet sich das Compositum

5*. decanto: etenim haec decantata erat fahula, ad Attic. XIII, 34, wo die Verstärkung der Bedeutung sogleich in die Augen springt.

6. capto: (adventu meo) quem non mediocriter captahat ad fam. X, 23, 2 und nomen imperatorium captans ad fam. XI, 4, 1. Die Bedeutung ist ohne Zweifel „zu erreichen suchen, nach etwas haschen". Dazu ge- hört das Compositum

6*. discepto: postquam armis disceptari coeptum sit de iure puhlico ad fam. IV, 4, 3. (videbam) quanto periculo de iure publice disceptaretur armis ad fam. IV, 4, 2. (dolebam) pilis et gladiis non consiliis neque auctoritatibus nostris de iure publico disceptari ad fam. VI, 1, 5. quam- quam in uno praelio omnis fortuna reipublicae disceptat ad fam. X, 10, 1. (ut) Graeci inter se disceptent suis legibus ad Attic. VI, 1, 15. illi armis dis- ceptari maluerunt ad Attic. VIII, 11, 8. An allen 6 Stellen scheint die Bedeutung genau die nämliche „verhandeln, betreiben", mit zweifellos intensivem Sinne.

6. circumgesto (während das einfache gesto fehlt) : eam quoque episto- lam T. Catienus circumgestat ad Quint. fratr. I, 2, 6, sicherlich in der Bedeutung: „mit aller Absicht oder aller Gewalt herumtragen".

8. Von cito finden sich folgende Zusammensetzungen:

8\ concito: quam expectationem tui concitasti ad fam. 11, 1, 2. (ne

154 R. J0MA8

populus quidem solet) nisi concitatus ad fam. IX, 8, 1. non modo nationes sed etiam servitia concitaturum ad fam. X, 33, 4. adeo esse militum con- citatos animos et plebis ad fam. XI, 1, 1. cum magnum bellum in Cap- padocia concitaretur ad fam. XV, 4, 6. qui etiam privatus eadem manu potent conciones concitare ad Quint. fratr. I, 4, 3. Die Bedeutung ist, wie auch sonst: „in Erregung versetzen, anreizen, beschleunigen, zusammen- bringen", ein intensiver Sinn ist kaum zu erkennen.

8^. excito findet sich 29 Mal, 12 Mal in den Briefen ad familiäres, 4 Mal in denen ad Quintum fratrem, 10 Mal in denen ad Atticum, 3 Mal ad Brutum. Hinsichtlich der Bedeutung ist nichts zu bemerken.

8°. incito findet sich 27 Mal (10 Mal in den Briefen ad familiäres, 4 Mal ad Quintum fratrem, 10 Mal in denen ad Atticum, 3 Mal in denen ad Brutum). Auch die Bedeutung dieses Verbums zeigt keine wesentn liehe Verstärkung.

8^. suscito findet sich einmal : ut bellum civile suscitare vellemus ad fam. XI, 3, 3. Es bedeutet „erregen", ohne dass eine Steigerung des Sinnes hervorträte.

9. commenior: ut ante commentemur inter nos ad fam. IV, 6, 3. qui multos annos nihil aliud commentaris ad fam. VII, 1, 5. cum in villa Metelli complures dies commentatus esset ad fam. XII, 2, 1. diu et multis lucubrationibus commentata oratione ad fam. XVI, 26, 1. ^soeig meas commentari non desino ad Attic. IX, 9, 1. Während an 4 Stellen das Deponens gebraucht wird, steht an einer das Partizip commentatus passivisch (commentata oratione). Das Verbum bedeutet: mit Anstrengung oder Eifer aussinnen, überdenken, ist also intensiv gebraucht.

10. confiicto: noli pati litigare fratres et iudiciis turpibus conflictari ad fam. IX, 25, 3. (fortunam) qua illi florentissima, nos duriore conflictati videmur ad Attic. X, 4, 4. ego huius miserrimae fatuitate confectus con- flictor ad Attic. XI, 25, 3. Die Bedeutung „stark mitnehmen, bedrängen, in Gefahr gebracht werden" ist ohne Zweifel verstärkt dem einfachen con- fligere gegenüber.

11. Von sector, welches sich selbst nicht findet, lesen wir die Com- posita

11*. consector: (ut) per hanc speciem simultatis eum consectarer ad fam. VIII, 12, 2. Fufium clamoribus et conviciis et sibilis consectantur ad Attic. II, 18, 1. qui non debita consectari soleant ad Attic. XIII, 23, 3. Die Bedeutung „eifrig verfolgen, zu erreichen streben" hat einen inten- siven Anstrich.

11^ insector: quo modo sum insectatus levitatem senum ad Attic. I, 16, 1. insectandis .... exagitandisque nummariis iudicibus ad Attic. I

über den Gebrauch der verba frequentativa und intens! va in Ciceros Briefen. 155

16, 8. quam eius iniuriam non insector ad Attic. V, 17, 6. audaciam im- proborum insectemur ad Attic. X, 1, 4. non te insectatum esse ami- cos paternos ad Attic. XIV, 12, 2. non esse insectandos inimicorum amicos ad Attic. XIV, 13, 3. ut insectarer Antonios ad Brut I, 2, 5. miseroram fortunam non insectari ad Brut. I, 4, 2. desinat igitur gloriando etiam insectari dolores nostros ad Brut. I, 17, 5. Auch dies Verbum ist, wenn auch nicht überall in der nämlichen Bedeutung, so doch jedenfalls immer intensiv gebraucht.

12. consulto: consultabat, utrum Romam proficisceretur an Ca-

puam teneret ad Attic. XVI, 8, 2. Es ist absolut gebraucht und hat den intensiven Sinn „genau überlegen, mit sich zu Kate gehen".

13. diclo: parvula lippitudine adductus sum, ut dictarem hanc epistu- lam ad Quint. fratr. ü, 2, 1. hoc inter cenam Tironi dictavi ad Quint. fratr. EI, 1, 19. haec dictavi ambulans ad Attic. 11, 23, 1. hanc epistulam dictavi sedens in rheda ad Attic. V, 17, 1. dictavi propter lippitudinem ad Attic. VII, 13^, 7. alteram tibi eodem die hanc epistulam dictavi ad Attic. X, 3\ 1. Tironi dictare ad Attic. XIII, 9, 1. at ego ne Tironi quidem dictavi ad Attic. XEI, 25, 3. haec scripsi seu dictavi ad Attic. XIV, 20, 4. Die Bedeutung ist überall die nämliche : „diktieren". Eine Art von Steige- rung des einfachen dicere liegt wohl darin, wenn auch das eigentliche intensivum dazu das bereits oben genannte dictare ist.

14. Zu dem nicht vorkommenden salto gehört das Compositum 14''. exsulto: alacris exsultat improbitas in victoria ad Attic. I, 16, 7.

Graeci vero exsultant ad Attic. VI, 1, 15. lepta tua epistola gaudio exsultat ad Attic. VI, 1, 22. quomodo exsultat Catonis in me ingratissimi iniuria ad Attic. Vn, 2, 7. exsultant laetitia in municipiis ad Attic. XIV, 6, 2. Q. pater exsultat laetitia ad Attic. XV, 21, 1. Eine Steigerung der Bedeutung des nur in übertragenem Sinne angewendeten Verbums ist wohl anzu- nehmen.

15. iacto: clamore convicioque iactatus est ad fam. 1,5^1. haec in- certa . . . vulgo iactantur ad fam. VIII, 1, 4. legem que viariam ... et ali- mentariam . . . iactavit ad fam. VIII, 6, 5. Curionem video se dupliciter iactaturum ad fam. VIII, 10, 3. (nostrum tempus) . . . forensi labore iactari ad Quint. fratr. III, 5^ 4. tametsi iactat ille quidem illud tuum arbitri- um ad Attic. I, 11, 1. nunc vides, quibus fluctibus iactemur ad Attic.

I, 18, 8. (cum) in eoque se in concione iactasset ad Attic. II, 1, 5. ne de istis quidem piscinarum Tritonibus poterit se iactare ad Attic. II, 9, 1. qui antea solitus esset iactare se magnificentissime illo in loco ad Attic.

II, 21, 3. Syriam spernens, Hispaniam iactans ad Attic. VI, 11, 1. sin iactor, eo minus ad Attic. XI, 16, 3. quia non omnibus horis iactamus

156 R. Jonas

Idus Martias ad Brut. 1,17,1. Wir haben absichtlich alle Stellen wörtlich hierher gesetzt, damit man die Bedeutung klar erkennen kann. Diese ist nun niemals die eigentliche, sondern immer eine übertragene; mehrfach ist es soviel wie: „mit etwas prahlen, oft und laut von etwas sprechen, etwas im Munde führen". Eine Steigerung des Sinnes ist zweifel- los. — Dazu gehört das Compositum

15*. coniecto: mihi quidem ex tuis litteris conjectanti ita videbatur ad Attic. XI Y, 10, 2 = „vermuten, aus etwas entnehmen". Eine Ver- stärkung des Sinnes ist nicht recht zu erkennen.

16. labefacto: hanc nostram tanti et tarn praeclari muneris socie- tatem a tuis propinquis labefactatam ad fam. V, 2, 1. (cogitatio) . . . erat aliquantum labefactata atque convulsa ad fam. V, 13, 12. nee vero postea destiti labefactare eum ad fam. XII, 25, 2. hoc genere cognitionum labe- factato ad Attic. XVI, 16^ 3. An allen 4 Stellen haben wir übertragene Bedeutung. Etwas Intensives merkt man dem Verbum kaum an.

17. nato: (qui) neque in Oceano natare volueris, studiosissimus homo natandi ad fam. VII, 10, 2. (erit honestius) videri venisse in illa loca ploratum potius quam natatum ad fam. IX, 2, 5. Die erstere Stelle zeigt das Verbum in eigentlicher, die letztere in übertragener Bedeutung (= wanken, schwanken?) Eine Verstärkung des Sinnes bemerkt man nicht. Es ist wohl eben nur das einfache nare ungewöhnlich.

18. obtento: spes quaedam me obtentabat ad Attic. IX, 10, 3. Man liest jetzt allerdings an dieser Stelle oblectabat (so bei Baiter und Kayser) ; obtentare würde heissen „aufrecht erhalten". Hierher gehören auch:

18*. ostento: quid enim . . . me ostentem ad fam. I, 4, 3. cuius exitus ex altera parte caedem ostentat ex altera servitutem ad fam. IV, 14, 1. ostentavi tibi, me istis esse familiärem ad fam. IX, 6, 2. (clientelis) quas ostentare crebro solebat ad fam. IX, 9, 2. ut potius amorem tibi osten- derem meum quam ostentarem prudentiam ad fam. X, 3, 4. ut sparte iugula sua pro meo capite P. Clodio ostentarint ad Attic. 1, 16, 4. ceteris prae se fert et ostentat ad Attic. II, 23, 3. Ganz deutlich zu unterscheiden sind die beiden Bedeutungen „zeigen, in Aussicht stellen" und „mit etwas prahlen". Bisweilen bemerkt man eine gewisse Intensität.

18^ pertento: perspice rem et pertenta ad Quint. fratr. I, 4, 5 = durchforschen, gründlich prüfen (mit intensivem Sinne).

18^ sustento findet sich im ganzen an 27 Stellen (9 Mal in den Briefen ad fam., 3 Mal in denen ad Quint. fratr., 15 Mal in denen ad Atticum). Die (etwas intensive) Bedeutung ist fast durchweg übertragen : „aufrecht erhalten", wie z. B. sustenta te, mea Terentia, ut potes ad fam.

über den Gebrauch der verba frequentativa und intensiva in Ciceros Briefen. 157

XIV, 4, 5. Terentiam . . . sustentes tuis officiis ad Attic. in, 23, 5. Das ein- fache sustinebimus nos ad Attic. III, 9, 2 ist davon nicht viel verschieden.

19. occulto: sed haec occultabis ad Quint fratr. 1,3,8. (petis, ut) ad te, nihil occultans, . . . rescribam ad Quint. fratr. ü, 15^2. aculeos omnes et scrupulos occultabo ad Attic. I, 18, 2. in quo ipso multa oc- cultant tuae litterae ad Attic. in, 15, 6. occultatam putant quodam tem- pore istam tabulam ad Attic. VI, 1, 8. occultandi sui causa ad Attic. Vni, 14, 3. nihil occultavit ad Attic. X, 4, 8. cum paucissimis alicubi occultabor ad Attic. X, 10, 3. sed seponi et occultari possunt ad Attic. XI, 24, 2. (rem) non divulgandam potius quam occultandam putaremus ad Brut. II, 6, 2. Das Wort soll doch wohl heissen : „geflissentlich ver- bergen".

20. tracto findet sich im ganzen 41 Mal (23 Mal in den Briefen ad familiäres, 3 Mal in denen ad Quintum fratrem, 15 Mal in denen ad Atticum). Das Bewusstsein, dass dies Verbum ursprünglich intensiv ge- wesen ist, war wohl schon lange geschwunden. Die Bedeutung ist die bekannte (behandeln). Dazu gehört nun das Compositum

20*. retracio: augemus enim dolorem retractando ad Attic. Vm, 9, 3 (= wieder behandeln, sich wieder damit beschäftigen).

21. tutor: te tuamque causam tutatus sum ad fam. V, 17, 2. Das nur an dieser einen Stelle vorkommende Verbum zeigt eine gewisse Ver- stärkung der Bedeutung.

22. voluto: cum omnes in omni genere et scelerum et flagitiorum volutentur ad fam. IX, 3, 1. Itaque ad Callisthenem et ad Philistum redeo, in quibus te video volutatum ad Quint. fratr. II, 13, 4.

Ein intensiver Sinn liegt in dem Wort an beiden Stellen. An der ersteren heisst es (in übertragener Bedeutung) „sich wälzen in . . ." ähnlich, wie wir es auch im Deutschen brauchen, an der letzteren ist es wohl soviel wie „sich eingehend mit etwas beschäftigen". Dazu gehört das Compositum

22*. pervoluto: quoniam meos cum Thallumeto nostro pervolutas libros ad Attic. V, 12, 2, ganz sicher in intensivem Sinne zu verstehen (== herumrollen, aufschlagen; auch wir im Deutschen sagen übrigens „Bücher wälzen**.)

in. Die mit dem Suffix so gebildeten Verba.

P 1. amplexor: quod inimicum meum ... sie amplexabatur ad fam.

I, 9, 10. (ut . . . eum) familiariter atque hilare amplexarentur ad fam.

I, 9, 19. quo genere commotus (ut dixit) Appius totum me amplexatur

ad Quint. fratr. 11, 12, 3. quo magis amplexetur et tueatur iudicium suum

158 R. Jonas

ad Brut. I, 12, 2. Das Verbum zeigt (vielleicht mit Ausnahme der dritten Stelle) übertragene Bedeutung, namentlich an der letzten Stelle. Eine Steigerung des Sinnes ist nicht zu verkennen.

2. cesso findet sich an 13 Stellen (ad fam. V, 12, 10. X, 33,5. Xu, 20. ad Quint. fratr. I, 4. 5. 11, 2, 2. 10,4. III, 1, 14. 5—6, 1. ad Attic. II, 6, 1. 7, 1. V, 15, 1. X, 11, 2. Xm, 13, 2). Die Bedeutung ist überall: „weichen, zögern", ohne dass gerade eine besondere Verstärkung des Sinnes zu bemerken wäre.

3. Von dem nicht vorkommenden })enso finden sich folgende beiden Composita :

3*. compenso: vix ullo otio compensandam hanc reipublicae turpitu- dinem ad Attic. VII, 18, 2. Die Bedeutung ist: „ausgleichen", ohne dass man eine Verstärkung darin bemerken könnte.

3^ dispenso: (res) qui eas dispensavit ad Attic. XI, 1, i. Das Ver- bum soll hier wohl heissen „verwalten, besorgen". Auch hier ist eine intensive Bedeutung nicht zu bemerken.

4. curso : (ne) .... cursem huc illuc via deterrima ad Attic. IX, 9, 2. qui cum lictoribus invitus cursarem ad Attic. X, 10, 1. Unzweifelhaft soll es bedeuten „hin- und herlaufen", so dass man sehr wohl einen frequentativen oder intensiven Sinn darin findet

Dazu gehören die Zusammensetzungen:

4*. concurso: (ut) mecum simul lecticula concursare possis ad fam. VII, 1, 5. concursabant barbatuli iuvenes ad Attic. 1, 14,5 = „hierhin und dorthin laufen" in sicherlich intensivem Sinne.

4^ incurso: incursabit in te dolor mens ad Attic. 11,41,2. Das Wort steht hier in übertragenem Sinne, = „befallen", sicherlich intensiv.

5. prenso: prensat unus P. Galba ad Attic. I, 1,1. nos autem ini- tium prensandi facere cogitaramus eo ipso die ad Attic. I, 1, i. Es be- deutet „zu erreichen, zu erlangen streben" sicherlich im Vergleich zu dem einfachen prehendere mit verstärktem Sinne.

6. pulso findet sich nicht, hingegen die Zusammensetzung

6*. propulso: (civem) ad haec, quae timentur, propulsanda paratissi- mum ad Attic. V, 7. ad inopiam propulsandam ad Attic. XI, 23, 3. Der Sirin des Wortes ist, wie auch sonst, „abwehren"; eine Verstärkung ist unverkennbar.

7. versor kommt 40 Mal vor, von denen 21 auf die Epistulae ad fam. entfallen, 4 auf die ad Quintum fratrem, 14 auf die ad Atticum, 1 auf die ad Brutum. Die Bedeutung ist dieselbe wie auch sonst: „sich aufhalten, sich bewegen, sich befinden, sich mit einer Sache be- schäftigen". Der intensiven Bildung versari scheint mir das einfache

über den Gebrauch der verba frequentativa und intensiva in Ciceros Briefen. 159

verti nahe zu kommeD, wie es ad Attic. YIII, 14, 1 steht: Bmndisii autem omne certamen vertitur huius primi temporis.

Dazu gehören die Zusammensetzungen

7* adversorx perpaucis adversantibus ad fam. I, 7, 10. (Milone) ad- versante interdum actionibus suis ad fam. III, 10, 10 und ausserdem noch an 7 Stellen, nämlich ad fam. VI, 1, 5. ad Quintum fratrem I, 1, 32. 4, 3. ad Attic. I, 19, 4. IL 18, 1. III, 18, 1. X, 8, 4. Die Bedeutung ist der auch sonst üblichen (widerstreben, sich widersetzen) durchaus gleich, immer mit einem intensiven Anfluge.

7''. deversor: (invito eum) . . . . ut apud me deversetur ad Attic. XÜI, 2, 2, wie auch sonst in der Bedeutung „einkehren, absteigen" ohne merk- lich intensiven Sinn.

7^ tergiversor: non est locus ad tergiversandum ad Attic. VII, 1, 4. an cuncter et tergiverser ad Attic. YII, 12, 3. illum valde morari, non tergi- versantem sed exspectantem ad Attic. XVI, 5, 3. Die Bedeutung ist an allen 3 Stellen übertragen (zögern , Ausflüchte machen). Ob sie in- tensiv zu fassen ist, muss mindestens zweifelhaft bleiben.

Ausser diesen frequentativen und intensiven Verben bieten Ciceros Briefe auch eine Anzahl Nomina derselben Bildung, die zu betrachten nicht ohne Interesse ist. Wir führen auch diese nach der Buchstaben- folge auf.

1. agitator: ut bonu' saepe agitator ad Attic. XITT, 21, 3, findet sich in einem daselbst angeführten Verse. = Treiber, Lenker. Zu agito gehörig.

2. assentatio, von assentari: ea tu sine " assentatione , ut erant, ad me scripsisti ad fam. XVI, 27, 1. diuturna Servitute ad nimiam assenta- tionem eruditi ad Quint. fratrem 1,1,16. pertaesum est levitatis, assen- tationis ad Quint. fratr. I, 2, 4. quam enim turpis est assentatio ad Attic. XIII, 28, 2. Es bedeutet „Schmeichelei" mit entschieden intensivem Sinne.

Dazu gehört

3. assentator: (qui) eos, qui laudent, assentatores arbitrere ad fam. V, 12,6. = der Schmeichler. (VergL auch: non assentatorie sed fraterne Veto ad Quint. fratr. II, 15^ 3).

4. cessatio, zu cessare: (ne) nostra nobiscum aut inter nos cessatio vituperetur ad fam. IX, 3, 1. ne furtum cessationis quaesivisse videaris ad fam. XVI, 26, 2. mirificam mihi verberationem cessationis epistula dedisti ad fam. XVI, 27, 1. Die Bedeutung ist : „Unterlassung, Zögerung" ohne hervorstechend intensiven Sinn. Dasselbe ungefähr gilt von

5 cessaior: non quo cessator esse solerem ad fam. IX, 17, 3. cessa- tor esse noli ad Quint. fratr. III, 5 6, 7.

160 R. Jonas

6. commentatiOf von commentari, auch in der Bedeutung aus dem Verbum heraus zu erklären, findet sich zweimal : commentationem causarum abiecimus ad fam. IX, 20, 1. quae autem in lustris et in vino commentatio potuit esse? ad fam. Xu, 2, 1.

7. concitatio, zu concito: quae concitatio multitudinis ad fam. XTV, 13. nullae tuae vehementiores animi concitationes ad Quint. fratr. I, 1,39. (= Erregung, Aufregung, in verstärktem Sinne).

8. concursatiOi von concurso abgeleitet: Libonis et Hypsaei non obscura concursatio ad fam. I, 1, 3. fratrem meum assiduis laboribus con- cursationibusque confectum ad fam. X, 1 7, 2, in der Bedeutung seinem Stammwort entsprechend.

9. consultatio (consulto): quid respondeant consultationi meae ad Attic. VIII, 4, 3. in his ego me consultationibus exercens ad Attic. IX, 4, 3. venio nunc ad consultationem tuam ad Attic. IX, 4, 4. Es heisst „Beratung, Befragung, Anfrage", wobei ein intensiver Sinn nicht ausgeschlossen ist

10. disceptatio (discepto): neque disceptatione sed vi atque impres- sione evertere ad fam. V, 2, 8, ganz der vorhin besprochenen Bedeutung von discepto entsprechend. Dazu gehört

11. disceptator: (ut Omnibus in rebus) te disceptatore uterentur ad fam. XIII, 26, 2, wohl am besten mit „Schiedsrichter" zu übersetzen.

12. dispensatio (dispenso): profectionem meam Erotis dispensa-

tio impedit ad Attic. XV, 15, 3, der Bedeutung des Verbums entsprechend etwa mit „Verwaltungsamt, Verwaltung" wiederzugeben, ohne inten- siven Sinn.

13. ewercitatio (exercito): studiis et exercitationibus ad fam. I, 9, 24. (nullam artem) sine aliqua exercitatione percipi posse ad fam. VH, 19. exercitatione consequere ad fam. VII, 19. intermissis exercitationibus ad fam. IX, 18, 3. nisi me ad has exercitationes retulissem ad fam. IX, 18, 3. Die Bedeutung, zu der von exercito stimmend, ist wohl durchweg: „ein- dringliche Übung".

14. haesitatio (während haesito nicht in Ciceros Briefen vorkommt): noli ignoscere haesitationi meae ad fam. III, 12, 2 (= Zaudern, Schwanken).

15. iactatio (iacto): nonnullorum hominum insolentiam et iactationem ferre non potes ad fam. VIII, 16, 5. iactatione verborum et denuntiatione periculi ad fam. XI, 20, 2. nonnullorum hominum insolentiam et iacta- tionem ferre non potes ad Attic. X, 10, 5. Die Bedeutung ist an allen 3 Stellen „Prahlerei" mit dem von dem Verbum iactare bekannten ver- stärkten Sinne.

16. insectatio (insector): tanta est hominum insolentia et nostri in- sectatio ad fam. XI, 1, 2 (= starke Verfolgung).

über den Gebrauch der verba frequentativa und intensiva in Cicero s Briefen. 161

17. ostentatio (ostento): multorum annorum ostentationes meas nunc in discrimen esse adduotas ad Attic. V, 13, % bedeutet „Prahlerei, Gross- sprecherei".

18. pollicitatio (von dem sich in Ciceros Briefen nicht findenden polli-

citor) : cum ad se initio belli arcessisset Antonius hac poUicitatione

ad fam. X, 32, 4. non destitit litteris atque infinitis pollicitationibus instare ad fam. X, 33, 4, an beiden Stellen in zweifellos intensivem Sinne.

19. prensatio (prenso): non aliena rationi nostrae fuit illius haec praepropera prensatio ad Attic. I, 1, 1, ganz genau in demselben Sinne wie an der nämlichen Stelle das Yerbum prenso.

20. retractatio (retracto): sine ulla dubitatione aut retractatione ad Attic. Xni, 25, 1, hier, nicht entsprechend dem Verbum rectracto, etwa mit „Verzögerung, Weigerung" zu übertragen, ohne Ausschluss einer Ver- stärkung des Sinnes.

21. tergiversatio (tergiversor) : tergiversationem istam probo ad Attic. X, 7, 1, in der Bedeutung dem Vrrbum durchaus ähnlich.

22. usitatus (von dem in den Briefen Ciceros nicht vorkommenden usito abgeleitet) : genus litterarum usitatum ad fam. IV, 13, 1. non solum enim usitatum sed etiam cotidianum est ad Brut. I, 16, 1. Die bekannte Bedeutung dieses Wortes ist sicher intensiv zu fassen, ebenso:

22*. inusitatits: tolle inusitatas (litteras) ad Quint. fratr. I, 2, 8. tam absurde et inusitate scriptarum (litterarum) ad Quint. fratr. I, 2, 9. inu- sitata ac nova ad Attic. III, 24, 2.

Von Hause aus frequentativer Bildung sind auch oblectatio (oblecto) s. ad Attic. IV, 10, 1. obtrectatio (obtrecto), s. ad fam. V, 9, 1. X, 8, 7. ad Quint. fratr. I, 1, 43, und obtrectator (s. ad fam. I, 4, 2. V, 9, 1. VHI, 4, 4. X, 11, 1. ad Quint. fratr. I, 4, 3. II, 2, 3. 3, 4), aber bei diesen wie bei so vielen anderen Verben ist das Bewusstsein der ursprünglichen Ablei- tung ganz geschwunden. So haben wir auch das Verbum obtrecto (s. ad fam. IX, 11, 2. ad Attic. m, 26) in unsere Reihe nicht aufgenommen.

Fassen wir das Ergebnis unserer kleinen Untersuchung kurz zusam- men, so finden sich in den Briefen Ciceros 18 Frequentativa auf -itOy 28 auf -to, 13 auf 'SO (wenn man alle Composita besonders zählt), demnach im ganzen 59 (unter Ausschluss aller derjenigen Bildungen, bei welchen uns der frequentative Charakter nicht mehr so recht deutlich vorschwebt.) Eine besondere Vorliebe für diese Gattung von Verben zeigt uns die in den Briefen angewendete Umgangssprache, die ja sonst manche Eigen- tümlichkeiten namentlich hinsichtlich des Wortschatzes hat, nicht. Im

ganzen hatten wir uns eine reichere Ausbeute versprochen. Aber es ist

11

162 R. Jonas, Über d. Gebrauch d. verba freqnentativa u. intens! va in Ciceros Briefen.

gewiss auch das von uns gewonnene Ergebnis nicht ohne Interesse. Auch die 23 in den Briefen nachgewiesenen Nomina frequentativer Ableitung beweisen durchaus nicht eine Voriiebe für diese Bildungen.

Was die Bedeutung anlangt, so zeigten unsere Untersuchungen, dass die Bezeichnung frequentativa eigentlich nur in den seltensten Fällen zu- trifft. Bei einem Verbum wie curso ist sie am Platze, denn wir haben hier zu verstehen: ein Hin- und Herlaufen, also ein häufiges Laufen. Ähnlich verhält es sich mit einigen wenigen anderen Verben. Viel häu- figer ist die Bezeichnung intensiva anwendbar, denn oftmals soll diese Bildung eine Verstärkung der Bedeutung angeben. In vielen Fällen tritt aber noch etwas anderes ein : die Bedeutung gewinnt durch die inten- sive Bildung eine gewisse Prägnanz; man erinnere sich z.B. an iacto, ostento, in denen die Nebenbedeutung der Prahlerei ersichtlich ist, u. a. m.

VIII. Beobachtungen über den Partikelgebraoch Lncians.

Ein Beitrag zur Frage nach der Echtheit und Reihenfolge einiger seiner Schriften.

Von

Arthur Joost (Lötzen).

Beim Studium Lucians und der Litteratur über ihn und seine Schriften ist man zunächst erstaunt über die auffallend grosse Meinungsverschieden- heit bezüglich der Echtheitsfrage. „Omnino hoc crilicae genus'% sagt Fritzsche (Fr.), wohl der beste Kenner Lucians, leider durch den Tod an der Vollendung seiner grossen Ausgabe gehindert, „tatn difficile est tamque ambiguumy ut non modo summi viri crebro inier se dissentiant, verum etiam eidem interdum addito tempore ab semet ipsis deßciaiit atque desciscantj' Und so hat von den drei andern bedeutenderen Herausgebern Lucians von 82 unter seinem Namen gehenden Schriften W. Dindorf (Ddf.) 11, Imm. Bekker (Bkk.) 28, Sommerbrodt (Sbrdt.) 22 für unecht erklärt. Croiset Essai sur la vie et les oeuvres de Lucien (Paris 1882) S. 43 scheidet 13 Schriften als unecht aus: 7 in Überein- stimmung mit allen drei ebengenannten Herausgebern, 2 CEguneg und "Ovog) mit Bkk. und Ddf., die 'E7ttyQct(.i^(XT(x, über die ein Urteil zu fällen aus naheliegenden Gründen am schwersten ist, mit Bkk. und Sbrdt., 3 {Ilegl ^vocüjv, WevdooocpiaTrjg , Kvviycog) in Übereinstimmung mit Bkk. allein.^)

Dazu kommen vereinzelte Angriffe: so erklärt z.B. Fr. Jacobs, nach Fr.'s Zeugnis „criticus diu et multum in Luciano versatus'% die doch sicher echten Schriften Nexvc/navTela, 'laagofA^viTtTtog und Qeujv hcxkrj- ala für unecht.

Von diesen abgesehen dürfen im ganzen nur einige vierzig, mithin wenig mehr als die Hälfte der im Corpus Lucianeum vereinten Schriften für unbestritten echt gelten, andererseits freilich auch nur 8 {XaQiörjinoQ,

1) Neuerdings hat Boldermann in einer dem Verfasser eben erst zugegangenen umfangreichen (148 pp.!) DisseTt&tioji Studia Lucianea Lugd. Bat. 1893 einen Kanon des Echten aufgestellt.

164 Abthdb Joost

^lyLvuiVy JleQi aOTQokoylrjg, Jlsgi %i]g 2vQlrjg &€ol, Maxgoßioi, Jrjfxo- a^hovg eyKO)jLiiov, WikoTiargig, Negwv^) als zweifellos unecht, so dass über 20 bis 30 Meinungsverschiedenheit besteht

Bisher ist ziemlich wenig für die ausführliche Begründung der vor- gebrachten Ansichten geschehen, und selbst da, wo sie versucht oder nach der Meinung des Verfassers oder anderer vielleicht gar erfolgt ist, gehen die Ansichten noch immer auseinander. So meint Sbrdt. (Ausgewählte Schriften des Lucian I » S. XIX), um nur ein Beispiel herauszugreifen, Guttentag habe am To^agig, Knaut und namentlich Rohde am uiovy,iog eine ins Einzelne gehende Begründung „mit Glück" versucht, und der also anerkannte Guttentag meint wiederholt (De subdito qui inter Lucianeos legi solet dialogo Toxaride. Berol. 1860 p. 3. 33), er werde die Unechtheit der Schrift so nachweisen, ut nemo bene sanus dehinc Luciani, elegantis scriptoris^ nomine Toxarim dialogum dignum existimet. Da findet sich denn als homo male sanus kein Geringerer alsFritzsche und urteilt (III 2 S. LXXV): „Guttentagii opera ad summum rei nihil profectum esse'% und W. Christ (Geschichte der griechischen Litteratur S. 548) lehrt: „Andere sind noch weiter gegangen und haben auch den Demonax, Kynikos, Lukios, Ikaromenippos und selbst den Menippos, Toxaris, Peregrinos, die Podagratragödie angezweifelt". Und so hat denn auch Kretz (De Luciani dialogo Toxaride. Progr. Offenburg 1891) die Echtheit der Schrift, ebenfalls „mit Glück", zu begründen versucht

Diese Meinungsverschiedenheit rührt ohne Zweifel daher, dass jeder zunächst nach dem allgemeinen Eindruck urteilt, den diese oder jene Schrift auf ihn gemacht hat, dass die meisten Verdikte Sache des subjektiven Ermessens sind, das leicht trügen kann, dass man sich begnügt zu sagen: „Deines Geistes hab' ich einen Hauch verspürt", statt den schaffenden Geist zu be schleichen. Bestimmte Kriterien fehlen freilich in den meisten Fällen. Der Verfasser dieser Zeilen hat in einem Programme De Luciano (pilo^Yigcj) (Regim. 1883) durch Darlegung der Stellung Lu- cians zu Homer ziemlich schwerwiegende Verdachtsmomente gegen die Echtheit der Schriften Ilegl Ttagaalrov und Ilegl ogxroewg sowie gegen den ohnehin für unecht geltenden (DiloTtaTgig und gegen Ilegi S-voicov ermittelt und dadurch die Zustimmung E. Ziegelers (Philol. Rundschau V. Jahrg. S. 135) sowie bezüglich der an erster Stelle genannten Schrift in G. Brambs (Über Citate und Reminiscenzen aus Dichtern bei Lucian und einigen späteren Schriftstellern. Progr. Eichstätt 1888 S. 10) und J. Bieler (Über die Echtheit des lucianischen Dialogs De Parasito

2) Auch von Ddf. dp. IX) für unecht gehalten, wonach Sbrdt. 's Angabe (Aua- gew. Schritten P S. XXI) zu berichtigen ist.

Beobachtungen über den Partikelgebrauch Lucians. 165

Progr. Hildesheim 1890 S. 4) Anhänger seiner Ansicht gefunden. Aber solche Kriterien können ebenso trügen wie der sogenannte allgemeine Ein- druck, wie denn Bieler dem Verfasser wohl in der Sache, aber nicht in der Begründung beistimmt.

Das verhältnismässig sicherste Kriterium ist immer noch der Sprach- gebrauch. Freilich zeigen sich hier neue Schwierigkeiten. Man muss Lucian Jahre, ja vielleicht Jahrzehnte lang gelesen und immer wieder ge- lesen haben ; er muss dem Leser in Fleisch und Blut übergegangen sein, wenn er über den Charakter einer Schrift als lucianisch oder pseudo- lucianisch urteilen soll. Dazu kommt, dass echt lucianische Ausdrücke, in einer verdächtigen Schrift wiederkehrend, sowohl für als auch gegen ihre Integrität ausgenutzt werden können: im ersten Falle würde man sagen, der Ausdruck ist lucianisch, also auch die Schrift, im zweiten, man hat es mit einem im echten Lucian besonders gut belesenen und ge- schickten Nachahmer zu thun. Endlich ist abgesehen von der ungemein grossen Modulationsfähigkeit, die Lucian im Ausdruck besitzt, noch der Umstand von Wichtigkeit, dass wir es bei ihm mit verschiedenen Stil- gattungen, rhetorischen Leistungen, Abhandlungen, satirischen Dialogen zu thun haben.

Innerhalb der sprachlichen Betrachtung werden wiederum die Par- tikeln noch am meisten Anhalt gewähren, weil ihr Gebrauch für den Schriftsteller am meisten charakteristisch und am schwersten nachzuahmen ist. Ihnen ist denn auch ab und zu in den Erörterungen über die Echt- heit lucianischer Schriften ein kleiner Abschnitt gewidmet worden, wäh- rend z. B. die vorher erwähnten Vertreter der Unechtheit bezw. Echtheit des To^aQig die sprachliche Seite so gut wie garnicht berücksichtigt haben, namentlich nicht Guttentag.

Und so mögen denn hier einige Beobachtungen folgen, die vielleicht, auch abgesehen von ihrem Nebenzwecke, die Echtheitsfrage einiger lu- cianischer Schriften etwas aufzuklären, schon deshalb nicht ganz ohne Wert sind, weil sie auf vollständigen Sammlungen beruhen, während das Programm von A. du Mesnil „Grammatica, quam Lucianus in scriptis suis secutus est, ratio cum antiquorum Atticorum ratione comparatur^' (Stolp 1867) auf erschöpfende Behandlung wohl selbst keinen Anspruch erhebt. Freilich werden auch solche Untersuchungen wie die vorliegende immer nur vereinzelte Verdachtsmomente gegen eine Schrift beziehungs- weise vereinzelte Beweismomente für ihre Echtheit ergeben, deren meh- rere sodann eine mehr oder minder grosse Wahrscheinlichkeit der Echt- heit oder Unechtheit hervorzurufen geeignet sind.

Ob sich daraus sichere Anhaltspunkte für die Gruppierung oder

166 Aethue Joost

gar für die Reihenfolge der Schriften Lucians ergeben, die herzustellen C hrist (a. a. 0. S. 543) für „schier unmöglich" erklärt, muss zunächst dahin- gestellt bleiben. Bekanntlich giebt es in dieser Beziehung der festen Punkte nicht viele. Nicht einmal von allen Redeübungen Lucians lässt sich fest bestimmen, ob sie seiner frühen Jugend oder seinem Alter an- gehören, in dem er bekanntlich seine Thätigkeit als Rhetor wieder aufnahm : so rechnet Sbrdt. den Zeitig zu seinen Jugendschriften, während Christ die Schrift in die Zeit seines Alters setzt. Im übrigen betrachtet man den NiyQlvog als eine seiner ersten philosophischen Schriften, setzt den Mhi7t7toQ etwa in das Jahr 163, den Odoipevörjg ins Jahr 164, zwischen 162 und 165 den Jlg /.axtiyoQov^evog, bald nach 165 die Schrift Tlüjg ösl loToglav ovy/Qacpeiv, um 166 den JleQeyQlvog, in dasselbe Jahr oder

167 die Totengespräche (Nissen Rh. Mus. 42, 244 nach Christ a. a. 0.), bald nach TleQeyQlvog die jQauiTai, den Evvovyog nach 1 76, den ^U- ^avÖQog nach 180, bald nach dem Tode M. Aureis. Dagegen fallt der ^EQfxoTLfiog übrigens von Bkk. als unecht bezeichnet in die Glanzzeit Lucians, ist aber eine seiner früheren philosophischen Schriften.

Den Anfang möge eine nicht sehr häufige, aber für Lucian augen- scheinlich charakteristische Spracherscheinung machen, der Zusatz von fiera^v beim Participium Präsentis. Sie findet sich etwa in der Hälfte der unbestritten echten Schriften, am häufigsten im (DiXoxpeid7]g (5. 6. 22 bis. 29. 32), nicht selten auch in den Kgoviaycd (8. 23. 24. 29. 33), im NiyQlvog (13. 30. 37. 38) und in Ilegl twv L fi. o. (29. 35. 36 bis), sonst seltener: ^q^i. 2. Oal. 1, 11. ^evdoL 6. 29. "Evvtcv, 17. 'Pi]t. öid. 21. iZcJg öel 38. 0. ÖLal. 5, 3. 7, 3. 'EvaL ÖLal. 2, 3. Et. öidL 5, 3. 15, 1. Hgofi. 8. 17. N. dtdl. 14, 3. XaQ. 6. T/^. 29. 14A. 38. IIL 11. 2v/ii7t. 14. Z. zgay, 17. Z. kleyy. 4. Wenn sich ferner der Sprachgebrauch ebenfalls im ^Eq^iotl- fxog (1. 71], in den Ehoveg (9. 14) und in der Schrift 'Ytc. tcjv eiyiovwv (12) findet, Schriften, die nur Bkk. für unecht erklärt hat, dessen schnell fertige Art zu athetieren (Nb. im Lucian!) niemand besser geschildert hat als Fritzsche im 3. Bande seiner Lucianausgabe ; ferner auch im 'ixagoiihiTt- 7ro(? (24), der für echt gelten muss, dagegen nicht in allen übrigen an- gezweifelten Schriften, und so auch in Ilegl TcagaoLrov, bei dessen Ver- urteilung Bkk. einmal das Richtige getroffen zu haben scheint : so erweckt es andererseits ein günstiges Urteil über To^agig, dass darin (.letaBv c. Part. 5 mal (28. 38. 43. 50. 52) begegnet, sowie über die Schrift Flegl tov oixov, die Sbrdt. für unecht hält, während Christ (S. 544) nicht ansteht sie als geschmackvoll und kunstverständig zu bezeichnen, wenn sich in ihr die Spracherscheinung 3 mal findet (14. 19. 21), die auch Uegl oQxrioetog (8. 11) kennt. Jedenfalls ist (.lera^v c. Part, eine von Lucian auf der Höhe

Beobachtungen über den Partikelgebraucb Lucians. 167

seines Schaffens gern gebrauchte Verbindung. Yergeblich sucht man sie in den Schriften seines Alters sowie in folgenden: Ae^upavTqg (unecht nach Bkk.), ^ovmog (unecht nach Bkk. und Ddf.), ''EQWTeg (unecht nach Bkk. und Ddf., von Sbrdt. auffallenderweise für echt gehalten, dagegen von Christ S. 548, Anm. 7 unter dem Hinweis darauf, dass in der Schrift wie in Jrnxood-hovg eyy.cufXLOv, üaTgiöog eyycojiuiov und XaQlörjfj.og der Hiatus vermieden ist, als „unflätiges Machwerk", von Fr. m 2 S. 236 als certo aduäerinus bezeichnet), ferner Kwiyiog (unecht nach Bkk. und Fr. n 2 S. 235 ff.) , IIcq! ^vaiwv (unecht nach Bkk., von dem Verfasser dieser Zeilen a. a. 0. als ein libellus ex centonibus Lucianeis paene con" sutus nachgewiesen^), ^Avd^rjg (unecht nach Sbrdt.), !^7toxrjQVTt6f^€vog (unecht nach Bkk. und Sbrdt.), JriJucovaxTog ßlog (unecht nach Bkk. und Sbrdt., der in der kritischen Textausgabe II 1 S. 342 das Ergebnis des Streites über die Schrift zusammenfassend sagt : Quäle nunc habevius hoc scriptum, non est totum Lucianeum^^), Tlegl 7r^v^oi;g (unecht nach Bkk. und Sbrdt.), ^hcitlag (unecht nach Sbrdt.), Ilegl tov tjIsktqov (ebenso), Ilegl TOV (xrj qaöLwg TCLOTsveiv öiaßoli] (unecht nach Bkk. und Sbrdt.), Uegl Tijv öiipdöcüv, 'Höloöog (beide unecht nach Sbrdt.), WevöooocpLotrig (unecht nach Bkk.). Bezeichnend ist es, dass sich (xeta^v in dieser Ver- bindung nirgends in einer der allgemein für unecht erklärten Schriften findet.

Ferner ist eine für Lucian charakteristische Partikel das satzbil- dende 7tli!]v, erweitert durch alla, mit oder ohne yh, in ihren Anfängen, wenn auch in etwas anderer Bedeutung, von du Mesnil a. a. 0. S. 51 bei Aristoteles (Eth. Nie. 5, 13) beobachtet, dann häufiger bei Polybius.

Im Verhältnis zu der Zahl der Fälle, in denen tvIijv adverbiell ge- braucht ist, erscheint es als Präposition ziemlich selten: mit dabei- stehendem Nomen oder Pronomen an etwa 15 Stellen, mit zu ergänzen- dem in der verdächtigen Schrift neql oQXfiaewg (34 7tl, oawv stce- jiiP7]0^r]v) und in dem sicher unechten Xaglörj/Äog (7 7tX. ogol ^ezsox^Kaai yca/.?.ovg), Stellen, die einen Übergang bilden zu der Verbindung ftl^v ooov (of) = abgesehen davon, dass: EU, 17 tcL o. ixelvrj fxev kv ILiiy.QOj TCivaxup eyeygajCTO, avTrj ök ino^oaoiala to fxiysd-og eorai, ohne Verbum IIX. 20, mit dem Infinitiv nur "Eq. 13 tcX. ooa Tfj st€Q(^ x€t(>t Trjv aiöw XeXrj&oTwg 67riKQV7tT€Lv, ein syntaktisches Unikum bei Lucian.

3) Zu den von Lucian, wenn er der Verfasser wäre, vom eigenen Kleide ab- gerissenen Fetzen füge ich jetzt noch hinzu 77. ^va. 11. dyancüvTa (Zeus) el öid nhze o?.ü)v exwv ^vaei zig avzij) nuQSQyov 'OXvfinlcüv verglichen mit Tifi. 4 ovzs ^vovzog ezi aol zivog ovzs aze<pavovvzog, et y-ri zig ä^a nage Qyov'OXvfx-

168 Abthüe Joost

Auch zu der Präposition vclriv tritt an drei Stellen il4}.. lor. 1, 29. 2, 14. 17) yh hinzu.

Nicht wesentlich häufiger ist /r^jjy Adverbium ohne folgendes verbum finitum: 0dX. 1, 13 /nrjSe ^eh^drjaag aXXo etl fclriv /nova ta ^vxt]f4aTa, ebenso Zev^, 11. 'Evv7cv, 15. L^Ä. iot. 36. ^li^. 13. B. tcq. 27. nivx^. 2. 'E7VLyQ. 22. (Z. iQay. 41 Citat aus Euripides). Auch zu diesem TtXriv gesellt sich yh: 'Ptjt. ölö, 22. ^L Iot. 1, 16. 25. Wevdoaoq. 9/) ver- einzelt «AAa: ^ic; Kar. 14.

Noch seltener ist die Verbindung tcXyjv ohl: Eh. 6. Qva. 4. '0^;t- 31. T6^. 51, nicht sehr häufig auch 7tlr]v ei (fn^); Ae^. 21. N. ötaL 24, 2. TIeqI tcüv L [A. G. 9. 23. B. uq. 7. Kqov. 13. iT(>o^. «Z 1. Wevöooocp. 7 (als Solöcismus angeführt). To^. 39. z/i^^u. l;/x. 17. Xaglö. 18.

Ist man berechtigt, 7cXriv an der Spitze eines kürzeren oder längeren Satzes, bisweilen verstärkt durch yk oder aXXd oder durch beides, als ein Charakteristikum für Lucians Sprachgebrauch zu bezeichnen, so würde zunächst das Fehlen der Verbindung im ^k-Avatv, in JJeQt rrg ^vglrjg d^eov, in den MaxQoßioi, in JJaTQldog lyvM^iov, in Jrj^oo&evoig eyyiüjfiiov, im OiloTtatQig und im Nsqwv den Glauben an die Unechtheit dieser Schriften wesentlich bestätigen. Von den allgemein für unecht gehal- tenen Schriften weist nur der Xagldtj^og an zwei Stellen (2 und 4) 7tXi]v dXXd auf, eine Thatsache, durch die die Vermutung Ziegelers (Studien zu Lucian. Progr. Hameln 1879. S. 7) ihre Bestätigung finden wurde, dass der Verfasser Lucian sklavisch nachgeahmt hat, vielleicht auch die von demselben ausgesprochene Annahme, dass der Verfasser nicht lange nach Lucian gelebt hat.

Dass die Verbindung ferner fehlt in den Schriften üegl ^volcjv, Jri(X(jJvam:og ßiog, ^omiog, üegl TtagaGiTOv, UeqI Tievd-ovg, Tlegl tov oXtlovj Tlegl twv ÖL^pctdojv, TgayipöoTtoödyga , das freilich wegen der wesentlich anderen Stilgattung aus dem Rahmen der vorliegenden Be- trachtung herausfällt, würde den Zweifel an ihrer Unechtheit nicht un- wesentlich vergrössern.

Im übrigen scheint die Partikel bezw. Partikelverbindung ebenfalls von Lucian auf der Höhe seiner schriftstellerischen Thätigkeit gerne ge- braucht worden zu sein ; denn man vermisst- sie ferner in den rhetorischen Produktionen, die seiner Jugend oder seinem Alter angehören: JUi] ^w- vrjivTCJVy ÄTtoXoyLa, ^Yjthg tov TiTalofiaTog, lägi-iovLdrig, Tvgavvo-KTovog,

4) Es war nicht nötig, dass Sbrdt. Lucianea (Lpzg. 1872) S. 109 hier statt TtXrjv ys 6 Än6kX(i)v zu lesen vorschlug nX. o ys ÄnoXkwv, da seine Bemerkung nX. und ys ständen bei Lucian nie nebeneinander, nur für die Fälle gilt, in denen ein verbum finitum folgt, und in dieser Allgemeinheit durch kX, lax. 1,25 widerlegt wird.

Beobachtungen über den Partikelgebrauch Lucians. 169

Ae^Lcpavrig, '^iTCTclag, Jiovvoog, 'HQazXrjg, Mvlag iy-AWi^iiov, Uegl tov firj QqdUog TtiOTSVELv öiaßoli]^ 'Holoöog.

Von den zweifellos echten Schriften sind ohne rcXrjv {aXld) nur 'UvvuvLov, NiyQlvog, die Meergöttergespräche, BUov 7CQaaig, Evvovxog, ^lKagof.i€vi7VTcog , JgaTteTai. Die erste Schrift gehört wohl ohne Zweifel zu den früheren. Den NtyQlvog betrachtet Fr. im Gegensatz zu A. Schwarz in seiner Schrift über Lucians Hermotimos und Wichmann in den Jahresberichten des philologischen Vereins zu Berlin 1884 (S. 153), die ihn etwa in das Jahr 165 setzen, als eine Jugendarbeit, eine Ansicht, die durch die vorstehende Beobachtung wenigstens insofern ihre Bestätigung finden würde, als wir es in ihr mit einem der ersten Dialoge Lucians zu thun hätten.^) Dagegen würde von den andern jQaTterai, die Fr. 11 2 S. 238 in die Zeit von 165 oder 166 setzt, Evvovxog (nach 176; vergl. Christ S. 543 Anm. 4) und 'lyLctQOfxevLUTtog, nach Fr. 11 1 S. 159 im Winter 180 geschrieben, auch durch das Fehlen von uXriv und 7tlr]v alXa ihre Zugehörigkeit zu einer späteren Zeit des Schriftstellers nachweisen.

Von den übrigen kommen die, welche nur einfaches tcXtiv {ye) auf- weisen, weniger in Betracht. Es sind dies die ^AXrid^elg loxoQiaL (nur 2, 44), die somit Thimme Quaestionum Lucianearum capp. IV (Götting. 1884) S. 9, vielleicht mit Recht den späteren Schriften zurechnet, 2vfi7i6oiov (11. 45), WevdokoyiOTtjg (30), ÜQog anaidevTov (10), nach Sbrdt. (Ausge- wählte Schriften HI 2 S. 118) in die Zeit nach 165 gehörig, KaxajtXovg (27), ^Xe^avÖQog, sicher nach 180 anzusetzen, endlich die Kgoviazd (3. 7. 8. 30), von Christ in die Zeit der „welkenden Kraft" des Schriftstellers gesetzt.

Femer haben nur einfaches tvXyjv die sehr anrüchigen ''EgatTsg (51. 50. 53, wo 7tX. einen Nebensatz mitten in der Periode einleitet, während es sonst so zu sagen mit vollem Atem einsetzt), üegl ogxrjoetug (4), 'Qxv- 7covg (126. 170) und Kwi^Sg (11), eine Schrift, über die Fr. II 2 S. 235 ff. sehr energisch den Stab bricht.

Unter die Schriften, die TtXriv dXXd allein oder 7tXriv und 7tXi]v ctXXd aufweisen, gehören aus Lucians Jugend oder Alter nur: Zeitig (2 TtX. £f.dy€, 3 7vX. dXXd rrjv ye eUova elöov), 'Hgödorog (6 rcX, dX)^ 7] ye eizMv in ganz ähnlicher Verbindung), WevöoXoyLOTi]g (3 TtX. IV ye öwGeig , 20 tcX. dXXd XoaoL ye), JlQo/irjd^evg el L X, (7 tcX, dXXd) und ^^TtoxriQVTToinevog (2 nur TtXrjv, 4 mit ye, 5 tcX. ctXXd mit folgen- dem ye). Auch Ucug del Iot. a. mit je einem nXi^v und jcXijv dXXd iye) gehört der Zeit nach 165 an.

Dagegen fällt die Blütezeit des Gebrauchs der Partikel mit der

5) Vergl. auch H. Richard Über die Lykinosdialoge des Lukian. Progr. Hamb. 188G. S. 53.

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170 Arthue Joost

Blütezeit des satirischen Dialogs zusammen. Wenn man die Zahl der Seiten in der mir einzig zu Gebote stehenden vollständigen Ausgabe W. Dindorfs in Betracht zieht, so ist sie am beliebtesten im Jlg xaTrp yoQov^evog (nur cp. 15 fcXijv mit folgendem yk; dagegen 8. 10. 14. 16. 25 bis 7tL akla, mit folgendem ye 11 3 mal, 20 2 mal), wo sie etwa alle 1 bis 2 Seiten auftritt, ein Verhältnis, das im Vergleich mit dem Vorkommen der Pari;ikel in den andern Schriften durchaus kein so auf- fallendes ist, wie wir es in einem andern Falle bemerken werden. Denn etwa alle 2 Seiten erscheint 7clijv und TtXrjv aV.a auch im Z. Ihyyo' fxevog (tcL 6. 15, rcX. akkd 11. 14), etwa alle 2 bis 3 im MhiTtnog (tcX. 33, mit ye 7, 7t L aXXa 15, mit yk 1. 2) und im TLimwv (tiX. 9. 10. 45.48.55, mit ye 39, tzL allct 24.26), alle 3 Seiten in den Götter- gesprächen {rcl. 8. 15,2. 20,8; mit yl 1,2. 11,2. 15,1. 3. 16,1. 20,15; Ttl. alla 5,2. 16,2. 26,2), im Xäquiv {tzI. 21. 22, Ttl. alU 11. 21.23), im ^PrjTOQCJv öiddoTialog (tcX. mit ye 7. 8, 7t X. dXXd 18, mit ye 24), in der Qeojv eycyiXrjGla [TtX. dXXd 2, mit ye 7), alle 3 bis 4 in den Toten- gesprächen {7tX. 18,1. 20,4, wo Q. TtXrjv dXX^ hat, 23,1. 28,2, mit ye 27,1; 7t X. dXXd 7,2. 9,4. 13,2. 3, mit ye 13,5. 22,2. 30,3); aUe 4 Seiten im ""OvecQog (TtX. 20, mit ye 27, TtX. dXXd 5. 11. 17), im !dvdxaQ- oig (nur 7tX. dXXd 6. 16. 18. 21. 40) und im Ilgoinrjd'evg (ebenfalls nur 7tX. ciXXd 5. 20). Verhältnismässig weniger Stellen weisen auf die Ei- xoveg: 7tX. mit ye 9, 7tX. dXXd 2, alle 5 Seiten, lÄXievg-. 7tX. 52, TtX. dXXd 13. 20, mit ye 8, IlXolov: TtX. dlXd 29. 37. 45 und ^tc. twv eizo- viov : 7tl. dXXd 17, mit ye 15, alle 6 Seiten; die Hetären gespräche : 7t X. 12,5, mit ye 2,4, TtX. dXXd 4,3, mit ye 12,2 und der UeqeyQlvog (166 geschrieben!): TtX. dXXd 13.18, alle 7; endlich "^^^uorz/tiog: TtX. 19.47, mit ye 59 und Z. Tqaytoöog: TtX. 14,17, TtX. dXXd 11, alle 8 Seiten. Auffallend wenig, nämlich nur ein Beispiel [TtX. dXXd 15), bietet der (DtXoipevöijg, was wohl damit zusammenhängt, dass die Schrift keinen ausgesprochen dialogischen Charakter trägt, sondern sich mehr in den Grenzen eines Berichts über geführte Gespräche hält. Hierher gehört auch der von Sbrdt. angefochtene ^xvd-rjg {rtX. mit ye 2. 5., TtX. dXXd 5), in dem an der zuletzt erwähnten Stelle TtXijv dXXd d^d^get genau !dvdx. 6 entspricht,*) und der schnöde behandelte To^agig mit 2 TcXrjv (18. 56), 3 TtX. mit folgendem ye (20. 26. 35), 1 TtX. dXXd (8), was für beide Schriften immerhin eine der bedeutenderen Frequenzen ergiebt.

Bekanntlich hat Dittenberger im Hermes XVI S. 321 S. den Versuch gemacht, nach der Art und Frequenz des Gebrauchs von urjv

6) Bold ermann a. a 0. S. 25 vermutet, dass Sxv^g, To^agignnd kraxag- oig gleichzeitig herausgegeben worden sind.

Beobachtungen über den Partikelgebrauch Lucians. 171

feste Punkte für die Gruppierung der. Dialoge Piatos wie der Schriften Xenophons zu ermitteln. Ein ähnlicher Versuch an Lucians Schriften dürfte nicht uninteressant sein.

Betrachten wir zunächst den Gebrauch im einzelnen, wobei auch hier wie bei Dittenberger von der Schwurformel rj ^j]v abgesehen wird.

Die e in fache Partikel ist selten : in den unzweifelhaft echten Schriften findet sie sich nur ^Ev. didX. 1 5, 1 und B. tcq. 55 xL fii^v ; 'Eq^. 48 btl {,1., ausserdem üagdo. 3 rlva ^i]v;

Sehr häufig ist dagegen die Verbindung xai iuijv, ebenso in den Schriften, deren Echtheit unbestritten ist, von denen nur verhältnismässig wenige die Verbindung nicht kennen, wie in den zweifelhaften und in den sicher unechten. Die Zahl der Stellen verteilt sich ziemlich gleich- massig auf alle Schriften : am häufigsten erscheint xat {.iriv in den Toten- gesprächen (2,2. 18,1. 22,1 2 mal. 3. 25,2 = 6 mal), den Hetären- gesprächen (1,5. 11,1. 2. 13,4), dem "Ahevg (2.3. 5.20) und dem Ka- zdrcXovg (10. 11. 13. 18 = je 4 mal), seltener im Tiincov (35. 48. 57) und dem Z. TQaycpdog (10. 25. 44 = je 3 mal), je 2 mal im Mvlag eyKoj- (uiov (1.2), den Göttergesprächen (1,1. 7,2), den Meergöttergesprächen (1,3. 15,3), im Jig xar. (7.22), der B. Ttgäoig (24.27), dem Vveigog (6.18) und den JqaTteTai (12.23), vereinzelt 0äL 2,12. WevöoL 11, ^vdX' 14, HQog an. 1, Xciq. 1, ^v^Tt. 16, 0. IxxA. 6, III. 44, Evv. 10. In den ziemlich allgemein verworfenen Schriften erscheint die Verbindung nicht. Auch in den zweifelhaften findet sie sich nicht allzuhäufig : 5 mal im ^l'/.aqo\ihi7CTcog (2. 6. 14. 17. 18), eine Erscheinung, die, wenn es dessen bedürfen sollte, ein Kriterium für die Echtheit der Schrift bildet; je 3 mal im 'EQf^6Ti(.wg (15. 42. 63), den nur Bkk. für unecht erklärt, im JrjfxcüvayiTog ßlog (20. 29. 66) und in den Eiyioveg (1. 3. 6); vereinzelt endlich IleQl oq%. 85. Aovy.. 19. 'Ytv. %wv eiy.. 16. 'Auoy.. 21. To^. 63. HavQ, lyx. 1 und 'Eq. 5 x. ^u. sycjye eTtavaGTag xtA., eine Stelle, die ich nicht zu xai firjv mit folgendem yh rechne.

Um so auffallender ist es, dass gegenüber dieser für Lucian charakteristischen massvollen Anwendung der Partikelverbindung die Schrift IleQl jtagaalTov nicht weniger als 12 mal xal ^rjv hat: 1. 2 2 mal. 8. 12. 13. 14. 22. 28. 44. 51. 58,*) ein Zahlen Verhältnis , das um so mehr ins Gewicht fällt, da der Parasit etwa die Hälfte der Seitenzahl füllt, die die Totengespräche in Anspruch nehmen, diejenige Schrift, die sonst am meisten /.al /^ijv enthält.

7) Zu meiner Freude sehe ich, dass auch Bieler Progr. Hildesheim 1890 S. 20 eine Schrift, die erst nachträglich zu meiner Kenntnis gekommen ist ^ dieselbe Beobachtung gemacht hat.

172 Abthüe Joost

Verstärkt wird das einfache ^?Jv durch unmittelbar vorangehendes yk, selten freilich nur in den Schriften von unbestrittener oder ange- zweifelter Echtheit: 2v^7t, 5 outaXt^ y, fi. 'bti, 48 knelvo y, /u. fiefia&rpca, 'Eqih. 2 olf^al y. fx. und 25 odog y. (x. ov jula, selten auch in den sicher unechten: Idatg. 14 und 2vq. ^. 2S doüiio y. fi. (übereinstimmend!), Jiqti. iyz. 21 Ttgog y. fx. rag Trjg xpvxrjg agerag und N^g. 2 tzL y. ji.

Um so auffallender ist auch hier der gehäufte Gebrauch der Verbindung in der Schrift üegl vtagaoLtov, wo sie 10 mal erscheint: 6. 7. 11. 23. 26. 45. 52. 53 2 mal. 59, obwohl die Schrift nur um 6 Seiten länger ist als das 2v^7c6olov. Ebenso auffallend ist die Häufung von ye iiiqv in den von Sbrdt. für echt gehaltenen "EgiuTeg, in denen die Verbindung ebenfalls 10 mal (3. 10 2 mal. 12 2 mal. 13. 16. 21. 48. 54) erscheint. Dazu kommt, wenigstens in IJegl Ttagaalrov, vielleicht ein Unterschied im Gebrauch, der sich freilich nicht mit voller Bestimmt- heit feststellen lässt, da die echten Schriften zu wenig Beispiele bieten: in diesen ist das stark betonte Uelvo oder ein Adjektivbegriff kräftig voran- gestellt, was ja auch das Natürlichste ist, während der Verfasser der Schrift Ilegl fcagaolrov sich nur 1 oder 2 mal dazu aufschwingt, ein Verbum (53 XvTteitai y. fx. yjyciOTa TtavTwv, wo man eher t]XLOTa an erster Stelle erwarten würde) oder ein Adverbium (45 ovTto) y. f.i. öo/ao fxot, 59 oloyg y. fx.) voranzusetzen, indem er es sonst vorzieht, in etwas matter Weise die ziemlich tonlose Konjunktion otl (6. 23. 26) , besonders aber den noch tonloseren Artikel den Reigen eröffnen zu lassen: 7 to y, ii. sv%grioxov, 11 6 y. jx. ^EjcUovgog, 52 o% y. f.i. grjTogeg, 53 6 y. jx. naga' GLTog, ein Sprachgebrauch, mit dem an einigen Stellen auch die "EgojTeg übereinstimmen : 3 twv y. (.i. kgwTinojv, 48 al y. fi. ^wAgaTixal ÖLÖaaxa- Uai, 54 lovg y. (,i. ovof^ia^ofxevovg. Wenn also Schmid Atticismus I S. 424, der übrigens im üagaoiTog nur 7 Beispiele gefunden hat, meint, es sei damit die sokratische Dialektik parodiert worden, so dürfte dieser Erklärungsversuch zurückzuweisen sein.

Kai [xriv wird ebenfalls durch ye verstärkt, das natürlich nach- folgt, von ixTqv nur durch ein Wort getrennt, so dass Fr. auch Mev. 8 X. fx, Ttgodrjlov ys tovto statt TtgoörjXov tovto ye mit Vergleichung von JV^. öial. 9, 3 nach einigen Hss. edieren zu müssen glaubt. Warum jedoch Sbrdt. ^/x. 19 die handschriftliche Überlieferung 7ckr]v ai ye nökeig durch %aX fxriv at y. 7t. ersetzt, ist nicht ersichtlich. Auffallend ist To^. 38 X. fx, ei öid ye tovto, während sonst immer ye sich unmittelbar an ei anschliesst: Tlfx. 15 x. /w. et ye e^eTa^oig, 'Egfx. 8 x. ^u. e'l ye ixe del, und so auch Jtg xar. 24 x. ^i. rjv ye firj uavörjTai. Gerne steht ye nach einem Pronomen, namentlich ovTog: Niyg. 6. x. fx, tovto ye ov fxed-veiv,

Beobachtungen über den Partikelgebrauch Lucians. 173

aXla vriq)eLv ycal aucpQOvelv Iotlv, O. didL 18, 1 x. fx. ovrog ye 6 -d-rj- XvfilrQTjg, ^Ev. didL 8, 2 x. in. ovTog ye fxovov ogylCszai, Kardnl. 9 x. II. tovtÖ ye evyvwf^ov ahw ; in Usgl -rcaquo. (15) auch exelvog wie ^€^. 10. In keiner der unter Lucians Namen überlieferten Schriften erscheint die Verbindung auffallend häufig.

Kai firjv wird femer verstärkt durch ein zweites xa/. Diese Er- scheinung findet sich, bezeichnend genug, am häufigsten in den '^Xrj&elg loTOQlat (9 mal: 1, 8. 23. 26. 34 2 mal: 2, 5. 14. 17. 20; vergl. Thimme a. a. 0.) und in dem von Bkk., Ddf., in neuerer Zeit auch von C reiset für unecht gehaltenen Aovynog (7 mal : 18. 25. 29. 30. 38. 48. 51), der hier- durch, wenn er echt ist, seine äussere und innere Zusammengehörigkeit mit den „Wahren Geschichten" nachweisen würde, nicht selten auch im Leben des Demonax (22. 26. 39. 54. 56. 63), sowie in der unhestritten echten Schrift nwg del l. o.: 17. 21. 23. 40. 46. 60, seltener im LiväxaQGigi Tl. 28 und in den Kgoviaxd: 4. 22, vereinzelt MvL syz. 5, Otloxp. 19, ^FqT, öid. 23, NiyQ, 33 u. a. Nur an einer Stelle {Evv. 3) folgt noch ein ye. Ebenso selten (0. ötdl. 6, 1) treten andere Worte zwischen (.iriv und das zweite xa/.

Dazu kommen die wenigen Stellen, an denen sich an xai firiv die Negation anschUesst: 0. diäl. 22, 3. 'Ev. ötdl. 13, 6. Kardul. 20. N. öidL 7, 2 (mit folgendem ye). Xdg. 11. Tlfx. 9. Z. xgay. 31. 'AI. 1. 20. m. 2, und so auch JT. tov oiY.ov 4.

Noch seltener ist y.al fir)v ovo': lAvdi. 16. Uüg öel 18. Xdg. 17. 'Egf^. 69 {ovdirto}], und auch Ilagdo. 8. 10, 2 mal gegenüber 4 Stellen im ganzen Lucian.

Die Verbindung ov ^rjv findet sich nur in unzweifelhaft echten Schriften: Hwg öel 60. Niyq. 36. "Yrt. raiv ein. 18. N. didL 12, 3. IvfiiTt. 15. 44. Z. TQay. 38, Y/r. %. Ttzalofi. 2 2 mal.

An einigen Stellen tritt auch zu dieser Verbindung ein ye: Zev^. 2. HQog «TT. 29. UX. Igt. 1, 23. 'Egfi. 41. Yx. 10. negeyg. 36. 2vfi7i:, 1. Kqov. 8. Z. eX. 4. tgay. 2. IlQOja. el 5. Jr^i. 4. To^. 1. 11. 11. tov lurj Q. 7t. 6. 5.

Auch an ov firjv schliesst sich ovdi an: ^Ogx. 35. 'AX. Igt. 2, 12. "Egfi. 66. "YTt. Twv eh. 19. Regeyg. 26. 11. rcJ^ L fi. g. 26. 'Hg. 7. Ein Citat aus Hesiod liegt vor *'Eg. 37.

Nach ov inrjv folgt dXXd: ^^vdx. 12. Q. ötdX. 20, 14. KaxarcX. 26 (mit xaO. '/x. 4. 8 (xa/). ^A. 20. Jrnx. 3 (xa/). To§. 1 (xa/), und so auch [^a(>/d. 15.

Seltener ist ovre fiYjv: Ugofi. 1. Tl. tlov e. /n. g. 4. Uiv^. 15. :aQlö.2b\mddXXdi:ii]v: Tili. W, Z, rgay, bi. WevöoG. 3. B.7tg.2d

174 Abthub Joost

2 mal, so auch JlaQcia. 10. ^ovyi. 32 und Jtjih. lyx. 9. Xaglö. 7, mit folgendem ymI: Aov-a, 16, mit folgendem ovb^ : 'Eqy.. 79. Kvv. 4 (mit yl).

Die Verbindung aAA' ovbl firjv endlich findet sich nur in dem unechten Xaglörjfiog (6) und dem anrüchigen nagaaitog (12), ebenso wie val ^iTjv Ttal nur in den unechten Machwerken Tlegl aoTQoXoylrjg und üegl Trjg ^vQlrjg d^eov je 1 mal.

In der weitaus grösseren Zahl der ziemlich allgemein unbestritten echten Schriften ist i.iriv vertreten. Eine ganze Reihe wird man jedoch gesondert betrachten müssen, weil in ihnen das Vorkommen der Partikel vereinzelt ist (1 bis 2 mal). Unter diesen gehören (Dakagig (1 mal y.al fiYjv), yf^evdokoyiot^g (ebenso!), ^HoLodog (1 mal ov jn. ovöi, das in den sicher echten Schriften überhaupt nur 7 mal erscheint), üegl lov ^t. ^. 7c. d. (1 mal ov i^rjv mit yk), ngofir^d^eig d L l. (ebenso!), Zev^ig (eben- so!) und 'Y7t€Q Tov 7CTalo^iaTog (1 mal ov /nrjv) der rhetorischen Periode Lucians an. Von den übrigen rechnet Sbrdt. Ae^Lcpctvrig (1 mal x. ^. mit ye, 1 mal x. (.i. Y,aL\ (Diloxpavörig (l mal x. ^u. xa/, 1 mal a/Äa ^.) und 'Pi^ir. diöaoyiaXog (genau ebenso !) zu den Schriften der Übergangsperiode.

Von der ersten Gruppe sind 0 a lag ig, 'HoLodog, Tlegl tov fi. g. n. d. und 'YTihg tov jiTaio^aTog auch von dem satzbildenden Tr/ijy völlig frei, und auch WevöoloyLOTi]g und Zev^ig kennen nur je 1 ttI. bezw. nX. ax/.cr, ngofurjd^evg et I. l. nur 1 nL alla. Von der zweiten Gruppe bietet A€^tcpdvi]g zu dem satzbildenden tcXt^v kein Beispiel. Mit der massvollen Verwendung von f.i7^v stimmt im Odoipevdrjg das nur 1 malige Vorkom- men von 7tlt]v auffallend überein, so dass wir vielleicht berechtigt sind, die Schrift zu den früheren satirischen zu rechnen. Die Schrift 'Pr^Togcov didccGxalog bietet auch für TtXi^v nur 4 Beispiele.

Es bleiben von den andern Schriften die Meergöttergespräche, Xdgojv, ngofir]^€vg , 0. ex^iXrjoia, Z. kXeyxöfxevog, MevLTtTzog, JgaTtiTai und Evvovyog, von denen man die /IganeTai in die Zeit von 165 166, den Evvovxog in die Zeit nach 176 setzt. Damit würde zunächst die That- sache übereinstimmen, dass nicht nur die beiden zuletzt genannten Schriften, sondern auch die Meergöttergespräche von TtXr^v völlig frei sind, mithin, wenn wir ein Steigen und Abnehmen der Vorliebe Lucians für diese Verbindungen anzunehmen berechtigt sind, auch von diesem Gesichtspunkte aus die Meergöttergespräche zu den späteren, Ausgangs der vierziger oder in den fünfziger Jahren seines Lebens, verfassten Schriften gerechnet werden dürfen. Dementsprechend müssten die an- dern, wobei natürlich von vollständiger Genauigkeit und Sicherheit keine Rede sein kann, an den Anfang oder das Ende der satirischen Schrift- stellerei Lucians gesetzt werden, womit wieder die Beobachtung im Ein-

Beobachtungen über den Partikelgebrauch Lucians. 175

klang steht, dass bis auf den Zsvg eleyxo/nsvog, der jedoch nur 8 Seiten lang ist, die anderen 4 höchstens alle 4 und mindestens alle 2 bis 3 Seiten 7ck7]v aufweisen, einander also nicht ferne stehen.

Im übrigen bieten unter den andern unbestritten echten Schriften Lucians am wenigsten Verbindungen mit /litjv: die Kgovia/M alle 8 bis 9 Seiten, was vielleicht ebenso wie der Mangel von Ttkrjv allä auf die sinkende Kraft des Schriftstellers hindeutet, die Hetärengespräche und IlBql Tcov L (M, a., alle 7 bis 8 Seiten. Häufiger sind sie im Tllolov (alle 6 Seiten), im ^ATtoKriQvrtoy^evog, 'EQ/j^orifxog und Jlg }iaTr]yoQOv/.i€vog (5), im TleQeyQlvog und den Göttergesprächen (4 bis 5), im ^AvcLxaQOig, JlQog a7t., den Ehoveg nebst 'Ytc. twv bIhovcdv, in denen beiden das Verhält- nis ebenso übereinstimmt wie im Z. eXeyxo^evog und Z. TQayipöog^ in den Totengesprächen (4), im Z. xQayi^öog^ Ilwg öel l. g. und in den ^Irj^elg lOTOQlai (3 bis 4), im l4Xi€vg und Ncyglvog (3), in B. Ttgäaig, Tlfxiüv und 2vfi7c6aiov (2 bis 3), endlich im KaraTtXovg, ^Ixago^iviTtTtog und Mvlag eyxco^iov (1 bis 2). Was die zuletzt genannte Schrift anbe- trifft, so hat sie den Vorzug besonders lebhafter Darstellung und ebenso wie der !d7to/.rjQVTr6/n€vog keine Spur von frostiger Manier. Auffallend ist endlich das häufige Erscheinen der Partikel, auf 9 Seiten 7 mal, im WevdooocpiOTTig. Entweder ist dies beabsichtigt, oder es wird dadurch die von Bkk. behauptete, von A. Baar (Lucians Dialog „der Pseudosophist" erklärt und beurteilt. Görz 1883), freilich ohne bestimmte sprachliche Untersuchungen, bestrittene Unechtheit®) der Schrift bestätigt, womit es gut zu vereinigen wäre, dass sie auch nur ein einziges Tth'iv aufweist, was zu den vielen ,w^v bei der sonstigen Art Lucians in einem auffallen- den Verhältnisse steht.

Kein (xriv haben von den sicher echten Schriften die Redeübungen ^HQoöoTog, läQinovlörjg, TvQavvoKTovog, JIkt] (piovr^ivTCüv, /JLovvaog, 'Hga- y.lfjg, ^AuoloyLay die alle bis auf 'HQoöoxog auch kein satzbildendes Ttlr^v haben, ausserdem A^i Ale^avögog ^ der, wie erwähnt, in die Zeit nach 180 fällt und dementsprechend auch nur 1 TtXr^v, kein nL aXXa aufweist, und neql kvvTcvlovy ebenfalls ohne 7cXriv und tzX. aXXd.

Von den Schriften, deren Echtheit zweifelhaft ist, fallen zunächst auf IJeQi Ttagaalrov und Jfj^ojvaTizog ßiog. In beiden ist die Partikel ziem- lich ebenso oft vertreten wie im ^^evöoGocpLOxrig: dort findet sie sich auf 22 Seiten 29, hier auf 10 Seiten 12 mal. Während aber in den echten

8) Neuerdings von Boldermann a. a. 0. aufs neue behauptet. Vergl. auch Roth st ein Quaestiones Lucianeae (Berol. 1888) S. 35: Omnium maximas dubita- tiones movet Soloecista.

176 Aethue Joost

Schriften aus der Blütezeit Lucians ziemlich alle Erscheinungsformen so gut wie gleichmässig vertreten sind, trägt in üegl TtaQaoLrov den Lö- wenanteil y.al /urjv und /xtjv mit vorangehendem 7«, das in allen echten Schriften nur etwa 6 mal erscheint. Ausserdem bietet die Schrift ein ver- einzeltes all' ovöe jUTjv, das nur noch 1 mal im XaolSrjinog steht, aber in keiner echten Schrift. Im Leben des Demonax findet sich y.al iurjv xal 6 mal, in den echten Schriften dagegen je 1 bis 2 mal mit Ausnahme von Ilwg Sei l. o. und den ^Xrjd-elg lotoglat. Doch verteilen sich die 6 Stellen in der erstgenannten Schrift auf 26, in den „Wahren Geschich- ten" 9 Stellen auf 39 Seiten, so dass hier auf 4 bis 5, im Demonax auf 2 Seiten ein Beispiel entfällt. Femer sind die "Egureg mit 10 maligem yh ^iqv belastet, haben die Verbindung also alle 2 bis 3 Seiten, während die 2 Beispiele im 'Eg/noTif^og sich auf 48, im ^v^rcooiov auf 16 ver- teilen und ^evöoGocpLGTrjg sowie der 'ATtovLriQvrTo^evog nur eins, alle andern keins enthalten. Die einzige Stelle, an der in der Schrift über- haupt eine andere Verbindung steht, ist aus Hesiod entlehnt. Eine solche Einseitigkeit bietet keine andere Schrift. Der Aovy.iog steht in Bezug auf y.aL (iirjv Y.aL fast ebenso ungünstig wie der Demonax. Dazu kommt, dass in ihm sich 1 mal alla firjv xal findet, das nur noch der Xagidr}- fiog 1 mal bietet, dagegen keine der echten Schriften. Das vereinzelte Vorkommen der Partikel in IIsqI oQiTqaewg, Tleol Ttsvd-ovg, KwiY.ög und üegl Tov or/.ov erlauben keine Vermutung. Dagegen erwecken zwei Thatsachen eine günstige Stimmung über To^agig: 1. Die Schrift bietet Beispiele für die meisten Erscheinungsformen der Partikel, und zwar gerade für die in den echten Schriften am meisten vorkommenden, während sie für die nur in unechten oder zweifelhaften belegten keine hat. 2. Die Frequenz ist dieselbe wie in den für Lucian besonders charakteristischen Schriften, wie Anacharsis, den Totengesprächen u. a.

Beispiellos ist i^rjv von angezweifelten Schriften in IIsqI d^voiwv, ''iTtTtlag und IIsqI tmv öixpdöwv , die alle drei auch kein jclrjv (akXa) kennen, sowie im ^avd-rjg, der nur 2 7c?.r]v und 1 tcX. aXkd hat.

Von den sicher unechten Schriften hat narglöog kymü^nov, Ilegl doTQokoylrjg , Ueq! 2vQlr]g S-eov und Negcov nur vereinzelte Bei- spiele, und zwar die zuerst und die zuletzt genannte Schrift nur yh firjv (in den echten Schriften 6 mal), etwas mehr (3) JrjinoGd^evovg kyxw^iiov, am meisten der XaQlör]f.iog. Doch findet sich in diesem neben je 1 maligem ov furjv (in den echten Schriften 8 mal), ovre (.iriv (in den echten Schriften ebenfalls nur 1 mal) und dlld fujv (sonst 6 mal) auch dkkd jLirjv xa/, das nur der Aovxiog, und dkl' ovöh ^rjv, das nur der üagdaiTog kennt.

Beobachtungen über den Partikelgebrauch Lucians. 177

Kein (xrv haben von den unechten Schriften ^X-avcov , MaxQo- ßwc und OiloTcaTQig,

Die weitaus häufigste Partikel bei Lucian, abgesehen natürlich von ycal, (xh und öe^ ist yh, das nur Jwvvoog und TQaywöoTtoöayga nicht kennen. Daraus folgt, dass hier massenhafte Verwendung weniger ins Gewicht fällt, andererseits sparsamer Gebrauch Verdacht erregt.

Aber schon eine Durchmusterung des Gebrauchs im einzelnen ge- stattet einige vielleicht nicht unwichtige Vermutungen.

Abgesehen von dem vereinzelten Falle Tgay. 297, wo die Partikel sich nach der Interjektion Ttartal findet, steht ye:

1. Hinter dem Artikel, besonders gern nach dem mit aXlog ver- bundenen: 'Prjr. Ölö. 13. ^Eqix. 10 Tovg ye alkovg, Lil. Igt. 1, 20 rovg ye aXlovg aGTSQag, ^Eq{x. 68. ^Et. ö. 3, 16. 6, 3. Z. TQay. 35. üegl tov fxr] ^. 7t. (5. 27 xct ye aXla, O. diaX. 20, 2 ra ye aXXa näwa, ^\g xar. 34 Toiv ye alXcov evexa, Heg. 12 tj ye aXXr] d-egaTteia, während der Fall NiyQ. 24 mit der Stellung %a akXa ye allein dasteht. T/^u. 38 schreibt Sbrdt. statt to ye xeXevxalov ecpriod-a mit grosser Wahrscheinlichkeit o ye T. €. Nicht ganz unauffällig ist es, dass innerhalb der einen Schrift Jr](xcüvaxtog ßlog sich 2 mal (3 und 50) die Worte aXl" o ye Jrjfxwva^ wiederholen.

2. Nach einem Substantivum. Nexg. didX. 20, 2 avögoyvvco ye ovTL lässt Fr. die Partikel nach QT fort trotz der Fülle von Stellen es sind etwa 20, auch im To^agigl , an denen ye beim Participium steht, um seinen kausalen Sinn zu kennzeichnen.

3. Nach einem Adje et ivum. Fr. ediert N. diaX. 27 nach <D TtoX- Xol örj trotz der häufigen Verbindung der Partikel mit Formen von TcoXvg. Vielleicht nicht ganz unverdächtig ist die wiederholte (1. 12) Anwendung der Formel tvoXv ye Ttgoxegov in der Schrift TIegl ^vouuv.

4. Die Partikel schliesst sich an ein Verbum an. Hier verdient die Thatsache Erwähnung, dass ye im Anschluss an ein Verbum in dem unechten (DiXoTcargig besonders häufig erscheint, eine Zahl, die nur vom 'Egjj-oTifxog erreicht wird , der jedoch ungefähr 3 mal so lang ist wie der (DiXoTtargig, indem die Partikel zu immer grösserer Bedeutungslosigkeit herabgesunken zu sein scheint.

5. Grösser ist die Zahl der Stellen, an denen ein Adverbium durch

ye verstärkt wird. Besonders häufig findet sich Ttgcüzov ye, auch in der

angezweifelten Schrift Ilegi tov olx. 15, ebenso Ttgozegov ye, /laXiOTcc ye.

Die Formel x«< Ttgoohi ye (NB. immer mit x«/) findet sich !dvaX' 37.

Hdjg öel 10. TljLi. 14 und so auch in den angezweifelten Schriften To^a-

gig (62) und Uegl tov oXy-ov (2), während das einfache en ye selten ist

12

178 Aethue Joost

[UeQeyQ. 15. 'Ho, 8), sich aber in dem sicher unechten Odojcargig sogar 2 mal (24. 28) sowie in dem unechten Nigtov (2) mit ^riv findet. Am allerhäufigsten ist ev y§, sowohl ohne wie mit einem Yerbum, besonders gern in der Formel ev ye vTtifiviqocxg: 0Uoip. 38. 0. did'A. 7, 4. 7x. 13. nX. 35 (nach Ddf.s Vermutung, während Fr. nach den Hss. nur v7ci^vriaag ediert). Miv, 29. Kqov. 8, ferner mit Formen von 7coulv und andern Verben. Dagegen erregt das wohl auch sonst Töllig vereinzelte hcigev ye im JlaQaGiTog (9) neuen Verdacht. Lucian selbst gebraucht ausserdem, wenn auch selten ('/x. 11. Wevöooocp. 11) ogO^wg ye, während xaXwg ye beispiellos ist und sich nur im unechten Jrj^oa&evovg fyxwjULOv (1. 37) findet. Die Vorliebe Lucians für vvv ye (9 mal) zeigt sich auch T6^. 56. Ebenso verbindet Lucian die Schwurformel vr; Jla gern mit ye, entweder unmittelbar oder so, dass die Partikel wenigstens in der Nähe steht.

6. Unter den zahlreichen Stellen, an denen sich ye an ein Pro- nomen personale, reflexivum (vereinzelt ! Xccq. 18 Tcgog kfxavtov ye), de- monstrativum , relativum, reciprocum (vereinzelt! ^'Eq. 28 rcQog aXXrikovg ye) oder indefinitum (selten ! Wevöoo. 9 und Regl tov fi. q. tc. d. 9 et rlg ye) anschliesst, ist der Fall als ein für Lucian besonders charakte- ristischer zu bezeichnen, jedenfalls oft bei ihm vertreten, dass das Prädi- kat des Satzes, Substantiv oder Adjektiv, vorangeht und dann das Sub- jekt ovTog ye, ovzol ye, tovto ye u. ä. nachdrucksvoll folgt, eine Ge- wohnheit, die sich sowohl in den rhetorischen als auch in den satirischen Schriften beobachten lässt, in jenen nur vereinzelt: lävcix- 36 aliov eldevai TOVTO ye (Accusativ?), fast ebenso L^A. 20 a^iov yag eTtloTao^ai tovto ye, ferner IdX. 48 xvcov ovTog ye; besonders gern an das Vorangehende mit yccQ angeknüpft: 'Hqoö. 1 (xetC^ov yag evxfjg tovto ye, (DiXoip. 1 ovy- yvwoTol yaQ ovtoL ye, 'PrjT. öiö. 20 eXeyxog yag oacprg TaiToc ye, Ilegi T(x)v e. fi. o. 1 oixeiot yccQ ovtoL ye, 26 ayvwinoavvr} yag drj tovto ye, Tlfi. 6. aviagÖTaTOv yccQ tovto ye, u4.X, 41 ol% ctvayAala yag ravTa ye, 51 acpwvoTegoL yag ovtol ye, Ul. 41 aßeßata yag TavTct ye. Die Copula ist fortgelassen, so auch an den hierhergehörigen Stellen !dv. 2 ov/. h TtTjXcii ouTol ye, N. ö. 6, 2 avw yag 7ioTa(xiov tovto ye, mit geteiltem Prädikat Kw. 5 (xavia rjörj tovto ye aa(pTqg, was sonst unbelegt ist, aus- gedrückt ist sie negl töjv e. fi. a. 6 evxfj y^g ccv eoixoTa eXi] tuvtcc ye, wo ein Potentialis vorliegt. Ist dagegen ein Prädikatsverbum vorhanden, so folgt es dem Subjekt: Ilgdg an. 10 aA/' ovTog ye eycgaTeL, ebenso Bvv. 3, wohl auch das Prädikatsnomen : 0. ö, 6, 3 xai naw ovTog ye de- OTtoTTig eoTl oder von zweien das eine: OUoip. 3 aoeßrjg oiTog ye xal ccv6r]Tog eöo^ev, Fälle, die jedoch zu den Ausnahmen gehören. Den über- wiegenden Sprachgebrauch weist auch der To^agig (13 eTcaywyoTaTov

Beobachtungen über den Partikelgebrauch Lucians. 179

yaQ TovTo y€) und üeQi tov ouov auf, eine Thatsache, die ohne Zweifel wiederum ein günstiges Vorurteil für die beiden Schriften zu erwecken geeignet ist. Dagegen fällt das Adverbium auf üagaa. 39 Uavwg ravrd ye. Gern gebraucht Lucian auf der Höhe seines Schaffens auch die Formel rovTov ye svexa, namentlich mit ^agget [TLfx. 36) und ^aggelre (!dX. 9). Erwähnt zu werden verdient auch, dass nirgends ausser OUdn. 21 Tavxa ye TOL hvTtvta ein Substantiv folgt.

Von Kelativpronomina schliesst sich die Partikel in den meisten Fällen an das einfache og an, vereinzelt an Zotig {(DUoti. 11. Wevdoo. 10 „dass ich dich in der Gesellschaft seh' !" ) und ooTteg {^Ttox. 4) sowie an olog [Kvv. 1), ooog [TifA,. 52. Kqov. 9. Z. xQay. 10) und bnooog {To^. 45).

7. Unter den Stellen, die yh in Verbindung mit einer Präposition zeigen, fallen diejenigen durch ihre verhältnismässig grosse Zahl auf, an denen cltio = „zu urteilen nach" erscheint: ^Oqx. 80 arto ye twv toiov- c(jt)v oQxrjoecüv , '^EQfi. 19 ütco ye Trjg TteQißoXrjg, 47 citco ye tovtwv, 58 ccTco ye TOV yev^axog, Kar. 22 und iV. ö. 18, 8 übereinstimmend cctvo ye tov oxrKxatog, N. ö. 1, 2 cctvo ye tovtmv, Evv. 10 cctio ye tijg (pavegäg oipecog. Ebenso wie die Worte ccTto ye tovtwv und utio ye tov oxrj- luatog je 2 mal in verschiedenen Schriften! wiederkehren, so auch ev ye t(i) cpavegcß N. d. 5, 1 und Jlg nat. 15. Sonst kommen derartige formelhafte Verbindungen nicht vor. Um so mehr Verdacht erregt gegen- über der Modulationsfähigkeit von Lucians Ausdruck die Wiederholung von (nexQt ye vvv Ilagao. 27 und 31.

8. Vor Konjunktionen findet sich ye nur Imal in der unechten Schrift Jrii^oGd-evovg iyy.(x)(j,Lov (5) in Verbindung mit der Partikel htei, während es sich sonst nur mit ei {eXd-e, rjv, rjVTteg, av) zusammenthut. Zwischen ei und ye drängt sich öe nur an zwei Stellen (16 und 25) des un- echten (Ddo^tatQig. ^vfi7c. 4 ediert Fr. nur ei und bemerkt in der kri- tischen Note yj'ortassis rede". Ohne Zweifel hätte er e% ye /uiiuvr]fiai schreiben müssen, da gerade diese Formel, wie einige andere, nament- lich mit dem Verbum xc>^^«^? ^^^ Lucian nicht nur in der von Fr. an- gezogenen Stelle 'EQfz. 24, sondern auch 0. 6. 20, 6. JgaTc. 2 und 'Hga-A. 4 angewandt wird. Ebenso muss 0. <5. 21, 2. ec ye firj rj Qirig xtA. und nicht ei fiTj ye xtX. geschrieben werden, da diese Wortfolge an nicht weniger als 25 Stellen, darunter 21 in sicher echten Schriften, vorliegt, die andere da- gegen nur 'Evak. öiaL 5, 2 in einer von Fr. nicht berücksichtigten Variante. Auch 7V^€x^. dtdX. 5, 1 verdient die handschriftliche Lesart et ye oiov re rjv den Vorzug vor ei öi xtA., da sie durchaus lucianisch ist.

9. Von anderen Partikeln über fxrjv und Ttktjv vergleiche das vorher Erwähnte verbindet sich ye am liebsten mit /Liiv: ^Aq^. 3. üqog

12*

180 Aethue Joost

ttTt. 15. ^k loT. 2, 18. EIk. 4. 'Ytv. eh, 25. Karajch 14. Uegl twv L /u. a, 8. ITl 39. Wevdooocp, 5. 'Y^c. toi; ytr. 5, in keiner Schrift mehr als 1 mal, wenn man nicht auch KataTt. 26 xai VTteQoxpiag fiiv ye xtX. mit Sbrdt liest, wo Fr. nach u4r ixhtot ediert, mit dem es sich ebenfalls an vier Stellen Mviag iyn. 10. 'AI. loz. 2, 20. NiyQ. 23. Vv. 23 verbindet, in umge- kehrter Wortfolge ^l. LOT. 1, 5 tovtov ye fxivtOL eVexa. Dagegen findet eine verhältnismässig häufige Anwendung der Partikelverbindung in den verdächtigen Schriften JIsq! ogxrjOewg (14. 70. 79),') IleQl ^volwv (4. 13) und IIbqI Tchx^ovg (6. 21) sowie in dem sicher unechten Jrjfioa&dvovg iyycoJiiiiov (20. 23. 33) statt. Einzig ist die Verbindung ov (niv ye LioTQoX. 19. Mit -aaLtoL findet sich die Partikel Tvq. 13 x. o ye vofxog, wo die beiden Partikeln indessen wohl wenig miteinander zu thun haben, während sie zu dem ein koncessives Participium begleitenden xaltoi hinzugesetzt ist Xaglö. 17 KalToi ye exovzeg, in den echten Schriften, in denen ytaltoi viel häufiger so angewandt wird als zu Anfang eines Satzes mit einem Verbum finitum, ohne Beispiel. Nicht selten schliesst sich an ye auch die Partikel rol, nur Ae^, 12 umgekehrt, wo Ddf. akV ael Ttore ttjv d^eov, erst Sbrdt alla toi ye rrjv d-eov edierte, so 'Avax. 33. '^Egfi. 33. Jlg y,a%, 1. Tlf^.20. 'HgaxL 4. Ilagao. 55, namentlich in der Verbindung 9) a ff / ye roi Odoxp. 40. 'Egfi. 55 und mit Vorliebe in der Formel iöovyeroi Avax. 33. 'Egfi. 51. 63. Xccq. 11. Jig zar. 3. Häufig ist auch der Anschluss an ö^j seltener an omoi: ^Avä-x* 11. ^Eq^i. 38 und ov%l\ Hegi twv L fi, a. 17. Jlwg det 29. 2vfX7t, 4, mit öi^ erweitert: firrL ye drj nur Arjin. eyyt, 21, mit dl] allein nur Tvgavv, 15. Die Verbindung mit dga endlich findet sich nur in unechten und verdächtigen Schriften: Ilagao. 61. Wevöoo. 1. Kvv. 16.

ÜlTi. 8.

Überblickt man alle Schriften nach der Häufigkeit der Anwendung von ye, so ergiebt sich, dass, abgesehen von den Verbindungen mit |U?Jy und Ttkijv, im grossen und ganzen in allen Schriften dasselbe Frequenzverhältnis vorliegt. In den meisten kommt etwa auf eine Seite ein ye, so in den Schriften der Blütezeit, dem (Ddoipevörjg, den Ehöveg, den Götter-, Meergötter- und Hetärengesprächen sowie in den Toten- gesprächen, im ÜQOf^Tj^evg, Kaxajtlovg , Xdgwv, Tl^wv, B. Ttgaoig, AXievg, 'Oveigog, 2v(X7t6oLov, Kgovcayta, Z. TQayqjöog und eleyxojtievog, ^^FrjTOQwv ötödozalog, Jlgog aTtctiöevTOv, 'lY.aQo^evL7t7tog, JleQi rwv L fi. ff., niolov und so auch in den rhetorischen Erzeugnissen des Alters Mviag Byxcofitov, ATtokoyla, Ttegl tov fx. g, tt. ö., 'Haiodog, OdXagig, '^iTtTclag,

9) Vergl. jetzt über diese Schrift J. Bieler, Progr. von Wilhelmshaven 1894 S. 17, der auch auf das sonst unerhörte fihv oiv ye cp. 71 hinweist, und P. Schulze Jahrb. f. Philol. 1891.

Beobachtungen über den Partikelgebrauch Lucians. 181

'HQoöoTog, in den verdächtigen JIcq! oQxrjöewg, To^agig, IJegl Tcaqa- alfov, IIsqI -d-vGicov, üegl Ttivd'ovg, ^iTtrciag, Tleql tov oixov und in den unechten Ilargldog iyxojf^iov, ü. xov rjXixTQov und ^Alyivvjv. Noch etwas häufiger, etwa auf jeder Seite 2 mal, findet sich die Partikel im 'EQ^otLfxog und den JqaTtirai, namentlich aber in den rhetorischen Erzeugnissen AQf.iovLdiqg, Zevhg, 'Hgayikfjg sowie im WevdooocpLGTijg, 'Y7t£Q 1. 7CTaLG{i., IlQOfirjd^evg et e. X., ^TvoTcrjQVTTOfxevog, in dem wohl unechten Kwixog, in den sicher unechten Jrjia. eyy,(x)fXLov, (DiloTtatgig, Negtov, MazQoßwt. Mit dem Gros gehören zusammen: 'Ytisq twv ei- Tiovcüv, AvdxccQOig, Uwg öel l. o. und z/ig xaTijyoQovfievog , in denen yh etwa alle 1 bis 2 Seiten begegnet. Nicht viel seltener, etwa alle 2 Seiten, findet sie sich im 'EvvTtvtov, ^Xi^avögog , Ae^Lq)avrig, Niygl- vog sowie im WevdokoyLOiiqg und TvQavvozTovog und dem unechten Xagiörn-iog, hinter denen der Jrjf,idjva^ nur wenig zurücksteht. Das Vorkommen wird seltener (etwa alle 3 Seiten) im MhiJtrcog, 2y,vd-rjg, Q. £y,ytXi]Gla, TL. rwv dixpdöcov , 'EQwreg und ^£2xv7fovg, noch seltener im nsQeyglvog (etwa alle 4 Seiten) und den ^Irjd^elg laTogLat (etwa alle 51/2 Seiten). Doch das sind alles Zahlen, die von dem normalen Verhältnis wenig abweichen. Dagegen ist es eine unechte Schrift, der N^QCüv, in dem yh nur alle 6 Seiten begegnet, und ähnlich arm an yh ist Tlegl doTQoXoylrjg. Ganz besonders dürftig ausgestattet ist JT. rfjg ^vQirjg d^eov , wo auf 19 Seiten nur ein einziges ye kommt. In diese Gruppe von Schriften gehört auch der AovY.iog, der die Partikel so sparsam verwendet, dass in ihm auf 31 Seiten nur 4 Stellen kommen, eine Enthaltsamkeit, die gerade bei der gehäuften Anwendung von xal liiiv vmL doppelt auffällt und ihrerseits dazu beiträgt, die Schrift als „das Entenjunge unter den Schwänen" erscheinen zu lassen, wie Kohde sie bezeichnet. Ob die stilistische Abweichung der Schrift von Lucians Sprachgebrauch beabsichtigt ist und in dem parodischen Charakter der Schrift liegt, etwa in der Art von Mauthners „Nach berühmten Mustern", mag hier unerörtert bleiben.

Es sind, wie gesagt, nur vereinzelte Beobachtungen, die hier ge- macht worden sind und die sicher an Wert gewinnen würden, wenn Pa- rallelen mit Schriftstellern vor und nach Lucian gezogen würden, nament- lich, wie es Fr. III 2, S. LXXVIII empfiehlt, mit Plutarch, Dio Chrysostomus, Aelius Aristides u. a., die aber m. E. begründeten Verdacht zur Folge haben müssen gegen die Schriften Regl Ttagaolrov, üegl oQxrjoeiog, Ilegl -d^vGtwv, die ''Egcütegy den Aovxiog, dagegen zu gute kommen dem To^agig u. a. Ebenso Hessen sich Untersuchungen anstellen über toI allein und in Verbindung mit andern Partikeln (xa/Tot, (.levrot, loiwv),

182 Abthüb Joost, Beobachtungen über den Partikelgebrauch Lucians.

über VerbinduDgen mit ovv, über die Verwendung von toofceg und xcr- x^äneQ (vgl. Dittenberger a. a. 0.). So macht Schulze (a. a. 0. S.828) darauf aufmerksam, dass sich xalroi == xatVcc^ c. Part, mit jurj nur Tlegi OQX' (64) findet. Was den Wechsel von woTreg und y.a&aTteQ betrifft, so scheint Lucian in den Schriften der Zeit seiner Thätigkeit als Rhetor Vor- liebe für iuayceQ zu zeigen. Während diese Einseitigkeit in den Schriften seiner Blütezeit so gut wie unerhört ist, haftet sie dagegen den unechten Schriften an, in ganz besonderem Masse dem XaQidrjfiog und dem 0d6- TtaTQig, sowie auch den Schriften AovuoQy Tlegl ^voiwv, JrjfxcjvaKzog ßlog und IleQi itov dtipddwv. Auch Ilegl oQxrioewg hat neben 8 vjotciq nur 1 Tiad-aTteg,

Doch dieses und anderes muss einer späteren Erörterung vorbehalten bleiben.

IX.

Zur Erinnerung an K. Lehrs.

Von

E. Kammer (Schleswig).

(Auf Grund der ., ausgewählten Briefe und Schriften von und an Chr. A. Lobeck und K. Lehrs" herausgegeben von A. Ludwich.)

Die Veröffentlichung von Briefen, deren Schreiber nicht jedes Wort, weil nicht für den Druck bestimmt, sorgfältig abwägen, sondern den Freunden gegenüber ihren Empfindungen unmittelbaren und damit oft um so kräftigern Ausdruck verleihen, ist ein schwieriges Unternehmen, da es das Siegel eines dem vertraulichen Verkehre dienenden Schatzes löst und diesen der rücksichtsloseren Beurteilung fremder, wenig gestimmter, oft feindlich gegenüberstehender Leser preisgiebt. Dies Bedenken würde aller- dings an Wert verlieren, wenn wirklich zuträfe, was unlängst bei der Anzeige eines Briefwechsels behauptet wurde, die Thätigkeit des Brief- schreibers sei stets nicht ohne einen Zusatz von Unwahrheit denkbar, insofern der Schreibende seine Worte mit Absicht wählt in Hinblick auf ihre spätere Veröffentlichung durch den Druck. Briefe, die so entstanden sind, entbehren jedes fesselnden Zaubers : unsere grossen Briefsammlungen von ewigbleibendem Werte haben einen anderen Ursprung gehabt. Den Charakter vollster Unmittelbarkeit und Wahrhaftigkeit tragen auch die „Ausgewählten Briefe von und an Chr. A. Lobeck und K. Lehrs nebst Tagebuchnotizen", herausgegeben von Arthur Ludwich, 2 Teile. Leipzig, Duncker und Humblot 1894: dass sie in heutiger Zeit so ver- öffentlicht werden konnten, wie es geschehen ist, spricht schon allein für die Güte und Trefflichkeit der Männer, deren Briefe uns vorgelegt werden.

Ludwich's Veröffentlichung, „der Albertus-Universität in Königsberg zur Feier ihres 350jährigen Bestehens gewidmet", gehört zu dem Bedeut- samsten, was wir auf diesem Gebiete besitzen, nicht allein dem Umfange nach die 2 Bände zählen 1050 Seiten , sondern vornehmlich im Hinblick auf den geistigen, wissenschaftlichen und menschlichen Gehalt. Sie ist

184 £. Kammes

zunächst ein bleibendes Denkmal für die Blütezeit der deutschen klassischen Philologie, deren Bannerträger Gottfried Hermann war, und dessen grosser Schüler Christ. August Lobeck zu einer Zeit, in der eine Eeise von Berlin nach Königsberg als ein „gleich nach der Reise zum grossen Mogul kommendes Unternehmen" galt, Königsberg zu einem Mittelpunkte philo- logischer Studien weit über Deutschlands Grenzen hinaus machte, dessen genialer Schüler Lehrs der Altertumswissenschaft neue geistige Wege eröffnete ; ein Denkmal zur Erinnerung an jene klassische Philologie, die noch in der glücklichen Lage war, in tief dringender Durchforschung des klassischen Altertums dessen gesamtes geistiges Leben von hochstehen- der Warte aus überblicken zu können, die zugleich im innersten Zusammen- hange mit dem Streben unserer grossen Dichter nach edler schöner Menschlichkeit nicht nur ihre unmittelbaren Jünger, sondern auch alle Gebildeten jener Zeit mit Begeisterung für die dem Leben allein Wert gebenden Ideen des Wahren und Schönen erfüllte. Die in dieser Briefsammlung zu Wort kommenden Persönlichkeiten sind grosse ge- schlossene Charaktere, echte Abbilder ihrer Zeit; somit bietet Ludwich's Veröffentlichung ebenso ein überreiches Quellenmaterial für die Geschichte der Blütezeit der klassischen Philologie, sowie auch für eine heute längst abgeschlossene Geistesrichtung des deutschen Volkes überhaupt: bleibt kein irgend wie bedeutendes gelehrtes Werk aus den ersten 6 Decen- nien unseres Jahrhunderts unerwähnt und unbesprochen, werden uns die prachtvollsten Charakteristiken aller grossen wie kleineren Stimmführer der damaligen Wissenschaft durch unmittelbarste Aussprache dazu be- rechtigter Männer geboten, so tönt auch hinein in unser ganz anders geartetes Leben voll und rein der Nachklang des religiösen, politischen und menschlichen Lebens, das die hinter uns liegende Zeit erfüllt hat. Ob speziell für die Philologie die Wendung, wie dies jüngst geschehen ist, eine glückliche genannt werden kann, dass die ihr von Hermann ge- gebene Richtung durch die von Otfried Müller und August Boeckh aus- gehende überwunden worden ist, darüber müssen wir das Urteil wohl einer späteren Zeit überlassen. Mehr noch als Lobeck, dessen Grösse in ihrer naiven Einfachheit auch hier wahrhaft plastisch hervortritt, nimmt Lehrs des Lesers volles Interesse in Anspruch. Schon äusserlich weist die Briefsammlung auf ihn dadurch hin, dass sie mit dem Geburtsjahre dieses Gelehrten (1802) anhebt und mit seinem Tode (1878) abschliesst. In weit überwiegenderm Masse beschäftigt sie sich auch inhaltlich mit ihm, und reicher, mannigfaltiger ist der Kreis von Persönlichkeiten, der sich um ihn schaart, der von ihm gefesselt wird : von mehr als 50, darunter von den ersten Gelehrten, erhalten wir mehr oder weniger eingehende

Zur ErinneruDg an K. Lehrs. 185

Briefwechsel, die, namentlich wenn man sie aus der grossen Sammlung herauslöst und jeden einzelnen für sich liest, von ihren Verfassern ein ungemein lehensvolles und menschlich ansprechendes Bild gewähren. Aus dem reichen Schatze sei einiges zunächst herausgehoben.

Der älteste Briefwechsel ist der mit Karl Lachmann geführte. Lehrs hatte als Schüler des Friedrichs-Kollegiums zu Königsberg in Lachmann einen verehrten Lehrer gefunden : bald vereinigte beide Männer, so verschieden sie auch in ihren Lebensanschauungen wie in ihrer wissen- schaftlichen Arbeit waren, treueste Freundschaft für das Leben, die auf dem gemeinsamen Boden ernsten Forschungssinnes und sittlicher Wahr- heit begründet war. Lehrs war gross genug, von sich stets sehr be- scheiden zu denken, um so höher die Verdienste anderer und ihre Eigenschaften, besonders solche, die er selbst nicht hatte, zu schätzen: so empfand er es auch als eine hohe Gabe des Schicksals, das ihn „in die belebende Sphäre eines so ausserordentlichen Mannes" geführt hatte : „man muss", so fährt er fort (S. 555), „wenigstens anders über sich selbst denken als ich es zu thun gewöhnt bin, um zu meinen, es sei irgend berechenbar, wie viel des Lebens, des Lichtes, der Wärme, womit man sein bischen Leben noch durchdrungen gefühlt, nur von dorther geflossen." Dabei bewahrte er sich doch auch diesem „ausserordentlichen Manne" gegen- über die Selbständigkeit seines eigenen Urteils, was Lachmann bei der Kraft seines wissenschaftlichen und moralischen Wesens nur um so mehr wieder zu Lehrs führte: an der leider uns verloren gegangenen gegen- sätzlichen Darlegung von Lehrs' eigenem Standpunkte in der homerischen Frage hat Lachmann erst seine Liedertheorie an der Ilias entwickelt. Als wahrer Freund lässt Lehrs einmal ein über diesen gefälltes Urteil nicht gelten, gesteht jedoch „unter vier Augen" einen Fehler Lachmanns zu, „eine gewisse tJberhebung des Verstandes", „gegen die es nur eine Kettung giebt, wenn auch die verständig begabtesten sich sagen, dass wir alle arme Sünder sind und dass all unser Wissen Stückwerk ist, ja vielmehr auch im besten Falle ein Quark" und sehr charakteristisch fährt Lehrs fort: „die Schüler haben es selbst zu verantworten. Ich darf sagen, von mir hat Lachmann ein Schwören in verba magistri niemals verlangt." (S. 688). Daselbst spricht sich auch Lehrs über die Gefahr aus, die der methodischen Kritik droht; „das Verstandesideal und allerdings sind grosse Verstände wohl dem sehr ausgesetzt will alles gerade haben ; ja es kann dabei sogar die so notwendige feinste Empfin- dung für die Grenze zwischen dem Geraden und Steifen verloren gehen und doch pflegen die Formen alles Lebenden, der Sprache also auch und des Styls und was sonst bei Texten und Schriftstellern vorkommt

186 E. Kammer

wenn auch gesetzmässig, so doch nicht linealgerade zu sein." Zur Er- gänzung weist er noch an einer andern Stelle darauf hin, wie auch den ausdauerndsten, bewunderungswürdigsten Beobachtern, wie auch Lachmann ein solcher war, bei ihren Observationen bald hier bald dort Beispiele entgehen, ohne dass sie jedoch davon eine richtige Überzeugung haben und darum weniger bestimmt auftreten (S. 708).

Die 22 uns vorgelegten Briefe Lachmann's (der erste aus dem Jahre 1823, der letzte aus dem April 1849, Lachmann selbst starb 1851) zeigen uns im Ausdruck wie im Gedanken sein ganzes Wesen: klar, kurz, des kraftvollen Witzes, auch des derben Wortes an rechter Stelle nicht ent- behrend, ohne Phrase, praktisch gewandt, frisch, allezeit kämpf- aber auch hilf bereit und stets des guten Rats sicher, seiner Bedeutung sich voll bewusst, aber von aufrichtiger Verehrung und Liebe für den Freund, ein kerngesunder, echt deutscher Mann, so stellt er sich uns dar, und doch es stimmt gar trübe, wenn man sieht, wie auch dieser so kraft- volle und sicher gefügte Geist durch die Zeit zum Pessimismus gedrängt wird und schon 1842 erklärt, dass er sich nicht frisch und strebsam fühle, sondern es ihm jetzt eben „recht lieb wäre, abzuscheiden ohne Klagen und Sehnen" (S. 320) und dass er nach Vollendung des Lukrez „ab- sterben kann, ohne dass die Welt etwas an mir verliert". (S. 464).

Dass der Herausgeber auch nicht eines Briefes von Lehrs an Lachmann hat habhaft werden können, ist wohl sehr zu beklagen: welche Fülle von Anregung und Geist ist uns dadurch verloren gegangen! Sehr gut charakterisiert Lachmann selbst einmal das Freundschaftsverhältnis, wenn er an Lehrs schreibt: „Sie müssen zwar die Gelehrsamkeit immer allein liefern: ich bin vielleicht zuweilen unbefangener" (S. 179), was die Kun- digen auch noch etwas anders auslegen werden.

Die 6 Briefe Gottf. Hermann's an Lehrs und von diesem an jenen knüpfen vorzugsweise an wissenschaftliche Arbeiten an, die die beiden Gelehrten mit einander austauschen. Seine wahre Verehrung bringt Lehrs in männlich edler Sprache dem bewunderten Meister der Wissen- schaft dar: „Ihnen ergebe ich mich auf Gnade und Ungnade" spricht er bei der Überreichung seiner Quaest. epicae (S. 220). Seine Recension von Ranke's hesiodeischen Studien bezeichnet er als „Brosamen von Ihrem Tische und quod spiro et placeo, si placeo tuum est" (S. 294). Pracht- voll ist der Brief, den er „auf den Altar der Dankbarkeit" zu Hermanns Jubiläum legt, „dem als Gelehrten ebenso meine Bewunderung wie als unerschrockenem Wahrheitsfreund meine Liebe gewidmet ist ! Wir leben in Zeiten, auf deren nächste Zukunft der Nachdenkende nicht ohne Be- sorgnis blickt. Darum dreimal Heil denjenigen Männern, die jene Wissen-

Zur Erinnerung an K. Lehrs. 187

Schäften, deren edelste und eigenste Frucht Freiheit des Geistes und Freiheit der Gedanken sein soll, fest genug gegründet haben, um, wir hoffen es sicher, manchen Sturm überdauern zu können" (S. 303). Charakte- ristisch ist auch die Antwort Hermanns, dessen Briefe trotz ihrer Kürze den grossen Mann zeigen: „Ich kann an mir nichts entdecken, dass ich vor anderen voraus hätte oder wodurch ich auch nur mit so vielen weit verdienteren Männern mich messen dürfte. Daher muss ich diese Beweise von Achtung und Liebe als Geschenke annehmen, die ich nicht sowohl wegen meiner etwaigen Verdienste als deswegen erhalte, weil ich es immer ehrlich mit der Wahrheit gemeint und mich weder durch Lob oder Gunst noch durch Tadel oder Feindschaft bestechen gelassen habe. Aber das ist doch nur, was jedermann thun sollte" (S. 306). Dass neben dem Menschlich -Schönen, das diese Briefe atmen, der Philologe noch im besonderen reiche Anregung findet, versteht sich von selbst.

Die drei Briefe, die Haupt und Lehrs mit einander wechseln, sind für beide Männer ein gleich schönes Denkmal. Sie knüpfen an Hermann's Tod an (f 31. Dez. 1848): Haupt, der Lehrs auch persönlich im Jahre 1844 kennen gelernt hatte, bittet diesen, falls Lobeck, wie zu erwarten, wegen seines Alters ablehnen werde, dem Rufe, Hermann's Nachfolger zu werden, zu folgen (S. 504 f.). Lehrs meldet alsbald, dass Lobeck „mit seinem unbeschreiblich milden Lächeln" abgelehnt habe und fährt fort: „Und nun ich? nach Hermann und Lobeck! Nein! dieses Nein hat mir keinen Augenblick Bedenkzeit gekostet, wie mangelhaft auch hier der Ort und die Verhältnisse sind. Ich aber sollte mich auf Hermann's Katheder setzen? Das heisst zugleich TtegiGycsTtTco hl y^^gq)? ich habe dem Aad^e ßtwoag von jeher gehuldigt, und ich will nun schon um so mehr dabei bleiben da auch ich nicht mehr jung bin, und nach einer zwanzigjährigen Schulzeit, an die ich zwar mit Freuden zurückdenke, aus der man aber nicht ohne Schlappe davonkommt, über die Mittags- höhe der Jugendkraft und der Jugendfreudigkeit hinaus mich fühle" (S. 507). Auf diesen Brief ist Haupt nur noch verlangender, Lehrs nach Leipzig zu ziehen: „ich möchte keinen als Hermann's Nachfolger sehen, der es sich zutraute, seine Stelle ganz zu füllen: es fehlt nicht an Leuten, die sich mit grosser Naivetät gemeldet haben. Ich mute Ihnen nicht zu und ich habe Ihnen nie zugetraut, so viel von sich zu halten wie Andere von Ihnen halten, aber wo so einstimmig ihr Wert erkannt wird, da sollten Sie Ihrer Bescheidenheit misstrauen . . . Hermann würde, wenn man ihn fragen könnte, Sie nennen. Auf Sie hat er unter allen Jüngern am meisten gehalten ... Sie fühlen sich nicht mehr jung. Giebt es aber ein wirksameres Mittel der Verjüngung als Ortsveränderung und Eintritt

188 E. Kammer

in neue und erweiterte Thätigkeit? . . . Ich würde es als ein grosses Missgeschick betrachten, wenn Sie unerschütterlich blieben. Mir ist es als Pflicht erschienen, dafür zu sorgen, dass jemand Hermann folge, der es mit Ehren könne, der nicht bloss wissenschaftlich, sondern auch mensch- lich als Charakter dieser Ehre werth sei" (S. 507 f.). Lehrs stand vor einem Wendepunkte seines Lebens : trotzalledem und obwohl auch Männer wie Meineke und Lachmann (vgl. z. B. S. 523) in ihn drangen und gerade ihn für den geeigneten hielten, Lehrs blieb in seiner Bescheidenheit „unerschütterlich", so weit man schliessen kann, wohl nicht zu seinem Glück: in der anregenderen Nähe mit den bedeutendsten Männern und seinen Ereunden, in der sicheren und ausgedehnteren Wirksamkeit, die ihm Leipzig bieten konnte, hätte er von dem Baume seiner tiefsinnigen Gelehrsamkeit und Weisheit noch manche goldene Frucht mehr schütteln können, die nun verdorrt, an ihm vielleicht verkümmert ist; vor allem hätte er sich später wohl nicht so gar „einsam" gefühlt. Haupt's dritter Brief (S. 623 f.), der in grösster „Nervenzerrüttung" geschrieben ist, bringt ein herrliches Urteil über Lehrs' „populäre Aufsätze", dem er dann folgendes zufugt; „Lieber Freund, vor einem solchen Buche wird mir wohl zu Mute und weh. Denn ganz wird man ja doch der Eigensucht nicht ledig und ich habe es schmerzlich gefühlt, wie allerhand Lebenswendungen und auch eigene Schuld mich nicht haben erreichen lassen, was aus harmonischer Ausbildung beschieden ist." Lehrs' zweiter Brief ist ein Hymnus auf Hermann, dessen nachgelassene Aeschylus- Ausgabe er von Haupt erhält (S. 570 f.), und der dritte (S. 662) zeigt, wie auch bei kleinem Anlass seines Geistes Grazie, sein Humor alles vergoldet.

Ein sehr bedeutsames Kapitel bildet der Briefwechsel zwischen Kit sohl und Lehrs: die beiden Männer hatten sich 1832 in Halle zum ersten und einzigen Male gesehen und schlössen für das Leben einen Freundschaftsbund: die in Ludwich's Quellensammlung vorgelegten 37 Briefe an Lehrs und 27 von ßitschl umfassen die Jahre von 1837 1876, in dem Ritschi am 9. November starb.

Ritschi zeigt sich auch hier als den Meister des Wortes, der schönen, anmutigen, aber auch glatten Rede ; auch an der schmeichelhaftesten An- erkennung und Verehrung von Lehrs lässt Ritschi es nicht fehlen, und doch glaubt man den natürlichen Laut der Herzenssprache hier und dort und oft zu vermissen. Nicht selten hat Ritschi auf die Briefe von Lehrs zu antworten und sich wegen seiner „angeborenen Schreibfaulheit" zu ent- schuldigen, nicht selten schreibt er kurz vor Reisen oder aus dem Aufent- halt im Bade und beklagt die „Sterilität des Lihalts" seiner Briefe, fär die der Mangel an Zeit die Schuld trage. „Wird es mir denn nun noch

Zur Erinnerung an K. Lehrs. 189

gelingen, mich wieder in Ihre Gnade einzubitten", beginnt ein Brief vom 12. August 1855 (S. 608). Für die Übersendung der Quaest. epicae (Juni 1837, womit der Briefwechsel anhebt), dankt er Lehrs erst ein Jahr später und weiss nur von der „unerschöpflichen Belehrung, die sie auf jeder Seite bieten" und der „concentrierten Bündigkeit der Untersuchung" zu sprechen (S. 252). Auf Lehrs' „Herodiani tria scripta emendatiora" schreibt er, nachdem er sie kurz gelesen, nur : , Jhr schönes Buch habe ich nur erst so weit angelesen, um mir dieses Epitheton erlauben zu dürfen" (S. 488). Lehrs' populäre Aufsätze, die ihm mit Haupt und Rosenkranz gewidmet waren, entlocken ihm die süss -herben Worte: „Ihr ganzes Buch, welches wie Milch und Honig hinabgleitet, so lind und so lauter zugleich, nur manch- mal leise erinnernd, dass der Honig von der Biene kommt und die Biene einen Stachel hat. Das ist aber freilich erst erster Anschmack ; der rechte Geschmack soll mir noch die nächsten Wochen füllen und der Nachschmack erst recht bleiben" (S. 618). Die 2. Auflage der populären Aufsätze, die Lehrs dem Freunde mit einem griechischen Briefe übersendet, traf Ritschi schon in der Krankheit, die ihm „fast nur Sonntag Morgen" für Lektüre gestattete: „der heutige Tag hat mir z. B. als Ertrag gebracht die hohe und rührende ,Nichtschuld' der Antigene und die prächtige Auffassung der Götterwelt, p. 150 u. 235" (S. 963); im übrigen ist ihm „vieles dort zu neu, um gewisse angewöhnte ,Philistereien* sogleich beim ersten Anlauf rein und voll zu überwinden : es will eben erst langsam, aber desto dauernder assimilirt werden", und er bittet sich vorbehalten zu dürfen, sich „noch im Laufe dieses, wenn nicht Jahrs, doch Semesters im Zusammenhange auszulassen". Man bekommt so den Eindruck, als wenn Lehrs' Geisteswelt ihm doch fern lag, er mit ihr im Grunde auch nicht übereinstimmte. „Ehrlich heraus", erklärt er, „wenn ich mich auch Ihnen gegenüber bla- mire: ich bin mit Aristarch nicht aufs Reine gekommen"; in betreff der Komposition der Ilias „in grösserem Masse", wird er je länger desto mehr destruktiv gesinnt, weiss sich „namentlich gegen Lachmann nicht zu wehren". Auch im Metrischen ging er andere Wege.

Lehrs' Bewunderung für Ritschl's wissenschaftliche Thätigkeit war rein und wuchs immer mehr. Bei seiner „vielleicht krankhaften Aversion" gegen einen grossen Teil der damaligen philologisch-archäologischen Litte- ratur wurde ihm an der Klarheit der Aufgaben, Kraft der Ausführung, Sicher- heit der Ergebnisse von Ritschl's Arbeiten, .die er nicht nur, weil sie vom Freunde kamen, mit voller Hingabe zur eignen Belehrung sich aneignete, „ordentlich wohl und gesund zu Mute"; gegenüber seinem eignen zu- nehmenden „Hange zum Vagieren" war ihm Ritschl's „wissenschaftliche Selbstbeherrschung" trotz seiner sonstigen mannigfaltigen geschäftlichen

190 E. Kammer

Wirksamkeit und Teilnahme an den Zeitereignissen ein Vorbild, und rüh- rend ist sein Versprechen, versuchen zu wollen, wie viel gute Beispiele seine schlechten Sitten noch bessern könnten. In archäologischen Dingen fand er bei Ritschi „reines Maass, so gar kein unreines Wasser". Vor allen zogen ihn Ritschl's Plautina durch den Reichtum der Gedanken und die Fülle des Überzeugenden an, die ihm als die „reine JJXov^yuia'' er- schienen. So hielt er allen Ernstes nach Lobeck's Tode Ritschi „für den einzigen Philologen, der übrig bleibt", der „jetzt die philologisch-kritisch- sprachliche ächte Fahne voranträgt" (S. 656), „der das Panier der Bentley- Hermannischen Kritik" hochhält (S. 770) : „Sie legen an nichts die Hand, ohne dass etwas aufspriesst", schreibt Lehrs ein andermal. Von Ritschl's Zustimmung zu seinen Arbeiten fühlte sich Lehrs dankbar beglückt und gehoben, „nun lass sie kommen, die mir gewiss sind in unseren Recensir- anstalten!" (S. 965). In Ritschi sah er aber auch den „aufrichtig sympathi- sierenden Freund", an dem man „über vieles Auswendige in der Stille des Gemüts hinwegkommt" (S. 911). Nur einmal flog über diese Freundschaft ein trüber Schatten; die Behandlung, die C. F. W. Müller's plautinische Studien durch Ritschi erfuhren, versetzte Lehrs „in grosse Betrübnis", da er sehen musste, welche grosse Differenz des Urteils zwischen ihm und Ritschi, dem er sich „wie immer bisher auch jetzt noch weit, weit, weit unterordnet" (S. 840), plötzlich sich aufthat: der Brief, in dem Lehrs diese Frage behandelt, gehört hinsichtlich der Männlichkeit der Gesinnung, der Tiefe des Gemüts, des Reichtums der Gedanken, zu den schönsten der Sammlung. Ein Brief Ritschl's, der die erbetene Beruhigung bringen soUte, ist leider nicht vorhanden, wahrscheinlich auch nicht geschrieben. Trotz- dem hielt Lehrs an Ritschi fest; in dem letzten an den Freund geschrie- benen Briefe versichert er noch einmal „welch ein grosser Moment für sein Leben ihm von Anfang an die Freundschaft mit ihm gewesen sei", und tief bewegt teilt er einem jungen Freunde die eben erhaltene Nach- richt mit, „dass der grosseste jetzt lebende Philolog und der gesündeste gestern gestorben ist" (S. 994). Lehrs' Briefe an Ritschi sind alle von graziösester Zartheit und Lieblichkeit, von köstlichem Humor und aus un- erschöpflichem Reichtum des Herzens und des Geistes geschrieben, aber auch aus einem nie versagenden Füllhorn der Gelehrsamkeit, wenn er auch in echt sokratischer Ironie immer wieder von seiner Unwissenheit spricht und zufügt : „ich weiss nichts, ich weiss gar nichts" ; wo Lehrs sich geistig angeregt fühlte, wie dies Ritschi gegenüber stets der FaU war, da strömte die unversiegliche Quelle seines inneren Lebens, und neidlos spendete er aus dem Reichtum seines Wissens und seiner Erkenntnis. Dem kommenden Geschichtschreiber der Philologie im 19. Jahrhun-

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dert wird der Lehrs - Ritschlsche Briefwechsel eine besonders wertvolle Quelle sein.

In einen gar innigen Freundschaftsbund lassen uns die Briefe von August Meine ke und Lehrs blicken. Dieser hatte Meineke als Direktor des Danziger Gymnasiums im Jahre 1823, wo er für ein halbes Jahr eine Vertretung übernommen hatte, kennen gelernt und in ihm nicht nur einen Direktor hochzuschätzen Gelegenheit gehabt, der „ohne Maschinerie allein mit seiner Charis" dirigierte, sondern auch einen neuen philologischen Lehrer gefunden, dessen Wissen und Arbeiten in seiner „Raschheit, Rüstigkeit, Pedanterielosigkeit" seine höchste Bewunderung erregten. Unvergesslicli bleiben ihm die Erinnerungen an die Danziger Zeit; mit seinem letzten uns erhaltenen Briefe (vom 6. Dezember 1869) überschickt er ihm seine Übersetzung von Plato's Phädrus, für den er seine „erste Begeisterung in Danzig fasste", als Meineke ihn „den adolescentulum, den Phädrus einer damals sehr empfänglichen Prima erklären" liess. Zunächst vereinigte die beiden Männer der gemeinsame wissenschaftliche Boden und die Verehrung für Hermann und Lobeck: „es war ein wunderbarer Mensch, dieser Her- mann! Seines Gleichen wird nicht leicht wiederkehren!" (S. 526) und „Sieht man nun gar die Lobeckschen Sachen an, wie sinkt da einem der Mut !" (S. 224) und „Lobeck, dächte ich, wüsste über alles, wo uns andern das Wasser hängt, Auskunft zu geben" (S. 448). Gegenüber seinen eignen „vagen Gedanken" bewunderte Lehrs die aus geschlossener Grösse reich- lich strömende mannigfaltige Thätigkeit Meineke's, mit der er „so alle Augenblicke einmal in die entlegensten Winkel der philologischen Litte- ratur hineinfuhr und aufräumte"; sie gab ihm immer wieder Gelegenheit zu lernen, und „das Lernen, erhöht durch solche liebe persönliche Be- ziehungen, ist für mich wohl der höchste Genuss, den ich noch haben kann" (S. 576). Dazu kam die naive Bescheidenheit, mit der Meineke über seine eigenen Arbeiten dachte : „ich bin nun einmal für die Philologie verloren und bilde mir nicht ein etwas zu geben, was andere vernünftige Leute unter günstigeren Verhältnissen nicht zehnmal besser zu machen im Stande sind" (S. 158), die heitere Sicherheit, mit der er mitten unter den Stürmen der Zeit die Fäden ruhiger Studien in der Hand behielt, und vor allem die aus harmonischem Wesen und innerer Gesundheit fliessende Liebenswürdigkeit und Anmut. So bildete sich zwischen den beiden Män- nern eine gegenseitige erquickende Freundschaft für das Leben, „mein un- wandelbar geliebter Freund", so ruft Meineke aus, und „mein herrlicher Freund!" so Lehrs! aber auch für uns sind diese Briefe erquickend und erfrischend wie ein Bad: wir verstehen wohl, wie einer solchen Persön- lichkeit wie Meineke gegenüber, der sich dem Freunde schildert als „merk-

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lieh gealtert ovyJd^ ofxüg d^äXXovd- aitaXC) XQot, VMQcperaL yaQ ijdi] , aber doch noch immer empfanglich für alles, was das Herz erquickt und den Geist erhebt" (S. 624), Lehrs diesen in dessen voller Würdigung ganz antik in Worten und in Gedanken anredet: „Was Sie lehren, Sie Graecus durch und durch , Sie vollkommenster "ElXrjv, vor dessen Griechheit ich beim Studium des Theokrit mich immerfort schämte i/Mkvxpaixriv, was mir freilich Ihnen gegenüber das Vergnügen nur erhöhte" (S. 616j.

Sein liebenswürdiger Geist, sein reiches Gemüt weht uns auch heute noch aus den 24 Briefen Meineke's entgegen, in denen wir nebenbei viele treffliche Urteile über die Wissenschaft und die wichtigen wissenschaft- lichen Erscheinungen jener Zeit erfahren. Leider sind von Lehrs' Briefen hier nur sechs gegeben, was wir um so mehr bedauern, als das Gebotene überaus herzlich ist. Meineke hatte mit Horaz denselben Geburtstag; unter den sechs Briefen sind zwei zu diesem Tage geschrieben (Brief 471 und 499), beide köstlich, voll zartester Gesinnung und sprudelnden Hu- mors. Der erstere ist aus dem Jahre 1866, in dem Lehrs' Horazkritik schon viel von sich reden machte und seine Stimmung schon halb ver- düsterte; mit Bezug hierauf schreibt Lehrs dem Freunde: „so war der- jenige 8. Dezember, welcher einst den Horatius gebar, ein Tag, der viel Yerdruss bereiten sollte, ereile. Aber das Schicksal ist gerecht und gütig. Ein anderer 8. Dezember brachte mir einen Freund, dessen Andenken stets mich erheitert und beglückt" (S. 753).

Ein gleich anmutiges Verhältnis bestand auch zwischen Rosenkranz und Lehrs, in der Tonart vielleicht noch etwas zärtlicher ; Lehrs ist Rosen- kranz gegenüber, wie der Bräutigam der Braut : was ihm fehlte, die har- monische Anlage des Wesens, sie besass, noch vertieft durch seine philo- sophischen Studien, der das Gleichmass in sich tragende, auch verhängtes, schweres Leid in Fassung ertragende und mit Anmut sich mitteilende Freund, dem „die Rede süsser als Honig vom Munde troff" (S. 512). Lehrs brauchte, um sich zu entzünden und dann sein Licht wärmer strahlen zu lassen, anmutige geistvolle Persönlichkeiten: unter den Män- nern konnte ihm wohl keiner willkommmener sein als Rosenkranz, zu dem er seine „unglücklichen, immer wieder erwachenden, kleinen ästhetischen Angelegenheiten tragen" konnte. Der Briefwechsel ist klein, wie natür- lich, da die beiden Männer sich täglich persönlich sehen konnten, in den letzten Jahren wohnten sie einander gegenüber, so flogen kleine Zettel hin und her; nur aus den Jahren 1848 und 1849, in denen Rosenkranz in Berlin war, sind einige längere Briefe. Alles aber, was hier von Lehrs geboten ist, ist aus dem Herzen wie einem Geliebten geschrieben, bisweilen in zärtlich neckender Rede, wie der Liebende es thut. Wie dies Ver-

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hältnis poetisch anmutig ist, so drängt sich in den Briefwechsel, die Prosa verbannend, die Poesie selbst ein mit den süssesten Lauten, deren das Herz fähig ist, z.B. wenn Lehrs einen Neujahrswunsch beschliesst: „nur eines bleibt mir wie zuvor, Dein liebes Herz und Dein geduldig Ohr!" (S. 543). Das schönste Denkmal für der Freunde Bund ist das tiefsinnige Gedicht (Nr. 540, S. 873), mit dem Lehrs einen poetischen Geburtstags- gruss von Rosenkranz beantwortet:

„nahte die Eris, so war's

Jene friedliche nur, die in vielverschlungnen Gespräches

Windungen trennend uns nur fester und fester vereint. Aber du warst der gebende doch! auf den Wegen der Weisheit

Hatte dein forschender Geist lösende Worte gespäht! Darf ich's danken dem Gott, dass er mich zum Empfangenden stimmte,

So verdank' ich's mehr, dass er den gebenden gab. Und am innigsten, dass er den Mann des liebenden Herzens,

Nicht den Lehrenden nur, mir in die Nähe geführt!"

Die hier hervortretende Bescheidenheit von Lehrs ist wahrhaft er- greifend, und doch war er auch Rosenkranz gegenüber der aus ursprüng- lichem Geiste und feurigem Herzen spendende! aber natürlich! der Eros lässt den Liebenden immer als den empfangenden Teil sich bezeichnen !

Die 6 Briefe Hermann Köchly's sind recht breit, wenig bedeutend, es fehlt Geist und Gemüt, nicht aber an Eitelkeit : zu den Themen aus dem Altertum, die er behandelt, steht er in keinem wirklich innerlichen Verhältnis. Lehrs' schöne Recension seiner „Academischen Reden" hat er wohl nicht verstanden, wenn er behauptet, in den Hauptpunkten, auf die sich Lehrs' Tadel bezog (Prometheus, Sokrates, Schuld der Athener) mit Lehrs nicht so weit auseinander zu sein, als es wohl „scheinen möchte" (S. 644). Seine Gleichstellung mit Lehrs ist doch recht naiv, wenn er mit Bezug auf Lobeck ausruft: „Was doch Unsereins für ein armseliger Tropf gegen solch' einen Heros ist !" (S. 656), woran gewiss Lehrs selbst in seiner Bescheidenheit keinen Anstoss genommen haben wird ! Für seine 'iXiag fiiTiQa und seine Hesiodea erwartet K. in Königsberg ein „allge- meines Schütteln des Kopfes!" „Aber", fährt er fort, „es giebt nun ein- mal kritische Grillen, die man nicht anders los werden kann, als dass man sie in Gottes Namen ausschwärmen lässt, selbst auf die Gefahr hin, dass allerwärts mit Fangnetz und Spiess gegen sie ins Feld gezogen wird. Ein gesunder Mensch muss ja auch gewisse Krankheiten einmal durchmachen: ^lolgav ö' ovTLva cprjf.u Ttecpvyfxevov %(.i(.ievai avögcov^^ (S. 695). Ist diese Stelle im ganzen höchst charakteristisch für Köchly's Verhältnis zur

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Wissenschaft wie für sein rhetorisches Talent, so ist schon allein die geist- und gemütlose Verwertung des tiefsinnigen griechischen Citats für ihn recht bezeichnend: im Gegensatze dazu wie sehr ist man überrascht, wenn Männer wie Hermann, Lobeck, Meineke, Lehrs in der Verwendung von griechischen Citaten an rechter Stelle geradezu schöpferisch sindl wohl erklärlich, da jenen die hellenische Welt ein Stück ihres eigenen besten Seins bildete, nicht ein Gegenstand zum Prunken war!

Wie ganz anders sind wieder die 10 Briefe von Lehrs aus dem Vollen geschöpft, reich an Geist, Gemüt und liebenswürdigem Humor. „Also, mein teuerer Freund, eine kleine Ilias und ein grosser Hesiodos steht uns bevor! Auch die kleine Ilias ist ja ohne Zweifel ein Werk von »grosser Arebeit* und Sie fahren fort Sich als ,Held lobebär* zu erweisen , und ich fahre fort Ihre Arbeit und Ihre Arbeiten zu bewundem und zu lieben, ich stiller fieoaiTtohog. Nein fast wie ein Nestor, der drei Menschen- alter erlebt freilich ohne die Weisheit davongetragen zu haben " (S. 645 ff.). Prachtvoll ist der „unwirsche Brief" vom 23. Juni 1 863 (S. 675 ff.), wo schon Lehrs' Horaz-Kritik ihren Schatten wirft. „Was mögen Sie doch in den Monaten, dass ich von Ihnen nichts weiss, unterdess für Hühner gefressen haben ! während ich langsam und stumpfzahnig hin und her an einem Bissen kaue ... An den Pisistratus nicht zu glauben das ist doch wol nicht neue Kriticke, sondern alte Perücke! Wohlan hauen Sie mich ! . . . Was ist es doch mit unseren Wissenschaften ! . . . sind wir wirklich klüger geworden? und wenn sind wir gefördert in Freiheit und Selbstentwickelung und Charakter? Und ist es etwas Wahres an der Philosophie der Geschichte und ihrem Nachweis des Fortschrittes in der Weltgeschichte? . . . Doch verzeihen Sie, dass ich über diese Dinge zweifel- haft und fragend bin, die ja ein Professor wissen soll! Sagen Sie's nicht weiter ! Ich habe bereits meinen Freund Rosenkranz, der vorigen Winter wieder Philosophie der Geschichte gelesen, um sein Heft gebeten, und werde also das nächste mal darüber unterrichtet sein!"

Bei dem sehr verschiedenen Standpunkte, von dem beide Männer das Altertum erfassten , konnte der Briefwechsel in keinen rechten Gang kom- men und hörte frühzeitig auf.

Voll menschlich-persönlichen Interesses sind die 8 Briefe von J. H o r k e 1 aus den Jahren 1844—51, sie zeigen eine liebenswürdige, gemütvolle, fein gebildete, vornehme, mehr zu einsamem Innenleben angelegte, auch anspruchsvolle Natur, einen geistreichen Mann mit grossen Plänen und Entwürfen, den das Leben plötzlich zwingt, gewaltig mit sich abzurech- nen und sich mit sich selbst ins Reine zu setzen und sich, „statt an die Studenten, an die Sextaner zu addressiren und den Versuch darauf zu

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wagen, ob man innere Frische genug hat, um auf der Bahn nicht so wie mancher nach Art von weiland Frau Lot zur Salzsäule zu werden" (S. 452). Schön und männlich ist der letzte Brief, kurz vor seiner Übersiedlung nach Königsberg geschrieben, wo er das Direktorat des Friedrichs -Kolle- giums übernehmen soll; wahr und fest vertritt er hier seinen eigenen Standpunkt, indem er seine politische und rehgiöse Gesinnung offen auf- deckt, doch treue Freundschaft verspricht, „sollte auch späterhin einmal eine tiefer liegende Verschiedenheit heraustreten" (S. 553). Die ausführ- lichen Briefe sind Enthüllungen von Stimmungen, „die sich eigentlich am besten nur mit einsamster Einsamkeit vertragen" (S. 451), von einem Jüngern Freunde dem verehrten altem Manne vertrauensvoll vorgetragen : man sieht, wie Lehrs' zauberhafte Persönlichkeit auch anders geartete Männer durch das Band geistigen Lebens an sich zog! Sehr zu be- dauern ist das Fehlen der Briefe von Lehrs, die einem Manne wie Horkel gegenüber wieder ganz besonders reizvoll und eigenartig gewesen sein müssen : wie zart und schön ist es, wenn er diesem bei herbem Verluste nicht mit „Trostgründen" kommt, sondern vielmehr vertraut, „dass ein wohlgestimmtes Gemüt sich selbst am besten tröstet", und ihm diese „Fülle des eigenen Wohllauts" wünscht (S. 454).

Die 53 Briefe von Lehrs an C. F. W. Müller gehören zu den ori- ginellsten Stücken der ganzen Sammlung; mit dem eigensten Herzblut geschrieben, im Ausdruck wie Inhalt von dämonischer Leidenschaft, ge- währen sie dem Leser den lebendigsten Einblick in das wissenschaftliche und Geistesleben des Mannes vornehmlich während der sechziger Jahre, denen auch der grösste Teil der Briefe entstammt: es sind dies die Jahre, in denen er das „ich bin arm und stumm" der Iphigenie für sich überträgt in „ich bin träge und schwerfällig und es schleichen meine Tage oder ich schleiche in meinen Tagen einsam und iners, ungeschickt umher", in denen selbst die plastische Kunst der Griechen, die ihm sonst neben der Musik nachhaltig erhebende Beruhigung brachte, nur kurze Zeit wirken konnte „den viel kolossaleren Lebenserfahrungen gegenüber**. Was ihn in dieser Zeit mehr als früher innerlich erregte, waren die mit seinem Amte ver- bundenen äusseren Geschäfte, die ihm seiner Meinung nach viel erhöhter entgegentretende „Unwissenheit der Studierenden**, die „a/iievrjva TcaQrjva der Kandidaten**, die „Plage der Doktorei", das „wahrhaft tragische Lei- den, die Energie dummer Menschen, mit der sie Doktoren werden wollen und eine Dissertation schreiben: wer darüber nicht zu Grunde geht, der ist bombenfest!'* (S. 736). „Der Fleiss ruiniert noch die Menschheit**, rief er in solchem Unmut einmal aus ! Die Folge davon war seine Unzufrie- denheit mit seinen eigenen Arbeiten, dass er vollbringt „pauca et paucum** !

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Dazu kam die tiefgehende Verstimmung über die Wege, die damals die Philologie zu nehmen begann, die mehr und mehr ihn bewegende Frage quantum est quod nescimus! Die tiefste Quelle seines Unmuts floss je- doch aus seinen eigenen Horazarbeiten, auf die er selbst merkwürdiger- weise — oder auch nicht, insofern sie gerade eine Geburt seines seelischen Zustands in jenen Jahren sind, den grössten Wert legte, und dennoch wusste, dass sie „vollkommen ignoriert würden" („Haupt ist wütend über die Horazanzweifelungen" S. 733): für die Jahre 1863, wo die ersten Horatiana ihm zu „spuken" anfangen, bis zum Jahre 1869, wo der Ab- schluss dieser Arbeiten, seine Müller gewidmete, in kaum 5 Monaten vollendete Horazausgabe, „sein angestrengter Kitt durchs romantische Land", bilden diese Briefe die bedeutsamste Quelle. Wie er in der Vorrede zu seiner Horazausgabe, für ihn so charakteristisch, ausspricht, „dass wir zu unsem Büchern durch Schicksal kommen", so ruft er auch nach Been- digung seiner Arbeit aus : „wie ich dazu gekommen bin Horaz zu edieren, das weiss der genius, natale comes qui temperat astrum!" (S. 776). Die ihm vorgehaltene „Überlieferung" und die „kritische Methode", worin er nur den „Aberglauben" an die äusseren Gründe und Schematismus oder gar nur „Schablone" sah, trieb ihn nur immer weiter zur Hochhaltung des „gesunden Menschenverstandes und des Geschmacks", und so ging er, lediglich gestützt auf den „gesunden Menschenverstand" und geführt von seinem an den grössten Dichtem geläuterten „Geschmack", daran, den Bestand des horazischen Textes zu untersuchen, wobei er, um sich seinen Blick und seine Empfindung unbefangen zu erhalten, die Frage nach der Geschichte des Textes bei Seite liess: allerdings ein unerhörter Vorgang in der Geschichte der modernen Philologie, dazu unternommen von einem Manne, den seine stahlfeste kritische Küstung berühmt gemacht hatte, und doch konnte ihn auch wieder nur Lehrs unternehmen, an dem die Genialität des Blickes noch grösser war als seine „Gelehrsamkeit": frei- lich musste auch er dabei zu Falle kommen, was sein tragisches Leiden ist. Eigentümlich berührt es, dass er sich in seinem letzten Briefe an Müller vom 3. März 1878 unterschreibt: „Ihr bisweilen schneidiger, bis- weilen in Rage auch schiefschneidiger, aber nicht schief gewickelter Freund'' (S. 1024): man muss es aussprechen, seine Horazausgabe zeigt ihn als einen „in Bage schiefschneidenden"! trotzdem ist sie ein geniales Werk, das die Horaz-Kritik und das Horaz-Verständnis aufs fruchtbarste geför- dert hat. Dass man seinem Dämon nicht entgeht (rov iavrov dai^ova ■d-eQaTtevBLv !), zeigt sich auch hier : die Frage, die er bei Ribbeck's Juvenal erhebt, ob dieser nicht dem Dichter eine grössere schriftstellerische Begabung zuschreibt, als man berechtigt ist, und er deshalb mit dem

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Schluss „also gehört es nicht dem Juvenal" zum wenigsten zu rasch ge- wesen ist (S. 700), schwieg merkwürdigerweise bei seiner Horazkritik, und doch war ihm „Horaz nicht in den Oden"!

Die Briefe machen uns femer mit seiner reichen philologischen Lek- türe, unter der er sitzt „wie Ajax unter seinem Schlachtvieh" (S. 751) be- kannt, sie zeigen, wie er in dem letzten Jahrzehnt seines Lebens sein siegreiches Schwert erhebt, um schnellfertige Gelehrte wie Madvig und Cobet in ihre Schranken zu weisen, sie zeigen aber auch die herzigste Teilnahme für den Freund und dessen plautinische Studien.

Welch ein Freund und Berater Lehrs seinen Schülern war, bekun- den die 16 schönen Briefe an den Lieblingsschüler seines Alters Eugen Plew, der leider durch frühen Tod der Wissenschaft entrissen wurde; sie bewegen sich vorzugsweise auf dem Gebiete der Archäologie und My- thologie und zeigen Lehrs' volle Beherrschung der antiken Litteratur und Würdigung der Geister: aus strömendem Keichtum spendet er wahrhaft schöpferisch auf die ihm von dem jungen Gelehrten vorgelegten Fragen und dabei immer naiv bescheiden bleibend nach den geistvollsten, neues Licht eröffnenden Einfällen : „Nun, ich habe Ihnen jetzt wie immer nicht viel oder gar nichts helfen können ! Sie müssen schon vorlieb nehmen" . . . (S. 889) oder „Sie werden es besser wissen !" oder „in gewohnter Unwissen- heit". Lehrs kannte die Quellen, aus denen man reines Wasser schöpft, und solche, durch die man „sich besudelt", er war dazu frei von jeder Pedanterie, legte nie ein Schema an, sondern hatte lebendigsten Sinn und liebevolles Auge für die richtige Gelegenheit, aus und bei der Namen und Attribute der Götter und die poetischen Gebilde auf dem religiösen Gebiete entstehen ; er erklärte nie aus Äusserlichkeiten, sondern aus dem innersten Wesen heraus und blieb darum vor den verkehrten Erklärungen der Mytho- logen, wie sie nicht zu erklären sind, verschont : sein Grundsatz war, nicht dogmatisch , sondern poetisch das poetische Walten der religiös gestimmten Phantasie zu erklären. Auch darin war er frei von Pedanterie, dass er sich nicht einbildete, man könne heute in diesen Dingen immer das Rich- jtige treffen, den Verlauf im Einzelnen verfolgen und auseinanderhalten, rie viel im Volke entstanden ist, wie viel bei einzelnen Poeten : von sei- lem echt wissenschaftlichen Standpunkte aus *^est quaedam nesciendi ars' jlaubte er, dass man sich mit der Aufstellung von Vermutungen „auch ;anz wahrscheinlichen" bescheiden müsse; was er jedoch so von „Ver- linutungen" ausspricht, das ist alles aus der naturwahren, griechisch-wahren Erklärung der Erscheinungen geflossen. Köstlich ist wie er z. B. die [Kentauren, die Kyklopen natur- und poetisch wahr erklärt, wie er die ein- äame Gestalt des weisen Cheiron mitten in dem wüsten Bergvolk sich als

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Gegenstück zum Ungetümen Polyphem inmitten unter den von Homer sonst gutmütig gedachten Kyklopen deutlich macht. Echt Lehrsisch hin- sichtlich seiner flammenden Begeisterung ist die Erklärung iw jcvq Ttve- ovTwv aoTQwv loqayi (Ant. 1146) „der feuerhauchenden Sterne Reigen- fuhrer : nach der herrlichen Idee : die ganze Natur, der ganze Himmel, die Sterne namentlich nehmen Teil an dem Reigen, den er anleitet und dem er voranschreitet. Gewiss wird es Leute geben, die da sagen: ja das kommt einem Betrunkenen so vor. Ganz richtig ! Es kommt aber auch einem Begeisterten so vor: und kurz wer das nicht versteht und herr- lich und ganz in der Auffassung des (jungen Blitzknaben) Dionysos findet, der versteht den Dionysos nicht" (S. 889).

Doch es lässt sich die unversiegliche Tiefe des Briefwechsels nicht ausschöpfen; mögen nur noch nachstehende Namen von Gelehrten, die hier vertreten sind, den Reichtum andeuten: J. G. Baiter, Imm. Bekker, Mich. Bemays, W. Dindorf, Lud. Friedlaender, F. W. B. Giesebrecht, Ferd. Gregorovius, Alf. v. Gutschmid, K. B. Hase, Fr. Jacob, Heinr. Jacobi, K. G. J. Jacobi, 0. Jahn, W. C. Kayser, Sam. Lehrs, Aug. Lentz, Aug. Nauck, G. W. Nitzsch, K. W. Nitzsch, Fr. Ranke, F. W. Schneidewin, Julian Schmidt, 0. Stobbe, Fr. Zarncke.

Bei seiner im Alter immer mehr zunehmenden Abneigung gegen un- frachtbare Gelehrsamkeit fühlte er sich um so lieber zu dem Umgänge mit der eigentlichen „Profession" femstehenden gebildeten Männern, die aus innerem Zuge die Wissenschaften trieben, nicht um Examen zu ma- chen und angestellt zu werden, und zu Frauen hingezogen. So zeigen seine mehr denn 40 Briefe an Dr. Wilh. Tobias, einen hervorragend musikalisch begabten, philosophische, ästhetisch-litterarische Studien ernst treibenden Privatgelehrten, ihn uns von einer neuen Seite, wie er neben der strengen Wissenschaft sich mit den grossen allgemeinen den Men- schensinn erweitenden Fragen beschäftigt und wie leidenschaftlich er sieh darnach sehnt, „unter ideal gesinnten und geist- und gemütreichen Män- nern idealer Zeit atmen und mit fühlen und mit denken zu können" (S. 977). Im Vordergrunde stehen tragische Fragen, zu denen namentlich Shakespeare's Dramen Lear, Macbeth, Hamlet, Richard UL, Kaufmann von Venedig, Julius Cäsar, Titus Andronikus Veranlassung geben: die Briefe sind oft kleine Abhandlungen, für das Verständnis der Stücke von grösster Bedeutung. In der Philosophie wird eingehend über Spinoza, Kant, Schopen- hauer, Lange, Lotze verhandelt, in der Musik über Bach, Händel, Gluck, Mozart, Beethoven, Wagner, den Lehrs nicht hochschätzt. Dr. Tobias, ein Mann von scharfem Verstände, doch doktrinär, ist mit Lehrs' grandiosen und tiefsinnigen, jeder Schablone entbehrenden Ausführungen oft nicht

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einverstanden, im Gegensatze dazu ist die Liebenswürdigkeit und Beschei- denheit, mit der Lehrs seine Ansichten entwickelt, geradezu einzig und bezaubernd. Da die Briefe im Kriegsjahr 1870 anheben, konnte es nicht ausbleiben, dass auch die grossen politischen Fragen berührt wurden. Auch diesen gegenüber vertritt Tobias den rein negativen doktrinären Stand- punkt des ostpreussischen fortgeschrittensten Fortschritts jener Jahre, sodass Lehrs, der in der Politik selbst sonst einem sehr abstrakten Freiheitssinn huldigte, dem jungen Freunde gegenüber die Notwendigkeit der Krieg- führung, die Verdienste Bismarcks verteidigt und dessen Überzeugung, der deutsche Geist gehe mit starken Schritten seinem Untergange ent- gegen, gegenübertritt: von der Grossartigkeit, der Schnelligkeit und Ener- gie, mit der dieser Krieg geführt wurde, von dem „unglaublichen Herois- mus und Stoizismus zum Teil auch ganz junger Menschen", sah er sich selbst über die politische Schablone, in die er hineingewachsen war, die ihn politisch unfruchtbare Jahre hatten festhalten lassen, hinausgehoben und erblickte, wie alles Geistige und Starke ihn mit Begeisterung erfüllte, „in den jetzigen Vorgängen eine Anzahl sehr bedeutender Befriedigung wirkender Positivitäten" (S. 826): die Folge dieser Enthüllungen dem jungen Freunde gegenüber war ein dreijähriges Stocken des Briefwechsels.

Die Briefsammlung enthält auch Briefe an zwei Frauen, die eine ist die Schwester von Lehrs' Freunde, Fritz von Farenheid auf Schloss Beynuh- nen*), in dessen „antiker Kunstwelt" Lehrs viele Jahre hintereinander einen Teil der Ferien verbrachte, wo er auch für die Gestaltung vieler sei- ner populären Aufsätze künstlerische Anregung fand, Frau Friederike vonBujak, eine der edelsten Frauen aus einer hinter uns liegenden ideal- gerichteten Zeit, die noch heute trotz ihrer 81 Jahre durch Geisteskraft und Geistesanmut bezeugt, wie ein Leben in Ideen allein sich jung er- hält: die an sie von Lehrs gerichteten 5 Briefe gehören an Schönheit und Zartheit in Sprache und Gedanken zu den herrlichsten, die er ge- schrieben hat.

Gegen 40 Briefe sind an Frau Clara Naumann gerichtet, die an Lehrs' griechischen, ästhetischen und litterarischen Studien mit voller Hin- gabe teilnahm; ihr ist es zu danken, dass Lehrs, dessen Lebenstage in der Mitte seiner Jahre gezählt zu sein schienen, ein hohes Alter in jugend-

1) Fritz V. Farenheid hat die an ihn gerichteten schönen Briefe seines Freun- des unter dem Titel „Briefe von Carl Lehrs an einen Freund" (Königsberg 1878) her- ausgegeben. Dem idealen Bunde, der beide Männer vereinte, wie der Schönheitswelt Beynuhnens entsprechend, in der sie von Zeit zu Zeit zusammenlebten, tragen die Briefe von Lehrs einen vorzugsweise harmonischen Charakter und zeichnen sich durch Grazie des Ausdrucks wie Tiefe des Inhalts aus.

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frischer Geisteskraft erreichte, da sie ihm in ihrem Hause einen Ersatz für sein sonst in einsamer „Klause" verbrachtes Gelehrten- und Denkerleben gab und durch Anregungen mannigfachster Art die melancholischen Schat- ten von ihm fem zu halten suchte. Die Briefe, die Lehrs an die Freundin schreibt, wenn er oder sie nicht in Königsberg weilte, eröffnen uns einen Einblick in die geistige Atmosphäre, in die der Freund die Freundin ein- führt.

Unter den vielen bedeutenden, mit Briefen in der Sammlung ver- tretenen Männern ist Lehrs ohne Frage der bedeutendste, vielleicht einer der bedeutendsten Briefsteller überhaupt: in seinen mehreren hundert Briefen, die uns von Lud wich mit eins geboten werden, tritt uns eine ungewöhnliche Originalität, Unmittelbarkeit und Kraft im Ausdruck und im Gedanken entgegen; keine Zeile ist öde, jede mit innerstem Leben, weil selbst aus innerstem Leben geflossen, durchströmt; grandios, dabei klar und plastisch in der Form ist seine Sprache, die für den Sprach- forscher voll des Interesses ist, auch überraschend an geistreichsten Wen- dungen, namentlich in den Eingängen und zum Schluss; zweifellos sind Lehrs' Briefe eine ausserordentliche Bereicherung unserer Litteratur. Darin liegt schon ausgesprochen, dass die Briefsammlung den hohen AVert hat, dass aus ihr neben dem uns aus seinen Werken schon bekannten Ge- lehrten, seine gewaltige menschliche Persönlichkeit nunmehr auch für die- jenigen, welche ihren Zauber im Leben nicht gekannt haben, zu inniger Teilnahme fesselnd heraustritt: der kommende Biograph, den Lehrs wunder- barerweise, von der in der Allgemeinen Biographie veröffentlichten schönen Studie L. Friedländer's abgesehen,') bisher noch nicht gefunden hat, wird ein überreiches Quellenmaterial zur Gestaltung des Gelehrten und Menschen Lehrs finden.

Lehrs' Briefe scheinen uns auch für einen wichtigen Punkt volles Licht zu bringen, nämlich für die Frage, warum die zweite Hälfte von Lehrs' Gelehrtenleben, etwa vom Jahre 1845 ab, verhältnismässig so arm an eigentlich „gelehrten" Werken geblieben ist Lehrs schreibt einmal, dass auch er jugendliche Zeiten gehabt habe, in denen er „solchen inneren faustischen Drang für solche philologische Rätsel auch sehr wohl kannte und von ihm zur Arbeit täglich und nächtlich gerissen wurde" (S. 748). Er ist sich wohl bewusst, dass, wenn wir den aristarchischen Text hätten, bei diesem Texte nicht stehen bleiben dürften, dass wir auch im Homer mit Textesänderungen weiter gehen könnten als Aristarch, der darin nicht dreist genug war, sondern sich mit Athetesen, auch mit etwas gewaltsamer

1) Vgl. auch: Karl Lehrs. Ein Rückblick auf seine wissenschaftlichen Lei- stungen" (Berl. S. Calvary 1879) Yon dem Verfasser dieser Zeilen.

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Erklärung half: Lehrs' Plan war, den aristarchischen Text mit Varianten der Grammatiker bis Herodian zu geben und eine Grundlage zu schaffen für homerische Forschung über Aristarch hinaus und zugleich für die Geschichte der Grammatik überhaupt (vgl. S. 315). Didot hatte ihm die Besorgung der homerischen Scholiensammlung für seine Bibliothek an- getragen ; Lehrs selbst war zur Annahme geneigt, und seine nächststehen- den Freunde drangen in ihn, weil er vor allen geschaffen war, diese Arbeit für die philologische Wissenschaft musterhaft zu leisten. Warum ist Lehrs nicht der Bentley des 19. Jahrhunderts für Homer geworden? Welcher Dämon hat ihm jenen „faustischen Drang für solche philologische Rätsel genommen", seine Zukunftspläne „in den Schwamm seiner Trägheit oder in das Schwert seiner Zerrissenheit gestürzt?"

Will man den roten Faden für das Verständnis von Lehrs' urinner- stem Wesen herausheben, so ist es das Leidenschaftliche, Stürmische seines geistigen Empfindens, mit dem sich die lauterste Wahrheit seines Strebens und Forschens vereinigt.

Die gewaltigen gelehrten Arbeiten, denen Lehrs sich neben seiner sehr gewissenhaft genommenen Schulthätigkeit hingab (vgl. S. 414: „schon seit 20 Jahren habe ich am Gymnasium wahrlich einen nicht kleinen Teil meiner Kräfte geopfert" und S. 424 , nach seiner Berufung an die Uni- versität : „wie weit sich die Schwielen, die geistigen, zwanzigjähriger An- strengung der Art noch ausgleichen ! ?"), waren nicht ungestraft geblieben ; den Jahren nach in der Mitte eines an sich noch kraftvollen Alters stehend, war er vor der Zeit gealtert, eine schwere, volle Erschöpfung bringende Krankheit liess seine Tage gezählt erscheinen: wenn auch die im Jahre 1844 unternommene grosse Reise, die bis nach Oberitalien führte, all- mählich kommende Gesundung brachte, so blieben doch Spuren jener Krankheit mit düsteren Verstimmungen bis in die spätesten Tage zurück.

Die in stiller Zurückgezogenheit und in nächtlich einsamer Arbeit ver- brachten 20 Jahre seines jungen Gelehrtenlebens hatten sein ursprünglich heiteres Gemüt ernst gestimmt, sein für frohen Lebensgenuss schnell fliessendes Blut schwer und stockend gemacht ; auch hier hat seine Reise sich ungemein wohlthätig erwiesen, indem sie ihn ins volle reiche Leben einführte: köstlich sind seine Tagebuchnotizen, aus denen wir erfahren, wie er mit jugendlicher Lust unterwegs alles, auch das Einfachste beob- achtet und wie er sich auch mit dem wirklichen Leben, dem er sich bis dahin mehr und mehr und zuletzt ganz entfremdet hatte, bekannt macht. Als ein anderer kehrt er zurück: sein alt gewohntes und geübtes Ver- langen zu lernen nimmt neue, erhöhtere Form an; jetzt ist er darauf aus, res humanas intelligere und die Welt in den Gedanken der grossen

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Geister in sich aufzunehmen : „wie gern möchte man lernen !** ruft er wieder und wieder aus ! Die nach der Loslösung von der Schulthätigkeit ihm gewor- dene grössere Müsse liess ihn seine Sehnsucht zu lernen in freierer Weise stillen. Auch die Zeit mit ihren Ereignissen hewegt ihn innerlicher, hemmt seine Koncentrierung für gelehrte Arbeit und lässt ihn nicht weit- gedachte Fäden ruhig hinausspinnen: im Jahre 1848 ist ihm immer zu Mute, als wäre man auf Reisen, hätte immer was neues, woran man nicht vorübergehen, wovon man etwas für seine Einsicht mitnehmen möchte, immer in dieser Art der Spannung! „Das alcpa xai ßrixa will dabei frei- lich wenig gedeihen, und ich habe Wissenschaftliches das Jahr über leider zum Erschrecken wenig gethan" (S. 504). Die „Streif- und Querzüge", das „Vagieren", das „Vagabondieren" nahm seinen Anfang oder wohl tiefer ausgedrückt: die Umwandlung des Gelehrten in den nach Weisheit Ver- langenden begann sich zu vollziehen. Schon im Jahre 1845 bezweifelt Lehrs gar sehr das beabsichtigte Unternehmen auf dem Gebiete der Scho- liensammlung für die Zukunft hinauszuführen: „was für die SchoHasten geschehen, ist geschehen!" (S. 414). Wie sehr sich seine Stellungnahme zu diesen geändert hat, ersieht man, wenn er es „rein lächerlich" findet, dass Leute, die man auch Grammatiker nennt, ihre „Menschheit und Menschlichkeit daran setzen sollen, um sich zu überzeugen und andere vielleicht auch, wie die Epitomatoren der Grammatiker fast immer der eine das Gegenteil vom anderen epitomiert haben!" (S. 461).

Der „faustische Drang, philologische Rätsel zu lösen" trat somit immer mehr zurück, andererseits gewann von seinem neu gewonnenen Standpunkt aus zu lernen die faustische Erkenntnis, wie sehr unser Wissen Stück- werk ist, an beherrschender Kraft, und damit auch das faustische Em- pfinden, wie schwer das „Lehren" ist und dass man „die Jungen gar zu greulich ennuyiere". Gar reizvoll, ganz in seiner Weise, knüpft Lehrs ein- mal sein Unbehagen gegen das „Lehren" an Goethe an : „was hatte Goethe im Winter zu thun? Zu leben, lieben, lernen. Aber wenn dazu da« Lehren kommt!" und nun noch gar das Lehren der Vielen, die ohne inneren Drang zur Wissenschaft kommen und der sehr wenigen, die „ins Amt gelangt, fortstreben, fortgestrebt werden (medium)" (S. 748) : bitter aber wahr drückt er in einem Briefe an Ritschi diesen Gedanken anders aus, indem er hin- weist, wie viele von dessen Schülern, von seinem Geiste angehaucht, eine Reihe von Jahren weit über ihre natürliche Anlage hinaus leisten, wie aber dieser Spiritus, der ganz allein das Wirksame in ihnen war, mit den Jahren, wie die Pockenimpfung, bei solchen Naturen an Kraft verliert und sie dann in ihrer sehr massigen Beanlagung erscheinen" (vgl. S. 841).

Dazu nahm auch die philologische Gelehrsamkeit eine Richtung,

Zur Erinnerung an K. Lehrs. 203

die ihn wenig befriedigte, indem sie die von Hermann und Lobeck ge- steckten Grenzen verliess und das Griechentum nicht aus Griechenland, sondern aus dem Orient und Ägypten zu erklären suchte: dagegen legte er seine Anschauungen von dem wirklichen Geiste und der Religion des Griechentums, wie er sie aus dessen grossen Dichtern und Denkern ge- wonnen hatte, in Aufsätzen nieder, die dann unter dem Namen der „popu- lären Aufsätze" vereinigt erschienen und die schönste Frucht seines „Va- gierens", seiner „Streif- und Querzüge" bilden. Mit dem Schwinden des spezifischen Griechentums unter den Gelehrten schwand ihm auch die Anregung zur Produktion, deren er gerade bei seiner innerlichen Teil- nahme an der Wissenschaft besonders bedurfte: er musste sich bei der Lösung ihn „chikanierender Probleme" im freundlichen Elemente fühlen, d. h. der förderlichen und dem Missmut der Einsamkeit entgegenwirken- den Hoffnung gewiss sein, einige anerkennende Freunde zu wissen, für welche man nebenbei glauben darf auch zu schreiben, namentlich bei seinen poetisch-künstlerischen Reproduktionen, wie sie seine populären Aufsätze sind, bei denen zugleich auch sein Herz in Mitleidenschaft gezogen wurde : das Fehlen von gleichgestimmten Gemütern, wie dies bei Hermann, Lobeck der Fall war, machte ihn immer einsamer und zum Produzieren weniger geneigt: er wies das Erhebende und Beglückende, das solche fördernde Teilnahme hat, selbst bei Männern wie Goethe und Beethoven nach, die doch als gestaltende Künstler schon auf die amagyisLa angelegt sind und eine Welt für sich bilden: die spätere goethische Kunstschöpfung glaubte er sich unter dem Fehlen des „warm-poetischen Schillerzeitlichen Publi- kums" erklären zu können.

Auch seine Stellung zur Religion greift bedeutsam in diese Frage ein. Man hat sein religiöses Leben mit der Negation abgethan, dass er kein Materialist gewesen ist! Wie wäre dies auch denkbar, wenn man nur seinen Aufsatz „Zeus und die Moira*' gelesen hat, der aus tiefstem religiösen Bedürfen geflossen ist. Seinen frühen Übertritt zum Christen- tum haben nicht äussere Gründe veranlasst, dafür bürgt die Lauterkeit seines Gemütslebens, wenn man auch nichts weiteres wüsste: er war durch seine Studien über die Enge und Starrheit seiner Stammes-Religion hinausgewachsen. Aus seinen bedeutsamen „Tagebuchnotizen" erfahren wir nicht nur, wie häufig er an dem Gottesdienst teil nahm, sondern sich auch schriftlich über die vernommenen Predigten Klarheit verschaffte. Noch im Jahre 1843 findet er es schmerzlich, wenn „treffliche und ein- sichtsvolle Männer, durch das jetzige Christentum der Theologen verleitet oder verstimmt, seine spezifischen Vorzüge verkennen und vergessen"; unter diesen, die er aufzählt, führt er auch an: „das Altertum kennt

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unter den Pflichten und Tugenden nicht die Liehe hier d. h. im Christentum ! sogar die erste Tugend", sodann : Ihr sollt heilig sein wie ich heilig hin. Läuterung des Innern. Beschneidung nicht des Körpers um zu seinem Volke zu gehören, sondern des Herzens (des Innern) um zu seinem Reiche eingeweiht zu sein. Auch der Körper rein als Gefäss der Seele" (S. 330 f). Später wurde allerdings auch er durch das Christentum mancher unduldsamen Theologen „verstimmt" und mehr und mehr durch seine an Innerlichkeit wachsenden Studien dem Griechentum zugeführt, in dessen durch die grossen Dichter und Künstler verklärter Schönheits- und religiöser Freiheitswelt er Beschwich- tigung gegenüber herben Lebenserfahrungen und quälenden Problemen suchte, doch ist er nicht darin aufgegangen. „Die Bergpredigt und das ganze weitere Kapitel könnte man, so schreibt er Sonntag den 25. Aug. 1872, als ein stets wahres und herrliches Spruchbuch stets bei sich tragen" (S. 889) und wieder an einem Sonntag (19. Jan. 73) tadelt er an Strauss, der „eine ziemlich triviale Natur ist", dass er für den „unvergänglichen Wert in unvergänglicher Hoheit einzelner Teile der Bibel" gar keinen Sinn und kein Verständnis habe, auch es ihren Sprüchen, Lehren nicht anfühle, dass sie von einem in seiner Art einzigen Genie und aus einem mitten in jenem Juden- und Rabbinertum einzigen Gottes und mensch- lichen Gemütsboden entsprossen, dass s i e nicht eben so wohl ein Apostel ersonnen oder in solchen Ausdrücken gestaltet haben kann, sondern dass sie sicher Zeugnisse eines Überragenden sind, und findet einzig und allein die Erklärung dafür in Strauss' natürlichem Gemütsmangel (S. 893 f). Freilich blieb dem uns von Christus gelegten Grund und Boden, der Erkenntnis unserer Sünde, und dass der Weg aus dieser zur Erlösung durch Christus geht, und sie uns aus Gnade zu teil wird, Lehrs' faustische Natur fremd, und auf sich allein gestellt, musste er auch unter den gewaltigen Problemen des Lebens bei seinem stürmisch auf- und abwogen den Herzen sich allein und verlassen fühlen, umsomehr als er sich auch bewusst war, dass er sich von seiner Geburtsreligion freiwillig abgelöst hatte. Eine nicht ausbleibende Folge war eine antik gefärbte Resignation, das Bestreben, die schweren Schickungen des Lebens mit möglichst gedämpfter Seelenbe- wegung zu tragen, zu lernen, sich in das problematische Leben zu gewöhnen und zu verschmerzen !

Dass die Leidenschaftlichkeit, die Glut seiner Empfindung zu Lehrs' Wesen gehört, ist oben gesagt worden. So konnte er leicht erregbar und gereizt werden durch Eindrücke von aussen her, durch Zeitereignisse oder auch durch das Wetter! Wie er einen frühen, warmen, ja heissen, mit Blätter- und Blütenfülle überströmenden, anhaltenden Frühling mit

Zur Erinnerung an K. Lehks. 205

Wonne genoss, die wiedergekehrte Sonne seine Lebensgeister wachrief, einmal zeichnet er sich für ihn recht bezeichnend ! in einem Briefe an Haupt „Ihr solibus aptus" ! , so beugte wieder den für den Süden Geschaffenen der Nebel und die Kälte des Nordens, seiner Heimat, ganz nieder: „es muss auch so gehen so lange es geht: aber wenn ein- mal schlimmes Wetter von aussen und innen eintritt, övoTtvootg orav QQTjooißGLv eqeßog vg)alov eTtiÖQci^ri jcvoolg dann rührt sieh alles auf, xvklvösL ßvOGod-ev ycelaivav d^lva" (S. 709). Bei den mit dämo- nischer Gewalt sich äussernden Naturkräften muss er für ihn höchst charakteristisch! an die „Schlafmützigkeit der Menschen" ein Lieb- lingswort von ihm ! denken. Ein andermal ruft er aus, dass der „Mann, der sich ärgern und sich grimmen kann, dafür gesegnet sein soll", und hält das allgemeine sich bewegen unter Leuten, die zwar vieles un- verantwortlich finden, jedoch in demselben Tempo und in lauwarmer Temperatur verharren, für eine „grausame Empfindung" (S. 692). Er fühlte sich wohl in dem heroischen oder dämonischen Element, in dem kraftvoll und lebendig sprudelnden, und widerwärtig war ihm Behaglich- keit und Phlegma. Wie die Gemeinheit der Gesinnung, so konnten ihn Trivialität, Philisterei und Pedanterie in starke Aufwallung versetzen, z. B. wenn er ausgeführt las, wie in dem horazischen Liede „donec gratus eram" der Grundgedanke „alte Liebe rostet nicht" ausgesprochen sei oder wenn Shakespeare's Drama „Romeo und Julie'' zeige, wohin allzu starke Liebe führe. Überraschend ist sein Urteil über Ovid, den er unter den Alten als einen Mann ansah, der „gar kein Philister sich in langweiliger Zeit über alles das weg hebt", und doch wurde er in der Verbannung „ein Philister er klagte und bat!" (S. 631). Besonders verhasst war ihm der „Professoren Weisheit", der Gelehrten „Rechthaberei" und „Eitel- keit" (vgl. die bedeutsamen Tagebuchnotizen S. 327 ff.), das „Kultustreiben mit den Handschriften" bei dem Mangel an eigener Fähigkeit, aus sich schaffen und schöpfen zu können, der Unverstand und die Überhebung des jungem Geschlechts, das in den Zeitschriften des Aeakosamtes waltet" : solche Erscheinungen befestigten in ihm den Unglauben an die mensch- liche Einsicht oder überzeugten ihn, wie gar wenige Menschen für das wirklich Einfache und Natürliche empfänglich seien. Diese unverholen ausgesprochenen Ansichten erweckten natürlich keine Gegenliebe, und wenn man auch nicht wagte, gegen den Verfasser des „Aristarch" auf- zutreten, so verhielt man sich doch gegen ihn lau oder schwieg und ignorierte, was ihn wieder vom Produzieren zurückhielt

Aus solchen äussern und innem Gründen, man wird es verstehen, flössen seine wieder und wieder mit ergreifender Wehmut ausgesprochenen

206 E. Kammer

Klagen über Einsamkeit, Vereinsamung und Verkümmerung, über Mangel an fördernder wissenschaftlicher Arbeit, über seine Arbeitsunfähigkeit: wie er im Jahre 1 842 sich zu Ritschi äussert, „mir kommt es vor als könne ich gar nichts mehr machen" (S. 316), so bekennt er im Jahre 1877, dass er Sachen betreibe, deren „Nullität" er begreife, die er aber nicht weg- werfen könne, weil sie nun einmal in seinem Lebensfaden eingewoben seien und „zuletzt ist es Mühe und Not gewesen und um Nichtsnutzig- keiten" (S. 1012), und kurz vor seinem Tode schliesst er ab: „ich lebe unbefriedigt jeden Augenblick: um so mehr da es mit dem Weiter- streben nichts mehr ist!" (S. 1024, am 3. Mai 1878).

Freilich wünschen auch wir, wir hätten von seinem „strömend" reichen Genius mehr Werke zu gemessen, als er uns wirklich hinterlassen hat: aber seine Klagen kommen zum teil auch auf die Einsamkeit seines Lebens, in dem ein mehr und mehr zur Schwermut sich neigendes Tem- perament, seine Gewohnheit, das Leben schwer zu nehmen, mehr sich geltend machte ; persönlich haben wir, die wir uns seiner Leben spenden- den Nähe erfreuen durften, die gesunde, ungebrochene Kraft seines ge- waltigen, in die Tiefen und Höhen führenden Geistes bis wenige Tage vor seinem Tode bewundern können.

Auch der Wahrhaftigkeit und Reinheit seines Strebens und Forschens ist oben gedacht worden. Wie er nichts that, was seiner Natur nicht kongenial war, so wählte er auch aus innerstem Drange sein Studium, „in einer Zeit, wo Philologie noch nicht entdeckt war": von ihm erstrebt er nicht Ehren, die hinter ihm in wesenlosem Schein lagen, sondern ledig- lich für sich selbst Bildung und Erweiterung seines eigenen Ichs: seine Wissenschaft sollte ihm die edelste und eigenste Frucht, Freiheit des Geistes und Freiheit der Gesinnung spenden! Ganz eigenartig nnd zart vergleicht er einmal die Wissenschaft „mit kunstreichen Kästchen, von lieben Händen geschenkt, in denen man bei liebevoller Beschäftigung ge- heime Fächer entdeckt" (S. 338): der Wissenschaft hat er sein Leben lang ein lauteres Herz, einen ununterbrochenen Forschungstrieb entgegen- gebracht; das didicisse artes fideliter, „d. h. mit reinem Sinn", findet auf ihn volle Anwendung. Herrschte er wie ein König in dem Gebiete des gesamten Altertums, so war ihm doch das Hellenentum besonders kon- genial, nach dessen Schönheitswelt er mit leidenschaftlichem Verlangen sich sehnte: er las das Griechentum nicht wie durch Schleier, sondern unverhüllt stand es ihm rein und klar vor seinem geistigen Auge, vor seinem plastischen Sinne, wie sich die Geliebte dem mit reinem Herzen um sie werbenden Geliebten ganz erschliesst. Ein rückwärts schauender Seher hat er uns das Hellenentum in seiner Schönheit offenbart aus schön-

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Zur Erinnerung an K. Lehrs. 207

heitsdürstendem Herzen, wie kein Philologe vor ihm noch nach ihm : was er seinen Schülern hot, gab er nicht aus Büchern, die man nachschlagen konnte, sondern aus seinem ureigensten geistigen und persönlichen Be- sitze, und die so empfangenen Keime wirkten wieder unvergänglich nach. In seiner gewaltigen Persönlichkeit lag der Schlüssel, das Verständnis des Geistes sich zu erschliessen, im Altertum wie in der Gegenwart : die grossen philologischen Namen weckten in ihm erst wahre Pietät, wenn er in ihre Leistungen klare Einsicht genommen hatte, wenn sich mit ihren Leistungen reiner Charakter verband: die Selbständigkeit wahrte er sich auch den grössten Namen gegenüber. Von den Gelehrten waren ihm die Männer wohlthuend, die in ruhiger Sicherheit sich auf eignen Füssen sicher fühlten und nicht nur in der Sicherheit, sondern auch in der Unsicher- heit, dass sich eine Sache auch wohl anders verhalten könnte: auch anders geartete Naturen suchte er zu verstehen und nicht nur gelten zu lassen, sondern auch anzuerkennen: „nur wer was gelten will, muss an- dere gelten lassen": zur positivsten Anerkennung des „Wahrhaftigen" und Überzeugenden ward er von Natur hingezogen, persönliche Stellung zu den Dingen zu gewinnen, war ihm Bedürfnis. Aber auch in ihm selbst war die Geneigtheit auf das äusserste ausgebildet, alles Freundliche von aussen auf das dankbarste anzuerkennen und zu gemessen; da er von sich selbst, von seinen Leistungen, von seiner Wirkung auf andere so bescheiden, ja bis zum Kleinmut bescheiden dachte, in dem er sich hüten musste, nicht dem Unmute zu verfallen, so bedurfte er jedes freundlichen Zuspruchs, um das Gefühl eines Bodens unter sich zu ge- winnen : , jede menschliche Teilnahme ist doppelt, dreifach, zehnfach wohl- thuend" (S. 965). Seine Bescheidenheit floss wohl aus seinem „eingewöhnten Griechentum", das ihn mahnte, sich nichts zu Schulden kommen zu lassen, was einer „Überhebung" ähnlich sehen könnte, und „die Nemesis zu scheuen": ,,/cqoo-kvvcü tyjv Nsf.ieoLv^'' entfuhr ihm wie dem religiös ge- stimmten Griechen oder ccTceaTw cpd-ovog ! wenn es ihm wirklich sehr be- friedigend war. Die ampQoavvrj, das Masshalten beherrschte ihn in allen seinen Handlungen : „den menschlichen Weiheitsspruch ^irjöh ayav muss der Mensch manchmal dem Dämon, der eigentlich so ein wildes Tier ist, das nicht menschliche Weisheit kennt, entgegenrufen und ihm in die Zü- gel fallen" (S. 605). Antik ist auch seine Neigung zur Freundschaft und die Treue, mit der er in ihr beharrte; er war der Meinung, die Natur habe in dem Bewusstsein, dass sie uns misshandelt, für unser „proble- matisches Leben" als Gegengewichte die Fähigkeit und das Bedürfnis mit- gegeben, uns gegen teilnehmende und mitempfindende Freunde erleich- ternd auszusprechen (S. 397). „Wem denn soll man Klagen anthun als

208 E. Kammer

den Freunden?", ruft er ein andermal aus, „blos immer sein eigenes Herz fressen, dazu ist der Mensch doch auch nicht gemacht!" (S. 766). Wo er liebte, da liebte er mit ganzem Herzen und mit der ganzen Kraft und mit der reinsten Zartheit, deren diese ebenso gewaltige wie inner- lich graziöse und in der persönlichen Berührung zauberhafte Persönlich- keit fähig war, auch ohne Berücksichtigung des eigenen Interesses; Ari- stoteles' schönes Wort to Ttavtaxov tßqrElv ro xQ^oifiov rjTiiOTa agfioTTei tolg fj,€yakoipvxoig xal Tolg iXev^iQotg war auch für ihn volle Wahrheit. Die Geistes- und Schönheitswelt des Altertums war seine eigentliche Heimat, sie schaute er mit seiner blühenden Phantasie und in innerster Herzensteilnahme wahrhaft plastisch. Nur er konnte z. B. beim Anhören des Bacchus-Chores voll innern Humors ausrufen: „Ach was war so ein griechischer Gott für ein glücklicher Mensch!", nur ihn die Phantasie mächtig überkommen „so überall dick unter Epheu und Trauben zu sein, wo man seinen Fuss setzt, sie um sich her sprossen zu sehen, reichlich und köstlich" (S. 572). Vom Dämonischen im Menschen ward sein Dämon besonders angezogen; in der Hochstellung der grossen Geister, die mit dem gewöhnlichen Niveau menschlicher Geister ganz inkommensurabel seien, kannte er keine Grenzen und verachtete die philisterhafte Gesinnung, die solche überragende Naturen zum besseren Verständnis niedriger stellt „etwa 8 Fuss hoch gegen die gewöhnlichen 5, 5V2 Fuss" (S. 812). Am meisten zogen ihn die Künstler und Dichter an, die das „problematische Leben" zu einer Schönheitswelt gestalteten, Poesie ist nicht „reale Wirklich- keit" : er neigte zu Schiller's Auffassung der Poesie „als der in gewissem Betracht höhern Stufe gegen die Philosophie, der Blüte, die den ganzen Menschen, mit seinem allseitigen Gehalte, Denken und Empfinden repräsen- tiert" (S. 973). So fasste er Homer, Pindar, Aeschylus, Sophokles auf, so Goethe „for ever", nach dessen klarer, lichter Welt seine faustische Natur von früh an sich sehnte, und sein Verständnisvermögen dieser poetischen Welten wurde grösser an Kraft von Jahr zu Jahr: von der Tiefe einer Stelle im Aeschylus (Agamemnon Schluss), die er wohl „fünfzigmal" ge- lesen hatte, ward er im Jahre 1874 „in einer Weise wie vorher nie er- fasst, sodass ich sagen muss, ich habe bisher nur eine oberflächliche Einsicht gehabt" (S. 944). In der Erklärung der Dichter hat er wohl seinesgleichen nie gehabt, hier war sein Urteil fast unfehlbar. Glücklich waren diejenigen, die solche Offenbarungen von dem enthusiastischen Manne zu hören bekamen, dessen licht- und glanzgefüllte Augen dann noch ganz besonders leuchteten; unvergesslich werden die Stunden seinen Schülern bleiben, denen er seine geliebten Griechen in Unmittelbarkeit und Schönheit erklärte!

Zur Erinnerung an K. Lehrs. 209

Seinen Klagen über seine „Unproduktivität" während der letzten Jahrzehnte seines Lebens werden wir schliesslich auch nicht zustimmen können. Den „Aristarch" hätte auch ein andrer grosser Gelehrte her- vorbringen können, seine „populären Aufsätze" sind seines Wesens eigenste Frucht, die für alle Zeiten Zeugnis ablegen werden, in welcher Reinheit, Wahrheit und Schönheit der Geist des Altertums sich einem seherischen Manne des 19. Jahrhunderts enthüllt hatte.

16 Jahre sind seit seinem Tode verflossen. Wie seine einsame Grösse schon im Leben nur wenigen verständlich war, so scheint er heute auch mit seinen Schriften bereits völlig vergessen zu sein : wie selten trifft man heute bei den Lehrern auf Spuren von Kenntnis und Verständnis dieses einzigen Genius, dessen schöpferische Begeisterung für die hellenische Geistes- und Schönheitswelt heute in unserer dem Klassischen abgewandten Zeit für die Erziehung des heranwachsenden Geschlechts besonders fruchtbar wirken könnte ! Und doch ! wenn auch in der Wissenschaft die Teilung der Arbeit bis zum äussersten vorgeschritten ist, dann wird sich wieder das Bedürfnis einstellen, das Vereinzelte zu einem grossen Baue zusammen- zutragen, dann wird man sich wieder besinnen auf die grossen Männer in unserer Wissenschaft, die über sie ganz geherrscht haben, dann wird unter den Grossen einer der Grössten sein K. Lehrs!

Dass er schon heute der gegenwärtigen Welt so unverhofft wieder- gegeben ist, das ist der bedeutsamen Quellensammlung zu danken, die nicht den Gelehrten, sondern noch mehr den grossen Menschen uns näher bringt und mit ihm alle diejenigen, die er im Leben anzuziehen verstanden hat, eine Fülle herrlicher Menschen aus einer ideal gerichteten, uns jetzt geschichtlich vorliegenden Zeit. Dank, reichen Dank schulden wir darum dem Manne, der uns mit dieser schönen Quellensammlung be- schenkt hat: nur der Kundige weiss, aus welcher selbstlosen, liebevollen Hingabe heraus sie geboren ist!

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Das lateinische GescMchtswerk über den jüdischen Krieg.

Von

Elimar Klebs (Berlin).

Unter dem Namen des Hegesippus oder Egesippus geht in manchen mittelalterlichen Handschriften') ein lateinisches Werk aus dem vierten Jahrhundert, das den jüdischen Krieg in den Jahren 66 70 n. Chr. be- handelt und den Stoff hauptsächlich aus Josephus' Büchern geschöpft hat. Andere Handschriften bezeichnen die Schrift als Übersetzung des Jose- phus durch Ambrosius von Mailand. Von der ersten Angabe wird mit Kecht allgemein angenommen, dass (H) Egesippus lediglich durch hand- schriftliche Verderbnis aus den Formen losippus, loseppus = losephus ent- standen ist.^) Dagegen hat die zweite trotz manchem Widerspruch, der gegen sie laut ward, bis in die Gegenwart hinein eifrige Verfechter ge- funden. Und soweit sich in den letzten Jahrhunderten die Gelehrten überhaupt noch mit dem wenig beachteten Buche beschäftigten,^) war es gerade die behauptete oder bestrittene Urheberschaft des Mailänder Bi- schofs, um die sich die Untersuchungen vorzugsweise bewegt haben.

1) Nachweislich schon im neunten Jahrhundert in Spanien, wie L. Traube im Rheinischen Museum XXXIX S. 477 dargelegt hat.

2) Da dies allerseits anerkannt wird, erscheint es unbedenklich in Fällen, wo eine kurze Angabe des Werkes erwünscht oder erforderlich ist, Hegesippus im Sinne einer formelhaften Abkürzung weiter zu gebrauchen.

3) unter den älteren Schriften sind hervorzuheben /. F, Gronovü, Observatorum in scriptoribus ecclesiasticis monobiblos 1651 und. Mazocchi^ ßigressio quod Egesip- pus idein qui Ambrosius in dessen Co?nmentarü in marmoreum Neapol. kalendarium^ Neapel 1754 Band III S. 780 ff. (Der Auszug davon bei Gallafidi, Bibl. Patr. VE pro- leg» p. XXIX— XXXIII ist sehr stark verkürzt). Nach Mazocchi hat die wissenschaft- liche Arbeit an Heg. über ein Jahrhundert geruht, bis sie C. F. Weber in seiner verdienstvollen Ausgabe 1864 wieder aufnahm, die von Cäsar beendet und S. 389 ff. mit einer Abhandlung über Heg. bereichert ist. Zuletzt hat die Schrift von F Vogel, De Begesippo gut dicitur loseplii interprete 1881 trotz vielem Unrichtigen , das sie enthält, die Untersuchung wesentlich gefördert. Eingehende Litteraturangaben bei Schürer, Geschickte des jüdischen Volkes II- S. 74.

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Das lateinische Geschichtswerk über den jtldischen Krieg. 211

Indes der Abglanz von dem Heiligenschein des grossen Kirchen- lehrers, der auf dieses bescheidene Werk fiel, gereichte ihm zu geringem Segen. Indem alle Untersuchungen sich als letztes Ziel die ntscheidung der Frage erkoren, ob Ambrosius der Verfasser sei oder nicht sei, ward jede unbefangene Betrachtung der Schrift unmöglich gemacht. Und doch, das gewichtigste Zeugnis, gewichtiger denn alle Auf- und Unterschriften noch so würdiger Pergamene, bietet der Inhalt und die Form dieses lateinischen Geschichtswerkes. Nur aus ihm selber wollen wir, ohne irgendwie nach dem Heiligen hinüber zu schielen, zunächst die Fragen beantworten : was hat der Verfasser mit seiner Schrift gewollt, was hat er geleistet?

Auf die erste giebt er selbst ausführliche Auskunft im Vorwort, das (mit unwesentlicher Verkürzung erbaulicher Betrachtungen) also lautet:

Quattuor regnorum libros, quos scriptura complexa est sacra, etiam ipse stilo persecutus usque ad captivitatem ludaeorum murique excidium et Babylonis triumphos historiae in morem composui. Maccabaeorum quoque res gestas propheticus sermo paucis absolvit ; reliquorum usque ad incen- dium templi et manubias TitiCaesaris relator egregius historico stilo losephus utinam tam religioni et veritati attentus quam rerum indagini et sermonum sobrietati. Consortem se enim perfidiae ludaeorum etiam in ipso sermone exhibuit, quem de eorum supplicio manifestavit, et quorum arma deseruit, eorum tamen sacrilegia non dereliquit. Deploravit flebiliter aerumnam, sed ipsius causam aerumnae non intellexit. Vnde nobis curae fuit non ingenii ope fretis sed fidei intentione in historiam ludaeorum ultra scri- pturae seriem sacrae paulisper introrsum pergere, ut tamquam in spinis rosam quaerentes inter saeva impiorum facinora, quae digno impietatis pretio soluta sunt, eruamus aliqua vel de reverentia sacrae legis vel de

sanctae religionis constitutionisque miraculo simul, quod est indi-

cium domesticae improbitatis , liqueat universis, quod ipsi sibi propriae cladis auctores fuere, primum quod alia curantes Romanos in se conver- terint et ad cognitionem regni sui invitaverint, quibus ignorari satius fuit Rogaverunt amicitiam fidem non servaturi, pacem violaverunt virtute im-

pares, postremo bellum intulerunt . Ac ne quis vacuum fide et

superfluum putet nos suscepisse negotium, ideo per principes ductum Hebraeorum genus omne consideremus, ut liquido clareat utrum a femo- ribus ludae*) nusquam generationis eins successio claudicaverit, an vero offenderit in principum serie, sed manserit in eo, cui reposita manebant omnia et ipse erat spes gentium, Hinc igitur sumam exordium.

Die uns allein erhaltene Schrift über den jüdischen Krieg ist dem-

1) Genesis 49, 10: non auferetur sceptrum de luda et dux de femore eins, donec veniat qui mittendus est, et ipse erit expectatio gentium.

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212 Elimas Klebs

nach nur der Teil eines umfassenden Werkes, welches die gesamte Ge- schichte des von weltlichen Fürsten*) geleiteten jüdischen Volkes enthielt Der erste Teil behandelte den Inhalt der „quattuor libri regnorum", nach heutiger Bezeichnungsweise der je zwei Bücher Samuelis und der Könige,*) er umfasste also die Geschichte des jüdischen Königtums von seinen Anfängen bis zur Zerstörung der beiden geteilten Reiche. Diesen Inhalt hatte der Ver- fasser „historiae in morem" dargestellt, d. h. in den Formen der weltlichen, der klassischen Geschichtschreibung.^) Über die Quellen für die spätere Ge- schichte der Juden bemerkt er „Maccabaeorum quoque res gestas propheticus sermo paucis absolvit" ; das Weitere habe Josephus behandelt Die ersten Worte sind etwas dunkel ; schwerlich ist dabei an die Makkabäer-Bücher zu denken, meines Erachtens vielmehr an das Buch Daniel/) Seinen kurzen, prophetischen Hinweisen trete zwar, heisst es weiter im Vorwort, Jose- phus' ausführliche, vom rein weltlichen Standpunkt aus vortreffliche Dar- stellung zur Seite; aber ihm habe das Beste, der wahre Glaube, gemangelt; darum wären ihm auch die wahren Gründe der Geschicke des jüdischen Volkes verborgen geblieben. So hält der Verfasser nicht für unnütz von der späteren Geschichte des jüdischen Staates eine neue Darstellung zu geben,^) sie mit der Fackel des christlichen Glaubens zu beleuchten und

1) *^Per principes ductum Hebraeorum genus omne\ die Fürsten stehen hier im Gegensatz zu den Hohepriestern, die Hegesippus stets als 'principes sacerdotum' oder ^sacerdotii' bezeichnet.

2) Die in der Septuaginta und von den griechischen Kirchenvätern als vier Bücher BaatXsiwv gezählt wurden, vgl. Bleek-Wellhausen, Einleitung S. 186.

3) Diese Gegenüberstellung der profanen, in Sonderheit der griechisch-römischen Geschichtschreibung als'historia' gegen die geschichtliche Überlieferung der'scriptura Sacra' ist bei christlichen Schriftstellern nicht selten ; Beispiele aus Isidor giebt Cäsar bei Weber S. 394 An. 7. Hegesippus selbst spricht im gleichen Sinne gleich darauf von Josephus als 'relator historico stilo' und schreibt bei einer Angabe I 6, 25, die er aus Joseph, bell. I 3,5 entnahm, 'vetus historia prodidit', dagegen IV 17,7 bei einer Bezugnahme auf Reg. II 2, 21 'sicut regnorum vetus scriptura edocet'. Nimmt man dazu den Ausdruck 'composui', so ist klar, dass Hegesippus nicht eine Über- setzung, wie die Früheren behaupten, der biblischen Bücher gegeben hatte, sondern eine freie geschichtliche Darstellung ihres Inhaltes.

4) Das 'quoque' zeigt, dass hiervon einem Buche der "scriptura sacra' die Rede ist. Auf die Makkabäer-Bücher, die bekanntlich zum alttestamentlichen Kanon nicht gehört haben, passt weder 'propheticus sermo', noch weniger das 'paucis absolvit'. Dagegen beides vortrefflich auf den Abschnitt des Propheten Daniel, welcher sich auf Antiochus Epiphanes (11, 21 ff.) und die Anfange der makkabäischen Erhebung (11,32—35) bezieht. Die geschichtlich richtige Auslegung dieser Abschnitte (vgl. Schürer I S. 614) war auch dem vierten Jahrhundert nicht fremd; Eieronymus hat sie in seinem Kommentar zu Daniel opp. V 711 ff. Vall. zu 11, 21 und p. 716 zu 11, 32 in ebenso ausführlicher als verkehrter Weise bekämpft.

5) 'In historiam ludaeorum ultra scripturae seriem sacrae pergere', doch über- geht Hegesippus die Geschichte des Ejtils und der Rückführung und beginnt c. 1, Josephus folgend, mit den Makkabäern.

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Das lateinische Geschichtswerk über den jüdischen Krieg. 213

nachzuweisen, wie die Juden durch ihre Gottlosigkeit ihr unseliges Ge- schick selber verschuldet hätten. In der That taucht das hier im Vor- spiel angeschlagene Leitmotiv aller Orten aus dem Werke auf; immer wieder wird die Verstocktheit der Juden gegen die Heilsbotschaft Christi als die Ursache des göttlichen Strafgerichtes hervorgehoben (vgl. IE 12; III 6, 13; m 13, 12; IV 5; V 2; V 32; V 44), das über sie ergangen ist.

Eins geht aus diesem Vorwort unumstösslich hervor: der Verfasser selber will seine Schrift durchaus als selbständiges, ursprüngliches Werk betrachtet wissen. Dies für eine Übersetzung auszugeben, liegt ihm so fern, dass er Josephus nicht einmal als seine Hauptquelle bezeichnet. Wäre dessen jüdischer Krieg gleich so vielen anderen griechisch geschrie- benen Geschichtswerken uns verloren gegangen, so würden wir zwar trotz- dem aus inneren Gründen erweisen können, dass der lateinische Bericht im wesentlichen auf Josephus' Erzählung beruhen müsse, aber wir wären ausser Stande das thatsächliche Verhältnis beider Werke allein aus dem lateinischen genauer zu bestimmen. Nirgends findet sich in ihm ein Aus- spruch, der auf eine Übersetzung hinwiese. Denn nur ein einziges Mal (1 1, 62, „ut losephus auctor est") führt der Lateiner für eine Angabe aus dem jüdischen Kriege (bell. I 2, 5) Josephus namentlich als Gewährsmann an ; ein anderes Mal (I 6, 25, s. oben S. 212, Anm. 3) bezeichnet er ihn all- gemein als „vetus historia". Sonst wird Josephus als Schriftsteller nur noch im Kapitel 12 des zweiten Buches 3 mal (v. 11. 18. 49) genannt. Aber hier, wo die bekannten christlichen Einschiebsel aus den Altertümern über Johannes den Täufer und Christus ^) wiederholt werden, gilt die Berufung nicht dem Geschichtschreiber des jüdischen Krieges, sondern dem un- gläubigen Juden, der vermeintlich wider Willen ein Zeugnis für die Wahr- heit des Christentums abgelegt hatte. So wird durch diese vereinzelten Anführungen ganz in der wohlbekannten Weise der antiken Geschicht- schreiber die Hauptquelle mehr verhüllt als offenbart.

Wie der Verfasser selber sein Werk und sein Verhältnis zu Josephus angesehen wissen wollte, das liegt hienach klar. Wir versparen die Folge- rungen, die daraus zu ziehen sind, für später und wenden uns zunächst der zweiten Frage zu: welcher Art ist das thatsächliche Verhältnis zwi- chen dem lateinischen Werke und seiner Vorlage?

„Eine Übersetzung", so lautet darauf in den Handschriften und in den neueren Untersuchungen die formelhafte Antwort, in neuerer Zeit wohl

1) loseph. ant. XVIII 3, 3 (über Christus) und ebd. 5, 2 (über Johannes), vgl. über die Litteratur Schürer II S. 364 und 455 ff. Wer die textkritische Frage einfach als solche nach den Grundsätzen der wissenschaftlichen Kritik bebandelt, wird über die erste Stelle überhaupt kein Wort mehr verlieren und die zweite zum wenigsten als von einem Christen überarbeitet erklären.

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mit dem Zusätze „eine freie". Aber so weit und frei man den Begriff der Übersetzung fassen mag: hier bleibt er unanwendbar. Vergleichen wir zunächst rein äusserlich beide Werke, so ist Josephus' Geschichte in sieben, die lateinische in fünf Bücher gegliedert. Nur das erste dieser entspricht im ganzen und grossen dem ersten des Josephus. Dagegen weicht schon das zweite Buch bei Hegesippus erheblich von dem zweiten des Josephus ab ; von dessen Erzählung der Ereignisse nach Herodes' Tode bis zur Statthalterschaft des Felix (c. 1 12) wird bei Hegesippus in c. 1—3 und c. 5 § 4 5 ein ganz kurzer Auszug gegeben,*) der anderer- seits mit mannigfachen eigenen Zuthaten durchsetzt ist Nicht minder stark ist die Abweichung am Schlüsse dieses Buches. Hegesippus c. 16 bis 17 Anf. entspricht dem Abschnitt c. 20, 1 2 bei Josephus, dann schliesst H. das Buch mit der Erzählung über Kämpfe vor Scythopolis, über die Josephus an einer früheren Stelle, c. 18 § 3—4, berichtet hat Der Schluss von Josephus' zweitem Buche (c. 20, 3 22, 10, über Josephus' Thaten in Galiläa) wird in verkürzter Form später im dritten Buche des Hegesippus, c. 3 § 2 7, eingeschoben. Sonst geht im allgemeinen das dritte ^) und vierte Buch bei H. den entsprechenden des Josephus parallel. Das fünfte und letzte des Hegesippus umfasst c. 1 25 § 1 den Inhalt des fünften, c. 2 2 49 § 1 den des sechsten griechischen Buches; aus Josephus' siebentem Buche, welches die Nachspiele des Krieges nach Jerusalems Zerstörung enthält, hat Hegesippus c. 49 § 2 c. 52 nur we- nige thatsächliche Angaben entnommen; er schliesst mit einer grossen, von ihm selbst entworfenen Eede in c. 53.^)

Vergleicht man ferner die beiden gemeinsamen Stücke, so zeigt sich selbst in der geschichtlichen Erzählung, dass kaum ein längerer Satz aus Josephus von seinem lateinischen Benutzer genau wörtlich übertragen ist; nur der Inhalt wird frei, gewöhnlich verkürzt, wiedergegeben. Aber noch weit freier steht Hegesippus seiner Vorlage in den eingelegten Keden gegenüber. Josephus liefert ihm hierfür neben einzelnen Antithesen nur den Stoff, den er selbständig gestaltet und verwertet.^) Nicht selten

1) Weggelassen ist von Hegesippus auch Josephus' eingehende Besprechung der drei jüdischen Sekten bell. II 8, 2—14,

2) Es ist sehr bezeichnend für Hegesippus, der militärischen Dingen ganz teil- nahmlos und kenntnislos gegenübersteht, dass er Josephus' Schilderung des römischen Kriegswesens (bell. III 5) ganz übergeht.

3) Josephus (bell. VII 5, 6 u. 7) giebt zwei Reden Eleazars, die von Hegesippus in eine zusammengezogen und frei verwertet sind.

4) Man vergleiche z. B. die grosse Rede Agrippas, Joseph, bell. II 16,4 (der, wie L. Friedl&nder nachgewiesen hat vgl. S. G. P S. 63, ein "^ breviarium toiius im- perii ' zu Grunde liegt) und Heg. II 9, wohl die umfangreichste, die sich bei beiden findet.

Das lateinische Geschichtswerk über den jüdischen Krieg. 215

hat er kurze Eeden des Josephus zu umfangreichen erweitert ^ oder solche da eingelegt, wo sich bei jenem überhaupt keine finden.^)

Wenn demnach von einer „Übersetzung" der griechischen Geschichte des Judenkrieges überhaupt nicht geredet werden darf, so bezeichnet doch auch der immerhin weit treffendere Ausdruck einer „freien Bear- beitung"^} den Thatbestand nur unvollständig; es sind noch die zahlreichen Zusätze des lateinischen Werkes zu erwägen.

Unter ihnen stehen voran die Stellen, an denen der Verfasser seine christlichen Anschauungen zum Ausdruck bringt: neben den häufigen Strafpredigten gegen die Juden (s. oben S. 213) die etwa fünfundreissig Anführungen aus der heiligen Schrift und in 2 ein langes und wichtiges Stück "*) über die Schicksale des Magiers Simon, seine Kämpfe mit Petrus, sowie über den Märtyrertod der Apostel Paulus und Petrus in Rom.

Unter den weltlichen Schriften, aus denen Hegesippus sein Werk bereicherte, sind in erster Reihe zu nennen Josephus' jüdische Altertümer. Kleinere Zusätze daraus finden sich durchgehend im ganzen Werke ^); von den grösseren heben wir hervor: 114 die ausführliche Erzählung über die Verführung einer vornehmen Römerin Paullina aus Joseph. ant.XVm 3, 4 ; II 12 § 1 2 die schon früher erwähnten angeblichen Zeugnisse des Josephus über Christus und Johannes (vgl. auch II 5 § 3, wo Johannes' Geschichte nach ant. XVIII 5, 2 erzählt wird); II 12 § 3— 13 § 8 eine zusammenhangende Geschichte des jüdischen Hohepriestertums von Aaron bis zur Zerstörung Jerusalems nach ant. XX 10 unter Mitbenutzung einiger anderer Stellen der Altertümer.

In den landschaftlichen Schilderungen, die Hegesippus ausführlich und mit sichtlicher Vorliebe wiedergiebt,®) finden sich manche Zusätze, die er anderen, unbekannten Quellen entnommen hat. So schiebt er in

I

1) So wird Heg. III 16 aus kurzen Vorstellungen der entrüsteten Juden (Joseph. bell. III 8, 4) eine längere Rede; die Antwort (eine Rede des Josephus selbst) ist bei Heg. III 1 7 wenigstens vier Mal so lang als im Original (bell. III 8, 5). Ein ähn- liches Verhältnis besteht zwischen Heg. III 24 und Joseph. III 10, 2; aus wenigen Worten Caecinas Joseph. IV 11,2 wird Heg. IV 29 § 2 eine längere Rede u. s. w.

2) So die endlose Rede des Matthias Heg. V 22.

3) Den z. B. Schürer und Niese gebrauchen.

4) Vgl. Lipsius, Die apokryphen Apostelgeschichten und AposteUegenden Bd. II Tl. 1 S.eiff. und S. 194flF.

5) Sie sind bereits in Webers Ausgabe überall verzeichnet.

6) Vgl. IV 18,1: nunc Asphaltii lacus qualitatem spectemus. Melius est enim in locorum veterum descriptionibus vel ceterorum elementorum miraculo quam in ludaeorum seditionibus Studium occupare, siquidem ista flagitia mentem exasperant, illa demulcent animum dum recensentur et ad veteris historiae revocant cognitionem.

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die Beschreibung Peräas (Joseph, bell. III 3,3) die Bemerkung ein ni 6, 35 'inenarrabile quanto decori sit , cum vento impulsi palmarum ordines concrepant et suaviores solito funduntur dactylorum odores* etc., in die Samarias (bell. III 3, 4) einen Zusatz über den dortigen Getreide- bau m 6, 49. Zu der Stelle , wo Josephus (bell. IV 8, 3) der Balsam- bäume in der Landschaft von Jericho gedenkt, setzt Hegesippus eine Notiz über die Gewinnung des Balsams und über seinen Namen IV 17,28.') Über Scythopolis- bemerkt Hegesippus III 19, 9 (vgl. Joseph, bell. HI 9, 1) ""ideoque memorata urbs Dianae Scythicae consecrata tamquam ab Scythis condita et appellata civitas Scytharum ut Massilia Graecorum'. Josephus' kurze Bemerkungen über Ägypten und Alexandria (bell. IV 10, 5) werden von Hegesippus IV 27 zu einer umfangreichen Schilderung erweitert. Während Josephus (bell. HI 2, 4) nur im Vorbeigehen Antiochia als Hauptstadt Syriens und als dritte Stadt der römischen Welt nennt, han- delt Hegesippus HI 5 § 2 eingehend über die Geschichte, die Lage und die Bauten der Stadt sowie über den berühmten Lustort Daphne.

Wie sich hier eine geschichtliche Erzählung über einen Überfall der Stadt durch die Perser findet, so begegnen auch sonst bisweilen Erinnerungen aus der Geschichte der klassischen Völker, die Hegesippus selbständig vorbringt. So hat er die Kede des Königs Agrippa (11 9), welche auch bei Josephus (bell. II 16, 4) die Entwicklung der römischen Weltherrschaft behandelt, mit manchem Zusatz erweitert^) und gedenkt in anderen Reden des Fabius Cunctator (IV 11, 14), der Cloelia (V 46, 37) und des Mucius Scaevola (V 46, 40). Es wäre müssig, nach den Quellen von Schulerinnerungen zu forschen. In einem Falle der Art weist aber die wörtliche Übereinstimmung auf Sallust als Gewährsmann:

Heg. III 24, 66 : utinam Manlii Sali. Cat. 52, 30 : apud maiores

Torquati filium vel in solo mihi nostros A. Manlius Torquatus hello liceat imitari periculo, quem securi Gallico filium suum, quod is contra pater iussit feriri, quod contra im- imperium in hostem pugnaverat, perium patris exercitum in hostem necari iussit. produxerat.

Ein anderer sachlicher Zusatz aus Sallust (lug. 79) ist die Bemerkung über den Grenzstreit zwischen Karthago und Kyrene und die Selbst- opferung der Thilaeni fratres H 9, 153. Aus Curtius Rufus (IX 4,27jßF.)

1) ^Illic opobalsamum gignitur, quod ideo cum adiectione significavimus , quia agricolae cortice tenus virgulas incidunt eas, in quibus balsama generantur, ut per illas cavernas paulatim destillans humor se colligat. Caverna autem graeco sermone onri dicitur.

2) Z. B. 160—162 über Greta, über Cyrene 153 flf., die Syrten ebd.; Hannibal, von Josephus nur genannt, wird 110—115 ausführlicher behandelt.

Das lateinische Geschichtswerk über den jüdischen Krieg. 217

hat Hegesippus V 19 eine Erzählung aus Alexanders indischem Feldzuge übernommen'), um einen moralischen Gemeinplatz zu beweisen.

Tacitus' Benutzung ist unzweifelhaft bei der Beschreibung des Toten Meeres IV 18 (bell. IV 8,4). Man vergleiche:

Heg. IV 18, 12: aqua ne- Tac. h. V 6: lacus neque

que pisces neque assuetas aquis et pisces aut suetas aquis volucres pa- laetas mergendi usu patitur aves. titur.

Heg. 18, 25: haerere sibi fertur Nee abscindere (sei. bitumm)

bitumen, ut ferro haudquaquam vel aere ferrove possis : fugit cruorem alia praeacuta metalli specie reci- vestemque infectam sanguine, quo datur; sanguinisane cedit mulierum, feminae per menses exsolvuntur. quo menstrua solventes levari ferun- tur.^)

Heg. 18,31: viciniam So- Tac. h. V7: haud procul inde

domorum qui quondam uberrimam campi, quos ferunt olim uberes

regionem inhabitabant magnisque urbibus habitatos

Aus demselben Abschnitt (Tac. h. V 6 'nee lordanes pelago aeeipitur, sed unum atque alterum lacum integer perfluit, tertio retinetur') hat H. III 26, 34 vermutlich den Zusatz (vgl. bell. HI 10, 7) entnommen 'duos lacus Victor egressus in tertio haeret'.

Wahrscheinlich hat auch für die Ausführungen über Vitellius' Schwelgerei und Untüchtigkeit (IV 29, 7 9. 17 ff.) das dritte Buch von Tacitus' Historien Hegesippus den Stoff geliefert. Bei den Worten * Vitellius quasi erapulatus et somno demersus' schwebten ihm wohl Tacitus' Worte bist. III 55 * Vitellius ut e somno excitus' vor. Die Ver- mutung, dass Hegesippus IV 20, 13—18 seine ausführlicheren Nachrichten^) über Neros Ende gleichfalls aus Tacitus entlehnt habe, liegt demnach zwar nahe; sie lässt sich aber, da uns der Schluss der Annalen nicht mehr erhalten ist, nicht näher prüfen.

1) Ich habe dies ausführlicher Philol. N. F. V S. 151 ff. nachgewiesen.

2) Beide Angaben fehlen bei Josephus. An der ersten Stelle ist Tacitus* Be- nutzung auch schon von Vogel S. 51 bemerkt.

3) Josephus bell. IV 9,2 berichtet nur, dass Nero mit vier Freigelassenen in die Vorstadt flüchtete und sich dort entleibte. Die auffällige Angabe bei H. a. a. 0. V. 15 'deinde cum se circumsaeptum intellegeret , ne graves poenas exigere- tur, manganum quoddam sibi de ligno paravit et manibus composuit suis sibi, quo se necaret' ist wahrscheinlich aus missverständlicher und flüchtiger Auffassung der hölzernen 'furca' hervorgegangen, die bei der über Nero verhängten Hinrichtung *more maiorum' zur Anwendung kommen sollte, vgl. Suet. Ner. 49. Grobe sach- liche Missverständnisse sind bei H. häufig zu finden.

218 Elihab Elbbb

Von besonderer Wichtigkeit für die Zeitbestimmung der Schrift ist die Frage nach Hegesippus' Verhältnis zu Ammian. Beide berichten übereinstimmend über die Erstürmung Antiochias durch die Perser (unter Gallienus, wie Ammian hinzufügt):

Heg. III 5,11: ferunt, cum lu- Amm. XXIII 5,3: cum Anti-

di scenici in ea urbe celebraren- ochiae in alto silentio scenicislu- tur, quendam actoremmimorum dis mimus cum uxore immissus elevatis oculis ad montem Persas e medio sumpta quaedam imitaretur, vidisse advenientes et dixisse con- populo venustate attonito, coniunx tinuo: aut somnium video aut 'nisi somnus est' inquit 'en magnum periculum, eoce Persae. Persae'.

Schon Gronov (Monobibl. S. 5) hat diese Stellen mit einander ver- glichen und hielt dafür, dass H. hier Ammian benutzt habe. Mit Unrecht haben die Neueren*) widersprochen. Wer einige Erfahrung in der Ver-

1) Cäsar S. 395 Anm. 9 widerspricht unter Berufung auf Libanius und „An- dere", welche dieselbe Sache berührt hätten; ihm folgt Vogel S. 9. Folgendes ist der Bestand der erhaltenen Zeugnisse: 1) Ammian fährt nach den oben verzeich- neten "Worten fort ""et retortis plebs universa cervicibus exacervantia in se tela de- clinans spargitur passim. Ita civitas incensa et obtruncatis pluribus, qui pacis more palabantur effusius, incensisque locis finitimis et vastatis onusti praeda hostes ad sua remearunt innoxii Mareade vivo exusto, qui eos ad suorum interitum civium duxerat inconsulte. Et haec quidem Gallieni temporibus evenerunt.* 2) Libanius nsgl TifKogiaq 'lovXiavov II p. 60 Reiske : ovxs (jlti xl cv[ißy roiovzov olov xal inl zcöv TtQoyovüiV ÖLÖäaxoiiev , olq iv zä) d^edzQO) ovyxaQ^rjfisvoiq i<p€iGz^xeaav ol zo^dzai z6 ogog xazeiX7](p6zeg. 3) loannes Malalas XII p. 295 erwähnt aus Donminus (vgl. p. 297, 9) kurz den MaQiaörjg als Verräter, die Einnahme der Stadt durch Sapor unter Valerian und die Enthauptung des M. als Verräter. 4) Einer wesentlich abwei- chenden Überlieferung gehört das Bruchstück Contin. Dionis fr. 1 an, wonach Sapor mit Mariadnes zwanzig Stadien vor Antiochia lagerte, xal ol (jlIv (pQovifiOL e^vyov ZTJg noXscDg, zb öh noXi) nXij&og sfieivsv zovzo (jlsv (pikovvzeg zov MaQcdövrjv zovzo dh xal zolg xaiviafiotg x(^^QOvzsg. 5) Vit. trig. tyr. 2: Cyriades, wie er hier heisst, flieht zu den Persern und reizt Sapor zum Kriege gegen die Römer; Antiochia etiam capta et Caesarea Caesareanum nomen meruit, atque inde vocatus Augustus ipse per insidias suorum, cum Valerianus iam ad bellum Persicum veniret, occisus est. Diese Überlieferung ist völlig wertlos in Anbetracht ihres Gewährsmannes und seines schwindelhaften Bestrebens, um jeden Preis 30 Usurpatoren zusammenzubringen. 6) Kurze Erwähnung, dass A. vor Valerians Zuge gegen die Perser von diesen ge- nommen war, bei Zosimus III 32. 7) Zonaras XII 23 p. 141 Dindorf erwähnt aus der- selben Quelle wie Syncellus p. 716 die Einnahme nach der Gefangennahme Valerians,

Also nur über die Thatsache, dass Antiochia in die Hände Sapors fiel und nur ungefähr über die Zeit stimmen die Berichte überein, wenige nur von ihnen darüber, dass die Verräterei eines Antio ebener s , dessen Name verschieden angegeben wird, dabei mitspielte. Über alle Einzelheiten schwanken die Überlieferungen. Es ist also unmöglich, dass Ammian und Hegesippus von einander unabhängig sind. Die ge- ringfügige Abweichung, dass H. das Weib des Schauspielers übergeht, erklärt sich aus der freien und lässigen Art, in der er überhaupt seine Vorlagen behandelt. Man vergleiche z.B. S. 216 den Schluss der aus Sallust genommenen Stelle.

Das lateinische Geschichtswerk über den jüdischen Krieg. 219

gleichung geschichtlicher Berichte des Altertums hat, wird darüber keinen Augenblick im Zweifel sein, dass jene beiden Erzählungen nicht von einander unabhängig sein können. Hier wird nicht über eine allbekannte Thatsache, wie etwa die Gefangennahme des Kaisers Valerian durch die Perser im Allgemeinen berichtet, sondern ein anekdotisch ausgeschmückter Vorgang aus der Stadtgeschichte Antiochias erzählt, dessen Thatsächlich- keit zudem sehr fragwürdig ist, und erzählt obendrein unter wörtlichen Anklängen. Nur ein einziger Schriftsteller gedenkt jedoch ohne das ausschmückende Beiwerk jenes Überfalles im Theater, und dieser eine, der Kedner Libanius, war selber wie Ammian ein Antiochener und hat also vermutlich aus der Überlieferung seiner Heimat geschöpft.

Die Annahme, Ammian habe hier Hegesippus benutzt, ist schon durch die grössere Genauigkeit und Ausführlichkeit seines Berichtes aus- geschlossen; die andere, beide hätten eine unbekannte lateinische') Quelle unabhängig von einander ausgeschrieben, ist es nicht minder. Es ist zwar eine befremdliche Verirrung, wenn neuerdings behauptet ward, dass von der Mitte des dritten bis zur Mitte des vierten Jahrhunderts die geschichtliche Aufzeichnung bei den Römern völlig geruht habe, da doch weder Schule noch Litteratur damals verschwunden sind. Aber der tiefe politische Verfall des römischen Reiches im dritten Jahrhundert spiegelt sich natürlich im tiefen Verfall der Geschichtschreibung wieder. Denn kein Gebiet der Litteratur ist derart von den politischen Zuständen der Nation abhängig wie die Geschichtschreibung. So lassen die er- haltenen griechischen und römischen Geschichtschreiber des vierten Jahr- hunderts deutlich erkennen, dass es schon damals mit der ihnen zu Gebote stehenden Überlieferung über die wirren Zeiten des ärgsten politischen Niederganges unter Valerian und Gallienus sehr übel bestellt war. Wer diesen Stand der Quellen kennt, wird nicht von einem ver- schollenen Werke über das dritte Jahrhundert träumen, das Ammian und Hegesippus gemeinsam als Quelle für einen Vorfall aus der Stadtgeschichte Antiochias benutzt hätten. Die einfachste und natürliche Annahme, dass Hegesippus hier eine Einlage aus Ammian gemacht hat wie andrer Orten aus Sallust, Curtius und Tacitus, wäre vermutlich längst allgemein aner- kannt worden, wenn nicht der Schatten des heiligen Ambrosius die Ge- lehrten gestört hätte.*)

1) An eine solche müsste man bei den wörtlichen Anklängen denken.

2) Denn mit der Annahme seiner Verfasserschaft ist die Benutzung Ammians unvereinbar, was Gronov freilich nicht erkannt hat.

220 Eliuab Elbb8

'Historiae in morem\ so sagt der Verfasser im Vorwort, hatte er den ersten Teil seines Geschichtswerkes geschrieben. Für den zweiten hat er diese Versicherung nicht ausdrücklich wiederholt. In der That war sie überflüssig; das Werk selbst verrät auf jeder Seite das heisse Bemühen, den Formen der klassischen Geschichtschreibung nachzustreben. Aber der Erfolg war unvollständig. Stil und Sprache machen einen zwiespältigen, unharmonischen Eindruck auch dem, der, wie billig, nicht den Massstab Ciceros und Cäsars, sondern den des vierten Jahrhunderts anlegt. Dieser Zwiespalt erklärt sich daraus, dass Hegesippus mit der künstlichen Schriftsprache des vierten Jahrhunderts unorganisch Worte und Verbindungen (wie z. B. cognito quia I 43,4 vgl. I 44, 180 I 45, 18 n 10,15 V 16, 191 V 40,52 V 41, 14) aus dem Bibellatein massenhaft einmischt.^ Trotzdem bildet die Grundlage der sprachlichen Darstellung der Wortschatz der älteren lateinischen Geschichtschreiber. Der Verfasser hat seine Vertrautheit mit ihnen durch zahlreiche Entlehnungen und Nach- bildungen einzelner Stellen und Wendungen bewiesen. Unter ihnen stehen an Zahl und Umfang voran die Nachahmungen Sallusts, der ja im vierten Jahrhundert besonders häufig zum stilistischen Vorbild gedient hat.^) Ich gebe im Folgenden eine Übersicht jener Stellen aus Hegesippus, an denen

1) Vgl. Rönsch, Die lexikalischen Eigentümlichkeiten der Latinität des soge- nannten Hegesippus, Romanische Forschungen I S. 256 321 und dazu Vogel ebd. S. 415-417.

2) Die Nachahmung Sallusts bei Hegesippus ist so stark hervortretend, dass sie seit Gronov allgemein bekannt ist; besonders eifrig hat Wasse in seiner Sallust- Ausgabe (vom J. 1710; vgl. seinen Index Auctorum am Schluss) Parallelen gesammelt. Zuletzt hat Vogel (Acta seminarii phil. Erlang. I S. 350 ff., Nachträge II S. 409) eine Zusammenstellung der Sallustianismen bei H. gegeben. Einiges war hinzuzufügen, sehr vieles war wegzuschneiden. Denn Vogel hat ohne Kritik Wendungen als Sallustia- nismen bezeichnet, die vor und nach Sallust allgemein üblich gewesen sind wie regio more, instrumenta hellt, instituta maiorum (ein Lieblingsausdruck Ciceros), Jiaturam vincere, rebus diffidere, rapto vivere, ins fasque u. s. w. Ebensowenig sind sallustisch Sinus urbis vgl. Cic. in Verr. V 96, remotis procul arbitris H. II 4, 10 vgl. Cic. de off. III 112 remotis arbitris; H. II 8,20 et proeäa de proeliis sei'ens wird von Vogel I 354 als Nachahmung von Sali. bist. IV 61, 20 bella ex bellis serundo angeführt, doch braucht auch Livius 3 Mal bella ex bellis serere II 18, 10 XXI 10, 4 XXXI 6,4; wenn H. V 49, 4 schreibt ad genua advolvebantur, so hat das mit Sali. bist. ine. 92 genua patrum advolvebantur gerade so wenig zu schaffen als Livius XXVIII 34, 4 advolutus genibus (vgl. Weissenborn zu Liv. VIII 37,9), spezifisch sallustisch ist nur die von Tacitus (vgl. Nipperdey zu ann. I 13) nachgeahmte Konstruktion mit dem blossen Accusativ. Es versteht sich ferner bei einer so ausgedehnten Nachahmung, wie sie bei H. vorliegt, von selbst, dass sich manche Stellen finden, die eine gewisse ent- fernte Ähnlichkeit mit sallustischen aufweisen und möglicherweise unter Erinnerung an sie geschrieben sind. Aber es erscheint mir wissenschafüich wertlos, solche blossen Möglichkeiten zu verzeichnen in einem Falle, wo die ausgedehnte Benutzung ohnehin zur Genüge feststeht.

Das lateinische Geschichtswerk über den jüdischen Krieg. 221

eine, sei es bewusste sei es unbewusste, Nachahmung Sallusts sicher oder wahrscheinlich ist. Ich füge die mir bekannten Parallel-Steilen aus der römischen Litteratur (jedoch mit Ausschluss der patristischen) hinzu, weil sich nur auf diese Weise einigermassen erkennen lässt, ob eine Wendung Sallusts zum Gemeingut der Litteratursprache geworden war, oder auf den engeren Kreis der eigentlichen Nachahmer beschränkt blieb.

H. I 1, 1 hello Parthico quod diutumum ac frequens variaque

Victoria fuit ; lug. 5, 1 bellum magnum et atrox variaque victoria fuit;

Yell. n 96, 2 bellum magnum atroxque. H. I 1, 15 cum sibi supremum diem adesse intellegeret (V 43, 24 finem sibi adfore) ; lug. 9, 4 cum sibi finem vitae adesse intellegeret; vit. Marc. 7,3 cum sibi adesse vitae finem videret, Sev. chron. I 51,3 vitae eins finem adesse vgl. auch Curt.Vn 7, 19. H. I 1, 18 hello strenuus, consilio bonus; lug. 7, 5 proelio strenuus erat et bonus consilio; Dict. IE 25 cum virtute, tum consilio bonus. H. I 1, 18 quam frequenter innumeras hostium copias parva manu fuderit (III 24, 45 maiores nostri magnas hostium copias parva manu frequenter fuderunt); Cat. 7, 7 maxumas hostium copias populus Eomanus parva manu fuderit vgl. Cat. 53, 3 sciebam saepe numero parva manu cum magnis legionibus hostium contendisse. H. I 1 , 22 quos adversum ierat =

V 4, 44 = lug. 101, 8; Dict. H 3. 12 IV 3 (quos adv. bellabat III 5). H. I 6, 12 in adversum mutavit; lug. 104,2 in adversa mutantur. H.I 9,6 hello pacem mutavit; Cat. 58, 15 pace bellum mutavit; Tac. ann. HI 44 pacem hello mutari. H.I 10, 17 more humani ingenii = I 37, 27, more ing. h. I 36, 21 II 17, 6 lY 21, 1 ; more ingeni humani lug. 93, 3; lustin. VI 1, 1, Sev. chron. I 4, 5 I 16,7 vgl. dial. I 4, 2, Dict. II 15, Sjmm. ep. VHI 27, 1, Veget. r. mil. 11 20. H. I 13, 18 illum alterum hello meliorem se- cuti; lug. 13, 1 plures Adherbalem secuntur, sed illum alterum hello me- liores vgl. lug. 49, 2. H. I 15, 24 animi immodicus ebenso IV 22, 12

V 19, 21 = bist.') I 114 (I 150 M.); Tac. bist. I 53, Paneg. X 24. H. I 18, 16 ex indigentia gravi frumenti satias'^) facta; bist. IE 29 (IE 95 M.)

frumenti ex inopia gravi satias facta. H. I 22, 9 quos eo cultu

quo liberos domi habuit; lug. 5, 7 eodem cultu quo liberos suos domi ha- buit; vit. Sev. 9, 2 filios quos suorum liberorum cultu habuerat. H. I 29, 29 sed illum gravis cura exercebat ; bist. I 54 (I 84 M.) segnior neque minus gravis et multiplex cura patres exercebat; Sev. chron. II 40, 6 segnior quidem, sed non minus gravis cura principem exercebat. H. I 30, 13

1) Die Anführungen aus Sallusts Historien gebe ich nach Dietsch, füge aber für die kleineren Fragmente, d. h. abgesehen von den Reden und Briefen, die Zahlen der neuen Ausgabe Maurenbrechers in Klammern bei.

2) So hat statt satietas richtig der cod. Ambrosianus.

222 Elimab Elebs

fugam in noctem composuerat ; bist. I 27 (I 42 M.) fagam in n. compone- rent. H. I 30, 89 vir ad furta belli peridoneus (furta belli auch I 32, 53 V 15, 25); bist. I 86 (I 112 M.) gentis ad f. b. peridoneae. IL I 35, 3 caelestibus in se supra modum fluentibus beneficiis vgl. IV 9, 19 rebas adversum se fluentibus, IV 15, 13 rebus ex sententia fluentibus; bist. ine. 101 (V 25 M.) rebus supra vota fluentibus ; Tac. bist. UI 48 cunctis super vota fluentibus (vgl. dial. 5 ann.XV 5), lustin. XXIII 3, 12 rebus supra vota fluenti- bus, Vict. Caes. 33,3 bis prospere ac supra vota fluentibus, Sev. chron. IE 45, 1 rebus nimium prospere et secundum vota fluentibus, umgestaltet von Am- mian XVII 9, 1 cunctis ex voto currentibus und Symmacbus ep. I 20, 2 cui supra votum fortuna fluxit. H. I 35, 26 civitas fessa bellis; bist. 11 41, 14 regna fessa bellis; Tac. hist.V 16 ann. Xn 63 f. belle, lustin. VI 6, 4 f. bellis. H. I 36, 25 quod altius in pectus Herodis quam quisquam ratus erat descendit; lug. 11,7 quod verbum in pectus lugurtbae altius quam quisquam ratus erat descendit; vit. Getae 6,7 quod dictum altius in pectus Bassiani descendit. H. I 38, 1 1 eruditi latinis iuxta et graecis litteris ; lug. 95, 3 litteris graecis et latinis iuxta (== gleichmässig) atque doctissume eruditus. H. I 40, 35 qui figuras maiorum vitiis suis obtentui ducunt; bist. I 41,24 secundae res mire sunt vitiis obtentui; Vict. Caes. 2,2 quaesiverat flagitiis obtentui, auch Tac. bist. I 49 ann. I 10 bat obten- tui. — H. I 41, 4 dono datur atque accipitur = bist. 1141, 5. H. 141,110 volentia regi pensantes, I 44, 42 volentia magis quam necessaria suaden- tibus; bist. IV 31 (IV 42 M.) volentia plebi facturus; Tac. ann.XV 36 plebi volentia fuere , bist. III 52 Muciano v. rescripsere. H. I 44, 206 simplice morte dignus putatur; bist. III 25 (I 43 M.) ne simplici quidem morte moriebantur; CurtVIII 7,5 ne s. quidem m. defunctus, lustin. XLIV 4, 4 s. m. interfici, (Vict.) Epit. 40, 8 m. s. periit, Sev. chron. I 54, 4 ut ne s. quidem m. expiraret (vgl. Sali. bist. I 30) ; non contentus s. m. Seneca ben.VII 9, 18, nee s. patris m. contentus Firmic. Mat. de err. prof. rel. 16, 2. H. I 45, 33 dolis atque fallaciis = Cat 11, 2.

H. n 1, 42 regnum dare atque eripere; lug. 1, 3 neque dare neque eri- pere potest (d. aut e. bist, in 61, 24); Tac. bist. III 55 neque dari neque accipi poterant, nee dari nee eripi potest Seneca dialog. XII 8, 4, nee dare nee eri- pere ben.V 6, 1 vgl. ep. 41, 8. 59, 18 ; Pan. TV 14 nee dare potest nee eripere.— H.n 9,221 sese obiectare periculis (dagegen I 44,188 p. obieoisti); lug. 7,1 statuit eum obiectare p.; Sev. chron. I 34,6 obiectare eum p. statuit, die Verbindung p. obiectare auch Tac. bist. 11 33 Ammian.XX 7, 12 XXI 13, 2. H.n 10,63 inulti obtruncantur; lug. 67, 2 inulti obtruncari; Dict. V 12 inultos obtruncavere. H. 11 11,1 Ardebat omnis ludaea; bist ine. 7 (vgl. M. I 85) ardebat omnis Hispania citerior; Dict. I 16 Ardebat omnis Grae-

4

l

Das lateinische Geschichtswerk über den jüdischen Krieg. 223

cia. H. II 13, 66 nee tarnen is vitae finis Hyrcano qui potestatis fuit (vgl. I 8,18 finem imperii ac vitae edidit); lug. 5,5 sed imperii vitaeque eins finis idem fuit; Curt. V 8, 13 idemque erit regni mei qui Spiritus finis. H. n 15,63 oneri magis quam usui erant, V 24, 10 coepit oneri esse cibus qui prius usui erat, V 24,76 quibus o. quam u. forent'); lug. 14,4

quibus cogor prius o. quam u. esse. H. II 18, 2 passio rei

novitate memorabilis; Cat. 4, 4 facinus memorabile sceleris atque periculi novitate.

H. in 3,14 ambiendo singulos dando et largiendo; zwar steht lug. 13,8 singulos ex senatu ambiendo und 16, 3 dando et pollicendo, doch macht die Vergleichung mit Sev. chron. II 48, 5 largiendo et ambiendo wahrschein- lich, dass von ihm wie von H. eine verlorene Salluststelle nachgeahmt ist. H. in 3, 38 plurimum in hello valere bonam conscientiam (vgl. V 4, 5 in beUo plurimum audaciam posse und Y 30, 21 sed plurimum in hello prudentia valet) ; Cat. 2, 2 in hello plurimum Ingenium posse. H. in 8,23 pacem an proelium mallent; Cat. 17,6 bellum quam pacem malebant, lug. 102, 5 pacem quam bellum malles; Tac. ann. n 46 b. an p. malint, ann. XIII 9 p. quam b. mallet, lustin. XLIV 2, 2 b. quam otium malunt. H. m 9, 21 illis pro salute, istis pro triumpho dimicantibus vgl. V 12, 6 bis pro salute, Romanis de victoria certamen erat; lug. 94,5 pro gloria atque imperio his, illis pro salute certantibus (vgl. lug. 114,2 cum Gallis pro salute, non pro gloria certari); Curt. IV 14, 9 iam non de gloria, sed de salute et, quod saluti praeponitis, libertate pugnandum, Tac. Agr. 5 tum de salute, mox de virtute certavere, ebd. 26 securi pro salute de gloria certabant, lustin. XXVIII 4, 2 cum hi pro gloria, illi non solum pro über- täte, sed etiam pro salute certarent. H. lU 20, 14 res postulare vide- tur situm breviter exponere (vgl. IH 26, 1 2 res exigere videtur, ut aperiamus); lug. 17, 1 res postulare videtur Africae situm paucis exponere (vgl. Cat. 5, 9 res ipsa hortari videtur, quoniam de moribus civitatis tem-

pus admonuit, supra repetere ac paucis disserere) ; diese sallustische

Wendung ist zur Einführung eingelegter Schilderungen sehr beliebt ge- worden : Tac. bist. IV 5 res poscere videtur, quoniam in mentionem incidi- mus ut paucis repetam (ann. m 25 res admonuit ut disseram vgl. Sev. chron. II 28, 2 huius vitia ut plenius exponerem , res admonebat), Fronto p. 211 res poscere videtur praefari, Apul. met. IV 6 res ac tempus loco- rum descriptionem exponere flagitat, ibd. IX 32 res ipsa mihi poscere videtur, ut exponam, Sev. chron. n 2, 4 res postulat, uti exponamus, Dict. II 35 res postulare videtur edicere, freie Nachbildungen bei Am-

1) So die Kasseler Handschrift, plus quam die Yulgata.

224 Elimae Klebs

mian XVI 7, 4 XXU 1 5, 1 XXIII 4, 1 . 6, 1 . H. IE 20, 35 (bei der Schilderung eines Schiffbruchs) plerique cum ipsis in profunde sidebant myoparonibus,

quos enandi fiducia destituerat ceterum nare adorsos convulsa navium

fragmenta crebris quatiebant ictibus lateribusque inlisa miseros artus foede mulcabant; hier ist eine entsprechende Schilderung Sallusts bist, in 24 (ITT 54 M.) frei verwertet, von der die Worte erhalten sind nam qui enare conati fuerant, icti saepe fragmentis navium aut adflicti alvos undarum vi mulcato foede corpore postremo interibant tarnen. H. III 23, 3 nisi qua pedestribus invia Genesari lacus fluctibus alluebatur (vgl. V 15, 16 qui [= Romani\ sibi omnia subiecerunt, nisi quae nimio aestu aut gelu invia sunt und Y 15, 24 Saxonia inaccessa paludibus et inviis saepta regionibus) ; bist. I 8 (vgl. I UM.) omni Gallia nisi qua paludi- bus invia fuit, perdomita; Melalll 29 terra silvis ac paludibus invia (vgl. II 86 Hispania nisi qua Gallias tangit). H. III 24, 67 Manlii Torquati filium quem securi pater iussit feriri, quod contra imperium patris exer- citum in bestem produxerat ; Cat. 52, 30 A. Manlius Torquatus hello Gallico filium suum, quod is contra imperium in bestem pugnaverat, necari ius- sit — H. III 20, 58 praedonum manus assueta latrociniis (vgl. IV 4, 12 assuetus latrociniis) ; bist. II 67 (11 88 M.) genus militum suetum a pueri- tia latrociniis; 1. suetos Tac. ann. II 52, 1. assuetus Ammian XVII 13,27. H. III 26, 28 per cava terrae (V 11, 19 per cava muri) = bist. 11 43 (vgl. II 28 M.). -■

H. IV 2,18 pauci in pluribus minus frustrentur; lug, 58,3 pauci in pluribus minus frustrari. H. IV 6,3 eo quasi in sentinam confluxerant; Cat. 37, 5 Romam sicut in sentinam confluxerant H. IV 16, 25 nudus gignentium (V 25,22 nudum gignentium solum) ; lug. 79, 6 loca nuda gignen- tium; Amm. XXIII 6, 68 apud se gignentia, XXIII 6, 56 humi gignentium fertiles. H. IV 16, 41 vitio nimiae siccitatis atque humi arido corruptior aer; lug. 48, 3 quae humi arido atque harenoso gignuntur (vgl Jordan z. d, St.), H. IV 20, 18 dignum moribus suis vitae exitum tulit (vgl. I 29, 47 exitum vitae invenire) ; Cat 55, 6 dignum moribus factisque suis exitum vitae invenit; häufig nachgeahmt: Vell. II 112, vit. Claudii 5, 3, Vit Cari 13,2, Sev. chron. I 51, 2, Dict IV 3 (vgl. lug. 14, 23). H. IV 25, 15 viri muliebria exercere; Cat 13, 3 viri muliebria pati; Firmicus Mat 4, 2 viros muliebria pati (passus muliebria Tac. ann. XI 36). H. IV 26, 12 ventri deditos et turpitudini; lug. 85, 41 dediti ventri et turpissimae parti corporis (Cat. 2, 8 dediti ventri atque somno).

H. V 4, 2 videns ferro iter aperiundum (vgl. EI 9, 19 ferro sibi aperire viam) ; Cat 58, 7 ferro iter aperiundum est H. V 4, 5 in hello pluri- mum audaciam posse (vgl. oben zu H. HE 3, 38), quae vel sola sibi murus

Das lateinische Geschichtswerk über den jüdischen Krieg. 225

est; Cat 58, 17 audacia pro muro habetur. H. V 4, 18 fessos nocturno itinere; lug. 106, 5 nocturno itinere fessis. H. Y 7, 17 nee dubium, quod saepius vindicatum sit in eos, qui contra Imperium in hostem pugna- verint, quam in eos, qui secundum imperium progressi virtuti cesserint; Cat. 9, 4 documenta haec habeo, quod in hello saepius vindicatum est in eos,

qui contra imperium in hostem pugnaverant quam qui signa relinquere

aut pulsi loco cedere ausi erant. H. V 9, 8 invidia ex magnificentia orta; Cat. 6, 3 invidia ex opulentia orta est. H. Y 10, 25 virum et manu promtum et bonum consilio (Y 19, 2 manu promtus, sed consilio parum providus); manu promptus steht bei Sallust Cat. 43,4 lug. 7,1 (lingua quam manu promptior lug. 44, 1), doch weist H. Übereinstimmung mit lustin. XXIII 4, 1 1 et consilio cautum et manu promptum auf eine verlorene Salluststelle hin. H. Y 11, 5 ac paene admissum erat facinus misera- bile nisi quod ademerat (vgl. I 18, 10 ac paene incidisset faci- nus miserabile nisi ministrasset) ; lug. 53, 7 et paene imprudentia

admissum facinus miserabile, ni exploravissent. H. Y 15,70 ad

mutandum in mollius (so) servitium; bist. iuc. 91 (II 24 M.) ad mutandum modo in melius servitium; die Yerbindung mutari in melius findet sich Seneca dial. YI 25, 3 ep. 47, 21, Tac. bist. I 50 ann. III 34 (in m. mutare bist. Y 8 ann. III 54), Amm. XXIII 6, 2 Paneg. XII 7 Dict. HI 24. H. Y 24,60 paupertas probro habetur ; Cat. 12,1 paupertas probro haberi coepit; Sev. chron. n 51, 10 plebs Dei probro atque ludibrio habebatur. H. Y 26, 1 1 Victoria de manibus deriperetur ; lug. 82, 3 victoria ex mani- bus eriperetur. Y 27,24 dedecores inultique (ebenso dedecores atque inulti Y 43, 21 richtig die Yulgata, inutiles Weber nach dem cod. Cass.) ; bist. lU 74 (III 24 M.) dedecores inultique. Y 27, 33 nonne praestat mori per virtutem quam vivere ad ignominiam (vgl. lY 7, 48 praestat enim pro patria mori, Y 15,28 mori praestare quam libertatem amittere); Cat. 20,9 nonne

emori per virtutem praestat quam vitam miseram atque inhonestam

per dedecus amittere. H. Y 27, 72 omnibus positum finem vivendi ; bist. I 41,15 omnibus finem natura statuit. H. Y 46,71 pro quibus, o grati socii, hanc vicem nobis rependistis ; bist. 11 96, 6 pro quis, o grati patres, egestatem et famem redditis.

Yon sallustischen Redewendungen verzeichnen wir : H. prol. 3 Macca- baeorum res gestas paucis absolvit; Cat. 38, 3 uti paucis verum absolvam (danach Yict. Caes. 42,24 uti verum absolvam brevi), lug. 17,2 cetera quam paucissimis absolvam , Cat. 4, 3 de coniuratione , quam verissime potero, paucis absolvam (danach Sev. chron. 11 14, 8 gesta, ut potero, paucis absolvam, lordan. Get. 10 de Britannia ut potuero p. absol- vam); p. absolvere auch noch Ammian XYI 12,10 (vgl. XXX 4,4 XYII

15

226 Elimab Klebs

7,1 XXin 6,10), lordan. Get. 94. Ostentui mit esse H. I 6,2 m 2, 29 (prol. 15 schwankt die Überlieferung zwischen obtentui und oslfm' tut); lug. 24,10; Tac. hist. HI 35 ann. I 29, vita Aureliani 30,3. H. I 13,14 und I 36,17 de quo supra memoravimus ; sallustisch ist in dieser Formel der Rückverweisung memorare de vgl. de quo m. Cat 26, 3 lug. 25, 4, cuius de lug. 28, 4 ; ebenso de quo oder cuius de m. Tac. ann. III 75 IV 1 XI 5 vgl. VI 47, Vict. Caes. 39, 30. 35, 3 (commemoravimusj, Dict. I 11 IV 2.21. H. V 43,21 sicut pecora trucidabantur (I 11,18 exercitus eins quasi more pecorum obtruncaretur); Cat. 58, 21 sicuti pecora trucidemini (hist. n 52 vicem pecorum obtruncabantur) ; die erste Stelle ist wegen der gleichen Fassung mit sicut wohl nach Sallust geschrieben, sonst sind verwandte Redewendungen allgemein verbreitet (vgl. Hertz, de Ammiani Marc, studiis Sali. p. 12 not. 18). H. V 16, 95 sanctus alia ; sallustisch ist die Bekleidung des Adjectivums mit einem Accusativ, sanctus alia hist. ine. 113 [I 92] (vgl. I 116 M.); cetera sanctissimus Vell. n 46, 2, sanctus omnia Vict. Caes. 9, 1. H. n 10, 55 immane quantum insoleverat ebenso mit dem Indikativ m 20,22 V 28,5; hist II 79 (II 44 M.) imm. q. exarsere;') ebenso Tac. hist. III 62 IV 34. H. I 41, 31 veteris prosapiae infulis, V 22, 150 habeat sibi vetus prosapia infulas (ausserdem prosapia häufig z. B. I 40, 4 II 1, 57 11 13, 77 etc.); vetus prosapia hat Sallust lug. 85, 10 aus Cato (veteris prosapiae Orig. I 28 p. 9,6 Jord.) geholt und durch ihn ist das verschollene^) Wort wieder in die Litteratur gebracht; veteris prosapiae lustin. XIV 6, 11, mea vetus prosapia Apul. met. 1, 1, auffälligerweise auch Sueton Galba 2 magna et vetere prosapia, während Sueton sonst Sallustianismen wie Archaismen meidet. H III 3, 26 IV 15, 19 militiae more; lug. 54, 1, hist. III 67 (in 96 b M.) more militiae ; die gleiche Verbindung Tac. hist. I 68 ann. II 52 XII 69 XIII 2, Dict. 11 36. Sallustischen Ursprungs ist vermutlich secundis rebus elatus^) H. III 3,6, desgleichen ima summis miscere H. I 20, 3; allerdings schreibt auch Cicero leg. DI 19 omnia infima summis paria fecit turbavit miscuit, aber da die Form imis (ima) gleichlautend wieder- kehrt bei Vell. II 2, 3 summa imis m., Vict. Caes. 33, 4 ima summis m., Amm. XXVrn 1, 15 (vgl. auch Tac. hist. IV 47 fortunae summaque et ima miscentis), so ist die sallustische Herkunft der Phrase in dieser be- sonderen Gestalt sehr wahrscheinlich. Endlich findet sich gleichlautend

1) Vgl. Horat. carm. I 27,6 immane quantum discrepat.

2) Ein Mal von Cicero in seiner Übersetzung des Timaeus U mit dem Zusatz *ut utamur vetere verbo' gebraucht, von Quintilian inst. I 6,40 VIII 3,26 als ge- schmackloser Archaismus verworfen.

3) Ich habe darüber bereits Rhein. Mus. XL VII S. 539 gehandelt.

Das lateinische Geschichtswerk über den jüdischen Krieg. 227

bei H I 46,13 magnifice funus curatum und Sev. chron. I 12, 7 funus magnifice curatum (vgl. chron. II 25,2 funus magnifice curavit); auch hier liegt wahrscheinlich eine verlorene Stelle aus Sallust zu Grunde,*) der vom pomphaften Begräbnis Sullas mit solcher Wendung berichtet haben mochte.

Überblickt man diese Nachweise, so zeigt sich, dass H. neben einigen Wendungen, die aus Sallust ins allgemeine Sprachgut übergegangen waren, vieles aufgenommen hat, was auf den engeren Kreis der eigentlichen Nachahmer beschränkt geblieben ist; nicht weniges findet sich überhaupt nur bei ihm. Wie bei den anderen Schriftstellern der gleichen Schule erstreckt sich der sprachliche Einfluss Sallusts weiter dahin, dass Wendungen und Konstruktionen, die an sich Sallust nicht eigentümlich, aber durch ihre Häufigkeit für ihn charakteristisch sind, es eben dadurch auch für seine Nachahmer werden, z. B. patrare, multi mortales, queo und nequeo, simul quia etc. Trotzdem hat H. eine wirkliche und gleichmässige sallustische Färbung, wie sie mit sprachlichem Feingefühl Sulpicius Severus seiner Chronik zu geben wusste, nicht erreicht, auch wohl nicht einmal erstrebt. Er schwelgt viel zu sehr in der breiten, schwülstigen Khetorik, als dass ihm jene knappe Gedrungenheit Sallusts, die unauf- haltsam vorwärts dringt, nur die wesentlichen Momente berührt und das übrige dem Nachdenken des Lesers überlässt^), hätte sympathisch sein können. Nur nach einer Richtung hin hat H. seinem Vorbild aufs eifrigste nachgestrebt und, wenn es nur auf die Menge ankäme, hätte er es überboten : die kunstvolle Ausbildung der Antithese in gleichförmig gebauten Sätzen mit bald paralleler, bald chiastischer Wortstellung und ihre Verwendung zu allgemeinen Sätzen, mit der Sallust auf die späteren Historiker (abgesehen von Sueton und seiner Schule) so mächtig ein- gewirkt hat,^) sie hat ihren Zauber auch auf H. auszuüben nicht verfehlt.

1) Zweifelhaft ist der sallustische Ursprung H. IV 1, 50 rem egregiam fecit ac memorabilem ; lug. 79, 1 egregium ac mirabile (so der Parisin., andere Hschr. memo- rdbite) facinus memorare; mit Recht hat hier Jordan mirabile beibehalten, doch könnte die andere Lesart auf sehr alter Verderbnis beruhen. Densere aciem hat H. II 32, 34 der Cass. vgl. densere frontem bist. II 59 (U 103 M.), doch steht H.III 23, 13 densata acie.

2) Man denke z. B. an lug. 12,5: Hiempsal reperitur occultans se tugurio mu- lieris ancillae, quo initio pavidus et ignarus loci perfugerat. Numidae caput eins, uti iussi erant, ad lugurtham refenint.

3) Von Sallusts Eigentümlichkeit und seinem nach dieser Richtung hin sehr kunstvollen Satzbau, auf den die herkömmliche Bezeichnung des einfachen und kunst- losen in ihrer Allgemeinheit durchaus nicht zutrifft, giebt Marius' Rede lug. 85 das beste Bild.

15*

228 Elimab Eleb8

In allen nur denkbaren Formen pflegt er die Antithesen und häuft sie in den eingelegten Reden bis zum Überdruss des Lesers/)

Von den späteren Geschichtschreibern, die in Sallusts Bahnen wandelten, hat H. Velleius vermutlich gekannt und ihm vielleicht einige Wendungen entnommen.') Sicher ist, dass er mit Tacitus' Werken vertraut war. In seiner Schilderung des Toten Meeres (vgl. oben S. 217) tritt dies auch sprachlich hervor. Offenbar nach taciteischem Muster ist das von H. selbständig') eingelegte Stück II 1 § 1 entworfen; wie Tacitus ann. I 9 10 von den Urteilen der Menge über den verstorbenen Augustus berichtet, so H. von den 'iudicia populi' bei Herodes' Tode. Indes mangelt es hier an wörtlichen Anklängen, während an anderen Stellen Tacitus' sprachliche Einwirkungen in einzelnen Wendungen des H. unverkennbar sind."') H. in 1, 23 ludibrium rerum humanarum (I 23, 11 humanarum

1) Aus einer Überfülle von Beispielen greife ich hier nur ein Paar zur Veran- schaulichung von H/ Manier heraus: III 17, 109 miles tesseram expectat, servus im- perium, I 39, 15 aliud inflat, aliud exasperat, I 40, 33 quod Ulis dolori, sibi odio foret,

II 9, 61 dura belli adversum omnes condicio, adversum Romanos ultima, IV 2, 7 pru- dentis est in adversis lapsum corrigere, in prosperis moderationem teuere, V 27, 36 quibus non est novum vincere et crimen non vicisse, III 17,65 timidus est qui non vult mori quando oportet, et qui vult quando non oportet, IV 29, 34 si pericula prae- venerint, frustra consules; ubi consilium placuerit, recte incipias, I 36, 39 iustius Mariamme amantem se virum oderat quam Herodes Mariammen non amantem amabat,

III 11, 15 inlisa solidis solida nocent, solutioribus evacuantur, denique facüius soli- diora mollioribus cedunt quam molliora solidioribus.

2) Vgl. meine Ausführungen in dem Aufsatz 'Entlehnungen aus Velleius' Phi- lolog. N. F. III. S. 300 f.

3) loseph. bell. I 33, 8 giebt an der entsprechenden Stelle nur eine kurze Be- merkung.

4) Cäsar S. 399 Anm. 11 bemerkt Hegesippi oraiionem saepius cum Tacitea con- venire exemplis prohat Wopkens in advers. in Tacitum p. 352 sqq.: Wopkens hat (Band II der von Frotscher 1835 herausgegebenen Adversaria critica) Stellen aus He- gesippus vielfach und besonders bei Tacitus zu Zwecken der Textkritik herangezo- gen, aber eine Benutzung des Tacitus durch H. weder behauptet, noch bewiesen. Unter allen von ihm verglichenen Stellen erscheint mir einzig erwähnenswert H. HI 3, 65 discessionem induissent, das möglicherweise nach taciteischen Verbindungen wie seditionem induere ann. II 15, societatem XII 13 gebildet ist. Erst nachträglich sind mir die Vergleichungen von H. und Tac. bekannt geworden, die E. Cornelius {Quomodo Tacitus historiarum scriptor in hominum memoria versatus sit etc. 1888 S, 25— 27) gegeben hat. Ich trage daraus nach: H. prol. 3 historiae in morem com- ponere; Tac. dial. 22 in morem annalium componantur. H. I 32, 38 sternunt fundunt- que, bist. III 13 fuderint straverintque. H. I 38, 8 ad praesens in reliquum; bist. I 44 ad praesens, in posterum. H. I 44, 50 in amplexum rueret (vgl. II 4, 14 in oscula ruit); ann. XVI 32 in amplexus ruebat. H. III 19, 12 aspero hiemis; ann. III 5 asperrimo hiemis. Anderes, was Cornelius vorbringt, erscheint als zwei- felhaft oder zufällig, wie das bei jeder solchen Zusammenstellung geht; manches in- des ist entschieden unrichtig. So dürfen nicht als spezifisch taciteisch bezeichnet werden die Wendungen proelia de proeliis serens (vgl. oben S. 220 Anm. 2), ima sum-

Das lateinische Geschichtswerk über den jüdischen Krieg. 229

ludibrium varietatum) ; Tac. ann. m 18 ludibria reram mortalium. H. II 11, 13 quae in malum publicum eruperat; Tac. ann. XII 5 ne in malum publicum erumperet (vgl. XU 41 eruptura in publicam perniciem). H. 14, 3 falsa veris admiscuere ; Tac. bist. II 70 falsa vera aut maiora vero miscebant.

H. I 27, 4 privati babitum supergressus, 11 10, 55 supergrediens usum privatum (vgl. I 36, 34 ultra privatorum modum == 11 2, 13 u. privatum m. I 6, 2 pompam celebratiorem quam privatis mos est) ; Tac. bist, n 5 cuncta privatum modum supergressa (vgl. ann. XIV 52 privatum modum evectas opcs).

H. I 15, 44 vir militiae vetus (I 41, 125 veteris militiae vir IV 26, 3 v. m. viri vgl. III 13, 26 veteris vir disciplinae) ; Tac. bist. IV 20 illi veteres militiae. Das bei Tacitus sebr beliebte insitus (bei Sallust nicht nach- weisbar) kehrt auch bei H. öfter wieder (I 3, 4 insita gratia I 25, 10 i. benivolentia III 19, 4 i. odio HI 17, 78 quibuslibet insitum est); H. II 13, 86 more quodam insito mortalibus ist wohl nach Tac. bist. I 55 = bist, n 20 insita mortalibus natura (vgl. bist, n 38 insita mortalibus cu- pido) geschrieben. Aus den Worten H. V 46, 62 alterum orbem quae- rere, maris secreta solis ortus oceanique ultima et alterius orbis incolas nostro imperio adiungere schimmert die Erinnerung an Tac. Agr.lO naturam Oceani atque aestus quaerere und an 25 aperto maris sui {= Britannorum) secreto noch hindurch.

Wie von Ammian neben Sallust und Tacitus Cicero fleissig ausge- beutet ist, so begegnen wir seinen Spuren auch bei H. Er sucht zwar den Anschein tiefer Gelehrsamkeit zu erwecken, wenn er V 27, 64 schreibt *^quid de Romanorum integris legionibus loquar? quas Cato Romanae assertor facundiae et veritatis sincerus interpres asseruit cum exultatione ad bellum prodisse, de quo se redituros non arbitrarentur universosque libenter procubuisse, ne mutarent sententiam'. Denn wer die Art der späten lateinischen Schriftsteller nicht kennt, der könnte hier an Benutzung der altersgrauen Ursprungsgeschichten denken.') Thatsächlich schreibt H. nur Cicero aus, der in seiner Schrift de senectute 75 Cato sagen lässt 'legiones nostras, quod scripsi in Originibus, in eum locum saepe profectas alacri animo et erecto, unde se redituras nunquam arbitrarentur.'^) Und wenn H. IV 12, 14 auf einen sehr bekannten Vers aus Ennius anspielt 'denique noster Maximus cunctando magis fregit Hannibalem quam proe- liando; etsi Scipiones subegerunt Africam Maximo soli datum, quod

mis miscere (vgl. S. 226), bellorum insolens H. IV 4, 12 vgl. Caes. b. c. II 36 insolens belli, incerta bellorum H. I 1, 4 vgl. Liv. XXX 2 , 6 incerta belli und Weissenborn z. d. St.

1) So Vogel S. 50 Anm. 2 und S. 53.

2) Dasselbe auch Tuscul. I 101 , bei Jordan Orig. lY 8 ist die Stelle aus H. übersehen.

230 Elimar Klebs

cunctando restituerit rem Romanam', so ist auch hier Cicero de sen. 10 (vgl. de ofif. I 84) seine Quelle. Desgleichen Cic. Phil, n 65 für eine An- spielung auf ein Wort des Naevius (Ribb. I Naev. fr. 54) 'male parta male dilabuntur, die sich H. IV 7,17 findet *^male parta nequius dissipant*. End- lich ist H. V 24, 72 'inter arma quoque leges valere' eine Abwandlung von Ciceros (pro Mil. 11) Wort 'silent enim leges inter arma.

Dichterische Färbung der Prosa ist in der Kaiserzeit bekanntlich weit verbreitet; so begegnen denn auch bei H. sehr zahlreich dichterische Ausdrücke. Ich verzeichne hier nur einige, für die sich eine bestimmte Quelle angeben lässt. Aus Virgil Aen. V 320 'proximus huic, longo sed proximus Intervalle' entnahm H. HI 26,46 * licet longo intervallo, sed tamen proximo' (vgl. II 8 16 longo sed proximo intervallo), aus Aen. Vin 727 H.n 9,125 den 'Rhenus bicornis', aus Aen.III 256 H.I l,69'diramfamem\ die bekannte 'auri sacra fames' Aen. III 57 wird H. V 24, 52 zur 'misera fames auri'; und Virgil Aen. HI 106 ""centum urbes habitant magnas' ist wahrscheinlich auch die Quelle für H. II 9,160 'Greta centum urbibus nobilis'. Auf ein berühmtes Wort des Horaz carm. III 2, 13 'dulce et de- corum est pro patria mori' spielt an H. V 24, 2 'cui dulce fuerat ante patriam mori et pro patria (vgl. IH 16, 36 pro patria mori); das bekannte 'integer vitae' (carm. I 22, 1) wird H. V 22, 95 zum 'integer aevi. Dichte- rischen Ursprungs, aber unbekannter Herkunft (vgl. Otto, die Sprichwörter der Römer S. 302 unter rosa) ist auch das sprichwörtliche 'rosam in spinis quaerentes' H. prol. 12.

Weitere Forschungen werden vermutlich noch manche Anspielung der Art auf ältere Schriften bei H. zu Tage fördern. Ich bin, von Sallust abgesehen, nicht um Vollständigkeit bemüht gewesen; für die Zwecke unserer Untersuchung genügt es, H.' Verhältnis zur älteren Litteratur im allgemeinen klar gelegt zu haben.

In seinem Vorwort erregt der unbekannte Verfasser die Erwartung auf ein selbständiges Werk über die spätere Geschichte des jüdischen Staates. Erfüllt sein Werk diese Erwartung? Nach den Anschauungen, welche die antike Litteratur wie die antike Kunst beherrschen, ist diese Frage unbedingt zu bejahen. Er hat zwar den Stoff in der Hauptsache einem einzigen Werke entnommen, aber, wohlgemerkt! einem Werke in anderer Sprache. Er hat diesen Stoff von einem eigenen, dem christlichen Standpunkt aus behandelt und diesen unter zahlreichen Berufungen auf das Alte und das Neue Testament begründet Er hat seine Quelle viel- fach verkürzt, andererseits erweitert durch Einlagen und Zusätze aus

Das lateinische Geschichtswerk über den jüdischen Krieg. 231

jüdischen, christlichen und klassischen Schriften sowie durch von ihm selbst verfasste Keden und Betrachtungen. Und endlich, er hat den fremd- artigen Stoff selbständig in der Weise der klassischen Geschichtschreibung gestaltet. Und dies ist, wenn wir das Werk geschichtlich, d. h. nach dem Massstab des klassischen Altertums beurteilen wollen, das Entscheidende.

Wenn ein Werk mit diesen Eigenschaften nicht mehr als Original- werk im Sinne der antiken Auffassung gelten sollte, dann bliebe von der römischen Litteratur, insonderheit von der geschichtlichen, nicht eben viel übrig. Von Pompeius Trogus' Geschichtswerk, das uns in lustinus' Auszug vorliegt, wird mit Recht allgemein angenommen, dass es nichts weiter als die Bearbeitung einer griechischen Vorlage war; Florus gar hat seinen Abriss im wesentlichen einem einzigen lateinischen Werke, einem Auszug aus den Annalen des Livius entnommen. Und Livius selber gab, als er die Verwickelungen Roms mit der griechisch-macedonischen Welt darzustellen hatte, eine Bearbeitung des Polybius.

Das alles sind wohlbekannte Thatsachen, und die Schlussfolgerung für unser Werk über den jüdischen Krieg ergiebt sich von selbst. Es war, nach den Anschauungen seiner Entstehungszeit beurteilt, genau ebenso eine selbständige litterarische Leistung wie das sprachlich und stilistisch nahe verwandte Werk Ammians, mit dem es sich inhaltlich freilich nicht ent- fernt messen darf. Und das gleiche gilt von dem verlorenen ersten Teil, der die jüdische Königsgeschichte behandelte. Der uns erhaltene zweite rechtfertigt die Vermutung, dass auch sie dem Inhalt nach mehr auf Jose- phus' Altertümern als auf den Büchern der Könige beruhte, und dass der Inhalt mit der gleichen Freiheit dargestellt war wie in der noch vorhan- denen Schrift. Zu dieser freien Gestaltung gehören auch die vielfachen sprachlichen Entlehnungen aus älteren Werken. Sie sind nicht Notbehelfe eines Übersetzers, der um Wendungen verlegen ist, sondern sie gehören im Geiste jener Zeit zu der schriftstellerischen Arbeit. Ihre Muse war die Mnemosyne ; ihre Schriftsteller ziehen aus den klassischen Werken wie aus alten, kostbaren Geweben goldene und silberne Fäden heraus und ver- schlingen sie mit den eigenen zu einem wunderlichen Gespinnst, das uns zugleich wie ein altes, zugleich wie ein neues anmutet.

Äussere Zufälligkeiten haben der Erkenntnis dieses einfachen Sach- verhaltes bisher im Wege gestanden. Einerseits wurde der Wert der Arbeit und die Teilnahme für sie dadurch herabgemindert, dass hier ein- mal die Hauptquelle, Josephus, vollständig erhalten ist, deren Verlust in anderen Fällen viel tiefer stehenden Büchern wie dem des Jordanes einen unschätzbaren Wert verliehen hat. Sodann hat die verkehrte, aber sehr früh aufgekommene Bezeichnung unserer Schrift als Übersetzung des

232 Elimar Klebs

Josephus und die Verbindung, in die sie mit Ambrosius gebracht wurde, das Urteil befangen.

Über diese angebliche Urheberschaft des Ambrosius können wir uns jetzt sehr kurz fassen. Bis zum zwölften Jahrhundert wird in den Handschriften das Werk im allgemeinen als losephus (losippus, loseppus oder [H]egesippus) bezeichnet.*) Vor dieser Zeit wird nur in zwei der zahlreichen Handschriften, darunter allerdings in der ältesten, einer ambrosianischen, Ambrosius als Übersetzer genannt. Jedoch in dieser nur in dem ersten jüngeren Teil, wo sich am Schlu&s des ersten Buches die Unterschrift findet 'losippi (von jüngerer Hand in Egesippi Yeiajudeit) lib. primus expl. incp. secd. Ambrosius epi de grego transtulit in latinum'. In dem älteren Teil dieser Handschrift findet sich nur loseppi als regelmässiger Kolumnentitel. Sodann hat eine vatikanische Handschrift (Vaticanus 170, dem IX/X. Jahrh. zugeschrieben) die Aufschrift *^incipit tractatus sei Ambrosii epi de historia losippi captivi translata ab ipso ex greco in latinum liber primus'. Irgend eine urkund- liche Beweiskraft könnte man diesen Angaben nur dann beilegen, wenn man annähme, sie gingen auf den ursprünglichen Titel zurück, unter dem unsere Schrift zuerst veröffentlicht worden ist; dieser müsste dann dem Sinne nach gelautet haben 'losephi historia captivitatis ludaeorum trans- lata e graeco in latinum ab Ambrosio'. Diese Annahme aber ist unmög- lich; denn ihr widerstreitet das Werk selber, das sich weder als Über- setzung giebt noch thatsächlich eine solche ist. Sowohl diese scheinbar genaue Angabe mit der Person des Übersetzers als die allgemeine Be- zeichnung, die allen Handschriften gemeinsam ist,^) unseres Werkes als losephus oder losephi historia, sie alle beruhen lediglich auf einer Ver- mutung, die aus einer sehr oberflächlichen Beurteilung unseres Werkes hervorgegangen ist, und die durch ihr Alter um nichts besser wird. Den Anlass, den mailändischen Bischof zum Urheber der angeblichen Über- setzung zu stempeln, gab vermutlich ein Ausspruch Cassiodors (de instit div. lit 17): Vt est losephus in libris antiquitatum ludaicarum late diffusus, quem pater Hieronymus scribens ad Lucinum Baeticum propter magnitudinem prolixi operis a se perhibet non potuisse transferri. Hunc tamen ab amicis nostris in libris viginti duobus') converti fecimus in latinum. Qui etiam et alios Septem libros captivitatis ludaicae

1) Vgl. Vogel, Ztschr. für östreichische Gymnasien 1893 S. 248 und zum Folgen- den Keiiferscheid, SB. Wiener Akad. phil.-hist. Kl. 1867 S. 441; Caesar, Observa- tiones etc. 1878 p. IV; Niese, loseph. opp. I praef. p. XXVII.

2) Aller, insofern das in manchen auftretende (H)egesippus thatsächlich gleich losephus ist.

3) Nämlich 20 Bücher Altertümer and 2 gegen Apion.

Das lateinische Geschichtswerk über den jüdischen Krieg. 233

mirabili nitore conscripsit, quorum translationem alii Hieronymo alii Am- brosio alii deputant Rufino, quae dum talibus adscribitur, omnino dictio- nis eximiae merita declarantur. Es ist jedesfalls weit wahrscheinlicher, dass Cassiodor hier, wo er ausdrücklich von sieben Büchern des Josephus spricht, die alte lateinische Übersetzung, die unter Rufinus' Namen geht, im Auge gehabt hat, als die fünf Bücher unseres Hegesippus ; aber nach- dem dieses Werk einmal unter dem falschen Titel eines ^losephus transla- tus' umlief, konnte auch jene Stelle Cassiodors fälschlich auf diesen bezogen und daraus Ambrosius' Urheberschaft gefolgert werden. Es ist das eine wahrscheinliche Vermutung, aber ganz unberührt davon, ob man sie annimmt oder ablehnt, bleibt die Thatsache, dass Ambrosius'- Name überhaupt erst mit der Bezeichnung der Schrift als Übersetzung verbunden worden ist, eine Bezeichnung, die von dem wahren Verfasser nimmermehr gebraucht sein kann.

Wie dieser den zweiten Teil seiner Geschichte des jüdischen Staates betitelt hat, muss dahingestellt bleiben. Die Handschriften versagen da- für sämtlich, und auch die ältesten, bisher festgestellten Erwähnungen oder Benutzungen gewähren keine Hilfe.

Es bleibt noch übrig das wenige zu erörtern, was sich über die Zeit des Werkes ihm selber entnehmen lässt. Die untere Grenze giebt IE 5, 24 die Erwähnung von Constantinopolis ; eine ebenso sichere obere ^) die häufige Erwähnung Britanniens. Mit besonderer Vorliebe kommt die Schrift, wo die Allmacht der römischen Waffen und die weltumspannende Ausdeh- nung des römischen Reiches geschildert werden soll, wieder und wieder (II 9, 102. 174 in 1, 17 V 15, 22 V 46, 20. 62) darauf zurück, dass selbst das ferne Britannien, 'quasi alter orbis\ den Römern unterworfen und unter- than sei. Unter Honorius aber ging Britannien im Jahre 407 für immer dem römischen Reiche verloren.'^)

Auf das vierte Jahrhundert weisen auch einzelne Ausdrücke, die sich auf die staatlichen Einrichtungen beziehen. Für die Statthalter der Pro- vinzen braucht H. neben allgemeinen, schon früher üblichen Ausdrücken (praesides, praesules, rector provinciae 11 6, 34) das im vierten Jahrhundert zwar nicht amtliche, aber allgemein für den Civilstatthalter verwandte 'iudex'. So werden die kaiserlichen procuratores ludaeae von ihm aus-

1) Ganz unsicher ist die bisher als solche verwandte Nichtbenutzung der Bibel- übersetzung des Hieronymus (Caesar S.399, Vogel S.24), da noch lange nach Hiero- nymus andere lateinische Bibel-Texte gebraucht sind.

2) Vgl. Zosimus VI 5.

234 £limar Klebs

schliesslich*) als iudices bezeichnet 11 8,18 II 9,36. 37. 50 U 12,7 n 13, 101 V 44, 44. Legati und proconsules^) als Statthalter kennt die Schrift

nicht mehr; dagegen heisst es II 9, 160 Greta unum consularem

veretur. Greta war bis auf Diokletian mit Gyrene vereinigt und einem proconsul Gretae Gyrenarum unterstellt, später, seit Diokletian, stand die Provinz für sich unter einem consularis (vgl. Marquardt, Staatsverwal- tung P S. 462).

Bei den militärischen Ausdrücken tritt weniger die Einwirkung der späteren Zeit als des Verfassers gleichmässige Unkenntnis der römischen Einrichtungen und Bezeichnungen hervor. Auf den durch Konstantin ge- schaffenen magister militum scheint zu weisen I 41, 79 Volumnio mili- tiae magistro. Aber von der Stellung des magister militum kann H. keine Ahnung gehabt haben, denn Volumnius ist, wie aus dem Zusammen- hange hervorgeht, ein untergeordneter Offizier, gleich darauf I 41,90 wird er sogar als procurator bezeichnet. Ich möchte darum vermuten, dass H. sein magister militiae lediglich aus einem Glossar als Übersetzung für OTQaTOTieöaQxrjg^) genommen hat, Legiones (so immer im Plural) braucht H. bisweilen (I 33, 20 III 5, 2 V 27, 64) als allgemeine Bezeichnung für Truppen neben manus und numerus (z. B. I 22, 21 II 1, 28 IV 26, 25). Die technische Bedeutung ist ihm ganz fremd. Denn einerseits setzt er da, wo Josephus von einer bestimmten Legion spricht, regelmässig als rein

1) Nicht hierher gehört H. I 25, 37 (Antipater) "totius ludaeae procurator factus* (inlzQTCog loseph. bell. I 10,3) von Cäsar im Jahre 47 v. Chr., vgl. Schürer I^ S. 278.

2) Pompeius wird bei seinem Auftreten in Judäa im J. 63 er hatte damals auf Grund des manilischen Gesetzes eine ausserordentliche Feldherrnstellung pro consule von H. I 15, 14. 19. 30 I 16, 3 als Romanus consul bezeichnet! Die vier- malige Wiederholung schliesst jeden Änderungsversuch aus. In der Rede Agrippas (bell. II 16,4 vgl. S. 214 Anm. 4) sagt Jos., dass Achaia u. Macedonien gehorchen e| '^PcDfxaicDV ^dßöoig {d. h. beide waren einem prätorischen Proconsul unterstellt, der sechs Fasces führte), aX nswaxoGiai z^g kalag jtoksig sva tcqogxvvovoiv ^ye- (lova xal zag vnazixag Qaßöovg (= die zwölf Fasces des consularischen Proconsul Asiae) und fährt dann in der Aufzählung der unterworfenen Völkerschaften fort zL Sei Xeyeiv '^Hvioxovg ze xal KöXxovg xal zo z(ov TavQCDV <pvkov xr'/.. H. II 9, 162 hat von dem Sinne dieser Worte keine Ahnung und macht daraus 'plurimi populi sex

fascium virgulis metu inclinantur, Asia, Pontus, Eniochi omnes Romano imperio

subiciuntur.

3) So loseph. bell. I 27, 1, gleich darauf 27, 3 inizQonog. Was Josephus hier mit dem ozQazoneöägxrig gemeint hat, ist unklar (ebenso bell. II 15, 19), weil das Wort keinen technischen Wert hat und sowohl einen praefectus castrorum als einen Legions- ftihrer bedeuten kann, wie es Dionys. Hai. X 36 für den tribunus militum der älteren Zeit gebraucht. Für den Oberbefehlshaber des Königs Agrippa II. verwendet es los. bell. II 20, 1 = princeps militiae H. II 16, 4. Die Stellung dieses Volumnius wird bei Josephus dadurch noch unklarer, dass er ant. XVI 9, 1 die unmögliche Angabe hat 2azovQvlvov xal OvoXofivlov zcäv Svglag imazazovvzcDV , als ob Volumnius zu- sammen mit (Sentius) Saturninus legatus Syriae gewesen wäre.

Das lateinische Geschichtswerk über den jüdischen Krieg. 235

äusserliche Übersetzung des griechischen Wortes xäy^a das lateinische ordo (z. B. ni 19, 7 III 22, 8 IV 26, 43 V 7, 24 V 29, 4, vereinzelt quin- tus numerus V 20, 6). Andererseits braucht er da, wo er die cohortes praetoriae bezeichnen will, den verkehrten Ausdruck IV 26, 4 'praetorianas Komae legiones',') wie er denn auch die cohortes vigilum nicht kennt, sondern loseph. bell. IV 11,4 tlov w^zocfv/MKOJv rayfiara übersetzt IV 31, 4 mit 'his ordinibus qui Romae positi curabant munia vigiliarum'. Legio ist also für H. nur eine Vokabel, die er an einer Stelle (V 27, 64) nachweislich aus Cicero (s. oben S. 229) abgeschrieben hat Den Legatus legionis kennt H. nicht mehr,^) der höhere Offizier wird appellativisch, nicht titular dux genannt.^) Centurio steht nicht bloss als die richtige Über- setzung von sxaTovTaQX^S} sondern auch II 15, 19 für liTtTzaQxog (bell. II 19, 4). Ergetzlich endlich ist die Übersetzung von Joseph. IV 1, 5 ös- yiaddQxrjg bei H. IV 1, 48 durch decem primus, hervorgerufen wohl durch eine unklare Erinnerung an die ^ decem primf der muncipalen Decurionen. Die einzige Stelle aus der sich eine etwas genauere Bestimmung der

Zeit ergiebt, findet sich V 15, 23 "^quid attexam Britannias a Romanis

in orbem terrarum redactas? Tremit hos Scotia, quae terris nihil debet, tremit Saxonia inaccessa paludibus et inviis saepta regionibus, quae licet furta belli videatur andere, et ipsa frequenter captiva Romanis accessit triumphis. Validissimum genus hominum perhibetur et praestans ceteris, piraticis tamen myoparonibus non viribus nititur, fugae potius quam hello paratum'. Schon Gronov (Monob. S. 5) erkannte richtig, dass diese Worte auf die Kämpfe anspielen, welche Theodosius, der Vater des späteren gleichnamigen Kaisers , unter Valentinian in den Jahren 367/368 in Bri- tannien gefuhrt hat. Aber aus dieser Beobachtung ist allgemein'*) ein unrichtiger Schluss gezogen worden. Jene Stelle müsse, so hat man ge- folgert, unmittelbar nach Theodosius' Kämpfen, wie die einen behaupten, oder wenigstens bald nachher, wie die anderen, geschrieben sein. Als Beweis wird angeführt, dass bei einer späteren Abfassung die Schrift auch

1) Josephus bell. IV 10,3 sagt nur ol inl z^g '^Poifztjg axQaxKDxai.

2) Josephus bezeichnet die Führer der Legion ständig mit Tjyeficiv. H. setzt dafür II 13, 2 qui praeerat ordini quinto decimo ductoris officio oder praefectus ordi- uis III 14,13. 20 IV 29,6 oder praepositus ordinis II 14,16 oder tribunus V21,ll. (Dagegen wird 1 28, 17 vgl. I 28, 11 praepositus zur Übersetzung von x^^^^QX^'^ ^^' wandt.) Wie man sieht, ist die Terminologie ganz willkürlich ; weder für die Erkennt- nis der Schrift noch für den Sprachgebrauch des vierten Jahrhunderts lässt sich etwas aus ihr gewinnen. Es wäre darum zwecklos hier bei den zeitlichen und sachlichen Unterschieden jener Bezeichnungen in der amtlichen Sprache zu verweilen.

3) Einmal ersetzt H. IV 24, 4 im Geiste seiner Zeit tovg OvnekXiov axQaxriyovg (bell. IV 9, 3) durch 'Valenti et Caecinae Vitellii comitibus'.

4) Vgl. Mazocchi lU S. 785, Cäsar S. 397, Vogel S. 11.

236 Elimar Klbbs

die Gothen, Hunnen und etliche andere wilde Völkerschaften hätte an- führen müssen. Diese Berufung auf Nichterwähnungen ist völlig nichtig bei einem Schriftsteller, der sonst niemals auf irgend ein Ereignis des vierten Jahrhunderts anspielt. Woher denn diese auffällige Erwähnung? Die Kämpfe, die Theodosius in Britannien und gegen die räuberischen Flotten der Sachsen führte, waren erfolgreich,') aber in der kampfdurch- tobten Zeit Valentinians keineswegs ein so hervorragendes Ereignis, dass die Kunde von ihnen das ganze Reich hätte durchfliegen müssen. Den besten Beweis dafür liefert die Thatsache, dass Valentinian den Siegestitel Britanniens nicht angenommen hat^) Man wird dagegen vielleicht ein- wenden, dass jener Feldzug, auch abgesehen von den Geschichtschreibem, mehrfach erwähnt wird. Aber man beachte die näheren Umstände, unter denen das geschieht.

Symmachus (X 9 vgl. X 43) berichtet in einem amtlichen Schreiben an die Kaiser in den Jahren 384/385, dass der Senat 'familiae vestrae et stirpis auctorem, Africanum quondam etBritannicum ducem statuis equestri- bus inter prisca nomina consecravit'. Latinius Pacatus behandelt in seiner Lobrede auf Theodosius (Pan. XII 5), die im Jahre 389 gehalten ist, aus- führlich die Verdienste seines Vaters und erwähnt dabei 'attritam pedestri- bus proeliis Britanniam referam? Saxo consumptus bellis navalibus ofifere- tur. Redactum ad paludes suas Scotum loquar?* Claudian widmet in seinem Panegyricus in IV consulatum Honorii v. 24 40 dem Preise des "^avus* und verherrlicht v. 26 ff. den Bezwinger der Saxones, Scotti und Picti.

Also zu der Zeit, da Theodosius I. und sein Haus zur Herrschaft ge- kommen war, wurden die Thaten des Ahnherren des herrschenden Hauses gefeiert, und dabei ward seiner siegreichen Feldzüge gegen Britten und Sachsen gedacht. Solche Erwähnungen müssen in jener Zeit ganz ge- wöhnlich gewesen sein. Denn nach uraltem römischen Herkommen ge- hört zur Lobrede auf den Lebenden wie auf den Toten der Preis der Vorfahren. Bei Männern wie Diokletian und Maximian, die aus dunkler Niedrigkeit emporgestiegen nur die Söhne ihrer eigenen Thaten waren, musste dies Kapitel freilich ausfallen. Aber im übrigen bestätigen die erhaltenen prosaischen wie poetischen Lobreden durchgängig die unver- brüchliche Befolgung des Herkommens. So musste denn auch bei jeder Rede, die irgendwo im römischen Reich zum Preise des Kaisers Theodo- sius gehalten wurde, der Thaten seines Vaters gedacht werden, und unter diesen wird der britannische Feldzug selten unerwähnt geblieben sein. Darum erklärt sich die häufige Erwähnung Britanniens und der auffällige

1) Vgl. Ammian XXVII 8 XXVIU 3.

2) Wie z. B. die Inschrift CLL. VI 1175 vom Jahr 370 zeigt.

Das lateinische Geschichtswerk über den jüdischen Krieg. 237

Hinweis auf Saxonia und Scotia in unserer Schrift, die in theologisch- rhetorischer Weltentfremdung an allen Ereignissen der Zeit sonst gleich- giltig vorübergeht, am einfachsten durch die Annahme, dass ihr Verfasser unter Theodosius oder wenig später schrieb. Ihm, der selber durch und durch Rhetor ist, waren aus den Reden seiner Zeit die damals landläufigen Wendungen von den Sümpfen (vgl. oben die Worte des Pacatus) der Scoti und den Räuberschiffen der Sachsen vertraut. Er hat sie zeitwidrig in einer Rede, die er Josephus an die Juden halten lässt, verwandt, schwer- lich aus einem anderen Grunde als dem, sich mit einer damals modischen Redeblüte zu schmücken.

Mit diesem Ergebnis stimmt vollkommen überein, dass der Verfasser, wie ich vorher erwiesen zu haben glaube, Ammians Werk benutzt hat. Von dessen erhaltenen Büchern wissen wir (Teuffei- Schwabe, Rom. Littg. § 429, 3), dass sie ums Jahr 390 verfasst sind. Demnach ist unser Werk etwas später anzusetzen und ist ungefähr ums Jahr 395 geschriehen.

Über die Herkunft und die äusseren Lebensverhältnisse des Verfassers lässt sich nichts sicheres aus seiner Arbeit ermitteln. Die zahlreichen grie- chischen Wendungen, die sich in ihr finden, beweisen wenig in Anbetracht der Zeit und der griechischen Vorlage. Seine ausführlichen, mit selbständi- gen Zusätzen versehenen Schilderungen Palästinas, Antiochias, Alexandrias rufen zwar zunächst den Eindruck hervor, als ob der Schriftsteller aus eige- ner Anschauung schöpfte und demnach im Osten des Reiches lebte. Aber auch diese Vermutung wird völlig zweifelhaft, wenn man in seiner Schilde- rung Antiochias liest (IQ 5, 15), dass die Stadt vom Oriens (statt Orontes) durchflössen werde, eine verkehrte Angabe, die obendrein ausdrücklich er- läutert wird.') Nur soviel lässt sich aus der Unkenntnis der römischen Staatseinrichtungen und den groben Missverständnissen ^) abnehmen, dass er weder Rom noch Italien entstammte.

1) Doch scheint für den Orient als Heimat noch folgende (nicht aus Josephus genommene) Bemerkung zu sprechen V 24, 48 ^divisisque visceribus quaestus suos Syria

numerabat, Arabia negotiationis recensebat emolumenta quod etiam nunc in

huiusmodi hominum genere reperias et nonnullis Aegyptiorum, ut curandis funeribus negotientur et officia humanitatis vendant mercaturae compendiis'.

2) Pompeius als Konsul vgl. S. 234 Anm. 2; loseph. bell. IV 11,4 bezeichnet (Flavius) Sabinus nicht ausdrücklich als Bruder Vespasians , da dies für seine Zeit- genossen entbehrlich war, und fährt dann fort xal JofUTiavog b xov döeXipov nalq. Heg. macht daraus IV 31 Domitianus Vespasiani germano editus und weiss nicht, dass Sabinus Vespasians Bruder war. H. V 7, 21 cognoscite vos milites esse Eomani imperii plebis senatusque, die beiden letzten Worte sind eine übel angebrachte Er- innerung aus einem Werk über ältere römische Geschichte, die auch Aurelius Victor mehrfach vorbringt, deren Verkehrtheit bei H. noch durch die Zusammenstellung mit

238 Elimab £leb8

Aber wenngleich Heimat, Name und Stand im Dunkeln bleiben : die schriftstellerische Persönlichkeit tritt uns klar entgegen. Ein Christ von untadeliger Rechtgläubigkeit (vgl. n 12,25 V 44, 72), wohl belesen in den heiligen Schriften. Wir wollen an der Aufrichtigkeit seiner religiösen Gesinnungen nicht zweifeln, aber die Art, wie er sie zum Ausdruck bringt, sticht unvorteilhaft ab von der schlichten Frömmigkeit, welche die dem- selben Zeitalter angehörige Chronik des Severus herzgewinnend durchweht Die Erbsünde der lateinischen Geschichtschreibung, die Lust an der Rhetorik, lastet auch auf diesem ihrem Spätling.') Er hat sie schrankenlos gebüsst Daher die ausgedehnten Reden ohne Mass und Zahl, die poetisch durch- blümten Schilderungen wie die Peräas (HE 6, 30) und Einlagen wie jene aus der Petrus-Legende oder die Verführungsgeschichte der Paullina, die mit der eigentlichen Aufgabe nichts zu schaffen haben, sondern nur dem Bedürfnis nach Abwechslung entsprungen sind. Daher auch die Gleich- giltigkeit gegen die sachliche Genauigkeit und Richtigkeit, die ihm so federleicht wiegen wie den sophistischen Redekünstlem der Kaiserzeit^) Daher endlich jener, freilich dem Zeitgeschmack entsprechende Stil, der überladen ist mit Anspielungen und Antithesen und in den Reden und Betrachtungen häufig zum schwülstigen Pathos ausartet. Dies ist zwar eine allgemeine Unsitte jener Zeit, die sich ebenso in den kaiserlichen Ver- ordnungen wie in den lateinischen Inschriften des vierten Jahrhunderts unerfreulich breit macht. Aber eigentümlich ist unserer Schrift die breite und pathetische Behandlung des ästhetisch Widerwärtigen. Wenn Spiegel- berg seinem Moor empfiehlt, den Josephus zu lesen, so hat er vom Stand- punkt einer Räuberphantasie aus dazu volles Recht. Alle Gräuel, welche in einer eingeschlossenen, von Hungersnot heimgesuchten, von zuchtlosen Räuberhorden beherrschten Stadt sich ereignen konnten und ereignet haben, sind schon von Josephus mit einer Ausführlichkeit geschildert worden, zu welcher der feine Geschmack eines vornehmen antiken Geschichtschreibers,

imperium gesteigert wird. Aus Joseph. XVIII 3, 4 Movvöog tdSv tots irniitov iv d^iwfiaxi /jieydkü) (== eques Romanus illustris) macht H. II 4, 4 einen 'equestris militiae dux\ Vgl. über das Militärische oben S. 235 Anm. 2.

1) Es ist sehr bezeichnend, dass er als Schlussstück eine lange Rede wählt und diese mit den Worten einleitet 'hunc sermonem adorsus est, quem uos quasi epilogum quendam claudendo operi deplorabilem more rhetorico non praetermisimus.'

2) Die Thatsachen, die Josephus berichtet, werden von H. fast immer gekürzt, besonders stark am Anfang des zweiten Buches, dagegen die Reden regelmässig er- weitert. Ausser den groben Missverständnissen, die auf sachlicher Unkenntnis beruhen, begegnen wir auch Übersetzungsfehlern, die aus Flüchtigkeit oder mangelhaftem sprach- lichen Verständnis entsprungen sind, wie z. B. aus loseph. ant. XV 3, 5 fiovcovgyov (= Musiker) zivog avxy avixnQayfjLaxevofievov H. I 37, 23 'per Musurgmn quendam litterarum sequestrem petisse' macht.

Das lateinische Geschichtswerk üher den jüdischen Krieg. 239

wie etwa des Tacitus, sich nimmer herabgelassen hätte. Aber der latei- nische Geschichtschreiber überbietet noch seine griechisch -jüdische Quelle. Auch Josephus berichtet, dass Araber und Syrer, die beim römischen Be- lagerungsheere waren, die Leiber jüdischer Flüchtlinge nach verschluckten Goldstücken durchsuchten ; der Lateiner (V 24, 44 ff.) wühlt mit eklem Be- hagen in ihrem aufgeschnittenen Gedärm. Den grauenhaften Vorfall, dass ein jüdisches Weib, vom Wahnsinn des Hungers erfasst, ihr eigenes Kind schlachtete und briet, hat Josephus (VI 3, 4) mit geschmackloser Ausführ- lichkeit erzählt. Unsere Schrift (VI 40) begleitet das grässliche Ereignis mit so pathetischen Reden, dass sich das Pathos selber überschlägt, und die be- freienden Wirkungen der Komik, hier allerdings einer durchaus unfreiwilli- gen, sich erlösend einstellen. Auch sonst zeigt die Schrift eine gewisse Freude am Hässlichen und Widerwärtigen ,^) die dem hellenischen und rö- mischen Wesen gleich fremd ist und die Vermutung nahe legt, dass die Heimat des Verfassers der Orient war.

Trotz alledem und alledem muss die Schrift als das anerkannt und behandelt werden, was sie ist, der Teil eines lateinischen Werkes über die jüdische Geschichte. Das geschichtlich Bedeutsame an ihr ist das Streben ihres christlichen Verfassers, diesen Stoff 'historiae in morem' zu behandeln, und der verlorene erste Teil, von dem wir uns nach dem er- haltenen zweiten doch eine ausreichende Vorstellung machen können, fällt dabei besonders ins Gewicht, weil er den Inhalt biblischer Bücher wieder- gab. Durch diese allgemeine Kichtung ist das Werk aufs nächste der Chronik des Severus verwandt, die ums Jahr 403 geschrieben ist und in sallustisch-taciteischem Gewände die Geschichte der jüdisch -christlichen Welt erzählte. Es ist sehr wahrscheinlich,^) dass der aquitanische Presbyter den unmittelbaren Anstoss zu seiner Schriftstellerei durch die in seiner Heimat bedrohlich auftretende, ketzerische Bewegung des Priscillianismus erhielt, deren Urheber einer übermässigen Vorliebe für die klassische Lit- teratur bezichtigt wurde. Aber unser Werk mit seiner gleichartigen schrift- stellerischen Grundrichtung zeigt, dass diese durch allgemeine, tiefer liegende Gründe bedingt war. In der That sind solche nicht schwer zu erkennen.

Wir täuschen uns heut zu Tage leicht über die ungeheure Tiefe der

1) H. V 22, 72 lambam lingua patria sanguinem meorum pignorum, V 18, 28

ne quis superveniret, qui vomitus alienos lingua sua laraberet, V 25, 13 fames,

quae insidiaretur iumentis alvum purgantibus acvetusta rimaretur boum stercora, IV 7,19 eructuans crapulam negotiorum vgl. IV 32. 7, IV 29, 19 inter convivia pridianas semper eructuantem epulas, IV 8, 16 qui neminem vel ad purgandum alvum egredi sinunt. Alles dies kommt auf H.' eigene Rechnung.

2) Wie Bernays in seiner Abhandlung *Über die Chronik des Sulpicius Severus' scharfsinnig nachgewiesen hat.

240 Elimar Klbbs

Kluft, die uns von jenen Zuständen und Anschauungen scheidet, welche die geschichtlichen Bücher der althebräischen Litteratur schildern. Denn wir sind mit dem Inhalt ihrer Erzählungen von Jugend an vertraut aus Bearbeitungen, die gefällig manchen Anstoss beseitigen oder wenigstens verhüllen, und wir Deutsche lernen diese Bücher gemeinhin aus einer Übersetzung kennen, die in Wahrheit keine ist, sondern den fremden In- halt aus dem Geiste unserer Sprache, unseres Volkes heraus nachdichtet und ihn dadurch unserem Empfinden von vornherein näher bringt. Wie viel fremdartiger musste ein gebildeter Römer im vierten Jahrhundert, als die klassischen Studien noch eifrig gepflegt wurden, von den alt- testamentlichen Schriften berührt werden. Schon die äussere sprachliche Form der umlaufenden lateinischen ') Bibelübersetzungen, die in der Volks- sprache gehalten und mit griechischen und hebräischen Wendungen unschön gesprenkelt waren, musste einen gebildeten Geschmack verletzen.^) Weit

1) Mit der kirchlich anerkannten griechischen Übersetzung, der sogenannten Septuaginta, stand es womöglich noch schlimmer; ihr „Juden- Griechisch" war für einen wirklichen Hellenen „ganz ungeniessbar" (Bleek -Wellhausen S. 535flF.).

2) Ausschliesslich und einseitig führt Bernays S. 42 ff. auf die „Solökismen" der Übersetzungen das Widerstreben zurück, mit dem Männer wie Augustin (Confess. III 5) und Hieronymus (Ep. 22 I 115 Vall.) anfänglich an die biblischen Bücher gingen. Aber wenn Hieronymus, dem das tägliche Lesen der Schriften Ciceros Bedürfnis war, vom „sermo inconditus" der Propheten angewidert zum Plautus griff, so werden wir diesen Ausdruck nicht willkürlich auf die grammatischen und lexikalischen Eigen- tümlichkeiten der Itala beschränken. Vielmehr ist höchst begreiflich, dass ein 'Ciceronianus*, wie Hieronymus nach seinem eigenen Zeugnis damals einer war, ein Buch wie etwa das des Ezechiel mit seinen, nach ciceronianischem Massstab beur- teilt, wüsten Geschmacklosigkeiten bei Seite warf. Die sonst vortreffliche Unter- suchung von Bernays sie erschien im „Jahresbericht (1861) des jüdisch -theologi- schen Seminars" zu Breslau versagt da, wo die geschichtliche Würdigung der Stellung des älteren Christentums zum Alten Testament in Frage kommt. Darum urteilt er auch (S. 45) ganz unrichtig über „die auf den ersten Blick so sehr auf- fallende Aussonderung der neutestamentlichen Bücher" in Severus' Chronik. Er führt sie zurück auf das „Streben den bequemen Ton des Lesebuches festzuhalten" und auf Severus' Scheu, Dogmatisches zu berühren. Aber für einen gläubigen und wahrhaft frommen Christen wie Severus bedeutete die Geschichte des Lebens und Lei- dens seines Heilandes etwas anderes als die Geschichte der jüdischen Erzväter und die gräuelreiche der jüdischen Könige. Nicht auffällig ist es, sondern es entspricht nur dem religiösen Feingefühl, dass er das Leben Christi nicht mit sallustischen Wendungen beschreiben mochte. Es ist dieselbe Empfindung, aus der Ranke (Weltgeschichte III S. 160) in schönen Worten begründet, warum die Erzählung vom Leben Christi nicht in die Darstellung der Weltgeschichte gehört. Ebenso verfehlt ist Bernays' Beurteilung (S. 64 ff.) der allegorischen Schriftauslegung , in der er nur eine allgemeine geistige Krankheit erblickt (vgl. namentlich S. 65 Ende). Ihm fehlt jedes Verständnis dafür, dass diese sachlich verkehrte Auslegungsweise eine geschichtliche Notwendigkeit war. Nur auf diesem Wege konnte das ältere Christentum den Widerspruch zu lösen su- chen, dass die althebräischen Schriften eine ausschliesslich göttliche Offenbarung sein sollten , da sie doch »Menschliches, Allzumenschliches' in reicher Fülle enthalten.

Das lateinische Geschichtswerk aber den jüdischen Krieg. 241

schwerer aber fiel ins Gewicht, dass in allen diesen Schriften von einer künstlerischen Form, dem Rhythmus und Wohllaut, der wohlgegliederten Architektonik der antiken Prosa keine Spur zu finden war. Und am schwersten endlich der teils unverständliche und fremdartige, teils an- stössige Inhalt. Auch die glaubenseifrigsten Kirchenlehrer waren weit entfernt davon zu leugnen, dass das Alte Testament Dinge erzähle, die nach dem Urteil ihrer eigenen Zeit sittlich verwerflich waren. Augustin (doctr. Christ. HI 12) war auf dem richtigen Wege der geschichtlichen Erklärung, wenn er die Vielweiberei der Patriarchen aus den Zustän- den der Vorzeit herzuleiten suchte. Aber mit diesem Verfahren Ernst zu machen, diese althebräischen Schriften ebenso, wie wir heute mit den stammverwandten assyrischen und babylonischen verfahren, zu betrachten als geschichtlich ehrwürdige Urkunden der Urzeiten des menschlichen Ge- schlechtes, dazu bedurfte es erst einer gewaltigen Umwälzung im Denken der Menschheit ; zu den spätesten Früchten der menschlichen Erkenntnis, deren wir uns auch heute noch nicht unangefochten erfreuen, gehört die geschichtliche Auffassung. Das ältere Christentum musste darum nach anderen Wegen des Verständnisses suchen. Der eine, auf dem man vor- nehmlich das Anstössige ^) meinte beseitigen zu können, war seit Origenes die allegorische Deutung, die immer vorzugsweise auf das Alte Testament angewandt ist.'^) Der andere, auf dem man die Fremd artigkeit der jüdischen Geschichtsbücher gebildeten Lesern näher zu bringen suchte, war neben vorsichtiger Beschränkung im Stofflichen die Verwendung der gewohnten litterarischen Form. So hat Severus seine Chronik geschrieben, wie auf anderem Gebiet, aber mit gleich ausgeprägtem Streben nach klassischer Darstellung Laktanz den Inhalt der christlichen Lehre behandelt hat.

In den gleichen Kreis fallen auch die schriftstellerischen Arbeiten des Unbekannten, die uns hier beschäftigen. Was er erreicht hat, ist wenig erfreulich; geschichtliche Teilnahme verdient, was er erstrebt hat. Und wir werden vor einem allzu herben Urteil behütet werden, wenn wir bedenken : eine reine Lösung der Aufgabe, jüdisch-christlichen Inhalt in die Formen des klassischen Altertums zu giessen, ist auf litterarischem Gebiet überhaupt nicht erreicht worden. Man soll den neuen Wein nicht in alte Schläuche füllen, so warnt mit Fug das Evangelium.

1) Sehr lehrreich für die altchristliche Bibelauslegung ist das dritte Buch von Augustins Doctrina christiana, das sich ausschliesslich mit ihren Grundsätzen be- schäftigt. Augustin spricht dort (III 10) als obersten aus *^et iste omnino modus est, ut quidquid in sermone divino neque ad morum honestatem neque ad fidel veritatem proprie referri potest, figuratum (== allegorisch) esse cognoscas '.

2) Vgl. Augustin de meud. 26 'exceptis itaque his factis, quae potest quisque ad allegoricam signiticationem referre, quamvis gesta esse nemo ambigat, sicut sunt fere omnia in libris Veteris Testamenti quis enim ibi aliquid audeat affirmare ad figuratam praeuuntiationem non pertinere' etc.

16

XI. Der Traum.

Eine Studie.

Von

Emil Lagenpusch (Königsberg i. Pr.)

Einleitung. Die Kulturvölker aller Zeiten haben den Träumen Bedeutung beige- messen. Die griechischen wie germanischen Götter- und Heldensagen sind Toll davon:

„Darüber berieten die himmlischen Richter, „Warum den Balder böse Träume schreckten"^) lesen wir in der Edda.

Im Nibelungenlied träumt Kriemhild, wie ihren Falken „zwgn am erkrummen" und Frau Ute, ihre weise Mutter, deutet den Traum auf das kommende Unheil.

Aus zwei Thoren lässt Homer die Träume hervorgehen (Od. 19, 562) : dotal ydg re rcvlai a/nevrjvcjjv eloLV oveiQWV al fiev yccQ xeQcxeaoL TSTevxcczai, al ö eXig)avTL' TCüv OL fi€V X* skd^coai Ölcc TtQLOTOv lXiq)avTog, 0% Q^ kXecpaiQOVTCLi, ene cf/.qaavTa q)€Q0VTeg, oi öe öicc ^eaTcJv y,€Qaü)v sk^woi ^vQa^s, 0% Q^eTVf,ia KQalvovoi ßgoiiov ore y,€v Tig 'lörjTai. Männer wie Wallenstein und Napoleon standen den Sternen und Träumen nicht teilnamlos gegenüber. Shakespeare's Richard HE. ^) sieht im Traume noch einmal sein ganzes aus Verruchtheiten zusammengesetztes Leben.

Bekannt ist der Traum Friedrichs des Weisen, Kurfürsten von Sachsen, der im Traum einen Mönch schreiben sah: und sein Schreib- rohr wuchs und wuchs, bis es an die dreifache Krone Leo's X. stiess.

1) Edda, Vegtamskvidha 4 ff. (Übersetzung von Simrock),

2) Rieh. III. Act. V. Sc. III.

Der Traum. 243

Von seinem Nachfolger Johann berichtet Ranke ') folgendes : „Was in seiner Seele vorging, zeigt unter andern ein Tranm, den er in jener Zeit um 1530 hatte. Es ergriff ihn jene Beklemmung, in welcher der Mensch unter einer die Brust niederdrückenden Last zu vergehen meint. Er glaubte, er liege unter einem hohen Berg, auf dessen Spitze sein Vetter Georg stehe. Gegen Morgen sank der Berg zusammen und der feind- liche Blutsverwandte fiel neben ihm nieder."

Endlich erinnern wir an den alten Scrooge in Dickens Weihnachts- abend, der durch einen einzigen Traum aus einem alten Gauner und Geiz- hals zu einem braven, ehrenwerten, menschenfreundlichen Manne wird.

Man hat also zu allen Zeiten den Träumen Bedeutung beigelegt und ihnen darum Aufmerksamkeit geschenkt.^) Das Seltsame, Geheimnisvolle, Phantastische hat von jeher tiefer angelegte Gemüter angezogen frei- lich auch solche, die zum Aberglauben neigen. Man glaubt in den Träumen Vorboten der Zukunft sehen zu dürfen, „man sieht den Traum gleichsam als Brücke an, auf der die Gottheit und die Verstorbenen aus ihrer überirdischen Welt in unsere hinein mit den Menschen ver- kehren".^)

Und in der That sind die Träume der Beachtung wert: der Einfluss des Traumes auf die Menschen ist nicht zu unterschätzen : er flösst Ver- zagten Mut ein, ruft dem Verwegnen ein donnerndes Halt zu: er weist dem Gelehrten den Weg, Probleme zu lösen: er lässt den Künstler im Reiche überirdischer Schönheit schwelgen: er führt den Dichter in das Reich der Ideale. Ja, es ist die Frage, ob die Menschen ohne Träume jemals auf den Gedanken an eine überirdische Welt, auf die Idee von der Unsterblichkeit der Seele gekommen wären.

Endlich sind die Träume für die menschliche Natur sogar notwendig: sie gewähren dem von den Tageseindrücken ermüdeten Geiste Erholung : sie führen ihn in das Reich der Phantasie und machen ihn so zur Wiederauf- nahme der Tageseindrücke fähig.

Nach dem bisher Gesagten ist es wohl der Mühe wert, ein wenig näher auf das Wesen der Träume einzugehen.

I.

Worin besteht das Wesen des Traumes? Der Traum kommt nur in Verbindung mit dem Schlafe vor. Wir müssen also zunächst auf das Wesen des Schlafes eingehen, diesen zu erklären suchen.

1) Gesch. i. ZA. d. Ref. III 188.

2) Aus dem Altertum vgl. 'OvEiQoxgixixa des Artemidorus, Zeitgenosse Hadrian*s.

3) Vgl. Strümpell, Natur und Entstehung der Träume. Leipzig 1874.

16*

244 Emil Lagenpüsch

Der BegriflF des Schlafes setzt aber stets den Begriff des Wachens voraus, kann ohne diesen gar nicht gedacht werden. Wir gehen also vom Wachen aus und beginnen mit der Frage: Worin besteht das Wachen?

Das Wachen besteht in der gegenseitigen Spannung zwischen Sub- jekt und Objekt, zwischen dem Ich und der Aussenwelt

Fortdauernd vermag die Seele diese Spannung nicht zu ertragen : sie bedarf der Ruhe und Erholung zur Wiedersammlung neuer Kräfte. Im Nachlassen jener Spannung besteht der Schlaf. Er ist also etwas Nega- tives. Jene Ruhe verschafft sich die Seele dadurch, dass sie uns nötigt, die Eindrücke der Aussenwelt von uns fernzuhalten. Dies geschieht da- durch, dass wir die Augen schliessen.

Nicht aber in gleichem Masse wie von den äussern Eindrücken kann sich die Seele im Schlafe von den Eindrücken befreien, die ihr aus dem innern Leib- und Seelen -Leben zuströmen: und diese sind es hauptsäch- lich, die das Material zu den Traumbildern hergeben.*)

Schlaf und Wachen sind wie Gesundheit und Krankheit keineswegs so scharf zu trennen wie ihre Begriffe. Der Übergang von dem einen zum andern ist ein ganz allmählicher.

Wir wollen diesen Übergang vom Wachen zum Schlaf und wiederum

vom Schlaf zum Wachen verfolgen.

* *

*

Yon dem Moment des Einschlafens bis zu dem des Wiedererwachens können wir fünf Phasen unterscheiden.

Darin, dass die Seele dem Anprall der Eindrücke von aussen her nicht mehr genügende Receptionskraft entgegenzusetzen vermag, besteht die „Schläfrigkeit".

Das völlige Aufhören der Receptionsfähigkeit ruft das „Einschlafen" hervor.

Die Zeit, in der die Seele nicht mehr Eindrücke von aussen her auf- nimmt, füllt der „Tiefschlaf* aus.

Nun tauchen aber sehr bald die Eindrücke der Innenwelt der Seele wieder hervor, die bei dem gänzlichen Fortfall der Eindrücke von der Aussenwelt her sich viel ungehinderter bethätigen können. Diese Innen- eindrücke, welche die Seele aus dem innern Leib- und Seelenleben em- pfängt, rufen den „Traumschlaf' hervor.

Der Übergang endlich vom Schlaf zum Wachen ist das Moment des „Erwachens".')

1) Erklärungen des Schlafes giebt Wundt, Psychologie Leipzig 1880. 357 ff. Siehe auch die übertriebenen Lobpreisuogen des Schlafes bei Volkmann, Psychologie Halle 1875. I 393. 2) Vgl. Volkmann, Psychologie I 389.

Der Traum. 245

Das hauptsächlichste Moment des Schlafes bildet der „Traum".

Ob es überhaupt traumlosen Schlaf giebt, hängt mit der Frage zusammen, ob das Bewusstsein während des Schlafes zeitweilig völlig auf- hört oder nicht.*)

Eine genügende Definition des Traumes ist bisher unseres Erachtens noch nicht gegeben. Dass es nicht leicht ist, den Traum zu definieren, beweisen schon die zahlreichen zum Teil recht weitschweifigen De- finitionen, auf die wir der Kürze halber bei Volkmann''') und Wundt ver- weisen. Kant^) nennt den Traum ein Mittel zur Erhaltung der Lebens- kraft, erklärt ihn aber nicht weiter.

Wir werden wohl ohne darin eine völlig befriedigende Erklä- rung finden zu wollen der Wahrheit nahe kommen, wenn wir sagen: die im Schlafe fortdauernde Seelenthätigkeit äussert sich als Traum.')

Darin dass wir im Schlafe eine Fortdauer der Seelenthätigkeit an- nehmen, liegt zugleich, dass wir der schlafenden Seele auch Bewusstsein zugestehen. Dass dies Bewusstsein jedoch ein anderes ist als das des Wachens, lässt sich keinen Augenblick bestreiten.^)

n.

Die Frage, ob das Bewusstsein während des Schlafes zeitweilig unterbrochen werde, müssen wir mit einem „non liquet" beantworten. Wir sind ja gar nicht im stände, das Vorhandensein des Bewusstseins während des Schlafes zu kontrolieren : denn um diese Erfahrung zu machen, müssen wir notwendigerweise Bewusstsein voraussetzen, da eine Erfahrung nur bei vollem Bewusstsein gemacht werden kann. Dazu kommt, dass wir diese Beobachtung, ob das Bewusstsein während des Schlafes zeitweilig aufhört oder nicht, nur an uns selbst anstellen können : und das ist wieder rein unmöglich, weil wir dazu des vollen Bewusstseins bedürfen. Es ist der analoge Fall, als wollten wir bestimmen, ob uns diese oder jene Brille passte, und wir setzen sie nicht auf die Nase. Bedenken wir aber, dass bei entwickeltem Vorstellen ein völliger Mangel an wirklichen Vorstellungen nicht denkbar ist °): dass eine Seele, die nicht denkt, ein Widerspruch an sich ist'): dass völliges Aufhören des Bewusstseins ein Erlöschen des Lebens zur Folge haben müsste,®) so werden wir nur ein „relatives" Aufhören des

1) Siehe unten! 5) Wundt, Psychologie S. 359.

2) Volkmann, Psych. I 417. 6) Volkmann, Psych. S. 392 Anm. 4.

3) Anthr. § 36. 7) Descartes!

4) Vgl. Strümpell, S. 95. 8) Kant, Kr. d. ü. WW. IV 265.

246 Emil Lagekpusch

Bewasstseins der Seele im Schlafe annehmen dürfen, d. h. wir müssen an- nehmen, dass da in der ersten Phase des Tiefschlafs keine Traumbilder aufzutreten scheinen, in dieser ersten Periode des Tiefschlafs ein starker Grad von Verdunkelung der Vorstellungen, d. h. des Bewusstseins ein- tritt, indem die Thätigkeit der Seele zwar nicht aufhört, aber gehemmt ist: sie ist zwar ihrem Wesen nach vorhanden, kann aber nicht in Er- scheinung treten.

Auch Leibniz spricht davon, dass selbst in bewusstlosen Zuständen die Seele niemals ohne Thätigkeit eines, wenn auch dunkeln, Vorstellens und Begehrens ist. Das Gefühl einer ßewusstlosigkeit entsteht dadurch, dass in der ersten Phase des Schlafes die Vorstellungen sich durch ihre Vielheit neutralisieren und daher nicht zum Bewusstsein kommen. Darum ist anfangs der Schlaf traumlos.

Bewusstsein ist also mehr oder minder verdunkelt während des ganzen Schlafes anzunehmen : nur dass es hier ein völlig anderes ist als im Wachen. Das liegt in erster Linie wohl wahrscheinlich daran, dass im Schlafe Vernunft und Phantasie die Hauptbethätigungen der Seele sich gerade entgegengesetzt verhalten wie im Wachen.

Dass das Bewusstsein im Schlaf ein anderes als im Wachen sein muss, ersehen wir schon daraus, dass uns das Bewusstsein, dass wir träumen, im Traume selbst gänzlich abgeht.

Wenn auch zugegeben werden muss, dass im Traume eine Art Be- wusstsein herrscht, so fehlt uns dennoch vollständig das Bewusstsein, „dass wir träumen". Dazu kommt noch die zweite Eigentümlichkeit, dass wir das Geträumte für wirklich halten. Diese Eigentümlichkeit können wir auf folgende Art erklären.')

Vergleichen wir das Bewusstsein des Traumes mit dem des Wachens, so gewinnt im Wachen die Seele ein Bewusstsein äusserer Realität : denn 1) hat sie wirkliche Empfindungen, 2) versetzt sie die Bilder in den Raum, 3) kann sie das Gesetz der Kausalität auf den Inhalt ihrer Erscheinungen anwenden.'*)

Im Traum kann sie das letztere nicht. Dazu kommt als zweites Mo- ment: die ganze Traumschöpfung vollzieht sich hinter dem Bewusstsein des Träumenden. Der Traum baut sich wie hinter einem Vorhang auf und bietet sich erst als etwas Fertiges dem Traumbewusstsein dar.

Wir halten also um zu rekapitulieren die Traumbilder für Wirk-

1) Vgl. Volkelt, Traumphantasie Stuttgart 1875. S. 51. Fr. Vischer, Aesthet. II 33t, § 39. Strümpell, S. 33ff. S. 50. Scherner, Leben des Traumes, Berlin 1861. S. 127. Wundt, Psych. S. 359.

2) Strümpell a. a. 0. S. 50.

Der Traum. 247

lichkeiten, weil wir auf sie das Gesetz der Kausalität nicht anwenden können, ferner weil die Entstehung des Traumes unbewusst geschieht Und als drittes Moment lässt sich anführen: Wir sind im Traume ganz ausser stände, die Traumbilder mit früheren Erfahrungen in Beziehung zu setzen: wir können, da mit der Ich -Spontaneität die Funktion des Ver- standes herabgesetzt ist, im Traume keine Kritik üben/)

In dieser Urteilstäuschung liegt die Verwandtschaft des Traumes mit dem Irrsinn. Wir gehen auf diesen in seinem Verhältnis zum Traume mit ein paar Worten ein.

m.

Auch bei geistigen Störungen treten subjektive Wahrnehmungs- bilder auf, welche von der Seele für wirkliche Dinge gehalten werden. Dies ist einzig und allein dem Mangel des Verstandes zuzuschreiben, der an den Erscheinungen unter Heranziehung früherer Erfahrungen nicht Kritik üben kann.^)

Dazu kommt noch, dass dem Irrsinn wie dem Traume die gesteigerte Keizbarkeit der Sinne gemeinsam ist. Wenn aber der Gesunde solche Vorstellungen zu unterdrücken vermag, so fehlt dem Geisteskranken dazu die Willenskraft. Diese liegt im Traume gänzlich ausgelöscht darnieder wovon später mehr! , so dass der Träumende ganz den Traumvorstel- lungen anheimfällt und sie nicht abschütteln kann.

Dagegen beruht d^r Unterschied zwischen Traum und Irrsinn darin, dass die Traumbilder meistens in grösster Mannigfaltigkeit und schein- barer Zusammenhangslosigkeit wechseln, im Irrsinn aber nur eine kleine Gruppe von Vorstellungen sich fortwährend von neuem reproduciert und keine neuen Vorstellungen aufkommen lässt.^) Doch wir kehren zum Traume zurück.

IV.

Mit den Perioden des Schlafes vom Einschlafen bis zum Erwachen halten gleichen Schritt die Phasen des Traumes.

Wir gingen davon aus : Schlaf und Wachen sind nicht so scharf von einander zu scheiden wie ihre Begriffe.

Es giebt Zeiten, in denen wir mit offenen Augen träumen. Die Seele ist in solchen Augenblicken der Aussenwelt völlig entrückt, sie lebt in vergangener Zeit, an einem anderen Ort, den ihr die Phantasie vorzaubert. In wenigen Minuten durchlebt sie Ereignisse ganzer Tage, ganzer Jahre :

1) Wundt, Psych. 359 ff. Scherner, S. 127.

2) Strümpell S. 51.

3) Wundt, Psych. 656.

248 Emil LAGENPUßcn

und es gehört ein nicht unerheblicher Anstoss dazu, sie wieder aus diesem Traume aufzurütteln.

Diese Art zu träumen, zu der jede poetische Leistung gehört, hat wohl jedermann an sich selber erlebt.

Es geht daraus hervor, dass Schlaf und Wachen allmählich in ein- ander übergehen, ihre scharfe Grenze zu bestimmen unmöglich ist, indem der Übergang von dem einen in das andere verschwimmt wie die ein- zelnen Farben des Regenbogens.')

So lässt sich der Augenblick, in dem Traumbilder im Schlafe auf- treten, ebenfalls nicht genau feststellen.

Ansätze zu Traumbildern finden sich aber schon beim Eintritt der Schläfrigkeit. Unsere Seele nimmt dann wenn auch schon mit Wider- streben — immer noch äussere Eindrücke auf: aber, da ihre Aufmerksam- keit nicht ganz und gar auf jene Eindrücke von aussen her gerichtet ist, mischen sich schon Vorstellungen aus dem inneren Leib- und Seelenleben hinein, die bisher von dem Tagesgetriebe übertönt wurden.

Aber schon im ersten Moment des Einschlafens treten ganz zweifel- los Träume auf, di^ „Reflexionsträume". Es reihen sich in bestimmter Richtung des mit letzter Kraftanstrengung gegen die Bewusstlosigkeit an- kämpfenden Verstandes Bilder an Bilder : meistens aus dem verflossenen Tagesleben : in bestimmter Richtung des Verstandes, aber nicht mehr vom Verstände, sondern vielmehr von der Phantasie gebildet So bemühen wir uns oft beim Einschlafen Probleme zu lösen, über deren Lösung wir am Tage umsonst gegrübelt hatten. Also der Verstand selbst ist nicht mehr thätig, nur seine Formschemen bleiben den Bildern zurück und diese zwängen sich noch in die Verstandesformen hinein. Es ist ein hirnloses Herein- und Herausstürzen dieser Bilder. Allmählich beruhigt sich dies wilde Kopfüberstürzen der Bilder in die Verstandesformen: die Denk- schablonen fangen an zu verschwinden, und die Bilder können sich un- gehemmt bewegen.

Die noch vom Wachen her vorhandenen Wohl- und Misslaute unserer Gemütsstimmungen blitzen hin und her und werden zur Grundlage der rastlos umherschwirrenden Bilder, die jetzt erst einen festen Charakter annehmen als Stimmungs-, Associationsträume u. s. w.

Damit beginnt die Periode des Tiefschlafs, in der der bewusstlos empfindende Geist die Verhältnisse, die Harmonien und Missstimmungen in sich aufnimmt und, sobald sich das Bewusstsein wieder zu regen be- ginnt, vorstellbar offenbart. In dieser Epoche können wir gewissermassen

1) Scherner S. 49.

Der Traum. 249

von dem Schweigen des Geistes reden; dies ist die Quelle jenes Wohl- befindens im Schlafe, das jene so beseligenden Träume hervorruft. Mischen sich aber in diese Periode des Tiefschlafs störende Verhältnisse irgend welcher Art ein, so entstehen widerwärtige Träume. Im Tiefschlafe bilden sich ferner jene Empfindungen der inneren Körperzustände', die erst im Entstehen begriffen und deshalb dem Wachen nicht wahrnehmbare Zu- stände des Lebens sind. Krankheitskeime sind besonders hierherzuzählen.

Wenn der Geist im Tiefschlaf ein bewusstloses Empfinden ist, so ist er auch fähig, Eindrücke aufzunehmen: in welcher Weise, lässt sich freilich nicht sagen ! : und er nimmt Reize aus der Sphäre seines Lebens in sich auf und es entstehen daraus in ihm Empfindungen der Lust und Unlust, welche dann in die nächste Traumphase hineinhallen. Je nach- dem jene Empfindungen mehr oder minder hervortretender Natur sind, werden auch diese Ahnungsträume einen mehr oder minder bestimmten Charakter annehmen.

Im Tiefschlaf sendet der Geist seine Fühlkraft in die Weite des Raumes und der Zeit, der künftigen wie vergangenen: oder er sendet sie nach der Gemütsstimmung hin, und je stärker der Eindruck war, den er von diesen empfing, desto deutlicher drückt sich der Traum aus.

Nun ist es wahrscheinlich, dass der Geist, wenn er in die Weite des Raumes vor- und rückwärts dringen kann, noch leichter in die Be- wegungen seines eigenen Wesens wird einschauen können: daher rührt es, dass er für alle im Tagesleben übertönten Disharmonien im Schlaf ungleich empfänglicher ist als im Wachen. Und dies malt die Phantasie arg übertreibend aus.

Ausser den Ahnungen, welche die Periode des Tiefschlafs auszeichnen, bringt diese noch aus sich selbst eigene lebendige Bewusstseinsgebilde hervor, und das Traumleben nimmt einen immer reichhaltigem, frischem Charakter an. Mitten in diesem Strudel von Traumbildern durch irgend ein Motiv veranlasst fängt sich die Ich-Kraft wieder an zu regen : anfangs nur äusserst schwach, aufblitzend, um sogleich wieder zu ver- schwinden : aber sie kämpft bereits unablässig gegen die Traumbilder an : immer heftiger wird dieser Streit: immer lebhafter drängt sich das Ich durch die Traumbilder hervor.

In diesem Kampfe des Ich mit den Traumbildern, wo das verstärkte Bewusstsein schon hindurchblitzt, entsteht ein bewusstes Träumen. Solche Träume beruhen auf Associationen. Nur die intensivem Traumbilder reizen das Ich zur Bewusstseinsempfindung, aber das wiedererwachende Leben verbreitet diese Schwungkraft auch über die schwachem Traumbilder, und so kommt es, dass endlich ein ganzes Heer von Träumen umherschwirrt

250 Emil Laoenfüsoh

Nun beginnen die Associationsträume, zunächst nur abgebrochen, dann aber verknüpfen sie sich mit einander: sie bilden eine Kette, die bald wieder zerreisst, doch sich ebenso rasch wieder zu einer neuen zusammenfügt. Hierdurch zum Bilden angefeuert, entsendet die Ich-Kraft aus sich die bildende Macht der schöpferischen Phantasie, welche wieder durch die Associationen angefeuert, jetzt ihrem bildnerischen Triebe folgt.

Durch diese reichhaltigen Wechselgebilde wird der schauende Geist erschüttert: er wird von Staunen, von Lust oder Unlust ergriffen. Aber das sich mehr und mehr regende Ich greift in die Traumgebilde ein.

Diese Regungen der Lust und Unlust lassen den Affekttraum ent- stehen: oft bricht auch das Leibleben hervor: ein Druck, ein Schmerz, die Blutzirkulation rufen den Reiztraum hervor, in den sich nicht selten Muskelbewegungen einmischen. In ganz ähnlicher Weise greifen der Gesichts- und Gehörs-Sinn ein. Dazu gesellen sich Traumbilder, die die kalte oder warme Empfindung der Haut hervorrief. So entstehen die verschiedenartigsten Träume aus den mannigfaltigsten Gefühlsmomenten.

Jedoch das Ich drängt sich immer kräftiger hervor : es siegt über die Phantasieträume: wir sind dem Erwachen bereits ganz nahe. Und nun ist es ähnlich wie beim Einschlafen: die zurückgedrängten periodischen Denkformen des wachen Lebens beginnen sich wieder in den Traum zu mischen. Während diese Reflexions- und Phantasieträume noch wild durch einander wogen und gegen einander ankämpfen: brechen sich plötzlich die Tagesgedanken des Geistes durch irgend einen Impuls erregt wieder Bahn und mischen sich in die Traumbilder. Halb leben wir noch im Traum, halb schon in Wirklichkeit. Alles wogt in wildem Wirbel durcheinander: da bricht sich mit aller Gewalt das Ich Bahn: wie mit einem Zauberschlage verschwinden die Traumbilder und wir sind erwacht. Daher ist das Erwachen öfters mit einem gewissen Schreck verbunden.

So weit die Perioden des Traumes.

V.

Interessant ist es nun zu sehen, wie sich die drei Hauptkräfte des Geistes Denken, Fühlen, Wollen im Traume verhalten.

Wenn wir fast all unsere Vorstellungen des Wachens aus dem Denken herleiten, so nehmen die Traumbilder hauptsächlich ihr Material aus dem Gefühlsleben her.

Wir unterscheiden an der Ich -Kraft die spontane und die receptive Seite : jene geht im Traume völlig verloren und allein die receptive bleibt zurück. Indessen ändert sich die Struktur des Denkens, Fühlens, Wollens

Der Traum. 251

im Traume vollständig: am meisten verliert das Wollen, am wenigsten das Fühlen darunter, während das Denken in dieser Hinsicht in der Mitte steht.

Es scheint uns der Mühe wert, auf diese drei Prinzipien unseres Geisteslebens während des Traumes näher einzugehen.

Nicht ganz um dies gleich vorwegzunehmen entbehrt das Traumleben der Denkprozesse. Wir müssen hier ein wenig weiter ausholen.

Die Denkkraft äussert sich im Wachen spontan als Denken, receptiv als Schauen : dem Traume bleibt nur die receptive Seite das Schauen. Wie die Schablonenträume ausserhalb der Reflexion fallen, vielmehr als Nachhall des wachen Verstandes anzusehen sind, so gehört auch, wenn wir über ein auffallendes Traumbild mitten im Traume Betrachtungen anstellen , diese Erscheinung dem wachen Denken des Abends vorher an.

Dasselbe gilt, wenn wir im Traum Probleme lösen, mit denen wir uns Tags zuvor herumtrugen und nicht zum Ziele gelangten. Auch hier ist der ganze Gegenstand des Denkens vom Wachen gewirkt und in Erregung gehalten.

Anders wenn wir uns im Traume über Ungeheuerlichkeiten von Er- scheinungen z. B. geflügelten Menschen verwundern: in diesem Falle müssen wir wirklich dem Traume zugehörige Reflexionen annehmen: und dennoch sind diese so blitzartig, dass sie unter den Begriff des wachen Denkens kaum gerechnet werden können, sondern vielmehr nur den durch die Gewalt seltsamer Eindrücke dem schlafenden Verstände abgepressten Reflexionsregungen zuzuzählen sind.

Auch wenn wir im Traume uns mit philosophischen Problemen ab- mühen und dieselben plötzlich lösen, ist dies wieder eine solche dem wachen Verstände abgepresste Reflexionserregung.

Selbst im höchsten Stadium der Traumreflexion unmittelbar vor dem Erwachen, wo die Phantasie am stärksten mit der sich hervordrängen- den Ich -Kraft zu kämpfen hat, verneint die Verstandesthätigkeit noch das spontane Wesen des Wachens : denn sie kann sich nicht einen Gegen- stand zur Bethätigung wählen, sondern ist hierin völlig der Laune der Phantasie überlassen.

Also streng genommen entbehrt das Traumleben der Denkprozesse überhaupt: da Verstand und Vernunft dem Traumleben abhanden ge- kommen sind, giebt es auch im Traum kein eigentliches Begriffsleben. Wenn das Ich -Denken das erste Glied seiner Periodenbildung noch auf Geheiss der Vernunft setzte, so stellt dem gegenüber das Traumleben dasjenige Bild an die Spitze seiner Kette, das durch einen zufälligen Nervreiz erweckt wird.

252 Emil Lagenpüsoh

Die Vernunft fehlt also im Traum. Als Surrogat für die fehlende Vernunft tritt im Traum der Affekt ein. Die Schwäche der Ich-Spontanei- tät im Traum zeigt sich besonders darin, dass sie die vorüberhuschenden Gebilde des Traumes gar nicht fixieren und zur Betrachtung still halten kann, während sie im Wachen denselben Gegenstand Stunden, ja Jahre

lang vor sich zu fesseln und hinzuhalten vermag.

* *

*

Aus dem Gesagten ergiebt sich, dass wir dem Traume ihm völlig zugehörige Reflexionen nicht absprechen können. Aber gänzlich liegt der Wille im Traum darnieder. Selbstverständlich! Wie mit der Sonne alles Licht, so erlischt mit dem Ich aller Wille. Ist der Wille im Wachen die stärkste Seite unseres Geisteslebens, so wird er im Schlaf zu der schwächsten alles Traumlebens. Wir können kein Traumbild festhalten, keins von uns weisen : wir sind ganz und gar der Willkür der Phantasie verfallen. Dem Erkennen diametral entgegengesetzt, das von aussen nach innen strebt, steht das Wollen, das sich gerade in entgegengesetzter Richtung bewegt. Aber das Erkennen ist bei weitem nicht so dem Ich unterworfen als das Wollen: die Energie des Wollens setzt zu ihrer Selbstthätigkeit in viel höherm Masse die Energie des Ichs voraus als das Erkennen. Dies ist receptiv, das Wollen spontan. Da nun im Schlaf die spontane Seite des Ichs verloren geht, wird das Wollen viel mehr geschwächt als das Denken: denn jenes musste seine Energie, um sich als Willensgestalt zu realisieren, erst aus dem Ich holen. Somit können wir von einer gänzlichen Aufhebung des Wollens im Schlaf sprechen.

Nach zwei Richtungen hin macht sich diese Ohnmacht des Willens im Traum ganz besonders bemerkbar.

Erstens giebt es ein Ich- Wollen im Traum überhaupt nicht; femer aber kann man ebenso wenig von einem Willen in Beziehung auf das Muskelgebiet sprechen. Muskelbewegungen im Traum, z. B. das Auf- schreien, die Bewegungen der Arme und Beine, auch das Schlafwandeln, rühren keineswegs vom Willen her, sondern von dem bewusstlosen Reiz des Nervensystems^): das Traumbild erregt den Geist dermassen, dass er dem Reiz eine Gegenäusserung entgegensetzt.^) Das Nachtwandeln diktiert ebenfalls nicht der Wille, sondern der Traum : der Nachtwandler bewegt sich dauernd in den engen Grenzen des Trauminhalts: daher hört er auch nur diejenigen Worte, die in den Zusammenhang seines Trauminhalts hineingehören : alles andere, was sich nicht auf den Traum bezieht, bleibt ihm unverständlich. Jede Bewegung im Nachtwandler-

1) Vgl. Scherner S. 77 ff. 2) Ebendas. S. 50.

Der Traum. 253

träum ist aus der Erregung des Nervensystems herzuleiten, und die Phantasie setzt den Traum in Thätigkeit um und bringt das Muskel- system in Bewegung.

Die Willensschwäche im Traum zeigt sich auch darin, dass die Phantasie mitten in den grössten Gefahren den Willen unbeholfen fest- gebannt hinstellt, ohne alle Gegenwehr J)

Also die Sprach- und Muskelbewegungen des Träumenden beruhen allein auf Mechanismus : der Wille selbst kommt dabei gar nicht in Betracht.

Hatte das Denken und Wollen eine scharf hervortretende central- peripherische Struktur: wandte sich das Erkennen von der Peripherie nach dem Centrum, das Wollen vom Centrum nach der Peripherie: so steht das Fühlen in der Mitte.

Es bedarf im Wachen zur Äusserung seiner Lebenskraft immer der Kräfte des Denkens und WoUens: dadurch wird es aber ungleich mehr in seiner Bethätigung gehemmt als die beiden andern Geisteskräfte. Es wird im Wachen von dem Getriebe der Aussenwelt und Tageseindrücke sehr erheblich beeinträchtigt und übertönt.

Ganz anders im Schlaf:

Hier tritt die für das wache Bewusstsein verloren gegangene Sphäre des Empfindungslebens wieder hervor: es wird nicht von den Kräften des Denkens und WoUens, die im Schlafe deprimiert sind, zurückgedrängt, sondern kann sich frei und ungehindert entfalten, in demselben Masse wie sich jene im Schlafe zurückziehen.

Daher treten im Traum nicht nur Erinnerungen mit starken psychischen Werten ins Bewusstsein, sondern selbst solche mit ganz schwachen, die eben darum dem Gedächtnis des Wachenden entfallen waren, sich auch gar nicht demselben aufdrängen konnten , weil sie von den beiden andern Geisteskräften übertönt wurden. Daher entstehen so viele Träume aus Gemütseindrücken, welche im Lärm des wachen Lebens nicht auf- kommen konnten : und daher treten gerade Nachts so häufig Krankheits- symptome hervor.

Im Schlaf kann sich unser Gefühlsleben viel ungehinderter geltend machen, weil die äussern Tageseindrücke nicht ablenkend in den Weg treten.

Ganz besonders wird sich im Schlaf das Gefahl unseres Leib- und Seelenlebens geltend machen. Im Schlaf, wo die Eindrücke der Aussen- welt fortfallen, hat die Seele am Leibleben ein viel tieferes, breiteres Empfindungsbewusstsein als im Wachen: daher wird sie sich für jeden

1) Vgl. Scherner S. 82—83.

254 Emil Lagbnpusoh

leisen Reiz, der sich an dem Körper kund thut, ungleich empfanglicher zeigen als im Tagesleben: viele Leibreize werden der schlafenden Seele zum Bewusstsein kommen, die ihr während des Wachens verloren gingen.

Und weil sich das Empfindungsleben während des Schlafes so viel deutlicher regt als während des Wachens, so bedarf die Seele auch nicht des Anstosses der Aussenwelt, um zum Empfindungs- und Wahmehmungs- bewusstsein zu gelangen. Im Wachen stellte die Seele vor und dachte in Wortbildern: im Schlaf kann sie dies nur in Empfindungsbildem.

Im Traum tritt übrigens das geistige Gefühlsleben vor dem sinnlichen entschieden zurück: war das sinnliche Gefühlsleben im Wachen auf sehr bestimmt ausgeprägte Lust- und Unlust-Empfindungen beschränkt, so verschärft sich die Empfindungskraft im Traume noch ganz erheblich: sie wird selbst für die leisesten Bewegungen des Leiborganis- mus empfänglich, weshalb sonst unbemerkbare, leichte Missstimmungen im Schlafe gefühlt werden, die dem wachen Bewusstsein gänzlich verloren gingen.

Mit einem Wort: das Gefühlsleben ist der eigentliche Herd, von dem das ganze Traumleben ausgeht. Das Gefühlsleben und zwar das Leib- und Seelenleben geben die Impulse für die Traumbilder her.

Die Traumbilder schafft aber die Phantasie und zwar ungehindert von den Schranken, die ihr im Wachen die Vernunft gesetzt hatte.

VI.

Wenn nun der Phantasie im Traume ein so weites Feld eingeräumt wird, so liegt die Frage nahe, ob dann die Vernunft dem Traume völlig abhanden gekommen ist?

Hierauf ist mit „Nein" zu antworten: die Vernunft ist dem Traum- leben nicht völlig abhanden gekommen.

Im Geiste ist wie wir sahen alles flüssig. Schlaf und Wachen, Bewusstes und Unbewusstes, Lust und Unlust dürfen wir nicht so scharf voneinander sondern wie ihre Begriffe. So dürfen wir wohl auch anneh- men, dass sich im Traumleben Spuren von Vernunft zeigen werden.

Und in der That trotz des Vorhandenseins jener Abgeschieden- heit der Traumbilder vom wachen Leben zeigen sich im Traume doch Spuren der wachen Vernunft. Freilich ist die im Traume wieder auf- tauchende Vernunft wie aus dem Vorigen hervorgeht nur receptive Vernunft: die spontane Seite ist ihr abhanden gekommen: sie selbst ist bestimmungs- und willenlos. In dieser ihrer receptiven Bildung wird die Vernunft dem passiven Fühlen sehr ähnlich.

Der Traum. 255

Der Vernunft im Traume fehlt also alle Spontaneität. Die Folge da- von ist, dass sie nicht in das Innere der Dinge zu dringen vermag, son- dern sich nur an dem nach aussen hervortretenden Wesen derselben gel- tend machen kann. Da sich diese aber nur in Raum und Zeit ausdrücken, muss die receptive Vernunft sich auch nach Raum und Zeit hinschauend erstrecken.

Femer kann sich die receptive Vernunft auch nicht ihr Ziel selber stecken, sondern sie bedarf dazu eines tragenden Moments.

Solch ein tragendes Moment bildet in erster Linie das Leibleben, ferner das Seelenleben, dann die Lebensbewegung ihrer Subjektivität. Je nachdem sich die Vernunft in eine oder die andere Richtung versenkt, werden die Träume verschiedene Gestaltung annehmen.^)

Bezeichnen wir diesen Mangel an Vernunft im Traumleben als die negative Seite des Traumlebens, so können wir in der Phantasie seine positive Seite sehen.

Die negative Seite tritt noch in folgenden Momenten hervor: Im Traumleben treten alle logischen Operationen der Seele zurück : den Wahr- nehmungsbildern fehlen ihre psychischen Werte.

Also zerstört die Seele im Schlaf die im Wachen mühsam aufgebauten Zusammenhänge ihres eigenen inneren Lebens.^)

Welche Ursache hat sie dazu? Wahrscheinlich ist sie im Schlaf zu suchen: denn im Schlafzustand des Geistes herrscht nur ein hin- und herflatterndes Bewusstsein. Daher wird von dem Traum in den häufigsten Fällen der logische Wert, der Zweck, die Bedeutung der Dinge verkannt : nur obenhin malt der Traum die Dinge, unbekümmert um ihre innere Seele. So entsteht völlig Zweckwidriges, sich in Wirklichkeit Aufheben- des: und doch stellt der Traum es arglos zusammen, wie etwas ganz Selbstverständliches.^)

Dazu kommt, dass der Traum sich nicht im mindesten an den Cha- rakter der Traumpersonen kehrt: diese befinden sich oft in den wider- sinnigsten Situationen: der Philosoph glaubt sich als Tierbändiger, der Greis sieht sich auf der Schulbank vor dem Lehrer, der ihn wegen der schlecht gelernten Lektion ins Verhör nimmt ; wir treffen längst Ver- storbene auf der Strasse und sprechen mit ihnen von ganz vorweltlichen Begebenheiten. Es ist geradezu unbegreiflich, wie Schopenhauer behaupten kann: jeder rede und handle im Traum „in vollster Gemässheit seines Charakters". Li diesem Falle müssten wir uns für höchst bedenkliche

1) Scherner S. 91—97.

2) Strümpell S. 28.

3) Volkelt S. 21,

256 Emil Lagenpüsch

Individuen halten. Den oft so veränderten Charakter unseres Ich können wir wohl aus dem Unvermögen des Verstandes erklären, die Traumerleb- nisse mit dem Inhalt früherer Erlebnisse in Beziehung zu setzen.

Aber sogar gegen die Naturgesetze verstösst der Traum: es macht ihm keine Skrupel, sich über das Gesetz der Schwere hinwegzusetzen: wir schweben im Traum hoch über den Wipfeln der Bäume : die steilsten Mauern klettern wir hinan ohne jede Beschwerde: verwegen beschreiten wir die spiegelnde Fläche des Sees, und es kommt uns nicht im mindesten naturwidrig vor, dass wir nicht in die Tiefe stürzen.

Ebenso setzt sich der Traum über Raum und Zeit hinfort: die Schau- plätze und Zeitpunkte wechseln oft überraschend schnell. Während wir noch soeben an unserm Schreibtische den Zug Napoleons nach Ägypten lasen, befinden wir uns im nächsten Augenblicke am Nil und erklimmen unter den heissen Strahlen der Sonne die Cheopspyramide : das geht auch seltsam rasch : und wie wir oben angekommen sind, befinden wir uns in der Gesellschaft Napoleons I. und seiner Generale: er bietet uns selbst sein Fernrohr an, weil wir das unsere zu Hause liegen liessen : er spricht mit uns über Staatsverfassung und den Zug des grossen Alexander, alles in seiner bekannten philosophisch -theatralischen Weise: und wir finden in all diesem nichts Ungewöhnliches weder dass wir zur Zeit des grossen Kaisers leben, noch dass wir es wagen, in Schlafschuhen vor dem Kaiser zu erscheinen.

Nichts bleibt, nichts beharrt im Traume: alles fliesst in ihm: dies Fliessen ist aber nicht einmal gleichmässig, sondern sprunghaft: daher diese unerhörte Zusammenhangslosigkeit : der rasche, unvermutete Wechsel der Scenerie, der Mangel an Urteil und Besinnung.

Aber noch weiter geht die Sorglosigkeit des Traumes. Selbst das Gesetz der Identität ist ihr nicht heilig. Oft bedeutet uns ein und die- selbe Traumgestalt zwei Personen : wir sehen uns selbst tot im Sarge : wir weinen um unsern eigenen Tod. Wir sehen uns im Zimmer auf und nieder gehen, hören uns sprechen, stellen Fragen an uns und beantworten dieselben.

Hierher sind auch die Objektivierungen zu zählen: über die Zahn- schmerzen, die uns plagen, sehen wir andere klagen und sprechen ihnen Trost ein.

Wo aber gegen das Gesetz der Identität Verstössen ist, da muss die Verstandesthätigkeit aufs äusserste gelähmt sein. Das zeigt sich auch noch darin, dass dem Verstände im Traum jede Initiative fehlt: die Urteile und Schlüsse, in welchen er sich bewegt, sind nur tote Geleise, die gleich- gültig für jeden Inhalt offen stehen.*)

1) Volkeit S. 26.

1

Der Traum. 257

Auch die Vorstellungsmasse des Ich leidet unter der tumultuarischen Bewegung des Traumes. Häufig kommt das Ich gar nicht zur Entwickelung oder aber, geschieht dies teilweise, so wandeln wir neben andern Personen im Traume, und die Gedanken des einen werden zu Handlungen des andern.')

Ferner macht sich die negative Seite des Traumlebens bemerkbar in der unsichern Abschätzung der Wert- und Grössenmasse. So erscheinen uns Trivialitäten als hohe Weisheit : irgend ein unsinniger Keim erscheint uns eines Goethe würdig: bei Tage besehen, ist es heller Unsinn. Un- bedeutende Gefühle, wie Wärme und Kühle, werden im Traum leicht zu tropischer Hitze und sibirischer Kälte : der Riss mit einer Nadel an der Hand wird im Traum zur klaffenden Schwertwunde.^)

Uns fehlt im Traum zum grössten Tßil Urteil und Besinnung. Wir staunen oft im Traum nicht im entferntesten über Dinge, die uns im Wachen höchst sonderbar erscheinen würden; übergrosse Früchte, hohe Engelgestalten mit goldnen Flügeln und andererseits fürchterliche Zerr- bilder, besonders hässliche alte Weiber, wie sie die Wirklichkeit nicht kennt, bietet uns der Traum: und das alles hindert uns infolge des Ur- teilsmangels nicht, die Traumbilder für wirklich zu halten.

Dazu kommt noch die Zusammenhangslosigkeit in den Traumbildern. Ganz Unvereinbares fasst der Traum in ein Moment zusammen. Unzu- sammenhängendes in eine Kausalreihe. Daraus erklärt sich auch das leichte Vergessen der Traumbilder: den einzelnen Teilen des Traumes fehlt der innere Zusammenhang: darum ist die Erinnerung an sie so schwer und darum fallen sie so leicht der Vergessenheit anheim.

Zu der negativen Seite des Traumlebens dürfen wir auch die „Ab- geschiedenheit des Traumes vom wachen Bewusstsein"') rechnen.

Die Ordnung und Regelmässigkeit des Wachens reicht in den Traum nicht hinein. Der Traum bietet uns nur Bruchstücke aus dem wachen Leben: niemals wiederholt sich im Traum das Tagesleben, seien es freu- dige, seien es traurige Ereignisse. Auch wenn die Seele Tags über von einem Gegenstande ganz und gar erfüllt war, kehrt dieser im Traum sehr selten ganz so wieder, wie er in der Wirklichkeit war: meistenteils giebt der Traum Fremdartiges oder greift einzelne Momente aus dem verflos- senen Tagesleben auf und kombiniert sie mit Fremdartigem.'')

Aber es ist nicht zu leugnen, dass der Traum Ansätze zu Wieder- holungen des Tageslebens nimmt; allein schon das folgende Glied bleibt aus. Es ist ja aber Aufgabe des Schlafes, die Seele zeitweilig von den Anstrengungen des Tageslebens zu erlösen, er muss also auch die Erin-

1) Volkmanu, Psych. I. 407. 3) Ebendas.

2) Strümpell S. 16 ff. 4) Vgl. Burdach.

17

268 Emil LagenpüSch

nerung an sie auslöschen. Im Schlafe, von den Alltäglichkeiten, den Mühen und Sorgen des Lehens hefreit, tritt die Seele wieder auf die Stufe ihres früheren Daseins zurück, in der die Wirklichkeit ihr Recht verliert.

Und nun kommen wir wieder zu dem Satze zurück : Der Traum ist „die im Schlafe fortdauernde Seelenthätigkeit", die, von der Aussenwelt in nur geringem Masse heeinträchtigt, uns in andere dem Tagesleben femliegende oder gar entgegengesetzte Gebiete führt

Und zwar wendet sich die Thätigkeit der Seele im Traum dem in- nem Leib- und Seelenleben zu.

Als Erklärung möge folgendes dienen, wobei wir uns an die Erläu- terungen von Strümpell auschliessen.

Wir stehen im Wachen einer grossen Anzahl von erlebten Eindrücken ebenso unwissend gegenüber wie die Seele im Traum den Begebenheiten des Wachens. Während die meisten unserer Erlebnisse der Vergessenheit anheimfallen, bleibt nur eine bestimmte Reihe von Erlebnissen in unserm Gedächtnisse haften.

Ursache hierfür dürfte folgendes sein:

Jedem Erlebnis haftet eine „geistige Umhüllung" an, die zur Erin- nerung des Erlebnisses beiträgt: diese geistige Umhüllung nennen wir „psy- chischen Wert". Nur Ereignisse mit solchen psychischen Werten bleiben in unserm Gedächtnis haften. Bei der Erinnerung eines frühern Erleb- nisses wird sich sogleich dieser psychische Wert geltend machen : es kann aber auch der umgekehrte Fall eintreten, so dass die Erinnerung an den psychischen Wert erst die Erinnerung an das frühere Erlebnis wach ruft.

Wo nun die Erinnerung durch Begriffsreihen zu stände kommt, hilft uns das Ins-Gedächtnis-Rufen eines psychischen Wertes oder Einzelgliedes gar nichts: sondern in solchem Falle hilft uns nur Nachdenken.

Im Traume ist die Seele auf den Standpunkt der Sensation zurück- geführt; daher reproduciert der Traum wohl Begebenheiten des wachen Lebens, aber „ohne psychische W^erte".

Und weil nun diese fehlen, haben die Traumbilder im Vergleich mit den Vorstellungen des Wachens etwas Totes, Schattenhaftes an sich.

Ferner kommt dazu: Da wir den Traum beim Erwachen nicht in die Geschichte unserer Vergangenheit noch Gegenwart einordnen können, und das Erwachen stets mit einem gewissen Schreck verbunden ist, er- scheint er uns wie aus einer andern Welt.

Daher können wir von einer „Abgeschiedenheit des Traumes vom wachen Bewusstsein" sprechen.^)

1) Strümpell S. 16-32.

Der Traum. 259

Kechnen wir demnach zu der negativen Seite des Traumlebens das Für-Wirklich-Halten der Traumbilder, ihre innere Zusammenhangslosigkeit, ihren phantastischen, sprunghaften Wechsel, den teilweisen Mangel an Be- sinnung und Urteil, der sich darin ausspricht, die Gleichgiltigkeit des Traumes gegen das Gesetz der Identität, die Objektivierungen von sub- jektiven Empfindungen, Verdoppelung der Persönlichkeit : so ist demnach das logische Denken im Traume nicht völlig erloschen.

Vor allem sind wir uns im Traume sehr oft unserer eigenen Persön- lichkeit bewusst: wir stellen Überlegungen, Berechnungen an: wir beur- teilen Eeden und Handlungen anderer: wir wissen Rot von Blau, Gut von Böse zu unterscheiden: auch zeigen sich erhöhte Grade geistiger An- strengungen neben dem Gefühl derselben: wir fühlen uns beim Berg- steigen ermüdet, der Schweiss perlt uns von der Stime : kurz, wir sehen : trotzdem die Vernunft- und Verstandesthätigkeit sehr deprimiert sind, lassen sich dennoch Spuren von ihnen im Traume nicht leugnen. Das Selbstbewusstsein im Traume ist nur insofern verändert, als die Bezie- hung auf frühere Erlebnisse mangelhaft ist. Freilich wird es sich nicht immer leicht entscheiden lassen, wie weit diese Spuren der Vernunft- und Verstandesthätigkeit als „Residuen aus dem wachen Bewusstsein" anzu- sehen sind.

vn.

Wir hatten unter der negativen Seite des Traumlebens den Mangel an vernünftigem Weltbewusstsein begriffen: zur positiven ist dann der Zusammenhang des Traumlebens mit der Phantasie zu rechnen.

Was der träumenden Seele auf dem Gebiete der Vernunft verloren ging, wird ihr reichlich ersetzt auf dem der Phantasie. Diese nimmt im Traumleben etwa dieselbe Stellung ein, welche im Wachen die Vernunft inne hatte.

Wir gehen wie gewöhnlich vom Wachen aus. Im wachen Seelenleben führen Verstand und Vernunft die Herrschaft: nur nebenher macht sich auch die Phantasie geltend : denn sie ist zum Zu- standekommen jeder Vorstellung notwendig. Lesen wir eine Reisebeschreibung, hören wir Märchen und Sagen: sogleich malt die Phantasie in anschaulichster Weise die Länder aus, die Ungeheuer und auch die Helden, welche sie zu be- stehen haben. Je nachdem uns mehr oder minder Einbildungskraft eigen I ist, wird die Phantasie jenen Gebilden kräftigere oder blassere Farben I verleihen: diese Gebilde werden wohl meistenteils idealisierter, üppiger, i farbenprächtiger erscheinen als in Wirklichkeit. Dass aber unsere Phan- I tasiegebilde des Wachens sich nicht ins Ungeheure, Ungemessene ver-

! 17*

260 Emil Lägbnpüsch

lieren, dafür sorgen Verstand und Vernunft, die jeden Augenblick da- zwischentreten und der Phantasiethätigkeit ein Ziel setzen.

Verglichen mit den Traumbildern haben jene Phantasiegebilde des Wachens entschieden etwas Blasses, Mattes, Farbloses: und trotz aller Mühe wird es uns nicht gelingen, so hohe Grade von Klarheit im Wachen uns vorzustellen, wie sie der Traum uns bietet.

Wenn nun die Phantasie schon im Wachen eine so hervorragende Rolle spielt : wie viel freier wird sie während des Schlafens walten können !

Im Schlaf verliert das Ich seine Spontaneität: nur die Recep- tivität bleibt ihm zurück. Folglich wird sich die Phantasie im Traume

befreit von den Schranken, die ihr Verstand und Vernunft steckten viel ungehemmter entfalten können.

Ferner sinken Denken und Wollen im Schlaf zu völliger Ohnmacht herab: also, gleichwie von der Ich- Spontaneität, ist auch von diesen die Phantasiethätigkeit im Traume nicht behindert. Dagegen tritt aber das Gefühlsleben um so reicher hervor: die zurückbleibende Ich-Receptivität wird sich nun an den im Schlaf hervortretenden Gefühlsregungen geltend machen: die Traumphantasie wird, da im Traume mit der Ich-Kraft auch die Denkkategorien fielen, nicht in Begriffen, sondern in Bildern sprechen.

Dazu kommt: Für die schlafende Seele fallen zum grossen Teil die Eindrücke der sie umgebenden Aussenwelt fort, welche der Phantasie im Wachen eine gewisse Richtung gaben und das Gefühlsleben am Tage übertönten und nicht aufkommen Hessen. Dagegen in der Nacht, den Eindrücken der Aussenwelt entrückt, macht sich das Gefühlsleben in sei- ner ganzen Breite bemerkbar : jeder Reiz aus dem Leib- und Seelenleben wird von der Ich-Receptivität aufgefangen, und hieraus aus den Regungen des Leib- und Seelenlebens nimmt die Phantasie das Material zu den Traumbildern her.

Wie die Phantasie die Traumbilder zu stände bringt, setzt Volkelt in seinem Buche „Die Traumphantasie" ') in sehr anschaulicher Weise aus- einander. Mit Recht nennt er die „unbewusst schaffende Phantasie" die „Grund- und Hauptkraft des Traumes". Unbewusst schafft die Phantasie im Traume : ihr giebt das Denken keine bestimmte Richtung, sondern nur das Gefühlsleben. Auch Scherner 2) sieht in der Traumphantasie die „Centralkraft des Traumes" : allerdings geht er entschieden zu weit, wenn er von einer Symbolik der einzelnen Körperteile im Traume spricht. Beide

Volkelt und Scherner unterscheiden sich aber insofern von Strümpell ^),

1) Stuttgart 1875. 2) Das Leben des Traumes. Berlin 1861. 3) Über die

Natur und Entstehung der Träume. Leipzig 1874.

Der Traum. 261

Wundt 1) , Volkmann 2), Krauss 3), als sie zwischen reproduktiver und produktiver Phantasie im Traume unterscheiden.

Strümpell lässt nämlich nur reproduktive Phantasie im Traume gelten : und da er in seinen Untersuchungen stets vom Wachen ausgeht, ist dies nur konsequent. Allein unseres Erachtens geht man doch zu weit, wenn man die Nervreizträume aus blosser Reproduktion herleiten will.

Wundt teilt die Träume in solche, die auf Sinnesreizen und solche, die auf Reproduktion beruhen: bei ihm geht also ebenfalls die produktive Phantasie leer aus.

Wir sind aber entschieden berechtigt, produktive Phantasie im Traume anzunehmen.

Es scheint, dass Strümpell und Wundt nur darum allein repro- duktive Phantasie gelten lassen wollen, weil sie der Ansicht sind, die Traumphantasie schöpfe nur aus dem Gedächtnis des wachen Lebens, alle Träume stammen nur aus dem Gedächtnis des wachen Lebens : und insofern haben allerdings alle Traumgebilde „reproduktiven" Charakter.

Die Traumphantasie schöpft aus dem Gedächtnis des wachen Lebens, wie auch der Maler und der Dichter nur aus schon „Dagewesenem" schö- pfen können : absolut Neues können auch sie nicht erfinden. Gedacht sind grossartige Ideen gewiss von vielen: ausgeführt nur von Auserwählten! Jedes Gedicht von Goethe wir denken gerade an „Das Veilchen" wird, während wir es lesen, unwillkürlich zu unserer eigenen Empfindung; es kommen da Gedanken zur Sprache, die wir unzähligemal gedacht, Ge- fühle, die wir unzähligemal empfunden: aber sie in jene poetische Form zu giessen dazu bedurfte es eines Meisters wie Goethe.

Also insofern alle Träume aus dem Gedächtnis des wachen Lebens herstammen, sind sie reproduktiver Natur.

Dennoch sind wir berechtigt, auch produktive Phantasie im Traume anzunehmen, vorzüglich aus zwei Gründen, die jeder, der auf seine Träume achtet, bestätigen wird. Wir sehen im Traume Gebilde von ausser- ordentlicher Klarheit und Schärfe und ferner solche, die wir im wachen Leben niemals wahrgenommen. Also wir werden uns darauf beschränken müssen zu sagen: nur in Bezug auf die letzten Elemente des Traumstoffes ist die Traumphantasie stets reproduktiv: nur die „letzten Bausteine" nimmt sie unverändert aus dem wachen Bewusstsein herüber: alles übrige im Traum gehört in das Gebiet der produktiven Phantasie. Und diese produktive Phantasie ergreift nun die sich ihr dar-

1) Psychologie. Leipzig 1880. 2) Psychologie. Halle 1856. 3) Siehe

Volkelt, S. 39.

262 Emil Lagbnpusch

bietenden Reize aus dem Gefühlsleben und wandelt sie in Vorstellungen oder vielmehr in Traumbilder um. Insofern ist die Hauptthätigkeit der Traumphantasie die „Symbolisierung", d. h. die die anpochenden Gefühls- reize zu Bildern umschaffende Thätigkeit der Phantasie : also insofern dürfen wir von einer Symbolik der Traumphantasie sprechen.

Die Traumphantasie wird sich nun in doppelter Weise bethätigen. Einmal giebt ein Leib- oder Seelenreiz der Phantasie die Richtung des Umschaffens: so teilen wir mit Volkelt die Träume in Leib- und Seelenträume. In diesen beiden Traumgruppen wirken die Phantasie, Association und der betreffende Leib- oder Seelenreiz mit Diesen beiden Gruppen ist dann als dritte gegenüberzustellen die der blossen Associa- tionsträume, in denen jener Leib- und Seelenreiz sich nicht wirksam er- weist, sondern allein Association und Phantasie thätig sind. Als vierte Gruppe sind dann noch die Phantasie träume zu nennen, welche des die Richtung gebenden Anstosses entbehren. Die Phantasieträume dürfen wir eigentlich jenen drei genannten Gruppen nicht beiordnen, da sie in allen übrigen Traumgruppen zerstreut vorkommen.

Wir müssen noch einmal zu der Frage zurückkehren: produktive oder reproduktive Phantasie?

Alle jene Philosophen, die nur reproduktive Phantasie im Traume annehmen, scheinen sich einer offenbaren Täuschung hinzugeben. Wir werden dies sofort nachzuweisen suchen.

Überhaupt scheint der ganze Streit, ob neben reproduktiver auch produktive Phantasie im Traume anzunehmen ist, auf einer Täuschung zu beruhen.

Strümpell behandelt nur die Nervreizträume und lässt auch diese durch blosse Reproduktion der Phantasie entstehen.

Wenn wir aber im Traume bunte Blumen und Schmetterlinge sehen, die durch Lichtreize hervorgerufen werden, so ist es geradezu erforderlich, diese Symbolisierung der Lichtstreifen der produktiven Phantasie zuzuschreiben. Es handelt sich also nur darum, was man unter produk- tiver Phantasie verstehen will.

Wundt nimmt zwei Gruppen an: Träume, die auf Sinnesreizen be- ruhen, und solche, die durch Reproduktion allein zu Stande kommen. Die erste Gruppe teilt er wieder in zwei Klassen: Fälle, wo die Nervenreize unmittelbar zu phantastischen Vorstellungen verarbeitet werden und solche, in denen zuerst die Nervreize eine dunkle Vorstellung des damit verbun- denen Körperzustandes hervorrufen und dann infolgedessen Phantasmen entstehen, die sich entweder direkt oder durch Association auf den Körper- zustand beziehen.

Der Traum. 263

Wir seheD, Wandt kann auch nicht ohne produktive Phantasie auskommen. In noch höherem Masse zeigt sich dies bei Kraus s, wie Volkelt^) auseinandersetzt. Krauss lässt die Träume ebenfalls nur aus Associationen entstehen : und dennoch zeigen sich bei ihm Spuren von etwas, das über die Association hinaus liegt und allein aus der pro- duktiven Traumphantasie herstammen kann. Nach Krauss' mehr- facher Äusserung sind die Traumbilder der „sinnliche Ausdruck der physio- logischen Vorgänge in den Traumherden". 2)

Auch die Wahnsinnsgebilde des Irrsinnigen sind nach Krauss „phy- siologische Symbole". 3) So kommt die Angst, die durch krampfhafte Zu- sammenziehung der Lungen und des Herzens entsteht, nicht unmittelbar als Empfindung, sondern durch eine angemessene Vorstellung „versinn- bildlicht" zum Bewusstsein; und im Dämonenwahn findet er das dem intensivsten Grade der leiblichen Angst „kongruenteste Sinnbild".

Wie Krauss trotzdem von produktiver Phantasie im Traume nichts wissen will, bleibt unerklärlich: er spricht doch selbst von Versinnbild- lichung der Empfindungen im Traum, die man doch nun und nimmer unter die reproduktive Phantasie rechnen kann, sondern bei der die produktive Phantasie thätig ist.

* . *

Wir gehen auf die reproduktive und produktive Phantasie näher ein.

Bevor die Traumphantasie produktiv wird, ist sie reproduktiv. Sie nimmt die letzten Tageseindrücke mit hinüber in den Traum. Sie produciert freier als die des Wachens: denn mit der spontanen Seite des Ichs erloschen auch Verstand und Vernunft. So zieht das Associations- gesetz, ungehindert von beiden, im Traume Vorstellungsobjekte heran, die für das Tages-Denken miteinander unvereinbar waren oder wenigstens in keiner Beziehung zu einander standen. Daher zeigt der Traum die un- vereinbarsten Bilderphantome, die im wachen Leben ganz undenkbar waren : z. B. eine auf den Telegraphendrähten spazierende Rinderherde : der Traum setzt sie dorthin, ohne viel zu fragen, wie sie dorthin kommt. Mithin, die widersprechendsten Situationen stellt der Traum dar. Aber auch „nach der inneren Ähnlichkeit" wie der Verstand nach dem Begriff bringt der Traum Bilder hervor: jedoch hält er nicht die Kategorien fest, son- dern zieht die Bilder in freier Weise nach der Innenähnlichkeit heran. Wir träumen von einem Garten : und wir erfreuen uns infolge des Ge- setzes der Innenähnlichkeit an dem Duft der Rosen und Lilien, an

1) S. 39 f. 2) Volkelt a. a. 0. S. 40. 3) Ebendas.

264 f^MiL Lagekpusch

dem Gesang der VögeL Überall steht dem Traume die bildnerische Macht der Phantasie zur Seite.

Zu den Associationsgesetzen nach der Art des wesentlichen und zu- fälligen Moments treten die nach der Richtschnur der Gleichräum- lichkeit und Gleichzeitigkeit Was wir zufällig einmal gehört oder gesehen, das reproduciert sich schon am Tage wieder. Da aber am Tage der Wille vorherrscht, bleibt kein Raum für den höheren Aufschwung dieses Ge- setzes : den Traum erfüllt es dagegen in seiner ganzen Weite : ganze Gruppen von Traumbildern reproducieren sich, sobald auch nur ein einziges im Traumbewusstsein in den Vordergrund tritt. Dies eine in den Vordergrund getretene Bild zieht verwandte Bilder heran, und so entstehen ganze Bilder- komplexe.

Soviel über das Gesetz des Gleichräumlichen.

Nun tritt das Gesetz des Gleichzeitigen im Traume noch viel kühner hervor. Was in Wirklichkeit weit voneinander der Zeit nach getrennt war, das hindert der Verstand nicht nahe zusammenzufassen: denn der im Wachen geltende Begriff der Gleichzeitigkeit fällt im Traume fort Sehen wir im Traume einen Priester zechen, so hören wir gleich den Becher- klang sich mit den Klängen der Orgel mischen. Der Traum bleibt aber nicht bloss bei „einem" Zeitmoment stehen: er durcheilt Länder und Meere, er durcheilt all unsere Erlebnisse von Jugend an bis ins hohe Alter.

Mit den Bildern des Tages bleibt gleichzeitig ihre wechselseitige Ver- knüpfung nach Ursache und Wirkung, Mittel und Zweck im Gedächtnis haften.

So zieht denn ohne alle Hilfe der Geistes-Spontaneität ein Glied das andere an. Ganz besonders kräftig erweist sich aber die reproduktive Gewalt des Affekts im Traum. Am Tage erleben wir selten die volle Gewalt des Affekts, die, von Denken und Wollen behindert, unterdrückt wird. Dagegen in der Nacht, wo Denken und Wollen ruhen, kennt der Affekt keine Schranken: aus ihm stammen die weichen Stimmungsregungen des Ge- müts, aus ihm werden erzeugt Angst und Schrecken.^)

Es lassen sich nach Strümpell sechs Reproduktionsgesetze des Traumes, d. h. Regeln aufstellen, nach denen ein geistiger Zustand einen anderen nach sich zieht Diese sechs Gesetze sind folgende : das Gesetz der Ähnlichkeit, des Gegensatzes, der Koexistenz, der Succession, der Be- ziehung zwischen Mittel und Zweck, und das Gesetz des Zusammenhanges zwischen Ursache und Wirkimg.^)

1) Scherner S. 29—38.

2) Strümpell S. 111.

Der Traum.

Wir kommen zur produktiven Phantasie.

Die Phantasie des Traumes ist in viel höherem Grade Phantasie als die des Wachens. Sie ist frei von den Schränkender Vernunft und des Verstandes : sie spricht nicht in Begriffen, sondern in Bildern. Ihre Gebilde haben etwas Gigantisches: sie übertreffen an Klarheit und Schärfe bei weitem die Vorstellungen unseres wachen Lebens. Die Phantasie des Traumes schafft Gebilde, die wir im wachen Leben niemals gesehen nach der Seite des Schönen hin wie nach der des Hässlichen !

Während die Traumbilder der ersten Schlafperiode, welche die Phan- tasie aus dem Gedächtnis des verflossenen Tageslebens schafft, noch ver- hältnismässig der Wirklichkeit nahe kommen, entfernen sich die Traum- bilder alsbald von der Wirklichkeit immer mehr und nehmen die dem wachen Leben widersprechendsten Formen an. Hier schafft bereits die produktive Phantasie.

Es fragt sich nun: Wie geschieht der Übergang aus der reproduk- tiven in die produktive Phantasie? und femer: Was gewinnen denn was sie verlieren, ist im Vorigen gesagt! die Phantasiegebilde durch den Fortfall von Verstand und Vernunft, von Denken und Wollen: end- lich durch den teilweisen Fortfall der Aussenwelt?

Woher erhält also die Phantasie ihre Nahrung im Traum, ihre Ge- bilde zu formen? Da ist es in erster Linie der Affekt, der zum Impuls für die Traumbilder wird. Schon im Wachen sind Staunen und Verwunde- rung, Freude und Trauer von grossem Einfluss auf unsere Phantasie. Freude lässt die regnerischen Novembertage sonnig erscheinen : der Schmerz schaut in den klarsten Sommermorgen trübe Wehmut hinein. Anders erscheint uns ein liebgewordener Ort, wenn wir ihn nach langer Abwesen- heit wiedersehen: anders wenn wir von ihm scheiden müssen. Staunen, Verwunderung und mehr noch Schreck heben für Augenblicke alle Be- sinnung auf.

Hierbei wird aber im Wachen wieder das vernünftige Weltbewusst- sein dazwischentreten und die Phantasie beengen : die Aussenwelt wird mit ihrer Realität dazwischentreten.

Im Traume dagegen wogt das Gefühlsleben; ungehindert von dem vernünftigen Weltbewusstsein ergreift die Phantasie den sich ihr dar- bietenden Reiz aus dem Leib- oder Seelenleben und drückt ihn symbolisch aus.

Ein Beispiel: Wir befinden uns im Traume an einem See, malerisch von Tannen und Felsen eingefasst: majestätisch gleiten Schwäne über die Fläche dahin. Nun tritt ein Affekt hinzu der Verwunderung über die

266 Emil Lagenpüsch

majestätischen Bewegungen der stolzen Vögel : und schon windet der Schwan den Hals zu einem Knoten zusammen : wir staunen wiederum, diesmal unangenehm berührt und infolge dieses Affekts hat sich der Schwan in ein drachenartiges Scheusal verwandelt, das uns zu verschlingen droht. Da tritt der Affekt des Schreckens hinzu: wir fühlen uns von feuer- speienden Drachen verfolgt und verteidigen uns, so gut es gehen will : da gähnt hinter uns ein Abgrund, „wohl hundert Klafter tief". Noch ein Schritt und wir stürzen in die Tiefe hinab. Das Herabstürzen ruft unser Erwachen herbei.

In ähnlicher Weise wird der Traumphantasie durch das Sprechen Material zu Traumbildern zugeführt: Wir sind im Wachen gewöhnt, all unser Thun mit leisem, unhörbarem Sprechen zu begleiten. So begleiten wir aus Gewohnheit auch öfters im Traume die Traumbilder mit solchen Worten. Nun geschieht es, dass diese Sprechbewegungenim Traume, weil Denken und Wollen so gut wie abhanden gekommen sind, zu lautem Sprechen übergehn: das Wort schlägt an unser Ohr: oft ist es infolge von Mangel an Denkvermögen ein gar nicht in den Zusammenhang des Traumes gehörendes Wort : und solch ein Wort ruft einen Affekt hervor, und dieser Affekt giebt dem Traumbilde eine ganz andere Richtung als dieses bisher genommen.

Ebenso werden aber auch die Vorgänge unseres Leibinnern solch ein Traum-Material liefern. Die Herzbeklemmungen, Magenbeschwerung, ganz besonders aber die für Wärme und Kälte höchst empfangliche Haut des Körpers. Der kalt gewordene Fuss ruft einen Traum hervor, in dem wir über Eisfelder zu gehn glauben: wir waten durch den Schnee mit blossen Füssen. Die Zimmerwärme ruft den Traum hervor, als befänden wir uns im feurigen Ofen.

Dann kommen dazu die Sinnesreize: Trotzdem die Aussenwelt für die träumende Seele fortfällt, sind wir doch nicht ganz von ihr getrennt : der Gesichtsinn, Gehör- und Geruchsinn sind zweifellos Traum- bilder verursachende Elemente. Fallen Lichtstrahlen in unser geschlossenes Auge, so pflegt uns der Traum bunte Blumen oder flatternde Vögel zu zeigen; Blumenduft versetzt uns in einen Parfümerieladen; das Tröpfeln des Regens ruft den Traum von einer Wassermühle hervor; das Ticken der Uhr an unserm Bett wird zum Hämmern einer Schmiede.

Und endlich sind auch die Seelenreize solche Traumelemente. Am Tage zurückgedrängt, tritt die Trauer um den Tod eines lieben Freundes, der Schmerz und die Sehnsucht nach der fernen Heimat, nach der Mutter im Traume wieder hervor : und desgleichen die bei Tage zurückgedrängte

■IAti

Der Traum. 267

eude äussert sich im Traume wieder heftiger. So bieten die Seelemreize lÄ-ülass zu heitern und trüben Traumbildern.

Was gewinnt nun die Phantasie bei ihren Traumbildern durch das Fortfallen von Vernunft und Verstand, Denken, Wollen und Aussenwelt?

Das wollen wir jetzt untersuchen.

In erster Linie müssen wir in dieser Hinsicht auf die aus sergewöhn- liche Klarheit der Traumbilder hinweisen. Die Gebilde der Traum- phantasie übertreffen hierin oft unendlich diejenigen des wachen Lebens. Der Grund hiervon ist darin zu suchen, dass die träumende Seele in Ermangelung der Begriffsvorstellungen zu Bildern greifen muss, um in uns Vorstellungen zu erzeugen: und dass wirkliche Bilder klarer sind als noch so deutliche Vorstellungen, liegt auf der Hand. Die träumende Seele stellt sich den Baum nicht nur vor: sie sieht ihn wirklich: sie hört die Kirchen- glocken wirklich läuten, sie nimmt den Duft der Rosen wirk- lich wahr.^)

Nun unterscheiden sich allerdings diese Bilder, welche die träumende Seele sieht, sehr von denen des Wachens, insofern als die Traumphantasie nur die Umrisse deutlich hervor- und alles Übrige zurücktreten lässt. Schattenhaft bleiben allerdings die Traumbilder infolgedessen, aber sie gewinnen in einer Beziehung: nämlich insofern die Traumphantasie mit den Umrissen das Charakteristische hervorhebt. Handelt es sich im Traume um eine Blumenaue, so werden wir uns der Blumen selbst genau beim Erwachen erinnern: ob aber die Wiese durch einen Wald, durch ein Gebirge oder einen See abgegrenzt war, werden wir beim besten Willen nicht sagen können. Das für den Traum-Inhalt Nebensächliche, die im Wachen die Aufmerksamkeit so beengende Scenerie fällt im Traume fort. Das Charakteristische des Traumes waren in diesem Falle die Blumen: diese allein fielen der träumenden Seele auf, alles andere ver- schwamm ins Unbestimmte. So kann man den Schöpfungen des Traumes etwas genial Hingeworfenes nicht absprechen, das der Ausführung im Besondem entbehrt!

War im Wachen die Aufeinanderfolge der Vorstellungen grossenteils zufällig, so reproducieren im Traum, wo der Zusammenhang mit der Aussenwelt fehlt, die Vorstellungen einander nach der Ähnlichkeit, dem Kontraste u. s. w.

Der Traum kombiniert, weil unbefangen, merkwürdig treffend: denn er befreit von tausend Rücksichten des Tages.

Ferner bleiben die geträumten Bewegungen frei von der „lästigen

1) Strümpell 35.

268 Emil Lagenpüsch

Resonanz" (Volkmann), die^darin besteht, dass sie, in wirkliche Bewegungen umgesetzt, auf den Verlauf der Vorstellungen störend zurückwirken. Auch der schnellere Rhythmus der Traumvorstellungen darf hier hervorgehoben werden.

Sehr wesentlich ist es für die Traumphantasie, dass für sie mit dem Fallen der Denk-Kategorien alle Wert- und Grössenschätzungen sehr un- gewiss werden. Das hat aber zur Folge, dass die träumende Seele nicht mehr an diese Wert- und Grössenschätzungen gebunden ist, dass sie mit geringen Mitteln Grosses leisten kann.

Im Traume herrscht keine Vernunft: wir sehen ein haushohes Pferd, eine grasende Kuh auf dem Kirchturm : geflügelte Pferde, Engel, Dämonen : aber nur eines geringen Anstosses bedarf die Traumphantasie, ein Traum- bild daraus zu schaffen. Die Traumphantasie malt ins Ungemessene, Unendliche: ihr gebietet keine Vernunft Stillstand: ein kleiner Mücken- stich wird zur klaffenden Wunde: aus massiger Kühle wird im Traum eisige Kälte; massige Wärme zu tropischer Hitze: eine Albernheit zu geistreichem Witz.

Daher kommt es, dass uns der Traum so idealisierte Gestalten zeigt, wie sie die Wirklichkeit nicht kennt: so wundervoll ideale Wesen und Gegenden wie der Traum bietet das wirkliche Leben gar nicht oder höchst selten.

Aber andererseits zeigt der Traum auch ganz hervorragend häss- liche Schreckpuppen.

Beides hat seine Ursache in dem Fehlen des Verstandes und der hervortretenden Bethätigung der Traumphantasie.

So weit von der Traumphantasie.

vm.

Die Ansicht, dass der Traum über Raum- und Zeitverhältnisse erhaben ist, beruht auf einer Täuschung.

Wir schliessen uns im folgenden an Strümpell (S. 78).

Die Raum- und Zeitvorstellung der träumenden Seele ist un- gleich enger als im Wachen, ihre Umgrenzung dunkler, das Bewusstsein für Entfernungsverhältnisse äusserst schwach vorhanden.

Indem die Traumbilder meistens aus dem nebelhaften Hinter- grunde gespensterartig hervortauchen, bleibt der Hintergrund selbst immer undeutlich: sie heben sich von diesem so ab, wie die Bilder der Laterna magica.

Trotzdem scheint es, dass die Traumbilder die Vorstellungen unseres wachen Lebens an Klarheit übertreffen: dies liegt hauptsächlich an dem

Der Traum. 269

Unerwarteten, Ungewöhnlichen, Wunderbaren, das sich in die täglichen Erscheinungen nicht einordnen lässt: ferner an dem Staunen über die Zusammenwürfel ung verschiedener Räumlichkeiten, wie sie im Wachen nicht vorkommen. Endlich gewinnen die Traumbilder jene übernatürliche Klarheit wohl deshalb, weil die träumende Seele nicht durch die äussern Eindrücke abgelenkt wird.

Auch die Meinung, die träumende Seele sei nicht an die Zeit ge- bunden, ist irrig. Im Wachen hängt die Geschwindigkeit unseres Yor- stellens davon ab, ob die Successionen mehr oder minder klare Bilder geben sollen. Natürlich wird die Zahl der klaren Bilder innerhalb der- selben Zeiteinheit kleiner sein als die der dunkleren. Dabei kommt aber noch die Individualität und das Temperament des Träumenden in Betracht, so wie die augenblickliche Gemütsverfassung.

Im Traume ergeben die Successionen der Vorstellungen jedenfalls eine geringere Geschwindigkeit als im Wachen: denn im Traume fallen die von der Aussenwelt stammenden Successionen der Eindrücke fort, wie sie das wache Leben giebt; es fehlen ferner die in Form von Gefühlen und Affekten, Wollungen und Interessen eintretenden Antriebe, welche den Vorstellungslauf beschleunigen: ferner fehlt dem Traume jede Absicht: in ihm herrschen nur die Gesetze der Associationen nackter Vorstellungen oder organischer Reize mit solchen Vorstellungen : d. h. ohne dass Reflexion und Verstand, ästhetischer Geschmack und sittliches Urteil sich irgend wie dabei geltend machen können.

Tritt aber ein Ansatz zur Wirkung der Reflexion oder des Willens dabei ein, so kommt die beabsichtigte Wirkung doch nicht zu Stande, sondern die entsprechenden Traum- Vorstellungen , die fortrücken sollten, bleiben stehen, ähnlich wie wenn uns ein Gedanke im Wachen wider Willen verfolgt oder ein Trieb zur Bewegung ohne Erfolg bleibt, weil die organische Fortleitung fehlt.

Endlich besteht der Traum niemals aus langen Vorstellungsreihen: denn wenn wir einen Traum erzählen wollen, bedürfen wir dazu einer grössern Zahl von Vorstellungen, als Traumbilder vorhanden waren.

Reisen wir im Traume in fünf Minuten von Königsberg bis zum Kap der guten Hoffnung, so dauerte der Traum nur fünf Minuten : aber zu einer wirklichen Reise das sagt uns der Verstand ! reichen fünf Minuten nicht aus: wohl aber reichten sie aus zu der Succession jener Vorstellungen und Bilder. Diese Bilder und Vorstellungen waren so be- schaffen, dass sie ihrem Inhalte und ihren Bewusstseinsgraden nach nahezu oder ganz den wirklichen Erlebnissen, welche sie vorstellten, gleich kamen.

Wer aber den Unterschied zwischen successiven Anschauungen und

270 Emil Lagenpüsch

Erlebnissen bei wirklich fortschreitender Bewegung und andererseits blossen Vorstellungs- und Erinnerungsbildern vergisst, indem ihm beide dem Inhalte nach und in ihrer Bewusstseinsform gleich erscheinen : der über- trägt die Zeitbestimmung der Succession der erstem auf die letztem und wundert sich über die Schnelligkeit im Traum.

Will man aber sagen, die Seele habe jene Reize im Traume ohne den Körper gemacht, so bedenkt man nicht, dass der Traum nicht Be- gebenheiten, sondern nur Bilder derselben darbietet. Und diese Bilder verliefen allerdings schneller als jene Begebenheiten.

Zweifellos begleitet die Träume das allgemeine Bewusstsein der Zeitlichkeit überhaupt: in den Träumen werden sogar gewisse Unterschiede der Zeitlichkeit deutlich bewusst: es tritt ein reflektierendes Zeitbewusst- sein auf, d. h. ein Wissen von der Succession unserer Vorstellungen.

Dies begleitet uns bei allen Handlungen des Tages: wenn wir auch nicht das Quantum Zeit während einer Handlung genau angeben können, so haben wir immerhin das Bewusstsein, dass Zeit verflossen ist.

Dass Zeitbewusstsein auch im Traume vorhanden, ersehen wir daraus, dass, wenn wir uns beim Erwachen der Traumbilder erinnern, diese sich sofort in eine Reihe successiver Vorstellungen auflösen. Femer erinnern wir uns selbst während des Traumes an die einzelnen Vorstellungen: es giebt sogar ein reflektierendes Zeitbewusstsein : einen Vorstellungszustand, in dem das allgemeine Zeitbewusstsein die Unterschiede des Früher und Später zur Vorstellung bringt.

Freilich kommt eine ganz bestimmt abgemessene Zeitgrösse im Traume kaum vor.

Dies Zeitbewusstsein im Traume trägt besonders zu der Klarheit bei, die die Traumbilder der Wirklichkeit so nahe bringt und sie als wirkliche Erlebnisse erscheinen lässt.

Wie also die träumende Seele das Raumbewusstsein in den Traum hinübernimmt und in entfernten Gegenden zu weilen glaubt, so hat sie * auch die Empfindung infolge des Fortbestehens des Zeitbewusstseins, als erlebe sie die zeitlichen Begebenheiten.

Zeit- und Raumbewusstsein bleiben also für die träumende Seele bestehen : nur kann dieselbe den Gebrauch dieser Vorstellungsformen nicht kontrolieren. ^)

IX.

Eigentümlich ist es, dass Träume so schnell vergessen werden.

Die Erinnerung an Träume ist viel unbestimmter, als man gewöhnlich annimmt. Das liegt zum grössten Teile an der Umgestaltung des Ge-

1) Strümpell S. 78.

Der Traum. 271

träumten, die wir beim Erzählen unserer Träume notwendig vornehmen müssen: wir müssen nämlich, wenn wir unsere Träume erzählen wollen, diese in die Vorstellungsweise und Sprache des Wachens übertragen. Wollen wir aber unsere Träume ganz genau erzählen, so müssen wir uns eigentlich einer ganz andern Sprache und Kategorientafel bedienen, als im Wachen. Jeder, der seinen Traum erzählt, setzt unwillkürlich vieles hinzu, weil die Lücken, welche der Traum bekanntlich aufweist, sowie das Sprunghafte desselben sich in das wache Bewusstsein nicht einordnen lassen.')

Wir können eine doppelte Art des Traum-Yergessens unterscheiden.

Erstens. Wir erinnern uns überhaupt nur „geträumt zu haben", können uns aber auf den Inhalt des Traumes gar nicht besinnen: es scheint der Traum gar nicht in das wache Bewusstsein eingegangen zu sein.

Zweitens kann der Traum vollständig oder teilweise in das wache Bewusstsein eintreten, wird aber sehr rasch und für immer vergessen werden, so dass wir selbst bei der grössten Anstrengung ihn nicht ins Gedächtnis zurückrufen können.

Die Ursache ist in folgendem zu suchen.

Schon im Wachen fallen viele Erlebnisse der Vergessenheit anheim, wenn die Kraft der Seelenthätigkeit dabei einen zu geringen Grad hatte.

Ferner. Die Traumbilder treten mehr oder minder lebhaft hervor: auch kommt es auf die Dauer der Wahrnehmung an, und endlich ist in Betracht zu ziehen, dass die Traumbilder nur ein einziges Mal erscheinen und sich als ebendieselben niemals wiederholen.

Die Erinnerung an die Traumbilder wird leichter oder schwerer sein, je nachdem sie länger oder kürzer währen.

Mit den Träumen geht es, wie mit einer Melodie. Was wir von dieser nach einmaligem Hören im Gedächtnis behalten, ist nur Bruch- stück: und wenn wir die Melodie nicht öfter hören, werden wir sie im Laufe der Zeit doch vergessen.

Aber nicht nur die minder klaren Traumbilder fallen der Vergessen- heit anheim. Eine Hauptbedingung dafür, dass Empfindungen und Wahr- nehmungen eine hinreichende Erinnerungsstärke erhalten und nicht schnell vergessen werden, ist die, dass sie nicht isoliert bleiben, sondern Ver- bindungen passender Art eingehen. Ein einzelner Mensch vermag nichts gegenüber einer grossen Last, wohl aber in Gemeinschaft mit andern. Ebenso verhält es sich mit den Empfindungen, Wahrnehmungen, Vorstellungen hinsichtlich ihrer Leistungen für das Bewusstsein und die Erinnerung.

1) Volkelt, S. 40 fg.

272 Emil Lagbnpüsch

Aber die Verbindung jener Glieder muss eine naturgemässe, freiwillige, nicht erzwungene sein: denn zur Erinnerung hilft nur planmässig Zu- sammengesetztes, nicht das Einzelne ausserhalb jeder Verbindung mit dem Ganzen.

Nun giebt es aber Träume, bei denen jeder innere Zusammenhang, alle Ordnung fehlt : denn nicht immer ist die Seele ordnendes und logisches Prinzip im Traume, sondern oft kommen ihr die Träume unwillkürlich: und da die Traumbilder meistens schon in den nächsten Zeitmomenten auseinanderfallen, werden sie so leicht vergessen, und es ist schwer, sich ihrer wieder zu erinnern.

Ferner, wie es nicht möglich ist, aus dem Wachen Vorstellungsbilder in den Traum hinüberzunehmen, so ist gleichfalls die Erinnerung an die Traumbilder im Wachen nur in geringem Masse möglich.

Dann : Alle Erlebnisse des wachen Bewusstseins lassen sich in früher Erlebtes einordnen: diese Verbindung des Einzelnen mit Früherem oder Gleichzeitigem ist der Gradmesser für die Erinnerungsstärke im Wachen. Das neue Erlebnis wird durch das Hinzukommen des Früheren oder Gleich- zeitigen mit einer Bewusstseinssphäre umgeben, die ihm als Erinnerungs- hilfe dient.

Im Traume fällt aber diese Erinnerungshilfe fort; darum kann durch die Traumbilder und unter ihnen keine Erinnerung aus dem wachen Bewusstsein im Traume zu Stande kommen.

Das Traumbild weicht zu sehr ab von dem, was sich von unserer Lebenserfahrung für das wache Bewusstsein angesammelt hat. Selbst bei ganz geordneten Träumen können wir, besonders während ihrer Dauer, nicht aus ihnen heraustreten und nach dem Erwachen wissen wir nicht den Eingang zu ihnen wiederzufinden.

Bleiben beim Erwachen noch Traumelemente zurück, so muss man eilen, die zugehörigen Glieder rasch zu erfassen, indem man sich gänzlich der unwillkürlichen Reproduktion hingiebt. Jedoch selbst solche Träume werden vergessen, wenn nicht ein anderweitiges Interesse oder eine künst- lich erzeugte Verknüpfung mit dem wachen Bewusstsein den Traum be- festigt.

Fehlen aber Momente, die dem Traum eine längere Dauer sichern, so wird selbst ein bis ins kleinste Detail aufgeschriebener Traum sehr bald für uns etwas ganz Fremdartiges haben, als wenn wir ihn niemals geträumt hätten.

Erinnerungsfähiger werden Träume sein, die dem Erwachen nahe liegen oder in den halbwachen Schlummer fallen. Ferner solche, die mit starken Affekten verbunden sind.

Der Traum. 273

Alsdann müssen wir folgendes in Betracht ziehen.

Im Wachen wird der Wechsel von Bewusstem und Unbewusstem häufig dadurch hervorgerufen, dass eine Empfindung durch eine andere infolge der Stärke ihres Eindrucks ganz oder zum Teil vernichtet wird: wie etwa das Licht einer Lampe durch das der Sonne gewissermassen aufgehoben wird.

Ebenso im Traum.

Beim Erwachen strömen die Bilder der Aussenwelt sehr schnell ins Bewusstsein zurück: und vor dieser Gewalt halten nur Traumbilder mit ganz besonders starken Affekten Stand.

Also die Ursache, dass die Träume schnell vergessen oder vom er- wachenden Ich gar nicht wahr genommen werden, liegt im Verhältnis zwischen dem Inhalt des Traumbewusstseins und dem des wachen Lebens.

Da im Traume nur die Ich-Keceptivität zurückbleibt, so fehlt der Seele die Kraft, sich nach den Objekten hinzuspannen: kann sie ihnen nicht die Aufmerksamkeit des Wachens entgegenbringen und nicht so scharf beobachten wie im Wachen.

Endlich liegt der Grund, warum viele Träume keine hinreichende Erinnerungsstärke erlangen, in der nicht genügenden Aufmerksamkeit, die den Träumen entgegengebracht wird. Aus diesem Grunde werden viele von ihren Träumen wenig oder nichts zu erzählen wissen. Wer aber dem Traum Wert beilegt, wird ihn weniger leicht vergessen als der, welcher ihn für wertlos hält.

Aus diesen angeführten Gründen') für das Traumvergessen ergiebt sich, dass eigentlich nicht in dem Vergessen der Traumbilder das Be- merkenswerte liegt, sondern vielmehr in der Fähigkeit, sie in der Er- innerung behalten zu können.

Schluss.

Gingen wir in unsern Untersuchungen von dem Geheimnisvollen des Traumes aus, das uns unwiderstehlich lockt, seinem Wesen nachzu- gehen, so wollen wir zum Schluss nicht unterlassen, auf die heilende Kraft des Traumes hinzuweisen. Er ist Leib- und Seelenarzt, er ist Gewissensrat zugleich.

Der Traum ist eine weise Einrichtung der Natur. Er soll die Seele von den Anstrengungen des Tageslebens zeitweilig erlösen: er soll ihr Kraft geben, beim Erwachen sich wieder nach den Objekten hinzuspannen : der Traum löscht daher für einige Zeit die Erinnerung an das wache Leben aus, er greift in vergangene Zeiten zurück und ruft Erinnerungen

1) Strümpell S. 79-94.

18

274 Emil Lagenpüsch, Der Traum.

vergangener Tage wach : er versenkt die Seele in eine andere Vorstellungs- welt, als die des Wachens war: wir durchleben früher erlebte Stunden und erfrischen uns daran: Wünsche und Hoffnungen, die wir längst be- graben, regen sich wieder im Traum: sie geben sich oft als erfüllt, und beim Erwachen schöpfen wir von neuem Mut

Aber auch die Stimme des Gewissens, welches das Tagesleben über- tönt hat, regt sich Nachts wieder. Der Meineid, den der Bösewicht kalt- blütig geschworen: der Ermordete, den er sorgfältig verscharrt hat, lassen ihm Nachts keine Ruhe : vielen hat der Traum entlockt, was sie Jahre hindurch mit grösster Vorsicht in sich verschlossen hielten: der Traum hält ihnen ein „yvwd-i asavTov'^ vor! Jedoch auch in sanfter Weise tadelt der Traum: wie eine liebende Mutter stellt er dem Kinde sein Unrecht vor: und es mag wahr sein, dass viele durch den Traum besser erzogen sind, als alle Pädagogik vermochte.

Den Fröhlichen mahnt der Traum an die Vergänglichkeit alles irdischen Glücks; den Betrübten tröstet er, dass er nicht mehr verzagt, er giebt ihm „cornua" wie Horaz 0 sagt.

Und was keiner vermag, leistet der Traum: er zeigt uns oft in unserer wahren Gesinnung, die wir so sorgsam verbergen: vor dem Traume haben wir keine Geheimnisse.

War der Traum unser Gewissensrat, so ist er zugleich unser Arzt: es machen sich Modifikationen unserer Gemeinempfindungen im Traume bemerkbar, die im Wachen ihrer Unbestimmtheit wegen nicht zum klaren Bewusstsein kommen konnten.

Und wenn schliesslich die Träume unserm Gedächtnis so rasch ent- fliehen, wenn unsere Erinnerung an sie so ungewiss ist, weim sie uns wie aus einer andern Welt anmuten, wenn wir sie in die Erlebnisse des wachen Lebens nicht einordnen, sie zu jenen nicht in Beziehung setzen können: so ist dies zweifellos ein grosses Glück! Wären die Träume von den Vorstellungen des Wachens gar nicht zu unterscheiden, so würde eine nicht geringe Verwirrung entstehen : wir könnten niemals mit völliger Sicherheit Wirklichkeit und Geträumtes unterscheiden : ein klares, sicheres Urteil wäre unmöglich.

1) Hör. Od. III 21, 17—18: tu spem reducis mentibus anxiis viresque et addis cornua pauperi.

XII.

Zu den griechischen Grahschriften.

Von

Ednard Loch (Königsberg i. Pr.). I.

Eine Geschichte der griechischen Grabschriften ist noch nicht ge- schrieben. In den Gesamtdarstellungen der griechischen Epigraphik (Franz Elementa, Keinach Traite, G. Hinrichs in I. v. Müllers Handbuch I^ und auch in der vortrefflichen Bearbeitung von Larfeld, Handbuch I* haben gerade die Grabschriften wegen ihrer verhältnismässig geringeren Bedeu- tung gegenüber den historisch und antiquarisch wichtigeren Urkunden zurücktreten müssen. Es konnten da immer nur verschiedene Gebräuche und Formen, wie sie in der langen Zeit vom YIE. Jahrh. v. Chr. bis zum V. Jahrh. n. Chr. in den verschiedensten Gegenden vorkommen, ohne Kück- sicht auf ihre allmähliche Entwickelung zusammengestellt werden. Nur einzelne Gruppen, wie die attischen, die christlichen, die Inschriften mit

Abkürzungen:

Am. Journ. = American Journal of archaeology.

Archiv. == Archives des missions scientifiques et litt^raires.

Ath. Mitt. = Athenische Mitteilungen.

Bull. = Bulletin de correspondance hellönique.

C. = CIG. = Corpus inscriptionum Graecarum.

Dittenb. C. = CIG. Graeciae septentrionalis ed. Dittenberger.

CIA. u. CIL. = Corpus inscriptionum Atticarum u. Latinarum.

IBM. = Collection of ancient greek inscriptions in the British Museum.

lOP. = Latyschew, Inscriptiones antiquaeorae septentrionalis Ponti Euxini.

ISI. = Kaibel, Inscriptiones Graecae Siciliae et Italiae.

Journ. = Journal of hellenic studies.

Kaib. = Kaibel, epigrammata Graeca ex lapidibus collecta.

LeB. == Le Bas, voyage arch^ologique.

Mova. = Movaelov xal ßißktoS-ijxr] Trjq iv 2JfivQvy evayyekix^g axo^g.

Ost. Mitt. = Archaeologisch - epigraphische Mitteilungen aus Österreich.

Kev. arch. = Revue archöologique.

Sterrett II. III. == Papers of the American school at Athens IL III.

SvkL = '0 iv Kü)vaz.\7iöXei '^EkXtjVixbg (piXoXoyixoq ^vXXoyoq, nagdQxrifjLu.

18*

276 Edoaed Loch

Strafsummen und zum Teil die metrischen Grabschriften sind bisher ein- gehender behandelt worden. Eine zeitliche Ordnung aber der gesamten, in ihrer Mannigfaltigkeit beinahe unerschöpflichen Formen ist noch nicht unternommen worden. Sie wird allerdings durch die zur Genüge bekannte und beklagte Zerstreutheit des sehr grossen Materials') und durch den Mangel an genauen epigraphischen Kennzeichen für das Alter dieser mehr wie andere von privater Willkür und dem Bildungsgrad des Schreibers abhängigen Texte ganz besonders erschwert. Abhilfe darin wird erst sehr allmählich die neue Ausgabe des GIG. und das Wiener Corpus der Grab- reliefs schafiFen. Dennoch, glaube ich, kann man auch schon aus dem bis- her zu Gebote stehenden Material eine Übersicht über die historische Ent- wickelung der hauptsächlichsten Formen gewinnen, und eine solche dürfte auch vor der Neubearbeitung der Grabschriften der einzelnen Landschaften von gewissem Nutzen sein. Einige Bemerkungen darüber, die ich mir in grösserem Zusammenhange vor längerer Zeit gemacht und durch fünf- jährige Beobachtungen an den neu hinzukommenden Inschriften bestätigt gefunden habe, mögen an dieser Stelle ihren Platz finden.

Was die Namensformen anbetrifft, so haben wir vom VIL bis V. Jahrh. in den nicht-metrischen Grabschriften fast nur den Namen des Toten im Nominativ (ganz selten mit kvd-äöe xelTat) oder im Genetiv, bisweilen mit orj^ia {(.ivfuia, GT7]Xr]) elinl; in Böotien, Phokis, Lokris (neu Bull. XVni, 1894, S. 63), Äolis auch mit Itt/ und dem Dativ; der Va- tersname wird noch selten zugefügt. Im V. und IV. Jahrh. bildeten sich dann die festen Formen der attischen Grabschriften aus, iV^^, N^^y N^ u. a.,^) die in Attika selbst bis in die späteste Kaiserzeit stets in Geltung blieben. Im IV. und III. Jahrh. war diese „attische" Form iV^^ in ganz Griechen- land, auf den Inseln, an der Nordküste des Schwarzen Meeres,^) in Klein- asien wie in Alexandria "*) die herrschende und hat sich auch in viel späterer Zeit neben jüngeren Formen erhalten; wie sie sich in einzelnen Land- schaften lokalen Eigenheiten anpasste (in Thessalien adjektivisches Pa- tronymikon, im Südosten des ägäischen Meeres und Lykien N^^^-^), habe ich an anderer Stelle^) ausgeführt; in Böotien verschwindet sogar die dort

1) Die Zahl der mir bekannt gewordenen Grabschriften beträgt ausser den christ- lichen etwa 17 500. Die in den beiden letzten Jahren publizierten sind mir nur z.T. zugänglich gewesen.

2) Chiffern nach Larfeld S. 558 u. 589 ff. Vgl. Verf. De titulis Graecis sepul- cralibus, Königsberger Diss. 1890, 17 42.

3) Latyschew, lOP. Hier auch alte Inschriften NiPielfü fJLvrjfjLo) I, 120, 173. II, 154' Add.

4) Grabschriften aus der Ptolemäerzeit Rev. arch. 1887, IX, 199. 293 ff. X, 61 ff.

5) De tit. Graec. sepulcr. 57—62. Zu den wenigen dort S. 60 erwähnten Namen

Zu den griechischen Grabschriften. 277

einheimische Form ml N^ vom IV. bis 11. Jahrh. gänzlich zu gunsten des Nominativs.*)

Und nicht nur in Form und Inhalt der Inschriften, sondern auch in der bildlichen Ausstattung der Grabsteine und der darin ausgedrückten Auffassung von Leben und Sterben und dem Verhältnis der überlebenden Angehörigen zu ihren lieben Verstorbenen ist Attika in dieser Zeit vor- bildlich und tonangebend für ganz Griechenland. Es ist gerade in neuester Zeit mit Recht vielfach hervorgehoben worden, wie entsprechend dem Inhalt der älteren Grabinschriften auf den Grabreliefs, nament- lich in Attika, „in der klassischen Zeit der Gedanke an das vorherrscht, was der Verstorbene in seinem Leben seinen Angehörigen und Freunden warV) Der Erinnerung dienen alle Grabsteine dieser Pe- riode: sie wollen uns die Gestalt des Toten noch einmal vor Augen führen in seiner einstigen Thätigkeit und Umgebung, aus der er abberufen wurde, mit seinem Arbeitsgerät, mit seinem Pferde und den Waffen, oder im Kreise seiner liebenden Angehörigen, und ihn auf diese Weise in der Erinnerung der Späteren erhalten, wie er im Leben auf der Erde ge- wirkt hatte; an ein Fortleben im Grabe wird kaum gedacht. Dies gilt zunächst für Attika ; aber alle Grabschriften und die wenigen vorhandenen Grabreliefs älterer Zeit z. B. in Thessalien,^) Makedonien,^) Akamanien,') Faros*) bestätigen es auch für andere Teile Griechenlands. Im IV. Jahrh. vollends beherrschte Attika durch die auf den Grabreliefs angewandten Typen die meisten übrigen Landschaften,') aus denen wir derartige Skulpturen kennen, so sehr, dass wir dieselben Anschauungen in jener älteren Zeit als ziemlich allgemein verbreitet ansehen dürfen.*) Demselben Zwecke der

im Dativ iVa^^s und Ns^' aus dem IV./III. Jahrh. vgl. jetzt Hermes 1891, 148 f. und die ähnlichen Inschriften aus Thasos Journ. VIII (1887), 429 n. 38 a KqI^i Kaöiiov und Chalkis Bull. XVI (1892) 117 n. 31 Ascovl Kk^wvog.

1) Dittenherger CIG. zu n. 589.

2) I. V. Müller in s. Handbuch IV, 1, 4641) f. (2. Aufl. S. 226). A. Brückner, Or- nament u. Form etc. S. 86 f. Wiener Sitzungsberichte 1888 S. 509 flF. Gutscher, Die attischen Grabschriften I, 5 : „sie blicken nur zurück in die glückliche Vergangen- heit, nicht voraus in die dunkle Zukunft". II, 38 f. Wolters, Ath. Mitt. XVI (1891), 394. 400. 404 f.

3) Ath. Mitt. Vni, 81 ff. XII, 73 ff. XV, 199 ff. Taf. IV- VH. Bull. XII, 179 ff. 273. Taf. VI. XVI.

4) Stele aus Pella Ath. Mitt. VIII Taf. IV.

5) Ath. Mitt. XVI, 433 ff. Taf. XI.

6) Ant. Denkm. I, Taf. 54 vgl. Taf. 33.

7) Vgl. Körte, antike Skulpturen aus Böotien Ath. Mitt. III, 322 ff. n. 10—25. Brückner ibid. XIII, 371 u. A. 4 (Epirus).

8) Eine Ausnahme machen die archaischen „Kantharosreliefs" mit den thronen- den Heroen aus dem Peloponnes (vgl. bes. Ath. Mitt. II, III, IV, VII, VIII; Arch.

278 Edüabd Loch

Erinnerung genügte es eben auch, wenn einfach der Name des Toten auf dem Steine zu lesen war.

Mit dem IIL Jahrh. schwindet aber diese Gleichmässig- keit der Grabinschriften völlig. Andere Vorstellungen von dem Verhältnis der Toten zu den Lebenden, die schon lange in den Geistern der Menschen Verbreitung gefunden hatten, sowie auswärtige Einflüsse rufen auf dem Gebiet der sepulkralen Epigraphik die grössten Umwäl- zungen hervor. Neue Formen treten auf, allmählich die älteren ver- drängend und zum Teil auch an frühere Gebräuche, namentlich der metrischen Grabschriften anknüpfend.

Da ist zuerst die bekannte und in allen Teilen der alten Welt ver- breitete Sitte, da.8 W öTtchen xcclQs, den letzten Abschiedsgruss, den man dem Toten nachrief, neben den Namen auf den Stein zu setzen. Nicht nur ein einmaliges „Lebewohl" der Angehörigen am Tage der Bestattung sollte es sein, sondern auch ein für die Dauer berechneter Segenswunsch, dass es dem Toten gewissermassen auch im Grabe wohl- gehen möge;0 denn hier wurde er jetzt zwar ruhend gedacht, verfolgte aber doch mit lebhafter Teilnahme^) die Vorgänge an seinem Grabe auf der Oberwelt. Daher war es Pflicht der an dem Grabe Vorübergehenden, dies XcclQs zu lesen und es dem Toten als Gruss zuzurufen, wie wenn sie ihm im Leben begegneten, und er erwidert es in derselben Form x««^?« ^«^ av {uollcL, rlg 7t ox^ el und ähnlich), vgl.Eurip. Med. 663. 665 K. Orest 476/7 xal av xalQB, Xen. Mem.III, 13, 1. Vielfach fordert er geradezu auf, dieses XalQE zu sagen, sei es indem er den Wanderer anredet xalqe, TtaQodelxa, XalQCTe TtccQOÖOi, zolg Ttaqdyovotv X(xIq€iv, x^^Q^^ ogtlq 6 avayiyvojO'/.iov XL. a., wobei oft die Erwiderung (xcüqc) xai ov gleich auf dem Stein einge- schrieben ist, sei es indem er den Gruss mit deutlichen Worten verlangt XcclQs TtQooelfcate fie oder TtctQLd-i. ^eve, x^^Q^ ugoaetTtaQ und ähnlich, oft

Zeitg. 1881, 293 ff. u. Furtwängler, Samml. Saburoff zu I, 1; Am. Journ. V pl. XIII, S. 468). Sie kommen nur auf einem räumlich eng begrenzten Gebiet vor und sind sepulkrale Anatheme an die nach dortiger Sitte heroisierten Toten, die vielleicht die Ahnen alter Geschlechter darstellen. Anatheme sind auch die ältesten Heroenmahl- reliefs mit Adoranten (Milchhöfer, Jahrbuch II, 25 ff.), sowie die böotischen Spende- reliefs mit dem Reiterheros vor einem Altar (Ath. Mitt. III, 360 ff. n. 138, 141 ff.). Das älteste böotische Grabrelief mit Reiter (ibid. n. 10 = IV Tafel 14, 1) zeigt den rein attischen Typus (s. Deneken bei Röscher Sp. 2562). Über den thrakischen Herosgott 8. Rev. arch. 1878, 294 f. Ost. Mitt. VIII, 208.

1) Daher auch die Zurufe ^«^pf ^«^ ^»^ (p^iixhoiq Ath. Mitt. XII, 246 n. 2; XalQOire xal eiv jiiöao öofjtoiaiv Mova. 1885, 61 n. vfiQ-''^ elv ^Aiöoq nsQ icav x^^Q^ Aeovxiavs Sterrett III n. 427, nach dem Vorbild von II. 23, 19 u. 179 und Eurip. Alk. 626 f. K. x^'^Q^ ^«*' ^'Alöov öofioiq €v aoi yevoizo.

2) Rohde, Psyche 634 f.

Zu den griechischen Grabschriften. 279

bei Kaibel, Epigrammata. Nicht selten ist ein Segenswunsch zugefügt, wenn der Bitte willfahrt wird xalqe yial ov xal evoöec C. 1956; ooa ?Jyig z«/ oot Tcc öiTtlä LeB. in, 2702; 2704 in Syrien; Ath. Mitt. XVI, 174 n. 3 Amor- gos: aXXa to xaLqeLv aq)d'Ovov cItccüv (äol xalQ* an kfxov Tcaqoöe und oft bei Kaibel, z. B. 190. 205. 236. 237. Auch an die überlebenden Ange- hörigen richtet er oft ein /«/(»«r« als Abschiedsgruss. So entwickeln sich jene poetischen, ins einzelne ausgeführten Zwiegespräche, die in späterer Zeit sehr beliebt waren und in denen wir durch Fragen und Antworten (xazra TtevOLv xal ccvocaqlolv , Lemma zu Anth. Pal. VII, 163) Auskunft über Namen, Alter und persönliche Verhältnisse des Toten erhalten. Dass der Verstorbene selbst über sich berichtet oder auch die Vorübergehenden begrüsst, xccigeTe ol TtaQiövreg,^) finden wir schon im V. und Anfang des IV. Jahrb. auf attischen Grabsteinen gemäss dem alten Brauch, nach dem Steine und Statuen zu dem Beschauer sprechend eingeführt werden, wie in dem Epigramme der Erinna (Bergk, poet. lyr. Gr. III, Erinna n. 5) : ^Tcckat Kai 2€CQrjv€g efxal xal Ttevd^Lfxe TcgiooGi.,

doTtg exscg ^töa tav oXLyav OTtodiav, Tolg eixov IgxofxevoLOi Ttag tjqIov E%uaTB /a/^€tv.

Das älteste Beispiel eines Zwiegesprächs aber und zugleich eine der frühesten Anwendungen des ;cal(>6 als Lebewohl bietet jene attische Grab- schrift der Melite aus dem Piräeus (Kaib. 79 = CIA. 11, 1687, Conze Grabreliefs 162, Taf. LI, wohl um 300), in der auf die Anrede des Gatten

XalQB, %aq)og MeklTrjg, XQV^'^'V y^'^V ^vd-äde Tcelrai etc. die verstorbene Gattin antwortet:

xal ov xalqe, cplXtaT' avdgaiv, aXka rovg e/novg (plXsi.

Wo und wann zuerst das ^a^^e auf einen Grabstein gesetzt ist, lässt sich nicht genau angeben, aber über das HI. Jahrh. hinauf kann man es nirgends datieren. Aus dem III. Jahrhundert stammen die ältesten annähernd datierbaren Inschriften mit x^^^i so Kaib. 79 aus dem Piräeus (vielleicht noch Ende des IV. Jahrb.), Kaib. 235 aus Smyma, CIA. n, 2831 ein Argiver und 2844 ein Böotier, Rev. arch. 1887, IX, 199, 1 (Zeit der ersten Ptolemäer) aus Alexandria. Zu den älteren gehören wohl auch wegen des Dialekts UeTallg nerahala xal^e aus Larissa^) und NeiKaotg QsocpvXw, yvva dh 7x«(7/w, x«^?« ^^s Myrina^). In Ditten- bergers Corpus unter den böotischen und in Latyschews lOP. findet sich

1) In Attika CIA. II, 3385; 3820 = Kaib. 23; 'Eg)Tifi. dgxaioh 1885 8. 92 ein

Tegeate; in Agina Kaib. 22; in Euboea Bull. 1891, 406 n. 4. Mit der Anwendung des X«-Iqs = „lebewohl" hängt dies gar nicht zusammen.

2) Ath. Mitt. VIII, 121 n. 41 = Collitz 355.

3) Bull. X S. 91 f., vgl. Anm. 4 (Zeitangabe unsicher; Buchstaben scheinen jung).

280 Eduard Loch

ebenfalls keine Grabschrift mit x^^Q^, die früher als das III. Jahrh. wäre. Auf allen diesen ältesten Inschriften ist das x^lge einfach neben die bis- her gebräuchliche attische Namensform im Nominativ gesetzt, also N^X' oder N^^X''^ erst allmählich wird der Name selbst in die Anrede hinein- gezogen und in den Vokativ gesetzt N^^^^,, besonders mit xQ^jOtl x^^^* so im eigentlichen Griechenland, an der Nordküste des Pontus und auf den Inseln. Auf Rhenea z. B. sind aus der Zeit von 168—88 v. Chr. über 100 Namen mit XQ^I^'^^K-^) X^^Q^f meist im Vokativ, erhalten.') Gewöhnlich aber findet sich Nominativ und Vokativ abwechselnd, ja sogar neben die in römischer Zeit wieder auflebende böotische Form cTtl N^ (/^^(tto) * x^iQ^ Dittenb. C. 1583), zu dem Genetiv in Kos (Paton & Hicks, Inscr. n. 286 N^ XQrjGTrj X' n. 333 JV» x. N^^ %a/(>€T6) und zu mancher jüngeren Form in Kleinasien tritt %at^£ selbständig hinzu. Ausser x^^iQ^ finden sich in später Römerzeit namentlich in Syrien, Kypros, Afrika, Italien und ver- einzelt auch sonst die Grussformeln ev\pvx(,^)h ^agoei, evaeßei, vylaive, eQQCüoo, evTvxelte u. a.^), deren Vorkommen in rein griechischen Ländern meist auf Einwanderung Fremder schliessen lässt.^)

Ungefähr gleichzeitig mit ;c«t^€ beginnt die Verbreitung der loben- den und vertraulichen Adjektive, die attributiv dem Namen des Toten auf der Grabschrift beigefügt werden, namentlich des schon vorher erwähnten xQV^^^^ ('V* -«)>das freilich einzeln auch im IV. Jahrh. schon vorkommt. In Attika findet es sich, wie ^ai^e, nur bei Fremden, besonders bei Sklaven") oft, und soll da wohl lobende Anerkennung persönlicher Tüchtigkeit sein, wie auch z. B. bei dem 2vQog xQ^^^'^^ög in Thespiä (Dittenb. C. 2085 wohl noch IV. Jahrb.). In ganz Böotien ist es sehr verbreitet, dann in der Verbindung xQV^'^og (-i}, -k) %ai^£ ganz besonders auf den Inseln und an der kleinasiatischen Küste, und rJQcog xQf]<J^'£ XctlQ€ ebenda und in Thessalien. Dagegen fehlt xQV^'^^ X^'^Q^ f^st gänz- lich in Makedonien, Thrakien und den nördlichen Inseln Thasos, Imbros, Lemnos, desgl. in Thera und an der Nordküste des Pontus (ausser Olbia lOP. I, 123. 124). Auch unter etwa 400 Inschriften aus Smyma habe ich es nur 10 mal gefunden. Xalqe allein kommt in Makedonien und Thrakien sowie im ganzen Innern und Süden Kleinasiens als Zuruf an den Toten nur ausnahmsweise vor; wo es sich da findet, steht es meist

1) C. 2317— 2322 b«» Add. Michaelis Arch. Zeitg. 1871, 146.

2) Evxvxei, yerjY09ie)i Sterrett III, 280 vgl. ISI. 2381 und E. Thost, Griech. Stud. für H. Lipsius (1894) S. 164.

3) Z. B. Dyrrhacbium Heuzey, Mac^doine II, 380 n. 155 (römischer Soldat) und Lesbos C. 2204 svywxi (ein Ägypter).

4) Rohde, Psyche 635 A. 6.

Zu den griechischen Grabschriften. 281

in metrisclien Grabschriften und als Anrede an den Wanderer %a^(>€ TtaqoöelTa u. ähnl.

Das Fehlen dieser Ausdrücke in gewissen Gegenden ist auffallend und lehrreich: man erkennt daraus, dass alle diese scheinbar so gleich- gültigen und allgemeinen Formeln doch ihre bestimmten Verbreitungs- gebiete haben, dass sie stellenweise Terrain erobern, an anderen Orten aber durch einheimische, festgewurzelte Gebräuche fern gehalten werden. Dazu gehört in den nördlichen Küstenländern des ägäischen Meeres und in dem grössten Teil von Kleinasien die später zu besprechende „asiatische" Form der Grabschrift, in Thasos das Ttgoocpdrjg xalge, in Thera die Heroisierung durch den öaixog oder durch einzelne Familien, in Smyrna die Sitte, dem Toten einen Kranz auf dem Grabstein anzubringen (Cic. pro Flacco 31,75) mit der Inschrift 6 di](.wg {orecpavol) N"^; dies kann man vielleicht als ein Gegenstück zur Bezeichnung des Toten als xqtiotoq ansehen, nach den Worten der Inschrift aus Kyme 2vlX. XV (1884), 55 n. 2 (V. 7.) öijfÄOv öh oi€(pavog TtLvvTrjv cpgeva fXTqvvei avöoog.

Denn dass dies in der allgemeinen Anschauung der Sinn der Beischrift XQTjGTog war und nicht, oder höchstens in einzelnen Fällen, die höhere Macht und Würde der Toten ^) dadurch ausgedrückt werden sollte, geht aus der (u. a. von Becker-GöU in, 148 citierten) Stelle in Theophr. Char. 13 hervor, wonach jemand auf den Grabstein einer Frau aufgeschrieben hätte den Namen des Mannes, des Vaters, der Mutter, ihren eigenen mit Ethnikon, xai TtQOGeTtiygdilJat, ort ovtol jcavteg %qriOTol rjaav ' das Imperfekt i^oav weist deutlich darauf hin, dass es sich um eine Eigen- schaft der Lebenden, nicht der Toten, handelt. Überhaupt sind solche Andeutungen einer überirdischen Macht der Toten in den Grab Schriften, wenigstens den prosaischen, sehr viel später und seltener, als man es nach der grossen Verbreitung dieser Anschauungen, die E. Rohde nach- gewiesen hat, erwarten könnte. Auch sprechen gegen jene Erklärung des xQTiOTÖg die zahlreichen anderen Attribute, die z. T. mit XQV^'^^S zusammen in späterer Zeit dem Toten beigelegt werden und die sich alle nur auf seine menschlichen Eigenschaften beziehen, wie xaXe, XQ^' GTE X' Dittenb. C. 3050, agiGiCf ai.ie(.ucTe, acoge (Syrien), Tcoteid-e = Ttod-rjTi (Ath. Mitt. XI, 129 n. 81) wie ito&etvog in Attika, cpiXavÖQe, tpvxri xaA?} X. (Messenien LeB. II p. 527 n. 321 a, vgl. C. 3025, Movg. 1875, 116 n. ly), ael(ÄvrjGT€ x- (Dittenb. C. 3129, Kypros LeB. III, 2750), TtqoGcpdr^g xcüqs regelmässig auf Thasos; auch das im Peloponnes, auf vielen Inseln und besonders in Syrien verbreitete aXvfce xctlQs soll wohl nur den schmerz-

1) Gutscher, Die att. Grabschr. 11, 39, E. Rohde, Psyche 635.

282 Eduard Loch

losen Zustand des Toten im Gegensatz zu dem mühseligen Leben aus- drücken, auf das die Worte XQV^'^^ '^"^ 'keXoucrjfxhaL (= laXvjcruxive) xo^lQ^ in der Grabschrift eines 81jährigen Mannes aus Smyraa hindeuten (Mova. 1875 I, 70 n. 19).

Von nicht ganz so ausgedehntem Einfluss auf die äussere Fassung der Grabschriften, aber ungleich grösserer Bedeutung für die Kenntnis der Grabgebräuche und des Seelenkultus jener Zeit ist nun femer die gerade in der hellenistisch-römischen Periode immer mehr um sich greifende Heroisierung der Toten und die Ausbildung eines regulären Heroen- kultus an ihren Gräbern, eine Idee, die in dem tief im hellenischen Geiste liegenden Glauben an die Unsterblichkeit der Seele sowie an Dämonen und mythische Heroen ihren innersten Keim, in dem stets mit grosser Pietät gepflegten Gräberkultus ihren unmittelbarsten äusseren Anlass hatte. Auf den Inschriften findet diese Vorstellung durch den Zusatz von rJQcog {rjQCjlg, rjQwlvr], ^QOJiGoa) zum Namen des Toten ihren häufigsten Ausdruck, nicht selten auch durch die Angabe, dass der Tote oder das Grab heroisiert worden sei (o öä^og oder 6 öelva acprigwi^e N*^ Thera^), aq)r]Qü)tod^ai rb ^vYiy,elov Aphrodisias C. 2834 u. ähnl.), sowie teilweise auch durch die Bezeichnung des Grabmals als tjqojov, ein Wort, das ich ebenfalls vor dem III. Jahrh. auf Grabschriften nicht nachweisen kann. Bisweilen werden der Inschrift besondere Bestimmungen hinzu- gefügt, die eine regelmässige Fürsorge für das Grab und die Abhaltung gewisser Feste und Opfer zu Ehren des Verstorbenen anordnen*).

Dieses ganze Gebiet mit allen auf den ünsterblichkeitsglauben be- züglichen Fragen hat unlängst durch E. Rohde eine so umfassende, licht- volle Darstellung gefunden, dass ich mich in dieser Übersicht eines näheren Eingehens darauf wohl enthalten kann, zumal seine Resultate auf einem so umfangreichen Material beruhen, dass sie durch die Betrachtung der Grabschriften allein keinerlei Erweiterungen, sondern eher Einschrän- kungen erfahren könnten. Daher will ich es hier bei ein paar statistischen Bemerkungen bewenden lassen.

Zunächst ist hervorzuheben, dass das Gros der Grab Schriften, die

1) Die Form N^dq)7]Q(6i^e iV*^ habe ich ausser Thera nur noch auf dem benach- barten Anaphe (C. 2480 eAdd.p. 1095) und auf drei Inschriften von Fremden inAttika gefunden Ca&tjv. VII, 212 n. 6; Annales de la facult^ d. lett. d. Bordeaux II, 1880, S. 152 citiert von Röhl inBursians Jahresb. X, 1882, S. 53 ; Ath. MitLXII, 299 n. 270) und in Thrakien ganz spät sogar N^äiv xal (pQoväiv dcprjQmiaev ^avro'v Archiv. 1876, 134 n. 47 und Ost. Mitt. X, 206, wo natürlich die eigentliche Bedeutung ganz verblasst ist (vgl. loannides im 'A^vaiov IX, 1880, 309 Q^anxeiv fisyaXonQEnöJq).

2) Vgl bes. d. wichtige Testament der Epikteta C. 2448, das jetzt von Homolle zwischen 210 und 195 datiert ist'Etprjfi. dQx«iok. 1894, 141 ff. vgl. Bull. XVm(1894), 161.

Zu den griechischen Grabschriften. 283

eine Heroisierung des Toten enthalten, aus römischer Zeit stammt und dass nur sehr wenige mit einiger Sicherheit ins in. Jahrh. hinaufdatiert werden können. Ich sehe als die ältesten an die Inschriften auf zwei Heroenmahbreliefs aus Thessalonike Ti^o^rjlcüi JacpvaLov tJqwl und Kas- sandreia ^ÜQUi 'HgoTtvd-cjL,^) die allerdings noch ganz den Charakter von Weihinschriften tragen. Sonst kann ich aus rein epigraphischen Indizien keine in ältere Zeit datieren ; genaue Beobachtungen der Schriftzüge und der Dekoration der Steine können allein darüber Auskunft geben. Für Böotien, wo die Bezeichnung des Toten als iqQwg litterarisch so früh be- zeugt ist, hebt Dittenberger an mehreren Stellen des neuen Corpus (S. 367 zu n. 2110 ; n. 2628/9. vgl. zu n. 1713) hervor, wie spät diese Benennung auf den Grabsteinen ist , meist in der erst seit dem I. Jahrh. v. Chr. wieder aufkommenden Form Irtl N^ rJQOJL. Überhaupt findet sich 7]Qwg in allen Kasus, ganz nach der Namensform, die in der betreffenden Gegend üblich ist, z. B. in Knidos 6 da^og N^^ 7]Qwog,^) in Makedonien und Thrakien ]\[iN^p rJQCüi oder N^N*^ TJQwa, am häufigsten aber, bes. in Thessalien, im Vo- kativ in der Form ijgwg (xQrjoTh) xalge, die auch zu allen anderen Namens- formen hinzugefügt werden kann. Für die Zeit, aus der die thessalischen Inschriften mit riQoyg xQ^jore xcdge stammen, ist es vielleicht nicht unwichtig, dass sich diese Formel niemals mit dem patronymischen Adjektiv und nie- mals mit der Weihung ''EQfxaov xd-ovLov^) im thessalischen Dialekt zu- sammen findet, also wohl jünger ist als die späteste Anwendung desselben. Für die Verbreitung der Inschriften mit riQMg verweise ich auf Rohde, Psyche, S. 647 649, und Denekens Zusammenstellung in Roschers Lexikon, Sp. 2549 2554, der mit Recht überall hervorhebt, wie gerade die äolischen und dorischen Stämme diese Sitte besonders ausgebildet haben. Charakte- ristisch dafür sind die Inschriften aus Thera, wo die öffentliche Heroisie- rung durch das Volk ein Vorrecht der alten dorischen Adelsgeschlechter, namentlich der Ägiden, gewesen zu sein scheint."} Eine andere Bedeu- tung hat das acpj]Q(x)t^€iv oder ccTtocEQoüv des Grabes in Aphrodisias; hier soll durch diese Massregel die Unverletzlichkeit des Grabes stärker betont werden. Dasselbe ist der Fall, wenn in Knidos zu der Grabschrift

1) Archiv. 1876, 246 n. 77 und 270 n. 115.

2) LeB. III, 1575 ff. Öster. Mitt. 1891, 46 n. 1. G. Hirschfeld, IBM. IV. S. 34 n. 833 ff.

3) Vgl. m. Dissert. S. 60. Auf dem Hermenpfeiler Ath. Mitt. VHI, 116 n. 17 ist die Inschrift mit tjq. x- X- 1^ ^1^1 späterer Zeit eingetragen und ^EQ/xdov x^ovlov von der ersten Benutzung stehen geblieben.

4) Böckh C. 2467 ff. und Abhdl. d. Berl. Akad. 1836, 41 ff. Boss, inscr. Gr. ined. II, 206 ff. Arch. Aufs. I. VIII. Mortillet, Rev. arch. 1870/1 t. 22 S. 284 ff. Rohde, Psyche 156 u. A. 1.

284 Eduard Loch

6 öäinog N^^ noch rjQwog zugefügt wird (G. Hirschfeld IBM. IV. S. 34), oder wenn das Grab selbst ein rigotov genannt wird, was ich zum erstenmal auf einer lykischen Inschrift des III. Jahrh. aus Pinara finde (C. 4259 = Reisen I, 56 n. 3): TUeoiag Tcko/iia JteXvtwv yivovg to riQt^Lov vLaTeay.evcr/Av avTwi Tial liJL yvvanu y.al tolg Tixvoig xal lyyovoig avxov' alkwi öe /utjöevl k^ioTU) €7tavol^ai to tjqioiov /Lirjök jtQOOTa^ai Itsqojl' ztA. Im IV. Jahrh. ist /nv^/^a in Lykien der älteste Ausdruck für das Grabmonu- ment. Die Bezeichnung rjQf^ov verlor bald ihre eigentliche Bedeutung und wurde dann an vielen Orten Griechenlands und Asiens überhaupt für jiivrjfielov angewendet, wie ja auch z. B. in Thessalien jeder Verstorbene ob alt oder jung, Freier oder Sklave, 7]Qwg genannt wurde.

Zu den bisher besprochenen Erscheinungen tritt noch ein neues Mo- ment hinzu, das uns das DI. Jahrh. als ganz besonders umgestaltend in Bezug auf die Form der Grabschriften erscheinen lässt. Es greift näm- lich von Lykien her, wo die alte, einheimische Kultur und die Gebräuche der an der Küste angesiedelten Griechen sich gegenseitig beeinflussen,^} auch bei den Griechen allmählich die dortige Sitte um sich, schon bei Lebzeiten sein Grab sich selbst zu errichten, und zwar nicht nur für sich allein, sondern auch für seine ganze Familie, Frau, Kinder, andere Verwandte, selbst Freigelassene und Sklaven. Es liegt im Wesen und in der Eigenart des lykischen Volkes begründet, dass gerade von hier aus diese Sitte ihren Ursprung nahm. Denn die erhaltenen Monumente lehren uns, wie die Lykier vor allen Völkern den Gräberbau und das Grab- recht ausgebildet haben, und wie in ihrem ganzen Leben die Sorge um die Bestattung und die ungestörte Ruhe nach dem Tode eine bedeutende Rolle spielte, da es ihnen „als das allein Begehrenswerte erschien, in Stein beigesetzt zu werden" (Benndorf). Daher jene stattlichen Felsengräber im Stil vollständiger Häuser und Tempel, daher jene gewaltigen Steinsarko- phage mit den Inschriften, die noch heute von der umsichtigen, fast ängst- lichen Fürsorge ihrer Gründer Zeugnis ablegen. Denn auf den Gräbern wurden, zunächst in lykischer Schrift und Sprache, genaue Angaben über den Erbauer und Besitzer, sowie Bestimmungen über die Benutzung und Erhaltung der Grabmäler aufgeschrieben;^) und die Form dieser Inschriften

1) Dies erweist für den Gräberbau Benndorf, Reisen I, bes. Cap. IX. Die ältesten griechischen Grabschriften Lykiens zeigen, wie überall an der benachbarten Küste Kariens und auf den umliegenden Inseln, den Namen im Genetiv, z. T. abhängig von TO fivijfia, C. 2300 u, 4202. Reisen I S. 40. Benndorf Giölbaschi S. 227, vgl. oben S. 276. Die Sonderstellung und den bestimmenden Einfluss Lykiens auf die Entwickelung der griechischen Grabschriften hat für die besonders charakteristischen Gräberbussen G. Hirschfeld nachgewiesen Königsberger Studien 1887;, S. 93 ff. und Treuber, Pro- gramm Tübingen 1888.

2) Vgl. Deecke, Bezzenbergers Beiträge XIV (1889), 181 ff.

Zu den griechischen Grabschriften. 285

ist dann seit dem III. Jahrh. immer häufiger aucli von den Griechen im Lande nachgeahmt worden und hat sich allmählich über das ganze grie- chische Asien und Griechenland selbst verbreitet, so dass sie in der Kaiser- zeit, aus der unsere meisten Inschriften des Ostens stammen, in mehr oder weniger veränderter Fassung namentlich in ganz Kleinasien die herr- schende geworden ist. Ich möchte sie daher kurz als die asiatische Form bezeichnen.

Das älteste Beispiel für ihre Anwendung in griechischer Sprache ist wohl die sicher aus der Mitte des IV. Jahrh. stammende bilingue Inschrift aus Limyra C. 4306 (Facsimile bei Petersen, Reisen II n. 124): To ^vijfxa t6Ö€ €7toirjOaTo ^löccQwg üaQjuevovTog vlog eavTwt xal ttji yvvaiyu xat vlwi nvßcdXrji, wie es scheint eine wortgetreue Wiedergabe des lykischen Textes, die in Wortfolge und -Auswahl genau die von Hirschfeld a. a. 0. S. Ulf., als die ältesten bezeichneten Formen aufweist.*) Sonst ist der gewöhnlichste Anfang dieser Inschriften *^0 delva {^wv xai cpqovuiv) Y,a- Teo'/,evaGe xo /j,vrj(j,€lov kavT(^ y.al . . . oder To ixvr]fxelov [IotI) tov öelvog, 0 KarsGxsvaoev eavTcp u. s. w.; doch haben alle Landschaften und grösseren Orte ihre besonderen Eigentümlichkeiten in der Form, wobei namentlich die Ausdrücke für „erbauen" und die Substantiva, die das Grabmal be- zeichnen, je nach der Form der Monumente, Särge, Stelen, Platten u. dgl. eine grosse Anzahl lokaler Verschiedenheiten und Gebräuche aufweisen.

Da diese Familiengräber, die zu einem langjährigen Gebrauch, oft für mehrere Generationen dienen sollten, meist ganz frei an leicht zugäng- lichen. Orten , Strassen oder auf dem Felde angelegt waren, stellte sich auch ausserhalb Lykiens bald die Notwendigkeit heraus, dieselben gegen Benutzung durch Unberechtigte und gegen jede Art von Beschädigung zu schützen. Daher in der Kaiserzeit diese Verbreitung der Verbote des öffnens, des Begrabens Fremder und im Fall der Übertretung {eav öi reg 7taQa ravTa tl Ttoirjorj, ToXfxrjoj] und ähnlich) die Androhung einer Strafe, sei es in Form schrecklicher Flüche oder einer an eine öffentliche Kasse zu zahlenden Geldsumme : auch dies ein ursprünglich lykischer Brauch, der schliesslich, im Zusammentreffen mit römischer Sitte, allgemeine Verbrei- tung fand. Hirschfeld (Königsb. Stud., S. 107) erkannte die oben S. 284 angeführte Inschrift, die das Grab rigcpov nennt, als die älteste dieser Art. Die Zahl solcher Grabschriften mit Strafsummen hat sich seit seiner Be- arbeitung mehr als verdoppelt ; für die Vergleichung ihrer Formen müssen auch die Grabschriften, die nur Verbote oder Flüche enthalten, zugezogen werden. Bei aller Ähnlichkeit in den Hauptpunkten zeigen die äusserst

1) Auch das ungriechische, erst in später Zeit nach lateinischen Vorbildern öfter zum Vatersnamen zugefügte vlog stammt wohl aus lykischem Brauch.

286 Eduard Loch

zahlreichen Inschriften so viel Verschiedenheit im Einzelnen und eine solche fast unübersehbare Mannigfaltigkeit in den Ausdrücken für die Grab- mäler und das Errichten, öffnen und Verkaufen, Begraben und Heraus- nehmen der Leichen, für das Zahlen der Strafe und die Verwünschungen, dass man einen vollständigen Wortindex anfertigen und das Zusammen- gehörige nach lokalen Gruppen ordnen muss, um eine gewisse Übersicht darüber zu gewinnen. Einen kleinen Begriff davon kann schon der An- hang I bei Hirschfeld geben, der zahlreiche, nur aus den Inschriften mit Geldstrafen ausgezogene, lateinische und griechische Ausdrücke gegenüber- stellt, und die Aufzählung von Varianten für xaT£ax€i;a(7€ und %d /uvrj' fieiov bei Keinach, Trait^, 427—429.

Vielfache Ähnlichkeit mit diesen Inschriften bietet eine ebenfalls seit dem Ende des III. Jahrh. besonders in Thessalien, Makedonien und Asien neu auftretende Gruppe von Inschriften auf Grabsteinen, die zwar, wie früher, dem Verstorbenen erst nach seinem Tode von den Angehörigen gesetzt sind, auf denen aber, was in älterer Zeit nur in Grabgedichten vorkam 0, der Stifter des Grabes sich selbst nennt, etwa mit den Worten: „N. errichtete dies Grab seinem Vater N. zum Andenken" oder „N. begrub seine liebe Gattin N." u. dgl., sodass der Name des Toten im Dativ, seltener im Accusativ steht, ähnlich wie bei den Weih- und Ehren- inschriften : N^ yiaTeGxevaoe t6 ^vri(xelov N^^ jtaTQi oder N^^ N^ aviorr^- öe TTjv GTTiXrjv oder ohne sachliches Objekt N^ e/tolrjOE N^, N^ sd-axpe, hlfir]G€ iV* (besonders in Kula Maeon., Kotiaion Phryg. und Galatien), auch ohne Verb N^ m^, N^ N^^ und N^ N\ IS* N\ mit Verwandtschafts- bezeichnung, Stand und Lebensalter, sehr oft mit dem Schluss fxvelag XCLQiv, besonders in Nordgriechenland und der Westküste Kleinasiens, oder (xvriiiriq %a^iy (seltener eveyiev) im inneren und östlichen Kleinasien.

Auch diese Form ist in ihrer Anwendung vielen lokalen Schwankungen unterworfen und verschmilzt sehr oft mit der soeben besprochenen. Während sie im eigentlichen Griechenland und auf den Inseln (ausser Kreta) sehr selten ist, in Aphrodisias in Karlen gar nicht, in ganz Lykien nur ausnahmsweise vorkommt, ist sie in Makedonien und vielen Städten Phrygiens (Aizanoi c. 120 mal N^ N^^fxvTq. %.), in Galatien, Lykaonien, Isäurien und anderen zentralen Landschaften geradezu die Regel. Während femer im ganzen Norden und an der Westküste Kleinasiens der Dativ des Namens fast ausschliesslich gebraucht wird [N^ N^'' avsarrjae, mit und ohne fÄV. X'), sodass regelmässig der Dativ die Grabschrift, der Accusativ die Ehreninschrift bezeichnet (vgl. z. B. Böckh zu C. 2771), wird, je mehr man nach Süden und Osten kommt, der Accusativ immer häufiger. Dieser

1) Vgl. auch die alten Inschriften von Amorgos m. Dissert. S. 10.

Zu den griechischen Grabschriften. 287

Übergang ist besonders im südlichen Galatien, Pisidien und Lykaonien ZQ bemerken (nach Sterretts Inschriften in den Am. Pap. II und HI). Dort herrscht z. B. noch in Laodicea combusta und Iconium der Dativ, wie in Phrygien, in den Ortschaften wenig südlicher überwiegt schon der Accusativ, und in Isaurien zeigen fast alle Grabschriften die Form N^^ N"^ {d'vyaxiqa u. a.) av4GTi]oe (oder eKooiiirjae u. dgl.) ^ur/J. Xv was auch in Kilikien häufig ist. Ganz ausnahmsweise findet sich der Genetiv N^ N^ f^v. X' z. B. in Larissa in Thessalien^), Knidos ^}, Stratonicea^) und vTtsQ N^ ebenda "). Statt fivi^jurjg iclqiv haben wir in späterer Zeit auch andere Motive, wie (piXoaTOQyLag, ayvoLag, evoeßeiag, evxccQLOzlag, ja sogar T€ii^rjg %aQtv%

Eine besondere Stellung unter den Grabschriften dieser Art nehmen diejenigen ein, deren Stifter nicht einer der Angehörigen des Toten, sondern irgend eine öffentliche Vereinigung ist, die den Verstorbenen durch einen Kranz ehrt oder auf gemeinsame Kosten bestattet. Und zwar geschieht das an vielen Orten durch die Stadt {ri Ttolug eTlfxrjoev iV^) oder durch Eat und Volk {rj ßovXrj Kai 6 dr]^og, oft allein 6 drjfiog OTecpavol, acprj- QCüi^ev u. ähnl.), sonst auch durch verschiedene politische oder religiöse Vereine {ovvoöog, d-iaoog, owrj^eia u. a.), zu deren Zwecken auch die Bestattung ihrer Mitglieder gehörte. Ausser der Inschrift zeigt oft auch nur ein am Grabstein befestigter oder im Relief dargestellter Kranz die öffentliche Ehrung des Verstorbenen an. Ein solches funus publicum oder eine Bekränzung finden wir auf Grabsteinen belegt z.B. in Platää (Am. Journ. VI, 1890, 108 n. III = Dittenb. C. 3750, Grabstatue: Ath. Mitt. III, 346 n. 61), Ägina (LeB. II, 1705. 1706), Imbros (Conze, Reise a. d. Ins. d. thrak. M. S. 93ff.), Lesbos (C. 2197 b— h Add. Ath. Mitt. Xni, 74), Amorgos (Ross, inscr. Gr. ined. II, 115. 122), Andres (LeB. II, 1815), Paros (C. 2380—82; Movo. 1880, p. 150 = Bull. IV, 285 = Ost. Mitt. XI, 179, ein 13jähr. Knabe), Thera (Heroisierung C. 2467 ff., Ross, inscr. ined. 11, 206 ff. Rev. arch. 1870/71, 284 ff. Li^vaLov IX, 1880, 309), Anaphe (C. 2478—80; Ath. Mitt. I, 251 f.), Kos (Paton & Hicks 327, 328 lg (.iva(.iav fihv avrov, 7t agafiv&lav öe tov Ttargog auTOv, 374, 416), Knidos (LeB. IE, 1575 ff. IBM. IV, n. 833-847), Stratonicea (C. 2724—2726), Kig (Bull. XI, 310 n. 4), Alabanda (Bull. V, 180), Aphrodisias (C. 2836 cfr. 2776 Trostdekret), ferner in fast allen Städten Lydiens, be- sonders Smyrna (über lOOmal 6 ö^i^og im Kranz, siehe die Inschriften

1) LeB. II, 1293. Ath. Mitt. XII, 350 ff. n. 115. 121. 129. 2) IBM. IV. n. 848 ff.

3) C. 2732/3. Bull. XIV, 624 n. 25. XV, 427 f. n. 14. 16.

4) Bull. XV, 426 f. n. 11. 15. XV1II(1894) 42 n. 8.

5) C. 4078. Sterr. III, 22. 25. 26. 40. 90 (TKMX = xsifi^g xal ßv^fxrjg xa^iv?), 177.

i

288 Eduard Loch

im CIG. und Movaelov), bisweilen in Mysien (z. B. Kaib. 335), Mileto- polis Bithyn. (Bull. XII, 193), Laodicea ad Lycum (Kaib. 385, Am. Joum. 111,346), Telmessus Lyc. (C. 4199 Bull. XIV, 172), Anazarba Cilic. (Journ. XI, 248 n. 19), Syrien (C. 4602 = LeB. III, 2077).

Auch die Vereine, welche ihre Toten ehren oder bestatten, sind weit verbreitet'). So haben wir Igavioxal in Athen (CIA. 11 3308) und Khodus (Ost. Mitt. VE, 133 n. 64. Bull. XIII, 363 vgl. tb nocvbv to Mri- viaoTav u. a. Ost. Mitt. X, 219 n. 23. 25), eine ovvoöog twv rjQipaaTaiv für einen verstorbenen Jüngling in Akraiphia (Ath. Mitt. III, 299 = Dittenb. C. 2725); inTanagra im IL Jahrh. v. Chr. die^■^^avaLGT1^, JKjDVLovoia- aTrjxind (TV r ^ VT at (Dittenb. C. 685— 689), in Thessalonike drei avvrj' d'SLai (Archiv. 1876, 246 ff. n. 83. 84, cfr. Foucart a. a. 0. 114; Bull. Vm, 462 f. n. 2 vom Jahre 155 n. Chr.), von denen die erste avvTJ^sia tcjv TcoQcpvQoßacpcüv heisst, wie in Tr alles (Bull. X, 519 n. 1 6) und Hierapolis (C. 3924 b) ^ egyaGia t;(J)v ßag)6(x)v und ebenda (LeB. III, 1687 vgl. Rev. arch. 1887 II, 354) ein ovveöqlov Tijg TtgosÖQlag tüjv TtoQcpvQoßa- q)o)v; eine awegyaola auch in Smyrna C. 3304. In Olynth (C. 2007 f.) wird emxoklrjyiovd^eovrjgcüOQ (des oben S. 277 A. 8 erwähnten thraki- schen Herosgottes) genannt, in Panticapäum in 6 Inschriften eine avvo- (5 0 e (lOP. II, 60 65), in Teos zahlreiche i^/a (7 0t, oQyewveg, fivoTai u. a. (C.3098, Bull. IV, 164 ff. Foucart S. 39), ov^^voTai auch in Smyrna {Movo, V, 1885, 14 n. 228), Kyzikos (Ath. Mitt. IX, 35), Thyatira (Bull. XI, 483 n. 70, dem aQXLfivotrjg gewidmet vom d^Laoog), ov^iß lvj- rai Smyrna (C. 3304), Philadelphia (Movo. 1885, 67 n. v^y), Kula Maeon. {MovG. 1885, 57 n. vfia), Trajanopolis (C. 3865 o), Apameia (Bull. VII, 307 n. 29), in Thyatira auch (pQaTOQsg (Bull. XI, 453 n. 15).

Dies sind die hauptsächlichsten Elemente, welche seit dem HI. Jahrh. auf dem Gebiet der Grabinschriften die wichtigsten und für die Folgezeit nachhaltigsten Veränderungen hervorgerufen haben. Doch ist damit der Formenreichtum dieser eigenartigen Denkmälerklasse noch nicht im ent- ferntesten erschöpft. Zahlreiche Einzelheiten, namentlich aus der Kaiser- zeit, mussten in dieser Skizze übergangen, vieles konnte nur angedeutet werden. Fast alles, was früher nur in Grabgedichten seinen Ausdruck fand, in Bezug auf des Verstorbenen frühere Thaten, sein Lebensalter, die Todesart und sein Verhältnis zu den Angehörigen, das enthalten jetzt auch die prosaischen Inschriften, man findet in ihnen oft die Elemente nicht nur unserer Aufschriften auf Gräbern, sondern auch unserer Todesanzeigen und Nachrufe.

1) Vgl. Foucart, des associations religieuses chez les Grecs. Paris 1873.

Zu den griechischen Grab Schriften. 289

n.

Auf mehreren Grabschriften des lateinischen Sprachgebiets (Italien, Gallien, Spanien, Pannonien) findet sich ohne Zusammenhang mit dem Text der Inschrift der Zusatz ravTa, dessen Erklärung noch nicht voll- ständig gesichert zu sein scheint. Es sind folgende Inschriften:

1. Rom. ISI. 1413 = GIG. 6341.

J. M. I M. ^Qyevalaj \ EvraTizci) ^eißelgaXig 6 Xöiog aldeXcpog Ttjv 'Aaindlgav (xveiag %aQiv \ '/.al eveqyeoiwv y,a\ \ evvoLag Ttaorjg. f.is\)^Qig ^avocTOv evvoiqoavTa, sTeloLV e' ow^eveiTsvoavta \ ed^iq- yia Tov aöel(pdv stcüv lö'. \ Tav[Ta.

2. Rom. ISI. 1479 = CIL. VI, 13236.

M. Aurelius Sostrjatianus Stratoni(cea?) | fecit Fabiae Laetae | coiugi, sanctissimae | feminae, cupulam | structilem; qua|e vixit annis | XXX IUI. 1 XaLqeT ai{=-Te)' Tavra.

3. Rom. ISI. 1824 = CIL. VI, 21812.

Memoriae | M. Maetiliani | Zosimi, qui | vixit ann(is) XXVIIII | mensibus X, diebus | viginti Septem | Seius Alexander | fratri ra- rissimo. | ngoxoTVi Tavra,

4. Rom. CIL. VI, 8925.

D(is) M(anibus). | Cointo Aug(usti) lib(erto) a | frum(ento) mini- strat(ori) qui | vixit ann(os) LXX, m(enses) V, d(ies) XV | Alexander Aug(usti) lib(ertus) | nutritori suo bene | merenti posuit. | Palladi tauta (i. e. Tavra),

5. Mutina. Muratori 1399,8 (citiert von 0. Hirschfeld zu CIL. XII, 874.)

Salustiae | Aphrodite | Congidius L. f. | coniugi bene | merenti cum qua | vixit annis XXVII, | mensibus VIII, diebus VI. Dazu 4 Distichen und zavTa, das nach Bormann zu CIL. XII, 874 von Muratori nur ausgelassen ist. .

6. Arelate (Gall.) ISI. 2475 = CIL. XH, 874.

lacet sub hoc signino dulcissima Secundilla, | qu(a)e rapta paren- tibus reliquit dolorem, | ut tan dulcis erat tanquam aromata; | desiderando semper mellea vita. | qu(a)e vixit annis III, men- (sibus) VI , die(bus) XVI. l'^QwinciTi Tavra.

7. Nemausus (Gall.). ISL 2505 = CIL. XU, 4123.

D. M. I L. Gratius Eutyches | domum aeternam vivus sibi curavit, I ne heredem rogaret. | Tavra.

8. Balsa (Lusit.) ISL 2542 = CIL. II, 5171 (Suppl. ed. Hübner).

19

290 Eduard Loch

XiQttB. I EvTjvog I Ttal '^vrioxelg \ iöloj %h,vii) | TaTiavfft | yXv- yLvtatt^ I t,rioavtL \ kviavtov \ 'Aal rn-iigag x' | fiVTJ/urjg %aquv, \ Xigete' \ ravTa. 9. Petovia (Pannon.) CIL. IH, 4075 = CIG. 6811.

Evora^c Tatra qui| vixit ann(os) II, mCenses) VIII, dCies) ] Vni, ^vqyjXlol ^Jr]f4rjT\Qig xal (DrjXUiTag yo\veig vUo yvrjolq), Franz C. 6811 hat nach einer anderen Abschrift qui vixit ann. II m. Vin d. VIII hinter vu^ yvrjoUp. In n. 1, 5, 7 steht Tavra allein am Ende in einer besonderen Zeile, in n. 2 und 8 zusammen mit ;fa/()€T«, in n. 3, 4, 6, 9 mit den Namen ÜgoTiOTct, Palladi, L^Qw^mt,, Evaid^c in der Form des lateinischen Vokativs. Früher hat man dies wohl auch für den Genetiv halten wollen, und noch Hirschfeld zu XII. 874 schwankt, ob man ravta erklären solle als „hoc est monumentum {rov SeivogY^ oder ob es als acclamatio auf- zufassen sei. Diese letztere Erklärung ist inzwischen mit Recht wohl allgemein angenommen (Hirschfeld zu XII, 4123, Kaibel im Index zu ISI., Hübner zu 11. Suppl. n. 5171), da ravTa niemals auf Grabschriften für rovTo t6 i^ivrjfia (sc. rov delvog eonv) steht und auch die Namen bei Tavta mit keinem Namen in den Inschriften übereinstimmen. Zwar !dQv)(xaT:L{pv) in n. 6 wird als Beiname der Secundilla schon durch die Worte der Inschrift selbst erläutert, aber die übrigen bedürfen noch einer besonderen Erklärung. Und diese hat, wie es mir scheint, zu- erst T. Schiess gegeben in seiner Dissertation „Die römischen collegia funeraticia nach den Inschriften" (München 1888, S. 30 33) im Anschluss an De Rossi's Behandlung der „coUegii funeraticii famigliari." Er erklärt nämlich den Namen Procopius in n. 3 für den Beinamen, den der Ver- storbene als Mitglied eines jener Familienkollegien gehabt habe, deren Namen „nicht immer von einem persönlichen cognomen ihres Gründers abgeleitet, sondern häufig ohne irgend welche Beziehung darauf mit Rücksicht auf die Andeutung eines guten Omens aus dem Griechischen genommen" wurden, wie Pelagii, Pancratii, Eusebii, Eugenii, Eutropii u. a. Da diese Namen sich öfters in lateinischen Inschriften mit kurzen Anreden an den Toten finden, wie Petrei vivas VI, 9477, Argenti have VT 10268, und auch die Bildung des Namens Palladius (n. 4) den obigen völlig entspricht, so glaube ich mit Recht auch Palladius als einen solchen Beinamen ansehen zu dürfen. Auch ein Name Eustathius könnte zwar in diesen Zusammenhang gehören, doch ist die Form Evord&i in n. 9 wohl besser anders zu erklären. Am Ende der griechischen Inschrift aus Rom ISI. 1464 finden wir nämlich evotä^i offenbar als Zuruf an den Toten angewendet, wie sonst die Imperative ^aQo{€)iy evxpvxißjt u. dgl, mit denen es auch

Zu den griechischen Grabschriften. 291

gut in der Bedeutung übereinstimmt/) Daher ist es hier wohl ebenso aufzufassen, jedenfalls darf man nicht den Anfang der Inschrift Evara- d^L xavta qui vixit als zusammengehörig ansehen, so dass sich qui auf EuoTccx^i als Namen beziehen soll. Die Anordnung der Zeilen der Inschrift ist nicht sicher und wohl nur durch erneute Yergleichung des im CIG. 6811 beschriebenen Steines festzustellen. Auffallend ist, dass hier allein das ravra vor der Inschrift steht, in den anderen Fällen am Ende.

Wie ist nun aber die Ellipse bei javTa selbst zu erklären? Das kann uns die Yergleichung einer Anzahl anderer, griechischer Inschriften, zu- meist aus Griechenland und dem Osten, lehren, die das Wort in ähn- licher Anwendung allein, oder in der Formel 6 ßlog ravia oder in grösserem Satzzusammenhange aufweisen. Ich rechne hierher folgende Inschriften:

10. Messana. ISI. 419 420. Grabschrift des OvXniog Nr/,ricpoQog !dv-

tioxevg aus KoUrj ^vgla:

TOVTO avd-Qw\7tivov , ict ^€(Jüv ivd-dö^ £/i€ ' €vipvxt' , ovölg ad-avarog' Tavia'^) OväXrig (^vrjf.irjg xaQtv av^drjxa' syco oi, eine rig; evxpvxi^ Nixrjcpoge, ovölg ad^avarog,

11. Rom. ISI. 1201 (Büste) = Kaib. 1117.

OvY, rjfiTjv, yevofirjv rjfirjv , ovx elfXL' roGavT a' et di Tig alXo eghi, xpevoei:aL' ovx. eaofiai. XalQe ömaiog wv.

12. Rom. ISI. 2130.

(Dqovtl^ ewg tijg, Ttwg xalcjg raq)i^oee %a\ Xi^Gov wg ^rjGoig' x«tw yag ovx, e^tg ov 7CVQ avdipe ovöe öeiTtv^Ge yiaXwg, eyd leyw goi ravra Tcctvxa TCigaGag' evievd'ev ov^lg aTtod-avtüv eylg€[Tai.

13. Aquileia. ISI. 2342 unter dem Epigramm Kaib. 609.

TavTa ol GvG}ir]vol oov keyovG iv' '^ evxpvxei, BaGGMa, ovöelg d^dvarog .

14. Mantinea. Kaib. 480', p. XIII.

Angabe Ton Name, Herkunft, Alter; dann V. 7 f :

1) Das Verbum Evcxa^slv gehörte nach Schol. H. E 1 Sägaoq xaxa tovg KvQTjva'Cxovg xccl 'Emxovgslovg evaxad-elv xaxa ötävoiav xal köyov iv Seivaiv ino' fiovalq zur Terminologie der Epikureer, oflFenbar im Sinne von aequam mentem rebus in arduis servare; dasselbe gilt auch von dem Adj. evaxa^qy vgl. Lobeck ad Phryn. p. 282/3.

2) So ist zu interpungieren, da xavxa nicht Objekt zu dvi&rjxa sein und „das Grab" bedeuten kann, vgl. zu n. 6 u. 9, oben S. 290. dvd^Q(o]mvov von Hirschfeld ergänzt nach dv&Qomva CIL. VI ,9240, citiert zu CIL. XII, 4123.

19*

292 Eduard Loch

Tavra fia&ajv, ^he, rcelve, y\^la, xw/i^]cr^€, fitgl^ov ytOLVa yag Igtl ßgorolg ravTa ta avv&einaTa.

15. Tanagra. Dittenberger C. 582—584.

Drei Epigramme zu fönf Versen, aus dem V. Jahrh. n. Chr., darunter TAYTA. Dazu der Hgb. „subscriptum litteris maioribus Tavra idem sibi velle ac rama yivoizo probabiliter coniecerunt editores".

16. Larissa Thess. Ath. Mitt. XI, 56 n. 35:

NN* luvelag xciqlv. Tavta ovrojg b^bl 6 ßlog.

17. Larissa, ebenda, S. 58 n. 45:

NN ev&ade y.eLfied'a. Tavra ovrwg exi^ 'EQfiij x^ovicp (gehört zu einer älteren Inschrift). 17". Zwischen Neapolis u. Philippi Maced. Heuzey, Mac^doine 11,39 n. 14. ^'EveOTiv wde 2vv€Qy\og? . . . \ Bv^dvTiog etiJüv fie' Tai;t:[a? . . .| ^EvKolTtiog aneXevd-eQog t^rj Y,a\i vylaive.

Ergänzung des Hgb.: ravTa "'Ev'/.olTtcog (leyet)' T^ x. (vylaive). Der freie Raum am rechten Ende ist nicht bestimmt; man er- gänzt wohl besser: 2vv€Qy[og tov öelvog \ Bv^dvTcog haiv fie' TavT[rjv Tr]v krjvov \ Ev^oXTtiog aneXevd'eQog C^ (== vivus) xa-

[T£OK€VaG€v].

18. Ainos Thrac. Kev. arch. 1873, t 26, 84 ff. (Miller) = Archiv. 1876,

165 n. 103.

^VQTjhog NavxXrjQog, d-egaTtevTrjg tov q)iXav^QOJ7Cov S-sov ÜGxkrjTtiov. Td Goi Xeyo fieva TavT[a' 0T]av ccTCod-dvrjgy ovK ccTteS-aveg, rj ök xpvxrj gov [x.tL

19. Kotiaion Phryg. CIG. IH, Add. p. 1054 n. 3827 s = Kaib. 362.

^_w-w Tovra Toig q)Lkoig Xiyw 7talGov, TQvq)rjGOVf ^rJGOv, auod-avelv Ge del.

20. Bei Eumeneia Phryg. Bull. VI, 515 n. H = Ost Mitt VH, 149.

NN 10 fxvrjfxelov xaTSGxevaGav tctL (Verbot der Entweihung;

am Schluss:)

OVK tjl^rjlv, (6)y€v6\fir]v' ovy, \ €GO(,i(ai)' \ ov (.UXl \ fiOL'\

6 ßlog I TavTa. \ xalQ6T€ fcagodeiTat.

Vgl. Kaib. 2190 (Rom):

OVY, rjfj.rjv {k)yev6f.criv' ovx. {e)i^i' ov (.UXl fnoi'

21. Eumeneia. Bull. VHI, 233 n. 1.

N y,aT6GA€vaG€v To (.ivrifjLelov htL (Verfluchung des Grab- schänders, am Schluss): '0 ßlog TavTa.

22. Eumeneia. Ebenda, S. 240.

V. 16 27t€vÖ€Te, Trjv ipvx'^v evq)Qalvete 7cdvTOT€[laol?

Zu den griechischen Grabschriften. 293

(jü]g Tjdvg ßlotog ytai ^ixQov eoil ^orjg.

Tavra, kaol, y,Bxa Tama rl yag TtXiov; ovTiiT i TavT a.

ovYjXXrj ravTa kakel Kai Xid^og, ov yctg eyw,

23. Hierapolis Phryg. LeB. m, 1687 = Rev. arch. 1887, ü, 354, 1.

^i? GOQog xal 6 7t€Qi avTTjv toTtog xrA. (Strafsumme , am

Schluss:) 'Ooov av TtoQiarjg ßiov, w q)ile Ttagoöelra, eiöcog,

OTi t6 xiXog v/iiwv tov ßiov ravTa.

Vgl. Bull. ViJi, 447 n. 11, Amorgos /a^(>' w Ttagodelta v.al

oiiOTtBL (jjg eidcug, otl aal ooi xo avto h.Tto'KUxaL,

Kalb. 416, V. 5/6 ^omov vvv, nagoöelxa, q)iXov yeverrjv öh eXeeQB,

(hg eidiog, otl TtäoL ßqoTolg to d-avelv aTtöyLBiiai.

ISI. 937 aiiEqii.Lv El' tcccvtwv yag ßgoTwv odog avrrj (oder avTiij),

24. Pessinus Galat. CIG. 4097 mit Add. p. Uli.

XalQB TtaQodelTa' 6 ß Log i: av[c a.

Auf der anderen Seite des Steines die Grabschrift

25. Zela, südlich von Amaseia Pont. Perrot, Exploration 379 n. 163.

Hqvjl ovvßlqf ^EqcjvIÖl BrjqaTwg' og ö^ av 7ii.vrjGr] ttjv gti^Xt^v TavTfjVj dtoaet t(ü legcoTaTq) Tafilw OTqOTSQTioyg öov\ 'O ßlog Tavra,

26. Berytus Syr. Rev. arch. 33 (1877), 58 n. 6 (Perrot).

QaqoL, ^QTBfiLÖwQa, ovdlg ad-avaxog' Tavra' ^rjaaoa erri x^'. Von diesen 18 Inschriften ist nur n. 11 keine Grabschrift; in n. 17* ist die Ergänzung ravra u. s. w. so unwahrscheinlich, dass ich sie ausser- halb der Betrachtung lasse. Von den übrigen hat in 12 Inschriften ravra ähnlich wie in den neun ersten keinen grammatischen oder inhaltlichen Zusammenhang mit der Hauptinschrift, nur in vier metrischen n. 12, 14, 19, 22 und in n. 18 bezieht es sich unmittelbar auf den Inhalt der eigent- lichen Grabschrift. Die ersteren vier lassen den Toten über die Kürze des Lebens und das Elend nach dem Tode klagen und schliessen: „darum sage ich euch dies (n. 12. 14. 19), geniesset euer Leben; denn dies ist das einzige, was es euch zu bieten vermag (n. 22), und nach dem Tode ists nicht mehr möglich" (n. 12. 22). Auch in n. 18 gehört ravra zu dem Verbum „sagen": oot Xeyofxeva ravra, leitet aber hier eine an den Toten gerichtete Trostrede ein, die den festesten Unsterblichkeits- glauben ausspricht. Von den 12 anderen Inschriften steht dieser An- wendung des ravra am nächsten n. 13, wo nach dem Grabgedicht der Bassilla der an die Tote gerichtete Zusatz steht ravra oi ovoxrjvol aov leyovGiV evxpvxsL BaoailXa, ovdelg ad'dvarog. Ganz selbständig wie oben n. 1. 3 7 findet sich ravra hier nur n. 15; ohne grammatischen Zusammenhang steht es n. 10 u. 26 nach evxpvxei [d-ägoei)' ovöelg ad-d-

I

294 Eduard Loch

vatog, ähnlich wie n. 2 u. 8 nach xai^€te, n. 9 nach evotd^cL ; auch n. 1 1 gehört dazu, wo es sich auf die epikureische Sentenz bezieht, die sich n. 20 wiederfindet. 'O ßlog lavra steht n. 21 u. 25 allein am Ende von Grabschriften mit Fluch resp. Strafsumme, n. 20 (mit Bezug auf die vor- hergehende Sentenz) u. 24 neben xa/^t(r6) TtagoöeVtaii) und n. 23 vom Toten an den Wanderer gerichtet in der Form ro ri'Kog vjLiüiv tov ßlov Tama, n. 16 u. 17 in vollständigem Satze rauta ovzojg exi {6 ßlog). Diese beiden letzten Grabschriften geben auch deutlich die Ergänzung des ellip- tischen 0 ßiog TavTa zu dem trivialen, melancholischen „Stossseufzer" : „So geht's im Leben" oder „das ist nun das ganze Leben", c'est ce qu'est la vie (Perrot zu n. 25), haec est vitae humanae condicio (Hübner zu n. 8) oder vielleicht besser summa, nämlich dass schliess- lich doch jeder sterben muss ein auch sonst häufig wiederkehrender locus communis vieler Epigramme.

Es ist nun die Frage, ob das ravta in den Inschriften n. 1 9, 10, 11, 15, 26, wo es ganz selbständig steht, auch als eine Abkürzung dieser Ausdrücke anzusehen und wie 6 ßlog raÜTa aufzufassen ist wozu uns n. 17 TavTa ovrcog exet vollkommen berechtigen würde , oder ob wir in einzelnen Fällen noch eine andere Erklärung dafür geben können.

Nach Analogie von n. 20, 23, 24 ist wohl auch in n. 16, 17, 21, 25 das 0 ßlog ravTcc als vom Verstorbenen gesprochen zu denken und an die Überlebenden oder Vorübergehenden gerichtet. Dasselbe ist der Fall n. 2 und 8 x^^Q^^' TavTa und vielleicht auch n. 1, 5, 7, 15, wo sichere An- haltspunkte fehlen. Dagegen n. 3, 4, 6 sind, wie wir oben gesehen haben, an die Verstorbenen gerichtet, desgleichen n. 26 und n. 9 etoTa&i xavxa, da das Verbum im Singular steht und auf dem Stein nur ein Toter aber beide Eltern als Stifter genannt sind. Dass man auch zum Toten ^agoei, evifjvxec, evoTäd^ei („sei getrost = gräme dich nicht") sagt, ist zwar auf- fallend, aber ganz sicher und durch viele Inschriften belegt (vgl. Rohde, Psyche 682), wie z. B. Kaib. 595, wo der Verstorbene selbst sagt: evipvxoi 00% ig ovx 7]fj,rjv 'Aal eyevofjnqv , ovx ei/m xal ov kvrtovfiai (d. h. akvTtog elfiL, s. oben S. 281 f.). In n. 10 endlich haben wir ein Zwiegespräch zwischen dem Toten, Ni7ii](poQog, der zuerst zu dem, der ihn bestattet, sagt: „dies ist das menschliche Schicksal; evxpvxsi, ovöelg a&avaTog' ravra'% und dem Bestattenden, Ovdlrjg, der am Schluss dieselben Worte wiederholt: svipvx^t, NiTiTjcpoQS, ovdeig a^avarog.

Hier könnte man die obige Bedeutung des ravra nicht passend finden, weil derselbe Sinn schon durch das ziemlich sicher ergänzte [av&Q(jü]7tivov ausgedrückt ist. Ausserdem erinnert diese Inschrift des Syrers so sehr an die der Bassilla (n. 13) mit ihrem Tavra ooi kiyovaiv,

Zu den griechischen Grabschriften. 295

dass man auch hier das ravta lieber zu Tama aot Xiyw, wie wir es in n. 12 u. 19 haben, ergänzen möchte: „Gräme dich nicht, niemand ist unsterblich ; dies sage ich dir zum Trost". Natürlich müsste dann ebenso auch die verwandte Inschrift aus Syrien (n. 26) erklärt werden, wo der Zuruf der Toten gilt. Auch das Epigramm n. 1 1 giebt besseren Sinn, wenn man rooavia le'y(ß ergänzt: „soviel kann ich mit Sicherheit behaupten, wer etwas anderes sagen wird, wird lügen".

Kann man also bei den beiden Grabschriften n. 10 u. n. 26 zweifeln, ob man die erste Erklärung annimmt oder nach Analogie von n. 12. 13. 18. 19 ein Uyo) als regierendes Yerbum ergänzt, so wird man doch, wie ich glaube, für die neun ersten oben genannten Inschriften und n. 15 an der Ergänzung zu tavTo, ovtwq exsi^ oder 6 ßlog Tavrd sotiv festhalten dürfen. Auffallend ist immerhin, wie sich diese singulare Anwendung des Wortes gerade in den westlichen Ländern ausgebreitet hat.

XIIL Die Homerdeuterin Demo.

Von

Arthur Lndwich (Königsberg i. Pr.).

Frauennamen hat die Geschichte der griechischen Litteratur ungleich mehr aufzuweisen als die der römischen, und durchschnittlich sind die griechischen auch Ton weit höherem Klange. Zumeist gehören diese Namen, wie erklärlich, denjenigen Litteraturgebieten an, welche von jeher entweder der dichterischen Phantasie oder der spekulativen Geistesthätig- keit den freiesten, lockendsten und ausgiebigsten Spielraum dargeboten haben. Die übrigen Litteraturgattungen gleichfalls in den Bereich ihres Interesses und ihrer schriftstellerischen Beschäftigung hineinzuziehen, haben sich die Vertreterinnen des zarteren Geschlechts auch in Griechenland nur ausnahmsweise entschlossen. Das wird niemand auffällig finden; denn es entspricht der Natur der Dinge, und noch heute liegen infolge dessen die berührten Verhältnisse in allen Kulturstaaten ganz ähnlich. Wohl aber darf es befremden, dass die Altertumsforschung der Neuzeit, die ihre Blicke doch ausnahmslos auf jede, selbst auf die unscheinbarste Kulturäusserung Altgriechenlands zu richten strebt, also keineswegs bloss von ästhetischen Rücksichten geleitet sein will, jenen schriftstellemden Damen mit so ungleichmässiger Courtoisie gegenübertritt. Um die griechischen Dichterinnen nämlich drängt sich, wie um ein ausgesucht schönes Studienobjekt, ein dichter Kranz prüfender, bewundernder und über jedwede Einzelheit der Erscheinung eifrig diskutierender Forscher, um die griechischen Denkerinnen hingegen herrscht ringsum öde Grabes- stille, die nur selten von dem flüchtig vorübereilenden Fusse eines ein- samen Touristen gestört wird. Kein Wunder, dass noch immer so manche dieser Denkerinnen fast völlig in Dunkelheit gehüllt erscheint, obgleich es durchaus nicht an Hilfsmitteln gebricht, die es ermöglichen, sie in etwas hellere Beleuchtung zu rücken. Ich rechne dahin besonders die philosophische Homerdeuterin Demo, deren Name sogar Fach- gelehrten kaum je zu Ohren gedrungen zu sein scheint und deren natur-

Die Homerdeuterin Demo. 297

philosophische Spekulationen über den wahren Sinn der homerischen Gesänge jedenfalls derartig verschollen und vergessen sind, dass nicht einmal ein Mann von der bewunderungswürdigen Umsicht und Sorgfalt Ed. Zeller's sie einer Erwähnung gewürdigt hat. Vielleicht gelingt es mir, das Andenken dieser Schriftstellerin aus den Trümmern der vorhandenen Litteratur zu neuem Leben zu erwecken. Liebe und Begeisterung freilich wird sie auch so wohl kaum noch einem Leser entlocken ; aber das Fünkchen teilnehmender Erinnerung, das sie verdient, soll ihr ungeschmälert bleiben.

Um sogleich einen festen Boden unter den Füssen zu gewinnen, stelle ich zuerst, ehe ich mich mit der Persönlichkeit der Demo beschäftige, die Fragmente ihrer Homerdeutung zusammen, soweit mir die- selben bekannt geworden sind. Sie lehren, dass Demo sowohl die Ilias als auch die Odyssee kommentiert hatte, manche Teile, z. B. den Schild des Achilleus, sogar sehr eingehend.

1. Schol. Ambros. (A 181 sup.), Paris. (2766) und Amstel. Keg. zu Hom. ^591 QLipe, jtodbg reTayojv, aito ßrjlov d-eaTteaLoLo: Kai 6 IlavvaOLog de tcc TtiöiXa ßioXa ksysi. xb de oXov aXXiiyoQia' Xvei de avrrjv b Jrjfxwv, Es unterliegt keinem Zweifel, dass, gleichwie hier Ilavvdoiog {Tcavictoiog Amst.) aus Uavvaoig^) und femer ßioXa (das im Amst. nicht hinter, sondern vor ta Tteöda steht) aus ßijXd ^), so auch zum Schlüsse 6 Jrji^wv aus rj Jiq^af verdorben ist. Den Beweis für die Kichtigkeit dieser letzteren Behauptung liefern die anderen Fragmente der Demo nebst den sonstigen Korruptelen dieses Namens; von einem Demon, der homerische Allegorien geschrieben hätte, verlautet nichts. Übrigens war das Scholion längst von Wassenbergh aus dem Amstel. Reg. bekannt gemacht (Horneri lUadis Über I et II p. 190), aber bisher wenig beachtet; Bekker liess es weg. Worin die in meinen Quellen fehlende Xvoig der Demo bestand, lässt sich mit Sicherheit wohl kaum mehr nachweisen. Aber eine merkliche Geistesverwandschaft mit der sonstigen Manier der Interpretin verrät Folgendes, was Eustathios, der sie in seinem gelehrten Homerkommentar mehrfach anführt, unter Anderem p. 157, 30 zu der fraglichen Homerstelle sagt: 6 qiJiTÖfxevog fxev '^'Hcpaiatog ovQavo&ev

1) Im Schol. Venet. B heisst es: xal üavvaaiq öh xa neöiXa ßriXä Xsyeu Vgl. Panyassis Fragm. 23 Kinkel. 2) So mit Recht der eben citierte Venet. B, woselbst vorangeht: si'^TjZca dh ßrjXbg dno tov ßatveaBai, wq xal oöbg dno xov oöevsa&ai. Auf die nämliche Etymologie (die im Etym. M. 186, 18 na^a xo ßdü xo ßaivo) und 196,21 dno yuQ xov ßeßrixhat xovq S^sovg in' ccvxd) xal xovg daxsQag xeWl ßalveiv siQTjxai lautet und noch öfter vorkommt) scheint sich Panyassis gestützt zu haben. Über die falsche Form ßloXa, die auch in das Wörterbuch des Suidas gedrungen ist, s. Bernhardy s. v. Noch fehlerhafter gaben die Notiz auf Grund unzuverlässiger Überlieferung die bisherigen Herausgeber des Etym. M. (196,34).

298 Arthüe Lüdwich

eXrj av rj twv ava)d-€v yMTaaKrj7CT6vTO)v elg yiiv ttvqwÖlUv y.arivey^tg, (j) TLVi ^HcpaioTii) "Kai oXlyog d-vfxog evean ötori ra roiavta hc* okLyov k^agyiel' tcc ixbv yccQ TtoXXa iv t(^ fiiaq) oßivvvvxai' ooa de TLai ^^XQt yrjg kvex^^oc, tct^v OLcpoLvCQovTcti v.ai avra, ei firj rivog vXrjg öga^a- fieva ßgccxv ^^ 7caQ(xfieLvu)Ot,. ycai ToiavTT] filv oXtYxaxeQOv i} neQi tov TOiovTOv '^Hcpaiatov akkrjyoQlai.

2. Schol. Vulg. (aus welcher Sammlung die Notiz in den Venet A und in andere kommentierte Iliascodices übergegangen ist) zu B 205 elg ßaOiXevg, (^ öcükb Kqovov 7calg ay'/.vAoiU7]Tea): ayY.vXo^r]- TTjg 6 KQovog hiXrjxhr], tJtoi^) ayKvka TiaV) oxoliu^) ßovkevaafj.evog xatä TOV TtaTQog Kai rwv 7talöo)v, wg cpr^oiv^) 'Halodog"')' tov fikv yaQ*) Tct aidola Trj aQTtjj aTteTefie^)^ zovg öe^°) xarirtiev^^ rj o") ira") ay*- XüAa") yal övoxeQTJ 7CQayiiaxa^^) ttj fi7]TL^^) TteQLXafxßavtov, xogovovg") Tig^^) cov xal reXetog vovg^^), wg (prjOL^) xal r] z/?y^/w*'). So geben das Scholion die älteren Ausgaben : es in seiner ursprünglichen Gestalt wieder herzustellen, ist Sache desjenigen, der uns einmal die Vulgärscholien rationell bearbeiten wird. Was ich gelegentlich an Varianten gesammelt habe, führe ich in den Anmerkungen vollständig an: für meinen gegen- wärtigen Zweck sind sie samt und sonders so gut wie ohne jeden Belang, und höchstens die Verunstaltungen des Namens der Schriftstellerin ver-

3) riTOL] rJTOi 6 G( = Ambros. L 116 sup.) M (= Angelic. bei Matranga Anecd. gr.ll p. 465) R(=Riccard. 30); oxt K (= Ambros. L 73 sup.). 4) ayxv?.ofii]T7]g bis xal] ivzav^a de 6 Q (= Paris. 2766). 5) oxohä A (= Venet. 454). 6) wg (priolv A, ebenso T (= Laurent., olim Abbat. Florent., 48); wq (pr^aiv Z (= Vatican. 33); fehlt K, 1) 6 rioioöoQ A; rjaioöog (xid^co Q; rjGioöov fivd^og M {(xv^og am Bande G); fehlt K. ^)nazQog r,TOi xov ovgavov fügt zuT. 9) dnhsfisv TZ; dazu otv^v xij S^aXdcarj QKpevzcov xal d(pQov TtoiTjadwcDV dvsöo&t] xöqti d(pQOÖizri T. 10) de mit doppeltem Gravis KQTZ. 11) xazsTiiev MTZ mit der Vulgata; xazsnivsv AGQR; xazs(payev^. 12) o fehlt MT. —13) fehlt M. 14) dyxvXa Q. Hier folgt ;ca2 axoXid in A und meinen übrigen Handschriften, ausser Z. 15) xal övaxsgij Ttgay- fjiaza]7tQdyfJ.aza xal öva/sgr] M; xal 66ha xal övaxsQrj Tcgdyfiaza K. 16) ßi]Zi] (iriZLÖL alle meine Handschriften, nur T ^Iziöi. 17) TiQÖvovg die in Amsterdam 1656 accurante Com. Schrevelio erschienene Ausgabe, falsch. 18) t2? oder rt? AMQRZ. 19) vovg und was folgt fehlt Q. 20) wg (prjol T; wg <priGL Z; wg <pT]alv A; fehlt in GKMR und in dem von Dindorf (Bandl p. 90 seiner Scholienausgabe) erwähnten Vatic. 915. 21) xal ^ SrifjLw MTZ mit der Vulgata; xal rj ÖTjfiw A (nicht '/%'/Mß>v, wie Bekker hat); xal elörißwv GR mit dem eben genannten Vatic; fehlt K. Hierzu sagt Osann (Z. Annaei Cornuti de nat. deor. p. 23): in schol. in Iliad. ß 305 verbis ab editoribus R, Steph. allatis wg ipriai xal rj /Jtjfiw, ubi legendum proponilur xal 6 J^fiwv, ego malim legi xal Evöaifjiwv, huc ducente ipsa cod. Ven. lectione '^Höjjfiwv. Eudaemonem vero inielligo cum grammaticum Pelusiotam, qui Libanii, cui et scripta quaedam dedicasse dicitur, aequalis quum alia tum etiam ^Ovofiaazixr^v OQ^oyga- (pLav scripsit. Aber Osann's eigene Konjektur ist offenbar ebenso verfehlt wie die von ihm erwähnte.

Die Homerdeuteria Demo. 299

dienen hier Beachtung als Stutze meiner Konjektur in Frgm. 1. Die Etymologie von KqSvoq reimte sich Demo vermutlich in derselben Weise zusammen wie Plotin. Enn. V 1, 7 ra fnvaTrjQia y.al ol jliv^ol ol TtsQi d-Biav aivlzrovrat Kqovov ^ev d^eov Goq)WTaTov Ttgo tov /fwg yevi- ad-ai [öia to] a yevva TtaXtv Iv eavTco exeiv, ^ xai 7tXriQrjg xal vovg Iv Kogq), oder wie der Verfasser des Artikels im Etym. M. 540, 4 6 Kgovog Trjg voegag ^wrjg eatt öorrjg, Kogog wv tov vov. Eine andere (von xogiu) 'reinige'), die mehr Beifall fand, hat Plato im Kratylos p. 396^.

3. Schol. V zu Lukian. Ikaromen. c. 23 tL av liyoig, q)r]oiv, 'Qtov Ttigt -aal 'EcpialTOV , otvov xal Miv LTtTCog eto Ifirjaev lg TOV ovgavov avekd-elv (Band IV p. 204 Jacobitz) : 'Qiog xal ^Eq)Lal- TTig rjd-iXrjoav eig tov ovgavov aveXd-elv xccl örj ogt] ejtL&ivTeg aklo STC^ aklo aveßatvov. ArtoXhißv TovTOvg iTO^evoe. xal 6 fxhv fxvd-og ovTog' T} di ye aXkriyogia' ovtoi cpvavKoX cpiXooocpoi ovTsg Oeoüakol, ^^k(x)io}g Tcaldeg, TtgwTot ava(xeTgelv €7teigdd'rjaav tcc twv ovgaviwv oüjfxaTa ctTto Trjg yfjg, exgoivTO tb Tolg ogeatv viprjkoTaToig T-ijg Qeaaa- klag eig tovto 'Aal Ttj e^ £K€lva)v ama. ovveßiq 6e avTOvg eycel&ev Tieaeiv y.al CTCO&avBiv' od-ev y.a\ 6 ^ivO^og rc^TcXaöTai, tog loTogsi ^r^fxco^^). Aller Wahrscheinlichkeit nach stammt diese Notiz gleichfalls aus den home- rischen Allgorien der Demo^'^") und bezog sich ursprünglich auf E 385 tXtj fxev ^grjg, otb (xtv 'QTog xgaTsgog t ^Eg)iakTr]g, Ttalöeg l^Xwrjog, örjoav 'AgaTegi^ evl dsofxcp (vgl. k 308). Die Deutung, wonach Otos und Ephialtes bei Lebzeiten nichts Anderes als ^ ovgavoUG%ai gewesen sein sollen, ist auch dem Eustathios bekannt (p. 1687, 49). Nach ihrem Tode erst wurden sie, wie das nächstfolgende Fragment vermuten lässt, von Einigen als Krebs und Löwe unter die Gestirne versetzt.

22) /iriiiQ) . .] sie scriptum est in cod. ms. An hie autem intelligatur drifio^ ad^ivTjg Thrax grammatieus , de quo Suidas , an alius , iuxta cum ignarissimis novi. Clericus. Jacobitz hat diese Note anstandslos wieder abdrucken lassen, ohne sich dessen zu erinnern, was Lobeck Aglaopham. p. 987 dagegen bemerkte: Demo, quae omnem mythologiam ad mathematicam retulit, Otum et Ephialtem Astrologis ad- numerat Schol Lucian. Icarom. p. 34. T. IX. ubi pessime labitur Clericus, Endymionem Plinius H. N. II. 6. p. 129. Bip. et alii v. Heyn. Opusc. Acad.T. IL 234 [vielmehr 346 f.], Atreum Servius Aen. I. 563. Auch Theodor Müller Hess sich diesen Wink entgehen, Fragm. histor. gr. I p. LXXXIII: Demonem Atthidis seriptorem Siebeiis bene distinxit a Demone Sicyonio , philosopho Pythagorico feui vindicanda nohis esse videntur, quae apud schol. ad Lucian. Icarom. 19 legnntur). Sein Bruder Karl berichtigte dies, IV p. 626: Quibus verbis neque Atthidis scriptor JijfKov lau* datur, neque philosophus quem lamblichus v. Pyth. 36 inter Pythagoreos recenset, nisi forte virum cum femina confandi puiaveris. 22 a) Schon H. Usener, der Ein- zige, der sich bisher etwas eingehender über Demo ausgesprochen hat (Rhein. Mus. N. F. XXVIII 1873 S. 414 ff.), nahm dies an, S. 415. (In seiner daselbst gemachten Zusammenstellung der Bruchstücke fehlen Frgm. 1. 6. 7. 9, ebenso bei H. Schrader Porphyrii quaesiionum Born, ad Iliadem pertinentium reliqu. p. 409 J.

300 Arthur Ludwich

4. Eustathios zu E 387 xaAx^^ d^ kv negd^t^ diöero TgLOxal- dexa fxrivag (p. 560,37): 7} /nivToi, Jri^u) /nadirjfxaTixwg ravta re&eQa- 7cevY,e^^), Xiyovoa xaXy,eov (xhv xegafiov zov vtio tov ycoirjTov xa/.x€oy xaXovf^evov ovgavov, öeofiov öe uägeog T;Qiay,aLdexafir]vov %b %ov ^geog Tov TtXdvrjrog aotigog ndd-og tov Xeyoiievov otrjgiyfioVf ov 7cdax€c yevo- (xevog TtQog Kagyclvoj xai yliovtL knl fxrjvag otctoj, eri de xai etzI kti- Qovg 7C€VT€, ot Tjj TtQüJTjj avTOv 'Attl öcvT^Qa avojf.iakla 7iQoa),oyLt,ovTai, J^Xwiwg 6k Ttalöag öi^oavTag tov toiovtov IkgTjv Xiyec %d dtaXtjcp&ivTa ovo -d-SQLvd ^(ijöia^^'^), TOV Kagmvov xal tov AiovTa, Ttgog olg 6 rjliog yevo^evog tov dXodv sotiv aiTiog. xai TOLavTa uev TavTa,

5. Schol. BT zu E 722 (L zu E 728) "Üßri d' dfiq)" (xieaat &owg ßdle yiaiXTtvla y,vY.Xa: tov") T^g ^'Hgag ölq)QOv^) ovTOjg r] ^rjficj cpvoioXoyel' Hgav ydq q)r]OLV elvai tov diga' ttjv öh q)vaiv tov otoi- XeLov g)rjGV^) tov TtoirjTrjv kxTid'i^evov^'^ tu ixev TtegLyeia avTOv ^igr^y aTteg IotI ^oq)wÖ€GT€gd t€^^) xal TtoXv to^) yetjöeg exovTa, Talg Tta- XVT^gaig vkaig eixd^eLV^^), ;faAx^ t€ xal OLÖrjga)^^)' y,al xQ^^ov dh^) juegixwg lyviaTe^i^ev, tatjg öid to Ttoowg vtto rjXiov cpwTiCead^aL' tu bl^^) fxeTecogoTega, tov gv(A,6v^^) g)rjiLit, dgyvgeov^) leyet^), to de TidvTwv dvcoTegw xal Gvvri^fxhov^'^) T(p ald-egt xQ^^^ov tvyov^) avvH^evKTai, ydg TOVTCp^^) , IfxdvTag de XQ'^f^ovg*'^) xai dgyvgovg*^) Tovg e^ ^Xlov Kai oeh']vrjg cpwTio^ovg, ovo öh dvTvyag^^) tc VTtoyeiov Te xal vrtigyeuov ri(j,Lö(paLgLov. Auf die nämliche Homerstelle bezieht sich das nächst- folgende Fragment; doch stand ich aus leicht ersichtlichen Gründen da- von ab, beide mit einander zu vereinigen.

6. Eustathios zu E 729 tov 6^ e^ dgyvgeog gv/^iog TtiXev avTag e7t^ axgo) örjoe y^gvoeiov %aX6v ^vyov, ev de XeTtadva ycdl^ eßale, %^t;a£^a (p. 598,41): aiviTTeTai dh TavTa xara ttjv dXXrjyoglav Trjg Jriy.ovg elg ttjv tov aegog (pvGLv 6 TtoirjTi^g, ov rd fiev jcegl

23) Über diesen technischen Ausdruck vgl. Lobeck Aglaoph. p. 156. 23 a) t,<6öLa und nachher dXioäv der Leipziger Druck.

24) xov öh B (nach Dindorf). 25) öL(pQOv xijg "HQtxg T (nach Maass). L scheint das Scholion aus T abgeschrieben zu haben und durfte deshalb unberücksichtigt blei- ben. — 26) (prjal fehlt B. 27) ixri&^fxsvov hat T schon hinter ttjv öh (pvaiv. 28) ^o<p(oösaTeQa (ohne ze) T. 29) to fehlt B. 30) eixa^si T. 31) ^ 723 Xahcsa oxrdxvrjfia, aiörjgeo) d^ovi dßcplg. twv ^zoi XQ^^^V ^'^^? dq)^ixoq, avxag vTisgS^sv x^^s^ iTtlaacüzga nQoaagrjgoza, d^avfjLa löead-ai. 32) öh fehlt T, 33) fisvzoL T. 34) QVfiov ÖS T. 35) dgyvgsa conj. Maass: allein an Verderbnis ist hier schwerlich zu denken, sondern eher an Attraktion (oder an den u. A. von Kühner Ausf. Gramm, d. gr. Spr. IP S. 53 besprochenen Gräcismus). 36) E 729 TOV <J* i^ dgyvgsog gvfxog TtiXev. 37) avvatphg T. 38) E 729 f. avzdg iic' äxgio öfjas X(>^(re40v xaXov t,vy6v. 39) zovzto B; zip al&sgi T. 40) xQ^^^ovg T. 41) {dgyvQsovg conj. Maass!) E 727 öi(pQog öh XQ^^^^^*^ ^^^ dgyvgioiaiv Ifiaaiv ivzhazai. 42) £ 728 öoial öh nsgiögofioi ävzvyig elaiv.

Die Homerdeuterin Demo. 301

yrjv 7t€7taxvvtai xal ov TtoXv fuev exovoi lo )m(X7Cq6v, wg ovöe o xaXuog ovök 6 olörjQog, exovoi d^ ofxcog xaL tl cpasLvbv 'aoL olov XQyf^sov IJ i^liov, 10 avaTietTOL 6 xQ^^og. la de avcotaTO) Tcad-aQWTaTa eiat ycal aQQVTcavTo öia To Tcdvrj] avecpelov, Tial öicc tovto olov agyvQa xai /^vaa* oww yccQ yial 6 XQ^^^S t^ov aveTtlöenTog eoii -/.al XafxrcQog. dio 'Aal acpd-iTog Aal Aalog Xeyerac, xal tcc e^ avTOv egya xakd.

7. Eustathios zu Q 383 '^'Hqt] Tcg^oßa d-ed^ d-vydxi^g ^eydXoLO Kqovoco (p. 719, 44) : i^aXel de Tial rbv Kqovov ovvr]&a}g ev lomoig '^fniyav' 6 ftoirjTrjg . . . /al Zevg de ovtw f^^yag xara to ^^wg fieydloio eArjTL y.ai *^t/ vv f^rjorj, fxeydle Zev\ ei xal rj Jrjfxu) t(^ Kqovco to ^eyaXelov d7toY.lriQol did to lov doiiqog iieyed^og. Woher die beiden Beweisstellen genommen sein mögen, entzieht sich meiner Kenntnis. Die erstere, Jiog ueyctXoio e^rjri, könnte daher entstanden sein, dass Eustathios das bei Homer so häufige Jiog fieydXoio irrtümlich mit v 42 Jiog %e oe&ev re eynqTi vermengte (falls er hier nicht etwa wirklich Jibg fieydXoio e>cr}TL in seiner Handschrift hatte). Stammt die zweite Stelle ebenfalls aus einem Hexameter, so lautete sie vielleicht ursprünglich: tI vv fxrioeai^% w ^e- yäXe Zev. Aber sicher ist das nicht. Die Worte w (xeyctXe Zev kommen unter Anderen bei Äschyl. Sieb. 804 vor.

8. Eustathios zu 2 481 Ttevre 6* ccq^ avtov eoav od^eog Ttrvx^g (p. 1154,42): awUa rj Jrifiu) Trjv'OinrjQiyirjv TavTrjv oXr^v ctGJtL- SoTtoilav avdyovoa*^) TotavTcc (pr^aiV ort QiTtg fiev 7] td TOiavTa fie- ooXaßrjOaoa ItzI xrig twv ev Tjj KOGfj-oyevela TCQayfxdTwv d-iaewg elbkrj- Titai T(^ TtoiriTy, dcd de tov Ttvqog xai Trjg Ttvo'^g, rjv e^avtelatv, wg TtQoedrjXwd-rj , al fpvaai, rd 7toir]TtKd xal ÖQttOTrjQia twv orocx^lwv aiviiteTai, aiga aal TtvQ, ov zag aTtOTOfidöag drtOQQoLag XQvodg vedvi- öag VTtovqyovg ^Hg)alGT0v naXel. öid öe rov ytvy.XoteQOvg odxovg to xaTor Toy og)aiQoeLÖrj y.6ofxov oxf^ia evöeUvvTai' oqjalgag ydg yeveolg eoiLV ri(XLY.vy.XLov TteQievex^ivTog aTtoyiaTdoTaOig. td öe Tiq-Ko^eva, 6 XQ^^og 6 x«^^og 0 dqyvQog 6 xaoolreQog, lolg oxoLxeioig etzd^ovrai öid tjjv TtQog eytelva twv tolovtwv uezdXXcjv ejiiq)eQeLav. 6 XQ^^bg fxhv ydq y.a\ 6 dieigrig*''^), o Iotl övoxar^Qyaorog xccXxog, eHxaojac tvvqI xal yjjj 6 de fxaXav,bg Y.a,\ olov QevOTLy.bg yaoolTegog vöaTi, digi ök dgyvgog 6 tcqiv rj oi^rjx^vaL fxiXccg wv xai df^cyi^g, ov vozegov eTCKpalvet cpWTog. xai TavTa fiev ovto) ov/^ßoXiywg. fzer^ oXLya de g)r}GLV 17 avTrj q>iX6aog)og, OTL yal Tolg yvQwig twv otoix^Iojv ovofiaOL XQ^'^^c^ 0 7C0irjTi]g, ^ ev fxlv yalixv eTev^e^ Xiywvy "^ ev ö^ ovgavov, ev öe d-dXaooav^ [-5" 483]' to ök

43) Vgl. X 474 öxstXls, tinx* hi fiel^ov ivl (pQSol firiaeai sgyov; 44) Vgl. über den Ausdruck Lobeck Aglaoph. p. 88. 44 a) Sie las 2* 485 iv öe t' dzeigsa

302 Arthur Ludwioh

ThaQTOv OTOixBlov avTog ioTLv 6 10 oaKog tevx(üv "Hcpaioiog. trjy Sk ' rQlTtXccyca /uaQ/nagirjv [480] avTvya rbv ^ojdiazov ixelvrj kiyu 'avtaKov aivlTTCO-i^ai, TQucXaxa f.dv dia to TtXotTog avrov, y.ax^' o rj xixtv JcXavq- i(jjv xlvTjOig, inaQf^aQirjv dk öia tov rjkiov tov dia fiiawv ovx e^caza^ juevov nal to (pwg ecp okov avtov Ttifxnowa (.la^y-aLgeLV ze xal (paeivbv elvoL tov xvxAov 7toi€lv. tov Ö€ ' ccQyvgeov TeXafiwva [480], Öl ov ^ aöTtlg ex ruiv axgcov avixBxai, eig tov a^ova /uejafp^gei tov to tcov avixovTa, e^rjQTrjfxivov waireg Toi ccvwTaTw aid-igog xal öia fiiöov f^g yijg TJxovra xal btcI xa voTia TtCQaTOv/uevov xal TtagixovTa OTgicpeOx^ai TOV ovgavov Ttegl avTov, vjt avTov avexofievov. Tag de nevte uTvxag TOV odxovg Tovg TcagaXXijXovg xvxXovg voel, eig ovg diaigelTai 6 xoofiog, TJyovv TOV agxTtxov, og t(^ ßogeUt) Ttoht) kyyl^ei, xal tov T(p Nofq) ngoO' xvgovvTa avTagxrtxov, xal Tovg ovo Tgofcixovg , iqyovv tov ngbg t(^ Bogga S-egivov xal tov ngbg TCp NoTq) ;f6t^€^tvdy, xal nifiTtTOv tov (.leaov avTwv iorjinegLvov, eig ov "Hliog el^wv iaatei Tag '^/uegag Talg vv^iv, wv TcevTB TtTvxcüv ftear] fihv xQt^o^ci xaS"^ '^'Ofirjgov, 6 iarjfiegivog dt]Xaörj, ei f-irj Tig xal tyjv öiaxexav/itevrjv ^wvrjv TavTrjv eS^eXeL voelv. ovo de evöov xaooiTegov ol Tgomxol öta t6 evTovwg^^) evxgaTOv, e^WTctTO) de x^^'^^^h "^ '^Qog TOlg TtoXoig, xaTeoxXr]xvlal nojg dia ttjv btcI tvoXv TOV rjXlov aitoOTaöLv. xal TOiavTa einovoa rj ooq)r] aOTtidoTtoibg xoi TTjv TjcpaiavoTevxTov xal xaS-^ vXr]v aOTtida jueTaaxevdoaoa voegwTegov ov^ßißdtei xal Tct Jtegl TtZv jtoXetov xal oaa dXXa Xeyei 6 TioirjT'^g er TJj aOTtidoTtoda, Xeyovaa oti Ttgct^eig dvd'gojTtwv noXifitp xal eigijvrj TcgeTcovoag, vg)' wv 6 xad-' rj^ag dioixelTai ßiog, anayyiXXei di avTwv 6 TtOLTjTTjg, eiGrjyrjTrjg Trjg agloTr^g ytyvofievog Ttgd^ewg. tov (povov de, ov Ttotvrj, TOVTeOTi ngoOTi^ov, dvo TaXavTa Ted-eiTat, axovöiov elvai voel. xal TO ^ afiq)(x) de ieod-riv enl YoTogi [501], 6 Iotlv fxdgrvgi, /LiagTvgwv Xeyei dr\Xo\)V fcagdXrjiptv, 1^' olg TtoXXdxig t6 Ttigag Trjg dlxrjgy xal oXwg aTtodeixvvOi TtXaTVTaTVjV ttjv doTCLdonouav Tvegl ^eicov xal avd-gwTcivoiv elvai tc^ 7toir]Tfj dtdXe^iv.

9. Eustathios zu ^ 367 vavT' ag^ doidog aeide 7tegtxXv%6g (p. 1597,59): xal ovTOi fxiv Tiveg. exegot de fxad^fxaTLXojTegov eTtißaXov Tolg giqd^elaLV, wg xal rj ^rjf^cü , oxeoeig Tivdg g)iXoGoq)ovvTeg twv Tolg ^eoig o^wvviACJv doTegwv ^geog re xal L^q^godiTrjg xal HXlov. ot xal xXifxaxTrigdg Tivag ll4geog eTtixeifjiivovg dngaxTelv TtXavaivTat, ^cpgodlTYjg djtayovorjg avTovg, wg exeivoi Teg&gevovTai , did g)iXlav TYjv Ttgog TOV ^gr]v. aXXoi dk aTcXovaTegov eTtißdXXovzeg ^(pgodlTTjv

VOOVGL TTjV /a^tV XTB.

45) EVTOvog der Leipziger Druck.

Die Homerdeuterin Demo. 303

Dies sind meines Wissens die wenigen Fragmente alle, welche aus- drücklich mit dem Namen der Demo gekennzeichnet erscheinen. Wer indessen die Art des Eustathios und der übrigen homerischen Scholiasten näher kennt, wird keinen Augenblick daran zweifeln, dass viel zahlreichere anonyme Stücke des nämlichen Genres, die bei ihnen verstreut vor- kommen, auf ebendieselbe Quelle zurückgeführt werden müssen. Ja, ich bin überzeugt, dass sogar noch eine zusammenhängende, recht um- fangreiche und in sich vollständige Reihe von Erläuterungen aus dem allegorisierenden Homerkommentare der Demo durch einen glücklichen Zufall dem Untergange entronnen ist. Da sie jedes Titels sowie jeder Unterschrift ermangelt, so kann der Beweis für die Richtigkeit meiner Ansicht allerdings nur durch innere Gründe erbracht werden. Ein wenig erschwert wird mir dies dadurch, dass jenes Schriftstück bisher sonder- barerweise noch gar nicht publiziert war, auch zu gross ist, als dass ich es an dieser Stelle vollständig mit aufnehmen könnte. Ich habe es in dem füst gleichzeitig mit diesem Aufsatze ausgegebenen Vorlesungsver- zeichnisse unserer Universität (für den Sommer 1895) abdrucken lassen, darf mich also hier wohl auf solche Mitteilungen daraus beschränken, die mir besonders geeignet erscheinen, meiner so eben geäusserten Über- zeugung die notwendige thatsächliche Unterlage zu geben.

Das Schriftstück, welches ich meine, lernte ich erst im Jahre 1893 kennen, als mir die Wiener Hofbibliothek mit oft von mir erprobter, dankenswerter Bereitwilligkeit ihren Iliascodex Nr. 49 (ol. 188) hierher sandte ^^). Dieser jetzt aus 80 beschriebenen Blättern in Kleinfolio be- stehende Codex (bombycinus) enthält in seinem gegenwärtigen Zustande nur Fragmente der Ilias und dazugehöriger Erläuterungen. Über den 78. Vers des neunten Buches gingen dieselben eine Zeit lang^^) nicht hinaus. Der Buchbinder hat die Bruchstücke nicht alle richtig eingeordnet (wodurch T 227—287 erst hinter E 172, E 630—0 299 hinter / 78 geraten sind). Nach Blatt 7, das mit A Zl^ schliesst, schob er überdies 4V4 Blätter (jetzt Fol. 8 12) eines von anderer Hand und auf festerem Papier geschriebenen Kommentars ein, der fast das ganze erste Buch der Blas behandelt. Dieser eben ist es, den ich der Demo zuweise. Die mit Abbreviaturen überladene, sehr gut erhaltene Schrift gehört ins 13. Jahrhundert. Auf jeder Seite stehen 36—38 Zeilen, ausser auf der letzten (jetzt Fol. 12'), die nur 574 Zeilen hat. Hier brach der Schreiber ab (mit einem Doppelpunkt : aufhörend, wie er ihn gewöhnlich braucht,

46) Er gehört zu der von mir im Programm Acad. Alb. Kegim. 1892 HI p. 12 erwähnten Handschriftenklasse, in welcher der Schiffskatalog fehlt. 47) Eine späte Hand fügte auf Fol. 55v noch / 79-90 hinzu.

304 Arthur Ludwich

um die einzelnen Anmerkungen von einander zu trennen), indem er das ganze übrige Blatt leer liess, das später zum grossem Teile weggeschnitten wurde ^'').

Der Anfang des Kommentars lautet: [f]vTav&a voritiov '&€av' Trjv oocpLav Tov TiOLrjTOv' Toiaurrj yuQ rj do^a twv 'EXXr]vo}v vTcccQxei' Ttavra Tct vTtegixovra avtwv d-eovg ovo/xd^ovocv, olov Tr)v x^akaooav, tov ov- Qavov, TTjv yrjv, rbv i^hov ' dw xat rj oocpla wg VTcegixovoa avtwv ytal öia Tijg eig lo ßelriov aywyrjg ^eTaßeßXrjytivac öwa/iivr] ^ea tcoq' avTCüv ovoixaKsTai, Es könnte den Anschein erwecken, als wenn hier nichts weiter fehle als der (möglichenfalls jetzt bloss verklebte) Anfangs- buchstabe und die (ein- bis zweizeilige) Überschrift'"), beides dem Rubricator zur Ausfüllung überlassen. Allein ich vermisse ausserdem noch das sonst regelmässig vorgesetzte Lemma (hier also (.irjvLv aeide, O-ea, y.zL); und ferner halte ich es nicht für recht glaublich, dass, wer auch immer diese allegorische Homerauslegung verfasste, gleich mit der Thüre ins Haus gefallen sein sollte, ohne eine, wenn auch noch so kurze, Einleitung (gleich der des Herakleitos etwa) über die Grundsätze seiner exegetischen Methode voranzuschicken. Dies führt mich zu der Annahme, dass der Schreiber des Wiener Fragments den Kommentar bereits vom und hinten verstümmelt (also anonym und titellos) vorfand.

Am Schlüsse steht jetzt: ttjv ö' a7taf.i€iß6 fxevog TtQoaicpii^) veq)€kr]y€Q€Ta Zevg' daifxov Lr^, aiel fikv oLeai^^), ovdi ae XriS-o)' TtQa^aod'^'^^) sfiTtrig ov tl övvrjoeai [A 560 562] %al Toc s^fjg: SeUwOLV ev rovrocg 6 TtoirjTrjg tov dega ndvTCJv twv gtoix^I- (OV vTteqexovxa Y.al ra öevregela tov ai^sgog cpiQovTa, öiä t6 ") q)dvai avTOV öaLfiiovlrf , ov elGTiviojuev Kai exTtviofxev, Si ov -Kivov^e^a Y,al eGfj.ev' Tial TtdvTa ev avTC^ ttjv gvotuoiv^) x^xri^rrat. 6 d' aidijQ tag v€(psXag ovvTagdTTCüv eiQiqTai ötd t6 e^ avxov rag doTQartdg y,a.\ ßgov- Tag y,al Tag Kivrjoeig /£A/uwVwj/ ts xai evdtwv xal dirca^aTtXuig Ttdvra ÖLOLY.elad-aL. aieV^) de Y.al did TtdvTwv^^^) tcov aid^igog öioiy.T^aewv y.ai TtÖGa kv tüj aiqi kr^TCTa TvyxdvsL, ovöev avTwv öiakav&dvei, aXX ev&ewg o arjQ Tama ösxofievog öie^dyei' avTog de xad-' eavTov o a^Q TtQa^ai avxd ov övvaxai, ei f^iiq tl 6 ai^ijQ TtQWTog öioixrjaei wg ßovXe-

48) Beiläufig bemerkt, folgt jedoch auf dieses verstümmelte noch ein vollstän- diges 12. Blatt, das den unterbrochenen Iliastext mit A 371 fortsetzt und ursprüng- lich, wie schon das gleiche Papier und die gleiche Schrift bezeugt, zu Blatt 7 gehörte. 49) Die erste Seite hat 36 Zeilen, die nächstfolgende 38 , die dritte 37 u. s. w. 50) Tjjvöanafjisißoßsvog V(indobonensis). 51) o'il^eac V, aber ^ mit je einem Punkte oben und unten. 52) nQa^aaS-' V; bei Homer steht ngtj^ai 6\ 53) zd scheint erst nachträglich übergeschrieben V. 54) avozaaiv V. 55) dst zu korrigieren habe ich nicht gewagt, ebenso wenig bald darauf onoaa. 55a) ÖLanavzoQi

Die Homerdeuterin Demo. 306

rai. TOVTO dh öeUwiai, ovi eTay.QateOTeQa tov d^EQfxov rj cpvoig sv TiccOiv 7]^^) Tov vyQOv' dw Kara^ovag avTfj dior/ft"). xal ovtwg 6 aijQ^^) avTct diadexeTat öia lo xal wg eiw^Lav^^) tov xsLixcHva Tvageiaa- yeiv 'Aal tcclXlv ctvay.<x(XTCTeiv tbv aiS-iqa ev r^j iöla diaraGei, (ug to^^) ''Zeig wg") ^Qyteavov [423] xal t6 '^dcjösKarrj 6^ avd-ig^^) ekevo€Tai^ [425]. ei öh za/ tl ßovXrjd-fj 6 arjQ IvaviLov rov aid'igog Ttoirjoai, 6q- yi^ofisvov avrov Ttagafcel^eraL' olov [el]'^) rj xsif^eQtvrj ata^ia ttjv ia- QLvijv iar^fieglav Ttagevex^rjarj^*), evd-ewg o ai&rjQ, toOTteg 6QyiC6f.ievog xai cLTto d-vixov TCQccTrcov, cczaQTta Kai övOTtQoxTa TtdvTa^^) Ttoiei, voaoi re Y.al Ta fii] xa&rjxovTa rolg TOiovroig zaigolg Gvußaivovai öia Trjv TcXeo- veTiTTjOLV zov GTOLX^iov^^). TOVTO öc öTcavitog yiveod^ai Tiicpvze öi' STtL- TaöLV ipvxovg, cjg ev tco ''oTCTCOTe ^uv ^vvörjoai OXvfXTttoc rj^eXov aXloL [399]* ölo Kai j] ToiavTT] ejtiTaotg cpoßega xal cpQiTiojörjg vrtagxei. tcc öe yivofieva^'') TtavTa Ttaqa tov ai&eqog TtooGcpcXeoTaTa T(p aigt eGTiv' ev olg delKvvTat , otl ovöev twv evavTuov naQ^ avTOv Tvyxavei, aXk rj ^eTdlrjipig rcoi' XoiTtwv GTOLxeUov tcc evavTca egyateTai twv Xoltvwv Ttqay^aTOJV' avTog öe Ta 7tQ0Gq)U^ Tcal tcc TtQertovTa Ttotel' öiaTOVTO y,al wg eTtLTifxwv ttj ^'Hq(^ cpaLveTai xal wg ttj avTov^^) ßovXfj xad^vTtovQ- yelv avTTjv TcgoTQefceTai. ei öe^^) y,al eig evavTlcjGiv ßovXrjdij avTijj yeveGd^at, ovöafxcüg avTjj''^) ßori&iqGovGi tcc XoiTtd GTOixela, orcoTav o ai^ijQ xar' avzwv 'Aivovfxevog euged-fj , aXXd TtdvTa öiaXv-d^T^GovTac Kai TiaTaKavd'TjGOVTai' eTCiKgazeGT^gav ydg ttjv tov S^eg^ov (pvGiv eTteöeL- ^afxev öiacpogcog.

Jedem, der diese seltsame Deutung der Scheltrede des Zeus an seine Gattin Hera liest, muss die ausserordentlich nahe Geistesverwandtschaft auffallen, in der sie zu den oben vorgelegten Fragmenten der Demo steht Auch Demo (Fragment 5) hält Hera für die Luft (a?J^), die den Raum zwischen dem Alles überragenden Äther (nach Y = Zevg) und der den Menschen zugewiesenen Erde (nach V = 'Pia) ausfüllt, deren dünnere Schichten nach oben, dem Äther zu, emporschweben, während die dickeren vermöge des Gesetzes der Schwere nach unten, zur Erde hin, sinken. Da nun der ai&rjg nach leicht erklärlicher Anschauung {Ttagd t6 aX^eG&ai Et. Gud. 16,56) zugleich die ev&egtiog ouGia (V) ist und das einzige ganz reine und unvermischte Element, so findet die Macht, die er über

t y

X ^

56) « y. _ 57) dioixslv V. 58) a^g V. 59) hat V. 60) wa, aber w

aus t, corr. V. 61) Zevg yag ig die homerische Vulgata. 62) di rot avzig die- selbe. — 63) [et] fehlt V. 64) nagevexxriari V, wie gewöhnlich mit fehlendem Iota

n X X

subscriptum. 65) axag xal övangx nav V, mit verschobenen Accenten. 66)

X GxoL V. 67) Mit Ttavxa beginnt Fol. 12r. 68) avroy? 69) öe V. 70)avT^y.

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306 Arthur Ludwich

die mit Feuchtigkeit durchschwängerte Luft ausübt, ihre sehr natürliche Erklärung; denn Wärme ist mächtiger als Feuchtigkeit (to yuQ ^bqixov Tov vygov yiaTavaXwTiyiov, heisst es in V an einer anderen Stelle). Die goldenen und silbernen Riemen, mit denen der Wagen der Hera bei Homer bespannt ist (£"727 öLcpQog dh xgvaioLOL -/.al aQyvqioLOiv Ifiaatv Iv- rhaTai), erklärt Demo für die Strahlen der Sonne und des Mondes (d. h. des Apollon und der Artemis, nach V) : sie mochte dies schon zu B 781 yala ö^ vTteOTevoLXLCe Ju wg teQTCL'AeQavvM x^ofihoj^ ote t' ai.i(p\ Tv- cpwh yalav Ifxaaor] des Näheren begründet haben. Jedenfalls unter un- zweideutiger Anwendung derselben Symbolik bedient sich der Wiener Anonymus, so oft er sagt, dass die Sonnenstrahlen Feuchtigkeit aufziehen, des Ausdruckes avL^äo^aL. Die Sonne schwebt im reinen Äther: vom Äther geht also, schliesst der Anonymus, Licht und Wärme aus, von ihm auch diejenigen atmosphärischen Vorgänge, die Homer mit dem Beiwort v€<p€lrjy€Q6Ta andeutet, Ölcc t6 e^ aviov rag aOTQaTCag ym\ ßgoviag xai tag KivrjoeLg %ei(xcüvwv ts ytal evöiwv y,a\ aTta^aTtlaig Ttdvta diot'/.el- ad^ai. Das letzte Wort ist bei unserem Anonymus ein stehender Ter- minus ^°*), wie schon die gleich darauf folgenden Zeilen beweisen: wir trafen es bereits im 8. Fragmente der Demo an, in welchem gegen Ende von den Tigd^eig dv-d-QcoTtwv TtoXe^Cj) '/.al eigrivr] TtgsTtovoag, vcp wv 6 /.a&^ riiidg diOi-Asltai ßiog, die Eede ist. Der Anfang ebendesselben Frag- ments, wo es von dem Dichter heisst : ötd de tov jtvQog xal r'^g Ttvorjg

Tcc TtoirjTiyid %a.l dqaOTriQia twv otolx^Icüv aivLnieTaL, asga aal Ttig, er- hält nun erst durch die oben ausgeschriebene Schlussnote des Wiener Anonymus ihre rechte Beleuchtung, der uns belehrt: avzdg de y.ad^ eavTov 6 cc^Q TtQa^ai avTa ov dvvatai, ei fit] tl 6 ai^rjQ TCQwtog öiOLZTJaet cjg ßovXsTai.

Die Übereinstimmung des Anonymus mit den dürftigen Fragmenten der Demo tritt aber nicht bloss in seiner Schlussnote klar zu Tage, son- dern auch sonst, wie nach vollständiger Lektüre des Wiener Bruchstücks jeder von selbst empfinden wird. Ein besonders hervorstechendes Beispiel ist folgendes: dass Gerig bei Homer nichts anderes bedeute als &£Gig, davon sind Demo (Fragm. 8) und der Anonymus in gleichem Masse durch- drungen, und, was mehr sagen will, beide verstehen darunter lediglich die kosmische d^^oug^ die Zusammensetzung und weise Anordnung des

70«) Ein anderes Beispiel übereinstimmenden Sprachgebrauchs ist in Demo's Fragm. 3 avveßr] ccvxoig ixeid^sv neoelv und im Wiener Fragment ^9 avfißaivsi danXayxvov yeveaB^ai xo tixvov, \A ovfißaivEL i^sXijkvS^ivai zag dxxlvaq, 44 avfi- ßalvei xzvnovq xal xaQdxdq avxov ifJLnoielv, 55 avfißalvei ivzixxeo&ai voij- fxaxa ijfuv u. s. w.

Die Homerdeuterin Demo. 307

gesamten in steter Bewegung befindlichen Weltalls, Trjv tov TtavTog xa- Taoxevijv ytal d-eoiv, wie Y sich zu A 357 ausdruckt, t^v svqcootov xal evod-evri OTTegya^ofÄivr^v av^QWTtov re zo< tcc Xouta, woavTwg öh 'Aal rrjv ovgdvLOv Gvozaolv t€ xal xlvr]aiv f^Erdyovodv T€ y.al 7teQiq)eQovaav v.axd 10 ftQOO^AOV, Kad-cog xal allaxov ' dXkd Gv tov y' IXd-ovoa, d-edy VTteXvGao öeof-iüiv [401], eTtel ovv y,al 6 ^ÄxiXevg Tcal dwarog vjtrJQxev, ov fiirjv aXXd Y.a,\ evq)vr]g xal ycard TtQÖaoxpiv (Lqalog, ömaiwg avTOv ^ QiTLg fxrjTriQ (xvayqacpeTaL, iqyovv rj ovvd-eo ig Tovöe tov jtavTog Kai öiaKoG/^iTjocg. Gleich den Stoikern müssen unsere beiden Autoren diesen Kosmos für kugelförmig gehalten haben: Demo spricht ausdrück- lich von dem ocpaiQosLÖr.g y.6ö(.iog (Fragm. 8) sowie von dem vrcöyeiov T€ ycal vTcegysLov rjfULOcpalQLov (Fragm. 5), der Anonymus von den für uns Erdenbewohner durch den Horizont geschiedenen Halbkugeln: 6 oqI^ojv öe EGTL 'AvxXog oQL^cüv rjfilv t6 te (pavegov y.al dcpavhg (.legog tov xo- G(.L0V, toGTS rn^icGcpalgtov (.lev vtceq yrjv VTtoXafußdvsG^at, ^fxt- GcpalQLOv Ö€ VTtb yrjv (zu u4 420).

Bedenkt man nun einerseits, dass die sämtlichen so wunderbar über- einstimmenden Darlegungen der Demo und des Anonymus ausnahms- los diesen rein kosmischen Charakter tragen, und anderer- seits, dass sie denselben beiden Autoren nicht etwa Selbstzweck, sondern lediglich Mittel zum Zweck sind, um den Worten Homer's durch- weg kosmische Ideen unterzulegen, so muss jeder Zweifel schwin- den, dass wir es hier in Wirklichkeit nur mit einem einzigen und nicht mit zwei verschiedenen Autoren zu thun haben, mithin das anonym über- lieferte Wiener Fragment fortan den Namen Demo zu führen berechtigt ist. Das Hineinspielen menschlicher Verhältnisse in die kosmischen (z. B. bei Demo Fragm. 3 und in der Anfangsnote von V) wird uns nun nicht mehr befremdeo, nachdem wir eben bei Gelegenheit der Thetis und ihres Sohnes Achilleus belehrt worden sind, dass auch der Mensch ein Produkt der kosmischen d^iGig sei.

Wenn, wie ich glaube, das gewonnene Kesultat richtig ist, dann hört Demo auf, ein litterarhistorisches Gespenst zu sein, zu welchem sie sich zu verflüchtigen seit dem (Anm. 22") erwähnten Aufsatze Usener's auf dem besten Wege war. Usener nämlich sagt von dem Werke, dessen Bruchstücke uns unter dem Namen Demo überliefert sind, S. 416: Der Verfasser jener allegorisier enden Mythographie hatte sein Machwerk durch die Fiktion interessant zu machen gesucht^ dass er ein Weib des höch- sten Altertums Demo sich ihrer freundlichen Wirtin Babo dankbar erweisen und ihr als Gastgeschenk diese Offenbarungen über den wahren Sinn der Mythen widmen Hess. Ein Artikel des (seitdem zur Genüge

20*

308 Arthüb Ludwich

durchschauten) Violariums der'Eudokia' (aus dem Kapitel (pdooocpoi p. 93: rceQi BaQixt. Bagu) y,ai //ri^iw ovo^ata oocpcJv yvvai'/.oJv. i^ivLoev rj BaQw rrjv Jrjfxio) und eine fast gleichlautende Notiz, die von einigen bei Suidas zwischen den Artikeln ßavvog und ßdxpag eingeschoben, von Bern- hardy aber gestrichen worden ist, bilden (nebst Suid. s. t\ Jr^/nuj ovo^ia y.vQiov. k^ivLoev tj Baßw ttiv Jrjfxw. xtL) die Hauptstützen der Ansicht Usener's. Ich will mich auf diese Babo, deren Name nicht einmal fest steht '*'^), nicht näher einlassen, ebenso wenig auf die mythische Demo; denn in welchem Verhältnisse auch immer sie zu einander sowie zu den bekannten Namen und allen sonstigen Zügen der Demetersage gestanden haben mögen, so vermisse ich doch auch unter den günstigsten Umständen, die meine Phantasie sich auszudenken vermag, stets einen haltbaren Faden, der von der Homerdeuterin in diese altersgraue mythische Region hinüber- leitet. Und neben diesem negativen habe ich nun noch einen sehr gewichtigen positiven Einwand gegen Usener's Hypothese zu erheben. Das Wiener Fragment, als dessen Verfasserin wir Demo erkannt haben, beruft sich öfter auf ältere schriftstellerische Autoritäten, namentlich auf Philo- sophen, deren dort eine ganze Eeihe gelegentlich citiert wird. Es sind Thaies, Anaximander, Anaximenes, Parmenides, Herakleitos, Anaxagoras, Demokritos, Diogenes von Apollonia und endlich Epikuros. Ein Autor aber, der sich geflissentlich hinter einem mythischen Namen verstecken will, kann nicht wohl den lächerlich unklugen Anachronismus begehen, sich dabei fortwährend auf historische Gewährsmänner zu berufen; seine einzig zulässigen Gewährsmänner würden Orpheus, Bakis und der- gleichen halb und halb wesenlose litterarhistorische Schemen sein.

Wie beliebt und verbreitet der Frauenname Demo (Damo) in Griechen- land war, kann man aus den Wörterbüchern, den Indices der Inschriften- werke und ähnlichen Hilfsmitteln leicht ersehen, will man sich die Mühe sparen, die Originalzeugen selber abzuhören. Keiner von den letzteren hat es mit beredteren Worten ausgesprochen als Philodemos in der lustigen Deutung seines eigenen Namens (Anth. Pal. V 114):

^HQao^TjV JrjfÄOvg Ilacplrig yevog' ov fxiya &avfia' xai 2af4,lrig ^t]fiovg devTsgov ov^l fxiya'

xa« TtaXi NvGtax'^g Jr](.iotg tqItov' ovY,hi Tavra TtaLyvia' Kai Jtifiovg TergaTOv ^Qyoliöog.

avzal Tcov MolqaL f.ie naTcovofiaoav OLXoörjfjLOVy WQ aiel ^TjfÄOvg -S^egfiog exei fxe nod-og.

70'>) Vgl. ausser den Herausgebern des Suidas besonders Lobeck Aglaoph. p. 822.

Die Homerdeuterin Demo. 309"'

Aus der blossen Homonymie mit einer oder der anderen Frau dieses ebenso reichhaltigen als verschiedenartigen Damenkatalogs, den der Name Demo uns zur Auswahl stellt, Schlüsse auf unsere Homerdeuterin zu ziehen, dürfte folglich mehr als bedenklich sein.

Fragt jemand, warum Demo und Babo als '^gelehrte Frauenzimmer^ bezeichnet und von Eudokia in die Fhilosophcnreihe gestellt sind (Usener S. 416), so wäre die Antwort vielleicht unschwer zu finden, wenn wir wüssten, wer diese Babo war: so aber schwebt trotz der Ausdrücke oocpol und (fUooocpoL jede Kombination, die sich an jene Notiz des Suidas und der sogenannten 'Eudokia' knüpft, haltlos in der Luft, weil es mehrere 'weise Frauen'*'^«') Namens Demo (Damo), ja ver- mutlich sogar mehrere cpilooocpoi dieses Namens gegeben hat, nämlich, um gleich an die bekanntesten dieser 'Weisen zu erinnern, die Sibylle von Cumä und die Tochter des Pythagoras, die Erbin seines geheimen litterarischen Nachlasses (Usener S. 415), denen sich als dritte unsere Homerdeuterin zugesellt. Wer kann wissen, ob es einst nicht noch mehr gab? Auf das Epitheton cpMoog)og hatten die beiden zu- letzt genannten im Sinne der Alten '°^) sicherlich Anspruch, und der Homerdeuterin hat es Eustathios, der sie am eifrigsten studiert und am häufigsten citiert hat, ohne weiteres beigelegt (Fragm. 8). Verteidigen also Hesse sich im Hinblick auf Demo die fragliche Kapitelüberschrift

70«) Oder 'gelehrte Frauen . Vgl. Eust. p. 280, 19 ^v 6h xal yvv'ri aocpr] "Aks^av- ÖQTjvrj xata xov yeojyQacpov ttjv xX^aiv '^laxiala ij ''Eaxiaia. Das ist nur ein Beispiel von vielen. 70<^) Der Begriff 'Philosoph' ist bekanntlich bei uns ein viel engerer als bei den Alten. Eustathios z. H. nennt den Sänger Pheraios nicht allein einen ao(p6g, sondern auch einen gjiXoao^og (p. 1404, 15), weil er meint, ort ot doiöol <pL- Xoa6(pü)v rd^LV ijielxov (p. 1421, 35). Macht doch ein {übrigens grösstenteils aus Herakleitos' Allegorien abgeschriebenes) Scholion sogar den Herakles zum Philosophen (B T zu ^ 392) : (pLk6ao(poq '^HQaxk^g xal aocfCaq ovgaviov fjLvaxrjq, oq cionsQ elq xa ßcc&Tj slaöedvxvtav dx^voq xtjv <fiXoao(piav iipojxias. Hierher gehörige Beispiele aus historischen Zeiten stehen natürlich in noch grösserer Zahl zur Verfügung. Es wird genügen eines herauszugreifen: Seneca epist. 88, 5 nisi forte tibi Homer um philoso- phum fuisse persuade[ä\nt, cum his ipsis, quibus colli gunt^ negent: nammodoStoicum illum faciunt, virtutem solam probantem et voluptates refugientem et ab honesta ne immortalitatis quidem pretio recedentem, modo Epicureum, laudantem statum quietae civitatis et inter convivia cantusque vitam exigentis , modo Peiiputeticnm , bonorum genera inducentem, modo Academicum, omnia incerta dicentem. Nach Suidas (Hesych. Miles.) schrieb Cassius Longinus eine Untersuchung et (piX6ao(poq "OfirjQoq, Maximus Tyrius tisqI '^0fir]Q0v xal xlq rj nag ' avx(p uQxaia (piXoaotpla, Oinomaos von Gadara Ttegl x^q xaS^' "OßrjQov (piXoaocplaq, Favorinus von Arelate nsgl xijq "^Ofx^QOV <piXoao- (piaq, u. s.w. Herakleitos Alleg. Hom. c. 34 ^QX^yoq öh ndarjq G0<plaq yevö- fxsvoq^OfxrjQoq, dXXrjyoQixaiq TtaQSÖcoxs xoZq ßex^ avxbv dgvaaa&ai xaxa fiSQTj 7cdv&\ oaa TiQcüxoq 7cs<pikoa6(p7jxs. Diese Anschauung über Homer wurde nachweislich im Altertume von sehr vielen geteilt. Es wird nicht nötig sein, weitere Beweise vor- zulegen.

310 Arthüb Lud wich

der *^Eudokia* schon: nur nützt das leider der rätselhaften Babo mit Allem, was an ihr hängt, keinen Pfifferling. Wer wollte sich übrigens jetzt noch ernstlich zum Beschützer einer jeden Kapitelüberschrift bei ""Eudokia' aufwerfen? wer aus einer solchen Überschrift ernsthafte Folgerungen über den Inhalt des Kapitels selbst ziehen? Wir müssen zufrieden sein zu wissen, dass die Homerdeuterin Demo allerdings eine (pMoo(pog war; ob etwa dieselbe, die aus dem Lexikon des Suidas ins 'Violarium' kam und deren gastliche Bewirtung durch Babo'*) sich einen Namen gemacht hatte, das lässt sich nicht einmal mit einiger Wahrscheinlichkeit, geschweige denn mit Gewissheit bejahen.

Ferner identifiziert Usener (S. 415) die Homerdeuterin mit derjenigen Demo, welche tkivai yquii^axL-^ai geschrieben haben soll. Auch dies scheint mir auf schwachen Füssen zu stehen. Der Einzige, der von diesen ^grammatischen Lehrbüchern etwas weiss, ist der anonyme Epistolograph bei Gramer An. Ox. III 189,20. Er schreibt an einen Arzt: oqag^ (piXo- oocpioTaTiq ^)v%ri, OTCwg yga^^aTiKevo^iai Ttgog ok tov yQaiu/LiaTLy.0JTa- Tov . . . "/.al ei firj tlol fieiQaxLevofxevos edo^a, tcc (Dr]inov6i]g av oot die^riXd'Ov v,aL Jiqiiovg Trjg yQafXfxarcKrjg, Trjg (xer ertog evQovarig, tilg ^^ 'cexvag Gvyyqaxpaiiivrig. Ausser der Homonymie, über deren Unverlässlichkeit ich wohl kein Wort weiter zu verlieren brauche, enthält die Stelle nichts, was unsere Homerdeuterin anginge. Wenn die letztere hin und her in den erhaltenen Überresten die Etymologie für ihre Deutung zu Hilfe nimmt (Fragm. 2 und 8), so darf nicht vergessen werden, dass die Etymologie jederzeit mindestens ebenso sehr von den griechischen Philosophen als von den griechischen Grammatikern gepflegt worden ist. Andere Beziehungen zur Grammatik aber als diese vagen finden wir bei der Homerdeuterin überhaupt nicht vor, auch nicht in dem langen und stellenweise sehr ins Einzelne eingehenden Wiener Bruchstücke. Übrigens hat Usener selbst schon darauf aufmerksam gemacht, dass der Cramer'sche Epistolograph sich mit erborgter Gelehrsamkeit brüstet. Der unbekannte Briefsteller hat einfach das Inhaltsverzeichnis zu Proklos' Chrestomathie"^ ^^) excerpiert. Er fängt mit der Fhemonoe an und hört mit den Oschophorika auf. Nur die Kunde über Demo hat er vermutlich aus eigenstem Wissen zugefügt. Wie seltsam, dass er keinen andern,

1 1) Eine wie grosse Rolle solche Bewirtungen in der griechischen Sagengeschichte Spieleu, ist bekannt. Ich greife das erste beste Beispiel heraus: Eust. 1351, 29 (pigetai Sh fivd-OQ xal OTL MsQorp Kcpog . . . ^evlaaq ^Peav fiexeßXij&Tj eig aezöv. Um so be- denklicher erscheint es, die sagenhafte Bewirtung der Demo durch Babo anstandslos dem Demeter-Sagenkreise zuzusprechen ; denn dazu fehlt es, bei Lichte besehen, doch fast an jedem rechten Anhalte. 71«) Photios Bibl. cod. 239.

Die Homerdeuterin Demo. 311

keinen berühmteren Vertreter der Grammatik nennt! dass er offenbar nur ein Pendant zur Phemonoe beizubringen trachtete! dass er dabei auf eine so gänzlich obskure ygaf^i^anyo] verfiel ! dass er ihr nicht bloss eine Tsxvrj beilegt, sondern mehrere! Von allen diesen dunkeln Rätseln wird kein einziges erhellt, noch weniger gelöst, wenn wir diese Demo willkürlich mit der Homerdeuterin identifizieren; denn, wie gesagt, ob die letztere überhaupt jemals ein grammatisches Werk oder gar mehrere Grammatiken verfasste, entzieht sich für uns aller und jeder Kontrolle, um so mehr die Befähigung der Frau für derartige Studien und ihr Erfolg. Nicht einmal die mutmasslichen Zeitgenossen jenes anonymen Epistolographen'^), Johannes Tzetzes und Eustathios, melden hiervon das Geringste. Tzetzes, der seine eigenen Allegorien zur Hias und Odyssee auf Kosten seiner Vorgänger gehörig herauszustreichen liebt, findet nicht ungalante "Worte genug, um der Rivalin den Text zu lesen. Er sagt im Prooemium seiner allegorisierten Odyssee ^^):

72) Über ihn hat einer der gewiegtesten Kenner byzantinischer Litteratur, M. Treu in Potsdam, die Güte gehabt, mir auf Befragen Folgendes mitzuteilen: Crainer's Meinung {Monitum lectori p.II), er scheine ein Grammatiker unter Kaiser Alexios Komnenos gewesen zu sein, ist nicht richtig. Grammatiker von Beruf war er nicht, sondern ein gebildeter Mann, der die drei loyinal zkyivat der späteren Byzantiner, die ^a^-rniaxa, wie Gregorios Kyprios sagt, oaa 6ia(p£g6vT(og /Liezisvai xal elöhai dvd^Qatnw tcqogtixh, Grammatik, Rhetorik, Philosophie, studiert hatte. Die Briefe sind aus dem zweiten Viertel des 12. Jahrhunderts. Der oft in ihnen erwähnte KalaaQ ist der hekamite Nikephoros Bryennios {was Johannes Seger in seiner Schrift über denselben^ München 1888, leider entgangen ist). Die ösoTtoivri xvQLTj ElqtJvt] {ep. 4) ist die Gemahlin des Kaisers Joannes II. Komnenos {1118—1143). Vgl. Ducange, Fam. Aug. Byz. p. 179. Der früh verstorbene ßaaiXsvg xvQLOQ ^AU^iog {p. 180, 10) , der Sohn des Avzoxqcczcoq {p. 180, 22) , kann nur der älteste Sohn desselben sein, welcher 1135 starb ; ebenso ist der fisyag öoßsatixog {ep. 26. 28) desselben Kaisers intimer Freund und Ratgeber loannes Axuch. Vgl. über die- sen und über Alexios meine Notiz zu Mkeph. Chrysoberges p. 43 f. Brief 12 wird an Kaiser loannes sein. Besonders interessant aber ist es, dass unser Anonymus mit seinem Zeitgenossen , dem b ekannten Vielschreiber Theodoros Prodromos befreundet war {ep. 14). Denn an denselben Al^c^, an den ep. 14 gerichtet, schreibt auch Prodromos. Vgl. Migne, Patrol. Gr. Lat. tom, 133 p. 1285 ff. ; ebenso an "E<poQog {ep. 7) auch Prodromos, ibid. p. 1239; endlich an den Logotheten MÜTjg {ep. 9. 10. 29) Prodromos p. 1248.

73) Matranga Anecd. gr. I p. 225. (Vgl. Tzetzes Exeg. II. p. 3, 17 Herrn. exEQOL ÖS z^g akXrjyoQlag z(öv d-sixcäv ovoßazcov [sc. insfjisXtjS-Tjaav] , aiansQ xal 6 KQOvvovzog, xäviteg dXlriyog^ davfxßlßaaza . . . KstpaXecDv ös xal naXai(pazog xal /lofMvlvog xal szsqol negl z(ov tjqojcdv xal zegaazicDV QTjzogixcijg aig inizoTiXelazov, xal ov (pvOLXwg t] fxaO-ijfiazixaig, i^XXrjyogrjaav. ''HQaxksLZog 6h 6 östvog (pvaixcüg (xev, val fXTjv xal ^rjZOQixcäg xaza z6 öoxovv ixelvco, ztjv oXrjv ^Ihäöa xal zrjv ^06va- osiav TilXriyÖQriaEv. et 6e zig i&shjasiev dxQißdig iTtE^SQyäaaa&ai ti]V dkij^siav, 0VÖ6 noXXoatrKJLOQLOV ijkXTjyoQTjxözi zovzov svg^asiev, ccAA' tJ navzsXüig oXlya ziva xal zavza dzäXeoza. xze. Demo wird hier gar nicht erwähnt.)

312 Arthub Ludwich

ovTW %ay{jj vvv xexvvKüig ttjv xolrrjv fierargiTnav, 7tfi dk (A,vQiaig oQvyalg Xe7C%0T0(xu}v la ßdä-rj

80 aßqdxijjg ttccOl Tid-iqiia 7cavTag 7t€Qav eig x^^voüg, kv ki^et ygacpujv dcavyei, yvcJOTJj ymI %olg rvxovacv, ov%l Y.ad'a7tSQ t] Jrj^Ljj fiificj de %oig (pQovovoc, yvvaiov 'AOii7toXa.v.vd^ov , ipevdvifjrjyoQoyQafpov, (XT^dhv de 7CQbg tov "OfirjQov tüiv ovviekovvTwv Xiyov.

35 exBig Ji]^ovg xb ovyyqafifxa 'Aal %b tov 'Hgayüeljov, KoQvovTov "/.al IIaXaL(paTov xai tov WeXkov ovv rovToig xat eX ttg aXXog keyexai ygaijjag aXXriyoQlag, av€Q£vvrjaag euQiaxe Tiai ra tov T^stKov ßX^Tte,

In demselben Tone, ja mit Wiederholung desselben geschmacklosen Wortspiels lässt er sich in den Allegorien zu Ilias 2 gegen seine Vor- gängerin aus'"*):

oTi ö ovöslg €T6kiiir]G€v aXXrjyoQ^Gai Taöe, OQccTS TOV ^IlQaY.XeLT0v y.al Trjv {nificj ovv Tovrcp, TTjv aka^ova 2q)lyya öh fiäklov ttjv €7tr]Qfiivr)v, KoQVOVTOvg IIaXaLq)(XTOvg ts 7tdvTag dXkrjyoQOvvTag xal TU e(xu ßLßXlöia xtL

Der Tadel richtet sich augenscheinlich im Grunde weniger gegen die Form als gegen den Inhalt der Homerdeutung Demo's: er wendet sich gegen den ganzen hochprahlerisch aufgeblasenen, hohlen Bombast und die verlogene Aufschneiderei dieser Art rätselhaft'^*) verschrobener Homer- interpretation, die dem Dichter gar keinen Nutzen bringe, die in ihrer eitelen Nachäfferei unserem Beurteiler so falsch und nichtig vorkam, dass er ein gutes Recht zu haben glaubte, ihr Vorhandensein mit wegwerfender Miene ganz zu ignorieren und sich anzustellen, als wäre er der Erste und Einzige, der den Homer klar und deutlich (ev ks^ec öiavyei -Aal yvwoxfi) zu allegorisieren gewagt habe''^). Man wird bemerken, dass der wortreiche und im Wesentlichen gewiss zutreffende Tadel, der sich im Munde eines Tzetzes freilich seltsam genug ausnimmt, keinen Schimmer

74) Matranga I p. 166 v. 651 ff. Boissonade p. 250 v. 655 ff. Letzterer (8. seine Note) verstand die Beziehung des Wortspiels nicht; ersterer {II p. 700) fand es schon in seinen Hss. richtig gedeutet: Mifito p. 166 v. 652. Nota quod ibi pro jTjfzai poni- tur, ut notant Codices, quorum aliqui cetej'oquin absolute habent Jtj/jkö, wozu II p. 738 zu vergleichen ist.

74») Sphinx-Rätseln vergleichbare Dunkelheiten, wie Tzetzes sie an Demo tadelt, hinterlässt jede allegorische Interpretationsmethode. Der Tadler irrte sich, wenn er seinerseits diese gefährliche Klippe glücklich umschifft zu haben wähnte.

75) So etwa, denke ich, werden die Worte ozi 6' ovöeig hokfiijaEv a)Jij^0Qrjaai zdöe gemeint sein. Usener S. 416 hat sie als eine direkte dreiste Lüge verstanden.

Die Homerdeuterm Demo. 313

von grammatisclier Polemik oder Andeutung enthält. Und auch Eustathios weiss nichts eigentlich Grammatisches von Demo zu berichten. Wie wenig dieses Schweigen aber der Meinung zu Gute kommt, dass die Homerdeuterin und die angebliche Verfasserin der Ti%vaL ygafxfxaTL- xal ein und dieselbe Person seien, wird jedem einleuchten.

Warum nur mag sich Tzetzes das einzige 'Frauenzimmer {yvvaiov) herausgesucht haben, um sein Mütchen an ihm zu kühlen? War das wirklich nur Mangel an Galanterie? Warum hat er die Anderen, die er neben Demo nennt, einen Herakleitos, Kornutos, Palaiphatos und Psellos, an beiden Stellen so sehr viel glimpflicher behandelt? Weil ihm, ver- mute ich, nicht sowohl die Philosophie an sich als vielmehr die mono- tone kosmische Ideenrichtung der Demo, das ewige Herein- ziehen astronomischer Dinge, die starre Konsequenz und Einseitigkeit ihr er 'mathematischen''^*) Allegorisierungs- methode ein Gräuel war wegen der bis zur Widerwärtigkeit gesteigerten Übertreibung, die er darin fand. Nicht also als ob er selber es grund- sätzlich verschmäht hätte, die j^a&rjfxaTiKij als Mittel allegorischer Inter- pretation bei passender Gelegenheit zu benutzen'^ ^), befehdete er die Homer- deuterin, sondern weil er sah, dass diese die fxaO^rj/LtaTixi] geradezu als •Universalschlüssel, als Passe-partout missbrauchte, um j e d e s home- rische Geheimnis damit zu erschliessen. Das war, wie schon Lobeck (a. a. 0.) hervorgehoben hat, das Neue und Besondere an ihrer Homerdeu- tung ■^^«): jetzt, nach Auffindung des Wiener Fragments, tritt es noch viel greller und abschreckender zu Tage. Eustathios hat es natürlich eben- falls bemerkt und ausdrücklich erwähnt (Fragm. 4 ^viixco f^a^rj/xaTi-

75«) In einem längern Schol. Vulg. zu ^385 heisst es: ol 6e <paaiv iv ryde ry LGTOQia nsQl Tüjv [letswQtov öiccXsyea&ai xov^OfxrjQov (xad^rifjiaxixov ovxa . . . ßsXxLOv Xsyeiv öe, oxi ^iXoaocpelv ßovXexai 6iä xrjaös x^g Qaxptpöiaq wq xal di* oXrjg xrjg noirjaeiog. 75^) Vgl. Lobeck Aglaoph. I p. 160 Anm.

75*^) H. Schrader Porph. quacsl. Hom. ad Iliad. p. 4U9 hat dies Besondere, das einseitige (pvaioXoystv, den durchgängigen kosmischen Charakter, den aus- gesprochenen Hang zur fiaf^rjincaixtj , in Demo's Allegorien verkannt, wenn er sagt: Sed tenendum est, aUegorias et Stoicorum ad instar instilutas . . .et aslrologicas . . . ad eandemreferri, itaul compendii variorum alleyoretarum placita con- tinentis auctor fuisse videatur. Unter allen alten Interpreten, die ich kenne, er- weckt mir keiner diesen Anschein weniger als Demo. ZvfißoXixwg (Fragm. 8) inter- pretieren sie Alle, aber nicht streng (jLa^rj^axix(üg. Verborgene moralische Ideen z. B., wie die Stoiker sie vielfach bei Homer suchten und fanden, verfolgt Demo auf direktem Wege niemals; höchstens wenn sie ihr auf ihren kosmischen Streifzügen beiläufig aufstossen, nimmt sie Notiz davon, und das geschieht äusserst selten. Vgl. unten S. 318. Ganz ähnlich stellt sie sich zu den von ihr angenommenen geschicht- lich en Thatsachen. Bezeichnend ist dafür besonders Fragm. 3. (Über die verschie- denen Arten allegorischer Exegese s. Lobeck Aglaoph. I p. 155 ff.)

314 Abthub Ludwioh

xcJg lavta Tf^€^aVi;£i;x£ und 9 ttegot de fiaS-tj fiarixwTegov hnißa- Xov Toig QrjO-eiocv, wg Kai Vj Jtkxlj, ox^oeig Tivag (piXoaocpoivTeg TOßv toig -O-eolg oficovvfxcov ctoriQwv). Und darauf passen die wütigen Ausbrüche des Tzetzes ganz vortrefflich. Kein anderer von allen seinen Vorgängern hatte die allegorische Interpretationsmethode so unvorsichtig durch einseitige Übertreibung kompromittiert Unbewusst hatte Demo der gesamten Methode den schlimmsten Streich gespielt. Fast wie eine Karikatur nimmt sich ihre Deutung aus, und zwar gerade wegen des bitteren Ernstes und der tiefen Durchdrungenheit, die sie fortwährend zur Schau trägt.

Es kommt für mich noch eins in Betracht. Zwar gehöre ich nicht zu denen, die bei einem Autor wie Tzetzes jedes Wort auf die Gold wage legen: allein die Wiederholung des unfeinen Wortspiels Jr]/iicj (spr. Ji^cci) (XLi-ioj scheint mir doch nicht ganz ohne substantielle Bedeu- tung '^) zu sein. Ich möchte glauben, Tzetzes wollte recht scharf betonen, dass Demo's viprjyoQla nichts weniger als ein Beweis eigenen hohen Ge- dankenfluges war, sondern nur eine öde ipevdviprjyooia, die sich mit fremden Federn schmückte, eine blosse ins Possenhafte ausgear- tete Nachäfferei. Und in der That was ist denn Neues an ihren kosmischen Ideen? an ihren 'mathematischen Wort- und Namen- deutungen? Waren dieselben nicht grösstenteils bereits längst bis zum Überdrusse breit getreten'')? Citiert die Interpretin doch sogar selbst die alten Naturphilosophen samt den übrigen Quellen, aus denen sich jeder so wie sie die billige astronomische Weisheit nach Belieben holen konnte ! Von dieser Weisheit ist nichts ihr Eigentum. Was ihr gehört, ist nur die mit frauenhaftem Eigensinn durchgeführte schematische Anwendung auf die alle- gorische Deutung Homer's, deren erste Keime möglichenfalls erst selber

76) Usener S. 417 : Hesychios konnte die Allegorien der Demo kennen und aus guten Gründen von ihnen schweigen. Ob auch Tzetzes den Betrug [s. oben S. 307] ahnte oder gar durchschaute? Fast möchte man das aus seinem Ausdruck fiißco öh zolg (pQO- vovai schliessen. Aber für Tzetzes^ der rvie seine modernen Geistesverwandten gern ins Blaue hinein schmäht, kann ''Affe' ein Wort ohne substantielle Bedeutung sein.

77) Ein Blick in das von 0. F. Gruppe {Die kosmischen Systeme der Griechen, Berl. 1851) oder M. Sartorius (Die Ent?vicklung der Astronomie bei den Griechen, Zeitschrift f. Philosophie und philosophische Kritik N. F. LXXXII 1882 S. 197 flF. und LXXXIII S. 1 ff.) oder Anderen gesammelte reiche Material wird dies bestätigen. Herakleitos Alleg. c. 34 behauptet: näq yaQ dvr}Q (piX6ao<poq sv &v7]zuj xal iniy€i(p Tcö aiüfjLazL Tczijvbv wotcsq zl ßeXoq zbv vovv slq [xszaQaia öiajis/i-TiS' tat . . . ovöslg yccQ aßazoq <piXoaog)la x^^Qoq. dXXa (iszä zbv ovQavbv i^^zTjxE zrjv xazcDzdz(o <pvaiVf %a (irjöe z(öv vsqQ^sv dßvrjzoq y. Zunächst be- zieht sich diese Äusserung zwar nur auf den angeblich philosophisch allegorisieren- den Dichter (Homer), aber sie gilt, wie der Eingang lehrt und die Geschichte bestätigt, von jedem Philosophen.

Die Homerdeuterin Demo. 315

durch das Studium der Philosophen in ihr entwickelt sein mochten. Wir werden gleich sehen, dass der Vorwurf unselbständiger Nachäfferei, den meines Erachtens Tzetzes unverblümt und mit vollem Recht gegen sie aus- spricht, noch von einer anderen Seite her eine verzweifelt positive Stütze erhält. Über die Zeit unserer Homerdeuterin ist bisher nichts Bestimmtes ermittelt worden. Man sah, dass ihr Buch von den späteren Homerikem fleissig gelesen war und in dem berühmtesten Homerkommentar, dem des Ven. A (saec, X—XI), schon citiert wird, in den sie zweifellos zugleich mit den (als Ganzes) bedeutend älteren Vulgärscholien hineinkam. Damit ist der terminus ante quem gegeben. Einen festen lerminus post quem hat erst mein Fund in der Wiener Hiashandschrift ans Licht gebracht. Durch die dortigen Citate nämlich (s. oben S. 308) wird festgestellt, dass Demo erst nach Alexander d. Gr. gelebt haben kann, keinesfalls vor dem 3. Jahrh. V. Chr. So erhalten wir einen zwar oben und unten begrenzten, aber allerdings immer noch überaus weiten Zeitraum : es fragt sich, ob inner- halb desselben nicht ein sicherer Anhaltspunkt gefunden werden kann, der uns dem Ziele näher bringt. Usener (S. 417) schloss aus Suidas (und "^Eudokia'), dass Hesychios lilustris der Demo noch keine Stelle ein- geräumt hatte. Und doch war ihr Werk schon für die Scholiensamm- lung des Ven, A benutzt worden; es gehört also schwerlich einer späteren Zeit als Hesychios, wahrscheinlich einer etwas früheren an. Wir werden nicht weit abirren, wenn wir das 4, bis 5. Jahrh., eine Zeit, in welcher der Neuplatonismus der Mythenallegorie neuen Aufschwung brachte und auch der litterarische Missbrauch alter Namen an der Tagesordnung war, für jene Fälschung annehmen. Auch ich bin der Überzeugung, dass Demo unter dem Einflüsse des Neuplatonismus stand. Zeigten dies schon ihre bisher bekannt gewordenen Fragmente, so tritt es in meinem Wiener Funde noch bedeutend greller zu Tage. Kein Gewicht vermag ich aber meinerseits dem Umstände beizulegen, dass in den Überresten, die wir aus dem Onomatologos des Milesiers Hesychios kennen, die Homerdeuterin Demo nicht vorkommt; denn dort fehlt eine Menge Schriftsteller, z. B. der jüngst aufgefundene Herondas. Und da bis jetzt weder die Entstehungs- zeit des gesamten Scholienkonglomerats des Ven. A festgestellt") noch Demo's Werk als Fälschung nachgewiesen worden ist, so fehlt es der näheren Zeitbestimmung Usener's immer noch an einem festen Halte. Ein solcher wird gewonnen, wenn es mir gelingt nachzuweisen, dassDemodes Kirchenhistorikers Theodoretos (gest. 457 n. Chr.) 'Ekkr^vLyiiov na&Tj^aTwv 'd'egaTtevTix'i] benutzt hat. Meine Beweisstellen sind ;

78) Nur der Grundbestandteil desselben, der Viermännerkommentar, läset eine annähernde Zeitbestimmung zu: s. Arist. Hom. Textkr. I S. 79.

316

Arthur Ludwich

Theodoretos

I 97 Liva^l/navÖQog filv yag xal ^va^ifj-hrig iTCTayiaurÄOOartXaolo- va '•) Ttjg yrJQ tovtov ecpaoav elvai, Läva^ayoqag de IleloTtovvTJaov jael- ^ova, ^HQccY.XeiTog 6k 6 Ecpiowg jtoöialov^^),

IV 24 xai TSTQayiOGlag aQid-ixov- Ol y,al ixevTOi ytal TtleLovg otaölcüv IxvQiaöag, tag fiev mco yrjg (.ify^Qi oeXi^vrjg, rag öh exeZ&ev (^exQig rjUov.

IV 17 'Aal Tovg aorsgag öe Qakrjg fxev yeojöeig ycal efiTtvgovg wvofia- aevy b öi ye ^Äva^ayogag ly, r^t; Tov TtavTog TteQiÖLvrjoecog TtexQovg elTtev avaGTtao&rjvac xai Tovrovg €XTCVQü)^€VTag TB xal avü) nayh- rag aorsgag ovo/naad^rjvat. Kai /lr\-

fWXQlTOg Ö€ TOVTOV TlQaTVVEC TOV

koyov. 6 öe Jioyevrig TciorjQoeiöelg "kiyei elvai TOVTOvg, öiaTCvoag Ttvag exovTag . . . ^loyevrjg de xat ejLiTtl- JCTBLV eig ttjv yrjv Tivag tovtcov eqjrj-

Demo

^14 cpaol yccQ avTov [seil, tov rjhov] ^va^lfnavÖQog y.al Läva- ^ifihrjg e7CTaxauty.oaa7tXaoiovtt ^°) ^^S yfjs dvai fiel^ova, 6 de !dva- ^ayogag 6 FleXoTtowriOog*^) TtoXXij) ^el'Cova TavTTjg tovtov elvai, 6 de 'HgccxleiTogo 'E(pioiog Ttodialov*^). Tiveg öe avTov TeTQayoalag^*) agid-- jLiovOL xal fievTOL yLal^) nXeiovg üTaöLojv^) ^vgiaöag, Tag") fxev ano yrjg fxixgu aeXrjvi^g, Tag"*) ök ixeld-ev ^^XQ^S ^Uov.

A \% cpaol yag, otl Qalrjg Tovg aOTegag yetuöeig wvojLiaoe aal kfi- Tivgovg. 6 ö uäva^ayogag hi Tr^g TOV TcavTog Tcegiöivrjoewg rciTgovg elfcev avaOTrjvaL^^) y.al TOVTOvg «x- Ttvgcü&evTag y.al avco TtayevTag a- OTigag yeveo&at^^) . . . waavTwg xal JijfxoygiTog. 6 öe ye JLoyivTqg^)

eyrciTtTeiv^^) eig ttjv yrjv Tivag tov- TOJv ecprjoe yal oßevvvfievovg eley-

79) Gaisford's Varianten mit aufzuführen, dazu liegt augenblicklich für mich

o keinerlei Veranlassung vor. 80) knza xal eixoainlaoiova V. 81) o neXoTcovria V. Konjekturen, wie b JleXonovvrjGLoq oder b nsloTtovvrjaov, sind billig, bessern aber nichts, weil Anaxagoras kein Peloponnesier war. Der sinnlose Fehler ist in erster In- stanz möglicherweise auf ein Abschreiberversehen zurückzuführen, vielleicht aber auch auf eine durch die beiden Konjekturen angedeutete Unwissenheit der Verfasserin. Das Richtige bietet Theodoretos nebst den anderen von Diels Doxogr. gr. p. 351» 9 und 562, 20 beigebrachten Zeugen. 82) Dies wiederholt Theodoret IV 22 (also kurz vor der von mir ebendemselben vierten Buche entnommenen Stelle!), mit einigen bemer- kenswerten Abweichungen: xal 'Ava^lfjiavÖQoq fihv (Anaximenes fehlt!) bixaxaifL- xoaankaolü) xrjq yrjg tovtov e(pi]asv slvai, 'Et^neöoxXijq 6h iaov zy yv» b 6h 'Ava^ayoQag UeXoTtow^Gov ßsi^ova, 'HgdxXeiTog 6h 7io6iaiov. —83) 7is6ialovY?

oig 84) TezQaxooiovg so V. 85) xal nachträglich übergeschrieben V. 86) aza6L0vg V. 87) und 87«) Tolg st. zagY an beiden Stellen. 88) Richtiger, wie gewöhnlich, Theo- doretos: s. Diels Doxogr. p. 341. 89) Hier ist (vielleicht ohne Schuld der Verfasserin) der Zusammenhang gestört durch Einschub einer Note negl zwv 6w6exa t,(p6iü)Vf die nicht hierher passt. 90) Vielleicht hat das Homoioteleuton (Jwyevrjg) den Ausfall einiger Zeilen verschuldet. 91) Besser wieder Theodoret, wiewohl schon hier der Fehler Eingang zu finden begann: Diels p. 342.

Die Homerdeuterin Demo. 317

OB y.ou oßevvvfxevovg eHyxeod-ai, x^^^^^f ort q)vaiv exovai Xid-wv,

oTi Xid-wv exovöL cpvoiv ' zal (xaq- xal (.iccqtvqi xQV"^^^ "^^J ^'' -^^yog

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KaXov^hwv Gocpwv 6 TtQsoßvTaTog, t^qu Tr]'9-vv\ aXXa xal Qakrjgf

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V 22 6g Ö€ y.a\ tcbql T^g tov rjy€f.ioviyiov X^Q^S dirjV€x^r]Gav TtQog akXrjXovgj Qaöiov öiayvwvai, ^iTCTtOKQaTrjg lakv yaq "/.al ^rjiJ,6KQi- Tog xal nXaTCDv iv eyxecpdXq) tov-

To iÖQvGd^ai eiQ7]xaGLv . . . Ilagfis- A 495 xal yaq 6 IlaQfievldrjg

vlörjg de xal ETtixovQog ev oXii) xal 6 ^Ejtlxovgog iv rw d-wgaxi

Tfp d-iüQaxL. TTjv tfJvxrjv So^dKovGtv elvai.

Man beachte zunächst, dass dies überhaupt alle Stellen sind, an denen das Wiener Fragment Gelehrtencitate bringt. Während dieselben nun bei Theodoret sich ausnahmslos in gutem Zustande befinden und in wohl ge- fügtem Zusammenhange stehen, unter einer reichen Fülle von kosmischen Ansichten anderer Philosophen, sind sie bei Demo kaum mehr als ein spo- radischer, eilig mit den Haaren herbeigezogener, nach und nach immer ärger entstellter Notizenkram, ohne eigentliche innere Berechtigung. Dar- aus folgt, dass Theodoret als die Quelle, Demo als seine Abschreiberin an-

(OV

92) noxafKü V. 93) Xeyov scheint V zu haben. Tlecpvxs zQs<pead-ai, nscpvxfv avLfiäa^ai, xela^ai nicpvxsv , anavicoq yivead^ai nsfpvxs u. s. w. sind beliebte Rede- wendungen des Fragments, welche (wie örjfziovgyog, öiaxoa/UTjaig u. a.) fleissige Lektüre Plato*8 verraten. An dieselbe Quelle gemahnen viele ebenda ausgesprochene kos- mische Anschauungen. Ich denke hierbei an solche platonische Stellen wie Phädr. p. 246e o fisv örj (x^yaq riysfjKov iv ovQaviö Zeig ilavvcav nzrjvbv ag/bta ngcätog no- gevsraif öiaxocßdiv ndvxa xal iTtifiEXovfisvog. Phädon p. 1091» slvac yag Ttav- Tccx^ tcsqI TTjV yfjv noXXa xoTXa xal navTOÖana xal rag iöeag xal td fxsyiB^ij, sig a §vvsQQVi]X^vai ro te vöojq xal rrjv ofjUxXrjv xal xbv dsga' avzrjv dh zr/v yfjv xa- Q^agav iv xa&aQ(ö xela^ai zcö ovQavai, iv arnsQ sgzl zd dazga, ov öt] ald^iga ovo- ßdi^eiv zovg noXXovg zcüv negl zd zoiavza stcod^ozcav XiyeiV ov ötj vnoazd^ßrjv zavza 8ivai xal ^vgQslv dsl elg zd xolXa zrjg y^g. lila oneg rifjuv zo vöcog xal rj &dXazzd iazi ngog zrjv rjfzez^gav xgs^ccv, zovzo ixsZ zbv dsga, o 6h Tjfilv 6 dijg, ixeivoig zbv alS^sga . . . z^ avz^ dnoczdaei, i/nsg d^g vs vöazog dfsazrjxs xal al&Tjg digog ngbg xa&agozrjza.

318 Arthur Ludwich

gesehen werden muss, nicht umgekehrt. Dies schliesst natürlich nicht aus, dass, wie Herrn. Diels {Doxographi yraeci p. 10. 45 ff. 170) schlagend nachgewiesen hat, Theodoret selber ein arger Kompilator war und gern mit fremdem Kalbe pflügte. So plagiatorisch indessen wie Demo, bei der sich alles, was sie von öö^ai früherer Philosophen mit Namen citiert, wortgetreu mit ihrer einzigen Quelle deckt, ohne dass sie es der Mühe wert achtete, diese Quelle offen zu nennen, so krass und versteckt plagiatorisch verfährt Theodoret meines Wissens nirgends. Unmöglich kann es Zufall sein, dass Demo mit keinem der uns sonst bekannten (bei Diels übersichtlich zusammengestellten) Kompendien der Placita phüosophorum auch nur annähernd so genau übereinstimmt wie mit Theodoret. Die Übereinstimmung ist von der Art, dass sie auch nicht etwa durch die Annahme eines verlorenen Kompendiums, das Theo- doret und Demo gemeinschaftlich benutzten, genügend erklärt werden kann, weil Theodoret im ganzen genommen augenscheinlich weit lieber referiert (also eigene Worte gebraucht) als wörtlich abschreibt. Damit wird, da Theodoret im Jahre 457 starb, für seine Nachtreterin Demo der terminus post quem sicher bis in die Mitte des 5. Jahrb. n. Chr. herabgerückt. Ich wäre geneigt, die Blütezeit unserer Homer deuterin frühestens in den Ausgang dieses Jahrhunderts zu setzen, bescheide mich aber gern mit den gewon- nenen sicheren Zeitgrenzen.

Demo's Vorliebe für das genannte Werk Theodoret's mit seiner kos- mologischen Gelehrsamkeit könnte einen tieferen Grund haben : die Homer- deuterin selbst könnte Christin gewesen sein. Der homerische Zeus ist ihr die göttliche Vorsehung, die oben im reinen Äther thront und das Weltall regiert. Im Verein mit Leto, der göttlichen Menschenliebe, die milde unserer Sünden vergisst, erschafft Zeus den Apollon, die Sonne. ApoUon, von gleich liebevoller Sympathie wie seine Eltern für die Menschen beseelt, für Gerechte und Ungerechte, lässt sein Licht leuchten über Böse und Gute ; verhängt er Pestilenz und andere Schrecken über uns Sünder, dann geschieht es nicht zur Strafe, sondern zur Warnung, um uns zu bessern und zur Tugend zu erziehen. Das ist der kurze Inhalt des Kom- mentars, mit welchem Demo die homerischen Worte ^t]Toig xal Ji6g vlog A 9 begleitet^O ; und von demselben achtungswerten Geiste christ-

94) Ma ytüQ 6q>cicfisv zov al&iga rj ttjv avco ngovoictv tt]V ndvxa awe^ovoav * Aijz(a 6h ÖLo, xriv nciQOvaav avry avfiTidd^eiav xal (fiXav&^ionlav vorjtsov (piXdv&gwTtov yccQ TO &SLOV xal avfzna&sg ,7]Tig xal owSeöszai avT^ xal xy oixeicc avtijq ßovk§ avveoztv dsl. öto Ttgoarjxovzcog Atjzo) izv/noXoyElzat ix zov Xrid-to zo Xav&dvo), ^ iniXav&avofzsvi] zcüv afiagziojv ^fxcäv. ix zavzrjg ovv zrjg zov S^slov ^iXav9^Q(o7tlag, ^v TiQog Tjfiäg x^xzijzai, yevvdzai 6 ^AnoXXwv rjyow 6 ^hog, oazig, z^ zoinazgog avfina^eia x()a>iue>'0$ inl öixalovg xal dölxovg, xal XdfinEi inl novrigovg xal dya-

Die Homerdeuterin Demo. 319

lieber Liebe und Duldsamkeit finden wir sie aucb sonst beseelt. Viel- leicht liegt gerade in diesem versöhnenden Zuge die beste Erklärung für ihren so gern fromm gen Himmel gerichteten Gedankenflug; vielleicht sucht sie nur deshalb am liebsten hoch oben in der fernen, unermess- lichen Sternenwelt, was sie auf Erden nicht fand, um sich die Symbole des gefeierten Dichters zu deuten. Lautet doch ihr ausdrückliches Glau- bensbekenntnis: T« TtavTa £X Twv avwd-ev dioLKOvvTai rj ey, rrjg avw&ev TtQovolag. Symbolik hatten ja schon viel ältere und viel bedeutendere Denker im Homer zu finden gemeint : was hätte eine Christin hindern sollen, ihren Spuren nachzugehen und unter der heidnischen schönen Hülle die ewigen Wunder des göttlichen Weltenschöpfers zu erkennen? Je fester Homer in der Gunst seines Volkes stand, desto eifriger waren von früh an^^) denkende Köpfe bemüht, sein Gold von wirklichen oder vermeintlichen Schlacken zu reinigen. Das einfachste Mittel, die {in usum Delphini) kastrierten Ausgaben, die ja immer noch florieren, kannte das Altertum nicht; das beschwerlichere Mittel der moralischen Homercentonen fand selbst bei den Christen keinen rechten, allgemein und dauernd einwirken- den Anklang: einzig und allein die altbewährte allegorische Auslegung schien sich für den gewünschten Zweck heidnischer und christlicher Mo- ralisten vortrefflich zu eignen. Anscheinend aufs festeste begründet in der bilderreichen Sprache °^), dem unvertilgbaren natürlichen Erbteile aller

d-ovq, tf/ (jltitqI ofxoiov/uevog, r} zw naxQi asl nageaziv ... ort ev Tovxip öelxwrai rj zov B^eov (pi?.ccv9^Q(07tla xs xa.1 avfinaS^eia , xaxa xcSv äfiagxavovxcov ^fjuov ovx svO-üwg (xfJ.sißexaL., dXXcc naiöevei ^fxäg €x xs xcöv aq)OQi(öv xal övoxQaaimv (piXav- S-gcüTievofjievog icp^ rjßäg, (oaavxwg xal ev x(] vöaco UQog naiöevaiv rißdiv ndvxcDV i^aTiooxsXXcDV xal djioxQonrjV xöjv dS^ea^cDV ngd^scov xd ydg nagd xov &£lov inayo- fieva TjfjiüJV /Lihv etg dyavaxxrjalv iaxi, nag' avxov öh eig öloqS^odoiv ^fiojv dnoGxsX- Xsxat. 95) Wolf Prolegom. ad Hom. p. CLXI: Non dubito, quiji antiquissimi phi- losophi auctores inlerpretationis habendi sint, et initio quidem npayßaxix^g. Nam verhorum obscuritas Ulis saecuUs admodum nuUa erat^ quando eadem forma orationis usurpari solebat ab opiimo quoque poelarum. Verum philosophi quum viderent, Sacra haberi carmina celebrarique omni populo ex iisque vitae rede instituendae praecepta sumi, neque tarnen in iis non animadverterent multa falso, ridicule et in- decore fingi de natura deorum et rerum^ interpretatione sua corrigere fabulas atque ad physicam et moralem doctrinam suae aelaüs accommodare , denique historias et reliqua fere omnia ad involucra exquisitae sapientiae trahere coeperunt. Bald darauf (p. CLXV) : Nam dum Epicurei omnem poesin et musicam 7'eiiciebant , negabantque sub Bomeri fabulis latere doctrinam, ceterae sectae magno studio ad vetei'es vno- voiag recurrebant , Stoici in primis. Vgl. dazu ausser Lobeck Aglaoph. I p. 155flF., Lehrs Arist.» p. 198 ff. und den betreffenden Abschnitten bei Ed. Zeller (z.B. III S. 322) jetzt namentlich die bereits citierten Porphtjriana von H. Schrader. 96) Mit dem bildlichen Ausdrucke der Dichter sucht auch Herakleitos in der Einleitung zu sei- nen homerischen Allegorien (c. 5) seine exegetische Methode zu rechtfertigen. Homer selber bediene sich der Allegorie, z. B. wenn er, xd noUfiov xal fxdxrjg xaxd öis^imv, sage (T 222) : rig xe nleioxriv (xkv xaldfjLTiv x^ovl xa^xbg exsvsv, dfirjxog 6' oXiyiaxog

320 Arthur Ludwich

Dichter, hat die allegorische Homerdeutung zahllose gläubige Anhänger gefunden. Sowie mancher Heide eiferte zwar auch mancher Christ da- gegen, z. B. Theodoretos, der sich rühmt (IV 4) : rQig de rjdrj touto de- ÖQücxai-iev, ycal OTtcog avayxalov Tial xQ'fj^f'f^ov ro rrjg TcLoTBiog ccTceSelBa- fxsv q)dQiaayiov, rtva re XQV ^o^d^en' Ttjg ovolag Tzigv rrjg &£lag y.ai oTtola TtQOOrjycei cpQovelv Tteql raJv dogocTtov fxiv yevvrjTwv öe q)V0€wv, €7C£Öel^afi€v, Tial ib Trjg TtoujTi'Krjg fnvd-oXoylag dTtoyvfuvwaavTeg aloxog 'Aal Trjv TegarcoÖTj twv q)tXoa6(pa)v aXlrjyoQlav kXiy^avTeg. Aber ungehört verhallten die Stimmen der Gegner ®0> und Demo, sonst die treueste Nachtreterin Theodoret's, zog es vor, in diesem Falle ihren eignen Weg zu gehen.

Demo's Homerdeutung ist eine Narrheit genannt worden®"). Mir liegt es fern, eine Rettung der Deuterin versuchen zu wollen. Warum aber sollten wir, nachdem wir die Frau nun ein wenig genauer kennen gelernt haben, ihr die Genugthuung des Geständnisses versagen, dass ihre Narr- heit, gross gezogen von zahllosen vorangegangenen Denkern, einstmals allen Ernstes für Philosophie gegolten hat? warum vergessen, dass echte Nachkommen des ehrwürdigen Melampus^^j, dem einstens dankbare Schlan- gen mit feinen Zünglein die Ohren säuberten, auf dass er fortan das Gräschen wachsen hörte, selbst in unserem aufgeklärten Zeitalter noch immer ganz offen ihr Wesen treiben? dass es mit Hellhörigkeit begnadete

XT6. (Vgl. Maxim. Tyr. XXIII 4 «AA' sldivat fisv, ozitioitjtixt] näaa aivlzTixai, xaxafjLavxevead^ai öe rwv alviyfidzcDV {xeyaXonQsnüiq , xata ttjv &£(Üv SIxtiv. Die Theologen kleiden gleichfalls die Wahrheit gern in die Hülle der Allegorie: Lo- beck Aglaoph. I p. 160.) Ebenso wie Herakleitos pflegen sich auch moderne Symbo- liker mit Vorliebe auf den Doppelsinn des Wortes zu berufen, und wer kann wissen, auf welche Abwege uns noch die jetzt in Mode gekommene Sucht, bei Theokrit und ähnlichen Dichtern auf yglcpoi Jagd zu machen, hinführen wird ! Es ist die nämliche lockende Strasse, welche die Stoiker samt Demo und unzähligen anderen Verirrten gingen. 97) Der eben genannte Herakleitos schickt solche ungebildete Menschen einfach zum Henker (c. 3): st d' dfjiaBelg zivsg ävS-^conoi rrjv 'Ofir]QiXT]v aklTjyoQiav dyvoovaiv ovö^ elg za, iivx^a zrjg exeivov aocpiag xazaßeßrixaaiv, a/A' dßaauviazog avzoig 71 ztjg dXi]0-8iag XQioig SQQinzai, xal zo ^lÄo aoipcog ^tjO-sv ovx elöözeg, o [xvQ^ixwg öoxsl nXdoaL TtQoaaQTtd^ovaiv, oizoi [xsv ^QQFzcDöav. 98) Von Usener S. 415. 99) Zum Glück sind sie nicht alle unter die Philologen gegangen, sondern vielfach auch unter die Theologen, Philosophen, Juristen u. s. w. Man denke beispiels- halber nur an die Symboliker des Strafrechts. Einen solchen lernte August Twesten im J. 1810 in Berlin kennen. Alle Strafen, behauptete er, sind ursprünglich Symbole. Der Strassenräuber z.B. werde gerädert, um ajizuzeigen, ihn brauche kein Fuhr- mann überzufahren sich in Acht zu nehmen ; der Dieb gehangen, denn ind^m er An- derer Eigentum nicht achte, komme auch ihm kein Fleck der Erde als Eigentum zu . . . Das Vermögen zu symbolisieren wäre, meinte er, eigentlich Geist zu nennen und zugleich Schöpfer der Sprache. G. Heinrici D, August Twesten nach Tage- büchern und Briefen (Berlin 1889) S. 94.

Die Homerdeuterin Demo. 321

Glückliche immer noch giebt, denen der alte Homer in Weihestunden Dinge zuraunt, die kein anderer Sterblicher von ihm zu hören bekommt? Aus der Ilias tönt ihnen das Brausen der von den Bergen oder von Him- melshöhen herabstürzenden Wassergüsse zu Ohren, aus der Odyssee die leid- und freudvolle Mär von der ersten Umschiffung Afrikas, aus dieser oder jener Khapsodie irgend ein anderes geheimnisvolles Leitmotiv, gleich wunderbar anzuhören und von gleich berückendem Zauber. Der gewöhn- liche Sterbliche, wie gesagt, hat dafür nur taube Ohren. So darf ich mich denn getrost der Hoffnung hingeben, dass wenigstens er meine Erinne- rungen an Frau Demo und ihr kosmisches Leitmotiv mit natürlichem In- stinkt an den richtigen Platz zu stellen wissen wird^°®).

100) Der vorstehende Aufsatz war bereits fertig gesetzt, als mir das neueste Heft der Byzantinischen Zeitschrift (IV 1) zuging, worin (gleich vorn) M. Treu den überzeugenden Nachweis führt, dass die oben S. 310 f. erwähnte Briefsammlung von Michael Italikos verfasst ist, welcher in seinen späteren Lebensjahren (nach 1142) Bischof von Philippupolis wurde. Aus der ebenso interessanten als äusserst dankens- werten Untersuchung ergeben sich für die genannte Stelle meines Aufsatzes ein Paar Berichtigungen, die meine Leser nun ohne Mühe selbst werden vornehmen können.

21

XIV.

Profan- und Sakralrecht.

Von

Richard Maschke (Königsberg i. Pr.).

Hält man das Studium und die darauf beruhende Rekonstruktion der Antike in allen ihren Erscheinungsformen für das Kennzeichen derjenigen Disziplin, die man, wenn nur über ihr Wesen Einigkeit besteht, beliebig als Philologie, Geschichte, Archäologie, Altertumskunde, als Wissenschaft oder als Kunst bezeichnen mag, dann darf vielleicht auch der juristische Prak- tiker in diesem Kreise bei einer festlichen Gelegenheit erscheinen, um mit seinem geringen Können den warm empfundenen Dank dafür zu bethätigen, dass er die auch für seinen Beruf bedeutsame Lehre von der Einheit der Antike, von dem inneren Zusammenhange alles geistigen Lebens schon früh von dem Verfasser der Sittengeschichte Roms empfangen hat. Möchte die Geringfügigkeit dessen, was ich zu geben vermag, mit dieser Gesin- nung entschuldigt werden.

Die Beziehungen zwischen weltlichem und Sakralrechte in Altrom gehören zu den wenigst erörterten Gebieten der beteiligten Disziplinen. Man scheut vor Fragen zurück, deren Besprechung zwischen Skepsis und Phantastik zu schwanken pflegte, und vielleicht hat gerade deshalb sich der Eindruck gebildet, dass in dieser Sphäre für eine unbefangene Er- örterung kein Raum sei.

Unter diesen Umständen soll in dem Folgenden der Versuch gemacht werden, das Material über einzelne Punkte gesichtet vorzulegen, in denen die Natur der Überlieferung zu leidlich gesicherten Resultaten vorzudringen gestattet. Dass dies zeitlich zum ersten Male an der Stelle möglich ist, wo überhaupt die rein geschichtliche Überlieferung Roms einsetzt, näm- lich bei der Geschichte des jüngeren Appius, wird man ebenso natürlich wie bedeutsam finden bedeutsam vor allen Dingen für die Charakte- ristik dieses Staatsmannes selber, dessen Tragweite für die politische und nationale Geschichte Roms auch heute noch unterschätzt wird. Davon wird im Folgenden des Näheren zu sprechen sein: wir wenden uns zu-

Profan- und Sakralrccht. 323

nächst einer äusserlicli ziemlich unscheinbaren und doch vielleicht folgen- schwersten Unternehmung zu, welche die Überlieferung ihm zuschreibt, der Publikation der Legisaktionen.

Die Frage, wie diese Klagformeln der Ausgangspunkt der gesamten römischen Kechtsbildung dem rechtsuchenden Publikum, dem sie für die Einleitung eines Prozesses unerlässlich waren, und weiterhin dem in iure fungierenden Beamten ursprünglich zugänglich gemacht wurden, pflegt zumal bei quellenkritischen Untersuchungen ausser Acht zu bleiben. Irre ich nicht, so ist sie der Ausgangspunkt des ganzen Problems. Dass die Formeln in den XII Tafeln nicht gestanden haben, lässt sich aus den er- haltenen Fragmenten noch heute nachweisen und wird auch allgemein an- anerkannt. Weniger einhellig ist die Beurteilung der Beziehungen zwischen Klagformel und Album.^ Es ist ein besonders günstiger Zufall, dass das, worauf es hier ankommt, von den Kontroversen über den Inhalt des Album nicht berührt wird.

Denn so viel ist zunächst klar, dass das prätorische Edikt in der Zeit, von der die Rede ist, noch nicht existiert hat. Das zeigt sowohl die all- gemeine Stellung, welche das Edikt in der Rechtsentwickelung einnahm, als auch wird es bewiesen durch Gaius' ausdrückliche Bemerkung: tunc (nämlich zur Zeit der Legisaktionen) edicta . . . nondum in usu habeban- tur.^) Nun bliebe noch die Möglichkeit, eine durch den Prätor vorgenom- mene Aufstellung der Formeln in albo vorauszusetzen. Allein die dann notwendige Annahme, dass ein prätorisches Album lange vor dem Edikt bestanden hat, findet weder in der inneren Wahrscheinlichkeit noch in den Quellen einen Anhalt. Hiernach entstünde in jedem Falle die Frage, wo die Spruchformeln ursprünglich gestanden haben und in welcher Weise sie damals denjenigen zugänglich gemacht wurden, die sie brauchten. So- mit bleibt gar nichts anderes übrig, als von der völlig gesicherten Über- lieferung Gebrauch zu machen, welche die Legisaktionen mit dem Ponti- fikalkolleg in Verbindung bringt. Ich sehe hier von denjenigen Berichten ab, welche an die flavische Publikation anknüpfen, da die letztere neuer- dings beanstandet ist ^j : es bleibt in der That auch ohne dies genug übrig, um die herrschende Meinung in diesem Punkte zu rechtfertigen.

1) Wlassak, Edikt und Klageform S. 115 f. a. M. Lenel,Edictum S. 13ff. lU. Dazu die einschlägigen Artikel Wlassak's in der neuen Auflage von Pauly's Realencyklo- pädie (deren Sammlung und Sonderausgabe dringend zu wünschen wäre: an der Stelle, au der sie jetzt stehen, gehen sie dem Juristen leicht verloren).

2) Gaius 4, 12; vgl. v. Bethmann-Hollweg, Civilprozess II S. 7 n. 9. Auch Krüger, Geschichte der Rechtsquellen S. 32 bemerkt: „Die Zeugnisse über diese edicta per- petua reichen wohl kaum bis zu Plautus hinauf".

3) Von Seeck, Kalendertafel der Pontifices S. 1—57.

21*

324 Richard Maschke

Valerius Probus') bezeichnet in der Vorrede 1) als die Reihen- folge seiner Siglensammlung :

quod in

praenominibus

legibus publicis

pontificumque monumentis

et in iuris civilis libris

etiamnunc manet. Dem entspricht im Text die Reihenfolge:

in monumentis publicis et historiarum libris sacrisque publicis 2),

in iure civili de legibus et plebiscitis 3),

in legis actionibus (§4),

in edictis perpetuis 5).

Hier entsprechen sich zunächst vollkommen die leges publicae §1,2 und das ins de legibus et plebiscitis § 3 und beide dem Inhalte des dritten Paragraphen. Dasselbe gilt von den iuris civilis libri § 1,4 und dem edictum perpetuum § 5; mit vollem Recht konnte, ja musste Probus als die wesentliche Rechtsquelle fui das Privatrecht seiner Zeit die Edicta angeben. Schwanken könnte man in der Gleichung praenomina 1, l) und monumenta publica et historiae libri sacraque publica. Aber auch hier zeigt ein Blick auf den Inhalt des zweiten Abschnittes, dass die ersten zwölf Siglen in der That praenomina behandeln und dass dann teils mit Angabe der Noten, teils summarisch diejenigen Elemente folgen, welche die Aufschrift monumenta publica vollkommen rechtfertigen. Also in der That korrespondieren und ergänzen sich die Inhaltsangaben der Vorrede und die Überschriften des Textes in genauester Weise: für den dritten Abschnitt § 1, 3 pontificumque monumentis == § 4 in legis actionibus eine Ausnahme statuieren zu wollen, ist nicht leicht angänglich *).

Dass das Pontifikalkolleg an der Entwickelung des römischen Privat- rechtes lange und hervorragend beteiligt war, steht ebenso sicher fest, wie die Annahmen über den Grund dieser Thatsache bei der Geringfügigkeit des Materials wohl für immer auseinander gehn werden.') Dass aber das

1) Dass die Überschriften bei Probus für die Trennung von Spruchformel und Edikt im Album ohne Bedeutung sind, betont Wlassak a. a. 0. S. 1 16 mit Recht: hier werden sie als adminikulierendes Moment für die Annahme verwertet, dass die Spruchformeln in den monumenta pontificum gestanden haben.

2) Mommsen, Berichte der Kgl. Sachs. Ges. 1853 S. 131 ff. und bei Keil Gramm. Lat, IV S. 267 ff. Huschke in lurisprudentiae Anteiustin. quae sup. S. 130 f. liest in praenominibus, publicis pontificumque monumentis et in legibus iurisque civihs libris.

3) Vgl. die Schilderung v. Jhering*s, Geist I S. 295— 30t. 11,2 S. 390 ff. Momm- sen, Staatsrecht S. 188. U^ S. 44. 101. 194 ff. 219 ff. Leist, Geschichte der röm. Rechtssysteme S. 4 ff. und Joers, Geschichte der röm. Rechtswissenschaft

Profan- und Sakralrecht. 325

Kolleg sich in dem Besitze der Spruchformeln befunden hat worauf es hier zunächst allein ankommt , wird entschieden bestätigt durch den einzigen juristischen Bericht, den wir über diesen Gegenstand be- sitzen, den von Pomponius ') : his legibus latis (sc. XII tabularum), coepit . . . necessariam esse disputationem fori, haec disputatio et hoc ins quod sine Scripte venit compositum a prudentibus, propria parte aliqua non appellatur . . . sed communi nomine appellatur ins civile. Deinde ex his legibus eodem tempore fere actiones compositae sunt, quibus inter se homines disceptarent; quas actiones ne populus prout vellet institueret certas soUemnesque esse voluerunt, et appellatur haec pars iuris legis ac- tiones, id est legitimae actiones, et ita eodem paene tempore tria haec iura nata sunt: lege duodecim tabularum, ex his fluere coepit ins civile, ex isdem legis actiones compositae sunt, Omnium tarnen harum et inter- pretandi scientia et actiones apud collegium pontificum erant, ex quibus constituebatur quis quoquo anno praeesset^) privatis et fere populus annis prope centum hac consuetudine usus est.

Diese Darstellung ist, wie man bemerken wird, keineswegs frei von Irrtümern, allein sie ist in sich geschlossen und zusammenhängend und repräsentiert, wer auch immer Pomponius' Quelle gewesen sein mag, zweifellos die juristische Tradition gegen Ende der Kepublik. Dieser Umstand ist von fundamentaler Wichtigkeit: auch wer die Publikation der Legisaktionen durch Flavius für eine Erfindung von Licinius Macer hält und auf ihn und seinen Ausschreiber Livius alle uns erhaltenen Erwähnungen dieser Publikation zurückführt, wird die Authentizität der hier gegebenen Schilderung anerkennen: sie steht nicht bei Livius und kann natürlich auch bei Licinius Macer nicht gestanden haben. Hiermit haben wir eine, von Irrtümern im Detail abgesehen, authentische Be- antwortung nicht bloss der Frage, wer im Besitze der Legisaktionen war, sondern, wenn man Pomponius richtig versteht, auch die Lösung des Problems, auf welchem Wege die Prozessparteien in den Besitz der Formeln

\

1) L. 2 § 5 ff. Dig. de origine iuris 1, 2. Pomponius' Bericht beruht auf zwei Quellen, einer juristischen und einer rein historischen, welche letztere Ennius wenigstens an einer Stelle wörtlich benutzt, freilich ohne ihn zu nennen, nämlich bei dem Berichte über Verginia's Tod: (L. 2 § 24 D. a. a. 0.: protinus recens a caede madenteque adhue Verginiae cruore ad commilitones confugit. Die Verstrennung hinter madente ist noch zu erkennen. Verginiae passt nicht in den Vers. Ennius hat den Namen wohl noch nicht gekannt. Vielleicht schrieb er virgineo cruore, und es mag daraus der Name gebildet sein (Niese).

2) So die Überlieferung. Dass sie unhaltbar ist, wird allgemein anerkannt. Ich vermute praesto esset privatis, übrigens ohne diese Konjektur für besonders sicher zu halten.

326 Richard Maschke

kamen, welche sie zur Beschreituog des Rechtsweges brauchten : natürlich musste auf irgend einem Wege amtlich dafür gesorgt werden, dass der Privatmann, welcher eine Formel brauchte, sie auch erhielt. Es wäre ja sonst die Möglichkeit eines Prozesses vom Zufall oder vom Belieben der Pontifices abhängig gewesen. Wie dem abgeholfen wurde, sagt Pomponius, wenn ich nicht irre, geradezu: es hatte ein alljährlich von dem PontifikalkoUeg delegiertes Mitglied die Formeln auf Wunsch mit- zuteilen. Es liegt in der Natur der Sache, dass der Laie von selbst die Formel nicht oder nicht immer genau bezeichnen konnte, welche er gerade brauchte : es machte sich also ganz von selbst, dass er dem Pontifex seinen Rechtsfall mitteilte und ihn bat, ihm diejenige Formel zu geben, welche nach seiner, des Pontifex, Überzeugung dem eben vorgetragenen Falle entsprach. *) So bildete sich in der einfachsten und natürlichsten Weise von der Welt das vielbesprochene System der pontifizischen Jurisprudenz, das heisst die auf der Interpretation beruhende Fortentwickelung des ältesten Civilrechtes : der erkennende Laienrichter konnte und sollte nichts thun, als den vom Prätor ihm überwiesenen Thatbestand meritorisch feststellen. Das PontifikalkoUeg dagegen, dessen eines Mitglied alljährlich in einer Stellung, die durch die Verhältnisse eine konsultative wurde im Sinne des späteren öffentlichen Respondierens, juristischen Anfragen amtlich gegenüberstand, war im Besitze einer juristischen Tradition, wie niemand sonst in dem gesamten Staatswesen. Hatte der Pontifex in einem einzelnen Falle aus Gründen der Opportunität oder der juristischen Konsequenz eine Legis actio gegeben und damit ^) einen Klaganspruch für statthaft erklärt, der in dem strengen Wortlaut des Zwölftafelrechtes nicht begründet war, so war der Prätor natürlich keineswegs gesetzlich gezwungen, nun auch seinerseits diesen Klaganspruch anzuerkennen und ein iudicium nieder-

1) Analog also war die Stellung des Laien gegenüber dem Prätor in der For- mularklage. Nur dass hier der Prätor die Klage gab oder abschlug, natürlich ohne sich in Debatte einzulassen, und dass jedesmal eine schon bestimmte Klage von ihm verlangt werden. musste. Den Pontifex dagegen in der ersten Periode konnte man fragen, ob und welche Klage er anrate. Eine zweite Differenz behandelt die folgende Anmerkung.

2) Das zweite lag nicht prinzipiell, aber doch meist thatsächlich in dem ersten. Hielt der Pontifex einen ihm vorgetragenen Fall nicht für geeignet zur Klagerhebung, so war er doch, falls der Rechtsuchende sich dabei nicht beruhigen wollte, verpflich- tet, eine etwa verlangte Formel mitzuteilen: amtlich war er nur als lebendige For- melsammlung da, seine konsultative Stellung hatte sich erst ausseramtlich daraus entwickelt. Aber war ein solcher Dissens vorgekommen, so wird der Pontifex dies schon im Interesse seiner Autorität dem Prätor mitgeteilt haben, und ein von ihm nicht gebilligter Klagantrag war derartig diskrediert, dass er regelmässig vom Prätor gewiss nicht mehr berücksichtigt wurde. Dies führte dann von selbst dazu, dass der Laie eine Klage unterliess, welche der Pontifex schon formell missbilligte.

Protan- und Sakralrecht. 327

zusetzen: es liegt aber in der Natur der Sache, dass er es meistens gethan haben wird, denn der Pontifex handelte nicht willkürlich, sondern auf Grund einer überlegenen juristischen Theorie, wie sie ausser ihm nie- mand in Rom besass.

An einer Stelle enthält das hier geschilderte System eine Lücke. Wie der Laie zu seiner Formel kam, haben wir gesehen : aber wie erhielt sie der Konsul oder Prätor in iure? Er brauchte sie, nicht bloss, weil er selbst einige formulare Worte zu sprechen hatte, sondern auch um die Richtigkeit der von den Rechtsuchenden gesprochenen zu kontrollieren. Dass er als Beamter nicht in die Lage versetzt werden durfte, sich die Formeln wie der Laie vom Pontifex zu beschaffen, ist klar, und es muss in irgend einer, uns unbekannten Weise den in Frage kommenden Beamten die Einsicht in die Formeln gewährt worden sein^).

Yon der citierten Auslassung von Pomponius ist der Schlusssatz bisher unbeachtet geblieben, in welchem der Verfasser dem von ihm geschilderten Verfahren eine circa hundertjährige Dauer vindiziert. Um seine Meinung hier richtig zu verstehn, muss man in Betracht ziehn, dass er die Legisaktionen als etwas ansieht, was sich erst allmählich und im Laufe der Zeit aus den XII Tafeln entwickelt habe. Diese Auffassung ist nicht unbedenklich: die Formeln erscheinen als Voraussetzung der in dem Zwölftafelrechte enthaltenen Normen. Indessen kommt es in diesem Zusammenhange nicht auf den Thatbestand, sondern auf dessen Auffassung bei Pomponius an. Den Zeitraum, in welchem nach seiner Meinung die Formeln sich entwickelt haben, giebt er nicht an, und in der That lässt sich eine derartige allmähliche Bildung nicht nach einer Jahreszahl datieren. Von dem Abschlüsse dieser Entwickelung rechnet er die von ihm mitgeteilte und hier erörterte Mitwirkung an der Prozess- fuhrung. Diese letztere nun soll c. 100 Jahre gedauert haben. Rechnet man in Pomponius' Sinne auf die Bildung der Formeln etwa ein halbes Jahrhundert, so würde die jährliche Delegation aus dem gremium der Pontifices ungefähr von 400—300 gedauert haben ^). Also um 300 hörte dieser Zustand auf; was ihm ein Ende machte, ist klar: die Publikation der Legisaktionen. Dieser Vorgang, und nur dieser, konnte die jährliche Delegierung eines Pontifex zur Mitteilung der Formeln zwecklos machen : dieser musste es aber auch.

Dass dies wirklich Pomponius' Meinung und nicht etwa in seine Worte hineininterpretiert ist, zeigt, was in seiner Feststellung unmittelbar folgt : et

1) Vgl. Voigt, Leges regiae S. 100 Anm. 227. S. 104 Anm. 245. S. 122 Anm. 297. Recht der XII Tafeln I S.135.

2) Dies ist bei Marquardt, Staatsverwaltung III S. 3l7f. übersehen.

328 Richard Masohkb

fere populus annis prope centum hac consuetudine usus est Postea cum Appius Claudius proposuisset et ad formam redegisset has actiones, Gnaeus Flavius, scriba eius, libertini filius, subreptum librum populo tradidit et adeo gratum fuit id munus populo, ut tribunus plebis fieret et Senator et aedilis curulis.

Die Annahme, Pomponius habe zwar den übrigen Bericht aus Varro, die Notiz von der flavischen Publikation aber aus Livius entlehnt, den er als gebildeter Mann gelesen haben müsse, ist, soweit Flavius in Frage kommt, unhaltbar. Denn jene Mitteilung steht in notwendigem Zusammen- hange mit der gesamten Darstellung: dass Pomponius, um sie mit Livius in Einklang zu bringen, eine ganze Reihe von Thatsachen und An- schauungen einfach aus der Luft gegriffen habe, wird gewiss niemand annehmen wollen. Es ist auch sonst nicht die Art der römischen Juristen, dass sie ihre Darlegungen aus zufälligen Lesefrüchten entnehmen oder be- reichern. Entscheidend aber ist der Umstand, dass Pomponius' Mitteilung der von Livius in zahlreichen Punkten widerspricht, bei denen an eine Änderung durch den Juristen selbst gar nicht zu denken ist. Bei Lici- nius-Livius publiziert Flavius die Formeln nach seiner Ernennung zum und offenbar als Ädil, bei Pomponius ist diese Ernennung eine Folge seiner Publikation wie bei Yalerius-Plinius. Bei Licinius hat er das Tribunat vorher bekleidet, bei Pomponius nachher. Bei Licinius ist jeder Zusammen- hang von Flavius mit Appius verwischt*), bei Pomponius ist dieser Zu- sammenhang da, Appius sogar der thatsächliche Urheber der Kompilation, allein Flavius hat sie ihm gestohlen ; anscheinend ein misslungener Ver- such, die feststehende Überlieferung von der appisch-flavischen Publikation mit der landesüblichen Auffassung von Claudius' angeblich antidemokra- tischen Tendenzen in Einklang zu bringen.

So sind also die Differenzen zwischen Licinius-Livius und Pomponius derart zahlreich und einschneidend, dass die Annahme, der letztere habe aus dem ersteren geschöpft, unmöglich wird. Die Authentizität von Pom- ponius sowie des wesentlichen Inhaltes seiner Darlegung dürfte damit gerechtfertigt, die Frage nach der Publikation der Legisaktionen prinzipiell damit gelöst sein.

. Es ist gewiss kein Zufall, dass Pomponius' Auffassung von der relativ späten Bildung der Formeln sich, wenn auch zur Karrikatur verzerrt,

1) Offenbar weil Licinius nicht zugeben konnte, dass eine so eminent demokra- tische Publikation von einem Manne angeregt sein konnte, den er als konservativen Heisssporn gezeichnet hatte. Yalerius, der hierin richtiger sah, betonte den Zusam- menhang sehr deutlich, Liv. 9, 46, 10 ff. Die Quellentrennung bei Livius hat Seeck m. E. im wesentlichen zutreffend erkannt und durchgeführt.

Profan- und Sakralrecht. 329

in der bekannten Parodie des römischen Rechtes wiederfindet, welche Cicero in der Rede für Murena mit seinem Nationalstolze für vereinbar hielt ^). Er giebt sich den Anschein zu glauben, dass das Pontifikalkolleg aus Ärger über Flavius'^) Fastenpublikation und um trotzdem noch bei dem Prozesse die Hand im Spiel zu haben, die Legisaktionen erfunden habe. Offenbar konnte dieser Witzversuch nicht gemacht werden, wenn Cicero nicht dieselbe Anschauung wie Pomponius vorschwebte, dass die Legis- aktionen erst nach der Zwölftafelgesetzgebung entstanden seien. Diese Anschauung eignete der Quelle, die Pomponius wie Cicero vorlag. Aber mehr darf man aus der Parodie des letzteren nicht schliessen, vor allem sie nicht ernsthaft nehmen. Die wirkliche Ansicht Ciceros über die Sache finden wir, wie natürlich, in dem Abrisse der römischen Geschichte, welche einen Teil seiner Bücher de re publica ausmacht. Dass wie überhaupt seine Nachrichten über die ältere römische Geschichte zu den besten gehören, so insbesondere seine Darstellung in de re publica nach einer relativ alten und reinen Quelle gearbeitet ist, gehört zu den feststehen- den Thatsachen unserer Wissenschaft. Es ist also von vorne herein recht unwahrscheinlich, dass gerade in diese Schrift Interpolationen der suUani- schen Annalistik eingedrungen sein sollten. Seine Quellen deutet der Verfasser selbst ah: es ist wesentlich Polybius') und Yarro"*), und die erhaltenen Fragmente bestätigen dies. Daneben ist die Stadtchronik '^j, die libri pontificii augurales ^) und anderes benutzt. Hier also gab Cicero die landläufige Darstellung von der Publikation der Fasten und Legis- aktionen durch Flavius: Atticus machte ihm darauf den Einwand, dass die Fasten ein Teil der XII Tafeln, also ohnedies bekannt gewesen seien, ihre Publikation durch Flavius sei demnach unverständlich'). Wenn Cicero darauf die Antwort schuldig bleibt, so mag es ihm einigermassen zur Rechtfertigung gereichen, dass es uns Modernen im Grunde nicht anders geht.

1) Cicero pro Murena 12, 35flf.

2) Flavius' Erwähnung ist wohl eine Glosse. Es kam Cicero einerseits wie im- mer in seinen Reden darauf an, möglichst ungelehrt zu scheinen, andererseits jenen Schreiber als ein so armseliges Subjekt hinzustellen, dass man nicht einmal seinen Namen wüsste oder doch behalten wollte.

3) Cic. de re publ. II, 23 f. Vgl. I cap. 24 mit Pol. VI, 5 f. I cap. 29. Pol. VI, 3

4) Epist. ad Atic. 4, 1 4 cf . 6, 2. Er liess sich Varros Schlitten von Atticus schicken, weil er sie für die libri de republica braucht.

5) a. a. 0. II, 28. 1, 25.

6) a. a. 0. I, 62. Auch Ennius wird wiederholt citiert.

7);^Cic. ad Att. VI, 1, 8 u. 18. Mommsen, Chronologie S. 31. Cicero entschuldigt sich mit der Berufung auf die Vulgata: nee vero pauci sunt auctores. Eben dieser Umstand steht der Abschwächung seiner Worte bei Seeck a. a. 0. S. 53 Anm. 53 ent- gegen.

330 Richard Maschkb

Ich versuche auf einem scheiDbaren Umwege der Sache näher zu kommen.

Dass Valerius bei Plinius *) nur eine Publikation der Gerichtstage durch Flavius berichtet, könnte auf eine Abkürzung der Vorlage durch Plinius oder seine Quelle zurückgeführt werden. Allein wahrscheinlicher ist doch, dass die Erwähnung der Legisaktionen schon in der ursprünglichen Quelle fehlte, und die Möglichkeit nicht abzuweisen, dass ein solcher Bericht auch Cicero vorlag, als er in der Rede pro Murena seinem Ingenium freien Lauf liess. An sich wäre es das Natürliche, dass jede rein historische Quelle von Flavius' Publikationen, wenn überhaupt etwas, doch nur den Teil erwähnte, der das grosse Publikum interessieren konnte, und das waren einzig und allein die Spruchtage. Licinius, der für Flavius als Parteigenossen eingenommen war, zog die juristische Litteratur zu Rate, um die Verdienste seines Schützlings möglichst in ihrem ganzen Umfange darzulegen. Denn vergessen wir es nicht : die ganze Frage gehörte schon für die sullanische Zeit im Wesentlichen der Rechtsgeschichte an! Nicht bloss dass die flavische Sammlung um 200 durch das vollständigere ins Aelianum ersetzt war: das ganze System, dessen integrierenden Be- standteil diese Formeln bildeten, hatte einem völlig anders basierten, der Legisaktionsprozess dem Formularverfahren Platz gemacht, das schon zu Ciceros Zeit nahezu souverän den Markt beherrschte. Wenn also die Annalisten der suUanischen Epoche diese Dinge meist nicht mehr erwähnten, so hatten sie, abgesehen von dem schon Bemerkten, den sehr guten Grund dazu, dass die ganze Prozessordnung, der jene Publikation diente, zu ihrer Zeit eine bereits auf wenige Fälle beschränkte Rarität war und man in diesen wenigen Fällen die älische Sammlung, die voll- ständiger war, zu Rate zog. Dies auch der Grund, weshalb ich eine Erfindung der flavischen Publikation durch einen späten Annalisten nach dem Zusammenhange der Dinge von vorne herein für ausgeschlossen halte : Licinius hatte von selbst schwerlich das juristische Wissen und schwer- lich diejenige praktische Anschauung von der Bedeutung der Formeln im Legisaktionsprozess, welche auf eine derartige Kombination hätte führen können. Wie das damalige Publikum über jene Formeln dachte, zeigt Cicero, wo er sich zu seinem Sprecher macht, in der Rede für Murena: man sah darin nur noch einen lächerlichen Zopf.

So mochte also die rein geschichtliche Tradition, soweit sie nicht besonders ausführlich auf Flavius einging, das Hauptgewicht auf den kleineren und unwichtigeren Teil der Publikation legen, auf das Verzeich-

1) Die Quellentrennung bei Plinius H. N. 33, 6, 17 ff. ist im Philologus 1895 S. 153 ff. von mir versucht worden.

Profan- und Sakralrecht. 331

nis der Spruchtage. Hier nun war Atticus' Frage, worin denn eigentlich Flavius' Verdienst bestanden habe, ganz gerechtfertigt. Denn die Spruch- tage standen allerdings im Zwölftafelgesetze, wie der Kalender überhaupt. Man konnte darauf antworten, Flavius habe die inzwischen eingetretenen Veränderungen berücksichtigt und ausser der Aufstellung am Markte durch buchmässige Verbreitung des korrekten Exemplars sich verdient gemacht. Indessen war das alles relativ gering im Verhältnis zu dem Aufsehn, welches nach der einstimmigen Überlieferung jene Edition hervorrief. Das Wesent- liche lag eben in den Formeln, nicht in dem angehängten Fastenver- zeichnisse. Wer das nicht erwog, konnte, ja musste zu den Bedenken kommen, die Atticus ausspricht').

Was den Zeitpunkt der Publikation anlangt, so wird man wohl als sicher annehmen dürfen, dass ein Ädil dazu nicht befähigt und nicht befugt war. Die Formeln gehörten nun einmal dem Pontifikalkolleg und standen in ihren Denkschriften : nur ein offizieller Beschluss dieser selben Behörde konnte sie freigeben. Nun war gerade um das Jahr 300 die folgenschwere Vermehrung des Kollegiums um vier plebeische Mitglieder durchgesetzt worden: die erste Kraftprobe dieser Umgestaltung war die flavische Publikation. Weshalb man gerade ihm überliess, sie zu redigieren, ist nicht bekannt^). Jedenfalls war er der gegebene Vermittler zwischen Appius Claudius und den neu ernannten Pontifices. Dass Appius die Seele des ganzen Unternehmens war, bezeugt die Tradition einstimmig, und wir erkennen auch darin die weitblickende Grösse des Mannes, der jede Chance für seine Pläne auszunutzen wusste. Wahrscheinlich ist auch das ogulnische Gesetz in Hinblick darauf von ihm unterstützt worden. Die Einführung des Plebejats in das Pontifikalkolleg hat ausser der er- wähnten noch eine ähnliche und gleich folgenschwere Konsequenz gehabt : den Beginn der gleichzeitig mit den Ereignissen geführten römischen Stadt- chronik, die damals und wahrscheinlich unter dem Einflüsse der Umgestal- tung des PontifikalkoUegs begonnen hat. Von den der vnssenschaftlichen Detailforschung angehörigen Gründen für diese Vermutung ist Einzelnes

1) Cic. de orat. I, 41 § 185 enthält neben den bereits behandelten Stellen nichts Neues.

2) Flavius zum Pontifex zu machen halte ich für unstatthaft, da in diesem Falle neben seinen übrigen Ämtern auch dieses überliefert sein müsste. Man könnte an- nehmen: die Weihinschrift am Konkordientempel enthielt das Pontifikat noch nicht, da sie 304 abgefasst wurde, aus dieser Inschrift aber ist die erhaltene Ämterreihe ge- flossen. Diese Antwort würde für die historische Tradition zutreffen : sie ist im höch- sten Grade unwahrscheinlich für die juristische. Diese wurzelt in der selbständigen und fortgesetzten Überlieferung des PontifikalkoUegs, und so gut wie Coruncanius hätte hier auch Flavius als einer der ersten plebeischen Pontifices und Juriskonsuiten er- wähnt werden müssen.

332 Richard Maschke

an anderer Stelle erörtert'): in diesem Zusammenhange genügt es, auf die Thatsache hinzuweisen, dass der mythische Charakter der römischen Über- lieferung eben an dieser Stelle aufhört: mit der appisch-pjrrhischen Zeit fängt die historische Epoche Roms an. Was sollte diesen Unterschied zu Wege gebracht haben, wenn es nicht die Stadtchronik war? Etwa der Zufall der Überlieferung? Es wäre mehr als seltsam, wenn unsere Quellen die echte Chronik, falls sie schon für die frühere Zeit existierte, ein- stimmig ignoriert hätten. Halten wir damit zusammen, dass Appius' Rede gegen Pyrrhus die erste war, welche buchmässig herausgegeben auf die Nachwelt kam, dass seine Sprüche die erste publizierte Kunstpoesie darstellten, dass er das erste juristische Buch geschrieben hat, welches die römische Jurisprudenz kennt, so ordnen sich all diese Detailangaben zu einem grossen und folgenschweren Resultat: durch Appius' umfassende und für jene Zeit geradezu universale Thätigkeit wurde die Schrift in den Dienst der litterarischen Produktion gestellt und damit die römische Litteratur geschaffen : die poetische und historische Nationallitteratur, Rhe- torik, Jurisprudenz sind alle gleichmässig teils von ihm allein, teils mit seiner Hilfe begründet worden.

Damit hängen offenbar auch seine orthographischen Reformen zu- sammen: solange die Schrift einen esoterischen Charakter hatte, wäre niemand darauf gekommen, weil kein Bedürfnis dazu vorlag. Von diesem Standpunkte fällt ein neues Licht auf die flavische Publikation. Gegen ihre Möglichkeit hat unter dem Beifalle Neuerer Hartmann ^) eingewendet: „Nun sollte man denken, dass es für die Plebejer, um die Beschaffenheit der künftigen Tage kennen zu lernen, ein sehr einfaches Mittel gegeben habe; sie brauchten nur an jedem gegenwärtigen Tage aufzuschreiben, ob an demselben Volksversammlung oder Gerichtsverhandlung war; hatten sie das einige Jahre hindurch gethan, so gelangten sie ja ganz von selbst zu einem Kalender, welcher die Beschaffenheit aller, auch der künftigen Tage des Jahres im voraus angab. Wie war es denn möglich, dass sie, statt zu diesem höchst einfachen Mittel zu greifen, fort und fort bei den Pontifices anfragten und jahrhundertelang in einer steten, drückenden Ab- hängigkeit von denselben blieben?" Seeck fagt hinzu : „Dasselbe gilt auch von den Formeln der legis actiones, die man täglich auf dem Markte aussprechen hörte und sich beliebig notieren konnte." Allein ich fürchte, dass diese Deduktionen auf einem Anachronismus beruhen. Mit dem- selben Rechte könnte man fragen, weshalb die Zeitgenossen Homers oder

1) Philologus a. a. 0. S. 159 ff.

2) Hartmann, Der römische Kalender S. 117.

3) a. a. 0. 8.3. Anm. 1.

Profan- und Sakralrecht. 333

doch ihre nächsten Nachkommen nicht die Epen aufgeschrieben haben. Wie viele Irrtümer und Unbequemlichkeiten hätten sie sich damit erspart ! Die Schrift war in Rom vor Appius zwar bekannt, aber ihre Anwendung beschränkte sich, abgesehen von Testamenten und ähnlichen solennen Auf- zeichnungen, regelmässig auf amtliche und speziell sakrale Vorgänge. Sie für litterarische Zwecke benutzt oder eigentlich eingeführt zu haben, ist eines von Appius' unsterblichen Verdiensten : es wird dadurch nicht kleiner, dass uns seine Erfindung wie alle grossen, nachdem sie gemacht sind, als etwas selbstverständliches erscheint. Sie war, wie natürlich, das Funda- ment für alles, was römische Poesie und Wissenschaft späterhin geleistet haben. Speziell die Jurisprudenz datiert von dem Tage jener Publikation. Es liegt auf der Hand, dass eine wissenschaftliche Behandlung des Rechtes ohne den Besitz der Formeln nicht möglich war, denn diese enthielten die eigentliche Ausgestaltung der Rechtsidee. Dem entspricht es voll- kommen, dass unmittelbar mit der Freigabe der Formeln ihre wissen- schaftliche Bearbeitung wenigstens anfängt. Appius selbst schrieb in seinem später verloren gegangenen liber de usurpationibus die erste roma- nistische Monographie'), Tib. Coruncanius, der erste plebeische Ober- pontifex, war auch der erste, welcher öffentlich juristischen Unterricht erteilte. Ein solcher Vorgang hat offenbar die Veröffentlichung der For- meln zur Voraussetzung: es wäre sonst dasselbe, als wenn jemand ein romanistisches Kolleg resp. Seminar abhalten wollte, ohne dass er seine Zuhörer im Besitz des Gaius und der Digesten wüsste.

Die Edition der Formeln war also ein wissenschaftliches Ereignis. Ein politisches schwerlich in dem Sinne, wie es die von Hartmann und anderen vertretene Richtung will. Man stellt sich das Verhältnis des Publikums*) zu dem Pontifikalkolleg als eine drückende Abhängigkeit des ersteren vor und nimmt an, dass dieser durch die flavische Publikation ein Ende gemacht sei, wobei es dann allerdings auffällig bleibt, dass nicht schon früher ein Retter aus der Not sich gefunden hatte. Allein in Wirk- lichkeit ist der Sachverhalt ein völlig anderer!

Wird denn heute ein Laie durch das Studium der Landrechte bezw.

1) Appius' juristische Bedeutung wird bei Livius zuerst 10, 22, 7 zu 296 er- wähnt, ohne dass in dem Vorhergehenden irgend eine Veranlassung dazu läge. Hier auch erfolgt seine Wahl zum Prätor. Die flavische Publikation war damals wohl schon geschehen. Sie dürfte in den Zeitraum zwischen 300 und 296 fallen. Weitere Gründe dafür im Folgenden.

2) Hartmann sagt sogar der Plebeier. Aber haben denn nicht auch Patrizier vor Gericht zu thun gehabt? Übrigens ist, wie bekannt, auch für das künftige Reichs- civilrecht der Titel : Bürgerliches Gesetzbuch in Aussicht genommen (sicherlich faute

rde mieux).

334 Richard Maschee

des gemeinen Rechtes und der Civilprozessordnung zur Anstellung und sachgemässen Durchführung einer Klage in den Stand gesetzt? Jeder Praktiker kennt die aus dem Gegenteile entspringenden, abnormen Schwierig- keiten des Parteiprozesses, zumal innerhalb der unteren Stände, und diese Schwierigkeiten würden noch grösser sein, wenn die Einzelrichter nicht mit Recht bemüht wären, den Parteien sachgemässe Ausführungen und sogar Anträge zu suppeditieren 130 C.-P.-O.)0* ^^^ so konnte und sollte auch in Rom, wo die Rechtsverfolgung übrigens noch viel schwieriger gewesen sein muss, als bei uns, die Publikation der Formeln einen juristischen Beirat nicht entbehrlich machen.

Welches Recht haben wir denn, hier von einer Abhängigkeit zu reden? Soll es ein Vorwurf für das Pontifikalkolleg sein, dass es an jedem Ge- richtstage unentgeltlich aus dem reichen Schatze des dort aufgehäuften Wissens und der Erfahrung juristischen Rat erteilte ? Wenn das Succum- benzgeld der sachfälligen Partei vielleicht deshalb in die geistliche Kasse floss*): der Partei konnte es doch ganz gleichgiltig sein, ob ihr sacra- mentum der geistlichen oder wie später der Staatskasse zufiel. Will man die Notwendigkeit, einen Juristen zu konsultieren, eine Abhängigkeit nennen, so mag man es thun: es ist dieselbe Abhängigkeit, in der sich noch heute, formell mindestens vor dem Kollegialgerichte und sachlich in jedem halbwegs verwickelten Falle der prozessierende Laie gegenüber seinem Rechtsbeistande befindet. Aber dann möge man nicht glauben, dass dieser Abhängigkeit zu irgend einer Zeit und durch irgend ein Mittel in Rom oder sonstwo ein Ziel gesetzt worden ist oder gesetzt werden kann. Die Ordnung der Dinge in dem damaligen Rom drückend zu finden, liegt auch nicht die leiseste Veranlassung vor: sie war so liberal, dass sie es in höherem Masse nicht gut sein konnte. Das Publikum hatte gar kein Interesse daran, diesem Zustande ein Ende zu machen, und selbst wenn der Gebrauch der Schrift damals so üblich gewesen wäre, wie er es nicht war, so wäre schon deshalb kein Privatmann auf den Gedanken gekommen, sich durch tägliches Aufschreiben in den Besitz der Formeln zu setzen, weil niemandem daran gelegen war.

Was erreicht wurde und erreicht werden sollte, war etwas anderes. Bis dahin musste, wer sich juristisch bethätigen wollte, Mitglied der höchsten kirchlichen Behörde sein. Es ist bekannt, dass dieser Stand bis

1) Abgesehen davon, dass eine grosse Anzahl von Klagen zu Protokoll des Ge- richtsschreibers erhoben, d. h. thatsächlich von diesem verfasst wird.

2) Wahrscheinlich ist das letztere nicht einfache Wirkung des ersteren, sondern Beides die Konsequenz prähistorischer Verhältnisse, in denen Pontifikat und Recht- sprechung in näherer Verbindung standen. In historischer Zeit durfte der Zusam- menhang, wie im Text augegeben, sich gestaltet haben.

Profan- und Sakralrecht. 335

in die sullanische Zeit an der AusgestaltuDg des Rechtes den ehrenvollsten Anteil genommen hat : so gross war die Nachwirkung der von Alters fest- stehenden Tradition. Allein diese Verbindung war, wenn auch keineswegs zufällig, doch jetzt nicht mehr notwendig. Seit der Publikation der For- meln konnte, wer immer Neigung und Fähigkeit zur Jurisprudenz hatte, sich diesem Studium widmen, und das so mehr, da Coruncanius eben jetzt in öffentlicher Lehre die Wissenschaft des römischen Rechtes be- gründete. Das Pontifikalkolleg gab jetzt seinen amtlichen Anteil an der Justizverwaltung und damit ein Recht auf, das für diese Behörde nicht bloss einen hohen idealen, sondern auch einen materiellen Wert hatte. Denn wenn die geistliche Kasse früher das Succumbenzgeld der unter- legenen Partei zugleich als Äquivalent für die von ihr geleistete Mühe- waltung erhielt*): unter welchem Rechtstitel hätte sie es jetzt noch in Anspruch nehmen können? Schon bei Varro^) gehört das Succumbenz- geld der Staatskasse, und Gaius^) scheint es nicht für nötig gehalten zu haben, den abweichenden Rechtszustand der Vorzeit zu erwähnen. Jetzt entliess die Behörde das von ihr mit Liebe gehegte Schosskind der Rechts- pflege aus ihrer Obhut und sprach es mündig: der nunmehr und gleich- zeitig erfolgte Verzicht auf die Prozessgebühr ist das Symbol dieser wahr- haft patriotischen Umsicht und gereicht dem Kollegium ebenso zur Ehre, wie dem Manne, der die treibende Macht dieser Bewegung war.

Es ist ein seltener und glücklicher Zufall, dass wir die formale Technik, mit der Appius sein Ziel zu erreichen wusste, bei richtiger Deutung der Überlieferung noch zu erkennen vermögen. Zwar ob zur Publikation der Formeln ein vorhergehendes Gutachten oder gar ein Be- schluss des Pontifikalkollegs eingeholt wurde, lässt sich nicht mehr fest- stellen; zweifellos aber ist in einer dieser beiden Formen seine Mitwirkung bei der nunmehr neugeregelten Behandlung der Succumbenzgelder vor sich gegangen. Mit dem formellen Verzichte auf die Prozessbusse hörte naturgemäss auch deren Hinterlegung bei jener Behörde auf, und es ent- stand in Bezug hierauf ein Vacuum, für dessen schleunige Ausfüllung gesorgt wurde. Es wurde damals durch ein tribunizisches Gesetz, die z. T. noch im Wortlaute erhaltene lex Papiria^), eine neue Behörde vielleicht mit Benutzung schon vorhandener Einrichtungen geschaffen

1) Festus s. sacramentum . . . consumebatur in rebus divinis; nach der unge- schickten Motivierung zu urteilen, eine Kombination, aber eine richtige.

2) Varro de L L. V, 180 M . . . victi ad aerarium redibat.

3) GaiuslV §13: in publicum cedebat,

4) Festus sub. sacr. S. 344 M. quicumque praetor posthac factus erit, qui inter cives ins dicat, tres vires capitales populum rogato hique . . . sacramenta exigunto iu-

336 RlOHABD Maschke

und mit Einziehung des sacramentum beauftragt, die lUviri capitales Diese Beamten sind zum ersten Male um, bezw. kurz nach 300 gewählt worden*), das Gesetz selbst also fast wenn nicht völlig gleichzeitig mit der lex Ogulnia. Es liegt nahe anzunehmen, dass durch den Pairsschub der lex Ogulnia eine im Schosse des Pontifikalkollegs vorhandene Oppo- sition gebrochen werden sollte, und es ist sicherlich kein Zufall, dass eines der ersten Mitglieder der neuen Behörde Appius' bei der Publikation der Formeln benutztes Werkzeug, Flavius gewesen ist')

Voraussichtlich war es auch Appius, der die nunmehr freigewordenen Kräfte im Schosse des Pontifikalkollegs auf neue Bahnen lenkte : die theo- retische Kechtskultur und die nationale Geschichtschreibung. Um diese Zeit begann, wie schon erwähnt worden ist, die offizielle Stadtchronik. Die Bedeutung dieser Thatsache lässt sich wohl fühlen, aber nicht dar- stellen. Appius selbst ging, ohne je Mitglied jener Behörde gewesen zu sein, seinen Zeitgenossen mit einer juristischen Monographie voran. Damit war auch praktisch die Eechtsforschung über den Kreis jenes Kollegiums ausgedehnt, und eben darin lag die Bedeutung der von ihm angeregten Neuerung, dass er das Monopol der sakralen Behörde zur theoretischen Ausgestaltung des Rechtes durchbrach und das letztere damit in Ver- bindung mit dem breiten Strome des öffentlichen Lebens brachte.

Die folgenschwere Umgestaltung des Legisaktions- zum Formular- verfahren, die mit der des Civilrechtes zum prätorischen sich aufs Engste berührt und die das römische Kecht zu seiner weltgeschichtlichen Mission erst befähigte, wäre unmöglich gewesen, wenn nicht damals das kirch- liche Aufsichtsrecht durch das weltliche wäre ersetzt worden.

dicantoque eodemque iure siinto, uti ex legibus plebeique scitis exigere iudicareque esseque oportet. Die Bezeichnung des praetor qui inter cives ius dicat mag auf einem ungenauen Keferat von Festus bez. einer späteren Modernisierung des Gesetzes, die nach der Verteilung der Kompetenzen zwischen den Prätoren ja nötig war, beruhen. Bekanntlich werden übrigens Urkunden von römischen ebenso wie von griechischen Profanschriftstellem fast nie wörtlich citiert.

1) Liv. epit. 11: triumvirl capitales tunc primum creati sunt creare ist der tech- nische Ausdruck für Volkswahl, und es ist m. E. ausgeschlossen, dass Livius den Ausdruck hier anders gebraucht hat.

2) Auf Livius' oder gar Macer's Chronologie Liv. 9, 46 wird man wohl keinen besonderen Wert legen wollen. Ygl. Mommsen, Staatsrecht II «, 1 S. 594 f.

XV. Der Akanthus der Griechen und Eömer.

Von

Franz Olck (Königsberg i. Pr.).

Das Aufkommen und die weitere Entwickelung des wichtigsten und noch heute so vielfach angewandten Pflanzenmotivs in der dekorativen Kunst, des sog. Akanthusblattes , hat neuerdings besondere Beachtung gefunden. So hat der Franzose Guillaume') die Entwickelung desselben besonders in der römischen Kunst zu verfolgen versucht. Einige vor- treffliche Beispiele aus dem Altertum in Heliographie giebt zu diesem Zwecke Ebe^). Obwohl er (a. 0. S. 5.) glaubt, dass das Systematische, Unpersönliche der Kunstgeschichte nur für die Anfänge derselben be- zeichnend sei und eine eindringendere Forschung das geniale Eingreifen des Einzelnen dafür einsetze, so will er doch die Erfindung des Akanthus- ornaments nicht an den Namen des Kallimachos knüpfen, sondern mit einer späteren Spezialität des korinthischen Blätterkapitäls in Zusammen- hang bringen. Weiter als er war schon Bötticher^j in der Verwerfung der Tradition von der Einführung des Akanthus durch Kallimachos, welche wir bei Vitruv finden, gegangen, indem er meinte, dass es eine vergebliche Mühe sei, überhaupt das Akanthusblatt der Kunst auf das natürliche zurückführen zu wollen. Eingehender ist unsere Frage, wenigstens für das klassische Altertum, von Andel"*) in einem kurzen, aber sehr lehr- reichen Schriftchen mit mehreren (20) trefflichen Abbildungen in Holz- schnitt behandelt. Zwar glaubt auch er, dass die Zeit der Einführung des Akanthus uns unbekannt sei (S. 4), doch erscheint ihm das Blatt auf den uns erhaltenen ältesten Denkmalen nach dem Vorbilde der wirk- lichen Pfianze umgebildet. Dagegen sucht Riegl in seinem von der Kritik äusserst beifällig aufgenommenen Werke '^) unter Ausschluss litterarisch-

1) E. Guillaume s. Acanthus bei Daremberg et Saglio, Dictionnaire des ant. gr. et rom., T.I, 1877. 2) G. Ehe, Akanthus, Lief. I, 1883. 3) K. Bötticher, D. Tektonik d. Hellenen P 1874, S. 344. 4) Anton Andel, D. Geschichte des Akanthus- blattes, Graz 1891, im Selbstverläge. 5) Alois Riegl, Stilfragen, 1893, S. 208f.

22

338 Feanz Olck

historischer Gesichtspunkte durch rein stilistische Analyse den Nachweis zu erbringen, dass das Akanthusornament ursprünglich, bei seinem Auf- treten zur Zeit des peloponnesischen Krieges (S. 177) oder etwa 430 450 V. Chr. (S. 196), nichts anderes sei als eine ins plastische Rundwerk über- tragene Palmette, so dass das volle Akanthusblatt en face der vollen Palmette und das den Stengel der sog. Akanthusranke in halber d. h. in Profilansicht umkleidende Akanthusblatt der Halbpalmette entspreche (S. bes. S. 240); später sei eine Rückübertragung der plastischen Palmette ins Flache unter malerisch-perspektivischen Gesichtspunkten, wie sie sich auf den gemalten Lekythen finde, erfolgt (S. 221). Erst der Akanthus des bald nach 334 v. Chr. vollendeten Lysikratesdenkmals (Abbild, bei Ebe) und an Grabstelen-Akroterien früherer Dezennien des 4. Jahrh. v. Chr. zeige eine unleugbare Ähnlichkeit mit dem Blatt des Acanthus spinosus (S. 215); demnach sei dieses Ornament auch erst später als Akanthus bezeichnet worden (S. XV; vgl. 231). So werde der Akanthus in einen normalen, ornamentgeschichtlichen Entwickelungs-Prozess eingereiht; denn die Palmette sei wiederum ursprünglich ein Ausschnitt aus der Rosette oder halbe Vollansicht der Lotusblüte (S. 59 f.) und die Rosette die Lotus- blüte in der Vollansicht (S. 52 f.). So berührt sich Riegl vielfach mit Goodyear"), der in jeder antiken Ornamentik Lotusbilder erkennen will. Was den Akanthus betrifft, so giebt Dümmler^) Riegl Recht, jedenfalls seien dessen vom Erechtheion und dem Kapital von Phigalia geschöpften Gründe sehr beachtenswert; auch Karl Frey*) hält den auf Grund der Denkmäler geführten Beweis, dass das Aufkommen des Akanthus keine vorhandene Pflanzenspecies voraussetze, für überzeugend. Doch entbehrt die Beweisführung Riegls meines Erachtens derjenigen Sicherheit, die uns bestimmen könnte, den historisch un- verfänglichen Bericht Vitruvs zu verwerfen, abgesehen viel- leicht von dem poetisch ausgeschmückten Geschichtchen, wonach Kalli- machos durch den Anblick eines von Akanthusblättem überwucherten Korbes auf dem Grabe einer korinthischen Jungfrau zu seiner Erfindung angeregt sei. Daher denn auch Furtwängler, obwohl er^) sich gegen die Erfindung des korinthischen Kapitals durch Kallimachos erklärt hatte, nun- mehr^") an dieser festhält, wenn er auch Riegl darin beipflichtet, dass das Akanthusornament durch eine Entwickelung der Palmette entstanden sei, so dass muss man folgern Kallimachos nicht den Akanthus,

6) W. H. Goodyear, The Grammar of the Lotus, 1891. 7) Berl. Philol. Wo- chenschr. 1894, Sp. 244. 8) Deutsche Litteraturzeitung 1894, Sp. 853. 9) Ad. Furtwängler, D. Sammlung Sabouroff, 1883 87, Bd. I. Einl. zu d. Skulpturen, S. 9. 10) Ders., Meisterwerke d. griech. Plastik, 1893, S. 201, A. 1.

Der Akanthus der Griechen und Römer. 339

sondern eine Art akanthisierender Palmette in die Kunst eingeführt hätte. Wie aber dann schon Mys, als Verfertiger der Schildreliefs an der zwischen 445 und 440 errichteten Statue der Athena Promachos^') ein jüngerer Zeitgenosse des Pheidias'^), nach Propertius (IV 8, 14) wegen seiner Dar- stellung des Akanthus habe berühmt sein sollen, ist nicht einzusehen. Fast das Gleiche gilt betreffs des Athena-Tempels zu Tegea, von dem uns Pausanias (Vm 45, 4 u. 5) berichtet, dass er nach dem Brande im J. 395 von Skopas wieder aufgebaut sei und zwischen einer dorischen und ionischen Säulenordnung eine korinthische gehabt habe. Oder sollte das korinthische Kapital an diesem schönsten und grössten Tempel der Peloponnes weniger ausgebildet gewesen sein als an der Tholos in Epidauros''), welche nach Pausanias (II 27, 3 u. 5) ein Werk des Polykleitos und zwar wohl des um die hundertste Olympiade blühenden (Brunn a. 0. I 148) jüngeren Polykleitos war?

Doch gehen wir auf die Gründe Riegls näher ein. Besonders betont er, dass unmöglich ein Unkraut in der griechischen Kunst eine ähnliche Rolle gespielt haben könne wie der Lotus in der ägyptischen (S. XV, 231, 232) und ebensowenig die italischen Steinmetzen, dem Beispiele der griechischen folgend, sich ihr heimisches Unkraut, den Acanthus moUis, mit Lust und Sorgfalt hätten abkonterfeien können (S. 251). Aber sollte den Griechen nicht die auffallende Gestalt und Schönheit dieser Staude, die auch heute deshalb häufig in Gärten kultiviert wird, genügt haben? Selbst schilfartige Blätter sind früh, so an dem Lysikratesdenkmal, zum Schmuck des korinthischen Kapitals verwandt. Doch sehen wir zu, was wir aus den Schriften der Alten über die Wertschätzung und Verwendung unserer Pflanze erfahren.

Die älteren Griechen müssen neben anderen Distelarten auch besonders Acanthus spinosus L. axav^a genannt haben*''), ein Wort, welches aus der Wurzel ^ == schärfen hervorgegangen ist und bei Theophrastos (H. pl. I 10, 6) ohne nähere Bezeichnung nur den Dom oder Stachel der Pflanzen bezeichnet. Besonders auffallend ist, dass sich ä/Mvä-og nicht bei diesem findet; doch unter den ca. 500 von ihm angeführten Arten findet sich auch eine aytavd^a xedvwvog (H. pl. IV. 10, 6), deren Wurzel gleich dem Hundszahn sowohl nach oben Stengel als nach unten Wurzeln treibe, aber weder schilfartig noch gelenkig sei; diese hält Fraas*^) für

11) Furtwängler a. 0. S. 54 u. 55. 12) Heinr. Brunn, Gesch. d. gr. Künstler* 1889, II S. 6G u. 277. —13) Abb. von Rieh. Engelmann bei Guhl u. Koner, Leben der Gr. u. R., 1893, Fig. 95 nach einer Photogr. 14) Jos. Murr, D. Pflanzenwelt i. d. griech. Myth. 1890, S. 272f.; Wagler in Paulys Realencykl., herausg. v. Wissowa, 1893, Sp. 1149. 15) C. Fraas, Synopsis plantarum flor. class. ^ 1870, S. 185.

22*

340 Franz Olck

Acanthus gpinosus L., andere allerdings für unsere Ackerdistel, Cirsium arvense Scop/"), die aber im eigentlichen Griechenland nur auf dem Berge Kyllene in der Peloponnes gefunden ist"), während Ac. spin. ein sehr häufiges Unkraut an Flussufern und in Thalsohlen Attikas ist'*). Der Stadt- und Mannesname "Ay.av^og ist allerdings uralt fs. Paulys Realencykl.). Für die Pflanze findet sich der Name b a/.av^og zuerst bei Theokritos (I 55), dann bei Nikandros (Ther. 645). Doch Dioskorides (EU 17) sagt wieder axavd^a und tgnuy.avi^a dafür. Wenn für Acanthus mollis auch (A.eXafxcpvX'kov und Ttaiölgcog gesagt sein solP*), so ist doch das Kraut TtaiösQwg des Pausanias 10, 6), welcher sein gänzlich ver- einzeltes Vorkommen im Tempelbezirk der Aphrodite bei Sikyon hervor- hebt, nicht A. mollis ; denn bei diesem ist das Blatt entschieden grösser, nicht wie Pausanias von dem Tcaiökgwg sagt kleiner als das der Ziegen- barteiche, Quercus aegilops L. {g)rjy6g)j und seine untere Fläche nicht, wie Pausanias jenen beschreibt, so weiss wie bei der Silberpappel. Bei den Kömern, welche das Wort acanthus aus dem Griechischen entlehnten, finden wir den Akanthus mit Sicherheit erst bei Yergilius, doch versteht derselbe wie auch andere an einer Stelle -°) darunter die Nilakazie, Acacia Vera Willd."), welche von Theophrastos (H. pl. IV 2, 8) rj ^klaiva axav^a und von Dioskorides (I 133) axaAla genannt wird, während 6 AlytTiriog axavd^og (Ps.-Hipp. ü 689 ed. K.) und rj /.svxrj ay.av^a (ebd. 746; Theophr. ebd.) Acacia Farnesiana Willd. gewesen zu sein scheint ^^). Dioskorides (HI 1 7 ; vgl. Plin. XXTT 76), welcher nebenbei bemerkt ca. 600 Pflanzen erwähnt und ca. 400 beschrieben hat, sagt von A. mollis, dass er in Gärten ge- zogen werde, aber auch an felsigen und feuchten Stellen wachse; seine Blätter seien breiter und länger als die des Gartensalats und einge- schnitten wie die (leierförmigen) Blätter von Eruca sativa Lam., dunkel- farbig, glänzend, glatt; der Stengel glatt, 2 Ellen hoch, fingerdick, oben sei er in Zwischenräumen umgeben von bauchförmigen, etwas länglichen und stacheligen Blättchen (Deckblättern), aus welchen die weisse Blüte hervorkomme; der Same sei länglich und gelb; die Spitze (des Stengels) laufe zapfenartig aus ; die Wurzeln seien zähe, schleimig, rötlich und lang. Der wilde (also A. spin.) werde von den Kömern auch spina agrestis ge- nannt, sei dem OY.6lv(.iog (einer Distelart) ähnlich, stachelig und kleiner als der erstere; auch soll nach ihm (IV 82) die Frucht einen TtänTcog

16) K.Sprengel, Theophrasts Naturgesch., übers, u. erläutert, 1822, II S. 175. 17) E. Boissier, Flora orientalis, vol. III 1875, p. 552. 18) Aug. Mommsen, Griech. Jahreszeiten, Heft V 1877 S. 529. - 19) Diosc. ebd. ; Plin. XXII 76 ; Galen. XI 818. 20) Georg. II 119. 21) Vgl. Vell. II 56,2; Isid. XVII 9,20. 22) Vgl. J. H. Dier- bach, D. Arzneimittel des Hippokrates, 1824,S. 65 f.; Fraas a. 0. 65 f.; Wagler a. 0. s. Akazie.

Der Akanthus der Griechen und Römer. 341

haben, womit er die Haken meint, an denen die Samen befestigt sind. Theokritos (I 55) giebt dem Akanthus die Bezeichnung vyQOQj d. h. weich oder biegsam, was von Riegl (S. 231) mit „feucht" übersetzt wird, so dass er zweifelt, ob jener ein Ornament im Auge gehabt habe, während doch das Wort ebenso wie das lateinische mollis öfters die Geschmeidigkeit von Körperteilen bezeichnet. Biegsam wird der Akanthus auch sonst '^j oder weich '^O, oder üppig '") genannt, seine Blüte weiss (Diosc. in 17), Safranfarben ^") oder rötlich^'). A. mollis bildete eine Zierde der Gärten"), wurde auch wegen seiner von den Bienen besuchten Blüten kultiviert (Col. IX 4, 4). Von beiden Arten gebrauchte man die Wurzeln zu Salben bei Verbrennungen und Verrenkungen (Diosc. ebd.), ein Absud davon gegen Schwindsucht und Zerreissungen (Diosc. ebd.; Plin. XXII 76) und um Urin zu treiben und den Leib zu stopfen (Diosc. ebd.) ; zerrieben und er- wärmt legte man die Wurzeln gegen das Podogra auf (Plin. ebd.); die Blätter sollten eine zerteilende Kraft haben (Gal. XI 818). Auch heute werden die Wurzeln wegen ihres Tanningehaltes in Italien als Medikament verwandt. Nach Diodors Bericht (XVIII 27) war ein goldener Akanthus- schmuck, xQvoovg ay.avd-og, zwischen den Säulen an dem Leichenwagen Alexanders d. Gr. angebracht. Nach den Dichtem war der Akanthus in Metall (Prop. IV 8, 14), speziell in Gold auf einem metallenen Misch- kruge (Ov. m. VIII 701) ausgearbeitet, an einem hölzernen, aus dem aitolischen Kalydon stammenden (Theoer. I 55), speziell buchenen Becher (Verg. ecl. HL 45) ausgeschnitzt oder mit Goldfäden in ein Kleidungs- stück, wohl einen Schleier (Verg. Aen. I 649 u. 711) oder mit Purpur- fäden in ein Polster (Stat. silv. DI 1, 37) gestickt; auch die vestimenta acanthina waren nach dergleichen Stickereien benannt ^^).

Man wird also kaum behaupten können, dass, wenn die Griechen das Akanthusblatt mit Bewusstsein in die Kunst eingeführt haben sollten, sie das erste beste Unkraut zum künstlerischen Motiv erhoben hätten, noch verstehen, warum sie zwar später dies gethan hätten, aber nicht schon im 5. Jahrh.

Die Griechen können nur Acanthus spinosus L. nachgeahmt haben, neugr. (.lovxQovva und lakon. r^ovkaölT^a, Denn dieser kommt heute häufig in Griechenland vor, in Italien nicht, doch in Dalmatien und Cor- sica; nur die Art mit sehr stachlichen Blattspitzen, A. spinosissimus Desf., findet sich in Apulien und Calabrien; die unbewehrte Art, A. mollis L.,

23) Verg. ge. IV 123; Col. X 241; Plin. ep. V 6,36. 24) Verg. ecl. III 45; Nemes. II 5; mollis et paene dixerim liquidus von Plin. ep. V 6, 16. 25) ridens bei Verg. ecl. IV 20. 26) Verg. Aen. I 649; 711.— 27) Calp. ecl. IV 68. 28) Diosc. ebd.; Verg. ge. IV 123; Plin. XXII 70; Plin. ep. ebd. 29) Serv. Aen. ebd.; vgl. Isid. XVII 9, 21 u. Hesych. s. ccxavS^og.

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dagegen in ganz Italien unter dem Vulgäraamen acanto und brancorsina, im eigentlichen Griechenland wohl gar nicht, aber in Thrakien, Make- donien und Dalmatien.*") Das grosse, über einen Fuss lange, fiederspaltige Blatt beider Pflanzen zeichnet sich dadurch aus, dass die einzelnen Lappen wieder in Zacken zerfallen, aber die Blattspreite bei A. spinosus weit mehr in die Länge gezogen ist, die einzelnen Lappen durch die Ein- buchtungen weiter von einander getrennt sind als bei A. mollis und die Zacken in stachelige Spitzen auslaufen. Kolorierte Abbildungen davon findet man bei Sibthorp^'), in Heliographie bei Ehe (a. 0.), in Holzschnitt bei Andel (Fig. 1. u. 2); die ganzen Pflanzen sind in Holzschnitt ab- gebildet bei Vilmorin.^^) Das Blatt, welches Riegl (Fig. 112) nach Owen Jones als A. spinosus giebt, ist A. mollis. Dieser Irrtum ist aber wohl von keinem Belang, da man zugeben muss, dass gerade die ersten uns erhaltenen Darstellungen des Akanthus geringe Ähnlichkeit mit dem natür- lichen Blatte haben. Immerhin besteht ein nicht unerheblicher Unter- schied zwischen dem Profil oder Halbblatt von beiden Pflanzen, so dass, wenn Riegl (S. 216) von dem gemalten Blatte auf den ältesten Lekythen die Gliederung der Konturen als gänzlich abweichend von der des natür- lichen Blattes findet, dies doch zum Teil, d. h. was die Halbblätter be- trifft, auf seiner irrigen Vorstellung von A. spinosus beruhen wird. Man achte aber auch auf den grossen Unterschied der Konturen, der sich zwischen Voll- und Halbblatt finden kann, z. B. bei dem naturalistisch gehaltenen Blätterschmuck einer antiken Terrakotta, deren Abbildung sich in den Antiquities of Jonia^^) findet. Wenn aber Riegl an anderen Bei- spielen den abweichenden Verlauf der Rippen betont, so zeigt sich auch an allen späteren, entschieden ausgebildeten Akanthusblättem, dass nicht wie beim natürlichen Blatte die Seitenrippen von der Hauptrippe aus- laufen, sondern von der Basis, und zwar bei dem Blatte in Vollansicht von einer künstlich, gleichsam durch Wegschneidung der untersten Partie des Blattes hergestellten Basis desselben. Und diese Rippen laufen nicht wie die radianten Strahlen der Palmette von einem Punkte aus, sondern von mehreren Punkten der Basis, zuerst mehr oder minder konvergierend und erst nach oben hin divergierend. Dieser unnaturalistische Verlauf der Rippen mag darauf zurückzuführen sein, dass bei der vertikalen Rich- tung der Säule oder Stele eine Abweichung von derselben nach der hori- zontalen für das Auge störend gewesen wäre.

30) S. Boissier a. 0. IV, 1879, S. 520 f.; G. Arcangeli, Compendio della Flora ital. 1882, p. 562. 31) Job. Sibthorp, Flora graeca, vol. VII, 1830, t 610 u. 611.— 32) Vilmorins illustr. Blumengärtnerei, herausg. v. Grönland und Rümpler, 1873, I S. 27 u. 29. 33) Ant. of Jonia, published by the society of Dilettanti II, 1797, S. 40.

Der Akanthus der Griechen und Römer. 343

Ferner vermisst Riegl die Pfeifen oder Ösen, welche die die Lappen trennenden Einbuchtungen an späteren Denkmalen markierten (S. 215); doch findet er schon selbst den deutlichen Übergang, wenn auch nicht von Lappen zu Lappen, doch von Blatt zu Blatt mittels der rundlichen Pfeifen an einem Pilasterkapitäl der östlichen Vorhalle des Erechtheion*^) und hierin auffallender Weise eine Neigung zu grösserer Annäherung an die natürlichen Pflanzenformen im allgemeinen (S. 224). Diese Ösen oder Pfeifen finden wir aber auch später fast nur an den Kapitalen, an denen das Akanthusblatt eine viel sorgfältigere Ausarbeitung als auf den Grabstelen und Lekythen, weil bei diesen das Hauptgewicht auf die figürlichen Darstellungen gelegt wurde, gefunden hat. Von den Kapitalen sind uns aber doch schwerlich die ältesten erhalten. Denn Tempel korinthischen Stils gab es auf griechischem Boden verhältnismässig wenige, und Engelmann (a. 0. S. 83 f.) hat wohl recht, wenn er den Namen dieses Stils von Korinth als seiner ersten Heimat herleitet, wo- mit die vitruvianische Tradition, nach welcher Kallimachos zuerst in Korinth solche Säulen geschaffen habe, wiederum im Einklang steht. Ja CoUignon'^) hält es für möglich, dass das von Kallimachos ersonnene Kapital der korinthischen Säule von Metall gewesen sei ; dies scheine die Auszahnung der Akanthusblätter, ferner die Blumenranken, welche die- selben an dem Kalathos befestigen und die Köpfe der Nägel verdecken, endlich das ganze Heraustreten des Kapitals anzudeuten. Korinth war auch wegen seiner Erzbildnerei berühmt. Wie leicht aber konnten, wenn jene Annahme richtig sein sollte, die von dem Künstler geschaffenen Kapitale durch den Brand Korinths unter Mummius zerstört sein!

Riegl (S. 222 f., vgl. 213) glaubt dagegen, weil die geschwungene Linie der Voluten-Kelchblätter an der alten Palmette sich weit mehr für eine akanthisierende Umgestaltung als die volle Palmette geeignet habe, so habe sich dieser Prozess der Umwandlung auch zuerst an den Akro- terien der Grabstelen vollzogen, sofern sich hier aus einem Paar nach rechts und links gegenüber gestellter Akanthushalbblätter zwei ebenso gestellte Voluten und darüber ein Palmettenfächer erhebe. Dabei glaubt er sich in Übereinstimmung mit Furtwängler (Samml. Sab. a. 0.), der an- nahm, dass das korinthische Kapital zu seiner notwendigen Voraussetzung diejenige Gestalt des Palmetten- Akroterions habe, die wir an den attischen Grabstelen nicht vor der Zeit des peloponnesischen Krieges fänden, so dass das genannte Kapital nicht vor jener Zeit entstanden sein könne. Daraus folgerte Furtwängler zugleich, dass die erste Verwendung des

34) Fig. 116 nach Alex. Ferd. v. Quast, D. Erechtheion zu Athen, 1840, 1 6, 1. 35) CoUignon, Handb. d. gr. Archäol, deutsch von Friesenhahn, 1893, S. 53.

844 Franz Olck

Akanthus an diesem zwar zuerst in Korinth stattgefunden habe, aber nicht durch Kallimachos, da dieser nach Benndorf ^®) wahrscheinlich in der ersten Hälfte des 5. Jahrh. geblüht habe. Jetzt beruft er (Meisterw. S. 201 A. l) sich für seine Ansicht, dass Kallimachos das korinthische Kapital nicht vor der Zeit des peloponnesischen Krieges geschaffen haben könne, auch auf die Zeit der Entwickelung der Stelenkrönungen, scheint aber die Verwendung des Akanthus an diesen für später zu halten als am Kapital. In der „Sammlung Sabouroff" (a. 0. S. 7) hatte er übrigens eine im Palazzo Giustiniani alle Zattere zu Venedig befindliche Grabstele als die älteste mit Akanthusschmuck versehene gegen die Mitte des 5. Jahrh. angesetzt, weil der strenge Stil des Reliefs dem der Skulpturen von Olympia nicht fern stehe. Ein bis zwei Dezennien später datierte er eine der ersteren sonst ganz ähnliche Stele aus Karystos (Abb. Taf. VI), weil sich an der Relieffigur bereits das Eintreten des pheidiasischen Stils bekunde (vgl. Bem. zu Taf. VI) und der altherkömmliche kegelförmige Ansatz unter dem Fächer nicht mehr angebracht sei. Da auch ein Thonrelief, Elektra am Grabe ihres Vaters darstellend"), im wesentlichen den obigen Denkmalen entspreche, so setzte er (S. 8) die in Frage stehende Umbildung kurz vor die Mitte des 5. Jahrb., was mit seiner jetzigen Stellung zu unserer Frage nicht vereinbar ist. Die Stele der Menekrateia und des Meneas, die ja auch den Akanthus in der erwähnten Gruppierung und an zwei seitlichen Halbpalmetten, sowie an dem in zwei Hälften gespaltenen kegelförmigen Ansatz oder Zapfen in sehr unvollkommener Darstellung zeigt, wird von ihm (Bem. zu Taf. XX) und Conze^^) stimmt ihm zu an das Ende des 5. Jahrb. gesetzt, da sie den Übergang von dem älteren zu dem jüngeren Typus repräsentiere, von der hohen schlanken und schmalen, mit einer Palmette gekrönten zu dem breiteren ädiculaförmigen mit einem Giebel versehenen. Zugleich macht er die wohl nicht unwichtige Be- merkung, dass sich diese Stele durch die Schönheit und Frische der Arbeit an dem Ornament wie an den Figuren aus der Masse der gewöhnlichen handwerksmässigen heraushebe. Daher denn auch unter den ca. 22 Bei- spielen von Grabstelen mit Akanthusornament bei Conze fast ebenso viele sich finden, bei denen der Akanthus dem natürlichen ganz unähnlich sieht, als solche, wo das Gegenteil der Fall ist. Auch zeigt kaum eine einzige dieser Stelen das Akanthusprofil in so schöner Ausführung, wie die Blätter an den Henkeln der vor dem Dipylon gefundenen marmornen Amphoren des Hegetor (bei Conze Taf. 56, Fig. 208). Das sind wohl die Gründe,

36) 0. Benndorf, Über d. Kultbild der Atbena Nike, S. 40, in d. Festschrift zur Feier d. archäol. Inet, in Rom, 1879. 37) Bei Fröhner, coli. Lecuyer, vente 1883, pl.30. 38) M. Conze, D. att. Grabreliefs, 1893, Taf. 50, Fig. 161.

Der Akanthus der Griechen und Römer. 345

warum Conze es vermeidet, die genannten Stelen genauer zu datieren, indem er für seine Grabreliefs im allgemeinen nur die Zeit vor den Perser- kriegen und die nach ihnen bis zu Demetrios von Phaleron unterscheidet. Ein schön stilisiertes Akanthus -Ornament, bei dem sich sogar die er- wähnten Ösen zeigen, allerdings aus dem 4. Jahrb., findet sich z. B. bei Baumeister.^^) Andererseits aber bildet Engelmann (a. 0. Fig. 226) eine in Athen vor dem Dipylon gefundene Stele mit ziemlich ausgebildetem Akanthusschmuck ab, deren schlanker Schaft und geschlossener Palmetten- fächer auf das 5. Jahrb. zu weisen scheint; doch finden sich am Schaft zwei Kosetten, und diese, obwohl ein altes Dekorationsmotiv, zeigen sich sonst erst im 4. Jahrb. an den attischen Stelen. Doch hat sie schon das ebendaselbst gefundene Denkmal der im J. 394 im korinthischen Kriege gefallenen Keiter, während der Akanthus an diesem nur spärlich und in sehr unvollkommener Ausführung verwandt ist, obwohl sich die jüngere Zeit schon durch die erstrebte organische Verbindung der einzelnen Kom- positionsteile des Akroterions ankündigt."*") Da sich nun nur wenige attische Grabstelen aus dem 5. Jahrb. erhalten haben, sondern bei weitem die meisten schon der entwickelten Kunst angehören""), was sich daraus er- klärt, dass das 5. Jahrb., die Blütezeit der attischen Töpferkunst, die ärmste an Marmordenkmälern war (ebd. 177), so ist es nicht zu verwundern, wenn der Akanthus der für älter gehaltenen Stelen nur eine dürftige Ausführung zeigt, wie wir sie auch meist bei den jüngeren antreffen.

Grabstelen mit Akanthus an dem krönenden Ornament finden sich auch auf attischen Lekythen, welche den Toten mit ins Grab gegeben und auf einem Überzug aus weissem Thon mit buntfarbiger Malerei versehen sind. Die Zeit derselben lässt sich nach 0. Benndorf *^) bis in die zweite Hälfte des 5. Jahrb. zurückverfolgen; dies erschliesst er teils aus der strengen Komposition und Zeichnung (S. 25), teils aus der Erwähnung solcher Lekythen im J. 392 bei Aristophanes (Eccles. 995 f., S. 28); von dieser Zeit an habe sich jene Sitte so lange erhalten, als die Verfertigung be- malter Vasen überhaupt (S. 25), also etwa bis ans Ende des 3. Jahrb., als man in Athen aufhörte, Palmetten als Grabesschmuck zu verwenden.^^) Auf jenen ältesten Beispielen erscheint das profilierte Akanthusblatt noch ganz unvermittelt und ohne organische Verbindung zwischen und zwar über (Bennd. Taf. 22, Fig. 1) oder unter (Taf. 16, 1) die nach alter Weise gebildeten Voluten gestellt."*) Wenn Riegl (S. 217) behauptet, dass an diesen

39) A. Baumeister, Denkmäler d. klass. Altert. II, 1887, Fig. 943 auf Taf. XIX nach Stackeiberg, Gräber d. Hellenen Taf. 6. 40) Alfr. Brückner, Ornament u. Form der att. Grabstelen, 1886, S. 24 u. 12, Taf. I 4. 41) Arth. Milchhöfer in d. Mitt. des archäol. Inst, zu Athen, 1880, S. 166. 42) Griech. u. sicilian. Yasen, 1868. 43) Brückner a. 0. S. 21. 44) Furtw., Samml. Sab. a. 0. 8.

346 Franz Olck

gemalten Darstellungen die Zacken des Akanthus schärfer ausgeprägt seien, als an den frühesten plastischen Akanthusdarstellungen, was er auf die zeichnerische Projektion zurückführt, so trifft dies weder für die Stelen zu noch für den hernach zu besprechenden Akanthus an einer Thür des Erechtheion, von dem er selbst sagt, dass er eine Rückübertragung ins Flache sei (S. 220 f.). Auch finden sich Beispiele auf Lekythen mit ge- kerbtem Blatt, wo also die Zacken abgerundet erscheinen/^) Man kann also daraus nicht folgern, dass der Akanthus mit runden Konturen der ursprüngliche und eine. Umbildung der Palmette sei. Nun finden sich aber auch Stelenakroterien auf attischen Lekythen, wo neben gewöhnlichen Palmetten zu beiden Seiten Akanthushalbblätter angebracht sind^"), woraus Kiegl (S. 229) schliesst, dass beide Darstellungen ursprünglich gleichwertig, also auch der Akanthus eine Palmette sei. Dagegen ist vornehmlich ein- zuwenden, dass diese Beispiele einer späteren Zeit angehören; wenigstens wird jene zweite Lekythos von Duhn"^) ins 4. Jahrh. gesetzt. Auf der letzteren und einer anderen ''^) findet sich der profilierte Akanthus auch am unteren Säulenschaft. Diese von Brückner (a. 0. S. 82 f.) ganz ein- leuchtend durch das Wuchern des Akanthus an den Gräbern, von dem ja auch Vitruv an der citierten Stelle spricht, erklärte Erscheinung führt R. auf einen anderen Grund zurück. Er meint, dass die ästhetische Empfindung schon bei den Ägyptern verlangt habe, den Angriffspunkt eines in überwiegender Längsrichtung verlaufenden Gegenstandes zu mar- kieren (S. 232, vgl. S. 65), und die Erscheinung sei völlig identisch mit der Funktion des Blattkelches am unteren Ansatz der Vasenkörper, führt aber nur eine Vase an, auf welcher der Akanthus eine gleiche Funktion habe.*^) Da ferner eine attische Lekythos ^°) in der Mitte zwischen zwei Paaren spitzzackiger Akanthushalbblätter ein weniger scharf gezacktes Vollblatt zeigt, so sieht er (S. 230) hierin einen Beweis, dass jene spitzen Zacken bloss durch die perspektivische Nachzeichnung der ursprünglichen Ein- kerbungen hervorgebracht seien und ursprünglich nicht einen spitzzackigen Blattkontur hätten reproduzieren sollen. Aber auf einem anderen Beispiel bei Benndorf (Taf. 25), das er zum Vergleich herbeizieht, haben nicht bloss das mittlere, sondern dem entsprechend auch die Seitenblätter rundliche Konturen, so dass jene geringe Abweichung wohl auf die, wie er selbst zugiebt, höchst skizzenhafte Zeichnung des mittleren Blattes zurückzu- führen ist und das Blatt ebenfalls als spitzzackig gedacht werden muss.

45) Bennd. a. 0. Taf. 4 u. 25; vgl. auch das links stehende Blatt auf Taf. 22, 1. 46) Bennd. a. 0. XXII 2 ; Archäol. Zeitung 1885, Taf. 3. 47) Arch. Zeit. 1885. Sp. 24. 48) Bei Bennd. Taf. 14. 49) Bei Stephani, Compte rendu de la Commission Ar- chäol. de St P^ersb. 1880, Taf. IV 8. 50) Bei Bennd. a. 0. Taf. 15.

Der Akanthus der Griechen und Römer. 347

Der Umstand endlich, dass die bloss gemalten Muster aller attischen Thon- vasen, soweit sie erhalten sind, also auch in späterer Zeit, den Akanthus nur äusserst schüchtern angeben, weist doch darauf hin, dass man ihm an dieser Stelle nicht die Bedeutung beilegte, um ihn den anderswoher gegebenen Vorbildern gleich zu gestalten.

Zu den ältesten Beispielen für die Verwendung des Akanthus an architektonischen Baugliedern gehören einige Verzierungen am Erechtheion, ja sie sind die ältesten für seine Verwendung überhaupt, so weit es sich nur um Athen handelt. Nachdem dieser Tempel im J. 480 durch Xerxes zerstört und vielleicht bald darauf provisorisch wieder hergestellt war, begann man nach Michaelis ^0 und Furtwängler") nach dem Jahre 421 einen Neubau in Marmor, dieser wurde aber wahrscheinlich um das J. 413 unterbrochen und etwa 408 vollendet. In dem Tempel befand sich eine von Kallimachos gestiftete goldene Lampe mit ehernem Kauchfange (Paus. I, 26, 6). Dass diese Lampe wahrscheinlich schon bei der ersten Einrichtung des Baues gestiftet sei, meint auch Furtwängler (a. 0. S. 200 f.), doch sei dies erst nach 421 geschehen. Ja, er vermutet, dass Kallimachos überhaupt an dem Bau beteiligt gewesen sei. Jedoch hat namentlich Benndorf") angenommen, dass jenes Anathem in einen provisorischen Bau bald nach 480 gestiftet worden sei. Dass Kallimachos die erwähnten Akanthusornamente geschaffen haben sollte, da die unübertroffene Sorgfalt dieses Tempels nach Furtwänglers Ansicht zu der elegantia et subtilitas artis marmoreae (Vitr. IV 1, 10) passe, welche man an jenem rühmte und welche ihm den Beinamen Katatexitechnos verschaffte, dürfte doch ein sehr unsicherer Schluss sein. Benndorf (S. 41) folgert gerade aus jenem Beinamen eines Tüftlers^'), dass Kallimachos noch nicht jenem gewandteren jüngeren Geschlechte angehört habe. Doch die Hauptsache bleibt, ob man an jenen Ornamenten die Entwickelung der Palmette zum Akanthus wahrnehmen könne. Im voraus muss aber bemerkt werden, dass es sich nicht um korinthische Kapitale handelt, sondern um verschiedene Verzierungen, die auch bei späteren Bauwerken den Akanthus öfters in unvollkommener und mannigfaltiger Gestaltung zeigen, sowie auch bei den Stelen öfters der Zapfen der Palmette mehr oder minder akanthisierende Konturen zeigt").

Es handelt sich zunächst um das Anthemion eines Kapitals von der nördlichen Vorhalle'*), bei dem das Akanthushalbblatt an den Voluten-

51) Mitt. d. Athen. Inst. 1889, S. 363. 52) Meisterw. S. 192 f. 53) Über d. Kultbild der Athena Nike a. 0. S.40; vgl. auch K. Bötticher, D. Tektonik d. Hell. P S.345. 54) Vitr. IV 1, 10; Plin. XXXIV 92; Paus.I 26,7. 55) Z.B. bei Conze. a.O. Taf. 27,60; 42, 122 u. 124; 50, 161; 51, 162; 54, 198 u. s. w. 56) Abb. bei Quast a. 0. I 7, 2.

348 Franz Olck

» keichen der Palmetten und Lotusblüten sowie an besonderen Kelchen

der letzteren verwandt ist. Was den von dem natürlichen Blatt abweichen- den Verlauf der Rippen betrifift, so ist darüber schon gesprochen. Ausser- dem zeigt der Kelch der Palmette rundliche Einkerbungen statt der Zacken. Dies ist aber an den andern Gliedern schon weniger der Fall, besonders nicht an der Gabelranke, während Eiegl es von allen behauptet Ent- schieden zackig sind denn auch schon die Konturen an den Kelchblättern der Lotusblüte von einem Pilasterkapitäl der östlichen Vorhalle (Abb. a. 0. I 6, 1), ja an dem Anthemion der Halbsäulen des westlichen Teils des Tempels (Abb. a. 0. I 7 A, 1) scheint zwar die Gliederung der Lappen zu fehlen, doch sind die Zacken ganz in der konventionellen Form an den Kapitalen gehalten. In den beiden letzteren Fällen handelt es sich freilich auch schon um en face oder in perspektivischer Verkürzung ge- bildete Vollblätter. Die rundlichen Einkerbungen finden sich aber, wie erwähnt, auch auf den Lekythen, ferner auch auf mehreren Grabstelen und gerade nicht bei den anerkannt ältesten ^^). Fast genau dieselbe Gestaltung wie das zuerst erwähnte Anthemion zeigt eine Goldplatte des 4. Jahrh.^*'). An architektonischen Gliedern finden sich die rundlichen Einkerbungen nur ausnahmsweise. Solche haben zum Teil die Halb- blätter der Kelche der Lotusblüten auf einem Simafragment des in der Zeit Alexanders d. Gr. erbauten Athenatempels zu Priene*^), während andere zackiger gehalten sind, wie denn überhaupt an diesem Tempel das Akanthushalbblatt in verschiedener Verbindung, aber zum Teil in sehr unvollkommener Darstellung auftritt. Deutlich zeigen auch die runden Ein- kerbungen das Vollblatt der Kapitale an den korinthischen Eingangssäulen der aus makedonischer Zeit stammenden Palaestra in Olympia^): hier nähert sich das Blatt abgesehen von der für die Akanthusvollblätter der Kapitale charakteristischen überhängenden Spitze am meisten einer Pal- mette. Ein gezacktes, aber unvollkommenes Halbblatt zeigt der Lotus- kelch an einer Soffite der Zahnschnitte an den ionischen Säulen des Tempels zu Prione ^*)» am Karnies der Thüren desselben ^■'') und an einer auf Samos gefundenen Thürecke^^j; ähnlich sind die Kelchblätter der Lotusblüten und Palmetten an dem ionischen Kapital und der Sima des Grossen Theaters in Laodikeia®') und an einem andern Theaterkapitäl daselbst"), vielleicht auch aus makedonischer Zeit. Etwas naturalistischer

57) z. B. bei Conze a. 0. Taf. 42, 122 u. 124; 51, 164 u. 237; 108,454. 58) bei Riegl, Fig. 129 nach Stephani a. 0. Taf. 4. 59) Ant. of. Jon. part. I, 1821, eh. II pl. 18 f. 1. 60) D. Ausgrabungen zu Olympia, vol. V, ISSl. Taf. 39. 61) Ant. of Jon. a.O. eh. II pl. 9,2. 62) Ebd. pl. 17,3. ~ 63) Ebd. eh. V pl. 8. 64) Ebd. part. II, 1797, pl. 50, 1. 65) Ebd. pl. 51, 1.

Der Akanthus der Griechen und Römer. 349

stilisiert sind an dem Tempel von Priene die Halbblätter an den Ranken der ionischen Sima**^) und an den Seiten der ionischen Säulen^'), verhältniss- mässig sehr deutlich an dem Pilasterkapitäl^^) und an dem Pulvinar des ionischen Kapitals °^). Sehr primitiv ohne organischen Zusammenhang mit den Voluten ist der Akanthus vornehmlich an dem Stirnziegel des grösseren Tempels zu Rhamnus aus dem 5. Jahrh.'") ; ähnlich und wenig entwickelt an den Stirnziegeln der Tempel des Apollon Epikurios bei Phigalia aus den Jahren nach 430 oder 420'*) und der Artemis zu Eleusis aus dem 4. Jahrh.'^); dem letzteren sieht derjenige über dem Fuss der sog. Nikopolvase aus hellenistischer Zeit'^) abgesehn von der überhangenden Spitze ganz ähnlich. Stark akanthisiert ist der Zapfen der Halbpalmette im Zwickel der ionischen Volute an dem Tempel des Apollon Didymaios bei Milet, wohl aus dem 5. Jahrh.'^); als ganz ungegliedertes Vollblatt ist der Akanthus zur gleichen Zwickelfüllung an dem Dionysos- tempel zu Teos aus der zweiten Hälfte des 4. Jahrh. verwandt"). Ebenso nur einfach gezackt sind das Halbblatt an einer Gesimskonsole des korinthi- schen Tempels des Augustus in Pola'^) und die einzelnen Blätter der Lotus- blüte an einem Gesimse eines Tempels zu Ephesos, vielleicht aus der Zeit des Kaisers Claudius, während die Blätter der Palmetten und die Ranken in diesem Lotus-Palmettenbande stark akanthisieren ''). Wir sehen also den Akanthus in mannigfachen Variationen auftreten und zugleich sein Vorbild vielfach auf die Gestaltung anderer ornamentaler Motive einwirken. Die schwungvolle Ausbiegung der Spitzen an dem halben Akanthus- blatt will Riegl (S. 219) aus der Neigung der gesprengten Palmette zu einer solchen Ausbiegung erklären, während sie auf die Profilierung des ganzen Blattes mit überhängender Spitze zurückzuführen zu sein scheint. Die Erklärung dafür, dass das Halbblatt an der Ranke in der Gabelung erscheint, sucht er in dem alten Prinzip der Zwickelfüllung, giebt aber zu, dass sich jenes nicht im Zwickel, sondern vor der Gabelungsstelle befindet. Die eigentliche Zwickelfüllung findet er -dann an dem ersten vom Erechtheion genommenen Beispiel in der sich zeigenden Verhülsung der Ranke wieder, die dann daselbst auch auf Stellen übertragen sei,

66) Ebd. p.I eh. II pl. 6. 67) Ebd. eh. II pl. 16. 68) Ebd. eh. II pl. 14. 69) Ebd. eh. II pl. 17, 2. 70) The uneditet antiquities of Attica, deutsche Ausgabe von H. W. Eberhard, cap. VI, Taf. 12. 71) 0. M. v. Stackeiberg, D. Apollotempel zu Bassae, 1826, S. 101; Die Altert, von Athen, beschr. von J. Stuart und N. Revett, aus d. Engl, übers, nach der Londoner Ausg. v. J. 1830 ; Ergänzungsband, 1833, Taf. 5, 4. 72) üned.ant. c.V, Taf. 8. 73) bei Riegl, Fig. 121 nachStephani a. 0. 1864, Taf. 1. 74) Ant. of Jon. p. 1 eh. 3. pl. 5. 75) Ebd. eh. I, pl. 2. - 76) Stuart u. Kevett, Altert, zu Athen, herausgeg. vonH. W.Eberhard, 1829, T. IV, Kap. 2, Taf. 6, 1. 77) Ant. of Jon. p. II pl. 44, 5.

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wo keine Gabelung statt finde. In dieser hülsenartigen Anschwellung will er dann aber auch den alten Volutenkelch der Palmette wiederer- kennen und nimmt an, dass diese Hülsen oder sagen wir lieber Scheiden später, als ihre ursprüngliche Bedeutung in Vergessenheit geraten, weggefallen seien, was aber doch nicht ganz richtig ist ; denn diese Hülse findet sich auch z. B. an dem Pilasterkapitäl von Milet'"), an dem Säulen- kapitäl des Tempels zu Labranda"), vielleicht aus nachchristlicher Zeit, und an dem Pilasterkapitäl von dem Monument des Philopappos zu Athen aus der Zeit Trajans**"). Für die akanthisierende Bildung des Kelches der Lotus- blüten fällt es ihm schwer , einen unmittelbaren Veranlassungsgrund an- zugeben (S. 222). Wenn er meint, dass diejenigen, welche an der Vor- bildlichkeit des Ac. spin. festhalten, kaum einen Beweggrund anführen könnten, welcher es veranlasst haben könnte, den Rankenkelchen die Form des Akanthus zu geben, so findet sich doch eine ähnliche Erscheinung an den Deckblättern der Pflanzen; freilich beim Akanthus scheinen hier mehr die oberen, ungebuchteten, nur stark gezackten Stengelblätter in Betracht zu kommen, wie denn auch am Kapital die Voluten sich aus dem Blätter- kranz erheben, wie bei der natürlichen Pflanze der zu oberst die Blüten tragende Stengel aus dem untern Blätterbüschel.

Nun beruft sich Riegl weiter auf ein Lotuspalmettenband an dem Karnies der grossen Thür an der nördlichen Halle des Erechtheion (bei Quast I 9 u. 10). Hier haben wir einen Palmettenfacher, dessen einzelne Blätter nicht in eine konkave, sondern in eine konvexe Endigung auslaufen. Es ist dies eine fast ganz singulare Erscheinung, die auch hier nur an einer untergeordneten Stelle sich findet. Wie leicht solche Nuancen vor- kommen können, beweist die ebenso isoliert stehende und ebenso umge- staltete Palmette auf einem mykenischen Goldplättchen*^). Ähnlich, wenn auch etwas abweichend, sind auch die Vollblätter an der Seite eines Pilasterkapitäls von dem erwähnten Tempel bei Milet^^), der erwähnten Nikopolvase und in den Zwickeln der ionischen Voluten an den Pilaster- kapitälen der Basilika in Pompeji*'). Jedenfalls kann man dieses Blatt ebensogut für eine Umgestaltung der Palmette nach dem Vorbilde des Akanthus ansehen als daraus die Entstehung des letzteren aus der ersteren herleiten.

Dass der natürliche Akanthus schon für die Ornamentik des Erech- theion vorbildlich gewesen, scheint mir deutlich aus einer Stelle der In-

78) Ant. of Jon. p.I eh. 3 pl. 7. 79) Ebd. eh. 4 pl. 5. 80) Stuart u. Revett, T.I C.5 T. 6, 1. 81) bei Riegl, Fig. 58 nach Schliemann, Mykenae, Fig. 249. 82) Kunsthistor. Bilderbogen, Samml. I Bogen 4, 7. 83) Overbeck-Mau, Pompeji, 1884, Fig. 271 c.

Der Akanthus der Griechen und Römer. 361

Schrift V. J. 408 v. Chr.^^) hervorzugehen, enthaltend Kechnnngen von dem Bau des Tempels. Es heisst da: KrjQOTtkdoTatg tcc Ttagaöely/xaza 7claTT0vot. Twv %al-/.u)v twv elg tcc '/,aXv(.i(xaT;a' Nrjoei l^i MeklTrji oiTiovvri Phl-f-. €T€Qov 7caQädeLy(,ia TcXaoavTi ttjv aycav&av eig tcc xalv/^if-iaTa' ^^yad-ava)Q lA?U07C€yifjoi olxcuv Phl-h. y.ecpakaiov KrjQOTcXd- oraig APH. Quast hat den zweiten Satz übertragen: Dem, welcher ein anderes Vorbild bildet, einen Akanthus für die Kassetten, Agathanor in Alopeke 8 Drachmen. Bötticher (Tekt. I 97) hält a-aav&a für einen metallenen Dorn, an dem ein Stern aus vergoldetem") Erze schwebend aufgehängt war. Dagegen versteht Michaelis ^^) unter ayiavd^a einen Blatt- schmuck. Dass ein solcher, nämlich Akanthus, gemeint sei, geht doch aus dem Singular a/Mv^av gegenüber dem Plural xalv.iov hervor; es könnte doch auch die Modellierung eines oder selbst mehrerer Domen nicht ebensoviel gekostet haben als die der sämtlichen 26 Rosetten, für welche 166 Stück Blattgold zu 1 Drachme notwendig waren.

Nun führt uns aber Kiegl (S. 224 f.) und dies ist wohl der wichtigste Punkt ein dem erwähnten Beispiel von der Thür des Erech- theion sehr ähnliches von einem korinthischen Kapital des dem Apollon Epi- kurios im peloponnesischen Kriege geweihten Tempels zu Bassai bei Phigalia in Arkadien vor. Auch hier sollen sich, sogar an einem Kapital, palmetten- ähnliche, aber gezahnte Blätter finden. Diese korinthische Säule ist aber erstlich ein sehr zweifelhaftes Ding. Da sie die einzige korinthischer Ordnung an dem ganzen Bau ist und für diesen keine ersichtliche Be- deutung hat, so kann sie zu einem schon früher dort befindlichen Tempel gehört haben und nur bei dem Umbau desselben stehen gelassen sein") oder möglicherweise auch einer späteren Eestauration angehören ^^). Im allgemeinen wird freilich das Kapital für eins der ältesten Beispiele mit Akanthusornament gehalten ^^). Ferner ist die Säule in einem sehr zer- störten Zustande gefunden, so dass die von ihr entworfenen Zeichnungen sehr von einander abweichen. Riegl hält sich an die Restauration Stackei- bergs °'*) und verwirft die absichtlich nur skizzenhaft gehaltene Abbildung von Donaldson®'), welche das Blatt mit rundlichen Konturen und wenig akanthisierend, doch immerhin in einer von der Stackelbergschen Reproduk- tion ganz abweichenden Bildung zeigt. Nun verdient aber Cockerell mindestens dieselbe Beachtung wie Stackeiberg, da er mit diesem und mit anderen zu-

84) C. I. A. I 324, frg. c, col. II, vs. 1—8. - 85) Vgl. d. Inschr. frg. a col. I 51 u. frg. c col. II 34. 86) Ath. Mitt. 1889, S. 361. 87) Vgl. Baumeister in s. Denk- mälern S. 1320 f. 88) H. Brunn, Gesch. d. gr. Künstler 2, 1889, I 177. 89) Furt- wängler, Samml. Sab. a. 0. S.8; Meisterw. 201 A. 1; Brückner a. 0. S.S. 90) in dessen „Apollotempel von Bassae" S. 44. —-91) bei Stuart u. Revett, Ergänzungsband. Taf. 9, 3.

362 Franz Olck

sammen sich an den Ausgrabungen des Tempels i. J. 1812 betheiligt hat'*\ Er bringt °') angeblich das Kapital, wie es in dem Tempel gefunden sei, mit deutlichen Akanthusblättern ; doch scheinen die beiden seitlichen Ab- bildungen (PI. XV 3, a. u. b.) das eigentliche Original wiederzugeben, aber auch dieses verträgt sich zwar mit der Skizze Donaldsons, aber entschieden nicht mit der Restauration Stackeibergs.

Zu den bereits vollkommen ausgebildeten korinthischen Kapitalen gehört das der Halbsäulen und ein anderes, wohl zu einem Wandfriese gehöriges von dem ionischen Tempel des Apollon Didymaios bei Milet'^). Dieser Tempel war i. J. 494/3 von den Persern zerstört^^) und von Paionios und Daphnis®'), also wohl ca. im 4. Dezennium des 5. Jahrb., in grossen Dimensionen wieder aufgebaut worden ; doch steht es nicht fest, ob und wann er ganz vollendet worden sei. Das korinthische Antenkapitäl der inneren Propyläen zu Eleusis^') zeigt zwar ein gutes konventionelles Akanthusblatt, ist aber in seinen oberen Partieen sehr reichlich geschmückt; es mag also, obwohl der Bau in seiner Anlage der 2. Hälfte des 4. Jahrb. ange- hört, doch der im ersten Jahrh. durch Appius Claudius Pulcher erfolgten Restauration zuzuweisen sein. Gleicher Zeit mit dem Lysikrates-Denkmal ist dagegen das Philippeion zu Olympia, dessen Inneres durch korinthische Halbsäulen mit schön gezeichnetem Kapital aus vier über einander ge- ordneten Reihen von Akanthusblättern gegliedert war^*). Darauf folgt der Rundbau der Arsinoe zu Samothrake wohl aus dem J. 281, dessen Inneres ebenfalls korinthischen Stil hat. Fast ganz einer Palmette ähnlich ist, wie erwähnt, das Blatt an den Kapitalen der Eingangssäulen der Palaestra in Olympia aus der 2. Hälfte des 3. Jahrb.^^), und das der Antenkapitäle daselbst *°°) ist, wenn auch die dreizackigen Lappen des konventionellen Blattes sehr deutlich hervortreten, doch sehr handwerksmässig gebildet; das letztere Kapital ist überhaupt so eigentümlich, dass Graef (Ausgr. a. 0. S. 41) es für möglich hielt, dass es das älteste sei, welches wir in korinthischer Version kennten. Ähnlich dem Blatt dieses Antenkapitäls ist dasjenige an dem Eingangsthor zum Grossen Gymnasium (Ausgr. a. 0. Taf. 10), welches wohl einer wenig jüngeren Zeit angehört. Der Zeit zwischen 176—164 gehört wohl das Säulenkapitäl an der Vorderseite des Tempels des Zeus Olympios in Athen an ''*'). Ein verhältnismässig ein- faches, aber bezeichnendes Beispiel bietet das Kapital der Porticus vom

92) C. R. Cockerell, The temples of Juppiter Hellemus at Aegina and of Apollo Epicurius at Bassae near Phigalia in Arcadia, 1860, p. VI. 93) PL XV, 1 ; vgl. auch pl.X u. pl. XV unten. 49) Ant. of Jon. p. I eh. 3,8 u. 3,7. 95j Herod. VI 19; Strab.XlVö. —96) Vitr. VII praef. 16. 97) ün.ant. c.3,6. - 98) Bötticher, Olymp. *^ Fig. 76. 99) Die Ausgr. zu Olymp. V, 1881, Taf. 39. 100) Ebd. u. bei Bötticher, Fig. 81 u. 82. 101) Stuart u. Revett a. 0. I c. 5 Taf. 8, 1.

Der Akanthus der Griechen und Römer. 353

Turm der Winde zu Athen aus der Mitte des 1. Jahrh. v. Chr/"^). Darauf folgen besonders das Pfeilerkapitäi des Bogens zu Mylasa^"^), das der Eckpfeiler eines Grabdenkmals daselbst *°^), das einer Säule mit einer Statue daselbst •°^), das der Säulen und Anten von dem Tempel des Augustus zu Pola^^^), das der Säulen von dem Bogen der Sergier in Pola^") und von dem Tempel des Augustus zu Pergamon; alsdann die Säulenkapitäle des Tempels von Labranda *"'), die Pfeilerkapitäle von dem zwischen 114 u. 116 n. Chr. errichteten Monument des Philopappos '"*), die Antenkapitäle an dem Hadriansbogen zu Athen ""), die Kapitale der Halbsäulen und Pfeiler der oberen Ordnung an demselben*^*), die der Säulen der kurz vor 161 n. Chr. erbauten Exedra des Herodes Atti- cus "-) u. s. w.

Einige charakteristische Merkmale, wie sie dem stilisierten Akanthus- blatt in der Kunst, auch der römischen, eigen sind, wie die breite Basis, der von dieser, statt der Hauptrippe, ausgehende Verlauf der Seitenrippen und die überhangende Spitze, sind schon gelegentlich hervorgehoben; speziell für das griechische ist noch Folgendes hervorzuheben. Bei scharfer Modellierung des Blattes und Bildung der Umrisse greifen die einzelnen Lappen nie, wie wohl auch nie bei Acanthus spinosus, oder doch nur aus- nahmsweise sehr wenig über einander, berühren sich aber an den Seiten, so dass von der natürlichen Buchtung eine kreisrunde, später auch ein wenig in die Länge gezogene Öse übrig bleibt ; jeder Lappen ist nach dem natürlichen Vorbilde scharf in drei- oder auch mehreckige Zacken ge- gliedert; von jeder Spitze ziehen sich, was besonders charakteristisch, scharfe Einschnitte bis zur Basis, ebenso von den Ösen bis zur Basis Falten, welche die Lappen trennen.

Schöne Beispiele für die Akanthus- Ranke bieten die Ornamente des Lysikratesdenkmals und des Tempels zu Prione. Euer wie an anderen hellenischen Ornamenten ist der Rankenstengel scharf keilförmig vertieft und die strengprofilierten Akanthusblätter ebenfalls scharf gefurcht; die Ansatzstellen sind seltener, wie erwähnt, durch eine scheidenartige Ver- dickung, gewöhnlich gar nicht betont, und die Ranke trägt selten an ihrem Ende eine Blume oder Knospe. Das Antenkapitäl des Hadrianbogens zu Athen zeigt schon den Rankencharakter der römischen Zeit."')

In Italien, wo der korinthische Stil zu überwiegender Herrschaft gelangte.

354 Franz Olok

hat das Blatt sehr verschiedene Formen angenommen. In Pompeji zeigt es an dem Pilasterkapitäl des Tempels des Juppiter, der Juno und der Minerva aus Tuff, der Zeit bald nach 80 v. Ch. angehörig *'^), eine der- jenigen ähnliche Form, wie wir sie schon an dem Antenkapitäl der Palaestra und namentlich dem Eingangsthor zum Grossen Gymnasium in Olympia ken- nen gelernt haben, doch zum Teil mit krausen Zacken; Overbeck glaubte daher früher"') in diesem Blatte statt des Akanthus eine Kohlart zu erken- nen. Während hier noch die Zacken der Lappen deutlich hervortreten, sind die Lappen ganz abgerundet an einigen etruskischen Beispielen, wie auch von dem an den Kapitalen der Eingangssäulen der Palaestra in Olympia erwähnt ist. So zeigt sich nämlich das Blatt, teils ohne umgeschlagene Spitze auf zwei etruskischen Urnen "°), teils mit umgeschlagener Spitze "^ und als profiliertes Blatt an einer Wellenranke auf einer etruskischen Vase "*) sowie als Volutenscheide an dem Sargdeckel des Scipio Barbatus aus der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts v.Chr.''®); man vergleiche auch damit eine apulische Vase bei Baumeister (Fig. 2157). An einem isolierten Kapital zu Cori'^'') noch aus republikanischer Zeit'*^') finden sich auch zwischen den Voluten wellig -buchtige Vollblätter, unterhalb derselben jedoch solche, deren übergeschlagene Spitzen mit den konventionellen dreizackigen Lappen versehen sind, während die untere Partie aus oliven- blattähnlichen Lappen mit abgerundeten Spitzen, die an der Mittelrippe zu sitzen scheinen, besteht. Diese letztere Form allein, die einer Palmette ähnlich sieht, wenn auch die einzelnen Teile keine radiante Anordnung haben, zeigt sich an zwei Kapitalen, dem des sog. Tempels der Pax zu Paestum '^^) und einem zu Cori (ebd. f. 4). Den Übergang von der letzteren zur ersteren Form zeigen zwei einander gegenüber gestellte Blätter einer etruskischen Aschenurne, gefunden in Volterra'^); hier zerfällt wie bei der geschlossenen Palmette zuerst das Blatt in einzelne langgestreckte Teile, die aber nach der Spitze zu immer kürzer werden, bis diese selbst sich mit rundlichen Konturen oder Lappen überschlägt.

Ein anderes Blatt zeichnet sich dadurch aus, dass die einzelnen Lappen, welche wiederum in drei breit abgestumpfte Zacken zerfallen, wie die Spitze des Blattes nach der Oberfläche des Blattes zu umgeschlagen sind. Wir finden es an dem Stuckkapitäl der Basilika zu Pompeji wohl aus dem

114) Overbeck-Mau a. 0. Fig. 62 u. S. 111. 115) Pompeji», 1866, I S. 97. 116) Franc. Inghirami, Monumenti etruschi tom. I, 1821, tav. 40 u. t. VI, 1824, t. Y3. 117) Ebd. t.I, tav. 41. 118) Ebd. Tom. V, 1824, tav. 3. f. 2. 119) bei Bau- meister Fig. 1621 nach Phot. 120) Luigi Canina, Gli edifizi di Roma antica, 1848—56, VI 101, 7. 121) Ebd. V 84. 122) Monumenti inediti, pubbl. dall' inst, di corr. arch., vol. II, 1835, tav. 20 f 1. 123) Inghirami a. 0. I 4.

Der Akanthus der Griechen und Römer. 355.

2. Jahrh. v. Chr."''), auf einem etruskischen Kapital von Toscanella "**), einem säulenartigen Aufsatz auf einer Stele aus Vulci (ebd. Fig. 9), dem Kapital eines Grabmals an der Via Appia'^*), dem des, wie man meist annimmt ^^), noch der republikanischen Zeit angehörigen Rundtempels, des sog. Sibyllen- tempels zu Tivoli"®), an den Rosetten an der Soffite der Porticus des- selben (ebd. Fig. 3) und dem Kapital des nach Canina (V 97) schon aus der Kaiserzeit herrührenden Fortunatempels zu Praeneste."^) Nicht mit Unrecht will Guillaume (a. 0.) dieses Blatt auf etruskischen Ursprung zurückführen, wobei er sich noch auf einige Terrakotten der collectio Cam- pana im Musee Napoleon in. und in dem Museum der Stadt Perouse beruft. Er möchte darin eine Nachahmung des Blattes von derjenigen Solanee sehen, welche den Vulgärnamen bouillon blanc oder chou gras habe, also von der Königskerze, Verbascum thapsus L. ; dieses sei gleich- sam auf die beibehaltene Masse des Akanthusblattes gepfropft.

Mit diesem Blatte scheint denn auch dasjenige verwandt zu sein, welches am häufigsten an den römischen Säulen- oder Pilasterkapitälen vertreten ist. Hier zerfällt jeder Lappen, wie im Palmettenfächer, in mehrere, meist vier oder fünf, einzelne, aber aneinander geschlossene, den Olivenblättern ähnliche Teile, aber mit abgerundeten Spitzen. Diese Blatt- teile sind wie bei einer Muschelschale ausgehöhlt; die einzelnen Lappen schlagen an den Seiten übereinander; die Mittelrippe zeigt meist wie ein selbständiges Blatt buchtige Konturen; die Ösen sind in die Länge ge- zogen. Wohl das älteste uns erhaltene Kapital der Art zeigt der in der Schlacht bei Philippi von Octavian gelobte, aber erst im J. 2 v. Chr. dedizierte Tempel des Mars Ultor '^"), dann folgt der im J. 6 n. Chr. neu- erbaute Tempel des Castor und PoUux (II 28), die Palatinische Bibliothek (VI 296, 1, mit einem Kompositkapitäl Fig. 3), das Hemikyklion unter den halbkreisförmigen Treppen des Fortunatempels zu Praeneste (VI 116, 2), der Titusbogen mit Kompositkapitäl (IV 246), der Tempel der Minerva auf dem Forum transitorium und die Umfassungsmauern des letzteren aus dem J. 98 (II 107 u. 108), die Basilica Ulpia (II 118 u. 120 A), der Bogen des Constantin, dessen Säulen aus der Zeit Trajans herrühren (IV 249, 1), das im J. 27 v. Chr. erbaute, HO durch Blitz zerstörte und unter Hadrian wieder hergestellte Pantheon (II 72; s. auch Ehe), die von Agrippa auf dem Campus Martins erbaute und von Hadrian erneuerte Basilica Neptuni, auch IIooeLÖojviov genannt (Can. H 147), ein zur Villa

124) Overbeck-Mau a 0. Fig. 273 b u. S. 149.— 125) Mon. ined. a. 0. Fig. 7. 126) Canina a. 0. VI 46,8.— 127) Lübke, Grundriss d. Kunstgescb. ", 1892, I 221 f). 128) Can. VI 135, 1; sehr gut bei Ebe. 129) Can. VI 116,4 u. 117, 1. 130) Can. II 100 u. 101.

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Hadriana in Tibur gehöriges Privathaus (VI 174), die Poriicus von dem Tempel Veneris et Romae aus dem J. 135 (11 54, 11), der Tempel des Antoninus und der Faustinadl 25), der der Juno (11 139, Ij und die dazu gehörige Porticus Octaviae 138 u. 140, 1 u. 4), beide von Angustus er- baut, im J. 70 durch Brand zerstört und 203 wieder aufgebaut; der unter Severus und Caracalla restaurierte Tempel des Vespasian (II 34), der im J. 8 V. Chr. erbaute, aber wohl von Caracalla, besonders was die hierher gehörigen Kompositsäulen betrifft, umgestaltete Bogen des Drusus (IV 244), der von Cäsar in der Schlacht von Pharsalos gelobte, aber wohl wie das ganze Forum lulium unter Diocletian durch Brand beschädigte und von diesem wieder hergestellte Tempel der Venus Genetrix (11 94), die Thermen des Diocletian (IV 217, 1 u. 2) und die des Constantin (11 48). Selten ist dieses Blatt an andern Baugliedem verwandt, wie z. B. an den Krag- steinen des Tempels der Venus Genetrix (II 94, 1).

Neben dieser Art ging eine mehr naturalistische und lebendigere Auf- fassung her, welche teils, wohl durch griechische Künstler vertreten, sich an den griechischen Akanthus hielt, teils, wohl durch römische vertreten, von jenem besonders dadurch abwich, dass die Spitzen der Zacken mehr abgerundet wurden. Die erstere ist nur an wenigen Denkmälern hin- reichend deutlich zum Ausdruck gekommen. Dahin gehören das Kapital des Bogens zu Orange (Baum. Fig. 1988) und das Pilasterkapitäl vor dem Grabmal des Cotta (Can. VI 41, 2), sowohl jenes als auch vielleicht dieses aus der Zeit des Tiberius, die Säulenkapitäle des Dioskurentempels zu Cori (Ebd. VI 100, 1) aus der Zeit des Kaisers Claudius (ebd. V 82), die- jenigen des der Vesta oder dem Hercules Victor geweihten Kundtempels in Rom (II 64 ; auch bei Ehe) unbestimmter Zeit ; Guillaume führt noch den Tempel im Vemegues des Departements Bouche du Rhone und das Posticum des Tempels Augustae et Liviae zu Vienne Dep. Isere an. An den Pilastern von dem Grabmal des Cotta und den Säulen zu Cori sind schon die Lappen übereinander geschlagen, ebenso nach der wohl nicht zuver- lässigen Abbildung bei Canina auch am sog. Vestatempel zu Rom. Ganz naturalistisch nach dem Vorbilde von Ac. spin. ist der Blätterschmuck auf einer im Vaticanischen Museum befindlichen römischen biga (Abb. bei Ehe). Auch in Pompeji ist das Blatt an mehreren Kapitalen ziemlich spitz stilisiert ; an einigen derselben, so bei dem an den Säulen des Pronaos des Juppitertempels *^0» wahrscheinlich aus der 2. Hälfte des 2. Jahrh. v. Chr. (S. 95), an den Pilasterkapitälen von Stuck im Isistempel (Fig. 273 d) aus der Zeit nach 63 n. Chr. (S. 104) und zwei sog. Phantasiekapitalen

131) Overbeck-Mau, a.O., Fig. 27 Id.

Der Akanthus der Griechen und Römer. 357

(Fig. 274, 4 u. 6) schlagen die Lappen gar nicht oder doch fast gar nicht übereinander, während dies letztere der Fall ist bei den einer späteren Restauration angehörigen (S. 504 u. 519) Säulen des Venus- oder Apollon- tempels (Fig. 264), den Stuckkapitälen des Tempels des Genius Augusti oder Quirini (Fig. 273 c) aus dem Ende des 1. Jahrh. v. Chr. (S. 118), an den Marmorkapitälen im Gebäude der Eumachia (Fig. 273 a) aus der ersten Hälfte des 1. Jahrh. n. Chr. (S. 131) und zwei sog. Phantasiekapitälen (Fig. 274, 2 u. 8).

Häufig ist das dem vorigen sehr ähnliche Blatt mit sichtlich weicher abgespitzten Zacken, welches daher dem Blatte von Ac. mollis näher steht, an Kapitalen vertreten. Damit soll nicht gerade gesagt sein, dass die Römer diese Species nachgebildet hätten, sondern sie mögen schon von den Etruskern her gewohnt gewesen sein an die Abrundung der Blattspitzen; Riegl (S. 251) freilich glaubt, dass diese Stilwandelung der Zeit des entstandenen römischen Weltreichs überhaupt eigen gewesen sei. Die Lappen des Blattes sind stets an den Seiten übereinander ge- schlagen, die Ösen in die Länge gezogen. Wir finden es an dem wahr- scheinlich dem Tempel des Liber und der Libera zugehörigen Komposit- kapitäle aus den Regierungsjahren des Tiberius (Can. II 43), an den Pilastem des Pantheon (II 73), den Säulen und Pilastem des Pulvinars des zur Villa Hadriana in Tibur gehörigen griechischen Theaters (VI 151) sowie an den Kompositsäulen eines zu der genannten Villa gehörigen Privat- hauses (VI 174), an den Säulenkapitälen in den Thermen des Caracalla (IV 211, 4); an den Kompositkapitälen derselben hat das Blatt eine gesägte Mittelrippe (IV 211, 1 u. 2). An einigen dieser Kapitale zerfällt jeder Lappen wieder in 3 Lappen mit je 2 3 Zacken, an den Kompositkapi- tälen von dem Bogen des Septimius Severus auf dem Forum Romanum (IV 252) vom J. 203 mit je 3—5 Zacken; an letzterem ist die Mittelrippe teilweise auch durch ein verschmälertes Blatt ersetzt.

Dieses Blatt mit abgerundeten Zacken findet sich weiter an den Pilastem von dem Bogen des Septimius Severus, des sog. Bogens der Goldschmiede auf dem Forum boarium (IV 254, 5) vom J. 204 und des von Septimius Severus vielfach umgebauten Hauses des Augustus (IV 302) und in den Thermen des Diocletian an den Kompositkapitälen von dem Vestibül der grossen Cella (IV 217, 4); an letzterem Beispiel ist die Mittelrippe wieder gesägt und die einzelnen Zackenspitzen sind ein wenig umgebogen.

Fast ausnahmslos ist es auch dieses Blatt, mit welchem andere Bau- glieder als Kapitale oder mitunter einzelne Teile der letzteren selbst ver- ziert sind, so z. B. der Echinos an den Säulen des Grabmals des Caius

358 Franz Olck

Cestius aus der Zeit des Augustus (Can. IV 280, 4j und an den ionischen Säulen des Saturntempels (II 35, 5) vielleicht aus dem Anfang des 3. Jahrh^ die Säulenbasis des Tempels der Concordia aus der Zeit des Tiberius (n 36), die Schnecken an den Kompositkapitälen des Titusbogens (IV 246) und der Palatinischen Bibliothek, an letzterer auch das Gesimse (IV 296, 3 u. 1), Basis und Gesimse von dem Piedestal der Trajanssäule (IV 259, 6 u. 7), die Kragsteine am Pantheon (II 72), die Hohlkehle am Piedestal der Säule des Antoninus Pius und der marmorne Fuss des Umfriedigungs- gitters derselben (IV 261, 6 u. 5), ein Wulst über dem Säulenfriese vom Tempel des Vespasian (11 34, 6), einige Stimziegel von Terrakotta zu Tusculum (VI 97, 1 u. 3 ; 98, 2 u. 3). Femer sind hier einige Marmor- Kandelaber zu nennen *^^).

Wichtig ist noch die Verbindung, welche dieses weicher stilisierte Blatt mit der Eanke eingeht. Während die griechische Akanthusranke, wie wir sie z. B. noch an einem pompejanischen Marmortische sehen"*) streng profiliert ist, zeigt sich die römische in schräger Projektion; sie läuft stets in eine Blume aus und, während bei der griechischen das Akanthusblatt den Rankenstengel nur vor der Gabelung bekleidet, zeigt sich bei den römischen der Akanthus auch an anderen Stellen, zunächst näm- lich auch hinter der Gabelung und dann am ganzen Stengel, diesen mehr oder minder überwuchernd oder ganz verdeckend. Die erstere, einfachere und gefälligere Weise, ist vertreten an dem Friese des Isistempels zu Pompeji ^^% der Wandverzierung eines Saales der dortigen Thermen (ebd. III 50, 1), durch eine die Apotheose Homers darstellende silberne Vase im Museum zu Neapel"^), durch die Verzierungen einiger Grabmäler an der Via Appia"^), am Friese des Bogens des Septimius Severus, des sog. Bogens der Goldschmiede (11 254, 5), an den Soffiten der Porticus vom Tempel der Venus Genetrix (IE 94, 3). Sehr überladen ist dagegen die Ranke an einer Thüreinfassung aus dem Chalcidicum der Eumachia in Pompeji*"), an dem Deckel des Sarges an der Via Appia, welcher ver- mutlich der Caecilia Metella, Schwiegertochter des Triumvir C. Crassns, gehört"^), an einigen Grabmälem ebenda '^^), an den Hohlkehlen der Säulen- architrave des Vespasiantempels (11 34, 4 u. 5), am Friese des Innern der Porticus im Norden der Basilica Ulpia (11 118, 3), an dem Friese des Trajantempels auf dem Forum Traiani (II 119, 1), an einer Wand

132) VI 172, 2 u. 3; Baum. Fig. 896—98 nach Bouillon, Mus^e des antiques, 1810— 27,111 pl. lu. 3. 133) Overbeck-Mau, a. 0. S. 422. 134) F. Mazois, Les ruines dePompöe, 1824—38, IV 10,3.-135) Millingen, Ancient unedit. monum.. 1826, ser.II pl. 13. 136) Can. FV 287 oben; VI 30, 2; VI 31. 137) Overb.-Mau Fig. 275. 138) Can. IV 290,2. 139) Can. IV 287.

Der Akanthus der Griechen und Römer. 359

der Villa Hadriana in Tibur (VI 172, 4), am inneren Fries des Saturn- tempels (II 32, 5), am Friese des Tempels der Venus Genetrix (11 94, 1) u. s. w. Endlich ist zu erwähnen, dass, wie schon von einem Tempel zu Ephesos erwähnt ist, im ursprünglichen Lotus-Palmettenbande die einzelnen Blätter des Lotus und der Palmette akanthisiert sind, so an dem Gesimse der Umfassungsmauer des Forum transitorium aus d. J. 98 (II 107, 1) und des Bogens des Septimius Severus auf dem Forum boarium (II 254, 5j; eine solche Akanthisierung zeigt sich aber auch und zwar der Palmetten- und Kelchblätter schon an dem Friese von dem Grabmal des Cotta etwa aus der Zeit des Tiberius (VI 41, 2).

XVI.

über die Divination in der Geschichtsschreibung der römischen Kaiserzeit.

Von

J. Plew (Strassburg i. E.)

Friedländer hat in der Darstellung der religiösen Zustände der Kaiser- zeit (Darst. III ^ S. 521 ff.) den Glauben an Vorausverkündigung der Zukunft unter Nachweisung seiner verschiedenen Formen und seiner all- gemeinen Verbreitung ausführlich behandelt und daraus die notwendige Folgerung gezogen, dass auch in den ersten Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung in der römischen Welt ein naiver, reflexionsloser Götter- glaube, als der die notwendige Voraussetzung jenes Glaubens ist, bei der ungeheuren Mehrzahl der Bevölkerung weiterbestand. Dieser Glaube an Weissagungen nun hat auch eine stark politisch gefärbte Seite, msofem er die Politik ständig begleitete und beeinflusste, auch zu politischen Zwecken stark benutzt wurde. Deshalb nimmt auch der Bericht über die prodigia oder omina, d. h. über politische Prophezeiungen aller Art einen erheblichen Raum in der Geschichtsschreibung der Kaiserzeit ein. Ich glaube, dass es sich verlohnt, diese jedenfalls wichtigste Gattung der omina gesondert zum Gegenstande einer kurzen Erörterung zu machen.

Es ist bezeichnend für römische Auffassung und Denkart, dass die römische Geschichte mit dem Romulusomen beginnt. Während die pro- digia von Polybius nie erwähnt werden, bilden sie einen stehenden Be- standteil der gesamten römischen Geschichtsschreibung, und schon in der römischen Stadtchronik haben sie von Anfang an nicht gefehlt Denn die prodigia geben den Götterwillen kund, und von dessen Erforschung hat nach römischer Auffassung jede rationelle Staatsleitung auszugehen und auf sie sich dauernd zu stützen. Selbstverständlich sind zu allen Zeiten die Götter auch von Einzelnen um Kundgebungen über ihr Wohl und Wehe angegangen worden. In den offiziellen Aufzeichnungen und demnach auch in den historischen Darstellungen der Republik handelte

über die Divination in der Geschichtsschreibung der römischen Kaiserzeit. 361

es sich aber um die prodigia, welche das Wohl und Wehe des Staates in seiner Gesamtheit betrafen. Daneben treten in der Übergangszeit von der Republik zur Monarchie in bestimmten Darstellungen prodigia oder omina auf, die sich auf das Schicksal eines Einzelnen beziehen, und zwar sind es die Staatsmänner selbst gewesen, welche die ihnen gewordenen Zeichen als für das Staatswohl wichtig genug ansahen, um sie in ihren Memoiren zu berichten. Sulla, der direkte Vorläufer der kaiserlichen Ge- walt, eröffnet hier den Reigen. Er war persönlich dem Glauben an Vor- zeichen nicht nur aufs eifrigste ergeben, wie er denn dem LucuUus, dem er seine Memoiren widmet, riet, nichts für so sicher zu halten, als was ihm die Gottheit im Traum verkündige, sondern er hat auch Vorzeichen, die in seinem Leben eine bedeutsame Rolle gespielt hatten, in seinen Memoiren aufgezeichnet*). In der Geschichtsschreibung der Kaiserzeit findet nun ein völliger Umschwung statt. Mehr und mehr treten die Personen auf Kosten der Massen in den Vordergrund, vor allem die eine Person, auf die aller Augen gerichtet waren, um die sich alles drehte und in der nun das Wohl und Wehe des Staates verkörpert war, die Person des Kaisers, aber auch alle diejenigen Personen, welche als Angehörige, als Freunde und Begleiter, als Beamte des Kaisers seine Umgebung bildeten und mit Einsatz des Lebens das Spiel um die Herrschaft der Welt wagten. Da begreift es sich, wie leidenschaft- licher Ehrgeiz und tötliche Furcht um die Wette das Geheimnis der Zukunft zu enthüllen suchten und mit peinlicher Sorgfalt auch auf alle Zeichen achtete, die ungesucht Antwort auf Schicksalsfragen zu geben schienen. Dies spiegelt sich in der Geschichtsschreibung deut- lich wieder; die allgemeinen prodigia treten mehr und mehr zurück, und ihre Stelle nehmen die auf Personen bezüglichen omina ein, unter denen wiederum die auf die Person des Kaisers bezüglichen weitaus die wichtigsten sind. Dieser Umschwung ist auch direkt bezeugt. Livius sagt"), dass seine Zeit in Beziehung auf Zeichen und Wunder völlig un- gläubig und ^leichgiltig sei, und dass daher prodigia weder öffentlich be- kannt gemacht noch in die Geschichtsbücher aufgenommen würden. Wenn nun die Geschichte des Augustus im schärfsten Gegensatze dazu von Zeichen und Wundern überfliesst, so ist der Umschwung unter Augustus eingetreten, und zwar ist er selbst die Ursache desselben. Augustus ist auf religiösem Gebiet überall als Restaurator aufgetreten, und der Weissagungsglaube war das wesentlichste Stück, auf das sich diese Restauration richtete. Ausserdem war er für diesen Glauben leiden-

1) Plut. Sulla 6 = Luculi. 23. Cic.dediv.I §72. Plut.SuU. 17. ibid. 27.

2) XLIII, 13.

362 J. Plew

schaftlich eingenommen; in welchem Grade aber überhaupt entschieden ausgesprochene Ansichten und Grundsätze, Neigungen und Liebhabereien der Kaiser für Rom, ja für die Welt bestimmend gewesen sind, hat Friedländer (Darst. I* S. 71 ff.) gezeigt. Endlich hat Augustus die für sein Leben wichtigen omina auch in seine Autobiographie aufgenommen*), auf sein Vorbild also ist die stehende Rubrik der persönlichen omina in der Kaisergeschichtsschreibung zurückzuführen. Der Glaube an Astrologie kommt zwar schon in den letzten Zeiten der Republik auf, begegnet hier aber noch sehr geteilter Aufnahme. Zwar hingen ihm hochbedeutende Männer, wie Varro, an, im ganzen darf man aber nach den Urteilen Ciceros und nach dem angeführten Zeugnis des Livius sagen, dass die Mehrzahl sich dagegen ablehnend verhielt. Das Beispiel und Vorbild des Kaisers aber, der über den Kometen des Jahres 44 ausführlich berichtete und die Verehrung desselben anordnete^), der ferner seine Nativität öffentlich be- kannt machte und durch Münzen und Gemmen verewigte^), musste den Sieg der Astrologie mit Leichtigkeit entscheiden, und allein die Art, wie die augusteischen Dichter den Kometen des Jahres 44 behandelt haben, zeigt deutlich, wie eifrig die Welt den Neigungen und Wünschen des Kaisers entgegenkam.

Aber es musste noch ein Zweites hinzukommen, um dem von August gegebenen Anstoss auch über seine Zeit hinaus Wirkung zu verleihen. Das war der Glaube an ein von Anfang an verhängtes unwandelbares und unentrinnbares Schicksal, das über dem Ganzen wie über dem Einzelnen waltet. Das Schicksal des Einzelnen wird in der Stunde der Geburt durch die damals eingetretene Konstellation festgelegt, von da ab steht sein ganzes Leben unter der Herrschaft der Necessitas, die Götter kümmern sich nicht mehr um ihn, es wäre auch nutzlos, da sie gegen das Schicksal ebensowenig vermögen als die Menschen. Nur das haben sie vor den Menschen voraus, dass sie das Schicksal wissen und es dem Menschen, wenn sie wollen, verkündigen können. Dieser Glaube entwickelte sich als Folge der grossen politischen Umwälzung erst in der Generation nach Augustus, breitete sich dann aber reissend schnell aus. Plinius sagt^): sedere coepit sententia haec (nämlich der eben erwähnte Glaube), pariterque et eruditum vulgus et rüde in eam cursu vadit. Ecce fulgurum monitus, oraculorum praescita, haruspicum praedicta atque etiam parva dictu, in

1) Die Belege habe ich im Anhange zu meinen Quellenuntersuchungen zur Ge- schichte des Kaisers Hadrian S. 112 ff. gegeben. S. 114 A. l ist auch der scheinbare Widerspruch der Stelle Liv. 44, 13 und der Thatsache, dass Livius aus der Autobio- graphie des Aug. omina ausgezogen hat, gelöst.

2) Plin. h. n. U, 94. 3) Suet. Aug. 94. Dio 56, 25. 4) h. n. II 23 f.

über die Divination iu der Geschichtsschreibung der römischen Eaiserzeit. 363

auguriis sternumenta <it offensiones pedum. Divus Augustus prodidit laevum sibi calceum praepostere inductum, quo die seditione militari prope afflictus est.

Coepit kann sich nicht auf eine um 70 Jahre zurückliegende, sondern nur auf die vom Verfasser selbst erlebte Zeit beziehen. Es ist leicht er- klärlich, warum dem Plinius diese allgemeine Ursache als die einzige er- schien, da er die Einwirkung des Augustus nicht erlebt hatte, und da die allgemeine Ursache in der That bei weitem wichtiger für die immer wachsende Herrschaft des Wahrsagerwesens wurde. Das Beispiel des August führt Plinius einmal deshalb an, weil es litterarisch überliefert war, sodann deshalb, weil weiter als bei Augustus der Glaube an Vorbedeutungen nicht gehen konnte und nie gegangen ist.

Wie verhielten sich nun die Geschichtsschreiber zu diesem Glauben? Plinius verwarf ihn, wie wir eben gesehen haben, da er den Götterglauben überhaupt verwarf, jedoch mit einer Ausnahme. Die Natur war ihm „das, was wir Gott nennen", und so erkennt er gewisse Naturerscheinungen als Vorzeichen an, vor allem Kometen^), und er beruft sich darauf, dass er in seinem Geschichtswerk darüber berichtet habe''). Doch nicht nur über diese, sondern überhaupt über Vorzeichen, die auf politische Umwälzungen hindeuteten, hat er berichtet, wie denn die omina des Vierkaiserjahres, die den Fall Othos und den Sieg Vespasians ankündigten, von Tacitus, Plutarch und Sueton aus Plinius' Geschichtswerk entnommen sind^). Wir sehen also bei Plinius, wie eine übermächtige Zeitströmung einen Schrift- steller zwingt, sich an den Äusserungen eines Glaubens zu beteiligen, den er im Grunde verwirft.

Am wichtigsten und interessantesten ist die Stellung, die Tacitus zum Weissagungsglauben einnimmt^). Tacitus unterscheidet sich dadurch grund- sätzlich von Plinius, dass er dem Glauben an das unabänderliche Fatum, den Plinius mit Geringschätzung verwirft, unbedingt huldigt Danach sollte man meinen, dass er dem Glauben an Weissagungen ebenso un- bedingt huldige. Nach seinen Äusserungen darüber kann man das aber zunächst nicht sagen. Er hat sich mit der Frage, was von der Weissagung zu halten sei, viel beschäftigt, sie macht ihm ersichtlich besonderes Kopf- zerbrechen; aber zu einem bestimmten Ergebnis ist er nicht gelangt, ja

1) h.n. II 92,94. 2) ibid. II 199,232. 3) Für Tac. bist. I, 86 und Plut.

Otho4 hat Nissen dies erwiesen, Rhein. Mus. XXVI p. 513. Tac. h. II 78 und Suet. Vesp. 5 stammt offenbar aus derselben Quelle. Sueton ist wieder von Dio benutzt.

4) Nipperdey, Einl. S. XIV tf. hat darüber gehandelt. Doch bedürfen seine Aus- führungen der Ergänzung.

364 J. Plew

seine Äusserungen darüber sind nicht nur unbestimmt, sondern auch in- konsequent.

Tacitus unterscheidet zwischen den gewerbsmässigen Wahrsagern und der Wahrsagekunst. Von jenen spricht er mit Verachtung, ihr charla- tanisches, betrügerisches und dabei staatsgefährliches und hochverräterisches Treiben erfüllt ihn mit Entrüstung. Er nennt sie eine Menschenart, die den Mächtigen treulos, für die Hoffenden betrügerisch und für Fürstenehen der schlechteste Hausrat ist*), die Nichtigkeiten treibt*) und direkt zum Verbrechen anfeuert'). Doch giebt es auch Ausnahmen, und als eine solche lässt er den Thrasyllus, der den Tiberius in der Astrologie unter- wiesen hatte, gelten. An die Probe nun, welche Tiber mit ihm anstellt, und welche Thrasyllus besteht, knüpft Tacitus eine allgemeine Betrachtung über die Glaubwürdigkeit der gesamten Wahrsagerei "^j. Er weiss nicht, was er urteilen soll (mihi in incerto iudicium est), weil die Ansichten der Philosophen sich schroff entgegenstehen. Während die Epikuräer den Glauben an Weissagung ganz verwerfen, weil die Götter sich um die Menschen überhaupt nicht kümmern und die Welt unter der Herrschaft eines blinden Ungefähr stehe, glaubten die Stoiker an die Weissagung, weil die Zukunft durch Schicksal feststehe, so dass die Vorherbestimmung durch die folgenden Ereignisse erfüllt werde. Aber nicht von den Planeten hänge alles Geschehen ab, sondern von den ursprünglichen Bestimmungen und der sich daran knüpfenden Kausalkette. „Jedoch", schliesst Tacitus, „lässt es sich die Mehrzahl nicht ausreden, dass gleich bei der Geburt eines jeden Schicksale bestimmt werden und dass die Betrügereien un- wissender Weissager der Grund sind, wenn manches anders ausfällt, als sie gesagt haben. Dadurch verliert eine Kunst den Kredit, von der Vergangenheit und Gegenwart einleuchtende Proben auf- zuweisen haben." Und als Beweis führt Tacitus die Prophezeiung des Sohnes des Thrasyllus auf Nero an^). Wo aber war das Mittel, die echten und falschen Propheten zu unterscheiden? Nipperdey sagt, „ebensowenig wie den Astrologen wird er den Zeichendeutern vor dem Erfolg geglaubt haben*'. Dass er den Erfolg zum Prüfstein ihrer Glaubwürdigkeit macht, scheint nach folgenden Stellen allerdings richtig. Ann. XII 64 heisst es : cfebris prodigiis cognitum est mutationem remm in deterius portendi. Fahnen und Zelte der Soldaten werden vom Blitz getroffen, ein Bienen- schwarm hängt sich ans Kapitol, es erfolgen menschliche und tierische

1) bist. I, 22. 2) ann. II 27 ioania.

3) bist. I, 22 fin. 4) ann. VI 22.

5) ann. XIV 9 fore ut imperaret matremque occideret.

über die Divination in der Geschichtsschreibung der römischen Kaiserzeit. 365

Missgeburten und zahlreiche Todesfälle von Beamten. Die mutatio in deterius, der Tod des Claudius, tritt ein. Ann. XIV 32 führt er als pro- digia an: das Herunterfallen der Victoria zu Camulodunum, Geheul von unsichtbaren Stimmen, in der Themse habe sich die Gestalt einer ein- geäscherten Kolonie, im Meer Blutfarbe gezeigt und die Ebbe habe Leichen zurückgelassen. Die Römer erleiden wirklich eine grosse Niederlage gegen die Brittannier. Ann. XV 7 rückt der römische Feldherr Paetus tristi omine in Armenien ein. Sein Pferd scheut ohne Ursache und läuft zurück, ein Opfertier bricht aus dem Lager aus, endlich werden die pila vom Blitz getroffen, was Tacitus ein besonders bemerkenswertes Vorzeichen nennt, quia Parthus hostis missilibus telis decertat. Tacitus deutet das Vorzeichen also dahin, dass die unterliegenden Waffen durch den Blitz bezeichnet seien, und er macht dem Paetus die Nichtbeachtung dieser Vorzeichen zum Vorwurf. Sie wurden durch einen durchweg unglücklichen Feldzug bestätigt. Ann. XV 47 werden als prodigia imminentium malorum nuntia sehr zahlreiche Gewitter, ein Komet (von dem es schon XIV 22 heisst, er bedeute, nach der Meinung des Volkes, mutationem regis), Miss- geburten von Menschen und Tieren genannt, darunter ein Kalb, dessen Kopf an ein Hinterbein angewachsen war, und das an der Strasse gefunden wurde, was den Haruspices zu der Deutung Anlass gab, es stehe der Welt ein neues Oberhaupt bevor, das aber weder Kraft haben noch verborgen sein werde Weissagungen auf das Vierkaiserjahr und Galba besonders. Hist. I 18 heisst es, ungewöhnlich frühe Gewitter hätten Galba warnen sollen, aber er war ein Verächter solcher Dinge, sei es, dass er sie für zufällig oder das vom Schicksal Bestimmte trotz der Ankündigung für un- vermeidlich, d. h. Sühngebete und Opfer zur Abwehr für vergeblich und unnütz ansah. Hist. V 13 werden die prodigia für die Zerstörung Jerusalems angeführt: Himmelserscheinung gegen einander kämpfender Heere, hell- glänzende Waffen, Erleuchtung des Tempels durch Feuer aus den Wolken, die Tempelthüren sprangen auf, und eine starke Stimme rief, die Götter zögen aus. Dass die Stimme excedere deos, nicht deum rief, konnten die Juden ja eher als ein für sie günstiges Vorzeichen betrachten. Tacitus aber, der daran nicht gedacht zu haben scheint, wirft ihnen wieder vor, dass sie, die dem Aberglauben so ergeben seien, in ihrer Abneigung gegen Zeremonien (religiones) es nicht versucht hätten, diese unglücklichen Vor- zeichen durch Gelübde zu sühnen, d. h. ihre Folgen abzuwenden. Die Juden vertrauten vielmehr auf die Weissagungen ihrer Propheten, dass der Orient emporkommen und jüdische Abkömmlinge zur Herrschaft gelangen würden. Tacitus nimmt auch diese Weissagung an und deutet sie, um sie mit dem Frfolg in Einklang zu bringen, trotz des Ausdruckes profecti

366 J. Plew

ludaea auf Vespasian und Titus^). Besonders schlagend erscheint dem Tacitus das Vorzeichen auf den Tod des Otho^).

In allen diesen Fällen scheint also bei Tacitus der Erfolg über die Echtheit der Vorzeichen zu entscheiden. Dazu scheint auch die Stelle Ann. XIV, 12 zu stimmen. Hier werden prodigia crebra et irrita er- wähnt. Ein Weib gebiert eine Schlange, ein anderes wird in den Armen ihres Mannes vom Blitz erschlagen, die Sonne wurde plötzlich verfinstert und es schlug in sämtlichen Regionen der Stadt ein. Diese Ereignisse wurden als Vorzeichen eines öffentlichen Unglücks oder einer grossen Staatsumwälzung angesehen. Da aber nichts dergleichen erfolgte, so nennt Tacitus sie „erfolglose" und fügt hinzu, dass sie ohne Mitwirkung der Götter geschehen seien, da Nero seine verbrecherische Herrschaft noch viele Jahre fortsetzte. Der Ausdruck prodigia irrita enthält aber eine contradictio in adjecto. Denn wenn die prodigia nicht Zukünftiges angekündigt hatten, so waren es eben keine prodigia. Nipperdey meint freilich, dass Tacitus sich hier gegen den gemeinen Aberglauben verwahren wolle, der in jedem auffallenden Ereignisse ein Vorzeichen sieht. Das kann aber aus den Worten prodigia irrita nebst quae adeo sine cura deorum eveniebant nimmermehr entnommen werden. Tacitus spricht diese Ver- wahrung allerdings an zwei anderen Stellen aus, da drückt er sich aber ganz anders aus. Hist. IV, 26 erzählt er, dass der Rhein so niedrigen Wasserstand hatte, dass er unbefahrbar wurde und den Germanen be- quemsten Übergang gewährte. Dazu setzt er hinzu : Apud imperitos pro- digii loco accipiebatur ipsa aquarum penuria, tan quam nos amnes quoque et vetera imperii monumenta desererent. Quod in pace fors seu natura, tunc fatum et ira dei vocabatur. Hist. I, 86 werden die Vorzeichen auf Othos Niederlage aufgezählt: die biga der Victoria auf dem Kapitol habe die Zügel verloren, aus der cella des Junotempels sei eine Person von übermenschlicher Grösse herausgekommen, die Bildsäule Cäsars habe sich an einem klaren, windstillen Tage von Westen nach Osten gewendet, ein Stier in Etrurien habe geredet, Tiere hätten Missgeburten geworfen et plura alia, rudibus saeculis etiam in pace observata, quae nunc tantum in metu audiuntur. Sed praecipuus et cum praesenti exitio etiam futuri pavor,

1) Quae pauci (sc. lodaeorum) in metum trahebant : pluribus persuasio inerat, an- tiquis litteris contineri, eo ipso tempore fore, ut valesceret Oriens profectique ludaea rerum potirentur. Quae ambages Vespasianum et Titum praedixerat.

2) Hist. II, 56 Ut conquirere fabulosa ei fictis oblectare legentium animos procul gravitate coepti operis crediderim: ita vulgatis traditisque demere lidem non ausim. Der Ausdruck leisen Zweifels bezieht sich nicht auf das omen, sondern auf die Erzäh- lung der Einwohner von Bedriacum. Ist sie richtig, so enthält sie nach Tacitus ein omen ersten Kauges, wie der Erfolg zeigt.

über die Divination in der Geschichtsschreibung der römischen Kaiserzeit. 367

subita inundatione Tiberis .... Utque primnm vacuus a periculo animus fuit, id ipsum, quod paranti expeditionem Othoni campus Martins et via riaminia, iter belli, esset obstructum a fortuitis vel naturalibus caussis in prodigium et omen imminentium cladinm verte- batnr. Diesen Stellen gegenüber ist die Behauptung, dass Tacitus die Glaubwürdigkeit der omina vom Erfolge abhängig mache, nicht mehr halt- bar. Denn trotz des Erfolges sieht Tacitus in diesen Ereignissen keine Vorzeichen, weil sie auf zufälligen oder natürlichen Ursachen beruhen. Es braucht nicht gezeigt zu werden, dass das auf die von Tacitus anerkann- ten omina vielfach auch zutrifft. Man kann auch nicht sagen, dass die zuletzt angeführten Vorzeichen auf unbedeutenderen Anlässen beruhten als jene. Eine Tiberüberschwemmung war für Kom jedenfalls bedeutungs- voller als ein Gewitter, das Tacitus doch stets als prodigium gelten lässt. Auch ist die Deutung des niedrigen Wasserstandes im Rhein, als Hessen nun auch die alten Schutzwehren des Reiches das römische Volk im Stiche, so ganz im Sinne der Divination, dass man sie durch kein Bei- spiel besser illustrieren könnte. Ann. XII. 43 lässt er dann wieder sehr viel gewöhnlichere Erscheinungen, denen die caussae fortuitae vel natu- rales gewiss nicht abgesprochen werden können, als prodigia gelten^).

Doch wenn man diesen Schwankungen und Unebenheiten auch kein besonderes Gewicht beimisst, was heisst es denn, den Glauben an die Weissagung vom Erfolge abhängig machen ? Heisst das nicht der Weis- sagung jeden Kredit absprechen? Was wurde denn aus dem Glauben, wenn die Weissagung den Erfolg von einer vorher zu erfüllenden Bedingung abhängig machte, wie z. B. in der Prophezeiung Diocletiane, eris Im- perator, cum Aprum occideris?^) Das kann die Meinung des Tacitus nicht gewesen sein. Vielmehr hat er an Weissagungen auch vor dem Erfolge geglaubt. Das geht mit Sicherheit daraus hervor, dass er an die Möglichkeit der Sühnung ungünstiger Vorzeichen, d. h. der Abwendung der durch sie verkündigten unglücklichen Ereignisse glaubt. Er tadelt den Paetus und Galba, dass sie die Sühnung unterlassen, und nimmt dem jüdischen Volk gegenüber diesen Glauben geradezu als höheren religiösen Standpunkt in Anspruch. Eben deshalb ist aber auch die obige Behaup- tung gerechtfertigt, dass seine Stellung zu den Vorzeichen im einzelnen inkonsequent ist. Ein fester leitender Gesichtspunkt lässt sich in seiner Kritik der Vorzeichen nicht nachweisen, ein solcher ist freilich auch kaum denkbar, denn Glaube und Kritik vertragen sich eben nicht. Tacitus

1) multa eo anno prodigia evenere. Insessum diris avibus Capitolium, crebris terrae motibus prorutae domus . . . Frugum quoque egestas et orta ex eo fames in prodigium accipiebatur. 2) Vop. Car. 14,3.

368 J. Pr^BW

wollte unzweifelhaft gegen den Schwindel, der mit der Weissagung ge- trieben wurde, Front machen. Deshalb beurteilt er die Zunft der Weis- sager so verächtlich. Aber auch unter ihnen erkennt er Ausnahmen an. Auch hier ist es also unmöglich, eine bestimmte Scheidelinie zu ziehen. Unerweislich ist endlich auch, dass der Glaube an Weissagungen mit den Jahren bei Tacitus eine Steigerung erfahren habe'). Denn wenn er in den Annalen die Vorzeichen auch erst vom Jahre 51 an berichtet, so hat er sie in den Historien von Anfang an berücksichtigt, und schon im Agricola (c. 44) erwähnt er mit gläubiger Ehrfurcht ein augurium seines Schwieger- vaters auf das „glückselige Zeitalter" Trajans. Es lässt sich also nur sagen, dass Tacitus den Glauben an die Weissagung unter einiger Eeserve, die ihm kritisch zu begründen nicht geglückt ist, geteilt hat

Bei den Nachfolgern des Tacitus ist von einem Zweifel an Vorzeichen, welcher Art sie auch waren, nicht mehr die Rede ^), vielmehr der Bericht darüber eine wichtige Angelegenheit. Aber wie neben dem Genius des römischen Volks der Genius des Kaisers Gegenstand des öffentlichen Kultus geworden war, wie das öffentliche Wohl und Wehe durchaus abhing und ausstrahlte von dem Wohl und Wehe des Kaisers, so erscheinen den Ge- schichtsschreibern der späteren Kaiserzeit auch fast ausschliesslich solche Vorzeichen berichtenswert , welche das Wohl und Wehe des Kaisers an- gingen, und unter diesen wieder vor allem die omina futurae magnitu- dinis und die omina mortis, d. h. die Vorzeichen, welche die Regierung des Kaisers schon vorher angekündigt hatten und welche einen bevor- stehenden Thronwechsel ankündigten. Wir haben beide Arten schon bei Tacitus kennen gelernt, und Tacitus sagt auch^), dass das Publikum an nichts mehr Interesse nahm und nichts eifriger besprach, als derartige Vorzeichen, was bei dem allgemeinen Glauben daran sehr begreiflich ist Als besondere Arten ausgesondert hat sie zuerst Sueton in seiner rubri- zierenden Darstellungsweise, die er in der vita des Augustus einführt*), und Sueton wiederum ist durch Augustus selbst darauf geführt worden.

1) Friedländer, Darst.IIP S. 523.

2) Die einzige Bemerkung , welche kritisch aussieht, Herodian II, 9, 3 dvsnsi&s öh avzbv ovELQaxa zoiavzrji' ziva iXniöa vnoatjfiaivovza , /p^a/zo/ ze xal oaa ig TtQÖyvioOLV zdiv /jtsXXovzwv av[xßoXa ^alvszai' ansQ ndvza dipevöij xal aXfjd-rj zozs niaz8vezai, ozav ig zrjv dnoßaaiv svzvxrjS^y , richtet sich gegen die von Sever veröffentlichten Vorzeichen, wobei die Absicht doch gar zu deutlich war.

3) Hist. II78 über die omina auf Vespasians Herrschaft: has ambages et statim exceperat fama et tunc aperiebat, nee quicquam magis in ore vulgi.

4) Suet. Aug. 94. Et quoniam ad haec ventum est, non ab re fuerit subtexere, quae ei priusquam nasceretur et ipso natali die ac deinceps evenerint, quibus futura maguitudo eius et perpetua felicitas sperari animadvertique posset. Die omina futurae magnitudinis reichen bis zum Jahre 44, die om. perpetaae felicitatis beziehen sich

über die Divination in der Geschichtsschreibung der römischen Kaiserzeit. 369

Schon er hatte in seiner Autobiographie diese omina ausführlich verzeich- net, und der politische Zweck, den er dabei im Auge hatte, ist klar : wie er im monumentum Ancyranum die staatsrechtliche Legitimität seiner Herrschaft darzuthun bemüht ist, so wollte er in der Autobiographie durch die Fülle der Zeichen und Wunder ihre göttliche Legitimität eindringlich verkündigen*). Hadrian und Septimius Severus haben ihn darin nach- geahmt, und ihre Autobiographien sind von Cassius Dio und Marius Maximus auch für diesen Punkt benutzt worden^). Aber nicht nur die Kaiser selbst, sondern auch andere Personen haben solche politischen omina gleichzeitig, d. h. noch zu Lebzeiten des betreffenden Kaisers in besonderen Schriften oder in Schriften über die Weissagung oder endlich in biographischen Darstellungen aufgezeichnet. Bekanntlich hat Dio seine schriftstellerische Laufbahn mit einem Buch über die Träume und Vor- zeichen, welche die Herrschaft Severs voraus verkündigten, eröffnet'). Julius Marathus, welcher von Sueton für ein omen auf August citiert wird, war Freigelassener des August^). Aber auch die beiden anderen, sonst un- bekannten Schriftsteller, welche Sueton an derselben Stelle anführt, Ascle- piades aus Mendes, Verfasser von libri Theologumenon , und C. Drusus müssen unter August geschrieben haben; sie werden offenbar als gleich- zeitige Zeugen angeführt. Von dem Platoniker Apollonius Syrus, der ein Orakel auf Hadrians Herrschaft zuerst aufgezeichnet hat, ist es so gut wie sicher, dass er unter Hadrian gelebt haf^).

auf die Erfolge in den Kämpfen um die Herrschaft bis zum Jahre 31, dienen also zur Bestätigung der früheren omina. Deshalb kommt diese Art von Vorzeichen bei den folgenden Kaisern nicht in Frage.

1) Vgl. meine Quellenuntersuchungen zur Gesch. d. Kaisers Hadrian S. lllfiF.

2) Hadr. 3, 5 in quo magistratu ad perpetuam tribuniciam potestatem omen sibi factum adserit, quod paenulas amiserit, quibus uti tribuni plebis pluviae tempore solebant, imperatores autem nunquam. Herodian H, 9, 4 za (jlsv ovv noXXä (sc. Sever die auf seine Herrschaft hindeutenden Vorzeichen) laxoQriaev avzog te avyygdyjag iv t(p xaO-^ havxov ßiut xal drjfioaiaig dvi&Tjxsv slxöai.

3) Dio 72, 23 ßißXLov xl negl ztüv ovHQaxtov xal xuiv aijfzslwv ä ' wv 6 SsovFjqoq rrjv avTOXQaxoQa CLQxh'^ rjXniae , y^dipag iÖTjinoolevaa xal avtä) xal ixstvog 7tsfi<p&£VTi TcaQ^ ifiov ivzvx^v nokkd ßot xal xakd avTETiiareiXs.

4) Suet. Aug. 94 Auetor est lulius Marathus, ante paucos quam nasceretar menses prodigium Romae factum publice, quo denuntiabatur, regem P. R. naturam paturire; cf. Aug. 78 staturam brevem (sc. Augustus habuit), quam tarnen lulius Marathus, liber- tus et a memoria eins, quinque pedum et dodrantis fuisse tradit. £r scheint danach eine Biographie des August geschrieben zu haben.

5) Spart. Hadr. 2, 9 habuit autem praesumptionem imperii mox futuri ex fano quoque Niceforii lovis manante responso quod Apollonius Syrus Platonicus libris suis indidit vgl. die Anm. von Casaub. und Salm. Das Orakel des lup. Niceforius war bei Edessa. Der Ausdruck libris suis indidit hat nur Sinn von dem Ersten, welcher jenes Orakel litterarisch überliefert hat.

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370 J. Plbw

Alle solche ersten Aufzeichnungen von Vorzeichen standen unter dem Einfluss der Tagesereignisse und des Tagesgesprächs. Welche Rolle das letztere bei der Überlieferung der omina spielte, zeigt Tacitus an mehreren Stellen. Vor allem lehrreich ist die schon angeführte Stelle Hist. H 78. Die Freunde weisen Vespasian auf die neuen Prophezeiungen hin, und er selbst erinnert sich an die alten Vorzeichen. „Diese hatte das Tages- gespräch damals gleich aufgegriffen und deutete sie jetzt ; und nichts ist mehr im Munde des Volkes." Aus dem Tagesgespräch also hat Plinius, den Tacitus und Sueton für diese omina Vespasians benutzt haben, auf- gezeichnet. In ähnlicher Spannung, wie im Vierkaiserjahr, war Rom während der Kämpfe, die der Regierung Severs vorhergingen. Mit Sever hatte sich die öffentliche Meinung schon unter Commodus beschäftigt, da er schon als Prokonsul Siciliens in einen Majestätsprozess wegen Befragung der Weissager verwickelt gewesen war^); mit seinem steigenden Ruhm') wurden die Vorzeichen, welche auf seine Herrschaft hindeuteten, immer eifriger besprochen, und sie waren so zahlreich und mannigfaltig, dass Dio dadurch wie durch das allgemeine Interesse des Publikums an diesen Vorzeichen auf den Gedanken gekommen sein muss, die erwähnte Schrift zu ver- fassen und zu veröffentlichen. Jedenfalls kann er sich dabei nur auf münd- liche Berichte gestützt haben ^).

Dass die Vorzeichen immer der gleichzeitigen mündlichen Tradition entstammen, dafür spricht noch ein Umstand. Es werden Fälle berichtet, in denen die nächsten Angehörigen eine Prophezeiung, dass ein Nach- komme den Thron erlangen werde, verwerfen. Der Grossvater Galbas ant- wortete auf eine solche Prophezeiung: Sane cum mula pepererit^). Die Grossmutter Vespasians erklärt dem Sohne auf seine Versicherung, dass ihr nach einem Vorzeichen ein kaiserlicher Enkel geboren sei, sie wundere sich, dass, während sie selbst noch bei Verstände sei, ihr Sohn schon kindisch werde **). Der Vater des Pertinax sagte, als ein Astrologe ihm ähnliches prophezeite, er habe das Honorar umsonst ausgegeben*). Auf solche Fälle widerlegten Unglaubens konnte zuerst nur die Zeit hinweisen,

1) Spart. Sev. 4, 2 in Sicilia, quasi de imperio vel vates vel Chaldaeos consuluisset, reus factus, sed a praef. praet., quibus audiendus datus fuerat, iam Commodo in odio veniente absolutus est.

2) ibid. 4, 7 ita se egit, ut famam, nobilitatam iam ante, camularet.

3) Wie Sever für das Bekanntwerden seiner Träume sorgte, ist aus Herodian II, 9, 4—6 ersichtlich. Severs Autobiographie kann von Dio für jene Schrift aber noch nicht benutzt sein. Vielmehr muss man nach der Stelle 72,23 annehmen, dass Dio die Schrift spätestens in den ersten Regierungsjahren verfasst hat. Er sandte sie dem Sever, als dieser sich auswärts befand, und zwar wahrscheinlich auf dem Feldzuge gegen Pescennius Niger.

4) Sueton Galba 4. 5) Sueton Vesp. 5. 6) Pertin. 1, 3.

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welche die Erfüllung der Prophezeiung erlebte'). Dass es sich dabei um mündliche Tradition handelt, liegt auf der Hand und wird auch ausdrück- lich gesagt =').

Überschauen wir nun die lange Reihe der omina, welche uns bei den Historikern vorliegen, so drängt sich die Wahrnehmung auf, dass in ihnen auch Urteile über die Regierung einzelner Kaiser enthalten sind. Danach , lassen sich die omina in zwei Gruppen scheiden, in solche, welche eine Thatsache einfach vorausverkünden und in solche, welche über diese vorausverkündete Thatsache noch ein Urteil aussprechen oder sie nach irgend einer Seite hin näher charakterisieren. Wenn z. B. dem Tiberius während seines Aufenthaltes in Rhodus sich ein Adler aufs Haus setzt, der vorher in Rhodus noch niemals gesehen war, oder wenn auf dem Land- gute von Vespasians Grossvater eine Cypresse umstürzte, jedoch am nächsten Tage sich wieder erhob und kräftig weiterwuchs, oder wenn den Antoninus Pius während seines Prokonsulats eine Priesterin have Imperator statt have proconsul anredet: so sind das omina der ersten Gruppe; denn sie verkündigen, dass die betreffenden zur Regierung gelangen würden, sagen jedoch über ihre Regierung nichts weiter aus. Für Vespasian enthält das omen in dem Umstürzen der Cypresse noch den weiteren Hinweis auf die Ungnade Neros, die seine Entfernung vom Hof veranlasste, ja sein Leben bedrohte^). Auch dies ist eine äussere Thatsache, die mit seiner Regierung nichts zu thun hat. Wenn aber Caligula dem Vespasian als Aedilen wegen mangelhafter Strassenreinigung die Toga mit Strassenkoth voll- stopfen lässt, woraus geweissagt wird, dass einst der in den Koth getretene Staat in den Schutz und gleichsam in den Schooss Vespasians kommen werde, oder wenn Nero träumt, er solle den Prozessionswagen Jupiters nach dem Hause des Vespasian und dann in den Circus fahren lassen, wonach Jupiter den Vespasian als irdischen Mitregenten annimmt, oder wenn Trajan träumt, dass ihm ein Greis in senatorischer Festkleidung seinen Siegelring erst auf die linke, dann auf die rechte Seite des Halses drücke : so sind das omina der zweiten Gruppe ; denn sie sagen ausserdem

1) Die beiden ersten Fälle hat Plinius, den letzten Marias Maximus aufgezeich- net. Zu der Stelle Sueton Galba4 vgl. Plin. h. n. YIII 173 est in annaUbus nostris peperisse saepe (sc. mulas), verum prodigii loco habitum.

2) Die Äusserung seines Grossvaters hat Galba selbst erzählt (nach solus memor dicti avi). Die Geschichte von der Grossmutter und dem Vater Vespasians führt Sueton mit ferunt ein. Die schon mehrfach angeführte Stelle Tac. bist. II 78 wird durch sie bestätigt.

3) Suet. Vesp. 4. Er war auf der griechischen Kunstreise bei den Musikvorträ- gen Neros öfter weggegangen oder eingeschlafen, und ging wegen der Entfernung vom Hofe in freiwillige Verbannung, bis ihm wieder eine kaiserliche Provinz übertragen wurde.

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372 J. Plew

noch voraus, dass Vespasian unter dem Beistande Jupiters den Staat wieder aufrichten, und dass Trajan unter Mitwirkung des Senats Kaiser werden und dauernd mit dem Senat in bestem Einvernehmen stehen werde.

Es ist nun an sich natürlich und wird auch durch die Überlieferung bestätigt, dass auf diese zweite Gruppe der Erfolg einen wesentlichen Einfluss gehabt hat, d. h. dass Vorzeichen später hinzuerfunden, dass sie übergangen oder widerlegt, dass sie erweitert, verkürzt oder zeitlich ver- schoben wurden, um sie mit den Thatsachen in Einklang zu bringen und so das Ansehen der Divination zu wahren. Dies zeigt sich namentlich bei den Vorzeichen, die für Caligula und Nero angeführt werden. In der Untersuchung über den Geburtsort des Caligula erwähnt Sueton'), dass ein gewisser Lentulus Gaetulicus Tibur als Geburtsort angab*). Plinius wies ihm nach, dass er dies zum Zwecke der Schmeichelei erlogen habe, at ad laudes iuvenis gloriosique principis aliquid etiam ex urbe Herculi sacra sumeret. Ferner wurde unter Caligulas Regierung') ein Distichon verbreitet:

In castris natus, patriis nutritus in armis lam designati principis omen erat.

Die Voraussetzung dieses Distichons, dass Caligula im Lager geboren sei, widerlegt Sueton selbst, und dadurch wird auch das omen hinfällig. Hier sehen wir also, wie solche omina entstanden, und bei dem Jubel, mit dem die Regierung Caligulas begrüsst wurde, sind es gewiss nicht die einzigen gewesen ; dagegen ist es ganz undenkbar, dass schlimme Prophe- zeiungen des verhassten Tiber auf Caligulas Regierung in der ersten Zeit sollten Glauben gefunden haben. Später mochte man sich derselben er- innern, und so führten Sueton und Dio als wahre omina solche Prophe- zeiungen Tibers an. Nach Sueton^) hat er vorausgesagt, dass er für das römische Volk eine Giftnatter, für die Welt einen Phaethon erziehe. Dio**) lässt ihn in demselben Sinne den Vers citieren kfiov ^avovTog yala fiiX^rjzo) tvvqL und den Priamus glücklich preisen, dass er mit seinem Vaterlande und seiner Herrschaft zu Grunde gegangen sei.

Dass für Nero günstige Vorzeichen vorhanden gewesen sind und im Munde des Volkes gelebt haben, bezeugt Tacitus"). Schon die Volksgunst

1) Sneton Cal. 8.

2) Ort und Zeit der Geburt spielen in der Divination durchgehend eine grosse Rolle.

3) Sueton I. c. Versiculi imperante mox eo divulgati.

4) Cal. 11. 5) 58,23.

6) Tac. ann. XI, 11 favor plebis acrior in Domitium loco praesagii acceptus est. Vulgabaturque adfuisse infantiae eius dracones in modum custodum, fabulosa et exteniis miraculis assimitata: nam ipse, haudquaquam sai detractor, uuam omnino auguem in cubiculo visam narrare solitus est.

über die Divination in der Geschichtsschreibung der römischen Kaiserzeit. 37b

selbst, welche sich ihm mehr als dem Britannicus zuwandte, wurde als ein für Nero günstiges omen aufgefasst. Als Messalina ihm deswegen nach dem Leben trachtete, wurde im Volke verbreitet, dass zwei Schlangen in seinem Zimmer die ausgesandten Mörder verscheucht und ihn so be- schützt hätten. Tacitus bezeichnet das als eine fremden Sagen nachge- bildete Erfindung (es ist offenbar eine Umkehrung der Herculessage) ; denn Nero selbst, der sich doch wahrlich nicht verkleinert habe, habe immer nur erzählt, dass eine Schlange in seinem Zimmer gewesen sei. Es ist interessant, wie Sueton diese Erzählung behandelt. Das für Nero günstige omen der Volksgunst und die Fabel von den zwei Schlangen erwähnt er gar nicht, sondern nur die Erzählung des Nero von der einen Schlange, und auch diese erklärt er für eine Fabel, daraus entstanden, dass Nero eine Schlangenhaut in einem goldenen Armbande nach dem Willen der Mutter als Amulet getragen, dass er sie aus Abneigung gegen das An- denken der Mutter fortgeworfen und dann diesen Talisman später ver- gebens wiedergesucht habe'). Er macht also ein für Nero ungünstiges Vorzeichen daraus, und das stimmt zu den Vorzeichen, die er von ihm überhaupt anführt^). Gleich bei seiner Geburt wird aus der Konstellation viel Schreckliches prophezeit, und als Bestätigung wurde die Äusserung seines Vaters Domitius aufgefasst, mit der er die Glückwünsche der Freunde zurückwies, er und Agrippina hätten nur etwas Abscheuliches und für den Staat Verderbliches erzeugen können. Unter multa et formidolosa ist vor allem an die Prophezeiung des Muttermordes zu denken. Nach Tacitus ') ist diese Prophezeiung keine spontane gewesen, denn sie wird der Agrippina auf Befragung des Astrologen Thrasyllus^) zu Teil, sie ist also auch nicht gleich bei der Geburt erfolgt. Hier geht Dio nun in dem Bestreben der Schwarzmalerei über Sueton noch hinaus. Dio kombiniert nämlich den Bericht des Sueton mit dem des Tacitus in der Weise, dass er die Worte tantum quod exoriente sole, paene ut radiis prius quam terra contingeretur, die bei Sueton überhaupt kein omen enthalten, auch zum omen stempelt und sowohl daraus wie aus der Konstellation einen Astrologen unaufgefordert prophezeien lässt otl le ßaoilevoei vcal otl Trjv firj^ega (povevaei. Als Agrippina das gehört habe, habe sie ausge-

1) Dio (61, 2), der für die Vorzeichen, soweit er kann, den Sueton benutzt, er- wähnt nur die Schlangenhaut, hat aber cervicalia und cervicem verwechselt. Denn aus depreusis in lecto eius circum cervicalia serpentis exuviis macht er XeßrjQig negl xov av/e'va tov N^Qwvog naiöiov bxl ovzoq svQs^elaa und lässt die Wahr- sager daraus prophezeien, dass Nero von einem Greise grosse Macht erhalten werde, mit Benutzung des Doppelsinnes von to yrJQaq.

2) Sueton Nero 6. 3) Tac. ann. XIV, 9. 4) Dio 61, 2.

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rufen ccTtoTiTeivaTCj ixe, juovov ßaaiXevaccTw, Auch hier sehen wir das Streben, eine später erfolgte Weissagung zeitlich hinaufzurücken.

Auch Commodus' Regierung wird gleich als unheilvoll angekündigt, Faustina träumt, sie gebäre zwei Schlangen, die eine davon wilder*), und Marc Aurel prophezeit, dass Commodus ein zweiter Nero, Caligula und Domitian werden werde '^j. Später wurde hinzuerfunden, dass Commodus gar nicht der Sohn Marc Aureis sei, sondern aus einem Ehebruch der Faustina mit einem Gladiator stamme. Das darauf folgende alberne Märchen, welches diesen Ehebruch variiert, wird ausdrücklich als Volks- tradition bezeichnet, die beweisen wollte, dass Commodus nicht als Fürst, sondern als Gladiator geboren war^).

Wenn die omina imperii bei diesen Kaisem unheilverkündend sind, so drücken die omina mortis oder vielmehr caedis den Gedanken aus, dass ihr Lebensende eine ihren Thaten entsprechende Sühne gewesen sei''). Gegen Caligula, der in freventlicher Vermessenheit den Jupiter spielte (Dio 59, 28) , schreitet Jupiter selbst ein. Der Olympische Zeus, der nach Rom transportiert werden sollte, lachte so laut, dass die auf- gestellten Gerüste zusammenstürzten und die Arbeiter erschreckt flohen. Zugleich erscheint ein Cassius in Olympia (es war prophezeit worden, dass ein Cassius den Caligula ermorden würde) und erklärt, Zeus habe ihm im Traum befohlen, ihm einen Stier zu opfern. Endlich träumt Caligula selbst, am Tage vor der Ermordung, dass er im Olymp neben dem Thron des Jupiter stehe und von diesem mit einem Fusstritt auf die Erde herabgestürzt werde. Am deutlichsten zeigt sich die Vor- stellung der Nemesis in den Vorzeichen der Ermordung Neros, in einer Art, die ganz an Richard III. und Franz Moor erinnert*). Während Nero früher nie geträumt hatte, beängstigten ihn seit dem Muttermorde

1) Comm. 1,3. Der Zwillingsbruder Antoninus starb in zartem Alter.

2) Ant. phil. 28, 10. Ähnliche böse Ahnungen berichtet Herodian 1, 3, 4.

3) Ant. phil. 19, 1. 4) ibid. 19, 2-4.

5) Die omina mortis wurden wohl meistens erst nach dem Eintritt des Ereig- nisses als solche gedeutet und besprochen. Bei solchen, die sich am Tage vor dem Tode oder am Tage des Todes selbst ereigneten (Suet. Cal. 57), versteht sich das von selbst. Aber überhaupt ging es kaum an, solche omina zu erörtern, so lange der Kaiser lebte. Manche omina können sogar erst nach dem Eintritt des Todes als solche erkannt worden sein. Dieser Vorgang ist auch uns nicht fremd. Goethe er- zählt bekanntlich, dass er sich im letzten Neujahrsbrief an Schiller verschrieben habe ; statt „zum neuen Jahre" habe er geschrieben „zum letzten Jahre". Aber erst nach Schillers Tode fiel ihm das ein, erst da wurde es ihm zur Vorbedeutung. Hier haben wir ein anschauliches Beispiel, wie es damit meist gegangen sein wird. So versprach sich Hadrian in einer Senatsrede, die er nach dem I.Jan. 138 hielt, indem er statt post filii mei mortem' 'post meam* sagte. Hadr. 26, 10.

6) Sueton Nero 46. Dio 61, 14. 63, 28.

über die Divination in der Geschichtsschreibung der römischen Kaiserzeit. 375

Träume, die gegen das Ende immer furchtbarer wurden. Er lenkt ein Schiff und das Steuerruder ist seinen Händen entschwunden, seine Gattin Octavia zieht ihn in die tiefste Finsternis, er wird von Scharen geflügelter Ameisen überfallen, die Statuen der Nationen am Pompeiustheater um- ringen ihn und wehren ihm den Zutritt, durch ein Erdbeben zerreisst die Erde, und die Seelen aller von ihm Ermordeten steigen herauf und stürmen auf ihn los. Ähnlich träumt Domitian, dass der von ihm gemordete Schriftsteller Rusticus mit dem Schwerte auf ihn losgeht, und dass seine Schutzgöttin Minerva ihn verlässt, indem sie die Waffen fortwirft und auf einem mit schwarzen Rossen bespannten Wagen in die Erde hinab- fährt'). Wenn er dann noch träumt, dass ihm ein goldener Höcker am Halse herauswachse, und eine Krähe auf dem Kapitol die Worte spricht eoTat Ttävxa y.alws, SO deuten diese Vorzeichen, mit denen Sueton seine Biographiensammlung schliesst, auf das Glück der folgenden Zeiten hin. Bei Commodus endlich entsprechen die omina caedis den schon an- geführten Vorzeichen, die ihn nicht als Kaiser, sondern als Gladiator hinstellen. Er wühlt in der Wunde eines gefallenen Gladiators und wischt dann das Blut an seinen Haaren ab, und sein Helm wird zweimal durch die porta Libitina hinausgetragen^).

Das Gegenbild zu diesen Kaisem bieten Augustus Vespasian und Trajan dar. Die Vorzeichen auf Vespasian sind schon mehrfach erwähnt Trajan war bei dem Opfer, das er vor seinem Abgange zur Rheinarmee auf dem Kapitol darbrachte, ein Vorzeichen zu teil geworden, indem ein Huldigungsruf des Volks, der eigentlich Jupiter gegolten hatte, auf ihn bezogen wurde. Trajan hatte dies Vorzeichen abgelehnt, um so eifriger betont es Plinius^). Er weist Trajan darauf hin, dass der Erfolg ihn widerlegt habe und stellt es so dar, dass eigentlich Jupiter selbst durch dies omen die Adoption schon vollzogen und Nerva sie später nur ratifi- ziert hätte. Den übrigen Kaisern hätte auf ihr Befragen das reichlich rinnende Blut der Opfertiere oder günstiger Vögelflug den Thron ver- kündigt, den Trajan habe ungesucht der Zuruf seiner Mitbürger als Fürst begrüsst; jene habe also die dunkle Macht des Schicksals, diesen Jupiter selbst „persönlich und öffentlich" zum Kaiser gemacht^).

Am mannigfaltigsten und interessantesten sind die von Sueton über-

1) Bei Claudius und Domitian fehlen die omina imperii, bei Caracalla und Ela- gabal die omina überhaupt. Bei Tiber haben wir es (Suet. Tib. 14) nicht mit Vor- zeichen zu thun, die im Munde des Volkes umgingen, sondern mit solchen, die von Livia und Tiber selbst ausgegangen sind, also auch sicherlich in Tibers Memoiren aufgezeichnet waren.

2) Dio 71, 31. Comm. 16, 6. 3) Panegyr. 5. 4) cf. Panegyr. 1.

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lieferten omina auf die Herrschaft Augusts*), sie zeigen uns das, was sonst nur vereinzelt auftritt, im weitesten Umfange, nämlich einen be- stimmten tendenziösen Inhalt, der sich nach bestimmten Gesichtspunkten gliedern lässt. Schon vor und bei seiner Geburt wird Augustus als künftiger Weltherrscher angekündigt und als Begründer eines Weltreichs einem Cyrus und Alexander dem Grossen an die Seite gestellt. Atia träumt wie Mandane vor ihrer Niederkunft, dass ihre Leibesfrucht sich zum Himmel erhebe und über den ganzen Erdkreis ausbreite. Nigidius Pigalus sagt aus der Konstellation am Tage der Geburt vorher, dass ein Welt- herrscher geboren sei, und dem Vater Octavius wird das später von einem Bacchusorakel in Thracien bestätigt auf Grund eines Vorzeichens, welches an derselben Stätte nur Alexander dem Grossen zu teil geworden sei. Sodann verkünden berühmte Männer der Republik auf Grund von Träumen, die sie gehabt haben, dass es mit der Republik zu Ende sei. Catulus und Cicero träumen, dass der Kapitolinische Jupiter einem Knaben die Herrschaft der Welt übergebe, und als beide dann den Augustus zum ersten mal sehen, erkennen sie in ihm den Knaben, den sie im Traum gesehen haben ^). Ein anderes omen verkündigt, dass der Senat sich dem August unterwerfen werde. Während des spanischen Feldzuges wird Caesar durch ein omen bewogen, ihn zu seinem Nachfolger zu bestimmen, und das Romulusomen bezeichnet ihn als Begründer einer neuen Staats- ordnung. Endlich genügte es noch nicht, dass die Dichter das julische Geschlecht auf die Venus zurückführten, August musste unmittelbar der Sohn eines Gottes sein und zwar des ApolP). Was Asclepiades Mendes von der Schwängerung der Atia durch eine Schlange in einem Apollo- tempel berichtet, war nicht vereinzelte Überlieferung. Sidonius Apollinaris berichtet im panegyricus des Anthemius dasselbe, und auch hier wird Augustus mit Alexander dem Grossen zusammengestellt

Magnus Alexander nee non Augustus habentur Concepti serpente deo Phoebumque lovemque Divisere sibi. Als Sohn des Apoll erscheint er auch in dem Vorzeichen, das Sueton

1) Dass Dio dieselben aus Sueton entnommen hat, ist deshalb unzweifelhaft, weil er sie unter Weglassung der Quellenangaben in derselben Reihenfolge wie Sueton aufführt.

2) Es ist bezeugt, dass diese Erzählung aus Augusts Autobiographie stammt. Dass sie eine Erfindung Augusts ist, liegt auf der Hand. Wenn Cicero das geträumt hätte, so hätte er es in der dritten Philippica erwähnen müssen. Ebenso dreist erfunden ist die Geschichte von dem Senatsbeschluss , welche Sueton aus Julius Marathus anführt. Dieser Senatsbeschluss müsste unter Ciceros Vorsitz gefasst sein.

3) Besondere Pietätsbeweise gegen Apollo führt August selbst im Mon. Ancyr. c. 24 an.

über die Divination in der Geschichtsschreibung der römischen Kaiserzeit. 377

aus C. Drusus anführt. Andrerseits wurde Augustus auch als Hercules hingestellt. Denn auf diesen weist das lächerliche omen von den Fröschen hin^).

Damit sind die auf die Kaiser der ersten beiden Jahrhunderte be- züglichen omina ausreichend charakterisiert. Alle diese omina dürfen als solche für historisch gelten, d. h. Tacitus, Sueton, Dio und Marius Maximus haben diese omina nicht erfunden, sondern entnahmen sie Quellen, in denen sie als gleichzeitige Tradition überliefert waren, oder sie zeichneten sie für die selbsterlebte Zeit selbst aus eigener Kunde auf. Man hat die zu Grunde liegende Thatsache von dem omen, zu dem sie verwendet wurde, zu scheiden, jene kann erfunden und das daraus gemachte omen doch historisch sein. Die Geschichte von den Schlangen, die Nero be- schützten, bezeichnet Tacitus selbst als Fabel, dass aber das Volk daraus ein für Nero günstiges omen machte, ist unzweifelhaft Thatsache. Anders steht es mit den Vorzeichen, die von den Scriptores Eist. Aug. für die Caesares und Tyranni überliefert werden. Zwar ist es möglich, dass auch für Clodius Albinus günstige omina vorhanden waren, bevor die Entschei- dung gegen Sever fiel. Wenn sie es aber auch waren, so mussten sie notwendig von dem Augenblick an in Vergessenheit geraten, wo sie durch den Sieg Severs widerlegt waren. Nun ist aber die ganze sekundäre Bio- graphienmasse, welche die Scriptores Hist. Aug. benutzt haben, erst nach Marius Maximus aufgekommen, also sind alle omina, welche Cordus ge- dankenlos als Vorzeichen der künftigen Herrschaft des Albinus, Diadu- menus und jüngeren Maximinus anführte, ebenso eine Fälschung, wie die Briefe und Aktenstücke, welche in den auf ihn zurückgehenden Biogra- phien einen so breiten Raum einnehmen. Das bestätigt auch der Inhalt, der sich durch Wiederholung immer derselben Motive und Entlehnung und Nachahmung früherer omina als Erfindung einer sehr dürftigen Phan- tasie verrät. Dabei war die Weitschweifigkeit der Darstellung noch grösser als die Dürftigkeit der Erfindung.=^)

Die sekundären Biographien der Cordus und Konsorten haben nun für die Biographien der Kaiser des dritten Jahrhunderts nicht nur im allgemeinen das Muster abgegeben, sondern auch speziell für die omina noch eine Wandlung bewirkt. In den Biographien der Tyranni oder Prä-

1) cf. Solin. II 40 Caussam Granius tradit, cum obmurmurarent illic (bei Rhegium) ranae Hercule quiescente, deum iussisse ne streperent: itaque ex eo coeptum eilen- tium permanere.

2) Albin 5, 10 haec et alia signa imperii futuri fuere. quae qui Yolet nosse, Helium Cordum legat, qui frivola super huiusmodi ominibus cuncta persequitur. Maximin. 31,4 Longum est omnia (sc. omina) persequi, quae qui scire desiderat, is velim, ut saepe dixi, legat Cordum, qui haec omnia usque ad fabellam scripsit.

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tendenten treten nämlich von Anfang an als stehendes Merkmal iudicia der regierenden Kaiser über die militärische Tüchtigkeit jener auf. Sie dienen zunächst der Charakteristik, indem sie zeigen, wie der Betreffende für Aufrechterhaltung der Disziplin und Erweckung militärischen Geistes erfolgreich thätig gewesen ist. Dadurch werden sie aber auch zugleich zu einer Rechtfertigung der Empörung des betreffenden Generals, insofern der Kaiser selbst dessen Überlegenheit in militärischen Dingen anerkennt Am stärksten tritt das hervor in dem Briefe Marc Aureis, mit dem er die Mitteilung des Verus, dass Avidius Cassius ihn ein philosophierendes altes Weib nenne, beantwortet.^) Der Sinn ist kurz : „Wenn dem Avidius Cassius die Herrschaft von den Göttern bestimmt ist, so ist es unmög- lich, dagegen anzukämpfen. Er ist ein ausgezeichneter Heerführer. Mögen meine Kinder also zu Grunde gehen, wenn er dem Staate nützlicher ist, als sie." Wurde der General wirklich Kaiser, so musste ein solches iudi- cium zum omen werden. Und so treten diese iudicia allmählich wirklich den omina imperii nicht nur an die Seite, sondern verdrängen sie fast ganz. Schon bei Maximinus ist dies der Fall.^) Aber Trebellius Pollio sagt auch ausdrücklich, dass diese iudicia als omina imperii aufzufassen sind, und er bedient sich ihrer ausschliesslich. Wohl führt er Prophe- zeiungen auf die Nachkommen des Claudius an, die dieser erhält, als er schon Kaiser ist; diese gelten aber nicht ihm, sondern seinem Liebling Constantius.^) Von Claudius selbst aber heisst es 14, 1 : Nunc ad iudicia principum veniamus, quae de illo a diversis edita sunt et eatenus qui- dem ut appareret, quandocunque Claudium imperatorem futurum. Auch bei Vopiscus überwiegen die iudicia durchaus. Bei dem Senatskaiser Tacitus konnte er natürlich keine bringen, da führt er pflicht- mässig zum Schluss einige omina an. Das breit erzählte omen auf Dio- cletian *) steht, wie die omina auf Constantius bei Treb. Pollio, ausserhalb der Sache. Yopiscus giebt aber auch direkt zu verstehen, dass er die iudicia, welche er praeiudicia nennt ^), für wichtiger hält, als die omina. Er führt Aurel. 4, 3ff. einige omina aus einem griechischen Schriftsteller an, bricht dann aber ab mit den Worten multa superflua in eodem legisse memini. Jedoch die iudicia, welche er über Aurelian bringt, nehmen fast 10 Kapitel ein®), und sie begleiten den Aurelian systematisch durch seine ganze Laufbahn. Ähnlich ist es bei Probus, wo die iudicia gar von fünf

1) Avid. Cass. 2. 2) Maxim. 5, 4 ff.

3) Claud. 10,1 exprimenda est sors . . . ut intellegant omnes, genus Glaudii ad felicitatem reip. divinitus constitutam. 10, 7 quae idcirco posui ut sit omnibus darum Constantium divini generis virum sanctissimum Caesarem et Augustae ipsum familiae esse et Augustos multos de se daturum.

4) Car. 14 f. 5) Aurel. 16,1. 6) Aurel. c. 8—17.

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verschiedenen Kaisern herrühren.*) Auf den Inhalt dieser öden aus der Rhetorenschule stammenden Machwerke näher einzugehen, verlohnt nicht der Mühe. Immer in denselben Wendungen wird die sittliche und mili- tärische Tüchtigkeit des Betreffenden, seine Verdienste um die Disziplin, seine Kriegsthaten gegen die Barbaren gepriesen und betont, dass ein sol- cher Mann auf die höchsten Ehren Anspruch habe und nur durch sie würdig belohnt werden könne. Wenn das Publikum wirklich an der Form, in der ein Cordus, Trebellius Pollio und Vopiscus den Weissagungsglauben litter arisch ausbeutete, Geschmack fand und die Scriptores versichern das wiederholt , so zeigt das einerseits die trostlose Geistesverfassung des ausgehenden Römertums, andererseits aber giebt es keinen stärkeren Beweis für das unverminderte Ansehen, in dem die Divination auch da- mals noch stand.

Auch mit Einführung des Christentums hörte die Divination durch- aus nicht sogleich auf, sondern sie wurde in allen Formen weiter aus- geübt. Das zeigt das Gesetz des Constantius vom Jahre 357^): Impp. Constantius A(ugustus) et lulianus C(aesar) ad populum. Nemo haruspicem consulat aut mathematicum , nemo hariolum. Augurum et vatum prava confessio conticescat. Sileat omnibus perpetuo divinandi curiositas. Etenim supplicio capitis ferietur gladio ultore prostratus, quicunque iussis nostris obsequium denegaverit. Ja derselbe Julian, der als Cäsar am Erlass dieses Gesetzes beteiligt war, führte als Augustus die ganze Divination auch offiziell noch einmal wieder ein. Und so lebte sie denn auch in der Ge- schichtsschreibung bei Ammianus Marcellinus noch einmal auf. Ammianus giebt XXI, 1 in einem Exkurse eine philosophische Erklärung und Be- gründung der Divination. Dieser Exkurs erscheint beim ersten Anblick auffallend, denn er klingt so, als käme Ammianus bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal auf die Divination zu sprechen, während er sie doch in der Geschichte des zweiten Jahrhunderts nicht übergangen haben kann, und dass er es nicht gethan hat, geht daraus hervor, dass er Julian be- züglich des Divinationsglaubens mit Hadrian in Parallele setzt ^). Der Exkurs ist also anders aufzufassen. Wir erkennen daraus, welch unge- heueren Eindruck das Vorgehen Julians machte, wie sehr alle Anhänger

1) Prob. c. 4—7. Vopiscus lässt hier den Aurelian selbst eins seiner iudicia als eine Prophezeiung auf die Herrschaft bezeichnen, 6,6: ut scis quanti te faciam, de- cimanos meos sume , quos Claudius mihi dedit. Isti enim sunt qui quadam felicitatis praerogativa praesules nisi futuros principes habere non norunt.

2) Cod. Theod. 9, 16, 4.

3) XXV, 4 (lulianus) praesagiorum sciscitationi nimiae deditus, ut aequiperare videretur in hac parte principem Hadrianum. Er hat danach über den Divinations- glauben Hadrians unzweifelhaft berichtet.

380 J. Plew

des Heidentums ihm zustimmten, und wie heftig die Christen ihn des- wegen angriffen. Dass die Christen über Julian empört waren, ist sehr begreiflich. Denn um sich in der Volksgunst zu befestigen, nahm er am christlichen Gottesdienst ostentativ teil, war jedoch zugleich, wie man später erfuhr, der Auguration, Haruspicin und „allem, was die Verehrer der Götter immer gethan haben", eifrig ergeben') und suchte in Dacien heim- lich immerfort aus dem Vogelfluge und den Eingeweiden den Zeitpunkt des ersehnten Regierungsantritts zu erforschen*). Um so grösser war nun die Entrüstung der Christen, als sie die Heuchelei durchschauten. Sie beschuldigten ihn deshalb der Zauberei, und dagegen sucht ihn der Exkurs Ammians in Schutz zu nehmen'). Derselbe ist also eine Apologie des Divinationsglaubens, welche sich auf die heidnische Götterlehre, Aristoteles und die Stoiker stützt. Der Gedankengang ist folgender: Die die Welt durchdringende und immer und überall wirkende Weltseele hat auch die Fähigkeit der Weissagung und teilt sie dem Menschen, dessen Seele ein Ausfluss der Weltseele ist, mit. Die Göttin der Weissagung ist Themis, deren Name auf die Schicksalsbestimmung hinweist und die daher auch als Gemahlin und Mitbeherrscherin des Zeus gilt. Die Liebe der Gottheit ist es nun, welche dem Menschen im Vogelfluge und in den Eingeweiden der Opfertiere die Zukunft offenbart und ihn lehrt, sie aus diesen Zeichen zu erkennen. Die Gottheit redet auch selbst durch den Mund begeisterter Menschen. Denn als Ausfluss der Weltseele kann die menschliche Seele, in Begeisterung versetzt, die Zukunft auch unmittelbar erkennen, wie dies bei Sibyllen der Fall ist. Aber auch aus anderen Dingen, aus Zeichen aller Art, aus Blitz und Donner und den Bahnen der Gestirne vermag der Mensch die Zukunft zu erkennen ; am zuverlässigsten wären dazu die Träume, wenn ihre Deutung nicht dem Irrtum ausgesetzt wäre. Doch wenn auch Grammatiker, Musiker und Ärzte Fehler machen, so wird dadurch das Bestehen der Grammatik, Musik und Heilkunde nicht auf- gehoben*). Es ist ersichtlich, dass Ammianus seine Verteidigung zu ver- stärken sucLt, indem er sie in manchen Punkten der christlichen Lehre entsprechend gestaltet. Dem Sohne Gottes, der neben dem Vater auf dem Himmelsthrone herrscht, stellt er Themis als Mitherrscherin des Zeus gegenüber; auch nach christlicher Lehre ist die menschliche Seele ein Teil der göttlichen, die das All durchdringt, den Sibyllen entsprechen die Propheten, und ganz christlich ist der Gedanke, dass die Gottheit aus

1) Ammian XXI, 2. 2) XXII, 1.

3) XXI, 1 et quoniam erudito et studioso cognitionum omnium principi malivoli praenoscendi futura pravas artes assignant. . . Malivoli sind die Christen und pravae artes Zaubereien im christlichen Sinne.

4) Cic. de nat. deor. U, 12, welche Stelle Ammian gleich darauf citiert.

über die Divination in der Geschichtsschreibung der römischen Kaiserzeit. 381

Liebe zu den Menschen ihnen das höchste Gut schenkt, nur dass dies hier die Gabe der Weissagung ist. Mit diesen Sätzen glaubt nun Ammianus die Weissagung verteidigen zu können, und er führt dann omina auf den Tod des Constantius, auf die Herrschaft und den Tod Julians, auf die Niederlage des Valens an^, omina, die denen der früheren Zeit ganz gleichartig sind. Aber wenn wir diese omina auch nur mit den Fälschungen im zweiten Teil der Scriptores Hist. Aug. vergleichen, so merken wir doch, dass sich die Zeiten erheblich geändert haben. Auch jene Fälschungen setzen noch immer die allgemeine Herrschaft des Divinationsglaubens voraus. Die omina, die Ammian anführt, verlieren sich in seiner Dar- stellung, sie machen den Eindruck des Gesuchten, äusserlich Herbeige- zogenen. Und in dem Exkurse über die Divination haben wir wohl das Glaubensbekenntnis der überzeugten Anhänger des Heidentums vor uns, aber wir fühlen, es ist der Glaube einer Minorität, die angesichts der sicheren Niederlage die letzte Schanze verteidigt. Interessant ist dabei, dass der Divinationsglaube diese letzte Schanze war, und dass daher um ihn das Heidentum den letzten Kampf vor seiner gewaltsamen Ausrottung unter Theodosius gekämpft hat.

l) cf. XXI, 2. 14. XXII, 1. XXV, 2. XXXI, 1.

xvn.

Eine griechische und eine lateinische Etymologie.

Von

Walther PreUwitz (Bartenstein).

I. ^AX)^ 0T€ drj €tog riXd-e TteQirTtXoixhwv sviavTwv.

Zum fünfzigsten Male kehrt Ihnen, hoch verehrter Herr Geheimrat, der Tag wieder, an dem Sie einst die Würde eines Doktors der Philo- sophie erlangt hahen. Das darf einem Philologen gewiss ein guter An- knüpfungspunkt für eine Untersuchung scheinen, die sich mit der Her- kunft einer der griechischen Bezeichnungen des „Jahres" heschäftigt. Zum mindesten sollen Sie dadurch an einige Verse des alten Homeros erinnert werden, die den Wechsel der Zeiten zum Gegenstand haben und vielleicht geeignet sind, die Gefühle der Wehmut, die bei dem Rückblicke über ein halbes Jahrhundert wohl bei keinem ausbleiben, in eine gelassenere Be- trachtung aufzulösen.

Schon daraus, dass sich die beiden Bezeichnungen des Jahres, hog und eviaviog, bei Homer öfters unmittelbar neben einander finden, geht her- vor, dass sie nicht ganz dasselbe bedeuten können. Man hat das auch schon erkannt ; eiog, sagt z. B. Nitzsch (bei Ebeling, Lexicon Homericum I, 495 b citiert) bezeichnet „bestimmter das Jahr", eviavTdg heisst „Kreis- lauf, obwohl Homer auch durch letzteres ein bestimmtes Jahr bezeichnet". Indessen liegt doch auch in dieser Erklärung ein gewisser ungeklärter Widerspruch und der Ursprung des Wortes kviavTog ist noch völlig dunkel. Auch findet es sich in keinem anderen Zweige unseres indo- germanischen Sprachstammes wieder, während sich in FiTog das alte indo- germanische Wort für die Jahresfrist auf das reinste erhalten hat, reiner als in ai. vatsa-y t;a^*öra-„Jahr," lat. veius, ksl. vetüchü „alt" und den anderen Stammverwandten, die im Vergleichenden Wörterbuch der indo- germanischen Sprachen von Fick C^I. 128, II 268) aufgeführt sind und denen sich noch albanesisch viet „Jahr" und lettisch wezs {*wetsos) „alt" anreihen lassen.

Eine griechische und eine lateinische Etymologie. 383

Wiederholt ist nun der Versuch gemacht worden, von diesem alten Wort auch hiavTOQ abzuleiten, und zum teil von den bedeutendsten Ge- lehrten. Ebeling nennt Benfey, Düntzer, Ascoli und Christ. Auch Fick hat es noch in der neuesten Auflage seines für etymologische Fragen grund- legenden Werkes (S. 128) gethan. Aber erstens bleibt bei dieser Her- leitung das a von „Ivt-a-vrog" unklar, und dann erfahren wir dabei nichts über die spezielle Bedeutung dieses Wortes. Die Alten erklärten es seit Plato aus ev eavTcoy gewiss in richtigem Gefühl für die eigentliche Be- deutung, aber lautlich ist das natürlich nicht zu rechtfertigen, und die andere antike Erklärung Ttaga ro eviavw könnte hier nur als Curiosum Erwähnung finden.

Um nun zunächst die Bedeutungssphären der beiden Wörter erog und hiavTcg, die in der Synonymik der griechischen Sprache von J. H. Heinrich Schmidt keinen Platz gefunden haben, genauer gegen einander abzugren- zen, untersuchen wir einige Stellen Homers, ß 89 f. erklärt Antinous dem Telemach, dass alle Schuld an seinem Unglück allein auf seine Mutter falle,

TJötj yccQ tqLtov sgtIv €Tog, rdxcc 6* eloL litaQxov,

„Denn schon ist es das dritte Jahr, und bald wird das vierte vergehen, seit sie den Achäern den Sinn in der Brust bethört." Nachdem er die List der Penelope erzählt, fährt er fort 106 fi;, vgl. r 151): u)g TQieieg ^ev eXiqd^e öolit) yial eTtetd^ev ^xacovg, aXX OTB TSTQaiov rjXd^ev erog -/.aX eTtrilvd-ov cbqac, xal Tore örj Tig eeiTte ywaizaiv, rj oaipa f^ärj, xal rrjv y aXXvovoav IcpevQojxev ayXabv Iotov. „So trieb sie es drei Jahre heimlich mit List und beredete die Achäer. Als aber das vierte kam und die Hören herauf kamen" .... Zur Zeit, wo Antinous spricht, ist also das vierte erog gekommen und wird bald vergehen (vgl. Lehrs Aristarch93 [103]); erog bedeutet also „Jahresfrist, das Jahr in seinem vielfache Abteilung zulassenden Verlaufe". Das passt überall. i^AA* oze örj 6Tog rjX^e 7ieQL7tXo(xev(x)v eviavTcov t(^ OL ETceycXü'aavTO -d^eol olxovöe vieo&at elg 'ld'ay.7]Vf ovd* ev-^a TtecpvyfAevog rjev aid-Xwv %a.l (.lera olac (plXoioi. Der Beginn des Jahres, in dessen Verlauf ihm die Heimkehr be- stimmt ist, findet den edlen Dulder noch nicht der Gefahr entronnen und unter seinen Lieben.

Daher wird hog bei der Angabe der Zahl verflossener Jahre ge- braucht. Ein Ross von sechs Jahren heisst i^sTi^g, und von entsprechen-

384 Walther Pbbllwitz

den Adjektiven stammen die Accusative der Zeit eiväereg, iTtraereg, so- wie 7cevraeteg, e^aeteg, deren a übrigens nicht organisch ist. Sie haben es von den beiden ersteren bezogen, zu denen man noch deTcdereg stellen kann, wenn es auch wegen seiner metrischen ünverwendbarkeit bei Homer nicht vorkommt*).

Neun Jahre lang {eivaeteg), so fabelt Odysseus dem Eumäus vor (g 240), führten wir um Troja Krieg. Als wir es aber im Laufe des zehnten {ti)) denaTu)) zerstört hatten, blieb ich nur einen Monat daheim, sondern zog nach Ägypten. Dort blieb ich sieben Jahre [tJCTaeTeg). Aber als das achte herangerollt kam {'AX)! ore dr] oyäoatov /hol ucLrcXo^evov erog Tjld'e), erschien ein betrügerischer Phönizier, dem ich in seine Heimat folgte.

'dvd-a Tcaq avT(^ (xeiva teXeocpoQov elg eviavTov, aXX OTS drj /nijvig ie y,al rjfiigaL e^ereXevvTO axp TteQLteXXofxevov exeog y,a\ eTcrjkvd-ov wgac, eg uiißviqv ^ Ijtl vrjog Maoato ytovTOTtogoio.

„Ich blieb bei ihm bis zu (eig) dem die Vollendung bringenden hiavTog. Als sich aber nun die Monde und die Tage vollendeten, indem sich wieder ein Jahr (eVog) herumdrehte und die Hören heraufkamen, da . . . ."

Hier finden wir schon hiaviog in charakteristischem Gebrauche. Man betrachte aber noch folgende Stellen: x 467

evd-a fihv rj^iara Ttävra TeXeocpoQov elg evtavTov

rjfxed^Uy öaivv^evoi xgea t aOTtexa y,al (xid-v r^dv.

aXX ore örj q sviavTog erjVf tzbqI (5' erguTtov wQai . . .

„Dort sassen wir alle Tage bis zu dem die Vollendung bringenden hiavTog, nie versiegendes Fleisch und süssen Meth uns verteilend. Als

aber der evtavrog war, die Hören herumgewandt hatten" Sehr richtig

übersetzte Lehrs (Die Hören, Populäre Aufsätze S. 56) : „Als der Jahres- kreis um war" aber das „um" liegt nur in dem evtavzog, nicht in si]v ! Man müsste also für eviavTog „der vollendete Jahreskreis" als Bedeutung ansetzen. 5 134 und 295 meinen Agamemnon und Odysseus genau dieselbe Zeit, die sie nun schon vor Troja liegen. Jener sagt:

evvea ö^ ßeßaaoi Aiog /^leyakov eviavrol, dieser aber:

rjfilv ecvaTog sgtl TtegirgoTvicov kvicevrog

€v^dde [iL^vovTeaoi,

1) Übrigens schwankten die Alten, ob h^hriq (so o koxakwvlzTjg) oder k^sti^g (BD 7/ nagadooig) zu accentuieren sei, wie auch die Dialekte die Composita ver- schieden betouten: att. öexaixriq (über die Deklination vgl. Herodian II. 686), ion. ösxasxriq.

Eine griechische und eine lateinische Etymologie. 385

Übersetzt man hier aber eviavTog einfach im Sinne von hog, so kommt man offenbar auf einen Widerspruch. „Neun Jahre des grossen Zeus sind vergangen" und „das neunte Jahr ist im Herumdrehen" (Part, praesentis!) ergiebt das zweite Mal eine kürzere Zeit, da das Jahr Chog) beim Herumdrehen ja noch nicht vollendet ist.

Die Lösung ergiebt sich ganz klar aus dem vorigen und auch aus 5 551: evx^a öe (.ilv tuvqoiol Y.a\ agveiolg llaovTai, KOVQOL ^^rjvalcüv TteQLxeXXofxivuv eviavzwv „Dort versöhnen ihn mit Stieren und Widdern die Söhne der Athener, ''so oft der Tag des Festes wiederkehrt'", so Seiler in seinem Wörterbuch zu Homer fS. 500], und auch die anderen Erklärer nehmen an, dass es sich um ein jährliches Fest (die kleinen Panathenäen) handele. Also be- zeichnet eviavTog nicht die Jahresfrist, sondern den Jahrestag, der nach Ablauf des Jahres (erog) wiederkehrt.

Vergegenwärtigen wir uns das Bild : das ETog ist ein Kreis oder Eing, welcher sich herumdreht, der eviavTÖg dagegen nur ein fester Punkt in demselben, der sich natürlich mit dreht. Wenn sich die errj, die Jahre drehen, so drehen sich natürlich auch die eviavrol, die Jahrestage, und kehren zu ihrer Zeit immer wieder. Sobald dieser Punkt, der sviavTog, da ist, bringt er die Vollendung des ezog, weswegen er Telsöcpogog heisst; sobald er an der Wende ist {7ceQiTQ07thov), ist ein exog vergangen und es dreht sich wieder eins herum (axp TteQLTilleTaL). So ist es also das- selbe, ob Agamemnon sagt, neun Jahrestage seien dahingegangen, oder Odysseus, der neunte Jahrestag sei im Umwenden. Beide bezeichnen, dass sie im Verlaufe des zehnten Jahres ißTog) sind.

Wir haben oben zwei Participia als Attribute sowohl zu exog als hiavTog kennen gelernt: 7ieQn:elX6(.Levog und neQLTtlofxevog, Beide er- gänzen sich grammatisch in der merkwürdigsten Weise. Sie zeigen näm- lich zwar dieselbe Bedeutung, das eine aber ist ein Präsens ohne Aorist, das andere gehört zu einem Aorist, von dem es kein Präsens giebt. So scheint es; denn das TtsQiTteXo^iat der Wörterbücher giebt es eben bei Homer nicht. In Wirklichkeit aber ist nichts einleuchtender, als dass eben 7ceQLTtX6i.ievog der Aorist zu dem Präsens 7teQiTeXX6(.ievog ist. Man muss nur die sprachwissenschaftliche Lehre von dem y-Laute kennen, der im Griechischen vor e lautgesetzlich als t, vor der Liquida, auf die ein dunkles o folgt, als 7c erscheint. Vgl. Bechtel, Hauptprobleme der indo- germanischen Lautlehre seit Schleicher 1892, S. 337. So verhält sich 7teQL7tl6(.ievog zu 7C€QiT€XX6f.i£vog wie e7teq)vov zu d^elvo). Die vorgrie- chische Form des Verbums, von welchem wir hier zwei wundervoll ge- setzmässige Formen vor uns haben, die dem Systemzwange glücklich

25

386 Walthbb Pbellwitz

entgangen sind, würde Praesens qeliö, Aorist e-glo-m sein. Ableitungen davon sind 7t 6 log „Drehpunkt", '/.vUvdw wälze, 7tiX(x), ßov/.olog „Einder- hirf *, aiTtolog „Ziegenhirt", und wohl auch das reduplizierte xtxAog „Kreis" : wir können dem Stammworte also die Bedeutungen „treiben, drehen" geben, das Compositum peri qeliomai mit „umdrehen" übersetzen. Vgl. Curtius Grundz.5 470, der freilich noch 7teQLTilX(x) zu ytela „tragen" stellte. Aber diese Wurzel heisst im Griechischen „ertragen" im Sinne des stammver- wandten lat. tolerare, nhd. dulden, ahd. doten. Auch rt/Aw „hebe" ge- hört nicht zu ihr, sondern ist gleich lit. keliü, „hebe", was ich in meinem Etymologischen Wörterbuche der griechischen Sprache (s. v.) ausgesprochen habe. Im Grunde ist es wohl nur eine Abzweigung jenes qeliö „treibe, drehe".

Aus dem obigen Bilde wird auch der Sinn von xeXeacpoqog klar, das als Attribut nur bei Iviavtog, nie bei etog steht. Denn wie (<Z> 450 f.) die Hören den Göttern Apollon und Poseidon die Vollendung der Miete (xslog i^uod-olo) erbrachten {l^ecpegov), so bringt der Jahrestag (iviavTog) das Ende (r^Xog) des Jahres, wenn es sich ganz umgedreht hat. Wir verstehen, dass auch zilog (eigentl. „das Ergebnis des Treibens", „der Höhe- oder Wendepunkt") zu rtegL-Tello^ai gehört. Vgl. mein Etymol. Wörterb. s. V. riXXo). Curtius (und so auch noch G. Meyer, griech. Gramm. 2 § 6) stellte das Wort zwar zu ai. taras. Dies bedeutet aber 1) „das schnelle Vordringen", 2) „das Fahrzeug", gehört also zu ai. tärati „macht durch", „setzt hinüber" (re/^w), hat demnach altes r und nicht /. Ich habe be- reits den zweiten Bestandteil von 'AvyikoT€Qr;g als seine griechische Ent- sprechung nachgewiesen.*) (Wochenschr. f. kl. Philol. 1891. Nr. 21. Sp. 566).

Auch warum grade die Präposition eig mit kviavrog verbunden er- scheint, auch wenn releacfOQog nicht dabei steht {d 595, X 356), wird bei der Bedeutung „Jahrestag" klar: eig lvtai;2:ov heisst „bis zum Jahrestage, Jahresschlüsse". Indessen ist diese Bedeutung auch bei Homer manch-

1) Eine Ableitung von xeXoq „Wendepunkt" ist xeXaov^ „die Stelle, wo gedreht wird", namentlich wo der Pflug am Ende der Furche herumgenommen wird und die begrenzende Seitenfurche entsteht, welche zsXaov dgovQrjq heisst. Ol {dQoxijQsq) ö^ onoTS axQExpavzeq Ixoiaxo xeXaov dgovQtiq ^ 544. Bei Hesych heisst xeXoaq' oxQO(päq, xeXri, 7t£Qaxa. Vgl. Curtius Grdz. H87. Die Zusammenstellung mit ai. kars „Furchen ziehen*', welche Delbrück (Kuhn'sTZeitschr. XVI. 273) vorgeschlagen und ich im Etym. Wb. angenommen habe, ist aufzugeben. Zimmer (Kuhn's Zeit- schrift XXX, 211, Strachan Beitr. zur Kunde der indog. Spr. XX, 37) vergleicht mit dem altindischen Worte irisch cir (für kers) „Kamm, Striegel". Dann hat es altes r, was die von Curtius bereits hervorgehobenen Bedenken unterstützt und zur Trennung von ai. kars und xekaov führt. Die Bedeutung „Grenzfurche", die auch Curtius zur Annahme dieser Vergleichung bewog, kommt dem homerischen xe'/.oov gar nicht zu. Denn stets fügt er erläuternd entweder dgovQTjq (N 707. 2 544) oder veiolo ßa^elTjq (2* 547) hinzu.

Eine griechische und eine lateinische Etymologie. 387

mal schon verwischt und nähert sich bereits der späteren „Jahr". So wenn es sig iviavTov aTtavza (J 196) heisst oder gar bloss htawov cLTtavTa (o 455). Den Accusativus hiavTov wird man jetzt auch in dem Sinne Ton „ein Jahr lang" auffassen (a 288: tj rav rgv^o/nsvog tibq etc Tkalrjg IviavTÖv), ursprünglich aber kann es auch einfach der Accusativus des Ziels gewesen sein, „bis zur Jahreswende", was ja der Sache nach genau dasselbe ist.

Auch (M 15) TceQd^eno de TlQtafxoLO Ttoktg öexdT(^ eviavrqi be- sagt der Dativ von eviavTog nichts anderes als der von ezec {B 328 f.) üjg ^iLielg Toooavx etea 7ttoXs(.iL^oiiev avd-i, t(p öexdTqj dh tioXiv algr]- GOfiev evQvdyvcav, Aber Troja wurde ja wirklich am Schlüsse des zehnten Jahres zerstört, in diesem Falle ist also ein Unterschied zwischen beiden Zeitbestimmungen kaum vorhanden. Auch ist die allgemeinere t^7 öexaTtt) hei ja in der Weissagung enthalten. Es kam dem Dichter eben oft auf eine peinliche Unterscheidung von „Jahr" und „Jahrestag" gar nicht an. Z. B. / 391 f. oUvov iqövTtorow, ibv evdey.dTO) eviavrc^ weiter Ta^lrj xal duo '/,Q7lde(.ivov eXvoe oder jc 17 f. wg ös TtaTrjQ ov Ttalöa q)lXa q)Qov^tüv ctya- naOfi eXd^ovT l| ciTtb^g yalr]g ösTiaTco eviavrcp ... Es handelt sich hier um rein poetisch formelhafte Zahlen. Ebenso, wenn Zeus seiner Ge- mahlin und der Pallas Athene androhen lässt, dass sie die Wunden, die der Blitz schlägt, auch in zehn Jahren nicht ausheilen würden ; ovöe xev eg ösxccTovg jteQfvelXoixivovg eviavrovg, Ameis erklärt dies für „eine Vermischung der beiden möglichen Ausdrucksweisen" ig öixa htavTovg und eg öexarov eviavTov. Aber ich glaube nicht, dass die erstere Ver- bindung von evtavTog mit einem Cardinale und eg bei Homer überhaupt denkbar wäre, sondern halte das Ordinale hier für das einzig mögliche. Aber da der Singular „bis zum zehnten umrollenden Jahrestag" {lg öeycaTov 7veQL7tl6(.ievov eviavTov) nicht ins Metrum passt, trat der Plural ein, indem es mit der Bedeutung von eviavtog weniger genau genommen wurde.') Nur einmal noch bietet die Ilias in dem Gleichnisse von dem eisernen oolog eine Grundzahl mit eviavTovg, aber ohne sig: e^ei f.iiv xal Ttevre TteQLTcXoi-ihovg eviavrovg xQei6(.iavog , „fünf sich herumdrehende Jahre (eigentl. Jahrestage) wird er ihn im Gebrauch haben".

So sehen wir bei Homer zwar die alte Bedeutung von hiavtog „Jahres- tag" im allgemeinen noch wohl erkennbar und seinen Gebrauch von exog

1) Ebeling führt I S. 487 b. einen Scholiasten an, der neben diesem, dass das abgeleitete ösxdrovg für das einfache dexa stehe, noch einen anderen Weg der Er- klärung bietet: »j xaza nagaraoiv eiq nokXaq ösxdöaq und fügt hinzu: „quorum posterius magis placet: auf Jahrzehnte'^ Ich sehe keinen Anhalt, den der Wortlaut

dieser Auslegung bietet.

25*

388 Walther Prellwitz

verschieden, aber doch auch bereits den Übergang zu der späteren Be- deutung vollzogen. Aus der Sprache der Späteren wäre nur der Ausdruck (.leyag hiavtog zu erwähnen, der unten zur Sprache kommen soll. Aber das muss hervorgehoben werden, dass auch später niemals eiq erog die Bedeutung von elg hiavTov annehmen konnte oder angenommen hat. Eig hiavtov heisst „bis zum Jahrestag", „bis Jahresschluss", „bis zum Ablauf des vollen Jahres", wie es sehr deutlich auch im Hymnus auf Demeter V. 399 cf. hervortritt:

el ^ ETiaoo), 7caXLv avxig iovd vtzo 'Kev^eai yairjg oiyii^oeig wqwv tqLt arov {.ligog eigiv luvtSv, Tag öh övw TcaQ kjnol xe y,ai aXloig a^avaroiatv. „Wenn du gegessen hast, wirst du den dritten Teil der Hören bis zum Jahresschluss (= des vollen Jahres) wieder zurückkehrend in den Tiefen der Erde wohnen, zwei Drittel (sc. wgag) bei mir und den andern unsterblichen Göttern", spricht Demeter zu Persephone, „tertiam cuiusvis anni partem" übersetzt Ebeling die fraglichen Worte freier. Wenn es dagegen bei Sophokles (Ant. 340) heisst erog eig erog oder bei Theokrit (18. 15) dg erog l^ ereog „von Jahr zu Jahr", so handelt es sich hier nur um den Übergang von einem Jahreslauf in den andern, nicht um die Erreichung des Jahresabschlusses. Welches ist nun aber der Ursprung unseres Wortes? Um das^ recht deutlich zu erkennen, müssen wir uns die Art klar machen, wie die homerische Welt sich das Enteilen der Zeiten und des Jahres veranschau- licht. Diese Anschauung fusste aber ganz auf der Beobachtung der Natur. „Die Geschlechter der Menschen", sagt Glaukos, „sind wie die der Blätter. Die einen wirft der Wind zu Boden, und der sprossende Wald lässt andere wachsen, wann die Frühlingszeit kommt. So wächst das eine Geschlecht der Männer heran, das andere entschläft." So kommen auch im Jahres- laufe immer neue Hören (Zeitwellen, wie Lehrs schön übersetzt), die des Wintersturmes, des Lenzes, die Sommerhitze und der gesegnete Nach- sommer^), und auch in der Nacht erscheinen immer neue Gestirne, von

1) In Delphi und danach auch in Athen waren die Monate geteilt zwischen dem Lichtgott ApoUon und dem winterlichen Dionysos (Curtiua, Gr. Gesch. 1, 313; Preller, Gr. Myth. I, 572), Dazu passt wenig die neueste Erklärung des zweiten Göttemamens als „Himmels- oder Lichterguss", die Fick gesucht hat (Die griechischen Personen- namen von August Fick, 2. Aufl., bearbeitet von Fritz Bechtel und August Fick, Gott. 1894, S. 439). Er sagt, „ursprünglich eine Form des Zeus, dessen Namen er in der ersten Hälfte seines Namens trägt : Ji/^o-owaog aus -avvrjog. Das zweite Ele- ment gehört zu va^(o aus snavo, fliesse". Auch lautlich befriedigt diese Erklärung nicht, weil sie die attische Form Aiowaoq mit ihrem o (nicht a>) nicht erklärt. Ich habe (de dial. Thess. 31) zur Erklärung der von den Dialekten gebotenen Formen ein Nebeneinander von /Jioaöorog neben /Jioöozog angenommen. Wilh. Schulze (Quae- stiones ep. 79) stimmt mir darin bei und fördert unsere Einsicht, indem er in dem amorginischen JIENYimS Jisiviawit) (Bechtel, Ion. Inschr. 31) eine andere alte

Eine griechische und eine lateinische Etymologie. 389

denen Homer den Hundsstern als den des Nachsommers bezeichnet: aGtrjQ OTtwQLvog, og re /.idXiaTa lafiTtQov 7ta(.i(paiviß0i Xelov/nevog^ ^xea- volo. {E 5 f.) Aber von einer genaueren Beobachtung des Sonnenlaufes oder einem bestimmten Jahresanfang findet sich bei Homer noch nichts. Wenn es o 404 heisst ÖQrvylrjg xa^v^tegd^ev, od^i rgonal rjelloLo, so ist hier bekanntlich nicht die Sonnenwende in unserem Sinne, sondern die tägliche Wendung der Sonne gemeint, welche sie machen muss, um von Westen nach Osten zu kommen.

Die späteren Griechen haben viel Mühe darauf verwendet, den Tag der Sonnenwende festzustellen. Pherekydes scheint dazu (nach E. Curtius, Griech. Gesch. II, 280) eine Felshöhle benutzt zu haben, die Sonnenhöhle genannt wurde. „An anderen Orten waren es Felsberge, welche dadurch, dass sie den Horizont mit scharfen Linien schneiden, die Beobachtung des nördlichsten und südlichsten Aufgangspunktes der Sonne sehr erleich- tern. So diente den Methjmnäem auf Lesbos der hohe Lepetymnos, den Einwohnern von Tenedos der Ida; hier machte Kleostratos, dort Matriketas astronomische Forschungen." Den Athenern leistete der schroffe Lyka- bettos diesen Dienst. „Denn man sieht am längsten Tage die Sonne ge- rade aus dem Winkel aufsteigen, welchen die scharfen Kanten des Lyka- bettos und die dahinter liegenden Berglinien des Brilessos miteinander bilden." Diesen Vorzug erkannte ein gewisser Phaeinos, und dann be- stimmte Meton, ein Zeitgenosse des Perikles, mittels eines von ihm er- fundenen Instrumentes, des Heliotropions, den jährlichen Sonnenlauf wissenschaftlich. Der Name des ^vycaßrjTTog aber weist darauf hin, dass der Berg ähnlichen Zwecken schon lange vor Phaeinos gedient haben muss. Grasberger (Griech. Ortsnam. 169 ff., citiert von Johansson, Beitr. zur griechischen Sprachkunde 1891, S. 15) nennt viele ähnliche Namen aus deutschen Gegenden wie Sonnjochj Sofinenwendstein, Mittagsjoch, Aller- dings kommt Johansson's jüngste Besprechung der Laute von ^vxaßr]TT6g und Ivxaßag noch zu keinem ganz feststehenden Ergebnisse, aber dass

Form des Genetive, nämlich /Jiseg , erkennt. Vgl. lat. nominis und nominus. Er ge- steht aber, dass er den zweiten Teil von Aißo((;)'VVGoq nicht erklären könne. Den Versuch der Gebrüder Baunack, den Gott zum „zweiklauigen", öiovvxLoq, zu machen (Inschrift von Gortyn 66. Stud. auf d. G. d. Griech. I. 71) erwähnt er wohl mit Absicht tlberhaupt nicht. Denn xj müsste aa oder tt ergeben. Ungezwungen erklärt sich das o aus ^j wie in (Xbooq neben medius. Da scheinen mir die Glossen des Hesych vvd^ov ' ä<pwvov , Gxozeivöv und w^wöeq axozetväjösq sehr zu berücksichtigen. * Ji^oq-vvdjoq wäre also „Himmelsdunkel" und des Gottes Beziehungen zum Dunkel des Winters und der Nacht sind bekannt genug. Er heisst z. B. NvxttXioq (von vvxTs?Mv' iv vvxzl xeXslv , das aus *vvxTLxeXeiv zu erklären, wie dficpoQevq aus dß(fi(poQ£vq und auch z. B. Scaevola aus Scaevovola „Link-hand") , und in Delphi wurden ihm zur Zeit des kürzesten Tages Opfer an seinem Grabe dargebracht.

890 Walthbe Prellwitz

der Berg seit alten Zeiten der Beobachtung, der Feststellung des Jahres- kreiaes diente, ist eine allgemeine Annahme. Curtius I 671 Anm. 131 nennt ihn den „Jahresberg". Merkte man sich auch nur den Punkt genau, wo die Sonne hinter „der höchst wunderlichen, übermütig schroffen, springenden Gestalt" des Berges an einem bestimmten Morgen hervor- trat, so konnte man danach den hiavTog^ die Zeit „über Jahr und Tag** erkennen und bestimmen, auch ohne ein bestimmtes Kalenderjahr fest- gesetzt zu haben ^).

Für Leute ohne Kalender ist ein Jahr zu Ende, wenn der Kreis der Erscheinungen in der Natur und am Himmel abgelaufen ist, wenn man wieder an demselben Punkte angekommen ist, d. h. auf griechisch Bvl avTcf)^ oder, da die Präposition und ihr Casus ja unter einem Ton gesprochen wurden, zusammengeschrieben eviavTO) „am Jahresschlüsse".

Nach dieser Deutung, welche den Lauten bis auf den Accent gerecht wird, bedeutet hiavxog demnach eigentlich den Punkt, wo der Kreislauf wieder zu seinem Anfange gelangt, später den Kreislauf selbst, aber nicht eigentlich die Jahresfrist. Ein Gefühl davon hat sich bis in spätere Zeit erhalten, indem hiavrog auch für die achtjährige Periode, die ozTaerrjQlg, und sogar für den neunzehnjährigen Cyclus des Meton gebraucht wurde. Denn in neunzehn Jahren, sagt Diodor XH 36, 2, to aarga ttjv arco- ytazdaraoiv TCOLSlTai xal '/.ad-aitsq eviavTOv Ttvog /ueydXov tov dva- Y,vXLG(.ibv Xaf^ißccvei' dib v.ai xiveg avTov Merwvog ev lavzov ovo- fid^ovGL, Man sieht, auch hier liegt der Schwerpunkt auf der ccTtoy.a- TccGTaGig T(xJv aGTQwv, der Wiederkehr der Gestirne in dieselbe Stellung.

Nur drei Punkte bedürfen vielleicht noch einer näheren Erörterung, nämlich 1) amog ohne Artikel in der Bedeutung „eben derselbe", 2) die Entstehung des selbständigen Substantivums eviavTog aus dem präpositio- nalen Ausdruck evl avrcp und endlich 3) warum dasselbe gerade ein Masculinum geworden ist.

Der erste Punkt ist sehr bald erledigt. Bei Homer ist der Gebrauch des Artikels sehr beschränkt, er hat noch hinweisende Kraft, fehlt also auch bei amog ohne weiteres öfters z. B. M 225 ov yLOGfitt) Ttagd vav- g)iy eXevGOfusd^ avzd y.eXevd'a oder x 159 og qoc fxot vipUsQiov eXacpov fxiyav eig oöbv avTTjv t^ksv, -S- 107 t^qxs öe t^J avTrjv odov, rjvTteg ol alloLf cp 366 avTCLQ 6 d^i]'/.e cpegojv avTJj ivl xwQj} „er legte (den Bogen) an denselben Platz".

Das Pronomen avTog „ipse, idem" ist auch ein speziell griechisches "Wort, das man teils als eine Verbindung zweier Demonstrativa {av in avd^L „dort" : ai. ava, ab. ava, ksl. ovüt , jener" und to-, tov u. s. w.

1) Vgl. Stengel, Hermes XVIII. 1883. 305.

Eine griechische und eine lateinische Etymologie. 391

der Nominativ Mac. und Fem. Sing, ist nach der Analogie der übrigen Kasus geformt), teils aus av „wieder" und demselben Pronomen lo- er- klärt (z. B. Pott, Etym. Forsch. 11, 243). Für die Bedeutung „ipse" ist vielleicht die erste, für die Bedeutung „idem" gewiss die zweite Annahme richtig. Wenigstens kann man an mehreren der obigen Stellen „wieder der" für „derselbe" sagen und auch hl avTci} lässt sich als evl-av-icp „an wieder dem Punkte" deuten.

Kehrte dieser Punkt etwa zum zehnten Male wieder, so lag es nahe, zu eviavTco das Ordinale mit gleicher Endung, also öexaro), hinzuzusetzen. So findet man bei Homer auch evöc'/Mzcp und ieixooTcp kvtavTci}. Hierin wurde eviavTw als ein Nomen im Dativus gefühlt, und es ist nicht wunder- bar, dass man dazu den Accusativus bildete, sobald jener Punkt als Ziel angenommen wurde: eviavrov oder eig evtavTov, An diesen Kern schlössen sich die übrigen Kasus leicht an.

Diese Erscheinung nun, dass ein adverbialer Ausdruck, besonders des Orts und der Zeit, bei der Bildung eines voll durchflektierten Nomens zu Grunde gelegt wird, findet sich in allen Sprachen häufig. Wir sagen „der zufriedene Mensch", „das vorhandene Material'^ „ein behender Junge", und doch sind die hier als Attribute verwendeten Adjectiva „zufrieden", „vorhanden", „behende" eigentlich präpositionale Ausdrücke „zu Frieden" (Dat. Sg., mhd. mit friden), „bi hende" (Dat. Sg. vgl. ahd. zi henti „so- fort", „zur Hand"), „vor Händen" (Dat. Plur.). Usener hat (Fleckeisen's Jahrbücher 1878, 71 ff.) dies „Hypostase" oder „Verselbständigung" genannt. Er führt eine Zahl ähnlicher Fälle aus mehreren Sprachen an, z. B. avaloyog aus ava Xoyov y hciö^^iog aus STti de^ia , perfidus aus per fidem, und meridie aus dem Lokativ meri die, womit sich unser „Mitternacht" (ahd. zi mitteru naht) vergleichen lässt.

Andere Beispiele giebt Johansson in den Beiträgen zur Kunde der indogermanischen Sprachen Bd. XIII, 111 f. und XIY, 164 f. 169 ff., bei dem man auch einige weitere Litteratur findet. Er nennt Ortsnamen wie Amberg, Amsteg, Jmhof, Ähnlich sind Freienwalde y Rotenburg, Ilohenstein, Harten/eis aus den adverbialen Ortsbezeichnungen „im freien Walde", „auf der roten Burg", „auf dem hohen Stein", „auf dem harten Fels" entstanden, indem zwar die Präposition wegblieb, die von ihr regierte Form des Attributes aber nun in allen Kasus beibehalten wurde.

Zu allen Zeiten kann man solche Hypostasen beobachten. In den Worten des Achill (^ 88): tf-iev ^aivTog Aal htl x^-ovl dsQxo/xevoLO und den ähnlichen des Eurymachos (^c 439) KcüovTÖg fk/nsd-ev xal STtl x^ovl deQxof,ievoio, zeigt sich deutlich der Ursprung des homerischen €7tix^6vtog „Erdenbewohner". So erklären sich auch evöuog, evöo^og und Ttagado^og.

392 Walthbb Peellwitz

iTtLÖri^iog und hcldrjf-iog, fxeiaörifXLoq und ^tradrifxog (Hesych.), iiena- QLd-ixLog, fietavyjviog, fi€Taq}Q€vov „ea pars dorsi, quae inter cpgevag est", VTtiqd-vQov und vTtegd-vQLOv, ewofiog, evonXog und kvoTtXiog, €q)r)fX€Qog, lq)ioxiogy €vaXog und BväXiog, vcpaXog, e^akog, 'icpaXog,

Dem griechischen evaXog „im Meere befindlich" ganz anlog gebildet ist lat. insulttj aus *in sah. Dagegen bei dem litauischen sala „Insel" ist die Präposition bei der Hypostase nicht mitgenommen, wie bei „Freienwalde" oder etwa gr. ahog, x^oviog, femer auch öLv.aiog, axfialog, (.lioaiov , Qrjßaiogf TceixTtTalog, voregalog, die durch Hypostase der Lokative *öUaL = hv äUj]^ Q)]ßat in Qiqßai-yevrigy * fiioac (vgl. fxeoaL- yevjg, gebildet wie „Freienwalde"), *7C€(.i7tTaif voTigai [rji^iQai] am fünften, folgenden Tage entstanden sind, wie ich an einem andern Orte zeigen will.

Warum hat aber das lateinische insula das weibliche Geschlecht an- genommen? Weil man das neugeschaffene Wort auf die Mutter Erde bezog. Und welches männliche Wort oder Wesen hat man zu eviavTog hinzu zu denken? Kein anderes, meine ich, als den Vater Zeus, der selbst auch releocpoqog heisst, als dessen Eigentum Homer ja die hviavrol ausdrücklich bezeichnet. Gewiss klingt das für den sonderbar, der nur an den homerischen Göttervater in seiner ausgeprägten Persönlichkeit denkt. Aber man vergegenwärtige sich, was Lehrs in dem Aufsatze über die Hören so schön auseinander setzt, nämlich, dass der appellative Ge- brauch und der personifizierte oftmals gar nicht zu scheiden sind. Und als Appellativ hat Zeus einmal „lichter Himmel, Tag" bedeutet. Diese Deutung verbürgen uns nicht nur das Altindische und das Lateinische, welches uns dies Tag = Zrjg, Zevg bietet und Diespiter = Zeig TtarriQ samt dem ursprünglichen Vokativ Jttppiter = Zev tccctsq, sondern auf dem Boden des Griechischen ein bisher noch nicht genannter Fall von Hypostase. ''Evöiog heisst „mittäglich" und „unter freiem Himmel". Ist das t lang, wie bei Homer, so steht es für IvöißLog, kurz, wie z. B. bei ApoUonius Rhodius, für evöi^og, beide Formen aber erwuchsen aus h JljtI „im Zeus, im lichten Tage", wie evakog und hahog aus hv aki. (Vgl. Legerlotz Kuhns Zeitschr. VII, 299 und Schaper, quae genera compo- sitorum apud Homerum distinguenda sint, Progr. von Coeslin 1873 p. 4, nach Schulze Quaestiones epicae 253 n.)

Ich will mich hiemit keineswegs in einen Gegensatz zu Lehrs setzen, der gezeigt hat, wie falsch es ist, die griechische Religion als Natur- religion zu betrachten. Aber wenn Lehrs seinen populären Aufsätzen die Erinnerung voraufschickt, dass er unter Griechen dasjenige Volk verstehe, das in Griechenland gewohnt und Griechen geheissen habe, durchaus keine Nation am Ganges oder Himalaya^ so muss ich hervorheben, dass

Eine griechisclie und eine lateinische Etymologie. 393

es sich hier nicht um den Zeus Homers handelt, sondern um einen viel älteren. So gut wie eviavTog bei Homer zwar noch Spuren seines Ur- sprungs, aber auch schon die spätere Bedeutung zeigt, wie wir also seine Entstehung in eine viel frühere Zeit zurückverlegen müssen, ebenso wenig dürfen wir das Substantiv, worauf es bezogen zu denken ist, den ur- griechischen Zsvg, oder, wenn man lieber will, Dieus, „Himmel, Tag" mit dem homerischen Göttervater verwechseln. Gewiss: wir können das Griechentum, also auch die griechische Sprache und Keligion, nur aus den Griechen selbst verstehen lernen, aber ihren Ursprung und ihre Vor- geschichte erkennen wir nur durch die Yergleichung verwandter Sprachen. Mit Recht giesst der grosse Philologe die Schale seines Spottes über den aus, der divus Augustus „sanskritanisch" erklären wollte, nicht minder gerechtem Spott aber verfällt der Philologe, der sich jetzt ohne Kenntnis der vergleichenden Sprachwissenschaft auf Ursprungserklärungen alter- erbten Sprachgutes einlässt. Vermag er doch nicht einmal zu konstatieren, dass 7tsQLT;elX6f.iEvog das regelrechte Präsens zum Aorist TteQtTtXofxevos ist. Doch ich wollte eigentlich nur sagen, dass ich von dem richtigen Lehrsischen Standpunkte nicht im mindesten abzuweichen glaube, wenn ich zu dem durch Hypostase aus hl avrc^ neu entstandenen Nomen den Vater Zeus ergänze. Denn auch „Vater" heisst er, wie bei den Griechen so bei Indern und Eömem. Und damit ist auch das Geschlecht von evLavTog „Jahrestag" erklärt.

n. Lat. sospes.

Früher pflegte man sospes mit sänus und griechisch oaog, owg zu vergleichen. S. Vanicek, Etymologisches Wörterbuch der lateinischen Sprache^ 145. Aber seitdem das anlautende o in Gaog aus t/ erklärt ist {tvavos, s. Fick, Vgl. Wörterbuch der indogermanischen Sprachen^ L 449, Vf. Etymologisches Wörterbuch der griechischen Sprache 279), ist die zweite Zusammenstellung hinfällig geworden. Das lateinische sänus „gesund" gehört samt an. son, ahd. suona nhd. Sühne zu ]/ „sättigen, befriedigen" (Fick^ I. 557). Wie man aber aus dieser auf sospes oder gar sispes kommen will, ist nicht abzusehen.

Neuerdings hat A. Zimmermann einen neuen, interessanten Versuch gemacht, sospes, seispes, sispes als „*w/ (com) pos^^ zu erklären (Programm des Gymnasiums zu Celle 1893, 11). Ohne mich aber auf die formellen Bedenken, die dem entgegenstehen, einzulassen, muss ich diese Vermutung schon der Bedeutung wegen abweisen. Aus „seiner mächtig" kann man vielleicht zu „heil" gelangen, aber unmöglich zu „heilbringend", „rettend", und doch ist diese Bedeutung uralt, wie der Beiname der Juno Sispes

394 Waltheb Prellwitz

oder Sospita beweist. Vanicek kommt der Grundbedeutung viel näher, wenn er das Wort mit „heilschützend" (zu „]/ pnt schützen") wiedergiebt, aber deutlicher und klarer noch ergeben sich beide Bedeutungen, sowohl „wohlbehalten" als auch „rettend", wenn man als Grundbedeutung „das Heil besitzend", „Heilsherr" ansetzt. Denn wer Herr über das Heil ist, ist selbst unversehrt, kann aber als Gott auch anderen rettend das Heil verleihen.

Dann kommen wir dazu, im zweiten Teile potis „Herr" (vgl griech. Ttooigf ai. pdtis, lit. pat(})s „Ehemann") zu sehen. So hat man hospes, das Reimwort zu sospes, schon längst aus hosti-potis erklärt S. Vanicek a. a. 0., Brugmann, Grundriss der vergl. Gramm. I. 74. 475. Es müsste dann „Fremdenschützer" heissen. Freilich macht den Auslaut das nicht ganz klare Verhältnis zu kirchenslavisch gospodX „Herr", gospoda „Herr- schaft, Bewirtung" (s. Fick a. a. 0.'* 417) einigermassen unsicher. S. u. S. 396. Aber an der Möglichkeit, -pes aus -potis zu erklären, lässt sich nicht zweifeln. Ebenso wenig daran, dass die Schlusssilbe des ersten Gliedes, -ti-, verschwand, indem zunächst das i und dann natürlich auch das zwischen s und p geklemmte t in *host-potis ausfiel. Denn in drei- und mehr- silbigen Wörtern fällt ein mittlerer, von Natur kurzer Vokal regelmässig aus. Vgl. reppuli repperi aus *repepuli u. s. w., cette aus ce-date, surgo aus subrego, ergo und ergü aus * e rogö, * e rogä, qulndecim, undecim, praeco aus *praevoco, aetas aus *awoiäs oder *aivitüs. So steht auch salüber, Stamm salübri für *salüti-bheri-s. Denn ich meine [mit Corssen^ I. 486, Vanicek 2 299], dies Wort ist nicht suffixal erweitert, sondern ein verdunkeltes Compositum, zu vergleichen ai.-ved. saho-bhäris „Kraft (ÄßÄa*) bringend".

Ein solches Compositum ist auch sospes. Im Altindischen würde es, wie ich glaube, * suasti-paiis „Herr des Wohlseins" lauten, in der Laut- form der Ursprache * suesti-pot(i-)s. Der erste Teil, das ai. suasti-s, svastis „Wohlsein, Heil, Segen", wird schon im Rigveda gern zu ähnlichen Zu- sammensetzungen verwendet, z. B. suasti-väh „Segen mit sich führend", *suasti-dä „Wohlsein gebend".

Aus *suestipotis ist *suespotis und dies regelrecht zu sospes geworden, wie *svesör „Schwester" zu sojwf\ *svecrus „Schwiegermutter*' zu socrm, *svepnos „Schlaf" zu somnus, duenos zu bonus. (Vgl. Brugmann, Grundr. I. §172). Daneben scheint es in lateinischen Wörtern eine andere Ent- wickelung von sve zu se gegeben zu haben. Indessen sind die bei Brug- mann, Grundr. I. § 170 angeführten Beispiele nicht sicher zu beurteilen. Dass st „wenn" mit osk. svaiy svae, umbr. sve „si", volsk. se-pis „si quis" zusammengehört, ist ja wahrscheinlich, aber hier wie in altlat. sis = suis kann auch die Tonlosigkeit für den Verlust des v verantwortlich gemacht werden, wofür wir weiter unten Belege kennen lernen werden. In se.v

I

Eine griechische und eine lateinische Etymologie. 395

war der ursprüngliche Anlaut nicht sv-, sondern noch komplizierter, viel- leicht ksv (vgl. griech. ^saTrig^ Vf. Etym. Wörterb. s. v., ab. khsvas), und er zeigt in fast allen Sprachen ein verschiedenes Aussehen. Dass serenus zu ai. svar „Glanz, Sonne" gehört, werden Brugmann nicht viele glauben. Man vergleicht mit diesem altindischen Wort vielmehr r^hog, und so hatte wohl Warton (Etyma latina 1890, S. 94) Kecht, wenn er serenus „dry", seresco Lucr. I. 306 „get dry" als unerklärt betrachtete. Gehört es zu ^Tqqog, ^sQog? Aber selbst zugegeben, dass sve- bald so-, bald se- geworden sei, es würde doch immer auffallend bleiben, warum grade in sospes-Sispes beide Entwickelungen neben einander liegen. Diese Thatsache verlangt ihre Erklärung. Vielleicht lässt sie sich in Lautverhältnissen der indoger- manischen Ursprache finden; denn dieser müssen wir das Wort su- esti'S „Wohlsein" schon zuschreiben. Das Praefix su- „wohl" hat sich nämlich sonst im Lateinischen gar nicht erhalten, nur der arische Sprach- stamm und der keltische zeigen es in lebendiger Verwendbarkeit. Die Zusammensetzung mit dem Abstractum *es-ti-s „das Sein" kann also auf dem Boden des Lateinischen, überhaupt des Italischen, nicht mehr voll- zogen sein, muss vielmehr in die Ursprache hinaufreichen. Das griechische deoTOj „Wohlsein" ist zwar eine ganz entsprechende, aber unverkennbar speziell griechische Bildung. Auch das Compositum sospes, Sispes (*suesti- potis) passt mit seinem feierlichen Klange, den es zweifellos hat, zu der Annahme so uralten Ursprunges auf das beste. Nun ist es weiter be- merkenswert, dass die Form mit i nur als Beiname der Juno belegt ist. Festus bezeugt sie nur als solchen : „Sispitem lunonem, quam vulgo Sos- pitem appellant, antiqui usurpabant, cum ea vox ex Graeco videatur sumpta, quod est owt^eiv^''. Es ist femer klar, dass das Wort als Attribut einer Göttin oft im Anruf als Vokativ gebraucht wurde, als gewöhnliches Ad- jectivum aber nicht. Auf diese Verschiedenheit der Funktion ist mithin auch der Unterschied in den Lauten zurückzuführen, der das gewöhnliche sospes von dem Götterbeinamen Sispes scheidet.

Dass die Form des Vokativs auf die Gestaltung der Göttomamen von Einfluss gewesen sei, ist keine neue Annahme. Oben erwähnten wir den alten Vokativ Juppiter = Zev TtocTeg, der im Lateinischen den Nominativ Diespiier ganz verdrängt hat. Das o in dem Namen des ApoUon und des arkad. noaocöavog (vgl. boöt. JIoToiödixog) habe ich (Beiträge zur Kunde der indogerm. Spr. 1885, Bd. IX, 327) aus dem Vokativ, in dem es regelrecht durch Ablaut zu e entstanden, hergeleitet. Auch Job. Schmidt erklärt (K. Z. N. F. XII 327) das o von ^TtoUtov aus dem Vokativ.') Der

1) Allerdings schlägt dieser Meister der Sprachwissenschaft einen andern Weg der Erklärung ein und hält den meinen nur unter den Voraussetzungen für gangbar:

396 Walther Prell witz

Vokativ unterscheidet sich von allen übrigen Kasus durch seine Enklisis, die für das Indogermanische feststeht. Auch das Verbum finitum war in Hauptsätzen enklitisch, und daraus erklärt sich bekanntlich sein zurück- gezogener Accent im Griechischen. So hat man sehr treffend das an zweiter Stelle stehende iijitur „also" als eingeschobenes, enklitisches agüur „es handelt sich darum" erklärt. (S. Hartmann K. Z. XXVII, 550 ff.)

1. dass dieser Name fix und fertig aus der Ursprache stammte, 2. dass c hinter dem Hochtone zu o wurde. Beide seien jedoch unerwiesen, und daher erklärt er \no)J.ov für "AneXXov durch Vokalassimilation. Indessen habe ich a. a. 0. nachgewiesen, das^ genau dieselben Ablautsverhältnisse wie in den Namensformen des Apollo sich in denen des Poseidon finden. Es ist doch nur methodisch, beide Reihen 'A7i6)1ü)v, AnsXXcDV, thess. ^AnXovv und Ilozeiödfajv ^ Uotolöu- und Iloaiöa- auf die gleiche Art zu erklären. Die an sich bei Apollo mögliche Erklärung Schmidt's lässt sich aber für UoxoLÖa- nicht verwenden. Denn Vokalassimilation kann hier vor dem l und dem folgenden « schlechterdings nicht in Frage kommen. Also muss ich sie auch für Apollo abweisen. Die Frage, ob 'Anülojv aus der Ursprache stamme, würde nwr durch Nachweis einer genauen Entsprechung in einer urverwandten Sprache zu beantworten sein. Aber sie lässt sich auch keineswegs verneinen. Fröhde's schöne Deutung dieses Götternamens (Beiträge zur K. d. idg. Spr. XIX, 230 f. bes. 240flF.). als des „Kundthuenden" hat eine recht genaue aussergriechische Entsprechung des zweiten Teiles in got. spilla „Verkünder" nachgewiesen. Als urgriechisch sieht ja Schmidt selbst (s. 329) und auch Fröhde den Namen an. Wie aber die Ablautsverhältnisse des Urgriechischen von denen der Ursprache abwichen , wer will das sagen ? Auch das thessalische ^Ankovv zwingt uns doch zur Annahme alten Ablautes in diesem Worte.

Die zweite Voraussetzung, dass e hinter dem Hochtone zu ö, e zu ö gewor- den sei, wird von vielen Sprachforschern als richtig anerkannt. Gewiss lässt sie noch viele Schwierigkeiten übrig, und es ist sehr zu bedauern, dass Bechtel in seinen „Hauptproblemen" dieses Problem noch bei Seite gelassen bat. Das letzte Wort dar- über ist jedesfalls noch nicht gesprochen, aber wenn Schmidt die Vokative aöa).(fe, fxox^riQs, novTjQe anführt, um die Unrichtigkeit jener Theorie kurz darzuthun, kann er mich nicht überzeugen. Er schliesst, der Vokativ habe ursprünglich den Accent durchweg zurück gezogen, er zeige aber allein von allen lebenden Casus der ö-Stämme £, also sei er genügend, um zu versichern, dass die Betonung von "AnoU.ov nicht die einzige Ursache des mittleren o sei. Indessen kann ich die Richtigkeit der ersten Prämisse nicht zugeben, also die Richtigkeit des Schlusses nicht anerkennen. Dass a6sX(ps wie ömnoxa auf alter Enklise beruht, ist klar. Aber kann oder muss denn jeder Vokativ enklitisch sein? Der alleinstehende doch nicht? Ich habe bereits (Gott. gel. Anz. 1886. 767) auf die Möglichkeit hingewiesen, in ainev und Arixol den uralten Typus nicht enklitischer Vokative zu erkennen. Was aber viel wichtiger ist, Bezzenberger hat (1889. Beitr. XV, 296 flF.) aus dem Lettischen und Altindischen Vokative auf ö von ö- Stämmen neben denen auf -e nachgewiesen und es geradezu ausgesprochen, dass nicht ai. deva, gr. «rff A^e, sondern das litauische diivc „o Gott" die grundsprachliche Betonung erhalten habe.

Man beachte auch folgendes: Mit den Vokativen sind von dem Gesichtspunkte aus, der jedem alten Stamm sowohl nominale wie verbale Verwendbarkeit zuerkennt, die Imperative morphologisch identisch. Der Voc. ovXi bedeutet dasselbe wie der Imperativ salve\ Auch der Imperativ der Verba auf endigt auf -t^. Auch er zieht den Accent zurück (z. B. xvnxt). Nun hat man erkannt, dass die griechischen Verbal- formen, die nicht infolge früherer Enklisis den Dreisilbenaccent tragen, den ursprach-

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Eine griechische und eine lateinische Etymologie. 397

Durch Enklise nun wurde im Indogermanischen der Dativ tvoi „dir" (ai. tve, ab. ihwöi, gr. ao/, ^xfoL) zu toi (ai. /e, ab. te, töi, apers. taii/y gr. TOI, ksl. ti), d. h. die Enclitica verlor das v hinter dem anlautenden Konsonanten, ebenso wurde vielleicht svoi „sibi" zu soL S. Wackernagel K. Z. XXIV 592ff., Brugmann Grdr. I § 187. Bechtel (Hauptprobleme 354 f.) vermutet, dass das verallgemeinernde -za im Westgriechischen den dem X folgenden i^- Nachklang in der Enklisis verloren habe. J. Strachan (Compensatory lengthening in Irish. Beitr. zur Kunde der idg. Spr. XX S. 8 Note) macht auf die Möglichkeit aufmerksam, das auffallende Neben- einander von Verben mit und ohne v hinter dem anlautenden Konso- nanten (zveng- und seng, ivenk- und ienk-^ tek und tvek) durch die alte Enklisis des Verbs zu erklären.

So erklärt sich auch der Schwund des v in dem enklitischen Vokativ Juno * Sestipot und ausserdem auch der sonst ebenso auffällige Wandel des Vokals. Das tonlose e ist zu i geschwächt, wie das i von igitur in der Enklise an die Stelle des a getreten ist.

Durch diese Lautwandlungen erklärt sich also Sispes als eine Ver- selbständigung des alten enklitischen Vokativs. Das i war etymologisch natürlich kurz, konnte aber im Lateinischen wegen seiner Stellung auch lang gesprochen werden (vgl. hesternus u. a.), und es darf deswegen für die Ety- mologie aus der Schreibung mit ei, welche eine alte Inschrift (Corpus inscr. lat. I, 1110) bietet, nichts gefolgert werden. Denn ei bezeichnet auch sonst in derselben Inschrift nur das lange I. Vgl. Wharton a. a. 0. XVII.

Die übrigen, nicht enklitischen Casus mussten auch im Götterbeinamen im Anlaut so- für sve- zeigen, und so können wir nicht erstaunt sein,

liehen oder wenigstens vorgriechischen Accent bewahren. Vgl. TQanelv, xQanea&ai, TQanrjvaL, TQaneiq, rsT^afZfxsvog, rganov aus ^xQaneao. Und diese Formen sprechen dafür, dass e dem Hochton zukam, o der nach dem Hochton stehenden Silbe! Die Participia xQanwv und elöiöq können hiergegen nicht aufgeführt werden, denn sie sind Produkte der Ausgleichung von ^-Formen mit Endbetonung und ö-Formen mit An- fangsbetonung. Vgl. vom Part. Aoristi lat. parcfiles, vom Participium Perfecti den litauischen Nom. Sing, büvfs und den uralten Nom. Plur. *bhuveses, der sich mir mit Abfall des Schluss-^ (vor su?it) im lat. /'uere erhalten zu haben scheint. Darnach muss auch die Betonung der Imperative evqs, Idt, sine, ik^s, 7.aße, die vermöge ihrer Bedeutung allein stehen können, uralt sein (dies nimmt auch Brugmann, Grundr. H. 1319 an) und sie passt zu dem litauischen Vokativ Deve. Also darf man enklitische und nichtenklitische Vokativformen für die Ursprache annehmen, und es liegt kein Grund vor, Vokative wie ßgoxs für weniger ursprünglich zu halten, als solche wie aÖEX(p£. Dass aber "AnoXkov immer enklitisch gewesen ist, diese Annahme legt die regelmässige Verbindung des Namens (der ursprünglich gewiss nur ein Beiname war) mit fPolßog, Aioq vloq u. s. w. sehr nahe. Also möchte ich meine frühere Erklärung auch gegen Joh. Schmidt aufrecht erhalten. Für den vorliegenden Zweck genügt aber unsere Übereinstimmung darin, dass ^AnokXwv aus ^AniXX(ov durch den Ein- fluss des Vokativs "AnoV.ov hervorgegangen ist.

398 Walther Pbellwitz, Eine griechische und eine lateinische Etymologie.

neben dem archaischen Sispes auch Sospita als Beinamen der Juno zu finden, worauf hospita ebenso reimt, wie hospes auf söspes. Die abge- leiteten Verba hospitäri „als Gast einkehren", sospitäre „retten" zeigen das Alter des a-Stammes, der sich dem griechischen öea-norrjg „Hausherr** vergleicht und ursprünglich dem Masculinum ebenso gut wie dem Femi- ninum zukommt. Über dieses -0, welches ursprunglich dem prädikativ gebrauchten Nominativ der Wurzelnomina (als Rest des Wurzelauslautes?) (hier -pot-) zukommt, hat jüngst Neisser interessante Aufklärungen ge- liefert (vgl. Beiträge zur K. d. idg. Spr. XX, S. 40 ff.}. Jedenfalls darf man sagen, sospes, hospes verhält sich zu sospita^ hospita, öeo7i6trig, ähnlich wie eques zu %7C7cota, iTtTtorrjg. Wie für eques der Stamm ekvot' angesetzt werden muss, so ist der jener Composita wohl als hos(ti)-pot, svcs(ii)-pot (vgl. compot-) anzusetzen Im idg. Auslaut hat tenuis mit media, t mit d^ gewechselt, und so erklären sich wohl die oben erwähnten slavischen Wörter mit //, gospodt und gospoda.

Unsere Untersuchung hat uns mehrmals in die nebelhaften Femen hypothetischer Urzeiten geführt, über deren Geistesleben uns gleichwohl die Yergleichung der indogermanischen Sprachen noch einigen Aufschluss zu geben vermag. Wieviel aber bleibt hier der Wissenschaft noch zu thun, um Vermutungen, die wir jetzt nur andeuten können, festere Be- gründung zu geben ! Ein sicheres Resultat aber hat sich hoffentlich aus dem Obigen ergeben: das urindogermanische Wort suestipot „Herr des Wohlseins".

Am Schluss meiner Ursprungserklärung dieser beiden den klassischen Sprachen angehörigen Wörter angelangt, spreche ich Ihnen, verehrter Herr Geheimrat, den Wunsch aus, der mich zu ihrer Auswahl bestimmt und bei der Niederschrift bewegt hat: Möge Ihnen im Kreislauf der Jahre noch oft dieser Jahrestag wiederkehren und Sie stets im vollen Besitz des Wohlseins antreffen!

*-.

XVIII. Nachträge zum Parallel -Homer.

Von

K. Ed. Schmidt (Lötzen).

Die in der Vorrede zu meinem „Parallel-Homer" (Göttingen 1885) S. VII ausgesprochene Vermutung, dass derselbe möglichste Vollständig- keit bieten werde, habe ich bei einer neuerlichen Beschäftigung mit dem- selben Gegenstande im ganzen bestätigt gefunden; nur ab und zu habe ich einen Ausdruck oder eine Stelle nachtragen dürfen. Indes wenn ich den Begriff des Parallelismus weniger eng fasse (vgl. S. VI der Vorrede meine Bemerkung zu den Versen üa'VQOY.log, fisyaliq de rcodi] JavaolGt TsrvxraL und uävTiKoxoq, (,isyah] de jtod'r^ HvldoiOLv etvx^^) und den Grundsatz, nur Ausdrücke von mindestens 6 morae Umfang aufzunehmen, wonach, wie bemerkt, ali^ia ^lelav^ o^v ßelog Aufnahme finden mussten, l-ieXav alfxa, ßekog o^v aber nicht, weniger streng festhalte, so würde der Umfang des Werkes nicht unerheblich wachsen. Vielleicht wird es sich bei einer Neuauflage des Parallel-Homer ermöglichen lassen, einen Homer- Text dazu zu drucken, der die sich wiederholenden ganzen Verse, Halbverse und kleineren Versteile in gesperrter oder fetter Schrift zeigt, wodurch der Parallel-Homer natürlich an Brauchbarkeit gewinnen würde.

Eine Neuauflage müsste für die kürzeren Phrasen und Formeln, woran ich damals schon dachte, jedesmal auch die Versstelle oder Vers- stellen angeben sowie Verweisungen auf eine abweichende Fassung oder abweichende Fassungen einer bekannten Wendung. Dass viele Formeln an eine bestimmte Versstelle gebunden erscheinen und ausschliesslich oder doch fast ausschliesslich an dieser zu finden sind, lehrt eine auch nur oberflächliche Beobachtung. Ich habe besonders das Versende einer Betrachtung unterzogen und auf den folgenden Seiten, so weit es der zugemessene Kaum gestattete, eine Anzahl von Formeln und Ausdrücken, die vorzugsweise den Versschluss bilden, daneben aber auch ab und zu an anderer Versstelle zu finden sind, in alphabetischer Folge zusammen- gestellt. Auch einzelne Worte habe ich eingefügt, die häufig das Vers-

400 K. Ed. Schmidt

ende einnehmen, daneben, aber selten, auch innerhalb oder am Anfang des Verses anzutreffen sind. Es ist beachtenswert (und zum Teil schon wie auch für einzelne Phrasen und Formeln beobachtet), wie manche Worte oder auch Wortformen eine besondere Neigung für das Versende haben.

50 sind folgende nur hier zu finden (vgl. Sehers Index):

IdyigcjyoQ (in verschiedenen Formen) 8 mal (davon 1 mal in der Odyssee), a/xvAo^jjirew (\m^-rrig) 9 mal (1 mal Od.), ayogaveiv (und -eig) 47 mal, ayxtf^axrjTal 7 mal (nur IL, davon 6 mal in dem Verse TQweg ycal Avy^lol xal Jagöavot a.), aelgag 2b mal, alxfir^Tccojv 10 mal, ccfzcpeycdkvipEv und sämtliche anderen Formen von afKpiyMlvTtTco 26 mal, afig)iyvrj€ig 11 mal, a(xcpulLOoa (in verschiedenen Formen) 19 mal, a^q)i^ilaivai {-)Mlvag) 5 mal, ^'AtioXIov 10 mal, ccTtovieod-ai (und die anderen Formen des Verbums) 20 mal, arcovqag 10 mal (nur in der Ilias), "Agyetcpowrig (-ttj , -tyjv) 27 mal, ctQyvQorjXov {-rj),ov) 19 mal, avör^ in verschiedenen Kasus 21 mal, axevcov 11 mal, J^x^^^«^ 22 mal, (e)ßeß7Jy,€i 34 mal, ßvöooö6y.evov {-fievojv) 7 mal (nur Od.), yeyiovijjg 6 mal, ditj/Mv

9 mal (nur IL), eöwöri in verschiedenen Kasus 12 mal, eeiTieg 38 mal, elßsLv in verschiedenen Formen 10 mal, EüMd-via in verschiedenen Kasus 5 mal, Uaiov (rlalcp) 25 mal, kUo^ai 23 mal, kvooly&cov 40 mal, 'doQyag (-yevj -yojg) 10 mal, egv^Qov {-O-Qog) 10 mal, eTvx^rj 17 mal, evQv^iirwTcog in verschiedenen Kasus 7 mal (2 mal IL), eorAcog 27 mal, eorAci 12 mal.

Von den zahlreichen nur am Versende zu findenden Formeln führe ich folgende an (alphabetisch nach dem Schlusswort geordnet):

^va^ avÖQwv !dyaf.ieixvov 11 mal (davon 10 mal in dem YeTse^Tgeidrj yivÖLOre, a. a !ä.), -/.gekov "Ayai^iEfxvMv 29 mal (s. unten), evQv/.Qei(ji)v ^Aya^sfivwv 12 mal (s. unten), iivriOxrQeg dyavol (und acc.) 14 mal, d^v(xbg dyrjvwQ 24 mal, i^qx ccyogeveiv 8 mal, wg ayogsvw (sig) 18 mal, BTtsa TtTSQoevT dycQsvev (-ov) 10 mal, yXavvMTtig LäS^vr^ 78 mal (davon

51 mal d^ect y. M.)j Üal/Mg l^d^rjvrj 41 mal, Ttoöojzeog Aiazlöao 10 mal, ^OUrjog raxvg Atag 7 mal, MeXdvS^Log, airtoXog (und acc.) aiyüv 9 mal, d-EiZv aieiyevETawv (und dat) 12 mal, Tcatgiöog air^g 16 mal, (pvlortig alvri (und acc.) 12 mal, d^ovQLÖog dl/Jrig 22 mal (1 mal Od.), sBqxov d/./.cov

10 mal, ).oiy6v dfxvvat (und andere Formen von d(.ivvw) 13 mal (nur II.), vebg cLficpLeUoarig und veag a. 10 mal (1 mal II.), oQxa^og (-/nov) dvÖQcov 15 mal, Ttvoiijg dviftoio 6 mal (im Parallelhomer fehlen Q 342 a 98 £ 46)^ &vrjTwv dvd-QWTtcov (und 1 mal nom., 1 mal acc.) 9 mal, y.aTa&vrjTCJW dv^QWTtiov 7 mal (1 mal IL), f-iegoTtcov dv&QioTtwv 9 mal (2 mal Od.), -d-vi-iov ditijVQa 7 mal (1 mal Od.), ccTcegelai aTtoiva 11 mal (nur IL), 67tLag)VQloi,g dgagvlag 5 mal (nur II.), ötdy.TOQog LiQyeKpovTiqg 13 mal, ^ifpog ccQyvQorjlov 11 mal, dzd/MVTog {-tov, -toi) IkQrji 11 mal (nur IL),

I

Nachträge zum Parallel - Homer. 401

ßgorokoiycu looq (-oov) !kQr]l 5 mal (1 mal Od.), d-egaTtovreg (-Tag) ^kQrjog

7 mal (nur IL), o^og {-(^ov) !kQr]og 10 mal (nur E.), oßQifxog ^kgrjg 6 mal (nur II.), xah/.eog '^QTqg 5 mal (nur H.), ring agloTr] 7 mal (1 mal II.), teiöwQov ccQovQav (und nom.) 12 mal (3 mal II.), ovquvov aoregoevrog (auch acc. und 1 mal dat.) 11 mal, 'Aya^ii^vovog LiTQsLdao 13 mal, Jibg Te/,og, '^TQVTwvrj 7 mal (2 mal Od.), Ssvtsqov avTig 5 mal (1 mal H.), Jidg dvyaxriQ 'AcpQodLTr] 9 mal (1 mal Od.), (pdof^^eiörjg LicpqodLxri 5 mal (1 mal Od., s. unten df l4(pQodlTrj), avTag ^Axaioi {-olg, -ovg) 21 mal (nur IL), evKvrjjLiideg Axaiol (und acc.) 36 mal (5 mal Od.), yLaQiqyMiioißvreg läyaioi (und acc.) 29 mal (3 mal Od.), itavT^g Ayaioi (und acc.) 23 mal (9 mal Od.), riginag 'Axaiovg (und nom.) 10 mal (2 mal Od.), KovQOL Axaiujv 9 mal (2 mal Od.), yivöog Ayauov 10 mal (3 mal Od.), ItzI vrjvGiv Axaiwv 10 mal (1 mal Od.), vhg (-ag) Axaaov 64 mal (11 mal Od.), ölog Axdlevg 55 mal (davon 21 mal nodaQxrjg d. A.), wKvg AxMevg 36 mal (davon 30 mal 7c6dag w. ^A.), Ttorafibg ßad^völvrjg

5 mal (nur IL), diorgecpeeg ßaod^eg (und andere Kasus) 12 mal, öihx jLieyaQOLO ßeßi]X€L 7 mal (nur Od.), od^ivEl ßXe/xsalvwv (-vei) 6 mal (nur IL), agiOTT] cpaivETO ßovXr] 9 mal, Ttarglöa yalav 62 mal (davon 50 mal eg 7t. y.), Ijtl yalj] 12 mal (3 mal Od.), aXioio yegoviog 8 mal, TtTolifioio {Ttol) yscpvgag 5 mal, öla yvvaty.cüv 15 mal (4 mal IL), afj,(pi7t6loiGL yvvai'^lv 14 mal (nur Od.), egiKvöea öalza 5 mal (1 mal IL), TtavoavTo 710V0V rervxovTO ts öalra 5 mal (3 mal IL), €7tag^dfj.€V0L {-^aad-w) ösTta- eöGLv 7 mal, h aivfj drjiorfjri, 10 mal (3 mal Od.), tcIovl örjficp 8 mal (davon 6 mal kv 7t. 6.\ "EY.Togi dlqj 11 mal, ovöe öofxovöe 8 mal (1 mal L.), 6^€l öovgl 11 mal (nur IL), ovraoe öovgl 12 mal (nur IL), ;(a/xrj(>£i: (-a) öovgl (öovga) 7 mal (3 mal Od.), Ytccto öiofxa 8 mal, /neihvov eyxog

6 mal (nur IL), oßgi/xov eyxog 13 mal (nur IL), ovo' lövvavxo 7 mal (1 mal Od.), ywdog eöw/.ev {-Kav) 7 mal, fxvd^ov ev AgyeloiGiv eeL7cev

8 mal (nur in ^! s. Parallelh. xai fxvd^ov ev A. «.), Tiara fxolgav eeiTteg 14 mal (x. |U. eeiTtev 4 mal nur Od.), fxv&ov esiTtev {-fceg, -tvov) 52 mal (davon 5 mal fieta fiv^ov eeiTtev nur IL, 32 mal 7tgbg f.ivd^ov €et7fev,

7 mal 7volov tov (a-vS-ov eei7ceg nur IL), olov eei7teg 7 mal (1 mal Od., 7iolov eeiTteg 3 mal Od., 1 mal H.), 6ay.gvov eYßeiv (in verschiedenen Formen) 10 mal, {ödyigva leißoyv 8 mal, dazu einmal 6. Xelßov), ocpg ev eiöcü 8 mal (1 mal IL), ocpg ev etörjg 5 mal (1 mal Od.), e/xjteöog eirj 7 mal (davon 6 mal ßlrj öi [ue] (.iol [col] e. e.), Y.igdLov eXr] 9 mal (s. Parallelh. negdiov e. und Ttolv x. e.), xigöiov elvat {riev) 17 mal, oTTi xev ecTtw 13 mal (4 mal H., wo auch 2 mal o. v,. elLTtrj und 1 mal 0. X. eiTtrjg), rijag e'ioag (und andere Kasus) 20 mal, Alöog eXow 12 mal (davon 9 mal öofnov A. e.), *'IXlov eXoto 8 mal, TekrjeGoag e/.at6(.ißag 8 mal,

26

402 K. Ed. Schmidt

leQTjv exatoinßrjv 5 mal (1 mal Od.), Klecrriv eycaTo/iißrjv 5 mal (nnr II., wo auch 2 mal xXeitag ey,aT6/nßag)y aXXa turjAog {'?.oi) 9 mal, q)aLöifj.og "Etctwq 29 mal (nur II.), Xlic ikalo) 8 mal, xgloav (-aev, -oy, -€v) klalqj

9 mal, xf^^^ov elaoöBv {-oav, -kaoaui) 9 mal (davon 6 mal öiaTtgo dk %, €,, 2 mal ovde dia/vgo öwT^oaro %. L), ac x* ller]or^{g) 7 mal (1 mal Od.), iyyud-ev eX&ojv 8 mal, y.lvtbg evvooiyaiog (und acc.) 9 mal (2 mal Od.), yaiTioiog hvoalyatog (und dat. und acc.) 8 mal (1 mal Od.), %qbLu)v kvooLx^iov 7 mal, IIoasLÖdwv IvooLx^wv 24 mal, I? tgov evto 22 mal (s. unten), lyyvg eovra 10 mal (und 1 mal i. lovtag), ^ouvov eovza 7 mal, d^eoi aihv eovreg 8 mal, tiot/liov l7cio7cov, {'OTcev, hcloTvjjg, -07crj, -ajiot, -ojtBlv, €q)iip€iv, -ipeig) 23 mal, ovo' (o^x) ifCLKSvau) 10 mal (2 mal IL), 7jd^ ETcUovQot {-yiovQüJv) 10 mal (s. unten), firidero egya 5 mal (dazu 2 mal f-LTioaio eqya, 1 mal f.i, egyov), Ttoke^rjia egya 6 mal (nur II.), OTtwg eotai rade eqya 7 mal, ficTaXl^aai Kai Igio&uc 5 mal (nur Od.), aiS^ovorig Iqcöovtcov (und dat.) 8 mal (1 mal H.), olvov eqv&qov 6 mal (dazu 1 mal nom.), rtoXla -/.al iod-la 7 mal (1 mal IL), TereXeG^ihov eazai 14 mal, a(xg)l d^ ezalQoi 8 mal, €Qlr]Q€g halgoL (und acc.) 19 mal (5 mal IL), eod'lol STalQoi 7 mal (dazu 5 mal eod-kov STalQov), tviotov ETalgov (und nom.) 8 mal (1 mal Od.), TcavTag sTaiQovg (und nom.) 16 mal (nur Od. im Parallelh. fehlt ß 174), sd^vog sTaiQCüv 6 mal (nur IL), avTc^eoig sTaQOLOLv 5 mal (nur Od.), ovöe ng erkr] 9 mal, öofxovg ewaiSTdoviag

10 mal (1 mal auch gen.), zQocpog EvQvytXeia 10 mal (davon 9 mal (pü.r) T. E., 5 mal acc, davon Imal cpLXriv t. £.), alyi sxovTa 5 mal (Imal IL), OXvfXTiLa öojfxav exovTcg {-xovoai, -xovrwv) 13 mal, ol (zol) "OXv/nTtov eXovOLv 10 mal.

Das nun folgende Verzeichnis ist nur brauchbar für den, der meinen Parallel-Homer und Sehers Index in der Hand hat, die mich der Mühe überheben, bei den einzelnen Ausdrücken und Worten sämtliche Stellen angeben zu müssen.

jiocTtTOvg x^^Qf^Q s. ;f6t()ac adntovg.

dyaxXeiTTJg hxarofißrjg s. xXsiz^v sxazoußrjv.

kydfiSfzvov 12mal (2 mal Od.) Schlusswort (davon 11 mal mit vorausgehendem dva^ dvÖQwv), Imal (w 186) 2. 3. Fuss.

kyafisfivovt öiio 3 mal Versschluss, 1 mal (2 257) ^yafiifzvovi fii^vis Sltp Versschluss ; kya/xsfivova ölov 2 mal Versschluss, 2 mal 312 »P 36) flg kyccfjtifivova öiov dyov Versanfang.

dyXacc öüjqk 13 mal Versschluss (davon 5 mal ödaav d. ö.), 6mal ( J 97 27 86 A 357 a 279 T 460 ö> 314) 4. 5. Fuss, Imal 447) dyXad öwq 4. 5. Fuss.

dyviai 7 mal in dem Verse övaezo t' r^eXiog oxioouvzo zs Tiäaai d. (nur Od.), 2 mal dyvidg (II.), Imal dyviy (Od.) Schlusswort; Y254 dyviav 4. 5. Fuss.

ai' x" i&ikjia&a 6mal Versschluss, 4mal (0 471 iV 260 T 147 wöU) 2.3. Fuss; at x' i{ysXyai(v) 4mal Versschluss, Imal (2*306) 2. 3. Fuss, Imal (i\' 74: ) Vers- anfang; ai' x' i&iXtjzs 2 mal Versschluss; ai' x^ i^sXofu Imal Versschluss; ai

Nachträge zum Parallel - Homer. 403^

x' i^ücDGiiv) H 375 Versschluss, / 255 2. 3. Fuss; al' x iW.^g u. atx' iasXwa*

je Imal Yersanfang; ai' x' ^^f'A^a' Imal Versanfang, Imal (^ 520) 2. 3. Fuss;

og (ov) x' id^elyaiv 4mal Versschluss, Imal {a 28t)) 2. 3. Fuss; ^ x^ ii^eX^aiv

2 mal Versschluss, (o x' id-iX^o&a je imal Versschluss (i2 335) und 2. 3. Fuss

(a 270). alfia fieXav 2 mal Versanfang (s. Parallelh. cctio 6' tXxeog . .), 2mal 3.4. Fuss

(s. Parallelh. xelro xa^elq . .) ; fisXav alßa 3 mal Versschluss (s. Parallelh. öid

x svTsa xal fi. «.), 3 mal (J 149 2:583 y 455) 2. 3. Fuss, 1 mal (Y 470) 4.5.

Fuss; H 262 fzskav d' dvexrjxtsv alfxa Versschluss. alxpa ö' eneixa s. avzccQ sneixcc. khecvooio datcpQovoq 2 mal 2.-4. Fuss, ^8 öalipQOvoq jikxivooio Versschluss; kk-

XLVooio 26mal Schlusswort, 4mal (7^132 ^13.56.418) 2. 3. Fuss; kkxivoov

3 mal Versanfang, 1 mal {t, 139) 2. 3. Fuss. dXk dye (jiol xoös . . . s. dxQSXscog dyoQEvao). ttXXog jix(xt(ov s. Xabv kxcciaiv. aXXvöig dXXog (u. a. Formen) 9 mal Versschluss, 3 mal {A 745 ^ 138 | 25) 2. 3. Fuss;

dXXo&sv dXXog 9 mal Versschluss (2 mal II.), 2mal(^ 75 Z671) 2. 3. Fuss, Imal

{fi 392) cc. ccXXov 2. 3. Fuss. dXbg dxQvyexoio 6mal Versschluss, Imal (a 72) 3.-5. Fuss, Imal (5 226) aXoq x'^^ov

d. Versschluss ; 1 mal {Z 204) dxQvyexoio &a?.daar]g. dfivßwv 16mal öchlusswort, 2 mal (Z 190 ^508) 3.4. Fuss, Imal (z-332) 1.2. Fuss. d^cpevsfjLovxo 7 mal Schlusswort (in P), Imal (5 655) 2. 3. Fuss; dn(pLV£fjLovxaL 2 \%&

T 132 Schlusswort. df^(psnsvovxo 6 mal Schlusswort, 1 mal ( J 220) 2. 3. Fuss ; dfjKpmhoviai TI 28 Schluss-

wort. dßcpiyvTjSig s. TtSQixXvzog d. dfKfiyvoiaiv s. syxeaiv d. d(JL<pixv7t£XXov s. ösTtag dfitp. dfKfinoXoLCL yvvai^iv s. avv d(JL(pin. y. dtJL(pox8Q(jDd^£v 9 mal Versschluss, 8 mal 2.3. Fuss; dfi<pox6Q(oas 2 mal Versschluss,

1 mal 2. 3. Fuss. dvd ö^fxov s. xaxcc öfjfiov. dvdyxy 29 mal Versschluss, 2 mal (im gleichen Verse, s. Parallelh. o(p^a (xoi (oi)

iv V . . .) 2». 4. Fuss; dvdyxrj 6 mal, stets Versschluss, dgl. dvdyxtjg 3 mal. dvaxxa 18 mal Versschluss, 8 mal 2. 3. Fuss; dvaxxsg 3 mal, stets Versschluss; dvaxri

24 mal Versschluss, 2 mal 2.3. Fuss; dvaxxog 58 mal Versschluss, 13 mal 2.3.

Fuss (davon IlQidfxoio dvaxxog 8 mal Versschluss, Imal 1. 3. Fuss); dvdxxcav

4mal Versschluss, 2 mal (v 223 q 189) 3. 4. Fuss. aVa| dvÖQiöv ÄyafilßViov 35mal (nur IL), Imal (0^77) dva^ d' dvÖQwv k. Versschluss. dvöga exaarov 9 mal Versschluss (im Parallelh. fehlen AT 68 X415 x 173. 547 ß 207),

Imal (i? 127) 2. 3. Fuss; dvÖQl kxdaxtp 3 mal Versschluss, Imal (v 7) 2.3.

Fuss; 2 mal (£37 77 351) dvöga h'xaaxog Versschluss; 2mal exaaxog dvrjQ 2. 3.

Fuss. dveaxav 5 mal Versschluss (vgl. Parallelh. ndvxeg dviaxav), Imal {S- 118) dv d' saxav

Versanfang; dviaxrj 18 mal Versschluss, 3 mal (0 287 2" 305 v 380) 3.4. Fuss. dvrjxev s. d-v/aog dvfjxsv u. yXvxvg vnvog d. dvxeßöXrjaev , dvxißoX^aag u. a. Formen von dvxsßoXrjca 21 mal Versschluss, 3mal

(77 114 jy 19 ;c360) 2. 3. Fuss. dvxriv 16mal Schlusswort, 4 mal (M 152 T 15 XiOg 5 221) Anfangswort. dvwya s. d-vfiog dvwysi. dneigova yalav 5 mal Versschluss, 3 mal (im gleichen Verse i2 342 «98 f 46) ;J<J'

^71 ' dn.y. Versanfaug; 7 mal in^ d. y., nur (>418 xax^ d. y.

26*

404 K. Ed. Schmidt

anrivQa 18 mal, iknrivQwv 5 mal, dnrivQaq Imal Schlusswort; 1 mal (d 646) dnrfüQa, Imal (^430) dnrivQiüv (s. Parallelh. ßli^ d(:XOvzoq an.) 3.4. Fuss; dnovQaq

10 mal, stets Schlusswort.

dno dvßbv h'Xiüfiai (-Xolfii]v, -Xoito, -Xiai^ai) 8 mal, Imal (P 17) dno 6% iMehriöta BvfjLov 6-^a>^afVer88chlu88, ix ^(lov ^Xrjzai {-koio, -Xotzo, -?Ja»ai) 8mal Vers- schluss.

dnoiva 23 mal Schlusswort (nur IL), 2 mal (4» 99 i2 139) 2.3. Fuss, Imal (A20) 4. 5. Fuss; dnolvcjv A 106 Versschluss, sonst das Wort nirgend.

'AnoXXiov 103 mal Schlusswort, 3 mal (jB 827 77 845 ^> 596) 3. 4. Fuss, 5 mal 605 u. 8. \An. 4>olßoq) 1. 2. Fuss.

knokXcDV <^olßoq s. 4>olßoq ÄnoXXoyv.

dQaQvZa 4 mal, dQccQvZai 6 mal, dga^vlav 10 mal, dgagviaq 13mal Schlusswort, Imal (r396) dQagvZav 2. 3. Fuss.

aQyaXüov öe 4 mal Versschluss, 4 mal Versanfang.

dQyvQozo^oq ÄnoXXcov 8 mal Versschluss, 1 mal (o 410) 2.-4. Fuss.

dQLOtov ÄxccKÖv 8. Xaov kxccicöv.

daniöa ndvroa^ icoTjv 14 mal, doTtiöi ndvxoa icay 1 mal Versschluss, 2 mal aa7r/da fj,€v ngöad'^ saxexo ndvxoa' i'LOTjv (sämtl. 17 Stellen IL); Saixoq iiaijq 10 mal (davon nur 2 mal Od., 9 mal mit vorausgehendem ^Ssvexo)^ 1 mal auch {?. 185) dalxccq ^i'aac Versschluss, Imal (7 225) öaixoq fxhv itarjq 2.-4. Fuss; v^uqäaaq 12 mal (3 mal Od.), v?j6q itatjq 5 mal (Imal IL), vijsq i'iaai 2 mal (Od.), vtjvolv ä'ayq 1 mal {6 578) Versschluss; itari in verschiedenen Kasus 52 mal Schluss- wort und nur 1 mal (/ 225) 3. 4. Fuss.

daxv (isya Jlgidfioto {-fzov) 7 mal 3. 5. Fuss, 2 mal (/ 136. 278 im gleichen Verse) Versanfang, 1 mal {X 251) 2.-4. Fuss; ngoxl daxv iiiya 2 mal (P 160 X 21) 2.-4. Fuss, 1 mal (0 681) ^f'ya nQOxl doxv 3.-5. Fuss; iieya daxv 2 mal (Z 392 I 589) Versschluss.

dxQExecoq dyoQSvact) (mit vorausgehendem fidk' s. Parallelh. roiyaQ iyw xoi . .) 8 mal (nur Od.), dxQsxecoq xaxale^o) 4 mal (3 mal mit vorausgehendem fid)!) Vers- schluss (2 mal IL) ; dxpexewq xaxdke^ov (in dem Verse dXX' dys yLOi xoöe sine xal d. X.) 17 mal (4 mal II.).

dxQvyexoLO d^aXaaarjq s. dXbq dxQ.

avxdg kxiXXevq 17 mal Versschluss, 5 mal (7 663 ^203 Si 59. 511. 675) Versanfang: noSaq wxvq ÄxiXXevq 30 mal, noöaQxijq öZoq Ä. 2 mal Versschluss, 1 mal m 234) noöcoxTjq aYnex' kxiXXevq Versschluss. kxiXXsvq 162 mal Schlusswort, 10 mal (ausser jenen 5 Stellen noch F 26 ^ 155. 491. 734. 748) 1. 2. Fuss; Jl/^JL^v 22 mal, stets Versschluss. S. auch kxtXfja n. r.

avxdg sywys 11 mal Versschluss (davon 3 mal IL), 2 mal (y 182 x 438 X 204 avxaQ aycoy) 2. 3. Fuss.

avxdg snsixa 26 mal Versschluss, 9 mal Versanfang (A 422 MlSl. 193 77 497. 534 T 179 6 457 x 438. 452) , 3 mal (im gleichen Verse F 335 77 136 T 373) 2. 3. Fuss; avxdg sneir' 12 mal Versanfang; avxlx' eneixa 2 mal Versschluss, 3 mal Vers- anfang, 5 mal (5 322 F 267 [m 261. 394 q 120) 2. 3. Fuss; avxU" snei^' (-neu)

11 mal Versanfang; aixpa ö' sneixa 2 mal Versschluss, 1 mal (.0 783) 2. 3. Fuss; altpa 6' €nei&' {-nsix') 6 mal Versschluss, 1 mal (o) 466) 2. 3. Fuss; sv&a rf* UnsLxa 3 mal Versschluss, 2 mal {y 108 v 106) 2. 3. Fuss; ol fxsv ensixa 6 mal Versschluss, 1 mal (cy 220) Versanfang, ol fihv snsix' {-B-') 7 mal Versanfang.

avxix Bneixa s. avraQ snsixa.

avxsvcc fiiaaov ^eXaaaev 2 mal Versschluss, 1 mal (a 497) Versanfang ; 1 mal {a 96)

avx^v eXaaasv 2. 3. Fuss. kcpQOÖLXri s. öf 'AcpQOÖixrj. kxccioi, kxccioZq, kxcciovq, kxcci(öv 8. x6g)Qa 6' kxcciol u. Xaov \4xai(ov.

Nachträge zum Parallel- Homer. 405

kxLXria noöaq xaxvv 3 mal 2.-4. Fuss, 1 mal {1 354) nööaq ra/hv d{JL(p Äxi^a, 1 mal {2 69) bloss xayyv d(ji(p ji. Versschluss ; kxi^cc 7 mal Schlusswort, 15 mal 2. 3. Fuss und je 1 mal 1. 2. Fuss (Z 99) und 4. 5. Fuss {£i 434); kxi^'t 8 mal Schlusswort, 20 mal (vgl. Parallelh. k. öaiipQovi u. ürjkelöy Ä.) 2. 3. Fuss, 5 mal {/ 164 X 36. 55 S2 154. 183 der gleiche Vers) 4. 5. Fuss; IltjlTjtdöeüt kxdijog 8 mal, stets Versschluss, IlrjXelSsa) kxi^oq 1 mal (# 75) Versschluss, 3 mal Vers- anfang; kxi^og 18 mal Versschluss, 12 mal (vgl. noch Parallelh. k. dßvßovog) 2. 3. Fuss, 2 mal (Y 324 i2 510 n^OTtccQoi^e noöcüv k., was im Parallelhomer nachzutragen) 4. 5. Fuss.

ßdXs öovqI 8 mal Versschluss (J 501. 527 yl 108 iV 186. 387. 518. 567 0 420), 3 mal (H 14 M 189 P 15) 2. 3. Fuss, 1 mal {E 537) ÖovqI ßdXe 3. 4. Fuss.

ßaadrjsg kxcci<öv 8. kaov jixcciwv.

B£XXsQ0(p6vzTig (-xy, -zrjv) 6 mal Versschluss, 1 mal (Z 220) Versanfang.

ßorjv dya&dg /liofiijörjg 21 mal (nur IL), 1 mal {K 559) ohne ßovv Versschluss.

ßovxöXog dv7]Q s. ßocäv inißovxoXog d.

ßocüv imßovxoXog dviJQ 5 mal Versschluss (nur Od.), ^292 ''H ga ßocov kXlxcDv ini" ßovxolog Versanfang {^mß. sonst nirgend) ; ßovxokog dviJQ W 845, ßovxoXoi dvÖQEg N 571 Versschluss.

yXvxvg vnvog dvrjxev 3 mal Versschluss, 1 mal (t 551) fieXirjdrjg v. d.

yovva.x sXvasv 10 mal (2 mal Od.), y. eXvaa{v) 2 mal Versschluss (Od.), l mal (X335) y. eXvaa 2. 3. Fuss.

yvZa Xdßy xdßaxog s. Xvas öh yvicc.

öaifjLcjv 36 mal Schlusswort, 2 mal (0 468 6 275) Anfangswort und je 1 mal 1. 2. Fuss {q 444) und 2. 3. Fuss {y 27).

öaixog S'l'arjg s. danlöa ndvxoa' il'arjv.

öatfQOVog 'AXxLVOoio s. kXxivooio 6.

ösTtdeaaiv 13 mal Schlusswort, 1 mal (tj 137) anivöovxag 6. Versanfang, 1 mal (0 86) Sinaaaiv Schlusswort.

öinccg d/ucpixvnsXXov 9 mal Versschluss, 3 mal xal 6s7ta{g) dfi^ixvneXXov (-Xcc) Vers- anfang, 1 mal (o 102) öenccg Xdßev «., 1 mal («F663) öenag ol'aexai d. Versschluss.

ÖTjLOxrjxog {-XL, -xa) 28 mal Schlusswort, öriCoxnxa Anfangswort ^ 203, örjiox^xog 2. 3. Fuss M 248.

ö^fx^ iv{l) 8. xaxcc öijfiov.

öf 'A<pQOÖLxri 5 mal Versschluss (1 mal Od.), Imal (v 73) k<pQo6ix7] Sia 1. 3. Fuss; XQvaey kipQOÖLXT^ 6 mal (2 mal 11, s. oben), xQ^air^g k. 2 mal, XQ^^^V ^- 'V^ ^' je 1 mal Versschluss, Imal {I ^S9) xQvosl^ k<pQo6ixj^ 2.—A. Fuss. k<pQo6ixtj {-xrjg, -xy, -xTjv) 40mal Schlusswort und nur je Imal 3. 4. (1389) und 1. 2. Fuss (v 73).

zffoe (xtyioxoto 22 mal Versschluss, Imal {B 787) naQ d, aly. Versanfang, Imal {l 275) Aiog alyioxov 3.-5. Fuss.

öodaaaxo xeQÖiov e'lvai lOmal, 1 mal ielaaxo x. e. 320), Imal itpalvexo x. €. (^ 365) Versschluss.

öoXixoaxiov %yxog 24mal Versschluss (davon 4 mal Od.), Imal (Z 126) 3.-5. Fuss, Imal (x ^^) ^VvC^S dveXxöfJLSvov öoXixoaxLov Versanfang.

ÖOVQS OVO) S. ovo ÖOVQS.

ovo ÖOVQS (s. Parallelh. xal ovo öovQe) 5 mal Versschluss (nur Od.) , davon a 256 doniöa xal 8. d., Imal (A: 76) danig xal ovo öovQa Versanfang, ausserdem je 1 mal ovo ÖOVQS 2. 3. Fuss {<P 145) und 4. 5. Fuss (M 298); 3 mal öovqs övcd xsxoQvS-fj.iva x^^V Versschluss.

eyxsaiv dfzcpiyvoiaLv 8 mal Versschluss (s. Parallelh. xal syx^ «.), Imal (0 386) syxsaiv dfi^iyvoig Versanfang.

BSLJtsv ('usg, -nov) s. fiv^ov iv kQysloiOiv ssutsv.

ielaaxo xsqöiov slvai s. öodaaaxo x. ö.

406 K. Ed. Schmidt

e&r]xev s. svtvxtov h'^xev.

elXriXov^a (-f>ag, -&8v, -&fzev, -Xov&si, -Xov&cig) 30 mal VersschluBs ; Imal etki^Xov&a

{v 257), Imal stXr/Xov^e (v 191) 4. 5. Fuss. dXinoöaq eXixag ßovq 5 mal Versschluss, Imal (* 448) 2.-4. Fass; tlXinodaq ßoiq

2 mal, tXixaq ß. (ohne elX.) 3 mal Versschluss. tlv kläao öofAOLaiv 8mal Versschluss, w 204 bIv ktöao So/noiq 2.-4. Fuss; slv

AtSao X389 Versschluss, A 211 2. 3. Fuss; stq ktöao Sofiovq 4 mal Versanfang,

ohne ööfjLOvq 2 mal (A 164. 425) Versschluss, 5 mal 2. 3. Fass; elq kiösw 2 mal

2. 3. Fuss, siq 'Ä'iöoq 2 mal Versanfang. eiq aXa ölav 1 1 mal Versschluss, 1 mal (0 223) 2. 3. Fuss. siq iviavTov 7 mal Versschluss (2mal IL), 2 mal (6 595 A 356) 2. 3. Fugs, 1 mal (^ 196)

4. 5. Fuss. itajiq, i'lcfT] u. s. w. s. daniöa ndvxoa itoTjv. ^x dv/Liov h'Xijzai s. dno S-vfxov h'Xcof/ai. hxdeQyoq knoXXcov lOmal Versschluss (Imal Od.), Imal (7 564) ixds^oq dv^gnaas

ipolßoq knoXXcav Versschluss. €xaaroq dvrjQ s. dvöga e'xaarov, hxaTOfißrjq s, xXsittjv hxaxofißi^v. "ExtoQa ölov 19mal Versschluss (nur II.), 2mal (Z 515 0 15) Versanfang, 4mal (X 395

«F24 ß 22. 50) 2. 3. Fuss, 2 mal {N 129 ^ 593) 4. 5. Fuss; "Exxoql öl(p 11 mal

Versschluss. 'ExxoQoq dvÖQO<p6voLO 8 mal Versschluss, 3 mal (Z 498 P 638 i2 724) Versanfang. iv naxQLÖL yaly 6 mal, l mal (co 266) ivl n. y. Versschluss. %va &vß6v sxovxeq s. &vfibv exovxsq.

svaga ßgoxoevxa 5 mal Versschluss (nur II.), 3 mal {6 534 £"570 jr245) 3.— 5.Fii88. %vöov eovxa 8 mal (davon 2 mal (pLXov nöaiv e. f.), 5 mal t. ^ovxwv, "imBXi. iövxoq,

Imal £. 46vxaq Versschluss; Imal (t/; 71) ^' ^roa^v e. iövta Versanfang, 2 mal

€. ^ovxsq 2. 3. Fuss. IVö-a xal IWa 21 mal Versschluss, 9 mal {B 779 j& 223 (9 107 P 394 ^ 11 /9 213 u 28

(p 246. 400) 2. 3. Fuss, 2mal {B 462 0 345) Versanfang, Imal (Z 2) Iv^a xal ev»"

2. 3. Fuss.

ivS^dö' iovxaq 2 mal, i. iovxeq Imal Versschluss; 2 mal i. iovxsq (iV779 <J 178), je Imal i. iovxc (E 634) und i. iovzoq {v 232) 2. 3. Fuss.

ivl 6ri(ia> s. xaxa örjßov.

ivvoalyaioq (auch dat. u. acc. s. oben xXvxbq ivv. u. yair^oxoq h.) 18 mal Schluss- wort; je 1 mal evvoaiyaioq (M 27), ivvoolyaiov (A 102), evvoaiyaie (Y 20) 2. 3. Fuss; 2mal ivvoalyai' Versanfang (Y 310 ^ 462), 3 mal (H 4bb ß 201 v 140) 2. 3. Fuss.

^^ l'()ov fVTO 21 mal mit vorausgehendem noaioq xal iörjxvo^, 1 mal (od 489) mit voraus- gehendem öixoLO fieXicpQOVoq.

i^QX^ yöoio 6 mal (nur IL), Imal (i2 723) ^gx^ y. Versschluss.

in dnsLQOva yalav s. dnelgova y.

in' dxQvyexov növxov s. novxov in d-

inl v^aq Äxccicöv s. Xabv k-xaicüv.

im&ovxo 17 mal Schlusswort (im Seher fehlt t, 247), 1 mal (»P 249) 2. 3. Fuss.

imxovQwv 12 mal, imxovgovq 2 mal, stets Versschluss; inixovQoi 15 mal Versschluss, Imal iE 477) 4. 5. Fuss; inixovQoq 3 mal (^ 431 , 2 mal im gleichen Halbverse r 188 E 478) 2. 3. Fuss.

%Qyov dsixiq 6 mal Versschluss (Imal IL), Imal (7133) Versanfang.

ia^Xov iovxtt 4mal Versschluss (nur IL), Imal (iV 461) 2. 3. Fuss.

£v SLÖwq 11 mal Versschluss (nur Imal Od.), davon 6 mal mit Torausgehendem ro^ov {x6^ü)v £v SLÖoxsq B 720 2.-4. Fuss), Imal (A 385) Versanfang, 2mal (rf 818 s 250)

3. 4. Fuss, Imal (iV665) oq g' ev slöcaq Versanfang; s. auch o^pp' sv sidiö.

Nachträge zum Parallel -Homer. 407

EvQvxXem 15 mal Schlusswort, EvqvxIel 3 mal Anfangswort (im gleichen Verse), ImBXEvQvxXeia^. 3. Fuss; EvgvxXsiav 5 mal Schlusswort, davon 3 mal Ttgoaacprj XQOcpov E.j 1 mal TiQoahme tplXriv XQ0(p6v E., 1 mal (v 128) ngoq 6' EvQvxkeiav IsLTtev.

svQvxQslcDv 'Ayaf4Sßv(ov s. xqeLcdv ivoalxO^ojv.

evQvxQsiojv ivoalyßojv s. xQelcDV i,

8VZVXT0V sS-Tjxsv 5 mal Versschluss, davon 4 mal mit vorausgehendem xweijv (s. Pa- rallelh. xgaxl 6' in' L<pd:), 1 mal (d 123) mit vorausgehendem xXioItjv; sd^rjxeiv) 44 mal Schlusswort, 18 mal {jB319 E 122 Z139 7483 it/450 iV61 P470 r407 ^ 172 «f'332. 568. 772 e 265 v 163 § 312. 448 n 208 a 152) 2. 3. Fuss, 2 mal (^ 193 A 546) 3. 4. Fuss; e&rjxa 2 mal Schlusswort, Imal (/ 481) 2. 3. Fuss; e^xaq 3 mal Schlusswort, Imal (;« 338) 2. 3. Fuss; e^;fav 3 mal Schlusswort, 2 mal (Z300 ip 167) 2. 3. Fuss, Imal (o) 528) 4. 5. Fuss; sS-rjx' und e^z]-/ je Imal

2. 3. Fuss.

Evxofiai eivat 14 mal, sv/sai sivai 3 mal, evxsT^cci- slvai 10 mal, evxofisd-^ elvai 6 mal

Versschluss; Imal evxoficcL elvai ('/•'669), Imal svxexat slvat (£" 173) 4. 5. Fuss. e<paivexo xegöiov elvai s. öoäaaaxo x. e. ri &€ßig saxlv 5 mal Versschluss, 4mal (Z 33. 276 T 177 ^130) Versanfang, Imal

(y 187) 2. 3. Fuss; je Imal a xe ^elvoiq &. i. (A 779) und ijts ^elvcov ». i.

{i 268) Versschluss. r^eXlü) dvLOvxL 3 mal Versschluss (s. Parallelh. afia ö' tJ. «.), i^e?uov dviovxog Imal

ix 135) Versschluss, 1 mal {0 538) Versanfang. 'H(ö ölav 9 mal Versschluss, A 375 ^w ölav 2. 3. Fuss. ^sloq doLÖoq 9 mal, ^üov dotöov 3 mal Versschluss, Imal (t;; 133) &eZoq doiSoq 2.

3. Fuss.

Ohiq aQyvQÖnet^a 9 mal, acc. Imal Versschluss; aQyvQone'C.a ßsxiq 3 mal Versanfang.

&OVQOV 'ÄQ-qa 7 mal Versschluss (nur II.), 2 mal (^454 ^406) 2.3. Fuss; o^vv ÄQTia 6mal Versschluss (nur IL), Imal (P 721) 2. 3. Fuss.

^v(jl6v exovxeq (sxovoaq u. a. Formen) 12 mal, davon 3 mal sva ^vfJLOv sxovxsq, Imal (iV487) k'va (pgeal &v/xov ex^vxsq Versschluss; Imal (y 128) «AA' k'va &v[jLov axovxe Versanfang, Imal (T 229) S-. exovxaq 2. 3. Fuss; x^Q^^^^ sx^vxeq i-xa, -xaq, -yovaa) 10 mal Versschluss, 3 mal (M422 0 447 Y420) 2. 3. Fuss.

Q-vyLoq dvrjxsiv) 6mal Versschluss, Imal {H 152) 2. 3. Fuss; dvrjxsiv) 17 mal Versschluss, 4mal {E 405 H 152 S 362 ü- 73) 2. 3. Fuss, Imal (Y 118) 3. 4. Fuss; Imal dv^- xaq Versschluss.

&vfzbq dvüjyei {-yy, -yoi s. Parallelh. nisZv, oxe &. d.) 12 mal Versschluss, Imal (^246) 3.4. Fuss; dvfioq dvcjyev 5mal Versschluss, 2mal (Z444 a 409) 2.3. Fuss; (fQa^eo&ai uvwya 5 mal Versschluss (nur Od.), Imal (x 129) ^. dvcoysi 2.-4. Fuss; dvmya 12mal Schlusswort, Imal (v 364) 2.3. Fuss; dvcoyaq 3mal Schlusswort, 3 mal (2 382 a 262 ()398) 2.3. Fuss; dv(oy€{v) 16 mal Schlusswort, 9 mal (Z 444 i2 90 ö 482 e 276 o 97 (> 582 a 409 v 139 %p 368) 2. 3. Fuss; dvwyov 3 mal Schlusswort, Imal (£805) 2.3. Fuss; dviox^t 8 mal Schlusswort, 3 mal (0 160 T 160 X ^83) 2. 3. Fuss, Imal 1/9 113) 3. 4. Fuss; dvojyeiiv) 36 mal Schluss- wort, 9mal iE 899 y 141 6 531 ß 158. 227 ^ 246 n 339 ^ 80 ;c ^29) 3. 4. Fuss; dvojyy 4 mal Schlusswort, Imal (7 703) 3.4. Fuss,

'Iq dv£fxoio 4 mal Versschluss, 'Iq dvtfxov 0 383 Versanfang.

xaxa tQya 9 mal Versschluss, 2 mal xaxit öl <pQeal fiijöexo sgya, lmal(a> 199) xaxa (xrioaxo egya Versschluss.

xakbv dXsiaov Imal {S2 429) Versschluss, 2mal 2. 3. Fuss.

xdfiaxoq xaxa yvla Xdßyoiv 8. kias 6s yvla.

xaxa ö' 6(pQ^ak[iü)V xsxvx^ dxXvq 2 mal, Imal xaz' o<p^aXß(ov rf* f^vr' a;ifAv'5 Vers- schluss, y421 xdg Qa ol ocpd^aXfHüv xsyyx' dxXvq Versanfang.

408 K. Ed. Schmidt

naxa öriiiov 17 mal (nur Od.), davon 9mal {% 34. 274. 283 v W q 227. 558 o 363 ^ 331 l 55) Versschluss, 8 mal 101 6 167. 530. 652 ^ 36 t 146 tp 258 ^ 52) 2. 3. Fuss; ava öfitJLOv 6mal (nur Od.), davon 4mal (y 215 tt 96 r 73. 273) 2. 3. Fuss, 2mal (^291 (J 666) 4. 5. Fuss ; Tqwwv ivl öj^ßo^) Imal (a 237) Versschluss, drifi(p hl Tqüküv 8 mal (nur Od.) Versanfang; 'lOuxtjg ivl ÖrifKp ft> 284 Versschluss, «103 1.— 3. Fuss; dkXoöanoj ivl Örifit^ T 324 Versschluss, iy 2\\ dr]fi(t) iv dXXo- öan(p Versanfang; ivl djjfzip 9 mal Versschluss (davon 2 mal IL), 2 mal (a 103 <p 307) 2. 3. Fuss.

xXsiTTiv kxaxotJißriv 5 mal (nur IL), 2 mal (H 450 M 6) xXeixaq kxatofxßaq Versschluss; je t mal dyaxXsit^g kxazofißrjg (y 59) und dyuxXsnag kxazofxßag (tj 202) Vers- schluss; exaxöfjißrjg, -ßrjv, -ßag 37 mal Schlusswort, Imal (^438) ix 6* kxa- xofißrjv ßfiaav Versanfang.

xkvxog dfx<piyvij€ig s. nsQLxXvxog d.

xoQv^alolog^ExxoiQ 37 mal Versschluss (nur IL, 12 mal mit vorausgehendem /tt^yas), Imal (X471) xoQv^alolog TJydyeS-' 'Exx<oq Versschluss.

XQttXSQog /iLOtirjörig 19mal Versschluss (nur II.), Imal (£^151) 2.-4. Foss.

xQslcDV ivoal'/^cav 7 mal Versschluss, Imal (vi 751) evQvxgelcov i.; xgslmv kyafie- (jLvwv 29 mal, evQvxQeicjv Ä. 12 mal (davon 11 mal mit vorausgehendem ÄxqeI- örjg) Versschluss; je Imal xgslwv kyamjviog (ß609), x/Ekixdwv (n23), x. 'Ekecprjvcog ( J 463), x. Ev/irjkog (¥^354), x. 'Exewvevg (rf 22) Versschluss; Imal (^ 194) xQeiwv kx£X(oiog 2.-4. Fuss (sonst xqeIcdv nirgend).

Kqovov Ttaig dyxvXofx^xeo) 7 mal (Imal Od.), ^j 59 Kgovog dyxvXofirixrjg Versschluss.

xvöog dgsa&ac 7 mal, x. ccqoio 2 mal, x. d.QOLXo 2 mal, x. dgijai Imal, x. dgrjxai Imal Versschluss, Imal (77 88) xvöog dgsa&ai 2. 3. Fuss (d. Ausdruck nur Imal Od.).

xvöog 'Axccköv s. kaov ^/aicüj'.

kdßs yovvcjv (im Parallelh. nachzutragen), 7mal {A 500. 557 ^68 ;f 323 ;c310. 342. 365), Imal (^407) kaßh y. Versschluss.

Xaov 'AxccKov 20 mal (nur IL), davon 15 mal Versschluss, 5mal (jR 163. 179 J 199 ö 76 0 56) 3. 4. Fuss, ?.abg 'A. 4 mal (nur 11), stets Versschluss ; d?.Xog {-Xov)'Axai(öv 6 mal Versschluss, 3 mal (a 90 P 586 Y339) 3. 4. Fuss, 5 mal {B 80 J 334 I 391 P 475 ^ 493) 'Axcciäiv dkXog {-lov) 3.-5. Fuss; kxai(öv öazig dgiaxog 5 mal Versschluss, ccgiaxov {-oxog) 'Axcciäiv 2mal(^44 iV 313) Versschluss, 6 mal 3.4. Fuss, Imal (^78) dgioxoL'A.; ßaaiX^sg'AxaKov 3 mal Versschluss (nur IL), Imal {a 394) 2.— 4. Fuss; inl vrjccg Äxccköv 23mal (nur IL), davon 18 mal Versschluss, 5mal (A 371 S 354 0 305 ß 203. 519) 2.— 4. Fuss, ohne inl noch 13mal (nur IL), davon 10 mal Versschluss, 3mal mit folgendem x^^oxixojvwv Versschluss, Imal {N 31) kxccKÖv vriag 1. 3. Fuss; vrivolv kxccicöv 15mal (nur Imal Od.), davon 14mal Versschluss, Imal (i2 225) mit folgendem x^^^oxixojvcav Vers- schluss, Imal (iV 668) kxcci(öv vrjvalv 1. 3. Fuss; fisya xvöog kxccitöv 9 mal, ohne /xsya Imal Versschluss; voaxov kxccKov Imal {x 15) Versschluss, Imal 326) kxcctiöv voaxov 3.— 5. Fuss; ovxig ky^aiöJv ö 106 3. 4. Fuss, .^/«^tyv ovxig (p 344 3.-5. Fuss; nvgyoc kxciKÖv Imal (z/ 347) Versschluss, Tivgyog i-yov) k. J 334 M 333 3. 4. Fuss; axgaxbv evgvv kxccaöv 8 mal (nur IL), davon 7 mal Versschluss, Imal (^ 384) 2.-4. Fuss; xetxog kxccKÖv 10 mal (nur L.), davon 7 mal Versschluss, 3 mal (M 12. 257. 352) 3. 4. Fuss; Tgojcjv xal kyaidjv <pvXo7tLV aivriv 2mal, 1 mal T. x. '4. (pvXonig alvij, 1 mal (Z 1) Tgcocov rf' oici&Tj xal kxaiiSv (pvXonig alvri\ Tgwcov xal kxaicöv 13 mal (nur Imal Od.), davon Imal (Jf 431) Versschluss, 12 mal (ausser den im Parallelh. angeführten Stellen noch r 274 J 471 m 38) 2.-4. Fuss, 5mal U/a^wv xs Tg(6ü)v Tf Versschluss ; vhg kxaicSv 40 mal (stets Versschluss, s. oben), Imal (w 38) kxaiwv vleg^.— h. Fuss; kxaicüv dyyekog K 286 3.-5. Fuss, E 803. 4 Schlusswort eines und Anfangswort des andern Verses ; 'ixaidiv TJyegi&ovxo T 303 Versschluss, ^303.4

Nachträge zum Parallel - Homer. 409

Schlusswort eines und Anfangswort des andern Verses, kx^ctwv 275 mal Schlusswort, 89 mal (ausser den 47 eben und den 24 bei 'ix(xi(vv /aP.Ärox/Tcyvcy»' angeführten SteUen noch ^ 71 J 156. 333. 417 Z 98 // 289. 406 / 198 A 247 P 358 ß 87. 128 y 185 d- 489 a 286. 301 r 240 v 160) 3. 4. Fuss, 5mal (0 73 JV 31. 668 P 552 Y 394) 1. 2. Fuss. S. auch z6g)Qa d' kx^ioi,

Ivae öh yvla 8 mal, 2 mal viteXvce 6h yvia, Z 27 vnskvae fisvoq xal <pul6ifia yvla, P 524 Xv6 yvla, 2 mal (J^ 16 0 435) Xvvxo rfe /., Jl 341 vnklvvxo de y., 2 mal Xv^iv d' vnb yvla bxaarijg, 11 805 Xv&ev d* vTto (paldifia yvla, H 6 xa/xäroj d' vTto yr?« keXvvzai, a 238 AfAvvzro de yvla hxaaxov, 3 mal ^/P.a yuta XeXvvxo i-xai, N 85 mit vorausgehendem xafidx(t}) Versschluss; J 230 yvla Xaß^ xdfiaxoQ Versanfang, a 192 xdfxaxog xaxd yvla Xdß^aiv Versschluss, E 811 xduaxoq noXväi^ yvla ösövxev Versschluss; 3 mal vnb (xs) xgöfioq sXXaße yvla^ Imal (ohne VTto) xgofioq sXXaße yvla, 0 452 xQOfioq sXXaße (palöiiia y. Versschluss; 2mal (//215 Y 44) Tgöiaq de XQO^oq aivoq vnijXv&s yvla sxaaxov; K 390 vno d' sxgsfiE y., X 527 xge^ov Q^ vno y. kxdaxov, K 95 xqo(X£€l d* vno (palöina y. Versschluss.

ßaxQov dvaaq 14 mal Versschluss (nur II.), [laxQov dvae(v) 5 mal (nur II.), (x. dvaav Imal {t, 117) 2.3. Fuss.

(xsya öwfxa 8 mal Versschluss (s. Parallelh. iq fisya d. und vxpegecplq fiiya 6.), 3 mal ix 434 tp 146. 151) 2. 3. Fuss.

fxsya xvöoq Äxai(Sv s. Xaov ^4.xai(öv.

ßiya nQOxl daxv s. daxv fisya.

fjLsXav aiy-a s. aiiia fxeXav.

firjQr sxrja, fi. ex7]£v und f/.sxTjav je 2 mal, ßr^gia xalov und ^. xalsv je Imal Vers- schluss; 3mal i£i 34 y 273 (> 241) firjgl' sx^s, je Imal fxrjgt 8xrf (x 366), ^. exaie (A 773) und ^a. exaiov {i 553) 2. 3. Fuss.

ßv&ov iv kgysloiaiv hinev (s. Parallelh. xal (xv&ov iv '4. e.) 8 mal (nur in ^), Imal (^ 781) laera d' Ägysloiciv hinsv Versschluss; [xv^ov hinsv (s. oben) ohne vorausgehendes ßsxd oder ;r()öc 6 mal {/ 173 AT 318 <j 422 / 207 «> 213. 513); seinev 77 mal Schlusswort, 12mal {N 666 P 410 /? 108 d 349. 677 jr 356. 412 g 140. 172. 248 xp 273 w 144) 2. 3. Fuss, Imal («P' 617) 4. 5. Fuss; ssinsq 38 mal, stets Schlusswort; hinov 6mal Schlusswort, Imal {x 445) 2. 3. Fuss.

v^aq itaaq s. daniöa ndvxoa ii'arjv.

v^aq und vrjvalv Jixcciwv s. Accov ^p^a^cöv.

VTjfisgxhq ivianeq 7 mal (Imal II., 5 mal mit vorausgehendem ßoi), je Imal v. ivl- any (y327) und v. ivltpei {X 148) Versschluss; Imal (d642) vrjfisgxiq tiOL svians Versanfang.

vöaxov ÄxccLcüv s. Xaov Äxaiwv.

vv^ ixdXvyjsv 6 mal Versschluss, Imal {S 439) Versanfang.

OL d* «V ^TCOVXO S. T02 d' «V ^''

ot ^^v snsixa s. avxag eneixa.

olöa xal avxoq 5 mal, 2 mal oZd^a {olda) xal avxi] Versschluss, Imal (T421) olöa

xal avxoq 2. 3. Fuss. d^vv ^'Agria s. d^ovgov 'Ägrja.

onnoxe xev 6?] 5 mal Versschluss, 4mal (X 127 v 155. 394 tp 274) Versanfang. onwq öx ägiaxa ysvoixo {-vrjxai) 4 mal Versschluss (nur Od.), Imal (jTHO) o. S.a.

fzex' dß(pox£goiai ysvtjxai Versschluss. dgoq alnv 4mal Versschluss (1? 603. 829 y 287 d514), Imal (t 431) alnv d' ogoq

2. 3. Fuss. oq x^ i^sX^Giv s. ai' x' id-^Xj^ad-a.

oaaoL dgioxoL 7 mal Versschluss, 1 mal (0 296) 2. 3. Fuss, 1 mal (P 377) Versanfang. ooxiq dgiaxoq 6 mal Versschluss, 1 mal (v 335) 2- 3. Fuss.

410 K. Ed. Schmidt

ovo' uTtl&Tjasiv) 2 mal M 220 M329), ov6' dm^aei Imal («-129) Versschluss, 23 mal ov6' dnl&Tjasiv) 2. 3. Fuss (s. Parallelh/lßc t(pat\ ovo* an.).

ovo* ccQ* pfieXleiv) 4 mal Versschluss, Imal {M 113) 2. 3. Fuss; ovo' «(>' sfis/lov Imal Versschluss, 1 mal (P497) 2. 3. Fuss; ovx dg' e/neXleg 2 mal Versschluss, Imal ^475) 2. 3. Fuss.

ov6^ «()' sn öriv 6 mal (1 mal auch ovo'' av hi öt^v) Versschluss, 1 mal 36) Versanfang.

ovo' dcpdßaQxsv 4 mal Versschluss, 2mal xal ßdXev, ovo' d. Versanfang.

ovdh eoixeiv) lOmal Versschluss, 2mal (5212 ^358) 2. 3. Fuss.

ovö^ xiq dkXog 10 mal Versschluss, 2 mal (^32 ;tf327) ovöh yag o. z. d. Versanfang.

ovx id-eXr/act) {-asig, -aei) 4 mal Versschluss (s. Parallelh. u. ^ 223 a 362); ovx i&s- Xova^ i-arjg) 3 mal Versschluss; ovx iV-Üovra 5 mal Versschluss, 4 mal (J 224 Y87 ^ 48 o 72) 4. 5. Fuss, 1 mal (iV 572) 2. 3. Fuss; ovx iW.ovai{v) Imal (N 109) Vers- schluss, 2 mal (r241 M171) 2. 3. Fuss, 1 mal (^90) 4. 5. Fuss; ovx ^f^ilwaiv r289 2. 3. Fuss; ov6' i&Üovaiiv) 2mal Versschluss, Imal (Z51) Versanfang, Imal (^125) 2. 3. Fuss.

ovx ivdtjGEV i-aav, -oa) 7 mal Versschluss, Imal (7537) 2. 3. Fuss.

ovQavov ev()vv 7 mal Versschluss (r364 ü;867 H 178.201 T257 ^272 f 303), 23mal (4 mal II.) 4. 5. Fuss (0 74 ^ 522 ^ 74 ^ 73 t 108 und s. Parallelh. dl ovq. tvg. l- xovaiv und rol ovq. evq. e.), 1 mal (0 192) 2. 3. Fuss (im Parallelh. ist bei ov- Qavov £VQvv ^ 267 nachzutragen).

ocpQ ev elöiJH 8 mal (nur Imal IL), oV(>' sv elöyg 5 mal (nur Imal Od.) Versschluss; 2 mal 6(pq' elö^g, Imal ocpQ eiöp.o) Versanfang.

nd'Cg ^Ayxioao (s. Parallelh. ivg n. 'A.) 3 mal Versschluss, Y112 ^Ayxtaao nd'ig 1.—A. Fuss.

TtdvTsg dgLCtOL 5 mal (2 mal IL), ndvxag dgiaTOvg 11 mal (Imal Od.) Versschluss, Imal (iV117) ndvTsg aQiaxoL Versanfang.

naxQog ifiolo 3mal Versschluss, Imal (o417) 2. 3. Fuss, 2mal n. nax-qQ Vers- anfang.

TtaxQog SOLO 4 mal Versschluss, Imal (5 662) 2. 3. Fuss, Imal (^177) Versanfang; Imal (6 IIA) itaxQog kov Versanfang.

nsQLxlvxog dfi<piyvi]eig 9 mal, Imal (^614) x).vzdg d/Lig)iyv^sig Versschluss; naig d. 2*239 Versschluss, sonst dfjitp. nirgend.

IlTjXsldsü} u. IlTjXtjLdösct) ^AxtXrjog s. ^AxiXrja n. x.

noöag wxvg u. TCoöaQxrjg ötog ÄxiXXevg s. avxccQ jixtXXsvg.

Ttokesg TS xal ia&Xol 4 mal, noXsag xs xal ia&Xovg 4 mal, noXXol ts xal ia&Xol 2 mal Versschluss; Imal (£624) ot noXXol xs xal ^ad^Xoi Versanfang.

TTo'AA' ^(jLoytiaa {-Gag, -asv) 5 mal Versschluss, Imal {A 162) n. s^öyrioa 2. 3. Fuss.

ttoAA' ^nhxsXXov {-Xsv) 6 mal Versschluss, davon 4 mal mit vorausgehendem yLdXa\ A 229 TW iidXa noXX' inhsXXs, I 179 rolai öh n. s. Versanfang.

noXXov dfistvcjv 5 mal Versschluss, Imal 180) 3, 4. Fuss.

novxov £71 dxQvysxov 7 mal (nur Od.), Imal (0 27) ns(A,xpag in dxQvysxov novxov Versanfang.

7iQoos(pri xQOipov EvQvxXsiav s. EvQvxXsia.

TiQOxl daxv fJLsya s. doxv (Jieya.

nvd^fiev iXairjg 2 mal Versschluss, Imal (vl22) 3. 4. Fuss.

nvQyog kxccicüv s, Xabv kxaKÖv.

nvQog ai^ofjLsvoLO 9mal Versschluss (Imal Od.), 3mal (Z 182 5 396 A 220) nvgoq vom Schlusswort ald-. durch ein oder mehrere Worte getrennt; X135 ^' nvgog ald^Ofisvov Versanfang.

axixag dvögdjv 14mal, 1 mal arixsg d. Versschluss, 2mal ax. d. 7isiQT}xit,(ov Versschluss.

axQaxov svqvv jixatcäv s. Xabv Äxatcüv.

avv dixtpmoXoiOL ywai^iv 13 mal (nur Od.), Imal (7^300) /ufr' a. y.

Nachträge zum Parallel -Homer. 411

TStxog ÄxaicÜv s. Xaov kxcciwv.

TelaficüVLoq Aiag 21 mal, 2 mal (s. Parallelh. aXla neQ oloq . .) T. aXxiuoq Al'aq Versschluss, 3 mal ÄHaq 6s (pa) ngdjzoq TslafjLwvioq Versanfang.

Tol 6" afjL 67COVZO 7 mal, oi ö' «V 6. Imal Versschluss, Imal (^735) 2. 3. Fuss.

TOiyccQ iy(6 zoi . . . s. axpex^wq dyoQsvao).

xöcpQa d' Äyaioi Imal (0 343) Versschluss, Imal (7 42) Versanfang; Äxctioi 9X%o Imal 1.2. Fuss, 5 mal (^70 2' 59 0 235 77 770 T61 vgl. Parallelh. Sq Tgcüsq xal Ä.) 2. 3. Fuss, 1 1 mal (ausser den 4 Stellen Parallelh. ^xaioi xe Tgoilq xs noch J 147 E 484 Z229 77 780 T 85 i; 166 ^ 418) 3. 4. Fuss, ausserdem 182mal Schlusswort; kxcciolq 7 mal Schlusswort, 2 mal (K 174 ^'792) 3.4. Fuss; kxaiovq 122 mal Schlusswort, Imal (^862) Ä. ts Tgdidq xe Versschluss. S. auch kaov kxcciwv.

xQSfjLov d^ vTCo yvta sxdaxov s. kvas öh yvla.

XQOfjLoq sXXaße yvla s. Xvoe de yvla.

TQQJeq xal ky^aioi s. x6(pQa 6^ \x^'-^'-'

Tqwcdv xal \x/X'^^^ ^- ^«ov kxaicöv.

xvz&ov iovxa 7 mal Versschluss, 2mal (^85 v 210) 2. 3. Fuss.

vieq kxaiwv 8. Xabv kxaicSv,

VTtskvas 6e yvla s. Xvas 6h y.

vnvov 8xsve{v) 7 mal Versschluss, Imal 445) 2. 3. Fuss.

V7i6 XQOjbioq akXaßs yvla s. kvas 6e yvla.

v(p YfzsQov (oQoe yooio "mal, Imal {n 215) v<p ^Ißsgog (ogxo yooio Versschluss.

(plXa yvla XeXvvxai s. Xvae 66 yvla.

4*olßoq knoXkwv 34 mal Versschluss (2 mal Od.), 4 mal 'Anölkatv <Poißoq 1.— 3. Fuss (nur n.).

xdXxEov eyxoq 22 mal Versschluss (davon 5 mal Od.) und nur Imal (^393) Vers- anfang, 2 mal (O 126. 27 X285. 86) syxoq und x^Xxsov in 2 aufeinander folgen- den Versen.

Xslgaq ddnxovq 10 mal, x^f^Q^? danxot 3 mal Versschluss, Imal (^567) ddnxovq xslgaq 4. 5. Fuss.

XSQclv exovxeq s. &vfjidv sxovxsq,

XQvasy 'A<pgo6ixy s. dt' ^A(pQo6Lxrj,

ü> x^ iS-sX^aiv 8. ai' x' iS-iXTjad-a.

wq SxeXsveq 2 mal, wq ixeXsvsv 5 mal, atq ixsXevov 3 mal, wq ixiXsvasv 5mal Vers- schluss; Imal (;tf 251) wq ixsXeveq, Imal (a 278) w^ ^Ar^Aevf, Imal (/?415) wg ix€- Xsvasv 2. 3. Fuss.

Die Zahl der von EUendt in seinen „drei homerischen Abhandlungen'* (Leipzig 1864) beigebrachten Parechesen vermehre ich um folgende:

{Jioq v6ov{-og) aiyioxoio 6 mal. 66fiov 0 375.

xxvnov 0 379.

( {Ugiäfioto) TtoXiv 6i€nSgaafiev aimjv 3 mal.

\ X6Qatt,^/Ll€V ^516.

J {6id t') svxea xal fxsXav alfia 3 mal Versschluss. l syxaxa ^583 Versanfang.

{VTio x^gaq dXv^ag M113. x^^Qtxg iV395. {ot Sdfjiov d(i(pev^(iovzo 5634 Versschluss. ^Pööov 7? 655 Versanfang.

412 K Ed. Schmidt

{vieg rjyayov dfnpi^Xiaaai tj 9. ^Xv&ov iV174 0 549.

ffiivs" dvögwv J447 0 61 (J363. fjihBV f, X458. fjievog ., Ä387.

f insQxöfievov noXvv dvdgdiv N 472. I insaavfzevov noXiv P 737.

I<PQdt,sa9^ai dvcuya 5 mal.

dyeQsa&ai dvciysi /9 385.

dveX^a&ai 77 8.

Xd^sa&ai P357.

{ßsXoq *AvTLv6oio q 464. iM^vo? (j 34.

{«V^vAov a()^a Z 39. xaymvXov 7^231.

(%aiid6iq qbb, ösvs de ycäav i 290. ;ce't, ?P220.

{TtaQi'Qzo aal Xaßh yovvcDV A 407. naQst,eto Xdße 557. xad-siexo 500.

{xXiolrjv evtvxzov sd^tjxev 6 123. xvv6T]V 4 mal.

f ivl xlialyoLV e^xsv 0 478.

\ negl xvi^fi^aiv 4 mal (s. Parallelh. xvrjfuSaQ . . .).

{vtjTov elvai iV391 77 484. vjJTCiov t 419. ^£ivi^iov„ 2 mal (s. Parallelh. Scäxe |. . .)•

{atpsag elacc<plxj]Tai {-xoixo) 5 mal. öTTT^Og /U 84.

f TToAi; (pegxeQoL slaiv 4 mal (s. Parallelh ^Tre^ ^ •)• < nQO(psQeox€QaL TSC 352. l TtQoyeveaxeQol /9 29.

{ndxog slaogdaa&aL i 324. yaog A* 345.

f öof^ov IlriXriCov el'öü) S 60. 441. t nvXov Nr]X7fLOV A 682.

f etjuar ' ^sxsixo (p 52. 1 xxi]fiax^ I 291.

<oe t;r7roörvj'j7 ixexaoxo W 289. (lavxoovvi^ 4 509.

f og TiXixLriV Mxaaxo 11 808. \ bfir]Xixl7jV 2 mal.

f {/xsov jjd* ixsXevov x 17.

t^TT^Vfov 4 mal (8. ParaUelh. "ßg cya^', ot d' a()c n. f.).

f JlovXvddfiag d' sxnayXov inev^axo S 453. I rw d' kxdfzag 478.

Nachträge zum Parallel - Homer. 413

{7tEQitQon^(ov iviavTog B 295. 7tSQmlo(jLSV(j)v iviavTcSv B bb\.

{vooq atkv iovtcov y 147. XÖXov 6 583.

(d^avseiv xal noxfiov imanelv 5 mal. [d-dvarov a> 31.

f xal svQvayvta Mvx^vrj d hl. \ evQvayvLav kd-ijvrjv tj 80.

l k^iov evQVQSovToq B 849 11 288 * 157. \ k^iog svQv^hS^Qog ^141.

XIX. Chthonischer und Totenkult.

Von

Faul Stengel (Berlin).

In seiner Psyche S. 220 sagt Erwin Rohde am Schluss der lehr- reichen Untersuchung über den Kult der chthonischen Gottheiten, der Heroen und Toten: „Der Kult, den die Familie den Seelen ihrer Vor- fahren widmet, unterscheidet sich von der Verehrung der unterirdischen Götter und der Heroen kaum durch etwas anderes als die viel engere Begrenzung der Kultgemeinde." Ähnlich äussern sich, um von Älteren abzusehen, Ed. Meyer Gesch. des Altt II 427 und Deneken unter Heros in Roschers Mythol. Lex. 2452. Wenn ich hier versuche noch andere Unterschiede darzulegen, so kann dabei von einer Polemik gegen Rohde nicht die Rede sein, auch kaum von einer berichtigenden Ergänzung seiner Ausführungen, denn sie gehen überhaupt nicht so ins Detail, und im grossen und ganzen werden auch meine Bemerkungen nur zu ihrer Bestätigung beitragen; ich lege sie hier vor, weil erfahrungsmässig ge- rade die genaueste Beobachtung des Kultus und der Opfergebräuche oft erhellt und erklärt, was sonst unverstanden bliebe. Das hat ja Rohdes Buch selbst am glänzendsten gezeigt. (Vgl. auch E. Curtius Gesammelte Abhandlungen II 23.)

A priori hat die Ähnlichkeit zwischen dem Kult der chthonischen Gottheiten und dem der abgeschiedenen Seelen gerade so viel Auffallendes als die Verschiedenheiten. Beide sind dem Reich des Lebens entrückt und können aus der Tiefe auf die Oberwelt hin wirken, aber den Gott versöhnt man durch Sühn- und Bussopfer und erfleht seine Gnade und seinen Segen durch demütige Gaben, durch die man ihm seine Verehrung bezeugt, den Toten nährt man') mit Spenden und Opfern, die man ihm

1) Luk. nsgl nivd^. 9 : al ipvxccl XQ^fpovrai xalq x^^^^- "^d»- Cho. 483 ff. und mehr bei Bohde 222 f.

Chthonischer und Totenkult. 415

an seinem Grabe darbringt, und erwartet erst in zweiter Linie für sich selbst davon Gutes. Dem chthonischen Gott sollen die Gaben nicht ein Genuss sein : der Tote würde darben und entbehren, wollte man sie ihm vorenthalten (Rohde 627, 633 A. 4).

X^övLog heisst „im Innern der Erde hausend" (Rohde 190). Das würde für die Seelen der Toten ebenso gut passen, wie für die Unter- weltsgottheiten, und doch werden nur diese Xd-ovioi genannt. Ja der Name wird auf Gottheiten wie Dionysos, Hermes u. a. übertragen, deren Wesen doch von dem der Unterirdischen sehr verschieden ist, aber nicht auf die Toten. Nun haben die chthonischen Gottheiten aber einen dop- pelten Charakter: sie sind einmal unheimliche Wesen, vor denen man sich fürchtet und denen man Gaben darbringt, nur um ihrem Zorn zu entgehn, andrerseits segnen sie den Ackerbau und das Gedeihen der Feldfrüchte ^). Der eine entwickelt sich mehr nach dieser, der andere mehr nach jener Seite hin. Hekate, die Erinyen, die Winde bleiben schreckhaft ; Persephone wird, namentlich seitdem sie in engste Beziehung zu Demeter getreten ist, zu einer Spenderin ländlichen Segens, selbst Hades wird als Pluton angerufen, und der Kreis der in Eleusis verehrten Götter ist nur durch Verschmelzung beider Eigentümlichkeiten zu ver- stehn. Ja fast alle Götter participieren an der einen oder der andern. Zeus Chthonios ist in vielen Gegenden ein Gott des Ackerbaus (Hes. erg. 465, Dittenberger Syll. 373, 26), Dionysos ist „Herr der Seelen" (Rohde 306) und zugleich „Schützer und Förderer alles Wachstums und Gedeihens im Pflanzenreiche" (Rohde 332) ; Apollon und Artemis wiederum empfangen Sühnopfer wie die Götter der Unterwelt (Kaibel epigr. gr. 1034. Paus. VIII 38, 6. II 24, 1 u. s. w.), und dem Poseidon versenkt man Tiere in die Fluten (Arr. anab. VI 19, 5. Cass. Dio XLVIII 48. Paus. VIII 7, 2. Athen. VI 261 D u. s. w.) und spendet ihm viqcpalLa wie den Winden und Zeus Georges (CIA III 77).

Eine Doppelnatur haben auch die Heroen. Ihnen kann wg d^eüi d. h. wie einem himmUschen Gott oder wg tJqwl d. h. wie den Unter- irdischen geopfert werden (Stengel Griech. Kultusaltt. 98). Das Letztere ist das Gewöhnliche.

Anders die Toten. Auch sie können freundlich sein und zürnen, wie jeder Gott und jeder Mensch, aber die Auffassung ihres Wesens und ihr Kult bleiben trotz der Veränderungen, die sich im Lauf der Jahr- hunderte vollziehen, immer einheitlich und schliessen eine fierdßaaig eig

1) S. namentlich Rohde 190 flF. Lehrs Pop. Aufs.* 298 f., auch Preller-Robert Griech. Myth. I 130 u. 633. TöpflFer Att. Geneal. 250. 0. Kern Arch. Anz. IX.

(1894) S. 81.

h

416 Paul Stengel

akko yhog (vgl. Rohde 696) oder auch nur eine Vermischung mit Andersartigem aus.

Aus dieser Vorstellung von den in der Tiefe wohnenden und wal- tenden Mächten erklären sich denn auch die Unterschiede in der Art ihrer Verehrung. Die Opfer für chthonische Gottheiten haben durchaus den Charakter von Sühnopfem*). Sie sind ein Zeichen demütiger Unterwerfung und angstvollen Suchens nach gnädigem Erbarmen. Des- halb finden wir Menschenopfer, deshalb auch Opfer nicht essbarer Tiere im Kult der Unterirdischen. Denn chthonisch ist der Kult des Zeus Lykaios in Arkadien, chthonisch namentlich auch der Kult der Winde. ÖQ^ öh ytal äkka ccTCOQQrjTa eig ßod-Qovg riooaQag^), erzählt Pausanias n 12, 1 von dem Priester in Titane bei Sikyon, der dort alljährlich nachts den Winden opfert; in Methone vergräbt man ihnen einen Hahn (Paus. 11 34, 3), und auch sonst ist ihr Kult durchaus dem der Unterirdischen entsprechend. Unter ihren Opfern aber finden wir Men- schen, Pferde, Esel (Hermes XVI 348 ff.). Bekannt sind ferner die Hunde- opfer für Hekate. Solche Gaben durfte man den Toten nicht bringen*), wenigstens nicht mehr in einer Zeit, wo die Angst vor einer Wiederkehr der nicht befriedigten Seele und der dadurch bedingte apotropäische Charakter des Totenkultus zurückgetreten war hinter der Pietät, die um- gekehrt durch den Kult ein Band zwischen den Zurückgebliebenen und dem Geschiedenen knüpfen wollte. Hier dienen „Weingüsse und Brand- opfer der Nahrung der hilflosen Seele" (Rohde 627). Man kann ihnen also nur opfern, was man selber ass und trank. Dem scheint eine Stelle zu widersprechen: bei Euripides opfert Neoptolemos Polyxena auf dem Grabe des Achilleus und ruft seine Seele an, ihr Blut zu trinken (Hek. 535 ff.). Das ist in der That sehr auffallend. Schon die Biupersis hat erzählt, die Griechen hätten vor ihrer Abfahrt dem Achill die Jung- frau an seinem Grabe geopfert (Mythogr. gr. ed. Wagner 1 245, vgl. 212). Hier im Epos kann das Opfer keinen andern Sinn und Zweck gehabt haben, als die Psyche des Helden durch ein auch ihm von der Beute dargebrachtes yiQag zu befriedigen. So verspricht Achill selbst nach der Rückgabe der Leiche Hektors der Psyche des Patroklos ihren Anteil von den Lösegeschen- ken, die er empfangen hat, damit sie ihm nicht zürne 592 ff.). Solche Vorstellungen sind der Zeit des Euripides fremd geworden, und dem auf-

1) Rohde 248 ff. Diels Sibyll. Blätter 39. Stengel a. a. 0. 87.

2) &eol fxkv yccQ x^oviol ßöd^QOvq aancc^ovrai xal xuv xoiXy zy ÖQiofisva (Philostr. Vit. Apoll. VI 11, 18).

3) Toxaris ist ein skythischer Heros (Luk. Skyth. 2), und bei den Skythen sind Pferdeopfer gewöhnlich. (Strab. IX 8, p. 513. Herod. I 216, IV 61. Vgl. Paus. I 20, 8 und Arr. anab. VI 29, 7).

Chthonischer und Totenkult. 417

geklärten Sinn des Dichters vollends mussten sie noch mehr als „die alten Sagen, die in dem Blutrecht der Seelen wurzeln, ein Gräuel" sein (Rohde 543). Aber die Sage fand er vor und musste sich mit ihr ab- finden. Und sie war ihm zur Bühnenwirkung recht (vgl. Rohde 543 ff.). Doch was ist bei ihm der Zweck des Opfers? Achill wird angefleht, günstige Fahrt zu verleihen, und nachdem die Jungfrau gesehlachtet ist, treten wirklich günstige Winde ein (Hek. 1289 f. vgl. 900 f. und Ovid met. Xni 439 f.). Wie völlig anders die Vorstellung von der Macht eines Toten als in homerischer Zeit, ja wohl auch in des Dichters eigener Zeit! Aber ihm und seinem Publikum ist Achill hier schon Heros, und dass man diesen Menschenopfer bringt, ist nicht unerhört (Flut. Pelop. 21 f. Philop. 21). Dazu kommt ein Anderes. Wie Themistokles vor der Schlacht bei Salamis Menschen geopfert hatte (Plut. Them. 13, Arist. 9), und das Heer vor der Entscheidung bei Leuktra dasselbe von Epameinondas ver- langte (Plut. Pelop. 21, vgl. Rohde 637) , so wusste man von Menschen- opfern auch vor Antritt gefährlicher Seefahrten. Aischylos hatte auch Iphigeneia 7cavoctvef.iog d-voLa (Ag. 214) und ertipöbg QQrjxlcüv arj/,iccTwv (Ag. 1418) genannt, Herodot erzählt, dass Menelaos, in Aigypten durch Windstille festgehalten, Kinder geopfert habe (IE 119), und wenn dafür später auch andere Gq)dyt,a eintraten (vgl. Plut. Ages. 6), so war man sich doch auch damals sehr wohl bewusst, dass diese eigentlich nur ein Er- satz waren, mit dem sich zufrieden zu geben man die Götter anflehte. Ob solche Opfer aber der Artemis (s. d. angef. Aischylosstellen) oder dem Poseidon (Arr. anab. VI 19, 5. App. bell. Mithr. 70 p. 480 u. s. w.) oder den Winden (Herod. II 119, VII 191) dargebracht wurden, war im Grunde gleichgiltig. Das Opfer der Polyxena also, wie es Euripides schildert, ist in der That mit den sonst üblichen Totenopfem nicht in eine Reihe zu stellen. Viel eher ist es mit dem ocpdyiov zu vergleichen, das Epameinondas statt des verlangten Menschenopfers den Heroinen des Orts, den Töchtern des Skedasos, thatsächlich darbringt (Plut. Pelop. 21 f.). Dass Euripides aber Neoptolemos den Schatten des Vaters anrufen lässt, heraufzukommen und das Blut zu trinken, ist nur insofern auffallend, als es eben Menschenblut ist, denn dass die Toten sich am Blut von Opfertieren erquicken, ist auch zu des Dichters Zeit noch nicht ver- schwundener, wenn auch von ihm natürlich nicht geteilter Glaube (vgl. z. B. Plut. Arist. 21); er folgt der Sage kaum in der Meinung, die graue Vorzeit sei so roh gewesen, dass ihr auch solche Vorstellungen zuzutrauen gewesen seien eine historische Treue streben die griechischen Drama- tiker nicht an , sondern in einer Art Gleichgiltigkeit gegenüber Stoffen, die eine so weite Kluft von seinem Glauben und Fühlen trennte.

27

418 Paul Stekoel

Auch die Spenden sind verschieden. Wein und öl fehlen im Kult der chthonischen Gottheiten'), während die Totenspenden häufig OV) und fast regelmässig Wein enthielten^). Ebenso finden wir bei Reinigungen von Schuldbefleckten (Apoll. Rhod. IV 702 ff.) und Heiligtümern (Paton u. Hicks Inscr. of Cos S. 81 ZI. 34 f.) vrjq)aXia und ^ekUgatov ange- wandt, aber weder Wein noch öl. Dem widerspricht nicht, dass Oidipus bei seinem Opfer für die Eumeniden (Soph. 0. K. 483) 27 Ölzweige auf den Boden legen soll, er ist ein Flehender, und der Ölzweig geziemt den hetai, auch nicht, dass überhaupt bei Sühnceremonien der kathartische Ölzweig eine Rolle spielt (Diels Sib. Bl. 120 f.); ebenso wenig, dass Atossa Aisch. Pers. 617 auch öl spendet, denn diese Spende ist für die Toten bestimmt (609 f.). Der Ölzweig ist also keine Darbringung an die Unter- irdischen, sondern ein Symbol, dass man sich ihnen als Hilfesuchender nahe, ein Symbol wie der Kranz, den man bei Opferfeiem der himmlischen Gottheiten trägt, sich dadurch unter ihren besondem Schutz stellend*). Der Grund für das Fehlen von Wein und öl ist nicht schwer zu finden: die chthonischen Kulte reichen in eine Zeit zurück, wo man beides noch nicht hatte (vgl. E. Curtius Gesamm. Abhandlungen 11 22 ff.) , und später scheute man sich, etwas zu ändern (vgl. Hermes XXEX 286 f.). Wahrscheinlich stammt aber auch der Totenkult aus so alter Zeit Ist dies der Fall, dann hat er sich eben ursprünglich auch hierin vom chthonischen nicht unterschieden. Interessant ist nun, dass man Wein und öl in den Totenkult sofort einführte, nicht aber in den der Unterirdischen. Ja man bettete die Toten auf Wein- und Olivenlaub (Athen. Mitt. XVm 184f. vgl. Artem. Oneir. IV 57), und verbrannte die Opfer für chthonische Gott- heiten vr]g)aUoig ^vXoig (Hesych. u. yiy^aA^a ^vla und aoLva] vgl. Band die Epikleidia Progr. der Margarethenschule Berlin 1887 S. 12 f.). Und das ist kein Zufall. Ehe man selber Wein und öl anbaute, importierte man es. Noch in homerischer Zeit giebt es keine Ölkultur in Griechen- land, und doch stellt bereits Achilleus dem Patroklos Krüge mit öl auf den Scheiterhaufen (^170. vgl. w 67), den chthonischen Gottheiten aber scheute man sich etwas zu bieten, was sie selber nicht aus dem Boden hervorwachsen Hessen, und dass man an dem alten Brauch festhielt, ist

1) Aisch. Eum. 107. Soph. Oid. Kol. 100 u. 481 mit Schol. CIA I 4. Paus. VI 20, 3 u. s. w. Vgl. Stengel Jahrb. f. Phil. 1887 S. 650 f., Hermes XXIX 287; Griech. Kul- tusaltt. 81. V. Fritze de libat. Graec. Berl. Dissert. 1893 S. 77.

2) Dittenberger Syll. 468, 10. Soph. Frgm. 366 Nauck'' S. 218. Plut. Arist 21. Poll. IX 65. Hesych. u. otcovösTov. Vgl. Artemid. Oneir. IV 57.

3) Stengel PhUol. XXXIX 379 ff., v. Fritze a. a. 0. 75 f.

4) Vgl. Diels Sib. Bl. 120. Stengel Kultusaltt. 76 f.

Chthonischer und Totenkult. 419

gerade in diesem Kult sehr erklärlich. Die andern Götter lud man beim Opfer zum Mahl oder fingierte vielleicht umgekehrt, dass man bei ihnen zu Gaste gehe, die chthonischen versöhnte man durch eine Abgabe von dem eigenen Gewinn; es war, wenn auch nicht bloss in der Not und aus Furcht dargebracht, doch immer eine Art Sühnopfer, von dem man selber nichts genoss. Dies scheint nun freilich auch für die Totenopfer zuzutreffen, aber der wesentliche Unterschied ist, dass man den Toten mit der Opfergabe selber einen Genuss bereiten wollte, und einen solchen Zweck haben Sühnopfer niemals (vgl. meine Griech. Kultaltt. 88, 93). Wollte man die Toten aber laben, so musste man ihnen bieten, woran sie sich einst im Leben erfreut hatten. So werden Wein und Ol gleich- zeitig als Nahrungsmittel und als Totenspende eingeführt sein das (xslUgarov allein ist verhältnismässig selten , die Xd-ovioi aber er- halten nach wie vor vricpaha.

Auch der rcelavog, ein Mehlbrei, der auf eine Zeit zu weisen scheint, in der man festes Brot noch nicht zu backen verstand, blieb im Kult der Xd^oviOL, begegnet aber nicht in dem der Toten; wo das Wort hier an- gewandt wird, bedeutet es einfach Spende (Hermes XXIX 284 ff.). Höch- stens l 28, wo Odysseus ausser den Spenden eul d^ alcpcra lev'/,a Ttalvvev, könnte man etwa an ähnliches denken, aber abgesehen davon, dass Odys- seus auch dem Hades und der Persephone Ehren erweist {X 45 f.), würde es sich hier immer nur um eine Vergangenheit handeln, die für die spä- tere Zeit nichts beweisen und nur ein ferneres Beispiel für Änderungen im Totenkult und Entfernung vom chthonischen Kitus hefern könnte. Aisch. Pers. 523 f. aber ist der /dlavog für die Unterirdischen (vgl. 203 ff.) bestimmt, die Spenden dagegen für die Toten (609 f.).

Aus der Bedeutung und Absicht der Opfergaben erklärt sich femer, dass obwohl dies seltene Ausnahme ist von Opfern für Heroen und chthonische Gottheiten unter Umständen gegessen werden darf. Es kommt auf den Grad der Scheu, auf die Auffassung des Charakters der chtho- nischen Gottheiten an. Sieht man in ihnen nur die Förderer des Acker- baus, so liegt kein Grund vor, ihnen nicht auch ein Speiseopfer darzu- bringen. In fruchtbaren Gegenden mit ausschUesslich Ackerbau treibender Bevölkerung finden wir Tempel, Altäre, heilige Bezirke des Hades (in Elis Paus. YI 25 , 3. Strab. VIII 344) , eine Inschrift aus Aphrodisias nennt einen Priester des Pluton und der Köre (Movo, Trjg EvayyeX. axoX. 1880 S. 180), und auch far andere Städte Kleinasiens ist seine Verehrung bezeugt (Strab. XIV 649 XHI 629 und mehr bei Preller-Robert Griech. Myth. 802 A. 1); attische Urkunden erwähnen einen ßco/nog nkovrwvog

27*

420 Paul Stengel

neben Altären für die d^eaL (CIA 834b, col. 2 ZI. 4 f.)'} und eigene ßw^ol vrj(paXioi. für Gottheiten, die nüchterne Spenden verlangen (CIA 11 1651). Das setzt eine Verehrung voraus, die der der Himmlischen näher steht als der sonst in chthonischen Kulten üblichen.^) Der Opferkalender von Mykonos liefert denn auch thatsächlich Beispiele von Speiseopfem, die man chthonischen Gottheiten darbrachte. Dittenberger Syll. 373, 25 : vtcsq 7ia{Q)7tü}v JtX Xd'OvLtJi Tial riJL XO-ovlrjL degra (.üKava tTroia' ^evwi ov d^B^ig. ödivvöd-wv avTov (vgl. dazu Hermes XXVn 166 ff.). In derselben Inschrift heisst es ferner kurz vorher: ^e^iXrjL irrjoLov tovto hatevsTai. Auch Semele wird man zu den chthonischen Gottheiten rechnen müssen.^) Ist aber meine Erklärung von LvaxeveTaL (Berliner Philolog. Wochenschrift 1893 Sp»:1365) richtig, so hat man auch von diesem Opfer gegessen. Und IvaievsTaL wird in der That nichts anderes heissen können als: der neunte Teil wird dargebracht. Das übrige ver- zehrte man also. de/MTsvetv ist ja bekannt, hier ist gerade die Neun- zahl charakteristisch, sie beweist auch, dass der Kult ein chthonischer war (s. Diels Sib. Bl. 40flF.). Das Verfahren selbst erinnert an Od. ? 434 ff., wo Eumaios den Eber in sieben Stücke zerlegt, deren eines er dem Hermes und den Nymphen weiht. Hierzu ist neuerdings eine Inschrift aus Magnesia am Maiandros gekommen (behandelt von 0. Kern Arch. Anz. 1894 S. 78 ff.), die sich auf den Kult des Zeus Sosipolis bezieht, von dessen auf der Agora gelegenem Tempel vor zwei Jahren die Fundamente blossgelegt worden sind. Kern hat S. 81 die Gründe dargelegt, die es unzweifelhaft machen, dass wir es hier mit einer chthonischen Gottheit zu thun haben/)

1) Vgl. "E(prjfi. ccQX' 1883 S. 115. 1890 S. 83 nr. 51. auch CIA II 948 ff. III 145 und Foucart im Bull, de corr. hell. VII 387 ff.

2) Vgl. auch Eur. Frgm. 912 Nauck^ S. 655:

aol T(ö ndvTOJv ^eöeovzL xoj]v nsXavov xe (pSQO), Zfvg si'S-^ \6Tjg ovofJLoi^oixEVOs GTS^ystg. av ös fioi d-valav änvQov nayxaQneiaq öi^ai nXriQri TCQOxvd-alaav.

3) Vgl. Rohde 306 A. Sana Wide de sacr. Troezen. 42 ff. PreUer-Robert Griech. Myth. I 660 A.

4) Vgl. auch Robert Athen. MItt. XVIII 37 ff. über den elischen Sosipolis. Das Zeuskind (vgl. Kern 81) möchte ich für Magnesia lieber aus dem Spiel lassen. Auch würde ich, wenn man athenische Kulte zum Vergleich heranziehen will, nicht mit Kern (S. 81) zuerst an den Meilicbios und Eubuleus denken, sondern an Zeus Poheus. Der nslavos und die xaQuol (Porph. de abst. n 10. Theophr. ebenda II 29. Vgl. Paus. I 24, 4: xQid'aq xaxaQ-svteq inl xov ßwfxov (jLefxiyfxsvaq nvgolq und dazu Hesych. unter evnXovxov xavovv\ die ihm dargebracht werden, sind Opfer für chthonische d. h. Ackerbaugötter. Auch hat er sicherlich, so lange man ihm noch keine Blutopfer brachte, nüchterne Spenden empfangen, wie sie im Kult des Zeus

Chthonischer und Totenkult. 421

Alljährlich soll ihm agxo^ivov OTtogov im Monat Kronion ein Stier ge- weiht und als ihm gehöriges Opfertier gezeichnet werden, und gebetet VTieg oItov cpOQccg y,al twv olXXcov ymqtccüv Ttawotv v-al tu)v yiTtjvwv. Also ganz ähnlich wie in Mykonos. Wie dort Zeus Chthonios zusammen mit Ge Chthonia seine Opfer empfängt, so hier Zeus Sosipolis mit Artemis Leuko- phryene und Apollon. Das erklärt sich daraus, dass Artemis in Magnesia die Hauptgöttin ist, wie in Ephesos, und dass Apoll, wie andere Inschriften zeigen (Kern Arch. Anz. 1894 S. 124) hier besonders eng mit ihrem Kult verbunden ist/) Zeus Sosipolis, dem das am 12. Artemision begangene Fest vor allem gilt, erhält ausser dem Stier einen Widder, Artemis eine Ziege, Apollon einen Bock. Das Fleisch aller Tiere aber wird gegessen. Nachdem die Priester die ihnen zustehenden Anteile empfangen haben, sollen die Oikonomoi das Fleisch des Stieres unter die Teilnehmer am Festzuge, das der drei kleineren Tiere unter den Stephanephoros, die Priesterin, die Pole- marchen, Proedren u. s. w. verteilen. Die heilige Handlung soll von Flöten-, Syringen- und Citherspiel begleitet sein, und die bei allen Speiseopfem übliche Flötenmusik (Griech. Kultusaltt. 77) werden wir auch für das Opfer in Mykonos anzunehmen haben. Opfer aber für chthonische Gottheiten mit unheimlichem Charakter, wie Zeus Lykaios oder die Eumeniden, sind sicherlich ohne Musikbegleitung vollzogen worden. Das beweist für den ersteren der Umstand, dass man ihm ev ccTtoQQTJTcp opfert (Paus. Vm 38, 5), für die Eumeniden, dass man das Yoropfer dem Daimon des Schweigens, Hesychos, darbrachte (Polemon im Schol. zu Soph. 0. K. 100. Ygl. Töpffer Att. Geneal. 172). Auch würde Aischylos (Eum. 332) sie sonst kaum ihren eigenen Gesang haben acpoQjiuyyiTog nennen lassen. Dasselbe ist aber für die Opfer der Windgottheiten, die Eidopfer und alle ocpayia vorauszusetzen. Dass man ebenso bisweilen von Opfern für Heroen zu essen wagte, auch wenn ihnen nicht wg ^eco geopfert wurde, lehren Pausanias X 4, 7 und V 13, 2 (vgl. Hermes XXVII 165 ff.), wo der Ausdruck d^veiv für eva- ylL.eiv keine Nachlässigkeit ist. Aber es handelt sich in diesen Fällen nicht um heroisierte historische Persönlichkeiten, wie beispielsweise Bra- sidas (Thuk. V 11) oder der Olympionike Philippos aus Kroton (Herod. V 47) es wären, sondern um Pelops, Telephos, Xanthippos, die ihr eigenes Heilig- tum haben (Paus. V 13, 1) oder ausdrücklich als agxrjyirai bezeichnet

Hypatos, der auch später die Tieropfer ausschloss, immer beibehalten wurden (Paus. I 26, 6. Im Übrigen vgl. Hermes XXVIII 489 fF., auch XXIX 285 ff.).

1) Artemis mit Kern S. 80 für eine chthonische Göttin zu erklären, weil auch ihr Tempel nach Westen gerichtet war, und der Name nach Roberts sehr wahrschein- licher Erklärung (Preller Griech. Myth,^ I 296 A.) „die Schlächterin" bedeutet, kann ich mich nicht entschliessen, aber sie wie Apollon empfängt Siihnopfer ja sehr häufig (Kaibel Epigr. gr. 1034 und mehr in meinen Kultusaltt. 92 f.).

422 Paul Stengel

werden (Paus. X 4, 6), die also den Göttern näher stehen als den gewöhn- lichen Toten.

Bemerkenswert und charakteristisch für die Opfer in Mykonos, Mag- nesia und für die erwähnten Heroen ist femer, dass sie am Tage stattfin- den, während man sonst chthonischen Gottheiten und Heroen nachts opfert.*)

Von Totenopfem geniesst man niemals etwas, und auch die Musik fehlt bei ihnen selbstverständlich immer, aber man bringt sie und das führt uns auf einen neuen Unterschied des chthonischen und des Toten- kultes — am Tage dar. Wenn das bisher verkannt worden ist^), so waren die Zeugnisse der Alten daran eigentlich nicht schuld, denn aus den Bemerkungen des Proculus zu Hes. erg. 763 vielleicht nach Philo- choros, s. Lobeck Agl. 412 A. a , des Scholiasten zu Pindar Isthm. IV 1 10, des Etym. M. 468, 34, des Scholions zu II. 0 66 (auch Eustath. zu der Stelle, vgl. ferner zu ^ 84) und zu Apoll. Rhod. I 587 war es nicht zu entnehmen. Die beiden ersten Stellen sagen nur, rolg rJQwoL habe man im Gegensatz zu rolg &€olg am Abend geopfert, das Etym. M. zolg /.ara- X^ovLoLg, also X-9-ovloig% und nur das Ilias- und ApoUoniosscholion haben Tolg KüToixofiivoig, Da das letztere diese den Olgavidaig gegenüber- stellt, ist klar, dass Taarotxof^evoL hier auch nichts Anderes bezeichnen soll als Xd^oviOi, Auch in dem Iliasscholion ist der Gegensatz tolg &eolg. Man würde also auch hier berechtigt sein, y.a%ovi6iiEyoi nur auf die Heroen zu beziehen oder es einfach als „Unterirdische" zu erklären (vgl. Schol. zu Eur. Phoin. 274). Aber es bedarf dessen vielleicht nicht einmal; denn wenn der Kommentator, der an ^220 f. und Al2f. gedacht haben wird, seine Bemerkung nur auf das Epos bezieht und allein für dieses gelten lassen will, so hat er recht. Doch später herrscht ein anderer Brauch. Neoptolemos opfert Polyxena am Morgen (Eur. Hek. 521 ff.), Atossa bringt die Opfer am Grabe des Dareios morgens dar (Aisch. Pers. 609 ff.), ebenso Elektra und die Choephoren am Grabe Agamemnons (Aisch. Cho. Anf. u. 149), Chrysothemis im Auftrage Klytaimestras (Soph.El. 326ff., 405, 431, 883 ff.) und Helena am Grabe der ermordeten Schwester (Eur. Or. 114). Die grossen Totenopfer, die alljährlich die Plataier (Plut. Arist. 21, vgl. Thuk. m 58)

1) Der Beweisstellen sind unzählige. Eine kleine Auswahl s. in meinen Kultus- altt. 102. Sehr interessante Beispiele haben auch die neuerdings gefundenen Akten der römischen Säkularfeier unter Augustus gebracht (Ephem. epigr. 1891 S. 225 ff.).

2) So, um nur das Neueste zu nennen, von Robert in Prellers Griech. Myth.* I 820 und von mir selbst Griech. Kultusaltt. 102. Wir haben nach dem Vorgang anderer (vgl. z. B. Schoemann Griech. Altt.^ II 242) Heroen- und Totenkultus zusam- mengeworfen.

3) Vgl. Rohde 191 A. 2. Von ferneren Zeugnissen Diog. Laert VIII 33, Plut. Quaest. rom. 34 p. 332.

Chthonischer und Totenkult. 423

und die Megarer (Simon, frgm. 107 Brgk.' Dittenberger CIG I 53) den Helden der Perserkriege, die Athener an dem Polyandrion in Marathon (Paus. I 32, 4. CIA II 471), die Arkader in Phigalia (Paus. Vm 41, 1) bringen, finden natürlich auch am Tage statt, und dass die Genesia, die jede Fa- milie ihren Toten, und wahrscheinlich alle hellenischen Völker ausserdem von Staatswegen an einem bestimmten Jahrestage feierten (Rohde 215 f.), in der Nacht begangen sein sollten, ist ja ganz undenkbar. Dem gegenüber darf man sich nicht auf Eur. El. 90 ff. berufen :

vvT^xbg de rrjoöe tcqoq xacpov ^okwv Ttazgdg TtvQ^ T 67t^G(pa^ al(xa ^TqXeLov (povov XaMv TVQavvovg, ot xQaTovoi T^aöe yrjg. Bei Sophokles hat Orestes seine Spenden am frühen Morgen auf das Grab gegossen (El. 893 ff., vgl. 84), bei Euripides bringt es der Gang der Handlung mit sich, dass dies Opfer bereits am frühen Morgen vollzogen ist. So wird den Eumeniden nachts geopfert, trotzdem giesst Oidipus in Soph. 0. K. ihnen die Spenden am Tage. Totenspenden sollen nur am Grabe des Verstorbenen dargebracht werden, trotzdem giesst Iphigeneia in Taurien dem Orest, den sie tot wähnt, dort die Spenden, weil sie es an seinem Grabe nicht kann (Eur. LT. 170 ff., ähnliches Soph. El. 932 f.). Die Um- stände können natürlich solche Abweichungen von dem Gewöhnlichen recht- fertigen, ja sie notwendig machen. Den Söhnen des Herakles aber opfern die Thebaner als Heroen (Pind. Isthm. III 79 [IV 61]) und ebenso die Ar- gonauten dem Dolops (Apoll. Rhod. 1 587, vgl. Deneken unter Heros in Roschers Myth. Lex. 2512 f.). Auch die Tageszeit erklärt sich durch den Charakter des Kultes und die Vorstellung , die man von den Wesen hatte, denen er ge- widmet war. Wenn der Totenkult ohne Zweifel auch in späterer Zeit bis- weilen Züge apotropäischen Charakters zeigt, so ist er ebenso unzweifel- haft im Unterschied vom chthonischen ^) doch mehr und mehr freundlich geworden, und hat einem frommen Herzensbedürfiiis genügt. Das be- weisen die Darstellungen auf den Grabreliefs (Rohde 220 ff., Wolters Athen. Mitt. XVI 404 f.), das die wiederholten Totenopfer und Feiern, namentlich auch an den Geburtstagen der Verstorbenen ; ja der Lebende scheut sich bisweilen nicht, auf der Grabvase seinen Namen neben den des Toten zu setzen (Brückner Sitzungsber. der Wiener Akad. CXVI 533), den man noch so gern im Kreis der Familie sähe und denkt „Man sieht wohl, dass zwischen Leben und Tod keine unüberschreitbare Kluft liegt; es ist, als wäre das Leben gar nicht unterbrochen durch den Tod" (Rohde 215).

Diesen Wandel im Empfinden zeigt recht deutlich noch ein anderes

1) Vgl. auch aus späterer Zeit Schol. Lnk. Ikarom. 24. Zosimus bei Diels Sib. Bl. 134 ZI. 7.

424 Paul Stenoel

unterscheidendes Merkmal. Bei Homer (x 528) soll Odysseus sich um- wenden, wenn er die Totenopfer darbringt, wie es bei Sühn- und Rei- nigungsopfem stets geschah (Rohde 377. Apoll. Rhod. lU 1029 ff.): bei Aischylos klagt Elektra, als sie sich scheut, die von Klytaimestra gesandten Spenden auf das Grab des ermordeten Vaters zu giessen (Cho. 87ff.): Td(p(i) xeovoa rdode xrjdelovc; xodg Ttüjg evcpQOv eXticj^ yc(tig xaTSv^o/nai. natgi;

t] Gly axiinag, wa/C€Q ovv drcwketo

TtarriQ, rdd eTcxiaaa, ydnoTov xvoiv,

arelxco, Y,ad^dQ(ia^ ojg rig h^Tiifixpag 7cdXiv

öiTiovaa T€vxog ctOTQocpoiöiv ofi/naOLv; Hier also ängstlich schweigendes Sichabkehren , schnelles Fliehen des un- heimlichen Orts, dort freundliches Begrüssen einer lieben Stätte. Und so überall bei den Tragikern und später (z.B. Plut. Arist. 21).

Auch dass wir im Kult der Unterirdischen die Farbe des Blutes, den Purpur, finden (Aisch. Eum. 1028. Lys. g. Andok. 51 und mehr bei Diels Sib. Bl. 69 f.), im Kult der Toten die Farbe der Trauer (schon H. ß 94), das düstere Schwarz (z. B. Aisch. Cho. 41, Eur. Hei. 1058; vgl. Eur. Alk. 844 u. Eohde 142A), ist nicht ohne Beziehung auf die Eigenart beider.

Ein weiterer Unterschied scheint zu sein, dass man den chthonischen Gottheiten vorzugsweise männliche Tiere opferte'), den Heroen wohl aus- schliesslich, den Toten dagegen, wenn wir den Angaben der Scholiasten und Lexikographen trauen dürfen^), nur weibliche oder verschnittene Tiere. Einen Grund weiss ich weder für das eine noch für das andere anzuführen. Für Heroenopfer sind männliche Opfertiere vielfach bezeugt (Jahrb. f. Phil. 1886 S. 329), von chthonischen Gottheiten erhalten die weiblichen oft auch weih-, liehe Tiere zum Opfer ; so die Eumeniden (Istros im Schol. zu Soph. 0. K. 42), Persephone in Kyzikos (Plut. Luc. 10), Gaia (ausser H. r 103 Sibyll. Orakel bei Zosimus 10 f. Diels Sibyll. Bl. 134), die Moiren (ebenda ZI. 8 f.). Be- merkenswert aber bleibt, dass man zu Eidopfern ausschliesslich männ- liche verwendet^), und die haben rein chthonischen Charakter (s. meine Kultusaltt. 60 f. u. 94 f.). Was nun die Totenopfer angeht, so erleiden die hierauf bezüglichen Angaben der Scholiasten zum mindesten Einschrän- kungen. Sicher ist, dass man allen Toten Hähne opferte ; Stiere, Widder,

1) Dittenberger Syll. 373, 17. CIG 1464. Inschr. v. Magnesia bei Kern a. a. 0. ZI. 35, 50 f. Vgl. Kaibel Epigr. gr. 1034.

2) Schol. zu Od. A30 und ieb22, zu Apoll. Rhod. I 587. Suid. u. ivrofiiöai. Etym. M. u. kvtoßa. Vgl. Schoemann Griech. Altt.^ II 236).

3) Stengel Jahrb. f. Phil. 1S83 S. 376 f. Griech. Kultusaltt. 96. H. ri03 kann als einzige Ausnahme unter zahllosen Beispielen nicht das Gegenteil beweisen. Vgl. darüber Griech. Kultusaltt. 104 A. 10.

Chthonischer und Totenkult. 425

Eber sind wenigstens für die ältere Zeit bezeugt, und auch später hat man an den Massengräbern der im Kampf Gebliebenen Stiere geopfert, wie dies am Grabe heroisierter Helden Sitte war/) Da ist allerdings An- näherung an Heroenkultus unverkennbar wissen wir doch auch, dass die bei Marathon Gefallenen ausdrücklich als Heroen angerufen wurden (Paus. I 32, 4) , aber es bleibt doch immer im Widerspruch mit jenen Zeugnissen. Wollen wir sie nicht ganz verwerfen, so werden wir doch den Grund, den sie für den angeblichen Brauch anführen : wg ayova xolg ayovoig, uns nicht aneignen; man wäre wohl nie darauf gekommen, hätte man sich nicht über die oielga ßovg Od. k 30 den gelehrten Kopf zer- brochen (vgl. Jahrb. f. Phil. 1881 S. 80).

Wichtiger als alle bisher berührten Unterschiede ist, dass der Toten- kult im Laufe der Zeit Wandlungen erfuhr, während der chthonische un- verändert blieb. Er hat keine Geschichte, in jenem können wir eine inter- essante und lehrreiche Entwicklung verfolgen.

Die älteste Kunde verdanken wir den Gräbern, hauptsächlich in Mykenä und Nauplia. Die ersteren sind senkrecht in den Felsen getrie- bene Schachte, schon durch diese Anlage das höchste Alter beweisend. Die Leichen sind in ihnen beigesetzt, nicht verbrannt (s. Heibig Homer. Ep.2 52 f.). Jedes Grab enthielt mehrere Leichen, wie dies überhaupt in allen sehr alten Gräbern der Fall ist (s. U. Köhler das Kuppelgrab von Menidi 1880 S. 53). Offenbar sind die Angehörigen einer Familie oder eines Geschlechtes zusammen bestattet worden (vgl. Köhler a. a. 0. und Lolling ebenda S. 17 A.). Den Toten sind kostbare Schmucksachen, Waffen und andere Gegenstände in grosser Menge mitgegeben, und alle Gräber weisen unzweifelhafte Spuren von Tieropfem auf, die man vor und nach der Bestattung dargebracht hat^); über dem vierten befand sich sogar eine Opfergrube (Schliemann, Mykenä 246 f., vgl. Plan F). Ähnlich sind die Befunde aller anderen ältesten Grabanlagen. Das Kuppelgrab zu Dimini enthielt Kohlen und Aschenreste, „die nur von Totenopfem herrühren können", da die Leichen auch hier nicht verbrannt sind (Lolling u. Wolters Athen. Mitt. XII 138), und neben den menschlichen fand man Tierknochen (Athen. Mitt. XI 437). Auch in dem Kuppelgrab des Minyas in Orcho- menos entdeckte man mehrere auf einander folgende Aschenschichten, die deutlichen Spuren von Totenopfem (Schuchhardt a. a. 0. 337), ebenso in dem Eingang zu dem Grab in Yafio am Ende des Dromos eine Grube, auf deren Grund eine zehn Centimeter dicke Aschenschicht lag (Ecpiq^, aqx-

1) Paus. IV 32,3. Philostr. Her. XIX p. 741. Paus. VIII 41, 1 u. s. w.

2) Heibig a. a. 0. Rohde31ff. Schuchhardt Schliemanns Ausgrabgg. 182, 188f., 331. Beiger die myken. Lokalsage Progr. des Friedrichsgymnas. Berlin 1893 S. 32 f.

426 Paul Stengel

1889 S. 143. Vgl. Winter Arch. Anz. V 102). Wenn diese, wie zu vennuten ist, von Opfern herrührt, wird man anzunehmen haben, dass nur das Blut der Tiere, die eigentliche Gabe für die Toten, an die Stelle, wo die Leichen ruhten, hingeschafft worden ist, die Leiber aber hier verbrannt wurden. Nicht mehr zu bestimmen waren die Knochenfunde in dem Grabe am Heraion bei Mykenä, doch fand man auch hier Eberzähne (Athen. Mitt. III 285). Am lehrreichsten sind die Gräber von Nauplia am Palamidi ') , nicht bloss des- halb, weil auch sie uralt sind, sondern weil hier im Unterschied von den er- wähnten arme Leute bestattet sind.*) Es sind kleine Grabkammern, in den Felsen gearbeitet. Aber auch hier „lagen zu Raupten der Toten dünn gesät Knochen, die von Schafen oder Ziegen herrühren; solche waren vereinzelt auch über die Stätten der Leichname zerstreut", und in einem halb offen stehenden Grabe fand man Ziegenknochen und Homer (Lolling Athen. Mitt. Y 155). Auch die Gräber in Spata enthielten zahlreiche Kohlen, Eberzähne und Tierknochen (Athen. Mitt. II 84.262). Konnte man hier den Toten nicht Schätze mitgeben, wie in Mykenä, so sollten sie die Wohlthat der Opfer we- nigstens nicht entbehren. Der Eeichtum jener aber hat mit Recht Staunen erregt. Das waren wirkliche xre^«« ! (s. Rohde 23 A., 19A. 1). Zeigt sich in diesem Mitgeben des Besitzes eine Übereinstimmung mit den Vorstel- lungen und Gebräuchen, wie sie uns im Epos entgegentreten, so weicht die Sitte einer wiederholten Darbringung von Totenopfern von der home- rischen ab. Denn niemand wird das Versprechen Achills, dem geschie- denen Freunde seinen Teil von den Geschenken für Hektors Leiche zu- kommen zu lassen 592 ff.), oder das Opfer der unfruchtbaren Kuh, das Odysseus dem Teiresias nach seiner Heimkehr in Ithaka bringen will (/. 30j, für eine Fortsetzung des Totenkultes noch lange nach der Bestattung er- klären wollen. Zwar dass Achill für möglich hält, die trotz aller ange- wandten Mittel vielleicht doch noch nicht ganz von dem Reich des Lebens abgeschnittene Psyche des Patroklos konnte ihm zürnen und schaden, wenn er sich gerade dieses Besitzes freue, der dem Mörder die Wohlthat der Bestattung erkaufte, wäre echt homerische Vorstellung, aber es be- darf der Annahme nicht, Achill fürchte die Rache des Toten. Er hat dem Freunde eigentlich ein Versprechen gebrochen, indem er die Leiche des Todfeindes den Seinigen zurückgab (^ 182 f.), da ist die Busse, die er sich selbst auferlegt, aus rein natürlicher Empfindung voU verständlich. Und schliesslich ist diese Gabe immer noch kein Totenopfer. Ein fem von seinem Grabe aber dem Teiresias dargebrachtes Totenopfer ist eigentlich ein Unding und, wie Rohde 54 f. ausgeführt hat, nur aus einer gedanken-

1) Ausgrabungsberichte im k&i^vaiov VII 183 ff. VIII 515 ff. ,

2) Lolling Athen. Mitt. V 154 f. Köhler d. Kuppelgrab v. Menidi 50.

Chthonischer und Totenkult. 427

losen Reminiscenz des Dichters an eine ihm fremd gewordene Vergangen- heit zu erklären, vergleichbar der merkwürdigen Anwendung des Wortes Taqyrvvuv (H 85, 11 456, 674), das auch übernommen ist in eine Zeit, wo es keinen Sinn mehr hatte (vgl. Heibig a. a. 0. 55 f.). Aber auch an posi- tiven Zeugnissen für das Fehlen jedes den Toten noch nach der Bestat- tung gewidmeten Kultes fehlt es in den Epen nicht.

TOVTo vv xai yeqag oiov oi^vgoiac ßgoTOloiv ■^eLQaod-ai le -/.öfxriv ßaXeeiv % anb ödxQv Tcageiwv sagt Peisistratos {d 197 f. vgl. W 46 u. 141), und das Errichten von tvfißog und OTrjlrj ist die einzige Ehre, die man ihnen sonst noch zu erweisen weiss (JT457, f.i 14 u. s. w.).

Angst vor der Wiederkehr der Psyche des Verstorbenen haben wir auch für die vorhomerische Zeit vorauszusetzen, solche Vorstellungen sind gerade Naturvölkern oder dem Kindesalter der Nationen eigen*). Aber man kann sich auf verschiedene Weise davor sichern. Giebt man dem Toten alles mit, was er bedarf, baut man ihm eine Wohnung und labt ihn durch immer wieder dargebrachte Opfer, so hat die Seele keine Veranlassung, grollend und ihr Recht eintreibend auf der Oberwelt zu erscheinen. Das ist das Mittel, welches die mykenische Zeit anwendet. Die gewaltigen Kuppelbauten mit ihrer Pracht konnten den Fürsten ein Ersatz sein für ihren Palast, den sie andern hatten lassen müssen^),

1) Spuren von einer Furcht vor dem Groll der Toten leugnet auch für die homerische Zeit Ed. Meyer (Gesch. des Altt. II 119 f., 425), wie ich glaube mit Unrecht. Vgl. Kohde 15, 20 ff. 216 und Diels Sib. Bl. namentlich S. 72 A.

2) Nur diese Bedeutung können meiner Ansicht nach die Gewölbe gehabt haben. Um einen Raum zu haben, wo man die Totenopfer darbringen d. h. Tiere schlachten und verbrennen konnte (so Rohde 33, Schuchhardt a. a. 0. 175 u. A.), hat man sicherlich solche Bauten nicht aufgeführt. Zwar die Möglichkeit, dass man hier auch Opfer vollzogen hat, ist zuzugeben, denn in einigen hat man Kohlen- reste und Asche gefunden, deren Vorhandensein sich so am einfachsten erklären würde. (Vgl. Beiger Berl. Phil. Wochenschr. 1891 Sp. 70). Aber Kohlen und Asche fanden sich auch in gewöhnlichen Gräbern, wo eine Verbrennung der Leiche selbst im Grabe nicht anzunehmen war. Da liegt der Schluss doch nahe, dass die Tiere wie neben dem Grabe, so hier neben dem Gewölbe geschlachtet und verbrannt wurden, dann aber nicht nur das Blut, sondern auch die anderen Teile und Überreste des Opfers hineingeschafft wur- den, gerade so wie in die nicht mit Erde ausgefüllten Gräber von Mykenä und Nauplia (Schuchhardt a. a. 0. 183 ff.). Dafür spricht auch der Umstand, dass selbst im Atreus- grab Spuren von Altären nicht entdeckt sind, wie sie doch in dem Fall, dass das Gewölbe zur Darbringung von Totenopfern bestimmt war, vorausgesetzt werden sollten; femer auch, dass die Grube mit der Aschenschicht beim Grabe von Vafio sich vor dem Eingang im Dromos befand. Der ganze Kuppelbau wurde offenbar als ein Grab betrachtet. Das Grab nimmt die Opfer auf, denn in ihm wohnt der Tote, aber die Opferhandlung vollzieht sich daneben. Jedenfalls waren die Dome dazu nicht nötig, denn Opfer konnte man an den bescheidensten Grabstätten ebenso gut darbringen und hat sie dargebracht, wie es uns die Schachtgräber von Mykenä und die Felsen-

428 Paul Stengel

Diener und Sklaven schlachtete man am Tage ihrer Bestattung, sie sollten ihnen folgen und weiter dienen (Schuchhardt a. a. 0. 240, 331. Beiger a. a. 0. 33), Gold und Juwelen schmückten sie so reich wie kaum im Leben (Schuchhardt z. B. 204), Waffen und Geräte gab man ihnen in überraschender Fülle mit (vgl. Athen. Mitt. IH 9f.), dann brachte man die Opfer was konnte der Tote da entbehren, was ihn zum Lichte zurückziehn? Und bescheidener, wie er es vermag, aber sonst ganz in derselben Weise sorgt der Arme für seine Toten, wie die Grabstätten am Palamidi es uns gezeigt haben. Ein anderes Mittel wendet die homerische Zeit an. Zwar ist nicht völlig mit der Vergangenheit ge- brochen, auch an Patroklos' Grabe bluten Menschen, Pferde und Hunde werden mit ihm verbrannt, und auch die Waffen dürfen dem Krieger nicht fehlen {l 74), aber das vaegea xTeget^eiv ist doch schon formelhaft geworden, ein Anderes, als den Toten durch reichlichste Gaben zu be- friedigen, ist wichtiger geworden: man will der Psyche eine Rückkehr überhaupt unmöglich machen. Darum begräbt man den Leichnam nicht mehr, man verbrennt ihn ; denn bei völliger Zerstörung ihrer Behausung, des Leibes, denkt man sich das Wiedererscheinen der Seele auf der

gräber von Nauplia gleicherweise zeigen. Denkt man sie sich aber etwa dazu be- stimmt, später am Todestage des Bestatteten oder an sonstigen Gedenktagen eine Versammlung der Angehörigen aufzunehmen was sollen diese dort gethan, was für eine Gedächtnisfeier vorgenommen haben? Heute würde vielleicht ein Gottes- dienst stattfinden, damals wäre nur an ein Mahl zu denken. Aber sollte das wirklich hier bereitet und genossen werden? In dem unterirdischen Raum, den geheimnis- volles Halbdunkel und ewiges Schweigen erfüllten, wie es die Toten liebten, die Lebenden flohen, im Grabe? Wahrlich nicht bloss der Abergläubische hätte ein Grauen empfunden. Gewölbe und daneben Thalamos sind nur in Mykenä und Orchomenos aufgefunden worden, die meisten der aufgedeckten Kuppelgräber haben keine besondere Grabkammer. Hier musste den Toten ein Raum genügen. Aber „die räumliche Disposition ist überall dieselbe", ja „auch unter den Gräbern von Nauplia ahmen wenigstens einige die Kuppelform in roher Weise nach" (Köhler a. a. 0. 52), und noch deutlicher sieht man dies bei den wohl gleich alten und gleich dürftigen Gräbern in Epidauros, die auch des Dromos nicht entbehren (z/f/r. d^/. 1888 S. 156 f.). Hier kann aber von einer Versammlung der Familienmitglieder nicht die Rede sein. So spricht also alles dagegen, dass die grossen Kuppeldome einen Zweck gehabt haben, den nicht auch jede andere Grabanlage erfüllen konnte und sollte, d. i. dem Toten eine Stätte zu sein, wo er wohnte und Opfer empfing. Auch die Annahme, dass etwa eine aus Asien stammende Dynastie zuerst die dort übliche Kuppel mit dem griechischen Thalamos vereinigt habe, würde an der Sache nichts ändern. Einen Zweck muss man bei all diesen Bauten gehabt haben, und der kann, wie gesagt, nur gewesen sein, dem Toten eine Wohnung zu schafien, dem König, der einen Palast bewohnt hat, eine prächtigere als dem Armen, dem eine Hütte Obdach gewährte. Ja wenn Adlers (Einl. zu Schliemanns Tiryns 1 1 f.) Ver- mutung richtig ist, dass die Bauart aus Phrygien stammt, wo nach Vitruvs Zeugnis (U 1, 4 p. 35 Rose) die Thalbewohner in ähnlichen unterirdischen Räumen lebten, würde die Herleitung von dort eine Stütze meiner Ansicht sein.

Chthonischer und Totenkult. 429

Oberwelt noch schwieriger, noch eher unmöglich (Rohde 28 ff.). Vielleicht sollten auch die gewaltigen Erdmassen, die man über den Gräbern türmte, neben dem Ruhme der Toten noch diesem Zwecke dienen. Opfer aber bringt man ihnen nach der Bestattung überhaupt nicht mehr, denn durch Blutgüsse und Spenden lockt man die Seelen der Toten herauf, und gerade das will man vermeiden. So schiebt sich die homerische Zeit ein zwischen Vergangenheit und Folgezeit als ein Besonderes (vgl. Rohde 103), denn der Kultus der folgenden Jahrhunderte zeigt weit mehr Ähnlichkeit mit dem in der mykenischen Periode üblichen. Wiederum begräbt man die Toten. Unter neunzehn aufgedeckten Dipylongräbern des 8. 7. Jahr- hunderts hat man nur ein jüngeres gefunden, wo die Leiche verbrannt war (Brückner und Pernice Athen. Mitt. XVIII 104 ff.). Waffen, Schmuck, Geräte, wie man sie im täglichen Leben braucht, eine förmliche „Aus- stattung" wird dem Toten mitgegeben (Brückner Arch. Anz. Vn 20, Athen. Mitt. XVIII 141 f.), noch immer erinnernd an die alten /.Tsgea, ja Kochtöpfe und Speisen und, was das auffallendste ist, in einer Anzahl von Gräbern haben sich gewaltige Lutrophoren gefunden, Hydrien, die man mit Wasser gefüllt ins Grab senkte, damit der Tote auch des Bades nicht entbehre*). Und wiederum setzt man die Totenopfer auch nach der Bestattung fort. Der obere Teil des Grabes ist nicht zugeschüttet, so dass eine Grube blieb, wo man sie darbringen konnte (Brückner Arch. Anz. VII 20; Athen. Mitt. XVIII 151, 155 u. 415), und es haben sich auch Stierknochen dort gefunden (Athen. Mitt. XVIII 147). Ebenso weisen die sehr alten Gräber von Eleusis, die Philios aufgedeckt hat, Spuren von Brandopfern auf (Eq)iq(.i, agx- 1889 S. 173). Anders sieht es bereits auf dem attischen Friedhof in der Piräusstrasse aus, den Brückner und Pernice untersucht und beschrieben haben (Athen. Mitt. XVin 73 ff.). Neben Gräbern, in denen die Leiche beerdigt ist, finden sich viele „Brandgräber", d. h. solche, in denen sie „an Ort und Stelle verbrannt worden ist" (S. 78). Die Gaben, die man den Toten mitgiebt, werden spärlicher, sogar die Waffen fehlen den Männern (S. 147), zahl- reiche Lekythoi sind fast das einzige, was die Gräber noch enthalten. Und wie der Glaube schwand, dass der Tote den Besitz, den er hinter- lassen hatte, selber noch brauchen könnte und dem Lebenden, der ihn zurückhielt, missgönnte^j, so auch der, dass die Seele vor allem Blut

1) Brückner a. a. 0. hält für möglich, dass nur Unverheiratete die Lutrophoros mitbekamen. (Vgl. Rohde 292 A. l Dieterich Nekyia 70. Wolters Athen. Mitt. XVI 387, 392 ff.) Sie fanden sich in fünf von neunzehn Gräbern.

2) Ein Übergangsstadium zeigen bereits die Dipylongräber, insofern sie weniger Kostbarkeiten enthalten als die Gräber aus der früheren Periode, und der Zweck der Ausstattung hier sichtlich mehr der ist, „dass der Tote im Jenseits seinen Haus- halt weiter führen könne" (Brückner Arch. Anz. VII 20).

430 Paul Stengel

verlange und sich daran am meisten erlabe. Auf dem Friedhof haben sich Spuren und Reste einer ausgedehnten 7cv()cc (vgl. Eur. El. 325, Plut. Arist. 21) aus dem Ausgang des 6. Jahrhunderts gefunden (Athen. Mitt. XVIII 79 f., 92, 151 ff.), wo alle Tiere, die den dort ruhenden Toten geopfert wurden, verbrannt zu sein scheinen, nachdem man das Blut vorher in die Amphora gegossen hatte, die in das Grab eingelassen war (vgl. S. 155). Und diese tvvqcc ist nicht vereinzelt, „derartige Opferschichten sind eine typische Erscheinung auf allen Grabstätten" (S. 90 Anm.). Eine solche gemeinsame Opfer- oder richtiger Ver- brennungsstätte statt der alten Opfergruben auf den einzelnen Gräbern ist an sich nicht auffallend. Als man tumuli auf den Gräbern auf- schüttete oder diese wenigstens bis zur Höhe des Erdbodens schloss, war hier kein Platz mehr zum Verbrennen der Tierleiber, und wäre er vorhanden gewesen, so musste die Rücksicht auf die Monumente, die jetzt die Gräber schmückten, das Verbrennen von Opfern in unmittel- barster Nähe verbieten (vgl. S. 159). Aber merkwürdig ist, dass, wie Brückner mir mitteilt (vgl. Athen. Mitt. XVIII 89), sich hier bloss kleinere Knochen gefunden haben, in denen er nur Überreste verbrannten Ge- flügels erkennen könne. Dass Hähne ein häufiges Totenopfer waren, ist auch sonst bekannt (vgl. Rohde 221), vor allem beweisen es auch die zahlreichen Darstellungen auf bakchischen Sarkophagen, aber in alter Zeit hatten sich, wie die Funde von Nauplia lehren, nicht einmal die Armen damit begnügt. Mit diesen Befunden stimmt die Nachricht über- ein, Solon habe verboten, ein Rind als Totenopfer zu schlachten (Plut. Sol. 21). Er hätte es kaum verbieten können, wenn die alte Sitte, den Toten grössere blutige Opfer darzubringen, nicht schon zu schwinden begann (vgl. Rohde 205 A. 4). Denn schwerlich würde sich damals , wo der Totenkult heilige Pflicht war, eine solche Neuerung durch ein Dekret haben durchsetzen lassen, wenn es dem Glauben und den religiösen Bräuchen des Volkes wirklich noch widersprach und sie verletzte. Es war etwas anderes, wenn Demetrios fast drei Jahrhunderte später die Grabstelen verbot (Brückner a. a. 0.). Das war ein Schmuck, der Tote litt nicht, wenn er ihn entbehrte ; es war eine schöne Sitte, die die Zeit, wo die Kunst alles schmückte wie nie und nirgends mehr, mit sich ge- bracht hatte, mit dem Kultus hatte sie eigentlich nichts zu thun. Solon wird nur dem Zuge seiner Zeit gefolgt sein, wird vielleicht durch sein Verbot bloss der Prahlerei und Verschwendung Einzelner haben steuern wollen. Denn im nächsten Jahrhundert schon unterbleiben nicht die Rinderopfer allein. Das beweisen nicht bloss die Gräber. Wie die gleichzeitige Litteratur lehrt, war bereits im fünften Jahrhundert das bei

Chthonischer und Totenkult. 431

weitem gewöhnlichste, das eigentliche Totenopfer die xotj, die Spende, die durch den offenen Fuss der auf dem Grabe stehenden Amphora ins Erdreich floss. Blutige Opfer für gewöhnliche Tote werden sehr selten erwähnt, nur an den Gräbern der fürs Vaterland gestorbenen Helden dauern sie fort (vgl. S. 424 f.). Erklären lässt sich diese allmählich sich vollziehende Änderung im Kult der Toten nicht aus schwindender Pietät, gerade das Gegenteil scheint der Fall gewesen zu sein, wohl aber dadurch, dass der anfangs durchaus apotropäische Charakter der Totenopfer, wie wir schon aus andern Erscheinungen schlössen, einem traulichen Kult der Familie, die nicht mehr mit Angst, sondern mit Liebe des Hin- gegangenen dachte, Platz machte, denn blutige Opfer, die man ganz hin- giebt, haben immer hilastisch-kathartische Bedeutung. Dass sie nicht ganz aus dem Totenkult verschwanden, ist natürlich, denn ganz hat auch jene ursprüngliche Vorstellung von der (.irivig der Toten, die Versöhnung heische, niemals aufgehört '), und oft genug mag sie durch Träume etwa oder sonstige beängstigende Zeichen geweckt worden sein. Dass Klytai- mestra zum Grabe Agamemnons nur Spenden, nicht Opfertiere sendet, ist gewiss den Forderungen der Bührfe, nicht des v6i.uf.wv zuzuschreiben. Aber dass die Tragiker sich selbst in solchem Falle mit der Spende be- gnügen durften, beweist auch, wie diese damals schon das Totenopfer xöT e^oxrjv war. Umgekehrt war bei Sühnopfern, wie man sie den X^oviot darbrachte, das Blut des Tieres unentbehrlich, bei den eigent- lichen oq)ayia fehlten die Spenden sogar ganz"). Aber bei der zunehmenden Vereinfachung und dem Aufhören jeder Extravaganz im Totenkultus (vgl. auch Rohde 204 ff.) fand die Pietät ein anderes Mittel, die Verstor- benen zu ehren : dieser Zeit entstammen die schönen Grabreliefs, die den Abgeschiedenen und die Hinterbliebenen innig vereint, wie im Leben, darstellen. Nichts aber beweist mehr die Veränderung, die sich in den Anschauungen vollzogen hat, als die Sitte der TteQldeiTtva, der Toten- mahle, die man zu Ehren des Verstorbenen veranstaltete. Hier denkt man sich den Toten teilnehmend, ja als Gastgeber (Rohde 2 12 ff.). Wie anders das Tacpov öatvvvat bei Homer! (^ 29. / 309). Gerade diese Vergleichung des scheinbar Ähnlichen ist lehrreich. Achill bewirtet die Myrmidonen vor der Bestattung des Patroklos und nimmt selber, wie es scheint, am Mahle gar nicht teil (vgl. die ff. Verse, namentlich ^ 48,

1) Ausser Hähnen kommen als Opfertiere noch am häufigsten Widder und Schwein vor; das sind aber die Tiere, die man zu Sühn- und Reinigungsopfem ver- wandte (vgl. Rohde 221 A.).

2) S. Hermes XXII 647 ff. Berl. PhUol. Wochenschr. 1893 Nr. 24 Sp. 751 f. Vgl. auch Hermes XXI 308 f. XXV 322. Jahrb. f. Phü. 1891 S. 421.

432 Paul Stengel, Chthonischer und Totenkult.

femer auch ß 665), und Orestes wird die Psyche des Aigisthos und der Selbstmörderin') Klytaimestra naturlich auch nicht zum Schmause, den er den Argivern giebt, geladen haben.

Die Unterschiede zwischen chthonischem und Totenkult sind also nicht ursprünglich, sondern erst geworden. Der Psyche des Patroklos werden Menschen, Pferde, Hunde geopfert, um ihre firjvig zu beschwich- tigen, Polyxena aus demselben Grunde dem Achilleus; nach Sonnen- untergang opfert Odysseus abgewandten Blicks den Toten, und die ganze Nacht hindurch giesst Achill dem Freunde die Spenden das ist rein chthonischer Kult. Anders wird die Verehrung der Toten erst, als die angst- Tolle Scheu vor ihnen schwindet, und man sie nicht mehr aus dem Reiche des Lebens zu bannen, sondern sie hineinzuziehen strebt. Die 7t€Qld€i7cva vereinigen den Hingegangenen und die Zurückgebliebenen zu gemein- schaftlichem Mahle in den Räumen, die beide zusammen bewohnt, und die Gräber orientiert man nicht mehr wie in ältester Zeit gleich den Heiligtümern der chthonischen Gottheiten^) ängstlich „nach dem Schatten- lande, dem Westen" (Beiger a. a. 0. 38), sondern beliebig, wie die räum- lichen Verhältnisse es am zweckmässigsten erscheinen Hessen^).

Es lässt sich aus diesen Thatsachen ein Schluss auch auf die Art und Form der Seelenverehrung vor Homer ziehn, wie Rohde ihn auf ihre Stärke und Bedeutung gezogen hat: in den älteren Jahrhunderten muss der Totenkult noch viel finstrer und unheimlicher gewesen sein, wahrscheinlich bei allem Pomp grauenhaft.

1) Vgl. Robert Bild und Lied 163. Glaser Klytaimnestra in d. griech. Dichtung Progr. von Büdingen 1890 S. 7.

2) Des Zeus Sosipolis in Magnesia (Kern Arch. Anz. 1894 S. 81), des Pelops in Olympia (Paus. V 13, 1).

3) Vgl. die von Brückner und Pernice ihrer Abhandlung in den Athen. Mitt. XVIII beigegebenen Karten Taf. VI und VII.

XX,

De prlmo artis amatoriae ovidianae libro.

Scripsit loannes Tolkiehn (Regimontii Boruss.).

P. Ovidium Nasonem etsi sermone puro atque elegant! , aequaliter constanterque ingrediente inter Latinorum poetas maxime excellere est concedendum, tarnen eundem, cum ingenio suo nimis indulgeret, in carmini- bus componendis aliquante minora quam par erat effecisse haud facile quisquam negaverit^). Sed haec non in eam sententiam dicta volo, ut fere omnia, quaecumque in vatis sulmonensis operibus non satis perfecta esse videantur, ipsius culpae tribuenda putes. Neque enim ullo modo fieri potest, ut evolventibus nobis artem amatoriam, cuius argumentum certa quadam ratione dispositum esse ex verbis, quae leguntur 1 35 sqq. 263 sqq. 771 sqq. II 337 sqq. III 381 sqq., lucide appareat, eos locos, ubi aut ordinem rerum prooemio libelli institutum non servari aut sententias plane diversas adiungi videmus aut alia id genus menda deprehendimus, ita ut nunc sunt, ab Ovidio profectas esse persuadeamus. Quodcontra haud scio an pristina illius carminis forma posteriore demum aetate sive libra- riorum incuria sive casu aliquo infesto sit immutata. Quae iam paullo fusius exponere non ieiunum fore arbitror.

Initio primi libri inde a versu tricesimo quarto usque ad versum duodequadragesimum poeta ipse se omnem materiam in tres partes tribu- turum esse confirmat, cum primum, ubi quis amicam reperire possit, deinde quibus artibus 'placita puella sit exoranda', postremo quo modo recens amor quam constantissimus futurus sit volle sese demonstrare profitetur. Atque primam quidem partem versibus 41 262, alteram w. 263-— 772 primi libri, tertiam libro secundo contineri nemo non intelleget, qui artem amatoriam diligenter inspexerit. Dispositione tam perspicua magnopere

1) Cf. cum alia tum notissimum de eo Quintiliani iudicium, quod exstat Inst. Or. X 8, 98 et ea quae Alexander Riese editionis Ovidii praef. p. IX exposuit et quae ipse dixl Quaestion. ad heroid. ovid. spect. p. 38 et Berlin, philol. Wochenschr. IX (1889) p. 147.

28

434 lOANMSS TOLKIEHN

mirari debemus, si Ovidium repente extra hos cancellos, quos sibi ipse circumdedit, egressum in ea, quam primam esse modo diximus, parte vv. 136 163 praecipere animadvertimus, quomodo animi puellarum idque in Circo temptari possint, cum constet ei propositum fuisse posteriore demum loco (vv. 263—770) de excitando amore agere. Unde effici mihi videtur, ut illi versus eo, ubi hodie exstant, minime quadrent. Quibus deletis versus 135 et 164 aptissime inter se cohaerere apparet Etenim postquam poeta usque ad versum 154 in theatrum magnum undique bellarum mulierum numerum concurrere ostendit, versu 135 'nee te nobilium fugiat certamen equorum' circum neglegi vetat, quem versum a centesimo sexagesimo quarto ''sparsaque sollicito tristis harena foro', quibus verbis amphitheatrum signi- ficare vult, optime excipi non est cur pluribus disseramus. Duobus igitur bis versibus inter se coUigatis quin sententiarum conexus quam rectissime procedat, quis dubitare ausus sit?

Sed haec hactenus. lam ad alteram partem carminis transeamus, qua primum "^praeceptor ille Amoris' ^) feminarum libidinem tantam esse legentes docere conatur, ut facile se voluptatis illecebris irretiri patiantur fv. 269 sqq.). Ad quae illustranda cum decem exempla ex historia Graecorum fabulari ponantur, in eo offendamur necesse est, quod non decima sed tertia fabula, qua Pasiphaae amor tractatur, duodequadraginta versibus (289 326) uberius enarretur, reliquis fabulis unum vel duo disticha complectentibus. Ea autem ratio a legibus, quas Ovidius in carminibus suis sequi solet, videtur esse alienissima. Verum ita se res habet, ut in arte amatoria una fabula referatur, si ornandi causa copiose et abundanter peragitur^}, praeter- quam quod primi libri versibus 679—704 tria obviam fiunt exempla, quo- rum primum et secundum uno disticho terminantur, tertium numerum viginti quattuor versuum explet. Idem fere factum est Remed. vv. 261 268, ubi Medeae breviter mentio inicitur, de Circe viginti sex versibus agitur, et vv. 589 608, ubi amicitia, quae erat inter Orestem et Pjladem, uno disticho absolvitur, Phyllidis exitus duode viginti versibus depingitur. Ad quae addas, si placet, duo illa exempla, quae legimus Trist. III 11, 39—54, quorum secundum quindecim versibus continetur. Simillimi vero illius Artis amatoriae loci a nobis addubitati exstant versus Amor. Hl 6, 25 82, qtiibus novem fabulas poeta ita comprehendit, ut sex singulis, sexta atque septima binis distichis attingantur, nona duodequadraginta versibus verbose circumscribatur^j. Omnibus üs locis, quos attulimus, quod certam quan-

1) Cf. Art. I 17.

2) Esthisce locis: 1 101-130. 527-564. 647—654. II 21—96. 123—142. 399—408. 467—488. 561—592. III 685 -746.

'S) Geteri Romanorum Ijrici historia fabulari ad hunc modam non atnntor.

De primo artis amatoriae ovidianae libro. 435

dam legem in mythologicis tractandis constanter observari apparet, veri est simillimum etiam inter decem, quae commemoravimus, exempla Artis amatoriae (I 283 340) ejteLOoÖLovj quod vocant Graeci, novissimam fuisse, ita ut versus 289—326, quibus Pasiphaae amorem describi diximus, post versum trecentesimum quadragesimum, quo breviora exempla clauduntur, quondam positos fuisse existimemus. Yersibus igitur 327—340 et 280—326 inter se mutatis hasce deinceps feminas videmus enumerari: Byblida (V. 283 sq.), Myrrham (v. 285—288), Aeropam (v. 327—330), Scyllam (v. 331 sq.), Clytaemestram (v. 333 sq.), Medeam (v. 335 sq.), Amyntoris paelicem (v. 337)*), Phaedram (v. 338), Idaeam (v. 339 sq.), Pasiphaam (v. 289 326). Quarum varios casus si percensebimus, in hanc facile ducemur sententiam, ut etiam versus 283 285 post versum 340 locandos esse suspicemur. lis enim ita locatis habemus gradationem, qua melior cogitari non possit, cum leviora atque infirmiora argumenta (v. 327 340) gravioribus atque immanioribus , quibus feminas libidine ad incestum (v. 283 sq. et 285—288) aut ad concubitum cum bestiis (v. 289—326) interdum impelli poeta demonstrare studet, rhetorice praeponantur. Itaque non solum eam, quae Ovidii propria est, rerum componendarum atque digerendarum accurationem hoc quoque loco licet admirari, sed etiam sententiae aliquante melius videntur inter se necti atque coniugari.

Sed restant etiam graviora, ad quae iam nos convertamus.

Poeta ubi in libidine feminarum patefacienda paullo uberior fuit, puellae alicuius gratiam sibi conciliare cupienti suadet, ut ancilla eins corrupta (v. 351 398) et conservatis temporibus (v. 399 436) ipsam primum per epistulam de amore adeat; quo facto eidem commendat, ut dominae semper praesto sit et in viis publicis (v. 487 496) et in theatro (v. 497—524) et in conviviis (v. 525 sqq.). Quas omnes res, quae insunt in hac libelli particula, primae partis versibus 67 252 respondere facile perspicitur, ubi Ovidius quibus locis cum puellis commercia haberi possent indicavit. Ibi enim nominantur 1. viae publicae atque communia spatia (v. 67—88) 2. theatra (v. 89—134) 3. circus (v. 135) 4. amphitheatrum (v. 164—176) 5. triumphi (v. 177—228) 6. convivia (v. 229—252). Ex quo quivis intellegit, posteriore loco circum, arenam, triumphos omitti. Minime autem mirum est, si arena et triumphi aeque ac simillimo tertii libri loco est v. 387—396 triumphi non conmiemorantur, hoc loco desunt, cum naumachiae spectaculum ab Augusto editum, cuius 1 171 sqq. mentio fit, unicum sit et una cum triumpho a poeta subinde descripto.

1) Nomen ei Phthiae fuisse ex Apollodori Bibl. ni 13, 8, 3 accepimus. Eundem auctorem atque Apollodorus Ovidius hoc loco et Propertius II 1, 60 videntur sequi. Ceterum ab Homero quoque H. IX 447 sqq. nomen illud omittitur.

28*

436 lOANNES TOLKIBHN

qui nondum actus erat, sed quem Ovidius e Parthis actum iri vaticinatur, non nisi ad domum principis celebrandam pertineat, ut ea postea repetere opus non esset. De circo, de quo inter versum 524 et 525 agendum erat, idem dici non potest. Forsitan quispiam contenderit v. 487 e ludis publicis Bcaenicos solos commemorari satis esse, quippe quod eadem amatoria praecepta et ad circum et ad arenam valeant. Quod quominus credam, cum ille tertii libri locus, quem supra laudavimus, tum ea maxime res adversatur, quod constat ipsos ludos scaenicos Augusti aetate non promiscue spectatos esse, sed feminas a viris secretas in superioribus subselliis sedisse '), ut hi cum illis colloqui non possent, quare v. 500 oculorum vel digitorum notis uti iubentur. Quae cum ita sint, fieri non potest, quin inter v. 524 et V. 525, ut iam dixi, praecepta vehementer requiramus, quibus de animis puellarum in Circo pertemptandis legentes instruantur. Talia autem in- sunt in eiusdem libri versibus 136 163, quos initio statim quaestionis nostrae eo loco, quo traditi sunt, movendos esse statuimus. Ibidem in Circo istis notis posse supersederi plane aperteque poeta testatur bis versibus (137 sqq.).

'nil opus est digitis, per quos arcana loquaris, nee tibi per nutus accipienda nota est: proximus a domina nullo prohibente sedeto'

et iis, quae deinceps sequuntur. Quae verba cum commodissime opponantur versui 500 iam laudato: *^multa supercilio, multa loquare notis"* (in theatro videlicet), spero fore, ut multis certe probetur, versus 136 163 antiquitus post versum 524 positos fuisse, deinde cum nescio quo pacto excidissent, in margine esse adscriptos et postremo duobus versibus, primo hexametro et ultimo pentametro, sublatis primae partis loco, quo item de circo agi- tur, esse insertos. Quodsi igitur versus 136—163 ad eam, quae decet> sedem transtulerimus, hae sententiae continuatae erunt: Quotiens domina tua se in tbeatrum conferet, fac eodem venias, ut multa cum ea clam communices (v. 497 504). Sed etsi cavendum tibi est, ne formam atque habitum corporis excolere neglegas, tamen noli nimis lecto amoenoque cultu prodire (v. 505 524). Etiam maiora commoda quam tbeatrum dat circus, quippe cum iuxta puellam, cuius amore teneris, sedens permultis beneficiis benevolentiam eins possis allicere (v. 136—163). Nee vero in conviviis deest commoda atque idonea occasio amoris excitandi, quod Liber ipse amantibus favet (v. 525 sqq.). Ita versus 136 163 propter

1) Cf. ea quae exposuit Ludovicus Friedlaender praeclari illius libri, qui inscri- bitur 'Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms' vol. II* p. 324 et in Marquardt. Enchir. Antiq. Rom. IIP p. 535 n. 3.

De primo artis amatoriae ovidianae libro. 437

res, quae iis tractantur, non solum ad hunc locum referri posse, verum etiam necessitate quadam imposita referendos esse videtur apparere. Atque ut breviter complectar, quae usque adhuc disputavi, in primo Artis ama- toriae libro hunc pristinum fuisseversuum ordinem demonstrare conatussum :

1 135.

164 282.

327 340.

283 326.

341 524.

136 163.

525 772. lam contemplantibus nobis summam versuum, qui singulis illis carminis particulis continentur, mira licet observare. Hasce enim ratiunculas sub- duci consentaneum est: sunt v. 1 135=9 X 15, sequuntur v. 136—163=28, adnumeratis autem duobus versibus, quos evanuisse supra contendimus, 30 = 2X15; item sunt v. 164—282 = 119 = 7X15 + 1x14, post quos V. 327—340 = 1X14 excidisse et post v. 283 326 = 2x15 + 1x14 lo- catos esse probare studuimus; sunt etiam v. 341—524, post quos versus 136—163 eiectos esse puto, =184 = 2X15+11X14; v. 164—524 vero, quibus versus 136 163 falso praepositos esse mihi persuasi, sunt =361 = 11X15 + 14X14. Quae si diligenter perpenderimus, non aberit suspicio, quin Ars amatoria quondam in codice quodam fuerit exarata, in cuius singulis paginis quaterni deni vel quini deni versus perscripti essent, unde illam, quam detexisse mihi videor, ordinis immutationem profectam esse, veri est simillimum.

XXL

Über Piatos Euthyphron, zur Frage seiner Echtheit und zu seiner Erklärung.

Von

Ernst Wagner (Königsberg i. Pr.).

Verzeichnis der benutzten und verglichenen Schriften in chrono- logischer Reihenfolge.

I. Fr. Fischer, Piatonis Euthyphro etc. Lipsiae 1783. D. Tiedemann, Dialogorum Piatonis argumenta. 1786.

D. Chr. Grimm, Platonicae sapientiae flores ex Euthyphrone. Annaberg 1786.

C. Nürnberger, De consilio Piatonis in scribendo Euthyphrone. Diss. inaug. Erlangen 1787.

W. G. Tennemann, System der platonischen Philosophie. Leipzig 1792—1794.

Ast, Piatons Leben und Schriften. Leipzig 1816.

Socher, Über Piatons Schriften. München 1820.

G. Stallbaum, Piatonis Euthyphro (Spezialausgabe). Leipzig 1823.

A. Balsam, De Euthyphronis Platonici consilio et auctoritate. Progr. Hirschberg 1825.

A. Kapp, Platon's Erziehungslehre. Minden und Leipzig 1833.

A. Arnold , Platon's Werke einzeln erklärt und in ihrem Zusammenhange dar- gestellt. Berlin, Posen und Bromberg. 1 H. 1835.

K. Fr. Hermann, Geschichte und System der Platonischen Philosophie. Heidel- berg 1839.

Yxem, Über Platon's Euthyphron. Progr. des Kgl. Friedrich- Wilhehns-Gymn. Berlin 1842.

Hieron. Müller, Platon's sämmtliche Werke mit Einleitungen von K. Steinhart. Leipzig 1851.

F. Schleiermacher, Piatos Werke. 3 A. Berlin 1855.

E. Struve, Quid Socrati pium videatur in Euthyphrone. Görlitz 1855.

Jons Sommar Bruzelius, Euthyphron Dialog af Piaton. Öfversättning. Akademisk Afhandl. Lund 1856.

E. Munk, Die natürliche Ordnung der platonischen Schriften. Berlin 1857.

F. Susemihl, Genetische Entwickelung der Platonischen Philosophie. 2 Bd. 1857. W. Münscher, Inhalt und Erklärung des platonischen Dialogs Euthyphron. Progr.

des Kurf. Gymn. Hersfeld 1859. Fr. Michelis, Die Philosophie Piatons in ihrer inneren Beziehung zur geoffenbarten

Wahrheit. Münster 1859. F.Überweg, Untersuchungen über die Echtheit und Zeitfolge Platonischer

Schriften, Wien 1861.

I

über Piatos Euthyphron, zur Frage seiner Echtheit und zu seiner Erklärung. 439

H. V. Stein, Vorgeschichte und System des Piatonismus (Bd. I der 7 Bücher zur

Gesch. d. Plat.) Göttingen 1862. G. Grote, Plato and the other companions of Socrates. Vol. I. London 1863. S. Ribbing, Genetische Darstellung der platonischen Ideenlehre. Leipzig 1863 u. 64. C. Schaarschmidt, Die Sammlung der platonischen Schriften, zur Scheidung der

echten von den unechten. Bonn 1866. K. Lehrs, Piatos Phädrus und Gastmahl. Übers, mit einl. Vorwort. Leipzig 1869.

(pag. XVI und XVII.) CoUmann, Über den platonischen Dialog Euthyphron. Progr. Marburg 1870. Kud. Schnitze, Über Piatons Euthyphron. Progr. Wittstock 1870. K. ürban, Über Piatos Verhältnis zur griechischen Volksreligion. Progr. Görlitz 1871. St. We^clewski, De Piatonis Euthyphrone. Progr. Conitz 1875. E. Zeller, Die Philosophie der Griechen. II. Teil, 1. Abt. Leipzig 1875. G. Auermann, Piatons Cardinaltugenden vor und nach Abfassung des Euth. Diss.

inaug. Jena 1876. Lechthaler, Die oaioxrjg (Frömmigkeit) bei Piaton mit Rücksicht auf Schaar-

schmidts Athetese des Dialogs Euthyphron. Progr. Meran 1879. M. Wohlrab, Piatons Euthyphron. 2. A. Leipzig 1880. Rieser, De Piatonis Euthyphrone. Diss. inaug. Bern 1880. J. Nusser, Inhalt und Reihenfolge von 7 platonischen Dialogen. Amberg 1882.

Diss. inaug. und Programm des Gymn. in "Würzburg. Leopold Schmidt, Die Ethik der alten Griechen. Bd. I. Berlin 1882. C. Schmelzer, Piatos ausgewählte Dialoge. Bd. 6. Berlin 1883. Josef Wagner, Zur Athetese des Dialogs Euthyphron. Progr. Brunn 1883. H. Bonitz, Platonische Studien. 3. A. Berlin, Vahlen 1886. M. Schanz , Sammlung ausgewählter Dialoge Piatos mit deutschem Kommentar.

Bd. I. Euthyphron. Leipzig 1887. Sumann (Laibach), Beitrag zur Erklärung des Platonischen Dialoges Euthyphron.

Zeitschrift für die österr. Gymnasien. Jahrg. 1894. S. 681 if.

Das neueste französische Werk von Chr. Huit, La vie et l'oeuvre de Piaton. 2toraes. Paris 1893 und drei ältere Gymnasialprogramme: Kapp, Über Piatos Euthyphro, Berlin 1842, Maresch, Einleitung zu Piatons Euthyphro. Pressburg 1859 und Walser, Piatons Euthyphro. Hermannstadt 1865/66 sind mir nicht zugänglich gewesen.

Es ist wohl kein Zweifel, dass die von Ast, Schaarschmidt und Überweg gegen die Echtheit einiger von den kleineren platonischen Dialogen unternommenen Angriffe im ganzen als siegreich abgeschlagen zu betrachten sind. Litterarhistoriker, Erklärer und Herausgeber fahren fort, sie als platonisch zu behandeln, und begnügen sich damit, die er- hobenen Einwendungen zu registrieren mit dem Bemerken, dass sie nicht überzeugend oder durch Bonitz und andere Verteidiger geradezu wider- legt seien. Insbesondere gilt dies auch von dem kleineren Gespräche über die Frömmigkeit, das den Namen des Euthyphron trägt, trotz der leidenschaftlichen Polemik, die Joseph Wagner in dem Programm des ersten deutschen Gymnasiums zu Brunn vom Jahre 1883 gegen die Echtheit dieses Dialoges voll heftigen Kampfeseifers aufs neue be- gonnen hat.

440 Ebnst Waoneb

Somit könnte es als wenig zeitgemäss erscheinen, wenn in dem Folgenden die Frage noch einmal behandelt werden soll, ob wir wirklich genötigt sind, das Gespräch über die Frömmigkeit für ein unechtes Mach- werk zu halten, oder wenigstens mit der Möglichkeit zu rechnen, dass es untergeschoben sei. Das Unternehmen einer erneuten Untersuchung darüber rechtfertigt sich indessen durch folgende Überlegung: Da der Euthyphron nicht zu der Zahl derjenigen Dialoge gehört, die durch unzweifelhafte Citate bei Aristoteles geschützt sind, so giebt es einen strikten Beweis für seine Echtheit nicht. Vielmehr liegt äusserlich die Möglichkeit 7or, dass bald nach Piatos Tode die Arbeit eines Sokratikers, für den Überweg den Namen des Pasiphon von Eretria bereit hält, auch ohne die Absicht einer Fälschung unter die Masse der echten Schriften geriet und bereits durch Aristophanes von Byzanz in seine Trilogien aufgenommen wurde. Mag nun die Beweiskraft der einzelnen Gründe, durch die unser Glaube an Piatos Urheberschaft erschüttert werden soll, noch so gering sein, so wird der Zweifel dennoch sich immer wieder aufs neue regen, solange es nicht geglückt ist, zu einem völlig befriedigenden Verständnis des Dialoges zu gelangen. In der That herrscht aber über die Frage, was der eigentliche Zweck des Gespräches sei, und wieweit er darin erreicht werde, unter den zahlreichen Erklärern die grösste Ver- schiedenheit der Meinungen, und wenn schliesslich eine Art von Einigung darüber zu Stande gekommen zu sein scheint, so wird es sich zeigen, dass sie immer doch nur für einen Teil des Gespräches besteht, und dass es für die letzte Wendung, die es nimmt, an einer befriedigenden Erklärung überhaupt noch fehlt. Es erscheint somit völlig begreiflich, dass immer wieder die Meinung laut wird, einem Meister wie Plato sei ein so unvollkommenes Werk nicht zuzutrauen. Gelänge es aber, der Absicht des Verfassers von Anfang bis zu Ende in jeder Hinsicht zu folgen und zu erweisen, dass die begonnene Untersuchung über die Frömmigkeit bis zum Schlüsse des Dialoges folgerichtig weitergeführt ist, so würde dem Zweifel der Boden entzogen sein.

Betrachtet man die unternommenen Erklärungsversuche historisch in ihrem allmählichen Fortschreiten, so ist es merkwürdig zu sehen, wie die Erklärer bald hier, bald dort Halt machen, weil sie den eigentlichen Kernpunkt des scheinbar resultatlosen Gespräches gefunden zu haben glauben, und wie der unbefriedigende, für rein negativ erklärte Rest immer kleiner und kleiner wird, ohne doch ganz zu verschwinden. Das Thema des Gespräches zwischen Sokrates und Euthyphron ist unstreitig in der Frage des ersteren: li cpfjg ehat, t6 oglov /mI to avoaiov; (p. 5 d) enthalten, und ebenso unzweifelhaft ist es, dass eine zufriedenstellende

über Piatos Euthyphron, zur Frage seiner Echtheit und zu seiner Erklärung. 441

Beantwortung dieser Frage nicht erfolgt, da Euthyphron den unermüd- lichen Versuchen des Sokrates, der Sache auf den Grund zu kommen, schliesslich unter einem nichtigen Verwände sich entzieht. Man suchte daher zunächst nach Gründen, die den Verfasser veranlasst haben könnten, der begonnenen Untersuchung einen so unbefriedigenden Ausgang zu geben. Auch wer nicht Plato, sondern irgend einen Nachahmer dafür verantwortlich machen will, dürfte sich der Beantwortung dieser Frage nicht entziehen. Oder ist es etwa die Art der Nachahmer und Fälscher, ihre Leser in dieser Weise zum Besten zu halten? Die nächstliegende Erklärung ist offenbar die, es sei gar nicht der wahre Endzweck des Verfassers gewesen, eine erschöpfende Definition des Begriffes der Fröm- migkeit zu geben, sondern das Gespräch sei in einer andern Absicht wiedererzählt oder erfunden. Eine solche bot sich handgreiflich dar in dem sichtlichen Bestreben, die gegen Sokrates erhobene Anklage als un- gerechtfertigt erscheinen zu lassen.

Dass diese Absicht besteht und erreicht wird, ist nicht zu bestreiten. Ein Mann, dessen ßechtgläubigkeit über jeden Zweifel erhaben ist, er- scheint als eng befreundet mit dem der Gottlosigkeit bezichtigten Sokrates. Der fromme Gottesgelehrte ist unwillig über die Anklage und befürchtet davon Unheil für den Staat. Er erkennt das öaif^oviov des Sokrates, gegen das die Anklage vorzugsweise sich richtet, bereitwillig als eine göttliche Sehergabe an und stellt sie in Vergleich zu seinem eigenen prophetischen Wissen. Auch zweifelt er gar nicht an der Freisprechung des Sokrates. An diesem haftete aber nicht nur der Vorwurf des Un- glaubens, sondern auch der, dass er die Jugend verderbe, und zwar grün- dete sich dieser zweite Klagepunkt auf die Vorstellungen, die der gemeine Mann in Athen sich von der Lehre des Sokrates nach den Karikaturen der Komiker machte. Jeder kannte die Art, wie der brave Pheidippides in den Wolken die Lehre des aristophanischen Sokrates gegen seinen Vater praktisch verwertet, und viele beurteilten seine Thätigkeit sicher- lich danach. Was lässt sich also zur Widerlegung dieser Verleumdung Wirksameres denken, als wenn es sich zeigt, dass gerade der fromme Euthyphron aus seinem Götterglauben nicht nur das Kecht, sondern sogar die Pflicht ableitet, seinen eigenen Vater zu verklagen, durch Schlussfolgerungen über das Verhältnis des Zeus zu Kronos (p. 5e— 6 a), die sich wirklich in den Wolken wiederfinden (Aristoph. Nubes v. 904), während Sokrates sein Befremden darüber äussert und die Unhaltbarkeit des Standpunktes nachweist, von dem aus sie gezogen werden konnten! Wenn nun aber einige Erklärer (Nürnberger, W^clewski, Zeller, schliess- lich entscheidet sich auch Schleiermacher dafür) geradezu annehmen.

442 Ernst Wagnbb

das Gespräch sei eine Flugschrift und zur Zeit des Prozesses selbst ver- fasst, um auf die öffentliche Meinung einzuwirken, so ist von anderer Seite bereits zur Genüge darauf hingewiesen, wie ungeeignet es zu diesem Zwecke erscheint. Die Kühnheit, mit der hier der Spiess umgedreht ist, verfehlt ihre Wirkung auf das Urteil der Nachwelt nicht, für die leidenschaftliche Erregung des Augenblickes hätte sie sicher einen Guss öl ins Feuer bedeutet.

Dazu kommt, dass die erwähnten Beziehungen auf die ungerechte Verurteilung des Sokrates sich auf das erste Drittel des Dialoges be- schränken, und dass somit das an diese Einleitung sich anschliessende Gespräch über die Frömmigkeit durch die erwähnte Absicht noch keineswegs gerechtfertigt sein würde. Man hat sich daher auf das sokra- tische Nichtwissen berufen (Grote) und den Zweck, rein negativ, darin gesucht, dass die ünhaltbarkeit des Volksglaubens bewiesen und die landläufigen Vorstellungen von der Gottheit ad absurdum geführt werden sollten. Zugleich werde gezeigt, dass die Kichter des Sokrates sich die Entscheidung über Fragen angemasst hätten, über die noch völlige Un- klarheit herrsche. Dadurch würde es zwar begreiflich, dass ein positives Kesultat schliesslich nicht gefunden wird, aber es ist leider im Verlauf der Untersuchung von dem „Volksglauben und den landläufigen Vor- stellungen über die Götter" so gut wie gar nicht die Rede, und zudem erscheint der Sonderling Euthyphron als ein recht ungeeigneter Vertreter des athenischen Volkes. Wie er durchaus in Gegensatz zu der grossen Menge sich stellt, so konnte kein Leser sich durch die Widerlegung eines so übertriebenen Standpunktes selbst getroffen fühlen.

In der Untersuchung über das Wesen der Frömmigkeit, die doch nun einmal zweifellos begonnen ist, handelt es sich zunächst um Logik. Euthyphron giebt statt einer Definition des Begriffes erst ein Beispiel (p. 5d), in dem er sein eigenes Vorhaben und den Grundsatz, auf dem es beruht, als fromm bezeichnet. Dann lässt er sich zu der Erklärung durch einen synonymen Begriff (d-socfdig)^) herbei (p. 7a): eari toIvw rb fiev Tolg -d^solg 7tgooq)tk6g ooiov, lo de (xi] 7tQooq)L),eg avootov ; allein zu einer Wesensbestimmung ist auch sie nicht zu verwerten, weil sie sich statt auf eine substantielle (ovo La), auf eine accidentielle Eigenschaft (Ttad-og) des Frommen gründet. Wie man definieren muss, zeigt nun- mehr Sokrates selbst, indem er den zu bestimmenden Begriff auf das genus proximum des öUaiov zurückführt und als unterscheidendes Merk- mal, differentia specifica, die Beziehung auf die Götter anfuhrt (p. 12e):

1) Man vergleiche die Feststellungen L. Schmidts über die Begriffe oatov, ölxaiov, svasßeg, &€0(piXig u. 8. w. (a. a. 0. S. 33S u. 304 f.)

r

über Piatos Euthyphron, zur Frage seiner Echtheit und zu seiner Erklärung. 443

TOVTO ToLvvv öoKSl To (XBQoq Tov öiYMiou elvai evaeßig t€ xal ooiov to Ttegi TTjv t(jjv d-ewv d^egaTteiav.

Auch hierin hat man den eigentlichen Zweck des ganzen Dialoges erkennen wollen (R. Schnitze, Auermann), nachdem Schleiermacher darauf hingewiesen hatte, dass „der Begriff der Frömmigkeit aus der Reihe der vier Haupttugenden, denen er im Protagoras noch beigesellt ist, in den übrigen platonischen Werken verschwinde" (S. 38). Die Beobachtung ist gewiss richtig und wird als Argument für die Echtheit des Euthyphron, sowie für die Stelle, die ihm unter Piatos Gesprächen anzuweisen ist, verwertet werden dürfen, aber es bleibt, wenn das Ziel hier bereits er- reicht sein soll, immer noch ein beträchtlicher Teil des Dialoges ohne genügende Erklärung; denn die Untersuchung schreitet fort. Da Sokrates die Führung behält, so kann auch in dem Folgenden nicht eine rein negative, polemische Absicht zu Grunde liegen, sondern es wird vielmehr ernstlich an der völligen Bestimmung des Begriffes der Frömmigkeit weiter gearbeitet.

Sokrates findet den Ausdruck d^egaTrsLa noch nicht klar genug, in sofern als er dabei die Angabe ihres Zweckes noch vermisst. Er weiss das Gespräch so zu leiten, dass sie in Parallele gestellt wird zu der Dienstbarkeit, die der Herr (etwa ein Arzt oder Schiffszimmermann) zur Ausführung seines Werkes von seinem Sklaven erwartet, und richtet dann an Euthyphron die Frage, welches Werk denn nun die Götter mit Hilfe der Menschen zu vollbringen gedächten : tt 7toT sotIv helvo t6 Ttayza- Xov eqyov, o ol d-eol ccTteQyd^ovTai, rjfxiv VTtrjghaig xQ(x)(.ievoi; (p. 13 e). Eine genügende Antwort erhält er nicht, da Euthyphron zunächst ganz allgemein erwidert: Ttolla xal Y.ala, und dann von dem Wege, den Sokrates ihn geführt, abspringend, die Frömmigkeit darin finden will, dass man verstehe, den Göttern wohlgefällig zu handeln und zu reden bei Opfer und Gebet; das diene dann zur Erhaltung und zum Wohle des Einzelnen wie des Staates. Dass Sokrates aber ein ganz bestimmtes Ziel vor Augen hat, offenbart sich aufs deutlichste. Die hauptsächlich von Grote vertretene Meinung, der platonische Sokrates fingiere seine Un- wissenheit gar nicht, sondern suche wirklich, was ihm selbst noch nicht klar sei (p. 325), die Überweg (S. 103) mit dem Hinweis auf „die Vir- tuosität der Gesprächsleitung" bekämpft, findet hier ihre volle Widerlegung.

Schon der Ausdruck Iy.eIvo %o näyr.aXov egyov in der Frage deutet darauf hin, dass ihm etwas Bestimmtes vorschwebt, und mit klaren Worten ist es gesagt in der Erwiderung auf den Seitensprung, durch den Euthy- phron die Untersuchung kurz vor ihrem Ziele unterbricht: ^H Ttolv fxoi öia ßgaxvTigwv, tu Evd-., el eßovlov, elrceq av to x€g)d?Mtov wv '^gcoTüiv,

444 Eenst Wagnbe

und weiter: rvv hceiörj kjt avT(p r^ad-a, aTtergoTtov o ei aTceAQcvo), ixavwg av rör] ^taga oov trjv ooiorrjxa i(.ief.iad-rf/,Yi. Dass dieser ihm die Antwort schuldig bleibt, kann sich Sokrates nur durch Mangel an gutem Willen erklären: aXXa yag ov TVQo&v^og f.ie et didd^ai, öfjXog d. Ist das nicht ein deutlicher Hinweis darauf, dass hier von dem denkenden Leser die Ergänzung des Fehlenden erwartet wird, wenigstens von einem Leser, dem es ernstlich darum zu thun ist, zur Klarheit zu kommen? Schleier- macher (I2 S. 285, Anmerkung zu Euth. S. 55, Z. 41) findet hier „den ein- zigen Wink fast, der einen aufmerksamen Leser zu einer Erklärung der Frömmigkeit in dem Sinne des Piaton hinführen könnte". Welche Fas- sung er derselben geben würde, darüber äussert er sich nicht. Eine grosse Zahl von Erklärern erkennt dagegen hier mit Bestimmtheit den Schlüssel zu dem gesuchten positiven Resultat und versucht demgemäss die fehlende Antwort zu geben. Munk (S. 455), dem sich Schnitze und Wohlrab anschliessen , begeht dabei den offenbaren Fehler, auf die aus- weichende Antwort Euthyphrons zurückzugehen, und erkennt in dem Werke, für dessen Vollendung die Götter den Dienst des Menschen in Anspruch nehmen, die Erhaltung des Staates und des Einzelnen : owtei ia joiavTa Tovg T€ iölovg o%Y.ovg 'Aal tcc yioiva %wv Ttolecov (p. 14b). Es ist ihm mit Recht eingewendet worden, dass Sokrates, wenn das die richtige Ant- wort wäre, keinen Grund haben würde, mit Euthyphron unzufrieden zu sein. Alle übrigen Erklärer, die hier einsetzen, bezeichnen mit geringen Ab- weichungen im Wortlaut als das Werk der Götter „das vollkommen Gut«" (Socher, Yxem, Bonitz, Münscher, Collmann, Steinhart, Lechthaler, Schanz, Nusser u. s. w. ; Arnolds Ergänzung „das Vernunftreich auf Erden (Himmel- reich)'^ besagt im Grunde dasselbe, und etwas Ähnliches doch auch die älteste, die überhaupt versucht ist, von J. Fr. Fischer (1783): ad quod opus dei ministra? ad conversionem animae). Sollte diese Übereinstimmung nicht dafür sprechen, dass hier in der That die Absicht Piatos richtig er- kannt und die Untersuchung auch weit genug geführt, der Weg deutlich genug gewiesen sei?

Freilicli schliesst das Gespräch auch hier noch nicht. Da Euthyphron den letzten Schritt nicht thun will, sieht Sokrates sich genötigt, ihm auf dem neuen Wege, den er einschlägt, zu folgen. Er knüpft also an die Worte seines Gegners: kav xexagiofiiva rig €7iiaTrjTai toIq &€olg leyeiv T€ xal Ttgarretv ev^onevög re xat d^vwv an und schlägt eine neue Defi- nition der Frömmigkeit vor mit den Worten: xi 61] av Uysig t6 oolov elvai '/.OL T^v 6Gi6Ti]Ta; ovxl STCtOTi^firjv tlvcc rov d^veiv t€ xal evxso&at; Da jener sie gelten lässt, so geht es sofort an die Prüfung der Ausdrücke, Opfer und Gebet, wofür die allgemeineren, dooig und akr^aig, eingesetzt

über Piatos Euthyphron, zur Frage seiner Echtheit und zu seiner Erklärung. 445

werden. Die Definition lautet also jetzt: eTviOTrjfxr] aga ain^Gecog zai öoaews d^eolg ooioTrjg av eli]. Weiter wird dann untersucht, welcher Gaben der Mensch von Seiten der Götter bedürfe, und wessen die Götter wiederum von den Menschen, und so würde die Frömmigkeit also eine Kunst des Handelsverkehrs, efiTtoQcyiij lix^rj, zwischen beiden Teilen sein. Da es nun klar sei, so schliesst Sokrates weiter, dass der Mensch von den Göttern alles Gute zu erbitten habe, so bleibe nur noch zu erforschen, welcher Art die Gaben seien, die er den Göttern schulde, damit diese nicht im Nachteil bei dem erwähnten Handel bleiben. Da Euthyphron jeden materiellen Nutzen dabei ausschliesst und die Opfergaben der Menschen als den Göttern nicht nützlich, sondern nur wohlgefällig bezeichnet, so macht Sokrates ihn darauf aufmerksam, dass er damit wiederum bei seiner zweiten, anerkanntermassen verfehlten Definition angelangt sei. Gegen- über der Aufforderung, die Untersuchung unermüdlich aufs neue zu be- ginnen, schützt er eine dringende Abhaltung vor und entzieht sich wei- teren Fragen durch eine förmliche Flucht.

Die meisten Erklärer sehen in dieser vierten Definition einen Rück- fall des Euthyphron in die landläufige, rein äusserliche Vorstellung von der Frömmigkeit. Sie meinen, Sokrates gehe darauf ein, um die einge- bildete Weisheit des selbstgefälligen Frömmlers immer rettungsloser zu blamieren. Wenn das richtig wäre, wenn der Dialog, nachdem zwei ver- fehlte Versuche des Gegners abgewiesen und mit dem dritten Ansatz die Wahrheit erfasst ist, nun wirklich wieder zur Kritik des Unrichtigen zu- rückkehrte, so würde er in der That schon um seiner schlechten Dispo- sition willen eines Plato nicht würdig sein. Dem ist aber durchaus nicht so, sondern den beiden verfehlten Definitionen des ersten, negativen Teiles entsprechen genau zwei ernsthaft gemeinte und durchaus positive Ansätze zur Bestimmung des gesuchten Begriffes im zweiten. Zuerst hat Hermann erinnert, dass die Definition einer Tugend als krcLOTri^r] doch zu echt sokratisch sei, als dass sie nur ironisch gemeint sein könne. Er bezeichnet sie vielmehr als die endgültig festgestellte Begriffsbestimmung. Ihm folgen darin nur Susemihl und Rieser. Die Frömmigkeit würde danach also in dem Wissen bestehen, was der Mensch von den Göttern erbitten solle, und was er ihnen seinerseits darzubringen habe. Natürlich entsteht auch hier wiederum die Frage, was denn dies nun sein kann, und wenn Schanz mit vollem Rechte in den hier gesprochenen Worten: ovöev rj^lv botlv ayad-ov, oTt av fj.rj ty.elvoi ötoocv (p. 14e) einen Fingerzeig schon für die Ergänzung jener dritten Definition findet, so ergiebt sie sich hier, wo sie stehen, aus ihnen noch ungezwungener für die vierte. Gegenstand des rechten Gebetes, wie des rechten Opfers kann und darf nur das Gute

446 Ebkst Wagnbb

sein/) Der Nachweis, dass dieser Gedanke durchaus sokratisch und platonisch ist, braucht hier nicht geführt zu werden, er ergiebt sich aus allen Äusse- rungen des Sokrates über Opfer und Gebet, die Plato und Xenophon uns überliefern (vgl. die bei Rieser und Lechthaler gesammelten Stellen).

Verfehlt ist es nun freilich, wenn Hermann (S. 640, Anm. 409) in ein- seitiger Betonung seines Standpunktes wiederum die dritte Definition ver- werfen will, weil ihr „die rechte Reduktion auf den Oberbegriff der Ge- rechtigkeit" abgehe. Sie kann schon um der erwähnten Hervorhebung willen, die Plato ihr zu teil werden lässt, nicht anders als ernstlich ge- meint sein. Susemihl lässt beide Bestimmungen des Begriffes der Fröm- migkeit gelten und findet, dass die vorliegende letzte eine unentbehrliche Ergänzung zu jener dritten enthalte, insofern sie zu dem Willen {öixaio- Gvvrj) das Wissen {e7tcGTrif.ir]) füge, ohne welches die Frömmigkeit unmög- lich sei. Ob das platonisch ist, erscheint zum mindesten fraglich, da Plato dem Willen wie überhaupt, so auch in der Gerechtigkeit neben dem Wissen keine Bedeutung beimisst, sondern ihn als selbstverständlich vor- aussetzt.

Lassen wir das Verhältnis der beiden Definitionen zu einander zu- nächst einmal dahingestellt, so bleibt, wenn sie als richtig ergänzt und positiv anerkannt werden, immer noch eine Schwierigkeit übrig, für die auch die Erklärer, denen wir so weit zustimmten, Hermann, Susemihl und Rieser, keine Lösung finden. Es scheint nämlich bei der Prüfung jener letzten Begriffsbestimmung zunächst nicht Euthyphron zu sein, der einen vollkommen befriedigenden Abschluss der ganzen Untersuchung unmög- lich macht, sondern Sokrates selbst. Hermann geht auf die Frage, was dieser denn nun weiter beabsichtige und erreiche, gar nicht ein. Suse- mihl und Rieser fassen den Schluss des Gespräches, ähnlich wie ein grosser Teil der übrigen Erklärer, so auf, als ob Sokrates den Euthyphron absicht- lich auf eine falsche Bahn leite, wonach die Opfer den Göttern in gewinn- süchtiger Absicht dargebracht würden, so dass der Verkehr mit ihnen als eine Art von Handelsgeschäft oder sogar als ein Bestechungsversuch er- scheine. Es ist wirklich schwer zu sagen, was für einen Zweck ein solches Verfahren am Schlüsse einer Untersuchung haben sollte, die soeben bei- nahe bis ans Ziel geführt war. Sollten die unklaren und durch Aber- glauben getrübten Vorstellungen der Menge dadurch schliesslich noch widerlegt oder lächerlich gemacht werden, so ist kaum zu bestreiten, dass der Versuch dazu als recht ungeschickt und missglückt betrachtet werden muss. Die Entartungen des Volksglaubens sind kaum gestreift, und über-

1) Fischer ergänzt a. a. 0. Quid deo dat? se ipsum etc. dat iiaturam suam Ideae participem.

über Piatos Euthyphron, zur Frage seiner Echtheit und zu seiner Erklärung. 447

dies erscheint Euthyphroa, wie bereits bemerkt, als ein sehr wenig geeig- neter Vertreter der Menge, die ihn verlacht, und über die er sich weit erhaben dünkt Zudem ist es ganz mit Recht unpassend gefunden worden (Josef Wagner), wenn dem Sokrates in seiner ernsten Lage ein solches Benehmen angedichtet werde gegenüber einem Manne, der ihm freund- liche Gesinnung und warme Teilnahme für sein Geschick bewiesen habe. Man vergleiche die Worte, mit denen er das Unternehmen des Meletos verurteilt (p. 3 a) : areyvojg (xol öoxei acp '^Eoriag aQ^ead-ai -AcrAOvQyelv TTjv TtolLv, euiyßiQwv aSixelv d^, und man wird beleidigt sein von der Vorstellung, dass Sokrates denselben Mann, der so gesprochen, durch Hohn und Spott von sich treibe.

Aber geschieht denn das wirklich? Anlass zu dieser Auffassung bieten offenbar nur zwei Worte, die aber im Munde des Sokrates wohl gar keinen höhnischen Sinn haben, nämlich die Bezeichnung der Frömmigkeit als einer IfiTtogr/Jj Tsxvrj und die Erwähnung des Vorteils, der in diesem Handel auf Seiten der Menschen zu sein scheine : rj tooovtov avtwv Ttkso- vs'/,Tov(.iev xaTo. trjv if^iTtoglav ; Es ist unzweifelhaft, dass das blosse Wort Handel bei uns, wo ethische Begriffe in Frage kommen, ganz von selbst einen sehr unedlen Nebensinn annimmt. Dürfen wir das aber ohne weiteres auch für das Griechische voraussetzen?') Das Wort £f.i7toQla ver- einigt in seiner Grundbedeutung zunächst nur die Begriffe der Einfuhr und Ausfuhr und bietet sich daher ganz passend dar zur sinnbildlichen Bezeichnung für die Kunst des oQd-wg ahelv und oQd-cug öMvai, inso- fern es dabei auf die Überlegung ankommt, welche Bedürfnisse auf der einen, wie auf der anderen Seite vorhanden sind; denn auch der Rheder muss für sein Schiff auf passende Fracht zur Ausfahrt wie zur Heimkehr bedacht sein. An der ganz ähnlichen Stelle Politicus p. 290 c : t6 twv legcüv yevog, wg vofiijuov q)r]ol, 7taQa (.lev rjftwv öioQ€ag &€olg öia ■d-vOLüJv BTCLOtiifÄov koTL xttTa vovv ezslvoLg SwQelGd-ai, TtaQcc ök ixelvcjv tjfxlv evxcclg kt^olv aya&wv ahijoaa&ai, liegt jene ironische Missbilligung fern, und das Bild von der ef-mogla nötigt uns noch nicht, hier eine solche anzunehmen. Natürlich ist es des hohen Gegenstandes nicht würdig, weil

1) Die Schwierigkeit, sich des modernen Standpunktes zu entäussern, führt gerkde bei religiösen und ethischen Fragen leicht auf Abwege. So bemerkt A. Fouill6e (La philosophie de Piaton. Tome IL Paris 1888 p. 216): Piaton dit dans l'Euth. : il y a une saintetö qui r(5sulte de la nature essentielle des choses, une Id^e de la saintetö sup^rieure aux r^ligions et qui les juge, les condamne ou les absout, loin d'etre jugee par elles. Der Gedanke, dass von dem Begriff des Heiligen aus die Berechtigung verschiedener Religionen zu beurteilen sei, ist offenbar ganz ungriechisch und rein modern. Der Grieche kennt eine Vielheit von Göttern, die Vorstellung einer Vielheit von Religionen ist ihm fremd.

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es einer wenn nicht niedrigen, so doch allzu nüchternen Sphäre angehört, aber wir sollten es doch von Sokrates gewöhnt sein, dass seine Reden so „verkleidet" sind {toiavTa y.al ovoixaxa zai grifuara 7teQLay,7tiyovtaL Symp. p. 221 e). Euthyphron findet daher den Ausdruck zwar wunderlich, aber nicht anstössig ; er will ihn zulassen, wenn es denn dem Sokrates so lieber sei. Die Antwort, die er erhält: aX)^ ovöev rjdiov t^oiye, d firj Tvyxavei aXrj&eg ov, beweist ebenfalls deutlich, dass es diesem auf eine ernst ge- meinte Untersuchung ankommt, nicht darauf, seinen Partner aufs Glatteis zu führen. Yon unsittlicher Gewinnsucht und Eigennutz im Gottesdienst ist dabei gar nicht die Rede. Erst als Euthyphron keinen Nutzen zu nennen weiss, der den Göttern aus den Gaben der Menschen erwachse, fragt Sokrates verwundert, ob denn die Menschheit bei diesem Austausch so weit im Vorteil sei, dass sie von den Göttern alles Gute erlange, jene aber von ihr nichts. Eine ironische Absicht liegt auch hier nicht vor, es wird nur darauf hingewiesen, dass die Götter allerdings eine (hcpelia der Ausdruck muss vorläufig unübersetzt bleiben von Seiten der Men- schen erwarten.

Welches ist denn nun aber der Zweck dieser letzten, auf die vierte Definition noch folgenden Erörterung zwischen Sokrates und Euthyphron? ^) Es kann doch nur der sein, die Untersuchung nach dem Seitensprunge, den der letztere verschuldet, wieder auf den Punkt zu führen, wo sie ihrem Ziele schon ganz nahe unterbrochen wurde, oder mit anderen Worten, zwischen den beiden gefundenen Definitionen eine Einheit her- zustellen. Dass Sokrates auf dem Wege dazu ist, ofi'enbart sich ganz deutlich gleich durch seine erste Frage: Tig avzr^ rj vTtr^qeoia eorl tolg S^eolg; alrelv tb g)j]g avzovg v.al diöovai exelvocg; (p. 14 d). Der Aus- druck v7irjQ€ola, Dienstbarkeit, für das Bitten und Geben müsste aufs Höchste befremden, wenn wir nicht wüssten, dass damit an jene d^ega- Tceia v7vr]Q6Tr/,7], deren Zweck noch zu bestimmen blieb, unmittelbar wieder angeknüpft wird. Zugleich wird aber das Ziel der Untersuchung hier schon angedeutet; denn wenn Euthyphron zunächst gedankenlos zugiebt,

1) Eine positive Absicht darin zu erkennen hat nur Sumann versucht, dessen oben citierter „Beitrag zur Erklärung des Platonischen Dialogs Euthyphron*' erst nach dem Abschluss obiger Untersuchung veröffentlicht ist. Er glaubt in der letzten Frage des Sokrates: xexccQiafievov äga eaxiv, (o Ev&., tb oaiov, d)X ovyl wife/ui-iov ovöh (plXov Tolq ^eolg; (p. 15 b) dessen wahre Meinung zu erkennen und will unter XccQig und xsxccQiaßsvov soviel wie Huldigung verstanden wissen. Das Resultat wird (S. 692) folgendermassen formuliert: „Die Frömmigkeit ist die Huldigungsbezeugung gegen die Gottheit als ein ethisch vollkommenes Wesen." Daran knüpft sich die Begründung : der Gedanke erinnere an die christlichen Sätze : Liebe Gott über alles und halte seine Gebote, er sei demnach (sie!) Piatos würdig und er liege in den Worten xE'/aQioixhov aga. zb oaiov. Einer Widerlegung bedarf diese Logik wohl nicht.

über Piatos Euthyphron, zur Frage seiner Echtheit und zu seiner Erklärung. 449

dass der Dienst, den der Mensch den Göttern schuldet, ein Bitten und Geben sei, so wird, wenn dieser Satz richtig sein soll, doch wohl auch die Umkehrung zutreffen müssen, dass die rechte Gabe in thätiger Dienstleistung zu suchen sei. Die folgenden Fragen des Sokrates be- mühen sich demgemäss auch nur darum, festzustellen, was für Gaben die Götter von den Menschen erwarten, und führen mit Notwendigkeit dahin, dass aus denselben eine d}q)eUa hervorgehen müsse/) Ganz ähnlich wie auf dem Wege zur dritten Definition (p. 1 3 b c d e) festgestellt wurde, dass die ^egaTiela nicht eine Pflege sei, um die Götter besser zu machen, wie die Rinder und Hunde und Pferde durch Pflege besser wurden, sondern dass sie der Dienstleistung eines Sklaven zur Hervorbringung eines Werkes gleiche, so würde auch hier locpella nicht Nutzen im gewöhnlichen Sinne, sondern Beistand bedeuten. Der Tauschverkehr {kf^mogla) zwischen Göttern und Menschen würde damit auf das treffendere Bild von der Dienstleistung (vTCTjQeola) wieder zurückgeführt sein. Was Euthyphron in Übereinstim- mung mit dem Volksglauben für das eigentliche Wesen des Opfers an- sieht : TLi^T] TB xal ysQag xal /«(Jig, verwarfen ja bekanntlich auch Sokrates und Plato nicht, allein es genügte ihnen nicht, und darum ist Sokrates mit dieser Antwort Euthyphrons nicht zufrieden. Sie vereitelt die Mög- lichkeit, die vierte Definition mit der dritten in Übereinstimmung zu bringen, und führt statt dessen auf die längst überwundene zweite zurück.

Sehen wir also Sokrates, ohne Ironie und Polemik, bis zum Schlüsse ernstlich bemüht, der aufgeworfenen Frage auf den Grund zu kommen, so bliebe immer noch eine Erklärung dafür zu suchen, zu welchem Zwecke der Verfasser unseres Dialoges, anstatt bei der einmal gewonnenen Defi- nition zu verbleiben, durch eine unvermittelte Seitenwendung noch eine weitere aufstellt, so dass es erneuter Bemühungen bedarf, um beide zu vereinen. Offenbar ist sie überflüssig, wenn sie nicht etwas Neues bringt, was aus jener anderen nicht ohne Weiteres zu gewinnen war. Nun zeigt sich bei einem Vergleiche zunächst, was merkwürdiger Weise bisher nicht beachtet ist, dass der Begriff, der bestinomt werden soll, gar nicht einmal in beiden derselbe ist. Das erste Mal hiess es : jovto t6 /nigog lov örAaiov doKel eivai euoeßsg te Y.al ooiov xtL (p. 12 e), und dann: tjciozriixrj a(ja ahriGBwg xai öooewg ^€oig oawTYjg av €irj (p. 14 d)^). Dort ist

1) Auch die kurze Inhaltsangabe von Urban (a. a. 0. S. 7), die sonst der hier dargelegten Auffassung am nächsten kommt, weicht hier ab : „Gebet und Opfer kann nur ein Ehrenpreis sein, der den Göttern nicht nützt, sondern nur wohlgefällig ist.'' Das ist aber Euthyphrons Standpunkt, nicht der des Sokrates.

2) Beide Definitionen nebeneinander finden wir übrigens bei Cicero citiert, de nat. deorum 141, 116: est pietas iustitia adversum deos sanctitas scientia colen- dorum deorum, wo pietas doch wohl das platonische evaeßeq ze xul oaiov, sanctitas

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460 Ebnst Wagnee

also der objektive Begriff des Frommen {ooiov) definiert, der auf ein Wissen zurückgeführt, aber unmöglich selbst als ein solches bezeichnet werden kann, während hier die subjektive Eigenschaft der Frömmigkeit {oaLOTrjg) erklärt wird, die wiederum in die erste Definition nicht hinein- passt. Es kann wohl der Begriff des oglov, der alle frommen Handlungen einschliesst, als ein Teil des öUaiov bezeichnet werden, nicht aber jene Beschaffenheit der oGioTVjg als ein Teil der ör^awovw^, da sie doch die- selbe und nur eine bleibt, ob sie sich den Mitmenschen oder der Gott- heit gegenüber äussern mag. So wird ja auch im Protagoras festgestellt, dass beide Tugenden eins sind.

Aber auch abgesehen davon braucht man nur beide Definitionen, in einem Satze endgültig formuliert, nebeneinander zu stellen, um zu er- kennen, warum die neu gewonnene neben der älteren nicht überflüssig ist :

I. Das Fromme ist derjenige Teil des Gerechten, der sich auf das Dienstverhältnis der Menschen zu den Göttern bezieht, dessen Zweck die Verwirklichung des Guten ist.

IL Die Frömmigkeit ist die Erkenntnis, dass der Mensch die Götter [nur] um das Gute bitten und ihnen das Gute darbringen soll.

Die letztere Fassung ist nicht nur bei weitem klarer, sondern sie ist auch weiter, denn sie schliesst die rechte Art des Gebetes, die kaum zu entbehren ist, mit ein, während dort dafür nicht Raum bleibt. Um die Einheit völlig herzustellen, müsste man die Gerechtigkeit als eine Wissen- schaft des Bittens (Forderns) und Gebens im weitesten Sinne, also als Er- kenntnis der Rechte und Pflichten auffassen.

Allerdings sind ja nun diese Gedanken in dem Gespräche nicht aus- geführt, sei es weil Plato sie eben nur anregen wollte, sei es weil nach der ganzen Anlage desselben die Unterhaltung mit dem beschränkten Euthyphron zu einem positiven Resultat nicht führen konnte. Dass sie aber im besten Einklänge mit allem stehen, was wir von Piatos Lehre über das Verhältnis der Menschen zu den Göttern wissen, ist von den zahlreichen Erklärern des Dialoges zur Genüge dargethan, insbesondere ist mit Recht darauf hingewiesen (vgl. Lechthaler S. 31), dass die Thätig- keit des frommen Menschen im Dienste der Gottheit mit offenbarer Be- ziehung auf den Euthyphron in der Apologie geschildert ist. Man lese doch nur, wie Munk es verlangt für diese beiden platonischen Werke gewiss mit Recht , die Apologie unmittelbar nach dem Euthyphron, und man wird bei p. 29 und 30 über den Gottesdienst, wie Plato ihn fordert, keinen Zweifel mehr hegen.

das einfache oaiovTjg wiedergeben soll. Nach Cicero würde also die erste Definition der evaißeta gelten.

über Piatos Euthyphron, zur Frage seiner Echtheit und zu seiner Erklärung. 451

Soviel über den Dialog, als ein Ganzes. Auf die Einwände gegen seine Echtheit, die sich an Einzelheiten knüpfen, einzugehen, scheint nach allem, was von seinen Verteidigern (Stallbaum, Bonitz, Lechthaler u. a.) zu ihrer Widerlegung gesagt ist, nicht erforderlich. Nur drei Punkte seien berührt, weil sie bisher noch nicht in das rechte Licht gerückt zu sein scheinen. Zunächst hat Schaarschmidt ein Bedenken an die Zeit geknüpft, in welche das Gespräch verlegt ist. Aus den Schlussworten des Theätet, mit denen Sokrates dieses Gespräch abbricht: Nvv fikv ovv ccTtavTrjTsov fioi eig TrjV rov ßaacXicog oroav ctcI Trjv rov MeXritov ygacpi^v, 'i]v f.ie yeygajtTai' eud^ev de, w Geoöcjqe, öevqo 7taXiv ctTtavTcofisv, scheint ihm hervorzugehen, dass das Gespräch mit Euthyphron, dessen Scene ja die Halle des Königs bildet, unmittelbar nach dem Theätet ge- führt werde, also in der Zeit zwischen diesem und den beiden Dialogen, welche die für den nächsten Tag verabredeten Fortsetzungen enthalten, Sophistes und Politikus. Aber nicht bloss der Euthyphron fällt nach seiner Ansicht in diese Zwischenzeit, sondern auch der Kjatylus, weil Sokrates dort (p. 396 e) am Morgen desselben Tages mit Euthyphron zusammen gewesen und von seiner Weisheit noch ganz erfüllt zu sein behauptet. Dass Plato in dieser Weise fünf Gespräche (Theätet, Euthyphron, Kratylus, Sophistes und Politikus) auf zwei Tage zusammengedrängt haben würde, an denen Sokrates noch dazu durch seinen Prozess ernstlich in Anspruch genommen sein musste, hält Schaarschmidt für unmöglich. Zugegeben aber, dass das unwahrscheinlich ist, so lässt sich doch zweierlei gegen seine Beweisführung einwenden. Zunächst deutet der Zusammenhang der betreffenden Stelle im Kratylus auf alles andere eher, als gerade auf das uns vorliegende Gespräch zwischen Euthyphron und Sokrates, das diesen unmöglich begeistern und zu tiefsinnigen Untersuchungen über die Götter- namen anregen konnte. Dagegen erscheinen die beiden Männer hier als alte Bekannte, und so liegt kein Grund vor, die Stelle im Kratylus gerade auf diese Begegnung, in der Halle des Archon König, zu beziehen. Dazu kommt aber, dass wir durchaus auch nicht einmal genötigt sind, die un- mittelbare Aufeinanderfolge des Theätet und des Euthyphron gelten zu lassen, denn die Voruntersuchung {avaY.QLOig)^ zu welcher Sokrates hier wie dort die Halle des Königs aufsucht, kann eine ganze Reihe von Terminen umfasst haben, die auch gar nicht unmittelbar aufeinander zu folgen brauchten. Für Klagen wegen Mordes waren gesetzlich drei Termine in drei aufeinander folgenden Monaten vorgeschrieben (Meier und Schömann, Der attische Prozess. Neu bearb. v. Lipsius S. 903), und der Prozess des Sokrates, zu dem die drei Kläger gewiss ein umfangreiches Material bei- I brachten, wird kaum besonders schnelle Erledigung gefunden haben. So

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452 . Eehst Wagnbb

hindert uns nichts, eine Frist von mehreren Wochen zwischen dem Euthy- phron und der Gruppe jener drei Dialoge anzunehmen, und damit fällt jenes Bedenken in sich zusammen.

Ein anderer Einwand, den J. Wagner in leidenschaftlichem Tone geltend macht, richtet sich gegen die Person des Euthyphron und seinen I wunderlichen Prozess. Es ist ja nicht zu leugnen, dass Steinhart (S. 191) * und andere Erklärer stark übertreiben, wenn sie den Euthyphron „unter den gelehrten Mythologen oder Theologen jener Zeit wohl den bedeutend- sten" nennen, aber ebenso übertrieben ist es wiederum, wenn man aus seiner Bemerkung : Kai kixov ydg tol, ozav tl leyw iv rfj IxKlrjola 7ceQl Twv -d-elwv, TtQoXfyüJv avTolg ra fi^lkovra, xaTayelwOLv wg fiacvofievov (p. 3 c) herauslesen will, dass wir einen ausgemachten Narren vor uns haben, mit dem ein ernsthaftes Gespräch zu führen unmöglich und eines Sokrates unwürdig sei. Auch seine Anklage gegen den eigenen Vater be- ruht zwar auf einseitig übertriebenen religiösen Vorstellungen, ist aber darum noch nicht die That eines Wahnsinnigen. Es ist mit Recht von Wilamowitz (Philol. Untersuchungen I 219 Anm.) darauf aufmerksam ge- macht worden, dass Euthyphron genau so handelt, wie es Sokrates selbst im Gorgias (p. 480) ironisch^) empfiehlt. Dort wird nämlich auseinander- gesetzt: Da eine gerechte Strafe etwas Gutes sei, so handele derjenige verkehrt, der seine Gewandtheit im Reden dazu benutze, sich selbst oder Angehörige vor einer Strafe zu bewahren ; vielmehr müsse man, falls ein- mal eine Schuld begangen sei, alles daran setzen, sich und seine Ange- hörigen durch sühnende Strafe von diesem grössten aller Übel zu befreien. Statt also sich selbst und seine Freunde mit Rednerkniffen vor Gericht zu verteidigen, thue man besser, gegen sich und seinen Nächsten im Falle der Schuld Klage zu erheben. Es erscheint ganz unzweifelhaft, dass der eigentümliche Rechtsfall des Euthyphron zu dem Zwecke erfunden oder benutzt ist, um üblen Deutungen jener Auseinandersetzung vorzubeugen,

1) Wilamowitz geht zu weit, wenn er sagt: „wo Sokrates noch vorschreibt, man müsse seine Verwandten selber anklagen". Es ist unverkennbar, dass Sokr. an jener Stelle nur den vermeintlichen Nutzen der Redekunst ironisiert. Wollte man die betreffenden Worte als seine ernste Meinung auffassen, so müsste man ebenso gut auch ihre Umkehrung ernst nehmen (p. 481a), wo es heisst, man müsse seine Feinde von den Richtern fern halten; wenn sie verklagt würden, sie verteidigen; wenn sie einen Raub begangen hätten, dafür sorgen, dass sie sich seiner in Sicherheit erfreuen könnten, und wenn einer von ihnen eines todeswürdigen Verbrechens sich schuldig gemacht habe, darauf bedacht sein oncug fx?] ano^avelzai , ßahaza fiev fx^öänoxe, dAA' a^ävazoQ eavai novrjQog (ov. Allerdings wiederholt er die erste Forderung, um die es sich handelt, noch einmal (p. 507 d) in ernstem Tone, doch ist dort von keiner gerichtlichen Klage die Rede, sondern es heisst nur allgemein: im&ezsop lUxrjV xal xolaozeov. .:

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über Piatos Euthyphron, zur Frage seiner Echtheit und zu seiner Erklärung. 453

ja vielleicht Angriffen zu begegnen, die daraufhin bereits gemacht sein mochten. Euthyphron handelt also zwar verkehrt, aber weder im Wahn- sinn, noch in ruchlosem Fanatismus, sondern er glaubt seinem Vater einen Dienst mit der Anklage zu erweisen (vgl. p. 4 c. %oov yctq t6 (ÄiaG^a ylyvsTaL, sav ^vvfjg lo) roiomq) xal f^ij ag)oaiolg aeavtov te y.al sxelvov

Eine Verurteilung des Vaters war auf den Thatbestand hin wohl kaum zu erwarten und am allerwenigsten, wie viele Erklärer übertreibend annehmen, eine Verurteilung zum Tode. Es ist durchaus wahrscheinlich (vgl. Schleiermacher S. 39 u. a.), dass die Anklage einem wirklich vorge- kommenen Falle nachgebildet ist; wenn sie aber erfunden sein sollte, so hat Plato den Vorgang, auf den sie sich gründet, absichtlich so kon- struiert, dass die Schuld des Vaters so gering als möglich erscheinen sollte. Das konstatieren selbst die Gegner unseres Dialoges, indem sie auf die Stelle der „Gesetze" (Leges p. 865) verweisen, wo für unbeab- sichtigte Tötung eine mildere Bestrafung in Aussicht genommen vrird, allein sie ziehen daraus nicht den richtigen Schluss. Das Unrecht, das Euthyphron begeht, wächst nämlich dadurch nicht, sondern es wird im Gegenteil verringert. Es würde in der That eine ungeheuerliche Ver- irrung sein, wenn es sich um „eine Anklage auf den Tod" gegen den eigenen Vater handelte, dagegen wird die Handlungsweise des Sohnes um so begreiflicher, je leichter die Schuld und demgemäss auch die zu er- wartende Strafe erscheint. Ohne Zweifel würde auch durch ein freisprechen- des Urteil der Absicht Euthyphrons, die Blutschuld zu sühnen. Genüge geschehen, aber allerdings ist aus den Worten : ov te '/.axa vovv aywvcel Trjv öUr]v, ol(X(XL de y.al iyat tyjv e(.iriv (p. 3 e) wohl kaum zu entnehmen, dass er selbst ein solches erwartet^). Wir müssen vielmehr voraussetzen, dass Euthyphron auf die Verurteilung seines Vaters rechnet. Aber welche Strafe stand diesem denn nach attischem Kechte bevor? Es ist verwunder- lich, dass noch niemand dieser Frage nachgegangen ist. „Den unfrei- willigen Totschläger traf zeitweilige Verbannung, in die er innerhalb be- stimmter Frist und auf bestimmtem Wege sich zu begeben hatte. Die Dauer seiner Verbannung lag in der Hand der Verwandten des Getöteten, deren Verzeihung {aldeoLo) zur Rückkehr erforderlich war" (Meier und Schömann a. a. 0. S. 379. Vgl. G. Busolt, die griechischen Staats- und Rechtsaltertümer. 2. A. 1892, S. 273). Es würde sich also, wie es scheint, um eine kurze Reise ins Ausland und etwa um ein kleines Geldopfer an

1) Es ist unverständlich, wie R. Schnitze daraus folgern kann: „Wie Euth. die Verurteilung des Sokrates nicht erwartet, so wünscht er auch die seines Vaters nicht" (S. 7 Anm. 3). Eher beweisen sie das Gegenteil.

454 Ebnst Waoneb

die Verwandten des verstorbenen Tagelöhners gehandelt haben. Ist es nun wirklich eine so ungeheuerliche Ruchlosigkeit, wenn Euthyphron seinen Vater nötigen will, zur Sühne seiner Schuld, was das Gesetz vorschrieb, über sich ergehen zu lassen?

Man wende nicht ein, dass Euthyphrons Verfahren von seinen Ver- wandten als avoGiov bezeichnet wird, und dass auch Sokrates diese Auffassung zu teilen geneigt sei. Es widerstrebte ohne Zweifel dem sitt- lichen Gefühle jener Zeit, den Sohn überhaupt als Ankläger des Vaters auftreten zu sehen, mochten die Folgen seiu, welche sie wollten, ebenso wie auch heute jeder Unbefangene seine Handlungsweise für unnatürlich und verkehrt erklären würde. Sokrates hat ganz recht, wenn er meint, der gewöhnlichen Auffassung des Frommen und Heiligen entspreche sie nicht, und es gehöre wohl eine besondere Weisheit auf diesem Gebiete dazu, um ihre Berechtigung zu begreifen. Führen wir aber die Schwere der Klage auf ihr richtiges Mass zurück, so fallen damit auch alle Be- denken, die Schaarschmidt und Josef Wagner daran knüpfen. Wir brau- chen dann an dem heiter scherzenden Ton des Gespräches keinen Anstoss zu nehmen und haben kein Recht, ihn frivol zu nennen*). Es ist auch durchaus nicht so unbegreiflich, dass Sokrates nicht ernsthafter bemüht ist, das Vorhaben des verblendeten Frömmlers zu bekämpfen, sondern es genügt vollkommen, wenn in seine anmassende Überzeugung, allein auf dem rechten Wege zu sein, Bresche gelegt wird. Sie ist das eigentliche Übel, nicht die beabsichtigte Anklage, an die das Gespräch anknüpft. Nun findet Schaarschmidt, dass die Verletzung der Kindespflicht, die Euthyphron sich zu Schulden kommen lässt, mit dem Unglauben oder Irrglauben, dessen Sokrates angeklagt ist, gar keine Beziehung habe, und dass künstlich ein rein äusserlicher und erzwungener Zusammenhang durch den mezzo termine des avöoiov hergestellt sei, der nun erst den Übergang zu dem Gespräch über die Frömmigkeit ermögliche. Lechthaler verweist demgegenüber darauf, dass beides, die Pietätlosigkeit wie der Unglaube, in der That unter den Begriff des avooiov falle, allein das hatte Schaarschmidt gar nicht geleugnet, und J. Wagner hat ganz recht, wenn er diesen Einwand nicht gelten lässt. Dagegen beachten beide,

I

1) Ein eigenes Missgeschick ist hier J. Wagner widerfahren. Man vergleiche seine beiden Anmerkungen S. 31 : „Gegen eine solche Ansicht (Susemihl) hatte schon Hermann und zwar mit Recht eingewendet, dass zu viel philosophischer Ernst und Bitterkeit in unserem Gespräche enthalten sei", und S. 44: „Wenn Hermann seine Ansicht damit zu motivieren sucht , dass das Gespräch auf der einen Seite zu viel Ernst u. s. w. enthalte , so hat schon Steinhart dagegen bemerkt, dass dies Urteil schwerlich auf Zustimmung rechnen könne, da im Gegenteil ein heiter scherzender Ton darin herrsche."

über Piatos Euthyphron, zur Frage seiner Echtheit und zu seiner Erklärung. 455

Schaarschmidt und Wagner, nicht, dass es eben unrichtig ist, Euthyphron ohne weiteres Mangel an Kindesliebe vorzuwerfen; er glaubt vielmehr nur, dass sie vor seiner vermeintlichen religiösen Pflicht zurücktreten müsse. Der bemängelte Mittelbegriff ist also keineswegs gewaltsam herbeigezogen'), sondern auf ihn gründet sich gerade das treibende Motiv für Euthyphrons Thun, und es ist nebensächlich, dass seine Verkehrtheit sich in dem vorliegenden konkreten Falle gerade in einer Verletzung der Kindespflicht und nicht irgendwie anders äussert.

Endlich sei noch eine Bemerkung über die vielbesprochene Stelle (p. 5 d) gestattet, wo die Ideenlehre Piatos gestreift wird: ij ov tavTov eOTLv Iv Ttaoiß Tvgd^ec to ooiov avTo avTc[i, /mI to ccvoglov av tov [xlv oöLov Tiäv TovvavTtov, amo d\ avTCi) of-iolov v.ai e^ov julav Tiva löiav xaTcc TYjv avoaiOTTjTa 7vav, o tL tceq av fxelXr^ avoaiov elvai; Überwegs Bedenken gegen dieselbe hat Bonitz (S. 227) mit Recht zurückgewiesen und den Ausdruck fxlav e^ov iösav auf Menon (p. 72 c) h yi ii slöog TttVTov uTtaGac e^ovoi {al ctgeTaL), sowie auf Politikus (p. 262 b) alka %o (.i£Qoq ccfia eldog l/cVw, gestützt. Nun hat freilich Überweg in der That den Ausdruck an sich gar nicht angegriffen, sondern nur behauptet, er könne zwar von Einzeldingen ausgesagt werden, dagegen passe er nicht zu dem Subjekt avoaiov, das vielmehr selbst eine Idee sei. Da es sich in beiden Belegstellen um Einzeldinge handelt, so wurden sie also gegen Überwegs Zweifel nichts beweisen, wenn jenes Prädikat hier wirklich von dem Begriffe selbst ausgesagt wäre. Das ist aber gar nicht der Fall, sondern wenn es unzweifelhaft richtig ist, dass das erste Prädikat, avTo autc[) of-wlovy von dem Begriff gilt, so ist es ebensowenig zu bestreiten, dass das zweite, /ulav rcva e^ov iöeav, sich nicht auf den Begriff, sondern auf die Gesamtheit aller einzelnen unfrommen Handlungen bezieht, denn das gemeinsame Subjekt, ib avooiov, das an sich beides bedeutet, wird ja für diese zweite Hälfte des Satzes ausdrücklich noch erklärt als nav oTL av ^ellj] avoGiov elvai. Dass Sokrates sich genötigt sieht, diesen Zusatz zu machen, darf als ein hübscher Beleg für die Beobachtung Überwegs betrachtet werden, aber derselbe Zusatz entkräftet zugleich die daraus gezogenen Schlüsse.

1) Vgl. übrigens die Beobachtung von L. Schmidt a. a. 0. S. 4üO. Anm. 61: „Bemerkenswert ist, wie Herodot die Formel ovx oaiov, ebenso wie das Adjectivum dvoaioq gern auf die Verletzung der Päichten gegen nahe Anverwandte bezieht". 3,19. 3,65. 4,145.

XXII. ünaestio Thucydidea.

Scripsit

Max Wiesenthal (Barmen).

Thucydidis historias, quales quidem et ad nos pervenerunt et iam Xenophonti notae fuerunt, fragmentum tantum esse ingentis, quod scriptor susceperat, operis, vel inde intellegitur, quod in extremo libro octavo nuUa probabili causa narrare desiit. Praeterea Thucydides ipse satis indicat, se historiam totius belli Peloponnesiaci scripsisse vel scribere voluisse; nam hoc modo et antiqui viri docti et nostratium plerique eins verba I, 1 : GovKvölörjg lä&rjvalog ^vv eyqaipe tov Ttoke^ov rwv IleXoTCOvvrjaliüv y.al ^d^rjvaUüv wg eTtoXefnqaav Ttqbg alXTqlovg atque V, 26 : yeygaqe de Kai TavTa 6 ambg Qovxvöiörig lAd^rjvaiog e^^g, cug ezaGTa eyivero inter- pretari solebant. Ab eorum sententia nuper dissedit H. Müller- Strübing (Thukyd. Forschungen, Wien 1881, p. 73 sqq.), cum ipsius Thucydidis verbis nisus, quin Thucydides opus suum perfecerit, non dubitandum esse putaret Qua in re A. Ludwigium Prahensem (Fleckeisen, ann. 1867 (95), p. 152. cf. M.-Str. 1. 1. p. 259) secutus est, qui e perfecto yey^acpe collegit, opus ad finem perductum fuisse, quod aliter scriptor hac forma verbi uti non po- tuisset. Eiusmodi enim prooemia, ait, tum demum componi consentaneum esse, cum opus aut perfectum sit aut in eo sit, ut perficiatur. Sed omnino, quaeso, fieri non potest, ut scriptor exordium scribat, cum magna quidem pars historiae nondum satis eleganter composita, sed silva rerum compa- rata dispositaque finis operis quasi in conspectu est? Nonne illum ad locos insignes perpoliendos horae et Musae favore uti verisimillimum est? Cui hie non in mentem veniat notissimae tragicorum nostrorum rationis, qua eos fabulas non ex ordine scenarum, sed delectu habito conscripsisse con- stat. Quodsi simili ratione Thucydidem usum esse existimabis, nonne facile cogitari potest, eum pro ygaipet anticipando dixisse yiygacpe vel '^wi- yQaxpe Qovxvdldr]g? Nihil enim ad hanc quaestionem interest, utrum loco laudato perfectum an aoristum habeamus, quippe quod in aoristo quoque tempore inest vis anticipandi cf. Thuc. biogr. anon. § 8, W. Röscher, Leben,

Quaestio Thacydidea. 457

Werk u. Zeitalter des Thuk. p. 354, 1. Rarior sane faerit in libris Msto- ricis anticipatio, quae eadem in epistulis usitatissima erat: num idcirco rerum scriptor ea figura uti non debuit, quod propter rerum humanarum inconstantiam ei verendum erat, ne vates evaderet falsus? Quis vero contra e Sallustii, Livii, al. verbis: „bellum scripturus sum" vel e nostratium praefationibus, si invenerit verba: „es soll dargestellt werden", coUigat, haec verba scripta esse, priusquam auctor res gestas narrare coeperit? E perfecto yiyQacpe igitur opus Thucydideum confectum et absolutum fuisse non colligendum est; nam plane aliam vim habet ye^Qacpe de xal ravza o avTog OovyivölÖTjg i. e. huius quoque partis scriptor idem est Thucy- dides, atque illud quod paulo supra V, 24 extr. invenimus perfectum yeygaTtTai i. e. narratio ad finem perducta est. yeygaTCTac enim partem operis confectam esse docet, yiyQacpe öe Y.ai Tavra x. t. /. initio alterius partis auctorem eundem atque prioris esse confirmat, id quod recte mea quidem sententia Classenus statuit/) Ceterum omnino cavendum est, ne prementes unius verbi formam talia coniciamus. Fundamentum igitur sententiae Ludwigi et Mülleri-Str. minus firmum esse videtur neque habe- mus, cur perfectum Thucydidis opus unquam exstitisse credamus. Quo- modo enim partem extremam annalium periisse putemus? 'Casu quodam tristissimo' inquit Ludwigius. Qui ille casus fuerit, Müller -Str. unus omnium mortalium repperit: de industria eos libros deletos, ereptos esse Thucydidi, quin etiam necatum esse illum, ut auferri possent, quod scelus patravissse socios triginta tyrannorum, quippe quorum permultum inter- esset, ne novissimorum belli Peloponnesiaci annorum historia in lucem ederetur. Totum opus nimirum eos delevisse praeter libros iam prius editos, sed casu benigno factum esse, ut magnae annalium partis exem- plar nescio quo loco servaretur; quod fortasse in Scaptensula relictum fuisse apud illius filiam sed quid multa? Credat ludaeus Apella!

At cum dicit opus Thucydidis deletum esse praeter partem iam antea editam, Müller-Strübing aliam de fatis annalium sententiam indicat, quae aliquam speciem verisimilitudinis prae se ferro videtur. Primum eam in medium protulit quamvis argumentis non additis in doctissima illa quam de Pseudo-Xenophontis libello, qui inscribitur de Atheniensium re publica, composuit dissertatione [Philol. Suppl. IV (1880), p. 129J. Priorem enim belli Archidamici a Thucydide scripti editionem a nostris libris admodum diversam exstitisse sibi persuasit, quam haud ita multo post Niciae pacem in lucem ille emisisset. Tribus autem rationibus huius modi coniecturae

1) In edit. 1. 1. Verba „wie das y^yganrai" perverse dicta esse a Classeno recte quidem Müller- Str. admonuit, cetera autem explicatio miro hoc viri docti errore non labefactatur.

458 Max Wiesenthal

fides addi potest: aut veterum scriptorum testimonia adhibenda sunt aut demonstrandum est, aequales vel posteriores ea editione usos esse aut vestigia et indicia eins rei ex ipsius scriptoris verbis colligenda sunt. Atque omnes quidem veteres, cum tacent, eam editionem nunquam fuisse con- fitentur. Quamvis enim tot libris amissis cavendum sit, ne temere e silentio eorum, qui ad nostram aetatem pervenerunt, argumentum sumamus, tamen fieri potuisse, ut nihil de ea re nobis traderetur, quis est, qui credat? Herodoto soli igitur contigit, ut prima historiarum eins recitatio viris doctis memoria digna esse videretur? Perlegas, quaeso, quae ipse Mueller-Str. in Fleckeiseni Ann. 131 (1885), p. 338 uberrime atque optime dixit de ingenti admiratione, quae tali opere sub pacem Nicianam in lucem edito moveri debebat: rem eam futuram fuisse, ait, in Graecorum litterarum historia celeberrimam, qualis inde a clarissima illa Herodoti recitatione accidisset nuUa. Recte quidem vir ille doctus id disseruit, sed nescio an eo magis inde colligendum sit, non temere nee casu factum esse, ut ex antiquis scriptoribus ne unus quidem eins rei scientiam habeat Itaque, quoniam nihil de ea re traditum est, fingamus casu quodam tristissimo omnia veterum testimonia extincta atque deleta esse.

Deinde igitur quaerendum est, num concentus ille, qui intercedit inter locos aliquot operis Thucydidei et libelli de re publica Atheniensium scripti, eiusmodi sit, ut satis explicari nequeat, nisi statuamus Pseudo-Xenophontem usum esse Thucydidis de hello Archidamico historiis. lam licet locos, de quibus agitur, in unum componere. cf. Phil, suppl. IV, p. 129 adn.

Thuc. I, 143, 5 in oratione Periclis : tiJv t€ olocpvQO iv fxr] oixLoiv xal

yrjg Tcoielox^ai. R. A. n, 14: yLyvojGxovtsg otl el avrr^v (sc. Trjv IAttl-kyiv yr^v) eier-

oovGtVy eT€Q(jt}v ayad^wv (j.€i^6va)v oxEQiqoovraL. Thuc. I, 143, 5: el (xhv yaq i^fiiev vrjOiWTaij Tiveg av a?.rj7tT6T€QOt

TjGav; R. A. IL 14: ei yag v^oov oixovvTeg ^aXaTTOxgaTOQeg i^aav u4&i-

valoi, VTciJQxev av avrolg TioLelv fxev xaxcJg, . . . Tidaxeiv de fir^öci

cf. II, 15. Thuc. I, 81,2 in oratione Archidami : Ix ^akaaarjg wv diovrai eTta-

^ovTai. R. A. n, 6 aq){3ovla wv Seovrai aq)}iKvelTai tolg arg ^akaTTTjg

CCQXOVOIV,

Thuc. II, 13, 2 in oratione Periclis : IleQiyiXijg . . TcaQjjvei . . tu twv ^vfii^dxcjv ölcc x^t^Qog exeiv, kiycov ttjv iaxvv avrolg dito TOVTtav eivai Twv x^^^/warwy zijg tvqogoÖov.

Quaestio Thucydidea. 459

Thuc. III, 39, 8 in oratione Cleonis: rijg STteira tcqogoöov, öl rjv

ioxvo(j.sv, To XoLTtbv GteQi^Gea&e, Thuc. in, 46, 3 in oratione Diodoti: Ttjg tvqoooöov to Ioltiov an

avTtjg otegeod-ai' iaxvofiev de Ttqbg rovg TtoXsfiLovg Tojde. R. A. I, 15 laxvg eoxLV ovtyi ^^rjvalwv, hav ol ovfXfiaxoc övvaroi

wGL xQriiiara elGcpigeiv. Thuc. n, 64, 5 in oratione Periclis: t6 öe fiiGslGd-ai . . tccIgi fihv

vTtfJQ^e örj oGOi etegoL irsgwv rj^icoGav agx^^^'- R. A. II, 14: OTC fitGEcGd-ac fiev avdy/.rj ibv agy^ovra vTto tov

ccQxofxevov, Thuc. I, 84, 3 in oratione Archidami: af^ad^ioTegov tcZv vofxcov trjg

v7t€Qoxplag Ttatöevofxsvoi, Thuc. III, 37, 3 in oratione Cleonis: afxa^la (xera Gwq)QoGvvr]g

(x)cp€?ufj,WT€Qov . . . T] öe^iOTrjg j^iSTa ccycokaGlag. Thuc. III, 37, 5 in oratione Cleonis: ot . . . ccfia^eGTsgoi twv vo^ojv

a^iovvueg elvai . . . oQ^ovvvai %a TileLix). R. A. I, 7 ri TOVTOv ctixad-La Kai TtovrjQia y,a} avoia [v. 1. Evvoia\

^äXXov XvGLxeXel i] tj tov xQ^^^ov aQSTrj ymI GocpLa y,al /.anovoLa. Thuc. III, 47, 1 in oratione Diodoti: vvv fj,ev yag vfilv 6 örjfxog ev

TcaGaig zalg tvöIbglv evvovg Icxt/ cf. VIII, 9,3. 21,1. 48,5. R. A. m, 10 TO xa'AtGTOv ev eyiaGxiß sgtI 7c61€l euvovv Tcf örjfxii)

(jwv äd-TqvaiijDv). Thuc. n, 38, 2 in oratione Periclis : iTceGeQx^T^oti <5£ dia fxiye^og Tfjg

Ttolecog Ix TCaGrjg yrjg %a itavta. R. A. n, 7 (cf. II, 11) Tama Tcävxa elg ev rj&QolGd^ai öia ttjv

ccQx^v rrjg d-aXccTtrig. Quis est, cui mirum non esse videatur, omnes sententias cum locis Jibelli de re publica Atheniensium congruentes apud Thucydidem non in- veniri nisi in orationibus? Licet igitur Pseudo-Xenophontis illa ad verbum congruant cum Thucydide, tamen duabus aliis atque MüUer-Strübing censuit de causis id fieri potuisse concedendum erit. Etenim aut communem utrumque fontem habuisse orationes a Pericle, Cleone, ceteris habitas dico aut Thucydidem potius libello de Atheniensium republica, quem ante cladem in Sicilia acceptam scriptum esse constat, usum esse, prae- sertim cum consensus ille tantum appareat in orationibus, quas postre- mas ne dicam compositas, at in eam quam nunc praebent formam redactas esse satis verisimile est. Quodsi accuratius eas similitudines considera- verimus, duo earum esse genera confitebimur, quorum alterum continet sententias universales vel locos communes, alterum argumentationis gratia versatur in iis rebus, quae illis temporibus cum alibi tum Athenis omni-

460 Mix WiaSBNTHAL

bus notissimae fuernnt velut opes Atheniensium niti vectigalibus sociorum vel in Omnibus oppidis populäres rei publicae Atheniensium fayere, vel Athenienses navibus praepotentes minima urgeri agris devastatis. Recte iudicaveris talia argumenta tum omnium oratorum quasi in supellectile fuisse. Prava igitur opinio eins esse videtur, qui ei illa sententiarum congruentia colligat auctori illius libelli, quisquis fuit, Thucydidis historiam belli Archidamici in manibus fuisse. At mirum esse dixerit quispiam, quod omnes illae similitudines ad priores tres annalium libros pertineant. Minime. Omnibus enim, quos contuli, locis id agitur, ut Atheniensium opes illustrentur, id quod optime in principio belli describendi locum habere videtur. E posterioribus libris sola Alcibiadis apud Lacedaemonios verba VI, 89, 3: fit Tig, ölotl Kai itj) örnxo) Tcgooexelf^rjv (xaXXov xeLqu) fus iv6/iu^€ quodammodo conveniunt cum A. R. II, 20: oong dk ^rj wv rov diq^ov eiXsTO ev ör]jLioyiQaTOvfi€vrj tzoXev oiycelv (.laXkov rj ev oXiyagxot— (.ihr) aöixslv TtageoKevccaaTo, sed haud scio an rectius inde colligatur, Thucydidem libelli de re publica Atheniensium rationem habuisse*). Quam- quam longo abest, ut ego id credam, cum consensum illum sententiarum atque verborum e similitudine rerum natam esse mihi persuaserim. Itaque satis demonstrasse mihi videor solis his locis coniecturam Muelleri-Strue- bing de priore Thucydidis editione confirmari non posse.

Deinde Aristophanes in Avibus iocatus esse in Thucydidem Muellero- Struebing videtur [Fleckeis. Ann. 131 (1885) p. 336 sqq.]. Nonnullos enim locos, quos ad id tempus interpretes omnes ad Herodoti historias spectare putaverant, ad illum revocare conatus est. Sed ea sententia doctorum virorum laudem vix ferat, quoniam Aristophanes vv. 552 sq.: xccTteiTa Tov aiqa Ttävia kvyXm xal 7t äv tovil t6 (.lera^u TceQLTSL%L^eiv (xeyaXaLg nlivd-oig OTtralg warteg BaßvXwva. verbis wOTteg BaßvXwva additis tantum non nomine appellat Herodotum. Quos versus Mueller-Str. comparat cum Thucydidis narratione de Plataeis fossa et muro a Peloponnesiis circumdatis (Thuc. 11, 78, 1 TcegiSTeixi' ^ov Ttjv TtöXiv y.vY.Xto . . . TacpQog dh kvTog le tjv Kai s^tj&ev, r^g kTtlivd-evovTo). Nimis creduli esse dicit putare, rem, quae revera nunquam acciderit, iisdem ab utroque verbis temere ac nulla ratione narratam esse. Nam Plataearum quoque circumvallationem non ita factam esse, ut Thucydides narrat, sed cogitatione a scriptore depictam esse sibi persuasit. At sine ullo dubio, quaeso, verba TtXLvi^oi et kvkXii) in de- scribenda moenium aedificatione adhibita tam insignia sunt, ut sponte utrumque scriptorem iis usum esse nullo modo credi possit? Nonne

1) Cf. Thuc. VIII, 64, 3. A. R.III, 11. Ipse Müller-Str. 1. 1. p. 121 non dubitat, quin Thucydides exemplar orationis, quam Phrynichi esse arbitratur, sibi paraverit.

Quaestio Thacydidea. 461

Muelleri sententiae assentiri etiam magis creduli esset? Quodsi hos versus ad Thucjdidem pertinere vix quisquam arbitrabitur , ceteris quoque locis Aristophaneis, quibus nititur Mueller-Str., Herodotum derideri, non belli Peloponnesiaci scriptorem, manebit iudicium. Num enim Aristophanes incommodius quidquam facere potuit, si Av. v. 1130:

To de fi^Kog Igtl, v-al yaq efxiTQiqö auT eyoj

eKaTOVTOQoyvLov spectatores admonere voluisset, quomodo Plataeenses altitudinem muri hostium mensi essent, cum apud Herodotum 11, 127 de pyramide inveni- rentur verba Tauza yag wv y,ai riy,elg eiieTQiqöaixev^

Quod attinet ad Thuc. I, 93 verba: y,al c^xodofxr^aav ifj kxelvov yvüjfij] t6 ^axog tov Telxovg otcsq vvv en örjkov botl TtCQi lov üecgaiä ' ovo yccQ a/Lia^ac evavTlai a^li^Xaig rovg XLS-ovg STtriyov , Kruegeri et Herbstii argumentis nisus glossema ea esse iudico neque Mueller-Struebing mihi persuasit ea satis defendi Aristophanis versibus Av. 1126 sqq.:

üJOT av ETtavo) fiev IlQo^evlörjg 6 KofÄTcaaevg

xal Qeoyevrig evavTlo) öv' aQiLiaze

LTtTtojv VTtovTCJv fLieys^og oaov 6 öovQLog^)

vTcb TOV TtXoLTovg av TtaQeXaoalTrjv. Etiamsi enim cum poetam bis versibus iocari concedamus in scriptoris alicuius verba, id quod factum esse ut potest ita minime necesse est, tum putemus illis apud Thucydidem verbis eandem vim inesse ac si dixisset auctor : TtaQekaaalvrjv av, id quod intellegi nequit, tamen ut Thucy- didem, non Herodotum (I, 179), id quod adhuc interpretes opinati sunt, hoc loco perstringi credamus, certioribus indiciis et testimoniis opus est. Ceterum qui cum Muellero-Str. facit, cogitur existimare, Thucydidis histo- rias tum non modo viris doctis, sed toti volgo notissimas fuisse; quae opinio nihil verisimilitudinis habet, quandoquidem posteriore aetate Thucy- didem ut auctorem ad sensum populärem parum accommodatum neglectum esse videmus.

De altero vero epope Aristophaneo (cf. v. 280 sqq.) Mueller-Str. quae- rere non debuit, num propter Thucydidis dissertationem de Tereo et Tora inventus sit; ipse enim poeta proximis versibus onmem dubitationem amovet: all ovTog f^iv kazi Oikoyiliovg

€^ ETtOTtog xtA. Deridetur igitur hoc loco Philoclis, poetae tragici, fabula, qua Sophoclis, ut videtur, exemplum imitatus Tereum in scenam produxerat. cf. schol.

1) Mueller-Str. hunc equum celeberrimum intellegit „equum aeneum Duridis". Sed cf. Od. VIII, 507 xoUov öoqv, ib. VlII, 493. Eur. Tr. 14. Ath. XIV, 610, c. Lucil. 95. (Anth, XI, 259); Dion. Hai. 1, 46.

462 Max Wiesemthal

Sed maioris momenti prima quidem specie esse videtur, quod Mueller- Str. in Aristophanis verbis, quibus lepidissime narratur, quomodo aves moenia aedificaverint , 7caQojölav, quae dicitur, inesse suspicatus est celerrimae illius munitionis oppidi Pyli, quam descripsit Thuc. IV, 5. Immane absurdum esse, alt, existimare, Pithetaerum auctorem ipsum rerum in ea comoedia gestarum, in qua et locorum et temporum ratio plane neglecta sit, muri aedificationem, in qua reliqua fabula nitatur, mendacium esse ob eam causam dicere posse, quod opus tarn celeriter confectum sit. cf. v. 1164 sqq.

XÖQog: ouTog tL Ttoieig; a^a x^avfzaCeig ott ovTw To reixog exretelxcOTaL raxv; Ilei^.: vri Tovg x^eovg eytjye' y.a\ yaq a^cov'

Xaa yccQ akrj^wg cpaLveTaL /hol xpevöeOLv.

Qua de causa crimen mendacii non pertinere ad nuntii verba, sed ad narrationem quandam de moenibus conditis, quam eo loco poeta in risus deflexerit. Exagitari igitur Thucydidem, quippe qui in communienda Pylo milites opera alias fabris commissa suis manibus, quin etiam sine instru- mentis exstruxisse auctor sit; eodem enim modo aves urbem suam commu- nire. At suo iure quaesiverit quispiam quonam alio modo poeta salva comoediae vi eas aedificantes faceret? Hie vereor ne vir ille elegantissimus notitia sua salum Aristophaneorum fretus nimium sub bis verbis inde a versu 1132 latere coniecerit. Iterum atque iterum deliberanti mihi non cavillatio quaedam hie latere videtur, quippe quae occultior fuisset, quam nt ipsi Athenienses eam statim intellegere possent, sed acumen illorum versuum 11 64 sqq. genere quodam facetiarum constare potius iudicaverim, quo persaepe comicorum ille princeps usus est. Namque poeta postquam spectatorum animos atque sensus eo addoxit, ut fabulam in scena actam paene re vera accidere putent, ipse praeter omnium exspectationem repente eam animi affectionem delet, cum talia per histrionem dicenda curat, qualia ieiuni et fastidiosi spectatores iudicare solent. Praeterea autem is, quo maxime nititur Mueller-Struebing, locus v. 1149 sq. Mein.

y.al vrj ^l al vfjTzal ye TCSQie^wGfxivac STtXiv^ocpoQovV avcü öh xbv vjtaywyia

€7t€T0VT €XOVOai Y.aTO'JtiV ....

oja7C€Q Ttaiöia

tbv uTjkdv Iv Toig GTOfiaoiv al x^^^^oveg

corruptus est

Neque vox vTtaywyevg cum Muellero vertenda esse alveus ad lutum

portandum (Lehmmulde), sed cum scholiastis truUa (Maurerkelle) potius

Quaestio Thucydidea. 463

intellegenda esse videtur (cf. Poll. YII, 125), ita ut de militibus Demo- sthenis lutum sine alveis portantibus nullo modo cogitari possit. Qua de causa similitudo, quam vis exigua, quae intercedit inter Thucydidem et Aristophanem , similitudini cuidam argumenti deberi mihi videtur neque coniecturam illam, qua Mueller-Str. poetam derisisse rerum scriptorem sibi persuasit, solidum tantae hypotheseos de priore annalium Thucydidearam editione fundamentum esse facile quisquam arbitretur.

Alteram probationis rationem secutus est Mueller-Str. in Quaest. Thu- cydideis (Thuk. Forsch, p. 43 sqq.). Quae inde conclusit quod Thucydides de Ehenea insula cum Delo a Nicia ponte coniuncta tacet quaeque ipsi viro docto parum auctoritatis habere videntur, licet hie praetermittere, si modo ceteris argumentis inest vis probationis. Mueller-Struebing igitur fieri potuisse negat, ut Thucydides post Niciae pacem, quin etiam inter bellum decem annorum nihil aliud faceret nisi silvam rerum ad conscri- bendas historias compararet. Neque enim dubium esse, quin ea quasi materia plebiscitorum et nuntiorum a viro illo ditissimo et amplissimo facile colligi potuerit, quare eum scribendo res gestas subsequi potuisse. Quodsi singulas res commentariorum in modum composuerit, pace a Nicia facta nihil reliquum fuisse nisi ut manus extrema operi accederet. Con- cedendum nobis erit, fieri potuisse, ut Thucydides haud multo post Niciae pacem commentarios de hello Archidamico et conficeret et in lucem ederet. At Muellero demonstrandum est, re vera. Thucydidis opus illo tempore foras datum esse. Secundum humani ingenii rationem aliter cogitari non posse, ait Mueller. Num enim rerum scriptorem ullum historiam belli Germanorum et Francogallorum ob eam causam emittere dubitaturum esse, quod duobus populis debellatum non esse intellexisset? Praeterea pace Niciana historico finem operis aptissimum arteque epici poetae dignum praebitum esse. Cui hominum his argumentis id persuadere Mueller sibi videtur? Prae humani animi ratione aliüs aliud fieri non posse confidit. Num Graecorum, num Thucydidis, quippe qui yiTrjf.ia kg ael fiallov ij aycjvLOfxa eg to TcagaxQ^^a azoveiv conscribere in animo haberet, tantum intererat novissima quaeque narrando explicare quantum nostrae aetatis hominum celerrimis actorum diurnorum nuntiis ut ita dicam corruptorum? Nonne maxime id agebant, ut opera quam maxima arte perpolirent? Nonne si Thucydidem in sermone laborare videmus, eum Horatii potius prae- ceptum: „nonum prematur in annum" secuturum fuisse verisimile est? Quis vero de re tam obscura certius quidquam iudicare potest?

Meliore ratione Mueller priorem exstitisse Thucydidis editionem ex ipsius scriptoris verbis, sed item mea quidem sententia frustra demonstrare conatus est. Cum initio operis scriptum legatur: Qovy.vdldr]g Lid^r^valog

I

464 Max Wibsenthal

^wdygaipe rbv TtoXefnov tujv nelouovvrjoicjv xal Ad^rivaiwv wg l/io- ?.i/nrjoav 7cgdg akkrjkovg ag^dfievog ev&vg y.aS-iaraiLiivoVfThMCj' didem dicere voluisse putat, se ab initio belli statim singulas res gestas referre coepisse, non modo materiam comparasse, ut reliqui interpretes ea verba intellegunt. Deinde eum res gestas scribendo prosecutum esse, Muellero-Str. apparere videtur e verbis wg hco'/Jfxrjoav 7CQdg a/ÄjJ/ott;, quae ita vertit in nostram linguam : Thukydides hat den Krieg der Pelo- ponnesier und Athener geschrieben, nicht auf einmal, sondern wie sie ihn führten, Schritt haltend mit den Ereignissen, gleich beim Beginn desselben anfangend, ßecte v. d. contendit verba wg e/co- lifirjoav non TCEQLoaoloyLav quandam continere, sed comparanda esse cum locis similibus: Y, 26, 1. reyQa(pe öe '/.al Tavza 6 avTog GovÄvdidi]g \Ad^rjvalog e^i]g aig eyiaota eyivero *) '/mtcc -S-igirj y.al xei(X(Jüvag et V, 26, 6 yLOL ta hteiTu wg €7tol€/j,i^d'r] €^rjyt]oo(^ac, Addere licet II, 1 yiyqaTttai dl l^\]g wg e^aOTa eyiyvsro xaza d-^gog 'Aal ;f€«^w>'a. Etiamsi vero par- ticulam wg bis locis eadem fere vi adhibitam esse atque k^rjg wg conce- damus, tamen inde de ratione, qua Thucydides in libris conscribendis usus sit, non ea concludenda sunt, quae Mueller-Struebing conclusit. Quicum- que enim ipsa scriptoris verba secutus non opinionem praeiudicatam iis probare studet, non eam sententiam subesse reperiet, Thucydidem hoc opus non uno tenore scripsisse, sed facile ita ea verba intelleget, scripsisse eum bellum quomodo gestum sit vel eo ordine quo gestum sit. Neque igitur coniunguntur narrando ea quae eodem loco gesta sunt vel ea facinora, quae similitudinem quandam praebent, sed auctor in digestione rerum ordinem anni cuiusque annalium aut fastorum modo servare studet. Quam- vis autem perspicua haec interpretatio mihi videatur, eam assensu U. de Wilamowitz-Moellendorff (Curae Thucyd. p. 19) et L. Herbsti (PhiL 40 p. 337 340), viri sermonis Thucydidei inter nostrates peritissimi, confir- mari gaudeo. Denique ut verba eygaipe tÖv tiöIsixov wc; euolefAriOav intellegi possint, scripsisse eum, ut Muelleri-Str. verbis utar: „schritthal- tend mit den Ereignissen", tamen ea re nuUo modo demonstratur id, quod Mueller-Str. demonstrare vult, Thucydidem librum de hello Archidamico post Niciae pacem etiam edidisse.

Illud quoque, quod Thucydides V, 20 in prooemio alterius partis operis sui eam temporum rationem, quam iam priore parte servavit, pro- bare studeat, alia causa illustrari non posse Mueller-Struebing opinatus est, nisi ea ratione post priorem librum editum ab aequalibus vituperata. Qua in re vir ille doctus in errorem incidit, cum in prooemio alterius

1) Mueller-Str. cum Classeno iylyvsro.

f

Quaestio Thucydidea. 465

partis inesse eam digressionem dicit; immo loco aptissimo, ubi prioris belli spatium computatur, in extrema parte priore tradita est ; altera pars initium capit ab V, 25. At forsitan quaesiverit quispiam, quanam causa adductus Thucydides suam temporum rationem defendere studuerit. Ea videlicet, quod Thucydidis ratio differebat ab aequalium veliit Hellanici, quem illo loco perstringi facile crediderim. Nullo vero argumento nititur ea opinio, Pisistratidarum Mstoriam bis enarratam esse, quod prior illius facinoris descriptio post opus publici iuris factum a nonnullis vituperata esset ^). Quo verisimilius sit Thucydidem post Niciae pacem historiam prioris belli ad finem perducere potuisse, Mueller-Struebing ea quoque, quae A. Schoene [Bursian, Jahresb. III (1875) p. 859] optime disseruit de difficultatibus, quae obstabant Thucydidi in comparanda materia histo- riarum, infirmare studet. Sed id nihil curat, Thucydidem, etsi coUigendi plebiscita, nuntios etc. facultas ei esset, tamen variis rebus impeditum fuisse, ne tantum opus inter ipsum bellum elaboraret et tamquam elu- cubraret, qaoniam rebus publicis interfuit atque eum non modo anno 424 praetorem, sed etiam aliarum expeditionum socium fuisse ipse Mueller- Struebing vix negaverit.

Cum autem ex illis quos supra commemoravimus locis Avium Aristo- phanearum satis apparere sibi persuaserit, Thucydidem historiam prioris belli initio anni 415 edidisse, vestigia illius editionis repperisse sibi vide- tur in Thucydidis ratione tractandi discordias Corcyraeorum, quae narran- tur in 11. III. et IV. [Fleckeisen. Ann. 1886 p. 585 sqq.J. Libro enim de hello Archidamico edito nonnuUos maxime de Cratippo cogitat Mueller-Struebing p. 613 adn. eam quoque narrationem vituperasse, quibus auditis Thucydidem eum locum retractavisse et correxisse. Quam rem retractatam post Thucydidis mortem inter commentarios repertam et ab „editore", qui summa quidem pietate, sed idem non minore stupiditate id studeret, ne quid commentariorum Thucydidis periret, velut pars altera discordiarum esset, libro IV. insertam esse, cum eam particulam operis ab auctore retractatam esse parum intellegeret.

Sed tota ea res et quasi circulus coniecturarum vacillat et Claudicat Vix enim quisquam ex iis, quae supra disseruimus, credat, demonstratum esse a Muellero-Struebing, priorem illam, quam statuit, editionem annalium re Vera sub pacem Nicianam publici iuris factam esse. Igitur hoc loco retractationis, quam factam esse Mueller-Struebing coniecit, causam fuisse vituperationem aequalium, quis est, qui credat? praesertim cum nova de

1) De dittographiis , quas vocant, apud Thuc. facio cum Herbstio Philol. 40,

p. 294 sqq.

30

466

Max Wiesbnthal, Quaestio Thucydidea.

editore annalium Thucydideorum coniectura opus sit, ut ratione compre- hendere possimus, quonam modo res et tractatae et retractatae operi Thucy- dideo insertae sint. Quibus rebus omnibus perpensis non habere nobis vide- mur, cur librum de bello decem annorum a Thucydide sub pacem Nicianam separatim editum esse Muellero-Struebiug credamus, sed omnibus praeser- tim veteribus scriptoribus tacentibus eam editionem omnem in opinione Muelleri-StruebiDg esse rectius nobis persuaserimus.

XXIII.

Bezogener Gebrauch scheinbar selbständig gebrauchter Präterita im Lateinischen.

Von

Emil Zimmermann (Rastenburg).

A. Vorbemerkungen.

Nach dem Vorgänge von I. Lattmann und H. D. Müller in ihrer lateinischen Grammatik, Göttingen 1864, lehren jetzt auch verschiedene andere Grammatiker, dass alle sechs Tempora der lateinischen Sprache sowohl in selbständiger als auch in bezogener Anwendung vor- kommen können. Diese Lehre suchen namentlich H. Lattmann und M. Wetzel zu stützen, so in ihren gleichnamigen Schriften : „Selbständiger und bezogener Gebrauch der Tempora im Lateinischen", Göttingen 1890 und Paderborn 1890. Ihren Ausführungen, soweit sie sich auf den selb- ständigen Gebrauch des Imperfekts und des Plusquamperfekts beziehn, bin ich bereits in meinen Besprechungen der genannten Schriften in der „Neuen Philologischen Rundschau" 1891, Nr. 12, S. 177 ff. und 1892, Nr. 20, S. 312 ff. entgegengetreten. Da das dort aber nur in sehr knapper Weise hat geschehn können, so will ich hier meine verschiedenes Neue bietenden Ansichten über den bezogenen Gebrauch mancher schein- bar selbständig gebrauchten Imperfekte, historischen Infinitive und Plus- quamperfekte, namentlich solcher, die von jenen Grammatikern als selb- ständig gebrauchte betrachtet werden, etwas näher auseinandersetzen.

Der Auseinandersetzung schicke ich einige allgemeineAngaben über den selbständigen Gebrauch des Perfekts und den bezoge- nen des Imperfekts, des historischen Infinitivs und des Plus- quamperfekts in der Zeitsphäre der Vergangenheit sowohl bei paratak- tischem als auch bei hypotaktischem Satzbau voran. Die Angaben stim- men mit solchen H. Lattmanns in verschiedenen Punkten überein.

Nicht die Form der Sätze, sondern ihr Inhalt entscheidet über

30*

468 Emil Zimmebmann

den Gebrauch der Tempora. Daher kann zum Ausdrucke vergangener Handlungen und Zustände sowohl in Haupt- als auch in Nebensätzen sowohl das Perfekt als auch das Imperfekt, der historische Infinitiv und das Plusquamperfekt stehn. Es kommt für die Wahl der Tempora nur darauf an, ob Handlungen oder Zustände lediglich vom Standpunkte in der Gegenwart aus als der Zeitsphäre der Vergangenheit angehörig oder ob sie zugleich andern Handlungen oder Zuständen jener Zeitsphäre als gleichzeitig oder vorzeitig hingestellt werden sollen. In jenem Falle tritt das selbständig gebrauchte Perfekt, in diesem das bezogen gebrauchte Imperfekt, der bezogen gebrauchte historische Infinitiv oder das bezogen gebrauchte Plusquamperfekt ein. Das Imperfekt und der historische In- finitiv bezeichnet dabei die Gleichzeitigkeit einer Handlung oder eines Zustandes, das Plusquamperfekt die Vorzeitigkeit einer Handlung oder eines Zustandes oder die Gleichzeitigkeit eines Zustandes, welcher aus einer Handlung der Vergangenheit hervorgegangen ist, im weitesten Sinne. Der Inhalt der Sätze ist entweder so, dass er gerade selbständig, oder so, dass er gerade bezogen gebrauchte Tempora erfordert, oder so, dass sowohl selbständig als auch bezogen gebrauchte Tempora gesetzt werden können. Diejenigen Handlungen oder Zustände, auf welche sich andere beziehn, können selbständig hingestellt, aber auch ihrerseits schon bezogen sein, können mit den auf sie bezogenen denselben, aber auch verschiedenen Perioden angehören, können ihnen vorausgehn oder nach- folgen, können von ihnen durch dazwischen erwähnte Handlungen oder Zustände getrennt sein. Meistens sind diejenigen Handlungen oder Zu- stände, auf welche sich andere beziehn, deutlich durch verba finita aus- gedrückt; doch tritt auch ziemlich häufig der Fall ein, dass man sie aus Andeutungen oder nur aus dem Zusammenhange ergänzen muss, da der Kedende oder Schreibende entweder unabsichtlich einen Gedanken- sprung gemacht oder absichtlich etwas als sich leicht von selbst ergebend und darum überflüssig fortgelassen hat

Endlich bemerke ich hier noch, dass ich in der folgenden Darstellung die von den genannten Grammatikern angeführten Beispiele, daneben aber den reichen Stoff, der in meinen vier Programmen de epistulari temporum usu Ciceroniano, Rastenberg 1886. 87. 90. 91, niedergelegt ist, und meine sonstigen nicht unbedeutenden Sammlungen benutze.

B. Bezogener Gebrauch scheinbar selbständig gebrauchter Im per- fekte, historischer Infinitive und Plusquamperfekte.

Die vielen Fälle, wo wir bei lateinischen Schriftstellern Handlungen oder Zustände im Impf., im historischen Infinitiv oder im Plpf. in eigen-

Bezogener Gebrauch scheinbar selbständig gebrauchter Präterita im Latein. 469

tümlicher Weise auf solche im Perf. oder in einem gleichwertigen Präsens oder auf solche im Impf., im historischen Infinitiv oder im Plpf., die ihrerseits schon auf Perfekte oder gleichwertige Präsentia bezogen sind, bezogen finden, lassen wir hier beiseite. Nun treffen wir aber nicht selten Imperfekte, historische Infinitive und Plusquamperfekte an, wo wir weder Handlungen oder Zustände im Perf. oder einem gleichwertigen Präsens noch auf solche bezogene im Imperf. oder historischen Infinitiv oder Plpf. vorfinden, auf welche die durch jene Tempora ausgedrückten Handlungen oder Zustände bezogen sein können. Dann scheinen jene Tempora selbständig gebraucht zu sein; bei genauerer Betrachtung und Vergleichung derartiger Stellen merkt man jedoch, dass sich die Sache ganz anders verhält.

I. Beziehung auf vorschwebende und in der Form des Perfekts oder des Präsens hinzuzuergänzende Handlungen oder Zustände der

Vergangenheit.

Der Schreiber oder Sprecher begnügte sich zuweilen in der erzählen- den Darstellung damit, die wichtigsten Handlungen oder Zustände der Vergangenheit durch Perfekte oder diesen gleichwertige Präsentia zum Ausdrucke zu bringen, und Hess die minder wichtigen fort, obgleich der genaue Zusammenhang ihren Ausdruck ebenfalls durch Perfekte oder diesen gleichwertige Präsentia erfordert hätte. An solchen Stellen aber finden wir zuweilen auch Imperfekte, historische Infinitive und Plusquamperfekte vor, deren Beziehung sofort vollständig klar ist, wenn wir uns die fortgelassenen, aber vorschwebenden Handlungen oder Zustände der Vergangenheit in der Form des Perfekts oder des Prä- sens hinzuergänzen, zumal sich diese Ergänzungen ausserordentlich leicht aus Andeutungen oder nur aus dem Zusammenhange ergeben.

a) Beziehung durch Imperfekte oder historische Infinitive aus- gedrückter Handlungen und Zustände und durch Plusquamperfekte ausgedrückter Zustände der Gleichzeitigkeit.

Wir achten zunächst auf Stellen, wo leicht Handlungen oder Zustände im Perfekt oder in einem gleichwertigen Präsens zu ergänzen sind, auf welche die durch Imperfekte oder historische Infinitive aus- gedrückten Handlungen oder Zustände oder die durch Plusquamper- fekte ausgedrückten Zustände der Gleichzeitigkeit sich beziehn.

So ist leicht zu ergänzen, dass, wenn ein Feldherr einen Beschluss fasste oder bewirkte, er ihn auch ausführte. Caes. b. G. 11, 8, 1 : Caesar . . . proelio supersedere statuit (sc. et supersedit) ; cotidie tamen

470 Emil Zihmbsmihn

equestribus proelüs . . . penclitabatur. Vgl. III, 3, 4. 4, 1 ff. Und wenn ein Feldherr einen Befehl gab, ergänzt man ebenfalls leicht, dass dieser zur Ausführung kam (vgl. b. G. III, 6, 1). b. c. I, 41 : Caesar . . . fossam ßeri iussit (sc. eaque facta est). Prima et secunda acies, ut ab initio constituta erat, permanebat; post hos opus in occulto a tertia acie ßebat. Ebenso ergiebt sich leicht, dass die Befehle des Tyrannen Dionysius ausgeführt wurden. Tusc. V, 21, 61 f.: Tum ad mensam eximia forma pueros delectos iussit consistere eosque nutum illius intuentes diligenter ministrare (sc. qui constiterunt et ministraverunt). Aderant unguenta, coronae, incendebantur odores, mensae conquisitissimis epulis exstruebantur. Fortunatus sibi Damocles videbatur. In hoc medio apparatu fulgentem gladium e lacunari saeta equina aptum demitti iussit , ut impenderet illius beati cervicibus (sc. gladiusque demissus est et impendit). Itaque nee pulcros illos administratores aspiciebat nee plenum artis argentum nee manum porn'gebat in mensam; iam ipsae defluebant coronae. Etwas früher, wo gesagt ist, dass Dionysius seine Töchter das Seheeren gelehrt habe, ergänzt man leicht, dass sie es lernten und anwandten. 20, 58 : Quin etiam . . . tondere filias suas docuit (sc. eaeque id didicerunt et in usu habuerunt), Ita . . . regiae virgines . . . tondebant barbam et eapillum patris. Femer wenn man anfing, den Hortensius zu wichtigeren Prozessen heranzuziehn, so denkt man sich leicht, dass das auch weiter geschah. Brut 88, 301: Hortensius ... ad maiores causas ad- hiberi coeptus est (sc. et postea adhibitus) ; quamquam inciderat in Cottae et Sulpicii aetatem, qui annis decem maiores erant, excellente tum Crasso et Antonio, dein Philippe, post lulio, cum his ipsis dicendi gloria com- parabatur . . . Vgl. Caes. b. G. lü, 3, 1 ff. b. c. 11, 9, 41. SaU. Cat. 31 , 1. Verr. II, 2, 37, 90. ad Att. I, 1,3. Wurde aber etwas im Senate vorge- bracht, so lässt sich ergänzen, dass darüber verhandelt wurde (vgl. Cic. de prov. consul. 11, 28: actum est dabant quaei^ebant), ad Att. II, 24, 2 : Kes delata ad senatum est (sc. et de ea actum). Introductus Vettius primo negabat se umquam cum Curione constitisse. IV, 2, 4 : Ille noctem sibi postulavit (sc. et de ea re actum est). Non concedebant; reminiscebantur enim Kai. lanuar. Vix tandem de mea voluntate con- cessum est. Der Catilinarier Volturcius will im Senate auf Ciceros Frage zuerst nicht mit der Sprache heraus (vgl. Cic. Cat. III, 5, 12 j. Sali. Cat. 47, 1 : Volturcius interrogatus de itinere . . . primo (sc. non aperit :) Jingere alia, dissimulare de coniuratione ; post... aperit... Dagegen schwebt vor, dass Catilina in der Versammlung auf das Verlangen der Anwesenden sich näher äusserte (vgl. Cic. Cat III, 4, 9 ff.). Sali. Cat. 24, 1 : Postulavere plerique, ut proponeret, quae eondicio belli foret, quae

Bezogener Gebrauch scheinbar selbständig gebrauchter Präterita im Latein. 471

praemia armis peterent, quid ubique opis aut spei haberent. Tum Cati- lina (sc. ea proposuit-^ polliceri tabulas novas . . . Hatte Catilina Grund, etwas zu thun, so that er es leicht. Sali. Cat. 15, 3: Quae quidem res mihi in primis videtur causa fuisse facinus matvrandi (sc. quod maturavit). Namque animus impudicus . . . neque vigiliis neque quietibus sedari pote- rat... Schlägt man ein Lager auf, so behält man es in der Regel zu- nächst bei. Caes. b. G.n, 7, 3: Castra posuerunt (sc. et kabuerunt); quae castra, ut fumo atque ignibus significabatur, amplius milibus passuum VÜI in latitudinem patebant. Vgl. II, 5, 4. Wenn Pausanias Änderungen in seinen Lebensgewohnheiten vornahm, so ist es selbstverständlich, dass diese anders wurden. Nep. Paus. 3, 1: Non enim mores patrios solum, sed etiam cultum vestitumque mutavit (sc. iique alii ac patrii fuerunt). Apparatu regio utebatur . . .

Hierher gehören namentlich in Briefen diejenigen Stellen, in welchen aus einem selbständigen scribis (scribit) oder scripsisti (scripsit) oder scrip- tum est oder einem ähnlichen Ausdrucke ein bezogenes scribebas (scri- bebat) oder scripseras (scripserat) oder scriptum erat oder ein ähnlicher Ausdruck geworden ist durch die Beziehung auf die hinzuzuergänzende Handlung des Lesens. Diese finden wir ausgedrückt an Stellen wie ad fam. I, 7, 1: Legi tuas litteras, quibus ad me scribis. ad. Att. IX, IIA, 1 : Ut legi tuas litteras, quibus mecum agebas ... ad fam. X, 26, 1 : Lectis tuis litteris, quibus declai^abas ... ad Att. H, 16, 4: nondum meas litteras legerat, quibus ad eum rescripseram . . . VI, 9, 3 : Intellexi ex tuis litteris . . . scribebas . . . monebas ... ad fam. XIII, 68, 1 : litterae, ex qui- bus cognovi . . . significabas enim . . . D. Bruti ep., ad fam. XI, 11, 1 : ex libellis eins aiiimadverti ... in quibus . . . scribebat. Zu ergänzen da- gegen ist die Handlung des Lesens an Stellen, wo nur gesagt ist, dass ein Brief dem Adressaten überbracht oder an ihn abgeliefert wurde oder dass er ihn empfing, ad Att. XIII, 45, 1 : Fuit apud me Lamia . . . epistolamque ad me attulit . . . (sc. eamque legi\ quae . . . declarabat . . . in qua extrema scriptum erat . . . VHI, 11 D, 3: At mihi, cum Calibus essem, adfertur (= allatum est) litterarum tuarum exemplum, quas tu ad Lentulum consulem misisses (sc. idque legi). Hae scriptae sie erant, litteras tibi a L. Domitio . . . allatas esse, earumque exemplum subscripseras, magni- que Interesse rei publicae [scripseras] ... V, 21, 4: eas . . . Laenius mihi reddidit (sc. easque legi) . . . Eae litterae cetera vetera habebant ... ad fam. III, 7, 2: Legati Appiani mihi volumen a te plenum querelae ini- quissimae reddideimut . . . (sc. idque legi); eadem autem epistola petebas . . . et simul peracute querebare ... ad Att. XIV, 17, 1 : Ibi mihi cenanti litterae tuae sunt redditae , . . (sc. easque legi\ in quibus multa sapienter, sed tamen

472 Emil Zihmbsmaitn

ta'ia, quem ad modum tute scribebas, ut . . . ad fam. III, 6, 4 : Ac mihi . . . redditae sunt a te litterae (sc. easque legi); quibus etsi te Tarsum pro- ficisci demonstrabas, tamen mihi non dubiam spem mei conveniendi ad- Jerebas, III, 11, 1: redditae mihi sunt uno tempore a te epistolae duae, quas ad me Q. Servilius Tarso miserat (sc. easque legi) ; earum in altera dies erat adscripta Nonarum Aprilium; in altera . . . dies non erat, ad Att V, 3, 2 : praeter quae mihi binae simul in Trebulano redditae sunt (sc. quasque legi)^ quarum alterae edictum P. Licinii habebant ... ad fam. Vn, 5, 2 : litterae mihi dantur (= datae sunt) a te (sc. quas legi)^ quibus in extremis scriptum erat ... IV, 14, 1 : Binas a te accepi litteras Corcyrae datas (sc. easque legi) ; quarum alteris mihi gratulabare . . . alteris dice- bas . . .11, 13, 1. III, 4, 1 : litteras tuas accepi (sc. et %^), quibus erat scriptum ... ad Att. VII, 12, 1. Die Handlung des Lesens ist auch dann zu ergänzen, wenn nur dasteht, dass der Brief abgesandt wurde, ad Att. VI, 1,2: Sin Appius, ut Bruti litterae, quas ad te misit (sc. et quas lagisti), signißcabantj gratias nobis agit, non moleste fero. XI, 7, 2 : Nam ad me misit Antonius exemplum Caesaris ad se litterarum (sc. quas legi), in quibus erat . . . deque eo vehementius erat scriptum . . . Itaque Antonius petebat a me per litteras (sc. quas legi) ut . . . XV, 5, 3 : Varro autem noster ad me epistolam misit . . . (sc. quam legi) ... in qua scriptum erat . . . Nep. Paus. 3, 4 : legatos cum clava ad eum miserunt (sc. isque eam legit), in qua more illorum erat scriptum . . . Doch haben wir auch Stellen, in denen weder die Absendung noch die Ablieferung oder der Empfang eines Briefes erwähnt ist, in denen aber dennoch die Handlung des Lesens im Perfekt zu ergänzen ist, auf welche die Beziehung erfolgt, ad Att. IV, 16, 1; De epistolarum frequentia te nihil accuso, sed pleraeque (sc. quas legi) tantum modo mihi nuntiabant, ubi esses, vel etiam signißcabant recte esse, quod erant abs te. XII, 41, 1 : Et, quod tu scire volebas (sc. in üs litteris, quas legi) . . . constitui ... ad fam. II, 15, 5: De Ocella parum ad me plane scripseras (sc. in iis litteris, quas legi) et in actis non erat, IX, 12, 2: Oratiunculam pro Deiotaro, quam requirebas (sc. in iis litteris, quas legi), habebam mecum, quod non putaram: itaque eam tibi misi. [ad Brut. I, 15, 3: Venio nunc longo sane intervallo ad quandam epistolam (sc. quam legi\ qua mihi multa tribuens umim reprehendebasy quod . . .] Hierher können auch diejenigen Stellen gerechnet werden, in welchen ein Perfekt zu ergänzen ist, das mit der in Briefen üblichen Auffassung von der Zeit und der Handlung des Schreibens oder Schickens ge- braucht ist. Solche Perfekte sind ausgedrückt Cael. ep., ad fam. VIII, 13, 2: Hortensius, cum has litteras scripsi, animam agebat, ad Att. IV, 10, 2: Ad eum postridie mane vadebam (= vadere volebam), cum haee scripsi.

Bezogener Gebrauch scheinbar selbständig gebrauchter Präterita im Latein. 473

ad Q. fr. II, 15 (16), 3 : Quo die haec scripsi, Drusus erat . . . absolutus . . . Ego eodem die post meridiem Vatinium er am defensurus. ad Att. IV, 17, 4 (16, 7): Scaurus . . . singulis diebus usque ad pr. Kai. Octobr., quo ego haec die scripsi, sublatis populo tributim domi suae satisfecerat ; sed tarnen, etsi uberior liberalitas huius, gratior esse videbatnr eorum, qui occuparant. IX, 17, 1: Trebatium VI. Kai., quo die has litteras dedi, exspeclabam, VII, 17, 5: Ego IV. Nonas Febr., quo die has litteras dedi, in Formiano, quo Capua redleram, mulieres exspectabam, quibus quidem scripseram . . . Capuae Nonis Febr. esse volebam, quia consules iusserant. ad fam. II, 8, 3 : Ego cum Athenis decem ipsos dies fuissem . . . proficiscebar (= proficisci volebam) inde pridie Nonas Quinctilis, cum hoc ad te litterarum dedi, ad Att. V, 21, 9: Idibus Februariis, quo die has «/ec^i litteras, forum insti- tueram agere Laodiceae. ad fam. II, 6, 1 : Nondum erat auditum . . . cum Sex. Villium . . . cum his ad te litteris misi. An solchen Stellen finden wir aber viel häufiger ein cum scribebam oder cum has litteras dabam vor (vgl. S. 478 ff.). Da nun ein solches wohl leichter dem Schreiber eines Briefes bei Angabe von Handlungen oder Zuständen, die der Zeit des Schreibens oder Schickens angehörten, vorgeschwebt haben mag als ein cum oder quo die haec scripsi oder dediy so führe ich Beispiele, in denen die Handlung des Schreibens oder Schickens, sei es im Perfekt oder sei es im Imperfekt, zu ergänzen ist, erst später an, wo von jenen Ausdrücken mit dem Imperfekt gehandelt werden wird (S. 486 ff".).

Auch sonst treten uns Stellen mit bezogen gebrauchten Imperfekten und Plusquamperfekten der Gleichzeitigkeit entgegen, in denen sich nicht genau feststellen lässt, ob ein Perfekt oder ein Imperfekt zu ergänzen ist, auf welches die durch jene Tempora ausgedrückten Handlungen oder Zu- stände sich beziehen, insbesondere, wo von einem Beisammensein und von einem Gespräche oder vom Gegenteil gehandelt wird. Auf die Ergänzung eines Perfekts weisen Stellen hin, in welchen ein solches dasteht, wie ad Att. XIII, 44, 1 : Brutus apud mefuit, cui quidem valde placebat me aliquid ad Caesarem. XIII, 45, 1 : Fuit apud me Lamia . . . itemque Balbo . . . videri Lamia dicebat und namenthch VI, 1, 3: Quoad mecum rex fuit, perbono loco res erat. VI, 5, 1 : ünde quidem quamdiu afuisti, magis a me abesse videbare, quam si domi esses. de rep. III, 42 : Quem tu, quoad vta;ü, omnibus anteponebas. Häufiger aber stehen an solchen Stellen Imperfekte da (vgl. S. 479 ff.), so dass man diese an ähnlichen Stellen wohl auch leichter ergänzt haben wird als Perfekte. Von Stellen, in denen solche Perfekte oder Imperfekte zu ergänzen sind, soll daher ebenfalls erst später die Rede sein (S. 487 ff.).

474 Emil Zimmermann

b) Beziehung durch Plusquamperfekte ausgedrückter Handlungen und Zustände der Vorzeitigkeit.

Auch bei Handlungen und Zuständen der Vorzeitigkeit, welche durch Plusquamperfekte ausgedrückt sind, haben wir oftmals die- jenigen Handlungen, auf welche sich jene beziehen, als Perfekte oder den Inhalt angebende Präsentia zu ergänzen.

Wenn der Schriftsteller an einer früheren Stelle eines Schriftstückes etwas geschrieben hat und an einer späteren darauf zurückkommt, steht das Plpf. in Beziehung auf den zu ergänzenden Gedanken, dass da- zwischen etwas anderes geschrieben worden ist. Dieser Gedanke ist ausgedrückt in Stellen wie ad fam. I, 9, 17: Ego autem cum illa sequor, quae paulo ante proposui (17), tum hoc non in postremis, de quo coeperam exponere (12). XIII, 63, 2: Sed vereor ne iam superesse mihi verba putes, quae dixeram{\. Anf.) defutura: commendo tibi hominem sie, ut intellegis me, de quo ea supra scripserim (1 Forts.), debere com- mendare. Der angegebene Gedanke ist zu ergänzen de off. I, 42: Deinceps, ut erat propositum (sc. ante quam ea supra diasi), de bene- ficentia ac de liberalitate dicetur. de or. II, 58, 237 : diligenter videndum est, quod in quarto loco quaerendi posueramus (235). ad fam. XV, 14, 6: Extremum iUud est de iis, quae proposueram (2) . . . de imp. 7, 17 : Ac ne illud quidem vobis negligendum est, quod mihi ego extremum pro- posueram (6)... 13,36: Quid ceterae, quas paulo ante commemorare coeperam (28) ... ad fam. 11, 3, 2 : Sed aliter, atque ostenderam (1), facio . . . Xni, 16, 4: Et tamen, quod negaveram (3), commendo tibi eum. XV, 4, 14 : quod paulo ante me negaveram (11) rogaturum, vehementer te rogo. ad Att. IV, 13, 6: Redeo igitur ad id . . . quod primo omiseram (1). ad fam. IV, 8, 2: Sed plura, quam statueram (1); redeo ... ad Q. fr. 11, 8, 2: Sed plura, quam constitueram (1): coram enim.

Wenn der Schreiber eines Briefes beim Schreiben desselben auf einen früheren Brief zurückkommt, ist zu ergänzen, dass zwischenein die Antwort erfolgt ist, in welcher der frühere Brief oder eine Angabe desselben in irgend einer Weise erwähnt wurde oder erwähnt wird. Dieser Zwischengedanke ist ausgedrückt ad Att. XIH, 32, 3 : Et, quod ad te de decem legatis scripsi, parum intellexti^ credo, quia öia atj^eitov scripse- ram, ad Q. fr. I, 2, 4, 12: Quod ad me de Hermia scribis, mihi meher- cule molestum fuit. Litteras ad te parum fraterne scripseram; quas oratione Diodoti . . . commotus de pactione statim quod audieram, iracun- dius scripsera7n. ad Q. fr. 11, 12, 4: De Caesarey^^era^ me ad te scribere. Video enim, quas tu litteras exspectaris. ad Att. XII, 1, 2. 45, 3. Der

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Zwischengedanke ist zu ergänzen ad Att. IV, 2, 3: Quod autem ad te scripseram, obscure fortasse, id eins modi est. Xu, 45, 3: De Caesare vicino scripseram ad te, quia cognoram ex tuis litteris. Eum ovvvaov Quirini malo quam Salutis. XV, 25 : Est enim hiberaa navigatio odiosa, eoque exte quaesieram mysteriorum diem. V, 12, 3: Cui iQi fugerat me rescribere . . . plane rogo. ad Q. fr. III, 9, 3 : De motu temporum venientis anni nihil te intellegere volueram domestici timoris, sed de communi rei publicae statu, in quo etiam si nihil procuro, tamen nihil curare vix possum. Zu ergänzen ist auch zuweilen, dass jemand etwas, das schon vorher bekannt gewesen war, mitgeteilt hat oder mitteilt oder etwas, das bereits geschehen war, angeregt hat oder anregt Ein solcher Zwischengedanke steht da ad Att. XII, 23, 3 : De Drusi hortis, quanti licuisse tu scribis, id ego quoque audier am et . . . heri ad te scripseram.

XIV, 19, 1: quod id ipsum, quod me mones, quadriduo ante ad eum scripseram exemplumque mearum litterarum ad te miseram, ad fam. Vn, 23, 4 : Quod ad me de domo scribis iterum, iam id ego proficiscens mandaram meae TuUiae: ea enim ipsa hora acceperam tuas litteras; egeram etiam cum tuo Nicia. ad Att. XIII, 25, 1 : De Andromene, ut scribis, ita putaram. XII, 23, 1. 45, 3. XIII, 21, 1. 50, 4. XIV, 14, 6.

XV, 12, 1. 27, 1. ad fam. VII, 9, 1. Ein solcher Zwischengedanke ist zu ergänzen ad Att. VII, 16,3: De Terentia et TuUia (sc. quod scribis) tibi adsentior, ad quas scripseram, ad te ut referrent. XII, 7, 2 : De Balbo (sc. quod scribis) et in codicillis scripseram et ita cogito, simul ac redierit. ad fam. IX, 4: De Coctio (sc. quod scribis) mihi gratum est; nam id etiam Attico mandaram. ad Att. XIII, 22, 2 : De Marcello (sc. quod scribis) scripserat ad me Cassius antea. ad fam. 111,41, 2: De re publica (sc. quod me mones) deque his negotiis cogitationibusque nostris perscripseram ad te diligenter paucis ante diebus easque litteras dederam pueris tuis. ad Att. XII, 20, 1 : De Terentia (sc. quod me mones) scripsi ad te iis litteris, quas dederam pridie. XVI, 1,5: Pindaro de Cumano (sc. quod scribis) negaram. VII, 8, 2 : Diem tuum (sc. ut scribis) ego quoque ex epistola quadam tua, quam incipiente febricula scripseras, mihi notaveram et animadverteram posse pro re nata te non incommode ad me in Albanum venire III. Nonas lanuar. XIII, 6, 4 : Tuditanum istum (sc. de quo scribis), proavum Hortensii, plane non noram et filium, qui tum non potuerat esse legatus, fuisse putaram. XVI, 2, 5: De Tutia (sc. quod scribis), ita puta- ram. Xn, 42, 3 : Venerat mihi in mentem monere te, ut id ipsum, quod (sc. ut scribis) facis, faceres. ad Q. fr. III, 1, 5, 17: Oppium (sc. quod scribis) miror quicquam cum Public; mihi enim non placuerat, ad Att. I, 13, 5. XV, 21, 2.

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Nicht selten fehlt der Gedanke, dass eine Änderung eingetreten oder trotz anderer Möglichkeit nicht eingetreten ist. Diesen Gedanken finden wir vor ad Att. VII, 23, 2 : Ego tarnen Philotimi litteris lectis mutavi consilium de mulieribus, quas, ut scripseram ad te, Romam re- mittebam. III, 1 3, 1 : Quod ad te scripseram me in Epiro futurum, postea quam extenuari spem nostram et evanescere vidi, mutavi consilium nee me Thessalonica commovi, ubi esse statueram, quoad aliquid ad me de eo scriberes, quod proximis litteris scripseras. ad fam. XIV, 15: Constitu- eramusj ut ad te antea scripseram, obviam Ciceronem Caesari mittere, sed mutavimus consilium, quia de illius adventu nihil audiebamus. ÜI, 6, 2. ad Att. XVI, 10, 1. Pomp, ep., ad Att. Vm, 12 B, 1. ad fam. IV, 4, 4: Ego rogatus mutavi meum consilium ; nam statueram ... in perpetuum tacere. Fregit hoc meum consilium et Caesaris magnitudo animi et senatus officium, ad fam. V, 4, 1 : Litterae Q. fratris et T. Pomponii . . . tantum spei dederant, ut . . . Postea mihi non tarn meorum litterae quam ser- mones eorum, qui hac iter faciebant, animum tuum immutatum significa- bant. I, 8, 3 : Quae enim proposita fuerant nobis . . . ea sublata tota sunt . . . Commutata tota ratio est senatus, iudiciorum, rei totius publicae. Nep. Ale. 5, 5 : Horum in imperio tanta commutatio rerum facta est , ut Lacedaemonii, qui paulo ante victores viguerant, perterriti pacem peterent. Caes. b. G. VI, 12, 6. ad Att. VI, 6, 3: Tamen, dum impendere Parthi vide- bantur, statueram fratrem relinquere aut etiam rei publicae causa contra senatus consultum ipse remanere; qui postea quam incredibili celeritate discesserunt, sublata dubitatio est. n, 9, 1 : Festive, mihi crede, et minore sonitu, quam putaram, orbis hie in re publica est conversus. de olBf. I, S4. ad Att. VI, 1, 3: Nunc venio ad Brutum, quem ego onmi studio te auetore sum complexus, quem etiam amare coeperam, sed ilieo revocavi me. II, 21, 5: Putarat Caesar oratione sua posse impelli eontionem, ut iret ad Bibulum; multa cum seditiosissime diceret, vocem exprimere non potuit. Vn, 3, 8: Et id, quod animum induxerat, non tenuit. HC, 18, 1 : Exspecta- tionem nobis non parvam attuleras, cum scripseras . . . Utrum id nihil yw/V, an adver satae sunt Caesaris litterae? X, 11, 1: Obsignata iam epistola superiore non placuit ei dari, cui constitueram^ quod erat alienus; itaque eo die data non est. III, 6: Non fuerat mihi dubium, quin te Tarenti aut Brundisii visurus essem . . . Quoniam id non contigit, erit hoc quoque in magno numero nostrorum malorum. ad. fam. VII, 5, 1. 2. IX, 20, 1. X, 22, 2. Caelii epp., ad fam. VIII, 9, 2. 11, 2. Planci ep., ad fam. X, 21, 2—5. Ein solcher Gedanke ist zu ergänzen ad fam. IV, 13, 2 f.: Obtinemus ipsius Caesaris summam erga nos humanitatem, sed ea plus non potest quam vis et mutatio omnium rerum atque temporum (sc. quae est facta). Itaque

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orbus iis rebus omnibus, quibus et natura me et voluntas et consuetudo adsuefecerat, cum caeteris, ut mihi videor, tum mihi ipse displiceo. ad Att. n, 6, 1 : Quod tibi superioribus litteris promiseram , fore ut opus exstaret huius peregrinationis (sc. mutavi consilium), nihil iam magno opere confirmo. VII, 16, 3: De Terentia et Tullia tibi adsentior; ad quas scripseram, ad te ut referrent; si nondum profectae sunt, nihil est, quod se moveant, quoad perspiciamus , quo loci sit res. 11,20, 5: Quod scrip- seram ut Furnio scripturum, nihil necesse est tuum nomen mutare. Me faciam Laelium et te Atticum. XIV, 14, 6: Quod me cogitare iubes, cogitabo equidem, etsi tibi dederam superiore epistola cogitandum. I, 11, 2. n, 7, 5. Vm, 5, 1. XI, 10, 2. 18, 1. 23, 1. XII, 14, 1. CaeHi ep., ad fam. Vin, 3, 1. ad Att. II, 6, 1 : A scribendo prorsus abhorret animus. Etenim yB(i)yQaq)iY.ä, quae constituerami magnum opus est: ita valde Eratosthenes, quem mihi proposueram^ a Serapione et ab Hipparcho reprehenditur. IX, 15, 4. XIV, 13, 4. XVI, 11, 6. 11, 19, 3: Equidem malueram, quod erat susceptum ab illis, silentio transiri; sed vereor, ne non liceat. XHI, 21, 3. 44, 1. ad *Q. fr. in, 1, 4, 14. ad Att. XIV, 15, 3: Incipit res melius ire, quam puiaram. II, 7, 4. 19, 2. IV, 4b, 1. VI, 1, 2. Vn, 3, 5. XIH, 5, 1. ad fam. n, 13, 3. VII, 25, 1. Metelli ep., ad fam. V, 1, 1. Caelii ep., ad fam. Vin, 6, 1. ad Att. I, 14, 6: Habes res Romanas. Sed tamen illud, quod non speraram, audi. IX, 10, 7: Si tum dubitaras, nunc certe non dubitas. Att. XII, 13, 2: Quod enim dixerat, non facit. 11, 4, 1. XIV, 9, 3. ad fam. IX, 6, 6. XII, 29, 2. ad Att. XIII, 44, 3: Libonem mecum habeo, et habueram antea Cascam. ad fam. IX, 18, 3: Ipse melior fio, primum valetudine, quam intermissis exercitationibus amiseram. ad Q. fr. I, 2, 5, 16: Si qui antea aut alieniores fuerani aut languidiores, nunc horum regum odio se cum bonis coniungunt. ad. Att. XV, 28 : Ego, ut ad te pridie scripseram,, Nonis constitueram venire in Puteolanum. Ibi igitur cotidie tuas litteras exspectabo. XII, 7, 2. XIII, 22, 3. ad fam. V, 19, 1 : Exstatque id, quod mihi ostenderas quibusdam litteris ... ad Q. fr. III, 5 und 6, 2 : Ego autem id ipsum tum er am secutus, ne in nostra tempora incurrens offenderem quempiam. Nunc et id vitabo et loquar ipse tecum, et tamen illa, quae institueram, ad te, si Romam venero, mittam. ad fam. 11, 13, 1 : Etsi omnia sie constitueram mihi agenda, ut tu admonebas, tamen con- firmantur nostra consilia, cum sentimus prudentibus fideliterque suaden- tibus idem videri. ad Att. XV, 13, 4: Proficiscor, ut constitueram^ legatus in Graeciam? VII, 18, 1: Responsa Pompeii grata populo et probata contioni esse dicuntur: ita putaram, V, 8, 3: Philotimus, ut ego ei coram dixeram mihique ille receperat, ne sit invito Milone in bonis. Nihil nobis fuerat tanti. VII, 3, 8 : Idem initio fuerat et nunc est egregius. de fin.

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V, 14,40: Ita similis erit ei finis boni atque an tea yi/era/, neque idem tarnen, ad fam. HI, 6, 5 : In quo, tuo consüio ut me sperarem esse usurum, et amicitia nostra et litterae iuüe fecerant, quod ne nunc quidem despero.

IL Gegenseitige Beziehung von Handlungen oder Zuständen im Imper- fekt, im historischen Infinitiv oder im Plusquamperfekt der Gleichzeitigkeit.

Wir finden sowohl bei hypotaktischem als auch bei parataktischem Satz- bau oft Imperfekte, zuweilen auch historische Infinitive oder Plusquamper- fekte der Gleichzeitigkeit vor, ohne dass Handlungen oder Zustände im Perfekt oder einem gleichwertigen Präsens oder auf solche bereits bezogene im Imperfekt oder historischen Infinitiv oder Plusquamperfekt dastehn oder zu ergänzen sind, auf welche sich die durch jene Tempora ausgedrückten Handlungen oder Zustände beziehn. Der Gebrauch jener Tempora ist dann durch die gegenseitige Beziehung von Handlungen oder Zustän- den zu erklären.

a) Ausdruck zweier oder mehrerer Handlungen oder Zustände durch Imperfekte, historische Infinitive oder Plusquamperfekte der Gleichzeitigkeit

Wir müssen hier zunächst unser Augenmerk auf solche Stellen richten, in welchen wir zwei oder mehrere Handlungen oder Zustände haben, welche durch Imperfekte, historische Infinitive oder Plusquamperfekte aus- gedrückt sind, ohne dass Beziehung auf dastehende oder zu ergänzende Handlungen oder Zustände im Perfekt oder einem gleichwertigen Präsens oder auf bereits auf solche bezogene stattfindet

Während z. B. bei hypotaktischem Satzbau an Stellen wie Cat H, 1, 1 : Loco ille motus est, cum est ex urbe depulsus selbständig gebrauchte Perfekte, an Stellen wie de div. H, 3 : Sex libros de re publica tum scrip- simus, cum gubernacula rei publicae tenebamus im Nebensatze Beziehung auf den Hauptsatz und an Stellen wie ad Att. IX, 17, 1 : Trebatium VI. Kai., quo die has litteras dedi, ewspectabam im Hauptsatze Beziehung auf den Nebensatz haben, erscheint an Stellen wie ad Att Vni, 16, 2: Cum haec scribebam IV. Nonas, iam exspectabam aliquid a Brundisio die gegen- seitige Beziehung; denn es ist hier die im Imperfekt stehende Hand- lung des Nebensatzes ebenso auf die im Imperfekt stehende des Haupt- satzes wie die des Hauptsatzes auf die des Nebensatzes bezogen.

Bei dieser gegenseitigen Beziehung können auch solche Plusquam- perfekte erscheinen, welche die Gleichzeitigkeit von Zuständen aus- drücken und somit den Imperfekten gleichwertig geworden sind, wie an der Stelle ad fam. XU, 6, 2 : Res, cum haec scribebam, erat in extremum

Bezogener Gebrauch scheinbar selbständig gebrauchter Präterita im Latein. 479

adducta discrimen. Dagegen kann von gegenseitiger Beziehung zwischen Handlungen oder Zuständen im Imperfekt und Plusquamperfekt nicht mehr die Rede sein, wenn das Plusquamperfekt eine vorzeitige Handlung oder einen solchen Zustand bezeichnet. Dann kann nur Beziehung der einen Handlung oder des einen Zustandes auf die andere Handlung oder den anderen Zustand stattfinden, während für diese andere Handlung oder den anderen Zustand auch eine andere Art der Beziehung vorhanden sein muss.

Die gegenseitige Beziehung tritt uns besonders oft bei hypotak- tischem Satzbau entgegen, namentlich wenn der untergeordnete Satz ein temporaler ist

So haben wir diesen Gebrauch im Briefstile, wie die zuletzt an- geführten Beispiele zeigten. Ihnen füge ich hier folgende hinzu : ad fam. XVI, 10, 2 : Pompeius erat apud me, cum haec scribebani, hilare et lubenter. in, 1 3, 2 : Cum haec scribebanii censorem iam te esse sperabam. So weiter cum scribebam im Neben- und ein Imperfekt im Hauptsatze V, 12, 2. 20, 5. VI, 4, 1. 21, 1. XII, 10, 1. 24, 2. ad Att. V, 20, 5. VIII, 9, 4. 15, 3. XV, 13, 1. ad Q. fr. IH, 2, 1. [ad Brut. I, 18, 3. 11, 1, 1]. ad Att. XV, 27, 3 : Cum haec acriberem, adventabat (sollte ankommen) avurj ßovlvaei cenantibus nobis. HI, 21 : Triginta dies erant ipsi, cum has dabam litteras, per quos nullas a vobis acceperam. V, 2, 1 : A. d. VI. Idus Maias, cum has dabam litteras, ex Pompeiano proficiscebar (= proficisci cogitabam). V, 15, 3. [ad Brut. I, 10, 5]. Planci ep., ad fam. VIH, 23, 3.

Aber nicht nur im Briefstile, sondern auch in der sonstigen Sprache finden wir diesen Gebrauch, natürlich ebenfalls an solchen Stellen von Briefen, in denen uns der gewöhnliche Sprachgebrauch entgegentritt, ad Att. XIV, 8, 1 : Tu me iam rebare, cum scribebas, in actis esse nostris, et ego accepi XVII. Kai. in deversoriolo Sinuessano tuas litteras. ad fam. III, 7, 3: Quid? Cum dabas iis litteras, per quas mecum agebas, ne eos impedirem, quo minus ante hiemem aedificarent, non eos ad me venturos arbitr abare'? [ad Brut. 1, 14, 1 : Sed videlicet, cum illam pusillam epistolam ad me dabas, nondum erat tibi id notum]. ad fam. I, 1,1: Res agitur per eosdem creditores, per quos, cum tu aderas, agebatur. ad. Att. XII, 39, 2 : De tabellariis facerem, quod suades, si essent uUae necessariae litterae, ut erant olim, cum tamen brevioribus diebus cotidie respondebant tem- pori tabellarii; et erat aliquid, Silius, Drusus, alia quaedam; nunc nisi Otho exstitisset, quod scriberem, non erat; id ipsum dilatum est. ad fam. VI, 21, 1: Cum aliquid videbatur caveri posse, tum id neglegi do/ebam; nunc vero eversis omnibus rebus, cum consilio profici nihil possit, una ratio videtur, quicquid evenerit, ferre moderate. VI, 2, 2: Sin omnino

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interierint omnia fueritque is exitus, quem vir pradentissimus , M. Anto- nius, iam tum l/mebat, cum tantum instare malorum suspicabatur, misera est illa quidem consolatio. de off. III, 26 : Itaque tum, cum resectis pal- pebris illigatus in machina vigilando et fame necabatur, erat in meliore causa, quam si domi senex captivus, periurus consularis remansisset. p. Sest. 21, 47: Aut ego illas res tantas in tanta improborum multitudine cum gerebam, non mihi mors, non exilium ob oculos versabaturf Verr. n, 2, 11, 29: Sed tu, cum et tuos amicos in provinciam quasi in praedam invitabas et cum iis et per eos praedahare et eos in contione anulis aureis donabas, non slatuebas tibi non solum de tuis, sed etiam de illorum factis rationem esse reddendam? Tusc. V, 20, 57 : Ea enim ipsa, quae concupierat, ne tum quidem, cum omnia se posse censebat, consequebatur. Pis. 26 : An tum eras consul, cum in Palatio domus mea ardebatf Cat. DI, 2, 4: Nam tum, cum ex urbe Catilinam eiciebam . . . sed tum, cum illum extermi- nari volebam, aut reliquam coniuratorum manum simul exituram aut eos, qui restitissent, infirmos sine illo ac debiles fore putabam. Cat m. 6, 15: cum rem publicam consilio et auctoritate defendebant, nihil agebant? p. Dei. 1,3: Fugitivi autem dominum accusantis . . . cum eos videbam, cum verba audiebam, non tam adflictam regiam condicionem dolebam quam de fortunis communibus extimescebam, p. Flacco 1. Caes. b. G. V, 35, Iff. Cat. in, 7, 16: Quem quidem ego cum ex uihQ peliebam, hoc providebam animo . . . ille erat unus timendus ex istis omnibus, sed tam diu, dum urbis moenibus continebatur. de sen. 22, 79 : Neque enim, dum erain vobis- cum, animum meum videbatis, sed eum esse in hoc corpore ex iis rebus, quas gerebam, intellegebatis, ad Att. XII, 18, 1 : Dum illud tractabam, de quo ad te ante scripsi, quasi fovebam dolores meos ; nunc omnia respuo, nee quicquam habeo tolerabilius quam solitudinem. XIII, 18: Conloqui videbamu?^ in Tusculano cum essem ; tanta erat crebritas litterarum. 1, 1 7, 1 : quibus ego mederi cum cuperem antea saepe et vehementius etiam post sortitionem provinciae, nee tantum intellegebam . . . nee tantum pj^oficiebam . . . Verr. II, 3, 40, 94 : Antea cum equester ordo tudicaret, improbi et rapaces magistratus in provinciis inserviebant publicanis ... tu sie ordinem sena- torium despexisti ... de or. II, 188: Haee sunt illa, quae me ludens Crassus modo flagüabat, cum a me divinitus tractari solere diceret et in causa M.' Aquilii, Gaii Norbani nonnuUisque aliis quasi praeclare acta laudaret; quae mehercule ego, Crasse, eum a te tractantur in causis, hor- rere soleo. de fin. n, 16, 51. Caes. b. G. I, 50, 4: Cum ex captivis quae- reret (bei, während seiner Nachforschung) Caesar... hanc reperiebat causam ... 11, 4, 1 : Cum ab bis quaereret ... sie reperiebat ... 1 5, 3 : Caesar eum quaereret, sie reperiebat . . .

Bezogener Gebrauch scheinbar selbständig gebrauchter Präterita im Latein. 481

Die gegenseitige Beziehung finden wir auch sonst bei hypotak- tischem Satzbau.

Dabei können verschiedene Arten von untergeordneten Sätzen erscheinen.

Der untergeordnete Satz kann ein Relativsatz sein.

Briefstil: ad Att. VI, 1,2: Eo ipso die, quo haec ante lucem ^cW^e- bam, cogUabam eius multa inique constituta et acta tollere. XTTT, 15: Quo autem die has Valerio dabam-, exspectabam aliquem meorum; qui si venisset et a te quid attulisset, videbam non defuturum, quod scriberem. I, 1, 1 : Nos autem initium prensandi facere cogitaramus eo ipso tempore, quo tuum puerum cum his litteris proficisci Cincius dicebat.

Gewöhnücher Sprachgebrauch : ad fam. XY, 20, 2 : Quamquam duae causae sunt, cur tu frequentier in isto officio esse debeas quam nos : primum quod olim solebant, qui Romae erant, ad provincialis amicos de re publica scribere, nunc tu nobis scribas oportet. Verr. n, 1,47, 124: Utrum reprehendis, quod patronum iuvabat eum, qui [tmn] in miseriis eratj an quod alterius patroni mortui voluntatem conservabaty a quo sum- mum beneficium acceperat. ad Att. XV, 29, 3 : Signata iam epistola For- miani, qui apud me cenabant, Plancum se aiebant hunc Buthrotium pridie, quam hoc scribebam, id est III. Nonas, vidisse demissum, sine phaleris. V, 16, 4: De Partho silentium est, sed tamen concisos equites nostros a barbaris nuntiabant ii, qui veniebanL V, 4, 1 : Postea mihi non tam meorum litterae quam sermones eorum, qui hac iter faciebant, animum tuum immutatum s?'gmßcabant; quae res fecit, ut tibi litteris obstrepere non auderem. Cat. II, 6, 14: In exsilium eiciebam, quem iam ingressum esse in bellum videbam? Caes. b. G. IV, 26, 4 : Quod cum animadvertisset Caesar, scaphas longarum navium, item speculatoria navigia militibus com- pleri iussit et, quos laborantes conspexerat (= videbat), his subsidio sub- mittebat. V, 35, 1 ff. Phaedr. I, 17: Calumniator ab ove cum peteret (bei, während der Anwesenheit und Unterredung), Quem commodasse panem se contenderet, Lupus citatus testis non unum modo Debere dixit, verum adfirmavit decem. ad Att. I, 17,1: Atque illud a me iam ante intellege- batur, quod te quoque ipsum discedentem a nobis suspicari videbam

Der untergeordnete Satz kann ein Vergleichungssatz sein.

Briefstil: ad Att. IV, 1 5, 8 : Haec ego pridie scribebam, quam comitia fore putabantui'.

Gewöhnlicher Sprachgebrauch: p. Cael. 31, 75: Qua ex vita vel dicam quo ex sermone nequaquam enim tantum erat^ quantum homines loque- bantur—Yeima ex eo quicquid erat emersit. ad. Att. 1, 17, 1: quibus ego mederi cum cuperem antea saepe et vehementius etiam post sortitionem

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provinciae, nee tantum intellegebam ei esse offensionis, quantum litterae tuae declarant, nee tantum proficiebam^ quantum votebam, Tuse. I, 13,29: tantum sibi persuaserant , quantum natura admonente cognoverant . . , Verr. V, 90 : neque ii tam praedonum impetum fugiebant^ quam impera- torem sequebantur, p. Dei. 3 : non tam adflietam regiam condieionem Jole- bam, quam de fortunis eommunibus extimesceham. b. Alex. 27 : Quem ad modum autem optabat eum vinci, sie satis habebat interclusum a Caesare a se retineri. Caes. b. G. VII, 48 : Interim ii . . . magno eoncursu eo eon- tenderunt. Eomm ut quisque primus vener ai (= aderat), sub muro con- sistebat suorumque pugnantium numerum augebat. p. dom. 7S : non prius hanc civitatem amütebant, quam erant in eam recepii.

Der untergeordnete Satz ist ein Concessivsatz.

Briefstil: ad Att. IX, 1, 1 : Etsi, eum tu has litteras legeres, putabam fore ut scirem iam, quid Brundisii aetum esset nam Canusio IX. Kai. profeetus erat Gnaeus, haec autem seribebam pridie Nonas, XIY. die quam ille Canusio moverat tamen angebar singularum horarum exspectatione mirabar({ue nihil allatum esse ne rumoris quidem; nam erat mirum silentium. ad fam VI, 21, 1 : Etsi, eum haee ad te seribebam, aut adpropinquare exitus huius ealamitosissimi belli aut iam aliquid aetum et eonfeetum videbatur, tamen eotidie commemorabam ^ , . or. 41,140: De quo cum mihi deineeps viderem esse dieendum, etsi movebant iam me illa, quae supra dixeram, tamen iis, quae sequuntur, perturbabar magis. ad Att. VII, 1,1: Dederam equidem L. Saufeio litteras et dederam ad te unum, quod, eum non esset temporis mihi ad scribendum satis, tamen hominem tibi tam familiärem sine meis litteris ad te venire nolebam, [ad Brut. I, 15,2: Quem eum a me dimittens graviter yerr<?wi, hoc leva- bar uno, quod ad te tanquam ad alterum me proficiseens et offieio funge- batur et laudem maximam sequebatur]. ad fam. XII, 7, 2. ad Att. VI, 5, 3.

Gewöhnlieher Sprachgebraueh : de or. I, 35, 160: Sed quamquam satis iis, qui aderant, ad id, quod erat propositum, ^icivim videbatur, tamen sen- tiebat . . . Sali. Cat. 31, 4: At Catilinae erudelis animus eadem illa move- bat, tametsi praesidia parabantur et ipse lege Plautia interrogatus erat ab L. Paulo, ad Q. fr. I, 1, 1, 1 : Nam superioribus litteris, non unis, sed pluribus, eum iam ab aliis desperata res esset, tamen tibi ego spem maturae deeessionis adferebam. lEE, 2, 2 : Cum Gabinius , quaeumque veniebat, triumphum se postulare dixisset subitoque bonus imperator noetu in urbem, hostium plane, invasisset (se. in eaque esset), in senatum se non committebat.

Der untergeordnete Satz ist ein Bedingungssatz.

Briefstil : ad fam. Xm, 7, 3 : Nisi magnam spem haberem C. Caesari

Bezogener Gebrauch scheinbar selbständig gebrauchter Präterita im Latein. 483

HOS causam municipii probaturos, non erat causa, cur a te hoc tempore aliquid contenderem.

Gewöhnlicher Sprachgebrauch : Verr. III, 40, 93 : Hunc ordinem si dignitate antecellere non existimabaa y ne hoc quidem sciebas, iudicare? Q. Metelli ep., ad fam. V, 1, 1: Quem si parum pudor ipsius def endebat, debebat vel familiae nostrae dignitas vel meum Studium erga vos remque publicam satis sublevare. Nunc video illum circumventum, me desertum, a quibus minime conveniebat. Caes. b. G. V, 35, 1 ff.

Der untergeordnete Satz ist ein Kausalsatz.

Briefstil: ad Att. XV, 9, 2: Hoc autem tempore, quod scriberem, nihil erat eoque minus, quod duhitabam, tu has ipsas litteras essesne accepturus ; erat enim incertum , visurusne te esset tabellarius. ad Q. fr. 111,1,5.15: Quod Cato non valebat, adhuc de pecuniis repetundis non et^at postulatus. [ad Brut. 1, 15,2]. ad fam. X, 1, 2. XIII, 10, 1: Cum ad te tuus quaestor, M. Yarro, proficisceretur, commendatione egere eum non putabam; satis enim commendatum tibi eum arbitrabar ab ipso more maiorum. ad Att. I, 9, 1 : Propter hanc dubitationem brevior haec ipsa epistola est, quod, cum incertus essem, ubi esses, nolebam illum nostrum familiärem sermonem in alienas manus devenire.

Gewöhnlicher Sprachgebrauch: ad Q. fr. III, 1, 3, 10: De publicis negotiis, quae vis ad te Tironem scribere, neglegentius ad te ante scribebam^ quod omnia minima maxima ad Caesarem mitti sciebam. ad fam. XU, 30, 2 : Nam cum antea distinebar maximis occupationibus, propterea quod Omnibus curis rem publicam mihi tuendam putabam, tum hoc tempore multo distineor vehementius. ad Att. X, 16, 1 : Quod quia plane, cum in Formianum venisset, praeciderat, asperius ad te de eo scribere solebam, IV, 16, 1 : De epistolarum frequentia te nihil accuso, sed pleraeque tantum modo mihi nuntiabant, ubi esses, vel etiam significabant recte esse, quod ej^ant abs te. Caes. b. G. V, 7, 1 ff. : Qua re cognita Caesar, quod tantum civitati Aeduae dignitatis tribuebat, coercendum atque deterrendum, quibus- cumque rebus posset, Dumnorigem statuebat, quod longius eins amentiam progredi videbat^ prospiciendum, ne quid sibi ac rei publicae nocere posset. Itaque dies circiter XXV in eo loco commoratus, quod Corus ventus navi- gationem impediebat . . . dabat operam, ut . . . tandem idoneam nactus tempestatem milites equitesque conscendere in naves iubet. ad Q. fr. I, 1, 1, 1: Nam superioribus litteris, non unis, sed pluribus, cum iam ab aliis res desperata esset, tamen tibi ego spem maturae decessionis ad- ferebam, non solum ut quam diutissime te iucunda opinione oblectarem, sed etiam quia tanta adhibebatur et a nobis et a praetoribus contentio,

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ut rem posse confici non diffiderem. ad Att. I, 17, 1: Sed tarnen hoc me ipse consolabar, quod non dubüabam, quin . . . Verr. II, 1, 17, 46: Postridie cum fanum spoliatum viderent ii, qui Delum incolebant, graviter /ere- bant ... ad Att VH, 28, 1. |

Die gegenseitige Beziehung zeigt sich auch bei parataktischem Satzbau, wenn die Sätze ihrem Inhalte nach so enge zusammengehören wie in den angeführten Stellen mit hypotaktischem Satzbau.

Briefstil: ad fam. X, 25, 3 : Omnino plura me scribere, cum tuum tantum consilium iudiciumque sit, non ita necesse arbitrabar; sed tamen sententiam meam tibi ignotam esse nolebam. VI, 4, 1 : Novi, quod ad te scriberem, nihil erat, et tamen, si quid esset, sciebam te a tuis certiorem fieri solere. 11,12,1: SoUicitus equidem er am de rebus urbanis; ita tumultuosae contiones, ita molestae Quinquatrus adferebantur nam citeriora nondum audiebamus sed tamen nihil me magis soUicüabat quam in bis molestiis non me, si quae ridenda essent, ridere tecum : sunt enim multa, sed ea non audeo scribere. ad Att XII, 41, 1 : Nihil erat quod scriberem; scire tamen volebam, ubi esses. XL17, 1: Ego cum Sallustio Ciceronem mittere cogüabam; Tulliam autem non videbam esse causam cur diutius mecum tanto in communi maerore retinerem: itaque matri eam, cum primum per ipsam liceret, eram remissurus.

Gewöhnlicher Sprachgebrauch: ad fam. VI, 11, 1: Dolabellam antea tantum modo dih'gebam; obligatus ei nihil eram nee enim acciderat mihi opus esse et ille mihi debebai, quod non defiieram eins pericur lis : nunc tanto sum devinctus eins beneficio, quod et antea in re et hoc tempore in salute tua cumulatissime mihi satis fecit, ut nemini plus debeam. Liv. V, 4, 5 : Moleste antea ferebat miles se suo sumptu operam rei publicae praebere ; gaudebat idem partem anni se agrum suum colere, quaererey unde domi militiaeque se ac suos tueri posset: gaudet nunc fructui sibi rem publicam esse et laetus Stipendium accipit Sali. Cat. 23, 5 : Ea res in primis studia hominum accendit ad consulatum mandan- dum M. Tullio Ciceroni. Namque antea pleraque nobilitas invidia aestuabat et quasi poUui consulatum credebant, si eum quamvis egregius homo novos adeptus foret. Sed ubi periculum advenit, invidia atque superbia post fuere. ad Att II, 7, 2 : Equidem ante, quam tuas legi litteras, hominem Ire cupiebam, non mehercule, ut diflPerrem cum eo vadimonium . . . sed videbatur mihi, si quid esset in eo populäre, quod plebeius factus esset, id amissurus. IV, 5, 1 : Non est credibile, quae sit perfidia in istis prin- cipibus, ut volunt esse et ut essent, si quicquam haberent fidei. Senseram, noram inductus, relictus, proiectus ab iis; tarnen hoc eram animo, ut cum iis in re publica consentirem: idem erant, qui fuerant Vix aliquando

Bezogener Gebrauch scheinbar selbständig gebrauchter Präterita im Latein. 485

te auctore resipui. I, 1 7, 1 : nee tantum intelleg eb am ei esse offensionis, quantum litterae tuae declarant, nee tantum proficiebam, quantum volebam. Sed tarnen hoc me ipse consolabar, quod non dubitabam, quin te ille aut Dyrrhaehii aut in istis locis uspiam visurus esset ; quod eum accidisset, confidebam ae mihi persuaseram fore ut omnia plaearentur inter vos. Verr. II, 1, 17, 46: Postridie eum fanum spoliatum viderent ii, qui Delum incolebant, graviter ferebant . . . Verbum tamen faeere non audebant, ne forte ea res ad Dolabellam ipsum pertineret. II, 3, 49, 117: Atqui tum neque iudicium de modo iugerum dabatur neque erat Artemidorus Cor- nelius reeuperator neque ab aratore magistratus Sieulus tantum exigebat, quantum deeumanus ediderat, nee benefieium petebatur ab deeumano, ut in iugera singula temis medimnis deeidere liceret, nee nummorum aeees- sionem cogebatur arator dare nee temas quinquagesimas frumenti addere, et tamen populo Komano magnus frumenti numerus mitlebatur. Sali. Cat. 24, 1: Igitur eomitiis habitis eonsules deelarantur M. Tullius et C. Antonius. Quod faetum primo popularis eoniurationis concusserat, Neque tamen Catilinae furor minuebatur^ sed in dies plura agitare, arma per Italiam loeis opportunis parare, peeuniam sua aut amieorum fide sumptam mutuam Faesulas ad Manlium quendam portare. Tuse. I, 13, 29: Sed qui nondum ea, quae multis post annis traetare eoepissent, physiea didieissent, tantum sibi persuaserant, quantum natura admonente eogno- verant, rationes et eausas non tenebant, visis quibusdam saepe movebantur iisqne maxime noeturnis, ut viderentur ei, qui vita exeesserant, vivere. Caes. b. G. V, 35, 1 ff. Nep. Ale. 6, 3. de fin. V, 32, 96.

Endlieh erwähne ieh hier noeh, dass natürlich verschiedene der an- geführten Verhältnisse auch an denselben Stellen zusammentreffen können, so dass an ihnen die gegenseitige Beziehung bei hypotaktischem und parataktischem Satzbau uns mehrfach entgegentritt.

Briefstil: ad fam. VI, 21, 1 : Etsi, eum haec ad te scribebam, aut adpro- pinquare exitus huius ealamitosissimi belli aut iam aliquid actum et eonfeetum videbatur, tamen cotidie commemorabam ... ad Att. XV, 9, 2 : Hoc autem tem- pore quod seriberem nihil erat^ eoque minus, quod dubitabam, tu has litteras essesne aeeepturus; erat enim incertum, visurusne te esset tabellarius. [ad Brut. I, 15, 2: Quem eum a me dimittens graviter /<?rr(?w, hoc levabar uno, quod ad te tanquam ad alterum me profieiseens et ofäcio Jungebatur et laudem maximam sequebatur], or. 41, 140: De quo eum mihi deineeps viderem esse dicendum, etsi movebant iam me illa, quae supra dixeram, tamen iis, quae sequuntur, perturbabar magis. Occurrebat enim.. . ad Att. IX. 1, 1.

Gewöhnlicher Sprachgebrauch: ad Att. I, 17, 1 : Atque illud a me iam ante intelleg eb atur , quod te quoque ipsum diseedentem a nobis sn-

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spicari videbam, subesse nescio quid opinionis incommodae sauciumque esse eius animum et insedisse quasdam odiosas suspiciones, quibus ego mederi cum cuperem antea saepe et vehementius etiam post sortitionem provinciae, nee tantum intellegebam ei esse offensionis, quantum litterae tuae declarant, nee tantum proßciebam, quantum volebam. Sed tamen hoc me ipse consolabar, quod non dubitabam^ quin te ille aut Djrrhachii aut in istis locis uspiam visurus esset; quod cum accidisset, conßdebam ac mihi persuaseram fore ut omnia placarentur non modo sermone ac disputatione, sed conspectu ipso congressuque vestro. Verr. ü, 1, 17, 46: Postridie cum fanum spoliatum viderent ii, qui Delum incolebant, graviter ferebant,, . Verbum tamen facere non audebant . . . p. Deiot 1, 3: Fugitivi autem dominum accusantis . . . cum os videbam , cum verba audiebam, non tam adflictam regiam condicionem dolebam quam de fortunis com- munibus extimescebam. ad Q. fr. I, 1, 1, 1: Nam superioribus litteris, non unis, sed pluribus, cum iam ab aliis desperata res esset, tamen tibi ego spem maturae decessionis adferebam, non solum, ut quam diu- tissime te iucunda opinione oblectarem, sed etiam quia tanta adhibebatur et a nobis et a praetoribus contentio, ut rem posse confici non diffiderem. ad Att. VII, 1, 1. Xm, 18. ad fam. IE, 7, 3. VI, 1, 5. Caes. b. G. V, 35, 1 ff.

b) Ausdruck einzelner Handlungen oder Zustände durch Imperfekte, historische Infinitive oder Plusquamperfekte der Gleichzeitigkeit und zu- gleich Hinzuergänzung von Handlungen oder Zuständen im Imperfekt, im historischen Infinitiv oder im Plusquamperfekt der Gleichzeitigkeit.

Oben habe ich eine grössere Anzahl von Stellen angefahrt, in welchen bei parataktischem und hypotaktischem Satzbau die gegenseitige Beziehung von zwei oder mehreren Handlungen oder Zuständen stattfindet, welche durch Imperfekte oder historische Infinitive oder Plusquamperfekte der Gleichzeitigkeit ausgedrückt sind. Nun treten uns aber nicht selten auch solche einzelne Handlungen oder Zustände im Imperfekt, im historischen Infinitiv oder im Plusquamperfekt der Gleichzeitigkeit entgegen, bei wel- chen andere Handlungen oder Zustände im Imperfekt oder im Plusquam- perfekt der Gleichzeitigkeit zu ergänzen sind, so dass sich dann auch hier die gegenseitige Beziehung ergiebt.

In den Nebensätzen der oben S. 478 ff. angeführten Stellen hatten wir mehrfach Redewendungen wie cum haec scribebam oder scriberem oder cum has dabam litteras oder eo die quo oder quo die oder eo tem- pore quo haec scribebam, deren Handlungen auf Handlungen oder Zu- stände der regierenden Sätze bezogen waren, in welchen Imperfekte oder Plusquamperfekte der Gleichzeitigkeit standen, deren Handlungen oder

Bezogener Gebrauch scheinbar selbständig gebrauchter Präterita im Latein. 487

Zustände sich auf die Handlungen jener Nebensätze bezogen. loh erinnere auch an die oben S. 472 f. angeführten weniger zahlreichen Beispiele, in Vielehen wir in den Nebensätzen ein selbständig gebrauchtes quo die haec scripsi oder has litteras (hoc litterarum) dedi oder cum haec scripsi oder cum Yillium cum bis litteris ad te misi haben und in welchen die im Imperfekt, im historischen Infinitiv oder im Plusquamperfekt der Gleichzeitigkeit stehenden Handlungen oder Zustände der regierenden Sätze auf die Handlungen jener Nebensätze bezogen sind. Man hatte sich nun an die Beziehung auf ein cum scribebam oder auch auf ein cum scripsi oder auf einen ähnlichen Ausdruck so gewöhnt, dass sie auch dann eintrat, wenn jene Redewendungen nicht ausdrücklich gesetzt wurden, sondern nur vorschwebten.

Im Briefstile ergänzen wir ein solches cum scribebam etc. be- sonders leicht, wenn es durch ein Participium oder ein Gerundium mit in angedeutet ist. ad Att. YII, 19: Capuam tamen proficiscebar (= proficisci volebam) haec scribens (== cum haec scribebam). ad fam. Xni, 17, 3: Mihi certe gratissimum feceris, si intellexero has litteras tantum, quantum scribens (-= cum scribebam) confidebam, apud te pondus habuisse. VI, 1, 5: Atque haec mihi scribenii veniebat in mentem . . . ad Att. I, 12, 4: Quod praeterea ad te scribam, non habeo, et mehercule eram in scribendo conturbatior ; nam puer festivus, anagnostes noster, Sositheus decesserat meque plus, quam servi mors debere videbatur, com- moverat. Dem Briefstile gehört auch ad Att. I, 10, 3 : Ibi sedens (= cum ibi sedebam) haec ad te scribebam, ut me locus ipse admoneret an, wo wir die Umkehrung eines zu erwartenden Ibi sedebam haec ad te scribens (== cum haec ad te scribebam) haben.

Auch im gewöhnlichen Sprachgebrauch ergänzt man eine Hand- lung oder einen Zustand im Imperfekt oder Plusquamperfekt der Gleich- zeitigkeit besonders leicht hinzu, wenn eine vollständige oder unvollständige Participialkonstruktion oder ein einer solchen gleichkommender Ausdruck darauf hinweist, ad fam. IV, 13, 1 : Quaerenti mihi (== cum oder etsi quaerebam) iam diu, quid ad te potissimum scriberem, non modo certa res nulla, sed ne genus quidem litterarum usitatum veniebat in mentem; unam enim partem et consuetudinem earum epistolarum, quibus secundis rebus (== cum res erant oder essent secundae) uti sole- bamusy tempus eripuerat. de div. II, 1, 1 : Quaerenti mihi multumque et diu cogitajiti, quanam re possem prodesse quam plurimis, ne quando intermitterem consulere rei publicae, nulla maior occurrebat, quam si optimarum artium vias traderem meis civibus. Sali. Cat. 53, 4: Ac mihi multa agitanti constabat paucorum civium egregiam virtutem cuncta

488 Emil Zimmbbmahk

patravisae. fad Brut. I, 15, 3: Venio nunc longo sane intervallo ad quan- dam epistolam, qua mihi multa tribuens (= cum tribuebas) unum re- prehendebas , quod in animadversione poenaque durior, nisi fortasse tu]. Sali. Cat. 26, 1 : His rebus comparatis (== etsi hae res comparatae erant) Catilina nihilo minus in proximum annum consulatum petebat spcrans (= cum speraret), si designatus foret, facile se ex voluntate Antonio usurum. ad fam. XITE, 19, 2: Cuius dubia fortuna (== cum dubia erat oder esset fortuna) timidius tecum agebamus verentes (= cum vereremur), ne . . . explorata vero eins incolumitate omnia a te studio summo cura- que peto. p. Plane. 101: Numquam obliviscar noctis illius, cum tibi vigilanti, assidenti, maerenti {= cum vigilabas, assidebas, maerebas) vana quaedam atque inania falsa spe inductus (= cum eram inductus) pollicebar. de fin. I, 11, 39: At etiam Athenis, ut a patre audiebam facete et urbane Stoicos irridente (= cum irrideret), statua est in Ceramico Chrysippi . . . Hoc ne statuam quidem dicturam pater aiebat, si loqui posset. ad Att.IV, 5, 1 : Non est credibile, quae sit perfidia in istis principibus, ut volunt esse et ut essent, si quicquam haberent fidei. Senseram ^ noram inductus, relictus, proiectm (sc. cum eram oder essem) ab iis; tamen hoc eram animo, ut cum iis in re publica consentirem: idem erant, qui fuerant Vix aliquando te auctore resipui. Yerg. Aen. I, 393 : Aspice bis senos laetantis agmine cycnos, Aetheria quos lapsa (sc. cum oder quae erat) plaga lovis ales aperto Turbabat caelo; nunc terras ordine longo Aut capere aut captas iam despectare videntur. Brut. 71, 250: Vidi enim Mytilenis nuper virum atque, ut dixi, vidi plane virum. Itaque cum eum antea tui similem in dicendo viderim, tum yero nunc a doctissimo viro tibique, ut intellexi, amantissimo Cratippo instructum (== cum esset in- structus) omni copia multo videbam similiorem. Caes. b. c. II, 41: Non deest negotio Curio suosque hortatur, ut spem omnem in virtute reponant. Ne militibus quidem ut defessis (= etsi erant defessi) neque equitibus ut paucis et labore confectis (= etsi pauci erant et labore confecti) Studium ad pugnandum virtusque deerat. b. G, VII, 47 : Consecutus id, quod animo proposuerat Caesar, receptui cani iussit legionisque decimae, quacum erat, continuo signa constituit. Ac reliquarum legionum milites non exaudito sono tubae (= etsi non auditus erat sonus tubae), quod satis magna valles intercedebat, tamen ab tribunis militum legatisque, ut erat a Caesare praeceptum, retinebantur. V, 35, Iff. Verg. Aen. II, 124: quae sint ea numina divom Flagitat. Et mihi iam multi crudele canebant Artificis scelus et taciti (= etsi tacebant) Ventura videbant. Hör. Sat. 1, 9, 8 : Misere discedere quaerens Ire modo ocius, interdum consistere, in aurem JDicere nescio quid puero, cum sudor ad imos Manaret talos. 0 te, Bolane,

Bezogener Gebrauch scheinbar selbständig gebrauchter Präterita im Latein. 489

cerebri Felicem ! aiebam tacitns, cum quidlibet ille Garriret, vicos, urbem laudaret. Sali. Cat. 48, 1 : Interea plebs coniuratione patefacta, quae primo cupida (sc. cum esset) rerum novarum nimis bello favebat, mutata mente Catilinae consilia exsecrari, Ciceronem ad caelum tollere. Verr. 11, 3, 85, 198: Haec deerat iniuria et haec calamitas aratoribus te praetor e, qua reliquis fortunis omnibus everterentur. Phaedr. I, 16: Ovem rogabat cervus medium tritici Lupo Sponsore. At illa . . .

Ziemlich oft deutet auch ein Adverbium oder ein adverbialer oder ein ähnlicher Ausdruck der Zeit darauf hin, dass die Beziehung statt- findet, bei welcher meist ein Imperfekt oder ein Plusquamperfekt der Gleich- zeitigkeit, vielleicht auch ein selbständig gebrauchtes Perfekt zu ergänzen ist. Diese Ergänzungen müssen sich aus dem Inhalte der Stellen leicht ergeben.

Im Briefstile deuten so Adverbia oder adverbiale oder ähnliche Ausdrücke der Gegenwart daraufhin, dass wir ein cum scribebam etc., vielleicht auch ein cum scripsi etc. zu ergänzen haben, ad Att. V, 20, 7 : Habes omnia. Nunc (sc. cum haec scribebam) publice litteras mittere para- bam; uberiores erant, quam si ex Amano misissem. 3, 1: Nee vero timwc (sc. cum has litteras dabam) erat sane quod scriberem. 12, 3: Plura scri- bam ad te, cum constitero ; nunc er am plane in medio mari. I, 4, 3. 6, 2. n, 24, 4. Yin, 13, 1. X, 17, 3. XE, 39, 2. ad Q. fr. HI, 1, 2, 4. Att. VI,

2, 20: Cupiebam etiam nunc plura garrire; sed lucet. V, 16,4: Bibulus ne cogitabat quidem etiam nunc in provinciam suam accedere. XVI, 3, 6. Xm,

3, 1: A te litteras exspectabam^ nondum scilicet; nam has mane rescribe- bam. IX, 2 a, 3 : Nos adhucy quid Brundisii actum esset, plane nesciebamus, ad Q. fr. III, 1, 5, 16: Adhuc erat valde incertum, et quando comitia et qui consules futuri essent. ad fam. XVI, 12, 6: Adhuc neminem videram, qui te postea vidisset quam M. Volusius, a quo tuas litteras accepi: quod non mirabar. ad Att. XI, 13, 1 : A Murenae liberto nihil adhuc acceperam litterarum. P. Siser reddiderat eas, quibus rescribo. HI, 11, 1. V, 8, 1. 16, 4. VI, 5, 3. Vn, 12, 1. IX, 3, 2. X, 12, 1. ad fam. XH, 5, 2. XVI, 11, 1. ad Q. fr. m, 5, 5, 15. 8, 1. [ad Brut 1, 10, Ij. ad Att. XHI, 2, 1 : Tuas ütteras hodie eoospectabam. XIII, 21, 2: Exspectabam hodie aut summum cras ab eo tabellarios. XIV, 2, 4: In Tusculanum hodie, Lanuvii cras, inde Asturae cogitabam. XIII, 28, 1 : Hortos quoniam hodie eras inspecturus, quid Visum tibi sit, cras scilicet. IX. U, 1. X, 10, 3. XII, 53. XV, 13, 6. ad Q. fr. III, 8, 4 : Aliud hoc tempore de re publica nihil loquebantur; agebatur quidem certe nihil, ad Att. XV, 9, 2 : Sed plura, cum ista co- gnoro. Hoc autem tempore quod scriberem nihil era/, eoque minus, quod dubitabam, tu has litteras essesne accepturus; erat enim incertum, visu-

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rusne te esset tabellarius. ad fam. XLH, 7, 3 : Nisi magnam spem haberem C. Caesari nos causam manicipii probaturos, non erat causa, cur a te hoc tempore aliquid contenderem. 11, 11, 2: Mihi mehercule magnae curae est aedilitas tua: ipse dies me admoiiebat; scripsi enim haec ipsis Mega- lensibus. ad Att. IX, 3, 2 : A Brundisio nulla adhuc fama venerat, et erat hie dies Vll. Idus, quo die suspicabamur aut pridie Brundisium venisse Caesarem; nam Kai. Arpis manserat. ad fam. X, 14, 2: Equidem exspectabam iam tuas litteras idque cum multis sperabamque ... ad Att V, 8, 1: Me et incommoda valetudo, e qua iam emerseram, utpote cum sine febri laborassem, et Pomptini exspectatio, de quo adhuc ne rumor quidem venerat, tenebat duodecimum iam diem Bmudisii, sed cursum exspectabamus. V, 10, 1: Ut Athenas a. d. VII. Kai. Quinctilis vener am, exspectabam ibi iam quartum diem Pomptinum, neque de eius adventu certi quicquam habebam. Eram autem totus, crede mihi, tecum, et quam- quam sine iis per me ipse, tamen acrius vestigüs tuis monitus de te cogi- tabam. ad fam. XVI, 7 : Septimum iam diem Corcyrae tenebamur ; Qnintus autem frater Buthroti. Solliciti eramus de tua valetudine mirum in modum nee mirabamur nihil a te litterarum. Dem Briefstile gehört auch an ad Att. IV, 3, 5 : Ante diem VIII. Kai. haec ego scribebam hora noctis nona (= cum hora erat noctis nona), wo nach dem sonstigen Sprachgebrauch der Briefe cum haec scribebam, hora erat noctis nona zu erwarten gewesen wäre. Vgl. IX, 1, 1.

Auch im gewöhnlichen Sprachgebrauche deuten Adverbia oder adverbiale oder ähnliche Ausdrücke, hier aber der Vergangen- heit, darauf hin, dass eine Handlung oder ein Zustand im Imperfekt oder im Plusquamperfekt der Gleichzeitigkeit, vielleicht auch im Perfekt zu er- gänzen ist. ad Att. VI, 20, 1 : Dederam triduo ante pueris Cn. Plancii litteras ad te; eo nunc ero brevior teque, ut antea (sc. cum scribebam) consolabar, hoc tempore monebo. I, 10, 2: Primum tibi de nostro amico placando aut etiam plane restituendo polliceor ; quod etsi mea sponte antea (sc. cum ipse volebam oder cum nondum tantam ex epistola voluntatem eius rei tuani perspicere videbar)/flc/eÄa?w, eo nunc tamen agam studiosius, quod tantam ex epistola voluntatem eius rei tuam perspicere videor. Tusc. 1, 4, 7 : Temptavi, quid in eo genere possem. Ut enim antea (sc cum eram adulescens et iuvenis) declamitabam causas, quod nemo me diutius fecit, sie haec mihi nunc se?iilis est declamatio. ad fam. IV, 13, 3: Itaque orbus iis rebus omnibus, quibus et natura me et voluntas et consuetudo adsue- fecerat, cum ceteris . . . tum mihi ipse displiceo : natus enim ad agendum semper aliquid dignum viro, nunc non modo agendi rationem nullam habeo, sed ne cogitandi quidem, et, qui a?itea (sc. cum nondum eram orbus iis

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rebus . . .) aut obscuris hominibus aut etiam sontibus opitulari poteram, nunc P. Nigidio . . . ne benigne quidem poUiceri possum. ad Att. XY, 9, 2 : Me quidem Bruti litterae, quas ostendis a te lectas, ita perturbarunt, ut, quamquam ante (sc. cum eas nondum acceperam oder habebam oder legeram) egebam consilio, tamen animi dolore sim tardior. ad fam. XI, 24, 1 : Narro tibi : anlea subirascebar brevitati tuarum litterarum (== cum breves erant oder essent tuae litterae) ; nunc mihi loquax esse videor ; te igitur imitabor. ad Att. XIY, 15, 1 (2): 0 mirificum Dolabellam meum! lam enim dico meum ; antea (sc. cum nondum dicebam), mihi crede, sub- dubitabam. ad fam. IX, 20, 1: lila mea, quae solebas antea laudare (sc. cum dicebam oder dicere solebam), '0 hominem facilem ! 0 hospitem non gravem!' abierunt. de or. U, 76, 307: Itaque nunc illuc redeo, Catule, in quo tu me paullo ante laudabas, ad ordinem collocationemque rerum ac locorum (sc. cum dicebas in dispositione argumentorum me tibi semper deum videri solere; vgl. 42, 179: Qui ordo tibi placeat, inquit Catulus, et quae dispositio argumentorum, in qua tu mihi semper deus videri soles). ad Q. fr. 11, 8, 4 : Pompeius plane se negat velle ; antea mihi ipse non negabat (sc. cum de hac re loquebatur). de imp. 5, 13: Hunc audiebant antea (sc. cum non aderat), nunc praesentem vident tanta temperantia . . . Sali. Cat. 23, 4 : Ea res in primis studia hominum accendit ad consulatum mandandum M. TuUio Ciceroni. Namque antea (sc. cum periculum nondum aderat) nobilitas invidia aestuabat et quasi poUui consulatum credebant, si eum quamvis egregius homo novos adeptus foret. Sed ubi periculum advenit, invidia atque superbia post fuere. Caes. b. G. VII, 48, 3 : Quorum cum magna multitudo convenisset, matresfamiliae, quae paulo ante (sc. cum magna multitudo nondum aderat) Komanis de muro manus tendebant, suos obtestari . . . coeperunt. p. Sest. 1,1: Si quis antea (sc. cum nequa- quam satis multi cives forti et magno animo inveniebantur . . . ), iudices, mirabatur, quid esset, quod pro tantis opibus rei publicae totaque digni- tate imperii nequaquam satis multi cives forti et magno animo inveni- rentur, qui auderent se et salutem suam in discrimen offerre pro statu civitatis et pro communi libertate, is ex hoc tempore miretur potius, si quem bonum et fortem civem viderit, quam si quem aut timidum aut sibi potius quam rei publicae consulentem. 55, 118: et is, qui antea cantorum convicio contiones celebrare suas (= quas habebat: vgl. 106 : Habi- tae sunt multae [contiones] de me a gladiatore sceleratissimo , ad quas nemo adibat incorruptus, nemo integer . . . erant turbulentae) solebat^ can- torum ipsorum vocibus eiiciebatur. p. Deiot. 1,1: tamen est ita inusitatum regem reum capitis esse, ut ante hoc tempus non sit auditum. Deinde eum regem, quem ornare antea cuncto cum senatu solebam pro perpetuis

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eius in nostram rem publicam meritis (= cum perpetua essent eius . . . merita), nunc contra atrocissimum crimen cogor defendere. p. Caecil. 8: Quod asperius ante populo videri solebat (sc. cum non poscebatur), id nunc poscitur. de fin. V, 14,40: At vero si ad vitem sensus accesserit, ut appetitum quendam habeat et per se ipsa moveatur, quid facturam putas? An ea, quae per vinitorem antea (sc. cum sensum non habebat) conseque^ batur, per se ipsa curabit? p. Rose. Am. 6, 17: Qui ernte hanc pugnam (= cum nondum erat haec pugna) tiro esset [quod sciam], facile ipsum magistrum scelere audaciaque superavit. Suet. Oct. 78: Post cibum meri- dianum (= cum cibum meridianum sumpserat) conquiescebat. ad Att. FV 16, tO: Locus ille animi nostri, stomachus ubi habitabat olim (sc. cum nondum concalluerat locus), concalluit. 1,19,9: Conventus, qui initio (sc. cum fiebant) celebrabantur, iam diu fieri desierunt. Liv. V, 4, 2: adversariorum certe orationibus contentus essem. Negabant nuper (sc. cum orationes habebant) danda esse aera militibus, quia numquam data essent Quonam modo igitur nunc indignari possunt ... de rep. III, 31, 43: Ergo ubi tyrannus est, ibi non vitiosam, ut heri (sc. cum de hac re dispu- tabam) dicebam, sed, ut nunc ratio cogit, dicendum est plane nullam esse rem publicam. de fin. I, 17, 5: concedo, quod modo (sc. cum de hac re disputabas) dicebas ... de or. II, 48, 199: Tum illa, quae modo Crassus commemorabat, egi. ad fam. VI, 21, 1: cotidie commemorabam te unum in tanto exercitu mihi fuisse adsensorem et me tibi solosque nos vidisse, quantum esset in eo hello mali . . . Itaque ego , quem tum (sc. cum tu unus mihi eras adsensor et ego tibi solique nos videbamus . . . ) fortes illi viri et sapientes , Domitii et Lentuli , timidum esse dicebant . . . idem nunc nihil timeo et ad omnem eventum paratus sum. Cat II, 2, 3 : Inter- fectum esse L. Catilinam et gravissimo supplicio adfectum iam pridem oportebat (sc. cum non interfectus erat neque gravissimo supplicio ad- fectus), idque a me et mos maiorum et huius imperii severitas postulabat. Caes. b. G. VII, 44, 1 : animadvertit collem , qui ab hostibus tenebatur, nudatum hominibus, qui superioribus diebus vix prae multitudine (sc. cum erat oder esset a multitudine occupatus) cemi poterat. Nep. Ham. 1, 2: Cum autem eius adventu (sc. cum adveniret) et mari et terra male res gererentur Carthaginiensium, ipse, ubi affuit, numquam hosti cessit.

Zuweilen genügt ein in der Umgebung stehendes hinweisendes Fürwort, um ein zu ergänzendes Imperfekt oder Plusquamperfekt der Gleichzeitigkeit oder vielleicht auch ein selbständig gebrauchtes Perfekt anzudeuten, auf deren Handlung oder Zustand eine im Imperfekt stehende Handlung oder ein solcher Zustand oder ein im Plusquamperfekt stehen- der Zustand bezogen ist.

Bezogener Gebrauch scheinbar selbständig gebrauchter Präterita im Latein. 493

Im Briefstile erscheint so das Pronomen der Gegenwart hie. ad Att. I, 6, 2 : Ilaec (sc. quae scribebam oder scripsi) habebam fere, quae te scire vellem. ad fam. XII, 5, 3 : Haec erant fere, quae tibi nota esse vellem ad Att. VII, 1, 1: Dederam equidem L. Saufeio litteras et dederam ad te unum, quod, cum non esset temporis mihi ad scribendum satis, tarnen hominem tibi tam familiärem sine meis litteris ad te venire nolebam; sed, ut philosophi ambulant, has (sc. quas scribebam) tibi redditum iri puta- bam prius. IX, 1, 1 : Etsi, cum tu has (sc. quas scribebam) litteras legeres, putabam fore ut scirem iam, quid Brundisii actum esset nam Canusio IX. Kai. profectus erat Gnaeus, haec autem scribebam pridie Nonas, XIV. die, quam ille Canusio moverat tamen angebar singularum horarum exspectatione mirabarque nihil allatum esse ne rumoris quidem; nam erat mirum silentium. ad fam. X, 10, 1: quamquam in uno proelio omnis for- tuna rei publicae disceptat quod quidem, cum haec (sc. quae scribebam) legeres, iam decretum arbitrabar fore tamen ipsa fama, quae de tua voluntate percrebruit, magnam es laudem consecutus. V, 16, 6: Eis ego lit- teris (sc. quas scribebam) si quid profecissem, existimabam optandum quid- dam me esse adsecutum. ad Att. I, 9, 1 : propter hanc dubitationem meam brevior haec ipsa epistola est (sc. quam scribebam), quod, cum incertus essem, ubi esses, nolebam illum nostrum familiärem sermonem in alienas manus devenire. X, 6, 1.

Im gewöhnlichen Sprachgebrauche erscheint so das hin- weisende Pronomen der Vergangenheit ille. Phil, n, 45: Eecordare tem- pus illud (sc. quod tum erat), cum pater Curio iacebat in lecto. p. Plane. 101 : Numquam obliviscar noctis illius (sc. quae tum erat), cum tibi vigilanti, assidenti, maerenti vana quaedam miser atque inania falsa spe inductus pollicebar (vgl. S. 488). Pis. 26 : An tum eras consul, cum in Palatio domus mea ardebat? ... An vero reliquo tempore consulem te quisquam duxit? . . . Numerandus est ille annus (sc. quo tu eras consul oder qui tum erat) denique in re publica, cum obmutuisset senatus, iudicia conticuissenU mae- rerent boni, vis latrocinii vestri tota urbe volüaret neque civis unus ex civitate, sed ipsa civitas tuo et Gabinii sceleri furorique cessisset? ad Att. IV, 16, 10: Locus ille animi nostri (sc. qui ibi erat), stomachus ubi habi- tabat olim, concalluit (vgl. S. 492).

Auch das Pronomen hie, besitzanzeigende Pronomina und hinweisende Adverbia können in dieser Weise von der Vergangenheit gebraucht erscheinen, ad fam. VI, 2, 3 : Quae vis insit in his paucis verbis (sc. quae supra scripsi) plura enim commitienda epistolae non erant si attendes, profecto etiam sine meis litteris intelleges ... de or. I, 35, 164: Ego mehercule, inquit Mucius, antea vestra magis hoc (sc. quod petebatis ;

494 £mil Zimmbbmann

Vgl. 163) causa volebam quam mea. Neque enim tanto opere hanc a Crasso disputationem desideraham, quanto opere eius in causis oratione delector ; nunc vero, Crasse, mea quoque iam causa rogo, ut . . . Brut. 13,49: Nam ante quam delectata est Atheniensium civitas hac laude dicendi, multa iam memorabilia et in domesticis et in bellicis rebus efifecerat Hoc autem studium (sc. quo delectabatur oder delectata est Atheniensium civitas) non erat commune Graeciae, sed proprium Athenarum. p. Sest. 55, 118: is, qui antea cantorum convicio contiones celebrare suas (sc. quas habebat; vgl. 106: Habitae sunt multae [contiones] de me a gladiatore sceleratissimo, ad quas nemo adibat incorruptus, nemo integer . . . erant turbulentae) solebat, cantorum ipsorum vocibus eiiciebatur (vgl. S. 491). ad Q. fr. II, 7 (9), 1 : Placiturum tibi esse librum meum (sc. quem oder cum mittebam) suspicabar; tam valde placuisse, quam scribis, valde gaudeo. Caes. b. c. II, 41: Cum cohortes ex acie procucurrissent, Numidae integri celeritate impetum nostrorum effugiebant, rursusque ad ordines suos se recipientes circuibant et ab acie excludebant. Sic (= quae cum ita essent) neque in loco manere ordinesque servare neque procurrere et casum subire tutum videbatur. Tusc. I, 4, 8: Haec est enim, ut scis, vetus et Socra- tica ratio contra alterius opinionem disserendi. Nam ita (sc. cum ea ratione utebatur) facillime, quid veri simillimum esset, inveniri posse Socrates arbitrabatur.

Nach dem Angeführten ist es nicht wunderbar, dass man schliess- lich an vielen Stellen auch die erwähnten Andeutungen der zu ergänzen- den Handlungen oder Zustände durch bestimmte Wörter oder Redewen- dungen unterliess und dass trotzdem aus dem Zusammenhange Imperfekte oder Plusquamperfekte der Gleichzeitigkeit oder vielleicht selb- ständig gebrauchte Perfekte zu ergänzen sind, auf deren Handlungen oder Zustände die Beziehung der durch Imperfekte oder Plusquamperfekte aus- gedrückten stattfindet. Die Ergänzung musste natürlich hier noch leichter sein als an den Stellen mit jenen Andeutungen.

Im Briefstile ergänzen wir so nach Analogie der Stellen mit ge- setztem cum scribebam etc. oder mit den Andeutungen eines solchen sehr leicht ein cum scribebam etc. oder vielleicht ein cum scripsi etc., welches fortgelassen ist, um es nicht allzu häufig zu bringen. An solchen Stellen finden wir zum Teil dieselben Verben vor wie an denen mit gesetztem oder angedeutetem cum scribebam etc., und jene Stellen erscheinen in denselben Teilen der Briefe wie diese, so besonders am Anfange, am Ende eines Briefes oder beim Übergänge zu einem neuen Punkte. Und wo die Zeit der Ver- gangenheit, um die es sich handelt, nicht ausgedrückt ist, erscheint es im Briefe am natürlichsten, gerade die Zeit und die Handlung des Schreibens

Bezogener Gebrauch scheinbar selbständig gebrauchter Präterita im Latein. 495

oder Schickens, also ein cum scribebam etc. zu ergänzen, auf welches die Beziehung stattfindet, ad Att. XI, 17, 1 : Ego cum Sallustio Ciceronem ad Caesarem mittere cogitabam; Tulliam autem non videbam cur diutius me- cum tanto in communi maerore retinerem : itaque matri eam, cum primum per ipsam liceret, er am remissurus. ad fam. XIY, 1 1 : Nobis erat in animo Ciceronem ad Caesarem mittere et cum eo Cn. Sallustium : si profectus erit, faciam te certiorem. ad Q. fr. II, 12 (14), 1 : Duas adhuc a te accepi epistolas, [quarum] alteram in ipso discessu nostro, alteram Arimino datam ; pluris, quas scribis te dedisse, non acceperam. Ego me in Cumano et Pom- peiano, praeterquam quod sine te, ceterum satis commode oblectabam et eram in isdem locis usque ad Kai. lunias futurus, Scribebam illa, quae dixeram, fcohrixa. ad fam. III, 3, 2 : Ego C. Pomptinum, legatum meum, Brundisii ewpectabam eumque ante Kalendas lunias venturum arbitrabar. ad Q. fr. II, 15, 5: Res Romanae se sie habebant: erat nonnulla spes comi- tiorum, sed incerta; erat aliqua suspicio dictaturae, ne ea quidem certa. ad Att. IX, 10, 1 : Nihil habebam, quod scriberem. XII, 41, 1 : Nihil erat, quod scriberem. IX, 2 : Brundisio nihil erat allatum.

Auch im gewöhnlichen Sprachgebrauche haben wir so Imper- fekte oder Plusquamperfekte, vielleicht auch Perfekte nur aus dem Zusam- menhange zu ergänzen, ad Att. III, 4 : Miseriae nostrae velim quam incon- stantiae tribuas, quod a Vibone, quo te arcesscbamus (sc. cum scribebamus ; vgl. in, 3 : Sed te oro, ut ad me Yibonem statim venias, quo ego multis de causis converti iter meum), subito discessimus. XU, 42, 1 : Itaque accepi VI. Idus litteras tuas inanis ; quid enim habebas, quod scriberes (sc. cum scri- bebas)? lY, 17 (18), 1 : Puto te existimare me nunc oblitum consuetudinis et instituti mei rarius ad te scribere, quam solebam (sc. cum consuetudinem et institutum meum servabam). ad fam. III, 7, 3 : Quid? Cum dabas iis litteras, per quas mecum agebas, ne eos impedirem, quo minus ante hiemem aedificarent, non eos ad me venturos arbitrabare? (Ygl. S. 479.) Tametsi id quidem ridicule fecerunt; quas enim litteras adferebant (sc. cum venie- bant oder venerunt), ut opus aestate facere possent, eas mihi post brumam reddiderunt. ad Att. Y, 16, 4: De Partho silentium est; sed tamen con- cisos equites nostros a barbaris nuntiabant ii, qui veniebant (vgl. S. 481). Bibulus ne cogitabat quidem etiam nunc in provinciam suam accedere ; id autem facere ob eam causam dicebant (sc. ii, qui veniebant), quod tardius vellet decedere. Nos in castra properabamus, quae aberant bidui. YIII, 9, 4 : YI. Kai. vesperi Baibus minor ad me venit occulta via currens ad Lentulum consulem missu Caesaris cum litteris, cum mandatis, cum promissis pro- vinciae, Romam ut redeat; cui persuaderi posse non arbitror, nisi erit conventus. Idem aiebat (sc. cum erat mecum) nihil malle Caesarem,

496 Emil Zimmeumann

quam ut Pompeium adsequeretur. Ter. Eun. 338 : Sein, quid ego te volebam (sc. cum veniebam oder veneram oder aderam)? 87: Quor non intro ibas (sc. cum veniebas oder veneras oder aderas oder poterasj? Plaut. Aul. m, 2, 13 : Sed in aedibus quid tibi meis nam erat negotii (sc. cum eo veneras oder ibi aderas) . . . volo scire. Men. 1130: Mi hoc responde: . . . quid erat nomen nostrae matri (sc. cum eramus cum ea)? Nep. Ale. 6, 3: Hie ut e navi egressus est, quamquam Theramenes et Thrasybulus eisdem rebus praefuerant simulque venerant in Piraeum, tamen unum onmes illum (sc. cum veniebat in astu) prosequebantur et, id quod numquam antea usu venerat nisi Olympiae victoribus, coronis laureis taeniisque vulgo donabatur. lUe lacrimans talem benevolentiam civium suorum aceipiebat; reminisci pristini temporis acerbitatem. Postquam in astu venit, contione advocata sie verba fecit ... de fin. V, 26, 78 : Istie sum, inquit, exspectoque, quid ad id, quod quaerebam (sc. cum illa superiora dicebam; vgl. 77), respondeas. p. Rose. Am. 30 , 84 : Causam tu nullam reperiebas in Sex. Roscio (sc. cum de eo dicebas) : at ego in T. Roscio reperio. Yerr. 11, 2, 37, 90: Itaque hortari homines eoepit, ut aliquid Sthenio periculi crearent eriminisque confingerent Dicebant (sc. cum eos hortabatur) se illi nihil habere quod dicerent. de fin. 11,16, 53: Sunt enim levia et perinfirma, quae dicebantur a te (se. cum disputabas) animi conscientia improbos exeruciari. p. Rose. Am. 29, 82 : Si quid est, quod ad testes reservet, ibi quoque nos ut in ipsa causa paratiores reperiet, quam putabat (se. cum reservabat). de fin. Y, 32, 96 : Quae enim dici Latine posse non arbitrabar (sc. cum nondum erant oder essent dieta), ea dicta sunt a te. Yerg. Aen. II, 126: Bis quinos silet ille dies tectusque recusat Prodere voce sua quemquam aut opponere morti. Yix tandem magnis Ithaci clamoribus actus Composito rumpit vocem et me destinat arae. Adsensere omnes et, quae sibi quisque timebat (se. cum silebat ille tectusque recusabat . . . ), Unius in miseri exitium con versa tulere. de sen. 6, 15: NuUaene igitur res sunt seniles, quae vel infirmis corporibus animo tamen administrentur? Nihil ergo agebat Q. Maximus, nihil L. Paul- lus . . . (sc. cum erant senes)? Caeteri senes . . . cum rem publicam con- silio et auetoritate defendebant, nihil agebant? 16: Ad Appii Claudii seneetutem (= cum Appius Claudius erat senex) accedebat etiam, ut caecus esset, ad Att. I, 5, 1 : Quantum dolorem acceperim et quanto fruetu sim privatus et forensi et domestico Lucii fratris nostri morte, in primis pro nostra consuetudine tu existimare potes; nam mihi omnia, quae iueunda ex humanitate alterius et moribus homini aeeidere possunt, ex illo accidebant (sc. cum vivebat). de fin. Y, 14, 40: nee eundem finem habebit, quem eultor eins habebat (sc. cum ad eam sensus nondum acces-

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serat; vgl. 40 Anf. u. S. 492), sed volet secundum eam naturam, quae postea ei adiuncta est, vivere. Cat. II, 2, 3: Ac si quis est talis, quales esse omnes oportebat (sc. cum non erant), qui in hoc ipso, in quo exsultat et triumpliat oratio mea, me vehementer accuset, quod tam capitalem hostem non comprehenderim potius quam emiserim, non est ista mea culpa, Quirites, sed temporum (vgl. d. Forts, u. S. 492). Q. Metelli ep., ad fam. V, 1, 1 : Nunc video illum circumventum, me desertum, a quibus minime conveniebat (sc. cum fiebat; vgl. d. Vorherg. u. S. 483). 2: Te tam mobili in me meosque esse animo non sperabam (sc. cum eras). Caes. b. G. II, 16, 1 : Cum per eorum fines triduum iter fecisset, inveniebat ex captivis (sc. cum quaereret ; vgl. S. 480) Sabim flumen ab castris suis non amplius milia passuum decem abesse.

C. Schlussbemerkung.

Im Obigen glaube ich sichere Ergebnisse meiner Forschungen über den bezogenen Gebrauch mancher scheinbar selbständig gebrauchten Imperfekte, historischen Infinitive und Plusquamperfekte dargelegt zu haben. Diese Darlegungen dürften, wie ich hoffe, geeignet sein, den Weg zur richtigen Beurteilung nicht nur weiterer Imperfekte, historischen In- finitive und Plusquamperfekte, sondern auch anderer Tempora sowohl im Lateinischen als auch in andern Sprachen zu weisen und mit zur Er- hellung des „Nebellandes" der selbständig und bezogen gebrauchten und zu brauchenden Tempora beizutragen.

32

XXIV. Das Taurobolium.

Von

G. Zippel (Königsberg i. Pr.).

Das Taurobolium, dieser eigentümliche Geheimdienst der phrygischen Göttermutter, der in den letzten Zeiten des antiken Heidentums und im Kampfe gegen das vordringende Christentum eine hervorragende Rolle spielte, ist vielfach, in letzter Zeit noch von Goehler, De Matris Magnae apud Romanos cultu, S. 520"., Cumont, Le taurobole et le culte d'Anahita, Revue archeologique 12, 132fiF. (1888), Esperandieu, Inscriptions antiques de Lectoure, S. 94 ff. besprochen worden; doch ist in manchen wichtigen Punkten weder Einigung noch Klarheit erzielt. Die folgende Abhandlung erhebt nicht den Anspruch, alle Zweifel zu lösen; nur scheint mir, als wäre die uns zu Gebote stehende Überlieferung, namentlich die Inschriften, noch nicht hinlänglich ausgebeutet, um uns eine Vorstellung von den Vorgängen des Tauroboliums zu machen. Man hat sich dafür meistens bei der Schilderung des Prudentius beruhigt und höchstens einzelne in- schriftliche Notizen in das dorther gewonnene Bild einzuzwängen gesucht, so gut oder übel es gehen wollte.

Prudentius lässt den Romanus auf des Asklepiades Frage, ob denn wirklich sein eigenes Blut herabgeflossen sei, erwidern (peristephanon 10, 1006—1049): es sei sein wahres Blut, nicht Blut eines heiligen Stiers, mit dem die Heiden sich durchfeuchten Hessen. Der oberste Priester, so schildert er den Vorgang, steigt zur Weihe*) in festlicher Kleidung, mit Binden an den Schläfen, einen goldenen Kranz auf dem Haupt, im cinctus Gabinus in eine Grube, über die ein durchlöcherter Bretterboden ge- legt wird. Auf diesem wird ein mit Blumengewinden und Gold geschmückter Stier durch einen Brustschnitt mit einem geweihten Opfermesser (sacrato

1) Dressel liest v. 1011 mit dem c. Alex. 321 „consecrandis" ] allein das giebt keinen verständlichen Sinn, und auch v. 1076 steht „sacrandits" : so wird auch hier mit den übrigen Handschriften j,consecrandus" zu lesen sein.

Das Taurobolium. 499

venabulo v. 1026) geschlachtet. Der drunten Stehende bemüht sich dann, seine Kleider wie die verschiedensten Teile des Körpers möglichst voll- ständig mit dem herabtröpfelnden Blut zu benetzen. Kommt er dann her- vor, so wird er von allen begrüsst und verehrt.

Die Schilderung findet ihre Bestätigung in dem Gedicht gegen Nicomachus Flavianus, Anth. lat. ed Riese 4, v. 57 62 (vgl. Mommsen, Hermes 4, 360 f.):

„Quis tibi, taurobolus, vestem mutare suasit, inßüius diveSf subito mendicus ut esses, obsitus et pannis, modica tepefactus epeta, sub terram missus, pollutus sanguine tauri, sordidus, infectus, vestes servare cruentas, vivere cum speras viginti mundus in annosf"

Der Unterschied, dass der Weihling bei Prudentius in festlicher Kleidung, bei dem Ungenannten in Bettlertracht erscheint, wiegt nicht schwer; es mag wohl nur der Cinctus Gabinus hier als Bettlertracht verspottet sein. Eine wichtige Ergänzung zu des Prudentius Bericht enthält nur die Angabe , dass die Weihe eine Reinigung für 20 Jahre darstellte ; ausser- dem wird nur hier auf den Namen der ganzen Weihehandlung hinge- wiesen.

Yon derselben Handlung spricht auch Eirmicus Maternus c. 27: „miseri sunt, qui profusione sacrilegi sanguinis cruentantur, tauribolium quid vel criobolium scelerata te sanguinis labe perfunditP'

Diese Darstellungen finden auch in inschriftlichen Denkmälern Be- stätigung. So heisst es in der jüngsten Taurobolien-Inschrift des Philonius Eugenianus C. I. L. YI 736, deren Echtheit allerdings stark angezweifelt ist (Lebegue, Le basrelief de Pesaro. Rev. arch. 13, 64 ff.): i,qui et arcanis perfusionibus in aetemum renatus tauroboliuirn) crioboliumque fecit*'. An denselben Vorgang ist auch überall zu denken, wo in den Taurobolien- Inschriften die Weihe betont wird. Sextilius Agesilaus weihte i. J. 376 der Göttermutter und dem Attis den Altar „taurobolio criobolioq(ue) in aeternum renatus" C. I. L. VI 510. In demselben Sinne spricht wohl auch die Inschrift von Emerita C. I. L. II 5260 : M(atri) I){eum) s{ucrum). Val{e?ia) Avita aram tauriboli sui natalici redditi d(onutn) d{at) sacerdote Doccyrio ValeiHano, arc{h)igallo Publicio Mi/stico." Hier ist weder an Avitas Geburtstag zu denken, noch an eine Wiederholung des Tauroboliums, sondern sie bezeichnet sich als neugeboren durch die Weihe. Petronius ApoUodorus sagt von sich i. J. 370, CLL. VI 509 = Inscr. Graecae Siciliae et Italiae n. 1018:

32*

500 G. ZippEL

KQioßokov teXetrig ^[(5* sti rjavQoßoXov fnvOTiTtoXog teXeTttJv \leQOJV ajve&rjxaro ßw^ov, in der latei- nischen Inschrift: iMuroholio crio[bol{\oq{ue) perccpto".

Der letztere Ausdruck kehrt mehrfach wieder; so i. J. 305 tttaurobolium percepi feliciitery*, C. L L. VI 497. i. J. 383 „taurobolio criobolioque percepto aram dicavit" C. I. L. VI 501. i. J. 390 typercepto taurobolio criobolioque aram dicavit" CLL. VI 503. Auch griechische Inschriften sprechen von der Weihe. So heisst es von Crescens und Leontius in Rom:

OQyia ovvQi^avT€ -d^e^ TtafUfii^TOQL '^Pelr]

y.QLoß6Xov TelexriQ Y.al TavQoßölow cpegLöxrig Inscr.Gr.Sic.etIt.1020; ähnlich von Archelaos in Athen:

avTLÖoGcv TslsT'^g T[i]]g xavQoßoXov /a^tv eyvo) ßiOfÄOv avaGTrjGag !!4TT€(jüg rjde '^Perjg, und weiter: ^Agy^iXecag TeXsTrjg ovvS^rjfxaTa y.QV7tTa xaga^ag TavQoßoXov. C. L A. in 172.

Von Sahina in Rom wird gesagt:

avvßolov evayicjv Teleiwv avid-iqyLe 2aßiva Inscr. Gr. Sic. etit 1019.

Auf diese Weihe ist auch der Ausdruck „tauroboliatus" zu beziehen. Im J. 377 sagt Rufus Caeionius von sich: „tauroboliatus M{atris) D{eum) M(agnae) Id{aeae) et Attidis Minoturani et aram dedicabit" und weiter „tauroboliq{ue) simul magni dux mistice sacri". Auch Agonius Praetex- tatus wird i. J. 387 tauroboliatus genannt, ebenso seine Frau tauro- boliata C. L L. VI 1778. 1779. Der i. J. 385 verstorbene Alfenius Ceionius Duianus Kamenius wird sowohl in seiner Grabschrift Eph. ep. 8, 648 als in der Ehreninschrift C. L L. VI 1675 als tauroboliatus Deum Matris be- zeichnet. Dieselbe Weihe zeigt sich auch C. I. L. VI 499, wo Clodius Her- mogenianus i. J. 374 den Altar der Göttermutter und dem Attis weiht: ittaurobolio criobolioque perfecto XIIII kal{endas) Aug{ustas) diis animae suae mentisque custodibus aram dicavit".

Auch die 20jährige Wirkung der Weihe ist inschriftlich belegt. CLL. VI 512 i. J. 390 heisst es von Rufus Volusianus: ,titerato viginti annis ea;p[le]tis taurobolii sui aram constitu[it] et consecravit" , wo allerdings dem Wortlaut nach nur von der neuen Widmung des Altars die Rede ist. Von der Wiederholung des Tauroboliums wird ausdrücklich gesprochen C. I. L. VI 502 i. J. 383: ^taurobolio criobolioque repetito diis omnipoten- tibus M{atri) D{eum) et Atti aram dicavit". Eine Wiederholung nach 20 Jahren wird von vornherein versprochen i. J. 376 : „percepto taurobolio criobolioq{ue)

Das Taurobolium. 501

Vota Faventinus bis deni suscipü orbis, ut mactet repetens aurata fronte bicornes^y C. I. L. VI 504. Hier wird sogar der Goldschmuck am Haupte des Stiers bestätigt, von dem Prudentius spricht. Bänder- oder Blumenschmuck an den Hörnern ist auf einer Menge von Taurobolien-Altären zu sehen. Insoweit ist es also klar, dass Prudentius uns eine treffliche Schilderung des Taurobo- lium s liefert.

Aber vollständig ist ein danach ausgemaltes Bild des ganzen Vor- gangs keineswegs. Dass damit noch manche andere Handlungen ver- bunden waren, zeigen uns schon die mehrtägigen Taurobolien, wie sie in Gallien berichtet werden. Ein Taurobolium in Tain an der Khone dauerte vom 20. bis zum 23. Mai 184, CLL. XH 1782; in Lyon dauerte eines 9. 11. Mai 194, Boissieu, Inscriptions de Lyon n. 22; ein anderes 4. 7. Mai 197, Boiss. 23. Wichtiger ist es, dass die grosse Mehrzahl der Taurobo- lien-Inschriften auf einen wesentlich anderen Charakter der gesamten Kult- handlung schliessen lassen, als die bisher besprochenen Nachrichten.

Das Taurobolium war immer eine ausserordentliche Handlung, deren Andenken man durch Errichtung eines Altars verewigte, und es ist selbst- verständHch, dass nach der Weihe eben der Geweihte den Altar widmete.

Neben einzelnen Errichtern des Altars finden wir nicht selten mehrere zusammen, so Mann und Frau in Eeii : „Matri Daum Magnaeq[ue) Idaeae L,Decimius Pacatus et Coelia Secu?idma eins ob sacrum tauropo[l\i" CLL. XII 357; so wohl auch in Arausio unter Commodus: „ta^ropolium fecerunt Sex. Fublicius . . . anus . . . iana" C I. L. XII 1222, in Vasio titaufopo[(\ium [et c\riopolium fecerunt Aul{us) Pompeius Avitian{us) et Claudia Firmin(ia)" CI. L. XTT 1311, in Dea ,itaur{obolium) fec{erunt) T, Hel{vms) Marcellin{us) et Val(eriä) Decumilla" C I. L. XII 1 569, in Lactora „Aprilis Repentim fil{ius) et Saturnina Taurini ßl{ia)" Esperandieu, Inscriptions de Lectoure n. 26, „C. Julius Drutedo et Balorice taur{obolium) f^ecerunt)" in Dea unter Caracalla Kev. arch. 1889, S. 423 n. 83. In Dea tritt einmal, im J. 245 zu den Eltern eine Tochter hinzu: ,,M{atn) D{eum) M{agnae) I{daeae) sacr{um) trib(us) taur(is) fecer{unt) cum suis hostiis et apparam{entis) om," nib{us) L. Dagid{ius) Marius pontif{ex) perpet(uus) civit(atis) Valent{iae) et Verullia Martina et VeruUia Maria fil{ia) eorum" CLL. XU 1567. Mehr- fach finden wir zwei Frauen bei einem Taurobolium vereinigt; so in Lyon i. J. 194 iitaur ob olium fecerunt Aufidia Alexandria et Sergia Parthenope" Boiss. 22 und i. J. 197: „(t)aurobolium fecerunt Septicia ValerianaT^et Optatia Spora'' Boiss. 23, in Lactora „Iul{ia) Valentina [et] Hygia Silanae" Esp. 9. Dazu tritt noch ein Priester in Vintium: „Idaeae Matri Valeria Marciana, Valeria Carmosyne et Cassius Paternus sacerdos tauropolium

502 G. ZipPEL

suo su{m)ptu celehraverunV* C. I. L. Xu 1. Einmal vereinigen sich dazu ein Priester und ein Flötenspieler in Valentia: „taurobolium et, c[ri\obo' Hum M{atri) D{eurn) M(agnae) l{daeae) Ji'[cer(unt)] C. Vulerivs Ur\ban '?]us sacerdos, C, [Fl{avius) Restii\utus [tibicen]", wenn Allmers Ergänzung richtig ist, der den aus Boiss. 21—23 bekannten Flötenspieler Flavius Restitutus hier einsetzt. In Rom finden wir Crescens und Leontius zusammen thätig, Inscr. Graecae Siciliae et Italiae n. 1020.

Wir haben durchaus kein Recht zu der Annahme, dass da, wo mehrere Veranstalter genannt werden, auch verschiedene Weihehandlungen vor- genommen seien, im Gegenteil erscheint die Handlung stets einheitlich, auch bei dem Taurobolium von Dea am 30. September 245, wo drei Stiere geopfert wurden: „sacr{um) lrib{us) taur(is) fecer(unty* C. L L. XII 1567. Das wird besonders klar durch den Gegensatz der Gruppen- Taurobolien von Lactora am 18. Oktober 176 und am 8. Dezember 241, wo eine Reihe verschiedener Taurobolien durch selbständige Altäre bezeugt sind. Esp^- randieu rechnet an dem ersten Datum 11 Taurobolien, wovon allerdings nur 3 (n. 7. 8. 9) sicher dahin gehören, wahrscheinlich auch n. 5. 10. 11; n. 12. 13 haben keine Datierung, n. 14. 15 tragen anderen Charakter, und n. 6 ist sicher älter. Der zweiten Gruppe gehören sicher an n. 17 25, während für n. 26, wo ein anderer Priester vorkommt, nichts dasselbe Datum anzunehmen nötigt. In beiden Fällen stehen neben einem von der Gemeinde veranstalteten Taurobolium eine Reihe von privaten. In Rom kennen wir zwei Taurobolien am 5. April 383, CLL. VI 501. 502.

Eine Mehrzahl von Opfertieren wird in der Formel hostiis suis bei einzelnen wie bei mehreren Veranstaltern erwähnt: Esp. 7. 10 13. 18—26. Es ist darunter kaum etwas anderes zu verstehen als ein Stier und ein Widder. Betrachten wir das Verhältnis von Criobolium und Taurobolium, so finden wir das erste nur selten für sich allein bezeugt; so iiCrioholium factum M{atri) D{eum) Ma{gnae)" in Benevent am 9. April

228 CLL. n: 1538. ,iCrinobolium factum[Matri]Deum Magn{ae) Ideae" in Ostia CLL. XIV 41. „criobolium fecerunV' unter Alexander Severus in Mileu C I. L. Vlii 8203. Häufiger werden Taurobolium und Criobolium zusammen genannt : C I. L. Xn 1311. VI 508-510. 736, „taurobolium sive criobolium'* C L L. VI 505. 506, und gleichbedeutend ist wohl auch „criobolium et aemobolium" in Teate CLL. IX 3015. Aber ebenso oft finden wir, wo die Inschrift nur vom Taurobolium spricht, auf dem Altar neben dem Stier auch einen Widder oder gewöhnlich die Köpfe beider Opfertiere dargestellt, so C I. L. Xn 1568. 1744. 1782. 4323. 4324. 4328. VI 497. 504. 505. 509. 511. 512. Boissieu, Inscriptions de Lyon n. 19. 21 23. Wir sehen daraus, dass

Das Taurobolium. 503

wenigstens in der Regel das Criobolium mit zu einem vollständigen Tau- robolium gehörte. Es kann nicht davon die Rede sein, dass das Criobo- lium einer anderen Gottheit, etwa dem Attis geweiht gewesen wäre (Sayous, Revue de l'histoire des religions 16, S. 146); gerade wo ein solches allein vorkommt, ist es der Göttermutter geweiht.

Göhler schliesst S. 56 aus C. I. L. VI 508, dass an Frauen das Tauro- bolium nicht vollzogen wurde; wir werden jedoch sehen, dass diese Inschrift völlig anders zu verstehen ist. Die Inschriften behandeln Frauen und Männer durchaus in gleicher Weise, und Aconia Fabia Paulina wird aus- drücklich als tauroboliata bezeichnet CLL. YI 1779.

Dass die Taurobolien-Weihe an zwei Personen zusammen vollzogen wurde, ist in zwei Fällen bezeugt, von Crescens und Leontius I. Gr. Sic. et It. 1020:

KQLoßokov 'cekeTTJg v,al ravgoßoXoio q)€QlaTr]g und von Apollodor und seiner Gattin CLL. VI 509: „taurobolio crio[bO' li]oq{ue) percepto una cum Ru/[ia) Vo[lus]iana C,f{iliä) coniuge*' i. J. 370. Immerhin macht die Beteiligung mehrerer Personen die Vorstellung einer solchen Weihe nicht gerade leichter.

Unmöglich wird sie aber da, wo eine ganze Korporation das Tauro- bolium darbringt. Das thun z. B. die Dendrophoren in Valentia C I. L. XII 1794: „M{citri) JD{eujn) M{agnae) I(daeae) iaufwbol(ium) dendrophor(i\ Valen{tini) sua p{ecunia) ßjscerunt)"; ebenso die von Lyon am 17. Juni 190, Boiss. 21 : ^taurobolium fecerunt dendrophori Luguduni consistentes", wobei hinzugefügt wird „honori omnium Cl(audius) Silvanus perpetuus quinquennalis inpendium huius arae remisit". In Ostia thun es die Kanno- phoren unter Commodus C I. L. XIV 40 : „tauro[boliuvi factum Malri Deum Magnae Idaeae] cannolphoriY' ; vermutlich von demselben Kollegium ist C I. L. XIV 42 unter Gallus und Volusianus errichtet. Auch Gemein- den veranstalteten Taurobolien; so Narbo C I. L. XII 4321 : „Matri Deum taurobolium indictum iuasu ipsius ex stipe conlata celebraverunt publice Narbon{enses)", die Stadt Lactora Esp. 5: ,ir{es)p{ublica) Lactorat(ium) tauropol(ium) fecit" oder ihr Gemeinderat am S.Dezember 241 Esp. 18: yytauropolium fecit ordo Lact{oratium) cura?itib{us) AI. Erotio Festo et M. Carinio Caro", die Vocontier unter Severus und Caracalla, Allmer Revue epigraphique du midi de la France 2, 389 : „taurobol(iu7n) fec{it) r{es) piublica) Vocipntiorumy. Selbst die ganze Gallia Narbonensis ver- anstaltete ein Taurobolium unter Severus und Caracalla C I. L. XII 4323 : filmperio D{eum) M{atris) tauropoliu?n provinciae Narbonensis factum per C. Batonium Primum fiaminem Augiustorum)" ; ebenso CLL. XII 4329

504 G. ZippBL

„tauropolium provinciae", Dass Einer im Namen der ganzen Genossen- schaft die Weihe empfing, ist an sich wenig wahrscheinlich, und an den beiden Stellen, wo der Beauftragte genannt wird, ist nur die Besorgung des Opfers betont : ,i factum per C. Batonium Primum ", curantib{us) M, Erotio Festo et M. Carinio Caro^\ Die jüngste datierte Inschrift der Art gehört der Mitte des dritten Jahrhunderts an (C. I. L. XIV 42 von 252/3), und wir haben keinen Anlass, eine der anderen für jünger zu halten.

Dazu kommt die bei vielen Taurobolien-Inschriften zugefügte Zweck- bestimmung : sie sind durchweg in erster Linie für das Wohl des kaiser- lichen Hauses vollführt. Wir finden Taurobolien „;?ro salute imperh" in Corduba am 25. März 238 C. I. L. II 5521, ähnlich C. I. L. 1568. 1569 in Dea; „pro salute et incolumitate domus divinae" in Lactora Esp. 5, ähnlich in Vasio C. I. L. XH 1311, in Valentia C. I. L. XH 1745; „pro salut(e) et redlt{u) et victor(ia) imp{eratoris)" C. I. L. XIV 43 in Ostia; ferner für einzelne Kaiser: für Commodus in Arausio C. I. L. XH 1222, für Severus und Caracalla in der freilich verdächtigen Inschrift von Frejus C. I. L. Xn 251 , ferner in Dea Kev. 4p. du midi de la France 2, 389, in Narbo C. I. L. XH 4323, und in Lyon, Allmer, Musee de Lyon 1, 41 , in Poitou Rev. arch. 1889, S. 423 n. 83; für Alexander in Mileu C. L L. Vm 8203; für Maximinus und Maximus in Teate C. I. L. IX 3014; für Gordian das grosse Gruppen-Taurobolium von Lactora i. J. 241 ; für Philippus in Dea CLL. XII 1567; endlich für Probus inMactar, Bulletin archeologique du Comite des travaux historiques 1891, p. 529. Dem Wohl des Kaisers werden Wünsche für die Stadt zugefügt; so in Lyon i. J. 160, Boiss. 19: „pro salute Imperatoris [C^aes{aris) T. Äeli Hadriani Antonini Aug{usti) Pii p{atris) p{atriae) liberorumque eius et statu coloniae Lugudun{iy*, ähnlich i. J. 190 Boiss. 21, i. J. 194 Boiss. 22, i. J. 197 Boiss. 36, ähnlich auch in Lactora i. J. 241 Esp. 17. Die wichtigsten römischen Staats- behörden werden in Ostia in das Gebet eingeschlossen: „pro salute Im[p{era' toris) Caes{aris)] M. Aurel[i Antonini Aug{usti) et\ L, Aureli [Com- modi Caes(aris) et] Fanstina[e Aug{ustae) matris caslro^rtim libe{rorum- que eoruTRy senatus, XV vir{um) s(acris) f{aciundis) , equestr(is)] ordi- n(is), e3o\ercituum\, navigan[tium\^ decurio[num col(oniae) Ost{iensis)]*' C. I. L. XIV 40, ähnlich n. 42 unter Gallus und Volusianus.

Diese mit dem Taurobolium verbundenen Segenswünsche schliessen mit Probus (276 282), gehören also nur dem zweiten und dritten Jahr- hundert an; sie lassen das Taurobolium durchaus nicht als eine Weihe, sondern als ein Opfer erscheinen, mit dem man die Gottheit für Kaiser und Reich und die Gemeinde günstig zu stimmen suchte. Die Inschriften

Das Tanrobolium. 505

sind durchaus in gleichem Ton gehalten, wie einfache Weihinschriften; man vergleiche z. B. C. I. L. Ym 2230 : „\Matr]iDeum Aug(ustae) sac{rum) [pro'] salute Imj){eratorum) L. Septimi Severi Pii Pertinac{is) et M. Aureli Antonini Aug{ustorum) et P. Septimi Getae Caes{aris) et Inline Ang{ustae) totiusque dom{us) divinae C. Sittius lanuarius sacerd{os) dono dedit", die von Esperandieu S. 120 unrichtig unter die Tauroholien- Inschriften ge- stellt ist.

Sehen wir nun, wie die Inschriften von der Handlung selbst sprechen. Voran steht meistens die Widmung an die grosse Mutter, neben der häufig Attis genannt ist. Oft steht sie selbständig als Überschrift voran : „M{atri) D{eum) s{acrum)" C I. L. n 5260, ähnlich C. I. L. VI 511. IX 1538, meistens in Lactora Esp. n. 6—8. 10. 11. 13. 16. 18— 26, auch bei dem Taurobolium von Mactar (Bull. arch. 1891, p. 529), „M{atrt) D{eum) M(agnae) lidaeae) sacrum factum'' C. I. L. VIII 8203. Dann wird es als eine zu Ehren der Gottheit vollzogene Handlung dargestellt: ,,Matri Deum taurobolium fecerunf' CLL. Xn.2b\, 1222. 1311. 1569. 1744. 1745. 1782. VI 505. Esp. 5. 12. Kev. arch. 1889, S. 423 n. 83, wohl auch Boiss. n. 20.

21, „Matri Deum optimae maxim(ae) sacra taurobol[i] l{ibens) m{erito) f{ecit)" X 4829, ähnlich auch ,ytaurobolium" (oder „criobolium") ,Jactum Matri Deum" C. I. L. XIV 40—43; ,,M{atri) D{eum) M{agnae) J{daeae) sacrium) fecer{ij,ntY C. I. L. XII 1567. Mitunter fehlt die Widmung C. I. L. VI 507. X 4726. XU 1568. Kevue epigr. d. m. d. Fr. 2, 389. Boiss.

22. 23. Esp. 1. 17. Für das einfache facere finden wir zuweilen cele- brare gebraucht C. I. L. XII 1. 1568. 1744. 4321. Zuweilen erscheint es jedoch als eine der Göttin dargebrachte Gabe : „Matri Deum tauropolium'' C. I. L. Xn 4328 (allerdings unvollständig), „Matri Deum taurobolium^ quod feciV' C. I. L. XII 4322, ähnlich 4326, VI 508 ; „taurobol[ium\ Matrü Deum'' Boiss. n. 24 ; anders „taurobolio Matris D{eum)" u. s. w., worauf die Handlung berichtet wird, Boiss. 19. Zuweilen erfolgt die Widmung „ob taurobolium'* C. I. L. IX 1538. 1539. 1541. 1542. XII 357. 358, ähn- lich „tauj^obolio facto" C. I. L. VI 506. Hauptsächlich in späteren In- schriften wird die Errichtung des Altars, die von jeher üblich war, be- sonders erwähnt, zuerst i. J. 199 in Ostia „taurobolium fecit et aram taurobolatam posuit" C. I. L. XIV 39 ; „aram tauroboli sui" C. I. L. 11 5260. Ganz überwiegend geschieht das im vierten Jahrhundert : „tauro- bolio confecto aram feliciter consecraviV C. I. L. VI 498 i. J. 350, und ganz ähnlich VI 499 (J. 374). 501. 502 (J. 383). 503 (J. 390). 509 (J. 370). 510 (J. 376). 511 (J. 377). 512 (J. 390), ähnlich auch in griechischen Inschriften Inscr. Gr. Sic. et It. 1020 in Kom und den athenischen C.I. A. ni 172, wahrscheinlich unter Julian, und n. 173 i. J. 387. Ganz dem

606 G. ZippEL

dritten Jahrhundert scheint die Wendung tauroboUum accipere anzu- gehören C. I. L. XII 4325, die namentlich bei den späteren Taurobolien von Lactora regelmässig gebraucht wird: Esp. 18—26; der Ausdruck taurobolium percipere kommt erst im vierten Jahrhundert vor.

Ist aus solchen allgemeinen Worten wenig zu entnehmen, so führt uns etwas weiter das, was von den Priestern gesagt wird. Häufig finden wir sie nur wie zur Datierung genannt, z. B. „sacerdole Aurelio Stephano'' i. J. 238 in Cordova C. I. L. 11 5521; so 11 5260 XII 1569. 4322. 4324. 4326. Boiss. 19. 21. Esp. 7—1 1. 16—26. Zwischen einer solchen Datie- rung und einem allgemeinen Hinweis auf die Thätigkeit der Priester schwankt die Inschrift von Ostia aus d. J. 199 C. I. L. XIV 39: „tauro- boUum fecit et aram taurobolatam posuit per sacerdotes Valerio Pan- carpo". Auf die priesterliche Thätigkeit bei einer religiösen Hand- lung weist auch die Inschrift von Lissabon vom J. 108 C. L L. II 179: y,per M, Iul{ium) Cass{ianum) et Cass(iuin)- Sev(erum)", Bestimmter fuhren auf die Thätigkeit des Priesters die Worte praeire und tradere. Bei dem Taurobolium von Tain am 23. April 184 lesen wir C. I. L. XII 17S2: „praeeunte Aelio Clastrerilse sacerdote, tihicine Albio Verino", Den- selben Priester finden wir am 11. Mai 194 in Lugdunum thätig, Boiss. 22: „praeeunte Aelio Castrense sacerdote, tihicine Fl{avio) Restituto", und den letztgenannten Flötenspieler finden wir wieder am 7. Mai 197, Boiss. 23: „{p)raeeunie Aelio Antho sacerdote, sacerdotia Aemilia Secundilla, tihi- cine Fl(avio) Restftuto, apparatore Vireio Hermetione", Ebenso heisst es in Yasio C. I. L. XII 1311: „praeeunte Aul{o) Titio Fhronimo sa- cerd(ote)". In Dea finden wir am 30. September 245 drei Priester von drei Gemeinden thätig, C. I. L. XII 1567: „praeeuntihus sacerdotihus Iuni\o] Tito XV vir{ali) Arausens{ium) et Castricio Zosimione civitat(is) Alhens[is) et Blattio Paterno civitatis Voc{ontiorum) et Fabricio Orfito Liberi patris et ceteris adsistentihus sacerdotihus". Man könnte dieses praeire auf das Vorsprechen bestimmter Gebetsformeln oder Lobpreisungen der grossen Mutter und des Attis beziehen, da ^qi „hymnologus primus M{atris) D{eum) I{daeae) e[t\ Atti[n]is publicus" (Bull. inst. arch. 1884, S. 155) wohl nicht zu dem Tauroboliendienst gehört; allein da wir oft mehrere Personen dabei thätig sehen, ist es näher liegend, das Wort in seiner nächstliegenden Bedeutung zu fassen als Voranschreiten bei einer Pro- zession, von der wir auch sonst Spuren finden.

Das Wort tradere finden wir zunächst in den beneventanischen Inschriften vom Anfang des dritten Jahrhunderts: „^flwr(o6o//t/w) trad[it\u(m) a Servilia Varia sac{erdote) pinma'' CLL. IX 1541; „[taur]ibol{ium) tr[aditu]m a Servi[l]ia [Va]ria sa[c{erdote) prima]" n. 1542; „criobolium

Das Taurobolium. 507

factum M{atri) De{um) Ma(gnae), tradentib{us) Septimio Primitivo augure et sac{erdote) Servilia Varia et Terentia EUsuiana sacerd{ote) XV vir{ali), praeeunte Mamio Secundo" am 9. April 228 n. 1538. Bei dem Tauro- bolium von Mactar unter Probus heisst es: „tradentibus Rannio Salvio eq{uüe) R{omand) pontfßce et Claudio Fausto sacerdotihus" (Bull. arch. 1891, p. 531). Hier übergeben die Priester das Taurobolium dem Ver- anstalter des Opfers; in einem Falle erscheint dieser, selbst Priester der Göttermutter, auch bei der Übergabe beteiligt, C. I. L. IX 1540: „Attini sacr{um) et Minervae Parachintiae L, Soniius Pineius lustianus eq{iiitis) R{omani) adne{pos), vir principalis, duurmnr et r^unerarius natalis colo' niae, omnibus honoribus perfunct{us) et sacerdos Matri Deum M(agnae) I{daeae) in primordio suo taurobolium a sefactuMi tradente simul Cosinia Celsina consacerdote sua, praeeunte Flavio Liberali har{uspice) publ{ico) primario". Zuletzt erscheint die Formel am 19. April 319, C. I. L. VI 508: f,praesentib(us) et tradentib{us) c{larissimis) v{iris) ex ampliss{i?no) et sanc- tissiimo) coll(egio) XV vir{um) s(acris) f(aciundis)". Offenbar steht dies tradere dem öcc//?ere gegenüber: der Übergebende ist stets der Priester, der Empfangende der Veranstalter des Opfers. Gleichbedeutend mit accipere wird einige Male suscipere gebraucht; so in Corduba i. J. 238 C. I. L. n 5521 : „tauribolium fecit Publicius Valerius Fortunatus Tha- lam[u\s, suscepit crionis Porcia Bassemia'', Wenn die seltsame Form crionis wirklich mit Mommsen als Genetiv von Y,Qi6s aufzufassen ist, so hat Porcia Bassemia das mit dem Taurobolium verbundene Criobolium aufgefangen, Valerius Fortunatus also das eigentliche Taurobolium. In Mileu unter Alexander Severus heisst es C. I. L. Vin 8203 : ,,criobolium fecerunt et ipsi susceperunt per Aemili{u)m Satuminum sacerdotem*\ Der Ausdruck ist hier insofern ungenau, als von einer Vermittelung bei der Empfangnahme nicht die Rede sein konnte, wenn die Veranstalter, Basilicus und Mnesius, das selbst besorgten; die Thätigkeit des Priesters konnte nur in der Übergabe bestehen. Zuletzt erscheint in demselben Sinne das sonst im vierten Jahrhundert für den Empfang der Bluttaufe übliche percipere gebraucht, am 19. April 319, C. I. L. VI 508: „tauro- bolium criobol{ium) caemo perceptum per Fl{avium) Antonium Eustochium sac{erdotem) Phryg(ium) max(imumy\ Die Inschrift weicht von den früheren nur darin ab, dass Quindecimvirn das Taurobolium übergeben der Priester es empfängt, während die Veranstalterin, Serapias, im Hinter- grunde bleibt. An eine Bluttaufe kann in allen diesen Fällen nicht gedacht werden; sie konnte weder in einer Schale aufgefangen werden, noch konnte bei ihr, wie es in Benevent bezeugt ist, der Empfangende zugleich bei der Übergabe beteiligt sein.

508 G. ZipPBL

Dass die geweihte Schale, cacrnvs, hei dem Tauroholium eine wich- tige EoUe spielte, heweisen die häufigen Darstellungen von Krug und Schale auf den Dentmälern : C. I. L. VI 502. 509. IX 1539. X 4726. XII 4325 4327. Eine cemophora finden wir hereits i. J. 108 in Lissa- hon C. I. L. ni79: „Matri Deum May{nae) Ideae Phryg(iae) Fl{avia) Ti/che cernophor{a) per M. Iul{ium) C(iss{ianum) et Cass{mm) Sev{erumy'. Die Vermittelung zweier Priester lässt auf eine grössere Kulthandlung schliessen ; sollte es ein Tauroholium sein, so hätten wir hier das älteste Beispiel vor uns. Eine weitere Schalenträgerin kennen wir in Puteoli, CLL. XI 803: nDiis) M(anibus). Herme Victorinae \c\aernophoro M, Eerius Valerianus ßliae dulcissimae'*. Bei dem Tauroholium von Mactar wird dieses Auffangen mit der Schale geradezu als der wesentlichste Teil des Tauroholiums bezeichnet, Bull. arch. 1891, p. 531: „M{a(ri} D{eum) M{agnae) I(daeae) Aug(ustae) sacrum pro salute Impieratoris) Caes{aris) M. Aureli [Probt] pH felicü Aug{usii) totiusque divinae domus Q, Arellius Optatianus eq{ues) R(oinanus) sacerdos, perfectis rite sacris cer- norum crioboli et tauroboboli, suffragio ordinis col{oniae) suae Mactaritanae comprobatus antistes, sumptibus suis, tradeniibus Rannio Salvio eq{uite) R{omano) pontifice et Claudio Fausto sacerdotibus vna cum universis dendroforis et sacratis utriusque sexus v{otum) s{olvit) l{ibenti) a{nimo)". Die Handlung erhielt hier eine grössere Feierlichkeit durch die Anwesenheit zahlreicher Personen, die da mit bei der Übergabe beteiligt erschienen, was C. I. L. VI 508 genauer ausgedrückt wird „arf- sistentibus et tradentibus" . Sacrati ist natürlich nicht gleichbedeutend mit dem später üblichen tauroboliati; denn schon die Errichtung eines Altars nach jedem Tauroholium zeigt, dass das immer eine ausnahms- weise Feier war ; es sind vielmehr die zu einer Art Gemeinde vereinigten regelmässigen Yerehrer der grossen Mutter, die vielleicht eine einfachere Weihe durchgemacht hatten, etwa der Art, wie sie Firmicus Matemus c. 18 für die fxvöiai "Aiiewg berichtet.

Auf Übergabe und Empfang folgte das Forttragen in feierlicher Prozession unter Flötenbegleitung. Darauf weist ausser dem praeire der Ausdruck taurobolium movere. Wir hören in Teate unter Maximin C. I. L; IX 3014: ^^taurobolium movit Petronius Marcellus sacei'd{os) de suo", und in der Parallelinschrift n. 3015: „criobolium et aemobolium movit de suo Petronius Marcellus sacerdos". Auf einem Taurobolienaltar in Gabii C. I. L. XIV 2790 steht: „Matri Deum Magnae Ideae Pompeius Rusonianus co{n)s{ula?'is) XV vir sacris faciundis taurobolium movit". Noch in der letzten Zeit finden wir den Ausdruck bei dem Taurobolium des Rufus Caeionius Sabinus am 12. März 377;

Das Taurobolium. 509

„et veneranda movet Cibeles Triodeia signa, augentur meritis simbola tauroboli*' C. L L. VI 511. Freilich ist es bei der Religionsmengerei dieser Zeit nicht sicher, dass diese Zeichen der Cybele gerade Zeichen des Tauroboliums sind.

Der Gegenstand nun, der so übergeben, oder genauer, wie der Name Taurobolium und Criobolium und auf der anderen Seite das Wort susci- pere zeigt, geworfen, dann aufgefangen und fortgetragen wurde, kann nichts anderes sein, als die vires, auf die jene Handlungen ausdrücklich bezogen werden in der ersten Taurobolien -Inschrift von Lugdunum i. J. 160, Boiss. 19: „taurobolio Matris D{eum) M[agnae) I(daeae) Diin- di/menaef), quo d factum est ex imperio Matris D{ivae?) Deum pro salute Imperatoris [C\aesaris T, Aeli Hadriani Antonini Aug(usti) Pii p{atris) p(atriae) liberorumque eius et Status coloniae Lugudun{i) L, Aemilius Carpus IIIIII vir Aug(ustalis) , item dendrophorus vires excepit et a Vaticano transtulit, ara(m) et bucranium suo inpendio consacravit sacerdote Q. Sammio Secundo ab XV viris occabo et corona exornato, cui sanctissimus ordo Lugdunens{ium) perpetuitatem sacerdoti decrevit App(io) Annio Atilio Bradua T. Clod{iö) Vibio Varo co{n)s{ulibus), l(ocus) d(atus) d{ecurionum) d{ecreto)". Es handelt sich um die Ein- führung des Tauroboliums in Lugdunum und wohl überhaupt in Gallien. Es gab in Lugdunum ein Heiligtum der grossen Mutter mit wenigstens einem Priester und einem Dendrophoren- Kollegium; aber den neuen Opferritus holte man sich von dem Vatikan in Rom, wo dieser Dienst damals also schon in Blüte gestanden haben muss. Wollte man in dem Vaticanus hier eine Stelle in Lugdunum suchen, so müsste man den Ruhm des römischen Vatikans nur noch höher hinaufrücken; denn der Name kann doch nur von dort herstammen. Auf eine weitere Reise deutet ausserdem das Wort transtulit, auf des Aemilius Carpus An- wesenheit in Rom, dass die Quindecimvirn an Sammius Secundus Arm- band und Kranz verliehen. Am Fusse des Vatikans, da wo heute die Peterskirche steht, lag die Hauptstätte der römischen Taurobolien. Die dort gefundenen Inschriften gehören allerdings sämtlich dem vierten Jahrhundert an, und das früheste datierte römische Taurobolium wurde am 26. Februar 295 gefeiert, CLL. VI 505, allein an der Stelle der Peterskirche, wo das Christentum besonders augenfällig über das Heiden- tum triumphierte, ist sicher vieles zerstört, und von vielen Taurobolien- altären ruhen gewiss noch heute die Trümmer unter den Mauern der Kirche. Hier lag einst der Privat -Circus des Caligula, von dem Dio 59, 14, 6 sagt: loöTe xal vvv %tl FaLavdv Iti aliov t6 %w^/ov, h ([) Tct ccQi^iaTa 7]GK€L, '/.alslod^ai. Auf denselben Platz wurde Nero mit seinen

610 G. ZippEL

"Übmigen gewiesen, Tac. ann. 14, 14: tMausumque valle Vaticana spatwm, in quo equos reger et, haud promhco spectaculo*'. Nero rief dann dorthin das Volk zum Schauen und baute dahin eine neue Brücke. Hier, in der 14. Region, kennen die Regionen- Verzeichnisse das „Gaianum et Friyianum'' (Jordan, Topographie 2, 563), und den Weihetag des Heiligtums hat der Kalender des Philocalus bewahrt, C. I. L. P. p. 200 : ,Jnitium Caiani" am 28. März, im Anschluss an die grosse Märzfeier der Göttermutter, die am 27. März mit der Lavatio endete. Dass die Verehrung der grossen Mutter in Gallien gerade an Rom anknüpfte, zeigt auch die Inschrift von Massilia C. I. L. XII 405 S. 812: „Matris Deum Magnae Ideae Palati^ nae eiusque m{agnae?) religionis adpar[a]tor Navius lanuarius". Die Inschrift ist allerdings heute verschollen, ihre Erdichtung aber ist schwer vorzustellen. Dass der römische Vatikan in Gallien grosses Ansehen genoss und zur Errichtung ähnlicher Heiligtümer Anlass gab, zeigt die Mainzer Inschrift bei Brambach C.I.Rh. 1366: ,Jn h{onorem) d(omus) d{ivi7iae) Deae Virtuti Bellone montem Vaticanum vetustate conlabsum restitiiejmn{t) hastiferi civitatis Mattiacor{umY' am 23. August 236.

Am Vatikan also feierte Aemilius Carpus das Taurobolium, fing dabei die vires auf, trug sie nach seiner Heimat und errichtete dort einen Altar. Wir sehen hier , dass die vires nicht etwa Schädelknochen und Hörner sein können, denn das bucranium wurde nur in Lugdunum geweiht, nicht von Rom herübergetragen; es kann nichts anderes be- zeichnen, als das Bild des Stierkopfes auf dem Altar, das für sich schon dessen Charakter kenntlich machte. Die vires können auch nicht ein- fach die Taurobolien- Sitte bedeuten (Göhler, De Matris Magnae apud Romanos cultu S. 56) oder die durch eine Weihe verliehene mystische Kraft; transtulit verlangt ein materielleres Objekt. Die Inschrift macht es auch klar, was der Taurobolien-Altar bedeutete: er bezeichnete die Stelle, wo unter religiösen Zeremonieen die vires geborgen waren. Das wird klarer durch den Gegensatz des Tauroboliums in Dea vom 30. Sep- tember 245, C. I. L. XII 1567, wo sie an der Stelle des Opfers vergraben waren: Joco vires conditae''. Das bezeugen auch mit gleichen Worten zwei Taurobolien -Altäre von Lactora, Esp. n. 14, 15: „vires tauri, quo proprie per taurobolium pub{Uce) factum fecerat, consacravit".

Die Bedeutung der vires kann gar nicht zweifelhaft sein, wenn wir daran denken, dass der Stier vor allen Dingen als Sinnbild der Leben schaffenden, zeugenden Naturkraft diente ; sie können nichts anderes sein, als die Zeugungs- Organe. Das wird besonders deutlich durch die Er- zählung des Arnobius aus der Mythologie der grossen Mutter, 5, 5 13: Sie selbst entstand danach aus einem Stein des Felsen Agdus; das er-

Das Taurobolium. 511

klärt offenbar den i. J. 204 von Pessinus nach Kom gebrachten Stein. Jupiter, der ihr selbst infolge ihres Widerstrebens nicht nahen durfte, be- fruchtete den Fels, und es ging Agdestis, ein Bild roher Kraft, hervor. Von Liber berauscht und gefesselt, entmannte er sich selbst bei der Be- mühung, sich zu befreien, und aus seinem Blut entspross der Granatapfel. Von diesem wieder wurde Nana, die Tochter des Sangarius, schwanger und gebar den Attis, der von der grossen Mutter wie von Agdestis ge- liebt wurde. Midas, der König von Pessinus, wollte ihn seiner Tochter la vermählen, aber die grosse Mutter hob die Mauern und drang in die Stadt, und Agdestis schlug die Feiernden mit Wahnsinn. Attis ergriff die Flöte, entmannte sich unter einer Fichte, weihte seine Mannheit an Agdestis und starb. Die grosse Mutter barg das Glied in die Erde, aus dem Blut wuchsen Veilchen hervor. Auch la, die sich selbst tötete, wurde von ihr begraben, und es entspross der Mandelbaum. Die Fichte trug sie in die Höhle und klagte dort mit Agdestis. Jupiter gewährte die Unverwesbarkeit der Leiche, Fortwachsen der Haare und Leben im kleinsten Finger. Als Quelle wird Theophilus genannt. Unabhängig von dieser Erzählung giebt Arnobius c. 20 eine andere, die phrygische Mysterien begründen soll: Jupiter habe einmal nach seiner Mutter, die hier Ceres genannt wird. Verlangen getragen und sie überlistet; „fit ex deo taurus et sub pecoris specie subsessoris animum atque audaciam celans in securam et nesciam repentina immiititur vifurens, agit incestus res suas et prodita per libidinem fraude intellectus et cognitus evolat." Die Mutter war leidenschaftlich entrüstet und wurde danach Brimo genannt. Jupiter suchte sie vergeblich zu besänftigen, „ad postremum filius inas satis- factionis inquirens comminiscitur remediurn tale: arietem nobilem bene grandibus cum testiculis deligit, exsecat hos ipse et lanato exuit ex folliculi tegmine, accedens maerens et summissus ad matrevi et tamquam ipse scntentia condemnavisset se sua, in gremium proicit hos eius. Da- durch wird die Mutter besänftigt und gebiert im 10. Monat eine Tochter, Libera oder Proserpina. Dieser naht dann Jupiter als Schlange ; fit ut et ipsa de semine fortissimi compleatur levis, sed non eadem condicione qua mater: nam illa filiam reddidit lineamentis descriptam suis, at ex partu virginis tauri specie fusa lovialis monumenta pe/laciae.** Als Beweis führt Arnobius den tar entin ischen Senar an : ,ytaui^us draconem genuit et taurum draco. ipsa novissime sacra et i'itus initiationis ipsius, quibus Sebadiis nomen est, testimonio esse potemnt veritati: in quibus aureus coluber in sinum demittitur consecratis et eximitur rursus ab inferioribus atque imis/'

Nur der letzte Teil der Erzählung dient zur Erklärung der Sebadia,

612 G. ZippEL

d. h. der 2aßd^ia, der Mysterienfeier des phrygischen Sabazis. An eine solche Feier denkt schon Demostbenes de cor. § 259 f., wo er den Aeschines wegen seiner Thätigkeit bei derartigen Kulten bei Nacht und bei Tage verspottet: ev dh talg rjiniQaig tovq aakovg d-iaoovg aywv dia xwv odwv, Toug eOTecpavwixivovg loj /nagad-o) xal t?; kevxi], tovg o(petg rovg TcaQsLag ■d-Xlßü)v Tial V7t€Q Tijg Y.ecpaXrig aiwQüiv, Kai ßoujv evol Oaßol, yiai ucoQ- Xovfievog vrjg aTzrjg aTTr]g vrjg, e^agxog xal 7CQor]y€fj.ütv Tial 'MaTO(p6Qog Y,al XL'Kvoq)ÖQog xal Totavta vjtb twv yQ(^ölwv TiQooayoQevofievog u. 8. w. Auf diese Stelle bezieht sich Strabo 10, 3, 18, 471 und fügt hinzu: tavta yaq sotl ^aßatta xal MiqTQfocx, und in der That weisen die Rufe oaßol und cLTTTig auf phrygischen Kultus, die Schlange auf die Erzählung des Arnobius, wenn sie auch noch nicht die spätere Rolle zu spielen scheint Firmicus Maternus spricht c. 10 ebenso wie Arnobius von der Schlange: „Sebazium colenles lovem anguem, cum initiantj per sinum ducunV ; c. 26 führt er den griechischen Vers an: ravgog ÖQaxovTog y.al xavQov ÖQccxwv TtarrjQ. Die Grabmalereien CLL. VI 142 in der Gruft der Vibia und des Vincentius, von dem gesagt wird: „numinis antistes Sebazis Vincentius hie e\sl, q\ui sacra sancta deum mente pia co[lui]t", stellen das Hinabsteigen in die Unterwelt, ein Totengericht und die Einführung in den Kreis der Frommen dar. Wir finden den Sabazis bezeichnet als TtavKOLQavog C.L Gr. 3791, als d-ebg STtTJzoog Inscr. Gr. Sic. et It. 1022, als „sanctus deus" Monum. Acc. Line. 1892, S. 344, als „sanctus invictus" Bull, com. 1889, p. 437. Dem Jupiter wird er gleichgestellt C. L L. VI 429. 430. XI 1323; spezielle Verwandtschaft scheint er in älterer Zeit mit Dionysos, später mit Mithras gehabt zu haben, an den der Beiname invicius und die Schlange erinnern, die zu den regelmässigen Bestandteilen der Mithra- Bilder gehört. Strabo nennt ihn 10, 3, 15, 470: tqotzov tiva Trjg MrjTQog To Ttaidlov. Lucian, deor. conc. 9 wirft Attis, Korybas, Sabazios und Mithras zu dem fremdländischen Gesindel, das sich in den Olymp ein- geschlichen hat; Icaromenipp. 27 nennt er sie Tovg fxerolxovg rovzovg xal a^cpißoXovg -S-eovg.

Neben dieser Begründung der Sabazis-Feier finden wir bei Arnobius aber eine Reihe von augenfälligen Beziehungen zu den dem Taurobolium und dem Criobolium zu Grunde liegenden Anschauungen. Vor allem ge- hört dahin der Wurf des Widdergliedes in den Schoss der grossen Mutter, dann, dass Jupiter der Mutter in Stiergestalt naht, die Bedeckung von Attis' Mannheit mit Erde, die Befruchtung des Felsen durch den Gott Von Jupiters Vermählung mit der Mutter spricht auch Julian or. 5, p. 166 A. B. Spanh., von ihrer Raserei Diodor 3, 56, 7. c. 59, 1, allerdings mit völlig abweichender Begründung. Dass die Göttin in der zweiten Erzählung

Das Taurobolium. 513

Ceres genannt wird, hat wenig zu bedeuten. Der Ceres war die grosse Mutter schon als Erdgöttin nahe verwandt; ihr gleichgesetzt wird sie bei- spielsweise in der Inschrift von Aquileia C. I. L. V 796 : ,,M(atri) D(eum) M(agnae) Cereriae v{otum) s(olvit) Fruticia Thymele M, Statini Dori" Agdistis ist nur ein anderer Name der phrygischen Göttin, wie Strabo 10, 3, 12, 469 sagt: Die Berekyntier verehren die Rhea i^irjTSQa xakovvTsg ^ewv Tcal ZdyÖLöTiv xal (Dqvyiav d-ebv f,i€yd?.rjv, anb Sh tojv TOJtwv'ldalav yial^LvdvfXTJvYjv Tial ^cTCvXrjvrjv xal IleaaLVOvvTiöa ymI Kvß^Xrjv. C.I. Gr. 6837 ist geweiht MtjtqI d^eiov ^AyyiGxei, C. I. Gr. 3886 können die ^eol^vyöiorelg nur die Göttermutter und Attis sein, C. I. Gr. 3993 t?^V rs !kyyöiGTiv y.al T^rjv fx[rjT€]Qa Borjd-rjvrjv ycai S-eujv ttjv f.irjT€Qa /.al zbv [d]ebv Idrcol'kü) xai Trjv !kQT€(^iLv sind die drei ersten auch kaum verschieden gedacht. Bei Arnobius ist Agdistis ein Doppelwesen, halb zu Kybele, halb zu Attis. Die Erzählung stellt in verschiedenen Wendungen die Befruchtung der Erde durch den göttlichen Samen dar, und daran knüpften Taurobolium und Criobolium mit dem Wurf der Zeugungsglieder von Stier und Widder, ihrer Bergung in der Erde und der Errichtung des Altars an der dadurch geheiligten Stätte. Eines vermissen wir in dem Bericht des Arnobius : Wenn der höchste Gott sich mit der Göttermutter vereinigte, so sollte man als Sprössling einen Gott erwarten; Libera aber gehört allem Anschein nach nicht in die Mythologie des Tauroboliums. Strabo deutet etwas Derartiges an, wenn er den Sabazis tq67Cov tlvcc Tfjg MrjxQbg ib Tcaiöiov nennt. Eine Andeutung giebt auch eine römische Taurobolien-Inschrift vom 16. Juni 370, CLL. VI 509^Inscr. Gr. Sic. et It. 1078. Leider ist hier das entscheidende Wort, das den Sprössling bezeichnet, durch einen Bruch zerstört; vielleicht stand aber auch nur: MrjTsgt, rfj tvccvtcüv 'Pelj] [d-elcp] xe yeve&kc^. Sehen wir aber, wie der öde Fels Agdus von dem Gott befruchtet wird, wie die Felshöhle als Aufenthaltsort der grossen Mutter, als Bergungsstätte des Attis eine wichtige Rolle spielt, so liegt es nahe, an Mithras, den felsgeborenen Gott, den ^ebg ex, Ttergag des Firmicus Maternus c. 20, zu denken, dessen Geburt mehrfach in den Spelaeen dargestellt ist. Wir finden die Petra genetrix im Altenburger Mithreum C. I. L. III 4424 : „Petrae genetrici P. Ae(lius) Nigrinus sacerd{os) v{otum) s(olvUy% C. I. L. III 4543 : „P{etrae) g{enetrici) d{ei) Aurelius Statorius v(otum) s(olvit) l(ibens) m{erüoy*, und darauf geht wohl auch die Basis von Trient C. I. L. V 5020 : ,tgen{etrici) pro ge{nitura) dei Q, Muiel{ius) lustus cum s(uisy*. Liegt es schon da- durch nahe, eine Anschauung zu vermuten, die Mithras als den Sprössling der grossen Mutter auffasste, so werden wir durch eine Betrachtung des Kalenders fast dazu gezwungen : am 22. März wurde die Fichte als Sinn- bild des Attis in den Tempel der phrygischen Mutter getragen; am 24.

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folgte der Bluttag, der Erinnerungstag an Attis' Entmannung; am 25. folgten die HUariuy die wohl nicht allein einen fröhlichen Gegensatz gegen die Trauerfeier des Vortages bilden, sondern zugleich der Freude Ausdruck geben sollten, dass der göttliche Same in die Erde aufgenommen war. Der folgende Tag, Requetio, und die Lavatio am 27. passen sehr wohl dazu. Nun finden wir den 25. Dezember, neun Monate nach den Ililaria bei Philocalus als Naialis Invicii bezeichnet C. I. L. I p. 278. 338, wobei die Beziehung auf Mithras sich kaum abweisen lässt; es ist das Fest, das zur Datierung des christlichen Weihnachtsfestes den Anlass gab. Sollte das ein blosser Zufall sein?

Es könnte auffallen, dass die vires y die in dem Taurobolium eine so wichtige Eolle spielten, in den Inschriften so selten genannt werden. Aber einmal geht die grosse Mehrzahl der Inschriften auf die einzelnen Handlungen überhaupt nicht ein, und dann scheint man, wenn auch ver- einzelt öffentliche Taurobolien vorkamen, die Feier in der Regel doch in ein gewisses Dunkel gehüllt zu haben. Die Haupthandlung scheint um Mitternacht vollzogen zu sein: Auf dem ersten lugdunensischen Tauro- bolien-Altar i. J. 160 lesen wir neben dem Opfermesser: ,,cuiua mesonyctium factimi est V. id{us) dec{embresy* Boiss. 19. Auf dieselbe Zeit weist die beneventanische Inschrift von 228, CLL. IX 1538: „haec iussu Matris Deum in ai^a taurobolica duodena(f) cum vituLa crem(avit) sub die V id(us) Aprilis'', An das Criobolium denkt wohl auch Firmicus Matemus c. 27 : „arborem suam diabolus consecrans iniempesta nocte arietem in caesae arboris facii radicibus immolari.^* Aber wenn die vires auch nicht allzuhäufig genannt werden, so finden wir sie anderseits geradezu göttlich verehrt, besonders in Oberitalien. Eine Widmung an die vires ohne weiteren Zusatz finden wir CLL. V2479, Altäre n. 1964. 8247; ,,Lymfis Virib{us)*' n. 5648, »y Viribus Augustis" n. 8248. Dann erscheinen sie in Verbindung mit bestimmten Göttern: CLL. V 4285 hat auf einer Seite: „Neptuno v(otum) s(olvit) l{ibens) ?u{erito)" , auf der anderen: „Viribiis v{otum) s{olvit) liibens) m{erito)"; n. 5798: „Deo Magno Pantheo ex voto posuit, qiii et sign(avit?)y Caesius Vitalio. l{ocus) d{atus) d{ecurionum) d(ecretoy% auf der anderen Seite : ,yM{itkrae?'') odei ,yM{atri?) Viribus". In enger Verbindung mit dem Taurobolium zeigen sie die Turiner In- schriften CLL. V 6961: „Viribus Aetemi taurobolio Sempronia Eutocia" und n. 6962: „F/r/[Z»]M* Aetemi taurobolio P, ülattius Priscus''. Wir sehen hier, wie das Taurobolium aufgefasst wurde: es war ein Sinnbild für die Zeugungskraft des ewigen Gottes. Auf einem Taurobolien-Altar von Bordeaux (JuUian, Inscriptions romaines de Bordeaux 1, p. 31) steht zu lesen: „Natalici Virib{us) Valer{ia) Iuli{a)na et Iul{ia) Sancu", Man

Das Taurobolium. 515

könnte an das ^taurobolium natalicium" C.I.L. II 5260 denken, wenn die Verbindung nicht hier einen Gott verlangte; so müssen wir an einen besonderen Geburts- oder Schutzgott der Geberinnen oder wohl besser allgemein an einen Geburt d. h. Leben schaffenden Gott denken ; das dunkle Wort kann leicht eine Folge mystischer Ausdrucksweise sein.

Welche Rolle die menschlichen vires im Dienste der phrygischen Göttin spielten, ist bekannt, und wir können das Eindringen dieses Un- wesens in Rom stufenweise verfolgen. Bei der Einführung der Magna Mater i. J. 204 v. Chr. war davon sicher nicht die Rede, und wohl auch im Hinblick auf die damals bereits eindringenden orientalischen Sitten nennt Cicero die i. J. 194 v. Chr. eingeführten Megalesien „more instUutis^ que maxime casti" (sc. ludi), de harusp. resp. 12, 24. Als i. J. 101 v. Chr. ein Sklav zu Ehren der Göttermutter sich entmannte, wurde er aus det Stadt geschafft und die Stadt gesühnt (Obs. c. 44). Im J. 77 v. Chr. finden wir bereits einen Gallus in Rom im Dienste der grossen Mutter, aber der Konsul Mam. Aemilius Lepidus verweigerte ihm das Recht, weil er weder Mann noch Weib sei (Val. Max. 7, 7, 6). CatuU wünscht wenigstens in seinem Hause von dem ganzen Cybeledienst verschont zu sein (c. 63, 91 f.); bei Ovid (fast. 4) sind die Galli eine ganz gewöhnliche Erscheinung. Wir finden dann an den verschiedensten Orten Archigalli, die diesen Titel schwerlich geführt hätten, wenn sie nicht selbst Galli gewesen wären. Darauf weist namentlich die Grabschrift von Jader, C.I.L. III 2920a: „L. Barhunteius Demetrius, archig{aUus) SalonitanuSj qui annis XVII usq{ue) ad ann{um) LXXV integr{e) sacra confeciV, Genau würde das heissen, er habe 17 Jahre lang bis zum 75. Jahre sein Priesteramt versehen; aber beabsichtigt war gewiss, dem Schlussjahr seines Dienstes und seines Lebens das Anfangsjahr seines Dienstes gegen- überzustellen, und wenn er im 17. Jahre diesen Dienst antrat, so dürfte das Übrige klar sein. Der Akt selbst wird auf einem Altar von Lactora berichtet, Esp. 16: ,,S{acrum) M{atri) M{agnae). Val{eria) Gemina tires e[sc\cepit Eutychetis Villi, Kal{endas) April{es), sacerdote Traiamo Nun^ dinio, d{omino) n{ostro) Gordiano et Aviola co{n)s{uUbus)" (J. 239). Die Handlung ist viel zu harmlos aufgefasst, wenn Esperandieu meint, es handle sich um die vires eines von Eutyches geopferten Stiers. Dana hätte Eutyches als der Opfernde voranstehn müssen. Jeden Zweifel hebt der Tag: es ist der 24. März, der Bluttag, mit seinen Erinnerungen Attis. Prudentius bespricht die Sitte perist. 10, 1059—1075, nach einer kurzen Abschweifung zu den heidnischen Massenopfern. Auf die Aus- breitung der Tauroboliensitte scheinen die Archigalli, die Seher der phrygi- schen Göttin, stark eingewirkt zu haben. Wir finden Taurobolien ver-

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anstaltet „ea: vaticinatione archigalW CIL. VEI 8203. Xu 1782. Boiss. 21. Auch wo der Archigallus nur als mitthätig genannt wird, wie CLL. II 5260, können wir in ihm den Urheber vermuten. Aber auch wo ein Befehl der Göttermutter als Grund angegeben wird, „ex iussu" oder „imperio Matris Deum" CLL. II 5521. XH 4321. 4323. 4325. Boiss. 19, kann nur er den Vermittler gespielt haben.

Die Inschriften des zweiten und dritten Jahrhunderts geben uns in Verbindung mit dem Bericht des Amobius (Ende des 3. Jahrhunderts) ein ganz anderes Bild von dem Taurobolium, als vrir es anfangs aus Prudentius und den Inschriften des vierten Jahrhunderts gewannen. Dass Prudentius nur für die Gebräuche des vierten Jahrhunderts massgebend ist, ergiebt sich auch, wenn wir auf die Veranstalter von Taurobolien hinblicken. Im vierten Jahrhundert überwiegen vor allem die Quindecim- virn, also das Priester-CoUegium, dem die oberste Aufsicht über den Dienst der grossen Mutter zustand (CLL. VI 497—499. 501. 509. 1675. 1778. 1779. XIV. 2790. Eph. ep. 8, 648. Insc. Gr. Sic. et It. 1020), dann römische Pontifices (CLL. VI 498. 501. 503. 509. 511. 1788. Eph. ep. 8, 648), Augurn (CLL. VI 503. 504. 1778), Septemviri epulonum (CLL. VI 501. Eph. ep. 8, 648) ; viele haben hohe Würden in anderen Götterdiensten, so namentlich des Mithras (CLL. VI 504. 507. 509— 511. 1778. Eph. ep. 8, 648), der Hecate (CLL. VI 504. 507. 510. 511. 1778. 1779. Eph. ep. 8, 648), des Liber (CLL. VI 504. 507. 510. 1778. Eph. ep. 8,648). Archelaos in Athen rühmt C LA. LEI 172: Kletdovxog eq)v ßaOLlri'Cdog^HQTqg, ev Aiqvri d'elaxev ^votltioIovs öatöag. Ähnlich ist es mit den Frauen; eine nennt sich „sacerdus maxima M{atris) D{eum) M{agnae) I{daeae)" CLL. VI 502), eine andere „sac{e)r{dos) [Deum] Matris et Proserpinae" (n. 508), und Sabina sagt Inscr. Gr. Sic. et It. 1019: ogyia Jrjovg y.al (poßeqag '^EKaTrjg vvKTag eTtLorafievr]. Schliesslich feierte nach dem christlichen Streitgedicht Nicomachus Flavianus, i. J. 394 der eigentliche Herr in Eom, ein Taurobolium. Die Verse, die von seiner vielfachen priesterlichen Thätig- keit sprechen, sind verstümmelt, klar ist wenigstens v. 71 : „Nympharwn Bacchique comes Triviaeque sacerdos". Nur Eufius Volusianus in Rom (CLL. VI 512) und Musonius in Athen (CLA. III 173), beides Männer des höchsten Ranges, haben keine geistlichen Würden aufzuweisen. Der erste rühmt wenigstens die Isis-Priesterschaft seiner Mutter. Im ganzen aber rechtfertigt die Übersicht es durchaus, dass Prudentius v. 1010 den Weih- ling f,summus sacerdos" nennt.

In früherer Zeit sehen die Errichter der Tauroboüen-Altäre doch etwas anders aus. Wir finden eine Reihe von Priestern der grossen Mutter CLL. LS 1540. Xn 1. 1567. 1568 (vgl. 1569). 1744. 1782), ebenso Prie-

Das TauroboKum. 617

sterinnen (CLL. IX 1539. 1541. X 4726. 6075), dann aber auch Tempel- diener und Dienerinnen, eine Tympanistria CLL. IX 1542, einen Tibicen CLL. XII 1745; Aemilius Carpus ist Sevir Augustalis Boiss. 19. Über- wiegend sind aber die Privatpersonen, über deren Stellung wenigstens nichts gesagt ist, Männer: CLL. VIII 8203. XII 357. 1222. 1311. 1569. Esp. 14. 15. 25. 26, und noch mehr Frauen: CLL. VIII 5524. X 4829. XII 1. 4322. 4324.4326. XIV 39. Boiss. 22-24. Esp. 7— 9. 19—24. Inscr. de Bordeaux 1, p. 31. Dazu kommt eine Freigelassene: ,,Concordia col{0' norum) lib{erta) Ianuari(ay' in Benevent i. J. 238, CLL. IX 1538, und eine Sklavin: „Thalame Hosidiae Afrae" in Puteoli i. J. 144, CLL. X 1597. Erst gegen Ende des dritten Jahrhunderts sehen wir, dass das Taurobo- lium in höhere Kreise dringt. Während noch Pineius lustianus in Bene- vent sich nur „eq{mtis) R{omani) adne{pos)" nennen kann (CLL. IX 1540), sind in Mactar unter Probus sowohl der Opferer als einer der übergeben- den Priester römische Ritter (Bull. arch. 1891, p. 531), und i. J. 295 sehen wir bereits einen Mann vom höchsten römischen Adel, den Augur Scipio Orfitus, ein Taurobolium feiern (C I. L. VI 505. 506).

Wenn nun die älteren Taurobolien-Inschriften die Weihe mit dem Stierblut nicht kennen, so entsteht die Frage, wann und wie sie dazu ge- kommen ist. Das Wort iauroboliatus kommt zuerst in der Geschichte Elagabals vor, Lampr. c. 7, 1. 2: „Matris etiam Deum sacra accepit et iau- roboliatus est, ut typum eriperet et alia Sacra, quae penitus habentur con- dita: iactavit autem caput inter praecisos fanaticos et genitalia sibi de- vinxit et omnia fecit, quae Galli facere solent, abtatumque sanctum in penetrale der sui transtulit". Wir werden an die Erzählung von Agdestis erinnert und sehen, dass das Taurobolium den Zutritt zum innersten Heilig- tum eröffnete. Wenn aber Elagabal ein Taurobolium vollführte, so folgt noch nicht, dass der Ausdruck tauroboliaius bereits seiner Zeit angehörte. Der letzte Kaiser, für dessen Wohl ein Taurobolium dargebracht wurde, ist Probus (Bull. arch. 1891, p. 531); von einer Körperschaft scheint zum letzten Male unter Gallus ein Taurobolium veranstaltet zu sein (CLL. XIV 42) ; das letzte Taurobolium, bei dem der alte Ritus deutlich hervor- tritt, ist i. J. 319 gefeiert (C I. L. VI 508); anderseits tritt die jüngere Form zuerst i. J. 305 hervor (C L L. VI 497). Wir können danach sagen, dass die neue Sitte sich etwa seit der Mitte des dritten Jahrhunderts ausge- bildet hat und im vierten herrschend geworden ist. Ihr Ursprung ist wohl in erster Linie im Mithras-Dienst zu suchen. Nach Prudentius v. 1026 liess man das Stierblut aus einer Brustwunde laufen. Das erinnert an die Hauptdarstellung der Mithras-Höhlen, wo der Gott den fliehenden Stier ereilt, auf seinen Rücken springt und ihm das Messer in die Brust stösst.

518 G. ZippEL

Ein starker Blutstrom ergiesst sich aus der Wunde, und ein Hund springt von vorn heran und leckt das Blut. Hieran erinnern die canes Mega- lesiaci des Gedichts von 394, v. 65. Dass diesem Blut eine besondere Bedeutung beigelegt wurde, sehen wir aus der römischen Inschrift C. I. L. VI 719, wo am Stierhalse nahe der Wunde die Worte stehen y.Nama SebesiQ", was kaum etwas anderes bedeuten kann, als „der heilige Quell". Dieselben Worte stehen C. I. L. XIV 3566 an derselben Stelle, und ebenda stehen CLL. XIV 3567 die Worte „Nama cunctis", d. h. „das für Alle fliessende Nass". So fanden die Verehrer der grossen Mutter in dem ohne- hin nahestehenden Mithras- Dienst das heilige Blut des auch ihnen hei- ligen Stiers und in der immer weiter vordringenden christlichen Religion die Läuterung durch die Taufe ; aus beiden Elementen erklärt sich völlig die Bluttaufe der späteren TauroboUen.

Einzelne Reste der früheren Taurobolien-Gebräuche haben sich auch in späterer Zeit erhalten. Von einer Prozession spricht auch Prudentius V. 1081—1085:

fj'unctum deinde cum reliquit spiritus ei ad sepulcrum pompa fertur faneris, partes per ipsas imprimuniur bracteae, insignis auri lammina obducit cutem, tegitur metallo, quod perustum est ignibus^'. Die partes ipsae sind hier nichts anderes als die vires-, sie wurden also vergoldet und mit dem Fell und der Asche des verbrannten Stier- leibes vergraben. Eine Erinnerung an die alte Bedeutung des Tauro- boliums könnte in der jüngsten Taurobolien-Inschrift von 391, CLL. VI 736 gefunden werden: ,iqui ei arcanis perfvsionibus in aetemum renatus tauroboliu{m) crioboliumque feciv\ wonach das Taurobolium der Bluttaufe erst zu folgen scheint. Die Religionsmengerei giebt keinen Grund, die Echtheit anzuzweifeln; auch nicht, dass die Widmung an Mithras ge- richtet ist; ist ihm doch nicht eigentlich das Taurobolium dargebracht, sondern nur in einer Widmung an ihn dessen gedacht. Die Echtheit kann nur durch Betrachtung der Arbeit entschieden werden ; aber freilich ist auf die Genauigkeit des Ausdrucks in keinem Fall viel zu geben. Von grösserer Bedeutung könnte die Inschrift des Crescens und Leontius sein, Inscr. Gr. Sic. et It. 1020, wenn der Text nicht an der entscheidenden Stelle zweifelhaft wäre. Den letzten Vers liest Kaibel mit Bianchini und Fabretti: ai(.iaöL ftvoziTtokotg ßwi.idv vjceQiid^eaav, Nun ist aber der Altar nicht über dem Blut errichtet, das an dem Geweihten vorbei zur Erde floss, sondern da, wo die Reste des Stiers geborgen wurden, und das war nur ausnahmsweise die Opferstätte; sonst hätte die auch

Das Taurobolium 519

von Prudentius bezeugte Prozession keinen Sinn gehabt. Daher glaube ich, dass hier Salmasius die richtige Lesung bewahrt hat: HMA2I, was natürlich nicht rjfxaai, sondern rjfiaoL zu lesen ist: über dem mystischen Wurf, d. h. über den geworfenen Gliedern wurde der Altar errichtet. Sonst legte man aber in jener Zeit dem Altar eine andere Bedeutung bei: Archelaos nennt ihn ccvtISoolv releTrig, Musonios Telerrjg t6 Gvv^r]^a (C. I. A. in 172, 173), Sabina ovvßolov svayswv TsXevwv (Inscr. Gr. Sic. et It. 1020); das Wesen des Tauroboliums lag eben damals in der Weihe.

Das Taurobolium beruhte gewiss in erster Linie auf kleinasiatischen Vorstellungen und Gebräuchen; das zeigen schon die Gottheiten, denen es durchaus gehört, die grosse Mutter und Attis. Davon machen nur eine scheinbare Ausnahme die Inschriften von Benevent: „Atlini sacr(um) et Minervae Paracentiae" (C. I. L. IX 1539 1542) oder „Berecmtiiae)" (n. 1538). „Berecynthia" ist selbst nur ein Beiname der grossen Mutter (Ov.f.4,181. Anth. lat.4,73), und dann enthalten drei von den vier Inschrif- ten ausserdem noch ausdrückliche Beziehungen auf die Göttermutter; man hat ihr in Benevent offenbar nur einen italischen Namen beigelegt. Da- neben haben auf das Taurobolium gewiss auch persische Vorstellungen (Cumont, Rev. arch. 12, 132 ff.), vielleicht auch semitische eingewirkt. Aber seine Ausbildung hat es ebenso gewiss erst im Abendlande, also in Italien, erhalten; das beweist namentlich ein Blick auf seine geographische Ver- breitung. Seine Hauptstätte war der Vatikan in Rom, wichtige Plätze waren dann besonders Ostia und Benevent. Von Rom kam es i. J. 160 nach Lyon, wahrscheinlich von da noch vor 176 nach Lactora, wo uns die erste Taurobolien- Inschrift aufbewahrt ist, Esp. 6: „Matri Deum Pomp{eia) Philomenc, q{uae) prima Lactor{ae) tauropoliumfecit". Wich- tige Kultstätten in Gallien waren dann noch Dea und Narbo. In Spanien und Afrika kam es anscheinend mehr vereinzelt vor; nach Griechenland drang es erst im vierten Jahrhundert, wenigstens wurde es in Athen erst von Archelaos eingeführt, und in Kleinasien blieb es überhaupt unbekannt. Es entstand in dem Wettbewerb der verschiedenen orientalischen Kulte um die Gunst der Menge und aus dem Verlangen nach immer neuen Mitteln, um der Gottheit nahe zu kommen. Die spätere Umgestaltung war dann ein verzweifeltes Mittel, um der bedrohlich anwachsenden neuen Religion mit von ihr selbst erborgten Waffen entgegenzutreten.

Diese halb künstliche Entstehung des Tauroboliums macht es auch verständlicher, dass das erste bestimmt bezeugte Opfer dieses Namens einer anderen Gottheit geweiht war ; es ist die Inschrift von Puteoli aus d. J. 134: yyecilium tauroboliuirn) Veneris Caeleslae et panteliu[m , . .\ Herennia FoiHunata inperio Deae per Tt Claudium Felicem sacerd{otem)

520 G. ZiPPBL, Das Taurobolium.

iterata est". Das Wort ecitium ist bisher nicht genügend erklärt; auch Esp^randieus (p. 95, A. 1) Versuch (atylnov) befriedigt nicht. Pantelwm ist die höchste Weihe der punischen Venus ; worin diese bestand, zeigen, ganz der phönizischen Zucht entsprechend, die folgenden Worte. Es kann da nicht von einer Wiederholung des Tauroboliums nach 20 Jahren die Rede sein; das verlangte einen aktivischen Ausdruck. Ich kann den Schluss der Inschrift nicht anders verstehen, als nach dem, was Lam- pridius von Elagabal erzählt, c. 24, 2 : „idem mulleres numquam iteravit praeter uxorem". Das dabei genannte Taurobolium mag mit den Opfer- riten der phrygischen Göttin wenig mehr als den Namen gemein gehabt haben.

Es sind wenig erfreuliche Bilder, die uns hier vor Augen treten; aber eine Vertiefung in diese Kulte macht uns die innere Haltlosigkeit des spätrömischen Heidentums ganz besonders anschaulich und lässt uns erkennen, welchen gewaltigen geistigen Fortschritt trotz aller damit ver- bundenen Zerstörung der Sieg des Christentums bedeutete.

XXV. Beiträge zur attischen GescMchte.

Von

Georg Busolt (Kiel). I. Zur inneren Entwickelung des athenischen Staates von Solen bis Kleisthenes.

Als Solon mit ausserordentlichen YoUmachten zur Herstellung des bürgerlichen Friedens und einer neuen Staats- und Rechtsordnung be- kleidet wurde, befand sich der Grund und Boden Attikas teils in den Händen reicher Grundherren, teils im Besitze bäuerlicher Grundeigen- tümer/) Die grossen Güter der Erstem wurden von Pelatai, die in Attika Hektemoroi Messen, bewirtschaftet. Um einen bestimmten Lohn, näm- lich um ein Sechstel des Ernte-Ertrages, bestellten sie den Grundherren das Feld. Sie besassen, unbeschadet ihrer materiellen Abhängigkeit und gewisser Dienstleistungen, persönliche Freiheit^), hatten aber keine bürger-

1 . Aristot. kS-Tt. 2, 2 lässt dieselben ausser Acht, wenn er sagt : tj öh naaa yij 6l oklycüv rjV (vgl. 4, 5: ^ yw^a öl oUyojv ^v). Dass es zahlreiche bäuerliche Grund- eigentümer gab, folgt nicht nur aus der Einteilung der Bürgerschaft in die vier xsXri und aus der Bedeutung des Standes der Agroikoi oder Georgoi, sondern auch aus den von Aristot. 'A^n. 12 selbst angeführten Versen Solons über die Befreiung der Mutter Erde durch die Beseitigung der Hypothekensteine.

2) Erst bei Nichterfüllung ihrer kontraktlichen Bedingungen, für die sie selbst und ihre Kinder mit ihrem Leibe hafteten, wurden sie dyojyißoi und verkaufsfUhige Sklaven. Ihre persönliche Freiheit ergiebt sich auch aus andern Angaben über die nekcczai. Aristot. k^n. 2 sagt: ixaXoivro neXccxai xal kxzrjfioQOi. vgl. dazu PoUux VIII 165: kxxriiJLOQiOL öe ol nslcciai nagcc xolq kxxixolg. Nun heisst es bei Plat. Euthyphr. 4: ijiEl o ys dnoi^avwv nekdxtiq xig ?jv ißog xal wq iyewQyovfjiev iv Nd^o) i&i]X€vev naQ rjfxlv. Der Pelates verrichtete also bei ländlichen Arbeiten Thetendienste. Schon im Epos erscheinen als die niedrigste Klasse unter den freien Leuten diejenigen, welche um einen bestimmten Lohn namentlich bei Feldarbeiten, aber auch bei andern Verrichtungen als Theten dienten. II. XXI, 444. Od. XI, 489 ; vgl. XVIII, 357 ; IV, 644. vgl. Pollux. III 82 : nekdxai xal i^^xeq ik€v&6Q(ov iaxl ovofxaxa öid nsviav irtl dgyvglü) öovXevovxtov. vgl. Hesych. Phot. s. v. nsXdxai ; Schol. Plat. Euthyphr. 4 C; Suid. s. v. rteXdxTjq und die auf die Theten bezüglichen Glossen. Plutarchos identifiziert sie wiederholt mit den römischen Klienten : Romul. 13 ; Poplic. 5; Coriol. 13 und 21 ; Mar. 5; Grass. 21; Cato Min. 34; Tib. Gracch. 13. vgl Agis 6.

522 Geobo Büsolt

liehen Rechte und waren also nicht 7co?.lTai, sie gehörten nicht zum öi]-

Sowohl die bäuerlichen Grundeigentümer wie die Hektemoroi be- fanden sich beim Amtsantritt Solons in höchst gedrückter Lage. Veran- lasst wurde dieselbe namentlich durch den Übergang der Naturalwirtschaft in die Geld Wirtschaft, durch die Konkurrenz der ausgedehnten Grossgrund- wirtschaft, die auf einem für die Grundherren höchst vorteilhaften Teilbau beruhte, endlich durch die sich steigernde Einfuhr von billigem pontischen, italischen und sicilischen Getreide nach Griechenland.

So bedeckten sich denn die Grundstücke der Bauern mit Hypotheken- steinen. Wurde die Schuld nicht eingelöst, so fiel das für dieselbe ver- pfändete Grundstück dem Gläubiger zu. Zahlreiche Bauernhöfe gingen ein und wurden dem Grossgrundbesitz (der hcL^oQTog yrj) einverleibt, der sich in bedrohlicher Weise ausdehnte.^) Ebenso schlimm stand es mit den Hektemoroi. Nach Aristoteles verfielen sie selbst und ihre Kinder mit ihrem Leibe den Grundherren und wurden verkaufsfähige Sklaven, so- fern sie die denselben gebührenden Anteile nicht ablieferten.') Man hat daran

1) Ed. Meyer, Forsch, zur alten Gesch. I (Halle 1892) 305 hat mit Recht darauf hingewiesen, dass in der grossen vor dem Archontat gedichteten Elegie Solons (Frgm. 4, Bergk IV 35) die daroi mit den 6i]ßov riyefxövsg an der Spitze (v. 5—22) den tisvi- XQol auf dem Lande gegenübergestellt werden. (23—27): ravza fihv av ö/jßu) otqb- (pezai xaxd' tojv ös TtFvixQcöv | Ixvovvzai noXlol yaZav ig dXkoöanrjV npad^ivte? xrl. Die nevLXQoi gehören also nicht zum ö^fiog, die nsvia war aber ein charakteristisches Kennzeichen der Theten, in diesem Falle der neXäzaL auf dem Lande. Über die Ausschliessung der Theten vom Bürgerrecht in oligarchischen Staaten, zu denen vor Solon Athen gehörte, vgl. Aristot. Pol. III 5. p. 1275 a v. 18 ff. vgl. auch 'Ad^. 2, 2—3.

2) Das ergiebt sich aus dem Gesetze Solons, oq xcdIvsl xzäod-ai yijv öafjv dv ßovXrjzal zlq. Aristot. Pol. II 7 p. 1266 b. v. 16.

3) ]i^7t. 2, 2. Plut. Solon 13, wo dieselbe Atthis zu Grunde liegt, aus der Aristoteles schöpft, unterscheidet zwischen den Hektemoroi und denjenigen, die ;f()6'a Xanßdvov- zeg enl zolg awiiaatv dya>yi(jt,oi zolg öavslt,ovaiv i]öav. Aristoteles a. a. 0. hat einseitig die agrarischen Verhältnisse und die Hektemoroi im Auge. Wie er den Bauernstand übersieht, so berücksichtigt er auch nicht die Gewerbetreibenden, die ebenfalls Schulden auf ihren Leib aufgenommen hatten, weil sie kein anderes Unter- pfand zu bieten hatten. Aber die Unterscheidung Plutarchs, der ja unmittelbar den unzuverlässigen Hermippos benutzte, ist sicherlich falsch, sie beruht, wie der ZusatÄ OL fihv avzov öovlEvovvsg (die Hektemoroi), ol ö' inl zi,v ^ivrjv Tiinga- axofjLSvoL (die /pf« lafzßdvovvsg inl zolg ocä/naaiv und dycayifjLoi Gewordenen) zeigt, auf einem Missverständnisse der Verse Solons, in denen er sagt: nolXovg d' 'A^y]' vag, nazQLö' eig O^söxzizov, | ccvj^yayov TiQa^ivzag xzX zovg ö' iv&dd' aviov dovÄlt/v deixsa | ayovzag, rj^?] öbgtiozüjv zQOfisvßivovg \ i?.EvO-€QOvg s&rjxa. Diese Verse beziehen sich dem Zusammenhange nach auf die Seisachtheia. Die vor der Schuld- knechtschaft in die Fremde Geflüchteten oder dahin als Sklaven Verkauften durften furchtlos zurückkehren oder wurden losgekauft, die im Lande selbst als Schuld- sklaven Dienenden befreit.

Beiträge zur attischen Geschichte. 523

Anstoss genommen und mit Eecht bemerkt, dass nirgends weniger leicht Rückstände vorkommen können als beim Teilbau.^) Allein die Nichtab- lieferung der fünf Sechstel ist unter verschiedenen Umständen denkbar. Wenn der Hektemoros, etwa im Fall einer Missernte, mit seinem Sechstel den Lebensunterhalt seiner Familie nicht bestreiten konnte, so lag es nahe, dass er sich vom Grundherrn eine Anzahl von Massen bis zur näch- sten Ernte stunden oder als Vorschuss „zumessen" Hess.*) Wiederholte Vor- schüsse konnten die xiblieferung des schliesslich dem Grundherrn Zukom- menden unmöglich machen. Aber auch abgesehen von Missernten standen sich die Hektemoroi mit ihrem Sechstel damals im Allgemeinen erheblich schlechter als früher. Was sie vom Händler kauften, mussten sie in der Regel mit Geld bezahlen, während die Erzeugnisse ihrer Wirtschaft, da das Geld noch knapp und bei der Neuheit übermässig geschätzt war, natur- gemäss nicht im Verhältnisse zu ihrem Arbeitswerte bezahlt wurden. End- lich war bei der ausgedehnten Grossgrundwirtschaft das Getreide auf dem attischen Markte verhältnismässig billig. Das beweist Solons Ausfuhr- verbot der Bodenerzeugnisse mit Ausnahme des Öles. Solon verordnete, dass der Archen Flüche gegen die das Verbot Übertretenden aussprechen sollte. Unterliess er das, so verfiel er in eine Strafe von 100 Drachmen.^) Es wurde also, wie das Gesetz selbst andeutet, nicht nur Getreide aus- geführt, sondern es war auch die Verlockung dazu keine geringe, obwohl Attika das Getreide selbst brauchte. Sonst wäre ja das Verbot unver- ständlich, öl, wovon man Überfluss hatte, war ausdrücklich ausgenommen. Offenbar machten die Grossgrundbesitzer gute Geschäfte, wenn sie ihr Getreide nicht auf den geldarmen attischen Markt brachten, sondern es verfrachteten und in Aigina oder Korinthos verkauften.') Ein solches Ge- schäft konnte natürlich nur mit grösseren Quantitäten gemacht werden, der Bauer und Hektemoros war davon ausgeschlossen.

Im Gegensatze zu den agrarischen Besitz Verhältnissen beim Amts- antritte Solons war mindestens bereits gegen Ende des fünften Jahrhunderts das Grundeigentum in Attika stark zersplittert, und von Hektemoroi findet sich keine Spur.^ In der Zwischenzeit hatte sich also eine grosse agra-

1) Rühl, Jahrb. f. kl. Philol. Siippbd. XVIII (1892) G84.

2) Vgl. Hesiod. Erg. 396 ff. und dazu Belocb, Gr. Gesch. I 223 Anm. 2.

3) Das Gesetz stand auf dem ersten Axon. Plut. Solon 24.

4) Megara deckte seinen Bedarf aus seinem pontischen Handels- und Kolonial- gebiet. Die Korinthier waren damals in Folge von Handelsrivalität mit den Megariern und Aigineten verfeindet und bezogen schwerlich Getreide durch megarische Ver- mittelung. Für die attische Ausfuhr kamen nur Aigina, Korinthos und andere benachbarte Städte, wie etwa Epidauros und Eretria, in Betracht, da sie bei einem weitern Transport konkurrenzunfähig wurde.

5) Böckb, Sth. d. Ath. P 80 ff.

524 Gbobg Busolt

rische Umwälzung vollzogen, und die Hektemoroi waren Bürger geworden. Es fragtsich, wann und unter welchen Umständen sich diese Umwälzung vollzogen hat.

Man hat mehrfach angenommen, dass Solon, indem er den Theten bürgerliche Rechte verlieh, alle Attiker, also auch die Hektemoroi, zu Bürgern von Athen machte und ihnen Anteil an der Staatsverwaltung gab. Das wäre seine politisch bedeutendste That gewesen.') Allein in den erhaltenen Bruchstücken der Gedichte Solons findet sich keine Äusse- rung darüber, dass er die jtevLXQoL, die nicht zum Demos gehörten ^\ zu Bürgern machte. Da eine solche Massregel von ebenso tief einschnei- dender Bedeutung, wie die Seisachtheia und die Aufhebung der Schuld- knechtschaft, gewesen wäre, so würde sich doch wohl Solon in seiner ein- drucksvollen Weise darüber ausgelassen haben, zumal es an heftigem Wider- spruch in der Altbürgerschaft nicht gefehlt hätte. Eine so wichtige Äusserung dürfte aber schwerlich unbeachtet geblieben sein. Ferner steht jene Annahme im Widerspruche mit den Angaben des Aristoteles*) über die „Neubürger" des Kleisthenes und die damalige Aufnahme „Aller" in die Phylen, orcwg ^eTao%o)ai jtXeLovg ttjq TtoXiTsiag. Die Verleihung bürgerlicher Kechte an die Klasse oder das T^Xog der Theten kann also nicht die Einbürgerung der Hektemoroi bewirkt haben.

Stellen wir in Kürze fest, was Solon zur Hebung der sozialpolitischen Krisis that. Die Volkspartei verlangte eine Landaufteilung und vollständige Umgestaltung der Verfassung''). Diese Forderung wurde natürlich nicht von den bäuerlichen Grundeigentümern erhoben, denen damit wenig ge- dient gewesen wäre, und die zufriedengestellt wurden, wenn sie ihre Hypo- theken los wurden. Solon konnte auch nimmermehr selbständige Bauern als „schlechte Leute" bezeichnen, die an dem Boden des Vaterlandes den gleichen Anteil haben wollten , . wie die Edeln. Abgesehen von allerlei mittellosen und begehrlichen Leuten waren es offenbar die Hektemoroi, welche die Aufteilung der eTtlfiogtog yrj der grossen Grundherren forderten und die durch ihre einheitliche Masse der Forderung einen gefährlichen Nachdruck gaben. Da der private Grundbesitz des herrschenden Standes

1) Ed. Meyer, Forsch, zur alten Gesch. I 305; Gesch. d. Alterth. II 653 flf. vgl. Wilamcrwitz, Aristoteles 11,63. Einen ähnlichen Gedanken äussern auch Phllippi, Beitr. zur Gesch. d. att. Bürgerrechts 180; 207; E. Curtius, Gr. Gesch. P 312.

2) Vgl. S. 522. Anm. 2.

3) k^7t.21. 4) Aristot. 'i^n. 11,2: ö (lev yaQ öi'ifiog (oszo nävx' dvd- öaata noi^aeiv avzov, xt?.. Plut. Solon 13: zijv yi'v dvaddaaa&cu xai ol(oq (xexa- ax^oai trjv noXiTslav. Aristot. ji&n. 12,3: xal ndXiv rf' {6T^^)ü)f^l nov }Jyei negl Xüiv öiavslfAaad^at ttjv yijv ßovXoßivcaV oi rf' i<p^ dguayaZoiv rjkd-ov, iXnL{6 sl)xov d(pvedv xxk. . . . ovöe (jloi xvgavviöoq | dvddvei ßla xl [qsQhv, ovöh nts{lQa)g x^ov6g\ naxglöog xaxolaiv iad^kovg Laofioigiciv sx^iv.

Beiträge zur attischen Geschichte. 525

höchst wahrscheinlich durch Occupation und Aufteilung von Gemeinde- land entstanden war^, so wird es verständlich, wie der Gedanke an eine Landaufteilung auftauchen und energisch geltend gemacht werden konnte.

Solon handelte nach dem Grundsatze, dass der Mittelweg der beste wäre, und war nicht geneigt, so weitgehende Wünsche zu erfüllen. Er hob alle Schulden auf, welche ein Grundstück belasteten, oder für welche die Person des Schuldners zum Unterpfand gegeben war, femer befreite er die bereits in Schuldknechtschaft Geratenen und verbot für alle Zeit die Aufnahme von Schulden auf den Leib. Damit wurden die ver- schuldeten Bauern und auch die Hektemoroi, soweit sie für rückständige Ernteanteile mit ihrer Person hafteten, entlastet, ferner die in Knecht- schaft verfallenen Hektemoroi, Handwerker und Gewerbetreibenden per- sönlich frei gemacht. Wahrscheinlich hat Solon auch die Rechte und Pflichten der Hektemoroi geregelt und ihre Lage verbessert'^), aber die erhoffte Landaufteilung gewährte er nicht. Die grossen Güter des Adels, auf denen seine soziale und politische Stellung beruhte, blieben unange- tastet"^). Es sollte sich aber auch der Grossgrundbesitz nicht übermässig ausdehnen und den Bestand des selbständigen Bauerntums in Frage stellen. Daher erliess Solon das Gesetz, welches dem Einzelnen die Erwerbung von Grundeigentum über einen bestimmten Umfang hin- aus verbot "*).

Es fragt sich nun, ob die Hektemoroi, deren wirtschaftliche Bedin- gungen im wesentlichen unverändert blieben, durch Solon bürgerliche Rechte erhielten. Die Bürger waren in der solonischen Verfassung nach ihrem durch Einschätzung bestimmten Einkommen {Tlfirj/^a) aus dem Grund- eigentum in vier Abteilungen (Telrj) eingeteilt'). Es ist vielfach die An-

1) Wilamowitz, Aristoteles II 47.

2) PoUux VII 151: inlfioQToq öh yr/ nccQcc Solwvi 17 inl fiSQSi yscapyovfxevTj^ xal fxoQxri x6 (jLegoq x6 ccTio rcüv yecoQywv. Es hat sich also die solonische Gesetzgebung mit den Hektemoroi beschäftigt.

3) Solon bei Aristot. Ä^n. 12, 5 sagt daher mit Recht; oaoi de juei^ovg xal ßiav dfXHvovsQ \ alvolsv äv ße xal (plkov noiolazo. Für die revolutionäre Masse, welche Landaufteilung forderte, hatte Solon keine Sympathie. Vgl. S. 524, Anm. 3.

4) Vgl. S. 522, Anm. 2.

5) Es braucht hier die Streitfrage nur gestreift zu werden, ob erst Solon die Censusklassen einrichtete oder ob er sie bereits vorfand. Auch die neuesten Be- handlungen der Frage sind zu sehr verschiedenen Ergebnissen gekommen. Beloch, Gr. Gesch. I 374 und Ed. Meyer, Gesch. d. Altert. II § 408 S. 653 ff. schreiben sie dem Solon zu, ebenso Ad. Holm, Gr. Gesch. I^ 143. Eine vermittelnde Stelle nimmt Gilbert, Gr. Staatsalt. PI 43 ff. ein. Solon hätte die Namen der bereits vor Drakon vorhan- denen sozialen Stände als Bezeichnung der von ihm neu eingerichteten Schatzungs- klassen beuutzt und für letztere einen Minimalcensus festgesetzt. Nach V. Thumser, Hermanns Gr. Staatsalt. «^ § 6S S. 383 soll Drakon (was nirgends überliefert ist) die

526 Gborg Busolt

sieht ausgesprochen worden, dass für die Einschätzung nicht hloss der Ertrag vom eigenen Grundbesitz, sondern der Nutzwert des ganzen Ver- mögens in Betracht gekommen wäre. Die reichen Kaufleute und Fabri- kanten, die kein Grundeigentum besessen hätten, wären nach ihrem Einkommen den Klassen zugewiesen worden, wobei man nach dem da- maligen Marktpreise den Scheffel zu einer Drachme gerechnet hätte';. Diese Ansicht stützt sich nur auf allgemeine, durchaus nicht zwingende,

Bürgerschaft in vier Schatz ungsklassen eingeteilt und Selon diese Einteilung zur Regelung der bürgerlichen Rechte und Leistungen benutzt haben. B. Keil, Die so- lonische Verfassung (Berlin 1892) 68 if. meint, Selon habe das bestehende Klassen- steuersystem zur Abstulung der bürgerlichen Rechte benutzt und die früheren Census- beträge aus Viktualien in Geld umgerechnet. B. Niese, Eist. Zeitschr. Bd. 69 (1892) 61 hat sehr richtig bemerkt, dass die vier Klassen in den solonischen Gesetzen voraus- gesetzt waren, und dass über ihre Einführung keine bestimmten Nachrichten vorla- gen. Wilamowitz, Aristoteles II 52; 305 setzt die Ausbildung der xü.r] vor 650 und bemerkt , dass Selon nach seinen eigenen Äusserungen die Plutokratie perhorresziere. Die Überlieferung, dass erst Selon die vier xi:}.ri schuf, kann zunächst nicht fest- gestanden haben, als. die oligarchische, von Aristoteles benutzte Parteischrift ent- stand , da dieselbe sie schon zur Zeit Drakons vorhanden sein Hess ('4^7r. 4). Ver- mutlich mit Rücksicht auf die angebliche Verfassung Drakons bezeichnet Aristoteles ^A^n. 7, 3 die Einteilung in die vier xkXri als vorsolonisch. Leider ist die Angabe der Plutarchs Biographie Solons zu Grunde liegenden Atthis (Androtion) nicht mit Sicherheit festzustellen. Wenn es Plut. Selon 18 heisst: s7.aße xii xifjn]fjLaza xdjv noXixaüv xal xovg (jlsv iv ^rjQolg o/uov xal vygolg fiäxQcc nevxaxooia noiovvxaq TCQotxovQ £xa^e xx?., so könnte die Quelle Plutarchs gesagt haben, dass Selon die Schätzungen der Bürger (die für die Naukrarien vorbanden waren) zur Hand nahm und sie in die vier Stufen einteilte. Entscheidend dürfte folgender Umstand sein. Solon entwarf keine systematische Verfassungsurkunde, sondern stellte die Gesetze nach den Behörden zusammen , die sie zu handhaben hatten. Staatliche Einrich- tungen, die er vorfand und unverändert Hess, setzte er in seinen Gesetzen einfach als bestehend voraus. So hatte er den Areopag als bestehende Einrichtung voraus- gesetzt, denn man wusste nicht, ob ihn Solon bereits vorgefunden oder neu geschaffen hatte. Ersteres schloss man aus seinem Epitimie-Gesetz. Nun stand in den solo- nischen Gesetzen auch nichts über die Höhe des Census der einzelnen xthj. Denn gegen die Ansicht, dass für die Ritter keine bestimmte Anzahl von Massen als Census festgesetzt gewesen wäre, beruft sich Arist. A^tt. 7,4 nicht auf ein solonisches Ge- setz, sondern er meint nur, es sei wahrscheinlicher, dass auch der Rittercensus nach Massen des Jahresertrages bestimmt worden sei. Ebenso bezogen sich die Vertreter jener Ansicht nicht etwa auf ein Gesetz, sondern auf das ovoua xoi- xü.ovq und auf dvaO^r'ifjiaxa rwv aQxaiwv. Ein Schwanken der Atthidographen , die sich mit den Gesetzen Solons beschäftigten, wäre unmöglich gewesen, wenn sie Ansätze der Censusklassen in einem Gesetze gefunden hätten.

1) Zu den Vertretern dieser Ansicht gehören : Grote, Gesch. Gr. II* 93; H.Land- wehr, Phil. Suppbd. V 137 ff.; Pöhimann, Müllers Handb. d. kl. Altertumsw. III 388; Ed. Meyer, Gesch. d. Altert. II § 408 S. 655 und 657. Vgl. dagegen F. Cauer, Parteien und Politiker in Megara und Athen (Stuttgart 1890) 58 f. Hat Aristoteles u. s. w. (Stuttgart 1891) 68 ff.; V. Thumser, Hermanus Gr. Staatsaltert. ^ § 68 S. 386; G. Gübort, Gr. Staatsaltert. I^ 144, 148; Beloch, Gr. Gesch. I 324.

Beiträge zur attischen Geschichte. 527

teilweise recht zweifelhafte Wahrscheinlichkeitsgründe*) und steht im Widerspruche mit der atthidographischen Überlieferung, also der über diese Dinge am besten unterrichteten Quelle. Aristoteles, der dieser Quelle folgt, sagt klar und bestimmt, dass die Zugehörigkeit zu einem riXog durch die Anzahl von Massen bestimmt war, die jemand vom eigenen Grund und Boden, 6x rrjg oheiag, erntete.

Ed. Meyer bemerkt : „Für die Zeugiten wird ein Ertrag von 200 Scheffeln (vielmehr Massen), also ein Gut von 70 bis 100 Morgen*), an- gegeben. Ist diese Angabe richtig, so waren alle Mittel- und Klein- bauern, selbst wenn sie einen Hof von 50 bis 60 Morgen besassen, mit dor besitzlosen Masse zusammengeworfen und zählten zu der Blasse der 'Tagelöhner. Das erscheint indessen kaum denkbar." Auf die Kriegs- dienste der Mittel- und Kleinbauern hätte der Staat nicht verzichten können, sonst wäre das Hoplitenheer auf eine winzige Truppe zusammen- geschmolzen.

Gewiss konnte der Staat auf die Kriegsdienste der Mittelbauern nicht verzichten, aber waren denn Grundeigentümer, die 100 bis 200 Mass ernteten, noch Mittelbauern? Eine Choinix oder Vjs Medimnos (1,09 Liter) wurde als das Mass betrachtet, das an Getreide ein Mann mindestens zu seiner täglichen Ernährung brauchte.') Demnach verzehrte eine Familie von fünf Köpfen jährlich etwa 45 Medimnen. Da durchschnittlich min- destens ein Drittel der Produktion aus Flüssigem (öl und Wein) bestand, von dem der Grundeigentümer mit seiner Familie doch auch einen er- heblichen Teil zu seiner Ernährung verbrauchte, so blieb für den Verkauf nicht viel übrig. Es ist sehr die Frage, ob ein solcher Kleinbauer, der

1) B. Keil und Ed. Meyer berufen sich auf den Umstand, dass um 58ü zwei „Fabrikanten" {örj/xiovQyol) das Archontat erlangten. Eine Änderung der Verfas- sung in der kurzen Zwischenzeit sei nicht nur nicht tiberliefert, sondern auch un- wahrscheinlich. Allein die Wahl der beiden „Fabrikanten" erfolgte nach langem, wiederholt zur Anarchie führenden Parteikämpfen , nach der Usurpation des Dama- sias und auf Grund einer besondern Vereinbarung der Stände, die im Gegensatze zur solonischen Verfassung im Staatsorganismus wieder eine Rolle zu spielen be- gannen. Wenn Ed. Meyer bemerkt: „Anthemion (k^7r. 7,4; Pollux VIII 137) ist ge- wiss nicht durch Ankauf eines Landgutes, sondern durch den Ertrag seiner Arbeit vom Theten zum Ritter avanciert", so ist nicht abzusehen, warum sich Anthemion für diesen Ertrag nicht ein Rittergut gekauft haben sollte.

2) Die Abschätzung nach der Grösse des Grundstückes ist ganz problematisch und findet sich auch nirgends in den Quellen. Ein Grundstück in der „Ebene' konnte einen sehr viel höhern Ertrag liefern, als ein gleich grosses in den magern Landesteilen. Noch zweifelhafter wird diese Abschätzung durch das Hinzutreten des für die Bodenproduktion so wichtigen Ölbaues.

3) Od. XIX 27 ; Hdt. VII 187 ; Bullet d. corr. hell. XIV 480. Die auf Sphakteria eingeschlossenen Lakedaimonier erhielten vertragsmässig pro Mann täglich 2 Choinikes, 2 Kotylen Wein und ausserdem Fleisch, ihre Waflfenknechte die Hälfte davon.

628 Georg Busolt

von dem Ertrage seiner Landwirtschaft nur gerade noch sich und seine Familie unterhalten konnte, zu den oTcka 7caQey6^evoL gehörte. Ein mittleres Bauerngrundstück war nach attischer Auffassung offenbar ein solches, das mit einem Gespann bewirtschaftet wurde und zur Unterhal- tung eines solchen ausreichte.') Nichts steht der Annahme entgegen, dass die Hauptmasse der attischen Bauern damals noch aus Zeugiten bestand, die ein solches Grundstück besassen und durchschnittlich zwischen 200 und 300 Mass ernteten.

Es ist allerdings schwer denkbar, dass Solon die Kleinbauern, die weniger als 200 Mass ernteten, mit der besitzlosen Masse der Hektemoroi, Tagelöhner und gewerblichen Lohnarbeiter zusammengeworfen haben sollte. Aber die TteviXQol, also namentlich die Hektemoroi, gehörten bei seinem Amtsantritte nicht zum Demos und haben auch durch seine Gesetzgebung bürgerliche Kechte nicht erhalten.-) Die tbItj umfassten nun ausschliess- lich Bürger, da sich ja nach ihnen die bürgerlichen Rechte und Pflichten abstuften und selbst die Angehörigen der Thetenklasse das Recht hatten, an der Volksversammlung und dem Volksgericht teilzunehmen. Wurden die Hektemoroi von Solon nicht zu Bürgern gemacht, so gehörten sie auch nicht zum %elog der Theten.

Bestätigt wird dieses Ergebnis durch folgende Erwägung. Wenige Jahre nach der Gesetzgebung Solons treten neben dem Geschlechter-Adel der Eupatriden die beiden Stände der Agroikoi (Georgoi) und Demiurgoi in voller Geschlossenheit im Staatsleben auf. Diese beiden Stände kämpfen mit den Eupatriden um das höchste Staatsamt, das Archontat, und erlangen auch mindestens vorübergehend Anteil an demselben,^) es setzt diese Thatsache längere politische Kämpfe zwischen den Ständen voraus ; im Besitze der bürgerlichen Rechte müssen die Agroikoi und Demiurgoi schon längst gewesen sein. Wenn die Hektemoroi zu dem Stande der Agroikoi oder Demiurgoi gehört hätten, so müssten sie als Mitglieder desselben die Fähigkeit zur Bekleidung des Archontats besessen haben, während doch erst ein halbes Jahrhundert nach Kleisthenes den Zeugiten der Zutritt zum höchsten Amte eröffnet wurde.

Der Bauernstand der Georgoi umfasste sicherlich nur die selbstän- digen Bauern und schloss die Hektemoroi aus. Ebenso muss der Stand der Demiurgoi nicht die gesamte gewerbtreibende Bevölkerung vereinigt haben, sondern nur die Besitzer eigener Werkstätten, die Schiffseigen- tümer und Grosshändler {efXTtoQOi), während die gewerblichen Lohnarbeiter

1) Vgl. Aristoph. Vög. 582 ff. (ra> ßoLÖagim tcofico ngciziaz' aTtoSiofiai).

2) Vgl. S. 528.

3) Aristot. k&7i. 13,2.

Beiträge zur attischen Geschichte. 529

nicht zum Gewerbestande als solchem gehörten und auch keine bürger- liche Berechtigung hatten/) Waren die Hektemoroi, als diese Stände sich bildeten, was zweifellos vor Selon geschah, noch nicht !dd^iqvaloi oder Mitglieder des in die vier Stammphylen sich gliedernden dri^iog, so gehörten sie auch nicht zu den Ständen, in welche to tüv l4^rjvaia)v 7clrj^og zerfiel.^)

Wenden wir uns nun wieder zu den TeXrj, so sind ihre Namen, wie zuerst Gomperz bemerkt hat,^) ohne Zweifel entlehnt den im Volksmunde gebräuchlichen Bezeichnungen für besonders reiche Grossgrundbesitzer (Pentakosiomedimnoij^'j, für die Bosse züchtenden und beritten ins Feld ziehenden Grundherren (Hippeis), die mit einem Bindergespann ihren Acker bestellenden Bauern (Zeugitai) und die ländlichen und gewerblichen Lohn- arbeiter (Thetes). Als amtliche Benennungen der Schatzungsklassen er- hielten die populären Ausdrücke eine bestimmte censuale Bedeutung, die sich mit ihrem ursprünglichen Begriffe nicht völlig deckte. Denn zu den Pentakosiomedimnoi gehörten nicht diejenigen, welche mindestens 500 Medimnoi Getreide ernteten, sondern diejenigen, deren Ernte an Getreide und Flüssigem (öl und Wein) zusammen 500 Mass betrug. Auch wer schon 200 bis 300 Medimnoi und ebensoviel Metretai erntete, war Pen- takosiomedimnos. Während ferner die Mitglieder der zweiten Klasse Grund- eigentümer waren, deren Besitz die Mitte zwischen dem der grossen Grundherren und der gewöhnlichen Bauern hielt, verstand man sonst unter Hippeis die sich über dem Bauernstande überhaupt erhebende

1) Aristot. Pol. III. 5 p. 1278 a. v. 21 sagt: iv 6s zalq oXiyaQyJaiq S^za fihv ovx ivöexsTai elvai noXixrjv (dnb zifXTjfzaxwv yä^ fzaxQtöv al fisO^E^sig zcöv d^x^^) ß<^' vavaov ö' ivösyszat' nkovzovat yag ol noXXol zwv zeyvLZüiv. Also Gewerbetreibende konnten auch schon vor der demokratischen Umgestaltung des Staatswesens in Athen politische Rechte besitzen, sofern sie Vermögen hatten, aber nicht unvermögende Lohnarbeiter.

2) Schol. Piaton Axioch. p. 371 D: k^iazozeXijQ (prjol zov okov nkij&ovg öcjiqt]' fievov ]4d-rjvi]aLV sl'g zs zovg yscogyovg xal zovg örjfjiiovQyovg , <fvXag avzüiv elvat zbaaagag xzX. Lex. Demosth. Patm. Bull. d. corr. hell. I p. 152 s. v. yevvrjzai' ncckai zb zü)v ÄS-T]valü)v nlrjS-og tcqIv ?] KXetaQ^ev?; Stoixijaaa&ai za negl zag (pvkdg, öi^- Qrjzo slg (svTtazQLÖag xal) yscoQyovg xal di^/xiovQyovg' xal cpvXal zovzcdv ijaav 6', xzL

3) Die Schrift vom Staatswesen der Athener (Wien 1891) 40flF.

4) Der Name stammt vermutlich aus einer Zeit, wo in der Bodenwirtschaft Attikas der Getreidebau noch so überwog, dass der Ölbau daneben wenig in Betracht kam. Jedenfalls ist er nicht erst für das zeXog gebildet worden, denn sonst hätte man die Angehörigen dieser Klasse, da sie nicht mindestens 500 (xeöi^ivoi^ sondern mindestens 500 (xizQa za Gvvdfx(f(o ^jgd xal vy^d ernteten^ Pentakosiometroi genannt. Vgl. Busolt, Philol. L (1891) 396. B. Keil, Die solonische Vorfassung 69. Über den Gebrauch von nsvzaxoaioi in demselben allgemeinen Sinne wie bei uns 100 oder 1000 vgl. übrigens Aristoph. Ekkl. 1007: ei fiij zcüv izäiv {ifAcäv Hs.) r^v nsvzaxo- GLOGzriv xaTbQ-7]xag zj] noXst.

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B30 Geoeg Büsolt

Ritterschaft. Unter diesen Umständen ist die Annahme gestattet, dass sich auch die censuale Bedeutung von O^F^rtg damals nicht mit dem gewöhnlichen Begriffe von Lohnarbeitern deckte. Der Handelsherr, der mit eigenem Schifife Seehandel trieb, oder der Besitzer einer grossen Werk- stätte, der, sofern er nicht Grundeigentum besass, nach der atthidographi- schen Überlieferung zum tiXog der Theten gehörte, konnte nicht als &ijg im gewöhnlichen Sinne dieses Wortes gelten. Aller Wahrscheinlichkeit nach entstanden die tUtj vor Selon und noch zur Zeit der Herrschaft der Oligarchie im Laufe des siebenten Jahrhunderts '). Es würde dem Hoch- mute des alten Grundherrn-Adels, der die durch den mächtigen Aufschwung von Schifffahrt, Handel und Industrie bedingte Entwickelung zur Pluto- kratie nicht aufhalten konnte und von ihr selbst ergriffen wurde, wohl anstehen, wenn er die reichen Demiurgoi Theten nannte, als er sich genötigt sah, auf die Alleinberechtigung des Blutes zu verzichten und zur oligar- chischen ccTtd TL{.crjfxaTa)v Ttolireia überzugehen. Ebenso wurden später- hin die verhassten Yolksführer, welche Besitzer einer Gerberei oder Lampen- fabrik waren, von den Gegnern schlechtweg Gerber und Lampenmacher genannt. Wenn man diese Benennungen wörtlich nehmen wollte, so würden Kleon und Hyperbolos gewerbliche Lohnarbeiter, also Theten gewesen sein. Obwohl die Klasseneinteilung an Stelle der vornehmen Geburt das Vermögen zum Massstabe der bürgerlichen Berechtigung machte, so bringt sie doch den Einfluss der alten Aristokratie dadurch zum Ausdruck, dass der Grundbesitz, auf dem wesentlich die Begüterung und die Macht des Geschlechteradels beruhte, die Grundlage des Census blieb.

In der Thetenklasse war also der ganze nicht grundbesitzende Stand der Demiurgoi vereinigt, der aber als geschlossener Stand die freien ge- werblichen Lohnarbeiter nicht umfasste. Ferner gehörten dazu diejenigen Angehörigen des Bauernstandes oder der Georgoi (Agroikoi), die weniger als die Zeugiten ernteten, aber noch eigenen Grundbesitz und eigenes Vieh, mitunter vielleicht (in den zur Viehzucht geeigneten Landesteilen) grössere Heerden besassen. Ausgeschlossen waren dagegen die Hektemoroi.

Die Nichterfüllung der Forderungen und Hoffnungen der Hektemoroi bot ein gefährliches Agitationsmittel gegen die solonische Verfassung. Aus dieser zahlreichen Klasse konnte sich ein Parteiführer einen mäch- tigen Anhang bilden.

Um 581 spielten in den Parteikämpfen die ständischen Gegensätze die massgebende Rolle, zwanzig Jahre später hatten die Parteien landschaft-

1) Vgl. S. 525 Anm. 2.

Beitrage zur attischen Geschichte. 531

liehe Namen. Den „Männern aus der Ebene" (dem Pedion) standen die aus dem Küstenlande (der Paralia) gegenüber, und als dritte Partei bildete sich dann unter Führung des Peisistratos die der Hochländer, der Be- wohner der Diakria. Es bestand also der Kern der Parteien aus Leuten, die in derselben Landschaft wohnten. Aber daraus folgt noch nicht, dass der Gegensatz ein ausschliesslich landschaftlicher war, und dass zu jeder Partei nur Bewohner derselben Landschaft oder letztere sämtlich zu ein und derselben Partei gehörten. Die ständischen Gegensätze können nicht so rasch verschwunden sein; sie müssen sich mit den regionalen verschmolzen haben. Bei der Umgestaltung der Parteigruppen hat höchst wahrscheinlich der Einfluss der leitenden ,,^i€yaloL avögeg^^ in hervorragen- der Weise mitgewirkt.

Bei „den Männern aus der Ebene", die eine Verfassungsveränderung in oligarchischem Sinne und die Wiederherstellung des Staates der Väter anstrebten, deckte sich im Wesentlichen der Stand mit der Landschaft, denn sie bildeten die Partei des hauptsächUch im Pedion begüterten Eupatriden-Adels. Über die Bestandteile, aus denen sich die Partei der Paralier zusammensetzte, findet man sehr verschiedene Ansichten. Ge- wöhnlich hält man die Paralier für die Handel, Seefahrt und Fischfang treibende Küstenbevölkerung, mit der die Angehörigen des Gewerbestandes in der Stadt und in den andern Landesteilen durch gleiche Interessen ver- bunden waren.*) Andere betrachten dagegen die Paralier als eine rein bäuerliche Partei, als die Partei der wieder verschuldeten ärmern Bauern, deren Hauptmasse in der Paralia gesessen hätte."^) Beide Ansichten sind einseitig. Die selbständigen Bauern dürfen aus der Partei der Paralier nicht ausgeschlossen werden. Aristoteles sagt, dass jede Partei nach dem Landesteile benannt war, in dem ihre Anhänger Ackerbau trieben.^) Die Bewohner der Paralia bestanden jedenfalls zum grösseren Teile aus Bauern.

1) Diese Auffassung vertreten Schömann, Gr. Altert. P347. E. Curtius, Gr. Gesch. P 342 ; Duncker, Gesch. d. Altert. VP 448 ; Ed. Meyer, Gesch. des Altert. II §412 S. 663. („Die Küstenbewohner, die Schiffer und Kaufleute, die eine kräftige Förderung der von Solon inaugurierten Handelspolitik und der materiellen Interessen des Mittelstandes und daher die Ausbildung einer städtischen Demokratie erstrebten. Es ist die Partei, auf die sich Solon vor allem gestützt hatte." E. M. unterschätzt dabei doch die Beseitigung der Hypothekenschulden, die wesentlich den Bauern zu Gute kam. Solon hat auch noch andere Gesetze im Interesse der Bauernschaft erlassen.)

2) F. Cauer, Parteien und Politiker in Megara und Athen (Stuttgart 1890) 85. Ähnlich urteilt G. Gilbert, Gr. Staatsaltert. P 158.

3) Aristot. k&n. 13,5: elxov 6' k'xaazoi zag incüvvfjiiaq and xciv xotkov iv olg iyewoyovv.

34*

582 Gbobg Büsolt

Ihre Äcker wurden i. J. 430 von den Peloponnesiem verwüstet.') Da die Ebene sich in den Händen der grossen Grundherren befand, so muss ge- rade in der Landschaft östlich vom Hymettos der eigentliche Bauernstand stark vertreten gewesen sein. Die meisten Kaufleute und Gewerbetrei- benden wohnten nicht in der Paralia, sondern in der Stadt und in den Handwerkerdörfern im oberen Kephisosthal, an den Abhängen des Aigaleos und am Südabhange des Pames.

Aber man darf andererseits die Handel- und Gewerbetreibenden auch nicht aus der Partei der Paralier ausschliessen. Sie waren mit dem Bauern- stände gegenüber dem Adel durch gleiche politische Interessen verbunden. Ferner lassen sie sich weder bei den Pediakoi, noch bei den Diakriem unterbringen; mithin gehörten sie zu den Paraliem, da sie, wie die un- mittelbar vorhergehenden Parteiungen beweisen, sich aktiv an den politi- schen Kämpfen beteiligten.

Aristoteles sagt nach der von ihm benutzten Atthis, dass das poli- tische Ziel der Paralier die fzior] TcoltTela war,^) d. h. dass sie auf dem Boden der solonischen Verfassung standen.^) Diese Partei umfasste also diejenigen Klassen, die durch Solons Werk am meisten befriedigt waren: die von ihren Hypotheken befreiten, zur Bekleidung der unteren Staats- ämter befähigten Bauern und die durch die Handelspolitik Solons be- günstigten Handel- und Gewerbetreibenden. Sie war mithin aus einer Vereinigung von Demiurgoi und Agroikoi hervorgegangen, die sich im Gegensatze zu den Eupatriden während und in Folge der ständischen Kämpfe vollzogen haben wird.

Was nun die Diakrier betrifft, so ergiebt sich aus dem Namen, dass der Kern dieser Partei aus Bewohnern des attischen Hochlandes bestand. Ed. Meyer bezeichnet die Diakrier als Kleinbauern, d. h. als Grund- eigentümer unter dem Zeugitencensus, die Landaufteilung und volle bäuer- liche Demokratie verlangt hätten.^) Allerdings werden die Bewohner der wenig fruchtbaren Diakria meist aus Hirten und Kleinbauern bestanden haben. Indessen ein bäuerlicher Grundeigentümer pflegt, sofern nur der Ertrag seines Grundstückes zum Unterhalt seiner Familie ausreicht, eine

1) Thuk. 1155,1: Ol öh IIskonovvijaLOi , ineiö^ szefiov zo nsölov, nagriXd^ov ig TTjv TlcLQalov yTJv xakovfxevTjv yL^XQi AavQÜov xxX. xal ngdÜTov /xhv szs/zov zav- ZT]v y TtQÖq IIskoTtovvrjaov bgä, eneiza 6h zt]v tiqoq Evßoiav zs xal "Avöqov zszQafi- fiBvqv' 56, 1 : %ZL rf' avzmv iv z(5 nsöitp ovzwv, n^lv ig zrjv nagallav yrjv iX^siv xz)..

2) Aristot. jid-n. 13,4: olneg iöoxovv [idXioza öicoxsiv zrjv (leaijv noXizeiav, Vgl. Plut. Solon 13.

3) Aristot. Pol. IV. 11 p. 1296 a. vgl. über die aristotelische Beurteilung Solons und seines Werkes unter dem Gesichtspunkte der ßtjuozijg B. Keil, Die solonische Verfassung 204 ff.

4) Gesch. des Altert. II. § 412 S. 663. vgl. § 408 S. 654.

Beiträge zur attischen Geschichte. 53S

Landaufteilung nicht zu wünschen. Ausserdem hätten die Kleinbauern bei einer Landaufteilung eine Yergrösserung ihres Grundbesitzes kaum erwarten dürfen, da doch bei einer solchen radikalen agrarischen Um- wälzung die zahlreichen Hektemoroi und alle mittellosen Leute einen Anteil beansprucht hätten.

Peisistratos fand jedenfalls in der Diakria ein freies Feld zur Partei- bildung, denn die Hauptmasse der Bevölkerung gehörte weder zu der Partei des Adels, noch zu der des Mittelstandes. Er brauchte den Klein- bauern und Hirten keine Landaufteilung zu versprechen, sondern konnte sie durch die Aussicht auf billige Geldvorschüsse'), Erleichterung der Konkurrenz mit der Grossgrundwirtschaft, Erweiterung ihrer politischen Rechte und andere schöne Dinge anlocken.

Nun sagt Plutarchos Selon 24, dass sich unter den Diakriern 6 d^rjTi- 7.dg oxlog xai ixaXcoza rolg TtXovoloig a^S^of-ievog befand. Auch in Cap. 30 erscheinen als Anhänger des Peisistratos die nevr^Teg, als Gegner die icXouGLOL, Ebenso heisst es bei Aristot. Pol. V 5 p. 1305 a, dass der Hass gegen die nlovoioi dem Peisistratos das Vertrauen des Volkes verschaffte, als er die „Männer der Ebene" bekämpfte. Nach diesen offenbar aus der attischen Chronik stammenden Angaben erscheint also Peisistratos wesentlich als Vorkämpfer gegen die Pediakoi, d. h. gegen die grossen Grundherren, deren Begüterungen die Hektemoroi bewirt- schafteten. Seinen Anhang bildete eine Volksmasse, die Thetendienste verrichtete, arm war und die Reichen, insbesondere „die Männer der Ebene", am meisten hasste. Diese Merkmale treffen bei den Hektemoroi, den Landaufteilung fordernden /cevtxQol Solons, zu. Daher hat Fr. Cauer^) nicht ganz mit Unrecht die Diakrier als die Partei der Lohnarbeiter be- zeichnet, obwohl seine Ansicht, dass die Diakria überwiegend von Lohn- arbeitern bestellt wurde, also in den Händen von Grossgrundbesitzem war, schwerlich zutreffend ist. Freilich wird es auch in der Diakria Hektemoroi gegeben haben, da dort eine Anzahl von Adelsgeschlechtern heimisch war.^) Daraus ergiebt sich, dass die Partei des Peisistratos einerseits aus den Kleinbauern der Diakria, andrerseits aus den Hektemoroi bestand. Es war also im Wesentlichen eine agrarische Volkspartei, deren revolutionärer Charakter naturgemäss alle diejenigen anzog, die von der bestehenden Staatsordnung etwas zu befürchten oder, wie die durch die Seisachtheia Verarmten, von einer Staatsumwälzung etwas zu hoffen hatten.

Im Jahre 561/0 gelang es dem Peisistratos, sich der Alleinherrschaft

1) Vgl. Aristot. 'A^. XVI 2, 9.

2) Parteien und Politiker in Megara und Athen. S. 85.

3) Toepffer, Attische Genealogie S. 293; 298; 316.

534 Georg Büsolt

ZU bemächtigen, er vermochte sich jedoch erst dauernd zu behaupten und seine Stellung zu befestigen, als er um 539 an der Spitze einer bewaffneten Macht aus der Verbannung zurückkehrte und seine Gegner bei Pallene geschlagen hatte. Herodotos sagt: „Von den Athenern waren die einen gefallen, die andern mit den Alkmeouiden aus der Heimat in die Verbannung gegangen." •) Dadurch erhielt Peisistratos die Verfügung über umfassende Landkomplexe. Was geschah damit? Fr. Cauer^) nimmt an, dass Peisistratos diese Landkomplexe benutzt hätte, um der bäuer- lichen Bevölkerung ein besseres Los zu verschaffen, und dass die Inhaber der Parzellen durch grössere Intensität der Bewirtschaftung und hohem Gewinn aus den Erträgen sich in den Stand gesetzt hätten, die Grund- stücke allmählich als Eigentum zu erwerben. Die Frage ist jedoch weit einfacher zu beantworten.

Es erscheint zunächst auffällig, dass Peisistratos, dessen Partei hauptsächlich aus der ärmeren Landbevölkerung bestand, und der gerade das Landvolk begünstigte, als regelmässige Steuer nur einen Zwanzigsten von den Bodenerzeugnissen erhob, mithin eine den Grundbesitz dauernd belastende Steuer einführte.^) Eine befriedigende Erklärung erhält diese Thatsache dadurch, dass Peisistratos die durch den Tod oder die Ver- bannung ihrer Eigentümer herrenlos gewordenen Ländereien, soweit sie zum Grossgrundbesitz gehörten, den sie parzellenweise bewirtschaftenden

1) Hdt. I 64 : xal JleLaiaxQaxoq ßhv irvQavvevs ÄSTjvalcDV, ÄS-rjvalwv de oi fiev iv tf] /Jccx^ 67tS7iz(6x£aav, ol de avzdiv ßfr k?j<fiewvi66(ov 6(f)Svyov ix zfjQ OLXi]i?]g. Vgl. Andok. II. 26; Isokr. XVI 25. 26; XII 148: zovg ßeXxLaxovq xwv noXirwv wg o?uyaQX'^xovg ovrag ixßaXiöv.

2) Parteien und Politiker in Megara und Athen 95 ff., Hat Aristoteles u. s. w. (Stuttgart 1891) 64.

3) Thuk. VI 54, 5: kS^rjvaiovg slxogttjv fiovov TtQaoaoßSvoi x(öv yiyvofievcav xzX. Ein Zweifel daran, dass zcc yiyvofieva ausschliesslich die Bodenerträge sind, ist völlig ausgeschlossen. Vgl. z. B. das solonische Gesetz bei Plut. Selon 24 : Tcöv dh yLvoßsviüv öidd-eaiv nQog ^svovg ikaiov ^jlovov sdcoxev xzh So fasste die Steuer auch Aristoteles und die von ihm neben Thukydides benutzte Atthis auf. liS^n. 16, 4 : a^a ÖS avveßaivev avz<p xal zag UQOOoSovg ylyveaB^ai fiieLt,o)vg s^SQya^ofxevrjg zijg yiüQag' ingazzexo yag ccTto x(öv yiyvoßsvcov öexäxrjv. Von einer ösxdxrj ist auch die Rede in der antiquarischen Anekdote von Peisistratos und dem Bauer. (Aristot. kd^n. 16, 5; Zenob. Proverb. IV 76; Mantissa, Proverb. I 76; Prokop. v. Gaza, Paneg. in Anast. b. Villoison, Anecd. gr. II40; ausgezogen von Wilamowitz, Aristoteles I 292 Anm. 6. Eine Mischung aus der Erzählung der li^n. und der Paroimiographen); Suid. 8. V. ocpaxehofjLog. Man hat beide Angaben durch die Annahme zu vereinigen gesucht, dass Hippias und Hipparchos die ösxäzTj in eine tlxooxi] verwandelten. Allein der betreffende Satz des Thuk. bezieht sich auf die Peisistratiden überhaupt, und der fast gleiche Wortlaut bei Thuk. und Aristot weist darauf hin, dass Letzterer in bewusstem Gegensatze zu Ersterem die Steuer als ösxdxrj bezeichnete. Thuk. verdient als der über die Peisistratiden besonders gut unterrichtete Gewährsmann den Vorzug.

Beiträge zur attischen Geschichte. 535

Hektemoroi überliess. Andere Grundstücke und Brachland benutzte er dazu, um mittellose Leute zu Bauern zu machen. Bisher hatten die Hektemoroi fünf Sechstel der Ernte an die Grundherren abführen müssen, dem Peisistratos brauchten sie bloss den Zwanzigsten zu entrichten. Ferner wurden sie thatsächlich aus Arbeitern auf Teilbau materiell selb- ständige Bauern, mochte auch immerhin der Herrscher, schon mit Rück- sicht auf den ihm zufallenden Teil des Ertrages sie beaufsichtigen und zur fleissigen Bestellung des Ackers anhalten/)

Auf diese Weise erfüllte Peisistratos im Wesentlichen die agrar- demokratische Forderung der Landaufteilung und befriedigte die Wünsche derjenigen, die sich ihm in der Erwartung einer solchen Massregel an- geschlossen hatten. Seitdem besass er im Landvolke einen starken, an dem Bestände der Tyrannis unmittelbar interessierten Anhang.^}

Die alte Bauernschaft, die zur konstitutionellen Partei der Paraler gehörte, nahm sicherlich die Aufrichtung der Alleinherrschaft ebenso widerwillig auf, wie die Einführung der Zwanzigsten. Allein sie wird sich mit der neuen Regierung bald ausgesöhnt haben, da dieselbe nicht nur die langen, heftigen Parteikämpfe beendigte und unter Wahrung der bestehenden Yerfassungsformen Ruhe und Ordnung aufrecht erhielt, son- dern sich auch die Hebung der Landwirtschaft und die Verbesserung der Rechtspflege auf dem Lande angelegen sein Hess. Der Bauer litt nicht mehr unter den tPb ergriffen der „mächtigen Männer", die erdrückende Konkurrenz der Grossgrundwirtschaft war beseitigt und sein Hof gegen ein Aufgehen in den Grossgrundbesitz geschützt.

1) Vgl. Aristot. Jl^;r. 16, 5-6.

2) Im Gegensatze zu dieser Auffassung bemerkt Ed. Meyer, Gesch. d. Altert. II § 475 S. 773: „Die alte Forderung der Landaufteilung hat Peisistratos so wenig erfüllt wie Solon". Wann soll sich dann aber die agrarische Umwälzung vollzogen haben, die zwischen dem Amtsantritte Solons und dem peloponnesischen Kriege doch stattge- funden hat? Was that denn Peisistratos mit den Gütern der Adeligen, die gefallen oder in die Verbannung gegangen waren? Es war doch ein Ausnahmefall, dass er dem Philaiden Kimon, der mit Rücksicht auf die Anwartschaft seiner Söhne auf das cherronesitische Fürstentum die Gunst des Tyrannen gesucht hatte, gestattete inl za kcDVtov vnoanovöoQ zurückzukehren (Hdt. VI 103). Die Hauptmasse des Adels, von dem ein Teil bei Pallene gefallen war, blieb in der Verbannung. Viele kamen dann bei dem Versuche, mit Waffengewalt ihre Rückkehr zu erzwingen, in Leipsy- drion um. Kimon selbst durfte auch nicht bedingungslos inl xa. kojvxov zurück- kehren. Vielleicht enthielten die onovöal mit dem Tyrannen auch Bestimmungen, welche die selbständige Existenz der Hektemoroi auf den Gütern Kimons sicherten. Ed. Meyer sagt selbst im §412, dass die Diakrier, also die Parteigänger des Pei- sistratos, eine Landaufteilung gefordert hätten. Nach E. M. müsste also Peisistratos nicht nur die Hauptforderung seiner Partei unbefriedigt gelassen, sondern sogar noch einen Zwanzigsten auferlegt haben. Dann würde sich aber seine Popularität und der starke Anhang der Tyrannis im Landvolke nicht genügend erklären lassen.

536 Geobg Busolt

Die Tyrannis hatte in der breiten Masse des Landvolkes eine so feste Stütze, dass die Alkmeoniden, als sie im Verein mit den übrigen Verbannten etwa im Frühjahre 513 in Attika einbrachen, nur aus der Stadt einigen Zuzug erhielten.*) Das Landvolk rührte sich nicht und zog die Tyrannis, der es viel zu verdanken hatte, einer Restauration des Adels vor, von der die ehemaligen Hektemoroi eine Zurückversetzung in ihre frühere Lage zu befürchten hatten.

Nur mit Hilfe der Lakedaimonier vermochten die Alkmeoniden und ihre Parteigenossen endlich die Peisistratiden zu vertreiben. Dabei wagten sie gewiss um so weniger, die agrarische Umwälzung rückgängig zu machen, als ihre Stellung durch den bedeutenden Anhang der Peisistra- tiden und Spaltungen in dem Adel selbst stark gefährdet war.

Bei dem Parteikampfe, der gleich nach dem Sturze der Peisistratiden zwischen Kleisthenes und Isagoras ausbrach, mögen die alten Gegensätze zwischen den Paraliern und Pediakoi mitgewirkt haben. Die „Freunde der Tyrannen" hielten es natürlich schon deshalb mit Isagoras, weil er ein Gegner des Kleisthenes war. Letzterer spielte zunächst keineswegs den Demokraten. Erst als er im Parteikampfe den Kürzeren zog und Isagoras für das Jahr 508/7 zum Archen erwählt wurde, wandte er sich dem Volke zu und zog es durch ein demokratisches Programm auf seine Seite.^) Wahrscheinlich sicherte er den von Peisistratos zu freien Bauern gemachten ehemaligen Hektemoroi nicht nur ihren durch den Sturz der Tyrannis abgabenfrei gewordenen Grundbesitz zu, sondern versprach ihnen auch bürgerliche Rechte.

Aristoteles sagt in den Politika^), dass Kleisthenes Ttollovq ecpvliy iBvae ^avovg zal öovlovg /iisToUovg. Gewöhnlich hat man in Folge davon angenommen, dass er Metoiken und Freigelassene einbürgerte.^

1) Arist. k&Ti. 19, 3.

2) Hdt. V66: kaaovfzsvog 6 KXsiaS^svrjQ xbv ö^fiov TtQoaezacQi^srai %t?.. V 69; Aristot. ÄSn. 20.

3) Pol. III 2 p. 1275 b.

4) Philippi, Beitr. zur Gesch. d. att. Bürgerrechts (Berlin 1870) 160; Szanto, Unters, über d. att. Bürgerrecht (Wien 1881) 1 ff.; Buermann, Jahrb. f. kl. Philo!. Suppbd.S. 349 ff.; E. Curtius, Gr. Gesch. P 378; Duncker, Gesch. d. Altert. VP 592; Hohn, Gr. Gesch. I 5Ü6; Beloch, Gr. Gesch. I 334; Hermanns Gr. Staatsalt. « bearb. v. V. Thumser §71 S.404; G.Gilbert, Gr. Staatsalt. I- 166; Wilamowitz, Aristoteles II 169. Ed. Meyer, Gesch. d. Altert. II § 493 S 802 sagt, Kleisthenes hätte den zahl- reichen , seit Jahrhunderten in Attika ansessigen Bewohnern , die den alten Bluts- verbänden nicht angehörten, Nachkommen von Zuwanderen! und Sklaven, das Bürger- recht verliehen. Alle Wahrscheinlichkeit spricht aber dafür, dass die den alten Blutsverbänden nicht angehörenden Leute die ehemaligen Hektemoroi und gewerb- lichen Lohnarbeiter waren.

Beiträge zur attischen Geschichte. 537

Nun findet sich aber in der Schrift vom Staatswesen der Athener die Angabe, dass „nach dem Sturze der Tyrannen" eine allgemeine Kevision der Bürgerliste vorgenommen wurde, weil viele, die nicht reinbürgerlicher Abkunft waren, unbefugt bürgerliche Rechte ausübten/) Diese Leute müssen unter der Herrschaft der Peisistratiden in die Bürgerschaft ein- gedrungen sein, denn seit dem Staatsstreiche des Peisistratos waren über fünfzig Jahre verflossen, und Tyrannen pflegten weniger auf die Rein- haltung der Bürgerschaft, als auf die Verstärkung ihres Anhanges be- dacht zu sein. Man säuberte also bei der wahrscheinlich im Zusammen- hange mit der Organisation der Demen vorgenommenen Revision die Bürgerschaft von gewiss vielfach zweifelhaften, jedenfalls an der Wieder- herstellung der Tyrannis interessierten Elementen. Es ist höchst un- wahrscheinlich, dass Kleisthenes Leute von nicht reinbürgerlicher Herkunft aus der Bürgerschaft ausgestossen und zugleich fremdbürtige Metoiken und Freigelassene aufgenommen haben sollte. Aristoteles äussert sich in der Schrift vom Staatswesen der Athener über die Vermehrung der Bürgerschaft durch Aufnahme von Neubürgem in einer Weise, die kaum eine andere Auslegung zulässt, als dass Kleisthenes alle diejenigen Attiker, die bisher ausserhalb der bürgerlichen Verbände standen, zu Bürgern machte.'"') Es waren das die ehemaligen Hektemoroi und gewerblichen Lohnarbeiter. Erst die kleisthenische Gesetzgebung schuf also den die

1) Nach Aristot. kd^n. 13,5 schlössen sich dem Peisistratos an xal ol toi ysvsi fXT] xa&ccQol ÖLU Tov (poßov ori(jLElov d' OTL fj.szu Z7]V (züjv) TVQuvvcDV xatdXvaiv i7toii]oav öiarprjcpiafxbv cog noXXwv xoivcdvovvxcdv rijg noXivstag ov TtQoaijxov. Wilamowitz, Aristoteles I 31 identifiziert diesen 6iarpTj(fia/x6g (der in späterer Zeit wenigstens aus einer Abstimmung der Demoten eines jeden Demos über das Bürger- recht eines jeden Gemeindemitgliedes bestand) mit der von Isagoras veranlassten Vertreibung von 700 athenischen Familien. Allein an diese Vertreibung kann Aristoteles, der darüber 20,3 nach Hdt V 72 berichtet {jjyTjkazsi zcäv Äi^rjvaiwv snzaxoaiag oixLag)j unmöglich gedacht haben. Der 6iaipi]<fiaß6g war auch nach der Auffassung des Aristoteles eine korrekte Verwaltungsmassregel, die gegen Leute von zweifelhafter bürgerlicher Geburt gerichtet war, die Austreibung der 700 Familien dagegen ein Gewaltakt, der vom spartanischen Könige Kleomenes im Einvernehmen mit Isagoras gegen die Anhänger der Alkmeoniden angeblich wegen des ihnen an- haftenden kylonischen Frevels verübt wurde. Wilamowitz ist zu seiner Ansicht wesentlich dadurch gekommen, dass er den öiaxprjcpiafiog als eine „reaktionäre Massregel" betrachtet, deren Urheber nicht Kleisthenes gewesen sein könnte. Indessen, abgesehen davon, dass die Massregel Anhänger der Tyrannen treffen sollte, hat gerade die Demokratie um so strenger auf Reinhaltung der Bürgerliste gehalten, je mehr Rechte sie an den blossen Besitz des Bürgerrechtes knüpfte.

2) Aristot. Jl^TT. 21,1: nQwzov fihv avvBveifJis ndvzag slg Sixa (pvXag dvzl zwv zezzcc^wv dva^xel^ai ßovXofievog önwg fiezdaxcaoc nkelovg zijg noXi- zelccg. 21,4: xal örjfxozag inoiijaev dXX^k<ov zovg olxovvzag iv kxdazu) zwv ö^/xatv, "va [XI] TtazQO&sv i^sXiyxoxJiv zovg vsoTCoXlzag, dXXa zwv öt'iuwv dvayoQevwair.

538 Obobo Busolt

Gesamtheit der Attiker umfassenden, demokratischen Einheitsstaat, für den die Tyrannis durch die Nivellierung der ständischen und regionalen Gegensätze, namentlich auch durch die Umwandelung der Hektemoroi in selbständige Bauern, den Boden vorbereitet hatte.

II. Zum Kriegsplane des Perikles.

Der strategische Plan des Perikles für die Führung des Krieges gegen die Peloponnesier ist sehr verschieden beurteilt worden. Er bestand im "Wesentlichen darin, dass sich die Athener zu Lande mit den numerisch weit überlegenen Peloponnesiern in keine Schlacht einlassen, das platte Land von Attika nicht verteidigen und sich auf die Behauptung der Stadt beschränken sollten. Das Bundesgebiet sollten sie fest in der Hand be- halten, aber auf keine neuen Erwerbungen ausgehen. Offensiv sollten sie den Krieg mit der Flotte führen und die Verheerungen Attikas durch Verwüstung der peloponnesischen Küsten vergelten. Perikles war über- zeugt, dass die Athener bei dieser Strategie mit der Zeit durch Er- mattung der Gegner sogar leicht die Oberhand gewinnen würden. Der- selben Ansicht war auch Thukydides ^).

In neuerer Zeit haben diesen Kriegsplan Pflugk-Hartung, Beloch und namentlich Duncker scharf verurteilt, Pöhlmann, Egelhaaf, Ad. Bauer und in eingehender Untersuchung Delbrück mit Erfolg verteidigt^).

Delbrück hat ohne Zweifel nachgewiesen, dass die Athener bei dem grossen Übergewicht der Landmacht des Gegners nur die Erhaltung ihrer Seeherrschaft als Ziel des Krieges ins Auge fassen konnten, und dass Perikles, da ihm nur eine der des Feindes überlegene Flotte zur Verfügung stand, nach den Grundsätzen der „Ermattungsstrategie", aber nicht nach denen der „Niederwerfungsstrategie" handeln konnte. Ferner hat Delbrück gezeigt, dass Dunckers Vorschläge zu einer raschen und kräftigen Offen- sive gegen Megara und zur Besetzung der Pässe des Geraneia-Gebirges oder zu einem wuchtigen Angriffe gegen Boiotien ebenso schwer wiegenden Be- denken unterliegen, wie seine Forderung einer auf die Kastelle gestützten Verteidigung der Grenzen Attikas.

Duncker verlangt sodann eine kräftigere Offensive zur See. Nament- lich denkt er an die Landung eines stärkeren attischen Heeres in Messenien,

1) Thuk. I 144; II 65.

2) Pflugk-Hartung, Perikles als Feldherr, Stuttgart 1884., Zeitschr. f. österr. Gymn. 1888 S. 241 ff. J. Beloch, Die attische Politik seit Perikles, Leipzig 1884; Gr. Gesch. I 519; Duncker, Gesch. d. Altert. IX 415 ff. Pöhlmann, Hist. Zeitschr. LV. (1886) 267 ; Egelhaaf, Analekten zur Geschichte, Stuttgart 1887; Ad. Bauer, Bursians Jahresber. 1889 III 123 ff; Delbrück, Die Strategie des Perikles, Berlin 1890 (Preuss. Jahrb. LXIV, 1889)

Beiträge zur attischen Geschichte. 539

das dort nach Einnahme eines Hafenplatzes die Heloten zur Freiheit auf- rufen sollte. Das würde die wahre Antwort auf die Invasion Attikas und ein Gegenstoss in das Herz Spartas gewesen sein. Freilich hat Duncker die Schwierigkeiten einer solchen Expedition nicht in Erwägung gezogen und ihre Ergebnisse im Falle des Gelingens überschätzt, aber man ge- winnt doch den Eindruck, dass die Athener diese leicht verwundbare, mindestens höchst empfindliche Stelle des lakedaimonischen Staates ener- gischer als es in den ersten Jahren des Krieges geschah, hätten angreifen können. Delbrück rechtfertigt die See-Strategie, die sich auf Schädigung des feindlichen Handels und Angriffe auf Küstengebiete beschränkte. Da- gegen sagt Duncker IX 418: „Der Peloponnes war gross, viel grösser als Attika, und was bedeutete flüchtige Verwüstung eines Küstenstriches im Peloponnes gegen gründliche Vernichtung des ganzen attischen Anbaues ! Auch zugegeben, dass diese Verwüstungen den Peloponnesiem und Athenern gleichen Schaden brachten, war damit eine für die Athener günstige Ent- scheidung des Krieges zu erzielen?'* Dieser Einwand ist von Delbrück nicht genügend berücksichtigt und widerlegt worden. Auch Beloch (Gr. Gesch. I 519) bemerkt: „Der Schaden, den die Verheerungen einiger Küstenstriche des Peloponnes durch die attische Flotte verursachten, kam gar nicht in Betracht gegen den Ruin der gesamten Landbevölkerung Attikas; der Kern der feindlichen Macht blieb für Athen unverwundbar. Das Höchste, was sich bei dem perikleischen Kriegsplane erzielen Hess, war ein fauler Friede auf Grund des bisherigen Besitzstandes."

Bei der Beurteilung der Wirksamkeit der athenischen See- Opera- tionen hat man zwei wesentliche Punkte übersehen oder nur gestreift.

Thukydides sagt I 125, dass eine Minorität unter den Peloponnesiem gegen den Krieg stimmte. Diese Minorität bestand, wie sich aus I 120 ergiebt, aus Arkadern. Die Korinthier sagen nämlich : „Ihr, die ihr mehr im Binnenlande (ti^v /neGoyeiav), als an der Küste wohnt, müsst wissen, dass, wenn ihr den Seeanwohnern nicht beisteht, euch die KaTaxofudTJ der Landeserzeugnisse erschwert werden wird und wiederum der Eintausch der Dinge ,• welche die Seeeinfuhr dem Festlande giebt. Ihr sollt euch nicht als schlechte Beurteiler zeigen und sagen, dass euch nichts angeht, was wir hier vorbringen, ihr möget euch vielmehr darauf gefasst machen, dass, wenn ihr die Seeanwohner im Stiche lasst, das Übel auch bis zu euch vordringen wird." Die See- Operationen der Athener schädigten nun gerade unmittelbar die Küstenstädte und ihre Gebiete d. h. die Kriegs- partei unter den Peloponnesiem. War der Kriegseifer derselben erlahmt, so Hess sich ein günstiger Friede leicht erreichen.

Was den zweiten Punkt betrifft, so bezeugt Hdt. VII 147, dass pon-

640 Georg Busolt

tisches Getreide nach Aigina und der Peloponnesos eingeführt wurde. Ferner sagt Thuk. III 86, dass die Athener bei ihrer Expedition nach Sicilien auch die Gedreidezufuhr von dort nach der Peloponnesos ab- zuschneiden beabsichtigten. Daraus ergiebt sich, dass die Peloponnesos damals nicht genügend Getreide erzeugte, um namentlich die starke Be- völkerung der Industrie- und Handelsstadt Korinthos mit ihrer Sklaven- masse, die mindestens auf 60—80,000 Köpfe zu schätzen ist, ausreichend zu ernähren. Auch andere Küstenstädte deckten gewiss nicht den Bedarf an Getreide aus der Produktion des eigenen Gebietes. Andrerseits beruhte der Wohlstand der Korinthier auf der Ausfuhr ihrer Erzarbeiten, Thon- gefässe, Webstoffe und sonstiger Industrie-Erzeugnisse. Ebenso gab es in Sikyon und in den lakonischen Perioiken-Städten eine erhebliche für die Ausfuhr arbeitende Industrie. Gelang es den Athenern, diese Ein- und Ausfuhr in grösserem Umfange zu unterbrechen, so musste allmählich be- sonders Korinthos, das Haupt der Kriegspartei, wirtschaftlich ruiniert werden. Die Wirksamkeit einer Seeblockade hat sich in neuerer Zeit im amerikanischen Bürgerkriege glänzend gezeigt. Sie hat wesentlich zum Falle der Konföderierten Staaten beigetragen, die auf die Ausfuhr von Rohprodukten und die Einfuhr von Industrie-Erzeugnissen angewiesen waren.

Nun hatten die Athener durch die hellespontische Getreidesperre') die Zufuhr aus dem Pontes in ihren Händen, und ihre Flottenstation in Naupaktos störte auch die sicilische Einfuhr nach dem inneren Busen des korinthischen Golfes und überhaupt den direkten Schiffsverkehr zwischen Korinthos und dem Westen. Nur auf Umwegen konnten die Korinthier die für ihr wirtschaftliches Gedeihen so wichtigen, merkantilen Verbindungen mit dem Westen unterhalten. Es kam also darauf an, die Ein- und Aus- fuhr, soweit sie noch auf Umwegen und durch andere peloponnesische Häfen vermittelt wurde, möglichst abzuschneiden. Daran hat auch Perikles gedacht. Die Peloponnesos sollte mit vielen Schiffen immer blockiert und eingeschlossen werden^). Die Verwüstungen der Küstengebiete, die mit der Blockade verbunden waren, konnten ebenfalls nicht ohne Wirkung bleiben. Abgesehen davon, dass sie, wie oben bemerkt wurde, gerade die zur Kriegspartei gehörenden Städte schädigten, musste die Verheerung der ertragsreicheren Küstenebenen, wie der eleischen, das Bedürfnis nach fremdem Getreide steigern. Mit Recht lässt Thukydides die Korinthier

1) A. KirchhoflF, Ber. d. Berlin. Akad. 1888 S. 1179 ff.

2) Thuk. 1142, 7: ölu xo v<p ^fjKov noXXalg vaval dsii^OQfisZaO^aL xzL nokXcüg 6h el^yö/aevoi xzX. I 141,4: dnb zwv avtcüv öanavöivxeq xai ngoaexi xal d^akäaarjg dgyoßsvoL. Vgl. übrigens in Bezug auf den Schmuggel nach der Pelopon- nesos: Aristoph. Kitt. 278 ff.

Beiträge zur attischen Geschichte. 541

sagen, dass auch die binnenländischen Staaten der Peloponnesos durch die Schädigung der Seeanwohner in Mitleidenschaft gezogen werden würden. Wenn die Industrie der Korinthier stockte und bei ihnen Geldmangel ein- trat, so konnten sie die ländlichen Produkte der Arkader, besonders Wolle und Getreide, nicht brauchen oder bezahlen. Dann half auch den Arkadem nichts die unausbleibliche Steigerung der Getreidepreise.

Eine Blockade war freilich insofern noch weit schwieriger als in der Gegenwart, als die Trieren nicht wie Dampfschiffe Tag und Nacht auf der Lauer liegen konnten. Daher gelang es leicht, der Aufmerksamkeit der Blockadeschijffe zu entgehen*). Andrerseits war eine Blockade dadurch erleichtert, dass sich die Schiffe auf ihrer Fahrt möglichst in der Nähe der Küste hielten und weitere Seefahrten gewöhnlich nur in der guten Jahreszeit unternommen wurden. Da ein ununterbrochenes Kreuzen vor den zu blockierenden Küsten nicht ausführbar war, so musste man zur dauernden Überwachung des Seeverkehrs und zugleich zur beständigen Beunruhigung des Küstengebietes günstig gelegene Küstenplätze oder Inseln besetzen. Das haben denn auch die Athener mit gutem Erfolge gethan, allein erst allmählich. Zu Lebzeiten des Perikles ist in dieser Hinsicht wenig geschehen. Im ersten Kriegsjahre wurde die Bürgerschaft von Aigina vertrieben und die Insel nicht lange darauf von attischen Kolonisten besetzt. Dann versahen sie das Eiland Atalante an der lo- krischen Küste mit einer Besatzung, „damit nicht von Opus und der übrigen Lokris ausfahrende Seeräuber Euboia schädigen möchten" (IE 32). Auch auf Salamis wurde gegenüber Megara das Kastell Budoron und eine kleine Flottenstation errichtet, um den megarischen Seeverkehr abzuschneiden (II 13). Zugleich war im Frühsommer eine Flotte von 100 Trieren mit 1000 Hopliten und 400 Bogenschützen an Bord nach den peloponnesischen Gewässern in See gegangen, wo sich mit ihnen noch 50 korkyraeische Trieren vereinigten. Bei der Umfahrt um die Peloponnesos wurden Küsten- striche, namentlich von Elis, verwüstet, ein Angriff auf Methone schlug fehl, der eleische Hafen Pheia wurde genommen, aber wieder geräumt. Der Hauptgewinn dieses Seezuges war die Insel Kephallene. Im zweiten Kriegsjahre wurde eine ebenso starke Flotte nach der Peloponnesos ab- gesandt; sie führte jedoch nicht weniger als 4000 Hopliten und ausser- dem 300 Reiter an Bord. Zunächst verwüstete man weithin das Ge- biet von Epidauros, jedoch ein mit Aussichten unternommener Angriff auf die Stadt selbst hatte schliesslich keinen Erfolg. Dann verheerten die Athener die Gebiete von Troizen, Halieis und Hermione und die Ostküste

1) Vgl. Thuk. VII 1; 2; 7; 25; Xen. Hell. I 6, 19.

542 Geobq Büsolt, Beiträge zur attischen Geschichte.

Lakoniens, wobei sie das Küstenstädtchen Prasiai nahmen und zerstörten. Damit endigte die Flotten-Expedition; sie hatte nur etwa 6 Wochen ge- dauert. Zu Beginn des Winters schickten dann die Athener 20 Trieren unter Phormion nach Naupaktos, um dort ständig Wache zu halten, „da- mit niemand aus Korinthos und dem krisaeischen Golfe ausfahre oder dahin einfahre" (II 69). In der Erzählung des nächsten Kriegsjahres be- richtet Thukydides nichts von einer grösseren Expedition nach den pelo- ponnesischen Küsten.

Gegen den Vorwurf, dass Perikles in den ersten beiden Kriegsjahren eine dauernde Besetzung peloponnesischer Küstenplätze unterliess, macht Delbrück geltend, dass im Hinblicke auf die lange Dauer des Krieges die Kräfte Athens hätten gespart werden müssen. Allein ein energisches Einsetzen der Kräfte im Kahmen des Kriegsplanes konnte unzweifelhaft die Dauer des Krieges verkürzen und rascher zur Ermattung des Gegners führen. Es ist nicht abzusehen, warum die grosse Elotte, die im Jahre 430 an den peloponnesischen Küsten operierte und 4000 Hopliten an Bord hatte, keinen Versuch machte, Kythera in Besitz zu nehmen. Als das im Jahre 424 geschah, erwies sich die Operation als höchst wirksam. Auch Pylos ist erst im Jahre 425 besetzt worden. Thukydides sagt darüber IV 41 : „Nach Pylos aber legten sie eine Besatzung, und die Messenier aus Naupaktos schickten dahin die tüchtigsten Leute aus ihrer Mitte, welche Kaubzüge im lakonischen Gebiet unternahmen und sehr vielen Schaden anrichteten. Die Lakedaimonier aber, die in früherer Zeit solche Raubzüge und ^inen derartigen Krieg nicht erfahren hatten, nahmen die Sache keineswegs leicht, zumal ihnen auch die Heloten überliefen und sie fürchteten, dass ein ausgedehnterer Aufstand ausbrechen könnte." Die Verwüstung des Landes von Pylos und Kythera aus, das Überlaufen der Heloten und die Besorgnis vor einem Heloten- Aufstande führt dann Thuk. IV 15 unter den Gründen an, welche die Lakedaimonier zum Frieden geneigt machten. Warum, muss man fragen, setzten sich die Athener nicht schon im ersten oder zweiten Kriegsjahre an einem geeigneten Küstenpunkte Messeniens fest? Der Misserfolg bei Methone durfte doch von weitern Versuchen nicht abschrecken. Soweit wir es zu beurteilen vermögen, war der Kriegsplan des Perikles grundsätzlich richtig, aber es mangelte bei seiner Durchführung an thatkräftigem Vorgehen und Unter- nehmungsgeist.

XXVI. Zu Caesars bellum ciyile.

Yon

C. F. W. Müller (Breslau).

Zu den Worten Caes. b. civ. I 53. 3 Quibus lüteris nuntiisque Romam perlatis magni domum concursus ad Afranium magnaeque gratulaiiones fiebant bemerken die Herausgeber, dass die Ausdrucksweise domum ad üliquem aucb sonst vorkomme, auch bei Cäsar selbst civ. 11 20. 5, ja sie wissen sogar anzugeben, warum Cäsar nicht {in) domum Afranii wie n 18. 2 ex. in domum Gallonii oder bloss ad Afranium gesagt hat. Ich vermisse daran das Wesentlichste, erstlich die Bemerkung, dass domum ad aliquem so gewöhnlich ist, dass es keiner besonderen Erklärung bedarf, warum an einer bestimmten Stelle so gesagt ist. Ad me domum steht Ter. Eun. 205 (Euhnk. I 2. 125), Hec. 822, Cic. Cluent. 17. 29, ad te Plaut. Amph. 759, Mil. 790, Truc. 206, Fronte ep. M. Caes. V 10 p. 80 Nab., ad se Cic. Att. XII 11, Cluent. 25. 69, Phil. V 8. 22, Nep. XX 1. 5 (s. Bremi), Dict. I 6 ex., ad eum Cic. Verr. I 48. 126, Dei. 11. 31, ad illum Cic. Verr. act. I 9. 25, ad istum Verr. III 23. 56, ad Caelium Cael. 25. 61. Ebenso in aedis me ad te adduxisti Plaut. Kud. 497, wo der fehlende Schluss- jambus vielleicht aus Mil. 121 zu ergänzen ist: in aedis me ad se deduxit domum. Vgl. Caes. civ. 1 2\, \ ad se in castra traducere, Varr. sat. Man. p. 159. 10 Riese, 261 Buech. ad quem veniunt in hospitium^ Liv. VIII 7. 12 inde ad praetorium ad patrom tendit. Dem entsprechend auf die Frage wo? domi apud aliquam Plaut. Mil. 593, Cic. Verr. V 29. 73 ex., Sest. 18. 41, apud Heium in aedibus Verr. IV 2. 4 (s. Eberhard); ab aliquo domo Plaut. Merc. 357, Cist. 658, ab Heio e sacratno Cic. Verr. IV 3. 7.

Wie üblich diese Ausdrucksweise gewesen sein muss, sieht man weniger aus den doch immer nur vereinzelten Beispielen in der uns er- haltenen Litteratur als daraus, und dies ist der wichtigste Punkt, der an der Stelle, von der wir ausgingen, hervorzuheben war, dass sie formel- haft selbst da angewendet wurde, wo sie buchstäblich genommen sinnlos

644 C. F. W. MüLLBE

ist. Es verlohnt sich auf die Sache näher einzugehen, weil diese Be- merkung rucksichtlich unserer Stelle kürzlich gemacht, aber dazu benutzt ist, letztere zu ändern, nämlich in magni concursus ad domum Afranii ßebant, statt den Sprachgebrauch zu erläutern. Wie können, sagt man (H. J. Müller Zeitschr. f. d. G.-W. 1894 p. 732), in Rom concursus ad Afra- nium fierii da ja Afranius in Spanien sich befindet? Ist dieser Einwand beweiskräftig, so müssen auch Stellen geändert werden wie Plaut. Merc. 558 huc ad me intervisam domum, Mil. 121 Hie postquam in aedis me ad se deduxit domum, 525 Transcurrite ad vos rursum curriculo domum, 535 Abi intro ad vos domum, Ter. Eun. 576 me laela ad se abducit domum, Cic. fam. III 8. 10 neque domum umquam ad me litter as mittam, Att. IV 14. 1 Velim domum ad te scribas, XVI 10 veni ad me in Sinnes- Sanum, rep. III 28. 40 ex. venerat ad se in Sabinos, „auf sein Sabinum"; denn vernünftiger Weise kann niemand an sich schreiben oder zu sich kommen. Trotzdem wird schwerlich jemand den Mut haben, diese Stellen zu korrigieren, man wird sich vielmehr entschliessen anzuerkennen, dass hier eine Gewohnheitsnachlässigkeit vorliegt (vielleicht damit zusammen- hängend, dass man sonst auch menschliche und göttliche Personennamen statt ihrer Wohnungen, Tempel, Bildsäulen gebrauchte), und wird sich darüber um so weniger wundern, je klarer man überblickt, in wie ungeheuerem Um- fange im Lateinischen die Vorliebe für örtliche und zeitliche Beiordnung statt Unterordnung sich geltend gemacht hat. Allerdings ist dies nur ein einzelner Punkt des ganzen grossen Kapitels von der Koordination statt Subordination, zu welchem u. a. die o^iq^aTa y.ad^ olov ymI y^ata (xegog ') und €v ÖLcc övolv gehören, er verträgt aber eine gesonderte Behandlung, und diese scheint um so weniger überflüssig, weil nicht nur an der einen Stelle des Cäsar Unkenntnis dieses Sprachgebrauches selbst solchen Kennern der lateinischen Sprache wie J. Fr. Gronov zu Textverderbnissen und Miss- verständnissen Anlass gegeben hat. Vergl. Norden Rhein. Mus. 1893 p. 547ff. Es wird bekanntlich im Lateinischen im Allgemeinen, wenn auch mit vielen Ausnahmen, vermieden, Präpositionen mit ihrem Kasus attributiv zu Substantiven oder von ihnen abhängig zu setzen. Demgemäss sagt man in der Regel so wenig wie für „die Taube auf dem Dache'* columba in tecto für „Karthago in Afrika" Carthago in Africa, Steht der Städte-

1) In meinen 'Nachträgen zur Plautinischen Prosodie' p. 38 m. habe ich einige Beispiele mit mihi animo u. ähnl. gegeben. Vergl. auch Cic. Verr. V 63. 163 Stattä egomet mihi tum modum oraüo7ii meae (adn. crit. p. 489. 30), carm. de fig. 185 mihi non placet hoc animo, Val. M. III 2. 7 Gallo scipioncm capiti inflixit, Hyg. fab. 95 ex. Telemachum cunis suhlatum aratro ei subiecit, wo Schmidt mit Anderen eins schreibt, Cass. Fei. p. 6. 3 sedenti naribus infundes, 62, 2 nescienli narihus inice, 72. 17 ori patenti et ?ia?ibiis penicillos congruit laborantibiis applicare.

Zu Caesars bellum civile. 545

oder sonstige Ortsname auf die Frage wohin? oder woher?, so pflegt das Land in gleicher Weise mit in und dem Accusativ oder ex- gesetzt zu werden.^) Cic. Att. V 15. 3 iter Laodicea faciebam in castra in Lypaoniam, wo Hoff- mann ep. sei. II 9 in der ersten Aufl. S. 117 falsch schrieb in Lycaonia, Caes. b. G. I 54. 2 in hiberna in Sequanos, YH 34. 2 in Arvemos ad oppi- dum Gergoviam, b. Air. 98. 1 Caralis in Sardtniam, Nep. VII 4. 4 Thurios in Italiam, Liv. X 1. 1 Albam in Aequos, XXI 6. 4 Carthaginem in Africam, XXX 45. 1 in Siciliam Lilybaeum, XXXII 4. 7 in Macedoniam in hiberna, XLn 18. 3 Apollomam in Epirum, Vell. I 15. 3 Auximum in Picenum, Sen. suas. 6. 1 1 ex. illum in Asiam et in Macedoniam hortatus est in Cassi et in Bruti castra, scr. hist. Aug. III 7. 1 1 ad agros ad Campaniam (ad == in), wenn hier richtig et vor ad Camp, getilgt ist, was ich allerdings glaube, Vin 3. 3 in Liguriam in villam patemam, schol. Germ. p. 393. 22 Eyssenh. in terram Arcadiam in regionem Nemeae, 405. 10 in terram Atticam Ekamnunta. So schreiben denn auch die meisten Herausgeber Liv. XXni 48. 3 a Cumis Luceriam in Apuliam legiones cum duxisset ohne Zweifel richtig, obwohl der Put. Apidia hat. Plauens in Cic. fam. X 23 ex. bei Datierung VIII Id. lun. Cularone exßnibus Allobrogum, Cassius ib. XII 13 ex. Data Id. lun. Cypro a Crommyu acride (var.). Das Komma, das die alten und die neuen Ausgaben zwischen die beiden Ortsbestim- mungen setzen, ist hier ebensowenig an seiner Stelle, wie es bei Cartha- ginem in Afjncam oder bei domum ad me sein würde. Liv. XLII 51. 7 ab Heraclea ex Sintis, XLII 56. 6 duae ab Heraclea ex Ponto triremes, lust. XLII 3. 4 Herculem ex Italia ab Albano monte secuti dicuntur, lul, Par. I 1 ext. 2 e templo lunonis ex insula Melita , scr. hist. Aug. IV l . 4 ex Succiibitano municipio ex Hispania^ „abstammend aus ", ebenso mit dem üblichen domo CIL IH 3680. 3 domo Africa Sufetla, vielleicht auch 2019. 2 dom(o) Augusta Troade^), VII 341. 6 d(omo) Mursa ex Pannonia, 317. 7 ex prov. Narbon. domo Nemauso, 373. 7 domu Sicca ex Africa, 704. \0 ex Italia domo Brixia, IX 4684. 4 domo Voltinia PhiUppis Ma- cedonia, IH p. 893. 18 colonia Maluese ex Dada, VI 1636. 6 oriundo*)

2) Val. M. I 5. 5 in domum Fanniae Minturnis deductus est h&tte nur dann Minturnas heissen können, wenn er nicht in Minturnae gewesen wÄre. Ebenso VIII 2. 3 g. E. in domum suam Minturnis deductum. Plin. X 79 Romae in aedem Heiculis in foro boario nee muscae nee canes inirant, Suet. Aug. 94 p. 80. 9 Roth repositus in cunas loco piano. Aber Nep. XXIII 8. 1 Africam accessit in finibus Cyrenaeorum sollte wohl die Koordination zweier blossen Accusative vermieden werden.

3) Im Index p. 1178 wird angenommen, dass die Stadt, die n. 391 Augusta Troadensis heisst, hier den Namen Augusta Troas hat.

4) D. h. ön^md = natione, domo. Die Lexica kennen diese Ausdrucksweise nicht. Sie findet sich auch Script hist.. Aug. XII 4. 1, XXIX 7. 1, Firm. Mat.

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ea? Ital(iu) lul Dertona. Vergl. Cael. Aur. ac. 11 1 p. 83 in. Haller Alexan- der Laodicensis ex Asia statt Laodicea ex Asia. Ähnlich ist der Fall, dass eine Stadt durch Zusatz eines Fluss- oder Bergnamens, an dem sie liegt, kenntlich gemacht wird. Dass auch die Eömer z. B. sagen Ma- gnesia ad Sipylum, ist bekannt (Li?. XXXVII 56. 3, aber XXXVI 43. 9, XXXVn 37. 9 quae ad Sipylum est). Wenn aber die Handschriften XXXVII 44. 4 haben legati ab Thyatira et Magnesia ab Sipylo venerunt, so ist es eine Verkennung des Sprachgebrauchs, dies in ad Sipylum zu ändern (s. Madv. emend.* 431 n.).

Zur Bezeichnung der Ruhe sagt man natürlich wie im Deutschen z. B. Syracusis in Sicilia Plaut. Men. 409, Antiochiae in Syria Caes. civ. m 105. 3, Argis in terra Graecia Gell. HI 9. 2, in agro Uritano in Gallia Front, grom. p. 29. IP). Aber wer daran zweifeln sollte, dass dies anders gemeint ist als im Deutschen, und wen auch der Umstand nicht über- zeugen sollte, dass häufiger noch das Land voransteht, wie Plaut. Men. 1096, CIL XI 915. 6 in Sicilia Syracusis, Varr. r. r. H 4. 11 in Hispania ulteriore in Lusitania, I 44. 1 ex. in Etruria locis aliquot, ib. 2 in Italia in Subaintano, Caes. VI 11. 2 in Gallia in omnibus civitatibus, ÜI ex. in Aulercis in hibernis, VI 13. 10 in finibus Camutum in loco consecrato, YI 44. 3 in Senonum finibus Agedi?ici, noch mit dem Zusätze in hibernis, Sen. nat. q. HI 20. 4 in Italia quibusdam in locis, Gell. H 20. 5 ex. in Italia locis plerisque, Plin. XXXT 73 in Sicilia in lacu, Suet. vit. Tr. p. 294. 10 Roth in Arcadia Stymphali unsicher, 300. 15 in Sabinis Amitemi, CIL I 198. 31 p. 60 in terra Italia in oppedeis, foreisy lul. Obs. 51 in Vestinis in villa (Cic. Verr. IV 22. 48 apud villam (d. h. in der Villa) in Tynda- ritano), scr. bist. Aug. XVHI 59. 6 in Gallia in vico, cui Sicilia nomen est, XXX 14.2 in Gallia in quadam caupona, XIX 4. 4 in Thracia in vico, ubi genitus fuerat, Front, grom. p. 21. 3 in Sabinis in monte Mutela, 48. 16 in Campania in Suessano, 123. 9 in Germania in Tungi'is, Hyg. fab. 274 in Panchaia in monte Taso, Lact. I 11. 46 und epit. 13. 4 aus Ennius in Greta in oppido Gnosso, wo die Ausgaben des Ennius thörichterweise in Greta et in opp, Gn. haben wer, sage ich, auch dieser Thatsache gegenüber dabei beharren sollte, dass der Ländername attributiv zu dem Städtenamen oder der sonstigen spezielleren Ortsbezeichnung hinzugesetzt sei, den müssten doch die sonstigen vielen Analogien davon überzeugen, dass auch hier die weitere und engere Ortsbestimmung parallel in die

math. II. 4 p. 1. 19 unde oriundo sunt, Ennod. opusc. III 7 f. 332. 18 Hartel, dict. XXIV 5 p. 499. 5 splendor oriundi\ Paneg. VI 4. 3 oriendo.

5) Auch in Adriatico mari in Histna Hyg. fab. 23 gehört hierher, 'in dem Teile des Adriatischen Meeres, der Istrien bespült'.

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Satzkonstruktion gefügt sind. Denn wie Länder- oder Volksnamen und Städte oder sonstige Landesteile oder Zubehöre koordiniert werden, ebenso alle möglichen Ortsbezeichnungen mit ihren Teilen. Zunächst Städte- namen. Soviel ich weiss, findet sich nirgends inforo Romano, sondern Romas in foro wie Varr. sat. p. 207. 1 Riese, 456 Buech., Halm Cic. Verr.

IV 29. 67 in foro Syracusis, V 54. 140 in foro Lilybaei, Mur. 39. 84 in urbe inforo, nicht in urbe , inforo, wie alle, auch die neuesten Aus- gaben ausser der Teubnerschen haben und damit zeigen, dass sie den Ausdruck nicht richtig verstehen, Verr. II 70. 171 in portu Syracusis, Vitr. VII p. 12 Piraei in portu, Plin. II 230 ex. Brundisi in portu^) Cic. Att. VI 9. 5 ex. in arce Atkenis, Vitr. IV 8. 4 Athenis in arce, Liv. XLIII 13. 4 Cumis in arce, Varr. 1. Lat. VII 17 g. E. Delphis in aede, Cic. Verr.

V 31. 80 g. E. in Insula Syracusis, Caes. civ. III 105. 2 Elide in templo, ib. 5 Trallibus in templo, Cic. Verr. II 21. 50 in curia Syracusis, V 62. 160 g. E. Syracusis in lautumiis, CIL XIV 2795. 5 Gabis in municipio in curia Aelia Augusta, Cic. fin. V 2. 4 in omni parte Athenarum in ipsis locis, Caes. VI 44. 3 in Senonum ßnibus Agedinci in hibemis mit 3 Orts- bestimmungen, Cic. Verr. II 35. 86 Thermis (im Gebiet von Th.) in isdem agri finibus. Just. XI 7. 4 in ea urbe in templo lovis, XI 10. 11 Tyro V eiere in antiquiore templo.

Wohin? Fabri citiert zu Liv. XXI 49. 3 Messanam in portum Stellen mit Teanum in hiberna, Ardedm in castra, in Hispaniam ad exercitum, in aedem Bellonae in senatum, S. noch Caes. civ. U. 25. 5 in castra ad oppidum, m 11. 2 in hiberna Apolloniam, III 31. 4 in urbes in hiberna, Liv. XXI 5. 4 ex. und 15. 3 Carthaginem novam in hiberna, XXIII 18. 9 ex. in hiberna Capuam, XXXVII 45. 19 Magnesium, XXI 22. 5 Carthaginem ad hiberna, Tac. Hist. III 1 Poetovionem in hiberna. Und so wird denn wohl auch IV 25 zu schreiben sein Bonnam in hiberna, sowie I 64. 17 Luguduni solitis sibi hibemis ohne das Komma, das die Ausgaben haben. Liv. XXIV 36. 3 in magnum portum Syracusas, Vitr. X 2. 1 1 wurde früher gelesen scapos cum deportare vellet Ephesum ad Dianae fanum ; die Hand- schriften haben Ephesi, was kaum richtig sein kann, b. Afr. 34. 5 in portum ad Ruspinam, CIL. 1 199. 25, 27, 35 p. 72 in poplicum Genuam dare.

Woher? Cic. Verr. IV 59. 131 ex. vim maximam vasorum ex Omni- bus aedibus sacris abstulit Syracusis, Vatinius fam. V 9 ex. ear castris Narona, Lepidus X 34 ex. ex castris ex Ponte Argenteo, Brutus XI 10 ex. ex castris Dertoiia, ebenfalls wie oben ohne Komma zu schreiben, Halm Cic. Verr. IV 43. 93 Agrigento ex fanOy V 51. 133 Pachyno e terrestri

6) ^v Qdao) iv zäi hfzivi Dem. 50. 38.

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praesidiOi TI 74. 182 ex. ex portu Syracusisy Caes. civ. III 105. 1 Epheso ex fano Dianae (aber III 33. 1 Ephesi a fano Dianae deposUas pecunias Scipio tollt iiibebatj weil vom Aufenthalte des Scipio in Ephesus die Rede ist. Ebenso Val. M. VIII 7 ext. 3 p. m. ut ab Archyta Tarenti, a Timaeo Locris Pythagorae praecepta acciperet)^ Vell. II 30. 5 e ludo (jladiatorio Capua, Gell. VII 10. 4 c domo sua Merjaris.

Bei anderen örtlichkeiten wie Bergen, Flüssen u. s. w. Pac. trag. 252 p. 108 Aetnam montem advenio in scruposam specum, Caes. civ. II 26. 1 se in castra ad Bagradam recepit, II 38. 3 equitatum ad castra hostium mittit ad flumen Bagradam, Hyg. fab. 165 in Idam siluam ad fontem, CIL. I 199. 12 p. 72 in fontem in Macelum {montem), Inl. Par. 11 1. 6 in sacellum in Palatium (Val. Max. quod est in Palatio), Cass. Hern. frgm. bei Non. 346. 24 in area in Capitotio, von L. Müller verdorben in Capitoli, Varr. 1. L. VI 27 ex. in Capitolio in curia Calabra, Plin. VIII 225 in Mesia Silva non nisi in parte, IX 167 in ea (villa) in Caesaris piscinis^ XXXV 108 Ä2 Capitolio in Minervae delubro, Vell. II 14. 3 in Palatio in eo loco. Caes. civ. III 30. 2 Ex castris stativis a flumine Apso.

Wenn bei Personen zu 'bei, zu, von' der Aufenthaltsort, deutsch mit 'in, bei', hinzugefügt wird, so drückt sich der Lateiner oft in derselben parataktischen Weise aus. Plaut. Truc. 497 ad amicam Athenas Alticas viso nach Nonius, Mil. 116 Naupactum ad erum nuntiem, (Cic.) fam. VIII 4. 4 Ariminum ad exercitum, Caes. G. I 31. 9 Romam ad senatum, Eutr. III 21. 1 ad senatum Romam, Etwas anderer Art in senatum venire in Capitolium Cic. dom. 3. 5 ex. , in aedem Bellonae in senatum introducti Liv. XLII 36. 2, wo merkwürdiger Weise J. Fr. Gronov in aede schreiben wollte; ib. 8 Brundisium ad classem et ad exercitum^ XXIII 19. 8 ad magistratum Casilinum (s. Fabri), Caes. civ. II 20. 8 Cordubam ad Cae- Sorem, Gron. Liv. IX 5. 9 in patriam ad parentes. Wie m senatum so in contionem neben Zmyrnam Tac. ann. IV 56. 10; arf (gegen) aliam manum Tuscorum ad salinas profecti Liv. V 45. 8. Wenn die Person bei einer anderen Person sich befindet: abi huc ad meam sororem ad Calliclem Plaut. Trin. 579, ad fratrem (jady captivos Capt. 458, wo hoffent- lich niemand Scholl folgen wird. Auch dreierlei Bestimmungen neben- einander Liv. XXIII 24. 5 Teanum in hiberna ad exercitum, Gell. XX 10. 9 ex. in ius in urbem ad praetor em, wo in ius den Zweck bezeichnet. Ähnlich Plaut. Bacch. 1008 ad te in conspectum, Trin. 673 i?i hospitium devorti ad Cupidinetn nach Eitschls früherer und Fleckeisens Schreib- weise. Comm. cons. bei Varr. 1. L. VI 88 voca ad conventionem Quirites huc ad me ite ad conventionem huc ad iudices, wo auch drei Ortsbe- stimmungen nebeneinander stehen wie in huc ad meam sororem ad

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öalliclem, denn Tiuc ist gleich in hunc locum und keineswegs überflüssig, wie allerdings solche Ortsadverbien öfters gefasst werden können , z. B. Enn. Euhem. 8 p. 80 Müller ibi eo in monte, Plaut. Cure. 527 hie infanoy Epid. 602 hinc Athenis, Cic. leg. agr. II 34. 94 hinc Roma^ Plaut. Trin. 67 huc ad te u. s. w. (Brix Capt. 327), hinc ex proximo Fleckeisen Philol. II p. 88 n. 33. Aber z. B. Piso bei Gell. VII 9. 5 eo in conclave introivit steht ohne Zweifel in conclave nicht als eine erklärende Apposition zu eo, sondern es ist gemeint ad eum in conclave'^). Ferner besonders häufig ad cenam ad aliquem wie vocare Plaut. Capt. 175, Mil. 712, Lorenz Most. 1134, ire Sen. dial. IX 7. %ferre Plaut. Stich. 433, redire Capt. 497 wieder mit der dritten Ortsbezeichnung huc rediho huc ad senem ad cenam asperam.

Auf die Frage wo? stehen 3 Ortsangaben nebeneinander CIL. XI 1420. 1 Pisis in foro in Augusteo, '^in dem auf dem Forum von Pisa gelegenen Augusteum\ Yarr. r. r. 11 11. 10 in publica Ardeae in litteris, ""in den Akten des Archivs von Ardea\

Am allergewöhnlichsten und teilweise zugleich vom deutschen Sprach- gebrauche abweichendsten werden Ganze und Teile aller möglichen Gegenstände neben einander gestellt, wenn angegeben werden soll, an welchem Teile des Ganzen etwas geschieht. Plaut. Stich. 413 in cercuro in stega (s. die Anm. 7) , wo die Herausgeber falsch ein Komma setzen. Desgleichen Varr. r. r. III 5. 11 mit drei Ortsbestimmungen in limine in lateribus dextra et sinistra, 9. 2 rure in villisy 14. 4 in his regionibus quibusdam locis, 12. A ex. in oceano in ea parte, Cic. Q. fr. IH. 1. 2 quo loco in porticu, divin. I 34. 75 in statua in capite (11 32. 68 in statuae capite), Phil. Y 15. 41 m. (sen. cons.) aut quo alio loco in foro vellet, Plin. XYI 91 in ipso pomo mali quodam in gener e, XXXV 27 in foro celeberrima in parte, ib. IIA in schola in Octaviae porticibus, XXXVI 13 in Palatina aede Apollinis in fastigio, Quint. VI 3. 72 in sipario Omni- bus locis, Apul. de. Soor. prol. p. 3. 13 Goldb. in quadam quercu in summo eins cacumine, scr. bist. Aug. XI 6. 8 in Commodianis hortis in porticu, XX Vn 8. 1 in bibliotheca Ulpia in armario sexto, lul. Obs. 17 in pluri-

7) Auch indidem Thebis Nep. XY 5. 2 u. ähnl. (s. Nipperdey z. St) heiast gewiss nicht 'ebendaher, nämlich aus Theben', sondern = ^o: isdem Thebis, 'ebenfalls aus Theben*, und so unde domo, 'von wo zu Hause', Plaut. Poen. 1376, Sen. dial. XII 6. 3, hinc domo Solin. p. 55. 13, aliguo ad piscinam aut ad lacum Plaut. Poen. 293, quo ad coUoquium Cic. Phil. XII 11. 27, in consilium huc Plaut. Trin. 709, eodem in dolium Cato r. r. 105.2 zweimal. Ebenso fasse ich Liv. XXI 17. 9 ex. eodem in Punicum bellum und die dort von Fabri citierten Stellen und nicht schlechthin in Pun. bellum als 'Exegese zu eode7ti\ Drei Ortsbestimmungen Plaut, Merc. 357 hinc domo ab se, Stich. 413 ibidem in cercuro in stega, CIL. I 1027. 1 p. 224 (Anthol. epigr. 1. 74) hoc {= huc) ad grumum ad laevam aspice.

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mis victimis in iocinere, Veg. vet. HI 22 in. in oculo in osse, Cass. Fei. p. 33. 21 in inferiori parte in ventre, 109. 13 in bracchio dextro in vena, 128. 19 in manu dewtra in vena media, Marc. Emp. p. 176. 7 in sinistra manu in medio digito, 253. 1 in balineo in solio, CIL. I hll,% 13 p. 163 = X 1781 introitu in area, 198. 14 p. 58 und 206. 18 p. 120 in tabula in alba, Ampel. 8. 12 introitu dextra ac sinistra^ Hyg. fab. 274 in lectis tricliniaribus in fulcris, astr. III 9 ex. in quadrato in angutis. Auch per- noclant venatores in nive in montibus Cic Tusc. 11 17. 40 ex. rechne ich hierher, obwohl der Schnee kein Teil der Berge ist. Besonders gangbar ist diese Ausdrucksweise bei Citaten aus Schriftstücken: Cic. Att. YIII 1. 1 in ea Pompei epistula in extremo, fam. VII 16. 1 in 'Equo Troiano in extremo, Varr. 1. L. VII 109 in Ulis (libris) in primo volumine, ApuL de. Soor. 24 p. 26. 16 in Philocieta in eins tragoediae principio. Bei den eigentlichen Grammatikern ist diese Citiermethode nicht sehr üblich. Sie sagen gewöhnlich Cicero in III Thilippicarum etc., wohl auch apud Naevium in Dementibus (Diomed. p. 344. 34), apud Vergilium in undeciwo libro (349. 30), apud Terentium in prologo Eunuchi (350. 11) u. s. w., hin und wieder auch in Coelii historia libro I Charis. p. 143. 9, in commen- tariis libro X 202. 28, in epodo hoc versu Prise. I p. 16. 9, öfter Mar. Plot. libro IV ode VII wie VI p. 169. 17, 24, 170. 7, 14, 28, 171. 8, 34 etc. neben libri wie p. 176. 15, 181. 12 etc. Aber Gellius citiert häufig so wie I 22. 16 in tertio Enni annali in hoc versu, 22 in Plauti Asinaria in his versibus, III 14. 15, IV 5. 6 in annalibus maximis libro undecimo, ohne Komma zu schreiben, 6. 4, 17. 4 apud Plautum in Epidico, VI 7. 4, apud Terentium in his versibus^ ib. II, 17. 10 und 13, VII 6. 5, IX 14. 5, XIII 23. 18, XV 6 cap. in libro Ciceronis 'de gloria secundo erratum in ea parte , 20. 7, XVII 6. 7, 9. 2 in his epistulis quibusdam in locis, XVO 2. 16, XX 6. 9 u. 12. Dies hat der neueste Herausgeber des Nonius nicht gewusst, wenn er z. B. p. 52. 6 Macer annalibus Hb. II, 122. 13 Claudius annalibus Hb. XVI, 129.21 Caelius annalibus Hb. I, 282.27 M. Tullius in Philippicis Hb, XII, 287. 14, 290. 8 M. Tullius in Philippicis üb. II in a?malium und Philippicarum geändert hat. Nonius hat auch u. a. 59. 1 1 apud Terentium in Adelphis, ib. 14 apud eundem Terentium in prologo Andriae.

*Im Vokativ von Valerius^ heisst in nomine Valeri in casu vocandi Gell. XIII 26 cap., 'beim Vortrage einer Rede' in oratione in pronuntiando Varr. 1. L. IX 9, worin 'alterutrum abundat , nisi malis : in oratione pro^ nuntianda nach L. Spengel.

Wohin? sehr viel seltener. CIL. I 206. 15 p. 120 in tabulam in album wie in tabula in albo, 551. 6 p. 154 adfretum ad statuam, 1027. 1

Zu Caesars bellum civile. 551

p. 224 hoc ad grumum ad laevam aspice (s. Anm. 7), Plin. X 421 in rostra in forum versus^ Veg. vet. Y 14. 5 in anum in partem dextram, Drac. 10. 362 ad nemus ad pellem vel f und') templum Martis abire, wo gewiss ebensowenig mit Bährens PLM. Y p. 205 in nemus wie mit Bücheler ac pellem zu korrigieren ist. So ist ohne Zweifel Liv. XXII 57. 6 längst richtig korrigiert in foro boario sub terram demissi sunt in locum saxo consaep- tum statt terra»

Woher? Yarr. r. r. III 13. 1 ex. ex superiore loco e palaestra, 1. L. X 57 ex his verbis de extrema syllaba e litter am exclusam, Yitr. IX 9 (8) 8 g. E. p. 239. 13 ex qua (catena) pendet ex una parte pkellos, altera sacoma, Plin. XYIII 86 e grano Campanae (siliginis) e modio redire sex- tarios IV siliginis , XXYIII 86 ex homine resegmina unguium e pedibus manibusque, CIL II 5439 III 1. 5 (p. 855 XCI) nomen de decurionibus sacerdotibusque de tabulis publicis eximendum curanto, scr. hist. Aug. Y 8. 2 de templo Äpollinis ex arcula aurea.

Dabei die Präposition nur einmal gesetzt Brutus in Cic. fam. XI 11 ex. ex castris finibus Statiellensium ohne Komma, das die Ausgaben haben, Yitr. lY 6. 4 ex. ex latitudine luminis totius XII parte ^ ib. 5 m. de inpage dimidia et sexta parte, wenn ich die Stellen richtig verstehe , YIII 2. 1 eligitur (aqua) ex omnibus fontibus levissimis subtilibusque tenuitatibus, wofür Nohl Progr. des Berl. Gr. Klost. 1882 p. 16 schreiben will omnium fontium, Plin. XXXIII 118 necfere aliunde (invehitur) quam ex Hlspania celeberrimo Sisaponensi regione in Baetica miniario metallo, scr. hist. Aug. XXYIII 3. 1 oriundus e Pannonia civiiate Sirmiensi ohne Komma, Hyg. fab. li ex Thessalia monte Chalcodonio, CIL III 3490. 3 ex regione Dolica vico Arfuaris, 11701. 3 civis Surus ex regione Zeugma vico Hennia, Y 7923. 1 ex pago Licirro vico Navelis, YI 27198. 3 ex Hl- spania citeriore Aesonensi, X 8261. 2 ex civitate Coropisso vico Asser idi.

Sehr viel gewöhnlicher ist dies bei in mit dem Ablativ, namentlich beim älteren Plinius, vereinzelt aber auch bei anderen: Yarr. r. r. II 1. 5 ex. in Ilispania citeriore regionibus aliquot ^ Yitr. lY 8. 4 in Attica Sunio (vulg. Sunii\ YII 1.2 m. in singulis tignis extremis partibus, YIII 3, 20 in Alpibus nalione Medullorum, Quint. IX 4, 77 in Timaeo prima statim parte, XU 5. 6 in basilica lulia primo tribunali, Suet Caes. 46 Habiiavit in Subura modicis aedibus in Sacra via domo publica, Flor. lY 2. 7 in ipsa urbe medto senatu, (Gell. lY 5. 6 in annalibus maximis libro un- decimo,) Frontin. grom. p. 51. 21 in, Lusitania finibus Emeritensium, Hyg. p. 179. 9 in Umbria finibus Spellatium, (Veg, r. mil. YI 15 ex. in secunda acie dextro cornu,) Ammian. XXYII 4. 5 cuius (theatri) in summitate occi- dentali montibus praeruptis, Anon. Yales. 6. 35 ex. in suburbano Constan-

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tinopolitano villa publica, Firm. Mat. math. III 4. 19 ex. p. 104. 14 Sittl in carcere vinculis constitulus, d. h. 'befindlich', Lact. I 6. 12 in ayro Troiano vico Marmcsso , Prise, de fig. num. 2. 10 Gramm. III p. 408. 17 «= Metrol. n p. 83. 7 Hultsch in Verrinis Ciceronis aniiquissimis codicibus (die Herausgeber setzen ein zweites in hinzu) , schol. luv. 6. 529 in Mar- tio campo templo Isidis, Fest. p. 273*. 24 in secunda tabula secunda lege, worüber irrt Schoell XII tab. p. 68, CIL. n 5042 = 5406. 1 in agro, qui Veneriensis vocatur, pago Olbensi, III p. 855. 31 tabula, quae fixa est Romae in Capitolio in hast columnae parte posteriore, V 898. 6 in Dar- dan(ia) vico Zaiidis, VI 17524. 5 in introiiu parte sinisleriori, 25192. 7 in monumento pariet{e) sinisleriori, ¥111270= 11451. 13 u. 18 in provinda Africa regione Beguensi territorio Musulamiorum , X 867". 24 u. b 23 Romae in Capitolio in podio arae parte exteriore, Plin. IE 183 m. in eadem gente Ptolemaide oppido, 184 ex. in eadem India Patalis, cele- berrimo portu, 199 ex. in agro Marrucino praediis Vecti Marcelli, 231 Andro in insula templo Liberi patris, 237 in Cissia gente conßnio Per- sidis, X 78 m. in Ponto insula, qua ~, XIV 49 in Campania rure Liter- nino, ib. ex. in eodem Nomentano decimi lapidis ab urbe deverliculo, 60 in sinu Hadriatici maris saxoso colle, 61 in palustribus populetis sinu Amynclano, XVI HO ex., 111, 235, X VIT 250, XIX 9 in Italia regione Aliana, Andere Italiae, 63, XXI 77, XXIV 160, XXV 63, 76 ex. in Thessa- lia amne Peneo, XXXI 14 ex., Sillig XXXH 7, XXXIV 2, 10 var., 164, 165, XXXV 19, 171 ex., 174 ex., 179, XXXVI 17 ex., 18 m., 32, 76 m., 83, 84, 137, 168, XXXVn 23 ex., 61, 66, 156, 177 ex. XXXVI 58 in Thebis delubro Serapis, XXXVII 75 u. 161 in Tyro Herculis templo heisst in dem Tempel bei Theben, resp. Tyrus', wenn die von mir 'Krit. Bemer- kungen zu Plin. nat. hist.' p. 23 f. aufgestellte Ansicht richtig ist, dass bei Plin. in bei Städtenamen die Umgebung bezeichnet. In vielen der oben citierten Stellen ebenso wie in einigen des Gellius setzen die Heraus- geber das von uns mehrfach verworfene Komma.

'In der Stadt Rom' heisst bekanntlich in urbe Roma, und so öfter CIL. I 198. Wenn aber ib. 17 p. 59 steht in urbe Romae sowie Liv. XXIV 10. 11 Romae in ipsa urbe. Gell. IV 5 cap. Romae urbe tota, so ist dies gewiss nicht mit dem auch in das Lateinische eingedrungenen Gräcismus (TQolrjg jitoUe^Qov) gesagt wie Plin. XIX 41 oppidum Cijre- narum, XXV 86 vicus Narvesiae, Grom. p. 308. 18 circa urbem Baby- lonis, Aur. Vict. Caes. 33. 32 Mediolani urbs etc. (Landgraf Untersuch, zu Caes. p. 42, b. Afr. 87. 1, 91.2, Haase Vorles. II 41), sondern nicht anders, als auch wir sagen können: 'hier' oder 'in Rom in der ganzen Stadt', so dass der Name oder das Appellativum appositional hinzugesetzt ist.

Zu Caesars bellum civile. 553

Dasselbe wie bei Ortsbestimmungen auf die Frage .wo? findet bei Zeitbestimmungen auf die Frage wann? statt. 'Am Morgen des folgenden Tages' beisst postero die mane z. B. Caes. civ. HE 37. 1, ib. tertio die prima luce, Gall. V 49. 5 postero die luce prima und VI 7. 6 prima luce, lul. Obs. 56 postero die hora tertia, b. AI. 52. 2 eo ipso die tempore post- meridiano, Cic. dom. 16. 41 m. hora nona illo ipso die, Yarro bei Gell. III 2. 6 qui Kalendis hora sea^ta natus est, Plin. VI 171 ipso die solstitii sexta hora, Yarr. r. r. IE 7. 7 X^Il mense die decimo, Lact. lY 5. 8 secundo anno octavo mense, b. Gall. YIII 22. 1 eodem tempore superiore anno, Plin. XXXni 32 Tiberi principatu nono anno, CIL. III 32. 5 (ähnlich 33. 5 u. 35. ^) XV K. Apriles her. II anno IV imp. n, Vespasiani, hingegen 34. 8 u. 9 anni, Marc. Emp. p. 257. 26 mense Novembri ante Idus easdem. Aber Amm. XX 7. 6 adpetente postridie luce ist offenbar postridie Zeit- bestimmung zu adpetens. Script, bist. A. XYIII 13. 5 die prima natalis^) toto die ist ähnlich gesagt wie bei Gellius Romae urbe tota.

Aber wie bei Ortsbezeichnungen nicht nur Ganzes und Teil koordiniert werden, sondern auch Personen auf die Frage wo ? mit ihrem Aufenthalts- orte, auf die Frage wohin? mit dem Zwecke u. s. w., ähnlich werden, wenn auch sehr selten, auf die Frage wann? natürlich nicht Personen, aber z. B. Ereignisse und Zustände mit Zeitbestimmungen verbunden wie Yarr. r. r. I 51 ex. in aestu tempore meridiano, Liv. X 19. 7 prior e con- sulatu primis mensibus. In dem, wie es scheint, formelhaft nur mit dictatorem dicere vorkommenden consul (oriens) nocte silentio Liv. VILL 23. 15 u. IX 38. 14 ist schwerlich gemeint ""schweigend bei Nacht\ sondern dasselbe, was Liv. in seiner Sprache X 12. 6 silentio noctis, andere nocte silenti ausdrücken. Hierher gehört auch Yarr. sat. bei Apic. p. 194. 16 Riese in legitimis nuptiis in cena ponuntur. Es ist Unkenntnis dieses Sprachgebrauches, wenn man Cic. fam. YII 1. 4 His diebus ludis scaenicis, 'bei den an diesen Tagen stattfindenden Spielen', die letzten zwei Wörter hat streichen wollen; aber auch das Komma, durch das die Ausgaben beide Bestimmungen trennen, ist unrichtig. Dagegen ib. VILL 1 2. 3 sum- mis Circensibiis ludis meis ist allerdings gewiss die Interpunktion Mendels-

8) Die nataiis {sui), *an seinem Geburtstage', das Peter in der ersten Ausg. der Script, bist. A. Carac. 6. 6 geändert hatte, steht nicht bloss an mehreren Stellen der Script, bist. A., im Bibellatein und bei Juristen (Rönsch, It. u. Vulg. p. 104), son- dern auch in Inschriften, VI 9626. 10, 10248. 9, 29700. 7, 29702. 2, VIII 1845. 7, IX 3160. 12, XI 379. 14, XIV 2112 I 5, Paneg. IX 16. 2 p. 205. 7, Firm. math. I 9. 8 in., IV 1. 10 zu schreiben primo nataiis die, Sittl dies mit der Bemerkung; '^dies genetivus est', 8. 2 p. 181. 10; 19. 5 primanatalis hora, lust. XXXVIII 8. 13. Das von Georges gegen Rönsch verworfene nalale steht CILX 107. 8 natale filiae meae epulantes con- frequentetis, wenn man nicht annehmen will, dass dies naialem heissen soll.

554 G. F. W. MüLLSB, Zu Caesars bellum civile.

sohns, durch die ei ludis meis zur Apposition macht, nicht richtig, aber auch sonst nichts bemerkenswertes, sondern es heisst einfach: 'am Schluss meiner circensischen Spiele' oder, wie Manutius sagt, 'extremis diebus (d.h. summis) Circensium ludorum meorum'.

Andere Verteidigungen der Überlieferung gegen Änderungsvorschläge wie civ. in 94. 6 Tuemini, inquit (Pompeius), castra et defendite düi- genter, si quid durius acciderit, du m ego reliquds partes cirumeo et castro- rum praesidia confirmo statt acciderit. Ego müssen, da sie ähnlich umfangreich zu werden drohten, zurückgelegt werden. Ich will nur das eine dazu bemerken, dass, wenn auch die starke Übertreibung, die aller- dings im deutschen Gebrauch des Präsens bei Ausdrücken wie ''ich komme gleich, ich komme morgen' vorliegt, dem Lateinischen fremd wäre, was durchaus nicht der Fall ist, doch circumeo buchstäblich richtig ist, sobald der Redende einen Fuss zu der Handlung erhoben hat, und dass das eine merkwürdige Sprache wäre, die imstande wäre den Unterschied zweier Handlungen zum Ausdruck zu bringen, die um einen halben Schritt aus- einander liegen, und vor allen Dingen die unfähig wäre, unter Umständen absichtlich die Grenzen zwischen Gegenwart und Zukunft zu verwischen.

Druck von J. B. Hirsch feld in Leipäg.

PA Festschrift zian

26 fünfzigjährigen Doctor-

^ (^ Jubiläum Ludwig

Friedlaender, dargebracht von seinen Schülern

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