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FtMER DURCH DEN KONZERTSAAL

VON

HEBMANN ^RETZSCHMAR

L ABTEILUNG: '

SINFONIE UND SUITE

BAND I/U

SECHSTE AUFLAGE

LEIPZIG

DRUCK UND VERLAG VON BREITKOPF & HÄRTEL

1921

Alle Rechte, auch das der Übenetznng, vorbehalten.

Das Recht des Einzelabdiuckes and dessen Weitervergebang steht anssohließlicb den Verlegern Breitkopf ftETärtel

in Leipzig so.

Copyright 1919 by Breitkopf & Hartel, Leipsig.

Der Buchschmuck ist von Roland Anheisser.

VORWORT

zur ersten Auflage.

T\er vorliegende ^Führer durch den Konzertsaal^ ging -LFaus einzelnen Aufsätzen hervor, welche ich im 'Laufe der Jahre für die von mir geleiteten Konzerte geschrieben habe, um die Zuhörer auf die AuffÖhrungen unbekannter oder schwierig zu verstehender Kompositionen vorzu- bereiten.

Für die Buchform sind diese Artikel umgearbeitet und dahin ^vervollständigt worden, daß die erläuterten Werke in geschichtlicher Folge erscheinen. Da Historie und Kritik unzertrennlich sind, wird man entschuldigen, daß die Kompositionen und die Komponisten auch be- urteilt werden. Ich hoffe jedoch mich in dieser Beziehung durchschnittlich in den gebotnen Grenzen gehalten zu haben. Den ersten Gesichtspunkt fär Aufnahme oder Weglassung, kürzere oder ausführliche Behandlung der Werke und Künstler bildet ihre Stellung im heutigen Repertoire, den ^zweiten ihre kunstgeschichtliche Be- delitung. Aus ersterem Grunde mußten unter anderen einige Kompositionen aus der jüngsten Gegenwart zur- zeit noch unberücksichtigt bleiben.

Rostock, 26. September 1886.

Dr. Hermann Kretzschmar,

Akademischer Lehrer der Musik an der Landesoiiiversität Großherzogh' n. st&dtiscber Musikdirektor xu Rostock.

Zar zweiten Auflage.

Das Erscheinen einer zweiten Auflage bietet mir willkommene Gelegenheit, für die freundliche Aufnahme, die mein „Führer"^ gefunden hat, herzlich zu danken.

Im wesentlichen ist das Buch geblieben, wie es war. Ich konnte mich darauf beschränken, einzelne Irrtümer zu berichtigen und da und dort das geschichtliche Bild zu ergänzen.

Leipzig, September 1890.

Dr. Hermann Kretzschmar,

AuOerordenUicher Professor an der Universität Leipzig nnd UniversiULtsmusikdirektor.

Zur dritten Auflage.

Wegen Überbürdung und Krankheit des Verfassers hat diese Abteilung des „Führers^ seit Jahren im Handel fehlen müssen. Jetzt erscheint sie beträchtlich verändert. Die Händeischen Concerti grossi, S. Bachs Brandenburger Konzerte, die sinfonischen Dichtungen Liszts und seiner Nachfolger sind weggelassen und für den in Vorbereitung begriffenen Schlußteil des Werkes (Konzerte, Ouvertüren usw.) zurückgestellt worden. Trotzdem ist die neue Auf- lage doppelt so stark wie die vorhergehende und der besseren Handlichkeit wegen in zwei Bände zerlegt worden. Die Vermehrung kommt eines Teils auf die ältere Geschichte von Suite und Sinfonie; zum andren waren eine große Anzahl von Werken aus jüngster Zeit ganz neu aufzunehmen. Wenn die meisten von diesen sehr ausführlich behandelt worden sind, so zwangen dazu äußre, praktische Grüude. Grundsätzlich bin ich nach wie vor der Meinung: daß der Erklärer sich vor allem der Kürze befleißigen und bei denen, welche sich mit Sinfonien beschäftigen, einige Kenntnis in der musikali- schen Formenlehre, mindestens die Fähigkeit, Türen und

Fenster zu unterscheiden, voraassetzen soll. Ich habe es deshalb trotz gütiger Aufforderungen abermals vermieden, immer wieder zti sagen, aus wieviel Takten die und die Melodien bestehen, in welchen Tonarten sie beginnen und schließen, und mich darauf beschränkt, den Leser mit Dingen des äußren Mechanismus hur so weit zu be- . helligen, als sie besondre Wichtigkeit haben. Mein Be- , streben ging dahin: anzuregen, ins Innre und Intime der Werke und der Künstlerseele zu führen und womöglich den Zusammenhang mit der Zeit, mit ihren besondren . musikalischen Verhältnissen, mit ihren geistigen StrÖ- ! mungen aufzudecken.

Daß mein 9,Führer^ auch andere zu gleichen Ver- suchen veranlaßt hat, ist mir sehr schmeichelhaft; daß er zuweilen ohne weitres benutzt wird, noch mehr. Doch erlaube ich mir darauf aufmerksam zu machen, daß in Fällen wörtlicher Entlehnung schweigende Dankbarkeit oder verlegne Gänsefüßchen nicht genügen, sondern daß dann der literarische Anstand vollständige Quellenangabe verlangt.

Zum Schlüsse spreche ich den Vorständen von Biblio- theken und Archiven, sowie den Herren Verlegern ins- besondere den Herren Breitkopf & Härtel die auch die Arbeit an dieser Auflage bereitwilligst durch Überlassung von Materialien unterstützt haben, herzlichsten Dank aus.

Leipzig, Oktober 1898.

Dr. Hermann Kretzschmar,

Außerordentlicher Professor an der Universität Leipzig.

Zur vierten Auflage.

Obwohl auch die dritte Auflage seit einem Jahrzehnt vergriffen war, bin ich erst jetzt imstande, eine neue vor- zulegen. Sie unterscheidet sich von der Vorgängerin durch die Aufnahme einer großen Anzahl weitrer Werke aus ilter und neuer Zeit.

Für Zuweisung von Handschriften bin ich Herrn o. oe. Universitätsprofessor Dn Guido Adler in Wien und meinem Berhner Kollegen Professor Dr. Jqhannes Wolf, * von Drucken den Herren Breitkopf & Härtel, sowie der Deutschen Musiksammlung der Königl. Bibliothek zu Berlin, , insbesondere ihrem Vorsteher, Herrn Oberbibliothekar Professor Dr. Altnuann, und ihrem Bibliothekar, Herrn Dr. H. Springer, zu außerordentlichem Dank verpflichtet.

Schlachtensee, November 1912.

Dr. Hermann Kretzschmar,

Geheimer Regierungira^ Professor an der Universität Berlin, Direktor der Königlichen Hochschule fOr Musik und des Königlichen Akademischen Institutes für

Kirchenmusik.

Zur fünften Auflage.

Da neue deutsche' Werke von Belang nicht vorliegen, der Zuwachs des Auslandes zur Zeit zu schwer zugäng- lich ist, wurde von Änderungen des Textes abgesehen.

Schlachtensee, März 1919.

Dr. Hermann Krebschmar.

INHALT.

I. Band.

Ton Otbrieli Ms Biuch. Blütezelt der Orchestenonate und

der Suite, Entwicklung der Sinfonie 1

J. Haydn, Mocart, Beethören 109

Nebenminner und Gefolge der Klassiker. Vorläufer und

Hauptvertreter der Bomantik . 261

II. Band.

Die Programmusik und die nationale Blchtung in der

Sinfonie 888

Die moderne Suite .und die neueste Entwickelung in der

kUsdscken Sinfonie 668

Namenveneiehnls S63

I. Von Gabriel! bis Bach.

Blütezeit der Orchestersonate und der Suite, Entwicklung der Sinfonie.

|euii wir nach 'den Anfängen unsrer heutigen Kon- zertmasik fQr Orchester suchen, so müssen wir eine beträchtliche Strecke zurückwandern und ein Gebiet betreten, das wir zur Zeit mit wissenschaftlicher Sicherheit höchstens in den Umrissen übersehen. Für die Beantwor- tung der Frage: wie entstand und wie entwickelte sich das Orchester, sind wir vorwiegend auf indirektes Material angewiesen. Solche Hilfsquellen bieten sich in Mitteilungen, welche ältere Musikschriftsteller über Instrumente und Spielleute machen, in gelegentlichen musikalischen No- tizen bei Dichtem, in Briefen, Reisebeschreibungen, Biographien von Laien, in Darstellungen zeitgenössischen Musiktreibens auf alten Bildern und Skulpturen, viertens in Bestallungen, Rechnungen, Verordnungen und anderen auf Musiker und Musik bezüglichen Erlassen in den Akten von Staats-, Kirchen-, Schul- und Gemeindebehörden, von Innungen und Gesellschaften und endlich in alten Instrumenten. Erst verhältnismäßig spät treten zu diesen Auskunflsstellen über Bestand, Aufgaben und Tätigkeit von Orchestern als wichtigste Zeugnisse geschriebene oder in Stimm büchern gedruckte Noten.

Die Mitteilungen der älteren Musikschriftsteller haben bisher nur einen geringen Ertrag gegeben, weil das Mittelalter, auch das spätere, die Spielmusik, die Volks-

Irtiischniar. Ffthrer. 1,1.

l

musik und die ganze Profanxnusik grundsätzlich ignoriert Die bemerkenswerteste Ausnahme bildet* dßr erst Id neuerer Zeit (durch Johannes Wolf) ans Licht gezogene Joannes de Grocheo*); unter seinen Nachfolgern sind be- sonders Sebastian Virdung (Musica getutscht 1611) und Michael Prätorius (Syntagma musicum 1618) hervorzu- heben. Eine zusammenfassende und kritische Durch* arbeitung des gesamten zu dieser Gruppe gehörenden Materials steht noch aus.

Noch weniger ist fQr die Ausnutzung der Laien- literatur geschehen, obwohl sie sehr wertvolle Auskunft über die Verwendung der Spielleute und Über die Stellung der Instrumentalmusik im öffentlichen und privaten Leben verspricht. Mit guten Ergebnissen hat unlängst H. J. Moser diese Quelle nach den sozialen Verhältnissen der mittel- alterlichen Musiker befragt**).

Die Wichtigkeit, die alte Instrumente fQr eine Ge- schichte des Orchesters haben, bedarf keiner Auseinander- setzung, leider aber reicht der Besitz unserer Instru-, mentensammlungen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nirgends über das 15. Jahrhundert zurück.

Daß die Bilderquellen, die sich für die Musik des alten Orients als die wichtigsten, zuweilen als die einzigen Zeugen erwiesen haben, audi von der Musik des Mittel- alters und der ihm folgenden Zeit wertvolle Berichte geben, hat zuerst Scheurleer erkannt, Edward Buhle und Hugo Leichtentritt***) haben, seinen Anregungen folgend, den

*) Sammelb&nde der Internationalen MuslkgeaellBcbaft I, 65 und ff.

**) Hans Joachim Moser: Die Muslkergenossenschaften im deutschen Mittelalter. 1910.

***) Scheurleer, D. F.: Oude Musikinstrumenten en Pienten en Fotografien usw. 1898. Buhle, De. Edw.: Die musikalischen Instrumente in den Miniaturen des frühen Mittelb- auers. 1903. Leichten tritt, Hugo: Was lehren uns die Bildwerke des 14. 17. Jahrhunderts über die Instrumental- musik? (Sammelbände d. L M. G. VII, 315 u. ff.)

Beweis erbracht, daß aus den Werken der bildenden Kunst | noch reiche mnsilcgeschichtliche Ausbeute zu schöpfen ist {

Verhältnismäßig am fleißigsten und dazu am frühesten ' ist unter den genannten Hilfsquellen die vierte, die Akten* <iuel]e benutzt worden. Schon Forkel gibt in der Ein- leitung seiner Universalgeschichte wertvolle Mitteilungen ftber die Stadtpfeifereien und die Schulchöre seiner Zeit, nach ihm hat dann August Reißmann seiner Musikge- schichte einige verdienstvolle Aktennotizen über erste Orchesiergründungen in deutschen Reichsstädten einge- fügt Die Hauptarbeit hat sich hier in den großen und kleinen Beiträgen zur musikalischen Landes- und Orts- geschichte vollzogen, die seit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts erfreulicher Weise sich fortwährend bei allen Nationen vermehrt haben und bereits heute eine solche Menge bilden, daß hier nicht einmal die wichtigsten angeführt werden können*}. Zu ihnen kommt noch eine Reihe von Arbeiten, die in den Archiven und Jahrbüchern allgemeiner Geschichts- und Altertums vereine Unterkunft gefunden haben, wie z. B. Grulls Beiträge zur Geschichte der Stadt Wismar im Mecklenburgischen Urkundenbuch von 1879. Nur das reichste und bedeutendste Stück der ganzen Gruppe soll hervorgehoben werden : Es sind Adolf Sand bergers »Bemerkungen zur Biographie Hans Leo Haßlers und seiner Brüder, sowie zur Musikgeschichte von Nürnberg und Augsburgc**) Mit den mannigfaltigen und lebendigen Bildern, die hier vom Spielmannswesen der beiden Reichsstädte entrollt werden, wird zugleich musterhaft bewiesen, wie eine scheinbar unlösbare Auf* gäbe zu einem guten Ende geführt werden kann, wenn der Autor sich nicht die Mühe verdrießen läßt, verborgenen Wegen nachzuspüren.

Trotz dieses mangelhaften Zustandes der Vor- arbeiten lassen sich immerhin einige Richtpunkte für

*) Der Leser kann sich leicht in dem Katalog der Musik- bibliothek Peters näher orientieren.

*^ Deokmller der Tonkunst in Bayern V, 1, Einleitung.

1*

die Frühgeschichte des Orchesters feststellen. Sicher scheint es, daß den ersten Anstoß, einzelne moralisch und technisch würdigere Spielleute aus der unehrlichen Kaste der Gaukler herauszuziehen und in öffentlichen Dienst zu nehmen, schon früh im Mittelalter die.diva necessitas, die Notwendigkeit, für die Sicherheit von Städten und Burgen gegen Überfälle, gegen Wassers- und . Feuersnot zu sorgen, gegeben hat Der einzelne, einfache f türmer, der die Stadt bewacht, mit Hom, Tuba, Trom- pete warnt und alarmiert, bildet überall den Grundstock der sogenannten Stadtpfeifereien, auf den Kirchtürmen ver- läuft ein großer Teil ihrer Geschichte. Auf ihnen haben in den meisten kleinen Städten bis weit ins neunzehnte Jahrhundert die Meister mit Gesellen und Lehrlingen ge- haust, und auch in größeren Stadtorchestern, dem Leipziger z. B., haben noch zur Zeit der Gründung des neuen deut- schen Reichs einzelne Mitglieder zuweilen waren es hervorragende Virtuosen TÜrmerposten bekleidet. Bis auf den heutigen Tag hat sich in mancher Stadt, die. ihre Stadtmusik der Gewerbefreiheit geopfert hat, doch der Türmer erhalten, namentlich im alten Hansagebiet ruft er noch hier und da die Nachtstunden mit Signalen und Weisen ab, die ihres hohen Alters wegen schleunigst ge- sammelt werden sollten.

An den Fürstenhöfen war der musikalische Wächter in der Regel ein Trompeter, der auch als Herold, als Kourier und zu vielen anderen Zwecken des Hofdienstes verwendet und ziemlich bald durch Kollegen unterstützt wurde. Bereits um 1400 zieht Karl VI. in Reims mit 30 Trompetern ein, Ludwig XL hat gar 54 im Dienst*). Auch in Italien gibt es solche große Trompeterorchester: Lucrezia Borgia z. B. wird 1501 in Ferrari mit 13 Trom- petern und 8 Schalmeienbläsern, ' ein andermal mit 84 Trompetern und entsprechend vielen " Schalmeibläsern eingeholt. Für Deutschland haben wir präzisere Angaben

*) M. B re n e t : Les concerU en France sous Tancien regime. 1900 (S. 11).

erst aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Da h&lt sich der Herzog von Liegnitz, einer der kleineren Fürsten (nach den Denkwiürdigkeiten Hans von Schweinichens) 12 Trompeter. Diese Hoftrompeter nahmen eine angesehene Stellung ein, an einzelnen Plätzen mögen sie sogar Offiziersrang gehaht haben*), überall bildeten sie eine eigne stolze, von den gewöhnlichen Spielleuten beneidete Gilde. Wirkten sie mit letzteren zusammen, wurde ihnen eine besondere Empore eingeräumt, ior ein- zelnen alten Musiksälen hat sich diese erhöhte Trompeter- loge noch bis heute erhalten. Diese Sonderstellung und diese Sonderrechte wurden auch von den Städten an- erkannt Nur die eigentlichen Patriziergeschlechter durften zur Hochzeitsmusik Trompeter bestellen, und noch zu den Zeiten Sebastian Bachs war die Erlaubnis» eine so- genannte Trompetensuite spielen zu lassen, mit beson- deren Kosten verknüpft. In neuerer Zeit ist dfe Ansicht, daß sich das Ansehen der alten Trompeter auch auf her- vorragende musikalische Leistungen gestützt habe, zwar bezweifelt worden**), doch verbieten allein schon die Trompetenpartien Bachs und Händeis hierüber zu streiten. Nicht bloß die Trompeten, sondern alle Blasinstrumente hatten im 17. und 18. Jahrhundert konzertierenden Charak- ter und mußten, namentlich die Oboe, technisch weit mehr leisten, als der heutige Orchesterdienst verlangt; erst die. Wiener Schule entband sie von den virtuosen Verpflichtungen.

Am Ende des 15. Jahrhunderts begegnen wir auch den ersten Militärmusikern. Georg Frunsberg, der Vater der Landsknechte, war es, der für jedes Fähnlein zwei oder drei Spielleute, hauptsächlich für den Signaldienst einstellte. Erst im 18. Jahrhundert entwickeln sich dar- aus, und wie es scheint nach preußischem Vorgang,

*) L £. Altenbuig: Versuch einer Anleitung zur heroisch- musikalischen Trompeter- und Paukerkunst. 1795.

* **) H. Eichborn: Dte Trompete in alter und neuer Zeit. 1881.

\

stattliche OboistenchOre. Die bürgerliche Instrumental- musik hat lange an dem einzigen Spielmann festgehalten, in Dresden beschränkte sich noch 1572 die Stadtmusik anf einen Kopf*). Aber die Aufgaben des Türmers scheinen sich bald erweitert zu haben. Zur Bewachung tritt die Begrüßung, die Unterhaltung und Erbauung .der Bürger- schaft, die für diese Zwecke vordem lediglich auf die Bedienung durch wandernde und vagabundierende Musi- kanten angewiesen war. Nach dem Ausweis von Ver- ordnungen und Bildern gibt der amtlich bestellte Pfeifer vom 14. Jahrhundert ab zur Morgen-, Mittags- und Abend- stunde von seinem Turm herab, oder von einer andren geeigneten Stelle aus ein geistliches oder weltliches Stück zum besten, er erscheint bei Festen und Aufzügen, hei Hochzeiten, Taufen und andren Ehrentagen der Familie, er spielt an Sonn- und Festtagen und bei weiteren guten Gelegenheiten auf dem Markt, auf einer Empore oder Nische des Stadthauses, auf dem Plan, dem Anger in Basel auf der Rheinbrücke auf, er fehlt bei keinem Tanz im Grünen, auf der Tenne oder im Saal. Noch aus der zweiten Hälfte des 17, Jahrhunderts haben wir viele Tanzbilder, namentlich von Teniers, auf denen nur ein einziger Spielmann tätig ist, und auf dem Land, im Spreewald, in entlegenen Gebirgsdörfern ists auch heute nicht selten, daß das ganze Tanzorchester aus einem einzigen Klarinettisten oder einem Fiedler besteht Neben der Trompete tritt f&r solche Gelegenheiten schon in der Zeit der Miniaturen die Geige auf, in der Zeit der Bilder auch die Gambe, die Laute und die Viola, besonders be- liebt wird (nach Dürer, Raffael, auch Teniers) für den Volksbedarf der Dndelsack; auf den Handwerksbildern des Jost Amanns (16. Jahrh.) stellt sich dann die Guitarre mit ein. Die Hausmusik kennt vom 15. Jahrhundert ab kleine um den Hals gehangene Orgeln, sogenannte Por- tative, die besonders gern von vornehmen Damen und

*] G. Wustmaiiu : Aus Leipzigs Vergangenheit (Artikel: Die Leipziger Sudtmusikanten). 1885.

beibgeo Fraueu gespielt werden. In Holbeins Totentanz tntt auch der Tod als Kavalier mit einem Psalterium auf. Schlagzeug fehlt, nur auf italienischen Bildern des 16. Jahrhunderts kommt ausnahmsweise der Triangel vor, in Deutschland gilt er damals noch als »fremdes Instru« ment€.

Der vermehrte Bedarf und die Notwendigkeit, für * Nachwuchs zu sorgen, die zur Vererbung des Gewerbes in derselben Familie und später zu förmlichen Musiker- dynastien fährte, erklären es einfach genug, daß aus dem einen Spielmann bald mehrere wurden. So begegnen ^ wir. schon in den Miniaturen des 12. Jahrhunderts zwei Spielleuten, das erste Bild es ist aus der Schule Meister Wilhelms mit zwei Instrumentalisten stammt aus dem 14. Jahrhundert und- befindet sich im Dom zu Aachen. Zwei Engel musizieren da, der eine auf der Bratsche, der andre auf einer Lautenharfe. Einen Violaspieler und einen Harfner zeigt d^nn auch die Gruppe der Seligen im Campo santo zu Pisa. Bratsche und Psalterium kommen auf den frühesten italienischen Bildern häufig vor, wie noch heute das Endemble von Geige und Guitarre in der italienischen Volksmusik heimisch ist. Aiich Geige und Laute, Gambe und Laute, Flöte und Harfe, Flöte und Laute zeigen sich auf italienischen Bildern des 16. Jahrhunderts, z. B. bei Giov. Bellini (in der Kirche de'Frari in Venedig) zusammen. Memling bringt eine heilige Katharine mit Portativ und Harfe, und auf dem gegen 1500 entstandenen Konzert des Giorgione (Florenz, Pitti) erscheint zum erstenmal neben der Gambe ein kleines Kl^ivier. Zwischen dem Instrumentalsolo und dem Instrumentalduett gibt es noch eine merkwürdige Zwischenstufe: das ist der zu gleicher Zeit zwei Instru- mente spielende 'Musiker. Er findet sich schon in den von Riano*) beschriebenen spanischen Teppichgemälden des 13. Jahrhunderts und vorher auf Miniaturen Flöte

♦) Juan Riano: Gritical and bibllographical notes on Early Spanish Music. 1887.

und Trommel handhabend , Uolbein bringt ihn in den Illustrationen zum Alten Testament wieder zu Ehren, von da kehrt er bis ins 17. Jahrhundert häufiger wieder und lebt ja heute noch in dem auf Märkten und Volksfesten Affen, Bären, Kamele vorführenden und dabei Dudelsack und trommel zugleich regierenden Italiener. Am Hofe des Herzogs Anton von Lothringen hat dieser Doppel- spieler unter dem Titel >Grand joueur du tabourin« einen hohen musikalischen Posten mit den Befugnissen eines Generalmusikdirektors gebildet*). I Ensembles von drei Instrumentalisten tauchen erst

im 15, Jahrhundert auf, bei Carpaccio mit Laute, Bratsche, ) Zinken, bei Giov. Bellini und andren Malern mit zwei

Lauten und kleiner Geige, mit Laute, Gambe, Flöte, mit Flöte, Harfe, Portativ, mit Hörn, Laute, Orgel. Noch von Teniers besitzen wir (Alte Pinakothek in München) ein , Bauernbild mit Flöte, Laute und Geige. Darnach hat sich also das selbständige Instrumentaltrio weit in die Zeit hinein erhalten, wo für Gesang und Instrumente längst der vierstimmige Satz die Regel war. Für das 18. Jahrhundert bezeugt das Goethe (in Wahrheit und Dichtung) mit der Beschreibung des Einzugs des soge- nannten Pfeifergerichts bei der Kaiserkrönung im Frank- furter Römer. Das stellten drei Nürnberger Stadtmusi- kanten, und Sandberger teilt (4. a. 0.) eine der alten für

dessen Zweck bestimmten Intraden mit. Noch größere Wichtigkeit hat das Ensemble dreier Spieler als Episode und Gruppe im größeren Ganzen, in der Sinfonie noch bei Haydn, in der Oper bei LuUy und andren Kompo- nisten, in der Kirchenmusik in S. Bachs Hmoll-Messe; die größte Bedeutung hat es als Concertino bei Corelli und im Concerto grosso seiner Schule erlangt. Auf- fällig ist, daß auf den Bildern die drei Instrumente nie zur gleichen Gattung gehören. Dagegen kann es ein Zu- fall sein, daß in dieser Quelle Quartette und Quintette von Instrumenten bedeutend früher auftreten als das

*) Albert Jacquot: La musique eii Lorraine. 1S82.

Trio, nämlich schon im 14. Jahrhundert. So bringt Casen- tino (Florenz, üffiden) Harfe, Laute, Zither, Portativ, Pietro Äretino (Florenz, Akademie) Bratsche, Flöte, Laute, kleine Pauke und Dudelsack, Raffael ist (Galerie des Vatikan) mit einem Quartett von zwei Geigen, Harfe, Tamburin und (Perugia, Pinakothek) mit einem Quintett von Flöte, Ge^ige, Kniegeige, Laute und Zinken vertreten. Das interessanteste der späteren Quartettbilder ist Paolo Yeroneses Hochzeit von Kana (Venedig, Akademie), denn die zwei Bratschisten sind Veronese und Tintoretto, der Flötist ist Bassano, der Baßgeiger Tizian. , In den deutschen Stadtorchesterh scheint die Drei- jzahl eine Zeitlang die Norm gewesen zu sein: Mit Hans '• Nail und seinen zwei Söhnen beginnt 1479 die Geschichte 1 der Leipziger Stadtmusik, 1600 wird sie auf vier Köpfe erhöht und bleibt nun bis zum Jahre 1738, wo den vier Bläsern endlich noch drei Kunstgeiger zugeführt ' werden, auf diesem Bestand*). Auch Nürnberg und Augsburg halten sehr lange an einer vier- oder fünf- köpfigen Stadtmusik fest**), und Deutschland wird wäh- rend des 16. Jahrhunderts in seinen kommunalen Or- chestern rückständig. Bartholomäus Sastrow, der Stral- sunder Bürgermeister, ist erstaunt, als er 1593 auf dem Reichstag zu Speier zum erstenmal in der Kapelle des Kurfürsten von Sachsen Bläser und Streicher zusammen- spielen hört***), und noch zwölf Jahre später ist den Stralsundern kunstmäßige Geigenmusik ein fremdes Phä- noihen. Ganz andre Verhältnisse bestanden in Italien- Zur selben Zeit, wo Luther bei uns von den »bösen Geigern und Fiedlernc spricht, findet Albrecht Dürer in Venedig Instrumentalisten und insbesondere Violinisten als- angesehene Glieder der besten Gesellschaft Auch in ' den Niederlanden gehören sie damals zu den vornehmen

*) G. Wustmann (a. a. 0.). **) A. Sandberger (a. a. 0).

***) Bartbolomii Sastrows Herkunft etc. (Ausgabe von 1823) I, S. 298.

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Leuten. Weil Italien das klassische Land aach der Or. chestermusik ist, schickt. der Nürnberger Pfeifer Gans nm 1550 seine SOhne zum letzten Schliff nach Ferrara. Auch mit der stärkeren Besetzung der Orchester ist Italien vorangegangen. Die ersten Belege hierfür bilden Engels- bilder des 14. Jahrhunderts. Auf einem solchen (München, Alte Pinakothek) bringt z. B. Lippo Memmi zwölf Instru- mente. Indes muß bei diesen Engelsbildern angenommen werden, daß die Phantasie der Maler um des Himmels willen von der Wirklichkeit abgewichen ist. Aber auch als Phantasiebilder haben sie dadurch geschichtlichen Wert, daß sie die in der Zeit gebräuchlichen Instrumente in einer Obersicht zusammenfassen: Portativ, Bratsche, .Laute, Harfe, Flöte, große und kleine Trommel, Hand- trommel, Pauke und Cymbeln. Diese Zahl wird in einer ziemlich gleichzeitigen französischen Ballade auf den Tod Machaul ts bis zur 13, in einem Bericht des Juan Ruiz von 1352 sogar auf 28*) gebracht. Nur einmal, in der isländischen Sage von Sigurd dem Schweiger, wird er- zählt, daß eine größere Anzahl von Instrumenten, es sind acht, Flöte, Posaune, Symphon, Psalterium, Harfe, Geige. Quinterna und Orgel, bei einem Gastmahl auch wirklich zusammenspielen**]. Es kann sich da aber nur um Aus- nahmefälle und um Unisono-Spiel handeln, ähnlich wie bei den Vokalchören des Gregorianischen Chorals. Doch lag, wie bei diesen, Teilung in Gruppen und der Reiz der Antiphonie nahe. Tatsächlich kommen auch auf zahl- reichen Engels- und Heiligenbildern des 14. Jahrhunderts Doppelorchester vor, und da ists interessant, daß an der Zahl der Instrumente immer die Akkordinstrumente einen großen Anteil haben, in der Regel die größere (fünf von neun) oder die kleinere Hälfte (sechs von vierzehn) des ganzen Ensembles bilden. Dieser Reichtum an Akkord- instrumenten dauert auf den Bildern bis ins 17. Jahr-

*) W. Ambros: Musikgeschichte II, 50S. **} Angal Hammerich: Studien über isländische Musik (Sam* melbindd d«L M. G. I, 351).

hundert fort und wird durch weitere Quellen bestätigt, durch Inrentarverzeichnisse nämlich und durch gelegent- liche Angaben Über Orchesterbesetzung. So enthielt (nach Sandberger) die »Musikkammer« der Fugger in Augsburg mehrere hundert Lauten. Die praktische Verwendung derlei Instrumente zeigt die der Partitur des Monteverdischen Orfeo Yorgedrückte Orchesterliste, die außer großen Cem- balis Harfen, Orgeln, Regale und Chitaroni verlangt. Ans einer Rechnung vom Jahre 1664 wissen wir, daß auch im Venetianischen Opernorchester drei Cembali und The- orben mitwirkten*), ja auch noch die Händeischen Parti« turen verlangen zur Ausführung der als Baßstimmen skizzierten Harmonie eine Mehrzahl von Akkordinstru- menten, außer Cembalo und Orgel oft noch Harfen und Lauten, und leiden, wenn das übersehen wird, im Klang. Auf den, im Gegensatz zu den Engelsbildern zuver- lässigeren Prozessibnsbildern tritt die stärkere Besetzung erst mit Guido Reni ein und fällt mit den höchsten Zahlen auf Akte, wo die Instrumente mit Sängern zu- sammenwirken. Es muß aber damals auch für die reine, selbständige Orchestermusik eine stärkere, koloristisch er-

, giebigere Besetzung Platz gegriffen haben. Hatten sich bis dahin die Stadtpfeifer mit dem ja die volle Har> monie deckenden Quartett begnügt und der Abwechslung nur soweit Rechnung getragen, daß sie mit Quartetten

. der einzelnen Blasinstrumente, Schalmeienquarletten, Po- saunenquartetten, ja auch Flötenquartetten aufwarten konnten, wie das teils Kompositionen wie Scheins Suite für 4 Krummhörner, teils alte Inventarverzeichnisse, in denen die Blasinstrumente nach Fudern, d. h. Futteralen

, mit je vier gleichartigen, aber in der Größe registerartig verschiedenen Stücken angeführt werden, beweisen, so wachsen am Ende des 16. Jahrhunderts, als von Italien her neue Instrumentenkombinationen, darunter das Zu- sammenwirken von Bläsern und Geigern, bekannt werden und sich der Sinn für Klänge und ihre Mischungen frisch

*) Jahrbuch der Musikbibliothek Peters für 1900, S. 58.

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belebt, die Stadtpfeifereien* in den größeren Orten Dentsch- lands auf sechs und sieben Köpfe. Dazu kommen Expek- tanten und Lehrlinge und bei besonderen Anlässen Ver- stärkung durch auswärtige Kollegen. Die Leipziger Stadtmusikanten z. B. wurden am Anfang des 17. Jahr- hunderts ab und zu nach Dresden beistellt, die Leipziger wiederum laden die durch ihre guten Trompeten be- rühmten Naumburger Stadtpfeifer zu Gast. Der Baum auf den Kirchtürmen reicht zur Herberge für die ver- größerte Stadtmusik nicht mehr aus, von Ratswegen wird ihr deshalb ein eigenes Haus zur Verfugung gestellt, als dessen Verwalter das Haupt der Pfeifer fortan häufig den Titel »Hausmann« führt Die Erinnerung an diese Zeit lebt noch heute in zahlreichen Pfeifergassen und Pfeifergäßchen. Fürstlichem Brauche folgend halten sich jetzt auch manche Patrizier ihre Hauskapellen, die Freude iim Orchesterklang verbreitet sich durch alle Schichten so stark, daß an vielen Orten die städtisch bestellten Spielleute für Nachfrage und Aufträge nicht mehr aus- reichen. In Augsburg haben sich infolgedessen schon bis zum Jahre 16C6 vierzig »fremde Spielleute« ohne Kon- zession und ohne Bürgerrecht angesiedelt. Die Stadt- pfeifer überlassen ihnen das Spiel beim Tanz, nur wenn im Rathaussaal Ball gehalten wird, beanspruchen sie das Recht auf den »Pfeiferstuhl«, die kleine Empore, die ja heute noch hie und da erhalten ist. Ihre Hauplfunktion, die Mitwirkung beim Gottesdienst, hei öffentlichen Feier- lichkeiten und das sogenannte »Abblasen« am Morgen, am (frühen) Mittag und am Abend wird ihnen meistens sehr angemessen vergütet, dazu kommt noch ein reich- licher Nebenverdienst bei Familienfesten, insbesondere bei den verschiedenen Zeremonien der Verlobung, bei den »Handschlagen« und den »Lautmerungen«, beim »Hofieren« des Bräutigams und selbstverständlich bei der Hochzeit selbst Nur wird in der Zeit der Kleiderordnungen bei den Hochzeitsmusiken streng auf Unterschiede gehalten. Je nach dem Stand des Bräutigams werden Posaunen im Singular oder Plural zugestanden oder versagt.

Iq Nürnberg muß 1600 ein dreichöriges Hochzeitsstück Leo Haßlers nnaufgefü^rt bleiben, weil der Bräutigam kein Privilegierter, sondern Kaufmann ist.

Nicht bloß der Kirchendienst, sondern auch die neu- modische, die Mitwirkung von Cembalis und Lauten for- dernde Proianmusik führte zu einer engeren Verbindung der Stadtpfeifer mit den Organisten, die ja immer zu- gleich Cembalisten und häufig auch gute Lautenspieler waren. Infolgedessen begründen jetzt Kandidaten, die sich für die Stelle eines Pfeifers oder Zinkenisten melden, ihre Bewerbung damit, daß sie auch Orgel spielen können, die Organisten wiederum rücken mit in die Reihe der Stadtmusikanten oder an ihre Spitze. Es erscheinen ge- meinsame Verordnungen »für die Organisten und Stadt- Efeiferc, bei dem Organisten werden die »Aufwartungen« estellt, er bestimmt bei -den sogenannten »stillen Mu- siken« wie viele und welche Spieler zur Laute und zum Cembalo zugezogen werden, er wird hier und da als » Archimusicus« angeführt Nürnberg beruft 1600 L. Haßler als »Oberhaupt der Stadtpfeifer c und schließt in diese Bestallung den Organisten dienst ein, Leipzig räumt einige Menschenalter später dem Organisten der Neuen Kirche das Recht ein, unabhängig vom Thoraaskantor, als dem obersten Direktor der Stadtmusik, ein eigenes Orchester zu gründen und zu leiten. Studenten bilden es, und damit sind wir bei dem wichtigen Prozeß der Verstärkung der alten Stadtmüsiken durch Laienkräfte, bei der letzten Vergrößerung der Orchester durch mehrfache Besetzung der Streichinstrumente und bei modernen Verhältnissen angelangt.

Da die treibende Hauptkraft für diese Wandlung in der äußeren Geschichte der Orchester die Entwicklung der Komposition war, so ist die Frage wichtig: was haben die alten Orchester gespielt? Bis vor kurzem war die Musikgeschichte geneigt, den Anfang einer selbständigen Orchesterkomposition erst an das Ende des 16. Jahr- hunderts zu setzen, aber, wie neuere Untersuchungen, bei denen sich namentlich Hugo Riemann hervorgetan

hat, ergaben, daß die alte, scheinbar unbegleitete, mehr- stimmige Vokalmusik in Messe, Motette und weltlichem Chorlied stark und wesentlich auf die Mithilfe von Orchesterinstrumenten nnd Orgeln rechnet, so hat sich auch herausgestellt, daß die Orchesterkomposition fast bis in die Zeit zurückreicht, wo der Minnegesang begann. Sie hat heute ebenso alte Dokumente vorzulegen wie die Lauten- und Orgelmusik; die Zeit, wo auf den Bildern noch der Spielmann im Singular überwiegt, ist da zuerst mit einer einzigen vom Ende des 12. Jahrhunderts stammen- den estampida, im 13. Jahrhundert schon mit mehreren Stücken in englischen Handschriften und im 14. Jahr- hundert endlich mit ganzen Sammlungen französischer und italienischer Kompositionen, die sich in der Pariser Nationalbibliothek und im Britischen Museum finden, vertreten. Es sind durchweg einstimmige Tanzstücke, die in der Mehrzahl zu der Familie der eben erwähnten estampida, im französischen estampies genannt, zum kleineren Teil zu den danses royales gehören*). Schon Grocheo kennt die estampie als stantipes und berichtet, daß sie mit dem cantus coron atus und dem rondellus eine besonders beliebte Form von Instrumentalmusik sei, bei Festen spielten die Jongleurs damit reichen Leuten auf. Was in der Zeit der einstimmigen Musik, wo sich die Ausführenden im wesentlichen auf Gedächtnis und Improvisation verlassen durften, veranlaßt haben mag, gerade estampies aufzuschreiben, ist der ihnen eigene Mangel an Symmetrie, der das Behalten und Wiedergeben verhältnismäßig erschwert. Es wechseln acht- und sechs- taktige Perioden, vier- und zweitaktige Abschnitte. Die isolierten Zweitakter markieren die Hauptschlüsse und geben ihnen metrisch und modulatorisch einen eigen* sinnigen Zug, zu dem sich die sanft und leicht hin* gleitende Melodie in Gegensatz stellt. Das Ganze wird eine Mischung von Anmut und Keckheit, aus der der

*) Pierre Aabry : Las plus anciens textes de mnalque instni- mentale (Mercure musical, September 1906).

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Geist der Tronbadooneit spricht Die folgenden Takte:

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bringen die ersten 2 Abschnitte einer solchen esiampie, das ganze Stück hat ihrer, je nachdem 4, 6 oder 7. Die danse royale oder estampie royale unterscheidet sich ▼on der gewöhnlichen estampie hauptsächlich durch einen Reichtum an größeren Intervallen, der ihren Charakter ins Kräftige und Heroische hebt, und durch geringeren umfang der Satzteile:

Diese Satzteile oder Perioden heißen puncta, genau so wie in den gleichalterigen zwei- und dreistimmigen englischen Orgelkompositionen, mit denen uns unlängst Wooldridge bekannt gemacht hat*). Das Punktum ist ein oCTenes (apertum), wenn der Schluß in die Höhe, ein festes (clausum). wenn er in die Tiefe geht. Bei dem Vergleich zwischen den estampies und den Orgelsätzen fällt zuerst auf, daß die ersteren melodisch viel reifer and wertvoller sind. Kein Wunder: auf die Beweglich- keit und Freiheit der Melodie drückte in den Orgelsätzen zunächst noch die Mehrstimmigkeit. Noch stärker ist zwischen den beiden Arten der Unterschied in der metri- schen Struktur: die OrgelstQcke ziehen in durchschnitt- lich längeren Perioden vorüber, die estampies sind kurz nnd scharf gegliedert. Dieser von ihrer Tanzbestimmung herkommende Zug behauptet sich auch in der mehr- stimmigen Orchestermusik, soweit sie weltlicher Natur ist, noch auf lange hin, bis ins 16. Jahrhundert wird ihm sdbst in den überwiegenden Fällen Rechnung getragen,

*) H. £. Wooldridge : Early £ngli8h harmony from the 1 0 th to the l&th Century. 1897. '

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--^ 16 «^

wo die zwei-^ drei- und fünfstimmigen Sätze imitieren, fugieren oder sonstwie kunstvoll kontrapunktieren. Die Metrik ist gradezu das sicherste Kriterium, nach dem man in zweifelhaften Fällen feststellen muß, ob eine mehr- stimmige Komposition für Singstimmen oder für Instru- mente gemeint ist.

Die ältesten zweistimmigen Kompositionen für Or- chesterinstrumente sind uns in den eben erwähnten englischen Handschriften des 13. Jahrhunderts erhalten. Der zweistimmige wurde von dem volleren Satz nicht verdrängt. Johann Walther bringt 1542 unter seuden 26 Fugen für Zinken ein reichliches Drittel, 9 Stück für zwei Zinken, und John Morley 1595 eine ganze Samm^ lung zweistimmiger, zum Teil instrumentaler Canzonetten; im Aufwartungsdienst der Stadtmusikanten gab es kleine Ständchen im Zimmer und andere Fälle, für die nur zwei Spielleute vorgesehen waren. Erst als mit dem 17. Jahrhundert die volle akkordische Klavierbegleitung beliebt wurde, litt die Freude am reinen Duo und die Produktion der Gattung wurde mehr und mehr auf Unterrichtszwecke eingeschränkt. Mit welchem Unrecht, lehrt jede gute Aufführung etwa eines Spohrschen Violinduos. Jene ältesten englischen Kompositionen für zwei Instrumente entsprechen den heutigen Forderungen an einen reinen Satz vielfach nicht. In einem von Wool- dridge (a. a. 0.) gedruckten Duett fängt beispiel&weise der Quintus punctus folgendermaßen:

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an. Die Stelle steht durchaus nicht allein, sondern eine große Zahl ganz ähnlicher beweisen, daß unter den Simultanharmonien der Zeit die Quinten parallelen ebenso beliebt waren wie die S^xtenparallelen und die Oktaven, Terzengänge merkwürdigerweise viel weniger. Auch an kühnen Dissonanzen sind die Sätze so reich, daß man an Schreibfehler denkt. Der Entwurf der Stücke geht

gewöhnlich von der Unterstimme aas. Diese besteht ent- weder ans einem langsam vorgetragenen Bruchstück der Skala, das mit primitiv Instigen, raschen Motiven kontra- punktiert wird, z. B.:

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oder sie ist einer Tanzweise entnommen, deren einzelne Abschnitte ostinatoartig durchgeführt werden:

■^tf,.r^if' r\f hr Hy y\\^ hj'Pvf i i«te.

Es steht im Einklang mit der Bilderqnelle, daß die ältesten Kompositionen für drei Orchesterinstrumente dem 15. Jahrhundert angehören. Bamberger, Berliner, Floren- tiner Handschriften enthalten allerdings .schon aus früherer Zeit dreistimmige Instmmentalsätze, aber als reich und ständig gepflegte und dabei auch voll entwickelte Kunst begegnen sie uns erst in der niederländischen Schule, in dep sie mit Arbeiten Obrechts, P. de la Rues, Brumels, ILAgricolas, Hofhaimers und Senfls belegt werden können. Sie haben dem Anschein nach einen besonders eifrigen Vertreter in Heinrich Isaac gefunden, dessen drei- stimmigen Sätze, 24 an Zahl, vor einigen Jahren in Neu- druck erschienen sind'**), mit ihnen zusammen auch 33 vierstimmige und 1 fünfstimmiges, die mit den ersteren in Technik und Charakter übereinstimmen. Ob diese Arbeiten auch' wirklich sämtlich für Instrumente be- stimmt sind, ist noch nicht ganz ausgemacht; einen Teil wird man auch jetzt noch, wie es früher mit allen ge- schah, als Vokalkompositionen ansehen dürfen, denen nur deshalb' kein Text beigegeben worden ist, weil er sich als so bekannt voraussetzen ließ, daß eine kurze Über-

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*) Aas London: Harleiana 978, gütigst mitgeteilt von Herrn Professor Johannes Wolf.

*♦) Denkmäler der Tonkunst In Österreich XIV,1. Heraus- gegeben von Johannes Wolf.

Kretsrebraar, FOiirer. 1, I. 2

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Schrift (Wohl auf gut GseH, Süfier Vetter, Si dormiero Poar vous plaisir u. a.) genügte. Gründliche Unter- suchungen der Liedliteratur der Isaacschen Zeit haben diese Frage weiter zu klären. Bei einer Gruppe der dreistimmigen Sätze liegt die) vokale Natur sehr nahe. Das sind die Stücke, bei denen der Tenor einen breiten cantus firm US vorträgt» den Oberstimmen und Baß mit bewegten, wechselnden und kanonisch oder frei imitieren- den Motiven umspielen. Doch ist ihre Zahl nur klein, die überwiegende Menge der Isaacschen Sätze, der drei- stimmigen wie der vierstimpiigen, erweist sich schon durch die kurze Gliederung in vier- und zweitaktige Ab- schnitte grade so als inst^mental, wie das hundert Jahre früher bei den estampies der Fall war. Dazu kommt ein zweites, schon von den Schriftstellern des 13. Jahr- hunderts hervorgehobenes Merkmal instrumentaler Kon- struktion. Das ist die Sequenz: Von ihr macht Isaac, wie die folgenden zwei Proben zeigen mögen:

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einen reichen Gebrauch. Auf das instrumentale Konto

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ist femer auch eine freiere Behandloog der Dissonanz zu setzen, z. B. in 0 Venus bunt:

Die vorstehenden kurzen Auszüge veranschaniichen zur Genüge, daß die Orchesterkomposition des 15. Jahr- hunderts trotz einzelner Züge formelJer Verwandtschaft sich über den Charakter der einstimmigen Estampies und der ersten englischen Versuche im zweistimmigen Instnunentalsatz sehr hoch gehoben hat. Das sind keine Tänze mehr, sondern das ist eioe Unterhaltungsmusik, die zwar an volkstümliches Material anknüpft, aber um ( es höchst individuell und mit einem stattlichen Aufwand \ von Kunst und Geist zu entwickeln. Es ist ein Kammer- t stiL, der sich an einen sehr gebildeten Kreis wendet und ' Zohöier voraussetzt, welche die Beziehungen zwischen den Stimmen sofort erfassen und die Reize dieses Stimmenspiels zu würdigen wissen. Diese Musik ist die > Blüte meisterlichster Kontrapunktik, leicht und ohne Tüfteln entworfen, aber genau auf Abwechslung und deut- liche Wirkung berechnet. Das sieht man namentlich daran, wie Isaac die Nachahmungen bald aus der Höhe nach der Tiefe, bald umgekehrt führt, bald wörtlich, bald in Umkehrung und anderen Varianten antwortet. Die Mehrzahl seiner Sätze wird man als Paraphrasen be- kannter Lieder zu deuten haben, bei etlichen (La Marti- nella, Morra u. a.) hat er sich aber Programm aufgaben gestellt. Es kommen auch in den Liedparaphrasen Tonmalereien vor, eine sehr hübsche in der Nummer 36: »Si dormiero«. Da wird mit der variiert mehrmals wiederkehrenden Stelle :

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auf das Schwanken von Bildern und Vorstellungen ange- spielt, das dem Einschlafen gern vorhergeht.

Die Grundzüge der Isaacschen Arbeiten kehren nun auch in dem »Libro I delle canzoni da sonar« von Flo-

2*

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rentio Maschera wieder, das 1084 zu Brescia in vier Stimmbüchern erschien und das lange Zeit als der Anfang selbständiger Orchesterkomposition angesehen worden ist. Davon zu überzeugen, genügen die 'Anfänge der beiden Canzonen, die Wasielewski aus diesem Werke zum Neudruck gebracht hat*):

Le Capriola. Canzone.

eto.

Die Themen haben den Charakter des Tanzliedes, allerdings eines herb und elegisch gestimmten, aber doch die rhythmische Bestimmtheit und Knappheit der Gattung, und sie haben die zahlreichen und scharfen Gäsuren, die schon die estampies auszeichneten. Die Ausführung ge- langt zu Dimensionen, wie sie das 15. Jahrhundert für Orchesterstücke noch nicht kennt, zu einem Umfang von 107 und 143 Takten und sie folgt dabei noch demselben Prinzip, nach dem auch Isaac, de la Rue und die an- deren Niederländer verfuhren: kunstvolle Arbeit, jedoch mit verminderter Kraft und Energie. Die Kunst besteht für Maschera fast ausschließlich im Fugieren, dabei macht er die Fuge zu einer auffällig leichten, auch dem ein- fachsten Volk verstSipdlichen Form. In der ersten C&n- Zone erreicht er das durch beständige wörtliche Wieder- holung kleiner und großer Abschnitte; die ganze Capriola besteht aus zwei Teilen und jeder Teil wieder aus zwei völlig gleichlautenden Hälften. Ein und derselbe Ganz- schluß (Gmoll) kommt deshalb in hundert Takten sechs- mal und verbreitet über die Komposition ein Einerlei, das nur deshalb nicht als hilflos wirkt, weil es augenschein-

*) W. J. von Wasielewski : Instrnmentalsätze todi Ende des 16. bis Ende des 17. Jalirhunderts. 1874.

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lieh beabsichtigt, wahrscheinlich in dem Text der Gapriola begründet ist. In der zweiten Caüzone erleichtert Ma- schera das Zahören und Folgen durch fortwährendei^ Gredankenwechsel. Dem ungraden Anfang folgt im 22. Takt ein Allabreve, und in ihm bringt er nacheinander fünf verschiedene Themen, die auch nicht mehr streng fugenroäßig, sondern nur in zwanglosen Imitationen ver- arbeitet werden. .

Der durch die große Verschiedenheit der beiden Stücke Mascheras nahe gelegte Schluß, daß mit der Bezeich- nung Canzone ein bestimmtet Formenbegriff nicht ver- bunden sei, ist richtig und gilt nicht bloß für die Can- zonen, sondern für alle Arten Orchestermusik des 17. Jahrhunderts. Mascheras Sammlung, die schon 1598 zum zweiten Male aufgelegt wurde, hatte den Druckern das Signal zur fleißigen Bestellung der Orchesterkom- positioD gegeben. Noch vor Schluß des 16. Jahrhunderts traten dem Maschera andere Oberitaliener mit Canzonen und Ricercares zur Seite, noch viel stärker regt sich aber neues Leben in dem Gebiete von dem Augenblicke ab, wo durch Einfuhrung der Oper und namentlich auf Grund von Monteverdis Orfeo die Instrumentalmusik gewissermaßen die höheren Weihen erhält. Da veröffentlichen Marini, Fontana, Monte Albano, Tarqu. Merula, Neri, AUegri, Mezzaferrata, Bassani, Vitali und andere angesehene Musiker neue Sammlungen von vier- und mehrstimmiger Orchestermusik und mit Legrenzi treten auch die Opemkomponisten mit in die Konkurrenz ein*). Auch die Zahl der Kompositionsarten wächst, neben der Canzone erscheint die Fantasie, die Sonate, die Sinfonie, das Capriccio. Die Canzone legt es jetzt auf Gegensätz- lichkeit an, es lösen sich schon durch die Taktart streng geschiedene Themen ab, oder sie wird zu einer drama- tbch erregten Szene, in der Charakter und Tempo, sich drei-, vier- und fünfmal ändern. Diese zweite Art ver-

*) Zar Orientierung wird empfohlen Wasieiewskis bereits ge- nannte Samrolnng.

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treten Merula und Neri. Die Fantasie macht schon durch ihren Namen auf Formenfreiheit Anspruch. Es gibt Fantasien, die vollstAndig den mehrthemigen Canzonen gleichen, und andere, die einfache Fugen mit einer breiten, homophonen, im Takt mit dem Hauptsatz kontrastieren- den Episode sind. Eins der schönsten Beispiele dieser zweiten Art ist Banchieris >Fantasia in Eco movendo un Registro», die in der Episode das alte Echo zu Ehren bringt. Am reichsten an Spielarten ist in der Orchester- musik des 17. Jahrhunderts die Sonate. Der Aufbau variiert von der Einsätzigkeit bis zu siebenteiligen Satz- kränzen; die dreisätzige Kammersonate wie die vier- sätzige Kirchensonate treten in dieser gemischten Gesell- schaft schon verhältnismäßig früh auf, aber die herr- schenden Formen werden sie erst gegen den Anfang des 18. Jahrhunderts von der durch die Mitwirkung des Cem- * balo gestempelten Kammermusik aus, Ähnlich bunt ver- läuft die erste Entwicklung der Sinfonie, doch erhält sie vom Anfang an, den wir nach dem von Riemann ge- brachten Beispiel ins 15. Jahrhundert verlegen können, eine einheitliche Marke durch den Verzicht auf strengen Stil und Imitationskünste. Das Hauptfeld ihrer Ausbildung wird die Oper.

Neben dem leidenschaftlichen, feurigen Vitali, der aber mehr von der Kammer aus in die Geschichte der Instru- mentalmusik eingriff, ragt unter den auf Maschera folgen- den Orchesterkomponisten am bedeutendsten Giovanni Gabriel i, der Neffe jenes Andrea Gabrieli, der als Or- ganist von San Marco 1686 die ersten fünfstimmigen Sonaten veröffenUicht hat, hervor.

Mit ihm beginnt die goldene Zeit einer eigentümlich feierlichen, erhabenen und edlen Orchestermusik, der wir aus unserer neueren Literatur nichts an die Seite zu setzen haben. Sie wurzelt in dem Geiste, in welchem . während des 16. und 17. Jahrhunderts Kirchen, Staaten, . Städte und Korporationen große Feste begingen. Sie hat insbesondere das Gepräge Venetianischer Kunst: der Glanz and die Pracht, der Ernst und die Hoheit, die uns in den

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Meisterwerken des Montagna, des Paolo Veronese und des Tizian ergreifen und erheben, die uns masikalisch in den Madrigalen des L. Marenzio so tief berühren, sie kennzeichnen auch die Canzonen und Sonaten des Giovanni Gabriel!. Seine Hauptarbeiten sind die in den GtoTtani »Sinfoniae sacrae« von 1597 (zweite Auflage 1616) ent- Q»bneU. haltenen Stücke: nämlich vierzehn Canzonen und zwei Sonaten.

Aus dieser Sammlung, die durch 46 Chormotetten vervollständigt wird, hat Wasielewski (a. a. 0.) einige Nummern veröffentlicht, von denen namentlich die eine, die Sonate mit dem Titel »Pian e forte<, neuerdings in geistlichen und in historischen Konzerten häufiger ver- wendet wird. Auch in dieser Isoliertheit und in der fremden Umgebung scheint die Komposition überall mächtig gewirkt zu haben. Nicht unpassend zieht ein Bericht- crslatter*) Wagners »Parsifal« heran, um den Eindruck der Sonate zu beschreiben.

Alle diese Gabrielischen Orchestersätze haben einen Terhältnismäßig bescheidenen Umfang: durchschnittlich 70 bis 80 Doppeltakte. Weil aber ihr Aufbau sehr scharf gegliedert ist, wirken sie breit und imposant. Es ist das eine ähnliche Erscheinung, wie bei den Händeischen Chören, wie bei der Architektur der Antike und der Renaissance. Das Geheimnis liegt wohl in dem gluck- lichen Verhältnis einer an und für sich bedeutenden Er- findung zu einer ebenso bedeutenden, klaren, bestimmten, in jedem Gliede abschliessenden und vollen Ausfüh- rung. £ä ist eine Musik, die ein Goethe bewundert haben würde.

Einige dieser Gabrielischen Orchester kompositionen sind auf zwei Instrumentenchöre verteilt. Der erste Chor beginnt in der Regel mit einem längeren Thema feierlicher, zuweilen auch elegischer oder freudiger Natur. Das wiederholt der zweite Chor wörtlich. Dann treten beide zu einem freien Abschluß im majestätischen Klang

♦) Leipriger Neueste Nachrichteu, 3. November 1S92,

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zusammen. Im weiteren Verlauf wird der Charakter der Musik erregter; die Chöre ziehen in engen Nachahmungen dahin, in belehten^ zuweilen verwickelten Rhythmen das Eingangsthemä umspielend. Oder auch: es folgt ein zweiter Satz, der sich in Charakter und Form vom ersten scharf abhebt, dem geraden einen ungeraden Takt gegen- überstellt. Entschiedenen und häufigen Taktwechsel liebt ja die ältere, an Impulsen reiche Zeit auch in der Vokal- musik. Oft läßt es Gabrieli bei diesen zwei Sätzen eines Stücks bewenden und schließt mit einem freien Anhang, in dem die Oberstimmen beider Chöre mit virtuosen Wen- dungen hervortreten, um nach altem, klugem Brauch den Schluß hervorzuheben, auszuzeichnen, eindringlich und packend zu gestalten. Manche der Gabrielischen Kom- positionen gehen aber über dieses zweisätzige Schema weit hinaus und stellen motettenartig nach dem ersten Tutti oder dem zweiten Thema noch eine lange Reihe großer und kleiner Gedanken auf, als gälte es einen ge- heimen Text zu erschöpfen. Zu dieser zweiten Klasse gehört die Sonate »pian e forte c.

Sie vertritt ihre Familie und die ganze Gabrielische Instrumentalmusik äußerst vorteilhaft, weil sie sehr über- sichtlich und regelmäßig aufgebaut ist und weil sie zweitens den Klangbesitz des Gabrielischen Orchesters in seiner Eigentümlichkeit und in seinem Reichtum vor- führt Aus den piano gehaltenen Abschnitten, in denen der zweite Chor den ersten ablöst, klingt es wie Char- freitag; aus den mit leichten Obergängen erreichten Stellen im forte, bei denen die Chöre zusammentreten, wie Ostern. Namentlich der elegischen Eingangsstimmung gibt der reiche Harmonieappi^rat der alten Tonarten einen seltsam beweglichen Ausdruck. Die Besetzung des Or- ' chesters, die nicht bei allen Stücken angegeben ist, be- steht in dieser Sonate aus einem Quartett von Cometten (Zinken) und drei hohen Posaunen für den ersten Chor, für den zweiten aus Bratsche und drei tiefen Po- saunen. In einzelnen protestantischen Orten besteht heute noch die Sitte, daß an hohen Ji'esten, bei vor-

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nehmen Trauungen und anderen außerordentlichen Ge- legenheiten ein Posaunenquartett den Choralgesang be- gleitet Dieser Brauch ist ein ehrwürdiger Nachklang der Musik früherer Zeiten, in denen er sich bis ins 16. Jahr- hundert zurück verfolgen l&ßt Dem ausgehenden 16. und dem ganzen 17. Jahrhundert war die Posaune das Normalinstrument aller Feierlichkeit. So wie hier stehen wir auch noch in den Instrumentalsätzen, die z. B. Monte- ▼erdi und Schütz in ihren Vokalkompositionen einlegen, oder bei selbständigen Stücken wie der achtstimmigen Caozone des Tiburtio Massaini (1606) vor vollständigen Posaunenorchestem. Die neuere Zeit kenn:;eichnet der Violinenklang; sie gibt in den Gabrielischen Sonaten ein erstes Lebenszeichen mit der Oberstimme des zweiten Chors. Noch aber sind es nicht die hohen Violinen, sondern die Bratschen. Der Sinn für Klangfarben und die Gabe, mit ihnen auf Empfindung und Phantasie zu wirken, hebt Gabrieli hoch über die vorhergehenden und gleichzeitigen Orchesterkomponisten, durch die Pracht des Koloritd wirkt er modern und vertritt zugleich einen Gmndzug venetianischer Kunst Wie fein bedacht ist in der Sonate »pian e forte« das Verhältnis der beiden Chöre! Der zweite setzt immer eine Quinte, Sexte, meistens eine Oktav tiefer ein als der erste. Dadurch klingea seine Wiederholungen immer viel ernster, dunkler, geheimnis- voller. Um so mehr, als die heiden Chöre im Freien weit- voneinander, in der Kirche auf verschiedenen Emporen aufgestellt waren. Den großen Raum setzen auch die Tuttis voraus; in unseren heutigen Konzertsälen klingen diese Kirchen- und Festsinfonien zu stark. Sie haben noch, eine große Anzahl wenigstens, eine andere Schwierig- keit für den modernen Hörer: Sie entwickeln nicht, wie die neuere Instrumentalmusik vorzugsweise tut, ihre Perioden und Sätze mit Wiederholungen und Verwand- lungen eines Themas oder eines Motivs, sondern die Musik strömt daher in der Form »unendlicher Melodie«, um einen Wagnerschen Ausdruck zu gebrauchen. Auch in den einchörigen Kompositionen dieser Gattung mochte

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man auf' den Reiz des Chorwechsels nicht ganz ver- zichten. Man ersetzte und deut9te ihn dadurch an, daß einzelne Stimmeix mit dem vollen Chor wechselten, man brachte zweitens gern das sogenatinte >Echo< an. Eine kleine Gruppe von Spielern in einem Nebenraum, jeden- falls entfernt und möglichst versteckt aufgestellt, wieder- holt sparsam oder reichlicher kleinere und größere Ab- schnitte der Musik des Hauptchors. Unter den Liebhabern des Orchesterechos verdient neben dem schon erwähnten Banchieri. Banchieri der Bologneser Domkapellmeister Bassani BasMl. genannt zu werden. Eine viel größere Bedeutung. hat das Echo aber in der mehrstimmigen Gesangsmusik des 16. Jahrhunderts. Viele Wiederholungen in den Chören jener Zeit, die uns befremden, sind sofort verständlich uud schön, wenn man sie dem Echo gibt. Ein naheliegendes Beispiel bietet das weltbekannte >£cce quomodoc von Jacob Handl (Gallus) mit der Refrainstelle : »Et erit in pace«.

Das zweichörige Orchester G. Gabrielis hat sich weit ins 18. Jahi hundert hinein erhalten, wir finden es in S. Bachs Matthäuspassion, Hasse hat es in der Oper, Cannabich in der Sinfonie. ,

Die eiüchörigen Orchesterkompositionen des G. Ga- brieli haben offenbar eine andere Bestimmung als seine doppelchörigen; sie setzen andere Räume und andere Stimmung voraus. Die Violinen kommen in ihnen mehr zur Geltung, die Musik ist weltlichen Charakters und mischt nach venetianischer Art Heiterkeit mit Würde. Man kann an Vermählungsfeiern und andere Familien- feste in hohen Patrizierhäusern denken. Ein Glanzstück dieser Art ist die als Nr. VUI in der Wasielewskischen Sammlung mitgeteilte sechsstimmige Canzone für zwei Viohnen, zwei Cornetten und zwei Posaunen, eine Kom- position, interessant durch den Wechsel fröhlicher und frommer Stimmung. Ein munter bewegtes Thema:

^ Allegro maestoso. Coragtt-p.yp.^ setzt ein UUd läuft

^M "_ iJ J3JjN"Jj durch die Stimmen ; ein

^ w rTf^rt f T ^ 7^ breiter, ernster Gesang

Tenorposanne. des vollen Orchesters,

27 <i~

durch den Rhythmus allein schon scharf geschieden: #«.^.. ^^11^ /w^^^% tritt ihm entgegen. Dieser ^^^ __ , " p fc I m^u I Wechsel wiederholt sich '"t ^^~ I ii- ' ^3 " ^ y* ' fünfoQ&l iii^d so, daß die ^ fl ** T Gruppen immer breiter, und

namentlich die Abschnitte im Tripeltakt immer majestä- tischer werden. Dann krönt ein freier Schluß, die Freu- digkeit des Stücks zur Ausgelassenheit steigernd im kleinen ein Vorläufer Beethovenscher Finalaasgänge das Ganze. Will jemand und unsere Musikschulen müßten das wollen die Gegenwart wieder mit G. Gabrielis Orchesterkompositionen bekannt machen, so eignen sich die beiden hier geschilderten Stücke ganz besonders dazu. Auch wohl deshalb noch, weil ihre Besetzung mit den modernen Mitteln, sonst so häufig ein Stein des Anstoßes für die Wiederbelebung alter Tonkunst, keine Schwierig- keit macht. Vergleicht man die eben erwähnte Canzone mit Canzonen Mascheras und anderer Oberitaliener, so überragt Gabrieli die Mitarbeiter unverkennbar an innerer Lebendigkeit und feinem Geschmack. Der letztere zeigt sich namentlich in seiner Behandlung der kontrapunk- tischen Formen. Die Nachahmungen werden, auch wenn sie sich mit Leichtigkeit viel weiter führen ließen, immer bei Zeiten abgebrochen, auf die übliche Fuge verzichtet Gabrieli. Darin liegt ein allgemeiner formeller Fort- schritt, die Emanzipation vom streng polyphonen Stil. Aber der Orchestersatz hat dem Gabrieli auch nach an- d.eren Seiten eine selbständige Entwicklung zu danken. J. V. Wasielewski irrt, wenn er meint, die Instrumental- musik Gabrielis habe einen ganz vokalen Charakter. Nein, Gabrieli hat zuerst die eigenen natürlichen Mittel des Orchesters, seine Überlegenheit im Klanglichen be- merkt und zur Geltung gebracht. Die frühere und gleich- zeitige Vokalkomposition hat nirgends einen so impo- santen Wechsel von Farbe und Klangstärke, wie ihn die Sonate >pian e fortec zeigt, sie kennt auch die Mischung konträrer Stimmungen in der Freiheit und Raschheit, die wir in Gabrielis Canzonen begegnen, nicht.

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Die Orcbestermusik G. Gabrielis hat auf einen weiten Umkreis in der ferneren Geschichte der instrumentalen Komposition nachgewirkt, namentlich mit seinen Fest- sonaten. Ihren Ton und Geist. finden wir noch lange in den kurzen einsätzigen Instrumentalsinfonien, die in den geistlichen Vokalkonzerten und Kantaten des 17. und 18. Jahrhunderts vorkommen. Allgemein zugängliche Bei- Kalfltr spiele bieten da die Kompositionen Kaiser Leopolds I.*). Leopold I. Dann geboren hierher viele Schütz sehe Stücke, so die Ein- leitungen zu den 7 Worten und zu der Historie von Absa- Ion. Hervorragend weihevolle Sinfonien stehen an der Spitze der Kantaten Franz Tunders, auch der Buxte- hudes und Zachows. Noch Bach hat der überhaupt altertümlich gehaltenen Osterkantate »Christ lag in Tödes- banden« eine Sinfonie im Gabrielischen Stil vorausge- schickt. Auf das Gabrielische Muster stützt sich eine ganze selbständige Literatur einsätziger Festsonaten für Bläser- orchester, die in den Musikschränken aller Instrumental« kapeilen ausreichend vertreten war. Den ganzen Umfang dieses Kunstgebietes festzustellen, bedarf es noch beson- derer Untersuchung. Gepflegt wurde es von hervorragen- den und von unbekannten Komponisten; denn es war in der Sitte der Zeit begründet. Wir können es auch heute nicht ganz entbehren, obwohl unser öffentliches Leben auf musikalischen Schmuck und musikalische Weihe bis zu einem bedenklichen Grade verzichtet hat. Fast will es scheinen, als sollte die Tonkunst ins Konzert gesperrt und da stranguliert werden! Tatsache ist, daß die heu- tigen Komponisten für Feierlichkeiten, wie sie sich bei Einweihungsakten, bei solennen Empfängen und Be- grüßungen vollziehen, wenig komponieren, und wenn sie es tun, treffen sie nur selten den richtigen Stil. Beethovens Ouvertüre »Zur Weihe des Hauses« und C. M. v. Webers Jubelouvertüre in allen Ehren, aber man hört sie jetzt an Stellen und bei Gelegenheiten, wo sie keinesfalls hin-

*) Musikalische Werke der Kaiser Ferdinand UI., I.«opold I. und Joseph I. Herausgegeben von Guido Adler. Bd. I.

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passen! So empfehlen wir denn den Dirigenten, die um ein feierliches Stück in Verlegenheit sind, einen GrifiT in die alte Zeit der einsätzigen Gabrielischen Sonate. Unter dreierlei Titeln bergen die Archive die Reste dieser Ton- familie: als Sonaten, Sinfonien und als geistliche Kon- zerte (Sacri concerti). Bei dieser dritten Gruppe tritt zuweilen zu den Orct^esterinstrun^enten noch Begleitung der Orgel oder eines ^anderen Harmonieinstruments. Sie lassen sich daher in der Regel nur in Kirchen oder groBen Sälen Terwenden. Die Mehrzahl der hierhergehörigen Kompositionen ist aber, ganz ähnlich wie bei der älteren Suite, für Bläserchöre bestimmt und alle sind nur in Stimmdrucken vorhanden; zu einer neuen Ausgabe in Partitur haben es bisher nur die von Wasielewski mit- geteilten Stücke gebracht So finden sich z. B. aus un- serer Klasse in der königlichen Bibliothek zu Berlin (olgende Nummern: D. Castello: Sonate concertate (Ve- nedig 1621) ; F. S. Ertelins, Symphoniae sacrae (Mündien 1611); Gabr. Fattorini, Sacri concerti (Venedig 1600); Fr. Giuliani, Sacri concerti (Venedig 1619;; G. Picchi, Canzoni da sonar (Venedig 1626). Aus italienischen Bibliotheken wären da noch hinzuzufügen: Fiore, Sin- fonie da chiesa (Modena 1699) und Bergonzi, Sinfonie da chiesa (1708j. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts kommt in Italien der Gabrielische Stil aus der Mode und wird von der mehrsätzigen Kirchensonate, die in der Regel drei- und vierstimmige Violinmusik ist, verdrängt. Aber Nachfolger der Gabrielischen Sinfonie finden sich auchMn Italien noch bis ins 19. Jahrhundert. Der Vene- tianer B u z z o 1 a ist einer ihrer letzten Vertreter. Seine »Piccole Sinfonie ad uso dell^ Basilica di San Marco haben Meyerbeerschen Geist, aber die einsätzige Form Gabrielis.

In Deutschland finden wir einen der letzten Meister im Sonatenstil in Gottfried Reiche, jenem Leipziger Gottfried Stadtmusikus, für den Seb. Bach seine gefürchteten Trom- Kelche, petenpartien geschrieben bat. Aus seinem Hauptwerk: >24 neue Quatricinia« (Leipzig 1696) empfehlen wir zur

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Einführung namentlich das Bdur-Stück über das Themas

^ , Pompoao. _ Damit beginnt in markiger Har-

i£r il fe J Tp'frpl-^^ monie der erste Teil. Ein mittlerer

ff- Jir I ifi- wendet die Melodiein geradenTakt :

^ ^ ^ und führt sie in Fugen form

'JLv'^ ^ \ f?pp| J^*ifi> durch die Instrumente, hier, ff ^ r "' r' ' r' r ^ie überall ein Bläserquartett

von Gornett und drei Posaunen. Jedermann kann nur über die formelle Tüchtigkeit und die wirklich hohen Gedanken in dieser und in ähnlichen Arbeiten des schlichten Mannes erfreut sein. Sie zeigen , wie sich auch bescheidene Kräfte auf diesen Kunstzweig verstan- den. Noch vor Reiche gehört der ebenfalls Leipziger Sladtpfeifer Joh. Päzel mit seiner »Hora decimac von 1670 hierher. Auch das ist eine Sammlung feier- licher Sonaten, wie sie vor Tische vom Leipziger Rat- hausturm tagtäglich abgeblasen wurden, einsätzig, aber* schon vom Muster der venetianischen Opernsinfonie be- einfluGt Das wohl letzte Lebenszeichen Gabrielischer Kunst in Deutschland dürften die »Turmsonaten« Fr. Schneiders sein, die der Komponist des »Weltgerichts« alsl7jähriger Gymnasiast in Zittau geschrieben hat. Nach seiner C dur-Sinfonie zu schließen, hat wahrscheinlich R. Schumann diese Turmsonaten Schneiders gekannt Der Plaßsche Bläserchor in Berlin spielt sie heute wieder mit großer Wirkung, und in der Lausitzer Heimat des Komponisten sollen sie nie vergessen worden sein, in einem Bauer namens Schönfelder hat Schneiderdort sogar noch am Ausgang des 19. Jahrhunderts einen Nachfolger ge- funden*). Den indirekten Einfluß der Gabrielischen Sonate kann man noch in den Oratorienouvertüren Leos, Hasses, J. Haydns (»Sieben Worte <) spüren, aber er wird im 18. Jahrhundert unter der Herrschaft der neapolita- nischen Schule, der der feierlich gehaltene Ton selbst in der eigentlichen Kirchenmusik fremd war, immer geringer.« Wie schnell aber die alte Orchestersonate in jener über-

*) Mitteilung des Herrn Professor Paul Stöbe in Zittau.

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produktiven Zeit vergessen wurde, das kann man daraus ersehen, daß Gerber in seinem so vortrefflichen Lexikon die großen Gabrielis gar nicht erwähnt.

Die Orchestercanzone trat ihre Stellung im Laufe des 17. Jahrhunderts an eine neue Gättang weltlicher Musik ab: die Suite. Unter diesem Namen, der sich im 18. Jahrhundert mehr und mehr verbreitete, verstehen wir heute eine Folge von mehreren in sich abgeschlossenen Stucken, in deren Inhalt und Form die Tanz- und Lied- musik überwiegt. Die Sonate war eine freie und neue Schöpfung der höchsten und gebildetsten Künstlerkreise; die Heimat der Suite ist die Volksmusik. Wahrscheinlich ist sie so alt^ wie das Instrumentenspiel überhaupt. Denn wenn Spielleute zwei im Charakter verschiedene Stücke einen Choral und gleich darauf einen Tanz z. B., wie wir das in Deutschland bei Umzügen und Morgen Ständchen noch tagtäghch hören können unmittelbar, ohne längere Pause, hintereinander spielen, so ist die Suite fertig. Geschrieben und gedruckt zeigt sie sich zuerst in der LautenUteratnr des 16. Jahrhunderts'*';. Bald darauf aber, nämlich 1571, kommt aach schon (in Löwen bei Peter Pfaalesius) eine Sammlung von Suitensätzen für Or- . Saiten des ehester heraus. Sie bringt unter dem Titel »liber primus Phaiesius. leviorum carminum etc« Paduanen, Passamezen, Älle- manden, Galliarden, Branles und ähnliche Stücke, dazu aber auch Sätze mit programmatischen Oberschriften, z.B. Den Post:

^'*mmm^^Him^^i!f^m

^^^^^321

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Wi,e hier durch rhythmische Umbildung dem Haupt- satze noch eine »Reprise« abgewonnen w^ird, so kommen

«) Wolf Heckeis Untenbucb 1562.

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bei anderen Stücken solche Variationen als »Volten«. Immer wird aui^ diese Weise die Galliarde aus der Pa- duane gewonnen, aber auf diese Fälle und auf den Zu- sammenhang nur zweier Sätze beschränkt sich die Variationskanst in dieser Phalesiusschen Saitensamm- lung. Schon sie zeigte daß in der internationalen, durch die Namen der Sätze belegten Arbeitsgemeinschaft, unter deren Obhut die Orchestersuite ihre erste Entwicklung fand, dem englischen Anteil eine besonders gute Zensur gebührt. Das frischeste Stück unter allen ist ein »Bransle d'eccose«, der gleich metrisch apart beginnt:

ji'ii I i| iMiil I II I ilMfi I M IM lli]l j I

Englische Die Engländer haben sich auch weiterhin bei den Suiten. Jugen die istungen der Orchestersuite ausgezeichnet. Sie Horley. eröffnen 1599 mit Thomas Morleys »Goncert lessons. made by divers exquisite authors for six instruments etc.« die Zeit des regelmäßigen Suitendrucks und stehen in ihm jahrzehntelang im erfolgreichen Wettbewerb mit den Deutschen. In der Elisabethischen Periode waren nicht bloß englische Chorlieder und Komödianten, son- dern im Gefolge der letzteren aucji englische Spi^eute über den Kanal gekommen. Diese waren es, die Ton Hamburg, an zweiter Stelle von Frankfurt und Lübeck aus den deutschen Markt mit zahlreichen Sammlungen von Orchestersuiten ihrer Landsleute beschickten, an der

Simptoii. Spitze die Komponisten Theodor Simpson (1607*<, Brmde. 1611, 1617 und 1621) und William Brade (1609, 1614, 1617, 1621).

In der Form und dem Ausbau der mehrsätzigen Suite halten die englischen Arbeiten mit den gleichzeitigen deutschen nur eben Schritt. Sie bleiben länger als diese bei den zwei Sätzen: Paduane und Galliarde und be- quemen sich ersichtlich erst unter deutschem Einfluß zur

♦) Diese erste Sammlung ist von den Verlegern Hildebrand und Füllsack gezeicbnet.

33 4^

Aufnahme von Allemande and Corrente. Bin eigner and konservativer Zag ist nor, daß sie die Padaane zuweilen durch eine Canzone ersetzen. Meistens teilt diese, homo- phon gehalten, mit dem italienischen Master bloß den Namen; nur einmal bringt Simpson (in der Hamburger Sammlung von 1617) eine Canzone, die

zretc.

beginnt, dann in ungraUen laKt übergeht und weiter mit dem mehrmaligen Wechsel beider Themen sich als eine gutgemeinte Nach bildang des oben zitierten Meisterstücks 6. Gabrielia erweist Aber originell und bis zu einem gewissen Grad bedeutend sind diese- englischen Suiten durch einen starken Zug von Volkstümlichkeit Er äußert sich stilistisch in ruhigen und bewegten Sätzeh ziemlich gleichmäßig dadurch, daß Nachahmungen fast ausschließ- lich in die beiden obersten Stimmen gelegt werden, wo sie auf den Laien am leichtesten wirken. Thematisch kommt er vorzugsweise in den schnelleren Sätzen zum Ausdruck und zwar durch Marschweisen, denen zum Tei< durch Oberschriften ein heimatticher Ursprungsstempei aufgedrückt ist So steht bei Brade über dem Thema.

I I , ||i|i r f I ^^^

»Comwallscher Aufzug« bei einem anderen liest man: 9MyIady Wrath's Maskerade«. Auch in Deutschland scheinen die Engländer charakteristischen Weisen nachgegangen zu sein, Bateman wünscht bei einem seiner Sätze, daß man &n

>Näglein (Nelken?) Blumen « ^

denke, ein anderer sucht «»^ f p ^' ^^^m^^z;^f-i^^=

»den alten Hildebrand« mit vorzustellen.

Unter den weiteren Merkmalen der gemeinverständ- lichen Tendenz tritt die Beliebtheit von wörtlichen Motiv- wiederholungen hervor: es ist keine d^

Seltenheit, daß eine Formel wie: vier Takte nacheinander füllt.

rr-t

34

Daß die Suiten der Engländer in Deutschland bekannt

waren, ist wenig- n

stens wahrschein- ^H f T I f~ T f 1^' f f* i' lieh: Simpsons: findet sich im Flori- legium Georg Muf- fats in der Gestalt:

In Deutschland bürgert sich die Orchestersuite nach 1600 rasch ein tind durchläuft in vier, chronologisch nicht streng geschiedenen Stufen ihre erste bedeutende Ent- wicklung. Nürnberg ist, sowie für das deutsche Chorlied des 16., so auch für diese alte deutsche Orchestersuite des 17. Jahrhunderts der Hauptdruckort.

Auf der ersten jener vier Stufen begegnen wir Suiten als Sammlungen von Tänzen ein und derselben Sorte, HanftiDAiiB. wie z. B. in Valentin Haußmanns »Neuen Intraden« von 1604 oder in Erasmus Widmanns »Neuer musikalischer Kurzweil von 1618. Wie bei diesem letztgenannten Autor, so finden sich auf dieser ersten Stufe überhaupt häufig den Melodien Texte beigegeben. Hier lebt also noch entschieden die Zeit, in der beim Tanzen auch ge- subgen wurde; in der späteren Suite macht sie sich durch Verwendung alter Liedmelodien noch bemerklich.

Dann kommen Hefte mit zweierlei Tänzen; in der

Regel erst eine Anzahl gravitätischer Paduanen, dann

genau oder annähernd ebensoviele neckische, muntere

L. HaAier. GalUarden. Beispiel: L. Haßlers »Neuer Lustgarten«

von 1601.

Auf der dritten Stufe gesellen sich zu den Paduanen

und GalUarden noch Intraden. Das sind marschartige

Stücke, die den Paduanen nahe stehen. Beispiel:

M. Fraock. Melchior Francks Pavanen, GalUarden und Intraden.

Coburgk 1603.

Den Abschluß jener ersten Entwicklung der deutschen' Orchestersuite bilden Werke in vier Sätzen. Die Wahl und Folge der Sätze ist bei dieser Stufe verschieden ; doch haben die meisten zu ihr gehörigen Suiten Paduauen und GalUarden behaltet). Valentin Hausmann z. B. ordnet so

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an: Intraden. Passainezzen, Paduanen« Galliarden 1604,

Paul Bäwerl (Pearl) bringt Padnanen, Intraden, Dantz P. PMrt*

und Galliarden (1611) hintereinander.

Erst hier an dieser vierten Stufe stehen wir vor der Saite im modernen Sinn: Dort, an den vorhergehenden Stufen, schüttet der Komponist gewissermaßen jede Sorte massenweiß vor nns hin, zur behebigen Auswahl. Hier aberreicht er uns fertige Sträusschen. Die Wahl und Zusammenstellung der Blumen ist das Werk des Geistes und des Geschmacks eines bestimmten Künstlers, und es kann nicht fehlen, daß sich das Walten einer höheren Kunst in dieser neuen Suite noch in weiteren Merkmalen äaßert. Am meisten ins Auge fällt unter ihnen der Gebrauch der Variationenform. Sib findet sich bereits bei Hausmann in der Weise, daß der Passamezzo als Thema aufgestellt und dann noch in fünf bis sechs namentlich rhythmisch bedeutend und sinnvoll erfundenen Verwand- lungen, die ausdrücklich als Variationen bezeichnet sind, vorgeführt wird. Dadurch gewann die Suite breite Formen und die Möglichkeit, einen bedeutenden Gedanken näher auszulegen. Sie hat aber davon immer nur bescheidenen Gebrauch gemacht und sich in der Regel auf eine Varia- tion beschränkt Man überließ solche Kunst der Orgel- komposition und blieb mit der Suite in den Grenzen der Volksmusik und in erster Linie immer darauf bedacht, kleine aber sinnfällige Tonbilder zu erfinden.

Daneben gibt es noch eine zweite Art von Varia- tionssuiten, bei der aber die Variationen undeklariert unter den üblichen Satznamen passieren. Sie entsteht dadurch, daß das Thema des Anfangsstücks, vielleicht einer Paduane, auch für Allemande, Courante und Galliarde benutzt wird, natürlich nicht wörtlich, sondern rhythmisch und metrisch umgebildet und mit neuen Melismen behangen. Der Vorgang ist ein ähnlicher, wie in der Vokalmesse des 16. Jahrhunderts, durch deren Sätze sich bekanntlich leitende Themen ziehen. Diese Art von Variation beschränkt sich oft auf die Umbildung der beiden Mittelstücke. Bei Peurl, dem Hauptvertreter

3*

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dieser zweiten Variierangsart finden wir die thematische Einheit der vier Stücke verhältnismäßig am häofigsten, zuweilen allerdings nur in sehr zarten Andeutungen er- kennbar. Die zweite seiner Suiten beginnt

in der Faduane: m^ f t^^TT^

in der Intrade: JLm p H" f [Mp J fjJ I ■■* I "■ 1

im Dantz: f "^rr^'fJlA

in der Galliarde: ^ »«■ p | [' fff I Jj .J | J.

Die 3. Paduane: i bft JJ3^p J I ^ T Intrade: ^l'W |' iJjJpf T f I Dantz: j^ap iJj tr^^^ Galliarde :

Die 6. Padaane -.jit ff \?'f\\f flUf (' I f Intrade: ^»»n f T r f'J^ l|'7''''*^ Dantz: JH f \fi J I I ;;^ |7 I' I 11*'^=!^= Galliarde: j^g« f [{'rffif} {• IjE

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Die 7. Paduane: iif f'n'rp I-Qf .1 Intrade: ijhi|lll rT^J^^^^^-tfny-\

Dante: ^Yt ^ ifffr f iJJl^l

Galiüirde:

Wm

Die 10. Paduane:

Intrade:

Dantz:

Galliarde: |^»8I ^ \\"^rf \^ ^ *f 1=

A.

Die Einheit der Saite als Ganzes, die Zusammen- gehörigkeit der vier Teile ist von einzelnen Künstlern der vierten Stufe stärker betont, schärfer zum Ausdruck ge- bracht worden. Es waren aber Ziele, denen man allge- mein und von jeher zustrebte; allerdings mit einem viel bescheideneren Mittel: Man hielt die Sätze in derselben Tonart, und bei dieser Gleichheit der Tonart ist die Suite bekanntlich immer geblieben. Das ist nach modernen Anschauungen fast ein Fehler. Denn wir können in der Kunst von Abwechslung, Gegensätzlichkeit, Steigerung und dramatisch anregenden Elementen aller Art kaum genug haben. Das geht in unserer Tanzmusik bisweilen bis an die Karikatur. Ganz anders die ältere Zeit. Die suchte, wenn es sich nicht gerade um Heiligen- und Märtyrerbilder handelte, in der Kunst ruhige Sammlung

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und Erhebung, reihte gern Verwandtes aneinander und verweilte, den Standpunkt immer nur schrittweise ver- schiebend, gerne lange in Betrachtung desselben Themas; Diesem Zuge ruhigen Eindringens kam die Fuge beson- ders entgegen; er kommt aber auch in dem Tonarten- verhältnis der Suitensätze zum Ausdruck. Die Tonart bleibt immer dieselbe ; sie weist gewissermaßen dem Zu- hörer die Stellung an, die er dieser Kunst gegenüber einnehmen soll: wie vor der laterna magica leidenschafts^ los genießend, erfreut, erwärmt, aber nie hingerissen und im seelischen Gleichgewicht gestört.

Noch in einem anderen Punkte stand die Orchester- suite, vom ersten Auftreten an, künstlerisch bis zur Musterhaftigkeit fertig da. Das ist die sogenannte Stimm- führung. Ob man die Suite für 4, Ö, 6 oder 7 Instrumen- talstimmen schneb, diese Stimmen waren alle als leben- dige Individuen gedacht, an den Motiven, Themen, Melodien der Musikstücke ziemlich gleichmäßig beteiligt, die Hauptgedanken in freien, leichten Nachahmungen aufnehmend oder mit eignen, zierlichen, anfeuernden Erfindungen umspielend. Von den KlangefiFekten ihres Orchestersatzes verwendet auch die alte Suite mit eben- soviel Vorliebe als Geschick das Echo, ohne das ja es sei nochmals bemerkt weder die Gesang- noch die Instrumentalkomposition des 17. Jahrhunderts zu denken ist. Ihm am nächsten kommt der Wechsel von Solo und Chor. Mit diesem Mittel geht sie unvergleichlich weit über das in der mehrstimmigen Gesangkomposition der früheren Zeit übliche Maß hinaus und gibt dem geist- lichen Vokalkonzert ihres Jahrhunderts unverkennbar Anregungen und Vorbilder. Diese innere Einrichtung, dieses innere Leben innerhalb der Stimmen ist eine der bedeutendsten Züge der alten Orchestersuite: er setzt die Phantasie des Hörers fortwährend in Bewegung, stellt sie vor Szenen, als wenn die Menge dem voran schreiten- den Helden zustürmte, in seinen Ruf einstimmte.

Die oben- aus Peurl beigebrachten Zitate vermögen vielleicht einen kleinen Begriff vom Geist und vom

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Charakter der Orchestersuite in ihrer ersten Periode zu geben. Es ist eine Kunst nach dem Motto: fromm und fröhlich. Der Fröhlichkeit dienen die drei letzten Stücke mit sich steigerndem Eifer. Aber auc!i die Galliarde geht nie bis zur Ausgelassenheit; sinnige Anmut bleibt das Gebiet, auf dem die einzelnen Sätze einander zu über- bieten suchen. So, wie wir es aus diesen Tönen hören, so fühlten und so gaben sich die deutschen Bürgerkreise am Anfang des 17. Jahrhunderts in ihren frohen Stunden : aittig und liebenswürdig. Als das eigentümlichste Stück dieser alten Orchestersuite darf man die Paduane be- zeichnen. Auch sie ist dem Humor nicht unzugänglich; ihren Hauptzug bildet aber der Ernst und die feierliche Sonntagsstimmnng. Sie hat wie die Gabrielische Or* chestersonate von Haus aus kirchlichen Geist. Einzelne Tonsetzer, wie der süddeutsch-gemütliche Peurl, setzen sich über ihn hinweg, ja, es gibt sogar »lustige Padu- anenc; aber bei der Mehrzahl der* Suitenkomponisten unserer Periode bleibt doch der gehobene Feiertagston so sehr das wesentliche Merl^mal, daß M. Prätorius in seinem Syntagma die Paduanen unter die im Gottes- dienst brauchbaren Musikstücke einreihen konnte. Die schönsten Muster solcher erhaben und kirchlich anklingen- den Paduanen hat Melchior Franck geschrieben*). Der äußere Aufbau der Paduane vollzieht sich in drei scharf und klar geschiedenen Teilen. (Die Dreiteilung bildete auch bei den. übrigen Sätzen der Suite die Regel, Zwei- und Vierteilung sind Ausnahmen.) Der Umfang des ersten Teils wechselt von acht oder neun bis zu 20 Takten, der zweite ist häufig sehr kurz (vier Takte), der dritte wieder ausgedehnter. Die Paduane setzt immer ruhig, breit und gehalten ein, in einem Ton, der im Anfang von Wagners Meistersinger -Vorspiel merkwürdig getreu auflebt. Dann regt es sich in Figuren, Sequenzen bescheiden aber plan-

*] Aasgewählte Instromentalwerke von Melchior Franck und Valentin HanBmann Im 16. Band der Penkmäler Pontpcher Ton- kunst

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voll and fest, zuweilen in einer etwas steifen Anmnt. Der zweite Teil schließt entweder an den Anfang an oder stellt sich mit Motiven der Energie und Kraft in Gegen- satz zu ihm. Der letzte, der dritte Teil, bringt neue über- raschende Einfälle in schnellen Noten, die aus allen Ecken widerklingen. Mit diesem Ende reicht die Paduane der Weltlust und Fröhlichkeit die Hand. Die ursprüngliche und alleinige Vertreterin dieser Empfindungselemente in der Suite ist die Galliarda (Gagliarda italienisch, Gaillarde französisch). Sie steht immer im ungeraden Takt und hat in der Regel drei gleich große Teile, deren Umfang von vier bis zu 16 Takten steigt. Der äußeren Form nach ist die Galliarda der modernste unter den Sätzen der alten viersätzigen Suite. Sie liebt die Symmetrie wie die Wiederholung im Satzbau, und sie zeichnet zweitens die Oberstimme vor den andern durch reichere Beweg- lichkeit aus. Zwei reizende Beispiele für diesen ersten Zug finden sich bei M. Franck:

**'' (Nr. 27 in den Pavanen etc. von 1603) und bei Haußmann:

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HfrpOf i'i /^iij I II

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0. G— G- D

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I J* I «Irtc

Zugleich auch geben diese beiden Bruchstücke ein Bild von dem Durchschnittscharakter der Galliarde. Ihn beherrschen sichtlich noch dieselben mittelalterlichen An- schauungen Über die Grenzen weltlicher Kunst, denen sich auch Dichtung und Malerei lange genug zu beugen

*) Der Takt ist hier in moderner Form übersetst.

hatten. Der Ausdruck aller Empfindungen, auch der der Freude, stand unter dem Gesetz der geseUschafUichen Ehrharkeit. Im Madrigal noch schüchtern, entschiedener in der Oper ging die Musik eben erst daran, diese Fesseln der Sitte zu durchbrechen und sich in der naturtreuen Darstellung mächtiger Leidenschaften zu versuchen. Die Instrumentalmusik, die bei dieser Aufgabe bald die wich- tigsten Dienste leistete, blieb in der Suite durchaus noch zurückhaltend. Es sind nur einzelne Stellen in den alten Orchestergalliarden, bei denen der Ton einer neuen Zeit sich vernehmlich macht, hauptsächlich in der Form er- regter Rhythmen, die, als sie neu waren, außerordentlich

übermütig und komisch gewirkt haben - .

müssen. So fährt z. B. die Francksche -JJJ J J'^.rfT^ Galliarde, deren erster Teil eben an- y^^^^p^^. gegeben wurde, folgendermaßen fort: ^ '

Der Galliardengeist lebt auch in der späteren Suite unter andren Formen und Namen, unter denen nament- lich Gigue und Menuett hervorzuheben sind, fort, und noch die neueste Instrumentalmusik sucht ihn festzu- halten, z. B. die Brahmssche Sinfonie in ihren, das Scherzo ersetzenden Allegrettis. Aber am mächtigsten wirkt er doch da, wo er zu Hause ist, nämlich in der Orchester- suite aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts. Sie ver- körpert altdeutsches Leben und Empfinden von einer Seite, mit der die Gegenwart jeden Augenblick wieder eine unmittelbare und segensreiche Verbindung anknüpfen kann. Es sind deshalb nicht bloß kulturgeschichthche, sondern auch künstlerisch menschliche Gründe, die die Wiederbelebung und Wiederbenutzung dieser alten Or- chestersuiten empfehlen. Mindestens ebenso schnell, wie die alten Armeemärsche es getan haben, würde sie sich heute wieder einbürgern, und wenn sie in unseren Volks- konzerten der vielfach köstlichen, aber ebenso vielfach überreifen Walzer- und Operetlenmusik von Job. Strauß und seiner Schule den Platz etwas streitig machte, so würden tiefer blickende Kunstfreunde damit nur zufrieden sein dürfen. Bisher ist von dem ungeheuren Vorrat von

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Stimmendrucken alter Orchestersaiten nur wenig in Par- titur vorgelegt worden. Da bietet sich also dem deatschea Musikverlag mit den Saiten von Demantias, Moller, Stade, Pearl etwa eine lohnende Aufgabe.

Unter den übrigen Stücken, die in der viersätzigen Saite zwischen Paduane und Galliarde entweder vermit- teln oder den zwischen diesen beiden Hauptstücken be- stehenden Gegensatz, bald abgeschwächt, bald gesteigert, wiederholen, kommt die Intrade am häufigsten vor; man kann sagen, sie bildet die Regel. Das ist deswegen auf- fällig, weil sie der Paduane so sehr gleicht, daß man sie fast für einen Konkorrenten von andrer geographischer Herkunft halten kann. Auch sie hat von Hans aus einen feierlichen Ouvertürencharakter. Deshalb wird sie von vielen Komponisten und zwar bis ans Ende des 17. Jahr- hunderts an die Spitze der Suiten gestellt. Doch hat sie sich im Laufe der Zeit als ganz besonders verwandlungs- fähig und für kurzgefaßte, eindeutige Definitionen, wie sie nach dem Vorbilde Matthesons noch heute in musi- kalischen Wörterbüchern beliebt sind, schlecht geeignet erwiesen. Wir haben ebensoviel Intraden im geraden, wie im ungeraden Takt; ja es kommt häufig bei den in AlTabreve geschriebenen vor, daß der dritte Teil in ^/t umsetzt. Job. Grob baut seine Intraden in dreitaktigen Abschnitten auf, V. Haußmann in zweitaktigen , Franck mischt beide Arten. Die Freiheit und Mannigfaltigkeit der Form und des Charakters, in der sie auftritt, hängt sicher- lich damit zusammen, daß die Komponisten an die Gelegen- heit und den Zweck dachten, für den sie diese EröITnungs- musiken schrieben. So sind die. Intraden von M. Franck alle ganz besonders lebhaft und glänzend: sie waren für die Hochzeit des Landgrafen Moritz von Hessen bestimmt.

Der Haußmannsche Typus der viersätzigen Suite herrscht ein reichliches Jahrzehnt, dann wird sie zu- nächst fünfsätzig. Paduane und Galliarde fangen an, als dritter Satz folgt eine Gorrente, d. i. ein ^VTakt, bei den Franzosen etwas unruhig, leidenschaftlich ge- halten, bei den Italienern mit reichlichem Figurenwerk

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Tersehen, bei den Deatscheu weich und anmutig, unge- fähr im Menuettenton von Mozarts Don Juan. Den vier- ten and fünften Satz bilden AUemande und Tripla. Die AUemande ist wie der »Dantzc Peurls ein Vierviertel- takt im Charakter eines Heldenlieds entschieden und kräftig, die Tripla nichts als eine Variation der AUemande, eine Umbildung in ungeraden, in der Regel ein ^s-l^&kt Wie die Allemande durch ihren Liedton auf die Zeit ver- weist, in der beim Tanzen gesungen wurde, so führt auch die Tripla auf eine alte Sitte, auf den beim Volk schon seit dem Altertum beliebten Nachtanz, der ja auch in die Xünste der Mebtersinger hineingewirkt hat-, /.urück. Die Tripla bildet einen durch Steigerung, durch Einsetzen der letzten Kraft ausgezeichneten Abschluß der Suite. Auch in der Zeit der fünfsätzigen Suite steht der Cha- rakter, ja sogar der Rhythmus der einzelnen Sätze keines- wegs unbedingt fest, noch weniger aber bleibt er im Wechsel der Zeiten derselbe. Wenn Mattheson also z. B. die AUemande als »das Bild eines zufriedenen oder ver- gnügten Gemütes, das sich an guter Ruhe und Ordnung ergötzt«, beschreibt, so trifft das auf die Allem anden des 18. Jahrhunderts meist, für die des 17. nur wenig zu.

Di<^ ausgezeichnetsten Arbeiten in der fünfsätzigen Orchestersuite hat Johann Hermann Schein in seinen h. SekelB. Banchetto musicale (1617) geliefert. Diese Sammlung enthält 20 Nummern, dazu noch eine Intrada für Zinken, Viglin^ Flöte und Baß und eine Paduane für vier Krumm- hOmer. Der Wert dieser Scheinschen für allerlei Instru- mente, >bevorau's auf Violen« zu gebrauchenden Suiten beruht einmal darauf, daß die Sätze durch motivische Verwandtschaft sich enger zum Ganzen zusammen- schließen, zweitens auf der Beweglichkeit von Scheins Phantasie. Sie äußert sich durch den ganz ungewöhnlichen, eigentlich stilwidrigen Tempowechsel innerhalb der Sätze und durch Einführung keck naiver Motive an Stellen, wo sie nicht erwartet wurden:

So beginnt z.B. eine ^^rJJ i i-i-<^-" ^~^^^*^ seiner Paduanen mit *^ ~ TtTTf T

^

Mit solchen, weit über das von M. Franck Versuchte hin- ausgehenden Freiheiten nimmt Schein gewissermaßen Ein- fälle voraus, mit denen nach zweihundert und mehr Jahren sein Erzgebirgischer Landsmann Robert Schumann die Würde des zeitgenössischen Sinfoniestils durchbrach. Aber daß die Suiten Scheins auch an einfacher Anmut und Innigkeit reich sind, geht schon aus dem ersten besten Griff in seine Thematik, z. B.

Courante ^^ Allemande.

hervor.

Die Händeischen Klaviersuiten, auch ein Teil der S. Bachs haben noch die fünfsätzige Anordnung, aber die Sätze bringen ziemlich viele neue Namen: Prelu- dien, Sarabanden, Airs, Paßcpieds, Gavotten, Bouröes, Gavotten, Menuetten, Giguen. Sie sind zum Teü die Folgen des dreißigjährigen, die Völker durcheinander- schüttelnden Krieges, er hat in die Instrumentalmusik etwas Kosmopolitismus hereingetragen. Das zeigt sich zuerst in der Klaviersuite .bei Ebner und Froberger, aber bald wird auch die Orchestersuite veränderungslustig, greift nach neuen Tanzarten und sucht sich zweitens der höheren Kunst zu nähern.

Mit dieser Annäherung sind am ersten und ent- schiedensten die Engländer vorgegangen, bei denen W. Lawes schon 1645 eine fünfsätzige Orchestersuite mit Continuo veröffentlicht*). In Deutschland beginnt zu gleicher Zeit der Obergang mit dem ersten Suitenwerke j.RotenmfiUer. Johann Rosenmüllers, seinen Paduanen, Alle- manden, Couranten, Balletten, Sarabanden. Die Galliarde und die Tripla Scheins sind hier verschwunden, neu erscheinen Ballette und Sarabanden und mit ihnen französischer und spanischer Einfluß. 1654 kommt eine zweite Sammlung Rosenmüllerscher Orchestersuiten, seine »Studentenmusik«. Der Vorrede nach schon in früherer

*) Exemplar Hamburger Stadtbibliothek.

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Zeit för die Akademische Jugend von Leipzig komponiert, bringt sie zu Anfang sieben einzelne Paduanen und dann zehn Suiten mit der Satzordnung: Paduane, Allemande, Courante, Ballo, Sarabanda, stimmt also mit den Suiten von 1646 überein. Aber neu ist, wenigstens ffir Deutsch- land, daß zu den Orchesterinstrum enten auch ein Basso continuo hinzutritt. Das, bedeutet Mitwirkung eines Cem- balo oder eines ähnlichen Akkordinstruments, Umzug aus der frischen Luft in den geschlossenen Raum der Kammer oder des collegium musicum. Rosenmtiller besteht dem Anschein nach nicht auf diesem Basso continuo, sondern will ihn wohl nur für den Fall empfohlen haben, daß die Suiten, wie er anheimstellt, statt mit fünf nur mit drei obligaten Instrumenten (Violen) besetzt werden. Er schwankt also, kurz gesagt, zwischen italienischer und deutscher Praxis; nach lezterer war die Suite für Instru- mente Orchestermusik, nach ersterer Kammermusik, von einem Geiger, einem Flötisten, oder von einem Geiger- paar mit Unterstützung eines Cembalisten ausgeführt. Die Italiener des 17. Jahrhunderts veröffentlichen deshalb auch ihre Suiten nicht wie die Deutschen unter dem Namen des Anfangssatzes, als Paduanen oder Intraden, sondern sie heißen bei ihnen in der Regel Sonate da camera. Diesen Titel trägt nun auch die nächste Sammlung von Suiten, die Rosenmüller 1670 zu Venedig veröffentlicht: Sonate da camera cioe: Sinfonie, Alle- in an de, Correnti, Balleti, Sarabande da sonare con 6 strö- men ti da arco ed altri etc.*). Hier ist also Rosenmüller einen Schritt weiter gegangen: er stellt es nicht ins Be- lieben, ob die Suiten fünfstimmig ohne Continuo oder dreistimmig mit Continuo gespielt werden sollen, sondern er kombiniert deutsche und italienische Praxis, diese vertritt der Continuo, jene die fünfstimmige Besetzung, die nach dem Schluß des Titels >ed altri« sogar noch etwa durch Beigabe von Bläsern gesteigert werden

*] Neudruck (herausgegeben von K. Nef) in Denkmäleru D. T. Bd. XVUI.

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darf. Noch wichtiger aber ist an diesem Hefte Rosen- miillers der Ersatz der Paduane durch eine Sinfonie und zwar durch eine breit entwickelte umfangreiche Sinfonie, die deutlich aus dem Typus der spezifisch Venetianischen ' Opernsinfonie herausgearbeitet, feierlich und spannend mit breiten Akkorden, Fermaten und Generalpausen be- ginnt, dann erregt mit scharfem Wechsel langsamer und schneller Perioden fortfährt und als Mittelpunkt des Ton- bildes eine der für die Venetianische Oper so charakte- ristischen volkstumlichen Barkarolenmelodien (V2 Takt' hinstellt, die ja noch Händel so liebt Sie macht noch einmal der Reprise des Adagio-Allegro Platz, schließt aber dann die ganze Sinfoäie. Mit den Violinsonaten Franz Bibers bilden also diese Sonate da camera Rosen- mtUIers das erste Beispiel von der Einwirkung des Musik- dramas auf die Instrumentalmusik: Formen, die aufs engste mit dem Theater und mit ganz besonderen dra- matischen Eigenheiten zusammenhängen, und die nur in diesem Zusammenhang einen Sinn haben, werden im Ver- trauen auf die sichere und starke äußere Wirkung in einen ganz fremden Boden verpflanzt. Mit der Rosen- müllerschen Sinfonie war in der Suite die Einheit des Stils und der volkstümliche Grundcharakter vernichtet, die Gattung bezahlte die scheinbare Bereicherung mit einem frühzeitigen Untergang.

Mit Rosenmüllers Sonate da camera ist die Zeit der alten deutschen Orchestersuite im Stile Haußmanns vor- bei; unter den vereinzelten Nachzüglern, die sie noch i. Fexel. vertreten, verdient Johann Pezel besondere Beachtung. Auch das Leben dieses Tonsetzers scheint sehr bewegt verlaufen zu sein : er war in Präg Augustinermönch, ehe er als Stadtpfeifer erst in Bautzen, dann in Leipzig zur Musik kam, Seine Suiten waren neben denen von Peurl und dem Hamburger J. Schop bis ins 18. Jahrhundert hinein die beliebtesten und verbreitetsten. Wenigstens für die deutsche Schweiz ist das. durch Karl Nef nachgewiesen worden ♦].

'*') Karl Nef, Die Oollegla muslca in der dentscben lefor- mierten Schweiz ... St. Gtllen 1897.

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Es sind frische und anmutige Kompositionen, die sich besonders durch Schlichtheit des Ausdrucks empfehlen; sie halten am Variieren der alten viersätzigen Suite

noch soweit AlleniAiide

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oder . Ebensoviel Interesse wie die

^ Bau«. ^^ Musik verdienen die Titel von

w " f* 1* (*' Ü"! 1* 1^ p=p=f^- Pezels Hauptwerken: »Leip- ^ I I I LI taf ^.g^^ Abendmusik* (1669)

Sawtonda. ^^^-^ . ,^ - '^"^ »Fünfstimmige

f ' f M ^^f * P r-f-i^' blasende Mjisik

(1686). Denn sie zeigen uns den gesellschaftlichen Boden, auf dem die Suite zar Blüte kam und zugleich das musikalische Kleid, in dem sie am liebsten einherging. Die ältere Zeit ver- brauchte viel mehr Musik unter freiem Himmel, als ansere Gegenwart, die sich nerven mörderischen Ma- schinen- und Wagenlärm ruhig gefallen läßt, aber jede Art von Musik, von Kunst überhaupt, prinzipiell in die Häuser sperrt. Wo es in früheren Jahrhunderten in der Gemeinde oder in der Familie etwas zu feiern gab, den Einzug, den Aufenthalt von Standespersonen, bei Um- zügen, Volksfesten; Kindtaufen, Hochzeiten, Geburtstagen, Jubiläen, da schickte man nach den Stadtmusikanten, den Pfeifern, nach dem »Hausmannc und seinen Leuten, die von den »Aufwartungen« auf Plätzen, Straßen und Gärten, bei Festen und Schmausen ihre Haupteinnahmen hatten, und ließ Suiten spielen. Weil die Orchestersuite in erster Linie Platz-, und Straßenmusik und nicht Kammer- musik war, blieb sie im Gegensatz zur Klaviersuite bei den volkstümlichen Satzformen, deshalb setzte man sie auch vorzugsweise für Blasinstrumente, am liebsten Cor- netten und Posaunen. Peurl, Haußmann und andre Ver- treter de/ viersätzigen und fünfsätzigen Suite bemerken

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allerdings aaf den Titeln gern »sonderlich auf Violen zu gebrauchen«. Aber diese Bemerkung ist wohl meistens nur eine captatio beneyolentiae, ein frommer Wunsch, vom Ehrgeiz eingegeben. Denn die Streichmusik war am Anfang des 17. Jahrhunderts das Neueste und galt fQr etwas Besonderes. Der Stil der Stimmen zeigt nur selten eine ausgesprochene Violinennatur. Das sind die Ver- hältnisse, die Pezel noch einmal in seiner »Blasenden Musik« veranschaulicht; die »Leipziger Abendmusik«, ob- wohl sie 17 Jahre älter ist, steht dagegen unter moder- neren Einflüssen, vielleicht unter demselben fortschritt- lichen Lokalgeist, der wie vordem auf RosenmOUer noch bis auf Bach und Hiller auf die Leipziger Musiker gewirkt hat. Die zwölf Suiten der Abendmusik haben' Basse continuo und sind mit Ausnahme der letzten, bei der Pezel, wie das auch bei andren vorkommt, seinen ganzen noch vorhandenen Vorrat an geeigneten Tänzen, in der Höhe von 17 Stück ausschüttet, in sieben Sätze geteilt, nämlich Sonata, Allemande, Courante, Ballett, Sarabande, Brandle, Gigue. Neu und möglicherweise eine Nachwir- kung der englischen Führung in der deutschen Orchester- suite ist die Brandle; ihr künstlerisches Gepräge erhält die Abendmusik durch den Ropfsatz, die Sonata, die wie bei Rosenmüller von der Venetianischen Opemsinfonie ausgeht, aber die Gegensätzlichkeit im Aufbau etwas übertreibt.

Zwei wichtige Suilensammlungen, die ebenfalls in den

Rosenmüllerschen Kreis gehören, sind die »Deliciae musi-

cales« des Regensburger auch durch Lieder bekannten Kan-

II. KradMthAiUr. tors Hieronymus Kradenthaller und Jakob Scheiffel-

J. Seheiireihiit. jj u ts »Lieblicher Frühlingsanfang«. Die Suiten des ersteren,

I67Ö neun Nummern, und 1676 zwölf Nummern stark in Nürnberg erschienen, bestehen aus Sonatina, Arie, Sara- bande, Aria und Gigue, die Scheiffelhuts, 1685 in Augs- burg, acht an Zahl, veröffentlicht, haben Preludium, Alle- mande, Courante, Ballo, Sarabande, Ana, Gigue. Das Preludium Scheiffelhuts und die Sonatina KradenthaUers bringen unter andrem Namen die Rosenmüllersche Sin-

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fonie. nea ist in den beiden Sammlungen die Aria, unter der Scheiftelhut einen langsamen, Kiadenthaller einen achaellen Satz versteht, aber beide Komponisten bauen ihre Arien auf ausgeprägt französische Rhythmen, in denen sich zum erstenmal in der deutschen Orchester-

. soite der Einfluß Lullys und seiner »Airs« äußert.

Scheinbar gehört in die Gruppe der Sonaten- Suite auch der undatierte, aber nach den Lebensumständen des Komponisten zeitlich in die Nähe Rosenmüllers fallende Hortus musicus des Hamburger Adam Reincken'*'). A. Reinckcn. Denn die Suiten dieser Sammlung beginnen ebenfalls mit einer Sonata und lassen, ihr AUemand, Courant und

.Saraband folgen, eine Gigue schließt. Aber Reincken überrascht uns mit einer ganz neuen Art von Sonate: Sie besteht aus drei Teilen, einem Adagio von ungefähr 20 Takten, einer durchschnittlich 50 Takte langen Allegro- fuge und einem gegen 40 Takte betragenden Satz, in dem zweimal ein langsames mit einem schnellen Tempo wechselt. Dieser dritte« Teil, bei allen sechs Suiten des hortus, der schönste, ists allein, der noch am Zusammen- hang mit Rosenmüller und der Venetianischen Musik fest- hält, im übrigen sind die Sonaten Reinckens der Opern- ouverture Lullys nachgebildet. Die deutsche Orchester- suite begnügt sich nicht mehr mit der Einfügung einzelner französischer Elemente, sondern sie begibt sich ganz unter die Herrschaft der französischen Musik. Bald folgt ihr auch das deutsche Lied auf diesem Wege. Das deutlichste Merkmal der neuen Herrschaft bildet die dreiteilige Ouver- türe als Kopfstück der Suite, aber darüber hinaus hat sich in allen Sätzen ein vollständiger Wechsel des Stils vollzogen. Die Gigue ist ein Fugensatz, alle andren Tanz- sätze sind kunstvoller und reicher an kontrapunktischer Arbeit geworden, vor allem aber sind die Suiten Reinckens Musik für Streichinstrumente und wurzeln mit der Er- findung ganz in der Natur der Violine. Am deutlichsten *

*) Nengednickt als 13. Stück der Maatschappij asw., her- ansgegeben von Riemsdijk.

Kretzschmar, Fahrer. I, 1. 4

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zeigen das die Schluß teile der Sonate, in denen Solo- violine und Solocello konzertieren, erst innig singend, dann in glänzender Technik dahinsansend. Eine ganz individuelle Marke trägt der Hortns in der Neigung zu ostinaten Stellen.

Das erste Werk, das sich offen zum französischen A. steffavi. Stil bekennt, sind AgostiniSteffanis »Sonate da camera« von 1679. Sie stellen an die Spitze eine französische Ouvertüre in Lnllys Stil. Dann folgt mit 16, zum Teil j. B. K«iser. zehnsätzigen Suiten, Johann SigismundKusser für acht Streichinstrumente. Sie sind 1682 in Stuttgart als »Composition de musique suivant lamäthode fran^aise contenant Ouvertures etc.« veröffentlicht worden. Alle beginnen mit dreiteiligen Ouvertüren im Stile LuUys und zeigen dessen Einfluß auch in der Bevorzugung Von Air und Chaconne, wahren aber motivisch und im Charakter eine so bedeutende Selbständigkeit, daß sie, wie fast jede Note Kussers, durch einen Neudruck all- gemein bekannt gemacht zu werden verdienen. Unter seinen Nachfolgern muß der Rudolstädter Kapellmeister ph. Erlcb»eli. Philipp Erlebach hervorgehoben werden. Seine 1693 zu Nürnberg veröffentlichten Suiten tragen den Titel: Sechs Ouvertüren nach französischer Art. Wie in der Haußmannschen Zeit Pavanen oder Intraden, werden von jetzt ab auf hundert Jahre die deutschen Orchestersuiten auf dem Markt wiederum nach dem Namen des An- fangssatzes — als Ouvertüren ausgeboten. Die Ouver- türen im modernen Sinne heißen in der Regel Sinfonie.

Besiegelt und allgemein gültig wurde der Obergang ins französische Lager durch die Orchestersuiten' von Georg ttttirftt. Georg Muffat. Sie füllen zwei Sammlungen, von denen die erste als »Florilegium primum« in Augsburg 169ö, die zweite als »Florilegium secundum« in Passau, wo der Komponist am bischöflichen Hofe als Kapellmeister und Pagenhofmeister angestellt war, 1698 erschien. Der erste Band enthält sieben, der zweite acht Suiten oder, wie sich Muffat, als Sohn seiner Zeit, auch hier poetisch ausdrückt: Fasciculi, d. i. Bündel. Der Name, den die deutschen

Musiker am liebsten für die Orchestersuite brauchten, war: Parthey oder Partie. Die 16 Saiten umfassen 112 Sätze, in der Regel bilden sieben einen Faszikel. Die Besetzung ist für alle funfstimmiges Streichorchester: Violine, Viola, Baß, dazu Violetta und Quinta Parte, jenes eine kleinere, dieses eine größere Sorte Bratsche als die heute gebräuch- liche. Zu diesen Streichinstrumenten kommt noch der bezifferte Basso continuo, also die Begleitung des Cem- balo, die ja seit Rosenmüller schon eingebürgert war. Mit Ausnahme von zweien steht an der Spitze aller Fas- ciculi eine regelmäßige französische Ouvertüre, drei- sätzig, wie sie Lully eingeführt hatte: Anfang und Ende langsam, in der Mitte eine bewegte Fuge. Einmal ist dieser Typus der französischen Ouvertüre durch einen Rivalen, eine italienische Sinfonie ersetzt. In den Tänzen selbst zeigt die Muffatsche eegen die alte deutsche Or- chestersuite der ersten Periode einen künstlerischen Rück- gang: Von thematischer Verbindung sich folgender Sätze. vom Variieren ist keine Rede mehr; nicht um Einheit handelt es sich, sondern um eine Vielheit scharf geson- derter Gestalten. Mit einigem Rechte darf man die Buite Georg Muffats Renaissancesuite nennen. Eines der Haupt- ziele aller Renaissance, die Steigerung des individuellen Gehalts im Kunstwerk, erscheint als ihr Hauptziel. Des- halb liegt es Muffat fern, wie seine Vorgänger eine be- schränkte Anzahl von Tanzarten immer zu wiederholen: Er hat die gebräuchlichsten Arten seiner Zeit, Gaillarde, Courante, Sarabande, Gavotte, Passacaille, Bour^e, Me- nuett, Gigue die zweite Suite des zweiten Florilegium bringt sie in der angegebenen Reihenfolge zusammen ; es treten zu ihnen noch Allemande, Canaries, Chaconne, Contredanse, Rigaudon, Rondeau, Traquenard, Entröe, Ballett, Air. Aber in der Mehrzahl von Muffats Suiten- sätzen wird auf jedes bekannte Schema verzichtet, der Komponist geht neuen, oft verwegenen Aufgaben nach und sucht sie mit den besten Mitteln zu lösen. Besonders das zweite Florilegium entrollt ein äußerst buntes Stück Programmusik, einen Ausschnitt aus den Flegeljahren

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dieser Richtung, der alles überbietet, was sonst aas Frobergers nnd Couperins Zeit bekannt ist. Spanier, Holländer, Engländer, Italiener, Franzosen, Kavaliere, Bauern, Dichter, Tänzer, Fechtmeister, Gendarmen, Köche, Schornsteinfeger, Genien und Gespenster alles will diese Musik malen können, auch körperliche Gebrechen, die dem Ton und dem Rhythmus ersichtlich keinen Än> knüpfungspunkt bieten : Einen Lahmen kann der Kompo- nist andeuten, aber einen Bucklichteh?.

An solchen Mißgriffen hat die Renaissance weniger Schuld, als die französische Oper. Durch die Bedeutung, die in ihr die Balletts hatten, kam die choreographische Kunst auf den geschichtlichen Gipfel ihrer Leistungsfähig- keit und ihres Selbstvertrauens und mutete folgerecht auch ihrer Gehilßn, der Musik, gelegentlich unmögliche Dienste zu. Den Zusammenhang mit Ballett und Tanz bekennt Muffat in den in lateinischer, deutscher, ita- lienischer und französischer Sprache geschriebenen Vorreden seines Florilegiums. Die Fasciculi seien, sagt er, bei den Festen des Passauer Hofs, beim Konzert (»Instrumenten-Zusammenstimmung« übersetzt er das-, beim glänzenden Empfang hoher Gäste, vornehmlich aber auch bei den Tanzübungen der adligen Jugend aufgeführt worden. Die Stücke des zweiten Florilegiums nennt er geradezu Balletts, und man siebt ihnen in der Mehrzahl die Herkunft vom Theater, von der Pantomime nicht bloß an einem Punkte an. Hier Verrats die Überschrift der ganzen Suite, sie ist der Titel eines Schauspiels oder eines Balletts, dort wird an einer Stelle gesungen, dort gar mit Pistolen geschossen.

Wir haben es also bei diesem Suitenwerk Muftats mit Ballettmusik nach französischem Muster zu tun. Wieder- holt nennt er Lully als sein besonderes Vorbild. Ihn er- reicht er auch ziemlich, übertrifft ihn in der Arbeit, aber mit Händel und Gluck darf man ihn nicht vergleichen, wie das neuerdings geschehen ist*); am allerwenigsten

*) L. StoUbrock: Georg und Gottlieb Muffst. Rostocker Dissertation 18SS.

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mit Rameau. Das deutsche Element überwiegt in seiner Musik mit seinen Vorteilen und Nachteilen! Seine Kunst braucht etwas Platz. Darum sind die längeren Sätze die besten, wie die vereinzelte Passacaille in der 3. Suite des zweiten, der Rigaudon in der nächsten Suite desselben Bandes. Desgleichen zeichnen sich auch, wie man es Ton dem Verfasser des Apparatus musico-organisticus er- warten darf, die Fugen in den Ouvertüren durch eine vollendete Natürlichkeit und Leichtigkeit aus. Muffats Talente liegen auf der Seite des Gemüts und der an- mutigen Heiterkeit. Als einer der vorzüglichsten Melo- diker des melodienreichen 17. Jahrhunderts, Lully an diesem Punkt weit überragend, schreibt er in den Ein- leitungen xler Ouvertüren, in der Form von Sarabanden nnd Airs langsame Sätze, die sich in die Seele des Hörers auf lange hineinsingen. In den Giguen, Menuetts und den ihnen verwandten Satzarten hat er wenig Neben- buhler; in den Giguen namentlich ist er oft völlig neu, erinnert an das 19. Jahrhundert mit der phantastischen Be- weglichkeit und der ungewöhnlichen Metrik seiner Weisen. '*'S?^ .— L Aber die Kunst

des Pointieren s, der frappanten Erfindung, in der die Größe und die Eigentümlichkeit der Franzosen ruht, ist MnfTats Sache nicht. Kleine Malereien gelingen ihm manchmal: Ganz ergötzlich gibt er z. B. einmal das Lärmen der Messer wieder, mit denen Fleisch geklopft und gehackt wird, trefflich ist an derselben Stelle zweite Suite des zweiten Florilegiums die Lustigkeit der Küchenjungen gezeichnet. Aber viel, viel häufiger sind die Beispiele verfehlter Ähnlichkeit: Die Bauern baben dieselben Züge wie die Kavaliere und Gespenster. um unter die Größen der Tonmalerei sich zu erheben, ist die Rhetorik des Komponisten zu bescheiden und zu sehr auf Wiederholungen in allen drei Elementarreichen der Musik angewiesen.

Noch weniger, wie zwischen den Titeln der Einzel- sätze und ihrer Musik, läßt sich eine Obereinstimmung

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zwischen den ÜberschriXten der ganzen Saiten und ihrem musikalischen Charakter feststellen. Es ist schon erwähnt worden, daß diese Überschriften im zweiten Florilegium oft Namen von Theaterstücken sind; im ersten sind sie in der Mehrzahl reine Rätsel. Nur bei dem vierten und dem sechsten Stücke, die Impatientia und Blanditiae heißen, lassen sich ohne Gewalt einige Beziehungen zwischen den Werken und den Namen nachweisen.

Auf die Enttäuschungen, denen der moderne Hörer der Muffatschen Suiten entgegengeht, hinzuweisen, ist deshalb zeitgemäß, weil die beiden Florilegien unlängsl in Partiturform neugedruckt worden sind*}. Schon vor- her sind in den Leipziger Akademischen Orchesterkon- zerten die Blanditiae aufgeführt worden und nach andern Stellen weiter gedrungen. Die MufTatsche Musik ist trotz der nötigen Einschräixkungen geschichtlich und künst- lerisch wert gekannt zu sein. Wer sie aufführt, muß aber wissen, wie weit die Notep wörtlich bindend sind und wo sie der Ergänzung bedürfen. Von sonstigen Frei- heiten des Vortrags alter Musik abgesehen, arbeiten die Suiten MufTats, wie die Instrumentalmusik und der Solo- gesang ihrer Zeit im allgemeinen, mit einem sehr großen Apparat von Verzierungen und Spielmanieren, die nicht gedruckt wurden und die die heutige Musik nicht mehr kennt. In der Vorrede des zweiten Florilegiums gibt MufTat darüber den deutschen Musikern, denen dieser Zierrat noch etwas fremd und neu war, genaue An- weisungen. Nach ihnen muß der Dirigent die StimüTen erst ausarbeiten. Der ganze Charakter dieser Musik wird durch diese »Agrements« und Ornamente mit bestimmt Aus ihnen spricht der an Kleinleben unerschöpflich reiche, vermittelnde, glättende, allezeit graziöse Geist des Rokoko. Der heute so beliebte große Ton, die langen Noten, die weiten Intervalle waren ihm raube und rohe Erscheinun- gen ; durch eingelegte Gänge, durch ein beständiges Gleiten,

*) Denkm&ler der Tonkunst In österieicb, Band I, 2 und II, 2. Wien 1S94 und 1S95.

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Schleifen und Trillern setzte er ihre Wirkungen außer Kraft Aii€h ein guter Klavierauszug der Florilegien müßte mit dieser Stileigentömlichkeit rechnen.

Muifat verfolgte mit der Veröffentlichung seines Floh- legiums noch höhere, kunstgeschichtliche Zwecke. Es sollte in Deutschland d^r französischen Schule die Herr- Schaft über die italienische gewinnen. Die Italiener pfleg- ten seit dem Anfang des Jahrhunderts mit großem Eifer das Konzert Von ihm, namentlich von dem ihm inne- wohnenden Hang zu »unmäßigen Läufen und Sprüngen«, zu virtuosen Äußerlichkeiten und zu allerhand Blendwerk, fürchtete Mafifat für den musikalischen Geist der Zukunft mit Recht ernste Gefahren und suchte ihm, allerdings viel SU spät, durch die nach seiner Meinung viel solidere und gesündere Kunst der französischen Charakterballetts den Weg nach Deutschland zu versperren. Das gelang nicht; bereits 1701 hat Muffat selbst zwölf Instrumentalkonzerte nach italienischem Muster drucken lassen, aber es unter- liegt keinem Zweifel, daß, soweit es sich um Violinen, Cembalo und französische Ouvertüre, also um die An- näherung an die höhere Kunst, an Konzert und Kammer- musik handelt, das Florilegium für die Orchestersuite in Deutschland vorbildlich geworden ist

Es hat sich bis nach Schweden verbreitet und ist erst durch das Exemplar in Upsala wieder bekannt ge- worden, es wird in der Vorrede des bald zu erwähnen- den Zodiacus neben dem »Journal du printemps« und neben des »Pythagoreischen Schmidts Fünklein« als die bedeutendste Sammlung von Orchestersuilcn hervor- gehoben.

Der Komponist jenes »Journal du printempst ist der in alter und neuer Zeit wegen seiner Klavierstücke gefeierte Badische Hofkapellmeister Kaspar Fischer, k. Fischer. Die 1695 zu Schlackenwerth veröfTenllichte, seit kurzem nengedruckte*) Sammlung enthält acht Suiten, die alle mit einer französischen Ouvertüre beginnen und dieser,

*) Denkmller D. T., 10. Band (herausgegeben v. £. v. Werra).

je nachdem drei bis sieben Tänze bekannter Art oder Ballettsätze mit eignen Oberschriften folgen lassen. Von letzterer Art kommen vor: Air des Corobattants, Trac- quenard. Fischer hält seine Sätze auffallend kurz, selbst die Ouvertüren ; nur die Chaconnen und Passacaille, die , fast in keinem Stücke fehlen, macheu eine Ausnahme.. Von allen Suitenkomponisten, die zum Kreise Muffats gehören, ist er der am stärksten' französisch gefärbte, selbst für die Instrumente wählt er gallische Bezeich- nungen, und der leichte, galante Charakter seiner Musik geht nicht über die Ansprüche hinaus, denen die durch- schnittlichen Kostgänger der LuUy sehen Oper gewachsen waren. Jedoch erfmdet er frisch, entwickelt fließend und hat koloristisch besonderes zu bieten. Seine Suiten sind sämtlich Trompetensuiten, sie verwenden die Trompeten glänzend und sind überhaupt im Klanglichen außerordent- lich reich an Abwechslung und an natürlichen, wirkungs- vollen Einfällen. Ersichtlich hat ihm hierfür die Bekannt- schaft mit dem Konzert genützt, nach dessen Muster ist in allen Sätzen die Ablösung von großer und kleiner Be- setzung, von Trio und vollem Chor durchgeführt.

Die das »Pythagorische Schmids Füncklein« 'i' repräsentierenden sieben Suiten, deren Komponist der B. Mftyr. Münchner Hofrausiker Rupert May r ist, gehören eigent- lich zur Avantgarde Muifats, denn sie sind schon 1692 (zu Augsburg) erschienen und bekennen sich in der Mehr- zahl noch zu Rosenmüller und zur Venetianischen Sin- fonie, wie. Mayr in einem 1678 erschienenen »Arion sacer«, einer Art Pendant zu Kuhnaus biblischen Historien, sogar noch ganz im Haußmannschen Typus arbeitet Die Satzzahl in Mayrs Füncklein reicht von vier bis sieben, in der Benennung der Sätze tritt der Ballettcharakter sehr zurück, im Stil herrscht eine solide Polyphonie, im Charakter Innigkeit und deutsches Wesen. In dieser letzteren Beziehung berührt er sich mit dem eben ange-

♦) Vgl. Beruh. Ulrich: Die » Pytbagoriachen Schmids Fünck lein« (SammelbSnde der I. M. G. IX, 7 5 IT.)

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führten Zodiacus, derjenigen Sammlung von Orchester- saiten, welche die größte Ausbeute treuherzigen und naiven Humors ergibt. Sie ist 1698, ebenfalls zu Augs- burg, mit bloßer Andeutung des Verfassers durch I. A. S. erschienen. Neuerdings erst ist festgestellt worden*}, daß sich unter diesen Buchslaben ein im übrigen unbekannt gebliebener Musiker namens Schmierer birgt. Die Zahl J. a. Schmierer, seiner Suiten, die er Parthyen nennt, beti'ägt sechs, jede hat acht Sätze, an der Spitze immer eine französische Ouvertüre und die Allemande in der Regel im langsamen Tempo. Die letzte Suite bringt ein schönes, gesang- mäßiges Stuck unter dem Titel »Melodie«. Fischern ähnelt Schmierer in der Ausnutzung konzertierenden Stils.

. Noch gehört in die Umgebung des Florilegiums eine Suitensammlung, die 169ö (in Nürnberg) als »Goncorso discordia« veröffentlicht worden ist Ihr Komponist ist Anton Aufschnaiter, der Ende des 17. Jahrhunderts a. Anftchnaiter. zu Passau als Kapellmeister lebte und darnach sehr wohl zu Muffat direkte Beziehungen gehabt haben kann. Auf- schnaiter spricht nicht wie seine Kollegen von Komödien und Balletten, sondern bestimmt seine Suiten ausdrück- lich zu Serenaden, zu Ständchen im Freien zu spielen. Deshalb haben sie keinen Continuo. Die Suiten sind sämtlich fünfsätzig, vier haben am Kopf eine französische Ouvertüre, je ein^ eine Chiaconne und ein Entröe. Musi- kalisch erfreuen sie durch sehr gute melodische Quali- täten. Daß die deutsche Orchestersuite sich im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts unter die französische Füh- FranzSsische rung stellt, ist das Werk Lullys. Allerdings hat, wie man Suiten. sich aus der Sammlung Ecorchevilles*'^) überzeugen kann, die französische Orchestersuite schon früher in Musikern wie G. Dumanoir, Mazuel und andren Mitgliedern der sogenannten petits violons sehr begabte Vertreter und in der Menge der Sätze und deren vorwiegend zweiteiligem

*] A. .Göbler: Die Moßkataloge im Dienste der musikali- schen GeschichtsfOTSchnng (SammelbSnde d. I. M. G. III, 29 \ f!.). ♦♦) Jules Ecorcheville: Vingt Suites d'Orcbestre 1906.

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Aufbau ihre besonderen Züge gehabt Aber sie kann weder durch ihr Wesen noch durch ihre Entwicklung einen Vorrang beanspruchen: die Tänze sind die auch in Deutschland gebräuchlichen öder bekannten und ihre Aneinanderreihung hält sich in .Frankreich sogar länger auf einer dem HauGmannschen Typus entsprechenden Stufe, als in Deutschland, der Venetianische Einfluß be- rührt sie gar nicht. Erst Lully lenkt die Aufmerksamkeit der deutschen Suitenkomponisten auf Frankreich und bekehrt sie zu den Ouvertüren. Im übrigen ist die Stelle, an der sich das national französische Suitentalent am glänzendsten zeigt, der Balletteil der Opern. Da braucht man sie nur herauszunehmen und zusammenzustellen. Oft bietet eine einzige Szene das gesamte Material zu einer vollständigen Suite; denn Charaktertänze und Bal- letts bilden den Grundstock und oft die reichliche Hälfte der Musik in der älteren französischen Oper. So sind denn früher schon einzelne Sätze aus Lullys und Ra- meaus Opern mit Erfolg ins Konzert gebracht worden*). Neuerdings ermöglicht die Ausgabe von drei »Balletl- J . P. BaneM. suiteuc**} R a m e a u s ein bequemes Studium dieses Meisters. Sie sind dazu bisher noch wenig benutzt worden, wahr- scheinlich deshalb nicht, weil nur sehr wenige Musiker und Musikfreunde eine Ahnung von der Bedeutung Ra- meaus haben. Wie er im allgemeinen ohne jedes Be- denken der größte Tonsetzer Frankreichs und ein eben- bürtiger Zeitgenosse von Händel und Bach genannt werden darf, so ist er auf dem besonderen Gebiet der Suite, des poetischen Charakterstücks, der* geschmack- vollen Programmusik geradezu unvergleichlich. Er ver-

*) Lully: »G^ldbre Gavotte« and Menuet de Bourgeois Gentilbomme; Rameau: Musette et Tambourin des »Petes d'H<n)tf<, Rigaudon de >Dardanus«, fragments de »Castor et Pollnxc in Gevaerts Repertoire des SocUttfs phübarmonlques.

**) Drei Ballettsuiten aus Acante, Zoroaster und Platte. Leipzig, Rieter-Biedermann. Den hier versuchten Titel »Balleti- suite« hat sich inzwischen auch Felix Mottl zu eigen gemacht

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tritt, gegen Lülly und Muffat gehalten, eine nene Zeit und eine Kunst, die die Schönheitsideale der Claude Lorrain und Poussin mit dem Realismus der Niederländer zu verbinden weiß. Groß und vielseitig im Erfinden, besonders originell im Humoristischen, im Anmutigen und Innigen, ist er im Gestalten ein echter Virtuos. Er spielt mit der Form und gewinnt ihr nach allen Seiten voll- endete, hier durch Breite und Umfang, da durch Feinheit der Verschlingungen überraschende Neubildungen ab. In seiner Melodik, in seiner Rhythmik, überall wimmelt es von ganz eigenen, schönen und fesselnden Einfällen; nicht am wenigsten in seiner Instrumentation, in der wir, bdspielsweise m der Pizzicato-Gavotte von »Äcanthe et Cephisec, Klangwirkungen begegnen, die vor ihm nie- mand gehabt hat und die heute, nach hundertundfünfzig Jahren, von ihrer Frische nicht das geringste eingebüßt haben. Hier kommt er in der Zeit und im Rang unmittel- bar nach Monteverdi. Wenn die Franzosen noch heute in ihrer Oper der Ballettmusik eine Stellung einräumen, die die Deutschen nicht begreifen, so ist das die Nach- Wirkung Rameaus. Wagners Ballettmusik zum Pariser Tannhäuser war ein Opfer, nicht dem Jockeyklub, son- dern einer großen . historischen Tradition dargebracht. Auch Gluck hat sich ihr beugen müssen, und erbat sie c.w.v.Gluck. heb gewonnen. Waren lange Zeit der »Furientanz c und der »Reigen seliger Geister« aus Orpheus die einzigen Beiträge zur Suite, die man von ihm kannte, so ist das neuerdings anders geworden. Wur haben da u. a. die Ballettmusik aus >Paris und Helena« von ihm vor- liegen, Mottl hat als >Ballettsuite« Stücke aus ver- schiedenen Opern GIiTcks zusammengestellt; auch der größte Teil seines 1761 geschriebenen Balletts >D o n Ju an« ist vor einigen Jahren in Form einer viersätzigen Orchester- suite dem Konzert zugeführt worden*}. Dieses Ballett brachte pantomimisch dieselbe Handlung mit denselben Personen und in derselben Szenenfolge zur Darstellung,

*) Leipzig, Breitkopf & HaxteL

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die später Mozart als Oper komponiert hat. Gluck hat viele Sätze ans diesem Ballett für nachfolgende Opern benutzt, die HöUenfahrtmusik z. B. ist der »Furientanz« geworden. Mehrere) namentlich unter den kleinen und kleinsten Stücken des »Don Juan« haben einen hohen Klangreiz, so das Pizzicatoständchen der Bauern. Neben Wien war Stuttgart unter Karl Eugen ein Hauptplatz für solche Ballettpantomimen: von den hier entstandenen F. Deller, Arbeiten Dell er s und Rudolphs*) haben neuerdmgs die J. Bvdolph; Denkmäler Deutscher Tonkunst reichere Proben gebracht

Neben der neuen Mulfatschen Violinensuite bestand natürlich die alte Bläsersuite noch weiter und so lange fort, als.es noch Ständchen und allerhand »Aufwartungen« im Freien gab. Sie begegnet uns noch in den Divertisse- ments, Cassationen und ähnlichen Kompositionen Haydns und Mozarts. Auch G. F. Händeis Feuer- und Wasser- musik gehörten ursprünglich zu dieser Klasse von Suite. Die Violinen und die Ouvertüren sind ihnen erst später zugesetzt; die Feuermusik hat heute noch kein Cembalo. Handel, Die Feuermusik kam bei einem Hoffest, das sich

Feoermiuik. durch ein brillantes Feuerwerk auszeichnete, am 27. April 1749 zur ersten Aufführung. Was den Londonern an der Musik gefiel, war die außerordentlich starke Besetzung der Blasinstrumente,. welche die Feuerwerks-Musik aus- zuführen hatten. Nur selten mochte bis dahin eine solche Harmoniemusik aufgestellt worden sein: 9 Hörner, 9 Trom- peten, 24 Oboen, 12 Fagotte, 3 Pauken. Das Hauptstück der Suite ist jetzt die glänzende Ouvertüre, mit ihrem freudelachenden, farbenprächtigen Allegro, welches über- raschender Weise nach dem zweiten Lento nochmals einsetzt. Die übrigen Sätze haben einfachen Tanz- und Liedstil: Im Anschluß an die entsprechenden Bilder des Feuerwerks tragen einzelne Überschriften: der schöne, weiche Sicihano heißt »la paix«, der darauf folgende Marsch, in dem die Trompeten wieder an die Spitze HMiidel, treten »lar^jouissancet. Die Wassermusik, eine Suite Wassemausik. von nicht weniger als 20 kleinen Stücken, ist mit einer

*) Herausgegeben von Herrn. Abert. D. D. T. Bd. 43/44.

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Anekdote verknüpft: Freunde Händeis, der bei Georg I. in Ungnade gefallen war, veranlaßten, daß der König bei einer abendlichen Vergnügangsfahrt auf der Themse mit dieser Musik überrascht wurde. Der König erriet den Verfasser der vielstimmigen Ovation* und wendete dem Komponisten seine Huld von neuem zu. Noch weniger als die Feuermusik darf man die Wassermusik so ohne weiteres ia unsem heutigen, an - philosophische Offen- barungen gewöhnten Konzertsaal verpflanzen. Das -sind durchweg leichtere Unterhaltungsstückchea heiterer oder anmutiger Natur , aber durchaus für den Zweck entworfen, einer fröhlichen Gesellschaft) die abends auf der breiten Themse fuhr, in gehörigen Zwischenpausen zum besten gegeben zu werden; bei gehöriger Kürzung und Einrich- tung wird jedoch die Suite mit dem Reize ihrer Horn- und Trompetenklänge ein einsichtiges Publikum auch heute noch staunen machen und erfreuen.

Lange Zeit waren Feuer- und Wassermusik nur aus alten, unglaublich verstümmelten, englischen Ausgaben bekannt. Der 47. Band der Händelausgabe Chrysanders bringt die Werke zum ersten Male in reiner Form.

Wenn einer von den vielen Kunstmusikern, die sich von der Mitte des 17. Jahrhunderts ab der Suite zuwen- deten, berufen war, in' dieser von Hause aus so volks- mäßigen Gattung etwas Ausgezeichnetes zu leisten, so war es sicherlich Seb. Bach, dessen Familie, durch die vielen tüchtigen Rats- und Stadtmusikanten, die sie den thürin- gischen Ländern Generationen hindurch stellte, mit dem alten anheimelnden Pfeifertum verwachsen erscheint, Bach, der selbst in seinen verschlungensten Kunstwerken die Neigung zum Volkstümlichen bald mit grandiosem Humor, bald in kindlicher Naivität durchblicken läßt. Bach hat bekanntlich sehr viele Klaviersuiten geschrieben, Orchesterpajrtiten haben sich bis jetzt leider nur vier*) gefunden, was wir um so mehr bedauern müssen, als in

♦) Sie sindlm 3 1 .Jahrg. d. Ges.- Ausg. v. Bachs Werken (durch die Bachgesellsebaft) unter dem übl. Titel »Onvertiirent veröflFentlicht.

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der Mehrzahl derselben der alte einfache Saiten geist in einer Reinheit und Stärke zum Ausdruck kommt, die andern Tonsetzem nicht erreichbar war.

Entschieden lehnt sich Bach in seinen Orchestersuiten an die Tanzformen: Nur der erste Satz eine regel- rechte französische Ouvertüre von drei S&tzen mit der Fuge in der Mitte gehört, nach MufTatschem System, j. s. Baeh, der Runstmusik an. Dann kommen Gavotten, Menuetten, Suiten. Bouröes, Giguen, Tanzweisen aus aller Herren Ländern in voller Naturtreue, kaum ein wenig idealisiert: fippige Melodien und gebieterische, markante Rhythmen. j. 8. Baeh, Die erste dieser Saiten in Cdur hat außer der Ouver-

C dur-Suite t^re eine Courante, Gavotte I und 11, Forlane, Menuett I ^'* ^'' und II, Bour^e I und II und 2 Passepieds.

Die Forlane ist ein venetianischer Tanz in gleich- ' mäßig ruhiger, breiter Bewegung. Hier wird die führende Melodiestimme:

von einem Perpetuum mobile der zweiten Violinen und Bratschen begleitet; die Bässe stehen wie Zuschauer daneben und tun nur das Nötigste um Harmonie und Rhythmus zu skizzieren. Die Besetzung der Suite geht über MulTat hinaus, sie besteht aus Streichquartett und dem bekannten Bläsertrio: 2 Oboen und Fagott. Letzteres ist in alter Weise häufig solistisch und konzertierend ver- wendet. In bezug auf die Erfindung gehört diese Cdur- Suite nicht zu den hervorragenden Werken Bachs. Sie charakterisiert mehr die Zeit als den speziellen Meister. Die Biographen setzen sie in Bachs Köthener Periode. J.S. Back, Dieser gehört auch die Hmol^-Suite an, deren eigen tüm- Hrooll-Suite ücher Zug in der Verwendung der Flöte besteht, welche ^' *^* als einziger Vertreter der Bläserfamilie dem Streichor- chester gegenübergestellt ist. Doch hat man sich nach alter Praxis, mit Ausnahme der speziell als Solo bezeich- neten konzertierenden Stellen, eine chorweise, jedenfalls mehrfache Besetzung dieses Instruments zu denken oder

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aber, man f&hrt die Saite als Kammennusik auf, nimmt nar eine Flöte und doppeltes Streichquartett*). In der HmoU-Suite lebt sehr viel Grazie. Das Thema ihrer Fuge ist:

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Dem ersten Satze folgt, ein Rondeau, das einigermaßen kunstmäßig durchgeführt ist und die einfachen Suiten- maße äberschreitet Seine Grundmelodie malt aber das bestimmte Tanzbild handgreiflich genug:

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In der darauf folgenden Sarabande f&hren die Ober- stimmen mit dem Basse einen Kanon in der Unterquinte durch. Die weitern Sätze sind 2 Bour^es, eine Polonaise, bei der Bach, da Polonaisen noch ziemlich neu und un- bekannt waren, ausnahmsweise eine Tempobezeichnung angibt: »Moderato«, ein Menuett und eine keck dahin- flattemde Badinerie. Die Hmoll-Suite hat als künstleri- scher Beitrag zur Kulturgeschichte noch ihren Neben- wert Das geschniegelte, fein abgezirkelte Wesen der eigentlichen >Gesellschaft« in der Zeit des Reifrocks und der Perücke mit Zöpfchen ist hier so fein und mit einem so behaglichen Humor gezeichnet, als es nur jemals ein Chodowiecki gekonnt hätte. Den Verfasser der Matthäus- passion, den Schöpfer der protestantischen Kirchenkantate zeigt die Hmoll-Suite von einer selteneren Seite, als einen vollendeten Kenner und Darsteller höfischen Geistes und höfischer Künste, als einen Weltkundigen, der die Eti- quette bis auf den unscheinbarsten pas beherrschte.

Die beiden andcen Suiten Bachs stehen in Ddur und sind beide in Leipzig geschrieben, möglicherweise für den Telemannschen Musik verein, einen der Vorläufer des

*) Es gibt von diesem Werk eine Ausgabe von H. ▼. Biilow, die aber der fiaebschen Musik dorch unnatürliche Phrasiening Gewalt antut

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jetzigen Gewandhauskonzerts, den Bach von 1729—36 dirigierte. Es sind S0.genannte Trompetensuiten, Suiten mit dem vollen Orchester der Bachschen Zeit. Sie waren eine Zeitlang das Neueste und Vornehmste, was in dieser Art Musik zu haben war. Wie das große Geläute, mußten sie, wie schon bemerkt, besonders bestellt, bewilligt und bezahlt werden. Daß Bach in Leipzig als Suitenkompo- nist volkstümlich geworden war, beweist die von Spitta dem »Tableau von Leipzig im Jahre 1783« entnommene Mitteilung, in der es bei der Schilderung der Kirmes zu Eutritzsch heißt: >Daß Chor Musikanten streicht wacker zu; debiitiert mit Sonaten von Bach und s(5hließt mit Gassenhauern«. Diese Sonaten können nur die Or- chestersuiten oder Teile daraus gewesen sein. Bei den Laien, und auch bei den gewöhnlichen Orchestermusikern war und blieb »Sonate« der Uuiversahiame für mehr- sätzige Kompositionen jedweder Art. J.S.Bach, -Die erste- dieser beiden Ddur-Suiten ist auch heute D dar Suite wieder populär. Wir wollen nur die Anfangstakte ihrer (Nr. 8). Ouvertüre hersetzen:

. Gravc. ^

Das Weitere, die in Aiie^ro heiterster Kraft dahin- ,|L,ppJ3^^p^^|[j;;^^ schäumende Fuge, die v uu k-u

entzückende, in selige Abendstimmung getauchte Air'^), Lentg. f ^ . <ii6 energischen Gavotten und

< '" |T r-l^ r r r r r ^ ^ l ^^^ ^^^ no(i\i dazu gehört :

Bour^e und Gigue, das alles steht jedem Musikfreund mit der losen Skizze vollständig vor der Erinnerung. Es ist fast unvermeidlich, diese Musik, die aus dem frischsten Quell entsprungen ist, sich zu merken. Ein äußerst glücklicher Griff war es, daß

*} Sie vird in der bekannten WilhelmjscTien Bearbeitnng für SoIovioUne darch die Transposition auf die tiefen Saiten im Oharakter eiitatellt.

«

Mendelssohn (im Jahr 1838} gerade mit diesem Werke den als Orchesterkomponisten ganz vergessenen Groß- meister in den Gewandhanssaal und damit in ^as Konzert- leben der Gegenwart znrückfährte. »Er wiegt uns samt and sonders auf dem kleinen Finger« schrieb Schumann unter dem frischen Eindruck der Aufftihrung dieser Suite. *

Die andre Suite in Ddur hat entweder unter der Be- J. 8. Dteh, rühmtheit ihrer Schwester oder aber unter der Bequem- ^^''®^*** lichkeit der Dirigenten bisher zu leiden gehabt. Noch ehe ^'' ** sie in der Bachausgabe erschien, hat sie (1881) Roitzsch bei Peters in Partitur herausgegeben. Trotzdem ist sie so gut wie unbekannt geblieben. Brenet, der französische Geschichtsschreiber der Sinfonie nennt sie gar nicht. Und doch ist sie in doppelter Beziehung sehr interessant: einmal durch ihren Eigenwert, zweitens durch den Vergleich mit der andern Ddur-Suite, der in der Ouver- türe wenigstens sich aufzwingt. Hier ist die Verwandt- schaft der beiden Werke eine eminent nahe; im lang- samen Satze sind die Motive nahezu identisch, -nur in der Behandlung unterscheiden sie sich. Wie die erste Ddur- Suite in ihrer Air, so hat diese zweite in der zweiten Bouröe einen Treffer, der nie versagen wird. Das ist ein ganz eigenes Stückchen Bachscher Melancho- lie; in heite- ^^

y»'L"r^r ^dr nf r i'i

ge der Oboe:

um sie herum der beunruhigte Solofagott und der lau- schende und aufmunternde Chor!

Die Fuge in der Ouvertüre mit dem Thema:

<JB"iii'rnfT>irf7f1^iT?if.rfj'f-nffi^a

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ist von Badi in der Weihnachts-Kantante »Unser Mund sei voll Lachens« zum Chore umgebildet Bach ließ die Instrumente wie sie waren und komponierte Singstimmen darüber hinzu. Die weiteren Sätze dieser zweiten Ddur- Suite sind, soweit sie nicht schon erwähnt wurden: Bouröe I, Gavotte, Menuette con Trio und ein »Röjouis-

Krttssehmar, FUhnr. I, 1. 6

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sance« benannter Finalsatz. Die Instrumentierung ist in dem ganzen Werke mit besonderem Bedacht ausge- führt; ein Teil der Wirkung der Komposition fällt in ihren Bereich allein. Für die moderne Praxis macht allerdings, abgesehen von der Notwendigkeit, die drei Oboen jede

* mehrfach zu besetzen, der Trompeten chor große Schwierig- keiten, Schwierigkeiten, die noch bedeutender sind, als

. die (in den Originalstimmen wenigstens] gefärchteten der bekannten Ddur-Suite Nr. 3.

Trotz des starken Verbrauchs an Orchestersuiten sind im 18. Jahrhundert keine mehr gedruckt worden. Auch die Bachschen lagen bis auf unsere Zeit nur handschriftlich vor. Unter den Zeitgenossen Bachs, die sich der Suite widmeten, ist der Weißenfelser Philipp Krieger mit seiner > Feldmusik < (1704) "*) hervorzuheben. Der frucht- U. P. TeUMftBv. barste ist Q. P. Telemann, der unter dem Pseudonym | Melante ganze Bände gedruckter oder handschriftlicher Suiten man spricht von 600 hinterlassen hat, die sich auf zahlreiche Bibliotheken unter der Rubrik »Ouver- | türen« verteilen. Viele davon sind Programmusiken, I eine hat den Titel »Musique de table«. Neben ihm ver- { dient der als kirchlicher Tonsetzer wohl heute noch be- | J.D.Selemk». kannte Job. Dismas Zelenka, ein geborener Böhme und mit S. Bach zugleich zum Hof- und Kirchenkomponisten der Kapelle in Dresden ernannt, Beachtung. Die vor- malige musikalische Privatsammlung Sr. Majestät des Königs von Sachsen besitzt von Zelenka eine Trompeten- suite in F, über deren Humor wohl schon das Fugen- thema der Ouvertüre:

unterrichtet. Was ist das fQr ein drolliger Ein- fall, sich auf dem Sechzehntel-Motiv festzu- rennen, und was gibt das für einen grotesken Scherz, wenn

*) Zwei Partien daraus neagedrackt In Eitnen Monats- heften (29. Jahrgang^.

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die Oboen in Terzen sich mn die Stelle abmühen! In dem guten Blick und der Vorliebe für lustige Nebenmotive haben wir einen Zag, an dem die slavische Musik noch heute zu er- kennen ist. Mit der Ouvertüre teilt ihn auch der Schlußsatz ▼onZelenkas Suite, eine »Folie«, mit folgendem Hauptthema: AUegro aus dem im Ver-

<^M r J J]73|rrfMr?^' I^ljy ^^"^ ^^^ ^^i^^

ir «J^ i| u i I I yQj^ Anfang des

dritten Taktes bevorzugt wird. Diese Folie ist sehr lang und eifrig durchgearbeitet, ein Zeichen, daß die höhere Kunst in der Suite sich nicht mehr mit der Ouvertüre begnügen wollte, daß man das Wesen der Suite nicht mehr recht verstand. Freilich war bereits die Ouvertüre ein Fremdkörper in der Gattung, und es war nur folge- richtig, daß man wie den Kopfsatz auch andre Teile der Suite auf ein höheres Niveau zu heben suchte. Das Journal du prinptemps und derZodiacus fuhren zu diesem Zweck in den Tanz- und Ballettsätzen das konzertierende Element, den Wechsel von Soli und Tutti, von Triobeset- zung und vollstimmigen Orchester ein. Der erste Kompo- nist, der einen entschiedenen Schritt weiter geht, ist wohl der berühmte Verfasser des Gradus ad Parnassum, der Wiener Oberkapellmeister Josef Fux in seinem »Con- joief F«z. centus mu5;iro instrumentalisc von 1701. Die in diesem Werk enthaltenen Orchestersuiten folgen Fischer und Schmierer im Konzertieren und variieren sogar diese Vor- bilder u. a. mit virtuosen Fagottsolis, aber sie greifen darüber hinaus tief in den Aufbau und in die Natur der Suite ein, indem sie die Einheit der Tonart aufgeben, Bdur z. B. mit GmoU, Dmoll mit Ddur abwechseln, vor allem aber dadurch, daß sie gelegentlich, sei es in der Mitte "oder am Ende der Suite, einen Tanzsatz oder ein Lied durch eine regelrechte muntere Fuge ersetzen. Im übrigen gehören die Suiten von Fux*) zu den köstlichsten und interessantesten Leistungen im Bereich des Mufifat-

*) Eine In D moU nnd eine in B dm in den DenkmElern der Tonkunst in östeirelch IX, 2.

6*

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sehen Typus. Fax belebt die Form, indem er ein Ällegro mit einigen Takten Adagio unterbricht, fQr den Klang sorgt er darch eine ausgearbeitete Dynamik, in der reizende Echos eine Hauptrolle spielen; was er aber nach der volkstümlichen Seite bietet, mag der Anfang des Passepieds in der Bdur-Suite, das die Beischrift: »Der Schmiede trägt,

i^'V \ftl\t r[ ll'liifili l*^-«-

veranschaulichen.

Die Weiterbildung des Muffatschen Suitentypus ist demnach schon vor Zelenka da, er erfährt aber bald auch eine Rückbildung, die mit seiner Auflösung und mit dem vorläufigen Ende der Suite abschließt. Bedeutungs- voll f&r diesen Prozeß sind zunächst die Suiten (Ouver- PantftleoB. türen) Pantaleons. Das ist der Dresdner Klavier- und Violinspieler Pantaleon Hebenstreit, der durch die Er- findung einer neuen Art von Hackebrett, die er mit seinem Vornamen belegte, weltbekannt wurde. Bei ihm verliert die Ouvertüre den französischen Charakter, er gibt die Fuge auf und hält den Ouvertüre.

Mittelsatz als ein- ,_^h^- J_ > |J J. J^ | >) faches, lustiges AI- Vr ^ " V y s

legro. Dafür kehrt er zu der Methode ^ , Air de Chaconne. Peurls und Scheins 2. A'ttlf » J J | J J -^ T J "^ I ^ zurück und ver- ^ f f* f' f

knüpft dieOuvertüre

motivisch mit den Pluu i, J j JH | il I J | beiden folgenden Vr * p » - y Suitensätzen,zB*): * ^ fr'

Den Schluß bildet eine Bouröe mit Menuett als Mittel- satz, die ihr eigenes thematisches Material hat Ver- knüpfungen aber zwischen den drei ersten Sätzen der Suite finden sich auch bei Zeitgenossen Hebenstreits.

*) Dartnstädter Hofbibliothek in Mms. 3895, Nr. 1.

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Auch Johann Friedrich Fasch, der Zerbster Hof- F. FMch. kapellmeister, einer der bedeutendsten Saitenmeister, schreibt neben vollständig französisch gehaltenen Onver- tfiren andre, die wie die Hebenstreitschen die Fuge fallen lassen, and drittens solche, die aus einem einzigen Satze, einem freien AUegro bestehen. In diesem letzten Falle liegt eine Abwendung von französischer und Hinwendang zu ita- lienischer Kanst, insbesondere zu dem Konzert der Italiener vor. Eine B dar- Suite*; Faschs bestätigt das gewisser- maßen thematisch, denn das Hauptthema ihrer Ouvertüre:

Alle^ro V igt inj italieni-

ji't'Mli ffjjuijii

sehen . Konzert eine Art Aller-

weitslhema and als solches unter andren auch von Seb. Bach für das dritte Brandenburgische Konzert auf- gegriffen worden. Es verdankt die noch bis Mendels- sohn nachweisbare BeUebtheit augenscheinlich seiner Wandlungsfähigkeit Die folgenden Sätze haben bei Fasch teils Ballettüberschriften, wie »Jardiniers«, teils ver- zichten sie auf jede Bezeichnung ihres Charakters. In ihrer Instrumentierung machen sich, wie bei Fux die begleiteten Fagottsoli, romantische Stellen für das Hörn bemerkbar; auch das ist eine Annäherung an die alte Haußmannsche Suite, der Serenadencharakter macht sich wieder geltend. Die Satzzahl schwankt bei Fasch, er bevorzugt einen Aufbau von sechs und acht Sätzen, hat aber auch kürzere, und bei seinen Mitarbeitern taucht wieder die alte viersätzige Suite auf. Von dem Nürn- berger Johann Pfeiffer haben wir eine solche vier- joh. Pfeiffer, sätzige Homsttite, die fo'gendermaßen anordnet: a) Ouver- türe, b) Andante, c) Allegrezza, d) Ailegro e Vivace. Setzt man da statt der Allegrezza einen Menuett ein, so ist die Haydnsche Sinfonie fertig. Als interessanterVertreter dieser Suite am Ende derGattung ist noch Christoph Förster*'*';

•) Ebenda: Mms. 3871, Nr. 1.. ^ S. Hugo Biemann: Die französische Oavertüre (Cr- chestersüite) in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhanderts (MusikaUsches Wochenblatt 1899).

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ZU nenneD. In Norddeutschland und Mitteldeutschland wird in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Orchestersuite auch in den Handschriften immer sel- tener. In Süddeutschland und Osterreich lebt sie weiter, aber auch hier wird der Muffatsche Typus nur von einer Minderheit, in der sich in freierer Weise der Böhme

Frani Ton». Franz Tum a*) hervortat, vertreten. Die Mehrzahl der Komponisten' pflegeii die Gattung in einer neuen Mischung von Volks- und Kunstmusik, bei' der französi- sche Ouvertüre, Cembalo und großes Streichorchester gefallen sind. Salzarten und Instrumente deuten noch entschiedener als in der Hanßmannschen Zeit auf den Gebrauch im Freien und- bei Aufwartungen und Ständ- chen hin. Den Aufmarsch der Musikanten markiert eine einsätzige Introduzione, die zuweilen gleich als Marcia bezeichnet ist, das Ende der Huldigung und den Abzug der Spieler meldet ein Finale, das immer aus einem besonders flotten Allegro besteht. Die Zahl der Sätze schwankt zwischen vier und acht, fast nie fehlt unter ihnen ein Menuett, zuweilen findet sich dieser Lieblings- tanz der W«rther- und Luisen zeit auch zweimal an seiner Seite die Polonaise. Einen weiteren Unterschied gegen die Haußmannsche Periode bildet die Verwendung obli- gater Soloinstrumente und die Einlage virtuos konzer- tierender Episoden, zu denen gelegentlich auch der Kontra* baß herangezogen wird. Ferner ist die Einheit der Tonart gefallen, mindestens in einem Satz kommt die Unterdominante zu Ehren. In der Führung der Instru- mente zeigt sich der Einfluß des Quartetts und der neuen Kammermusik, Nachahmungen sind sehr beliebt, und zu- weilen wird ein hübsches Allegretto in einem ganzen Zyklus von Variationen ausgekostet. Diese neuen Suiten haben verschiedene Gattungsbezeichnungen: Kassation, . Serenata, Divertimento. Mit dieser letzten ist ihr

Wesen am besten bezeichnet, denn immer sind sie eine

*) Proben aus Tnmaschen Suiten bat In KlaTleraupzfigeD 0. Mimidt veroffentUckt

Quelle feinsten Vergnügens und Behagens für Gemüt and Phantasie, kleine Feste der Anmut, der Liebenswürdigkeit, des Scherzes und der Schäkerei Träumerei, Pathos und Innigkeit liegen ihnen femer, aber als Bilder artigen Froh^ Sinns gehören sie zu den Dokumenten der Zeit und bilden eine Ergänzung der Haydnschen Sinfonie nach der Seite ■chlichten Bürgertums. Waren sie bis jetzt in unseren Notenschränken nur durch die ziemlich unbeachteten Betträge Wolfgang Mozarts vertreten, so steht mit der eben beginnenden Gesamtausgabe der Werke Jos. Haydns eine sehr beträchtliche Vermehrung zu erwarten. Aus einem solchen Haydnschen Divertimento für Blfiser ist der originelle Chorale St Antoni entnommen , über den Brahms seine bekannten Orchestervariationen ge- schrieben hat Auch der Salzburger Michael Haydn ist ein meisterlicher Vertreter dieser neuen Suite, sein Divertimento in 6 aus dem Jahre 1785 "*) kann, wenn man seinen beschaulich biederen Humor mit den gleichzeitigen Scherzgedichten vergleicht, wieder einmal als Beleg da- für dienen, daß man das echte Deutschland des 18. Jahr- hunderts nicht bei seinen Vor-Goelheschen Poeten, sondern bei seinen Musikern suchen muß. Auch Leopold Mozart hat über dreißig solche »große Serenafen darinnen für verschiedne Instrumente Solos angebracht sindc geschrie- ben, doch sind sie verschollen.

Eine besonders reich angebaute Klasse bilden unter den Divertimentis des ausgehenden 18. Jahrhunderts die »Divertimenti a tret. Mit ihrer kleinen Besetzung kamen sie auf der einen Seite den Verhältnissen der untersten Gassen- und Schenkenmusik entgegen, auf der andren reizten sie die höhere Komposition, sich an be- scheidenen Mitteln zu erproben, und fanden so den Weg in die Kammermusik. Hier vertritt sie heute noch Beet- hovens Streicherserenade.

Neben die Gabrielische Orchestersonate und neben die Suite tritt schon bald im 17. Jahrhundert als eine

*) Denkm&ler der Tonkansi in Österreich XIV, 2.

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dritte Gattung Belbständiger Orchestermusik die Sin- fonie.

Das Wort Sinfonie führt uns einige Jahrtausende za- rück: Die griechischen Theoretiker gebrauchen es zuerst in dem Sinne eines melodischen Intervalls; bei den mittel- alterlichen Musikschrifistellern erhält es, von Hncbald, von Guido von Arezzo ab, die Bedeutung des Zusammen- klangs, des Akkords. Zur Bezeichnung eines wirklichen Musikstücks kommt es wohl zum ersten Male im 16. Jahr- hundert auf der von Riemann*) mitgeteilten »Leipziger Symphonia«, einer auf den Gegensatz von Andante und Allegro gebauten, für Instrumente und Singstimme be- stimmten Komposition vor. Im 16. Jahrhundert endlich erscheint das Wort auf den Titeln von Kompositionen allgemein poetisierend: Waelrant 1594: Symphonia an- gelica, Engelsklänge, G. Gabriel! 1597: Sacrae symphoniae, fromme Klänge, Adr. Banchieri 1607 : Ecclesiastische Sin- fonie, geistliche Klänge. Es bergen sich zunächst unter diesen Sinfonien Sätze von ganz verschiedener Form, vokale und instrumentale. Erst in der Oper wird die sionteverdii Sinfonie ausschließlich Orchestermusik. In Monteverdis Siafoniw. Qrfeo werden Szenen und Akte durch Orchestersätze von mäßiger Länge (6, 10, 12 Doppelakte] eingeleitet und ab* geschlossen, die als Sinfonien bezeichnet sind im Gegen- satz von andern, die Strophen eines Gesangs vorbereiten- den Instrumentalsätzchen, die Ritornello heißen**). Wir haben also hier Sinfonien zum ersten Male im Sinne kurzer, instrumentaler Einleitungen. So wird das Wort bekanntlich noch lange, bis in die Zeiten der Bachschen Kantaten gebraucht. Mattheson kennt es fast nur von dieser Seite. Diese Monteverdischen Sinfonien, die zum Teil in ihrem feierlichen und erhabenen Charakter noch einen deutlichen Zusammenhang mit der Kirche und mit

*) Hugo Riemann: Handbuch der Masikgesehlchte H, 1, S. 207 u. ff.

**) Alfred Heaß: Die Instramentalstücke de« »Orfeoc (SammelWnde d. I. M. G. lY, 176 u. fj.

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Galnieli haben, gehören mit zu den bedeutendsten M5he- pankten in der Kunst des groBen italienischen Meisters. Ein solches Mittel zur Beseelung der Handlung hatte bis dabin keine Art von Drama besessen. Auch der Chor der griechischen Tragödie bleibt dahinter zurück. Denn diese Monteverdischen Sinfonien gaben nicht bloß der Stimmung an wichtigen Stellen mächtigen Ausdruck, sondern sie verknüpften auch entfernte Szenen in einer innigen poetischen Weise, die neu war, die später ver- gessen und erst durch Komponisten unsrer Zeit, ins- besondere durch R. Wagner wieder entdeckt wurde. Eins der schönsten Beispiele für diese Verwertung der Instru- mentalmusik bietet Monteverdis Orfeo*] im dritten Akt: Qie Sinfonie, unter deren schauerlichen Posaunenklängen hier Orfeo zum Hades hinabsteigt, hören wir in dem Augenblick, wo Charon den Bitten des Sängers weicht zum zweitenmal: jetzt aber gedämpften Tons im Brat- schenkolorit Unter den nächsten Nachfolgern Monte- verdis ist Giulia Caccini als Vertreterin dieser kleinen szenischen Sinfonien zu bemerken; in der Venetianischen Schule zeichnet sich Cavalli darin besonders aus. Ihm CaTalUi gelingen namentlich malerische Aufgaben, die Schilde* Sinfonien. rang eines Sonnenaufgangs, einer Fahrt auf ruhigem Meer (Sinfonia navale in »Didone«) ganz herrlich.

Eine Hauptbedeutung gewann die Oper für die Sin- fonie von dem Augenblick ab, wo die Sinfonie zur Er- öffnung der Mosikdramen verwendet wurde. Schon Monte- verdi hat diesen Versuch gemacht. Doch blieb man noch lange dabei, die Handlungen mit einem gesungenen Pro- log einzuleiten. Erst in der Venetianischen Schule, etwa ▼on 16fiO ab, haben alle Opern Instrumentalprologe und zwar mit dem Titel Sinfonie. Mit diesen Venetianischen Venetianischc Opemsinfottien auf sie wird in dem Bande über die Sinfonie. Ouvertüre näher einzugehen sein beginnnt dieGe-

*) Der Orfeo Monteverdis ist teilweise im 10. Bande der »Pablikationen der Gesellschaft für Musikforschungc veröffent- licbt worden.

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schichte der modernen Sinfonie und zwar ist diese Jagendzeit einer ihrer rtthmlichsten und gehaltvollsten Abschnitte. Es sind Kompositionen von mäßigem Um* fang von 35 bis zu 70 Takten und nur einsätzig; aber, durch Wechsel von Takt und Tonart scharf und reichgegliedert, bergen sie innerhalb dieses einen Satzea einen mannigfaltigen Inhalt, eine verhältnismäßig große Reihe von Bildern, die in der Regel ebenso wirkungsvoll wie natürlich aneinanderschUeßen. Im Vergleich zar Gabrielischen Sonate führen sie in eine viel buntere und gestaltenreichere Welt und schildern neue Aufgaben mit neuen Mitteln. Die ge- ••.••• mit denen noch Händel brochenen Rhythmen: LLLT und das 18. Jahrhundert Erregung und Unruhe wirkungsvoll zeichnen, die General- pausen und Fermaten sind hier heimisch. Denn wie sie anekdotenhall und unruhig waren, so waren diese Vene- tianischen Opern auch an Wundern und Schrecken, an Spannung, Entsetzen und Überraschungen aller Art mehr als reich. Allen diesen Eröffnungssinfonien war auch ein feierlicher, langsamer, breiter Anfang gemeinsam, der zuweilen in der Mitte und sehr häufig am Ende wieder- kehrt, ein Tribut von dem Komponisten der Verwandte Schaft zwischen Musikdrama und griechischer Tragödie gezollt!

Aber viel stärker als die typischen treten an diesen Venetianischen Sinfonien die individuellen Zöge hervor. Gerade darin liegt ihr Hauptwert, daß sie immer ein Bild von dem Drama geben, dem sie vorangestellt sind; das macht sie unter einander so verschieden, gibt den ein- zelnen ihr scharfes, charaktervolles Gesicht. Man weiß aus diesen Sinfonien ohne weiteres, was im 'Drama zu erwarten ist: ob Krieg und Kampf, Schauer und Unglück, oder ob heitre und elegische Elemente die Oberhand haben. In knapper Form entwickeln sie einen reichen Inhalt, aus dem deutlich und beherrschend, wie der Berg aus der Ebene, ein Hauptstück hervortritt. Diesen Mittel- punkt bildet in der Sinfonie von Luzzos »Medoroc z. B. die wilde und alarmierende Episode, die gleich nach den

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Einleitüngstakten einsetzt, in der von ^avalHs »Ercole« der Abschnitt, wo die Sextakkorde in ungestümer Hast und Kraft dahinjagen, eine kühne Anwendung der alten Faaxbourdon-Harmonie; in der Sinfonie von Sartorios »Selenco« prägt sich die heimliche, zarte Melodie ein, die auf das Tranmbild in der Oper deutet; aus der von Cestis >Pomo d'oroc begleiten uns lange die freudigen Lieder, die das Orchester dem Eingangschor>di feste, edi giabili« entnimmt*). In der Regel sind die wichtigsten Themen in den Venetianischen Sinfonien ganz so wie heute in der Freischütz-, in der Oberon-, in der Tann- häuserouvertüre den Hauptszenen der Oper entnommen. Die wahre Heimat der modernen Programm- ouvertüre, die einzelne Schriftsteller mit Gluck, andre mit Händel und Rameau einsetzen lassen, liegt also in der Venetianischen Oper. Sie ist bis heute spurlös vergessen gewesen, nur ihre Orchesterbesetzung lebte in der Sinfonie der folgenden Zeit weiter. Diese Besetzung besteht ans Streichinstrumenten und Akkordipstrumenten, Cembalis, Regfilen etc. ; von Blasinstrumenten kommt fast nur die kriegerische Trompete vor.

Die Neapolitanische Schule, die am Ende des 17. Jahr- hunderts die Führung in der Oper übernimmt, stellt eine neue Sinfonieart auf. Die Sinfonie erscheint bei ihr zum ersten Male in der modernen Form und Bedeutung einer mehrsätzigen Komposition, eines höheren Gegenstücks znr Suite. Diese Neapolitanische oder italienische italienischo Sinfonie besteht aus drei kurzen Sätzen in der Folge: Sinfonie. Allegro, Largo, Presto oder einer ähnlichen. Immer bildet ein langsamer Satz die Mitte zwischen zwei bewegten. Kurze, häufig taktmäßig ausgezählte Pausen trennen ihn in der Regel vom vorhergehenden und dem folgenden Allegro; zuweilen wird er an den ersten Satz durch einen Trugschluß näher herangezogen. Das erste Allegro steht im geraden, das zweite im ungeraden oder im ^/s und

*) Diese Oper Ist in den > Denkmälern der Tonkunst in Österreich« veröffentlicht (Jahrg. III, 2).

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18^8 Takt. Beide sind in der ersten Zeit verhältnismäßig knapp gehalten, zwischen 15 und 80 Takten schwankt ihr Umfang. Der langsame ist meistens der kürzeste von den drei Sätzen, zugleich aber der stattlichste im Klang: in der Regel zeichnet ihn ein schönes Solo der Oboe oder der Flöte aus.

Die Gesamtform dieser italienischen Sinfonie ist ein sehr glückliches Stück bester Renaissancekunst. Die drei Sätze bilden ein leicht übersichtliches, scharf gegliedertes und durch den einfachen, klaren Gegensatz zwischen Be- wegung und Ruhe ästhetisch voll befriedigendes und wirk- sames Ganze, eine^ im Grunde einheitlich oder einsätzig gedachte fröhliche, glänzende Festmusik, die nur in der Mitte elegisch unterbrochen wird, um ein rauschenderes, im Ton der Freude gesteigertes Ende zu finden. Muster für diesen Typus bot bereits die Vokalkomposition z. B. im Kyrie der Messe; auch in dem großen Wirrwarr ver- schiedenster Sonaten- und Canzonenformen, den die Ent- wicklung der jungen Instrumentalmusik im 17. Jahrhundert bildet, taucht er mit auf. Es ist das Verdienst des großen . Searlattl. AIessandroS'carlatti,ihn ge wisserm aßen zum zweiten Male erfunden zu haben. Soweit es sich übersehen läßt, hat dieser Meister in seinen Opern die italienische Sin- fonie ausschließlich verwendet und sie damit und mit der Wucht seines Namens für den ganzen Bereich der italienischen Schule durchgesetzt. Sie hat sich bis heute behauptet denn streichen wir aus unserer modernen Sinfonie das Scherzo, so steht der Grundriß der alten itahenischen Sinfonie vor uns; ausnahmsweise haben ein- zelne neue Sinfoniker, Liszt, Raff, Tschaikowsky für be- stimmte Werke auf die unverfälschte Dreisätzigkeit zu- rückgegriffen. Sie ist aus der italienischen Sinfonie in das virtuose Konzert hinübergegangen und hat sich da bekanntlich bis auf die Gegenwart rein erhalten.

Durch die innere Einrichtung steht uns unter den drei Sätzen der italienischen Sinfonie der erste am nächsten, weil er sich zwar nicht immer, aber doch meistens in drei Teilen ausspricht Nehmen wir z. B. das

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erste Allegro von Scftrlattis Sinfonie zu »II thonfo delF Onore«*). Es ist ein Satz von 17 Takten. Die ersten Violinen leiten ihn mit folgendem Thema ein:

Allegro.

ijrnjrn f-fffre i

rf r y, [£fe£££4^ Daran schließt sich ein zweiter

Abschnitt, in dem die Bässe und nach ihnen ^ durch die Tonarten tragen.

die Violinen fiCf p^f^ ^^ S^^^ ^^^ Cdur über Ddur, nur das Motiv: ' ^"^ EmoII, Gdur nach C zurück

und schließt mit dem zwölften Takte, der uns wieder vor den Anfang des Satzes führt. Wir haben also in diesem lliniatnrsatz doch schon ganz deutlich das Gerippe des ersten Satzes der Haydn-Beethovenschen Sinfonie, oder wie man gewöhnlich sagt, das Sonatenschema vor uns: a) Themengruppe, b) Durchführung, c) Wieder- holung, und was das wichtigste ist, den Durchführungs- teil nach den Prinzipien gestaltet, die noch heute gelten.

Der langsame Satz hat häufig die einfache zweiteilige Liedform; zuweilen bringt er gar kein Thema, sondern markiert nur, präludienartig modulierend, die Stelle, wo das Gemüt ruhen und träumen will und darf. Der schließende schnelle Satz zerfällt in der Regel in zwei Teile, die thematisch verwandt sind und beide wiederholt werden. Obwohl die angeführte Sinfonie (und die zu »Amor volubile«) Hauptbeispiele von Scarlattis klanglicher Bescheidenheit sind, indem sie von Blasinstrumenten nur die Flöte (im langsamen Satz) verwenden, lassen sie doch erkennen, was er für die Technik und den Glanz der Violinen im Orchester bedeutet.

Im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts war zu der italienischen eine französische Oper gekommen und auch

*) ist die 114. Oper des Komponisten, ihr Entatebnogi- JAkr 1718.

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die Franzosen entschieden sich für eine Instrumental- Fruizösische sinfonie als Einleitungsstück der Oper. Diese franzdsi- Sinfonie, g^j^^ Sinfonie oder Ouvertüre, die sehr häufig die J. B. Lnilj. Lullysche genannt wird, obschon sie bereits bei Cambert vorkommt, besteht ebenfalls aus drei Sätzen, aber in der Anordnung Grave, Allegro, Grave. Auch darin unter- scheidet sich die Form dieser französischen Shifonie, der wir in der Suite der MufTat, Händel, Bach, Zelenka be- reits begegnet sind, von der der italienischen, daß der erste Satz in der Regel ohne Pause in den zweiten und ebenso dieser in den dritten übergeht. Nimmt man noch hinzu, daß der dritte Satz (das zweite Grave) zuweilen eine wörtliche und vollständige, oder aber abgekürzte Wiederholung des ersten langsamen Satzes ist, so ergibt sich für die französische Sinfonie eine größere Abrundung und Geschlossenheit Sie neigt noch mehr als die itali- enische zur Einsätzigkeit; das in der Mitte stehende, in der Regel fugierte Allegro ist nicht bloß örtlich der Mittel- punkt des Ganzen, sondern auch dem* Umfang und dem Geist nach, und das zweite Grave bleibt so oft weg, daß es neuere Historiker überhaupt nicht zum Schema rechnen. In der Tat ist auch aus jener französischen Sinfonie des 17. und 18. Jahrhunderts die einsätzige, langsam ein- geleitete Ouvertüre der Cherubini und Beethoven hervor- gegangen; ja selbst die langsamen, so beliebten und so dummen Einleitungen des modernen Walzers stammen aus dieser Quelle.

Sowohl die italienische, wie die französische Sinfonie stellen sich eine ganz andre Aufgabe, als die Venetiani- I

anische. Diese sucht möglichst viele und möglichst ge- treue Miniaturbildchen aus dem folgenden Musikdrama vorauszuwerfen. Jene beiden wollen weniger ein bestimm- tes Theaterstück, als vielmehr ein Fest einleiten. In Venedig waren die Opernbühnen Volkstheater, in Neapel und Paris Hofinslitute. Diesem Charakter der Opernauf- führung tragen die neuen Sinfonietypen Rechnung; die italienische betont dabei die heiteren und glänzenden Seiten des Festes, die französische die feierlichen und

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majestätischen. Fehlte doch der Roi Soleil bei keiner wich- tigen Vorstellung seiner Acad^mie Royale de musiquel

Musikalisch haben die italienische und die französi- sche Sinfonie vor der Venetianischen die stattlichere Form und die Möglichkeit voraus, eine gewählte Idee eingehen- der ra verfolgen. Aber der Verzicht auf die Anregungen, die der Phantasie des Komponisten aus dem Drama zu- strömten, ist der Entwicklung der beiden Typen unheil- ▼oU geworden. Die französische Sinfonie hat dabei weniger gelitten. Dank Lully, der sich darauf verstand, in seinen Allegris trotz des steifen Einerleis der ewigen Fugen^ doch einigermaßen den Charakter des kommenden Dramas anzuktitnden und wenigstens klar zu machen, ob die Oper heroisch oder pastoral sein werde, waren in der franzö- sischen Sinfonie CharaktergemälHe ersten Ranges möglich, wie sie jederfnann in Glucks Iphigenienonverlüre c.w.T.Oluek. kennt und in Händeis herrlicher Ouvertüre zu »Agrip- O.F. Hindel. pinac*) kennen sollte. Seitenstücke zu diesen Meister- werken wolle man in den Opern Rameaus aufsuchen, J. p. Bsneaii. ▼on denen auch jede bescheidenere Musikbibliothek einige Exemplare zu besitzen pflegt. Rameau war es, der den Obergang aus der dreisätzigen Sinfonie zur einsätzigen Ouvertüre mit langsamer Einleitung anbahnte. Freilich scheinen die bedeutendsten Sinfonien nicht immer die beliebtesten gewesen zu sein. Das zeigt jene Anekdote von Friedrich dem Großen, der es Graun sehr verdachte, daß er in der Ouvertüre zu »Papirioc die Fuge durch ein charaktervolles, frei geformtes Allegro ersetzt hatte **).

Die Vorlagen, die Scarlatti den Italienern gab, waren geringer. Die Musik seiner Sinfonien ist sinnig, anmutig, munter und geistvoll, aber Größe und Tiefe streift sie nur. Das Beste, was seine Sinfonien bieten, liegt auf der sinnlichen Seite in einem glänzenden, geistreichen Kon- zertieren, in einer sinnigen Figuren bildung, im blenden-

*) 57. Lieferang der deutschen B&ndelaii«gabe. **) L. Sehneider, Geschichte der Oper in Berlin (1852), S. 111 iteUt den SaohTerhalt verkehrt dar.

80 «—

den Kolorit, Eigenschaften, die e. D. die OuTertöi« zn >1I prigioniero fortno ato< {1709; mit ihren TrompeleD- Chören und ihrem Solocello aufs schönst« vereint Was Hohes in der italienischen Sinfonie mOglich war, daa L. Lm. zeigen die Oratorieneinleitnngen Leonardo Leos, ron denen die zu >St. Elena al Calvario«*) seit etlichen Jahreo in Partiturdruck vorliegL Daa ist große nnd edle Trauer in unvergänglichem, für alle Zeiten rnnsteriiaFten Toni Solche Werke sind aber leider in der italienischen Schale die Ausnahme. Mit L. da Vinci beginnt in ihrer Sinfonie ein Verfall, der die Mehrzahl ergriff nnd dem die VersDche einzelner ernster Tonsetzer danemd Einhalt SD tun nicht vermochten. Äußerlich wachs sie. Die Satz« wnrden alle drei langer und reicher im Ausbau. Der erste ffigte ~ das Beispiel gab auch fOr die franzSsische Sinfonie das virtuose Konzert ein zweites Thema ein, der dritte wendete sich der vielgliedrigen und die Er- findung reizenden ßondoform zu. Aber das innere Wesen der italieniscben Sinfonie ward immer leerer nnd Up-

nun »rfreulichen Teil bilden die langsamen SAtze. um die Hilte des 18. Jahrhunderts in der Begel dreiteilige Liedform a) Maoplthema als ode zweimal, Ewischen dem ersten und zweiten t Figuren ausgestaltetes Seiten thema; bi zweites n Hauptthema in Tongeschlecht und Charakter tz gebracht; c] Wiederholung von a in gekftrzter md bringen in ihr die eigentümliche, weiche, ndsamkeit des 18. Jahrhunderts in freandlicfa- n Melodien und in einer Reinheit zur Anschau- en anderen Künsten jeoer Zeit nicht erreichbar venigsten der durch moroliscbe und mytholo- <te gefesselten Dichthnnst Zuweilen waren die en hier noch zu sQßen Erlindungen durch die en angeregt, die in der Uper nnd dem Ora- 3 18. Jahrhunderts einen sehr br«iteD Raum

Breitkopf * HlrteL

81

einnehmeD. Um so schlimmer stand es in der Regel am dea ersten, den Hauptsatz der Sinfonie. Einige Zitate werden gentjgen, einen Begriff von der hier flblichen Thematik zu geben:

AlliS^o.

a)

fi irrri

M

ete.

AUegTO.

(R&ckkehr zum Anfang in einer ein Takt langen Fignr)

(ähnlich wie bei a)

e)

. AUegro.

Jp' JJJJ I

ete.

Altej^io.

etc.

jvfrc^Ojjirfrf.f^

Beispiel a ist der Anfang zu der Sinfonie, mit der L. d a

Vinci seine »Semiramis« einleitet; b und c sind von l. da tibcI.

Pergolesi, das eine ist der Anfang zur Sinfonie der Oper fi.B.rergoUtl.

Kretsselimar, Fftlirtr. I, 1. Q

82 6—

»Sallustiac, das andere vom Oratorium »San Gugllelmo«. Diese Sinfonie hat der Komponist nochmals für seine letzte N. Jomelll. Oper >OiYmpia« verwendet. Mit d beginnt Jomellidie Sinfonie seines Oratoriums »Abramo«, mit e Leonardo Leo seine Olympiade, mit f Perez den »Demofoontec, mit g Terradellas den ^Artaserse«, mit h Tra€tta den »Farnacec. Diese Beispiele ließen sich endlos vermehren. Die Methode bleibt dieselbe . lustige, tändelnde, stets Qnbedeutende Motive mit stumpfem Behagen oder mit gespreiztem hohlen Pathos wiederholt. Und dabei handelt es sich um lauter große Namen, zum Teil- um Meister, die der Oper im übrigen reformatorische Dienste geleistet haben. Genau wie der Aufbau der Themen ist auch die Entwicklung der Sätze: mechanisch, bequem und geistlos! Fluß haben die Allegri, und weiß man, was das verschwenderisch verwendete Echo darin für eine Rolle spielt, so klingen sie meistens auch ganz hübsch, und viele wären als Lust- spielouvertüren ganz annehmbar. Aber der Aufgabe, ernste Dramen einzuleiten, bleiben sie so ziemlich alles schuldig und bieten kaum mehr als eine vergnügliche Portiers- musik. Die Entwicklung der Sinfonie bei den Neapolitanern zeigt geradezu erschreckend, was aus der Instrumental- musik werden kann, wenn sie selbstherrlich den Zusammen- hang mit Poesie und höherem Geistesleben verschmäht. Den Zeitgenossen entging dieser Verfall der Opemsinfonie nicht. Schon Mattheson mahnt im »Kern der melodischen Wissenschaft« 97) die Komponisten, daß die Sinfonie einen kurzen Begriff und »eine kleine Abbildung« einer Handlung geben soll, und Quantz verlangt in seinem bekannten »Versuch etc« (18. Hauptstück, § 43) dasselbe. Der Zusammenhang mit dem Inhalt der Oper sei viel wichtiger als die dreisätzige Form, es genügten wohl auch 2 Sätze oder einer. Die Sinfonien sähen eben so aus wie bei den schlechten Malern Luft und Licht, zu denen passend oder nicht, in der Regel die übriggebliebenen Farben benutzt werden. 1 Hatte. Eine Besserung setzt mit Ad. Hasse ein. Die AUegri gewinnen unter dem Einfluß des Konzerts an Gehalt.

» Ö3 V-

Die Form, früher von der Etüde beherrscht, wendet sich der Sonatine zu, . ein zweites Theima, meist kurz und hübsch, wird die Regel, und man versucht kleine Durch- fübiTingen. Manche Komponisten legen dabei auf einen sehr scharfen Gegensatz zwischen erstem und zweitem Thema das Gewicht, andere versuchen der ganzen Sinfonie einen neuen Grundriß zu geben. So ziehen L. Leo in der Einleitung zur Olympiade, Minoja in einer B dur-Sinfonie das Andante in die Mitte des ersten AUegro hinein und verzichten auf den dritten Satz. Damit 'ist die einsätzige Sinfonie, die Opernouvertüre der neuen Zeit bei den Italienern eher fertig als bei den Franzosen. Prüft man aber die Thematik Hasses und seiner Genossen auf das Verhältnis zum Drama, so steht man noch lange vor dem Neapolitanischen Leichtsinn. Die Sinfonie zu Hasses Dido z. fi. fängt folgendermaßen an:

n [II ^ ^^1 rm l^3^| rm R?^, rm ...

daszweitiift " '^ \ , J^t^^f ■* nicht

Thema: * BfiT überdie

Grazie hinaus; erst in der sehr kurzen Durchführung dnnkelts ein wenig von der Unterdominant her. Eine gründlichere Änderung vollzieht sich erst unter dem Ein- fluß der Franzosen. Porpora und Perez leiten ein- Porpora. zelne Opern mit französischen Sinfonien ein, und bei D. Pereai. Piccini zeigt sichs endlich, daß die Italiener wieder im Pieoinl. Stande sind, in der Sinfonie, wenn nicht tragische, doch ernste Töne anzuschlagen. Unter den Deutschitalienern hat sich schon früher Heinrich Graun durch eine würdige H. Graon. und inhaltreiche Thematik ausgezeichnet.

An dieser Entwicklung eines neuen Sinfonietyps liaben auch die italienischen Akademien ein Verdienst. Schon früh im 18. Jahrhundert schreiben angesehene Komponisten, unter ihnen B. Mar cell o, für den Aka- B. Harcelio. demiegebrauch Sinfonien, die neue poetische Aufgaben

6*

84 «^

in zum Teil neuer Form durchführen. Hier wird, z. B. in

Loefttelli. Locatellis Trauersinfonie, die Sinfonie zuerst viersätzig,

ealimbertl. bei Ga 1 im b e r ti sogar schon mit dem Menuett als zweiten

Tutini. Satz. Er wird auch, bei T artin i z. B., in der dreisätzigen

Äkademiesinfonie verwendet/ da als Schlußsatz. Die

Viersätzigkeit kommt allerdings auch in der gleichzeitigen

Oper vor, z. B. in L. Leos Sinfonie zum Famace: AUegro,

Andante, Menuetto, Marcia.

Noch viel günr*tigere Aussichten fär die Unabhängig- keit von Oper und Theater boten sich aber der Sinfonie in Deutschland.

Vom Anfang des 18. Jahrhunderts ab mehren sich hier die Orchester schnell und beträchtlich. Der hohe und niedere Adel tut es den Fürstenhöfen nach; gut oder schlecht, aber so ziemlich jedes Schloß hat seine Hauskapelle. Schüldr und Studenten, dem Beispiel der italienischen Akademien folgend, gründen freiwilh'ge coUe- gia musica, die Bürgerkreise ihnen nach. Um die Mitte des Jahrhunderts ist das ganze Land mit einem dichten Netz von Musikvereinen überzogen, die alle in »wöchentlichen Konzerten«, einmaligen und doppelten, ungemein viel Instrumental- und Orchestermusik verbrauchen. Komödien und Konzerte sind die Haupthindernisse derGelehrsamkeit, klagt 1763 der musikfeindliche Ernesti"'). Es ist niemals vorher und nachher wieder soviel Instrumentalmusik kom- poniert, gespielt und angehört worden, als in jenen Tagen. Die Zeugnisse dafür liegen in den Briefen Mozarts und in den Lebensbeschreibungen von Quantz, Dittersdorf, Gyrowetz und anderen namhaften Musikern jener Zeit vor, in den Archivresten der Bibliotheken und in den Ver- lagsverzeichnissen. Sinfonien, Konzerte werden immer bündelweise angeführt. Im quantitativen Sinn ist die Mitte des 18. Jahrhunderts die Glanzzeit der Instrumentalmusik in Deutschland; dort liegen die Anfänge und Ursachen ihrer Vorherrschaft.

*) G. Wustmann, »Aus Leipzigs Vergangenheit« (Leipzig 1885), S. 289.

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Daß in der ersten Hälfte jener Periode die Sinfonie zurücktritt, könnte nicht wundernehmen, auch wenn sie besser gewesen wäre. Denn sie hatte an dem neuen Virtuosenkonzert einen übermächtigen Nebenbuhler. Wie hundert Jahre frQher Monodie, Solo- und Bühnen gesang die eigentliche »nuove musiche« der Generation waren, die den dreißigjährigen Krieg erlebte, so schienen för die, welche mit Friedrich dem Großen jung waren, die Wunder des Orpheus in den Violinkonzerten der Torelli, Vivaldi, Corelli wieder aufzuleben. Unter allen Erwerbungen, die die Musik in den letzten Jahrhunderten gemacht hat, war die des'virtuosen Konzerts die bedeutendste; keine andere hat den inneren und äußeren Wirkungskreis der Tonkunst so gewaltig erweitert. Indes den Dilettantenkräften der neuen CoUegia musica mußte den virtuosen Anforderungen des Konzerts gegenüber ein Erdenrest von Technik zu tragen peinlich bleiben und den Wunsch nach einer andren Gattung von instrumentaler Ensemblemusik nahe legen. Da fiel denn der Blick naturgemäß auf die im Aufbau mit dem Konzert ganz identische italienische Sinfonie und sie begann allmählich jenem zur Seite zu treten, es zu er- setzen. Wir können diesen Prozeß mit einer interessanten Arbeit S. Bachs belegen. Derselbe Band der Bach- s. Bach, ausgäbe*), der die Orchestersuiten enthält, bringt als Sinfonie in F. Anhang eine Sinfonie in F, aus drei Sätzen bestehend, Allegro, Adagio, als Schlußsatz ein Menuett (mit 2 Trios). Diese Sinfonie ist aber nichts als eine Umarbeitung von Bachs erstem brandenburgischen Konzert; der ^/^ Takt, der dort (ad libitum) dem Menuett vorausgeht, ist wegge- lassen und der nur spärlich konzertierende Violino piccolo, das Soloinstrument des Konzerts, ist einfach gestrichen. Sonst stimmt alles wörtlich. Auch wenn Bach selbst nicht der Bearbeiter dieser Sinfonie sein sollte, bleibt sie ein wichtiges Dokument für einen geschichtlichen Hergang: die Entstehung und das Empordringen einer selbständigen Konzertsinfonie. Für Frankreich läßt

*] 81 Jahrgang, Ente Lieferung.

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sich dieser Übergangsprozeß dokumentarisch belegen: M. labert Der Pariser Violinist M. Aubert veröffentlicht 1730 ein Heft Sinfonien im italienischen Stil, die er »Concert d^ Simphonies« nennt, mit der Begründung, die Konzerte Gorellis und Vivaldis seien wider den französischen Gfe- schmack und vor allem sie seien für die Dilettanten- zu schwer*). Die selbständige Sinfonie verdankt ihre Existenz der Einrichtung regelmäßiger Konzerte, insbe- sondere den coUegiis musicis der Studenten und anderer Dilettanten, und befestigt sich außerordentlich schnell in ihrer Stellung.

« Schon um die Mitte des 18. Jahrhunderts sehen wir die Sinfonie unabhängig, das alte Veihältnis zur Oper gelöst; es wird allmählich möglich, daß sich begabte Ton- setzer vorwiegend oder ausschließlich der Komposition fürs Konzert, für die Instrumente widmen, die Orchester- sinfoiiie wird jetzt in Stimmen gedruckt und schnell ein ganz bedeutender Handelsartikel. In dem Breitkopfschen Katalog von 1762 finden wir fünfzig Sinfoniekomponisten, bekannte Meister wie Gluck, Hasse, Galuppi, Jomelli, Graun, Hiller und heute vergessene Lokalgrößen durch- einander; keiner hat es unter einem halben Dutzend ge- tan. Als Beweise höchster Fruchtbarkeit finden sich in den Bibliotheken aus jener Zeit auch Sinfonien von Dilettanten komponiert: Friedrich der Große, Max Joseph von Bayern, der Baron von Münchhausen erscheinen unter dieser Autorengruppe. Das Ausland tritt mehr und mehr zurück und kommt qualitativ bald ganz außer Be- tracht. Die deutsche Produktion aber verteilt sich auf folgende drei Bezirke : die Wiener, die Mannheimer und die Norddeutsche Schule. Wiener Schale. In Wien beginnt die Konzertsinfonie mit Antonio A. Caldftrft. Caldara, der bekanntlich 1716 in den kaiserlichen Dienst trat.

Seine noch erhaltenen Sinfonien, 12 an Zahl, sind für vierstimmiges Streichorchester mit Continuo ge-

*) Michel Brenet: Les concerts en France (1900), S. 152.

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schrieben und bis auf eine zweisätzige Ausnahme nach dem bekannten Grundriß Soarlattis aufgebaut Je- doch weichen die langsamen Sätze, denen in der Mehr- zahl acht, zweien nur sechs und einem einzigen vierzehn Takte eingeräumt sind, durch diese Kürze und den da- durch bedingten Charakter einer hloßen Episode oder Oberleitung von der Norm ab.

Drei Sinfonien schicken auch dem ersten Allegro eine getragene und breitere Einleitung voraus und nähern sich damit dem französischen Typus. Im allgemeinen steht Caldara abseits von jeder Art gleichzeitiger Opern- sinfonie und geht in seinen Gedanken und seiner Arbeit die Wege eines Originalgeistes.

Vor den Italienern zeichnet er sich namentlich durch eine ernste, wQrdige Thematik und durch einen ge- diegenen, fesselnden Orchesterstil aus. Mit freudigem Staunen begegnet man in der Zeit der Vinci und Pergcr- lesi Sinfonieanfängen wie:

Allegro moderato. _ rt J

Allegro. __

^. CH molMUnfonie)

e)p^

Sinfonie)

*>j"j f^\S^d^\M}Q ^^''

Hinter der Freude an Fuge und Kanon, die den Satz bestimmt, die zuweilen auch Augenblicke stockender Er- findung verdeckt oder billigere Einfälle adelt, steht wohl das Beispiel Joseph Fuxens, des Freundes und Vorge- setzten Caldaras. Aber auch venetianische Traditionen, die fiber Sartorio, Cesti, Cavalli bis auf G. Gabrieli zurückgehen, tauchen in seinem Sinfoniesatz in der Form plötzlicher Tempokontraste auf. Einige Takte Adagio sind

-^ 98 ^^

keine Seltenheit in Caldaras Allegris. Am überraschendsten äußert sich dieser dramatische Geist im Larghetto der fünften Sinfonie, wo die erste Violine ähnlich wie in Albertis Bdur- Konzert oder in Spohrs Gesangszene un- begleitete Rezitative anstimmt, im ersten Satz der zwölften Sinfonie begegnet uns sogar ein erregter Wortwechsel sämtlicher Stimmen über ein kurzes, zweitöniges Motiv. In den Allegris sind die Stellen derartiger Exknrse die Zwischensätze, mit denen Caldara gern die Regelmäßig- keit der Fuge und des strengen Satzes unterbricht Die elfte Sinfonie beginnt sogar mit einer solchen drama- tischen Stelle:

Allegro.

Pp l'-T^

f

etc.

Sie weist zugleich durch die Entschiedenheit, mit der die erste Violine das Wort führt, auf eine weitere Eigentüm- lichkeit des Caldaraschen Sinfoniestils hin: wie zum Rezi- tativ führt ihn der Drang nach sprechendem Ausdruck wiederholt zu konzertierenden Episoden, zu Solis und Duetten hin, die, zwischen den eigentlichen Durchfüh- rungen des Themas eingeschaltet, Stimmungskrisen, Mo- mente gewaltiger Erregung und Versuche zum Aus- weichen bezeichnen. Dieses konzertierende Element Caldaras hat in der Wiener Schule und Itber sie hinaus am nachhaltigsten fortgewirkt, doch sind auch andere von ihm gegebene Anregungen nicht unbeachtet ge- blieben.

In die Caldarasche Zeit fällt eine als Partita betitelte Sinfonie (in B) des Wiener Hofklaviermeisters Matteo H. Schioger. Schlug er, die deshalb beachtenswert ist, weil sie, mit 1722 datiert, den dreisätzigen Aufbau der italienischen Sinfonie durch einen zwischen Largo und Finale einge- schobenen vierten Satz erweitert und zwar durch einen Menuett (Bdur) mit Trio (Gmoll).- Auch ein Cembalo- konzert (Adur) Schlögers, das seine romantische Natur und seine moderne Richtung noch deutlicher zeigt, als

^ 89 ♦^

die Sinfonie, hat als dritten Satz, als Finale ein Tempo di Minnetto« Es scheint sich demnach die in allen Läii- dern nnd von Meistern wie Corelli und Händel angebahnte Verbindung von Sinfonie und Suite in Wien, dem klassi- schen Boden der Volkskunst, der Heimat der Waldmüller, Schubert, Strauß und An zen gruber schon im ersten Drittel des- achtzehnten Jahrhunderts, gleich in der Form vollzogen zu haben, an der dann von J. Haydn ab fünf Generationen festgehalten haben.

Da Wien zugleich die wichtigste deutsche Eingangs- stelle für italienische Musik war, kann es nicht befremden, daß der höhere Geist Caldaras und der venetianische Einfluß in der Wiener Konzertsinfonie schon bald dem neapolitanischen Tone weicht. Er wird zuerst bei Georg von Reutter stark Vernehmlich. Nur seine Einleitung g. f. Ueatter. zum »Ritomo di Tobia« (1733) macht als einsätzige französische Ouvertüre eine Ausnahme, seine übrigen Sinfonien, die je nach der Verwendung als Sonaten, In- traden, als Servizio di Tavola betitelt sind, haben bis auf eine Tafelmusik von 1757, die aus Intrade, Lar- ghetto, Menuetto con Trio und Finale besteht, auch da, wo mau Suitenform erwartet, die drei Sätze der neapolitanischen Schule und werfen in deren Art vor- wiegend leichte und flotte Gelegenheits- und Unterhal- tungsmusik hin, bald spektakelnd, bald rührsam, hier durch renommistische Sprünge und abgerissene Rhythmen, dort durch verwegene Läufe der Bässe reizend. Wie Hasse und andere Deutsche geizt auch Reutter darnach, das neueste Italienisch zu sprechen, läßt aber überall Beweise einer höheren und besseren Bildung einfließen, einmal das direkte Muster Caldaras, nämlich einen sehr hübschen Kanon zwischen Violine und Cello im Andante einer Cdur-Sonate von 1741, die nach dem für Orgel ge- setzten Continuo für die Kirche bestimmt gewesen sein muß. Diese Sonate ist noch dadurch beachtenswert, daß sie- uns AI. Scarlatti als Reutters Lehrmeister zeigt Das Konzert zweier Bläserchöre, mit dem sie beginnt und schließt:

90

:^5

1. Satt.

Pinftle

ete.

etc.

darf man direkt oder indirekt auf die früher ange- führte Sinfonie zum Prigioniero fortnnato zurQckf&hren. Nicht hloß die konzertierenden Bläserchöre des Scar- latti kehren bei Reutter wieder, sondern er hat sich f&r seine Konzertsinfonie den ganzen technischen Apparat*) angeeignet, auf dem der glänzende und festliche Charakter der Orchestermusik des neapolitanischen Meisters beruht^ Die in Sechzehnteln und Sextolen in die Höhe rauschen- den oder einfache Themen umspielenden und verzieren- den Violinen haben daran einen Hauptanteil. Unter diesen Themen kommt das Hexachord, das ja auch von FuK und Caldara gern: benutzt wird und sogar noch bei Haydn und Beethoven auftaucht, sehr häufig vor. Daß aber Reutter auch etwas von der Liebenswürdigkeit und Schalkhaftigkeit Scarlattis besitzt, zeigen namentlich die zweiten Themen seiner Allegri. Immer sind sie über- raschend eingeführt, zuweilen auch originell gestaltet, das der vorhin angeführten Intrade z. B. durch die Verzögerung in der Wie- derholung :

#■ s

h^'d ^ p Ef et»

Auch bei Heulter fehlen die Anklänge an die hei- mische Volksmusik nicht ganz, 6«s Andante einer Ddnr-

oiDionie Z. D. .JPjIm. a m _^m * \

beginnen du <y * tf IfUff Ig r f Oboen mit: O u

ete.

Oboen mit:

die Bratschen

antworten gleichlautend.

*) In dem Servizlo dl Tavola sind die Partien der Oboen und Fagotte nicht in die Partitur aufgenommen sondern als Anhang beigegeben.

91 «^

Aber die italienischen theatralischen Elemente fiberwiegen die landsmannschaftlichen traniichen Regungen voll- ständig.

Eine stärkere Osterreichische Färbang zeigen die Sinfonien des Klaviermeisters Christoph Wagensäil. Chr.WAgenfell. Zur guten Hälfte haben sie, auch wenn sie dreisätzig sind und wenn sie zur Einleitung von Opern, zu Clemenza di Tito z. B., bestimmt sind, Menuetts. Selbst in einem viersätzigen Concerto grosso votf 1765 kommt ein Menuett vor. Aber auch seine langsamen Salze schlagen zuweilen Töne ein, die den einfachen Mann an seine Abendlieder erinnern konnten, das Andante einer Gmoll- Sinfonie von 1766 beginnt z. 6. folgendermaßen:

Solche Heimatsklänge haben mit dazu beigetragen, daß die Sinfonien Wagenseils sich ungewöhnlich weit ver- breiteten und bis nach Bayern hinüber in die Stifte und Klöster drangen. Die Thematik seiner Allegri läßt in- dessen keinen Zweifel darüber,. daß auch Wagenseil in erster Linie Italienisch sprechen will Der Anfang der eben angefahrten Gmoll-Sinfonie: Allegro. JB)^ r'w^

i '' " / '; I 7^ I .Tg J miiij^^

oder der zur Clemenza di Tito:

'J'lLfLÜ[>Cf'^'^-^t^^

iete.

sind Vincischen Geistes. Jedoch erreicht er auch von aolchen Themen aus immer ein höheres Niveau und führt die Sätze in einer vollentwickelten modernen Sonaten- form mit einer Themengruppe, die außer einem schönen zweiten Thema in der Regel noch mehrere Nebenmotive bringt und namentlich mit Durchführungen durch, welche verkleinert BeethovenscheMaßverhäitnisse vorausspiegeln.

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Von den 76 Takten, aus denen der erste Satz der vor- hin zitierten Gmoll- Sinfonie besteht, fallen 40 auf die Durchführung. Auch in der Detailarbeit, in der Gestaltung der Obe'rgänge, in den bewegten Mittelstimxnen, in der lebendigen, reich mit Dissonanzen gewürzten Harmonie, in den aparten und feinen Wandlungen kleii^er Einfälle erhebt sich Wagenseil bedeutend über die Neapolitaner. Mit den konzertierenden Ändantes tritt er in die Spuren Caldaras. Am weitesten nähert sich dem weltbekannten Cha- rakter der Wiener Sinfonie der Organist der Karlskirche, 0. M. aoiiB. Georg Matthias Monn (1717— 1750) ♦). Das Reich hat. von diesem Komponisten erst lange nach seinem Tode durch sechs Quatuors erfahren, die 1808 gedruckt und in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung sehr anerkennend rezensiert wurden. Aber auch seine Landsleute scheinen sich nur wenig um ihn gekümmert zu haben; Hanslicks Geschichte des Wiener Kon zertwesens kennt seinen Namen nicht, und seine großen Werke, von denen, nach dem Traegschen Katalog, im Jahre 1799 Opern, ein Oratorium, Messen (auch eine Generalbaßschule) vorhanden waren, sind von den großen Instituten der Kaiserstadt nicht be- obachtet worden. Damit hängt wahrscheinlich auch die bescheidene Besetzung seiner Sinfonien, Ton denen in jüngster Zeit wieder sechzehn zum Vorschein gekommen sind, zusammen. Nur eine D dur-Sinfonie aus dem Jahre 1740 und eine Es dur-Sinfonie hat Flöten, Oboen, Fagotte und Hörner, von den übrigen sind neun für vierstimmiges, fünf für dreistimmiges Streichorchester mit Continuo ge- schrieben, so daß wenn nicht im allgemeinen der Chor- charakter der Stimmen zu deutlich wäre, gefragt werden könnte: ob hier Kammermusik oder Orchestermusik vor- liegt. Sicher verlangt auch die zierliche Thematik in einigen seiner langsamen Sätze, wie in dem altneapoli- tanisch anklingenden Andante der H dur-Sinfonie:

*) Einige Stücke von Monii, Reutter u. a. sliid iii den Denkm ilern der Tonkunst in Österreich (XV. Jahrg., 2. Haibbd.) gedruckt, das übrige Material bat Herr Prof. Dr. G. Adler freund- lich zur YerfüguDg gestellt.

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eine Solovioline, wie das noch bis zu Ditter sdorf häufiger ▼orkommL

Nur drei der Monnschen Sinfonien sind viersätzig nnd bringen als dritten Satz den Menuett, der bei den dreisätzigen sich nur in einer Esdur-Sinfonie und da an zweiter Stelle findet Monn hat darnach auf deii Menuett, als nächstliegendes und daher in seiner Bedeutung gern überschätztes Symptom einer neuen vermeintlich anti- italienischen Sinfoniekunst einen wesentlichen Wert nichf gelegt. DafOr ergießt sich aber bei ihm, ähnlich wie später bei J. Haydn, der volkstümliche Musikgeist über alle Sätze, die Fugensätze der französischen Ouvertüren einge- schlossen. In einer (Sonata überschriehenen) Adur-Sin- fonie folgt nach einer wundervoll schönen und natürlich kontrapunktierten Einleitung folgendes Fugenthema:

f'*ll|ll|l|ll I i'lLJIiiIII i|,^ff

^

:0to.

In seiner drolligen Beschaulichkeit hätte es leicht in die Trivialität führen können, Monn aber spottet ihrer durch Engführungen und andere Mittel geistreicher Kunst mit einer Sicherheit, die an Bürgersche Balladen erinnert. Wie 'die andren Sätze zu diesem Eingang harmonieren, mögen ihre Anfangstakte zeigen:

Andimte.

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MenoAtt.

Pinsle.

94 <^

Jedenfalls ist in diesem Ideenensemble keine Spur italienischer Sinfonie, dafür aber in dem ans dem Ton des 18. Jahrhunderts ganz herausfallenden Andante ein deut- licher Anklang neuer, fremder Musikquel}ei\. Im allge- meinen sind die' Andantes ijnd die langsamen Sätze der Monnschen Sinfonien diejenigen Stellen^ an denen sich noch starker italienischer Einfluß zeigt. Das Andante- thema der Esdur-Sinfonie:

schließt sogar mit der Lombardischen Manier. Daß auch "die Allegri, besonders in den Kopftheroen noch häufig italienisch anklingen, kann nicht befremden, erst Haydn und Beethoven haben die deutsche Sinfonie von diesem Tribut vollständig befreit. Frei von allem Italienischen sind unter Monns ersten Sätzen alle die, welche dem Schema der Lullyschen Ouvertüren angehören. Sie interessieren im AUegroteile, meist einer Doppelfuge, durch die Beherr- schung der Form, eigner ist Monn in der Behandlung der langsamen Einleitungen. An Stelle d^r gewohnten, in punktierten Rhythmen und rauschenden Skalenfiguren einherscjireitenden Gravität und Feierlichkeit bringt er da beschaulich sinnende und singende Motive oder aber er wendet sich von suchenden und fragenden Anfängen aus, die an Astorgasche Rantaten erinnern, schnell ins Leidenschaftliche, wirft wilde Figuren hin, unterbricht das Adagio mit einem plötzlichen Allegro, wQhlt in Nach- ahmungen und macht dem erstaunten Zuhörer warm. Eine dieser langsamen Einleitungdh kommt von . B dar aus im fünften Takt nach Hdur. Mit dieser Umbildung der langsamen Einleitung hat sich Monn an einer Arbeit beteiligt, die auch Ramoau, Händel und Gluck in die Hand genommen hatten und die dann Haydn zum Ab- schluß gebracht hat. Die anderen ersten Sinfoniesätze Monns, die in der Scarlattischen Art lediglich aus einem längeren Allegro bestehen, beschränken das italienische Element in der Regel auf die bekannten Poch- und Akkord-

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motive des ersten Taktes (1 j j 2 etc.), und auch da, wo es einen weiteren Raum einnimmt, bestimmt es niemals den Gesamteindruck, sondern dieser ergibt sich aus dem Wiener Ton der Monnschen Thematik, aus den Klängen naiver Lebensfreude, die in mannigfachen Spielarten, ▼om ruhig sinnigen Behagen und fröhlicher Anmut bis zu feuriger, aber liebenswürdigen Keckheit, die lebhaften Sätze Monns durchziehen. Die sanftere Gruppe vertreten die ersten Sätze der D dur-Sinfonie von 1740 und der Esdur-Sinfonie, die energischere, zuweilen stürmische und wilde am entschiedensten eine 6 dur-Smfonie, die von dem Anfang: Allegro.

eto«

aus ein zwölftaktiges Haupttbema aufbaut.

Noch ursprünglicher und neuer als in den ersten Allegris ist Monn, wenn auch nicht überall, in den leb- haften Schlußsätzen seiner Sinfonien. Charakteristisch' sind da Themen wie die folgenden:

Presto.

h^A^^Tt^ f \'t '"* P I '^"JT^ I J namentlich

b) und c) Prestd. mit ihren

•> ij^''Uirfrri[^Mrnjijj4 i;;/,°<^ti

Ritterlichkeit dahinhastenden ZweivierteJtakten bringen <äe ersten Lebenszeichen einer ganz bodenständigen Wiener >Aufgeknöpftheit« in den Sinfonien. Auf diesen Boden stellt sich von den späteren Meistern besonders gern W. Mozart in seinen besten Salzburger und in den Wiener Sinfonien, die aus der Zeit des jungen Eheglücks und der »Entführung« stammen, alles Vorherige aber überbietend Beethoven mit dem Finale der Achten. Daß Monn zu diesem Ton feurigen und doch artigen Obermuts wie zu

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dea andren Äußerungen Wiener Wesens in seinen Sin- fonien von der Suitenmusik, insbesondere von den Divers timentis her gekommen war, zeigt sich in der Verwen- dung der Bläser in den beiden mit Blasinstrumenten ver- sehenen Sinfonien. Namentlich die wirkungsvollen Soli der H5rner~ sind in der damaligen Sinfonie eine ange- nehme 'Neuerscheinung.

Obwohl Monn im Kontrapunkt, wie seine Fugen, wie es auch die zahlreichen Beispiele schöner Imitationen be- weisen, mehr als ausgelernt hat, hat er eine Bedeutung für die Weiterentwicklung der sinfonischen Form nicht erlangt. Wohl zeichnen sich seine Obergänge vom ersten zum zweiten Thema durch Gediegenheit, durch Verzicht auf Figurenphrasen aus, wohl überrascht er hier und da durch einen Reichtum an Nebengedanken und ab und zu auch durch Ansätze zu motivischer Arbeit. Aber die Durchführungen seiner ersten Sätze sind im alten Bequem- lichkeitstil nichts als Transpositionen der Themengruppe ohne vertiefende, eingehende und erweiternde Ziele. Er hat der Sinfonie einen neuen Ideenkreis* erschlossen, es aber anderen überlassen, dessen Gehalt auszuspüren und zu erschöpfen.

Von wetteren Vertretern der Wiener Schule sind noch F. eftSrnsnn. Florian G m ann und Joseph Starzer hervorzuheben, j. Starser. Gaßmann, weil er Themen bringt, die wie:

Alle^ro.

Mannheimer Schale.

schon in den Kreis der Mozartschen Kantabihtät ge- hören, Starzer wegen der Bedeutung seiner Quartette. Sie lassen es bedauern, daß seine Sinfonien sich nicht erhalten haben.

Mannheim, das unter Karl Theodor durch Schweitzers »Alceste« und Holzbauers »Günther« für die deutsche Oper, durch Schillers »Räuber« für das deutsche Schau- spiel zum Vorort wurde, hat unter dem genannten Kur- fürsten auch für die Geschichte der vorhaydnschen Kon- zertsinfonie besondere Bedeutung erlangt. Die Mannheimer

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hat von den drei in Betracht kommenden Schulen die schärfste äußere Physiognomie, ihre Sinfonien unter- scheiden sich nicht hloß von den anderen deutschen, sondern auch von allen italienischen und französischen durch ihre ungewöhnliche Dynamik und Ornamentik; in jener sind sie absolut, in dieser wenigstens scheinbar neu. Das gewöhnliche Notenbild der Akademie- und Konzertsinfonien um die Mitte des 18. Jahrhunderts ist dasselbe wie das der Bachschen Passionen und der Händeischen Oratorien: es ist arm an Yortragszeichen: Es gibt nun Komponisten, deren Werke, wie die Kantaten des Darmstädter Hofkapellmeisters Graupner, mit/ und p reicher und sehr reich aasgestattet sind, die in dem- selben Takte mit den Stäikegraden einmal oder mehrere Male wechseln und damit bekunden, d^ß die Dynamik nicht länger dem freien Ermessen der Dirigenten und Virtuosen überlassen werden kann. Sie bilden indessen Ausnahmen. Den Mannheimern gebührt nun das Ver- dienst, daß sie die Ausnabme zur Regel gemacht haben. Sie sind die ersten, die ihre Sinfonien so durchbezeichnen, wie sie klingen sollen, und sie haben damit nicht allein die Sicherheit des Vortrags unendlich erleichtert, sondern auch für den musikalischen Durchschnitt den Sinn för Farbenspiel und Klangschattierung gesteigert und neu belebt; sie sind die Bahnbrecher des modernen Orchester- kolorismus geworden. Es war nur natürlich, daß die Mannheimer Sinfoniker selbst diesem Aasdrucksmittel auch neue Wendungen abzugewinnen suchten. Unter ihnen ist das sogenannte Mannheimer crescendo durch Bumey und Schubart hervorgehoben und besonders be- rühmt geworden. Nun ist das crescendo allerdings schon in der venetianischen Oper vereinzelt, es ist im 18. Jahrhundert bei vielen Tonsetzern, bekanntlich auch bei S. Bach, nachweisbar. Aber wenn auch ein Mozart dieseip Mannheimer crescendo eigne Worte widmet, so muß es doch wohl eine Spezialität sein, und 80 ist es. Die Mannheimer Sinfonien bringen das cres- cendo einmal unvergleichhch häufiger als es Vorgänger

Kretxie^nftr, Ffthrer. I, 1. 7

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und Zeitgenossen verlangen oder voraussetzen, sie legen -zweitens ihre Kompositionen auf die größtmögliche Wir- kung dieses Effektes an, indem sie häufig mit ihm -^ ge- nau wie die nachmaligen Stretti Rossinis das Auf- steigen eines Motives begleiten :

Presto.

y'fM^ilil

Man muB sich bei dieser Mannheimer Reform der Dynamik daran erinnern, daß zu der Zeit, wo sie vollzogen wurde, bei den Komponisten Überhaupt der Verlaß auf die alten Künste des Improvisierens und Ergänzens zu schwinden beginnt. Händel und Bach schreiben bei einzelnen Sonaten, Sperontes füllt bei einzelnen Liedern das Akkompagne- ment aus. Auch die Mannheimer Sinfoniker scheinen dem alten Continuo-Spiel nicht mehr recht zu trauen und suchen, allerdings nicht ganz konsequent, die obli- gaten Orchesterinstrumente auf volle Harmonie zu bringen. Ganz gründlich dagegen räumen sie mit dem alten Ver- fahren der freien melodischen Ergänzung auf und schreiben in ihren Sinfonien konform den dynamischen Vortrags- zeichen zum ersten Male auch alle die sogenannten wesentlichen Manieren aus. So bietet die Mannheimer Schule auch nach Seite der verschiedenen Arten von Vorschlägen, Vorhalten und Verzierungen ein ganz neues Notenbild, das den nichtein geweihten Zeitgenossen unter ihnen sogar ein Burney wohl gar als neuer Stil, als neue Musik erscheinen mochte, zumal die Kom- ponisten, gerade so natürlich wie von den dynamischen EfTekten, auch von den alten wesentlichen Manieren einen reicheren Gebrauch machten. Auch diese Mannheimer Neuerung drang bald durch die ganze deutsche Musik, womit noch lange nicht gesagt ist, daß jeder, der sich ihr anschloß, damit überhaupt auf den Boden der Mann- heimer Schule trat. Darüber, wie sich die Mannheimer Sinfonien über Deutschland verbreiteten, wird sich Be- stimmtes erst dann berichten lassen, wenn wir das Reper-

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toir unserer collegia musica näher kennen gelernt haben. Dagegen stehen ihre Erfolge im Ausland durch englische und französische Verlagsverzeichnisse fest; auf Frank- reich, wo sie durch Mich. Brenet noch weiter bestätigt werden, mußte bei den starken koloristischen Neigungen der heimischen Musik die Mannheimer Dynamik allein schon unwiderstehlich wirken.

Mit dieser eingreifend praktischen und modernen Einkleidung der Mannheimer Sinfonien verbindet sich, wenigstens bei einigen Komponisten, ein erfreulicher und fesselnder innerer Gehalt. Da die Gründer und ersten Vertreter der Mannheimer Schule in der Mehrzahl ein- gewanderte Österreicher sind, besteht hier Wesensver- wandtschaft mit der Wiener Schule. Auch ihr nicht ganz erreichtes Ziel ist Freiheit vom italienischen Joch, Ersatz der Theaternichtigkeiten durch seelische Erleb- nisse aus dem Gebiete des Frohsinns und der Beschau- lichkeit. Den bedeutendsten Meister bierfür stellt die Mannheimer Schule in Johann S t a m i t z (1717^67)*), einen Job. Stamitx, der wenigen deutschen Instrumentalkomponisten, die Arteaga kennt. Wenn auch Stamitz die eigensten Proben seines Wesens und Könnens nicht in seinen Sinfonien, sondern in seinen Triosonaten niedergelegt hat, so sind doch jene immerhin natürlich liebenswürdige Äußerungen einer schwungvollen, ebenso optimistischen wie revolu- tionären Persönlichkeit, einer Karl Moor-Natur und einer in Dichtung und Kunst Kraft und Freiheit verherrlichen- den Zeit. Die Mannheimer Reform der Dynamik paßt sich so sehr den persönlichen Anlagen Stamitzens an, daß sie sehr wohl auf ihn zurückgehen kann. Die erup- tiven, unbedeutende Motive in glänzende Beleuchtung emporhebenden fortes entspringen bei ihm einer Mozar- tisch feurig glühenden Seele, die langen und häufigen Crescendi einem mächtigen Willen und demselben weiten

*) Sinfonien der Mannheimer Schale in den Bayrischen Denkmälern der Tonkunst (3. Jahrg. Bd. I, 7. Jahrg. Bd. II und 8. Jahrg. Bd. II).

7*

.-f 100 ^^

und sicheren Blick, der überall aus der Führung der Form hervortritt Hier namentlich in der Erweiterung der Haupt- themen zu großen Themengruppen, in der ZerteUung größe- rer Gedanken und der Umstellung und Entwicklung solcher Teile. Zum Signalement von Johann Stamitz gehören noch die häufigen dreimaligen, herrischen, ungenierten, humo- ristischen Wiederholungen desselben Taktes, z. B.:

' Presto.

Ferner der Reichtum an

Einfälleu lür Nebensätze, Obergänge, seltener für den Durchführungsteil. Nach der Gesamtheit seiner sinfo- nischen Eigenschaften verdient Johann Stamitz, so wie es Gerber (im alten Lexikon) tut, unter den Vertretern des Obergangs zwischen der italienischen Opernsinfonie und Joseph Haydn ausgezeichnet zu werden; ihn als Schöpfer eines neuen Typs zu feiern, hindert aber schon die altmodische Natur seiner Durchführungen.

Eine ähnlich hervorragende Stellung wie Johann Stamitz nimmt in der Frühzeit der Mannheimer Franz F. X. Riehtor. Xaver Richter (1709— 17H9) ein. Eigen ist Richter erstens durch seine Vorliebe für eine der Sinfonie, bis auf Ausnahmen wie Caldara, grundsätzlich fremde Polyphonie, zweitens durch einen ernsten, tiefsinnigen Zug, der sich weniger in den Themen selbst, als in ihrer Entwicklung geltsnd macht, da besonders durch merkwürdig unbe- stimmte, fragende, ja desperate Schlüsse auf vermmderten Sept- und auf Sekundakkorden mit Fermaten und Gene- ralpausen, Äußerungen einer ergreifenden Resignation, ' die mit ganz ähnliphen Mittein in den letzten Smfonien J. Haydns wiederkehren. Auch in anderen rhetorischen Eigenheiten äußert sich die kontrastierende Regsamkeit von Richters Phantasie. Da verstummt plötzlich das volle Orchester, nur die Violinen musizieren mit einem vier Takte langen festgehaltenen hohen T weiter; hier gibt er

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anversehens einer sinnigen Melodie durch Verlegung in die tieferen Saiten einen ganz fremden Charakter, dort tritt ein zweites Thema ganz anders ein, als man er^ wartet Kurz er ist ein Dichter, der sich mit den her- gebrachten Reimen nicht begndgt und in dessen Hand sich das Tonmaterial fortwährend neu belebt, der mit Nach- sätzen, Nachspielen, Kombinationen mehrerer Themen, Zerlegung der Hauptgedanken technisch wie geistig fesselt, den Verstand und die Empfindung des Hörers gleichmäßig beschäftigt und zuweilen mächtig packt Die volkstümliche Richtung der Zeit vertritt Richter deutlicher als Stamitz, zuweilen mit förmlichen Liedanklängen. In seiner Fdur-

Sinfonie (op. IV, ^^

Nr. 2} z. B. hören ft^'M^ fJJ I rff ^ f T T It^eto. wir im Andante "^

im Trio ^ , . ^ j Mit dem HauptteU seiner

des Me> ^feg| f ff | F' ^^ Thematik knüpft aber nuett: •^ ' t" « ' Rjc^ter an die heitere

Tändelei des italienischen Ideenkreises, an Sinfonien wie sie für die Oper Traätta, für das Konzert Sammartini geschrieben hat, an. Daß er darüber hinauskommt, ver- dankt er außer dem angeborenen Naturell, der Solidität der alten Schule, in der er aufgewachsen «st und die sich zuweilen auch noch in Spezialitäten wie die Solmisations- themen bekundet

<

Es liegt in der äußerlichen Natur der Mannheimer Reformen, daß schon bald nach dem Tode von Johann Stamitz ein Verfall eintritt Zuerst wird er bei Anton Filtz (1726—60) sichtbar und zwar in Hauptthemen, die a^fiUb. wie das im ersten Satze der Adur-Sinfonie:

^ AllegTO

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einen argen Rückfall in die neapolitanische Windigkeit der Vinci und Genossen bedeuten. Doch hat Filtz auch bessere Sinfonien geschrieben, zu denen namentlich' die in Es (op. 2, Nr. 6) gehört, und seine Menuetts sind so

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ziemlich alle sehr erfreulich. Ähnlich verhält sichs mit Joseph Toeschi mit Franz Beck, Ernst Eichner und anderen Vertretern der Schule. Zam Teil läßt sich ihren Sinfonien gute fleißige Arbeit nachrühmen, aber der Ideen- gehalt ist unselbständige und erinnert an die Nichtigkeit der italienischen Opernsinfonie. Die frischeste Kraft der Gruppe ist noch Karl Stamitz, der ältere Sohn Johanns, dessen Werke sich auch ziemlich stark verbreitet zu haben scheinen. Ein neuer Aufschwung zeigt sich in der Mannheimer Schule, als in den siebziger Jahren Caanableli. Christian Cannabich und andere das koloristische Problem, durch das die Schule zu eigner Bedeutung ge- langt war, vom Frischen aufgreifen und weiter gestalten. Den Anstoß hierzu hat möglicherweise die neue öster- reichische und süddeutsche Suite gegeben, denn mit deren Serenaden und Divertimentis teilt die Mannheimer Sinfonie der zweiten Periode die Neigung zum Konzer- tieren der Instrumente und den Aufmarsch und Wechsel zahlreicher, voran blasender Solisten." Die neue Sinfonie- arbeit der Schule gipfelt in Sinfonien für Doppelorchester, einer Gattung, die sich nur spärhch entwickelt hat und unsrer Zeit nur aus Versuchen L. Spohrs bekannt ge- worden ist Cannabich muß, obwohl er ungleich ist und sichs bei einzelnen Sinfonien im italienischen Fahr- wasser bequem macht, den bedeutenden Mannheimern beigezählt werden. Seine Durchführungen gehören zu den freiesten, an Inhalt und Überraschungen reichsten, er gelangt in interessanter Arbeit zu eigenen Wendungen, wie es seine Themen in den Baßstimmen sind, und hat namentlich mit Ghromatik, mit der Figurenbildung und den Modulationen seiner Andantes stark auf W. Mozart gewirkt.

Auch der bekannte Ignaz Holzbauer hat noch in dieser zweiten Periode fleißig mitgearbeitet. Sein Nach- laßverzeichnis spricht von 206 Sinfonien und Konzerten verschiedener Art Darunter läßt sich wenigstens eine Sin- fonie für die neue Cannabichsche Richtung reklamieren: es ist ein in Schwerin aufbewahrtes Fdur-Stück für zwei

J. Holsliftier.

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konzertierende Fagotten. Die Mehrzahl der Holzbauer- schen Sinfonien ist dreisätzig und überhaupt nach älterem Master, daher auch ohne die berühmten Mannheimer Crescendi durchgeführt. Ihre bedeutendsten Teile sind die geistreichen Reprisen in den ersten Sätzen«

In der Norddeutschen Schule sind die Arbeiten Norddeotsche derjenigen Berliner Komponisten maßgebend, die 7um Schule, größten Teile als Hofmusiker Friedrichs des Großen ihre Konzertsinfonien für die hinter dem Jägerhofe tagende »Musikalische Gesellschaftc von Janitzsch und für die bürgerlichen Collegia, von Schale und Sack schrieben. An ihrer Spitze stehen die Gebrüder Graun, der Kapell- meister Heinrich und der Konzertmeister Johann Gottlieb Graun. Heinrich Graun hat allerdings nur Opernsm- Heinrich fonien geschrieben, aber sie sind ebenso wie die Opern- ß""»« Sinfonien Hasses sehr viel in Konzei'ten aufgeführt worden und haben den Stil der Sinfonie dadurch weiter gefördert, daß sie den ersten Satz grundsätzlich über ein Haupt- motiv des ersten Themas entwickeln. Die Sinfonie zum Ezio fängt z. B. an :

j»BMjjiqj^CQjiivrrrrr.,f|ffff

Da fährt nun gleich nach diesem Schluß die Musik mit dem Motiv des ersten Taktes im Baß erst in D, dann in h, in G etc. fort Das war eine Methode, die der Einheit eines längeren Satzes zu gute kam, die aber auch die Komponisten auf ernste und strengere Arbeit verwies, eine Methode, die Phantasiereich tam sowie Lust an Arbeit und Kunst voraussetzend, die Harmlosigkeit der italienischen Sinfonieallegris ebenfalls ausschloß. Daraus, daß sich Graun hierin mitMonn, Job. Stamitz und anderen Wienern und Mannheimern begegnet, ersieht man, daß der Drang, den Geist der Sinfonie zu heben, in Deutschland gegen die Mitte des 18. Jahrhunderts allgemein war und daß keiner der drei Schulen der alleinige Anspruch, eine neue Zeit herbeigeführt zu haben, zugestanden werden kann. Jo-

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Oottlieb bann Gottlieb Graun fußt auf den Anregungen seines tirauu Bruders und baut sie in seinen für die Zeit ungewöbnlich ▼ollstimmig besetzten Konzertsinfonien zu einem Konzer- tieren der einzelnen Orcbestergruppen aus, bierin ein Vorläufer der zweiten Mannheimer Schule. Hiller meint Gottlieb Graun, wenn er in den »Wöcbentlichen Nach- richten« (1770) schreibt:

»Die deutschen Sinfoniesetzer . . . sehen nicht sowohl darauf, ein simples Thema zu erfinden, als schöne Wir- kungen durch die große Menge verschiedener, Instrumente zu erhalten, die sie anbringen, und durch die Art, wie sie dieselben nacheinander arbeiten lassen . . . Ihre Sinfonien sind eine Art von Konzerten, wo die Instrumente sich wechselweise zeigen, wo sie sich auffordern und antworten und miteinander streiten und sich wieder vereinen.« Die kunstvolle Arbeit wurde durch beide Graun ein Merk- mal der Berliner und weiterhin der Norddeutschen Schule. Von der VerwenJung von Kopfmotiven, vom Konzertieren der Orchestergruppen aus, steigert sie sich bis zu einer förmlichen »Fugen- und Kanon technik«, wie sich M. Flueler*) ausdrückt. Die Lust am Fugieren und Imitieren hat sich bei den Berlinern und Norddeutschen bis in die Zeit der ersten Romantik behauptet Nicht bloß in den Sinfonien C. M. v. Webers, sondern auch noch in denen Robert Schumanns ist die Fuge eine bevorzugte Form der Satzentwicklung, und es darf hinzugefügt werden, eine von Natur aus sehr berechtigte. In der Thematik gleichen die Norddeutschen. Sinfoniker zunächst den Wienern und Mannheimern. Auch sie bemühen sich^ an Steile des bloßen italienischen Klingklangs heitre, zu einer guten gesellschaftlichen Unterhaltung geeignete Tongedanken zu setzen. Später tritt bei ihnen mehr und mehr ein ernsterer Zug hervor und unterscheidet die Berliner Sinfonien von der leichten Beweglichkeit der Süddeutschen. Von ihm aus lehnen sie den Menuett ab

*) Max Flueler, Die Norddeutsche Sinfonie zur Zeit Friedrichs des Großen. Berlin 1908.

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«

und greifen J. Haydn an. Das war nicht bloße Philistro- sität sondern auch die gesunde Empfindung, daß der neue vierte Satz eine ästhetische Einheit sprengte.

Nach den beiden Grauns ist unter den Vertretern der Berliner Schale Franz Benda zu nennen. Seine Frau Bemtfa. fast nur für Streichinstrumente geschriebenen Sinfonien sind denen von Gottlieb Graun zürn Verwechseln ähnlich, and tatsächlich haben Bibliothekare Graunsche Sinfonien dem Benda zugeschrieben. Zu den talentvolleren Sin- fonikern der Berliner Schule gehört dann noch Christoph Schaffrath, eine graziöse frohgemute Musikantennatur. Ch^ Schafl^tli. Bei weitem schwächer sind Christian Friedrich Schale, k. Schale, ein Trabant Heinrich Grauns, und Carl Joseph Rode- J.Bodewald. wald, der sich von einem Italiener gewöhnlichsten Schlags kaum unterscheidet. Auch die Sinfonien der beiden bekannten Theoretiker Marpurg und Kirn- berger können nur wenig interessieren, höher stehen Christoph Nichelmann, von dem sich aber nur ein c. NtehelmMn. Stuck erhalten hat, Georg Benda, Heinrich Rolle und G^org Bend«. Friedemann Bach. Von Sachsen, die in der Norddeut- H. Kolle. sehen Schule hervorgetreten sind, .müssen der Dresdner "^'^Bach*"" Georg Ner ad a und der Leipziger Thomaskantor Gottlob q, Hemda^ Harrer, der in seinen Sinfonien viel höher steht als ine, üurrer. seinen Volcalkom Positionen, angeführt werden. Auch Job. Adam Hill er gehört anter die besseren Nord-j.A.HiUer. deutschen.

Der der Gegenwart am meisten bekannte Vertreter der Norddeutschen Sinfonieschule ist Philipp Emanuel Bach, der sogenannte Hamburger Bach. Ph. Em. Bach Phil. Em. Bach, ist weder durch Größe, noch durch Menge der Gedanken ausgezeichnet; er hat aber nichtsdestoweniger für die Geschichte der Musik als Stilist eine Bedeutung ersten Ranges. Er erfand eine neue Art der thematischen Durchführung, die hinter der Fuge und den andern strengen Formen der Nachahmung an Gründlichkeit zu- rückstand, sie aber an Schmiegsamkeit und Beweglichkeit bei weitem übertraf und dem Spiele der Laune und des Augenblicks auch in den größeren Formen einen be-

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qnemeii^und allezeit offnen Zutritt gestattete, ohne daß dabei die Darstellung wie dies in der nordisch nieder- ländischen Instrumental schule früherer Zeit der Fall war der Gefahr phantastischer Willkür verfiel. Bach ist in dieser seiner Art einer der ersten und bemerkens- wertesten Vertreter französischer Bildungsideale in der deutschen Instrumentalmusik. Richteten doch in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts selbst die Lieder- komponisten (der Berliner Schule) ihre Augen auf die in Frankreich gebotenen Muster. Neben seinem Lehrbuch >yersuch über die wahre Art das Klavier zu spielen« hat Bach am nachhaltigsten durch die Pianofortekomposi- tionen gewirkt, die in großen und kleinen, schweren und leichten Formen seiner fleißigen Feder in Menge ent- flossen. Aber System und Geist seiner Kunst kommen in den Sinfonien, die er schrieb, immer noch fühlbar zum Ausdruck. Überdies enthalten sie in der Orchester- behandlung Elemente, die für die weitere Entwicklung der Gattung von Wichtigkeit wurden. ^

Gerber schreibt in seinem Lexikon dem Ph. E. Bach >ein paar Dutzend Sinfonien« zu. Davon sind zu Bachs Zeiten höchstens nur 10 in Stimmen gedruckt worden, vier davon im Jahre 1780 (bei Schwickert in Leipzig). Diese sind es, welche Espagne im Jahre 1860 bei Peters in Leipzig neu herausgab. Die erste derselben wird heute wieder gespielt: Das Hauptthema ihres ersten Satzes ist dieses

. AUe^A di molto^

■:> Ipf TP r/ ' 1 m\ \ f\' J - von emigen ziem- ' t^ ^ÜJT tXl7 ^^^ ^^ lieh unbedeuten. den Seitenmotiven, zu einem Satze von ungefähr 200 Takten Länge ausgeführt, in welchem sich die drei Teile des Sonatensatzes: Themengruppe, Durchführung. Repetition, klar unterscheiden. Dieser erste Satz moduliert in den Schlußtakten nach Es dur, der Tonart des zweiten Satzes,

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einem Larghetto in dem weichen, zu Tränen bereiten Stile des 18. Jahrhunderte. Mit dem Klange der geliebten Flöten tritt das Thema des Satzes ein:

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Ein Presto in 8/4 Takt

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sausenden Laufs, nur selten durch einen ernsteren Einfall gehemmt, führt die Sinfonie zu Ende. Diese Scarlattische Grundform und auch der seelische Typus der D dur- Sinfonie kehrt in den anderen wieder: geistreiches, leben« diges und sprühendes Finale, anziehendes oder erträgliches Larghetto und ein verwunderlicher Hauptsatz. Denn es ist verwunderlich, wie diese Hauptsätze der Sinfonien und auch der Konzerte des Hambargeir Bach doch ziemlich inhaltlos verlaufen. Sie setzen alle mit einem wunderbaren Schwung ein; mit gewaltiger Kraftanstrengung stürmen sie von Anlauf zu Anlauf, geberden sich in Trillern und allerhand ungewöhnlicher Melodik nicht selten ganz apart und absonderlich. Aber sie zerplatzen wie Seifenblasen ohne Spur und Resultate. Es stellt sich diesen heroischen Versuchen nichts Wichtiges entgegen, der Zug gerät in Tändeleien und streift am Bedeutenden flüchtig vorüber; das Ganze kommt nicht über das Phantastische hinaus und bleibt Feuilleton und Strohfeuer. Nur die gedank- lich bedeutendste der vier Sinfonien, die zweite in F dur, erhebt sich über diese Stufe. Beim unmittelbaren Hören der Bachschen Sinfonie findet jedoch die Kritik keine Zeit zu ihren Bedenken; die Sätze gehen unmittelbar ineinander über und das Ganze rauscht, angeregt und anregend, verhältnismäßig schnell vorüber.

Die Besetzung der vier Sinfonien (Streichorchester, 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Hörner, 2 Fagotts und Flügel) weist auf spezifisch hamburgische Verhältnisse jener Zeit hin: ein starkes, mit virtuosen Kräften ausgestattetes Violinen- ensemble und ziemlich mäßige Bläser. Der Flügel ist in jener Zeit bereits eine entbehrliche Zutat. Interessant

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ond Schale machend wirkte Bach durch die Behandlung der Instrumente. Unter ihnen herrscht im Vergleich zur älterep Weise volle Freizügigkeit, und sein Orchester formiert sich fortwährend anders und vollzieht die Evo- lutionen der neuen Aufstellung mit einer Leichtigkeit, die der älteren Praxis fremd war. Auch Bach kennt das »Concertino« des Konzertorchesters noch, er gibt dem be- kannten Bläsertrio gern die zweiten Themen im Haupt- satz. Aber auch jedes andere Instrument besitzt bei ihm die Solistenqualifikalion und ist jeden Augenblick bereit, von ihr Gebrauch zu machen. Die solistische Führung geht taktweise von der Oboe zur Flöte, von einem Chor zum andern, während man früher bei solchem Wechsel etwas umständlicher war.

Durch die Arbeit der drei Schulen kam es im letztto Drittel des 18. Jahrhunderts zu einer Scheidung von Opernsinfonie und Konzertsinfonie. Die erstere wurde einsätzig, die Konzertsinfonie behielt drei oder vier Sätze und wird daher häufig als Sinfonie p^riodique d.h. als mehrsätzige Sinfonie angezeigt.

II.

J. Haydn, Mozart, Beethoven.

*t große Aufschwung, den die Pflege der Sinfonie in Deutschland um die Mitte des 18 Jahrhunderts nahm, brachte ihre innere Entwicklung wohl in Gährung, aber zu keinem bedeutenden Abschluß. Die ge- m*einsame Arbeit der drei Schulen hat, wie noch Ph.E. Bach zeigt, weder die italienische Thematik vollständig aus- schalten können, noch weniger ist es ihr gelungen, die Form der Sinfonie auch nur in dem Grade mit deutschem Geist zu fallen, wie er sich anderwärts schon längst, in den Sonaten S. Bachs etwa, geltend gemacht hat Auch diejenigen Sinfoniekomponisten, die wie die beiden Böhmen Mysli- Hrtllwceiek weczek und Zach, wie Gottwald, Camerloher, ^•«'' , Schwanberger, Rosetti und wie der viel gespielte ^®][J^*J,j'^^^ Londoner Bach außerhalb bestimmter Schulen stehen, gchwauberger. tragen zwar zum Teil in die Ideenrichtung oder in die Roietti. Formbehandlung der Sinfonie interessante Einzelzüge hin- ^^' ****** ein, aber das Gesarotergebnis ändern sie nicht. Erst Josef Haydn wandelte sie um und zwar so gründlich und gewaltig, daß seine Reform der Sinfonie eine der bedeutendsten Taten der gesamten Kunstgeschichte ge- nannt werden darf.

Wenn wir auf die Frage, worin bestand Haydns Reform der Sinfonie, mit unseren Handbüchern der Musikgeschichte und mit den musikalischen Lexicis ant- worten: in der Einführung des Menuetts, so bleiben wir

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allerdings den Tatsachen das meiste und das beste schuldig.

Haydn hat den Mennett nicht in die Sinfonie einge- führt, sondern ihm nur in der internationalen Sinfonie allgemeines Burgerrecht erworben. Es handelt sich dabei im Menuett um ein Stück volkstQml icher Musik im all- gemeinen. Die Wiener Schule näherte sich mit der Auf- nahme dieses Tanzsatzes in die Sinfonie der Suite, und Haydn war es, der die von andern großen Meistern, von Corelli und namentlich von Händel auf dem Gebiete des Konzerts versuchte Aussöhnung der höheren Tonkunst mit der einfachen gesunden und reichen Volksmusik auf dem Gebiete der Sinfonie zu einen in seiner Art ganz vollendeten und wundervollen Abschluß brachte. Ihm gelang es, in den Formen der italienischen Sinfonie den Suitengeist heimisch zu machen; für diejenigen kann man sagen die diesen neuen Geist im alten Hanse nicht merkten, wurde der Menuett, der moderni- sierte, ländlerartige, österreichische Menuett, noch be- sonders drein gegeben; Im letzten Allegro, im Schluß- satz, hielt auch die italienische Sinfonie auf eine gemein- verständliche, un gesuchte, an Tanz anklingende Fröhlich- keit. Aber in den anderen Sätzen ist zwischen ihr und Haydn ein elementarer Unterschied: Der erste Satz hat bei den Italienern weit ausholende, umständliche, bei aller Trivialität auf Theaterfüßen einherstolzierende Themen; bei Haydn, bei dem späteren Haydn wenigstens, dem Haydn, den heute alle Leute meinen, wenn sie seinen Namen nennen knappe, sofort fertige, unge- küQstelte, lustige, gemütlich beschauliche Weisen, die wie aus dem Volksmund genommen klingen, sicher f&r ihn wie geschaffen und doch dabei immer so edel sind, daß sie auch die vornehmen und hohen Geister erfreuen, erwärmen und fesseln. Seine langsamen Sätze, seine Adagios, Andantes, Larghettos entwickeln oft den Tief- sinn S. Bachs, die Empfindungsgröße Händeis, sind erregt ohnegleichen; aber ihren Ausgang nehmen sie meistens von dem Boden des Kinderliedes. Wer denkt da nicht

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an das Andante mit dem Paukenschlag? Es führen ge- rade von diesen Sätzen goldene Fäden nach dem Rohr- aner Eiternbans Haydns, zu den Abendstunden, da der . Vater die Harfe schlug und die Kfnder sangen.' Familien- abkunft und Heimat haben einen großen Anteil an der Sinfonie Haydns; sie haben zum Teil ihre Richtung auf den Gedankenkreis der Suite bestimmt, ihre schnelle und weite Verbreitung, ihre ungeheure, bis heute bewährte Popularität begründet. y^ Aber der volkstümliche Charakter der Haydnschen ' Sinfonie ist nur der eine Teil ihrer Neuerung. Er ruht auf der Erfindung der Gedanken. Wichtiger noch ist, wie das sch6n frühzeitig bemerkt worden ist*), der andere: die Auslegung, Verwendung des thematischen Materials, das, was Theologen und Philologen die Exegese nennen. Hierfür standen der älteren Zeit in der Instrumentalmusik vor allem Fuge und Variation zur Verfügung. Beide Formen arbeiteten fast ausschließlich mit dem Thema in seiner ganzen Ausdehnung und Länge. In zweiter Linie erst kam, namentlich durch das Konzert, die Ent- wicklung eines Tonsatzes auf Grund von Bruchstücken des Themas, auf Grund sogenannter Motive in Brauch. Haydn machte nun diese motivische Entwicklung zum Prinzip des Satzbaues, und eine besondere Eigenheit von ihm war es, daß er solche Teile des Themas, solche Motiye zu dem Zweck gern heranzog, die im Zusammen- hang der thematischen Periode zurücktreten, denen man nichts Bemerkenswertes ansieht. Ein Hauptb^ispiel für dieses Haydnsche Verfahren bietet die Ddur- Sinfonie Nr. 2 (der neuen Partiturausgabe von Breitkopf & Härtel), die zweite der Londoner Sinfonien, in ihrem ersten Satz. Da ist der ganze, große Durchführungsteil und auch ein gutes Stück der. Übergangspartien in der Themengruppe aus dem 3. und 4. Takte des Hauptthemas, aus dem zweiten

*) L. Gerber: Über gearbeitete Instramsntalmnslk, be- sonders über Sinfonie. Allgemeine Musikalische Zeitung 1813, S. 457 n. ff.

--♦ 112 «^

Abschnitt des Vordersatzes hergestellt, der also lautet:

Nun vergleiche man ein-

4^yA J J J J I ■» J I mal, wie unbedeutend diese ff^T ip " jj^.j^^ ^^,.j^ .^ Thema.

selbst bleiben, andererseits was für eine Skala von Emp- findungen Haydn mit ihnen durchspielt. Das geht von der entzückten Träumerei bis zum entsetzten, verzweifelten Toben.

Dieses neue Haydnsche Verfahren i ließ die Grund- linien der in der italienischen Sinfonie herrschenden Formen im Anfangs- und Schlußsatz unberührt. Wir haben im ersten Sinfoniesatz bei Haydn nach wie vor die drei Hauptteile: Themengruppe, Durchführung, Re- prise: das Schema also des sogenannten Sonaten satzes. Seine Schlußsätze bleiben bei der bisher üblichen Rondo- form — eine Art Instrumentalübertragung des Rundge- sangs — oder sie verwenden, wie der erste Satz, eben- falls das Sonatenschema. Aber die Teile selbst sind be- trächtlich erweitert. Ganz besonders gilt das von der Durchführung des ersten Satzes, die dessen wichtigsten und spannendsten, in der Regel auch längsten, umfang- reichsten Teil bildet. Gleicht die Themengruppe der Ex- position im Drama, so bringt die Durchführung die Katastrophe, enthält das bewegteste Stück aus dem in- der Romposition vorgeführten Lebensbild. Dem lang- samen Satz gab Haydn eine ganz neue, dem Sonaten- charakter des ersten Satzes nachgebildete, in der Durch- führung l^ürzer gehaltene, oder aber aus Variationen herausgewachsene Gestalt. Die- Variationenform verdankt die Stellung, die sie in der modernen Sinfonie, im Quartett und in allen Zweigen des Sonatengebietes einnimmt, dem Meister Haydn. Zwischen ihm und der alten Orchester- suite der Haußmann und Genossen liegt eine Zeit, da sie ihr Dasein bescheiden tl ich auf dem Klavier und im Schul- dienst fristete. Der Menuett allein bewahrt den Charakter der Volksmusik, den die anderen Sätze der Haydnschen Sinfonie im Anfang, in den Themen, zeigen, auch im weitem Verlauf. Er besteht aus einem in zwei Klauseln

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geteilten Hauptsatz, einem Trio als Gegensatz und der Wiederholung des Hauptsatzes. Im äußeren Gefüge wie im Inhalt verliert er die praktischen Zwecke des Tanzes nie ganz aus den Augen und verzichtet deshalb auf Durchfahrongi thematische Arbeit und alle Künste der Auslegung.

Eine erstaunlich große Anzahl von Musikfreunden und Musikern unter diesen Namen von gewichtigstem Klang glaubt, den >Papa Haydn«, den »gemütlichen«, den » kindlichen Haydn, mit einem Beisatz von Her* ablassung verehren zu dürfen, weil Qr in den Themen seiner bekannten Sinfonien sich sehr ungeniert als Bruder Lustig gibt und in demselben Kreise harmloser, von der Oberfläche geistigen Lebens geschöpften Ideen dreht. Sie übersehen ganz den inneren Zusammenhang, der zwischen der Thematik der Haydnschen Sinfonie und den Werken der Berliner Liederschule, noch mehr aber den, der zwischen den Themen und der Methodik ihrer Entwicklung besteht Die Methode, in der Haydn seine Gedanken entwickelt, ausnutzt, zum großen Tonsatz aus- führt und erweitert, liebt bedeutende, durch eigne Wen- dungen ausgezeichnete Themen nicht; sie kann sie nur selten gebrauchen. Auch die Macht und Unmittelbarkeit der ersten Erfindung, der immer von neuem, frisch ein- setzenden Inspiration hat für sie wenig Wert. Tonge- danken, die sich für die Haydnsche Methode eignen sollen, müssen klar und reich gegliedert sein, vor allem unbe- schränkte Verwand lungsfähigkeit besitzen. Das Wesen der Haydnschen Sinfonie, ihre Eigentümlichkeit beruht nicht auf den Themen und Ideen, ihrem Eigenwert und ihrem ersten Eindruck, sondern auf dem Grad von Kunst, mit dem der Komponist sie behanddlt, darauf, was er aus ihnen zu machen weiß. Haydn schuf seine Sinfonien aus einem ähnlichen Glauben, aus dem heraus Aeschylus und Sophokles ihren Tragödien Volkssagen zu Grunde legten, Schütz und Händel AllerweUsmotive und nach- weislich fremde Erfindungen für ihre Kompositionen be- nutzten: aus dem Glauben und der Anschauung: die

Kroizflchmar, Fftkrer. I, 1. 8

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Originalität und der Gehalt der Grundideen ist fiir große Kunstwerke weniger wichtig, als die Begabung des Känstlers. Ein Sinfoniker, der in der Methode Haydns etwas leisten will, muß einen außerordentlich reichen beweglichen Geist, er muß die Fähigkeit besitzen, ein und dasselbe Thema mit tausend verschiedenen Lichtem zu beleuchten, mit ihm in alle Türen und Tore seines Phantasie- und Gemütslebens einzudringen. Er muß eine Persdnhchkeit sein, die sich ihrer Falle und Eigenart frechen darf und daraus mit yoUendeter Freiheit mitzu- teilen weiß, was. am Platze ist War die Sinfonie vor Haydn eine Festmusik, so wurde sie durch ihn eine -Ton- dichtung intimster Art: der Subjektivität des Komponisten wurde ein größerer Anteil i^n gewiesen, als ihn bisher die Orchestermusik gekannt hatte. Es war fortan um mit Brahms zu sprechen »kein Spaß« mehr, Sinfonien zu schreiben.

Zu dem Suiten geist, zu der durch die Betonung thema- tischer Arbeit erweiterten Satzform der Haydnschen Sin- fonie tritt als eine dritte Neuerung die Beseitigung des Cembalo aus dem Orchester, aber erst von seiner mittleren Zeit ab. Man kann diese Maßregel auf die Anregung der Gluckschen Oper oder, was wohl das Richtigere ist, auf das Beispiel der alten Orchestersuite und ihrer süd- deutschen Rechtsnachfolger, der Cassationen, Serenaden, zurückführen. Im letzteren FnUe bedeutet sie, wie die Einführung des Menuett, wie die Thematik der Haydnschen Sinfonie, ebenfalls eine Annäherung an die Bräuche der gleichzeitigen Volksmusik. In dem Augenblick, wo die In- strumente des Haydnschen Orchesters von dem Cembalo Abschied nehmen, richten sie untereinander eine, über alle bisherige Konvention hin ausschreiten de Freiheit des Ver- kehrs ein. Das Konzertieren und das Solospiel wechselt in einer Beweglichkeit, die wohl von Händel z. B. in den Oboenkonzerten, von Ph. E. Bach, von den Mannheimern vorbereitet, aber in der Haydnschen Weise bisher noch von niemandem durchgeführt war. Indem das Solorecht von jetzt ab allen Instrumenten ohne Ausnahme ver-

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liehen and in buntester Reihe, unter Umständen takt- weise von einem zum andern wandernd, ausgeübt wurde, gewann das Orchester mit Haydn einen Reichtum und einen Reiz des Kolorits, der die Wirkungen seiner Sin- fonien auf die Zeitgenossen mächtig förderte. Wir aller- dings haben von der Schönheit und Eigenheit des Haydn- schen Orchesterklanges in vielen Fällen gar kerne Ahnung, weil wir sie durch das Mißverhältnis zwischen der Be- setzung der Geigen und der der Holzbläser gründlich ver- derben. Das vernichtet namentlich die Haydnsche Kunst der Farbenmischung. Ein Beispiel: In der hübschen Gdur- Sinfonie Nr. 13 (Partiturausgabe von Breitkopf & Härtel) kommt im ersten Satz mehrmals eine Stelle vor, an der zu den von den Bässen gebrauchten Vari- ante des Haupt- themas:

die hohen In- strumente mit der Figur:

kontrapunktieren. Diese Figur klingt außerordentlich schelmisch, weil die Oboen mitspielen und in den Geigen- ton eine drollige Färbung hineintragen. Diese Nuance muß aber verloren gehen, wenn, wie das bei unseren Orchesteraufführungen anstandslos passiert, die ersten Geigen zehn- bis zwanzig fach, die Oboen aber einzeln besetzt sind. Der Dirigent muß notwendigerweise die Besetzung des Orchesters kennen, die zur Zeit Haydns üblich war, und danach seine Einrichtungen treffen. Ohne etwas historisches Wissen geht's eben auch den soge- nannten Klassikern gegenüber nicht!

Nur wenige Musiker sind sich darüber klar, daß die Beseitigung des Cembalo aus dem Sinfonieorchester auch mit einem künstlerischen Nachteil verbunden war. Er liegt darin, daß wir jetzt zur Füllung der Harmonie, Angabe des Rhythmus und anderer elementarer und mechanischer Aufgaben, für die vor Haydn das Akkord- instrument da war, eine Anzahl von Künstlern in Betrieb

8*

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setzen müssen. Wie sehen die Stimmen der Bläaer, der zweiten besonders, in modernen Orchesterwerken oft ans! Zwei, drei Fülltöne, dann wieder zehn, oder anch zehn- mal zehn Takte Pansen, selten eine melodische, thema- tische, für sich sinnvolle Stelle. Es ist ein geradezu demoralisierender Färberdienst, der trefflichen Künstlern zugemutet wird, und Über kurz oder lang wird es dahin kommen, daß wir das Cembalo oder einen Ersatz dafür wieder zurückholen. In London mußte übrigens Haydn wohl oder übel bei Aufführungen eigner oder fremder Sinfonien sich das Klavier gefallen lassen, wohl auch selbst spielen*).

Unter den Neuerungen der Haydnschen Sinfonie ist das Prinzip der motivischen Entwicklung, der thematischen Arbeit die wichtigste. Sie hat die Zukunft der Sinfonie bis heute beherrscht. Ihr Geist, ihr Charakter war mit der Individualität Haydns auf eilgste verbunden. Haydn war mit seinem Scharfsinn, seiner Schlagfertigkeit, seinem Witz für diese Methode geschalTen. Und doch hat er sich ihr erst zugewendet, nachdem er die Mitte seines Lebens längst überschritten, ähnlich wie im Oratorium, auch beim Betreten dieses seines eigensten und glänzend- sten Gebietes ein Kunktator!

Von den vielleicht 160 Sinfonien, die Haydn kom- poniert hat, ist die gute Hälfte unverüffentlicht geblieben, nicht einmal in Stimmenausgaben gedruckt worden. Namentlich die Arbeiten aus den ersten beiden Jahr- zehnten seiner Tätigkeit ab Sinfoniker waren bisher schwer zugänglich. Dem ist endlich durch die ersten drei Bände der im Jahre 1909 begonnenen Gesamtaus- gabe der Werke Haydns abgeholfen worden, welche die zwischen 1769 und 1770 entstandenen vierzig Sinfonien vorlegen. Haydn ist ähnlich wie Beethoven erst beim Eintritt ins Mannesalter an die Sinfonie herangegangen, aber dann auch vom ersten für die von ihm geleitete

*) OriesiDger, 6. A.: Biographische Notizen über J. HAydn (1810), S. 60.

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Gräflich Morzinsche Kapelle geschriebenen Stück ab in der Regel seine eigene Straße gezogen and hat dabei eine enorme Wandlungsfähigkeit be^vlesen. Schon beim Vergleich der ersten mit der zweiten Sinfonie tritt sie Die «nten hervor. Dort walten komische Einfälle, Künste der Ober- Sinfonien. raschong, der Übertreibung, des grotesken Humors her- vor, hier in der C dur-Sinfonie, mit der er in Eisenstadt antritt, ist er eine ganz andere, feinere Natur, ein Künstler, der den Witz und seinen Stolz darin sucht, aus wenig viel zu machen. Man fühjt sich bei diesem Werke bereits in die Londoner Sphäre versetzt und steht schon hier dem großen Meister der motivischen Entwicklung und der thematischen Arbeit gegenüber. Mit einem Teil dieser früheren Sinfonien gab Haydn Beiträge zur Programmusik. Die Richtung war zu Haydns Zeit unter den Instrumental- komponisten noch von MufTats Suiten, Frobergers und Kuhnaus Klavierstücken her beliebt und in der Sinfonie durch Männer wie Dittersdorf (Sinfonien zu Ovids Meta- morphosen) Mysliweczek (6 Sinfonien über die Monate Januar bis Juni), G< Stamitz (la chasse), Tessarini (la stravaganza), Rosetti (Sinfonien: »Galypso und Telemach«» »Der Sturz Phaetons«), Pichel (neun Sinfonien über die neun Musen) u. a. vertreten. Er selbst hat seine Neigung zu ihr noch in späteren Jahren bekannt, als er dem Hof- rat Griesinger bemerkte, daß er in seinen Sinfonien gern einen »moralischen Charakter« geschildert habe*). Wie sehr das Publikum Haydns, namentlich das französische, einen poetischen Anhalt in den Sinfonien liebte, das sagen uns die Beinamen, mit denen es die Werke Haydns belegte: Wir haben da einen Philosoph, einen »Zer- streuten« (il distratto), einen Schulmeister, eine Lamenta- tion, eine Passion, eine Maria Theresia einen Laudon, eine la Reine, la chasse, la poule, einen Tours, eine Feuersinfonie, eine Militärsinfonie, eine Kindersinfonie und noch eine ganze Reihe merkwürdiger Namen. Car- pani, der italienische Biograph Haydns, der Librettist der

♦) Griesinger. S. 117.

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italieniscben »Schöpfangc behauptet, daß Haydn diesen Sinfonien allen ausgeführte Novellen und Geschichten untergelegt habe*)> Soweit es sich um Kompositionen aus späterer Zeit handelt, stehen jedoch diese Titel dem Wesen der Kunstwerke meistens sehr fem und heften sich nur an Kleinigkeiten und Äußerlichkeiten der im übrigen vollkommen normalen und formgerechten Sin- fonien. Die ersten wirklichen Beiträge Haydns zur Pro- grammusik sind die 1761 komponierten Sinfonien le Die matin, le midi, le soir, die Tei^ie eines die »Tageszeiten Tagesaeiten. benannten^Zyklus, dessen viertes Stück, la nuit, wabr- scheinlicb verloren gegangen ist. Haydn hat sich an dem Thema der Tageszeiten, das im 18. Jahrhundert auch von Dichtern und Malern bebandelt worden ist, sinnig und witzig die der Musik zugänglichen Seiten j.Haydtt, herausgesucht Der Morgen (le matin) gibt ihm in den le matin. Ecksätzen und im Menuett Gelegenheit zu stimmungs- reichen Wanderbildem mit Lerchengesang und anderer Naturmusik, mit Wechsel von Sonnenschein und Wolken, stillem Träumen und lautem Jubel. Da der Morgen aber auch die Zeit des Lernens ist, bringt der zweite Satz die Parodie einer Musikstunde, eine der in der älteren Vokal- musik so beliebten Solmisationsszenen. Die Schüler (Geigerchor) tragen von D aus die Gdur-Skala vor und spielen fälschlich b, da fällt der Lehrer (Solovioline) heftig ein und zeigt ihnen, daß es h sein muß. Nach dieser Korrektur greift eine freie und anmutige Unter- haltung Platz, le midi. Der Grandgedanke von le midi ist eine in die Form eines Concerto grosso gekleidete solenne Tafelmusik. Im ersten Satz erinnert sie, sich an ein Glucksches Thema an- lehnend, an das Festmahl, von dem Don Juan zur Hölle weggeführt wurde. Mit diesem Bild im Kopfe wird Haydns Zuhörern das merkwürdige Adagio verstäiidlich gewesen sein, das mit vorausgehendem Rezitativ als zweiter Satz folgt Der genannte Carpani erzählt, daß Haydn in einer

*) Carpani, Giuseppe: Le Uaydlne (Milano lhl2),'S. 69.

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seiner ältesten 3infonien sich einen Dialog zwischen Gott und einem verstockten Sünder gedacht habe. Nan: der zweite Satz von le midi ist dieser Dialog. Im, Rezitativ spricht Gott- Vater zum Sünder, im Adagio spricht (in der Stimme des Cellos) der Sünder mit und wird zn Gnaden aufgenommen. Der Glanzpunkt der Versöhnungsszene ist die vor dem Schluß eingelegte Kadenz von Violine und Cello, ein Unikum unbegleiteten Duettspiels. Menuett und Finale halten ohne Bezug auf .besondere Vorgänge an der Idee der konzertierenden Tafelmusik fest.

Le soir ist eine Art sinfonisches Seitenstück zu le soir. Dittersdorfs Doktor und Apotheker und ähnlichen Kunst- werken des bürgerlichen Behagens und anspruchslosen Glücks, von traulichen Tanzweisen und Kinderliedern be- lebt. Auch die Wandermotive aus le matin tauchen wieder auf, und den Schluß bildet, wie in so vielen Kon- zerten und Sinfonien der Zeit, eine »Tempesta«, die Schilderung eines schweren Unwetters, die in Frieden JEtusklingt.

Wie in den »Tageszeiten«, die nur in dem Rezitativ des »midie einen unregelmäßigen Einleitungssatz bringen, hält sich Haydu auch in seinen anderen Programmsin- fonien innerhalb der gewohnten viersätzigen Sinfonieform, aber er macht's mit seinem Gedankengang den Zuhörern nicht leicht. Seine Weihnachtssinfonie z.B. (Nr. 26} WeihnaohU- ivlrd man nur verstehen, wenn man daran denkt, daß einfonie. die Kirche die Adventszeit als ernst und trübe auffaßt. Ohne weiteres zugänglich ist die Programmsinfonie (Nr. 31) »Mit dem Hornsignal«, »Auf dem Anstand«, mii Mit dem dem durchgehenden Hörnerklang und den reizenden, ge- Hornsignal! müt- und phantasievollen, brillant abschließenden Varia- tionen des Finale.

Die bekannteste Programmsinfonie Haydns ist die j. Baydn, sogenannte Abschiedssinfonie geworden, vermutlich Abschiods- ihrer JEntstehungsgeschichte wegen. Dem Fürsten Ester- »"*^°°*«- hazy fiel es im Jahre 1772 plötzlich ein, die Kapelle zwei Monate länger als gewöhnlich auf seinem Sommerschloß behalten zu wollen. Da entschloß sich Uaydn, für seine

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führt, im Ganzen jedoch nur Eigenheiten zweiter Klasse ergibt Die Themengruppe, der Haydn in späterer Zeit sehr oft nicht einmal ein zweites Thema gönnt, ist in diesen Werken der bedeutendste unter den drei Teilen des ersten Satzes. Dagegen ist die Durchführung in der Regel nur sehr obenhin in einem gewissen al fr^sco-StU behandelt. Sie zeigt Charakter, aber keinen eigentlichen geistigen Inhalt Alles in allem ist dieser frühere Haydn das reine Gegenteil von dem, den seine späteren, die noch heute weltbekannten Sinfonien zeigen.

j. UftydB, Weil sie in Klavierauszügen vorliegen, geben auch

Sinfonie »Maria »der Schulmeister« und »Maria Theresia«, die der Periode

Thercsiac. ^^^ Abschiedssinfonie angehören, bequeme Gelegenheit» einen Blick auf Haydn in der Zeit seines ersten Stils zu werfen.

Die Sinfonie »Maria Theresia« wurde bei einem Besuch, den die Kaiserin im September 1773 in Esterhäz abstattete, aufgeführt und erhielt daher ihren , Namen. Haydn wird das Werk aus dem Vorrat fertiger Sinfonien in der Erwartung hervorgeholt haben, damit Ehre ein- legen zu können. Sie ist so freigebig erfunden, daß man aus dem mitgeteilten Material gut zwei Sinfonien her* stellen könnte, die selbständige und eigne thematische Ausstattung der Übergangsgruppen erinnert mehr an den jungen Beethoven als an den fertigen Haydn. Die plötzliche Ausweichung nach Cmoll im 13. Takte des ersten Satzes z. B. ruft unwillkürlich eine frappante Stelle in Beethovens erster Sinfonie (Themenpruppe : das plötzliche pp nach der Gdur-Cadenz) vor die Phantasie.

Der Ton, in dem sonst Majestäten begrüßt zu werden pflegen, kommt in dieser Sinfonie der Kaiserin nicht vor, aber das »Willkommen«, das sie bietet, kann an Herzlich- keit, an Frische und Kindlichkeit nicht übertroffen werden. Ein so begrüßter Gast kann nicht zweifeln, daß er unter liebenswürdige, glückliche und auch interessante Menschen gekommen ist. Wer die Sinfonie, ohne den Namen des Autors zu wissen, hört, wird hie und da auf Mozart raten

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wollen, namentlich wenn das Haui^tthema des ersten Satzes -f^^ Oboen oder wenn

<^LLf r f " 'UU-^ '^ Abschluß der cojrni In «w sab. ersten großen

Periode, ^^ yiomtgn. ^ y-^ ^ trillern . Beide, Hay dn

in der die tm j* ji-ft J J J J I fe I wie Mozart , hatten Violinen: ü ^ « f^r solche Fälle eine

gemeinsame Quelle: die italienische Schule. Den flotten, temperamentvollen Zug, der sich in den guten Opernsin- fonien der Italiener findet, hat diese >Maria Theresia« sich wohl zu eigen gemacht: das wird der Monarchin nach der musikalischen Erziehung, die ihr zu teil geworden war, sehr wohl gefallen und sie empfänglich und freundlich for die Menge neuer Humore gestimmt haben, die Haydn aus seinem eigensten Innern dreingab. Sie finden sich in allen Sätzen: Die hervorragendsten sind im ersten di» poltern- den und bär- beißigen Uni- sonofiguren :

die die zarten Klänge des zweiten' Themas verjagen. Im zweiten Satze liegen sie im Anfang des Haupt- themas selbst, in dem Widerspruch zwischen dem leich- ten Charak- AdAgio.. «««-— , t »?' der Ver- 11.11 I | ^J^l FT^] m^^ Zierungsfigur : «^ ^ ^^ '•—■ '-^ ^ und dem etwas schweren ICIang der tiefen Violinsaiten: noch mehr in den Stellen, die die Obergänge vom ersten zum zweiten Thema, von der Durchführung zur Wieder- holung bilden. Es ist, als wenn diese paar Takte mit dem plötzlichen Hörnerklang, mit dem Vogelgezwitscher, das aus den Violinen tönt, in die philosophischen Träume- reien des Satzes hin ein mahnten: Siehst du nicht, wie schön die Welt ist! Der Träumer aber fällt wieder in Tiefsinn und Grübelei und stellt in dem Trugschluß bei der Fermate hier darf man an den Hamburger Bach

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Knie gebrochene Schlüsse Symptome des Zornes geben ihm sein besonderes Gepräge. Pohl (II, 262j führt den Beinamen der Komposition auf den zweiten Satz, das Adagio^ zurück, auf den »abgemessenen Gang« seines Themas:

ßtemplice

J J J J I f] ^ ,n| JTTT-+4^ Das würde der ,.■1 j j j I T 7 -.-, r 7 ? : I J,, ^jstgQ Annahme

nicht widersprechen im Gegenteil: Wir erwarten bei einem Programm, daß alle Sätze der Sinfonie an seiner Durchführung teilnehmen.

Die hier mitgeteilte achttaktige Periode wird sofort in variierter Form wiederholt und nochmals im Halb- schluß beendet; dann erst kommt der Nachsatz, der das Thema in die Haupttonart B dur zurückführt. Auch diesem gleichfalls achttaktigen Nachsatz iolgt seine Variation auf dem Fuße.

Wir haben also ein Thema, das in breiter Anlage 32 Takte umspannt. Diese Äußerlichkeit ist zu beachten, weil in den folgenden Variationen über dieses Thema, aus denen sich das Adagio bildet, die zweiten Perioden als wörtliche Wiederholungen der ersten nicht aus- geschrieben, sondern nur durch Wiederholungszeichen an- gegeben sind. Es wäre in diesem Falle ein Verstoß gegen die Metrik und das Ebenmaß der Komposition, wenn man, was sonst ja zuweilen statthaft oder geboten ist, diese Wiederholungszeichen ignorieren wollte.

Auch das Finale der Sinfonie ist ein Variationensatz und zwar über das Thema:

Presto.

Zwar liegt dem Ganzen das Rondoschema zu Grunde; doch treten die Zwischensätze ganz zurück. In die sorgenfreie Gemütlichkeit dieses Schlußsatzes platzt

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(hinter dem siebenten Teilstrich) nach dem Dialog, den die hohen und die tiefen Instrumente über das Motiv:

fähren, eine sehr aufgeregte Szene herein. Wieder einer jener Zwischenfälle, an denen diese Schalmeistersinfonie so reich ist! Diesmal scheint er erfreulicher Natur gewesen zu sein, denn das Sätz- chen schUeßt ganz still entzückt auf einer Fermate auf dem unerwarteten f-as-ces-des. Wie alle Sätze des »Schulmeister« ungewöhnlich mit einem kleinen Stich inä Karikierte ausklingen, so auch das Finale. Aber das Kindliche und Rührende, der milde Glanz des Abendrots überwiegt doch ganz entschieden. Es ist eine Stelle von jener Poesie und Schönheit, mit der uns eine andere Perle der Schulmeister-Literatur, Jean Pauls Schulmeister Wuz, entzückt.

Was bei Haydn zu dem schroffen Wechsel der künst- lerischen Anschauungen geführt hat, läßt sich nur ver- muten. Zum Teil scheinen ihn die Werke Ph. Em. Bachs beeinflußt zu haben. Als ihm einmal*} von der Ver- wandtschaft seiner Musik mit der des bereits erwähnten Mailänder Tonsetzers Sammartini gesprochen wurde, wies er diesen vielzitierten Lehrer Glucks als einen »Schmierer« heftig zurück und nannte ausdrücklich den Hamburger Bach sein Vorbild. Wohl konnte er sich von diesem Tonsetzer angezogen fühlen : denn er glich ihm an Temperament, an Munterkeit und Heiterkeit des Geistes. Dann mußten ihn aber auch die modernen Elemente in Bachs Musik mächtig erregen. Die neue Zeit, die Zeit der Roasseausche^ Natürlichkeit und des französischen Esprit, sprach aus keines Zweiten Tönen so deutlich, wie aus den Klaviersonaten Bachs mit ihrer Freiheit des Ausdrucks, der Beweglichkeit und Zwanglosigkeit, mit der sie den Satzbau betrieben und allerband bis dahin, streng getrennte Stile durcheinander mischten. Man kann schon in den ersten Sinfonien Haydns ver-

*) Griesinger. S. 15.

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einzelte Anregungen Ph. Em. Bachs annehmen. Näher kennen gelernt und eingestanden studiert hat er ihn aber wahrscheinlich erst in späteren Jahren, wo er reif genug war, sich vor den Ausschreitungen Bachs zu hüten.

Auch an die äußere Lebensgeschichte Haydns knüpft sein neuer Sinfoniestil merkbar an. Im Jahre 1773 hatte sein »Stabat Mater« den Beifall Hasses und der italie- nischen Schule gefunden. Haydn war mit einem Schlag ein berühmter Mann geworden und schrieb nun auch seine Sinfonien nicht mehr für den kleinen Eisenstadter Kreis, sondern für das ganze musikalische Europa« Mit der Weltklugheit, die schon aus Haydns Bildern spricht, trug er dieser Tatsache Rechnung, verzichtete auf die melancholischen und schwer verständlichen Sonderlieb- habereien seiner Phantasie, wenn er fortan an Sinfonien ging und suchte statt dessen dem Geschmack der tonan- gebenden Gesellschaft seiner Zeit Rechnung zu tragen. Hierbei war es von entschiedener Bedeutung, daß die ersten und dann die meisten auswärtigen Bestellungen auf Haydnsche Sinfonien von Paris einliefen. Von 1779 ab, wo das Concert de la Loge Olympique, die Nach- folgerin der alten Concerts spirituels von 1724, die heute noch in den Concerts du Conservatoire fortleben, Haydn einfahrte, war er der populärste Instrumentalkomponist der französischen Hauptstadt. Der Verleger Sieber in Paris gab nach und nach 63 Haydnsche Sinfonien in Auflagestimmen heraus, man handelte wie etliche Jahre früher mit unechten Phil. Em. Bach*) so jetzt mit ge- fälschten Haydn**), 1810 veröffentlichte Leduc sogar Partituren von 26 Haydnschen Sinfonien. Von Paris aus drang dann der Ruf der Haydnschen Sinfonie nach Wien, nach Deutschland und England und erzeugte jenen Haydn- kuliu^, der bis ins 19. Jahrhundert hinein durch Anlegen von Sammlungen, Errichtung von Konzertsälen, Gründung

*) H. Bitter: Die Söhne Bachs 186S, II., S. 332. **) Siehe GyroveU' Selbstbiographie S. 45.

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▼on Yereinsverbänden das allgemeine Masikwesen mannig- fach förderte. Die Vergleiche Haydns gingen vom »Geliert der Mnsik« vom musikalischen Ariost bis zum Phöbos Apollo und entsprangen einer völlig angekünstelten Be- geisterung, die nicht zum kleinsten Teil mit darauf be- ruhte, daß die Zeit Haydns den besten Teil ihrer Bildung, ihres geistigen Wesens in den Sinfonien dieses Meisters wiederfand. Sie waren in vollendeter Weise aqf den Ton jener Klasse gestimmt, die vor der fran^ösichen Revo- lution, unter dem sogenannten ancien regime, an der Spitze der europäischen Menschheit stand.* Darum klingt aus den Themen dieser Sinfonien des zweiten Stils immex wieder derselbe anacreontische Grundton heraus, der Ton der Anmut, Heiterkeit und Sorglosigkeit, der denen ein f&r allemal vorgeschrieben war, die auf den Adels- schlossern und in den Salons der höheren Bürgerschaft verkehrten. Jener Ton, in dem die Frivolität des »Morgen wieder lustikc, die überschäumende Lebenskraft des »Carpe . diemc mit den Gefühlen edelster Humanität, des »Seid um- schlungen Millionenc zusammentraf.

Nicht minder finden wir aber in den Haydnschen Sinfonien jene Kunst der Konversation, jene Virtuosität im geistreichen Gedankenaustausch wieder, die während des 18. Jahrhunderts, soweit französische Bildung reichte, also innerhalb des ganzen zivilisierten Europa unter den höchsten innern Gütern obenanstand. Man lese nur die nnübertrefifliche Schilderung, -die Frau von Staöl in ihrem bekannten Buche »De TAllemagne« von dieser franzö- sischen Konversation entwirft, und suche dann die her- Torragendsten ihrer Merkmale in der Haydnschen Musik. Wer die Kultur des vergangenen Jahrhunderts getreu und vollständig übersehen will, darf an den Haydnschen Sinfo- nien ebensowenig vorbeigehen, als an den französischenEn- eyclopädisten. Sie führen die Gegenwart vor das Bild eines gesellschaftlichen Geistes, der dem heutigen in mancher Hinsicht überlegen ist und zum Muster dienen kann.

Daß die Sinfonien Haydns ihrer Zeit auch Schwierig- keiten machten, erfahren wir aus England, wo man sich

Kretisch mar, Fftkrtr. I, 1. 9

r*

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1792 beklagte) daß die deutsche Instnimentalmusik afu* geartet sei*). Es ist nicht zu leugnen, daß auch das heutige Publikum dem vielfachen Gehalt der Haydnschen Sinfonien und der großen Bedeutung Haydns volle Ge- rechtigkeit nicht widerfahren läßt. Zum Teil aus Un- fähigkeit. Denn die Haydnsche -Sinfonie verlangt eine größere Kunst im Folgen und Hören, als die alte italie- nische und der größte Teil der modernen Werke« Mit der unvergleichlichen Beweglichkeit ihrer Gedanken setzt sie die Fähigkeit schnellen Verstehens und des scharfen Erfassens auch der kleinsten und feinsten Wendungen voraus. Weil sie diese nicht besitzen, kommen soviele Dilettanten, Kritiker, Spieler, Dirigenten ül^er die Be- wunderung des Haydnschen Humors nicht hinaus. Daß Haydn auch tief, leidenschaftlich und dämonisch ange- legt ist, entgeht ihnen, weil er diese Gebiete, außer in den langsamen Sätzen, immer nur kurz in Einleitungen, in den Generalpausen, Fermaten seiner Allegrosätze, an den Schlüssen der Durchführungen streift.

Den Noten nach darf man das Jahr 1780 als die Zeitgrenze hinstellen, in der der neue Sinfoniestil Haydns seine Ausbildung abgeschlossen hat. Diese Annahme hat neuerdings ihre diplomatische Bestätigung durch einen Brief**^) gefunden, in dem der Komponist dem Fürsten von Oettin gen- Wallerstein eine Partie frischer Quartette mit dem Bemerken anbietet: >sie sind auf eine ganz neue besondere Art«. Von den Pariser und den in ihre Nähe gehörigen Sinfonien, in denen sich dieser neue Stil zu- nächst zeigt, sind La Chasse, L^ours, La Poule, La Reine und die Oxfordsinfonie wenigstens dem Namen nach all- gemein bekannt. Keine von ihnen gehört zur eigentlichen Programmusik, und Haydn ist an den Titeln, die sie tragen, mit Ausnahme der ersten, wie schon bemerkt, vollständig unschuldig. Es sind Kosenamen, die mehr

*) F. Pohl: Haydn und Mozart in London n, S. 180. **) Adolf Sandberger: Zar Geschichte des Haydnschen Streichquartetts. Nördlingen 1899.

131 ♦^

an zufällige Einzelheiten, als an das Wesen der Wetke anknüpfen, mehr die musikalischen Liebhabereien, des französischen Volks, das diese Beinamen erfand, be< leuchten, als den Inhalt der Sinfonien. Sie entstanden in den Jahren 1781—1788 und zeigen so, wie sie hinter- einander iolgen, dass auch Haydn auf dem Weg zur vollen Meisterschaft gelegentlich gestrauchelt und rück- wärts geglitten ist. Nach ihrem Wert aufgestellt, würden die genannten Sinfonien die Reihe geben: La Poule, L'ours, La Reine, La Chasse, Oxford-Sinfonie.

In der Zeit der Pariser Sinfonien bewegt sich Haydn noch in dem reicheren und weiteren Stimmungskreise seines ersten Stils und nimmt wohl in der Ausführung seiner Themen, aber nicht bei ihrer Erfindung auf den Geschmack der großen Welt Rücksicht. Wenn die Kom- positionen dieser Periode im allgemeinen den Charakter von Gelegenheitsdichtungen, Herzensergießua^en und Äugenblicksbildern aus dem Leben ihres Schöpfers haben, so ist das bei La Poule ganz besonders der Fall. Diese J. ifayda, Sinfonie erzählt von unruhigen, trüben und ernsten La Poule, Stunden. Ein Rest von Sorge und Furcht wohnt auch in ihrem Menuett und ihrem Finale, wächst in diesem sogar zur Leidenschaft und Erregung an. So hat sie denn den Vorzug der geistigen Einheit und Zusammen- gehörigkeit sämtlicher Sätze, die ja so häufig in der neueren Sinfonie fehlt; auf der andern Seite läßt sie, namentlich in den Ecksätzen, nicht verkennen, daß der Komponist seinem* Stoff noch nicht mit der menschlichen Freiheit gegenüberstand, die das Kunstwerk nicht ent- behren kann.

Der erste Satz ruht auf einem Hauptthema von 16 Takten, ▼on denen dreiviertel durch freie Wiederholung der Periode AUi^fo oonsgiriio. gebildet sind,

f. Sie spricht

* f'J I |=Schmerz und Unwillen aus;

bei der- nächsten Weiterführung des Themas bleibt kein Zweifel, daß die Elemente des zweiten Abschnitts, die

9*

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der Kraft und Energie, Anstalt machen, das Feld zu be^ hanpten. Beim 33. Takt, nachdem das Thema, Tariiert, zum zweiten Male vorbei gezogen, tritt ein munteres, lebensfreudiges Motiv:

in seine Fußtapfen. Nach einigen Gängen, die es tut, verliert es sich aber unerwartet ins piano und pianissimo,

tritt wie aiif den Fußspitzen (nämlich inj^«fj^«y/^tyj^«y! bei Seite, um einer wichtigen Erscheinung Platz zu machen. Das sogenannte zweite Thema ists, das als höherer Ver- bündeter gegen die dunkle Macht des Hauptthemas eintritt:

Der Dichter ist an den Busen der Natur geflüchtet Wenigstens haben die Franzosen nach diesem Thema und einer gleich darauf folgenden Stelle, wo die Oboe ziemlich lange auf demselben Ton den Rhythmus j j [ j k angibt, die Sinfonie als La Foule getauft J- J J # ^uf die Dauer vermag jedoch dieser naive Freund nichts gegen die Not der Situation. Vergebens erhebt er seine Stimme noch einmal am Anfang der Durchführung. Diese seihst gehört ganz den bedroh* liehen Tönen, mit denen das Hauptthema beginnt Sie suchen mit besonderem Eifer aus den tiefen Regionen her, in den Baßinstrumenten zu schrecken. Doch ist ihre gespenstische Kraft geringer als der Komponist be^ abfiichtigt hat. Sie verstehen sich so wenig zu ver- wandeln und zu entwickeln, daß wir den ganzen ersten Satz unserer Sinfonie trotz der ansehnlichen und klaren Intentionen, die ihm zu Grunde liegen, zu den schwächsten Leistungen Haydns rechnen müssen. Mit L^ours, La Reine steht La Foule in Bezug auf die Durchführung auf der Stufe von Versuchsarbeiten; nur das Prinzip erhebt sie über die Sinfonien des ersten Stils.

» 133 *^

Ein schöner, reicher und interessanter Satz ist das Andante. Was er will, sagt das Hauptthema schon ge- nügend in seiner ersten Hälfte:

Nämlich bernbigen. Wie es aber in der Lösung dieser Aufgabe nach den besten Wegen suchend die Richtung ändert, wie es dabei erschreckt, gehindert und gestört wird, das hat Haydn in einem Tonbilde ausgeführt, welches wir unter die unmittelbarsten, dramatisch be- deutendsten Leistungen der Instrumentalmusik überhaupt zfthlen müssen. Wenn wir uns die vier Sätze unserer Sinfonie als die Hauptteile einer spannenden Geschichte denken wollen, so enthält das Andante das Kapitel der Entscheidung. Ganz überwältigend hat darin Haydn den Zustand der äußersten Seelenspannung geschildert: wie die Erwartung, die das Schlagen des Herzens unter- drücken möchte, dem lauten Aufschrei weicht und ein Gefühl ins andere stürzt, das ist mit einem wunderbaren Realismus dargestellt.

Die Seberhafle Stelle beginnt mit einer abwärts sausen- den Skala in Zweiunddreißigsteln im forte, darauf folgen zwei Takte, wo nur in den Violinen noch jj^ ^ ^ ^ ^ ein Schatten von Ton sich regt fast wie 4^ J; ' j; j im 1. Satz der Eroica beim »Kumulus« »'

und dann durchs ganze Tutti ein fortissimo!

Der Menuett gibt der Freude in ziemlich eigensinnigen, Zwei- und Dreiviertel untereinander werfenden Rhyth- men Ausdruck, ^jAllegretto. ^

wie schon der Y/tf P M p" I CrJ r'f I il- I J^ Anfang zeigt: ^y * *^J ' T ' U UT t- "^ r ■■».

Es klingt fast slavisch, deutet in der massigen Be- setzung und den stattlichen Unisono-Figuren auf Volks- mengen und Feste im Freien. Voii diesem Grunde hebt sich dann das Trio mit dem anmutigen Flöten- solo:

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L'onn.

als reizende Idylle ab. Das Finale raht anf dem Thema:

J I ' " M II"

. n

Einige Ausgaben schreiben für das Tempo Presto, andere Vivace vor. Es ist wieder einer von den Fällen, der uns den Mangel einer kritischen Gesamtansgabe der Haydnschen Sinfonien fühlbar macht. Presto geht ganz nnd gar nicht, Vivace allenfalls! Die Melodie nähert sich nach Taktart nnd Charakter den Sicilianos des 18. Jahr- hunderts. Es handelt sich in ihr nicht um stöi mische Freude, sondern um ein besonnenes, wonniges Genießen eines schwer errungenen GlQcks. In der Durchfähmng leben die Stürme, die dem frohen Ende vorausgingen noch einmal auf. Sie setzt mit dem Thema in' D moU ein und geht dann in heftiges Toben und Lärmen über. Glücklicherweise ist sie nur kurz.

Die mit dem Beinamen L*ours belegte C dur-Sinfonie stammt mit La Poule aus demselben Jahre 1786 und ähnelt ihr darin, daß auch bei ihr der erste Satz am wenigsten gelungen ist Auch er hat ein inhaltreiches und ergiebiges Hanptthema:

O vivace. ^ U) I

Jii|i ri I irri II n \^ i'

m das sich, wie in die Seele eines rechten Jünglings, Feuer, Kraft und Anmut teilen. Haydn stellt ihm ein zartes, zweites Thema entgegen:

jfi^..rrrfrinrri*^r^rri

135

Das Eigentümliche an dem Satze ist aber, daO der Über- gang von dem ersten zum zweiten Gedanken nicht bloß sehr lang ist, sondern auch sehr viel Leidenschaft und Erregung verbraucht Es kommt namentlich ah der Stelle, wo in der Mitte der Instrumente das g als liegende Stimme fortdröhnt, zu einer Wirkung, die sich für den Verlauf des Satzes als furchtbar einprägt und Schluß und Ausgleich verlangt Damit ist dem Durchfahrungsteile die Spitze abgebrochen, und in der Tat bringt er, mit Ausnahme des Eingangs, an dem das Motiv c des Haupt- themas wieder auftaucht, nicht viel anderes als Wieder- holung der Themengruppe in andern Tonarten.

Was dieser erste Satz etwa schuldig bleibt, das bringen die andern reichlich wieder ein. Das Andante hat ein Thema von ganz volkstümlicher Natur; es ist auch in der einfachsten Art, die sich denken läßt, auf- gebaut Der Hauptsatz beginnt mit:

ein Nachsatz von ebenfalls vier Takten schließt in F dur ab. Nun kommt ein. Mittelteil -^ 16 Takte lang -* der mit der echt Haydnschen Wendung:

^^^^

in den ersten Teil zurücklenkt: Wir haben es also mit einem dreiteiligen Lied als Hauptsatz zu tun. Das wird dreimal in veränderter Instrumentation angestimmt; vor die erste und zweite Wiederholung treten Zwischensätze in BtfoU, gehamischt wie Riesen, die alles zerschmettern wollen. Aber, wie es mit Goliath und David erging, so auch hier: die kleine Unschuld wird uns durch diesen Gegensatz nur immer lieber, behält das letzte Wort und benutzt die Gelegenheit zu einer Coda, in der sich noch- mals ihr Humor, ihre Kraft und ihre Anmut regen.

<^ 136 *^

Die Glanzpartie der Sinfonie ist ihr Finale, dem nicht die Rondo-, sondern die Sonatenform gegeben ist Sein Haoptthema:

VSym« m6*1.

dreht sich lastig und ausgelassen im engen Kreise. Seine besondere Färbung erhält es darch den begleitenden Baß, der den Satz ganz allein beginnt und hartnäckig auf demselben Ton fortbrummt. Zuweilen unterstützt ihn als zweite Stimme seine Quinte das gibt dann einen Pastoralklang, der uns mittlerweile sehr geläufig geworden ist, denn neuere Komponisten kOnnen ohne ihn kaum noch die einfachste Tanzszene schreiben. Zu Haydns Zeiten war es eine ganz unerhörte Keckheit, in eine Sinfonie derartige Sorten von Volksmusik hinein- zuziehen. Wie mögen die ersten Zuhörer gestutzt haben, als ihnen diese Jahrmarktskunst, di^se lebensgetreue Nachahmung des Dudelsacks entgegentrat! Der über- mütige Streich ist aber so frisch, so geistvoll und hin- reißend durchgeführt, daß er Haydn zum höchsten Ruhm ausschlug. Die Pariser fanden ungeheuren Gefallen an dem Brummbaß; nach ihm tauften sie die Sinfonie mit dem Namen Uours und reihten sie unter ihre erklärten Lieblinge. Die Wirkung eines solchen realistischen Ein- falls, wie er diesem Finale zu Grunde liegt, wird immer kurz sein, wenn ihn nicht die Kunst, mit der er ver- wendet wird, nachträglich adelt. Und dieses Glück ist unserm Bärenbaß in vollstem Maß zuteil geworden. Die Idee des fortklingenden Basses wandelt Haydn sofort in die der liegenden Stimme um. Wenn die langen Töne dann in den Violinen anschlagen, dreht sich in den Bässen die drollige Figur des bewegten Motivs wie ein Wirbel- wind. Dann schwingt sich der Komponist auf dem Motiv 1\ I %T1F\ ^™ fröhlichen Sturm und mit der Sicherheit ^ Ivl^^ des Virtuosen nach einer Stelle, wo aUfr>

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geruht werden kann. G dar ist erreicht und fest erghlTen Da setzt ein zartes, behagliches, zweites Thema ein in den Oboen

„^j I§i .ihA ' In dieser Gesellschaft darf es nicht

p|L r "^ '^f ' '^ ^^ ^^^^ Ansprüche machen, den ^ ^* Schlaßtakt der auf 8 Takte an-

gelegten Periode schlägt der Brummbaß nieder. Noch einmal versucht eine zarte Stimme sich Gehör zu ver- schafTen auch sie verschlingt der Sturm; mit einem wilden, chromatischen Zug setzt die letzte Periode der Themengruppe ein. Die Durchführung, die im ganzen nur kurz ist, überbietet die Ausgelassenheit des vorher- gehenden Teils dadurch, daß sie das närrische Treiben in ganz entlegenen Tonarten fortsetzt Wir sind aus G dur plötzlich nach F, von da nach E dur gestoßen. Von da geht es nach Ddur zurück, und von diesem Punkt aus wird das Thema als neckischer Kontrapunkt vorwiegend in den Bässen gebracht und bald die Reprise erreicht. An Munterkeit und Witz ist dieser Schlußsatz von L*ours eine von Haydns höchsten Leistungen.

Die Sinfonie >La Reine« soll der Königin Maria j. Haydn, Antoinette besonders gefallen und daher ihren Beinamen La Reine eriialten haben. Sie ist eine Altersgenossin von L*ours und La Poule und steht mit ihnen auch in Bezug auf den Wert des ersten Satzes auf derselben Stufe. Das Inter- essanteste an ihm sind die Mozartschen Züge in der kurzen, sehr majestätisch einsetzenden Einleitung und im Thema des Allegros:

^^*^

^^^^^^

188

Das ist das Sinnen und Träumen, das romantische Z(}gem, dem sich der Meister von Salzburg gern überläGt, wenn das Spiel beginnen soll. Es ist auch der flotte, ritterliche Schritt, mit dem er dann doch sich erhebt, wenn Haydn nun fortfährt: f

Selten ist bei einer Sinfoniekomposition Haydn von dem' Ausgangsgedanken eines Allegro so gefesselt worden, wie dieses Mal. Er wiederholt es zunächst in B dur noch ein- mal, dann kommt es in Fdur, dann in der Durchführung in As dur und zwar immer mit Ausnahme der Tonart vollständig wörtlich. Auch die Zwischensätze, die diese Wiederholungen unterbrechen, haben immer denselben Charakter: Es sind Szenen der Aufregung und zwar fast alle in der primitiven Weise von Haydn s erstem Stil aus dem zuletzt angefahrten Viertelmotiv gebildet Ein zweites Thema ist im Satze nicht da, und erst am Schlüsse der Durchführung gewinnt der Komponist dem ersten einige neue und tiefere Wendungen ab durch Nachahmungen und Anwendung weiterer kontrapunktischer Kunst

Der zweite Satz von »La Reinec ist ein AUegretto, das aus einem Yariationenzyklus über ein Thema mit folgendem Anfang:

besteht Es ist, zu einem dreiteiligen Lied vervollständigt, die Melodie einer französischen Romanze von >la gen- tille et jenne Lisette«. Dieser Herkunft des Themas wegen hat Haydn dem ganzen Satz die Überschrift »Ro- manze c gegeben. Pohl findet in ihr nahe Verwandtschaft mit der Romanze der MiUtärsinfonie. Sie beschränkt sich aber darauf, daß beide Stücke den Rhythmus mmmmmä . benutzeu. In unsrer Romanze liegen die J JT73 I J Reize der Variationen in der Instrumen-

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tierung, in der Färbung, in der Geschicklichkeit, mit der Haydn das Thema, das immer wörtlich wiederkehrt, mit anmutigen Kontrapunkten verdeckt. Neue Gestalten führt nicht einmal der Mollsatz ins Bild ein.

Der Menuett der Sinfonie hält sich ungewöhnlich straff und bestimmt Wenn er nicht im Dreivierteltakt stände, könnte er marschierende Soldaten begleiten. Um so loser tändelt daa Trio; fast scheint es, als sollten hier die In- strumente nur an- .und eingespielt werden so sehr entschlägt sich die Komposition jeder Gedankenlast Das Finale hat wieder die Form des Sonatensatzes und singt einen Hymnus auf Behaglichkeit und Zufriedenheit Die Themen sind:

Prerto.

MXui^iJJ

«r

Es ist das einer der seltenen Fälle, wo Haydn sich dem etwas trocknen Geiste der deutschen Moraldichter seiner Zeit nähert In der Durchführung, die mit dem ersten Thema in den Bässen einsetzt, erhebt er sich aber mächtig. Sie ist so bewegt und an den Stellen, wo sie von Dmoll aus eine Reihe von verminderten Sept- akkorden in gewaltigen Absätzen anläuft, so gewaltig, daß man den Satz unter den merkwürdigsten Stücken in der Haydnschen Sinfoniekomposition in Ehren hal- ten muß.

Die Sinfonie >La Chasse« ist diejenige in unserer j. lUydii, Reihe, die wenigstens für einen Teil ihren Namen von La Chasse. Haydn selbst erhalten hat Dieser Teil ist das Finale. Er ist im Jahre 1781 als Einleitung zum dritten Akt der Oper

-^ 140 ^~

>La fedelta premiatac komponiert. In diesem, nach der italienischen Intri£:uenschablone yerfertigten Stücke führt Diana die heillos verfitzte Handlang zu einem gedeihlichen Ende, und dies Auftreten der JagdgOttin hat Haydn be- nutzt, eine sonst durch den Dichter unendlich gehemmte Phaiytasie in erwünschte Bewegung zu setzen. Für die musikalische Schilderung von Jagd und Jagen hatte sich in Kantate, Oper, Sonate und Sinfonie lange vor Haydn ein förmlicher Kanon ausgebildet. Es war ein LiebUngs- gegenstand der Tonsetzer. So dürfen wir auch von Haydn, obwohl er bekanntlich Jäger von Fach war, für die Orchesterphantasie in der er die Jagd und ihre Göttin feierte, keine neuen Motive erwarten, sondern wir wollen uns freuen, daß er alte, zweckentsprechende Weisen im lebensvollen Bilde auf uns wirken läßt.

Der Satz beginnt natürlich mit Hörnern. Sie tragen ein Fanfaren motiv vor, in das aber auch Oboen, Fa- gotte, sämtliche ^^ _ __ _ /=% J^'^^^ i^ Streichinstrumente^lTHI ff |F ff F B | f ^^samte Or- mit einstimmen : »^ "" r " ' »^ ' »^ " ' ehester setzt

unmittel- ^^ _ ^ ^ ^^ . welches für den

bar daran ^*ji p ^11^ M" | ^^;feDurchfübrungs- das Motiv : Jr ** 1 i ^^.j ^^^ Satzes

große Wichtigkeit erlangt. Es bildet dort den Träger der Bewegung, der Jagdfreude und wechselt von zwei zu zwei Takten mit den Mo- ^ ^.

Üven der Ruhe und'ifa II p' | f f | P' | f | P' des Waldfriedens als: ^ 1 -

Ähnlich wie in der Jagdszene der »Jahreszeiten c kommt am Schluß der Durchführung eine Minute gewaltiger Auf- regung : Es sind die Augenblicke, wo es sich entscheidet, ob der Jäger oder ob das Wild Glück haben soll. Die letzten Kräfte werden angesetzt, der Schuß fällt: Domi- nantseptakkord und Fermate! Wir vermissen die Stelle der Jahreszeiten im Kopf hier die Pauke. Aber sie ist nicht nötig. Haydn versteht es, mit seinen Violinen, Bratschen, Cellis, Bässen, mit Flöte, Oboen, Fagotts und zwei Hörnern »großes Orchesterc zu spielen* Galt ja doch

-^ 141 ♦—

diese Besetzung für Sinfonien eine Zeitlang, in Nord deutschland wenigstens, für bedeutend. Benda nannte sie ausdrücklich in den Überschriften: großes Orchester. Zu einer ganzen, viersätzigen Sinfonie wurde La Chasse im nächsten Jahre vervollständigt; als der Fürst Von Bsterhazy von einer längeren Reise zurückkehrte, führte ihm Haydn das Werk vor. Man würde nach unseren beutigen Begriffen erwarten, daß die Vordersätze mit dem Schlußsatz in geistiger Verwandtschaft stehen und der Jagd vielleicht eine Reihe vonWaldhildem vorausschicken, etwa in der Weise der Raffschen Waldsinfonie. Anders das 18. Jahrhundert, dem Wald und Gebirge nur be- schränkt als poetische Gegenstände galten. Jedenfalls waren dem Naturfreunde jener Zeit Ebenen mit Kanälen und Pappelalleen lieber. Wir müssen auf ein solches Programmband zwischen den Sätzen von »La Chasse« vera;ichten und darauf: die Beziehungen, die zwischen ihnen zweifellos bestanden, die Gründe, weshalb die Sätze so sind, wie sie sind, angeben zu können. Der Fürst hat den Sinn der Ovation und der Komposition jedenfalls verstanden, und wir fühlen ohne weiteres, daß die Sin- fonie einen stark persönlichen Zug zeigt, den Charakter von tiefen Lebenseindrücken trägt. Sie gehört mit der Ozfordsinfonie zu denjenigen Werken der in Betracht kommenden Periode, die eine viel größere Menge Herzenswärme ausstrahlen, als das bei Haydn durch- schnittlich der Fall ist. Auch Jagdsinfonien aus Haydns erster Periode haben diesen stärkeren Gemütston, die Erklärung ergibt sich aus ihrer Verwendung an Hubertus- tagen, bei denen der heim gegangenen Genossen gedacht wurde. Am stärksten trägt diesen Charakter der Erinnerung der erste Satz der Sinfonie. Eine herrliche Einleitung empfängt uns mit ernst sinnenden Tönen und zeigt in der Feme auf freundliche, liebliche Bilder. In ihrer Kürze, ihrem Reichtum ist sie eins der schönsten Beispide dafür, was Haydn auf diesem Gebiete der Andeutungen zu bieten vermag. Sie schließt in Adur, der Oberdominant von D, der Tonart der Sinfonie. Und nun setzt das Allegro ein:

142

AHegT«.

^»imrpj \f

lautet die erste Hälfte des Themas.

Ist das aber nicht seltsam, ein Ddur-Allegro and der Anfang in 6, in der Unterdominant? Ja, anßergewöhnlich ists, aber auch sehr bedeutungsvoll. Die Phantasie des Tondichters weilt nicht in der Gegenwart. Die Noten sagen uns, was ein andererPoet jener Zeit in dieWorte gefaßt hat

Ich denk* an euch, ihr himmlisch schönen Tage Dei seligen Vergangenheit.

Glückliche Stunden und Tage sind es, die vor die Erinnerung des Meisters treten; vielleicht hat sie sein Herr mit ihm geteilt. Später wird das trauliche Bild aus der Vergangenheit noch mit einer breiten Melodie weiter geführt, die folgendermaßen Mozartisch beginnt:

^^ und über

ten, über dunkle Modulationen zum Ädur-Schluß geht. Sie ver- tritt in der Themengruppe die Stelle eines zweiten Themas. Die Durchführung ist geteilt zwischen eine Hälfte des freudigen Schwärmens über das verkürzte Anfangsmo- tiv des Haupt- themas , das in der Form:

in Nachahmungen und Engführungen von allen Stimmen tüchtig durchgearbeitet wird. Noch einmal, glänzend und golden, drängen sich die »himmlisch schönen Tage« vor die Seele : In der zweiten Hälfte der Durchführung kommt Erkenntnis und die Klage zum Durchbruch: daß es sich um Vergangenes handelt Die Sätze sind hier über das elegi- j j j j j gebildet, das einigemal sehr rüh- sche Motiv %J r.^ ^ rend, traurig und schmerzlich zu ans spricht.

--♦ 148 ♦— JDer zweite Satz ist in seinem Anfang:

eine leibliche Schwester des weltbekannten Andante mit dem Paukenschlag. Es teilt mit ihm Rhythmus, Metrum und den Charakter der Kinderszene. Auch in iden Lie- dern der »Zauberflöte«, im »Donauweibchen«, in den Singspielen Wenzel Müllers hat es zahlreiche Verwandte aus dem ersten Grade; in jeder Faser bekundet es die Zugehörigkeit zur niederOsterreichischen Volksmusik. Ja, wenn man will, kann man aus den Noten, die die Viertel anfangen, das Kaiserlied »Gott erhalte Franz usw.« heraushören. Freilich endet die Melodie nicht so einfach. Im 9. und 10. Takte, die den Schluß bilden, wendet sie sich deutlich genug ins Wehmütige und fügt mit Halbkadenz und Fermate dem reizenden Bildchen ein »Ach dahin!« an. Es wiegt aber für den Kunstwert dieses Andante sehr schwer, daß es sich dem ersten Satz innerlich so eng anschließt, so eng, daß niemand den Sinn und das Verhältnis mißverstehen kann. Es ist, als wollte es aus 'dem Schatz alter schöner Erinnerungen der vorhin* so obenhin erschlossen wurde, ein besonders anheimelndes, spezielles Stück hervorholen, ein Stück aus der Kinderzeit meinen wir. In der Komposition kämpft die Freude mit der Trauer. Der Trauer ist aber ein Ausdruck gegeben, eben so schlicht und einfach, wie es das Volkslied ist, von dem der Satz ausgeht. Kurze Generalpausen und Fermaten vermitteln ihn. Und die- selben Eigenschaften hat der Aufbau dieses vollendeten Kunstwerkchens: a) Thema, 24 Takte, b) erste Durch- führung, hauptsächlich in Moll, etwas erregt und pathe- tisch, mit wunderschönen Anklängen der Hauptmelodie aus der Tiefe, 26 Takte, c) Thema wie a, d) zweite Durchführung mit innigen Klagen auf es— eis— d und kleinen, erregteren Nachahmungen, 20 Takte, e) Thema zum dritten Male, mit kurzem, sanftem Nachgesang.

-^ 144 ♦_

Auch im Menuett finden wir die Merkmale der Erinnerungsfeier: frohe Bilder und der Schatten der Vergänglichkeit darüber. Diese letzten sind der 6rund der chromatisch romantischen Motivftthrung, die diesem Satz eigentümlich ist, sowie der ins Klagende, und Schwermütige übergreifenden Haltung der zweiten Klausel:

Allegra

f r'ii''irii"^'i"i

Sinfonie.

Wir haben in La Chasse eine Sinfonie von höchster Vollendung. Eigene Grundideen verbinden sich mit einer Ausführung, bei der alle Teile, gleich gelungen in sich, sich als Glieder desselben Ganzen erweisen. Kein Wunder darum, daß diese Sinfonie sich besonders schnell und weit verbreitete. Sie wurde, was viel sagen wollte, auch in Italien bald bekannt Pohls Biographie gibt die näheren Daten. j.Haydn, Die Oxford -Sinfonie, die Haydn im Jahre 1788 ftbr P-I?-f! Paris schrieb, ist im Zusammenhang mit »La Chassec genannt worden. Sie haben beide den persönlichen Be- zug auf Haydns eigenes Leben, gehen -von einem ele- gischen Rückblick aus, den der gereifte, alternde Mann auf die dahingegangene Jugend wirft. Die Verwandt- schaft erstreckt sich aber auch auf die formelle Voll- endung der zwei Sinfonien. Haydn vertritt nicht bloß das Prinzip der thematischen Arbeit, der motivischen Entwicklung, der gründlichen Auslegung der Gedanken, sondern er handhabt es auch als Meister. Ohne Be<- denken darf man in dieser Beziehung die Oxford-Sin- fonie einige Stufen höher als die um sechs Jahre ältere Jagdsinfonie und auf eine Linie mit den besten Londoner Sinfonien stellen. Haydn hat auf seinem Weg zur Oxfordsinfonie sich in einem früher nicht vorhandenen Grade der Kunst bemächtigt, den Inhalt eines Themas mittels kontrapunktischen Feinheiten zu erschöpfen und im spannendsten Ton dem Zuhörer vorzuführen. Er

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nähert sich in der Behandlung von Engführungen, im Reich- tum von schwierigen und aufregenden Nachahmungen der Weise, die mit Mozart gleich geboren war. Mit dieser sorgfältigen Ausarbeitung der Form, mit. diesem liebe- volleren Eingehen ins Kleinleben der Stimmen ist aber sichtlich auch die Beweglichkeit und Leichtigkeit von Haydns Geist im allgemeinen gewachsen. Wir bemerken das an der spielenden Sicherheit, mit der er jetzt kleine, kontrapunktische Nebenmotive aufzunehmen und zur Gedankenverbindung zu benutzen pflegt, die er früher nach einmaligem Gebrauch würde haben fallen lassen. Das zeigt uns namentlich der erste Satz der Oxford- sinfonie. Er scheint keine Nebenpartien, keine Verbin- dungsabschnitte, keine Obergänge zu haben. Alle Fugen, wo die Glieder aneinanderstoßen, sind mit organischen Motiven überwachsen, alles schließt eng und natürlich zusammen. Ja, es ist Erklärem dieses ersten Satzes be- gegnet, daß sie eine begleitende Geigenfigur für die Hauptstimme gehalten haben. Dem Lernenden kann nur ernstlich geraten werden, alle die Stellen aufzu- suchen, an denen Haydn einen nebensächlichen Melodie- schluß, ein Füllmotiv aufnimmt und zum Träger des Ge- dankenbaues macht. Man kann mit einem gewissen Recht die Oxfordsinfonie Haydns Eroica nennen. Der neue Stil ist hier fertig.

Wenn der erste Satz in ihr und in der Jagdsinfonie dieselbe poetische Idee haben, ein elegisches Erinnerungs- bild vorführen wollen, so tun sie das doch verschieden. Die Oxfordsinfonie zeigt den Komponisten in einer viel stärkeren Weise erregt und ergriffen. Das sieht man schon an der Einleitung, man sieht es dann besonders daran, daß er im Allegro gar nicht von dem ersten Ab- schnitt seines Hauptthemas

ifLajiJi^^^^

lassen kann. Das Thema erstreckt sich, ins Starke und Zarte greifend, noch lang hin, bis die 16 taktige

KreitsGhmar, FlUirtr. I, 1. 10

146 »^

I

Periode fertig ist Aber H^ydn kommt immer wieder auf die ersten fünf Noten zurück. Bald liegen sie obeoi bald in der Mitte, bald unten, bald offen, bald überdeckt da. Elr kann sich nicht bemhigen, Das zweite .Thema kommt darum erst ganz am Schlüsse der Themengruppe. Es ist eine Buffogestalt, aus vielen komischen Opern, zuletzt noch aus Rossinis »Barbiere bekannt. Hier wirkt es aber doch wie eine freundliche, heimliche Vision: es spricht wie ein guter Freund, wie ein liebes Kind:

Durch die Wogen der Darchführung dient es mehrmals als helfender Lotse und hilft den verlorenen Weg wieder finden. So häufig g^^ - ebenso beständig

im ersten Satz ik^ P [rj r ^1 ■! > kommt nun im gefragt wurde : *^ ^^^ Adagio die Antwort

Adagio cantabile.

^^^^^m

Das Thema wird zur 8 taktigen Periode vervollständigt, dann wiederholt. Hierauf folgen 6 Takte Mittelsatz, dann unser Thema schon wieder, und mit dieser Ent- schiedenheit bleibt es auch für die Folge an der Spitze des Formenbaus. In die Mitte des Satzes stellt Haydn ein wildes Mollstück, aus dem Dämonen ihre Fäuste vor- strecken. Aber der kleine Engel aus Ddur läßt siöb nicht bange machen, nur eine kleine Weile kommt er ins Stocken. Es ist das eine sehr interessante Stelle, die die Fer- maten und Septimenakkorde genügend kenntlich machen. Die Erregung, die wir im ersten Satz der Oxford- sinfonie bemerken, dauert auch in dem Menuett noch an. Synkopen und Generalpausen sind seinem Haupt- satz eigen. Erst im Trio bringt der Gesang den Hörern den Frieden, dessen wir sonst an dieser Stelle von An- fang an sicher zu sein pflegen. Selbst im Finale dürfen wir dem frohen Ausgang noch nicht ganz unbedingt

^^ 147 ♦^

trauen. Das erste Thema hat in seinem Gesicht bei aller Biegsamkeit einen launischen Zug

Presto.

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T { k. J Jt M J I und benimmt sich insofern f ' t^J ^ ■g^y= höchst eigentümlich, als es

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nach Art der unbändigen Tarantella unmittelbar hinter« einander viermal wiederkehrt. Im weiteren Verlauf ver- schwindet es einige Male ohne alle Ursache, bricht ab, setzt uns vor sehr verlegene Pausen und springt wie ein Kobold, der nicht zu fassen ist, aus den hohen Bläsern in die Baßinstrumente. In der Durchführung entfaltet Haydn sehr wirksam schwierige Künste des doppelten Kontrapunktes. So bleibt die Oxford-Sinfonie von Anfang bis zu Ende originell. Haydn hat das Werk selbst hoch ge- stellt Als er im Juli 1791 nach Oxford zur Promotion reiste, legte er für alle Fälle diese Pariser Sinfonie in seinen Koffer. Sie trat schließlich auch wirklich an die Stelle der ursprünglich für die Feierlichkeit bestimmten Komposition und wurde seitdem unter dem Namen Oxford-Sinfonie ein Liebling der englischen Konzerte. Später hat Haydn ihrem Orchester noch Trompeten und Pauken hinzugefügt.

Kurze Zeit vor die sogenannte Oxforder fällt eine andere J. Hajdu, bedeutende G dur-Sinfonie, die ebenfalls der Pariser Gruppe ^ dur- Sinfonie angehört Die bekannte Partiturausgabe der Haydnschen Nr.isiB.&H.). Sinfonien von Breitkopf & Härtel bringt sie als Nr. 13.

Sie beginnt mit einem kurzen Adagio, daß wie eine Morgenandacht die lustige Ausfahrt einleitet, die im AUegro sich vollzieht. Dieser Allegrosatz hat schon im Thema:

unverkennbare Verwandtschaft mit dem Hauptthema im Finale von Beethovens achter Sinfonie, Man woiß ja, daß Beethoven, weil ihm die Auf- gabe reizte oder auch aus Obermut die Arbeiten andrer Ton- setzer zuweilen zum Ausgangspunkt eigner großer Kompo-

10^

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sitionen nahm. So hat er sich mit voller Absicht nach- weisbar an Händel« Mozart, am häufigsten aber an nnsesn Haydn angelehnt. An ihn gerade, weil er sich von diesem Tonsetzer mehr als von einem andern beeinflußt, geschalt und gefördert wußte. Ihn direkt zu überbieten, reizte ganz besonders. Noch überzeugender als beim bloßen Vergleich der Themen drängt sich die Verwandtschaft des Haydn- schen AUegros und des Beethovenschen Finales auf, wenn man Charakter und Durchführung der beiden Sätze prüft Hier wie dort: der unaufhaltsame, stürmische Zug, die plötzlichen verblüffenden Stockungen der Modulation, die polaren Gegensätze in der Dynamik! Bei Beethoven ist der Schwank nur noch um einige Grade toller gehalten. Mit der ihr in der Stimmung ganz fremden Oxford-Sinfonie hat die unsre im ersten Satze einige formelle Züge ge- mein: Auch bei ihr tritt das zweite Thema sehr zurück, beschwichtigt für den Augenblick, ohne Spuren zu hinter- lassen. Auch bei ihr sind Mo- - i ^-^ virtuos zum tive des Hauptthemas, besonders UJ ' LS Aufbau der Übergangspartien verwendet Auch bei ihr ganz neben* sächliche, zufällige Melodiewendungen zum Träger der Weiterentwicklung aufgegriffen. Ein schönes Bei- spiel hierfür ist ^ ^ _ lautet das letzte Wort der Schluß der jS r_t_fj ^ T der Violinen und dar- Themengruppe: ^^"^^^^a an knüpft der Anfang der Durchführung an, trägt die Figur im diminuendo nach es, wo heimlich das Hauptthema anknüpft. Die Durchführung ist besonders meisterlich in der Größe der Gruppierung.

Der zweite Satz ist ein Meisterstück . Haydnscher Variierungskunst Er beginnt mit dem Gesang (Oboe, Cello dazu in 8va sub*):

Largo.

^^'Lls ir ^'PP ^ ip^< '

Diese 8 Takte ent^

halten das voU-

' ständige Thema.

-^ 149 «^

Wir hören es siebenmal ohne Ändemng in seinen Motiven, nnr einmal nach Adur und einmal nach Fdur transpo- niert. Auch keinen eigentlichen G/Bgensatz hat ihm Haydn gegenübergestellt Die Wiederholungen werden nur durch Zwischensätze unterbrochen, die sich mit einer einzigen Ausnahme es ist die Adur -Variation, sie umfaßt 16 Takte auf vier und acht Takte beschränken und in die Stimmung des Hauptthemas einlenken, bis auf einige ff-Takte nicht einmal aus seinem piano heraustreten. In den Variationen selbst herrscht mit Ausnahme der ersten und dritten, wo die ersten Geigen, und der fünften, wo die zweiten Geigen in Zweiunddreissigsteln kontrapunk- tieren und begleiten, durchaus der ruhige Rhythmus der Hauptmelodie. Und doch würden wir nicht müde, wenn der Satz in ähnlicher Weise, no^h einige Minuten fortdauerte. Das macht seine schöne wundervolle Stim- mung, die an Sonntage, an Kirchen stunden in der Kinderzeit, an Träume vom Paradies und ewigen Frieden erinnert. In England wird die Melodie wirklich, in den Kirchen zu der Hymne: »Fraise God, from whom all blessings flowc gesungen. Daß Beethoven das Thema wiederholt benutzt hat, ist bekannt Außerordentlich ist auch der unübertrefHiche Wohlklang, der Reichtum von Farben, den Haydn seinem doch besqheidnen Orchester hier abgewinnt Auch seine Leistung in der Romanze von »La Reine« reicht noch nicht an das in diesem Variationensatz Gebotne heran.

Im Hauptsatz des Menuett geht Haydn mit der zweiten Klausel tiefer in die Auslegung des thematischen Gehalts hinein, als es sonst bei ihm an dieser Stelle üblich ist. Der originellste Einfall im Satze ist der, daß an den leisen Schlüssen der beiden Teile die Pauke sich wie von fern beinerklich macht. Auch diese Idee ist bei Beethoven in seiner ersten Sinfonie auf frucht- baren Boden gefallen. Jener unvermutete Eintritt der Pauke hat für das Trio des Menuetts seine Folgen ge- habt: Bratschen und Fagotte bereiten den richtigen Boden zum ländlichen Tanz durch immerwährendes Anschlagen

150 4^

der Baßquinten: aber die Melodieinstramente, Geigen, Flöten und Oboen kommen bei allem eifrigen Drehen nicht recht von der Stelle.

Erster Satz und Finale scheinen in dieser Sinfonie die Rollen tauschen zu wollen. Der Schlußsatz bleibt mit seinem Thema:

AUegro eoo splrito.

J7T3IJJ J J iJTgj}in

zunächst hinter der Flo'ttheit des Sinfonie an fange zurück. Aber je weiter wir in dem Rondo, das Haydn über diesen Hauptgedanken aufbaut, vordringen, desto größer wird unser Erstaunen, unser Vergnügen über die Fülle von guter Laune, von Witz, die uns auf Schritt und Tritt entgegensprüht Eine Wendung immer kecker und drol- liger als die andere, jeder Themeneintritt eine Ober- raschung und eine Lust! Nach dem dritten Einsatz des Hauptthemas kommt im jT ein Kanon, in welchem sich über 20 Takte lang Violinen und Bässe in Entfernung eines Viertels um das Thema streiten, erst die einen dann die anderen an der Spitze. Nach dieser tollen Hetzpartio folgt ein um so dezenterer Obergang: die Instrumente tröpfeln die Töne nur noch leicht hin. Dann das Thema zum letzten Male: Generalpause mit Fermate und ein freier Schluß im dithyrambischen Stil!

Als die klassischen Vertreter des Haydn sehen Stils gelten die- sogenannten 12 englischen Sinfonien, welche Haydn für die von ihm selbst geleiteten Konzerte in Hannover Square Room zu London in den Jahren 1791 und 1794 jeden Monat eine*) komponierte. Die bereits angeführte Partitur- Ausgabe von Breitkopf & Hättel bringt sie in den Nummern 1 9, 11, 12 und 14.

Bilden sie an und für sich schon eine Elite, so tun, wir doch gut, auch noch unter ihnen eine engere Wahl zu treffen. »Echter Haydn« sind sie wohl alle; aber um sich den richtigen Begriff auch vom »ganzen Haydn«

♦) Griesinger a. a. 6., S. 117.

161

ZU bilden, muß man unter ibu^n unterscheiden. Da sind denn die Nummern 1, 2, 6, 11 und 12 den übrigen be- deutend voranzustellen. Sie sind die inhaltlich reicheren, diejenigen, in welchen der Tcmpoet den Weg zum Para> dieise sich<wenigef leicht macht, wo er kämpft und zweifelt und wo der heitere Grundton seiner lebensvollen Bilder durch tiefe und bedeutende Schatten die vollere und nachhaltigere Resonanz erhall. Sie sind mit einem kurzen Wort das man nicht mißverstehen wolle moderner als die andern, in welchen die Skala der Freude virtuos und mit immer neuen Nuancen' aber doch so abgespielt wird, daß wir uns ab und zu nach einem Gegenmotiv sehnen. Letztere sind und wie wir glauben mit Unrecht in der Kunstgeschichte zum Träger der Hay dnschen Kunst gemacht worden und haben zu dem schon berührten Mißverständnis vom »Papa Haydn« geführt. Haydn, der immer, die Frische des Jünglings bewahrt und von Schwächen in seinen Werken nur die der Jagend zeigt! Formell stehen sich die beiden Gruppen, in welche wir seine Elitesinfonien teilen, ungefähr ebenbürtig gegenüber. Namentlich auf dem Gebiete, welches Haydn der Sinfonie entdeckt, er- obert und ausgebildet hat: der Kunst der motivischen Arbeit, der Auflösung der ganzen Gedanken in ihre kleinsten selbständigen Bestandteile und der Entwicklung neuer großer Bilder aus diesen Fragmenten hier zeigen jene volleren und die leichteren Sinfonien, als ganze Gruppen verglichen, keine wesentlichen Unterschiede.

An der Hand jener Breitkopfschen Partitur-Ausgabe, und ihrer Reihenfolge nachgehend, durchschreiten wir kurz die erste Gruppe:

Die erste Sinfonie in ihr ist eine von mehreren in Es. Ihr Hauptsatz hat eine Einleitung, ein Adagio mit folgen- dem Thema:

J. Haydn,

Sinfonie Nr. 1 ^Breitk. & H.).

Adftgio. PtaLk. C^

PI.

Ob.

P

i. J

ftuk. CeUi Bässe Fkgotto Ob. Ig:^

fff iTjjijfjijriMJiiil:

^

^

-^ 152 ♦^

Die Mehrzahl der Uaydnschen Sinfonien der späteren Zelt hat vor dem ersten Allegro eine solche feierliche, gedankenvolle, sinnende, träumende, romantische Ein* leitung. Das Tiefste, was an seiner Phantasie vorbeizog, wenn er das ihm vorschwebende oder acbon fertige Werk mit einem eindringenden Seherblick maß, das faßte er in den Klängen solclier Einleitungen zusammen. Sie sind meist nach dem Charakter der Sinfonie, welche sie eröffnen, verschieden sie haben sich auch von ihren eigentlichen Vorbildern, den immer im gleichen Typus auftretenden Einleitungslargis der französischen Ouver- türe weit entfernt. Auf Cherubini namentlich haben sie tief eingewirkt Unter vielen solchen schönen Einleitungs- sätzen hat aber der hier in Betracht kommende zur Esdur-Sinfonie noch seine besondere Bedeutung: Haydn kommt auf ihn im ersten Allegro zweimal zurück. Das erste Mal erscheinen die ernsten Züge des Themas nach der ersten Fermate in der Durchführung im schnellen Tempo und nur für einen flüchtigen Augen- blick; nach der Reprise föhrt es aber der Komponist noch einmal in seiner Originalgestalt vor. Solches Zu- rückgreifen ist bei Haydn äußerst selten: es beweist in diesem Falle, wie wichtig das Thema an sich ist. Der Komponist stand unter dem Banne desselben und gab sich infolgedessen den heiteren Ideen, welche die eigent- lichen Themen ^ ^ axa.-^^ ^ mm. und des Allegro an-i schlagen,erstlich:'

::trr\ffrfrf^^Uu!rr\

nur bis zu einem gewissen Grade hin. Der Satz bleibt viel stärker auf das Ernste und Große gerichtet, als man nach der ausgesprochen leichten und launigen Natur dieser beiden Führer erwarten sollte. In formeller Be- ziehung ist dieses Allegro der Normaltypus eines Sonaten- satzes, wie er in dieser Regelmäßigkeit bei Haydn nicht oft vorkommt. Da haben wir ein vollkommen ausge-

--♦ 1&3 4^

bildetes zweites Thema: aach da^ obligatorische Tonali- tätsverhältnis der beiden Themen ^ Ton^a: Dominant -*- ist genau eingehalten. Im zweiten Teile, dem soge- nannten Durchf&hrangsteil des ersten Satzes, neckt sonst Haydn die Zuhörer gern, bringt das Hauptthema z. B. so, als wollte er die sogenannte Reprise beginnen, während es damit noch gute WeOe hat Hier aber hält er sich, unbeschadet aller Tiefe und Genialität, Tollkommen schul- gerecht. Ebenso normal verläuft der dritte Teil: die so- genannte Reprise dieses ersten Satzes. Es ist .einfache Wiederholung des ersten Teils mit der üblichen Änderung, daß das zweite Thema nun ebenfalls in die Haupttonart tritt, und sogar eine gek&rzte Wiederholung. Nur die Einführung der Coda, der Moment, wo das Einleitungs- thema wie ein Geist in die heitere Gesellschaft eintritt, steht außerhalb und' über jedem Usus und lehrt uns die Freiheit des Genies bewundem und respektieren. Eine Eigentümlichkeit von Haydns Gedankenbau das plötz- liche Absetzen die pointenreiche eindringliche, oft verblüffende Rhetorik, eine Frucht französischer Musik- studien — zeigt dieser Satz in besonderer Stärke: Er hat nicht weniger als sechs beredte Fermaten l In der Instrumentierung sind die Klarinetten zu bemerken, mit welchen sich Haydn erst in England näher be- freundete.

Der zweite Satz ist ein Andante. Es beginnt mit folgendem Gedanken von dunkler Schönheit und einem im übermäßigen S^kundenschritte liegenden aparten Zug:

Andante.

J jl I J.||i^J. ! J^

Aus ihm entwickelt sich ein längerer Gesang in der zweiteiligen Liedform, dem hierauf ein Alternativ mit marschartigem Charakter folgt. Durch Versetzung der obigen Melodie ins Dur und durch kleine rhythmische Varianten hat hier Haydn den eben angeführten Themen ein vollständig anderes Bild abgewonnen.

164

Hauptsatz und Alternativ werden hierauf zweimal variiert In der ersten Variation des Alternativs macht sich ein Violinsolo sehr bemerklich. Die zweite Variation im- poniert durch einen gewaltigen Einsatz; zum ersten Male tritt hier in diesem Andante die gesamte Blasmusik, von Pauken begleitet , im kräftigsten Ton auf den Platz. Nach dem leise verhauchenden Ausgang des Violinsolos von doppelter Wirkung! Der Satz belegt wieder, daß die Kunst der Variation mit Haydns Sinfonien in ein neues Stadium -tritt. Ganz genial ist an dem Andante unsrer Sinfonie der Abschluß, die sogenannte Coda, welche nach der Fermate beginnt. Sie bildet ein freies Nachspiel zu den Variationen, ein poetisches A\)schiedswort an die vorausgehenden Szenen, in welchem alles, was an Ge- danken und Empfindungen vorübergezogen ist, noch ein- mal kurz zusammengefaßt und potenziert erscheint. Die 16 Takte von der überraschend einsetzenden Dominant- harmonie auf A bis zum Wiedereintritt des Alternativs dürfen wir zu dem Genialsten und Eigenartigsten rechnen, was in der musikalischen Komposition jemals erdacht worden ist. Nicht mit Unrecht haben andere darauf hin- gewiesen, daß dieses Andante, und namentlich die hier erwähnte Episode der Coda, Beethoven beim Entwurf vom Trauermarsch seiner Eroica höchst wahrscheinlich als Muster vorgeschwebt hat.

Der dritte Satz dieser Sinfonie ist der Menuett: Sein erstes Thema

W^

läßt schon in ungewöhnlichen Wendungen der Melodik und Rhythmik ahnen, daß dieser Satz über den ein- fachen Tanzcharakter hinausgehen wird; tatsächlich ist er ein Charakterstück höheren Schlags und macht bei allem Fluß und aller Einfachheit der Form eindringliche

-— » 166 •—

Abstecher in das Gebiet des Tiefsinnigea und Pathetischen, sich ungewöhnlicher Modnlationsn^ittel bedienend. Die außerordentliche Freiheit der Erfindung ist noth mehr als im Hauptsatze in dem Trio zu bemerken, hier nament- lich an der Stelle, wo die Violinen, sohr launig aufgelegt, das Wort der HÖrner weiterführen.

Das Finale ruht auf einem einzigen Thema:

Presto. . i. ^ . Ganz erstaunlich,

f/v^ni I r r )■ if f p I rTf rT iT weiche Menge wech- •^ 1 j Lj - selnder und schön

aneinander schliessender Bilder aus diesen wenigen Noten entwickelt werden! Es ist eine der größten Leistungen kontrapunktischer Kunst! Im Geist dieses Satzes sind ent- schieden Mozartsche Züge bemerkbar. Wir begegnen sol- chen auch noch in andern von Haydns englischen Sinfonien. Sie legen in einer rührenden Weise von der Tiefe und Echt- heit der edelsten Herzensfreundschaft und Liebe Zeugnis ab, welche der alte Meister zu dem jungen gefaßt hatte. Der Tod Mozarts scheint sie nur noch innig-er zu machen.

Besonders in der Sinfonie Nr. 2 (D dur) verweilt Haydn j. Haydu. bei Mozarts Andenken unverkennbar. Er beginnt mit Don Sinfonie Nr. 2 Juan und schließt feiit Figaros Hochzeit seinen ersten Satz. (B'^itk. & H ) Es sind flüchtige sinnige Anklänge, wörtlich k8iu,m nach- weisbar, aber für das Gefühl nicht mißzuverstehen.

Die Einleitung des ersten Satzes ist diesmal nur kurz, hat aber einen wunderbaren, plötzlich verschleierten Schluß. Darauf Generalpause,Ver8tummen und Schweigen, als müßte der Dichter schwere Gefühle niederkämpfen. War es die frische Nachricht vom Tode Mozarts? Der An- fang des Allegro läßt diese Annahme zu, denn es setzt aus- gesprochen elegisch, leicht klagend ein, tritt auffällig aus deb Phantasiekreis der englischen Sinfonien heraus. Sein Hauptthema, das ein ruhiges Tempo verlangt, ist folgendes:

Allegro.

j< t .1 j ) 1 jj ffl I j j j j I f-,] I n- 1 f^jj

&r \ -j^

-1 !■ I j L II Erst der fröhlich kräftige Nachsatz ^ f* j I iij^i ' I bringt das eigentliche rasche Zeit-

-^ 156 «--

maß. Das ei)dlich folgende zweite Thema (Adur) scheint nur pro forma da zu sein und kehrt im ganzen Satze ein einziges Mal, an der gehörigen Stelle in der Reprise, wieder. Die Durchführung, zum größten Teil von dem oben eingeklammerten Motive des Hauptthemas getragen, ist schon früher als Musterbeispiel Haydn scher Art erwähnt worden. Sie erhält durch die entschiedenen Rhythmen des zugrunde liegenden Motivs einen ziem- lich streitbaren Charakter. Nicht ausgeschlossen ist, daß dieses Motiv eine Reminiszenz war. Ein Klavierkonzert

vo'n nSbeJnt ^nf J ^ J^;fJ Jl J J ^^ Das Andante dieser Sinfonie ist eins der interessan- testen und für die Auffassung von Haydns geistiger Persönlichkeit, für das Verständnis seines Runstglaubens ein wichtiger Beitrag. Zu Grunde liegt dieser Romposition ein etwas erweiterter Liedsatz mit folgendem Hauptvers:

Andante. ^—.^ ■— p»»» ^ .

Er wird verschiedentlich variiert Doch nicht diese Variationspartien sind das Hauptelemeut der Komposition, sondern die freien Zwischensätze, in denen sich ein Fond von Leidenschaft auslebt, welcher die Bekenner des »gemüUichen Vater Haydnt einigermaßen erschrecken muß. Immer wieder werden diese stürmischen Ausbrüche einer heftigen trüben Empfindung unterdrückt, zurück- gedrängt und abgebrochen. Beschwichtigend, zuweilen gewaltsam und halb ironisch kehrt der Komponist zu dem oben zitierten Friedensmotiv zurück. War es Furcht vor dem Dämonischen, Respekt vor der künstlerischen Etiquette, die Haydn zu dieser Führung dieses Satzes bestimmten, oder war sie durch einen besonderen Pro- grammvorwurf bedingt, der verschwiegen blieb? £s liegen Rätsel in diesem Satze, die aber glücklicher- weise die rein menschliche und künstlerische Wirkung des lebensvollen, erregten Seelen gemäldes nicht beein- trächtigen.

r

--♦ 157 ♦^

Der Menuett dieser Sinfonie ist einer der wuchtigsten, die vorkommen, und sehr mannigfaltig in seinen Bil- düngen: grotesk und intim, drohend und neckisch zu- gleich; reich an formell ungewöhnlichen Erscheinungen: Riesenintervallen, Paukenwirbeln mit Crescendo, Gene* ralpausen und Generaltrillern. Das Trio bleibt durch- aus zart, mädchenhaft im Blick und fröhlich einfach ge- schmückt. ^

Das Finale beginnt k la Musette wie die Bärensinfonie

A. Kuhacz weist nach, daß diesem, sowie das Thema vom Andante und vom Finale der vorhergehenden Esdur- Sinfonie in kroatischen Volksliedern vorkommen*). Ob- wohl die Prioritätsfrage nicht entschieden ist, spricht vieles dafür, daß sie Haydn daher entnommen hat. Gegen das sehr fröhliche Treiben, welches sich auf Grund dieses Themas im Finale entwickelt, bildet das bedeutsam ausgestaltete zweite Thema einen herrlichen Kontrast.

J|l dM I " II I ll ij II ij'M -If ■I-'

Es wirkt, als wenn ein glucklicher Mensch, mitten in der rauschenden Festesfreude, einen frommen und dankbaren Blick nach dem Sternenhimmel würfe, und erscheint uns als die Perle in der durch und durch genialen Sinfonie!

Die Sinfonie Nr. 6 (G dur) wird mit einer Einleitung j. uaydn, eröffnet, in welcher die »Jahreszeiten« ihren Schatten Sinfonie Nr. 6 voranswerfen. Das erste Allegro dieser Sinfonie ist knapp (B"itk. A H). und gedrungen. Sein erstes Thema

*) Siehe darüber IL Reimanu in Allg. Mnsik-Zeitang 1893, & 525 a. ff.

168

**— f

fjiiniLü nnuj I II 1^1 ^.11

läuft schon nach vier Takten aus dem üblichen leisen Anfang in den sausenden und brausenden Chor ein, der in den meisten Fällen bei Haydn das zweite Glied oder die Reserve des Hauptthemas zu bilden pflegf. Das zweite Thema, im Satz zu keiner Bedeutung gelangend, wird wieder mit emigen Geigen akkorden präludiert, die uns in die idyllische Sphäre der Harfen- und Guitarren- musik versetzen. Die Durchführung ist knapp gehalten ; das oben eingeklammerte Achtelmotiv liefert ihr den größten Teil des Materials. Der berühmteste Satz dieser Sinfonie ist das Andante. Sie heißt nach ihm die Sinfonie mit dem Paukenschlag, bei den Engländern »the surprise«. Haydn schließt hier eine sanfte, erstp, dannpj? gehaltene Melodie mit einem kräftigen

^4 •" -^^i^ Orchesters, wie Gy-

rowetz*) behauptet, aus Schelmerei, wie Haydn selbst sagte**), um das Publikum mit etwas Neuem zu über- raschen. Der an und für sich sehr billige Scherz gefiel ganz ungemein und ist wiederholt nachgebildet worden, u. a. von Carl M. v. Weber in der Ouvertüre seines eben- falls für London bestimmten »Oberon«. Das Thema wird dann in vier Variationen durchgeführt, die ausgezeichnet untereinander verbunden sind. Besondere Aufmerksam- keit verdient der unvermutete Übergang nach Esdur in der zweiten und der schöne Gesang, welchen in der dritten Oboen und Flöten dem in den Geigen her- schreitenden Hauptthema entgegenstellen. Die Coda hat wieder einschlummernden Charakter.

In dem sehr gestaltenreichen Menuett ist das Trio diesmal nicht als Gegensatz, sondern als Ergänzung be- handelt Seine anmutig hinflatternde Hauptmelodie tragen

*) Gyrowetz, Selbstbiographie S. 59. ♦*) Griesinger S. 55.

» 159 ♦^

Violin« und Fagott zusammen vor, eine Oktavverdoppelung, die Haydn namentlich in dem Menuett und in den zweiten Themen der Ecksätze auch in andern Formen gern an- W€nde4. Die Heimat dieser Instrumentationsweise ist eine entschieden volkstümliche.

Das Finale gibt sich der fröhlichen Laune anfangs nur mit Vorbehalt hin: sein Hauptthema

AUe^o di molto.

hat einige sentimentale Elemente. In der Führung des Satzes ist die Oberleitung zur Reprise bemerkenswert; das Hauptthema kommt einigermaßen unvermutet, aber als willkommener Retter aus Irrfahrt und Öde.

Die 11. Sinfonie (Gdur) ist die sogenannte Militär-« J. Baydn, Sinfonie. Sie verdankt diesen Beinamen ihrem zweiten ^^**.^i* ?J;^^ Satze: einem Allegretto, das auf Grund einer (von ^'®* ' '' Haydn bearbeiteten) französischen Romanzenmelodie

^^ ^ ^.^-^--^^ ^^^ ein inhalt-

A^ ^ f ^ f T \r ** ir r r^^f'^ TM reiches Ton- "^ ' bild entrollt,

dem man kriegerische Unterlagen wohl ansehen kann. Es ist eine Art Abschiedsstimmung in der freufidlich sinnigen Marschweise, welche die Chöre des Orchesters nicht müde werden einander zuzusingen. Dann kommt plötzlich das Thema in Moll; der Satz erhält einen Mittel- teil, durch welchen große Schatten ziehen, der ernst stimmt und die Trauer streift; »Heute rot morgen tot!« Unverkennbar ausgeprägt tritt der militärische Charakter des Satzes gegen den Schluß vor: Abendstimmung: die Romanze verklingt: Da ein Trompetensignal, das im Orchester augenscheinlich großes Aufsehen und Alarm erregt In der Instrumentierung dieses Andante ist der große Apparat von Schlaginstrumenten für die besondern Tendenzen Haydns an dieser Stelle bezeichnend: Außer den Pauken: Triangel, Becken und große Trommel! Einen eigentlichen langsamen Satz enthält diese Sinfonie nicht, ähnlich wie Beethovens achte.

-^ 160 ♦—

Der Hauptsatz beginnt nach einer prächtigen Ein- leitung, die auch eine Stelle pathetischer Erregung hat, mit folgendem Thema, von Oboen und Flöte allein vorgetragen :

ii n rii lujii- i' MV 11 1,

Yrrf\7fTrr"'^

Ehe es noch zu einem zweiten Thema kommt, pas- sieren wir bereits Partien eigenartigster Erfindung. Die Stelle, wo nach der Reprise des Themas in der Domi- nant, Geiger und Bläser echt träumerisch unschlüssig mit den zwei Noten spielen und sich dann im Forte heroisch aufraffen, gehört dahin. Darauf unmittelbar setzt das zweite Thema, wieder wie von Guitarrenklängen prä- ludiert, ein. Es ist eine Melodie von echtem Wiener Blut, die zum flotten Marsch einer' Infanteriekolonne ganz gut paßt:

|j' fl" u ^'1 i^^^'^^'"''-

Dieses bis auf den Radetzkymarsch in der östreichischen Kunst- und Volksmusik immer wiederkehrende Thema läßt aber den Schwung nicht ahnen, der im Orchester losbricht, nachdem sich die Bässe der tändelnden Weise bemächtigt haben. Die Durchführung des Hauptsatzes ruht wesentlich auf diesem zweiten Thema und erhebt sich mit ihm ins Großartige. Der Menuett dieser Sinfonie nähert sich dem alten Stile und wiegt sich in schwer- fälliger Grazie. Haydn schreibt ausdrücklich »Moderato« vor. Im Trio scheint sich ein Solopaar zu produzieren. Das Haaptthema des Schlußsatzes

y i. Presto.

jjiijMjJ rri iLü ' 1 IlJüJ 'U''

scheint auf leichten Scherz und Tändelei hinzudeuten. Haydn gibt ihm aber durch Modulationen und kontra-

--(► 161 «^

punktische Umarbeitungen einen schwereren, energischen Charakter nnd flicht erregtere Szenen und Momente dunkler Spannung ein; alles mit wenigen Noten, und in einer Karze, die eine Meisterleistung an sich bildet. Die Mintärsinfonie, die bis heute eine der beliebtesten ge- blieben ist, gilt in England als die Krone der Haydnschen Sinfonien, in London wurde sie binnen Jahresfrist sieben- mal aufgeführt*).

Die letzte Sinfonie in unserer ersten Gruppe, Nr. 12 j. Hftjdn, (Bdur), beginnt ebenfalls mit langsamer Einleitung vor Sinfonie Nr. 12 dem Allegro: Die beiden Themen des letzteren sind (Bf«»*^. 4 H.). folgende: a) Allegro.

•Jii'f' I liiJ J J^fil^

Das erste setzt ausnahmsweise gleich stark und mit dem vollen Orchester ein und läßt dann das Piano nach- folgen. Das zweite Thema hat in dem Satze größere Bedeutung, als 'es durchschnittlich bei Haydn der Fall ist Gleich sein erster Eintritt ist ungewöhnlich: es steht mit einem gewaltigen Schlage da, fertig wie aus der Erde emporgezaubert. An der Durchführung nimmt es einen wichtigen Anteil. Doch stehen ihm andere Motive hier ebenbürtig zur Seite; neben dem Achtelrhyth- mus des Hauptthemas ± ^.^-^ .^ ^ noch das diesem fol- i v'' 1 | \\^ 7 f [ r ^ gende kurze Seitenmotiv: ^ «^

An Reichtum und Mannigfaltigkeit des Materials zeichnet sich somit die Durchführung dieses Satzes aus und gestaltet ihn zu einem der imposantesten in bezug

♦) 0. F. Pohl: Haydn n. Mozart in London II, 233, 269, 289. Kretzsclimar, Ffthrer. 1,1. H

-^ 162 ^^

auf den Aufbau. Dem entspricht eine Fülle innerer Be- wegung und Energie. Unter den Allegrosätzen Haydns, welche Beethoven zum Anknöpfen dienen konnten, muß dieser an erster Stelle genannt werden.

Der zweite Satz, von Haydn auch in einem Klavier- trio verwendet, mit folgendem Hauptthema

jjinj^r%fYi^^;iHrir>^ji

ist auffallend kurz. Mehrmals streift er das leidenschaft- lichere und schwermütige Gebiet, zieht sich aber immer mit absichtlicher Eile und in genialen Wendungen auf das Ausgangsterrain der elegischen Träumerei zurück. Er gleicht einer Skizze.

In dem Menuett treten dem behäbigen Tanzcharakter des Hauptthemas - AUogrro. fc # mehrfach be-

genüber; namentlich ein pochendes Unisonomotiv J | J J bringt eine fast dramatische Bewegung in der Szene hervor. Das Trio sucht mit einer unwiderstehlichen, spezifisch Wienerischen Herzlichkeit zu beschwichtigen: AI ,—.... Die Melodie, welche durch

^ y J I f^TJr^^ mp r I ( die chromatische SteUe

ihre Signatur erhält, wird wieder in der Oktave von Oboe und Fagott zusammen gespielt.

Das Finale ist auf das Material eines sehr possier- lichen, augenscheinlich der Volksmusik entnommenen Trällerliedchens gebaut:

Presto. ^^m ^^ In seinem An-

Gelegenheit zu humoristischen Episoden, denen er freie Zwischensätze von zuweilen trotziger Kraft gegenüber- stellt. Im ganzen ist dieses Finale eins der wechsel- vollsten und inhaltlich mannigfaltigsten.

168

Von den Sinfonien der rweiten Grappe gehöil die ^. ■«y««» Nr. 3 (Es do^ zn den schwächeren. Der erste S&U ent- SinfonM Nr. s behrt der bei Haydn gewöhntichen Inspiration nnd er- (^^^^ * ■^ >* scheint vorwiegend als ein Produkt der Arbeit Seinen vergnüglichsten Teil bildet das zweite Thema

Im zweiten Satze, Adagio (Gdnr), wird ebenfalls das

zweite Thema, znm Hauptgedanken nnd

mit folgendem pdf TH-f g'^^ ^^ Komposition einen Gmodmotiv ^ ' ' hymnen artigen Ansdrack.

Wenn bei Haydn die zweiten Themen hervortreten, so ist dies in den meisten Fällen eine nicht unbedenkliche Er- scheinung. Seine besten Sätze sind vorwiegend die- jenigen, wo er ein zweites Thema gar nicht braucht

Der Menuett der Sinfonie erhebt sich in der Erfin« düng über die vorhergehenden Sätze. Er gehört zu der Gattung Haydnscher Menuette, welche den Übwrgang zum Scherzo Beethovens bilden. Noch höher steht das Finale, in welchem die gute Laune Haydns an dem fol- genden kurzbeinigen Thema

j!i^b ü^ ir r r 0 I f\7''^ ' \" '=^^^rf

sich wieder in ihrer ganzen Frische aufrichtet Nament- lich an kostbaren InstrumentalefTekten ist der Satz reich.

In der Sinfonie Nr. 4 iDdur) macht sich eine gewisse jr.Harda, Gleichförmigkeit sowohl innerhalb der einzelnen Sätze als Sinfonie Nr. 4 auch im Verhältnisse der Sätze unter einander geltend. <Br«tt AH,). Hier sind die Hauptthemen.

xau..j'irj,7j_jjjiiiLii ii II iuj|jrir;7

Anduie

]L8««s.

11*

164

m.Sa|s.

Allegretto

Den interes-' I r f f I p= santestea Ein- ' * * ^ fall der ganzen Sinfonie bildet

PiBtie. i^H,|J |rl JjTJIf rrri^ ^er im Andan. jr te die zahlrei-

chen Wiederholungen des Hauptthema einleitende, ein- geschobene Takt. j. Baydsy Die Sinfonie Nr. 6 (Ddur) hat ebenso wie die vorletzte

Sinfonie Nr. 6 ihren schönsten Teil in der zweiten Hälfte. Mit dem Einsatz (Breitk. A H.) ^^^ rj^j^ ^^ ^^^ Menuett, da wo die Bläser alle zusammen alarmierende Triolen anstinmmen, verläßt der Tondichter endlich die Idylle, in der er uns etwas lange festgehalten

hat. Der beden- ^ Presto mt non ireppo.

tendste Satz jf^j ^ ^^ ist das Finale ^^ ^

dessen Thema schon unverkennbar romantisch anklingt Seine ersten 3 Noten bald wie ritterlicher Weckruf alles alarmierend, bald wie geheimnisvolle Stimmen aus Waldesdunkel erschallend, jetzt näher, jetzt ferner klin- gend — haben im Bau dieses Finale besondere Be- deutung. Es ist reich an Bildern; die Gruppe vor der Einfdhrung des zweiten Thema in der Reprise gehört zu den phantastischsten Eingebungen. Ihre Pausen, Ferma- ten, ihre schnell abbrechenden Schlüsse geben der Er- klärungskunst voll zu tun. Vor anderen trägt die Fröh- lichkeit dieses Satzes ein -männlich schönes Gepräge. Ganz am Schluß taucht Don Juans Bild auf: >Viva la liberta j. HA^dn^ Die Sinfonie Nr. 14 (Ddur) gehört der zweiten Gruppe

Sinfonie Nr. u vollständig an. Der erste Satz, dem ein leichtes Thema

(Breitk. & H.). zu Grunde liegt:

AiUgTo. --rt ^ -. - kontrapunk-

:f±iU P y-Jd tiert einige-

male stren- ger und verausgabt einen großen Vorrat gewaltig aus- holender Gänge; er bleibt aber in seiner Fröhlichkeit etwas äußerlich und theatralisch. Das Andante:

165

JTtjglp^gf'J'

f

^ schwärmt dahin wie vom Glück beflügelt; = zuweilen bricht der Jubel mit Elementar- gewalt heraus, dann wieder zittert es in

allen Gliedern wie von heimlicher Freude. Auch in dem dunkleren Mittelsatz, der ein Mollthema fugenartig durch- führt, lebt ein schwelgender Klang. Der Schlußteil des Andante wird zum Konzert, wo den beiden Soloviolinen alle anderen Instrumente lauschen. Der Mißnuett ist von der >

aristokratischen Familie und neigt dem Zarten zu. Das Trio bringt reizende Soli der Flöte und des Fagotts, letz- teres von der ersten Violine unterstützt. Das Finale ist ein Rondo mit folgendem kurzgeschürzten Hauptthema: , viTace assat. _^ ^ Namentlich die

^^^^^^* Sf ^e£ die Rückkehr in dieses'Thema einleiten, sind von eigen- artiger Wirkung.

Die drei übrigen Sinfonien (Nr. 7, 8, 9) nehmen eine Art Mittelstellung zwischen beiden Gruppen ein. In der Tendenz ihrer Hauptsätze, die dem Heroischen und Pa- thetischen zuneigen, haben sie etwas Gemeinsames und würden ohne weiteres den Sinfonien der ersten Gruppe anzureihen sein, wenn sie sich mit diesen an musika- lischem Reichtum der Ausführung messen könnten. Die bedeutendste unter ihnen ist die Nr. 9 (CmoU), wohl LHiiyda, auch die bekannteste. Sie beginnt ohne Einleitung mit Sinfonie Nr. 9 einem Thema, dessen Doppelnatur weniger auf eine So- ^"*'^ * ^•)- nate als auf die freiere Form der Fantasie hinzuweisen scheint:

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chen Wiederholungen des Hauptthema einleitende, ein- geschobene Takt. j. Haydn, Die Sinfonie Nr. 5 (Ddur) hat ebenso wie die vorletzte

Sinfonie Nr. 5 ihren schönsten Teil in der zweiten Hälfte. Mit dem Einsatz (Breitk. ft H.) ^^g j*^^ ^ ^^^ Menuett, da wo die Bläser alle zusammen alarmierende Triolen anstinmmen, verläßt der Tondichter endlich die Idylle, in der er uns etwas lange festgehalten

hat. Der bedeu- Presto non troppo. ^_^^^^— _^

tendste ^-''ihrrff fl l.m I ' iJ l'^^^T* ist das Fmale "»"* i^ ^ ^^

dessen Thema schon unverkennbar romantisch anklingt Seine ersten 3 Noten bald wie ritterlicher Weckruf alles alarmierend, bald wie geheimnisvolle Stimmen aus Waldesdunkel erschallend, jetzt näher, jetzt ferner klin- gend — haben im Bau dieses Finale besondere Be- deutung. Es ist reich an Bildern; die Gruppe vor der Einführung des zweiten Thema in der Reprise gehört zu den phantastischsten Eingebungen. Ihre Pausen, Ferma- ten, ihre schnell abbrechenden Schlüsse geben der Er>. klärungskunst voll zu tun. Vor anderen trägt die Fröh- lichkeit dieses Satzes ein *männhch schönes Gepräge. Ganz am Schluß taucht Don Juans Bild auf: »Viva la libertalc Haydny Die Sinfonie Nr. 14 (Ddur) gehört der zweiten Gruppe

Sinfonie Nr. 14 vollständig an. Der erste Satz, dem ein leichtes Thema

(Breitk. &H.). zu Grunde liegt:

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male stren- ger und verausgabt einen großen Vorrat gewaltig aus- holender Gänge; er bleibt aber in seiner Fröhlichkeit etwas äußerlich und theatralisch. Das Andante:

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^ schwärmt dahin wie vom Glück beflügelt;

z zuweilen bricht der Jubel mit Elementar- gewalt heraus, dann wieder zittert es in allen Gliedern wie von heimlicher Freude. Auch in dem dunkleren Mittelsatz, der ein Mollthema fugenartig durch- führt, lebt ein schwelgender Klang. Der Schlußteil des Andante wird zum Konzert, wo den beiden Soloviolinen alle anderen Instrumente lauschen. Der M,ßnuett ist von der «

aristokratischen Familie und neigt dem Zarten zu. Das Trio bringt reizende Soli der Flöte und des Fagotts, letz- teres von der ersten Violine unterstützt. Das Finale ist ein Rondo mit folgendem kurzgeschürzten Hauptthema: ▼iTMe Msai. ^ _ Namentlich die

Solostellen der Violine, welche die Rückkehr in dieses 'Thema einleiten, sind von eigen- artiger Wirkung.

Die drei übrigen Sinfonien (Nr. 7, 8, 9) nehmen eine Art Mittelstellung zwischen beiden Gruppen ein. In der Tendenz ihrer Hauptsätze, die dem Heroischen und Pa- thetischen zuneigen, haben sie etwas Gemeinsames und würden ohne weiteres den Sinfonien der ersten Gruppe anzureihen sein, wenn sie sich mit diesen an musika- lischem Reichtum der Ausführung messen könnten. Die bedeutendste unter ihnen ist die Nr. 9 (Cmoll), wohl J.Haydi, auch die bekannteste. Sie beginnt ohne Einleitung mit Sinfonie Nr. 9 einem Thema, dessen Doppelnatur weniger auf eine So- ^'®**^ * ^•)- nate als auf die freiere Form der Fantasie hinzuweisen scheint:

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eben Wiederholungen des Hanptthema einleitende, ein- geschobene Takt. J. HkjrlB, Die Sinfonie Nr. 6 (Ddnr) hat ebenso wie die vorletzte

^nfsniaNc.s ihren schönsten Teil in der zweiten HälRe. Mit dem Einsatz (BMitit.4 H.) jgg ^^ jij jgjjj Menuett, da wo die Bläser alle zusammen alarmierende Triolen anstinmmen, verlSGt der Tondichter endlich die Idylle, in der er uns etwas lange festgehalten hat. Der bedeu- tendste Satz § ist das Finale ^ dessen Thema schon unverkennbar romantisch anklingt. Seine ersten 3 Koten bald wie ritterlicher Weckruf alles alarmierend, bald wie geheimnisvolle Stimmen aus Waldesdunkel erschallend, jetzt näher, jetzt ferner klin—

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_ schwärmt dahin wie vom Glück beflügelt; = zuweilen bricht der Jubel mit Elementar- gewalt heraus, dann wieder zittert es in allen Gliedern wie von heimlicher Freude. Auch in dem dnnMeren Mittelsatz, der ein Mollthema tugenartig durch- Itlhrt, lebt ein schwelgender Klang. Der ScMußteil des Andante wird zum Konzert, wo den beiden Soloviolinen alle anderen Instrumente lauschen. Der &lpnuett ist von der aristokratischen Familie und neigt dem Zarten zu. Das Trio bringt reizende Soli der Flute und des Fagotts, letz- teres von der ersten Violine unterslQtzt. Das finale ist eio Rondo mit folgendem kurzgeschürzten Haupttliema: viTue Ulli. Namentlich die

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Die drei übrigen Sinfonien (Nr. 7, 8, 9) nehmen eine Art Hittelalellung zwischen beiden Gruppen ein. In der Tendenz ihrer Hauptsätze, die dem Heroischen und Pa- thetischen zuneigen, haben sie etwas Gemeinsames und

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Ftaie. i|«*,|> |J JjTJIf rrni^ ^^^j^ Andan- ^ M te die zahlrei-

chen Wiederholungen des Hauptthema einleitende, ein- geschobene Takt. j. HaydB, Die Sinfonie Nr. 6 (D dur) hat ebenso wie die vorletzte

Sinfonie Nr. 6 ihren schönsten Teil in der zweiten Hälfte. Mit dem Einsatz (Breitk. ft H.) ^^g rp^^ -^^ ^^^ Menuett, da wo die Bläser alle zusammen alarmierende Triolen anstinmmen, verläßt der Tondichter endlich die Idylle, in der er uns etwas lange festgehalten

hat. Der bedeu- Presto m* non troppo.

tendste Satz j m H l"^^ ist das Fmale ^^^ ? ^"^

dessen Thema schon unverkennbar romantisch anklingt. Seine ersten 3 Noten bald wie ritterlicher Weckruf alles alarmierend, bald wie geheimnisvolle Stimmen aus Waldesdunkel erschallend, jetzt näher, jetzt ferner klin- gend — haben im Bau dieses Finale besondere Be- deutung. Es ist reich an Bildern; die Gruppe vor der Einführung des zweiten Thema in der Reprise gehört zu den phantastischsten Eingebungen. Ihre Pausen, Ferma- ten, ihre schnell abbrechenden Schlüsse geben der Er- klärungskunst voll zu tun. Vor anderen trägt die Fröh- lichkeit dieses Satzes ein * männlich schönes Gepräge. Ganz am Schluß taucht Don Juans Bild auf: >Viva la liberta!« j. Hajdn, Die Sinfonie Nr. 14 (D dur) gehört der zweiten Gruppe

Sinfonie Nr. 14 vollständig an. Der erste Satz, dem ein leichtes Thema

(Breitk. & H.). ^u Grunde liegt:

^ Aiiegro. ^^ ^ ^ kontrapunk-

Ifii ^ iJl}^^y^\ff^H\UiPE^ tiert einige- ** ' '^^^^ ^^ -.,,..— r ^^j^ stren-

ger und verausgabt einen großen Vorrat gewaltig aus- holender Gänge; er bleibt aber in seiner Fröhlichkeit etwas äußerlich und theatralisch. Das Andante:

165

4 ^^^.

f

^ schwärmt dahin wie vom Glück beflügelt; znweilen bricht der Jubel mit Elementar- gewalt heraus, dann wieder zittert es in

allen Gliedern wie von heimlicher Freude. Auch in dem dunkleren Mittelsatz, der ein Mollthema fugen artig durch- führt, lebt ein schwelgender Klang. Der Schlußteil des Andante wird zum Konzert, wo den beiden Soloviolinen alle anderen Instrumente lauschen. Der Menuett ist von der aristokratischen Familie und neigt dem Zarten zu. Das Trio bringt reizende Soli der Flöte und des Fagotts, letz- teres von der ersten Violine unterstutzt. Das Finale ist ein Rondo mit folgendem kurzgeschürzten Hauptthema: . ViVace aisai. __, _ Namentlich die

die Rückkehr in dieses Thema einleiten, sind von eigen- artiger Wirkung.

Die drei übrigen Sinfonien (Nr. 7, 8, 9) nehmen eine Art Mittelstellung zwischen beiden Gruppen ein. In der Tendenz ihrer Hauptsätze, die dem Heroischen und Pa- thetischen zuneigen, haben sie etwas Gemeinsames und würden ohne weiteres den Sinfonien der ersten Gruppe anzureihen sein, wenn sie sich mit diesen an musika- lischem Reichtum der Ausführung messen könnten. Die bedeutendste unter ihnen ist die Nr. 9 (Gmoll), wohl j.HaydB, auch die bekannteste. Sie beginnt ohne Einleitung mit Sinfonie Nr. 9 einem Thema, dessen Doppelnatur weniger auf eine So- (B"itk.ÄH.). nate als auf die freiere Form der Fantasie hinzuweisen scheint:

'U I'^U' ^gJ^^f

-^ 172 <i^

Moitrt, haben. Dahin rechnen wir die Ddor- Sinfonie Nr. 31,

Ddup-Sinfonie, welche in der äußern Geschichte Mozarts eine gewisse

(NrUderO-A) Bedeutung hat. Mit ihr glaubte Mozart in Paris Position

"fassen zu können. Er schrieb sie für die dortigen Gon-

certs spirituels des Direktor le Gros (i. J. 1778} und fand

damit großen Beifall. Sie beginnt:

. ^|"^JJl^frrr^fn^lfnl^m^T|

Die ersten drei

^^^^^^^Takte bUden

•**■ den berühmten

»Premier coup d^archet«» auf welchen die Franzosen so stolz waren. Das war nichts weiter als der gemeinsame Einsatz des gesamten Orchesters, der allerdings bei der außerordentlich vollen Besetzung des Streicherchors einen Effekt machte, dessen Natur die Pariser Dilettanten einer besondern Überlegenheit in der Präzision zuschreiben wollten. Diesen coup d'archet hat Mozart im ersten Satze weidlich ausgenutzt und ihm noch eine Reihe ähnlicher dynamischer Raritäten beigesellt, wie er sie selbst nagel- neu aus der Mannheimer Kapelle mitgebracht hatte. Das allgemeine Crescendo auf einem einzigen Akkord spielt darunter eine große Rolle. In der Entwicklung des Stimmungs- und Gedankenmaterials herrscht, obwohl Mo- zart in dieser Sinfonie dem »langen Geschmack« aus- weichen wollte, eine große Umständlichkeit. Das Andante

Andante. ^. ^. g'gyg^ ist ganz acht-

i i II i'"^rt ■' ' I^JTJ Jl^ M t" ' I ' J"t"J? zehntes Jahr- •' " vToiio« ^ ^ hundert; nur

eine stolze Unisonofigur der Streichinstrumente unterbricht die Ruhe dieser Gessn ersehen Idylle. Das Finale fängt ausnahmsweise einmal so an, wie Haydn in der Regel seine schnellen Sätze einzusetzen pflegt: die erste Periode leise und dann ein tüchtiges Forte. »Weil ich hörte« schreibt Mozart an seinen Vater »daß sie alle letzte Allegros, wie die ersten, mit allen Instrumenten zugleich, und meistens unisono anfangen, so fing ichs mit den

173

zwey Violinen piano nur acht Takte an darauf kam gleich ein Forte, mithin machten die Zuhörer (wie ich es erwartete] heim Piano seh! ~ dann kam gleich das Forte. Sie das Forte hören und in die Hände zu klatschen war eins. Ich ging also gleich vor Freude nach der Sinfonie ins Palais Royal, nahm ein gutes Gefrornes, betete den Rosenkranz, den ich versprochen hatte, und ging nach Haus.c

Man kann die Sinfonien Mozarts in solche teilen, bei denen der Ouverturencharakter vorwiegt, und in eine andere Klasse, welche sinfonisch in der modernen Be- deutung des Wortes genannt werden können. Daneben gibt es noch eine kleinere Gruppe, welche den Kassa- tionen und andern suitenartigen Gelegenheitsmusiken nahesteht. Zu letzterer gehört die Sinfonie (in D) Mosart, Nr. 8 der alten Ausgabe von Breitkopf & Härtel. Sie jj^^^^l'^jj®"*** hat ö Sätze, unter ihnen zwei Menuetts, die durch ein ^'•®<^- -> sehr langes Andante getrennt sind. Es ist eine Kompo- ' sition, die ganz und gar nichts Mozartsches hat und durch ihren altvaterischen Charakter Zweifel erregt bezüglich der Echtheit.

Es gibt dann noch eine Obergangsklasse, bei der die Hauptthemen des ersten Satzes beide festlich dekorativ und oavertiirenmäßig gehalten, aber durch gesangvolle und oft breit ausgeführte Nebenmotive in der Wirkung beschränkt sind. Unter den bekannteren Werken Mozarts gehört zu dieser Klasse die Salzburger C dur-Sinfonie Hoiart, von 1780 Nr. 34 der Gesamt-Ausgabe. Allerdings verläßt Cdur-Sinfonie bei ihr das Hauptthema das Ouvertüren gebiet: *^" "' "^

Nr. 84 (G.-A.:

^^^

Seine elegi- sche Schluß- wendung in

174

das Moll weist über die Mozartsche Zeit sogar hinaus. Das zweite Thema aber trägt das Gepräge der der Ouver- türe unbekannten Kantabilität ganz besonders stark.

<f^ri"r7?-'N--^irrTi i^ "J Li iffl

Nur die Durchführung widerstrebt in ihrer Ungebundenheit und in ihrem starken Verbrauch neuen und verschiedenen Ideenmaterials den neuen sinfonischen Bedingungen. Inter- essant ist im Bau dieses ersten Satzes die doppelte Reprise des Hauptthemas. ^ ..Jfff^^ffi

Das' Andante ist ^ ' " »^ <* --^-^ ein echter Mozart:

Die resolute Schlußwendung zum Männlichen kennzeich- net ihn. Im Finale, einem ^ AllegroTW. rauschenden Allegro im S/g- Takt mit folgendem Anfang: *' / herrscht die energische, dramatische Bewegtheit der Jupitersinfonie: Stellen, wie die folgende, geben einen Begriff von der Deutlichkeit des instrumentalen Dialogs und dem bilderreichen Charakter dieses Finale:

?e^feij^

Noch entschiedeneren Sinfoniencharakter als in der

vorhergenannten haben die Themen im ersten Satze der

Moiftrt, Bdur-Sinfonie Nr. 83, die im Jahre 1778 zu Salzburg ge-

Bdor-Sinronie schrieben ist In dem Hauptthema ist keine Spur mehr

Nr. 88 (a.-A.). YQn der Ouvertüren feierlichkeit früherer Sinfonien, es zieht

voll Hay dnschen Geistes daher, zum Malen deutlich eine

Originalfigur aus einem lustigen Genrestück:

AUerro aMaL

-^ 176 ♦—

Ganz Zärtlichkeit and muntere Annut tritt ihm dann seine Ge- ^^^^ ^ Die Durchführung küm-

fährlin ^t ' 'PiTy f | 'm | mert sich um das liebens- entgegen: * ' ' 1 würdige Paar leider nicht

Sie bringt ein anderes, in der Kunstmusik seit der Nieder- ländischen Schule ^ ^ T /^^^^^^^ ^™ heimisches Lieb-^3EE j_ \ d' I fT'-J« jzum ersten lingsthehia Mozarts *^"^ * Male in seiner Fdur-Messe vom Jahre 1774 erschienen ist und dem er später in der Jupitersinfonie einen weit sichtbaren Ehren- platz zuwies. Eine andere Vorausnähme der Zukunft bietet dieselbe Durchführung in einer Obergangsepisode, welche in Melodie und Harmonie auf einer Wendung ruht, die mit der Zauberflöt^ und dem Terzett der drei Damen weltbekannt wurde. Nach einem weichen Andante folgt ein Menuett, der schärfer als die vorhergehenden in großen Intervallen und festen Rhythmen die Züge zum Ausdruck bringt, welche Mozart für diese Tonstücke mit Vorliebe einhält. Mozarts Menuetts lehnen sich durchschnittlich mehr an die alte Schule an als die Haydns. Sie sind nicht so witzig und nicht so beweglich, als die letzteren, ihr Humor ist schwerer, zuweilen finster, streift auch wohl ans Groteske. Immer aber trägt ihn em kraftvolles Ele- ment. Das Finale ist die Krone des Ganzen: ein Erguß bacchantisch dahinstürmender, aber gutmütiger Heiterkeit. Jugendliche, ritterliche Männergestalten sind die Führer dieses fröhlichen Schwanns, dem alles zuzuströmen scheint vom Adel und vom Volk, was Fröhlichkeit im Blute fühlt Bleibt der Zug einen Augenblick bei einem schönen Auge stehen, so braust er dann nur um so flotter weiter. Im Hauptthema:

Presto astal.

erkennt man unschwer Fleisch und Blut aus dem Er- ÖfTnungssatz der Sinfonie. Unter den zahlreichen Seiten- themen verdient namentlich die drollige volkstümhche. Gruppe hervorgehoben zu werden, welohe die Bläser

» 176 •—

(Oboen und Fagott als Anklang an das alte. Trio], bald nachdem das zweite Thema passiert ist, aufstellen:

i^' UU ^\r tl\UiAHjU u\^ ^^^^^^

Die unvermuteten f darin weisen auf Mannheim.

Äußere Veranlassungen haben wahrscheinlich sehr stark auf die Haltung eingewirkt, welche Mozart defi Haupt- sätzen seiner Sinfonien gab. Wie die Haydnsche Sinfonie aus einer Kreuzung mit der Suite hervorging, so scheint man am Ausgang des 18. Jahrhunderts in Osterreich über- haupt den Begriff der Sinfonie nicht so streng genommen und ihn auf mehrsätzige Orchestermusik jeglichen Cha- rakters angewendet zu haben. So erklärt sich bei Mozart das scheinbare Schwanken in den Grundsätzen und in seiner Entwicklung als Sinfoniekomponist. Der eben be- Hosart, trachteten B dur-Sinfonie folgt eine Arbeit, die D dur-Sin- Ddur-Sinfonie fonje Nr. 36, die zum Teil wie eine Art Rückfall in den 85 (G- •)• Serenadenstil aussieht. Sie ging auch aus einer Serenade, einer Festmusik hervor, die eine freudige Feierlichkeit in der mit Mozarts in freundschaftliclben und musikali- schen Beziehungen stehenden Familie Hafner in Salzburg schmücken half. Als Serenade begann sie mit einem Marsch und hatte zwei Menuetts. Als sie nun Mozart in ein Wiener Konzert als Sinfonie brachte, strich er den Marsch und den einen Menuett Aber ihrem jetzigen ersten Satz ist das unbestimmte Pathos geblieben, welches solche musikalische Gelegenheits- und Festdichtungen in der älteren Zeit einzuhalten pflegten. Dieser erste Satz hat nur das eine erstaunlich groß ausholende Thema:

AUeg^ro eon splrito

welches mit einer außergewöhnlichen kontrapunktischen Konsequenz durchgeführt wird. Gewiß wußte Mozart, daß die Arbeit vor Kenner kam. Das Andante gleicht einem dramatisierten Liede, seine simple Grundgestalt:

^

177

wird bald durch Zwi- schensätze, in denen es sich wunderbar and heimlich regt, verdrängt, bald durch Zutaten der Dynamik und Harmonie, durch Akkompagnement und wechselnde Seitenglieder mächtig gehoben. Menuett und Trio sind einfach, aber wirksam kontrastierend. Das Finale zeigt in

seinem j-n-.x *^T"Tn ^'°^ starke Ver-

Haupt- ]£^^^f n fTi l J j l-g^pj J I Jj wandtschaftmit thema ^ Osmins>Ha,wie

will ich triumphieren«. In der Tat schrieb auch Mozart diese Sinfonie i. J. 1782 mitten unter den drängenden Nach- arbeiten der »Entführung«.

Zeigt sie schon in den Allegrosätzen Haydnsche Ele- mente, in dem ersten bezüglich der Durchführung, im letzten in der thematischen Erfindung selbst, so trägt die nächste Sinfonie (Nr. 36, Cdur) den Haydnschen Einfluss Hosart, noch offener zur Schau. Unter den Musikern ist dieses C dar-Sinfonie, Werk als »Linzer-t- Sinfonie bekannt. Wahrscheinlich ist „*h^I^^!^\ es diejenige Sinfonie, welche Mozart i. J. 1783, auf der Durchreise durch Linz begriffen, in kurzer Zeit für den dortigen Musikverein komponierte. Nicht eben tief, aber ein liebenswürdiges frisches Werk, erfreut sie den Musik- freund durch vielfache Vorklänge der größten Zeit des Meisters und deren Hauptschöpfungen: Don Juan und Jupitersinfonie, und durch Klangwirkungen, welche ebenso durch ihre Eigenart wie durch ihre Einfachheit frappieren. Wir machen in letzterer Beziehung namentlich auf die Bläserharmonien im ersten Satze aufmerksam. Die Haupt- themen der Sinfonie sind:

Allagro spiritoBo.

Aiwlawlfr

Nr. 86 (G.-A.).

«•-»tf iinO->\r^*\ff^\rt .

Krttiiokmar, Ffthrer. l, L

la

-^ 178

Pr«ftto.

Final«.

Haydn merkt man im ersten Satz: außer in der lang- ' samen, träumerisch gedankenvollen Einleitung, nament- lich in der Durchführung, die hier in Haydns Weise ein- gehender hei demselhen Motive bleibt und aus ihm ent- wickelt. Dieselbe Methode finden wir im Andante. Dann sind auch noch kleinere Züge Haydns nachgebildet: die Einsätze der Ällegri vom p zum forte schreitend: kecke, überraschend in der Modulation wechselnde Perioden- anfänge: Hay dusche Lieblingswendungen der Melodie, wie der Schluß des Themas im Andante: Eigenheiten der In- strumentierung, wie im Trio die Verdoppelung der Melodie- stimme: in der Dynamik unerwartete Akzente und Gegen- sätze. Es ist aber noch genug von Mozarts besonderem Wesen in dieser Sinfonie. Nicht bloß in der Gesamt- haltung, in dem ihm eigenen raschen, kräftig elastischen Schritt kommt es zum Ausdruck; wir können es bis in seine kleinen charakteristischen Geberden und Angewohn- heiten hinein verfolgen, j ' ^ . ^kommtwie-

Sein beliebtes chromati- ^ 1 I I M J' l'"J =derholt vor. sches Überleitungsmotiv: * Zwischen

dieser Gdur-Sinfonie und der ihr folgenden Nr. 38 (Ddur) liegt ein Zeitraum von drei Jahren und eine künstle- rische Entwicklung Mozarts, die wir in das eine Wort »Figaros Hochzeitc fassen wollen. Mit dieser Sinfonie ist Mozart als Sinfoniker eine fertige Größe. In ihr und den ihr folgenden Schwestern es sind leider nur drei - steht er in bestimmter und abgeschlossener Indi- vidualität vor uns: in der ihm ganz eigenen Mischung von Kindlichkeit und Ernst, ein Meister, dessen Geiste sich die* Form gebeugt hat, ein Mensch, dessen Anmut und Liebenswürdigkeit die Tiefe und den Reichtum seines Seelenlebens mehr zu verhüllen als zu offenbaren suchen. In der Form zeigen die vier letzten Sinfonien eine Wand- lung vollbracht, die sich in etlichen früheren Werken be- reits vorbereitete. Sie betrifft die Methode in dem Durch-

179

führungsteil des ersten und letzten Satzes. Wenn hier Mozart in den früheren Sinfonien vorwiegend ganz nenes Gedankenmaterial aufwarf, so nähert er sich jetzt dem Haydnschen Weg und nimmt Themen und Motive aus dem ersten Teile des Satzes. Eigen ist ihm dabei, daß er nicht die eigentlichen Hauptthemen, sondern Nehen- motive aus Seiten- und Obergangsgruppen benutzt und sich bei sekundären Ideen ausruht und sammelt. Diesen außerordentlich merkwürdigen, man kann sagen scheuen Zug hat er einzig bei der subjektivsten seiner Sinfonien, der berühmten GmoU-Sinfonie, aufgegeben.

Die Ddur-Sinfonie Nr. 38 geschrieben für die Wiener Mosart, Winterkonzerte im Dezember 1786) hat eine bedeutende Ddur-Sinfonie Einleitung: im Tone freundlicher Ahnung beginnend, in («.-A.).

der Mitte düster, zum Schlüsse über Seufzer und Bitten in demütige Resignation einlenkend. Der Allegrosatz ist zwischen eine fragend bange Stimmung und die Regungen eines ringenden Kraftgefühls geteilt. Diese Momente treten schon im Hauptthema direkt nebeneinander:

Allegro.

ij<"N!j^j j. Jii^)j j j j.ijy J-J)'j>y J J>'

f

Das zweite Thema

bildet nur einen flüchtigen Licht- 'bück: es repe- tiert sofort in Moll und verschwindet dann auf lange. In der Durchführung erscheint aus den Themen allein das oben eingehakte Motiv, dem noch zwei andere, heftig angdegte Figuren, den Obergangsperioden der Thema- gruppe entnommen:

12*

180

I yj üii f tcxif^

zur Seite treten. Es herrscht unter ihnen die engste Reibung: das eine kommt nie ohne das andere, und wie in der Mehrzahl der späteren Instrumentalwerke Mozarts geschieht die ganze Ideen- und Formenentwicklung nach den Prinzipien des doppelten Kontrapunkts. Ein Höhe- punkt oder ein Resultat dieser Ideengärung ist nicht zu bemerken, der Schluß zieht sich wie tastend und suchend nach dem Hauptthema zurück, welches vor der eigent- lichen Reprise in harmonischen und melodischen Um- stellungen erscheint, die einen feinen poetischen Zug bedeuten. Ein Merkmal der letzten Sinfonien Mozarts ist der engere Anschluß in den Charakteren der einzelnen Sätze. Diesen Zusammenhang zeigt unsere Ddur-Sinfonie besonders stark. Wie er innerhalb des ersten Satzes die Gestaltung und das Wesen von Einleitung und Allegro be- einflußt, so bestimmt er auch das Verhältnis dieses ersten Satzes zum Andante. Schon im Hauptthema dieses Andante ^ ^^"^ft; ^ p-p^ ist die Verwandt-

'^ nen. In ihm liegt

noch etwas von der gedrückten Stimmung, mit welcher der erste Satz begann; nur die Nuance ist eine mil- dere. Mit dem —^^^^^^^^^^ das in der Entwicklung Seitenmotive fr ? ^^ '^ ^ "* > J) des Satzes eine bedeu- tende Stelle einnimmt und gern in kanonischer Stimm- führung erscheint, strebt das Andante freundlichen Re- gionen entschiedener zu. m, ^.^ ±±± f kommt der Durch das rnrr[rinrhr ffl j ^ 111^^^^^^= energische und finstere Gegenthema ^ ^ und dra-

matische Charakter, der dem ganzen Satz eigentümlich ist, äußerlich am deutlichsten zum Ausdruck. Er be- herrscht den Geist des ganzen Satzes in dem Grade, daß alle die Stimmung aufklärenden und freundlichen Abschnitte nur Versuche bleiben. Daraus erklärt es sich, daß das süße zweite Thema des Andante (in Ddur]

181

auf dessen Verlauf nicht die geringste Wirkung übt Ihre größte Macht entfalten die dunklen Seelenmächte in der Durchführung, wo sie seihst das Hauptthema ins Trübe und Bange (DmoU, EmoU) wenden. Der Schluß ist überraschend in seiner sich still verlierenden Form sowohl als in dem halb humoristischen Ausdruck. Daß diese D dur-Sinfonie auf die alte dreisätzige ita- lienische Form zurückgreift, scheint kein Zufall zu sein, sondern das ist ein Ergebnis der Innerlichkeit dieser Musik, der Stärke und Echtheit, mit der sie die Spannung des Gemüts widerspiegelt, in der sich Mozart zur Zeit dieser Komposition befand. Ein Menuett, der Tanzsatz des äußer- lichen Herkommens wegen, wäre Mozart in jenen Stun- den mehr als bloße Yerirrung des Stils, wäre ihm eine Lüge gewesen. Eine Szene der Gemütlichkeit paßt in das Seelenbild, das diese Sinfonie gibt, nicht; eher geht es mit einem gewaltsamen Humor. Ihm wendet sich der Schlußsatz zu. Sein Hauptthema soll und will Fröhlich- keit bringen, zum Aufraffen helfen.

' Presto.

Ober Abschnitte der Nachdenklich- keit und stürmischen Erregung ge- langt die Darstellung zu dem zwei- ten Thema (in Adur), das mit einem Anflug von Resig- nation ein fröhliches Behagen, eine Art Glück in der Besdiränkung ausspricht Die Kämpfe, die der Ideengang der Sinfonie erwarten läßt, sind in der Durch- führung und im ersten Teil der. Reprise enthalten, in- dessen mehr nur angedeutet als vorgeführt. Schon hieraus ergibt sich, daß das Finale an Ursprünglichkeit und seelischer Macht die beiden ersten Sätze nicht er- reicht

Die drei letzten und berühmtesten Mozartschen Sin- fonien entstanden anderthalb Jahre nach dieser D dur- Sinfonie und zwar in der Reihenfolge: Esdur (26. Juni), Qmoll (25. Juli) und Gdur (10. August 1788).

* 182 ^^

■oiart, Die Es dar-Sinfonie (Nr. 39), welche, wir wissen

^J^'S^nfoiMe nicht von wem, den Beititel »Schwanengesang« erhalten

gesaa^)" ^**» ^^* unter den letzten Sinfonien Mozarts, vielleicht

Nr. 89 (G.-A.). unter seinen sämtlichen Sinfonien, die Haydn am nächsten

stehende. Sie ruft das Bild dieses Vormeisters nicht bloß

in formalen Nachbildungen wach, sondern namentlich

durch das geistige Lebenselement, welches sie bewegt.

Sie ist entschieden dem Frohsinn gewidmet, und wenn

wir sie als Ausdruck von Mozarts persönlicher Stimmung

betrachten dürften, so war die Zeit, wo er diese Sinfonie

schrieb, eine sehr glückliche.

Die Einleitung des ersten Satzes beginnt in t^racht und Spannung. X]lanz am Schlusses nur kommt ein schwer- ^ , Adagio.

mutiger Don

Juan -Klang: ^ ^f

Das Allegro stellt ihm ein beruhigendes Bild entgegen:

ii ij jii f^wl ir^rir

Der Wiederholung dieses freundlich zusprechenden . Gesangs folgt ^ |^ ^ ^ ^ Es ist der Aus-

das Haydn- m f n j, I J j ^ J JJtl Ü ' ^^^^^ stolzen sehe Forte: 7 -^ ^g^ ^ Kraftgefuhls,

welches von nun an im Satze herrscht. Er ist eine Art Mozartscher Eroica, zwar ohne Kampf und Sturm; aber in dem knappen, energischen, wuchtigen, bis zum Heraus- fordernden hingehenden und doch immer der Selbstbe- herrschung sichern, männlichen Ausdruck der Freude liegt etwas entschieden Heldenmäßiges. Was Haydnsch ist im Satze, das erscheint aus dem Klangregister des Jünglings auf die Stimme des Mannes übertragen. Die tändelnd anmutigen Elemente sind ferngehalten. Der in glücklicher Erinnerung schwelgenden Schwärmerei 'ist ein. dunkler Ton beigemischt:

168

r ini ^Trii I

1 1 1 ir'n^i I |iTi ii^"if7M ij ii "iii I

so lautet das zweite Thema in bedeutsamer Kantabilität. Für die Durchführung, wel- che sehr kurz ist, hat folgen- des Nebenmotiv Wichtigkeit Mit einer Generalpau^e wird sie abgebrochen, und in der genialen Kürze,, mit welcher Mozart an diesem Punkte h&ufig verfährt, leiten 3 Takte der Bläser in die Reprise über. Dem zweiten Satze der Sinfonie, dem Andante,

liegt folgen- Andaate. .gn.^ ""^»^^

desHauptthe- liHl J J.JHl J.t J.i J-airy fVl Jg

i

ma zugrunde

in seiner marschartigen Natur an Haydnsche Vorbilder erinnernd. Im zweiten Teile stellt ihm Mozart zunächst ein heftiges Motiv entgegen, das den Frieden des Satzes wiederholt in Frage stellt. Nach Abschluß dieser Fmoll- Episode beginnen die Bläser ein beschwichtigendes Sätz- chen, das in seiner harmonischen Einführung und in seinem imitatorischen Stile sich außerordentlich eindrucks- voll bemerklich macht Der Menuett setzt sehr kräftig ein:

tf y^^f '^*^*^' _ #<Tl^ ^' ™^* prächtiger Aus-

^rby r IjJ jJJJIjTJ^*^ M jnutzungderNatur

der untern Violin- saiten. Das Trio, von der Klarinette gesungen und ge- schwärmt, ist eine der lieblichsten Idyllen, die musikalisch gedichtet worden sind. Das Finale, über folgendes Thema gebaut:

AUegTOw

ist Haydnsch im Material und im Geist, neckisch, leicht, scherzend und tändelnd. Auch die Überraschungen mit Generalpausen, dynamischen Kontrasten, plötzlicher

» 184 «^

t

R&ckkehr des Themas fehlen nicht. An einzehien Stellen klingei^ ans spezifisch Mozartsche Töne entgegen; aber es sind nur kurz eingeworfene Motive. Zur Ausgestaltung eines zweiten Themas kommt es nicht; vielmehr wird der ganze Satz mit jenen wenigen Grundtakten bestritten, welche oben zitiert sind. Es ist nicht genug zu be- wundem, welches bunte Leben Mozarts Kunst und dra- matische Phantasie ihnen abgewinnt. Es tummelt sich in diesem Finale wie auf den Marktbildem der nieder- ländischen Schule: die komischen Gruppen umsteht und belohnt eine lebendige, froh erregte Menge mit fort- reißendem Gelächter; die Komik ist von der feinsten Art bis zur unfreiwilligen vertreten, und auch der der- beren Lustigkeit der Yolksmässe ist ein Plätzchen mit eingeräumt. Siehe im ersten Forte die _f f , _f f ,

plump drollige, dem Anfang des Menü- ^ fcl sJ ' I |;J ' I etts verwandte Fröhlichkeit der Bässe: «^

Wie mit einem plötzlichen Windstoß ist der ganze Kar- neval verschwunden.

Im direktesten Gegensatz zu dieser Esdur-Sinfonie

■oBarty steht die in GmoU in Bezug auf Inhalt Man kann nur

ßmoU-Siaroiiie wünschen, daß Mozart einen solchen seelischen Kon-

- r. 40 (Gw-A.). ^g^gj^ ^g gj jjjQ in di.esen beiden Werken innerhalb

Monatsfrist darstellte, nicht auch persönlich an seinem eignen Schicksal hat durchleben müssen. GmoU ist eine Tonart, die bei Mozart immer etwas Besonderes zu be- deuten hat. Wir denken an das Klavierquartett und an das Quintett Aber hier in dieser GmoU-Sinfonie vom Jahre 1788 ist er doch noch anders, als er jemals vorher gewesen. Eine dergleichen leidenschaftliche Hingabe an eine einseitige Stimmung, und noch dazu an eine so düstere, kommt in der ganzen Kunst überhaupt nur selten, sie kommt bei Mozart nicht wieder vor. Vielen erscheint allerdings heute dieses Werk in Bezug auf seinen Aus- druck gar nicht weiter der Rede wert, denn es ist Jahr- zehnte lang in Zwischenaktsmusiken geschmacklos ver- braucht worden. Aber noch iih Jahre 1802 wird diese Sinfonie von Leipzig aus eine »schauerliche« genannt

185

Diese Bezeichnung kommt der eigentlichen Natur der Gmo]]- Sinfonie vielleicht doch näher als die imitierte Begeisterung, mit welcher neuere Mozart Verehrer uns immer wieder und immer wieder nur auf die Anmut des Werkes aufmerksam machen.

Es ist wohl nicht bloß zufällig, daß die 6 moU- Sin- fonie keine Einleitung hat. Mozart steht hier sofort mitten in der Sache drin:

Allepro.

Das ist allerdings anmutig in der Form, aber in ihrem Verhältnisse zum Inhalt erinnert diese Form an das be- kannte Wort von der »guten Miene zum bösen Spielec. Der tiefere Zug des Leidens, welcher sich schon in dem Sexttoschluß des ersten Abschnitts vom Thema verrät, kommt in der Ifachsatzperiode noch deutlicher zum Ausdruck:

und in dem un- |^ mittelbar zugef Qg- ' ^j^ ^^

1

1

bricht die innerliche Erregung

ten Schlußmotiv '«' * (LT " f * {LT ' f

dämonisch durch. Das zweite. Thema bringt keinen Gegensatz zum ersten, sondern es erweitert und begrün- det den erregten und düstem Charakter der dort ausge- sprochenen Stimmung '^^ ok ^.....^^

ir ^ är.!;s; f'Ti'i luiiiMiii^i

Trotzige Kraft lehnt sich dann auf, sie wechselt aber sofort mit rührender Klage. In der Durchführung werden die Versuche, den Bann drückender Ideen zu durchbrechen, mit großer Kühnheit, aber erfolglos erneuert. Nach schneidenden Dissonanzen, nach gewaltigen Ausbrüchen der Heftigkeit endet der Kampf mit einem von den Holz- bläsern gedeckten kleinlauten Rückzug in die Reprise. Bemerkenswert ist, daß in dieser Durchführung alles

186

thematisch ist, ein hei Mozart ganz seltener Fall. Er greift weder zn neuen Motiven, noch zu Gängen und Passagen, die Phantasie bleibt an das erste Thema gefesselt. Das Andante hat zum Hauptthema folgendes Sätzchen:

Sein zögernder, immer wieder ansetzender Aufbau kün- det den suchenden und fragenden Grundcharakter des ganzen Satzes an. Das nächste fegenmotiv, welches ihm Mozart zuschickt, stellt sich kraftvoll einsetzend

in den Weg und ver- ß ^ f

flattert ebenfalls bei ^> ' f [^TMJf g/f tf <f '»■ y seinem zweiten Schritt /*

Seine Zweiunddreißigstel-Figur bildet mit dem Achtelmo- tiv des ersten Themas im Satze zahlreiche . jtn jps sinnvolle Kombinationen. Ein kurzes yV I (} ^ ' =^ drittes Thema dieses Andante, beginnend:*^ ' ist außerordentlich inniger Natur.

Der j^.t. 11 , I I pirr ! I I nimmt den

Menuett ff ^ * J 1^ T 'T ^^ji^l^^M Kampf wie- der entschieden auf; er ist mit den harten Dissonanzen seines zweiten Teils einer der streitbarsten Sätze, die auf Grund jener alten zierlichen Tanzform jemals gebildet wurden. Das Trio klingt süß und in kindlicher Unschuld dazwip^ , , j , _ , I Seine zweite Klausel enthält eine schen.y^ fl I ^ f T ^ ^ der gefürchtetsten Hornstellen.

Im Finale herrscht eine einigermaßen unheimliche Lustigkeit. In Unruhe und Aufregung stürmt es dahin süt seinem Hauptthema:

187

unvorbereitete Septimen und anderlei bösartige Elemente ergreifend. Mit verzweifeltem Humor jagen die Stimmen in der Durchführung emsig ^ontrapunktierend das ver- wegene Thema durch die Tonarten das zweite Thema bietet kaum einen Ruhepunkt in der Hast des Satzes. Seiner Natur getreu geht er ungestüm und ungeklärt zu Ende.

Mozarts letzte Sinfonie, die Cdur-Sinfonie Nr. 41, führt den Beinamen der »Jupitersinfonier. Sie darf in mancher Beziehung für Mozarts größte Leistung im Sin- fonienfache gelten und bildet eines der schönsten Denk- mäler seines freien, starken und reichen Geistes. Keine andere der Sinfonien Mozarts hat diesen breiten Wurf der Themen, keine andere verbindet mit dem gleichen Reichtum wahrhaft goldener Ideen die Einheit im Cha- rakter und die Harmonie der Darstellung. Es lebt etwas Antikes in ihr: eine erhabene Heiterkeit und ein Schön- heitsgefühl, das auch ihre vollsten Lustausbrüche adelt. Ihr erster Satz klingt mit seinem Eingangsthema wieder an den festlichen Ouvertürenton der früheren Sinfonien Mozarts an; aber schon nach dem ersten Komma wird der Charakter innerlich

und so bildet nicht bloß dieses Thema es hat bis zu seinem vollständigen Abschluß die beträchtliche Länge von 23 Takten sondern der ganze Allegrosatz eine meisterhafte und erquickende Verbindung von äußerer glänzender Schilderei und edlem Seelen ausdruck. Es ist im allgemeinen nicht so schwer, Programme zu den Meisterwerken unserer klassischen Instrumentalmusik zu

Moiftrt)

Jnpiter'Sinfbnie Cdar iNr.il).

188

schreiben; bei der Japitersinfonie kann man der Ver*

lockung kaum widerstehen. Man sieht die einzelnen in

ihren stillen Gedanken dahingehen, die Massen in lauter

Freude aufschäumen ; es wechseln Bilder und Szenen in

ruhiger Steigerung und Folgerichtigkeit, aber auch mit

erschreckenden Zwischenfällen. Merkwtkrdig, wie trotz des

festlichen Grundtons ^ ^.^^

die Motive des inti- ^ ^' ^

men Gemütslebens

und der naiven

volkstümlichen

Fröhlichkeit :

den Gesamtausdruck des Satzes bestimmen!

Im Andante stellt Mozart drei Führer auf. Sein erstes Thema lautet:

Ihm tritt in gewohnter Weise ein zweiter Satz entgegen von drohender, gegensätzlicher Haltung. Er ist diesmal nur kurz skizziert und geht in einen erhaben friedevollen Gesang über

dessen bewegliches Nachspiel (s.*) im weiteren Verlauf Anlaß zu Kombinationen und Wendungen gibt, die in ihrer geni- alen Mischung von Tiefsinn und leichtem Spiel ganz einzig sind. Der Menuett dieser Sinfonie ruht auf sinnigj beschaulichem Boden. Sein Trio hat in der Achtelmelodie und in der Instrumen- tierung Uaydnsche Elemente. Der berühmteste Satz der Sinfonie ist das Finale. Man nennt das ganze Werk zu- weilen mit bezug auf diesen letzten Satz die Cdur-Sinfonie mit der Schlußfuge, und noch neulich hat ein Musikschrift-

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steller, der sich in Spekulationen gefällt, nachzuweisen gesucht, wie sich in diesem Finale Faust und Helena ver- mählen, wie hier die vermeintlich ganz konträren Stilarten der Fuge und Sonate ihre erstmalige Verbindung eingehen. Von alledem ist wenig wahr. Um diese Sinfonie von andern Gdur-Sinfonien Mozarts zu unterscheiden, mag man sie die Sinfonie mit der Schlußfuge nennen. In Wirklichkeit aber spielt die Fugenform darin eine untergeordnete Rolle. Das Hauptthema des ^ ^^^ ^ ^^ wird nach dem er- Satzes, ein altes »n ^ I ^ I " j sten Halbschluß, den Allerweltsmotiv ^ der Satz macht, in

einer einfachen Fuge durchgeführt, die nach 21 Takten zu Ende ist Nach der Reprise des Satzes schließt Mozart nicht einfach, sondern setzt noch eine Coda an, die eben- falls wieder mit einer Fuge beginnt und zwar mit einer sogenannten Tripelfuge, bei weicher zu dem schon an- gegebenen Hauptthema noch folgende 2 Sujets hinzutreten

if' iii ni[Tiiii,ijijf'c if I II yj rrni^i > i

Nach 34 Takten ist auch diese Fuge wieder zu Ende. Bas an letzter Stelle angefahrte Motiv fungiert Im Satze von vornherein als sogenanntes zweites Thema. Daß es wie auch die übrigen Motive und Themen in diesem Fi- nale mit Rücksicht auf kontrapunktische Brauchbarkeit erfunden ist und daß der Ausdrucksgehalt dieser Rück- sicht nachgesetzt, worden ist, braucht nicht erst nach- gewiesen zu werden. Der Schlußsatz der Jupitersinfonie ist und bleibt ein Meisterstück der kontrapunktischen Kunst, die sich namentlich in Engführungen und kano- nischen Nachahmungen im vollen Glänze zeigt, aber, wie sich im folgenden Kapitel zeigen wird, ist er darin in der Periode der Klassiker kein Unikum. Jedoch in der Haupt- sache erhebt er sich Über alle verwandten Arbeiten in der gleichzeitigen Sinfonik: nämlich unser Finale ist auch im Charakter, im Ausdruck eines kraftbewegten festlichen Leben» ein Meisterstück, würdig eines Jupiter, eines Olym- piers der Kunst.

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-^ 190 «^

I

Mozart und Haydn waren persönlich befreundet, liebten einander als Künstler; aber wie das bei starken Individualitäten natürlich ist, keiner wirkte auf den an- dern künstlerisch wesentlich ein. Haydn bringt zuweilen einige kantabile Wendungen, Mozart eignet sich bei guter Laune humoristische Effekte Haydns an, aber im Wich- tigsten, in dem neuen Prinzip der motivischen Gredanken- entwicklung folgt er ihm nur ausnahmsweise. Wie jahr- zehntelang italienische und französische Sinfonien neben- einander hergegangen waren, so ließ sich die weitere Geschichte der Sinfonie bereits auf eine neue und feind- selige Teilung in eine Haydnsche und eine Mozartsche Schule an. Da ereignete sich eine jener glücklichen Fügungen, wie sie die Kunstgeschichte in ihren größten Zeiten mehrfach zeigt. Es kam ein Dritter, der die « Lebenstaten seiner beiden großen Vormänner zusammen-

L.T*Be«tlioTeB9 faßte. Ludwig van Beethoven erschien und gab mit Cdur-sinfonie neun Sinfonien einem vollen Jahrhundert zu tun! Und (Nr. 1). noch immer nicht können wir sagen, daß das richtige Verhältnis zu diesen Ausn ahm s werken gefunden sei.

An die Sinfoniekomposition, den Hauptteil seiner Un- sterblichkeit, trat Beethoven verhältnismäßig spät und bescheiden heran. Seit kurzem liegt allerdings in der Jenaer Sinfonie, sogenannten Jenaer Sinfonie ein Werk vor, das ihn der äußern Beglaubigung nach zum Verfasser habe^ kann. Ihr Stil ist aber für Beethoven, auch wenn wir eine sehr frühe Entstehungszeit annehmen, auffallend glatt und. läßt eher auf einen Komponisten aus der Gruppe Van- hall-Pleyel-Rosetti schließen. Derjenigen Sinfonie, die der Meister selbst als seine erste bezeichnet hat, gehen in den Klaviersonaten des op. 2, in der Trauerkantate auf Joseph IL viel bedeutendere und ältere Werke voraus. Jedoch leicht hat er das neue Gebiet nicht genommen. Wir können bei ihm nicht nur die fertigen Kompositionen, sondern auch die Entwürfe und Vorarbeiten dazu stu» dieren. Oberall und jederzeit begleiteten ihn schmale blaue Notenhefte, in die er alle Einfälle und Versuche eintrug. Sie sind uns als die sogenannten > Skizzenbücher« Beet-

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hovens zum größten Teil erhalten geblieben •- die Kgl. Bibliothek in Berlin besitzt die meisten , und Gustav Nottebohm hat eine Auswahl ihres Inhaltes in den Druck gebracht*). Nach diesen Dokumenten hat Beethoven an seiner ersten Sinfonie schon im Jahre 179t angefangen, aber erst im April 1800 kam sie als Op. 25 zur Auffuh- rung**). Man sieht mit der heutigen Beethovenbrille dem Werke die zehn Jahre Arbeit nicht an, man tut ihm aber Unrecht, wenn man es schlechthin, wie das in der Regel geschieht, für eine Kopie im Mozartschen Stil und im allgemeinen für unbedeutend erklärt. Kraft und Lust, Fröhlichkeit, leichter Scherz, sprühende Heiterkeit, ja auch ein wenig Schwärmerei, anmutiges Träumen aber nun Empfindungen freundlicher Natur bilden den Ideen- kreis, den Beethoven in seiner ersten Sinfonie durch- schreitet Es sind die Stimmungen, an welche sich die Orchestermusik des Südens in ihren Durchschnittsleistun- gen bis auf Beethoven hin fast ausschließlich lilelt. Nichts von dem tiefen Ernst des nordischen Bach, nicht eine Spur von dem Pathos, welches manche der Haydnschen Adagios kennzeichnet, nichts von der Mozartschen Me* lancholie nichts vor allem von dem Beethoven, welcher die Eroica schrieb, die 6., die 9. Sinfonie, die späteren Quartette, die großen Klaviersonaten, eben jener Beet- hoven, den wir meinen, wenn wir seinen Namen nennen! Und doch ist er schon in der ersten Sinfonie als ein Eigner zu erkennen, in erster Linie im Ausdruck einzelner Stellen, im kühnen Vortrag und Wechsel der Gedanken. Diese Eigenschaft war es, die G. M. v. Weber im Auge

*) 0. Nottebohm: 1. Ein Skizzenbach von Beethoven (1 862). 2. Ein Skizzenbuch B.'s vom Jahre 1803 (1880). 3. Beet- hoveniana (1 872). 4. Zweite Beethoveniana (1887). Alle Leipzig : ffieter-Biederman n.

* -

**) Die genauesten Angaben über Vollendung und erste Auf- führungen, Stimmen- und Partiturverlag der Beethovenschen Sin- fonien bietet: Georg Orove: Beethoven and bis Nine Symphonies, London 1896.

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haben mochte, als er die erste Sinfonie Beethovens eine »feurig-strömendec nannte.

Im ersten Satze der Cdur^ Sinfonie (Op. 21) schließt sich Beethoven in der Erfindung der Themen an Mozart an. Das Hanptthema:

mit welchem, nach einem sehr eigenwillig auf dem Sep« timenakkord einsetzenden Adagio von kurzem Umfang, das Allegro beginnt, hat nicht bloß den allgemeinen, spannenden Charakter, welchen Mozart f&r seine OuveN türensinfonien gern einhält, es ist geradezu eine Variante zum Haiiptthema des ersten Satzes der Jnpitersinfonie. Es wird in zweimaliger Sequenz weiter getragen: ein kräftiges Forte krönt den breiten Aufbau, ganz so wie wir das bei Mozart oft gesehen haben. Auch das zweite Thema

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ist ganz Mo-

zartsch. Der jubelnde

Nacbgesang

welcher ihm folgt, kommt wörtUch so in der Jupitersin«» fonie und in andern Sinfonien des Salzburger Meisters vor. Gleich danach tritt aber Beethoven selbst in das Orchester. Es ist an der Stelle, wo die brausende Gdur- Kadenz so ganz plötzlich von einem pp abgelöst wird, wo die ßässe still über das erste Motiv des zweiten The- mas sinnen und die andern Instrumente in dunklen und unruhigen Harmonien festliegen. Die Oboe findet den Ausgang aus der unheimlichen Verzauberung. Das ist zum ersten Male das dämonische Element Beethovens in der Sinfonie! In der Durchführung dieser Gedanken folgt Beethoven der Hay dnschen Methode der motivischen Ar- beit. Er geht aber schon hier im Herausgreifen und Be-

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vorzugea der kleinen und anscheinbaren Motive und in den kühnen modulatorischen Umbildnngen, denen er sie unterzieht, über seinen Meister hinaus. Es sind beson- ders das Motiv aus dem vierten Takt des ersten und aus dem fünften Takt des zweiten Themas.

Das Andante hat zum Hauptthema eine Melodie:

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deren Metrum ungewöhnlich ist: 7 Takte. Sie wird fugen- raäßig kurz durchgeführt, dann bewegt sich der Satz in Haydnscher Weise weiter: auch die konzertierenden Triolenstellen fehlen nicht und nicht die leise Begleitung der Pauken^. Den Charakter behaglich anmutiger Schwär- merei, welchen der Satz trägt, unterbricht nur der An- - fang der Durchfuhrung. Aber hier ist er auch schon der ganze, der einzige, der erschreckend große Beethoven, den man aus Tausenden heraus erkennt. Mit den bloßen zwei ersten. Noten des Hauptthemas schwingt er sich da in Höhen, taucht in Tiefen, die niemand erwartet hat. Allea geht blitzschnell, aphoristisch andeutend vor sich. Es sind mehr Ahnungen als Bilder, Blicke mit dem Scheinwerfer in weite Fernen getan. Aber wer die Stelle überhaupt versteht, wird sie zu den ungeheuersten Ein- gebungen von Beethovens wunderbarem und fruchtbarem Genie rechnen.

Den dritten Satz benennt hier Beethoven noch Me- nuetto. Die Melodie:

AU«pTO Bolto e vlTaiee.

ist, wie auch die Einleitung zum Finale, eigentlich nichts als ein alter Solmisationsscherz, sie hat in ihrem Rhyth- mus einen Rest von Tanzcharakter, in ihrem rastlosen, stürmischen, feurigen Wesen geht sie aber über die Natur

*) Siehe S. 149 dieses Bnchs. Eretsfcbraar, Fahrer. I, \. 13

194 4^

der alten und auch der Haydnschen Menuetts weit hin- aus. In ihrem zweiten Satze steht in der Kette trotziger Sforzati, in dem plötzlichen Piano mit seinen modnla- torischen Irrlichtem, in den eigensinnig humoristischen Bildungen um die drei Noten J | J J der spätere Scherzo- meister in voller Originalität vor uns. Das Trio ist einer jener Sätze, in denen der Komponist eine große Wirkung durch elementare Einfachheit erreicht Auf melodische Gedanken und Themata ist hier so gut wie verzichtet; der feierliche Klang der ruhigen Bläserharmonien genügt. Als Spohr bei dem ersten deutschen Musikfest zu Fran- kenhausen die erste Sinfonie Beethovens in den großen Räumen der Kirche aufführte, machte nichts solchen Eindruck, als dieses Trio*). Das Finale ist ein Rondo im Haydnschen Stil, leichthin scherzend und tändelnd, außer- gewöhnlich kurz. Das Witzigste daran sind die Stellen, wo das erste Thema

AIlo^o moUo 9 Tlvacel

repetiert. Beethoven läßt ihnen Momente pathetischer Spannung vorausgehen. Unter den vier Sätzen der Sin- fonie ist dieses Finale der am wenigsten eigentümliche, und ohne Zweifel hat Beethoven in den Klaviersonaten, welche in der Opuszahl und der Entstehungszeit unserer C dur-Sinfonie vorausgehen ganz andere Endsätze hin- gestellt Aber harmlos hingenommen ^ wie es gemeint ist, kann auch dieses Finale nur erfreuen und erheitern; es gehört die ganze graue, in Programmusiktendenzen blind gewordene Rigorosität eines Berlioz dazu, um ein so lebensfrohes und vergnügtes Kunstwerkchen einfach als »kindische Musikc abzutun**).

*) (Leipziger) Allgemeine Musikalische Zeitung, Jahrgang 12, S. 745 a. ff. : »Nachricht von einem in Thüringen seltnen Musik- feste c (verfaßt -vom Lexikographen Gerber).

*'*') H. Berlioz: A travers chants I (Obersetznng von R. Pohl): Kritische Studie über die Symphonien von Beethoven.

--» 196 V-

Wir können es nnr dem Himmel danken, daß Beet- hoven nicht mit der neunten Sinfonie, mit der großen Messe in Ddnr debütierte, sondern mit Werken, die, wie das erste Klavierkonzert, wie die Gdar-Messe und wie diese C dur-Sinfonie, an die bisherige Schule anknüpften. Das Publikum seiner Zeit war entschieden dem heutigen an^naiver Empfänglichkeit überlegen; aber bei der D dur- Sinfonie stutzte es doch schon. Die Referenten der All- gemeinen Musikalischen Zeitung hielten sich nach der ersten Leipziger Aufführung dieses Werkes (im Jahre 1803} an die nicht ganz gelungene Wiedergabe, die Berliner sprechen nur (im Jahre 1804) von »den dreiviertel Stunden lang ausgeführten Schwierigkeiten«, so daß sich Rochlitz, der erste Kritiker seiner Zeit und einer der ersten Ver- ehrer und Pioniere Beethovenscher Kunst, veranlaßt sah, bei der nächsten Gelegenheit selbst das Wort zu ergreifen und zu versichern, daß diese zweite Sinfonie »das Werk eines Feuergeistes bleiben werde, wenn tausend jetzt ge- feierte Modesachen längst zu Grabe getragen sind«. Aber von der ersten Sinfonie liest man nur, daß sie ein Lieblingsstück des Konzertpublikums sei.

Die zweite Sinfonie Beethovens (Ddur, Op. 36, zu- L.T.B«ethoTea. erst aufgeführt im Jahre 1803) geht einen bei weitem Ddur-Sinfonio beträchlhcheren Schritt über den Stil und die Sphäre der <'*'*>• Haydn-Mozartschen Sinfonie hinaus. Der erste Satz zeigt dies namentlich an der Einleitung und der Coda, die beide in Umfang und Inhalt alles bisher an dieser Stelle Gewohnte überragen. Nur die siebente Sinfonie Beet- hovens hat einen noch bedeutenderen Einleitungsatz. Der der zweiten -ist ausgezeichnet durch den herrlichen Gesang, mit dem er beginnt. Wie ein Bild aus der Sternen- welt wirkt diese ebenso erhabene als innige Melodie. Darauf wird es wolkig und sehr ernst: es kommt zu einem drohenden Unisono von unheimlicher Gewalt, das uns später fast wörtlich in der neunten Sinfonie wieder begegnet: *^^^ "^ V

Muntere Triolen vertreiben das Unwetter und hellen den Horizont auf für das freundlich schwungvolle Allegro.

18*

196

In ihm ist das Verhältnis der beiden Themen merkwürdig:

das zweite erscheint als die Hanptgestalt des Satzes.

Das erste Thema hat einen gemütlich hmnorvollen Ton, er-

erklingt aber vorerst J J ^ ^ i i

nur leise, heimlich

und erwartungsvoll

das zweite aber erhebt sich triumphierend:

if i'" I j -Ml Uli I I I IM Ml \ U

In der Durchführung und der Verbindung der Satzgruppen ist die Doppelschlagfigur aus dem ersten Thema von großer Bedeutung. Neben ihr sind aber in Mozartscher Weise der Ideenentwicklung auch Motive aus Themen zu- grunde gelegt,welche nur eine Nebenstellung haben , z. B. : und

Das erste dieser beiden, das erregte, drohende DmoU- Motiv, verknüpft Einleitung und Hauptsatz m ähnlicher Weise, wie das in der Haydnschen Es dur- Sinfonie Nr. 1 der Fall ist Es ist der erste Versuch Beethovens, in seinen Sinfonien das Sonatenschema weiter zu bilden, seine Form dem Charakter und Inhalt der Ideen des Satzes anzupassen.

Die Neigung Beethovens, die Zahl der Themen zu vermehren, sogenannte Nebenmotive in wichtiger Weise zu verwenden und mit den hergebrachten Formen freier zu schalten, tritt mehr noch, als im ersten Satze der Ddur-Sinfonie, in ihrem Larghetto hervor. Die Stellen des größten Ausdrucks sind hier geradezu diejenigen, an welchen die Darstel- ^ ^ Das Haupt-

lung an winzigen y^tlL£X-y|i4j^^= thema Motiven haftet, wie; ** des Satzes:

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srggg.

em TOD Sehnsucht und Wehmut leise berührter Hiawei& auf Glück und Frieden, wirkt doppelt poetisch durch die Elemente, die es begleiten und bestreiten. Es dauert ziemlich lange und der Weg geht nicht in einfach gerader Linie, ehe der kindlich trauliche und einfache Spielplatz von

'^■i'pffffirhTrfnirt'irrm'iii'i^^

erreicht wird. Diese schalkhafte Weise, die den Himmels- tönen des Hauptthemas die behaglichen Klänge irdischen Glücks gegenüberstellt, aus den weiten Weltenräuroen die Phantasie heimführt in den Abendfrieden von Haus, FamUie und Freunden, bildet nur den Anhang des zweiten Themas:

stellt es aber in den Schatten.

Der dritte Satz ist als Scherzo bezeichnet Mit diesem Namen war der Begriff einer bestimmten Form bis zu Beethoven nicht verbunden. In der großen Revolutions- zeit der Musik, im 17. Jahrhundert, taucht auch er zum ersten Male auf und zwar für kleine, in der Form freie und im Inhalt etwas ausgelassene und übermütige Liebes- gesänge (für eine Stimme oder mehrere, meistens mit Begleitung). Von da wurde er auf das Instrumentalge- biet, ausnahmsweise auch auf die binfonie übertragen, aber nicht häufig angewendet. Beethoven griff ihn zu- nächst für seine KJaviersonaten auf und machte ihn klassisch. Das Scherzo der Ddur-Sinfonie ist eins der drastischsten. Wie die Motive des Hauptthemas

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gleichsam flüchtig und verirrt im Orchester hin und her- flattem, jeder Takt eine andere Instrumentierung! Wie toll es der lustige Kobold, der sie jagt und schreckt, treibt, wie übermütig er mit der musikalischen Grammatik spielt: Immer das ffwoÄ dem von Natur unbetonten Takte! Diese Art Humor ist noch in keiner Sinfonie zum Vor- schein gekommen. Das ist der grandios barocke Beet- hoven! Und bald darauf wieder etwas Neues: Unerhört ausgelassen brüllen sämtliche Instrumente 14 Takte lang nur den einen Ton, fis, am Anfang des zweiten Teils vom Trio. . Das ist der naturalistische Beethoven, derselbe Beethoven, der vor den Häusern vermeintlicher und wirklicher Widersacher die wildesten Injurien in die stille Nacht hinaustobte! Das Thema des Trios selbst steht der Berserkerszene wie ein bittendes, zartes Weib gegen- über. Seine Töne bilden dieselbe Folge wie im Trio der 9. Sinfonie, nur die Rhythmik ist anders:

p^'if7|-ii I irTriiTi II I

Das Finale verweist mit den ersten zwei Noten parodistisch^ auf die Einleitung des ersten' Satzes, mit dem Gegensatz von polternder, bärbeißiger Rauhheit und zarter Abwehr nimmt das Hauptthema

die Humore des Scherzos auf. Es hat Haydnsches Blut in den Adern. Das zweite Thema:

«TM«. ^

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aber lenkt in die Bahnen jener Kantabilität ein, welche Mozart in das Allegro einführte. Mit welcher Entschieden- heit Beethoven diesen neuen Weg weiter schritt nnd wie sehr er den frisch eröffneten Ideenkreis zu erweitem be- rufen war, ist an diesem Thema schon fühlbar. Noch mehr setzt die Durchführung in Erstaunen, die die heitren oder innigen Gedanken dieser Themen ins Majestätische und Gewaltige wendet Wenn schon das ganze Finale sich mit dem der 8. Sinfonie mehrfach berührt, so tut dies namentlich der Schluß. Auch da wirds vor dem jubelnden Ende noch einmal abendlich still und ge- sammelt. Groß ist auch die biographische Bedeutung dieser zweiten Sinfonie, einmal wegen der engen Ver- wandtschaft mit der Neunten, zweitens als Dementi des sogenannten Heiligstädter Testaments, mit dem sie gleich- altrig ist. Im Gegensatz zu jenem verzweifelten und stark mißbrauchten Ausbruch augenblicklicher Melan- cholie enthält die Sinfonie ein festes und gesammeltes Bekenntnis zur Kraft, zur Lebensfreude und zum Gott- yertrauen.

Die dritte Sinfonie Beethovens (Esdur, Eroica) L.T.BeatkoTes, wurde im Jahre 1804 vollendet und im nächsten Januar Eadtti>Sinroiü6 zuerst in dem Würthschen Konzert in Wien aufgeführt <Nr. 8, Brolcay. Nach dem Bericht, welchen die Allgemeine Musikalische Op. 65. Zeitung darüber brachte, nicht mit unbezweifeltem Er- folge. »Frappante und schöne Stellen c heißts von ihr, »energischer, talentvoller Geiste von ihrem Schöpfer. Aber diese Zugeständnisse werden so gut wie aufgehoben durch Epitheta, wie »äußerst lange und schwierige Korn« Position«, »wilde Phantasie, die sich ins Regellose ver- liert«, und mehr noch durch das demonstrative Lob einer anderen Esdur-Sinfonie, die in demselben Konzert vor- kam. Diese andere war von Anton Eberl, den heute, vielleicht mit Unrecht, niemand mehr kennt Die Schwie- rigkeit der Eroica lag für die Ausführenden so gut vor wie für die Zuhörer. Auf letztem Umstand Gewicht legend, verlangte Beethoven (in einer Bemerkung, die auf den Stimmen der ersten Auflage steht), daß die Sinfonie

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möglichst an den Anfang des Konzerts gestellt werde. Sie wurde bei der ersten Probe in Wien, der Prinz Louis Ferdinand von Preußen beiwohnte, umgeworfen; in Leipzig, und wo sie sonst in die Hände eines gewissenhaften Diri- genten kam, veranlaßte sie Extraproben. Habeneck in Paris ließ sie sich sogar ein großes Frühstück kosten. Noch heute ist sie eine der schwierigsten Vorlagen, wenn ein intelligentes Orchester seine Meisterschaft zeigen soll; namentlich im ersten Satze, dem die mechanische Prä- zision allein nicht beizukommen vermag. Bei der ersten AufTührung des Werks im Leipziger Gewandhause war die Direktion so vorsichtig und verständig, ihre Abon- nenten durch gedruckte Charakteristiken der einzelnen Sätze vorzubereiten. Im ganzen aber kann man sich nur wundem, daß die Musikwelt jener Tage sich nicht mehr und länger über die £roica wunderte, sondern sie ziemlich bald und allgemein unter die immer und regel- mäßig wiederkehrenden Repertoirwerke aufnahm. Denn dieses Werk war den Zeitgenossen über Nacht gekommen : in seiner exotischen Pracht mußte es zunächst eben- so befremden als entzücken. Von den vorausgehenden Werken zur Eroica fehlt die hinreichende Brücke. So- viel die ersteren, in erster Linie die Klaviersonaten, bieten und versprechen: dem Ideenreichtum dieser Sin- fonie gegenüber, dem Vollgehalt, der Kraft und Ge- diegenheit, der ebenso kühnen, ja übermäßigen, als festgefügten Anlage dieses Werkes gegenüber erscheinen sie nur als kleine Vettern aus einer entfernten Seiten- linie. Es ist ein unbegreiflicher Rest um die Stellung dieses Werkes in der Geschichte ihres Schöpfers. Denn Beethoven hat diesen monumentalen Eingangsbau zu einer neuen Orchesterkunst auch nicht überboten. Er setzte ihm Werke zur Seite, welche die einen intimer, die anderen populärer sein mögen, aber nur wenige, in denen jedes Glied so wie in dieser Eroica in Geist, Charakter und Poesie getaucht ist, wo die Kunst so sehr wie hier auf Figuren, Passagen, auf Putz und Ornament, auf allen jeneiT Kitt und Mörtel verzichtet

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hat, dessen sich die Musik zur Verbindung ihrer Haupt- glieder gebräuchlicher- und erlaublermaßen bedient. Die Eroica bleibt fftr die Macht von Beethovens Schöpfer* geist das stärkste Zeugnis, und er seihst erklärte sie bis zur Zeit, wo >die Neunte« erschien, fflr seine b^te Sin- fonie.

Mian weiß, daß Beethoven seine Eroica »Bonaparte« überschrieben hatte. Als aber der Konsul sich zum Kaiser gemacht hatte, riß der republikanische Tonsetzer den, Umschlag weg und widmete das Werk nur im all- gemeinen dem »Andenken eines Helden«. Mit diesem Titel ist weniger ein eingehendes Programm gegeben, als vielmehr nur eine allgemeine Direktive. Man hat bekanntlich den Mittelsätzen bestimmte Bilder aus dem Kriegerleben unterzulegen versucht: dem Trauermarsch eine feierliche Bestattungsszene der Gefallenen, dem Scherzo das geschäftige Treiben des Lagers und der Beiwacht Das mag gestattet sein und jedenfalls nichts schaden. In den anderen Sätzen ist aber dieser Ver- such nicht durchführbar; namentlich dem ersten gegen- über erscheint er unbedingt kleinlich! Das bt nicht das Bild einer Schlacht, wie Ausleger behauptet haben, sondern das einer Heldennatur, deren Hauptzüge Beet- hoven mit einer eigenen Tiefe des Blicks erfaßt hat und in gegenseitige Aktion bringt. Das Eigentümliche an dieser Beethovenschen Auffassung des Heroischen ist, daß er den Elementen der Kraft und des frohen Tatendranges einen stark elegischen und pathetischen Gegensatz beimischt. Es geht durch den ganzen Satz ein Zug der Trauer über die Wunden, welche der Held schlagen muß; vor und nach den gewaltigen Streichen, die er führt, erhebt sich die Stimme des Mitleids, und seine großen Entschlüsse umringt die Wehmut Dieser weiche menschliche Zug begleitet schon das Haupt- thema, das in seiner ersten, vielleicht aus Mozarts Ouver- türe zu »Bastion et Bastienne« entnommenen Hälfte den Hauptträger des kräftigen, fröhlichen Heroentums bildet

202

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Bereits aber im fflnften Takte mit dem langen ver- minderten Septakkord ,

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kommt die schmerz- ^ , <;^, -, -j 'j' '^ jA liehe Wendung. Noch AV' 33 ij lf=t}=fg

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ten Thema ausgebildet: mit dem übermäßigen Dreiklang; femer in der weh- klagenden Emoll- Episode der Durchfährung

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^\\ TT ir'pr lY ' T |^= Beethoven, wenn wir

'' die durch Nottebohm

veröCTentlichten Skizzen zu dieser Sinfonie recht verstehen, geradezu zum Mittelpunkte des ersten Satzes. Sie war von vornherein fertig und fest beschlossen, und um sie in die rechte Wirkung zu setzen, änderte er die Entwürfe zu der ihr vorhergehenden Partie immer wieder, bis die Rhythmen so trotzig, die Dissonanzen so beängstigend, so realistisch schneidend wurden, wie sie jetzt dastehen. Von ähnlicher Tendenz ist auch das Nachspielmotiv, welches den wuch- tigen Schlägen des empörten Orchesters am Schlüsse des ersten Teils folgt:

Es sind die reinen Klagen und die hinsterbenden Anklänge an Hauptthemas, mit denen der ginnL Für die formelle Bildung den angeführten thematischen kurze Motiv große Wichtigkeit,

Seufzer; ähnlich auch das erste Motiv des

Durchführungsteil be- des Satzes hat außer

Elementen noch das welches die Überlei-

203 i

iungsgruppe zwischen PJ*--->.

dem ersten und zwei- Jjk*' t 6ff

ten Thema eröffnet "S^ i' ^^^ p -" p

Es klingt wie Fragen und Bedenken. Deshalb folgt ihm

gleich die ^.i, ^ , .,f^. , /^ ,,.,,, --

Beschwich- mgj Qi Jy f if crir r r ip

tigung in p^

und diesem ein Motiv des erneuten Aufschwungs nach:

Der Durchfahrungs- ^j^teil dieses ersten

Satzes der Eroica stellt an das Zuhören und Verstehen ganz neue, bis dahin noch nie erhobene Anforderungen wegen der außerordent- lichen Beweglichkeit, mit welcher der Komponist Ideen und Empfindungen wechselt, wegen der Breite, mit welcher er sie ausführt und drittens weil er zur Themen gruppe ein ganz ungewohntes Verhältnis einnimmt. Er ist dies- mal keine Exegese, sondern er hat unverkennbar pragma- tische Bedeutung, er bringt die Hauptsache: die Schilde* rung des Kampfes, den der Held leitet. Diese durchaus dramatisch gehaltene, aufregende Schilderung gipfelt in der Szene, wo sich Bläser und Geigen gewissermaßen in- einander festrennen; wo die Sekunde « so gräßlich durch die Harmonien schreit. Das ist Schlag und Schmerz, und darauf kommt naturgetreu und lebenswahr die EmoU- Klage. Sie ist das eigentliche zweite Thema des Satzes, und wir stehen vor ihr wieder bei einem gewaltigen Ver- such Beethovens, die Sonatenform frei zu beleben. Nach- dem dieser Gipfel passiert ist, setzt Beethoven ein zweites Mal an: Der Feind ist getroffen, aber nicht vernichtet. So beginnt der Kampf zum zweitenmal und diesmal endet er bei der fanatischen Cesdur-Stelle, die allmählich in Totenstille übergeht und mit einer Wendung schließt, deren eigentümliche Schönheit lange Zeit über ihrer absonder- lichen Form verkannt worden ist. Wir meinen jene Stelle man nennt sie wenig geschmackvoll den Kumulus

wo über der tremolierenden Sekunde m der beiden Geigen

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das Solohom leise den Zauberruf intoniert, der alle wieder aus der unheimlichen Erstarrung ruft: das Heldenmotiv esg \e8. In der ersten Wiener Probe hatte Beethoven dieses as gegen die Musiker zu schützen, welche meinten, es sei ein Fehler vorgekommen; die Herausgeber der ersten französischen Partitur korrigierten es als Druckfehler in g\ auch noch R. Wagner war dieser Meinung. Seit das Skiz- zenbuch Beethovens aus dem Jahre 1803 bekannt ist, darf nicht der leiseste Zweifel mehr gehegt werden, daß Beet- hoven kaum etwas anderes in seiner Eroica so bestimmt und klar gewollt hat, als diese vom mechanischen Har- moniestandpunkte aus befremdende und unter allen Um- ständen gewagte, aber jedenfalls mit tondichterischer Kühnheit und Feinheit ersonnene Wendung. Mit Gewalt rafft sich der Sieger. Die Reprise beginnt und verläuft in herrlichen Varianten. Da ist gleich das Thema in Fdur vom Hom, dann in Des von der Flöte gebracht. Es ist als wenn nach gefallener Entscheidung sich alles freier und größer regte. Auch die Coda ist ungewöhnlich, am meisten dadurch, daß der Komponist hier nochmals auf die Durch- führung zurückgreift, wiederum nämlich auf die bereits berührte Episode in Emoll; ein Beweis, wie wichtig sie für die Eigenart des Helden ist, wie ihn sich Beethoven dachte. Der zweite Satz der Eroica, Marcia funebre über- schrieben, die Grenzen eines einfachen Trauermarsches aber in jeder Beziehung überschreitend, besteht aus fünf Teilen. Der erste Teil stellt zunächst das Hauptthema

AJaifio 18«>I.

I PH ip^^i»^^— ^™ Streichquartett aut Die

'V~^^^^^^^^^\^}--j^jß Bläser wiederholen es, von ^^^"^ V den Violinen in zitternden

Rhythmen begleitet, aus denen es wie ferner Trommelschlag klingt. Dann folgt ein Gegenmotiv in Esdur, das nach dem Hauptthema zurücklenkt Auch diese Gruppe, vom Streich- quartett zuerst gebracht, wiederholt der Bläserchor, und mit einem kurzen freien Nachspiel in CmoU schließt dieser

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erste Teil. Inhaltlich verhildlicht er jenen furchtbaren, fassungslosen Znstand der trauernden Seele, wo das Ge- fühl nach Ausdruck ringt, wo die Klage mit der Resignation kämpft, wo die Sprache erstarrt, versagt und bricht, wo die freundlichen Bilder der Erinnerung nur aultauchen, um von den Ausbrüchen des heftigsten Schmerzes veijagt zu wer- den. Der zweite Teil ruft das glänzende Bild des Helden zurück. Er erscheint wie eine ^ ^ ^'^^-^ » ^ Art Apotheose. Das führende wjfT' \^^J^:t^fX^^ Thema, in hellem Dur gehalten *^ > ob. ■*« nimmt schon beim ersten Halbschluß (in Gdur) einen ganz triumphierenden Ton an. Am Schluß dieses Teils ist die Rückkehr ins Hauptthema, der stets im Laufe des Satzes ein leidenschaftlicher Akzent vorausgeht, von einem ganz besonders tiefen und gewaltigen Ausdruck des Schmerzes begleitet Der dritte Teil, welcher mit dem Hauptthema (in C moU) beginnt, ^ ^ p,^ ^ ^ ^ ruht im weaenüichen''^ Hi l^fJ-Tf^iny^ f I J auf folgendem Thema: / ^ In der ersten Hälfte er- m \ . _ ** _ scheint es durch die Ver- A h ,1 I ,J lu. })fU?- kettung mit dem Motiv: ^ V ^ V in der Form einer Doppelfuge. Sein Ausdruck ist klagend, aber die Klage hat ihre Herbheit verloren und fließt nun stetig dahin. Die Wendungen werden mild, fast freudig. Wieder steigt das Bild des lebenden Helden auf: ein leidenschaft- licher, begeister- *)

jj, ^^•'s^^^ 'i " ' ^1 '-'

Da plötzlich: das schreckliche Besinnen: »Er ist nicht mehr!« Ein Auf- schrei in den entlegensten Regionen des Orchesters, ein wilder, fast wüster Ausbruch des Schmerzes auf dem Asdur- Akkord, ein Chaos, aus dem die schmetternden Trompeten

*) Mit dem gleichen Übergang schließt der erste Teil von »Lofd Heinrich«, einer bekannten Ballade von Neefe, Beethovens Bonner Lehrer.

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den Ausweg suchen. Dann lenkt es mit mühsamer Beruhi- gung üher in den vierten Teil, welcher im wesentlichen eine Repetition des ersten Teils, aber mit einem großen Zu- satz von Leidenschaftlichkeit und Aufregung bildet. Es wird der letzte Abschied genommen! Der fünfte Teil, die Coda, schließt das ergreifende Bild versöhnend ab. Wie Glocken- geläute, das Beethoven ähnlich auch in seiner Trauerkan- tate auf Joseph IL anklingen läßt, ^^' .^^^^ beginnt er in den Violinen, eine yfe= J. p | f r rg^t^" wehmütig freundliche Melodie w ^ * * ^^ klingt wie aus der Feme herüber, dann geht die Musik für einen Augenblick in bloße rhythmische Bewegung auf; in den Violinen tönts wie Schluchzen. Noch einmal er- scheint dann das Marschthema, verflattert aber bald und zerfällt in Stücke. Als es verschwunden, stoßen die Bläser noch ein letztes leidenschaftlich akzentuiertes Lebewohl aus, über das sich sofort eine leise Fermate wie Grabesruhe legt Das Scherzo ist von einer ganz eigentümlichen An- lage. Zum Hauptthema hat es folgende Takte:

Aber dieses teilt sich in die Darstellung mit einem Motive, das von Natur nur __^ l Lange Ton-

präludierenden und ftn-^^^'^l h J J Ij I rftihAn^ aUS

laufenden Charakters ist: j^ diesen we-

nigen Noten gewoben, durchziehen den Satz und geben ihm sein phantastisches, heimliches Gepräge, den merk- würdigen nächtlichen Klang, die Ähnlichkeit mit dem Gemurmel einer entfernten Menge, mit dem Getöse einer geschäftigen Stadt, das der Wind auf Meilen hinausträgt zum Wandrer. Die Tonart ist Esdur, aber es dauert 92 Takte, ehe sie mit dem Fortissimo des zum ersten inal ge- schlossen vortretenden Orchesters zum Ausdruck kommt. Es ist interessant zu wissen, daß Beethoven als dritten Satz seiner Eroica einen einfachen Menuett schreiben wollte. Erst im Laufe der Skizzen kam er auf das eben angeführte schwankende Motiv und damit auf die ganz neue Anlage

-^ 207 ♦—

des Satzes. Den Hörnern, welche bekanntlich im Trio des jetzigen Scherzo eine ziemlich gefürchtete Aufgabe haben, war von Anfang an eine besondere Rolle zugedacht, aber im Hauptsätze des Menuett. Der Held ai^ der Jagd?

Das Finale der Eroica ist in seiner ersten Hälfte ein Variationenzyklns, dem folgendes einfache Thema zu- grunde liegt:

dasselbe, welches Beethoven früher schon zu den Kiavier- variationen (Op. 36J und zur Musik des Balletts: »Die Ge- schöpfe des Prometheus« benutzt hat*). Von der dritten Variation ab baut der Komponist über dieses Thema eine innige Gesangmelodie,

welche in dem Satze als zweites Thema fungiert. Nach- dem sie durchgeführt, wird die Variationen form verlassen, das Thema erscheint umgestaltet in eine Fuge; in andern Gruppen sind nur wenige Noten benutzt, auf Augenblicke verschwindet es ganz. Mit dem Gmoll-Satze, der marsch- artig kräftig einsetzt, tritt die Variationenform wieder ein; die einzelnen Variationen haben freie Schlüsse, im übrigen wiederholt sich der ganze Prozeß der ersten Hälfte. Bis dahin erscheint das Finale der Eroica, so viele schöne Momente darin vorkommen, im Verhältnis zu den andern Sätzen leicht gefügt: eine Reihe fröhlicher Bilder von der Krieger Heimkehr, frei nach Bürgers Versen: »Und alles Volk mit Sing und Klang, geschmückt mit grünen Reisern, zog heim zu seinen Häusem.€ Am Ende jedoch, mit der frommen Episode, in der das zweite Thema als Andante auftritt, erhebt es sich und schließt allerdings etwas kurz abgebrochen, aber mit dithyrambischem Schwünge.

*) Piiil Bekker weist in geinem ausgezeichneten Beethoven- bnch darauf hin, daß zwischen der Prometheussaire und der Idee der Eroica ein Zusammenbang besteht.

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L.T.BMtkoTeB) Beethovens vierte Sinfonie (Bdur, Op. 60), welche Bdur^mfonie im Jahre 1806 entstand, wurde im Anfang des Jahres (Nr. 4). 2807 zuerst in Wien kurz nacheinander zweimal auf- geführt, erst im Theater und dann im adhgen Liebhaber- konzert, und erfreute sich sogleich, wie berichtet wird, eines reichen Beifalls. Heute teilt sie mit der ihr geistig verwandten achten Sinfonie das Schicksal einer gewissen Zurücksetzung. Sie erreicht ihre Nachbarn zur Rechten und Linken, die Broica und die Cmoil- Sinfonie weder in der Breite des Aufbaues und der äußeren Dimensionen, noch in der Großartigkeit der Kombinationen; sie ist aber dennoch eins der eigenartigsten und vollendetsten ' Werke der Beethovenschen Kunst und repräsentiert unter

den Sinfonien eine Gattung für sich. Was sie auszeich- net, ist die Frische und Unmittelbarkeit der Gestaltung. Sie gleicht darin einigen der Klaviersonaten, daß sie mehr phantasiert und improvisiert, unter einem fort- währenden Zufluß neuer Gedanken entstanden, als ge- arbeitet erscheint. Zweitens zeichnet sie sich aus durch eine andauernd heitre und glückliche Grundstimmung, die sich allerdings, wie bei Beethoven zu erwarten, nicht völlig rein, sondern in romantischer Färbung äußert Man bemerkt diesen romantischen Zug in dem zögern- den Aufbau der Melodien, in dem langen Festhalten der Harmonien, in der versteckten Einmischung von Dissonanzen, in der bald in scharfen Kontrasten springenden, bald träumerischen Dynamik: Erschei- nungen, die uns in keiner zweiten Sinfonie Beethovens so systematisch entgegentreten wie in der Bdur- Sin- fonie. Sie schattiert auch die freudigen Farben ein wenig. Aber die Stürme düstrer Leidenschaft bleiben ihr fern, und über dem Ganzen leuchtet eine solche Menge hellen und wärmenden Sonnenscheins, daß man die Zeit, wo diese Sinfonie entstand, zu den am we- nigsten getrübten, zu den schönsten Tagen aus Beethovens Leben rechnen möchte. Grove setzt sie geradezu mit einer Verlobung Beethovens (mit Theresa von Brunswick) in Verbindung.

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Nach einer Einleitung, die ganz von geheim nisvollei firwartang und Spannung erfüllt ist, bricht das Allegro des ersten Satzes mit Schlägen von Urwüchsiger Derbheit los. Nach dem stürmischen Einsatz gelangen wir zu folgendem Hauptthema: ^

▼iraeo.

^Tpf|JMp^C?^pn

^ r das die beiden Elemente

A^\f\\ffff\ »'^y 1^ des Satzes: frohes Un- '^ -^ gestüm und heimlich-

glückliches Sinnen verbindet. Ihm folgt

ein selbständiges Seitenthema, welches ^iKn-j=-i-i-i-[-^ über das kindlicher Freude volle Motiv: *^ '

zu einer Repetition des ersten Themas überleitet. Diese Wiederholung schließt mit einer Synkopenstelle, die eine gewaltige Herzenserregung kündet. Zauberschnell bricht sie ab. Das zweite Thema, das nun erscheint, zerfällt in zwei Hauptgruppen, ♦-rr-v . .. ^ . . g»ü^ deren GrundmoÜve VJ'lTLrfUfrffU ^fc^'jT^^ die folgenden sind: vs? «»**^ * -^

Die zweite Gruppe tritt als Dialog, als Kanon (in der Ok- tav) zwischen Klarinette und Fagott auf. Zwischen ihnen stehen noch weitere selbständige Gedanken, unter denen eine weitaosholende, aus Sequenzen über ein Motiv in (stac- cato gegebnen) Halbennoten gebildete Passage, die Sam- meln und Klären bedeutet, der wichtigste ist. Üppigkeit der Phantasie zeichnet diese Sinfonie aus. Auch die Durchfüh- rung überrascht durch ^ . ^ -^-^ ,^^ eine ganz neue Idee : I ^^ ^l^f V ^^ I ' *^ 1* l^" ^^ eine herrliche Melodie : ^ ^ die formell der Emoll-Klage in der Durchführung des ersten Eroica-Satzes entspricht. Mit ihr vollführen eine Strecke lang die beiden Gruppen des Orchesters, Geiger und Bläser, einen Wechselgesang. Er ist für lange Zeit die letzte Äußerung fertiger Gedanken im Satze. Tiefste Ruhe, tiefster Frieden breiten sich über eine glückliche Seele. Immer leiser huschen durch die Geigen flüchtige

Kr«tzsehm»r, Ffthrw. I, 1. 14

» 210 ♦^-

Schatten des Ht^uptthemaSy die Akkordnoten nus den ersten beiden Takten. Diese lange Dämmernngsstelle kennzeichnet die vierte Sinfonie. Ganz eigen ist der Schluß dieser Durchführung, das Einschlummern der Instrumente in entlegener Tonart, die Führerrolle, welche die Pauke in diesem Momente übernimmt, und der eilige Rückzug, den das verlorene Gros unter ihrem immer lauteren Kommando bewerkstelligt. In dem Scherzo der Cmoll- Sinfonie findet sich ein ähnliches und doch wieder sehr verschiedenes Seitenstück zu dieser Stelle.

Das Adagio, ein wunderbares Stück verklärter Poesie und der intimste von allen langsamen Sätzen der Beet- hovenschen Sinfonien, hat folgenden Gesang zum Haupt- thema :

Adagio.

creMc. *-^»

Die Form dieses Satzes ist jso rein und einfach, daß er keiner Bemerkung bedarf. Das zweite Thema, in dem Momente eingeführt, wo die vom Anfange an im Satze lauernden Geister der Schelmerei und des Humors über das Maß zu gehen Miene machen, wird von der Klari- nette vorgetragen, das Fagott bringt einen Nachgesang dazu. In der Stimmung knüpft dieses zweite Thema an die leise und edle Melancholie des Hauptthemas wieder an.

Der dritte Satz, welcher nicht ausdrücklich als Scherzo überschrieben ist, hat die ausgesprochene Na< tur eines Capriccio. Er läßt eine etwas herausfor- dernde Lustigkeit gegen einige bedächtigere Humore an- käropfen.DasAn- . . ^^^^^ ,^ ^

fangsmotiv sei- ^y^g^Tp^T^^f^y^^P^ | f r ^ | J= nes Hauptthemas -^

gibt den HauptstofT zum Bau des Satzes. Der in den ersten Takten dieses Themas schon gegebene Gegensatz

211

von ^/4 und ^j^ Takt gehl durch das ganze Stuck und verstärkt den Eindruck einer bald übermütigen, bald eigensinnigen Natur eines liebenswürdigen Wildfangs. Das Trio ist eins der köstlichsten Bilder naiver und un- schuldiger Freude, eines jener Kunstwerke, die man nicht hören kann, ohne die Musiker zu beneiden, welche sie aufführen dürfen. Die Oboe führt das einfache Thema:

j >'■ r I Tf ff-M'r ii\ii[lt.i\f nt ii\

* I r I r M f r I r I r r i r i r i r p r i ^

In die Pausen streuen die Violinen allerhand kleine Neckereien hinein am Ende des Trios wächst die liebenswürdige zärtliche Melodie, vielleicht der Abkömm- hng einer Walifahrtshymne, zu stolzer Pracht heran. Schon der erste Satz der Sinfonie zeigt einige Mozartsche Spuren; sie mehren sich im Finale so sehr, daß man die Vermutung kaum abweisen kann, in den Hauptgedanken gehöre dieser Satz einer früheren Entstehungszeit an. Seine Themen sind

mit dem Nachsätze 'A^ r p I *^' J^ I j) ^ J> * I :] I und

1%

Sie ergeben einen Satz von brillantem, funkelndem Effekt, -von dramatischer Lebendigkeit und frappantem Humor, dessen heitere Natur nur durch einige breite, unbarmherzig dissonierende Akkorde, die Einfälle einer rauhen Laune, gestört wird.

Die fünfte Sinfonie (Cmoll) ist mit der Pastoral- L.y.BeethoTen, Sinfonie zusammen veröffentlicht worden. Beide Werke, Cmoll -Sinfonie welche die Opnszahlen 67 und 68 tragen, wurden auch ^^'- *)•

14*

^^ 212 %^

Küflammen in demselben Konzert zuerst aufgeführt, wel- ches Beethoven am 22. Dezember 1808 im Theater an der Wien gab, einem Konzerte, das durch die Reichhaltigkeit seines Programms als Knriosum in der Konzertgeschichte dasteht. Es umfaßte zwei große Chorwerke, die Chor- fantasie, das Klavierkonzert in 0^ eine freie Fantasie, die Pastoralsinfonie (als Nr. 6), die Cmoll- Sinfonie (als Nr. 6 bezeichnet). Gleichwohl sind die beiden Sinfonien zu verschiedener Zeit entstanden. Die ersten Arbeiten an der CmoU-Sinfonie reichen bis in die Jahre 18(X) und 1801 zurück. Das außerordentliche, in jeder Faser Beet- hovensche Werk hat den Meister auch außerordentlich intensiv beschäftigt and ist unter denjenigen Arbeiten, mit welchen er sich außergewöhnlich lange trug ver- gleichen wir nur die Ddur-Messe und die neunte Sinfonie vielleicht diejenige, bei welcher die endgültige Form alle Intentionen des Schöpfers ohne stärkeren Rest auf- nahm. Von vielen Beurteilern wird die Cmoll-Sinfonie als der Höhepunkt nicht bloß der Beethovenschen, sondern überhaupt der Instrumentalmusik bezeichnet, jedenfalls ist sie eins derjenigen Kunstwerke, über deren Gewalt alle einig sind. Mit der CmoU-Sinfonie bekehrte der junge Mendelssohn' den alten Goethe zu Beethoven*). Selbst diejenigen, welche amusischen Geistes sind, pflegen vor der G moll-Sinfonie eine leise Regung von Respekt zu haben. Jeder fühlt, daß aus dieser Sinfonie ein unge- wöhnlicher Geist spricht Es liegt etwas Titanisches in ihrem Zorn und ihrem Trotze, in ihrem Schmerze und auch in dem Rausche der Begeisterung, in welchem sie schließlich ausmündet. Man könnte sich vor diesem Kunstwerke an vielen Stellen fürchten, wenn nicht ans dem Hintergrunde seiner nächtigen Phantasien auch freundlichere Genien auftauchten; es würde uns trans- zendental und nur ehrwürdig bleiben, wenn es den Blick nicht außer auf unendliche Stemweiten auch auf tran- liches Erdenland lenkte, wo uns Boten der Sehnsucht,

*) F. MendelBtohn, Briefe (25. Mai 1830).

--^ 213 ♦^

des Humors und diejenigen Menschengeftthle begegnen, welche das Walten eines guten Gemütes verkünden. Die Darstellung in der Cmoll-Sinfonie ist hmß und ur- sprünglich, wahr, notwendig einheitlich und dabei so scheinbar einfach und klar, daß das Werk trotz der Größe seines Inhalts populär geworden ist Was diesen Inhalt der Cmoll-Sinfonie bildet, wer getraut sich das ohne Fehler zu übersetzen? Beethoven soll dem ersten Satze dieses Werkes das Motto gegeben haben : »So klopft das Schicksal an die Pfortei. Wir betonen aber das Wort >soll«. Es ist das Charakteristikum musikalischer Kunst- werke, daß sie die Phantasie des Hörers anregen, ihn wohl auch auf bestimmte Bilder führen. Aber es ist ver- messen, das eine dieser Bilder für das ausschließlich richtige zu halten und zu proklamieren. Die Zahl der benannten Größen, welche derselben algebraischen Formel entsprechen, ist in der Regel nicht klein: > Ratio multi- plex, veritas una<I Aber der allgemeine Gang der Phan- tasie, nennen wir es die Grundidee, in der Cmoll-Sin- fonie ist so klar ausgeprägt, daß man sie nennen muß: Es ist der Weg »aus Nacht zum Licht«, per aspera ad astra, jener in der sinfonischen Kunst so oft gesuchte und noch öfters verfehlte Weg!

Der erste Satz ist eine der glänzendsten Bestätigungen für einen in jeder Kunst sattsam erprobten Erfahrungs- satz : daß mit der Schwierigkeit der technischen Aufgabe bei starken Geistern auch die Phantasie wächst, der Flug der Gedanken kühner wird und die Ideen an Macht, Kraft und Reichtum zunehmen. Von der technischen Seite aus betrachtet, ist der erste Satz der Cmoll-Sinfonie eins der verwegensten Kunststücke: Denn sein wesentliches Grund- material besteht aus den vier Noten, Aii^^ro con brio. >^ welche lapidar und erschreckend ^^Vy t J J J | i ' | den Eingang des Werkes büden:^^^ f f f i^^ Schindler behauptet in seiner Biographie, daß Beethoven sie und ihre gleich folgende Transposition in einem lang- sameren Tempo gewünscht habe, wodurch sie gewisser- maßen afs Motto hervorgehoben worden. Wenn der Ge-

^ 214 4^

wfthninann hier zuverlässig ist, bleibt doch auch die andere, die leidenschaftlichere Auffassung der Stelle bei Recht bestehen. Nach Czerny soll ein Goldammer Beet- hoven im Walde dieses von Spohr*) wegen Mangel an »Würde« getadelte Motiv zugetragen haben. Zwar hat der Satz ein zweites Thema:

Aber es ist in dem großen psychologischen Prozeß nur ein momentanes Beschwichtigungsmittel, über welches die Kombinationen jenes Urmotivs achtlos hinwegschreiten. Es wird bei seinem ersten Erscheinen schon von den. Bässen mit jenen vier unruhigen Grundnoten drohend empfangen, verfolgt und bald in den Strudel der wogen- den Aufregung hineingezogen. Auch ältere, namentlich S. Bach, haben mit einem einzigen kurzen Motiv zu- weilen ausgeführte Sätze gebildet. Aber dies sind Prä- ludien und kleinere Stücke hier aber haben wir einen ganz kolossalen Satz von gegen 600 Takten! Dabei aber ist dieses Kunststück zugleich auch die höchste Leistung im leidenschaftlichen Stile, welche bis dahin vielleicht die ganze Instrumentalkomposition, ganz gewiß aber die Orchestermusik aufzuweisen hat als musica appassionata eine Leistung, die in der Folge, fraglich ob wieder erreicht, jedenfalls aber nicht überboten worden ist. Den Gang des Satzes im einzelnen zu beschreiben, ist nicht durchführbar, wohl auch nicht nötig. Nach so und so viel rührenden und erschütternden Versuchen kommt das Ende auf den Anfang zurück. Es ist das Bild eines ergreifenden hartnäckigen und verzweifelten Kampfes, der durchgeführt wird: Wohin unsere Phan- tasie den Schauplatz desselben legen mag, in die menschliche Seele oder in die Natur: seine Phasen sind mit der schauerlichsten Deutlichkeit wiedergegeben. Es ist ein Ringen ohne Gnade und ohne Nachgeben,

♦) L. Spohr, Selbstbiographie I, S. 229.

215

das Seiten stück zum ersten Satz der Eroica, aber ohne Klage. Den kritischen Mittelpunkt bildet jene Partie im Durchführungsteile, ^_^ ^ , wo das Anfangsmo- ^"T ITI J I J ^ j ^ tiv des zweiten Thema '^ ^ ? ^^

entscheidend eingreifen will. Die Stelle hat eine drama- tische Gewalt, wie sie in der Instrumentalmusik ganz selten vorkommt. Wirds gelingen oder nicht? Als Streicher und Bläser mit dem Halbenmotiv wechseln, scheint volle Er- schöpfung eingetreten und das Ende nahe zu sein. Aber der Held rafft sich wieder, weicht und bebt abermals; doch schließlich steht er wieder fest in alter Kraft. Mit einem plötzlichen Ruck stehen wir vor dem Anfang des dritten Teils: der Reprise. Sie ist wie immer bei Beethoven keine wörtliche Wiederholung. Unter den Wendungen, die ihren Ausdruck und ihre Wirkung mächtig steigern, sind die freie Kadenz der Oboe und die Coda hervorzu- heben. Die Oboe spricht wie eine Menschenstimme, ganz unbeschreiblich rührend auch deshalb, weil es die einzige Stelle in dem durch und durch männlichen Satz ist, wo das Herzeleid zu Worte kommt. Seit Haydns früheren Werken war es das erste Mal, daß wieder ein Komponist in der Sinfonie Rezitativ verwendete. Beethoven hat mit der Stelle ein klassisches Beispiel für Macht und Wert der alten freien Kadenz gegeben.

Entschieden der Hoffnung zugewendet, doch von Sorge und Zweifel noch leicht gestreift, setzt der zweite Satz (Andante con Moto, Asdur, 3/g Takt) mit einem lieblichen Thema ein, welches Celli und Bratschen uni- sono vortragen:

X\ \ ife ^^^ hohen Holzbläser fah- ' - ' =^ ren unmittelbar fort mit ^T^ die Geigen füh- jET^ ren dieses The- ma zu Ende und

-^ 216 ♦^

ihm folgt) von Klarinetten und Fagotts eingeftthrt, auf dem Fuße die Marschweifie:

doUß - vioii

Y' J^LycJf I r* II In diesen drei Melodien liegt das

ganze Material des Andante vor uns, in ihrer Folge zusammengedrängt der Verlauf der Komposition. Das Thema defr Holzbläser kommt immer gleichlautend wieder, selbst die Tonart wird in keiner Wie- derholung verändert Es ist der Leitstern, der fest am Himmel steht und freundlich blinkt. Der Marsch, der drei- mal mit Pauken und Trompeten in Cdur vorüberzieht, bedeutet Triumph und Sieg und wirft: einen Blick voraus in die Sphäre des Finales der Sinfonie. Die Grundform des Andante ist die einfache eines Variationengebildes in Haydnscher Art. Das Hauptthema wird erst in Sechzehntel-, dann in Zweiunddreißigstelform gebracht, der leichte Kon- flikt der Gefühle, der in ihm liegt, also gesteigert und er- regter. Zu dieser Wendung tragen die übrigen Faktoren der Komposition alle ihr Teil mit bei. Auf der ganzen Linie wird die Farbengebung leuchtender, insbesondere wirkt die Sprache der Zwischensätze immer dringlicher, so sehr: daß die Neben themen der Gesang der Holz- bläser und die Marschmelodie den Gesamteindruck des Satzes fast mehr bestimmen als das Hauptthema. Un- ter den Episoden prägen sich namentlich zwei bedeutungs- voll ein: Die eine ist der Obergang aus dem ersten Cdur des Marschsatzes. Die Trom- ^x.r\> x./"^ peten klingen mit der Quinte ilry | P Rp^ | f' \ fast herausfordernd lang hin ^^^^^^^ ^ \

Da mahnt j . t i ^^^^^ ^ / - Es geht nach FmoU, es in den ^ n^ gj Ff ^1 f es wird plötzlich Streichern *^ *-' finster fürs Ohr, und

wie Samiel im »FreischÜts« zieht in der Feme, gespenster- haft zu dem de9 der jBfB P^b^ ^^^ ^^m t der Bässe Geigen der Rhythmus ^ ^ ^ 444 vorüber; die Kampf-

217 «^ '

geister d«s ersten Satzes sind noch nicht tot Die zweite Episode t^itt nach der Zweianddreißigstelvariation des Hauptthemaa mit dem interessanten es in der Flöte (von dem Berlioz in seinen Memoiren eine F^tis betreffende Anekdote erzählt, die an den Kfimnlus der Eroica erinnert) ein. Die Geigen geben Guitarrenakkorde, ein kleiner Dialog zwischen Klarinette und Fagott variiert den Anfang des Hauptthemas, und nun beginnt in den obem Holzbläsern ein träumerisch holdes Spiel paarweise in Terzen, die Paare in Gegenbewegung. Die Stelle ist nur kurz, aber sie bildet einen der freundlichsten und lieblichsten Augen- blicke in der ganzen C mollrSinfonie.

Das thematische Material des dritten Satzes ist folgendes ftlr den Hanptteil:

•^f^'j' I J. f I I I I I p Ml J-If J Jll !

f&r den das

Trio ersetzen* ^fA J iJ J J J J J iJ j J J J^Tt^ den Mittelteü! V

den Mittelteil: Die Teile a (für dessen vier erste Takte Beethoven, nach Ausweis des von Nottebohm veröffentlichten Skizzenbuchs, den Anfang des Finale von Mozarts Gmoll-Sinfonie be- nutzte) und b des Hauptthema folgen im Satze unmittel- bar wie oben; für die Entwicklung des Satzes wird beson- ders das Motiv b ausgenutzt. Während in den meisten andern Sinfonien Beethovens im dfitten Satze eine aus- gelassene Fröhlichkeit ihre Feste feiert, will hier wo, wahrscheinlich nicht zufällig, auch die Bezeichnung Scherzo fehlt die gute Laune noch nicht recht in Gang kommen. Das nähere Verwandtschaftsverhältnis, in dem bei Beethoven sehr häufig der dritte Satz zum ersten steht, kommt hier mit besonderer Deutlichkeit zum Ausdruck. Es zeigt sich äußerlich in der Identität, welche zwischen dem Hornmotiv und dem Hauptrhythmus des ersten Satzes

^^ 218 ♦^

besieht, ferner in den vielen Fermaten, welche beiden Sätzen gemeinsam sind, und mehr nctch innerlich in dem vorwiegend düstern Charakter dieses »Scherzo«. Heiter ist in seinem Hauptsatze, ähnlich wie in den Ecksätzen von Mozarts Gmoll-Sinfonie, nur der Rhythmus, die Harmonien sind gedrückt, die Melodien fragend und schwermütig, fremdartig durch den Klang der Instru- mente, welche sie an den wichtigsten Stellen vortragen: das Motiv a die sonst nur für den schweren Dienst ver- wendeten Kontrabässe, das Motiv b die Hörner. Auch der Mittelsatz, mit seinen polternden Figuren und seinem eifrigen Fngieren, verwischt den Eindruck des Ängst- lichen, halb Unheimlichen noch nicht: Sein Humor ist etwas forziert und ungeheuerlich, er deutet eine gute Wendung der Sache mehr an, als daß er sie schon bringt. Als sich wie Berlioz, dem wir hier ausnahmsweise das Wort geben wollen, sagt*) der Lärm seiner ge- waltigen Läufe mehr und mehr verloren hat, erscheint das Scherzomotiv wieder: diesmal >pizzicato«. Man hört nichts mehr als einige von den Violinen halb hingehauchte Varianten des Motivs 6 und dazwischen ein seltsames, halb unterdrücktes Schluchzen der Fagotte. Dann bricht der Gedanke ganz ab. Das Orchester macht Miene, den bösen Traum zu verschlafen; nur die Pauke hält im pp noch den Rhythmus wach. Es folgen einige Takte voll mysteriöser Harmonien und einer Ruhe, daß das Ohr zu hören zaudert, bis die Paukenschläge rascher werden, die Violinen sich winden und raffen und endlich das ganze Orchester wahrhaft fieberisch sich auf den leuch- tenden Cdur- Akkord stürzt, mit dem der Triumphmarsch des Finale beginnt. Mit seinem unbeschreiblichen Jubel, mit Kraft und Schalkheit erstickt er alle finsteren An- wandlungen, die aus den früheren Sätzen in den Schluß hineinziehen möchten. Die Themen sind einfach bis zur Trivialität:

*) H. Berlioz, A travers chants (Deutsch von R. Pohl) S. 39.

219

Alle pro

b) scheint, wie Grove richtig bemerkt, von einem Neben- thema im Andante der Mozartschen Jupitersinfonie ab- geleitet zu sein, den ^^ das in der Nachsatz von c) be- V f \^f \ I f ^ Durchführung, gleitet ein Baßmotiv namentlich aus dem Munde der Posaunen gewaltig und majestätisch wirkt und fast ihrer ganzen ersten Hälfte zu Grunde liegt. Der eigentümliche Zug an dieser Durchführung ist, daß sie, beim kritischen Punkte angelangt, plötz- lich still abbricht und das Scherzo zurückkehren läßt. Die Idee selbst ist, höchst wahrscheinlich, einer Cdur- Sinfonie von Dittersdorf entnommen, aber die Wirkung, mit der sie Beethoven hier verwertet hat, so ursprüng- lich als möglich: Bankos Geist an der Festtafel! Damit war auch Spohr, der wie C, M. v. Weber begreiflicher- weise an Beethovens Sinfonien manches auszusetzen hatte, sehr einverstanden.

In der Instrumentierung ist nichts Außerordentliches als der Zusatz von drei Posaunen; die hier zum ersten Male in Beethovens Sinfonien erscheinen, Piccolo und Kontrafagott aber der innere Schwung und die Kunst des Komponisten erreichen mit diesen gewöhnlichen Mitteln eine elementare, donnerähnliche Wirkung. Echt Beethovenisch ist die Beharrlichkeit, mit welcher das end-

--^ 220 «^

liehe Ende immer wieder hinausgeschoben und umgangen wird. Schließlich muß es doch kommen, aber nicht ohne einen letzten neuen Trumpf: ein freudezitterndes Presto über das Thema d.

Mit Recht ist die Cmoll-Sinfonie Beethovens seine

populärste. Sie war das von allem Anfang ab. Raum

bekannt geworden, findet sie sich in den Programmen

der Virtuosen-Konzerte ebenso gut wie auf den eben ins

Leben tretenden Musikfesten eine nie versagende pi^ce

de rösistance!

fi.T.BeethoTen, Wie Beethoven auf die Eroica die vierte Sinfonie

Fdur-Sinroiiie folgen ließ, so schickte er ähnlich auf den schweren

(Nr. 6. Pastormie). Kampf der C moU-Sinfonie sich und den Freunden seiner

Muse zur Erholung die Pastorale nach.

Die Biographen erzählen uns von des Künstlers leben- digem Gefühle für die Schönheiten von Wald und Flur, von seinem unablässigen Studium der Naturphilosophie jener Tage. Beethoven hat seinem Wohlgefallen an Wachtelschlag und Waldesrauschen, seiner Freude und innigen Liebe zu Gottes freier Schöpfung in vielen Werken Ausdruck gegeben; in keinem glänzender als in seiner Pastoralsinfonie.

Sie gehört bekanntlich der Programmusik an, sie ist aber ein Idealwerk dieser Richtung, welche, wie früher schon erwähnt, um die Neige des 18. Jahrhunderts in Süddeutschland und Wien einen starken Anhang hatte. Von keinem Lessing geschreckt, unbekümmert um die heute noch nicht festgestellten Grenzen der Musik suchte ein großer Teil der damaligen Instrumentalkom- ponisten die Stoffe mit der größten Ungeniertheit in allen Gebieten der sichtbaren und der gedachten Welt: in Philosophie und Geschichte, in den Werken der Dichter und den Phänomenen der Natur. Jedes Verlagsverzeich- nis brachte neue Beiträge zur beschreibenden Tonkunst: Thayer zitiert aus 2 Anzeigen des Verlegers Traeg: 6 Sinfonien a) Belagerung Wiens, b) le portrait musikal de la nature, c) König Lear (im Jahre 1792), drei weitere aus derselben Zeit, a) la tempesta, b] Tharmonie de la

t 221 4—

natare, c) la bataille. »Le portrait musikal de la natare« war eine 6 sätzige Komposition des Stuttgarter J.H. Knecht, der als Tolimaler großes Ansehen genoß. Und noch größer war dem Anschein nach die Zahl der ungednickten Ver- suche, welche auf diesem Felde gemacht wurden. Noch bis in die Zeit Schumanns und seiner Neuen Zeitschrift hinein lassen sich die Spuren der reisenden Orgelspieler verfolgen, welche wie Böhner und Klotze ständig auf ihrem Programm ein > Donnerwetter« mit sich f&brten. In einem Konzertzettel des bekannten Abt Vogler findet sich eine solche Orgelmalerei, welche vor der Pastoral- sinfonie bereits an diese erinnert: »das vergnügte Hirten- leben, von einem Donherwetter unterbrochen, welches aber wegzieht, und sodann die naive und laute Freude deshalb«. Beethoven lachte wohl über solche Malereien, wenn sie kindisch ausfielen, aber er verschmähte sie prinzipiell nicht, und es war auch hier, wie Thayer richtig sagt, sein Ehrgeiz, die Zeitgenossen in der Anwendung vorhandener Kunstformen zu übertreffen. Doch hat es ihm wohl einige Mühe gemacht, bei der Pastoralsinfonie über die Angabe seiner Programmideen ins Reine zu kommen. Einmal steht im Skizzenbuch: wer einen Be- griff vom Landleben hätte, müsse den Komponisten ohne alle Titelhilfen verstehen. Dann gibt er in der Partitur, in den geschriebnen und gedruckten Stimmen die Ober- achriften mit klemen Unterschieden. Vom Anfang bis zum Schluß bleibt er aber bei der Bemerkung, daß die Sinfonie »mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei« sein solle. Über dem ersten Satz steht jetzt: »Erwachen hei- terer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande«. Von der ersten ausführlichen Rezension ab, die über die Pastoralsinfonie erschien*}, bis beute ist immer wieder die Reserve gelobt worden, mit welcher Beethoven sich darauf beschränkt habe, nur den Empfindungen, den

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*) Aligemeine Musikalische Zeitung 1810, S. 241. Ebenda auch über die OmoU-Sinfonle: S. 630. Der zweite Aufsatz ist von £. T. A. HofTmann, dem Gespenstei-Hoffmann.

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Innern Gefühlen Ausdruck zu geben, welche das Land- leben erregt. Nicht aber soll er versucht haben, Äußer- lichkeiten des Naturbildes nachzumalen. So ganz streng ist das nicht zu nehmen. Trotz des Titels steht in dem ersten Satze manches, was in die Kategorie der Emp- findungen nicht paßt. Die Triolen der Klarinetten und der anderen Bläser nach dem Abschluß des Hauptthemas, der lange Triller der Geigen vor der Reprise sind doch zu deutliche Anspielungen auf das Tun und Treiben, das Zirpen und Zwitschern der Vögel. Der feine Duft in der Instrumentierung, der durchklingende Schalmeienton, der Brummbaßklang, die genrehafte kurzlebige Metrik das alles ist doch in diesen ersten Satz als der musikalische Niederschlag reeller Erscheinungen des Naturlebens ge- kommen. Uns soll das Werk darum nur um so lieber sein. Was die technische Struktur des Satzes betrifft, so zeichnet sie sich durch ihre zarte Beweglichkeit aus und durch einen gewissen Mmiaturencharakter des ver- wendeten Materials. Leicht tändelnde Themata hat Beet- hoven auch in der ersten, der vierten, der siebenten und achten Sinfonie verwendet. Aber sie sind da weder so kurz wie in der sechsten, noch werden sie so naiv und zugleich kühn hinter einander weg wiederholt. Kleine eintaktige, einviertelige Figuren kommen 10, 20, 30 mal hintereinander. Es ist neuerdings vermutet worden, daß Beethoven bei der Pastorale unter slavischem Einfluß gearbeitet habe'*'). Wohl möglich: Diese Sinfonie nimmt tatsächlich die ganze Neurussische Schule vorweg. Für Kantabilität und großen Ausdruck bietet nur die zweite Hälfte des ersten Thema eine bescheidene Unterlage

cretc.

C^_h [ |i m I h Der Zusatz von Dankgefühl, welcher der (- -'1^1 Heiterkeit dieses Gedankens schon mit

*) Vgl. Kuhacz, X. Sammlung - Kroatischer Volkslieder (Agram 1878—85) Bd. III, und den Aufsatz: >Da8 Kroatische in der Pastoralsinfonle« in Allg. Musikzeitung 1893, S. 538.

223

beigemischt ist, kommt in dem Zwischenmotiv, welches zum zweiten Thema überleitet, noch beredter heraus

In seinen immer ! neuen Wieder- holungen kann es sich gar nicht genug tun : es wandert durch alle Instru- mente, überall das Bewußtsein der glücklichen Stunde weckend, zu ihrem vollen Genüsse ladend. In verwandten Bildungen kommt auch die »Szene am Bach« und der »Hirtengesang« des Finale darauf zurück. Das zweite Thema selbst ist nur der Abschluß der beglückten Schwärmerei:

it^Tt'irrrir^^

In den formellen Elementen zeigt es sich

r r f JLJ r ' dem ersten Thema mehr verwandt als ent- gegengesetzt Für die Durchführung hat der zweite Takt des ersten Themas Hauptbedeutung. Aus ihm entfaltet Beethoven breite Bilder, wechselnden Szenen der durchwanderten Natur gleich, die zum Staunen und Lauschen veranlassen. Dem Anschein nach sind sie alle ähnlich leicht entworfen wie die entsprechenden Ab- schnitte der 4. Sinfonie. Beidemale handelte es sich um Ideen, mit denen Beethovens Phantasie spielen konnte, nicht zu ringen brauchte. Soll aus diesem Darchführungs- teil etwas hervorgehoben werden, so möchte man gleich beim Eingang beginnen. Hier sind die scharfen Biegungen so auffällig und fesselnd, die der Weg macht. Von B nach D, dann nach O und jE^ immer gehts im scharfen Ruck : Landschaftliche Oberraschungen ! Vom Glänzenden wendet sichs nun zum Intimen, und wie der Wechsel auch weiter- geht, der Genuß wächst nur. Weil menschliche Schwäche anmutige Kunstwerke hinter die leidenschaftlichen stellt, sind wir England ausgenommen für den ersten Satz der Pastoralsinfonie nicht so dankbar, wie ers ver- dient. Steht er doch, wie es Beethoven auch sichtlich gewollt hat, dem ersten Satz der fünften an Kunstwert

224 «^

mindestens gleich. Moritz von Schwind und nach ihm neuere Maler haben die Pastoralsinfonie zu illustrieren, Theaterdirektoren und andere Leute von Phantasie haben sie szenisch und mit lebenden Bildern*) aufzufahren ver- sucht Für die andren Sätze mögen diese Versuche an- nehmbar sein ; von dem Inhalt und Charakter des ersten geben sie keine Ahnung.

Im zweiten Satz hat Beethoven die malende Tendenz offen eingestanden: er nennt ihn: >Szene am Bache. Im Vordergrunde dieser entzückenden Komposition stehen als die Hauptthemen zwei leicht eingängliche gesangvolle Melodien, aus denen* das ganze glückliche Behagen einer von allem Tagewerk befreiten, der herrlichsten Ruhe und den lieblichsten Träumereien hingegebenen Seele spricht. Und wir dürfen alles mit genießen. Der Tondichter führt uns an den sonnigen Waldbach hin, wir sehen die glitzernden Wellen dahingleiten und hören ihr melodisches, fleißiges Gemurmel. Tausende von Lichtern blitzen durch die Bäume; von ihren Zweigen, ihren Gipfeln schallen kleine zarte Stimmen; es neckt sich, es lockt sich; es lebt im Laub und im Grase; der Kuckuck ruft, die Wachtel, die Nachtigall, der Goldammer und aus der Schar der gefiederten noch so mancher andre ungenannte Sänger. Es ist ein so lebendiges Bild von dem heimlichen Weben der Natur, so glücklich gemischt mit menschlicher Poesie, so natürlich in dieser Mischung und in seinem ganzen Verlaufe. Die Musik des Satzes ist fast mehr klanglich als gedanklich. Es trillert fortwährend in Viohnen, Flöten, Oboen, die Bässe und Hörner halten, durch Synkopen doppelt bemerklich, lange Töne, es schwirrt von kleinen Motiven. Das erste Thema im Satze wächst sich aus solchen verstreuten Anätzen ziemlich unmerklich zu einer Melodie aus (B dur], schwärmerisch, trttumerisch, mit einem frommen Anklang. Das zweite Thema, das die Fagotts bringen, spricht Freude und Entzücken etwas

^JVgl. Jahn, 0. Gesammelte Aafs&tze: S. 260 »Beethoven Im Malkasten«.

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lebhafter aus, aber doch immer noch zart. Die Durch- führnng ist kurz, modaliert aber Tiel. Da, wo sie nach Gdur tritt, läßt sich in einem Arpeggio der Flöte wie Beethoven Schindler mitteilte der Gold- ammer hOren. Der berühmte Scherz, wo Nachtigall, Wachtel undKncknck zusammenwirken, befindet sich in der Coda.

Im folgenden Satze wird ein »lustiges Zusammensein der Landieutec geschildert Man versammelt sich, sel^r munter und leichtfüßig eilt das junge Volk herbei:

All«|:ro.

-jHliNN|JM'll|l||||i|l|j.ljjljjjjlj

Sofort wird auch der Vorschlag zu einem Tänzchen ge- macht, zu- ^ ^-w Als im- nächst j( J If *f 1 ^ *f f I r ' L,Jf-=>:^mermehr noch leise:'6'~^' ' ' ' ^^kommen, und es lauf er und lauter wird, da ist die Möglichkeit eines Reigens Tatsache und wird mit urkräftiger all- gemeiner Zustimmung begrüßt. Und nun beginnen jene drolligen Szenen, in welchen Beethoven sich als Bauern- maler mit vollendetem Humor und mit weitgehender Realistä neben und über die Teniers, J. von Ostade, Adrian Bronwer und die andern Größen des Faches stellt. In der Form dieser Schilderungen liegt ein zweiter großer Spaß, denn es ist darin sehr übermütig die saloppe Art und Weise kopiert und parodiert, in welcher, wie heute noch, auch zur Zeit der Wiener Meister ländliche Orchester zuweilen ihr Pensum Tanzmusik absolvieren. Das sind ganz die richtigen, armen, müden und schlaftrunkenen Bierfiedler. Man hört lange Strecken nur begleitende Mittelstimmen und Rhythmus. Dann setzt eine Oboe ein, aufs Geratewohl. Sie scheint eben erwacht und hinkt ihre Melodie ein Viertel nach der Zeit hinterher. Ab und zu gibt auch ein anderer ein paar Töne drein, um gleich wieder zu verschwinden. Von besonderer Komik ist namentlich der stereotype Einsatz des ersten Fagott, der immer nur f a biflst. Daß Beethoven spezi-

KretzscliBar, F&hNr. 1, 1. 15

226

fisch östreichische Vorbilder für diesen ausgelassenen Scherz im Auge hatte, zeigt der zweite Teil dieser Tanzmusik: der Zweivierteltakt, welcher den Dreiviertel ablöst. Die alte östreichische Tanzmusik, ist suiten- mäßig gehalten und liebt den plötzlichen Wechsel der Rhythmen. Nimmt man zu der Melodie dieses neuen Satzes

mit ihrem Lärm und ihren gewaltsamen Akzenten noch die breiten Rhythmen und die unbewegliche Harmo- nie der Begleitung, so ist das Bild einer plumpen und schwerfälligen Lustigkeit, einer Lustigkeit in Holzschuhen und Aufschlagstiefeln, vollendet. Ganz drastisch ist der Schluß des Mittelsatzes. Man tobt zuletzt, daß der Atem ausgeht: eine Fermate mit diminuendo bildet das überraschende £nde dieses die Stelle des gewöhn- lichen Trio vertretenden Teils. Die Repetition des Haupt- satzes beginnt, sie wird aber schon bald durch eine Generalpause unterbrochen. Augenscheinlich macht sich etwas Bedenkliches bemerkbar. Endlich ist man wieder im alten Geleise; schon setzt die Dorf- AUeyre. rousik wieder ein: Da kommt statt des ,V'Ü1!'| | ^ regelrechten kräftigen Fdur- Akkords ein J^ in den Kontrabässen und Gellos. Das ist ein -Don- nerschlag in der Feme. Man flüchtet, rettet sich und ruft ängstlich und klagend durcheinander:

^r-H Das ' Grollen

P'\>''^ST2iJTf'\\\\i ||,1' ifi i| Tf des Donners ** ji. vi»i. ' •' V J ' \^^ „„^tJ ji^ i,v»i. wiederholt

sich, rückt nä^ s 5 g* ^.^ ^\

her, und nun

im Fortissimo

bricht das ^ . .

Wetter los.^^^p

Blitze zucken : ^

schauer platzen nieder in mächligen Unisonos des

ete.

Windstöße fahren ein- her,Regen-

-^ 227 ^)—

ganzen ^ , . ^' ^ ^, _i« ^^^ Momente

Orche-^^^ 1 p | f ^p p f f F P r I ^1 ' = tritt unheim- sters:. ^ iT liehe ^uhe ein,

dann zackt es wieder auf und schlägst scharf und furcht-^ bar drein. Den Ernst der Situation, den Höhepunkt der Krisis bezeichnen die Bässe mit ihrem düstern Skalen- gang und sei- j-t- . -tj . . ^ ^^ nen erschrecken- ^ ^*'i> T t I f" \f \ Jj^ furctt- den Akzenten : ^^v if ^^ bare Grollen und die Aufregung der Orchestermassen wirft jetzt auch der Piccolo seine schrillen Töne, die Pauke wirbelt stärker, und zum ersten Male in der Sinfonie stürmen die Posaunen drejn. Die Harmonie ist auf einem vier Takte langen Septimenakkord erstarrt! Nun scheint aber auch das Schlimmste vorbei zu sein. Und so gewaltig Beethoven bis hierher im Auftürmen und Drohen war, so rührend teilt und glättet er nun die Wogen und lenkt zu dem letzten Teil der Sinfonie über, dem »Hirtengesang«, der unmittelbar ohne Pause an das »Gewitter« anschließt. Wenn wir an diesem beendeten Satz die Wahrheit, die Macht und die Natur- treue der Darstellung bewundern, wollen wir nicht ver- gessen, auch der noch schwierigeren Kunst, die er hier voll bewiesen, unser Augenmerk zu schenken. Das ist das Maß, welches Beethoven bei der Ausführung der für die Tonkunst dankbaren Aufgabe hielt, der souveräne Ge- schmack mit dem er aufhörte, nachdem das Nötigste aufs treffendste gebracht war.

Der »Hirtengesang« (Allegretto <^/g) soll »frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturme« schildern. Er tut es mit Motiven, welche von hier und da erklingen und deren pastoraler Charakter und deren volkstümliche Ein- fachheit Zitate unnötig machen. Er tut es mit frommem innigem Gesang, mit Wendungen in das muntere Gebiet und mit mancher versteckten und sinnigen Anspielung an Motive des ersten und zweiten Satzes. Aber er tut das alles in einer etwas sehr ausführlichen Weise, mit Variationen, Fugatos und andern Formen, die der Wirkung

16*

^

n

-^ 228 ♦—

seiner schönen Idee von jeher etwas Eintrag getan haben. Zu Beethovens Zeit wurde darauf hingewiesen, daß Haydn in seinen Jahreszeiten das gleiche Sujet, weil kftrser, effektvoller behandelt habe. Der formeU beachtens- werteste Zug an der Pastoralsinfonie ist ihre Dreisätzig- keit. Sie zieht ^eich wie die fünfte, die mit ihr ent- stand, Scherzo und Finale zusammen. Wir finden andere Merkmale eines solchen Parallelismus an Beethovenschen Werken häufig.

Die siebente und achte Sinfonie sind wieder Zwillings- werke: beide wurden in demselben Jahre 1809 skizziert, beide 1812 diie achte in Linz vollendet, bald nach einander im Dezember 1818 und Februar 1814 aufgeführt und später als op. 92 und 93 veröffentlicht. Die Musik beider Werke trägt die Züge einer und derselben sonnigen Heimat, beide sind von grandioser Heiterkeit, die eine mit einem starken Schatten darin, die andere ganz un- getrübt — aber merkwürdigerweise hat die achte nichts von der überreichen Popularität der siebenten, der Adur- Sinfonie, erringen können. Zum Ärger Beethovens, welcher zu sagen pflegte: die achte sei »viel bessere als die siebente. In Wien wurde jahrelang die Pastoral- sinfonie schlechthin als die Sinfonie in Fdur angezeigt, als ob die achte gar nicht existierte*}. Erst neuerdings zeigen die Konzertzettel die Tendenz, dieses Hohelied des Humors zu Ehren zu bringen. li.T.BeetkoTea, Ähnlich wie die zweite Sinfonie eröffnet die sie- Ador-SinfoDie beute eine lange ausführliche Introduktion, ein herr- (^T.i). liebes, träumerisches Tongemälde, in dessen Bann der Zuhörer ganz vergißt, daß es nur eine Einleitung sein soll. Auch Beethoven hat mit gleicher Liebe kaum eine zweite Introduktion behandelt. Ihre Hauptmotive sind

Vöto soitennto.

und

*) £. Hanslick: Aus dem Konzertsanl (1870), S. 319.

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beide zum ersten Male von der Oboe eingeführt; gigan- tische Skalen bilden den Obergang. Ähnlich wiegln der letzten Ouvertüre zu >Fidelio«, der in E, benutzt Beet- hoven die ersten beiden Noten des Adur-Themas zu romantischen Bildern, Über denen jetzt Mondschein, jetzt der Glanz der prangenden Sonne liegt. Plötzlich, wie auf den Wink eines verschwiegenen Programms bricht er dann diese Szene erhabner Schwärmerei ab und lenkt in neckischer Führung der Instrumente über ins Vivace, dessen Hauptthema

Vivace.

zugleich auch im wesentlichen das einzige des Satzes ist Derselbe ist in dieser Beziehung, in der Ausbeutung eines beschränkten Qrundmaterials mit dem Bingangs- satze der Gmoll-Sinfonie verwandt, im Charakter selbst- verständlich ganz verschieden. Beethoven gewinnt dem naiven pastoralen Grundgedanken des Satzes, der zuerst wie ein Nachklang, ein Supplement der sechsten Sinfonie auftritt, Wendungen von hoher Pracht und Erhabenheit ab; das Gebiet des Leidenschaftlichen und des Dunklen wird nur gestreift. Reich ist der Satz an langgemessenen Perioden, Produkten einer ungewöhnlichen Macht und Größe der Empfindung; eigentümlich sind ihm die schroffen Modulationen und der unvermutete und unvermittelte Wechsel extremer dynamischer Nuancen. In beiden Merk- malen äufiert sich exzentrische Stimmung. Auch das kurz abbrechende Element, das den Schluß der Einleitung charakterisierte, kehrt in diesem Vivace wieder: mit Dissonanzlötung, Modulationssprung und Wechsel von ff

-~<o 230 *--

und pp verbunden, sehr kühn und neu gegen den Schluß des ersten Teils, wo dem lauten Akkord: a-cis-e-fis vor- übergehend ein stilles a c f folgt Die Durchführung beginnt ähnlich sprunghaft. Wir sind plötzlich in Cdur, aus wildem Lärm in verschwiegner Idylle: tief unten flüstern und murmeln die Bässe das Thema. Bei der Reprise geht es mit Sturm und Skalenlauf in das pasto* rale Hauptthema; erst später wiederholt es die Oboe in seinem angestammten Ton. Wie dieses eine Beispiel so ist der ganze Verlauf dieses Teils Wiederholung in freister Art; in der Instrumentierung, im ganzen Cha- rakter erscheint das alte Material neu und frisch belebt Die Coda ist mehr als je Beethovenisch. Sie tritt unter seltnen Zeichen ein: mit Generalpause»' mit einer ganz unerwarteten Ausweichung der Harmonie nach A3 und einer langen Satz-

bildung über einem knrzenW^^ sr^fT^ ||ji J J,^ Basso ostinato folgenden Inhalts * "^' ' ^

Was uns andere Stellen vernehmlich genug andeuten, das zeigt uns diese ganz deutlich und unverkennbar, daß nämlich hinter der anscheinend dominierenden, manch* mal grellen Heiterkeit dieses Satzes doch höhere und ernstere Gedanken wachen, die sich nicht übertäuben lassen. Es besteht ein Znsammenhang zwischen dieser Stelle und dem edlen Pathos der Introduktion, ein Zu- sammenhang, der sich auch noch in der Melancholie des AUegretto und in den feierlichen Visionen, welche dem Trio des Scherzo zu gründe liegen, verfolgen läßt Wie ein leitender Faden geht durch die ersten Sätze dieser Sinfonie der halb verschwiegene Kampf zwischen einer jetzt harmlosen, alltäglichen, jetzt wilden Fröhlichkeit und einem höheren Sinn. Die Sinfonie erscheint unter diesem Gesichtspunkt als ein Lebensbild, aber nicht als ein rein freundliches. Das Ende deckt ein ironischer Humor. Der zweite Satz der Adur-Sinfonie, AUegretto über* schrieben, ist von alters her berühmt Die Berichte aus den Jugendjahren des Werkes teilen fast von jeder Auf- führung mit, daß dieser Teil zur Wiederholung verlangt

231

worden and gebracht sei. Das Allegretto besitzt jene seltne Art von Originalität, die sofort verstanden und sympathisch aufgenommen wird. Am Eingang und Aus- gang des Satzes steht wie eine Erscheinung aus fremdem Lande ein Bläserakkord, auf eine Quartsextharmonie ktühn und vielsagend hingestellt. Dann heginnen die tiefen Saiteninstrumente still und leise das merkwürdig resig- nierte Thema:

i(jiir3if

m

mit dem gehrochnen Marschrhytfamus hinzustammeln. Erst mit dem Eintritt der Geigen kommt Fluß in die Sprache: Celli und Bratschen begleiten mit einer Melodie von innig sehnsüchtigem Ausdruck

Je mehr sie aus ihrem anfänglichen Versteck heraus- tritt, um so wärmer wird der Ton der Darstellung. Wie einer Bitte die Verheißung, so folgt diesem edel weh- mütigen Satze eine einfach sanfte, freundliche Melodie, die wie eine Mutterstimme tröstend und zusprechend aus der Klarinette weich herüberklingt:

{fi'iiTTTJ'i' irTTf J uJirriM ifiJi

Der einfache Kontrast von Moll und Dur wirkt hier mit ganz ursprtbglicher Elementarkraft. Die Bässe klopfen unter diesem Gesang den alten Marschrhythmus leise weiter, der wie Cerberus unter Orpheus* Saitenspiel zu erweichen scheint. Mit einem MaJe aber fährt er wie eine Tigertatze hervor; schrill und heftig durchsausen die trotzigen Achtel das Orchester von einem Ende zum andern. In veränderter und erweiterter Form beginnt die

Repetition. Nachdem die zweite Gruppe wieder vorbei- gezogen, folgt das Ende sehr rasch mit all der eigen- tümlichen und schmerzlichen Schönheit eines gewalt- samen Abschiedes.

Mit derselben Erscheinung eines unbarmherzigen Los- reißens von prächtigen Bildern endigt auch der dritte Satz. Das Trio mit dem, nach Abb6 Stadler*) einem östreichischen Wallfahrtsgesang entnommenen Thema:

Astal meno pr«tto.

bildet den paradiesischen Teil dieses Satzes. Es ist nicht auszusagen, welch ein zauberhaftes Tongebilde Beet- hoven dieser einfachen Melodie entlockt hat, wie er hier die Bilder steigert: von der lieblichen stillen Idylle, mit welcher die Holzbläser einsetzen, führt er uns bis zum Pomp emes großartigen Kirchenfestes, bis zu den im Sonnenglanze strahlenden und feierlichen Schlüsse, in dem das Thema unter Pauken und Trompetenklang mit dem vollen Orchester wie auf stolzem Siegeswagen einherzieht. In einer genial-energischen Weise, die ohne gleichen ist, hat Beethoven in diesem Trio den Effekt einer sogenannten liegenden Stimme angebracht Den ganzen Triosatz durchschimmert der gleiche Klang eines festgehaltenen a; bald schwebt dieser Ton in den Vio- linen über den Melodien, bald leuchtet er aus den unteren Instrumenten in den Gesang des Orchesters hin- ein; am eigentümlichsten an den Stellen, wo das zweite Hom ihn murmelt. Schärfer als sonst, vielleicht mit Ausnahme seiner ersten, der C dur-Sinfonie, wollte Beet- hoven hier das Trio gegen den Hauptsatz kontrastieren lassen. Die Tonarten zeigen das schon: D zu F, Der Hauptsatz selbst ist ein echter, der Kaprizen voller Schwarmgeist. '

*) Vgl A. W. Tbayer: U v. Beethoveng Leben (1879) III, 191.

V

^

233

Pf est«

Seine Haupttrümpfe spielt er in seinem zweiten Teile ans, wo auf Grund der Motive a und e der überraschendste Schabernack, namentlich auch in metrischen Dingen ge- trieben wird. Der Bau des ganzen Satzes ist abweichend, aber einfach, nämlich: Hauptsatz und Trio zweimal. Der Hauptsatz wird zum dritten Male durchgespielt, auch das Trio setzt zum dritten Male ein, gelangt aber nicht über den zweiten Takt hinaus; sondern Beethoven schlägt ein Schnippchen und > spritzt die Feder ans«, wie Schumann sagte.

Das Finale ist einer der ausgelassensten Sätze in der ganzen Musik: Beethoven nicht bloß »aufgeknöpft«, wie er sich gern sah und nannte, sondern Beethoven in einer demonstrativen, wilden, trotzigen Lustigkeit, die zu einem Teil derselbe >Galgenhumor« zu sein scheint, der in seinen letzten Kammermusikwerken öfters wiederkehrt. Dieser Satz tollt daher wie von der Tarantel gestochen, jauchzt, schreit auf

pocht in fU>erschäumender Kraft

rfiji^u \fsm

und mischt auch in seine Gra- zie einen Zug des Grotesken:

*) Giove macht darauf anfttierksam , daB daa Thema auch in Beetkovens Aceompagnement za dem IrUchen Lied »Nota Greina« vorkommt

234

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^ 1 ft 1 r"''^ ''ft I i?f ^'ft ! iii^ ^'iH <jTi^ <'rr ^n

- ./> ^^^ formelles Element,

"T 'tf I V ' ^y ^ ' Cf Ir^^^ welches sich an diesen

^ J»^r p y Themen nicht einfach beweisen läßt, aber in ihrem Zusammenhang ersicht- lich wird, ist die Hereinziehnng ungarischer Rhythmen, Akzente und Anklänge. Unter den Kombinationen, in welchen Beethoven das hier skizzierte Ideenmaterial entwickelt, sei die Fdar-Stelle am Anfang der Durch- führung hervorgehoben. Da stößt der Fluß auf ganz merkwürdige Hindemisse, zu deren Beseitigung die Vio- linen und die Bässe sich grotesk riesig anstrengen. Die Kühnheit der thematischen Entwickelung erreicht den Gipfel mit dem kolossalen Orgelpunkt der Coda. Wir stehen hier ganz in der Nähe des Maßlosen und tun gut, im Interesse unsrer Jagend zu bemerken und zu bekennen, daß Beethoven zuweilen geneigt war, seine Intentionen mit übermütiger Hartnäckigkeit auf die Spitze zu treiben. Eine >ungebändigtec Persönlich- keit nennt ihn Goethe in einem Brief an Zelter. Es läßt sich nicht leugnen, daß darunter auch die klang- liche Klarheit und Ausführbarkeit unsres Finales gelitten hat Wenn ein Teil unsrer beutigen Kritik die von Fach- und Zeitgenossen Beethovens gegen diese Punkte ge- richteten Einwendungen schnellfertig auf Neid und Be- schränktheit zurückzuführen beliebt, gibt er sich selbst eine Blöße. Unbedingte Bewunderung ist eine erhebende Erscheinung, jedoch nur wenn sie auf zureichender Ein' sieht beruht. L.T.BeetboTen, Die ac*hte Sinfonie (Fdur) beginnt ohne Einlei- Fdur-Sinfonio tung mit Themen, die eine laute Fröhlichkeit » ein Be- (Nr. 8). hagen, aber noch nicht einen wirklichen Humor aus- drücken:

236

Haoptihenift. Allag^o Tivaee.

n I^J J lUi

In dem Abschnitt b des Hauptthemas liegt sogar ein sinnendes, zögerndes Element, welches das zweite Thema,

trotz seines tändelnden Eintritts, teilt und in fast stär- kerem Grade besitzt. Der Schalk kommt erst später und zwar am Schlüsse der Wiederholung dieses zweiten Themas durch die Bläser. Da machen die Bässe dem Ritar- dando und ^^t» .-■ ^und wecken Kraft und

Septimenakkord v „TJ "J'"^ [^ Leben in der Versamm- lung. Doch bleibt dem

ein rasches Ende ^*

ganzen Satze ein elegischer Rest sehr schönen Aus- druck hat er in dem zweiten Seitenthema gefunden

Der Hauptzweck der Durchführung ist, ihm die weitere Ausdehnung zu bestreiten, was in einer launig barschen Art auch ausgeführt wird. Beethoven beginnt diese Durchführung mit einer kleinen Bosheit gegen die Brat- schen; sie, die sonst immer in Deckung marschieren, stellt er, als hätten sie den allgemeinen Rückzug ver-

-^ 236

säumt, allein ^ ^ , Diese immer wiederhol- hinaus mit .y [ p [ I Ji . ten vier Noten sind die dem Motiv ^■"'"^ kläglichen Oberbleihsel -

des glänzenden Schlusses, den das Tutti dem ersten Teil des Satzes, der Themengruppe gab. Sie sind zugleich die variierten Stichworte f&r den Einsatz des zweiten Themas. Doch dieses zweite Thema kommt nicht, sondern Fagott, Klarinette, Oboe, Flöte nacheinander benutzen die Cre- legenheit, das erste Motiv des Hauptthemas in sentimen- tale Beleuchtung zu bringen. Das Tutti föhrt lärmend dazwischen und setzt, nachdem die Versuche noch einige- male sich wiederholt haben, auch seine Auffassung durch: Kraft ist Trumpf. Aus den ersten 6 Noten werden durch Sequenzen Perioden gebildet, in denen erst die Bässe (Dmoll), dann die zweiten Geigen (Gmoll), die ersten Geigen (Fmoll) die Führung übernehmen. Die Instrumente reißen sich förmlich um das Motiv; vom Einsatz des Desdur ab stehen wir vor einer nahezu beängstigen- den Kampfszene. Die Bässe bleiben die Sieger, stellen die Ordnung wieder her und beginnen in unbeschreib- lich stolzem Ton die Reprise des Satzes. Die Coda fängt nochmals kontrapunktische ^ ,^ Neckereien an. Doch mit dem *> f p^pplJ I t { heimlichen Schluß des Satzes: ^"^ . bleibt das letzte Wort den Grazien.

Es ist interessaüt, aus den Skizzenbüchern Beethovens zu ersehen, daß der ganze schöne Ausgang des ersten Satzes (von der Fermate ab) nachkomponieri ist.

Dem stark humoristischen Grundzug dieser Sinfonie zuliebe hat Beethoven auf einen langsamen Satz in ihr verzichtet und infolge dessen den Mitteisätzen dieses Werkes einen von dem an dieser Stelle Gebräuchlichen ganz abweichenden Charakter gegeben. Der zweite ist ein richtiges Allegretto; es hüpft auf Kinderfüßen dahin, jugendlich durch und durch, unschuldig und reizend, scheinbar wie in einem Zuge hingeschrieben. Es ist eins der genialsten und gewinnendsten Stücke im graziösen Genre. Ursprünglich hatte es Beethoven als einen Kanon

r'

237

auf Mäkei nnd sein Metronom entworfen. Die Sechzehnte!- Akkorde, mit denen die Bläser einsetzen, sollen also das Klappern dieses Instruments nachahmen. Der dritte Satz ist ein echter Menuett im alten Schnitt, in halh liebe- voller, halb humoristischer Hingabe an altvaterisches Wesen und Brauch ausgefQhrt. Wie getreu ist die gemüt- liche Gravität und die In- Tcnpo ai km. des Anfangsmotivs, nigkeit, mit der vordem / f , j^==wie launig die Um- getanzt wurde, in dem "ir '' ' ständlichkeit, mit der angesetzt, ausgeholt und der Takt probiert wurde, in dem

Traip« dl lUBnett«, wiedergegeben! Das Trio

" * ist ein verklärter Ditters- dorf, eine wnnderliebliche IdyUe aus der altwieneri- schen Musikantenzeit, tiber dessen Charakter der Klavier- auszug keine genügende Auskunft gibt. Es stehen in dem Satze manche kleine Scherze im Stile der Dorfmusik in der Pastoralsinfonie. Um allen Mißverständnissen in der Behandlung dieses dritten Satzes vorzubeugen, hat ihn Beethoven »Tempo di Minuettoc überschrieben, d. h. nicht ein blofier Titularmenuett, wie ihn Haydn oft schreibt, sondern einen mit der Poesie und dem Tempo der Spießbürgerzeit!

Das Finale, dessen schon früher erwähntes Haupt- thema:

AUefTo Htm«.

ebenso wie das des ersten Satzes, nach Ausweis des Skizzenbuchs, zu den schwer gefnndnen gehört, steht mit seinen thematischen Wurzeln, aber auch mit seiner Ent- wicklung, seinem leichten, schäumenden, geistsprühenden Wesen auf dem Boden Haydnscher Kunst Es ist ein ins Beethovensche ausgebauter und übersetzter Haydn; der jüngere Meister hat den Pulsschlag etwas gesteigert, die

^

—fr 238 «>-

Überrasch UD gen noch um einige Grade drastischer g^ macht, die Formen verbreitert und Gegensätze hinein- gestellt, die dem alten fern' lagen. Ohne Gegensätzlichkeit ist In Strumen talkomposition schwer zu betreiben, insbe- sondere humoristische. Hier aber geht die Gegensätzlich- keit bis zur Selbstverspottung: Das Hauptthema verläuft sich von der letzten hier aufgezeichneten Note noch 8 Takte weiter in Cdur immer leiser^ heimlicher. Und allemal fällt in die letzten Töne dann Lärm ein, der uns

allen Himmeln wirft: ''^ " jO^ Dieses eis, ein humoristisches Ungeheuer, ein gänzlich unmusikalisches Phänomen, ein Schreckschuß, ein Ober- grüf des äußersten Realismus in der Kunst ist eine Haupt- quelle für die originelle Wirkung des Finales der 8. Sin- fonie. Es hat nirgends wieder seinesgleichen; vielleicht glücklicherweise. Nach dieser verwegnen Aufführung des Hauptthemas setzt nun das zweite Thema lieblicher alsjeein

die ^ ^ x^

r r ^ pTf <V II"! Es schließt mit einem Anhang:

A _ _ ix- I* der ganz wie leises

•^ r^i" Crif r LT lT=€t^ Kichern klingt Die

^ Themengruppe ist da-

mit zu Ende. Der Satz, einer der längsten Beethoven- sinfoniesätze, hat modifizierte Rondoform: es setzt die erste Durchführung ein, ernst , _ ^ durch die Herrschaft des neuen, <fc ^ I !■#> I "i sehr einfachen Kommandomotivs "^^ und durch Bildungen aus den Vierteln vom 6. bis 8. Takte des Hauptthemas entwickelt Am Ende haben die nek- kischen Geister wieder die Oberhand: Fagotte und die (hier in Oktaven gestimmten) Pauken pochen ein drolliges Solo. Der nächste Teil ist eine mit kleinen neuen Zügen des Humors und der Grazie bereicherte Wiederholung der

^ 239 ^»—

Themen gruppe, und nun folgt der eigentliche, weit über 200 Ta^e umfassende Schluß des Schlußsatzes. Nach einem zögernden, unentschlossnen Anfang, über den die Bässe sich sehr ungebärdig und zornig äußern, folgt eine lyrische Episode in schönster Abendstimmung über das Ihema: /■s .^,^} ^ ^*^ schreckliche

fr fJj^J j I J j <J il^'^1 »^^cis kommt bru- »* ^ taler als je wie-

der, auch die andren ausgelassnen Scherze des Finale ziehen nochmals, am liebsten verschärft, vorüber; aber als es zum wirklichen Schließen kommt, da behauptet die müde Schönheit, die mit der Episode in die Kompo- sition eintrat, den Platz. Von der ersten Wiener Auf- führung der achten Sinfonie (27. Februar 1814) heißt es: »das Werk machte kein Furore«, aus andern Orten be- richtete man, daß es weniger gefiel als die andern.

Wenn' in musikalischen Kreisen schlechtweg von d^r »Neunten« gesprochen wird, ist damit die neunte i^*v.BeetiioTeD, Sinfonie von L. v. Beethoven gemeint. In diesem ab- Dmoii- Sinfonie gekürzten Sprachgebrauche spricht sich die Sonder- ™** ^fj^^^°' Stellung, welche dieses Werk genießt, deutlich genug aus. Es wird mit der neunten Sinfonie ein Kultus ge- trieben, der seinen Grund nicht ausschließlich in dem eminenten Kunstwerte dieses Werkes findet, sondern er hat einen nicht unbeträchtlichen Teil künstlicher Nahrung in den Theorien erhalten, welche in neuerer Zeit an den außerordentlichen Charakter der neunten Sinfonie ge- knüpft worden sind. Die bis heute immer wiederholte Behauptung, daß dieses Werk beim ersten Erscheinen nicht verstanden worden sei, stützt sich im wesentlichen wieder auf Spohr*), der die ersten drei Sätze die schlech- testen Sinfoniesätze Beethovens und das Finale monströs, geschmacklos und trivial genannt hat, gehört aber, so allgemein hingestellt, ins Reich der Fabel. Aus London kamen ganz unverständige und niedrige Urteile; in andern Städten, auch Leipzig, blieben die Meinungen bezüglich

*) L. Spohr, Selbstbiographie 1, 202.

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eiDzelner Punkte geteilt. Aber in Wien erregte die erste AuffQhrang des Werks (7. Mai liB24), so roh und angefeilt sie auch aasfiel, doch den höchsten Grad von Enthosias- mos. Und gerade der Eingang des Finale wird ein Moment des jBsligsten Genasses, ein Punkt genannt, an welchem Kunst und Wahrheit ihren glänzendsten Triumph feiern: das Non plus ultra des Werks*). Ähnlich schreibt noch gelegentlich der ersten Hamburger Auf- führung (1836) ein Berichterstatter von >einem Festtag« und schließt: »Soviel ist gewii3, daß diese neunte Sin- fonie das riesenhafteste Moonment ist, das noch im Reiche der Tonkunst entstanden**). Das einzige- und noch heute von vielen geteilte Bedenken gegen die Sin- fonie äußerte sich in dem Wunsche, daß es Beethoven gefallen möchte, diesem wahrhaft einzigen Finale eine ungleich konzentriertere Gestalt zu geben. Als ihm sein Freund Droysen mitgeteilt, daß er die neunte Sinfonie gehört habe und ratlos sei, äußert sich (im Jahre IS^l) Mendelssohn: »Die Instrumentalsätze gehören zum Größten, was ich in der Kunst kenne; von da, wo die Sing- stimmen eintreten, verstehe auch ich es nicht, d. h. ich finde nur einzelnes vollkommen, und wie das bei einem solchen Meister der Fall ist, so liegt die Schuld wahr- scheinlich an uns. Oder der Ausfahrang ... Im Gesang- satz sind die Stimmen so gelegt, daß ich keinen Ort kenne,, wo er gut gehen könnte, und daher kommt viel- leicht bis jetzt die Unverständlichkeit < ***}. Wenn also auch ein Mendelssohn Not hatte, mit diesem Finale fertig zu werden, kann man sich nicht wundem, daß es kleinere Geister kurzweg ablehnten. Bei dieser Sachlage ist Czernys Mitteilangf), daß Beethoven eine Umarbei-

*) Allgemeine Matikaliscfae Zeitung, 26. Jahrgang, S. 441. ♦*) Neue Zeitachrift f. M. IV, 81, 86. ***) Briefweckael Droysen und Mendelssohn (Deutsche Rund- schau, Mal 1902).

t) 0. OzerBy, Recollections on BeethoveD in Oocka Musical Miscellany 1852 u. 1853.

--♦ 241 ♦^

taug des Schlußsatzes beabsichtigt habe, nicht unwahr- scheinlich.

Der Hauptpunkt, in dem die neunte Sinfonie formell von den vorausgehenden abweicht, besteht darin, daß ihr Schlußsatz ein Gesangstück ist. Wie kam Beethoven dazu, eine Instrumentalsinfonie mit Singstimmen zu schließen? Die von R. Wagner zuerst ausgesprochene Ansicht, weil er den Bankrott der reinen Instrumental- musik erkannte und aussprechen wollte, scheint ange- sichts der Streichquartette und Klaviersonaten, die Beet- hoven dieser Sinfonie (opus 125) noch folgen ließ, nicht haltbar. Auch die andere Annahme, daß Beethoven bei der Komposition seiner neunten Sinfonie von vornherein die Ode Schillers »An die Freude« zum Ausgangspunkt genommen habe, steht nicht fest. Allerdings schreibt Fischenich schon im Jahre 1793 an Charlotte v. Schiller, daß Beethoven dieses Gedicht im großen Stile kompo- nieren wollte, und die Skizzenbücher zeigen, wie er wieder- holt dazu ausholt, es in Ouvertüren z. B. bei der zur Namensfeier -— zu verwenden. Aber noch im Jahre 1823, als die ersten drei Sätze schon so gut wie abgeschlossen waren, sehen wir ihn zwischen einem vokalen oder in- strumentalen Schlußsatz für die neunte Sinfonie schwanken. Wenn Beethoven sich dann doch für die Zuziehung des Gesangs entschied, so handelte es sich dabei um eine Maßregel, die im Prinzip schon Haydn für zulässig er- klärt hatte, indem er Rezitativ in der Sinfonie verwendete. Beethoven war ihm darin in seiner FtLniten gefolgt und von da, zuerst in den Skizzenbüchern, dann in seiner »CSiorfantasie«, zur Verwendung, wirklicher Menschen- sUmmen und ausgeführter Vokalmusik weiter geschritten. Aus dem 17. Jahrhundert gibt es Kantaten, von denen man nicht weiß, ob sie wohl zur Gesang- oder zur In- strumentalmusik gehören. Auch zu Beethovens Zeiten war in der Sinfonie der Chorschluß versucht worden. So von P. von Winter in seiner Schlachtsinfonie, 4ie bei ihrem Erscheinen (1814), so schwer begreiflich das diesem Produkt aus Lärm und Trivialität gegenüber auch sein

Kr«itt6k«ftr, Fftkrar. I, 1. 16

--^ 242

mag, viel Aufsehen erregte und Beethovens »Schlacht bei Yittoria« an manchen Orten ans dem Sattel, hob. Aach eine Sinfonie >Sch]acht bei Leipzig« des Böhmen Maachek (1814) gehört zn dieser Mischgattung von Sin- fonie und Kantate. Freilich war zwischen den Formen der Sinfonie Beethovens und der anderer Leute ein großer Unterschied, und- indem Beethoven für die Sätze, welche zur Vorbereitung, Begründung und Einleitung der Ode dienen sollten, seine gewöhnlichen Sinfoniemasse des Allegro, des Scherzo und des Adagio nicht nur beibehielt, sondern auch noch steigerte, erhielt Schillers Tempel der Freude einen so kolossalen Unterbau, ein Fundament von solchen Dimensionen, solcher Selbständigkeit und solchem Reichtum an eigner Schönheit, daß das Haupt- werk, welchem dies alles dienen soll, leicht darüber ver- gessen werden kann. Sei es. nun mit der formellen Be- rechtigung wie es will; keinesfalls würde Beethoven die Ode ins Finale gebracht haben, wenn zwischen ihr und den drei ersten Sätzen der Sinfonie keine geistigen Beziehungen bestanden hätten. Sie aber aufzufinden, ist nicht schwer. Die Schilderung eines Zustandes, dem die Freude fehlt, ist die wesentliche Idee des ersten Satzes. Mit der Form- freiheit, welche die Werke von Beethovens letzter Periode auszeichnet, setzt er zunächst ohne Thema ein. Es wogt und nebelt chaotisch und unbestimmt über den berühmten leeren Quinten. Dann, erst nach 16Takten, steigt in finsterer Majestät, voll Krafi und Trotz, aber durch einen an die gleiche Stelle in. der >Eroica< erinnernden Zug de« Lei- dens gezeichnet, die Heldengestalt dieses Allegro zu Tage:

^ AUeg^ojioB troppo «b ^m auMtoto.

n f7f f^ « ^

243

Welch heroischer Eintritt, wie latiggem essen der Weg aber wie sonderbar wirr das Ende! Das Thema setzt gldch darauf 'zam zweiten Male von einer anderen Seite ein, in Bdor, ohne sich aber ^ ^ gebildet, decken

wieder so breit zu entfalten: y L[J ij^ und vort>ereiten Ketten, aus dem Motive ^ den Aufmarsch

seiner zweiten Hälfte. Es kapituliert am Schluß und überläßt unmittelbar das Terrain an das zweite Thema und seine Vorläufer

p'l t/irtlji^li 'irirT^Qji'rü'ifürrQ-i

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Auch hier das gewaltige Längenmaß, welches alles / j»w#*tt* Gedanken- und Formen-

wesen der neunten Sinfonie, und dieses ersten Satzes insbesondere, charakterisiert. Dieselbe dämonische Un- ruhe, welche Empfindung und Phantasie immer wieder aufjagt Sie treibt hier aus dem Reiche milder Wehmut, freundlichen Sehnens,tröst- ^ _ t^ ^.^^ Unmittel-

liehen Erinnems fort in f ^yp * | [,C/P ^bar daran das Ungestüm des Kampfes ^jö^ Y-^i^A«

sich wieder Bilder ^ ^^-^fTirr-;-*^ ^_ des Friedens undAtlL"^^* '^^ ■■tert des seligen Glücken ^ '' AII19 Qual schlummert einen Augenblick; aber auch aus dem sanft wiegenden Traumgebilde treten Gegensätze erkennbar hervor:

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Im Nu ist ein neuer Ausbruch da, in welchem diesmal

16*

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_^ 244 /^^

die wild aufschlagenden Bässe die Führung übernehmen:

^-^ ^ ^ ^ g Die Holzbläser v.er-

> \^n r Jn n f fTTff ' I etc. suchen ^ubeschwich-

i^ ^ ^ «^ ^ ^ f/" tigen; sie bitten

um einen ^^ ^ . und erreichen

freundliche- /ifffffffif p TT^; ^ | es, daß der ren Ton: >1'^:»> \U^ '^'j^ ^"^ erste Teil des Satzes jnit einer gewissen kräftigen Freudigkeit geschlossen wird. Die Durchführung entrollt das Faustische Bild weiter: Suchen und nicht Erreichen, rosige Phantasien von Zukunft und Vergangenheit und die Wirklichkeit von einem Schmerz erfüllt, der seine Rechte plötzlich geltend macht! Der Durchführungsteil ist verhältnismäßig nur kurz: thematisch wird er hauptsächlich getragen von Bildungen aus dem dritten und vierten Takte des Haüpt- themas. Das trübe Element tritt in ihm zurück, um mit vollster Kraft bei der Rückkehr in den Hauptsatz auszu- brechen an jener Stelle, wo die Pauke 88 Takte lang ihr d wirbelt, wo die beiden Teile des Orchesters heftig und wild gegeneinander angehen eine Stelle, an welcher die Mittel der musikalischen Kunst den dämonischen lur tentionen Beethovens kaum zu genügen scheinen. Am Schlüsse der Coda, in deren llitte das Hom einen überaus freundlichen und zuversichtlichen Lichtblick fallen läßt, wird die freudlose Grundstimmung des Satzes zu voll- ständiger Gebrochenheit Dort, wo die Bässe 16 Takte lang ostinato chromatisch auf und ab wogen, glauben wir in der Melodie des Homs und der Oboe einen Trauermarsch zu hören, bis die Klänge der anderen Instrumente stärker und stärker werden und noch einmal kurz, aber lapidar, Schmerz und Trotz nebeneinander stehen.

Der zweite Satz nähert sich der Freude schon mehr. Er beginnt MoUoTivao«. welches

über folgen- jg-^ H T'-j^j i^ -f-i..[t-.|L^ i f a'm später dem Thema ^^^^^S^^^^^^^^^^^^^= auch im Metrum von drei Takten gebraucht wird, ein Fugato erst heimlich und leise: am Schlüsse im fröhlichsten und lautesten Tumult der dahiojagenden Instrumente.

245

Nur anf einen kurzen Augenblick wird dieses muntere Treiben von .^-— ^ '^ "^^ >• ä^^^« \n Momenten mü- t V\}' I ^' I ^ I ' I ^1* I ' '^

abgelöst, die derb fidelen Tanzweisen der Bläser:

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denen die Streich- instrumente in kräf- tigen Strichen das

Anfangsmotiv des vorigen Themas f* ^ f zujauchzen, ersticken sie sogleich. Der Mittelsatz, welcher das Trio vertritt, hat als Hauptgedanken folgende, tfiöglicherweise Beethovens russischen Musikstudien entsprossene, in der Tonreihe mit dem Anfang des Trios der zweiten Sinfonie ganz Übereinstimmende, nur rhythmisch von ihm ver- schiedne Melodie

Pnsto

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Er schlägt pastorale Töne an und spielt in seinen simplen Hirtenweisen auf länd- liche Vergnügungen an, aber auch in seinem zweiten Teile, den Beethoven über eine Umkehrung des Beglei- tungsbas- ses bildet:

in mächtig mystischen Geigenklängen auf Sonnenauf- gänge und erhabene Freuden herrlicher Natur. Die Stelle wirkt aber nicht, wenn sie zu schnell gespielt wird. Y; Stanford macht deshalb in der Zeitschrift der I. M. 6. (April 1906) mit Hecht darauf aufmerksam, daß das Tempo dieses Mittelsatzes nicht ^, sondern J «s 116 sein muß. Daß die Metronom an gaben Beethovens Überhaupt der Revision bedürfen, ist schon im 18. Jahrgang von Roch- litzens Allg. M. Ztg. nachgewiesen worden. Um zu ver- anschaulichen, wie allgemein verständlich die Schönheit

246

dieses Scherzo sei, berichtet der Franzose Elwart in seiner Voyage musical (1849), daß es selbst Rossinis Bei- fall gefunden habe, ähnlich findet Lenz in seiner Beet- hovenbiographie das Entzücken Glinkas bemerkenswert. Gewiß hat das Scherzo der 9. Sinfonie ebensowenig Gegner wie ihr Adagio. Aber Rossini sollte man bei dem Beweis hierfür verschonen. Daß sein Geschmack nicht gewöhnlich war, geht ans seiner Mitgliedschaft bei der Bachgesellschaft genügend hervor.

Das Adagio, der dritte Satz der Sinfonie, hat eine abweichende, nichtsdestoweniger aber sehr klare Dispo- sition. Sein Hanptthema, der inbrünstige Ausdruck eines edlen, frommen Sinnes, der in die andere Welt hinüber Fragen zu richten scheint,

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l^=r^fiinrElfrLf;lC^^:i^l'^^^*f f \

hat die Länge des Periodenbaues, welche der Beethoven der letzten Periode liebt. Es schließt nicht voll ab, sondern es schwebt unmittelbar in den Schoß des zweiten Thema über

Andante.

PP crtiC

welches auch äußerlich, nach Tonart und Taktart, die Kennzeichen einer völlig anderen Sphäre trägt. Nach dieser Themengruppe beginnen Variationen, zuerst über beide Hauptgedanken, dann über das erste Thema allein. D^r ganze Satz strebt einer höheren Art von Freude zu: Da scheint ein Mensch zu träumen vom Himmel und vom Wiedersehen, von seinen Jugendtagen und von seineu

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Lieben. Aber Träame gehen zu Ende. Am Schlüsse der ersten ^/g- Takt-Variation vericünden Trompeten nnd Homer mit einem plötzlichen Signal:

ij' Uli '"" IT^ U If'^a^-^H^

die Nähe des rauhen Tages.

Das schöne Bild verschwindet, und nun kommt im vierten Satze das, was Faust meint, wenn er sagt: »Des Morgens wach* ich mit Entsetzen auf«. Gedacht ist wohl ohne Zweifel der Anfang des Finale im unmittelbaren Kontrast zu den Himmelsklängen des Adagio. Im mög- lichst schnellen Anschluß an das Ende des letzteren ver- liert die wirre Fanfare, der Höllenlärm, mit welchem das empörte, heulende Orchester einsetzt, den Charakter des Unbegreiflichen, Capriziösen, am besten. Dieser wüste Anfang bedeutet den Rückfall in die chaotische Stimmung des ersten Satzes. Bässe und Celli warnen in kühnen, heftigen Rezitativen. Jetzt suchen die Geigen und die Bläser nach rettenden Ideen. Die einen bringen eine Weise aus dem ersten Satz, die andern aus dem zwei- ten, dann kommt ein Zitat aus dem dritten. Nichts ge- fällt den Bässen. Endlich intonieren die Oboen etwas ganz Neues. Das findet Gnade bei den Vätern des Or- chesters.^ Nachdem sie ihre Zustimmung in einem letzten Rezitative ausgesprochen, ergreifen sie selbst das Motiv und führen es zu einer breiten Melodie aus:

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Es ist dieselbe, zu der dann die Freudenode angestimmt wird, und die, rein oder varriiert, den leitenden Faden

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^ 248 4^

des ganzen Finale bildet. Zunächst wird sie in einer Fuge durch das ganze Orchester gef&hrt, ohne aber auf die Dauer einen genügenden Halt bieten zu können. Denn es taumelt nach einem Moment des Herumirrens wieder zu jener Schreckensszene zurück, mit welcher der Satz begann. Da kommt weitere Hülfe. Es ist diesmal der S&nger des Bariton- solo, der mit den von Beethoven selbst eingeschobenen Worten >0 Freunde, nicht diese Töne sondern laßt uns angenehmere anstimmen und freudenvollere« die Ordnung wiederherstellt Und nun beginnt er den Hymnus in obiger volkstümlicher Melodie einer der wenigen, die Beethoven gleich beim ersten Anlauf fand , in welche die anderen Solisten und der Chor dann einfallen.

Von Schillers Ode hat Beethoven nur einige Strophen benutzt und aus ihnen eine Reihe musikalischer Bilder entwickelt Er läßt die Kreaturen jauchzen um Küsse und um Reben, er tritt mit dem Cherub vor Gott, er malt die Bahn, die der Held durchläuft, in einem wilden stürmischen Fugato, dessen Kampfgetöse in einem festen, sieghaften Pochen endigt Der Refrain aller Szenen, die Beethoven ausführt oder skizziert, ist das vom Chor wieder eingesetzte >Freude<. Am ausführlichsten hat Beethoven die Szene des Helden behandelt; die Rücksicht auf die Dimensionen des Satzes gestatteten leider nicht, mit allen Themen des Gedichts in gleicher Weise zu verfahren. Es steht Vollendetes und Angefangenes nebeneinander, und bei aller Begeisterung Über die entzückende Schön- heit des Einzelnen empfinden wir, bewußt oder unbewußt, in der Totalform des Finale einen Mangel. Besonders weihevoll und hinreißend sind die Momente, in denen sich Beethoven dem Sternenzelt und dem himmlischen Vater nähert, der darüber wohnt Die Worte » Seid um- schlungen, Millionen« hat er in eine Art Zeremonie ge- faßt, die da oben am ewigen Throne zu i^pielen scheint Sphärenhaft sind ihre Schlußklänge. Die irdische Bfusik vergeht in dieser Nachbarschaft ganz in Stille. Nur wie heimlich setzen die Solostimmen wieder mit ihrem »Freude, Tochter aus Elysium« ein; bald aber gewinnt das Bn-

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semble seinen Mut wieder und rauscht in einem Enthusias- mus einher, welcher immer stärker wird und schließlich in einen völligen Freudentaumel übergeht Dieses Schlußbild hat Beethoven in dem realistisch sdiwungvoUen Stile aus- geffthrt, der mit ihm zuerst in die Tonkunst eintrat

Die Entstehun^geschichte der neunten Sinfonie zeigt, daß man die prinzipielle, die systematische Bedeutung ihres Finales nicht tiberschätzen darf. Anders steht es um die Frage, ob Beethoven, wenn er länger gelebt hätte, bei dem System der Eroica geblieben wäre. Die letzten sechs Streichquartette genügen, um diese Frage zu verneinen.. Wie in ihnen würde er auch in weitereh Sinfonien mit größter Wahrscheinlichkeit an die Stelle der Auslegung und Durchführunig weniger Grundideen die Freiheit der l^hantasie, den Erfindungsreichtum, die Fülle von volks- tümlich gestalteten, kürzeren Bildern gesetzt haben. Indes seiner und der nächstfolgenden Zeit hatte Beethoven mit dem System der Eroica eine genügende Vorlage hinter- lassen. Wir werden bald sehen, wie sich die Komposition mit ihr abzufinden suchte und wie sich die Entwicklung der Sinfonie fast ein Jahrhundert lang um Beethovensche Probleme bewegte.

Soweit diese Beethoven^chen Probleme auf der for- mellen Seite der Komposition liegen, laufen sie auf ein Doppeltes hinaus: Erweiterung des Qrundrisses und zu- gleich engere Verknüpfung der Hauptteile. Den Aufbau der einzelnen Sätze bereichert Beethoven in der mannig- fachsten Weise durch Einfügung neuer Zwischenglieder, durch Ausdehnung der Hauptthemen zu ganzen Themen- komplexen, durch Verwendung des Durchführungsprinzips an ganz ungewohnten Stellen. Er steht da unter dem dteifachen Drang einer überströmenden Phantasie, eines unerschöpflichen Ideenreichtums und einer den hetero- gensten Einfällen gewachsenen, nur durch Schwierigkeiten gereizten/ äußerst kühnen Gestaltungskraft Auf der anderen Seite verlangt sein überaus klarer Kunstver- stand, sein Sinn für Logik nach Obersichüichkeit, Ein- heitlichkeit und deuUichem Zusammenhang des Ganzen.

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--t 260 «--

Dieses zweite Problem hat Beethoven Id der 5., 6., in der 9. Sinfonie in Angriff genommen, aber die Lösang den späteren Sinfonikern übrig gelassen, und von ihnen ist die Schwierigkeit der Beethovenschen Form, wenigstens was den Kernpunkt, den Widerspruch zwischen der FtUle und Selbständigkeit aller vier Sätze und zwischen der Faßlichkeit und Notwendigkeit ihres Aneinanderschlusses zum Ganzen, betrifft, erst spät erkannt worden. Ja bis heute fehlt noch die allgemeine Klarheit über die Frage: ob die Beethovensche Sinfonie eine für jedermann er« reichbare Vorlage bildet, oder ob diese Riesenform als die Ausnahmeleistung, als das Monopol eines hors de concours stehenden Riesengeistes zu betrachten ist.

Was den Inhalt seiner Sinfonie betrifft, so ist hier Beethoven ein Neuerer nur insofern, als er in den Wer- ken, die in die Klasse der Gesellschaftsmusik fallen, deren Charaktergrenzen mit einer Ungebundenheit übersdireitet, die seine Vorgänger nicht gewagt haben. Es handelt sich hier um die erste, die siebente und achte Sinfonie, Tondichtungen, die in den der musikalischen Welt ge- wohnten heiteren Grundton dämonische Elemente und die absonderlichsten Humore mit einer Freiheit mischen, die zuweilen das Barocke nicht scheut.

Von den anderen Sinfonien bekennen sich die dritte, die Eroica, und die sechste, die Pastorale, zu der Gattung der Programmusik und unterscheiden sich davon den seit alters üblichen Leistungen nicht im wesentlichen, sondern nulr durch die individuelle Größe und Originalität Beethovens.

Die zweite, die vierte und die neunte Sinfonie sind ähnlich wie die letzten Sinfonien Mozarts ganz subjektive Kompositionen, Augenblicksbilder aus Bethovens eignem Leben, Stimmungsergüsse aus Tagen bewegtesten Seelen- lebens. Die neunte, die auf die zweite absichtlich zurück- greift, hat unter ihnen ihre ergreifende und erhebende Bedeutung als Ausdruck der Weltanschauung, mit der Beethoven aus dem irdischen Leben geschieden ist

^

ISB^iiLr.

III.

Nebenmänner und Gefolge der Klassiker. Vorläufer und Hauptvertreter der Romantik.

|ie allgemeine Musikgeschichte pflegt bei dem Kapitel »Sinfoniec schnellen Schrittes von Beethoven auf Mendelssohn überzugehen. Nur.Schubert und Spohr werden als Zwischenglieder kurz berührt. Es ist jedoch interessant und vom historischen Standpunkte aus sogar notwendig, etwas länger bei dem Kreise sch5pferi8Cher Talente zu verweilen, deren Werke für die hervorragenden Leistungen der klassischen Führer den Hintergrund bildeten.

Der Umbau der Sinfonie aus einer einfachen Ge- legenheitsmusik zu einer Tondichtung größten Stils hatte sich in dem verhältnismäßig kurzen Zeitraum von sechzig Jahren vollzogen. Das musikalische Publikum lebte sich wunderbar leicht in die Veränderung hinein, und gerade- zu erstaunlich ist es, wie schnell und richtig das Ver- hältnis zu Beethoven festgestellt wurde. Wir hören und lesen heute viel von dem unverstandnen Beethoven, von Beethoven dem Märtyrer. Diese Auffassung stützt sich auf kürzere oder längere Verstimmungen des Komponisten selbst, auf herbe und hitzige Urteile der Gegner und Wider- sacher, die seine Werke im einzelnen oder ganzen natür- lich fanden. Aber ihrer waren im Verhältnis zur Neuheit und Kühnheit seiner Kunst nur wenige, und sie gaben nicht den Ausschlag. Beethoven lebte in einer Zeit, die seiner würdig; seinem Geiste verwandt war. Man ehrte

4r

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in ihm eine Ausnahmeerscheinung. Beethovens Sinfonien sind die ersten und noch für lange die einzigen, von welchen zu Lebzeiten des Verfassers die Partitnr gedruckt wurde. Das Hanptbedenken, welches sie verarsachten, war ihre große Schwierigkeit: Die Dilettantenorchester, auf welchen die Existenz der damaligen Konzertgesell- schaften rnhte, waren diesen Werken gegenüber quanti- tativ und qualitativ zu schwach. Ihrer eingedenk schreibt Beethoven wohl einmal ail den Erzherzog Rudolf, daß für seine Sinfonien vier erste Violinen genügten, als aber in London die Neunte aufgeführt werden soll, hat er das vergessen und verlangt sogar doppelte Bläser. Der be- i\ Aadr^ kannte Hofrat Andrö gab dem Bedenken gegen die Auf- führungsschwierigkeiten bei Beethoven den stärksten prak- tischen Ausdruck, indem er eine kleine Serie von »leichten« Sinfonien veröffentlichte. In einer derselben folgt in dem Menuett auf einen Walzer als Hauptsatz das Trio in Form eines figurierten Chorals. Trotz Andrö und trotz der Schwierigkeit blieben aber die Beethoven sehen Sinfonien an der Spitze des Repertoires, über Haydn und Mozart sogar, wenn sie, wie C. M. v. Weber an Lichtenstein schreibt, auch meistens, namentlich in Virtuosenkon- zerten, nur unvollständig gespielt wurden, und die Or- chester wurden, soweit sie in der Not der Befreiungs- kriege standgehalten hatten, ihnen zuliebe mit großen Kosten allmählich umgebildet.

In den Kreisen der Komponisten forderte der Über- gang in die neue Periode seine Opfer. Die Zahl der Stimmen im Sängerwalde minderte sich und ganze Ge- schlechter verschwanden. Es war aus mit einer »Sin- fonie mit Guitarre« und mit ähnlichen Kuriositäten: es war aus mit den alten, rauschenden Theatersinfonien, aus mit den konzertierenden Sinfonien und den harm- losen Divertissements, welchen bisher ebenfalls der Titel Sinfonie erlaubt war. Wenn jetzt die Brandl, Braune, Blyma, Weyse, Küffner und die andern Matadoren des leichten Stils an die Türen der Konzertsäle klopften, so scholl ihnen, wie dem Tamino in der ZauberQöte eiQ

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energisches »Zurück« entgegen. Es kamen Zeiten, w6 es der Kritik gar nicht recht zu machen war, wo die- jenigen^ welche sich in Beethovens Pathos versuchen wollten, schlechtweg »schwülstig«, die Anhänger Haydns als »kindisch« gescholten wurden, wo man die Form der Sinfonie für erschöpft erklärte und wo fast jede Rezension eines neuen Werkes deil melancholischen Anfang: »Wer jetzt noch mit einer Sinfonie hervortritt, der usw.c trug.

Diejenigen Männer, welche sich Unter so erschweren- den Umständen als Sinfoniker zu behaupten wußten, welche neben den Klassikern auf dem Repertoire standen und nach Beethoven einen Platz erraugeu, verdienen nichts ganz vergessen zu werden. Ohne einen Blick auf das Wesen und die Menge dieser Nebenmänner versteht man die Blütezeit der Wiener Schule und die Indivi- duahtät ihrer Klassiker kaum vollständig. Die Größe dieser klassischen Periode beruht nicht zum geringsten auf ihrem Reichtum an wirklichen, an bedeutenden Ta- lenten. Süßmayer hat bekanntlich das Requiem von Mozart so vollendet ergänzt, daß nojch bis heute Musiker sich vernehmen lassen, die angesichts der wohlverbürgten Tatsache doch die bloße Möglichkeit einer fremden Hand glauben in Abrede stellen zu dürfen. Diese kühnen Zweifler wissen nicht, daß Süßmayer keine vereinzelte Erscheinung ist, daß Haydn, Mozart, Beethoven nicht von Zwergen, sondern von hochgewachsnen Genossen umgeben wfuren, von denen einzelne heute, in unsrer musikalisch ärmeren Gegenwart vielleicht als Größen ersten Ranges gelten wtlrden.

Unter denjenigen Nebenmännern der Klassiker, welche in der Sinfonie diesen hohen Maßstab vertragen, ist der älteste und bedeutendste CarlDitters vonDittersdorf*]. G.?.mtUn- Einst eintiebling der deutschen Musikkreise, ein wieder- '«rf« holt und besonders gern gesehner Gast der preußischen Hauptstadt, ist dieser Tonsetzer heute nur noch durch seinen »Doktor und Apotheker« bekannt. Und auch da

*) YgL C. Krebs: Dittersdorflaoa. Berlin 1900

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nur dem Namen nach. Denn obwohl dieses trauliche Sing- spiel als Kulturbild, als Supplement zu Goethes »Hermann und Dorothea« einen unverlierbaren Wert besitzt, ist es seit mehr als dreißig Jahren vollständig von der BOhne verschwunden. Trotzdem ist es möglich, daß Dittersdorf als Instrumentalkomponist wieder Fuß foßt. Noch 1906 wurde am Berliner Hofe beim Fastnachtsball Ditters- dorfsche Orchestermusik gespielt und auch sein Csdur- Quintett hat sofort sich wieder eingebürgert Mit seinen Sinfonien würde er die Neugier des jetzigen Geschlechts zunächst als Vertreter der Programmusik reizen aber schwerlich befriedigen. Die Programmusik gibt in Haydns Werken bis zu seiner Jagdsinfonie, bei Beethoven in der Pastorale Lebenszeichen, stark und deutlich genug, um ahnen zu lassen, daß sie in der Nähe der Klaseiket- Periode eine Rolle spielte. Tatsächlich war der Ausgang des 18. Jahrhunderts eine ihrer günstigsten Zeiten. In Sulzers »Allgemeiner Theorie der schönen Künste« wurde ihr damals >BOgar der wissenschaftliche Segen zuteil, unter den Praktikern aber, die sich ihr in allen Ländern widmeten, war neben Rosetti und seinem »Telemach« Dittersdorf der bedeutendste. Dittersdorfs Hauptbeitrag zur Gattung bestand in 12*) charakterisierten Sinfonien zu Abschnitten aus Ovids Metamorphosen. Im Jahre 1786 als Stimmdruck veröffentlicht, müssen sie einen be- trächtlichen Erfolg gehabt haben, denn im nächsten*Jahre schrieb der Probst Hermes Analysen dazu. In Deutsch- land war das ^interessante Werk Jange verschwunden* Brenet**), ohne die Bibliotheksstellen zu nennen, an denen er sie gesehen hat, beschreibt zwei Stücke daraus: »Die vier Zeitalter« und »Actaeon«, tadelnd, daß sie ganz an der viersätzigen Sinfoniefonp festhalten. Hanslick***)

*) Diese Zahl und diesen Titel gibt Dittersdorf (K. y. Ditters- dorfk Lebensbeschreibung, Leipzig 1804, S. 230) selbst an. **) Brenet, Histoire de la Symphonie, Paris 1882, S. 109. ***) Hansliek, Geschichte des Wiener Konzertwesens, Wien 1860, S. 114.

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kennt das »Combattimento deir amane Pässioni«. Das ist die zehnte Nummer der Sammlung, eine Suite, die dadurch überrascht, daß sie ganz in Mullats Stil gehalten ist*). Sie besteht aus den sieben Sätzen: II Superbo, il Umüe, il Matte, U Gontento, il Melancolico, il Vivace. Der Schlußsatz ist ein größeres Musikstück, die andren haben die kurze zweiteilige Form, die im Ballett und im Tanz so gebräuchUch ist; nur ausnahmsweise sind geeignete Motive durchgearbeitet Die Erfindung ist in »II Vivace« am glücklichsten gewesen; hier das Hauptthema:

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Im Ganzen entbehrt sie der Schärfe. Von dem combat- timento, dem Kampf, den der Titel ankündigt, enthält die Komposition keine Spur. Einmal nur sprechen zwei folgende Stücke einen Gegensatz im Charakter aus: il superbo und il umile. Den Ausdruck des Stolzes hat aber Dittersdorf dabei nicht sicher gefunden. Die Musik spricht Freude, Aufgeregtheit, ja Zorn aus; aber es fehlt ihr die Ruhe und Vornehmheit, die zum rechten Stolz gehört In eine sonderbare Beziehung ist il amante, der Verliebte, zu U matto, dem Verrückten, gebracht worden. Er tritt als Trio im Menuett auf. Nach diesem Menuett hat sich Dittersdorf einen stillen Narren gedacht Ob nun diese Sätze selbständig als »Sinfonie« komponiert oder, was wahrscheinlicher ist, als Einlagen zu einem Schauspiel, als Begleitungsmusik zu lebenden Bildern entstanden sind, eine angebome Begabung für Programm- musik, Tonmalerei und Charakteristik zeigen sie nicht Die Plastik, Eindringlicheit und Eigentümlichkeit der Motivbildung, die die Stärke Rameaus und der Franzosen ausmacht, in der auch Kuhnau sehr groß ist, kurz die Eigenschaften, mit denen das Recht der Gattung steht und fällt, gehen ihnen ab. Und wie mit dieser einen,

*) Exemplar tuf der Münchner Hof- und Staatsbibliothek.

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ists aach mit den übrigen Programmainfonien Ditters- dorfs, wie sich jedermann aus der Neoauagabe der ersten sechs überzeugen kann*). Hübsch ist das. Finale im Sturz Phaetons mit dem klagenden Ausgang, hübsch ist in Aktaeon die Diana im Bad, drollig ist in den lykischen Bauern das Quaken der Frösche, der kleinen in den Vio- linen, der großen in deiS Bässen, Aber außer in Einzel- heiten sind diese Sinfonien matt.

Ein ganz andrer ist Dittersdorf in seinen programm- losen Sinfonien:, da überrascht er durch einen poe- tischen und ungewöhnlich selbständigen Geist und läßt uns überall verstehen, warum ihn die Musikfreunde, des- achtzehnten Jahrhunderts in ihren Orchesterkonzerten dicht neben Haydn und Mozart stellten. Er ist der erste unter den Ostreichem jener Zeit, welcher, mit beiden Meistern geistesverwandt, zwischen ihnen in be- deutender Weise vermittelt. Mit Haydn teilt er als Na- turgeschenk den Humor, lernt von ihm die Kunst der motivischen Arbeit und fügt dem die Mozartsche Kanta- bilität bei. So betritt er mit großer Bestimmtheit den Weg, den dann Beethoven glänzend weiterschritt Wir dürfen Dittersdorf in der Sinfonie, soweit es sich um die Vermittlung zwischen Haydn und Mozart und um Selb- ständigkeit und Originalität in der musikalischen Archi- tektur, im eigentlichen Satzbau handelt, einen Vor- läufer Beethovens nennen. Nur Unbekanntschäft mit seinen Werken ist die Ursache, daß die Biographen Beethovens Dittersdorf als Vorbild und Lehrer Beet- hovens nicht anführen. Denn daß der junge Rheinländer die Sinfonien Dittersdorfis gekannt und studiert hat, geht daraus hervor, daß er sie in einzelnen Zügen besondrer Gestaltung nachgebildet hat. Der diplomatische Beweis ist dafür wohl nicht zu erbringen, aber für diejenigen,

*) Dittersdorfb Metamorphosen nach Ovid (die 4 Weltalter, der Sturz Phaetons, Verwandlung Aktaeons, Rettung der Andro- meda, Verwandlung der lykischen Bauern in FrOsdie, die Ver- steinerung des Phineus), herausgegeben von Joseph Liebeskind,

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welche noch mit Gründen äußerster Wahrscheinlichkeit rechnen, auch entbehrlich.

Eine der Hanptsinfonien Dittersdorfs aus der im Jahre 1787 erschienenen Sammlang ist unlängst in Partitur und Stimmen neugedruckt worden*) und könnte berechtigte Veranlassung bieten, Dittersdorf und zwar nidit bloß aus historischem Interesse wieder in unsre Orchesterkonzerie einzuführen.

Sie hat das große Orchester der Vor-Beethovenschen Sinfonie, nämlich 2 Oboen, 2 Fagotte, 2 Homer, 2 Trom- peten, Pauken und den fünfstimmigen Streicherchor. Da- zu aber ohne daß es besonders angegeben ist Cembalo, ein. Beweis, daß die Haydnsche 'Praxis nicht mit einem Male und unabänderlich durchdrang**). Auf dem Titelblatt nennt sich der Komponist Carlo di Ditters- dorf. Das ist mehr als eine bloße Äußerlichkeit, denn die Musik mischt zu den Haydnschen und Mozartschen Elementen drittens noch italienische. Namentlich der erste Satz hat die Lärm-, Prunk- und Festmotive der alten italienischen Sinfonie.

Mit einem ^ugro* »«Ito. ^^ I)as klingt sehr ent- solchen setzt rji j, ^ f f i f schlössen und kräf- das Haupt- {rfi i} B B B I £ ~ tig, die Fortsetzung thema ein: i f r T schlägt aber einen

zögernden Ton an:

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ij^iji^'>JiVjLJ>i/ii^

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Sie hat die Mozartsche Kantabi- lität und das Thema als Ganzes ist der Ausdruck einer noch un- geklärten Stimmung. Es ruft uns das Bild eines Menschen

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*) Bei Breitkopf & Hirtel, Leipzig.

**) Unentbehrlich Ist das Oembalo nur im 2. Satz der Sin- fonie, in der Breitkopftchen Neoausgabe übernehmen die Streich- instramente seine Partie mit.

Krai^Behmar, Fftkrar. I, 1. 17

^

268

vor die Phantasie, der vor einem schweren Entschluß, vor einer schweren Aufgabe steht, vor einer Lage, die unerwartet gekommen ist und deshalb verwirrend wirkt. Aus dem Sinnen wird mit dem zweiten Thema dumpfes Brüten.

Violine.

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Doch schließt die Themengruppe in Jubel:

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und zuletzt noch mit Tönen stillen Glücks.

Die Durchführung knüpft an das eben vorgeführte Episodenthema an, die Stimmung wird wieder trüb und mehr und mehr kleinlaut, Pausen unterbrechen die Dar- stellung fortwährend. Dann folgt als zweiter ein kräf- tigerer Abschnitt innern Kämpfens und Ringens, der un- verwertet mit dem Eintritt des zweiten Themas endet. Es verliert sich bald in Schlummer und Träumen. Wir hOren zuletzt nur immer leisere Sextakkorde, Pausen da- zwischen. Endlich kommt einer mit langer Fermate auf G h d f. In diesem Augenblick setzt mit CU>erra8chender Wirkung der dritte Teil, die Reprise ein. Wir treten an sie, des guten Endes gewiß, heran, und sie verläuft in aller Regelmäßigkeit.

Der zweite Satz, ein Larghetto, besteht aus Thema, drei Variationen darüber und Coda. Das Thema selbst, ein dreiteiliges Lied, von dem der erste Teil folgender- maßen lautet:

259

Larf^bett«.

J^[^iJ^ttrir7-'Ei&ir7^figfiü "i

zeigt uns Dittersdorf von seiner bekanntesten Seite, als einen Haaptvertreter jener Poesie der Beschaulichkeit, der Zufriedenheit, der Zierlichkeit und Artigkeit, die, als eine letzte Verdünnung der Renaissance übrig geblieben, von der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts ab die deutseben Liedersammlungen und Singstuben beherrschte und bald dann in Gestalt der bürgerlichen Oper nach jhrem Aus- gangspunkt, der Bühne, und zwar auch der italienischen und französischen zurückkehrte. Den Ansatz mit dem Doppelschlag liebt Dittersdorf außerordentlich; aber kaum wird er dieser Lieblingswendung in einer zweiten Kom- position so viel Raum zugestanden haben wie hier. In den 89 Takten, aus denen ohne Wiederholungen das Larghetto besteht, fehlt sie nur vlerundzwangzig mal. Etwas Monotonie, liebenswürdige Einförmigkeit gehört zum Charakter einer Idylle, wie sie dieser Satz im Ge- samtbau der Sinfonie bilden soll: eine Szene der unge- trübtesten Anmut, schmiegsamster Zärtlichkeit nach der gelinden Erregung des Hauptsatzes. Die Methode, in der die Variationen gearbeitet sind, ist die einfache der Vor- Haydnschen Zeit. In der ersten begleiten zweite Violinen

und Bratschen das Thema mit einem Triolenmotiv, in der zweiten lösen es die ersten Viohnen oder besser eine Sologeige in ein perpetuum mobile in Zweiunddreißigsteln auf, in der dritten treten die Bläser mit reichen langen Klängen hinzu und die Bässe bhb t^am

versuchen mit der Melodiestim- [ ^ ^^J ^^s j 1 me einen rhythmischen Dialog

In der kurzen Coda verklingt das merkwürdige Stück auf einer fremden, entlegnen Gdur-Harmonie, an die sich unmittelbar der Menuett anschließt. Er ist dadurch eigen, daß er uns in kurzen und in neuen, zusammen-

17*

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260 ^-

gedrängten Formen noch einmal das Wesentliche des ersten Satzes der Sinfonie vorfdhrt. Wir haben da das

kräftig entschlos- j j J i J ^^^ ^^ ^^^® ^^^ ^^^* sene Aufbrechen ^ ^ W 1 w ^^^^ ^^^ ^^ Jubels

j. ± ± ^, tt ^ A«. ji &11B dem ersten

i r.r 1 [1 r I Ur Ff l r Xeü wörtlich vor ^ uns. Der zweite

Teil streift die Momente des Bangens. Das Trio ist als 2. Menuett bezeichnet, eine reine Äußerlichkeit Das Stflck bildet zum ersten Menuett weniger . einen Gegensatz als eine Ergänzung, bringt zum Äußeren das Innere. Dort eine Freudenszene vor der Öffentlichkeit, hier die dank- bare und friedensfrohe Seele mit sich allein im stillen Käm- merlein: , viermal hin-

das schö- .m i'-T-J J J ) I Jill I I 1 tereinander ne Thema*^ ~— i-~ " J ' J ^'J ^ ^ mj^j immer

leiser, so schließt der Satz. Er klingt ausgezeichnet Den Hauptteil kennzeichnen die tiefen Saiten der Geigen, den Mittelsatz ein mit Lerchenklang und Naturton fesselndes Oboensolo. Es kehrt nach Wiederholung des ersten Me- nuetts als Coda wieder, mit einem Halbschluß bricht der Satz ab, und unmittelbar darauf setzt das Finale ein: Erst mit

PnMlflslmo

Dann

Drittens:

Diese Themen kommen einzeln hintereinander, mit dem 14. Takte aber stehen wir, wie im Finale von Mozarts Jnpitersinfonie, in einer Tripelfuge. Alle Geister der Neckerei und Heiterkeit, feine und derbe, phantastische und prosaische wirken zusammen. Aus einer Durch- föhrung stürmen die Earnevalsgedanken in die nächste, in die dritte und vierte, als endlich ein Orgelpunkt auf G eine bedeutende Wendung, vielleicht ein Ende des Treibens ankündet: Sie kommt zunächst mit einem gro- tesken Unisono, in dem alle Instrumente, Hörner und Trompeten ausgenommen, auf dem ersten Thema for- tissimo vorübersausen. Als der vierte Takt vorbei und Gdur erreicht ist, fallen die Pauken ein: Halbschluß, Generalpause mit Fermate und Wiederholung des Menuetts. Genau also die Wendung, die das Finale von Beethovens GmoU-Sinfonie hat. Dieser Einfall Dittersdorfs hat an seiner Stelle die Bedeutung eines würdigeren Schlusses anstatt des tollen, der von der Tripelfuge zu erwarten wäre, und zugleich auch den der Rückkehr in die Stimmungssphäre des Hauptsatzes der Sinfonie, also den einer wohltuenden Abrundung. Deshalb kommen beide Menuetts, nur ohne Wieder- holungen, noch einmal vollständig, und die Sinfonie schließt auch mit einigen tumultuarischen Takten im Rhythmus des Menuetts.

Bei näherer Prüfung ergibt sich für Dittersdorf ein Obergewicht des Mozartschen Einflusses. Auf ^ie Wiener Schule im ganzen dagegen übte naturgemäß Haydn die stärkere Anziehung aus. Ihre Sinfonien vertreten den heiteren Charakter der Musik. In ihrem Rhythmus und in ihrem Figurenwerk herrscht ein rascher, feuriger Geist, die Melodien sind in der Mehrzahl flott und munter und geben dem Frohsinn und der Lebenslust einen naiven und herzlichen Ausdruck. Es lebt in der Wiener Schule ein Bt^ker volkstümlicher Zug. Ein gewisser Lokaldialekt

klingt durch, der- Allegro. «_._____ ^^^

selbe, in welchem ^rirlffrf f \^f T f-fnF^ Mozart Haydn z. B, in C U ' ' L-l ' ' ' :. ' i ä __ ^^

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zuweilen ebenfalls sprecheni und der noch heute unver- fälscht in der östreichischen Armeemusik fortlebt

. Diese Stammeseigenschaften führten die Mehrzahl der östreichischen Sinfoniker zunächst auf die Seite Haydns. eyrdweti. Die hervorragendsten unter ihnen: Gyrowetz, Rosetti, Bofttu Pleyel, Wranitzky, Hoffmeister hat Riehl in Wranu/kr. ^^^^^^ Kapitel über »Die göttlichen Philister« geschildert Hoffmeitter! Ihnen wären vielleicht noch Neubauer, van Swieten, F. Krommer. jedenfalls aber Franz Krommer und Vanhall anzu- VMhaii. reihen. Vanhall war der besondere Liebling Norddeutsch- lands, Krommer drang, durch die unglaubliche Popularität und Verbreitung seiner Quartette und Quintette mitge- tragen, auch als Sinfoniker weiter und hielt sich länger als die genannten Schulgenossen. Seine Sinfonien sind denen Haydns im allgemeinen sehr ähnlich, aber von einer niedrigen Bildungsstufe aus entworfen und durch- geführt Die Form hat große Mängel, die Gedanken ver- raten die derbe Atmosphäre der Zauberoper. Ältere Musikfreunde haben mit dem Ton dieses Kreises viel- leicht noch durch die Diabellischen Klaviersonaten un- erfreuliche Bekanntschaft gemacht Nur Pleyel und Gyrowetz stehen dem Vorbild auch geistig näher, die anderen haben von dem Haydnschen Erbe, vom Geist der Zeit geleitet, nur den epikureischen Teil an sich ge- nommen: die lustige Thematik seiner Londoner Zeit An ■einer Kunst des Auslegens gingen sie vorbei.

Nach dem Anteil, den französischer Geist am Wesen von Haydns Sinfonien hat, war zu erwarten, daß sich in Frankreich eine bedeutende Gefolgschaft dieses Ton- setzers gebildet hätte. Doch fehlte es hierzu an wesent- lichen Bedingungen: an Konzertinstituten und Sinfonie- komponisten. Mit dem Reichtum musikalischer Kollegien und »wöchentlicher Konzerte«, dessen sich Deutschland erfreute, konnte sich Frankreich nicht messen, und die Institute dieser Art. die sich in Paris und den Provinz- hauptstädten aufgetan hatten, konnten den Vorteilen

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«

gegenüber, die eine erfolgreiche Oper einbrachte, nichts bieten. Diese an und fdr sich ungünstige Lage wurde durch Haydn noch verschlimmert. Denn so sagt ein Artikel des Moniteur im Jahre 1808*} nachdem Haydns Sinfonien die erste Schwierigkeit der Einführung über- wunden hatten, konnte sie bald jedermann auswendig und wollte keine anderen h^ren. Beklagenswerter Weise ist hierüber auch Fr. J. Gosse c um die Anerkennung f. J.Ooiiee. gekommen, die ihm die Musikgeschichte Frankreichs schuldig ist. Er war der erste Tonsetzer von Bedeutung, der sich der neuen Gattung der Konzertsinfonie nach- haltig und mit voller Hingabe widmete. Schon als Zwanzigjähriger trat er mit Sinfonien hervor, die in italienischer Folge dreisätzig und vielleicht die ersten überjiaupt sind, in denen Klarinetten vorkommen. Denn damals, Anfang der fünfziger Jahre, hatte sie außer Rameau und J. Stamitz wohl noch niemand ins Or- chester gebracht; Haydn ließ sich damit fast noch vierzig Jahre lang Zeit. Das allen Franzosen gemein- same Klangtalent ist bei ihm überhaupt noch besonders hervorragend entwickelt Deshalb waren seine konzer- tierenden Sinfonien auch seine angesehensten. Doch auch durch einen stark nationalen Zug von Eleganz und Anmut fesseln seine Werke. So war er in den sieb- ziger Jahren der unbestrittene Herrscher in den von ihm gegründeten Concerts des amateurs sowohl wie in den Goncerts spii ituels. Da kam Haydn und verdunkelte auch Gossec dermaßen, daß das Ausland von ihm überhaupt keine Notiz nahm.

Die wenigen französischen Musiker, die in der Periode der Wiener Klassiker Sinfonien schrieben, schlössen sich Haydn an. Unter ihnen ist Cherubini zu nennen mit l. Chernblui, einer Ddnr- Sinfonie, die auch nach Deutschland kam, aber ^ dur« Sinfonie, bald vor den viel freieren und bedeutenderen Ouvertüren ihres Verfassers verschwand. Obwohl Haydn selbst Gheru-

*) Abgedruckt in A. Pougins M^hul-Biographie (Paris 1889), S. 301.

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bini als »seinen musikalischen Sohn< bezeichnet hat*), sind in diesem Werke, mit Ausnahme des Larghetto can- tabile, die eigentlichen Haydnschen Künste nicht zu vollem Recht gekommen. Die Sinfonie ist wieder wie fast jede Orchesterkomposition Gherubinis ein Muster des Klangs und auch in der Satztechnik anziehend und be- lehrend, unter anderm durch schöne Kanons. Ihr poetisch bedeutendstes und eigentfimlichstes Stück ist die träume- rische Einleitung zum ersten Satz. Der Anfang:

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gibt einen Begriff von ihrem Charakter. Daß Cherubini im darauffolgenden Allegro das zweite Thema in vor- haydnischer Art in der Molldominante bringt, hat einen tieferen Grund, die Absicht, die Gegensätze zu schärfen. Sie ist in sämtlichen Sätzen festgehalten, immer wieder wechselt eine wilde Stimmung mit einer gebrochnen. Am stärksten kommt der Pessimismus im Menuett zum Aus- druck, wo dem zögernden, suchenden, unentschlossnen Ton des Hauptsatzes mit den vielen leeren Quinten, ein ganz finsteres, abgerissen klingendes Trio entgentritt Die Sinfonie hat trotz Cherubinis großen Namen nicht viele Freunde gefunden, das Leipziger Gewandhaus hat sie, trotz seines starken Sinfonieverbrauchs, nur ein einziges Mal gebracht, aber ein eignes, kennenswertes Werk ist B«M6]iil. sie dennoch. AuchM^huls Sinfonien gehören ganz zur Haydnschen Schule; man kann Möhul den interessan- testen und selbständigsten Schüler Haydns nennen. Er folgt ihm, ohne sein Vorbild in der Virtuosität der thema- tischen Arbeit, der Beweglichkeit der Gedanken ganz zu erreichen, in der Methode; das übrige bestreitet er aus eignem Vermögen. Die ganze JluffassuDg von Zweck und Wesen der Sinfonie ist bei Möhul etwas andres als bei Haydn und den Deutschen: Man merkt zuweilen, daß seine Kunst sich an ein großes Volk richten will, von

*) Grietinger, S. 104.

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einem großen Volke kommt: es ist ihr Pathos und Stolz eingemischt und anch eine Dosis Glanz und Kraft, die mehr an Glnck und Händel als an Haydn erinnert. Anmut und Eleganz geben sich etwas zugespitzt, so wie das die Franzosen von Ramean ab und in ihrer Volks- musik von jeher gern gehabt haben. Von den vier Sin* Hihii, fonien M^huls, die sich nachweisen lassen, sind nur die Sinfonie, Gmoii in Gmoll und die in Ddur nach Deutschland gekommen. Die erstere, in der der Menuett wegen des Pizzicato des Hauptsatzes besonders wirkte, kehrt bis in die sechziger Jahre, wenn auch nicht häufig, wieder. Mendelssohn, der durch historischen Sinn alle nachgekommnen Dirigenten unvergleichbar überragte, suchte sie in Leipzig im Jahre 1838 wieder aus dem Archiv hervor: Schumann, von dem man bei dieser Gelegenheit ein besondres Wort erwarten durfte, mengte sie absichtlich oder versehentlich? ~~ unter die Werke »bekannter Meistere*). Bei ihrer ersten Auff&hrung im Jahre 1810 hatte sie ein Meßfremder in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung**) als eine Sin- fonie in >J. Haydns Weise, frei ins Französische über- setzt« bezeichnet. Nach diesem richtigen Anfang fährt der Verfasser fort: »So gut das gelingen kann, war es M6hul wirklich gelungen. Der melodische Teil war un- streitig der schwächste: der harmonische aber auch nicht selten grell und gesucht: Die Arbeit übrigens sorgsam und mit Streben nach Gründlichkeit; die Instrumen- tierung sehr gut und effektvoll.« Von der dreifachen Be- fangenheit, die dieses Urteil trübt, kommt ein Teil auf die musikalisch mechanische Richtung des Schreibers, die beiden andren Teile muß man der Zeit Napoleons und Beethovens zu Gute halten. Die Gmoll-Sinfonie vergleicht Schumann mit Beethovens Fünfter***), auch Fink lobt ihr Feuer und ihre Klarheit f). Die Gegenwart

*) Neue Zeitschrift für MasU, 8. Bd., S. 107. **) Allg. Mnsik. Zeitmig, 12. Jahrgang, S. 561.

) Ges. Schriften (Reclam) II, 169. f ) AUg. Musik. Zeitung, 40. Jahrgang, S. 287.

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ist in der Lage, M^uls Sinfonien ohne Eingenommenheit zu würdigen; gibt man ihr dazu Gelegenheit, wird sie ihn lieb gewinnen: mehr noch als in der.Gmoll-Sinfonie in der in Ddnr.

Die Italiener, auf eine Herrschaft der Instrumental- musik noch weniger vorbereitet als die Franzosen, streichen allmählich die Pflege der Sinfonie so gut wie ganz aus ihrem musikalischen Pensum. Unter den Gründen, mit denen sie diesen schweren Fehler zu beschönigen suchten, hat der bis auf den heutigen Tag immer wiederholte Vor- wurf, daß die deutsche Musik gelehrt und wissenschaft- lich geworden sei, daß sie sich zu sehr an den Verstand wende, Gemüt und Phantasie vernachlässige, deshalb für uns Interesse, weil etwas Wahres an diesem Vor- wurf ist Mozart, G. M. von Weber haben in ihren Sin- fonien, Beethoven hat mit seinen letzten Quartetten gezeigt, daß es neben der Haydnschen Methode, in der' sich Geist und Witz am besten entfalten können, andere gibt, die Erfindung, Phantasie, Inspiration zu einem größern Recht kommen lassen. Die Bevorzugung des Haydnschen Stils hat uns eine große Menge pedantisch langweiliger In- strumentalkompositipnen eingebracht und der spätem Entwicklung der Sinfonie geschadet. Die wenigen italie- nischen Komponisten, die von jetzt ab noch Sinfonien versuchten, schlössen sich jedoch ebenfalls Haydn an. I.. Boeeherlnt. Unter ihnen ist L. Boccberini für lange Zeit der einzige, der in Deutschland und wohl auch in Frankreich Be- achtung gefunden hat. Wenigstens sind in Paris um 1799 zwei seiner Sinfonien (in Stimmendrucken) veröffent- licht worden. Beide haben vier Sätze, den Menuett als dritten. Die erste (in D) kommt im Finale auf das erste Allegro zurück und erreicht dadurch eine Einheit und Abrundung, die dem Durchschnitt der Sinfonien jener Zeit nicht eigen ist. Die zweite (in C) gehört zur Gattung der konzertierenden Sinfonien, sie verwendet das alte Corellische und Händeische Konzertino: 2 Solo- violinen und Solocello. Letzteres tritt im Andante sehr schön hervor.

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Unter den Sinfonikern, welche zuerst auf Mozarts Seite traten, gebührt der Altersvorrang Michael Haydn, Mich AeiiUjdii. dem Salzburger Bruder von Joseph Haydn. Von den 52 Sinfonien, die von ihm nachweisbar sind, sind zu Lebzeiten des Komponisten nur drei in Stimmdrucken erschienen (1793 Wien); zwei davon, eine Cdnr-Sinfonie und eine in Es, liegen aber seit kurzem in den öst- reichischen Denkmälern*) vor,, eine dritte, ebenfalls in C, hat 0. Schmid herausgegeben**). Die Musik würde jedem Jüngling Ehre machen; sie hat. Frische, Freudig- keit, Kraft, alle Merkmale eines jugendlichen gesunden Geistes und zeigt dabei in jeder Wendung der Form die Sicherheit und Klarheit des reifen Meisters, jene Mozart* sehe Abgeklärtheit, die auch in Vokalwerken des Salz- burger Haydn so wohltuend berührt.

Die Schmidsche Cdur-Sinfonie fängt mit denselben Noten wie Mozarts Linzer Cdur-Sinfonie, aber sogleich im andren Charakter an. Noch ehe der zweite Takt schließt, ist von Kantabilität keine Rede mehr, das Herz, aus dem diese Töne kommen, ist voll lauter Sonnenschein:

AUefTO ipirltttotfo. VloUnen.

ganz besonderes Wohlgefallen hat der Komponist an der aufschlagenden Sext des letzten Taktes gehabt. Wer noch nicht klar darüber ist, mit wem er es zu tun hat, dem müssen alle Zweifel schwinden, wenn (mit dem 15. Takt) die Ergänzung des ersten Themas kommt:

Miixrjftff'^j^

*) XIV, 2. . **) Leipzig, Breitkopf ft HirteL

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Das ist Musik vom Geblüt des Don Giovanni und des Grafen im >Figaro€. Der ritterliche, junge, ins Leben stürmende, stolze Mozart ist es, an den sich wie die Mehr- zahl der Wiener Mozartschüler auch Michael Haydn an- schließt. Zweites Thema und Übergangspartien bieten geringres Interesse, in letztren macht sich eine gewisse Umständlichkeit bemerkbar. Sonst hat der Satz den großen Vorzug yöUendeter Natürlichkeit und Schlicht- heit. Die Durchführung verarbeitet das 1. Motiv des Nachsatzes vom Hauptthema, das erst in Nachahmubgen zwischen Violinen und Bässen, dann in letztren allein erscheint. Gefühl der Kraft äußert sich in kunstvollen Formen. Das Hauptfeld seiner kontrapunktischen Meister- schaft verlegte Haydn in das Finale, bei dem wir wie in Mozarts Jupitersinfonie, in Dittersdorfs gleichaltriger G dur- Sinfonie wieder vor einer Tripelfuge stehen. Haydns Priorität ist unbestreitbar. Das erste Thema:

Vlvaco amai.

ijliiin'iiirir !■ lf^llJ^l^lff^^

dem 16 Takte spannende Einleitung vorangehen, nimmt mit seinen Durchführungen den ersten Abschnitt (bis zum 67. Takt) allein ein und führt uns ein Stimmungs- bild vor, in dem leises ahnungsvolles Behagen sich bis zu lauter Fröhlichkeit steigert Da setzt auf dem Höhe- punkt (Halbschluß in O) eine neue beweglichere Freuden- wöise ein, ^ f r rJj f s _ _ . oder viel-

das zwei- jR f l^-U \Jl=i=t:^=i=f=: mehr sein te Thema: *^ y Vorläufer.

Denn der kurze Gedanke wird zunächst mehr versuchs- weise begleitend in den ersten und zweiten Violinen pro- biert, das Kommando bleibt beim ersten Thema. Neue Durchführungen, Engführungen, Zwischensätze aus Um- bildungen dieses ersten Themas oder ganz frei gestaltet, bilden den Inhalt des zweiten Abschnitts des Finale (bis zum Takt 162), der dem Ausruhen und Genießen gewid-

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met ist Seine schönsten, lauschigsten Stellen sind die ans den Umbildungen des Themas gewonnenen:

K f ' I M f ' f r r r r r '

und namentlich die

heimlich humoristische "^^ ff ^ ^ geben.

wo die Bässe viennal iS^ v

Am Ende des Abschnitts wird ans Weitergehen ge- mahnt: Ein neues, fortdrängendes Thema:

läßt ^ich vernehmen. Der dritte Abschnitt beginnt. In ihm zeigt sich das zweite Thema in seiner vollen Gestalt, nämlich:

f f rffrnrajLuj ii 1 1 i^i ir

das neue dritte ist hierbei sofort wie ein Nachsatz ver- wendet. Zunächst ziehen nun die beiden Hälften dieses kombinierten Themas Arm in Arm durch die Instrumente, dann hat der Nachsatz (oder das dritte Thema) allein die Satzbildung zu bestreiten. Die Stimmung, die sich in dem Abschnitte ausspricht, ist im Verhältnis zum Vorher- gehenden die einer größeren Erregung. Als er zum Schluß (Takt 202) ausholt, sehen wir mit ungeduldiger Erwartung nach der Fortsetzung aus. Sie tritt als Repetition des ersten Abschnittes vor uns hin. Aber es ist keine wört- liche, gewohnheitsmäßige, sondern eine Wiederholung mit den stattlichsten Varianten. Wir sind noch gar nicht weit in dem neuen Abschnitt vorgedrungen, da bringt Haydn zum ersten Male alle 3 Themen miteinander. So hat die Anlage seines Finale Ähnlichkeit mit einem Spaziergang, der uns immer höher hinauf, von einem schönen Aussichtspunkt zum andern fährt; der letzte ver- einigt die einzelnen Augenweiden zu einem mächtigen

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Gesamtbild. Es ist in dem Finale dieser Sinfonie mit- hin gehaltvoller Plan und meisterliche Formbeherrschong nicht verkennen. Doch geht ihm die Fälle von sinnigen Details, die der mächtigen Persönlichkeit entsprießen, es geht ihr auch der gewaltige Zug ab. Es ist zu lang und zu reich an Formalismen, an Wendungen, die von Größren geborgt sind. Man wolle diese Schwäche nicht der Zeit, sondern nur der Individualität ihres Schöpfers zur Last legen und ihrer niederdrückenden Wirkung bei etwaigen Auftührungen durch gehörige Striche vorbeugen. Einen Menuett hat die Sinfonie nicht; sie ist dreisätzig, wie es die italienischen Sinfonien waren. Der hier noch zu er- wähnende Satz, der langsame, an der zweiten Stelle im Werke enthalten, ist aber der eigenste in der ganzen Komposition. Er hat die hier ungewöhnliche Form des Rondo. Der Hauptsatz, der dreimal vorClberzieht, ist ge- mütlich beschaulicher Natur, fast in Dittersdorfscher ktt Außerordentlich schön und lebendig sind aber die Zwischensätze. Beim zweiten namentlich wills einen an- muten, als wenn die Flut des großen Weltenlaufs in ein stilles Gebirgsdorf hineinwogt. Im ersten ist eine Stelle, die sich klanglich sehr hervortut: Hörner, Trompeten und Pauken allein.

Die beiden in den östreichischen Denkmälern ver- öffentlichten, gleichfalls menuettlosen Sinfonien Michael Haydns ergeben ein ähnliches Bild, wie die hier be- schriebene Cdur- Sinfonie, das Bild eines Mozartianers mit dem doppelten Einschlag derberer Lebenslust und ge- lehrter Neigungen.

Auch der für die Klavierstudien unsrer Jugend noch X. cipmentl. heute sehr wichtige M uz io Clementi gehört unter die- jenigen hervorragenden Nebenmänner der Wiener Klas- siker, die sich an Mozart anreihen und zwar an den feu- rigen, nicht an den Sänger der Schwermut und des Welt- schmerzes. Die fatale thematische Abhängigkeit von seinem Vorbild, die schon in Klavierkompositionen Glementis vom Plagiat schwer zu unterscheiden ist, tritt uns aber auch in den Sinfonien wieder entgegen. Die in B dur z. B. fängt an

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Aiiegro agsai. _ _ _ Nun vergleiche

man damit das Presto der Mo-" zartschen Salzburger B dar-Sinfonie von 1778! Zu diesem ersten Verdruß tritt ein zweiter noch stärkrer über die Affektiertheit Giemen tis. Was einen so sicheren und in sich abgeschlossenen Künstler bewogen haben kann, den natürlichen Gang seiner Modulationen fortwährend durch fremde Harmonieeinschübe und gewaltsame Quersprünge zu unterbrechen wenn es nicht das Bestreben war, sich neben den großen Meistern als ein noch größeres Ori- ginal zu zeigen , läßt sich schwer begreifen. Wie sie infolge dieser Gebrechen zu ihrer Entstehungszeit nicht fest einzuwurzeln vermochten , so ists auch aussichtslos, mit den Clementischen Sinfonien, obwohl sie durch das allgemeine Können ihres Verfassers ziemlich hoch stehen, heute Wiederbelebungsversuche anzustellen. Ehrlich währt am längsten gilt auch für die Komponisten!

Weitere Mozartianer unter den Sin fonikern der Wiener Schule sind: St.erkel, Witt, Wölfl, Wilms. Das sterkel, Wut, Ostreichische vertritt unter ihnen am ausgeprägtesten ^^^*^» Wlims. Wölfl, Mozarts Salzburger Landsmann: anmutig, gemüt- lich, zuweilen intim; auf der Kehrseite nachlässig und unselbständig. Bei Sterkel tritt noch der italienische Bil- dungsgang in Melodien und Formen hervor. Diesem Um- stand verdankt er den Triumph, einmal Beethoven ge- schlagen zu haben. Das war bei einer Konkurrenz um die Komposition von >In questa tomba oscura«. Sterkel erhielt den Preis; Beethovens Musik wurde als »neu- deutsche abgelehnt Deshalb braucht man sich aber Sterkel noch nicht gleich als eine Null zu denken; dem wider- sprechen seine Lieder. Witt ist ein kleiner Berlioz, ausge- zeichnet durch Experimente und Künste der Instrumen- tierung: ganze Adagios mit Pizzicato, in den Allegros: große Trommel und türkische Musik! Wilms überragt die Genossen durch seine leidenschaftlichere Natur, welche sich musikalisch in großen, kühnen Crescendos und breiten Zwischensätzen äußert. Der bedeutendste Wiener aus

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A«Ki>eri. der Blfitezeit der Klassiker ist Anton Eberl. Ihn nannte man unter den Größen der Gattung und verglich ihn mit Beethoven, mit dem er die Gewohnheit teilte, auf Spazier- gängen zu komponieren. Eberls thematische Erfindung ist wenig originell, vielfach auf Mozart direkt gestfltzt, die Figurenbildnng altvaterisch und schablonenhaft. Aber in seiner Harmonik, in der Steigerung des A^Lsdrucks, im gewaltigen Aufbau der Perioden, in den zarten Einschal- tungen der Schlußteile, in der ganzen Handhabung der Form lebt ein eigenes und starkes poetisches Talent Eberl starb jung; sein Ruhm als Sinfoniker ruht nur auf wenigen Werken, von denen die Sinfonie in Ddur ihren Schöpfer lange überdauerte, auch draußen >im Reich«. In ihrer dreisAtzigen Form, in dem Violinsolo des Adagio hängt sie noch mit der alten Vor-Haydnschen Periode zusammen ; originell ist sie in der Disposition des ersten Satzes, welcher zwischen der langsamen Einleitung und dem eigentlichen AUegro in anziehenden Nuancen . einen sehr hübschen Marsch vorüberführt:

^ AUegro moderato. ^ , ^^^

Er zeigt vor dem Eintritt in den Kampf, daß Hülfe naht. Das liebenswürdige Adagio weist in seinem Hauptthema

«Adagio.

mit den schmachtenden Vorhalten auf die Zeit Naumanns zurück und voraus auf die Bellinische. Dieser weichliche Schmerz rührt uns, weil er erlebt ist, der männlichen Sprache der Klassiker war er aber fremd. So bietet dieses Beispiel und ebenso das vorhergehende eine Ergänzung zu dem Ideenkreis der drei Hauptmeister. Sie zeigen uns

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die Stellen der Wiener Schale, von denen Männer wie Franz Lachner nnd Lonis Spobr ihren Ausgang nahmen. Wenn das Wiener Pablikom seiner Zeit der Eberischen Bsdnr-Sinfonie den Vorzng gab vor Beethovens Broica, so schenkte es wenigstens seine Gunst keinem gewöhn- lichen und unbedeutenden Werke. Es ist eine mit allen Vorzügen des Komponisten ausgeführte sehr, leidenschaft- liche Komposition; selbst in dem Menuett grollt es noch heftig, erst das zweite Trio bringt Ruhe in die Stimmung. Der langsame Satz hat mit dem Trauermarsch der Eroica in der Verteilung auf eine Cmoll- und eine Gdurhälfte und in den kriegerischen Triolen einige zufällige Äußer- lichkeiten gemeinsam.

Der geistige Einfluß Beethovens läßt in der Wiener Schule sehr lange auf sich warten. Nur Wilms und Eberl zeigen unter den Genannten leise Beziehungen zu ihm. S. Neukomm, ein direkter Schüler J. Haydns, in 8.V6«keMM* den Konzertsälen Deutschlands bis in die dreißiger Jahre hinein eine gern gesehene Erscheinung namentlich seine Orchesterphantasie in D, eine zweisätzige Kompo- sition, in der das konzertierende Element viel zur Gel- tung kommt, war sehr beliebt , schrieb noch im Jahre 1818 eine Sinfonia eroica. In ihren Schlußsatz ist Händeis »Seht er kommt etc.« eingearbeitet. Als endlich Beet- hoven von den Wienern eifriger studiert wurde, wirkten zunächst die Äußerlichkeiten des großen Vorbildes. So wurden von Wien aus, dann weit und breit, die Posaunen in den Sinfonien endemisch. Die Dotzauer, Reicha, Maurer, Moralt allerlei Talente, voran die kleinen, (Riffen zu den großen Instrumenten. Als typisch für die j

einreißende Tonverschwendung können die Sinfonien von I

C. Gzerny betrachtet werden. Diese beiden platt be- C^Cieraf. |

haglichen, lärmenden Werke tragen die Opusziüilen 750 *

und 7811 Aus dem großen Zitaten verrat der ersten (in >

Cmoll) ist eine Reminiszenz von Schuberts »Erlkönig« kunstgeschichtlich bemerkenswert! Ein anderer direkter ;|

Schüler Beethovens, der bekannte Ferdinand Ries, f.eIm* kopiert stilistische Eigentümlichkeiten des Meisters, be- '

Kreistehmar, Ffihrer. I, 1 lg

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sonders seine Überraschungseffekte, and vermischt sie mit Rossinischen Scherzen: Plötzliche Unterbrechungen der Fortepartien die Geigen schaukeln Takte lang auf leisen Akkordnoten, italienisches Guitarrenorchester , dann eine unvermutete starke Dissonanz, aus der sich aber nichts Beethovensches entwickelt: >Parturiunt ipon- tes etc.l€ Trotzdem feierte die Kritik in den zwanziger Jahren Ries als > geistreichen Komponisten. Selbst Schumann fand seine Eigentümlichkeit >nur durch die Beethovensche verdunkeltt *).

Der erste Tonsetzer, welcher, obwohl er auf einem wesentlich realistischen Bildungsboden steht, im höheren Sinne als Beethovens Schüler bezeichnet werden kann, und welcher zugleich die Wiener Schule und ihren Lokal- ton als einer der Letzten und als der Glänzendste ver-

F. Schubert, tritt, ist Franz Schubert. Wiener und östreicher ist er in der Erfindung und Phantasie bis zu einem Grad, daß seine Kompositionen an die Wiener Landschaft, an Ländlerton und an Czardasklang erinnern, Beethovenianer in der breiten, zuweilen maßlos breiten Führung der Form.

F. Schubert, Das Hauptwerk unter Franz Sciiuberts Sinfonien ist

C dur-Sinfonie die große Sinfonie in Cdur, welche in der Reihe der (Nr. 7). übrigen die Nummer 7 trägt Sie ist ein Ausnahme- werk: in ihrer kolossalen Anlage, in den unaufhörlichen Wiederholungen ihres Perioden baues, in ihrer »himm- lischen Länget, wie sich R. Schumann euphemistisch ausdrückte, etwas monströs; meisterhaft und genial, wie keine andere seit Beethoven, in der musikalischen Er- findung, in der Stärke des melodischen Stromes, in der Fülle schwärmerischer Weisen, in der Ursprünglichkeit und dem Reichtum origineller Tongedanken, die auf Schritt und Tritt in diesem Werke entgegensprossen: liebenswürdig und unwiderstehlich wie eine heitere, herr^ liehe, großartige Frühlingslandschaft nach der Natur.

*) H. Schamanns GeMmmelte Schriften (Ausgabe Jansen) I, 135.

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ihre^ Phantasie und Stimmung. Alles in allem kann man sie vielleicht die schönste, die musikalisch reichste Sinfonie des 19. Jahrhunderts nennen; sicher hat sie in der Laien weit mehr Freunde als irgendeine andere.

Die Sinfonie beginnt mit einer ausgeftkhrten Einlei- tung, welche die Homer romantisch eröffnen:

Andante. >. * » >

'f "I I' I '■'■fi n'i I iTi I 1 1 [II ij;^- ri i

Die Holzbläser nehmen diese fragende Melodie zunächst auf, die Celli setzen sie fort Dann beginnt eine Durch- führung über die zwei ersten Takte des Themas. Dieser Diskurs, von den Holzbläsern schüchtern und zagend, von dem Gros des Orchesters mit starker Entschiedenheit und einer gewissen robusten Pracht geführt, endigt mit einem Schlußresultat, welches in dem ersten Satze zu großer Be- deutung gelangt. Es ist das freudig zuversichtliche Motiv

das nach Mozartscher, Ditter&- _ _ _ dorfscher, wir können sagen 1^ ' " " " ' " nach Wienerischer und italie- nischer Art der triumphierende Refrain in der Dichtung des ersten Satzes wird. Mit ihm scheint der Berg überstiegen. Ohne Aufenthalt, mit förmlichem Ungestüm geht es über in das Allegro, das wie in den Strahlen der Morgensonne vor uns glitzert und flimmert. Ritterlich stolz die Geigen: ^ An<gro.. vor freudiger Erwartung

P *i. J)j: J>'j. J)J. J)lj -bebend die Holzbläser

X ^ * mit dem m der ersten

Zeit von den Spielern als unausführbar erklärten Rhythmus :

^ , , , i. « s^ bauen die bei-

if rrr"'irrrrrrir f^' Tea« des or-

^'^ j chesters das lange

Thema vor uns stückweise auf. In seiner zweiten Hälfte gibt es einer großen Freude immer kühneren und rau- schenderen Ausdruck:

18*

276 #—

Bcht SchnbertBch ist der Abschluß dieses Bildes und der Obergang ins nächste. Zwei Takte im Decrescendo ge- halten -*- und wir sind ans dem Cdnr und dem Sturme des ToUen Orchesters in Emoll! Das zweite Thema setzt beschaulich und mit jenem kleinen Anflug von Melan- cholie und Sehnsucht ein, der Schubert gleich einen musikalischen Lenau immer begleitet: Die stark be- schäftigten, in dieser Sinfonie fast überbürdeten Holz- bläser tragen es

> r^f'-Q.rTM ** - _'n Erst nach 88 Takten

"T rr Pif^pü p^T I Mi Ai^ *r I gelangt es ans Ende ' ' Jj, y '^ k' ' " i und in die für diese Stelle zu erwartende normale Tonart Gdur. Eigentümlich ist, daß Schubert schon hier eine Durchführung, wenn auch nur eine kleinere, einschaltet. Darin zeigt sich deutlich der Einfluß Beethovens. In dieser Durchführung durchstreift der Komponist einen außerordentlich weiten Ideenkreis. Die Holzbläser und das Streich- [P ä j=a: Orchester bringen mit dem munteren: i^ f IT ^^

naiv fröhliche Klänge ; die ^^ r^ Es ist wie Vo-

Posaunen dicht daneben =fcj» »»^ ^f ' ^^^s gelzwitschem mysteriös schauerliche""^"*^ ' ' und Waldes-

rauschen in einer Stunde, wo die Natur einschläft. Die beiden Motive sind durch kurz zugesetzte Auftakte aus früher aufgestellten Themen gebildet; das erste aus dem zweiten Thema, das Posaunenmotiv aus dem zweiten Takte der Einleitung. Es ist also alles höchst einfach und natürlich zugegangen, und doch stehen wir hier wie vor einer übernatürlichen Wirkung, vor dem ganzen Schubert in seiner fast erschreckenden Größe. Er, der eben noch wie ein Kind mit Kindern spielte, pflegt jetzt geheimen, priesterlichen Verkehr mit der Qeisterwelt. Der gewaltige Eindruck der Stelle läßt sich weit in der modernen Komposition verfolgen, z. B. Schumanns D moU-, Brahms D dur-Sinfonie zeigen die Spuren. Ein ganz eig-

277

ner und neaer Zug an diesem Sinfoniesatze ist die innige Verbindung des Allegro mit der Einleitung. Dies oben unter b) gegebene Refraintbema aus der Einleitung schließt die kleine Durchführung, von welcher hier die Rede ist. Es schließt auch die große, die eigentliche Durchführung, welche nach ihr beginnt etwas düster und in Moll ge« halten , und am Schlüsse des ganzen ersten Satzes steht herrlich und in vollem Glänze die Melodie vor uns, mit welcher die Hörner die Sinfonie begannen. In der großen Durchführung des ersten Sat- / i ^ I i* «'» zes ist eine Kombination des Motivs fr T f f F i T f f mit einem andern aus dem ersten Thema des Allegro

zu bemerken. Nach der Re- prise kommt

eine Coda, welche in gesteigerter Empfindung noch ein- mal auf den fremden- und erwartungsvollen Eingang des Allegro einen Blick wirft.

Das Andante der Sinfonie, ihr zweiter Satz (Amoll, ^/i), besteht aus zwei großen Gruppen. In der ersten trägt alles den Charakter von genial, frei und sicher zusam- mengestellten Impromptus. Das führende Thema ist folgendes:

ji |ii^'

trübten Friedens weist:

Es hat einen Abschluß

f=F== in Dur, der ins Land

des Glücks und unge-

Zu diesem Hauptthema tritt ein zweites, in welchem die Gegensätze des erstem gesteigert und näher anein- ander ge- W g ^ ^ ^ A'^M'tJis «afc«€ $$ rückt er- ITT 11111^1 1111 Kff ■Prrrr-r

scheinen :

^ Violinca

f »tut«!

^^ 278 ♦--

Der zweiten Gruppe ist ein rahigerer Charakter eigen. Ans ihr klingen Töne der frommen Andacht nnd einer erhabnen Feierlichkeit, und an einzelnen Stellen herrschen ein Ernst und eine Resignation, aus denen die Gedanken an das Jenseits zu sprechen scheinen. Wir stehen wie durch Magie vor diesem neuen Bilde. Mit einem jener kleinen Harmoniewnnder, an denen Schubert so reich ist, fahrt er uns von A- nach Fdur. Das Hauptthema dieser zweiten Gruppe ist das folgende :

I.VloL

JV

Es wird sofort, nachdem es aufgestellt ist, in kleinen Sätzchen motivisch entwickelt. Der Wechsel zwischen den zwei Chören des Orchesters, den Bläsern und den Geigern, gibt diesen Sätzchen ihre charakteristische ForuL Von einer besonderen Schönheit ist die Schluß- partie dieser zweiten Gruppe, ihr sanfter wehmütiger Abschiedscharakter, das fast übersinnliche Klangbild, in welchem Schubert hier mit den immer leiser, immer stockender gebrachten Tönen des Homes und des Streich- orchesters das Verschwinden der himmlischen Vision veranschaulicht.

Die beiden Gruppen des Andante werden fiach diesem Momente ein zweites Mal vorübergeführt. Bei dieser Re- Petition besteht eine Hauptveränderuog darin, daß die wilden Elemente des oben mit b) bezeichneten Themas der ersten Gruppe einen breiten Spielraum erhalten. Sie treiben es bis zu einer sehr bedenklichen Spitze. Von ihr aus finden die Celli mit einer rührenden Variante des Thema a) den Obergang nach der zweiten Gruppe, welche diesmal in Adur gehalten ist. Trotz der un- endlich vielen Wiederholungen im kleinen ist die Dis- position des Andante knapp und einfach.

Das Scherzo, der dritte Satz, erscheint bei weitem komplizierter. Namentlich der zweite Teil seines Haupt- satzes übertrifTt in der Menge der hier zusammentreten-

279

den Ideen und in der Länge seiner Ausführung auch die kühnsten Beethovenschen Vorbilder.

Den Anfang des Si^tzes macht ein Wechselspiel zwi- schen Bläserchor und Streichorchester, welchem folgendes Motiv /AiiegTovirace. Die Vio-

Iinen,zu-

zugrun-i de liegt

^m

if erst et- was barsch und burschikos, lenken dann in den zärt- licheren Ton der Blasinstrumente ein und schlagen schmeichelnd eine liebenswürdige Wienerische Tanz- melodie vor

t/r

- /^f f u welche jene mit Achtelgewinden

/ f ' i ' 1^ "1 ^^^* aus dem Hauptthema umkränzen. Der zweite Teil des Hauptsatzes setzt die reizenden Schel- mereien des ersten fort; neu hinzugetragen erscheint ein

kurzer Gedanke von , -f-*"J p>^ .

großer Innigkeit: eini f i f f T iV ^f y i^p^^TTSisa veredelter Ländler^^ I I ' T M ^^

Das bewegte Treiben des Scherzo erhält durch das Trio eine köstliche Unterbrechung. Die Bläser tragen einen langen, gefühlvollen Gesang vor, dessen Hauptteil auf folgender, in ihrer Binfachheit und Wärme echt Wienerischen Melodie ruht:

AUe^o tivace.

Von al- len Sei- ten wird

Das Finale setzt mit einem humoristi- schen Alarmsignal _

folgendermaßen ein** ^ ^ * ' zum Auf-

bruch gerufen, eine große glänzende Menge ist in Be- wegung: ein herrlicher Tag, eine herrliche Landschaft! Aus der zweiten Hälfte des Hauptthemas:

280

■jrF-rirrmif7rM7^7firif irS^

spricht vergnügt, ungeduldig drängend die Freude der Erwartung oder der ErfQUung.

Im zweiten Thema nimmt die frohe Stimmung des Satzes einen beruhigten, festlichen Ausdruck an: es ist, als ob sie nun kämen, die lang Ersehnten im stolzen langen Zug. Ein Siegesfest ließe sich mit dieser herr- lichen, reichen Musik feiern.

f jTT \[T\ \\ I irjil'lLL'l fTi I

An dieser Melodie hat Schubert ein ersichtliches besonderes Wohlgefallen gehabt; namentlich auf den breit daher schlendernden Anfang in halben Noten greift er immer wieder zurdck: Dröhnend und mit mächtigem Nachklang schlagen sie uns aus den Bässen entgegen und fdbren die Gedanken von dem dunkleren Wege, den sie in der Durchführung streiften, wieder in heitere Sphären zurück. Außergewöhnlich frei tritt die Reprise ein: mit dem ersten Thema in Esdur anstatt in der Haupttonart 0, Namentlich das Finale ist derjenige Satz der Sinfonie, an welcher sich das Übermaß breiter Aus- führung, welches dem Werke eigen ist, empfindtich macht. Ohne irgendeinen neuen Zug zu bringen, setzt der Schluß dieses Satzes immer wieder an und wiederholt in immer andern Tonarten die zur Genüge oft vorgetragnen Ge- danken. Es ist dies ein Mangel, der von der Ober-

--♦ 281 ^^

schwäDglichkeit Schuberts, die ans häufig genug seiige Momente bereitet, nicht zu trennen ist. Die Gdur- Sin- fonie bleibt trotzdem eins der reichsten und beliebtesten Kunstwerke. Aber man würde sie wahrscheinlich häu- figer auffflhren, wenn sie kfirzer wäre.

Schubert schrieb diese Sinfonie im Jahre 1828, wenige Monate vor seinem Tode; aber erst 10 Jahre später wurde sie der Öffentlichkeit bekannt und zwar auf Schumanns Veranlassung*). Eine noch viel längere Wartezeit haben die Übrigen Sinfonien Schuberts durchmachen müssen. Brst im Jahre 1866 kamen die beiden Sätze zur Auf- führung, welche von der HmoU- Sinfonie vorhanden F. S^habert, sind**). Daß das Werk ursprünglich vollendet werden ""»«"Sinfonie sollte, geht daraus hervor, daß die Originalpartitifr noch 9 Takte als Anfang des Scherzo enthält Mit Recht ist aber neuerdings darauf hingewiesen worden***), daß Schubert diese Absicht möglicherweise aufgegeben hat und daß die beiden Sätze eine Fortsetzung nicht ver- langen. Der Entstehungszeit nach dem Jahre 1822 an- gehörend, also 6 Jahre älter als die große Cdur-Sinfonie, ist sie dieser doch an künstlerischer Vollendung überlegen: gedrungen in der Darstellung und frei von den formellen Mängeln der berühmten Schwester. Es ist eine Eigen- heit der künstlerischen Entwicklung Schuberts, daß sie in Sprüngen auf- und abwärts ging. Dem Inhalt nach ist die HmoU -Sinfonie mit der großen in 0 gar nicht zu vergleichen. Hier steht der schwermütige Schubert vor uns und entrollt uns in kurzen und ergreifenden Zügen das Bild einer leidenden Seele. Manche Stellen im ersten Satze weisen direkt auf »Gretchen am Spinnrade c hin,

*) Die Entdeckungsgeschichte hat Schumann zuerst ans- fQhrlich in der Neuen Zeitschr. f. Musik, Bd. XU, 8. 81 mit- geteilt: Yon da ist der Aufsatz in seine »Gesammelten Schriften«* übergegangen,

**) Ober die Aulflndung durch J. Herbeck siehe: Ed. Hans« llck, Aus dem Konzertsaal. Wien 1870, S. 350 ***) W. Dahms: F. Schnbert, 1911.

282

sogleich das erste Thema, in weichem unter dem sehn- flüchtigen Gesang von Klarinette nnd Oboe (unisono)

die Geigen auf träumerisch belebtem SechzehntelmotiT*) hin- und herschaukeln. Das zweite Thema, eine lindler- artige Melodie, setzt dann mit unbeschreiblichem Wohl- klang, aber wie aus fernster Feme in den Cellis ein

pp

Es nimmt die ganze £r- innerung in Beschlag: es ist f&r seine Stelle fast zu schön und macht uns die erschfittemden Gemütsaus- brüche vergessen, welche doch seine Fortsetzung bilden:

Der zweite Satz, Andante con moto (B dur s/g) bringt »himmlischen Balsam« in einfachster Schale. Die Melodie, auf welcher sein Hauptthema im wesent- lichen ruht, ist ein schlichter frommer Kindergesaug:

. And^tejsflLS!«^ Das zweite Thema tritt mit

'/ X H ^' I ^ it-Cr I V iP' ^®° Fragen eines beschwer- fr » ' "jy ' ^ ^ ' * ten Gemüts dagegen hia Sie haben in der harmonischen Führung dieser Partie einen bewunderungswürdigen Ausdruck erhalten. Der ganze Satz ist das glänzendste Dokument für die Tiefe des Schubertschen Geistes, für den erstaunlichen Reich- tum einer Natur, in welcher neben der vollen Naivität des Rindes aus dem Volke auch jene Größe der Empfin- dung wohnte, die Beethovens Teil war.

*) In der Ptrtituraiisgabe lind an dieser Stelle mit be- merkenfwerter Pietit auch einige offenbare Schreibfehler Schu- berts konierylert worden.

288

Seit kurzer Zeit liegen uns in der verdienstvollen Schubert-Ausgabe*) auch die Partituren der übrigen sechs Sinfonien vor, welche Schubert außer den beiden hier geschilderten und in der Praxis eingebürgerten geschrie- ben hat Von einer: der Cdur-Sinfonie Nr. 6, welche in v. SehDk«rt, ihrem ersten Satze Weberschen Einfluß, im letzten Ver- Cdur-Sinfonie wandtschaft mit dem Finale der siebenten zeigt, wissen '* ''

wir das Entstehungajahr nicht genau, wir dürfen es aber nach 1822 setzen. Die andern fünf fallen in die Zeit von 1818 bis 1816, ohne daß sich in der Reihenfolge, in der sie entstanden, eine fortschreitende Entwickelung verfolgen ließe. Dem großen Sinfoniestile Beethovens nähert sich Schubert am meisten in der B dur-Sinfonie F.Sehibert, (Nr. 2) vom Jahre 1814. Hier strebt er dem großen Bdw. Sinfonie Meister in dem breiten Entwurf der Perioden nach; ja (Nr.>). das Hauptthema des ersten Satzes ist direkt aus einem ähnlichen im Finale von Beethovens vierter Sinfonie hervorgegangen. Gleichzeitig zeigt auch diese Sinfonie das Eigene und das Wienerische in Schubert am stärk- sten, vornehmlich •* Andists^ .^-^ das Andante mit: ^ * * -^^^ ^-^ .ßßßfr,

den Variationen: •>'

und das keck dahinsprühende Finale:

Prett6.

Diese B dur-Sinfonie hat von allen den nachgefun- denen die ersten Aussichten im Konzertsaale heimisch zu werden. Diese Sinfonien haben sämtlich ihre inter- essanten Einzelheiten in Beziehungen auf andere be- rühmte Werke Schuberts: die erste (Ddur v. J. 1813) in F. Selivbort, dem zweiten Thema des Finale, das mit dem Lied von Sinfonie Nr. i der Forelle bestimmte Ztge teilt, die dritte (Ddur vom J. 1816) durch einen Anklang an die große in Gdnr. Gemeinsam ist ihnen die Meisterschaft im Kolorit, die angeborene Genialität in der Mischung und Verwendung

und 8.

^) Leipzig, Breitkopf A Härtel.

--^ 284 ^^

der Instrumente und ein ausgeprägter Zug von Lebens- frende. Eine Ausnahme von der letzten Eigenschaft macht nur die vierte Sinfonie (Gmoll v. J. 1816). Sie

r.8«kmberty ist »tragische Sinfonie« überschrieben und als ein Ver- TragiMhe Sin- gxich in diesem Stile zu betrachten , wobei Muster wie

> (Hilf*). Beethovens Ouvertüren zum Coriolan und zum Egmont und die Gherubinis zur Medea zu Grunde gelegen haben. Vom eigentlichen Wesen tragischer Musik enthält sie je- doch weniger als die unvollendete Sinfonie in Hmoll.

Die Norddeutsche Schule, die noch zu den Zeiten des Hamburger Bach der Wiener Schule innerlich ziem- lich nahe steht, wird sich mit deren Erfolgen eines Gegen- satzes bewußt und bemüht sich eine eigene Art zu äußern. Sie gibt sich pathetisch, ruhiger und ernster als die Wiener, zuweilen etwas trocken. In Form und Stil über- trifft sie jene durch Gediegenheit und Solidität und ver- rät einen Zusammenhang mit jener Berliner Kontrapunk- tistenpartei , welche unter der Führung Rirnbergers den ersten Triumphen Haydns mit dem Feldgeschrei »Seba- stian Bach« entgegentrat Die Opposition n^ag etwas Lächerliches gehabt haben. Spottet doch Marpurg*) ein- mal über einen Philister, der eine Partitur »mit der fin- stren Miene eines Erzdoppelkpntrapunktisten, der den galanten Haydn zu Boden schlagen will« prüft Die norddeutschen Sinfonien sind reich an Imitationen und Umkehrungen und an Fugenpartien. Fugen sind auch den Wiener Sinfonien nicht fremd; aber die Norddeut- schen tragen die strenge Arbeit gern zur Schau; ja es gibt Werke, in welchen das gelehrte Element sich ganz zum Herrn macht Das am meisten charakteristische Produkt dieser Richtung ist eine Cdur-Sinfonie des Abt Abt Vogler. Vogler, seine sogenannte »Bayrische Nationalsinfonie«, in deren Finale sich noch einmal die Zeit der alten

*) Legeade einiger Ma8ikheiUgeD(C81n a. Rh. 1786), 3. 200.

286 *^

Solmisationskünste regt: sein Hauptthema ist die Cdur- Skala, auf deren geistige Verwendbarkeit Vogler bei der Bekanntschaft mit russischer Hommusik gekommen sein soD. Das Werk genoß von seinem Entstehungsjahre 1815 zwei Menschenalter lang großes Ansehen und kann, wie SchalhAutl und J. Simon*) wollen, als Beweis dafür dienen, daß Vogler unterschätzt wird. Bekanntlich war auch R. Schumann dieser »Meinung.

Mit dem Auftreten Mozarts nähert sich die Nord- deutsche der Wiener Schule wieder. Mozart wird das Ideal ihrer Tonsetzer. Um BeethoYen aber erwarb sie sich die größten Verdienste. Seine Musik fand ihre Hauptstütze in Norddeutschland, namentlich durch das Eintreten des von Fr. Rochlitz wohl beratnen Leipziger Gewandhauses, eines der wenigen Institute, die aus der Periode der »wöchentlichen Konzerte« heil in die neue Zeit herüberkamen. An guten Grundsätzen und Ab- sichten reich, blieb die Norddeutsche Schule an über- ragenden Talenten lange arm und hinter der Wiener beträchtlich zurück, bis Mendelssohn und Schumann er- schienen.

Die ersten namhaften Vertreter der norddeutschen Sinfonie sind die beiden R o m b e r g und Fr. S c h n e i d e r. a. Bonl^«rf . Andreas Romberg, der Komponist der > Glocke«, galt als der anerkannte Führer. Von seinen Sinfonien, unter denen sich auch eine mit Janitscharenmusik befindet, ist die in Z>, welche Jahre lang ein Liebling der Orchester war, be- sonders hervorzuheben. In ihrem ersten Satze, welcher in freier und selbständiger Weise an die tragischen Mo- tive des Don Juan anklingt, zeigt sie die der Schule eigentümlichen ernsten Züge außerordentlich deutlich. Sein Vetter Bernhard Rom borg, einer der größten Cello- b. Bonberg. Spieler seiner Zeit, heute noch durch seine Kindersinfonie weit bekannt, hat sich in der Gattung der höheren Sin- fonie durch die >Trauersinfonie auf den Tod der Königin

♦) K. E. V. SchafhEutl: Abt Vogler, 1888; J. Simon: Abt Voglers kompoBitortschefl Wirken, 1904.

—fr 286 0--

Lx)uise« ein rühmliches Denkmal gesetzt. Ohne Choräle, Begräbnisgesänge und äußerliche Hilfsmittel wird hier eine erhebende Totenfeier vollzogen, der leidenschaft- liche Schmerz und die sanfte Klage haben denselben natürlichen schlichten Ausdruck gefunden; wahres, echtes Gefühl und edle Handlung machen diese Sinfonie zu einem hervorragenden Kunstwerk. Nach Geist und Stil erinnert es an Mozarts »Maurerische Trauermusikc. Fried- Fr. Scbueidar. rieh Schneider war einer der ersten, welche in Beet- hovens Fußstapfen zu treten suchten. Vom Jahre 1808 ab hat er über vier Jahrzehnte lang das Gebiet der Sin- fonie gepflegt und in den Scherzis seiner ungefähr zwanzig Sinfonien oft eine bedeutende Höhe erreicht.

Als der letzte und bedeutendste Vertreter des ursprüng- w. Kalllwod». liehen Stiles der Norddeutschen Schule ist W. Kalli- woda zu betrachten, der von der Mitte der zwanziger Jahre ab ein Vierteljahrhundert hindurch einen bedeu- tenden Platz im Repertoire einnahm. In ihm schien das Geschick wieder einen Meister ersten Ranges bescheren zu wollen. Vielseitig, auf jedem Gebiete sicher, oft neu, originell, und doch natürlich und einfach, macht er wiederholt den Eindruck eines Auserlesenen und nähert sich der letzten Stufe zur Unsterblichkeit. Obwohl das eminente Talent Kalliwodas nicht zu voUer Entfaltung gelangt ist und in fast jedem seiner Werke ein unfertiger Rest bleibt hier die übermäßige Breite der Ausführung, dort die Ungleichheit der Teile , ist doch das Studium seiner Sinfonien sehr genußreich. Jede enthält Perlen und Proben einer musikalischen Urkraft In der ersten Sinfonie Kalliwodas (Fmoll) machen wir auf die schüne Einleitung und das naiv kräf- Aüegro.

tige (zweite) Thema i *"'"'" " ' ^ des ersten Satzes: aufmerksam. Ihr tiTte«. eine auf-

Scherzo hat in ^b^i>| p K P f li f P I f I ftllige demHauptthema l»^ ' Ahnlich-

keit mit dem entsprechenden Satze der Schumannschen DmoU-Sinfonie. Die zweite Sinfonie Kalliwodas zeigt

287

bedeutende Fortschritte in der Form. Die Verbindungs- gmppen sind gedankenvoller geworden und können der Stdtze durch Figurenwerk entraten. Der poetische Glanz- punkt des Werkes liegt in der kleinen Coda des Larghetto, welche der scheinbar schon geschlossenen Darstellung noch einen ganz neuen traulich herzlichen Gedanken in Kanonform nachsendet Auch dafär findet sich eine Analogie bei R. Schumann, in der Bdur-Sinfonie. Die dritte Sinfonie Ralliwodas darf im allgemeinen als ein Hauptwerk aus der Periode ihrer Entstehung (1831) be- zeichnet werden. Leider ist der letzte Satz den vorher- gehenden nicht ebenbürtig, und in allen wünscht man die Darstellung etwas gedrungener. Ohne diese Mängel würde sie für alle Zeiten die Repertoires zieren können. Viele Partien haben Beethavens großen und kühnen Zug; im zweiten Thema des ersten Satzes glauben wir uns direkt in die Sphäre der Rassumowsky-Quartette dieses Meisters versetzt. Der erste Satz ist einer der charaktervollsten Sinfoniesätze, die je geschrieben worden sind; in seiner blütenlosen Starre und Strenge hat er kaum seines gleichen. Aiiegro. Sein kahles und stei- f^ nemes Hauptmotiv welches schon fremdartig in die Einleitung hineinklingt, gehört zu jener Klasse von Themen, mit welchen es nur ein Genie wagen darl Die vierte Sinfonie (CmoH) zeigt den Komponisten in Formen und Gedanken wieder als einen ganz anderen. Ihr erregtes Wesen deutet auf per- sönliche Erlebnisse; namentlich das Finale, wo nach einem außerordentlich leidenschaftlichen Eingang plötz- licli das sinnende Andante wieder erscheint, legt diese Vermutung nahe. Die fünfte Sinfonie Kalliwodas (HmoU), welche im ganzen etwas leichter wiegt, hielt sich durch das den langsamen Satz vertretende, einschmeichelnde und etwas böhmisch anklingende Allegretto

ASagretto.

^

-^ .288 ^^

lange in der Gunst desPablikams. Die sechste und siebente Sinfonie Kalliwodas stehen gegen ihre Vorgängerinnen zurück und erlangten in den Konzertprograxnmen keine feste Position.

Zur Bedeutung gelangte die Norddeutsche Schule mit dem Anwachsen der romantischen Bewegung, die sie in die Sinfonie hineintrug.

Jean Paul nennt bekanntlich die Musik die roman- tischste, d. h. von Natur aus und von jeher romantische unter den Künsten. Und in früherer wie in neuerer Zeit ist mit Recht darauf aufmerksam gemacht worden, daß schon die Werke S. Bachs wie die D. Buxtehudes und anderer älterer Meister romantische Züge tragen. Ge- schichtlich datiert aber der Begriff der musikalischen Romantik erst seit dem Anfang des neunzehnten Jahr- hunderts. Zwiespältigkeit und Mischung galt als Wesen der Romantik. In diesem Sinne wurden Mozart und Beethoven im Gegensatz zu Haydn als romantische Kom- ponisten bezeichnet: Mozart, n^eil er in seinen Allegro- sätzen die Instrumente ohne weiteres aus bewegtem Figurenspiel in ruhigen Gesang übergehen ließ, Beet- hoven, weil er Scherzi, d. i. heitere Sätze schrieb, bei denen man sich ängstigen konnte, und weil er auch sonst in demselben Atem Dinge verband, welche im schärfsten Gegensatze zueinander standen. Haydn tat eins nach dem anderen und hielt seine Gedanken und Stimmungen einfach und frei von Mischungen. Die Wiener Schale, die ihm vorzugsweise folgte, versagte sich der Romantik nicht grundsätzlich, aber sie ging, Franz Schubert aus- genommen, kaum über den Punkt hinaus, bis zu dem Mozart vorangeschritten war. An A. Eberl läßt sich« wahrnehmen, wie sie die romantischen Wendungen auf die eigentlichen Adagiogefühle beschränkt In der nord- deutschen Schule durchdringt dagegen der romantische Geist schon frühzeitig auch das AUegroleben.

Wir begegnen seinen Spuren z. B. bei A. Romberg in kleinen chromatischen Durchgängen und Wechsel- noten :

--» 289

Allcgro moderato.

Durch sie werden die im Grande muntren Weisen seiner Ddur-Sinfonie sentimental durchblitzt. Die Heimat dieser Art romantischer Musikelemente ist vornehmlich die fran- zösische Oper. In den durch ihre Herbheit der Nord- deutschen Schule nahestehenden Sinfonien von Toma- schek, dem böhmischen »Schiller der Musik«, und von M^hul greift die Romantik schon tiefer in den Satzbau und in die Gedankenentwicklung hinein. Vom Jahre 1816 ab wird der romantische Stil allmählich det herr- schende, und alle die Sinfoniker, welche neben Beethoven etwas bedeuten, repräsentieren eine Seite des roman- tischen Geistes. Die musikalische Romantik hat mit der Romantik in Literatur, Poesie und bildender Kunst fortan mehrere Jahrzehnte lang hervorragende Berührungspunkte. Auch die musikalischen Romantiker kennzeichnet das Festhalten an Lieblingsstimmungen, das Hervortreten der Persönlichkeit des Darstellers in der Darstellung, der sub- jektive Ton und die aus diesen Erscheinungen hervor- gehende Einseitigkeit und Gleichförmigkeit der Werke. Die musikalischen Romantiker pflegen Spezialitäten des Gemütslebens und der .Phantasie und haben in der Form Manieren, die immer wiederkehren und für welche sie schnell Nachahmer und Schüler finden. Wie die all- gemeine Romantik läuft auch die Geschichte der musi- kalischen im Zickzack. Sie springt von dem phantasti- schen Gebiete auf das sentimentale über, von da auf das naturfrohe und naive, und läuft endlich von dieser letzten Station, von der Hingabe an das Genre und an das Rleinleben, in eine Periode der Realistik und des Naturalismus aus. Die romantische Epoche hat in der Musik sehr belebend und anregend gewirkt, Ideen einei^ früheren Zeit vertiefend ausgeführt, neue Klang- und Ausdrucksmittel zum Vorschein gebracht und die Lite- ratur mit Werken bereichert, welche allgemeinen bleiben- den KuQStwert haben. Sie bedeutet eine zweite Blüte-

Kretzschmar, Führer. I, 1. 1<)

^

-_^ 290 ♦—

zeit in der Geschichte der Sinfonie und hat in Mendels- sohn and Schumann zwei Meister hervorgebracht, welche sich an Originalit&t und Reichtum der musikalischen Er- findung den großen Klassikern der Wiener Periode nähern. Die phantastische Richtung der Ronlantik vertritt in CK.?. Weber* der Sinfonie zuerst C. Maria von Weber. Von seinen zwei Sinfonien, die beide in Cdur stehen, ist die erste (im Jahre 1807 für die Kapelle des Herzogs von Württem- berg geschrieben) die bedeutendere. Sie war (vom Jahre 1814 ab) längere Zeit bei den Orchestern sehr beliebt und dürfte auch heute noch einer freundlichen Aufnahme gewiß sein. Es ist ein bescheidenes, liebenswtlrdiges und sehr mannigfaltiges Werk, heute doppelt interessant durch die vielen Einzelheiten, welche direkt auf den Schöpfer des Freischütz hinweisen. Das Andante, das poetische Hauptstück der Sinfonie, hat Wolfsschluchtsbässe und Agathekantilenen. In seiner düster feierlichen Pracht, in der stillen Schwermut, welche aus den schmelzenden Klängen der Blasinstrumente spricht, ist es einer der schönsten langsamen Sätze, welche zur Zeit Beethovens, und ganz unabhängig von diesem Meister, geschrieben worden sind. Die freie Disposition macht es einer dra- matisierten Erzählung ähnlich. Der Schauplatz ist nächt- lich, zu den handelnden Personen stellt die Qeisterwelt Mitwirkende. Im ersten Satze, welcher im Stile die kon* trapunktischen Merkmale der Norddeutschen Schule trägt, überwiegt der muntere ritterliche Ton; die spannenden phantastischen Momente liegen in den leisen Solostellen- der Kontrabässe. Malerisch und bilderreich ist er im hohen Grade; der herrschenden Haydnschen Methode weicht er aus. Weber selbst war später mit diesem aller- dings etwas zerfahrnen Satze am wenigsten zufrieden. Er entschuldigt sich bei Gottfr. Weber, dem die Sinfonie gewidmet ist,* und bei Fr. Rochlitz damit, daß er hier mehr auf eine Ouverttlre ausgegangen sei*). Dagegen

*) F. W. Jlhns: 0. M. ▼. Weber in seinen Werken (1871), & 64.

291 %^

erkannte er Menuett und Adagio voll an. Beim Publi- kunü und bei dem Orchester war das Finale, in welchem immer die Hörner mit komischer Befließenheit voraus- stürmen, als einer der drolligsten Sätze seiner Zeit be- sonders beliebt.

Ein späterer Vertreter derselben Richtung ist 0 n s - H. ObiIoiv. low, ein geistreicher, temperamentvoller Komponist und einer unter den Ersten, deren Adagios den Beethovenschen Maßen nachatreben. Onslow ist apart« elegant, reich an Ideen, in Figuren und Rhythmen vielfach neu; in den DurchfQhrungssätzen verraten leider triviale Episoden den Mangel an musikalischer Durchbildung, welcher den Wer- ken Onslows eine schnelle Vergessenheit bereitet hat. Die verbreitetste seiner Sinfonien war die in Adur. Die Hauptthemen ihres ersten Satzes

,^ Alleyro gpfartt^oto

I 11 mögen den romantischen Charakter ^ ■'^' ^^ von Onslows musikalischer Erfindung erläutern. Wie die Romantiker der phantastischen Rich- tung von der französischen Oper im allgemeinen viele Impulse empfingen, so zeigen diese und andere Melodien Onslows speziell den Einfluß der Romanzen Boieldieus.

Die sentimentale Richtung der Romantiker ist durch Mozart und Cherubini vorbereitet und auch in den Sin- fonien der Wiener Schule reichlich vertreten. Ihre eifrigste Pflege findet sie in den Sinfonien von L. Spohr und F. Mendelssohn Bartholdy.

Die Sinfonien von Louis Spohr sind in ihrer Mehr- zahl der heutigen Generation bereits wieder fremd ge- worden. Fast zwei Menschenalter hindurch war dieser unermüdlich strebende Künstler auf diesem Gebiete tätig und nahm an allen den Bestrebungen tätigen Anteil, welche von Beethoven bis auf Liszt der Weiterentwicke- lung des sinfonischen Stils galten. Die erste unter Spohrs l. gpohr, gedruckten neun Sinfonien (in Esdur) wurde für das zweite Es dur-Sinfonie Frankenhauser Musikfest (1811) komponiert und erfreute '

19*

» 292 *^

Sich bald allgemeiner Anerkennung*). Sie zeigt bereits die fertige Individualität des merkwürdigen Künstlers': die Zeitgenossen fanden in ihrer ruhigen Würde einen Gegen- satz zu dem Feuer Mozarts und Beethovens, lobten die weniger gedanklich bedeutenden als angenehmen Melo- dien und tadelten die allzuhäufige Wiederkehr seiner chromatischen Gänge und die unruhige Modulation. Bis gegen das Jahr 1830 kehrt das Werk in den Konzerten immer wieder. Seine zweite Sinfonie (DmoU) schrieb Spohr im Jahre 1820 für die philharmonische Gesellschaft in London, die durch ihn kurz zuvor die erste Bekannt- schaft mit dem Taktstocke gemacht hatte. Sie wirkte besonders durch die virtuosen Stellen des Streichor- chesters ♦♦). Spohrs dritte Sinfonie (CmoU), seine vierte (»Weihe der Tönet) und seine fünfte (Cmoll) bilden den Höhepunkt in der sinfonischen Tätigkeit ihres Verfassers und waren bis vor kurzem noch in den Programmen zu L. spohr, finden. Namentlich seine dritte Sinfonie (vom Jahre 1829' Cmoll- Sinfonie ist eins der liebenswürdigsten Denkmäler der ersten, un- (Nr. S). schuldigen Jugendzeit der musikalischen Romantik.Manche Zeilen in dieser Dichtung wir denken an das zweite Thema des ersten Satzes sind veraltet, aber aus dem Ganzen spricht der überschwängliche Geist milder, weicher Schwärmerei, dem Spohr zuerst einen eignen Ausdruck verlieh, noch in erster Frische. Die musikalischen Wur- zeln dieser Spohrschen Kunst reichen bis in die Opern Paisiellos, Piccinis, Galuppis zurück; in der Sinfonie er- starkte sie namentlich durch Eberl und jene Wiener * Rührungsmänner, deren letzte Spuren sich in den Liedern H. Prochs finden. Schubert kannte Spohr nicht, als er seine ersten Sinfonien schrieb,und von Beethovenschen An- regungen macht er nur einen sehr vorsichtigen Gebrauch; der italienischen und französischen Oper seiner Zeit, Che- rubini namentlich, verdankt er einiges. Wie bedeutend aber Spohr die Sprache der Sentimentalität selbständig

*) L. Spohr, Selbstbiographie I, 161. ♦♦) Ebenda II, 89.

293

weitergebildet hat, und wie viel von den verminderten Schlußintervallen: und von anderen Wendungen seines romantischen Idioms in die Werke roitlebender und folgender Künstler über- gegangen ist, wird man mit Staunen bei Betrachtung dieser C moU-Sinfonie gewahr. Ihr Larghetto namentlich, der vollendetste, gedankenreichste und mannigfaltigste Satz des Werkes, hat in den Sinfonien gleichzeitiger und späterer Sinfoniker mächtig nachgewirkt.

Am ersten Satze ist das Beste die Einleitung mit dem charakteri- _ und der Schluß der

stischen. suchen- JL ^ f ^ T ^~ Durchführung, an wei- den Quintenmotiv chem diese Einleitung wieder erscheint. Auch das erste Thema des Allegro, in seinem Anfang nicht hervorragend, erhält durch die poetische Anknüpfung an das zitierte Motiv der Einleitung einen wertvollen Schluß.

Das schon erwähnte Larghetto (F dur, ^/s) hat zum Hauptthema eine lange, behaglich ausgeführte Melodie, das Rind eines Her- L&rgh«tto. Nur leich-

zens,welches seinen^^ g y-^p ff r '-iM J. J- ^^^ Schat- Frieden gefunden™ ' i IM ' -■- ^^^^ g^.

den hier ei-:

nen Zutritt:

ten Der Glanzpunkt des

Satzes ist das Kantabile

i I Jj.J> J^J J j 1 4^ ,J< J. 3 J l^j

bei dem Spohr einen neuen Instrumentationse£fekt an- wendete: Sämtliche Geigen, Bratschen und Celli tragen die Melodie im Unisono vor. Die Wirkung ist grandios ! Das Scherzo dieser Sinfonie ist in seiner Herkunft verwandt mit dem in Beethovens fünfter:

'>l'Mjl;IJjj<lj^j|

In der Ausführung bleibt es etwas gleichförmig. In lauter kleine Züge zerlegt, eines lebendigeren drama-

294

tischen Impulses bar, bildet es ftkr den Zuhörer einen einigermassen mühsamen Genuß.

Der Humor Spohrs vergräbt sich mit Vorliebe in

Miniaturen. So streiten auch im Finale gegen die

großem Intentionen des kühn scherzenden Hauptthemas,

das an das Finale von Beethovens Zweiter erinnert,

allerhand kleine

ft " Jnr i^jn^ J ' *J)I J J ' ^J)IJ I Arabesken, un- / ^ p 9* 9 ter denen na-

mentlich folgende echt Spohrsche Figur

Nr. 6.

einen breiteren Raum einnimmt. L. Bpoiir, Die andere CmoU-Sinfonie Spohrs (geschrieben im

C"*»^J|;,^jf'^'^* Jahre 1838 für die Wiener Concerts spirituels) hat eine pathetischere Tendenz. Sie begibt sich, allerdings nicht sehr weit, direkt ins Gebiet der Leidenschaften hinein. Spohr war sich der Einseitigkeit seiner musikalischen Natur bewußt und strebte zeitlebens ernstlich darnach, seine Phantasie auch außerhalb der elegischen Grenzen heimisch zu machen. Es ist aber nicht zu verkennen, daß ihm bei solchen Versuchen die Originalität des Aus- drucks versagt und daß er sobald wie möghch den Rück- zug auf vertrautes Terrain anzutreten pflegt Für die erstere Tatsache bildet das Hauptthema im ersten Ällegro dieser Sinfonie eine genügende Illustration:

Allem. _^r^_

^^

3^.^ Einen schönen poetischen Zug teilt f t t iV' T^ dieser erste Satz der fünften Sin- fonie mit dem der dritten: das Thema der langsamen Einleitung, die wie eine Verheißung in Dur steht, tritt plötzlich in die Durchführung hinein und kehrt dann bis zum Ende des Satzes mehrmals wieder. Vielleicht hat dazu Haydns bekannte Esdur-Sinfonie an- geregt Der Schluß des Allegro sticht durch Macht des

296 «^

«

Ausdrucks hervor und schließt das ganze Bild mit den Klängen edler Trauer ab. Man hat den Eindruck, daß das Werk einer Fortsetzung nicht bedarf und tatsächlich ist auch dieser Satz selbständig im Jahre 1836 als Ouver- türe zu Raupachs >Tochter der Luft« entstanden.

Das Larghetto dieser Sinfonie kommt im Geiste und auch in der thematischen Erfindung Beethoven sehr nahe; es ist einer der schönsten langsamen Sätze, die Spohr geschrieben hat, und bei der ersten Auffdhrung in Wien mußte er wiederholt werden. Der Mittel^atz dieses Larghetto kontrastiert mit dem Hauptteile, führt aber seine Aufgabe, eine unruhige Szene dar;Eustellen , in einer namentlich nach Seite der Instrumentation hin bemerkenswert originellen Weise aus. Wir geben hier das Hauptthema dieses Larghetto:

Larg:hetio.

Das Scherzo, ein für Spohr außergewöhnlich kräftiger Satz, stützt sich im Hauptthema auf ein chromatisches Motiv welches, von den Hörnern aus durch die Bläser wandernd, ein heitres Leben im Orchester wach hält. Der zweite Teil des Hauptsatzes verdankt

k

dem Ännchen aus Webers Freischütz (»Grillen sind mir böse Gäste«) einiges. Das graziös elegische Trio ist den Holzbläsern in der Hauptsache allein überwiesen.

Im Finale herrscht der Ton einer milden Heiter- keit. In kunstvollen Formen fugierend und imitierend, bilden sich fröhliche Spiele um das dem Hauptthe- mafolgen- AUegrö. *. sk^^ Als zweites

scheint die Melodie der Einleitung zum ersten Satz. Die Sinfonie erhält dadurch in Form und Idee eine sehr schöne Abrundung. Mehr als beachtet wird, sind die Sinfonien Spohrs reich an solchen geist- und sinnreichen Wendungen.

-^ 2^)6 ^1^

Zwischen den beiden Cmoll -Sinfonien steht die L.Sitohr, »Weihe der Töne«. Dieses »charakteristische Tpngemälde »Die Weihe der jn Form einer Sinfonie«, wie es der Komponist nennt, °^*' erschien im Jahre 1834, fällt also in eine Periode, in welcher die Tendenz, die Instrumentalkomposition* an poetische Vorwürfe zu binden, wieder einmal entschieden aufgelebt war. Diese Periode, welche zufällig mit der Blütezeit der Romantik in der Literatur zusammenfällt, datiert von dem Franzosen H. Berlioz, dem sich Mendels- sohn und Gade in ihren poetisierenden Konzertouver- türen auf dem Gebiete des Orchesters in besonnener Distanz anschlössen; Schumann vertrat eine ähnliche Tendenz in der Klaviermusik mit seinen Charakterstücken. Auch auf Spohr übte diese Richtung einen großen Reiz, und in seiner energischen Art ging er gleich praktüsch und mit großem äußren Erfolg ans Werk. Denn diese Komposition wurde eine Lieblingssinfonie, die man eine Zeit lang in den stehenden Konzerten jedes Jahr zu hören verlangte. Der »Weihe der Töne« liegt ein ziem- lich langes, ursprünglich zu einer Kantate bestimmtes Gedicht von Carl Pfeiffer, einem Casseler Freunde des Komponisten, zu Grunde, welches bei der Aufführung der Sinfonie entweder verteilt oder laut vorgetragen werden soll. Die Konzertdirektionen begnügen sich indessen mit einem kurzen Auszug, einer Art Inhaltsangabe, die den Tempis der einzelnen Sätze beigeschrieben wird und die Intentionen von Dichter und Komponist, wenn auch nicht immer ganz, so doch annähernd trifft. Etwas unglück- lich gewählt erscheint sofort die Bezeichnung des ersten Largo: »Starres Schweigen der Natur vor dem Erschaffen des Tons«. Tatsächlich will Spohr hier nur etwas Ähn- liches schildern wie J. Haydn im Chaos der Schöpfung, wie Beethoven im Anfang der neunten Sinfonie: eine Welt, der die Freude fehlt, in der das Leben noch nach Formen ringt. Das tut er in der Einleitung durch träge, lastende Melodien in den Bässen und andern tiefen In- strumenten und durch wühlende Harmonien. Der er- lösende Jubal ist sehr bald geboren : Schon nach 23 Tak-

297 »^

ten begiiuit das Allegro. Es bringt als Hauplthema eine echt Spohrsche Melodie:

Ein zweites Thema besitzt dieser Satz nicht An seiner Stelle erscheint eine lange konzertierende Partie, in wel- cher die Holzbläser das Vogelgezwitscher nachzubilden suchen. Dergleichen Äußerlichkeiten, Künsteleien und unreife Stelleji sind in Programmsinfonien nichts Sel- tenes. Aber in der »Weihe der Töne« scheinen sie nicht ausschließlich aus dem Prinzipe hervorgegangen, sondern aus einer augenblicklichen Schwäche der musikalischen Erfindungskraft, die im allgemeinen nötigt, das Werk so viel Liebenswürdiges es enthält hinter die beiden Cmoll- Sinfonien zurückzustellen. Namentlich die Über- gangspartien von Bild zu Bild, von einem Thema zum andern, entbehren der Gedankenkraft und behelfen sich mit leerem Figurenwerk. Auch die Dichtung zwang nicht zu den kleinlichen Malereien, in welchen Spohr die Stimmen der gefiederten Sänger wiederzugeben glaubte; sie bringt in dem Verse, welchen das Allegro illustrieren will, eine Reihe höherer Momente, welche der Kom- ponist beiseite liegen ließ. Dagegen hat Spohr in diesen Satz eine Szene hinein eskamotiert, von welcher der Dichter nichts weiß: einen Aufruhr der Elemente. Mit seinen heftigen Akzenten bildet er zu der musika- lischen Idylle der Themengruppe einen nicht* unwill- kommenen Gegensatz.

Im zweiten Satze sucht Spohr Wiegenlied, Tanz und Ständchen zu vereinigen. Namentlich das Wiegenlied ist mit einer sehr gelungenen Melodie wiedergegeben, von der man fast bedauert, daß wir sie so wenig un- vermischt genießen können

Andantino.

--• 298 ♦^

Der Tanz, ein französischer Zweivierteltakt, vertreibt diese Melodie schnell, nnd ihn löst später das Ständchen ab, dessen Ausführnng dem Solocello tibertragen ist Es steht im VieTakt:

N^iftji'njJi^^

Diese drei Melodien sind ähnlich wie in der Ballszene des Don Juan zusammengestellt und bilden in ihren Kombinationen für den Vortrag bedeutende Schwierig- keiten. Bei der ersten Frankfurter Aufführung der Sin- fonie mußte, wie Mendelssohn erzählt, Guhr hier drei- mal abklopfen.

Der dritte Satz: »Kriegsmusik, Fortziehen in die Schlacht, Gefühl der Zurückbleibenden, Rückkehr der Sieger, Dankgebet« beginnt mit einem Marsch (in Dj. Mit ihm kehren die Krieger auch nach dem Siege zurück. In der Zwischenzeit stimmt die Klarinette in einer sehr sprechenden, beklommenen Weise eine klagende Melodie an: in den Cellis banges Sinnen, das volle Orchester bringt leidenschaftliche Ausbrüche des Schmerzes. In der Ferne hört man ab und zu abgerissene Motive des Marsches. Nach der Rückkehr der Krieger wird als Dankgebet der Ambrosianische Lobgesang: »Herr Gott, Dich loben wir« geblasen, die Violinen umspielen ihn mit jubelnden Figuren.

Der letzte Satz: »B^gräbnismusik, Trost in Tränen« überschrieben, wird durch ein Larghetto (Fmoll O) ein- geleitet, 'welches in seiner Form dem Schlüsse des vor- hergehenden Satzes, dem »Dankgebet« ähnlich ist: Der Choral »Nun lasset uns den Leib begraben«, von den Gellis und den beiden Klarinetten vorgetragen, wird von den andern Instrumenten mit Motiven begleitet. Nament- lich die Zwischenspiele, in dumpfen Paukenwirbel ge- hüllt, sind außerordenüich ergreifend und eindrucks- voll. Nach dieser Trauerszene folgt der Trost in Tränen als Allegretto (Fdur V4) ™i^ folgendem Haupt- thema:

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a^ _ Es schließt mit dem Qaintenmotiv

T f rjlp (M^i)-^ '^ ^) welches schon im ersten Satze- ^ eine wichtige Stelle im Thema ein-

nimmt. Spohr hat diese ihm in allen Werken sehr liebe Wendnng in allen Sätzen dieser Sinfonie untergebracht: Hier erscheint sie wie der bescheidene Haus* ^ .^■t->>. geist in einer Ecke versteckt, dort offen im jt f T |^§ Vordergründe; vielfach in folgender Form: *'^-*==^ Immer elegisch, friedvoU und a^uch an den Stellen des Aufschwungs so maßhaltend, wie es der fromme Grund- ton der Stimmung verlangt, ist dieser Schlußsatz dcfr »Weihe der Töne« nicht immer verstanden worden. Von der gebräuchlichen Haltung eines Sinfoniefinales weicht er völlig ab; zum Charakter des Tongemäldes, welches mit dem Ausblick auf das Jenseits abschließt, paßt er sehr wohl.

Spohr hat später nur noch eine rein musikalische L. Spohr, Sinfonie geschrieben. Es ist die Nr. 8 (Gdur), welche Gdnr-Sinfouie nach der instrumentalen Seite manches Neue und In- (Nr. 8). teressante enthält. Das Scherzo, im Trio mit einem Violinsolo ausgestattet, ist in der Erfindung, welche sich ganz auf das virtuose Element lehnt, der eigenartigste ihrer vier Sätze. In den übrigen Sinfonien blieb er von der > Weihe der Töne« ab beim Prinzip der Programm- musik. Zunächst kam im Jahre 1839 seine »historische l. Spobr, Sinfonie im Stile und Geschmack vier verschiedener Zeit- Historische alter«. Der erste Satz soll die Periode Händel und Bach Sinfonie. oder die Zeit um 1720 veranschaulichen. Er versucht das in einer aus trockenen Sequenzen zusammengebauten Fuge, mit einem Pastorale in der Form des Siciliano (is/sTakt) als Mittelsatz. Der zweite Satz gilt der Periode Haydn- Mozart (1780). Dieser stand Spohr selbst geistig am nächsten, und darum ist wohl dieses Andante der gelungenste Satz der Sinfonie. Auch hier schaut der chromatische Spohr überall hervor: aber er tut nichts,

-^ 300 .

was seine Modelle entstellt: Einiger Spaße und Derb- heiten, welche Spohr den beiden Wiener Meistern in- sinuiert, wären sie fähig gewesen, wehn auch gerade nicht im Andante. Die Beethovensche Periode (1810), als die dritte, ist durch ein Scherzo vertreten, welches mit einem Solo von drei Pauken beginnt. Sie geben das Motiv

^ I j I f j r I j f j IT j r u r j I

Im übrigen schiebt Spohr dem Beethoven einen Eigen- sinn zu, welcher selbst für diesen über alle Möglichkeit hinausgeht: In einem Satze, der gegen 400 Takte um- faßt, ein einziger thematischer Qedanke von 8 Takten Länge! Wider allen Beethovenschen Brauch bleibt auch das Trio an dieser fixen Idee haften l Noch schlimmer kommt »die allerneueste Periode« (1840), welche den vierten Satz einnimmt, weg: Ein Hexengebräu aus Nonen, Septimen und freien Dissonanzen, winselnden und schmachtenden Vorhalten! So wild ist auch Berlioz' nie gewesen, so sehr haben auch die Pacini, Mercadante und Meyerbeer nicht gelärmt, so süßlich und zerflossen waren Rossini und Bellini niemals! Und wer in aller Welt mag zu den ewigen und tollen Gedankensprüngen dieses Satzes gesessen haben! Ist die Historie in den andern Sätzen dieser Sinfonie nur unzulänglich so wird sie hier zur Parodie, zur härtesten Kritik von Spohrs Beobachtungstalent und seinem *Kunstverstand! Nur in Wien, wo man bei der Aufführung bloß die Jahreszahlen angab, die Namen wegließ, wurde diese Sinfonie bei- fällig und besonders im letzten Satz aufgenommen. Über- all sonst blieben die Meinungen mindestens geteilt*). L. Spoiir, Die nächste Programmsinfonie Spohrs (im Jahre 1842

»Irdisches und veröffentlicht] heißt >Irdisches und Göttliches im Men-

^Mew^iT* schenleben« und ist betitelt als »Doppelsinfonie«! Wie f^enc'^ dies in der altem Zeit dann und wann (s. Cannabich)

(Nr. 7 cdw). versucht wurde, sind hier wieder einmal zwei Orchester

*J L. Spohr a. a. 0. II, 231.

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*

aufeestelli, die sich in der Regel ablösen, hie und da auch vereinen. Das erste Orchester hat nach Art des alten Konzertino im Streichquartett nur einfache Be* setzung. Diese Anordnung führt zu einer Reihe schöner Klangwirkungen, deren häufige Wiederkehr allerdings den Endeindruck schwächt. Sie ist ein weiterer Beweis, wie Spohr sich immer etwas Neues ausdachte und in seiner Art auch ins Werk setzte. Die Idee zu dem Doppel- orchester erhielt Spohr durch einen Scherz seiner Frau auf der Rückreise vom Musikfest zu Luzem. Sofort war auch die Sinfonie entworfen. Der erste Satz gilt der Kinder- AUe^etto.

Freilich: ein ungetrübtes Glück schildert er nicht; auch ihn drücken chromatische Schmerzen.

Der zweite Satz schildert die Zeit der Leidenschaften. Diese nahen in chromatischen Sech zehn telgän gen der Bässe, stören die friedvollen Melodien der Holzbläser und schwellen zu einem Sturm an, der sich in einem AUegro (C-Takt) austobt, das in seinem Hauptteil mit Sechzehntel- läufen angefüllt ist. Eine Art kräftiger Marschmusik bildet einen Widerpart dagegen.

Der dritte Satz ist überschrieben : Endlicher Sieg des Göttlichen. Ein Presto in e/^Takt (GmoU) beginnt auf- geregt und lenkt dann in freundlich muntere Melodien über. Sie führen zu einem Adagio, welches, pompös in- strumentiert, mit einem feierlich gehobenen Gesang ein- setzt, und, ähnlich wie der Schlußsatz in der »Weihe der Töne« mild und leise ausklingt.

Den Vorwurf zu Spohrs letzter Sinfonie (Nr. 9, HmoU) l. Spohr, bilden »Die Jahreszeiten«. Dieses der musikalischen Kunst »Die Jahres, viel bietende Thema wird hier in zwei Abteilungen ab- *^^^^* gehandelt, deren erste den Winter, den Frühling und den ^^^' ^^'*" Übergang zwischen beiden enthält, die zweite den Som- mer und Herbst. Das dichterische, allgemein künstlerische Talent Spohrs und noch mehr sein musikalisches beide haben sich der reizenden Aufgabe gegenüber sehr

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kühl yerhalten. Nur der letzte Satz erhebt sich an ein- zelnen Stellen, mit einer Paraphrase des alten Andröschen Rhein weinliedes (»Bekränzt mit Laub etc.c), über eine mittlere Temperatur.

Mitten in die Blütezeit Spohrscher Romantik fällt B. ivagner» eine C dur-Sinfonie Richard Wagners, die im Winter C dur-Sinfonie. 1832/33 im Leipziger Gewandhaus zwar mit Erfolg auf- geführt, aber nur wenig beachtet und erst kurz vor dem Tode des Meisters von den Angehörigen wieder ans Licht gezogen worden ist Der ersten, Weihnachten 1882 noch Ton Wagner selbst geleiteten Neuaufführung sind weitere in vielen deutschen Musikstädten gefolgt, und seit die Sinfonie in einer stattlichen Partiturausgabe vorliegt, hat sie alle Anwartschaft darauf, nicht wieder vergessen zu werden. Denn sie hat nicht bloß die Pietätsrücksichten und das biographische Interesse für sich, sondern sie ist auch geschichtlich merkwürdig und drittens eine durchaus ernste Arbeit, der wenigstens in einem Teil Originalität und bleibender Wert zugesprochen werden m.uB.

Der geschichtliche Schwerpunkt der Wagnerschen Sinfonie liegt darin, daß der junge Komponist sich um die Romantik der zeitgenössischen Sinfonie nicht kümmert, sondern sich fest und dem altväterischep Schein zum Trotz auf den Boden Beethovenscher Kunst stellt Von Wagners jugendlicher Beethovenschwärmerei, die er selbst wiederholt humoristisch geschildert hat, gibt namentlich der erste Satz der Sinfonie ein sehr anschauliches Bild: er lehnt direkt an Beethovensche Ideen an und nimmt seine Methode der Satzentwicklung auf. Der Ein* leitung (Sostenuto e maestoso] dient Beethovens Siebente al^ Vorbild, jedoch nur für die poetische Tendenz, der Um- bildung einer träumerischen zu einer energischen Stim- mung, die musikalischen Mittel sind Wagners Eigentum.

Unter ihnen tritt als Hauptstütze das durch die

Instrumente wandernde, ernst alarmierende Motiv:

Sostenuto^ hervor; es wird von eben-

Afi \ fJp^W* ^[' I f ' ^aßs treibenden und aufrich-

YF ^^' """ tenden Nebenmotiven be-

--♦ 303 ♦--

gleitet and ergänzt, von denen sich namentlich ein Hornraf, Q der immer höher steigt, wie das erste .

A p j s^ Lebenszeichen des zukünftigen Wagner if "^^ ausnimmt. Das Haupttbema des Ällegro:

Jdr

Alle^ro eon brio.

g

:eto.

von Gellis, Bratschen und Hörnern begonnen, im fünften Takt vom ganzen Orchester fortgeführt, hat seine Hei- mat im Finale von Beethovens Fünfter und seinen Ge- fühlssturm. Diesen sucht aber Wagner durch eine Ab- lenkung zu überbieten: er schließt im 9. Takte auf C und begibt sich mit dem Kopfmotiv in eine Dissonanzen- wolke. So bringt gleich der Eingang neben der An- lehnung doch auch viel Selbständigkeit, als ihre be- deutendste Äußerung den großen Klangefifekt, mit dem {bei •!-) das volle Orchester eintritt. Eine dem. spätren Wagner eigne Wendung bringt das zweite, marsch- artig be- ^ _ ^.

ginnende A ti J f-f 4f~r C^CfgH^H'-xJTf Thema: * p in dem lang hinaus verscho- \ benen Schluß: mit dem Doppelschlag. Die hier mitgeteilten Themen sind ebensowenig bedeutend wie der Phantasiegehalt, der aus ihnen im Laufe des Satzes entwickelt wird, ins- besondere bleibt der Durchführungsteil, das Probestück für die Beherrschung Beethovenschen Stils, ohne tiefere Wirkung und zwar wegen rhythmischer Monotonie. Der Satz ist eine Anfängerarbeit, aber eine durchaus erfreu- liche, einmal durch die Klarheit der Grundidee, die ein großes Hoffen und Wollen mit Zweifeln und epikuräischem Behagen schattiert, zweitens durch den Ernst der Arbeit. Dieser äußert sich am schönsten in den Partien, die von

r-r'mr'T f^^-M^^

_^ 304 ^^

einem Hauptabschnitt zum andren überleiten; sie sind sämtlich mit Verzicht auf Figurenwerk und sonstiges billiges Material thematisch und motivisch behandelt und können darin noch heute als Muster bezeichnet werden. Außerdem aber überragt die Arbeit im Satze die zeit- genössische Sinfonie noch durch eine starke Kombina- tionsgabe, welche die Hauptthemen und ihre Teile über- raschend und sinnreich verbindet und geistreiche Be- ziehungen entdeckt und klar macht, die einem gewöhn- lichen Auge entgehen. In jeder Beziehung steht dieser Satz turmhoch über der bekannten an Haydn an- schließenden Klaviersonate Wagners, die ihm um wenige Jahre vorausgegangen ist. Derjenige Teil der Sinfonie, dessen ungewöhnliche Lebenskraft ernsthaft nicht be- stritten werden kann, ist ihr zweiter Satz, ein Andante ma non troppo, un poco maestoso (Amoll, s/4). In diesem Meisterstück hat sich Wagner von Beethoven ganz frei gemacht. Sein durch das Hauptthema:

<j'< jj^jjji^ i^ü^dtiiiulk^^

ietc

festgestellter und durch alle Tonregionen und Stärkegrade getragener Balladencharakter weist auf Mendelssohns italienische Sinfonie und avf die Schumannsche in Dmoll voraus. Die gemeinsame Quelle ist die Norddeutsche Schule der zwanziger Jahre, die im Gegensatz zu den gefühlvollen Wienern und zu Spohr im langsamen Satze gern einen volkstümlichen Erzählerton anschlägt. Das hat Wagner, den Dramatiker, auf ihre Seite gelockt und der Sinfonieliteratur eine der schönsten Orchesterballaden eingebracht, die es gibt. Sie berichtet vielleicht von ^em Helden oder einem Heldenstamm, der zur Eroberung aus- zog und unverrichteter Sache heimkehren mußte, jeden- falls schildert sie im logischen Anschluß an den ersten Satz ein fehlgeschlagenes Unternehmen und tut dies ebenso klar als eigen. Das Eigene liegt in dem beson- deren Kolorit des ersten Teils des Satzes. Die Bolero- rhythmen seines eben angeführten Hauptthemas tragen

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die Phantasie nach Spanien und klingen an exotische Stücke an, wie sie der junge Wagner bei G. M. v. Weber gehört haben mochte. Im Programm des Satzes bedeutet dieser Teil den Auszug, er beginnt heimlich, .wächst sich voll aus und verschwindet wieder im diminuendo, es ist die Anlage des Lohen grinvorspiels. Der nächste Teil (Pdur), den Augenblick des Gelingens bezeichnend, zeigt das Orchester mit Kontrafagott, 3 Posannen und 4 Hörnern in glänzender Kriegsrüstung, melodisch gleicht er einetn Siegesgesang. Dann kommt im dritten Teil Kampf und Umschlag, das warnende Terzenmotiv a c, das den »Satz einleitete, dringt vor, und es folgt als letzter Teil die Reprise, bei der die Momente des Glücks aus dem Fdur- Abschnitt nur kurz und erinnerungsartig berührt werden.

Im dritten Satze (Allegro assai, Cdor, 9/^ haben wir wieder den reinsten Beethovenianer mit einem Scherzo vor uns, dessen überschäumendes Kraftgefühl sich fast lieber als in Melodien in Interjektionen und Naturlauten äußert Als Anweisung auf die im Komponisten steckende Kühnheit und Unbefangenheit der Erfindung steht es be- sonders hoch. In seiner zweiten Klausel überrascht der Hauptsatz durch ein Seitenthema der Streicher, das rhythmisch an die gleiche Stelle von Schuberts großer Cdur-Sinfonie erinnert. Wagner hat das Motiv wahr- scheinlich von einer der Schfilerreisen nach Prag und Böhmen mitgebracht, bei denen seine Autobiographie mit sichtlichem Gefallen weilt

Der Schlußsatz (Allegro molto e vivace, Cdur, O) ergibt sich einer ähnlich leichten Heiterkeit, wie sie in Beethovens Tripelkonzert herrscht, ist aber durch zahl- reiche Momente des ZOgerns und Bedenkens einerseits, andererseits des Aufschwungs zu größter Innigkeit und Wärme eigen. Noch entschiedener als der erste, steht dieser letzte Satz mit kleinen Kanons, Imitationen und anderen Formen strenger Kunst unter dem Einfluß der Norddeutschen Schule und bestätigt nochmals den Ein- druck, daß Wagner, wenn er dem Gebiete treu geblieben wäre, heute auch als großer Sinfoniker dastünde.

Kratiichraar, Führer. I, 1. 20

306

V, Meudelssohn,

\ moll-Sinfonie

(schottische).

Dazu, daß dieser erste und letzte Versuch bei den Musikfreunden außerhalb Leipzigs, mit Ausnahme von Wüfzburg*) und Prag, unbeachtet blieb, kann sehr wohl der Umstand beigetragen haben, daß der junge und gänzlich unbekannte Komponist in dem sehr bekannten Darmstädter Kapellmeister J. Carl Wagner einen Na- mensvetter besaß, dessen nach Mozartscher Observanz angelegte Sinfonien sich durch ungewöhnlich starke In- strumentierung, aber durch nichts weiter auszeichneten und deshalb nicht besonders beliebt waren.

Die sentimentale Richtung der Romantik erreicht in Mendelssohn ihre Spitze, kommt mit ihm ungefähr auf die Stufe, die in der Dichtkunst Lord Byron einnimmt Der romantische Beiklang, welcher viele Kompositionen Schuberts wehmütig färbt, welcher alle Werke Spohrs wie mit einem Hauche von Sehnsucht überzieht, nimmt bei Mendelssohn einen energischeren Charakter an und äußert sich schwermütig und klagend. Mendelssohn ist eine vielseitigere, beweglichere und reichere Natur als Spohr und wirft häufig jede romantische Fessel ab. Aber die Nachfolger ergriffen die romantische Sentimentalität seiner Werke als Hauptseite seines Wesens.

Mendelssohns sinfonisches Hauptwerk ist die A moll- Sinfonie. Sie ist unter dem Beinamen »die schottische« bekannt: die Hauptmelodie des munteren Satzes, welcher in ihr die Stelle des Scherzos einnimmt, soll dem reichen Volksliederschatz Schottlands entstammen. Aber die Be- ziehungen zwischen dem Werke und seinem Titel sind tiefer: Mendelssohn schreibt, daß ihm die ersten Themen an den Stätten Maria Stuarts kamen**). Die Sinfonie ent- stammt der künstlerisch reifsten Periode des Komponisten, einem Abschnitt derselben, wo auch die Frische und der Reichtum seiner Phantasie die Höhe jener Jugendtage

*) A. Sandberger, B. Wagner in Würzbnrg (Neue Zeit- ochrift für Musik 1888).

**) S. Henselt, Die Familie Mendelssohn (5. Aufl.) 1886.

307 «^

behaupteten, in denen die Sommernachtstraum-OuvertÜre entstand. Die »Walpurgisnacht«, die mit dieser Sinfonie zugleich das Licht der Welt erblickte, schickt in dieselbe manche Grüße hinein. Das Werk trägt in den gemachten Stimmungen, welche es wiedergibt, in seiner Hinneigung zum naiv Volkstümlichen die Kennzeichen der Früh- romantik. Es ist unter den Werken, welche diese Rich- tung in Poesie und Kunst hervorgebracht hat, eins der individuellsten und zugleich abgeklärtesten. An neuen, melodisch eindringlichen, eigenen Gedanken reich, besitzt die Sinfonie in der Darstellung den zugänglichen Cha- rakter, welcher den Werken Mendelssohns gemeinsam ist, im hohen Grade. Im Periodenbau herrscht ein Maß- halten und eine Regelmäßigkeit, die uns fast zu groß dünkt und die auch tatsächlich von Anfang an Wider- spruch erregt hat Ein andrer Grund dafür, daß das Werk bei seiner ersten AufTührung (im Jahre 1842) nur einen mäßigen Anklang fand, lag in der Neuerung, daß Mendelssohn die vier Sätze der Sinfonie attacca, d. h. ohne die gewöhnlichen Unterbrechungen auf einander folgen läßt. Diese Anordnung, welche auf einen engem poetischen Zusammenhang der Sätze hinweist, schien die Zuhörer zu ermüden. In der Folgezeit hat sie außer Schumann in seiner DmoU-Sinfonie kein Komponist adop- tiert In den kleinen Sinfonien der Vor-Haydnschen Periode lassen sich die Pausen zwischen den einzelnen Sätzen entbehren, nicht aber in den Werken Beethoven- schen Stils.

Das Thema der Introduktion der Amoll-Sinfonie

ijij '^ifLii 'ifi'ri II n'"i ^i'ii' I

gehört zu den Lieblingsgedanken Mendelssohns: Paulus in der Stunde der Reue, der lebensmüde Elias intonieren diese schwermütige Melodie. In der Schule des Meisters ist sie vielfach variiert worden. Mendelssohn hat das tiefsinnige Introduktionsthema in der Sinfonie noch einige Male benutzt: im Adagio nimmt er einen flüchtigen

20*

308

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Bezug darauf, im ersten Allegro knüpft er direkt an seine vier ersten Noten an. Das Hauptthema lautet:

») AUogro un pQco «f Itato. ^ t. ' . . .—

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Die Erregung, welche in dieser Wendung halbverdeckt durchscheint, wird mit dem Schlüsse des Hauptgedankens:

r n .- fl I r h I I -^i*^' I *= zunächst zu melancho- i pr P II ■'^■' P If r p^^ üscher Ruhe gebracht Bald aber bricht sie in dem Seitengedanken:

mit den heftigen, kurzen Stößen aus, durch welche sich Mendelssohns Sprache der Leidenschaft von denen an- derer Künstler unterscheidet. Das zweite Thema geht mit innigen Tönen

in die klagende tragische Sphäre der In- troduktion zurück. Ein äußerst liebenswürdiger, rührender Nebengedanke, den man ebenso wie den vorausgegangenen Themen die Herkunft vom Lied ansieht, schließt die Themengruppe :

Besonders schön wirkt er, als er. gegen den Schluß der Durchführung hin sich unmittelbar neben die wilde Gestalt des oben mit e) bezeichneten Themas stellt Diese Durchführung ist musikalisch formell vielleicht nicht ganz vollendet, aber ein poetisches Meisterstück, genial in Aufbau und Ausdruck der Stimmung. Dieser Eingang, der Ruhe und Vergessenheit in neuen Träumen sucht, die allmähliche Einführung des Konflikts, der nicht zu

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vermeiden war die wiederholten Versuche abzubreGhen , der endliche Ausgang mit der Trost und Resignation predigenden Melodie der Celli das wirkt alles mit einer Unmittelbarkeit, wie sie an dieser Stelle in Sinfonien nur selten erreicht wird ! Wie ergreifend auch der letzte Abschluß des ganzen AUegro als nach allen Stürmen die Melodie der Introduktion ihr freudlich bleiches Antlitz wieder zeigt! In seiner harmonischen Mischung von menschlicher Tiefe und Anmut mit freier Dichtersprache würde der Satz allein hinreichen, die Bewunderung zu erklären, welche Mendelssohn bei seinen Zeitgenossen erregte. Es hat jedoch auch nicht an vorwiegend süddeutschen Stimmen gefehlt, die den allzu starken Liedcharakter der Mendelssohnschen Sinfoniethemen be- anstandeten und in ihm einen Hemmschuh für die Frei- heit und Mannigfaltigkeit des Satzbaues, insbesondere eine Gefahr für den Gehalt und die Natürlichkeit der ^ Durchführung sahen.

Auf einem andern Grundcharakter basiert ist der zweite Satz der Amoll- Sinfonie, das Vivace. Von dem phantastischen Elemente, welches Mendelssohn für seine Scherzi bevorzugt, hat es nichts. Es ist ein künstlerisch vollendetes Genrebild pastoraler Natur, welches uns nur bedauern läßt, daß Mendelssohn dieses Gebiet so selten betreten hat. Die Themen, welche in teilweise strengerer Arbeit durchgeführt werden, sind folgende:

Einen das Trio vertretenden Mittelsatz hat das Vivace nicht, aber eine kleine Einleitung von wenigen Takten, in der fröhliche Signale auf das bevorstehende lustige Treiben hinweisen. Auch das Adagio beginnt mit einer kurzen Einleitung, die den Zusammenhang mit der Intro- duktion mit einigen, allerdings sehr feinen Strichen her-

310

stellt. Das Hauptthema hat in seiner ersten Hälfte fol- gende Gestalt:

Unmittelbar nachdem es abgeschlossen, tritt das zweite Thema:

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ein, fremdartig und feierlich wie Hamlets Gebt. Im gan- zen weitern Verlauf des Satzes geht es mit dem andern, von dem die Celli bevorzugten Besitz ergreifen, keine nähere Verbindung ein, sondern stellt sich ihm nur, immer wieder überraschend, wie mahnend und warnend, ent- gegen. Diese ungewöhnliche Disposition der Themen gibt dem Satze einen dramatischen Charakter.

In dem letzten Satz verschwindet das romantische Kolorit einigermaßen. Die Themen stürmen einer be- haglichen Sphäre zu

Allegro coli tplrite

erete.

erreichen sie 'i j | J J J J IJ-.JiJTT? | F i, aW^

und geben den Gefühlen heroischer Kraft freudigen Ausdruck :

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ifif ilM'f j'h'i r'iu'r I I, I r|i|V, i

811

7T-nii^ r'i' iff r I

das rücken liegende Stim- men, Orgelpunkte und an« dere Hilfsmittel der In-

strumentation und der Harmonie in eine verklärende Feme.

Die hier angeführten Themen gehören dem ersten, dem Hauptteile des Schlußsatzes zu. Mendelssohn nennt diesen ersten im (7- Takt geschriebenen Teil AUegro guerriero und bietet damit der Erklärungskunst einen verlockenden Stoff. Der zweite, kürzere Teil des Finale be- steht aus einem Satze im o/g Takte, in dessen Hauptmotiv: f i , I h 1 J~ ^^^ schottische Element der Sin- ff 1^1 J' «^ ' '^= fonie noch einmal zu entschieden- ster Geltung kommt. Diese Wendung bildet in der Melodik der schottischen Volksmusik eine stereotype Schlußformel. Bekanntlich fehlt der schottischen Skala die Septime.

Der schottischen Sinfonie steht unter den andern Sinfonien Mendelssohns die vierte (Op. 90], die Adur- F. Headeiaaohu, Sinfonie, an Popularität am nächsten. Sie heißt die A dur-sinfonie italienische und gilt als die künstlerische Frucht der längeren italienischen Reise, welche der junge Mendels- sohn im Jahre 1830 unternahm. Direkt erkennbare süd- liche Elemente bringt die Sinfonie in ihrem Schluß- satze: einer ausgelassenen, bacchantisch lustigen Szene, welcher eine neapolitanische Tanzform, der wilde Salta- rello, zu Grunde liegt. In den andern Sätzen sind Be- ziehungen zum Süden nicht nachzuweisen. Der erste Satz mit seinem heiteren Grundton hat gleichwohl zu vielen schwärmerischen Parallelen mit dem »ewig blauen Himmel des Landes, wo die Zitronen blühen« Veranlassung gegeben. Es herrscht in ihm eine kräftig glückhche Phantasie, die wohl an die Stimmung eines Jünglings denken läßt, der fröhlich und jubelnd hinauszieht in die schöne Welt. Das erste Thema, welches ohne Ein- leitung einsetzt:

Aües^TO vivace.

(italienische).

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beginnt kräftig, ungeduldig; das zweite:

ist ruhiger, hat etwas vom sentimental romantischen

Element; aber ein freudiger Schwung lebt auch in ihm.

In der Durchführung tritt ein neuer dritter Gedanke auf:

- I- ..^m p^t=i welcher dann »"■ - ' -i^-iLä M nr ^LfJI '^* I auch in den

Schlußteil des ersten Satzes aufgenommen wird.

Der zweite Satz (Andante con moto, DmoU) beginnt als schwermütige Ballade mit folgendem Hauptthema, zunächst von Bratschen, Klarinette und Fagott vorge- tragen :

Anduite con moto

dem dann ein freundlicher Gesang entgegentritt:

Diese anheimelnde Begegnungsszene wiederholt sich mit kleinen Intermezzos einige Male: Die trauernde Grestalt hat das letzte Wort, und wie mit leisen Seufzern ver- schwindet der Satz in die umwölkte Ferne. Sind in diesem langsamen Satze schon nordische Anklänge nicht zu verkennen, so tritt in dem folgenden Satze, einem 9/4 Takt ohne weitere Gattungsbezeichnung, das deutsche Element mit der größten Bestimmtheit vor.

Der Hauptsatz dieses traulichen Stückes knüpft mit seinem Ländlerthema:

Con moto moderalo

313

an die gemütlichsten Bilder an, welche die Wiener Meister von deutscher Fröhlichkeit und Geselligkeit ent- worfen haben. In dem Mittelteil dieses Satzes lebt die Romantik unsrer Wälder in der Seele des jungen Men- delssohn auf: CM. V.Weber, die musikalische Jugend- liebe Mendelssohns, scheint vor seine Phantasie zu treten, und in dessen Hornklängen spricht der junge Tondichter einige der herrlichsten Zeilen seiner italie- nischen Sinfonie.

Der letzte Satz, mit einem fanatischen Unisono seinen unbändigen Charakter ankündend, bringt als erstes Thema folgende unverkennbare Volksmelodie: »

Presta

rijtrffP'i^'^^

Es zieht in einer langen Entwicklung auf, durch- streift die Nuancen seelischen Ausdrucks von der zarten Anmut bis zum wilden Toben und bringt alle Kräfte des Orchesters, die Solisten und die Massen in immer hef- tigere Aktion. Dem Aufmarsch dieses Hauptthema folgt eine Nachhut aus derben Elementen, aus stampfenden und pochenden Figuren, wie:

eine Reminiszenz an dieRüpelszene des>Somroernachts- traums« gebildet Die weicheren und feineren Geister haben in den Kreisen dieses Satzes nur einen beschei- denen Platz. Das zweite Thema, in dem ein leises Zitat an die Durchführung des ersten Satzes, gleichsam wie an den Anfang der Reise erinnert, sucht sie einzuführen: ^7- _ _^ Ein erneutet

ir K Ljj - «i I I I •- -„s;- ' LU * == Versuch, die

ins Bedrohliche steigenden Wogen der Fröhlichkeit zu glät- ten, Wird in der Durchführung dieses Satzes mit der Figur

/"

314 ♦—

unternommen. Wie der erste

I Satz der A dar-Sinf onie man-

w»' ^"^ ches aus der Notturnosphäre,

so bringt dieser letztere außer der schon angeführten Stelle noch weitere wörtliche Einzelheiten aus den gro- tesken Partien der So^nmemachtstraummusik, speziell aus der Ouvertüre.

Die italienische Sinfonie ist als Nr. 4 erst nach dem Tode des Komponisten veröffentlicht worden; der Ent- stehungszeit nach geht sie der schottischen um mehrere Jahre voran: sie wurde von Mendelssohn zuerst im Jahre , 1833 in . der Philharmonischen Gesellschaft zu London r. HeadelMokB» aufgeführt. Zwischen diesen beiden Hauptsinfonien Men- aih^^f^^\ delssohns liegt sein »Lobgesang«, den er als »Sinfonie- (Sinfoniekantate). ^^^^^^ ^ach Worten der heUigen Schriftc bezeichnet

' ^'^ ^' Die Mischung von Sinfonie und Kantate, wie sie in diesem Werke sich 2eigt, ist älter als Beethoven und seine neunte Sinfonie. Die eigentümliche Anlage dieses Lobgesangs ist jedoch mit Berufung auf ältere Vorlagen noch nicht recht zu verstehen. Während die schottische und die italienische Sinfonie 'ziemlich langsam reiften, entstand diese Sinfoniekantate als rasche Gelegenheits- arbeit zum Leipziger Gutenbergfest des Jahres 1840. Für die Instrumentalsätze benutzte Mendelssohn eine seiner Zeit für London geschriebene Jugendsinfonie, deren Charakter sich der Idee der gewönschten Festmusik ohne Gewalt anpassen ließ: Zu der Dankfeier, welche einem der wichtigsten Kulturereignisse, einem Wendepunkt in der Geschichte der Menschheit galt, soll die ganze Ton- kunst beisteuern. Voran schreiten die spielenden Massen. Sie loben den Herrn (im ersten Satze) mit Posaunen:

Dann lobt man ihn mit Psal- ter und Harfen, in einem y »feinen Ton<. Dieser feine

Ton ist der Kern des ersten Teils des Allegretto der Sin- fonie (Gmoll, 8 s); seinen Ausgang bildet eine Choralpara- phrase. Dem dritten Satze, dem Adagio (Ddur, s/^), dem frommsten und ehrfurchtsvollsten Teile der Sinfonie,

* 816 ♦—

scheint der Gedanke zn Gründe su liegen: »Betet an den Herrn in seinem heiligen Schmuckec. Er bildet den Schluß des Sinfonieteüs im Lobgesang. Nun setzt die Kantate ein. In ihrem ersten Chor sucht sie die Verbindung mit dem Vorausgehenden, indem sie das oben angegebene Thema des ersten Sinfoniesatzes zu den Worten »Alles was Odem hat, lobet den Herrnc aufnimmt Der Höhepunkt dieser Kantate ist das dra- matische Rezitativ des Tenors: »Hüter, ist die Nacht bald um?c

Weniger bekannt, im Drucke erst seit dem Jahre 1868 vorliegend, ist Mendelssohns »Reformationssinfonie.«. F. ■•■delisohn, Das Werk ist interessant als ein halb deklarierter Bei- ^•f^^"'' trag Mendelssohns zur Programmusik. Auf die Refor- «»«>»•' mation selbst nimmt es den klarsten Bezug im letzten Satz, dessen Mittelpunkt der Choral »Eine feste Burg« bildet. Um ihn herum treten noch kriegerische Lied- <ifr. ft^Ddnr weisen, die den Charakter der Volkslieder des Mittel- Op.io?). alters tragen. Der religiösen, ernsten Seite der Refor- mation selbst, ihrer streitbaren Natur, ihrer Freudigkeit am Kampfe, ihrer Festigkeit im Glauben und im Gottver- trauen ist der erste Satz gewidmet. Mit einer gewissen Starrheit und Unbeugsamkeit hält er ein kurzes Motiv fest: An«rro. ^^ ^^^ ^®' Einleitung bis zum

'£^ II kl'^ ' ^^^1^^^^» ^^ ^^^ ^®3^® Wächter- B* "'' J J^ ' " rof in der Nacht, den Satz durch- schallt Wie das Kleinod, dem das Mühen gilt, ist die Melodie des Lutherischen Amen (das sogenannte »Dresdner Amen«, das auch Wagner in seinem Parsifaljs j8 >J Je aufgenommen hat):

in die erste Abteilung der Sinfonie hineingestellt. Der Zeit der Reformation gilt der zweite Satz, ein Allegro vivace, die musikalische Verkörperung einfachen, alt- väterisch schlichten und kräftigen Frohsinns. Seine Melo- die erscheint als metrische Umbildung des zweiten Thema im Vivace der schottischen Sinfonie. Das Trio besitzt Weihnachtsklang. Das Andante hat nach der Kürze des

^

_^ 316 «^ .

Umfangs und nach seiner erregten Haltung Ähnlichkeit mit einem Rezitativ.

Im melodischen Stile weicht die Reformationssinfonie von den drei vorhergenannten Werken ab. Nichts von den weichen Sext- und Terzvorhalten, welche in den Weisen der mittleren Periode immer wiederkehren, und wenig von der RQcksicht auf das Violinmäßige, welche in der Motivbildung der andern Orchesterwerke häufig in den Vordergrund tritt. Es geht ein herber, aber cha- raktervoller Zug durch die Melodik der Reformations- sinfonie, der allein dazu berechtigen würde, diese Kom- position .der Jugendzeit Mendelssohns zuzuweisen. Sie

V, Heudeliiokn, teilt ihn mit seiner ersten Sinfonie, der in C moll.

CmoU-Sinfonie. Diese ist (als Opus 11) der Philharmonischen Gesellschaft in London gewidmet, vor längerer Zeit schon durch Schlesinger in einer gestochenen Ausgabe veröffentlicht, aber für Aufführungen so gut wie nicht benutzt worden. Der Stoff, welchen sie der Vergleichung und der bio- graphischen Betrachtung bietet, ist nicht unbeträchtlich, (m Stile steht sie auf dem Boden der »Hochzeit des Camacho«, der »Heimkehr aus der Fremdec und läßt gar nichts von der eigentümlich phantastischen und reich beweglichen Natur des Komponisten der Sommer- nachtstraummusik ahnen. In den Gedanken folgt sie namentlich der Führung Beethovens; der erste Satz knüpft direkt an Ideen des Gdur- Konzerts, der Coriolan- ouvertüre und der Waldsteinsonate dieses großen Vor- bildes an. Trotz dieser Unselbständigkeit ist aber das Werk wegen der Kraft, Frische, Knappheit und der Ent^ schiedenheit, mit der es sich auf gedanklich Wichtiges richtet, sehr erfreulich und besitzt Lebensfähigkeit.

Die naive Richtung der Romantik tritt mit der phan- tastischen ziemlich gleichzeitig in die Musik herein. Ihre ersten Vertreter, unter welchen wir den liebenswürdigen, lyrisch schwungvollen F. E.Fes ca (vier Sinfonien 1817 bis 28) nennen, gehören noch dem Stilbereiche der Nord- deutschen Schule an. Ihr Hauptmeister ward R. Schu- mann. In der großen Reihe hoher Dichtergaben, deren

. -^ 317 f^

Vereinigung Schumanns Individualität imposant macht, sticht sein naiver Zug besonders hervor. Mit ihm vertritt er in der Sinfonie kräftiger , als es vor ihm geschehen, jenen Rousseauschen Zug zur Natur und Einfachheit, dessen Aufleben den gesundesten Teil der romantischen Bewegung bildet, denselben Zug, welcher unsere Dichter zum Volkslied zurückführte und unsere Maler, Ludwig Richter voran, den großen Schatz von Poesie neu ent- decken ließ, der sich dem sinnigen Auge in der Alltäg- lichkeit des heimischen Lebens und im eigenen Lande anftat Der jugendliche Ton,- die große Dosis unge- zwungener Natürlichkeit ist es in erster Linie, durch welche Schumanns Musik ihre erfreuende und erfrischende Macht übt. Diesen inneren Eigenschaften verdankt sie auch viele von ihren eigentümUchen formellen Elementen: die Figuren und Gesang ineinanderziehende Themenbildung, die aphoristischen und versteckten Melodien, die jetzt ungeniert losen, jetzt seltsam verketteten- Rhythmen, die Naturlauten gleichenden Dissonanzen imd alle die neuen Elementarbildungen, durch welche Schumanns "Schöpfungen für die weitere Entwicklung der Tonkunst von großer Bedeutung geworden sind.

In die Reihe der Sinfoniker trat Schumann unge- fähr ein Jahr "bevor Mendelssohns > schottische Sinfoniec erschien.

Die echten Romantiker pflegen ihr Bestes gleich beim b. SeiiuiaBB, Anfang zu geben. Schumanns sinfonischer Erstling war Bdor-Smfbnie. die Sinfonie in Bdur (Op. 38), eine seiner schönsten Ton- dichtungen und dasjenige Werk, welches seinem Namen mit einem Schlage die historischen Würden erwarb. Die B dur-Sinfonie hält sich an die bekannten Hauptformen der Gattung und bewegt sich im wesentlichen in ver- trauten und jedem Menschen naheliegenden und lieben Ideenkreisen aber Schumann behandelt Idee wie Form mit ungewöhnlicher Freiheit und Kühnheit Ja in der kurzen ungenierten Ausdrucksweise, welche er in -einzel- nen Sätzen entwickelt, liegt eine Originalität, die nicht bloß vor 70 Jahren neu und befremdend wirkte, sondern

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aie würde auch heute noch diskutabel sein, wenn nicht der Grund einer fortreißenden NatttrHchkeit und einer mächtigen Phantasie, auf denen sie ruht, zu stark durch- leuchtete. Schumann selbst nennt in einem Briefe an Ghepenkerl seine Bdur-Sinfonie >in feuriger Stunde ge- borene !)nd nahm es seinem Freunde Wenzel sehr Übel, als dieser (in der Leipziger Zeitung) bei Beurteilung des Werkes von Hoffnungen für die Zukunft gesprochen hatte*}. Sie war in der kurzen Zeit von vier Tagen im Entwurf fertig.

Die poetische Idee der Sinfonie soll**) mit dem Ge- dichte »Du Geist der Wolke tr&b und 8chwer< von Adolf Böttiger in Beziehung stehen. Die Worte >Im Tale zieht der Frfihling auft leiteten den Komponisten, der das Werk mehrmals seine »Frühlingssinfonie« genannt hat

Dunklen Bildern und Ideen gibt Schumann in ihr, die den Stempel einer glücklichen Zeit überall trägt, nur soweit Raum, als es das Gesetz des Gegensatzes, das Lebenselement der Sonaten- und Sinfonieform, fordert.

Die Einleitung stellt zuerst diesen Gegensatz hin.

Feierlich und ernst, auch etwas drohend, erhebt sie

sich in ihrer ersten Hälfte und bringt in lapidarer Form

Andante m poco maettos».^ ^ das Motiv voraus, welches

A^ H 0 T IT' p r' P If r F in dem Gefüge des ersten ^ ^ . r r I I = g^^^^g ^.^ Hauptstütze bü-

det***). Klagende Weisen tauchen in den Holzbläsern auf, schwer und kurz schlagen die Massen mit Akkorden drein. Da mit einem Male, mit einem Ruck in der Harmonie, kommt Flötenklang: der Horizont hellt sich auf; in den

*} G. F. Jansen: R. Scbnmannb Briefe. Neue Folge (Leipzig 1886), S. 175.

**) Nach einem auf der Leipziger Stadtbibliothek befind- lichen Widmnngsblatt Schamanns an den Dicbter.

***) Nach des Komponisten erster Intention bieß das Motiv

'if l^' n I <■ j.j- ■■ I J ? r^ ^^^ ^^' '^^ ^^^ damals nur fr ^ " ^+f" p'f p N -"^^ fftr Natortdne eingerichteten

Hömern einen komiseben Effekt.

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Geigen beginnt es zu rauschen, und in einem großen, mächtigen Zug geht es über in das kräftige, frische Leben des Allegro:

So lautet das Haupt- \\f p tbema fQr den ersten

Satz einer Sinfonie eine ungewöhnlich leicht gefügte, fast wunderliche Erschei- nung, die in ihrer Naivität dem Geiste Haydns und älterer Meister nahesteht Auch das zweite Thema ist in seiner Bildung ungewöhnlich:

r |i i>f '.Ji ' I J'

Es gleicht mehr einer Kette von Naturlauten als einem künstlerisch gestalteten Gesang. Was sonst noch an Melodie in der Themengruppe vorkommt, das reduziert sich auf Skalenmotive und auf kurze und kecke Andeu- tungen. Neben diesen anspruchslosen und bagatell artigen Ideen stehen aber Perioden, in welchen sich die Har- monie in dem großen Stile Beethovens aufbaut, kühn, sicher und leicht gestaltet. Alles ist vom Leben getragen, und eine mächtig drängende Stimmung verrät die un- gewöhnliche Künstlernatur, die auch aus Kleinigkeiten Bedeutendes bildet. Die etwas schwächere Durchführung nimmt einen doppelten Anlauf. Das erste Mal geht der Weg über die beiden ersten Takte des Hauptthemas. Ihren dunklen Kombinationen fügt der Komponist nach , dem Muster von Beethovens dritter und vierter Sinfonie noch eine neue, unbestimmt suchende Melodie bei:

if I' 111.1 I i^T] I i|"T^ l^^l^l/

Auf der Höhe angekommen, erhebt die Flöte ihre Stimme und jubiliert wie eine Lerche mit der losen Sech- zehntelfigur, welche die zweite Hälfte des Hauptthemas

320

bildet Das Triangel klingt romantisch drein. Beim zwei- ten Male geht _ und ffihrt der Weg über l ^'' . j, LJT^j.jn WfJr fff ^unmittelbar ein Nebenmotiv ^ , ' ^ in den drit- ten Teil des Satzes über. Die Stelle, wo das Haupt- thema in den breiten 'Rhythmen der Einleitung von Trompeten und Hörnern getragen und mit dem vollsten Glänze des Orchesters wieder eintritt, ist eine der herr- lichsten in allen Sinfonien! Die Reprise ist sehr kurz gehalten, der zweite Teil des Hauptthemas sogar über- gangen. Dafür fügt der Komponist eine breite Coda an, die sehr viel Neues bringt. Besonders schön und innig berührt uns nach den stürmischen und hastigen Anläufen, mit denen sie beginnt, der fromme und ruhige Gesang

J)/ erese.

» .^_ . .— _ -^ . ^^® rhythmischen Stockun-

r irr If^f ip'^'pT^^ ge^i welche den graden

Gang dieser Melodie auf- halten, sind eine Liebhaberei Schumanns. Aus ihr ent- wickelte sich mit der Zeit mehr und mehr eine erschwe- rende und störende Manier.

Der zweite Satz (Larghetto, Esdur, s/q) erscheint durch die letzt angeführte Episode in der Coda des ersten Allegro ideell vorbereitet Er redet die Sprache eines Herzeus, das leise zagt, bittet und vertraut Ein tief reli- giöser Zug lebt darin. In Geist und Form dieses Larghetto ist viel Beethovensches, namentlich in den Obergangs- gruppen. Als Hauptthema dient dem Satze folgende MelodQe:

Larghetto.

-^ 321 <►-

Die Ausweichungen ihrer ersten Takte sind ganz Schu- manns Eigen. In der kurzen Gruppe, welche der Repe- tition des Themas durch die Celli (in B} vorausgeht, tritt ein Beethovensches Motiv (Andante der fünften Sinfonie) j L- - p- jk- - . hervoy« Der Gegensatz zum Haupt- ff r P r ^ij ^^thema besteht aus einer knappen ''"*'^=^ - Partie, in welcher das Motiv

durch die Instrumente wandert. Auch ft f" \ /j|J in diesem Satze bringt der Schluß etwas

****• i^Anz Naiias. -onArlAr AinAn TTinwAia «.nf

ganz Neues, wieder einen Hinweis auf den folgenden Satz: Wir hören ins Feierliche Übertragen den Anfang des Scherzo von einem aus der Ferne her- übertönenden Posaunenchor. Wie mit einer stummen, tiefsinnigen Frage klingt das Larghetto aus, und un- mittelbar, ohne eigentliche Pause, schließt sich das Scherzo mit seinem energischen Thema an:

Jill Jl I ll.l.ll I I. I l|M| T Il ] II

Der zweite Teil des Hauptsatzes ist ungewöhnlich knapp gehalten. Eingeleitet wird er durch eine selbständige, liebenswürdige Idee

jij if ^r I n J I fO 1 1 1 ^JJJN^J I jj N

Dem finstren Tone, der den eigentlichen Scherzosatz be- herrscht, stellt Schumann zwei Trios gegenüber, auch hierin ungewöhnlich und, für seine Zeit wenigstens, neuemd. Von beiden ist das erste namentlich von großer, von unerhörter Originalität: ein Wiegen auf weichem Rhythmus, ein Klingen und Grüßen lieblicher Akkorde, das aus der Feme näher und näher kommt und wie die starke Melodie der Winde anschwillt! Für die rhythmische ^ ^ ^ liegen in Beet-

Grundidee 4 li" ^ \ ^ I j f I ^ I f hovens erster, dieses Trio **" ' ' ---^ " für die Mystik

seines Klanges in desselben Komponisten neunter Sin-

Kretcschmftr, F&hrer. L, 1. 21

322

fonie Vorbilder

vor. Ein kleines,

munteres Motiv

bildet den Abschluß der wunderbaren Partie. Das

zweite Trio entwickelt eine harmlose, jugendliche Fideli-

tät auf Grund ei- . -

nes altbekannten ^ l" 58 , J I J J J I J J f I (" 1 1* AUerweltsthema: > '"'^ ' ^

es gehört also mit unter die in alter Zeit so beliebten Solmisationsscherze. Das erste Trio wird am Schlüsse des Scherzo noch einmal zitiert, es erscheint mit innigen, sehnenden Blicken und verschwindet mit einem Seufzer. Das Finale der Sinfonie ist aus Heiterkeit und Kraft ge- mischt Es dreht sich wie das Hauptthema des ersten Satzes in vergnügter Stimmung in originellen, anmutig possierlichen Wendungen

AUe^o anfm&to-

(erstes Thema) und führt wunderliche Dialoge, in welchen den ausgezeichnet gelaunten Bläsern von den (zeigen unwirsch und barsch geantwortet wird

^^^

/f.^

▼w.

TTT

Aus dieser eigenartig klin-

3 genden Stelle entwickelt sich

dann das eigentliche zweite

Thema des Finale, der Ausdruck eines in Ruhe, Dank- barkeit und Festigkeit gesammelten Gemütes:

f^^f^ir\rfij^i'r^fT^?Tif?if't\Trrf\r

Unter den vielen Zügen des Humors, die sich in diesem Finale finden, sei namentlich auf die Stellen aufmerksam

923 i

gemacht, wo sich die Bässe mit den Cellis und Bratschen des Motivs bemächtigt haben.

Der Entstehnngszeit nach liegt die vierte Sinfonie Schumanns (Op. 120) nicht weit von der ersten. Sie wurde im Jahre 1841 als Nr. 2 aufgeführt und erhielt später im wesentlichen nur eine neue, f&r geringe Or- chester berechnete Instrumentierung, einen 'viel dickeren und plumperen Rock, der viel von der Grtizie -und den Farbenreizen des ursprünglichen, erst in jüngster Zeit veröffentlichten Entwurfs verdeckt. Im Kunstwert der Bdur- Sinfonie mindestens gleich, wenn nicht überlegen, und ihr auch im Charakter nahe verwandt, bildet Schu- R. SehmnABn, manns DmoU-Sinfonie in der Geschichte der Sinfonie- ^ ™o""S*n^on»« form ein wichtiges Dokument Wir denken hierbei weniger daran, daß in ihr genau wie in Mendelssohns A moll-Sinfonie die vier Sätze des Werkes ohne Unter* brechung aufeinander folgen, also gleichsam einen ein- zigen großen Satz bilden sollen, als vielmehr an die von Schumann Altern Vorgängern glücklich nachgebildeten Versuche, die einzelnen Sätze in einen engeren materiellen Zusammenhang zu bringen und dem ganzen Werke eine strengere Einheit zu geben : Die Introduktion ist mit der Romanze, der letzte Satz mit dem ersten durch Gemein- samkeit und Verwandtschaft der Themen verknüpft Aber auch innerhalb der einzelnen Sätze, namentlich im ersten, zeigt der formelle Aufbau gelungene Neuerungen von Bedeutung. Angesichts der Sicherheit und Leichtigkeit, mit welcher sie vollzogen sind, kann man nur erstaunt sein, daß vormals und neuerdings wieder die Frage auf- geworfen werden konnte, ob Schumann der großen Form völlig Herr gewesen sei.

Das Thema, mit welchem nach einer etwas schwer- mütigen Introduktion das erste Allegro einsetzt, ist folgendes:

21*

--• 324 %^

allerdings formell eine bloße Figur, aber eine Figur Yoll Cbarakter, aus der eine starke Erregung spricht. Es ist {lochst meisterlich, wie Schumann dieses schwierige Thema handhabt, jetzt zum Ausdruck trotzig stürmender Kraft, jetzt des Zweifels gebraucht und dann mit ihm in freu- dige Regionen einlenkt. In keinem Takte läßt er es aus der Hand. Ob als Hauptglied, ob als Arabeske, immer ist es da und beherrscht die ganze Themengruppe, so daß, obgleich alles singt und lebt, ein zweiter ebenbürtiger Hauptgedanke in dieser nicht aufkommt Um so üppiger blühen die neuen Ideen im Durchführungsteile. Da ist zunächst, ähnlich wie in Schuberts großer G dur-Sinfonie, ein geheimnisvolles ^^ "^^ , welches sich

Motiv der Posaunen ' ^ ^f \ ^ \J I T^ mit den Umbil- dungen der Hauptfigur verbindet; da ist ferner die feierliche, prächtige, mit Fermaten gekrönte Gruppe, deren Thema:

p,^ später die Spitze

r- JJ«li3|J?iund den Kern des

•^ Finale der Sinfonie

bildet, da ist vor allem die schöne, zarte, echt Schumann- sche Gestalt, die, noch post festum eintreffend, den Platz und die Bedeutung eines zweiten Thema in dem Satze erhält:

In der dem Komponisten eigenen Weise ist auch diese Melodie an verschiedene Instrumente verteilt. Der Vor- trag dieses ersten Satzes gehört, obwohl er technisch verhältnismäßig leicht ist, zu den schwierigsten Aufgaben, die an Dirigenten und Orchester gestellt werden können. Die Schwierigkeit liegt in dem unaufhörlichen, je nach vier oder zwei Takten erfolgenden Wechsel von Stimmung und Motiven. In ihm sind der Vult und der Walt Jean Pauls noch viel entschiedener, anspruchsvoller und tem- peramentvoller verkörpert, als im Florestan und Eusebius der Davidsbündler. Diese humoristische Gegensätzlichkeit verlangt eine äußerst elastische Tempoführung. ^

325

Aus der freudigen Sphäre, in welche der schwung« volle feurige Schluß des ersten Satzes versetzt, ruft uns der Einsatz des folgenden dämonisch ab. Ohne Zweifel hat dieser akzentuierte D moll- Akkord, den die Bläser wie einen Schmerzensruf ausstoßen, mit dem bekannten Quartsextakkord, welcher das Allegretto in Beethovens siebenter Sinfonie einleitet, eine geistige Verwandtschaft. Aber bei Schumann wird die Wirkung des elementaren Mittels dadurch verschärft, daß die Zwischenpause der beiden Sätze wegfällt. Es ist wie ein Regenschauer bei blauem Himmel! Die Romanze mit ihrem edel weh- mütigen Gesang

Ziemlich Unf^sam.

LllU' Ü\

gehört zu dem Schönsten, was die Musik an Volkspoesie be- sitzt Mit der größten Natür- lichkeit schließt ihr Schumann die nachdenklichen Ge- danken an, welche das thematische Material der Intro- duktion der Sinfonie bilden:

iyj iiCT ^°^51lI> LJjT^ fTTTcH

Die klagende Melodie hat sie geweckt. Eine außer- ordentlich üebenswürdige Idee des Komponisten aber ist es, aus ihnen den freundlichen, sonnigen Ddur- Satz zu entwickeln, welcher die Mitte des kleinen Ton- bildes einnimmt. T^m der Schönheit der Zeichnung und der Intention kommt hier auch noch der warme, milde Klang, den die Celli der Melodie geben, und der Reiz, den der zierliche Schmuck der Solovioline darüber gießt.

Das Scherzo hat einen kräftigen Humor, am Schluß des Hauptthemas

326

spricht der Obermut der Jagendkraft, der Schumanns beste Komposition kenn- ^ ...,..,.. -^

zeichnet Aus dem Grund- ji^ltiljjJIJJ ^^ motiv des Hauptthemas: *

bildet der zweite Satz zärtliche und innige Varianten. Das weiche, träumerisch sinnige Trio, mit seiner sanft dahingleitenden Melodie:

Cl«r.

kehrt nach der Wiederholung des Hauptsatzes zurQck, In seine einfache Herzlichkeit mischen sich schmerzliche Töne. Es nimmt einen langen Abschied und klingt dann noch wie aus weiter Feme, wie in Traumes- schatten an. Als es ganz still geworden, intonieren die ersten Violinen wieder das Sechzehntelmotiy des ersten AUegro in der Form eines schüchternen Vorschlags: ^^^§*!f^-^--^^ I^iö Posaunen und Hörner sind vor h V' TffTfrTl" ^^' Hand noch anderer Meinung und ij ^g^^#^*""»^ wollen bei der ernsten Weise bleiben. Die Mehrheit entscheidet aber zu Gunsten der Violinen, die Holzbläser gehen mit ihrem Antrag sogar noch weiter und stellen Motive auf, die. dem freudigen Gezwitscher der Vögel zu gleichen scheinen: So wird der heitere Charakter des letzten Satzes fest- gestellt. Diese 16 langsamen Takte, welche den Ober- gang vom Scherzo zum Finale bilden, enthalten einen Reichtum von Phantasie und von musikalischen Ideen, welcher für eine eigene neue Kofaiposition ausreichen würde. Das Hauptthema Bow^rt.

des Finale bt uns aus fj f{ fij ^-^ ..t^^

der Durchführung des ^ ^U^^ yV^¥-w-i]\inST ^ ;

ersten Satzes bekannt: ^

Mit der Entschiedenheit, die der Grundstimmung des Finale entspricht, rückt es sofort im dritten Takte nach C dur. Die Bässe in ihrem schwerfälligen Geiste halten noch eine ganze Weile an der Sechzehntelfigur fest Das Finale hat

327

seine schwülen Momente: Sie finden sich in dem Motive .^^^-^^ welches Oft durch das Orchester fährt, rfi' -i^^5^ namentlich aher am Eingang der Durch- jr y «=• führung, wo dem über das Hauptthema gebildeten Fugato ganz eigentümliche Dissonanzen in ihrem besonderen, schrillen Klange eine eigenste Er- findung Schumanns vorhergehen. Aber immer folgen diesen flüchtigen Trübungen Partien von vollendeter An- mut Das zweite Thema ist ihr Hauptträger:

/iijri'iTiiiTüEii'jiniiijirn'Liüiii

in seiner Mischung von Grazie, Kaprize und* jugendlich fröhlicher Naivität ein echter Schumann. Es geht in eine Periode von kühnetn harmonischem Aufbau über, in der die Kraft aufbraust. Der Posaunenklang kenn- zeichnet sie. Nach Beendigung der Reprise lenkt der Satz noch einmal auf ein ruhigeres Gebiet über, mit einem un- erwarteten neuen Thema freundlich fragenden Charakters:

g . j -■ . i-.| Um so stürmbcher bricht dann

"Fi* f rjl I r r^ r '' I der jubelnde Schluß ein. Erbat "^ die Form einer Stretta, frei nach

itaUenischen Mustern! Das letzte Presto hat noch nie seine Wirkung verfehlt

Mit seiner Dmoll-Sinfonie zugleich brachte Schumann eine zweite kleine Sinfonie, eine Art Suite in drei Sätzen, zur ersten Aufführung, die unter dem Titel »Ouvertüre, Scherzo und Finale« als Op. 52 veröffentlicht wurde. Auch diese Sinfoniette zählt, nach der Häufigkeit der Aufführungen zu schließen, unter Schumanns beliebteste Kompositionen und hat den Schülern dieses Meisters be- sonders oft als Modell gedient Was sie so anzieheüd und wirkungsvoll macht, ist der stark ausgeprägte Ton ritterlich phantastischer Romantik. Darin und in der ganzen Richtung der Phantasie erscheint sie als das Seitenstück zu den vierhändigen Märchenbildern. Man könnte ihr eine neuere oder älterere »Aventiure« unter- legen. Es lebt in ihr ein weltfahrender, abenteuerUcher und munterer Sinn

SelimiBamB,

OnvertSre,

Scherzo,

Finale.

-^ 328

AOe^o

etc. etc.

Sie erzählt von Lieben and Sehnen

^ViHi.iT'r ii 11 ir I I h I I r I

(1. Sati.)

Tri« -im

und auch von Fehden und wehrsamen Streichen:

Nicht ohne Be- deutung ist es, daß Schumann y/r^-^ f««^ am Eingang des" ^ Werkes so deut-

lich den Geist Cherubinis, des Komponisten der >Aben- ceragen«, vorbeiziehen läßt Auch Webers romantische Harmonien klingen in der Ouvertüre durch. Musikalische Erfindungen bietet die kleine Sinfonie von eigenster und reizendster Art; in der Ausführung steht sie jedoch hinter den beiden Sinfonien in B und D beträchtlich zurück. Die Ungezwungenheit des Komponisten artet hier viel- fach in Lässigkeit und Breite aus; ja der letzte Satz trägt in den Mendelssohnschen Zitaten und in dem eigensin- nigen Beharren an alltäglichen Einfällen, in der Mono- tonie des Rhythmus und Metrums die unverkennbaren Spuren einer versagenden Phantasie.

Auf einem andern Boden als diese drei Werke steht B. SehmaiMm, Schumanns Cdur-Sinfonie, die (als Op. 61) in der Yer- C dar-Sinfonie. ö£fentlichung der in D moU vorausging und bekanntlich die zweite genannt wird, aber nach der Entstehungszeit und nach der ersten Aufführung Schumanns dritte Sin- fonie ist In dieser Sinfonie hat ^ sostenuto assaL Schumann hohe pathetische In- tentionen verfolgt Das Motiv: welches die Trompeten und Hörner an den Eingang der

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feierlich sinnenden Introduktion hinstellen, durchzieht, mit Ausnahme des Adagio, alle Sätze des Werkes wie ein geheimnisTolles Geisterwort nnd bietet uns die Richt- schnur für den außergewöhnlichen Flug, welchen Schu- manns Phantasie in dieser Tondichtung zu nehmen ge- dachte. Es handelte sich hier für den Komponisten um die großen Leidenschaften und die höchsten Ideen einer Menschen seele, um Faustsche Probleme: um den Weiter- bau auf jenem gtausig schönen Terrain^, auf welchem die neunte Sinfonie steht. Es geschah auf Grund dieser zweiten Sinfonie namentlich, daß Schumann von einer Anzahl treu ergebener Verehrer als der »Erbe Beethovens« proklamiert wurde. Wir wissen, was Schumann mit diesem größten Tondichter des Jahrhunderts gemeinsam hat, und stellen die zweite Sinfonie um ihrer Intention willen sehr hoch aber wir glauben doch, daß es eine Irrlehre ist, sie als die Hauptsinfonie ihres Autors zu erklären. Sie ist sowohl in dem Werte der musikalischen Grundideen selbst als in ihrer Behandlung ungleich; sie mischt Perlen und Sand und steht an Frische und Natürlichkeit der Gkstaltungskraft den vorausgehenden Sinfonien sowohl in einzelnen Satzgruppen, wie auch in ganzen Sätzen nach. Mit der C dur-Sinfonie beginnt ein Abschnitt der Entwickelung Schumanns als Instrumentalkomponist, in welcher der naiv-romantische, volkstümliche Zug seiher Erfindung die vornehmere künstlerische Sphäre häufig verläßt. Namentlich in den Finalsätzen der G dur-Sinfonie nnd in dem der ihr folgenden Es dur-Sinfonie tritt diese Erscheinung zutage und leider gerade in ihren Haupt- themen. Zu dem Besten der G dur-Sinfonie zählt im ersten Satze der Abschnitt, welcher das zweite Thema entwickelt, und das Thema selbst, welches in der Intro- duktion schon angekündigt wird:

Alldgroi um aon troppo

hi--i- f|U f-f^r- j-tW-- ^^ eigentlich nur ein Absen- T CjrqiU ' (ill^ kervomHauptlhema desSatzes:

330

P 9r9»9,

r^ j u I _. f F" fl I P Dieses Hauptthema, in seil "iT^t'-^pIcJ ' P'^ kapriziösen Charakter a

seinem aller»

-dings sehr wohl yerständlich, leidet schon an der Mono* tonie des Rhythmus, welche die schwächeren Werke Schumanns kennzeichnet. In der Durchführung ist ein müder, stockender Schritt, der die Höhe nur erstrebt. Doch sind darin in der Gattung des leidenden Aus- drucks große Schönheiten. Die Glanzmimmern der Sin- fonie sind der zweite und dritte Satz. Jener ist ein Scherzo, welches in dem Hauptsatze aus dem Motiv Attegr» TiTftca. entwickelt ist Es dringt

j^i fff IT r fibl r"l 1"] MifU-l-A-aqs der anfangs be-

wölkten Sphäre zu«- weilen zu einer grandios freien Stimmung vor, nament- lich in den H dur-Schlüssen. Die Frühlingsklänge, die sich in den Holzbläsern vereinzelt hören lassen, erscheinen im ersten Trio zu einem Gedichte zusammengereiht Das zweite Trio, welches nach der Repetition des Haupt- satzes einsetzt, gehört zu den schwächeren Partien der Sinfonie. Der dritte Satz ist ein Adagio, das in seiner Anlage einer Phantasie über folgendes Thema gleicht:

j!>^-lij-lllp?^|)luMrflrTr>plji i'l^J t^l

Dieser tiefe, seelenvolle Gesang,

P, ^> ' öl dessen Heimat das Trio in S. Bachs

»Musikalischem Opfer« ist, beherrscht den Satz; ein selb- ständiges Thema tritt ihm nirgends auf die Dauer ent- gegen. Die wunderbare Melodie scheint, der trauernden Peri gleich, den Himmel zu suchen. Und sie findet die Pforte offen. Da, an den Stellen, wo die Violinen in Trillern von der höchsten Höhe wieder herabschweben, kann man einen Blick hineintun. Dieses Adagio, eins von den wenigen neuen, deren Kürze man bedauert, wirft noch etwas von seinem Glanz in den letzten Satz der Sin-

381

fonie hinein. Kurz nach dem Abschlüsse des ersten The- ma, dessen AllegTO molto viTMe. da, WO

Hauptkern i m p | T f P 1^ T P M 1* IT dieVio- folgender: *^ if linen

ihre Achtelfiguren anfangen ergreifen im Finale die

'Celli den Gesang des Adagio und bilden aus ihm das zweite Thema des Schlußsatzes. Die spätere Stelle sie ist an den Generalpausen leicht zu erkennen , wo diese schöne Melodie gleichsam unter allgemeiner Trauer ins Grab gelegt wird, ist eine der ergreifendsten im ganzen Finale. An großgedachten Kombinationen ist dieser Schlußsatz reich. Wir rechnen dabin außer der Einfüh- rung des zweiten Themas aus dem ersten Satze auch die Aufnahme eines bekannten Beethoven sehen Gedankens:

^^ r-r- ^** d®^ Eindruck des

jK rP|g I p J I jT j 1^^ Finale beeinträchtigt, das ' hängt mit dem Charakter

des Hauptthema und seiner mehr wiederholenden, als umbildenden Durchführung zusammen.

Die dritte Sinfonie Schumanns (Es dur, Op. 97) rückt BehnuaBB. den beiden Vorgängen in B- und Dmoll wieder näher. ^^'""S*'*'*"" Ihr Grundcharakter ist heiter. Wird doch angenommen, daß sie zu dem frischen Leben des Rheinlandes in inneren Beziehungen steht Sie ist Schumanns letzte Sinfonie, entstand in Düsseldorf und kam am Anfang der fünf- ziger Jahre zur Veröffentlichung. In ihrem Stile unter- scheidet sie sich von den ersten Sinfonien in Bdur und Dmoll, obgleich sie mit ihnen die Richtung der Phantasie teilt Eine gewisse Schwerfälligkeit hat Platz gegriffen, die sich in dem ersten Entwurf der Tongedanken und in ihrer nur Transpositionen bietenden Entwickelung äußert Ja sogar bis auf die Instrumentierung erstreckt sie sich. Der Klaüg ist oft pomphaft, aber in seiner Feierlich- keit monoton; vorzugsweise marschiert das Orchester in schwerer Rüstung und breitem Tritt Wo sind

die geistvollen, lebendigen, sprühenden, die so origi- nell kecken Violinfiguren hingekommen? Doch hat auch diese Sinfonie noch sehr schöne Partien. Dahin zu

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rechnen ist im ersten Satze namentlich das zweite Thema:

Lebhaft.

vom zweiten Satze der Hauptteil, der in einer gewissen altvaterischen Fröhlichkeit gehalten ist.

Der Mittelsatz in diesem zweiten Satze, der dem Trio des Scherzo entspricht, erhält eine eigentümliche Färbung dadurch, daß die einfache elegische Liedweise, welche die Holzbläser spielen, über einen großen, tremo- lierenden Orgelpunkt^ gespannt wird. Für den beschei- denen, an die »^der- Bahr niMii Szenen« erinnernden Grundstoff des Satzes: ist die Ausführung sehr reichlich bemessen. Nach dem Andante (Asdur, O), in welchem sich sentimentale Ele- mente mit tändelnden mischen, kommt noch ein zweiter langsamer Satz (Rsmoll, C) mit feierlichem Posaunen- klang, in den seltsam aufgeregte Figuren hineinspielen. Man denkt an ein >Gretchen im Dom«. Eine kirchliche Szene zu scbildeHi, soll auch in diesem Satze Schumanns Absicht gewesen sein. Er schrieb ihn kurz nachdem er einer Feierlichkeit im Dome zu Köln beigewohnt und gab ihm ursprünglich eine erklärende Überschrift Von dieser Domszene ist noch ein Nachklang im Finale zu finden. In der Hauptsache entrollt es aber eine Menge launiger, anmutiger und frischer Szenen, in deren neckischer Leichtigkeit wieder der alte Schumann lebt Nur das Hauptthema und die zu ihm gehörenden Gruppen sind schwächer.

IV,

Die Programmusik und die nationale Richtung

in der Sinfonie.

Ke Mendelssohn und Schumann beide verhältnis- mäßig nur wenig Sinfonien geschrieben haben, so war zu ihrer Zeit die alte Fruchtbarkeit auf diesem Gebiete überhaupt erloschen. Äußere Verhältnisse und der Gang des geistigen Lebens hatten dazu gleich stark beigetragen. Die Zahl der neuen Ronzertinstitute hatte die der alten Collegia musica nicht im entferntesten wieder erreicht Die neuen Sinfoniker standen unter d6n unendlich gesteigerten Forderungen Beethovens, aber nicht wie ihre Vorfahren wurden sie vom Ideengehalt der Zeit getragen, kaum unterstützt. So waren die Werke der Romantiker ein letztes Aufflackern alten Glanzes; die mageren Jahre der Sinfonie begannen und die bestge- meinten Preisausschreiben konnten das nicht ändern. Wenn in einem Winter vier oder fünf neue Sinfonien vorlagen, die halbwegs brauchbar waren, so bedeutete das das Höchste, was sich erwarten ließ. Die Namen dieser Komponisten findet man ziemlich vollständig in A. Dörffels Geschichte der Leipziger Gewandhauskonzerte (1884), denn unter dem mit voller Bildung ausgerüsteten Mendelssohn machte dieses Institut erfolgreich von der natürlichen Überlegenheit seiner aus dem 18. Jahrhundert überkommenen Organisation Gebrauch und komman- dierte die deutsche Musik. Die verschiedenen und ehren-

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werten Müllers, uro die es sich hierbei handelt, die Mo-

lique, Gähring, Möhring, Täglichsbeck, Markall,

LÜhrss, Rosenhain, Leonhard, HeUtedt, Pape

usw., die die Ehre einer Aufführung in der Regel nur

einmal erlebten, arbeiteten durchschnittlich in den Spuren

Mozarts und des jungen Beethoven. Etwas länger hielten

sich die Sinfoniker aus der Schule Spohrs. Der frucht-

A. Hetie. barste Yon ihnen: A.Hesse, der Breslauer Orgelmeister,

ist jedoch heute im Konzertsaal gleichfalls verschwunden.

8t. Benaet. St. Ben n et, dessen G moU-Sinfonie ebenfalls zu dieser

Gruppe gehört, ist in England noch nicht vergessen, und

N. nnrgmlUer. der poetischste dieser Spohrschüler, Norbert Burg-

^ m Uli er, bei uns auch noch nicht, wenigstens nicht mit

seiner Gmoll-Sinfonie.

Beim Beginn dieses deutschen Niedergangs greift das Ausland, das seit Haydn gar nicht mehr mitgezählt worden, plötzlich und bedeutsam in die weitere Entwickelung der Sinfonie ein. Der Franzose Hector Berlioz begründete eine neue Periode vielleicht nur eine Episode der Programmusik, der Däne Niels Gade eröffnete eine Reihe von Versuchen, Elemente der Volksmusik zur Grundlage oder zum Ornament der großen Formen der Sinfonie zu verwenden.

Unter »Programmusik« versteht man bekanntlich eine Musik, welche als die Darstellung bestimmter innerer oder äußerer Vorgänge aufgefaßt sein will, welche Geschichten hl Tönen zu erzählen und nachzumalen versucht und die Phantasie an gegebene Objekte bindet. Die Tendenz dieser Kunstrichtung ist so alt wie die Musik und hat ihre natürliche Stütze in der Tatsache, daß Ton Verbin- dungen wesentliche Merkmale geistiger Ideen und körper- licher Erscheinungen wiedergeben können. In der Vokal- musik bildet die Obereinstimmung von Ton- und Text- ideen ein wichtiges Kriterium für den Kunstwert der Kompositionen. So lange es eine künstlerische Instru- mentalmusik gibt, sind auch in dieser zu allen Perioden Versuche gemacht worden, bestimmte Programme durch die Töne zu übersetzen. Diese Versuche waren in der

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Regel von neuen, aber auch von yerwunderlichen Resul- taten begleitet. Nicht immer, z. B. nicht in der Periode Dittersdorfs, aber häufig haben die Programmusiker eine poetische Hinneigung zu Ausnahmezuständen, zu außer- gewöhnlichen Ereignissen oder zu Gegenständen gezeigt, welche außerhalb der menschlichen Anschauung und Er- fahrung liegen. So schildert schon Froberger einmal Jacobs Himmelsleiter, ein andermal einen Schiffbruch und einen Überfall durch Seeräuber, Kuhnau die »Un- sinnigkeit« Sauls. Für die neueste Epoche der Programm- musik ist eine ähnliche Neigung geradezu zum Merkmale gemacht worden. Ist von ihr die Rede, so erinnert man sich, mit unrecht, aber doch tatsächlich , in erster Linie der gräßlichen Stoffe, welche sie zur Behandlung ge- wählt hat. Man denkt. an die Hinrichtungsszene, an den Höllensatz in Berlioz* Sinfonie fantastique, an die Ban- ditenszene in seinem Harold, an Liszts Mephistosatz im »Faust«, an den Inferno in der Dantesinfonie, an den Mazeppa, den Prometheus und die > Hunnenschlacht« des letztgenannten Komponisten. Das sind Partien, in welchen die neue 'Frogrammusik zugleich auch von dem Stile, welcher bis dahin in den Sinfonien üblich war, sehr be- merkbar abweicht. Wo die Extreme der Leidenschaften, wo Zustände der größten Erregung, Ereignisse unerhörten Charakters, wo die Superlative der Phantasie berührt werden sollen, da bauen diese Komponisten wie die Cy- klopen mit unbehauenen Blöcken. Da lassen sie die Elementarkraft des bloßen Klanges und des bloßen Rhyth- mus wirken und gewähren der Macht des musikalischen Rohmaterials, dem physischen Elemente der Musik einen weiten Spielraum. Sie stützen ganze Perioden nur auf das Fundament dissonanter Harmonien, auf hin- und hersausende chromatische Figuren, auf das brutale Trei- ben von Motiven und Themen, welche die Kunstmusik ab trivial verwirft Man vergißt über den Produkten ge- walttätiger Charakteristik und über den Befürchtungen, welche ihr naturalistischer Stil erregen kann, sehr leicht, daß die Werke der Programmusiker auch selir reich sind

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an eigenartigen Schönheiten freundlich ruhiger Natur und daß ihre Hauptvertreter durch Aufstellung neuer, zweifel- los berechtigter Prinzipien und durch Ausbildung neuer Ausdrucksmittel die allgemeine Entwickelung der Ton- kunst gefördert haben. Die Geschichte der Sinfonie ist noch jung, denn die Kunst zählt nach Jahrhunderten. Mag die Programmusik noch so oft Fiasko machen; ihr Prinzip wird nicht sterben. Nach der ganzen Entwicke- lung der Instumentalmusik kann in der Zukunft ihr Boden nur breiter und fester werden. Schon heute liebt das Publikum einen poetischen Anhalt fQr die sinfoni- schen Gebilde, und unter den Komponisten hat das Pro- gramm mehr Anhänger, als sich öffehtlich dazu bekennen. Es wäre ein Unglück, wenn wir nur Programmusik hätten;, aber es wäre kaum weniger zu bedauern, wenn wir gar keine hätten!

Die heutige Programmusik ist zum großen Teil durch Hector Berlioz so geworden, wie sie ist. Trotz seiner Schwärmerei für Virgil und für Gluck war Berlioz ein Erzromantiker, und nicht umsonst nannten ihn seine Landsleute schon bald den Victor Hugo der Musik*). Musikalisch läßt er den gebornen Franzosen, den Lands- mann Rameaus, nur mäßig merken; aber dichterisch war er ganz von jener französischen Neuromantik be- sessen, der Vischer (in den »Kritischen Gängen t) grob aber bezeichnend eine »Schinderphantasiec vorwirft. Der erste, schwerste, der unheilbare und unverzeihliche Man- gel von Berlioz* Programmusik liegt in den Programmen selbst, nicht in der Kolossaliiät und Maßlosigkeit seiner poetischen Intentionen, wie Ambros sagt**), sondern in ihrer vollständigen Geschmacklosigkeit. Der Einfall: die Geschichte, die der Sinfonie fantastique zu Grunde liegt, mit Hexen und Hölle, die des Harold mit einer Banditen- orgie zu schließen, bleibt, auch wenn man den Maßstab nach den Verirrungen der Schule Eugen Sues bildet, so

*) F. Hiller: Künstlerleben, 1880, 3. 85. *♦) W. Ambros; Bunte Blätter, 1872, S. 100.

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vereinzelt und ungeheuerlich, daß man zu einer Erklä- rung weiterer GrAnde bedarf. In der Tat wirkten auch auf den schwachen Punkt in Berlioz' Phantasie neben den literarischen Einflüssen noch starke musikalische. Durch Simon Mayr waren in der italienischen Oper die Blasinstrumente zu einer neuen Bedeutung gelangt, bei Pacini und Mercadante entwickelte sich daraus ein förm- licher Kultus des Blechs. Meyerbeer führte ihn in die französische Oper über und Berlioz ward der Meyer- beer der Sinfonie. Er bereicherte sie mit der Harfe und dem englischen Hom, aber auch mit den dritten und vierten Fagotten und Trompeten, mit den Ophi- kleiden, dem türkischen Schlagzeug und mit dem halben Orchester der Wachtparade. In den Schlußsätzen seiner Sinfonie wird dieser neue akustische Spuk prasselnd los^ gelassen.

Nichts setzt Berlioz so weit unter Beethoven wie diese Abhängigkeit vom gemeinen Effekt. Und doch hat er sich für einen Schüler und Nachfolger Beethovens ge- halten und dTeses Verhältnis mit dem Vergleich zwischen Golumbus und Ferdinand Cortez zu bestimmen versucht*). In der Tat fand er für seinen Naturalismus eine kleine Stütze in der Beethovenschen Sinfonie von der zweiten ab. Aber wer gerecht sein will, kommt auch nicht um die Notwendigkeit hefum einzusehen und zuzugeben, daß Berlioz auch nach einer zweifellos nützlichen und zu- kunftsreichen Richtung hin an Beethoven anknüpft und ihn fortgesetzt hat: Er suchte und fand geeignete Mittel, den breiten Beethovenschen Formen der Sinfonie Ver- ständlichkeit zu bewahren. Diese Mittel waren das Pro- gramm und die Verbindung der einzelnen Sätze durch Wiederkehr desselben Themas. So schlecht Berlioz* Pro- gramme waren, die Berechtigung und Wirkung des Mittels an sich haben sie festgestellt, sein aus dem Schlummer der Jahrhunderte wiedererwecktes Prinzip des Leitthemas ist aber von der ganzen modernen Musik, instrumental

♦) F. Hiller, a. a. 0. 127. Krettscliniar, Ffthrer I, 1. 22

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und vokal, von Gegoem and Freunden Berlioz* ohne Unter- schied immer mehr aufgenommen worden. ll.B«rlUz, Berlioz' Debüt bildet die Sinfonie fantastique,

fMto2^% ^P- ^^ ^^- ^^^' ■*®^'- ^ ^®*°®° Memoiren {S. 95) sagt ^ ^^' Berlioz, daß die Bekanntschaft mit Goethes »Fauste einen großen Einfluß auf diese Komposition gehabt habe. Das mag sein mit Blocksberg und Walpurgisnacht, vielleicht auch mit dem Spaziergang und mit den »zwei Seelen in einer Brust«; die Idee zu der »Fantastique« wäre für Goethe ein Greuel gewesen und ist ganz Berlioz' eigene Erfindung, als solche für den abenteuerlichen Charakter seiner dich- terischen Neigungen und seiner Ansichten vom Wesen und Zweck der Kunst überhaupt sehr bezeichnend:

Ein junger Künstler, liebestoU and lebenssatt, nimmt Opium. Die Dosis des Giftes , zu schwach um zu töten , bewirkt nur einen tiefen Rausch und eine Reihe von Triumen, in denen die Liebesgeschicbte des Künstlers repetiert und zu einem phan- tastischen ungeheuerlichen Al^hluß weitergeführt wird.

Mit andren Auslegern hat auch Schumann'^) ange- nommen, daß der Komposition und ihrem Programm ein Stück aus dem eigenen Leben von Berlioz, seine Liebe zu der englischen Schauspielerin Miß Smithson, zugrunde liege. Die Musik versucht die Traumbilder in fünf Sätzen wiederzugeben.

Der erste »Rßveries Passions^— (Träumereien Leidenschaften) überschrieben , schildert die Zeit der «r- ^ wachenden Liebe und der ersten Begegnung mit der Ge- liebten. Das Programm sagt:

»Zuerst gedenkt der junge Musiker des beängstigenden Seelenzustandes, der dunklen Sehnsucht, der Schwermut und des freudigen Aufwallens ohne besondren Grund, die er empfand, bevor ihm die Geliebte erschienen war ; sodann erinnert er sich der helBen Liebe, die sie plötzlich in ihm entzündet, seiner tut wahnsinnigen Herzensangst, seiner eifersüchtigen Wut, seiner wieder erwachenden Liebe, seiner religiösen Tröstungen.«

*) R. Schumanns Gesammelte Schriften (Ausgabe von Jansen) I, 131.

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Die in diesen Worten gestellte Aufgabe sticht Berlioz mit einem Satze zu lösen, der ganz die Form hat, die wir seit Ha,ydn an dieser Stelle gewohnt Qind: ein im Sonatenschema ausgeführtes Allegro mit langsamer Ein- leitung.

Die Einleitung (Largo, C* Cmoil] schildert den Seelen- zustand, in dem sich der Künstler vor dem Erscheinen der GeÜebten befand: Schon die ersten beiden Takte suchen das Bild einer klopfenden und nagenden und im selben Augenblick vom schweren Dcuck gehemmten Emp- findung zu zeichnen: Die »Schwermut« und »die dunkle Sehnsucht« des Programms drückt eine längere Geigen- melodie aus, die folgendermaßen einsetzt:

Largo. J 60

y > I Die Fermaten und der stockende Gang c^ kennzeichnen auch ihren weiteren Ver-

lauf. Im achten Takt, am Schluß der Peri- ode, zeigt ein Nonenakkord über der Dominante den Höhe- punkt des Wehgefühls. Von da ab versucht die spröde Melodik größere Schritte, überläßt aber sehr schnell das Wort dem Rhythmus, der in den im einen Auf- tiefen Instrumenten über das Motiv ^ ^ ^ schwung der Stimmung einleitet. Ähnlich wie au der berühmten Stelle im Trauermarsch der Eroica lassen die Bässe ganz allein ein mächtiges Äs hören, das dröhnend nach 0 übertritt. Wir stehen vor dem zweiten Abschnitt des Largo, dem das Programm »das freudige Aufwecken ohne besonderen Grund« zuweist Er malt es in losen Figuren, die als Sechzehntelsextolen und als Triolen dahinflattern. Zuerst in der ersten Violine allein, dann ergreifen sie auch die übrigen Instrumente, durchschwär- men rasch von Cdur aus einen Kreis naher und femer Tonarten, bis sie im sechsten Takt nach Cdur und gleich darauf nach CmoU zurückkehren. Es war nur das Auf-

22*

^

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glQhen des Fiebers, jetzt meldet. sich die alte Schwermut in den Klagen der Bläser wieder. Nach vier Takten haben wir wieder die oben angegebene Geigenmeiodie. Der dritte Abschnitt des Largo beginnt, verläaft aber doch nicht ganz gleichlautend wie der erste. Das heitere Aufwallen hat etwas gewirkt: in der Seele 'des verliebten Musikers ist es heller geworden. Das sagt uns die Dur- tonart {Es), in die das Thema jetzt versetzt ist, das sagen uns die Bläser, die die Geigen mit den muntren Motiven des zweiten Abschnitts umspielen. Nachdem diese Re- petitionsgruppe geschlossen hat, geht in der Stimmung eine noch viel entschiedenere Wendung zur Hoffnung und Freude vor sich. Des dur setzt plötzlich ein, das Hom übernimmt die Föhrung mit Melodien, die trösten, mit* trillernden Figuren und neues Leben weckenden Motiven. Die Violinen nehmen die Dämpfer ab und stimmen mit frohen und mutigen Gängen ein. Es ist ein Zögern und Gähren in diesem Schlußabschnitt des Largo, das den empfänglich folgenden Zuhörer in große Spannung ver- setzt.

Das AUegro (Allegro ' agitato e appassionato, Cdur), welches im erregtesten Zucken einsetzt, löst sie bald. Die Geliebte erscheint, das folgende Thema, von der Flöte zuerst eingeführt:

aUei

soll ihre Gestalt bezeichnen. Schumann findet in ihm sogar den Charakter der »kühlen Brittin«, die später Berlioz* Gattin wurde, ausgedrückt. Es fängt wohl etwas glücklich reserviert an, wird aber in den folgenden Peri- oden der Klage ziemlich warm und schließt liebens- würdig zusprechend. Der hier wiedergegebene Anfang kehrt, gewöhnlich durch zitternde Rhythmen begrüßt, als Leitmotiv in allen Sätzen der Sinfonie wieder, Beriioz nennt es ihre »id^e fixe«. Das ist nicht in dem Sinne gemeint, in dem wir Deutsche von der »fixen Idee« ge- störter Geister sprechen, sondern jene acht Takte bilden

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den »festen Pol in der Erscheinungen Flucht«, das Band, das den IiihaJt der Sätze der Sinfonie verknüpft, das äußere Zeichen ihrer Zusammengehörigkeit. Gleichviel, ob man in Berlioz* spezifischer Musikbegabung Talent oder Talentlosigkeit erblickt, jedermann sollte einsehen, daß die Einführung und Durchführung des Prinzips der »idöe fixe«, daß der Versuch, durch thematische Einheit- lichkeit die verschiedenen Satz« der Sinfonie enger zu verbinden, eine künstlerische Tat von hoher Bedeutung ist. Es war der erste und einzige wesentliche Fortschritt, den die Geschichte der Sinfonie nach Beethoven zu ver- zeichnen hat, der Punkt, von dem aus sich eine Zukunft für diese Kunstgattung eröffnete.

Wie Haydn, legt auch Berlioz den zweiten Themen ' nicht viel Wert bei und zieht ihnen eine freie, aber logisphe Fortsetzung des Hauptgedankens vor. So wird denn hier in der Themengruppe des ersten Satzes das Hanptthema mit einem Jubelausbruch begrüßt, der von zwei laut tre- mollerenden, je einen Takt langen Akkorden aus: g-b-deB-e und g-h'd-f, in Achtelfiguren hinab und hinaufstürzt. Er schließt zunächst mit einem innigen Rückblick auf den Schluß des Hauptthemas, auf dessen letzte Periode:

fi^ I rirTiTTi irTfr

Dann erneut er sich,aber mit Motiven des stillen Entzückens:

<r gemischt , er-

m

f ^f I y . ^ f f yff y .. weitert und

^^^'* ^^ ^'^,^i in der Rieh-

tung bestimm- ter. Sie läuft geradewegs wieder auf das Hauptthema zu, das in G dur erreicht, aber nur mit den ersten Noten aufgenommen wird:

-*= JT 1-«= ^r=*- —= if-:^ "^

342 ♦—

Die mit dem dritten Takte einsetzenden neaen Glieder fangieren als zweites Thema im Satze und vertreten in der Durchführung die Stimme des Liebesglücks.

Unser AUegro ist in der seit Haydn üblichen Form in den drei Hauptteilen: Themengruppe, Durchführung, Reprise aufgebaut. Die Themengruppe schließt bald nadi dem Auftreten des als zweites Thema geltenden Gedan- kens. Die Durchführung ist die Stelle der »Erinnerungen«, auf die das Programm zum ersten Satz hinweist Nur sind sie in der Musik nicht so einfach abzulesen wie dort im Text. Die Reihenfolge der Empfindungen ist anders, aber insofern wohlgeordnet und übersichtlich, als den trüben immer helle folgen. Eine wirkliche Schwierig- * keit für Folgen und Verstehen liegt darin, daß Berlioz in der Schilderung der Affekte meist ohne Obergänge schroif abspringt

Die Durchführung beginnt mit einem kleinen Dialog (von Gdur aus). Die Bässe zeigen wie aus der Ferne im Halbdunkel das Bild der Geliebten (Anfang des Haupt- themas), die Bläser in neuen eignen Motiven das Herz des liebenden jungen Künstlers. Mit dem zweiten Thema in Cdur schließt diese Gruppe. Nun kommt als zweite Gruppe die Darstellung jener »Herzensangst«, auf die das Programm vorbereitet. In den Saiteninstrumenten wühlt es mit chromatischen Läufen, die Bläser stoßen lange KlagetOne aus. Die Szene endigt mit einem aufregenden Sturm nach der Hohe, wie ein Befreiungsversuch aus schwülem luftlosem Raum, und mit einer erlösenden Generalpause. Der dritte Abschnitt bringt das Bild der Geliebten, das Hauptthema in voller Ausdehnung, aber in Gdur wieder. Dim folgt eine leise beginnende Stelle des Besinnens erst, dann des Jubels, an die sich ab fünfter Abschnitt eine kurze Durchführung des zweiten Themas, die von den Cellis aus nach oben angetreten wird, schließt. Sie endet mit der Wiederaufnahme vom Ende des Haupt* themas, das schließlich wie grollend in den Bässen ver- schwindet. Und nun schließt die Durchführung mit einer Gruppe, die komplizierter und auch für die Aufführung

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schwieriger ist, als irgend eine der bisherigen Partien des Allegro. Die Celli nämlich beginnen eine lange Kette von Imitationen über den Anfang des Hauptthemas erst mit den Bratschen, später mit den zweiten Geigen. Die Holzbläser spielen verlegne oder prüfende Gegenmotive dazu, die ersten Oeigen wirken nur rhythmisch erregt mit. Das ist wohl die Schilderung der »eifersüchtigen Wut« und der dunklen Befürchtungen im Herzen des Liebhabers. Er ringt sich durch und wir gelangen an die Reprise des Hauptthemas im ff (Cdur) wie in der Apotheose. In der Reprise liat Berlioz Beethovensche Einschübe zur Steige- rung des Ausdrucks des Liebesglücks mit Erfolg versucht. Es ist die H durstelle, wo die Bässe mit h a fis du be- ginnen. Die »religiösen Tröstungenc des Programms kommen in den letzten Takten des Satzes im Anschluß an den leisen Abschied des Hauptthemas.

Der zweite Satz (Valse, s/g, Adur) hat die Ober- schrift >Un bal«, ein Ballfest. Das Programm sagt zur Erläuterung: »Auf einem Ball inmitten des Geräusches eines glänzenden Festes findet er die Geliebte wieder«. Berlioz hat namentlich durch den Ball in Romeo und Julie die musikalische Welt an effektvolle und lebendige Festszenen gewöhnt wie keiner vor ihm. Die hier ge- gebene ist bescheiden nach außen, aber durch innerliche Wärme, durch Poesie und dramatisches Leben in der Form sehr bedeutend. Wie schön ist beidemal die »id^e fixet eingeführt, das Zusammentreffen der Liebenden in der festlichen Menge gezeichnet! Nach einer kurzen Ein- leitung, welche '^düstre Traumfiguren enthält, nimmt die Musik den Charakter eines deutschen Walzers an:

Die Durchführung dieses Hauptsatzes wird von er- regteren, tiefere Saiten des Gefühls anschlagenden, sze- nischen Charakter tragenden Episoden mehrin als unter-

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brochen. In das rauschende Ende des Satses lächelt Rossini herein.

Der dritte Satz (Adagio, «/g, Fdur) hat die Ober- BChrift: »Sc^ne aax champs« (Auf dem Lande) und fol* gendes Programm:

»An einem Sommenbende, auf dem Lande, hört der Künstter twel Scli&fer, die abwechselnd den Kabreigen blasen. Dieses Scbiferdueti, der Scbaiuplats, das leise Flüstern der sanft Toim Winde bewegten B&ume, einige Gründe zor Hoffnung, die ihm erst kürzlich bekannt geworden, alles vereinigt sich, um seinem Herzen eine unendliche Ruhe wieder zu geben, seinen Vor- BteUungen ein lachendes Kolorit zu verleihen. Da erscheint sie aufs neue; sein Herz stockt, schmerzliche Ahnungen steigen in ihm auf: jWenn sie ihn hinterginge I* Der eine Schifer nimmt die Melodie wieder auf; der andere antwortet nidit mehr . . . Sonnenuntergang . . . fernes Rollen des Donners . . . Ein- samkeit . . . Stille.«

Die Musik beginnt mit einem Dialog zwischen Eng> lisch Hörn und Hoboe, welche sich Motive des Kuhreigens zurufen. Das Gesamtorchester stimmt bald in die länd- lichen Weisen ein, bald vertauscht es sie mit dramatischen Phrasen, welche die Sprache einer zwischen Zweifel und Hoffnung schwankenden Seele reden. An den Stellen, wo die »idäe üxe« erscheint, wird der Ausdruck wild er- regt oder rührend schmerzlich. Der Satz zeigt eine eigen- tümliche Mischung von Gemütsschilderung und Land- schaftsmalerei. Berlioz verstand in einem hohen Grade die Kunst, die dramatische Darstellung seelischer Zustände mit einer anschaulichen, poetischen Wiedergabe der äußeren Szenerie zu verbinden. Sein Ghilde Harold and seine Romeosinfonie enthalten Musterstücke dieser Art In letzterem Teile erinnert die »Sc^ne aux champs« viel- fach an das Andante von Beethovens Pastoralsinfonie. Hier wie dort das Vogelgezwitscher, das Rauschen des Windes, das Säuseln der Bäume, der Reichtum an natu- ralistischen Details in den großen Fluß der musika- lischen Darstellung eingezogen, zuweilen direkte An- klänge. Das Hauptthema der pastoralen Partie der Szene

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iat eine gesangvolle Melodie, welche folgendermaßen anfingt:

AAtiflo

*8ffyir|)rTic7if ifr'fr ifpi

«rtM.

Sie erscheint, so oft sie wiederkehrt, darunter zwei- mal in Gdur, in immer neuen Reizen des Kolorits und des Rhythmus. Von großartigem Eindruck ist namentlich die Stelle, wo Bässe, Celli und Bratschen, alle in viel- stimmigen Griffen mm mm begleiten. Die Gabe, schOne mit dem Rhythmus Uif^f und eigentamliche Klinge zu finden, war Berlioz angeboren. Kurze Zeit, bevor er seine- Sinfonie fantastique schrieb, studierte er noch Medizin. Die >idöe fixec beherrscht von der Mitte des Satzes an die Komposition. Ihr erstes Auftreten bereitet ein in größter Aufregung einsetzender Gang der Celli und Bässe vor:

i^^^^^^Ü

^,

poco

ffaoo

Die Geigen werden von seiner verzweifelten Energie erfaßt und helfen das Bild des in Leidenschaft schlagen- den Herzens aufs spannendste ausführen. Erst nachdem das rasende Orchester sich in langen, auf verminderte Harmonien gestellten Tremolos ausgetobt hat, beginnt das »Stocken«, von dem das Programm spricht. Die Kla- rinette beschwich-

sanften Melodie : ^

Ihr folgen die zweiten Geigen mit dem Hauptthema, dessen Vortrag mit einer Wendung des Aufschwungs und des Ausdrucks glQcklichster Gefühle schließt. In

^ 346 ♦^

Gdur begann dieser Abschnitt, in F geht er ans. Da setzt die »idöe fixe« nochmals ein, aber diesmal nicht verwirrend und verstörend; Hand in Hand mit ihr, die die Bläser einführen, geht in den Geigen das Haupt- thema des Satzes. Den »Sonnenuntergang«, den das Programm verspricht, aus der Musik herauszuhören, wird nur wenigen gelingen. Dagegen ist das »Rollen des fernen Donners« durch ein kleines Extrakonzert auf vier Pauken sehr deutlich gemacht.

In seinen Memoiren (S. 95 und 110) erzählt Berlioz, daß die Sc^ne aux champs bei der ersten Aufführung keine Wirkung auf das Publikum geübt, daß er das Stück, das ihn bei der ersten Niederschrift schon drei Wochen aufhielt, im Laufe mehrerer Jahre wiederholt umgearbeitet und nach den Anweisungen Ferd. Hillers in seine letzte Gestalt gebracht habe. Es war also ein Sorgenkind und läßt auch heute noch einen Rest von Unfertigkeit merken, der die Wirkung seiner schönen Ideen und Absichten etwas beeinträchtigt

. Dagegen ist der folgende vierte Satz der Sinfonie (AUegretto non troppo, ^, Gmoll) in einer Nacht ge- schrieben, ein Werk aus einem Guß. Er hat die Ober- schrift: »Marche au supplice« (Gang zum Hochgericht) und wird im Programm folgendermaßen erläutert:

»Dem Jungen Künstler tr&nmt, er habe seine Geliebte er- mordet, er sei zum Tode verdammt nnd werde zum Richtplatz geführt Ein bald düaterer und wilder, bald brillanter und feierlicher Marsch begleitet den Zug; den l&rmendsten Aus- brüchen folgen ohne Übergang dumpfe, abgemessene Schritte. Zuletzt erscheint neuerdings die ,id^e flxe* auf einen Augen- blick, gleichsam ein letzter Idebeagedanke, den der Todesstreicb unterbricht«

Mit diesem Satze nehmen die Opiumträume des jungen Künstlers eine abenteuerliche Wendung, eine Wen- dung, welche uns den eigentlichen Traumgott der Sinfonie fantastique, ihren Komponisten H. Rerlio% nämlich, zum ersten Male als Parteigänger jener Blut und Gräuel lieben- den französischen Neiiromantik zeigt, von der bereits die

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Rede war. Die Musik zu einem solchen dichterischen Vor- wurf kann nicht anders als schauerlich sein. Dieser Zweck schließt Sparsamkeit in den Mitteln der Instrumentation aus. Kurz vor dem Momente, wo das Fallbeil fällt heftiger Schlag des ganzen Orchesters, zwei Pizzikato- noten des Streicherchors, ungeheurer Wirbel sämtlicher Pauken und Trommeln taucht der Gedanke an die Ge- liebte noch einmal auf. Die »id4e fixec erklingt im Solo einer schrillen C- Klarinette. Der Stelle geht ein schroffer Harmoniewechsel von BmoU (Bläser) und Gmoll (Geigen) voraus, welcher bei den ersten Aufführungen der Sinfonie in Deutschland die Meinungen beson- ders erhitzte. Eine tiefere Auffassung der ganzen Szene, das tragische AU^retto.

Element der- * a^ . a.

selben, kommt *> |i> m 1 [1 1 I J | T \ f * I P ^ in der Melodie: XT

zur Geltung, welche nach einigen einleitenden Perioden, in der die Kontrabässe vierfach geteilt pizzicato-Akkorde geben, die Pauken wirbeln, die Homer einfach ernste Marschmotive anspielen, zuerst dumpf und schwer durch die Bässe schreitet. Der rhythmische Vortrag, namentlich die Betonung der einsetzenden Halben kann nicht ent- schieden genug sein. Die Violinen nehmen- das Thema (in Es) auf, eine dritte Klausel fuhrt mit den Bässen als Haupt- stimme wieder nach Gmoll zurück und an den Schluß des ersten Teils. Die Fortsetzung des Marschbildes ruht nun auf dem Bdur-Thema:

(^'i'n r ir U£J iLm-rr irfci

Wie sie rhythmisch belebter ist, zieht sie die Aufmerksam- keit von dem erschütternden Charakter des Vorgangs mehr auf die Äußerlichkeiten des Schauspiels, auf den Pöbel, dem jedes Unglück zum Feste wird. Es gibt Stellen, wo man aus der Begleitung der Themen das Murmeln, Lärmen und Toben der Menge hört. Zuweilen dringen die Töne des tragischen Hauptthemas wieder vor. Schließlich setzt

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es, von den Posaunen durchgedrückt, im vollen Tutti wieder ein, geht ins Wilde und zu dem schon geschilderten Ende über.

Durch die Einlage des Marsches überschreitet die Sin- fonie fantastique zum ersten Male seit Haydn die her- gebrachte Vierzahl der Sätze. Berlioz mag daran gedacht haben, daß, versteckt wenigstens, ein ähnhches Verhältnis in Beethovens Pastorale vorliegt, oder auch den Marsch als eine Art Präludium zum Finale gemeint haben. Dieses als .fünfte Nummer gebrachte Finale hat die Oberschrift: >Songe d*une nuit du Sabbat« (Traum in der Walpurgis- nacht) und folgendes Programm:

»Der junge Künstler, glaobt einem HezeaUns beizuwohnen inmitten grausiger Oespenster, unter Zauberern und vielge- staltigen Ungebeaem, die sieb sn seinem Begrilbnis eingefunden haben. Seltsame Töne, Ächzen, gellendes Lachen, /emes Ge- schrei, anf welches anderes Geschrei zu antworten scheint Die geliebte Melodie taucht wieder auf, aber sie bat ihren edlen und schüchternen Charakter nicht mehr; sie ist zu einer ge- meinen, trivialen und grotesken Tanzweise geworden: sie ists, die zur Hexenversammlong kommt Freudiges Gebrüll begrüBt ihre Ankunft .... Sie mischt sich unter die höllische Orgie; Sterbegellute .... burleske Parodie des Dies irae; Hexenrund- tanz. Das Rondo und das Dies irae zu gleicher Zeit«

Die Hauptmasse der Musik des Schlußsatzes fällt auf dies »Ronde du Sabbat«, die Darstellung des Hexenfestes in der Walpurgisnacht (Äliegro, o/g, Cdur). Die voraus- gehende Partie verteilt sich auf mehrere durch Tempo und Charakter unterschiedene kürzere Sätze.

Ein Larghetto in Cdur beginnt gleich mit vermin- derten Harmonien, fremdartig polternden Baßfiguren, denen die dreifach geteilten Violinen hohe Tremolos und bacchanaliscb schlürfende und schleifende Motive ent- gegenstellen. Das Larghetto ist der Ort der im Pro- gramm versprochenen »seltsamen Klänge«, soweit sie ruhiger Natur sind. Am bemerkbarsten macht sich unter ihnen eine Nachahmung des Hahnenschreies. Es folgt ihm ein nur acht Takte langes Allegro (<^/8, Cdur), in dem die

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>id^e fixe«, von der Klarinette ppp gebracht, die erste Ver- zerroog erleidet. So kurz die Stelle ist, so wirkt sie doch sehr dämonisch durch die Begleitung der beiden Pauken und der großen Trommel. Schon hier zeigt sich das Finale der Fantastique als die Fundgrube von Effekten, die mit Meyerbeer und anderen französischen Opernkomponisten auch die jüngsten Programmusiker aller Länder fleißig aus- gemünzt haben. Diesem ersten AUegro folgt ein zweites, wildtobendes in Es dur. Es leitet zu einem längeren Satz über (Ällegro, ^/s, Es dur), den das Programm eine »ge- meine, triviale und groteske Tanzweise« nennt. Die Melodie der »id^e fixe« erscheint in den schrillen, abscheulichen Tönen einer hohen Es- Klarinette, lächerlich fratzenhaft und von Roheit umgeben. Die Szene bricht plötzBch ab und macht einem ernsten Rezitativ der Bässe Platz. Ihm folgen noch heute eine crux für die Aufführung' Glocken töne CO, 00. Es ist der denkbar schärfste Kon- trast an dieser Stelle: Aus dem Höllenqualm gehts un- vermittelt in Kirchenluft und Weihrauchduft. Das Dies irae setzt auf folgende Melodie ein:

AUegro. J.a 104

Ophikleiden und Fagotte blasen sie, die Glocken läuten dazu. Sofort wird sie von Hörnern und Posaunen in einfacher, von den Geigen in doppelter Verkürzung paro- diert. Es ist ein freches Stückchen Kunst. Das nun folgende »Ronde du Sabbat« ist im Hauptteil eine Fuge über das Thema:

das von den Cellis aus allmählich über das ganze Or- chester vordringt. Es wird unterbrochen von Zwischen-

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Sätzen, in denen f und p diabolisch wechseln, von neuen Motiven der Klage. Nach einem gravitätisch-burlesken Zwiegespräch von Bässen und Fagotten meldet sich das Dies irae wieder. Ein neuer Anlauf zur Fuge d&8 Thema vom zweiten Takt an chromatisch rieselnd vertreibt es, bald aber, als die Fuge am tollsten ge^ worden, setzt es dominierend ein. Nun folgt ein Abschnitt, der als Komposition eine Farbenorgie ist. ' Eine Klang- teufelei folgt der anderen. Auf einen Satz col legno der Violinen ein verworren elastisches staccato der Holzbläser, dann die Ophikleiden im plumpen Sturmlauf und bald fanatisch erregt das Ende des Satzes, den man nicht un- recht eine musikalische Höllenbreugheliade genannt hat Noch näher liegt der Vergleich mit Würtz, dem Brüsseler Maler.

Ästhetisch abstoßend, ist er technisch eine kompo- sitorische Virtuosenleistung, durch neue Formprinzipien auch historisch wichtig.

. Berlioz rühmt (a. a. 0.) die gute Aufnahme, die in Paris bei der ersten Aufführung der Sinfonie fantastique Bai, Marche und Sabbat fanden. Börne*) äußert sich be- geistert über das Ganze: »Es steckt ein ganzer Beethoven

. in diesem Franzosen Alles ist mit Händen zu greifen-«.

Unter den Musikern bildeten sich Parteien für und wider. Stimmführer der Gegner war F6tis, de]^ in der Revue musicale dem Komponist alles absprach und nur einen Instrumentationsinstinkt gelten ließ. Mendelssohn ver- warf mit befremdendem Haß bekanntlich sogar Berlioz' Instrumentierung**}. Schumann dagegen tritt in seiner Neuen Zeitschrift für Musik mit der bereits erwähnten Kritik warm für die wunderliche Sinfonie ein. Zwei sehr wichtige Freunde fanden sich in F. Liszt und N. Pagahini. H Berlioi» »Nach einer sehr gnten Aufführung der Sinfonie fantastique

Uarold ea Italle. am 22. Dezember 1833 schreibt BerUor orwarUte mich, nachdem das Publikum fort war, allein im Saal ein Mann mit

*) Allgemeine musik. Zeitung vom 8. Dezember 1830. **) M.S Briefe an Moscheies (S. 86).

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langem Hur, durchbohrendem Auge, mit einer seltsamen Figur, ein sichtlich vom Genie Besessener, ein Koloß von einem Riesen, den ich nie gesehen hatte und- dessen erster Anblick mich voll- stiUidig verwirrte. Er hielt mich beim Vorübergehen an, um mir die Hand zu drücken, überhäufte mich mit heißen Lobes- erhebungen, die mir im Kopf und Herzen brannten. Es war Paganinil

Einige Wochen später besuchte er mich. ,Ich habe eine herrliche Bratsche s^gte er , ein wundervolles Instrument von Stradivarius, und möchte es gern öffentlich spielen. Aber ich habe keine Musik dafür. Wollen Sie mir nicht ein Bratschen- solo schreiben? Für diese Arbeit habe ich Vertrauen bloß zu Ihnen.* Gern, antwortete ich, das schmeichelt mir mehr als ich sagen kann; aber um Ihren Erwartungen .zu. entsprechen, um in einer solchen Komposition eine Gelegenheit zum Glinzen zu geb^n, die eines Virtuosen wie Sie würdig ist, muß man Bratsche spielen und das kann ich nicht Sie allein, scheint mir, könnten die Aufgabe lösen. ,Nein, nein, Ich bestehe darauf, sagte Paganini , es wird Ihnen gelingen j was mich betriift, 'so bin ich jetzt zu leidend zum Komponieren, ich kann nicht daran denken.*

Ich versuchte nun, um dem berühmten Virtuosen gefUllg zu sein, ein Bratschensolo zu schreiben, aber ein Solo, das der- artig mit dem Orchester verbunden wire, daß es die Instrumenten- masse In ihrer Äußerung nicht b'eeintrichtige, dabei war ich gewiß, daß Paganini durch seine wunderbare Vortragskunst dem BratscJiensolo immer die herrschende BoUe behaupten würde. Die Absicht erschien mir Ueu, bald bildete sich bei mir ein ziemUch glücklicher Plan, und leidenschaftlich ging ich an seine Ausführung. Der erste Satz war kaum fertig, als Paganini ihn seilen wollte. Beim Anblick der Pausen, die die Bratsche im AUegro zu z&hlen hat, rief er: ,Das ist nicht das Rechte: ich schwelge viel zu viel darin, ich muß immer spielend Ich habe es gleich gesagt, antwortete ich. Sie wollen ein Bratschen- konzeit haben, und Sie sind augenblicklich der einzige, der das schreiben kann. Paganini erwiderte nichts, er schien enttäuscht und verließ mich ohne weiter von meinen sinfonischen Skizzen zu sprechen .

^

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Nachdem ich mich überzeugt hatte, daB mein Kompoeitions^ plan ihm nicht passen konnte, entschloß Ich micb, ihn in an- derer Richtung und ohne mich nm die Dankbarkeit der Bratscben- partle zo kümmern, doch auszuführen. Ich nahm mir Tor, eine Reihe Ton Szenen für Orchester zu schreiben, in die sich die Solobratsche wie eine mebr oder minder teilnehmende Figur, die Jedocb immer ihre eigene Art festbielt, elnmiscben sollte, leb wollte in der Solobratscbe, indem icb sie in die Ifitte der poetischen Erinnerungen stellte, die meine Wanderungen in den Abmzzen' bei mir hinterlassen hatten, eine Art melan- cholischen Triumer hinstellen, UDgefihr so wie es Byrons Ohilde Barold ist.«

Soweit Berlioz selbst über die Entstehungsgeschichte and den Charakter seiner zweiten Sinfonie, die am 23. No- vember 1834 mit vollem Erfolg zum ersten Male aufgeführt und dann ab op. 16 veröffentlicht wurde. Sie dichtet einige der musikalischen Behandlung entgegenkommende (^ehenszenen von Byrons »Childe Harold« in freier Art aach und ergänzt und beschließt dieselben mit einem neu erfundenen Finale im Stile der französischen Neuromantik. Eigen ist in der Anlage dieser Sinfonie das in allen Sätzen durchgehende Bratschensolo, in welchem das kon- zertierende Element der alten Vorhaydnschen Sinfonie concertante wieder einmal in dichterischer Bedeutsam- keit auflebt. In der poetischen Ökonomie des Werkes . repräsentiert es die Partie Harolds, des Helden, ähnlich . wie in der Sinfonie fantastique die »id^e fixe« die Geliebte oder den Gedanken an sie vertritt. Nur tritt diese vor- Mriegend episodisch auf, Harold ist dagegen immer dabei, führt oder läßt sich fähren. Das Leib- und Leitthema des melancholischen Ritters, welches diesen bis zu seinem letzten Atemzuge begleitet, ist folgende in den Anfangs

noten aus Haydns >le matin« bekannte Melodie: Adagio.

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Der erste Satz zeigt uns >HaroId in den Bergen c. vUarold aus Montagties: Seines de inölancolie, de bonheur et de joie.) Er besteht aus einer langsamen Einleitung (Adagio, >/«, GmoU-Gdur) nnd einem bewegten Satz in Sonatenform (Allegro, Vb» Gdur).

Der langsame Satz, der nicht weniger als 94 Takte umfaßt, geht hierdurch schon äußerlich über den Charakter einer gewöhnlichen Einleitung hinaus. Er hat die Auf- gabe, uns das düstere, blasierte, aber durch edle und liebenswürdige Züge Teilnahme und Mitleid weckende Grundwesen Harolds zu schildern und beginnt mit der Szene der Melancholie, auf die die Oberschrift des Satzes hinweist. Sie hat die musikalische Form einer Fuge er- halten, der das von Bässen und Cellis zuerst aufgestellte Thema:

Adagio. J s 78

zu Grunde liegt, ein treffendes melodisches Abbild düster hinbrütender, schmerzlich^ auffahrender Stimmung. Die Bläser, Fagotte,' Hoboe, Klarinette mit Hörn, Flöte geben zunächst nacheinander einen chromatisch jammernden Kontrapunkt dazu und vereinen sich dann zum Schluß der ersten Durchführung (15. Takt) zum Vortrag der Haroldmelödie. Aber sie steht hier in Moll. Die Fuge hebt jetzt pp vom neuen an, aber schon mit der zweiten Stimme hört sie wieder auf und geht schnell zu einem lauten Schluß in GmoU. Bei diesem Akkord setzt die Harfe mit Arpeggien ein , im zweiten Takt bereits über- rascht sie mit Gdur. Es entsteht eine plötzliche Helle, in der nun die Solobratsche mit Harold und seiner Melodie in der oben angegebenen Originalform hervortritt. Sie wird ganz leise wiederholt, als ob alles atemlos lauschte. Das veranlaßt Harold sich zu zeigen, sich freier zu geben, er schließt virtuosenmäßig keck und übermütig mit Passagen einfach und in Doppelgriffen, Resten einer auf Päganini gemünzten Erfindung.

Kretziclimar, F&hrer. I, 1. 23

354

Nach dem Schloß dieser brillanten Solostelle wird das Haroldthema vom vollen Orchester aufgenommen and zwar in der Form eines Kanons, als wären aDer Seelen von dem schönen Gesänge voll. Die Trompeten, die Harfe, Cello, Fagott singen vor, die Holzbläser und Solobratsche singen in eines Viertels Abstand als zartes Echo nach; in den Violinen und Tuttibratschen erheben sich Zwei- unddreißigstelfiguren nach oben, als wenn der Morgenwind den Nebel teilt. Mit dieser Klärung und Aufheiterung in sanften Tönen schließt der langsame Einleitnngssatz, eins der schönsten unter den vielen schönen Tonbildem der Sinfonie. Das Allegro, welches ihm folgte ist ein breit ausgeflUirtes Pastoralgemälde, stilistisch und materiell dem ersten Satze von Beethovens siebenter Sinfonie verwandt Seine beiden Themen sind:

AUeg'ro.

nd dasMendelssohnsche

t i * jj^U."^ \^r^m

Den Szenen, welche auf Grund dieser teilweise etwas spröden Melodien entrollt werden, mischt Harold mit den Tönen seiner Bratsche abwechselnd Jubel und Trauer ein. Der Anfang des Allegro bringt das Hauptthema noch nicht in der hier mitgeteilten Form, sondern zunächst noch unfertig, durch Pausen und durch die Instrumen- tierung zersprengt. Harold erhebt gegen den neuen Ton Einspruch: höchst sonderbar geigt er sechs Takte lang auf dem untersten Ton seiner Bratsche, dem o, dagegen an. Dann aber ist er es, der die vom Orchester ver- tretene Menge in Schwung und auf den richtigen Weg bringt. Wie er sie erst aus dem Zögern fortreißt^ so be- schwichtigt er nun bei seinem zweiten Einsatz ihren Sturm. Mit einem langen Ton erbittet er sich allgemeine

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Anfmerksainkeit und Stille; dann spielt er sich allmäh- ^ch in die .fließende Melodie hinein. Das chromatische Motiv in ihr, das dem Wesen Harolds so natürlich ent- springt, scheint seinen jetzigen Genossen Schwierigkeiten zn machen. Augenscheinlich verstehen sie nicht recht: woher und warum der trübe Klang mitten in der Freude? Es entspinnt sich nm ihn eine kurzgegliederte Ausein- andersetzung zwischen Solo und Chor. Sie schneidet ganz unvermutet, wie mit einem väterlichen Machispruch der Einsatz des zweiten Themas ab, dessen gemütlicher Inhalt ganz ausgezeichnet für den Mund des vom Cello begleiteten Fagotts paßt. Auch Harold nimmt es mit seiner Bratsche auf und bringt es aus fremder Tonart {F, B) in das normale Ddur. Schon im ersten Takt aber reißt er sich unwillig, nach Höherem verlangend, los. Die Themengruppe nimmt ein plötzliches Ende und die Durch- führung beginnt mit wilden Figuren Harolds, denen das Orchester verwirrt und erschreckt gegenübersteht. Nach 16 Takten endlich tritt wieder Sammlung und Ordnung ein. Harold intoniert das Hauptthema erst in Desdur, dann in Dmoll. Das Orchester spielt es nun mit an, in Bdur, in Hmoll. Endlich ist ein sicherer Boden mit Cdur erreicht Die Melodie kommt in ihrer vollen Größe, es wird nach G dur moduliert, also in den freundlichen Stim- mungskreis des Anfangs zurückgekehrt und zwar mit wört- lichen Wiederholungen. Auch das zweite Thema kommt wieder und wieder unerwartet, diesmal in Gdur, und man verweilt etwas länger, beschaulicher und ruhiger dabei als vorhin in der Themengruppe. Die Bläser haben es. Diesmal machen ihm aber die Violinen ein Ende mit einer Sechzehntelfisur, die im energischen crescendo nach oben geht und j j"! mit dem das Hauptthema beginnt, auf dem Motiv KJ^ ^ wie in einem Rausch von Freude und Kraftgefühl bedrohlich tobt. Eine General pause. Die Besonnenheit kehrt zurück: Wir hören kurz, aber viel be- deutend einen Anklang an den chromatischen Teil des Themas: im sechsten Takt setzt es selbst ein, in der Solo- bratsche und den vier Fagotten unisono in G dur, der Haupt-

23

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tonaxt, gebracht. Die übrigen jßläser nehmen es in Z> aof. Man Will verweilen, aber die Perioden und Metren hai>en etwas Unregelmäßiges, das nicht viel verspricht, und siehe da: bald stehen wir vor Fermaten auf verminderten Akkor- den, unverkennbaren Zeichen der Verlegenheit! Dieser Punkt würde ungefähr den Schluß der Durchfiihrung nach dem von den Klassikern beobachteten Brauch bilden müssen. Berlioz hat in dem ersten Satz derHaroldsinfonie den üblichen Abschluß durch die erweiterte, aber im wesent- lichen wörtliche Wiederholung der Themengruppe ver- mieden, ppy aber mit einer gewaltsamen Wendung der Phantasie geht er mit einigen Orchesterarpeggios von jenem Verlegenheitspunkt und dem verminderten &^Hfia-g nach Gdur herüber und bringt die Haroldsmelodie, die wir seit der Einleitung nicht gehört haben, in einem Fugato dem zweiten seiner Art in diesem Satze ^ das die Kontrabässe beginnen. In den Bläsern tauchen dazu noch Brocken des zweiten Themas auf. Der beab- sichtigte Aufschwung ist damit erreicht. Von Barolds Geist das will wohl Berlioz sagen und schildern ist ein Hauch in die Masse gedrungen. Dithyrambisch stimmt sie mit ein in den Hymnus der Lebensfreude, zu der den hingerissenen Melancholiker die Schönheit der Natur, der Anblick und die .Gesellschaft einfacher harmloser Menschen gezwungen hat. So geht vom Ritter zum Volke eine beständige Wechselwirkung, beide Teile empfangen voneinander und heben sich gegenseitig. Die mächtigste Stelle dieses Schlußabschnittes ist wohl das zweimal vor- überrauschende Unisono des vollen Orchesters mit seinen grandios humoristischen Sprüngen und dem Feuer der Begeisterung, das aus Melodien und Harmonien leuchtet. Der zweite Satz der Sinfonie (Allegretto, V«! Bdur) heißt »Marche des P^lerins chantant la priöre du soir« (Pilgermarsch und Abendgebet). Sein Hauptthema bildet ein frommes einfaches Marschlied:

AUa^ratto.

--t 357 «^

Alle acht Takte wird dasselbe von einer Unisono-

phrase der^ , , . . i i-^ welche

Bläser nn-gfi TTTJTTf^ JJJjjJ'JJJJJ =anschan« terbrochen: ^::^zi====aB:i^— jj^j^ g^.

nng die ihre Litanei hersagende Wallfahrerschar vorführt. Das Bild einer psalmodierenden Gemeinde suchte Berlioz anch in seinem Requiem, das der Haroldsinfonie zu- nächst folgte, wiederholt wiederzugeben. Die Mitte des Satzes nimmt der Vortrag eines feierlich religiösen, in den ruhigen Rhythmen der alten Zeit geführten Hymnus ein, dem Berlioz die Oberschrift »Canto religiöse« gibt. Harold, der vorhin, als die Pilger näher kamen, sie mit seinem Thema begrüßt und dann ab und zu seine Nähe mit leisen Arpeggien bekundet hat, stimmt in das Pilger- lied merkbar ein, die Bässe setzen in dezenten Pizzi- catotönen den Rhythmus des Marsches fort. Noch einige- mal hören wir wie vom weiten das fromme Wander- lied, dann gehen die Töne schlafen. Nur die Glocken des nahen Klosters, die uns am Anfang des Satzes (in der Harfe: OH) empfingen, treten wieder vor. Es kommt die Nacht und stille Sterne blinken. Die kleine Kompo- sition ist ein Meisterstück, in welchem die Realistik der Darstellung nur dazu dient, die Poesie des Bildes noch beredter zu machen. Sie war die Frucht einer glück- lichen Eingebung in der Dämmerstunde am Kaminfeuer. In S Stunden erzählt Berlioz a. a. 0. -^ war der Marsch fertig und erntete gleich bei der ersten Aufführung einen vollen Erfolg; trotzdem hat der Komponist noch 6 Jahre lang daran gefeilt und verbessert. Er hat durch Einzel- aufführungen den übrigen Sätzen und der Sinfonie den Boden und eine freundliche Stimmung auch in geg- nerischen Lagern bereitet.

Der dritte Satz: (Allegretto assai, ^/g, Cdur), be- titelt: »Sörönade d*un montagnard des Abruzzes ä sa maitresse« »Ständchen in den Abruzzen« , beginnt mit einem kleinen Scherzosatze, welchem wahrscheinlich eine italienische Originalmelodie zu Grunde liegt Die italienischen PifTerarii, die ja auch. Händel in seinem

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»Messias« verewi^^ hat, waren seit alten Zeiten an drol- ligen, schelmischen Weisen reich und bringen sie noch heute auf die deutschen Märkte:

Anaf ro Miai.

Piccolo und Hoboe blasen das zusammen, und Bratschen mit Klarinetten geben in ausgehaltenen Tönen und trägen Harmonien das nötige Dudelsackkolorit dazu. Nun tritt der Liebhaber auf und stimmt auf dem englischen Hom eine schmachtende, anmutig^, gutgemeinte, zuweilen stockende, schflch- ^ AiiegTetto. ^

in welche die Gefährten helfend und hingerissen einfallen. Auch Harold stimmt mit ein und sinnt noch den rüh- renden Tönen der Liebe nach, als die Dorfmusikanten schon längst nach Hause gezogen sind. Seine breite Melodie trägt in das Stückchen italienischer Dorfge- schichte, das Berlioz hier mit einem virtuosen Humor entrollt, der wohl nur in seiner Ouvertüre zum Camaval Romain ein Seitenstück findet, einen edlen und feierlichen Zug hinein.

Die Idee des Harold-Finale müssen wir ebenso wie die vom Schlußsatz der Fantastique ablehnen. Wie man aus Liszts langem Aufsatz über die Sinfonie ersehen kann*), hat dieses Finale in Frankreich und in früherer Zeit doch zuweilen dämonisch gewiikt. Heute und in Deutschland wohl von jeher versetzt es auf den Boden, auf den sich die Räuber- und Rittergeschichteu von Spies und Gramer bewegen. Berlioz* Satz schildert das Ende des in Gesellschaft von Banditen zugrunde ge- henden Harold in Zügen, die zum Teil rührend sind.' Er beginnt wie das Finale der neunten Sinfonie mit Remi- niszenzen an die früheren Sätze. Vor Harolds Geist tritt die fugierte Einleitung aus dem ersten Satze, der Pilger-

*) Gesammelte Schriften von Frajiz LisKt, lbb2, S. 3 u. ff.

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marsch zieht vorüber; ala letzte ErinueruDg an reinere Zeiten tönen Fragmente aus dem Ständchen: Die wilde, wäste Orgie mit ihrem brutalen, versteckt an das Harold- motiv anklingenden Hauptthema:

AUegro tranqnlllo.

-^

Qilf ^pfLl N

J^ yj 3 liJ l]J ^ t| j I r *i j\ i t/'. etc. verschlingt al- 3i- mf -7 f les. Unter ihren

grausamen Attacken zerbricht auch Harolds Thema und verflattert in Brocken. Zuweilen werden die wütenden Triller, die l>acch an tischen Läufe und die grotesken, nirgends verfahrerischen , frechen Tanzweisen der Ban- ditenmusik, die sich gern auch soldatisch stolz gibt:

jhi. r^rrrr.r^iff-^Y^*"-'^'i^rr II

durch unheimliche Klänge unterbrochen, welche Gewissen, Reue und Strafgericht zu repräsentieren scheinen. Diö weichste und ergreifendste Stelle des Satzes ist wohl die; wo nach dem dritten Einsatz des eben angeführten Themas (in Gdur) der Pilgermarsch in einem Neben- saal von Solisten gespielt erklingt. Die Wallfahrt zieht draußen vor der Grotte vorbei. Tannhäuser in ähn- licher Lage flieht; Harold stirbt. Zum letztenmal sucht er stammelnd nach seinem Thema; er findet die Inter- valle nicht mehr.

War Berlioz in seiner »Fantastique« und in seinem »Harold« darauf ausgegangen, unter Einhaltung der Beet- hovenschen Formen den Inhalt der reinen Instrumental- sinfonie faßlicher zu gestalten, so hatte er dabei das Glück nur zum Teil auf seiner Seite gehabt. Volle Triumphe feierte er in beiden Werken nur mit den Mittelsätzen, die sich auf dem alten Glanzgebiete französischer Kunst, der Ballettmusik höchsten Sinnes, bewegen. In den langen Ecksätzen dagegen offenbaren sich die Blößen seiner

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musikalischen Begabung und Bildung, so oft es auf me- lodische und motivische Entwicklung ankommt; groß sind hier, von einigen feurigen Obergängen abgesehen, nur die Stellen, wo das volle Thema wiederkehrt Nun ver- suchte er im Jahre 1839 mit einem dritten Werke eine Änderung sowohl jener Formen selbst, als auch des bis- herigen Sinfoni'ebegrifTs. Es ist die Sinfonie »Romeo uüd Julie« (op. 17j, mit der der Komponist eine neue Gattung zu gründen gedachte, die er dramatische Sinfonie nennt. Sie vergrößert die Zahl der Sinfonie- sätze und mischt in ihnen reine Instrumentalmusik mit einfacher Gesangmusik und Oper. Einen Vorläufer hatte H. Berlloiy Berlioz diesem Werk in seinem »Lelio« vor|iusgeschickt Leiio. Diese Komposition war ais Ergänzung zur Sinfonie fan- tastique, mit der sie die Opuszahi gemeinsam hat, ge- dacht, sollte schildern wie der junge Künstler aus seinen schrecklichen Träumen erwacht und zum Leben zurück- kehrt. Daher ihr Nebentitel »Le retour ä la vie«. Berlioz gibt ihr die Gattungsbezeichnung >Monodrame« und fügt dem Instrumentenspiel und dem Gesang als drittes Mittel der Darstellung noch gesprochnen Dialog hinzu. Doch ist dieser Lelio nicht zu größerer praktischer Bedeutung gelangt. H. Berilos, . Eine Mischung der Kunstmittel, wie sie Berlioz in Romeo und Romeo und Julie versucht, ist ungewöhnlich, unbequem, ^^^ aber an und für sich weder unsinnig noch unmöglich. Für Berlioz mag die nächste Anregung aus dem Finale von Beethovens neunter Sinfonie gekommen sein; das Verfahren, in der Darstellung einer Idee mit Vokal- und Instrumentalsätzen abzuwechseln, ist aber schon älter. Aus dem 17. Jahrhundert bieten die sogenannten öster- reichischen Kaiserwerke*) bequem erreichbare Beispiele, jeder Musikfreund weiß, wie Bach und Händel, jener im >Weihnacbtsoratorium«, dieser im »Messias«, die Schilde- rung der heiligen Nacht mit den »Hirten auf dem Felde« in Instrumentalsinfonien geben. Das Wagnersche Musik-

♦) Stelle S. 28.

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drama und das neue Lied seit Schamann zeigen eben- falls, wie Gesang nnd Instrumente sich ebenbürtig und zum Besten des Gesamteindrucks in die Darstellung teilen können. Werden in eine Sinfonie Gesangsätze und in ein Chorwerk Instrumentalsätze eingefügt, so wird es immer darauf ankommen, daß diese Mischung so ver> schiedner Elemente Gründe der Notwendigkeit für sich hat, den Hauptabsichten und den Grundideen des Kunst- werks zugute kommt und seine Wirkung bis zu einer Stufe hebt, die ohne jenes Mittel nicht erreichbar war.

Von diesen Gesichtspunkten aus kann man sich nicht darüber täuschen, daß auch »Romeo und Julie c ähnlich wie die Fantastique und Harold nur der Versuch, aber nicht das Muster einer neuen Gattung ist. Die »Sinfonie dramatique«, die Berlioz mit diesem Werke in die Or- chestermusik einführen wollte, mag eine Zukunft haben aber nur dann, wenn ihre Vertreter kritischer zu Werke gehen, als das Berlioz getan hat. Ihm bleibt wieder das Verdienst, den Pfad gewiesen zu haben, ihm der Ruhm, in dem neuen Werke viel Schönes und Ergreifendes und Merkwürdiges, zum Teil in ganz neuer Art geboten zu haben. Aber wer sich nicht über die Schwächen und Mißgriffe in dieser dramatischen Sinfonie klar ist, bezahlt seine unbedingte Begeisterung mit einer etwas teuem Verwirrung seines künstlerischen Urteilsvermögens.

Äußere Gründe mögen Berlioz abgehalten haben, Romeo und Julie, wie so viele Komponisten vor und neben ihm, einfach als Oper in Musik zu setzen. An der Bühne gab es, wie sich soeben gelegentlich des Benvenuto Cellini gezeigt hatte, viel mehr Verdruß, Ärger und Aufregung als im Konzertsaal, wo Berlioz bereits festen Fuß gefaßt hatte. Er selbst sagt in seinen Memoiren über die Ent- stehung zu dem seltsamen Plan seiner Sinfonie drama- tique nichts, erzählt uns nur von dem Entzücken, in dem er sich während der Arbeit befunden, von der Schnellig- keit, mit der er sie innerhalb von 7 Monaten voll- endet habe, und läßt an mehr als einer Stelle durchbhcken, daß er mit dieser Komposition dem Geist Shakespeares

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eine durchaus würdige Huldigung gebracht zu haben glaubte. In der Meinung, etwas vom Besten gegeben zu haben, widmete er die Sinfonie Nicolo Paganini, der ihn kurz vorher, nach der letzten Aufführung des Harold, großmütig die böse Welt meinte aus Berechnung*) mit dem Zeitgemäßen Geschenk von 20000 fr. überrascht hatte.

Auf dem Titelblatt der Partitur steht »composöe d'apr^s la Tragödie de Shakespeare«; diese Wendung läßt Freiheiten und Abweichungen zu. Im ganzen aber haben wir keinen ausreichenden Grund daran zu zweifeln, daß Berlioz mit seiner Sinfonie ein Abbild der großen eng- lischen Liebestragödie geben und, ähnlich wie es Schu- mann später mit dem dritten Teil seiner Musik zu Goethes Faust wirklich gelungen ist, die Wirkung dieses Kunst- werks vertiefen wollte. Die Aufgabe dachte er sich wohl so, daß die gefühlsreichsten Situationen des Dramas dem Orchester zugewiesen würden, der Gesang sollte bei der Darstellung verwickelter, an Konflikten reicher Szenen zu Hülfe kommen und außerdem die Verbindung und Vorbereitung der musikalischen Hauptbilder übernehmen. Im großen ganzen hat Berlioz dieses Programm auch eingehalten; nur hat er es um rein musikalischer Effekte willen mehrfach getrübt und auch der Instrumentalmusik Leistungen zugemutet, deren sie nicht fähig ist. Der erstere Fehler tritt in der Stellung des Prologs hervor und in der ungeheuren Bedeutung, welche in der Sinfonie der im Drama ganz unwesentlichen Erzählung von der Fee Mab gegeben ist; der andre namentlich am Eingang der Grabszene.

Die Sinfonie besteht aus folgenden 8 Nummern: 1. Introduktion, 2. Prolog, 3. Ballszene, 4. Gartenszene, 5. Fee Mab, 6. Juliens Begräbnis, 7. Grabszene, 8. Finale,

In der Natur des Prologs liegt es, daß er ein Werk eröffnet. Wenn Berlioz den von Romeo und Julie hinter

*) Ad. Jallieo: Berlioz, 1888, S. 133. F. Ulller: Künstler- leben, 1888, S. 89.

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die iDstrumentalintroduktioii setzt, so könnte er sich auf altvenetianiscbe Präzedenzfälle aus dem 17. Jahrhundert berufen, bei denen bekanntlich dem gesungnen Prolog noch eine gespielte Ouvertüre vorausging, gleichsam der Prolog doppelt gegeben wurde. Bei Berlioz hat es aber eine andre Bewandtnis: Ihm kam der Anfang des Werks mit dem berichtenden Prolog zu ri^hig und zu matt vor. Er wollte den Zuhörer zunächst erst einmal in Bewegung bringen. Seine Instrumentalintroduktion (Allegro fugato, (^, H moll) ist gar keine Introduktion im üblichen Sinne des Wortes, sondern sie versucht den Inhalt der ersten Szenen Shakespeares wiederzugeben, sie führt mitten in die Handlung hinein: in die Straßenkämpfe der Geschlechter der Montechi und Capulets. Ein Zusatz zur Überschrift der Nummer: Combats Tumulte Intervention du Prince (Streit und Auflauf, der Fürst er- scheint) spricht das noch ausdrücklich aus.

Die Musik sucht jene Kämpfe, ihre Aufregiing und ihre Zwischfälle mit einer Fuge zu veranschaulichen, die die Bratschen mit dem Thema:

j{^»<|^j>jTl|,JJJ IjJ^Jl^iJJjlJJI

anfangen; Celli, erste, zweite Violinen folgen und nehmen sich dabei mancherlei Freiheiten mbezug auf Tonart und Intervalle gegenüber den Gesetzen, die die Schule für Beantwortung und Aufnahme von Fugenthemen stellt. Das Thema selbst hat in dem mit scharfem Triller einsetzenden Motiv seinen wichtigsten Bestandteil und gelangt auf seinen vollen Umfang durch sogenannte Sequenzen , d. i. w'brt- liehe oder freie Wiederholungen eines Grundmotivs. Hier- durch erhält der Satz einen auffallend regehnäßigeii Charakter. Berlioz scheint an den Anstand und das strenge Ceremoniell gedacht zu haben, das im Mittelalter die Turniere der Ritter beherrschte. Aufgyegter und

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eifriger wird die Introduktion erst mit dem Fismoll beim Zutritt der Blasinstrumente. Das ist ungefähr die Stelle, wo bei Shakespeare zu den Dienern und Angehörigen der Capulets und Montechi sich die Bürger von Verona mit Knütteln gesellen: »He! Spieß* und Stangen her! Schlagt auf sie los!« Als bald darauf die Haupttonart HmoU wiederkommt, dröhnt in Hörnern und Kontra- bässen der Grundton in halben Noten : Es sind dumpfe Schläge: die Glocken läuten Sturm, in fernen Gassen er- wacht das Volk und sammelt sich. Auf dem Platz sind die Parteien zum erstenmale hart aneinander geraten. Die beiden Gegner treiben einander vom bis zum 7". Auf diesem Tone sitzen sie fest acht Takte lang; be- drohlich steigen von unten die Bässe nach der Höhe. Da löst eine schnelle Modulation nach Adnr den Wirr- warr, die Fuge setzt vom neuen an : das Thema diesmal in den ersten Violinen in Ddur aber ^ uod von allen Instrumenten des Orchesters im stärksten Ton begleitet, die Hörner kurz und entschieden, die Posaunen mit einer wohlgemut kampfesfrohen Melodie. Das Thema gelangt an die zweiten Violinen; noch ehe sie es an die Celli ab- gegeben haben^ ist mit den Trompeten zugleich der voll- ständige Sturm da; keine Ordnung mehr, kein Sinn fflr Fuge und Vernunft, sondern die vollständige Empörung! Wie lange, alles vernichtende Wogen zischen die Akkorde des Tutti hin. In diesem Augenblick geschieht etwas Überraschendes: Es wird still, die Rhythmen kommen ins Schwanken, das Fugenthema nimmt Reissaus, wir hören nur noch wie vom weiten Bruchstücke: eine spannende Fermate! Ihr folgt, von sämtlichen Posaunen und der Ophikleide im Einklang und Oktave vorgetragen, eine seltsame Melodie:

n^roBein^ini p«o mena et wnc !• oaraeur« du roeltoUf.

Sie bezeichnet das Auftreten des Fürsten von Verona, seine Anrede an die streitenden Haufen. Voll Hoheit

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und Verwunderung klingt sie in diesem Eingang doch noch gütig; erst im weiteren Verlauf wird sie wetternd und donnernd. Shakespeares Fürst ist gleich von An- fang an ungehalten und aufgeregt: »Aufrührerische Va- sallen etc.«

Die Annahme liegt nahe, daß diesem Rezitativ da6 Finale von Beethovens neunter Sinfonie zum Vorbild ge- dient hat Der Prozeß ist beidemale derselbe: dem Chaos, dem Tumult gegenüber die Bässe als Ordner!' Verstehen und richtig deuten läßt sich die Stelle ohne Schwierig- keit, vorausgesetzt, daß der Hörer soviel guten. Willen und Scharfsinn mitbringt, als die Programmusik jederzeit vor- aussetzen darf. Hat doch Berlioz durch die Oberschrift des Satzes der Phantasie vorgearbeitet! Berlioz hat dann wieder vorbildlich auf Liszt und den ersten Satz seiner Dante-Sinfonie gewirkt.

Die Rede des Fürsten wiederholt von höhrer Stufe aus die drei Glieder, in denen sie zuerst vorgebracht wurde, wird herrischer und strenger. Am Schlüsse, da wo die Bassinstrumente vom vollen Orchester abgelöst werden, wo die Hörner wie entsetzt nachschlagen, die Harmonie immer wieder dasselbe Fis anschlägt und ver- klingen läßt, da wo mit einem - Worte das Leben der Musik erstarren will, da muß wohl das Wort »Todes- strafe« gefallen sein. Ein schnelles Ende folgt dieser Stelle, leise und kleinlaut steht das Fugenthema noch einmal auf, dann klingt es nur noch in Bruchstücken an, zuletzt bleibt das Trillermotiv ganz unsinnig in den Cellis hängen; bald ist alles verschwunden. In diesem Schluß der Instrumentalintroduktion von Romeo und Julie lebt eine starke Poesie. Auch im ganzen ist der Satz einer der besten in der Sinfonie, geeignet und wohl wert für sich ^Uein gekannt und aufgeführt zu werden, an male- rischer Kraft und Eigenart ein echter Berlioz ersten Ranges, durch den Inhalt noch mit der gleichaltrigen Ouvertüre »Carnaval Romain« nahe verwandt.

Der aus angegebenen Gründen auf die zweite Nummer verschobene Prolog der Sinfonie ist iür Solostimmen, für

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dreistimmigeD Chor (Kontraalt, Tenor und Bass) und Or- chester komponiert. Wie bei allen Gesangsnummem von Romeo und Julie hat auch hier Berlioz selbst den Text entworfen, Emil Deschamps brachte ihn in Reime, ein gewisser Freifoerg hat ihn in oft holpriges Deutsch übersetzt. Der Zweck des Prologs ist der: den Inhalt des Dramas kurz zu erzählen. Der Chor ist der Träger dieser Erzählung; wichtige Punkte hebt Berlioz durch Sologesang und durch kleine Instrumentalsätze hervor.

Der erste Abschnitt beginnt mit einem Harfenakkord ifis-ais-cü). Dann fängt der Chor an, eine Erklärung zu geben zu der Szene, die wir soeben in der Orchesterin- troduktion erlebt haben. Der Chor singt oder deklamiert vorwiegend im unisono; es. ist nur wenig Harmonie in seinen Satz gemischt, aber dann sehr wirksam. Der ganze Abschnitt macht dadurch, daß er an den litur- gischen Ton erinnert, einen sehr ehrwürdigen und alter- tümlichen Eindruck, ganz besonders in der Schlußmodu- lation, die uns bei den Worten »encore recours« (»fortan erkämpft«) außerordentlich fein und Phantasie bezwingend nach Dmoll führt. Ein feierlich an- und abschwellender Akkord der Messingbläser, von der Pauke unterstützt, schließt ab.

Der zweite Abschnitt erzählt vom Waffenstillstand der Parteien und vom Fest bei Capulet Hier ist das Erscheinen Romeos ausgezeichnet durch einen unbe- gleiteten Sologesang des Alts, der mit einfachen Mitteln der Tempo Verzögerung, chromatischer Melodieführung, des Wechsels der Tonstärke sehr ausdrucksvoll und be- wegend wirkt. Das Fest bei Capulet schildert das am Chorschluß einsetzende Orchester, indem es aus der dritten Nummer der Sinfonie das Hauptthema der Ballmusik und deren am Schluß der Nummer eintretende Umwand- lung (die Musik der heimkehrenden Gäste) vorführt. Ge- wiß üben derartige Anspielungen erst auf solche Zuhörer, welche das ganze Werk bereits kennen, ihre volle Wir- kung aus; aber unberührt lassen sie auch den Unvorbe- reiteten nicht, dank dem dieser Musik innewohnenden

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plastischen Charakter. Sie erztthrt unverkennbar von glücklichen Herzen.

Der dritte Abschnitt führt zur Gartenszene. Spannend ist die Stelle gehalten, wo berichtet wird, wie Romeo die Mauer übersteigt Eine Generalpause mit Fermate gibt dem Erstaunen Raum. Und nun markiert ein pianissimo, ein heimliches Rauschen der Ghorakkorde die neue, die größere Überraschung: Julia auf dem Balkon. Aufregend kurz, aber meisterhaft führt Berlioz zu dem Schluß, zn den warmen von Chor und Orchester gemeinsam gesungenen Melodien aus der Liebesmusik der vierten Nummer.

Angefügt ist in diesem dritten Abschnitt eine lyrische Einlage, ein Strophenlied, das das Glück der ersten Liebe preist: »Premiers transports etc.« (>0 erste Schwüre etc.«). Der Soloalt singt es und das Cello singt mit ihm, so wird es zum Dialog, ein einfaches aber gefühlreiches, prächtiges* Stück musikalischer Poesie. Die Harfenbegleitung gibt ihm einen gewissen Troubadourcharakter, nur an wenigen Stellen tritt der Klang von Flöten, Klarinetten und eng- lischem Hörn weich umhüllend noch hinzu.

Es folgen nun als vierter Abschnitt die Erzählung von der Fee Mab und als fünfter, schließend, der Bericht von Jnliens Begräbnis und von der Versöhnung der feindlichen Geschlechter an der Gruft.

Die Geschichte von der Fee Mab ist nicht in dem kurzen Stil behandelt, der sonst im Prolog herrscht, son- dern im Detail breit, dramatisch alle Einzelheiten be- lebend, vorgeführt. Dieselbe Aufgabe in einem* Werke auf zwei verschiedene Arten lösen zu wollen, war eine Kraftprobe. Berlioz hat sie glänzend bestanden. Denn die Schilderung der Fee Mab durch den Solotenor und Chor ist ein ähnliches Unikum und ein Meisterstück wie das berühmte Orchesterscherzo, das Berlioz dem Gegen- stand als fünfte Nummer der Sinfonie gewidmet hat. Die Fee Mab oder Königin Mab zieht im Prolog in der Form eines »Scherzetto« vorüber,' wie Berlioz das Ton- bild nennt; es ist das originellste und größte im ganzen Prolog 116 Takte umfaßt es. Unter all den Geister-

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Szenen lustiger, freundlicher oder schreckhafter Natur, die der Musik in der großen romantischen Epoche von Gr6try, d*Alayrac, C. M. v. Weber bis auf Mendelssohn und Meyer- beer zugewachsen sind, ist mit dieser Berliozschen Kom- position von der Fee Mab nichts zu vergleichen. Das ist ein Spuk ganz für sich, flüchtiger, leichter, abwechslungs- reicher als jeder andere und auch da, wo das Treiben verworrener wird, immer von größter Anmut. Das Haupt- element dieser Musik bilden Rhythmus und Tempo. Das Zeitmaß verlangt von Instrumenten und Singstimmen das äußerste, was sie an Schnelligkeit leisten können, die Bratschen und die unteren Celhs haben mit ihren BegleituDgsfiguren ein ungestümes, aber dodi immer feines Perpetuum mobile zu leisten. Dann kommen die merk- würdigen schillernden Harmonien hinzu, dem Satz einen fremdartigen Charakter zu geben: Jeder einfache Drei- klang wird durch einen humoristisch berechneten Mißton gestreift. Die Einsätze der dürftigen Blasinstrumente wirken in gleichen Graden gespenstisch und komisch. Instrumentation und Nuancierung fast immer p werfen über das Ganze phantastische Schleier. Es ist in der Geschäftigkeit, mit der eine Gestalt nach der andern vor- beisaust, etwas Atemversetzendes. Nirgends kommt etwas Faßbares; höchstens die kleine Episode von dem Kriegs- traum des Pagen mit den Kanonaden, dem Tambour und der Trompete tritt deutlicher heraus und macht Miene, dem Zuhörer auf den Leib zu rücken. Im Gesangteil ist das SätzcHen, für germanische Chorzungen namentlich, ganz ausgesucht schwierig.

Der Schluß des Prologs, der vom tragischen Ende des Liebespaares und der Versöhnung der Geschlechter berichtet, ist äußerst kurz geraten, fast als hätte Berlio; nach der Fee Mab sich über die Geduld der Zuhörer und über ihre hohen Ansprüche Gedanken gemacht Angespielt ist nur auf die Begräbnismusik der sechsten Nummer, und zwar nimmt das Orchester das charakter- istische Liegenbleiben des einen Tones (0) von dort her- über.

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Zieht man die Summe des Gebotenen, so kann kein Zweifel sein, daß im Prolog von Romeo und Julie, un- scheinbar in der Form und in den Mitteln, doch eine außerordentlich große und völlig originelle Leistung vorliegt, die für die Beurteilung von Berlioz schwer ^wiegt.

BerUoz wendet sich nun wieder der unmittelbaren Darstellung zu und gibt zunächst ein Bild von dem BaU- fest bei Juliens Eltern. Im Drama ist dieses Fest ein nicht unwichtiger Abschnitt: er bringt zum ersten Male die Liebenden zusammen. Dem Komponisten bietet sich gleich gute Gelegenheit zur Seelenmalerei wie zur Situ- ationsschilderung, er kann scharf geprägte Gestalten zeichnen, ihre Herzensbeziehungen bloßlegen, kann einen Ausschnitt aus dem Treiben der großen Welt versuchen, sich im Intimen, ebenso wie im Glänzenden bewähren. Als geborener Freund großer Mittel, mächtiger, üppiger, Sinne berauschender Klänge, als Meister in der Schilderung äußeren Lebens hat Berlioz den festlichen Charakter der Szene, die Pracht und die Freude, in der sich die stolzen Massen einherbewegen, betont. Reichlich zwei Drittel der neuen Nummer sind mit rauschender, pompöser Ball- musik ausgefüllt Aber wie in der Fantastique und im Harold kommen auch hier die eigentlichen Helden des Stückes nicht zu kurz und treten im rechten Augenblick in den Vordergrund.

Diesem dritten Satz, welchen das Orchester allein ausführt, hat Berlioz die Überschrift gegeben:

Bomtfo Benl-Tristesse-Coocert et Bal-*Grande Fete chez Oa- pulet (Romeo allein in Tranrigkeitj Konzert und Ball; großes Festibel Gapnlet).

Er beginnt mit einem Andante melancolico, C/, Fdur, das zunächst die Worte Romeos (I, 4) zu veranschaulichen scheint: »Mich drückt ein Herz von Blei zu Boden, daß ich kaum mich regen kann«. Die ersten Violinen suchen nach Melodie und Ausdruck und finden nur spärlich; namentlich in der Unbestimmtheit der Tonart spricht diese Einleitung aufs deutlichste einen schwankenden

Kiotzsehmar, Führer. 1, I 24

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Zustand aus. Endlich bietet sich AntoQM. ^^ lin Halt. Die Oboen und Klarinet- J,^u f 1 rr? en setzen (im 23. Takt) das Motiv & '%fimsz =»^

Zustand aus. Endlich bietet sich aDa5Qte. ein ten

ein und klammern sich daran wie an eine letzte Rettung. Sechsmal hintereinander, nur mit immer neu tastenden und wechselnden Bässen, hören wir diese lUagend^ Stimme; dann erst entwickelt sich eine lange Gesang- melodie, die im Anschluß an das gegebene .Motiv folgen- dermaßen lautet:

Noch einmal setzt sie zu einer viertaktigen Halbperiode an und gelangt mit ihr nach Asdur. Diese unerwartete Harmoniewendung bestätigt nur, was der gewissermaßen irrende Schritt des Themas schon verrät: die Unruhe in Romeos Seele, sein Sehnen und Zweifeln: »Mein Herz er- bangt und ahnet ein Verhängnis, welches noch verborgen in den Sternen . . . das Ziel des läst'gen Lebens . . . mir kürzen wird durch irgend einen Frevel frühen Todes« (I, 4). In der neuen Tonart (Asdur) schweben freuüd- liche Motive in Triolen .tänzelnd heran. Der kleine Zwischensatz (8 Takte) hellt die Stimmung etwas auf. Das Gesangthema mit den ausdrucksvollen halben Noten setzt jetzt in Cdur wieder ein, aber des Zieles sicherer und hoffnungsvoller als beim ersten Male weiter geführt Violinen, Flöten, Bratschen bringen der Reihe nach das tröstliche neue Schlußmotiv. Da kommt eine plötzliche Unterbrechung: Allegro im AUa breve: pp klingen in den Geigen zit- -— . ^— j— . auch die Tonart temde Rhythmen : J J J J- J J- J J^ ' Des dur zeigt auf eine ganz unvermutete Wendung. In Klarinetten und Fagotten taucht das Bruchstück eines Polonaisenthemas auf. Dann folgt eine Gruppe von Takten, wo die Geigen still auf gehaltenen Akkorden tremolieren, zuletzt tritt auf-

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regender Pankenwirbel hinzu. Es ist eine ganz natnra- listisch packende Stelle, ein Bild des kalten Fiebers, das Romeo ergrÜfen hat Was Berlioz hier gemeint hat, kann niemand ganz bestimmt sagen: etwas Außerordentliches jedenfalls. DasWahrscheinlichste ist: Romeo hat seine Julie erblickt. Sei es nun eine äußere Erscheinung, sei es ein Entschluß, dem der jetzt folgende Abschnitt in der Kom- position — Larghetto expressive, s/4, Cdur gilt, jeder- mann wird davon ergriffen sein, wie fein erfunden und ge- dacht er ist: Kein Ausbruch des Jubels, lauter Leidenschaft überhaupt, sondern ein zarter Gesang, fromm wie ein Gebet ^^ ,523^ , Die Oboe trägt

' ' dig emfache

Melodie vor, die Erregung, aus der sie emporgewachsen ist, wird nur in den Rhythmen der dezenten Begleitung bemerkbar: die Cellis umspielen mit rastlosen Sextolen; an den Schlußstellen werfen die Geigen mit den Pauken schauernde Tremolos hinzu. Und nun geht Romeo mitten hinein ins Fest der Feinde. Der Hauptteil des Satzes Alleg,ro, (|j, Fdur beginnt

Es ist im wesentlichen ein Tanzsatz, er teilt mit anderen Arbeiten gleicher Gattung, die wir von Berlioz be- sitzen, das Feuer, unterscheidet sich aber von ihnen allen durch einen ^ug von Stolz und Pracht Daß es sich hier um ein Fest von Patriziern handelt, sagen uns schon die einleitenden Takte mit den pompösen Baßgängen. Sie versetzen die heutigen Zuhörer unwillkürlich in den dritten Akt von Wagners »Lohengrin«, der allerdings 1889 noch nicht geschrieben war. Das Hauptthema, über dem sich Berlioz* Festgemälde nun aufbaut, fängt folgender- maßen an:

iBgro. Sa 108

rVftrriTirrT^iffii -fi^irTf

Es enthält in der Schale einer Marschweise einen kost- baren Inhalt von Würde und Lebenslust Der letzteren

24*

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dient unter den Motiven, die dem hier gegebenen Anfang

folgen, beson- «• fi*^ £ « fi e* "^

ders das drol« -jf-if Frirrfir Ptf lO - hg ausholende: ^ ^ ' ' '=^=ta*s4=

Nachdem die glänzende Gesellschaft ihren ersten Rundgang vollendet Ganzschluß in Fdur , wird unsere Aufmerksamkeit auf eine einzelne Gruppe, die etwas im Hintergrund steht, gelenkt. Celli, Bratschen und Fagotte sind ihre Sprecher:

Halblaut reden sie von den letzten Händeln mit den Mon- techis. Es sind herrische Leute, und wehe dem armen Romeo! Andere ziehen mit leichtem Scherz vorbei. Dann kommt das Hauptthema zum zweiten Male, diesmal in den Holzbläsern, die Geigen ziehen ein langes Gewinde von Achteln darum. Dann wird es auf allen Seiten lauter, als stritten sich die Streicher mit den Bläsern um die Akkorde. Und siehe da, in diesem Augenblick des Lärms and der Aufregung erscheint das Thema aus dem Larg- hetto wieder, diesmal nicht von der Oboe, sondern von den Hörnern geführt. Sie behalten es auch im weiteren Verlauf und ziehen noch Posaunen und Fagotte dazu. Berlioz gibt uns jetzt die Aufklärung, was er mit der Larghettomelodie gemeint hat: Es ist wirklich Julieus Gestalt: majestätisch schreitet sie dahin, und als der Haupt- satz, die rauschende Ballmusik, jetzt wieder wie beim Anfang des AUegro von der ganzen großen Masse der Geigen, von Flöten und Bratschen unterstützt, von den anderen Instrumenten, unter ihnen zwei Harfen, umlärmt wird strahlt doch fiber all den glänzenden Wirrwarr hinweg in Hoheit die Larghettomelodie: Das Stück könnte nach genauer Wiederholung des ersten Allegroteils bis zu dem Punkte, wo das Baßthema kam beendet sein. Berlioz erweitert aber Beethovensch. Statt eines Fdur- Schlusses kommt eine Ausbiegung über Adur nach Dmoll und ins piano. Die Stille der Verlegenheit tritt ein, und

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in ihr lassen sich vneder Händelsüchtige vernehmen, sie brüten neue Komplotte: Diese unfriedlichen Gedanken sind in zwei Themen gegeben

.. jii h ffiTiij lijiTnTi I ■■* -^jfc'^j ji

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feB die das Afaterial zu einer beschei-

denen Doppelfuge bilden. Sie wird nicht durchgeführt, sondern Berlioz beschränkt sich dar- auf, die chromatische Skala zu einem Basso ostinato zu verwenden, über den in wachsender Erregung, im langen crescendo erst allein die Bläser rhythmische Kampfmotive hinschmettern. Bald stimmen die Geigen mit ein; es reizen die Schlaginstrumente. Die festliche Stimmung ist in eine kriegerische umgeschlagen. In allen Gruppen größte Unruhe, ein Anlauf über den anderen auf das drängende Motiv:

Cresa.

H JT] ItQfj. [P# n^ ir >'^ < i über D moU nach ö,

V 7 nach (7, dann die-

selben Wege nochmals in bedrohlicherem Tone es schlägt am Ende der Perioden bereits ein , und dann bricht mit dem endlich erreichten Fdur das volle Wetter los: Eine wilde elementare Musik, ein schlimmerer Auf- ruhr als in dem Augenblick der Orchesterintroduktion, in dem die Posaunen des Fürsten sich erhüben. Noch einmal wird Ruhe. Wir hören wieder den chromati- schen Baßgang von Pauken und Trommeln schauer- lich beleuchtet. Diesen letzten Augenblick benutzt Romeo sich zu entfernen. Die Oboe singt wieder den Klagegesang, mit dem sich im Andante melancolico Romeo schwermütig vorstellte. Im Toben der Massen eine plötzliche Generalpause sagt uns, bis zu welchem Grad die Wut gediehen geht der Satz schnell zum Schluß.

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Die Italiener des 17. Jahrhunderts, die venetianischea Librettisten voran, die Spanier, die Geschlechter der aus- gehenden Renaissance überhaupt, verstanden sich auf Liebesszenen. Aber den Szenen, in denen Shakespeare in »Romeo und Julie« das Liebespaar zusammenfüfart, kommt doch wenig gleich. Dieses Urteil läßt sich auch auf die Gartenszene der Berliozschen Sinfonie übertragen, in der der Komponist seine Erinnerungen an jenen schönsten Teil des Shakespeareschen Dramas in Töne gebracht hat. Man kann es ruhig sagen: Berlioz hat die Liebe von Romeo und Julie schöner geschildert als der Dichter, um so viel inniger und ergreifender als die Musik, wenn es Gefühle darzustellen gilt, der Sprache überlegen ist. In der Komposition Beriioz' steht auch das mit, was bei Shakespeare ungesagt bleibt; vor allem übeir alle Süßigkeiten des Augenblicks hinweg bringt sie uns ins Bewußtsein, daß diese Liebe tragisch enden wird. Ein Ton der Klage und der Wehmut klingt mit dutch alle Seligkeit hindurch.

Mit der vorhergehenden Nummer, der Ballszene, ist die Garten Szene, als fünfte Nummer des Werkes, durch eine dramatische Einleitung verbanden. Die Überschrift des Stückes:

Nnit sereine le jardin de Oapulet silencieux et d^sert Les jeanes Capulets sortant de la feto, passent en chantant des rtfmi- niscences de la mnsiqae du bal,

welche Berlioz selbst gegeben hat, enthebt jeder weitem Beschreibung des Verfahrens. Ein Allegretto (ß/g, A dur ent- hält diese Einleitung. Langgezogene Geigenakkorde, die nur schleichend modulieren, beginnen. Berlioz schreibt 2PPP vor. Das ist die Stille des Gartens, von der die Überschrift sagt. Nach dreißig Takten erst Mingt es im ersten Hörn: als käme jemand. Und bald darauf be- ginnen die jungen Kavaliere ihr: >0h^! Capulets, bon- soirc (»Capulets, schlaft wohl«). Gleich darauf kommt auch die hauptsächlichste von allen Ballreminiszenzen, auf die Ulis der Komponist selbst aufmerksam gemacht hat:

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Aiiegretio. ^ .. Leicht wird man in ihr

den Anfang vom Haupt-

0 qvoii« DOi^ «iJtl fesUnl thema des Allegros der Ballszene wiedererkennen. Das ganze Stück Einleitung ist von Humor, wie von poetisch höherer Empfindung gleich- mäßig belebt In ihrer etwas steifen Anmut erinnert seine Melodik namentlich an Berlioz* »Flucht der heiligen Familie nach Ägyptenc. Ein Wunder, daß es sich unsre Männergesangvereine fortdauernd entgehen lassen! Es verklingt, und nun beginnt die eigentliche Scöne d'Amour, die Liebesszene, in Form eines mehrmals von belebten, erregten Episoden durchbrochnen Adagios. Der 'O/g Takt und die A dur-Tonart bleiben. Das langsame Tempo gibt aber der Komposition ihren eigentümlichen Charakter als einer Liebesszene von fast religiöser Tiefe.

Das Adagio beginnt wie präludierend mit einem Ab- schnitt, in dem 'die Bratschen mit den geteilten Cellis in bald ausdrucksvollen, bald spielerischen Motiven sich dem Gesang nähern. Es ist ein eigentümlich'volles, gedämpft weiches Kolorit, ähnlich dem in der »Scftne aux champs« von Berlioz' Fantastique. Drunter klopfen die Bässe wie die Schläge des Herzens. Die zweiten, dann die ersten Geigen tragen Verzierungen und melodische Fragmente herbei;, noch mehr aber erinnern Klarinette und eng- lisches Hom an die Liebesmusik der Vögel, sie seufzen sehnsüchtige Motive, die uns die Stelle des Dramas vor die Phantasie bringen, wo es heißt: »Es war die Nachtigall und nicht die Lerche«. Dann wird ein Singen daraus, leidenschaftlich treiben die Töne nach

oben. So ^^ ji-Admfii^ ^^stt"^ ^nd so

setzt die ^l^\rM^ " i W » i pTf P T' I schließt Stelle ein : ^ PP=^ -^ =— "' sie:

,Bald kehrt sie wörtlich genau wieder, sie umrahmt das vom Cello und vom Hörn vorgetragne Liebesthema Juliens, ihr Geständnis, den Lüften anvertraut:

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Eine der schönsten Melodien der ganzen neneren Musik, muß dieses Thema in diesem Werk and in diesem Satz namentlich mit seinem Schluß fest gemerkt werden. Denn es taucht wie ein Leit- und Repräsentierthema häufiger in unserm Adagio wieder auf. Die Musik wird von dem Einsatz <ler Vogelmotive ab wiederholt Romeo lauscht entzückt, und als Julia, nun im vollsten Tonglanz ihr Liebesgeständnis (jetzt in Cdur) nochmals ablegt, be- mächtigt sich ein großer Sturm seiner Gefühle (Allegro agitato). Er dringt vor, gibt sich zu erkennen, das Cello hebt ein Rezitativ an und leitet damit über zu der zweiten Hälfte der Nummer, dem Liebesdialog. Dieser Di Alog hat wieder die Form eines Adagio, das gegen das erste um eine Kleinigkeit beschleunigt ist Das in ihm neu hinzutretende Hauptthema ist:

r^ r ff" r ^ fy^yrj^^ Von Flöte und eng-

* ' ^^ai^BS lischem Hörn einge- führt, findet es in einer zweiten Periode den seiner fried- lich genießenden Natur entsprechenden Abschluß in Adur. Daran knüpfen sich heitre, zum Tändeln neigende Motive, bis dann bald Juliens Liebesgesang den Ideenkreis ins innig Pathetische zurückleitet Es wechseln nun Augen- blicke der Ruhe und der Erregung : es kommt die Schwere des wiederholten Abschieds, die Wonne des Wieder- treffens. Mehr als bei andren Sätzen der Sinfonie bietet die Kenntnis Shakespeares für diese Nummer eine weit- reichende Gewähr des Verständnisses.

Der fünfte Satz der Sinfonie, das Scherzo (Prestis- simo, Vs» Fdur) trägt die Überschrift: »La Reine Mab,

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ou la F^e des Songes« (Königin Mab, die Traumfee}. Er bedeutet einen Abfall von Shakespeare, eine Uberläuferei zur selbstherrlichen Musik, insbesondere zu den Formen der Beethovenschen Sinfonie. Berlioz mochte auf die be- währte Wirkung eines Scherzos auch in »Romeo und Julie« nicht verzichten. Sieht man von der Entstehungs- UTsache ab,, so bleibt dieser Satz eine bis heule noch nicht überbotne Glanzleistung auf dem Gebiete der Elfen* musik. Die Komposition gibt den flüchtigen Charakter, den man von dieser Gattung erwartet, nach ein'er Rich- tung wenigstens vollkommen wieder, ganz besonders aber zeichnet sie sich aus durch ihren Reichtum neuer und ungewohnter, mit ebensoviel raffinierter Berechnung als mit poetischem Genie aufgesuchter und erfundener Klänge. Zwar für die Gestalt und das Treiben des Miniaturelfs, wie sie Shakespeare vor Ball- und Balkonszene I, 4 beschreibt, ist die Berliozsche Musik immer noch zu kom- pakt, zu reich an Baßklang; aber man hatte in einer Sin- fonie ein Scherzo wie dieses doch noch nicht gehört: Ein ganzer Jahrmarkt von seltnen, schweren Trillern, von Pizzicatos, Flageoletts, ausgesuchten Spielarten und Tonlagen tat sich hier auf.

Dem Hauptsatz, den einige akkordische, durch Fer- maten, Modulationen und Klangfarbe ins Träumerische erhobne Takte einleiten, liegt folgendes Thema

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zu Grunde. Die Violinen durcheilen mit ihm im schnellsten Zeitmaß, in der größten Leichtigkeit, die möglich ist, einen ziemlich umfangreichen Kreis von Tönen und Ton- arten. Fdur beginnt, der Schluß führt nach und nach einem dissonanten Akkord des-f-as-hy demselben, der den Satz überhaupt begann. Es ist etwas Koboldartiges in dieser Beweglichkeit, und es ist auch nicht leicht für

(T

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den Zuhörer genau zu folgen. Um das zu erleichtem, müssen Spieler und Dirigenten die metrisch betonten Takte hervorheben. Wird damit von Anfang an der mit * bezeichnete ist der erste Klarheit einge- halten, so ist der Aufbau der Perioden leicht zu be- greifen; er vollzieht sich vorwiegend in zweitaktigen Ab- schnitten.

Zunächst' stellt Berlioz das angeführte Hauptthema noch zwischen das akkordische Einleitungsmaterial. Erst im zweiten Abschnitt, dessen Eintritt sich scharf dadurch markiert, daß wir 8 Takte lang nur (in Bratschen und zweiten Violinen) Akkordbegleitung ohne Thema haben, erhält es das Feld für sich und bestellt es in Umbil- dungen, wie sie für Menuetts, Scherzi, fürs ganze Tanz- gebiet von jeher üblich sind: Eine Doppelperiode in der Haupttonart Fdur mit Schluß in (7, eine zweite in 0 mit Modulationen nach verwandten Harmonien und Schluß in F. Es ist ein leichtes anmutiges Treiben ohne wichtigere Vorfälle. An dem oben genannten Punkte erst erscheint ein teilweise neues, von Berlioz auch im »Carna- J ^^^ ♦♦ti

val Romain« ver- i^ y wende tes Motiv: JT'

in den Geigen, das ^Tt ^^ .^^

Flöte und engü. ib fl i 1 V \\ V \\ V f^ sches Hom mit ^ ' ' i i . n

beantworten. Fee Mab wird ausgelassner: schärfer tritt der Pizzicäto-Klang vor, schärfer wechseln die Tonarten in diesem kleinen Seitensatz. Hdur ist erreicht. Da führt bei einem allgemeinen temperamentvollen Crescendo ein heftiger chromatischer Lauf der Mittelstimmen nach der Haupttonart zurück und in eine große Wiederholung des Hauptsatzes mit einigen Erweiterungen. Motivisch neu tritt eine zuweilen auf vier Takte ausgedehnte Triller- figur, aus der Schabernack und Obermut herüber- klingen, vor.

Die größten Überraschungen fürs Ohr hat Berlioz für die Mitte seines Scherzos aufgespart, für die Stelle,

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die üblicherweiffe das Trio einnimmt. Gedacht ist wohl dieser wichtigere Teil so: daß er die Wirkungen der Schalkereien Mabs im Kopf des Schläfers veranschau- lichen soll, während uns der bewegtere Hauptsatz den Umzug der Fee schildern soll. Das Thema dieses Trios f heißt:

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fS^JTf n\t t J'Ti' ' r I 'Tf '1 rr^

n ii^^^i^^riTr iTfr iTTfiTTit i

Mit seinen rufenden und ahnenden, auch mit seinen gesanglichen Elementen ist es im Grunde höchst einfach. Seine Wirkung erhält es durch die Dekoration. Die ersten Violinen trillern dazu vom ersten Ton der Flöte bis zum

letzten pppp aber ohne Unterbrechung auf ä; die Celli antworten auf das Quartenmotiv; die andern Saiten- instrumente aber halten hohe Fla geol et töne aus. Von ihnen kommt der Märchen zauber, das Feenlicht, das über dem Abschnitt liegt; süß wie Liebestraum und ganz fremdartig und neu erscheint er. Zugleich ist dieses Kolorit zum ersten Mal das, was sich mit den von Shakespeare erweckten Vorstellungen deckt Die Harfen fallen bald mit unerhörten Klängen ein, die zur selben Familie wie die Flageolettöne der Geigen gehören. Die Phantasie des Hörers wird in demselben Augenblick aus dem Elegischen hinüber gerissen nach dem Humoristischen : wir hören in den Bratschen und Cellis Figuren, die an den Rhythmus des galoppierenden Pferds erinnern. Berlioz hat an die Stelle gedacht, wo bei Shakespeare die Fee Mab den Soldaten neckt.

Noc^ breiter ausgeführt als im Trio sind diese militäri- schen Bilder in der Reprise des Hauptsatzes. Hier führen sie zu einigen Episoden, an deren Spitzen die Hörner stehen:

Prostfaffinv. ^ Auch das englische

'"fp ' ■■ j mitemem Jagdmotiv.-

380

A t . . . K ■■ I ^^" einer ein"

4p I r J) 1 J iJ^ HJ ^^^p fachen Wieder- V holang ist diese

Reprise so weit als möglich entfernt; sie ist eine Steige- rung in jeder Beziehung, in den Formen nicht weniger als in den Farben. Für letztere sind auch die Schlag- instrumente meisterhaft herangezogen.

Stephen Heller lernte die neue Sinfonie Berlioz' bald nach ihrer Entstehung im Manuskript kennen und be- richtete darüber an die Zeitschrift Robert Schumanns*)- Dieser Bericht ist noch heute wichtig, weil er über die erste Fassung der Sinfonie Mitteilung gibt Unter den Abweichungen, die sie von der veröffentlichten Form unterscheiden, tritt als eine der wesentlicheren der Um- stand hervor, daß zum Beginn der zweiten Abteilung die mit der Nummer 6 einsetzt, früher nochmals ein Prolog gesungen wurde.

Für diese sechste Nummer, die Juliens Be- gräbnis bringt Convoi funöbre de Juliette , ist kein Prolog und kerne Erläuterung nötig. Denn es ist ein ein- facher Satz (Andante non troppo lento, Emoll), ein Trauermarsch, wie wir ihn hier erwarten, nur mit der Be« Sonderheit, daß das ausdrucksreiche Hauptthema

in Form einer Fuge durchgeführt wird. Die Singstimmen psalmodieren dazu auf einem und demselben Ton e. Ber- lioz hat denselben und einen ähnlichen Kunstgriff in seinen Trojanern und im Offertorium seines Requiems

*) Nene Zeitschrift für Musik, XI, S. 102.

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mit großem Glück zum Ausdruck äußerster Niederge- schlagenheit verwendet. Besonders schOn ist der zweite Teil der Nummer, der sich nach E dur wendet und Chor und Orchester die Rollen tauschen läßt.

In hohem Grad einer Erläuterung durch Prolog oder eine sonstige authentische Willensäußerung des Kompo- nisten ist dagegen die folgende siebente Nummer der Sinfonie, die Grahszene, bedürftig. Berlioz hat das selbst gefühlt. £r schickt in der Partitur eine Bemer- kung voraus, worin er den Dirigenten ermächtigt, den Satz zu überspringen. Mit den Worten: >Le public n^a pas d'imagination« wälzt er die Schuld von sich auf den unschuldigen Teil: Das Publikum, die Zuhörer- schaft kann diesen Satz nicht verstehen und wenn neue Erklärer*) seinen Schwierigkeiten gegenüber mah- nen, sich den fünften Akt von Shakespeares Drama lebhaft zu vergegenwärtigen, so empfehlen sie ein un- zureichendes Mittel. Berlioz gibt als Inhalt unsrer sie- benten Nummer an:

Rom^o au tombeau des Oapulets; Inyocatlon, Rtfveil de Jnliette, Jole d^Iirante, d^sespolr, dernieres angoisses et mort des denx anxants (Anrufung und J^rwachen Juliens, Entzücken tmd Freude, Verzweiflung, letzte Not und Tod der beiden Liebenden).

Daraus ergibt sich, daß er die Ereignisse vollständig umgedichtet hat. Bei Shakespeare ist Romeo gestorbeUi ehe Julia erwacht; wohl bei Bellini, aber nicht bei Shake- speare gibt es Wiedersehn, Anlaß zur Freude und gemein- samen Tod. Der Zuhörer muß sich also in der Kompo- sition durch Raten zurecht zu finden suchen; sie ist keine gute Program musik, sondern Theatermusik, die nur den Augen will sehen helfen, sie ist ein an dieser Stelle ver- fehltes Kunstwerk. -

Der Satz (Allegro agitato e disperato, (^, Emoll) be- ginnt mit hastigen Figuren

'*') F. Weingartner in Allitemeine Musik -Zeitung, Jahrg. 1S93, S. 123.

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f ' J JJ UnJ J ' J JJ IJiJ J^"^l|l'l I I

** die in einem kurzen Satz

das Bild geben, als wenn ein Mensch atemlos ge- rannt kommt: Romeo, den die schlimme Nachricht von Jaliens ^od ans dem Mantnaner Exil vertrieben hat, eilt an die Pforte des Grabes. In langen Noten 4 I I M I I i' 1 ** ^'^^ äußerste Kraft ge-

j^ j^ ' ' J aiJ J -j)" sammelt »Die Nacht und «P— =^ f ^ mein Gemüt sind wütend

wild, viel grimmiger und viel unerbittlicher als durst'ge Tiger und die wüste See« so lauten die Worte, mit denen Romeo bei Shakespeare (V, 3) die Türe des Ge- wölbes — »die morschen Kiefern des Schlundes« er- bricht Dumpf, tief und schauerlich schlagen die Po- saunen, ein Hörn dazu, durch Fermaten gefesselte Ak- korde an. Dann folgt die Invokation, ein längrer Satz (Largo, i^/g, Cismoll), in dem Romeo in feierlichen und wehmütigen Melodien zu der tot geglaubten Geliebten spricht Als sie zum Schluß kommen, geraten sie ins Stocken. Chromatische Figuren in den Cellis deuten auf außerordentliche Vorgänge. Die Klarinette setzt ein:

Wer kennt diese Motive

JWRP =^ nicht und

denkt bei ihnen nicht an den Anfang der Gartenszene? Nun kommt das volle Thema. Julie ist erwacht, sie lebt,' und ihr erster Gedanke ist wieder: ihre Liebe, ihr Romeo! Das Orchester stürmt voll wie in der Ballszene im Freudenrausch dahin, eigentlich ohne Melodie und ohne Rhythmus,

Allegro vivace od appasgloiuito.

zügellos, elementar in Empfindung und Form. Lange klingt die Stelle wie ein grotesker, riesiger Triller. Dann

388 »^

Teru«hmen wir in den Motiven Reminiszenzen an die Gartenszene, an ihre schönsten Themen; aber in derun- glanbhchsten Extase und Beschleunigung. Dazu unheim- liche Dissonanzen ! Der üherspannte Bogen muß brechen, das Unglück ist in der Nähe. In dem reißenden Strom dieser Musiklava entsteht Stockung, Verwirrung: Romeos Rezitativ aus der Gartenszene klingt nochmals krampf- haft und unnatürlich an, von härtesten Schlägen des Orchesters hegleitet, das e aus dem Leichenbegängnis (Nr. 6) läßt sich hören: Romeo stirbt Bald, > mitten heraus aus der Seligkeit, in der sie befangen, folgt seine Julie ihm im Tode nach. Innerhalb einer Minute gings aus höchstem Glück in die Vernichtung. Nur eine einzige. Oboe hält an der verödeten Stelle noch Stand, wo eben noch das volle Orchester wie für eine Ewigkeit aufspielte.

Die achte Nummer, das Finale der Sinfonie, hat die Oberschrift:

La foale accourt an cimeti&re, Rixe des Capulets et Mon- tagus, Röcitatif et.air da Pdre Lanrence, serment de rtfcon- clliation (Die Menge eilt znm Kirchhof, Streit der Capulets und Montechi, Rezitativ nnd Gesang des Pater Lorenzo, Versöhnungs- scbwar).

Sie beginnt mit einem AUegro (^, Amoll, das dra- matisch lebendig die Erregung der herbeieilenden Volks- massen schildert und viel Natur- und Herzenston ent- hält Besonders der Schluß, wo das Tempo doppelt so langsam wird als es war, ergreift mächtig. Dann tritt der Pater Lorenzo auf und bemächtigt sich mit Erklärungen und Ermahnungen des Worts, für seine salbungsvolle Weise immer noch etwas allzu lange*]. Als die Parteien wieder aneinander geraten, wieder- holt Berlioz die Fugenmusik aus der Introduktion der Sinfonie, diesmal mit Text »Mais notre sang rougit etc.« (»Doch unser Blut etc.c). Dem Pater gelingt es zu be«

*) Berlioz hat die Reden des Paters, laut Memoiren, be- deutend gekürzt.

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ruhigen, zu rühren. So gelangen wir ganz in dem StU der großen französischen Oper und mit mancher hüb-* sehen, auf Berlioz persönlich weisenden Wendung zum Schluß* und Trumpfstück dieses Finale : dem Serment, der Schwurszene, die ihrer musikalischen Natur nach ein Geschenk Meyerbeers an das Haupt der französischen Instrumentalkomposition sein könnte. Wer mit Grund das Werk lieben gelernt hat, bedauert, daß es nicht selb- ständiger und in einem poetischeren Stile endet

Der Komponist selbst hat seiner dramatischen Sin* fonie nur eine Ausnahmestellung im Konzertsaal zuge- traut. Ihre Schwierigkeiten, sagt er in den Memoiren, sind so groß, daß die Ausführenden das Werk auswendig können müssen. Als sie in Petersburg ausgezeichnet geht, trübt ihm der Gedanke die Freude, daß sie für London doch unmöglich sei. Er hat sie aber schließlich auch in London dirigiert, und im Laufe der großen Berliozbewe- gung, die sich in den siebziger Jahren erhob, ist sie erst in Bruchstücken, dann mehr und mehr in ihrer Vollstän- digkeit bekannt geworden. Damit im Einklang mehren sich in neuester Zeit die Sinfonien, die nach dem Vor- bild von Romeo und Julie Instrumentalstficke und Ge- sangsnummern mischen. Lange Zeit stand Fei. David und seine »Wüstet mit dieser Nachfolge allein. Heute ist sie mit weitren Sinfonien von F. Liszt, Nicod^, A. Samuel, Mahler, Huber, v. Hausegger u. a. ver- treten.

Es war mehr als bloßer Zufall, daß der jüngste Vor- stoß der Programmusik von Frankreich ausging. Die Zu- taten und Änderungen, die das Gebäude der Beethoven- sehen Sinfonie hierbei durch Berlioz erfuhr, lassen im letzten Grunde den Einfluß der Traditionen Rameans doch deutlich erkennen. Indessen erkannte ihn niemand. Berlioz' Programmsinfonien trugen in ihren dichterischen Wendungen sehr stark, in ihren musikalischen Mitteln immer noch erkennbar französisch-nationalen Charakter; die Franzosen wußten es ihm keinen Dank. Auch im Ausland fanden sie mehr Widerspruch als Erfolg. Vor

V

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allem blieb 'die Schule and der produktive Anhang ans, der jeder neuen Richtung unentbehrlich ist. Spohr war fftr Jahrzehnte der einzige europäische Sinfoniker, der mittat. Aber er vermied sowohl die Stoffe, wie die musi- kaiischen Mittel, welche für die Berliozsche Epoche die charakteristischen sind. Da trat endlich in den fünfziger Jahren Franz Liszt mit der größten Entschiedenheit für die gefährdete Sache ein. -

Liszt ging aber über seinen Vorgänger wesentlich hinaus und ordnete dem Programm auch die Formen der Komposition vollständig unter: Seine Sinfonien sind drei- sätzig, zweisätzig, einsätzig, je nachdem; die dichterische Idee bestimmt den musikalischen Plan. In dieser Freiheit, in der Kühnheit und Sicherheit, mit welcher die Grund* linien des Formenbaues entworfen und durchgeführt sind, bilden die Listzschen Sinfonien Originalleistungen und repräsentieren eine geistige Kraft und ein künstlerisches Gestaltungsvermögen von außerordentlicher Stärke. Nach diesen formellen Seiten liegt ihre geschichtliche Bedeu- tung. Liszts Sinfonien führen die von Berlioz gegebene Anregung zu einer vollen Reform aus, und brechen die Alleinherrschaft des Hayda - Beethovenschen Systems. Berlioz trat für. die Deutlichkeit des poetischen Inhalts und des Zusammenhangs der Sätze ein ; Liszt erweiterte diese Forderungen mit der dritten: Freiheit des Formen- baues! Wohl verstanden: Freiheit, künstlerische Frei- heit, nicht etwa Anarchie und Formlosigkeit!

Auch den internen musikalischen Stil der Lisztschen Musik hat vielfach die Forderung bestimmt, daß Ausdruck und Darstellung in erster Linie charakteristisch und an- schaulich sein müssen, und eine große Reihe seiner Eigentümlichkeiten sind aus der Treue gegen das Prinzip hervorgegangen. Dahin gehören die bei ihm noch zahl- reicher als bei Berlioz hervortretenden Stellen, wo bloße Klangphänomene, rein akkordische, instrumentale, dyna- mische und andere naturalische Bildungen die Träger der musikalischen Entwickelung bilden. Dahin gehören spezifische Eigenheiten der Lisztschen Rhetorik: ihr

Kr«txflcbiiiar, Fflkr«r. 1, t 26

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Reichtum an IntexjelUiMien, an Aasraftingsaseichen und Qedankanttnchen , an pithetiach fortscbieitenden Se- quenzen und anderen prunitiven Aaadrackemilteln der musikalischen Deklamation, wie sie Liszt namentlich in den Momenten der Extase gern verwendet

Andere Erscheinungen des Stils mflssen auf die Natur und die Schranken der musikalischen Begabung Liszts zurfickgeCfthrt werden: der vorwiegend eklektische Cha* rakter seiner Melodik, seine Abhängigkeit von chroma- tischen Gängen, melodischen Ausnahmsintervallen und anderen Reizmitteln des Ausdrucks, die zu stehenden Formeln verbraucht werden; endlich der größere Teil jener Satzbildungen, in denen Perioden und größere Redeteile durch unaufhörliche Wiederholungen und bloße Transposition des ersten Gliedes entwickelt werden. Es kommt zu diesen Eigenheiten auch noch der Umstand, daß einzelne Rompositionen Liszts augenscheinlich sehr flüchtig hingeworfen sind. Aber eine außerordentliche Gabe, mit wenigen Strichen einen Charakter zu zeichnen, leuchtet auch noch aus den schwächsten unter seinen Orchesterwerken. Die Mehrzahl von allen fesselt durch den Geist und die Hingabe, welche sich in der Haltung des Ganzen aussprechen, durch die Wärme des Aus- drucks, die Macht der poetischen Anschauung, welche einzelne Stellen belebt, durch eine Reihe schöner Mo- mente, deren Genialität selbst vom Standpunkte des ab- soluten Musikgenusses nicht geleugnet werden kann. Daß aber Liszt,* ähnlich wie dies Gluck seinerzeit bei der Opemkomposition getan, auf diesen absolut musikalischen Standpunkt bei seinen Programmsinfonien verzichtet, soll der Zuhörer nie vergessen und dem Komponisten mit einiger Gutwilligkeit den poetischen Gegenstand der musikalischen Schilderung fest im Kopfe! entgegen- kommen. In diesem Falle wird man, wie es beabsichtigt ist, die Formen und den Ideengang der Lisztschen Or- chesterkompositionen leichter finden, als die anderer pro* grammloser Sinfonien, und ihnen Anregung und Genuß verdanken.

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Die -Lfsztsclien Orchesferwerke umfassen außer einigen Bagatellen 8 Sinfonien und 12 sogenannte trinfoniscbe Dichtungen. Unter den beiden Sinfonien ist fdde im Jahre 1856 geschriebene Fan st Sinfonie (nach Goethe), die durch die Menge der Ideen and durch die Kunst, mit welcher sie entwickelt sind, henroiragendere. Sie ist in drei Sfttzen gehalten, weiche Liszt 9 Charakter- bilder« nennt, womit also ein Anschluß an den szenischen Verlauf der Goetheschen Dichtung von vornherein abge- wiesen wird. Hierin verfährt Liszt ungleich mehr musi- kalisch, als Berlioz in »Romeo und Julie«.

Der erste Sat^; (Lento und AUegro, C ({:;, s/4, Cdur f.lissi, und GmoU) gilt der Hauptfigur des Gedichtes, dem »F aus t«. Faust. Sinfoni« W&hrend die Normalsinfonie zwei Themen im ersten Satz aufstellt, bringt Liszt hier vier, die die hervortretendsten Zflge der Faustnatur veranschaulichen wollen: das grü- belnde, melancholisch-dämonische Element, das Ringen und Streben, das Liebessehnen, die heroisch tatenfrohe Seite seines Wesens. Das erste, Zweifel, Gram, Gefühl der Öde ausdrückend:

P Celli, Brat»eli«B

^^..^^ ^ beruht in seiner vorderen Hälfte auf

Tu 'M? l^'^^ff * * I ^^^ übermäßigen Dreiklang. Gewiß ^ iotenii ^ ist dieser bis dahin noch niemals in

ähnlicher Weise für ein Sinfoniethema verwendet worden find hat bei den ersten Aufführungen des Lisztschen Werkes ongewöhnliches Staunen erregt. . Aber um auf den über- spannten Zug in Fausts Geist hinzuweisen, war das Mittel glücklidi gewählt. Das Thema findet seine nächste Fort- setzung in einer Reihe kleiner, freier Monologe, die zwischen den Blftsem wechselnd, die äußerste Niedergeschlagen- heit tinssprechen. Im 11. Takte: Stocken, Fermate! Darauf repetiert der Satz von C aus und tritt dann in ein wildes Allegro (Cf 'A» V«) ^^^') i^ welchem die Klagen des Hauptmotivs von den Flammen der Verzweiflung und BmpOrung umlodert erscheinen. Bereits hier wird eine

2o*

388 <w-

Schwiengkeii sehr bemerkbar, die der Hörer im ganzen Verlauf der Sinfonie immer wieder zu überwinden hat Das ist die metrische Mannigfaltigkeit der Mosik. Es findet foftwährend Wechsel von Takt und Rhythmus statt Wer zu schlafen, zu träumen und nur äußerlich zu hören gewöhnt ist, erhält harte Stöße; nur mit leben- diger Phantasie und regem Geist erwirbt man sich den Genuß an diesem Kunstwerk! Das zweite Thema, das von der ausgeführten Gruppe des ersten durch ein kurzes Lento getrennt wird, ist weniger original als das erste, erinnert an Spohrsche und Schumannsche Weisen; aber wirkt an seiner Stelle warm und edel. Es repräsentiert lebenswüligere Elemente der Faustnatur: Ringen, Streben, Hoffen. Das Hauptglied seines technischen Organismus bilden die folgenden Takte:

Vl«i;

Am Schiasse des Satzes, der dieses Thema entwickelt, wird die Stimmung wieder trostlos: die Bläser klagen und bitten:

■'nTTD'"^

Es folgt eine kurze Episode (Meno mosso, 0/4 und V4) traumhaft phantastischen Charakters, in welcher schatten* hafte Figuren (Violini con sordini) das erste Thema flüchtig umschweben. Wie eine freundliche Vision erscheint nun, eingeleitet durch eine Art Rezitativ, in dem Cello und Violine leidenschaftlich die Schlußnoten vom ersten Thema austauschen, als drittes Thema eine Melodie, aus den beiden letzten Takten vom Thema a entwickelt, welche dem schwärmerischen Zuge im Faust, seinem Sahnen und Lieben gilt: aadaaU.

,Ctor.».Soni

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nst»

Sie setzt im nenen Tempo ein, wechselt die Taktarten, schließt nicht streng ab und veranschaulicht damit auf einmal die ganze Reihe Freiheiten der Gestaltung, in denen Liszt zum Zweck einer lebendigen, dramatischen Darstellung vom üblichen Gange abweicht Man wird dieses Thema auch im zweiten und im dritten Teile der Sinfonie wiederfinden. Ea bildet eins der wichtigsten »Leitmotive« des Werkes, deren Prinzip Liszt, wie schon angedeutet, von BerUoz Übernommen hat Faust trennt sich von dem beglückenden Bilde, wie vom Freuden- rausche ergriffen; die Energie erwacht wieder (AUegro con fuoco, dem das Sechzehntelmotiv vom Thema b zu Grunde liegt), Tatkraft und Stolz regen sich und finden ihren Ausdruck in dem spannend eingeleiteten vierten Thema:

Orandloso.

Wer die Vorzeichnungen der hier mitgeteilten Themen ansieht, kann nicht im Zweifel sein, daß Liszt so wie mit der Metrik auch mit der Harmonik von allem Her- kommen abweicht In 0 begann die Themengruppe; mit dem hier zuletzt gebrachten vierten Glied schließt sie in Hdur. Wir treten nun in den Durchführungsteil ein. Denn der erste Satz der Faustsinfonie hält an der üb- lichen Gliederung in Themengruppe, Durchführung, Re- prise fest Diese Durchführung beginnt mit einer Kom- bination des vierten und dritten Themas, das letztere allerdings in Moll und Leidenschaft verwandelt; dann folgt ein zweiter Abschnitt, der erstes und zweites Thema gegeneinander stellt, von jenem durch einen Übergangs- satz heftigen Charakters getrennt Der dritte Abschnitt

(^

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der Durchf&hnmg zeigt^ daß das zweite Thema allein zur Herrschaft gelangt^ aber mit einem Zusatz von Erregung und Wildheit, der die Physiognomie, mit der es in der Them6ngmppe auftritt, vollständig ändert. Sehr natfir- lich und folgerichtig führt diese Wendung in die Reprise hinüber. Das erste Thema, als höchster Ausdruck von Faust? Seelenleid, kehrt wieder und mit ihm die ganze Themengruppe, aber mit Modifikationen, welche als die moralisdien Wirkungen des Thema c) aufzufassen sind: Die Liebe hat Fausts Wesen verwandelt

Das Verhältnis der drei Hauptgruppen des ersten Satzes weicht hiemach in Liszts Faustsinfonie vom Her- kommen namentlich dadurch ab, daß der Schwerpunkt aus der Durchführung in die Reprise verlegt ist

Jene ist sehr kurz gehalten, verfolgt nur den Zweck, den Rückfall von der heroischen Stimmung, mit der die Themengruppe schloß, in die verzweifelte des ersten Themas, des Anfangs des Charakterbildes psychologisch zu motivieren. Die Reprise aber ist nichts weniger als bloße Wiederholung der Themengruppe: sie zeigt uns Fausts Inneres noch einmal, führt noch einmal die Ele- mente der ersten Hauptgruppe vorüber, aber in anderer Anordnung, in andrem Charakter, andren Verbindungen, sie zeigt einen neuen Faust. Mit dieser veränderten Be- deutung der Reprise knüpft Liszt, durch ein musikalisches, poetisches Naturrecht bereits genügend gestützt, an An- regungen an, die Beethoven namentlich in seinen großen Leonoren-Ouvertüren gegeben hat

Noch in zwei andren Punkten weicht die Form dieses Lisztschen Faustsatzes von der Sinfonik des 19. Jahrhun- derts ab: in der Beschränkung der motivischen Entwicke- lung und in der Äußerlichkeit der Übergangsideen. An beide Erscheinungen haben seine Gegner bis zu einem gewissen Grad mit vollem Recht ihre Bedenken und ihren Tadel geknüpft Gegen eine sparsamere Verwendung moti- vischer und thematischer Arbeit läßt sich grundsätzlich schon deshalb wenig einwenden, weil dieses Erbe einer philosophisch und poetisch sehr reichen Zeit den geistig

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ärmereu Sinfoniekomponisten von heule und ihren Zu- hSrern in der Regel Verlegenheit bereitet.

Der 2 weite Satz 4er Faustsinfonie ist »Gretchen« übeischiieben. Dieser Gretchensatz ist durch Einzelauf- fühnmgen bekannt geworden und hat auch in denjenigen Kreisen Freunde gefunden, welche der Natur und der Form der Faufitsinfonie, wie überhaupt der ganzen Lisütp sehen Kunst, apathisch oder feindlich gegenüberstehen. Er verdankt diesen Erfolg der gleichbleibenden Freund- lichkeit des Inhalts und der gewinnenden Einfachheit, mit der Gretchens holde Mädchengestalt gezeichnet ist Dieser Gretchensatz (Andante soave, Hauptzeitmaß: s/4, Asdur) zeigt die auch bei langsamen Sätzen bekannter* maßen seit Haydn übliche Dreiteilung, das Sonaten- schema, aus Themengruppe, Durchführung und Reprise bestehend. Ein kurzes, träumerisch und weich schwär- mendes Präludium von Flöten und Klarinetten leitet den Satz ein, dessen erstes, schlichtes Thema einen lieblichen, zarten Charakter hat:

AndAOte

Beim ersten Eintritt trägt es die Oboe vor: nur vo|i einer Bratsche begleitet, ein Meyerbeerscher Instrumentations- effekt! Liszt hat aber diese dürftige seltsame Begleitung aus Innern Gründen gewählt: Es kam ihm darauf an, die Gestalt Gretchens zwar eigen, aber ganz bescheiden und unscheinbar einzuführen. Bei jeder Wiederkehr erscheint uns die zarte Melodie stattlicher und bedeutender. Der Zuhürer hat sie zu merken, denn im Schlußsatz der Sin- fonie übernimmt sie die poetische Hauptrolle. Das zweite Thema:

rfff/cr itm6ro$»

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das vom |)eruh igten Gtemüt, vom heimlichen sicheren Liebesglück zu erzählen scheint, ist eine von Liszts ge- lungensten Melodien. Eine sehr gewählte, durch nach oben gehende 'Baßvorhalte eigene und schöne Harmonie erhöht die Wirkung. Zwischen den beiden Themen liegen einzelne frappante Momente: ein Oboeneinsatz auf -einer jähen Modulation, als wenn in Gretchen plötzlich der Gedanke an Faust erwachte: eine kleine Episode, in welcher zuerst Flöten und Klarinetten, dann die Violinen

mit, erst schüchtern und _

Jeise, dann laut und stttr-=?£=|tfi _n J ^ £ ,U f j ]rjj__ misch erregt, um die Motive um^ ^ ^ ~ "

wie um »Er liebt mich« und >er liebt mich nicht« spielen. Bald nachdem das zweite Thema veiklungen, setzt das Hom mit dem Liebesgesang des ersten Satzes ein (s. Thema c): Faust tritt auf! Mit diesem Momente beginnt der zweite Teil des Andante» verläuft aber sehr ungewöhnlich. An Stelle einer Durchführung und Ver- arbeitung der eben gehörten beiden Themen bringt Liszt Reminiszenzen aus dem ersten Satz der Faustsinfonie. Zu dem Liebesthema treten die Klagen Fausts, die Motive des Ringens und HofTens (Thema b). Zum Teil erscheint die MuSik als eine wunderschöne Szene des Gefühlsaus- tauBChes, über welche der Instrumentenklang magisches Mondlicht leuchten läßt In Fausts Seele wird es ruhiger und milder, seine düsteren Gedanken überkleidet ein heller Schimmer; Jubel und Jauchzen klingen aus seiner Brust Dann wird schnell abgebrochen, als wenn eine Vision plötzlich schwindet Die Reprise setzt ein, bringt das erste Thema mit 4 Soloviolinen, zitiert nochmals kurs das Liebesthema und geht über das zweite Asdur-Thema schnell zum Schluß.

Der dritte Satz führt den »Mephistopheles« ein. Die ersten Takte entwerfen kurz und meisterlich das Signalement des kalten, frechen, kecken, frivolen Patrons, geben ein Bild von seiner herausfordernden Geroeinheit ebensowohl als von der vollendeten Sicherheit und Leichtigkeit seines Auftretens. Dann beginnt die »Spott-

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gebart« ihre Arbeit: spotten, verneineii and verhöhnen. Die Themen Fansta ans dem ersten Satz werden ver- serrt, verrenkt und mit burlesken Schnörkeln versehen. Das erste Thema wird durch Tempo und angehängte Figuren zur Fratze gemacht, das zweite durch einen bissigen Rhythmus in folgende Mißgestalt verwandelt: Aiügro vivac«. Zur besonderen Ziel-

£ ^\ {I j I j f fiijgga^^=g=s= Scheibe seines maliti-

THr Ösen Humors hat sich Mephisto, »der Geist, der stets verneint«, das Liebes- motiv der Sinfonie ausersehen. Er zerreißt eä, wirft die Stücke hin und her, verfolgt es unaufhörlich, zieht ihm Narrenkleider an:

Jt^^iiir"j-»iJjgg-TTnnrri3iJj??p MF^i

tind auf dem Qipfel des Obermutes angelangt, jagt er es endlich in einer regelrechten Fuge zu Tode.. Es ist etwas dämonisch Fortreißendes in dieser Schilderung der Mephistofei ischen Lustigkeit, und die Bewunderung, die wir der Virtuosität zollen müssen, mit welcher Liszt die Themen der früheren Sätze umgebildet hat, wird in nichts dadurch vermindert, daß wir uns an das Muster erinnern, welches in der Sinfonie fantastique von Berlioz hierfür berei.ts vorlag. Denn dieses Muster hat Liszt be- trächtlich überboten. Hier ist die motivische Arbeit, auf die im ersten Satz verzichtet wurde, glänzend und in neuer Weise geleistet. Es kommen aber in diesem Finale der Faustsinfonie auch Momente vor, welche über ein Charakterbild Mephistos im engeren Sinne hinausgehen und an den Verlauf der Goetheschen Dichtung anknüpfen: Mitten in den wildesten Exzessen der Höllenmusik ertönen feierliche und dumpfe Klänge, die an Grab und Geister- welt erinnern. Die erste Mahnung dieser Art erklingt, nachdem wie unter Hohngelächter Fausts erstes Thema

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(mit dem ttbermäßigen Dreiklaug; yorflbergezogen ist, ernst und schwer unter Paakenbegleitnng von den Bläsern her. Sie kehrt sofort wieder, als die Bratschen jenes oben ge-^ gebene Fugenthema eingesetzt haben, die warnenden und drohenden Stimmen lassen sich dann w&hrend der Ver- spottung von Fausts heroischem Thema breiter und schauerlicher vernehmen (Gestopfte Hörner!}. In seiner »Hunnenschlacht«, wo ein ähnlicher Creisterkampf ge- schildert wird, behandelt Liszt beide Parteien gleichmäßig breit. Hier steht nur Mephisto in voller Tageshelle auf dem Bild;- die Himmelsmächte stecken gewissermaßen in den Wolken, aber ftir jeden, der den Komponisten überhaupt verstehen will, deutlich sichtbar. Den Sieg entscheidet schließlich Gretchens blasses Bild. Im Haupt- thema des zweiten Satzes schwebt es heran und wird nach einem langen letzten Ansturm, in dem die gesamte Teufelsmusik noch einmal durchgenommen wird, zum Zauberschild, vor welchem Mephisto das Feld räumt: Die Musik geht in ruhigen Orgelton tiber, ein Männer- chor tritt auf und deklamiert in der alten knappen Weise der frfihchristlichen Psalmodie »Alles Vergängliche etc.«: Der Solotenor flicht in diese einfach weihevollen, kirch- lichen Klänge zum letztenmale Gretchenmotive hinein, und so klingt das Werk mit einer mystisch verklärten Wendung aus. F.Mut, Liszts im Jahre 18ö6 vollendete Dante-Sinfonie

Oantc-Sinfonie. hat nur zwei Abtheilungen t Inferno und Purgatorio, Na- men, die uns in Phantasiegebiete führen, welche die Musik, in erster Linie die kirchliche, seit alten Zeiten oft genug aufgesucht hat. Gegen einen ursprünglich geplanten dritten Teil: »Paradies« sprach R. Wagner im Juni 1856 lebhafte Bedenken aus*). DaG Liszt in seiner Schilderung von Hölle und Fegefeuer der Divina Comedia Dantes folgt, wird aus einzelnen Zügen des ersten Satzes bemerkbar, namentlich durch die süße Szene, welche der Erscheinung

*) Briefwechsel zwinchen Wagner und Lltzt(1887), I. Band. 8. 78.

«^ 895 ♦—

de& klassischen Liebespaares, Franzeska und Paolo, ge- widmet ist. Keineswegs aber versucht der Komponist die ganze Pragmatik der Dichtimg ins Musikalische zu fiber- tragen und den Dichter auf allen Gängen zu begleiten, sondern beschränkt sich, wie in der Mehrzahl seiner Pro- grammkompositionen, auch hier dairauf, wenige hervor- ragende Ideen, solche, die musikalisch faßbar sind, nachzudichten- und denjenigen TeU ihrer Seele bloß- zulegen, welchen die Töne voller und mächtiger wieder- geben können als die Worte. Das Inferno trägt eine Art musikalische Oberschrift: eine wuchtige Melodie der Blasinstrumente, Lento. die dius hier stehende Thema unter unheimlicher Begleitung von Paukenwirbel und Tamtamschlägen in dreimaligem Anlauf höher und höher tragen. Diese Melodie soll uns die Worte vor die Phan- taue rufen, die über Dantes Höllentor stehen: »Per me si va nella cittä dolente etc.« Das berühmte >Laaciate ogni speranza etc.«, von Trompeten und Hörnern in dem bekannten Stile der Opemorakel und Geistererscheinungen hingeschmettert, bildet ihren Abschluß:

LentD. .

jf iii mm I II iii^

Der nun folgende erste Teil gilt der Schilderung der Hölle, ihrer Schrecken und Schauer, und bestreitet diese Aufgabe mit dem Aufgebot aller düsteren und furchtbaren Elemente der modernen Musik : mit chromatischen Figuren und Motiven, mit freien Nonenakkorden und zusammen- geketteten Dissonanzharmonien, mit einer bald zuckenden, bald fieberisch hastenden Rhythmik, mit Instrumenten- kombinationen, die drohen und ängstigen, mit allen Hilfs- mitteln der Tonwelt in ihrer doppelten Natur, als Kunst und als Naturerscheinung. Den Abschluß dieser Partie bildet die erneute Intonation des Themas des >Lasciate«, jetzt noch von Posaunen und Tuben verstärkt. Und nun er-

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--e 396 «^

klingen doppelte Harfen, duftig und leicht schweben Figuren in Flöten und Violinen auf und nieder, die Baßklarinette stimmt ein Rezitativ an: Klarinetten und englisch Hom lösen sich mit schmachtenden und wehmütigen Weisen ab: Das klassische Paar erscheint in der Hülle eines musikali- sehen Dialoges. Das Cello beginnt an einen kurz vorher ge- hörtenZwiege- ^^^ ^^^^^^

sang der «^ay^M it, , . fTT^. ■■^rVtfp if^ rinetlen an ;yWy t ^ P" "P IT f^L ' ^ lehnend mit: <^o^^^ -

Die Violinen, baM von den Bläsern unterstützt, antworten:

Andante an»oro«o, ^US diesem

m r-^-^M . . . T n Material ent-

r r p M rrr-r r-MM wickelt sich

dolce =^=— ein breiter

Satz, der zu Liszts sdiöa^ten Erfind angen zählt und an Zärtlichkeit, Innigkeit und Wärme an das Beste heran- reicht, was die moderne Oper auf diesem Gebiete auf- zuweisen hat Das Thema des »Lasciate« verscheucht dieses liebliche Bild, und die Greuel der Hölle vollführen einen zweiten Reigen.

Wenn dieser Satz im Totaleindruck Liszt vorwiegend von der Seite des unerbittlichen Charakteristikers zeigt, so ist der Purgatorio dagegen eine Idylle größten Stils, durchaus anheimelnd und mehr als das: auch erhebend. Der erste Teil des Purgatorio beginnt wie eine Szene auf der Bergeshöhe: Leise säuselnd sammeln sich helle Akkorde und umwogen uns wie leichte Wolken, anmutig sanfte Melodien, die in Wagners »Karfreitagszauber«

passen würden und an Liszts ^ Andante.

eignen »Orpheus« erinnei'n,wech--jLa-j j j |J j j | ^j sein mit einer religiösen Weise: **^ # - -=

Mit Rezitativen und einsamen Vioiinfiguren wird Um- schau gehalten, nach dem Wege zum Himmel gesucht und leise der Erde gedacht, die mit ihren Leidenschaften unendlich weit abliegt von diesem reinen Gefilde. Es gibt kaum eine zweite Orchesterkomposition, in der ein ätherisch verklärter, alles Materielle abstreifende Ton so

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«ntschiedeu festgehalten wird, wie hier. Das ergibt aber für den Vortrag Schwierigkeiten, die nur ganz selten überwunden werden. Diese scheinbar so leichte Musik verlangt die gründlichsten Proben und vollständiges gei- stiges Einleben jedes Blitspielenden. Den zweiten Teil des Purgatorio bildet ein Fugensatz über folgendes Thema:

LUB6Bt080.

^ ^ Aus diesem Fugensatze klingen Re-

; J) r] Sp f A|J^ signation und Betrübnis. Das oben <i^ angeführte religiöse Thema schließt

ihn ab und und leitet zum letzten Abschnitte des Pur- gatorio über: einem Chorsatz. In ihm intonieren Frauen- stimmen das Magnifikat und führen seine frommen Themen in einer einfachen Weise durch, welche sich dem Palestrina- stil nähert. Das Orchester geht in schimmernden Klängen

mit, bald zart und mystisch wie eine Aeolsharfe, bald mächtig und in ruhiger Pracht dahinrauschend. Liszt hat für diesen Schluß zwei Lesarten gegeben, von denen die erste leise ahnungsvoll verhallt, die andere extatisch und verzückt im Forte abbricht

Es wird an anderer Stelle*) auszuführen sein, wie Liszt in seiner weitem Entwicklung dazu kam, die mehr- sätzige Sinfonie aufzugeben und sich ausschließlich dem neuen Typus der sogenannten >sinfonischeu Dichtungen«, die durchaus einsätzig sind, zuzuwenden. Im Inland und Ausland ist auf diesem Gebiete Liszts Gefolgschaft der- art gewachsen, daß die mehrsätzige Programmsinfonie dagegen zurücktritt.

Joachim Raff ist der Tonsetzer, welcher sie nach J.Baff, Berlioz und Liszt eine Zeitlang am erfolgreichsten ver* *^^ Walde. treten hat. Es kommen hier unter seinen neun Sinfonien die Sinfonie »Im Walde« (Op. 163) und die »Lenore«

*) Im 3. Band dieses Werkes, der Konzerte, Ouvertüreo, Varlatloneii nnd andre einsätzigeOrchesterkompositionen enthalt.

}

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(Op. 177) alfl die verbreitetsten in Betracht. Ralf hat m beiden WeriLen die viersätxige Gestalt der Sinfonie etwas unkenntlich gemacht, indem er seine Konipositionen in drei Abteiinngen gruppiert; aber wenn man die einzelnen Abteilungen näher prüft, so findet sich der vermißte yierte Satz irgendwo als blinder Passagier.

In der Waldsinfo nie fti^t der erste Satz den Titel:. »Am Tage: Eindrücke und Empfindungen«. Er ist originell eingeleitet durch einige präludierende Takte, in welchen die beiden Hauptthemen des Satzes verkürzt ihre Schatten voranswerfen. Das erste Thema setzt dann im munteren Wandertone ein:

Allegro

Sein Abschluß und die Über- leitung zum zweiten Thema dauern etwas lange, dann

aber kommt letzteres als ein echter Raff:

Die Terzenbegleitung der Melodie, No- ___ nenakkorde als harmonische Stütze der •*•> Hauptpunkte gehören zum Signalement dieses Komponisten; wenn er zum Gemüte sprechen will, kommt ihm in der Hälfte aller Fälle diese volks- artige Weise auf die Zunge. Sie folgt ihm wie eine Er- innerung aus Heimat und Kindeijähren und fehlt fast in keinem von Raffs größeren Werken. Die Anlage des Satzes ist die für ein erstes Allegro der Sinfonie übliche. In der Durchführung treten zu den beiden Hauptthemen noch allerhand kleine Waldteufel; auch verschiedene niedliche Kunststücke (Kanons etc.) hat der Komponist hier untergebracht, welche kaum jemand beachtet Die schönsten Stellen des Satzes liegen abseits ^ vom Hauptwege: da wo das Orchester still rf' ' j ' I J^ den einfachen Rufen des Homs lauscht: 9 '^' '

399

Die zweite. Abteilang, betitelt: »In der Dümmerang«, besteht ans zwei Sätzen: A. »Träumerei«, B; >Tanz der Dryaden«, welche dem Adagio nnd dem Scherzo ent- sprechen, wie wir sie sonst in der Sinfonie zu finden gewohnt sind. Raff hat sie dadurch enger verbunden, daß er ohne Pause in das Scherzo übergeht und an dessen Schlüsse das Hauptthema des langsamen Satzes noch einmal anklingen läßt. In der »Träumerei« ist die Fflhrung einer Melodie übertragen:

Aidaffio. Mio

LjiLÜJiL2:'m!''^ii='^'^^

. * , I . "■ ^^ welcher man die Kunst bewundern

j^J j^lJ j\J kann, mit welcher Raff, ein Genie der "^''"^ ^^^^ Eklektik, Beethovensche, Schumannsche und Wagnersche Elemente zusammenzuschmelzen ver- stand. Der in seiner Wirkung edle Gesang entspringt der Btust des Träumers. Die Traumbilder selbst, welche sieh diesem zeigen, bestehen aus leichten Gaukeleien: konzertierenden Figuren und Phrasen der Bläser. Der »Tanz der Dryaden« Hauptsatz Amoll, Trio Adur ist nichts als ein Pflichttanz, eine jener rein handwerks- mäßigen Leistungen, die den Genuß der Raffschen Kom- positionen immer wieder erschweren. Die dritte Ab- teilung der Sinfonie heißt: »Nachts. Stilles Weben der Nacht im Walde. Einzug und Auszug der wilden Jagd mit Frau HoUe und Wotan. Anbruch des Tages«. Man muß fragen, wie kommt auf einmal die nordische Sage mit Frau Holle und Wotan in ein Tonwerk, welches sich unbeschadet des Dryadenzitats bis- her in der Sphäre einer reinen Naturdichtung bewegt hat? Indes beginnt der Satz zwar gar nicht nächtlich, aber musikalisch sehr ansprechend mit einer Fuge über ein Thema*

_^ 400

AUegro.

welches ziemlich ähnlich anch dem Komponisten C. Gold- mark bei seiner Sinfonie »Ländliche Hochzeit« eingefallen ist. Aber dann überkommt Berlioz* böser Geist den Tonsetzer und auf Konto der »Frau Holle« entfesselt er ein Spektakelstück, das noch häßlicher, dabei aber viel gewöhnlicher und uninteressanter ist, als die Höllenszenen der Sinfonie fantastique und die Orgien des Childe Harold. Eine Coda, welche die Fuge wieder aufnimmt und leise verklingen läßt, sucht den Endeindmck zu retten. Heute ist die Waldsinfonie und der ganze Raff auch bei den Musikern im Kurs gesunken. Der spätere preußische Kultusminister Bosse hat sie schon 1878 sehr abfällig beurteilt*). j. B»ir, Die Sinfonie »Lenore« ist Raffs beste Leistung auf Lenore. dem hier in Betracht kommenden Gebiete: edel gedacht, frei von den Auswüchsen einer ästhetischen Halbbildung und musikalisch das Beste zusammenfassend, was Raff zu bieten hatte. Eine volle Originalität der motivischen Erfindung, wie wir sie von den Führern und Meistern unserer Kunst verlangen, ist auch in der Lenore nicht zu finden. Fast jedes ihrer Themen zeigt in einem Teile, zuweilen in der ganzen ersten Hälfte auf fremdes Eigen- tum, hier sind Beethovens Quartette die Quelle, dort tritt uns Schumanns Klavierkonzert entgegen. Aber die ein- mal aufgestellten Gedanken sind in dieser Sinfonie zu- weilen mit dem Schwung und der Wärme behandelt, die den großen Künstler macht, und verfiele nicht Raff auch hier hin und wieder in eine bequeme, unausstehliche Redseligkeit, in das rein formelle »Musikmachen« ^ so würde die »Lenore« geeignet sein, den Namen ihres Schöpfers bei der Nachwelt zu verewigen.

Die erste Abteilung der Sinfonie schildert das »Lie- besglück«. Sie besteht aus zwei selbständigen Sätzen, die

*) H. Bosse: Erinnerungeo. (Grenzboten, Jahrg. 19M.}

401

dem gewöhnlichen ersten AUegro und dem Adagio in der Sinfonie entsprechen. In dem Allegro herrscht ein er- regter Geist. Die Liebe redet in Tonen des Ober- schwangs, in Themen, die kein Ende finden wollen:

AUegro

;LLLij ij' ' 'LL'm' ^"JiN^^p

^rtiLLfi

^ ^'V^'^'^N^ Dem Jubel und dem still glücklichen Sin- *r ff f ^^pj» jf :nen folgen Szenen, aus denen Sehnsucht

und Dankbarkeit zugleich sprechen.

0 jj l|i,l_j Mi^r IJL^ irXl ' A '

Einen der schönsten Momente des Satzes, einen Augen- blick still süßen Erinnems, zeichnet Raff wieder mit einer seiner .. ^ -^ ^^TTT^ ♦"^

volkstümlichen ^h^-p-ifj^^ } ]* ff P f I f P I Terzenmelodien : *^ «»

In dem Durchführungsteil dieses Allegro lassen sich Klänge banger Ahnung hören. Der zweite, der lang- same Satz der ersten Abteilung gleicht einem Gespräch der Liebenden, beherrscht von dem ruhigen Tone der des Besitzes sicheren Liebe. Naive, trauliche, herzliche Gedanken, von der Art wie das Hauptthema beginnt: Andante largbetto. werden ausgetauscht; lä-

chelnd hält der Bursche dem Kosen und Flüstern seines Mädchens still; freundlich bestimmt zusprechend, beschwichtigt er die Sorgen Leonores, die in der rezitativ- artigen GismoU-Episode des Satzes einen erregten Ans-

Kr«txichmar, Führer. I, 1.

26

-^ 402 ♦—

druck finden. Die zweite Abteilang, betitelt »Trennung«, besteht in der Haoptform ans einem MaiBCh, der alten Zuschnitt hat und in manchen Wendungen direkt an den »Hohenfriedberger« erinnert. Der Krieg ist ausgebrochen: Wilhelm muß fort. Ein Mittelsatz (Agitato in Gmoll) ent- hält die Abschiedsszene der Liebenden; ein Tonbild aus leidenschaftlichen, wie ratlos irrenden Figuren, weh- mütig klagenden Weisen und schmerzvoUen Akzenten zusammengesetzt. Dann setzt der Marsch wieder ein, am Schlüsse hört man ihn wie aus der Feme. Es ist viel poetische Kraft in dem einfachen Entwurf dieser zweiten Abteilung. Die dritte Abteilung behandelt die »Wiedervereinigung im Tode« mit Grab- und Ghoralmusik, ' in welche sinn« und wirkungsvoll die Motive des Trennungen marsches und der langsamen Liebesszene hineingezogen sind. Am Anfang der Abteilung bringt Rafif wohl im Sinne eines Zitats den Abschnitt: »Wenn alle Toten auferstehn« aus der großen Szene des »Fliegenden Hol- länders« in R. Wagners gleichnamiger Oper. Den schauer- lichen Geistercharakter der Situation deutet ein in den tie- feren Instrumenten unaufhörlich wühlendes kurzes Motiv . an. Am Schlüsse läßt der Komponist über den /V7 S> Spuk und Lärm der viel zu langen Gespenster- szene den Vorhang fallen und spricht einen sanft weh- mütigen und ergreifenden Epilog.

Von den übrigen sieben Sinfonien Haffs gehören noch mehrere der Programmusik an: »In den Alpen«, »Jahres- zeiten«, »An das Vaterland«. Wie die unbenannten Werke der Gattung aus der Feder des Komponisten, anter denen die GmoII-Sinfonie die wertvollste ist, teilen sie unleugbare große Schönheiten mit unbedeutenden zierlichen Spielereien und Öden Partien der bloßen Rou- tine. Die Vorzüge einer ungewöhnlichen, starken Ein- bildungskraft, eines warmen Gemüts, welche dieser Ton- setzer besaß, wurden wett gemacht durch den Mangel an jener Sammlung und Hingabe, welche ein wesentlicher Teil der Poesie selbst ist, durch das Fehlen jener Kritik, welche Bureaudienst vom Dienste der Kunst unterscheidet

«^ 403 #^

Eine andere Sinfonie »Leonore«, die ebenfalls der A«if. Kligkarii. Bailade Bürgers folgt, ist von Angust Klughardt ver- »Leonor««. öffentlicht worden. Sie hat vier Sätze, nnter denen em Adagio wegen seines Reichtums an- innigem, unge- künsteltem Ansdrnck hervorragt. Auch in den anderen Sätzen, wo die Situationsmalerei überwiegt, spricht Ge- müt und Herz in fesselnden Partien. Das Werk ist leider zu wenig bekannt geworden.

Unter dei^'enigen neueren Sinfonien, welche in der hergebrachten viersätzigen Form ein Programm durch- zuführen suchen, ist als eine der frühesten Aberts »Golumbus« zu nennen. Eine der musikalisch gehalt- vollsten Programmsinfonien der vermittelnden Richtung besitzen wir in dem »Wallenstein < von Jos. Rhein- J. Biieiuberger, berger. Der Komponist hat aus der Schillerschen Tri- WalienBiein. logie die Figur der »Thekla«, die Lagerszene mit der Kapuzinerpredigt und den Tod Wallensteins zur musi- kalischen Illustration ausgewählt und diese drei Objekte an das Adagio, das Scherzo und das Finale der Sinfonie verteilt Den noch -freien ersten Allegrosatz benutzt er zu einem »Vorspiel«. Das letztere führt uns am Anfang mitten hinein in das frische, kräftige Lagerleben:

AllegTo con faooo. ^

JÖ* etc.

Wallen stein steht hier noch fest und herrisch in der

Menge; später zeigt ihn der Komponist in seinem Schwan- ken zwischen düsteren Ahnungen und freundlichen Zu- kunftsträumen. Auf letztere bezieht sich wohl das eigen- tümliche Thema der Bläser, welches mit dem langen Verweilen auf einem Tone beginnt und dann so traulich Schubertsch schließt. Einzelne Melodien des Vorspiele sind von einer so ausgeprägt weiblichen Schönheit, daß sie uns von Wallenstein weg an Max und Thekla denken lassen. Dahin gehört das träumerisch wiegende Thema:

^ ^ 4r^ welches auch in

i i fi Ifrl Ip^^j l'r r r r I^M dem Adagio der ** ? -—= ==^ / tÜT Sinfonie ver-

26*

-^ 404 «^

wendet ist. Dahin wohl auch die italienisch anklingende, direkt mit der (erst später erfundenen) »Mandolinata« verwandte Melodie:

Pill moderato.

welche die Durchführung einleitet und einen großen Teil derselben trägt. Die Nähe der Schicksalsmächte wird im Vorspiel in kurzen, schwermütigen Motiven, in Fermaten, welche den lebendig bewegten Gang der Darstellung be- deutsam unterbrechen, angedeutet.. Ihnen namentlich scheint die hymnenartige Melodie zu gelten, deren Haupt- motiv A A A Sie tritt folgen- Ai ^ I '»' I ''" I S-p"* "ptf^-pw^jy \ immer in

des ist: •'^ ^ ^lüT dunkler

Instrumentierung auf, so oft sie in dem Satze erscheint Beim letzten Male geht ihr eine sehr eindringliche Klage aus dem Munde der Klarinette voraus. Auch im zweiten; im langsamen Satze der Sinfonie k^hrt sie wieder.

Zu den leicht verständlichen Werken der Programm- musik gehört Rheinbergers Tongemälde nicht; am wenig- sten das »Vorspiel« mit seiner Fülle von teilweise sehr vieldeutigen Themen. In der musikalischen Behandlung des Materials macht sich der Einfluß Beethovens in einer seltenen Stärke bemerklich. Durch das >Vorspiel< blickt deutlich die zweite >Leonorenouvertüre«.

Das Adagio der Sinfonie, »Thekla« überschrieben, wird von folgender schönen Hauptmelodie getragen:

Auch das zweite Thema ist in seinem mädchenhaften zarten Charakter nicht mißzuverstehen. Während es die Bläser singen, begleiten die Violinen mit munteren Mo- tiven, welche das träumerisch schwärmerische Bild der Tochter Wallensteins mit einem anheimelnden Zusatz von Zierlichkeit ergänzen. Am Ende der Themengruppe

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erscheint eine kleine Episode erregter Natur, welche der Blnmenszene Gretchens in Liszts >Faust« ähnlich ist Sie stützt sich ^ p>, f„ In der Schlußhälfte des musikalisch auf Hfr4^ J Jl Satzes wird Thekla wie- das kleine Motiv: 5? derholt von Gefühlen stüi^

mischer Unruhe ergriffen. In einem derartigen Momente ist es, wo das früher erwähnte Hymnenthema des ersten Satzes beschwichtigend eintritt

Das Scherzo >Wallensteins Lager« wird viel einzeln aufgeführt Es verdankt diese Bevorzugung seiner be« stimmten Charakteristik, der Einfachheit seiner Form und seiner launigen Natur. Die Stütze seines * Hauptsatzes bildet das Thema:

AXicwxtüo,

n^^i^^a» # U™ dasselbe herum reiht sich eine kleine ^a^^y^ Suite lebendiger BUder, welche das Sol- datenleben von seiner fröhlichen Seite veranschaulichen. Der Triangel klingt mit detn Becken; ab und zu gibt auch die große Trommel grotesk einen dumpfen Schlag darein. Man spielt und tändelt anmutig und gemütlich; zuweilen werden auch die Szenen wilder, barsch und derb. Unter den vielen Nebenthemen, welche im Satze erscheinen, macht sich besonders das folgende bemerkbar:

Es ist die Melodie zu »Wilhelmus von Nassau«, einem niederländischen, in der Zeit der Reformation sehr beliebten Reiterlied. In versteckteren und offenen An- spielungen durchzieht dieser Volksgesang das ganze Scherzo von Anfang an. Schließlich intonieren es die Bläser in seiner Originalgestalt zur Freude des Chorus, welcher es brausend aufnimmt Da auf einmal: General- pausen, Dissonanzen ein Wirrwarr entsteht Der Ka- puziner ist da! Seine Predigt vertritt das Trio des

» 406 »^

Scherzo. Außerordentlich gelangen hat Rheinberger den bald bissigen, bald larmoyanten, bald salbungsvollen Ton nachgeahmt, welchen der Pater bei Schiller anschlägt, und die Drastik der originellen Szene wird in der Mnsik noch dadurch erhöht, daß hier auch die Reaktion der unfreiwühgen Zuhörer zu einem treffenden lebendigen Ausdruck kommt. Der Haupttrumpf, welchen die über- mütigen Landsknechte dem Strafredner entgegenstellen, ist das Reiterlied.

Der vierte Satz der Sinfonie, »Wallensteins Tod«, hat einen kurzen Prolog (Moderato, Dmoll, o/s), welcher den tragischen Inhalt des Kommenden in schreckenden und klagenden Tönen kurz feststellt und dem unglück- lichen Helden einen edlen Trauergesang widmet. Dann beginnt mit dem AUegro vivace (Ddur, y^) ouie Schil- derung der letzten Stunden Wallensteins. Bin Tonge* murmel, dem im Scherzo von Beethovens Eroica ähn- lich, sagt uns, daß die Szene in der Nähe des Soldaten- lagers spielt. Wir hören muntere kriegerische Weisen:

Auch Wallenstein scheint zu lauschen, bis allmählich in Träu- mereien versinkt, drückender Natur die einen, liebens- würdig entzückend die anderen:

Alleg-ro Tivace. AuCh

i |< II n I I r H I I r' I l l amen ^ Jr *'^ er al

«(0.

Das Schlußbild seiner Visionen (Allegro, 0} gleicht einem Triumphzuge. Wallenstein erwacht. Wieder hören wir den Lärm des Lagers. Der Fortgang ist wie vorhin. Nur lenkt, die Traumszene jetzt in eine wunderschöne Schlum- merszene (Adagio, 9/8, Hdur) über. Zum dritten Male be- ginnt darauf die Musik mit der Schilderung des Treibens im Lager. Wieder träumt Wallenstein. Jetzt aber werden die Motive von grellen Signalen der Posaunen und Trom- peten, von wilden Figuren, von Dissonanzen und von einem gräßlichen Aufschrei des ganzen Orchesters ab- gelöst. Die Katastrophe ist vorbei! Mit einem kurzen

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Epiloge, dessen Knappheit auf die Realistik der letzten Szene sehr beruhigend wirkt, entläßt uns der Komponist

Schiller hat noch zu anderen Programmsinfonien Veranlassung gegeben, die im Publikam wenig bekannt geworden sind: M. Moszkowskis »Joanne d*Arc<, J.L. Nico dös »Maria Stuart« etc.

Eins derjenigen Werke, in welchem zwischen Pro- gramm und Musik nur ein lockerer Zusammenhang be- steht, ist die frQher viel gespielte Sinfonie »Frithjof« H.HorMaa«, von Heinrich H o f m a n n. Der Kom ponist beschränkt sich »Fritl^of«. auf den erotischen Teil der bekannten Sage E. Tegnörs und entwirft in dem ersten, zweiten und vierten Satze seiner Sinfonie von dem Glucke Frithjofs und Ingeborgs, ▼on ihrer Trennung und ihrem Wiederfinden eine Schil- derung, welche an und für sich beredt ist, aber sicher auch auf jedes andere Liebespaar ebenso gut passen würde. Das Lokalkolorit, unter welchem wir die Bilder nach dem Titel des Werkes gern sehen möchten, ist in einem eingeschobenen dritten Satze »Lichtelfen und Reifriesen« extra beigegeben. Im ersten Allegro der Sinfonie,- »Frith« jof und Ingeborg« überschrieben, wechseln, in der Sprache der modernen Oper geflüsterte, zärtliche Geständnisse, schmeichelnde und kosende Reden und überschwängliche, glühende Erklärungen. Die beiden Hauptgestalten sind in ihren Themen mit Motiven charakterisiert, welche im Finale der Sin- Ane|M.

(\' Hi iTTTj! rrrnj'i i i [ n

Der zweite Satz heißt »Ingeborgs Klage < Mädchen ist repräsentiert durch:

Das trauernde

-A-M-

AAMgio.

und durch das

Pili uiiiiiato.

Schumannsehe ^^I.J M Hf I' iT^.'^iU^ (Cdur-Smfonie): * » ■■= =*- n-»"

^

408

la der sehr kurzen Darch- führang ist eine Episode

das hoffen- de durch:

der Erinnerung an Frithjof gewidmet. Sie steht auch motivisch mit dessen Thema in ei- ' w \ ______ i f 7-

iiem erkennbaren Znnnmmnnhnnc" ^ ^" U ^jtl ^^ ^" Die »Lichtelfen« des dritten Satzes (>Intermezzo€) werden durch folgendes Hauptthema gezeichnet:

Alltgro »oderaio.

P

yf Viol. c. Bord.

Die »Reif- riesenc füh- ren über:

einen Tanz aus, des$en wilder Charakter durch hohe Triller und durch kompakte Bläsermassen noch verstärkt wird. Die Erfindung und die Entwickelung der Themen zeigt den Einfluß von Mendelssohn und Gade. Das Eigenste des Komponisten liegt in der lebendigen Farben- mischungf zu deren Reizen ein Glockenspiel einen außer- gewöhnlichen Beitrag steuert.

Der vierte Satz, »Frithjofs Rückkehr«, beginnt mit einer anschaulichen Einleitung. Hornsignale tönen von allen Seiten, alarmierende Figuren der Violinen rufen uns, einem festlichen Ereignis zuzuschauen. Die heimat- lichen Helden kehren als Sieger zurück, wie uns das aus Wagnerschen und Weberschen Elementen zusammen- gesetzte und mit einem frischen Kopfe gekrönte Haupt- thema sagen will:

Allegro vivao«.

XT Viol.

Die Seitengedanken und das zweite Thema:

h\ i*'nMi)>"nT3i/rTriJ'].j:irfj;ri|-r^i(.

Hochzeit

. _^ 409 «^

wenden sich intimeren Herzensangelegenheiten zu. Schließ- lich erscheint Ingeborg mit ihrem Thema ans dem ersten Satze der Sinfonie. '

Eine nach dieser Sinfonie veröffentlichte Programm- * -Buite H. Hofmanns, >Im Schloßhofe«, gehört zu den besten Leistungen des Komponisten.

Ebenso und noch mehr lose als im »Fritlgof« smd die Beziehungen «wischen Titel und Inhalt in der Sin- fonie »Ländliche Hochzeit« von Car} Goldmark. Der C.eoUaark, Gegenstand ist für ein bescheideneres Grenrebild, etwa im 'J'^^jD^^^ Umfang und Stil der »FestUänge« von Liszt, sehr ge- eignet, aber für eine Sinfonie odör eine große Suite das letzlere ist die Goldmarksche Komposition eigentlich nicht wichtig genug. Auch ist der ländliche Charak- ter des zur Darstellung gewählten Ereignisses nicht eben eindringlich veranschaulicht; einzelne Partien wieder- sprechen ihm geradezu. Aber die Goldmarksche Sinfonie hat ihren musikalischen Wert. Sie verbindet Reichtum der Phantasie mit einem teilweise eigentümlichen, immer aber fertigen und sicheren Ausdruck.

Der erste Satz besteht aus 12 Variationen. Von F. Lachner, der diese Form für den Eingangssatz der Suite eingeführt hat, unterscheidet sich Goldmark da- durch, daß er die Variationen frei durchführt Nur we- nige bringen das ganze Thema; in einzelnen finden wir nur kurze motivische Fragmente desselben, in einer dritten Gruppe herrscht nur ein ideelles Verhältnis zum Modell. Der Oberschrift nach bedeutet dieser erste Satz den »Hochzeitsmarsch«. Im technischen Sinne marschmäßig sind nur der Anfang und der zu diesem zurückkehrende Schluß. Die Variationen haben wir uns als Figuren aus dem Hochzeitszug oder als Stimmungsbilder zu denken: einzelne phantastisch oder innig und beschaulich: die Mehrzahl flott, feurig und freudevoll. Das Thema selbst beginnt, in den Bässen allein, mit folgender Periode:

Moderato. f

^

t 410 ♦—

welcher der entsprechende Nachsatz folgt Es schliefit mit einem freien Abgesang:

I irifii iri7iP^^ipMjiipf^j|yirruii

dessen lange Noten sich sehr hfibsch in den Variationen bemerklich machen. Von besonderem Reize ist die In- strumentation des Satzes.

Der zweite Satz »Brantlied« überschrieben ~ ist eine knappe Komposition in der Form der dreiteiligen Arie. Der Hauptsatz hat reizende Elemente Schabert- scher Melodik. Sein f&hrendes Thema ist das folgende:

Allegretto.

Wahl der Tonart (Unterdominante) große Wärme.

Der dritte Satz, »Serenade«, hält die kunstvollere Form der Sonate ein. Seine Themen:

Allegro moderato.

und das in der Durchfflhrang bevorzugte:

i,i J;?l^^^p|^^^l^^^|)p^^'lLL!J^^'''^ll'l'l|l

jTOb.

sind beide leichter, scherzender Natur. In der Instrumen- tierung, die zuweilen eine dorfmäßige Einfachheit besitzt, und in der Harmonie, in welcher die liegenden Baßquinten eine große Rolle spielen, hat der Komponist ländliche Züge sehr launig eingewebt

Der langsame Satz der Sinfonie führt den Titel »Im Garten«. Die Einleitung dieser Szene und der mit ihr identische Ausgang wird mit Recht als der schönste Teil der ganzen Sinfonie angesehen. Das

» 411 «^

I

Thema, Wel« ^ . Andante, oto« I I in . _

ches ihm zn- ^'' " ^ If^^-Tmi | ,/ | I ^,1 | Gnmde liegt: "^ . > u i -

bildet in dem wildea Finale der Sinfonie dann nochmals eine kurze, zarte, tränmerische Episode. Den mittleren Teil des Satzes (Ges dar, »/gTakt) bildet ein Liebesdialog, in der glühenden Sprache von Wagners »Tristan und Isoldec geführt

Der Schlußsatz der Sinfonie heißt »Tanz«. Sein Hanpt- thema:

Allegpro moUo.

welches zunächst in der Form der Fuge ausgeführt wird, bringt kecke und volkstumliche Elemente in die Kompo- sition hinein. Unter allen Teilen der Sinfonie ist das Finale derjenige, welche den ländlichen Charakter der Hochzeit am treuesten veranschaulicht und ein wirkliches Stück realistischer Programmusik bildet. Eigentümlich und mehrdeutig sind die nach Klang und Tonart so fremden Harfenakkorde, welche an mehreren Stellen des Satzes mitten in den stärksten Tumult hineintönen. Die menschenfreundliche Richtung der > Ländlichen Hochzeit« und ihr Reichtum an gut volkstümlicher Erfindung lassen es bedauern, daß Goldmaik sich auf dem sinfonischen Gebiet nicht entschiedner ausgebreitet h at Seine zweite, 0. eoid mark, programmlose Sinfonie (Bsdur, op. 86) ist, weil sie im Zweit« Sinfoni«. Charakter und Stil zu bedenklich schwankt, ziemlich un- beachtet geblieben. Dieselbe Verbindung pastoraler und heroischer Elemente, welche die zweite Sinfonie von Brahms auszeichnet, ist hier mißlungen.

Die neuesten und bedeutendsten Beiträge zur Pro- grammusik hat Richard Strauß geliefert Aber dieser Biehnrd stmas, Komponist hat sich bald für die Form der einsätzigen »Aus Italien«. sinfonischen Dichtungen entschieden; Programmkompo- sitionen von zyklischer Anlage, die dem Bereich der Sinfonie oder Suite zuzuweisen wären, gibt es von ihm nur eine. Sie heißt »Aus Italien« und scheint jetzt,

^

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4

nachdem der Komponist In »Tod und Verklärung«, in »Till Eulenspiegel« in »Also sprach Zarathustra«, im »Heldenleben« und in der »Sinfonia domestica« kühnere, die Aufmerksamkeit erzwingende Wflrfe getan hat, nach* träglich stärkere Beachtung und Verwendung zu finden. Mit diesem Werke vollzog der Komponist, der bis dahin mit einer großen Fmoll*Sinfonie, mit einer einsätzigen Serenade för Blasinstrumente und andren Beiträgen zur sogenannten absoluten Musik, sich als ein stark eklek- tisches, anlehnendes und für äußere Effekte begabtes Talent gezeigt hatte, seinen Obergang in das Lager Liszts und der Tonmalerei. Es ist sein Opus 16. Strauß nennt die Komposition mit der ihm eignen Willkür und Sonder- sucht, die sich auöh in den oft geradezu verkehrten Tempobezeichnungeb des Werkes äußert, eine »Sinfonische Fantasie«. Das eigentliche Formgebiet, dem sie von außen und innen zugehört, ist aber das der Suite. Sie ist eine Programmsuite von freundlicherer Art, wenn auch nicht immer ganz maßvoll, so doch frei von eigent- lichen Exzessen der Phantasie und der musikalischen Ausführung und nach letzterer Richtung reich an Proben eines koloristisch, in zweiter Linie auch melodisch her- vorragenden Talents. -

Die Straußsche Fantasie oder Suite hat vier Sätze, und die Hauptbilder, die er in ihnen vorführen will, heißen: Auf der Campagna, In Roms Ruinen, Am Strande von Sorrent und Neapolitanisches Volksleben. An Ver- suchen, italienische Eindrücke wiederzugeben, ist die Musik im allgemeinen nicht arm. Im Orchester allerdings liegen sie, von der PilTerarisinfonie des Händeischen »Messias« angefangen, nur spärlich vor und haben in Berlioz' »Harold«, seinem »Römischen Karneval« und in Charpentiers »Impressions d'Italie« die Hauptstücke auf- zuweisen. Um so reicher ist die Kammer- und Klavier^ musik mit ihnen ausgestattet. Die Beiträge, die Strauß in seinem Programm zu diesem Kapitel zu geben ver- spricht, haben die musikalische Möglichkeit für sicL Wer an die Gampagna, an Rom, an Sorrent, an Neapel

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denkt, dem erweckt schon jedes dieser Worte eine Stim- mimg für sich, jede groß und jede eigen. Und wenn man die ungeheure FüUe landschaftlicher und historischer Charaktere Italiens in seiner Phantasie aufsteigen läßt, muß man dem Komponisten das Zeugnis geben, daß er Hauptpunkte gewählt hat. Venedig beiseite zu lassen, mag ihn vielleicht Liszts Tasso bewogen haben.

Was die »Campagna« (di Roma), die den Gegen- stand des ersten Satzes (Andante, C} Gdur) bildet, poe- tischen Gemütern von Horaz bis auf Moltke und Grego- rovius immer wieder eingeprägt hat, ist vornehmlich ihre schwermutsvolle Schönheit Hier der weiße Sorakte mit den andren herrlich ragenden Bergen und das nahe Meer, dort die Lavaströme, die die Fluren verwüstet, menschliche Ansiedlungen im Tale und auf der Höhe vernichtet haben. Eine Natur, die gelockt und gemordet hat, eine Landschaft, deren Reizen die Tücke der Malaria gegenübersteht.

Strauß hat vor diesen Gegensätzen mit dem Gefühl des Rätselhaften und Geheimnisvollen gestanden. Fast scheint es, als wolle er uns eine verrufene Stätte, ein ▼erwunschnes Land schildern, wenn er einsetzt:

Andante. J = 62

Der hervortretende Bratschenklang, die zwischen Moll und Dur schillernde Harmonie, der schleichende Gang der Motive geben der Stelle etwas Märchenhaftes, tot Gespenstisches, etwas uralt Unheim- liches. Das Leben der Gegenwart regt sich in dem bescheidenen Motiv: das die Flöten mehrmals leise in die Oede hinetnrufen. Der Wandrer überwindet durch diese Lebenszeichen die Fremdartigkeit des ersten Eindrucks; die Starre, die sich seiner Empfindung bemächtigt hatte, weicht einer Mischung von Neugier und Wehmut, die die Musik in folgender Weise ausdrückt:

^

414

''■* jjllJllJl

Darauf setzt . das Oktavenmotiv, das die Flöten zu- erst einführten, mit größrer Entschiedenheit, rascher nacheinander und in zahlreichen Instrumenten ein; die entfachte Bewegung verlischt aber sofort wieder. Klagend steigen die HÖrner die Skala hinab und der Wandrer faßt seine Eindrücke in eine Melodie, die ebensoviel von großen wie von traurigen Erscheinungen erzählt:

j f^ rT<i

In ihrem weitern Verlauf heitert sie sich mehr und mehr auf, und als sie zum Es Dur-Schluß kommt, da setzt die Trompete mit dem lebensfrohen Motiv ein, das sie ius Thema 2 zuerst einfügte. Gleich einem Herolds- signale locken diese wenigen Trompetentöne freundliche Nebenmelodien herbei, die drängend und schwungvoll in dieses zweite Thema selbst auslaufen. Sein Endteil, der vorhin wehmütig klang, kommt jetzt in den Hörnern glänzcDd und triumphierend. Er war ein Aufleuchten der Stimmung. Noch ist der Horizont mit Gewölk be- deckt. Das elegische Oktavenmotiv und das muntre Ein- gangsmotiv des K I |— a k führen in den Bläsern zweiten Themas J' I J- ^ «^ einen kurzen frischen Kampf gegen einander, in den auch die Streichinstru- mente J)ald hineingezogen werden. Das Resultat ist: daß die Sonne und die Freude siegen. In einem gran- diosen Fortissimo kehrt Gdur zunächst als Quart- sextakkord — zurück und bringt eine neue Melodie mit sich, die, allerdings an Elemente de^^ zweiten Thema anknüpfend, die erhabene Schönheit der Campagna

416

hymnenar- tig verherr- licht. So p.

heginntsie: P ' ' ' f*

Das ist der Qlaaz- und der Mittelpunkt von dem Cam- pagnabild, das Strauß uns zeigt. Es ist der musikalische Niederschlag eines jener Augenblicke, wo der entzückte Blick von den blauen Linien der Rüste hinübereilt nach der scheinbar oben am Himmel wie eine Vision auf- tauchenden Peterskuppel, wo vor dem geistigen Auge die Zeiten und die Gestalten vorüberziehen, die über diese Landschaft hinweggeschritten sind. Da wogt es in der Seele des Beschauers wohlig und auch ernst: MpTM« Thema 3

^ -=i=»-- =*^ ^ den Cellis

wieder. Ein weitres erregtes Thema tritt in den Violinen hinzu. Die Musik spricht in doppelten und dreifachen Zungen in jener feurigen , oft sinnverwirrenden Poly- phonie, die die jüngere Komponistengeneration aller Länder von R. Wagner gelernt hat. Strauß läßt aber in dieser Suite schon merken, was seine spätem sinfo- nischen Dichtungen unwiderleglich künden, daß -er in dieser besondren Kunst den Meister zu überbieten ver- mag. Dieser Abschnitt des ersten Satzes seiner Suite, der ungefähr der Durchführung im gewöhnlichen Sonaten - satz entspricht, endet mit einer neuen, in den größtmög- lichen Glanz gekleideten Intonation von Thema 4, bricht aber mitten drin plötzlich ab. Ein geistierhafter Bläser- akkord, das elegische Oktavenmotiv, ein kurzw Aufzug der Hauptthemen, zum Teil in lungekehrter Ordnung Ende! Die neuere Kunst überhaupt, nicht bloß die Musik, scheut ja vor keiner Unfreundlichkeit, wenn sie die Naturtreue und die Lebenswahrheit für sich hat. In diesem Fall kommt aber auch zu Gunsten von Strauß eine Schönheit hinzu, die ganz aus dem Cha- rakter des Gegenstandes fließt: Die Campagna entläßt

-_^ 416 ♦--

Ihre Freunde mit einem elegischen und mysteriösen Endeindruck !

Der zweite Satz (Allegro molto con brio, ^4 '/s> Cdur) fährt die Oberschrift >In Roms Ruinen«. Sie wird durch den Zusatz ergänzt: »Phantastische Bilder entschwundner Herrlichkeit, Gefühle der Wehmut und des Schmerzes inmitten sonnigster Gegenwart«. Damit ist eine Reihe poetischer Vorstellungen erweckt, denen die Musik nicht in dem erwarteten Maße gerecht wird. Den fröhlichen Bildern fehlt der phantastische Charakter, die Gefühle der Wehmut und des Schmerzes, die großen Eindrücke, die sich für den gebildeten Beschauer an Kolosseum, Kapitol, Forum Maximum, Pantheon, Hadrians- burg und die andern erhabnen Reste der Größe des alten Roms knüpfen, komipen in diesen Tönen nicht zum Vor- schein; dazu fehlt dem Satz vor allem die Ruhe und die scharfe Gliederung. Er ist ein sehr eigensinniges, teilweise wildes Capriccio, nicht ganz ohne Züge, die sich auf Wesen und Charakter der ehemaligen Römerwelt deuten lassen; aber viel mehr als für das Programm für den Komponisten charakteristisch, der in jugendlicher Rücksichtslosigkeit in der Wahl und Gestaltung meiner Ideen und Einfälle nur seiner subjektiven, augenblick- lichen Disposition folgt und nichts nach der Fassungs- kraft einer unvorbereiteten Zuhörerschaft fragt Sie muß in diesem längsten der vier Sätze auf schwierige Rhythmen und auf Hartnäckigkeit im Arbeiten und Ver- fölgen spröder Motive gefaßt sein.

Der Satz hat wieder wie der vorhergehende eine Drei- teilung in Themengruppe, Durchführung und Wieder- holung. . Die Themen gruppe führt mit

Allegro BLoItocOQ brlo. J*s66

zunächst vor die phantastischen Bilder, von denen das Programm spricht.

417

Es ist eine Weise, mit der sich der Gedanke an fri^hlicbe, kräftige Spiele verknüpfen läßt. Ein Zug von Härte liegt in ihr, der zum altrömischen Wesen gut paßt. Das Thema wird sofort in einem selbständigen Sätzchen umgebildet und erweitert, das mit einer sehr breiten, bunten Modulation in^ Trompeten und Posaunenklang gehüllt nach C dur zurückkehrt. Man erwartet einfache Wiederholung, aber die Melodie kommt größer und kecker

^ |t und zieht als-

1 I r bald ein The-

ma nach sich,

i

das zum ersten Mal auf die Gefühle der Wehmut anzu- spielen scheint, von denen die Überschrift redet:

Oboe

Es hat einen Hang, sich ins Unscheinbare zu verlieren, und kommt auch bald auf einem mit ungestümer Energie erfaßten verminderten Septakkord außer Sicht, den wir wohl als Akzent des programmäßigen Schmerzes auf- zufassen haben. Erläutert wird er durch ein neues, drittes Thema:

das auf die Kraft und die Größe hinweist, deren Zeugen diese Römischen Ruinen einst gewesen sind. Nun zeigt der Ton- ^ ^ , , j setzer auf ^ ^ -^ ^

die sonnige

Gegenwart:

und verweilt bei diesem anmutig friedlichen Thema mit

träumerischer Befriedigung. Da kommt ihm doch wieder

dör Gedanke an die Ruinen und die Frage: warum die

blühende Welt verschwunden, zu der sie gehört haben?

Antwort geben die Motive:

Krvtsschmar, FQhrer. 1, I.

27

418 •—

^^^^^^^

Unfriede wars und Kleinlichkeit. Den Blick immer wieder flflchtig auf die sonnige Gegenwart gerichtet, vertieft sich der Komponist nn das Treiben dieser Mächte. Seine

Betrachtun- . i^ ^i . i i i l i

gen gipfeln «■''^„J ..r^J J ^J J i^

in lauten Wehklagen:

heißt es zuerst, beim zweiten Mal durchschneidet den Ver- such des Stimmungsaufschwungs ein furchtbar grausam (neben Gdur) hingesetzter langer Äs dur* Akkord!

Die Durchfährung verknüpft zunächst Motive aus dem ersten Thema mit solchen aus dem fünften, als sollte ein ßild von dem ethischen Prozeß gegeben werden, der das Wesen der Römer verdarb. Ihren Hauptinhalt bilden Satzgebilde, denen das dritte Thema und seine Vor- stellungen zu Grunde Hegen. Die Größe und Macht der alten Welt, die Trauer um ihren Untergang sind in einer noch viel stärkeren und tiefer eindringenden Weise als in der Themengruppe die Gegenstände der musikalischen Darstellung in der Durchführung. Einen kleineren Anteil nimmt an ihr auch die wehmütige Weise des zweiten Themas.

Der Wiederholungsteil führt die Bilder und Betrach- tungen der Themengruppe mit den gewohnten, hergebrach- ten kleinen Änderungen noch einmal vorüber. Eine kurze Angefügte Coda stellt das Thema (4) der »sonnigen Gegen- wart« in den Vordergrund und kehrt von den Ruinen in das Leben der Zeit zurück.

Der dritte Satz (Andantino, '/st Adur) ist der eigent- Hche langsame Satz der Suite. Strauß bezeichnet ihn mit Andantino ziemlich mißverständlich; ein sehr getragnes Tempo ist gemeint. Sein poetischer Gegenstand ist Schil- derung von Eindrücken, Stimmungen »am Strande von

--♦ 419 ^^

Sorrent«, die Ausführung arbeitet mit ganz ausgesucht feinen und eignen Farben, sie arbeitet lebendig und elastisch, aber vorwiegend zart.

Zuerst läßt der Komponist die Natur sprechen in einem auf wesentliche Motive verzichtenden, fast rein in Akkord und Rhythmus gehaltnen Präludium. Diese zwei- unddreißig Takte überschütten aber den Hörer mit einem üppigen Segen vollsinnlicher Klänge. Da huschen Violin- figuren in höchsten Lagen durcheinander, Spielarten und Tonregionen, die in der Regel unberührt bleiben, werden lebendig, die verschiednen Rhythmen kreuzen sich, Triller und Verzierungen aller Art klingen von obeh und unten, in Ruhe und in Eile. Das Sätzchen wirkt blendend, über- wältigt wie eine Landschaft, die den Sinnen mehr bietet als sie aufnehmen können.

Dann beginnt eine Szene der Träumerei Der Dichter spricht, die Seele voll Dank und höhrer Wonne:

H B FiB IWis ■h"'a ~

I p"^ I f^ [ -= Den Oberschwang der 1 t P i -_P I r= Stimmung verraten

eis . H E A schon die verhältnis- mäßig zahlreichen Nonenakkorde, auf denen die Melodie ruht. Wie warm sie auch wird, die Außenwelt bringt sie nicht zum Schweigen, jeden Augenblick kontrapunktiert eine reizende Stimme aus der Natur anmutig hinein. Und diesQ Partei nimmt in dem mit

^b

f '#*? f

eingeleiteten Seitensatz das Wort ganz für sich in Be- schlag, legt ihren ganzen Eeichtum aus und freut sich ihrer Macht bis zur Leidenschaftlichkeit.- Das ist, wo die

27*

-^ 420 <*~

scharfe Dissonanz cis-dis im forte herausgestoßen wird. Wie über den lauten Ton beschämt und erschreckt, ver- schwindet die Sippe der Naturgeister mit einem Schlag, und der Dichter gibt sich aufs neue der Beschaulichkeit hin

^^1 i n I p n ipj

H

Eine auf einer liegenden Stimme festgeh altne und sonst mit Spannungsmitteln ausgestattete Begleitung hebt diese Weise aus der populären Sphäre, der sie angehOrti etwas heraus. OhnB Vermessenheit dürfen wir sie auf trauliche deutsche Heimatserinnerungen deuten. Bald läßt sich auch einer der eingebornen Südländer hören. Der Satz schlägt nun nach Amoll, das Tempo wird bewegter, in den Gelüs, Bratschen und Fagotts treten raschere Figuren auf. Es ist als ob der Wind die See kräuselt. Da kommt ein Boot und ein Sänger drauf mit einer echten, aus dem Land gebornen Melodie, einem Abkömmling jener edlen Siciliänos, die seit dem Ende des 17. Jahrhunderts von jener Sorrenter Gegend her über ganz Europa gedrungen sind:

Gefährten antworten bald; so gibt dieser nur kurze Mittel- satz ein sehr willkommnes, belebendes Intermezzo, fein dritter Teil, mit dem Tempo des ersten, mischt dessen thematisch? Elemente frei und phantastisch; noch stärker als der Anfang steht er unter dem Zauber schwirrender, girrender, sinnverwirrender Klänge und Figuren.

Der vierte Satz (Allegro molto, Vi» Odur) führt uns »Neapolitanisches Volksleben« vor. Was wir hier zu erwarten haben, läßt der tolle Einsatz schon ahnen. Das volle Orchester stürzt auf einem freien Nonenakkord herein, und in rasendem Lauf schwingen sich von ihm die Geigen und Bratschen unisono dem Haupttkema des Satzes entgegen:

421

Allasro nolto. 1)£6

Wer einmal zwischen Monte Cassino und Cäpri gereist ist, wer in der Schweiz etwa wandernden süditalischen Sängern zugehört hat, dem ist dieses Neapolitanische Favoritlied »Faniculi etc.c und dem sind ähnliche Melo- dien geläufig. Von den heiden Geistern der Operette und der Degeneration getrieben, improvisieren die Kinder dieses musikalischen und leichtherzigen Volks derartige Weisen zu jedem Text und zu jeder Zeit; der ganze ehemals so reiche Gesangschatz des Königreichs beider Sizilien wird heute fast ausschließlich von ihnen vertreten. Wenn Strauß also sein Finale mit diesem Gassenhauer eröffnet» so erweckt er großes Vertrauen zur photographischen Treue seines musikalischen Bildes. Die Melodie fährt mit kräftigen Gliödern ihrem Schlüsse zu, der zugleich das Ende des ersten Abschnitts des Satzes ist. £r kommt rascher als man vermutet, ^ ^ ^

kommtinHmollundführtzu 4 ^ J^^^^^^ I P ^ einem Seitensatz, der über •'^ 'HK " '' ~ *" =

und ähnliche lustige Motive leicht und anmutig tändelt Er baut klar und emsig in zweitaktigen Abschnitten auf, zum Schluß hin erhält , ^^ ^ einen Stich ins er durch das Eingreifen yy jl ^jjl^^ ^ j grotesk Humo- chrom atischer Bässe: ristische. Die

stürmischen Einleitqngstakte kehren wieder und führen zum zweiten Hauptthema des Satzes:

r IT r u I iii

Es ist in südländischer Art innig, jedenfalls liebenswürdig, und zeigt durch die Verteilung auf zahlreiche Instru- mente auf das echt gesellige Wesen dos geschilderten

422

Phil. Sehftr-

»Tranm und Wirklichkeit«.

Volks. Lange hält dieser ruhigere Ton nicht an. Themen- reich wie Liszt, stellt Stranß bald in diesen ersten Teil seines Finales noch einen vierten Gedanken, der fol« gendermaßen bei den Flöten beginnt:

Er bringt in die Musik eine ganz eigne, halb komische, halb dämonische Lustigkeit, ein Abbild jenes temperament- vollen nervösen Wesens, das dort unten die Revolutionen macht und auch dem Spiel und dem Tanz sein Gepräge gibt. Die Abschnitte, die der Komponist ans diesen krei- selnden Motiven in den nun folgenden Durchführungeji gestaltet hat, bestimmen die Erinnerung an seine Neapoli- tanischen Schilderungen am prächtigsten und am ange- nehmsten. Im allgemeinen wird man von den Entwick- lungen, die Strauß gibt, den Eindruck eines vielfachen .Obermaßes haben. Die Darstellung ermangelt der Leichtig^ keit, die dem Gegenstand natürlich ist; sie ist zu zäh im Festhalten der Motive, zu sehr in der Farbengebung von Berlioz beeinflußt. Wozu hier überhaupt Posaunen? >yohl aus demselben Grunde, aus dem unsre modernsten Maler für zwei kleine Gänse eine ganze volle Stubenwand be- malen. Ein sehr guter poetischer Em fall in der Reprise ist die Einführung von Motiven aus dem ersten Satz: in dem Lärm und der Unruhe dieses Neapel der Gedanke an den Frieden der Gampagna!

Den Beweis, daß allermodemste Mittel für die Pro- grammusik nicht das Wesentliche sind, erbringt ein mit der Suite von Strauß ziemlich gleichaltriges Werk, das ein würdiges und gehaltvolles poetisches Thema mit ernster Hingebung und innerlicher Wirkung, aber ganz in der Weise der klassischen und romantischen Schule durchführt. Es ist die viersätzige Tondichtung »Traum und Wirklichkeitc von Philipp Scharwenka (Op. 92], dem altern Bruder des bekannten Pianisten Xaver S., der auch temperamentvolle Sinfonien komponiert hat.

-^ 423 ♦^

Ihr Gedankengang verfolgt einen Lebenslauf, der freund- lich, voller Hoffnungen und Illusionen beginnt und mit Enttäuschungen und in Resignation endet. Ein ausführ- liches Gedicht aus der Feder des Komponisten gibt fiber die Absichten der Sinfonie eingehende Auskunft. Die vier Sätze, aus denen sie besteht, gehen ohne Pausen einer in den andern' über, stehen auch thematisch in enger Verbindung and behandeln das Schema der Sinfonie ziemlich frei. Was sie unter ihresgleichen auszeichnet, ist der große Herzensanteil und die Gemütswärme, die aus der Musik Scharwenkas -spricht Unsere heutige Öffentlichkeit hat für Spohrsche Naturen nicht das volle Verständnis; denjenigen Kreisen aber, welche sich zu einem harmonischen und ehrlichen Künstler, auch wenn er abseits vom Wege steht, hingezogen fühlen, kann die Arbeit nur eifrig empfohlen werden.

Der erste Satz (Allegro moderato, Ci D dur) führt mit dem Thema:

Allegro Boderato. J s 120

PP

eine edle liebenswürdige, aber für die rauhe Wirklichkeit unsrer Tage wohl etwas zu weiche Jünglingsgestalt ein. Diesem auffallenderweise im Verlauf der Komposition nur wenig benutzten Thema folgt eine längere Gruppe zier- licher Nebengedanken, die zum Teil in Wendungen, die an Hermann Götz und an die Meistersinger erinnern sich in kleinen Schwärmereien ergehen. Allmählich kommt nach diesem weniger gelungenen und zersplitterten Abschnitt wieder ein großer Ton in die Stimmung und bringt neue, tiefer eindringende Weisen. Unter ihnen ist die Melodie:

^hipf'\ii\,mn\\f^^ II.I ^p

^^^ die wichtigste. Sie bedeutet

= das Herzens- oder Geistes-

ideal unsres Helden und

ete«

irlpipr|¥ip^

wuiüo ereto. y

424

koitimt am Schlüsse der Sinfonie zu rührender Be- deutung.

Der zweite Satz (AUegretto scherzando, ^4^ Fdur) ist eine Art langsamer Walzer, bestimmt, die glücklichste Stunde dieses Menschenlebens einzuleiten. Mit rhyth- mischen Motiven in den Hörnern, melodischen Bruch* stücken in Klarinetten, Flöten, Geigen verlockend prälu- dierend, gelangt er endlich zu folgendem Hauptthema:

Allegro schenändjL. = 160

Der Jüngling schwingt sich im Reigen mit der Erwählten; heroische, etwas finstre Motive künden seine stolzen Ge- fühle, die Wonne in seiner Brust spricht am deutlichsten aus folgender, an Raff anklingender Melodie:

^P

Dieses Thema leitet über zu der Szene des Geständnisses und der Erhörung, die den Inhalt des dritten Satzes (Andante tranquillo, ^/g, B dur) bildet. Sie folgt allerdings d^m Eintritt dieses innigen Themas nicht unmittelbar, sondern die Freuden des Tanzes werden noch gründlich ausgekostet Dann kommt endlich langsames Tempo und wehmutsvoller Klang. Es wird Abend, das Fest muß schließen. Die Musik bringt in einem Obergangssätzchen die Stimmung einer gewissen Müdigkeit zum Ausdruck, es wird stiller und stiller, und als es einsam um das liebende Paar geworden, da setzt das schöne Thema des Andante zunächst im Hörn ein:

Andante tranquiUo. A 63

ifl'lljj IJ N I

^m^

--♦ 425 ♦—

Das i«t die stille Seligkeit, ßin zweiter Teil des Satzes, in Ddur, zeigt erregtere Herzen, lebhaftes Zwiegespräch von ewigem Glück, zeigt ungeduldiges Sehnen. Dann kehrt der Bdur^Teil wieder, von einer Coda gefolgt, in der der Überschwang der Stimmung sich eigens in einer Rlarinettenkadenz Luft macht. Unruhige Trompetensig- nale reißen den Zuhörer aus dieser Idylle fort. Das Leben mit seiner harten Prosa ruft. Der vierte Satz (Allegi*o, C) DmoU) beginnt. .

Id seinem ersten Teil stellt er von den Trompeten- tönen immer wieder unterbrochne Sätze unruhigen Cha- rakters auf. Das erste Hauptmotiv ist an ein verwand- tes aus dem ersten Satz angeknüpft:

Steigend und steigernd tritt zu ihm das feste und energische : =- - >y-->, >>-s ju. öi® Stirn-

^AhT rr ir rrf r ir r/r T |F men be-

f ' . nutzen es

zum Fugieren. Und bald nach der ersten Durchführung erscheint dann das (oben angeführte) schöne zweite Haupt- thema des ersten Satzes, wie der gute Geist, der den Kämpfer leitet, des Mühens und Ringens Preis und Lohn. Umsonst, alles umsonst! Noch einige verzweifelte An- läufe, äußerster Kraftaufwand, Wehrufe mit Intonationen, Verlängerungen und Verkürzungen des letztzitierten Tagenthemas gemischt dann setzen die Messingbläser den Choral »Herzlich tut mich verlangen« ein. Der Kom- ponist hat sich ihn mit dem Text »Wenn ich einmal soll scheiden« und somit als Grab- und Trauermusik gedacht. Diesem Ende sendet er einen Epilog nach, der dem leiden- schaftlichen Schmerz, mehr noch aber der süß weh- mütigen Erinnerung an die schönsten Momente der vpr- ausgegangnen Sätze gewidmet ist.

Nur noch eine zweite Orchesterkomposition Ph. Schar- wenkas, eine »Arkadische Suite«, die ebenso wie seine dreisätzige »Sinfonia brevis« weniger bekannt geworden ist, gehört dem Programmgebiet an. .

' -^ 426 «^

Gleichfalls von Berlin aus führte sich Anfang der neunziger Jahre auch Friedrich Koch mit einer Pro- grammsinfonie ein, die den Titel: >Von der Nordsee« (Dmoll, op. 4) trägt. Sie befaßt sich mit der gewaltigen Seite des Themas nur im letzten Satz (Auf hoher See), der merkbar von einem Hauch des unergr&ndUchen Ur- Clements und seiner Kraft belebt ist. Die andren (Friesen- fahrt, Abend am Strande, Spiel der Wellen) gleichen den sanften und schönen Bildern Douzettes mit Mondschein über den glatten Wellen und gehören musikalisch zur Schule Heinrich Hofinann.

In neuerer Zeit hat von den Vertretern deutscher Progräm msinfonie der durch seine Beiträge zur Haus« HftttiHiber, Und Kammermusik bekannte Schweizer Hans Huber Tellsinfonie. mehr und mehr im Konzert Fuß gefaßt, zuerst mit einer DmoU- Sinfonie (Op. 63J, die den Titel »TelN hat. Sie gibt in großen Umrissen, ohne Anlehnung an Schiller oder an die Einzelheiten der Sage, ein Bild von der Unter- drückung und Befreiung des Landes. Auch auf die Reize der Heimatkunst, etwa durch die Verwendung von Schweizermelodien, verzichtet sie und bestrebt sich, knapp und allgemein verständlich zu sein.

Der erste Satz (Allegro ma non troppo, Dmoll, ^/i\ der wohl auf die Volksseele unter der Tyrannenherrschaft einen Blick bieten will, tut das, wie schon das HaUptthema:

f, ^ ^ merken läßt, in etwas

4^8 r l' r Ir' tfr^r '^«tc> z^ starker Abhängig- •^ ^Z" keit vom ersten Satz

des D moll-Konzerts ^für Klavier) von J. Brahms.

Weit selbständiger ist der zweite Satz (Adagio, ma

non troppo, BmoU, V^)» ^^^ <^as Land in seiner Trauer

vorführt und zwar erst die dumpfe, gedrückte Stimmung,

' dann die fließende Klage, letztere in einem ungesucht

volkstümlichen Ton mit leisen Anklängen an Edvard Grieg.

In dem die Stelle des Scherzo vertretenden dritten Satz (Allegretto, Qdur, 3/4) hat sich der Komponist nach eigener Angabe die Feier einer Hochzeit vorgestellt, deren harmlose Fröhlichkeit durch einen plötzlichen und er-

--♦ 427 ♦^

schreckenden Aufruhr Sequenzen aus verminderten Septakkorden fff^ Generalpause! -- gestört und durch Grabgesang abgelöst wird. Dieser musikalisch wunder- hfibsdie Satz zeigt Huber auch als einen geborenen Instrumentationskünstler, der mit einfachem Wechsel von arco und pizzicato, durch Sordinen den Streichinstrumenten die wirksamsten Farben abzugewinnen weiß. '

Der vierte Satz beginnt mit einer langsamen Ein- leitung, die auf das Haupthema des ersten Satzes zurück* greift und die ganze Geschichte des Befreiuilgskampfes in einen kurzem Wechsel von Dur und Moll zusammen- drängt. Das hierauf folgende Ällegro con fuoco (D dar, ^ gilt dem Triumph, der in der Umgegend des zweiten Themas und in der Durchführung zwar etwas ermattet, aber am Schluß durch Verbindung des führenden Allegrothemas mit dem jetzt in D dur einherglänzenden Haupthema des « ersten Satzes zu einem gewaltigen Abschluß kommt

Die nächste hierher gehörige Arbeit Hubers ist seine ■*■■ Hsbar, Emoll-Sinfonie(op.ll6), die sogenannte Böcklin -Sinfonie. Böoklta-Sinfonk Der Komponist selbst hat allerdings nur den vierten Satz, das Finale, ausdrücklich als Huldigung fär seinen Lands- mann bezeichnet. Es trägt an seiner Spitze den Ver- merk: »Metamorphosen, angeregt durch Bilder von BöcUiu« und bringt über das Thema: AUerretto.

^^^^^^m

das mit dem ersten Takt an das Alphorn, das charak- teristische Instrument der Schweizer, erinnert, eine Reihe sehr freier Variationen, die geistig an die »Meeresstille«, den »Prometheus«, die »Flötende Nymphe«, die »Nacht«, das »Spiel der Wellen«, an die »Gefilde der Seligen«, den »Liebesfrühling«, das »Bacchanale« des großen Malern anzuknüpfen suchen. Dem »Spiel der Wellen« ist da- bei anhangsweise noch eine Beziehung auf den »geigen- den Einsiedler« mitgegeben worden. Versuchen, mit Tönen tiefer in den Stimmungs- und Phantasiekreis bedeutender Stücke bildender Kunst einzufükhren, sind wir in der Sin-

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fonie schon bei Haydn begegnet; sie spielen namentlich bei F. Liszt und seinen sinfonischen Dichtungen eine große Rolle, und auch Hubers BGcklinvariationen sprechen wieder für ihre prinzipielle Berechtigung. Geht die Sin- fonie in ihrem Schlußsatz zugestandenermaßen auf ein- zelne Werke Böcklins ein, so sind die Torausgehenden Sätze dem Wesen des außerordentlichen Künstlers ge- widmet» der erste (Allegrö con fuoco, Emoll, C) etwa seiner Kraft und Kühnheit, der zweite (Allegro con fuoco non troppo, Hmoll, ^/g) seiner Naturfreude, der dritte (Adagio ma,non troppo, Hdur, 8^^) seiner Tiefe und Innigkeit. Havi Haber« In der heroischen Sinfonie (op. 118) inCmoll, die Heroische uQter Hubers Beiträgen zum Gebiete das dritte und letzte Sinfonie. ^^^^^ j^-j^^^^ j^^^ ^.^j^ ^^ Vergleich zur Tellsinfonie ein

vollständiger Stil Wechsel vollzogen: der vordem so naive Komponist ist auf die Seite der um jeden Preis und un- aufhörlich Leidenschaftlichen getreten, die in der Musik einstweilen die Herrschaft an sich gebracht haben. Der talentvollste Satz der Huberschen Eroica ist der zweite, ein Trauermarsch, im ersten überrascht das Zitat von »God save the king«, das Scherzo ist ähnlich wie das Finale der Böcklinsin fonie ein Variationszyklus -, der, als Totentanz gedacht, Vertreter der verschiedensten Lebens- alter und Stände, das Kind, den Greis, den Studenten, den Gelehrten, die Tänzerin usw., zuletzt den Helden vorbeiziehen läßt. Der Schlußsatz der Sinfonie endet mit einer Apotheose des Helden, der das Muster von Liszts Fanstsinfonie zu Grunde liegt: die Orgel fällt ein, der Chor tritt auf und stimmt Sanctus und Osanna an. Das in allen Teilen der Sinfonie wiederkehrende Hauptthema des ersten Satzes klingt an ein berühmtes Schweizerlied, an den »Ustig« des alten Gottfried Huber, an.

Unter den wenigen weiteren Programmsinfonien

deutscher Herkunft, die in den letzten Jahren aufgetaucht

s.v.HMtegter, sind , ist Siegmund von Haus^ggers dreisätziger

Barbarossft. »Barbarossa« verhältnismäßig am weitesten bekannt

geworden.

» 429 •—

Diese Sinfonie ist die noch unreife Arbeit eines ent<^ schiedenen Talents. Die Unreife spricht aas der Un» gleichheit, der Unselbständigkeit der Erfindung und aus der höchst undkonomischen Lust am Yollklang, dem Lärm des Orchesters, das Talent aus einer Reihe trefflich charakteristischer Themen, ihrer sinnreichen Verwendung und daneben aus zahlreichen einzelnen Stellen von un- yerkeun barer Inspiration. Dahin gehören im Kleinen ori- ,

gineile Modulationen und Instrumentationseinlälle , im Großen eine Anzahl episodisch erscheinende Melodien zarter Natur. Ihnen begegnen wir namentlich im ersten Satz, der »die Not des Volks« bald erregt, bald ele- gisch, bald in hartem, bald in weichem Tone zu schildern sucht. Ihm tritt als scharfer und befreiender Gegensatz der dritte Satz, »dasErwachen«, mit einem Bilde der Kämpfe und Herrlichkeit gegenüber, die bevorsteht, wenn der alte Kaiser den Untersberg verläßt. Ohne zwingenden Grund, aber als verständliche Konzession an die Romantik ist zwischen diese beiden Sätze noch ein weiterer, >der Z aub e r b e rg « , eingeschoben, der zuerst das Nebeltreiben um den Berg, dann sein Inneres mit Thron und Kaiser zu schildern sucht. Er nimmt viel von dem Glöck des Schlußsatzes voraus, hat aber in dem phantastischen Fugato, das ihn einleitet, seinen großen, eigenen Wert.

Von einer zweiten dreisätzigen Programmsinfonie S.T.H»aiegger, des Komponisten, die er ohne weitere Erläuterungen Natnrsinfonie. und Oberschriften Natursinfonie nennt, haben bei den wenigen Aufführungen, die sie bisher gefunden, die ersten beiden Sätze Anerkennung gefunden, der dritte Satz ist abgelehnt worden. Bei diesem Urteil wird es wahr* scheinlich auch in der Folge bleiben, denn die Kompo- sition ist soweit schön und gehaltvoll, als, wie das in dem ersten und zweiten Satz der Fall ist, der Stimmungs- ausdruck die Naturmalereien tiberwiegt, und besonders ftir Andacht und Pathos zeigt Hausegger eine besondere Begabung. Sie ist auch in den ruhigen Stellen des Schlußsatzes nicht zu verkennen; wenn dessen Eindruck nicht befriedigt, so liegt das an der falschen Behandlung

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des 6«8angcbor8, der mit den Worten des Goetheschen ' »ProömioDS« (Im Namen dessen, der sieb selbst er* scbnf etc.) die Sinfonie zu Ende ftthrt. Da war nicbi Kraftaufwand und' Breite am Platze, sondern er verlangt eine äbnlicbe Einfachheit, wie sie Liszt dem Schlußcbor seiner Faustsinfonie gegeben hat und wohl auch dessen verklärten Ton.

Auch die Programmsuite wird von den deutschen Komponisten nur mäßig gepflegt. Unter den bekannt gewordenen jüngeren Werken dieser Klasse hat die H.Bl«Ueh, Tauferer Suite von Heinrich Rietsch (op. 25) den Tauf«rer Saite. Altersvortritt. Sie gibt in fünf Sätzen Wanderszenen so- wie ,Bilder aus Landschaft und Geschichte, ist durchweg gut, stellenweise interessant kunstvoll gearbeitet; ihre besten Erfindungsmomente liegen in den flotten Sätzen, dem »Reifenspiel« und dem »Lustig Volk im Bad Winkel«. Auf diesen letzten hat Smetana glücklich eingewirkt. »eorgSAiiHBiABVt Der wohl originellste Beitrag zur Gruppe ist die Serenad«. Serenade in F (op. 36] von Georg Schumann. Der Komponist hat sie nämlich als das Ständchen einer Schar abgewiesener Liebhaber gedacht und damit die Unterlage zu einer Humoreske gewonnen, in der die Motive und Künste des- Spottes ein keckes Spiel treiben dürfen. Es gipfelt im Schlußsatz, der den Abzug der Gefoppten mit Benutzung des Volksliedes: »Es wohnt ein Muller an jenem Teich, lauf Müller, lauf« darstellt. Das außerordentlich witzige und geistvolle Werk verlangt allerdings ein ganz virtuoses Orchester und macht es in den ersten Sätzen durch eine komplizierte Thematik auch dem Hörer etwas schwer. Neben dem in fortreißender Laune hingeworfenen Finale wirkt am meisten das Intermezzo, das auf einen äußerst feinen Walzer hinausläuft F. BmioiI, Auch Ferrucclo Busonis »Geharnischte Suite« (lebarnischte Iq cis moll (op. 34) ist hier zu registrieren. Sie führt in Saite, ^i^j. Sätzen kriegerische Stimmungen und Bilder vor. Einem »Vorspiel«, das etwas gespreizt und mit verbrauchten Mit* lein den Druck der Gefahr und den ihr entgegentretenden entschlossenen Mat schildert, folgt ein »Kriegstanz«. Es

481 «^

scheint sich also um einen KoloniaUcrieg zu handeln. Von faßbarem Gehalt ist der dritte Satz, der die Über- schrift »Grabmal« trägt, und der Schlußsatz, »Ansturm« betitelt, hat eine wirklich schöne Stelle, da, wo leise aus der Ferne eine an Carl Löwe anklingende einfache Melodie einsetzt, die unwillkürlich die Gedanken des Hörers auf Sieg und Heimkehr lenkt.

Zum Teil sind die neueren deutschen Programmsuiten aus Kompositionen zusammengesetzt, die als Vorspiele und Einlagen in Schauspiele entstanden sind. Auch hier ist Busoni mit seiner Turandot- Suite vertreten, p.BmomIi der leider die musikalische Natürlichkeit fast ganz ab- Turandot^imto. geht. Das bekannteste Werk dieser Klasse ist die Dorn- N.HtMperdlaek, röschen-Suite Engelbert Humperdincks, deren Sätze Domröschen- in ihrer Knappheit und Klarheit eines Kommentars nicht ' bedürfen.

Auch im Auslande tritt die Programmusik in Sin- fonie und Suite hinter den Werken, welche bestimmte poetische Ziele nicht angeben und hinter den einsätzigen sinfonischen Dichtungen zurück. Nur in Frankreich ist die Programm suite geradezu die Normalform für zyklische Orchesterkomposilionen; eigentliche Programmsinfonien gehören aber auch hier wie zu den Zeiten von Berlioz zu den Seltenheiten. Als eins der wenigen Werke dieser Art, die die Landesgrenze überschritten haben, verdient die in neuerer Zeit wiederholt auch in deutschen Kon- zerten gebrachte Sinfonie zu Schillers »Wallenstein« TlneeBti'iiidy, von Vincent d'Indy (op. 12j Beachtung. Der Komponist »Wairenatein«. nennt diese Arbeit, wohl an Schillers Gesamttitel an* knüpfend, eine »Trilogie«. Das ist für Form und Inhalt des Werks etwas zu volltönend. Es sind nicht drei Sin- fonien, die er vorlegt, sondern es ist eine Sinfonie ähnlich wie die Lisztsche zu »Faust« in drei Sätzen. Der erste will ein Bild des Lagers, der zweite des Liebes- paars (Max und Thekla) geben; der dritte knüpft an »Wallensteins Tod« an. Ein enger Zusammenhang be- steht nur zwischen dem ersten und dritten Satz; der zweite, der auch den Untertitel Piccolomini führt, eignet

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sich für eine Einzelaufführung. Die Sinfonie zeigt, wenn auch keine besonders tiefe, so doch eine im ganzen sehr lebendige Auffassung der deutschen Dichtung, eine anr schauliche musikalische Erfindung und einen auf breiter Bildung ruhenden, geschickten Stil. Individuelle Zdge sind d'Indy nicht eigen, sondern er teilt mit der Mehr- zahl der neu französischen und neurussischen Orchester- komponisten die Vorliebe für Nonen und Undezimen- akkorde, für Orgelpunkte und ähnliche harmonische Vergrößerungsmittel, den Wagnerschen Einfluß auf die Stimmführung, die interessante, dissonanzenreiche Kon- trapunktik. Wie alle diese Ausländer ist auch V. dlndy ein hervorragender Kolorist, allerdings starkem Farben- auftrag etwas einseitig zugeneigt.

Rheinberger hat mit vollem Recht dem Wallenstein selbst in seiner Sinfonie einen vollen Satz gewidmet. d'Indy begnügt sich, dessen Gestalt ab und zu durch die Sätze schreiten zu lassen. Es war ihm nicht um die Schilde- rung von Charakterenzu tun, sondern darum, die Eindrücke der Schillerschen Dramen ins Musikalische zu übertragen:

Bei dem ersten Satz, »Le Camp de Wallenslein« (Wallensteins Lager), macht sich die französische Ab- kunft der Musik am deutiichsten geltend. Sie hat für die ernsten Figuren und Reden des Schillerschen Lagers keine Töne und läßt nichts von der Zeit und dem Boden ahnen, die dem Vorspiel der Trilogie seinen Charakter und eine gewisse Größe geben. Das Lager d'Indys ist ohne Unterbrechung munter, ausgelassen, kommt niemals zur Ruhe, wimmelt von Spaßmachern und Jongleuren, besteht ausschließlich aus leichten Truppen und leichten Vögeln. Seiner formellen An- lage nach ist es ein Scherzo mit etwas buntem Haupt- satz (Allegro, Gdur). Es setzt mit folgendem Thema ein

Allegro giusto. Jrieo ^^S ^»^8 ™it-

Itn f ^iOTjt N „j ^ I f^fj-z.d^en fröXhen g * B *t , ^ Jk *^ ' B ^^=^Lärm der Mas-

B ^ TT ^ Jb *^ ^ -' -•

P ^ ^"^ sen führt, froh-

--♦ 438 «^

lieh und elementar.. Denn die Gebilde, die der Komponist aus seinen Motiven entwickelt, sind unregelmäßig. Hier ffihrt er uns vor eine fünftaktige Gruppe, dort kommen zwei- und dreitaktige, hier hält er an einem Motiv fest, dort schweißt er zwei oder mehrere zu bald kürzeren, bald längeren Abschnitten zusammen. Unberechenbar und frei will er uns das Leben und Treiben des. Lagers sehen lassen. Der erste Abschnitt Über dieses Haupt- thema schließt in Hdur. Der zweite setzt in EmoU ein und geht von Cdur aus nach Ddur in Modulationen und mit wilden Trillern , .die den Walkürenritt Wagners fi|r einen Augenblick vor die Phantasie rufen. Ein dritter Abschnitt über dasselbe Hauptthema beginnt in Asdur und gebt von B moll aus allmählich nach der Hauptton- art 0 zurück, die in Solopassagen der Violinen (einige Takte geht die Flöte mit) erreicht wird.

Da beginnt ein erster Seitensatz, dem das ruhigere Thema

zugrunde hegt. Es kommt nicht weit damit. Den Augen- blick, wo die erste Violine sich ein Motiv zum Schwärmen aussucht, benutzt die derber gesinnte Masse, um mit einem Walzer einzufallen, dessen grob einfache Weise

Allegro moderato. J»z7B

durch die seltsamen Humore der Begleitung die Bässe bleiben lange auf den zwei Tönen e und A bedenklich gestört wird. Nach einem Zwischensätzchen, in dem die Flöte das Solo hat, wird wohl die übliche Wiederholung erreicht, aber die rechte lustige Stimmung bleibt aus, und am Ende haben die Störenfriede, die einen ^/sTaki hinein- werfen, die Hauptstimme. Der Tanz hört plötzlich auf, und wie aus der Ferne hören wir wieder den Lärm dfts

K relz.Hi'h mar, Führer. I, t. 28

-^ 434 «>-

Lagers, mit dem der Satz begann. . Wir haben es mit der üblichen Wiederholung des Hauptsatzes zn tun. Doch verschmäht es der Komponist, sie glatt und wört- lich zu bringen. Wie er den Hauptsatz zunächst pp ein- setzt, hat er ihn auch in der Tonart verändert, nämlich nach Edur gebracht und auf den Quartseztakkord ge- stellt. Ähnlich bringt er das erste Seitenthema, das beim erstenmal in Qdur auftrat, jetzt in Es und verteilt seinen Vortrag taktweise auf verschiedene Instrumente. Auch jetzt kommt dibses zum Schwärmerischen neigende Thema nicht zu seinem vollen Rechte. Als es sich ausbreiten will, entsteht unerwartet Tumult. In den Bläsern treten wieder Vertreter des zweiteiligen Rhythmus ein. Ein Schreck geht von ihnen aus: von unten bis oben mfts durch das Orchester: cis'fia. Dann eine lange General- pause und darauf

Allegnro moderato e glocoM.(Ja86) ^ ^

Zu dem einen Fagott kommt ein zweites, bald ein drittes; der Satz läßt sich zu einer Fagottfuge an imd versetzt uns in die Zeiten R. Keisers, der in seinen Opern Quartette, Quintette und Sextette für Fagotten schrieb. Wie hat sich die öffentliche Auffassung des Instruments seitdem geändert! Damals der Lyriker unter den Blasinstrumenten, ist es heute der un- freiwillige Komiker. Hier bei d*Indy vertritt es den Kapuziner mit seiner Predigt, und der Lohn seiner wohl- gesetzten Reden ist, ausgelacht zu werden. Das tun zuerst die Geigen, bald die Klarinetten mit, in chroma- tischen Sechszehntelgängen. Dann packt aber die Oboen und die anderen Holzbläser eine gewaltigere mmm Heiterkeit, sie platzen in kurzen Zwischenrufen f /^ J heraus. Das Piston setzt ein und parodiert das Fugen- thema, das die Klarinette gar verzerrt, während die Violinen,

-^ 435 «>~

die Flöten dazu, sich auf einem langen Triller vor Lachen

schütteln, und dem folgt ein elementarer Ausbrach von Aosr

gelassenheit in Motiven, die auf den Walzer zurfickgehen:

AUe^ro oon fnooo. Vergeblich ver-

4^h I ?: M f ' ' ' * letcdas Fugenthe-

y r r gegeozustellen

der Lärm wächst nur. Da plötzlich klingts in Hör-

nem^Trom« Largo o maestoso. JsSe ^....--t**^

peten und 'f,,\A\ \ \ j ftVl^'? l*f'T=f^ Posaunen: ^"flJi P rj [J f i "| [ i '^«^ » b

Das bedeutet: der Feldherr, Wallenstein taucht aul Nehmt Euch in Acht! Der unglückliche Kapuziner wird freige- lassen, alles nimmt wieder seine gewöhnliche Miene an. Das Trio, das mit dem Thema des Fagotts begann, ist zu Ende; der Hauptsatz des Scherzos kehrt wieder. Nicht ganz wörtlich, sondern mit mehrfachen Änderungen, deren wichtigste das Kolorit betreffen. Im Walzer er- scheint eine sehr pikante Episode für drei Flöten als etwas Neues. Am Scliloß kommt das erste Thema des Hauptsatzes in vergrößerten Rhythmen und erweitert, als wollte es sich zu einem Hymnus ausbreiten, einem Preislied auf den Helden, den vergötterten Wallenstein, dessen Thema als einer der letzten Gedanken der Kom- position auftritt.

Der zweite Satz der Sinfonie (Andante und Allegro, C'Esdur), MazundThekla betitelt, läßt breite gefühl- volle Melodien mit erregten Themen wechseln und zeichnet damit die tragische Lage des Schillerschen Liebespaares. Wie einst in Verona, so blähen sich hier zwei Herzen in kritischer Stunde gefunden-, auch ihr Los ist in die Händel der Parteien verflochten. Der Komponist hat der Über- schrift des Satzes noch den Nebentitel »Piccolomini« bei- gefügt, um den Zuhörer darauf vorzubereiten, daß er bier unbewölkte, ungestörte Liebesszenen nicht zu erwarten hat Die Musik läßt darüber vom ersten Takt ab keinen Zweifel. Die Pauke zeichnet mit dem im Satze oft und be-

28*

436

deutend wiederkeh-

den kriegertscheu Boden,

aeuiend wieaerKen- sa -—^ . aen Kriegertscneu tsoaen,

renden Rhythmus: «3 J J J der betreten werden soll;

die Violinen machen uns mit dem ebenfalls durch

die meisten Abschnitte der Situation klingenden Motive

AnäBBf. ^^^ Trauer und Klage gefaßt,

-P lIi -1. .ff"^^' I I .' uiicl die Hörner, die mit eini-

fr ' ^ " I Cj" ' ^ ' gen Takten die Einleitung ver-

' vollständigen, spielen ebenfalls

im resignierten Ton. Das erste Thema, welches nun in

den Bläsern (Hörner und Klarinetten) mit folgendem

Anfang

Aodant«. JzS6 _^^ ^^„^^ ""^rv

^ einsetzt, ist sehr breit entwickelt Dem in Gesdur schließenden Nach- satz folgen zunächst einige Takte über das oben skiz- zierte Paukenmotiy, dann beginnt die Wiederholung' des Themas in hellerem Klang der Violinen. Sie wird aber sofort vom zweiten Takt ab zur Variation, zwingt den Ausdruck zu größerer Wärme und erreicht bald ge- hoben und freudig das Ende. Doch gerade bei diesem Ende läßt der Komponist noch einen starken Schatten nachkommen. Es ist die Imitation, die die Homer und Posaunen tiefen und gedämpften Klangs von dem letzten Takt gaben. Auch der Paukenrhythmus tritt wieder in den Vordergrund. Die ganze Gruppe mag wohl Max und seine Sehnsucht schildern sollen. Jetzt setzt ein neues Tempo: AUegro risoluto mit folgendem Hauptthema

AHegro risoluto. J «126

ieta

-ir

^Es

f^nr

Es

B

'^*'Qii•

As KB

ein. Der Komponist zeichnet die Parteien und die Wirren, die den Gegenstand von Schillers Piccolomini bilden. Dem einen Thema tritt zunächst ein klagendes zur Seite

437 <^ -

das uns um so

JW, r |i F]^ |V(* p^fTT ji- I ^^i^ mehr an das '^ 'P ' ' '■^' * ' /»>> **5[J. Liebespaar er-

innern darf, als es teilweise mit Nachahmungen zwischen Violine and Cello begleitet und von langsamen, gehaltenen Episoden unterbrochen wird, in denen Bruchstücke der spä- ter zu erwähnenden Liebesmelodie (in H dur) auftauchen. In einem zweiten Abschnitt, der in C dur einsetzt, bringt dasÄllegro oorno. ^ <t^^s das, von Wagners

ein zwei« '*J'l^i, J r'Pt T*^ ' I Nibelungenmusik tes Thema -i^ * sichtlich beein-

flußt, eine ähnliche Rolle übernimmt wie in der Original- quelle: Es ordnet, klärt und führt einen Aufschwung her- bei, der sich bei der Wiederkehr des Hauptthemas durch einen helleren, entschiedeneren Klang äußert. Nun ist auch die Zeit, wo die liebenden Herzen sich öffnen dürfen Ein Andante tranquillo bringt die schöne, etwas Gounod- sche Liebesmelodie, deren Anfang folgendermaßen lautet:

^uM y^r^ """^^ ^^® Klarinet-

:ffi''Alip \ff^ •, .J J ■* TTTJ^ to ffihrt Sie

^ a^ E ^ B--Gi3FisH ein, das Cello nimmt sie ^ ihr ab. Noch ehe das Zwiegespräch zu Ende ist, hören wir versteckt mehrmals die Triolen des WaUensteinthemas. Dann tritt die Liebesmelodie mit jenem Thema des ^Andante, das den Satz begann, zu einem wirklichen Dialog zusammen (jene in den Holz- bläsern, ^dieses in den Geigen). Auch er schließt mit den markiert hervortretenden Wallensteintriolen in bei- den Violinen und Bratschen. Und nun setzt Maestoso das Wallensteinthema aufregend in Posaunen und Trom- peten ein; aber ^es endet in Dissonanzen, und das Tremolo der Bratschen kündet nichts Gutes. Der Kom- ponist will unsere Gedanken hier auf den Anschlag gegen Wallenstein lenken. Deshalb setzt er auch das jetzt wiederkehrende AUegro risoluto in Esmoll und gibt ihm ein Ende in gedämpftem Ton. Die Liebes- melodie kommt darin noch einmal als Adagio und halb unterdrückt.

-^ 438 «^

Der Intention nach ist dieser zweite Satz von d^Indya Wallensteinsinfonie der bedeutendste des ganzen Werks. Leider hat den Komponisten im Allegro die Erfindung nicht geniügend unterstützt

Der dritte Satz der Sinfonie (Trba large, Allegro, Maestoso, H moll, ^)j »Wallensteins Tod« betitelt, beginnt mit einer langsamen Einleitung, die schauerliche Ab- sichten mit Berliozschen Mitteln der Modulation (Hmoll und D moll nebeneinander) und Instrumentation (Geigen in den höchsten Lagen geteilt; von Bläsern nur Flöten und Posaunen) verfolgt Natürlich tritt in ihr auch bald das Wallen stein thema auf. Nachdem so am Anfang ein Blick auf den Ausgang der Komposition geworfen worden, beginnt die eigentliche Darstellung mit einem Allegro, das wohl Verschwörung und Empörung zu zeichnen bestimmt ist Zunächst in den tiefen Instrumenten wühlend und stechend, erscheint folgendes Thema

Allegro. J s 100

das ersichtlich von dem Wallensteinthema abgeleitet ist Klopfende Achtelrhythmen in Holzbläsern und Hörnern bilden die Begleitung. Mit dem Abschluß der Gruppe (iu Hmoll) j)|t^^ .1 .zugleich aber setzt auch

tritt eiu ^^^ J J Jl ^ J J ^^ Musik ein, die im Seitenthe- jf ^^ ersten Satz der Sinfonie

ma ein den Lärm und das frohe

Treiben des Lagers schilderte. Dieses Lagerthema nimmt nun im Schlußsatz der Sinfonie einen sehr breiten Raum ein und beherrscht den Satz, allein oder mit anderen Motiven vereint oder wechselnd, länger als es die Be- deutung des Gregenstandes erfordert Vincent d'Indy hat für die Darstellung des sogenannten Milieu, wie das man denke nur an Raffs Schlußsätze von Lenore und von der Waldsinfonie den Programmusikem sehr häufig begegnet, zuviel getan und ohne dadurch eine ganz klare Darstellung der äußeren Hergänge zu erreichen. Niemand

^^ 439 ^^

wird mit Bestimmtheit den Punkt bezeichnen können, an dem Wallenstein fällt.

Zu den besseren und schönen Teilen der Komposition gehört der Anfang des Maestoso mit dem an Schumanns »Manfred« erinnernden Thema

Maoatoso. 0 a60

l'lTLil'l l>"! '" ITÄÄÄ

Allegro mil einigen Änderungen: es nimmt z. B. das Maestosothema mit auf. An seinem Schluß erscheint die Liebesmelodie des zweiten Satzes, und ihr folgt ein zweites Maestoso, in. das der Komponist aller Wahrscheinlichkeit nach die Katastrophe hat verlegen wollen. Ein Largo, das in verklärten leuchtenden Farben die Harmonien der RinlMtung wiederholt, schließt den Satz ab.

D^Indy, dem die französische Musik als Vorsitzenden der Soci^tö nationale de musique und als Gründer der ^ Schola cantorum tief verpflichtet ist, hat der Wallenstein- sinfonie noch eine »Sinfonie snr un thöme mon- tagnard« und die als ein Hauptwerk französischer Sinfoniekunst geltende »Sinfonie cövenolec folgen lassen; beide sind bisher in Deutschland unbeachtet ge- blieben. '

Die zweite französische Programmkomposition, auf die hier wenigstens ein kurzer Blick geworfen werden muß, ist die Sinfonie »La Mer« von Paul Gilson (ohne pmI oiibou. Opusangabe). Der Komponist ist zwar Belgier, aber ahn- *La Marc, lieh wie G. Franck, Edgar Tinel und die flbermegende Mehrzahl seiner Landsleute in seiner Kunst durch und durch Franzose. H. Berlioz' Ansprüche an die Orchester- besetzung insbesondere hat bisher niemand mit gleicher Unbefangenheit aufgenommen und erweitert wie dieser Belgier. Im letzten Satz seiner Sinfonie verlangt er außer dem schon starken Bläserchor des gewöhnlichen Konzertorchesters noch eine zweite Garnitur Holzbläser

/^

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und ein Dutzend Saxhörner. Dieser Aufwand und die berechtige Forcbt vor den akustischen Wirkungen dieses Finale mögen der Sinfonie von Gilson den Zugang zu dem deutschen Konzert wesentlich erschweren. Gekannt zu werden verdient sie, weil sie als die talentvolle Leistung eines Hauptvertreters der extremen Koloristenpartei ein- mal ein Licht darauf wirft, was den Formen der Sinfonie unter der Herrschaft dieser Richtung bevorsteht. Das ist geradeso wie in der Malerei eine kolossale Verarmung des eigentlichen inueren Lebens zugunsten einer neben- sächlichen Naturtreue.

Am stärksten ist dieser Eindruck im ersten Satz (Allegretto, o/g, F dur}, dem nach einem höchst umständ- lichen, mit mythologischen und sonstigen Schemen ar- beitenden Gedicht, dem Programme der Sinfonie, die Auf- gabe zufällt, den Sonnenaufgang zu schildern. Man erwartet da eine Einleitung, die der Schatten der Nacht und der Dämmerung gedenkt. Aber der Komponist setzt sofort mit einem fertigen Operettenthema ein:

AUegretto. J.=1B0.

m

crese.

CfU I r"rli I Cn I i I 'im I I

das wohl die Stimme des seelenlosen Meeres bedeuten soll. Und diese sowieso schon an Sequenzen, d. h. an Wiederholungen desselben Motivs reiche Weise wird nun durch den ganzen Satz unaufhörlich wiederholt, meist wörtlich und vollständig. Nur in der Mitte des Satzes, da wo sonst die ersten Sätze der Sinfonien die Durch- führungspartie bringen, begnügt sich der Komponist mit Bruchstücken seines Themas und fügt auch auf einige Abschnitte hin eine Bildung aus auf- oder absteigend .n Ac-htelfiguren hinzu, die man für eine Art neuer Ge- danken ansehen kann. Sonst aber bleibt er unerbittlich bei seiner Melodie, wie sie steht. Keine wesentliche Ent- wicklung, keine Umbildung gibt ihr den Schein des Neuen,

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und wenn es des Komponisten Absicht war, die Eintönig- keit des Meeres vor die Seele seiner Zuhörer zn bringen, so hat er diese Absicht bis ZQ einem Grad erreicht, der außerhalb der Grenzen der Ktmst hegt.

Der zweite Satz (AUegro, s/4 und Vii Adur^ hat die Überschrift »Matrosen-Lieder und -Tänzec und bildet einen Reigen lustiger Szenen von sehr frischem und kräf* tigern Grundton. Es scheint, als wären für die fröhlichen Bilder Volksweisen mit verwendet. Auch in diesem Falle bleibt dem Komponisten das Verdienst sicherer, klarer und wirksamer Gestaltung. In der Sicherheit, mit der eine große Menge bunter Gestalten gruppiert ist, gleicht der Satz dem Scherzo in Svendsens D dur-Sinfonie, und in der Lebendigkeit, Unmittelbarkeit und in der freudigen Teilnahme, mit der er das Glück und die Lust der un- teren Schichten schildert, zeigt er sich als echter Sohn der Niederlande.

Der Satz zerfällt in zwei Hauptteile. Dem ersten liegt folgendes Thema:

AUegro. 0 z 116.

ZU Grunde, das, von unbedeutenden Nebenmotiven ge> streift, eine lange Entwicklung erfährt. An dem Schluß wird der Ton wilder: ein Presto tritt ein:

Bald aber kommt eine ruhigere Weise in ihm:

P r\~\ I i?J M 1^ I rftt^

Trotz des Presto ist der zweite Teil des Satzes, in den wir jetzt gelangt sind, ein Ersatz des alten Trios. Es schließt mit einem noch mehr gesteigerten Tem>

/^

-^' 442

po (Molto presto). Aber in » aMoito presto, ihm kommt, äußerlich, fürs *«*= Auge vielleicht etwas fremd: das Thema des Hauptsatzes wieder. Wir sind also in die Wiederholung des ersten Teiles eingetreten. Als dann die Holzbläser im breiten Gesang die Melodie aufnehmen, baut der Komponist seine Harmonie auf einen langen basso ostin ato auf, in den scheinbar leichtesten Aufgaben die größte Kunst entfaltend.

Der dritte Satz (AUegro moderato, Vi ^^^ Vi» ^^^ dur), Dämmerung überschrieben, führt uns wieder nach der See zurück. Wir hören das gleichmäßige Plätschern ihrer Wellen in Motiven, die dem Hauptthema des ersten Satzes entnommen sind. Erst kommen sie in den Bläsern muntern Schritts, dann werden sie langsam und leise in den Geigen angespielt Die Nacht kommt, Licht und Bewegung erlischt. Wie ein Abendlied erklingt es aus dem englischen Hörn:

Ua pooo meno leato. J z 69.

eine Idylle im Satz, Gelegenheit zum Träumen! Dann wird aber die Bewegung lebhafter. Die Motive aus dem ersten Satz kommen wieder; die dämonischen Mächte der See regen sich und messen sich eine Weile mit den Gei- stern des Abendfriedens. Auch Nachklänge aus der Tanz- szene durchziehen den Satz.

Der vierte Satz (Allegro moderato, »/«i Vi» F dur), Sturm Überschrieben, beschränkt sich thematisch auf den ersten Takt des Hauptthemas des ersten Satzes. Die vier Noten dieses Motivs variiert Gilson in Farben und Harmonien und wiederholt sie so unermüdlich, daß sie den Hörer noch Tage lang verfolgen, ähnlich wie uns das Rauschen des Meeres noch lange auf dem Festland be- gleitet. Der Komponist erreicht damit eine geisterhafte,

~4 443 41^-

gespenstische Wirkung, der Eindruck seiner Meerbilder wird älinlich, wie ihn Haydn von seiner Englandfabrt gehabt haben muß, als er das Meer »das große Tier« nannte. Diese Fracht fällt in Gilsons Finale nebenbei mit ab. Sein Hauptziel ist: die See in Empörung zu zeigen. Nach dem Programm geht das Schiff, dem die Matrosen des zweiten Satzes angehörten, in diesem Schluß- satz zu Grunde. Das Heulen des Sturmes, das Krachen der Wasserberge und alle die Schauer der wilden furcht» baren Natur sind in einer Sinfonie so lebensgetreu wie hier in dem Werke des Belgiers noch nicht gemalt wor- den. Wenn es ein Triumph der Kunst ist, das Heulen des Sturmes, die schrecklichen Schläge der Wellen, das Stöhnen des Fahrzeugs, die hörbaren Äußerungen seines Kampfes mit den Elementen mit dem größten Grad von Täuschung vorzuführen, so hat Gilson hier eine Haupt- leistung hinterlegt. Zum Teil sind die Mittel altbewährt, namentlich von Liszt und Wagner eingeführt: die chro- matischen Skalen, die hohen Triller, die hereinprasseln- den Akkorde der schweren Bläserharmonie; zum Teil sind es Kombinationen rhythmischer Natur, die Gilson für sich in Anspruch nehmen kann. In den kritischen Minuten ist auch ein Männerchor zugezogen, der die Matrosen darstellt, ihre verzweifelte Arbeit mit »ho he< begleitend. Nachdem das Unglück geschehen, hören wir das Thema des ersten Satzes in seinem vollen Umfang noch einmal. Das Meer hat kein Erbarmen ^ind kein Qewiiuen ; es gibt sich so unschuldig und gleichgültig wie am Morgen, da die, welche jetzt in der Tiefe ruhen, die Sonne aufgehen sahen.

Auch Claude Debussy hat eine, wenigstens in CUade DebsMj, Frankreich häufiger gespielte Meeressinfonie geschrieben, ^ ^^' die den Titel »La Mer< trägt und aus drei Sätzen oder Skizzen (esquisses symphoniques) besteht. Im ersten, »Derarbe ä midi sur la mer«, malt das Orchester das Spiel des Wassers mit beständig wechselnden, kurz cha- rakterisierenden Figuren der Streicher, von den Bläsern her hört man ruhigere Motive, welche die Stimmung des

.r^

. - 444 V

im Boote sitzeDdeu Beobachters ausdräckeD. Darin, daß sie Debussy nicht entwickelt und nicht in Beziehungen zu einander setzt, zeigt sich seine impressionistische Natur, der Bausteine lieber sind als Bauwerke. Der zweite Satz: »Jeu de vagues«, bringt im wesentlichen die Bilder des ersten nochmals, aber vergrößert, bewegter, erregter und auch mit einem stärkeren Zusatz von Gemütsmotiven. Er hat da, wo sich die Dissonanzen endlich einmal auf- lösen, Stellen von faszinierender Schönheit . Der dritte Satz: »Dialogue du vent et de la merc, beginnt erst das Treiben des Windes, dann die Reaktion des Wassers malend. Dann kommt aber als Mittelpunkt des Ganzen ein weihevoll ruhiger, gebetsartiger Abschnitt, der von einer zwar chromatischen, aber doch breit, aus- giebigen und sprechenden Melodie getragen wird. Es ist trefQiche Musik im alten Stil.

Die Aufgaben, die sich die französische Programm- suite stellt, laufen in der Regel auf Stimm ungs- und Situationsbilder allgemeiner Natur hinaus. Es sind im Grunde Charakterstöcke, wie sie die französische Orche- stersuite seit Lully gehabt hat, sie schildern Affekte, deren musikalische Natur anßer allem Zweifel steht, und gebrauchen den poetischen Titelzusatz nur als Sporn und Hülfe, die Phantasie zu beleben und vor dem Einschlafen auf Gemeinplätzen zu schützen. Der Zusammenhang dieser Musik mit dem Ballett offenbart sich im Charakter der Sätze; ja ein Teil dieser französischen Prograramsuiten bekennt auch äußerlich die Herkunft von der Bühne. Von Lto iiellbM^ L. De Hb es z. B. haben wir zwei Ballettsuiten aus »Le Sylvia. ^oi s^amuse« und aus »Sylvia«. Diese Sylviasuite, die sich in den deutschen Populärkonzerten eingebürgert hat, ist ein Probestück jener französischen Unterhaltungs- kunst, die gewöhnliche Dinge durch eine gewählte Form zu heben weiß. Unter ihren vier Sätzen, die Jäger, Nymphen und Bacchanten vorführen, zeichnet sich der dritte, ein langsamer Walzer aus. Am bekanntesten sind aus. der Gruppe dieser für das Konzert zurechtgemachten Schauspielmusik die zwei Suiten, die G. Bizet, der Rom-

445 »^

poaist der »Carmen«, im Jahre 1872 zu A. Daudets Schau- spiel »L'ArUsienne« geschrieben hat.

Von diesen beiden Suiten ist die erste in Deutsch* e. BUet, land außerordentlich verbreitet und wohl mehr als L'Arlesienne l irgend eine zweite neuere französische Orchesterkom- position aus den Kreisen der Abonnementskonzerte hin- aus in die Volksmusik gedrungen. Das ist nur natür- lich, denn sie ist eine so reizende Arbeit, wie wir nur wenige haben, und bleibt mannigfach gehaltvoll leicht, klar, liebenswürdig auch da, wo sie Ungewöhn- liches und Außerordentliches bietet. Eins wollen wir Bizet nicht vergessen : das ist die Knappheit seiner Ent- wicklungen und Ausführungen.

Die erste Nummer unserer viersätzigen Suite (AUegro, C) Cmoll), die die Oberschnft Pr^lude hat, bildet in der , vollständigen Schauspielmusik die Ouvertüre und hat den doppelten Zweck, auf die Hauptzüge und den Charakter der ilandlung vorzubereiten und uns mit Land und Leuten etwas bekannt zu machen. Das zweite Ziel verfolgt Bizet mit dem Thema, das den Satz eröffnet:

AUegro dtciflo. Jsl04

J I I I TT~rHI ^s ^*^ ®^^^ provenzalische f I ^ ^ j s^ Volksmelodie, als »Marche

de Turenne« in Frankreich bekannt. Bizet entwickelt sie in einer Reihe Variationen ernsten Charakters, die die Phantasie seiner französischen Zuhörer mit ganz be- stimmten geographischen und kulturhistorischen Bildern erfüllen müssen, wie wir ähnlich bei »Jetzt gang ich ans Brüunele« an Schwaben denken. Zuerst kommt die Melodie ohne Begleitung, aber in mächtiger Besetzung (alle Streichinstrumente mit Ausnahme der Kontrabässe, Holzbläser, Saxophon und Hörner). Dann wird sie zart von der Klarinette gesungen, von der Flöte, englischem Hörn und beiden Fagotten mit schmiegsamen Harmonien begleitet. Die zweite Variation bringt das Thema von

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sämtiiclien Bläseiu gespielt; sämtliche Streichtustramento begleiten ebenfalls unisono in Achtelfignren, die o als Orgelpunkt festhalten, in den Nebennoten aber die Skala emporklimmen. Die Perioden setzen pp an und gelangen zur selben Zeit, wo die Figuren sich der Oktav von e nähern, ins f und ff.

Die dritte Variation bringt das Thema im langsamen Tempo in Cdur vom Cello vorgetragen, Hom und Fagott begleiten. Die vierte Variation hat es wieder in der An- fangsbewegung und im großen Glanz des vollen Orche- sters. Mit einem kleinen Anhang schließt die Variationen- gruppe, die dadurch ungewöhnlich ist, daß sie auf die modernen Mittel des Variierens, auf wesentliche Ver- änderungen des Themas selbst, verzichtet Bizet wollte mit R&cksicht auf den Zweck seiner Musik so einfach und gemeinverständlich als möglich bleiben; er ist trotz- dem nicht in Monotonie verfallen.

Die Mitte, oder den APdyne moiio. Jeden zwei-

zweiten Teil des Pr61ude^|^ij> r^ j* ff i^ iiten Takt er- füllt fast ganz das Motiv 9^~ p •" ' ' ^'hebt es sei- nen Klageruf. Wie auch die Musik ihre Wege wählt, durch alle Harmonien drängt es sich. Wenn je, so darf hier an eine >Id6e fixe« gedacht werden, und tatsächlich bedeuten jene vier Noten auch etwas dem Ähnliches. Fr^deri, der Held des Daudetschen Schauspiels, muß das Mädchen Von Arles (rArl^sienne) aufgeben, weü sie eine Unwürdige ist. Aber er hört nicht auf an sie zu denken, sich nach ihr zu sehnen, und an dem Abend, wo seine Ver- lobung mit einer andren vorbereitet wird, stürzt er sich zumFenster hinaus. Der mittlere Teil der Prölude malt nun mit der unaufhörlichen Wiederkehr dieses einen Mo- tivs den Geisteszustand des armen Fr^deri, der so ganz bis zur Sinnlosigkeit von dem Gedanken an die Verlorne beherrscht wird. Ein dritter Teil, in dem das Motiv

UkipwmoiiiaieBto.Jr7e. <^>^ haupUächliche Entwicklung

^-^. / ^ ^^^ trägt, malt d^s Sorgen, das Hof-

.^ r r p I r r ^S fen und Ringen der. Umgebung.

3^ " Die letzten Takte des Satzes

r

447

nehmen Bezug auf den traurigeD^ schrecklichen Ausgang des Stockes.

Der zweite Satz (Allegro giocoso, 3/4, CmoU), als Minuetto bezeichnet, ist als Zwi&chenaktsrousik zur EröfT* nung heitrer Szenen komponiert. Er hat die alte, von Haydn her bekannte Anlage. Der Hauptsatz stützt sich auf ein Thema, das bei aller Einfachheit und Beschrän- kung doch eine feine wählerische Hand verrät. Die Baß- föhrung zeigt sie:

KtoMlL Aa«cv^ giocosow

Jr

:^^?7^I^JlJllhjl I vot HauS f ^ ^ r ^ ^ UT T ^ ^satz wird

jedoch das Wesen dieses Minuetto von dem anderen Teil, dem an Stelle des Trios stehenden Satz bestimmt Er steht in Asdur mit folgendem Thema:

Mit semem innigen, elegischen Ausdruck fesselt es an sich schon das (}emüt des Hörers; der Komponist ver- stärkt aber seine Macht durch die sichtliche Liebe, mit der er bei ihm weit fiber die normale Zeit hinaus ver- weilt.

Der dritte Satz (Adagio, *U, Fdnr), Adagietto be- titelt, ist kaum mehr als ein Lied mit einem kleinen selb- ständigen Mittelsatz, sonst vom einfachstem Bau. Die Hauptstrophe bildet Vorder- und Nachsatz und wird so viel ausgenutzt, als nur möglich ist, und in ihr selbst sind die melodischen Verhältnisse so leicht gewählt, als es nur sein kann. Größere Schritte kommen fast gar nicht vor. Diese äußerste Einfachheit, die das innige Stfick noch rührender macht, als es an und für sich schon ist, dient hier Zwecken dramatischer Charakteristik. Es be-

«n

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gleitet den Dialog zweier alten Leute im Stück: der Matter Renaud und des Schäfers Balthasar, die sich, um brav SU bleiben, vor fünfzig Jahren getrennt haben und jetzt zum ersten Mal wieder sehen. Als die Musik der alten Leute zeigt sich das Adagietto auch in seiner bescheid- nen Besetzung (Streichquartett) und im Tempo, das man kaum zu ruhig nehmen kann.

Der Schlußsatz (AUegretto moderato, ^/^, Edur) »Carillon« betitelt, ist derjenige, welcher den Konzert- erfolg der Suite unter allen Umständen sichert. Eine Harmonie gegen einzelne liegen bleibende Töne (liegende Stimme) zn führen oder gegen ein im Baß festgehaltnes Motiv (Basso ostin ato), das ist nichts Seltnes. Aber ein Motiv in einer 'Mittelstimme ohne Unterbrechung sechzig Takte hintereinander wiederkehren zu lassen und darüber und darunter eine Musik in Fluß und Charakter zu bieten wie das Bizet hier tut, das ist ein Kunststück. Dazu kommt aber noch, daß dieses Kunststück sich ganz natürlich gibt Der Satz Bizets ist wirklich ein Stück Programmusik im eigentlichsten Sinn: Malerei Er macht das Glockenspiel nach^ aber Bizet hebt den Effekt poetisch ähnlich, wie er in seiner Carmen die Äußerlich- keiten des militärischen Lebens getreu, aber zugleich auch in poetischer Verklärung vorführt Im Schauspiel setzt unser Finale in dem Augenblick ein, wo die jungen Leute nahen, um die bevorstehende Verlobung Fröderis mit Vivette zn feiern. Was das Dorf nur an Mitteln be- sitzt, um einer freudigen und hochgehenden Stimmung Ausdruck zu geben, das wird in j

Tätigkeit gesetzt NatürUch müs- flflg''"","^""^-.*^'!^^.. sen da die Glöckchen auf demAT^it J J J I J^ Turm auch mittun. Sie spielen: JO^

Unter den Kontrapunkten, die ihnen entgegentreten, ist der wichtigste der folgende:

(V"[ I r nn I ii'i n i »

449 f^

als der Ausdruck fröhlicher, flotter FeststimmuDg. Unter den Klängen dieses Themas stürmt die Schar der jugend- lichen Gratulanten heran. Im Mittelsatz, der über folgen- des Thema entwickelt ist:

Andantiiio.

tritt das Sprecherpaar hervor und stattet sittig und herz- lieh den Glückwunsch ab.

Der außergewöhnliche Beifall, mit dem Bizets 1. Suite zu TÄrMsienne in allen Ländern aufgenommen wurde, bestimmte seine Freunde, die (aus S4 Nummern bestehende) Musik zu dem Schauspiel Daudets noch einmal nach Sätzen durchzusehen, die im Konzert verwendbar wären. Das Ergebnis hat uns Guiraud in einer zweiten Suite Bizets zu l'Arlösienne vorgelegt, die ebenfalls aus G. Vlut, vier Nummern besteht, welche den Stücken der ersten I-'ArW^ienne U Suite in der Wirkung nichts nachgeben.

Sie wird mit einem Pastorale eröffnet, dessen Hauptsatz auf folgendem Thema ruht:

Afidaate Boatennto assai. J = 64.

jr

j^2 ^ [ In der harmonischen Stellung der r P ' Achtelnoten, in dem ländlich naiven,

freundlich liebenswürdigen Ausdruck froher Stimmung erinnert es an Boieldieus »Weiße Dame«. Ein Nachsatz, von h aus gebildet, vervollständigt es zur achttaktigen Periode, die von den Bläsern allein, mit der Flöte als Soloinstrument, sofort und wörtlich, aber im zarten Ton wiederholt wird. Da schon wird die ländliche Szene unter- brochen : die Holzbläser rufen einander zu, als käme je- mand, der noch mit will: vom Saxophon und Hörn her hören wir ein Motiv, das wie ein Halloh klingt. Man wartet auf den Nachzügler, und als er da ist, beginnt ein kleines Pastoralkonzert, eine echte Landmusik im ^VsTakt:

Krelzichmar, Führer. T, 1. 29

450 <»^-'

gtfat t Ü- .tf-r j -"JT^- ^^® ^^^^ üudelsackharmonien, fc*ff J\ p itp i*r Lf r *r r^ von den Qaintenbässen der mf eta Fagotte begleitet. Lange dau-

ert sie nicht, das Adurtbema setzt wieder im ff ein, der Zug bewegt sich weiter. Bald hat er aber sein Ziel, den Spielplatz im Schatten erreicht. Noch einmal setzt sich alles in Positur, das Messing (Posaunen mit) intoniert mit äußerster Kraft und Würde die Adar-Harmonie, die andern Instrumente fangen Nachahmungen des Themas an. Aber blitzschnell wird das aufgegeben, die Klänge verhauchen, und wir stehen vor einem ganz veränderten Bild: vor dem zweiten Teil des Pastorale. Dieser zweite Teil ist in Fismoll und im 3/^ Takt gehalten, scheidet sich also auch äußerhch scharf von dem Hauptsatz. Dem Cha- rakter nach ist er eine Tanzszene, und der Komponist hat hier sichtlich darauf gerechnet, daß der Zuhörer die sinnlichen Haupteindrücke darch das Auge von der Bühne her empfängt. Denn die Musik ergeht sich in bloßen Wiederholungen. Sie repräsentiert wohl mit provenza- lischen, halb ehrwürdigen, halb drolligen Melodien ein Pärchen. Sie singt zierlich:

AjadantlAO.

er ungestüm:

xr

Ein freierer und ausdrucksreicher Abgesang schließt die Szene und eine abgekürzte Wiederholung des Haupt- satzes den ganzen Satz, der durch das reizende Adur« Thema noch lange nachwirkt. Im Schauspiel kontrastiert sein liebenswürdig freundlicher Klang aufs schneidendste mit der augenblicklichen Situation. Denn der Aufzug des Pastorale erfolgt unmittelbar, nachdem Fröderi über den

461 «^

wahren Charakter der Ärlösienne schmerzlich aufgeklärt worden ist.

Der zweite Satz der Suite (Andante moderato, Ci Es dar), Intermezzo überschrieben, ist Zwischenaktsmusik elegischen Charakters. In der kurzen Einleitung, die am Schluß der Nummer wiederkehrt, wechselt eine starke ünisonofigur mit- zarten, geheimnisvollen Bläserakkorden. Der Hauptsatz gleicht einem Gresangstück, dessen gleich- mäßig breiter Fluß, nur durch einige Takte der Erregung unterbrochen, dem Ende zu durch Hinzutreten immer weitrer Instrumente sehr imposant anschwillt

Auch der dritte Satz (Andantino quasi allegretto, s/ai Esdur), Menuett betitelt, ist ein Stflck Zwischen- aktsmusik, dem vorigen aber an Originalität weit Über- legen. In der Familie der Menuetts läßt es sich ebenso wenig mit. einem zweiten Stück verwechseln oder auch nur vergleichen, wie Mozarts Menuett seiner letzten Esdur-Sinfo* nie. Zu der kecken ^^ j_ ^ ^ Grazie seiner Melodie, fti»Vj( ' = die von dem Thema: "^^ PP getragen wird, kommt eine ganz ungewöhnliche Instru- mentierung: den größten Teil des Hauptsatzes spielen Flöte und Harfe allein. Um so gewaltiger klingt dann, das volle Orchester im Mittelsatz, der über das feste Motiv

tfi?L f'tf .f . . 8®ba^* ist Die Pausen füllen Sech- ■jfcPir r ' ' I ' i ^ \ zehntelgänge von Flöten, Oboen und / Klarinetten, die durch die Beteiligung

der Harfe Härte und Rückgrat erhalten.

Ähnlich wie in der ersten, so ist auch in Bizets zweiter Suite zu TArlösienne der Schlußsatz (Allegro deciso, C> Vij DmoU— Ddur) als die Krone des Ganzen zu be- zeichnen.

Bis zu den Entr^es in den Balletts Rameaus können wir die Tatsache zurückverfolgen, daß die französischen Komponisten ihre besten Stunden immer bei der Schil« derung von besondern Aufzügen haben. So sind auch in Bizets Suiten der Carillon, Pastorale und unser Schluß-

29*

452 ♦>-

satz die ßedeatendsten Treffer. Denn auch dieser Schluß- satz ist eine Aufzagsmusik: Farandole, wie er über- schrieben ist, bedeutet den Marsch und Tanz, mit dem die Teilnehmer am Fest des heiligen Eligius (Cloi) in der Provence vor den Häusern und Höfen erscheinen, von deren Besitzern sie milde Beiträge erbitten wollen.

Bizets »Farandole« beginnt wie das Pr^lude der ersten Suite mit dem Maiche de Turenne. Doch beutet er die alte Melodie nicht wieder zu Variationen aus, sondern bricht sie bald ab und ersetzt sie durch die eigentliche Farandole. Das ist ein altertümlicher provenzalischer Ge- sang, zu dem auch besondere Instrumente gehören: das lange schmale Tambourin und das Flageolett : die Melodie des Farandole ist folgende:

iP'i ii ii 1 1 1 II I ij h 1 1 1 iujj|i|ii

Die Periode wird wie-

rr p I r

einen Nachgesang:

der ebenfalls zweimal gegeben wird. Dann beginnt der ganze Reigen von vorn, zwei-, dreimal erneuert sich das Spiel, aber immer lauter. Wie aus weitester Feme ppp begann die Farandole, beim zweiten Einsatz war sie schon im f, und fortwährend wächst sie an Tonstärke, zieht Instrument um Instrument in ihre Kreise und klingt mit jeder Sekunde entschiedener, naturmächtiger. Nimmt man noch hinzu, wie das Tambourin, noch ehe die Melodie eingesetzt hat, schon seinen Achtelrhythmus begann und wie es seitdem nicht aufgehört hat, die Achtel weiter zu klopfen, so kann man sich" einen Begriff von der sinnverwirrenden Wirkung dieser Musik machen. Endlich kommt eine Abwechselung: der Marche

-^ 453

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de Turenne tritt eiu. Aber nur für kurze Zeit. Bald macht er der Farandole wieder Platz, die bis zum Ende des Satzes nicht wieder verschwindet. Wir stehen also dieser Schlnßnummer der zweiten Suite gegenüber vor einem ähnlich behandelten Variationengebilde, wie es Glinkas Kamarinskiga ist. Die russische Kunst, ein unscheinbares und geistig geringes Thema durch Zähig- keit zu einer Größe, ja zu einer Naturgewait zu steigern, hat sich Bizet mit einer Wirkung zu eigen gemacht, die nichts zu wünschen läßt.

Gleichfalls nach dem Tode des Komponisten hat man o. Bis«t, eine dritte Orchestersuite von Bizet veröffentlicht. Sie Homa. führt den Titel Roma und gehört zu seineu älteren Ar- beiten. Nach den Versicherungen Gh. Pigots*) hat Bizet schon i. J. 1863 an ihr gearbeitet, damals noch mit der Absicht, eine Sinfonie zu schreiben. Am 28. Februar 1869 wurde das Werk bei Pasdeloup aufgeführt mit der Be- zeichnung >Fantaisie Symphonique« und dem Nebentitel »Souvenirs deRomec. Der erste Satz trug die Bemerkung »Une chasse dans la fordt d'Ostie< das ist für eine Suite mit dem Titel Roma ein zum Verwundern harm- loses Thema , der dritte war als »Une procession« an- gegeben, der letzte wie noch heute Carnaval benannt.

Der erste Satz (Andante tranquillo, C) Cdur und Allegro agitato, ^/g, C moll) beginnt mit einem Hornquartett, dem folgender, an den Schlüssen etwas Mendelssohnisch gefärbter Gesang zu Grunde liegt:

ABdanto traaqiiUlo. J r 66.

^^ ^ » ^^_ . n - ^ ^^^ derselben Sonntag- r r rfrrir^t*rr r#ir Y morgenstimmung wie ' ^ ^ ^ dieses Thema sind auch die Strophen gehalten, weiche die Geigen ihm ent- gegenstellen. Dann geht die Erwartung in Unruhe über.

*) Oharles Pigot: Georges Bizet et son oenvre. 1886.

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Bewegtere Motive treten ein, die Geigen begleiten in sprüiienden Figuren, ans den Bläsern tönen lockende Rufe. Die ganze Natur beginnt zu leben, es wird Zeit zum Tage- werk. Dessen Schilderung ist die Aufgabe des Allegro, das den zweiten Teil dieser Nummer bildet. Es ist in* sofern ganz ungewöhnlich angelegt, als es weder die üb- liche Einteilung eines Sonatensatzes noch die eines Rondo zeigt. Es hat kein bestimmtes Thema, aus dem es sich entwickelt, sondern es sucht die augenblickliche Lage mit immer neuen Motiven zu zeichnen und Überläßt es dem Zuhörer, aus deren Charakter auf den Inhalt der wechselnden Bilder zu schließen. Die wichtigsten dieser Motive sind folgende drei:

An«gro agitato. J>sS04

iji''-i IUI |if Jiii u.u\aj\ ^Ni I

Der Satz hat einzelne { j I wenige Idyllen, vor- wiegend malt er ein lautes, froh erregtes Treiben, bei dem die Homer eine Hauptrolle haben. Im Augenblick, wo die Wogen am höchsten gehen, geht auch die Modulation aus Rand und Band, nämlich in das ganz unerwartete Es dur. Dieser Ab- schnitt hat auch ein hervortretendes Hauptmotiv, nämlich:

Als er wieder in Es geschlossen ,

= verklingt der Lärm; mit einem

y " 'Male sind die Schatten des

Abends da. Noch einmal kommt ein Aufschwung aus der sanften Idylle, die das Allegro geworden ist. Dann kommen die Motive der Einleitung wieder und schließlich das Andante selbst

Der zweite Satz (Allegretto vivace, >/«> As dur) ist als das Scherzo der Suite anzusehen. Seinem Hauptsatz liegt folgendes flüchtige, phantastische Thema zu Gründe:

455

J-:iie.

rr r I f r ['"'IZJl'' I j -»r '^'irTr'f i

Itt iViirrfrl If I IV rH U 1^

Zunächst wird es zu einer Fuge benutzt, dann aber zu einer Reihe freier leichter Satzbildungen, begnügt sich, später hie und da wohl auch Begleitungsmotive und Ver- zierungsfiguren zu liefern, z. B. zu folgender Melodie:

^^h> ,i.j^,l. I [■■ I I I 1^^ i-i-r-^5iäji

Der zweite Teil, dem gewöhnlichen Trio entsprechend, ist ähnlich wie in der ersten Suite Bizets zu TArläsienne sehr liebevoll ausgeführt. Das warm gesangvolle Haupt- thema, das dem zarten Satz zu Grunde liegt, ist:

A^i I I -l-i -M I I J.l M J-i,J' I ,)■

etc.

Der dritte Satz (Andante molto, Ci Fdur) gleicht mit seinem ruhigen, Gemütsruhe und Frieden verkündenden Thema :

Andante nolto. J 1 48.

^ TTtTT!] ri"^ I ™6"' emer ^»zene m aer h.a- J J^ J ^ ^ ^ I p =JiMI pelle als einer Prozession. Nur '^^ -'- ="^ die häufigen Wiederholungen

führen uns das Bild des Marsches der ausruhenden und wieder aufbrechenden Pilgerschar vor die Phantasie. Bizet bat diesen Wiederholungen ganz im Gegensatz zu

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dem Verfahren, das Berlioz im Harold einschlug , das Eintönige dadurch zu nehmen gesucht , daß er sie har- monisch oder in der Instrumentierung variierte. Nament- lich die letzte Variation hat durch die lebendigen, inter- essanten Kontrapunkte der ersten Violine einen großen Reiz. Ursprünglich war dieses Andante von Roma ein Seitensttlck zu dem Adagietto in der ersten Suite zu TArläsienne, einfach und knapp. Der Komponist hat dem Satz aber nachträglich einen imposanten Charakter da- durch gegeben, daß er das zweite Thema aus dem Schluß- satz der Suite in ihn hereinnahm und ausführte.

Dieser Schlußsatz (AUegro vivacissimo, Vi« ^ i^oU) ist ein Rondo. Sein Hauptthema i&t ein Baßrhythmus, der durch die Dissonanzen, mit denen er begleitet wird, eine wilde und ausgelassene Natur und die Fähigkeit erhält, die Stütze einer tollen Karnevalsmusik zu bilden:

AUeero vivaciseiino,

AUeero nvaciseuiu

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168.

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yi.'i. B /■ 1 \h i

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Eine bunte Schar von Motiven gesellt sich zu dieser Baßfigur; jedes Instrument, das an der Musik teilnimmt, hat ein anderes. Der lustige Tag macht die Phantasie sprühen, der melodische Segen ist fast unerschöpf- lich. Hervorgehoben seien unter -Aj_^fr^_ _ ^ j^*v ihnen zwei, die später be- ftt*'^* T f ^/ | [" jB

nutzt und bedeutender werden:

und das

von

abgeleitete:

Unter den The-

ihm JiM rUrrf |>ir tVfft men der Zwi-

sehen Sätze er-

-- » 457

regt das des ersten Interesse, weil es beim Einsatz sehr an Nicolais ^-:r\ ^'r>^ $

Lusüge Wei- /^l^. (} \f ber erinnert: .3^

iJf/|Pp

Das eigentliche zweite Hanptthema des Schlußsatzes, dessen Bekanntschaft der Hörer schon im vorhergehenden Andante gemacht hat, lautet: y

Uif\iJi\Ui^\\ IUI I |lil|| ||| 1^

Es gibt am tollen Tage edleren Gefühlen Ausdruck, und wenn wir in Betracht ziehe^n, wie dieses Thema im Satze plötzlich unvorhergesehen vor uns steht, so liegt der Ge- danke nicht so fern, daß der Komponist damit auf eine liebe Begegnung hat hindeuten wollen. Die innige und schöne Weise, aus der schon eine Hauptstelle von »Carmen« herausblickt, klingt oft wieder und wirft in die noch folgenden ausgelassenen Szenen, von der eine Fuge über

die ärgste ist, veredelnde Lichter. Mehr und mehr dem Ende zu wird aber auch sie ihres Charakters entkleidet und in den Strudel sinnloser Lust hineingezogen.

In Frankreich wird noch eine sogenannte Kleine Orchestersuite (op. 22) Bizets viel gespielt, die den Titel fuhrt: jeux d*enfants, d. i. Kinderszenen. Diese Kinderszenen entstanden als Klaviermusik, ein Heft 12 Nummern umfassend. Zur Eröffnung der Konzerte Cor lonnes hat der Komponist fünf davon instrumentiert und als petite Suite d'orchestre veröffentlicht. Die erste Nummer ist ein einfacher Marsch, bei dem Trompeten, Hörner, Pauke und kleine Trommel, also die Instrumente, die die Aufmerksamkeit des Kindes am stärksten er- wecken, sehr hervortreten. Es ist nicht zu verkennen,

Jeu d*enfants^

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daß der Humor der Komposition im Klavier reiner Wirkt. Der zweite Satz, eine Berceuse, ist die Krön» des Werkchens durch die Süßigkeit der Kantilene. Alle Instrumente nehmen die schöne Melodie für eine Weile, das Cello umspielt mit wiegenden Figuren. Der dritte Satz, »Impromptu f, ahmt das Brummen des Kreisels mit einer Trillerfigur nach, die in den untern Mittel- stimmen durchgeführt wird. Die vierte Nummer, Duo genannt, ist ein kurzes Andanüno, in dem erste Violine und Cello in zärtlichen Melodien das Bild zweier Liebes- leute geben sollen. Der Schlußsatz, Galop betitelt, will zeigen, wie kleine Leute Gesellschaft haben und einen großen Ball geben. Es geht sehr hoch her. Der Satz verarbeitet das Thema nach verschiedenen Richtungen, stellt es sogar in den Baß. Das Ganze ist ein liebens- würdiges Stück Kleinkunst. 0. SaUt-SftfiBs, Von Cam.Saint-Saens besitzen wir eine Programm- Suite suite, die den Titel Suite Algörienne (Op. 60) führt und Algenenne, ^^y ^jg ^^^^ ^^^ mehreren musikalischen Früchten jener viel besprochnen Reise zu betrachten ist, die seinerzeit das Haupt der heutigen französischen Tonsetzer seinen Pariser Freunden auf längere Zeit entzog.

Der erste Satz (Molto allegro, Vs» Cdur) beginnt ge- heimnisvoll mit einem leisen Paukenwirbel. Dann setzen die Celli ein:

')'UmJ'^^'^

Mit dem Eintritt der Bratschen wird aus diesen tastenden Motiven ein Thema:

trH^it^

ma, reichen sich

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die Hand, um vereint dea Aufmarsch der Stimmen am stützen. Der ganze Abschnitt hat den Charakter einer großen Spannung: Leonorenoavertüre und Rheingold- vorapiel haben Teile von gleicher Anlage: eine Entwick- lung, die über einem Orgelpunkt aufbaut und auftürmt und die Phantasie eifrig mit der Frage beschäftigt: was wird kommen, wenn die erstrebte Höhe endlich erreicht ist Jener Augenblick nahet sich, als die ersten Geigen das Thema nehmen. Da verläßt die Harmonie den lang festgehaltnen Standort auf C und wendet sich nach 0. Das neue Bild aber, das sich jetzt bietet, ist das Thema

das gehegte Erwartungen nicht befriedigt, sondern nur steigert. Was fremdartig an diesep Tönen ist, die wohl einen Gruß, die ersten Klänge vom afrikanischen Land bedeuten, das wird romantisch gehoben durch die Ein- kleidung, die ihnen St. Saöns gibt. Ein Tremolo der Geigen begleitet sie und ein Freudenschauer des vollen Streich- orchesters folgt ihnen. Von nun an kommf in die Musik viel größere Beweghchkeit;.nur der Schluß des Satzes wendet sich wieder ins Zarte und erzählt von einer Seele, die sich daükbar still sammelt.

Der zweite Satz (Allegretto non troppo, ^^/g, Ddur) bringt nationale Musik. Die Rhapsodie mauresque, wie die Nummer heißt, zerfällt in zwei Teile. Der erste ist eine kunstreiche Phantasie über das Glockenspielthema

^1^ Allegretto oon troppo. J«jg4

Plll"j-jj7JljXjj)

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dungen erfährt. Die interessanteste und wichtigste bringt es in die Form einer Sechzehntel ßgur, wodurch der Satz.

460

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der in beabsichtigter Monotonie gehalten ist, auf eine Weile bewegter und spannender wird, unter den Kontra- punkten^ die diesem Hauptthema entgegengestellt werden, machen sich in den Holzbläsern einige scharf rhythmi- sierte Figuren bemerklich, die wohl der maurischen Volks- musik entnommen sind. Während dieser erste Teil träu- merisch gestimmt ist, bringt der isweite eine frohe und fröhliche Musik auf Grund folgender Themata:

Alleen moderato. J s tu

•tc

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ftn f II I I 11 urfirTfFii i i

Das erste ist in seiner Einfalt und seinem Mangel an Leittönen entschieden barbarisch. Das letzte hat St. Saäns außerordentlich wirkungsvoll eingeführt Als Zweck dieser Rhapsodie könnte man sich ein Ständchen denken.

Dem dritten Satz (Allegretto quasi Andante, ^/^ Adur] liegt eine zwanzig Takte lange Melodie zu Grunde, deren Charakter aus folgendem Anfang

.AodABtlBO. Jl«4 a^

zu erkennen ist. Ihr gehen einige Takte in den Holz- bläsern vorher, die sich durch den freien, spielfreudigen Rhythmus als eine musikalische Gabe der Eingebornen kennzeichnen, während das hier angegebene Thema melo- disch und rhythmisch die europäische Abkunft zeigt So haben wir in den beiden* Melodien zwei Kulturen gegen- übergestellt, Stoff genug zu einer Träumerei. Denn der Titel der Nummer lautet R6verie du soir Blidah). Jene maurische Weise bedeutet den Gebetsruf: der Fremd-

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ling, der ihn hört, fühlt sich fromm gestimmt and gedenkt dankbar der Herrlichkeit, die er am Tage in diesem ge- segneten Ort genossen. Blidah ist ja die Gartenstadt von Algier und auch durch geschichtliche Beziehungen aus- gezeichnet. Dreimal folgt den maurischen Motiven die lange abendländische Melodie, die Instrumentierung wechselt, und beim dritten Male treten weitre Modifikationen ein. Die Violinen kommen nicht mit der Melodie, sondern legen als Episode einen zweistimmigen, dem beschaulichen Nach- sinnen gewidmeten Satz ein. Als nun das Adurthema eintritt, bringen es die Bläser; erst in der zweiten Periode treten die Geigen hinzu, die in einem kurzen Nachspiel den knapp gehaltnen Satz zart verklingen lassen.

Der Schlußsatz (Allegrogiocoso, (^, Cdur), betitelt Marche milltaire fran^aise, ist eine Probe von den Leistungen des Komponisten auf dem Gebiete französischer Volksmusik. Denn dazu gehören die Armeemärsche; ja ihre Musik pflegt ganz besonders sich durch nationalen Charakter auszuzeichnen. Deshalb tragen in Frankreich auch die ersten Tonsetzer kein Bedenken, dem Marsch, der bei uns heute fast ausschließlich den Musikmeistern der Regimentskapellen überlassen wird, ihre Kraft zu widmen. So hat auch St. Sa6ns eine lange Schule auf diesem Gebiete durchgemacht und eine große Anzahl ein- zelner Märsche komponiert. Von der Meisterschaft, die er für dieses Fach erworben, legt nun dieser Marsch, der die Algierische Suite schließt, hinlänglich Zeugnis ab. Was für ein flottes Wesen sich in dem Stück entwickelt, das verrät schon das erste Thema

AJÜBgtO giOOORO.

Ihm folgen noch eine ganze Anzahl kecker Springins- felde. Das Trio, das bei uns innig zu sein pflegt, ist phantastisch.

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462

{t-

Diese Algierische Suite von St. Saens und ihr Erfolg wiesen die Phantasie der Komponisten anf eine ergiebige Qnelle, die geographisch - ethnographische , mit ihrem großen Schatz von Rassen- nnd Charakteranterschieden, von Landschaftsbildern, von nationalen Sitten, Tänzen und Liedern, und dieser Hinweis ist mittlerweile f&r die Suite außergewöhnlich fleißig und stark ausgenutzt wor- den. Zunächst in Frankreich, wo der allzeit fertige J. flAMMet. J. Masse net sofort die Konkurrenz mit St Saäns durch zwei Suiten: Seines Napolitaines, Scenes Alsaciennes eröffnete. Als dann Ed. Lalo mit dem bekannten Violin- konzert, das sich Sinfonie espagnole nennt, Glück ge- habt hatte, tat' sich ein französischer Großbetrieb in geographischen Suiten auf, von dem hier nur die Haupt- II. M*r4eli*1. I>6t^i^isl6i2 angeführt werden können, nämlich: U. Mar^- C. Ptrez. chal (Esquisses V^nitiennes', C. Perez (Suite Mursienne), ■•*•[•*• M. Ravel (Rhapsodie espagnole), Tellier (S^r^nade •" •'• espagnole). Obwohl der Vorsprung, den die Franzosen in der Suite, wie auf dem Gebiete der Ballettmusik Über- haupt, durch die angeborene Grazie, durch Formgeschick und durch mehrhundertjährige Pflege dieser Gaben be- sitzen, von anderen Nationen kaum jemals wettgemacht werden kann, stellten sich ihnen doch auch in anderen Ländern bald zahlreiche Mitarbeiter zur Seite: die beiden i.lilffiBl. Itahener A. Luigini (Egyptisches Ballett) und P. Lan- x'iimpk*"*' ciani(S6r6nadeV6nitienne), der Russe Rimsky-Korssa- keruako'ff. ^^^^ (Capriccio espagnol', die Skandinavier H. Kjerulf H. Kj«rBir« (nordische Suite) und Asger Hamerik (mit einer A. Haaerlk. ganzen Serie nordischer Suiten). Es kamen böhmische B»ek. Suiten von Ruzek und Pittrich. Sehr reich ist das nttrleh. neue dankbare Feld auch von Deutschen bestellt worden, ■. Brieh. die Hauptstücke sind von M. Bruch (Suite nach russi- FiMi^mpiTdhiek. 3^gj^ ^^^^^°^^^^^®^ » ^- Humperdinck (maurische ^'nJ^Woifi ^^psodie), M. Moszkowski (aus aller Herren Länder], c. Frieden AHB. H. Wolf [italienische Serenade}, Friedemann (»Lola«, Sehoi^UH^. italienische Serenade), Schmeling ^»Ein Abend in Aran- l^Acebr! J^®2«, spanische Serenade», G. Kamp f (aus baltischen Lan- e«Kr»iiiw! den\ Jacobi (Neger- Serenade], K. Kramm (andalusische

Suite), Klose (Serenata Veiietiaua]. Dazu kommt deiFr. kIom.

Däne Lange-Müller (Alhambra-Saite). P. E. Lange-HilUer

Den Rönigsschuß hat unter diesen zahlreichen Mit- G;C1iarpentter, bewer bern Gustave Charpentier mit seiner fünf sätzigen "^«f!??'. "* Suite: »Impressions d'Italie« götan, die heute der internationalen Verbreitung und der allgemeinen Beliebt- heit nach so ziemlich an der Spitze der neuen Orchester- werke steht Diesen Erfolg verdankt der Komponist in erster Linie derselben Hellhörigkeit für die kleinen Einzel- züge musikalischen Lokaltons, die auch seiner" Oper »Louise« das spezifisch Pariser Kolorit gegeben und ihr einen Siegeszug über die Bühnen der alten und neuen Welt ermöglicht hat. Bei ihm sind die Anregungen, die in der Meyerbeerschen Zeit der Elsässer Georg Kastner mit seinen »cris de Paris«. und seinem »livres partitions« gegeben, zum ersten Male auf fruchtbaren und genialen Boden gefallen, und wie in der französischen Hauptstadt hat er es auch in Italien nicht verschmäht, die Straßen- rufer und Hausierer, den Tonfall, die Rhythmen und die Manieren der Volksmelodien, die Klänge der Mandolinen und Guitarren und der anderen Lieblingsinstrumente des Volks sich scharf zu merken. Das alles verwendet er gleich im ersten Satze seiner »Impressions«, einer »Sere- nade«, die mit einem langen Cellosolo eröffnet wird. In ihm läßt er die kurzen und langen Portamenti, die kleipen Vorschläge und namentlich die durch zahlreiche Wiederholungen desselben Tones so eindringlichen, durch Ausweichen in fremde Tonart so seltsamen Schlüsse hören, die dem italienischen Volksgesang sein Gepräge geben:

^^-^j jyg ' J \^^^jst&^

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Diese einfachen Mittel verfehlen ihre Zaubermacht nicht, jeder fühlt die Echtheit dieser italienischen Musik- probe und ist mit ihr sofort ganz und gar mitten hinein in das eigene Volksleben jenseits der Alpen mit seiner uralten Schönheit und Poesie versetzt. Diese Einfach-

^^ 464 V-

heit der Mittel ist das andere Geheimais der Kunst Cha^ pentiers. Eine ganz gewöhnliche Tunzmelodie, aber mit reichen, der Natur abgelauschten Saitengeschwirr ver- sehen, vervollständigt den Inhalt des ersten Satzes; mit der Wiederholung des Cellosolos schließt er und all- gemein folgt ihm die Kritik: entztlckend.

Fast noch glänzender als durch diese »Serenade« ist die französische Kunst, aus nichts etwas zu machen, im zweiten Satze: »A la Fontaine«, verwirklicht Er schildert eine träumerische Stimmung, wie sie der Anblick stillen Wassers so leicht erregt, mit Hilfe des bloßen Pentachords

Tranouülo. Gharpentier weiß aber in dieses

^ M » Y |f f I r f f -la Skalenfragment durch Harmonie- ^ ' '■ ' ' ' änderungen, durch Zerteilung, durch Echos, durch Tempomodifikationen eine solche Fülle von Ahnungen, zarter und starker Empfindungen zu legen, daß es wie die kostbarste Melodie wirkt In einem kurzen Mittelsatz hört man den leisen Gesang der Wassertropfen.

Ähnlich meisterlich einfach ist der dritte Satz: »A Mules«, d. h. Maulesel, entworfen: Ein Teil in Moll mit einer erst kurzen, dann breiteren Melodie (in Hörnern, zweiten Geigen und Cellis), die durch die lange Verzögerung der Dissonanzauflösung eigen wirkt, darüber, fast als Haupt- sache, in den Holzbläsern die heftigen, ungestüm rhyth- mischen Motive der italienischen Straßenmusik! Dann ein zweiter Teil im ungraden Takt mit freundlichem, warmem Gesang im hellen Gdur, zum Schluß die beiden Weisen verbunden. Ober das Ganze eine naturgetreue Nachbildung des Schellen- und Glöckchengeklingels ge- gossen, unter dem die Tiere die Karren dahinziehen.

Der vierte Satz: »Sur les Cimes« (das bedeutet Berges- gipfel), beginnt mit einem sehr breiten, fast nur von zwei gehaltenen Akkorden getragenen Präludium, das Milieu und Stimmung feststellt, und mündet dann in eine Klage, die ebenso schlicht wie grandios ist ,

Der letzte Satz, »Napoli« betitelt, bei weitem kom- plizierter als die vorangegangenen, bietet von einer aus- gelassenen Tarantella aus einen umfassenden Oberblick

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ftber neapolitanisches Volksleben und führt seine wilden und seine elegischen Bilder nacheinander und durch- einander in heimischen Melodien vor. In der Mitte ge- rät der Komponist auf eine beträchtliche Strecke völlig in das Geleise von Berlioz* »Garnaval Romain«, kommt dann auf den ersten Satz seiner Impressions zur&ck und schließt mit einer niederschmetternden Verve.

Wenn wir in diesem Überblick die außerfranzösischen Beiträge zur Gruppe mit einbeziehen, verdient der Ver- breitung und Beliebtheit nach die nächste Stelle nach Charpentier der Italiener Leone Sinigaglia mit seiner LeoBeSinigagUiy »Piemonte« betitelten viersätzigen Suite (opi ä6). Hier Piemonte. sind die Themen alle Volkslieder und gehören m der Mehrzahl zu jener lustigen und leichten, musikalisch ziemlich wertlosen und hauptsächlich des komischen Textes wegen gesungenen Sorte, die wir seit alters her als Gassenhauer zu benennen pflegen. An den von Sinigaglia gewählten Stücken tritt auch das italienische Element, was Melodieführung, zum großen Teil auch was Harmonie betrifft, ganz zurück, nur in den flotten Rhythmen kommt das feurige Nationaltemperament zum starken Ausdruck, und dieses überschäumende, rhyth- mische Leben ists in erster Linie, was den Erfolg der Piemont-Suite erklärt, in zweiter Linie kommt ihm der- selbe Melodienhunger des Publikums zustatten, der den Potpourris den Boden bereitet. Ganz im Charakter dieser Gattung verläuft der erste »Per boschi e per campi« (durch Wald und Flur) betitelte Satz. Es muß jedoch dem Komponisten oder Bearbeiter zugestanden werden, daß. er die Lieder und Tanzweisen, die alle der Lust am Wandern und der Freude an schöner Natur Ausdruck geben, sehr geschickt auf Abwechselung bedacht, zu- sammengestellt und dem Satze in einem liebenswürdigen und mehrmals wiederkehrenden, auch das Ende bilden- den Andante einen festen Mittelpunkt gegeben, daß er drittens mit angeborenem Farbensinn immer einfach wirk- sam und dezent instrumentiert hat. Der zweite Satz, mit der Oberschrift »Un balletto rustico« (ein ländliches

KrwitscLiiiar, F&hrttr I, 1. SO

«^ 4Ö6 t^

Tänzchen), ist zwar dem Programm entsprechend derb imd arbeitet viel mit primitiven Mittehi, aber bleibt doeb immerhin maßvoll Der äußerste Grad von Natoralismas, den sich Sinigaglia gestattet, besteht darin, daß zwei Takte die leeren Quinten der Bratschen und Violinen probiert werden. Der dritte Satz: »In montibas s a er is«, bringt eine Art Wallfahrtsmnsik. Wie in Berlioz^ Pilgermarsch hören wir die psalmodierende Menge, am Schlosse klingen auch Glocken, und diese Anspielungen sind in fromme, sehr einfach volkstümliche Weisen eingewoben. Die Suite kommt mit dem Garnevale piemontese zu einem verhältnismäßig künstlerischen Ende. Während der Kom- ponist die Volksweisen der vorhergehenden Sätze kaum, daß sie hingestellt sind, mit neuen vertauscht, bemüht er sich, den teils stürmischen, teüs naiven Themen dieses Schlußsatzes eine Entwickelung abzugewinnen.

Der Piemont-Suite SinigagUas darf hier gleich eine zur gleichen Gruppe gehörige Suite eines zweiten Italieners an- geschlossen werden, es ist die sizilianische Suite von >iiM«»»6>*ri* Giuseppe Marinuzzi, die aus den vier Sätzen Leggenda Beul, di Natale, La Ganzone dell* Bmigranti, Valtzer campestre SiütJr ^^^ Festa populäre besteht. Es ist eine ebenfalls sehr melodienreiche Musik, sie bewegt sich aber auf einer höheren GesellschaftsUnie als das Opus des Piemontesen und hat vor ihm auch noch den Vorzug, daß die sizilia- nischen Weisen in Intervallen und Rhythmen viel mehr eigenen Charakter haben als die pieroontesischen. Auch Marinuzzi behandelt die Form der Sätze sehr einfach, aber nicht ohne Orinnalität. Der erste Satz z. B., der Weihnachtsmusik bringt, wechselt beständig zwischen frommem, gehaltenem Kirchenton und fröhlich bewegten Pifferarimelodien. Im dritten Satz, einem italienisierten Walzer, wirkt ein Frauenchor (unisono) mit

Hier muß auch, obgleich sie nur Bruchstück ist, die Hss^weiffltalienische Serenade von Hugo Wolf erwähnt itaUenisohe werden, die aus dem Nachlaß des zu früh gestorbenen '*'*^*^ Komponisten nach einer von Max Reger besorgten Re- daktion herausgegeben worden ist. Wie bedauert man,

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daß dieses Werk nicht über den ersten Satz hinans- gekommen ist, daß es Wolf nicht vergönnt gewesen ist, seine Kraft merkbarer in den Dienst der Orchester- komposition zu stellen! Die Zierlichkeit und Grazie italie- nischen Wesens ist nur selten so bestrickend in Töne gekleidet worden, wie in diesem Serenadensatz. An Echt- heit des Nationaltons kann sich Wolf mit Charpentier messen, er unterscheidet sich von ihm dadurch, daß er streckenweise das italienische Idiom vergißt und gut deutsch musiziert Dafür kommen aber, wie in der Solo- stelle der €e]los, Einfälle, die man zu dem Schönsten rechnen muß, was die heutige Musik hervorgebracht hat.

Unter den Werken, die aus der Masse der ethno- graphischen Suite herausragen, verdient mit besondrer Auszeichnung noch die Suite nach russischen Volks- Ksx Brvciis liedern hervorgehoben zu werden, die Max Bruch ^^Jf^,. als Opus 79 veröffentlicht hat. Ihre fünf, fast in der ™^"^^|J^**'*" Knappheit des 17. Jahrhunderts gehaltnen Sätze, erfreuen* ähnlich wie Sinigaglias Piemont-Suile durch die wirksame Auswahl der Originalmelodien, sie lassen aber in der Verwertung bei geder Gelegenheit, hier in der Anlage eines Schlusses, dort in der Einstellung eines Ostinato- Motivs, die Hand eines Meisters erkennen.

Auch die Maurische Rhapsodie En gelber tB.HoMp«rdtMk, Hu mp erdin cks gehört noch zu den interessantesten ***'*'**^* ^"P" Stücken der ethnographischen Suitenmusik. Nur ists sehr ' ^ schwer oder unmöglich, in rier Musik das zu finden, was die Titel der drei Sätze (1. Tarifa, Elegie bei Sonnenunter- gang, 8. Tanger, Eine Nacht im MohrenkalTee, 8. Tetuan, Ritt in die Wüste) in Aussicht stellen oder gar die Kompo- sitionen mit den vorgedruckten Gedichten Gustav Humper- dincks in Einklang zu bringen. Es steht in der Musik viel mehr und andrerseits auch viel weniger als in den Versen. So ist der erste Satz nicht bloß eine Elegie, sondern neben dieser gehen lustige Weisen einher, die ebenso- wohl liieder orientalischer Schwanke als Lust und Freude am Reisen und Genießen bedeuten können. Dagegen hat sich der Komponist auf die Punier und Golhen des Ge-

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dichts nirgends eingelassen. Erst in dessen Mitte kommen die Worte, von denen die Musik ihren Ausgang nimmt, sie lauten : Wie ist's so still, so öd* und «insam rings! Sie haben Humperdinpk zu der poetisch bedeutendsten Partie der ganzen Rhapsodie geführt, zu der schönen Einleitung durch ein unbegleitetes Violinsolo, das durch die Antwort des englischen Horns bald zum Duett wird. Auch originell ist diese Einleitung, denn, wenn auch die Anregungen zum Solo in Wagners Siegfried und zum Duett in Berlioz' Fantastique vorlagen, so hat doch Humper* dinck die Idee in neuer, selbständiger Form und so glück- lich verwirklicht, daß die Nachahmung durch andere, sobald diese Maurische Rhapsodie bekannt genug sein wird, kaum ausbleiben kann.

Der zweite Satz ist in der Hauptsache eine drollige Schenkenszene, die ihren Charakter durch das im zwan- zigsten Takte einsetzende Fagotthema erhält, zu dem sich bald Reminiszenzen aus dem ersten Satz gesellen. Ihnen treten in der Mitte des Satzes am vernehm- lichsten von der Oboe her schwermütigere Motive ent- gegen , die der Hörer auf das physisehe Elend der Ha- schischtrinker oder auf die traurige Historie der ganzen Rasse deuten kann. Die ernsten Töne, die hier nur epi- sodisch auftreten, beherrschen die ganze Physiognomie des dritten Satzes, bald mit kurzen, sinnenden oder klagen- den Motiven, bald. mit breiten edlen Melodien, die durch den Hörnerklang noch' besonders eindringen. Die Ein- leitung geht noch weiter und bereitet mit Rufen der Ver- wunderung, der Vereinsamung und des Wehes auf schwer melancholische Ergüsse vor, pariert werden sie durch die Motive des in der Oberschrift versprochnen Wüstenritts. Mit der Aufnahme von Wendungen des präch- tigen Violinsolos, das sie eingeleitet hatte, schließt die Suite. Besonders genußreich ist die Orchesterbehandlung und die Farbengebung der Komposition.

Neben diesen ethnographischen gibt es vor wie nach eine Reihe französischer Prograromsuiten,. deren Vorgänge und Bilder an keinen bestimmten Ort gebunden sind,

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sondern sich überall und nirgends denken lassen. Za den bekanntesten Stücken dieser Klasse gehören vor allem B. Godärds Scönes po^tiques, die, seit sie Franz B.'Godar«, Wfillner hier eingeführt hat, auch in Deutschland einen ^^"^3 großen Freundeskreis gefunden haben. Es sind kurze, ^^ ^*^' Pastorale Skizzen: »Im Walde«, »Auf der Flur«, »Im Ge- birge«, »Im Dorfe«. Ein anmutiger, kecker Jugendgeist, der in der Naturschwärmerei nur eine Gastrolle zu göben scheint, spricht daraus. Thematisch sind die kleinen Sätze loser und leichter als die der Bizetschen Suiten entworfen und durchgeführt. Ihr Hauptreiz liegt in der Sicherheit, mit der die Form behandelt ist. Das ist eine Anmut in jeder Wendung, eine vollendete Harmonie in den Maßen und eine Klarheit, die den Genuß wesentlich erhöht. Auch die Instrumentation trägt zu dem Gefühl, daß man vor einem in seiner Art vollendeten KiTnstwerk steht, viel mit bei. Der letzte Satz, bei dem die große Trommel be- deutend mitwirkt, ist der originellste und zeigt das eigent- liche Schelmengesicht des Autors.

Auch J. Massenets Seines pittoresques gehören J.Mmmii«!» hierher. Von allen Orchestersuiten, die dieser als Stütze ..?^***" der heutigen französischen Oper bekannte Komponist ^* ••q^es. geschrieben hat, sind die Seines pittoresques am meisten verbreitet; am nächsten steht ihnen die viersätzige Suite Bsclarmonde, die aus Stücken der Oper Esclarmonde zusammengesetzt ist.

Die Seines pittoresques beginnt ein Marsch mit fol* gendem pikannt nuanciertem Anfang:

AUegto moderato. ^.^

Der Autor zeigt sich nicht als großer Erfinder und nicht alft großer Geist, aber als ein Künstler, der den Effekt versteht und aufsucht. Die Perioden sind auf Ober- raschungen hin gebildet, das Verhältnis der Sätze ist auf Kontrast gestellt, und um einen wirksamen Gegensatz ziu bekommen, wird auch ein gewöhnlicher oder sehr ge-

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wohnlicher Gedanke mit in den Rauf genommen. Sehr hübsch ist es, wie Massenet das anmutige Motiv, mit dem der Marsch beginnt, immer wieder in den Satz einzuführen weiß. Hierin zeigt sich eine sinnige Seite seiner Begabung und ein hervorragendes formales Talent

Der zweite Satz, Air de Ballet betitelt, besteht aas zwei Teilen: In demi Hauptsatz (HmoU, Vs) trägt das Cello ein Solo vor, das als Ergänzung von Manricos Partie dem »Troubadoure als Ständchen einverleibt werden könnte. Der Mittelsatz bringt (in Gdur) eine von den bekannten Ballettszenen, wo die oberen Holzbläser eine einfache Melodie in Staccatonoten hinstellen. Man hört derartige Musik nicht, ohne daß vor die Phantasie die auf den Fußspitzen trippelnden - Ballerinen treten. Die kflnstliche Zartheit dieser Töne wird etwas grob an den Schlüssen von einem starken Tuttieinsatz des Streichorchesters unterbrochen. Im Cello gibt dann und wann der Sänger Zeichen von Ungeduld. Endlich ist das Ballett aus und der Hmollsatz kommt wieder.

Der dritte Satz, ein Andante sostenuto mit der Über- schrift An gel US, ist die Glanznummer der Suite, ein Stück großer Kunst, einfach erfunden und tiefer Wirkung .sicher. Es gleicht zur Hälfte einer Kirchenszene, in der fromme Weisen vom Priester zum Volke gehen. Alles er- innert an den Gottesdienst, der feierliche Ton der Themen, der Wechsel schwacher und starker Klanggruppen. Die leicht präludierenden Motive scheinen auf die Orgel hin- zuweisen. Zur Hälfte ist aber die Musik der Nummer Volksmusik, so vor allem die Motive im i^/gTakt. Beide Bilder schließen sich nicht aus, sondern daß des Volkes Stimme in der heiligen Zeremonie hörbar wird, hat der Komponist als den Gipfelpunkt der Szene gedacht. Der Schlußsatz, >F6te Boheme«, ist ein Ballettbild, wie es jedermann kennt. Eine große Menge Volks stürzt herein mit wunderlichen Sprüngen, dann tritt ein Solopaar heraus, und ihm folgt der Chor wie zu Anfang. Die Erfindung zeichnet diese Musik nicht aus, ihre Wirkung sucht sie in massigen Klängen.

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Von der jungrussischen Schule, deren Geist der alten Kunst nur wenig gewogen ist, hätte sich eine be- deutendere Förderung der Programmusik erwarten lassen, als sie bisher von dort tatsächlich erfahren hat Die wenif^en russischen Werke dieser Klasse, welche über den Kontment verbreitet sind, rühren von Rimsky-Korssakoff und von P. Tschaikowsky her.

Von Rimsky-Korssakoff ist es die sinfonische N. Blmtky. Suite »Scheherazade« (op. 36), die in leUterZeit hau- i^?'J"**f' figer gespielt worden ist. Der Komposition liegt als Pro- (Op'SS gramm ein Abschnitt aus »Tausend und eine Nacht« zu Grunde, die Erzählung von der Sultanin Scheherazade. Der Sultan Schahriar hat bisl^er alle seine Frauen nach der ersten Nacht ermordet. Scheherazade entgeht diesem Los durch ihre Erzählungskunst. Tausend und einen Abend weiß sie den Sultan durch ihre Geschichten immer wieder zu fesseln und nach dieser Zeit steht er von seinem blutdürstigen Plan ab. Rimsky-Korssakoff gibt in den vier Sätzen seiner Suite vier solche ErzählungsiJ>ende, am ersten wird die Geschichte von Sindbad und dem Meer vorgetragen, am zweiten die vom Prinz Kalender, am dritten die vom jungeu Prinz und der jungen Prinzessin, am vierten die von dem Fest in Bagdad und vom Schiff, das an dem Felsen scheitert. Aber man versteht seine Komposition nur halb oder gar nicht, wenn man ihre Bedeutung in der Wiedergabe dieser Märchen sucht. Das Hauptziel, das sich der Komponist gestellt hat, ist viel- mehr: die Charaktere des Sultans und der Sultanin zu zeichnen und die Wandlang zu veranschaulichen, in der das rauhe Gemüt des Schahriar allmählich der Grausam- keit entkleidet und mit Milde und Gesittung erfüllt wird. Rimsky-Korssakoff entfaltet bei der Lösung seiner Aufgabe eine stattliche Erfindungsgabe und ein großes Farben- talent. Seine Arbeit hat aber zwei Mängel, die vielen die Anerkennung ihrer Vorzüge erschweren: Maßlosigkeit der Formen und der Farben. Er kann sich häufig nicht entschließen aufzuhören, wo die Geringfügigkeit des Gegen- standes schon längst das Ende erfordert hätte, und er

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setzt eiuen schweren utid lärmenden Orchesterapparat in minutenlange Tätigkeit, wo wir überhaupt keine Not^ wendigkeit für das Auftreten rauher Stimmen einsehen können.

Der erste Satz hat eine kleine Einleitung, Largo maestoso, in der die Hauptpersonen des Märchens sich vorstellen: Schahriar gebieterisch, stolz, rauh und hart:

LUfO e HMauwo. ^ ff /> >. i-

die Sultanin behend, anmutig, tiebenswürdig und auch klug über lange Anschläge, verfügend:

Violine LeniO;_ji 8olo .^-^ jl.

Dann folgt ein AUegro non troppo l®/«, E dur), das das Sultansthema zunächst durchführt, p setzt es ein, als wenn Schahriar durch Scheberazades Erscheinung be- trofiten und in seinem Wesen umgewandelt oder verwirrt wäre. Nur mühsam gewinnt er die Fassung wieder. Ein forte in Edur bezeichnet diesen Augenblick. Noch einmal durchläuft er diesen Gemütsprozeß. Den zweiten Abschnitt markiert eine Modulation in Gdnr. Jetzt fängt die Sultanin zu erzählen an. Es ist die Geschichte von Sindbad. Daß sie aber nicht sonder- lich interessiert, sehen wir an dem etwas trok- kenen Thema: ^

wir sehen es noch deutlicher daran, daß es nicht benutzt, weitergeführt und entwickelt wird. Das Hom macht einige

473

Versuche, dem Sultan das Wort zu verschaffen, bald aber tritt Scheherazade in den Vordergrund des Bildes. Ihre graziösen Triolen von der Solovioline eingeführt, klingen schnell i^us dem ganzen Orchester. Das scheint don Sultan zu reizen. In aller Bedeutung, Wucht und Härte kommt sein Thema wieder. Ein breiter, im ff ausgehaltener Edur- akkord zeigt weithin, wer Herr ist. So wechseln die beiden Themen noch 5fter im Satz. Die Komposition gibt das Bild eines Paares^ dessen beide Teüe ihre Kräfte messen. Die Sultanin greift auch einmal wieder zur Erzählung. Der Schluß bringt die Sultansmelodie zart und leise.

Den zweiten Satz leitet in einem kurzen Lento wieder Scheherazade ein. Dann folgt in einem Andantino (8/g,Hmoll) eine Musik, die die Erzählung vom Prinzen Kalender bedeuten soll. Das Thema

Anda,iitiQO. A IIS

zeigt, was für eine Art Held dieser Prinz ist, eine ko- mische Figur wie Eulenspiegel und Don Quixote, und die Geschichten, die ihn behandeln, müssen lustig sein. Das Thema geht von einem Instrument zum andern, wir sind unversehens in einen jener bekannten russischen Varia- tionensätze geraten, die durch die Eintönigkeit so auf- regend wirken, als sich Schahriar einmischt: In mehrerlei

Gestalt legt ^ Molto modTato. ^ hnga

er Macht- £t i MJ^^^^Wf^^^^^ und proben ein "^^ "^-tJV* * "" " "" **5*v-J "

^ Aiiegro aoito.J.t44 ^ Sie werden aber

^^^^^jJ Jm Nt^jJ^ 1 genommen. Als die Klarinette in Form eines Rezitativs die Melodie der Snltanin gebracht hat, wird der Ton ausgelassen. Ein

^-f 474 «^

Vivace scherzando tritt ein, und In ihm finden wir das Schahriarthema in folgender Form

VlvAM acberaaiido. J*a 189

Eine Wiederholung des Klarinetten-Rezitativs bringt eine neue Wendung: Der s/g Takt mit der Musik zur ErzUiliuig vom Prinz Kalender kehrt zurück, und mit ihr schließt die Nummer. Kurz vor dem Ende kommt noch ein sehr schön berechnetes und gesetztes Homsölo.

Der dritte Satz, der die Erzählung von dem jungen Prinzen und der jungen Prinzessin bringt, ruht auf folgen- dem Thema

Andantino ^uaai AUegretto. W* s 62

i'lljj IlTl Hill. (I

das für die Gabe des Komponisten, anschaulich zu ge- stalten, das schönste Zeugnis ablegt. Wer den Tonfall genau ansieht, mit dem in den zweiten Takt eingetreten wird, kann kaum im Zweifel darüber sein, daß es sich bei dem Prinzen um eine richtige Kindergeschichte han- deln muß. Das angegebene Thema ist das einzige, und infolgedessen hören wir seine Motive sehr oft. Der Kom- ponist hat allerdings viel aufgeboten, die Wiederholungen nicht als solche erscheinen zu lassen. Die Farben wech- seln, die Modulationen unter den Kontrapunkten, mit denen er Neues zu bieten sucht, sind ganz verwegene. Die zweite Flöte bl&st einmal einen waluren Trommel- rhythmus. Auch die Pausen bei den Periodenschlüssen sind darauf angelegt, Spannung zu erzeugen. Erfrischend wirkt das Eingreifen der Scheherazade, die dem Ende zu ihre Melodie bringt und dann die Prinzenmusik eine Strecke lang in der Solovioline mit Arpeggien verziert.

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Der Anfang des letzten Satzes (AUegro molto) zeigt den Sultan In heftigster Erregung. Er bietet seine ganze Kraft auf, um sich Scheherazade gegenüber zu behaupten. Diese schmfiekt ihre Melodie mit den Künsten des Virtu- osen: das Violinsolo kommt in mehrstimmigen Satz. Ein noch heftigerer Ausbruch des Sultans antwortet. Nocli einmal erhebt die Sultanin ihre liebliche Stimme und be- ginnt dann sofort za erzählen. Es ist diesmal die Ge- schichte Tön dem Fest in Bagdad, dessen Bild die Musik auf Grund folgenden Themas entrollt:

vivo. Je 68

das sehr oft hintereinander wiederholt wird. Dann setzen Trompeten und Hörner ein, aufmerksam zu machen, daß sich etwas Außerordentliches begibt Die neue Erschei- nung stellt sich musikalisch vor als

So gewichtig sie ist, verschwindet sie doch bald wieder, und nun kommt eine sehr schöne Stelle: ein Abschnitt aus der vorhergehenden Nummer. Sind der junge Prinz und die junge Prinzessin mit auf dem Feste? Die Idylle entweicht, der Festtrubel wirbelt weiter in Bruchstücken und Umbildungen aus dem ersten Thema. Einmal (der Satz ist nach E dur gegangen) hören wir die Stimme des Sultans wie im Unmut über den Gang der Erzählung. Das ändert aber nichts am Plan. Das Thema bleibt, wird nur um vieles stärker vom vollen Orchester gegeben. Von einem Bdur-Schluß ab beginnt wieder eine Episode für die Messinginstrumente. Wieder folgt das mächtige zweite Thema, das woM das gefährdete Schiff bedeutet Smd der Prinz und die Prinzessin darauf? Ihre Musik folgt abermals diesem zweiten Thema, und daß Gefahr vor- liegt, zeigt die Trompete, die ohne Unterbrechung hoch*

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notpeinliche Rhythmen schmettert. Noch einmal geht sie vorüber tind das Pest beginnt wieder. Aber als das Thema nnd der Festtnmult am lantesten wird, da kommt die Katastrophe: das Schiff scheitert Die Trompete bläst wie rasend nnd das Schlagzeng tnt das möglichste. Ge- meint ist die Stelle ganz richtig, aber die Anfnahmefähig- keit des gebildeten Ohres bt vom Komponisten nicht richtig geschätzt nnd der Märchencharakter ebenfalls nicht. Nach jener entsetzlichen Stelle setzt ein 0/4 Takt ein, in dem Schahriar nnd Seheherazade einen Dialog aufführen. Des Sultans Stimme, die erst rauh einsetzte, wird sanfter und zarter. Träumerisch, mit Akkorden, wie sie ähnlich Mendelssohns Sommemachtstraum eröffnen, . klingt die Komposition so aus, wie sie begonnen hatte. Korssakoff kommt die Ehre zu, als der erste Russe eine wirkliche Sinfonie geschrieben zu haben. Sie wird allerdings selbst von seinen Verehrern abgelehnt*}. Da- gegen gelten in der Heimat des Komponisten die beiden Programmsinfonien viel, welche jenem ersten Versuch gefolgt sind: Sadko und Antar, jene dreisätzig, diese vier- sätzig. Antar fängt in neuester Zeit an, auch in Deutsch- land bekannt zu werden, in Rußland gehört das Werk zu den allerbeliebtesten Orchesterkompositionen. Es bietet Programmusik mildester Art Kiwiky- Wieder führt uns Korssakofi in die arabische Sagen-

^"^J^^JJ^J^jwelt, in den Kreis der Fabeln, die sich im Volk um i<^ ^' Antar, den Dichter und den geliebten Helden der Wüste, gebildet haben. Antar, einsam in den Ruinen von Palmyra weilend, sieht plötzlich eine Gazelle und gleich darauf einen Raubvogel, der sie verfolgt. Er tötet den Vogel, die Gazelle verschwindet Antar schläft ein und wird nun im Traum nach einem prächtigen Palast entführt, wo er seine Gazelle wiedertrifft, die nichts Geringeies war als die Fee Gul-Nazar, die Herrscherin von Pahnyra. Sie fordert Antar auf, drei Wünsche auszusprechen, und Antar wünscht sich 1. den Genuß der Rache, 2. unbe*

*) GtfMT Oai: La Masiqiie eu Ruasie. 1880, p. 130.

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dingte Macht, 8. die schönsten Freuden der Liebe. Als das Gldck der Liebe den guten Antar zu ermüden be- ginnt, tötet ihn Gul^Nazar mit einem Kuß.

Es handelt sich also bei dieser Sinfonie um poetische Vorwürfe, wie sie die Instrumentalmusik überall und zu jeder Zeit unbedenklich in ihr Bereich hat ziehen dürfen. Nur wer der Musik überhaupt das Recht und die Möglich- keit des Charakterisierens abstreitet, wird sich diesem Programm entgegenstellen dürfen. Denn es handelt sich in dieser Antarsinfonie um weiter nichts als um den Ver- such, durch Musik Vorstellungen vom Feenleben, vom Wesen der Rache, der Macht, der Liebe zu erwecken. Korssakofi hat sich diese vier Bilder als Träume Antars gedacht, begegnet sich demnach mit der Auffassung, in der Berlioz ii\ seiner Sinfonie fantastique die Schilderungen aus dem Leben eines Künstlers genommen haben wollte. Korssakoff folgt Berlioz auch in der Verwendung von Leit- motiven.

Am meisten bietet die Sinfonie von Korssakofi den liebhabem einer weichen, in zarten Tönen, süßen und schmiegsamen Harmonien schwelgenden Musik. Sie fin- den im ersten und vierten Satz edles, was sie erwarten dürfen, und es zeigt sich auch hier wieder, daß Korssakoffs Musik den schmiegsamen weiblichen Zug des russischen Nationalcharakters besonders stark und deutlich ausprägt. Auch der fast Blinde kann aus ihr sehen, was asiatischer Geist für das Zarenreich bedeutet. Die Schilderung der Rache interessiert durch Beweise guter, scharfer Seelen- beobachtung, das Bild der Macht überzeugt am wenigsten.

Der erste Satz beginnt mit einem Largo in Fismoll (C Takt], das in schwer beweglichen, schleichenden Motiven den ernsten, der Einsamkeit und Vergangen- heit lebenden, die Menschen meidenden Antar zu zeichnen sucht. imxw^^^^^^^ .

XSLit't^ iiii' n^ I Tr ii| Ti T I

Es kehrt, den schwermütigen Grübler zeichnend, in allen Sätzen wieder. Im Sinnen und Dämmern scheint

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die Phantasie des Einsiedlers auf die Sage von der Fee Gnl-Nazar zu stoßen, die Töne suchen ebe hoheits« volle, zarte Gestalt vor unser innres Auge asd stellen:

MjJ^ijjyJj L

Diese Weise wird das Leitmotiv der Königin in der

Sinfonie. Mit dem Eintritt des Allegro (D moll, s/4)

erwacht um Vl^x^ AntarLeben: ^•«'^ 5|^^

Vondemver. f^^^f ^f | zierungsrei- y ^ ^' ^ ' chen Thema ^

aus entwickelt sich eine breite, in einer gewissen tr&gen Munterkeit fortschreitende Melodie. Dreißig Takte lang liegen die HÖrner dazu auf Ä, die zweite Violine gibt einen Tambourinrhythmus. Korssakoff hat sich vielleicht unter dieser Musik die Gazelle seines Programms ge- dacht und dabei die Gelegenheit gern ergriffen, etwas orientalisch zu malen. Das volle Streichorchester bringt Aufregung in das Bild. Ober ein gewaltiges an- wachsendes Tremolo der un- ß ^ -i.—^— J ' tern Instrumente werfen die ff ^ J^^^^j^^^^ obern Violinen das Motiv y^**^ '*"*L-*'

unruhig hin und her. Bald ertönt schrill in den Bläsexn der Schrei des Raubvogels und treibt den ganzen Geigen- chor in einem wütenden Unisono in die Höhe. Ein kurzer Kampf, während dessen die große Trommel bebt, dann der entschiedne Streich in den Violinen: Das ist der Tod des Räubers, ein schwerer Seufzer in den Bläsern: als wenn der Druck sich löste, den die Gefahr in Antars Brust veranlaßt hat Bald dann kommt die Stimme der Gazelle und der Königin, wie sie ja zusammengehören, dicht hintereinander; die Gestalten scheinen sich in An- tars Phantasie zu vermengen. Er schläft ein, und nun tragen ihn die Träume in den Feenpalast, wo Gul-Nazar

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weilt lind seiner Wünsche wartet Ein zweites Allegro (Fisdur, Vs) be^nt. Sohatienhaft haschende Flöten- figuren, süß schneidende Geigenakkorde, das Hom mit langem, liegendem Tön darunter leiten es ein. Dann fängt der zarte weiche Reigen an, der von dem Thema

aus gebildet, den musikalischen Hauptinhalt der Nummer ausmacht Sein melodischer Teil erinnert an das schöne Stück von den Prinzenkindern , das Korssakoff in der »Scheherazadec gegeben hat Harmonien, Begleitungs- motive, Klangfarben alles strebt nach äußerster Zart- heit, und der Vortrag soll noch das übrige tun, dieses Ziel zu sichern. Ein gutes Orchester kann sich hier im Piano zeigeui In der Periodenbildung macht sich das Verfahren bemerklich, den thematisch melodischen Zu- sammenhang durch ruhende Akkorde zu unterbrechen. Das hebt den phantastischen Traumcharakter des Ton- bilds sehr wiri[sam* Die Wiederholungen, deren es sehr viele sind, reizender zu gestalten, hat sich Korssakoff kleiner Änderungen durch Verzierungen sehr wirksam bedient In der Mitte ungefähr, gerade als das Hom wieder das Thema des Feenreigens gebracht hat und die Harmonie ohne weiteres von Es nach E wechselt, tritt das Motiv der Königin ein. Bald darauf hören wir wie- der die Figuren, die den Kampf gegen den Raubvogel veranschaulichten. Das soll uns darauf führen, daß Gul- Nazar, die Königin, jetzt ihren Retter belohnt. Und er bedankt sich: das Antarmotiv folgt unmittelbar den Tö- nen, die die Königin bedeuten, und wird immer wiederholt, während der Reigen wieder aufgenommen ist Dann er- zählt die Musik wieder nur vom Schlafen und Träumen Antars und zeigt noch einmal, wie in seinen Gedanken die Figuren der Gazelle und der Königin durcheinander laufen. Unsre letzten Blicke fallen wieder auf die Ruinen von Palm^a, wo der einsame Antar das Abenteuer hatte.

4H()

>-^

hefti- CgwaniMn.)

gesAuf. *J«ltj}lt|| r fahren: jf

a^te

Der zweite Satz (AUegro, ^/s, Edur) gibt das Bild der Rache zuerst mit leisen. Motiven:

Allegro.

M l',l I Jlj|j J J J J J j I

^ So wühlt (in den Cellis), so

(in den Fagotten, Hör- nern, Posannen] brü- tet der Dämon. Dann Ist das noch Antar, der Grub- _ 1er? Mit ge-

steigertem Tempo geht die Rache nun zum Handeln über:

Holto AUegro. i^o*«»!.- « (Horner.) /(Oeni.)

Die Energie steigert sich zur Wut, fast bis zur Sinnlosig- keit; wild und diabolisch zischen versprengte Töne durch das Gewebe der Themen. In der Mitte des Satzes kommt das letzte Thema in langsamer Bewegung, als wenn An- tar, dessen Leitmotiv ihm angehangen ist, nach Samm- lung ränge. Dann wiederholt sich der ganze Prozeß des Anwachsens der Leidenschaft in verstärkten Graden; mit Zutat von neuen, anfeuernden Motiven gibt der Kompo- nist ein schreckliches Bild von den Qualen einer Seele, die die Herrschaft verloren hat. Der letzte Abschnitt malt Erschöpfung und Reue.

Der dritte Satz (Allegro risoluto alla Marcia, Vi» HmoU}, der Antar im Besitz der Macht zeigen soll, baut seinen Hauptteil auf das Thema der Hörner:

/"■^jJ l'ij'jiJ i<i;ij.J I' 1 1 Ijjj

das die Holzblä- ser mit leicht tän- delnden Motiven:

481

umspielen. Kraft und Frohmut spricht ans diesen Tönen, aber nicht was wir erwarten: Größe. Das Thema macht sehr bald einem andren Plats

^¥i7ir^Vfii ijii'JJi

von dem es allmählich fast ganz verdunkelt wird. Es wird auf Individualität und Rasse ankommen, ob man der Auffassung vom Wesen der Macht, zu der sich Korssakoff in dieser Komposition bekennt, beistimmt oder wider- spricht Sicher liegt nach dieser Darstellung der "Wert der Macht nicht in den Taten, sondern im Genuß. Und um sie von dieser Seite zu zeigen, hat Korssakoff das neue Thema mit Motiven des Scherzes und der Heiterkeit um- geben, die die Reize des Bildes bedeutend erhöhen. Zum Teil muß sein Charakter auch daraus erklärt werden, daß es sich um orientalische Anschauung handelt Antar und die Königin erscheinen in einem Augenblick beson- ders hoher Lust, den mächtige Trillerwellen, Violinen und Holzbläsern entströmend, bezeichnen.

Der vierte Satz, der das Walten der Liebe zeichnen soll, beginnt mit einem Allegretto vivace {^1%, Ddur), in dem wieder die hinabhüpfenden Flötenfiguren (wie im ersten Satz) an das Weben des Traumgottes erinnern. Dieses Allegretto geht nach 12 Takten bereits in ein An- dante amoroso Aber, das den Satz ausfüllt. Sein Haupt- thema ist die Melodik eines arabischen Lieds mit folgen- dem Anfang:

Aatfaitt«. QBDjglsflh Hörn«) _

Die Klarinette schließt mit

Vrettvehnar. FQlirer. I. 1

81

482

dajB ist also mit dinem Anklang an das Ailegro giöcoso des ersten Satzes. Das Liebespaar wird dann mosUcatiscb yervollständigt durch das zuerst von den Violinen ge* brachte Thema;

Bald sagen ans auch die Leitmotive der Königin nnd Antars, am wen es sich bei diesem Austausch zarter Gefühle handelt. Mit dem Eintritt des Animato wird das Spiel auf einen Augenblick von Leidenschaft erwärmt, dann zögernd. Der Stimme der Königin gegenüber ist die Antars kaum noch zu Vernehmen. Bin Tarotam- schlag, ein Glissando der Harfe, das ungefähr klingt als wenn ein Faden zerreißt •— und mit einigen Tönen, wie frommer Grabgesang aus hohen Sphären herabgehört, schließt die Sinfonie.

Diejenige russische Programmsinfonie, die sich am

meisten in den deutschen Konzertsälen eingebürgert hat,

f .Tickaikowikjiist P. Tschaikowskys »Manfred« (op. 68j. Sie will

Manfred. > vier Bilder nach dem dramatischen Gedicht Byrons«

bieten, wie auf dem- Titelblatt sieht

Im ersten Satsi haben wir uns Manfred zu denken, wie er im Gebirge herumirrt, von Seelenqualen gefoltert, gegen die keine Wissenschaft, keine HöUenkunst, keine Erinnerung hilft Die Musik beginnt mit einem Thema:

Lento Ingubr«. JsSO

in das sich heroischer Stolz und Schwermut teflen. Das ist das Bild des unseligen Manfred, cler einst so gev^al-

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tig, nun gebrochen dahinwankt und klagt. Für dieses Klagen hat der Komponiat ein ganz bestinimtes Motiv ins Tberoa eingesetzt Es erscheint da im ,fi i r n siebenten Takt, wird aber anch frei fflr y ^ I jj 8 sich in dieser ersten Form oder auch als: ^ f^ oderdrit« ^ , oder endlich in yerkürz-

tens ver- fb J jtJ. \ A^^AH^ ten Rhythmen verwendet, längert: '^ ^ Manfred mtiht sich seines

Elends Herr zn werden« Pas sagt uns die Fort* Setzung seines Themas die Kraft und ernstes Bestreben äußert und bald wird der Eifer, mit dem Manfred gegen

die Dämonen kämpft, noch größer. :^ Die Celli stellen mit dem Rhythmus JP ein Gegengewicht gegen Fagotte und Klarinetten auf, in denen das Seufzermotiv haust Diese Triolen werden von mehr und mehr Instrumenten des Orchesters aufgenommen, schließlich auch von ersten und zweiten Violinen. Mit ihnen kommt der Abschnitt zu "n k Die Kraft in einem schroffen Abschluß im ff\ * ^ ' Manfred hat sich gegen sein Leiden aufgebäumt Kurze Generalpause. Wieder setzt das Manfredthema ein, aber mit h^ eine Quint höher als beim ersten Male. Der ganze Vorgang wieder-, holt sich mit Steigerung. Das Triolenmotiv wandelt sich in eine Sechzehntelfigur, eine besondere Figur des Strebens

II ^11 -1 II *- r - ^f -^"^^ ^^^^ dazu; mit ihr ^ W J ^ jrL^ ' ^Bittrird die Erregung all*

^ gemein, am Ende (beim

Animando un poco) ein wahrer Tumult, und wieder ist das Resultat Sisyphusarbeit gewesen. Zum dritten Male setzt das Manfredthema, aber wie ein Schrei der Verzweif« lung fff (beim Piü mosso) ein. Die Trompeten führen, die Bläser stehen an der Spitze des Orchesters, die Vio- linen markieren mit dissonanten Tremolos emen Fieber* zustand. Manfred sucht diesmal die schlimmen Geister in seiner Seele durch Kraft und Trotz zu bannen. Hart stoßen die aus Liszts »Fauste und Berlioz* Fantastique be-

31

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kannten Rhythmen der Verwegenheit r-j dann j' j J darchsganze Orchester. Drei-,viermal: gar

Auf diesen Triolen rast die Mu^k einen Takt lang. Alle Instrumente schlagen diesen Rhythmus mit der äußersten Kraft an, das Tamtam fällt ein ; dann zittert der Zorn sogar in einem allgemeinen Sechzehnieltakt, wohlverstanden: nur Rhythmus in allen Instrumenten. Und abermals umsonst, Manfred kann es nicht zwingen. Da ist es denn rührend, wie er nach diesem letzten großen Mißerfolg (beim Mo- derato con moto] bescheiden und demütig, nicht mit dem herausfordernden breiten Thema, sondern mit der Fort" Setzung, mit den Motiven des Strebens wieder anfängt Den Lohn erhält er aus dem Munde des Horns:

poco creso. w

So ermuntert, nimmt Manfred den Kampf gegen die innren Feinde wieder auf. Die Motive des Strebens werden euer* gisch durchgearbeitet, in Nachahmungen ineinander ge- flochten und zu einem lebendigen Bild von Seelenkampf entwickelt Die ersten zwei Noten des Manfredthemas

sind auch darin als leidenschaft^ :^^ ;^^

lieber Wehruf, das Seufzermotiv .^ Q [ k T "F «to> kommt in den Hörnern in der Form IT ■=£=*=*=

Daß auch dieses Kampfes Ausgang nicht günstig, sagen uns die Motive des Trotzes und der Verwegenheit, «_ die am Ende des Abschnittes wieder hart als ' ^ im fff einsetzen.

Und nun kommen wir an die Mitte des Bildes, an die Stelle, wo der Komponist auf das Antlitz und in. die Seele Manfreds einige freundliche Strahlen fallen läßt Ein Andante beginnt Sein Hauptthema

. Aadanf. Jsee

führt die Qestalt Astartens vor Manfreds inneres Auge,

-^ 485 «-^

und der ErinneruDg an die Heißgeliebte gilt der ganze Abschnitt. In . _ nimmt er den

denBüdangen iW HtJ- JTl 1 -n Charakter eines um das Thema tf ^ "^ '#7 ^ ' -^ traulichen Dia-

logs an; freundlich erregte Klänge, die von entzückten Herzen erzählen, tönen dazwischen. Ss kommt eine Stelle (beim Poco piü animato) die mit dem Anfang

fii i'i '^iii I I II "fTiiri

etwas an Gou-

nod erinnert. Sie ^ (jj^ f

schließt dann ein- ty ^ *

fach mit Skalen : -^ •««•

Aber diesen Gängen hat der Komponist durch Gegenmotive und Harmonien eine solche Wärme gegeben, daß von Oieser Stelle aus ein Glänz auf die ganze Szene fällt. Nachdem das Thema derAstarte nochmals, aber nicht innigund schüchtern wie beim ersten Mal, sondern in Pracht und im Licht der Be- geisterung vorübergezogen, schließt die Stunde schöner Er- innerung mit ei- jülegro am troppo.' nem letzten Aus-; klang des Jubels: und der Freude: Mit dem letzten Takte kommt der erste Bote von den Qualen wieder, die Manfreds Gemüt bedrohen. Die Bratsche setzt diesen chromatischen Ton fort, und der Schlußteil des Satzes, ein Andante con duolo, das mit dem innren Gang der Musik das Tempo zuweilen etwas beschleunigt, empfängt uns mit dem Manfredthema, vpn Geigen, Brat- schen und Cellis unisono gespielt. Es klingt aber hier zunächst edel, gewissermaßen unter der Nachwirkung der vorausgegangenen Szene verklärt. Als es die Hörner aufnehmen, Geigen und Holzbläser mit wilden Trillern begleiten, wird sein Charakter dämonisch, und so schließt der Satz. Manfreds Kämpfen und Mühen war vergebens. Es ist dieser erste Satz der Tschaikowsky sehen Sinfonie der bedeutendste unter allen. In bezug auf die Form

0^

^^ 486 %^

zeigt er wieder des Komponisten anßergewfthnliche Ge- staltungskraft Sie erlaubt ihm, sich vom Schema zu ent-' fernen und frei neue Bildungen zu versuchen. Nichts von der Einteilung und den Elementen des üblichen So- natensatzes in diesem Stflck, keine Themengruppe, keine Durchführung. Dafür eine schöne Ireundlidie Szene als Mitte des Bildes, zu ihr hinführend eine Reihe von An- läufen, eine dämonisch qualvolle Stimmung zu über- winden, diese Anläufe ziemlich gleich in Material und Führung. Nachdem das Bild in der Mitte verhangen wor- den ist, werden die Vorgänge des ersten Teils gekürzt und gesteigert noch einmal vorüber geführt und zum baldigen Ende gebracht Auch was den Ausdruck-, den seelischen Charakter betrifft, muß dieser Satz hoch ge- stellt werden. Wenn es sich um eine Manfredk'omposition handelt, so kann keinem neuen Tonsetzer der Vergleich mit R. Schumann erspart werden. Denn seine Manfred- Ouvertüre ist ein Charakterbild, dem man nur wenig an die Seite setzen kann: Händeis Agrippina, Beethovens Coriolan, Wagners Faustouvertüre, Volkmanns Richard III. allenfalls noch. Schumanns Manfred hat Züge, die ihm ganz allein gehören; kein zweiter Komponist hätte solche Töne wie Schumann fQr den Geisterverkehr gefunden. Aber im allgemeinen behauptet sich Tschaikowsky neben seinem Vorgänger. Auch er hat ein ergreifendes Bild be- deutender Seelenzustände gegeben. Zeichnet Schumann die Leidenschaften, so enthüllt Tschaikowsky die Leiden seines Helden.

Die oft beklagte Ungleichheit in den Werken des hoch veranlagten Russen zeigt sich auch in seiner Manfred- sinfonie wieder.' Während der erste Satz eine bedeu- tende geistige Erfassung der Aufgabe bekundet, ist der Komponist dem Gegenstand im zweiten Satze nuTyäußer- lich näher getreten. Das Programm sagt: >Die Alpen- fee erscheint vor Manfred unter dem Regenbogen des Wasserfalls« und erregt damit die Erwartung wunderbarer und in Anbetracht der Gebirpnatur jedenfalls erhabner Erscheinungen. Sonst doch ein durchaus modemer Kunst-

/

487

ler, hat Tschaikowsky diesmal sich um . das gegebene »milien« wenig gekflmmert, sondern, nnt den Wasserfall und das Glitzern des Regenbogens im Kopf, im Haupt- satz eine Springbmnnenmusik gegeben. Dieser Satz von der Alpenfee ist eine Salonkomposition mit äußerst geschickter Orchestertechnik dorchgefährt und einiger- maßen von Mendelssohnschen und Berliozsch.en Ideen inspiriert, aber keine Tondichtung, die über das Alltäg- liche hinaushebt. Der Form nach gleicht er einem Scherzo. Die Bläser tragen den Häuptteil der Darstellung mit sprühenden und regsamen Sechzehntelmotiven. Sie führen auch in das Stück ein. Die zweite Flöte bringt das von andren Stimmen ziemlich verdeckte Hauptmotiv

VWaeaeoQ tplrlto. J*I20 ^^ d*S ^ den

I y I Geigen selt-

I ^ I sam und gro-

f ' *r^ tesk mit ei-

ner metrisch et- was verrenkten Oktaven figur:

begrüßt wird. Das Bläserthe- ma ergänzt sich

dann noch durch eine Figur, die das Phänomen des Flie- ßens vor ^^ ..^ ., DenBUdern

diiiPhan-=Jfci> flff.flf > ^P iffp||>jg|des beweg-

tasie ruft

ten Wassers

widmet sich dann der Komponist, nachdem die erste Themengmppe zweimal vorgeführt worden ist, für eine ziemliche Weile. Mit Bildungen, die auf dem Motiv

ruhen, zeigt er uns das Element im hüpfenden Zustand. Dann bringen die Celli vier ,^, ihnen nach die Brat-

schen und die an- dern Streichinstru-

Takte lang das Motiv

mente ähnliche Figuren. Das ist die musikalische Zeich- nung von den langhinströmenden und flutenden Wellen. In der größten Bewegung hält die Musik plötzlich ein, bricht auf einer Dissonanz (cM-e-^-A) ab. Bratsche und englisches Hom halten allein e%9 aus. Dann setzen die

-^ 488 ^^,

Geigen mit einer neuen, weit ausholenden Triolenfigur ein, die wie Verwunderung aussieht Bs'hat sich etwas er* eignet, was die Elemente stutzen macht: Manfred ist am Wasserfall erschienen. Wir erfahren das nicht aus seinem herrischen Thema, das die Sinfonie eröff- ^ ^^n-^ * nete. Nur durch das Seufzermotiv wird er £9$ j *Y|^fe vertreten. Es durchklingt, in der Form ^ p -*-^- und immer auf denselben zwei Tönen von der Oboe ge- bracht, einen längren Abschnitt, in dem.es ziemlich still hergeht. Nur ein leichtes Tremolo der Bratschen, dann der zweiten Violinen erinnert noch an das Wasserrauschen und an den Ort, an dem unsre Phantasie weilen soll. Allmählich wird die Wassermusik wieder deutlich.^ Der Komponist wiederholt den ganzen Hauptsatz mit Ände- rungen. Die Rollen sind vertauscht: Die Violinen haben die leichten Sechzehntel, .*— ^^^^^ _ Es hat sich

die Bläser die Ach-JLjLi f f f i p ^r- i,_^i über das telmotive. Ein nen-'ft^ L i ' l["^ij w«>«.,»«^np«^:

es Motiv tritt hinzu ^ bendurchdie

Seufzer des vorigen Abschnittes ein Schatten und eine Lähmung gelegt So hört es denn auch früher als zu er- warten auf, oben in den Bläsern mit schrillen Tönen, unten in den Violinen vollständig erstarrt. Achtundvierzig Takte lang spielen erste und zweite Geigen abwechselnd immer nur fis g; schließlich bleiben die ersten Violinen mit ihrem fia allein übrig. Die Stelle macht einen außer- ordentlich phantastischen Eindruck, der Einfall erregt große Spannung, zugleich aber auch ein gewisses ge- spenstiges Grauen. Da setzt denn nun, von zwei Harfen rauschend begleitet, die erste Violine mit folgender freund- licher Melodie

Mc0

ein. Es ist die Stimme der Alpenfee, die Tschaikowsky mit seiner Musik als eine Gestalt zeichnet, die ganz Güte und Liebe ist; Das Lied hat einen zweiten Teil, den

-^ 489 «^

ebenso wie den ersten die aufschlagenden Achtel als Ge- birgsmusik kennzeichnen. Der Gesang wird reichlich wie- derholt und dabei immer glänzender instrumentiert. Als ihn das Fagott eben durchgeführt hat, da setzt in Hom und Bratschen das Thema des unseligen Manfred ein. Manfred erzählt ja nach Byron der Alpenfee seine un- glückliche Liebe zu Astarte. Mit dem Manfredthema zu- sammen geht das Lied der Alpenfee immer weiter. Auch die Wassermusik wird wieder lebhafter, besonders an der schönen Edur-Stelle, wo die Saiteninstrumente die Mo- tive der Alpenfeemelodie in Gegenbewegung durchfahren. Die Homer haben einen weitern selbständigen Kontra- punkt dazu, und die Musik spricht hier mit glühender Wärme Mitleid mit Manfred aus. Die freundlichen Sorgen der Alpenfee schildert ein Abschnitt, in dem die hohen Bläser die Motive des Ddur-Themas mit den Bässen in Nachahmungen bringen. Es scheint aber nichts zu nützen. Der Satz setzt sich auf einen Asmollakkord fest, fängt an rhythmisch ähnlich zu rasen, wie wir es im ersten Satz erlebt, und bricht wie dort im fff mit dem Rhythmus j^ Darauf in großen schmerzlichen Re- des Trotzes ab : ^ * gungen Manfreds Thema in Violinen und Holzbläsern und ein Ende dieses Absatzes in Disso- nanzen (Q-dr»'k) und Verlegenheit. Aus dieser Situation helfen Celli und Fagotte mit einem neutralen Einfall fort

und hinein in die Wiederholung

^_ des Hauptsatzes. Sie weicht

^^^ von der ersten Ausführung am

Ende ab: Englisches Hom und Klarinette bringen noch einmal im weichen Ton das Manfredthema, und die letzten Takte haben nur noch einen Schimmer von Klang: Harfen und Violinen in hohen Trillem sind allein übrig geblieben. So wird der Ausgang des Satzes dem Wunderbaren der Szene noch schnell gerecht.

Wie Tscfaaikowskys Manfred im allgemeinen mit Berlioz* »Harold« wichtige Berührungspunkte gemein bat, so erinnert der dritte Satz insbesondere an die

490

Szene Haroldfi in den Abruzzen, wo die Lftndleute das drollige Ständchen bringen. Das Prograipm zu diesem Satze gibt an: 9Pa8toraIe. Einfaches, freies nnd heitres Zusammenleben der Gebirgsbewohner«. Den Pastoral- charakter * zu treffen brauchte yor allem einen o/g Takt, als Nachkömmling des alten Siciliano. Auch Tschaikowsky hat sich dieses gegebenen Mittels bedient und in ihm folgende Melodie an die Spitze seines Pastorale gestellt.

AndMiu con meto. *«48

Sie wird durch die begleitende Harmonie einiger- maßen gehoben und sucht auch des weiteren das Be- hagen an ihrer Sphäre durch künstliche Mittel zu steigern. Die Oboe moduliert nach ihrem zweiten Ein- satz bereits nach Hdur, und daran schließt sich ein Abschnitt, j, . ^ in dem die Stimmen um das Thema

kunstvolle Spiele (Kanons und freiere Nachahmungen) führen. Der Gdursatz wird darauf mit der Melodie in den Holzbläsern wiederholt. Als das Ende des Themas erreicht bt, kommt keine DarchfQhrung, sondern das Bild des Friedens und der Unschuld verwandelt sich. Eine neue ganze Gesellschaft tritt auf, bei der es aus einem andren Ton geht, nämlich:

Zu dieser Melodie muß man sich rustikale Quintenbässe (Fagotte) denken und ungenierte Reibungen in den Be- gleitstimmen, um zu begreifen, daß es sich jetzt um eine derbere Lustigkeit handelt. Allenfalls läßt das ja schon die rhythmische Hast des Themas ahnen. Es sind gewiß herumziehende Musikanten, die das kleine Sätzchen vor* tragen» Die Episode entfesselt aber einen Freudensturm bei

-^ 491 «^

der Hirtengemeinde. In einem HmolLsatz, der den Mittelteil des Pastorale bildet, kommt er zum Ausdruck, weniger in dem in einem grandiosen^ ^t , , ,— i—qn

unisono derStreieherSPy J U? fjj 1 f f f JJ^^ gebrachten Thema ^ '

als in der Begleitung, in dem lauten Ton, in dem sie ge- boten ist, und in den erregten Rhythmen, die immer aus einzelnen Stimmen oder ganzen Orchestergruppen da- zwischenfahren. Es schließt sich daran eine Durchführung des ersten Seitenthemas, das frfiher in Hdur erschien, nun in der Haupttonart Gdur gebracht wird. Es verliert sich in einen Schluß, der ähnlich gehalten ist wie der Aus- gang des zweiten Satzes: die ersten Violinen haben einen Triller auf hohem h, die drei Flöten umwinden ihn mit hohen Arpeggien. Der ungewöhnliche Klang soll hier auf Wunderbares vorbereiten. Das jetzt in den Cellis einsetzende Thema

' ^ fT^ g-T I '^ I P '^ "^ 11^^^ °^' ^*°° ®*"®° ^^"'*»

ü Ff i-j I -^ [ r ^^^^^ ^g einigermaßen

visionär, in einer entrückten Stimmung gedacht wird. Es ist Manfreds Traum vom Glück, ein Traum, zu dem er sich an den Bildern des ländlichen Friedens und Behagens be- rauscht hat Schon aber als die Bläser das Thema auf- nehmen, wird es getrübt und erregt, und trotz gewaltsamer Anstrengungen bricht doch Manfreds verzweifelte Stim- mung bald wieder und schauderhaft durch. Die Homer bringen das Thema, aber ohne den Anfang, gleich mit der resigniert herabsteigenden Wendung, und dann stehen sie festgebannt auf dem schließenden C, das 28 Takte hindurch unter wechselnden Harmonien immer wieder angeschlagen wird. Diese Beharrlichkeit wirkt religiös; in der Tat stimmt auch eine Glocke mit ein, und daß der ganze Vorgang das Herz Manfreds entlastet, zeigt die Melodie, die das Korn einsetzt, während die Holzbläser

-^ 492 «^

immer noch am C und den dazu gehörigen Melodien festhalten:

ii ^'^nllJJU3lc^uJlT ij ij

Sie erinnert an eine andre Hommelodie, die im ersten Satz der Szene vorhergeht, in deren Mittelpunkt Ästarte steht. Auch hier folgt Sonnenschein. Die Pastoralmusik aus dem ersten Teil der Nummer kehrt wieder, in der zweiten Periode, wo die Streichinstrumente das Thema nehmen, durch die Kontrapunkte der Bifiser in einen bacchantischen Charakter gewandelt. Der hohe Ton hält an. Nach einer Steigerung, die von Gdur nach Epioli geführt hat, tritt das Thema von Manfreds Glückstraum hinzu, ohne sich jedoch lange zu behaupten. Es wird still, das Hornthema erscheint wieder am Schlüsse mit Harmonien, die wie der Schatten des Abends wirken. Noch einmal blasen die wandernden Musikanten ihr Stückchen. Nur aus der Ferne aber wird ihnen gedankt; leise und immer leiser klingen froh bewegte Figuren aus den Violinen, aus den Holzbläsern Abschieds- grüße ein letztes Anspielen des Pastoralthemas wie Einschlafen, und alles ist aus!

In seinem Schlußsatz hat sich Tschaikowsky die Aufgabe gestellt, den unterirdischen Palast Arimans zu schüdem. Manfred erscheint inmitten des Bacchanals. Der Schatten des Astarte wird beschworen. Sie ver- kündet ihm das Ende seiner irdischen Leiden. Manfred stirbt Durch dieses Programm erklärt sich der Kom- ponist abermals als einen Schüler Berlioz*, der seinen Harold gleichfalls unterirdisch und bei einem Bacchanale zu Qnmde gehen läßt. Und Tschaikowsky zeigt sich auch in der Ausführung dieser Idee von dem Franzosen beeinflußt, namentlich darin, daß er aus seiner Dar- stellung die Grazien ganz und gar verbannt. Von Gluck

493

und Wagner hätten diese Programmusiker lernen können, daß die Hölle durch ihre zarten Künste am verführerisch- sten ist und die größte Gewalt über die Geister übt Ein gewaltsames, .„_^ «««#..««• J •** Es wird

, ... ® *• 1 j \ Aliagro coD fuoco. J a 144 , ^

heftig anffahrende8'^.^^^^Z- .\ -*,-fffr '^*'*"6 ^^^ Thema kennzeichnet ji^ün £~y I f f "U^ ' i leinam gei-»

das Reich Arimans^ J^ sterhaften

Nachgesang der Bläser

begleitet, dem folgendes

Motiv SU- Grunde liegt:

Wenn es in ^^ folgen ihm

m der Regel lär- mende Kontra-

verkürzter Ge- stalt erscheint: punkte, größte Erre- gung hervorrufend die grimmige Baßfigur: Für den ganzen Teil, der der Schilderung der Arimanschen Herrschaft gewidmet ist, hat der Komponist Ungestüm und Heftigkeit als kennzeichnende Merkmale gewählt Daher die immer neuen und immer kurzen Anläufe, auf Grund des Themas größere Sätze zu bilden. Bald geschehen sie in Fugenform oder in andren Arten der Nachahmung, bald mit Verlängerung, bald mit Verkürzung der Anfangsnoten, bald mit gefaßten, bald mit wilden Kontrapunkten. Diabolischer wird die Szene mit dem Auftreten der Trompetenvariante:

■Pftrf tfr- II _ i Geigen und Flöten

;j"iln uj I p I Jffjhj IJ li^Tb^i umtrillern sie wie JBT ' * ^fi^v^ rasend, brutale

Stöße der Hörner antworten darauf. Der Lärm wächst von allen Seiten, die Trompete feuert in gemeinen Rhythmen an, und endlich macht sich das animaUsche Behagen dieser Gesellschaft in einem Reigen Luft, zu dem Englisch Hom, Baßklarinette und beide Fagotte folgende Weise aufspielen:

^M

Sie wird sehr breit ausgeführt, mit Freuden gehört und

(T

--• 494 •--

begrüßt, leidenechaftlich von den einzelnen Gruppen flbernommen und mit Verzierungen verseben. Plötzlich die Violinen liegen anf g bricht die Szene ab. In einer Umbildung läßt sich das Manfredthema in den Bässen hören. Das Bacchanaler ist damit zu Ende. Ein Lento setzt ein. Geheim- ^ ^ nisvoll beginnt ein leiser ^Ifj} ■■ \%^ \\^ \ tä^ Salz auf chromatischem Motiv « "

ihm folgen feierlich schrecklich laute Bläserakkorde. Und nun tritt Manfred wirklich auf in seiner edlen Art mit den Motiven des Slrebens. Ihm stellt sich Äriman entgegen mit einer Fuge über das erste Thema deil Schlußsatzes, dem aber ein etwas verworrener Abschluß gegeben ist Die Musik des Bacchanale tritt dazu, bald werden beide The- men verbunden. Ariman zeigt sich in dem höchsten Glanz über den er verfügt; der Lärm ist betäubend genug. Da kommt plötzlich wieder eine jener naturalistischen Stellen, wo das volle Orchester nur Rhythmus gibt. Hier ruht es Takte lang auf Triolen. Im ersten Satz verwendete Tschaikowsky dieses Mittel, um extremste Gemütszustände Manfreds, die Augenblicke der tollsten Verzweifelung zu bezeichnen. Auch hier gilt es wieder Manfred. Die Trompete meldet ihn an, und bald erscheint, ein wenig beweglicher gehalten als im ersten Satz, sein Thema in einem Andante, von der Gesellschaft Arimans mit Staunen empfangen. In einem Adagio, an das wir kurz darauf gelangen, hören wir die Klänge der Liebe zart wieder, die dem Mittelteil des ersten Satzes sein schönes, inniges Gepräge gaben. Astarte wird angerufen ; sie kommt und mit ihr ein großer Teil von den besten Augenblicken des Werkes. Wir durchleben, nur gedrängter, noch ein* mal die ergreifende und erwärmende Szene, die dem ersten Satz der Sinfonie seine Herzenstöne gab. Auch das Andante con duolo, das dort der Szene der Er- innerung an Astarte folgte, kehrt wörtlich wieder, bis beim Allegro die ^APegro. Das ist die rauhe Hand

Bässe ein neues "JVAA S^ ^^^ Todes, Noch ein Motiv bringen : jJJT fri^^ kurzer heftiger Kampf^

-^ 496 ♦^

dann f&Ut die Orgel ein wie in Liszts »Fanst« als Stixnme des Himmels: Manfred ist erlöst In einem feierlichen, von milder Schönheit erffllltem Largo wird ihm ein tröst* liches und friedvolles Requiem' gesungen. Einigermaßen stimmt es im Ton mit dem Ende von RxilTs »Lenorec überein. Durch den schönen versöhnenden Abschluß unterscheidet sich das Finale von Tschaikowskys Man- fred vorteilhaft von dem des Berliozschen Harold.

Nach diesem »Manfrede weicht auch bei den Russen die mehrsätzige Pro^ammsinfonie der s. g. sinfonischen Dichtung. Unter den Nachzflglem ist Felix Blumen-F«BUs6iMd, felds »dem Andenken der Toten« gewidmete Sinfonie •^®™^f««*^«'» (in C) bemerkenswert ^ ^•**'*

Von Haydn ab blieb bekanntlich die Sinfonie den Deutschen ziemlich allein überlassen. Nur ,die Franzosen stellen in längeren Abständen einzelne nennenswerte Mit- arbeiter, wie Gossec, M^hul, Berlioz. Nach Analogie der Entwickelung, welche die Vokalmusik, zuletzt noch in der Oper, genommen hatte, war anzunehmen, daß eines Tages auch die Geschichte der Sinfonie wieder den inter- nationalen Xlharakfer tragen, und daß der Wettstreit der Nationen sich auch dieser Kunstgattung bemächtigen werde. Nach 80 Jahren trat diese Wendung endlich ein. Doch erfolgte sie mit einer ebenso wichtigen als über* raschenden Nuance. Die neuen Sinfoniker kamen nicht aus Italien, sondern aus Ländern, welche sich an der höheren musikalischen Kunstarbeit bisher nicht beteiligt hatten. Sie brachten neue Weisen, neue Klänge, einen ganzen Schatz von Naturmusik mit, für welchen die Stimmung durch die Arbeit der Romantiker aufs günstigste vorbereitet war. Mit den Progrnmmsinfonien teilen die nationalen das realistische Element in der Darstellung; der pathetische und hochdramatische Zug ist ihnen, bis auf einzelne neueste Ausnahmen russischer Herkunft, fremd. Ihr liebstes und eigentümlichstes Gebiet ist das Genre.

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_^ 496 ^>>-

Das erste Interesse für die Musik der sogenannten Nebennationen erwachte schon am Ende des achtzehnten Jahrhunderts. Noch ehe Herders »Stimmen der Völker« erschienen varen, lenkte Delabordes »Essai snr la musi- que etc.« die Aufmerksamkeit der gebildeten Mnsikwelt auf die Gesänge und die Tanzweisen der bisher musi- kalisch unbeachtet gebliebenen Nationen. Die Allgemeine Musikalische Zeitung verfolgte auf Anregung des Abt Vogler, des Lehrers von C. M. v. Weber und Meyerbeer, vom Anfang ihres Bestehens (1798} alle Erscheinungen auf diesem Gebiete, die Sammlungen und die Berichte. Die wesentlichste Beachtung erregten die Skandinavier. Bei ihnen nahm die Pflege der alten Nationalweisen zu- erst wissenschaftliche Formen an, und sie lenkten diesen Schatz zuerst in das Gebiet der Kunst hintlber. Kuntzen, Weyse, P. E. Hartmann schrieben die ersten dänischen Opern, Opern, in welchen der Stofit der Handlung und ein Teil der Melodien vaterländisches Gut waren. 1832 tratP. Hartmann auch mit einer Sinfonie, Gmoll, hervor, die u. a. Franz Lachner sehr beifällig beurteilte*). Hier- durch angeregt und ermuntert, komponierte der junge Däne Niels G ade seine berühmte Ouvertüre »Nachklänge aus Ossian« , welcher i. J. 1843 schon seine noch heute N. Gftd«! bedeutende G moU-Sinfonie folgte. ^In dieser Sinfonid Cmon.Sinfonie.f|^jj^en die Kenner und die Freunde der nordischen Poesie den Geist der Frithjofsage und der Edda wieder. Sie er- schien ihnen wie ein nordisches Musikepos, welches von den alten, gewaltigen Recken und ihren Kriegen und Siegen, von schlichten Jägern und Hirten und ihren naiv frohen Festen, von einer Natur, welche unter unschein* barer Hülle intimen Reiz barg und von freundlichen Elementargeistem belebt war, erzählt Wie der Stoff neu und poetisch, so war die Darstellung liebenswürdig. Das nordüsche Element drang sich nirgends äuBerlich aui^ technisch blieb es in einigen düsteren Balladenmelodien

*) Angui H&mmerich: J. P. ß. Hartmann (Sammelbünde der IMG., II. Jahrg. S. 460\

497

und in kurzen Dialogen der Bläser versteckt. Im Stile der Komposition begegnete man dem romantischen Cha- rakter der Zeit. Es war ein schöner menschlicher Zug in ihm, daß er der begeisterten Schilderung einen weh- mütigen Ton beimischte, einen Ton, welcher der Trauer darüber Ausdruck zu geben schien, daß jene Welt, die in der Tondichtung mit ihren Göttern und Helden auf- lebte, in Wirklichkeit längst dahingegangen war. In diesem Sinne beginnt der erste Satz der Sinfonie mit einem klagenden Prolog: Ein melancholischer Flor liegt über der liebevollen Melodie, die wie aus der Ferne wäh- rend der Einleitung durch die Instrumente zieht.

üoderato. Viol.

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Dann aber ergreifen die

Wort und leiten eine - Szene ein, in der sich rauhe Kräfte machtvoll regen. Das Thema

AUcgIO. i B1S4W ^ J "^ J

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^ ,-!■,, durch mehrfache Wiederholungen ge- steigert, bildet den Hintergrund des Bil- des : Der Held tritt auf mit seiner Schar :

„-^ Die Gestalt ist

= uns aus der ~ Einleitung be-

Allogrg. ^„-^ ^—^

kannt; nur kräftiger und fester steht sie hier vor uns. Mit diesem einen Thema hat Gade den ganzen Satz bestritten, bald rückt er ihn in die Feme, bald in einö düstere, bald in eine freundlichere Beleuchtung, wendet ihn hier ins

Kratztchniar, Führer. I, 1,

32

498

Träumerische, dort ins Heroische. Itur während der kurzen Durchführung, in welcher der ^1^ Takt der Einleitung wie- der einsetzt, tritt ein: freundlichsinnendet Nebengedanke ein:

Als zweiter Satz folgt ein Scherzo (G dur, 0/a Takt}. Das Thema hat in der ersten Hälfte nur rhythmisches Leben: Melodielos, fassungslos vor findiger Aufregung, rollt es in schnellen Achteln dahin die zweite Hälfte bildet ein keckes Zitat aus dem Hochzeitsmarsch der > Sommern achtstraum «-Musik. Auch im Trio begegnet sich Gade mit Mendelssohn. Seinen motivischen Inhalt bildet vor- wiegend eine jener schattenhaft dahinhuschenden Figuren, dieMendelssohn vivaea. in den phanta- ■j>-j stischen Sätzen W^ einbürgerte : ''• v»®*- ^ ^^^^

Der Nachsatz treibt ein anmutiges Spiel mit Motiven, die der Natur abgelauscht zu sein scheinen:

«t«.

Der Kern des dritten Satzes (Andantino grazioso, Fdur, 8/4) ist der Gegensatz zwischen Ernst und. Freund- lichkeit, die Hauptperiode verkörpert ihn folgendermaßen :

Andantino.

Die kurzenZwischensätze, welche die Wiederholungen dieser Hauptgruppe auseinanderhalten, habenden oben berührten klagenden Charak- - ^'•

ter und ruhen auf ff ^ ^ j I ^^ I j; '^\ j j IjJ \ folgendem Motive: p ^^^/^ ^ ^

Ein Triolenrhythmus, welcher zuerst in der Cellofigur

1^ auftritt und dann durchgeführt ^fa wird, wirft in die zweite Hälfte des SatzeshellereLichter hinein

--# 499 ^^

Der letzte Satz beginnt mit einem wahren Frenden- alarm. Mit aasgela»* möUo AU«gTo. Im breiten

senen Dissonanzen j{ ^ J»l J j^ J J J BJS Behagen setzt das Tutti ein: ff ■" "^ ' " ' " " * ** wiegt essich J I J j [ J j I - fast endlos, wenn die fröhliche, in " ' " ' ' ifc den Eingangstakten auf den Anfang der Sinfonie zurückgreifende und ein Schobertsches Ge- sicht tragende Hauptmelodie angestimmt werden soll:

Der Satz ist an selbständigen, schönen Themen überreich. Mit b^8onderer Wucht macht sich folgende Melodie der Bläser geltend:

i*^fjT\\\ 1 II n.tii^^ri' jT I

die das gesamte Streichorchester mit breit ärpeggierten Akkorden wie mit mächtigem Harfenklang umrauscht. Die außerordentliche Inslrumentierungskunst, welche Gade in der ganzen Sinfonie beweist, feiert hier ihre stärksten Triumphe. Wenn die Trompeten ihre fröhlichen Signale in die glänzend kräftige Szene hineinwerfen, welche um den eben skizzierten Gesang sich bildet, da steht Bärgers »Lenore« vor uns: »Und jedes Heer mit Sing und Sang ~ Mit Paukenschlag und Kling und Klang Geschmückt mit grünen Reisern Zog heim zu seinen Häusern !c Besonders sinnig empfinden wir es, daß das Heldenthema aus dem ersten Satze der Sinfonie in das Finale hinein- gezogen worden ist. Daß die Menge des poetischen Stoffes in diesem Schlußsätze picht ganz bewältigt worden ist, läßt sich nicht verkennen. Auch die anderen Sätze kann man formell vollendet nicht nennen, besonders das Scherzo ist unverhältnismäßig breit. Doch aber bleibt der Sinfonie ein mächtiger Zug in der Gestaltung und in ihren nordischen Melodien und Motiven ein originelles Element von sicherer und großer Wirkung.

32*

-^ 500 #—

N. Gade, Unter deii übrigen Sinfonien Gades' -- es gibt im

B darSinfonie ganzen acbt ist die vierte (in B dur, 1851 veröfifentlicht) die verbreitetste. Ihr Scherzo es hat einen Spohrschen Zug im Hauptsatz und zwei allerliebste volksmäßige Me- lodien als Trios ist der beliebteste unter den vier Sät- zen. Im ersten Allegro tritt das scherzende Seitenthema :

^^^ /j^ ^ und die schel-

' * vor der letz-

^ ^^ . trete. -— ~ tiou des kräf-

tigen Hauptthema, im letzten Satze das rezitativartig, zögernd und fragend in den Violinen beginnende zweite Thema hervor:

TTf-N

Es sind die wirklich eigenartig gedachten Stellen der Sin- fonie. Das ganze Werk ist von dem abgeklärten Geiste milder Anmut beherrscht und formell eine der reifsten Arbeiten der neueren Komposition. Gleichwohl steht sie an geschichtlicher Bedeutung hinter der weniger abge- rundeten G moll-Sinfonie Gades über allen Vergleich weit zurück. Denn in der späteren Sinfonie ist Gade ein her- vorragender Vasall Schumanns und Beethovens, in jener ersten aber erscheint er als die Spitze und der Führer einer neuen Epoche. Jene C moll-Sinfonie gab der höheren Instrumentalmusik Impulse von jgrößter Bedeutung. Sie lenkte mit frischer Schärfe den Blick auf die nationalen Lieder und Tänze, und bewies, daß dieser Schatz auch für die großen Formen der Komposition nutzbar gemachf werden könne. Sie appellierte an die Heimatsliebe der Tonsetzer in allen Ländern und leitete eine Bewegung ein, die jedenfalls zu den wichtigsten Erscheinungen der

_^ 501 «--

neueren Musikgeschichte zählt. War diese Bewegung im Liede, in der iüaviennusik (Field, Chopin), in der roman- tischen Oper Webers, Boieldieus, Aubers auch schon vor- bereitet, so gebührt Gade doch das Verdienst, sie auf das wichtige Feld der Sinfonie gelenkt und da in Fluß gebracht zu haben.

- Wir haben heute eine Reihe solcher auf nationalen Elementen ruhender Sinfonien und sinfonieartiger Werke, von denen einige auch im Repertoire Fuß gefaßt haben. Der dänischen Schule gehört zunächst Emil HartmannEnU Hartuftnii. an, dessen Es dur-Sinfonie in Stil und Stoff unm|tielbar an Gade anschließt. In denselben Kreis sind auch die schon erwähn teji Nordischen Suiten von A. HamerikA.Hftmertk. zu stellen, welche allerdings mit Mendelssohnschen, Wag- nerschen und anderen Elementen stark gedrängt erschei- nen. Ein Positives besitzen sie in ihrem eigenen Klang- leben, und dem Verständnis kommen ihre Überschriften entgegen. Weniger bekannt geworden sind Hameriks Sinfonien, gleichfalls fünf, wie denn überhaupt von der fleißigen dänischen Smfoniearbeit des letzten Menschen'- alters nur wenig über die Landes^renzen hinaus ge- drungen ist. Die Hauptkomponisten sind: P^ter Heyse, P. H^yie« Aug. Winding, Otto Mailing (jeder hat eine D moU- a. Wl««»». Sinfonie veröffentlicht), Lange-MüUer (Herbst-Sinfonie, pj J."}."!! ;.MiiUei Alhambrasuite), Victor Bendix (Sinfonie »Zur Höhe«, viBendlz. Sommerklänge aus Südrußland, Amoll - Sinfonie), Louis l. gia6. Glaß, Fini Henriques, Axel Schiöler (Sinfonie Es. f. Hearfqmei. Sinfonie Napoleon Bonaparte), Ludolf Nielsen, CarlJ-Srhisur. Nielsen und A. Enna (Märchen, sinfonische Bilder)*). JlJjJjJJJJ; Verhältnismäßig am meisten sind davon die A molI-Sin- a] bbb«. * fonie von Victor Bendix und »die vier Temperamente« von Carl Nielsen beachtet worden.

Die Sinfonie von Bendix ist im Sinne Philipp Schar- V. Bendix, wenkas eine Sinfonia brevis, sie besteht nur aus dreiAmoll-Sinfonie. Sätzen und schließt mit dem in rührender Resignation (Op.26.)

*) N&beres in: Walter Niemann, Die Musik Skandi- naviens. 1906.

-^ 502

gehaltnen langsamen Salz. Das beste und erfreulichste Stack des Werks ist der zweite Satz, ein buntes Scherzo, das den Niederschlag von Landluft und Volksleben, der sich durch die ganze Sinfonie zieht, besonders reich ent- hält Hier kommt auch der kräftige und kühne Teil von Bendix klar zur Geltung. Der erste Satz zeigt ihn stark im Bann Mendelssohnscher Romantik, c. Nieltea, C. Nielsens »Vier Temperamentec, einer der zahl-

Vler Tempera- reichen dänischen Beiträge zur Programmusik, behandeln ^^ ein Thema, . das schon bei den Anhängern der Gattung

im 18. Jahrhundert beliebt war, weil es sich wirklich musikalisch bewältigen läßt und weil es für einen Kom- ponisten, der über scharfe, charakteristische Erfindung ver- fügt, zu den leichten Aufgaben gefiört Dieser Voraus- setzung wird Nielsen im ersten Satz, wo er das Wetter- wendische und Jähe im Wesen des Cholerikers vorzüg- lich getroffen hat, vollkommen gerecht, auch das Bild des t^hlegmatikers mit seinem Mangel an Beweglichkeit und seinem -Behagen am Beschränkten darf auf allge- gemeinen Beifall Anspruch machen. Dagegen läßt die Auffassung des Melancholikers und des Sanguinikers die sichre Beobachtung und die Energie in der Wiedergabe vermissen.

Die dänische Musik hat in Männern wie Winding und Mailing noch reichere Talente. Wenn von ihren Sin- fonien das Ausland gar nicht erst Notiz genommen hat 80 erklärt sich das daraus, daß schon bald nach den Erfolgen Gades die Nachbamationen der Dänen den Wett- bewerb um die Vertretung des nordischen Elements in der Tonkunst aufnahmen: Schweden, Norweger, Russen, Finnen. Von diesen Ronkurrenten gewannen die in allen Künsten regen Norweger für längere Zeit, dank den Ar- beiten Svendsens und Griegs den Vorsprung.

Jener hat die ersten Norwegischen Sinfonien ge- schrieben, dieser seine Heimat in der Klaviermusik, im Lied und der Orchestersuite aufs glänzendste vertreten. Die von ihnen geführte »jungskandinavische Schule« hat sich zum Teil in bewußte Opposition gegen die sanftere

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Weise der Dänen gestellt, zjam Teil aber beruht die Ver- schiedenheit beider Schulen auf den benutzten Quellen. Pie dänischen Volksweisen haben vorwiegend einen ernsten und strengen Charakter; in ihrer technischen *

Struktur sind sie jedoch vorwiegend abendländisch. Die skandinavischen Melodien hingegen, an welche Grieg und Svendsen anknüpfen, weisen auf ein fremdes Tonsystexn hin, das sich abseits des großen europäischen Runst- stroines entwickelt hat. Stellt man sie, wie es die ge- nannten Tonsetzer tun, in unser bekanntes Harmonie- gebäude ein, so zwingen sie zu einer freieren Behandlung der Dissonanz, zu manchem grellen Wechsel zwischen Dur und Moll und zu Akkordfolgen, welche uns unge- wohnt berühren. Sie repräsentieren eine eigentümliche Empfindungswelt, in welcher das Träumerische einen breiten Raum einnimmt. Ein starker Schatten von Me- lancholie liegt in der Regel auch noch über den kurzen , Tanzweisen, an welchen der norwegische Tonschatz be- sonders reich ist. Sie bilden Idyllen, in welchen zu dem ergötzlichen Moment auch ein rührendes hinzutritt Es liegt in der Beschränktheit der melodischen und rhyth- mischen Kreise, in welchen sich ihre Munterkeit bewegt In diesem Punkte berühren sie sich mit der slavischen Volksmusik.

Svendsen gibt namentlich in seiner Ddur-Sinfo-j. s. gTABdMii, nie bezeichnende Proben von den Formen und auch ^ <J»'-Siafonie von der Seele seiner heimatlichen Volksmusik. Das ^^' *^- Uauptthema des ersten Satzes ruht in seinem Grund- motiv auf einer XoUo AUee^ro. kurzen skandina- j^^ if. f p f | f p ^ ^' P f 1 1 f=^ vischen Tanzweise: **

Das zweite Thema, eine suchende und sehnende Gestalt, bildet gegen die drängenden und heftigen Elemente dieser fröhlichen Melodie einen sehr starken Kontrast Es be- steht nicht aus einer einfachen Melodie, sondern aus einer Gruppe melodischer Sätzchen, unter denen das Motiv

für die Entwickelung des Satzes die Hauptrolle übernimmt. Der

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I

Entwurf des Satzes zeigt großes Naturtalent, besonders Geschick fOr Kontrastwirkungen, aber, mit Ausnahme das Kolorits, nur eine geringe Kunst. Heute ermüden uns die ewigen Wiederholungen unanfgelGster Septimen und andrer skandinavischer Eigenheiten.

Ähnlich ist es mit dem Andante der Sinfonie, ob- wohl es in Andaate. ^ ^und in etli-

dem Haupt- jfiV j} J J U J ^ ^ ^' ',h-^ ^ -^ ^^^^^'^ seiner thema: ^ ~ v * ^-*ic=:: ==.i " ^^' Variationen Stellen von besondrer Schönheit hat. Der lebenskräftigste Satz der Sinfonie ist der dritte, ein Allegretto scherzando, einmal weil er in i , i ^w. und The-

Motiven:

semen

men:

^ *i^* ^^ . ^^^ den nordi-

und ^Trr, j lljf-f |-f I f |ttC:£ffe8chenCha- ^^ rakter am

entschiedensten ausprägt, dann durch die Festigkeit, mit ' welcher der Komponist die zahlreiche, bunte Schar der Einfälle rondomäßig zusammenhält Damit bietet Svend- sen eine unerwartete und exemplarische Probe von Form- beherrschung.

Das Finale beginnt mit einer Einleitung. Alle The- men sind nordisch. In der Durchführung überwiegt die Arbeit die Phantasie. Ein sehr schöner Moment der In- spiration ist der Eintritt des zweiten Themas. Er gebietet den Wolken, und siehe: es erscheint ein freundlicher Stern. Daß dieses zweite Thema nichts anderes ist, als die Melodie der Einleitung, nur in schnellerem Gang, hebt nur die Wirkung, j. s. SrfBdueii, Die zweite Sinfonie Svendsens (B dur) beruht auf Kdur-Sinfonie. einem tieferen Stimmungsgrunde als seine erste. In allen <0p. 15). ihren Sätzen lauert die Schwermut, und noch im Finale wechseln die Momente des gewaltsamen Aufraffens der Kraft mit Augenblicken gänzlicher Verzagtheit. Am frei- esten von trüben Anwandlungen hält sich der dritte Satz.

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-^ 5()5 %^

eine als Intermezzo bezeichnete Pastoraldichtung, die Beethovensch beginnt und dann ganz in dem nordischen neckischen nnd kindlichen Schalmeienton aufgeht. Auch der erste Satz hat eine ausgeprägt norwegische Melodie in seinem zweiten Thema, welches in diesem Satz die Rolle des guten, tröstenden, mit Heimats- und Jngend- bildem zusprechenden Geistes übernimmt. Im Andante, das manchen Brahmsschen Zug enthält, hat der freund- liche Gegensatz in einem kurzen, immer repetierenden oft bescheiden versteckten Achtelmotiv einen rüh- rend naiven, unschuldigen Ausdruck gefunden. In der Form reifer als die Ddur-Sinfonie, zeigt sich Svendsen - in der zweiten Sinfonie doch weniger originell. Auch Schumann (im ersten Satz) und Schubert (im dritten} gehören zu den Komponisten, deren Einfluß bemerkbar

wird.

Von den Orchestersuiten Edv. Griegs darf man die Kdr. Grieg, ältere, >Au8 Uolbergs Zeitc (op. 40), kaum in die »Aus Hoiberg« Klasse der nationalen Musik stellen. Sie hat nur in der ^®^^*- Musette und im Rigaudon einige spärliche skandinavische Töne. Aber das Werk ist unter allen den neuen Suiten, welche den Geist des 18. Jahrhunderts heraufzubeschwören suchen, eins der liebenswürdigsten. Es wählt die kopie- renden Mittel mit allzuviel Beschränkung, esrentfemt sich in seiner Leidenschaftlichkeit vom Wesen der alten Kunst; aber es ersetzt das alles durch die poetische Kraft, welche die knappen Formen erfüllt.

Zwei Suiten Griegs sind der Musik entnommen, die Edv. Ories, er für den Versuch einer Bühnenaufführung von Ibsens »Peer Gynt< i »Peer Gynt« geschrieben hat Diese beiden Orchester- suiten zu Peer Gynt haben somit einen ähnlichen Ur- sprung wie Bizets Suiten zu TArl^siAine; sie können sich mit ihnen auch an künstlerischer Bedeutung sehr wohl messen, sind ihnen an Stärke des Nationalklangs, an Reichtum der Empfindung und an Einfachheit sicht- lich überlegen. In letzter Beziehung darf man diese Griegschen Kompositionen sogar für ein Ideal vornehmer Orchestermusik erklären. Was das nordische Kolorit

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betrifft, so sind in diesem Falle die eignen starken An- lagen und Neigungen des Komponisten noch durch die Dichtung befrachtet worden. Lebt doch im Peer Oynt die ganze nordische Natur; ja: in dem mit überreicher Phantasie ausgestatteten Helden hat Ibsen dem norwe- gischen Volk ein Spiegelbild vorhalfen wollen.

Der erste Satz der ersten Suite (op. 46) heißt Mor- genstimmung und soll wohl den zweiten Aufzug des dramatischen Gedichts eiRleiten, in dessen erster Szene Peer mit der geraubten Ingrid bei Tagesanbruch ins Ge- birge schreitet. Die Komposition hat durchaus Pastoral- charakter. Ihr Haupthema:

Anegr»tto paatorale. V'r

P

wechselt lange Zeit zwischen Flöte und Oboe mit ver- änderter Harmonie. Die. beiden Instrumente gemahnen an die Hirten des Hochgebirgs, die von Höhe zu Höhe sich musikalisch unterhalten. Mittlerweile ist die Sonne höher gestiegen, und nun kommt die Melodie in dem vollen Glänze, den das Unisono des gesamten Streichorchesters (Bässe ausgenommen) geben kann, wenn fortä vorgeschrie- ben ist. Eifl kleiner .--— -^ r».^ ^.^

Z^schensatz, der in .^iJ.. f f ff. , f f ft-r^ Cismoll einsetzt, läßt ^Ff » » » ' | ' ' | I t^ j^ über das Cellomotiv ^ / V^^ f

gewissermaßen die Lichter auf dem Morgenbilde wechseln: es dunkelt, es hellt sich wieder auf, es herrscht reges Leben am Himmel und in den Farben der sonnentrunk- nen Flur. Mit dem Hörn, das das Pastoralthema wieder intoniert (in Fdur), kehrt die ruhige Stimmung des An- fangs zurück; nur ein wenig reicher fühlt sich das Herz. Die voll dahinströmenden Kontrapunkte in Bläsern und Geigen sagen es. Knapp vor dem Schluß legt der Kom- ponist noch eine zart muntre Episode ein. Die neuen Motive der Homer, die Triller der Holzbläser skizzieren ftine intime Szene aus dem Ti«»rlpbpn.

-^ 507 f^

Der zweite Satz illustriert Ases Tod. Die Matter Peer Gynts stirbt einen schönen sanften Tod : mitten iAi Aufbau von Luftschlössern schläft sie schnell und ruhi^ ein. Das deutet die Musik, die nur für Streichorchester bestimmt ist, wohl an. Der erste Teil bringt das freund- lieh sehnsuchtsvolle Lied

in einem crescendo, das über Fismoli nach Hmoll zu- rück und ins fortissimo führt Es gibt gewissermaßen ein Bild von dem letzten Glück der Toten, die in Träumen ihre schönsten und immer kühneren Wünsche befriedigt sah. Der zweite Teil leitet mit einer Umbildung der Liedweise

in den Ton der Trauer ein. Der kurze Satz ist eine wirklich geniale Leistung eines mit der Harmonik spie- lenden Meisters, und es läßt sich nicht ahnen und nicht beschreiben, wieviel Tiefes Grieg den ersten drei Noten des Lieds abgewonnen hat

Der dritte Satz, »Anitras Tanz« betitelt, bringt uns nach Marokko, wo Peer Gynt in der Oase, im Zelte eines Araberhäuptlings weilt, dessen Tochter Anitra mit andren Mädchen den für den Propheten gehaltnen Fremdling durch Tänze und Spiele zu ehren und zu erheitern sucht. Die knapp gehaltne und wieder nur für Streichorchester komponierte Nummer hat einen Hauptsatz über das Thema

Tempo 41 Mawgkfc. ^^.«^ ^-^

I f I r/r F I -'^

das nach einigen Takten Akkord gebender Einleitung in der ersten Violine zierlich trippelnd und mit bestrickend anmutiger Bewegung einsetzt. Die Melodie geht schon am

?

Schluß der ersten Periode in ein verwirrendes Figureu- spiel ttber, und diesem Abschnitt folgt der zweite Teil mit j a<^ _f^ . j^r^_ ^ Hl . _ M^* diesen schmach- ff r P ff I f' PTi I r ' I T— tendenMotivenwech- *^ P »^ uj . ;j ^^^"^ sai— geln prickelnde pizzi- cato-Stellen. Dann kommt der Hauptsatz wieder, aber mit gesteigerten Reizen. Seine Melodie wird zum £anon zwischen erster Violine und Bratsche. So gibt der Kom- ponist ein Bild von den immer stärker wirkenden Künsten der raffinierten Beduinen tochter, an die ja im Drama Peer Gynt sein Herz ernstlich verliert, um Hohn und Spott zu ernten.

Der vierte Satz, mit dem Titel >In der Halle des

Bergkonigsc, ist ein« Variationenreihe tkber das Thema;

Alla marol* molto nttetto. Jsias.

Es kommt zuerst ganz leise in den Kontrabässen, geht von ihnen an die Fagotte, wechselt in veränderter Tonart längre Zeit zwischen beiden Instrumenten; dann betei* ligen sich die Violinen und lösen sich mit den obem Holzbläsern ab. Der Tanz wird lauter, schneller und gibt das Bild eines Behagens, das bis zum Fanatismus an- wächst. Die Variationen entwickeln sich mit einem Minimum von Kunst; es sind nur Wiederholungen. Aber gerade dieses Einerlei erhöbt die Wirkung der Dynamik, die Beharrhchkeit rückt wie leibhaftig auf uns los, und schließlich ist der Eindruck elementar und beängstigend. Grade mit dieser Art von Kunst haben die Skandinavier und Slaven ein frappantes neues Element in unsre euro- päische Musik eingeführt und ihren Vorrat an Natura- lismus gewichtig, vielleicht auch gefährlich vermehrt. Grieg kann hier, wie auch bei seinen norwegischen Tänzen fürs Klavier für sich das Verdienst in Anspruch nehmen, ein interessantes, nicht gewöh9liches Thema gewählt zu haben und mit den Wiederholungen nicht übers Maß gegangen zu sein. Mit genialem Takt hört er zur rechten Zeit auf.

- -^

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Die zweite Suite Griegs zu Peer Gynl {op. 66). bringt ^^^» öri«g. als. ersten Satz eine Komposition, die überschrieben ist »PewGynttn > D er Brantraub«. Peer Gynt hat als der Tollkopf, der er ist, als er das Elternhaus verlassen, aus dem ersten Dorf, in das er kam, bei einer Bauernhochzeit die Braut geraubt und ins Gebirge entführt. Die Musik zeigt uns nun das Entsetzen, die Wut der Hochzeitsgesellschaft, als sie bemerken, daß Ingrid verschwunden ist, in einigen Takten wilden Allegros. Dann rufen sie wohl nach ihr; aber nur dumpfe Horntöne, Laute unempfindlicher Natur kommen zurück. Ein Andante doloroso führt uns darauf zu der Geraubten, die eine lange Klage singt. In den tiefen Saiten der Violinen gespielt, haben diese Klage- melodien ein außerordentlich individuelles Gepräge', sie lassen an ein stolzes Gesicht denken, und zugleich sind sie in einzelnen Wendungen sehr rührend.

Der zweite Satz, Arabischer Tanz überschrie- ben, führt uns noch einmal in die Szene, zu der in der ersten Suite Anitras Tanz gehörte. Während sich aber in diesem die Häuptlingstochter allein in den Künsten der Koketterie erging, haben wir hier eine ganze Mädchen- schar vor uns und zwar mit ausgeprägten Rassenzügen, die sich namentlich in den Rhythmen der Musik äußern. Der Anfang des Themas vom Hauptsatz gibt davon mit den Schlußnoten eine kleine Probe:

AI lehret to vivarce. J* = iss

Zur Melodie gehört in diesem Falle notwendig der sclmlle Klang des Piccolo, um den anmutigen Teil des Bildes auch mit dem abstoßenden zu vervollständigen. Mischcharakter ist dem ganzen Satze eigen: den weichen Tönen treten fortwährend wilde auf den Fuß. Sehr schön zeichnet der Mittelsatz, den das Streichorchester allein spielt (nur Triangel kommt noch dazu), wie aus dem Kreis der Mädchen eine Schöne heraustritt und mit Tönen des Gemüts, mit Geberden der Innigkeit den Helden lockt.

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Diese Szene wird auf einen Augenblick durch den Chor unterstützt, der sich in zierlichen und reizenden Ballet- weisen bewegt

Um den dritten Satz zu verstehen, muß man das Ibsen^sche Gedicht kennen. Die Überschrift der Nummer: »Peer Gynts Heimkehr«, erklärt nicht den Charakter der Musik. Heimkehr gilt gewöhnlich fftr ein freudiges Ereignis; Peer Gynt wird aber hier schlimmer empfangen als der verlorne Sohn: mit einer düster erregten, mit einer tobenden Musik. Ibsen läßt seinen Helden als Schiffbrüchigen heimkehren, und Grieg malt den Seesturm, dem das Fahrzeug an der heimischen Küste zum Opfer fällt Der Komposition liegt darnach ein ganz ähnliches Programm zu Grunde, wie R. Wagners Ouvertüre zum >FUegenden Holländer«. Mit ihm begegnet' sich Grieg auch thematisch, namentlich der Quintenfall in semem Hauptmotiv bildet eine für jeden bemerkbare Ähnlichkeit:

Altom a«lta*o. Jrisa^ . ^ ^*« ^^^^^ ^»^«^ "^^^

E g der Gehöreindruck des

L ^ r r = durch die Segel und Taue pfeifenden Stur- mes für alle Musiker nahezu derselbe ist Das ist ein Klang der unten ansetzt und springend sich nach oben immer mehr zuspitzt Dann grollt und wühlt es an einer andren Schiffsseite wieder, scheinbar ruhiger:

So spielen die Elemente lange mit dem armen Fahrzeug ihr grausames Spiel Dann wird die Lage verschlimmert. Das Wetter heult in langen Zügen, in bösartigem Zischen:

Diese greuliche Figur klingt in allen Registern; nach den Flöten durchläuft sie die Kontrabässe. Erst dann und

611 4^

wann auf eines Viertels Pause absetzend, nimmt sie sich im weiteren Verlaufe gar ikeine Zeit mehr, wtktet ärger und ärger; schließlich saust sie in ganzen chromatischen Chören einher. Einige starke (fff) Akkorde, Takte lang' ausgehaltcn, bedeuten die Katastrophe, den Untergang des Schiffes. Noch eine Zeitlang sietzt sich das Toben fort, dann wird es schwächer und schwächer. Stille tritt ein, und nachdem die Schilderung beendet ist, fügt der Komponist als Dichter eine kurze, aber ergreifende Klage hinzu, die den Holzbläsern gegeben ist. Was Realistik und Naturtreue betrifft, wird man den Satz unter den neueren musikalischen Gemälden vom Meer mit den Arbeiten Gilsons und Debussys zusammen eine hervor- ragende Stelle einräumen müssen.

Der vierte Satz der Suite heißt >So]yejgB Lied«. Solvejg ist die Jugend geliebte des Landfahrers als alter, verkommener Mann trifft er sie nun wieder. Das Lied, das sie ihm singt, hat ausgeprägt norwegischen ' Charakter in den Schlüssen des Mollsatzes und ist sehr ernst. Soll es doch^ nach des Dichters Ansicht symbo- lisch den Tod bedeuten. Mit dem Hauptsatz (in Amoll, wechselt ein Nebensatz (A dur) von freundlich anmutigem Charakter, an Jagend und an Tanz erinnernd. Die Kom- position hat auch als Lied für eine Stimme mit Klavier- begleitung weite Verbreitung gefunden.

Die nächste Veröffentlichung Griegs, sein Opus 66 ent- Ed. Grieg, hält drei Stücke: Vorspiel, Intermezzo, Huldigungsmarsch »SigurdJorsaiiar«.

aus einer Komposition zu BjOrnsons Schauspiel: Sigurd Jorsalfar. Das Vorspiel und das Intermezzo sind beide sehr kurz und einfach. Jenes, das noch den Neben- titel hat: »In der Königs- ^ ^ AU«gT6tto sImpUoe.cJsM.) halle., ruht im Haupt- jM , ,-| , , |^^ satz auf einem Motiv ^ 'sJ \J ^

dessen humoristischer Charakter noch dadurch wesent- lich verstärkt wird, daß an seinem Schluß die Bä.<»e wie verlegen und versehentlich ins Leere nachschlagen. Mit dem Eintritt der Violinen nimmt der Satz aber einen sehr glänzenden, ungefähr den Charakter eines Hoffestes

512 %^

au. Die Mitte' der Nummer füllt eiti Dialog zwischen ITlöte und Oboe, dann zwis^en Klarinette und Fagott, in dem mit elegischen, sinnigen Gedanken kunstvoll ge- spielt wird. Das Intermezzo gibt Einblick in eine edle Seele zu kritischer Stunde. Es besteht aus einem Andante, das nachdenklich über ernste Motive brütet, und einem düster aufgeregten Allegro, in dem der Schrecken haust. In, veränderter Form kehrt nach ihm das Andante wieder. Der Huldigungsmarsch setzt gleich ungewöhnlich und ähnlich wie Mendelssohns »Hochzeitsmärsch« alar- mierend ein: die Trompeten holen fröhlich und munter das Orchester herbei, und dies fällt mit einer Dissonanz ^in, die sich natürlich gleich auflöst, aber doch einen Augenblick das festlich gestimmte Gemüt in Verwirrung bringt. Als Hauptthema seines Marsehes gibt Grieg fol- gende Weise

ifi' fi IUI rrnn niH i \T\ i

die zuerst von einem Quartett von Gellis gebracht und dann mit manchen überraschenden Wendungen ent- wickelt wird. Außerordentlich belebend ist der Eintritt des Zwischensatzes. War die Musik bis dahin kräftig, so springen jetzt ganz plötzlich die Bässe wie Riesen auf und führen eine Weile das Orchester, das gleich darauf von den Trompeten und Hörnern in einen außer- ordentlich fröhlichen nnd volkstümlichen Alarm gebracht wird. ' Die Stelle wirkt wie der Anblick einer unwillkür- lich in Jubel ausbrechenden Menge. Und als nun das Hauptthema wieder aufgenommen wird, hat Grieg noch eine Überraschung: Es setzt als Maestoso mit verlänger- ten Rhythmen ein, ähnlich wie Dvorak zuweilen seine Motive in Vergrößerung bringt. Das Trio hat bei aller Einfachheit der Melodien durch die Harmonie viel Tiefe, so daß der Marsch als Ganzes als eine der gehaltvollsten neueren Arbeiten seiner Gattung angesehen werden muß.

513 ^^

Eine vierte, eine »lyrische Suite« Griegs ist wenig bekannt geworden.

Voi. den jüngeren Mitarbeitern Griegs hat am meisten Christian Sinding die Aufmerksamkeit anf sich ge- Ckr. Slndlmf, lenkt, zunächst mit einer Dmol!- Sinfonie (op. 21), diel>'no"-Stafonia an einigen der ersten deutschen Konzerte zur Aufführung gelangt ist. Der vorher namentlich durch ein Quintett für Klavier- und Streichinstrumente, auch durch Kon- zerte für Klavier und Violine bekannt gewordene Kom- ponist legte mit dieser Sinfonie seine verhältnismäßig reifste und selbständigste Arbeit vor. Immerhin steht sie noch allzustark unter dem Einfluß R. Wagners und beruht mehr auf Kombination als auf Inspiration. Ihren stärksten individuellen Zug hat sie in dem dramatischen Ton des Vortrags; namentlich wenn es gilt, im Lauf eines Satzes ein neues Bild einzuführen, wird sie schwunghaft und setzt in ungeduldige Spannung. In der Anlage der Sinfonie zeigt sich ein ernster künstlerischer Charakter:' die Sätze stehen sichtlich und auch äußerlich erkennbar im Zusammenhang. Die Grundidee des Ganzen ist, unge- ffthr in einem Tonbild zu zeigen, wie eine gesunde, selbst- bewußte Natur den Lebenskampf führt und gewinnt.

Der erste Satz schildert Kampf. Sein Hauptthema, dessen Vordersatz folgendermaßen lautet:

A]l«gro modorato.

^

spricht reckenhaften Trotz aus. Ihm folgt ein Abschnitt der Sammlung. Die Streichinstrumente bringen im großen Unisono das frohgemut und kraftvoll ergänzende Zwischenthema

4ji-/Ji'j.3Ji.U. ^'

M j I I Und nun kommt das

J-^^4 Ji I ^Ji I zweite Hauptthema

wff des Satzes, das

Krfttziebmftr, Fahrtr.. I. 1 33

_-» 514 *^

t

schon in j , _ ■ii i . i ^*^ Gefühl and die

seinem g^ j. J"JJ N^J.?J (,^ Gewißheit glück- Anfang: ' .P -^"^ s:»- licher Zukunft aus-

drückt. Diese Stimmung wird längere Zeit festgehalten, sie schäumt, als die Geigen sich des Themas bemächtigt haben, brausend auf; aber wie im Schrecken über das Obermaß bricht der Jubel plötzlich (auf b-^-f-gia) ab, und bald sind wir in der Durchführung. An ihrem Anfang bringt Sinding seine beiden Hauptthemen zugleich, das erste in den Violinen, das zweite in den Bläsern; beide leise. Dann gewinnt die Kampfessthnmung die Ober- hand, schließlich arbeitet sie fast nur noch mit Rhythmus. Eine Stelle, an der alle Instrumente auf dem Ton /'pochen und verschnaufen, bezeichnet die Umkehr, bald beginnt die Reprise. In ihr zeichnet sich der Eintritt des zweiten Themas, das jetzt in Ddur steht, merkbar aus: atemlos er- wartet, klingt es geheimnisvoll dahin. Mit dieser Wendung ist der Endeindruck des Satzes bestimmt: er spricht Sieges- gewißheit aus. Sie zu betonen, führt der Komponist in einem Schlußanhang noch ^^ t . . _ . . _ einen neuen Gedanken ein, y p J^J Ji 3 I J ff~f ' j der sich von dem Anfang

aus in einer jener stattlichen Steigerungen ergeht, die wir bei Sinding häufig treffen. Endgültig geschlossen wird mit dem Zwischen thema, also mit dem Ausdruck der inneren Kraft und des Selbstvertrauens.

Der zweite Satz (Andante, 3/^, Gmoll) ist der Ruhe, dem Frieden, dem behaglichen Träumen ge- widmet. ^ Andante. ,^ ,^

Er be«i. a) (\U\\ [3 I Ü H I^TJ ' I -«> 6) jft'- j I ^-I^J.I iC^^q-l ein Thema

vor, das einer Volksweise gleicht und wohl eine patrio-

-^ 515 «^

tische Tendenz hat. Die Darstellung hält lange Zeit an diesem Gedanken fest. Sie gibt ihm im Laufe der Ent- wicklung einen glühenden Ausdruck, einmal auch einen seltsamen. Es handelt sich um die Stelle, wo nach einer langen Reihe von Sequenzen über das von den ersten zwei Takten gebildete Glied, der verminderte Septimen- akkord {ets-e-g-b) dem Ausbruch der Freude und Begeiste- rung ein plotzhches Ende macht. Da blasen zunächst die beiden Fagotte sehr gefühlvoll allein. Und dann folgt ein Abschnitt, in dem, nur von der Pauke und den Kontrabässen begleitet, die Tuba und zwar pp das Thema vorträgt. Die Stelle hat etwas mystisch Groteskes. Mit Zuhilfenahme eines weitren nordischen Mo- tivs stürmisch fröhUcher Natur: schließt das Tonbild als Szene der Freude. Ganz am Ende wird es aber plötzlich stille, und wir hören noch- mals, wie verschleiert, jenen übergreifenden, in die Zu- kunft, in die Feme hinausweisenden Gedanken, den zu- erst das Hörn als Thema b) brachte.

Der dritte Satz (Vivace, ' 3/^, Fdur) setzt nach acht Takten Akkordeinleitung so ein:

* P^V^ 1 I r^K i 1 ^^^ letzten beiden Takte mit den ,j r J^r ' ^^ I punktierten Rhythmen äußern ein •^ übermütiges Kraftgefühl, und sie

sind es, die der Komponist in den Ausführungen des Themas vor allem benutzt. Bald stehen wir vor wohl- bekannten Klängen: vor dem ersten Hauptthema des ersten Satzes. Diese Reminiszenz bedeutet: > wieder Kampf«. Aber es handelt sich nicht so um die Not des Kampfes, als um die Lust und die Freude daran. Die innerlich zufriedne, beglückte Stimmung zeigen die Themen

des folgenden Seiten- ^ « | m .f" .

Satzes: das von den "i^^ j* p IT d If " PT M I Bässen eingeführte : ^

33*

^

516

das die HOrner mit:

beantworten, and die erst von den Holzbläsern et-

was ungeschickt nnd eigensinnig probierte, bald von den Hörnern in Ordnung gebrachte Weise:

Mit letztrer entwirft Sinding eine längre Reihe kleiner Bildchen: vom Sonntag und züchtigen ländlichen Freuden die einen, von dem ausgelassnen Treiben und der lauten Lust der männlichen Jugend die andren. Dann wird der Hauptsatz noch einmal vornbergeführt. Die Komposition hat also die einfache Anlage, die wir schon vom Haydn- sehen Menuett her kennen; nur. sind die Formen etwas vergrößert. Auch das nach der Wiederholung des Haupt- satzes übliche Trio kommt an der erwarteten Stelle und zwar als derb launige Volksmelodie:

PIA moderttto. ^^

^'''jTTirrirrirrriMTi^rirti i

die sich besser lesen würde, wenn sie im Vi '^^^^ notiert wäre. Nach einer Weile hat sie sich mit folgender, von den Trompeten eingeführten Melodie:

7>jir jjjjji[- MiJJif JjJj imi

in den Platz zu teilen. Nach dem Trio wird der ganze erste Teil, wie gebräuchlich, wiederholt. In dieser Wieder- holung hat Sinding eine Episode mit erst zögernder, dann in verblüffenden Läufen hinstürmender Musik eingelegt^ um den Eintritt des zweiten Seitenthemas glänzend zu gestalten. Es erscheint dadurch als die Krone des Ganzen; mit ihm geht auch der Satz schnell zu Ende, zuletzt noch über eine ungewöhnlich drollige Fagottstelle geführt. Mit

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dieser Betonung der nordischen Tanzweise kommt der. dritte Satz in nähere geistige Berührung mit dem vorher« gehenden. Auch hier wird ein Bekenntnis zu Volk und Vaterland ausgesprochen.

Der letzte Satz (Maestoso, V«» DmoU} beginnt mit dem Thema in den Bässen:

MMBtOSO.

i

C/E^ M ^'Pff If "*^ die Violinen samt ^^===^ '' ' lieh immer d dazu aL

als

liegende Stimme sehr ernst, feierlich und auch froipm gestimmt, wie jemandem zu Mute ist, der vor einer wich- tigen Entscheidung steht. Nachdem das Thema vor der Wiederholung ist ein kurzer Abschnitt eingelegt, der gespannte, verlegne Erwartung ausspricht das zweite Mal verklungen ist, künden heftige Geigenfiguren etwas Besondres an: Es läßt sich der Ton des Wunderbaren, Außerordentlichen vernehmen ^, leisestes Triolenrauschen auf einem Orgelpunkt , und darüber setzt wieder eine Volksweise, eine Art Wanderlied ein: '

Es erregt große Freude und wirkt gewaltig belebend, wie gleich dar- auf der Chor bekundet:

Doch wird erst noch einmal in eine gehaltene, ruhige, dankbare Stimmung eingelenkt, ihr ist das zweite Thema gewidmet:

etc.

^'jfrfett

eresc.

Die bald darauf folgende Durchführung wirft sogar einen Rückblick wie aus der Erinnerung, aus der Feme

» 518 »^

»

auf zurückliegende trübe Stunden. Mit stechenden Dissonanzen setzt das erste Thema ein. Der Rhyth- mus vom ersten Takt t i und ein Motiv aus dem des zweiten Themas « •* J Endteil dieses Themas

übernehmen es aber aulzuheilen, sie ziehen vorübergehend auch das Wanderlied mit in ihre Kreise und bringen es bald zu einer glänzenden Wendung nach D dur. Dieser Durteil beginnt mit einem Hymnus, der an das zweite Thema des Satzes anknüpft und dann zum ersten Thema übergeht, das nun die dunkle Farbe ablegt. In der sogenannten Reprise wird besonders lange beim zweiten Thema verweilt, das eine der. interessantesten Bildungen in der Sinfonie bedeutet Melodisch sehr einfach, erhält es seinen zwischen Glück und Leid schillernden interessanten Charakter durch Harmonie und Kontrapunkte. Hier nun im Schlußteil seines Finale zieht es der Komponist ganz in freudige Sphären, ihm nach am letzten Ende das Haupt- thema, das aus dem Munde der sämtlichen Blechinstru- mente Heimkehr in Jubel und Triumph meldet. Chr.slHdlHf, Sindings zweite Sinfonie (op. 83], die in Ddur steht Zweit« Sinfonie. und nur drei Sätze hat, ist ein vorwiegend freundlich gestimmtes Werk, das die Phantasie in pastorale Kreise und in einfaches Volksleben hineinführt und die Erinne- rung an schöne Reisetage und fröhliche oder sinnige Erleb- nisse der Jugendzeit weckt. Sie hat viele Momente wohligen, stillen Träumens und andere, wo die Gefühle in hohen Wogen gehen, aber keine Stürme und Konflikte und kaum Gegensätze. Der bedeutendste Satz ist der erste; klang- lich wird er durch die zahlreichen Stellen eigen, an denen, wie aus der Tiefe des Bewußtseins heraus die Bässe allein sprechen oder den Chor der Instrumente führen. In der Erfindung tritt in ihm der Einfluß Wagners her- vor, in den anderen Sätzen kommt mehr, aber doch nur bescheiden, das nordische Element zur Geltung. Giir. SindtBf 9 Zwischen beiden Sinfonien liegt eine Fdur-Suite Episode« (op. 35) des Komponisten, die, dem Titel »Episodes che- cbev&iercsqves. raleresques« nach , ins Programmgebiet gehört. Es sind

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vier Szenen aus dem Ritteilebeh, von denen die der be- sonderen Oberschrift bare erste ungefähr einen Auszug der Mannen mit teils lustig flatternden, teils fest und stolz einherschreitenden Marschmotiven schildert, die etwas breit und mit allzu Wagnerischen Steigerungen entwickelt werden. Der zweite Satz, Andante fun^bre, beginnt mit einem trüb erhabenen, schmerzvoll akzen- tuirten Thema in BmoU, dem der tröstende Gegen- satz in Desdur folgt. Seine freundlichen Weisen, von den Hörnern in kanonischen Nachahmungen eingeführt, sind der Glanzpunkt der ganzen Komposition. Der dritte Satz, ein in gedämpfter Fröhlichkeit und erfreulich knapp gehaltenes Allegretto, das der Form des dreiteiligen Liedes folgt, beschränkt sich im Hauptteil auf ein kurzes, vier- taktiges Thema, das wiederholt und variiert wird. Der Mittelteil witkt dadurch eigen, daß die Melodie, so wie es auch in der zweiten Sinfonie wiederholt ge- schieht, lediglich von den Bässen gespielt und nur spär- lich begleitet wird. Das Finale ist nach Idee und Aus- führung der glücklichste Satz der Suite. Es entwickelt aus höchst einfachem und knappem thematischen Material eine naiver Freude volle Heimkehrstimmung, klingt mit dem dominierenden Hornton prächtig warm und erfreut in der Arbeit durch die energischen ostinato-Bäße.

Auch der Engländer F. C o w e n hat vor dreißig Jahren f. Cowoa, eine »Skandinavische Sinfonie c veröffentlicht, welche von Skandinavische der Mehrzahl der deutschen Konzertinstitute mit Beifall ^p'^'^^'j!^ aufgeführt worden ist Diese Sinfonie gehört jedenfalls ^ ^^ ^' unter die bedeutendsten Instrumentalkompositionen, welche seit Jahrzehnten jenseits des Kanals entstanden sind. Wäre der erste Satz, dessen melancholisches Hauptthema

^ , Koderato. _

j i'^ n j. I j^ jj I LU ^ ' i Ju^ J- '^liP

schließlich zum Quälgeist wird, etwas reicher an Ideen, und der letzte ein total anderer, so würde diese Sinfonie unter die hervorragendsten neueren Nummern ihrer

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Gattung einzureihen sein. Die einf^^chen Ideen des An- dante mit dem Titel »Sommernacht am Fjord«, in welchen ein (im Nebensaal zu versteckendes) Hornqartett die Träumerei der Violinen mit derben Tanzweisen unter- bricht, die ganz wie aus der Feme herüberklingen, haben die Poesie und den Effekt für sich. {Ebenso ist das Scherzo in anderer Art wirksam und frappant: ein freundliches Gespensterstück, in welchem der flüchtige, schattenhafte Charakter mit einer genialen Konsequenz durchgeführt wird. Die Geigen hinter Sor. AUe^omoito.

dinen mit einem eili-: gen Motive huschend' der Mittelsatz ein Nebel aus zitternden Rhythmen und mysteriösen Modulationen, in den die Bläser nichts als Akkordnoten hineintropfen: das Ganze getrieben vom hellen Klang des Triangel. £s ist seit »Fee Mab« von Berlioz in dieser Art von Phantastik vielleicht kein so runder und gelungener Satz komponiert worden!

In Norwegen selbst haben sich die Aussichten für eine einheimische Sinfoniearbeit von allgemeiner Be- deutung mittlerweile nicht verbessert Das Land hat nur in Christiania und Bergen vollwertige Orchester und besitzt keine große Musikschule, es wird dem Nachwuchs infolge- dessen schwer, sich gründlich zu bilden. Das zeigt sich dann auch an den Leistungen der fleißigen Mitarbeiter, J* HaurU«!. die in J. Haarklou, J. Selmer, Iver Holter, Ole J.Sdmer. 01-sen, SigurdLie an die Seite Sindings getreten. sind. * w[e"oÜS[!^^ eine Weihnachtssuite G. Schjelderups hat außer- Sigard Ut, balb der Heimat Beachtung gefunden. ti.Scbjeldervp. In der Zeit, die für die Heimat Griegs den Anfang eines Niedergangs bedeutet, ist der musikalische Stern des skandinavischen Bruderstammes, des Schwedischen, dagegen gestiegen. Schweden, das sich in der älteren Zeit damit begnügte, einen vorgeschobenen, nament- lich auf Stockholm und Upsala gestützten Vorposten deutscher Musik zu bilden, besitzt eine Volksmusik, die, in der Grammatik weniger eigen als die norwegische, vor dieser den Ursprung aus einer höheren Kulturstufe

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und einem eatwickelteren Seelenleben voraus hat. Ihre schönen, durch das Hinabspringen des Leittones und durch rhythmische Lebendigkeit gestempelten, in der Stim- mung meistens etwas umflorten Melodien haben aus dem Munde der Jenny Lind ganz Europa entzückt, sind aber, wie neuerdings wieder von Ambr. Thomas für den Hamlet, auch schon im 18. Jahrhundert für die Oper und bald auch für die Instrumentalmusik benutzt worden. Die ersten schwedischen Sinfonien wxirden noch zur Zeit der Wasa von Jos. Kraus und Per Frigel geschrieben *],J.KnM. anhaltender hat sich Schweden aber an der sinfonischen ^* lMt«i. Arbeit erst auf den Weckruf Gades hin beteiligt und zwair mit Werken von Fr. Lindblad, dem ausgezeichneten F. idadbUd. Liederkomponisten, von Franz Berwa'ld, Alb. Ruhen- ^•^'^^^^ son, Ludwig Normann, denen Aug. Södermann i^it ^| HomMu!!' Schauspielmusiken sekundierte. Aus dieser Gruppe ragtAisddermaBv. am höchsten FranzBerwald hervor und unter seinen FrusBcrwald, drei Sinfonien wieder die unter dem Titel »Sinfonie sin- Sinfonie guli^rec 184Ö komponierte Cdur-Sinfonie, von der jüngst «N^*'«' erst ein stattlicher Partiturdruck veröffentlicht worden ist Das Werk darf der nationalen Gruppe zugewiesen werden, nicht bloß weil darin Volksweisen verwendet sind, sondern weil es Berwald darüber hinaus verstanden hat, nordischem Wesen technischen Ausdruck zu geben, am wirksamsten durch die Harmoniebehandlung. Dar- über gibt die klarste Auskunft das Hauptthema des Finale:

Presto.

rT^rr., .Ti.fff^

Pis P EsDCH

Das Esdurdes zweiten Taktes ist in der Zeit, wo* die Sinfonie entstand, ein Unikum, und auch die Rhythmik des Sätzchens ist eigen. Noch schärfer spricht der kräf- tige Wikingergeist, den Berwald verkörpert, aus den liegen- den Stimmen des ersten Satzes, die in der Regel acht- taktige Perioden lang zu der Harmonie der anderen

*) Walter Niemanu ». t. 0.

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lastromente die schneidigsten, trotzigsten Dissonanzen bilden, gleich mit c zu h und mit anderen unvorbereiteten Sekunden einsetzen und erst mit der letzten Note sich in eine rasche Konsonanz auflösen. Schon durch diese Harmonietührung ist die Sinfonie Berwalds singuliöre, absonderlich, wie der ironische und bittere Titel sagt, sie ists aber noch mehr im ganzen. Um das zu eri^ennen, muß man an die gleichzeitigen Sinfonien Mendelssohns und Schumanns denken, ihnen und anderen Deutschen gegenOber erscheint der Schwede unfreundlich und arm, gleicht einem musikalischen Segantini; in bewußten und deutlichsten Gegensatz steÜt er sich aber zu Niels Gade. Gegen ihn eröffnet die Sinfonie singuli^re die nordische Opposition, die cTann Grieg und die jüngeren Norweger organisiert und weiter geführt haben, der Kern ist der gleiche: Herauskehrung der rauheren Seiten, Kultus von Kraft und Zähigkeit.

Diese Tendenz kennzeichnet besonders den ersten Satz (Allegro fuocoso, Cdur, C), der in dem Widerstand gegen zarte Regungen an Beethovens C moll-Sinfonie er- innert, in seiner Ausfahrtsstimmung aber ersichtlich den Wettkampf mit Gade aufnimmt. Gleich am Anfang wird hier die Selbständigkeit der Gestaltung klar, die Berwald auszeichnet:* an Stelle eines fertigen und ausgebildeten Hauptthemas bringt er ^ _ , , . , i , , i . . das kurze, auf Franz Schu- J. JiJi Ji N^ /i i^ J ^-J-i^- bert hinweisende Moitv ^^

und rückt es abschnittweise von den Bässen aus über Geigen und Holzbläser die Oktave hinauf und ins forte. Die Monotonie des Verfahrens wird durch dissonant ge- buifdene Harmonien umgangen. Auch das Gegenthema:

^Mj j-3jj.4j.73j j ijj2Ji£,J \fu

D G- D H E A

ist sehr bescheiden. Mit diesen beiden Ideen wird der ganze erste Satz bestritten; unter den Hilfsmotiven, die in den Entwicklungsprozeß ein- ^J2j|.^_g^-i^^ greifen, tritt die Triolenfigur: ^F^^^t— IX- -t-^

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als treibendes Element, P ^ « . -»^ als Sieges« Mozarts Jupiterthema: ^ * I I =^ ruf hervor Diesem geringen Material gewinnt aber Berwald mannig- faltige Bilder ab und spannt mit ihm, dank der Konse- quenz und Logik seiner oft harten Periodenbildung und dank der Klarheit, mit der das Endziel der großen Satz- gruppen hervortritt, bis ans Ende. Auch dieses ist ori- ginell: stalt einer langen Reprise nur die 24 Takte der Einleitung, eine Generalpause und als Schluß ein freudiger Tumult von fünf Vierteln! Den zweiten und dritten Satz hat Berwald zusammengezogen. Ein Adagio (Gdur, ^4)1 mehr suchend als singend, beginnt und gibt sich lange Zeit ganz Haydnisch, setzt sich aber dann in dem logisch so strengen Sequenzenstil, der für Berwald charakteri- stisch ist, auf einer träumerischen Melodie fest Unver- mutet fahren in diese die ersten Violinen mit kurzen •Figuren des Ungestüms hinein und erzwingen, daß der Satz schon nach etlichen vierzig Takten abgebrochen wird. Die Pauke reagiert darauf mit einem entrüsteten /yjT-Schlag, der aber nicht verhindert, daß ganz plötzlich das Scherzo (Gdur, ^/g) eintritt. Es ist von fröhlichem, anmutigem Treiben erfüllt und reich an kleinen Künsten der Nachahmung. Der Hauptscherz ist, daß in seinen heimlichen Ton wiederholt harte, kurze Schläge oder rauhe Akkorde hereinfahren. Sie sucht Berwald niemals von weit her: ein breiter Cdur-Dreiklang, der ohne Um- stände ein Ddur-Motiv bei Seite schiebt, genügt. Am Ende kehrt das Adagio, aber nur mit der erwähnten träumerischen Melodie wieder. Sie ist ein Zitat aus dem schwedischen Liedschatz und repräsentiert die Heimats- liebe. Darum kehrt sie auch im Finale (Presto, Cmoll(^) wieder, neben ihr lassen sich noch weitere volkstüm- liche Anklänge hören und zwar als die Stimmen der HofiTnung und des guten Endes in dem an Kämpfen] ja an Schrecken reichen a . „r"% . - . -<-^

Satz. Das Schlußwort AJlLll- IT T I I T' f I ^

. . *. -!...__ TT «3 W

bat die schöne Hymne : «^

Von den neueren schwedischen Komponisten ist der

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bedeutendste Künstlerkopf, Wilhelm Stenhammar, leider

der Sinfonie ferngeblieben- die bekanntesten Vertreter

LHaUitrSm. der Gattung sind: I^er Hallström, A. Hägg, Andr.

^•^»•Halldn, W. Petersen-Berger, HugoAlfvön, und zu

i^pJJlJ^eii^ibnen kommt noch als Suitenkomfponist der namhafte

Berger. Geiger Tor Aulin. Er und Alf von sind auch ins Ausland

H. Aift^H. gedrungen, Alfv^n namentlich mit seiner zweiten Sinfonie,

Tor Anlin. j^y Aulin mit der Programmsuite >Meister Oluf«.

HvfoAlfvta, Die Sinfonie Alfv^ns zeigt sich schon Äußerlich

ZwoiteSinfonio dadurch Ungewöhnlich, daß sie in Ddur beginnt und

(Op. 11). £q jy ^^Q^ schließt, also den bekannten Weg per aspera

ad astra umkehrt. Die glfickliche Stimmung, die der

erste Satz mit seinem lange gesuchten Hauptthema

Moderato. y-^ » ^--- *«^ ausdrückt

bedeutungsvoll in fremder Tonart eingeführte Gefolge des zweiten Themas:

noch verstärkt wird, erleidet allerdings schon hier mannig* fache Anfechtungen, eine außerordentlich aufregende, namentlich in der Mitte der Durchführung, wo eine vom Hauptthema ausgehende Steigerung plötzlich im ff hxxt dem Septimenakkord abbricht und nach einer General- pause die Pauke ganz allein den Rhythmus leise wieder aufnimmt Da folgen ihr zwar die Streicher, aber, wie verwirrt, in ganz fremder Harmonie. Die Stelle wirkt geisterhaft wie ein Mene Tekel und macht den Hörer auf das gefaßt, was die folgenden Sätze bringen. Schon die ersten Takte des zweiten Satzes, des Andante, machen die schlimme Ahnung zur Gewißheit Im Rhythmus des Allegretto von Beethovens Siebenter und gefaßten Tons tragen die Bässe eine Klage vor, aber schon nach wenigen Worten wird sie erregt und sofort von einem lauten, schneidenden Wehruf der Bläser abgeschnitten, der ge- dämpft und gebrochen immer wieder ansetzt Der Satz

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bleibt 80, wie er begonnen, ein Kampf nach Fassang. Seine rührendsten Stellen' sind die, wo an die Themen des ersten Satzes erinnert wird, sie kehren bis zum Schlüsse wieder, ohne das Entsetzen zu bannen. Eben- sowenig greift eine als zweites Thema angeschlagene Choralweise dnrch.

Fflr den dritten Satz (Allegro) hat Alfv^n ^bs Ent- setzensmotiv, das am Anfang des zweiten die Blftser aus- stießen, wörtlich beibehalten, nnr kommt es im raschsten Tempo. Ähnlich ist der ganze Satz eine erregte Variante des zweiten, und die ganze Sinfonie hat das Ziel, ver- schiedene Phasen eines großen Seelenschmerzes zu schil- dern. Charaktervoll bleibt der Komponist diesem Pro- gramm anch im Schlußsatz treu. Dieser hat die Form einer durch ein Preludio eingeleiteten großen Fuge. Das Preludio wirft mit einem Nebenthema aas dem ersten Satz einen Blick auf die Zeit vergangenen Glücks, die Fage, die zuerst energisches Aufraffen versucht, endet mit altliturgischen Trauermelodien, gibt also dem Werke einen religiösen Abschluß. Die Sinfonie erweist sich in ihrem Ernst und mit der vollendeten Tüchtigkeit der Arbeit als eine der bedeutendsten Leistungen unserer Zeit und macht trotz allem Verzicht auf nationale Be- sonderheiten dem musikalischen Genius Schwedens die größte Ehre.

Aulins Suite Meister Olaf hält ihre fünf Sätze TorAmUa, (1. Der Reformator, 2. Sein Weib und Kind, 3. In der Meiner oinf. Stadtkirche, 4. Am Totenbette der Mutter, 6. Das Fest am Nordpol) in der Weise von Griegs Musik zu Peer Gynt grundsätzlich knapp, und benutzt reichlich hei- matliche Lieder und Marschweisen ohne merkliche Zu- taten eigener Kunst. Nur die Tendenz, in Harmonie und Rhythmus das Primitive hervorzukehren, ist deutlich bemerkbar. Dabei kokettiert der Komponist ein wenig mit Quintenparallelen, die ja in der neuen Orchester- musik allgemein als erlaubt zu gelten scheinen, doch aber nicht ohne alle Rücksichten auf das europäische Ohr. Im übrigen beschränkt sich das persönliche Ver-

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dienst Aulins darauf, daß alles sehr gut klingt ; als Kolo rist hat et allerliebste Einfälle. Ein sehr wirksamer ist die Pizzicatobegleitung des Streichorchesters im zweiten Satze. Als letztes Glied und als Filiale der Skandinavischen Schule hat sich, von schwedischer Kultur befrachtet, in neuester Zeit eine finnländische Sinfonikergruppe gebildet. Sie entwickelte sich von der Universitätsstadt Helsingfors und von Abo, den einzigen eigentlichen Musikstädten des F. FmIu. Seenlandes aus unter Führung von F. Facius, M. Wege- M. Weijeliu. [ixxs^ R. Kaj anus im letzten Drittel des neunzehnten Jahr- ^***'* bunderts ; die internationale Aufmerksamkeit auf sie ge- lenkt zu haben, ist das Werk von Jean Sibelius. Seine sinfonischen Dichtungen, an ihrer Spitze »der Schwan von Tuonela«, schlugen aus ziemlich den gleichen Grün- den ähnlich ein, wie zwei Menschenalter vorher die I Ossian-Ouvertüre und die erste Sinfonie N. Gades. Eine I grenzenlose Melancholie bildet ihr nationales, ein ebenso * plastischer, als freier Stil ihr persönliches Sisnalement Jets SlbdlUi, Nur die dreisätzige Karelia-Suite (Op. 11} entbehrt Karelia-Saite.j diesen Familienzug; sie könnte im ersten Satz, dem Inter- -roezzo, von Dvo^ak, im Menuett von Brahms sein, erst der Schlußsatz (Marcia) stellt uns im Trio eine besondre künstlerische Individualität vor. Dieses Trio besteht näm- lich lediglich aus acht, mit Ausnahme der Instrumen- tierung wörtlich übereinstimmenden Wiederholungen der- selben vier melodiösen Takte. Eine solche regelwidrige Monotonie wagt nur ein Komponist, der mit dem Volk verwachsen ist und ganz genau seine Art und seinen Geschmack kennt. Im übrigen aber schreibt Sibelius hier ganz nach allgemeinem, gutem Snitenbrauch und hält sich dabei ausgezeichnet knapp und kurz. Noch mehr als im Stil, weicht aber die Kareha-Suite von den sie umgebenden sinfonischen Dichtungen im Inhalt ab. Dieser stützt sich auf ganz ähnliche volkstümliche Sangweisen, wie sie in verschiednen Sammlungen vorliegen, sie sind aber sämtlich freundlichen Charakters, so liebenswürdig und reizend, daß sie allein den großen Erfolg der be- scheidnen Komposition erklären.

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I

Die erste Sinfonie (Emoll) des Komponisten, die J.Sibellmi, 1899 gedruckt worden ist, teilt mit der Karelia-Suite die Ente Sinfonie klassische Klarheit und Einfachheit der Themen und Mo- '^^- ^^' tive, aber in ihrer vorwiegend ernsten und trüben Ge- dankenrichtnng steht sie auf der Seite von früheren sin- fonischen Dichtungen. Insbesondre scheint sie ein Werk nationaler Richtung und die am tiefsten in der Heimat wurzelnde Sinfonie von Sibelius, sie scheint eine patrio- tische Betrachtung in Tönen zu sein. Eröffnet wird ihr erster Satz an Stelle der üblichen langsamen Einleitung mit einem Klarinetten solo, das guten Muts beginnt, am Ende aber in einen klagenden Ton fällt Das darauf ein- setzende Allegro (<^/4, Gdur) nimmt in größern Dimen- sionen einen ähnlichen Verlauf: Der in seinem .Haupt- thema :

f ii'^'^irnj rrir-iiiirii iMnirTiiffrn

ausgesprochenen Kraft und Entschlossenheit bleibt der Triumph versagt. Die Ächtelrhythmen, mit denen der erste Abschnitt jenes Themas schließt, der zweite beginnt, gehören zu den Elementarwendungen finnischer Musik, sie sind ähnliche Symptome stark cholerischen Wesens, wie sie auch bei Italienern und Negern vorkommen, die gehäuften Wiederholungen desselben Motivs sind dem naiven Kulturstand des Naturvolks entsprungen. Wir sind also mit diesem Eingang sofort in eine bestimmte ethno- logische Sphäre versetzt, in die der Verlauf der Kompo- sition dann immer tiefer hineinführt. Die Volksseele, von der Sibelius im ersten Satze seiner E molI-Sinfonie ein Bild gibt, neigt zu jähem und erschreckendem Aufbrausen, ihre Musik ersetzt eingehende Ausführungen gern durch kurze in zwei und drei Akkorden explodierende Natur- laute, an andern Stellen brütet sie endlos dahin, dem Jammer wehrt sie und läßt ihn mehr ahnen als wirklich hören, sie zeigt eine Mischung von Wildheit und Selbst- beherrschung, die uns staunen macht, aber auch er- greift und nachhaltig fesselt. Sie zwingt aber auch,

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die Kraft und den Geist zu bewundern,, mit denen der Komponist seiner schwierigen und der sinfonischen Form fremden Aufgaben Herr geworden ist Nament- lich der zweite Satz der Sinfonie bietet da wahre Musterbeispiele fQr die Gabe, mit einfachen und doch kühnen Mitteln der Darstellung den Schein der Natürlich- keit zu geben. Es handelt sich in ihm darum, aus einer augenscheinlich wieder auf musikalische Volksquellen aufgebauten Wehmut in eine erregte Stimmung über- zugehen. Das erreicht er ohne weiteres dadurch, daß er den Viervierteltakt des Hifuptthemas plötzlich von den Bässen im Rhythmus von drei Halben begleiten läßt Damit ist die Unruhe in den Satz eingezogen und unver- merklich gerät alles ins Schwanken. Ebenso meisterhaft führt Sibelius in diesem Andante aus dem Stimmungs- bild hinüber in ein anheimelndes Stück Naturmalerei. In dem Augenblick es ist nach ^er vom Fagott begon- nenen Bläserstelle , wo der Gesang einen leidenschaft- lichen Charakter annehmen will, bricht er ab und lenkt die Aufmerksamkeit mit bloßen, bewegten Rhythmen und hohen Klängen erst der Bläser, dann der Geiger wie auf eine plötzliche Erscheinung in der Außenwelt Es schillert, als ob die Sonne aufgehen wollte, und nicht lange dauerts, da hören wir in Flöten, Oboen und Klarinetten die Vögel singen. Ganz köstlich wird dann dieses Bildchen aus Wald und Flur in das Seelengemälde, das den Haupt- inhalt des Satzes bildet, mit hineingewoben. Als es gilt, sich von ihm zu trennen, da äußert sich der Schmerz wieder einmal in einem kurzen, oft wiederholten Auf- schrei, in dem wieder die ganze finnische Energie zum Vorschein kommt. Das Scherzo hat von der an dieser Stelle üblichen Lustigkeit nur die Rhythmen, im Charak- ter bleibt es dissonanzenreich und hart Nur der lang- same, an die Stelle des Trios tretende Mittelsatz, der von dem Cdur des Hauptsatzes sich weit weg, nach Edur flüchtet, hat den weichen Ton der Sehnsucht Aus- nahmsweise gibt in ihm Sibelius einmal Auskunft über seinen Studiengang und zeigt uns in Robert Schumann

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einen seiner Lieblingsmeister. Das' Finale greift zu Be- ginn auf die Melodie der Soloklarinette zurück, mit wel- cher der erste Satz der Sinfonie eingeleitet wurde. Dann entfesselt es die Leidenschaftlichkeit des Mißmutes, die jener erste Satz ahnen ließ, in voUen Schleusen und lenkt zum Schluß in einen breiten, großen Hymnus der Wehmut ein.

Dieser seiner ersten und wohl . bedeutendsten Sin- J* Sibtilvi, fonie hat Sibelius noch drei weitere folgen lassen. Die ?.7***f ?"*! zweite, eine 1902 Tollendete D dur-Sinfonie und die nur*jj***j3^^^^^^ aus drei Sätzen bestehende dritte (Cdur, Op. 62) sind, wenn man in jener die unheimlichen Mittelsätze ausnimmt, wesentlich freundlicher als die erste, in der dritten steigert sich der hellere Grundton sogar zu ganz drolligen Scherzen. Gleich ihr Anfang Allegro moderato.

gibt davon mit -^jtn - -HJ-lj J 1 t,'' J J Jl nJ*LI_h^ dem Baßeinsatz : * -J ' J' V j -'-'-'-'■: j -■• '

einen hübschen Begrift und zeigt zugleich, wie der Kom- ponist itt der thematischen Erfindung nach wie vor seiner Heimat treu geblieben ist. Überall noch die Melodien mit Halbschluß und in dem so viel besagenden Frageton. Im allgemeinen jedoch ist der Stil des Komponisten in den neuen Sinfonien bedeutend komplizierter geworden. Er schreibt häufig rezitativisch, neigt zu Unterbrechungen und zu grammatischen Kontrasten, etwa in der Art, daß vier thematischen Takten, vier Takte bloßen Akkords folgen, namentlich aber ist der Verbrauch von Disso- nanzen so auffallend gewachsen, daß die Komponisten- partei, welche in diesem Punkte das wesentliche Element der Moderne erblickt, mit gewissem Rechte auf den Ver- treter der finnländischen Sinfonie Beschlag legen darf. Selbstverständlich hat mit dieser äußren Verwandlung auch eine Änderung in der Richtung der Phantasie statt- gefunden. In seiner vierten und augenblicklich letzten '• Slb^lUs, Sinfonie (A moll, Op. 63) ist Sibelius von den Impressio- v*««**« Sinfonie, nisten kaum noch zu unterscheiden. Er berührt sich in ihrem ersten Satz ganz direkt und wohl auch stofflich mit den Meeresskizzen Debussys, auch die fast Zolaische

Krstzschmar, FQbrer. I, 1. 34

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Umst&ndlichkeit des Einleitens, Vorbereitens und Sam- meln» teilt er mit ihm. Es liegt in der Natnr seines neuen Systems, daß Sibelius von der artistischen Seite her interessanter geworden ist; man findet da Vorausnahmen, die den Harmonielehrer entrüsten können, aber jedenfalls beschäftigen, 6 Seiten lange liegende Stimmen, die sich erst im letzten Takt, des Satzes auflösen, andre Stellen, wo ein kleines Ostinato-Motiv sechsunddreißigm^ wieder- kehrt, wo auf einem C dur-Akkord sechzehn Takte lang nur . G und C wiederholt werden , man findet Figuren, in denen Streicher und Bläser von demselben a aus in

die Höhe stürmen und, oben ankommen, die einen d, die

andren des ergreifen usw. Aber man findet auch wertvolle Malereien vom Glockenklang und andre Produkte feiner Naturbeobachtung, und vor allem findet man noch gute und charaktervolle Themen. Ein solches ist das an der Spitze des Schlußsatzes dieser AmoU-Sinfonie stehende, das eine frohe Stimmung mit einem ganz eignen Stich ins Obermütige ausdrückt. Diese Tatsache berechtigt zu der Hoffnung, daß mit der Zeit der alte Sibelius wieder reicher zu Worte kömmt! '

Die andern Vertreter der finnländischen Schule, an ArHM Jinefelt. ihrer Spitze Järnefelt und Mielck, sind mit Sinfonien RrtBt Xlelek. noch nicht über die Heimat hinausgedrungen.

Das Böhmerland hat vom achtzehnten Jahrhundert ab dank in erster Linie seinem Adel, der das vom kaiser- lichen Hofe gegebne Beispiel der Musikliebe und Musik- pflege mit Eifer, Qpferfreudigkeit und Geschick aufnahm, die Tonkunst aller Staaten mit so zahlreichen und vor- ' züglicnen ausübenden Kräften versorgt, das man es < war wohl Bumey, der das tat von Böhmen als dem Konservatorium Europas sprechen konnte. Merkwürdiger . Weise steht aber der Anteil, den das schöne Land an der Komposition nahm, quantitativ und qualitativ hinter der Bedeutung sehr zurück, die es als Bezugsquelle von Instrumentalisten aller Art, von den einfachen hausieren- den Spielbanden über die Kapellmitglieder hinauf bis zu

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den großen Virtuosen gehabt hat. Insonderheit kommt die böhmische Komposition in der Sinfonie und den ihr verwandten Formen nur wenig in Betracht Mit F. Ben da, F. B«ate. L. Kozeluch, Mysliweczek, Reicha, V. Ma schock J-K«««!««*- sind die Namen erschöpft, die auf diesem Gebiete in^^iS^ der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts außer- y. Magekeek. halb ihrer Heimat bekannt geworden sind; zu ihnen kommt noch der bereits erwähnte D. Zelenka als D. Keienfca. Meister in der Qrchestersuite , neben ihm A. TumaA.Ts«». und Fr. Dussek als Konzertkomponisten. In einem Fr. Ditiek. längren Abstand folgt dann W. J. Tomaschek mitw. LTonasekek, einer Esdur-Sinfonie, die in ganz Deutschland fast ein BsdnrSiiifom«. Jahrzehnt lang gespielt und mit großer Achtung be- urteilt wurde. Sie hat im dritten Satze, der, för jene Zeit noch außergewöhnlich, als Scherzo betitelt ist, eine durch einen ausgesprochnen Hang zum TrQbsinn ungewöhnliche Nummer und zeigt einige tiefe Regungen in der Einlei- tung des ersten Satzes. Im allgemeinen waltet aber in ihr nur ein kleiner Geist, der von fremden Tischen, ins-- besondre von den Mozartschen Opern genährt wird. Die Arbeit zeigt Vorliebe für die kleinen Künste der Kontra- punktik, wie denn Tomaschek als eine Größe in der strengen Form und auf Grund seiner Kirchenkomposi- tionen, namentlich des Requiems, mit Recht betrachtet wurde*). Das schließt jedoch ein großes auf Ungeübtheit beruhendes Ungeschick im Orchesterstil nicht aus. Fast unablässig schnörkelt die erste Violine in schematischen Figuren dahin, während die andren Instrumente in träger Ruhe so lange daliegen, bis sie zu einer Nachahmungs- parade befohlen werden. Was uns jedoch am meisten an dieser Sinfonie interessiert, ist ihr Verhältnis zu böh- mischer Nationalmusik. Tomaschek hat Lieder aus der KOniginhofer Handschrift komponiert, läßt also Liebe für die Stammeskunst seiner Heimat erwarten. Doch bietet seine Sinfonie hierin nichts als eine Vermutung, näm- lich die: daß das erste Thema des Finale aus alter

*) Rudolph Freiherr Prochazka: Arpeggien 1S97, S. 66.

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böhmischer Volksmusik stammen könnte. Wir teilen es hier mit:

TlTaoe.

und überlassen es Berufenen, den Sachverhalt festzu- stellen« Gesetzt: es ist slavisch, so würde doch in der Tomaschekschen Sinfonie das nationale Element einen immer noch weit geringeren Anteil haben, als sich in der Suite Zelenkas ergab.

Auf Tomaschek folgt als der nächste böhmische Sin- foniekomponist von Bedeutung Job. Wenzel Kalliwoda. Er ist bereits in einer andren Gruppe behandelt worden und kann unter die Vertreter einer spezifisch böhmischen Musik nicht gerechnet werden, da er nur nebenbei Volks- melodien anklingen läßt. j. F. utti, Anders verhält es sich mit einem Schüler Tomascheks,

Jagdsinfonic. mit Job. Friedrich Kittl, der vom Anfang der vier- ziger Jahre ab auch mit mehreren Sinfonien hervortrat, unter denen die >Jagdsinfonie€ besonders verbreitet war. Es ist ein Beitrag zur Programmusik; die vier Sätze heißen : 1. »Aufruf und Beginn der Jagdc, 2. »Jagdruhe« (Andante], 3. »Gelage« (Scherzo), 4. »Beschluß der Jagd«.' Als Jagd- musik weicht die Sinfonie von allem früheren Brauch, wie er in der Zeit von Stamitz, Haydn und M4hul und weiter zurück sich feststellen läßt, dadurch ab, daß sie nicht in Ddur, sondern in Esdur steht. Auch das ist ungewöhn- lich, daß sie nicht bloß Hömersignale und Fanfaren, son- dern im ersten Satz ein ganzes Jagdlied gibt. Es eröffnet die Sinfonie in der Form eines Hornquartetts. und hat folgende Melodie

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III I 1^1

iii 1 1 iifi iiijiTm

die ihren Taktgruppen nach wohl slavischer Abkunft sein könnte. Jedenfalls ist die ganze Sinfonie mit gleichviel ob originaler oder nachgebildeter Volksmusik durch- tränkt wie keine andre seit Haydn. Oberall klingen uns die kurz angebundnen, heitren und frischen Weiten ent- gegen, die der böhmischen Musik eigen sind. Auf ihnen beruht der lebendige, temperamentvolle Charakter der Sin- fonie, die mit Ausnahme einiger äußerlichen Obergänge von Gruppe zu Gruppe im ersten Satz sehr sicher und auch eigen gestaltet ist. Namentlich im Rleinverkehr inner- halb der Perioden bewegt sich der Komponist flott, rasch und reich an feinen Wendungen und zeigt ein ungewöhn- liches Talent Mendelssohn nahm die Widmung der Sin- fonie an, Spohr lobte sie, Schumann hob sie unter den Neuerscheinungen des Winters 1840 nachdrücklich her- vor*), R. Wagner schätzte den Komponisten hoch genug, um ihm ein eignes Operngedicht (»Die Franzosen vor Nizza«) zu überlassen. Um Kittls Sinfonie aber in ihrer natio- nalen Bedeutung, in ihrer Ideenrichtung voll zu würdigen, war, als sie entstand, die Zeit noch nicht gekommen. Weder bei Deutschen noch bei Böhmen selbst. Denn diese hatten sich bisher, wenn sie Sinfonien schrieben, um ihre Volks- musik doch nur sehr wenig gekümmert, und auch Kittl wird den Weg seiner > Jagdsinfonie« mehr zufällig und instinktiv eingeschlagen haben. Erst als nach den achtund- vierziger Wirren die nationaltschechischen Bestrebungen auf sozialem, politischem und literarischem Gebiet mit ver- stärktem Eifer aufgenommen wurden, begannen allmäh- lich auch die böhmischen Tonsetzer über die Eigen tüm-

*) Neoe ZeiUchrift für Musik, 1840, S. 139.

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lichkeit ihrer Volksmusik und über ihren Zusammenhang mit dem Wesen und der Begabung des Stammes klar su werden. Heute ist in dem Neuhussitentum, dafi sich in Böhmen gesammelt und zum Sturm bereitgestellt hat« die musikalische Gruppe eine der von Glück, natürlicher Kraft und Talent begünstigsten, einflußreichsten, wohl auch der Oberhebung und der Verblendung am stärksten zu- r.SaeUBa« geneigten. Ihr Vater war Fr. Smetana, ein Künstler, dessen seelischer Reichtum, dessen klare, einfache Ge- staltungskraft nationaler Stützen und Hilfen gar nicht be- durft hätten. Sein Emoll-Quartett bezeugt das. Smetana hat in seiner Jugend eine Sinfonie nach Beethovenschem und Inehrere sinfonische Dichtungen nachXiszts Muster geschrieben, dann aber seine volle Kraft auf die Kom- position von zahlreichen Opern gelenkt, die alle keinen Zweifel darüber lassen, daß die heimische Volksmusik mit dem Herzen dieses Tonsetzers verwachsen war. Erst als sich der Weg ins Weite für diese Bühnenwerke vorläufig als verhauen erwiesen hatte, als Taubheit Smetana zwang, dem Taktstock für immer zu entsagen, wendete er sich wieder der Instrumentalkomposition zu. »Um sich die Mittel zur Konsultierung berühmter ausländischer Spezialisten zu versehaffenc sagt Wellek*^) gab Smetana ein Kon- zert am 4. April 1876, in dessen Programm zwei »Sinfonien« : »Visehrad« und »Vltava« hervorragten. Das sind die ersten beiden Stücke eines Zyklus von sechs sinfonischen Dichtungen, die dem für die Schönheit und den Charakter der heimischen Volksweisen empfänglichen, schlicht ge- staltenden Künstler und dem für die Vergangenheit, für die Greschichte und die Natur seines Geburtslandes be- geisterten Patrioten gleich viel Ehre machen. Denn es war Smetana bei seinem Zyklus nicht bloß um eine er- freuende, heimisch anklingende, Phantasie und Gemüt bewegende Komposition zu tun, sondern es sollte ein musikalisches Epos, eine monumentale Verherrlichung von Böhmens größten Helden und Zeiten, ein Kranz schwärme-

**) BroiiisUw Wellek: Friedrich Smetuia. 1895.

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rischer und inniger Gesänge zum Preis von Land und Leuten werden. Von diesem Gesichtspunkt aus wählte er den Gesamttitel Vlaat, d. L Mein Vaterland, und dßn p. gmetM»« Inhalt der einzelnen Stücke. Der Form nach sind diese »Mä Yiast«. Stücke einsätzige Kompositionen. Smetana hat sie als sinfonische Dichtungen bezeichnet, obwohl sie sich mit der Natur dieser von Liszt eingeführten Gattung nur teil- weise begegnen. Sie sind viel einfacher angelegt. Sie hier in . den Verband von Sinfonie und Suite mit einzu- reihen veranlaßt und berechtigt der Umstand, daß sie ein zusammenhängendes, durch gemeinsame Themen ver- bundenes Ganzes bilden. Die ersten vier sind 1874 und 1875 entstanden, die beiden letzten erst drei und vier Jahre später hinzugefügt, alle zusammen erst nach der Wiener Theater- und MusUsausstellung weiter bekannt ge- worden. Wohl mit Recht ist dieser Zyklus als Smetanas Hauptwerk bezeichnet worden. Man darf bei diesem Ur- teil die vaterländischen Absichten des Komponisten ganz beiseite lassen und sich auf den musikalischen Wert be- schränken. Da bleiben allerdings, wie überall, die von Polka, Marsch und heimischen Tanzweisen abgeleiteten Abschnitte die anheimelndsten, vom stärksten, mächtigsten innern Strom getragnen. Aber Smetanas Talent wird hier doch auch in seinem weiten Umfang offenbar und zeigt sich in dem weiten Bereich von der Schilderung des heim- lichen Naturlebens, phantastisch luftigen Elfentreibens bis zum Ausdruck der feierlichsten Stimmungen und großer, Welt bewegender Ideen sicher und ergiebig. Freilich bleibt darum zwischen ihm und Mozart immer noch derselbe Ab- stand wie zwischen Dvofak und Beethoven. Der neuste Biograph des böhmischen Tonsetzers hätte sich dieses Vergleichs besser enthalten, schon deshalb, weil unsre Zeit weder eines Haydn, noch eines Mozarts, noch eines Beethovens fähig ist.

Bei der Komposition seiner Tongemälde hat sich Sme- tana in die Rolle eines Rhapsoden alter Zeit hineingedacht, der seinen Zuhörern von großen geschichtlichen Begeben- heiten erzählt und sie dazwischen hinein vor liebliche

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Idylleu führt. Zu der ersten Klasse gehören I. Vyaehrad, 111. Särka, V. Täbor und VI. Blanik; zur zweiten: it Vltava (Moldau) und IV^ Z 6eskych luhuv a häjftv, d. i. Aus Böh- mens Hain und Firn.

Zu dem Zyklus gibt es kurze Programme von V. Zeleny, die deshalb beachtet werden müssen, weü sie (nach Wel- lek) Smetana selbst beglaubigt hat. . Danach ist der In- halt des ersten Stückes: »Vysehrad« folgender: F. SmetftBft, Der Dichter hört beim Anblick des Yysebrader Felsens Im

Vyt«liTftd. Geiste die Klänge der Leier des sagenhuften Sängiers Lumir.

Vor seinen Blicken erbebt sich der VyscbUd im Glänze seiner glorreichen Vergangenheit wieder. Auf dieser Hochburg, wo . der Thron der Herzöge und Könige aus dem Geschlechte der Pi^mysliden stand, versammelte sich die Ritterschar zu Ding- und Heerfahrt. Die Feste dröhnte in ihren Gründen vom Tritt der einziehenden Krieger und ihrem Triumphgesang. Bald sieht der Dichter aber den Untergang der alten Glorie. Wilde Kämpfe wüten und die herrlichen Hallen des Königssitzes zerfallen in Schutt und Trümmer. Auch diese gewaltigen Stürme verstummen, der Vysehrad steht öde und verlassen da, ein Bild vergangnen Ruhms. Aus seinen Ruinen hallt klagend das Echo des längst verstummten Saitenspiels Lumirs nacb.

Nach dieser Angabe haben wir in der Komposition drei Bauptteile zu erwarten, die nacheinander den Glanz der Burg, den Kampf, der um sie geführt wird, und ihr Ende, iluren Verfall schildern. Sie finden wir auch in der Musik und bemerken dabei sofort, daß Smetana seine Schilderung durch Einfügung begleitender und bereichern- der Züge sehr wirksam zu beleben weiß. Zu jenen drei Teilen tritt noch anhangsweise ein vierter, in dem aus den Augen des beutigen Geschlechts noch einmal ein Rück* blick auf die vorgetragnen Begebenheiten geworfen wird. Dabei tritt naturgemäß die Zeit des Glanzes wieder her- vor und die Perioden des Unglücks bleiben im Dunklen. Die etwas künstliche Vermittelung der Schilderungen durch den altböhmischen Orpheus, den Sänger Lumir, hat Sme- tana wahrscheinlich nur der Harfeneffekte wegen ins Pro- gramm genommen. Bei den spätem Stücken des Zyklus

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fällt sie weg. Hier in Yysehnad gibt sie Gelegenheit zu einem romantischen, stimmungsvollen Eingang: Von Harfen vor- getragen hören wir den wichtigsten Melodiekern des Satzes

LtfnML'i I *. . d®^ Smetana

in verschier dener Weise zu Perioden

weiterbildet. Die erste Harfe rauscht in die Pausen des schritt- weise langsam aufsteigenden, sich aufbauenden Themas Ar- peggien hinein. Bei Harfenklängen denkt jedermann gern an den König David, an den blinden Homer und an die von Klopstock geschilderten Barden. Sie führen die Phantasie unwillkürlich in. alte Zeiten, und der Balladengeist des The- mas tut das Weitere, sie da festzuhalten. Nachdem die Me- lodie, die von vornherein schon elegisch gestimmt ist und auf verschwundne Herrlichkeiten hinweisen kann, zweimal durch die Bläser gezogen .fl.u . ^

ist, spielt die Musik ganz yHi J "J J j^ j^ I /J^^ kurz auf Rittertum an mit P-P ' ""^ =^

wozu die Trompete noch ein ausdrückliches Heersignal beisteuert, und fügt diesem neuen aus der laterna magica gesehnen Bildchen gleich ein weitres, sofort breiter ausge- führtes Motiv zu, das in sei- „—.—«.«—_ einen ge wis- ner Zusammensetzung aus:^^t[^ 1^ ^ J I J^sen Hinweis einfachen Dreiklanesnoten^^ J ■* " »^ J "^ ^auf Wasser-

einfachen Dreiklangsnoten ^^ * " ^ - 'auf Wasser musik bietet Es ist wohl kaum zu bezweifeln, daß Sme- tana mit diesem Motiv zunächst auf die WeUen der Moldau hat hindeuten wollen, die noch heute den Prager Stadt- teil bespülen, der an der Stelle entstanden ist, wo ehe- mals die stolze böhmische Fürstenburg lag. Doch hat sich der Begriff des Stroms, den diese Töne zuerst trugen, unwillkürlich zu dem des Landes und der Landeskraft er- weitert. So kommt es, daß Smetana, wenn die Melodie des Vysehrad im begeisterten Ton erklingt, in der Regel den größten Schwung der Stimmung in Bildungen über- leitet, die aus diesem Wassermotiv hergenommen sind. Bald kommen wir an eine solche Stelle. Nachdem das bisher beschriebne Material aufgestellt ist, bringen die

^

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Sireichinstrumente den Gesang vom Yysehrad in Bdur. Am Schluß dieser Periode fängt es an zu fluten, und nun himrot das volle Orchester im glänzendsten Klang die Melodie in der Haupttonart durch. Die Melodie klingt jetzt vollständig folgendermaßen:

^?Sß

7 i7~^

Trompeten und Homer schmettern darein das im vierten Takt zuerst neu eintretende, durch das Sech- zehntelpaar bemerkbare Motiv drängt sich hervor und teilt sich mit dem Wassermotiv in eine Fortsetzimg, die bis zu Lauten höchsten, trunkenen Jubels führt Als er abbricht, hören wir still wie mahnend die Klänge vom Vy§ehrad und von der Moldau, die eine lange Strecke immer leiser miteinander wechseln. Und als die Wellen kaum noch sich bewegen da setzt der zweite Teil ein: die Schilderung der bösen Zeit, der Zeit der Kriege und Kämpfe.

Das Mittel, um diesen Kampf um Vysehrad zu schil- dern, nimmt Smetana aus dem ersten Teil seines Ge- mäldes, indem er das Burgmotiv in der geistreichen Weise liszts folgendermaßen umbildet:

Diese verzerrten Rhythmen genügen schon allein, den häßlichen Streit zu malen; den wachsenden Kampfes- eifer bezeichnen lange Figuren, in denen das Streich- orchester sich verworren windet, um einstimmig, atemlos und wuchtig nach der Höhe zu stürzen. Dann beginnt ein kontrapunktisches Spiel, das den Fortgang des Kampfes sehr gut veranschaulicht. Das aus dem Burgmotiv ab-

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geleitete soeben angegebene Streitmotiv wird in EngfOhnuigen voröbergetührt, an denen alle Stimmen so teilnehmen, daß wir Viertel auf Viertel schneidige Ak- zente hören, so als ob Streich anf Streich herniedersanste. . Die steigende Kampfeshitze malen Streicherfiguren wie

\^_^ kp_ fn oder es tre- ten wieder die chroma- tisch verworrenen Unisono-Gänge dazwischen, die sich dem Streitmotiv gleich beim ersten Erscheinen anschlössen:

cresc.

An einem Höhepunkt dieser Schilderung erscheint das Burg- -^ ^ ^ ^ Das sind die froh-

motiv in ^Lk f f fT if f i fl lockenden Verteidi- folgender ^^ ^ ir-^- ' *^ ' ger- der Angriff Form: «^ scheint abgeschla-

gen. Da stürmen und wie der Anfang des Themas zu schließen erlaubt vom Moldautale her frische Scharen an:

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fi'i"fn°JT^iii r I 'i"°jr^jri|i pff|

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Wie das langsamere Tempo zeigt, wird der Sturm jetzt beson- nener, kräftiger, wuchtiger geführt. Die Folge hören wir in : iQariiietteB. Das ist das Burg-

^^'l. f , f^ji I f^^^^:^ Zr it

P "^^ =' sen Klage, einer

Warnung gebracht. Es ist die Stimme des ahnenden, erschreckten Hausgeistes. Sie spricht zuweilen sehr drmg- lich, aus offener Gefahr heraus ; aber in der Hauptsache so freundlich bittend, daß man aus ihr das Lied des Herolds, der den Frieden verkündet, hören könnte, wenn nicht die kriegerischen Signale der Trompete uns über- zeugten, daß der Kampf fortgeht. So treten denn auch

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die neaen Scharen, die sich unter dem Moldaumotiv ge- sammelt haben, bald zum letzten Sturm an. Kurz darauf erscheint das Verteidigermotiv wie in größter Not, in . kurzen Wiederholungen, die an Hilfe- und Angstgeschrei gemahnen. Daran knüpft sich ein Zurückgreifen auf den Anfang des Allegros! Die Motive des Streits und der Verwirrung tauchen in potenzierter Bedeutung auf und im selbigen. Augenblick fällt die Entscheidung. Der Klagegesang, den wir vorhin nur wie eine leise, ver- einzelte Stimme hörten, kommt (beim Piü mosso, Gdur) fff vom ganzen Orchester. Wir sind damit in den dritten Teil des Stücks eingetreten. .Er wird zu einer leiden- schaftlichen, heißen Siegeshymne. Aber an ihr Ende reihen sich die Sturmmotive noch einmal; sie haben jetzt den Charakter von Verwünschungen, klingen äußerst hef- tig und stechend und führen zu einer in breiten Noten und auf Tremolos aufbauenden Klage. Das bedeutet den Fall von Vysehrad, und damit schließt der dritte Teil. Mit Piü lento setzt der Anhang ein. Er zeigt in leisen Ton- farben wie >in der Ferne längst vergangner Zeiten« und wesentlich verkürzt die Bilder, die eben lebendig an uns vorübergezogen sind. Zunächst knüpft er an den Klage- hymnus an, dessen Motive er zwischen Dur und Moll wechseln und schillern läßt, dann führt er das Burgmotiv in der ernst elegischen Fassung vor, in der es die Kom- position eröffnete. Sehr schön fügt nun der Koftiponist diesen ruhigen Betrachtungen noch einige Zeilen aus glühendem Herzen hinzu. Die Musik wallt auf in langen Triolengängen und nimmt noch einmal in Schwung und Begeisterung die Burgmelodie auf. So freut sich das neue Geschlecht der herrlichen Vergangenheit seines Volkes und hofft. Darauf wird es still. Leise rauschen wieder die Wellen der Moldau, wie im Traum klingt nochmals Rittermusik und Burgmotiv an, und die Harfe breitet einen Schleier über alle die Szenen aus Vergangen- heit und Gegenwart.

Wie diese Untersuchung ergibt, ist die ganze Kom- position nicht bloß sehr klar, sondern auch poetisch reich

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entworfen und durchgeführt. In ihrem musikalischen Wesen spiegelt sich neben dem Einfluß des Volksliedes, den der Klagesang am deutlichsten zeigt, am stärksten der von Beethoven wieder.

Das zweite Stück des Zyklus, »Vltavac betitelt, ist f. SneUB«, vor allen den anderen am frühesten und weitesten be- yiUto. kannt geworden, obwohl es viel weniger Geist enthält als z. B. 9Vy§ehrad«. Es verdankt diesen Vorzug seinem heiter romantischen Charakter und der leicht verständ- lichen Form, in der es seinen Inhalt entrollt. Dieser besteht aus einer Reihe von Bildern, die einfach an- einander gereiht sind; nur einzelne sind durch ein ge- meinsames musikalisches Motiv verbunden, eine munter dahingleitende Sechzehntelfigur, die das Spiel der Wellen in ähnlicher Weise, wie das schon seit Jahrhunderten geschehen ist, veranschaulichen will. Denn der Gegen- stand des Programms dieser zweiten sinfonischen Dich- tung, die >Vltava«, ist die Moldau, der Hauptstrom des böhmischen Landes.

»Zwei Qaellen sagt die von der Veilagshandlnng ¥61- öffentlichte Inhaltsangabe entspringen im Schatten des B5b- merwaldes ; die eine warm und sprudelnd, die andere kühl and rnhig. Die lastig in dem Gestein dahlnraaschenden Wellen ▼ereinigen sich and ergänzen in den Strahlen der Morgensonne. Der schnell dahineilende Waldbach wird zum Flasse Vltava, welcher, immer welter darch Böhmens Gaue dahinfließend, za einem gewaltigen Strom anwächst; er fließt darch dichte Wal- dungen, in denen das fröhliche Treiben einer Jagd immer niher hörbar wird and das Waldhorn erschallt, er fließt dnrch wiesen- reiche Triften and Niederungen, wo unter lastigen Kl&ngen ein Hochzeitsfest mit Gesang und Tanz gefeiert wird. In der Nacht belustigen sich die Wald- und Wassernymphen beim Mond- scheine auf den glinzenden Wellen, In denen sich die vielen Burgfesten und Schlösser als Zeugen vergangener Herrllehkeit des Rittertums und des geschwundenen Krlegsruhmi vergange- ner Zelten abspiegeln. In den Johannlsstromschnellen braust der Strom, durch die Katarakte sich durchwindend, und bahnt sich mit Gewalt, mit sch&umenden Wellen den Weg durch die

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Fel8«ii8palte in das breite Flußbett, in welcbem er mit maje- sAÜscIiei Rohe gegen Prag weiter dahinfließt bewiUkommt vom altehrwürdigen Tysefarad, worauf er in weiter Feme den Augen des Dichters entschwindet«

In diesem Programm ist zu dem, was der Komponist wirklich bietet, einiges hinzugedichtet Smetana hat in der Partitur selbst über seine Absichten knappe Ausknnft gegeben: sobald ein neues Tonbildchen eintritt, wird es durch eine Überschrift vorgestellt Der erste Abschnitt heifit darnach >der erste Strom«, damit ist gemeint: der Anfang des Stromes. Folgendes Thema

AUegro commodo noa agitato. ^^^^^

I j) g liegt ihm zu Grunde. Mit spärlichen und kurzen To- nen der Harfe und der Violine begleitet, tragen es zuerst die beiden Flöten vor, denen s\ph von dem Trugschluß auf G dur ab die Klarinetten gesellen. Ob diese beiden Instru- mente wirklich auf die Zweiheit der Moldauquellen, die in dem angeführten Programm betont wird, Bezug haben sollen, kann bezweifelt werden. Die Tonfarben der beiden Holzbläser scheiden sich doch nicht wie warm und kalt; außerdem hat der Komponist ersichtlich an viel mehr kleine Wässerchen gedacht, die zum Bach und zum Fluß- chen zusammenlaufen. Es rauscht in vierBläserstimmen, die Bratsche murmelt ihre langen Triller dazu, es mehrt sich unermeßlich, als das Streichorchester die Wellen- motive mit aufnimmt. Die Wasserpoesie Smetanas hat nicht den träumerisch ruhigen Charakter, der uns an M. y. Schwinds Melusinenbilder fesselt. Sie nähert sich dem mnsikalischen Stil von Mendelssohns Hebriden- Ouvertüre, unterscheidet sich aber von ihr durch die viel munterere Natur der Motive. Sie stellen die junge Moldau als ein frisches Gebirgskind dar, das es eilig hat Der kleine Fluß gleitet allmählich etwas gleichmäßiger dahin, und dieser Abschnitt seiner Entwickelung wird von einer

r

--♦ 543 ^^

Melodie dargestellt, die, weun sie nicht Volkslied wäre, zar Hälfte von Mendelssohn .stammen könnte:

f 9} pTf ' f P I r > HoIzWäaer führen diese Mol- -*=>- s»"— daumelodie, die bereits in

den Sechzehntelmotiv^n des Anfangs vorausklang, mit den ersten Violinen ein, in den anderen Geigen rauschen die Wellenmotive stärker und mit kräftigerem Anlauf. In den Hörnern klingt es frühlingslustig darein. Mächtiger wird der Schwung dieses Gesanges, als er nach G dur tritt: er schwillt zum ff an und findet als träte er in die volle Sonne und in das blühende, reiche Land hinaus einen mächtigen, mit seiner Schönheit ergreifenden und doch einfachen, im volkstümlichen Stil bleibenden Abschluß in Edur. Merkwürdig, wie dieses Dur einschlägt, obwohl Smetana das gis nur streift und zum g zurückkehrt. Dem nächsten Abschnitt hat Smetana die Aufschrift »Waldjagd« gegeben. Daß er am Strom weiter spielt, hören wir aus den Geigen, in denen die Wassermotive fortgeführt werden. Die Bläser aber, natürlich die Hörner voran, entwickeln eine neue Musik aus Fanfaren. Das neue Bild bringt in die Komposition ein kräftiges Leben, das zu der vorhergegangenen Wasserstimmung iLTk sich schon eine Steigerung bildet, aber durch die Entwickelung der Jagdthemen, die auf folgendes Motiv jmmfmm s^v zurückgeheu, noch viel

i[| Ji 3j jTjj I f^Ji =S| mächtiger wirkt. Denn ff" 41 Hl ' A 1 i.=^ Smetana führt sie in den ^ scharfen Wendungen der

Modulation von Periode zu Periode, (von 0 nach 0, nach Ff nach Ej, die uns allen aus dem ersten Satz von Beet- hovens Pastorale in Erinnerung sind. Es ist das wieder eine Stelle, die den böhmischen Komponisten in Beet- hoven tief eingedrungen und von seinem inneren Wesen gefördert und geleitet zeigt. Die Jagdszene verklingt auf

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einem langen Edurakkord wie in weiter Ferne, und nun kommt »die Bauernhochzeit«, die vielleicht unter den kleinen Bildern, aus denen >Yltava« besteht, am meisten bestrickt Diese Musik, deren Grundstoff auf d^n vier Takten

ruht, könnte unmittelbar aus einer der Opern Smetanas genommen sein, Es ist eine polkaartige Tanzweise, ein Stück Volksmusik, wie es in seiner naiven Anmut und mit dem kleinen Beisatz von Derbheit bei den Böhmen allein vorkommt Liebenswürdigere Kunst, als sie in dieser kleinen Dorfszene vorliegt, gibt es nicht; gern trägt man so ein Stückchen für alle Fälle mit sich durchs Leben. Auch dieser Satz verklingt ganz leise; wieder schiebt der Komponist eine kleine Leiste ein. und da- hinter zieht er das nächste Bild auf mit der Überschrift »Mondschein, Nymphenreigen«. Es ist mit der Wasser- szene, die die Komposition einleitet, nahe verwandt, wie es denn auch am Schluß in die Moldaumelodie ausläuft, die die zweite Hälfte jenes Ab- uq.

sohnitts bildet. Bis dahin rAtiib» =jgHBPj h .

entwickelt sich die Musikauf#^ L^J P ^

Grund eines Naturmotivs 2.fi.

das bald in folgender bestimmteren thematischen Form

■BüHB PFP! rt^HLh__ ^^^ ^^° Flöten ^b'l>» jTp ^ ^ ' iTf r r "1 durchgeführt wir 1. ^ ^— -^ ' *"*iW p Die Klarinetten be-

gleiten in sanften Triolen, die Violinen hauchen einen breiten Gesang in die zarte Farbenstndie hinein, auch die Harfe macht sich mit glänzenden Klangtropfen bemerk- lich. Soviel das Mondlicht auch wechselt: immer bleibt das Spiel unverändert zierlich, die Bewegung der Nymphen fein bis zum Unerkennbaren. Die Dynamik des ganzen Abschnitts hält sich im pp; nur an einer Stelle, wo die

_-^ 545 «^

Mtisik nach Hdur tritt, kommt em crescendo, das dezent nach einem p und in die Wassennnsik des ersten Ab- schnitts von »Vltava« zurückführt. Schon aus dieser Wendung läßt sich vermuten, daß der Komposition die Rondoform zu Grunde liegt. Das Moldaulied ist ihr Hauptsatz, die anderen Ideen haben die Bedeutung von Episoden, Zwischensätzen. An den Abschluß des Lieds reiht sich ein neuer Abschnitt, den Smetana >St. Johann- Stromschnellen« überschrieben hat. Die Gewalt des Wassers, das Toben, Wü- -jhr-^^^^^-rz i 0 r n ten des Elements ist auf -ffl " jT^zJ [cfrf^^^^^ Grund folgender Motive jf— ===^ ""^^ ^^^ _ j Hj II Ml T II II veranschaulicht, die

'^"^ ^S "itjjjjlM >' "jja "-^ von den Geigen bis jUr""^^^ ^ zu den Cellis durch

das Streichorchester unaufhörlich erklingen. Ruht die eine Stimme auf einer Achtelpause, rauschts in einer anderen. Die Kontrabässe spielen mit immer gleichem Eifer wieder

nndwieder k . ^^ jT^m ia» ß^^ i*^ *^^

die wuch--yPn4|J J) iy* I [■ P r P rr iMotiven der tige Figur " Moldaunielo-

die gebildet, dj,e auch während der ganzen wilden, rea- listisch aufregenden Szene in leibhaftigen Bruchstücken in den Bläsern anklingt Auch in anderen kurzen Mo- tiven und sprechenden Klängen äußert sich Hilfe- und Angstgeschrei und verzweifelte Verlegenheit. Endlich -(nach einem fff des vollen Orchesters) ist die böse Stelle Überwunden. Ein decrescendo und ein crescendo der Geigen und nach wenigen Takten sind wir wieder beim Hauptsatz des Rondos, bei der Moldaumelodie, die im glänzenden Edur mit der Oberschrift: >Der breiteste Strom« einsetzt und drängend, wie zum Aus- druck freudigster Erregung, varriiert wird. Ihr folgt als der letzte Abschnitt, als Schluß der Komposition ein in Edur gehaltener, zu zwei Dritteln auf dem Akkord der Tonica liegender Satz, der das VySdirad- motiv in breiten Rhythmen zum Thema nimmt und in der Art der Weberschen Jubelouvertüre umspielt. Die

Krot r.Bch in tr, Führer. I, 1. JIÖ

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Moldau fließt ja an Prag und an der alten Fürstenburg Yorbei. p. gMcUsa, Wenn die dritte Nummer des Zyklus,» 8 ärka«, wenig §drka bekannt geworden ist, ja es noch nicht einmal zu einer gedruckten Partitur gebracht hat, so liegt der Grund in der Komposition. Sie ist wohl dramatisch geplant, aber sie bleibt zu vorwiegend hart und grausam, und was die Hauptsache: in der musikalischen Erfindung ist sie mit Ausnahme von zwei Stellen nur mäßig gut und ohne die Reize der Volkstümlichkeit Das Programm viel- leicht aufgedrungen scheint Smetana nicht erwärmt zu haben.

Dlika, nach deren Nameu auch ein f al im Norden Ton Prag benannt lat, var eine der Anführerinnen in dem langen Krieg, den die böhmischen Jungfiranen unter dem Oberbefehl der von Karl Egon Ebert besongnen Wlasta gegen die M&nner dea Landes führten. Der Bitter Gtirad findet sie im Walde an einen Baum gebanden und löst, die List nicht merkend, mitleidig der Tod- feindin die Fesseln, führt sie in sein Lager und feiert mit den Genossen den Liebesraab. Als aber die Bitterschar trunken in Schlaf gefallen ist, mft Sarka die Amazonen herbei, und Otirad >idrd mit den Seinen niedergemacht ^

Der erste Abschnitt der sinfonischen Dichtung schil- dert Krieg und Kämpfe auf Grund des Themas:

AU«gro eoa ftiooo.

jihP^I^^^^^

JffV

sehr energisch, an einer Stelle dramatisch aufregend. Es ist da, wo den Fluß der wilden Triolengänge plötzlich die stok-

kenden friiji^' * P ^^^^^^^i\^Ün Rhythmen V ^ .

unterbrechen« Deuten sie auf einen ungeheuren Eni- Schluß, auf das Wagnis, zu dem Särka bestimmt wird? Noch eine andere Stelle fällt durch ihre Weichheit aus dem Ton dieser Amazonenmusik:

647

P

Soll in ihr des Weibes eigentliches Wesen die Amazonen;

roaske durchbrechen? Der zweite Abschnitt ist eine Marsch-

mnsik, die auf das folgende liebenswürdige Thema gestelltist :

_. - . Mit ihm

g" JXJX^^ (^i ' Ji J J7^ l ^ Smetana

S* die Rit-

ter als gutmütige, sorglose Leute; etwas fester treten

sie in den Bläsermotiven fi J i - i ! i

auf, welche mit dieser Gei- ^ ü f t ^ M p |^ J I genstelle zusammengehen: ^ ^

Diese Rittermnsik, die den ersten von den musikalisch glücklicheren Abschnitten in >§ärka« bildet, erhält plötz- lich durch eine klagende Melodie der Klarinette einen Gegensatz. Wir haben uns darin die Stimme der an dem Baum hängenden äärka zu denken. Endlich wird sie von den Rittern entdeckt. Der Marsch pocht viermal ff und mit Nonenakkorden i— ^ i Dann folgt ein Dialog zwi- auf dem Rhythmus #• J sehen Klarinette (Särka) und Cello (Gtirad) in beweglichen Rezitativen und ihm der dritte Abschnitt. Er ist ein Adursatz, über das Thema ^ModerMo ma co^cilore. ^^— 1<^ ^,^ gebildet,

den wir als Lie- besszene zu denken haben und der am Schluß große Ge- fühlswärme entwickelt Das Gelage der Ritter löst ihn ab. Diese Szene, die von Hörnern, Trompeten und Posaunen ziemlich tumultuarisch eingeleitet und in ihrem Charakter bezeichnet wird, ruht musikalisch wesentlich auf rhyth- mischer Wirkung und erinnert hierin, sowie in der Ge- staltung ihres Grundmotivs sehr lebhaft an eine der besten Szenen in Smetanas »Kuß«. Hier ist die Figur Moflenio. ^ die mit der

tjjnfp ifpf- ^'^"^^^t . T . nL Entschie-

' •' r ^»1 1 *- .r r \ rP r I I r T^ denheit. di

denheit, die •*c- die böhmi-

36*

^

^ 548 6^

sehe Volksmusik auszeichnet, aufpocht und aufschlägt. Der eindringliche Charakter des Motivs an sich stellt diesen Abschnitt von 6ärka unter die eindringlicheren und mu- sikalisch wertvolleren. In der Ausführung bietet er nichts Bemerkenswertes. Ein diminuendo und ein pp veran- schaulichen, wie die Ritter müde werden und schlafen. Da klingt erst laut, dann leise ein Homruf: die Geigen malen mit tremolierenden und dissonierenden Akkorden Erregung. Wir sind in den Schlußabschnitt eingetreten. Die Amazonenmusik aus dem Anfang der Komposition kehrt wieder, zunächst allerdings nur leise und zGgemd wie aus der Seele der schwankend gewordenen Sarka heraus; dann aber wilder und wilder, zuletzt wie ein Siegesrausch. Als es zu Ende geht, versuchen sich die Gestalten der Ritter noch einmal in rezitativartigen ' Baßstellen zu erheben. Aber gnadenlos fegt der wilde Sturm Über sie dahin. p.SBeUHs, Das vierte Stück des Zyklus, »Aus Böhmens

Aus Böhmens HaihundFlur«(Z oesk^ch luhüv a häjüv), nähert sich Hain und Flor, j^ Charakter etwas der Dichtung über die Moldau. Es ist eine Naturschilderung, ein musikalischer Spazier- gang durch das gesegnete Land an einem schönen Sommertage. Die Komposition, die als frei variiertes Rondo angelegt ist, zeigt im allgemeinen, und im be- sondren in der Umbildung und Ausnutzung der lei- tenden Motive große Kunst. Am glücklichsten ist sie in den Teilen, wo ausgesprochnermaßen Volksmusik ange- stimmt wird.

Ober den Inhalt der ersten Abschnitte dieser sinfo- nischen Dichtung hat Smetana selbst sich dem obenge- nannten Zelen^ gegenüber geäußert*). Damach soll der Eingang den mächtigen Eindruck darstellen, der den Wandrer beim Eintritt in die Landschaft erfaßt Ohne diese Erklärung würde man die Musik dieses Eingangs kaum im Sinne des Komponisten verstehen. Sie be- ginnt*mit:

*) Wellek A. a. 0. S. 60.

J

549

MoluTteodarato. JiftS

jütl 4 m^hrWf \f^r^\fj?f IgifT^'lp^

^O -B----'

•* JIJ f^J j J J U^ ^^® Umdrehungen eines großen MSJLtf 5-^^ Mühlrads, von dem das Wasser

schallend herabrieselt Sämtliche Streichinstrumente, die Kontrabässe eingeschlossen, sind in dieser Sechzehntelbewegung begriffen, ebenso der ganze Chor der Holzbläser, die Hörner, Posaunen und Trom- peten geben Glanz und Strahlen drein. Gedacht bat der Komponist an die berauschende Wirkung, dfe ein großes Landschaftsbild, von der Sonne beleuchtet, von eine^ schönen Punkte aus erblickt, auf ein empfängliches Ge- müt üben kann. Darum wühlt seine Musik mit soviel Klang, so nachdrücklich und mit der Beharrlichkeit, die Smetana bei Tonmalereien häufig liebt, auf demselben klemen kreisenden Motiv. Während in der ersten Hälfte der Satz doch noch mit den Harmonien wechselt, die Lichter vermindert' und verstärkt einmal bis zu einem Nonenakkord auf J. , liegt in dem Schlußteil der GmoU- Dreiklang 27 Takte lang fest, von fff zum pp abschwel- lend. Als es stille geworden ist, erhebt sich endlich über diesem Farben rausch ein Gedanke. Die Klarinetten haben ihn aus dem Sechzehntelmotiv entwickelt und sprechen in dem Augenblick, wo das Bild entschwindet, Be- hagen und Dankbarkeit über die genossene Schönheit aus:

Ober den an diesen kurzen gemütvollen Gesang sich mnmittelbar anschließenden zweiten Abschnitt in Gdur hat Smetana bemerkt: er gleiche dem Spaziergang eines naiven Dorfmädchens. Sein Thema

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löst den letzten Drack, den die pathetische Pracht des Eingangs in der Seele des Hörers etwa zurückgelassen hat Zu der kindlichen Fröhlichkeit, die mit ihm in der Oboe laut wird, tragen die Flöten Elemente der Ausge- lassenheit hinzu. Sie kontrapunktieren das hübsche Sommerliedchen mit Figuren, die aus den Motiven des ersten Abschnitts geformt sind. Da das Sommerliedchen selbst aus der gleichen Quelle hervorgegangen ist, stehen wir also an dieser btelle vor einem Beweis von Stoffbe- herrschung und einheitlicher Gedankenkraft, der dem Komponisten Ehre genug macht. Auch dieses zweite Bild versinkt' langsam und wird, wie es Smetana in die- sen sinfonischen Dichtungen so häufig tut, durch eine Pause, also sehr schar/ und mit deutlichster Benach- richtigung des Zuhörers von dem folgenden getrennt. Dieser folgende dritte Abschnitt der Komposition ist ein Fugato über das Thema

Allegro poeo vIvd. J s 188

Es steigt von dem hier angegebenen Ende immer noch höher, erinnert damit an eine Stelle im Wagners »Sieg- friede, wo die Violine ebenfalls in die letzten Lagen klettert und zwar in dem Augenblick, wo der Held sich zur Ausschau auf den Brünhildenfelsen begibt. Smetana hat hier andre malerische Absichten. Die Szene soll an die Mittagszeit, an die Stunde erinnern, wo die Sonne am höchsten steht, wo Pan schläft. Daher die hohen Klänge, das Glitzern und Trillern, die wirre Beweglichkeit,' mit der ab und zu eine Totenstille tauscht Daß es des Tonsetzers Absicht war, einzelne Züge aus dem eigentümlichen Leben, das die Natur um Sommermittagszeit führt, in das Bild hineinzubringen, hat er selbst mitgeteilt: mit dem Motiv

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sollte das Zwitschern der Vögel ^S dargestellt werden. Aus dem

Zwitschermotiv und seinen Um- bildungen, aus dem Fngatothema oder Bruchstücken von ihm windet das Streichorchester noch lange mannig- fache und verschlungne Gewinde, während die Bläser, voran Klarinetten und Hörner, längst zu einem neuen Thema übergegangen sind, das nach Form und Cha- rakter in den böhmischen Choralschatz passen würde und unter dessen Klängen man sich gut eine fromm da- hinschreitende WaUfahrerschar denken kann. Es kommt erst in Fdur, dann in Desdur. Dazwischen liegt eine neue Schicht des Fugato, das auch weiterhin fortspielt, während der Choral schweigt, bis er endlich vom vollen Orchester in A dur aufgenommen wird und mächtig und glänzend wie im Krönungszug daherbraust. Kaum läßt sich der Gedanke abweisen, daß Smetana mit diesem Tonbild dem frommen kirchlichen Sinn seiner Landsleute hat ein Denkmal setzen wollen. Daß das Thema auch im weitren Verlauf der Komposition wiederkehrt, bezeugt seine poetische Bedeutung. In dem Adur-Satz jedoch, den es so glänzend beherrscht, wird es jählings durch einen Ausbruch unbekümmertster Lebenslust unterbrochen :

^ in^ii. Er setzt einmal,

Kn^^ST^ü^KU^ zweimal wie Verl

^,___^ schüchtert wie-

•^ "*^ ^^^ der ein; jedes- mal drängt sich die übermütige Tanzweise wieder da- zwischen. Sie behauptet auch den Platz, und nun entwirft Smetana auf Grund dieses Themas und in der Form einer wuchtigen und doch beweglichen böhmischen Polka eine jener Schilderungen herzhafter Weltlust, die er als Sohn seiner Heimat stark liebt und mit größter Meisterschaft beherrscht. So verwegen diese Tanzszene un- mittelbar in die frommen und kirchlichen Klänge herein- bricht, so schön und sinnig ist sie ^ i /r\ ^r^

durchgeführt. In der Mitte steht ff i^'S f P I f' B I f-Tlt I eine Idylle, die von dem Thema ^ ~ p^^' '-^ .L^zl^'

-^ 552 %^

getragen wird. Auch diese ruhige Weise ist von dem Sechzehnteimotiv abgeleitet, das den Grandstock der Eingangsmusik der Nummer bildet. Ebenso ist aber mit diesem Motiv das Polkathema verwandt, das während der Idylle immer leise weiterspielt. Wir haben es hier also mit demselben Fall kunstvoller Arbeit zu tun, der uns bei dem 6 dur- Abschnitt im ersten Teil unsrer Num- mer entgegentrat. Das Thema der Idylle wird nun die Hauptfigur der Komposition, die Bilder, die sich darum entwickeln, sind ihre Hauptsätze. In der Fortsetzung der Tanzszene kommt es zunächst noch in einem Gdur-Satze vom Polkathema begleitet, dann aber in einem zweiten Gdur-Satze (Piü mosso) selbständig und im Charakter etwas verwandelt : heißblütiger. Da unterbricht der Wall- fahrtsgesang noch einmal leise und in fremder Tonart (Aädur) ohne weitren Einfluß. Eme rauschende Coda bildet den Schluß und gibt Gefühle der Freude kund. Ihre Motive nimmt sie aus kurzen Anklängen an das Eingangsmotiv; ganz zuletzt kommt es in einer grandiosen Umbildung

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noch einmal gewissermaßen in eine lapidare Formel die Eindrücke des Tages zusammenfassend. F. SmetoBa, Die fünfte Nummer von Smetanas böhmischen Na- Tabor. tionalfantasien, »Tabor«, ist wieder wie VySehrad und äärka ein musikalisches Geschichtsgemälde; es hängt als solches eng mit dem folgenden Stück, mit »Blanik« zu- sammen. Beide sind sehr charaktervolle Kompositionen und kehren den Ausdruck der trotzigen Kraft hervor.

Jedermann weiß von den Taboriten, von Tabor, von ihrem Ziska und von ihrem Trutz- und Kampflied, dem Choral: »Die Ihr seid die Kämpfer Gottes« >Kdoi jste boif bojovnid«), der für die Hussitenkriege eine ähnliche Bedeutung hat, wie für die Reformation Luthers »Ein' feste Burg ist unser Gott<.

Smetana gibt in seiner Komposition ein Bild aus der hussitischen Bewegung, und er tut das in der Form einer

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Choral bearbeituugj die nicht in allen Teilen gleich wert- voll, doch nirgends die Würde und den künstlerischen Ernst vermissen läßt und an einzelnen Stellen sich zu einer außerordentlichen Höhe des Ausdrucks und der Wirkung erhebt. Die Choralbearheitang hat nicht etwa die strenge Form, die wir von altern Orgekneistern ge- winnt sind, sondern sie ist mehr als eine freie und ela- stische Fantasie gehalten, bei der der Choral nur an wich- tigen Punkten in seiner vollen Gestalt erscheint, an an- dren nur mit einzelnen Gliedern benutzt wird. Im ersten Abschnitt (Lento, Vs) Dmoll) schildert der Komponist, wie sich die Bewegung im Lande vorbereitet und- ent- wickelt. Ein langer Orgelpunkt auf tiefem 2>, chromatische Motive in tiefen Bläsern deuten auf Gären und heimliche, düstre Unruhe in den Gemütern, ß Drohend klingt dazu aus den Hör- I4i^fl J J J J ^ nern das Anfangsmotiv des Chorals

und sein kraft- j lm' , i 'T ?^ '**' wandert durch das vollstes fana- ^"^B J I # J ^= ganze Orchester, tisches Glied: jB^ wie ein Signal der

Empörung, das von Ort zu Ort durchs Land geht, die Geister in Bewegung zu setzen, die Scharen zu sammeln." Auch die weibliche Stimme der Milde, des Grebets, der Glaubens- zuversicht läßt sich dazwischen hinein vernehmen:

Ji |i Jj Ij I M I I I I j^i y I 1 I

Aber sie entfacht nur den endlichen Ausbruch des Sturms, der sich in Skalen figuren äußert, die hoheitsvoll durch zwei Oktaven schreiten und uns zu dem Punkte führen, wo der Bund der Genossen auf Tod und Krieg geschlos- sen und zum ersten Mal das Trutzlied angestimmt wird.

» ^,. , I .w- - I M II Es ist nur die erste Hälfte nfc r IptjppH^^. ^,^^ ^^^^ ^^^ ^^^^ .^ .jj^

«r» «^ «f2:-= gj^^ Vorder- und Nachsatz

554 «^

dramatisch getrennt. Abermals kommt die weiche Ge- betsmelodie — die ständig in den Holzbläsern liegt dazwischen, ihr folgt die Fortsetzung und der Abschluß des Chorals mit

Nun gibt Smetana in einer Reihe von lebhaften Sätzen, die alle ein Molto vivace vorgeschrieben und als thematische Hauptunterlage das aus dem dritten und vierten Takte des letzten Beispiels bestehende Motiv ha- ben und in ein Piü mosso auslaufen, das Bild eines im Kämpfen aufgehenden starken, gewaltigen Geschlechts. Der Kampf wird in vielen Wendungen vorgeführt: etwas kleinlaut beginnt er, nimmt aber bald den Charakter ent- schiedner, rücksichtsloser Entschlossenheit an. In den Bläsern stehen gewissermaßen die Taten, in den Violinen die Stimmungen: die Erregung, das Treiben und Schüren. Der Kampf hat seine stürmischen und hitzigen, seine ver- wickelten, auch seine müden und verlegnen Augenblicke, längre Zeiten der Gefahr und des Unterdrücktseins, wo die Instruihente nur auf Rhythmen leise ^^ stöhnen und stammeln. Der Wille ist fe^ j 1 J j r j =. nicht gebrochen, das Terzenmotiv: hört nicht auf anzufeuern, und im Piü mosso kommt es zu .einem neuen und letzten Ansturm von furchtbarer Gewalt mit frischen endlosen Scharen. Seinen Erfolg erzählt das Lento maestoso p/j), in dem der Choral als heißes Dankgebet im Jnbelrausch zum Himmel klingt Ein schließendes Piü animato fügt nochmals drohend und in finstrer Kraft das Glaubensbekenntnis daran, wirft einen Rückblick auf das Vollbrachte, in dem wohl still auch der geopferten Genossen gedacht ist. Dann sprechen die Führer aus dem Munde der Bässe noch ein stolzes und rühmendes, anfeuerndes Wort, und herrisch, zuver- sichtlich und begeistert antworten die Scharen.

In ihrer harten, gedrungenen Kraft erinnert diese Komposition über den Taboritenchoral an altes Römer-

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Yolk und Nibelungenlied; aus der gleichzeitigen Musik wäre ihr außer R. Wagners »Walkürenritt« allenfalls noch die eine oder andre Stelle aus R. Volkmanns DmoU-Sin- fonie an die Seite zu stellen. Unter den Dichtem, die mit Smetana lebten, findet sich eine verwandte Natur in Fr. Hebbel, unter den bildenden Künstlern keine.

»Blanfk«, die letzte, sechäte Nummer des Zyklus, F.SmetMii, verbindet die zweite Folge der vaterländischen Tondich- Bianlit. tungen Smetanas mit der ersten poetisch und musika- lisch. Es verschmilzt schließlch die Motive der Taboriten und der alten böhmischen Fürstenburg, und es ist auch in seiner dichterischen Bedeutung das Gegenbild zu Vysehrad: es umschließt ebenfalls versunkene oder schlum- mernde Herrlichkeit und Größe, es ist die Stätte stolzer nationaler Erinnerungen. Blanik heißt ein bei Tabor gelegner Berg, der dem Salzburger Untersöerg oder dem Kyffhäuser der Deutschen ungefähr entspricht. Hierher zogen sich einst die Helden der Hussitenkriege zurück und warten der Zeit, da die Träume von der Wenzela- krone in Erfüllung gehen, wie Barbarossa gewartet hat.

Smetana empföngt uns in seiner Komposition mit einem Allegro moderato («/s, D moU), in dessen ersten Tak- ten der Kampfchoral in aller Herbheit nochmals anklingt, das aber bald zu einer freudigeren und heiteren Schil- derung jener kraftvollen Hussitenzeit übergeht. Es klingt darin wie von flotten Reilerscharen, und das Taboriten- mötiv tönt, aller seiner Schrecken entkleidet, frisch und freundlich -dazwischen. Nur am Ende, das Smetana, wie so oft, etwas lange hinausschiebt, wird der Ton etwas düster. Das Thema, welches dieseih ersten Teil von >BlanÜL« zu Grunde liegt

AllegTO Biodoi&to. Js 72 ^,

steht mit der Originalfassung der ersten Strophe des Taboritenchorals im Zusammenhang. Smetana liebt es, die einzelnen Gruppen in seinen Tongemälden scharf

556 ♦—

abzugrenzen und zu sondern. So läßt er auch das Bildchen, das er hier von dem Lebensabend der alten Taborhelden entworfen hat, im Dunkel verschwinden, ehe er weiter geht. Die Audanto no« troppo. _sr

zweite Szene beginnt ji,., t Jf-'^—^^i] i ^^M^ (Andante non troppo) w*^" /.•^Ife»'^ Ifai 1 mit folgenden Takten » ^^ ' ^ -^ *!^ sehnsuchtsvoll und elegisch. Es ist als wenn ein Wanderer an den Berg herantretend im patriotischen Schmerz der alten großen Zeiten seines Landes und ihrer Männer gedächte. Schnell aber verscheucht die Gegenwart alle Beklemmung: er findet am Berg ein Idyll: Herden und Hirten, die sich im Tonspiel ergötzen: Smetana läßt uns einen Kanon hören, der zunächst zwischen Oboe und Hom, später zwischen Oboe und Klarinette läuft und folgendermaßen beginnt:

PiüanegTo.J.76 Seine immer

muntrer wer- denden Melo- dien begleiten

erst lediglich Blasinstrumente, dann legen ihnen die Geigen träumerisch einen langen, leisen Fdurakkord unter. Aus diesem Frieden reißt ein Piü mosso. Wir sind auf den Abschnitt in gewohnter Weise allerdings etwas vor- bereitet worden durch em diminuendo. Nun fangen die Geigen an zu tremolieren, dann heftige Figuren auszu« stoßen; in Vorhalten, in Dissonanzen, in fassungslosen Rhythmen spricht sich höchste Aufregung aus, und nach dem gewaltigen Anlauf setzt nun der neue Hauptsatz mit:

^^' '''''''ULuiJu llJiU 'J

ein. Er gibt ein Bild des Irrens und der Ratlosig- keit, die auf Augenblicke in Verzweiflung übergehen will. Schon bald erheben sich dagegen Regungen der Zuversicht; in Hörnern und Klarinetten hören wir

--♦ 567 V-

^ 1. --_ .--^1 -■ 1.^^=^^,— -. Endlich dringt die

in^^ jj- J^ 1^^ J J^T-f freundliche, zuver- ^' P-^s»- »— «r=»:-J sichtliche Schluß- zeile des Tahoritenchorals durch, und von seinem Ende wird ein Marsch

jfiiijjiJJJ JJIJ JJ J1I

abgeleitet und mit ihm verbunden, der die Erinnerung zu den alten Helden zurückführt, die im Berge schlummern, und ihr kräftiges Wesen, ähnlich wie der Anfang der Komposition, das Allegro moderato, aufleben läßt. Und bald ist es auch, als wenn sie leibhaftig wieder daständen. Mit dem Grandioso (D dur] kehren wir in den glänzendsten Teil der fünften Nummer des Zyklus, in das Tongemälde über «Tabor«, zurück. Noch einmal wird die Stimmung wieder etwas trübe: es tritt wieder Dmoll und eine Durch- führung des in der Stimmung etwas zwiespältigen Motivs,

ein. Wieder wird sie durch das Choralthema überwunden. Das Grandioso kehrt zurück und führt zu einem Larga- mento maestoso (D dur, s/s) und zum Burgmotiv aus Vy- sehrad. So reichen sich Ende und Anfang des Zyklus die Hand. Der Tondichter schließt mit der begeisterten Mahnung an seine Landsleute, der großen Zeiten ihrer Geschichte, der Zeiten von Vysehrad und Tabor immer zu gedenken.

Die vaterländischen Kompositionen Smetanas haben für Anton Dvofak, das reichste böhmische Musiktalent, den Weg gebahnt, sie haben ihm die Anregung zu seinen >Slavischen Tänzen« gegeben, für seine »Slavischen Rhap- sodien« auch die Form. Von der internationalen Strömung der gegenwärtigen Musik, oder besser gesagt, von dem immer noch fortwirkenden gewaltigen Geist des acht- zehnten Jahrhunderts ergriffen, ist Dvofak jedoch bald von den Exakten zu den Philosophen übergelaufen, ist

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unter die Sinfoniker gegangen ^ hat unter den neuen Vertretern der Beethoyenschen Methode sich heute einen ersten Platz errungen und dabei in seinen Sinfonien, so gut es ging, immer noch f&r böhmisches Wesen und böhmische Alnsik Zeugnis abgelegt und gewirkt. A.DTofakf Der ausgesprochen nationale Satz in seiner ersten,

I) dnr-Sinfonie. seiner D dur-Sinfonie (op. 60) ist das Scherzo. Es unter- scheidet sich in Form und Charakter kaum von den be- kannten und bedeutenden »Slavischen Tänzen« dieses Komponisten und soll wohl auch durch den überschrie* benen Xitel: »Furiant« dieser Gattung zugewiesen wer- den. Ein wildes Blut rollt in diesem Satze; zu der Frische, mit welcher sein Hauptthema hereinst&rzt, gesellt sich auch ein querköpfiges Element, eine eigensinnige Aus- gelassenheit, die in einem aus Beethovens vierter Sin- fonie bekannten Wechsel von Zweiviertel- und Dreiviertel- takt und in den dissonierenden Vorhaltsnoten deutlich zum Ausdruck gelangt:

Prosto.

^ pj^^ . ^^-N. ,.— ^ Der Hauptsatz ist nur

?*'r P% |f tTf |f t*r=^=f= sehr kurz, der Mittel-

^ «i«. satz dagegen im Beet-

hovenschen Stile breit ausgeführt und mit einem neuen

Thema bereichert. Es ist folgendes:

••|"iT' iiTfnriii~" r iTiiuirrrr I

Das hier mit 6] bezeichnete Schlußglied ist dasjenige, welches in der jetzt beginnenden Durchführung beider Themen bevorzugt wird. Die im Anfangsteile der neuen Melodie liegenden weicheren Elemente bleiben im Hinter- ftrunde. Das Trio dieses Scherzo entwickelt sich in seinem

ersteu Teile ziemlich zögernd: Sein Thema baut sich stfick- weise auf und schließt fragend tmd unentschieden:

Ueno Botso. .

Oh-.-. Fl.

Der Klang des Piccolo bringt darin das national slavische Element sehr drastisch zur Geltung. Von der zweiten Hälfte des ersten Teils und durch den anderen Teil des Trios regt sichs dann freundlicher: durch die Bläser und die Celli streifen ruhige Gänge, die nach Melodie zu suchen scheinen. Einen ausgesprochenen wirklichen Ge- sangton vermeidet der Komponist, der in seinem Scherzo weniger einen heiteren Satz, als ein musikalisches Cha- rakterbild geben wollte: das Gemälde einer mit unwirschen Elementen kämpfenden Fröhlichkeit. Das Scherzo ist in der Form der einfachste und übersichtlichste Satz der Dvo^akschen Sinfonie. Die anderen Sätze stellen in be- treff der Gedankenentwicklung und der durch sie bedingten Form dem Zuhörer durchschnittlich schwere Aufgaben, und es scheint uns durchaus nicht ein bloßer Zufall zu sein, wenn das Publikum dieser Sinfonie etwas kühl gegenübersteht. Namentlich durch den ersten Satz und durch das Finale geht ein unsteter Zug. Die Phantasie hat die Menge der Gesichte nicht bewältigt; die Ideen durchkreuzen und verdrängen einander, die Episoden ver- gewaltigen die Hauptgedanken, und die ganze Darstellung macht das Folgen und Verstehen zu einer harten Arbeit. Der erste Satz hat in seiner Themen gnippe nicht weni- ger als sechs verschiedene Ideen, welche um die Führung ringen. Die •> AUogra. ^,*-^ ^ *i^^

wichtigsten ^|H J ir'M IM l' I^Jjll davon smd: ** = •=*- ^

Diese vier Takte bilden die vordere Hälfte des Haupt- thema, dessen ersten Abschluß bereits bedeutend hinaus- geschoben wird. Nach einer etwas stürmischen Unter- brechung im beschleunigten Tempo kehrt das Thema im glänzenden Forteklang, aber nur auf einen flüchti-

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gen Augeublick zurück. Vor dem Eintritt des zweiten Thema passieren wir noch eine Reihe von Nebenmo- tiven, aus denen das folgende als das für die Satzent- wicklung wich- tigste hervor-: zuheben ist : "^«^ Fist« Das zweite Thema (in Hdur gestellt) gelangt zu keiner Bedeutung, dagegen nimmt der ihm folgende Nachsatz:

im Ideenkreise des Ällegro eine hervorragende Stellung ein. Der ganze Satz gewährt das Bild einer um freund* liehe Ziele kämpfenden Stimmung und enthält in seinen heiteren Partien eine Menge liebenswürdiger Züge, blüh- ende musikalische Einfälle pastoralen und idyllischen Charakters. In ihnen ist ein leichter Einfluß Schuberts zu bemerken, während für die pathetischen Exkurse, die den weniger gelungenen Teil des Satzes bilden, Beethoven und noch mehr Brahms augenscheinlich zum Muster ge- dient haben.

Das Adagio (Bdur, s/4) wird von folgendem Haupt- gedanken beherrscht:

Adario.

Als zweites Thema folgt ihm ein schwärmerisch zart« lieber Gesang:

vioi.

ir[ii 'fTj\

dessen Einführung durch eine kurze selbständige Episode, von freudigem Aufschwung beherrscht, wunderschön ver- mittelt wird. Der ganze Plan des Satzes ist noch leicht zu übersehen: Nach dem Abschluß des Seitenthemas repetiert die Hauptmelodie, und die eben erwähnte Epi-

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sode leitet zu einer kurzen Durchführung über. Letztere setzt mit leidenschaftlicher Bewegung ein, geht aber sehr bald in den milden träumerischen Ton über, der. dem ganzen Adagio seinen Charakter gibt. Auch durch seine melodischen und modulatorischen Wendungen erweist es die Verwandtschaft mit dem langsamen Satze von Beet- hovens Neunter. Im Finale seiner Sinfonie steht Dvohik wieder auf dem Boden, auf welchem seine dichterische Kraft das Eigenartigste und Beste gibt. Die Themen dieses Satzes, von denen wir als die hauptsächlichsten folgende zwei zitieren:

Allepo €«»tt «pirlto

FJ»

•to

sind echt böhmische Melodien, die uns an die alte Wiener Sinfonie, an Wenzel Müller, an lustige Sonntagnach- mittage und an vergnügte Menschen erinnern. In der Durchführung verläßt Dvofak die in diesen Weisen ge- gebene Sphäre, zögert und scheint über die Berechtigung der fidelen Motive in Bedenken zu geraten. Dieser Teil enthält sehr viele humoristische Zöge von großer Wirkung. Außerordentlich drastisch ist der wild^-^ u ■• <-

Einsatz, mit welchem die Hörner das Moti^

m

in das pp des Orchesters hineinwerfen. Jedoch nimmt das kapriziöse Element das Interesse des Zuhörers etwas zu lange und zu kühn in Anspruch. Der Satz schließt mit einem Presto über das Thema a).

Auch in der zweiten Sinfonie Dvo^aks (DmoU, A.DvolFftk, Op. 70) wird man vergeblich nach der unbedingten Lebens- Zweite Sinfonie. freude suchen, die seine Slavischen Rhapsodien zu einer Wohltat für die neue Musik gemacht haben. Sie ist ein Stimmungsbild, für das die Oberschrift »Aus trüber Zeit« nicht Übel passen würde. Ohne im höhren Sinn originell zu sein, fesselt das Werk durch eine klare, planvolle An- lage, durch ein reiches, bewegliches Empfindungsleben, durch natürliche, meistens aus dem Vollen fließende

Kreiiscbmar, FQhrer. I, 1

36

--» 662 ♦—

musikalische DurchfQhrang. lUese Vorzöge krönt.Einheit and Strenge des Charakters. Reibst auf den üblichen, immer dankbaren »glücklichen Ausgang« im Scblnßeais hat Dvorak diesmal verzichtet

Der erste ^ der vier Sätze (Allegro maestoso, Dmoll) beginnt folgendermaßen:

r i

f] .iMiL 11 Man kann diese von Cellis und Brat- r l'iffrr I s^heQ nnisono vorgetragne Melodie in f' ^V zwei Hälften teilen. Die vordere, in

gleichen Achteln gehalten, klingt wie das leichte Miirren eines Unwilligen, die zweite, mit dem durch das ver- längerte Viertel schwer akzentuierten Motiv, zeigt, daß hier ein Gemüt tiefer getroffen worden ist, bis zur Ver- wirrung getroflen. Das sagt uns der an den Schluß ge- stellte verminderte Akkord. Er kommt ganz plötzlich, bleibt aber für die Dauer einer achttaktigen Periode. Darüber wiederholen die Klarinetten von 's aus das lliema. Ihr Schmer- m j j beantwortet das zweite Hom ge- zensmotiv:j' I 'O wissermaßen in vergrößertem Echo mit fis fis\e und lockt damit eine Reihe von Stim- mungsäußerungen hervor, die den klagenden und vor- wurfsvollen Ton immer heftiger hervorkehren, technisch sind sie als Fortsetzungen des oben angeführten Themas zu betrachten. Denn die neue und neueste Sinfonie be- gnügt sich nur ausnahmsweise mit solchen knappen Hauptgedanken, wie sie bei den Wiener Klassikern die Regel bilden; sondern sie arbeitet am liebsten mit einer langen Themenkette. Die erste dieser Fortsetzungen des Hauptthemas knüpft an den Sechzehntelauftakt der zweiten Hälfte des Eingangsthemas an und moduliert im aditen Takt nach A moU. Die zweite wird von demselben Sech- zehntelmotiv alsBaßbejleitetund set^t in der Hauptstimme mit breiten Vierteln a | M|f7 7 ein. Dieses Viertelmotiv er-

668 ^^

langt seine Bedeutung im Verlauf des Satzes. Zuerst von der zweiten Violine, Oboe und Fagotten vorgetragen, wird

es zwei Takte später von der ersten Violine täs'g dlfe aufgenommen und schnell zu einer langen D moU-Radenz geführt, die uns eine sehr stürmische Wendung erwarten läßt. Das Natürlichste würde Wiederholung des oben auf- gezeichneten Themas im Tutti des Orchesters und im ff seid. Sie kommt auch; aber erst 22 Takte später. Vorher bringt der Komponist erst noch einen jener erweiternden und belebenden Abstecher, an die namentlich Liszt die modernen Sinfoniker gewöhnt hat Er legt eine Aus- weichung ins Gebiet der Ruhe und des Seelenfriedens ein. Sie führt mit einer etwas beabsichtigten Gewaltsamkeit nach Esdur und vor eine sehr eindringliche Homstelle, die mit einer raschen Skalenfigur beginnt und dann in die Rhythmen des nachher folgenden zweiten Themas des Satzes einlenkt Bei dem nach dieser Verzögerung doppelt wirksamen Eintritt des Hauptthemas ist es zu bedauern, daß das Thema, weil nur den Holzbläsern ge- geben, von dem starken Begleitungsapparat übertönt wird. Merkwürdigerweise ist der in der Instrumentation so sichere und ausgezeichnete Komponist hier in einen Beethovenschen Fehler verfallen, den intelligenten Diri- genten wohl stillschweigend verbessern dürfen, wie es Dvofak beim Eintritt der Reprise selbst getan hat. Hier spielt das erste Hom das Thema mit Wie schon bei seinem ersten Eintritt mit dem verminderten Akkord, so nimmt unser Hauptthema jetzt wieder ein seltsames Ende. Noch viel verwunderlicher und aufregender als dort bricht es in einer verzweifelt wirkenden Disso- nanz ab: fesbeges der naturgemäß eine Reak- tion folgen muß: Die Holzbläser, dann die Geigen mit, führen ein zwölf Takte langes Oberleitungssätzchen, auf weich gleitende Motive gebaut, aus: Nach seinem Ende hin spielen die Mittelstimmen kurz einmal das Achtel- theroa (der Celli und Bratschen) an, mit dem der Satz begann.

36*

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So wird also das zweite HaupttLema des Satzes

sehr schön und gewissermaßen dramatisch eingeführt Seine poetische Aufgabe: sanft und freundlich zuzu- sprechen, erfüllt es auf eigentümliche Art In tiefen Flöten- klang gehüllt, leise vom Tutti umschwebt, hat es etwas 6eheimnis7olleS| wirkt wie ein Bild im Zauberspiegel, wie ein Gast aus der Geisterwelt. Ganz besonders schön und rührend ist das zögernde Verschwinden der Vision: Volle acht Takte haftet die Melodie an dem verzierten es, ehe die Auflösung ins d fällt. Dieses Zögern, Aufhalten und Schwanken ist ein Zug, der in unserm Satz immer wieder- kehrt Die Wirkung dieses zweiten Themas greift unge- wöhnlich tief in den formellen Plan und in das Wesen des ersten Satzes ein. Der nächste Abschnitt, den es be- herrscht, wiederholt es wörtlich in den Violinen, knüpft daran. versuchsweise und schnell wieder abbrechend Mo- tive der Aufheiterung und des Aufschwungs. Er endet aber in BmoU, und in seinen Schluß mischen Oboen, Klarinetten und Hörner das Unmutsmotiv, mit dem die Sinfonie begann. Der ganze Schluß der Themengruppe wird zu einer äußerlich knappen, aber innerlich bedeu- tenden Auseinandersetzung zwischen den beiden Haupt- themen. Das zweite scheint, in Bdur, seiner Tonart, fortissimo vorgetragen, die Oberhand zu bekommen, als sich wieder jenes sdion berührte, dem Gang xmsres Satzes wesentliche Element des Schwankens und Abbrechens geltend macht Diesmal in der Form FfTI ^^cher aus von Sequenzen über den Rhythmus * ^ ^ ' einem der Nebenmotive (Motiv der Aufheiterung) des zweiten Them^ stammt

Die sehr kurz gehaltne Durchführung wendet den Stimmungsprozeß wieder zugunsten des ersten Haupt- themas. Sie beginnt in Hmoll mit einer achttaktigen Periode, die die ersten zwei Takte des zweiten Haupt-

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themas uacheinaDder durch Geigen, Gellii Flöten und Kontrabäaie führt. Ihm folgt ein wilder Aufzug seines Antipoden, des ersten Hauptthemas. Trotzig springt es auf den verminderten Septimenakkord o-c(w-/ft-a und stellt sich in voller Breite hin. Der Effekt dieser Über- rumpelung ist vorerst Ratlosigkeit der Seele. Nach dem Edur-Schluß, mit dem sich das Hauptthema verabschiedet, wird es still: kleine Brocken des Gehörten flattern herum. Das wichtigste an der Musik sind hier die Pausen. Nur leise ausgehalten klingt da ein Ton des Homs oder der Bratsche in sie hinein. Die Modulation rückt plötzlich von S nach /-o-o-ea, die Stimmung sammelt sich. Über eiaem ppp der in Bmoll tremolierenden Streichinstrumente stimmen die Klarinetten leise das vollständige erste Haupt- thema an, Flöten, Oboen greifen mit ein; mit einem raschen crescendo gelangen wir vor einen Abschnitt, in dem das Motiv des Unmuts, nun zur Wut gesteigert, aus den Bässen dröhnt; es kommt in die Geigen, von Disso- nanzen der Bläser durchschnitt j j j j aus und ge- ten, holt mit dem Rhythmus ^ langt nach DmoU zum fff und zu einer Reprise, die mit der des ersten Satzes von Beethovens 9. Sinfonie eine Gharakter- ähnlichkeit teilt, wie sie gleich stark sich ein zweites Mal nur in dem D moll-Konzert von Brahms aufdrängt.

Die Wiederholung der Themengruppe verläuft nach den bekannten Regeln. Nur das ist besonders an ihr, daß das Gebiet des ersten Hauptthemas gekürzt wird. Durch dieses einfache Hilfsmittel übt die Musik eine unver- gleichlich mächtigere und leidenschaftlichere Wirkung aus als im ersten Teil des Satzes. Die sehr ausgeführte Coda, die höchste Leistung im Ausdruck gewaltiger und großer Ideen, die bis dahin sich in DvoHks Werken gezeigt hat, markiert noch einmal unumstößlich hart und mitleidslos den Sieg des ersten Hauptthemas und seiner dämonischen Elemente. In Resignation verklingt sie. Auch hier steht Dvohik, der früher sich gern von Brahmsschen Vorbildern leiten ließ, unter dem Einfluß Beethovens. Der Basso ostinato auf fduf zeigt nach dessen siebenter Sinfonie.

^

56tt

Wie als wenn nach finstrer tturmieoher Nacht der helle Morgen anizieht, heginnt der iweite, langsame Satz (Poco Adagio, F dor) folgendermaßen

PoooAitgf0. Jsse

Breit und feierüch abschließend^ legt das volle Orchester den F dar- Akkord über das Ende dieses kleinen Präin- dinms, und das eigentliche erste Thema des Satzes tritt, von Flöte ^ ^ , ^^ /> ^rz

Oboe i^rr'm ifQ ^^'J^ir II

Jk diu

und

vorgeii-agen,

ein. In Seouenzen Ciber das letzte Motiv senkt es sich tiefer und tiefer und atmet dann noch einmal groß auf, um plötzlich im Halbschluß ^ ^^ j'Tp^^ . . „das eineklei- zu verlöschen. Es ist ala^^ p T j) I ^=nA Szene der flöhe es vor dem Motiv 7^-*==** Unruhe ein-

leitet, die uns die aufregenden Augenblicke des ersten Satzes in die Erinnerung zurückruft Das Hom sucht mit kühnen Figuren zu beschwichtigen. Noch ein- mal schlägt Schrecken in kurzen Motiven dazwischen, dann aber behält das Hom mit der schönen Melodie

das Wort

Sie nimmt ungefähr die Stelle ein, die sonst das zweite Thema zu haben pflegt. Aber wie Dvoi^ak sich im allgemeinen den Formen der Sinfonie gegenüber die Freiheit der Ideen und ihrer Bewegung wahrt, so hat er dieses zweite Thema hier ungewöhnlicher Weise in die Haupttonart F dur gesetzt und ihm auch nur einen ge- ringen Einfluß auf Gestalt und Wesen des Satzes zuge- wiesen. Unser Adagio hat gar keine Durchführung in dem Sinne einer Auslegung und Verarbeitung bisher gebrachter Themen. Sondern nach dem Schluß des zuletzt ange- führten Gedankens setzt ein ganz selbständiger Mittelteil

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ein, zunächst in FmoQ und von r"ns i geführt. Mit einem scharfen rhythmischen Motiv ^* *^ •'ihm wech-

selt ein Motiv desS^nens von fol*

und kommt

seuemjuony aes^ennensYonioi* . pi«s i unaKommi gendem rhythmischen Charakter 3 J mit ihm, oft jffli und. erschreckend, in heftige Konflikte. Nach einer solchen Stelle das fortissimo auf e-fis-ais-eis mächt sie leicht kenntlich tritt die Reprise, die Wiederholung der Themengruppe ein. Das Hauptthema kommt jetzt in den CeUis. Ihm folgt das erste Seitenthema, wie heim ersten- mal in den Violinen, aher jetzt mit Kontrapunkten, die bald beschwichtigen, bald anfeuern, in den Holzbläsern versehen. Alle Elemente der Aufregung, die in dem Ab- schnitte vorhin bereits vorhanden waren» erscheinen ins Gespenstische und bedrohlich gewachsen. Das Fdur- Thema des Homs taucht jetzt nur angedeutet in den Vio- linen auf und von Trompeten und Hörnern merkwürdig umschmettert. Ganz zuletzt kommt auch die Melodie des kleinen Präludiums des Satzes und zwar in der Oboe nochmals zu Wort

Der dritte Satz, das Scherzo (Vivace, Vi» Dmoll) zeigt den Zusammenhang mit dem ersten Satz der Sin- fonie nicht so stark wie das Adagio, aber immer noch deutlich genug. Es erstrebt die an dieser Stelle übliche Fröhlichkeit, aber es besitzt sie nur im geringen Grade. Das Hauptthema

Vlvftce.

X

orientiert in diesem Falle genügend r r '^ ^T * über das Wesen des ganzen Satzes : r f*f ' ' Die Rhythmen der Violinen treiben

vorwärts, aber hinkend, als schleiften Retten mit Die »schlotternden Lemuren« Goethes treten vor das geistige Auge, und die in den Mittelstimmen (Cellis und Fagotts) dazwischen schluchzende Melodie gießt noch mehr Wehmut über das an und fQr sich schon

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grau gehaltne tiildehen. Mit dem achten Takt, dem Abschluß der eiufachen Periode, gerät die Darstellang schon ins Stocken. Wir stehen wieder vor dem schwan* kenden, unentschlossnen Zng, der auch in den andren Sätzen als wesentlich sich be- » r i das bis

merkbar macht. Mit einem Motiv « * J J J J- dahin in der zweiten Violine Begleitangsdienste verrichtet hat, bildet der Komponist einen 10 Takte langen Zwischensatz nnd wiederholt dann das Hanptthema mit der Änderung, daß die Holzbläser die Hauptstimme, die Violinen aber den Kontrapunkt der zuerst in den Cellis gebrachten, gebundnen Melodie übernehmen. Nach _VS2^ # einem breiten . Abschluß ^^iT T^Tf \äm z tritt folgendes Seitenthema '^ ^ " *

ein, aus dem ein neuer, mit großem Tumult und Kraft- aufwand endender Zwischensatz (14 Takte lang) gebildet wird. Und nun wird vom Anfang des Satzes an wieder- holt. Bei Haydn und Mozart, in den meisten Beethoven- schen Sinfonien steht hier das bloße Repetitionszeichen, die Musik kehrt wörtlich wieder. Bei Dvoi^ak ist die Wiederholung zugleich Variation. Die Instrumentierung ist wesentlich geändert nnd zwar nach einem Muster, das viele Hörer angenehm an die Konzertouvertüre (in Ä) von Julius Rietz oder an A. Rubinsteins »Lichtertanz« aus »Feramors« erinnern wird: Von Abschnitt zu Abschnitt wechseln die Streicher und die Bläser zwischen Hauptr und Nebenstimme, lösen sich im Vortrag des von Pausen durch- setzten Themas und der gebundnen Melodie ab.

Diesem Hauptsatz steht ein Trio gegenüber, das in

der Hauptsache von g . P^ »wo moBso. t-_p_

dem zuerst in der Oboe £v' ufiTif J p [f" # J I J- gebrachten Gedanken: "^ ^

getragen wird. Den Schluß der zwölftaktigcn Periode, die das vollständige Thema bildet, machen die Violinen mit Ruhe atmenden, freundlichen Wendungen. Das Bild des Friedens, welches das Trio entwerfen will, wird etwas durch einen Seitensatz gestört, aus dessen j.«^ . stechend her- spärlichen Motiven' der Rhythmus ^ « vortritt Das

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gauze Trio ist unter sämtlichen Teilen der Sinfonie der- jenige, bei dem die Erfindung den Komponisten am we- nigsten unterstützt hat. Gleichwohl erreicht es durch die musikalischen Elemente, durch den Rhythmns insbesondre, doch die beabsichtigte Wirkung, und das Scherzo als Ganzes ist der Satz, der in seiner eigentümlichen Blischung von Melancholie und Beweglichkeit auf viele Hörer den nachhaltigsten Eindruck ausübt.

Das Finale der Sinfonie (AUegro, ({$, Dmoll) er- innert mit den ersten drei Noten seines Hauptthemas

Allegro. dslOO ->.-^

'■J*lA ^*' " t fr " I H '^ ^ VV' f 1 M^ äS ^

Pg IjflUfTjt All «UK Seitenmotiv, das in trotzigen J& f- ^■'v..:^ Vierteln bald sich nach dem Eingang der Sinfonie zeigte. Jedenfalls weicht es dem gewöhn- lichen Schluß der in Moll einsetzenden Sinfonien aufs entschiedenste aus und hat mit dem großen Kreise der sinfonischen Paradigmen zu dem Motto >per aspera ad astrac nicht das geringste gemein. Am nächsten steht die Dvofaksche Arbeit in diesem Verzicht auf ein frohes, versöhnliches Finale der GmoU-Sinfonie Draesekes. Wenn man den Inhalt von Dvofaks Sinfonie in die Form einer Erzählung fassen wollte, wtbrde das Ende lauten: »Die Lage unsres Helden ist noch widriger und gefährlicher geworden, als sie am Anfang der Geschichte war; aber auch seine innre Kraft ist immer mehr gewachsen. Er braucht sich nicht zu beugen«. Es geht ein starker Zug von Trotz durch dieses Finale, und in ihm liegt vielleicht die einzige Spur für die nationale Abkunft des Werkes, das sich motivischer Anleihen aus der böhmischen Volks- musik vollständig enthält. Das Bild von Kraft und Ent- schlossenheit, das unser Finale entrollt, wird dadurch liebenswürdiger und reicher, daß ihm weiche Wendungen, die wie Sehnsucht nach Ruhe, wie Neigung zur Ergebung, wie leise Klagen erscheinen, eingemischt sind. Jedermann

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erkennt eine solche wohl in den drei letzten Takten des oben gebrachten Notenbeispiels, als dem Schluß des von Gellis nnd erstem Hom gebrachten Hauptthemas. Mit diesem Motiv der Ergebung setzen die Violinen zunächst leise ein Sätzchen von 14 Takten ein, das in seinem jähen, aufgeregten Abbrechen uns wieder lebhaft an den Anfang der Sinfonie, nämlich an jene Stelle zurückver- setzt, wo das erste Thema des ersten Satzes in den plötz- lichen verminderten Akkord auslief. Derartige Wendungen gehen durch die ganze Sinfonie als Symptome eines auf- geregten, fieberischen Seelenzustandes. Hier folgt dem Trugschluß zunächst eine Wiederholung des Themas in den Holzbläsern, die sich ins Unhörbare, ins Reich des Schlummers verlieren will. Vergeblicher Versucht Mit aller Leidenschaft, die ein modernes großes Orchester ausdrücken kann, nimmt es gleich darauf das Hauptthema im stärksten forte auf. Dazwischen meldet sich in Flöten und Oboen der Anfang eines Themas

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das bald in seiner Vollständigkeit seinen Platz als Fort- setzung und Steigerung des Hauptthemas einnehmen wird. Es folgt ihm eine einfache Periode mit Verwandlungen des Hauptthemas gefüllt An sie knüpft eine gleich kurze an, der ein chromatisch aufsteigendes Skalenthema zu- grunde liegt Sie gibt sich ziemlich wild und heroisch und vermittelt technisch die Modulation nach Edur. Sie tut das aber sehr ausdrucksvoll, dringend und auf das zweite Thema in der Stimmung vorbereitend. Dieses zweite Thema steht regelrecht in A dur, der Oberdominant der Haupttonart des Finale und bildet ebensa nach bekanntem Sonatenbrauch einen innem Gegensatz zum Hauptthema :

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Zuerst bringen e> die Celli, gleich darauf Flöten und Oboen mit einem Abschluß in Fisdur. Ihm folgt ein 14 Takte lau* g^9 Nachspiel Aber das aus dem Anfang genommene Motiv: j r r-^ j Und darauf zieht das Thema im vollen r ' ^ ^ I Glänze des Tutti fortissimo noch ein- mal vorbei. Zu einer Macht im geistigen Getriebe wird es nicht; die Durchfuhrung des in der Sonatenform ge- haltnen Satzes nimmt gar keine Notiz von semer Exi- stenz. Es bezeichnet einen flüchtigen und trügerischen Augenblick des Hoffens. Unsem Komponisten hat diese kurze Minute des Sonnenscheins in die Sphäre Franz Schuberts geführt, mit dem er ja Unverkennbare Verwandt- schaft besitzt In dem Abschnitt, der den Bereich des zweiten Th^as abschließt, spricht Dvofak in Schubert- scher Zunge. Es sind Motive der großen Cdur-Sinfonie, die uns in den Anfang der Durchführung hineingeleiten, und auch die berühmten Posaunen aus dem ersten Satz dieses Monumentalwerkes klingen in Dvo^aks Finale hinein. Dieser Zufall nimmt aber dem Wert der Durch- führung nichts. Ihre bedeutendsten Teile liegen am An- fang und am Schluß, besonders im erstem an der Stelle, wo das Hauptthema zweimal staccato, gewissermaßen versuchsweise, und ganz leise kommt. Beim dritten Mal (in Hmoll) tritt es vollständig auf. Die Geigen entwickeln das schließende Ergebungsmotiv zu einem längren Sätz- chen, bei dem auch Dvofak der modernen Unsitte des überflüssigen Kontrapunktierens durch fleißige, aber mehr störende als unterstützende Bläsermotive gehuldigt hat. Den Mittelteil der Durchführung füllen Variationen über die Fortsetzung des Hauptthemas, ihr still einsetzen- des Ende Umwandlungen des Hauptthemas selbst. In der Reprise ist der Obergang zum zweiten Thema be- sonders ergreifend. Den im Grunde doch pessimisti- schen letzten Ausklang zu veredeln, setzt Dvofak die schließenden 10 Takte in ein gehaltenes Tempo: Molto Maestoso.

Hatte die D dur-Sinfonie sofort Dvofaks großes Talent, die zweite seine Reife festgestellt, so gab der Komponist

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nun in einer dritten, vierten und fünften Sinfonie anch diejenigen Beweise von Fleifi nnd Frachtbaikeity die von jedem Künstler verlangt werden, der eine hervorragende SteUong behaupten will. Um den Umfang von DvoMes Begabung, seine ganze künstlerische Bedeutung zu beur- teüen, wird unter den vorhandenen Sinfonien später ein- mal die zweite die wichtigste sein. Er schien mit ihr, ähnlich wie früher Gade, der Pflege nationaler Mudkbe- strebungen abspenstig zu werden. Diese Erwartung ist jedoch nicht eingetroffen, seine dritte^und vierte Sinfonie bringen wieder reichlich böhmische Musik.

In der Fdur- Sinfonie ist das nationale Element mit der Reserve benutzt, die für die Sinfonie notwendig ist, wenn sie nicht zu einer bloßen Ausstellung von lustigen oder phantastischen Genrebildern herabsinken, wenn sie auch ferner noch dem Komponisten gestatten soll, seine Persönlichkeit mit ihren Lebenserfahrungen und ihren Talenten zu entfalten. Die böhmischen lläo- dien sind in dieser Sinfonie nicht absichtlich herbeigeholt, sondern sie sind im geeigneten Augenblick in die Archi- tektur der einzelnen Sätze eingestellt worden, wenn sie dem Tonsetzer zufällig in die Hand liefen. A.DvolFaky Diese dritte Sinfonie Dvofaks (Fdur, op. 76) zeigt

Dritte Sinfonie, vielerlei Verwandtschaft mit ihrer Vorgängerin in den Einwirkungen Beethovens und Schuberts; Schumann bringt sie neu hinzu. Sie steht ihr an Einheit, an Kunst- wert überhaupt sehr nahe, hat vielleicht durch die frap- panten poetischen Einfälle, mit der sie die Formen be- handelt, noch etwas vor ihr voraus. Sie gleicht ihr auch darin, daß sie als ein weitrer musikalischer Beitrag zur Biographie des Komponisten erscheint. Sie erzählt von seiner Jugendzeit, von Idealen, von Herzenserlebnissen, ^von wohlbestandenen Kämpfen, von Läuterungen« Der Komponist sucht in diesem Wcirke die Freude:

»Auf dem saatbekrinzten Hügel, An des Teiches klarem Spiegel. Auf der An, im Bachen trald Ist ihr liebster Anfentbalt.«

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Dvofaks F dur-Sinfonie ist zum guten Teil eine Pa- etorakinfonie. Besonders trägt ihr erster Satz (Allegro ma non troppo, ^/^ Fdor) den CharaJ[ter einer derartigen Tondichttmg. Es ist die Stimmung eines Ausmarsches am schönen Sonntagmorgen, mit dem sein erstes Thema » einsetzt: munter im ersten Teil, fromm am Schluß:

Allegro ma noo troppo. J s HS

ij'nini'inirriini

^'^^^ ^ri TT^ Jy^^ ^*"^^*^ es der Klarinette nach und fCkhrt die Melodie zu einem Cdur*Schluß. Mit ihm beginnt ein Abschnitt freudiger Spannung: Die Instrumente nehmen einander Motive des Themas ab, bald dies, bald jenes, bis sie sich in einer mächtigen Triolenfigur vereinigen. Diese bringt uns vor das eigent- liche Hauptthema des Satzes:

^^wtt/ir^''^^i"-Jrir'^T|f Tri

IT f P I f Hf Lp I ^ ®^°^ i^^^^ zahlreichen Tanz- ^ ^— - weisen kraftvoll freudigen Aus-

drucks, an denen die böhmische Volksmusik so reich ist. Ihre Wiederholung gibt Dvorak, wie er das liebt, den Holz- bläsern und Hörnern allein die Streichinstrumente machen nur mit einem ^^m t ihre Anwesenheit be- urwüchsigen Zuruf: 44d i^ merkbar , und diese schließen in Amoll ab.

In dieser Tonart beginnt sofort eine Durchftthrung. Sie heftet sich zunächst acht Takte lang ^ in launigem Eigensinn ausschließlich an den siebenten Takt des so- eben gegebenen Themas. Celli und Bratschen haben sich seiner bemächtigt, die Violinen möchten es gerne zu sich herftberziehen. Dann wandelt sich die Szene. Als wäre der Wald dichter und der Schatten dunkler geworden,

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tritt Ruhe, im Orchestefr ein. Nttr ein lange liegender, leiser Akkord (Amoll) tönt in Hörnern und Fagotten; über ihm flattert noch ein melodischer Rest in den ersten Geigen. Jetzt nehmen die Kontrab&sse pp das Motiv des ersten Taktes in Fdur, die Violinen antworten mit dem bisherigen Synkopenmotiv. Wir denken uns hier nnsren Wandrer ruhend, rastend und trämnend. Im Xraum rückt das Entfernte aneinander. So hier Anfang and Ende des Themas, des Gedankens, den er znletzt im Kopfe trug. Die Musik ergänzt das Stimmungsbild an dieser Stelle noch durch Schilderung der äußern Natur : In den Klari- netten schlagen leise Triolenterzen an, leibhaftig die* selben, wie im ersten Satz von Beethovens Pastoralsin- fonie. Es flüstert in den Bäumen, es zirpt im Grase. Und weiter noch: Genau wie bei Beethoven rückt die Har- monie schroff von vier zu vier Takten von F nach JSr, von da nach Des^ um gewaltige Oberraschungen anzu- deuten. Vom letztren Punkt ab dringt wieder licht und Glanz in die Landschaft und in die Seele des Schwärmers. Wir gelangen rasch nach Adur und vor das zweite Thema:

tUi(e*

Es verhält sich zum Hauptthema wie Dank zum GenuB- Musikalisch ist zu beachten , daß es an das Hauptthema durch den Synkopenrhythmus seines zweiten Taktes ge- wissermaßen unwillkürlich anknüpft. In seinem jugend- lichen Drang und in dessen technischem Ausdruck trägt es die Züge Robert Schumanns.

Der ganze noch übrige Teil der Themengruppe wird mit Phantasien über dieses zweite Thema ausgefüllt. Eigen ist ihm ein durchgehender Triolenrhythmus als Begleitungsfigur, der zum Schluß melodisch wird xind motivische Bedeutung erhält Zweimal werden die Varia^ tionen über das zweite Thema durch ein Solo von Flute und Klarinette, das freundlich und behaglich in Sech- zehntein die Skala hinauf und hinab trällert, unterbrochen.

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Ihm folgt beidemale ein ebenfalls aus Beethovens Pasto- riüe bcScamiteB Frendeschüttehi. des ganzen Orchesters auf eiaem zw«! Takte gehaltenen Akkord im ff. So gibt der Komponist bald im Zarten, bald im Starke^ dem Qlücke,'dais er schildern will, reich aus. Eignem erfindend und geschickt an Vorhandnes sich anlehnend, immer neue Wendungen.

"Die Durchführung beginnt geheimnisvoll beschau- lich mit dem Triolenmotiv, das die Themengruppe schloß. Ihm gegenüber, dem Vertreter der einschläfern- den Zaubermächtei stellen die Bässe mit dem gleichmäßig klopfenden . .1 die Violinen mit einem in Akkord-

Rhythmus J y /) I J noten abwärtssteigenden neuen, unwesentlichen Thema den weiteren Tatendrang und die Lust ztt neuem uud mehrerem Genuß dar. Diese Motive führen uns bald vor das erste Thema, mit dem die Sin- fonie präludierend begann. Die Flöte bringt es in Gdur. Bbenfalls in höchster Tonregion wiederholen die Violinen die langsamen Schlußnoten mit Modulation nach Hdur. Und nun folgt eine' lange Strecke^ in der immer wieder in sehr Tegelmäßigen Abschnitten die erste Hälfte dieses Themas vorüberzieht. Es hat gerade in dieser ersten Hälfte den Charakter einfachster Signale, besteht hier nur aus Akkordnoten, gewißermaßen aus musikalischen Naturlauten, und schlägt damit eigentlich in em Kunst- fach, das die Russen und solche Männer der äußersten Linken in der neuesten Sinfoniekomposition für sich be- anspruchen, von denen Dvof^k in Ansprüchen und Zielen weit entfernt steht. Wie sehr er aber im Betrieb dieser künstlerischen Spezialität seinen Mann stellt, beweist dieser Teil seiner Durchführung. Wir haben da eine mit siche- rer, leichter Meisterhand gebildete Stelle : ruhig und regel- mäßig in gleichen Abständen folgen die kleinen Bilder, die sich gleichen, denn sie sind alle lieblich und doch jedes anders. Mühelos fügen sie sich zum Ganzen und strebea den Höhepunkten zu: dap sind die Takte, wo die Freude nach lauten Tönen greift. Besonders treten die Messinginstrumente hervor. Von ihnen gebracht, wirkt

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die Sechzehntelligur aus dem Anfaag unseres Themas äußerst wohlgemut und frisch; namentlich die Stelle, wo die Trompete auf Iho^g -^ damit einsetzt, ist ein hibreißendes Gembch von Stolz und Heiterkeit Die Harmonie rCkckt nun von A-dur aus von zwei zu zwei Takten immer einen Schritt weiter und gelangt allmäh- lich auf den verminderten Septimenakkord f'OS'k'd als den Gipfel in der Entwickelung romantischer Geffihle. Denn darin ist der Satz sehr modern, ganz und gar ein Produkt des 19. Jahrhunderts, dafi er der »höchsten Lust« auch einen Stich »hoben Leidsc beimischt. Merkwürdig: alle die Instrumente, die von Natur beweglich sind, die Violinen, die Holzbläser bleiben an diesem Punkt vier Takte lang auf einem Tone im fjT liegen und sind in der Höhe erstarrt, und unten in der Tiefe tummeln sieh die schwerfälligen Bässe mit dem lustigen raschen Mottvl Es handelt sich hier aber um einen gewaltigen Aufschrei der Freude, gewaltig und von einer Leidenschaft ge- trieben, die nach Ordnung nicht fragt Nach diesem Augenblick tritt die Reaktion in ihr Recht: Das zweite Thema erscheint: die Oboe intoniert es, die Klarinette nimmt es auf und fAhrt es vollständig vor. Damit ist es aber auch abgetan. Das Tutti schiebt es demonstrativ mit einem /jT-Einsatz des eigentlichen Hauptthemas, der kräftigen slavischen Tanzmelodie beiseite, die von den Violinen nach den Bässen wandert. Wie keck der Ton gegen den ersten Eintritt in der Themengruppe geworden ist, das läßt sich aus der Pauke ersehen. Die schwieg damals; jetzt stimmt' sie beim Synkopentakt mit einem Sechzehnteltremolo ein. Dieser mit dem Synkopentakt beginnende Abschnitt bleibt nun fttr den Schluß der Durchfäfarung; sechsmal kehrt er mit denselben Tönen von g b aus. wieder. Ein Ruck von Es nach Dm, eine Perlode über dasselbe Motiv gebildet und im pp gehalten, dann der Quartsextakkord o-f-a und auf ihm im Hom das präludierende Thema, mit dem die Sinfonie beginnt Die Phantasie klammerte sich an die letzten schönen Bilder der Durchführung gewaltig fest. Nun ist die Trennung

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doch geschehen : unvermerkt sind wir in die Reprise ge- langt. Die Kunst des Komponisten hat den Schritt ^ der zum Rückweg führte, zu dem entzückendsten Augenblick der bisherigen Wanderung gemacht.

In dem Verlauf der Reprise fordert die Erweiterung des Umkreises des eigentlichen Hauptthemas gesteigerte Aufmerksamkeit, noch mehr die schöne Kombination, in der beim Beginn der kurzen, feurig einsetzenden Coda die Einleitungsmelodie des Satzes und sein zweites Thema zusammenklingen. Trompeten, Violinen, Flöten, Klari- netten stehen auf der ersten, Posaunen, Fagotte, Celli und Kontrabässe auf der anderen Seite. In Abendrot und zartem Mondenschein geht der schöne Tag, in den ans die Tondichtung versetzt, zu Ende.

Der zweite Satz (Andante con moto, '/g, Amoll) ist ein interessanter Absenker des Allegrettos in Beethovens Adur-Sinfonie. Die Ähnlichkeit hegt hauptsächlich in dem ethischen und tonalen Verhältnis der beiden Teile, in welche die Komposition zerfällt Sie entwickelt sich um folgende zwei Themen:

Andante eon moto. s 76

!iiif£riritrr7|iiij i n

k i H P

und

im poeb«ttliio ptk mosso ,

D«. D

Die zweite Hälfte des ersten, von den Cellis einge- führten Themas moduliert nach Amoil zurück. Sein Schlußtakt ist der Anfang der von den Violinen aafge- nommenen Wiederholung mit Schluß in D. Daran knüpft sich ein Zwischensatz, der das Sechzehntelmotiv des Einsatzes durchführt, und ihm folgt als Fortsetzung und Abschluß des Satzes die bisher gehörte Musik mit den Bläsern (zuerst Flöte und Fagott gemeinsam voran) als Hauptstimmen.

Kretxiehmar, Fahrer. I, 1. 87

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Zu den schönen Gedanken und Erlebnissen des ersten Satzes der Sinfonie stellt sich dieser erste Teil des An- dante in einen gewissen undankbaren Widerspruch; als Niederschlag aus dem trüben, an seelischen Kämpfen reichen Stimmungskreis der zweiten Sinfonie ist der ernsten Zufriedenheit, die in seiner Melodie sich ausspricht, ein kleiner Satz von Schwermut beigemischt In den Zwischensätzen, die aus dem Sechzehntelmotiv heraus- wachsen, ringt das Gemüt nach Befreiung von dem dunklen Rest und nach vollständigem Licht. Der Adur*Satz bringt es. Eine Weile tragen die Bläser allein den zwar nicht neuen, aber an dieser Stelle wie ein Original wirkenden, Himmelsruhe atmenden Gesang vor. Mit dem Eintritt von Hmoll nehmen es die Violinen auf, und zugleich tritt an dieser Stelle eine gewisse Stockung der Empfin- dnng ein. Die Modulation gerät ins Schwanken, es ist, als ob eine ungesehene Macht den Weg versperrte, es bedarf eines gewaltsamen Anlaufs. Dieser führt nach Gdur. Von da aus wiederholt sich die schöne Szene, die mit Schumannschem Material die Weihe Beethoven- scher Gebetsmomente erreicht. Die dramatische Wen- dung, die im ersten Teil dieses Miftelsatzes mit der Mo- dulation nach Hmoll begann, setzt jetzt mit dem Eintritt des Themas in die Septimenharmonie g-b^f ein, es kommt zu einer größeren Kraftäußerung und zu einem verzweifelten energischen Abschluß in dem fernen Edur. Ihm antworten wie warnende Stimmen, zweimalige Bläser- signale, die wie Rezitative wirken. Kleinlaut und resig- niert tritt der vermessene Himmelsstürmer den Rückzug an nach der heimischen Sphäre, in die engere und be- scheidene Beschaulichkeit des Hauptsatzes in A moll, der nach einem langen Nonenakkord auf E in veränderter Instrumentation einsetzt. Die Holzbläser haben das erste Wort, die Celli erst das zweite. Nachdem die Doppel- periode harmonisch genau wie im ersten Teü des Satzes verlaufen ist, nimmt die Musik einen neuen, sehr erregten Charakter an. Ein Trugschluß nach Bdur markiert den Anfang der Stelle. Sie endet damit, daß, von den ersten

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Violinen tumultuarisch begrüßt, in den Holzbläsern wie ganz von fern das Thema des Mittelteils des Adarsatzes noch einmal erscheint. Unter dem Eindruck dieser IHsion endet der Satz ohne innerlich zur Ruhe und zum Abschluß gekommen zu sein. Am deutlichsten geht das aus dem unvermittelten Nebeneinander von pp und f hervor, in dem sich der Anfang des Amoll-Themas verab- schiedet. Es wäre denkbar, daß der Satz und namentlich sein Schluß auf abergläubische und hysterische Zuhörer beängstigend wirkt.

Dvorak tragt dem ganz ungewöhnlichen Ausgang seines langsamen Satzes noch dadurch Rechnung, daß er dem dritten Satz (Allegio scherzando, </s, Bdur) eine Einleitung vorausschickt, die an die Rezitative erinnert, mit dem das Finale von Beethovens Neunter beginnt. Nur eine ganz kurze Pause, die Zeit läßt einmal auf- atmen , soll dem Andante folgen. p«« j das in Dann setzt sofort das Achtelmotiv j( ^ *• I ^ Amoll schloß, auf dem Dominantseptakkord f-dhoes wieder ein. Es veranschaulicht wohl das Klopfen des erregten Herzens. Und nun beginnen die Celli eindringlich zur Ruhe und Besonnenheit zu ermahnen. Das Tutti gibt den Widerhall der Worte erst einsilbig, immer noch zagend und erschreckt, schließlich, als das Cello auf es schließt, gefaßter^ in einem längeren Sätzchen von vier leisen Takten. ' Da schließt sich an die Fermate, die hier einem Fragezeichen gleicht, ganz unwillkürlich ein hüb- scher — wohl böhmischer Walzer, von dessen Liebens- würdigkeit der Anfang

AIIegroscIierzaQdo. Js76 _

jJ I J^ J J J J I p=^ eine genügende Probe gibt

Diese humoristische Überrumpelung führt glücklich über eine gespannte und peinliche Situation hinweg. Ge- wiß bieten die Formen der Beethovenschen Sinfonie häufig

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, . 580 ♦—

Gelegenheit zu sinnreicher Modifikation und poetischer Be- lebung. Aber erst in neuester Zeit bemtUien sich die Kom- ponisten merkbarer, sie zu benützen, insbesondere die aus- ländischen. Das hier von Dvorak gegebene Beispiel ist eins der auffälligsten und wirksamsten. Die Weiterfühmng des Themas ist zunächst ganz unregelmäßig. Die Flöten und Klarinetten nehmen es den Violinen ab. Es moduliert nach Dmoll und geht mit den Bläsern nach Bdur zurück. Sofort nach diesem Bdur-Schluß nimmt aber die froh ge- mütliche Tanzweise einen schwankenden Charakter an: der ganze Mittelteil des Hauptsatzes verläuft stockend: durch Generalpausen, verlegene Wiederholungen ver- sprengter Motive unterbrochen, in Fugensätzen die offene Ratlosigkeit verkündend. Das Seitenthema, das sonst üblicher Weise dem Hauptthema Gesellschaft leistet^ bleibt aus. Es senken sich über die Szene die Schatten des Abends und der Bangigkeit. Der lange Abschnitt endet mit einem gewaltsamen, plötzlichen Obergang der Harmonie von Dmoll nach Bdur, der Nuancierung von p zum ff. Noch einmal eine irrende und suchende Geigenfigur und dann: Wiederholung des ersten Teils des Hauptsatzes im ff, demonstrativ mit Kraft und Glanz angetan. Nach acht Takten aber schon beginnt das Abschiednehmen, das Schließen und yerklingen. Dann ein kurzer Obergang im pp, merkwürdig durch die Ent- schiedenheit, mit der er in fremde Tonart (nach Desdur) führt, und in dieser: das Trio auf Grund folgenden Themas

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Es iät dieses Trio eine neue Idylle, ein verschwiegenes Plätzchen, das sich von dem Festplan des Hauptsatzes abzweigt, in Park und Bäumen gelegen, für die Zwie- sprache von Liebenden geschaffen. Die Musik ist in diesem Satz der Ausdruck intimster Schwärmerei, freudig ruhiger und inniger Gefühle. Es verläuft in drei Ab- teilungen. In der ersten spielen Bläser und Geiger nur

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zart um Rhythmen, wie das Schumann gern tut. In der zweiten (mit dem Septimenakkord dea-f-cu-ees setzt sie ein) erweitert sich das Motiv durch Anfügung des Rhythmus >-*m I zum Gesapg. Mit dem Eintritt in Adar nnd Vr * i * ins forte des vollen Orchesters nimmt er einen Hymnenton an, der uns ganz an die korrespondierende Stelle in Schuberts großer Cdur-Sinfonie versetzt. Sehr schön ist es, ,wie diese Abteilung mit dem neuen Achtel- motiv von dieser Stelle des glühenden Ausdrucks zurück- lenkt in den Ton stiller Seligkeit. Die dritte Abteilung markiert mit ihrem ersten Schmerzensakkord: des^f-as-ees-d den Augenblick des Abschieds, der Trennung, die der Kom- ponist in neuen Tönen der Innigkeit schildert. Nach dem letzten leisen Klopfen des Desdur-Rhythmus setzt sofort laut und mitleidlos der übermäßige Dreiklang desrf-a ein und treibt zurück in die ländliche Tanzszene.

Das Finale (Allegro molto, C, Fdur} setzt in Amoll ein, so wie der zweite Satz der Sinfonie, das Andante. Ebenfalls ähnlich wie in diesem Andante hören wir zu- erst nur Baßinstrumente. Es sind diesmal Celli und Kontra- bässe, die natürlich in tiefer Lage die ersten 3 Takte des Themas

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!}?£ " te I? vortragen. Eine Wendung in schwer ' ' ' ' I ' I akzentuierten Vierteln führt nach

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G moll, und in dieser Tonart fällt das Tutti ff ein, und erst über diesen Umweg gelangen wir zu der Lesart, in dei*hier das Thema angeführt ist. Auch sie bedeutet noch nicht die endgültige Form für den Haupt- gedanken des Satzes. Dem Komponisten war eben daran gelegen, auch hier Schema und Schablone zu vermeiden und uns das thematische Material, mit dem er arbeitet, in seiner Entstehung und als ein Produkt einer Stimmungs- krise zu zeigen.' Aus diesem Grunde beginnt er lüit den Baßrezitativen, mit Unmut und Empörung, mit den horten,

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an Beethoven erinnernden Unisonostreichen des gesamten

Orchesters auf den Oktaven von w und 7, die dem oben gegebnen AmoUeinsatz des Tutti vorausgehen. Er bildet eine Szene der Verwirrung und Verzweifelnng, die ihren Charakter am bedrohlichsten in einem hinabstürzenden Achtelunisono äußert Seinem ff folgt ein piano, der Eile ein Zögern, und nun kommt eine merkwürdige Stelle, die jedermann an Schubert und an das Hom im Andante seiner großen C dur-Sinfonie erinnern wird. Auch hier bei Dvoi^ak liegt die Vorstellung einer Wundererscheinung, eines »deus ex machin zu Grunde, der die wilden Wogen sänftigt und bändigt. Die musikalische Gestalt, die der Komponist dieser Vision gibt, ist die einer liegenden Stimme, die zehn Takte lang nach jedem Ton eine kurze Pause immer wieder g angibt. Die Bässe steigen drunter von e bis ins große G und stützen eine Modulation, die von e'g-b'dea aus tastend und seltsam schließlich nach chcis^-g gelangt. Danach pin Sammeln und Ausholen in den Stim- men, und nun erst der eigentliche, der formal richtige und notwendige Anfang des Satzes: das oben angegebene Thema in Fdur, natürlich mit einigen Änderungen in den Motiven: vom zweiten Takt ab in Achteln, bei der Wiederkehr die sehr spannend eingeleitet wird durch ein mächtiges Signal auf bh in Vierteln. So schließt die Themengruppe, die düster und schwer begann, trium- phierend, freudig kraftvoll. Aber dieser Siegeston wird schnell abgedämpft, der Platz für das zweite Thema

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zurecht gemacht.

Dieses führt uns in die Sphäre des Adur-Satzes im Andante zurück, wenn das auch technisch noch nicht so gleich zu ersehen ist. Den freien Wiederholungen der hier mitgeteilten Periode folgt zunächst ein sehr einfacher Nach- gesang aus Akkordnoten

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tt^rtuiTf K'fTri j|i \K ■'■II

diesem aber die auf dem Nonenakkord ruhende Musik, mit der in jenem Andante die Vision des Adur-Themas verschwand. Ganz natürlich also, daß diese Stelle, als sie geendet zunächst einen Alarm erregt

Die Durchführung des Satzes beginnt damit. Das Hauptthema tritt in Cmoll auf. Bald tritt das Motiv mit den punktierten Achteln siehe den zweiten und dritten Takt des Haaptthemas » in den Vordergrund. £s fügt sich beim Eintritt nach Asdur zu einem Sätzchen, das an Wiener Tanzweisen köstlich erinnert. Jener oben angegebene Nachgesang des zweiten Themas und die weh- mütige Abschiedsmusik aus dem Andante treten an seine Stelle. Wiederum großer Aufruhr, als sie geschlossen, das hupfende Motiv sucht sich vergeblich durch den drama- tischen Lärm des vollen Orchesters durchzukämpfen. Die HOrner schleudern ein Machtwort drein, und durch die er- zwungene Stille zieht langsam (tempo Andante), von Oboe, dann von Klarinette geblasen, der Anfang des Hauptthemas dahin. Im Trauergewand nimmt der Dichter den letzten Abschied von seinem schönsten Ideal, von der Erinnerung an jene Himmelsgestalten des Andante. Die Reprise be- ginnt mit einer geistreichen Variation. Ein einfaches ge- stoßenes Achtelmotiv, mit dem von Tonart zu Tonart rüstig fortgeschritten wird, ist das neue Element Dann kommt das Hauptthema wieder wie im ersten Teil des Finale, endlich in der Haupttonart: F dur. Die Gruppe des zweiten Themas ist einigermaßen erweitert, sie schließt wieder mit Nachgesang und mit der aus dem Andante entnommenen Trennungsmusik. Aber diesmal bricht kein Tumult aus, sondern es schließt sich das fromme Ende des Einleitungsthemas des ersten Satzes an. Immer freudiger wird nun der Ton, in dem das Hauptthema (in F) wieder auf- genommen wird, immer pastoraler, und in den zwölf letzten Takten stehen wir vor dem Anfang der Sinfonie. Glänzend intoniert die Posaune das erste Thema des ersten Satzes.

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A. »vorak, Dvofaks vierte Sinfonie (Qdur, op.88j ist in Eng-

Viert« Sinfonie, land ergchienen utid Vielleicht schon aus diesem Grunde weniger bekannt geworden. Es stehen ihrer Einbürgerung und Verbreitung jedoch auch innere Schwierigkeiten gegen- über Sie ist den Begriften nach, an die die europäische Musikwelt seit Haydn und Beethoven gewöhnt ist, kaum noch eine Sinfonie zu nennen, dafür ist sie viel zu wenig durchgearbeitet und in der ganzen Anlage zu sehr auf lose Erfindung begründet. Sie neigt zu dem Wesen der Smetanaschen Tondichtungen und dem vonD v,oraks eignen slavischen Rhapsodien. Die wahre Freude an dem Werk bleibt den Landsleuten des Komponisten vorbehalten, die in dieser und jener an sich nur bescheidnen Melodie ein Stück teuerster Kultur erleben.

Der erste Satz (Allegro con brio, Gdur) wird von einer elegischen Weise in GmoÜ eingeleitet, die durch den voUstän(£g Schubertschen Schluß mit der Auflösung nach Dur am meisten fes- selt. In der Mitte drängt J JJlJ. /]|JJJJ|J. sich ein Marschmotiv ^

hervor. Dieser Einleitung, die sich hauptsächlich auf Cello und Hörn stützt, folgt die Flöte mit einem Thema in Gdor

das unter den zahlreichen Ideen, die dem Komponisten während dieses Satzes durch den Kopf ziehen, die erste Stelle einnimmt. Nächst ihm gelangt das Marschmotiv zur größten Bedeutung. Nachdem das zweite Thema mit seinem Gefolge vorbei ist, kehrt die Einleitung in Moll wieder. Diese Stelle ist die bemerkenswerteste im Satze. Ihr folgen Durchführung und Reprise ohne nennenswerte Beweise von Inspiration oder künstlerischer Energie«

Der zweite Satz [Adagio, s/49 Cmoll) ist der originellste der Sinfonie und einer der eigensten überhaupt, die wir auf diesem Gebiete haben. Feierliche Kirchenmusik, Sere- naden, von fern her kecke Marschklänge ganz dis-

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parale Elemente schließen sich da höchst glttcklich zn- sammen.

Der dritte Satz (Allegretto graziosoi s/g, GmoU) hat zum Hanpttheroa eine Melodie von sehr breitem Wurf und einem Charakter, der sich ganz für den Hausschatz der älteren Romantik eignen würde. Als Seitenthema folgt ihr eine chromatisch beginnende Weise, die in einem etwas halsstarrigen Kanon durchgeführt wird. Der beste Teil des Satzes ist das Trio in Gdur. Seine Melodie hat Kinder- augen. Das Finale (Allegro roa non troppo, ^y^, Gdur) wird von einem sehr anspruchsvollen Trompetensolo ein- geleitet, das uns wohl zu einem Nationalfest ruft. Volks* spiele in , Gestalt von Variationen über eine Paraphrase des Hauptthemas vom 1. Satze siehe das erste Noten- beispiel — füllen es zum größten Teil aus.

Eduard Hanslick faßt in seinem Buche: »Fünf Jahre Musik« einige Kammerkompositionen Dvofaks als des Kom- ponisten »Amerikanische Musik« zusammen. Das Haupt- stück dieser Abteilung zu sein, darf Dvofaks neueste, seine a. Drorak, fünfte Sinfonie (EmoU, op. 96) beanspruchen. Sie führt Ftt»'*« Sinfonie oflen den Titel »Aus der Neuen Welt«. Ein Programm will diese Bemerkung wohl kaum bieten, dio Sinfonie malt und schildert nur sehr bescheiden. Sie sollte den Freunden Dvofaks ein Lebenszeichen bringen, die Fragen nach sei- nem Tun und Ergehen nach echter Künstlerart nicht mit Reden und Worten, sondern mit einem Stück seines besten Lebens beantwortenr Da kann sich jeder überzeugen, ob er noch der Alte im fremden Lande geblieben. Spärlich und nicht gerade imposant kommen einige neue Ein- drücke zum Vorschein, die die New Yorker Zeit in Seele und Phantasie verursacht hat; mächtiger schlägt aus dem originellen Künstlerbrief die Sehnsucht nach der alten Hei- mat, die Liebe, die ihn an der Väter Sitte bindet, hervor.

Einen äußerlich greifbaren Niederschlag des Amerika- nischen Aufenthalts bietet die Sinfonie in einer handvoll aus der Volksmusik der Neger oder der Indianer stammen- den Originalmelodien, die ih den einzelnen Sätzen des Werkes verstreut und versteckt sind. Der amerikanische

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Neger hängt mit der Musik fast ausschließlich durch den Rhythmus zusammen; bei weitem höher stehen die In- dianerweisen. Ihnen begegnen wir deshalb auch häufiger in Instrumentalkompositionen der jungen amerikanischen Schule; auch Heinrich Zöllner hat in einem seiner Chöre, dem »Indianischen Liebesgesang«, eine sehr hübsche Probe davon gebracht. Daß ein Vertreter nationaler Elemente in der Kunstmusik, wie Dvofak, Volksweisen überall, wo er sie findet, teilnehmend und liebevoll be- handelt, versteht sich ohne weitres. Wenn wir trotzdem sehen, daß aus dem amerikanischen Material in dieser Sinfonie nicht viel geworden ist, so führt diese Tatsache zu der Vermutung: daß die Natur dieses Materials dem Wesen der Sinfonie zu fremd gegenübersteht.

Der erste Satz beginnt ih einer langsamen Einleitung (Adagio, Vsj EmoU) mit nachdenklichen, durch Synkopen- rhythmus gezeichneten Motiven, die leise von den Cellis zu den Flöten ziehen. Plötzlich setzt das Streichorchester, an das Synkopenmotiv anknüpfend, unisono im f[ ein, die Pauke dröhnt, scharf fahren die Bläser auf, die Har- monie ist von Emoll nach Bdur gesprungen. Es muß etwas Bedeutendes vorgefallen, eine große Wendung ein- getreten, ein wichtiger Entschfuß gefaßt sein. In der neuen Tonart treten neue Motive auf: die Bedenklichkeit (in den Holzbläsern) wird vom Wagemut (Celli, Bratschen, Hörner) vertrieben. Die aufsteigenden Töne dieses zweiten Motivs künden das Hauptthema des Allegros (S/4, Emoll) an. das nach wenigen Takten eintritt. Seine vollständige Gestalt

Allegro msHo. J = 186

Corno.

ruht in der ersten Hälfte auf dem Klang des zweiten Homs, in der zweiten auf Klarinetten und Fagotten, spricht in jener großes Sehnen und Erwarten, in dieser etwas stürmisch Behagen und Befriedigung aas. Die nächste Wiederholung, an der Spitze die Oboe, führt nach

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Gdur und sofort mit Trugschluß uach Hdur. Von da an setzt es mit der ersten Hälfte allein sa neuen Sätzen an; die Stimmung schwingt sich auf, und es kommt zu. einer neuen Wiederholung des Hauptthemas in seiner Original- tonart im fff. Im Triumphe zieht es vor&her, gefolgt von einer Kette froher Gefühle üher das leitende Motiv der zweiten Tbemenhälfte gebildet.' Ehe man es erwartet, wird abgebrochen; der freudige Ton wird schwächer, zögert und schwankt. Wir stehen vor einem psycho- logischen Vorgang, wie ihn jeder jeden Tag erlebt: Eine Fülle innerer Gefühle schwindet plötzlich vor einem Ein- druck, der das äußere Auge getroffen hat. Die kleine Barbarenmelodie

Fl.o.Ob. >-v_^-5

-^ i r ; r r r t

C5roo. -^^ •^'

ist in Sicht gekommen. Alles was DvoiPak bisher gegeben hat, konnte in Europa heimisch sein; diese Tanzweise führt uns zum ersten Mal in die neue Welt, wenigstens auf einen der Kultur entrückten Boden. Das sagt uns vor allem das f an Stelle des fis. Wo der Leitton aufhört, da beginnt das Naturvolk oder das Altertum. Der fremd- artige Charakter der Weise wird aber durch Nebenum- stände noch unterstützt. Da ist das Hom, das die ganze Zeit T in Vierteln gibt Auch in den Violinen zittert und schillert dieses d. Als das amerikanische Thema zum ersten Male erscheint, da hat der Komponist noch nicht die Absicht, sich ihm gefangen zu geben. Die Flöten und Oboen bringen es als Kontrapunkt, als Begleitstimme; die geistige Führung liegt, wenn auch nur leise, noch in der Klarinette. Aber schon nach 8 Takten ist das anders. Da kommt die Melodie der Wilden ih die zweite Violine und bringt ihren ganzen aus der Heimat gewohnten Musikapparat mit: die liegenden Stimmen und die Quinten- bässe. Und nun ist auch die Phantasie des Tondichters auf eine weite Strecke ganz von diesen drolligen Mo-

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tiven in Beschlag genommen. Er sucht sich ihrer mit einer ernsten Baß weise zu erwehren, aber drüber spielen die Sechzehntel weiter und in den Holzbläsern kommen gar neue Motive dazu, die mit Pralltrillem und kecken Rhythmen des Abendländ^ers zu spotten trachten. Die lustige Weise war nur ein Vorläufer; in das eigentliche amerikanische Musikwasser kommen wir erst mit dem zweitön Thema, das die Flöte in Gdur bringt

p

Mit ihm schließt auch der ganze erste Teil des Satzes, die Themengruppe sofort ab.

Die Durchführung beginnt, indem sie an das Ende des zweiten Themas anknüpft, auf dem übermäßigen Drei- klang g-h'düj der 12 Takte lang immer leiser gehalten wird: Der Dichter, von den neuen Eindrücken überwältigt und verwirrt, schlummert ein. Wie im Traum tritt nun in seiner Seele das entlegenste zusammen: der Anfang des zweiten Themas und der Schluß des ersten. Dann kommt dieses zweite Thema jetzt in Adur und Amol! in einer närrischen Verkürzung und zerrissen, die erste Hälfte in den Cellis, die zweite in den Holzbläsern, unaufhürlich nach vom. Die Kombination von erstem und zweitem Thema kehrt wieder. Dann stellt sich der Anfang des Hauptthemas mit ein, und sobald es sich gezeigt, ist der Traumcharakter fQr eine Weile preisgegeben. Jedes der aus seinem Zusammenhang gerissenen Elemente sucht sich durchzusetzen und mit Gewalt zu behaupten. Das gibt eine Art Rüpelszene mit großem Lärm. Erst am Schluß der im ganzen knappen Durchführung, wo das Hauptthema entschieden die Oberhand gewinnt, tritt wieder Ruhe und Klarheit ein.

Die Reprise verläuft regelmäßig bis auf den un- wesentlichen Umstand, daß das zweite Thema in Asdur steht. In der Coda läßt Dvofak zweites und Hauptthema gleichzeitig spielen: jenlBS in den Trompeten, dieses in der Altposaune. Der ganze Schluß ist in Farbe und Harmonie-

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baltung sehr glänzend und rühmt den Freunden in der Heimat die »Neue Welt« im Superlativ.

Der zweite Satz (Largo, C, Des dar) ist wohl der- jenige, der bei den meisten Zuhörern der Sinfonie einen dauernden Platz in ihrer Erinnerung erobert Er ist von der eigentümlichen, ruhigen und träumerischen Schönheit, durch die uns zuweilen Bilder der Wüste, der Steppe, der Pußta so mächtig ergreifen. Die Stille und die Größe der Sehiläche und der unbestimmte Glanz der drüber liegt, wirken gemeinsam, Phantasie und Sinne, zu nähren und noch mehr zu reizen. ' In der Musik finden wir die Seitenstücke zu dem Satze Dvo^aks am nächsten bei 'Borodin und Rimsky-KorssakofT. Es handelt sich um einen neuen Ton, dem sich von den älteren nur Liszt'in seinen Ungarischen Rhapsodien nähert. Dvofak hat vielleicht Eindrücke der Prärie in sein Largo gemischt.

Der Satz beginnt »wie Orgelton und Glockenklangc mit feierlichem, breitem Akkordenvorspiel der Messing- bläser. Darauf setzt das englische Hörn zu folgendem Gesang an:

jA jjv niii riiii " I u^^p

Des ', De».. F Ges. Aa. Des

Das ist die Stimme des Gottesfriedens, der heiteren Andacht, der kindlichen Unschuld, erhebend und lieblich zugleich. Der Satz wird unter Mitwirkung von Klarinetten, dann Fagotten zu einem bescheidenen Lied von 16 Takten erweitert. Da kehren die einleitenden Akkorde, jetzt in den Holzbläsern, zum Abschluß wieder. Darauf nehmen die VioUnen das Thema zu einem kleinen Satz, der dem Mittelteil des dreiteiligen Liedes ungefähr gleicht^ das Schlußwort bat das englische Hörn. Ihm nach gibt, wie im fernsten Echo, das Hom con sordino die Motive des ersten Taktes noch einmaL Dieser bis hierher reichende erste Teil des Largo ist in Desdur geblieben. Der zweite setzt in Cismoll ein. Sein thematisches Material besteht aus mehreren Stücken.

590

Das erste Stack wird vom folgenden Thema gebildet:

V.a iiuco piu moBSü

Es bringt von außen her, ähnlich wie die

GmoU-Melodie des ersten Satzes der Sin-

B— eis fonie, Bewegutig in die bis dahin feierlich

ruhige Szene. Als zweites Stück folgt ihr ein langsamer

Gesang in den Klarinetten

Od poco ffleoo «losao.

Ersichtlich ziehen Schatten durch ihn. GUch das Desdur- Thema einem .Dankgebet, so dieses einer Bitte um Schutz vor Gefahren. Ziehen wir aber die Erregung mit in'Be- tracht, die sich in den Rhythmen der begleitenden Streich- instrumente ausspricht, femer den leisen Ton, in dem der Satz gehalten ist, drittens den deutlichen nationalen Anklang in der Melodie, so dürfen wir den Abschnitt wohl auch auf Heimatserinnerungen des Komponisten deuten. Das eine schließt in diesem Fall das andere nicht aus. Wa^ der Poesie versagt ist, verschiedene Vorstellungen und Empfindungen miteinander in der gleichen Sekunde zur Anschauung zu bringen, die Musik kann es.

Die von diesen beiden thematischen Stücken gebil- dete Gruppe wird, und zwar in derselben Tonart, wieder- holt. Der Hauplunterschied ist, daß jetzt die Violinen führen. Zu dem Triolenthema bringen die Holzbläser nachahmende und verstärkende Kontrapunkte. Wie das bei Wallfahrten häufig vorkommt, daß sich an die reli- giösen Zeremonien ein bunter Jahrmarkt anschließt, so folgt jetzt dem CismoII-Teil ein dritter Abschnitt unseres Largo in Cisdur, dessen Charakter durch das ihm zu Grunde liegende Thema

591

p

genügend gekennzeichnet wird. Es läuft erst durch die oberen Holzbläser, dann nimmt es das Streichorchester auf und treibts mit ihm zu einer wilden, bacchantischen Lustigkeit, die sich mit der Schnelligkeit entwickelt, in der nur Naturvölker ihre Empfindungen wechseln. Die Trompeten setzen das Töpfelchen auf das i des tollen Spuks. ' Sie sind es aber auch , die schon im nächsten Augenblick der aus Rand und Band geratnen Gesellschaft der Instrumente wieder den ernsten Zweck der Versamm- lung zu Gemüte führen. In einem unerwarteten Adur (unmittelbar auf die Cisdur- Akkorde) bringen sie deo Anfang des Hauptthemas des Largos, des Desdur-Themas. Es folgt, in seiner Originalgestalt und vom englischen Hörn gesungen, diesem Appell auf dem Fuße. Als es die Geigen aufnehmen, macht sich in drei Fermaten ein wundersames Stocken bemerkbar. Der Satz verklingt poetisch, als wenn sich Nacht übers Land breitet. Ganz nahe am Schlüsse hören wir auch noch einmal die feier- sich langsamen Bläserakkorde.

Das Scherzo der Sinfonie (Mblto vivace, s/4, E moll) ent- faltet in seinem Hauptsatz einen harten Humor. Diese Härte beruht weniger auf dem melodischen Thema des Satzes

•* . . J o^ als auf der

MLoIto vivace- d«= 80 p. i. .,

TP Komponist

gibt. Mit einigen erschreckenden Schlägen meldet es sich in den einleitenden Takten, läßt seine ersten Achtel, befremdend, zttgcfllos durch die Streichinstrumente sausen, erscheint dann endlich vollständig, aber auf einem gänz- lich unbefriedigenden Akkord, (auf der Dissonanz h-d^e-g), so wie es^ die russischen Melodien zu tun pflegen. Als es zum zweiten Male seinen Weg sucht, stellt sich ihm die Klarinette rechthaberisch und ungeberdig entgegen. Dann hat sich wieder das Tutti des Streichorchesters in

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einem übermäßigen Dreiklapg Terützt, und als es endlich in die richtige Harmonie gekommen ist und im ff die Unglilcksmelodie durchdrückt, stellen wieder die HÖmer mit ganz querköpfigen Tönen alles Erreichte in Frage und ünden leider bei den sämtlichen Holzbläsern Unter- stützung. Nur die Bässe führen unter diesen Umständen die Absicht mit dem Scherzothema durch. Aber nach- dem der Form soweit genügt ist, läßt man es allgemein fallen. Ganz wider allen Brauch tritt schon jetzt das Trio ein, ein etwas langsam gehaltener Satz in Edur mit folgendem Hauptthemä

^JjJ-JJlJJU^

Seine beiden ersten Noten erklären uns, warum der Satz bisher so wunderlich verlaufen, warum der Scherz in einen Streit ausgeartet ist. Der zweite Satz, das schöne Largo, beherrsclite noch die Phantasie, und was hier in diesem Trio in den Holzbläsern, später im Cello gespielt wird, ist ein Anklang, ein Nachklang seines Desdur- Themäs, der Melodie des englischen Homs. Doch lange dauert der Frieden dieses Trios nicht. Das Thema des Hauptsatzes setzt wieder ein im dreifachen p und in Edur. Aber bald wird das Wetter schlecht: ein ver- zweifelt vorwärts schiebender Übergangs- und Modn- lationssatz, bei dem die Trompete eine sehr wichtige Rolle spielt, bringt uns wie im Flug wieder nach Emoll und gleich an die Stelle, wo die Hörner das ff des Haupt- themas so heftig bestritten. Sie haben jetzt auch die Bässe auf ihrer Seite, und es kommt zu einem schnellen Schluß, oder vielmehr einem Abbrechen. Es ist still geworden. In den Bläsern hören wir wie einen Wehruf wiederholt: oA, die Geigen intonieren dazu wie stumpf und mechanisch das Quintmotiv, mit dem das Thema des Hauptsatzes beginnt. ,Da werfen die Celli und nach ihnen die Bratschen in die allgemeine Ratlosigkeit das

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Haaptthema des ersten Satzes der Sinfonie hinein, auf das vor dem letzten Sturm, wohl unbemerkt, die Bässe schon einmal angespielt haben. Jetzt tut es seine Wir- kung. Es beginnt ein friedliches Spiel um folgende ein- fache Tanzweise

iioUo'v\ymt^7o'Z 90

die uns wieder in die deutsche Volksmusik, wieder in die Nähe von Dvofaks großem Ahnherrn Fraiiz Schubert föhrt Dem Gdur-Satz, mit dem dieses neue Thema be- ginnt, folgt eine Fortsetzung in 6 mit weiteren hübschen Motiven als zweiter Teil, und dann kommt der Gdur-Satz wieder. Es handelt sich also in der Komposition unseres Scherzos um die Einschiebung eines dreiteiligen lied- satzes an die Stelle einer etwaigen Durchführung. Durch diese Einschiebung, weiter durch die Vorschiebung des Trios, durch die Aufnahme von Themen aus dem zweiten und ersten Satz hat aber Dvofak seinem Scherzo einen ganz außerordentlich individuellen Charakter gegeben. Das hergebrachte Formenschema ist zwar benutzt worden, aber die Formen haben eine ganz unerwartete Bedeutung und Stellung erhalten. Der eigentliche geistige Haupt- satz ist der Cdur-Sats geworden, den wir eben ver- lassen haben. Dvofak hat seine wiederholt gerühmte Kunst der poetischen und dramatischen Belebung Beet- hovenscher Formen wiederum glänzend bewiesen. Man kann nur wünschen, daß dieser Beweis auch als Muster dienen möge!

Die Coda des Satzes ist vorzugsweise dem Haupt- thema aus dem ersten Satz der Sinfonie gewidmet; ganz am Schlüsse spielt die Trompete noch einmal auf den eingeschobenen Cdur-Satz an und bekräftigt damit die Wichtigkeit, die er in dem nun beendeten Satz ge- habt hat.

Das Finale der Sinfonie (Allegro con fuoco, Emoll) beginnt in einem ähnlichen Balladenton wie der Schluß-

Kretisch mar, Ftibrer. I, 1. * 88

/

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satz von Gades Gmoll* Sinfonie. Auch thematisch fühlt man sich an dieses Werk erinnert, wenn das Hanptthema wie folgt einsetzt:

Alltgro eon faoco. i z 182 •i^aonier n. Tro mpetei»'

r Lri f ' r ' I ^ ^ ^^' ^^'^ Charakter der indiani- ' " sehen Kriegsmelodien, wie sie etwa

Baker mitteilt*), geht es mit großem Schwang hinaas. Es könnte 'ein Kunpflied der Puritaner ans den Unab- hängigkeitskämpfen sein. Nachdem das volle Orchester die Melodie abgeschlossen hat, findet ihr Siegesmnt einen weiteren, nidit mehr feierlichen, sondern kräftig weltlichen Ausdruck im folgenden Thema, das seine fremdländische Abstammung durch dreitaktiges Metram kundgibt

^Mr^iiiirrixiiiiir

Zum zweiten Male in der Haupttonart, Emoll, gebracht, verliert es sich auffällig schnell. Die Harmonie sitzt auf dem verminderten Septakkord 0*9-0-^-6 fest; zu den vielen alarmierenden Elementen , die an der Stelle zusammen- kommen, steuert auch das Schlagzeug bei Wie geister- haft tritt als zweites Thema des Finale der Gesang der Klarinette ein

Er bedeutet Heimweh, Sehnsucht nach Vaterland und Freunden, den Entschluß zur Rückkehr in die alte Welt.

*) Th. Baker: Über die Mosik der nordtmeriktniseheD WUden. Leipzig 1882.

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Wenn wir es aus dem Thema selbst nicht verstehen sollten, aus dem schmerzlichen Einsatz, so sagt es uns das Motiv, das im 6. Takt begleitend einsetzt. Das stammt aus Dvoi^aks letzter Sinfonie, aus seiner vierten, seiner böhmischen Sinfonie. Diesem elegischen Thema der Klarinette, das die Violinen bald aufnehmen, schickt DvoiFak einen fröhlichen Nachfolger hinterdrein

Sein letzter Takt trägt in übermütiger Färbung langhin die Fortsetzung, bis ihn zuletzt der Fagott, mit* dem Cello vereint, leise aufnimmt und das Motiv ins Humoristische wendet. Ein wenig klingt es ja auch an den Mittelteil des Cdursatzes im Scherzo an.

In der Durchführung wechselt zunächst dieses Motiv der Heimkehr wie wirs wohl nennen dürfen mit Bruchstücken der amerikanischen Themen des Finale. Dann setzt in Fdur die schöne Hauptmelodie des zweiten Satzes der Sinfonie, des Largo ein, tritt glänzend und glänzender heraus. Daneben stellt sich dann der Anfang vom Hauptthema das Finale, plötzlich tritt das Horn^

Siema herein, mit dem die Sinfonie begann: das Motiv er Erwartung. Jetzt gilt es wohl der Heimreise. Noch eine Weile streiten sich im Gemüte des Komponisten und in der Durchführung alte und neue Welt. Dann erscheint im Meno mosso das Hauptthema des Finale piano von der Oboe in tiefer Lage und vom Hom geblasen, bald darauf das zweite Thema, das Thema des Heimwehs in Edur. Der Abschied ist genommen, der Entschluß zur Rückkehr gefaßt, und entschlossen, freudig wird er aus- geführt.

Zwei nachgelassene Sinfonien des Komponisten, A.DToiFak, die eine in Es aus dem Jahre 1872, die andere in D m oll, Zwei nachgeias. 1874 komponiert, sind unbeachtet geblieben. In der»«°f fj"'*»«*»«" Esdur-Sinfonie ist das Adagio sehr bedeutend. Gleichfalls "** ^i""*"* ziemlich unbekannt geblieben ist auch Dvofaks Sere-

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nade fflr Blasinstrameute, ein durch die liebenswürdige Mischung von individuellen und nationalen Zttgen eigenes und fessehides Werk, zdoiko Flbldi, Unter den weitern böhmischen Beiträgen zu Sinfonie Sinfonie in JSb.^j^^ Suite erregen die Arbeiten von Zdenko Fibich deshalb das Interesse, weil dieser Komponist durch Ouver» türen und ähnliche einsätzige Werke ein starkes, in der Erfindung hervorragendes Talent bewiesen hat Von seinen drei Sinfonien ist die zweite (in Es dur) in Deutsch- land bekannt geworden, hat sich jedoch nur wenig ver- breitet. Das liegt wesentlich an ihrem ersten Satz. Die- ser setzt mit einem breiten Thema ein:

Allegro moderato. ^ , gdyner. a^ VloL

HolrbÜBef.

'^^^'\l^^f}\ if Ti Uli I j I '

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das den Ton einer erhabnen Naturode ans<vhlägt, an Wagners Vorspiel zum Rheingold und an ähnliche Ton- oder Wortdichtungen erinnert, die auf langgeschwungnen schönen Wegen zu einem mächtigen, unvergeßlichen Höhepunkt führen. Wir sind in einer Stimmung wie in der Morgendämmerung. Der Sonnenaufgang kommt aber nicht in dem Satze. Es fehlt ihm eine große, klare Bnt- Wickelung, sogar in der äußren Gliederung bleibt er etwas verwischt hat nur präludierenden Charakter und ist für seine Natur zu lang. Daß die Absichten des Kom- ponisten weit gingen, ist daraus zu ersehen, daß er nicht bloß das erste Thema des Satzes, sondern auch das an und für sich nicht bedeutende, vom folgenden Anfang aus

>^-^p .^py. sequenzenmäßig weiter ge-

*^jit\f\\ fii ff r I T' r I führte zweite Thema iu die ^ ' ^ späteren Sätze hineinzieht.

Diese enthalten sehr viel Frische, Kraft, Poesie und Kunst und lassen es bedauern, daß der Anfangssatz der Sinfonie

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nicht besser gelangen ist. Das nationale Element tritt bei Fibioh in diesem Werke gänzlich in den Hintergrund; nnr das Scherzo enthält in dem CmoU- Abschnitt einen Teil, der auf Volksmusik zurückgeführt werden kann. Deutlicher verrät seine Sinfotiie die Einflüsse Beethovens, Mendels- sohns und Wagners. Das im Entwurf hervorragende Adagio der Sinfonie, das durch Einfügung eines mit der »Götter- dämmerung« verwandten Marschmotivs aus dem Elegi- schen ins Großdramatische wächst, stellt diese drei Meister dicht zusammen.

Unter den jüngeren Komponisten, die in den Fuß- stapfen Smetanas und Dvohdks für die Existenz und Be- deutung der böhmischen Schule in die Schranken ge- treten sind, haben die verhältnismäßig größten Erfolge J. Suk und 0. Nedbal gehabt, jener mit seiner Sin- j.gmk, fonie Asrael und einer Märchensuite, dieser mit seiner »•**»!. Suite mignonne. Auch V. Noväk gehört mit seinen sinfo- T. HoT&k. nischen Dichtungen unter die Führer der Schule.

Den künstlerischen Zielen nach gebührt unter den J. Sik, Werken dieser Tonsetzer der erste Platz dem Asrael ^"»^ (^p- 2'> von J. Suk. Diese Sinfonie gehört allerdings schon dem Stoff nach nicht ins Bereich freundlicher und ein- nehmender Kunst, denn sie schildert in ihren fünf Sätzen, von denen die ersten drei den ersten, die beiden letzten den zweiten Teil der Komposition bilden, nur trübe Schick- sale, ihre Töne sind deshalb fast ausschließUch auf den Ausdruck von Trauer, Klage und Sehnsucht gerichtet, Tristanstimmungen durchziehen selbst ihr Scherzo. Dazu macht es der Komponist dem Hörer auch noch durch seinen Stil schwer. Auch bei Suk zeigt es sich wieder, daß die nationalen Schulen ein besonders fruchtbarer Boden für grammatische Kühnheiten und Extreme sind : er neigt weit über den Bedarf hinaus zur Ghromatik, zu Dissonanzen und sekundären Kontrapunkten und zu all dem Luxus und Ballast demonstrativ modemer Opern- und Instrumentalmusik, den man einfach als »falschen Wagner« bezeichnen darf. Aber eine beachtenswerte Leistung, mit der auch die deutschen Musikfreunde sich

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vertraut machen sollten, ist dieser Asrael immerhin. Was ihn auszeichnet, ist das Talent in der thematischen Er- 6ndang und der feste Charakter in der DnrchfQhrang der poetischen Aufgaben.

Stärker als in anderen Ländern hat sich der Kultus nationaler Musik in Rußland entwickelt Es ist erst durch die nationale Bewegung an die Pflege der höhren Instrumentalmusik herangeführt worden und hat sich wunderbar schnell, obwohl ihm Orchester, Konzerte und eine Menge der wichtigsten Vorbedingungen zu fehlen schienen, in ihr eine heivorragende Stellung errungen, die sich eine Zeit lang sogar zur Führerschaft anzu- lassen schien. An Fruchtbarkeit steht die russische Schule obenan und ihre Orchesterkomposition weist dem volkstümlichen Element einen so breiten Raum zu, daß selbst diejenigen Komponisten, deren Bildung eine ent- schieden westliche und internationale ist, sich jener nationalen Strömung nicht entziehen können. Der all- gemeine europäische Musikschatz ist durch die Russen stark mit Temperament bereichert worden; weniger mit Ideen. Denn die Mehrzahl ihrer Tonsetzer bewegt sich in den nationalen Extremen von Weichheit und Ausge-. lassenheit Für Kontrapunkt und Instrumentation brin- gen sie eine außerordentliche Bildung und Begabung mit, die ihrer Musikschule große Ehre macht. Ihre Leiden- schaft für das aus den Volkstänzen der Heimat gewohnte naturalistische Variieren muß jedoch auf die Dauer die Form der Sinfonie zerstören und bedroht folglich auch den Geist dieser Gattung wie kein zweites unter den neuen Elementen. Das patriotische Streben der jungen russischen Tonsetzer wird durch den Reichtum an heimi- schen Weisen begünstigt, über welche das vielstämmige Riesenreich verfügt. Augenscheinlich sind es die der Kultur ferner stehenden Völkerschaften, zu deren musi- kalischen Schätzen sich die Schule besonders hingezogen fühlt. An Gedankengehalt bieten die Weisen dieser Na- turvölker durchschnittlich wenig: zum kleineren Teil sind es langsame, auch innerlich wenig bewegte Melodien,

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aus denen die Melancholie und die Unendlichkeitsstim- vmong der Steppe spricht, zum weit größren abet kurze Tanzweisen, welche sich durch fortgesetzte Wiederholun- gen desselben Motivs weiter fristen. 2Sie halten in Bezug auf melodischen Wert keinen Vergleich aus mit dem, was d&e Ungarn und Böhmen auf £esem Gebiete aufzu- weisen haben, und selbst die Melodien der Skandinavier sind ihnen an Reichtum der Phantasie, an Freiheit und Mannigfaltigkeit der Form überlegen. In. dieser Bezie- hung bieten die russischen Allegrothemen der künstle- rischen Behandlung große Schwierigkeiten. Aber diese Nomadenmusik hat andere Seiten, von welchen aus sie auf die kunstmäßige Komposition sehr belebend einwirkt. Sie neigt zu dramatischen Formen und bietet im rein .Klanglichen die erstaunUchsten Originalerscheinungen. Das Tonleben jener russischen Stämme, welche an den Ufern der Wolga, an den Küsten des Schwarzen Meeres und in den Tälern des Kaukasus dem Krieger- und Hir- tenberuf obliegen, nährt sich von den Klängen der Natur; ihre Harmonien bilden sie nach dem Vermögen der am liebsten glissando ansprechenden Balalaika und nach der Gnade von Instrumenten, welche der sanglustige Reiters- mann zu Pferde handhaben kann, ihre Akkorde werden nicht von gebuchten Künstlergesetzen geregelt, sondern vom Zufall, von der praktischen Bequemlichkeit und dem Streben, sich Gehör zu schaffen, ihre Rhythmen und Metren wechseln wie die Launen des Naturmenschen. Von daher kommt in den Orchesterwerken der jungrus- sischen Schule der bukolische Grundton, die häufige Verwendung einfacher und doppelter liegender Stimmen, ^ von daher kommen die elementaren Ausbrüche unge- zügelter Lust, von daher der Eifer und auch das Glück, mit welchem diese Tonsetzer ungewohnten instrumen- talen und harmonischen Kombinationen nachgehen, die naive Freude an dem Wechsel der Klangfarben, das Be- hagen, mit welchem sie lange Strecken ein unbedeuten- des Motiv von einem Instrumente zum andern wandern lassen. Von der künstlerischen Seite, in Bezug auf

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Phantasie und Form geprüft, sind diese nationalrussischen Orchesterkompositionen im Durchschnitt erfreulich, teil- weise im höchsten Qrad fesselnd immer dabei voraus- gesetzt, daß hinter dieser russischen Musik noch mehr als hinter der russischen Literatur eine von der unsren wesentlich verschiedne Welt steht. Wie jede in der Bildung begriffene Schule, hat auch die jungrussische barocke und unreife Werke auf ihrem Kpnto stehen: un- geheuerliche Versuche, Stoffe aus der russischen Sage und Geschichte musikalisch zu bewältigen. Aber die Mehr- zahl der Komponisten hält sich ungefähr an den Typus, M. eiisks. welchen M. Glinka, der Vater jener Schule, in seiner Kamarinskaja, die Europa zuerst mit russischer Instru- mentalmusik bekannt machte, aufgestellt hat: die Stim- mung naiv, heiter, drollig, ausgelassen, von grotesker* oder träumerischer Poesie, die Form besonders gern durch wörtliches Wiederholen und leichtes Variieren entwickelt. Wie Glinka selbst, haben auch seine nächsten Nachfolger A. Darvomljskjr.Dargomijsky und A. Serow sich nur der Variation und 1. Serow. den kleineren Formen gewidmet. Die erste Russische S i nf 0 nie hat, wie bereits erwähnt, 1866 der heute als ein« N. Bimtky geschworener Programmusiker bekan n te Rimsky-Kors- Keniftkow.sakow, damals noch Marinekadett, auf einer Welt- umsegelung komponiert*). Europa erfuhr von dem ernst- lichen russischen Wettbewerb in Sinfonie und Suite r.Tiehalkowiiiiy. Überzeugenderes erst durch die Arbeiten Peter T schal -

kowskys. Dm wird die Geschichte, trotz des kuriosen Widerspruchs seiner Landsleute, als den Hauptvertreter der russischen Schule ansprechen, nicht bloß auf Grund der Menge von urrussischen Themen und Motiven, die er in allen seinen Werken von der Cdur-Serenade bis zur Sinfonie pathötique verwendet hat, sondern auch wegen der Unentschiedenheit seines künstlerischen Cha- rakters, wegen des Schwankens zwischen Tonsprache und Tonspiel, das er mit vielen seiner Landsleute gemein hat

*) 0. y. Riesemann: Russiflche Sinfonien (Die Mnsik, J&lirgang 1906/7).

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und das bis in seine letzten und reifsten Arbeiten geblieben ist. Aber auch unter die Meister der Ton* kunst wird ihn die Zukunft stellen, denn ist er auch nicht bis zur höchsten Vollendung gelangt, so muß man doch die.Entwickelung bewundern, die sich in seinen letzten drei Sinfonien zeigt, Werken, die nach der Biographie, dfe Modeste Tschaikowsky dem verewigten Bruder gewidmet hat, Niederschläge von schweren, unter den Begriff des Fatums fallenden Lebenserfahrungen sind.

Tschaikowskys erste hier in Betracht kommenden Ar- p.TBeiiaikoiv8i&};. beiten sind: die Serenade für Streichinstrumente (op. 48) Serenade. und zwei Suiten. Die Serenade enthält in ihrem einlei- tenden, ersten Satze eine interessante Verbindung von alter (Händelscher) und neuer (Schumannscher] Musik. Ihr zweiter Satz, ein gut imitierter deutscher Walzer, weist namentlich in den zweistimmigen Solostellen der Violinen naiv liebenswürdige Züge auf, und ihr dritter, Elegie betitelt, zählt in seiner schönen Abendstimmung zu den poetisch hervorragenden Stücken der Gattung. Russisch ist nur das Finale, eine Burleske über ein kur- zes Tanzthema. Sie geht in ihren Scherzen über das Maß hinaus und streift die Trivialität, ein Fehler, in welchen der durch Begabung und Bildung ausgezeich- nete Komponist hin und wieder verfällt Die erste P.TschaikowBk}. Suite bringt das nationale Element viel entschiedener ^»te Saite zur Geltung. Der erste Satz durch einige russische The- ^^^' ^^^' men und durch einen geistigen Charakterzug der ganzen ^ Schule: die Hartnäckigkeit im Verfolgen kleiner Einfälle. Bald naturalistisch, bald gelehrt, versuchen die Instru- mente, wie weit sie es mit dem aufgesetzten Motive wohl treiben können. Der Walzer unterbricht mit vielen StringendoB und Ritardandos die behagliche Gmndstim- mung seines Hauptthemas. In der Mitte veranlaßt das Erscheinen einer gewöhnlichen Achtelfignr einen wahren Tumult. Spezifisch russische Melodien hat der Satz nicht, aber mehrere der reinen Freude am Klingen von Akkord und Ton gewidmete schöne Stellen. Namentlich der Ausgang des Ganzen gehört in diese Kategorie. Der

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dritte Satz ist eine echt russische Burleske» welcher fast von Anfang bis zum Ende ein und das- na j-ym j selbe rhythmische Motiv zu Gnmde liegt J «^J ••H' Mit wahrem Fanatismus feiern es die Instrumente. Der vierte Satz ist eine gut gedachte Träumerei, in der Fomfi eines Altemativs. Die beginnende Melodie in AmoU ist national, der Gegensatz in Adur freie und für die Länge nicht recht ausreichende Erfindung. An Klangeffekten: Solis von englischem Hom, Piccolo, Harfe, hohen Hs^-

^ monien, rauschenden Mischungen des Rhythmus ist dieser

Satz sehr reich. Der letzte Satz mischt ein russisches kurzes rhythmisch gleichförmiges Tanzthema mit f^ien Stellen, deren musikalischer Qehalt wesentlich auf AkMord- und Instrumentationseffekten beruht. Nicht bloß dieser Satz, sondern die ganze Suite entfaltet nach dieser Seite hin eine unverkennbare Originalität und äußert eine nachhaltige sinnliche Wirkung. Noch weiter geht in

iMtehAikowiky, dieser Richtung die sogenannte >Nußknacker-Suite« NwÄnacker- Tschaikowskys , in der die Klangscherze nicht ab- * reißen. U. a. ahmt das Orchester in ihrem >marche miniaturec eine Spieldose nach. Die drolligen Effekte dieser Suite entstammen dem französischen Mnsikboden und haben auf die jungfranzösische Schule stark surflck- gewirkt

Die volle Bedeutung und die Eigentümlichkeit Tschai- kowskys ist erst durch seine Sinfonien ganz klar gewor- den. Wenn jene Suiten, ' Skizzen und Studien auf dem Gebiete der Stimmungsmalerei und der Schilderung hei- mischen Volkstums gleichen, so sind seine Sinfonien ausgeführte Lebensbilder, die sich um seelische Gegen- sätze fesselnd, frei, zuweilen dramatisch entwickeln. Tschaikowsky ist diesen höheren Aufgaben gegenüber in den meisten Punkten der Alte geblieben: ein Komponist ohne eigentliche musikalische Originalität im strengeren Sinn, wenig wählerisch, zuweilen gewöhnlich, niemals neu in seinen Ideen, aber eine immer offne und ehrliche, häufig in ihrer Wärme und Herzlichkeit große Natur. Was aber erst diese Sinfonien an ihm zeigten, das ist

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die außerordentliche stilistische Begabung, die Fähigkeit, .in dem alten Formenbezirk der Sinfonie sich ganz un- gezwungen zu bewegen und jederzeit und nach jeder * Richtung auch ungegangne Wege zu finden, die den ins Auge gefaßten poetischen Absichten gut entsprechen. Die Anregungen, die auf diesem Gebiete Fr. Liszt gege- ben hat, sind von keinem zweiten so geschickt, so frei- sinnig und doch ohne alles herausfordernde Wesen auf- genommen worden. Zugleich versteht sich Tschaikowsky in seinen Sinfonien auf die Nietzschesche Kunst, alten Gedanken, auch wenn sie Gemeinplätze sind, durch den Ton des Vortrags und durch die Einstellung auf den gtinst7|;sten Platz einen Schein von Eigentümlichkeit und besonderer Tapferkeit zu geben. Auch die Reichhaltig- keit und die stets überdachte Regsamkeit des Orchester- klangs trägt zu der lebendigen Wirkung von Tschaikows- kys Sinfonien mit bei.

Tschaikowskys erste Sinfonien scheinen im Dunkel bleiben zu sollen; zuerst ist seine letzte, die sechste (aus dem Nachlaß) bekannt geworden und hat rückwirkend die fünfte und die vierte nach sich gezogen. Von dieser vierten, der Manfred-Sinfonie, ist bei den zur Programm - musik gehörigen Werken geredet worden. Auch die fünfte Sinfonie könnte mit einem gewissen Recht in P.Tsokaikowiky. diese Abteilung gestellt werden. Denn auch sie führt Fünfte ^'o^<) ein Programm, oder wie Haydn zu sagen pflegte, einen ^^ ^ Charakter durch und bekennt auch äußerlich, daß ihre Sätze inhaltlich enger verbunden sind; ja ihr ästhetischer Wert ruht hauptsächlich darauf, daß diese Musik den Stempel des wirklich Erlebten und Empfundenen trägt. Aus dieser Eigenschaft ist auch die Freiheit und teil- weise neue Führung der Form entsprungen. Tschai- kowsky Ist in der Weise originell geworden, wie Goethe es empfohlen hat.

Das Hauptthema der Sinfonie, das wie ein getreuer Eckart, wie ein Mentor, der seinen Telemach begleitet, durch alle ihre Sätze mitgeht, treffen wir schon an ihrem Eingang. Der er«te Satz beginnt mit:

_^ 604 V-

Aodante. J = 80 -"^ ■— s. ^ «

f j, 111^ II ig iraTcfirrJi^Tf^ r1^ iTfr f nniVi ip ii lO fi

wie mit einem Mahnwort, das ein besorgter Vater freund* lieh und ernst dem in die Welt ziehenden begabten, aber leicht gerichteten Sohn zum Abschied gibt Es klingt noch eine Weile in der Seele des jungen Wanderers fort; dann tritt es zurück gegen neue und heitere Ein- drücke, die mit dem ersten Thema des der Einleitung (Andante] sehr bald folgenden Allegro erscheinen

AUifpro con >niin^ J)» 104

flljbJJiJ^IJjJjjljjljlT

In seiner Vollständigkeit bildet dieses Thema ein ganzes Lied, dem sich ein lebenslustiger, nach allen Seiten gefaßten Sinn bekundender Text mit Leichtigkeit anpassen ließ. An seinen Söhluß heften sich einige Schößlinge einer wilden Stimmung, die den Charakter des ganzen Allegro wesentlich mit bestimmen. Es ist das keck, mit rau- ^ ^ und noch mehr sind es

liem Humor hinab« jl^ ff \ J>p die Figuren, die sich ihm schlagende Motiv: *^ "'^ •'^ unmittelbar anschließen

^ ^ .-<r^ IT ^^< schon zuerst übermütig

AJ=^^Ü^^^r^^^^p I p genug klingen und sich

später immer stärker über Gleichgewicht und Ordnung hinwegsetzeil. Der oben an- gegebene Anfang des Wanderliedes wird nach russischer Art zunächst freigebig wiederholt, klingt stärker und stärker und steigert seinen fröhlichen Ausdruck bald bis an die Grenze der Ausschreitung, stockt da lange Zeit auf dem j j j geht in einem f ff in die höheren Grade Rhythmus •* der Ausgelassenheit Über, würzt sie durch Nachahmungen zwischen Hörnern und Geigen, durch Gegen bewegun gen zwischen letzteren und Po-

-^ 605 ^^

saunen und erreicht so, wie das Tbchaikowkys Musik gerne hat, eine Stufe des unverkennbaren Naturalismus. Hinter ihr erhebt sich aber sofort die Stimme der guten Sitte, der inneren Einkehr in einem an seiner Stelle sehr schön Wirkenden Gedanken, der noch das für sich hat, daß er zu dem lustigen, munteren ersten Thema in einem formellen Verwandtschaftsverhältnis, steht, daß er wie das Bild der Schwester hereintritt:

IB

Er ist der Gegensatz zu jenem; aber er ist nicht das eigentliche zweite Thema des Allegros im Üblichen Sinne. Tschaikowsky ist hier der Meister der Form, der überkommene Ordnungen nicht bricht, aber weiterbildet. Der freundliche Klang des neuen Themas wird schwächer, stockt und verlischt. Ungestüm tritt wieder die laute Lust hervor, zu der die Fröhlichkeit des ersten Themas sich entwickelt .. f> . Des ersten Themas stei- hatte: Es ruft 'ffl* T ff T ff IJ gende Motive folgen im herausfordernd ^ Jif ^ ^ stürmischen Schritt. Die Fortsetzung aber kommt anders als man erwartet: eine lebhaft, aber edel schwärmerische Weise

f ijni nll '^'^\ iilii

Sie zieht das vorher angeführte Rufmotiv wieder an, verbindet sich mit ihm und verklärt sein Ungestüm zum Ausdruck der Begeisterung. So gleicht der Schluß der Themengruppe gewissermaßen dem Jubel, mit dem der Jüngling, seiner Kraft und seines Glückes sicher, die Zu- kunft begrüßt, die er vor sich zu sehen glaubt.

Die Durchführung führt schnell aus dem hellen D dur das das Ende des vorausgehenden Abschnitts beherrschte, hinweg. Das Rufmotiv wendet sich in fernere Tonarten, es klingt dunkler und nimmt bald den Anfang des Wandrer-

--^ 606 ^^

lieds, des Hauptthem«s des Allegros, als Gesellschafter an seine Seite. Der Weg wird etwas dichter und einsam. Da kommt mit einem Male wie ein Oberfall im fff eine Reminiszenz an die ausgelassene Stelle am Schlosse des ersten Themas, wo das volle Orchester auf dem Rhythmus I tobte. Auch hier wird dieser Ausbruch unge- •• # J zügelter Empfindung wieder durch das schwester- liche Mittelthema zurückgewiesen, jedoch nicht endgütig. Zwar versuchen die Instrumente mit dem Anfang des Wanderlieds einen wohlgeordneten und in Nachahmungen kunstvoll geführten Gedankenaufbau. Aber in andrer Form schlägt eine elementar erregte, bacchantische Empfindung immer wieder durch, nämlich in Wiederholungen des Zu- kunftsmoiivs, das das eigentliche zweite Thema eröfiDiete. Sie werden reichlich und mit äußerster Kraft geboten. In ihren Sturm braust gelegentlich auch das Wanderlied einmal hinein. Im gapzen gibt die Durchführung noch mehr als die Themengruppe das Bild einer durch eine Oberfülle von Kraft gefährdeten, einer wenig gebändigten Natur. Sehr eigentümlich setzt der dritte Teil des Satzes, die sogenannte Reprise, nach dem schönen, breiten dimi- nuendo, in dem die Durchführung zu Ende geht, mit dem Wanderthema im Fagott ein. Dieses Instrument scheint hier den Philister zu verkörpern; seine halb ungeschickte Munterkeit wirkt wie ein Hohn auf die Szene des ge- waltigen, erschreckenden Aufschwungs, die eben vorher- ging. Dem wird nun ein ehrbares Späßchen, der Geni- alität wird die Banalität gegenüber gestellt. KlangUch wirkt der Eintritt der Reprise, weil eine Strecke lang die Holzbläser allein musizieren, wie ein Gespräch in der Nebenstube. Im allgemeinen verläuft der dritte Teil des ersten Satzes ziemlich gleichlautend mit der Themen- gruppe. Das freundlich, weiblich gestimmte Mittelthema tritt diesmal ein, ohne vorher vom Toben und Aufschlagen harter Eisenfäuste geschreckt zu sein. An die Gruppe des zweiten Themas knüpft sich eine kleine Episode, die sich scheinbar wie eine nochmalige Durchführung anläßt; sie dient aber nur zur Pause vor einem letzten glänzen-

_^ 607 ^^

den Aufzug des ersteix Themas, das allmählich aus der höchsten Ekstase in die äußerste Ruhe zurückkehrt und sich endlich ins GeheimnisToUe, ins Unhörbare verflüch- tigt Wie hier, so fällt auch an andren Schlüssen des Satzes und an den Obergängen die Gelassenheit und die ruhige Breite auf, mit der sie ausgeführt sind. Das ist in dieser hastigen Gegenwart ein Zeichen innerer Sicherheit und' Gesundheit des Komponisten.

Der zweite Satz der Sinfonie (Andante cantabile, ^/s, D dur) steht zum ersten in einem Verhältnis wie die Rast, wie die Idylle zur Ausfahrt Die schöne Hornmelodie, die nach einigen stillen, an Orgelklang und Kirche er- innernden Akkorden einsetzt

Andaate cantabile. J*s 64

II 1 11,1 LI LI II

gehört zu jenen Gesängen, die wir unwillkürlich auf innerstes Herzensglück, auf Jugendzeit und Liebe deuten. Sie paart die Zartheit des geheimen Sehnens, des ersten Ahnens mit heißer, drängender Leidenschaftlichkeit und ist in den weichen Vorhalten, die den entscheidenden Zug ihrer äußereii Erscheinung bilden, ein Abkömmling von Beethovens Andante der Neunten Sinfonie, in der Schule Schumanns erzogen und weiter gebildet Die Dietrich und Raff waren lange die Meister in solchen Tongedich- ten. ^ Die Weiterführung jener oben angegebenen Periode dringt in noch höhere Wärme- ptf, ,1,^ » grade der Empfindung; der A^^^-SJjf l^t i^ Nachsatz kehrt mit dem Motiv "^^^ ^sf*

zu einer beglückten Verschwiegenheit und Selbstbeherr- schung zurück. Sehr bald folgt diesem Hauptthema, dem Ausdruck des Sehnens und ^ ot© J - eo Begehrens, eine Szene, die j'flfl f'"r^ 'A_ i-^

der Erfüllung gleicht Sie 9'^^J^ ^^'Je>Jfi ^ P ^ beginnt wie ein Dialog corÄS*-**r

Das Motiv, das hier zur Zwiesprache dient, finden wir, nachdem das Hauptthema des Satzes sich im Cello noch

» 608 «^

t

einmal fast ungestüiu Jiat veruehmen lassen, erweitert zu

ere9cendo ■^^■s j I Das ist also eine Melodie, die

oescnwicnugt und zugleich ver- heißt Hier wirkt sie wie die Antwort, die Erhörnng, die der Werbung folgt; sie wird bei jeder Wiederholung glühender im Ausdruck.

Dem eigentlichen Gegensatz zum Hauptsatze begegnen wir in: '

Moderato con >niina. Js loo

Aus diesem Thema spricht der Zweifel, die Sorge vor der Zukunft und dem Schicksal. Es wird mit diesen trüben und kleinlauten Gedanken sehr ernst genommen, Stimme nach Stimme trägt sie steigernd vor. Als sie eine fast drohende Gestalt angenommen haben, da er- scheint plötzlich das Hauptthema des ersten Satzes, das ja, wie schon erwähnt, das Leitthema der ganzen Sinfonie ist, das die Stelle des guten Geistes im Hause einnimmt. Hier tröstet es, ermutigt, hellt wundervoll auf und führt zu einer Wiederholung der beiden Hauptmelodien des Andante im glänzenden und triumphierenden Ton,' einem Ton, der den Charakter des' Rausches, des Selbstver- gessens annehmen will. In diesem Augenblick erscheint das Leitthema der Sinfonie wieder: ernst, auf einem Septimenakkord, mit einem Anflug von Unwillen und Verwunderung, als Warner. Es geht in einen halb klagen- den Ton aus, wie im eignen Bedauern über die unver- meidliche Strenge und führt zu einem schnellen, ^anz in Abschiedsstimmung gehaltenen Schluß der Liebesszene.

Der dritte Satz (Allegro moderato, ^4« Adur) sagt uns durch seine Oberschrift: Valse, was er darstellen will. Tschaikowsky ist merkwürdiger Weise ein Freund der Walzer, ohne für diese Gattung deutscher Ver-

» 609 «^

gnügimgen eine besondere Begabung zu haben. Dieser Walzer seiner fünften Sinfonie tritt merkwürdig hinkend und stockend auf, wie die Metren des Hauptthemas

.Allogro moderato. Jt 138

allein schon zeigen. In dem dichterischen Plan der Sin- fonie hat diese Tanzszene wohl die Bestimmung, eine Stunde der Verführung vor unsre Phan- tasie zu rufen. Der Mittelsatz der Nummer, der über das Motiv entwickelt wird, schildert die Verwirrung, die sich der Seele des Jünglings nähert; ihren bedrohlichen Cha- rakter markiert die Pauke mit aufregenden Schlägen. Dieser Mittelsatz hat die Bedeutung des Trio im gewöhn- lichen Menuett und Scherzo. Als der Hauptsatz wieder- kehrt, zieht er die Motive des zweiten Themas noch eine Weile mit sich. In einer Fdur-S teile, die kurz gehalten ist, aber sich durch den starken Klang und den über- raschenden Eintritt geltend macht, kommt Kraft, Auf* Schwung, Befreiung und das Ende des Tonbilds.

Das Finale beginnt mit demselben über das Leit- thema der Sinfonie gebildeten Andante, das ihren ersten Satz eröffnete. Doch steht es jetzt im hellen Edur, klingt glänzend und feierlich. Den feierlichen Ton verstärken besonders einige Takte in breiten Akkorden, aus denen man Glockengeläute zu hören glaubt. Diese Umbildung der Einleitung der Sinfonie will sagen , daß das in Aus- sicht gestellte Ziel nahezu erreicht ist, daß das für die Zukunft gegebene Versprechen nun eingelöst wird. Doch gilt es noch einen letzten Kampf, den der Kom- ponist in einem Allegro vivace ((^, EmoU) darstellt dessen erste AU«gro viv»ea. J:i2o

anfängt. Es .u^ zu groß aus-

wird mit sei- ^'r'ri'rfrif holenden Pe-

ner Umbildung •'^ ^ rioden verbun-

Kretziehmar, Ffibrer. I, 1. 39

610 »^ den, durch

ff\ f^'f\ iHij f. |ili I i I^Ll I

schattiert und durch den ruhigeren und friedvolleren Gedanken

ausgelöst, den die Instrumente zeitweilig als Kanon fest- zuhalten suchen. Als eigentliches Gegenthema im AUegro dient eine Weise, deren Zusammenhang mit dem zweiten Satz der Sinfonie, mit deren Hauptthema, nicht zu ver- kennen ist:

[Tir^iiJ I ^H]' fiprj^ete. Die Vorhalte bezeugen ' ' r ' " UUJ^ ^ig Verwandtechaft, und die Meinung des Tondichters ist, daß die Liebe den Kämpfer leitet und stärkt. Er schließt die um dieses Liebesthema gebildete Gruppe damit, daß das Leitthema der Sinfonie im triumphierenden Ton einsetzt, und knUpft daran einige freie, ausgeprägt heroische Worte der Po- saunen und Trompeten. Sie haben zur Folge, daß die Hauptmotive der beiden AUegrothemen noch einmal im kräftigsten und stolzesten Ausdruck durchphantasiert werden; dann folgt die sogenannte Reprise, die Wieder- holung des Thementeils des Allegros, neu eingeleitet mit der mutig ausblickenden Zeile:

i*\ II 'r^f^^^'*\* nn r'ni

Nach dem rein musikalischen Wert gehört dieses Allegro im Schlußsatz von Tschaikowskys fünfter Sinfonie zu den Sätzen, die uns vor der Überschätzung dieses Komponisten

-^ 611 4^

behüten können. Die Erfindung ist gewöhnlich, die Aus* führung lässig breit und bequem nach der russischen Methode des unbeschränkten Wiederholens gehandhabt, die bei Schilderungen aus dem Volksleben, aber nicht hier am Platz ist. Doch muß man auch hier wieder die Klarheit nnd wohlber^chnete Wirkung der künstlerischen Anlage, des Formenaufbaus anerkennen; die dichterischen Absichten sind vortrefflich und treten deutlich genug her- vor. Der Endzweck war, das gute Ende des Finales vor- zubereiten nnd durch einen Gegensatz zu heben. Dieses Ende selbst ist nichts anderes als der Anfang der Sinfonie, das Andante in Eduf und als Maestoso bezeichnet Im Stile der Jubelouvertüre behandelt, schließt es die Sin- fonie und erhält ein Presto, in dem Themen aus dem Allegro noch einmal vorüberrauschen als Anhang und Krone.

Seine sechste Sinfonie (Hmoll) hat Tschaikowsky p.Tielialkowikj, pathetisch genannt. Sie ist das im ersten Satz; im Sechste Sinfonie zweiten und dritten ruhen Leid und Leidenschaften; der oiwi*** Schlußsatz stimmt wider Vermuten ein schweres Weh- klagen an.

Wie der erste Satz am meisten dem Programm getreu wird, so ist er auch der Arbeit nnd der Anlage nach der bedeutendste und von starker Wirkung nament- lich durch klare Gegensätze. Er sucht darzustellen, wie sich eine edle Natur von schwerem Gemütsdruck durch Kämpfen, durch Erinnern und Hoffen zu befreien sucht, und bedient sich dazu einer Form, die im wesentlichen den hergebrachten Verhältnissen des Sonatensatzes ent- spricht. Die Einteilung in Themengruppe, Durchführung und Reprise ist beibehalten, ein sehr geschickter Tempo- wechsel gibt ihr jedoch den Charakter der Ursprünglich- keit. Der Satz beginnt mit einem kurzen Adagio in Trauer- klang: Das Fagott hält die Rede, und tiefe Instnmiente umstehen es allein; erst am Schluß j

hört man von den Oboen einen kur- ■»ü ^H^^rj'^* .

zen Satz

Seufzer. Der Spruch, der dem '^'^" jTyl * i^ zugrunde liegt, ist das Motiv: W**= ^=^

i

39*

612

Aus ihm wird folgende Melodie : Adagio.

gestaltet, sie wird wiederholt; ein Anhang von 6 Takten, d,en die Bratsche abschließt, folgt, und damit ist die Ein- leitung beendet, eine Situation gegeben, die nicht ohne Klftrung bleiben kann. Das AUegro ül^errammt sie und wendet sich ohne weiteres dem Motiv zu, das den Gegen- stand der Klagen in der Einleitung bildete. Er formt aus ihm folgendes Thema:

AJlBgTo non troppo.

Die Bratschen haben es aufgestellt, Flöten und Klarinetten übernehmen es: es bleibt ihm also zunächst der belegte Klang, der gedrückte, traurige Charakter. Das wird mit dem Augenblick anders, wo es in die Hände der Violinen kommt. Die tragen es im Nu nach D moU, eilen mit ihm von Tonart zu Xonart und ins Forte und zur Höhe. Sie gehen dem Grund der Trauer in höchster Erregung nach und machen es jedem Hörer schnell klar: warum der Komponist seine Sinfonie pathetisch genannt hat. Wie aber Tschaikowsky gern die schwere Rüstung bei erster Gelegenheit mit einem leichteren Gewand vertauscht, so gibt er auch jetzt, eben in dem Augenblick, wo seine Musik ernstlich leidenschaftlich wurde, diesen Ton zunächst wieder auf. Mit

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rKpi I -t i ■■«r'*^"T""=s^— . beginnen dielnstrumen-

V JjJ J J rydE/rifirP'*-^"- eine Weile tn

^"^^ scherzen; die Wendung

613

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netten abge- .^^ kürzt und ge-|n^E

indenVioli- yP= nen, die von r den Klari- dient

an der Hand ^ . i l t- l * zum Stur derTrompe^aSjiji ''r If I T V ' j den Weg te, die mit"y**^ ' gentliche]

mildert wird in' längeren Tonspiel, in dem die heiteren, neckischen Cirasien von der Tondichtung Besitz nehmen und die Grenzen . leidenschaftlicher Empfindung nur ganz flüchtig berühren. Beim >un poco animando« findet aber der Komponist an der Hand ^ i l {.. l . zum Sturm ruft,

zur ei- len Auf- gabe des Allegros sehr schnell zurück und entwirft ein kurzes, aber gewaltig wirksames Bild einer Leidenschaft, die den Gegner fest packt und nicht vom Platze weicht. Die Harmonie läßt nicht von ihrem Baß; immer wiederholen sich die beiden Töne e und es, die Melodieinstrumente rütteln über zwölf Takte immer nur an demselben Motiv: _^p^_^__p^^^ Endlich bleibt von dem Aufgebot an J j j liü^fe Kraft, das das ganze Orchester in auf-

p

«/ regende Tätigkeit gesetzt hatte, das

Cello allein übrig und wird ruhiger und ruhiger. Die Brat- schen, die diesen Abschnitt des - ersten Satzes begannen, schließen ihn mit einer leisen bangen Frage: die Ant- wort kommt in einem Andante, das in dem ersten Satze dieser Sinfonie die Rolle des zweiten Themas und seines Kreises einnimmt. Die Wortführer der Russischen Schule haben es Tschaikowsky übel vermerkt, daß er bei ele- gischen Aufgaben seine Nationalität vergißt. So spricht er auch hier, wo er trösten, erwärmen, beglücken will, ein unverfälschtes musikalisches Deutsch. Die Melodie, die sein zweites Thema bildet, könnte, wie der Anfang j ^^ ' beweist, ffanz gut in

; Schumanns »Para- rdiesundPeri«stehen ; •fcc. sie fängt so an wie das Vorspiel dieses Werkes. Auch ihr Mittelsatz bleibt in

614

Ähnlich wie es mit dem J^ \ ** uff^*^ ersten The-

ma des Satzes geschah, wird auch dieses zweite zunächst unterbrochen und durch einen Gedanken ersetzt, der sich mit dem Programm an diesem Punkte ebenfalls verbinden und als eine Steigerung der von dem zweiten Thema er- öffiieten freundlichen Aussichten deuten läßt. Er gibt dem Komponisten erwünschte Gelegenheit, sich in dem ge- liebten Gebiete anmuÜgen Tonspiels zu ergehen. Wir hören das neue Thema vielfach in nachahmenden Formen; zunächst führen Flbte und. Fagott das Gespräch. Der Zusammenhang mit dem Hauptgegenstand dieses Teils wird dann bald dadurch hergestellt, daß die Holzbläser das Mittelstück des zweiten Themas in der Form:

f'»-f I iH I f iTnxjt^

n^'v

^

aufoehmen und fleißig wiederholend zu dem neuen spie- lerischen Seitenthema in einen Gegensatz bringen. Sie verdrängen es und fQhren zu dem Trostgesang, der das Andante eröffnete, zurück. Er kommt jetzt im Glanz des vollen Orchesters siegessicher und schläfert Sorgen und Leiden ein. Der Komponist teilt das in einem kleinen Anhang mit, der von dem Einsatz

Modtrato ass&l. J = 88.

U'\^S'\^J^

^r^^

aus ganz still entzückt verlöscht. Ganz zuletzt stimmt die Klarinette noch einmal die schöne Trostmelodie im Adagio an; sie hört mit ppTßpp auf. Das ist so, daß sich der Spieler kaum selbst noch deutlich hören darf! Generalpause. Und darauf im ff ein Allegro vivo, das mit der Dissonanz e-es-ga und mit dem wütenden Ausruf:

615 «^

hereinstürzt.

Das ist ein Aufwachen mit Entsetzen, wie wir es ähnlich vom Schlußsätze der neunten Sinfonie her kennen; nur stoßen Himmel und Hölle hier hei Tschaikowsky ganz unvermittelt und hart aufeinander.

Wir sind mit dieser Stelle in den Durchführungsteil des ersten Satzes eingetreten. Er hat zwei Abschnitte. Der erste, dem Anfang entsprechend, in äußerster Auf- regung gehalten, setzt zweimal mit dem Hauptthema des AUegro (von Dmoll und Emoll aus) zu einer wilden Fuge an, an der sich jedoch nur die ersten Violinen und die Bässe beteiligen. Die zweiten Violinen und Bratschen treiben einander in die Leidenschaft mit dem Thema:

jJJ'l'^LlJuj 'LiiJ

und in liegenden Stimmen dazwischen. Als die Erregung die Spitze erreicht hat, bringen die Trompeten die mitt- leren Takte aus dem zweiten Thema jetzt in der Form: J^ -■ , , und im ver-

Jl rr ir 'i h f ^\\' h* zweifdisten

^^\jBS^ ' ' ' Ton. Der

Anlauf endet erfolglos und vergeblich, die Posaunen und Tuben stimmen ein Sätzchen an, das einem Grabgesang ähnlich sieht. Als sich Trompeten und Hörner ihnen an- schließen, wird das Feuer noch einmal entfacht und es kommt zu einem zweiten leidenschaftlichen Ausbruch. Auch dieser zweite Abschnitt der Durchführung erregt und ergreift, aber in einem andern Sinn als der erste: Dort Ringen, hier Klagen. Er endet in Resignation und führt so sehr natürlich in den Trauerten zurück, mit dem das Alle-

^

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gro und das erste Hauptthexna des Satzes begann. Die Reprise setzt zunächst im engen Anschluß an äak Ende der Durchführung in B rooU ein. Als sie die Haupttonart er- reicht, schlagen die Wogen der Leidenschaft schon wieder hoch ; das Haupttfaema wird Silbe für Silbe in Nachahmungen wiederholt, es klingt gewissermaßen mit solcher Gewalt hinaus, daß es die Wände widerhallen. Die abschwei- fende Episode, die im ersten Teile dem Hauptthema folgte, fällt in der Reprise weg. Das zweite Haupttheroa (jetzt in H dur) gelangt dadurch zu großer Bedeutung und gibt dem Ende des Satzes sein hoffnungsvolles Gepräge. Ein kurzer Anhang (Andante mosso] über das Thema

4^* ^ f! iL ' ^^^^ ^^^^^^ ^^^ ^"^^^ Schluß.

Im zweiten Satz (Allegro con grazia, V4> Ddur) macht der Pathetiker dem behaglichen Epikuräer Platz. Wir haben es hier mit einem ähnlichen Versuch zu tun, einen heiteren Satz an die Stelle des üblichen Adagio zu bringen, wie ihn Beethoven in seiner achten Sinfonie unternommen hat. Die Wirkung hat auch hier dem Kom- ponisten recht gegeben. Der Zuhörer verzichtet nach den durchle^bten Stürmen des ersten Satzes gern auf hohe Gedanken und tie&te Gefühle und freist sich über das trauliche Stilleben, das ihm hier geboten wird. Es fügt zu seinem Wert als Erholungsstück noch den Reiz einer musikalischen Seltenheit: es führt den sonst im wesent- lichen nur für die Xjelehrten existierenden Vi^liythmus praktisch durch und löst diese Aufgabe ganz anmutig. Auch apdere russische Sinfoniker arbeiten mit V«* ^uid V4 Takten gern und glücklich, weil diese Rhythmen in der russischen Volksmusik heimisch sind. Die Anlage der kleinen zierlichen Komposition ist höchst einfach. Der Hauptsatz hat als erstes Thema die Melodie

jM \j rri|i| ir/i| ii

•/ "Z ^^^

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Sie kommt viermal hintereinander. Darauf folgt ein Seitensatz mit dem von der Hauptmelodie abgeleiteten Thema:

das ebenfalls viermal durchgespielt wird. . Darauf kehrt die Hauptmelodie zurück, und erst als sie zum dritten. Vorbeizug ansetzt, wendet sie sich aus D dur hinweg und läfit in den sittsam und artig gleitenden Reigen einige kräftigere Tone herein: .

Die vielen Wiederholungen beruhen, ebenso wie der .Takt, auf Einflüssen russischer Volksmusik. £s muß dem Komponisten nachgerühmt werden, daß er in der Umkleidung der einfachen Figuren mit neuen Klängen außerordentlich erfinderisch gewesen ist. Die Wieder- holungen sind ebenso viele Variationen in der Instru- mentierung. Außerdem liegt aber in der Einförmigkeit, in dem Festhalten an demselben Phantasiekreise in diesem Falle nicht bloß ein gewisser Balsam, der nach dem ersten Satz heilend wirkt; es liegt darin auch die Poesie des kleinen Tonbildes. Denn es ist gedacht als eine Musik aus Väterzeiten, gewissermaßen als ein alt- russischer Menuett , als ein Stück friedlichster und be- freiender Erinnerungen. Der Mittelsatz hat einen absicht- lichen ländlichen Beiklang: Sein Thema

'j'MqQiOf^P

und die zu ihm gehörenden Umbildungen und Ergänzungen ruhen alle auf demselben Orgelpunkt: d im Baß. Es ist

«18

als wenn die Leute aus dem Dorf Besuch auf dem Schlosse machten. Zierlich, wie die ganze Nummer gedacht, ver- klingt sie in der zartesten Weise.

Der dritte Satz (Allegro molto vivace, ^/^ Gdur) hat die äußerst starke sinnliche Wirkung fQr sich: Für den Klang dieser Komposition sind alle Register gezogen, vom leisen Säuseln, von den niedlichsten Elfenstimmen bis zum förmlichen Orchesterorkan; diQ Form entwickelt sich durch die immer größere Anhäufung gleicher Glieder und Bestandteile nach dem Muster des Heerwurms zu einem bedrückenden Phänomen. Es hat unstreitig an diesem Satz ein gewöhnlicher Naturalismus einen starken Anteil; gleichwohl ist er auch nicht ohne Originalität, qnd diese liegt darin, daß die Gattungen des Scherzos und des Marsches in ihm sich verbinden. Als Scherzo beginnt er mit einem Thema:

^ Allegro molto Tjyce. J = ISS

^t»-— •«

rpirn ^ nn L.. das einem Mückentanz v^ ULJ oder irgendeinem Freu-

denfest flüchtigster und heimlichster Lebewesen zur musi- kalischen Unterlage dienen könnte. Man hat seine Freude ah diesen hin- und herhuschenden Tönen und merkt darüber lange nicht, daß sich ihrem Spiel, bald nach- dem es begonnen hat, ein fremder Gast beigesellt hat: Die Bässe fahren, wie in Mendelssohns Sommemachts- traum mit langen Tönen plump drollig dazwischen. Auch BiBrliozsche Geister kommen in pizzcato-Noten und andren Instrumentenfeinheiten aus der »Fee Mab« zum Besuch. Es ist ein reizendes Stück freundlichster Gespenster- musik, für das der Komponist reiche und belebende Ein- fälle jeglicher Art zur Verfügung zu haben scheint. Wir

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hören Gemütsklänge, als es zur ersten Wiederholung kommt ^jl_ I j py^ wir hören immer neue Ko-

m^Wr f-' P'^'^yilP ^'^ boldlaute, namentlich von

^ den Bläsern her. Wir hören

aber auch, wie das flotte Marschmotiv, daß sich zuerst

so unbemerkt und klein hereingestohlen hatte, anwächst

und sich nach vom drängt. Die Violinen bringen es als:

j*tf p^v>^vf--""-ir--Elifiiliffi^-j'[r-T^

Gleich darauf antworten die Hörner:

Es fängt an, anhaltend mit seinem flotten Rhythmus durch die Bläser zu ziehen, und nicht lange dauert es nun mehr, da' sind die Elfen auf die Seite gedrängt,, müssen ganz fliehen, und die Musik zieht daher wie ein lustiges fran- zösisches Bataillon: Ein unverfälschter Geschwindmarsch ist in neuer Tonart (E dur) eingetreten, dies ist sein Haupt- thema:

Er ist leichtfüßig und leichtherzig, macht aber zur Abwechselung auch grimmige Geberden, z. B.:

fuh Ji M r'r r r r r »»«i mit JT^ i ;.

und zeigt sich -f.ä t^ . »i * , ^ _ -f;-^ Zunächst .

barsch und iiMTii jJ^^^^mJ I JiTgfab benimmt

kraftvoll mit: If ^^-^^ er sich

aber im ganzen so maßvoll wie es dem Trio im Scherzo geziemt. Er zieht sich zur rechten Zeit zurück und die Elfen kehren wieder. Doch bleibt es nicht dabei, son- dern der Marsch drängt ein zweites Mal auf den Haupt- platt-und entwickelt nun ein Beharrungsvermögen, dessen

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Ungebühriichkeit sich weder mit der Berufang auf die mssieche Volksmnsik, noch mit dem Hinweis auf die glänzenden Toiletten, die das Orchester anlegt, verdecken l&fit Aach mit dem Programm der Sinfonie läßt sich diese Marschmusik nicht in Verbindung bringen. Sie ist nicht pathetisch und auch nicht heroisch, wie man be- hauptet hat, sondern in ihrem Grundcharakter einfach gewöhnlich, ungefähr von der Art, die Raff einhielt, wenn er reitende Hexen schildern wollte. An Raff erinnert der Satz tatsächlich, wie Tschaikowskys allgemeine Verwand- schaft mit diesem Komponisten eigentlich niemandem entgehen kann. Nur ist die Naturfrische des Russen be- deutender, und mit ihr hängt das Farbentalent zusammen, von dem er hier eine Probe gegeben hat, die die meisten Konzertbesucher zu berauschen und zu übervi^tigen pflegt. Mit einem ungeheuer großen Gegensatz der Stimmung setzt darauf das Finale (Adagio lamentoso, 3/^ Hmoli) ein. In den trauernden Motiven des ersten Satzes barg sich Kraft und Stre- /i . \

ben: hier aber er- flM..t'y^"i^"^!l?^: ^"i fahren wir aus dem jj'^ffft T C_f [^ I (' Einsatz der Geigen: / ==^ "5^=-^

daß es sich um ein Unglück handelt, an dem nichts mehr zu ändern ist. So hat denn Tschaikowsky den ganzen Satz dem Charakter einer Totenklage, eines Requiems genähert und damit wieder einmal gezeigt, daß die alte Spohrsche Idee eines ernsten, verhaltnen Schlußsatzes in der Sinfonie, die ja eigentlich aus Beethovens Pastoral- sinfonie stammt, an und fQr sich sehr wirksam sein kann und nicht einmal einer tieferen poetischen Be- gründung bedarf. Es mag Zufall sein, daß Tschai- kowsky sich mit Spohr auch unmittelbar in diesem Finale berührt Denn der schöne elegische Gesang, den die Bläser zum jrn , , ,

Mittelpunkt des |^^^^g[ I J ' ^ * t i ' J '*"' Satzes machen: ^

wird von den Geigen in einer Melodie begleitet, die mit dem Hauptthema im Finale der > Weihe der Töne« nicht

621 ♦^

bloß den Charakter, sondern aucb die Anfangsnoien ge- meinsam hat.

Der Typus der Sinfonie mit langsamem Schlußsatz ist an und für sich älter als Spohr und Beethoven und hat ein Jahrhundert hindurch, von Lully bis Gluck, hei den Franzosen seine Brauchbarkeit und seine Bedeutung be- währt.

Tschaikowsky hat unbestreitbar das Interesse für russische Musik weit und stark gesteigert, das Verdienst, in ihr Wesen tiefer eingeführt zu haben, kommt aber nicht ihm, sondern es kommt dem ehemaligen Peters- burger Medizinprofessor Ä. Borodin, einem jener sChÖp- l. Borodla, ferischen Dilettanten zu, auf die sich russische Kunst dur-Shifonia. von jeher stützen durfte. Die Bsdur-Sinfonie, mit welcher Borodin zuerst als Komponist hervortrat, zeichnet sich durch künstlerische Reife und Abklärung aus und war deshalb besonders geeignet, em Bild von dem' zu geben, was die Russen wollen, was sie leisten und was ihnen fehlt. Diejenigen Sätze, welche den Nationalcha- rakter am schärfsten ausprägen, sind der erste und dritte; der zweite ist nur zur Häifle russisch und der vierte ganz germanisch. I

Der erste Satz beginnt mit einer träumerischen Ein- leitung, aus der hei aller Einfachheit und trotz des regen | Rhythmus eine ungewöhnlich starke Schwermut spricht. Die Bässe stel- Adagio '

len die Haupt- ^ ^S>^1. il ^TTplT ^^ ' ^ P >" P 'l" melodie auf: ? ' i ^ - '

welche von den Holzbläsern und Geigern mit aufmun- ternden Motiven beantwortet wird. Die Harmonie deckt die Formen des Gesanges mehr zu, als sie dieselben hebt. Da wendet sich die Phantasie mit ^einem ener- gischen Rucke einer heiteren Sphäre zu; unvermutet stehen wir im Allegro. In den Hörnern und Holzbläsern |

beginnt ein helles, munteres Klingen, das nur auf Rhyth- \

men gestützt ist. Die anderen Instrumente probieren dazu jetzt .zart, jetzt kräftig brausend, Motive, die zu dem '

neuen Tone passen, und endlich ist alles zur fröhlichen

^^ 622 *^

Fahrt bereit. Die ersten 26 Takte des AUegro, welche der Feststellung von Tonart und Thema vorhergehen, sind für das Wesen der russischen Kunstmusik charak- teristisch: sie zeigen uns ihre* Liebe zu den Elementar- kräften der Musik, ihre Freude am bloßen Rhythmus und am Akkord, ihre Neigung, ohne bestimmten Gedanken- pfad, ohne die Stütze fest erkennbarer Motive durch die klangliche Wildnis zu streifen, den Punkt, welcher sie mit der Natur verkniipft und von der gesitteten älteren Kunst des Abendlandes unterscheidet, den Punkt, in dem ihre Stärke und zugleich ihre Schwäche liegt. An dem Thema, welches Borodin nach dem Abschluß dieser tu- mnltuarischen Szene aufstellt, ist wesentlich, daß es aus der Melodie der langsamen Einleitung und somit von einem * Temperament stammt , in dem schlechte und gute Laune dicht , AUeyro molto.

beieinander Hegen, es m hat folgende Gestalt: ^ p und einen eignen Charakter liebenswürdiger Keckheit, der wohl an Turgeniewsche Figuren erinnern kann. Auf gewichtige Gegenthemen hat der Komponist fast ganz verzichtet. . Ein ein- , . 4 a j t , v^v^ri a ziges, das öfter erscheint: ^^ g ^^ M^ \i ^^^ i J = nimmt seinen Abschluß identisch mit dem des ersten Themas. Die anderen unter denen das Geigenmotiv AI ^ ^ , *_* ^ I *^ * I * ^ durch seinen festen ^ ^"'' J ^^^^^"i'"^"'^^:P Schritt bemerkbar -^ /y treten nur episodisch

auf. Dem jugendlichen, treibenden Elemente des Haupt- thema wird nur vorübergehend durch eine sentimentale Wendung Halt geboten. Alles ist in diesem Satze Be- wegung und sprossendes Leben, aber von einer großen Gleichförmigkeit der Gestaltungen. Denn diese ruhen bis auf wenige Ausnahmen alle auf der kurzen Form jenes mit a) bezeichneten Thema. Es herrscht Poesie in dem Satze: aber es ist die Poesie der Steppe, welche an den Wechsel von Höhen und Tälern gewöhnte, stille Plätz- chen hebende Gemüter zunächst etwas befremdet. Sehr

623

anzaerkennen ist die Kunst, mit welcher Borodin das führende Motiv immer wieder in neue Orchesterfarben kleidet und den Satz ohne Stockungen immer leicht im Fluß erhält. Besonders schön ist der Schluß des Satzes, ein Andantino mit Abschiedsstimmung, durch rhythmische Verlängerung der beiden Themen a und 5 gebildet.

Der zweite Satz, ein Scherzo (Prestissimo, s/g, Es dur) hat zum Hauptthema folgende Melodie :

Prestisslmo.

p. ♦•T"p^. M u .r . ^*® *^*^ ^^ Violinfiguren ' I r I ' I r ir '"P 1 1 versteckt und auch wegen ihrer auf die Symmetrie verzichtenden Periodisierung schwer zu verfolgen ist. Als Trio bringt dieses Scherzo eine Art Dudelsackmusik, in der folgende drollige Melodie durch die Instrumente wandert:

■^- ^ ^ ^ ^, J*^ 1^ j— |— I Das ist ein echtes Bild aus dem * UJ Lj ^1* V' =^ russischen Volksleben, durchaus

heiter und naiv. Es wird mit viel Humor durchgeführt, namentlich das Fagott trägt viel zu seinen heiteren Ef- fekten hei.

Der dritte Satz (Andante, ^/ifDäui) ist in Bezug auf nationale Eigenart der vollste und berichtet in kurzen Melodien, die auf fast unbeweglichen Harmonien ruhen, voi^ einer kargen, fremdartigen und phantastischen Natur und von einer tief melancholischen Seele. Er zerfällt in drei Abschnitte. Der erste beginnt mit einem breiten Gesang

•>* AadAnte,

> ^ ^ den die Celli anstimmen, englisch Hörn

f Sj^f\f J "■ und Flöte fortsetzen. Er klingt eigen-

tic; tümlich melancholisch ft und die Ver-

-^ 624 ♦—

zierungen, die er enthält, deuten auf orientalisclie -Ab- kunft In der Harmonie, die in Dissonanzen still liegt^ herrscht ein merkwürdig dämmernder Charakter, eine Beklommenheit, der am Schlüsse dieses Abschnittes ein plötzlicher starker Aufschrei Luft macht. Der zweite Ab- schnitt wird lebendiger, die Violinen beteiligen sich am Gesänge, und in den Bläsern zunächst erhebt sich ein rhythmisches MotiT, das bald näher, bald ferner zu klingen scheint. Es verschwindet wieder, .lebt nur noch in den Schlägen der Pauken fort, tritt dann wieder stärker auf, wächst bis zur Macht tönender Glocken und erregt einen allgemeinen Aufschwung. Das Tutti stimmt wir sind in den dritten Abschnitt eingetreten die Melodie, mit welcher der Satz begann, im Stile einer feierlichen Freu- denhymne an, und mild und sanft klingt das Andante aus. Der szenische Charakter des Satzes, der Unter- grund bestimmter Vorgänge, wie Wallfahrt in der Steppe und dergleichen, ist nicht zu verkennen. Der Schluß- satz der Sin- ^^^^ fonie, zu des-^j^jg senHauptthema' Schumann, zu dessen Durchführungsteile Mendelssohn die Muster geliefert hat, verläßt den heimatlichen Boden auffällig. A. Borodliiy Weil sie der russischen Nationalität treuer bleibt,

Zweite Sinfonie. )||il)eQ seine Landsleute Borodins zweite Sinfonie (HmoU) seiner ersten vorgezogen; vielleicht ist ihr auch deshalb die größere Liebe zugefallen, weil sie als nachgelasspes Kind erst nach dem Tode ihres Vaters (ohne Opuszahl} vor die Welt trat. Rimsky-Korssakow und Glazounow haben sich der Waise als Redaktoren und Herausgeber an- genommen.

Von Zwiespältigkeit ist jedoch au(5h diese Sinfonie nicht frei, und sie . geht diesmal tiefer hinunter in das Wesen des Kunstwerks. Waren in der ersten Sinfonie Borodins die Sätze nur nach den Bildungsquellen des Verfassers verschieden, so zeigt die zweite Sinfonie einen Riß in ihrer Seele: Der erste Satz der Sinfonie stellt

-:^ 625 * ♦^

Ideen nnd Ziele auf, die später unbeachtet bleiben und höchstena noch einmal äußerlich berührt werden: Ein Heros tritt auf und verschwindet spurlos in den Wäldern,. Sie ahmt mit Übertreibungen etwa den verwunderlichen Gang von Freytags »Ahnen« nach, beginnt mit Welt- bildern und Seelenschilderungen gewaltigen Charakters und verläuft dann ganz und gar in Dorfgeschichten.

Der Anfang des ersten Satzes (Allegro, Hmoll) be- ginnt herkulisch mit einem Thema:

das mit dem ersten Seiten thema von H. Volkmanns DmolN Sinfonie innere und äußere ÄhnHchkeit teilt. Auch der Gedankengang beider Sätze ist verwandt: Fin- stre, ernste Entschlossenheit soll milderen Stimmungen weichen. Bei Borodin treten die weicheren, freundlicheren Gedanken aber wie seine andere Hälfte an das Haupt- thema heran, suchen engste Verbindung mit ihm.

Schon im A&Imato assal. JstlS.

£f S^ il'ii.P MirijLJfi^^ -

und damit Volksmusik. Das heroische Thema tut einige stolze Gänge durch die Tonarten, immer folgt ihm der freundliche Berater auf dem Fuß. Im Zögern und Drängen wird A dur erreicht, und da setzt das eigentliche zweite Thema des Satzes in D dur, pastoral in seinem Wesen, zuerst vom Cello gebracht, ein:

Poco meno nosso. d : 88.

ebenfalls ein unverkennbares Zitat aus dem Musikschatz des russischen Volkes. Die Holzbläser nehmen die sehr le- bendig metrisierte Weise auf, Geigen folgen; die Lustigkeit wächst, aber auch die Heftigkeit des Widerspruchs. Die Bässe fuhren die Sache des Hauptthemas ganz entschie- den, die ländlichen Versuchungen sind abgeschlagen,

EratsBehmtr, FQbrer. I, 1. 4Q

_^ ' 626 ♦—

I

Mit einer gewissen Feierlichkeit, in breiten Akkorden, lang verklingendem Ton schließt die Themengrappe.

Die Durchführung wird im ersten Teil vom Haupt- thema ausgefüllt. Nur hat es seinen Charakter verloren: Eiif ^/%TBki hat sein Wesen verwandelt, ins Leichtfertige und Wirre gezogen :

Anlmato asi^ 1. , .

'■p F f A l'f im I *itp^

p creso.

Man treibt mit ihm entwürdigendes Spiel, zwingt es, den > lächerlichen Aufmarsch zu wiederholen, die Geigen machen seine Schritte spottend nach. Bald treten dann auch das Freudenthema, das Arm in Arm mit dem Hauptthema in die Sinfonie herein schritt, und das eigentliche zweite Thema im Triumph ff auf. Doch kämpft sich endlich das Haupt- thema im letzten Teil der Durchführung, von den Trom- peten, Posaunen, Hörnern und den Holzbläsern aus, all- mählich wieder nach oben. Eine bedeutende Entwickelung zeigt diese Durchführung zwar absichtlich nicht, jedoch ist sie in den Absichten klar. Die Reprise bringt die Themengruppe verkürzt wieder und mit stärkerer Be- tonung des Hanptthemas, das als Sieger das letzte Wort breit und donnernd spricht Die Gegensätze des Anfangs- teiles haben sich in Plänkeleien verflüchtigt, deren Dar- stellung den Komponisten zu Verkürzungen und andren interessanten Umbildungen der ursprünglichen Themen veranlaßt hat.

Der zweite Satz, ein Scherzo in Fdur, dessen Hauptsatz im Prestissimo (^ = 106) verläuft, ist einfach, knapp und doch auch originell. Seine Originalität liegt in dem grotesken Humor des Hauptthemas, der Spaße treibt, wie die, mit denen man Kinder erst schreckt und dann ergötzt Er setzt auf einen freien Nonenakkord fürchterlich ein wie das Finale der Neunten Sinfonie; dann regt es sich erwartungsvoll in den Hörnern, aus der Tiefe tappt ein Marsch heran, als kämen Gespenster. Mit dem Eintritt der Holzbläser löst sich die doppelte Spannung in eitel Anmut, Zierlichkeit und gute Laune:

627

Preftiasino

rrr tttt tttt iiii ^2^j, ^^^^ iJiJ

In der Fortsetzung finden sich herumspringende Modu- lationen, versprengte und verirrte Solostimmen. Als dann Asdur erreicht ist, kommt die phantastische Bewegung zum Stehen und bahnt einer Gemütlichkeit die Gasse, wie sie Schumann in seinen jüngren Jahren liebte: In Synkopen schiebt sich das Thema

^ yA8

r ^~i I i fc'^JJ ^^T ^^^^^^ ^^^S® ^i°* Beide Gruppen ^""^ -^ des Satzes kehren wieder, das Seiten thema, diesmal in der Haupttonart, dient zum Ab- schluß des ganzen Hauptsatzes und vermittelt mit ro* mantischen, abendlichen Abschiedsklängen den Obergang zum Trio.

Dieses Trio, ein Allegretto (%, Ddur), gleicht einem Stück Erzählung aus dem Orient. Es hat den bukolischen Charakter, den die russische Volksmusik liebt Wie es Hirtenweisen tun, gleitet seine Hauptmelodie von Instru- ment zu Instrument über wiegende Harmonien und einen Orgelpunkt, den der Komponist wunderbar poetisch be- lebt hat. Er klingt, in einzelne GlÖckchentöne zerlegt, aus der Harfe her, Hörner und Triangel fallen mit ein. So ist der Anfang dieses Teils

AU«ffr«tto. Je TB

40*

, 628 ♦—

Er geht dann aber ausschweifend sofort nach Desdur und irren wir nicht begegnet da einer leisen Warnung vom Hanptthenfa dei ersten Satzes in einem Pizzicato- Motiv der Kontrabässe. Es wird infolgedessen etwas dunkel ViheT der anmutig unschuldigen Pastoralmelodie. Doch bald kommt Ddur und voller Sonnenschein zurftck. Wir bedauern, daß nicht länger Weilens ist. Mit einer ge- wissen Rücksichtslosigkeit bricht der Komponist ab und kehrt zum Scherzo zurück. Es verläuft so, wie wir es aus dem ersten Teil kennen; nur wird dem Seiten- thema^ als es zum zweiten Male erschienen ist, der ganze Schluß übertragen ein schwärmerisches Ver- klingeh !

Der dritte Satz (Andante, C* Des dur) bietet uns ein Stückchen Kunst, wie es zurzeit nur in der russischen Musik zu finden ist, und wie es von russischen Musikern wieder nur Borodin in der Gewalt hat. Nur einer von den Lebenden hat sich ihm auf diesem Gebiet einmal be- trächtlich genähert. Das ist Dvofak im langsamen Satz seiner letzten Sinfonie, »Aus der Neuen Welt«. Etwas von der Schwermut, der Traumkunst und Resignation, die in dieser Musik liegt, ist den Slaven allen als Erbe aus der gemeinsamen Heimat zuteil geworden. Es spielt aber auch in diese ethnographisch und allgemein menschlich gleich stark fesselnde Musik der Orient' stark hinein mit seinen schillernden und verschleierten Farben, mit der verlassnen, versteckten Schönheit und der Unendlich- keitsstimmung, die wir auf Möckelschen Bildern finden, und auch mit seiner heißen und doch züchtigen Sinn- licbkeii Ein Teil des Phantasie- und Gemütsgehalts dieser Musik kommt aber auf eigenste russische Rech- nung, auf Puschkinsche Landschaft und orthodoxe Reli- giosität. Sicher ist, daß wenn einst Herdersche Geister die Summe russischer Poesie und Kunst ziehen, derartige Sätze wie dieser Borodinsche die Hauptwerke bilden werden.

Wenn wir unter den dichterischen Elementen, diaeich hier zu einem Ganzen gruppieren, nach dem bestimmendea

629

fragen, so wird kaum eine Meinungsverschiedenheit darüber bestehen, daß das religiöse überwiegt. Wir haben es mit einer Art Abendandacht zu tun: draußen in der weiten Natur, unter freiem Himmel empfiehlt sich, zur Nacht- ruhe gerüstet, die Karawane dem Schutze Gottes. Gleich die vier präludierenden Takte (Harfe und Klarinette) haben einen feierlichen Charakter. Dann setzt das Hörn ein mit einer Melodie:

m oanißHl« Dei > fi Gas Des.

aus der Dank und Frieden nach des Tages Mühen klingen. Die Klarinette nimmt sie auf. Wir erwarten sie nun auch im vollen Chor zu hören. Doch dieser natürliche Ver- lauf wird dramatisch hinausgeschoben. Die Geigen tre- molieren: ein beängstigender Zwi- ^.Ll, , ^. . schenfall. Das Hörn ruft das An- gl'' r 1 ^ l|,J 1 fangsmotiv im warnenden Ton: p^^^'^zs^^

wie aus der Ferne, die Bässe nehmen es. ernst und ent- schieden auf. Als würden Wachen und Vorposten abge- hörty melden sich aus allen . . J^tü Richtungen Stimmen mit

dem beruhigenden Thema

das nun auch im Tutti beschwichtigend wirkt. In breiten, wie Orgel und Kirchenmusik klingenden Akkor- den schließt dieser erste „.. - . i on.

*v 1. -iA j Ol Pill aauMio. J 3 80l ,

Abschnitt des Satzes m >ctI ^ V»-

Cdur. Der nächste setzt ^fi^ji \^I i l^J li '^

mit einem Thema ein: '^

das die Stimmung wieder in das tägliche Geleise führen

will. Es begegnet in den Begleitstimmen bereits einer

Reibung in Ge- _ ^ das als bas-

stalt eines chro- i^ijiJ J [^J I J l J ;^ so ostinato die matischen Motivs ><j^ w uw^ - ij^^yj^j^^jg ^^

herrscht, bald in der Mitte, bald in der Höhe durch- klingt. Der Gedanke an die Gefahr wacht noch und lebt auch noch einmal in seiner ursprünglichen Form auf und

--t 630 ♦—

wird ^P ßa. . L - 1 ^ ^ I I ■< 1 _^^"" '^'*' ihr, sogar yfejjjl^ i Jj. | ij I J |J gjjl j |ger der all- erweitert: ^ ^ ^^"^ ^^ »^ "Jl>- gemeinen Empfindung, die am Schluß mit dem chromatischen Motiv (in Adur jf und fff) wieder zum Vertrauen und Gefühl der Sicherheit und zu einer lauten Anrufung der götl- liehen Gnade zurückkehrt. Nach einigen in stiller Samm- lung überleitenden Takten^ in denen zuletzt wieder die Wächterstimmen erscheinen, ist die Episode, die am Anfang die Fortsetzung derDesdur-Melodie unterbrach, zu Ende, und der Chor fällt in sie ein und der Satz geht mit leichten Anspielungen auf den kritischen Augenblick zu Ende. Das Präludium rundet die Szene als Nachspiel schönstens ab. Das Finale (AUegro, 8/4, Hdur) setzt sehr überraschend ein : Die zweiten Geigen halten dea-as von dem langsamen Satz herüber in den neuen als etS'gis; drunter setzen die Bässe mit fia ein. Wir haben also wieder eine der humo- ristischen Dissonanzen, mit denen die neurussische Musik die ganze abendländische Harmonielehre aus dem Sattel zu werfen droht. Auf diesem Akkorde probieren alle In- strumente erst den Rhythmus, in den Violinen huschen flüchtige Motive durch, dann stürmen Figuren durchs ganze Streichorchester, wilde Triller setzen in den Bläsern ein. Die lustige Spannung dauert 17 Takte; dann erst kommen wir zur Klarheit, zum Hauptthema des Finale:

AU^rD,J.i«6 }^ echt rus-

3^ :a>^ sisch, naturfrisch

IS ^ L^^ und ausgelassen, - i- i^^ ^^^ . ^ j^^ Form

durchaus nationale Tanzmusik mit gemischtem Rhyth- mus (S/4 und V«)- Als das Tutti damit durch ist, macht es den Platz für Solokünste frei Das Cello schwingt sich mit dem Thema hin und her, während die Oboe eine

Gegenfi- |j , ^^ die im

gur dazu JkWvf B p p jjJjMH Q fj^ Verlauf aufstellt: ^ ioie« *- ^ des Sat-

zes mehrmals unsre Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt Das eigentliche zweite Thema bringt die Klarinette;

631

I

^

^fß^ Durch die Begleitung wird es als

^ f yp f ' ®^^ Abkömmling des DudelsÄcks, als ^ ^ ' echte Bauernmusik gekennzeichnet.

Der Komponist legt ihm die verschiedensten und sehr rei- zende Frisuren an durch Instmmentierungs- und Harmo- niekünste, er weiß es sogar majestätisch zu kleiden. Die seltsamste Verwandelung, die im Finale vorkommt, erfährt aber das oben angegebene Oboenthema, das beim Eingang der Durchftlhmng von den Posaunen im breiten s/s Takt und lento als Bußprediger, wie Wallensteins Kapuziner auftritt, natürlich nur um einen Sturm von Heiterkeit zu erregen. In vieler Beziehung, in der innren Freiheit und Lebendigkeit sowohl wie in gleichen motivischen Bil- dungen erinnert dieses Finale an den ersten Satz von Borodins Es dur-Sinfonie und darf mit ihr als ein Haupt« beispiel fröhlicher russischer Sinfonik betrachtet werden. <

Giazounow hat aus dem Nachlaß Borodins noch ein a. Bor«4U, Bruchstück einer AmoU-Sinfonie veröffentlicht, das aus^"*^^ Sinfonie zwei Sätzen, einem Moderato und einem Scherzo, be- steht. Beide sind im wesentlichen Variationsarbeiten viel- leicht aus einer frühern Zeit, in der der Komponist sich noch vollständig unter dem Einfluß Glinkas bewegte. Wenn sie in Deutschland unbenutzt geblieben sind, so liegt das in ihrer Schwierigkeit. Diese besteht bei dem Moderato in den grellen Gegensätzen der Stimmung, zwischen denen es humoristisch schwankt, bei dem Scherzo im Rhythmus, einem kaum verständlichen ^/^ Takt. Wahrscheinlich darf auch die vielgespielte >Steppen- ABorodln, Skizze aus Mittelasien c als Bruchstück einer un- sieppemkizxe vollendet gebliebenen Sinfonie Borodins aufgefaßt wer- den. Sie ist ein Seitenstück zu den langsamen Sätzen der beiden Sinfonien, eigen durch die unendlich lange liegende Stimme in den Violinen, die auf den schil- lernden und geheimnisvollen Charakter der Landschaft anspielt.

aas Mittelasien.

iT^

--♦ 632 ♦—

Auf Seite Borodins, aber qualitativ unter ihm stehen

|l. B*Ukirew.von den älteren russischen . Musikern Balakirew, Hns-

M.]imHorgikl.s(Hrgski und der schon mehrfach erwähnte Rimsky-

Koniakow Korssakow. Eine weitere Nachfolge, welche die russische

'Sinfonie im bukolischen Gebiete würde festgelegt haben,

blieb aus, und es trat ein Schisma ein, das die russische

Schule in eine Petersburger und in eine Moskauer Partei

gespalten hat. Zur ersteren, die am nationalen Banner

einigermaßen festhält und mit allem Eifer den Kolorismus

A. uuionnow.PP^S^ Zahlen Alexander Glazounow, Arensky, der

A. Areatkyiin Deutschland nur durch seine Kammermusiken bekannt

M. iwAB«w. geworden ist/ und Michael Iwanow, in gemessener

J. Wiktol. Distanz folgen Wihtol, Ljadow, Ljapunow, Mali-

A. l«jadow.schewsky, Tscherepnin u. a. Die Häupter der von

if M'iii?"k^'^®^^®^ Tanejew gegründeten Moskauer Partei, die dem

N.TiielienpBiBi^^^^^^^^P^^^^P keinen Wert beimißt und die russische

8. TftB^eir. Arbeit vom großen und internationalen Gesichtspunkt be-

8. BaehMudmoir.stimmt haben will, sind Rachmauinow, A. Scriabine.

^•^^^»*^lhr Gefolge besteht aus G. Conus, S. Wassilenko,

8. WMsiieBko!^* Catoire, R. Gli6re, A. Goe decke u. a.

G.€atoire. Unter den Sinfonikern der Petersburger Sektion ge- *• ®^*J*' nießt zur Zeit Alexander Glazounow, ein ansge- «••*•«»•• sprochener Eklektiker, der Tolstoischen Bußgedanken und den kleinen Amüsements des Salons mit gleicher Sym- pathie gegenübersteht, aber über ein großes technisches Können verfügt, das weiteste Ansehen.

Außerhalb der russischen Musikstädte ist Glazounow erst mit seiner vierten und fünften Sinfonie bekannt ge- geworden, allmählich sind ihnen dann die Vorgängerinnen gefolgt, und gegenwärtig ist er im internationalen Re- pertoire mit acht Sinfonien vertreten. A. eusoinow, Die erste Sinfonie (Edur), Rimsky-Korssakow, dem Erste Sinfonie Lehrer des Komponisten, gewidmet, ist durchweg ein Be- (Op.5). kenntms der Lebenslust. Der erste Satz (Allegro, ^'/g, Edur) gleicht vollständig einer Tanzszene in der gebilde- ten Gesellschaft; beherrscht wird sie von dem Thema

^f ^rf^y» r --^- - ' jr^.-_ J ^*^ zunächst also gar nichts jr- ^ ~^j:f^ -^^-^T^p Nationales, wird aber bald

^^ 633 »^

durch Nebengedanken, durch Rhythmen Wechsel, durch Musettenbässe und durch den Überschwang im Wieder- holen russisch gefärbt. Die Arbeit verrät in der kurz- atmigen Periodisierung, durch das Figurenmaterial bei den Obergängen und durch deren Umständlichkeit noch einen Anfänger.

Der zweite Satz, das Scherzo (Allegro, ^41 Gctur) ist ein Perpetuum ^ . __r_ ., /^8,s äußerst ge-

mobile über Aj^f ^^^yj^ I Pp p /J^wandt durch- das Thema: "*■ ^ ^geführt wird.

Das Trio hebt sich scharf dagegen ab und verwendet ein polnisches Thema:

Auch der langsame, der dritte Satz (Adagio, 2/4, E moll) bleibt in dem freundlichen Grundton der Sinfonie und berührt ernstere Stimmungen nur, um mit ihnen liebenswürdig zu tändeln; einige schrillere Lichter ver- danken ihre Wirkung der .originellen Anwendung des übermäßigen Dreiklangs, und musikgeschichtliches Inter- esse erregt der Satz durch eine Anlehnung an Wagners Meistersingervorspiel.

Mit dem Finale (AUegro, ^4» Edur) hat Glazou- now dem Vater der höheren russischen Instrumental- musik, M. Glinka, eine Huldigung gebracht. £s ist ein frischer und abwechselungsreicber Variationszyklus, zu dem den HauptstofiF abermals ein polnisches Thema:

P**\fTf\{Tl \nP\ff I geliefert hat.

Die zweite Sinfonie Glazounows (Fismoll) ist, wie die A. GiABomaoir« Cmoll-Sinfonie von St. Sa^ns, dem Andenken Franz Liszts 2*'«*« Sinfonie gewidmet. Deshalb beginnt ihr erster Satz mit einem (Op. 16). Andante maestoso, das über das einfache Orpheus-Thema:

UM t . einenTrau-

JThJ J J U J ] J J I J JJ .^^ emarsch

^ entwickelt

Diese wehmütige Weise wird bald zu einem AUegro:

-^ 634 %^

g^^jAUegro umgebildet und

^Varrrrrr PpfPirfjt^etc. dient in dieser •^ u-fc-i-i Gestalt dem Aus-

druck eines wilden Schmerzes, der gelegentlich ins Toben und ins Anstößige gerät, aber auch von milden Klagen ergreifend schattiert wird.

Die Melodie des Trauermarsches durchzieht auch den zweiten Satz (Andante, Ddur, V«)» ^^^ ^^ der Haupt- sache freundlichen Bildern der Erinnerung gewidmet ist, russisch pastorale Töne anschlägt und Lieblingsmotive deis heimgegangenen Meisters hinein verwebt.

Der dritte Satz (Allegro vivace, Hmoll,3/^ setzt diesen Erinnerungsdienst fort, aber in einem leidenschaftlich erregten Ton, der oft, wie in Gedanken an ungerechte Gegner, entrüstet wird und mit zahlreichen Akzenten des Schmerzes gemischt ist.

Das Finale beginnt mit einer ernsten Intrade

und führt, zwi- ^^^Allegio.

sehen einem The- ft Vj _h J i I t n pTI n i I ma heroischer Kraft g" -^i«* J * liJJJiiJ^^

und einem ^.^.^.^^ ^.^ ^

wechselad, in einer Erregung, die sich durch beständige Änderungen von Tonart und Taktart äußert, zu einem triumphierenden Schluß. A. eiueiBow, Die dritte Sinfonie, (Ddur), Peter Tschaikowsky Dritte Sinfonie gewidmet, ist diejenige, in der das russisch -nationale (Op. 33). Element fast ganz zurücktritt, und die zugleich durch die Natur ihrer Themen und deren Entwicklung es dem Zu- hörer ziemlich schwer macht.

Insbesondere gilt das vom ersten Satz (Allegro,

Ddur, 3/4), der von seinem nachdenklichen Hauptthema

^ ^^ ^^..^ gar nicht loskom-

V ' in KRhAr. umstAnn.

in zäher, umständ- licher, für die Fachmusiker teilweise nicht uninteressanter Arbeit mit ihm im engen Kreise dreht. Doch fallen

^-^ 635 ♦—

Lichtblicke in den Nebel, und nach der endlichen Auf- hellung schließt der Satz wirklich schön.

Der zweite Satz (Vivace, Fdur, «/le Vs)« Scherzo fiber- schrieben, ist ein Bravourstück phantastischer Ballett- musik, das unter der Flagge einer Elfen- und Gnomen- jagd oder unter einer ähnlichen Oberschrift passieren könnte. Es ist eine tolle, nur durch wenige Stutzpunkte unterbrochene Gaukelei um flüchtige und nichtige Motive, die aber einem virtuosen Orchester und allen seinen Instrumenten Gelegenheit gibt, zu spannen und Ehre einzulegen.

Der dritte Satz (Andante, Edur, 3/4) gehört zu jener Art von Lyrik, iie durch unaufhörliches Präludieren die Geduld auf Proben stellt. Den gedanklichen Kern bringt ein zuerst in Asdur auftretendes Intermezzo mit einer vom englischen Hörn gespielten Melodie, deren sehn- süchtige und schwärmerische Wendungen die Kenner der modernen Oper und ihrer Liebesszenen ziemlich be- kannt anmuten. Die emsig sinnige Arbeit und der blühende Klang des Orchesters gehen jedoch über das Gewohnte hinaus.

Das Finale (Allegro moderato, Ddur, 2/2) setzt auf dem Thema:

pVfn\üljU^\U^ U'i^m-^

mit großer, aber voreiliger Freude ein. Es bleiben lange Strecken des Mühens, der Unentschlossen heit und immer erneuter Ansätze zu überwinden, bis die Anfangstakte des Satzes endlich aus dem Munde der Trompeten und Posaunen im sicheren und ernsten Ton des Besitzes

^^ _+__^____ erklingen. Mit ei-

<iR''«'^f |[" r If f If J l " r ner Kombination "^ ff dieses Hauptthe-

mas und seiner bedeutendsten Helfershelfer schließt das Finale >grandioso« und rauschend ab.

Die vierte Sinfonie (op. 48} hat die üblichen vieri. eiaioiatw, Sätze,, da aber das Adagio mit dem Finale zusammen- Vierte Sinfonie gezogen ist, erscheinen äußerlich nur drei. u^^v*

636'

Sie beginnt mit einem Andante in £smoll über ein vom Englischen Hörn vorgetragenes Thema, das sich auf Grand folgenden Anfangs

, Anflant». J*sS8. ^^„^ . --^-^^

etwas bequem entwickelt. Als es -auf der Dominaute schließt, stellt sich ihm ein Gedanke entgegen, der die freundlichen, friedevollen Zukunftsbilder dieses Themas mit leisen Zweifeln und Fragen beanstandet. Den Reden und Gegenreden wird ein rasches Ende bereitet durch das Allegro, das ohne alle Vermittelung die Durtonart durchzwingt. Als erstem Hauptthema begegnen wir in ihm einer Melodie, die sich abermals etwas breit, unterm Anteil verschiedener Instramentor entwickelt:

AUBgXD modenAo. Js92. ^^ _ . _ ^— ,^

•M

Sie spricht Worte der Hoffnung aus, in Reimen, die der Komponist fertig vorgefunden hat, und kommt in der Fortsetzung in einigen Eifer, den sofort mit Tönen der Ruhe ein Seitengedanke zu beschwichtigen unternimmt: j ^^ Das Hauptthema kehrt

"^ wieder, verklingt aber,

als schliefen alle Sorgen ein, und an seine Stelle tritt ganz scherzenden Tons das Thema der Einleitung, bei der Yerwandelung, die es nach Borodinschem Muster aus Moli nach Dur und in ein fröhlich, flottes Tempo geführt hat, kaum wiederzuerkennen:

637 ♦^

Damit sind wir ins Volkstümliche und in die ländlichen Kreise nnd ihre Freuden eingetreten. Die Melodie be- herrscht diesen Abschnitt eine Zeitlang, wörtlich und übertragen. Unter ihren Variationen ist eine im rnhigen Tempo für Hom hervorzuheben. Dann 'führen ausge- lassenere Szenen nach dem ersten T^ema des AUegro zurück, und der Schluß der Themengruppe erhält als An- hang noch einige kurze fröhliche Motive. Statt der er- warteten Durchführung folgt aber eine Wiederholung dieses ersten Teils, eben der Themengruppe, mit etwas verändertem Modulationsgang und auch mit verändertem Charakter. Es wird etwas länger bei dem ersten Thema verweilt, es erhält einen sorgenvollen Ausdruck, der sich laut leidenschaftlich und wieder still seufzend äußert Diese Stelle führt nach der Einleitung zurück: dem An- dante mit dem Pastoralthema in Esmoll. Die Freude, die vorhin durch seine Umbildung in die Gestalt eines scherzenden Dur -Themas in das Allegro hineinkam, war verfrüht. Noch ists nur Zeit zu hoffen. Dies spricht ein letztes kurzes Zurückgreifen auf das Hauptthema des Allegro aus. Die im ersten Sinfoniesatz üblichen Wege des Sonatenschemas hat Glazounow zum großen Teil um- gangen und doch einerverständliche Darstellung seelischer Vorgänge geboten, ein Bild vom Kampfe edler Triebe mit den Versuchungen der Alltäglichkeit.

Die anderen Sätze führen dieses Bild weiter: der Schau- platz wechselt, es wechseln die Charaktere. Das Scherzo beginnt mit Quin- AUtgro rirao«. J.x is«. ten, die ungeduldig 6 £ fi £ fi £

erregt in den Fa- 'ji^li ft F P f f 1 | ^^ «». gotten repetieren:

Das sagt Tanz an, und bald stimmen auch die Klarinetten einen Reigen an, dessen Melodie:

jfi' ' r^'Trf in r ir Qi i i

V

--♦ 638 ^^

|n ihrer Mischung von Lustigkeit und Demut an-Rubin- steins >6räute von Kaschmir« erinnert. In der Durch- fährung dieses Themas tritt im ganzen sein lustiger, munterer Charakter mehr hervor. Er steigert sreh bei dem ersten Tutti zu Kraft und Ausgelassenheit:

;^it£«

|^^^ I f 1 1 ui u i,

an anderen Stellen wird

der Nachdruck auf die

beweglichen Elemente -. -

des Themas gelegt: ^

Der Hauptsatz zerfällt in zwei klar geschiedene Teile: der

erste bringt die angegebenen Themen vorwiegend in 6,

der zweite in F. Als in diesem zweiten Teile die ans

dem Eingang des Scherzos bekannten Baßquinten wieder

erklingen, kommt ein neues Thema:

in den Hörnern, das aber am Schluß die freundlichen Lockrufe des alten Ilauptthemas aufnimmt, während die Violinen mit:

■f.r;grrrr|> i'i rt rrriT|T \'r

dazu kontrapunktieren. Es ist, als wollte der Komponist eine andere Seite ländlicher Freuden, die Jagd und ihr aufregendes Treiben im Schattenriß wenigstens vorf&hren. Da kommt aber sehr bald das Trio mit seiner fast in die Farben der Aeolsharfe gekleideten Musik, deren Eintritt man zu den schönsten Stellen der Sinfonie rechnen muß. Die Melodie, die an ihrer Spitze steht und zuerst von der Klarinette gebracht wird: '

1

639

Poco neno mosso. TranqniUa. o«= 60.

j^H" -'-"^r^'l^i n I 'T| iiTi 1 1 I

ist zwar an und für sich einfach^ aber in ihrem Gegen- satz zum Wesen der vorangehenden Szenen wirkt sie wie aus höherer Welt gekommen. Das bunte Treiben* des, Tages und seiner Lust liegt weit hinter dem Hörer. Er denkt an den Sternenhimmel und an die ewigen Fragen vom Menschlichen und Göttlichen. ItR dritten Teil des Scherzos, am Schluß der Reprise klingt die Himmelsmelodie des Trios noch einmal an.

Auch der dritte Satz knüpft mit seinem ein- leitenden Andante an die Stimmung des Trios an. Es leuchten über dieser Einleitung in den tremo- lierenden Violinen AnäM^ejU^B^

durch die Bläser zieht:

versucht wenigstens die Töne des Friedens wiederzufinden,

die in jener Abendszene klangen. Der

Versuch stößt auf zu große Erregung,'

die in dem plötzlichen Fortetakt über:

gewissermaßen elementargewaltig hervorbricht. Ihr folgt

auch bald eine jener langen, dem russischen Sinfoniker

eigenen Übergangsstellen, in denen auf liegendem Baß

kleine Motive in die Höhe dringen und wie Wässerchen

zu Wässerchen kommend zum Strom anschwellen, der

dan Damm durchbricht. Dieser Wandel in der Stimmung

tritt bereits im Andante ein, den stürmischen Charakter

nimmt sie mit den ersten Tönen des Allegro an. Da

setzen die Trompeten ein:

Piü mosso. Allegro moderato. Ja 138.

j'ii'iMru' 'I u''uIj i'^iulr*^'

640

nnd alarmieren das ganze Orchester so, daß es ins Zittern gerät. Der ganze erste Teil des AUegro äußert wirklich seine Energie und seine Freude vorzugs- weise rhythmisch, was sein Hauptthema melodisch bietet^ das erscheint .

noch nicht geklärt: ^""l- JJ J I J J .ij J, J J die Violinen schwingen ^ »^* Uf p * b^ ^ sich mit dem Motiv «^

im Kreise und in die Höhe, in den Klarinetten scheint die meiste Bestimmtheit zu herrschen:

j'^'i \trr II \tt\f\\l\,n\:^rrfß \f

Das freudig verworrene Treiben endigt feierlich mit einem Desdur-Akkord, und diese Stelle führt edlere Geister her- bei. Zuerst hören wir

ein Thema in dem ganz fremden Edur. Wie sie ein- geleitet war, so schließt diese Episode auch wieder feier- lich^ geheimnisvoll mit langen Klängen, lange liegenden Akkorden (As, Ges), und nun folgt ein zweites Thema friedlicher Natur, von der Oboe eingeführt:

Es beendet die Themengruppe des in Sonatenform ge- haltenen Satzes. Sein Einfluß äußert sich in der Durch- führung dadurch, daß zunächst die wilden Motive des AUegros ganz verwandelt erscheinen. Das erste kurze Violinenthema z. B. kommt in den Posaunen als:

y. 92.

"iL 'i -I ','.1^ ' N il "' '"-

641

Bald erwacht ihre eigentliche Natur, sie ringen und kämpfen gegen die edleren Hegungen, die mit ihnen den Weg wiederholt kreuzen. Überraschend erscheint am Ende dieser Durchführung das Hornthema aus dem Scherzo gewissermaßen als Bundesgenosse für die Geister der äußeren Fröhlichkeit; den milderen Mächten kommt Hilfe durch die schöne elegische Melodie, die den ersten Satz der Sinfonie eröffnete. Dann folgt bald die Reprise, die die edleren Themen in größerer Bedeutung zeigte außerordentlich kunstvolle Arbeit enthält und freudig rauschend schließt.

Glazouuows fünfte Sinfonie (Bdur, Op. öö) ist einA. eUsoanow, Werk der Heiterkeit und Kraft, das sich ohne diePönfteSinfonia modernen Hebel der Leidenschaft und Romantik ent- wickelt, aber Phantasie und Gemüt des Hörers festzu- halten und zu beschäftigen vermag. Denn es verrät überall Geist und eine adlige Natur. Der Verlauf und Charakter der beiden letzten Sätze scheint die Sinfonie der Programmusik zuzuweisen. Doch hat der Komponist nicht verraten, was ihm vorschwebte vielleicht ein besonderer Lebenslauf , da anorganische Einzelheiten, die im Zusammenhang unerklärlich wären, nicht darin vorkommen. In der Form zeigt die Komposition ver- schwindend geringen russischen Einfluß, in der Stimmung äußert er sich in wohltuendster Art als Naturfrische und Lebenslust.

Der erste Satz beginnt mit einer Einleitung über das Thema:

Moderato maostoso. J = 92.

Sie führt zu einem Allegro, das an diesem kräftig fröh- lichen Grundgedanken festhält Nur im anderen Rhyth« mus tritt er hier auf und etwas erweitert:

Kretxschmar, Ftthrsr. I, 1.

41

642

-frfrrfjrr^h

Gegensätze im Sinne eines Widersprudto oder einer Ablei- tung treten ihm nicht in den Weg^ mar Versuche, den frohen Mut, der aus ihm spricht, nech zu steigern. Darunter fällt durch seine Entschiedtfoheit der folgende am meisten auf:

Auch das

■v-L£rfinif?i n n j i^^Sl

vif madesSat-

zes bedeutet Zustimmung, Fremde nur im zarteren Ton:

^^

Weiter bemerken wir noch Motive des Scherzes, Motive aufwallenden Frohsinns. Alle diese gro0en und kleinen Einfälle werden variiert, umgebildet und in einem leben- digen Spiel zusammengebracht, das Humor und Witz beherrschen. Die Durchführung, die nur kurz gehalten ist, stellt sich auf einige Augenblicke grimmig. Die Re- prise, in der das zweite Thema geheimnisvoll spannend vorbereitet wird, schiebt den Schluß geflissentlich und fesselnd weit hinaus.

Das Scherzo schlägt mit seinem Hauptthema:

Moderato. ^ = 06.

die flüchtigen Töne heimlicher Beweglichkeit an, mit denen wir seit Mendelssohn den Begriff von Elfenmnsik verbinden. Das Stück gleicht einer Stunde aus der Kinderzeit, wo abends Märchen erzählt werden von schönen Feen und kleinen Geistern der Luft» Dann poltert ein grober Riese herein :

643

^^ _^ ^ der, nach den tol-

y^'j&f f^ I •[" C^C^i*T"j=^ len Dissonanzen zu -^ "^^v '^^ ^""^ *^ schließen^die diesem

Abschnitte eigen sind, alles auf den Kopf zu stellen scheint. Nach diesem Zwischenfall kehrt der Hauptsatz wieder. Der Mittelteil, der die Stelle des Trios einnimmt, führt mit ein^r hübschen Volksmelodie hinaus ins Freie:

FochiMinomexi

leno inoBSo.

ifiHf irtirtfii^irrfm

wo sich Tänze und Spiele und gemütliche Zwiesprache

^ji . in zum Teil sehr eigen-

JyH f I J I / J j I J^ j [tümlich sch5nemKlang ^^ ^entwickeln. Vor dem Schluß wird dieses Trio nochmals kurz angespielt.

Der langsame Satz der Sinfonie, ihr dritter, wird mit einigen Takten eingeleitet, in denen die Akkorde wie schwere, trübe Wolken langsam hinziehen und schleichen. Dann aber treten wie Wandrer, die vom inneren Glück erfüllt, nicht auf Himmel und auf Wetter achten, die Gesangsthemen ein, schwärmerischen Tons, wie ein Lieb- haber in seiner Sehnsucht das erste:

. , Andante. J^= tgO. * ^ i- ^-^ ^^.^^^^

J^ ""^ CT9S0.

fi |*n rF> I r^'V- reinster wärmster Zart-

rjj^^ t^'"^ II P lichkeit voll das andere:

^ , Con_moto. '^__^r^ fi ^** zweite

ftn- '(* M^Tj I r ' I* P I r P w^?r I T^ insbesondere ^ dotct ^ * ^ M I breitet ^^

aus, steigert seinen schönen warmen Ton, wird hervor- gejubelt und gelispelt und bildet die Grundlage für die Stimmung des Satzes. Doch besteht eben dieser Satz

41*

644

nicht ausschließlich aus Stimmungsschilderuog und ver- läuft nicht ungetrübt. Die Einleitung war eine Wamnng. Mitten in den schönsten Augenblick der Komposition fällt ein brutales Stück Dramatik, ein vielerlei Deutung frei- stehendes Ereignis, das aus allen Himmeln reißt: Posaunen und Trompeten sind di^ Ver- .

treter der Schicksalswendung - '■««> mosao. J^ s »2. und dies das musikalische Mo- rr » *-rrr: liv, das sie veranschaulicht: '

Das Finale der Sinfonie hat einen militärischen Charakter. Sein Hauptthema ist folgendes und sein wichtigster Teil der Berliozsche Schluß:

Jt

Ailegro maestoso, oz 126.

if üT/if J-r LTirr f ri

3Z

Es wird ergänzt durch das leichtherzigere:

p' fl^,\ f'-T^lj

Unter den wesentlichen Motiven des Satzes darf besonders der wiederholte Anklang an die rauhe Trompetenstelle des dritten Satzes nicht übersehen werdend Allem Anschein nach gibt der Satz das Bild ein^s wirklichen Kampfes. Es kommen neue Hilfstruppen, originell in den Bässen angemeldet

es gibt Augenblicke der Niedergeschlagenheit, der

Klage, der Trauer und

auch des Trostes,

aus dem letzten

roa sich entwickeln:

Dieses zeigt in weiteren Umbildungen seine immer größere

iieruna

ir-^. p'\f^ |L)i W f |t i

eto.

-^ 645

Wichtigkeit und seinen Zusammenhang mit Volksmusik. Es wird allmählich zu einer Kriegs- und Siegeshymne, die am Schlüsse auch dem ersten Hauptthema des Finale eine glänzende Rückkehr vorbereitet.

Die sechste Sinfonie (C moll) gleicht der zweiten darin, A. GUso«now, daß ihr erster Satz mit tiefer Trauer empfängt. Eine gram- ^•*^'"?;,^i!,'°'*'^ volle Melodie steigt Adagio,, ^ ^^„^ ^ ^

in der Einleitung von »tilr u ,P%7p 1 r f I frf! I r^^^- den Bässen aus: "'-* p U-' ' '.' »— t^-^-^

in die Höhe und wird bald, in Viervierteltakt umgewandelt: Allegro. ^^.^^ das Hauptthema eines

^y^iK J'^TrrrB I r ^ p J ' von leidenschaftlichem ^ y^y>P '^■^P Schmerz bewegten Alle,

gros. Ihm tritt in dem zwei- ten Thema: "^ doice

die Stimme des Trostes entgegen und wird in dem über- haupt sehr kunstreichen Satze mehrmals mit ihm kom- biniert, ohne aber über die trüb erregte Stimmung Herr- schaft zu gewinnen.

Der zweite Satz sucht die Heilung auf breiterer

Basis und stimmt zunächst feierlich eine Liedweise:

Andante. an, die möglicher-

i<^y > ,0 li^fi J I Jl n I I I I weise russisch ist,

& *f U^U-^^^' if 'Li^ jedenfalls aber in

jedenfalls

die Sphäre kindlicher Zufriedenheit gehört. Das Thema wird in sieben Variationen entwickelt, die auf der Skala der Fröhlichkeit ^sich immer weiter aufwärts bewegen, dann vom Scherzino ab über ein Fugato und ein Not- turno tiefer in die Gemütsruhe einlenken. Das den Zyklus krönende und seinen reichsten ' und interessan- testen Teil bildende Finale stellt den Sieg der Lebens- freude fest.

Der dritte Satz (Allegretto, Esdur, s/g), Intermezzo betitelt, fährt in dem neuen Tone fort: Den Hauptsatz beherrscht die zuerst jT?*

von der Klarinette ge- J l'^i^ T tfM Lff | tj^p | f^p j brachte heitere Melodie: ■^- ^* ^ ' ^^ =^^^=F

.^ 646 ^^

die Stelle des Trio vom H dur ab nimxät ein grazi- öser Walzer ein.

Das Finale (Gdur) beginnt zwar mit dem Thema

, Andante maestoso, ^mst und SOgar et-

-n . 1 . I I iete was drohend, führt -^JM>J'J_J,j i J y J '''• es aber bald ins

*/* Allegro und in den

entschiedenen Ton einer kräftigen Heiterkeit über. Mit

Hilfe des zwei- jf ^ i i _ i i ^ .1 ?=q und

ten Themas: g \ ^^ f i \^ i A ^ \ seiner

Fortsetzung wird sie bis zur Ausgelassenheit gesteigert

Glazounow zeigt sich in diesem Satze als Meister des

Humors, zugleich auch in seinem höchsten Glanz als

Satztechniker: Ein Kanon reiht sich an den andern, und

die Kunst der rhythmischen Umbildungen der Themen

erscheint nahezu als unerschöpflich.

i.GUiouBov, Die siebente Sinfonie (Fdur), die ein seltener

Siebente Sinfonie paU der Autor seinem Verleger gewidmet hat, macht

(Op. 77). ^Qg ^^ einer Art Glaubenswechsel Glazounows bekannt.

Er nähert sich hier Borodin und bekennt sich stärker

und entschiedener als jemals vorher zur russischen Musik.

Namentlich der erste Satz (Allegro moderato, Fdur, s/4) ist reich an kurzen, munteren russischen Volks- melodien. An ihrer Spitze steht das Hauptthema:

und was es verspricht, das f^ ^ I ^= kommt: ein Pastoralgemälde. ^ ^ Von dem der sechsten Sinfonie

Beethovens unterscheidet es sich durch den Verzicht auf den sinnigen, im besten Sinne sentimentalen Zug der Fröhlichkeit, das Hauptthema wie seine Gefährten ge- hören zur Klasse des Wildfangs. Beethoven entwickelt auch geistreicher, mannigfaltiger und überraschender. Die Überraschungsmittel, die scharfen Modulationen, hat sich Glazounow angeeignet.

Der zweite Satz (Andante, Dmoll, s/4) fängt sehr ernst an, fast wie eine Warnung, wohl, weil er uns vor ein Naturbild führt, in dem, wie in den lang- samen Sätzen Borodihs, die Melancholie haust. In

--♦ 647 •--

der Mitte, von einer Episode in Dur aus, dich- tet sich die ^ .,.~>^ . ^ /^TT^ - >. , ^ Stimmung znj^ajT^ iJ.^'J-Jl/jJ r IpYl^J einer Klage: Klar. ^■' ^

Der dritte Satz (Allegro giocoso, Bdur, 2/4) heitert mit dem Spiel um eine flatternde Sechzehntel figur, die an die gefiederten Bewohner der Luft erinnert, energisch auf. In die kecken Tändeleien iiischen sich zahlreiche Kantilenen verschiedenen, vom Neckischen bis zum Ele- gischen weisenden Charakters.

Das Finale (Allegro maestoso, Dmoll, 2/2) stimmt so- gleich beim f i , , 1 1 i J j | J I 1 ^V^hnen- Einsatz mit: ^' i J J I y "^ i J y 1 " I ton an und erweist sich als eine Huldigung ans Vaterland. Ihre schönste Stelle kommt nach dem Ende zu, wo das Haupt- thema des g wiederkehrt.

ersten Satzes ^^ t'^ \f ^ If* T T \f Mit der ihm

in der Form: ^ eiguenBreite

und Menge der Übergänge streift der Komponist in diesem Finale -das Maßlose.

Die achte Sinfonie (Esdur, op. 83) ist in ihrem ersten A. eusouon» Satz (Allegro moderato, V4t Esdur] ein Bild reinen Glücks, Achte Sinfonie. im Hauptthema, dessen Ausdrucksstützen Vorhalte nach oben sind, mit einem maßvollen Zusatz von Überschwang und Schwärmerei, im zweiten Thema im Ton des ruhigen und sicheren Besitzes. Da der musikalische Reiz dem- nach im ersten Thema liegt, wird es auch in der Ent- wicklung stark bevorzugt, lange Abschnitte hindurch er- scheint die Komposition ^ ^^ ^^ ^^^ beiderGla- wie eine Phantasie über (Lvii h if p F f T j zounow die seine ersten vier Noten Gelegenheit ergriffen hat, in Nachahmungen, Umkehrungen, Verkür- zungen und Verlängerungen der Rhythmen seine kontra- punktische Meisterschaft zu erproben. Es läßt sich nicht verkennen, daß der Vortrag dabei etwas umständlich ' geraten ist und daß den Permutationen der Motive Ori- ginalität abgeht.

Der zweite Salz (Mesto, 3/2, Esmoll) führt uns über-

^^ 648 #—

raschend Vor tiefste Trauer, vor einen schweren nnd frischen Verlust, dem die Seele des Leidtragenden fas> sungslos gegenüber steht. Das Entsetzen spricht den ganzen Satz hindurch mit den Rhythmen des Trauer- ' marsches in Wagners »Götterdämmerung«.

Der dritte Satz (Allegro, s/4, Gdur) steht noch ganz im Bann des zweiten, stellenweise gleicht er einem Toten- tanz, und durchweg bleibt er spukhaft und gespenstisch. Durch diese Eigentümlichkeit ist er der ^wertvollste Satz der Sinfonie.

Das Finale [Moderato sostenuto ed Allegro mode- rato, V4) Esdur), das die Stimmung wieder ins Gleich- gewicht zurückführt, besteht musikalisch aus lauter Re- gungen der Kraft, Über die nur durch die auch in der Mitte des Satzes wiederkehrende langsame Einleitung ein Schatten fällt. Zur vollen Wirkung fehlt es diesem. Finale an einem plastischen Thema. A. ouzobhow, Erwähnenswert ist auch eine Programmsuite (op. 79) Aus dorn Mittel- Qiazounows, die unter dem Titel »Aus dem Mittel- '* altere vier Bilder vorführt, die untereinander keinen weiteren Zusammenhang als den gemeinsamen archa- istischen Ton haben. Das erste (Allegro, E raoll, 0/4) will ein Schloß und darin ein Liebespaar zeigen. Woran man in der Musik das Schloß erkennen soll, bleibt das Geheimnis des Autors, das Liebespaar läßt sich schon eher an dem Edur und an der weichen Melodie fest- stellen. Der zweite Satz, Scherzo überschrieben (Allegro assai, V4i AmoU), beginnt mit Anstreichen der leeren Quinte ä*— ^, deutet also auf Geigenspiel und wahrschein- lich auf Tanz. Der Geiger soll der Tod sein, der bei einem Jahrmarkt aufspielt. Dafür klingt auch die Musik stellenweise grausam genug. Im dritten Satz (Andantino, s/4, Amoll) wird ein Troubadour, der ein Ständchen bringt, ziemlich glaubhaft vorgestellt. Es hätte der obligaten Harfe kaum bedurft, die Echtheit liegt in der Rhythmik der Melodien, in deren Vortrag Bläser und Geiger ab- wechseln. Das Finale (Allegro, V41 Edur) ist ein Marsch mit rezitativischen und andren Episoden. Der Marsch

_^ 649 »^

soll an die ausziehenden Kreuzritter, die Episoden, unter denen ein Choral die Hauptrolle hat, sollen an anfeuernde FQhrer, an predigende Mönche und eintreffende Prozes- sionen erinnern.

Zuweilen liest man von deutschen Aufführungen einer Cui, Suite miniature von Gösar Cui, dem Sprecher der Suite mJniature. Neurussen. Das ist ein halbes Dutzend einfachster Stücke in Lied- und Tanzfonnen , die an Schumanns Kinder- szenen, an Bizets jeux d^enfants erinnern. Die russische Herkunft verraten sie in keiner Zeile, sondern gehören nach Geist und Form zu den besten Früchten der französi- schen Schule und verdienen wegen der liebenswürdigen Phantasie und der feinen Züge in der Gestaltung weiteste Verbreitung.

Immerhin ist dieser französische Zug in Guis kleiner Suite ein Merkmal, das in verschiedener Form auch bei den russischen Sinfonikern wiederkehrt. Von Rimsky- Korssakow bis auf Glazounow gehen sie alle, bewußt oder unbewußt, von Berlioz aus, von seinen Programmen oder von seinei) Bravourstückchen poetischer Ballettmusik, und behnudeln das Kolorit und die Einlage einer oder meh- rerer Unterhaltungsnummem als eine Hauptaufgabe der Sinfoniekomposition.

Dagegen erhob sich von Moskau her, dem Sitz des Altrussentums, eine Opposition, und es bildete sich von dem dortigen Konservatorium aus, wie schon erwähnt, eine Moskauer Schule, deren Häupter A. Scriabine und S. R ach man in ow sind. Sie faßt die Sinfonie als Ge- mälde seelischer Zustände auf und verlangt eine, mit Verwerfung aller Zugeständnisse an Herkommen und Publtkumsgeschmack, charakterstreng und mit gleich- mäßiger Hingabe und Gründlichkeit durchgeführte Arbeit. Das ist im Grunde das alte Ideal der Wiener Klassiker und derjenigen deutschen Sinfoniker, die noch auf Beet- hovenschem Boden stehen. Doch unterscheiden sich die Moskauer von Brahms, Draeseke und Genossen dadurch, daß sie auf die von Haydn eingeführte thematische Arbeit im Sinne der prinzipiellen Ausnützung kleinster, gelegent-

-^ 650 ♦—

lieh unwesentlicher Satzteile keinen Wert legen. Statt dessen bringen sie, wie es Liszt angebahnt hat, die The- men im vollen Umfang wieder, aber in immer neuer Beleuchtung und in äußerlicher und innerer Umgestaltung. Unter die verwerflichen Zugeständnisse rechnen sie auch die Verwendung russischer Volksmusik, gleichviel ob in der charaktervollen Weise Borodins oder in der mehr spielerischen Tschaikowskys. Russisches Wesen kommt dabei noch vollauf genug zur Geltung, es äußert sich aber nur geistig in der Stimmung und Tendenz der Themen selbst und noch mehr in ihrer Entwicklung. In der Stellung zum Programm läßt die Schule Freiheit A. SeriabUe, Von Scriabines Sinfonien hat die zweite (Cmoll)d6n Zweite Sinfonie größten Erfolg gehabt und sich auch im Ausland die (Op.29). Anerkennung erworben, die einem bedeutenden und eignen Werke gebührt. Der Komponist zeigt in ihr, wie ein von Trauer und Schmerz ergriffnes Gemüt zur Läu- terung gelangt, und enthüllt sich dabei als eine außer- ordentlich weiche und zum Oberschwang der Gefühle geneigte Künsllernatur modernster Art 0er (hundriß der Sinfonie ist fünfsätzig, da aber der erste eng mit dem zweiten und der vierte ebenso mit dem fünften Satz zusammen- hängt, besteht sie tatsächlich nur aus drei Nummern. Der erste Satz (Andante, Gmoll, C) ist eine kurze

Phantasie Andantfl. . ^ ,. ^ Ihr dnm-

über das -%yt^,y^\^^^ 1?[p' pp ffj\ ^^ pfer Ton Thema: iSuj» * ^ macht nur

vorübergehend einer hellem und erregteren Episode in C dur Platz, die einem Rückblick oder Ausblick auf freu- digere Tage gleicht und zu einem Obergang nach Es dur veranlaßt Der zweite Satz (Allegro, Es dur, o/g) bringt die angekündigte Tonart, aber in seinem Hauptthema:

Es Ces Es Ces Es CesuesCesCesEs Ces Es As

keine Beruhigung, sondern einen Aufruhr trüber Gefühle, der schon in den Rhythmen des vierten Taktes einen

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erschreckenden Charakter zeigt. Das Thema gibt im Kiemen ein Bild des ganzen Satzes, nach seinem Wesen sowohl, wie nach seinen Mitteln. Er wühlt bis zum Äußersten in Schmerz und Qualen, und der Dissonanzen, namentlich der Vorhalte, weicher und unbarmherziger, ja bis zur Brutalität harter, ist kein Ende. Man lechzt stellenweise nach einem reinen Dreiklang und steht einer Orgie der Sentimentalität gegenüber, die Wagners >Tri- stan« überbietet und die eine wahre Sehnsucht nach dem weinerlichen Spohr erwecken kann. Unter Aristoteles wäre derartige Musik konfisziert worden, denn sie ist un- gesund und wirkt auf die Dauer demoralisierend. Auch das zweite Thema:

j¥tD.h|.qp.ij jii^j ßfHry pir'iiJ ffri?rjrj.i»,i.j-.]. i

Cei B 1_ B »8 As

befreit nicht aus diesem Engpaß des Grams und der Dis- sonanzen.

Wo wir Licht zu sehen glauben, da klingt alsbald das Hauptthema des ersten Satzesr die Trauerbotschaft, mit verwilderten Zügen wieder herein, und so oft das freund- lichere Es dur sich durchzusetzen scheint, immer und bis ans Ende wird es von dämonischen Akkorden nochmals bestritten. So ist dieser erste Satz der Sinfonie ein un- erhört grausames Stück Kunst, aber die Zähigkeit und die modulatorische Virtuosität, mit welcher äer Kompo- nist seine Absicht verwirklicht, zwingt zum Respekt, und schließlich geht der Zuhörer auch nicht ganz leer an schönen, einfach herzlichen Stellen aus.

Der dritte Satz (Andante, Edur, 0/3) der Sinfonie, der eigentlich ihr zweiter ist, läßt sich wie eine Idylle an, wir hören in der Flöte sogar anheimelndes Vogelgezwit- scher. Er bleibt auch bei durchaus freundlich schwärme- rischen Melodien, die von Liebe, Jugend und Glück träumen und sagen, er entzückt oft; aber auch er hält an einem Ton des Oberschwanges, der harmonischen Oberreizung und Kompliziertheit fest, der sich mit aus dem allzustarken Einfluß erklärt, den Wagners Stil auf

_^ 652 ♦—

Scriabine ausgeübt hat Der vierte Satz (Tempestoso, Fmoll, ^/g) stellt sich zu dem vorausgegaagenen An- dante im scharfen Gegensatz und gibt ein keckes und aufregendes BUd äußrer und innrer Stürme. Soweit er aus Naturmalerei besteht, darf er als ein Seitenstück zu dem »Walkürenritt« bezeichnet werden, und ,teilt zwar nicht dessen Pathos, aber die Energie, mit der eine ein- fache, Wind und Wetter abgelauschte, erst leicht stoßende, dann wütend heulende Figur festgehalten und in ihren wechselnden Launen durchgeführt wird. In der Mitte unterbricht den Sturm eine bittende und klagende Melodie, die noch rührender wirken würde, wenn der Komponist sich hätte von seinen unvermeidlichen Vorhalten trennen können. Sie bereitet die innerlichste und schönste Stelle des Satzes vor, die Wiederkehr des Hauptthemas des ersten Satzes und seiner freundlichen Episode in Gdur. Diese leitet jetzt in das Finale, den fünften Satz (Mae- stoso, Gdur, G) über. Ihn beherrscht ebendasselbe Haupt- thema, aber in heroischer Gestalt:

^ Maestoso. > ^

F"ii I ii' II h ' ) i'p\v->ijr 1^"* r "'■

C gi C E A

Wohl tauchen noch Reminiszenzen an Kampf und Schmerzen auf, aber der, auch von dem an und für sich unbedeutenderen, zweiten Thema unterstrichne Grundton ist der des Friedens, der Resignation, der ruhigen Kraft. Nur die allerletzten Takte nehmen eine triumphierende Miene an. A.ScriftblBs, Die noch wenig bekannte dritte Sinfonie des Kom-

Dritte Sinfonie ponisten, sein Opus 43, führt ein Programm, >Le divin ^^"'' po^me, in drei Sätzen (Lüttes, Volupt6s, Jeu divin) durch, die ohne Pause aneinanderschließen. Die Entwicklung ihrer Musik bewegt sich völlig in den schärfsten Kon- trasten, sie ist aber im Stil weit einfacher als ihre Vor- gängerin und zeigt sehr erfreulich, daß der Künstler auch mit normaler Harmonie Bedeutendes zu sagen weiß.

Trotzdem ist sie von der deutschen Kritik als über- künstlich, überlang und bar aller Proportionen abgelehnt

_^ 653 «^

undmitnocli größter Härte als der zweiten Sinfouie des Korn* ponisten Redseligkeit und Trivialität vorgeworfen worden.

Den Hauptbeweis, daß moderne Alltkren nicht zum Wesen der Moskauer Schule gehören, bieten die Werke Sergei Rachmaninows, bei denen .der Zusammenhang mit den Klassikern der Gattung klar zutage tritt. Seine persönliche Bedeutung liegt in der Stärke der musikali- schen Naturkraft und wird am deutlichsten in der E moll- 8.B»ehniaBiBow, Sinfonie offepbar, die im Verein mit einem Klavierkonzert Emoii-Sinfonic. zuerst seinen Namen über die heimatlichen Grenzen ge- tragen hat In der Kunst, mit den Elementarwirkungeh der Musik, mit Ausklingen und Anschwellen zu fesseln, steht er auf gleicher Höhe wie A. Brückner, in der Er- findung seiner Grundideen ist ihm das Glück nicht immer treu,' auch ihre Entwicklung scheint von der Gunst des Augenblicks abhängig, bleibt aber immer logisch.

Der erste Satz dieser Sinfonie hat eine langsame Einleitung, die mit Motiven schlichter Art unter ihnen eine Achtelfigur, die wichtig wird den Übergang von träumerischem Sinnen zu einer regen Tätigkeit der Phan- tasie vorführt. Sie beginnt ruhig und schließt noch ruhiger, dazwischen aber üegt ein Stück Begeisterung, das einmal in die kühne Akkordfolge Hdur-Bdur aus- bricht; es ist als ob ein alter Mann sich entschlossen hätte, aus seinen Erinnerungen mitzuteilen. Im Allegro moderato (E moll, &,) kommt die Erzählung, und zwar zu- nächst in einer Art Bardenton, die an den jungen Gade erinnert. Vier Takte wird nur präludiert, dann set^ das Hauptthema

an die Einleitung anknüpfend, balladenmäßig ein, wird variiert wiederholt und dann. mit Triolenmotiven ergänzt, die einen ritterlichen Gharaktisr haben und anzudeuten scheinen, daß es sich um Heldengestalten und ihre Aus- fahrt handelt. Mit. dem zweiten Thema (in Gdur) meldet sich das Glück in origineller Art: Oben in Oboen

i

-^ 654 ^^'

und Klarinette knappeste Naturiaute, die den Gesang im Herzen nur markieren, unten in den Geigen ein leiaes» fröhliches Schwärmen. Erst bei der Wiederholung wird ans dieser Skizze eine ausgebildete, warm drängende Melodie, und wie in stiller Seligkeit schließt die Themen- gruppe. Die Durch fQlirung ist die Stätte von Widerständen und Schwierigkeiten, deren Darstellung in der ersten Hälfte matt ist und erst dem Ende zu etwas in Schwung gerät In der Reprise zeichnet sich die zum zweiten Thema gehörige Gruppe (eine Episode in Edur) ganz außerordentlich aus und zeigt den ganzen Reichtum des Komponisten, seine Zartheit und sein Feuer, in immer gleich schönem und natürlichem Fluß. Auch über den zweiten Satz (AUegro molto, Amol!, (^) liegt eine Art Pa- tina Schon die ^ Allegro.

Harmonie des ^<»| j J J | ,J. J | J. J | .] i | ^ Hauptthemas: J^

das ebenfalls akkordisch präludiert wird, versetzt mit dem alten Kirchenton in alte Zeiten. Sein harter, reckenhafter Humor macht zunächst auf einen Augenblick einer from- men Weise Platz, dann kommt an Stelle des üblichen Trio denn der Satz ist das Scherzo der Sinfonie ein wild phantastischer Teil, den ein ruheloses Achtel- motiv von Anfang bis Ende durchsaust Die firomme Weise gibt nach der Reprise des Hauptthemas dem Ende des Satzes das Gepräge.

Um den erzählenden Charakter festzustellen, beginnt auch der dritte Satz (Adagio, Adur, G) mit einigen Tak- ten Präludium. Dann setzt die Klarinette mit:

Adagio»

^ poeo riL dim.

einer jener Melodien ein, die zwar nicht russisch, aber entschieden volkstümlich und für Rachmaninow bezeich- nend und von biographischer Bedeutung sind. Aus die- sem Hauptthema spricht schlicht sinnige Zufriedenheit, der Satz, der sich aus ihm entwickelt, hat nichts von dem Dberschwang modemer Adagios, er malt traulich und

t 6B6 ^>^

Jean-Paülisch ein Glück in der Beschränkung. Nur ein- mal — nach dem überraschenden Gdur-Schluß kommt, von kurzen, suchenden Dialogen eingeleitet und durch- brochen, eine Stelle, wo sich die sonst gut bürgerliche Szene dramatisch belebt Und die Wogen höher ausschla- gen. Sie ist, ähnlich wie der Mittelteil des vorausge- gangnen Scherzos als Vision gemeint, aber in dem schön friedlichen Schluß des Satzes klingt ihr Sechzehntelmotiv nochmals hinein. Legt man der Sinfonie das Programm einer Ausfahrt unter, so führt dieses Adagio in die ver- lassene Heimat.

Wie die vorigen Sätze ist das Finale (AUegro vivace, Edur, (^} ebenfalls mit einer kurzen Einleitung versehen. Es sind einige, später oft wiederkehrende Takte stürmi- schen Jubels, die den Grundzug des Satzes feststellen. Das Hauptthema tritt zuerst in erregter Gestalt

|Vi<imiyrrfi

xr

auf, später, kommt es in der breitren und faßlicheren Variante :

Seine erste Entwicklung gleicht einem Triumphzug in vollstem Glanz und strotzender Kraft, bis eine plötzliche Modulation nach Gis moU eine Stockung hervorruft. Man hört aus der Feme einen Militärmarsch von unver- kennbar primitivem Charakter. Dieser Zwischenfall, der die Heimkehr der Sieger bedroht, wird erledigt und

das Resultat mit,^,^,,,^^ ^ . , . , , t ,

dem zweiten The-^^l^^ Tf^f ^ ^ J.'^ T J ^^=^ ma des Satzes: ^^^^— ^

ausgesprochen. Es führt auf einen kurzen Augenblick den Anfang des Adagio zurück: Die Heimat lockt mäch- tig und nahe. Man bricht vom neuen auf, das Haupt- thema erfährt eine neue Durchführung, aber unter dem Zeichen der Vorsicht, bis dann die Reprise einsetzt Sie

^^ 656 <^^

erhält eine sehr schöne Nuance durch den Zutritt des Hauptthemas des zweiten Satzes, das Thema der Helden« lust; und klingt in hellster Freude aus. Der poetisch sinnig entworfne Satz bietet dennoch dem Zuhörer durch seine Länge und durch einige schwächer erfundne Stellen einige Schwierigkeit

Erfreulicherweise zeigt sich unter denjenigen russi- schen Tonsetzem, deren Sinfonien fOr die Öffentlichkeit und für das Ausland noch in zweiter Linie stehen, ein starker Anhang Rachmaninows. Der hervorragendste Ver- treter der von ihm eingeschlagenen Richtung auf Klarheit, ^\. ZoiotArew, Einfachheit und die Ziele der Klassiker ist W. Zolotarew, lia moiusinfonie. (Jen wir Seltsamer Weise zuweilen auch unter den Vertretern der Petersburger Partei verzeichnet finden. Seine FismoU- Sinfonie (op. 8) nähert sich im Andante fast der Schlicht- heit Haydns, ohne jedoch die moderne Zeit und ihre Erregbarkeit zu verleugnen. Oberall, beim leidenschaft- lichen Ringen, ebenso wie beim weichen Sinnan und Sehnen nimmt der Komponist durch die ernste, innerliche Wärme de» Vortrags ein. H*. KaUffttl, Nahe steht ihm Wassili Kalafati, dessen Amoll-

A iiion-sinfoni«. Sinfonie (op. 12} mit dem Rachmanninowschen Haupt- werk die Verknüpfung getrennter Sätze gemeinsam hat Stellenweise versetzt uns die Sinfonie Kalafatis in die Mendelssohnsche Zeit, seine Selbständigkeit spricht außer aus der immer soliden, oft zu sehr ins Kleine gehen- den Arbeit namentlich aus dem knorrigen Scherzo. Auch K. MiyuartU, Emil Mlynarskis F dur-Sinfonie (op. 14) gehört teil- F dur-Siofonie. weise mit auf das Konto des Moskauer Meisters, dem Meinarski in der Kunst des poetischen Verklingens sioniger Motive folgt Zum größren Teil repräsen- tiert der Komponist den Naturalismus unter den russi- schen Musikern von seiner Schattenseite, nämlich die übermäßige Betonung von Präliminarien und Neben- sachen. Um im Scherzo der Sinfonie nach der Haupt- tonart, nach HmoU, zu kommen, braucht er, von As be- ginnend, zehn Partiturseiten, ohne damit irgend etwas Wichtiges zu bieten. Der gleiche Eindruck des Gesuchten

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begegnet uns noch mehrmals; ^amentücb die- Melodik geberdet sich gern, als wären ihr die Halbtöne nicht fein genug.

Wenn Meinarski im Adagio rassisch nationale Mo- tive verwendet, steht er mit dieser Ausnahme unter den Moskauern nicht allein; auch bei ihnen finden sich An- hänger Öorodins, in der russischen Musik überhaupt aber haben seine Prinzipien noch einen ebenso breiten wie festen Boden. Einer ihrer begabtesten Vertreter ist Wassili Kalinnikow, besonders in seiner ersten, einer )r. KUlnnlkow, Gmoll-Sinfonie. Seine zweite, die Adur-Sinfonie, baut Sinfonien in zwar ihre vier Sätze über ein Lied des Komponisten, das®"**^" ""* ^^"'• ganz den russischen Typus zeigt, läßt aber des weitren die nationalen hinter die individuellen Züge zurücktreten. Unter ihnen ragt ein dezenter und dem Anschein nach an Glinka geschulter Humor besonders hervor.

Noch unbedingter gibt sich der zuweilen den Mos- >• Ciliar«, kauern eingereihte R. Gliöre als Borodinianer. Wenig- ^ ^"'"S^"'®'**«- stens in seiner Esdur-Sinfonie (op. 8); ihr zweiter Satz, ein ebenso natürlich erfundner, wie durchgeführter an- mutig naiver s/4 Takt hat bedeutenderen eignen Wert.

Unter den jüngeren Vertretern der russischen Schule, 8. stojontky, die eine freie Stellung behaupten, verdient Sig. Sto-l^™oiiSmfonie. jowsky, ein gebürtiger Pole, als ein großes und vor- nehmes Talent hervorgehoben zu werden und zwar auf Grund seiner Dmoll- Sinfonie (op. 21), die in ihren vier Sätzen eine Persönlichkeit zeigt und in allen eine aus der Tiefe geschöpfte und wirklich innerlich erlebte Musik bringt. Besonders prägen sich die schönen langen Melo- dien und die faßlichen, wie Geberden wirkenden Rhythmen der Leidenschaft im ersten Satze ein, ähnhch auch der 'finstre Charakter des Scherzo und die kleinen Brocken Trost, die sich von ihm so scharf und wohltuend ab- heben. Aus dem äußren Stil der Sinfonie treten die zahhreichen Bläsersoli hervor.

Der Sinfonie ist eine dreisätzige Suite in Esdur (op. 9), g. stojowdky, vorausgegangen, die im ersten Satz Variationen über ein Huite in £&. russisches Thema mit leichter Anlehnung an die Haydn-

Kreixiclimar, Ffihrer T, I. 42

-^ 658 ^—

yariationen von Brahms entwickelt, in den weitren Sätzen kühn und dramatisch polnische Melodien verarbeitet H. stelBiberg» Auch eine D dur-Sinfonie (op. 3], von Maximilian Stein- D dnr^Sinfonie. b e rg verdient hier noch wegen ihres engen Anschlusses an Glazounow Erw&hnung. Der Schüler kommt dem Meister in der eifrigen und geschickten Pflege kleiner Satzkünste ziemlich nahe und übertrifft ihn in 'der Ge- nügsamkeit der thematischen Erfindung und der Ideen^ richtung. Das eigne, elegische Talent Steinbergs kommt am deutlichsten beim zweiten Thema des ersten Satzes zum Vorschein.

Noch darf unter den beachtenswerten russischen Sin- i\ Biamemfeld« fonikern F. Blumen fei d angeführt werden. Der Reich- tum an tücbtig gebildeten, von Einseitigkeit freien Durch* Schnittstalenten, sichert der russischen eine bedeutende Weiterentwickelung und das Primat unter den nationalen Schulen.

«• ^

V.

Die moderne Suite und die neueste Ent- wiclcelung in der Iclassischen Sinfonie.

|ie Werke der Nationalen und der Programmusiker bilden einen wichtigen Teil in der sinfonifichen Produktion der letzten Jahrzehnte, jedoch reprä- sentieren sie nicht die H&uptströmung. Diese hält viel- mehr immer noch an den Traditionen fest, welche in den Werken Beethovens und der Romantiker niedergelegt sind. Ja, mitten in der bewegtesten Zeit des Streites, welcher sich um den Wert und die Berechtigung der neuen Programmusik erhob, um das Jahr 1860, lebte plötzlich eine Kunstgattung wieder auf, deren Blütezeit nodi hinter den Tagen der Wiener Klassiker zurückliegt Es ist die schon im vorhergehenden Kapitel wiederholt be- rührte Suite.

Die Wiedereinführung der Suite entsprach dem prak- tischen Bedürfnisse nach einer einfachen musikalischen Naturkost, dem Verlangen nach größeren Orchesterkom- positionen, welche sich, wie die Sinfonie, in großen Formen bewegen, den Geist aber mit schwerer Gedanken- arbeit und den . Strapazen unserer hohen Kultur ver- schonen sollten. Daß man. mit dieser humanen Mission gerade die alte Suite betraute, war eine weitere Wirkung

42*

-^ 660 ♦^

jenes hiitorischeo Siones, welcher seit dem Yorfehen Mendelssohns die Mosikwelt stärker sn durchdringen be- gann und welcher in den Gesamtansgaben imd Einsel- ansgaben Yon Weri^en Uterer Meister, in Grflndong nnd Tätigkeit der Tonkünstlenrereine immer mehr Aus- druck und zugleich Förderang fiand. Es war ein Jahr- sehnt lang der Hauptfehler der modernen Suite, daß man ihr das historische Studium und die Abhängigkeit von alten Mustern zu deutlich ansah. Die alte deutsche Or- chestersuite bildete den Sammelplatz, auf welchem sich die charakteristischen Tanz- und Liedweisen aller Nationen zusammenfanden. Davon ausgehend, hätten die moder- nen Suitenkomponisten sich in erster Linie danach um- sehen mikssen, was das 19. Jahrhundert an kflnstlerisch verwendbaren Elementen der Volksmusik bietet Und daß es solche bietet, hatte Chopin bewiesen. Statt dessen kopierte aber die Mehrzahl die Sarabanden, Giguen, Cou- ranten, Allemanden der Bachschen Klaviersuite, trug aus der neueren Zeit ein Scherzo, wenn es hoch kam, einen Marsch herbei und vervollständigte das Ganze mit Variationen und Fugen. Der oft mißverstandene kontra- punktliche Stil der Alten wurde ersichtlich höher ange- schlagen als das volkstümliche Prinzip ihrer Suite.

Das Verdienst, als der erste nach hundert Jahren wieder Suiten geschrieben zu haben, hat Joachim Raff ffir sich in Anspruch genommen*. Der Hauptanteil an der Neubelebung und Einf&hrung der alten Kunstfonn muß j edoch FranzLachner zugeschrieben werden. In der Sinfonieperiode der dreißiger Jahre von den Preis- richtern, nicht aber vom Publikum ausgezeichnet, fand dieser Tunsetzer noch spät in der Suite einen Wirkungs- kreis, auf welchem er viele Freude bereitet und seinem Namen ein bleibendes Andenken erworben hat Auch Lachner gehört der kontrapunktischen Richtung der mo- deraen Suite an. Aber die wirklich volkstümliche Natur seines Talents äußert sich bei ihm auch, gerade wie bei

*) Siehe M. Uauptmaun, Briefe an F. Heuser II, 249.

den Alten, in der strengen Form. Seine Fugen sind frisch und kräftig, frei und effektvoll. Lachner hat sogar für die moderne Weiterbildung dieses ebenso schwierigen als interessanten Stils wertvolle Fingerzeige und An- regungen gegeben. Lachner spricht echten Suitenton: auch wo er gelehrt wird, bleibt er klar und verständlich; wenn es nicht anders geht, ist er lieber trivial als ge- kfinstelt, und der Undeutlichkeit geht er so sehr aus dein Wege, daß er sich darüber oft ins Redselige und Breite verliert. Eine besondere Spezialität in seinen Saiten bilden die Märsche. Sie zeichnen sich aus durch eine einfach kernige Rhythmik und durch eindringliche Me- lodien, welche gelegentlich mit aparten, blühenden Fi« guren gewürzt sind. Oft sind diese Märsche gar -nicht deklariert und segeln unter der Flagge von Ouvertüren und Intermezzos. Aber auch an traulichen Idyllen sind die Lachnerschen Suiten ' reich. Eine, im besten Sinne des Wortes, gute bürgerliche Poesie beherrscht die Mehr- zahl seiner Menuetts und Andantes. Die Sprache, welche er in ihnen vorzugsweise spricht, erscheint aus den Idiomen der alten Wiener Schule, speziell dem F. Schuberts, dann denen Spohrs und Mendelssonns als ein neues Viertes hervorgegangen.

Unter den sieben Suiten Lachners ragt die erste p. Laehmer, (Dmoll) durch Wert und Popularität hervor. Ihr erster Suite Nr. i Satz besonders, ein »Präludiumt, in welchem das Thema/ Op.113).

Alleg^TO non tro]

mit Kraft und Kunst durchgeführt wird, ist einer der effektvollsten Sätze in der neueren Suitenliteratur: natur- frisch und mit manchem kecken Harmoniesprung dahin- fließend, originell und individuell in seiner Mischung von Derbheit und Anmut, nur leider zu breit und un- gleich ausgeführt. Der zweite Satz, das künstlerische Hauptstück der ganzen Suite, ein Menuett, ist eins der liebenswürdigsten Rokokobilder in romantischer

'j

662

Färbung. Der Hauptsatz tänzelt auf folgender Melo- die hin:

AUei

troypo

Das Trio hat dieselbe Grazie, aber mehr Ghorcharakter, als ob Massen anträten. Sein Thema wird von einer Art von Basso ostinato gravitätisch begleitet:

•(•.

Der dritte Satz besteht aus einem Zyklus von Va- riationen, welchen folgen- des Thema zu Grunde liegt:

AUerro Bio<l«nfto.

•5«^ TL

■■1,1, r^f■f^r■^vr^rl^lll^f■rpüu]lu

fycdu

II I ^r^-|i i^rifrrmTrrrir-^g^

Die Bratschen begleiten es in der oberen Oktave. Die Variationen 23 an der Zahl sind vorwiegend im älteren Stil gehalten und entfernen sich niemals weit vom Thema, welches in andere Tempi und Taktarten ge- setzt, mit wechselnden Figuren umkleidet, aber einschnei- denderen Umbildungen nicht unterzogen wird. Einzelne üben trotzdem die tiefere Wirkung von Charakterstücken aus, andere sind als virtuoses Spielwerk zu betrachten, ein dritter Teil ist gänzlich veraltet und wertlos. Den Zyklus beschließt ein Marsch, welcher über den Verband der Suite, zu welcher er gehört, und aus den Konzert- sälen hinaus in die Volkskapellen gedrungen ist. Sein direkt an Ä. Eberls Ddur- Sinfonie erinnerndes Thema, welches zuerst wie aus weiter Ferne hörbar wird, genügt allein, um diese Popularität zu erklären:

663

Luise von Kobell hat in ihren Erin- nerungen erzählt, wie die hübsche Sechzehntelfigur, die dem Thema seine Eigentümlichkeit gibt, von einer Vogelstimme stammt, die Lachner einen Sommer lang auf seinen Münchner Morgenspaziergängen begrüßte. Das Finale der Suite, ihr vierter Satz, besteht aus einem wehmütigen Andante als Einleitung und einer sehr steitbaren Fuge über folgen- des Thema:

CvalraMM« Cdll fkf.

Die zweite Suite Lachners (Emoll) hat unter ihren F.LMimer« fünf Sätzen zwei Fugen, welche beide durch eigentümliche 8^^« ^'* ^ Anlage interessieren. Die eine in der Gigue durch die ein-^^"'*^ ^- *^*^ gelegten homophonen Partien und die dramatisch schwung- vollen Steigerungen am Schluße, die andere im ersten Satze durch die poetische Verbindung, welche sie mit der melancholischen Introduktion eingeht: In dem Moment, wo der Satz abschließen könnte, ^^^ ^ ^, ^ ^

taucht das leidenschaftliche ^^^^^^f^L£st/ 1 ^ f Anfangsmotiv der Einleitung t ui^»== auf, setzt sich als zweites Thema fest, und die Fuge wird zur Doppelfuge. Der Menuett dieser Suite, dessen Trio ein graziöser Kanon zwischen Violine und Bratsche ist, nähert sich dem Charakter der Mazurka, das Interr mezzo, namentlich im Mittelsatze, dem Marsch.

Die dritte Suite Lachners (Fmoll) beginnt mit einem F.LMhaer, >Präludium« im müden Ton. Ihr zweiter Satz, Inter- Saite Nr. s mezzo, überdeckt eine tiefe elegische Stimmung, aus (^"^^^i^'-^^^^ welcher zuweilen pathetische Klagen hervorbrechen, mit einem leicht tändelnden Motiv. Die Sarabande bildet eine ähnliche Verbindung von gefühlvoll weichem Gesang mit behaglichen Tanzmotiven. Zwischen den beiden Sätzen

-^ 664 «-^

' steht wieder ein längerer Vaiiationszyklus, desBeu Thema mit dem AUegretto von Beethovens siebenter Sinfonie in naher Verwandtschaft steht. Auch dieser Satz klingt mild aus. Unter seinen energischeren Partien ragt die- jenige Variation hervor, in welcher die Holzbläser uni- sono sich auf der chromatischen Skala tummeln. In den Schlußsätzen der Suite, einer Courante mit einem Schu- mannschen Violinthema mit sehr hübschen Klangeffek- ten und einer modernisierten, ballettmäßigen Gavotte wirft die Komposition alles Trfibe ab und wendet sich kräftigen Geistes dem Frohsinn zu. F.LAehner, In der vierten Suite Lachners (Esdur) ist das kon- Suite Nr. 4 trapunktische Element wieder stärker vertreten. Det erste (E«dürOp. i2«).s^l2, Ouvertür.e benannt, fugiert am Schlüsse, der fünfte, eine sehr kräftig einsetzende, modernisierte Gigue, durch- aus, und beide Male ist die Fugenform wieder in inter- essanter, freier Weise mit einfach melodischen, anmutigen Episoden durchzogen. Der erste Satz ist nur dem Namen nach eine Ouvertüre, nach dem Charakter ein Marsch mit außerordentlich populärem Thema. Er gleicht einem Festzug, der von Jungfrauen, eröffnet und von Militär geschlossen wird. Zwischen ^en beiden Gruppen bildet ein energisch frohes Thema, dessen Heimat in Webers Euryanthe liegt, den Übergang. Der wirkungsvollste Satz der Suite ist das Scherzo pastorale mit einem reizenden Gellosolo im Trio. F. Lftchner, Die fünfte Suite Lachners (Cmoll) weicht von den

Suite Nr. 5 vorausgehenden wohltuend durch die Knappheit der Sätze (Cmoll, Op. 136). ab. Ihre hervorragendsten Partien sind der Mittelsatz des Andante, ein sehr klar wirkender Kanon zwischen Solovioline und Bratsche, und das Trio im Scherzo, ein edler Gesang, auf welchem Schuberts Geist ruht Im Finale, welches in der Form des Sonatensatzes gehalten ist, taucht als zweites Thema eine bekannte Oberon- gestalt auf. F. Laehner, ^^^ poetische Plan von Lachners sechster Suite

Suite Nr. 6 (Cdur) steht mit dem deutschen Kriege von 1870—71 im (Cdur.Op. 100). Zusammenhang. Schon die Gavotte, welche hereinfährt

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wie »Zielen aus dem Busch«, erinnert an soldatische Elemente. Das Finale ist einer der bedeutendsten pa- triotischen Tribute ) welche die Musik jener Zeit dar- gebracht hat. Es vereinigt die Tranerfeier mit Sieges- jubel und Dank. Klagende Rezitative im Spohrschen Stile leiten ^e mild und resigniert gehaltene Paraphrase des Heldenchorals >Ein^ feste Bürge ein. So wie die Be- gleitmannschaft vom Grabe des Kameraden mit fröhlichem Spiele wegzieht, folgt dann auch hier der Trauerzeremonie ein demonstrativ munterer und energischer, kurz und keck rhythmisierter Marsch, eine der flottesten Kom- positionen, welche Lachner in dieser seiner Spezial- gattung geschrieben hat.

Die siebente und letzte Suite Lachners, »Ballsuite« F.LA€h>«r, genannt, macht mit der Modernisierung der Gattung Ernst. ^^^ ^'* '• Sie besteht, mit Ausnahme des Intermezzo und der Intro- 'f^!^* duktion, aus lauter Tanzsätzen, die heute noch praktisch '' leben: Polonaise, Mazurka, Walzer, Dreher, Lance. Leider ist die vortreffliche Absicht von der musikalischen Er- findung wenig unterstützt worden. Mit erfreulicherem Ge- lingen hat einen ähnlichen Versuch J. Herbeck in seinen j. Htrbeek. > Tanzmomenten« durchgeführt.

Die Lachnerschen Suiten waren in dem Jahrzehnt ihrer Entstehung sehr beliebt und haben die meisten Werke der Gattung, welche mit ihnen gleichzeitig her- vortraten, bis heute an Lebenskraft übertroffen. Wenn sie jetzt anfangen zu altern und aus den Konzertsälen zu schwinden, so bleibt ihnen noch lange die Sympathie der Freunde des vierhändigen Klavierspiels gewiß.

Unter denjenigen Suiten Bachscher Richtung, welche mit den ersten Arbeiten Lachners bedeutend konkurrierten, sind die Cdur-Suite von J. Raff und die Amoll- j.Bair, Suite H. Essers (die zweite dieses Komponisten) her- Suite (Cdar). vorzuheben. Es sind in erster Linie Dokumente für den « J'^!"''iiv merkwürdigen Begriff von der Kunst der alten Meister, ^ * ^ """ ' wie er um die Mitte des 19. Jahrhunderts noch bei selbst bedeutenden Musikern festsaß. Auch in den Charakter- etüden des trefflichen Moscheies regnet es eitel »Figural-

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musik«, wenn die Alten geschildert werden sollen. Raff kontrapanktiert steif, gleichförmig und so rahelos und hastig, daß einem der Atem aasgeht. Esser jagt barocke Passagen mit unablässigen Sequenzen und Imitationen im Kreise herum. In Raffs Suite werden erst die letzten Sätze, das Adagietto, Scherzo und Finale, welche aus Mendelssohnschen und Schumannschen Quellen schöpfen, natürlicher, freier und phantasievoller. Esser hat außer dem Überfluß an Vorhalten und archaistischen Disso- nanzen aus der alten Suite doch auch etwas von ihrer Kraft (in der Introduzione) und von ihrer Grazie (AUe- gretto) in seine Kopie gebracht, Bftrglel, Auch die mit den genannten Werken ziemlich gleich- Suite. altrige Gdur-Suite von W. Bargiel bildet alte Formen nach: Courante, AUemande, Sarabande, Air und Gigue. Aber der Komponist erfüllt sie frisch zu mit modernem, zum Teil Schumannschem Geiste. Dadurch wird diese Suite zu einer der interessantesten Erscheinungen in der Gattung. Sie fiberragt die Sinfonie Bargiels an Natfir- lichkeit der Haltung, an Beweglichkeit der Phantasie und verdient ins Repertoire wieder aufgenommen zu werden. j.O.ciriMn, Die kontrapunktische Tendenz der modernen Suite

Saite in Kanon- gipfelt in den beiden Suiten Julius Otto Grimms. Es N [''(Cd ^^^^ Suiten in der Form des Kanons durchgeführt Die erste (Gdur), für Streichorchester, bewegt sich in knappen Bahnen. Ihrem ersten Satze, welcher den festlichen Ton der Mozartschen Jugendsinfonien anschlägt, liegt das Schema der Sonatine zu Grunde. Das Andante hat drei- teilige Liedform, der dritte Satz ist ein Menuett ein- fachster Fassung ohne Seitensätze, das Finale ein Bfinia- turrondo. Der Kanon liegt immer sehr offen oben auf: die Stimmen folgen einander in der Oktav und in kurzen Abständen ohne Künstelei. Nur im letzten Satze wählt Grimm für den zarten Mittelsatz (in As) die Distanz acht- taktiger Perioden. Trotz der Fesseln in der Schreibart äußert die Komposition eine schöne geistige und sinn- liche Wirkung. Ein besonderer Reiz des Klanges liegt über dem Andante, welches vom Solocjuartett allein vor-

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getragen wird, und' über dem warm, gemütlich und innig einsetzenden Trio des MenuiBtt.

Grimms zweite Saite (Gdur) erregt und befriedigt J. o. höhere Ansprüche. Irren wir nicht, so war sie vor der Saite In Kanon- Drucklegung als Sinfonie betitelt. Sie ist für volles Or- ^^ 9 (Odur) ehester geschrieben: ihre Sätze haben breite Formen mit ausgeführten Durchführungspartien, und ihre Gedanken durchstreifen große Kreise und berühren entgeg^gesetzte Regionen. Der Zuhörer vergißt über dem Gang der Leiden- schaften die kleinen Reize des Kanons, den der Kompo- nist selbst häufig auf die Nebenplätze der Dichtung, in die Begleitungsmotive und in den Figurenteil, zurückver- wiesen hat. Obgleich der Kanon hier bescheidener auf- tritt, als in der kleinen ersten Suite, ist er mit noch größerer Kunst, mannigfaltiger, freier und praktischer gehandhabt. Letzteres dadurch, daß die Melodien kürzer und schärfer gegliedert sind. Auch hier wiegt der Kanon in der Oktave und mit schnell folgenden Stimmen vor; aber es sind, wie im langsamen Satie der Kanon in der Umkehrung, auch seltenere Arten verwendet. Auf Mo- mente schweigt die kanonische Kunst, und vor dem Einerlei bewahrt ein häufiger Wechsel in der Besetzung der führen- den Stimmen. Den größten poetischen Wert hat unter den vier Sätzen der Gdur-Suite das Adagio, eine ernste

Betrachtung , Molto Adagt« e caatabfl».

über das Bach- ir Vi n^ry^H H^

sehe Thema: ^^^?^^^^^

Eine dritte Suite Grimms, die in Gm oll steht und j.o. Orlm», als seine bedeutendste Arbeit gelten darf, kam anfangs Soite in Kanon- der neunziger Jahre heraus. Doch ist sie wenig bekannt 'o"°> geworden und wird mit ihrer soliden Art der pikanten '^ ^^^^^^' Richtung gegenüber, die mittlerweile in der Suite zur '* Herrschaft gekommen ist, auch einen schweren Stand behalten.

Einen Nachfolger auf seinen kanonischen Pfaden fand g. ^Adagiohn, Grimm in S. Ja das söhn, welcher in seiner ersten Sere- Drei Serenaden, nade (Gdur) den Kanon als die Form für leichte Gedanken und kleine Scherze benutzt. In seiner zweiten Serenade

668 ^-

(D dar) hat derselbe Komponist auf den Kanon verzichteti in seiner dritten (A dar) ihn auf einen heitern Satz (Inter- mezzo) beschränkt, dafür aber in beiden Werken eine Vertiefung des Inhalts angestrebt, est. SaeBs, Von bemerkenswerten ausländischen Suiten ge- SQit« atgtfrieime. hÖrt ZU dieser archaisierenden Abteilung das op. 00 von C. St. SaSns. Das »Pr61ude< ist ein Kanon mit wechseln- den Instrumenten, der in seiner Stimmung etwas an den ersten Satz vom G molI-Konzert des Komponisten erinnert. Der zweite Satz, Sarabande, bringt sehr anmutige Varia- tionen über ein Thema, das dem von Händeis »Lascia ch' io piango« nachgebildet ist. In der charaktervollen »Gavotte« zeichnet sich das Trio durch die liegende Stimme der Violinen romantisch aus. Der Schlußsatz, eine »Romanze«, verläßt wider allen Suitenbrauch die gemeinsame Tonart (D) und steht in G.

Die kontrapunktische Gruppe der modernen Suiten- komponisten ist allmählich durch eine andere Richtung verdrängt worden, welche ihren Ausgang yon den Diver- tissements Mozarts, von den Gartenmusiken des 18. Jahr- hunderts nahm und den Nachdruck auf den idyllischen und einfachen Charakter der Gattung legte. Der nach Zeit und Rang erste Repräsentant dieser zweiten Gruppe der modernen Suite ist Johannes Brahma. Leider hat er nur zwei Serenaden geschrieben. Sie stammen je- doch aus der besten Zeit des Komponisten und sind mit den »Mageionenromanzen« nicht bloß gleichaltrig, son- dern auch innerlich verwandt. Der jugendlich schwär- merische Ton, der sie auszeichnet, stellt sie unter die schönsten und liebenswürdigsten Äußerungen des neuesten Serenadengeistes, die Natürlichkeit der thematischen Er- findung weist sie unter die Hauptwerke des Komponisten. Eine gewisse Unreife verraten sie in der allzu breiten j. BrAhitti Ausführung einzelner Sätze- Die erste Serenade (Ddur, Serenade in op. 11), welche im Jahre 1862 erschien, besteht aus Ddur. sechs Sätzen. Sie beginnt mit einem großen AUegro in breiter Sonatenform, in welchem der pastorale Ton vorherrscht. Das Hörn, ein Lieblingsinstrument des

669

Komponisten, stellt als Hauptthema eine naiv fröhliche Melodie

Jülefro molto.

i

<i'^'jNJjJijj.jjijjjjij.j)jjiigii:

hin, welche von primitiven Harmonien begleitet und in ungenierten Modulationen weiter geführt wird. Das ainnige zweite Thema tijtt in einer Fassung auf, die Brahms original zugehört

j»M/r.

Celli und Bratschen nehmen die zarte Schwärmerei so- fort auf und geben ihr im Verein mit den Holzbläsern den intimsten Abschluß. Ein kurzer Nachgesang, aus welchem das reinste Glück des Herzens spricht, geht in ein freudig hüpfendes Seitenthema

über, welches das Material für den Anfang der Durch- führung liefert. Letztere selbst trägt in einzelnen ge- künstelten und gewaltsamen Stellen die Merkmale der Entwickelungszeit des Komponisten. Eigentümlich schön ist der Eingang in die Reprise des Satzes. Dureh ein der D dur-Hannonie eingeschobenes C rückt das kecke Hornthema hier in ein überraschendes und das Ende der Szene kündendes Dämmerlicht. Der Schluß des Satzes ist außerordentlich subtil: ein zartes Solo der Flöte, zu welchem Bratschen und Klarinetten dezent die Harmonie hinzufügen.

Der zweite Satz (Scherzo, Dmoll, 3/4) hat in seinem Hauptthema:

670

Allegro Bon trepp

Ähnlichkeit mit dem in

Brahms' zweitem Klavier-

«•• konzert. Die Stimmnng zeigt auf ein pochendes Herz und wird erst vom Seiten- satze ab ruhig-freudig. Ihr thematischer Ausdruck zeigt von da ab Wiener Einflüsse, der Seitensatz Schubertschen :

Haydn-Mozartschen.

Der Wert des Adagio (B dur, V4) '^^^ besonders auf dem Hauptthema, welches eine der herrlichsten melodi- schen Erfindungen von Brahms bildet:

AdAgio HOB iroppo.

Noch schöner fast ist der konzertierende Nachsatz:

J3

j Ihm folgt eine Episode mit folgender Melodie:

671

ÄuchihreBe- gleitang mit murmelndeD

Zweinnddreißigstelfiguren erinnert an die »Szene am Bach€ in Beethovens Pastoralsinfonie. Das Adagio zer- splittert sich von da ab einigermaßen und verweist die Aufmerksamkeit vorwiegend auf feine Details.

Den vierten Satz bilden zwei zusammengehörige Menuette (G dur der erste , G moll das Alternativ), welche den Originalcharakter der alten Serenade aufs drastischste wiedergeben. Namentlich der Gdur*Satz ist ein originelles, kostbar drolliges Genrebild, zu welchem die moderne Suitenliteratur vielleicht nur in dem Wäl- zer von Volkmanns F dur -Serenade ein nahestehen- des Seitenstück aufzuweisen hat. noder&td. Nur die beiden Klarinetten und ein ^ f j. JXl |^j J p| Fagott spielen es; Jene geben die F > * j^ ^# * i ^ '\^ Anmut und Liebenswürdigkeit in ^ das letztere bringt ^ ^ ^ „,■, _. in mit welchem

es die Melo-

•*•• die begleitet,

in dem komi- schen Murkybaß das Kostüm der alten Zeit hinzu.

Ein als fünfter Satz folgendes Scherzo (Allegro, 8/4} beschwört in seinem Hauptthema:

AlUrro.

den Vergleich mit Beethovens zweiter Sinfonie (Trio im Scherzo) etwas zu keck herauf und wird bei Aufführungen am besten gestrichen.

Ein Rondo beschließt als sechster Satz die Serenade. Sein Hauptthema:

welches einen deutlichen Anflug Schumannschen Wesens hat, paßt sehr gut zum Bilde einer fröhlich nach Hause

672

siehenden Gesellschaft. Unter den Nebenthemen des Satzes hat das folgende:

für die Entwickelang and Durchföhrang hervorragende Bedeutung. i. Bmlmig, Die zweite Serenade von Brahms (Adar, op. 16), nur

3erenado Nr. 2 wenig jünger als die in Ddur, verhält sich zur letzteren (Adur). ^^ ^j^ Schwester zum Bruder. Sie ist noch zarter, heim- licher, inniger und tiefer; zu gelegener Zeit kehrt sie aber auch den Wildfang noch stärker heraus. Über ihrem Klang liegt ein mattes Kolorit: wie im ersten Satze vom »Deut- schen Requiemc und dem des Cherubinischen (CmoU), wie in Möhuls Uthal sind die Violinen weggelassen und die Bratschen führen das Streichorchester. An formeller Reife steht die Adur>Serenade über der ersten, an äußerer Wirkung unter ihr.

Der erste Satz(Allegro moderato, (^, Adur) hat zum Hauptthema eine jener unscheinbaren, für Brahms be- zeichnenden Melodien, deren seelischer Gehalt sich erst bei näherem Eindringen erschließt:

Allef ro uoderato. cur.

Das zweite Thema, welches der glücklichen Stimmung einen lebhaften, aber immer noch reservierten Ausdruck gibt, hat Wiener Lokalton:.

F*-

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fi- fi -

rtr\''^,ffXD%i\^y

-^ 673 ♦—

Unter den Seitengedanken, welche zwischen den beiden Themen auftreten, ist der ^

folgende W TT I | |, | mT 1 1 |ltlVI I J führnngvon Wichtigkeit: *r ' '^ ' ' ' ' *

Er geht in eine ^ ^ ^^ ^ an die Mage-

Episode über, Ä m^ m \f ^ m'\T f ä \T T lone - Ronian- deren Motiv : ^'^ ' ' ^ " ' zen des Kom-

ponisten erinnert.

Der zweite Satz, Scherzo (Vivace, 3/4, Cdur) vertritt mit dem Finale die energi- vivace.

sehe Heiterkeit in der Sere-

nade. Sein Hauptthema ^' f von den Bläsern frisch herausgeschmettert, beherrscht den Satz aliein. Wie in ihm und in der Mehrzahl der Themen der A dur-Serenade, tritt auch in dem sanften Trio die Melodie Arm in Arm mit einer Parallelstimme auf:

^j'jjj'jii'jjj'^j.^'jjjijiiir'i

Das ganze Scherzo hält sich in knappen Dimensionen. Der dritte Satz : Adagio (i^/g, A moll), hat als erstes Thema

^ Adagio. ^ ^

foWndPa. ^^ I I J.lj I j,^ . I , ^.J Jy,l r\ ^ Es

wird von nachstehen- der Baßfigur begleitet Sie schließt sich den Modulationen der Melodie in Trans- positionen an und bleibt ihr immer zur Seite, wodurch der Hauptteil des Adagios sich der Form des alten Passacaglio, den Brahms ja bekanntlich auch sonst, zuletzt noch in seiner vierten Sinfonie verwendet hat, nähert. Der Charakter des Satzes ist ruhig, sehnend, sinnend und träumerisch. Die erregten Momente dOstrer Leidenschaft in ihm jt iJ^^J^ j—- zum Ausdruck und kommen mit dem hef- y jäi = gehen schnell vor- tig einsetzenden Motiv jyT über. Brahms ent-

flieht ihnen durch einen Sprung in das ganz entlegne Asdur. Hier setzen zunächst die Hörner mit einer freund-

Kretztehmar, Fftlirer. T, 1. 43

674

lieh schwärmerischen Melodie ein, die in den Stimmungs- kreis zurückführt, in dem die Serenade begann. Dann folgt ihr in den Holzbläsern das eigentliche zweite Thema:

|iMi-^>f^fK'Tf-rT"ni|iT^'^'^fi^

Mit der ihm zagehörigen Gruppe bildet es nur ein aus- drucksvolles Intermezzo. Weder die Durchführung noch die Reprise wissen von ihm.

Der vierte Satz: »Quasi Menuettoc (Ddur, ^4)» ^^ durch das zögernde Element, welches seine freundliche Stimmung und seinen schlichten Melodiehau beherrscht:

Hauptsatz.

^iiiHT.i jij I j Uli if iij I I iiiijTi

Qn ii ii "I H"

Trio. Ok

cte.

eigentümlich charakterisiert.

Der Schlußsatz: >Rondo< (Allegro, ^/^ Adur), erhält durch die Hauptthemen

.^-^ AUegro.

(fhj\if\t\»fr\fifVfi^vtiiß^^^

sein fröhliches Gepräge. Die liebenswürdige Schüchtern- heit, welche in den Gesichtszügen dieser Serenade einen hervortretenden Teil bildet, blickt noch einmal aus dem kleinen, dem zweiten Thema vorhergehenden Seitensatze, in welchem sich Klarinetten und Fagotte, anfangs in

675

kanonischem Stile, über das Motiv:

unterhalten.

Der von Brahms aufgestellten Ideenrichtung folgt auch Robert Volkmann in seinen drei Serenaden fQr Streichorchester, hält sich aber in knappen Formen. Das Schema der ersten und der dritten Serenade gleicht dem der kleineren sinfonischen Dichtungen Liszts, die zweite bildet eine Suite von vier selbständigen und getrennten, aber kurzen Sätzen. Die Serenaden von Brahms können eine Sinfonie ersetzen, die von Volkmann eignen sich sehr gut zu Zwischennummern im Konzert und sind als solche auch außerordentlich beliebt. Dem Inhalt nach gehören sie zu den gelungensten und gehaltreichsten Leistungen der neueren musikalischen Genremalerei. Die poetisch bedeutendste unter ihnen ist die dritte (Dmoll) J- Tolk«iiii«, mit dem Solocello. Der Solist hat in dieser Sere- foJJJii ^)* nade eine ähnliche Rolle wie der Solobratschist in ^ > p* Berlioz' Haroldsinfonie. Das Cello personifiziert einen Melancholikus , der in allen . Xitrgbetto, non tl^ppo^ Lagen immer wieder auf sein Leibthema zurückkommt:

Ob der Chor zustimmt oder widerspricht, der Cellist bleibt bei diesem Motiv; wird jener heiter und ausgelassen, so sieht er einsilbig zu, und das Freundlichste, was sich ihm abgewinnen läßt, ist eine elegisch klagende Melodie :

Andante«8preMlTo.-^ a '^ -s "^^* welcher

Aiirr crrr ir r rr/r irrrpifr^^ dieiebendigge-

*^" tjf -<==*• haltene Kom-

position auch einen rührenden und versöhnenden Ab- schluß erhält.

Die beliebteste unter den Serenaden Volkmanns ist >• TolksaBa, die zweite in Fdur und zwar wegen ihrer zweiten Num- ^^T***!* ^ mer, einem Walzer über folgendes Hauptthema: ^ "* ''

Allafretto moderato

m

Es ist eigentlich kein Walzer, sondern ein Walzerchen, ersichtlich für alte Leute gedacht ein Kabinettstück

43^

-^ 676 ^e^

liebenswürdig altfränkischer Musik. Von den beiden Tei- len, aus welchen der 6rste Satz der Serenade besteht: AUegro moderato (Fdur, 3/^ undMoUo vivace (Dmoll) s/4}, ist der zweite der originellere: Mit imposanter Konse- quenz und doch reich an Abwechselung un4 effektvollen Steigerungen ist er auf folgendes spröde Motiv gebaut: .^ ^ ^ Besonders schön ist der Ein-

i L u rrm '^- "• r fn ^^ i^^ seines Mittelsatzes in Ddur.

fr , ^^ UäLi ^ ' Oie Serenade schließt mit einem

Geschwindmarsch. Die dreitak-

tige Konstruk- Allegto moderato. _

die Akzentuierung in ihm und in dem ganzen Satze ver- raten die ungarische Atmosphäre, welche alle drei Sere- naden Yolkmanns mehr oder weniger durchweht, be- sonders deutlich. K. YoikMftiAi, Die erste Serenade Volkmanns (Cdur) wird Von dem-

Serenade Nr. 1 selben kräftigen Maestoso alla Marcia, welches sie eröffnet, (Cdiir,0p.62|. ^^^Y^ beschlossen. Die Mitte der Komposition nimmt ein längeres AUegro vivo ein, welches auf Grund des Thema: Ano^Tivo. ^ ^ ^.^ . eine Reihe

kecker, trot- l^""*"" ^ .-=— »-*j ziger Gänge

tut. Die schönsten Partien der Serenade bilden die beiden langsamen Sätze, welche dieses AUegro vivo einrahmen. Der erste Satz ist sehr kurz in der Weise der überleitenden Largi Händeis, der zweite hat die dreiteiligeLiedform, ^„,^^^ ^^^^^^^^^

zum Hauptthema folgende edel sen- timentale Melodie: i.

Kurz vor seinem Tode hat auch Niels Gade den

neuen Suitenschatz mit mehreren liebenswürdigen Arbei-

N. Oade, ten bereichert. Die erste davon sind die »Novelletten«

Novellettcn. für Streichorchester (op. ö3). Von den vier Sätzen dieser

kleinen Suite, die sich auch als Sinfonietta vorführen

ließe, sind der erste, der zweite und vierte einer feinen,

677 ♦^

gebildeten Fröhlichkeit gewidmet. Hie und da mischt sich in das geistige Geplänkel launiger Reden ein recht wehmütiger Ton, wie ein Rückblick auf Jugend und auf Mendelssohn. Der dritte Satz, ein Andante, spricht in den kurzen sinnigen Fragesätzen des Vaters der Novel- lette: R. Schumanns. Besondere Bewunderung verdient noch der Stil des reizenden und anheimelnden Kunst- werkchens, der ohne gerade mit Schulweisheit zu prunken die Stimmen unter einander in die interes- *

santesten Verbindungen bringt und jeder einzelnen Frei- heit und eigne Bedeutung sichert

Die zweite dieser Gadeschen Suiten: >Ein Som- if*tiade, mertag auf dem Lande« (op. 65), besteht aus fönf^^P^^T"*^?^ Sätzen: 1. Früh, 2. Stürmisch, 3. Waldeinsamkeit, 4. Humoreske, 6. libends, Lustiges Volksleben die die versprochnen Tonmalereien in der gelassenen Weise der alten romantischen Schule ausführen. Die »Waldein- samkeit« und der Schlußsatz sind die besten Stücke, jene durch ihren warmen Ton, dieser durch die sinnige Andeutung der Abendstimmung. Die Nummern, welche Kraft und Frische verlangen, bleiben hinter den berech- tigten Erwartungen.

Mit einer dritten Orchestersuite : Holbergiana (op. N. o»de, 61), hat Gade eine Aufgabe durchgeführt, die auch Edv. holbergiana. Grieg bei der gleichen Gelegenheit Holbergs zweihun- dertstem Geburtstag in ähnlicher Weise gelöst hat. ^ Auch diese Komposition ist etwas umständlich und red- selig und läßt die Knappheit und Gewichtigkeit vermissen, die der Suite in der alten guten Zeit zu eigen war. Aber sie steht über dem Sommertag Gades durch die Anschau- lichkeit und den Gehalt der Thematik. Der Plan des Komponisten war wohl der, die verschiednen Seiten von Holbergs künstlerischem Charakter musikalisch aufleben zu lassen. Der erste Satz (Moderato, Tempo di Minuetto, 3/4, Gdur) zeichnet uns erst in weichen, sanften Weisen, die aus Dittersdorf und aus Naumann genommen sein könnten, den humanen Philosophen, den Verfasser der »Moralischen Episteln«. Die Durchführung beginnt ani-

678 ^-^

mato und in Moll, scharfen erregten Tons. Da kommt wohl der Satyriker, der rücksichtslose Feind alles Un- rechtes zu Wort. Der zweite Satz (Allegro scherzando, s/4, EmoU) bezieht sich auf den Schöpfer der dänischen Komödie. Ein ausgelassenes, in seinen Rhythmen sprü- hendes, in den Intervallen keckes Thema wird fagiert ein Bild von dem flotten Treiben der Holbergschen Last- spiele und ihren fröhlichen Verwickelungen. Eine alte Melodie aus dem 18. Jahrhundert, die in der Mitte des Satzes (mit Edur) eintritt, bezeichnet das volkstfimliche Wesen von Holbergs Kunst. Von andrer Seite her knüpft auch der dritte Satz (Andantino, 8/4, DmoU) an diesen Punkt an: er ist eine Instrumentalballade die, ähnlich wie dies in Gades CmoU-Sinfonie geschieht, von alter nordischer Zeit, von Leiden und Freuden eines ernsten kräftigen Geschlechts erzählt. Mit dem zweiten Satz der Suite teilt dieser dritte die Fülle und Echtheit der Stim- mung, er übertrifft ihn aber in der Freiheit und Mannig- faltigkeit von Form und Ausdruck. Die Erregtheit des Erzählens äußert sich in Rezitativen und dramatischen Wendungen. D^e Suite schließt mit einem Allegro festivo, das an die Entr^es der alten französischen Oper erin- nert, an Festaufzüge mit wechselndem Personal und Ballettvorstellungen. Halb und halb schlägt dieser Schluß- satz auch den Ton wehmütiger, pietätvoller Erinnerung an. Nach der Wiederaufnahme des Hauptsatzes (Gdur, Vi) gereift er auf die zweite, die Komödiennummer der Suite zurück, und ganz am Ende fallen wie im Kaiser- marsch R. Wagners Singstimmen ein. Sie rufen »Vivat Holberg !€

Unter der großen Zahl weiterer Tousetzer, welche sich an Brahms und Volkmann angeschlossen haben R. Fuchs, A. Klughardt, J. Brüll, H. Reinhold, V. Stau- ford, A. Birdetc. nimmt nur Robert Fuchs einen festen und der Stellung jener Vorbilder naheliegenden Platz im Repertoire ein. Seine drei Serenaden für Streich- orchester, oft gespielt und gern gehört, sind das Produkt einer harmonischen Künstlernatur und jener feinen Bü-

--t 679

dang, welche auch bekannte und gewöhnliche Ideen mit neuem Interesse zu umgeben vermag. Ein besonderes Talent zeigt Fuchs in seinen Serenaden als Kolorist Mit den einfachsten Mitteln, Verdoppelung von Mittelstimmen, Teilung der einzelnen Instrumente, entwickelt erin seinem Streichorchester ein Leben, eine Abwechslung, einen Reiz im Klang, welcher die Wirkung der einfachen Serenaden- gedanken wesentlich erhöht

Die erste Serenade von R. Fuchs (Ddur) zeigt viel B.F«öhB, durchdachte Detailarbeit und Hinneigung zu den kleine- ^^'^j!?^ ^'* * ren Künsten der Kontrapunktik. Die Themen lieben das (^°u'>* interessante Halbdunkel der Mittel- Andante,

stimmen, emzelne Motive, welche, wie das die Serenade eröffnende: platt anfangen, werden durch Nachahmungen und Um- bildungen veredelt. Durch Innigkeit der Empfindung zeichnet sich unter den Sätzen der Serenade der Gesdur- Teil des Allegro scherzando aus. Der breiteste ist der Schlußsatz (D moll, ^/g). Sein Durchführungsteil verlangt Aufmerksamkeit auf das Motiv:

iJ ij/j JtJ"j??p

welches vom Hintergrunde aus längere Zeit neckisch drohend den Satz beherrscht. Das zweite Thema dieses Finale läßt von Ferne den traulichen Wiener Walzerton hören.

Die zweite Serenade von R. Fuchs (Cdur) ist leb- B.F«olif, hafter als die erste und neigt dem Volkston mehr zu als Serenade Nr. 2 jene. Am kecksten kommt er im folgenden Thema des (Cdar). Finale zum Ausdruck:

(f^^^^llr_p^^l^p^n^^M |ii^i ,

•tc

Das Larghetto dieser Serenade besteht aus Thema und vier Variationen, welche, zwischen Dur und Moll wechselnd, vorwiegend figurativ gehalten sind«

--• 680 A^-

B.Faehi, In die dritte Serenade (Emoll) klingen, wie bei

Serenade Nr. 8 Volkmann, Ungarische Elemente herein. Ihr schönster (EmoU). g^^2 ist das zarte AUegretto graziöse mit dem in der Bratsche versteckten Thema. [. Hoeskowski) ^nen schnell vorübergegangnen größeren Erfolg in Suite. ^Qf Soite hat in der Fuchsschen Generation M. Mps- zkowski mit zwei Arbeiten errungen, die, von einem virtuosen Orchester vorgetragen, dem Ohr manches Aparte und Erstaunliche bieten, hie und da auch geistige Be- deutung erstreben. Geschichtlich sind sie bemerkenswert als Beispiele fQr das Eindringen modern französischen Ballettgeistes in die deutsche Komposition und haben er- sichtlich mit ihren pikanten Reizen in der neuesten Or- chestersuite etwas Schule gemacht.

Unter den zeitlich folgenden Beiträgen zur Suite ver- dienen die Serenade von F. Draeseke und die sinfonische Suite von E. N. v. Reznicek besondere Hervorhebung, jene, weil sie den richtigen alten Snitenton so vorzüglich trifft, diese, weil sie ihn gänzlich verfehlt. F.Draeieke, Die Serenade von Felix Draeseke (Op. 49, Ddur) Seronade. jg^ gj^e ^^j liebenswürdigsten Orchesterkompositionen der .neueren Zeit. Sie ist ersichtlich in glücklichen Tagen entstanden und zeigt uns den charaktervollen und kunst- gewaltigen Tonsetzer, der wegen seiner schwierigen Kon- trapunkte und wegen seiner Herbheit zuweilen gefürchtet wird, als einen Idyllendichter von reinster Naivität und köstlichstem Humor. Einigermaßen archaisiert auch diese Serenade, ungefähr so, wie es Vautier und Fritz Kaul- bach auf ihren Bildern aus alter Zeit gern tun, so wie es auch Brahms in seiner D dur-Serenade gehalten hat. Mit diesem Werke berührt sich Draesekes Serenade viel- fach in der Stimmung. Denn beiden hat das gleiche Vor- bild vorgeschwebt: Mozarts Divertimenti, beide Kompo- nisten haben sich in die entschwundne Poesie des 18. Jahr- hunderts mit seinen Gartenmusiken, mit seiner engen Verbindung zwischen Leben und Kunst zurückversetzt. Draeseke ist bis in die Instrumentierung hinein dem Ton der alten Serenade gerecht geworden: er arbeitet mit

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einem sogenannten kleinen Orchester, das die Streich- instnunente, Flöten, Oboen, Klarinetten, Fagotten und 2 Hörner, umfaßt. Die zwei Trompeten and Pauken, die noch hinzukommen, wirken mehr drollig als prankhaft. Auch in der Zahl und Art der Sätze würde die Sere- nade von Draeseke den alten Bedingungen praktischer Verwendung durchaus entsprechen. Sie hat fünf Sätze, die einfach und knapp gehalten sind; nur das Finale greift weiter aus.

Eine richtige Serenade verlangt ein Stück für den Aufzug der Gratulanten. So eröffnet denn Draeseke die seinige mit einem Marsch, der folgendermaßen wohlge- mut und freundlich anfängt:

Allegretto Jeg^ero

\\ I cliii/ '

I Tl| II Till

Das in den letzten Takten dieses Beispiels angegebne Achtelmotiv, der Ausdruck einer gewissen Vorfreude, trägt nicht bloß die weitre Entwickelung der ersten Klausel, sondern liegt auch der ersten Hälfte des Nebensatzes zu Grunde. Erst in dessen Mitte setzen wieder hüpfende und springende Marschmotive ein. Das sehr kurze Trio (in G dur) knüpft ebenfalls an die erwartungsvolle Stimmung jenes Achtehnotivs an und geht in seiner zweiten Klausel an die Erzählung stillen Glücks. Der Marschsatz wird dann mit erweitertem Schluß wiederholt.

Dem Aufmarseh folgt logisch als nächster, zweiter Satz ein >Ständchen« (Andantino, ^/g, Fismoll). Der Liebhaber spricht durch die Stimme eines Solocellos zu- erst seine Verehrung aus:

And&ntino-

f> Motto e$pr.

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Diesem ersten Thema folgt ein Seitentbema, in dem die Rede flüssiger, herzhafter und heitrer wird:

Das eigentliche zweite Thema, 1 im Charakter gemütlich und zu-

traulich, wird von den Bratschen eingeführt:

ift:

etcft

Vespr,

Oberhaupt folgt in diesem zweiten Teile das Soloinstm- ment dem Chor, eine Abwechselung, durch die die Form dieses Ständchens sehr hübsch belebt wird. Die Rück- kehr zum ersten Thema und zur Haupttonart vermittelt das oben angeführte Seitenthema mit dem Sechzebntel- motiv. Ehe ein Thema überhaupt einsetzt, hören wir immer acht Takte, die ganz lose präludieren, Tonart und Rhythmus festsetzen ; nur die erste Violine tritt ein wenig melodisch daraus hervor. Am Schluß dieses Präludiums gleicht der Klang dieses Orchesters dem einer Gitarre. In seiner Harmonie tritt ein dissonanter Akkord stark hervor, den der Komponist im zweiten Teil des Sätzchens überraschend im Thema erklingen läßt. Eigentümlich ist auch das Ende des Sätzchens, es macht den Eindruck einer eingetretenen Störung, als sei der Künstler, der die Huldigung bringt, aus dem Text geworfen.

Denkt man hier schon an Berlioz' Romeo, so noch viel mehr in dem folgenden, dritten Satz der Serenade (Andante, ^/g, Adur], der als Liebesszene betitelt ist, und wie aus der Verwandtschaft in der Harmonie schon vermutet werden kann, wohl als Fortsetzung des Ständ- chens aufgefaßt werden kann. Wir verstehen jetzt den kleinen Aufruhr am Schluß der vorhergehenden Nummer: die Geliebte, der das Ständchen galt, ist gekommen. Auch in diesem Satze kann von einer Berührung Draesekes mit Berlioz gesprochen werden; sie äußert sich in einer

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gewissen Gemeinsamkeit von Ton und Stimmung, einer außerordentlichen Zartheit und Zurückhaltung im Aus- druck des warmen Gefühls. Es ist eine Liebesszene, bei der glühende Sinnlichkeit ganz ausgeschlossen ist, sie hat einen Zug von Rührung und Frömmigkeit; man kann an eine Liebe denken, die durch schwere Hindernisse .gegangen, die alt geworden ist Die Form, die Draeseke hier wie im vorhergehenden Satz für seine Darstellung gewählt hat, ist ungefähr die der Sonatine. Die zwei Themen

Andftnte.

r 7

und

Oello.

folgen unmit- telbar aufein- ander. Das

erste trägt den Charakter edelster Heimlichkeit, das zweite, mit dem der Vortrag Dialogformen annimmt, zeigt, wie

sich die Herzen öffnen. Ihm J^^^ * ^

folgt ein sehr zärtlicher Nach- -i M Cmilrf f—^^f ] satz, der sich auf das Motiv: ff. i^"» . i

stützt und namentlich in der Quart, mit der es schließt, Träger freundlicher und starker Hoffnung wird. Die ganze Themenreihe wird zweimal vorübergeführt, das zweite Mal mit Veränderungen und Erweiterungen. Dann folgt ein freier Schluß, der, durch Rezitative in Klarinette und

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CeHo eingeleitet, dramatisch verläuft und sow<^ in Wärme wie in Innigkeit des Ausdrucks die Krone des ganzen Tonbildes bedeutet

Mit dem folgenden Satze, einer Polonaise' (AUe- gretto con brio, V4i Ddur), wird aus der Gartenmusik ein Gartenfest mit großer Gesellschaft. Diese Polonaise ent- faltet Prunk und VirtuosiUt (Klarinette). Das Trio (Gdur, un poco meno mosso) ist als eine Szene abseits gedacht, in der zwei Liebende in innigen Tönen Zwiesprache halten. Der Lärm des Festes klingt in versprengten Rhythmen herüber, die die Homer, die Celli, auch ein- mal die Klarinetten in die Ruhepunkte des Gesangs hin- einwerfen.

Das Finale (Prestissimo, d Ddur] ist ein Sonaten- satz. Sein erstes Thema:

^J,

i> - - - : :

aus dem Freude und Befriedigung im langen Zuge strömt, setzt nach einer kleinen Einleitung ein, in der das Viertel- motiv seines Anfangs zu einem Ausbruch des Humors verarbeitet wird, der durch die Trugschlüsse einen kecken, übermütigen Zug erhält. Mehrfach begegnen uns im Satze solche freie Wendungen guter Laune, am über- raschendsten bei dem B dur-Einsatze des zweiten Themas in der Durchführung. Dieses zweite Thema selbst ist in der Stimmung mit dem ersten verwandt, nur äußert er sie ruhiger. E.N.T.BesBieeky Auch an der Suite von E. N. von Reznicek, der Sinfonische durch die Oper »Donna Diana< zuerst bekannt wurde, Suite. |g^ ernstlich nur die mißverständliche und irreleitende Benennung zu beanstanden. Denn die Suite war jeder-

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zeit ausgesprochenste Gesellschaftsmusik; hier aher stehen wir vor ganz und gar subjektiver Kunst. Der Komponist scheint diesen Sachverhalt gefühlt zu haben, als er seine Arbeit als sinfonische Suite bezeidinete. Die drei Sätze, aus denen sie besteht, sind wohl ein Niederschlag von tief greifenden persönlichen Erlebnissen und Schick- salen ihreß Verfassers; ein Zug leidenschaftlicher Er- regung geht durch das Ganze, der alle diejenigen Zuhörer, die gewöhnt sind, in der Suite von allem Pathos und allen sedischen Strapazen loszukommen, befremden muß. Die kleine Enttäuschung wird hofifentlich immer schnell über- wunden. Denn Rezniceks Musik ist ;swar nicht thema- tisch originell, sie zeichnet sich aber aus durch Klarheit und Knappheit, durch eine unmittelbare, dramatische und lebenswahre Empfindung. Dazu kommt noch eine sehr farbenscharfe, wirksame Instrumentierung. Die Suite Rezniceks steht in dem neuen Zuwachs zur Gattung wie eine Traueresche in einer Lindenallee, sie ist aber nicht bloß merkwürdig, sondern auch wertvoll und der später erschienenen »Tragischen Sinfonie« des Komponisten vor- zuziehen. Indessen hebt sich auch diese mit dem düstren, im 7/4 l'&kt gehaltnen Thema des Schlußsatzes weit über die Mittelmäßigkeit.

Der erste der drei Sätze (C» Emoll), Ouvertüre be- nannt, entwickelt sich um zwei Themen, deren Anfänge:

genügend er- kennenlassen, I ^ ~i wie deutlich

^rg ^ j- ^^^^ <Je' Kompo- nist deuGegen- sat^ zwischen dem Sturm der Gefühle und der Sehnsucht

Sehr rtsch and mit Faaer.

jp eon moito §spFt9at9n$

nach Frieden gestalte^ hat. Das zweite muß, wenn es die höchsten Wirkungen ausüben soll, immer plötzlich eintreten; die Kunst des Komponisten hat sich in den Obergängen zu zeigen, die aus ihm nach der Aufregung

^

686

des Hauptthemas zurückführen. Sie haben überall den Schein großer Natürlichkeit. Der Aufbau des ganzen Satzes vollzieht sich im bekannten Sonatenschema, die Durchführung ist kurz gehalten, der Schluß versichert: daß für weitre Anfechtungen und Prüfungen noch ein großer Vorrat von männlicher Kraft vorhanden ist

Der zweite Satz (Adagio, V4« Fdnr) tut einen Schritt weiter nach der Richtung, aus der das zweite Thema des ersten Satzes entgegenleuchtete. Er wendet sich der Hoff- nung schon mit dem ersten Thema:

* \0 '' in! f ly il'l I Ulf I

zu. Noch entschiedner, mit mächtigem Schwung, ge- schieht das aber im zweiten

Thema, das sich vom folgenden Anfang aus:

zu einer zwölftaktigen, schön modulierenden, auf energi- sche Bässe gestützten, in den Geigen hochsteigendenMelodie entwickelt. Im Hauptthema fällt die Dissonanz sehr auf, die beim ersten Eintritt im zweiten und vierten Takt ange- schlagen wird. Bei der Weiterführung des Themas wird sie zwar vermieden, aber es bleibt an ihrer Stelle immer ein fremder Ton, mit dem entlegne, vereinzelte Stimmen in hohen Lagen einsetzen. Die Erinnerung an Leid und Un- glück, die in diesen seltsamen Akkorden stechend mitgeht, lebt in dem Adagio auch noch in einer andren Form leise auf: in einem chromatisch klagenden Motiv, das (in Fagott und Bratschen, dann auch in den Geigen und Oboen) aa 4( ^ s die kurze

net. Bald lassen sich auch die punktierten., heftigen

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Rhythmen vernehmen, die die Haiuptträger des Unfiriedens waren, der die Ouvertüre beherrschte. Die Wiederholung bringt das Hauptthema in einer Ächtelvariation ; eine längere Coda zeigt nochmals auf den ganzen Umfang seines be- ruhigenden und verheißenden Inhalts.

Den dritten, den Schlußsatz seiner sinfonischen Suite (Sehr rasch, 3/4, EmoU), hat der Komponist Scherzo finale betitelt Es sind aber ausschließlich bittre Scherze, zu denen sich der Komponist versteht, und der Humor, der hier waltet, ist der sogenannte Galgenhumor. In seinem pessimistischen, zuweilen dämonischen Charakter, in s^nem trostlosen, verzweifi^ten Ausgang hat dieses Finale wenig Seitenstücke; als Suitensatz ist es völlig unerhört' Auch formell bietet es dem Zuhörer Schwierig- keiten. Eine der ersten bereitet schon das Hauptthema:

Sehr rssCh und «rr«gt.

1 (Hörner gestopft.)

-j- I dessen verzwickter Rhyth- i^r. -9 -9 |j5. ^\\ji ni'is sich nur widerwiUig in

^ Bewegung setzt Es zieht ein Gefolge von allerhand elenden Stimmungen nach sich, die sich 'in winselnden und sich krümmenden Motiven äußern, es tritt in Bettlergestalt auf und im Ton der Em- pörung. Unter den Nebenthemen, die in seiner Gruppe auftreten, tritt klagen^ ein schwankender Gesang hervor, der zuerst in Oboe und Bratsche erscheint:

Ihm folgt dann das eigentliche zweite Thema des Satzes, zwar in gehaltener Stimmung, aber voll Resignation und Leiden:

Violloen 811I O

-^ 688 4^

_ ^ , ' -^ _ ^_ Es wird sofort mit dem

'"J^Ji I J i|J O I r f r I r Hauptthema kombi- ^ /etcniert; neben dieser

Kombination gelangt noch das aus einer zufälligen melodi- schen Wendung iii^__^__^_^4___^^ diesem Ab- hervortregange- fei'li ^^^ I 'J^^^J=lschrirttzuwesent- ne Klagemotiv :^ "^^^- =^- lieber Bedeutung. Der erste Teil des Satzes schließt mit einer kurzen leidenschaftlichen Wiederholung des Hauptthemas allein, die sich aus dem lauten Ton außerordenttich schnell in die Stille und ins Gespensterhafte verUert Die Durch- führung poltert mit den Rhythmen des Hexensabbaths herein und widmet sich dann bald der Durchführung einer Doppelfuge, die zum eirsten Thema das Hauptthema des Finale hat und mit ihm folgenden Kontrapunkt verbindet:

f^^i I i^;^j n I fTrTPii I n iip

l.« c. Wolf, Ein bemerkenswerter Altersgenosse der Suite Rez- Serenade. niceks ist die nur zweisätzige Serenade (op. 7) von Leopold Carl Wolf. Äußerlich zpichnet sie sich durch ein konzertierendes Klavier aus, innerlich durch die seelische Hingabe an Tanz und Reigen und deren noble Behandlung. Der größeren Verbreitung des liebenswürdigen Werkes hat wohl der hinkende Rhythmus des Hauptthemas des ersten Satzes im Wege gestanden. W. BrftMBfelf» Unter den im letzten Jahrzehnt neu veröfTentlichten Sfrtnade. deutschen Suiten ist die Serenade für kleines Or- chester (op. 20) von dem Münchner Walter Braunfels schnell die meist gespielte geworden. Sie entwickelt ge- wohnte Stimmungen froher und beschaulicher Natur mit gewohnten, einfachen Motiven, aber mit einer Freiheit des Vortrags, die das Interesse in ganz ungewöhnlichem Grade fesselt und den Zuhörer mit dem freudigen Gefühl erfüllt, eine frische, durchaus selbständige Individualität

689

vor sich zu haben. Das bei aller Liebenswürdigkeit etwas revolutionäre Wesen des Komponisten spricht schon aus dem Notenbild der Partitur, aus dem zuweilen verwegen bunten Wechsel des Taktes, des Tempos, der Harmonie, aus den vielen kecken, immer aber natürlichen und ge- schickten Kontrapunkten, mit denen er den Hauptthemen seiner Sätze ins Gesicht zu schlagen hebt. Am schönsten zeigt sich die außerordentliche Gestaltungskraft des Künst- lers, der seine tüchtige Schule auch durch gelegentliche Fugen und Kanons beweist, in der organischen Verbin- dung getrennter Sätze: Der ifreundliche Weckruf, mit dem der erste beginnt, beherrscht auch den zweiten Satz und kehrt im Finale wieder.

An Zahl der Aufführungen kommt der Braunfelsschen Arbeit Max Regers Serenade in Gdur (op. 95) am näch- sten. Sie gehört unter die besten Arbeiten des frucht- baren und noch immer umstrittenen Komponisten und fällt besonders dadurch stark ins Gewicht, daß sie seinen poetischen Beruf rühmlich und unwiderleglich bescheinigt. In dieser Beziehung ragt unter den vier Sätzen der Kom- position der erste am hoch- AUegro moderato^ sten hervor, weil er in seinem = Hauptthema von dem Anfang aus eine ganz eigentümlich schöne Serenadenstimmung feststellt und entwickelt. Dieser aus sittigem, dankbarem Herzen quellende Ton des stillen Glücks fesselt in seiner Schlichtheit und Liebenswürdigkeit ohne weiteres, erwärmt und erfreut, so oft er in dem breit ausgeführten Satze wiederkehrt, und bestimmt dessen Gesamteindruck. Schon im achten Takte wirds lustiger, die Freude spricht er- regter in bewegten und wechselnden Motiven, sie wandelt sidi in kräftigen, auf Dissonanzen gestellten Gängen zu einer Art Kampfeslust, die Gedanken richten sich auf Gegner und Widerstände, es kommt zu einer zweifelnden Frage. Da lenkt das zweite Thema:

r f r if'^ etc.

D_Gi8 1)

H E— A E— A— D

M. Beger,

Serenade.

Kretzschmar, F&lirer. I, 1.

44

f

-^ 690 <►—

zu der glückliclieii Ausgangsslimmung zurück und ganz folgerichtig beginnt die sofort anschließende Durchführung mit dem JBauptthema und der ihm zugehorenden Gruppe. Bald kommt in dieser Durchführung eine sehr frappante Stelle: Im AugenbUck der derbsten Fröhlichkeit bricht das YoUe Orchester auf einen Trugschluß ab, aus un- heimlicher Stille heraus klingen kurze Klagen, denen das Hauptthema in ganz veränderter, in trauernder Gestalt folgt Ein Fugato über eins <> # ^^g_ _ . der herzhalten Zwischen- g* T^LT f f f f I [1*^1* fj themen der ThemenraruDne: *• y:::^"^^— i^st:

themen der Themengruppe: hilft über die Krisis hinweg, das Hauptthema kehrt in verkürzten Rhythmen, in streitbarer Form wieder und ver- einigt sich dann mit dem zweiten Thema.

Wie sich aus diesen Proben ergibt, hat auch dieser erste Satz der Regerschen Serenade etwas viel kunstvolle Arbeit, er ist auch in der Qualität der Einfälle und den aus ihnen gebildeten Abschnitten nicht gleich gut, aber doch wird die sorglose Freude am Handwerk immer wieder von einer höheren Dichterkraft gezügelt. Sie hat auch die Disposition des Orchesters bestimmt: die Streicher sind in zwei Chöre geteilt, der zweite spielt mit Sordinen, der erste ohne Dämpfer. Der zweite ists, der in den beiden Schlußtakten des ersten Satzes das Hauptthema zum letzenmal intoniert Als der schönste Gedanke und als Seele der ganzen Serenade kehrt es auch im zweiten Satz (vivace a Burlesca] und es kehrt im vierten, dem Finale wieder. An Wert steht dem ersten Satz der dritte, ein einfach gesangreiches Andante semplice (Adur, 3/4) am . nächsten.

Eine gleich der Serenade von Braunfels aus der

Münchner Schule stammende, sehr erfreuliche Arbeit liegt

i.Bmt- in Anton Beer-Walbrunns »Deutscher Suite« (op. 22)

Wftlbraam, in Dmoll vor. Der Titel deckt keine Bflder spezifisch

Dentache Suite. ^^^^^jjj^jj Lebens, bedeutet aber wohl eme Absage an

neue, ausländische Musikmoden und Extravaganzen. Es

ist eine Suite nach dei^ alten guten Mustern der Zeit von

Brahms und Volkraann, und der Komponist sucht das

691 <^~

Deutschtum in einer freundlichen und gesitteten Phau« tasie auf der einen, in der Einfachheit und der Klarheit der Tonsprache auf der andern Seite. Die vier Sätze bestehen aus einem »Vorspiel«, in dem sich erregtere, sehnende Motive mit kurzen ruhigen Kantilenen ausein- andersetzen, einer »Elegie«, die den Sieg still froher HofE^ung über leichte Melancholie schildert, einem »Lied« , das ohne Worte Glück und Zufriedenheit in der Form von Thema und Variationen feiert, und einem »Reigenc, der das Ganze im Tone bewegterer Freude und heiteren Spiels abschheßt. Es sind für Jedermann verständliche und an- heimelnde Tonbilder, Dichtungen Geibelschen Schlages, durchweg natürlich, liebenswürdig anmutig und meister- haft knapp.

Für den Humor in der Grattung ist kürzlich unter B. ScUm» verdientem Beifall Bernhard S ekles mit einer Smte (op. 21) Kleine Suiu. eingetreten, die »dem Andenken E. T. A. Hofifmanns gewid- met« ist und in vier Sätzen Charakterbilder nach dem Creschmack dieses verwegensten und kuriosesten Kämpen deutscher Romantik vorführt. Beim ersten Satz (Scher- zando) scheint dem Komponisten eine der bei HofEmann häufigen Jongleurfiguren vorgeschwebt zu haben, die auf Schritt und Tritt iiberraschen und als Repräsentanten einer verkehrten Logik stets anders handeln und denken, als erwartet wird. Der musi->j-^j, „-^ ^\^^ f ^ ,i.pr»n _ E=^ kaiische Schlüssel des Satzes g^ H^ P'l I I II =tfc=^'=^ liegt gleich im Eingangsmotiv: dZZZZZZZZ

Der Widerspruch dieses es gegen den DmoU-Akkord setzt sich bis in die letzten Takte fort, wo endlich die Lösung: -P L*^ A ihr fr * erfolgt. In diesem Suchen nach dem 9 ' P I 'II 1^ richtigen Ton berührt sich der Satz mit dem Zauberlehrling von P. Dukas. Der Weg nach dem Ende ist wesentlich mit Ketten von Nonenakkorden und andren Harmoniespäßen gepflastert, es liegt aber auch in der tändelnden, schwankenden, rückgratlosen Melodiebü- düng viel Witz.

Der Kern des zweiten Satzes ist der Ausdruck der Beschränktheit im Thema des Menuetts. Es zeichnet

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einen offenbaren Dummkopf, der bläht sich nun des wei- tem auf und bringt es wirklich bis zu einem Schein voii Gravität und Größe. Das Intermezzo macht mit einem Gecken bekannt, der mit seinem Gefühl kokettiert Der Gegenstand des Finales endlich ist die sprechende Puppe Hoftmanns, die durch die Ofifenbachsche Operette welt- bekannt gewordene Olympia. E. T. DoiiHiBjly Auch die in FismoU beginnende, in Adur schließende Suite. Suite (op. 19) von Ernst von Dohnänyi gibt dem Hörer, wenigstens im zweiten und dritten äatz mancherlei zu raten, jener, das Scherzo, durch den verdrießlichen und unwilligen Humor des Hauptsatzes, der durch den zurück- haltenden und scheuen Charakter der freundlichen Ab- stecher sehr originell und schön kontrastiert wird, dieser, eine serenadenhaft präludierte Romanze, durch seine har- monisch merkwürdig schillernde, hell und dunkel blitz- schnell wechselnde Romantik. In beiden Fällen kommen fremdländische, außerdeutsche Musik- und Kulturelemente fesselnd zur Geltung. Das Hauptstück der Suite ist ihr erster Satz, der sechs Variationen über ein eignes Thema des Komponisten bringt, eigen auch durch seine Kon- struktion: der Vordersatz hat fünf, der Nachsatz vier Takte. Die Entwicklung folgt dem Prinzip des Kontrastes, der Preis unter den einzelnen Variationen, die sich all^ durch Klarheit des Charakters auszeichnen, würde bei einer etwaigen Abstimmung wahrscheinlich der ritterlichen zweiten mit den energischen Hörnern zufallen. Bei aller Einheitlichkeit ist der Satz dennoch stilistisch sehr mannig- faltig, die erste Variation z. 6. überrascht durch BläsersoU ' Lachnerschen Andenkens, aber in anderer und höherer Tendenz. Daß wir es in dem Komponisten mit einem Talent ersten Ranges zu tun haben, geht besonders aus der großen Menge musikalischer Elementareffekte, voran die rhythmischen, hervor. An den Ständchencharakter, der vom Anfang der Suite immer wieder einmal durch bloßen Akkord und Rhythmus markiert wird, erinnert namentlich der Schlußsatz: sein Hauptthema ist eine. Marschweise, die bedächtig beginnt und plötzlich nrkräftig

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dreiüschlägt, ihr Gegensatz eine Melodie mit ausgeprägt Bralimsschen Zug.

In einer andern Beziehung knüpft auch die Adur- H«i[Artoaa, Suite (op. 16j von Henri Marteau, der ja doch wohl Suite, der deutschen Musik zugezählt werden darf, an frühere Perioden, nämlich an die Zeit an, wo Fischer, Schmierer, Fux u. a. in die Orchestersuite Solospiel einführten. Durch die vier Sätze marschiert eine Solovioline an der Spitze der Instrumente und bestimmt mit ihren virtuosen Künsten den Charakter der Komposition so sehr, daß sie richtiger, ähnhch wie Lalos »Symphonie espagnole«, in der Rubrik des Konzerts gebucht wird.

Eine wirkliche Suite, die wenigstens teilweise vom K. Kuyper, Geist der alten Zeit berührt ist, hegt dagegen in der Serenade. Serenade (in D, op. 8) von Elisabeth Kuyper vor. Ihre beiden ersten Sätze, Marsch und Pastorale, sind Volks- musik bester Art: so einfach und doch gewählt wie die Lieder Uhlands und Mörikes und dabei musterhaft in der Kunst, mit schlichtesten Mitteln, besonders gern mit Änderung der Instrumentierung, zu überraschen und Zw erfreuen. Ihre Form ist die des dreiteiligen Lieds mit bescheidenen Erweiterungen der Teile. Mit dem dritten Satz wird die Musik moderner und greift nach Form, Temperament und Phantasie ins Große; ein kecker, süd- licher, direkt an Rossini erinnernder Zug macht sich gel- tend. Er charakterisiert auch das außerordentlich flotte Finale, dem einleitend ein originelles Andante vorausgeht, eine Art Liebesdialog, in dem die rezitativisch sprechende Solovioline das männUche, ein sehr schöner, weicher Bläsersatz das weibhche Element vertritt. Man muß diese Serenade unter die hebenswürdigsten neueren Beiträge zur Gattung rechnen.

Obwohl sie nur ein Bruchstück ist, darf am Schluß B. StravS, dieser Übersicht die viel gespielte Serenade für Bläser Serenade, von Richard Strauß nicht fehlen. Sie beschränkt sich auf ein Andante, das aber so reizend ist, daß der Wunsch nach den fehlenden Sätzen sehr lebhaft wird. Die Kom- position fallt in die frühe Jugendzeit von Strauß, und

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wäre sie bei der ersten (Münchner) Aufführung als ein unbekanntes Werk Mozarts ausgegeben worden, so würden nur wenige Verdacht geschöpft haben. Gleichwohl merkt man in ihr schon den geborenen Meister des Kolorismus.

Wenn die unbetitelte oder absolute Sinfonie die lebens- gefährliche Krise, in die sie um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts unter dem Ansturm von Programmsinfonien und sinfonischen Dichtungen geraten war, vorläufig wieder überstanden hat, so verdankt sie das vor allem dem Ein- greifen von Brahms und Brückner, die den Beweis erbrachten, daß die Formen Beethovens doch noch nicht abgetan seien. Aber es muß auch der Männer gedacht werden, die vor ihnen, in der schlimmen Zeit das klas- sische Terrain so gut als möglich zu behaupten suchten. Zum Teil kamen sie noch aus der Mendelssohnschen Schule. Mendelssohn nahm die Geister seiner Zeitgenossen mit einer Kraft in Beschlag, der sich selbst ältere Tonsetzer nicht K. G. Bditlgtr entziehen konnten. Reissigers Es dur-Sinfonie (1839) bietet hierfür den Beleg. Aber die Sinfoniker, wdche sich seiner Richtung ganz lüngaben, hatten nur einen kurz dauernden Erfolg. Nach einem Jahrzehnt schon schwanden die Sinfonien Wilh.Taibert.von Taubert, die Es dur- Sinfonie von Rietz, Hillers K4.Hfets.Einoll- Sinfonie (mit dem Motto: »Es muß doch Frühling ^'^l^^y* werden«), ebenso wie die von W. MarkuU, J. Netzer, Heiser! 0. Nicolai, Th. Täglichsbeck, von E. Naumann, o.BIeeUi.R. Radecke, J. Rosenhain, A. Walter, vollständig vom ^'^HMiluun! R^P^'toire, und von den spätem Nachzüglern der Schule, K. Bftieeke! ^^^^^^ Reihe bis auf G. Si Satos reicht, haben die Sinfonien J. Beeeebata. Von Hol, J. Zellner (»Melusine«), weitere Beachtung Über- 1. Walter, haupt nicht mehr gefunden. Auch diejenigen Werke, welcher B. Hely ZellBer. joi^ Ujj^y geistigen Basis tiefer in Schumann hinabüiuchen,

sind schneller bei Seite gelegt worden, als sie es ver- dienten. Wir nennen die bereits erwähnte Sinfonie in W.BergleLGdur von W. Bargiel und die Adur-Sinfonie von C. Belaeeke. C. Rein ecke, welche in ihren letzten beiden Sätzen wirk- lich originelle Erfindungen des Humors und der Anmut

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bietet Eine zweite Sinfonie Reineckes, in C moll, die i. J. 1874 erschienen ist, interessiert vomehmlicli darum, weil sie, ähnlich wie die Arbeiten Berlioz' oder Aberts >Golam- bus«, in den alten Formen Programmtendenzen verfolgt. Ihre Sätze geben Bflder ans dem Leben Hakon Jarls wieder, den der Komponist auch zum Gegenstand einer Kan- tate f&r Männerchor gewählt hat. Eine dritte Sinfonie CBctaMke, Reineckes (Gmoll, op. 227) steht der Scl>umannschen Dritt« Sinfonie. Schule, mit der schon die zweite kaum noch Nennens- wertes gemein hat, ganz fem. Indem der Komponist das für die Musik und für die lyrischen Künste immer wieder neue Bild belohnten Kampfes in der Spiegelung vorführt, die es in seiner maßvollen, harmonisch abgeklärten Natur erfährt, tritt er uns kräftiger als je entgegen. Volkmann, Spohr und Gade sind die verwandten Künstler, mit denen er sich der Reihe nach hier berührt.

Im gleichen Grad, wie der geistige Einfluß Mendels- sohns und Schumanns verblaßt, wädist die Einwirkung Beethovens. Neben ihm in zweiter Linie tritt das Vorbild Schuberts stärker hervor. Seine Cdur-Sinfonie, mit ihrem Finale namentlich, und Beethovens neunte Sinfonie sind diejenigen Werke, durch welche die klassische Periode in die Sinfonieliteratur des Bismarckschen Zeitalters am mächtigsten hineinklingt.

Unter den namhaften hier in Betracht kommenden 1* Bablntteln, Sinfonikern gebührt nach der Andennität der Vortritt: 8infbnl«Hr.i Anton Rubinstein. Seine erste Sinfonie (Fdur), im <^*"' ^'•^•J- Jahre 1864 veröffentlicht, heute nur wenig gekannt, fölU noch in die Blütezeit der Mendels sohnschen Schule und trägt in ihren ersten beiden Sätzen die Spuren derselben. Ihre letzten Sätze sind selbständig und lassen die Ver- gessenheit bedauern, welche sich über das ganze Werk gebreitet hat Von den sechs Sinfonien des Komponisten sind zwei eine Zeit lang Gemeingut der musikalischen Welt geworden: die Sinfonie »Ozean« und die »dramatische Sinfonie« (Nr. 4).

Obgleich die Ozeansinfonie Franz Liszt gewidmet ist, steht sie doch mit der Programmusik nicht im engeren

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Zusammenhang. Dir Stil ist der Beethovensdie und ihr Titel gibt der Phantasie nur einen leichten Anhalt. Daß Rubinstein unter die größten musikalischen Erfindematuren der neueren Zeit gehört, beweist der erste Satz dieser A. BMblitieii» Ozeansinfonie: ein geniales, reiches Tonstück, von mäch- iäinfonie »Oceanc. i^jgQ]. S^jj^jQijQg getragen, im großen Zuge entworfen, mit (0p*42}. glücklichen, eigen tümhch anschauUchen Musikgedanken ausgestattet, aber etwas ungleich durchgeführt. Sucht man nach den näheren poetischen Beziehungen des Satzes zum Titel, so stellt sich am ungezwungensten das Bild der Aus- fahrt ein. Dazu stimmt das erste* Thema:

Xoderato MSai > i

fST^i hi ^^ ^^ ^^^ erwartungsvoll leise aufflattert -jf^ ] ' =:^ und dann in der prangenden Pracht des t ' vollen Orchesters vorüberzieht. Seinen Ab-

f

■>

Schluß erhält es in einer breit ausgreifenden, vom warmen, innigen Gefühl durch wogten Gesangsmelodie

weldie in der Durchfuhrung yvioi. - >- - ' große Bedeu-

tung hat. Zu der stillen Majestät des Ozeans passen die lang und ruhig dahinklingenden Dreiklangsharmonien, an denen die Bewegung des Satzes so häufig Halt macht. Den drohenden undbeängsti- ^ . _ . ^">i wel-'

genden Charakter des Meeres m j^J» J1 j J N ■■ ^^^ ^^' deutet das Trompetenmotiv ^_^.i3?? # mentiidi dort an der Stelle, wo das hegende g mit den Harmonien des Chors in Dissonanzen lange wechselt, zu sehr un- heimUcher Wirkung gelangt. Das zweite Thema des Satzes :

* J 1^ ^-JH ^^^ ^ anmutiger Form ernst beschaulichen

Gedanken Raum. Die Durchfi^hrung der

~* 697 ^-

vielseitigen Ideen zeichnet sich durch Ruhe und Vor- nehmheit aus. \

In dem zweiten Satze der Sinfonie: Adagio (EmoU, C) liat folgende, merklich Mendelssohnierende Melodie

die Führung. Das zweite Tliema, seinem Charakter nadi noch tiefer fragend, fangt mit einer aus Schumanns C dur - Sinfo- nie bekannten

Wendung an: " ' ' «*e^

In den Streichinstrumenten erhalten durchgeführte leichte Begleitungsfiguren die Gedanken, an das Spiel der Wellen wach. Die Ausführung der Ideen ist knapp; die poetische Hauptstelle des Satzes liegt kurz vor der Reprise: da, wo das Hörn seinen Ruf in die Stille hinaus erschallen läßt, wo die Pauke zu dem Solo der Klarinette ausdrucksvoll wirbelt.

Der dritte Satz (Allegro, 2/4» Gdur) könnte eine lustige See- mannsszene be- ^ ^

STbSS^^i u lujj 'I I' ^ in I ri i'ir

themabeginnt derlr fröhlich animiert: co-»'*»«-

und erweckt bei den anderen Instrumenten in einer Reihe wilder Triller ein verstärktes Echo seiner Stimmung. Im zweiten Thema wird der Humor etwas breit und quer- köpfig. Das an und für sich treffliche Material des Satzes ist in der Verarbeitung ziemlich zersplittert worden.

Das Finale beginnt frohbewegt, als wenn es heim- wärts ginge.

Das Haupt- AUegro con fnoco. . , . ^^^ den Se- thema wiegt ff * JJ'J 1 j!f'T-l U* ^'^ I quenzen die-

sich lange auf ^ ser Motive und

schheßt dann ^ ^

kräftig be- ^iffftririfiri^^f^^,,.

-^ 698 Im zweiten Thema:

*-y

(Op. 95).

i "i'j. jirTT/ 11 I

wird aas der Freude Dankbarkeit, un4 diese nimmt in einem Choral, der schon in der langsamen Einleitung des Satzes^ auftritt, den rein feierlichen Charakter an. Groß und erhaben gedacht ist das Finale der Ozeansinfonie aber matter erfunden und bequem gearbeitet

Später hat Rubinstein den vier Sätzen seiner Ozean- sinfonie noch einen filnften und sechsten hinzugefügt: ein Adagio in Ddur, welches als zweite Nummer der neuen Ausgabe an die Gedanken des zweiten Themas des ersten Satzes leicht anknüpft, und als vorletzte Nummer ein phantastisch belebtes, von innigem Gresangston durch- zogenes Scherzo in Fdur. A.BBbiMielB, Die »Sinfonie dramatique« (Nr. 4, DmoU) ist Rubin- ^»Sinfonio^ steins bedeutendste Leistung auf dem Gebiete der hohem ^^^^^* Orchesterkomposition. Nach der natürlichen Größe von Empfindung und Phantasie, nach der Stärke der ange- borenen Dichterkraft, nach Einfachheit und Bestimmtheit des Ausdrucks gemessen, würde sie eine der hervor- ragendsten Erscheinungen der ganzen sinfonischen Lite- ratur bilden, wenn der Komponist mehr Strenge und Selbst- kritik geübt hätte.

Ihr erster Satz namentlich ergreift und erschüttert wie wenige Tonstücke. Dem Inhalte nach tragischer Natur, zeigt er manche, auch technisch erkennbare, Berührungs- punkte mit den Eingangssätzen der Faustsinfonie von Liszt und Beethovens Neunter; mit der letzteren in der Menge gewaltiger Trugschlüsse und in den einschneidenden Wir- kungen des verminderten Septimenakkords. Die Form ist eigentümlich, aber einheitlich und klar disponiert Eine Hauptstütze des ganzen Organismus bildet die murrende und suchende Figur, Lento^ mit welcher die Bäss< die Einleitung beginnen : Sie geht im Laufe des- Satzes viele Verwandlungen ein.

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erscheint bald in breiten, bald in flüchtig dahineilenden Rhythmen, stellt sich jetzt an die Spitze des Orchesters und verbirgt sich dann in der Mitte oder in der Tiefe. Aber immer ist sie da, reguliert den dämonischen Puls der Tondichtung mit ihrem Schlage und durchklingt den ganzen Satz wie Windesbrausen und Glockengeläute. Den regelmäßigen Begleiter dieser Hauptfigur bildet von der Einleitung ab das leiden- -j^a^p^i^Jjy] | welches sicli schalllich zuckende Motiv: ^ 1 ■* ■* '"''*' I mit schmerz- hafter Dissonanz häufig in die Klagen der Instrumente hineinbohrt Der Expositionsteil des Allegro zerfallt in fünf Szenen.

Die erste breitet in einem langen Zuge das Haupt- thema, ein getreues Abbild leidenschaftlicher Verwirrung,

hin:

AlUf^ro moderato.

ijij^iiTrrriiri^''<'rirri

Seine Aufregung bricht sich an einer Gruppe, in welcher die Musik nicht in zusammenhängenden Gedanken, son- dern in Inteijektionen und Naturtönen spricht: in üema- tisch herausgestoßenen Trillern, im kurzen schweren Auf- schrei der Bläser und in scharfen Dissonanzen, welche in ihrer Art und in ihrer Einführung an diejenigen erinnern, wMche im ersten Satze von Beethovens Eroica der Emoll- Episode vorangehen. Und nun beginnt die dritte Szene. Von einem milden und beschwichtigenden Gesang der Klarinette präludiert, tritt das zweite Thema ein, eine der schönsten musikalischen Darstellungen vom Zustande eines Herzens, in welchem die Hoffnung mit der Furcht kämpft:

«99

»VF»g,

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Iq jedem Takt ein anderer schöner Zug: Wie die Violinen Trost zosprecheuy wie das Hom absetzt und ansetzt, höher und höher geht, zuletzt im langen Gang sich ausspricht, selbst in der kleinen Dissonanz des a im ersten Takte in allem liegt eine Wärme, Anschaulichkeit, Unmittelbarkeit, eine Naturwahrheit, wie sie nur die genialsten Künstler ab und zu erreichen. Die Szene wird hauptsächlich auf Grund der beiden eingehakten Takte weitergeführt und endigt mit einer Wendung, welche der eigentümlichen Schönheit des ganzen Bildes würdig ist: Kurz und über- raschend modulieren die Blaser in sanften Akkorden von B- nach Ddur und halten die neue Harmonie leise mit einer langen Fermate wie eine freundUche Vision fest Als sollte der Traum nicht gestört werden, bringen darauf die tiefen Streich- . ^v^ ^_ gehen aber

instmmente »J' f P p [1^ tf ^ »f , ; bald mit ihm pp das Motiv ^f' wieder ins

Stürmische und zur fünften Szene des ExpositionsteiLs

über, deren m ^ ..■ i _ ^

Thenia h«mi- jff f^P | f I | I l' 1 1 'l f PI" ' scher Natur ist: ^

Die Durchfuhrung beginnt als wörtliche Wiederholung der ersten Szenen, setzt aber dann die Schilderung des Konflikts zwischen Mut und Zweifel mit selbständigen, neuen thematischen Ideen fort und nimmt im Schluß- teil einen trüben und hocherregten Charakter an. Mit harten Dissonanzen und chromatischen Passagen, welche in lisztscher Weise stilisiert sind, wird der Obergang zur Reprise bewerkstelligt, welche den Inhalt des Expositions- teÜs in gesteigertem Ausdruck, das Hauptthema noch wilder und das zweite Thema noch rührender, vorüber- führt.

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Der zweite Satz, ein Presto (Dm oll) in drei Teilen, beginnt Preito. » g

mit einem klei- jfi » 38 I I J 1 I i ' ' 1 I l'l I I ' ' nen Schreck: « ü^iii^' 'iü;ii^'

Erst nach diesen durch die Generalpausen mächtig ver- stärkten Alarmsignalen setzt das stürmische Hauptthema, in seiner Konstruktion auf folgendes kurze Modell gestützt: Fretto. ein. Durch das ganze Stück

bleibt ein herber, harter Zug vorherrschend. Die freund- lichen Seitenpartien, welche in mannigfiachen Nebenthemen betreten werden, wie in den ballett- und tanzartigen Weisen:

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führen immer wieder -..^=) in den Hauptweg zu- ^'^ ' rück, und selbst in dem Allegretto, welches in dem Satze die Stelle des Trio vertritt -y^gy »<>»*'<»??<>• vio^. , verdrängen

der An- jt J LX^f *^ ^ f ^ ' J *■ J i ^ ^^ überwiegen- fang lautet : ^^^^^^^^^^^?T^ den alarmieren- den Elemente die Versuche zum freundlichen Gesang. Mit dem Finale der Sinfonie hat dieser zweite Satz die reiche Verwendung von Motiven aus der slavischen Volks- musik gemeinsam.

Das Adagio (Fdur, Va) ^^^ Sinfonie ist einer der schönsten melodiereichsten Sätze der neueren Instru- mentalmusik, von einer Milde in Charakter und Stim- mung, die seine Betrachtung zum reinsten Genuß macht. Seine Hauptmelodie:

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in welcher die Beethoyenschen Ele- mente reich vertreten sind, wird durch ein Seitenthema abgelöst nnd

ergänzt, dessen Ausdruck und Abschluß eigentümlich

schön ist:

Auf diese Hauptgruppe folgt eine Szene, die, melo- disch auf Bagatellen beruhend, über kurze Motive schwärmt und in entlegene Harmonien träumt. In der Süßigkeit der Stimmung, in der ungezwungenen Innigkeit des Tons er- innert sie an eine Liebesszene. Über dem Ende des Satzes, wo die Bässe und Celli choralartige Weisen anstimmen, liegt religiöse Weihe.

Nach einer langsamen Einleitung beginnt das Finale mit einem Thema, das in seiner stürmischen Natur und in seinen AJiefroconfMco. wörtlich mit einem sehr Anfangs» A; ^T7**^>J j ^j bekannten Gedanken aus noten: «^ / ""i"^ Beethovens Kreuzersonate übereinstimmt. Das Finale ist lebendig froh gedacht, aber ziemlich breit und mit Einmischung sdtsamer Ein&lle ausgeführt. Das beste an dem nur schwachen Satz ist das zweite Thema:

1 1 ^ iiüM] iL[riji^i'j_i'iLTji' I

A. KibUiteiB, Die nächste, die fünfte Sinfonie Rubinsteins (Gmoll, Fünfte Sinfonie, op. 107) unterscheidet sich von allen ihren Geschwistern äußerlich dadurch, daß sie, was die dramatische Sinfonie in den Schlußsätzen tut, durchs ganze Werk und noch reichlicher als ihre Vorgängerin slavische Melodien ver- wendet. Von Freunden des Komponisten ist sie deshalb zuweUen Rubinsteins >Russische Sinfoniec genannt wor- den. Eine patriotische Tendenz spricht vielleicht auch

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daraus, daß sie dem Andenken der Großfürstin Helene Paolowna gewidmet ist, die unter den Gliedern des Herrscher- hauses sich als Fördererin der musikalischen Entwicke- lang im Zarenreich hervortat Die jungrussische Schule hat bekanntlich durch einen ihrer Führer, G^sar Gut*}, an Rubinstein und Tschaikowsky scharfe Absagen ge- richtet und damit sichtlich beide Künstler veranlaJBt, sich den national russischen Musikbestrebungen enger und eifriger anzuschließen. Rubinstein hat von seiner Be- kehrung in dieser Gmoll-Sinfonie das ausfuhrlichste und eifrigste Zeugnis abgelegt. Seine Gegner wird er dadurch nicht gewonnen haben.

Als Abbild russischer Musik wählt diese Gmoll-Sin- fonie ihre Themen zu einseitig; das träumerische Element namentlich fehlt. Für die Aufgabe, wie' sie sich Rubin- stein hier und in seinen letzten Ihstrumentalkompo- sitionen überhaupt gestellt hat, konnte ihm die Volks- musik nur wenig nützen. Sie verlangt Naturgemälde, Rubinstein ging aber auf Lebensbüder und Selbstbekennt- nisse aus. Von diesem Gesichtspunkte aus ist auch seine Gmoll-Sinfonie aufzufassen. Sie erscheint dann als eine Art Seitenstück, als eine Fortsetzung seiner Sinfonie dra- matique, als ein betrübender Beweis, daß das Los dieses gewaltig musikalisch und menschlich gewaltig beanlagten Künstlers unglücklich war. Doch ist nicht zu verkennen, daß die dramatische Sinfonie in der Erfindung und Aus- führung — bis auf den letzten Satz weit höher steht, gewählter und gedrungner ausgefallen ist, als ihre Nach- folgerin. Namentlich dem ersten Satz dieser fünften Sinfonie hat beim Entwurf, bei der Aufstellung der Themen und bei der Disposition des Formplans die Gründhchkeit und die Bedachtsamkeit empfindlich gefehlt, die zur Darstellung der Idee die geeignetsten Mittel her- beizieht.

Dieser erste Satz (Moderato assai, C GmoU) beginnt mit dem Hauptthema

*) C€saT Gut: La Muslque en Russie. Paris 1880.

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Modcrato asaal.

/'' n 1 1 1 1 1 T| 7i nm iT'i i

ernst. Ihm folgt eine aufgeregte Episode, die uns in der Art der Sinfonien Karl Maria von Webers in die Ballett- und Opernsphäre wirft. Sie würde verständlich, wenn sie mit der Rückkehr nach dem Hauptthema schlösse und sich zu ihm in einen durchgeführten Gegensatz stellte. Diese logisch notwendige Wendung hat dem Komponisten auch vorgeschwebt, doch begnügt er sich, sie mit ein paar gehaltnen Noten, die allerdings Rubinsteins starke Musik- natur wieder glänzend veranschaulichen, anzudeuten, und geht nach ihnen zu dem zweiten Thema

^k''ii i> i> r r u* cg^ I r^^

über. Es hat den bukolisch russischen Charakter ausge- prägt, während das erste die nationale Abkunft durch den Verzicht auf den Leitton merken läßt. Die Themengruppe wird, nachdem das zwdte Thema in sehr überraschender, hübscher Weise in D dur wiederholt worden ist, durch eine handvoU weiterer Motive vervollständigt, von denen keines eine größre eigne Bedeutung hat und keins mit dem an- dren in Zusammenhang steht. Der Komponist phantasiert mit einer Ungeniertheit, als säße er am Klavier und am ihn herum lauter gute Freunde, die Wert darauf legen, in die Seele des großen Mannes auch zur unpassendsten Stunde einen BUck werfen zu dürfen.

Die Durchführung beginnt mit dem Hauptthema in Flöten, Klarinetten und Fagotten, setzt es dann in die Bässe, in die zweiten Geigen, verUert bald Willen und Ziel, wühlt in der Verlegenheit über ein Viertelmotiv a gis a a und kehrt unverrichteter Sache nach dem Anfang zurück. Sein glänzender kraftvoller Eintritt bildet eine der wirksamsten Stellen des Satzes. Die Reprise weicht

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▼on der Themengruppe zunächst dadurch ab, daß sie das zweite, heitre Thema dem nachdenklichen, die Schwermut streifenden Hauptthema nrnnittelbar folgen läßt. Erst an dritter Stelle kommt die erregte Episode, die im ersten Teile jene beiden Gedanken auseinanderhielt. Ihr folgt ein ganz leiser, langsamer, choralartiger Abschnitt So gelingt es durch Zutaten, Umstellungen und Änderungen dem ^Komponisten doch noch einigermaßen, die dem Satz zu Grunde liegende Absicht der Darstellung einer gährenden Stimmung wenigstens am Ende etwas klarer und begreif- licher zu verwirklichen.

Der zweite Satz (Allegro non troppo, -/i, Bdur) bringt, wie Beethovens neunte Sinfonie das Scherzo. Den lang- samen Satz hat Rubinstein an die dritte Stelle gerückt, weü der Inhalt seines ersten Satzes eine aufheiternde Fort- setzung verlangt. Dem Hauptsätze dieser zweiten Nummer hegt wieder ein russisches Thema zugrunde:

Ailegro non troppo

das von der Klarinette zuerst eingeführt, von den übrigen Instrumenten zu einer breiteren Szene des Spielens und Tändeins ausgeführt wird. Auch hier werden wir wieder an die neunte Sinfonie erinnert: Die fröhlichen Klänge unterbricht immer wieder ein Augenblick des Sehnens, Zweifeins, Klagens und Schwankens. Ansätze zu einem Seitenthema tauchen auf^ der bedeutendste eine Synkopen- bildung; keiner behauptet sich. Das Trio verdankt seine ganz ungewöhnliche Gestalt dieser scherzowidrigen Stim- mung. Es ist eine Fuge in Es moU, ihr Thema dem Haupt- thema des ersten Satzes etwas verwandt.

Der dritte Satz (Andante, % Esdur) hat ungefähr den Ideengang: Von ferne tritt das Glück in Sicht und ruft in der Seele des Dichters Erregung hervor, die sich in Hofifen und in Zweifeln teüt. Das Bild des Glücks erscheint m einer langen, anmutigen und naiven Melodie, mit der der Satz beginnt. Sie ist in Vertretung auch andern Instru-

Krettachmar, Führer. 1, 1.

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incnten, in erster Linie aber dem Hörn übertragen, und für gute Hornisten wird dieses Andante der Rubinsteinschen Gmoll-Sinfonie ein Lieblings- und Glanzstack sein; In dem Augenblick des größten Aufschwungs hat allerdings dem Komponisten der Umfang des Homs (in ¥) nicht ge- nügt, die Trompete muß aushelfend eintreten. Die Er- regung ruht auf einem Motiv in Sechzehnteltriolen, das den Violinen gegeben ist. Es fuhrt nach dem Abschnitt seines ersten Auftretens zu einer Wiederholung der Glücks- melodie in Oboe und Hom. Ihm folgt ein neuer Abschnitt der Erregung, der in einem kurzen folgenden Sätzchen in EsmoU seine Spitze findet. Darauf setzt die Flöte mit dem Hauptthema ein, nach ihm noch einmal der Ab- schnitt über das Triolenmotiv; die Hauptmelodie klingt mit dem Anfang an und das Ende ist da. Es ist ge- mäß dem verschwiegner! Programm der Sinfonie ein Ende in Ungewißheit! Das Andante ist vielleicht der- jenige Satz des Werkes, der die Seele des Zuhörers am lebhaftesten und nachhaltigsten in Tätigkeit setzt. Die Ursache liegt zum großen Teil an dem dramatischen Cha- rakter der Übergänge, die zwischen den Hauptteilen ver- mitteln, an der aufregenden Art, in der die Leidenschaft in die Idylle hereinbricht. Man merkt an diesem Stück ganz besonders, wie in der Gegenwart die Oper den Weg zur Herrschaft über die gesamte Musik angetreten hat!

Der Schlußsatz (Allegro vivace, ^4» Gmoll, Gdur) hat die Anlage des Sonatensatzes. Sein Hauptthema ist eine von jenen russischen Tanzweisen, die in der bestandigen Wiederholung eines kurzen Motivs den Stempel der Kind- lichkeit und des Naturvolks tragen. In seiner Mollharmonie hat die Lebendigkeit dieses Themas etwas Gedrücktes und Gewaltsames, erscheint an dieser Stelle als Vertreter eines > Galgenhumors«. Rubinstein stellt ihm (in der Oboe zu- nächst und in B dur) eine nach freundlichem Ausweg, nach Ruhe und Glück suchende Melodie entgegen, die deutsch sein könnte, eher durch die Zahl und Art der Repetitionen russifiziert worden ist. Zwischen diesen beiden Themen liegen noch zwei selbständige Motive, Träger der heiß-

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blutigen und warmen Empfindung, die Rubinsteins Musik immer wieder auszeichnet. Die Themengruppe wird wieder- holt, und diese Wiederholung hat der Komponist mit Rück- sicht auf einige kleine Varianten ausschreiben lassen. Die Durchführung, mit der Gdur einsetzt, versucht zunächst einen Ausgleich, eine Versöhnung der im ersten Teil ent- haltnen Gefuhlselemente, indem sie die beiden Haupt- themen miteinander verwebt; das zweite liegt in den untern Instrumenten, das erste kommt als Kontrapunkt in den obem. Generalpausen und fortwährendes Ab- brechen zeigen, wie vergeblich der Versuch bleibt. Da taucht aus dem ersten Satz der Sinfonie pp das wühlende chromatische Viertelmotiv wieder auf und setzt sich fest. Damit nimmt Fortsetzung und Schluß der Durchiuhrung einen verzweifelten Charakter an, und auch die Reprise, mit der Gmoll zurückkehrt, spricht nur von Pessimismus und Resignation.

Während die fünfte Sinfonie Rubinsteins Vorzugs- ▲. BiUniteln, weise ein Gemütswerk ist, wendet sich seine sechste ^•°^*« s*'*'**"*^ und letzte (Amoll) hauptsächlich an die Phantasie des <ö^lll). Hörers. Sie entrollt eine Reihe Bilder: Erinnerungen des Komponisten aus fremden Landen, Erinnerungen an den Orient vor allem. Das macht sie der Suite verwandt, mit der sie auch den Mangel an thematischer Entwicke- lung teilt.

Der erste Satz (Moderato con moto, Cj Amoll) setzt gleich sehr fremdartig ein. Schrill schreit ein gis-c auf; die meisten werden es als as-c hören, so lange, bis im dritten Takt e dazu kommt. Eine kurze aber stechende Einleitung! Nun beginnt das ganze Orchester wie eine Bardenha^e mit dem Dreiklang A-e-E in einem Marschrhythmus zu präludieren. An die Arpeggien schließen sich kleine Motive im knappen, festen Balladen ton: es wird von Heroen erzählt und von Heldentaten. Mit dem Fdur kommen neue Motive und weichere Empfindungen zu Worte. Auf AugenbUcke fühlen wir uns an die schönen, schwärmerischen HomsteUen im ersten Satze der Sinfonie dramatique zurückversetzt. Dann nimmt die Erzählung

^5*

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wieder die Richtung auf große Ereignisse; die ruhig in einem ^/q Takt G dur) ap uns vorbeiziehen, erst bestimmt und hell gefärbt, dann in den Farben des Triumphs. Mit diesem Hymnus g-a-e ist beim zweiten Mal sein Leit- motiv — schließt die Themengruppe. Die DorchfÜhmng beginnt, als sollte repetiert wenlen, indem sie das Haupt- thema (in Amoll) wörtlich vorfahrt, schwenkt aber sehr bald ab und mischt in die Reminiszenzen der heroischen Bilder klagende Töne, Motive des Erinnems, der Elegie. Die Reprise bringt den ersten Teil mit umgekehrter Reihen- folge der Themen.

Der zweite Satz (Andante, 6/g, £ dur; ist ein sehr ein- facher Satz, ohne Verwicklungen der Darstellung freund- licher Ideen gewidmet Eigen ist er durch die Art, in der das hübsche Hauptthema (Edur) vorgetragen wird, nämlich in lauter Einschnitten und einzelnen Absätzen; nach jedem Motiv, nach zwei Achteln, nach fünf Achteln immer eine Pause. Das gibt einen Ton, wie Hast, Stau- nen, Atemlosigkeit, Übermaß des Gefühls und des Be- hagens. Den Augenblick der Sammlung kündet (im 17. Takt) ein jauchzendes Motiv, das in seiner Ursprünglich- keit und Wärme sich unter die echtesten Rubinstein- erfindungen stellt. Unter den Gegenthemen der Nummer, die samt und sonders nicht ins Gewicht fallen, zeichnet sich das schließlich in Hdur ausgehende, dramatisch ein- geführte Solo der Oboe aus.

Der dritte Satz (Allegro vivace, «/4, C dur) der Sinfonie, der das Scherzo vertritt, ist einer der phantastischsten Kompositionen der neueren Sinfonieliteratur, flatternd und zerstiebend, nirgends» festhaltend, wie der sprühende Gischt des Wasserfalls. Raum hat er im Hauptsatz The- men, nur Motive. Als es endlich zum Singen kommt Violinen: a-horh \ a^g-c | , klingt das mit der liegenden Stimme g in den Bratschen erst, dann in den Pauken so exotisch als möglich. Das Trio (Gmollund Es dur) mischt Gemütstöne, Anklänge und Anfänge eines deut- schen Walzers mit ganz fremden Tönen, Gedanken an den Orient!

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Das Finale (Moderato assai, 3/4> Amol!) dessen stock- rassische Hauptthemen

Moderato w>l.

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and

Allegro.

.fKriajirijj]iOTia^ljjiJlj^^

in Variationen ausgeft&hrt werden, ist nach Form und Geist zum großen Teil ein Absenker von Glinkas Kfiima- rinskaja, dem Ausgangs werk der ganzen Neurussischen Schule. '

Als der junge Rubinstein mit seiner ersten Sinfonie auftrat, befand er sich in einer ziemlich zahlreichen Ge- sellschaft mitstrebender Talente: Leonhard, Heisted, Pape, Goltermann, Kufferath, Pott, Veit, Wüerst, Ulrich, Gouvy, Dietrich. Von diesen vielen neuen Sinfonikern der fünfziger Jahre, welche in der Mehrzahl Mendelssohnsche Ideen kleiner münzten, haben sich nur sehr wenige für längere Zeit behauptet: Gouvy und besonders der hochbegabte H. Ulrich fanden mit meh- reren Werken ehrenvolle Beachtung, eine populäre und bedeutende Position errang nur Albert Dietrich mit seiner zweiten Sinfonie in Dmoll.

Diese D moll-Sinfonie Dietrichs, die vor vierzig Jahren ein Liebling des Publikums war, hat ihren Schwerpunkt in der edel weichen Schwärmerei, in der jugendlich glück- lichen Oberschwänglichkeit des zweiten und dritten Satzes. Sie lenkt aber bereits im zweiten Thema des ersten Satzes

J. £. LeoBhard- O. Helstedt.

Pape. 8. Goltermann. H. F. Knfferath

A. Pott. W. H. Veit.

B. Waent. H. Ulrleh. Th. UomYj, A. Bletrlcli.

A. Dietrioli,

Sinfonie Dmoll

'fiju iiygiiT.jijj.ijij3i^^^gijyh

in ihr Lieblingsgebiet, in das der herzlichen Idyllen ein. Die Themen des langsamen Satzes (Andante, Fdur),

710

der zwischen ^/g- and ^/g Takt wechselt: der trftumenscb freundliche Gesang des Hernes

JJ>ir"rj>if J'-iJi

' ji 'j. i. 'J

und die halbschelmische Weise der Celli:

MeUi. "^ /•*• cre»c.

klingen wie Volkslieder, reichen ^aber über deren Form in der c<»tr«fcsÄi"^ künstvollen und gewählten An- lage und Durchföhmng hinaus. In ihrem Geist geben sidi die besten poetischen deutschen Elemente aus der beschaulichen Bundestagszeit, wie wir sie aus den Bildern Ludwig Richters, den Dorfgeschichten B. Auerbachs, den Erzählungen F. Reuters kennen, ein Stelldichein. Nur Dietrichs Landsmann, R. Volkmann, hat ähnliche Töne, ihre Heimat ist die Altsächsische Musik der Schein, Al- bert und A. Krieger.

Das Scherzo beginnt einfach kräftig:

AUepo 6B«r^M.

VIol.

In seinen Seitensatz

und in sein erstes Trio

fallen Strahlen ;ausSchumann- schem Lichte. Das zweite Trio greift mit der herzlich lieben Weise:

711

f Braticbao

vioi. r

T L j fg^x ^11 K I I ^"^ ^^® Stimmung des Adi^gio

<^J?J If Pf H^/y I j' E zurück und zitiert dann auch im weitem Verlaufe dessen Hauptmelodie.

Das Finale der Sinfonie ähnelt im Hauptthema:

AUegro.

<i'|fitftf^fti||| JJIM,lLlJlllJllJJ I

wieder einem bekannten Schumannschen Typus. Das zweite Thema:

P C«1U ikBrattcik ercMC.

'1^'^^ ^^

bringt noch einmal den eigen schwärmerischen Zug Dietrichs zu warmem, schönem Ausdruck. Die Ober- gangsparUe zwischen den beiden Themengruppen ist dem Humor gewidmet.

Noch einige Zeit vor das Dietrichsche Werk, in das Jahr 1863, fällt die Entstehung einer andern berühmten D moll-Sinfonie. Es ist die von Robert Volkmann.

Volkmanns D moll-Sinfonie ist die Schöpfung eines TolkmanB, männlich kräftigen Geistes, ein fest und gedrungen hin- Sinfonie Nr. i gesteUtes Werk, welches nach Wesen und Stü der Beet- (i>moii,Op.44i. hovenschen Schule angehört. Der erste Satz dieser Sin- fonie steht mit seinem trotzigen, entschlossenen Zuge in direkter geistiger Verwandtschaft zu der gewaltigen Neun- ten. Ja, dort an der Stelle, wo am Schlüsse der Durch- führung die Bässe von den langen festgebannten Har- monien sich trennen und ihre chromatischen Gänge an- treten, da klingen auch die Beethovenschen Themen leibhaftig an! Gleichwohl besitzt die Volkmannsche Sinfonie, und namentlich ihr erster Satz, geistige und technische Selbständigkeit im hohen Grade, eigene be-

712 ♦—

deaiende, in Ernst nnd Frohsinn immer treffende, anfs Ziel schnell hingehende Gredanken nnd eine eigene schlicht be- lebte, anf jeden Pnmk nnd Reiz ▼erzichtende Darstellnng. An der Spitze des ersten Satzes steht das Thema:

. . Alle; ro patotico. Biu«r

f">jjj]nLjjjjJTij.ij.'ij.i..nf^

mit seinen drohenden mid schweren, echt sinfoni- schen Gedanken. Während es noch leise in den Bässen fortgrollt , erheben die Holzbläser und Violinen ihre trOsten- ^»j^ .^"jTT^ lT? .!->?_

den Stimmen:^' "^- ^"^ ""^r:^— -^r;;-r--LIJ-itc

^^^'Pr \

den Stimmen: nnd die erste Szene des Satzes schließt mit einem Kompromiß, der die düstere Stimmnng in einen he- roischen Entschluß überleitet: «^ j^

Es ist eine besondere und sehr bemerkenswerte Idee. Volkmanns, an Stelle des einen Themas eine ganze dreigliedrige nnd vollständig dramatisch ent- wickelte Tbemengmppe zu setzen. Der Satz bleibt vor- wiegend streitbarer Natur. Die Momente der Ruhe, wie sie

am entschie- ^^-J^^rf^fr.T^TrT^M . :^r^^ .m-

densten das (j^^ ' I' ,' ^ U ' ^ if T IT f f T 1^' Fdur- Thema

W

ausdrückt, bilden nur Episoden. Die Durchführung derholt in vergrößerten Verhältnissen den Auftritt zwi- schen den bittenden Bläsern und dem grollenden Streich- orchester, mit welchem der Satz begann, und die gewaltig eingeleitete Reprise nimmt den gewöhnlichen Verlauf.

Das Andante (B'dur, '/i) hat zum Hauptthema eine hauptsächlich von der Klarinette getragene Me- lodie, welche Frieden suchend folgendermaßen beginnt: Andante. Die vier Tak-

713

▼orangdhen,8ind sehr wichtig: Sie bringen in

ein Motiv, welches ftkr die Entwicklung des Satzes die treibende

Kraft bildet nnd den kleinen Variationen, welche aus den Figuren des Hauptthema abgeleitet werden, beständig zur Seite geht. Der im allgemeinen, ruhige Ton der kleinen Dichtung wird am Ende der Durchführung einmal hoch leidenschaftlich. Es ist eine außerordentlich myste- riöse Stelle: die, wo nach den gewaltigen Äs dur- Akkorden das Hörn zu den stillen Modulationen der Violinen 30 Takte lang immer sein (7 anschlägt. Sie ruft auch klang- lich das Bild aus Wagners Walküre vor die Phantasie, wo Siegmund in seiner Seelennot, einsam vor dem Herde in der dunklen Hütte; nach »Wälse« ruft.

Das Scherzo stimmt einen rüstig munteren Ton an. In der Aiiegro nonjroppo. und in

der kon-

Hauptthemas

^ trapunk-

tischen Form seiner Entwicklung leben noch einmsüi Geist und Methode der alten Norddeutschen Schule auf. Das lieblich kosende Trio, welches das geschäftige Treiben des Hauptsatzes mit ländlerartigem Tone unterbricht:

trägt die reizenden Farben der Frühromantik, in der Volkmann ebenso wie Dietrich mit einem Teil seines Wesens wurzelt.

Das Finale der Sinfonie, ein Tonstück freudig ge- hobenen Charakters, fällt mit seinem Hauptthema:

ÄUepro molto.

und noch mehr mit dem Nachsatz des zweiten Thema:

m den Stilkreis der Mendelssohn*Schumannschen Periode

714

Das zweite Thema selbst, eine rhythmisch energische Bildung

ist der Hauptträger der zwischen Pathos und Fröhlich- keit hinsteuernden Gedankenentwickelung. Es gibt viel- fache Veranlassung zu polyphonen Künsten, zu ver- wickelten Harmonien und zu selteneren Rlangkombina- tionen, in welchen der Posaunenton ein wichtiges Element bildet. Jedoch vermag die tüchtige und geflissentliche Arbeit den Mangel an Inspiration, an dem der Schluß- satz leidet, nicht auszugleiciien. Bas Finale wirkt in- . folgedessen als veraltet, während die anderen Sätze, am meisten der erste, ihre Lebenskraft frisch behauptet haben. Volkmanns Dmoll- Sinfonie gehört noch heute unter die meist gespielten Werke. K. VoiiuuMii, Seine zweite Sinfonie (Bdur) bringt frohe und hei- Sinfonie Nr. 2 tere Musik und ist in ihrer lebenslustigen Naivität, in (Baiir,op.58). ihrer ungekünstelten, auf alle Umschweife verzichtenden Schlichtheit eins der liebenswürdigsten Meisterwerke der neueren Sinfonik. Ihr erster Satz vereinigt ausgesprochen volkstümliche Züge im ersten Thema

Mepro vivace

Viol.

Viol.

mit spezifisch , . ,.o.. , ,

Schumannschen jjgr |>' p If p f p I ]»/)[' pl^'P^g im Seitensatz: "* Jr '^ und im zweiten Thema:

P^^^^^

715

Die Ausführung dieser leitenden Gedanken ist muster- haft knapp; überraschend schnell tritt der Schluß ein.

Der zweite Satz: AUegretto (Esdur, Vs) ^^t ein be- hagliches Scherzando mit folgendem Hauptthema:

AUegretto.

•J'^^ j^'uU 'u 'Llj Nim j^ i^

Sein Seitensatz tändelt anmutig auf dem Motiv

hin. Untdr den mancherlei Ähnlichkeiten , welche der Satz mit dem berühmten

AUegretto in Beethovens achter ^ ^ ^' \i

Sinfonie gemeinsam hat, tritt als

die nächste das folgende Motiv:

hervor. Die originellste Idee im Stücke bildet das Thema

des Mittelsatzes:

eigentümlich launisch weicht es in seinen Schlüssen lange dem Grundton aus.

Der dritte Satz (Andantino, Gmoll, ^Vg) ist nicht viel mehr als eine langsame Einleitung zum Finale. Das Thema beider Sätze ist dasselbe. Das Andantino bringt es in ruhiger Bewegung, in melancholischer Färbung und in der eigentümlichen Instrumentierung der Steppenmusik:

Andantino.

das Finale (Bdur, s/4) im raschen Tempo, in humoristi- scher Haltung und mit all deijenigen Munterkeit, deren es

fähig ist , am Allegro vivace.

Anfang in fol- gender Form: ^^j CSr. ^ 410,

Mit ihren beiden letzten Sätzen gehört Volkmanns B dur'Sinfonie eigentlich in das vorhergehende Kapitel-

-^ 718 >-

t^^^.^"^ ^--r^, _ 1 ^i® "" f"^®^ "^äc^ Spohrs dritter j I p- ^ni I f, I y ^^ Sinfonie vom Unisono erst ^^ .y .".. der Streicher, dann der Bläser vorgetragen wird.

Der dritte Satz: »Quasi Fantasia« betitelt (Qrave, Es moU, 0), beginnt in ^ehr schwermütiger Stimmung mit einer, Oraye. ,„^ ansetzen-

zum endlichen Abschluß lang streckenden Melodie. Alle Motive im Satze tragen den Charakter einer bangen Stunde. In der Mitte taucht das beunruhigende Thema (0) des ersten Satzes der Sinfonie wieder auf. Ohne Pause geht dieser langsame Satz in das Finale über, das, fthnlich wie in Mendelssohns Schottischer Sinfonie, halb program- matisch als »AUegro guerrieroc bezeichnet ist Im poeti- schen Plan 6hT Sinfonie bedeutet dieses Finale die von außen kommende Rettung, die glückliche Entscheidung: Der mu- sikalischen Form nach ist es eine ausgeführte und ideali- sierte Marschkomposition, in welcher ein flottes Thema: tf.t . . . __ L ebenfalls

g^ *J ^'AJ^'Jitt^Jr^Uaij^'Jü^IhU ' wieder eine ^'^ 1^"**- jv ,-^=^ Variante des

Gmoll-Konzerts mit einem sentimentalen:

' ' r r I fj f^p Vf^. etwas einförmig wechselt

M. Brveh» Die zweite Sinfonie von Bruch (FmoU) ist wenig

Zweite und dritte bekannt geworden. Dem düster und trüb beginnenden

(oJ^^mtu und froh endenden Werke, welches nur aus drei Sätzen (Dp. 36 ^51). ^^^^^^^^ ^^^^ ^^^^^^^ ^^ Programm zugrunde, welches,

wie in ähnlichen Fällen in der Regel, nur zum großen Schaden für die Wirkung und das Verständnis der Kom- position verschwiegen worden ist Nicht an Ernst der Anlage und Arbeit, wohl aber an Frische der musika-

-^ 719 «^

listihen Phantasie steht diese zweite Sinfonie Bruchs hinter der älteren zurück. Der hervorragendste Satz ist der mittlere, in welchem intime Gedanken ihren eigenen Aus- druck gefunden haben.

Noch weniger ins Konzert gedrungen ist die dritte, die Edur- Sinfonie Bruchs.

Die nächsten Komponisten, welche nach Bruch auf dem Gebiete der Sinfonie weitere und andauernde Be- achtung fanden, sind Friedrich Gernsheim, Felix Drae- seke und Hermann Götz.

Die Gmoll-Sinfonie von F. Gernsheim steht F. Geriiihtliu, auf klassischem Boden und entnimmt der Eroica, der Sinfonie Nr. i Neunten, dem Violinkonzert Beethovens und der großen (G«oUi^-*^)- C dur-Sinfonie Schuberts eine Reihe merkbarer Anregungen. Am selbständigsten erfindet der Komponist da, wo die Sinfonie sich auf dem pathetischen Gebiete bewegt. Das in diese Kategorie gehörige Thema, welches an der Spitze ihres ersten Satzes steht, ist unter die stattlichsten Sin- foniegedanken der neueren Zeit zu rechnen:

AllegTO moderato.

In allen ihren Partien erfreut diese Sinfonie durch edle Richtung, durch Geschmack und Maßhalten.

Die zweite Sinfonie Gemsheims (Esdur) ist vor- f. eerothein, wiegend idyllischer Natur. Ihre hervorragendsten Sätze Sinfonie Nr. s sind die mittleren: Notturno (in As) und TaranteUa (in C). (B»to,0p.46)

Seine dritte Sinfonie (Cmoll, op. 54) hat, wie gleich F. Gerniheln, das Hauptthema des ersten Satzes beweist, originelle Sinfonie Nr. 8 Stimmungen, aber deren Stärke reichte für die großen ^•^^'^'■••^°*"J Formen des Sinfoniebaues nicht aus. Die jüngste, vierte f. Gemiheim Sinfonie des Komponisten dagegen (Bdur, op. 62) hat bei Sinfonie Nr 4 den Konzertinstituten Deutschlands Eingang gefunden. (Bdur). Diese neueste Gernsheimsche Sinfonie führt die Rolle einer starken Natur mit tiefsinnigen Ausweichungen, mit Äußerungen heftiger und trotziger Kraft, auffahrend und pochend, mit Vorliebe mit den Mitteln musikalischer

-^ 720 ♦—

Athletik durch, die neuerdings durch die Sinfonien von Brahms in Schwang gekommen sind. Arbeit und Kunst imponieren durchweg, in bezug auf Lebenswahrbeit ge- bührt der Preis dem zweiten Satz (Andante sostenato) mit seinem von Beethovenschem Geiste getränkten Haupt- thema. F«Dr»eB6ke. Die beiden ersten Sinfonien von F. Draeseke zeigen in ihrem Autor einen Charakterkopf, welcher streng an seinen Ideen festhält und sie mit einer Konsequenz durch- führt, die oft geistreich und genial, znweilen aber auch ermüdend wirkt. Die Elemente einer weicheren Emp- findung nnd einer schönen Sinnlicbkeit sind in den Werken des Komponisten durch einzelne Glanzstellen ver- treten. Daraus ist in der ^ ^^*^^°'^-*rTT"r i i i . m r p. Draeieke, ersten Sinfonie (Gdur) ff g 36 f üpr fJ ' "^ jjy ' '^ ^ * Erste und rweite die Klarinettenmelodie^ ^

(0^*?2°'"25) ^^^ Ein,leitung, aus der zweiten (Fdur) das zwei- '' "■ '' teThe- aiiegro hervorzuheben,

ma im ' jf ^ tf j^ki 1^* - , 1 J ^l ^=^dLd=z\tn allgemeinen ersten ' fr * f ff '«ff f tff 'f lip fJ^fSf aber herrscht Satze: o ^^o in diesen Sin-

fonien ein harter Zug vor. Ihre Hauptstärke liegt in den •humoristischen Sätzen. Der drastischen, auch in den gro- tesken und burlesken Exkursen immer fein nnd witzig ge- haltenen Komik des Scherzo in der ersten nnd des Finale in der zweiten Sinfonie Draesekes haben wir aus der nen-

F. Draeieke, eren Literatur wenig zur Seite zu stellen. Die dritte Sin- Sinfoniatragica fonie Draesekes, seine Sinfonia tragica, ist mit großem

<Cmoii,Op.40). Recht bekannter geworden als ihre Vorgängerinnen. Sie gehört mit dem Requiem, der Fismoll-Messe, dem »Colmn- busc. der oratorischen Ghhstustrilogie zn den bedeutend- sten Arbeiten des Tonsetzers und ist eins der wuchtigsten Stücke in der neueren deutschen Sinfonik. Diese mnß auf Grund dieser Leistung in Draeseke nach dem Tod von Brahms und Brückner ihre Spitze erblicken, und so dringlich der Beachtung der ausländischen Sinfoniekom- ponisten das Wort zu reden ist, so ungereimt erscheint es, wenn daneben deutsche Konzertinstitute an dner ein-

-^ 721 ^^

heimischen Sinfonie dieser Art vorbeigehen. * Das gewal- tige Werk schildert einen tragischen Lebenslauf, den Kampf einer zum Glück angelegten Natur mit dem harten Schicksal. Es begegnet sich in dieser Tendenz mit andren C moll-Sinfonien, denen von Beethoven und Brahms; auch an die D moll-Sinfonie R. Volkmanns kann es erinnern. Es hat aber einen andren Ausgang: dn Ende in Trauer und Wehmut Populär ist diese Sinfonie noch nicht ge- worden, wird es auch in ihrem leidenschaftlichen, in scharfen Gegensätzen gehaltenen Wesen nicht werden. Die komplizierte Technik, der auf Kombinationen und strenge Arbeit versessne Stil des Komponisten erschweren das Verständnis noch obendrein ; auch entbehrt die musi- kalische Erfindung des starken individuellen Gepräges, der sinnlichen Kraft und der Gleichmäßigkeit. Aber wem nur einmal am SchluB des ersten Satzes, von dem mit echtesten Herzenstönen einsetzenden piü largo ab, und bei den vielsagenden Fermaten eme Ahnung von den Absichten des Komponisten aufgegangen ist, der muß sich zum eingehenden Studium der Sinfonie gedrungen fühlen. Ihr Hauptwert liegt in der Konzeption, in den dichterischen Ideen, die die Anlage des Werks beherrschen. Sie sprechen zum Teil aus den Tönen und Themen selbst, zum Teil aus den architektonischen Formen der Sinfonie. Wie diese der durch beide Schulen, die Beethovensche und die Lisztsche, hindurchgegangene Komponist be- ziehungsreich und geistvoll gestaltet hat, sieht man schon daraus, daß die einzelnen Sätze durch gemeinsame Mo- tive verbunden und in einen engeren inneren und äußeren Zusammenhang gebracht sind, als das in der Regel bei den neueren Sinfonien der Beethovenschen Schule der Fall ist.

Der erste Satz wird von einem Andante eingeleitet, das als selbständiger Satz bedeutend ist, aber seinen eigentlichen Wert darin hat, daß es den Hauptsatz, ein AUegro risoluto (C, Cdur), gewissermaßen dramatisch, als die Frucht eines Stimmungskampfes eintreten läßt. Es setzt ein mit den Tönen des Mißmuts und furchtbarer

Kretzsch mar, F&lirer. I, 1. 46

-^ 722 <^—

Ahnungen, mit Tönen, die an das Grollen Andaatt. des Löwen erinnern. Zweimal hören wir f *^^^'\ von stechenden Dissonanzen begleitet das 8^'^ , ^ ^ ungeheuerlich sich dehnende Intervall: /==*"

Dann erst löst sich die starre, chaotische Empfindung in ein ernstes und schweres Marschmotiv, dem wir später im zweiten Satz der Sinfonie noch näher treten werden. Damit ist das Gemüt des Helden dieser Tondichtung vom ärgsten Druck befreit. In einem Instrument nach dem andern beginnen die Töne, noch suchend, doch melo- disch zu fließen und gelangen über hemmende Modu- lationen allmählich hinaus ins Helle, zur Freiheit, zur Hoffnung, zum Träumen von Idealen: Eine der schön- sten Erfindungen der ganzen Sinfonie bezeichnet diese Wendung:

r r

Diese von Klarinetten und Hörnern vorgetragene Melodie löst sich in lose Sequenzengänge auf und verzieht sich. Noch ehe sie ganz das Feld geräumt hat, tritt unvermutet und rücksichtlos ein ^ ri. , i ß* ergreift unfreundlicher Gast an V' o T T' fcf ^ ^= von den ihren Platz das Motiv ^ Kontrabäs-

sen aus schnell das ganze Streichorchester und drängt zu dem Allegro, das als Hauptteil des Satzes das Bild einer jungen kräftigen Natur zu zeichnen scheint, mit der es das Leben etwas hart meint. Der Satz erinnert an das Dichter- wort: »Denn Mensch sein heißt ein Kämpfer seine, aber er führt uns keineswegs vor erschütternde Szenen. Es kämpft hier eine Art junger Siegfried, den Hindemisse weniger schrecken, als erfreuen. Draeseke schildert eine Jüng- lingsgestalt, der Mut und Energie aus jeder Miene sprechen, der das Leben noch lacht, die noch an Ideale glaubt und zu schwärmen liebt. Jenes Motiv, das die freundlichen Träume des Andante störte, Wird von dieser arglosen Natur mit Freundesaugen angesehen, und wie ein Führer,

-^ 723 ^^

der nach des Lebens Höhen zeigt, begrüßt und verwendet. Oraeseke stellt es an die Spitze des tatenfrohen Hanpt- themas:

Allegro risolnto.

in dem es gemeinsam j K j die Elemente der Entschie- mit dem Rhythmus #• ^ denheit und Festigkeit ver- tritt gegenüber den Regungen des jugendlichen Ungestüms und Schwunges« die in den Achtelgängen ausgedrückt sind. Eine Fortsetzung findet dieses Hauptthema in einem marschartigen Abschnitt, der nach einigen sinnenden und sammelnden Takten mit folgendem Anfang einsetzt:

i^^^ ^^^^^ Er endetf nachdem er

rj^ rrf iP f F r if ff^^ ^®^ Umfang einer nor- y ^"^ I' ' ' ' I ' "MI '' malen Periode erreicht

-^ . hat, mit dem Rhythmus

j 11 lenkt also wieder auf das Hauptthema ein, des- ' * ** ^ sen freudige und lebenskräftige Geister sich mit erneutem Eifer auf den Plan drängen. Es ist ein hitziger Eifer. Die Stimmen wiederholen auf kecker Dissonanz e-fis ihre Töne in der heftigen Form, die die Alten Reperkussion nannten, und starkes Kraft- gefühl strömt von allen Seiten aus dieser Musik. Sie hat eben das entlegene Hdur erstürmt, als sie plötzlich abbricht Die jugendliche Überschwänglichkeit neigt zu entschiedenen Gegensätzen. So schlägt die Stimmung hier aus einem heroischen Rausch ohne weiteres um in eine Idylle. An die Stelle der Tatenlust treten die Gedanken an die intimen, zarten Lebensfreuden, an die friedlichen Bilder von Liebesglück und vom Behagen am heimischen Herd, im Kreise der Familie. Das sind die Ideen, aus denen das zweite Thema des Satzes entsprungen ist. Draeseke stellt allerdings nicht ein einfaches zweites Thema hin, sondern er gibt, die moderne Art fast über-

46*

Th

724

bietend, eine ganze Rette freundlicher Gedanken ,. deren Mehrzahl allerdings der Marschrhythmus noch etwas fest in den Qliedem steckt Den Anfang macht ein von Melan- cholie leise gestreifter Wechselgesang zwischen Klarinetten und Streichinstrumenten, dem folgende Periode

AüefiTo risolnto. uUrlnetteo.

VitiUnaa.

!f'"/i?'ÜVJ'»CJTin'U'JiJ''Jff3i

p9^r, jf.

ffitff f rr r 'r rUrr-rf "r r ' '

zuGrunde liegt. Aufmunternd. . ^ ^ ^ und nun

unterbricht ihn das Tutti ft l" r f P I 1' f* [tritt ein

mit kräftigem Zwischenruf ^'^^^ ' ganzun- getrübtes Zukunftsbild vor die Phantasie:

^^m

das mit heimlicher Freude ^^' beginnt und mit unver- hohlenem Jubel sdiließt. Gerade dieses Stück aus dem Kreise des zweiten The- mas hat der Komponist für den Durchführungsteil des Satzes besonders bevorzugt Die Kette schließt mit einem dritten Gredanken, der innig in den Hörnern einsetzt:

i\{ii}\i

die Pauke begleitet mit einem leise bebenden B. und über das Motiv zu einem Ende im triumphierenden Ton gelangt. Aus diesem

--♦ 725

*

Ende sind die

Schlußtakle

der Melodie : *' /

für den weiteren Verlauf des Satzes wichtig.

Draeseke läßt aber diesen ersten Teil, die sogenannte Themagruppe, nicht stolz und glänzend, sondern leise ausklingen. Das ist nicht bloß poetisch und schön, sondern in diesem Falle vor allem logisch. Denn es handelte sich um Zukunftsbilder, die wie im Traum und wie in weiter Ferne gesehen waren. Die Homer sind eben bei dem letzten Seufzer, da treten die Celli mit dem Motiv der Unruhe dazwischen, das seiner Zeit aus dem Andante ins ÄUegro hinüberdrängte. Jetzt leitet es die Durch- führung des Satzes ein. Sie verläuft als Auseinander- setzung zwischen den friedlosen und den friedfertigen Elementen der Themen. Jene sind vorwiegend durch das eben erwähnte Motiv der Unruhe aus dem Hauptthema vertreten, diese durch das erste und das dritte Glied aus der Gruppe des zweiten Themas. Eine besonders hervor- tretende Stelle in der Durchfährung bildet das piü largo, bei dem die schöne Melodie aus dem Andante, die Melo- die des Ideals, und aucH hier wieder im visionären Ton erscheint Nach dieser Stelle geht die Durchführung über einige Mut und Kraft aussprechende Perioden, die aus dem zweiten Glied des zweiten Themas das ursprüng- lich in E dur einsetzte gebildet sind, bald zu Ende und in die Reprise über. In dieser Wiederholung der Themen- gruppe übergeht Draeseke das eigentliche Hauptthema und bringt an erster Stelle dessen marschartige Fort- setzung. Sie tritt fff auf und wird noch dadurch zu höherer Bedeutung gehoben, daß Draeseke die Schlüsse ihrer zweitaktigen Abschnitte durch Fermaten verlängert. Es gibt Fälle, wo die Pausen vernehmlicher sprechen als die Töne, und diese Draesekeschen Fermaten gehören in erster Linie zu diesen Fällen. Sie lassen den Zuhörer gewissermaßen einen Blick auf die Fülle von Kraft und Ernst werfen, die in der Seele der Jünglingsgestalt auf- gespeichert ist, die sich der Komponist als Helden dieses

--* 726 «-—

s

Sinfoniesatzes gedacht hat. Sicher spricht aber auch eine gewisse Bangigkeit ans diesen Fermaten, eine Ahnung tragischen Geschicks. Wie das erste Thema abgekürzt, so wird die Gruppe des zweiten Themas in der Reprise zusammengedrängt Dafür hat ihr Draeseke eine breite Coda zugefügt, in der neue Weisen des ßtolzes, des freu- digen Mutes, der aufschäumenden Kraft neben die aus dem Unruhemotiv des Hauptthemas gebildeten Sätze treten. Bemerkenswert ist darin eine Stelle, in der der modulationslustige Komponist sich auf einen vermesanen Äugenblick nach Gesdur wendet

Im zweiten Satz der Sinfonie (Grave, s/s, Amoll) entspricht der bedeutenden Stimmung auch eine bedeu- tende und ziemlich in allen Teilen auf gleicher Höhe bleibende Erfindung. Er gibt dem Schmerz über einen unersetzlichen Verlust gewaltigen Ausdruck und klagt über das erste Eingreifen tragischer Umstände in einen hoffnungsvollen Lebenslauf in männlichen Tönen, die im Grefühlsgehalt und in ergreifender Wirkung den Segen Händeis, Beethovens und Wagners zusammenfassen.

Die Komposition ist als Trauermarsch gedacht Ihr Hauptthema, das die Form der alten Sarabande hat, setzt von zwei zu zwei Takten durch das erste Motiv in den Posaunen unterbrochen gedämpften Tones folgen- dermaßen .ein:

OraT«.

Pos. , Holzbläser. i i a

irr in: ^ ^ {»f f

^^y 727 ^-

Wenn man den fünften Takt dieses Trauergesangs schllrfer ansieht, erhält man anch Auskunft darüber: wer ins Grrab gesenkt worden ist. Denn da stehen wir vor der schönen Melodie , die im Andante des ersten Satzes das Ideal des jungen Helden, die die Gestalt bezeichnete, die als Lohn des Strebens und Ringens vor seiner Seele schwebte. Bald bricht der Schmerz über den Verlust scharf und leidenschaftlich in WagnerschenZungen hervor:

die Posaunen decken Grabesklang darüber. Crewaltig wirkt darauf der Einsatz des Marschthemas, in einer Wendung, die an Händeis »Saul« und »Samson« erinnert. Es kommt in Cdur und im mächtigen fff des gesammten Streichorchesters, von Posaunen, Tuba und Trompete unterstützt, von einem Aufschrei der Holzbläser beant- wortet Zarte Zwischenspiele, aus dem erwähnten Ideal- motiy gebildet, suchen nach Trost; ein kurzer Mittel- satz, der die Stelle des sonst üblichen Trios einnimmt, bringt ihn auf Grund folgenden Themas*:

pochettlno pl^ mosso:

m

das von der Klarinette aus wörtlich und variiert durch eine Reihe Instrumente wandert. Es ist teuren Erinne- rungen gewidmet und befreit von dem harten Druck einer um Fassung kämpfenden Stimmung. Doch geht es bald in einen erregteren Ton über und führt 80 zur Wiederholung des Hauptsatzes. Die Erinnerung an ver- lorenes Glück pflegt den Schmerz über den Verlust zu steigern. Diesem Naturgesetz Rechnung tragend, wieder- holt Draeseke nicht einfach, sondern führt mit dem Marschthema die Motive der heftigen leidenschaftlichen Aufregung zusammen. Die Stelle packt mit physischer Gewalt. Die Stimmung wird auf Augenblicke wieder

728

ruhiger, schildert aber dann in neuen Formen den Auf- ruhr schmerzlicher 6ef|ihle.

Um den dritten Satz, das Scherzo (AUegro, 9/4, Gdur) mit der Auffassung in Einklang zu bringen, daß die Sinfonia tragica einen Lebenslauf vorführen will, muß man sich eine Überschrift: »Nach Jahren«, denken. Der furcht- bare Schlag, von dessen unmittelbaren Folgen das Grave berichtete, ist überwunden, aber er hat Spuren gelassen. Von einer Persönlichkeit, die über eine Kraftfülle verfügt, wie sie der erste Satz enthält, erwarten wir einen freieren Humor, als ihn dieses Scherzo bietet Seine Fröhlichkeit ist etwas belegt, behilft sich mit den kleinen Künsten der Kaprice, hat Schatten und vollständig trübe Stellen. In dem Trio kommt die Wehmut ganz offen zur Herrschaft. Die Form des Ganzen ist sehr einfach: ein Hauptsatz in zwei Teilen, Mittelsatz (Trio) und Wiederholung des Hauptsatzes.

Das erste Thema des Hauptsatzes

AUegro molto vivace. Uaiinetten.

erinnert in der melodischen Richtung etwas ,an den Me- nuett von Beethovens erster Sinfonie, unterscheidet sieb aber von ihm durch ein stilleres Temperament Seine Fortsetzung erfolgt in sinnverwandten, metrisch launi- schen Bildungen. Das zweite Thema, das ihm nach einer kurzen Stimmungskrisis folgt:

Cello. ^ -^^^^

rTi I iiii;^»M iif] fTTT^

--♦ 729 <^—

' gehört zu den besten Erfindungen in der Sinfonie. In seiner Mischnatur, halb fröhlich, halb klagend, ist es ein echt romantischer Gedanke und bringt den Widerstreit d^r Gefühle, der schon im Hauptthema leise zu vernehmen ist, zu gesteigertem Ausdruck. Die Violinen wiederholen das Thema, schließen aber nicht, sondern brechen ab. Die Pauke setzt mit einem leisen Wirbel auf g ein ; nur ein eis in den Kontrabässen klingt dazu. Erst allmählich gesellen sich die übrigen Instrumente hinzu, füllen den verminderten Akkord und versuchen zaghaft wieder die Melodie aufzunehmen. Die Stelle macht sich sehr be- merklich. Was sie bedeutet, ist dem veranlagten Hörer nicht zweifelhaft: eine Erinnerung an das Ereignis,' das das Gluck dieses Lebens gebrochen hat. Die Musik kommt wieder in Fluä und rafft sich energisch auf; es bleibt ihr aber ein schwerer, harter Ton.

Wir haben in diesem ersten Teil des Hauptsatzes seine Themengruppe. Der zweite Teil bringt eine Durch- führung über die Motive des Hauptthemas und in ihr den Versuch, zu reiner, großer Freude durchzudringen. Den Fehlschlag bezeichnen Paukensoli. Dann setzt die Wieder- holung des ersten Teils ein und verläuft bis auf einige unwesentliche Änderungen und Erweiterungen in ge- wohnter Weise.

Das Trio (Des dur) leitet Draeseke mit einigen Des dur- Akkorden ein, die uns den Sarabandenrhythmus des Grave ins Gedächtnis zurückrufen, der auch im weitren noch in andren Formen aus der Begleitung erklingt. Dann stimmen die Klarinetten das Thema an

Flu poohflttlnopiä lento

^\\K \j\u\r\ ' 'I ri'_i|fMrji

«f

Gegensätze stellt der Komponist dieser aus Schubertschem Geiste geborenen Melodie nicht zur Seite. Sie entwickelt sich ähnlich breit wie das entsprechende Thema von

-^ 730 •.-

Schuberts großer C dur-Sinfonie , wird wiederholt in die Bässe gelegt und erfährt mit einfachen Mitteln Verwan- deluDgen, dUe ihren ursprünglich wehmütigen Beiklang in reine Freude kehren. Eine der glänzendsten Stellen dieser Art, eine wahrhaft große Wendung treffen wir bei der Rückkehr nach Desdur, wo die Homer und Posaunen das Thema nehmen. Mit einem stillen Cmoll wird aber aus diesem Rausch glücklicher Erinnerungen schnell in die Resignation, in den Ton gebrochenen Seelenzustands zurückgelenkt und das Trio geschlossen. Den dritten Teil des Scherzo bildet die wörüiche Wiederholung seines Hauptsatzes.

Wir hätten in diesem Trio die Wiederkehr der schönen Melodie aus dem Andante des ersten Satzes natürlich gefunden. Draeseke hat in Tornehmer Zurückhaltung davon abgesehen, allzu deutlich zu werden, und sich diese Reminiszenz für den Eingang des Finale (Allegro con brio, o/b) Cmoll) aufgespart. Aus diesem Grunde glauben wir, daß zwischen dem Scherzo und dem Schluß- satz die sonst übliclie Pause auf das kürzeste Maß zu* sammengedrängt werden muß. Das betreffende Thema, das Thema des Ideals, tritt hier ins Finale unter ähnlichen Verhältnissen hinein, wie in die Einleitung der Sinfonie, nämlich als ein Sonnenblick, der dunkles Gewölk durch- bricht. Dieses Gewölk ist beim Beginn des Satzes noch im Begriffsich zu si^mmeln: es zieht in unruhigen Motiven und Gängen herauf und in Dissonanzen, die einen beklomme- nen und ratlosen Seelenzustand ausdrücken. Unheimlich

polternd set- AUegro con brlo.

zen

mit der Figur p

ein, die durchs ganze Finale hindurch die Rolle des Sturmkünders durchführt Im ganzen ist dieses Finale der Sinfonia tragica eine der fürs Verständnis schwie- rigsten Instrumentalkompositionen, die es gibt Die Schwierigkeiten liegen einmal in dem Aufbau, der keinem der gewohnten Modelle, etwa dem der Sonate öder dem des Rondo folgt, sondern seine Oberfracht von Themen

^^ 731 ^

ohne Rücksicht auf Übersichtlichkeit so ausladet, wie es die leider verschwiegnen dichterischen Absiebten mit sich brachten. Zum andern liegen sie in dem eigentümlichen Stil Draesekes, der dem Hauptgedanken in der Regel wenigstens einen Nebengedanken, meistens aber mehrere, beizufügen pflegt. Was der Komponist mit seinem Schluß- satz will, ergibt sich aus dem Vorhergehenden. £r zeigte uns im ersten Satz eine kräftige Natur, der ein schwie- riges Leben zugefallen ist, im Grave den Schlag, der ihre schönsten Hoffnungen vernichtete, im Scherzo das einst kühne und frische Wesen gedämpft. Nun kommt das Ende, ein schwerer Lebensabend und der Tod mit seiner Ruhe. Diesen letzten Teil seiner dichterischen Aufgabe, seines in dem Titel der Sinfonie angedeuteten Programms, hat Draeseke im wesentlichen als einen Kampf zwischen den lebenswilligen und lebensmüden Seelenkräften dargestellt. Die musikalischen Hauptver- treter dieser beiden Parteien sind das weit gegliederte Thema der Mühsal und Rastlosigkeit, das am Schluß der Vorrede, in dem Augenblick einsetzt, wo die Melodie des Ideals (aus dem Andante des ersten Satzes) verschwindet. Es besteht aus zwei Teilen. - Den ersten, der schauerlich vom Baßklang signalisiert wird

Allegro conbrio. Vlollno

I^Clf'

rr^rm Hl I im i ni7.jji i

hat der Komponist nachträglich für eine im Gespen- sterton gebaltne Fortsetzung des Scherzos erklärt*). Die Bässe treten mit unheimlichem Achtelmotiv da- zwischen.. Dann fahren die Geigen emsig und doch müde fort:

*) Leipziger Tageblatt vom 19. Dezember 1907.

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Wieder treibt das Achtelmotiv der Bässe an, dann kommt der oben in O gebrachte Abschnitt noch einmal in Cmoll und damit schließt das ganze Thema. Seine Natur ist Hasten und Bilen, Ringen und Sorgen; es entrollt ein Stück Lemurenleben, ein Mühen und Plagen mit bestem Willen, aber Unsegen darüber. Manchmal klingts daraus wie aus Bürgers Lenore oder wie in der Sii^onie fan- tastique. Der Dämon reitet immer nebenher, wir hören ihn aus den Solostellen der Kontrabässe, wir hören ihn aus der Pauke, die das ganze Thema mit leisem Grollen begleitet. Nebenbei bemerkt wird sich keine zweite Orchesterkomposition finden lassen, in der der Pauker so viel zu tun hat wie in diesem Finale, über dem von A bis Z ein Gewitter steht

Das zweite Hauptthema des Schlußsatzes, aus dem die Stimme der Todessehnsucht, der Bitte um Ruhe, der Hofifnung auf Frieden spricht, wartet, bis das erste oben angeführte Thema nach einem Abschnitt, wo die Harmo- nien unter einer liegenden Stimme sich aufrührerisch bäumen, wiederholt und zu einem lauten, empörten Ende wiederum liegende Stimme /j darunter wilde Disso- nanzbildung — geführt worden ist. Dann thtt es in Esdur ein und tröstet in Zungen, die wie bekannt an- muten:

p moäo egpr.

G? i^"N^ iiTTT^i i'i| TH^^

Hiermit ist der Zuhörer von der Hauptsache des Finale unterrichtet. Die weitem Gedanken, die der Komponist

-^ 733 «^

aufstellt, können als Nebenthemen b'etcachtet werden. Die mit dem findendes Esdorthemas schließende Abtei- lung des Finale entspricht der Themengmppe des Sona- tensatzes; Durchführung und Reprise kann Draeseke nicht brauchen. Denn er entwickelt kein Stimmungsbild, son- dern er gibt eine Erzählung in Tönen. Einzig das erin- nert an den Brauch der Durchführung, daß er das erste Hauptthema es mag der Kürze halber und mit der Bitte, nicht mißzuverstehen, das Lemurenthema genannt werden auch weiter Terwendet und zwar sowohl als Hauptgegenstand des Tongemäldes, als auch als Staffage. Nachdem das Es dur- Thema verklungen ist, setzt das Hauptthema . Baase. -— -j ^-.^ ^ ^

regsam ein, jetzt JUkh/B JM J J J Jl^ I O T' I f - in der Form: V ^^ ^-«=

Spöttisch antwor- ' J Ji 1^ i 1 M I ~ ^^^ °^^^ einem ten die Hörner: y*^ ^' r ' i.f 4 * " energischen Ruck rafft sich der Held der Tondichtung zu alter Energie und Kraft auf, in einer Größe, vor der man sich fürchten kann, und zwingt dem Thema einen heiteren Charakter ab, der musikalisch am deutlichsten auf Grund folgender Umbildung zum Ausdruck kommt:

^^'^. P LLf m |i jj 1 1 |i i i r i f f

Die Szene bleibt dem Scherz zwar nicht unbestritten; verminderte Septimenakkorde, harte und trübe Klänge drängen sich dazwischen. Aber in der Hauptsache scheint es doch, als wolle sich dieses Leben noch zum guten wenden: Es erfolgt eine Wiederholung der ganzen Gruppe des ersten Hauptthemas, aber jetzt nicht im Lemurenton, sondern im stolzen Klang f und /f, wie die Äußerung eines Riesen, der nicht zu vernichten ist. Diese Wieder- holung .endet mit einem neuen Thema^ dem ersten be- deutenderen Nebenthema des Satzes:

iiTi 'iTpii i|

.^ 734 <j^

das vielleicht mit Absicht an Schomanns G dur-Sinfonie erinnert. Aus ihm hören wir, daß es mit der Kraft, die sich eben noch geäußert hat, doch nicht so sicher steht, denn es hat einen klagenden Beiton und bringt uns das tragische Geschick, zu dem hier ein edler Mensch verurteilt ist, wieder ins Bewußtsein, Draeseke führt es sehr kunstvoll, in rhythmischen Verschiebungen, Nachahmungen, Verkürzungen und andren Formen, die vielleicht etwas zu gelehrt sind, durch und läßt es mit klagen-

mu Klagen- jfl.L Lj?-^ .. i i . i . t . . .

den Wen- JilHi^r f tf iM ||J|,J J hJl^S enden.

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Das letzte, ganz beiläufig gefundne melodische Motiv macht er sofort, seinen Charakter ins Heitre zwingend, zum Träger eines zweiten Nebenthemas

i r^\i r^ \ni I Jii das die dritte Abtei- ^ ""^^^^^ lung des Finales vor- wiegend beherrscht. Es wird in ihr in anderer Form der Versuch wieder aufgenommen, des Lebens Härte und Tragik mit Scherz und Anmut zu besiegen oder doch zu vergessen. Ganz wohl wirds dem Zuhörer nicht dabei, denn die dämonischen Rhythmen des ersten Hauptthemas wühlen in den begleitenden Instrumenten immer weiter. Zuweilen nehmen sie allerdings den scherzenden Charakter wieder an, den wir aus der zweiten Abteilung des Satzes schon kennen, und schließ- lich will es zu einem großen Freuden aufschwung kom- men, den ei- ^.^ ^-v .-r^ n.da,ch.e.^,^^fee^.-^ |ff [f f |

mawendung

markiert. Aber kaum angestimmt, wird er unterbrochen. Ähnlich wie wir es im Scherzo erleben, setzt von Bässen und Pauke aus ein verminderter Septimen akkord ein ifis-a-c-es), an den sich bald ein furchtbares Reiben der

--^ 735 <fc^

Stimmen über einen Orgelpunkt (auf fis) anschließt. Da- mit ist das tragische Schicksal entschieden. Weinend und zerbrochen sucht sich wiederholt das (frühere) Es dur- Thema, das Thema der Sehnsucht nach Frieden und Ruhe, durch die Massen zu zwingen. Vergeblich. Es geht entschieden zu Ende. Und da kommt nun die vielleicht ergreifendste Stelle der ganzen Sinfonie: Angesichts des Todes wirft der Held einen Rückblick auf sein unglück- liches Leben : alle Themen aus den vorhergegangetien drei Sätzen der Sinfonie ziehen auf, ziehen wiederholt vor- über, am meisten bevorzugt die Themen des Grave, die mit dem Hauptereignis in diesem Schicksal verknüpft waren. Ein langer Orgelpunkt auf g, eine grausame Stelle im Klang und im Sinn, bezeichnet wphl die ktzte Not. Dann setzt die Einleitung der Sinfonie nochmals ein, wie um zu sagen : die schlimmen Ahnungen haben sich erfüllt. Als dann aber die Melodie des Ideals (An- dante) eintritt, bleibt Draeseke in ihrem Ton und gibt mit einigen weichen, sphärisch verklingenden Takten der Sinfonie ein Ende in Verklärung, ähnlich wie das neuer- dings auch Brahms und Tschaikowsky getan haben.

Größrer Popularität erfreut sich die Sinfonie (Fdur) a. Gqu, von Hermann Götz, dem Komponisten »Der Wider- Sinfonie spenstigen Zähmung€. Sie verdankt diese ihrem zweiten (Fdnr, Op.oi Satze, »Intermezzo«, einem der reizendsten Genrebilder« der modernen Musik. Die Nummer wirkt ebenso durch ihren fröhlichen, populären und doch noblen Inhalt, wie durch die originelle Anlage. Das Hörn beginnt mit:

^) AUeg^retto. , ^^ -^

Die Holzbläser antwor- b) ±1 *-v^ welches

ten ebenso naiv ^i^.ZjSZ^AST\^-^^ ^ ^\tj ■' die Vio- einem munteren Thema ^"^ -r^dn^^' i-^^ j.^^^

aufnehmen und weiterführen. Nach einer lustigen Ka- denz der Flöte setzt der Seitensatz in gedämpfterer Stimmung ein:

736

^\JTT\h

Celli, zweite Violinen und Fagotte legen eine sentimental sinnende Melodie darunter.

Der Gedanke und seine Durchführung erinnern eine Weile an das Scherzo der Schumannschen Cdur- Sin- fonie, bis die Trompete mit dem Hornthema des Ein- gangs den eignen Phantasiekreis des Komponisten wieder feststellt Das kindlich heitere Treiben gelangt in einer, die Stelle des Trio vertretenden Episode über folgendes Thema:

TJn poco meno moto

auf einen Augenblick zur Ruhe.

J Jj* iJ^I2 I ij.^ = ^on diesem Mittelpunkte aus ** "^ '' bewegt sich dann der Satz in

freien, vorwiegen d durch ruhigere Gegenmelodien veränder- ten Wiederholungen der ersten Gruppen dem Ende za Das Adagio (FmoU, 8/4) steht mit dem Intermezzo in näherer Verbindung. Das Thema d des letzteren bfldet den Mittel- satz. Haupt- ^ Adagio, thema ist eine ernste Melodie

auf deren Grund der erste und dritte Teil des Satzes in einfacher Sprache eine Reihe von Betrachtungen ausführen. Ihr tief schwermütiger Ton .macht erst in der Coda (in Fdur) einer hoffnungsvolleren Stim- mung Platz.

Von den beiden Ecksätzen der Sinfonie ist der erste der hervorragendere. Sein Hauptthema ist durch- aus romantisch, in seiner Stimmung zwischen ainnig behaglichem Genießen, jugendlich stürmischem Ober- schwang und leichten Anwandlungen von Melancholie geteilt:

737

AUc(:ro moderato

Das zwei- te, freundlich schwärmend: '

weist auf die Meistersinger R. Wagners, der von jetzt ab für die Sinfonie aller Länder ungeheuer wichtig wird, hin. Ober der Verbindung der beiden Ideen liegt gleich- mäßig der Ton Hebenswürdiger Anmut; doch bricht an einigen Stellen auch der Jubel kräfUg durch.

Besonders hervorzuheben ist der Schluß der Durch- führung, an dem aus zarten Träumen sich die Phantasie überraschend energisch zum Hauptthema ztu'ückwendet.

Der Schlußsatz der Sinfonie erstrebt kräftigen und feurigen Ausdruck. Hierzu dient die rauschende Violin- figur, welche das Hauptthema eröffnet:

Alierro eon fuoe» ^

und das resolute The- ma des Seitensatzes:

li^i 'ILi^'liiiiTuililiJ

Der Gegenpart ist durch eine Melodie vertreten, welche nur durch kunst- volle Schlüsse zu einem stär- keren Gehalt erhoben wird:

Lange erwartet, trat zu der Zeit, wo die Götzsche Arbeit erschien, am Ende des Jahres 1876, endlich auch Johannes Brahms in die Reihe der Sinfoniker ein.

y

Kreteteliinir, F&hrer. T, 1.

47

-^ 738 ^^

Aus den Kreisen ^er Romantiker hervorgegangen, ▼ertritt Brahms das bleibende Prinzip der romantischen Richtung: das Prinzip der gemischten Stimmungen und der raschen Bewegung des Empfindnngslebens. Aber alle die früheren Vertreter der musikalischen Romantik übertrifft Brahms durch seine, in wunderbar zielbewußter und energischer Entwickelung erworbene Vielseitigkeit und durch die Objektivität, die Strenge und Mannig- faltigkeit des Stils. Brahms ist unter allen Sinfonikern des 19. Jahrhunderts der bedeutendste Beethovenianer, soweit es sich um Form und Stil handelt. Kein zweiter hat so wie Brahms Beethoven in der Logik und Ökonomie des Satzbaues, in der durchweg gediegenen Entwickelung des thematischen und motivischen Materials, in dem Ver- zicht auf das Konventionelle erreicht. Er ist der Groß- meister der sinfonischen Arbeit! Seine Werke, natur- gemäß die Sinfonien voran, sind deshalb auch nicht durchweg leicht zu genießen. Schwer ist vor allem seine erste Sinfonie. j.BrAhas, Diese erste Sinfonie (Cmoll) war, gerade so wie bei

Sinfonie Nr. 1 Beethoven, die Frucht langer Arbeit Sie soll nach Kal- (Cmoii,Op.68. beck*) Vorgängerinnen gehabt haben und im ersten Ent- wurf bis auf das Jahr 1855 zurückgehen. Sicher ist, daß Frau Schumann und Albert Dietrich 1862 den ersten Satz kennen lernten *% aber die Ausführung des ganzen Werkes läßt noch fast fünfzehn Jahre auf sich warten. Es nähert sich im Charakter und im Gange der Ideen der Beet- hovenschen Fünften. Auch die Cmoll- Sinfonie von Brahms führt von Kämpfen und schweren Stunden zur Klärung und zur freudevollen Freiheit der Seele.

Der erste Satz beginnt mit einer langsamen Einleitung (Un poco sostenuto, C moll, ^ls\ welche das Bild des folgen- den großen Allegro in kurzen Strichen vorauszeichnet Sie braust leidenschaftlich auf schöpft Atem und hofft

*) Max Kalbeck: Johannes Brahms IIT, 1910. **) Briefe von und an Joseph Joachim, 1912 (11, 22). Albert Dietrich: Joh. Brahms (1898), 8. 42.

» 739

wie dieses auch die thematischen Motive des Ällegro klingen in ihr schon an. Unter ihnen ist das chromatische Thema, mit welchem die Violinen sich unter den dröhnen- den Strichen der Kontrabässe in die Höhe quälen:

ÜB poco sostenuto. ^ ^^-»^

jt'^ftr^VriTrf>f'C£''l^ Pr"!^!^^ d«« enUcheidende.

Es steht nicht bloß an der Spitze der Sinfonie, son- dern es trägt als eine verbesserte Art »id^e fixet fast ihren gesamten Grundriß. Auch seiner zweiten und dritten Sinfonie hat Brahms solche kurze Generalmotive zu Grunde gelegt, an ihnen eine unvergleichliche Meister- schaft in der Variationskunst erprobt und damit der Sin- fonik ein neues Mittel für Einheitlichkeit und Zusammen- hang der Fol'm gewonnen. Das hier angeführte chroma- tische Generalmotiv bietet für den größten Teil der^ersten Sinfonie den technischen und geistigen Stützpunkt. Noch in ihren zweiten und dritten Satz ragt es leibhaftig hinein; der erste Satz aber ist Aller ro bildet es hier

vollständig auf ihm /i^ a -'.^>.j|,,-Ty-^ft^^ di® Ober- fundiert. In der Formf fr "- H T I T T I T stimme , bald den Baß, fungiert in seinem kontrapunktischen Gewebe als heimlicher Gantus firmus und wirkt als treuer, leiten- der Geist in guten wie in bösen Stunden. Es gibt die Alarmsignale und ruft beschwichtigend den Sturm der Leidenschaft zur Ruhe. Das erste Thema des AUegro

.nrß/pn^,,t^^riffV? f I

Alle^ro ^^

ist ihm gegenüber nur ein sekundäres Ulli; kontrapunktisches Kunstprodukt, hat aber ^ 1*^ die dämonischen Szenen des Satzes,

welche mit großer Energie, Kraft und Schärfe, aber ver- hältnismäßig knapp dargestellt sind, zu tragen. Ein- dringlicher, für den Gesamteindruck des AUegro bedeu- tender, wirken die Partien, in welchen der verzweifelte Ton der Kampfesstimmung leiser wird und den milderen

47*

-_^ 740 4»—

Regungen Platz macht Wunderbar schön ist naitaent- lieh der Obergang zum zweiten Thema: der allmähliche Eintritt der ruhigeren Bewegung, das Hervortreten klagen^ der Motive, der sehnsuchtsvolle Ton, in welchem das er- wähnte chromatische Thema an die Spitze der bittenden Stimmen tritt Dieser Partie ist der Stempel der Natur- Wahrheit aufgedrückt Das zweite Thema, dessen erste Periode zur Orien- . <*-j tiernng über das Ganze dienen mag stammt seelisch und technisch ebenfalls von dem chro- matischen Hauptmotiv der Sinfonie; unwillkürlich erinnert es aber auch an R. Schumanns Manfred -Ouvertüre und ist eine Hauptstütze für die Ansicht Kalbecks, daß Brahms sich mit seiner CmolUSinfonie aus einer peinlichen Man- frediscben Situation befreit habe. Ein reizender Dialog, von Hom und Klarinette fast nur in den einfachsten Naturlauten geführt, fugt sich dem zweiten Thema an; leider ist er nur von kurzer *J'^^L T,^^ Dauer. Mit einem unwirschen Rhythmus: r

ans welchem sich das V j.V» herausbildet, rufen

für die Entwickelung des IE fc'^Tfj^= die Bratschen den Satzes wichtige Motiv "^ "9 '- Chor der Instru- mente zur Kampflust und in die leidenschaftliche Aktion zurück. Brahms beschließt sie mit einem Anhang, der, lediglich aus einem Zweiachtelrhythmus entwickelt, einen Zustand fassungsloser, atemloser Aufregung veranschau- licht. In der Durchführung treten die beiden großen Piano- stellen besonders hervor: In der plötzlichen Totenstille, welche sie verbreiten, in dem leisen, halb verborgenen Walten ernster Gedanken, haben sie etwas Übersinnliches. Der ersten folgt eine Szene von Kraft und Frömmigkeit Die alten Motive des Trotzes schließen sich wie zum Choralgesang zusammen : Die zweite lenkt in eine Periode über, welche den auf- geregten Ton der Einleitung verstärkt und gesteigert wieder anschlägt und mit dem erschreckendsten Aus-

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druck innerer Empörung in die Reprise überleitet. Es ist diese Periode einer der gewaltigsten Versuche im pathetischen Stil und zugleich ein Meisterstück in der Kunst, Übergänge zu machen. Die Krone bildet der. lange Orgelpunkt auf g mit der plötzlichen Ausweichung am Schluß. Die Reprise nimmt den gewöhnlichen Ver- lauf. Als sie aber am Schlüsse der ersten Themengruppe die dämonischen Mächte des Satzes auf einen neuen, höheren und unerhörten Punkt geführt hat, bricht die Musik wie in natürlicher Erschöpfung ab. Das chroma« tische Thema wird*, zu rührenden Klagemelodien er- weitert, und wehmutsvoll elegisch klingt der Satz im Sostenuto aus.

Der zweite Satz, der wie der entsprechende des BeethoTcnschen G moll-Konzerts nach Edur rückt (An- dante sostenuto, E dur, 8/4), steht noch unter dem beklem- menden Einfluß des ersten. Soweit er auch dem voraus- gehenden Allegro in der Tonart und in seinen Trost und Frieden suchenden Absichten ausweicht .'einige von dessen furchtbaren Elementen erreichen ihn doch. Sie äußern sich in den heftigen Crescendos, in den schroffen Modulationen einzelner Themen; ja der erste Satz schickt in das erste Thema unsers Andante

Andante sosteooio.

iÄÄg

den chromatischen Dä- mon in den Schluß der zweiten Themengruppo

lieh wieder- A ^ p ^ t *r r ff r'^Pf ^f^ hinein.

In einzelnen Partien klingt der Ton kindlicher Zu- versicht außerordentlich rührend durch, so im Nach-

.noch freundlicher be-

satz des er^.^ ^, , ?'^ rir% r^i^ -^^^^ freundlicher be- sten Themas: gaT IJJv Ujn' lebt in dem Sechzehn-

742

telspiel, welches Oboe und Klarinette als zweites Thema bringen. Der Schloß, des Andante, wo Hörn und die Solo- violine mit dem zuletzt zitierten tröstlichen Thema kon- zertieren, wirkt wie eine wahre Musica sacra.

Der dritte Satz der Sinfonie (Un poco Allegretto, Asdur, V4) ^^i^ ^^^ ^^^ Charakter des an dieser Stelle gebräuchlichen Scherzo weit ab. Es ist im strengen Zu- sammenhang mit dem Geist des ersten Satzes gedacht: seine Heiterkeit infolgedessen eine ged&mpfte, wie in einer fröhlichen Stunde, die als die erste auf eine Reihe trauriger Tage folgt. In seinem zweiten Thema namentlich

Allegretto^ _ Ob. _

i

«11 nun SQ^ ist die Betrübnis merkbar, und in die

Fortestelle mischt sich ein Akzent des Schmerzes. Der Grundton des Satzes ist kindlich herzlich. So äußert ihn das Hauptthema, das im Anfang mit den langen Noten auf Bedenken hinweist, namentlich in der zweiten Hälfte:

Clar.

^m

noch mehr das Trio: ein graziöses Wechselspiel zwischen Holzbläsern und Geigen über das Thema:

In dem zarten Glöckchenton der Bläser liegt viel Naturklang und dasselbe ursprüngliche Instrumentations- talent, das sich im zweiten Thema des Andante, in dem Dialog der Holzbläser bemerkbar machte und das sich bei Brahms häufig in Bildungen von größter Einfachheit äußert. Der Schluß des Satzes, still und halb unerwartet,

743

steht mit dem dezenten Charakter der Komposition im vollen Einklang. Bedeutungsvoll, Vorbote nener Stürme, blickt aber in ihn das chromatische Leitmotiv der Sin* fonie hinein.

Das Finale (Adagio, Cmoll Andante Ailegro, C dar, (^], die aas echter Inspiration gebome Krone der Sinfonie und ein Gipfelpunkt moderner Tonkunst über- haupt, beginnt mit einem Rückfall in die leidenschaftlich trübe Stimmung des ersten Satzes der Sinfonie. Schwer- mütig und im Innersten an das fatale Chromä gekettet, setzt das einleitende Adagio ein:

Adafflo.

I

Die Violinen suchen energisch und desperat, in einem durch das pizzicato und stringendo sehr scharf charak- terisierten Satz, welcher auch an den kritischen Punk- ten des Ailegro wiederkehrt, von dem melancholi- schen Wege abzulenken. Vergeblich! Die Phantasie irrt aufgeregt im dunklen Kreise; über das an die Einleitung des ersten Satzes anknüpfende Motiv

trete.

gerät das Orchester in eine helle Empörung, die sich zum Teil rezitativisch und in neuen Zungen äußert. Die Pauke wirbelt fürchterlich. Da erscheint wie ein friedlicher Himmelsbote das Hörn mit folgender, ebenso von Schu- berts Geist, wie von der Erinnerung ans Alphorn berühr- ter Melodie:

Pill Andante.

Wir sind im Andante, dem zweiten Teile der Einleitung. Die Stimmung sänftigt sich, erhebt sich und bereitet den kräftig freudigen Hymnus vor, mit welchem der Haupt- satz des Fina- Ailegro non troppo.

Die lange, volkstümliche und absichtlich an Beethovens

^^ 744 ^—

Freudcuhymne der Neunten erinnernde Melodie, welche sich aus dieser ersten Periode gestaltet, bildet den Hanpt- träger der Darstellung im Satze. Unter den anderen Ge- danken, welche ihr zur Seite treten, ist der wichtigste der schwankende:

fc^-rs -r* ^ Zu vorübergehender Be-

■T Vt'^tf}^fii\^.^\ »f^li^ deutung kommen noch die

- I ' kT ^'0»^»^ ^^^^^ energisch heiteren Motive :

und das melancholische :

jiVn^ fijTTTi ii|1v^i^' iT ff' M

Obo«

Y f^?' i|-7> ^^p

Der Satz baut aus diesem Material ein großartiges, dramatisch schwungvolles Bild einer Siegesstimmung, welche über alle Hindernisse hinwegschreitend bis zum dithyrambischen Jubel anwächst. In seinen heitern und seinen ernsten Momenten wirkt dieses Finale gleicher Weise anschaulich, lebendig und so mächtig, wie es seit Beethoven, vielleicht mit Ausnahme Schuberts, keinem Sinfoniker gelungen ist. Die gewaltigsten und ergreifend- sten Stellen des Allegro sind wohl die, wo die Pizzicato- Partie und die Hornmelodie des Andante wiederkehrt J. BrakMiy Mit seiner zweiten Sinfonie (Ddur, verdfifentlicht

Sinfonie Nr. 8 Ende 1877) ließ Brahms dem pathetischen Bild des Lebens* (DdurOp.73). Kampfes, das die erste entrollt, den Kontrast edlen Le- bensgenusses folgen. Er spricht hier so vornehmlich als warmherziger und feiner Naturfreund, daß man diese zweite Sinfonie als seine Pastoralsinfonie bezeichnen

_^ 745 V-

kann. Ihren Schauplatic legen die biographischen Quellen teils an den Wörther See, teils nach Baden-Baden. Doch sind ihre Pastoralmotive und ihre anakreon tische Ideen mit geisterhaften Klängen außerordentlich romantisch zusammengedrängt. In der musikalischen Faktur steht sie im ersten Satz etwas hinter der ersten Sinfonie zu- rück, ist bequemer entworfen und läßt mehrmals die Punkte erkennen, wo durch Zusätze und Einschiebungen nachgeholfen worden ist. Andrerseits ist sie wieder reich an formellen Glanzpunkten, und ihr Grundton einer vor- nehmen, zuweilen träumerisch und östreichisch gefärbten Heiterkeit schlägt jede Kritik nieder. Ähnlich werden die schweren und schwermütigen Teile ihres Adagio durch die seelische Anmut und den friedvollen Sinn, der sie beherrscht, erleichtert.

Der erste Satz dieser Sinfonie (Allegro non troppo, D dur, 3/^ gleicht einer freundlichen Landschaft, in wel- che die untergehende Sonne erhabene und ernste Lichter hineinwirft. An selbständigen musikalischen Ideen über- steigt er den Bedarf des Schemas bei weitem, und ein- zelne dieser zahlreichen Seitengedanken fesseln die Er- innerung mit voller Stärke an sich. Das Hauptthema des Satzes besteht aus einem liebenswürdig traulichen, gemütvollen Dialog zwischen Hörn und Holzbläsern:

AUegro noB troppo ^ . Uoisbl. , ,

y'H»rfr'r"'r ir i^rMJfrFifrir if'

CoBtra». * ' * ö «

der die Kenner des Meisters an die Serenaden seiner Jugendzeit erinnert. Wenn der holde Gesang zuerst ein- setzt, schenkt ihm der Zuhörer kaum vor dem zweiten Takte Aufmerksamkeit, die drei einleitenden Noten des Kontrabasses erscheinen ihm bedeutungslos. Sie sind aber nicht bloß für den ersten Satz wichtig, sondern sie spielen in der zweiten Sinfonie eine ähnliche Rolle wie in der ersten das chromatische Motiv: o eis d^ sie sind das in meisterhafter Variation durch alle Sätze geführte Generalmotiv der zweiten Sinfonie. Zunächst entwickeln

f^

746

aas ihnen die Violinen nach langem Schweigen das Nach- spiel, das die Bläserszene endet Diese ist als die Ein- leitung, als der Prolog des Satzes gedacht und hat des- halb einen scharf markierten Schluß erhalten. Am be- deutendsten treten aus ihm die tiefen, dumpfen Einsätze der Posaunen hervor, hier wie in der weitren Folge vom Dreinotenmotiv gekreuzt und umschmeichelt Im ver- längerten Rhythmus, in drei halben: a a (Oboen), bildet es das letzte Wort des Vorspiels mit einer Wirkung, als sei gebetet worden.

Der Satz fängt nun gewissermaßen vom frischen an:

die Vio- ^ -^^^ fi^^^^T**>i. ^^ ^*® Spitze,

linen tre-^ j f'^pfripp •rrif ifff ir=bald bringen

'die Oboen ein

ten mit neckisches Zwischen* gj^

Auch diese beiden The-

men sind von dem Motto

L-T _»p der Kontrabässe abge-

sätzchen:

leitet Eine Achtelfigur fts'ä a (dem zweiten Takt des Hauptthemas entnommen) will eben den scherzenden Ton steigern, da weist der Komponist die Tändelei ener- gisch ruhig ab und schreitet mit dem Mendelssohnisch anklingenden zweiten Thema

I jTr CU^" r'r W rT|f rT|fT| h ,

zur innren Sammlung.

. Bald aber gährt es wieder in der Brust des Tondichters, es kommt zu der für Brahms kennzeichnenden Mischung von grauem und ungradem Rhythmus, aus dem Frieden und 'den Schlummergedanken wendet er sich zu streitbarer Kraft und drohend«. Jinergie mit den auf den Oktavsprung des Horns (im Hauptthema) gestützten neuen Themen:

und

t7^-^r?r^^f'f f ifj^f f if i;^fi

^ 747 ^>-

Brahms holt sich aber ans dem scheinbar nur idyllischen Hauptthema noch weitre Stützen fflr die kräftigen Gänge, in die er jetzt eingelenkt hat. Das Terzenmotiv des Homs kommt in langen und wuchtigen Viertelketten der Bässe, die Violinen umflattern es mit kleinen Sechzehntelgängen. Dann wird aus dem Schluß der Hommelodie der Gang fis e d selbständig in Sequenzen verarbeitet, die außer- ordentlich rüstig klingen und diesen Eindruck durch Nachahmungen zwischen Bässen und Violinen verdoppeln. Die Stelle ist unter den Bildern gesunder Kraft, an denen die Sinfonie reich ist, eins der mächtigsten. Doch schließt Brahms die Themengruppe nicht mit ihr, sondern kehrt überraschend zum zweiten Thema zurück. Mit neuen Ornamenten, Flötentrillem über a a deutet es gleich vom Einsatz ab auf das Hauptthema hin und leitet bald zu ihm zurück.

Die Durchführung beginnt sehr freundlich mit dem Hauptthema in Fdur, also in die Färbung der Ferne gewendet. Vom zweiten Einsatz ab treten erregte Bil- dungen über den dritten Takt der Hommelodie in den Vordergrund, der Charakter der thematischen Ableitungen wird zusehends streitbarer, Streicher und Bläser stellen sich gegeneinander, in den Posaunen kommt das Drei- notenmotiv in unheimlichen Engführungen, in den Har- monien wühlt es, im Rhythmus wechselt Ruhe und Be- stürzung fieberhaft, dicht aneinander stellen die Geigen in den hohen Saiten eine Achtel- und eine Viertelform des Dreinotenmotivs. Da kommt endlich die Stimmungs- krisis mit einem leidenschaftlichen Aufschrei sämtlicher Bläser auf dem immer, bald langsam, bald schnell wieder- holten h d (dem Einsatzmotiv der Hommelodie) zur Lö- sung. Ihr folgen Augenblicke der Resignation, das muntre Thema, das am Schlüsse der Einleitung die Violinen einsetzten, kommt mehrmals in Moll, dann entfacht sich über einem Orgelpunkt (auf A) der Sturm der Gefühle vom neuen, die empörten Leidenschaften nehmen wilde Formen an. Da zwingt Brahms mit gewaltiger Willens- macht und mit einem einzigen kurzen Griff die ent-

748 ^

faBselten Elemente ins natürliche Gehege mit energischen, immer wiederholten Intonationen des Terzenmotivs zu- rück, aber jetzt nicht in Mollform, sondern mit fa. Mit der Dartonart ist auch fester Boden gewonnen, und bald be- ginnt der dritte Teil des Satzes, die Reprise. Er ist der schönste des ganzen Satzes geworden, durch die Coda, die ihm Brahms anfügte. DasHornsolo, das sie träume- risch zögernd und suchend beginnt und dann mit rezita- tivischer Freiheit und Macht in Tönen tiefster Klage, edelster Resignation endet, ist eme Erfindung von un- mittelbarer Eingebung. Die Violinen bleiben noch eine Weile mit wärmstem Ausdruck in diesem Kreise, dann aber repetieren sie mit den Holzbläsern, immer in An- lehnung an das Motto der Kontrabässe, die einen den andren einhelfend) pizzicato die Streicher, staccato die Bläser, nochmals in Kürze alles das Freundlichste und Anmutigste, was ihnen auf der vorhergegangnen langen Wanderung begegnet ist. Dieser Schluß, der den Bin- druck des Satzes krönt, gehört zu den schönsten Ton- bildem, mit denen Brahms die Musik bereichert hat

Der zweite Satz der Sinfonie (Adagio non troppo, H dur, (^) stellt mit seinem Anfang

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den im ersten ungelöst gebliebenen Rest jfj^Pf^l^' E pessimistischer Elemente gesteigert und

"* t ' ^. vAradiürflK in r^An VnrHArirriin<) THa Va.

~^ verschärft in den Vordergrund. Die Me- lodie ist in ihrem weiten freien Wurf außerordentlich schön, in dem Suchen nach einem Ausweg aus dem Trübsinn, in dem Kampf gegen Verwirrung und Fassungs- losigkeit außerordentlich charakteristisch. Ihren schwer- mütigen Bücken begegnet endlich ein freundliches Bild, welches die Phantasie in die Jugendzeit, in die glücklichen Tage von Spiel und anmutigem Tanz zurückführen will:

^Ic«

749

Ein dritter Teil, geföhrt von dem Thema:

P99vy

das uns den freundlichen Einsatz der Holzbläser im ersten Satz in 'düstrer, diabolischer Umbildung zeigt, steigert die trübe Stimmung bis zu einem leidenschaftlichen Grade, und es kommt zu höchst erregten Ausbrüchen des Pessi- mismus, bis hereinklingende Grabestöne (Posaunen) zur Besonnenheit, zur Resignation und zum ersten Thema zurückrufen, das nun, nach den wilden und schrecklichen Momenten der Durchführung, trotz seines Ernstes und seiner Schwermut wie ein BaJsam wirkt. In die Reprise spielen kosende Triolen hinein, aber gleichwohl spricht immer in kurzen Wendungen und mühsam unterdrückt ein tiefer Schmerz mit. Das zweite Thema mit seinem lieblichen ^Vs Takt kehrt nicht wieder.

Der dritte Satz der Sinfonie, der als Allegretto gra- zioso bezeichnet ist, aber sich aus verschiednen gegen- sätzlichen Tempis zusammensetzt, ist schnell der belieb- teste, ist ihr da capo-Satz geworden. Er gehört genau wie der Menuett in der D dur-Serenade von Brahms, wie der Walzer in Volkmanns F dur-Serenade zu den besten Nachbildungen alten Stils und trifft, namentlich im Haupt- satz mit der spärlichen Bläserbesetzung, um die das Cello drollig gravitätisch und gleichmäßig herumpendelt, den naiven herzigen Ton der alten Suitenmusik schlagend, ohne die Zeit seiner Entstehung ganz zu verleugnen. Das Hauptthema des Satzes

Allegretto ^mtos^

j I das mit einer Umkehrung des bekannten ^ J J I J 1^ Dreinotenmotivs beginnt, endet mit roman-

tischen Ausweichungen, die an Franz Schubert erinnern.

Die schlicht anmutige Melodie ist mit einer gleichen

Einfachheit harmonisiert und instrumentiert. Der Seiten-

750

satz, im wesentlichen lediglich eine rhythmische Um- bildung je- ,- Presto.^ wird noch durdi ein

nes Haupt- ^m^ rr'rf ip|*f fl ^^^^ wuchtiges Ne-

themas: f bonlhema verstärkt:

In ihm, wie in dem die Stelle des Trio' vertretenden 3/» Takte

Presto.

P Viol.

ist der Humor in die Formen der ungarischen* Musik ge- kleidet

Das Finale der Sinfonie [Allegro con spirito, D dur, (t) erinnert an die schillernden Farben der Gherubinisdien Romantik, sein Geist ist der lustige, lebensprühende der Haydnschen Sinfonie. Im Stil dieses Meisters setzt auch das phantastische flotte Ilauptthema an der Spitze das Dreinotenmotiv

Alleg^To con spirito _^ ^„««^.^^

^ im spannenden piano ein, dem

y==|^- nach einem frappanten Über- ■^^"^ gang das rauschende Forte folgt. Das erste Seitenthema ist folgendes:

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*

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T'i-f-T

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f ^ * * ? r

Die behagliche Wirkung des zweiten Themas:

BCt

-if^iijliJJi'ii:^-W'ijJi'i£r^''iC'

^^_^ erhält in einer Reihe von Seitengedanken, y p^p 1^ patriarchalisch kräftig die einen, in losen Ach- ■^ telfiguren tändelnd die anderen, nachdrQck-

751 *—

liehe Uuterstützung. Die traulich schwärmerische Episode derDurchfüh- risir»

che sich über fr»^' ' ^+^ ' '|j£rri£Ir '^'^ ' '

das Thema: vi©l

entwickelt, soll dem »Waldweben und den Waldesschatten in den Taunusgründen« gelten*;. Also eine weitere kon- kurrierende Landschaft!

Auch dieses Thema fängt wieder mit dem General- motiv der Sinfonie an.

Der Reprise folgt eine Coda, die tnit dem zweiten Thema in Moll tief unten in den Posaunen einsetzt Es dunkelt nochmals stark. ' Schnell weidet aber der Kom- ponist die Motive ins Helle und schließt stürmisch freudig. An Tiefe der Wirkung bleibt jedoch dieser Schluß hinter der Coda des ersten Satzes zurück.

Die dritte Sinfonie Von Brahms (Fdur), welche bei J. BrAhai, ihrer ersten Wiener Aufführung (2. Dezember 1883) von Sinfonf« Nr. 3 Hans Richter nicht übel als die heroische Sinfonie des ^^^' ^*-) Meisters begrüßt wurde, zeichnet das Bild einer Kraftnatur, die trübe Gedanken und sinnliche Lockungen gleich ent- schieden abwehrt. In der Darstellung dieses Vorwurfs verfährt sie aber insofern ungewöhnlich, als die Stelle der Konflikte am Ende der Komposition liegt.

Im Stil unterscheidet sie sich von ihren Vorgänge- rinnen durch Schärfe und äußerste Klarheit der Gliederung und dadurch, daß sie sich von der Beethovenschen Methode der Satzdisposition entfernt, indem sie den Schwerpunkt der Komposition aus der Durchführungspartie in die The- mengruppe, aus der Ausarbeitung und kunstvollen Weiter- führung in das Gebiet der ersten Erfindung zurücklegt

Den ersten Satz leitet ein kurzes Präludium von zwei Takten ein, des- Aiierro cob brio ^^ diese dritte Sin- sen knappes me- jg ^ JJ.|U--J-'|f ' ^onie innnerlich und lodisches Motiv C * J^^- '".i"- = äußerlich ähnlich

wichtig ist, wie es für die C moU-Sinfonie das chromatische

♦) Manc Spies: Hermine Spies, 1905 (S. 94).

if^

752

Mollo : C'ßü'dy für die zweite Sinfonie das Motiv d eiä d war. Es durchzieht als das eigentliche Heldenmotiv tn teilweise äußerst kühnen und bedeutenden Verwand- lungen sämtliche Sätze der Sinfonie, hier warnend und trotzend, dort w^eckend und anfeuernd. Nicht umsonst steht es so herausfordernd, so dämonisch an der Spitze des ersten Satzes, es beherrscht ihn, und unter seinen 224 Takten finden sich höchstens 60, in denen das Motto nicht vorkommt. Allerdings erscheint es in den mannig- fachsten Verwandlungen: als Stimme des Triumphes, des Kampfes, des Spiels und Scherzes, der Ruhe und des Friedens. Wie es den verschiedensten Zwecken des Aus- drucks dient, läßt es sich ebenso viele Umgestaltungen gefallen. Bald ist es Ober-, bald Mittel-, bald Baßstimme, bald thematisch, bald nur omamental verwendet.

Das Hauptthema des ersten Satzes, das kampfeslustig bald aus Dur, bald aus Moll blitzt und im raschen Wechsel von Ruhe und knapper Bewegung, in seinen großen Schritten und seinem langen Gang eine ungewöhnliche Energie vorspiegelt:

Allerro eon brio.

pottionato

ftiin5i>^j[^ii'77iiuii";;ffV

ist im Grunde, genau so wie an der entsprechenden Stelle der ersten Sinfonie, nur ein Kontrapunkt zu dem Grund- und Generalmotiv der Sinfonie.

Das im unmittelbaren Anschluß folgende Seitenthema:

^RirfrfffffYffj^

gehört zu jenen zahlreichen Episoden des Satzes, die mit zarten Regungen die kräftigen herkulischen Elemente der

-^ 753

Komposition emzuschlummeTn suchen. Aber vergeblich: es folgen ihnen immer nur kühnere Äußerungen des starken Muts. Die verführerischste in dieser Gruppe von Dalilagestalten ist das zweite Thema:

cur.

das seinen Gegensatz zum Haupt- thema noch durch Kolorit und Tonart sehr interessant, exotisch dämpft: Adur, Klarinetten ton, eine fast verwirrende Rhyth- mik und eine Begleitung wie in orientalischer Volksmusik. Schon im Nachsatz verwandelt sich das Thema, aus e fis g%8 wird eis his eUy aus dem sinnlichen Träumen und Schwelgen rafft sich die Stimmung zur Kraft und Ent- schiedenheitauf, und es kommt nun zu einem kleinen Kampf zwischen den härteren und den weichen Regungen, bei der die ersteren am Schluß der Themengruppe siegen. An ihn und an die kurzen, aus dem Motto entwickelten Ton- gänge — W'If I "a u. a. die wie Schwertstreiche klingen, knüpft die Durchführung an und entwickelt aus ihnen in Kürze mit kecken Modulationen ein Bild überschäumender Jugendkraft. Ganz unversehens tritt da das zweite Thema herein, aber es ist hier ganz anders gemeint als in der Themengruppe: es kommt in Cellis und Bratschen tief unten, es kommt in Moll grollend, grimmig abweisend, hoch erregt, mit Zusätzen, die es verzerren und verhöhnen, es wird mit einem schließlich komischen Eifer abgelehnt und zurück- gewiesen. Sein Nachsatz dagegen, das eis his \ eis, findet eine gute Statt und beschwichtigt die Aufregung. Nachdem es sich mit g fis\g nach Dur gewendet hat, wird es auf einmal ruhig und still, und das Hom kommt mit dem Motto in der Gestalt gh\g^ auf jeder Note einen vollen Takt ver- weilend, das Motiv zur Melodie erweiternd. Die Stelle wirkt wie ein Mondaufgang nach Sturm und ist für die besondere Kunst, die Brahms im Glätten der Wogen be- sitzt, eine der bedeutendsten Proben. In dem gleichen Ton geht es nun weiter, auch das Hauptthema kommt

Kr«issclim Ar, Fahrer. 1,1.

48

7^

jetzt ganz in Sanftmut gehüllt und im Charakter des Einschlommerns und Träumens. Die Musik will in eine höhere Art von Notturno übergehen. Da kommt aber das Motto wieder: laut, von energischen Akzenten der Streicher gehoben, setzt es in den Bläsern ein wie ein »Halt, zu früh!« Mit dieser Wendung ist die Durchführung zu Ende und die Reprise innerlich begründet. Sie verläuft größtenteils als wörtliche Wiederholung, in der Coda aber wird das Hauptthema auf ein erhöhtes Podium gestellt und spricht seine Kraft jauchzend aus. Dann aber lenkt Brahms aber- mals und wiedenim bezaubernd schön zur Ruhe hinüber. Ganz wie im ersten Satz von Beethovens Achter wird mit einem letzten leisen Zitat des Anfangs des Hauptthemas geschlossen.

Das Andante der Sinfonie (C dur, (^} ist eine schlichte, fromm gestimmte Dichtung, eine Komposition, welche in ihrem dnfachen Ausdruck seelischen Friedens, in ihrer in sich geschlossenen, einheitlichen und leidenschaftslosen Haltung kaum einem Seitenstück in der neueren Sinfonie seit Beethoven begegnet. Der Held ruht hier und träumt von der Kinderzeit und vom besseren Leben über den Sternen. Der größte Teil des Satzes stützt sich auf das Thema:

Andante.

^ciäF:

f f

Brattehen

welches in einer Reihe freier Variationen durchgeführt wird, die an seinem Charakter wenig ändern, aber im Kolorit den herrlichsten Wechsel bieten. Nur auf einen Moment tritt ein klagender Ton ein mit

Diese als Ahnung gedachte Melodie, welche formell die Stelle des zweiten Thema einnimmt, wird aber hier nicht weiter benutzt, sondern sie kommt erst im Finale der

-^ 755

Sinfonie zur Geltung. Nur ilir Nachsatz, der in ein mysti- sches Spiel mit weichen Dissonanzen ausläuft, kehrt am Ende des Satzes noch einmal zurück. Das dreinotige Heldenmotiv bringen versteckt, aber bedeutungsvoll erst die Bratschen, später die Posaunen.

Vom dritten Satze an (Poco Allegretto, Cmoll, »/g) wird der Charakter der Sinfonie trüber. Sein Hauptthema, welches ein wenig zu der Weise Spohrs hinneigt

Poco AUegretto. '"'T^ '7^ '->>

zi\u^\t^r\j\\ mQr^'''irrjiLB'iLiir

C«Ui """^ ^^*" "*^ ^^^^

gibt das Bild eines anmutigen Reigens wie aus dem Spiegel einer schönen Vergangenheit, und die Stelle des Hauptsatzes, wo die Mu- n flO»V ^®' ^^^^ ^®^*®*

sik ihren höchsten Reiz ffii " I ü LTjf sie ein , ist entfeitet das Motiv '^^ in der Farbe

der Erinnerung und des Traumes gehalten. An der Stelle des Trio steht ein Mittelsatz in As)j welchen die

;rBiru:s''?r ^^^^^^

Resignation füllen '^ 'Ip ▼»

Er sdiließt mit einer Wendung, die, an eine Stelle im An- dante von Beethovens Fünfter erinnernd, Klage und Hoff- nung sehr herzbewegend mischt. Überall haust auch in diesem AUegretto das Motto der Sinfonie, mit seiner kleinen Terz beginnt das Hauptthema, in der Form es g eil J durch- zieht es die Begleitungsstimme.

Daß dieser dritte Satz nicht ein feuriges Scherzo ge- worden ist, hat, ähnlich wie in der ersten Sinfonie von Brahms, seinen Grund in dem poetischen Generalplan der Sinfonie. Er soll den Übergang zu dem leidenschaftlich und oft finster erregten Finale (Allegro, EmoU, C/) ver- mitteln. Letzteres bildet den Schwerpunkt des Werices. Das heroische Element der Sinfonie hat hier die Probe gegen harte und unfreundliche Gegner zu bestehen. Düster phantastisch beginnt der Satz: huschende Figuren, dann ein Anhalten und gänzlicher Stillstand der rhythmischen Bewegung :

48*

756

', _ Allegro.

Noch beklommener und Tinheimliclier wird der Ton mit dem Eintritt der Posaunen und dem verschleierten Thema, das aus dem -■-/ .h t i {^^i . i t ._!_ zweiten Satze der ^> ^^^^""j^H JA ih^tj^i - Sinfonie stammt: ^r f TT f r f f f

Gleich darauf bricht der gespannte Bogen und die Situation nimmt einen ausgesprochenen Kampfescharakter an. Wild und trotzig fahren die Violinen herein mit dem ebenso wie das Hauptthema aus dem Motto entwickelten

■f nr ,^.f ^f f.f ^^ f,f ff f ,

die Celli singen siegesfreudig:

•ifl*

In der DurchHihrung dieser Konfliktsperiode finden sich mehrere Kulminationspunkte einer der höchsten ist da, wo das Thema b im stärksten Klange den fana- tischen Figuren der Violinen entgegengestellt wird. Ein merkwürdig bedeutungsvoller Einspruch des Fagotts be- schwichtigt die brandenden Wogen. Die Komposition lenkt in ein sostenuto über, dem die Schönheit des Regenbogen- himmels eigen ist. Die düsteren Themen a und b strahlen jetzt Ruhe und Frieden aus, und wie eine verklärte Er- scheinung zeigt sich an der Ausgangsschwelle der Sinfonie noch einmal das heroische Thema ihres ersten Satzes

--» 757 *^

. Die vierte Sinfonie [op. 98), die im Jahre 188Ö vollendet, J. Braluii, aber erst zwei Jahre später, nach den Aufführungen in Sin^nieNr.« Meiningen und Wien veröffentlicht wurde, hebt sich von <E™®*'>' ihren Schwestern scharf ah durch zwei eigene Züge. Erstens ist sie die schwermütigste, zweitens die an altertümlichen Wendungen reichste. Die Schwermut, die nur in wenigen Werken von Brahms ganz fehlt, ist hier Grundstimmung, das archaistische Element aber, das in den vorhergehenden Sinfonien sich im Ersatz des Scherzos durch Ländler- undMenueltformen, sonst nur beiläufig äußert, durchdrängt die vierte Sinfonie bis tief in die Natur ihrer Sprache und Grammatik hinein. Ähnlich wie es Freytag und Scheffel getan haben, weckt hier Brahms Töne und Wendungen vergangener Jalirhunderte wieder auf. Dieser Umstand liat tiefere Bedeutung und ist der Schlüssel zum Ver- ständnis des Werkes. Die Sinfonie gehört dem Kreis sub- jektiver Tondichtungen, in dem sich mit der Beethoven- schen Schule auch die drei ersten Sinfonien von Brahms bewegen, nur halb an, zum andern Teil ist sie Programm- musik in der Art von Mendelssohns AmoU-Sinfonie oder wie Gadcs erste Sinfonie. Letzterer nähert sie sich un- iiiiltelbar, sie teilt mit ihr den Balladenton der wichtigsten Themen, sie erzählt zuweilen begeistert und lebendig auf- flammend, vorherrschend aber wehmütig und ergriffen von alten Zeiten und von dahingesunkenen Geschlechtem. Sie ist ein großes Herbstbild, ein geschichtlich stilisiertes Lied von der Vergänglichkeit, eine Komposition über das Thema der menschlidien Nichtigkeit, das Brahms zu be- trachten so wenig müde wurde wie vordem Sebastian Bach. Den Vortrag teUt Bralims in Bilder und Betrachtungen, aber in episch freier Mischung.

Der erste Satz ;Allegro non troppo, ([>, EmoU) setzt ohne weiteres mit dem Hauptthema:

^1^ l'l?* i^ll llT I I

\^f^ lll llL'^L"

758

m

^ir(i^((rj^Hfj^pijyiiiiii^li iifTi'"i|ii

ein. Es ist eine sehr lange Melodie, die ungeföhr an >0 wüßt ich doch den Weg zurück« erinnert, und deren be- wölkter Horizont sich zuweilen etwas aufhellt, um dann einen noch trüberen Charakter, oft einen schmerzlichen Akzent anzunehmen. Sie wird sofort wiederholt, aber mit bewegteren Rhythmen und durch Begleitungsfiguren be- lebt. Die Phantasie erwacht und schaut staunend in der Zeiten Tiefe. Das bedeutendste Gesicht, das sie von da holt, ist das Thema:

BllMr

r /v viöi.

Es wird sofort von den CeUis in einer Melodie begrüßt, die zu den innigsten und schönsten der ganzen Sinfonie gehört, und kehrt nach ihr wieder, um fortan die Themen- gruppe zu beherrschen. Bald kräftig und gebietend, bald kosend und zärtlich, neckisch und heimlich, bald fem, bald nah, bald eilig, bald sich ruhig ausbreitend, kommt es auch im weitem Verlauf des Satzes häufig wieder und kommt stets willkommen, bringt Freude mit und gibt dem Gang des SMzes einen dramatischen Schwung. Es ist das Ritterthema der Sinfonie, das Thema der alten Zeit, und durchzieht deshalb mit dem Übergang vom ersten zum zweiten Takt als Generalmotiv in etwas schwierig er- kennbaren Umbildungen auch den zweiten und dritten Satz. Auch hier, wie im Eingangssatz der dritten Sinfonie, ist der Durchführungsteil sehr knapp gehalten und be- sdieidet sich im wesentlichen damit, die elegischen Ele- mente der Dichtung etwas stärker auszusprechen. Trotz dieser Kürze ist aber der Eindruck der Durchführung sehr groß. Das macht die Gewalt des Ausdracks in ihrem Schlußabschnitt, der in Jammerlauten, die dem neunten Takt des Hauptthemas abgewonnen sind, eine Seele zeigt, die aus der Betri^bnis keinen Ausweg weiß. Sehr lebens- wahr knüpft dann die Reprise an: die vier ersten Noten

* 759 «>-

des Ilauptthemas singen jetzt in breiten Tönen dahin, der Tränenstrom fließt, das Herz spricht sich aus.

Der zweite Satz (Andante moderato, £ dur, <}/g) ist eine Art Romanze mit folgendem Hauptthema:

Andante moderato.

^ Es wird von einem kurzen Hornsatz eingeleitet, der mit fundgy mit e und d die phrygische Tonart feststellt und damit keinen Zweifel darüber läßt, daß die Phantasie sich in weite Vergangen- heit versetzen soll. Es sind im wesentlichen die RitterbÜder des ersten Satzes, die noch einmal kurz zusammengedrängt und im Ton des Berichts an uns vorüberzi^en. In der Mitte des Satzes, da wo dieTriolen einsetzen, streift aber die Musik den neutralen Erzählerton ab, zeigt freudigen Anteil, Be- geisterung und bricht in herzenswarmes Wehklagen aus. Der dritte Satz (Presto giocoso, Cdur, 2/4) ist von dem anmutigen beschaulichen Ländlerton, den Brahms in den früheren Sinfonien an dieser Stelle eingeführt hat, weit entfernt, er birgt im Tempo der Beethovenschen Scherzi einen dämonischen Charakter. Der Komponist hat in diesem Satze den Widerspruch, um den sich seine vierte Sinfonie bewegt, die Frage : sollen wir um die Vergangen- heit trauern oder uns ihrer Schönheit freuen, mit der Ab- sicht aufgenommen, im letztem Sinn 2u entscheiden, er will Bilder geben, die von Kraft und Leben schäumen, aber alle Augenblicke überfallen ihn auch hier kurz und erschreckend Näniengedanken , die Heiterkeit dieses Allegro giocoso wird immer meder von schauerlichen Regungen gestreift. Sie fallen gleich ins Hauptthema:

mit dem dumpfen, Schlußak-

m^^ aus den Klavier- balladen des op. 10, einem der bedeutendsten Jugend- werke ■ von Bralims stammt. Sein stürmisches Wesen bringt die Ritterbilder des ersten Satzes wieder in Er-

__^ 760 *^

innerang, und nach einigen Versuchen in Ruhe und Frie- den einzu- Preslo. '

lenken, steht

mit dem zwei- ^ . _

ten Thema: " gr»rio» p

ein direkter Sproßhng jenes Ritterthemas vor uns; der Mollschluß taucht ihn entschieden in die Farben des Alter- tums und der Klage. Die Fortsetzung wird gar von den Motiven des Hauptthemas des ersten Satzes begleitet.

Mit den beiden hier gegebenen Notenbeispielen ist das thematische Material des Satzes erschöpft, es wird nun variiert und wiederholt, aber außerordentlich frei und mit immer neuem Ertrag fQr die Darstellung des Stimmungs- gegensatzes. Die Musik jauchzt, sie schreit schmerzUch auf, stöhnt, sinnt Uebevoll vor sich hin und versinkt in Brüten und Schweigen. Aber nirgends ist NaturaUsmus und Willkür da, immer streng gebundne Kunst; kein Takt, der nicht thematisch begründet wäre.

Der Schlußsatz (Allegro energico e passionato, ^/4, Emoll) ist eine sogenannte Ciaconna, ein Gewinde von Variationen über einen immer ganz oder ziemhch unver- ändert bleibenden und knappen Gantus firmus. Brahms ist der Großmeister der Variationskunst, soweit sie ge- schichtlich überbUckt werden kann, sein Glanzstück in dieser Kunst hat er in diesem letzten Sinfoniesatz, den er geschrieben, niedergelegt, und er, der Bescheidne, war selbst auf diesen Satz stolz. Er zeichnet sich als Variations- arbeit durch en Verzicht auf alle Zwischensätze aus: dreißigmal kehrt der Cantus firmus wieder, und immer knüpft sich an den Endton sofort wieder der Aniangston. Darüber hinaus aber hat Brahms seine Variationen in die Form des Sonatensatzes gezwängt, und ^ttens endlich hat er alle diese Kunstücke der poetischen Grundidee der Sinfonie vollständig untergeordnet Auch die Hörer, die von Variation und Sonate nichts merken soUten, sind von dem tiefernsten Ton ergriüen, mit dem dieses Finale die Phantasien und Betrachtungen über Menschenlos und Ver- gänglichkeit abschließt.

761

Das Thema der Ciaconna:

wird zuerst feierlich Tom Bläserchor vorgetragen und kehrt sofort als erste Variation im zagenden Ton, fragend und beklommen, von Pausen durchbrochen, unter Paukenwirbel wieder. Dann setzen (2. Variation) die Holzbläser, die Oboen voran, mit folgender ernst sinnenden Weise

Allegro

cretc.

mm vrvmv. ^

ein. Es ist als das Haupttliema des Sonatensatzes zu be- trachten, kehrt mehrmals im Satz wieder, wird jedoch nicht in der üblichen Weise des Durchführungsschemas ausgenutzt. Die nächsten Variationen führen aus der feier- liclien in eine erregtere Stimmung hinüber, mit der sie- benten beginnt eine Gruppe heftiger Affekte, die erst bei der zehnten und elften dem Ton der Ruhe und zugleich der Klage weichen. Die Spitze der düsteren Ideengruppe bildet ein langes Flötensolo, welches, melodisch und rhytJi- misch naturgetreu, das Bild eines haltlosen Seelenzu- standes entwirft Nach ihm tritt eine überraschende Wen- dung ein: die Harmonie wechselt plötzlich nach Edur, die Rhythmik wird breit und ruhig, Klarinette und Oboe be- ginnen trostvoll und fromm zu singen:

die Posaunen sprechen in der folgenden (14.) Vaiiation feierlich erhabene Requiemgedanken aus:

■M<l|Jipl?|f1^ "iff iflff li/f ifl

in deren Sarabanden- rhythmus die übrigen Bläser einstimmen.

ifjjji/i^'^/i^!^

-^ 762 *—

Die Komposition lenkt in das Gebiet, wo Leid und Freude schweigen und das Menschliche sich vor dem beugt, was ewig ist. Brahms hätte hier in einen ähnlichen ver- söhnenden und schönen Schluß einlenken können, wie er ihn der Fdur-Sinfonie gegeben hat, er hat es aber vorge- zogen, der pessimistischen Aufüassung, die das Werk be- herrscht, treu zu bleiben. Nach einem Trugschluß auf leisen Tönen, nach spannender Pause, setzt das (üaconnen- thema wieder ein, wie am Anfang des Satzes, und es be- ginnt die in der Sonate übliche Reprise. Die Variationen 17—30 bilden sie. ^£s ist aber wiederum keine wörtliche Wiederholung, sondern eine leideoschaitlich gesteigerte; stellenweise klingt es wie Verzweiflung, wie ein gigan- tisches Reißen und Rütteln an Ketten. Die 27. Variation ist mit den dröhnenden Hörnern, den Triolen und den Generalpausen, bei denen der Atem der mitgehenden Hörer stockt, der Höhepunkt dämonischer Stimmung. Nach ihr wirds milder, ruhiger, resigniert, ja auch hofi&Lungsvoll. In der 29. Variation kommt im Kanon zwischen Violinen und Bässen und in merkwürdiger Umbildung auch das Hauptthema des ersten Satzes. Mit einem Piü AÜegro geht gleich drauf der Satz feierlich zu Ende, der Cantus lirmus tritt noch einmal hervor, ihm zur Seite erscheinen ergebungsvolle, aber auch harte und trotzige Kontrapunkte, die wie im »deutschen Requiem« zu fragen scheinen: >Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg?«

Eine eigentliche Schule von Brahms, die des Meisters

Methode aufnimmt und weiterführt, hat sich bisher nicht

gebildet. Wohl aber finden sich Komponisten, die von

ihm stofflich berührt sind und in seinen Ideenkreis ein-

H.T« Herzoff«B< lenken. Die Reihe eröffnet H. von Herzogenberg.

^*'9» Durcli sein »Deutsches Liederspiel« und durch eine Reihe

^'" 0°' «!i™°" ^^^^ ^^ außerordentüch Uebenswürdiges, für naive und ^ ^ '* volkstümliche Musik besonders begabtes Talent bewährt, hat sich dieser Tonsetzer als Sinfoniker mit einer großen C moll-Sinfonie eingeführt Der erste Satz dieser und der C moll-Sinfonie von Brahms haben in Idee und Ausdruck eine große Ähnlichkeit. Selbständiger sind die bailaden-

.^^ 763 ♦^

artige Einleitung, welche in der Weise Gades den nor- dischen Ton anschlägt, und das Scherzo. In ihm, das auch auf jene Einleitung poetisch sinnvoll zurückgreift, sind der Hauptsatz und das Trio in einer ganz neuen Art verbunden: Die beiden Teile wechseln gleich von Anfang ab, Klausel für Klausel im malerischen Kontrast. Das Adagio, in der Anlage dem von Brahms zweiter Sinfonie entsprechend, darf sich eines tief melodischen Zuges rühmen; der wie ein fremdes Bild eingerückte Mittelsatz zeigt den Komponisten von seiner Glanzseite als volks- tümUchen Spielmann.

Die zweite Sinfonie v. Herzogenbergs (Bdur, op. 70, ii.f.Hertor«»- teilt mit der ersten die Vorzüge einer durch und durch # *!'*{» j edlen Kunstrichtung. Sie übertrifft sie aber an originalem ®" * ^^' Farbensinn, in der Freiheit und Leichtigkeit der Kontra- punktik und an Selbständigkeit der Erfindung. Die freund- liche Natur ihres pastoralen und idyllischen Stimmungs- kreises, ihre oft köstliche Thematik würden dieser zweiten Sinfonie des Komponisten eine größere Verbreitung sichern, ihr dritter Satz, in der ein artiger, sanfter Humor sich ori- ginell durch die Pauke äußert, ist sogar eine Perle des neuen Serenadenstils, eines R. Volkmann würdig. Leid^ aber fließt auch hier der Strom der Töne zu ungleich im Wert und viel zu breit. Wie die Sinfonien v. Herzogenbergs veranlassen auch die seines Schülers, des PrinzenHein- ?.'*"^*'*J' rieh XXIV. aus dem Hause Reuß j. L., zu dem Bedenken, daß hier ein geborner Serenadenmeister einen Teil seiner Kraft auf einem ungünstigen Gebiet verbraucht hat Zwar vermeidet Prinz Reuß, dessen Kunstbildung sichtlich in Schumann, zu einem kleineren Teil auch in Mendelssohn wurzelt, anders als sein Lehrer, jede Konkurrenz mit Brahms, aber die Abschnitte, wo er überleitet, entwickelt, durchführt, lassen, obwohl sich auch hier von opus zu opus ein statt- licher, zwischen der vierten und sechsten ein geradezu frap- panter Fortschritt zeigt, kernen Zweifel darüber, daß mehr die Pflicht als die Neigung gewaltet hat. Jedenfalls sind sie weniger frisch und unmittelbar als die Expositionsteile. In ihnen verkehrt man mit einem außerordentlich erfreu-

rieh XXIY.

—fr 764 ♦—

liehen iondichterischen Talent, reich an Humanität und humaner Musik und eigen durch eine vollendete Natür- lichkeit. Sie äußert sich in zahlreichen Themen und Me- lodien von ausgeprägter Jugendlichkeit, aber auch durch bemerkenswerte Selbständigkeit in der Behandlung der Form, deren Einerlei der Komponist oft Überraschend frei, . besonders durch neue Tempi, belebt. Sicherlich verdienen es die Sinfonien des Prinzen gespielt zu werden, denn dadurch, daß sie nichts Besondres sein und sagen wollen, sind sie originell geworden. Daß man allerdings in dieser Selbstbescheidenheit auch 2u weit gehen kann, zeigen die beiden Sinfonien (Cdur, op. 26, und Eduf^ op. 28) von J. H. FriBs« J. H. Franz. Hinter beiden steht eine wirkliche Be- gabung, tüchtiges Können und eine Individualität; aber diese vorteile werden durch die allzugroße Sorglosigkeit aufs Spiel gesetzt, mit der die thematische Erfindung Sprüche feinster und eigener Bildung in die Gesellschaft ganz gewöhnlicher Knittelverse bringt.

In die Schule von Brahms gehört weiter der bereits

unter den Vertretern des Programms erwähnte Schweizer

Haas Hniier, llansHuber mit seinen unbetitelten Sinfonien, von denen

A dui^Sinfonie. ji^ in Adur (Nr. 6) jüngst die Presse verlassen hat. Selb- ständig, frisch und gehsdtvoU ist Huber in den Mittelsätzen, w. Beryar, Noch tiefer in Brahms untergetaucht ist Wilh elmBerger,

H moU-SinfoDie. namentlich in seiner zweiten Sinfonie (Hmoll, op. 80}, deren erster Satz von den empörten Geistern ausgeht, die im DmoU-Konzert des Meisters hausen. Sie weiden mit den schmeichelnden Triolen verscheucht, die den Brahms der Wiener Zeit kennzeichnen. Eigen bleibt Berger die Wärme, mit der er sich seinen Themen hingibt, und die schöne, gediegene Arbeit. Sie gipfelt in den Nachahmun- gen beim zweiten Thema. Beim zweiten Sat2, in dem der Verzweiflung gewehrt und Trost gesucht wird, teilt sich der Einfluß von Brahms mit dem von Mendelssohn und mit eigenen, einfach herzlichen Erfindungen Ber- gers; stärker und in lobenswerter Weise tritt er wieder im dritten hervor, wo der Komponist das übliche stür- mische Scherzo durch ein ruhigeres Intermezzo ersetzt

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In ihm zeichnet sich der das Trio vertretende Mittelteil durch den herzbewegenden Charakter der Klage aus. Die Streitbarkeit des Finale hat wieder Züge von Brahms.

Auch die C moll-Sinfonie (op. 62) von Felix Woyrsch F. Wojneh, zeigt Wesens- und Ideenverwandtschaft mit dem Sdi5pfer ^ moil-Sinfonie. des deutschen Requiems. Der trotzige und energische Brahms ist es» an den uns der erste Satz dieser Sinfonie mit kleinen Rhythmen und Motiven des Hauptthemas er- innert. Woyrsch gibt den Anregungen eine eigene Form, er stellt ihnen schon im zweiten Thema auch eine eigene Idee entgegen, die in der Farbe des Traums, der Erinne- rung und im Ton des Volksliedes der Erregung Halt ge- bietet Ganz ähnlich verhält es sich mit dem zweiten Satz. In sein Hauptthema mischen sich leichte Spuren des Adagios aus Brahms erster Sinfonie, ihnen tritt das Gegenthema in volkstümlicher Kleidung entgegen. Im dritten Satz bringt Woyrsch, so wie es auch Berger tut, an Stelle des Scherzo ein ruhiges Intermezzo. Am' deut- lichsten wird die Individualität und Bedeutung des Kom- ponisten, seine Neigung zu Gegensätzen, seine kraftvolle Natur, sein hitzig erregbares Temperament, die volkstüm- liche Richtung seiner besten und eigensten Einfälle durch das Finale. Das Trompetenmotiv, mit dem es einsetzt, beleuchtet noch einmal einen der größten Vorzüge des Sinfonikers Woyrsch, seine Begabung für plastische und prägnante Themen.

Weiter darf für die Schule von Brahms der Berner Friu Bnia, Kapellmeister Fritz Brun mit seiner zweiten Sinfonie ^ ^"'•Sin'onio (Bdur) in Anspruch genommen werden. Ihr erster Satz ist in seiner romantischen Mischung von pastoral ana- kreontischen mit pathetisch leidenschaftlichen Ideen ein Seitenstück zu dem entsprechenden der D dur-Sinfonie von Brahms, ihr zweiter erinnert an dessen dämonisdic Scherzi in der D dur-Serenade und dem B dur-Konzert. Ganz eigen und schön sind die Schlußsätze dieser Sin- fonie, der dritte (Adagio) durch seinen szenischen Charakter (einem schwermütigen Träumer wird auf einmal durch ein weich klagendes und lösendes Lied geholfen], der vierte

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dadurch, daß er den Frohsinn ungesucht in den Ton alter Zeit kleidet. Solche unschuldig vergängliche Weisen hat man seit langem nicht mehr gehört. E. D^kuiajly Der wohl bedeutendste und zweifellos den Durchschnitt Dmoll-Sinfonie weit Überragende Beitrag zur Schule von Brahms ist (Op.9). ^Q Dmoll-Sinfonie von Ernst von Dohnänyi, die zwar fünf Sätze aufzählt, aber, da dem vierten Satze, einem kantabilen Intermezzo, selbständige Bedeutung nicht zufallt, zum gewöhnten viersätzigen Typus der Klassiker und Romantiker gehört. Der erste, einigermaßen auch der letzte Satz, ein großer, kühner, bilderreicher Varia- tionenzyklus, sind die Stellen, wo sich der Autor in der Anlage kleinerer und größerer Teile, auch mit einzelnen Ideen als Schüler von Brahms bekennt, aber ohne Ein- seitigkeit und mit zahlreichen Belegen eines selbständigen, starken Talentes und einer breiten, besonders auch ans Chopin getränkten Bildung. Ganz besonders erfreuen diese Sätze durch die Klarheit und Einfachheit der The- matik, nicht minder auch durch die Sicherheit und die Größe des Horizontes, mit welcher die in Kraft und Milde immer edlen und jugendfrisch empfundenen Grundgedanken entwickelt sind. Das sind Vorzüge, durch die sich der Komponist von der Mehrzahl der modernsten Sinfoniker unterscheidet, auch darin steht er abseits, daß er dem Kolorit, zuweilen wohl zum Nachteil, minderen Wert bei- mißt. Auf einem ganz eignen Boden bewegt sich Dohndnyi in den Mittelsätzen, dem Adagio und dem Scherzo. Letz- teres ist im Hauptsatz von einer Phantastik, die bald heimlich lockt und spannt, bald droht und erschreckt, der Seitensatz bringt fröhliche Volksmusik, das Trio schlägt, nach der Weise von Beethovens Erster, gar feierliche Töne an. Das Adagio, das ideell leicht an das zweite Thema der ersten Satzes anknüpft, ist dadurch merkwürdig, daß es in der zweiten Hälfte sich ganz in freie, scheinbar völlig ungezwungene, regellose Naturmusik auflöst. Die Bläser spielen einander die schönsten Motive des Satzes in schwärmerischen Umbildungen und überschwenglichen Wiederholungen zu, es ist ein elementares Phantasferen

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und Konzertieren, das mit unbeschreiblich poetischem Reiz aus aller Kultur hinausführt in eine Welt der unbeschränk- testen Freiheit und Weite. So ist Zigeunermusik wohl noch nie idealisiert worden, der Abschnitt hat wenigstens in der bekannten Sinfonieliteratur nicht seines gleichen, er ist aber enorm schwer. Vielleicht veranlaßt dieses Werk des aus Ungarn stammenden Komponisten die deutschen Dirigenten sich auch mit E. von Mihalovich, Major, Siki6s und anderen ungarischen Sinfonikern zu befassen.

Jahrzehntelang wenig bemerkt, haben seit Anfang der A. Brsokaery achtziger Jahre die Kompositionen des Wiener Tonsetzers Siebente Sinfoni« Anton Brückner die Beachtung der Musikwelt auf sich ^ '' gezogen und sind von Parteigängern des Komponisten als die eigentlichen instrumentalen Offenbarungen modernen Geistes ausgegeben worden. Brückners erste Bekannt- schaft außen im Reiche zu vermitteln, üel seiner siebenten, seiner Edur-Sinfonie zu. Sie ist wie die andren ohne Opuszahl erschienen und firüher als manche der altem in Druck gekommen. Das Werk hat Gedanken von großem sinfonischen Charakter : das Hauptthema des ersten Satzes AUerro moJ»rt<o. ^ ,..

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'^' r I f ^ ^ ^ .1 ^~ ^^^ '^och mehr das des Adagio

Behr feierlich.

Behr feierlich. ff cwtc.

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legen dafür Zeugnis ab. Aber es zeigt auch Brückners Schattenseiten sehr stark: seine Geringschätzung gegen Logik und Zusammenhang, seine Natur als nachgebomer Jean-Paulianer, der mit »Hundstagsposken, Extrablättchen und Blumenstücken« kein Maß hält und alle seine Einfälle ungesiebt zu Papier bringt. Ohne alle Vermittelung, ohne jeglichen Obergang stehen im ersten Satze pathetische

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Themen und Wiener Tanz weisen nebeneinander, im letzten Choralmelodien und infernale Figuren. Den Entwurf der Hauptsätze scheint der Zufall der täglichen Arbeitslaune bestimmt zu haben. Trotzdem hat die Sinfonie ihre po- sitiven Seiten. Einmal eine kunsthistorische: sie zeigt zum ersten Male den Einfluß Wagners, dem wir bei Raff, Hofmann, Sgambati, Goetz und Draeseke nur in kleineren Zügen begegneten, in breitesten Spuren. Das Scherzo ist fast nur eine Umschreibung des Walkürenrittes. Zweitens aber entwickelt der Komponist ein Talent der Nachdichtung, das in seiner Art zu eigner Bedeutung gelangt. Am im- posantesten im Adagio. Auch hier sieht man die Quellen durch: Götterdämmerung und Neunte Sinfonie. Aber die Wagnerschen Motive sind mit einem Schwung und einer Begeisterung ausgeführt und erweitert, welche überwältigt Die große Stelle dieses Satzes, wo die Trompete über dem Glanz des vollen Orchesters mit ihrem 0 förtleuchtet, ge- hört zu den großartigsten Tonkombinalionen der neueren Literatur.

Es w^ar ein Mißgriff, Brückner, auf den Zauber ihres Adagios hin, mit dieser siebenten Sinfonie einzuführen. Denn die Mängel der Bildung und des Geschmacks über- wiegen in ihr die wertvollen Eigentümlichkeiten. Brückner ist gleichwohl, was nur von wenigen der zeitgenössischen Sinfoniekomponisten gesagt werden kann, eine Natur, er ist ein Künstler, dessen Werke eine klare und höchst be- friedigende Auskunft über den Menschen geben. Zwei Züge sind es, die aus allen seinen Sinfonien, aus den schwächren nur weniger klar, hervortreten und die Indi- vidualität Brückners in erster Linie bestimmen: Eine herz- liche naive Freude an der Natur und zweitens eine aus- geprägte kirchliche Religiosität.

Es wäre schlimm, wenn die Freude an der Natur Musikern fremd wäre; sie muß das menschliche Gemein- gut der Großen und der Kleinen bleiben. Aber die Meister unterscheiden sich in der Entschiedenheit, mit der sie ihr Ausdruck geben. Darin steht z. B. R. Wagner an der Spitze aller neueren Opemkomponisten und reicht direkt Händel

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die Hand, darin übertreffen die Deutschen von jeher die. Italiener, und werden merkwürdiger Weise wieder, zu Zeiten wenigstens, von den Franzosen übertroffen. Schu- mann ist auf diesem Gebiete ergiebiger als Mendelssohn, Beethoven, der Komponist von Pastoralsinfonien und Pasto- ralsonaten, reicher als Mozart und auch als. Haydn. Im allgemeinen sind in diesem Punkt die östreichisdien und süddeutsclxen Sinfoniker stärker als die norddeutschen; in neuerer Zeit haben dann wieder die skandinavischen und namentlich die russischen Sinfoniekomponisten auf diesem Felde alle Vorgänger überholt. Bleibt man im deutschen Kulturgebiet, so hat unter den Östreichem als Schildrer von Volkstum und Landschaft Franz Schubert den unbedingten Preis. Aber ihm wird man in Zukunft als den Nächsten Anton Brückner an. die Seite zu stellen haben. Bei keinem Zweiten ist das östreichertum in seiner liebenswürdigsten Art so voll in die Musik über- gegangen wie bei ihm, bei keinem andren die Lust an Heimat, an Volkstum, an der Pracht und an den Heim- lichkeiten schöner Natur allzeit so rege wie bei Brückner. In dem schwärmerischen Behagen, mit dem er sich ihren Reizen in jedem Augenblick hinzugeben bereit ist, zeigt er seine Kinderseele; daß er einen Blick in den grünen Wald sich nie versagen, daß er nie an dem Bild eines Tanzes unter der Linde vorbeigehen kann, ist eine starke Quelle der romantischen Fehler in seinen Sinfonien.

Ähnlich verhält es sich mit dem Ausdruck religiösen Gefühls bei Brückner und bei andren. Es wird in der ganzen Reihe der hervorragenden Sinfoniekomponisten auch wenn wir von den Adagios absehen bei keinem fehlen; aber es äußert sich verschieden nach den Per- sonen und mehr noch nach den Zeiten. Es bildet von Haydn bis Beethoven ein crescendo, bei Mozart hat es eine pessimistische, bei Beethoven eine philosophisch er- habene Färbung. Bei Schubert setzen die Abschwächungen der religiösen Empfindung, ihre Umbildung in die Formen von Wehmut, Sehnsucht, Melancholie und Weltschmerz ein, die wir bis auf Brahms bei allen bedeutenderen Sin-

Kretiscbaar, Ffthrer. 1,1. 49

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fonikeirn verfolgen können. Meistens handelt es sich da- bei um den Zusammenhang der Instrumentalmusik mit der allgemeinen geistigen Entwickelung unsers Jahr- hunderts, um die Teilnahme an den Kämpfen gegen Ober- flächlichkeit, Alltäglichkeit und Frivolität der sittlichen Anschauungen, Teilnahme an den bunten Bestrebungen, ^ die Menschheit durch Glauben und Aberglauben, durch Philosophie und Kunst innerlich zu stützen und nach einem höheren Dasein zu lenken, um Berührungen mit Kant und Fichte, mit Schopenhauer und Nietzsche, mit Cornelius, mit Böcklin und Thoma, mit Parsifal und Zara- thustra. Ganz anders bei Brückner. Aus seinen Sin- fonien spricht die Religiosität in ganz bestimmter, posi- tiver Form: sie legt fortwährend ein offnes, freudiges, christliches und kirchliches Bekenntnis ab. Die vielen Choräle in seinen Sinfonien sind dessen Zeugnis, sie er- schöpfen aber den Reichtum und die Festigkeit seiner Gottesfurcht keineswegs. Ihre Spuren gehen vielmehr durch die Hälfte aller seiner Themen und Melodien; in seinen Sinfonien treten kirchliche Anklänge in einer Stärke hervor, wie sie in Sinfonien nur noch einmal vor- kommen : bei Mozart in seiner Knabenzeit. Brückner war Schulmeister und Organist, ehe er zur höhren Kunst kam. Das ist mit andern, z. B. J. Raff, ähnlich gewesen. Es ehrt ihn und bekundet die Wahrhaftigkeit seiner Natur, daß er in den neuen Kreisen doch bei seiner alten Gedankenwelt blieb. Unabhängig von den Schwächen und Vorzügen, bei denen Brückners Menschentum und Allgemeinbildung in Frage kommt, bleibt aber die Bedeutung, die er für die neuere Sinfonik durch die Prägnanz seiner Themen hat. Sie sind in ihrer Kürze, Bestimmtheit und innren Fülle Muster, sie bilden die Seite, mit der er an Beethoven und die Klassiker heranreicht, mit ihr ergänzt er zum Teil auch Brahms. Was dieser für die Arbeit in der Sinfonie, das gilt Brückner für die sinfonischen Gedanken. A. Braokner, Von einer gradlinigen, steigenden Entwickelung ist bei DretCmoii-Sin- Brückner noch weniger die Rede als bei Franz Schubert, fonien. \j^ g^w^^ seinen Sinfonien liegen Schlacken und Gold-

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korner beisammen. Aber alle bieten etwas Interessantes, Züge, die musikalisch oder psychologisch fesseln. Seine eiste und zweite Sinfonie stehen beide in CmoU, und auch iseine achte ist eine CmolUSinfonie geworden. Hätte ein Weltkundiger so etwas Unpraktisches getan? So sind denn die ersten beiden CmoU-Sinfonien außerhalb Wiens unbekannt geblieben, obwohl sie schöne Stellen enthalten, namentlich wirkliehe naturwüchsige Sinfonie- und Or- chesterthemen, z. B. die zweite in

^ T r i ||»t<,' und

lg sduiaD.

erßso.

Beide zeigen den Einfluß von Wagner, Schubert und Beet- hoven. Die dritte Gmoll-Sinfonie, Brückners achte Sin- fonie, ist in neuer Zeit häufiger aufgeführt worden. Sie imponiert durch die kolossalen Intentionen ihres Finale, das die Hauptthemen der drei vorhergegangenen Sätze kontrapunktisch zusammenfaßt. Aber auch Rudolf Louis, der vortrefiTliche Biograph des Komponisten, erklärt, daß Brückner sich hier Unmögliches zugemutet habe. Seine bedeutenden großen Züge entfaltet Brückner am glück- lichsten in der dritten, vierten und fünften Sinfonie, die auch in den letzten Jahren sich in den Konzertsälen häu- figer und häufiger eingefunden haben.

Die dritte Sinfonie (Dmoll) ist im Jahre 1873 ent- A. Braekner, standen und eine der wenigen, die schnell einen Verleger i>ritte sinfoni«. gefunden haben. Richard Wagner nahm die Widmung an *mdi soll, wie Th. Helm erzählt*), wiederholt ernstlich eine

*) Th. Helm: A. Brückner im Musik. Wochenblatt 1886, S. 3&.

49*

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Auffühmag beabsichtigt haben. Was zunächst jeden Musiker für die Sinfonie einnehmen muB, ist ihre voll- etidete Orchestematur. Alle Instrumente haben ihr eignes Leben und äußern es, wenn nicht immer mit bedeuten- den selbständigen Themen und Motiven, so doch in eignen besonderen Rhythmen. Alles klingt schön, neu, immer interessant. Nach dieser Seite bezeichnet Brückner einen Fortschritt in der Geschichte der Sinfonie, den niemand bestreiten kann, und verhält sich dem Durchschnitt der Beethovenianer gegenüber ähnlich, wie in der Malerei die Pilotyschüle zu der Methode -von Cornelius. Nach ihrem Ideengehalt betrachtet, bietet uns Brückners Dmoll-Sin- fonie Einblick in das Innere einer Natur, in der sich Lebensernst und Lebensfreude gleichmäßig mischen; &(ie scheint die Stimmungen von Beethovens Neunter und Beethovens Pastorale zu vereinen. Der Komponist hat in diesem Unternehmen einen Vorgänger, und es ist wohl nicht Zufall und von ungefähr, sondern bewußte Absicht, daß er in seine Dichtung die Grestalt Franz Schuberts leibhaftig hineintreten läßt. Daß Schubert die weit stär- kere Individualität war und durch die Zeitläufte allein schon glücklicher gestellt war, kann dabei niemandem entgehen. Aber wir haben nach ihm in der Sinfonie das beschauliche, sanguinische, des Daseins in der schönen, mit landschaftlichen Reizen und liebenswürdigem Menschen- tum übervoll gesegneten Heimat frohe Östreichertum bei keinem Zweiten so staik und deutlich ausgeprägt, als bei Brückner nnd in dieser DmoU-Sinfonie. Dem Lebens- ernst gibt der ans dem Kirchendienst hervorgegangne Komponist gern durch Choräle und choralartige Themen Ausdruck.

Der erste Satz (Mäßig bewegt, iky DmoU) empfängt uns mit einem der in der neueren Musik und von Brückner ganz besonders geliebten Orgelpunkte hier auf 0. Im Streichorchester ein ziemliches Rauschen wie von freund- lichen Wässern, ähnlich wie der Anfang von Schuberts Hmoll-Sinfonie, aber jedes Instrument seinen Rhythmus für sich! Dann setzt im fünften Takt die Trompete ein.

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die sich in der Zeit der Klassiker ihre heutigen Ehren nicht hätte träumen lassen. Doch ist die Tatsache keines- wegs zum Beweismaterial ffir die Hypochonder geeignet, welche nnsre neuere Musik roher und roher werden sehen. Unsre talentvollen Komponisten gehrauchen die Trompete keineswegs hloß ffir starke Effekte, sondern ganz so vielseitig wie dies in der alten Suite, in der ita- lienischen Oper des 17. Jahrhunderts, im Oratorium noch bei Händel geschieht. So beginnt Brückner mit ihr hier leise, im Ton einer heroischen Ahnung das Hauptthema seines ersten Satzes:

. \

Dieses Thema zieht sich lang hin. Zunächst wird es vom Hörn folgendermaßen

fortgesetzt. Die zwei letzten Takte dieser Fortsetzung werden zunächst von den Holzbläsern für Nachahmungen und Wiederholungen aufgegriffen und dienen dem vollen Chor des Orchesters als Anhalt zur Sammlung und zu einem gewaltigen innren und äußren Crescendo. Dann erst kommt im Unisono aller Instrumente der dritte Teil, der Schluß des Hauptthemas:

j^^frf iiirTtfi^fnfDi.t I- j^

I

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creac*

tlL ^N.^ ^^ bringt den höchsten Aufschwung

'^ kräftigen Wollens und dicht da-

neben in den Zungen von Schubertschen Entreaktes das Verftagen aller Hoffnungen, somit die Gegensätze des Satzes im schroffen Widerspruch. An der Trioie hält sich die Phantasie des Komponisten fest, als wäre mit ihr der Ausweg nach dem Licht, nach einem

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sichren Blick in die Zukunft zu finden, und gelangt so bald an eine Wiederholung des vollständigen Haupt- themas von Äf der Dominante, aus. Der Schluß dieser Wiederholung verläuft in ein ppp und in roman- tische Dissonanzen, als schliefen alle Sorgen ein. Der Dichter überläßt die Entscheidung über schwierige und Ungewisse Fragen der Zeit und dem Schicksal. Das zweite Thema

setzt ein und führt uns ohne weitres in eine Szene des Be- hagens und der beweglichen SchwärmereL Mehr noch als das Thema selbst, das zuerst als Wechselgesang zwischen Bratsche und Hörn auftritt, führt uns sein Begleitungsmotiv .^j^ vor ländliche Bilder.

ff P^^^ ' -J- ^ I - r J r " der jenes wichtigen

- Zwischenmotivs, das

im ersten Satz von Beethovens sechster Sinfonie zum zwei- ten Thema hinüberleitet Bei Brückner sagen die Kontra- punkte immer etwas ; der hier erfundne erweist sich aber als ganz besonders gehaltvoll und ergiebig. Ja, er wird nicht bloß die Veranlassung zu einer hübschen Episode, sondern er trägt einen Hauptteil von dem Glaubensbekenntnis und der Weltanschauung, die in diesem Satze niedergelegt sind. Alle die zahlreichen Partien, die darin aus dieser muntern Figur entwickelt sind, vertrügen als Oberschrift das schöne Wort Hölderlins: »Ja, wunderschön ist Gottes Erde und wert, auf ihr ein Mensch zu sein!« Das singt in urzufriednen Melodien, das regt sich und hüpft in fröhlichen Rhythmen, das wiegt sich wonnig träumerisch aufweichen Akkorden, das ist ein Schwelgen in seliger Sonntagsstim- mung. Zuweilen ^ Zuletzt findet es einen bricht das Ent- 'jf^ffi rrr doppelten Ausdruck zücken laut und -fr/Ly* ' ' > [ von kräftiger Zuver- wuchtig durch:, v**^ sieht in der Melodie:

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775

die uuter den

^^T p |^p[' I »[ \h\' ( hw.. Nebenthemen . p desSatzesBe-

deutung hat und von Frömmigkeit in dem Choral:

D 10 C

mit dem die Trompete, die bekanntlich angefangen hatte, die Themengruppe schließt. Zu verkennen ist nicht, daß in der zweiten Hälfte des um das Pastoralmotiv gebildeten Teils das Beharrungsvermögen des Zuhörers auf eine Ge- duldprobe gestellt wird. Je nachdem das Orchester besser oder schlechter ist, wird sie erleichtert oder erschwert werden.

Sofort nachdem die Trompete mit ihrem (unbedeuten- den) Choral fertig ist, geht es aus C dur mit drei knappen Oberleitungstakten in die Durchführung.

Sie beginnt, nach einer kursen Intonation des Haupt- themas, mit einem Satze suchenden Charakters, dem das dem Choral vorhergehende Nebenthema, das vorhin als Ausdruck der Zuversicht bezeichnet wurde, zu Grunde liegt. Er endet still und ergebuDgsvoll in G dur. Danach setzt schön und scharf in der Wirkung A dur ein, und in schnellen Modulationen ziehen Umbildungen und Bruch- sttkcke aus dem ersten Teil des Hauptthemas in Flöte und Hörn vorbei, geheimnisvoll, aber farbenprächtig. Der zweite Teil der Durchführung verbindet den Anfang und den Schluß des Hauptthemas erst in einer Periode in Fmoll, dann in einer zweiten in Gmoll. Von deren Schluß ab (As dur) verschwindet der Anfang des Themas, die Motive des kräfti- gen Wollensaus I f-^ II m k I K seinem Schluß:«'- J J I J, J. J3 und 4- is fi behaupten das Feld und führen scheinbar zur Reprise: In D moll setzt das Trompetenthema fff im vpUen Orchester ein. Es ist aber erst der dritte Teil der Durchführung, den Brückner hier bringt. Er gjbt das Hauptthema wohl angeregt durch eine ähnliche Stelle in Beethovens Neunter noch einmal im Leuchten der Wetter, im

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Donner und Blitz, in glänzendster Machtentfaltang seines ersten, des heroischen Teils. Dieser wird wiederholt, mit Dissonanzen schattiert, nochmals wiederholt und bricht in Edur tobend plötzlich ab. Generalpanse, Paokensolo, das im pp endet! Und nun erst melden sich wie schQch- tem die beiden andern Teile des Hauptthemas mehr um der Form zu gentigen als zu innerer Wirkung. Dieser letzte, dritte Teü der Durchführung hat alles entschieden, es war ein Seherblick, weit hinaus in die Zukunft geworfen, der ein Ende ip Herrlichkeit gesichert zeigt Ganz leise geht die Durchführung zu Ende und ebenso setzt die Reprise ein. Der zweite Satz (Adagio, quasi Andante, ^j Esdur) deutet mit dem Anfang seines Hauptthemas:

Adagio.

fast in der Sprache der Klassiker die Sehnsucht nach Ruhe und höherem Frieden an. Schon nach Abschluß der ersten 8 taktigen Periode setzen aber die in der zweiten Hälfte dieses Beispiels enthaltnen Keime der Friedlösig- keit zu einer Bewegung an, die zu einem Aufruhr:

der Gefühle führt, den die - _ p | ^ ' f

stumme resignierte Klage: r 1

wie ein stilles Gebet endet

Wie ein Bild aus einer besseren Zukunft stellt nun der Dichter dieser Gegenwart einen formell scharf verschiednen Satz gegenüber, dessen erstes Thema:

AQd»nte quasi Allagretto. lautet Um das, waS

jjEüL. I I I I ] ■■^^i A=T es noch an Zweifeln J I i jJ^J ' "^ J ' i ' zurückläßt, vöUig zu

£

*^ ^— «==^ -c beseitigen, gesellt

sich ihr noch eine zweite Weise hinzu, die ebenfiüls im visionären Ton eine Art Siegesmarsch anstimmt

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Ihr geÜDgl es, die Stimmung zum Teil aufzuhellen: Froh fließen die Sechzehntelfiguren in einer Gruppe der In- strumente dahin, andere, die Hörner z. B., bleiben aber bei bangen Fragen. Das führt dazu, daß die verheißungs- vollen Rhythmen des letzten Themas J j « in starkem Ton bekräftigt und wiederholt, daß die freundlichen Zu- kunftsvisionen der schönen Dreivierteltaktmelodie in großer Breite ausgeführt werden. Bei dieser Ausführung ist auch die Mannigfaltigkeit und der Reichtum der Farbenreize, die von zarten Lohengrinklängen schnell zu einem wahren Rausch Schönen Orchestertons anschwellen, nicht zu ver- gessen. Überhaupt ist die Einwirkung Wagners in diesem Satze unverkennbar. Sie äußert sich nicht bloß im Ko- lorit, sondern auch in Harmonie und Melodie.

Nach dem Abschluß der Trostszene wird der Haupt- satz wiederholt und erfährt dabei prächtige Steigerungen, aus denen die Stimme der Trompete sich besonders ein- dringlich und ausschlaggebend hervorhebt. Der ganze Satz zeigt Brückner von seiner gewaltigsten Seite und als eine fürs Drama geborne Natur.

Der dritte Satz (Scherzo, ziemlich schnell, ^4» Dmell) ist durch eine gewisse Unfertigkeit originell, durch eine Laune, die sich begnügt, mit Elementarmitteln zu wirken. Wir hören vorwiegend rhythmiscl^e Motive, die nur lose zu Themen entwickelt sind und, wenn das, keine Ent- wickelung durchgehen.

Im Eftuptsatze schildert der Komponist humoristisch eine Art großen Sturm, zienjich »chneii. rührt sich der wie von der Feme ^b f TU J J J J | zunächst, einsetzt. Nur das Motiv ^ vp gg getzt

sich als liegende Stimme fest. Unter ihr steigen Figuren stufenweise die ganze Oktav crescendo und drohend in die Höhe. Dann bricht ff das Thema

Zlemlleb admell.

los. Es bildet mit Wiederholungen und Ableitungen den

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Inhalt des Hauptsatzes. Einmal bricht es in eiue der bei Brückner häufigen plötzlichen Generalpausen ab, und da erscheint denn die einzige im ganzen Scherzo eine fertige und durchgeführte singende Melodie.

f fj inir^iiirifrT |f?i i^Tiiiii

^ PP crege.

Durch sie , die bald ^ ^-r^^. .l^^^ beigesellt,

verstärkend ein Satz- '^i*! r"|» i y^^p|>=|wird der Sei- chen über das Motiv ^ ^ ^tensatz im ei- gentlichen Scherzo zu einer hübschen Wiener Tanzidylle. Auch das Trio sucht die Kunst darin, die Musik in eine Szene von Naturlauten, hier freundliche und zarte, aufzulösen. Eine Art Thema, meistens von der Bratsche •>. angestimmt, wird von

y^^ ''^X * 'g^ ^ , Z. ^^ kosender, zirpender ^' ^ nnd trülemder Mo-

tive umkreist, so daß die Wirkung des Ganzen an ein Vogelkonzert, an eine schöne Stunde bei Weiher und Wald nach Sonnenuntergang erinnert. Das ganze Stück (Trio und Scherzo) ist darnach wie ein Gegensatz vom Lärmen der Stadt oder der Bahn und der Sülle ländlich«: Einsam- keit gedacht

Das Finale (Allegro, i^, Dmoll] wird mit einer Achtelfigur der Geigen eingeleitet, die zwar wesentlich zu Begleitungszwecken dient, aber für den Charakter des Satzes nicht unbedeutend ist. Sie verkündet Wirren und Aufruhr im Gemüt, und dagegen erhebt sich in stolzer Kraft breit und majestätisch das den Bläsern übertragene Hauptthema

^ TI Ai ^^ rr ff fF

H. J '^ I -■■■'"•^^ ^ gehört wieder zu den thema-

" P 1 ' f; ^ '"' P [^ tischen Erfindungen Brückners,

'. r. » r . r .in denen auf Melodie und schöne

-^ 779 <^~ ' >

Fomi 2ugttusten der charaktervollen Wirkung verzichtet wird. Darin zeigt er sich als ein Schüler Liszts und der Neudeutschen. Zweimal zieht dieses Zyklopenthema vorhei. Dann verlaufen sidi die wilden Gänge im Streichorchester. An ihre Stelle tritt ein anmutiges Motiv

das aher doch nur ein nehensächlicher Kontra- punkt ist. Die Haupt- sache kommt in den Hörnern, nämlich ein Choralgesang:

LaogfiAm .

Lan

der sich breit hin entfaltet. Als er endlich still verklingt, setzt wieder Sturm ein, diesmal von dem harten Motiv

^^^ j getragen. An diesen Abschnitt

■iJik /r^ _ 1* -*^ B knüpft sofort die Durchführung an. yn^ U r r ir rr'U sie Weibt bei dem Viertelmoüv

•^ und bekämpft es mit den herri-

scheU) stolzen Motiven des Hauptthemas und steüt das Bild einer Seele hin, die der Anfechtung spottet Dieser Durchführungsteil ist nur kurz und schließt (in F) mit Klängen des Friedens, die uns aus dem Eingang von Schu- berts Cdur-Sinfonie geläufig sind.

Die Reprise bringt die dem Hauptthema zugehörige Gruppe erweitert und im Ausdruck der Energie durch Verkürzung der Rhythmen, durch Nachahmungen, und Engführungen gesteigert. Die Folge ist, daß des zweiten Themas, des Choralgesangs, ruhiges und frommes Wesen sich noch klarer und schöner als im ersten Teü des Satzes geltend macht. Die Komposition erhält damit einen aus- geprägt christlichen Zug, und die Idee des Komponisten tritt klar vor das Gemüt des Hörers: »Wer in des Lebens Wirren auf die doppelte Stütze der eignen Kraft und des Glaubens bauen kann, der siegt«. Und diesen Sieg spricht das Finale dann noch einmal mit schöner poetischer Be- ziehung und die ganze .Sinfonie abrundend dadurch aus,

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daß das Heroentliema des ersten Satzes und zwar in Ddur ^ daa Schlußwort erhält.

A.BrmekHer, Seine vierte Sinfonie (Esdur) hat Brackner die ro- Vierte Sinfonie, njjuj^^^ genannt Die Romantik, die er meint, ist die des Waldes. Das Werk ist eine Waldsinfonie, aher aus einem viel tieferen Geiste als die bekannte von Raff, die eine galante französische Romantik entwickelt. Die Bruck- ners^e Sinfonie hat durchaus deutschen Charakter: ex sehnt sich nach dem Wald, seiner Heimlichkeit, seinem tiefen Frieden in Klängen, die an Steffen HeUers trauliche Klavierszenen »Im Walde« erinnenu Mehr noch, Brückner hält im Wald, wie das altgermanische Heidentum, seinen Gottesdienst, er geht durch die Reihen <ler cshabnen Stämme mit den Versen des Dichters im Kopf: »Du hast deine Säulen dir auj^baut und deine Tempd gegr&ndet«. Ihm ist im Sinne jener alten Zeiten, wo wir Deutschen noch ein Waldvolk waren, der Wald das herrlichste Gottes- haus, der schönste Dom, den der Herr der Welten sich selbst gebaut Der Wald stimmt den Komponisten einst religiös, und ein feierlich erhabener Grundton, wie ihn ähnlich Bruch in seiner Esdur-Sinfonie leise und flüchtig einmal anschlägt, wie er aber sonst nur in den lang- samen Sätzen aufzutreten pflegt, durchzieht die ganze Sinfonie. Ihre vom Familientypus abweichende geistige Haltung wird der eine Grund sein, der ihre Verbrdtung erschwert Ein anderer liegt darin, daß sie für die reich- lichen Naturschüderungen, die sie enthält, ein ganz aus- gezeichnetes Orchester und ziemlich genauen Vortrag verlangt; ein dritter in der Übermäßigen Breite einzelner Teüe.

Besonders ist es der erste Satz (Ruhig bewegt, <t, Es dur), der durch tief religiöse, ins Ewige sich versenkenoe Stimmung ergreift Sein Anfang und die um das Hauptthema

, gebildete

^ ^ Rahig bewegt, d r 7g ^ . Gruppe

^ P im Hörer

Schauer der Andacht, umweht ihn mit Kirchenluft Ad

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Liturgie erinnert auch der Vortrag: das Hörn, das be- ginnt, gleicht dem liturgen, der kleine Chor der Holz- bläser, der die Melodie ihm nachsingt, der respondierenden Gemeinde. Fürden romantischen Charakter, den Brückner seiner Sinfonie geben wollte, ist dieses Hauptthema des ersten Satzes das wichtigste Stück; und das ceSf mit dem der zweite Abschnitt einsetzt, der Hauptträger des roman- tischen, geheimnisvollen Elements. Aus der ehrfürchtigen Stimmung wird nach dem feierHchen Eingang bald eine froh erwartungsvolle; sie ist vertreten durch das Motiv: ^^^,^~,^ das als eine Ergänzung ge-

^ , i^^ ^t- t S"^ wissermaßen mit zum er- •JLVy r r r r r I r ^ sten Thema gehört. Der

^ Anfang mit dem feierlich

breiten Ton spricht die Gottesfurcht, das neue Motiv die Natur&eude des Komponisten aus. So haben wir in den beiden Teilen des ersten Themas die beiden Hauptstücke der menschlichen Grundlage vor uns, aus der Brückners Kunstwerke ihren Ursprung ziehen. Mit dem Motiv der Naturfreude bildet Brückner die nächsten Zeilen seiner Dichtung. Sie nehmen bald den Charakter eines begei- sterten Hymnus an. Der Dichter wird von einem Jubel über die Schönheit der Schöpfung fortgerissen ; stürmisch drängt die Harmonie in gewaltigen Modulationen fort und setzt sich dann auf einmal, wie geblendet, auf demFdur- Akkord fest, alle Kraft der Empfindung in einem Guß aus- schüttend. Brückner hebt die Klangkontraste. So folgt auch hier dem Rauschen des vollen Instrumentenchors der stille Klang der beiden Homer, die einige Takte allein das F halten. Es wird durch die Bässe, die des darunter an- schlagen, zur Terz und die ^ l _^ ~^^ Bratsche setzt mit äam ^ >'\ß i J [^ J I J l J I |^=il

zweiten Thema, wie folgt jS ein. B dur wäre die normale Tonart gewesen, Brückner hat Des gewählt. Die Ausweichung in eine entiegenere Har- monie ist in diesem Falle ein lifittel romantischer Wirkung, Brückner bevorzugt aber auch im allgemeinen das Gebiet der Unterdominant, sehr zum Vorteil. des warmen Charak-

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tcrs seiner Musik. Der Ton innig dankbaren Genießens, den der Anfang dieses zwei- ^,^{^^^ ^ die zuerst

ten Themas anschlägt, jC ^'^ LT f T \ pUTals beglei- geht mit den Motiven ^ tende ein-

treten, dann selbständig werden, in einen heitern über und läuft in dem 2" l ^^° ^^^'

Schlußglied j lrh. ' P T f T I* [^^=#=11 druck leben- des Themas: ff " '" ^ i U i I :»»=■ ^g^ g^t.

Zackens über. Das äußert sich zuerst laut, jau<^zt in die Welt hinaus; dann wieder heimlich wie im tiefsten Innern. Es ist ein ungemein wandelbares Motiv, das bald den innigen Elementen des zweiten Themas die Hand reicht, bald wieder aus dem ersten Thema die belebenden Töne der Naturfreude herbeiholt. Die letztren füllen auf längre Zeit die Szene mit Spielen verschiedener Art, wie Kinder, die vor Lust jetzt jauchzen, dann in stiller Anmut ihre Kreise ziehen. Von einem stürmischen Ausbruch der Freude, in dem zuletzt sämtliche Messinginstrumente mit dem Des dur-Akkord i b i i j j J ^^ben , lenkt auf dem Rhythmus ••• •*• I Brückner noch einmal unvermutet in die ruhigere Region des zweiten Themas ein, jetzt in dem normalen 6 dur; im pp und in Bruchstücken verklingt es. Der Dichter schließt das Auge, die Bilder schwimmen in seiner Seele ineinander. Sie ruht; unbestimmt und dämmernd streifen Empfindungen und Ahnungen durch die Brust. Das drückt die Musik mit abwärts ziehenden chromatischen Gängen aus, die leiser Pauken Wirbel begleitet; die feierlichen Motive des Haupt- themas und die lustig erregten des zweiten laufen durdh- oinander. So schließt die Themengruppe des ersten Satzes. Die Durchführung beginnt im Traumeston mit dem feierlichen Anfangsmotiv des ersten Hauptthemas, das durch kühne Dissonanzen merkwürdig romantisch gefärbt wird, z. B. :

VioJ. ^ ^ ^

-^ 783 ^^

Sie wendet sieh dann zu breiten Bildungen Über das Motiv der Naturfreude, die sich von denen in der Themen- gruppe durch einen durchschnittlich emstren Ton unter- scheiden. Der christlich religiöse Zug, der die Sinfonien Brückners unter hunderten kenntlich macht, gewinnt auch hier wieder die Herrschaft über seine Phantasie. Der Abschnitt endet in einigen Strophen Choralmusik, in der die Trompeten die Stimmführer sind. Als sie leise ausgeklungen, setzt das zweite Thema des Satzes (von Gdur) ein, jedoch mit verlängerten Rhythmen und da- durch ebenfalls in die kirchüche, fromme Empfindung iibertragen.

Von diesem Punkte vollzieht sich der Obergang in die Reprise ganz natürlich, wie von selbst. Sie verläuft ohne bemerkenswerte Überraschungen und hinterläßt wohl bei den meisten Zuhörern den Wunsch nach Kürzung, nament- lich in der allerletzten ^chlußpartie.

Den zweiten Satz (Andante, C, Cmoll) zu verstehen, muß man bis in seine Mitte vorgehen. Denn zunächst fragt man sich erstaunt: wie kommt ein Trauermarsch in eine Waldsinfonie? Die erklärenden Worte stehen unter andren in Schumanns »Der Rose Pilgerfahrtt, in dem schönen vom Hornquartett begleiteten Männerchor: »Bist du im Wald gewandelt, usw.« Brückner hat hier an den Wald, an die Natur als Trösterin im Leid gedacht: So malt er uns denn eine Szene des schwersten Leids : ein Begräbnis. Die Celli singen eine klagende Melodie,

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einfach, als ob sie aus dem Volkslied stammte, und doch ein wenig mit Chopinscher Stimmung getränkt, wie denn Brückner bei aller Schlichtheit im Grunde seines Gemüts doch Im- mer und überall modern bleibt^ Die Begleitung, ein Schubertsches Marschmotiv: VP

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--^ 784 ♦—

zeigt uns Ort und Veranlassung der Klage, erklärt und malt die Situation. Die Szenerie wird bald noch mehr verdeutlicht : Choralge- ^Jn „. . i . i i > -H4Hi sang, Trauerchöre, die fol- g^''*VQZlJ>^ '^lijLÜ^ gendermaßen einsetzen: pcrwc.

unterbrechen auf längere Strecken den Marschrhythmus. Dann beginnt der Marsch vom neuen. Vom neuen auch erhebt sich die klagende Stimme, aber viel gedämpfter, sie ist in der Mitte des Streichorchesters, in der Bratsche, gleichsam versteckt

i;nd windet sich, halb unterdrückt, suchend und zu* gleich fließend dahin, bis der Marsch (in Gdur und ppp) wieder schweigt. In diesem Augenblick lassen sich wie von fem und von hoch oben Motive vernehmen *pf ^ die schon am Anfang des Andante,

aber da ziemlich .unbemerkt auf- tauchten. Wirkt diese Fl&tenstelie nicht, als riefen Vogelstimmen aus dem Wald und hin zu ihm? Nachträglich wirds uns klar, daß schon von An- fang an, immer in den Marsch hinein, kur^e Naturtöne erklangen. Das Hom wars, manchmal auch die Trompete, die ganz heimlich, bald mit einem einzelnen p^ . Ton, bald mit einem Motiv, am häufigsten mit •• 3 J lockten. Als die Bratsche sang, gaben sie sogar deren Wendung wie im Echo wieder, zuweilen hörten wir auch den Quintenruf, der im ersten wie im zweiten Satz thematisch so viel bedeutet.

Nach dieser entscheidenden Stelle, mit der der erste Teil des Andante schließt, wandelt sich der Charakter der Musik. Die Bässe sinnen jenem Flötenmotiv nach und während sie es wiederholen und weiterführen, erfinden die Violinen neue Melodien, die trostreich klingen:

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...^ 786 #^

Dann uimmt das Hörn, nach ihm nehmen die Holz- bläser das klagende Hauptthema wieder auf; ab^r der Marsch, der dazu gehört, klingt nur noch eine Weüe aus den Bässen an, dann verliert er sich ganz aus der Er* innerung, und Instrument nach Instrument tragen die freudigen und lebenskräftigen Elemente, die die Melodie enthält, in immer hellres licht. Es vollzieht sich ein großer Aufschwung der Stimmung. Freilich ist die Rück- kehr zum Trauerton jetzt noch unvermeidlich. Der Mittel- teil des Andante verklingt leiser und leiser, verschwindet wie eine Vision, und sein dritter Teil, die Reprise, setzt ein.

Jedoch bleiben jetzt die Anklänge an den Trauer« chor weg, und sehr bald kommen die Flötenmotive wie- der: schon vor dem Einsatz des Bratschen abschnittes. Nach ihm setzt das Hauptthema wieder ein, aber mit Kontrapunkten umspielt, die den starren Trauerton weit wegweisen. Mehr und mehr klingt es verklärt und geht in einen Triumphgesang über, der mit allem Glanz des Brucknerschen Orchesters den Sieg über alles Leid ver- kündet und weit Über Grab und Leichenzug hinausweist auf Himmel und ewiges Leben. Dieser Schluß des An- dante ist seine Glanzpartie, poetisch ergreifend gedacht und musikalisch kühn und genial ausgeführt. Der Ober- gang nach Cdur und die Rückkehr nach dieser Tonart von Ces aus ragen besonders hervor.

Der dritte Satz der Sinfonie, ihr Scherzo (bewegt, 2/4, Bdur), wirft auf den Waldcha^akter der Komposition ein für jedermann genügendes Licht. Schon im dritten Takt empfangen uns die Hörner mit Jagdsignalen. Der Komponist hat ihnen in dem Satze soviel Platz einge- räumt, wie das vor ihm in einer Sinfonie noch nicht vorgekommen ist Darin spricht sich sowohl Brückners künstlerische Naivität aus, wie seine große Liebe zu solchen Schilderungen aus der äußern Natur, die musi- kalisch zu fassen und zu bezwingen sind. Drittens aber spricht aus den breitern Bildern, die Brückner aus den einfachen Jagdmotiven entwickelt hat, auch eine ganz eminente Begabung. Vielleicht stimmen die meisten

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Höret und KennM dieses Salzes- darin Qberein, daß seine großen Gruppen namentlich die des Uauptsalzes zu oft wiederholt werden. Aber innerhalb dieser einzel- nen großen Gruppen möchte man nichts gekürzt und gestrichen wissen. Das sind Meisterstückchen, unüber- trefflich lebendig, farbenreich und wirklich romantisch. Was ist das für ein interessantes Konzertieren zwischen Hörnern und Trompeten, und wie hat Brückner es Ter* standen, durch Harmonien, namentlich durch den 'Ge- brauch von Dissonanzen, diese Brocken aus der gewöhn- lichen Gewerbe- und Bedientenmusik zu künstlerischer Bedeutung zu bringen, aus ihnen Bilder von packender Naturtreue zu gestalten! Die Muster aus Berlioz* »Re- quiem« und aus Wagners »Tristan« haben hier ebenbür- tige und selbständige Leistungen erzeugt.

Neben dieser Naturmusik, aus den Jagdsignalen gezogen, verschwindet der melodische Gehalt des Scherzos bis auf ein Minimum, das sich auf das Motiv

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stützt.Wenigstens wasim Hauptsatz des Scherzos den ersten Teil betrifift. Sein zweiter Teil beginnt mit einer Durchfüh- rung der im ersten aufgestellten Motive, bei der der Ausdruck innrer tiefrer Gefühle vor der Jagdinst den Vortritt erhält In einem noch schärferen Gegensatz zu der. Schilde- rung des aufgeregten l^Taidmannslebens tritt, wie zu er- warten, das Trio. Es klingt auf Augenblicke wie ein Tänz- chen und wirkt auf Grund seiner gemächlichen, auf niedere Volksschichten und ihre Freuden weisenden Hauptmelodie

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sehr drollig, stellenweise burlesk.

r-^ 787 ♦^

Das Finale (Mäßig bewegt^/ (];, Esdnr) beginnt wie in Nebel und D&inmropg mit einer Stimmung^ die noch im Klären begriffen ist. Wir hören über ver- worrenem Rauschen des Streichorchesters ernste Motive:

M" . K--«. J -o ^^ H^^^ ^^^ Klarinette. Eine jMaflgig bewegt ^^^72 ^^.j^ werden sie durch Reminis-

' %> ' L— ' = ' zenzen aus der Jagdmusik des ^"^ ^ Scherzos vertrieben, und erst nach einem langen, mächtig gährenden crescendo schließen sie sich zu folgendem Hauptthema:

des Satzes zusammen. Niemandem wird es entgehen, wie sich diese stolze Weise wieder der feierlichen Stim- mung des ersten Satzes nähert und infolgedessen auch niemanden überraschen, wenn das Hauptthema dieses ersten Satzes schon bald, hier im Finale, vor uns hin- iritt. Es muß sich aber den Zulaß gewissermaßen er- kämpfen und erzwingen und kommt durch eine Krisis geschritten, in der drohende und freudige Töne in er- schreckender Wildheit zusammentreffen. Namentlich eine rhythmische Formel (Ächtelseztolen) ist's, die darin so erschreckend wirkt. Wer bisher noch ungewiß war, dem muß durch sie klar werden, daß der Komponist in die- sem Finale an die Schrecken des Waldes, an den Wald m Nacht und Sturm, an seinen düstern, gespenstischen Charakter gedacht hat. Dem Hauptthema des ersten Satzes folgt auf dem Fuß ein Zitat, oder besser ge- sagt ein Anklang an das Andante und seine charakte- ristische Macschbewe- j gung der Bässe. Die , i '!S— ^ ^ *^>>^ Klagemelodie hat eine Tfcriiyr IT fjf fr 1^ Umwandlung erlitten. ^ P Ihr nach kommt so- fort eine freundliche Melodie:

60*

--♦ 788 •^

die als zweites Thema. im Satz gelten kann. Sie führ l ZA einem Abschnitt anmutiger Tr^nmereien, die aus der Gegenwart in ferne Zeiten, vielleicht der Kindheit eilen, hin. Sie setzen sich schließ- , das wieder

lieh am das spieleri- £)t% \fL r^ ^ j einmal ans sehe, tändelnde Motiv '^ '^'"*— -^ ' ' einer Be- gleitangsstelle hereinkam, fest Als das zweite Thema zum zweiten Mal (in der Klarinette) eingesetzt hat, kommt bald eine rauhere Antwort. ,

Das auf die vorhin '* ' " ''^

erwähnten Achtelsex- 17 -v

tolen gebaute Thema

beherrscht jetzt auf einige Zeit beängstigend die Szene. Dann tritt aber das zweite Thema wieder beruhigend ein und schließt den Teil des Finales, der ungefähr der Durchfährung entspricht.

Das Finale seiner Romantischen Sinfonie gehört im allgemeinen zu Brückners schwierigsten Sinfoniesätzen. Die Themen sind nicht io einfach geformt und nicht so bestimmt im Ausdruck, wie er sie sonst gewöhnlich gibt; zum Teil erhalten sie ihre Bedeutung erst durch den erst bei längrer Vertrautheit zu Tage tretenden Zusammenhang mit Melodien aus dem ersten Satz. So soll z. B. das zweite so wichtige Thema des Finale auf das Sextehmotiv im Hauptthema des ersten Satzes auf das geheimnisvolle _ _ ^ bezogen werden. Besonders

bii ^1 j ^^ 1 wird das Verständnis des ==^=9'°=93=i===^ Satzes aber durch die große

Anzahl der in ihr aufgestellten Themen und Motive er- schwert Diese Menge der Ideen ist hier nicht ein Zeichen von Fruchtbarkeit und Reichtum, sondern sie ist die Schwäche der Komposition, die Folge ungenügender Durchdringung und Beherrschung des Stoffes.

Alle diese Schwierigkeiten des Finale sind in seiner Reprise noch dadurch wesentlich gesteigert, daß die Themen hier bis zur Unkenntlichkeit umgebildet und auch an ganz andere Plätze gestellt werden, als sie in der Themengruppe des Salzes inne hatten. Auch die

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Breite einzelner Teile stört. Nur in eingehender Beschäf- tigung' mit dem Satz lernt man deshalb seine Reprise begreifen. Eiäen Fingerzeig bietet der Umstand, daß das oft erwähnte zweite Thema in ihr die geistige Ftthmng übernimmt. Sie hat bedeutende sinnliche Wirkungen: eme der gewaltigsten da, wo das umgebildete Hanptthema so unvermutet hinter einem Trugschlüsse verschwindet. Das ist zugleich ein Beispiel für Brückners Kunst der schnellen Stimmungsübergänge. Vor seiner Phantasie wechseln hier majestätische Bilder aus der Natur mit wunderbaren, überirdischen Erscheinungen. Vor ihnen wird seine Tonsprache magisch und mystisch, der Glanz des vollen Orchesters macht der Leere Platz, der warme Tonstrom einem Tasten und Stammeln zerstückter Mo- tive. Zugleich tritt an dieser Stelle auch der Einfluß sehr deutlich hervor, den Wagners Werke auf Brückner aus« zuüben pflegen. Hier hören wir das Verwandlungsmotiv aus dem »Ring des Nibelungen,«, und mit den Klängen des »Feuerzauber« geht seine Romantische Sinfonie zu Ende.

Die fünfte Sinfonie Brückners (Bdur) ist ein freund- A. Braekner. liebes Kunstwerk, das in vier großen, flott entworfnen '^i^^« Sinfonie, und durchgeführten Bildern den uralten Gegensatz zwi- schen froher Kraft und Bedenklichkeit behandelt.

In der Einleitung zum ersten Satz (Adagio, Bdur, ^ und Allegro, ik) begegnet sie sich mit Beethovens Bdur-Sinfonie una teilt mit ihr die Dämmerungsstimmung und deren Entwickelung um ein tastendes Achtelmotiv. Ganz unversehens und sehr bald wird diese Ruhe durch ein fif unterbrochen, in dem das volle Orchester nach- drücklichst den Ges dur-, dann den B dur-Dreiklang into- niert, um beidemale eine Ghoralzeile folgen zu lassen. Von da ab wird die Stimmung bewegter, kräftiger und , drängt hinüber ins Allegro. Wie aus dem Dunkel, stück- weise und in der Harmonie romantisch schillernd, tritt aus ihm das Haupthema mächtig und bedrohlich herrisch hervor. Das Gegenthema kommt mit einer Wiederholung der Einleitung in der Fonn nachdenklichen, innerlich stark bewegten Gesanges, und fortan bleibt der häufige

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Wechsel zwischen ÄUegro und Adagio das formelle Hauptmerkmal des Satzes. Zu den beiden leitenden Themen treten noch, zahlreiche Nebenmotive antreiben- den, z6gemden, vermittelnden Charakters, und aus ihnen entwickelt sich eine Reihe bald ritterlich kampflustiger, bald heimlicher und kirchlich frommer Szenen, die in den Obergängen, in dem Einerlei der Periodisierung und in der vorwiegend bequemen Arbelt zum Teil Improvi- sationen gleichen, aber durch die den Themen eigne musikalische Natnrkraft und durch die lebensvollen Har- monien, in die sie immer neu eingekleidet werden, er- frischen und fesseln. In einem von dem Eingangsmotiv des Hauptthemas getragnen Jubel endet der Satz.

Ihm folgt als zweiter ein Adagio (DmoU, 4/4), das die Gegensätze des verausgegangnen Allegro beide ge- mildert und in umgekehrier Reihenfolge bringt An erster Stelle steht jetzt als Bitte eine sehr einfache und rüh- rende Melodie, an zweiter eine Verheißung, die sich thematisch sehr breit und reich entwickelt und erst im Verlauf der Durchführung und da nur vorübergehend eine gedrängtere und feste Gestalt annimmt Das Haupt- material für die Entwickelung des Satzes liefert der dritte Takt des Hauptthemas. Dem für den ersten Satz charakteristischen Wechsel des Tempos entspricht im Adagio die Kombination verschiedner Rhythmen: Die Oboenmelodie wird von Geigenfiguren im 6/^ Takt beglei- tet, und an ihnen halten auch die Bässe fest So ist dem Satz auf einfache Art ein Element der Unruhe ein- verleibt, das selbst der friedliche Ausgang nicht vergessen macht

Es bildet auch das Band zwischen Adagio und dem dritten Satz, einem Scherzo (Molto vivace, DmoU, '/i)- Ja, eins unter dessen Durchföhrungsmotiven entpuppt sich als eine Umbildung aus dem ersten Thema des Adagio. Der Satz ist von den ersten Takten und vom Anfangsthema ab sehr reich an kurzen M^odien, die alle aus dem Trüben heraus wollen und den Ton der Freude bald in volkstümlich heitrer, bald in trotzig fmstrer Form

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anschlagen. Das übliche TriOi das ziemlich lange auf sich warten läßt, setzt zwar- sehr schlicht beruhigend ein, aber das Hörn schiebt ihm mit einem Ges eine Harmonie unter, die andi seinen Frieden trüb beleuchtet.

Der vierte Satz, xlas Finale der Sinfonie, markiert den Charakter der Unentschlossenheit und des Schwan- kens nochmals aufs schärfste dadurch, daß es im Ein- gang auf Themen des ersten Satzes und des Adagios zurückgreift. Dann aber sammelt es alle Energie in einem gebieterisch willenskräftigen Thema, das sofort in Fugeiiform ausgeführt wird und sich später gegen eine Reihe zarterer Regungen majestätisch durchsetzt. Bald nach dieser Stelle kommt die Entscheidung durch ein leicht an die Oboenmelodie des Adagio anknüpfendes kirchlich feierliches Thema, das, zunächst ebenfalls fu- giert, die Herrschaft über die Partitur behält, alles, zu- letzt auch das Hauptthema, unter seine Fittiche nimmt und die Sinfonie in einem betäubenden Festesrausch mit flatternden Fahnen und Volksjubel zu Ende führt./

Die sechste Sinfonie (Adur) wird auch von den A.Bra«kuer, begeistertsten Anhängern Brückners in zweite Reihe Sechst© sinfonki. gestellt, weil sie thematisch ungleich und weniger glücklich ist als die Mehrzalil der andren. Im

ersten Sa^Z Maestoso.

ist diu ernste V V II p H" .1 F^^^^

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Hauptthema:

vom besten sinfonischen Schlag, aber das zweite: ^j , . _ . setzt zwar

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versagt aber

schon im zweiten Takt. Auch im Adagio ist die Erfindung nicht Brucknerisch. Origineller wirkt das Scherzo durch seine dramatische Erregtheit, und das Finale rührt gerade- zu durch den müden Ton seines Hauptthemas. Es ver- rät damit die Nähe Von Brückners neunter Sinfonie. An äußrer Wirkung fehlt es auch dieser sechsten Sinfonie nicht,, au subtileii und überwältigenden Klangphantasien ist sie ebenso reich als die andren;

* 792 «^

XiBraekBWy Abgeschlossen bat Brückner seine markante sinfo-

tfeante Sinfonie, nische Arbeit mit dem Torso einer neunten Sinfonie

(DmoU), die, von Ferdinand Löwe aus den! Kachlasse herausgegeben, des vierten Satzes, des Finale entbehrt Sie begegnet sich mit Beethovens^ Neunter nicht bloß in der Wahl der Tonart und als Schlußwort, sondern viel- fach auch in der Stimmung. Noch mehr ab ihre klas- sisch monumentale Vorgängerin ist sie ein Werk der Schwermut. Feierlich düster setzt der erste Satz (Dmoll, di) ein, mit dem Beethove- ji | spannend, nischen knisternden Erwartuugsmotiv 1 v bricht in gewaltige Klagen aus, wühlt fragend und bittend, stimmt

dann eine schöne, AH.it _ . _ . ^ir. .!„ a i

breite, helle Melodie fr l f^jj^] \'^^)A \' f^f iV tm der Hoffnung an : P^ ?< '"*'~~^ '^

umklammert sie bald sanft, bald stürmisch, sucht die Dä- monen der Furcht durch geliebte kirchliche Weisen zu ban- nen — umsonst! Das eherne Gesetz menschtichen Loses, vom Haupt- thema aus- gesprochen: ^ ^ tritt ihm immer wieder bis zum Schlüsse entgegen.

Der zweite Satz (bewegt, lebhaft, DmoU, 'Z«) ist das vielleicht grausamste und unheimlichste Scherzo, das die sinfonische Literatur aufzuweisen hat Die Themen sind, auch im Trio, nur Figuren, die im verminderten Sept- akkord spukhaft, fahl, gehetzt und entsetzt hinauf und hinabjagen; als Kern der Musik trägt die Erinnerung die mörderisch dröhnenden Rhythmen der HÖrner, Trom- peten und Posaunen heim.

Der dritte Satz (Adagio, Edur, C/j empfängt den Hörer mit dem Eingangsmotiv von Wagners Faustouver^ türe und mit der Chromatik und der großen Sehnsucht der Tristanmusik; verzweifelte Klagen wechseln mit Grabes- ruhe. Nur auf kurze Zeit lichtet sichs etwas in einem schön melodischen Asdur-Satze, der als Alternativ wiederkehrt Wie in Brückners Fmoll-Messe birgt sich auch in diesem Adagio viel Todesfurcht, doch klingt es versöhnend aus.

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Daß die deutsche Masik in der Sinfonie mit einer Schule Brückners zu rechnen habe, wnrde aus einer Ver- mutung durch die Gmoll-Sinf onie von Gustav Mahler 6. M»Uer, 2ur Tatsache. Sie ist die zweite Sinfonie des Kompo-E"^5J**^^**« nisten; seine erste (in Ddur), die durch eine Aufführung ^°^'

auf dem Weimarischen Tonkünstler feste des Allgemeinen Deutschen Musikvereins (i. J. 1894) zuerst weiter bekannt wurde, ist romantisch pastoralen Charakters und war früher unter dem Gesamttitel »Titan« mit folgendem Programm versehen: >I. Teil. Aus den Tagen der Jugend, Tugend-, Frucht- und Dornenstücke. II. Teil. Commedia umana.« Der erste Satz dieses zweiten Teils, der bei der Weimarischen Aufföhrung als »des Jägers Leichenbe- gängnisse bezeichnet war, ist in seiner Mischung von tollem Scherz und Ernst der eigenste, die erste Visiten- karte des ironischen Mahlers. Die CmoU- Sinfonie ist durchaus ernst und pathetisch, sie bekennt sich zu Brückner, aber nicht bloß in der Richtung der Ideen, sondern sie stellt diese zum Teil mit Brucknerschen Mitteln, z. B. mit häufiger Anlehnung an Choralweisen, dar, und sie steht drittens, und zwar noch mehr als Brückners eigene Werke, unter dem starken Einfluß Richard Wagners. An keiner früheren Sinfonie kann man so wie an dieser . Mahlerschen merken , wie die ! neuere Musik immer mehr von dem Geist und auch von der Sprache des Bayreuther Meisters aufnimmt. Seine Macht ist schon jetzt der, die Schiller in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf die deutsche Dichtung ausübte, mindestens gleich.

In mancherlei Äußerlichkeiten macht die CmoU-Sin- fonie Mahlers den Eindruck eines außerordentlich schwie- rigen Werks. Sie mischt, scheinbar ohne einen Anhalt dafür zu geben, wie Berlioz' »Romeo und Julie«, Instru- mentalmusik mit Solo- und mit Chorgesang, sie hat sechs Sätze. Von allen diesen Schwierigkeiten bleiben nur die, welche ihr unerhörte Blechmassen verbrauchen- des Orchester und die technische Natur des Werkes der Aufführung bietet. Zu verstehen ist sie ziemlich einfach,

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wenn man nur darüber klar ist, daß sie nicht eine Zu- sammenstellung von allgemeinen Stimmungsbildern geben will, sondern daß sie zu jener ungeheuren großen Klasse von Programmsinfonien gehört, deren Komponisten eine Angabe über das Programm für unnötig erachtet haben. Ihr Inhalt berührt sich einigermaßen mit dem von Drae- sekes Cmoll-Sinfonie. Sie schildert das Ende eines edlen Menschen, der einen schweren Verlust nicht verwinden

I kann. Die Beziehungen zu Draeseke sind rein^^zufällig;

' wesentlichere dagegen bestehen zwischen Mahlerß Kom- position und der Sinfonie fantastique von Berlioz. Auch Mahler neigt, wenn auch durch bessern Geschmack ge- zügelt und gehalten, ein wenig mit seinem Programm zur Schauerromantik; noch mehr gleicht er ihm in dem Streben nach neuen Orchesterwirkungen. Sogar eine Besenrute nimmt daran Teil. Sie sind im ganzen edler als die der Sinfonie fantastique und beruhen im wesentlichen auf einer Übertragung der von Wagner für den »Ring des Nibelungen« ersonnenen Farben in den

I Konzertsaal. Mahlers Cmoll-Sinfonie bildete für ihre Ent-

I stehungszeit den Superlativ dessen, was die neue Zeit in

der Kunst der Klänge und Klangmischungen erreicht und

vor sich gebracht hat. In der Menge imposanter, mäch- ' tiger Töne hat sie in der früheren Sinfonieliteratur nicht

ihresgleichen. Sie ist aber auch ein durch hohe und edle Ideen hervorragendes Werk.

Der erste Satz (Allegro maestoso, C/, CmoU) beginnt mit Motiven des Schwankens und der Aufregung, des empörten Gemüts, als wenn sich einer sträubt, eine furcht- bare Nachricht zu glauben. Des weiteren entrollen ihre Bilder den ungeheuren Schmerz einer großen Seele und Begräbnisszenen. Die Phantasie sucht sich dem Ein- druck des Verlustes durch Flucht in ferne, holde Zeiten zu entwinden. Die Form, in der dieser Inhalt darge- stellt wird, entspricht in den großen Zügen dem Aufbau des Sonatensatzes. Schwierigkeiten verursacht vielleicht das Verständnis des ersten Themas dadurch^ daß sein Kontrapunkt als ein selbständiger Ideenteil vorausge-

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schickt wird. Das zweite Thema tritt ungewöhnlich bald ein und ist in mehrere Gruppen jterteilt.

Der zweite Satz (Andante con moto, ^/^ AsdurJ zeigt den Helden des Tongedichts bemüht, sich in des Lebens Behagen und in seiner AUtägtichkeit wieder zurecht zu finden. Erregung klingt bafd leise durch diese Versuche durch, bald bricht sie leidenschaftlich aus und wirft die- selben Töne der Verzweiflung in das Bild, die im ersten Satz so erschütternd wirkten.

Der Hauptsatz dieses Andante hat ein Thema, das dem Walzer der Volkmannschen Fdur-Serenade wohl ab- sichtlich nachgebildet ist Ein Kontrapunkt der Celli sucht die Tanzweise zu heben, ein festliegender Baß zieht sie ins Wunderliche und Lächerliche.

Der dritte Satz (ebenfalls ein ruhiger 3/4 Takt, in Cmoll) führt die Versuche vom Schmerz loszukommen, einen gewaltsamen Schritt weiter. Um zu vergessen, verliert sich der Trauernde ins Triviale, begibt sich mit den besten Teilen seines Wesens in unwürdige Gefahren. Umsonst! Durch alle Lagen, auch durch die Stunden neuer Hoffnungen, dringt der alte Schmerz wieder durch. Die Wunden der Seele bluten nur .hef- tiger.

An neuen, überraschenden Mitteln der musikalischen Karikatur durch Klang und Melodik ist dieser Satz sehr reich. Seine gebrochene Schlußstimmung führt höchst natürlich hinüber zum

Vierten Satz , einem feierlichen OTakt ^in Des dur, der ein Altsolo einführt und ihm ein »Urlicht« betiteltes Gedicht aus »Des Knaben Wunderhorn« überträgt. Wer dem zweiten und dritten Satz mit dem richtigen inner- lichen Anteil gefolgt ist, wird nicht befremdet sein, wenn hier die sinfonischen Traditionen plötzlich durchbrochen werden. Der Verlauf ließ für den Helden nichts übrig als die Sehnsucht nach dem eignen Tode, und diese spricht das Altsolo für viele Zuhörer vielleicht über- tlüasigerweise ergreifend schön , in der Tonspraehe alter Zeilen aus.

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Ans diesem VerhAitnfs folgt, daß der zweite, dritte uüd vierte Satz eng zusammengehören und dafi vielleicht ihre äußere Trennung besser unterblieben wäre.

Der fünfte Satz, kurz gegliedert, zerrissen, im Tempo immer wechselnd, f&hrt die irreleitende Oberschrift': >lm Tempo -des Scherzos«, die wohl nur für den ersten, entsetzlich wild hereinfahrenden Abschnitt (S/g Takt) gelten soll. Jedenfalls darf niemand den Charakter des gewöhn- lichen Scherzos erwarten. Der Komponist schildert hier ein Gemüt unter den Eindrücken, die der Entschluß zum Sterben hervorruft. Er gibt uns Choräle und fromme, feierliche Gedanken der Ergebung, des Hoffens auf Gott und Jenseits, der Liebenswürdigkeit im schrofifen Wechsel mit dem Ausdruck der Klage, des Entsetzens, des Todes- grauens mit phantastischen Bildern geistiger Umnachtung. Sie treten ganz besonders hervor in einem kurzen Ab- schnitt, den Hörner die Stelle hat die Oberschrift: »Der Rufer in der Wüste« mit Signalen einleiten. .In der Mitte der Komposition regt sich in einem kräftigen Marschsatz (F dur) noch einmal die Lebenslust Als alles zu Ende ist und Stille eintritt, spielen Mittelstimmen leise auf das zweite Thema des ersten Satzes an.

Der Schlußsatz knüpft ebenfalls an die sanften be- freienden Ideen dieses Themas in seinem Hauptinhalt an. Den Anfang macht ein romantisches Konzert zwischen Trompeten, Hörnern, die aus der Feme spielen, mit der Soloflöte und der großen Trommel des Orchesters. Es hat wohl zu der Oberschrift des Satzes »Der große Appell« Veranlassung gegeben und will das Auferstehen der Natur im Frühling zugleich mit der Auferstehung der Toten vor die Phantasie führen, Bilder eines Michelangelo und eines modernen Idyllenmalers in einen Rahmen drängen. Bald darnach tritt der Gesangchor ein und singt: »Auferstehn, ja auferstehn«. Der zwischen Solisten und Chor verteilte Text erklärt auch das weitere.

Wenn sich diese früher lange ignorierte C moU-Sin- fonie Mahlers mittlerweile in den Konzertsälen (als »Auf- erstehungssinfonie«) eingebürgert hat, und wenn aucli

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seine weiteren Sinfonien bis zur achten -^ die nettnie ist augenblicklich noch nicht yeröffentUcht in der Statistik der AuüQhmngen in der vordersten Reihe der Novitäten stehen, so ist das 'die Folge der raschen und kaum zu ahnenden Entwicklung, welche der Komponist nach jenem . Werke genommen hat. Er ist sehr bald ein Krösus der Orchestertechnik und darüber hinaus ein Sinfoniker von ganz eigener geistiger Bedeutung geworden. Es wird allerdings noch einige Zeit kosten, bis seine Sinfonien nach dieser letzten Seite hin voll verstanden werden, und eine unbedingt beglückende, zur Liebe zwingende Wirkung wird ihnen für immer versagt bleiben. Aber als Seelen- bekenntnis, als eine für viele sprechende Stimme aus der Zeit des Komponisten, haben sie schon jetzt ihren ge- schichtlichen Wert.

Mahler begnügt sich nicht damit, erlebte oder ge- träumte Freuden und Leiden in Tonbilder zu fassen, nicht mit der Wiedergabe von seelischen und sinnlichen Ein- drücken, die der Aufnahme und Verwertung in jedermanns Phantasie und Gemüt sicher sind, sondern er will vor allem eine Weltanschauung predigen. Das tun die großen Meister auch, aber implizite und unwillkürlich ; . Mahler | dagegen geht von der bestimmten Absicht aus, seine An- ! schauungen vom Leben und vom Menschentum, vom \ Wert irdischen Treibens und Wähnens zum Ausdruck zu ; bringen. Er ist ein sinfonierender Philosoph und als , solcher, weit über Wagner hinaus, Vertreter jenes mo- dernen, unerbittlichen Pessimismus, als dessen literarische Haupiapostel Schopenhauer und Nietzsche allgemein be- kannt sind. Von letztevem unterscheidet ihn noch ein starker Rest von Humanität, der Glaube an die be» seligende Macht wahrer Liebe, an den Trost und die auf- richtende Kraft festen Wollens und Ringens. Aber die , kleinen Ergötzlichkeiten der Menschheit, ihre Menuetts und Scherzos, auch ihre frommen und kirchlichen Siche- rungsmittel haßt er wie Einer und geht in ihrer Ver- spottung gelegentlich bis zu einem Punkt, der die Krimi- ' nalität streift

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0aTiiit erledigt sich einfach die oft aafgeworfene I Frage: warum Mahler seinen Sinfonien keine Prograsüae \ beigegeben habe, und damit erklärt sich auch die Menge / oft abstoßender parodistischer Züge, * die in den Mahler« ) sehen Sinfonien anch dem Ahnungslosesten auffallen und 1 die so viele seiner Zuhörer zur Zeit noch verwirren. Mahler gehört zu den im tiefsten Grunde unglücklichen Naturen, an denen die Geschichte der' Künstler und der hervorragenden Geister nicht eben arm ist; seine Sin- fonien bezeugen aber unabweislich, daß er auch zu jenen edlen Naturen zu zählen ist, die in der Resignation ihren Halt gefunden haben.

Rein musikalisch imponiert Mahler am stärksten I durch die Beherrschung des Kolorits. Diese von den I Neueren nahezu zur Hauptsache gemachte Nebenkunst .' meistert er nicht bloß in ihren bekannten Wirkungen und Wundern und in der ganzen Skala vom Subtilsten bis zum Gewaltigsten vollständig virtuos, sondern er liebt es hier auch,' vom Glück bald getragen, bald verlassen, stärk zu experimentieren. Unter den von ihm in der Sinfonie neu versuchten Instrumenten fehlen nur noch die Hupe und die Dampfpfeife; Orgelton und Glocken* klang, beide schon früher versucht, werden ihm vielleicht das bleibende Bürgerrecht in der Sinfonie zu danken haben. Auch als Kontrapunktiker leistet Mahler Außer- gewöhnliches. Regelrechten Fugen und Variationen ist er abhold, gelegentlichen kleinen Kanons geneigt, die Hauptkraft aber wendet er der Umbildung von lliemen und Motiven, der Kombination getrennter Ideen und der reichen Einkleidung der Hauptgedanken durch selb- ständige, in interessanten, auch harten Dissonanzen schil- lernde Begleitungsmotive zu. Im letzteren Punkt folgt er dem zuerst von Wagner gegebenen Muster mft einem gewissen Überschwang; das Mahlersohe Orchester fesselt durch innere Lebendigkeit, zuweilen aber ist es überladen. Als Erfinder ist Mahler vielseitig und immer chiirakter- voll, aber nicht eigentiich universell und originell; nament^ lieh da, wo die Themen Größe und Aufschwung aus-

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drücken sollen, wo ihr Wesen auf der Tagesseite mensch« lihen Dlchieus und Fühleus Hegt, bleibt er nicht selten trocken, kommt über Marschweisen nicht hinaus and verfügt nur über eine spärliche Zahl rhythmischer Und melodischer Grundformen.

Die dritte Sinfonie Mahlers (Dmoll) verläuft in zwei e. HaUer, Abteilungen, von denen die erste aus dem ersten Satz, Dritte Sinfonie die zweite ans den folgenden fünf Nummern besteht. Jene bietet das Bild einer großartigen Kraftentfaltnng, diese stellt ihm Tändeleien entgegen, über die erst am Ende wieder ein starker und ernster Geist siegt.

Der erste Satz (Kräftig, entschieden, D moB, V^ ^^^ ginnt mit folgendem Hauptthema:

Seine ersten Takte stellen mit dem Zitat aus dem be- kannten Studentenlied »Ich hab^ mich ergeben usw.« eine frohgemute, patriotische Stimmung fest, die aber be* reits in der zweiten Hälfte in Unruhe und ins Schwan- ken gerät. Mahler läßt die einfache Melodie von acht Hörnern im unisono blasen. Schubert kommt bei einem ähnlichen Zweck im Anfang seiner großen Cdur-Sin- fonie allerdings sehr gut mit zwei aus, trotzdem ist das Mahlersche Massenaufgebot keine bloße Marotte oder Äußerlichkeit, sondern der Komponist braucht eine Flotte mit tausend Masten, damit der schnell eintretende Schiffbruch um so kläglicher wirkt. Schon bei der letzten Note des Themas weicht der glänzende Klang einem doppelten und dreifachen Piano, die Stimmung ist gebrochen, die *>ti > T -^ \ ■-, 1 F^ ^^® klagen Bässe fragen leise: -^ ^ -JJ.^' Jj' '^--^ laut und wild:

-? '*' iT P r o^^o-n ^^^ ^*® Trompc-

r ' I T I '\ te gibt mit grel- Jjy ler Dissonanz in:

einer Verzweiflung, einem

aus lange kein

'h nütfCtfl

ifl i ^llil T 1 I ®*°®^ Verzweiflung, emei

"^ Btr ^"^ I I JLJjil I M Unfrieden Ausdruck, ai

' «^ f ^^^^^^^s>^ T dem sich sehr lanee kei

1^

.-^ 800 4^-

Ausweg bieten will. Es braucht nach jenem Trom|>etensehrei 76 Takte des Suchens und Versuchens mit neuen, und alten Motiven, in den Hörnern zumal, bis sich die erschreckten Geister wie im Schlummer, den nur eine einsame Pauke leise durchklingt, be> q ^ ^^ i,j ^J ruhigen. In Bruckner4Bp^ f i \ j n scher Art folgt jetzt mit^ ein Choral, der wie aus der Höhe erklingt und von der Oboe mit pastoralen Motiven begrüJBt und begleitet wird. Mit ihm beginnt die Gruppe des zweiten Themas, die im Gegensatz zu dem heroischen Anlauf, mit dem das erste einsetzte, auf eine ergebungsvolle Stimmung hinlenkt Der Weg dahin ist aber nicht leicht; zunächst, ehe der Vs Takt einsetzt, kommt eine Stelle, wo aus der Schwer- mut volle Gebrochenheit geworden ist, wo die Musik allein mittelst des Schlagzeugs gespenstische und un- heimliche Lebenszeichen gibt. Die Rolle des Aufhellens und Aufmunterns übernimmt da das Osterinstrument, die Posaune, und ruft in langen, energischen Rezitativen zum Choral zurück, der zuerst aus den tiefen Instrumen- ten in geisterhafter Färbung ertönt, dann aber in Flöten und Violinen aufsteigt. Daß ihm aber die Herrschaft noch lange nicht sicher ist, sagt die plötzliche Wieder- kehr der Trompetendissonanz, es sagts auch der verhüllte Klang, in dem er intoniert wird, und drittens der selt- same Abschluß der ganzen Themengruppe in einen un- vermittelten Übergang nach Cdur, mit einem schrillen Einsatz der Klarinetten. Dieses Klarinettensignal bringt die Wendung im Satz, es kündet einen Oberfall: neuste Feinde sind in das von Parteiungen verwirrte Land ein- gebrochen. Der Warnung, dem Hilferuf wird in der nun folgenden Durchführung entsprochen, die uns in einem breiten und bunten Bild den Heldenmut und die Vater- landsliebe am Werke zeigt Formell wird die Schilderttng von einem feurigen Marsch getragen, der von Cdur aus die verschiedensten Tonarten durchläuft und sich in er- staunlicher Wandlungsfähigkeit allen Phasen eines Kriegs- ganges und seiner Entscheidungskämpfe anpaßt Selbst-

801 «^

I

verständlich kommt hier der Anfang des Häuptthemas zu seiner Geltung, es lenkt und leitet die ganze Entwick- lung des großartigen Tongemäldes, hier herrisch und an- feuernd, dort in wunderschönen, warmen, edlen, elegischen Umbildungen, zum Schluß nach vielen kritischen Augen- blicken und nach vielen Wehrufen triumphierend. Der ganze Durchführungsteil, der ungefähr die Hälfte des ersten Satzes einnimmt, ist ein glänzendes Zeugnis des Könnens Mahlers, seiner kombinatorischen Begabung, aber auch der Macht seiner Phantasie und seines Ge- fühls. Der Marsch verschwindet schließlich wie ein Stück Spuk, und es beginnt die Reprise. Sie unterscheidet sich von den hergebrachten Modulationsänderungen abgesehen durchaus logisch von der Themengruppe dadurch, daß sie die d6m Hauptthema folgende Partie des Zweifeins, Schwankens und der Unentschlossenheit überschlägt. Der Marsch schließt den Satz und zwar mit höchster Kraft in Fdur.

Der zweite Satz (Tempo di Menuetto, sehr mäßig, A dur, 3/4) zeigt uns den Komponisten, ähnlich wie der Walzer in der Cmoll-Sinfonie, als ein ausgezeichnetes Snitentalent, aber eigentümlicherweise als eines, das sich auf diesem heimischen Boden nicht wohlfühlt. Das lassen im Hauptsatze schon verschiedene Abschweifungen, noch mehr läßt es im Alternativ der unstete Wechsel von Tempo ) Takt und Motivmaterial merken. Stellenweise spricht sich der Unwille, den der Komponist gegen das sinfo- nische Herkommen hegt, in einer gesuchten Schalheit aus.

Der dritte Satz (Comodo, Scherzando, Cmoll, ^4^ zeigt uns Mahler noch entschiedener auf dem Weg zu einem Offenbach der Sinfonie. Wie schon das erste Thema jPlK 1: T T f Tf 1 r r » * trivial sein will, (der Oboe): ^^''* '-' * ^ iU F ^^'^^ so geht die Er- iindung durchweg auf eine grimmige Verspottung des ganzen Genres aus. Für den Zuhörer bleibt viel Witz im einzelnen zu genießen, am Schluß kommt sogar mit dem Konzert zweier Posthörner eine idyllische Episode, um deren Poesie an dieser Stelle es eigentlich schade ist.

KretcNchmar, Führer. T, t. 51

802 #^

Der Tierte Satz (Misterioso, sehr laagsam, Ddnr, s/t) knüpft in der kurzen Emleitong an die Yeriegenheits- rtelle am Schlosse des Häuptthemas Tom ersten Satz an und bringt dann Aber Worte yon Nietzsche ein Altaolo, das an eine getragene, halb tiefsinnige Melodie einige seltsame, altTlterische Schnörkel kn&pft, so daß man nicht recht weiß, ob man das StQckchen für Bmst oder Scherz rechnen soll.

Beim ffinften Satz (Lustig, Fdar, V4) besteht da* gegen gar kein Zweifel, daß Mahler parodieren will. Der Knabenchor, der uns hier von einer Begegnung erzfthli, die zwischen Jesus und Petrus im Himmel stattfindet, tot dies in einem so kecken, unwürdigen Ton, daß es nicht noch des Gestammels auf »bamm, bimmc bedurfte, um über die gradezu frech antikirchliche Tendenz des Satzes aufzuklären. Hier hört der Spaß auf^ und en kommt an Mahler ein peinliches Stflck Shylock zum Vorschein. * Der sechste und letzte Satz (Langsam, Ddur, C) gelangt von einem Anfang, der die Stimmung in etwas konventionellen Melodien zur Ruhe sammelt, über Strecken leidenschaftlicher Erregung zu einem Frieden in Kraft und Glanz, mit Themen und Motiven, die an schönste Stellen des ersten Satzes anknüpfen und damit die Sinfonie zu einem versöhnenden, harmonischen Abschluß bringen. O.HftkUr,.-' Das Äußerste, was in sinfonischer Form an Parodie, Viert« SinfonU an Hohn und Spott möglich scheint, bietet Mahlers vierte Sinfonie (Gdur). Ihr Objekt ist der gebildete Philister, dessen Wesen und Treiben der Komponist in vier Bildern vorführt.

Der erste Satz (Bedllchtig, Gdur, Vi) ^^i^ gleich mit einer Karikatur an, nämlich harmonisch verkehrt, statt in Gdur in Hmoll und mit Motiven

lichkeit: ^ PWoiin ' >0b. ^ «to,

die bald von 0 1 _ .f<rT">- _ 1 .^jT^

einer billigen h) A"! f EJ II f ^i(f'rrpff MPf T te. Sentimentalität: ^io\.p^>=:z pp^ ^^

--^ 803 4^

abgelöst wird. Bereits mit dem zweiten Thema:

^) j*»^" jlJ J l JWJJjjUi •«<»' Ineiersche !toch' Celli ^—^ -^— ^ ^^==*" masch von täp-

pischer Lustigkeit und erkünstelter Empfindsamkeit bei der ▼oHständigen Lächerlichkeit angelangt. Mahler gewinnt aber seinen Themen immer neue lustige Seiten ab, teils durch witzige Instrumentierung, teils durch Widersprüche in der Gedanken entwickelung: .da wird der phrasenhafte Doppelschlag (von b) plötzlich von 3 Oboen unisono und im fff herausgestoßen, die Kontrabässe und Kontra- fagotte stöhnen ihn inbrünstigst in die Leere, andre In- strumente wieder konzertieren um ihn. In der Satzfüh- rung werden nichtige Motive plötzlich mit Kantilenen kontrapunktiert, die sich wohltuend innig anlassen, aber schnell wie Seifenblasen zerplatzen, oder es spannen uns große Steigerungen und münden in Trivialitäten aus. Die Hauptstelle dieser Art kommt in der Durchführung,

wo aus einem kurzen, -p l p m i - ^C T r- aber pompösen Orgel-^p J^ I p I J" |^ I Cir^J ^ *^' punkt der Gassenhauer: *^

entspringt. Trotz ihrer Länge bleibt die Komposition bis zum Ende amüsant.

Der folgende, zweite Satz (Ohne Hast, Cmoll, s/g) nimmt sich die Karikatur philisterhafter Gemütlichkeit zum Ziel, ihr Merkmal ist ungeschickte Beweglichkeit im engen Kreise. Das will das Thema des Hauptsatzes

das nach ei-

_ ner kurzen

»V-^^ p-=:jr P =- Homeinlei-

tang von einer falsch gestimmten Solovioline gebracht wird, mit seiner vertrackten Melodik sagen. Harmonie und Kontrapunkte greifen in gleichem Charakter ein, und ihm entsprechen endlich auch die zahlreichen reinen und variierten Wiederholungen, die das Thema erfährt, und die umständlichen Anläufe, die zu ihrem Eintritt unternommen werden. An einer Stelle, bei der plötzlichen Wendung aus C moll in G dur, hört man in den Flöten unverkennbares

61*

^

804

Gelächter. Das herkömmliche Trio des Satzes steht in D dur, ist sehr kurz and hat in den Violinen eine ein- fache anheimelnde Gesangmelodie, deren Wirkung aber durch eine geschwätzige Klarinette absichtlich verdor- ben wird.

Im d r i t te n Satz (Ruhevoll, G dur, C) nimmt der Kompo*

nist anfangs eineMaske vor und empfängt uns miteiner nicht

gerade neuen, aber sehr bewährten Weise elegischer Natur:

^^^-^■^ xtn" ± ^t . aus der sich eine

5g(r_| M M AI I J I rJ! Art friedevollen

ccüi pp •^ ^-^ etc. Abendliedes ent-

wickelt. Den weitren Verlauf nimmt aber wieder der Schalk in die Hand. Es beginnen Variationen über das Thema, und es ist auf eine Verspottung der landläufigen Variationen- form abgesehen, die durch reiche Benutzung abgebrauchter oder übertreibender und lächerlicher Wendungen, durch unsinnig schroffen Tempowechsel, durch unmotivierte Entstellungen des Themas von Abschnitt zu Abschnitt deutlicher wird. Auch der ganz unbestimmte, fast hüif- lose Schluß des Satzes auf der Dominante gehört mit ins Bereich der Karikatur.

Bis hierher waren die von Mahier aus dem Seelen- leben des Philisters entnommenen Parodien alle drollig, und auch die groteskeren trug ein noch immer liebens- würdiger Humor. Es ist darum bedauerlich, daß er mit .dem schließenden vierten Satz (Sehr langsam, G dur, V4\ der wieder ein Gesangsatz (für einen Solosopran) ist, die Wirkung des heitren Werkes aufs Spiel setzt Der aus »des Knaben Wunderhorn« entnommene Text dieses Schlußsatzes gehört zu den mehreren der Sammlung, in denen die Naivität sich der Lächerlichkeit nähert. Mahler gibt ihm folgende Melodie:

Wir grüßen die himm

1 i .sehen Freiideii,dnijii

wendet ihn also äugen- ische mei.dcn scheinHch ins Kindische.

_^ 805 «—

Daß er damit nur den fromm tuenden Philister, nicht die Frömmigkeit und den Paradiesesglauben überhaupt verspotten will, ist an und für sich klar und wird noch dadurch bestätigt, daß die Nachspiele der Verse aus dem t&ppischen, leitenden Philistermotiv gebildet sind, mit dem die Sinfonie in ihrem ersten Takte einsetzte. Aber es ist doch fraglich, ob dieser Unterschied überall verstanden und anerkannt wird, und es bleibt deshalb kaum viel dagegen einzuwenden, wenn vorsichtige Dirigenten auf diesen Schlußsatz verzichten.

Den Höhepunkt Mahlerscher Kunst bildet . seine ti. MaUer, fünfte Sinfonie, die in Cismoll beginnt und in D dur ^önfio Sinfonie endet. Ein durchaus ernstes Werk und frei von den parodistischen Absichten ihrer Vorgängerinnen, führt sie in fünf Sätzen das Bild einer trauernden Seele vorüber, die sich aus Schmerz und Verzweiflung heraus wieder ins Leben zu finden sucht.

Der erste Satz (Im gemessnen Schritt, Cismoll, ^/j], der in der Form eines Trauermarsches gehalten ist, wech« seit zwischen wilder Erregung und einer mit den Tränen kämpfenden Müdigkeit, die oft genug der vollen Gebrochen- heit nahe ist. Erstre wird von den punktierten Rhythmen eines Themas getragen, mit dem die Trompete den Säte beginnt:

jjTj"'jijij ui^j>

^ \y letztre von folgender Geigenmelodie i

Mit den Wiederholungen und Verwandlungen dieser bei- den Themen schildert der Komponist in verschiediier

806

Weise den Übergang vom Aofrulir zur Ruhe, von der Stille zum Tumult der Gefühle. Schon scheint in die Seele das Gleichgewicht zurückzukehren, da beginnt in allen Baßinstrumenten Glockengel&ute (B F), und anfis neue hat die leidenschaftliche Fassungslosigkeit die Ober- hand und behält sie trotz der schön zusprechenden Trost« melodien, denen wir u. a. in

,i>c .. „_ ^ .

etc.

molto erme. J^

<f

und in

begegnen, bis ans Ende des Satzes. Erst da fließt die Klage weich und rührend und leise stirbt die Musik, nicht ohne bis zum letzten Takt mit unerwarteten Wendungen zu überraschen. Eine solche ist das A dnr bei den letzten Intonationen des Triolensignals mitten zwischen Fismoll und CismolL

Der zweite Satz (Stürmisch bewegt, AmoU, ^) ist eine im Charakter gesteigerte Variante des ersten. Der Schmerz nähert sich hier mit energisch trotzigen Achtel- gängen und heftig rhythmisierten Motiven der Wut; Klage und Trost finden im Gegensatz dazu schOne, warme, herzliche TOne der Innigkeit Eine Hauptrolle spielt im Beschwichtigungsdienst das Cello. Es gießt zuerst mit einer ernsten, sanften Melodie in Fmoll

I— _«"^^'^T>i n ^^ *^^ ^^^ Brandung, yiy [fl Ir V\x\ ^ als die Desperation wie-

^ der wild aufochreit, er-

hebt es mit einem nur von leisem Paukenwirbel be- gleiteten Monolog dagegen einen Einspruch, der die eben zitierte schöne Melodie an die Spitze und das empörte Gemüt etwas zur Ruhe bringt Unter den Episoden, welche zu dieser Wendung führen, ist namentlich ein Kanon zwischen den Holzbläsern und den Cellis her- vorzuheben, der aufrichtend folgendermaßen anhebt:

-^ 807 ^^

a±r"^ 3 ^ , j^ Das Nonen-

_->L-", . =^ r r r r \ *^" mit

^ ~" dem diese

Melodie einsetzt, ist vom Anfang des Satzes an eine Hauptstimme für den fortnagenden Seelenschmerz und hat das letzte Wort im Satze, der mit einem dumpfen Paukenschlag ausklingt

Wer die Entwickelnng und das Gesamtergebnis dieses zweiten Satzes nachzufühlen vermocht hat, wird der Lustigkeit, mit der der dritte Satz (Scherzo, Ddur, Vi)

Themas: Höpimr/ ^^ -r JjT eto.

anhebt, nicht trauen, und tatsächlich nimmt sie schon bald einen gedrückten Charakter an, der in dem neuen Thema

9 $ft ^1 flt> "lir iit^^'^^nn .. I i. einem Milch-

9 " ti^^ W^tX^^'^^ ^^^bruder der y n-ccULJ -«=1 jjp «tc- Hauptmelodie

des zweiten Satzes der vierten Sinfonie, seinen deutlich- sten Ausdruck findet In dieser Richtung entwickelt sich die Stimmung weiter, der heitre Ton wird nur mit Un- behagen festgehalten, es kommen Momente des Er- schreckens und der Wildheit, aus denen plötzliches Be- sinnen zu einer ganz ähnlichen ärmlichen Fröhlichkeit überleitet, wie sie jedermann aus dem Danse macabre von St. Saöns kennt. Zum Schluß wird sie gewaltsam zu einer erkünstelten Ausgelassenheit aufgepeitsclit.

Einen bessren JVeg zur Heilung des tief getrolTnen Gemütes schlägt der vierte Satz (Adagietto, Fdur, Vi) ein, indem er sich der Erinnerung an den geliebten Toten hingibt In edlen Melodien lebt sein Bild auf, es liegt aber im Charakter des Satzes, daß sie in etwas unruhiger Be- leuchtung gehalten sind.

Im fünften und letzten Satz (Rondo Finale, AUegro, Ddur, (^) empfangen uns pastorale Weisen: der Trau- ernde versucht es mit der Sänftigung, die im Land- leben und im Verkehr mit der Natur liegt Dann kommt ein Thema:

r

8U8

c.n'i" ' 'TnjijiijnTniiiufirrii^^'^r'

das an rüstiges, geschäftiges Arbeiten deiikeu läßt, und von dem aus Anläufe zur Doppelfuge und Verbindungen mit zahlreichen Nebenthemen erfolgen. Am besten schließt es sich mit dem ihm in Kraft verwandten eigentlichen Rondothema Q tu i . i . , . i . zusammen

des Finale: %^"'^ J MJ^^«««- «„d setzt mit ihm vereint auch eine lebenslustige Frölilichkeit durch, die sich, allerdings durch geisterhafte Klänge, durcli herein- fahrende Trugschlüsse und Dissonanzen häufig erschreckend unterbrochen, äußerlich bis ans Ende behauptet Redites Zutrauen kann man ihr nicht abgewinnen, und so ist der Satz, in seinen Wegen sehr verschlungen und schwer übersichtlich, auch im Sdilußcindruck der pessimistischen Auffassung des Problems getreu, etwas unbefriedigend. Q. Hahler, ; Noch stärker kommt der weltfeindliche Zug des Koni -

Sochate Sinfonie, ponisteu in seiner sechsten Sinfonie (Amoll) zum Aus- druck. Ihr erster Satz (AUegro encrgico, Amoll, Vi) l>rin?t nach einer kurzen, durch einen brutalen, auf Frohn und Peitsche deutenden Rhytlnnus cliarakterisiertcn Einleitung ein Ilauptthema mit folgendem Anfang:

Es klingt nach hartem Los und scliwcrem Mühen. Dun tritt nach einem ersten Überblick über die in ihm ent- haltenen Elemente der Energie und der Empörung ein zweites Thema:

Cm

imff^M^i^^m

entgegen, das sich mit aller Gewalt Träumen von Frieden und Glück zuwendet. Zwischen beiden steht, leise into- niert, ein Choral, der uudi im weiteren Verkiuf des öfteren die Vennitlclung zwischen den konträren Ideen und Zu-

809

ständen der Themengruppe übernimmt. Zum gleichen Zweck dient noch eine Reihe sekundärer Motive und Hilfs- ,kräfte; am meisten tritt unter ihnen das Geläute von Ilerdenglocken hervor, die Mahlers Klangbegierde dem Sinfo- nieorchester einverleibt hat. Umspielt werden sie regel- mäßig von in höchster Höhe vibrierenden und glitzernden (ieigenmelodien friedlicher Natur. Es kommt zu einem Triumphe des zweiten Themas, das in verlängerten Rhyth- men und in Adur den Satz abschließt, jedoch ohne die Kampfesrvistung abzulegen. Das harte Kommando- inoliv der K S N K ist jetzt 1 1 I | | l 1 | Einleitung J f W f J f J mit: JJJ#JJJJ

ins Toben geraten.

Der zweite Satz, der nochmals die AmoU-Touait bringt, nennt sich Scherzo, er hat aber keine Spur von Heiterkeit, sondern er wiederholt nur die Kämpfe des ersten in gesteigerter Heftigkeit und Wucht. Aus dem früher immer noch gemessenen Rhythmus ist jetzt ein liastiger, ein 3/g-Takt geworden, aus allen Äußerungen des Hauptthemas und seiner Gruppen spricht nackte Bnitalität. Das Alternativ:

etc.

(fhoe.f =* P "*== p ff 2»-=;

ist als volkstümlicher Gemeinplatz ein BeschwichtigungH- versuch mit unzureichenden Mitteln und reizt nur die den Satz beherrschenden Geister zu immer größrerWüd- Ireit. Sie artet mehrmals zu einem Wirrwarr aus, bei dem, Tonarten, Rhythmen, Stärkegrade eingeschlossen, alles gegeneinander kämpft. An kleinen Scherzen ist trotzdem in dem Satze bis zu dem einschlafenden Schluß kein Mangel. Noch ganz zuletzt appelliert das allein da- hinpolternde Kontrafagott an die I^achlust der Hörer.

Der dritte Satz (Andante moderato, Esdur, ^/J ist sehr reich an schönen Melodien der Sehnsucht und der still oder laut entzückten Schwärmerei. Aber, wne das gleich vom Anfang an die zahlreichen überi^^^^^^^^ BteV- klänge, später die fortwährenden Müdu\ni:^jv\ev\ auOieulew,

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haust auch in ihm ein Gefühl der Unsichedieit und Un- ruhe.

Das Finale (AUegro energico, Ämoll, Vi) beginnt mit einer langsamen Anleitung, die von C moU aus suchend, aber rasch nach AmoU und da in die Sphäre und die Rhythmen des ersten Satzes >, r- r- i r^^ _ i O _ i I . -i gelangt, bald aber in ^H» f [ If f T ItT F T ' 'U ^1 einen müden Ton: ^^sotij^

gerät und sich nur mühsam und hin und her tastend weiterschleppt Da setzt endlich mit dem Allegro energico ein seltsames, aber kräftiges Thema ein:

ji'rii ||ii|^iir''r^-i^.t<..

Dem starken UnMeden, der in ihm wohnt, tritt das zweite Thema:

Hörn f^"^' *<r Oboe ^==^ ^

visionsartig, im plötzlichen Ddur eingeführt, mit einer Anweisung auf die Zukunft entgegen. Sie wird indessen

nidit eingelöst, sondern, nachdem Szenen des Aufruhrs und der Beruhigung, Schreckensmomente mit Herden- glockenidyllen gewediselt haben, auch lange in Adur ge- spielt worden ist, kommt ein Sdiluß in Resignation. Im drittletzten Takt schlägt die Pauke, fast roh, das Kommando- motiv des ersten Satzes an; ein leiser AmoU-Akkord der Trompeten bildet den letzten Hauch der Sinfonie. Dieses Finale ist wegen des stark gehäuften thematischen und motivischen Materials, was darinnen verbraucht wird, für den Zuhörer schwer, und es ist im Charakter besonders hart: auf ganze Perioden kommt kaum ein Dreiklang. e. Hakler, Die siebente Sinfonie, die in HmoU beginnt und in

Siebente Sinfonie. C dur endet, ist Mahlers letzter Hymnus auf die furcht- lose Kraft. Sie führt den ersten Satz nach langsamer.

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schwül wirkender Einleitung im Allegro con fuoco (Emoll, i^) mit dem Thema:

ein. Es bildet auch den Schluß der fönfBätzigen Sinfonie und bringt die in lärmender Lustigkeit und verzweifeltem Galgenhumor stürmenden Szenen des Finale zu einem würdigen Ende. Die drei Mittelsätze des Werks bestehen aus zwei Nachtmusiken, zwischen ihnen steht als der dritte Satz eine Art Scherzo (Allegro, Dmoll, ^/i), das ganz in Totentanzstimmung und schatten- haft dahinhuscht Die beiden Nachtmusiken nahem sich in ihrer parodistischen Tendenz wieder der vierten Sin- fonie, sie verspotten den Philister bei seinen Liebesständ- chen. Die erste dieser Nachtmusiken (Allegro moderato, Cdur, */4) hat ein akustisches Kabinettsstückchen in einem, gleich nach dem das Stück beginnenden, pastoralen Dialog der Hörner einsetzenden, zehn Takte langen Sätzchen, das in einem Wirbel von Trillem, Akkordsignalen und weitereu Naturlauten mit be^ckender Wirkung die nächtliche Sze- nerie mit leuchtendem Himmel und Sternschnuppen schil- dert und das später nochmals kommt. Dagegen treten die mehrfachen Ständchenmelodien des Satzes sehr zu- rück, sie sind von vornherein absichüich trocken und un- beholfen- g^alten und arten schließlich in einen ganz gewöhnlichen Marsch aus. Noch härter geht Mahler mit dem Liebhaber in der zweiten Nachtmusik (Andante amo- roso, Fdur, s/4) um. Sie ist eine Sammlung mehr oder minder schmaditender Phrasen, ihre Trivialität kulminiert in den vier Takten der Einleitung.

Zur größten Berühmtheit ist Mahlers achte Sinfonie, - 6. Makler, die sogenannte »Sinfonie der Tausend« gelangt. Diese Acht« Sinfonie enorme Besetzung der Sinfonie ist keine unentbehrliche Bedingung, sie wirkt, soweit sie Wert hat, auch mit 150 und 200 Köpfen, aber sie ist keine Sinfonie, sondern eine ^antäte. Map kann darüber unterhandeln ^ ^^ nichl

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musikalische Koiupositioneu jeglicher Art nach dem Brauch des 17. Jahrhunderts mit dem Generaltiiei Sinfonie belegen wollen, aber so lange dieses Übereinkommen nicht rechts- kraftig geworden ist, bleibt es eine sinnlose Umkehrung niehrhundertjähiiger Begriffe, wenn man ein Werk, an dem das Orchester seinen selbständigen Anteil auf eine Reihe bescheidner Nachspiele und ein einziges läng^es Vorspiel beschrankt, mir nichts, dir nichts für eipe Sin- fonie ausgibt Mit gleichem oder größerem Recht könnte dann Beethovens Neunte als Kantate angesprochen wer- den. Wohl ist das eine Äußerlichkeit, aber eine, die darauf hindeutet, daß ihr Urheber in Ge£ahr war, das Nor- male und Natürliche mit dem Gesuchten und Bizarren zu vertauschen. Auch die Zusammenkoppelung des alten Kirchenhymnus: »veni creator, etc.c mit Goethes >Faust« zum Text der Kantate oder Sinfonie hat etwas Gewalt- sames; daneben allerdings auch etwas Hellsichtiges und Großes. Denn es besteht zwischen den beiden Dichtungen ein innres Band, der Preis der göttlichen Liebe bildet es, und das erkannt zu haben, gereicht Mahler zur Ehre.

Was nun die musikalische Behandlung dieses Tex- tes betrifft, so hat sie unleugbar ihre großen Stellen, ist aber im ganzen sehr ungleich. Da gehört dexm so- fort der Eingang des Werks zu den zweifelhaften Ein- fallen. Denn das in einer Menge teils sinnreicher, teils nur kunstreicher Umbildungen durch das ganze Werk, audi im zweiten Teile, verwendete Haupttliema:

Allef*:ro impetuoso ist zwar

igT^ >* IP p ^ li' ^ tJliir r llp'flp "^ mische V«. ni, ve. ni,cre . a.tor spiritus Explosi-

on heißer Inbrunst gedacht, hat aber in seinem, durch deu Taktwechsel nur schleclit verdeckten Marschrhythrous einen starken Rest von Prosa, der auf die bereits erwähnten Schranken von Mahlers Erfindung zurückgeführt werden muß. Immerhin ist es in dem ersten Abschnitt bis zu den Worten: >qui tu creasti pectora superna gratia« das Beste, was der Komponist zu bieten hat. Tiefer eindrucksvoll wird

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die Musik erst wieder, als nach Orgolklang und Glockcn- läuten bei >Infirini noslri corporis virtute« Stille ein- tritt, und ein Abschnitt, dem Größe nicht abgesprochen werden kann, entwickelt sich in dem Vers: >Lumen ac- rende sensibus« mit dem unisono-Einsatz aller Stimmen, den Knabenchor an der Spitze. Bedeutungsvoll treten aus ihm die Worte: »infunde amorem sensibus« hervor und ein Orgelpunkt auf B, der 28 Takte dauert, bringt die erste Hälfte des Hymnus zum imposanten Abschluß; an seinem Ende dominiert das Hauptthema. Von »Qui Para- rlitus diceris« ab beginnt ein langer, schöner Nachgesang milden Charakters, bei reichem T>ebcn besänftigend und beseligend. Auch ihn krönt das Hauptthema. Damit ist der eigentliche Hymnus zu Ende, und ein Orchester- zwischenspiel leitet zu der üblichen Coda aller Hymnen und Psalmen, zum »Gloria Palri etc.« über, das eben- falls zu dem Hauptthema zurückkehrt.

Diejenige Stelle, an welcher die Komposition einen wirklich sinfonischen Charakter annimmt, ist die Einlei- tung des zweiten Teils, ein Orchestersatz (Poco Adagio, Esmoll, C) in welchem 164 Takte lang die Kontrabässe,

meist gemeinsam mit Aen _-i_

Cellis, Bratschen und zweiten V \)'\,\\f | J i ^ J J ] I ^^ Geigen, das Pizzicato-Moliv "^

durchführen, in den Bläsern wird spärlich gesungen, die ersten Violinen aber halten fiast die ganze Zeit an einer liegenden Stimme, dem drei gestrichenen ^, fest. Nur im Mittelteile wird dieser Gespensterton einige Perioden hindurch aufgegeben, um erregterer Klage Raum zu geben. Das Stück erinnert an das »Libera etc« in Berlioz' Requiem, mit dem es q i^^ ^ begegnet, übertrifft aber die-

sich auch in -fe fhK^ p ^ p p -J ses Muster noch an Fremd- dem Motiv artigkeit und in dem Stärke-

grade, in welchem es Gefühle der Öde, des Druckes, der Verlassenheit und des Irrens erregt. Es ist eine unver- gleichlich unbarmherzige Art von Musik, ein Bravourstück nächtiger Kunst Nach ihm beginnt Mahlers Konkurrenz mit R. Schumann. Denn er hat sich die o\c\cV^^tv Szetxen

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aus Goethes »Faust« ausgewählt, die den dritten Teil des Schumannschen Faustoratoriums bilden. Daß der Jüngere den Alteren verdrängen werde, ist nicht zu erwarten, weil Schumann den melodischen Reiz, die bessere Vokalitfit und die Einfachheit des Stils voraus hat, vor allem aber den verklärten, zarten Ton dieser Himmelsszenen glück- licher trifft und festhält. Mahlers Faustmusik ist reicher an Kombination als an Inspiration, sie erfreut hie und da, z. B. bei dem kanonischen Terzett der »drei Marien«, durch Proben wohl angebrachter Kunst, aber sie verdirbt auch viel durch ein Übermaß von Arbeit. Bedeutend wird sie gegen den Schluß hin, ungefähr von den Worten der Mater gloriosa ab: »Komm, hebe dich zu hehren Sphären«, meisterlich mit dem Einsatz des Doktor Marianus »Blicket auf etc.«. Der Chor, der erst leise mit einstimmt und dann das Thema selbständig weiterführt, hebt diesen Abschnitt über die Erwartungen, die sein An&ng erregte. Ebenbürtig schließt sich der Ausgangschor »Alles Vergäng- liche ist nur ein Gleichnis etc.« an, der von äußerster Zartheit aus in schlichten, natürlichen Weisen zu glänzen- dem Klang anwächst und mit der Verbindung der Themen von »Neige, neige etc« und »Veni sancte spirifns« das Ganze noch einmal zusammendrängt und gewaltig abschließt. OaniUo 'Hörn, Ein zweiter Bmcknerschüler, Gamillo Hörn, hat F moll-SInfonie. sich unlängst mit einer Fmoll-Sinfonie (Op. 40) einge- führt, die sich mit dem Hauptthema des ersten Satzes Kräftig bewegt ,- , mit den Nibelungen-

iji' Uli NjiTiiii :tZ ^^

ner, die es einlei- ten und auch in der Neigung, längerer Sätze durch Sequenzen und Nachahmungen kleinerer Motive zu ent- wickeln — so hier den eingeklammerten TeU des Themas zu dem Lehrer bekennt, neben ihm aber sehr freiherzig noch andern Meistern und VorbUdem huldigt und uns in dem Autor eine Natur vorführt, die nach Eklektik und Ausführlichkeit der Rede starke Verwandtschaft mit Joachim Raff aufweist. Stärker als Brückner hat auf Hom R Schu- mann eingewirkt, mit diesem in gleichem Maße R. Wagner

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als Komponist der Meistersinger, aus denen seine Phan- tasie die freundlich frohen Farben ähnlich reich und un- ablässig schöpft, wie das zuerst bei Hermann Götz zu bemerken war. Im Adagio gibt auch Gounod, dessen zarte Empfindung Hörn im allgemeinen sehr sympathisch zu sein scheint, mit einer bekannten Faustselle eine Gast- rolle. Haben wir es somit bei dieser Sinfonie im Allge- meinen mit Erfindungen aus zweiter Hand zu tun, so erfreut sie doch durch geschickte, fleißige Arbeit und durch die logische Entwickelung eines klaren Plans. Es geht auch durch .alle Sätze wenigstens ein Lebenszeichen von Indiyiduahtät und eignem Stil: der Komponist bleibt häufiger als andere bei seiner Wanderung stehen und schöpft Atem, und darüber hinaus beweist er auch durch einen ganzen Satz, daß er ein Gebiet hat, auf dem er eigen ist und sehr erfreulich überraschen kann. Das ist das allerdings etwas lange und eigentlich mit zwei Trios ausgestattete Scherzo. In ihm begegnen wir, wiederum ähnhch wie bei H. Götz, ganz frischer Volksmusik, die an den EichendoriTschen Taugenichts und an andere Natur- burschen erinnert, und der ein maßvoller slavischer Ein- schlag ganz gut steht. Auch das Hauptthema des letzten i Satzes, das den endgültigen Sieg der Freude feiert, be- kundet eine ähnliche Quelle.

Zahlreicher als die Schüler von Brahms und Brückner sind diejenigen deutschen Sinfoniker, die sich keiner be^ stimmten Schule zuweisen lassen. Soweit sie sich im Repertoire behauptet haben, verdienen. da unter den älteren R.Fuchs, A. Klughardt, F. Thieriot, E. Rudorflf Er- wähnung.

RobertFuchs, der als Komponist anmutiger Sere- R.F«ohi, naden eine feste Stellung in der neuern Musik einnimmt, Sinfonie In C hat mit seinem op. 37 bewiesen, daß er auch für die Sin- ;

fonie wohl berufen ist Freilich kann diese C dur-Sinfonie nicht als das Meisterstück ersten Ranges gelten, als ;

welches es der Überschwang von Freunden tind Lands- leuten hingestellt hat. Ihre zweite Hälfte ^^^ jedenfalls wertvoller als die erste, in der aus Stitt^K^^tvf^ ^^^ Yotm

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noch fremde, nicht völlig bewältigte Elemente aaftaachen. Der erste Satz gleicht einem Bild, das sicli ein muntrer, frischer JQngling von der Zukunft macht. Sein Hanpt- thema zeigt den Mut, die Kraft und auch die Sorgen. In der Ferne hellt es sich auf: ein reizendes, schlichtes zweites Thema, das wie Kindergesang klingt, verkörpert freundliche Erinnerungen und trauliche Hoffnungen. In der Entwickelung dieser Ideen reizen und erfreuen in erster Linie die sinnigen musikalischen Details, die Modu- lationen, ObergJIngc und Zwischengedanken, in denen sich der feine, vornehme, gedankenvolle Künstler zeigt. Die Phantasie war aber der Aufgabe nicht ganz ge- wachsen. Fuchs hilft sich deshalb sehr oft mit lau- nischer und theatralischer Aufregung. Merkwürdiger- weise klingt auch das Orchester in den zarten Abschnitten etwas stumpf.

Der zweite Satz, ein Presto in Amoll ;2'4 Takt), Intermezzo betitelt, führt in einem halb nordischen, halb Mendelssohn sehen Ton vor eine Reihe toller Aben- teuer, vor Irrgänge des Herzens, die in phantastischer Beleuchtung jetzt weit in der Ferne der Erinnerung liegen. Mit dem dritten Satz, einem Grazioso im V^Takt, finden wir den Serenadenmeister wieder. Das ist der liebens- würdige, unwiderstehliche Ländlerton der Wiener Schule, den Fuchs so natürlich durch Wendungen ins leicht Leidenschaftliche, in einen höheren Empfindungskreis zu heben weiß. Das Finale hat den östreichischen Heimats- klang noch viel stärker. Es erinnert im Hauptthema direkt an Schuberts zweite Bdur- Sinfonie. Mit ihm berührt sich Fuchs hier auch in tiefsinnigen mystischen Klängen, die in die heitre Welt geisterhaft hineinfallen. Der Schluß der Durchführung zeigt sie namentlich; der Satz, der bis dahin die Sonatenform eingehalten hitt, nähert sich von jetzt ab dem Rondo. Er ist somit in architektonischer Beziehung der originellste der Sinfonie, bietet aber auch im allgemeinen die glänzendsten Belege für die Begabung des Komponisten. Nicht am wenigsten sprechen sie aus dem Geschick, mit dem er gewöhnliche Ideen, wie sie in

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der Natur des zweiten Themas liegen, dnrch die Stellung, die er ihnen gibt, zu heben weiß.

August Klughardts beste Begabung fttr Instru- A. Kl««li»rdt, mentalkomposition weist ihn auf die Programmusik. Trotz- ^'**** Sinfonie, dem und trotz des starken Herzenstons , der aus ihnen klingt, haben seine ersten beiden Sinfonien nicht im ent- ferntesten dei^ äußeren Erfolg gehabt, den seine dritte, die Ddur- Sinfonie (op. 37), gefunden hat. Dieses Werk der Lebensfreude, dem sich eine Zeit lang wohl alle deutsche Konzertsäle erschlossen, hat eine deutliche Familienverwandtschaft mit den Suiten Franz Lachners. Seine Musik ist munter, flott, anmutig und kräftig, liebt Tonspiel und Konzertieren, steht den Instrumenten gut und gleicht der Lachnerschen auch in der Hinneigung zu Franz Schubert. Für die letztere Beziehung gibt namentlich ihr erster Satz unwidersprechliche Belege; seine beiden Hauptthemen sind Nachklänge aus des Wiener Meisters großer Cdur-Sinfonie. Der langsame, der zweite Satz, der dichterisch vollste der Sinfonie, beginnt mit einem breiten Gesang, in dem die Seele für Glück und Frieden zu danken scheint, und flüstert dann schwärme- risch bewegt von zarten Geheimnissen. Der dritte Satz gleicht einer lustigen Ballade, in der von alten Zeiten, von Rittern und Recken kräftige Streiche, Turniere und Minnefahrten, Schwanke und Abenteuer elrzählt werden.

Das Finale ist ganz der Heiterkeit gewidmet, gibt Proben eines eigensinnigen Humors und nähert sich in dem köstlich tändelnden zweiten Thema und in seiner Umgebung (6/4 Takt) einer höheren musikalischen Origi- nalität.

Die vierte Sinfonie Klughardts (Cm oll, op. 67) ist A. Klifliftrdt, eine der beachtenswertesten und fesselndsten Stimmungs- Vierte Sinfonie. Sinfonien, die wir in der neuesten Zeit erhalten haben. Der Löwenanteil ihres seelischen Inhalts und der künst- lerischen Ausführung fällt auf den ersten Satz, der, in ähnlicher Weise, wie das in dem Doppelkonz^^t; und in anderen Werken von Brahms der Fall ist ^^® übrigen fast in den Schatten stellt. Er entrollt ei^ ^^^^ ^^^^

KretsBchroar, Fttbrer. I, 1- 5^

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märnng und nach Freiheit lingeDder GrefShle, ein Bild, in dem harte Kämpfe und frenndliche Hofifnimgen ein- ander gegenüberstehen. Die größte musikalische Macht offenbart der Komponist in der zweiten Hälfte der Dnrch- f&hmng, wo ihm erschfittemde und rührende Töne gleich treffend im ersten Augenblick kommen. Der vollen Wir- kung des Satzes steht die verwickelte uqd in Beiwerk verhüllte Natur des Hauptthemas etwas entgegen. Einer der schönsten Momente bildet das mutige» aufhellende Homthema.

Der zweite Satz hat eine Choralweise zur Grund- lage. In ihren Frieden bricht ein Mittelsatz hinein, wild und dämonisch, doch erfolglos. Die Freiheit der Erfindung und des Entwurfs, die ein Kennzeichen dieses ganzen Andantes ist, äußert «ich am schönsten am Schluß dieser dramatischen Episode mit dem Eintritt des Cellothemas.

Der dritte Satz (Presto) ist ein Scherzo nach dem Muster Beethovens und mit ungesuchten Anklängen an ihn. Aus dem von Hörnern eingeleiteten Trio spricht die vorzügliche Begabung für edle volkstümliche Weisen, die Klughardts Opern auszeichnet.

Dasselbe Marschnersche Talent äußert sich in dem Marschsatz, der den Hauptteil des Finales ausmacht; in. höhere Kreise hebt ihn eine kunstvolle, hier und da mit der von Klughardt gern aufgesuchten Fugen form arbeitende Behandlung. Die dämonischen Geister der Dichtung sprechen noch einmal herrisch aus der lang- samen Einleitung des Satzes, die in seinen Verlauf noch einigemal übergreift und die als der bedeutendste Ab- schnitt des Finales gelten muß. F. TUeriot, Von den sinfonischen Arbeiten Ferdinand Thie- Sinfonietta riottf ist die verbreiteste seine Sinfonietta (öp. 65). Diese ^^^' Komposition ist ein Beitrag zur romantischen Musik der' sich durch einfache, natürliche Erfindung, durch liebens- würdige, anmutige Stimmung und namentlich durch eine ganz unübertrefHiche Klarheit des Vortrags und der Form ungewöhnlich auszeichnet. Die sinnige, vornehme Ro-

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manze, die mit allerlei Humoreti gesegnete Tarantella erklären sich selbst, auch der fiingangssatz, ein Allegro moderato, das sich wie za einem schönen Spaziergang anschickt und im Verlauf seinen schlichten Themen viel Schwung und auch geheimnisvolle Klänge abgewinnt.

Ernst Rudorff, der den deutschen Orchestern von den schönen B dur-Variationen und von den Ouvertüren zu Kinkels »Otto der Schütze und Tiecks »Blondem Ek- bert« hätte sympathisch sein müssen, ist erst mit seiner d r i tten Sinfonie (HmoU, op. 50) wieder von den Konzert- Bniit Bidorir, instituten berücksichtigt worden. Sie bringt eine überall, ^™®*^^*°'®"**- auch in den leidenschaftlichen Stellen vornehme, wahr . .

und warm empfundene und erlebte und in jedem Takte gediegene und gehaltvolle Musik, die, fernab von jeder sentimentalen Wendung, vielfach rührt und ergreift. Ihr dritter Satz schließt sich insofern an Brahms an, alis er an die Stelle eines sprühenden Scherzos, so wie es schon andere getan, ein ruhigeres und intimeres Allegretto setzt. Die Selbständigkeit des Komponisten ist auch hier ge- wahrt , am deutlichsten durch eine ganz phantastisch flattei»de AIlegro-Episode. Noch handgreiflicher and von fortreißender Wirkung ist die Originalität des Kompo- nisten im Finale. Dieses gibt der Freude von Anfang an in einer auffallend scharfen Rhythmik Ausdruck und nimmt mit dem Eintritt des zweiten Themas vollständig den Charakter einer heiteren Militärszene an.

Auch die Sinfonien von Richard Metzdorff und Philipp Rufer verdienen im Anschluß hieran erwähnt zu werden; beide stehen in Fdur, unterscheiden sich aber bedeutend im Punkt der Selbständigkeit Die Metz-uckard Meu- dorffs, opus 16, zeigt in Adagio und Scherzo eine natür- 'orf, liehe, für Lieder und kleine Charakterstücke ausreichende '' ^"'•^*"'^"'* Begabung, in den Ecksätzen aber, den ausschlaggebenden Teilen der Sinfonie also, arbeitet der Komponist so skla- visch nach Schnmannschen Vorlagen, daß ihn von der unmittelbaren Entlehnung nur noch ein kleiner Streifen trennt Der erste Satz seiner Sinfonie [op. 28j sichert Rufer puiipp Riftr, einen hervorragenden Platz für die Schilderung flotter F dur-sinfonie.

62*

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Fröhlichkeit und lastigen Volkslebens; mit zahlreichen Stellen ungesncht drastischer Komik -— die erste kommt schon mit dem ersten Solo der Holzbläser und ihrem Achtelmotiv versetzt er in die Sphäre der altnieder- ländischen Kirmesmaler und läßt keinen Zweifel, daß dem Komponisten in der Suite wohl Lorbeem blühen mußten. Daß er aber über dieses Spezialgebiet hinans den Aufgaben der Sinfonie gerecht zu werden vermag, belegen die übrigen Sätze, der letzte steht durch gesunde

Kraft dem ersten am nächsten.

Zu diesen allmätiiich in die ältere Reihe eingetretenen

Sinfonikern gehört endlich noch der als Liederkomponist fteiBkold Becker, weit bekannte Reinhold. Becker mit einer Cdur-Sin- C dur-sinfonie. f^^ig (op. 140). Sie hat einen sehr bedeutenden ersten Satz, in dem Faustische Stimmungen energisch und mit einer an Liszt erinnernden Freiheit des Geistes beschwich- tigt werden. Er endet so freudig, daß der Zuhörer auf weitere Sätze gar nicht gefaßt ist, doch vermag der zweite, der im wesentlichen den Stimmungsprozeß des ersten nur variiert, ebenso zu fesseln wie der dritte mit seiner bewölkten Heiterkeit Das Finale ist matt und gefährdet den Eindruck der Sinfonie, die im übrigen schon wegen ihrer Knappheit und wegen des dramatischen Lebens, das sie durch die reiche Verwendung von Solis' erhält, des Interesses ziemlich sicher ist.

Unter den neuesten deutschen Komponisten, die mehrere Sinfonien veröffentlicht haben, steht im Reper- toire, auch dem der französischen Goncertes, Felix von Weing artner mit seinen drei Sinfonien obenan. Diese Auszeichnung läßt sich innerlich damit begründen, daß gleich die* erste Sinfonie dem Komponisten ein starkes, an- gebomes Talent für anmutige und muntre Tonbilder beschei- nigte; die beiden folgenden zeigten, daß er auch höheren Aufgäben gewachsen, und daß das technische Können des Komponisten im steten Fortschritt begriffen ist Felix T. WeiB- In jener G dur-Sinfonie, mit der Weingartner sich ein- fftrtner, führte, ist der erste Satz (Allegro moderato, Gdur, ^4) ^^"■^*"i?"*^ am wenigsten geraten. Er verspricht mit dem hübschen

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Hauptthema freundlich belebte PastoralszeneD. Das zweite Thema stört sie durch Regungen eines Tiefsinns, dessen natürliche St&rke nicht ausreicht, Teilnahme zu erzwingen. Die folgenden Sätze machen das wieder gut. Der zweite (Allegretto alla Marcia, E moll, ^4) beginnt mit einem etwas ernsten Marsch, das Alternativ stimmt ein helles E dur an und zeigt den Komponisten zum ersten Mal in seiner Kunst, breite, warme Melodien an die rechte Stelle zu setzen; die Durchführung schließt überraschend mit einem neuen Einfall, einem heiter gestimmten und glänzend in- strumentierten Marsch. Der dritte Satz (Vivace scherzoso, Bdur, s/s) bringt in seinem Hauptthema:

{''iTii üK f ir nijiJ'i rrifff it^

den Humor der Mendelssohnschen Zeit zu Ehren, eine in der Unterstimme nachsetzende, hastige Sechzehntelfigur färbt ihn phantastisch. Nachdem diese Vorlage sehr tem- peramentvoll und abwechslungsreich zu einer langen Szene absonderHcher Fröhlichkeit durchgeführt worden ist, hält das Trio (As dur, s/4) Einkehr ins Innere mit einer den Cellis und Bratschen gegebenen Melodie, welche die inter- essante Figur von Schumanns Estrella vor die Phantasie entbietet Das Finale (Allegro vivo, Gdur, */*) gibt mit außerordentlicher Frische Bilder der Freude zum besten. Der Obermut, den es birgt, äußert sich sogleich darin, daß die flüchtigen Glieder des Hauptthemas kaum zu fassen sind, das zweite Thema ist ungemein drollig und weist unverkennbar auf volkstümliche Quellen, denen Weingartner überhaupt gern nachgeht Und so wie er begonnen, geht der Satz mit Scherz und Witz weiter und endet liebenswürdig ausgelassen; ein erfreulicher Beitrag zur heitren Kunst unsrer Tage.

Mit den spätren Sinfonien hat der Komponist sich auf das Gebiet emstrer Seelenmalerei begeben und auch hier, wenn auch nicht bis zum letzten Hest befriedigend, Beweise einer bedeutenden Künstlerschaf^ eib^^^^^

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Felix T. Wein- Die z Weite Sinfonie (Es dar) geht in ihrem ersten »•'^•Jf» Satz (Allegro mosso, Esdur, i^) von einem seltsamen Zu- ?0p »> stand der Verwirrung aus, dessen Schildenmg der lang ^ ' samen Einleitung tiberwiesen ist Sie sucht nach der

Tonart, sie sucht nach Motiven, kommt aber nicht fiber Brocken hinaus und gewinnt erst Halt, als die Trom- pete das durch Wagners ^ »Rheingöld« zu frischer A ^% > J f " Jj ^ ^ Geltung gelangte Ursignal: *^ ^

intoniert Es wird sofort mitten in einem As dur -Akkord wiederholt und leitet schnell zu dem AUegro hinüber, das auf einem Thema des Aufschwungs und des Strebens

AUegro

und einem anderen, sehr volksttlmlich gemeinten, steht, das von dem Anfang:

f \f'ff\fff\f''ff i'*»-

aus, zunächst in visionärer Färbung, auf Gemütsruhe und Seelenfrieden hinweist In der Durchführung des aus diesen Ideen entspringenden Prozesses wird in ansdin-* Uchem Maße Tiefe und Leidenschaft entwickelt; die origi- nellste und größte Stelle des Satzes- ist der lange Orgel- punkt auf C7, welcher die Wiederkehr des Lento und die darauf folgende Reprise vorbereitet

Der zweite Satz (Allegro giocoso, Cdur, >/«} ist in seiner derben Fröhlichkeit sehr nahe mit dem Scherzo von Bruchs Es dur- Sinfonie verwandt Noch mehr als der Hauptsatz arbeitet das Trio (Gdur) mit Dudelsack- musik, seine drollig behagliche Melodie wird, ähnlich wie der entsprechende Abschnitt der ersten Sinfonie, von Bratschen und englischem Hörn vorgetragen. Später kom- biniert der Komponist die Themen des Hauptsatzes und des Trios und steigert die Lustigkeit nodi durch Auf-

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stellang eines neuen dritten, 'sehr grotesken Themas. Viel Kunst und viel Effekt!

Der dritte Satz (Adagio, Asdur, Vs) kehrt den Ernst, mit dem die Sinfonie anfing, ins Fromme und zwar auf Grund eines Themas, das in einer Beeth'ovenschen Sonate stdien könnte. Daß dieser Anlehnungsstil beabsichtigt ist, ergibt die Fortsetzung, denn auch der ganze Aufbau und Verlauf des Satzes schließt sich an ein berühmtes Beethovensches Muster, an das Adagio der Neunten Sin- fonie an. Dem Asdur -Teil folgt ein, meistens von den Bläsern allein vorgetragener, zweiter Teil (in Es), der dem ersten stimmungs verwandt ist und doch mit ihm ähnlich kontrastiert, wie die Erfüllung mit der Bitte. Die beiden Teile alterieren dann, genau dem Modelle folgend, in Variationen.

Das Finale beginnt wieder mit einem Lento, in dem das Hauptthema des ersten Satzes angespielt wird. Dann setzt das Allegro risoluto (Esdur, ^4) ii^ Form einer Doppel- fuge über sehr bestimmt an Kraft und Fröhlichkeit mah- nende Themen ein. Es wird aber kein rechter Ernst mit der Fuge, sondern sie schweift beständig ab, erst zu dem Hauptthema des ersten Satzes, dann zu dem Nibelungen- motiv. Ein herzhaft fideles zweites Thema scheint den Reminiszenzen ein Ende zu machen, aber nein: jetzt * kommt auch das Hauptthema des Scherzo, ihm folgen die Melodien des Adagio, und wie im Guckkasten zieht die ganze Themensippe der Sinfonie vorüber. Entschieden hat der Komponist an diese Aufgabe viel Kunst und Geist verwendet und mit ihrer Lösung dem Zuhörer auch zwei- fellos Vergnügen bereitet, aber er entwürdigt damit sein Finale zum Potpourri und erweckt Zweifel an dem Ernst seiner ganzen Sinfoniearbeit.

In seiner dritten Sinfonie (Edur) gibt sich Wein- Felix ▼. Wein- gartner moderner als in den vorhergegangenen. Die Be- w/^^UjV' Setzung mit sechs Hörnern, Orgel (auch Heckelphon und (0^49)^"'^ '\ Celesta) zeigt das äußerlich, in der Tonsprache abet geizt '

diese Sinfonie darnach, in bezug auf die i^^genbUckllch so beliebte Heißblütigkeit auf der Höhe ^^ ^XeVveti. KÄet

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Allüren entkleidet, zeigt indessen die Erfindung des Wenks, im Vergleich mit dem ersten Satz der zweiten Sinloiiie, einen Rückgang im pathetischen Vermögen des Kompo- nisten. Wenigstens ist er hierin unverläßlich geworden.

Das beweist namentlich der erste Satz (AUegro oon brio, Edur, s/s). Gewiß hat er sehr schöne SteQen, aber an seiner vielmals stockenden, immer wieder anlaufenden Entwickelung straft es sich bis zum Ende, daß das Haupt- thema, das seine, ein großes, edles Streben zum Aus- druck bringende Stimmung tragen soll, nicht in der Seele des Komponisten zur Reife gekommen, sondern im Grunde nur dem Fdur-Stück von Beethovens Rasumowsky-Quar- tetten entnommen ist

Der zweite Satz (Allegro vivo, scherzando, Asdur, '/«S den einige verwegne Zweivierteltakte einleiten, ist im Hauptthema und seinem Gebiete durch eine eigne Mischung von Wildheit und Behaglichkeit originell. Letztre über- nimmt im Trio (Meno mosso, Fdur) die volle Herrschaft, und da zeigt sich sehr hübsch eine neue Seite an dem Sinfoniker Weingar tner: sein Östreichertum, seine geistige Verwandtschaft mit Schubert, Brückner und vor allem mit Johann Strauß, den er ebenso unverhohlen und glüddich kopiert wie er das früher mit Beethoven getan hat Das bedeutendste Stück der E dur-Sinfonie ist ihr dritter Satz (Adagio ma non troppo, Desdur, V4)* Tiefernst be- ginnt ihn der Posaunenchor, besorgten Tons wird er fort- gesetzt, da bringt das zweite Thema (Adur) die Beruhi- gung. Der ganze Satz ist schön und reich an einlkcli edler Melodik.

Das Finale setzt mit einem Allegro moderato, dem sich abermals, wie der Einleitung der zweiten Sinfonie, eine bestimmte Tonart nicht zuweisen läßt, im Vierviertel- takt wild und entsetzt ein. Bald macht es dem Haupl- tempo (Allegro vivace, Edur, s/s) Platz, das die Aufregung zunächst mit einem Thema:

'^■' 81 r ir',ju.i j n ir r in ir m

^Kontrabaß«)

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dämpft, hinter dem wir gleich eine Fuge erwarten. Sie kommt auch richtig, gelangt aber nur bis zur zweiten Stimme, die das Cello hat. An der Stelle der nun fäl- ligen Bratschen kommen die Holzbläser \md mit ihnen sdielmische und schalkische Geister. Ihnen üb^ant- wortet der Komponist im weiteren mehr und mehr den Satz. Zunächst stimmt er im Sinne des zweiten Themas wieder eine Wiener Ländlerweise von der be- haglich traulichen Art an, die auch Brahms ans Herz gewachsen war. Weingartner spielt aber nicht bloß auf den Wiener Ton an, sondern er vertieft sich bis über die Ohren in die unverfälschte flotte Praterlustig- keit. Dem Gipfel des Vergnügens begegnen wir bei Da lag auch der Gedanke nicht mehr weit, in emen regel- rechten Wiener Walzer zu fiedlen. Und wirklich: er kommt, aber doch noch überraschend, nämlich auf Grund des oben mitgeteilteji Fugenthemas. Der Spaß ist zweifellos reizend, aber bedauerlich bleibt es, daß der Komponist von seinem Witz nicht wieder loskommt und bis zum letzten Takte forlwalzert. Das hatte die Sinfonie nicht verdient. Doch ist ihr im Grunde nur dasselbe geschehen, wie dem Finale der zweiten, und beide Fälle zeigen, ebenso wie die Ex- zesse Mahlers, daß es vielen Musikern in unsrer rea- listischen Zeit schwer fiUlt, den idealen Charakter der Sin- fonie rein zu erhalten.

Wenn sich Hugo Kann, der seiner Sinfonie »An das Higt iMt, Vaterland« und seiner sinfonischen Dichtungen HiawathaC«on-SinfoBie und Minnehaha wegen in Amerika schon vor Jahrzehnten gefeiert worden ist, die allgemeine Aufmerksamkeit deut- scher Kreise endlich mit seiner zweiten, der Cmoll*Sin- fonie (Op. 86) erschlossen hat, so ist das ein wohlver- dienter Erfolg. Denn sie ist eine der charaktervollsten und klarsten Arbeiten der neueren Zeit und kommt i^qs einem reichen und durch ungewöhnliche Feinheit persön- lich geprägten Empfindungsleben, das sich auch, teilweise wenigstens, einen Stil für sich geschaffen hat. Ihr dich-

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ierisches Problem ist der tausend und abertausendmal schon behandelte Kampf ums Qiück, es findet aber für unsre Zeit symptomatisch eine trübe, tragische Lö- sung, ähnlich wie das noch zuletzt in den Sinfonien von AlfrÄi, Suk, Sibelius der Fall war. Nach Inhalt und Stil ist der erste Satz der bedeutendste. Hier setzt sich die Sehnsucht nach Sonnenschein und Lebensfreude mit einer tiefsinnigen Beklommenheit in eigner Weise ausein- ander, nämlich so, daß die Elemente des Glücks nie den Platz überzeugend behaupten. So oft sie sich anschicken, einen Sieg zu feiern, kommt das Signal des Fatums Die Erfindung Kauns ist unverkennbar von Wagner be- einflußt, besonders die Motive des Feuerzaubers und der Tarnkappe haben eingewirkt, aber der Komponist hat auf dem Wagnerschen Grund sich ein eignes System für Harmonik und Stimmführung ausgebildet, das gern seltne Nonenakkorde verwendet und verkettet, das mit wühlen- den Durchgängen begleitet, nach freien Wechselnoten und in Berlioz' Art nach fremden, am liebsten querstän- dischen Akkordfolgen fahndet. In dieser reichen Verwen- dung unwesentlicher Dissonanzen unterscheidet sich aber Kann von andren Modernen dadurch, daß er dieses und die verwandten Ausdrucksmittel nicht maniermäßig verschwendet und mißbraucht; sie sind vielmehr Überall eine romantische Würze der Hauptideen, und er ge- winnt ihnen Farben von einer Zartheit, Tiefe und Wärme ab, die diesen Sinfoniesatz in Herz und Ge- dächtnis eingraben.

Das Adagio strebt aus der Erregung, die sich in der Unruhe der Modulationen äußert, mit Gebet und Erinnerung hinauszukommen. In der Gestaltung der Themen und Melodien wechselt Pathos mit Schlichtheit, Spräche und Stil schwanken etwas zwischen neuer und alter Zeit; letztre ist durch zahlreiche Bachsche Vor- halte vertreten. Das Scherzo hat den grimmen Humor des Hagen in Wagners >Ring«, sein Tonspiel durch- zieht es wie WafTenklang. Das Finale beginnt mit:

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also mit den plampen und ^^'brutalenMarschrhythmeD , di^ eine Spezialität Mahlers sind. Kann steigt indessen nicht ganz in diese prosaische Sphäre herab, sondern er gibt dem Satz den Charakter eines Trauermarsches, dessen Melodien in die Klage erregte Motive aus dem vor- hergegangenen Scherzo mischen. Möglicherweise hat ihm die Form eines militärischen Begräbnisses vorgeschwebt. Logisch ist dieser Ausgang der Sinfonie ohne Zweifel, aber eben so sicher kann man sich ihn schöner und ihrem Anfang würdiger angepaßt denken.

Bedeutend zahlreicher ist die Gruppe der deutschen Komponisten, die bisher nur eine Sinfonie geschrieben oder veröttentlicht haben. An ihrer Spitze stehen nach Zahl der Aufführungen Eduard Sträßer, Max Reger und Fritz

Volbach. in zweiter Reihe: Georg Göbler, Ferdinand Hummel, Paul Juon, Georg Schumann.

Daß die G dur-Sinfonie (Op. 26) Ewald St r äße rs Ewald striier, sich so schnell und weit verbreitet hat, verdankt sie der ^ ^*'" ^*"'®"*®- großen Dosis Originalität, welche namentlich die beiden Schlußsätze auszeichnet. Die Sinfonie ist das Produkt eines ausgesprochnen Romantikers, der keine Empfin- dung, keinen Satz aussprechen kann, ohne auch den Gegensatz mit zu berühren und konträre Stimmungen hereinschillern zu lassen. Aber er bewegt sich auf diesem Boden mit einer ähnlichen Frische wie Hermann Götz, au dessen F dur-Sinfonie Sträßers erster Satz lebhaft er- innert. Sträßer ist aber das stärkere Temperament und in der Formbehandlung selbständiger. Hier in der Frei- heit des Vortrags, in der Unmittelbarkeit, mit der die Themen vor unsren Augen entstehen und Gestalt ge- winnen, erinnert der Komponist an Robert Volkmann und seine D moll-Sinfonie. In voller Deutlichkeit zeigt sich die dramatische Individualität Sträßers zuerst im zweiten Satz, im Andante, an der Stelle, wo nach der rezitativischen Einführung des zweiten Themas die Er- regung in ruhige Klage verwandelt und in Fugenform ausgeführt wird, dann wieder in leiden8cb«i^U\cYie 0\ul

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ger&t, als müßte dos Glück erzwungen werden. Und da grade wird kurz abgebrochen, und rührend seM das Hanptthema des Satzes mit seiner Resignation wid Er- gebung wieder ein. Der eigentümlichste Satz ist der dritte, ein Scherzo, das sich über den Charakter der Gattung ganz hinwegsetzt. Nur die Figuren und Rhyth- men der Geiger halten an der üblichen Raachheit und Lebendigkeit fest, der Kern, der in den Themen der Hör- ner und Trompeten liegt, ist herb, ernst und trotzig. Das Trio kost und schwärmt nicht, sondern schlägt eine Art Marschweise an. Die ganze Sinfonie ist schwer m spielen, am meisten das Finale, das sich inhaltlich mit dem von Beethovens Achter berührt und voll harter Humoie ist Auf weitre Sinfonien des Komponisten darf man froße Hoffnungen setzen.* MftK Kefer, Die Sinfonietta (Adur, Op. 90) von Max Reger sinfonietta. },gt wesentlich der Name des Komponisten flott ge- macht, aus eigner Macht sich Freunde zu erwerben, ver- mag sie nicht; sie überschwemmt mit Tönen ohne Musik. Durch seine Serenade und duich die Variationen über das Thema des alten Hiller hat Reger genügend bewiesen, daß auch die Orchesterkomposition auf ihn Hoffnungen setzen darf; wenn sie durch die Sinfonietta eine Enttäuschung erfahren, so liegt das allem Ansehein nach daran, daß der Komponist ohne ausreichende Sammlung zu Werke gegangen ist und sich zu sicher auf die Macht seiner kontrapunktischen Fertigkeit ver- lassen hat. Das hat sich namentlich am ersten Satze gerächt. Ihm fehlt der geistige Fond in einem Grade, der bei namhaften Komponisten gradezu unerhört ist. Die Ursache liegt weniger an dem Mangel eines sinfo- nischen Gedankens, als daran, daß das kleine heitre Motiv, das Reger an die Spitze des Satzes stellt, nicht genügend festgehalten wird.

Es ist an und für sich nicht schlechter und nicht besser, als eine Menge thematischer Einfälle, aus denen Borodin und andre Vertreter nationaler Schulen große und hübsche Sätze entwickelt haben. Aber Reger treibt

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sofort Allotria mit Nebenmotiven und kleinsten Künsten und seheint darüber den Ausgang der Komposition nahezu vergessen zu haben und zu einem Plan kaum gekommen zu sein. Ein formeller Gegengedanke ist zwar da, aber aus Mangel an Plastik geht er ziemlich spurlos vorüber, und auch die sehr guten Stellen humoristischer Natur, die der Satz ohne Zweifel hat, bleiben ohne Eindruck.

Die weitren drei Sätze sind dem ersten an Menge treulicher, zuweilen eminent volkstümlicher Gedanken und im maßvollen Charakter der kontrapunktischen Aus- stattung überlegen, aber auch in ihnen verdirbt sich der Komponist alles durch modulatorischen Schwulst.

Die Sinfonie (Hmoll, Op. 33) Fritz Volbachs, der Priuv*lkMb, bisher hauptsächlich durch kleinere Werke für Chor oder ^ «on-sinfonie Orchester nekannt geworden ist, verdankt ihren Erfolg weniger den musikalischen, als den künstlerischen Fähig- keiten des Verfassers. Sie ist nach jener Seite durchaus tüchtig, auch durch die Einwirkungen alter Musik von besonderem Interesse, indessen angesichts der offenbaren Berührungen mit Händel, mit Mendelssohn und andren neueren Größen nicht originell zu nennen. Aber die Sin- fonie zeichnet sich durch Einheitlichkeit, Planmäßigkeit und dadurch aus, daß sie bei vollständiger Klarheit und Obersicht doch besondre Bilder bietet. Sie gleicht in dieser Beziehung bis zu einem gewissen Grade den Werken Heinrich von Kleists, das Eigne ihres Inhalts aber besteht in der Darstellung eines trotzigen, wetterharten Charak- ters, etwa einer geschichtlichen Figur vom Schlage Oliver- Cromwells. Die Darstellung, die in den gewöhnten Formen der viersätzigen Sinfonie verläuft, ist knapp und hält konsequent die Hauptzüge des Vorwurfs fest. Dieser Konsequenz fügt sich die theiAatische Erfindung, ihr ent- springen auch einzelne Abweichungen vom regelrechten Satzsystem. Gleich der erste Satz zeigt eine solche, in- dem er zu dem Hauptthema:

Lebhaft

jk a n ■■ .,. wi..iTi> k—

eto.

830

J:Lt j'iirrpirrr irf^^sa.:^:

der obren, sondern in der unUren Dominant anfstellt. Dadnrcb bleibt er h&rter und für die alsbald erfolgende Fortsetzung in Form einer streitbaren Acbtälkette gdejg- neten Die in der Durchführung veranschauliehten Pläne und Taten des Helden der Sinfonie stützen sich fast ausschließlich ri| H^n ^ Hl f- ^^^ weitrer

auf die Motive » -jJ-^ •. ^^^ •** *^' bedeutungs- voller Charakterzug tritt in der häufigen Einfügung von Fermaten und in feierlichen, choralartigen Episoden des

Posaunenchors hinzu.

Daß die Ereignisse und Gestalten, die in Yolbachs Sinfonie die Phantasie beschäftigen, in alten Zeiten zu suchen sind, geht besonders aus ihrem Scherzo bestimmt hervor. Sein an deh Fliegenden Holländer R. Wagners presto ä

könnte der Rhythmik und auch dem Tone nach ganz gut aus einem Mensuralkodex stammen und leistet der Einheitlich- keit der Sinfonie einen vorzüglichen Dienst. Gegen sein kampf- gerüstetes Wesen können die anmutigen Regungen fried- lichen Lebensglücks, die sich ihm entgegen drängen, nicht aufkommen; die letzten Takte des Satzes betonen seine herrische Natur nochmals ganz unbarmher^g; es wird nicht geschlossen, sondern mit wildem Ungestüm abgebrochen.

Die gesangreichen Melodien des Adagios bedeuten Bitten, Gebete und Äußerungen schwacher und zögernder Hoffnung. Mehr als in den ausgeführten Themen, des Satzes, liegt sein geistiger Kern in dem kurzen Motiv Adagio mit dem ein- und wiederholt über- Vfjj^* ']|iJ I J. geleitet, auch der Schluß bestritten.

wird. Es ist aus >Asas Tod« in Griegs erster Peer-Gynt-Suite sehr bekannt, tut aber auch hier seine Schuldigkeit

Der religiöse Unterton, der die ganze Sinfonie durch- zieht, kommt im Finale deutlich zum Vorschein. Mit

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einem Posaun ensätz, der eine liturgisc^he Intonation des »Halleligalic spielt, wird es eröffnet, mit einer vom gaiizen Orchester träumerisch entzückt eingesetzten, in ernste, glänzendste Festklänge ausmündenden Paraphrase dieses Halleligah geschlossen.

Daß die ohne Opuszahl veröfTentlichte D moU-Sinfonie Georg 0<klert Georg Göhlers eine Jugendarbeit, vielleicht eine Frucht ^™®""S»"'<*"»* erster Versuche ist, ergibt sich aus d^m Wertunterschied, der zwischen den Stellen der Erfindung, der InspirsEtion und denen der Arbeit oder der dichterischen Kraft besteht. Die Übergänge und die ihnen verwandten Abschnitte, welche der Komponist im Augenblick, wo eine Idee sich an den Hauptpunkten zu Tönen klärt, noch auf sich be- ruhen läßt, machen sich zum Teil als Nachguß bemerklich und sind mit den Hauptträgern der Sätze nicht zum Ganzen verschmolzen. Doch gilt das durchaus nicht für alle ; den schwächeren Stellen stehen hier gleichviel meister- lich gelungene, durch Geist und Frische ausgezeichnete gegenüber, und in der Hauptsache zeigt diese Sinfonie ein so starkes und selbständiges Talent, daß die ver- hältnismäßig beträchtliche Zahl von Aufführungen, die sie erfahren hat, ganz natürlich ist.

Da von den fünf Sätzen der erste in den zweiten übergeht, und der dritte, vierte, fünfte einander ebenfaUs ohne Unterbrechung folgen, haben wir es mit einer Sinfonie zu tun, die einen Lebensbericht in zwei Hauptbüdem gibt. Diese können vielleicht als Jugend und Reife über- schrieben werden. Der erste teilt $ich in tatenfrohes Stürmen (Allegro risoluto) und blindes Genießen (Tempo di Valse); der zweite wendet sich von Enttäuschung und Entsetzen (Vivace fürioso) über ernstes Besinnen (Adagio) zu neuer edler Lebensfreude (Allegro appassionato e trion- fiante). Dieser schlichte und ungesudite Inhalt ist mit ebenso natürlicher und einfacher Musik und in einem Stil wiedergegeben, der allen rhetorischen Aufputz ver- schmäht Eine wirkliche innere Originalität, &e keiner äußeren Nachhilfe bedarf, spricht deutlich genug aus der thematischen Erfindung und aus der zuweilen ^uf^eudWciheu

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Keckheit der Gedanken selbst oder dertorm, die sie sich gewählt haben. Das Höchste leistet nach dieser letzten Beziehung der Walzer, der melodisch nur ßben noch skizziert ist und stellenweise dem Rhytlimus die ganze Schilderung überläßt. Auch ist sein sinnberauschender Klang ein bedeutendes Zeugnis für die angeborene In- strumentationsbegabung des Komponisten. F. HiMM«!, IMe D dur-Sinfonie (Op. 105) von Ferdinand Hummel

D dar-Sinfonie. hat unter den neueren Werken ihre eigne Marke durch die Entschiedenheit, mit welcher sie einen freundlichen, häteren Grundton durchführt Ihre Anakreontik steht zwar, wenn wir an Rufer, Weingartner oder an die zweite Sinfonie von Brahms denken, in unsrer wesentlich pessimistischen Zeit nicht vereinzelt, aber sie ruht bei Hummel auf einem echten und breiten Naturgrund. Das zeigt sich darin, daß seine von der Form geforderten Ideen der Ab- wechselung mehr auf Steigerung der Lebensfrende als auf Kontraste hinauslaufen. Wirklich melancholischen Kreuzungen gestattet er nur in den Durchführungen vorübergehend Zutritt, und so, daß ein ernstliches Ringen und Kämpfen unterbleibt. Die gewohnte motivische Ent- Wickelung wird auch hier durch fertige Themen und Melodien ersetzt. Alles in dieser Sinfonie ist bequem und angenehm feU^lich, am ' meisten das im Hauptsatz Mendelssobnisch gefärbte Scherzo und das im schlichten Yolksliedstil beginnende Adagio. v.i•^mf Paul Juons A dur-Sinfonie (Op. 23) beginnt außer-

A dur-Sinfonie. ordentlicher Weise und ähnlich wie Goldmarks »Länäiche Hochzeit« nicht mit einem Sonatensatz, sondern mit Variationen, als eine Art freier PassacagUa oder Giaconne. Das entschieden nordisch klingende Tl^ema ist ein zwei- teiliges Lied von gemischter Stimmung; es fängt firöhlich beschaulich an, läßt aber am Ende beider Hälften einen Verdruß, einen Zweifel merken. Die Variationen führen nun die seelischen Qualitäten, die sich in dieser Skizze bergen, breit und deutlich vor. Zunächst stehen finstere Entschlossenheit, Kraft und Erregbarkeit an der Spitze, dann kommen mit einem Adagio und einem Andante

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innige Regungen ei|ies warmen Gemütes, mit einer Art langsamen Walzers freundliche Humore zum Wort, den Schluß bildet aber -eine äußerst trotzige, gelegentlich wÜde Fuge. Der Satz zählt unter die gehaltvollsten I^eistungeiL moderner Variationenkunst und hat seinen Hauptwert darin, daß er ebenso logisch wie natürlich ein rei<^es Giaiakterbild entwickelt.

Das Scherzo und der langsame Satz dieser als Romanze bezeichnet passen sich dem Plane der Passacaglia folgerichtig darin an, daß sie die hellen gegen die düsteren Elemente zurücktreten lassen. Das Finale :

hM Sonatenform mit dem Thema der Variationen des !

ersten Satzes als Hauptthema. Dieses tritt jetzt mit dem i

Aufgebot äußerster Energie und Kraft auf, bald stürmisch und bedrohlich, bald in stolzer Ruhe, einmal auch ein \

Rezitativ der Klarinette kündigt die Stelle an ^ demütig, I

bittend, in Triolen schmeichelnd. Der Ausgang bleibt i

hart und unbeugsam. Das Finale ist in bezug auf un- 1

mittelbare Inspiration der bedeutendste Satz der Sinfonie i

und hat meisterliche Stellen ersten Ranges. (

Daß die F moll-Sinfonie (Op. 42) Georg Schumanns ti. Sehvni an o, ^

sich wenig verbreitet hat, kommt von der unverkennbaren ^ «noll-Sinfonie. ; Ungleichheit des Werkes, von dem geföhrlichen Natur- geschenk einer leichten Feder. Sie hat einen Satz, der des ungeteilten allgemeinen Beifalls sicher ist in ihrem !

Scherzo mit dem unwillig drängenden Hauptthema und dem köstlich einfach und volkstümlich zusprechenden Trio. Der stammt von dem ausgezeichneten Humoristen, der die Serenade der zurückgewiesenen Liebhaber, der die Variationen über das lustige Thema geschrieben hat. Auch sonst ist an der Sinfonie vieles zu loben, vor allem der kla];e Plan, nach dem sich die Sätze folgern, und nach dem das Ganze sich durch die thematische Einheitlichkeit, die zwischen erstem Allegro und Finale besteht, abrundet Auch die starke dramatische Begabung, die im Anfang des Ruthoratoriums des Komponisten, die im Mittelsatz seines hundertsten Psalms so selbständig hervortritt^ findet man in einzelnen Durchführungsabschnitten der SÜ^^^^^ wieder.

KretsBcbmar, Ffihrer. I, 1. g^

_^ 834 ♦>--

Forner zeichnep sich die Hauptthemen des ersten imd zweiten Satzes ^urch Charakter , jenes . durch leiden- schaftliche Melancholie^ diese«; durch Innigkeit aus. Die Schwächen liegen in matter erfundenen (jregenthemen und in allzu starken Anklängen an Wagner in erster^ an Brahms in zweiter Linie.

Es bleibt von der neuesten deutschen Sinfönie- komposition nur noch ein Best von Werken übrig, die bisher noch gar nicht oder sehr wenig aulgefuhrt und bekannt geworden sind. Da mag ganz kurz auf die Sin- H.BehBi. fonien von Hermann Behm, Hermann Bischofl^ Karl W-Bi"*»®*^' Bleyle, G. Fiteiberg, Robert Hermann, C.A.Lorenz, 0. Fitelberg! Emanuel Moor, Max von Oberleithner, Emil Paar B. HermanH! und Heinrich Zöllner hingewiesen werden. Die der C. A. LoreHs. beiden letztgenannten Komponisten sind Arbeiten lebens- *'^J*'* freudiger Natur, im Stil zeigen beide den routinierten lelthner. Eklektiker. Die Paursche, den Pittsburger Musikfreunden E. Pa«r. und ihrem Sinfonieorchester gewidmet, hat ähnlich wie U. ZdliBer. Dvofäks »Aus der Neuen Welt« Einlagerungen spezifisch amerikanischer Musikkultur. Oberleithner, von dem bereits zwei Sinfonien vorliegen, scheint über die ihm gewiesene Richtung noch nicht klar zu sein, seine gelungensten Leistungen liegen auf der Seile natürlicher Einfsichheit und Schlichtheit, sein Streben gilt aber mehr dem großen Pathos und der Leidenschaftlichkeit im Wagn ersehen Stil Die Sinfonie von Bischofif, reich an guter, plastischer and eigner Erfindung, ist das Werk eines wirklichen hervor- ragenden Talentes, bei der von Robert Hermann überwiegt der Eindruck des Affektierten, die von Bleyle, deren Sätze ohne Pause abgespielt werden, ist frisch, hie und da auch sehr gewöhnlich erfunden und durchschnittlich nur mit mäßigem Glück entwickelt. Eine Kraft, die zu gangbaren Bahnen über Brahms und Brückner hinaus fuhren könnte, birgt sich auch in dieser Liste nicht

Obwohl der Aufschwung in der außerdeutscheit Orchesterkomposition, als er in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann, zunächst nur der Programmusik und der Pflege und Weiterbildung nationaler, volks-

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tumlicher Musikelemente ziigule zu kommen schien, so gelangte doch im weiteren Verl«iuf auch bei ihr die Sinfonie nach klassischem Master^ die Sinfonie, welche subjektive Stimmungen ihrer Verfasser in breiten Bildern entrollt, auf den ersten Platz. Die Russen, ebenso die Böhmen, haben das nationale Element in dhr Sinfonie allmählich zurücktreten lassen; auch bei den Fran- .zosen spielt die mehrsätzige Programmsinfonie eine untergeordnete Rolle. Der Schatz ihrer klassischen Sin- fonien ist dagegen in der letzten Zeit um einige bedeu- tende Stücke vermehrt worden.

Als erstes derselben nennen wir die Dm oll- Sinfonie c. Franok, von G^sarFranck. Franck ist zwar in Lüttich geboren, D moll-Sinfonie. aber einer jener Belgier, die ohne Abzug der französi- l

sehen Schule zugewiesen werden können. In Paris hat |

er gelebt und gelitten. Erst nach seinem Tode suchte ;

man das Unrecht wieder gut zu machen, das die blinde Mitwelt seinem hervorragenden Talente zugefügt hat. f

Namentlich seinem letzten Oratorium, »Die Seligkeiten«, '

ist dieser Umschwung zugute gekommen; im Gefolge ' I

dieses Werkes erschien dann hie und da wohl auch eine oder die andere seiner interessanten sinfonischen Dich- tungen. Die bedeutendste seinerlnstrumentalkompositionen ist aber seine D moll-Sinfonie, die, ebenfalls aus dem Nachlaß und ohne Opuszahl veröffentlicht, den Anspruch erheben darf, allgemein gekannt zu sein.

Dem Inhalt nach ist sie offenbar ein Stück Selbst- biographie, eine jener gegen ein hartes Schicksal gerich- teten Klagen, wie wir sie in der neuen Sinfonieliteratur ziemlich häufig haben. Dieser Charakter allein würde seiner Zeit für einen französischen Mißerfolg genügt haben. Erschwerend kain aber hinzu ^ daß Francks Stil von nationalen Rücksichten keine Notiz nahm und Wagner- sche und Lisztsche Ausdrucksmittel anwandte, an die^ sich selbst Berlioz nicht gewagt hätte. Die Franzosen waren damals den Harmonien gegenüber noch sehr kon- servativ und empfindlich. Franck aber fügt die Nonen- akkorde kettenweise hintereinander, wqtid et ^^ gestimml

53*

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ist, und drückt seinen Zuhörern die schönsten Quinten- parallelen förmlich ins Ohr, wenn sie ihm für einen poetischen Zweck am Platz erscheinen. Er nimmt als Poet and Gharakterkopf wieder Berliozsche Tendenzen auf, aber mit weit reicherem Können. So ist er der Vater der neueren französischen Instrumentalkomposition geworden, das Motto ihrer Führer Debussy und Dokas: Emanzipation von der Grammatik, geht auf Franck za- rück. Für Frankreich bedeutet er eine geschichtliche Größe, für die Hyperpatrioten sogar eine Kombination von Beethoven und Wagner*).

Die Sinfonie Francks ist nur dreisätzig. Ihr erster Satz richtet Fragen an den Himmel, die in dem einfach gehaltvollen Hauptthema der Einleitung

rfwr.'

zr . r ä^L i - 1 ^^ entschiedensten zum Ausdruck [ f l Lj \ '^ I kommen. Auf diese Töne gestützt,

^ bittet der Tondichter demütig und vertrauensvoll, blickt schwermütig umher, klagt stürmiscb und verzweifelt. Die schönsten Stellen sind die, wo er, von den freundlichen Hoffnungen, die im zweiten Thema auftreten, den Blick abwendend, Worte der Ergebung stammelt. Wie er diese einfachen Motive mit dem freund- lichen Gesicht so in die Pausen hineinsprechen läßt, immer leiser das ist tief rührend und außerordentlich poetisch! Sieht man die Musik Francks auf Originalität und auf Quellen hin an, so findet sich unter den letzten Mendels- sohn mit den heftigen Rhythmen der Erregung, Wagner mit der Tristanchromatik vertreten. Die Anlehnung an Wagner ist aber nicht bloß äußerlich. Kein andrer Kom- . ponist weiß uns mit kleinsten und intimsten Intervallen besser in den Zustand einer Seele zu versetzen, die

*) Vincent d'Indy : G(^8ar Franck. (Lob mattree de la mn- fliqne.) 1907.

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supht und versucht und immer wieder nach einem Aus- weg sucht.

Der zweite Satz ist ein AUegretto, wie wir keius daneben haben. Trotz seines Dreivierteltakts hat es in dem Begleitungsapparat in Harmonien und Rhythmen den Charakter eines Trauermarschs. Dazu klingen aber Melodien, als wenn der Komponist bei den Er* innerungen seiner Kindheit weilte und das Bild der Mutter fände, die am Abend ihren Kleinen Schlummer- lieder sang.

Der Schlußsatz versucht munter und kräftig zu werden. Aber schon sein erstes Thema fällt leicht auf das Fragemotiv des ersten Satzes zurück. Des weitem geht er fast ganz in Reminiszenzen an diesen und an das Allegretto auf. Am Schluß hin sagt uns Grabgeläut in den Bässen: was geworden ist. Einige Takte im feierlich freudigen Ton der Apotheose bilden das kurze Ende.

Während Aufführungen dieser Franckschen Sinfonie, in Deutschland wenigstens, immer noch selten sind, haben die Sinfonien von GamilleSt. Safins sich einen festen Platz erobert. Auf länger behaupten werden ihn aller- dings nur seine zweite und dritte Sinfonie. Denn die erste (Esdur, op. 2) hat mehr biographisches Interesse 0. 8t.s»«Bf, als eignen Gehalt. Indes ist die Form mit einer an- Sinfonie in Es. gebomen Sicherheit und mit einem starken Sinn für scharfe^ Wirkungen behandelt. Reminiszenzen aus Klassikern mischen sich ungezwungen mit eignen Vorstellungen. Unter ihnen machen sich Marschbilder und militärische Phantasien besonders bemerklieb. Das Adagio erhebt sich wie ein nachkomponierter Teil über den kindlichen Ton des Ganzen und bleibt vielleicht grade aus diesem Grunde dessen am wenigsten befriedigender Teil. Es geht ohne Pause in das Finale über, in dem der Kompo- nist seine Fertigkeit im Fugieren bloßlegt.

Der zweiten Sinfonie von St. Sa^ns (Amol], op. 65), c. 8t.Ba€H, die in der Schweiz viel Freunde zu haben scheint, wird Zweite Sinfonie, man überall das Interesse entgegenbringen, auf das die

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neuen Kleider alier Bekannter zu rechnen haben. Denn wirklich originell sind an der ganzen Sinfonie wohl nur zwei Stellen^ die Einleitung des ersten Satzes und die feierlichen Episoden, mit dem im Scherzo das Getflmmel der Geigen von den Bläsern unterbrochen wird.

Die eben erwähnte Einleitung des ersten Satzes ist ein Allegro marcato im 6/4 Takt, eigentümlich durch die Un- gezwungenheit und Natürlichkeit, mit der es die Unfertig- keit der Stimmung offen darlegt und die Phantasie vor aller Welt Toilette machen läßt. Das Orchester klingt grade, als wenn ein Pianist die Tasten des Klaviers probiert und nach einem Einfall sucht, hie und da unterbricht er die Figuren und Modulationsstudien durch eine dramatische Phrase, und lenkt ,

endlich nach einem Aiiegomoderaio. J...eo

festeren melodi-j i jj 1 M T T T Mr I f" f I sehen Gedanken: ^

Der Hauptteil des Satzes (Allegro appassionato, (^, Amoll} bestätigt wieder einmal die Beobachtung, daß Mendelssohns Geist in der neuen französischen Instru- mentalmusik noch frischer lebt als in Deutschland. Das Hauptthema

Allegro M)pas8looato. J s 88

belegt das für sich allein, ebenso wie die Ausführung, die immer geschickt und unterhaltend bleibt. Größre Wirkungen liegen nicht in sei-

das zweite Thema "^^ * *^

ist aus derselben Familie wie das erste. Ein großer Vor- zug des ununterbrochen fließenden und funkelnden Satzes ist seine Knappheit.

Noch mehr charakterisiert diese Eigenschaft das Adagio der Sinfonie. Es hat nur 79 Takte. Das Thema seines Hauptsatzes

839

Adagio. J «60

erinnert an Beethovensche Sonaten und an Weihnachts- mnsiken. Man würde es gern öfter als nnr zweimal hören. Von den zwei Seitensätzen (beide in Gismoll), die sich mit ihm ablösen und ebenfalls durchaus volksmäßig schlicht gehalten sind, kehrt der zweite im Finale wieder.

Das Scherzo (Presto, ^4» Amollj gibt sich in seinem Hauptsatze auf Grund des Themas

Seb«rso. Presto. = 1^0.

ScMrso. Presto. = 11

beetbo venisch, variiert aber diesen Familienzug mit einer tiefsinnigen Falte, die durch die schon erwähnten feier- lichen Akkorde der Bläser später werden sie auch vom Streichorchester gegeben variiert wird. Der das Haupt- thema variierende Seitensatz wird durch eine Reminiszenz an den ersten Satz der Sinfonie eingeleitet und in seinem Wesen durch ^^ bestimmt. Das

daskontrapunk- A^ ^ aj j I ^^^^^ Trio hebt sich tierende Motiv * sehr bestimmt

vom Hauptsatz ab und gewinnt durch sein reizend liebens- würdiges Thema

0''prri\fjjiriiiiii|iMiTi, iT|i

schon allein zur Genüge. Die Rückkehr zum Hauptsatz wird scheinbar begonnen und zwar sehr sinnig: die Trio- melodie erscheint in Bmchstücken und ganz in Pausen verloren. Der Hauptsatz selbst kommt aber nkht) son- dern der Komponist bricht rasch und verblüffend- al>.

_^ 840 <^

Das Finale (Prestissimo» % Adur) ist ein an Ver- wandlangen sehr reiches, fantastisch flottes Rondo. Seinem Hauptthema, das flatternd nnd beweglich anfängt:

Prestissimo. JsSOO

j¥ii,Mji.i.iijiii]J7^irj7(>rjiniii I

•^ Gl8 E A Öls J*^ B

nxxd stürmisch kräftig schließt, treten Nebenthemen mannig- fachsten Charakters, die zeitweise sehr kunstvoll zusammen- gebracht werden, zur Seite. Die wichtigsten von ihnen sind:

|¥j-ri|TLjj iTuj.a

und

est. SaSnt, Mit der dritten Sinfonie von CL St. Safins (Gmoll,

Dritte Sinfonie, op. 78) ist die deutsche Musikwelt zuerst durch Franz Wüllner bekannt geworden. Das Werk ist in der äußren Gestalt nach mehr als einer Richtung ungewöhnlich. Zu dem an und für sich sehr großen Orchester Berliozscher Abkunft zieht es, wie das die neueren Franzosen häufig tun, noch Klavier heran und außerdem Orgel. Die Orgel ist in der Sinfonie keine neue Erscheinung. Wir haben Sinfonien für Orchester und Orgel von dem Dresdner August Fischer, von dem Pariser Guilmant, von dem Weimaraner E. W. Degner. Doch sind das im Grunde Orgelkonzerte wie die Händeischen, nur neuer und modemer. Bei St. Sa6ns dagegen handelt sichs nicht um eine konzertierende Verwendung der »Königin der Instrumente €, sondern nur darum, die Höhepunkte der Tondichtung mit dem verklärenden, gewissermaßen über- irdischen Klang der Orgel noch mehr hervorzuheben. Dazu hat F. Liszt mit dem Schluß der »Fanstsinfonie« die Anregung gegeben, und seinem Andenken ist die CmoU-Sinfonie des Komponisten gewidmet.

841

Außerdem ist der Aufbau der Sinfonie ungewöhn- lich. Sie besteht nur aus zwei Abteilungen, doeh findet man in ihnen die gewohnten Sätze heraus.

An die Spitze ^,.,,, ^ /rw is* der

Adagio.

Jlusdruck

:emer un-

seines ersten Sat«.d,L '

zes stellt St. Sagns'JPEB^ „^

das kurze Thema: ^ ^==:=^ "^^^ '^gewissen,

in Sorgen befangnen Stimmung, es ist der ernste Blick auf eine noch fern:e, dunkel drohende Wolke. Das Allegro moderato (CmMl, o/g), das der kurzen Einleitung folgt, beginnt mit dem Motiv

Allegro moder&tö. JU 79

das für den größten Teil des Satzes den Begleitungsdienst übernimmt, den vorherrschenden Gemütszustand veran- schaulicht Es zeigt in Schubertscher Art das zitternde Herz, zunächst unbestimmt, ob die Unruhe auf Freude, oder auf Leid deutet. Bald gibt der auf die Einleitung zurückweisende Gesang der Bläser

die Gewißheit, daß es sich um Klage handelt. Sie wird unterbrochen durch einen selbständigen Satz Über die zitternden Motive, dann aber vom englischen Hörn fol- gendermaßen weitergeführt:

\itTt g irirn mn ll "«{f «« einem leiden- r ^^-j_-' 11 K v>^ II schaftlichen Abgesang:

842

•tc

geschlossen, der in seinea besten Wendungen gleieh- mäßig an Spohr und Liszt erinnert Die Stimme des Trostes tritt mit dem anmutig ruhigen Desdur-Thema

f'^ \J>i^h\i

Des

DeTTC

ein. Sehr wirksam hat ihm St. SaSns einige vorbe- reitende Motive vorausgeschickt, denen es folgt wie die volle Sonne dem Morgenschimmer. Der Ab- schluß (in Fdur) wirkt glänzend; poetisch hat ihn aber der Komponist schließlich ins Stille und Ergebne gewendet, um die Durchführung psychologisch zu be- gründen.

Sie beginnt mit einem stockenden und zagenden Be- gleitungsmotiv, Über das sich bald das aus der Einleitung bekannte Motiv der Sorge erhebt. Ihm reicht das erste Thema mit seinem Endteil die Hand. In die wachsende Erregung spielen Trompeten und Posaunen zwei kurze, aber wichtige Melodiezeilen hinein. Sie weisen in ihrem frommen choralartigen Charakter auf die Lösung der Schwierigkeiten, mit denen die Seele des Tondichters augenblicklich kämpft, hin, die später wirklich eintritt. Die Reprise ist heftiger als die Themengruppe gehalten und läuft in das Einleitungsthema, in die töne der Sorge aus. Da setzt die Orgel weich und leise ein, der Himmel spricht:

843

Poco'Adaglo. d s60

Dm. Bb

Aa-Oes. F____ p«>« Es As Des

So endet die erste Abteilung der Sinfonie mit einem großen, erbebenden Eindruck. Es kann niemandem ent- gehen, daß dieser dem Allegro angefügte, in frommer Harmonie gegebne Des dur- Satz nichts ist als das Adagio der Sinfonie, das in der Regel als ein selbständiger zwei- ter Satz erscheint. In der Zusammenziehung der beiden Sätze liegt hier die Originalität und das Gltlck der Kom- position.

Man würde nacji diesem Adagio nichts weiter hören wollen, wenn nicht einige Takte mit übermäßigen Drei- klängen ihren vollen Frieden störten und auf eine Wie- derkehr schlimmer Stunden gefaßt machten.

Sie brechen in dem Allegro moderato, das den zw^ei- ten Satz der Sinfonie beginnt, grausam genug herein. Das Hauptthema dieses Allegro moderato

Allegro moderato. S-s 80

jjjji3 JJjJ^gg^

ist eine* Umbildung der leitenden Ideen des ersten Satzes, eine Umbildung teilweise in der karikierenden Art ge- halten, für die Berlioz zuerst in seiner Sinfonie fantas- tique das Muster gegeben und die dann Liszt in seinen Mephistobildern weiter entwickelt hat. Diese Wendung zur Verhöhnung des Teuersten und Ernstesten schlägt bald in offenbare Frivolität um. Es beginnt ein Presto mit folgendem Hauptthema

-^ 844 «^

Presto. J.S 186 . . I - -_ _

l'i'iiiiU IJJLÜ'l'f^'N'Lli"'

das mit das Tollste enthält, was die neuere Orchester* mnsik an phantastischen Leistungen aufzuweisen hat Hier fängt auch das Klavier an mitzuwirken und zwar mit be- absichtigtem prosaischen Effekt. Die Hetze und das Gewirr dieser Presto-Episode, in der wir, wiederum vorzüglich ein- gestellt, das übliche Scherzo der Sinfonie vor uns haben, wird durch einen gemütvollen Abschnitt unterbrochen, der in seiner Wirkung sich mit einem ähnlichen im Gmoll- Konzert des Komponisten begegnet. Das l'hema lautet:

Es wird in seinem huma- ^^^ nen Wesen noch da- durch gehoben, daß ihm eine sehr zänkische Stelle -J^ f f^ r f M ^^ Grun- vorhergeht, der das Motiv ^ ^ \ fj I de liegt Das Allegro mod^rato kehrt dann wieder, und auch das halb schreckende, halb erheiternde Presto kehrt wieder. Es hat aber kaum eingesetzt, da stimmen die Bässe, Bratschen und Posaunen leise einen Gesang an:

der von dem Adagio des

ersten Teils der Sinfonie stammt Er wirkt, von den andern Instrumenten aufgenommen, wie Gretchens Bild auf die Mephistomusik in Liszts »Faust«: reinigend und verklärend. Es wird ganz still im Orchester. Auf ein* mal setzt die Orgel mächtig mit einem Cdurakkord ein« Immer von diesem feierlichen Orgelklang unterbrochen, präludieren mmhoio. J. 7e ^ ^ dem

die Qrche-Trn-^ ^ > ^ ^ r P r j'H^-a^J-^ Schluß- sterinstru- ^^ P f f fj | I ■t-r..L f 11- -H teü der mente mit y Sinfonie.

-^ 846 ♦^

einem mächtigen, als die Apotheose Liszts gemeinten

Hymnus. Er klingt an dessen »heilige Elisabeth« an:

: r^-T-i ^^^ schließt mit

i V V ^ ■di ' ^ I "' fl Sätzen, die auf ff** I. 1 ^ F p :! .y. J ^. M das von Brahms

» f ' » r geliebte Motiv:

rf'M j;:j;^Li/jiJl|Jjjli

gebaut, teils dem dithyrambischen Ton Beethovens zu- streben, teils in freien auflösenden Kadenzen eine Maje- stät und Größe der Freude aussprechen, für die in Sinfo- niefinales wenig, in früheren Kompositionen von St Saäns gar keine Vorbilder vorhanden sind.

Kurz vor die dritte Sinfonie von Sa6ns, in das Jahr 1885, Ch. Goanod, fällt eine »Petite Symphoniec von Charles Gounod, auf P«"^« Symphonie die jüngst in Deutschland verdientermaßen hingewiesen worden ist. Sie ist aber kein Orchesterwerk, sondern eine an und für sich sehr liebenswürdige und gehaltvolle, Mozar- tisch wirkende Kammermusik für neun Blasinstrumente.

Die Kunst spricht nicht nur das Innere eines Volkes am offensten aus und bucht es, sie« vermehrt auch seine geistigen Güter. So zeigt sich uns in dieser letzten Sin- fonie von St. SaSns, wie die französische Kunst mit der gesteigerten Pflege dieser Gattung an Tiefe gewonnen . hat. Am weitesten geht aber in der Umwandelung na- tionaler Art und in der Annäherung an deutsches Wesen unter den heutigen französischen Komponisten Charles Marie Widor. Dieser Musiker, den die Pariser als gründ- lichen Kenner und eifrigen Vertreter Bachscher Musik schätzen, ist durch seine produktive Begabung nicht min- der bedeutend, und auch für Deutschland werden seine Sinfonien durch ihre Ideen von Interesse, durch die ge- wandte und anmutige Art, in der schwierige und durch- dringende Arbeit in ihnen vorgelegt wird, von Nutzen sein. Es sind ihrer zwei. Die erste (in Fmoll, op. 16) ch. H. Widor, zeigt das Bild ihres Schöpfers am reinsten im ersten^r^te Sinfoni«.

846

Salz, der zu der Richtung neigt, die bei uns Volkmann und Draeseke vertreten. Die Themen lassen nicht ahnen, was der Satz enthält. Das erste, in einer fast irrefüh- renden Art entwickelt und auseinandergezogen, fährt in eine noch in Bildung begriffne, nach Gestaltung suchende ernste Stimmung hinein: Seine beiden Teile

, Allegro con moto. da 170 ^

und

tffWMU

f^

stehen im Verhält-

J If' r iff Ulp r ^ ^is wie Baum und «t/^ ^^P Frucht. Beim zweiten

m

3:

Viel.

j ii|,ui » ii|o^r-ir''rr''fTfrrri''r*r'i^^

sind ebenfalls die Fühler, die nachher ausgestreckt wer- den^ fast bedeutender als dieses Thema selbst. Aber die Kraft, die auf diesen Grundlagen aus der Musik sich er- hebt, ist bedeutend genug. Das Andante ist iin Anfang

AndaQte.

^U I j I

Beethovenscher Abkunft, in der Fortsetzung äußert

R. Wagner sei- ^,( ^ ^^-r-r"

nen Einfluß. Das ^y^T-f I T ,*^

zweite Thema P

dient der Stimmung zum Ausruhen.

Das Scherzo wird durch kleine, zur Besonnenheit und zum Aufhalten Presto. mahnendeWendun- ^^j^f j^ , y j gen viel originftlfar^^^atT H IT *

Anfang

als sein

A -

_-^ 847 *^

verspricht. Das Trio, im scharfen harmonischen Gegen- jsatz -Adur gegen Amoll eingeführt, tändelt aller* liebst, freundliche Gedanken mehr andeutend als aus* sprechend. Das Finale, eine flott, frisch und im unverfälschten Französisch gehaltene Ballettszene, unter- hält sehr hübsch, erscheint aber im Wesen zu leicht.

Widors zweite Sinfonie (Adur, op. 54) ist das Cli,M.widor, Lebenszeichen einer heitern kräftigen Seele. Sie stürmt ^^®**« Sinfonie, jugendlich übermütig namentlich in den ersten Sätzen dahin, manchmal in burschikosen Wendungen, die an Schumann erinnern.

Eir innerstes Wesen offenbart sie mit den ersten Tönen, mit dem Hauptthema des ersten Satzes

Allegro vivace. J = 160 _ _ _ _

yrg^r ij.i>^f ip r II I iH^^'Ti^ti I

ihm folgen auf dem Fuße einige feierlich geheimnisvolle Takte, die uns mit romantischen Regungen, dem Sinn für des Lebens Rätsel bekannt machen. Sie schließen ganz merkwürdig. In jdas^Gis, das die Bässe aushalten, singt die Oboe ein e" | ö^ | a hinein. Das ist ein Spielen mitjdem Feuer, zu dem auch die andern Sätze viel neigen. Alle Span- nung, die die Kühnheit im ersten Satze erregt, löst sich immer wieder behaglich durch die Weisen des zweiten Themas:

die Tanzge-

/i. M #■#• -^^^^ ' "^ ^ aie lanzge-

^Yl f if Pf-l-FlKnr-hn* r Irr I danken nicht

*i^*iP ^^ 1 ' ^ J L fernstehen.

Der zweite Satz ist em Scherzo ausnahmsweise im Viervierteltakt. Sein Hauptthema

Mode rato. Js 104

J- I I I I J ri n J I J J- J J^etO.

ein Stück burlesker Kunst. Im Innern des Satzes herrschen Dämonen, die durch W^alkürenklänge sich und den Ein- fluß Wagners verraten. Das zweite Them:i

1

848

sehnt sich nach dem ersten Satz zurücL

Der dritte Satz gibt sich mit dem leitenden Thema

Aodame. Jr68

als Ballade zu erkennen. Aus dem ruhigen Anfeng gerät sie in wild dramatische Erzählung aufregender Begeben- heiten, denen sich das* zweite Thema

TraoquiUameote

m

mild beschwichtigend entgegenstellt.

Das Finale beginnt in sehr schwankender Stimmung leicht und kokett scherzenden Motiven tritt ein Gedanke entgegen

.Moderato.

der an die geheimnisvollen Takte erinnert, die am An- fang der Sinfonie dem ersten Auftreten des Hauptthemas folgten. Schließlich festigt sich die Stimmung und spricht sich mit dem Thema

AUegro con brio. J=. 120

heroisch aus. Unter den Gedanken, die es ergänzen, ist

der folgende ^ V J ij^ f^f

849 «^

der wichtigste. , -;^ -— >^

In «ner mUdeni jft^^^^p f T f f 1^ ' °^ Lesart lautet er ^ \

Auch die beiden Serenaden Widors sind gedie- gene Arbeiten, in Deutschland aber noch nicht beachtet worden.

Um diese Führer schart sich nun eine Reihe wei- terer französischer Komponisten, die die Sinfonie in klas- sischer Form, daneben die unbenannte Suite fleißig pflegen, an ihrer Spitze Ghausson, im großen Abstand ■• <^k>«">oB. Magnard, Florent Schmitt, Boöllmann, Ber-^« ■»»«*»«. nard, Dubois, Jonciöres, Jaspar, Bazin. Mit Aus- J| Jj^JJ**^^ nähme einzelner Sätze werden sich die Arbeiten dieser g* £^„|^4, Männer außerhalb der heimatlichen Grenzen kaum irgend- Th. Dnboli wo einbürgern können, weil ihnen der Stempel des mar- *• Joael^ret. kanten Talents ebenso fehlt, wie der der Nationalität Jj^[^"*"' Auch die gute Schule und die neue Zeit lassen sie ver- missen: die Muster, die über ihnen geleuchtet haben, sind in dem Romantikerkreis zweiter Güte, für den Hummel und Moscheles das Zentrum waren, zu suchen. Das schließt natürlich einzelne Stellen poetischer Hingebung nicht aus. Besonders sind solche der F dur-Sinfonie L. BoSllmanns nachzurühmen. Als bemerkenswerte Graste; tauchen in dieser Sinfonikerzunft auch Lalo, Dukas £, i,|^|^, und Debussy [Trois Nocturiies) auf, auch weitere Lands- p. DnkM« leute C^sar Francks haben sidi ihr zugesellt. Am be- C*- i>«b«i«i- kann testen ist yon den letzteren Jan Blockx mit seiner j^^ uookx. stark aus Wagner schöpfenden sinfonischen Trilogie: > Allerseelen, Kirmes und Ostern« geworden. Das den Belgiern benachbarte Holland beteiligt sich nach wie vor an der Sinfoniekomposition nur spärlich und hat den Verhulst, Hol, D. de Lange nur in D. Schäfer und d. gekifer. B. Z weers ansehnlichere Nachfolger gegeben. Von Zweers' b. Zween. drei Sinfonien ist besonders die dritte, »An mein Vater- land«, beachtenswert. Sie besingt Wälder, See und Land- schaft etwas umständlich, aber mit eigenen Weisen, und könnte durch letzten Umstand der Ausgangspunkt für eine holländische Schule werden.

KrstzBcbmar, Führer. I, 1. 54

-^ 850 «^

hl Kngland. das seit der Zeit Bennets nie aafge- hört hat, sich fleißig zu beteiligen, ist im letzten Men- schenalter durch den bedeutenden Zuwachs an vorzüg- lichen Orchestern der Eifer für die sinfonische Arbeit machtig gewachsen, und die Institute des Kontinents, die mit der Zeil Schritt zu halten suchen, haben audi die sin- Ai. HAekensie.fonischen Dichtungen Äl. Mackenzies, Edw. Mac Do- Rdw. Mfto Dow«ll.^ gji g ^jj^ jj^ygp Genossen gelegentlich vorführen müssen

Von größeren, mebrsätzigen Sinfonien englischer Her- kunft ist allerdings nur die früher erwähnte skandina- Fr. Goirra.vische Sinfonie Fr. Gowens, und zwar wegen ihrer Mittelsätze, internationales Repertoirewerk geworden, aber auch in dieser Gattung sind zahlreiche tüditige Vertreter am Werk, zum Teil mit interessanten formellen Export- H. parry.^^^^^* S<^ ^^^ Hubert Parry den Lisztschen Versuch, die Musik einer sinfonischen Dichtung, also eines Satzes, durch Umbildungen desselben Themas zu bestreiten, im großen Stil aufgenommen und durch die vier Sätze der klassischen Sinfonie durchgeführt. Neben Parry sind die fjn^^i^^i^ Hauptvertreter der Sinfonie in England zur Zeit Ban- H. Hftdleyitock, Hadley, Street, Stanford und Edgar Elgar. E. BtrMt.Der große Erfolg des >Traum des Gerontius« hat das

^" ^8*81^'^^®'*^*^^ veranlaßt, sich auch mit den Sinfonien Elgars '^''bekannt zu machen. Die erste (Asdur, op. 65) hat als eine klare, kräftige Tondichtung und besonders wegen ihres stark volkstümlichen Einschlags das Merkmal guter englischer Kunst jeder Art und von jeher all- gemein erfreut, die zweite (Esdur, op. 63) wegen des Mangels an thematischer Lebenskraft kalt gelassen.

Die englische hat überraschend schnell auch eine amerikanische Sinfoniekomposition nach sich gezogen, mit der wahrscheinlich bald ernstlich wird gerechnet werden müssen. Ist doch die geistige und kulturelle Disposition der Neuen Welt entschieden urwüchsig und eigen, die Mittel aber, eine junge Kunst durch Schule und Ausführungsapparate zu fördern, stehen ihr in beneidens- werter Leichtigkeit zur Verfügung. Als Tater dieser L. BoBTln. amerikanischen Sinfonik kann Ludwig Bon vi n be-

851 ^^

trachtet werden^ ein Eingewanderter, dessen Gmoll-Sinfonie

einen annehmbaren enropäischen Mittelschlag vertritt, als

Hauptvertreter ist nnter den bis jetzt aufgetretenen Be*

Werbern Gustav Strube mit seiner HmoU-Sinfonie zu e. Btrmbe.

bezeichnen. Der erste Takt dieses Werks, der ganz un-

gesncht einen fesselnden exotischen Ton anschlägt, macht

es klar, daß wir in diesem Komponisten einen Pfadfinder

vom Schlage eines Sibelius und einen Künstler vor uns

sehen, der an Bedeutung mit der Zeit einem Bret Hart

gleich kommen kann. Neben ihm tritt A. Stock in den a. Stoek. '

Vordergrund.

In Italien, wo die Oper so unselig lange das gesamte musikalische Interesse aller Stände in Beschlag genommen hatte und wo die Erinnerung an die große Instrumental- zeit des Landes in Todesschlaf versunken schien , ist im letzten Viertel des neunzehnten Jahrhunderts eine wich- tige Wandlung eingetreten. Das Interesse fflr Orchester- aufführungen ist erwacht und wird von den Kommunen gefördert, namentlich aber beherrscht der Respekt vor Beethoven und das Bestreben, sich seine Werke zu eigen zu machen, die meisten großen Konservatorien des Landes. Als die ersten Früchte dieser Bewegung kamen nach Deutschland die Sinfonien von S g a^ b a t i B. SgsmbAtt. und Martucci, die eine zu sehr, die andere zu wenig ®' ••'*■••*• italienisch. Mittlerweile ist aber die Produktion sehr ge- wachsen, Italien stellt in Enrico Bossi und dessen £• Boui. Sohn Renzo B.; in A. Franchetti, A. Scontrino*' J*"** ^^, L.Perosi,G.Pacini,Mancinelli,Zanella, Allano,j[;j^™*^*^^^ Amorosio, Caetani, Wolf-Ferrari, in den schon ge- l! p«r«ii. nannten Sinigaglia undMarinuzzi eine bereits statt- 8. PmIoI. liehe Reihe von Kräften für Sinfonie und Suite. Nicht J- ■*»«i»«l»- immer bieten diese Werke das, was man aus dem Sonnen- p] fUIÜit' lande erwartet, und durchschnittlich enthalten sie mehr \ imoroilo. Arbeit und mehr Weltschmerz, als nötig ist. Aber sie B. €aetMl. haben meistens doch ihren Wert in der Plastik der Themen *• J" |^'''*,7*''' und in der lebendigen und produktiven Freude am Klang ^\ UMtSSrntU In erstrer Beziehung muß vor allem auf Pacinis Dante- Sinfonie verwiesen werden, nach der anderen Richtung

64*

852

ragt die Hrooll«Suite Caetanis, die auf« natürlichst« mit konzertierenden Elementen wirkt, hervor. '

Wir haben xms mit der allgemeinen, internationalen Beteiligung an der Sinfoniekomposition wieder den gün- stigen Verhältnissen der alten, der Yorhaydnschen Zeit genähert Möge der Zukunft dieses wichtigen Stücks musi- kalischer Kunst auch nach anderen Beziehungen eine glückliche Entwicklung bestimmt seinl

•••••••••

NAMENVERZEICHNIS.

Abert 403, 695.

Agricola, M. 17.

Alayrac, d' 368.

Albano 21.

Albert 710.

Alberti 88.

Alfano 851.

Alfv6n, Hugo 524 (2. Sinf.),

826. Allegri 21. Ambrosio 851. Andr^ C. 252, 302. Arensky 632. Astorga 94. Auber. 601. Aubert, M. 86. Aufschnaiter, A. 57. Aulin, Tor 524, 525 (Meister

Oluf).

Bach, Chr. 109.

Bach, Fr. 105.

Bach, J. 8. 5, 8, 26, 28 f., 44, 48, 58, 61, 62 (1. und 2. Suite), 64 (3. Suite), 65 (4, Suite), 69, 72, 78, 85 (Sinfonie Fdur), 97, 109, 191, 214, 284, 288, 299, 330, 360, 660, 665, 667, 757, 826, 845.

Bach, K. Ph. Em. 105, 106 (Sinlonie), 109, 114, 123, 127 f., 156, 169, 284.

Balakirew 632.

Banchieri 22, 26, 72.

Bantock 850.

Bargiel, W. 666 (Suite Cdur), 694.

Bassani 21, 26.

Bateman 33.

Bäwerl (Peurl), P. 35.

Bazin, F. 849.

Beck, F. 102.

Becker, Reinhold 820 (Sinf. Cdur).

Beer-Walbrunn, A. 690 (Deut- sche Suite).

Beethoven, L. van 27 f., 71, 77f., 90f.,.94f., 116, 122, 147 ff., 154, 159, 162, 168, 190 (l.Sinf. Cdur u. Jenaer Sinf.), 195 (2. Sinf. Ddur), 199 (Eroica), 208 (4. Sinf. Bdur), 211(5. Sinf. CmoU), 220 (Pastoralsinfonie), 228 (7.Sinf.Adur), 234(8. Sinf. Pdur), 239 (9. Sinf. D moll), 251 ff., 261, 265 f., 271 ff., 276, 279, 282 ff., 291 f., 294 ff., 300, 302 ff., 307,

854

814,816, 819 IT., 825, 829, 381, 888 f., 337, 841, 343 f., 354, 359 f., 365, 372, 877, 884 f., 890, 899, 404, 406, 486, 500, 505, 522, 524, 584 f., 541, 548, 558, 561, 568, 565, 568, 572, 574f., 577 ff., 582, 584, 593, 597, 607, 616, 620 f., 646, 649, 659,664,671,694ff.,698f., 702, 705, 711, 715, 717, 719 ff., 726, 728, 735, 738, 741, 743 f., 751, 754, 757, 759, 766, 769 ff., 789, 792, 812, 818, 823 f., 828,836, 889, 845, 851.

Behm, H. 884.

Bellini 800, 881.

Benda, Fr. 105, 581.

Benda, Gh. 105, 141.

Bendix, V. 501 ( A moll-Sinf .).

Bennet, 6t. 884.

Berger, W. 764 (2. Sinfonie Hmoll).

Bergonzi 29.

BerUoz, H. 121, 194, 247 f., 296, 300, 884, 336 f., 338 (Sinf. fant.), 350 (Harold in Italien), 860 (Lelio, Bomeo Q. JuUe), 885, 887, 889, 893, 397, 400, 412, 431, 438 f., 456, 465, 466, 468, 477, 488, 487, 489, 492, 495, 520, 618, 644, 649, 675, 682, 695, 786, 793 f., 818, 826, 835,836,840,843.

Bernard 849.

Berwald, Fr. 521 (Sinf. sin- gnliöre).

Biber, Fr. 46.

Bird, A. 678.

Biachoff, H. 884.

Bixet, a. 444, 446 (L'Ar- Usienne I), 449 (L*ArUsi- enne II), 458 (Roma), 457 (Jenz d'enfants).

Bleyle, K. 834.

Blockz, J. 849.

Blumenfeld, F. 495, 658.

Blyma 252.

Boccherini, L. 266 (Sinf. Ddnr, Cdnr).

Boellmann 849.

Bohner 221.

Boieldiea 291, 449, 501.

Bonvin, L. 850.

Borodin, A. 589, 621 (1. Sinf. Es dar), 624^. Sinf. Hmoll), 631 (3. Sinf. A moll, Steppen- skixse), 686, 646, 650, 657, 828.

Bossi, E. 851.

Bossi, B. 851.

Brade, W. 32 f.

Brahma, Job. 41, 71, 114, 276, 411, 426, 505, 526, 560, 565, 649, 658, 668 (1. Serenade), 672 (2. Sere- nade), 678, 680, 690, 693 f^ 720 f., 735, 737, 738(l.Sin£. OmoU), 744 (2. Sinf. D dor), 751 (3. Sinf. Pdur), 757 (4. Sinf. E moU), 763 f., 769 f., 815, 817, 819, 825, 832, 834, 845.

Brandl 252.

Braune 252.

Braunfela, W. 688 (SerenadeX 690.

Bruch, Max 462, 467 (Suite nach msa. Volkslied em), 716 (1. Sinf. Eadur), 718 (2. n. 3. Sinf. P moll, E dar), 780, 822.

855

Brückner, A. 653, 694, 720, 767 (7. Slnf. Edur), 770 1., 2., 8. Sinf.), 780 (4. ro- mant. Sinf. Es dar), 789 (5. Sinf. Bdor), 791 (6. Sinf. Adnr), 792 (9. Sinf. DmoU), 814, 824, 884.

BrftlVJ. 678.

Bromel, Anton 17.

Bmn, Fr. 765 (Sinf. Bdur).

Bnigmüller, N. 334.

Bnsoni, F. 430 (Geharnischte Snite), 431 (Tnrandot-Snite).

Buxtehude 28, 288. Buzzola 29.

Caccini, Qt. 73.

Caetani, B. 851, 852.

Caldara, A. 86 ff., 89, 90, 92,

, 100.

Oambert 78.

Camerloher 109.

Cannabich, Chr., 26, 102, 300.

Castello, D. 29.

Oatoire, G. 632.

CavaUi 73 (Sinfonien), 75, 87.

Cesti 75, 87.

Oharpentier, G. 412, 463 (Im- pressions d^Italle), 467.

Chansson 849.

Cherabini, L. 78, 152, 263 (Sinf. Ddur), 284, 291, 328, 672, 750.

Chopin, Fr. 501, 660, 766, 783.

Clementi, M. 271 (Sinfonie Bdnr).

Conus, Gh. 632.

Corelli 8, 85 f., 89, 110, 266.

Couperin* 52.

Oowen, F. 519 (Skand. Sin- fonie), 850.

Cul, C. 649 (Suite miniature^

703. Cserny, C, 214, 240, 273.

Dargomijsky 600.

David, F. 384.

Debnssy, Cl. 443* (La Her), 511, 529, 836, 849.

Degner, E. W. 840.

DeUbes, L. 444 (Sylvia-Suite)

Deller, F. 60.

Demantius 42.

DiabelU 262.

Dietrich, A. 607, 709 (Sin- fonie Amoll), 713, 738.

Dittersdorf, 0. t. 84, 93, 117, 119, 121, 219, 253 f., 255 (Combattimento), 257 (Sin- fonie), 268, 270, 275, 335, 677.

Dohnänyi, £. v. 692 (Suite), 766 (Sinfonie Dmoll).

Dotzauer 273.

Draeseke, F. 569, 649, 680 (Serenade), 719, 720 (1., 2., 3. Sinf. Gdur, Fdur, Tra- gische), 768, 794, 846.

Dttbois 849.

Dukas, P. 691, 836, 849.

Dumanoir, Gt. 57.

Dossek, Fr. 531.

DvoHk, A. 512, 526, 535, 557, 558 (Sinf. Ddur), 561 (Sinf. Dmoll), 572 (Sinf. Fdur), 584 (Sinf. Gdur), 585 (Sinf. EmoU »Aus der neuen Weite), 595 (Nachgel. Sinf., Bläserserenade), 597, 628, 634.

Bberi, A. 199, 272 (Sinf. Ddur), 288, 292, 662.

-^ 856

Ebner 44.

Eiclmer, £. 102.

Elgar, E. 850 (Sinf. Asdur,

Es dar). Enna, A. 501. Erlebach, Ph. 50. Ertelius, F. S. 29. Esser, H. 665 (Suite Amoll).

Facins, F. 526.

Fasch, Fr. 69 (Snite Bdnr).

Fattorini, G. 29.

Fesca, F. E. 316.

Fibich, Zd. 596 (Sinf. Esdur).

Field, J. 501.

Filte, A. 101.

Fiore 29.

Fischer, A. 840.

Fischer, K. 55 ff., 67, 698.

Fiteiberg, Gh. 834.

Fontana 21.

Förster, Chr. 69.

Franchetti, A. 851.

Franck, C. 439, 835 (Sinf. Dmoll), 849.

Franck, M. 34, 39 ff., 42, 44.

Fran2, J. H. 764.

Friedemann, 0. 462.

Friedrich d. Gr., 79, 86, 103.

Frigel, P. 521.

Frobergcr44, 52, 117, 335.

Fnchs, Bob. 678, 679 (1. und 2. Serenade Ddur, Gdur), 680 (3. Seronade Emoll), 815 (Sinfonie in C).

Fnx, J. 67, 68 (Bdnr -Suite »DerSchmied«), 87, 90, 693.

Gabridi, A. 22. Gabrieli, G. 22 (Sinf. sacrae), 26 (Cansoue), 33, 71 ff., 87.

Gade, N. W. 296, 334, 408, 496 (Sinf. CmoU), 500 (Sinf. Bdur), 502, 521 f., 526, 572, 594, 653, 676 (NoreUetteo), 677 (Sommertag anf dem Lande, Holber^ana), 695, 757, 763.

Gähring 334.

Galimberti 84.

Gallus 8. HandL '

Galuppi 86, 169, 398.

Gaßmann, F. 96.

Gemsheim, F. 719 (1. Siuf. GmoU), 720 (8. n. 3. Sinf. Esdur, Bdur).

GUson, P. 439 (La Mer), 511.

Giuliani, F. 29.

Glas, Louis 501.

Glasounow, A. 624, 631, 63ä (1. Sinf. Edur), 633 (2. Sinf.« Fis moll), 634 (3. Sinf. D dar), 635 (4. Sinf. Esdur), 641 (5. Sinf. Bdur), 645 (6. Sinf. Gmoll), 646 (7. Sinf. FdurX 647 (8. Sinf. Esdur), 648 (Aus dem Mittelalter), 649, 658.

Gmre, R. 632, 657 (Sinf. Esdur).

Glinka, M. 246, 453, 600, 631, 633, 709, 716.

Gluck, Chr. W. v. 52, 59 f.. 75, 79, 86, 94, 114, 118. 127, 169, 265, 336, 386. 492, 621.

Godard, B. 469 (Seines poe- tiquei9)i

Goedecke, A. 632.

Göhler, G. 827, 831 (Sinf. Dmoll).

Goldmark, C. 400, 409 (Uuül. Hochseit), 411 (8. Sinf.), 83:>.

857 ♦--

GoltermauD, G. 709^ Gossec, F. J. 268, 495. Gottwald 109. Gots, H. 423, 719, 735 (Sinf.

Fdnr), 768, 815, 827, 830. Goimod, Ch. 815, 845 (Petite

Symphonie). Gouvy, Th. 709. Grairn, G. 108, 104, 105. Graun, H. 79, 88, 86, 108,

105. Graupner 97. GrÄt^ 868. Grieg, Edv. 426, 502 f., 505

(Aus Holl)ei:gs Zeit; Peer

Gynt I), 509 (Peer Gynt II),

520, 522, 525, 677, 830. Grimm, J. 0. 666 (1. Suite

Odur), 667 (2. u. 8. Suite

Gdur, Gmollj. Groh, J. 42. Guglielmi 169. Guilmant 840. GyrowetE 84, 158, 262.

Haarklou, J. 520.

Hadley 850.

Hägg, A. 524.

Hall6n, A. 524.

HallstrOm, I. 524.

Hamerik, Asger 462, 501.

Händel, G. Fr. 5, 44, 46, 52, 58, 60 (Feuermusik, Wasser- musik), 74 f., 78, 79, 89, 94, 97f., 110, 113f., 148, 265 f., 299, 357, 360, 412, 486, 601, 668, 676, 726 f., 768, 773, 829, 840.

Handl (Gallus), Jac. 26.

ffarrer, G. 105.

Martmanu, Emil 501.

Hartmann, P. E. 496.

Hasse, Ad. 26, 30, 82 f., 86, 89, 103, 128.

Haßler, H. L. 8, 13, 34.

Hausegger, S. Yon 384, 428 (Barbarossa), 429 (Katnr- sinfonie).

Hausmann (Haufimann), Y. 34, 35, 39, 40, 42, 46 ff., 50, 56, 58, 69 f., 112.

Haydn, Jos. 8, 30, 60, 71, 77, 89 f., 93 f., 100, 105, 109 f., 118 (Le matin, lemidi, le soir), 119 (Mit dem Hom- Signal, Weihnachtssinf., Ab- schiedssinf.), 122 (Maria Theresia), 125 (Schulmei- ster), 181 (La poule), 184 (L'ours), 187 (La reine), 189 (La chasse), 144 (Oxford),147 (Sinf. Nr. 13, Gdur), 151 (Sinf. 1), 155 (Sinf. 2), 157 (Sinf. 6), 159 (Militär-Sinf.), 161 (Sinf. 12), 163 (Sinf. 3 u. 4), 164 (Sinf. 5, 14), 165 (Sinf. 9), 167 (Sinf. 8 u. 7), 169, 172, 174f., 182f., 188, 190, 192, 198, 194f., 198, 215 f., 228, 237, 241, 252 f., 256 f., 259, 261 f., 272 f., 284, 288, 294, 296, 299, 304, 307, 319, 884, 839, 841 f., 352, 885, 891, 428, 443, 447, 495, 516, 523, 532 f., 535, 568, 584, 603, 649, 656, 670, 750, 769.

Haydn, Mich. 71, 267 (Sinf. Cdnr).

Uebenstreit, Pantaleon 68, 70.

Heinrich XXIV., Prina zu Rpuß 763.

Heller, Stephen 380, 780.

858

HeUtedt 384, 709. Henriqnes, F. 501. Herbdck, J. 665. Hermann, B. 884. Herzogenberg, H. von 762 (1.

Sinf. CmoU), 768 (2. Sinf.

Bdnr). Hesse, A. 834. Heyse, P. 501. ffiller, F. V. 346, 694. Hiller, J. A. 48, 86, 105. ^ofbleister 262. Hofhaimer, P. 17. Hofmann, Heinr. 407 (Frithjof),

426, 768. Hol 694, 849. Holter, I. 520. Holzbaaer, I. 96, 102.

Hom, C. 814 (Sinf. Fmoll).

Hnber, H. 384, 426 (Tell- Sinf.), 427 (Böcklin-Sinf.), 428 (Heroische 8inf.), 764 (A dur-Sinf .).

Hummel, F. 827, 832 ^Sinf. Ddur), 849.

Httmperdinck, E. 431 (Dom- röschen-Snite), 462, 467 (Maurische Bhapsodie).

Indy, V. d' 431 fWallenstein). Isaac, H. 17 (3- u. 4 st. Sfttze)

20. Iwanow, M. 632.

Jacoby 462.

Jadassohn, S. 667 (Serenade). Jämefelt 530. Jaspar 849. Jomelli, N. 82, 86. Jonciöres 849.

Juon, P. 827, 832 (Sinf. A dur).

KajanuB, B. 526.

Ealafati, W. 656 (Sinf. AmoU).

Eallnnikow, W. 657 (Sinfonie G-moU, Adnr).

Ealliwoda, W. iS86 (Sinfonie Fmoll), 287 (2.-6. Sinf.), 582.

Kftmpf, E. 462.

Eastner, G^. 468.

Eann, H. 825 (Sinf. OmoU).

Eeiser, B. 434.

Eimbeiger 105, 284.

Eittl, J. Fr. 532 (Jagdsinl)'.

Ejemlf, H. 462.

Elose, Fr. 468.

Elotse 221.

Elughardt, A. 403 (Leonore), 678, 815, 817 (3. n. 4. Sinf.).

Enecht, J. H. 221.

Eoch, Fr. 426 (Von der Nord- see).

Eozeluch, L. 531.

Eradenthaller, H. 48 f.

Eramm 462.

Kraus, J. 521.

Krieger, Ph. 66, 710.

Krommer, Fr. 262.

Kufferath 709.

Ellffner 252.

Euhnau 56, 117, 255, 335.

Kuntzen 496.

Kusser, J. S. 50.

Kuyper, £. 693 (Serenade in D).

Lachner, Fr. 273, 409, 496, 660, 661 (1. Snite DmoU), 663 (2. u. 3. Suite Emoll, Fmoll), 664 (4., 5. u. 6. Snite Es dur, CmoU, Cdur), 665 (Ballsuite).

Lalo, E. 462, 693, 849.

859

Lanoiani, P. 462.

Lange, D. de 849.

Lange-Maller, P. £. 463, 501.

Lawea, W. 44.

Legrenzi 91.

Lenz 246.

Leo L. 30, 80, 82 ff!

Leonhard 834, 709.

Leopold, I. Kaiser 28.

Lie, 8. 520.

Lindblad 521.

Liest, Fr. 76, 291, 335, 350, 858, 365, 384, 385 f., 387 (Faust-Sinf.), 394 (Dante- Sinf .), 405, 409, 412 f., 422, 428, 430 f., 443, 483, 495, 534, 535, 538, 563, 589, 603, 633, 650, 675, 695, 698, 700, 721, 779, 835, 840, 842 f.

Ljadow 632.

Ljapunow 632.

LocatelÜ 84.

Lorenz, 0. A. 884.

Louis Ferdinand 200.

Löwe, 0. 431.

Lührss 334.

Lnigini, A. 462.

Lully 8, 49 f., 57 f., 78, 79, 444, 621.

Luzzo 74.

Mackenzie, AI. 850.

Mac Dowell, Edw. 850.

Magnard 849.

Mahler, G. 384, 793 (1. n. 2. Sinf.), 799 (3. Sinf.), 802 (4. Sinf.), 805 (5. Sinf.), 808 (6. Sinf.), 810 (7. Sinf.), 811 (8. Sinf.), 825, 827.

Major 767.

Maliscliewsky, W. 632.

Mailing, 0. 501 f.

Mancineüi, L. 851.

Marcello, B. 83.

Maröojial, H. 462.

Marini 21.

Marinnzzi, a. 466 (Sizil. Snite), 851.

Markall, W. 334, 694.

Marpnig 105.

Martean, H. 693 (Suite A dur).

Martuzzl 851.

Maschek, P. 242.

Maschek, V. 531.

Maschera, Fl. 20 ff., 27.

Massaini, T. 25.

Massenet, J. 462, 469 (Seines pittoresques).

Maurer 273.

Max Joseph y. Bayern 86.

Mayr, B. 56

Mayr, S. 337.

Mazuel 57.

M6hul, E. 264, 265 (Sinf. amoU), 289, 495, 532, 672.

Melante s. Telemann, G-. P.

Mendelssohn Bartholdy, F. 65, 69, 121, 212, 240, 251, 265, 285, 290, 291, 296, 298, 304, 306 (Schottische Sinf.), 311 (Ital. Sinf.), 814 (Lobgesang), 315 (Befor- mations-Sinf.), 316 (1. Sinf. Gmoll), 317, 323, 328, 333, 350, 854, 368, 408, 453, 476, 487, 496, 498, 501 f., 512, 522, 533, 542 f., 597, 618, 624, 656, 660 f., 666, 677, 694 f., 697, 713, 718, 746, 757, 763, 764, 769, 816, 821, 829,832, 836, 838.

Mercadantc 300, 337.

Mcmla, T. 21, 22.

860

Meisdorf, B. 819 (Sinf. Fdar).

Heyerbeer 800, 887, 868, S84, 891, 463.

Mezzaferrata 21.

Mielck 580.

Mihalovich 767.

Minoja 83.

Mlynarsky, Emil 656 (Sinf. F dur).

MOhring 834.

Moliqne 834.

MoUer 42.

Mono, a. M. 92 ff., 103.

Monte 21.

Monteverdl 25, 59, 72 (Siu- fonien).

Moor, £. 834.

Moralt 273.

Morley, J. 16.

Morley, Th., 32.

MoBcheles 665, 849.

MoszkowBki, M. 407, 462, 480 (Suite).

Moeart, L. 71, 170.

Mozart, W. A. 48, 60, 71, 84, 95 f., 99, 102, 122 f., 137 f., 142, 145, 148, 155, 166, 167, 168 f., 170 (1. Sinf. Es dur), 172 (Pariser Sinf. Nr. 31), 178 (8. Sinf. D dar, Salzburger Sinf. 0 dur), 174 (Sinf. Nr. 33 Bdur), 176 (Sinf. Nr. 35 Ddur), 177 (Linzer Sinf.), 179 (Sinf. Nr. 38 Ddur), 182 (Sinf. Nr. 39 Es dur, Schwanen- gesang), 184 (Sinf. Nr. 40 Gmoll), 187 (Sinf. Nr. 41 Jupiter), 190 f., 195 f., 199, 201, 211, 217 f.. 250, 252 f., 256 f., 261, 266 f., 270 f., 275, 285, 288, 291 f., 299,

306, 334, 451, 523, 531, 585, 568, 666, 668, 670, 680, 694, 769 f., 845.

Mnffat, a. 84, 50 ff., 56, 57, 59 f., 62, 67, 70, 78, 117, 255.

Malier, ^. 143, 834, 561.

M&lichhaiisen, Baron ▼. 86.

Mussorgski 682.

Mysliweczek 109, 117, 581.

Naumann, J. ö. 272, 677. Naumann, £. 694. Nedbal, A. 597. Neri 21, 22. Nemda, Ot. 105. Neakomm, 8. 278. Ketzer, J. 694. Nichelmann, Chr. 105. Nicodö, J. L. 384, 407. Nicolai, 0. 457, 694. Nielsen, C. 501, 502 (Vier

Temperamente). Nielsen, L. 501. Normann, L. 521. NoTäk, V. 597.

Oberleithner, M. t. 834.

Obrecht, Jac. 17.

Offenbach 692.

Olsen, 0. 520.

Onslow, 0. 291 (Sinf. Adur).

Facini 300, 337.

Pacini, G. 851.

Paganini 3501, 853, 362.

Paisiello 292.

Pantaleon, siebe Hebenitreit

Pape 834, 709.

Parry, H. 850.

Paur, E. 834.

861

Peiüis, V. 462. Percz, D. 82, 83. Pergolesi, G. B. 81, 87, Perosi, L. 851. Petersen-Bergep, W. 524. Pczel, Joh. 30 (Hora decima),

46 f. Pcurl (Bäwerl), P. 35 ff., 42 f.,

46 f., 68. Pfeiffer, J. 69. Phalesius, P. 31. Piccini 83, 169, 292. Picchi, G. 29. Pichel 117. Pittricli 462. Pleyel 121, 190, 262, Porpora 83» Pott 709.

Prätorius, Mich. 2, 39. . Proch, H. 292,

Quaiitz 84.

Rachmauinow , S. 632, 649,

653 (Sinf. EmoU). Radecke, B. 694. Raff, J. 76, 141, 397 (Im

Walde), 400 (Lenore), 424,

438, 495, 607, 620, 660,

665 (Suite C dup), 768, 770,

780, 814. Rameau, J. Ph. 53, 58 f., 75,

79, 94, 255, 263, 265, 336,

384, 451. Ravel, M. 462. Reger, M. 689 (Serenade), 827,

828 (Sinfonletta). Beicha 273, 531. Reiche, Gotffr. 29 (24 neue

Qnattricinia). Reincken, A. 49 f. Reinecke, C. 694, 695 (8. Sinf.

G moU).

Reinhold, H. 678.

Rciüsiger 694.

Reuß, Prin« Heinrich 763 f.

Rentier, G. v. 89.

Reznicek, £. N. v. 680, 684

(Sinf. Suite). Rheinberger, Jos. 403 (Wallen-

stein), 432, 717. Richter, Fr. X. 100 f. Ries, F. 273 f. Rietsch, H. 480 (Taufcrer

Suite). Rietz, J. 568, 694. Rimsky-Eorssakoff, N. 462,

471 (Scheherazade), 476

(Antar), 589, 600, 624, 632,

649. Rodewald, J. 105. Rolle, H. 105. Romberg, A. 285 (Sinf. in D),

288. Romberg, B. 285 (Trauer-

Sinf.). Rosenhain, J. 334, 694. Rosenmüller, J. 44 ff., 48 f.,

51, 56. Rosetti 109, 117, 190, 254,

262. Rossini 98, 146, 246, 274,

300, 344, 693. Rubensohn, A. 521. Rubinstein, A. 568, 638, 695

(1. Sinf. Fdur), 696 (Ocean-

Sinf.), 698 (Sinf. drama-

tique), 702 (5. Sinf. Gmoll),

707 (6. Sinf. Amoll). Rudolph, J. 60. Rudorff, E. 815, 819 (Sinf.

Hmoll).' Rue, P. de la 17, 20. Bftfer, Ph. 81 8 (Sinf. P dur), 832. Ruzek 462.

862

Saint-Sa^ns, C. 458 (Suite ul- görienne), 683, 668 (Suite op. 49), 694, 807, 887 (1. u. 2. Sinf. Es dar, DmoU), 840 (8. Sinf. 0 moU).

Sammartini 101, 127.

Samuel, A. 384.

Sartorio 75, 87.

Scarlatti, A. 76 f., 79, 87, 89 f., 94, 107.

Scb&fer, D. 849.

Schaflfrath, Chr. 105.

Schale F. 105.

Scharwenka, Ph. 422 (Traum u. Wirklichkeit).

Scharwenka, X. 422.

Scheiffelhnt, J. 48 f.

Schein, H. 11, 43 f., 68, 710.

SchiOler, A. 501.

Schjeldemp, G. 520.

SchlOger, M. 88.

Schmeling 462.

Schmicorer, siehe Schmierer.

Schmierer, J. A. 57, 67, 693.

Schmitt, F. 849.

Schneider, Fr. 30, 285, 286.

Schop, J. 46.

Schubert, Fr. 89, 251, 273, 274 (7. Sinf. Cdur), 281 (Sinf. H moU), 283 (6. Sinf. Odnr), 283 (1. u. 3. Sinf.), 284 (4. Trag. Sinf.), 288, 292, 805, 324, 403, 410, 505,522,560, 571 f., 581 f., 584, 593, 661, 664, 670, 695, 719, 729 f., 743 f., 749, 769, 770, 771 f., 779, 783, 799, 816 f., 824,841.

Schumann, Clara 738.

8ohumann,Georg 430 (Serenade F dur), 431 (Turandot-Suite), 827, 833 (Sinf. Fmoll).

Schumann, Bob. 30, 44, 65, 104, 121, 221, 233, 265, 274, 276, 281, 285 f., 296, 304, 307, 316, 317 (Sinf. Bdur), 323 (Sinf. DmoU), 327 (Ouyertüre, Soheno, Finale), 828 (Sinf. Cdur), 331 (Sinf. Es dur), 333, 388, 340, 350, 361 f., 380, 388, 399 f., 407, 439, 486, 500, 505, 522, 528, 533, 572, 574, 578, 581, 601, 607, 613, 624, 627, 649, 664, 666, 671, 677, 694 f., 697, 710f., 713 f., 734,736,738, 740,763,769,783,813f.,821 .

Schütz, H. 25, 28, 113.

Schwanberger 109.

Scontrino, A. 851.

Scriabine, A. 632, 649, 6M), (2. Sinf. CmoU), 652 (Le divln poöme).

Sekles, B. 691 (Snite).

Selmer, J. 520.

Senfl, L. 17.

Serow, A. 600.

Sgambati 768, 851.

Sibelius, J. 526 (Eardi&- Suite), 527 (1. Sinf. Emoll), 529 (2., 3. u. 4. Sinf.).

Siklos 767.

Simpson, Th. 32 if.

Sinding, Chr. 513 (Sinf. DmoU), 518 (Sinf. Ddnr).

Sinigaglia, L. 465 (Piemonte), 851.

Smetana, F. 430, 534, 536 (Mein Vaterland I YiSehnd), §41 (II. Vlteva), 546 (IH. Särka), 548 (lY. Aus Böh- mens Hain und Flur), 552 (V. Tabor), 555 (VI. Blanlk),

863

Sodermanu, A. 521.

Spohr, L. 88, 102, 194, 214, 219, 239, 261, 273, 291 (Sinf. Esdur), 292 (Sinf. DmoU n. 3. Sinf. Omoll),> 294 (5. Sinf. GmoU), 296 (Weihe der Töne), 299 (8. Sinf. Gdur u. Histor. Sinf.), 300 (Doppcl-Sinf.), 304, 306, 334, 388, 423, 533, 620 f., 651, 661,665, 695, 718, 755, 842.

Stade 42.

Stamitz, J. 99 f., 101, 103, 263, 532.

Stamitz, K. 102, 117.

Stanford, V. 245, 678, 850.

Starzer, J. 96.

SteiFanl, A. 50.

Steinberg, M. 658 (Sinf. D dar).

Stenhammar, W. 524.

Sterke! 271.

Stock, A. 851.

Stojowsky, S. 657 (Sinf. Bmoll, Suite Esdnr).

Strftfier, E. 827 (Sinf. Qt dnr).

Stranß, J. 41, 824.

Stranß, B. 411 (Aus Italien), 693 (Serenade).

Street 850.

Stmbe, a. 851 (Sinf. H moll).

Snk, J. 597 (Asraßl), 826.

Sflfimayer 253.

Svendscn, J. S. 441, 502, 503 (Sinf. Ddnr), 504 (Sinf. B dnr).

Tfiglichflbeck, Th. 334, 694. Tanejew, S. 632. Tartini 84. Tanbert, W. 694. Telemann, P. 0. 68, 66.

TeUier, M. 462.

Terradellas 82.

Tessarini 117.

Thieriot. F. 815,-818 (Sin- fonietta).

Tinel, E. 439.

Toeschi, J. 102.

Tomaachek, W. J. 289, 531 (Sinf. Esdur).

Torem 85.

Traetta 82.

Tschaikowsky, P. 76. 471, 482 (Manfred), 600, 601 (Sere- nade, 1. Suite), 602 (Nuß- knacker-Suite), 603 (5. Sinf.), 611 (Sinf. PatWtique), 634, 650, 703, 716, 735.

Tscherepnin 632.

Tuma, Fr. 70, 531.

Tunder, Fr. 28.

Ulrich, H. 709.

Vanhali 190, 262.

Veit 709.

Verhulst 849.

Vinci, L. da 80, 81, 87, 91, 101.

Vitali 21, 22.

Vivaldi 85 f.

Vogler, Abt 221, 284 (Siuf. Cdur), 496.

Volbach, Fr. 827, 829 (Sinf. HmoU), 846.

Volkmann, B. 486, 555, 625, 671, 675 (2. u. 3. Serenade Fdur, DmoU), 676 (1. Sere- nade Cdur), 678, 680,690,

695, 710 ''^^ (^- ^^'^^• Dmom 7t4 (2. Sinf. B dnr), 721, 7\L I^X 1^5, ft27, 846. *^i

Atr

864

Waelrant 72.

Wagenseil, Ciir. 91 f.

Wagner, J. 0. 306.

Wagner, B. 23, 39, 59, 73, 204, 241, 302 (Sinf . C dar), 315, 360, 371, 394, 396, 399, 402, 408, 4li, 415, 432, 433, 437, 443, 468, 486, 493, 501, 510, 513, 518 f., 533, 550,555, 596 f., 633, 648, 651, 678, 713, 7261, 737, 768, 771, 777, 786,789, 792 ff., 797 f. ,814, 822,826, 830, 884 ff., 846 f., 849.

Walter, A. 694.

Walther, Johann 16.

Wassilenko, S. 632, 658.

Weber, K. M. v. 104, 158, 191, 219, 252, 266, 283, 290 (Sinf. C dur), 295, 305, 313, 328, 368, 408, 496, 501, 545, 664, 704.

Wegelius, M. 526.

Weingartner, F. v. 820 (1. Sinf. G dur), 822 (2. Sinf. Es dur), 823 (3. Sinf. E dur), 832.

Weyse 252, 496.

Widmann, E. 34^ Widor, Ch. M. 845 (1. Sinf. F moU), 847 (2. Sinf. A dnr). Wihtol 632. Wilms 271. 273. Winding, A. 501 f. Winter. P. v. 241. Witt 271.

Wolf, H. 462, 466 (Serenade). Wolf, L. C. 688 (Serenade). Wolf-Ferrari 851. Wölfl 271.

Woyrsch. F. 765 (Sinf. Cmoll). Wranitsky 262. Wllerst 709.

Zach 109.

Zachow 28.

Zanella 851.

Zelenka, J. D. 66 (Trompeten- Suite F dur), 78, 531 f.

Zellner, J. '694.

Zollner, H. 586, 834.

ZodiacuB 55.

Zolotarev, W. 656 (Sinf. Fis moll).

Zweers, B. 849 (An mein Vaterland).

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