[eo] E zZ [®) ec ie) = u oO IN UNIVERSITY 0 0083665 1 Forischritte der.‘ ‚naturwiss enschaftlichen Forschung S herausgegeben von E.Abderhalden. 10, Band. LIBRARY Department of Pathology and Bacteriology UNIVERSITY OF TORONTO FORTSCHRITTE DER NATURWISSENSCHAFTLICHEN FORSCHUNG, HERAUSGEGEBEN VON PROF. D* EMIL ABDERHALDEN, DIREKTOR DES PHYSIOLOGISCHEN INSTITUTES DER UNIVERSITÄT HALLE a.S. ZEHNTER BAND. MAT 126 TEXTABBILDUNGEN. URBAN & SCHWARZENBERG BERLIN WIEN N., FRIEDRICHSTRASSE 105b Il, MAXIMILIANSTRASSE 4 1914. DEPARTMENT Or Alle Rechte, gleichfalls das Recht der Übersetzung in die russische Sprache vorbehalten. nn a > JAN 2 9 VERS : {f Copyright, 1914, by Urban & Schwarzenberg, Berlin Inhaltsverzeichnis. Seite Der Deckenbau der Alpen. Von Prof. Dr. Otto Wilckens, Straß- NEE IL. 10,6 Ds ee a Re ee | Neuere Forschungen über alkoholische Gärung. Von Prof. Dr. Hans BeelerseSstocklolm” 2... une en 1 46 Der tierische Organismus als Kraftmaschine. Von Prof. Dr. Felix KERN DIN ee er re Be BEL; Die Kohlebildung als geologisches Problem. Von Prof. Dr. A. anmeniDier Be Er e a Trinkwasserreinigung durch Ozon. Von Dr. Gg. Erlwein, Berlin 157 Wissenschaftliche Hochfahrten im Freiballon. Von Privatdozent Dewalbert, Wicand, Halleard.S 0 20 2.3.20... 9203 Die Verteilung des Planktons in Süßwasserseen. Von Prof. Dr. F. Reatsmer Enz ee a ) .) Der Deckenbau der Alpen. Von Otto Wilekens, Straßburg i. E. Es ist ein seltenes Ereignis, daß eine Wissenschaft durch eine Ent- deckung oder Erkenntnis um eine volle Stufe sehoben wird. In diese glückliche Lage, einen großen Schritt vorwärts tun zu können, wurde die Geologie vor etwa einem Jahrzehnt durch die Begründung der Deckentheorie versetzt, die den Schweizern H. Schardt und M. Lugeon zu verdanken ist. Die reiche Befruchtung allgemein- und regionalgeologischer Forschungen und Theorien. die von dieser neuen Lehre vom geologischen Bau der Alpen ausgegangen ist, kann nicht leicht zu hoch bewertet werden. Aus einem lebhaften Kampf der Meinungen ist die Deckentheorie siegreich hervor- gegangen. und man kann heute versuchen. zusammenfassend darzustellen, wie sich auf ihrer Grundlage der geologische Aufbau der Alpen gestaltet. Daß die Alpen von jeher die Geologen zum Studium angelockt haben. ist kein Wunder. Sie sind das für das Heimatgebiet der geologischen Wissenschaft. Mitteleuropa. zentral gelegene junge Gebirge mit zahllosen interessanten Problemen. Schon Heroen des ersten Zeitalters der geologischen Forschung wie Leopold v. Buch haben die Alpen durchwandert, und alle folgenden Generationen von Forschern haben hervorragende Vertreter in das herrliche Gebirge entsandt, dessen Name jedem Freunde der Natur ein köstliches Zauberwort bedeutet. Trotz der Schwierigkeiten. die sich der Untersuchung des vielerwärts schlecht gangbaren Hochgebirges ent- gegenstellen. wurden nach und nach alle Teile des Gebirges untersucht. geologisch kartiert und in geologischen Schnitten dargestellt. und noch vor Begründung der Deckentheorie konnte sich z. B. die Schweiz rühmen., eine geologische Karte des gesamten Staates im Maßstabe 1: 100.000 zu besitzen. Auf die Zeit. in der die Pioniere der Wissenschaft der weiteren Forschung die ersten Wege geebnet und, mehr staunend als verstehend, die Fragen aufgeworfen hatten, deren Beantwortung die Aufgabe der Alpengeologie ist. folgte die Periode der Einzeltorschung, der Beschreibung abgegrenzter (Gebiete, der Ermittlung der Schichtfolge und ihres Inhaltes an Versteinerungen sowie der geologischen Kartierung. In dieser zweiten Epoche wurden aber auch bereits wichtige Ergebnisse allgemeiner Art be- züglich des Gebirgsbaues und der Gebirgsentstehung gewonnen. An die E. Abderhalden, Fortschritte. X. 1 > Otto Wilckens. Stelle der alten Vorstellung, daß die granitischen Eruptivstöcke der früher als zentral bezeichneten Massive die Gesteine in die Höhe getrieben und so das Gebirge erzeugt hätten, trat die Theorie, daß die Schrumpfung der Erdrinde infolge der Abkühlung unseres Planeten die Gesteinsschichten in Falten geleert und dadurch das Gebirge erzeugt hat. Die Deckentheorie hat den Boden dieser Faltungstheorie nicht ver- lassen. sondern auf ihm einen Bau errichtet, von dessen Zinnen ein weiterer, umfassenderer Umblick auf die Tatsachen der alpinen Tektonik möglich ist. Vor dem Lichte, das sie für die Geologen über die Alpen ausgebreitet hat. haben sich die Nebel mangelhafter Erkenntnis zerstreut, und die Wolkenschatten, die für uns noch hier und da auf dem Gebirge liegen, werden sicherlich im Laufe der Jahre verschwinden. Was Schardt und Lugeon erkannt haben, das ist die Tatsache, dal) die Faltung in den Alpen viel stärker ist. als man früher angenommen hatte. Es finden sich in den Alpen nicht nur stehende, schiefe, überkippte und liegende Falten, sondern sogar auch tauchende, und außerdem spielen die Überschiebungen eine orole, vordem ungeahnte Rolle. Der tangentiale (seitliche) Druck in der Erdrinde ist im alpinen Gebiet von solch gewaltiger Wirkung gewesen, dal horizontale Verfrachtung großer Gebirgsstücke (sog. Überschiebungs- decken oder kurz Decken) über viele Kilometer eingetreten ist, wodurch Schichtkomplexe übereinander gelegt sind, die ursprünglich nebeneinander geordnet waren. Weil die Schardt-Lugeonsche Theorie den Aufbau der Alpen aus Decken lehrt, heißt sie die Deckentheorie. Um den Bau der Alpen verstehbar schildern zu können, müssen wir wenigstens in kurzem Abriß ihre Vorgeschichte zeichnen. In dem- jenigen Zeitpunkt, wo das alpine Gebiet in der Erdgeschichte zum ersten Male deutlich vor uns auftaucht, wird es in seinen äußeren (d.h. an der konvexen Seite seines S-förmigen Bogens gelegenen) Zonen von Teilen eines großen Gebirges eingenommen, das damals — im jüngeren Ab- schnitt des erdgeschichtlichen Altertums — ganz Mittel- und Westeuropa durchzog. In seinem Habitus und seinem Bau kann es mit den heutigen Alpen verglichen werden, nur besaß es eine viel größere Ausdehnung als diese. Bei der Entstehung dieses Falten- und Überschiebungsgebirges wur- den die bis dahin in der Alpenregion abgelagerten Schichtgesteine ge- faltet, und zwar in zwei Phasen, von denen die eine (segalaunische Phase) ins Steinkohlenzeitalter, die andere in die permische Periode (allobrogische Phase) fällt. Im zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit dieser Gebirgsbildung steht das Empordringen von granitischen Magmen, die zu den Protogingraniten des Mt. Blanc, des Finsteraarhorns usw. erstarrten. Dies gewaltige Faltengebirge fiel der Abtragung anheim und versank, so daß das alpine Gebiet während des erdgeschichtlichen Mittelalters (Meso- zoicums) meist und größtenteils den Boden eines Meeres bildete. Bei räum- lichem und zeitlichem Wechsel seiner Tiefenverhältnisse nahm dieser Meeres- trog große Sedimentmassen in sich auf. Diese Sedimente waren in solchen Zonen, die im wesentlichen in der Längsrichtung des heutigen Gebirges Der Deckenbau der Alpen. 3 verliefen, von gleicher oder ähnlicher Ausbildung, während sich in der Querrichtung des Gebietes eine Verschiedenheit der Ablagerungen bemerk- bar macht. Man muß sich etwa vorstellen, daß der Boden des riesigen Meerestroges durch längsverlaufende Erhebungen in Teiltröge zerlegt war, die sich in bezug auf die Zufuhr von Sedimentmaterial, in bezug auf ihre Tiefe und in bezug auf die Zusammensetzung der in ihnen beheimateten Faunen verschieden verhielten, was sich eben in dem Charakter oder, wie man in der Geologie sagt, in der Facies ihrer Gesteine sowie in deren Mächtigkeit ausdrückt. Innerhalb eines Teiltroges zeigen die geologischen Formationen die gleiche Ausbildung, ungleiche dagegen in verschiedenen Teil- trögen. Man darf sich diese Zerlegung in Teiltröge nicht zu scharf denken, es gibt in der Quere Übergänge zwischen den einzelnen Faciesbezirken. Bis in den Beginn der Tertiärzeit hinein dauerte diese Sedimentation; dann begannen die gepbirgsbildenden Bewegungen, die sich auch schon während des Mesozoicums in bescheidenerem Matstabe bemerkbar gemacht hatten, in solcher Stärke, daß nun der furchtbare Zusammenschub aus dem Meerestroge das alpine Gebirge emporstaute. In einer ersten Haupt- phase der Gebirgshildung wurden unter dem ungeheuren Druck die Über- schiebungsdecken erzeugt, in einer zweiten wurden diese gefaltet und die Faltung ergriff auch noch die am Außenrande der in der ersten Haupt- phase entstandenen Gebirgskette in einem Relikt des alpinen Meeres ab- gelagerten Schichten. Schon nach der Entstehung der Überschiebungsdecken waren die Alpen ihrer Umgebung gegenüber eine Erhöhung, die von den zerstörenden Kräften der Abtragung, Verwitterung, Zerfurchung durch das fließende Wasser usw. in Aneriff genommen wurde. Dieser Prozeß, der auch nach der zweiten Faltungsphase (oder schon während derselben) seinen Fortgang nahm, modellierte aus dem ursprünglichen Block die Täler, Massive, Gipfel und Gräte heraus, die eiszeitliche Vergletscherung verlieh dem Gebirge charakteristische Züge des Reliefs, und in der Gegenwart nimmt diese Zerstörung ihren Fortgang, die das Alpengebirge schließlich dem Erdboden gleich machen wird. Die Schönheit der Alpen beruht auf ihrem ruinen- haften Zustand. Der Faltungsprozeß schuf eine nur wenig gegliederte Masse, der Abtragungsprozeß formte daraus ein reich gegliedertes Gipfelmeer. Die Entwicklungsgeschichte des alpinen Gebietes ist natürlich viel komplizierter, als es unsere Skizze erkennen läßt. In den engeren Kreis unserer Betrachtung ziehen wir aber nur den inneren, durch den Faltungs- und Überschiebungsprozel) erzeugten Bau des Gebirges. Man nennt den- jenigen Zweig der Geologie, der sich mit dem Bau der Gebirge beschäftigt, „Tektonik“. Diese Tektonik bedient sich einer Reihe von Fachausdrücken, von denen wenigstens einige, deren Gebrauch wir nicht umgehen können, erläutert werden mögen. !) !) Eine eingehendere Darstellung bietet „Grundzüge der tektonischen Geologie“ von Otto Wilckens. Jena, Gustav Fischer, 1912. 4 Otto Wilckens. Wenn Schichten gefaltet werden, so entstehen Sättel, d.h. Biegungen, deren innerster Kern von den ältesten, und Mulden, bei denen er von den Jüngsten Schichten gebildet wird. Aus den stehenden Falten, bei deren Sitteln die Schichten vom Scheitel abfallen, bei deren Mulden die Schichten nach der Umbiegungsstelle konvergieren, werden bei anhaltendem Gebirgs- druck schiefe Falten, deren einer Schenkel steiler steht als der andere, dann überkippte, deren einer Schenkel um mehr als 90° gedreht ist, so dal) die Schichten darin verkehrt herum liegen, und endlich liegende Falten. Bei diesen unterscheidet man, wie bei den überkippten Falten, den han- genden und liegenden Schenkel mit normaler und den verkehrten Mittel- schenkel mit verkehrter Schichtreihenfolge. Tauchende Falten endlich Fig. 1. Fig. 2. ch Sr EA. ZN — ml] Liegende Falte mit verquetschtem Mittelschenkel. Die Schichtfolgen des liegenden Schenkels (MS) und des hangenden Schenkels (G@S) liegen mit Zwischen- lagerung unbedeutender Mittelschenkelreste (Mi S) > direkt übereinander. # B Gewölbscharnier, MB Mul- denscharnier, @ AK Gewölbekern, MX Muldenkern, W Wanzel. (Fig. 1) sind mit ihren Sätteln abwärts gerichtet, während die Mulden ihre Umbie- sungen gegen Himmel kehren. Die Existenz Schema von Tauchfalten. Oben 2 Tauch- Solcher tauchenden Falten war früher unbe- a a are kannt, in den Alpen spielen sie eine wichtige a er Bewegung an Nach M Dun. Bolle. Dies letztere gilt auch von den Palteme überschiebungen. Sie gehen aus überkippten Falten durch Verquetschung oder Verlust des verkehrten Mittelschenkels hervor, wodurch zwei normale Schichtfolgen vom Ältesten bis zum Jüngsten an der Überschiebungsfläche direkt übereinander zu liegen kommen. Reste des Mittelschenkels können sich an der Bewegungsfläche erhalten (Fig. 2). Weit vorgreifende liegende Falten nennt man Deckfalten, und zwischen solchen und Überschiebungsdecken gibt es keine scharfe Grenze (Fig. 5). Die Deckenüberschiebungen unterscheiden sich von den Faltenüberschie- bungen dadurch, daß) ihre Bewegungsflächen im großen und ganzen wenigstens -ursprünglich eine annähernd horizontale Lage haben und daß der Weg, den sie zurückgelegt haben, viel länger ist. Die bei der Überschiebung be- wegte Gebirgsmasse nennt man Überschiebungsdecke oder auch wohl ein- fach „Decke“ (Fig. 3). Der Name bezieht sich darauf, daß die Decke ihre Unterlage überdeckt. Der Mittelschenkel kann mehr oder weniger gut er- halten sein (dann spricht man wohl von einer Überfaltungsdecke). oder er ist bis auf Reste reduziert. Es liegen dann die ältesten Gesteine der über- Fr Der Deckenbau der Alpen. 5 geschobenen Masse direkt auf den jüngsten der Unterlage, die oft genug unter dem Druck der darüber hinbewegten Masse entstandene Verquetschungs- erscheinungen aufweist. Wenn man also in einer Überschiebungsdecke ein Bohrloch ansetzt, so gelangt man zunächst in immer ältere Schichten von ihr. dann aber nach Durchfahrung der Überschiebungs- fläche in das jüngste Gestein der Unterlage. Liegen, wie es in den Alpen nicht selten vorkommt, mehrere Decken übereinander, so würde ein Bohrloch mehrere Schicht- folgen vom Jüngsten bis zum Ältesten nacheinander durchsinken. Auch ohne Bohrlöcher können wir in den Alpen meist den Aufbau aus Deeken sicher nachweisen, teils an den Wänden der tiefen Täler, teils in- folge davon, dal die Decken nicht horizontal liegen, sondern schräg an die Erdoberfläche heraustreten. Die Überschiebungen bedeuten einen ganz gewaltigen Zusammen- schub in der Erdkruste. Der Raum, ‘D Sch). AS Stirn- darüber eine ingsten der Unterlage aufruhen. Darüber legt sich die obere Decke, deren vor- WR Wurzelrand, d, h. der Wurzel autochthones Faltengebirge , Unten Reste des Verbindungsstückes sind die Deckschollen Qu verquetschte Schollen, osion erzeugter Rand. Nach M. Lugeon. Fig. 3. ':hen dem Vorderteil der oberen Decke und ihrer Wurzel ein Fenster. ı perspektivischer Ansicht. ı getrennt sind. nverzweigungen, den die Sedimente ursprünglich ein- 22358 genommen haben, ist stark ver- ==5,#®8 schmälert. Während bei Überschie- 3 233, bungen von geringerem Ausmaß) in ee der Decke und in ihrer Unterlage BESPER gleiche oder ähnliche Gesteine und 252828 gleiche oder ähnliche Facies der N se Formation auftritt, sind bei den % =23%87 großen Verfrachtungen die Sedi- &\ IE SS mente verschiedener der erwähnten Teiltröge übereinander gelangt, und man trifft in überlagernden Decken die gleichaltrigen Formationen in verschiedener Facies und Mächtig- keit. Ursprünglich nebeneinander befindliche Schichtkomplexe sind eben in eine vertikale Übereinander- folge gebracht worden. Die Ursprungsstelle einer Deckfalte oder einer Decke nennt man ihre Wurzel (Fig. 5 rechts). Hier ist der ursprüngliche, stark verkürzte Ab- SS Wurzelmul Ein durch die Erosion zum 'I« Außer den als solchen b wölbung, [5 Otto Wilckens. lagerungsraum der Sedimente, die, weit nach vorn gepreßt, in der Decke wurzellos auf ihrer Unterlage schwimmen. Gesteine, die sich noch am Ort ihrer Entstehung befinden, nennt man wurzelnd oder autochthon. Wie schon erwähnt, lassen sich in den Alpen mehrere Facieszonen erkennen, die bei geringer Breiten- eine große Längenausdehnung besitzen, nämlich von einem Ende des Gebirges bis zum anderen reichen. Über- einstimmungen einer-, Verschiedenheiten andrerseits erlauben die Abtren- nung von drei großen Faciesbezirken, die wieder in Unterzonen zerlegt werden können. Man hat sie nach ihren Hauptverbreitungsgebieten benannt und spricht von einer helvetischen (Helvetia — Schweiz), einer leponti- nischen (lepontinische Alpen in der Gegend des Simplon) und einer ostalpinen Facieszone. Von ihnen ist die helvetische die nördlichste, die ostalpine die südlichste ; die lepontinische liegt in der Mitte. Da die Überschiebungen in den Alpen von der konkaven Innen- gegen die konvexe Außenseite gerichtet gewesen sind, so müssen in der Regel lepontinische Gesteine auf helve- tische und ostalpine auf lepontinische geschoben sein, doch halten sich auch viele Überschiebungen innerhalb des einzelnen Faciesbezirkes. Von den verschiedenen Facieszonen läßt sich keine so gut und fast durch die ganze Länge des Gebirges verfolgen wie die lepontinische. Die ostalpine ist im Westen, die helvetische im Osten wenig sichtbar. Es beruht das im ersteren Falle auf der Zerstörung der oberen Decken durch die Abtragung, im letzteren auf der Bedeckung der tiefsten Decken durch die höheren. Durch letztgenannten Umstand werden sehr oft tiefere Decken der Beobachtung entzogen, die dann manchmal nur dadurch stückweise sichtbar werden. daß die Erosion in den höheren Decken ein Loch, ein sog. Fenster, herausgearbeitet hat. Wegen der Unterbrechungen durch die Erosion ist der Zusammenhang einer Decke von ihrer Wurzel bis an ihr Vorderende (ihre „Stirn“) oft schwer verfolgbar. Wir betrachten zunächst den Bau des lepontinischen Faziesbezirkes der Alpen, und zwar diejenige Unterabteilung desselben, die neuerdings gern als penninisch bezeichnet wird. Dieselbe zeichnet sich durch eine gleichmäßige Ausbildung ihrer Gesteine in seiner ganzen Erstreckung aus. Ihre ältesten Bildungen sind Gneise und darauf liegen Quarzite, Schiefer, Dolomite, Rauhwacken (löcherige Dolomite) und Gipse der Trias. Im Gegen- satz zur helvetischen Region ist hier zwischen den Gmeisen und der Trias keine Diskordanz nachweisbar, d.h. die Bankung der Gneise und die Schichtung der darauf lagernden Gesteine bildet keinen Winkel mitein- ander, sondern liegen parallel. Deshalb hält man diese Gneise für karbo- nisch und permisch, zumal da auch Übergänge zwischen ihnen und der Trias vorkommen. Die Gneise sind z. T. Eruptivgneise, z. T. sind es ver- änderte Sedimente. Die Trias wird von Schiefer überlagert, die man in Frankreich Glanzschiefer, in der Schweiz Bündner Schiefer, manchmal auch wohl Flysch (z. T.) nennt. Es sind Gesteine von bedeutender Krystallinität, die im allgemeinen einen Kalkgehalt besitzen und petrographisch als Kalkphyllite bezeichnet werden können. Früher wegen ihrer habituellen Der Deckenbau der Alpen. m Ähnlichkeit mit alten krystallinen Schiefern für uralt gehalten, lieferten sie später in Graubünden Belemniten der Juraformation und konnten 1594 in den französischen Alpen als zum Teil gleichaltrig mit Trias er- kannt werden. Ferner wurde dann in Graubünden noch ihre teilweise Zu- gehörigkeit zur Kreideformation nachgewiesen und im Unterengadin ter- tiäre Foraminiferen in ihnen gefunden. Wegen der gleichmäßig schiefrigen Ausbildung der in ihnen enthaltenen Formationen nennt man die Glanz- schiefer eine komprehensive Serie oder Sammelfolge. Sie erhalten noch einen ganz besonderen Charakter durch die Einschaltung von Lagern und Stöcken basischer, grün gefärbter Eruptivgesteine, sogenannter Ophiolithe, nämlich von Serpentin, Diabas (der meist verändert und geschiefert ist, so daß er als „Grünschiefer“ erscheint), Porphyrit, Variolit, Spilit usw. . Die Grünschiefer, der häufigste Typus, liegen den Sedimenten konkordant eingeschaltet und lassen keine Zuführungskanäle erkennen, aus denen der Gesteinsschmelzfluß aus dem Erdinnern hervorgedrungen ist. Das Alter dieser Eruptivgesteine ist spätjurassisch oder vom Anfang der Kreidezeit. Diese Gesteinsfolge, Gneis, Trias, Glanzschiefer, ist in der ganzen penninischen Zone, wo immer dieselbe der Beobachtung zugänglich ist, in liegende Falten, Deckfalten und Überfaltungsdecken gelegt. Das Profil des Simplongebirges bietet hierfür ein Beispiel, das noch wegen der Durch- tunnelung dieses Gebietes ein ganz besonderes Interesse beansprucht. Es erregte seinerzeit viel Beachtung, daß die von der Tunnelbaugesellschaft resp. den Behörden eingeholten geologischen Gutachten bei der Tunnel- bohrung in einigen sehr wesentlichen Punkten keine Bestätigung fanden. Aber es ist demgegenüber auch zu betonen, dab im Jahre 1902, also vor Vollendung des Tunnels, der Bau jener Gegend durch Zugeon richtig er- kannt wurde. Unsere Abbildung Fig. 4 zeigt die frühere und die jetzige Deutung des Profils. Oben erscheint die Gneismasse des Monte Leone als ein wurzelndes Massiv, in das sich von NW. und SO. her Mulden von Trias und Bündner Schiefern (hell) hineinziehen, ohne aber eine große Tiefe zu erreichen. Die einzige Falte von sehr großem Ausmaß ist die des Anti- goriogneises im SO., die schon vor 50 Jahren als Deckfalte erkannt worden ist. Beachtenswert ist an diesem alten Profil noch, daß sein Konstrukteur die Antigoriofalte mit Überneigung nach Norden, außerdem aber ander- seits die beiden Falten an der Hauptgneismasse rechts mit Überneigung nach Süden gezeichnet hat. Wäre das Profil richtig, so müßte also der Faltungsdruck im Süden von Süden nach Norden, etwas weiter nördlich aber von Norden gegen Süden gewirkt haben. Eine solche entgegengesetzt gerichtete Faltung nahm man in den Alpen bis zur Aufstellung der Decken- theorie fast ganz allgemein an, obwohl #d. Suess schon vor langen Jahren den einseitigen Bau der Alpen betont hatte. Das untere Profil zeigt, wie der Bau des Simplongebirges in Wirk- lichkeit beschaffen ist. Es ist mit Benützung der bei der Tunnelbohrung gewonnenen Ergebnisse entworfen. Es zeigt, daß in Wahrheit die aus dem Glanzschiefern bestehenden Mulden in sehr große Tiefen im die (Gneise neinstechen,. während dazwischen liegende und tauchende Gneissättel ordringt Der Simplon ist kein wurzelndes Massiv, sondern eine Häufung on Decktalten. die nun aber nicht zum Teil nach Norden und zum Teil ich Süden zerichtet sind, sondern sämtlich im Süden wurzeln und nach \orden vordringen. Sein Bau ist durchaus einseitig, durch einen Druck on Süden gzeren Norden bewirkt. Die jetzige Auffassung des Baues des Simplon ist also in zwei wesent- hen Punkten von der alten verschieden: wenn wir aber die beiden Profile genau miteinander vergleichen, so sehen wir, dal; das, was sie nahe ihrer Fig. 4 NW. j So. Rkönetal Gontertal e Val Diveria u eng n Jselle A ==> < J nligorio Onel Mte Leone _------ -- Wasenhor GSERNOFR ne!? (3) un g -nhorn-Oneis of nfot r 1 Simplonmass Ö nach der alten. unten nach der neuen Auffassung /Ü. Schmidt und S j Gneis hell: Triasgesteine und Glanzschiefer. Die weiße Linie von Brig bis Iselle Lar 1 Sim: ntunnels Der Ofenhorngneis gehört der Decke des Mte. Leone, der Beri ne 1 Decke des Großen St. Bernhard an. Nach Steinmann. oberen Beerenzungslinie zeieen. bei beiden ear nicht sehr verschieden ist, I. h. dasjenige, was der Geologe bezüglich der Gesteinsverteilung an der Erdoberfläche beobachtet. Im allgemeinen ist ja der Geologe ganz auf die Beobachtung der an der Erdoberfläche sichtbaren (esteinsaufschlüsse an- 9 sen. Aber wenn er auch keinen Blick mitten in die Berge hinein ann ie es ihm nur die ja seltenen Tunnelbohrungen er- möglichen venn er von unseren Profilen Fig. 4 vielleicht nur die paar Millimeter hätte beobachten können, so wäre er deshalb loch imstande gewesen, auch ohne die Durchtunnelung des Simplon ein richtiges Profil durch diese Gebirgsmasse zu zeichnen, das wenigstens im obersten Der Deckenbau der Alpen. 9 Prinzip (Existenz liegender Gneisfalten, UÜberfaltung aus Süden) mit dem unteren Profil übereingestimmt hätte. Das ist gerade sehr bezeichnend für die Deckentheorie, dal) sie sich vielfach ohne Änderung der bisherigen Beobachtungen an die Stelle der alten Auffassungen setzen konnte. (re- ändert wurden meist nur die hypothetischen Ergänzungslinien der Falten, die der Geologe in seinen Profilen durch die Luft oder durch das Erd- innere zu legen pflegt, um seine Anschauung vom Gebirgsbau zu ver- deutlichen. Gewiß hat man freilich auch nach Begründung der Decken- theorie viele Gegenden von neuem -untersucht und ist dabei oft auf vor- dem übersehene, für die Tektonik der Alpen aber sehr wichtige Tat- sachen aufmerksam geworden. Man hat den einzelnen Überfaltungsdecken, die den Simplon auf- bauen, Namen gegeben und bezeichnet die tiefste als Antigoriodecke oder Decke I, die nächsthöhere als Lebendundecke oder Decke II, die dritte als die Decke des Monte Leone oder Decke III und die vierte als. Decke des Großen St. Bernhard oder Decke IV. Verfolgen wir nun dies Paket liegender Deckfalten nach Westen, so beobachten wir, daß die Achsen der Decken nicht parallel zur Gesamterdoberfläche verlaufen, also nicht hori- zontal, sondern dal) die Decken ein axiales Gefälle besitzen, vermöge dessen sie eine nach der anderen gegen Westen unter die Erdoberfläche sinken. Zuerst wird die Antigorio-, dann die Lebendun-, dann die Monte Leone- Decke unsichtbar. Wir sehen im Westen nichts mehr von ihnen in dieser ganzen Region der Alpen. Anderseits sind wegen des schrägen Anstieges die höheren Decken in der Simplongegend der Abtragung zum Opfer ge- fallen; sie streichen sozusagen in die Luft hinaus. Gerade dem schrägen Einfallen in der Längsrichtung ist es zu danken, dal) man nicht nur die oberste, sondern auch die tiefen Decken beobachten und einen Blick in sehr bedeutende Tiefen der Erdrinde tun kann. Das Stereogramm Fig. 5 zeigt dies Verhalten der Decken. Es bringt in einem Horizontal- und einem Vertikalschnitt das Gebiet der Walliser (Gneisdecken, vom Simplon bis Zermatt, zur Darstellung. Man ersieht aus demselben das tiefe Absinken der Decken gegen SW., ferner aber auch die riesige Ausdehnung, die die Decke (IV) des Großen St. Bernhard an der Oberfläche besitzt. Diese Decke dringt, in einem weiten Bogen vorgreifend, in den Raum vor, der sich ihr durch die Senke des Aar- und Mont Blanc-Massivs (vergl. weiter unten) öffnet (Fig. 7), wobei sie diese Massive noch auf eine weite Strecke überdeckt, wie es das Stereogramm ebenfalls andeutet. In ihren westlichen Stirnteilen, wo Gesteine der Stein- kohlenformation an ihrem Aufbau einen sehr großen Anteil nehmen, zeigt diese Decke sekundäre Falten, die im Nordwesten gegen NW., mehr nach innen gegen SO. gerichtet sind, so dal) ein fächerförmiger Bau zustande kommt. Dieser Fächer ist nur eine Einzelerscheinung im Bau des hangen- den Schenkels dieser riesigen Decke, deren Überschiebung 50—60 km be- trägt und die mit ihrer gewaltigen Masse eines der voluminösesten Ele- mente im Bau der Alpen darstellt. Der Deckenbau der Alpen. 11 sie desto weiter nach außen vorgreift. Die Decke des Monte Rosa bohrt sich gewissermaßen in die des Großen St. Bernhard hinein und erzeugt auf diese Weise eine Rückstülpung in dieser, die die Kette der Mischabel- hörner und des Massivs von Valsavaranche bildet. Zur Decke des Monte Rosa gehört nämlich auch noch der Gran Paradiso, dessen Masse nur des- halb nicht in unmittelbarem Zusammenhange mit der des Monte Rosa er- scheint, weil die Decke eine quer gerichtete Einsattelung bildet, die im Bereich des Tales der Dora Baltea ihr Maximum erreicht. Die höchste Decke, die der Dent Blanche (VI), wurzelt südlich von V, überschreitet aber die Decke V und die von dieser in IV hervorgerufene Rückstülpung Fig. 6. NW. Matterhorn SIE: Lana Zmuttgrat “ Pic Tyndall A | Zmuttoletscher == a Ghiacciaio > ——= BEI Eora man | Profil durchs Matterhorn. Ü—Ü Überschiebung. Darunter: sl! Glanzschiefer mit p» Grün- schiefern, tr Tias. Darüber: ar Arollagneise, & Gabbro, vp sogenanntes Valpellingestein, alle drei vortriadisch. Nach E. Argand. und breitet sich über IV aus. Während aber der Zusammenhang der Decke V mit ihrer Wurzel im NO. in der Gegend von Bannio verfolgt werden kann, ist das Vorderstück der Decke VI von seiner Wurzel durch die Erosion losgeschnitten. So erscheint die Gneismasse der Dent Blanche als eine riesige Deckscholle, die wurzellos auf einer jüngeren Unterlage schwimmt. Dabei ist zwischen dieser und der Basis der Deckscholle kein scharfer Schnitt, nicht eine scharfe Überschiebungsfläche, sondern es ist der verkehrte Mittelschenkel wohl erhalten. Aus der Deckscholle der Dent Blanche hat die Erosion auch das Matterhorn, jenes stolze Wahrzeichen der schweizerischen Alpenwelt, heraus modelliert (Fig. 6). Durch die Zermatter Berge führt kein Tunnel, der das Innere der Berge erschließt, wie der Simplontunnel es tut, und es scheint die Frage 12 Otto Wilckens, nahezuliegen, woher man aenn auch mit Sicherheit weiß, daß jenes Gebiet aus verzweigten und tauchenden Überfaltungsdecken aufgebaut wird, und dal z. B. der Monte Rosa kein wurzelndes Massiv ist. Diese Erkenntnis, die wir besonders Emil Argand verdanken, gründet sich auf die natür- lichen Aufschlüsse, wobei natürlich hypothetische Zutaten vervollständigend hinzukommen. Hypothetisch ist z. B. die Annahme, dal) die Decken I—II unter der Decke IV auch noch bei Zermatt in der Tiefe vorhanden sind. Hier ist die Fortdauer der am Simplon beobachtbaren Tektonik im Streichen der Decken angenommen. Dagegen beobachtet man rings um das Dent Blanche-Massiv das Einfallen der mesozoischen Glanzschiefer unter die alten Gneise, ferner das Schwimmen des NO.-Endes der Monte Rosa-Masse auf dem Mesozoicum des oberen Zwischbergen-, Bognanco- und Antronatales und ein Fenster im Furggental (Seitental des Saastales), wo unter dem Monte Rosagneis ebenfalls Glanzschiefer erscheinen. Es mub auch prinzipiell gesagt werden, dal) eine Zone, die nachgewiesermabßen in einer bestimmten Gegend Überfaltungsbau zeigt, nicht ein Stück weiter denselben ganz verloren haben kann, soweit es sich noch um das gleiche (Gebirge handelt. Die penninische Zone, deren Deckenbau am Simplon außer Zweifel steht, kann nicht im westlichen Wallis einfachen Faltenbau besitzen. Die kuppelförmige Wölbung der Monte Rosa-Gneise mit ihrem periklinalen (d. h. nach allen Seiten gerichteten) Fallen ist der Rücken- schild einer Überfaltungsdecke, die von SO. her ansteigt, nach NW. in die Tiefe taucht und im Streichen nach NO. und nach SW. absinkt. Die große Deckscholle der Dent Blanche liegt gerade dort, wo sich rückwärts die tiefe Einsattelung zwischen der Monte Rosa- und der Gran Paradiso-Kuppel befindet (Fig. 7). Die Einsattelung wird nicht nur von der Decke V. sondern auch von den anderen Decken gemacht. Die Decke VI hat früher sicher eine noch größere Längsausdehnung besessen, ist aber von der Abtragung nur dort verschont geblieben, wo sie eine tiefe Lage hatte. Diese ehemalige größere Ausdehnung wird durch die Ausdehnung ihrer Wurzelregeion bewiesen, die sich noch weit nach SW. und nach NO. erstreckt. Die Deckscholle reicht vom Monte Emilius südlich von Aosta bis fast nach Randa im Zermatter Tal; die Wurzelregion dagegen läßt sich von Lanza (nnw. von Turin) bis nach Locarno verfolgen. In der Wurzelrezion stehen die Schichten steil, während sie sich in den vorderen Teilen der Decken flach ausbreiten. Diese Erscheinung trifft man bei den Decken so allgemein, dal) das kundige Auge schon an dieser Verschieden- heit des Habitus Wurzelland und Deckenland zu unterscheiden vermag. Für ihre Ursache gibt es zweierlei Erklärungen. Manche Forscher stellen sich vor, dal) eine Decke zuerst als schmaler, eng zusammengepreßter Sattel in die Höhe wächst und dann nach der Seite umklappt, wenn sie eine gewisse Höhe erreicht hat. Vorzuziehen ist aber wohl die Auffassung, dab die Falten anfangs flachliegen, und daß dann die Wurzelregion in- folge des andauernden Tangentialdruckes stark zusammengedrückt und steil gestellt wird. Der Deckenbau der Alpen. Der Überfaltungsbau läßt sich auch für den französisch-italienischen Anteil der penninischen Zone nachweisen. Das Massiv der Rocca d’Ambin gehört ebenso wie die große Gmeismasse, die von der Dora Riparia bis £7 N 3 J (9 Er a Mte Rosa 9 N CH JS fr Karte der großen transversalen Rinsattelung der Westalpen, in der die Kalkhochalpen zwischen Aar- und Mt. Blanc-Aiguilles Rouges-Massiv, das starke Vortreten der Decke des Großen St. Bernhard und die Deckscholle der Dente Blanche-Decke liegen. — Die weiß gelassenen Zonen zwischen den Gneisdecken sind Glanzschiefer. Nach E. Argand, etwas schematisiert. an die Maira reicht, zur Decke V. Westlich der Sedimenthülle aus Glanz- schiefern, in die diese Überfaltungsdecke mit ihren Zweigdecken eintaucht, tritt die Decke des Großen St. Bernhard aus der Tiefe heraus. Sie zeigt 14 Otto Wilckens. auch hier jene charakteristische fächerförmige Anordnung der Falten an ihrem Vorderrande, von der wir früher schon gesprochen haben. Er be- steht vorwiegend aus Gesteinen der Steinkohlenformation und galt schon lange unter dem Namen des „axialen Karbonfächers“ als eines der be- zeichnendsten Elemente im Bau der französischen Alpen. Man zweifelte natürlich früher nicht an der Autochthonie dieser Massen, hat aber jetzt allen Grund zu der Annahme, daß sich die jüngeren (mesozoischen und vielleicht auch noch die tertiären) Gesteine seiner Sedimenthülle weit unter ihn nach Osten fort erstrecken, mit anderen Worten, daß die Zone des (Groben St. Bernhard hier noch ihre Deckennatur bewahrt. Entscheidende Beweise dafür kann man zwar nur dann für diese Auffassung beibringen, wenn man die Kontinuität des im Walliser Anteil der Decke IV nach- weisbaren Deckenbaues in die französische Region hinein voraussetzt. Verfolgen wir die penninische Zone vom Simplon gegen Osten, so beobachten wir ein Spiegelbild des im Westen vorhandenen Baues. Auch hier sind Deckfalten vorhanden, aber ihre Achsen sinken nach Osten ab. Das Sambuco-, das Adula-, das Tambo- und das Suretta-Massiv sind alle als Kerne von Deckfalten aufzufassen. Als gemeinsame Sedimenthülle der drei zuletzt genannten breitet sich die Masse der Bündner Schiefer weit aus durch das Prättigau bis an den Rhätikon, wo sich über ihr mauerartig die Erosionsränder einer Serie von Überschiebungsdecken er- heben, die den weiteren Verlauf der penninischen Zone dem Auge zunächst entzieht. ‚Jenseits des Silvretta-.Massivs“ erscheinen aber die Gl:nzschiefer im Fenster des Unterengadins aufs neue. Ehe wir aber auf diesem Wege in das Gebiet der sogenannten Öst- alpen eintreten, verfolgen wir zunächst den Aufbau der Schweizer Alpen noch weiter. Nördlich, nordwestlich und westlich von der penninischen Zone er- streckt sich, im wesentlichen Verlauf parallel zu ihr wie zur Gesamtrich- tung des Gebirges vom Rheintal bis an die Meeralpen, die Zone der wurzelnden Massive. Mit ihr betreten wir helvetisches Gebiet. Von SW. angefangen sind die wichtigsten dieser Massive (Fig.26): das Mercantour-, Pelvoux-, Grandes Rousses-, Belledonne-, Mont Blanc-, Aiguilles rouges-, Aar- und Gotthard-Massiv. Das Baumaterial dieser Massive sind krystalline Schiefer aller Art und Granitmassen. Es sind Stücke jenes alten Falten- gebirges der Steinkohlen- und Permperiode, das, wie früher erwähnt, ganz Mitteleuropa durchzog. Das Alter der Gneise, Glimmer-, Hornblende-, Chlorit- schiefer und der anderen mit ihnen auftretenden Gesteine läßt sich nur allgemein als vorkarbonisch bestimmen. Die Ablagerungen der jüngeren Steinkohlenformation liegen teils diskordant zu den alten Schiefern (intra- karbonische Faltung, segalaunische Phase), teils konkordant und darüber dann erst diskordant die Trias (permische Faltung, allobrogische Phase). Doch kommt auch doppelte Diskordanz vor. Wenn diese alten Massive heute an der Oberfläche liegen, so beruht das auf ihrer hohen Heraus- hebung und der damit verbundenen Abtragung des Sedimentmantels, der Der Deckenbau der Alpen. 15 sie einstmals überdeckte, und von dem sie auch an ihren Rändern noch jetzt umgeben werden. An ihrem Außenrande sind diese krystallinen Massive innig mit ihrer Sedimenthülle verfaltet, und zwar in der Weise, daß die mesozoischen Schichtgesteine liegende Muldenfalten mit scharfen Umbiegungen, soge- nannte Keile, in den Gneisen bilden, während diese ihrerseits als keil- törmige Sattelfalten in die Sedimente vordringen. Klassische Beispiele für diese Verzahnung liefert das Berner Oberland. Die Jungfrau z. B. besteht am Fuß und am Gipfel aus Gneis, dazwischen aber aus Kalkstein der Juraformation, der eine große liegende Mulde bildet, die tief nach SO. eingreift (Fig. 8). Dieser Jungfrau-Muldenkeil ist ein wichtiger Charakter- zug im Bau dieser Massive; denn er läßt sich nach SW. weit verfolgen, läuft im westlichen Aarmassiv auf den nördlichen Hängen des Lötschen- tales und ist am Westende des Massivs, wo sich bereits die jungen Ge- Fig. Ss Jungfrau Rottalhorn 4166 3946 Der Kalkkeil der Jungfrau (Aarmassiv), gesehen von SW. her. Nach Baltzer aus Steinmann. steine über die krystallinen hinüberwölben, in der Tiefe vom Lötschberg- tunnel angefahren worden. Die nördlich und südlich dieses Keiles gelegenen Zonen des Aarmassiv verhalten sich verschieden, insofern als jene intra- karbonische, diese permische Faltung der paläozoischen Gesteine aufweist. Das Aufhören der krystallinen Gesteine des Aarmassivs im Westen ist die Folge davon, daß sich ihre Oberfläche in der Längserstreckung (im Streichen) des Massivs absenkt. Diese Oberfläche ist die vor Ablage- rung der Trias geschaffene Denudationsfläche. Auf ihr sind die Schicht- gesteine des Mesozoicums erhalten, wo die Heraushebung weniger stark war. Am Balmhorn taucht das Massiv in die Tiefe und von hier ab nach Südwesten bleibt es unsichtbar bis an den südlichen Absturz der Dent de Morcles, des Eckpfeilers im Knie des Rhonetals, in dessen Sockel es dann zuerst wieder sichtbar wird. Südlich der Rhone liegt dann das Zwillings- massiv der Aiguilles rouges und des Mont Blanc, die durch die mesozoische Mulde von Chamonix voneinander getrennt werden. Da diese letztere dem 16 Otto Wilcekens. eroßen ‚Jungfraukeil gleichzusetzen, so entspricht das Massiv der Aiguilles rouzes der nördlichen Zone des Aarmassivs, das des Mont Blanc der süd- lichen. Wie die axiale (südliche) Zone des Aarmassivs über die nördliche hinübergefaltet ist, so dal) ihr Gnmeis oben auf dem trennenden Kalkkeil darauf liegt, so ist ähnlich das Mont Blanc-Massiv über das Aiguilles rouges- \lassiv hinaufgeschoben worden. Dieses letztere ist von der tertiären Ge- birgsfaltung respektiert und an seinem Platz gelassen: das Mont Blanc-Massiv ist zwar autochthon, aber doch unter dem vom Innenrande des Gebirges her wirkenden Druck schräg vor- und aufwärts bewegt worden (Fig. 9). Das Verbindungsstück zwischen Aar- und Mont Blanc-Massiv wird zum Teil durch den gewaltig vortretenden Bogen der Decke des Großen St. Bernhard überdeckt. Die Sedimentbrücke zwischen den beiden Massiven, die Vorwölbung der Decke IV, die Deckscholle der Dent Blanche und die Einsattelung zwischen Monte Rosa- und Gran Paradiso-Kuppel liegen alle Fig. 8. Ge Be aF 78 in > N er > _ mn SR, \ — nn x 27 7 II, = N — Du Is EIRLAINIZTAN NRRRTURCSURRRÄNTN e— NN BET N — INN ES Se mil IN DON Massiv des 4 En ill \\NUINN i - nt IINNINDINLNN N 7 ER NM Mont Blanc e . : AN \ x \ x N > Y e2% Zul 57 et a, > GERD TE va RT 3 FLER IS nk Massı v der. X, 2 N INIIRE NSS Aiguilles Rouges yG RR N/ < NE 7 s Y BETEN 7 /n ET / N RG BZ #2 SONTEHEN. BES N ARE a A NAE WEM Sn SS IRA ER Massiv der Aignilles Rouges und Mont Blanc-Massiv. Letzteres ist auf ersteres aufgeschoben. D.d. Gr. St.B — Decke des Großen St. Bernhard, D.D.B.= Decke der Dent Blanche. Nach Argand, vereinfacht. im selben (uerprofil des Gebirges. Sie bedeuten eine Zone tiefen Ein- sackens des Gebirgskörpers oder geringerer Emporwölbung. Das Mont Blanc-Massiv zeigt an seinem Südwestende eine Verfaltung der krystallinen Unterlage mit ihrer Sedimenthülle, die sich noch freier und großartiger entwickelt hat als die erwähnten Keile des Berner Ober- landes. Das sind die liegenden Falten des (westlich vom Mont Blanc ge- legenen ) Mont Joly, die in der Wurzelregion die bezeichnende Steilstellung der Schichten, in ihren vorderen Teilen dagegen so flache Ablagerung zeigen, daß man das von ihnen aufgebaute Gebiet für ungestört gehalten hat (Fig. 10). Die älteren Gesteine sind zwar intensiv gefaltet, bleiben aber in den Sattelkernen weit zurück, während die jüngeren, weit nach vorn gedrückt, schließlich wenig gefaltet erscheinen und die Faltung im Tertiär beinahe erlischt. Es ist sehr bemerkenswert. wie in dieser Gegend die Faltung als ein Phänomen der Tiefe erscheint, das gegen die Ober- fläche hin ausklingt. Der Deckenbau der Alpen. 17 In dem helvetischen Faciesgebiet stellen die Massive den autoch- thonen Untergrund dar. Die Überschiebungsdecken wurzeln auf ihnen oder gehen über sie hinüber. Um den Bau der helvetischen Decken kennen zu lernen, gehen wir am besten von den Glarner Alpen aus. Hier herrschen Lagerungsverhältnisse, die schon in der der Deckentheorie vorangehenden Periode der geologischen Forschung als sehr merkwürdig erkannt wurden: Das Unterste erscheint zu oberst gekehrt, die Tiefe der Täler erschließt Schiefer usw. der Tertiärformation, die hoch an den Bergen hinaufreichen, dann von einem Gesims aus Jurakalk überragt wer- den, das seinerseits Gesteine der Permformation trägt. Man hat diese Lagerung lange als das Werk einer Überfaltung aus Süden und aus Norden erklärt. indem man die Existenz einer Doppelfalte annahm, die ihre Sattel- umbiegungen einander zukehrte. Die Biegungen und die hangenden Schenkel sind von der Erosion zerstört. Obwohl man also in der Natur die Um- biegungen nirgends sehen kann, sondern nur die Grenzfläche der älteren Fig. 10. NLA NN Krystallin Carbon Trias Fur ZA AN. Deckfalten des Mont Joly (SW.-Ende des Mt. Blancmassivs). a—a‘ und b—b‘ heutiges Relief. Nach Bertrand und Ritter. Gesteine über den jüngeren vom Vorderrheintal her nach Norden an- steigen und weiterhin wieder gegen den Walensee absinken, so hat doch diese nur in den punktierten Rekonstruktionslinien (als sogenannte Luft- sättel) existierende „Glarner Doppelfalte“ (Fig. 11, oben) lange Zeit die Geologen mit faszinierender Kraft gebannt. Es war dies nicht nur für die Erkenntnis des wirklichen Gebirgsbaus der Glarner Alpen hinderlich, son- dern für die der alpinen Tektonik überhaupt; denn aus eben dieser Doppel- falte schöpfte man immer wieder die theoretische Vorstellung, daß sich in den Alpen dem Schube aus Süden ein Schub aus Norden hinzugesellte. also eine Symmetrie des Baues vorhanden sei, während wir auf Grund der Deckentheorie die Einseitigkeit des Gebirgsdruckes in den Alpen an- nehmen, die übrigens auch gerade für das Gebiet der Glarner Alpen schon Verfechter gefunden hatte. Auch im Falle der Glarner Doppelfalte ist die neue Auffassung der Tektonik nicht eine Folge neuer Beobachtungen und Entdeckungen ge- wesen, sondern die Deckentheorie hat nur, ohne das Bild der tatsächlichen Lagerungsverhältnisse zu verändern, eine andere Rekonstruktion des tek- E. Abderhalden, Fortschritte. X. 2) ] SQ Otto Wilekens. tonischen Bildes aufgestellt. Statt der beiden einander zugekehrten liegen- den Sättel zeichnet man jetzt einen einzigen großen, liegenden, von Süden wuviuie)s "HD UDUEN OY9HpsHun[n]Ladq;] ‚uody aouwımr) aop sonne sep Danssmjjny odızıol pun ly 'oyuypoddogg avuaınn) oupwmouedun aoıyt.ı) oıp 1d10z pr ao) Oyrotpptoguo op $7 a 41 ar pıint " Dem un: op12.14 OUDIN.11D4 CapRAy ı Ding YolsuaDsTUIny MISISURDM apıraıy n mınt i nen vopauzpdg SpR4y n vınf PILREITIRE NG " pöysjduny 5 saubag zu) V "IL AL nach Norden erst ansteigenden und dann mit fallender Sohle absteigen- den Sattel; es gibt nur eine Glarner Überfaltungsdecke, deren Wurzel südlich des Vorderrheintals und deren Stirn unter dem Walensee liegt (Fig. 11, unten). Obwohl diese Ansicht schon in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts ausge- sprochen wurde, so ist sie doch erst mit der Deckentheorie Allgemeingut der Geologie geworden. Die Deckenbildung hat sich nun aber in diesem Teil der Schweiz nicht auf die Entstehung dieser einen Decke beschränkt, die bei ihrem Vordringen in den Schichten des Untergrundes lauternach Norden übergelegte Falten und Fältchen erzeugte und ihren Mittelschenkel größtenteils bis auf eine Lage zer- mahlener Trümmermassen (,„Mylo- nit“) zerquetschte. Vielmehr ist eine Vielheit von Decken entstanden, die man sich aber von einem ge- meinsamen Stamm in ähnlicher Weise ausgehen denken kann, wie von der auf die Kante gestellten Hand die Finger ausgehen (Fig. 13). Man spricht von Zweigdecken und Deckenverzweigung. In den Glarner Alpen nördlich des Vorderrheintals, also im Gebiet von Kärpf, Vorab, üingelspitz usw. sind die höheren Decken völlig abgetragen, dagegen trifft man sie auf der Westseite des Linthtales, am Glärnisch und seinen Nachbarbergen, in ziemlicher Vollständigkeit übereinander lagern. Hier beobachten wir z. B. am Vre- nelisgärtli (mittlerer Glärnisch, siehe Fig. 12) über einer Basis aus Flysch (tertiäres, sandig-schiefriges Ge- stein; der Name hängt mit „Fließen“ zusammen) zuerst die Glarner Decke, Der Deckenbau der Alpen. 19 ziemlich dünn gequetscht und von der Unterlage durch eine dünne Schicht von Mylonit getrennt und darüber, von der Glarner Decke wiederum durch Mylonit (sogenannter Lochseitenkalk, benannt nach einer Lokalität Loch- seite bei Schwanden im Kanton Glarus) getrennt, eine Schichtfolge Perm, Trias, Dogger, Malm, die der Mürtschendecke (benannt nach dem Mürt- schenstock südlich des Walensees) angehört. Ihre Schichten werden oben (wie unten) von einer Überschiebungsfläche schräg durchschnitten, über der die „Axendecke* (Axen am Vierwaldstättersee!), aus Lias, Dogger, Malm und Unterkreide aufgebaut, folgt. Endlich folgt dann noch eine nur aus Schichten der Kreideformation bestehende „Bächistockdecke“. — Das Linthtal erschließt uns hier also an einer Bergmasse fünf übereinander lagernde Schichtfolgen, nämlich eine autochthone Basis und vier Decken und dazu noch zwei zu Myloniten verquetschte Mittelschenkel. 2307 Süd 3009-4 \ ER Sr HFF up‘ Fiysch „E Autgchthoner Profil des mittleren Glärnisch (Vrenelisgärtli) in den Glarner Alpen (Schweiz). Er zeigt Auf- bau aus mehreren der helvetischen Decken, mit verschiedener Schichtfolge und teilweiser Zwischenlagerung von Myloniten, die aus Verdrückung der Mittelschenkel entstanden sind. V Verrucano (Perm), R Röthidolomit (Trias), Li Lias, D Dogger, MT Malm, L mylonitisierter Malm (Lochseitenkalk), B, V, N, UT untere Kreide, S obere Kreide, E Alttertiär. Nach Oberholzer. Im östlichen Teil der nördlichen Schweizer Alpen unterscheidet man heute folgende Decken (vgl. Fig. 15): I. Untere helvetische Decken: 1. Glarner Decke, 2. Mürtschendecke. II. Mittlere helvetische Decken: 3. Axendecke, 4. Bächistockdecke sowie untere und obere Silberndecke und Thoralpdecke. III. Obere helvetische Decken: 5. Säntisdecke, 6. Rädertendecke, 7. Drusbergdecke. 2 Otto Wilckens. (‚lättet man sieh in Gedanken die Decken und Falten aus. so kommen die Gesteine der tiefsten Decken am weitesten nördlich. die der höchsten am weitesten südlich zu liegen, und da die höheren Decken im allgemeinen Fig. 13. Präalpıne_ Speed] * Schematisches tektonisches Profil durch die helvetischen Decken der Ostschweiz. P parautochthone und Thoralpdecke, S Säntis-, R Räderten-, D Drusbergdecke. Schwarz: Niesen-Habkerndecke in zoicum, schwarze Punkte: helvetisches Tertiär, weiter nach Norden vorgreifen als die tieferen, so kommen also auch die jetzt am weitesten nach Norden gelegenen (Gesteinsmassen im allgemeinen am weitesten nach Süden, wenn man sie aus ihrem jetzigen Lagerungs- in ihrem ursprünglichen Bildungsraum zurückversetzt. Vor der Decken- bildung nahmen die Gesteinsschichten in der Querrichtung N.—S. einen viel breiteren Raum ein als jetzt. Selbstverständlich zeigen die Forma- tionen daher in den verschiedenen Decken ungleiche Facies und Mächtig- keit, und weil durch die Überschiebungen alles seinen ursprünglichen Platz verlassen hat, erscheint die Facies „verstellt“ und an die Stelle allmäh- licher Übergänge sind abrupte Wechsel getreten (Fig. 14). Im angezo- genen Falle des Vrenelisgärtli findet sich z.B. in der Mürtschendecke kein Lias, wohl aber in der Axendecke, und der Dogger ist in dieser viel mächtiger als in jener. Nahe beieinander liegende Facies- und Mäch- tirkeitsunterschiede werden aus dem Deckenbau verständlich und umge- kehrt benutzt man oft Faciesverschiedenheiten, um Deckenbau nachzu- weisen und auseinander gerissene oder durch die Erosion in ihrem Zu- sammenhang unterbrochene Deckenstücke an ihrer ähnlichen Facies als zusammengehörig zu erkennen. Fast alle oben aufgezählten Decken sind nach Bergen benannt, die in ihrem Bereich liegen. Besondere Erwähnung verdient von ihnen noch die Säntisdecke, die Säntisgebirge und Churfirsten aufbaut. Am Walensee taucht die Mürtschendecke, während die mittleren helvetischen Decken zurückbleiben (vgl. Fig. 13), nordwärts unter die Säntisdecke. Einen großartigen Schnitt durch beide Decken bieten die steilen Berg- wände am Nordufer des Walensees (Fig. 15). Die facielle Verschieden- heit der Decken springt hier, namentlich wegen der Mächtigkeitsunter- schiede, unmittelbar in die Augen. Das Säntisgebirge macht den Eindruck eines leidlich einfach und normal gebauten Faltengebirges, aber es schwimmt wurzellos auf Tertiär, und nirgends wird in den Kernen seiner Der Deckenbau der Alpen. au Sättel ein älteres Gestein als Unterkreide (Jura?) sichtbar. Gegen sein SW.-Ende hin läuft das Säntisgebirge in einige sehr stark ausgedünnte Falten mit reduzierter Schichtfolge und -mächtigkeit aus, eine Folge der Fig.13. OStal EN I e zum Line Decke ann N ERS N NT AN SZSSSSSSSNNN INIINTSIN autochlthone Falten Aarmassiv Vi 253 . Decken, @ Glarner, M Mürtschen-, A Axendecke, B Bächistockdecke, darüber untere und obere Silbern- prä- und intrahelvetischer Lage. Ny Molasse-Nagelfluh, V, V, Verrucano, weiß: helvetisches Meso- Bü Bündner Schiefer. Nach Arnold Heim. Längsdehnung und Längszerreißung, die den bogenförmig vortretenden Rand seiner Decke betroffen haben, eine sehr bezeichnende, auch in an- deren Überschiebungsgebirgen beobachtete Erscheinung. Fig. 14. N Windgallen Miürtschenstock Walensee Mammerstock Churfirsten E Kistennass Multensee I = S N SI S WITGES Sanlis 5 Wuageler RE Säntis N Kammerstock Windgallen m NEE obere helvetische Deche unlere helvelische Decken Autockthon Schematisches Profil der helvetischen Kreide in der Ostschweiz. Die Verschiedenheiten der Facies sind durch die Signaturen angedeutet. B—B ursprüngliche Form der Ablagerung. Man erhält dieselbe durch Abwicklung der Decken und Rückversetzung derselben in ihren ursprünglichen Bildungsraum. A—A Jetzige Lagerung der Deeken, verbunden mit einer Verstellung der Facies. Nach Arn. Heim. Es ist charakteristisch, daß die zur Glarner Decke gehörende Wurzel- mulde hochgradig verquetscht ist (Fig. 16). Vielleicht darf es als allge- meine Regel hingestellt werden, daß starke Überschiebung mit starker ypeN uaarf "up o S = g - E* | > us = " | - en = > Bars, > + Sr za u _ Pr Ei CE [2 ze 7 2) 38 - 2 au z = oO 8,© — Or m > <<: ® —_. > 4 Se u m - a} en: = © ws sie = _g= 8. 14 A 5= 2 ou @ 3 >® 3 I % = s zZ no B 22 _ [-2 > 3 Buchs - R = 8 D4 r4 % N | 2 = Se “755 33 3 ‘osÄpf pun umso 01 ne 4 + ZU FH a5 = n> = = u “no x 5 Die Be e: D- z FR De Pe Sie SE o a 9 —_—©o <, > — Hrn = o > 33 5 ı = 1 Be | e| x Rn: i <| BR ee l BIER 32 S- | a, Im! z - » “A \ = [27 = 27 o 0o001 Otto "Or 'ärg Wilekens. Verquetschung der Wurzelmulde Hand in Hand geht. Vor der eigentlichen Wurzel der Glarner Decke finden sich noch mehrere sogenannte Vorfalten. die zum Teil zerreißen und auch wohl zu kleineren Decken werden. Eine solche wenig bewegte, „parautoch- thone* Decke ist z. B. die Hohfaulen- Decke, die sich zwischen die autoch- thone Falte der Gr. Windgälle und die Griesstockdecke einschaltet, welch letztere ihrerseits wiederum unter dem Lochseitenkalk der Glarner Decke liegt. Es sind dies beides Teildecken von geringer Förderlänge, die im (rebiete des Reußitales aufgeschlossen werden. In der Zentralschweiz zeigt der Urner See, der südlichste Arm des Vierwaldstättersees, an den Berg- und Felswänden ein herrliches Profil (Fig. 17). Die Falten, die hier die Auf- merksamkeit jedes Touristen erregen, sind natürlich früher stets für wurzelnd gehalten worden. Man betrachtet sie heute als die vorderen Teile der hel- vetischen Decken, die sich schräg von oben her in die jüngsten Schichten der autochthonen Unterlage hinein- bohren (Fig. 17), so daß manchmal die älteren Gesteine die Jüngeren über- wölben. Man kann am Vierwaldstätter- see zwei Hauptdecken unterscheiden, eine höhere und eine tiefere. Letztere ist die Axen-. erstere die Drusberg- decke. Zu dieser gehören Frohnalpstock und Axenstein auf der Ost-, Nieder- und Oberbauen auf der Westseite des Sees. Am Aufbau der Decken sind in allererster Linie Schichten der Kreide- formation beteiligt, die jJurassischen und älteren Gesteine sind ganz zurück- geblieben. Der zur Drusbergdecke ge- hörende Jurakern z. B. liegt am Uri- rotstock. Diese Erscheinung des Zu- Der Deckenbau der Alpen. 1 rückbleibens der älteren Gesteine kennen wir bereits von den liegenden Falten des Mont Joly. Das Vordringen der jüngeren Schichten wie das- jenige der Decken überhaupt und die tiefe Lage ihrer Stirnen im Ver- gleich zu den krystallinen Massiven haben manche Forscher zu der Annahme veranlaßt, daß die Entstehung der Decken auf ein Abgleiten von den übermäßig emporgetragenen Massiven zurückzuführen sei. Dem widerspricht aber doch vielleicht die Tatsache, daß die Decken zum Teil von der Süd- seite der Massive stammen. Westlich des Vierwaldstättersees setzen sich die Decken in gleicher Weise fort. Im Gebiet zwischen Engelberg und Meiringen — der Urirot- stock ist auf seinen Deckenbau noch nicht genau untersucht — sind in den jurassischen Formationsabteilungen mehrere liegende Falten (Decken) Fig.16. Allgemeines schematisches Profil durch die Wurzelmulde der Glarner Decke. V Verrucano, senkrechte weite Schraffen : Röthidolomit, enge Kreuzschraffur: Dogger, J, Malm, schwarz: Lochseitenkalk, € Kreide, n Nummu- litenschichten, F Flysch. Die eigentliche Wurzelmulde ist die an den Nummulitenschichten direkt unter dem Loch- seitenkalk verfolgbare enge Mulde am weitesten links. Nach Alb. Heim. unterschieden worden. In der Sedimenthülle des Aarmassivs, den „inneren Kalkalpen“, wie die Berner Geologen sie zu nennen pflegen, ist das jüngste Glied jenes Alttertiär, das sich längs der Linie Schächental-Surenen-Gen- tal-Meiringen-Scheideck-Gemmi (mit einzelnen Unterbrechungen) verfolgen läßt. Auf diesem Alttertiär liegt die Decke der „mittleren Kalkalpen“, im Süden des Thuner Sees Niederhorndecke genannt. Betrachten wir, um einen Einblick in den Bau dieses Gebirgsteils zu bekommen, ein Profil durch das Westende des Aarmassivs, das der Lötschbergtunnel durchbohrt (Fig. 18). Hier beobachtet man über dem zum krystallinen Massiv gehö- renden Gasterengranit direkt eine Überschiebung, an der die autochthone Sedimenthülle abgeschürft ist und die den verkehrten Schenkel einer Überfaltungsdecke in unmittelbare Auflagerung auf das Massiv bringt, während die autochthone Schichtserie erst ein Stück weiter vorwärts, im Schatten der Überschiebung, auftritt. In zahlreiche tauchende Spezialsättel 24 Otto Wilekens. geteilt, senkt die Überfaltungsdecke ihre Stirne in die Tiefe. Namentlich Die Berührungstläche ihre ‚Juraschichten bilden keilförmige Zickzackfalten. der aufgelagerten Decke mit dem Untergrunde wurde vom Lötsch- bergtunnel genau an derjenigen Stelle angetroffen, die die geo- logische Expertise vorausgesagt hatte, der Untergrund war aber nicht der erwartete (rasteren- granit, sondern Trias und eine Schiefermasse, die sehr verschie- dene Deutung erfahren hat. Erst darunter liegt der Granit. Süd- lich vom Gasterengranit traf der Tunnel einen Kalkkeil im Aar- N - > R Äreide S: ——— |’ IN Han B: al. EB :EaB®n| Bi Rn N NITTÄSSE N NN "N RENT ERES Q I ITENPAR SS DS ES MENTN Gas . TSSISLR: 8 ERS OR SS RS N N SS DEN REN vı EN ARANIER, Sg RISSE N N Di TR ee, D R) D N N N N OPEL massiv an, der als Fortsetzung des großen Jungfraukalkkeils zu betrachten ist. Zwischen dem Aarmassiv und den diesem entsprechenden Zwillingsmassiv der Aiguilles Rouges und des Mont Blanc liegt eine tiefe Einsenkung, in der die Überschiebungsdecken vor der Zerstörung durch die Erosion bewahrt geblieben sind, während sie auf den hoch emporgetragenen Massiven fehlen (Fig. 7). Die Decken senken sich in diese Region in (ZI U9S 'S09g AOEISPILMAOLA SOp WAY JouotpUS) SOHg avuaf) Sap eplasısg) Jop June oduogg vIp yoanp [org YDUN Jıojeng 'v N er N x S ar A} y S 8 Zr Ra ‚IR A x N . ES Sy Q [74 0001 weuunag Jpyuonah 26109667 000% NIOSÄATPUYoAT a - V0JS40SnDf aypopbragsnm ug woroydoy [7 Zn NISPUIKY PN Pi PERS sr dig ihrer Längserstreckung von beiden Seiten hinein, so dal» ein Längsschnitt des Gebirges eine beckenförmige Der Deckenbau der Alpen. -puDb.apr "7 YORN "GONPOPWIONgRF-unsorNn "dsoa) uadjwToA uAIUU! AHP OYDALT AOPp Ode] OIp NIOMSAHSIEWAET "AISSTUL -IBYy pun due] "II SEP PAISSUN USUOUFYDONL UAPUPFEAJKOALOU uouyf dogun SESTEpPIAg ap pun uadegdoyxy®y op yaınp (uayoreagg wr) [yoadsdugr] rum lv YIoyy7aYy AISSUWUUY AISSOJ 7 UuVlZFU0OY IyT uaygyyzarnı wy/ 79 777 mrwwer 9 34>3(7 PIFI HET G uw 90 0L- U ET T-A:Kr,, D ! ‚ ; ‘ b J N „e ar „y \ Ba s% „r „© or R N ze a Y AN) h) A} „A 0) > E\ ® V A Y „2 iR) PN Ara Gt A a w on fi) G* N \ S a 2 By Ne 9° Se w AN Y 2 N r Fe) AN L "GL STT -uoobn] "W URN "UWdog '0057 'opteayango pun uosan A) 'opmysowonmg doyun pun -eArangne Fr "oyngssıpuope A odıypey yA edııyorgas sg wen vr Kranorpyg “1o3dod NUN \\) UN MISST 910744111 (7 uerupey p ‘uaw.awor, OL ‘Ser T Swing 4, Uogaey 9) ONPOPIPANIISPILM -UNoU RR RA -PIL A 9ıp uago yaıppua pun fy pun 7 uayosınz HyPopu.1oy]p! ü cp Sdrygorun Druom ses oIp 93707 (ePEPUIOYUEPTOCL-SOPION) BONO Aasaıp aaqn "I8t yanyosodqu %7 pun I) uoyos m 7 — 5 = uvoyWw729 0S csie MN "Sr du PTYS-0) Sediment- Die 13): Lagerung zwischen den beiden alten Massen zeigt (Fig hülle des Aiguilles rouges-Massivs wird von einer liegenden Falte über- deckt, die man nach der Dent de Morcles am Knie de als honetales R N x RE Otto Wilekens. Morclestalte oder Morclesdecke bezeichnet. Sie reicht nach Osten bis zum Tal der Lizerne. Wie eine neuerdings an der Dent de Morcles auf- gefundene Schuppe aus krystallinen Gesteinen beweist, stammt diese Decke vom Mont Blane-Massiv. Ihre liegende Mulde muß der Mulde von Cha- monix entsprechen, die Aiguilles rouges- und Mont Blanc-Massiv trennt, und eben dieser Mulde entspricht auch der erwähnte Kalkkeil im westlichen Aarmassiv, der sich in Streichen zum Jungfraukeil erweitert. Es ist dem- nach die Überfaltungsdecke, die wir vom Westende des Aarmassivs kennen gelernt haben (Doldenhorn-Fisistock-Balmhorndecke) das Äquivalent der Morelesdecke. Die Morclesdecke senkt sich, wie die Decken am Westende des longi- tudinalen Beckens der allgemeinen Deckeneinsattelung zwischen Aar- und Mont Blanc-Massiv überhaupt, gegen NO. und über ihr folgt eine neue Decke, die der Diablerets (Fig. 20). Es ist anzunehmen, daß dieselbe früher die Morclesfalte weiter nach Westen überdeckt hat als heute. Die Diableretsdecke ihrerseits wird wiederum von einer noch höheren Decke überlagert. Das ist die Wildhorndecke, deren östliche Fortsetzung den Namen Niederhorndecke führt. Zu dieser Wildhorndecke gehören die Falten des Schlauch-, Sanetsch-, Wildhorns usw. Sie ist mit der Drusbergdecke identisch. Die Diableretsdecke spielt am ÖOstrande der intermassivischen Deckeneinsattelung eine nur unbedeutende Rolle; sie erscheint hier als „(sellihorn-Zwischendecke“. Moreles-. Diablerets- und Wildhorndecke bauen die sogenannten Kalk- hochalpen auf. Sie tauchen in nordwestlicher Richtung unter die vor ihnen gelegenen „Voralpen“; die sich durch ihre geringere Höhe schon im An- blick wesentlich von den Hochketten unterscheiden (Fig. 21). Dies Unter- tauchen findet im allgemeinen in der Weise statt, daß sich die Falten der helvetischen Decken kaskadenartig absenken und unter den auf ihnen la- gernden (esteinsmassen der Voralpen verschwinden. Mit diesen Voralpen betreten wir das klassische Gebiet der Deckentheorie;: denn von ihnen ist diese ausgegangen. Während die Kalkhochalpen östlich des Thunersees an den Alpen- rand herantreten, bilden westlich dieses Sees nicht sie, sondern die Vor- alpen die äußeren Ketten des Gebirges. In ihrem Bereich tritt der Gebirgs- rand zweimal in auffallender Weise bogenförmig vor, nämlich einmal zwischen Thuner und Genfer See und dann wiederum zwischen Genfer See und Arvetal. In diesem zweiten Bogen liegt in der savoyischen Landschaft Chablais ein Teil der Voralpen, während sich die Kalkhochalpen nach SW. weiter fortsetzen. In den Voralpen hatten zuerst eigenartige große Granitblöcke die Aufmerksamkeit der älteren Geologen erregt. Ihretwegen nahm man die Existenz einer besonderen Gebirgskette am Alpenrande an, die bis zu den krystallinen (resteinen hinab erodiert gewesen sein und die Blöcke gelie- fert haben sollte. Später wurde erkannt, daß die Schichtfolge der Voralpen von der der Kalkhochalpen sehr verschieden ist, und man erklärte dann 27 Der Deckenbau der Alpen. COS SO MS ang) "Iypezuroaoa Punbap 'T yoeN 'Puogg-og anz sıq Sunyysıy aoyoıpgsopns ur UUBSNET UOA modIY A8ZIamyaS mogoImsom 9Ip yoanp [yoaıq sEuowestLv vry eG era DIE 772 eferyas ray \'\1J OU ENASG BuoZ ay>»sy vonsw Be yaqyıyı = te Ri ) en vurgg rumero I wprreug \ a> —— - DISS INNFSAW? 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Im Jahre 1805 sprach dann Schardt den Gedanken aus, daß die Voralpen eine aus 107 9y1»9pues worauf ol N < 3 »piea u v4oyun „) uodlungartosaog 'uodjwioA uwodouur 10p oND0cı IILA PL AL mjuar) uoosiaz usdpmioA Ip toanp [yoAg -surag, ÖL EL TIIA I opioay »iogo 8) !uodırn n,) og ‚eunipf, pun a un] IH -umoolHl ZH Um AN “tBUoZ Oyosılo[ont IN » UNDOLWN ) ıb 'eizuj !aoddogy »st DIIDISFEILOHR unuto]M KL) S'H uPmuN pm ‘put s Lisor) "% IN IA tossure sup OTHITTPUNIE op un un Il tragung mehr oder weniger verkleinert sind. "Al Doralles 1520 — [2 aunseg e/3p 92)] RSS Faray 2376 7 (Vandaoıp) Diana Laitmaire 1687 Pr 6 jwowahnoy [ER 3 dev pP! np‘ Y as /% iTgo TEL zaden 3 JoH er adden Meadd a sal = eıpaW L -Tunj tl gu. /denhorn 31/24 "55 'd14 den zentralen Teilen der Alpen nach Norden abgerutsche Gleitmasse seien, die jetzt wurzellos auf ihrer Unterlage schwämme. Das war der Anfang der Deckentheorie. Die sanzen Voralpen eine wurzellose (rebirgsmasse — das war eine außerordentlich kühne Vorstellung. Schon deshalb konnte diese sich nicht rasch einbürgern. Zudem war Schardts kleiner Aufsatz in einer Zeitschrift veröffentlicht, von der aus die Verbreitung in fachwissen- schaftlichen Kreisen nur eine lang- same sein konnte. Auch als fünf Jahre später die ausführliche Be- eründung der Schardtschen Hypo- these erschien, begegnete man den Profilen, die die Voralpen als Schubmassen darstellten, mit Kopf- schütteln und Unglauben. Später ergaben sich dann aber die Schardt- schen und Lugeonschen Beweis- eründe als so zwingend, dab ein wissenschaftlich begründeter Wider- legungsversuch der Theorie vom Deckenbau der Voralpen seit langer Zeit nicht mehr unternommen ist, wenn auch andere Deutungen ihres (rebirgsbaus versucht wurden. Die Voralpen zwischen Aare und Arve sind nicht eine einheit- liche Überschiebungsmasse, sondern eine Häufung von Überschiebungs- decken, von denen die höheren die tieferen mehr oder weniger ver- decken (Fig. 22). Wenn sie es nicht vollständig tun. so liegt es daran, dal) die höheren durch die Ab- Andrerseits sind auch die tieferen zum Teil durch die höheren verquetscht. Man denke sich mehrere ovale Schüsseln von abnehmender Größe übereinanderstehen, so dal) immer Der Deckeubau der Alpen. 29 die Ränder der tieferen unter den höheren hervorschauen. Das ist ın starker Vereinfachung das Bild der Tektonik der Voralpen. Auf der geo- logischen Karte erscheinen die Deckenränder und Decken als Längs- zonen, und wenn man die Voralpen quert, so gelangt man mehrfach von den jüngsten Schichten einer Zone in die ältesten der nächsten und um- gekehrt (Fig. 23). Die Decken der Voralpen sind von unten nach oben: 1. Die Decke der inneren Voralpen oder die Pabzone, 2. die Niesen-Habkerndecke, 3. die Decke der mittleren Voralpen oder die Klippendecke, 4. die Decke der Chablaisbreceie oder der Horntluhbreecie oder die Breceiendecke, 5. die rhätische Decke oder die Ophiolithdecke. preeccien. + + ++ z men. av, > ı € Anne SQ de midi Morels ff r AR Wildhon A 7 l = Ka eh hone Karte der Voralpen zwischen Aare und Arve. Die starken Linien bedeuten Deckenränder, die Kreuz- chen deuten die ungefähre Verbreitung der rhätischen (Ophiolith-) Decke an, Punkte die Verbreitung der poiygenen Breccien mit exotischen Komponenten. Br Brececiendecke. Nach H, Schardt, vereinfacht. Die Decke der inneren Voralpen ist diejenige, die meist den inneren Randstreifen der Voralpen bildet, unter den die Kalkhochalpen hinuntertauchen. Sie bildet eine Zone, in der mehrere Pässe liegen, die Kander-, Simmen- und andere Täler miteinander verbinden, woher die Be- zeichnung Paßzone. In mehreren Schuppen sieht man am Fuß der gewal- tigen Mauer der Kalkhochalpen diese Decke vor- und abwärts unter die Niesendecke tauchen. Rückwärts von hier findet man ihre Spur auf der Höhe der Kalkhochalpen über der Wildhorndecke. Man hat diesen Teil der Decke mit den Namen „Decke des Mont Bonvin“ belegt. Es ist nicht anzunehmen, daß die Decke, wie man aus dem gegenwärtigen Zustande schließen könnte, einen Kopfsprung in die Tiefe, von den Kalkhochalpen herunter, gemacht hat: sondern man muß sich vorstellen, daß die Kalk- hochalpen nachträglich die bedeutende Höhe erlangt haben. Die Wurzel der Decke der inneren Voralpen liegt auf der Nordseite des Rhonetales. 30 Otto Wilekens. Man hat ein Recht, diese Decke noch als helvetisch zu bezeichnen, aber sie hat auch, wie wir noch sehen werden, eine so eigenartige tektonische Stellung, dal) man sie andrerseits doch auch wieder von den helvetischen Decken trennen muß. Stratigraphie und Bau der inneren Voralpen bieten viele Schwierigkeiten und können noch nicht als völlig geklärt gelten. Die erstere wird durch Fossilarmut beeinträchtigt, die Tektonik steht unter dem Eintluß einer starken Schuppung, die sich manchmal bis zur Aus- yuetschung steigert, so z. B. im Chablais, wo unter der zur Decke der mittleren Voralpen gehörenden Treveneusaz-Masse direkt die Kalkhoch- alpen liegen (vgl. auch Fig. 24). Die Beziehungen zwischen den inneren Vor- und den Kalkhochalpen sind äußerst intim. Nicht nur, daß beide zum Teil eng miteinander verfaltet sind, so als ob sie zusammen einen einfachen Schichtkomplex bildeten, sondern es erstreckt sich auch eine Schuppe der Voralpen tief nach SO. in die Decken der Kalkhochalpen hinein. Im Kessel von Derborence am Südfuß der Diablerets besteht diese Schuppe aus Neokom (unterer Kreide- formation) mit Ammoniten und darauf lagerndem Flysch mit exotischen Blöcken und einem im Flysch steckenden Kern von Triasgesteinen. Die Diableretsdecke ist nicht weniger als 10 km weit über die inneren Vor- alpen geschoben, die ja in der Deckenfolge an und für sich nicht zwischen Moreles- und Diableretsdecke, sondern erst über die Wildhorndecke gehört. Aulerdem finden sich aber diese voralpinen Gesteine (speziell das Neokom) auch auf dem Tertiär der Diableretsdecke und ferner massenhaft auf der Wildhorndecke. Wir haben eben das Wort exotisch gebraucht. Man bezeichnet damit in der Geologie die Schichtfolge einer tektonischen Einheit, die derjenigen der Umgebung dieser Einheit fremdartig gegenübersteht. Die Schichtfolge der Voralpendecken hat z. B. derjenigen der helvetischen Kalkhochalpen gegenüber einen exotischen Charakter. Es lassen sich zahlreiche wesent- liche Unterschiede in der Ausbildung der voralpinen und der helvetischen Trias-, Jura-, Kreide- und Tertiärformation angeben. (Wir nennen im Folgenden die Decken der Voralpen die vindelizischen. Sie und die penni- nischen bilden zusammen die lepontinischen.) Eine sehr merkwürdige und in ihrer Bedeutung noch nicht ganz auf- geklärte Decke ist die des Niesenflysches. In den Voralpen beginnt sie mit dem südlich des Thuner Sees gelegenen Niesen. Sie besteht aus Schiefern, Sandsteinen und Breccien, und letztere enthalten oft krystalline Komponenten von exotischem Charakter, d.h. sie lassen sich nicht von den krystallinen Massiven der helvetischen Zone ableiten, sondern sind von iremdartigem Habitus und unsicherer Herkunft. Die Zone des Niesenflysches zieht in südwestlicher Richtung durch die Voralpen, ist aber im Chablais meist durch höhere Decken dem Anblick entzogen, aber noch bei Chätillon im Giffretal zu erkennen. Von den einen als eine Decke von Bündner Schiefern angesehen, wird die Niesendecke von den anderen als integrierender Bestandteil der Der Deckenbau der Alpen. SH inneren Voralpen betrachtet und einer Überschiebungsdecke zugerechnet, die als Niesen-Habkerndecke bezeichnet wird. Diese Decke zeigt ein besonders merkwürdiges, noch nicht ganz aufgeklärtes Verhalten. Sie findet sich nicht nur in den Voralpen und in ihrer Nähe wie im Habkerntal (nördlich des Thuner Sees), nach dem ihr Name zum Teil gewählt ist, sondern sie läßt sich allem Anschein nach von den Voralpen bis ans Rhein- tal, ja wohl noch darüber hinaus verfolgen. Zunächst ist die Niesen-Habkerndecke durch eine ungewöhnliche Ge- steinsbeschaffenheit ausgezeichnet, imdem sie nur aus alttertiären (eocänen) Schichten besteht und eine große Masse von exotischem Materiai enthält, das sich teils in der Form kleinerer Gerölle, die Brececien und Konglo- merate bilden, teils in Form von groben Blöcken und ganzen Klötzen darin findet. Unter diesem exotischen Material gibt es erstens mesozoische Sedimente, die sehr an solche der mittleren Voralpen erinnern, und zweitens sehr viel krystalline Gesteine, und zwar namentlich rötlich gefärbte Granite, die sogenannten Habkerngranite. Auch diese treten sowohl als Komponenten von Breceien wie auch als Blöcke auf. Die gewaltigen exotischen Granit- blöcke der Voralpen, die mitten in den Gebieten tertiärer Sandsteine und Schiefer liegen, sind als schon von den alten Geologen beachtet bereits erwähnt worden. Fast noch merkwürdiger als das Gesteinsmaterial der Niesendecke ist ihre Lage zu den helvetischen Decken. Denn während wir im allge- meinen immer eine Decke über der anderen beobachten können (wovon es Ja allerdings auch Ausnahmen gibt, wie z. B. die Rückstülpung der Mischabel an der Großen St. Bernharddecke, die eine Reihenfolge V, IV, VI hervorbringt), liegt die Niesen-Habkerndecke nicht nur vor den helvetischen Decken (wie die Voralpen) oder auf ihnen, was beides als normale Lage bezeichnet werden kann, sondern auch mitten zwischen ihnen (Fig. 13). Ihre Lage ist also prä-, supra- und intrahelvetisch. Dürfen wir die Decke der inneren Voralpen als einen Teil der Niesen- Habkerndecke betrachten, so können wir als Beispiel für intrahelvetische Lage die Neokomschuppe, den Flysch und die Trias unter der Diablerets- decke anführen, wovon oben die Rede war. Bis vor kurzem hat man die östlich des Thunersees gelegenen Vor- kommen der Niesen-Habkerndecke fast alle unter der Bezeichnung „Wild- flysch“ zum Tertiär der helvetischen Decken gerechnet und sie als nor- male stratigraphische Glieder desselben betrachtet. Das ist deshalb nicht angängig, weil durch Fossilien bewiesen wird, daß der Wildflysch älter ist als die jüngsten helvetischen Tertiärschichten, denen er aufruht, und dann, weil eben das Material der Decke exotisch, nicht helvetisch ist. Es scheint so, als sei die Niesen-Habkerndecke zuerst, vor der Deckenbildung im helvetischen Faciesgebiet, über dieses hinübergeschoben worden, und als seien dann erst die helvetischen Decken entstanden, so dab die Niesen- Habkerndecke nun mit den helvetischen Decken verfaltet wurde und sich als Hülle sowohl um die tieferen wie die höheren herumwickeln konnte. 32 Otto Wilekens. Von dem Vorkommen der Niesen-Habkerndecke im helvetischen Gebiet seien erwähnt das auf der Säntisdecke in der Tertiärmulde Amden-Wild- haus, verschiedene auf dem Tertiär unter der großen Glarnerdecke, unter der Griesstock- und Hohen Faulendecke, im Gebiet von Einsiedeln-Eutal unter dem Tertiär der Drusbergdecke, unter den (später noch zu besprechenden) Nidwaldner Klippen, in der am Alpenrande gelegenen Tertiärzone zwischen Vierwaldstätter- und Thunersee, ferner in den Berner Kalkalpen. Sie findet sich also vom Chablais bis zum Rhein, vor, auf und mitten zwischen den helvetischen Decken. Bereits Schardt hat behauptet, daß die exotischen Tertiärbreceien dadurch entstanden wären, daß exotische Decken ins Tertiärmeer hinein- geschoben wären. Dieser Gedanke ist zur Erklärung der Entstehung der Niesen-Habkerndecke aufgegriffen worden. Man behauptet, in der Region zwischen helvetischer und lepontinischer Facies sei Gebirgs- und Decken- bildung eingetreten. Die Zerbröckelung der ins Meer vorgeschobenen Decken habe das bunte Gesteinsmaterial der Tertiärschichten geliefert. Diese Trümmermasse sei durch anhaltenden Deckenschub über das helve- tische Gebiet vorgeprelit und über diese Niesen-Habkerndecke seien dann noch weitere exotische Decken hinübergeschoben, von denen als solchen heute in den Alpen nichts mehr sichtbar ist, weil sie in der mittleren Tertiärzeit wieder abgetragen und zur Bildung jener gewaltigen Geröll- massen verwandt sind, die die „subalpine Molassenagelfluh“ bilden, die vor dem helvetischen Alpenrande liegen und ebenfalls aus exotischen, nicht aus helvetischen (Gesteinen bestehen. Diese Hypothese der Entstehung der Niesen-Habkerndecke ist noch mit manchen Unstimmigkeiten und Unvollkommenheiten behaftet und wird wohl noch verschiedenen Modifikationen unterliegen. Wir wenden uns der weiteren Betrachtung der Voralpen zu. Die Niesendecke taucht in den Voralpen unter die „Decke der mittleren Voralpen*“ oder die „Klippendecke“. Diese hat in den Voralpen die größte Ausdehnung und läßt eine Gliederung in mehrere Zonen zu (Fig. 22). Auf den ersten Blick macht sie den Eindruck eines sehr regelmäßig und einfach gebauten Faltengebirges. Sie reicht nicht ganz an den Außenrand des (Gebirges heran, sondern die „äußere Zone“ der Voralpen besteht aus Niesengesteinen. Es ist die sogenannte Gurnigelzone, in der auch Schuppen von Mesozoicum auftreten, das mit dem der inneren Voralpen Ähnlichkeit hat. Man betrachtet diese Zone als eine durch die Klippendecke von der Niesen-Paiijdecke losgeschürfte und mit nach vorn geschleppte Schuppe. Man unterscheidet in der Klippendecke eine nördliche und eine süd- liche Zone. Sie werden durch die Tertiärzone von Chäteau-d’Oex von- einander getrennt. Als stratigraphisches Hauptunterscheidungsmerkmal dient die Ausbildung der mittleren Juraformation, die in der nördlichen Zone durch eigentümliche, wahrscheinlich von bewegten Wasserpflanzen hervorgebrachte wirbelförmige Eindrücke auf den Schichtflächen, den Der Deckenbau der Alpen. sogenannten Zoophyeus, in der süd- lichen durch eine der Gattung Mytilus angehörende Leitmuschel charakteri- siert wird. Die nördliche Zone, auch Zone Stockhorn — Ganterist — Grammont Möle genannt, besteht aus vier ziem- lich regelmäßigen Sätteln. Die Trias des äußersten derselben liegt auf dem Tertiär der Gurnigelzone. Die südliche Zone erfährt eine Zweiteilung durch den tertiären „Hunsrückflysch“. Die nördliche der beiden aus mesozoischen Gesteinen aufgebauten Ketten ist die der Gastlosen — Simmenfluh — Tours d’Ai — Mont Chauffe — Pointe d’Or- chez, in der südlichen liegen Spiel- gerten — Rubli — Gummfluh — Treve- neusaz. In der Rubli-Gummfluhkette spielen tauchende, sogenannte Dreh- falten eine große Rolle, d.h. Sättel, die sich von oben her in den Flysch der Unterlage hineinbohren. Die nächst höhere, die „Brec- ciendecke“, besteht aus Perm-, Trias-, Jura-, Kreide- und Tertiär- gesteinen und zeichnet sich durch die breceiöse Ausbildung ihrer Jurage- steine aus. Man unterscheidet eine meist grobe „untere“ und eine meist feine „obere Breccie*, die durch Schiefer voneinander getrennt werden. Man nennt die ganze Breccie wegen ihrer großen Verbreitung im Chablais „Chablaisbreecie“ oder nach einem Berg in den Voralpen nördlich des Genfer Sees (in denen sie eine viel geringere Ausdehnung besitzt) „Horn- fluhbreecie“. Im Chablais bildet die Breceie eine Masse von 30 km Länge und 12 km Breite. Sie ruht im allge- meinen auf dem Tertiärflysch oder auf der Kreide der Klippendecke Auch bei ihr sind tauchende Drehfalten zu beobachten (Fig. 24). E. Abderhalden, Fortschritte. X. Fig. 24. NW. Col de Coux 113 Hautfontr 2466. Brecceren decke 1927 Klınyer Ave he Anvoriax 12774 oder ISO os Die Klippendecke ist Rechts die Kalkhochalpen, die unter die Voralpen untertauchen. St. Jean d’Aulph. Kalkhochalpen ganz verquetscht. Profil durch die Voralpen des Chablais vom Bostan bis unter der Breceiendecke am Rande der Nach M. Lugeon. te. ausgedehnte Brecciendecke bildet links eine tauchende Drehfal Die 34 Otto Wilekens. Auf dem Flysch der Breceiendecke finden sich sowohl links wie rechts der Rhöne Reste einer noch höheren Decke, die sich besonders durch das cemeinsame Auftreten von ophiolithischen Eruptivgesteinen (wie Diabas) und Radiolarienhornsteinen der oberen Juraformation auszeichnet, die „Ophiolithdecke* oder auch, wegen ihrer hervorragenden Anteilnahme am Aufbau der geraubündnerischen Alpen, „rhätische Decke“ genannt. Sie wurde in den Voralpen zuerst von @. Steinmann nachgewiesen (Fig. 21). Es läßt sich in der Natur sowohl bei der Ophiolith- wie bei der Breceiendecke direkt beobachten, daß sie wurzellos schwimmen. Man sieht, daß die Berge unten aus dem Tertiärflysch der Klippendecke und oben aus Gesteinen der Brecciendecke bestehen. In der Decke der mittleren Voralpen gibt es allerdings kein Fenster, in dem die jüngere Unterlage unter der Trias dieser Decke sichtbar würde. Man muß sich bei dieser Decke mit der Feststellung begnügen, daß ihr nordwestlicher und ihr süd- östlicher Längsrand meist als Überschiebungslinie nachweisbar ist. Auch ein Querrand läßt sich als solche bestimmen, das ist am Arvetal, wo der Möle und die Pointe d’Orchez das SW.-Ende der Voralpen bilden. In ihnen treffen die Falten der mittleren Voralpen annähernd rechtwinklig auf die Falten der Kalkhochalpen des linken Arveufers. Man sollte er- warten, daß das eine dieser Faltenbündel durch das andere quer verriegelt würde, Das müßte der Fall sein, wenn beide Faltensysteme wurzelten. Tatsächlich findet aber eine Verriegelung durchaus nicht statt; die Falten der Kalkhochalpen senken sich vielmehr am Arvetal und drängen sich zu- sammen, die Falten der Voralpen hören, durch die Erosion abgeschnitten, jäh auf. Von Ausklingen oder Abschwächen ist beiderseits nichts zu merken. Die Falten der Voralpen müssen sich fortgesetzt haben und diese Fort- setzung kann nur einzig und allein über den Kalkhochalpen gelegen haben. Von diesen sind sie zum großen Teil weggewittert, aber nicht ganz; denn als beredte Zeugen ihrer einstmals größeren Ausdehnung liegen in der tichtung der südwestlichen Verlängerung der Voralpen die Deckschollen von Les Annes (Fig. 23) und Sulens mit Voralpengesteinen auf dem hel- vetischen Untergrunde. Damit kommen wir auf das mit dem Voralpenproblem aufs engste verknüpfte Problem der Klippen. In der tektonischen Geologie versteht man nicht. wie man dem Wortsinne nach erwarten sollte, unter einer Klippe eine felsige Aufragung des Untergrundes, sondern — lucus a non Iucendo — eine Deckscholle, d. h. ein durch die Erosion isoliertes Stück einer Überschiebungsdecke. Weil man früher diese Massen für Klippen (im Wortsinne) hielt, haben sie diese Bezeichnung behalten. Solche Deckschollen von vindelieischem Faciescharakter finden sich, auf einer langen Linie an- geordnet, oben auf den helvetischen Decken der Zentral- und der Ost- schweiz von Thuner See bis an den Rhein, und zwar als Fortsetzung der Voralpenzone in der gleichen Weise nach NO. zu, wie die Klippen von Les Annes und Sulens die südwestliche Fortsetzung bilden. Die wichtigsten Klippen der Zentral- und Ostschweiz sind von SW. nach NO.: Der Deckenbau der Alpen. 35 1. Die Giswyler Stöcke südwestlich des Sarnersees, 2. das Stanserhorn, 3. Buochserhorn, Musenalp, Klevenalp, 4. die Mythen, 5. die Iberger Klippen, 6. die Grabser Klippe. Als Beispiel für die ganze Erscheinung können uns die Iberger Klippen dienen, über die wir sehr gut unterrichtet sind. Sie liegen süd- lich des Dorfes Iberg ostnordöstlich von Schwyz und südsüdöstlich von Einsiedeln. Die Namen der wichtigsten Klippenberge sind: Roggenstock, Mördergrube-Laucheren, Gr. Schienberg. Sie bestehen aus Trias-, Jura- und Kreidegesteinen, die eine von der helvetischen verschiedene, aber mit der vindelicischen der Voralpen übereinstimmende Facies aufweisen; auch treten Diabasporphyrite auf. Es sind Stücke der Niesen-Habkern-, der Klippendecke (die ihren Namen wegen ihrer starken Beteiligung am De Aufbau der Klippen erhalten hat), der Roggenstock Kippe (Breecien? und der) Ophiolithdecke. In der älteren Periode der Alpenforschung hat man alle diese mesozoischen Ge- steine einfach für eine besondere Aus- bildung des Tertiärs gehalten. Es kann aber gar kein Zweifel darüber ob- walten, daß es sich um Deckenstücke handelt und alles wurzellos liegt, auch die Eruptivgesteine, die nach unten — ebeutalls) keine, Bortsetzung, haben mar nel asien ae Date (225): Die NatumscIbet.bietet uns, = m ee dr leere Noch gewissermaßen ein Bohrloch, das dies beweist, indem am Schien die Klippe U-förmig erodiert ist und in diesem Ausschnitt überall der Boden aus Flysch besteht. Die Erscheinung der anderen genannten Klippen gleicht vollständig derjenigen der Iberger. Wir müssen annehmen, daß die vindelicischen Decken früher viel ausgedehnter waren als heute, daß sie die ganzen helvetischen Decken überspannt haben und daß die Klippen wegen be- sonders tiefer Lage von der Erosion verschonte, spärliche Reste von ihnen sind. Manche Forscher nehmen an, daß die Klippen schon isoliert waren, als die helvetischen Decken entstanden und sich nach Norden bewegten. Sie wären passiv auf dem Rücken der helvetischen Decken gewandert. Nach anderer Meinung aber sind die vindelieischen Decken aktiv bis vorne an den Alpenrand vorgedrungen und die exotischen Nagelfluhgerölle sind durch die Zerstörung dieser Decken entstanden. Die problematischen Decken, die die Niesen-Habkerndecke überlagert haben sollen, kämen dabei in Wegfall. Tatsächlich sind die bunten Nagelfluhgerölle dort in 3* 36 Otto Wilckens. viel größerer Masse vorhanden, wo die geschlossene Masse der Voralpen fehlt und die exotischen Blöcke und Brececienkomponenten sedimentären Ursprungs können sehr wohl von der Decke der mittleren Voralpen ab- oeleitet werden, deren (resteinen sie eleichen, ferner von der Niesen- Habkern-. der Breecien- und der rhätischen Decke. Die Nagelfluh- und sonstigen Molasseschichten sind aufgerichtet und fallen unter den Alpen- rand ein, mit anderen Worten: die Alpen sind über die Nagelfluh nach außen hinaufgeschoben worden. Nach Ansicht mancher Geologen sind zwei Hauptphasen der Alpenfaltung zu unterscheiden: eine erste, die die‘Decken erzeugte und die exotischen Decken über das helvetische Gebiet hinüber bis an den Alpenrand hin vorstiel), und eine zweite, in der die Decken und die aus der teilweisen Zerstörung derselben entstandene Molasse und Nagelfluh gefaltet wurden, wobei sich die Faltung der Molasse allerdings auf die den Alpen naheliegende Zone beschränkte. In den bereits erwähnten südwestlich der Voralpen gelegenen Klippen von Les Annes und Sulens finden sich die Decke der inneren Voralpen und die Klippendecke und es entsteht nun die Frage, welche Teile der französischen Alpen den vindelieischen Decken entsprechen. Die französischen Alpen zeichnen sich durch einen ausgesprochen zonaren Bau aus (Fig. 26). Man unterscheidet in ihnen zunächst die alpinen und die subalpinen Ketten. Die Grenze zwischen beiden läuft vom Col d’Anterne nordwestlich von Chamonix zum Graisivaudan (Iseretal zwischen Chambery und Grenoble), dann den Drac entlang und zum Col Bayard nördlich von Gase. Innerhalb der alpinen Kette folgen sich von Westen nach Osten: 1. Die Zone des Dauphine (delphino-savoyische Zone) oder Zone des Mt. Blanc, 2. Zone des Brianconnais, früher „inneralpine Sedimentzone“ genannt, 3. Zone des Piemont oder Zone des Monte Rosa oder Zone der Glanzschiefer. Den Bau der Zone des Piemont haben wir bereits mit dem der penninischen Zone besprochen. Sie ist gegen Westen über die Zone des Brianconnais hinüber geschoben worden, wie ein Vorkommen am Eychauda westlich von Briancon beweist. Auch in der Schweiz ist ja die penninische Zone über die helvetische geschoben worden. Das bogenförmige Vortreten der Großen St. Bernharddecke haben wir bereits kennen gelernt. Die Wur- zeln der helvetischen Decken werden im Vorderrheintal bei Bonaduz quer- über von den Bündner Schiefern abgescheert. Nur so ist es zu verstehen, daß bei Chur die Bündner Schiefer der rechten Talseite den autochthonen Massen des Calanda direkt gegenüber liegen. In der Dauphind-Zone liegen die autochthonen krystallinen Massive des Mont Blanc, der Aiguilles rouges, der Belledonne usw. (vgl. S. 14), die man früher als Zentralmassive bezeichnete und die paläozoische Fal- tung aufweisen. Die Zone des Brianconnais (Name der Landschaft, in der 3riancon liezt) erschien früher dadurch besonders ausgezeichnet, dal) hier Der Deekenbau der Alpen. an Pig. 26. BEN NE ER f „alt zires 5 des,’ s'. g gmAN - ale +Alßes"Bernoises, cl PAAR % j 9 ab af! - rede = tn) Ka AGUIGNAN SS x % Tektonische Karte der französisch-italienischen Westalpen. I Subalpine Ketten, II Delphino-savoyische Zone, III Zone des Brianconnais, IV penninische Zone. Die schwarzen Linien bezeichnen die Richtung der Falten in den äußeren Ketten. Nach W. Kilian. a8 Otto Wilckens. normale Sedimente zwischen den krystallinen Massiven im Westen und den krystallinen Gesteinen der Zone des Piemont auftreten, welch letztere man samt und sonders, d.h. also auch die mesozoischen Glanzschiefer, für alt, etwa für archäisch, hielt. Man unterscheidet in der Zone des Brianconnais folgende Unter- zonen: 1. Unterzone der Aiguilles d’Arves und des Embrunais. 2. Unterzone des Galibier. 3. Axiale Carbonzone. 4. Unterzone des Chaberton und der Vanoise. Die Zone der Aiguilles d’Arves hat, im ganzen betrachtet, einen muldenförmigen Bau. Es ist dies die liegende Mulde unter der liegenden Falte des Großen St. Bernhard (Fig. 27). Dieser letzteren gehört die axiale Carbonzone und die Zone Chaberton-Vanoise an. Die axiale Carbonzone ist die direkte Fortsetzung der carbonischen Zone des Wallis, die ihrerseits nichts anderes ist als die frontale Partie jener riesigen Deck- falte des Großen St. Bernhard. Die Carbonzone ist fächerförmig gebaut, d.h. ihre Sättel neigen sich im Westen nach Westen und im Osten nach Osten. Das gilt für das Wallis- wie für das Brianconnais (Fig. 28). Dieser Fächer, in den französischen Alpen sehr beachtet und als einer der wichtigsten Züge ihres Baues angesehen, ist nichts als eine Einzeler- scheinung in der Form einer Decke des penninischen Faciesgebietes. Die Zone des Gd. Galibier ist der aus einem isoklinalen, d.h. nach derselben Richtung einfallenden Faltenbündel bestehende hangende Schenkel der Mulde der Aiguilles d’Arves-Zone. Sie wird aus Trias, Jura und Alttertiär aufgebaut, nämlich aus der Sedimenthülle der krystallinen Schiefer der Großen St. Bernharddecke, und zwar den jüngeren Schichten dieser Sedimenthülle, deren ältere das Perm und die Steinkohlenformation der Carbonzone darstellen. In der Zone der Aiguilles d’Arves spielen alttertiäre Schichten eine große und wichtige Rolle. Es besteht eine noch nicht ganz abge- schlossene Diskussion über die Frage, ob diese Mulde der Aiguilles d’Arves- Zone sich in der Tiefe nach Osten weit unter den Carbonfächer hinunter- zieht oder aber bald in der Tiefe endigt. Aus direkten Beobachtungen in den französischen Alpen kann diese Frage nicht beantwortet werden. Aber man darf wohl von dem großen Ausmaß der Überschiebung der Großen St. Bernharddecke im Wallis auf ähnliches Verhalten der Decke auch weiter im Westen schließen. Die Zone der Aiguilles d’Arves ist auch durchaus nicht in ihrem ganzen Verlauf als einfache überkippte Mulde gebaut, son- dern weist recht bedeutende Überschiebungen auf. Hierher gehören die Überschiebungen des Embrunais und der Ubaye und deren Fortsetzung in den Meeralpen. Zwischen dem Pelvoux- und dem Mercantour-Massiv treten die Sedi- mente der Zone der Aiguilles d’Arves stark nach SW. heraus. Namentlich quillt eine große Masse von Tertiärflysch zwischen diesen Massiven her- Der Deckenbau der Alpen. ecend, dem Embrunais Y 31 In dieser € sich weithin aus. und der Ubaye (Fig. 27), kann man fünf Decken erkennen, deren zweit- vor und breitet wie Darüber (resteinen bildet, und Pte. pische Klippenberge aus mesozoischen « unterste tv Seolane. rde. liegt die große Flyschdecke, die einen Y I zeB. € dieser Decke aus tertiären Gesteinen zeigt, dab WM aM WEN 'gUpIms Yan 'yagss pP 'wızei) H ‘yosäpg wa ‘ „soygyonberd uo N IL uw f lojoryoszurgg 77 ‘serag 7 rafydaog 12 'swikond) you urgdnelr JuonT UOA SIwuuodurrıgn SEP y9anp [yoad KROYP;L Jarusee)"y vipnedurjin F : Koyı ap sw ONajrALı ap, „8922 Pil aıydeg ap ooy Zusammensetzung anjadeyg e7 „0892 aney ap alındıy "85 DT Kern aus Mesozieum besitzt. Die ganz vorwiegende "punbap ‘ST yPeN "uogpeyos zIemyDS 757 HUOZYOSApT AOp WMPLOZOSOM SELL 1 9291L AEp uedundtemzuoA upuoyone? HLp SIydau “17 9N99L Op OrNıeg ofeyuoaz) aayorT ATEIXR OJUUVUOZOS OP OMA EP UF "UOLgyoSuw suozyosäpg Aop Ip “Swunaqwgg sop uENaoc] Ip SyuırT ‚uodıy uoyostsozuraz Hlp yoınp Tyoad A U A g>7 ER 7 = x non?» z NIN/NIZNINZNZSZN ware Pyysashy ll IR ORT DE SSRESEIENZISNEIZIEN "2uv)I9/7 EIANZSEN NzN INITNTYYESSZ PN? N AR Y NN IIND DZ NT NET ea Pay 72 Sry, „eo N Sr RW g ee Ü) os Po ; Fu AN a! No € g® Yi A tiär bestehende Niesen- die nur aus Altter Habkerndecke wenigstens in dieser Hinsicht kein Unikum darstellt. Die oberste der Decken besteht aus den liegenden Falten des Carbonfächer- außenrandes. Faciell zeigen diese Decken einen Übergang von der Dauphine- 40 Otto Wilckens. in die Brianconnaistacies; sie müssen deshalb zwischen den autochthonen krystallinen Massiven einer- und dem Brianconnaisfächer andrerseits wurzeln. In den Schweizer Alpen zeigen faciell am meisten Ähnlichkeit mit diesen Decken die mittleren Voralpen, die also mit der Zone der Aiguilles d’Arves in Beziehung gesetzt werden und deren Wurzel demnach an der Außen- seite der Großen St. Bernharddecke gesucht werden muß. Die Überschiebung des Embrunaisflysches gegen den Außenrand der Alpen hat ihre Wurzelregion hinter dem Pelvoux- und dem Mercantour- Massiv. Es ist schwer zu entscheiden, ob die Decken auch diese Massive selbst überschritten haben und ob sie vielleicht nur nachträglich infolge sekundärer Übererhebung der krystallinen Massen davon heruntergewittert sind, oder ob, wie man aus dem heutigen Zustande zu schließen geneigt ist, die Massive als Widerlager gedient haben, so daß die Decken nur durch das Tor zwischen ihnen herausgepreßt wurden. Wir wissen jetzt, dal) die Flyschüberschiebung noch weiter als das SO.-Ende des Mercantour- Massivs nach SO. reicht; denn der ganze Flysch, der auf der Strecke Ventimiglia-Albenga an die Küste tritt, ist eine Schubmasse. Das wird durch das Vorhandensein eines Fensters bei Castelveechio (westlich von Borghetto S. Spirito) bewiesen, in dem verquetschte Trias- und Permmassen unter dem Tertiär erscheinen, während über diesem Permschiefer und Triasquarzite und Kalke der axialen Brianconnaiszone liegen. Die Uberschiebungen gegen den Außenrand des Gebirges reichen also bis an das Meer und sind hier gegen SW. und schließlich gegen S. gerichtet, während sie in den Schweizer Alpen nach NW. und N. vor- dringen. Immer aber liegen die Wurzeln an der konkaven Seite des Alpenbogens und hat die Bewegung gegen die konvexe hin stattgefunden. Die Grenze der Alpen gegen den Apennin bildet das sogenannte Massiv von Savona, eine völlig zertrümmerte und verquetschte (mylonitisierte) (rranit- und Gmeisscholle, die sich zwischen die Decken der beiden Ge- birge trennend einschiebt. Östlich von ihr beginnen die apenninischen Decken mit der Schubrichtung SW.—NO. Vor den alpinen Ketten der französischen Alpen liegen die sub- alpinen. Sie bestehen aus Jura-, Kreide- und Tertiärschichten, die im Osten nichts anderes als die jüngeren Partien der Sedimenthülle der kry- stallinen Massive, namentlich des Belledonne-Massivs, sind. Diese Ketten zeigen einen einfachen, allerdings oft von Faltenüberschiebungen durch- setzten Faltenwurf (Fig. 29), und oft haben die Falten einen „zögernden“ Charakter, sie wissen nicht, ob sie sich nach Osten oder nach Westen überneigen sollen. Die alpinen Überschiebungen reichen nicht bis hierher. Von den subalpinen Ketten zweigt sich am Iseretal der Kettenjura ab, der sich allmählich zu einem selbständigen Ast am Stamm der Alpen herausbildet. In der Schweiz wird er von den Alpen durch das breite Mo- lasseland der mittelschweizerischen Hochebene getrennt. Er ist tektonisch die Fortsetzung der autochthonen Sedimente des helvetischen Gebietes, die am Schweizer Alpenrande durch die Überschiebungsdecken verhüllt werden. zpias a pen 'PP9C uourdjwgso aap AOJOLUOS uourppegskay op yaııpuo pun 29 AyaSsiyElL pun -u9pro99ug ‘(so8no. soyonog oyuuwundos BPMILLPAIO PP [98aopy oyor Yomepoq anyrayas ograyos orp) oyaopuoddıy ap ONE! (U yosıssranlıago y 'p) -UOgIEL UATIOU OP uador aoqnanp “Kanjorgag aoupune) yosÄpg ap JOpIIq Baog op Ind UA -snw nedigıg we unrugyuy 'I8 Toq uroyrunyg WOA *gUONHRUM UENOTTISQ SOp SOTIaL SPUT» yypısuy ER 4 U) Br, 41 f I N in | | | | | ynyıdwan wofua]]2610N) ! Ü) h j uoyuapsjoy LIOYDSIIPDW zudspsispoyy 12241755049 Bisqılouas I uns un EDER TEE AD BIS wel 08T Der Deekenbau der Alpen. WR "A WEN "WIE sel ‘oprenyy 9100 g-g9 “URldLV 2? ‘HpIeayy oxogum „779 UR9oIM gr 4 "UONaM uourdpeqns ap negf UOp Ay jordsrogg spe “opgousan) uoA qeuiorun STIE.AAST SPP ONIOSIEL moyurpzaop [YOAA sewog Raunen 3 vostepy aureguos ap vogjeA L 2. Y voyyleyoz,/ zz ’ 9p 08, \ f BB 29089 28 ei yoly xnega ap x b si d a" Fe, ‘) FRA} 79 auı5/) ; u E66 N neaze, sursoW.2P 3.00, doasch z 4 ah ER dno7:no.2u8 »deua r ocdas0f 3P l 2 wiegt T-Pp.2UaQ euassug 3p eld - YIEF Id 42 Otto Wilekens. Der Rand der französischen Alpen ist autochthon: aber in der Schweiz wird der (rebirgsrand von Decken gebildet. Die Molasse fällt hier, wie wir gesehen haben, im allgemeinen mit Zwischenlagerung von zum Teil exotischem Flvsch, unter die helvetischen Decken. Mancherwärts bil- den höhere Decken den Alpenrand, z. B. im Säntisgebirge, mancherwärts treten aber auch die frontalen Partien tieferer Decken unter den höheren hervor und bilden die Randkette. So z.B. die Wageten und die Aubrige. Zwischen Schwyz und dem Thuner See nehmen am Aufbau der Randkette drei Decken teil, die Bürgenstock-, die Pilatus- und die Niederhorndecke. Letztere ist die westlichste und endet in ganz verquetschtem Zustande im Pilatus, der von der Pilatusdecke aufgebaut wird. während die Bürgen- stockdecke, bei Sarnen beginnend, Bürgenstock, Vitznauerstock, Rigihoch- fluh zusammensetzt und bei Seewen endigt. Die Entstehung des Rheintales, an dem das Säntisgebirge im Osten endigt, beruht auf Bruchbildung. Bis zu ihm rechnet man die Westalpen, deren Abgrenzung von den Ostalpen weiter südlich. wo man die Grenz- linie durch das Hinterrhein- oder durch das Safiental legt, geologisch nur unvollkommen begründet ist. In der Tat haben wir ja auch die penninische Zone bereits über den Rhein hinaus bis ins Prättigau verfolgt, wo die jündner Schiefer unter höheren Decken wie in einem Tunnel verschwin- den. Über dem Schieferlande des Prättigaus, das eine sehr bezeichnende, weiche Oberflächengestaltung aufweist, erheben sich die steilen Gebirgs- mauern des Rhätikons im Norden und im Osten. Seine W.—O. und N.—S. gerichteten Abfälle sind Erosionsränder von Überschiebungsdecken, die die pennische Schiefermasse überlagern. Am Südrande des westlichen (W.—O. gerichteten) Rhätikons er- heben sich die hellen. schroffen Kalkzinnen der Kirchlispitzen, der Drusen- fluh, Sulz- und Scheienfluh, des Schollberges und Rätschenhornes (Fig. 30). Es sind oberjurassische Kalke der Klippendecke und die Berge erinnern sehr an solche der Voralpen. wie z. B. Rubli- und Gummfluh, um so mehr, als hier wie dort grell rot gefärbte Mergel der Oberkreide mit den Jurakalken innig verknetet sind. Außer der Klippendecke ist auch die Breccien- und die rhätische Decke hier vertreten (Fig. 31): der größte Teil des Rhätikon wird aber von der die vindelieischen Decken überlagernden ostalpinen Decke gebildet, die am Westende des Rhätikons beginnt und den größten Teil der Ostalpen aufbaut. Die Gesteine der oberen lepontinischen (der vindelieischen) Decken sind so hochgradig durcheinander gestochen und miteinander „ver- wurstelt“, wie der geologische Slang sich auszudrücken beliebt, daß es oft schwer ist, ein Gestein einer bestimmten Decke zuzuweisen. Im ganzen prägt sich aber eine vindelicische Zone zwischen den Bündner Schiefern und der ostalpinen Decke sowohl am westöstlichen wie am nordsüdlichen Rhätikon- rande aufs deutlichste aus (Fig. 32) und schon ehe der Deckenbau erkannt war, wußte man, dal) die drei Gebiete übereinander hinübergeschoben waren, wobei man freilich den Ursprung der Überschiebung von dorther annahm, wohin die Decke einfällt, was keineswegs richtig ist. Der nördlich des PrättigausgelegeneRhä- tikon besitzt eine ost- alpine Decke, die vor- wiegend aus triadischen Kalken und Dolomiten aufgebaut wird, an deren Basis nur gelegentlich Schollen von krystallinen Gesteinen auftreten. In dem östlich des Prätti- gau gelegenen Teil des Gebirges herrschen die krystallinen Gesteine vor, von denen der Sedi- mentmantel herunter- gewittert ist. Es sind dies die krystallinen Massen des Ferwall und der Silvretta, die natür- lich früher für wurzelnde Massive gehalten worden sind, jetzt aber als Be- standteile der ostalpinen Überschiebungsdecke. als „Deckmassiv“, be- trachtet werden. Die Deckennatur dieses Mas- sivs erkennt man am Fenster von Gargellen, eines Tales, in dem öst- lich des Deckenerosions- randes unter den kry- stallinen Gesteinen die Jurakalke der Klippen- decke und darunter die Bündner Schiefer er- scheinen (Fig. 33). Die rhätische Decke, die im Rhäti- kon nur in Form ein- zelner Schubfetzen und in Quetschzonen er- scheint, gewinnt gegen Süden größere Mächtig- Der Deckenbau der Alpen. Sulzfluh 2820 S = IS I I \j 2 EN ir SD & ER 2 S Er Q E Nm R S® R ON} RN SD \2 \ N NSS SS Tschadgunser Mittagspitzc 2160 (£:40000) >»< BÜNDNER SCHIFER-D z AUSTROALPINE DECKEN DECKEN DEPRONTINISCHE fh JS Ib Reibungsbreceiert Quelschzoren RE — _——— Überschiebungsflächen I.Ordnung page pun yosi7Y “ ES N G_ S en} I ASS SS us N EI ED REES RSS EN NSS Sa Su | I-ı iv m = A = RS S 5 u IN NS S ES S u I 8 FE IS) x u [73 “ 3 N ie) EN 13 “ I x TO IS Q Ds Graue Juraschiefer Lias(t) Breceie t RR] Zrorit des Schwarzhorn DS (I ESREN ] Serpentun FAR d fe, — :— Überschiebungsfläcken I.Ordnung Rele Wlobigerinenrschiefer der Oberen Kreide (Couches rouges) *— - (de d Sallie a) Sp Ha o» Decken“), und den lepontinischen Nach v, Kulissenprofil durch den Rhätikon im Meridian der Sulzfluh, den Aufbau des Gebirges aus der ostalpinen Decke („austroalpine Seialit — penninische Decken) zeigend. „Bündner Schieferdeeken“ Decken (lepontinische Decken = vindelizische Decken. 44 Otto Wilckens. keit und nimmt im sogenannten Plessurgebirge (in dessen Mittelpunkt Arosa liegt) einen großen Flächenraum ein. Hier finden sich über den Fig. 32. | aan 1} f x/ Sce rptand— HE Sa — Tordauen 27 It” | Kristallin Lr"+"] (Süvretta Massiv) ) | f | Dıorıtd Schnarzkonı Quetschzonen 5 3 ‘ - PZ3 Fey, Ei u. KIDNEIVSCHAAPE De WEBERSEe 6 | Sulzflırh Kalk Y7 Pratigau ES Trias der Er Granil u Gneisscholler NEE | Ei Mittagspitzenntiedde (Überschiebungsapophysen) WostersägrHli Geologische Kartenskizze des östlichen Rhätikons 1: 200.000. Die dieken unterbrochenen Linien be- zeichnen die Gebirgskärmme. Flysch des Prätigau = Bündner Schiefer, die Quetschzonen enthalten zum Teil die Breccien- und die rhätische Decke, die jurassischen Sulzfluhkalke gehören der Klippen- decke an. Die erste Kolonne der Signaturenerklärung bezeichnet die Gesteine der ostalpinen Decke. Nach v. Seidlitz. Bündner Schiefern nur vereinzelte Reste der Klippen- und Breceiendecke und dann folgt gleich die Ophiolithdecke, in der außer Mesozocium und viel Flysch ungewissen Alters bedeutende altkrystalline Massen und dazu Der Deckenbau der Alpen. 45 die charakteristischen Serpentine auftreten. Man kann diese Decke. in der besonders komplizierte Lagerungsverhältnisse und zum Teil eine wilde Schuppung der Gesteine herrscht, weiter durch das Oberhalbstein und Schams nach Süden verfolgen und sieht sie gegen Osten überall unter der darüber lagernden ostalpinen Decke verschwinden. In Oberengadin ist sie von Sils-Baseglia westwärts durch die Abtragung der ostalpinen Decke freigelegt. Südlich der Disgrazia erreicht sie ihre Wurzel. Von hier bis zu ihrem nördlichsten Vorkommen im Rhätikon ist eine Entfernung von rund 100 km. Um diesen Betrag ist also die rhätische Decke nach Norden verfrachtet. Auf dieser ganzen Strecke kann man sie fast ohne Unter- brechung verfolgen. Für die in den Voralpen gelegenen Teile der Ophiolith- decke wird die Wurzel in der Zone des Canavese am Rande der ober- italienischen Tiefebene gesucht. Das bedeutet eine geradlinige Entfernung von 115 km. Man kann sich diese riesigen Verfrachtungsvorgänge nur schwer physikalisch erklären. Da die ostalpine Decke noch südlicher als Gargellenjoch Mittagspitzenmulde Breccien- u räfische Decke Ze Radiolarit Gargellenalp Graue Schiefer Schnitt durch das Fenster von Gargellen. Zeigt die Unterlagerung der ostalpinen Decke am Westabfall des Gebirges (rechts) und im Fenster von Gargellen (links) durch die lepontinischen Decken. Nach v». Seidlitz. die rhätische wurzelt, aber noch weiter vordringt nach Norden als diese, so ergibt sich für sie ein noch größeres Überschiebungsausmaß. In Grau- bünden ist es auf 120 km zu bewerten. Man dachte früher, die Ostalpen wiesen einen anderen Bauplan auf als die Westalpen. Faltung sollte hier mehr zurück-, Bruchbildung mehr in den Vordergrund treten. Allein man übersah vor der Begründung der Deckentheorie, dab das, was man als Bau der Ostalpen betrachtete, nur der Bau der ostalpinen Decken ist. Auch heute noch sträuben sich manche österreichische Geologen gegen die Anwendung der Deckentheorie auf die Ostalpen, als deren Vorkämpfer der französische Geologe Termier bezeichnet werden muß. Die ostalpine Decke endigt am Westende des Rhätikons mit einem Erosionsrande in bedeutender Mächtigkeit. Es ist sehr merkwürdig, dab sich westlich von hier auch nicht eine Spur mehr von ihr findet, obwohl eine Erklärung dafür in dem Ansteigen der Achse der ostalpinen Decke gegen Westen und in der (wegen der dadurch herbeigeführten hohen Lage 46 notwendigen) starken Abtragung gegeben ist. Otto Wilekens. Nach dem weiten Zurück- treten des Randes der ostalpinen Decke in der Umrahmung der Prättigau- yso(] oda wop jun yaodn [ woA [yoag soyssrulstung ojsÄsuoypoc[] ots -1098u0,7 doupudunaoguf]) sup pun AlsSUWm9HCL-TNMALIS Sup goanp uodıy dmg uop nz sig nm -JUOIS (BSIPUIN) BUoytgugy Sop opuuy we pan ut outdwso oc (ypsunwodı) men ulyuadız - ws, f } Sr ' ZHusdsae DIEIEE TA ar nn N Guly M varwojuyIg nobnDs4 vayabsoo OS1poy 2»77> LATE vınılDAa jponununa oywoy wuoyupn]y uadıp4ayaryaguounppbuasa]un Jalunwa a gez >> uodıy 127072330 ste wuan,w20N (0) EBEN | bucht springt er im Albulagebirge fast so weit nach Westen vor wie im Rhätikon. Ziemlich weit westlich vor seinem geschlossenen Abfall liegt als äußerster Vorposten die Deckscholle der Splügener Kalkberge. Aber nirgends in den „Westalpen“ kennt man auch nur das kleinste Stückchen von der ostalpinen Decke. Die Reste, die man von ihr in den Giswvler Stöcken und in den Iberger Klippen zu erkennen meinte, sind Stücke der Klippendecke, in deren Trias die Diploporen (eine Sorte von Kalkalgen) ebenfalls vorkommen, die man früher auf die ostalpine Decke beschränkt glaubte. Wenn man berücksichtigt, wie viel von den lepontinischen Decken, die über den helvetischen gelegen haben, der Abtragung zum Opfer gefallen ist, so kann man aber die Annahme nicht von der Hand weisen, daß die ostalpine Decke einst- mals auch die westlich des Rheintales gelegenen Alpen überspannt hat, wenn es sich auch ganz unserer Kenntnis entzieht, in welchem Maße dies der Fall war. Mit dem Rhätikon beginnen die sog. nörd- lichen Kalkalpen. Sind diese im Rhätikon eine wurzellose, von Süden gekommene Schubmasse, so müssen sie es auch in ihren übrigen Teilen sein. Der Beweis für die Richtigkeit dieser Auffassung liegt im Vorhandensein mehrerer Fenster, die einen Einblick in den Untergrund der ostalpinen Decke und die Feststellung er- lauben, daß sich unter ihr stetsfort die lepon- tinischen Decken ausbreiten. Das erste dieser Fenster ist, wenn wir von dem erwähnten kleinen von Gargellen im Rhätikon absehen, das Fenster des Unter- engadins. In ihm treten die Bündner Schiefer wieder zutage, die am Ostrand des Prättigaus unter den Rhätikon untertauchen (Fig. 34). Die Breite der Brücke, die sie überdeckt und unter der sie unsichtbar bleiben, beträgt zwi- schen Klosters und Ardetz 23 km. Die Länge des großen Erosionsloches in der ostalpinen Decke beträgt etwa 55, die größte Breite 18 m. Wäre das Unterengadin kein Fenster, so müßten die Bündner Der Deckenbau der Alpen. 47 Schiefer früher über die Silvretta hinübergegangen sein. Man sieht sie aber überall am Rande der krystallinen Masse unter diese hinunter stechen. Das Fallen der Schiefer im Fenster ist periklinal. Am Westrande finden sich über den Schiefern unter der ostalpinen Decke Reste der Klippen-, Breccien- und rhätischen Decke (auch der Niesen-Habkerndecke?), die allerdings schwer entwirrbaren Bau zeigen. Auch hier ist die rhätische Decke durch die Ophiolithführung ausgezeichnet. Im Norden und Osten bilden die krystal- linen Gesteine des Ferwall und der Ötztaler Alpen den Fensterrahmen, während im Süden über dem Gneis der letzteren noch die Sedimenthülle aus Perm, Trias und Jura erhalten ist. Hier, im Bereich der Unterengadiner Dolomiten, zeigt sich Faltung aus SO., die auch in Überschiebungen über- geht, so dal) man hoch auf der Spitze der Berge (neiskappen auf dem Jura ruhen sieht. Ähnliche Erscheinungen beobachtet man im Gebirge zwischen Livigno, Bormio und Sta. Maria im Münstertal, wo am Piz Um- Fig. 35. Piz Mezdi Rlad P. da Rıms PChaz fora R Umbrail > ER ee er St Vefzfaler ER a —— Ansicht der Chazforaüberschiebung südlich von Sta. Maria im Münstertal. Krystalline Schiefer der „Chazforascholle“ liegen auf dem Dolomit der „Braulioscholle*, deren krystalline Gesteine wiederum auf dem Dolomit der auto- chthonen „Addascholle“ aufruhen. Nach O. Schlagintweit. brail und Piz Chazfora Gneis auf den Triasdolomiten aufruht (Fig. 35). Zwischen Ardetz und Silvaplana wird nirgends auf dem rechten Innufer eine tiefere als die ostalpine Decke sichtbar. Von der Berninagruppe bis zu den Unterengadiner Dolomiten gehört ihr das ganze Gebirgsland an. Ihr Bau zeigt im einzelnen Faltenwurf und Schuppung. Nach einer längeren Unterbrechung taucht die lepontinische Zone östlich des Unterengadiner Fensters in einem neuen Fenster auf. Das ist dasjenige der Hohen Tauern. Auch hier wird in einem Loch in der ostalpinen Decke die lepontinische sichtbar. Vom Unterengadin bis zum Tauernfenster sind es etwa 60 km. Das Hohe Tauernfenster bildet ein Rechteck mit der längeren Achse in der Hauptstreichrichtung des Gebirges und reicht mit einer Länge von 160 km vom Brenner, d. h. von der Linie Sprechenstein-Sterzing-Steinach, bis zum Katschbergpab (Fig. 36). Die Hohen Tauern besitzen ein Rückgrat aus krystallinen Gesteinen eruptiven Charakters, nämlich Graniten, Tonaliten und Eruptivgneisen, die Otto Wilekens. --.------ Dinariden der ost- alpinen Kalkzone Wurzel > ey -"" Gailtaler Alpen, /} Hl, HMeeresmiveau” Schematisches Profil durch den mittleren Teil der Ostalpen (Hochalm-Dachstein), den Deckenbau des Gebirges, Fig. 36. a> © Euro mE R=) le EI Er we PR- n [> oo a = Am. © a8 o sau 33 ES 8o Fi 23 I m © Den Le} R ac a A R Ms en) rd © 9 (6) | 9808 E3 # ©85 Mao AS) IN 280 © 5 80 09 PREIS) a8 2230 Er o5 aa 5383 as-5 ai ASASNS SEWmO = ö a4 of = oa I ee -r- os als) = 93 2a Se Sun oro A: SA 88 Keh Sid Alorare ana 3 el al TS © Score © — o© [®) (@) - z A A| A D 1 ! 1 I} N Kae i ‘ ' h ; h u! Sandsteinzone ---- Molassezone Eee FFITT FF, FT 77, ZÜÄL der tieferen Decken am Nordrande des Gebirges sowie das Fenster der Hohen Tauern zeigend. Nach V. Uhlig. Gesteine der Dinariden; Paläozoicum der Karnischen Alpen und Mesozoiecum der südlichen Kalkalpen. Perm und Mesozoieum des ostalpinen Deckensystems (Wurzelzone, Alte krystalline Schiefer und Granite des ostalpinen Deckensystems. „Zentralgneis“ usw. der tiefsten Decke des Hohen Tauernfensters., „Dehieferhülle“, untere Abteilung und obere Abteilung (Glanzschiefer) mit Grünschiefern. Mesozoieum der Radstätter Decke. Paläozoicum der Grauwackenzone des ostalpinen Deckensystems. Unten Karbon, oben Silur und Devon. Lepontinischer und helvetischer Plysch. Die schwarzen Striche bedeuten die vindelieischen Klippen. Helvotisches Mesozoicum, in diesem Schnitt der Ostalpen nirgends an die Oberfläche tretend. Molasse (Oberoligocäin und Miocän). FREE AG a3 rn NO Se ala 225 Ba, A a lt 2 de :q f=) 55% Pie) & L ’ Fe r #7 FHHHR S/W die Lage der Wurzeln und den Austritt Gailtaler Alpen) und Deckengebiet der nördlichen Kalkalpen Der Deckenbau der Alpen. 49 mehrere sog. „Kerne“ bilden, d.h. mehr oder mehr weniger unregelmäßig begrenzte, im allgemeinen rückenschildförmige Massen, die in einer Hülle schiefriger (Gesteine stecken, die deshalb als „Schieferhülle* bezeichnet worden ist. Die alte Erklärung, daß die „Zentralgneise“ und Eruptiv- kerne intrusiv in die Schieferhülle eingedrungen wären, ist unrichtig. Vielmehr ist das Verhältnis der beiden Gesteinsmassen zueinander das- selbe wie das der Gneise der penninischen Zone in den westlichen Alpen zu den sie überlagernden Jüngeren Gesteinen. Tatsächlich taucht die penni- nische Zone in den Hohen Tauern wieder auf. Die Gneise und die darüber folgenden Glimmerschiefer entsprechen den ähnlichen Gesteinen, wie sie in der Vanoise und am Gran Paradiso vorkommen. Über ihnen liegen (Juarzite, Dolomite, die als Trias aufgefaßt werden, und dann der seinem Alter nach strittige „Hochstegenkalk“. Diesen Komplex nennt man den unteren Teil der Schieferhülle Darüber folgen als oberer Teil derselben die Kalkphyllite, wie man sie in den Ostalpen nennt. Sie sind identisch mit den westalpinen Glanzschiefern. Diese Tatsache wäre wohl schon früher erkannt worden. wenn westalpine Geologen die Tauern besucht hätten oder ostalpine Geologen die Westalpen. Die Glanzschiefer erreichen eine be- deutende Mächtigkeit und enthalten auch hier Einlagerungen von basischen Eruptivgesteinen wie Serpentin und Grünschiefern. (Auch in der unteren Schiefernhülle treten basische Eruptiva auf.) So wenig wie die „Zentralgneise“ intrusiv sind, so wenig beruht der metamorphe Zustand der Gesteine der „Schieferhülle“ auf Kontaktmeta- morphose, sondern ist ebenso wie der der westalpinen Glanzschiefer auf eine regional wirksame Ursache (Versenkung in große Rindentiefe) zurück- zuführen. Über der Glanzschieferdecke sollte man die vindelieischen Decken erwarten. Aber so wenig wie im Unterengadiner ist im Tauernfenster die Erkennung und Gliederung dieser Decke leicht durchführbar, ja sie ist hier eher noch schwieriger. Man findet am tektonischen Orte der vindeli- cischen Decken eine gefaltete, verzweigte, vielfach gequetschte und sogar zerfetzte Deckenmasse von wechselndem Habitus. Nach Teermier, der das Tauernfenster zuerst als solches erkannt hat, wären in der nordwestlichen Umrahmung des Fensters zwischen den Glanzschiefern einer- und den basalen Pinzgauer Phylliten der ostalpinen Decke andrerseits wahrschein- lich drei Decken zu unterscheiden, nämlich zu oberst eine Decke mit Ophiolithen, die sich mit der rhätischen Decke Graubündens und der Schweizer Voralpen in Beziehung bringen ließe, in der Mitte eine Decke, in der eine Breccie auftritt, die noch rhätische Komponenten enthält (vel. Brecciendecke!) und endlich zu unterst die „Tribulaundecke“. Letztere be- steht aus Glimmerschiefern an der Basis, hauptsächlich Trias und noch etwas Lias. Im untersten Teil des Gasteiner Tales liegt zwischen den Glanz- schiefern und dem ostalpinen Deckensystem nur die eine „Decke der Klammkalke“, die hochgradige Zertrümmerungen und Streckung der Ge- E. Abderhalden, Fortschritte. X. 4 50 Otto Wilekens. steine aufweist. Die weiter östlich folgenden Radstätter Tauern werden von dem „Tauerndeckensystem“ auf- gebaut, wie es ursprünglich benannt worden ist. Besser, weil weniger miß- verständlich, wird dasselbe jetzt „Rad- stätter Decke“ genannt. Dieselbe zeigt starke Faltungen und Verzwei- gungen und es sind folgende Teil- decken in ihr unterschieden worden (Fig. 37): Önzbunpuoys ıpoJspoy qouseqo jojsuu7 N 3. Heispucrg TIIKELREIZZN dasuay) 30y92U2907 we [7] hd 1Boyun 1. Speiereckdecke 2. Hochfeinddecke | Radstätter 3. Lantschfelddecke Decke. 4. Tauerndecke Mon REN inbuaneı , wird 1Boyswrus Von diesen nimmt die Tauern- < decke den größten Raum an der Ober- 3 fläche ein. S In den Radstätter Tauern, so- weit dieselben durch die Radstätter Decke eingenommen werden, kann man zwei Schichtgruppen unterschei- den, die voneinander regelmäßig durch Überschiebungsflächen getrennt sind. Der eine Komplex besteht aus Trias- dolomit, Pyritschiefer und Juramarmor, der andere aus Sericeitquarzit und Schiefern, wozu sich oft noch Gmeis a“ . gesellt. Zunächst wurden diese beiden vo Schichtfolgen als stratigraphisch zu- sammengehörig betrachtet. Auch die höchste Gneis-(Quarzitmasse, das sog. „Schladminger Deckmassiv“, sollte zu den „Tauerndecken* gehören und damit lepontinisch sein. Neuerdings macht sich eine Auffassung geltend, die das andere Extrem darstellt. Da- nach wären alle, auch die zwischen den oben angeführten Teildecken der xadstätter Decke gelegenen Gneis- Quarzitmassen ostalpin. Diese An- nahme macht die weitere einer riesi- gen Verfaltung zwischen Lepontinisch ” und Ostalpin notwendig. In der Mitte 7 a pane d” ' I N u 1661 JdoyyDY (Fusjpeinel 1 [3 X EEE ea ne ut] 4opyu.1900] ENT er [zT onıdspfojuis 28 DIA wu 120r /AYDIKWBIR| adyobunstetg 90 z ‚ > x & / 4 prayspurg nearusauaad "pryyasıuol ' x N Pul3j420h u,u0d SEITE 7 JPISND4 wow SalID Der Deckenbau der Alpen. 51 steht die Ansicht, daß nur die Schladminger Masse als ostalpin, nämlich als Basis der ostalpinen Decke, zu betrachten ist. Auch dann sind immer noch die Radstätter und die ostalpine Decke beträchtlich miteinander verfaltet. Bietet der Nordrand des Tauernfensters einen Schnitt durch die Decken in ihrer Streichrichtung, so gewährt sem Ostrand einen Einblick in den Habitus der Decken quer zum Streichen (Fig. 38). Es ist sehr interessant, die Radstätter Decke an dieser Schnittlinie entlang nach Süden zu verfolgen. Beweisend für den Schub aus Süden ist die Zunahme der Ausquetschungen nach dieser Himmelsrichtung. Gegen den Lungau und den Katschberg nimmt die Radstätter Decke an Mächtigkeit ab und tritt von St. Michael ab nur noch in einzelnen Linsen auf, die eine typische (Quetschzone darstellen. Die Wurzeln der unteren Abteilung der Schieferhülle und der Glanz- schieferdecke sind dicht südlich von den Zentralgneisdecken zu suchen. Die Wurzelzone der Radstätter Decke muß südlich darauf folgen. Es ist die Zone Sprechenstein-Windisch Matrei-Kals-Mokarspitz-Makernispitz, in der sich „zentralalpines“, d. h. lepontinisches Mesozoicum findet, und die durch einen Aufbau aus isoklinalen, zerrissenen und zusammengepreßten Schollen ausgezeichnet ist, deren Gesteine alle in reduzierter Mächtigkeit erscheinen. Die ostalpine Decke, die über dem lepontinischen Deckensystem folgt, hat ihre Wurzel selbstverständlich südlich vom Fenster der Hohen Tauern. Ihre Ausbreitungsregion liegt nördlich desselben. Es ist bezweifelt worden, ob sie jemals das Tauerngebiet überwölbt hat und von demselben durch die Erosion abgetragen ist. Manche Forscher meinen, sie sei vielmehr eine Gleitmasse und unter Zerreißung ihres Zusammenhanges nordwärts abge- rutscht, wenigstens was die jüngeren, mesozoischen Gesteine anbetrifft. Östlich und westlich des Tauernfensters steht aber jedenfalls das ost- alpine Deckensystem mit seiner Wurzel im Zusammenhang. Die lepontinischen Decken tauchen gegen den Rahmen des Fensters in die Tiefe. Am Ostrande taucht die Quetschzone, die die Radstätter Decke repräsentiert, unter alte Gneise und Glimmerschiefer. Das majestä- tische Gebirge der Hohen Tauern verschwindet hier unter einem sehr ein- förmigen Gmeisgebirge, „wie ein stolzes Schiff im eintönigen Wellenmeer versinkt“. Im Maltatal treten diese alten Gneise und Glimmerschiefer un- mittelbar an die Glanzschiefer heran, indem dazwischen die Radstätter Decke ganz verquetscht ist. Südlich der Wurzelzone der Radstätter Decke finden sich ebenfalls alte Gneise und Glimmerschiefer, zu denen sich noch Amphibolite, Peg- matite und krystalline Kalke gesellen. Solche Gesteine finden wir ebenfalls im Norden über der Radstätter Decke. Es gehört dazu das Schladminger Deckmassiv, ferner die Pinzgauer Phyllite. Im Westen schließen sich die Ötztaler Gneise an. Über den alten krystallinen Gesteinen folgen im ostalpinen Decken- system paläozoische Schichten, die die sog. ostalpine Grauwackenzone 4* nr ın f | \ Treten tern 7 0s ’ Fal EN Bor daslen:. ): N v | Wi \ f le Iiks — 1478 ‚| ‚ Ringe bezeichneten Übersehiebungsflät Trias und Jura der Tauerndecken Weiß: ätter Tauern und ihrer Umgebung. adst S ERS SC ST EETIH ea 5 PEST EEEEES SESTEEERSSER > 2 [> =. x (} SEETTTE NIS AZ STERET BA c I 0 SAZETZE << I SIE Fe N Er : = SNUS : SICH 82:222: DAS 3 SIISE SIE STIER Sn IIIENSIE SEE SINE N.8 ATI DIINER: BEINEN SOSE = SETS NN SINE IE ITEN: SD nn RISSE NS N 5 III DIN NIS IN iS SITES _ SIR Ss U SET SS ERRIIEN, NIE Qu Du °222222222% N EI SEES = ITS = ; = ESEL IRRE Derch RS DI a n KR Lantschfeld ET, X D e& NR, (< Cr r (pr ITITrTT en Ru 5 . REN or .37 mit I—-IV og ke} 0), I—4 die im Profil Fi .d ‚nführendes Süßwassertertiär. I—-IV Teildecken (vgl. S ach W. Uhlig und L. Kober. 54 Otto Wilekens. aufbauen. Sie beginnt am Ende der Ostalpen am Semmering und läßt in ihrem Verlauf nach Westen stets eine Gliederung in zwei tektonische Ein- heiten erkennen, die auf der Linie Mürz-, Liesing-, Palten-, Ennstal bereits genauer verfolgt, deren Grenze weiter nach Westen aber noch nicht genau festzeleet ist. Die untere der beiden Decken dieser Grauwackenzone be- steht aus Quarziten, graphitischen Kalken, Bänderkalken, Graphitschiefern, Phylliten, Grauwacken, Sandsteinen, Konglomeraten, Serpentin- und Grün- schiefern, Gesteinen, deren Mehrzahl ein karbonisches Alter zugesprochen wird, und über denen noch mancherwärts Trias folgt, so im „Mandling- zuge“ bei Radstatt, der ein zurückgebliebener Rest des in seiner Haupt- masse viel weiter nach Norden vorgeschobenen Mesozoicums ist. Über dieser unteren Decke liegen silurische und devonische Kalke, Dolomite und Schiefer, die in normaler Folge von der Trias der nördlichen Kalkalpen überlagert werden. Man bezeichnet diese Decke als das obere ostalpine Deckensystem, denn seine mesozoischen, stark nach vorn gedrängten Teile man beobachtet auch hier jenes uns von den Westalpen her bekannte Zurückbleiben der älteren Glieder — erlauben noch eine Gliederung in weitere einzelne Decken. So kann man z. B. nördlich der Hohen Tauern im oberen ostalpinen Deckensystem zwei Decken unterscheiden: eine tiefere, der das Silur-Devon der Grauwackenzone von Dienten angehört und in deren Trias die sog. Hallstätter Kalke eine große Rolle spielen, und eine höhere, die mit Untertrias beginnende Dachsteindecke. Der heutige Südrand der nördlichen Kalkalpen ist ein in seiner jetzigen Form von der Erosion erzeugter Wurzelrand. Die nördlichen Kalk- alpen bestehen aus dem Mesozoicum des ostalpinen Deckensystems. Auf den ersten Blick bieten sie kein so deutliches Bild einer Faltung wie etwa die helvetischen Decken der Schweiz, doch zeigen die neueren genauen Einzeluntersuchungen immer deutlicher eine oft intensive Faltung. Die Metamorphose, die in den Glanzschieferdecken eine so große Rolle spielt und sich auch in den Radstätter Decken deutlich bemerkbar macht, fehlt ihren (sesteinen. Das kommt daher, dal) die ostalpine Decke in der Erd- rinde eine höhere Lage einnimmt als die lepontinischen Decken, über die sie hinweggegangen ist und die sie mehr oder weniger verquetscht hat. Ob über die ostalpine Decke selbst eine noch höhere Decke hinüberge- gangen ist und wie eine Druckwalze auf sie eingewirkt hat, ist zweifel- haft und konnte auch von den Anhängern dieser Hypothese noch nicht bewiesen werden. Die Erkenntnis, dal die nördlichen Kalkalpen aus Decken aufgebaut sind, ist für das Verständnis der durch den Deckenbau zum Teil arg ver- stellten Faciesverhältnisse und damit auch der Stratigraphie von großer Bedeutung gewesen. Weil man die großen Lagerungsstörungen noch nicht kannte, hat man so lange nicht über die Gliederung der ostalpinen Trias ins Klare kommen können. Es ist freilich noch nicht möglich, eine für die ganzen nördlichen Kalkalpen gültige Deckengliederung anzugeben. Man Der Deckenbau der Alpen. 55 darf sich darüber nicht wundern: denn das ist ja trotz der intensiven Forschung für die helvetischen Decken der Schweiz auch noch nicht ganz gelungen. Es kommt dann aber noch hinzu, dal) die weitaus überwiegende Mehrzahl der in diesem Gebiet arbeitenden Geologen der Deckentheorie ablehnend gegenübergestanden hat. Ein Umschwung in dieser Hinsicht hat sich aber bereits angebahnt. Im Algäu hat Rothpletz schon vor längerer Zeit eine Algäuer und eine Lechtaler Schubmasse unterschieden. Ferner ist dort noch eine Wetter- stein-Mieminger Schubmasse erkannt (Fig. 59). Im Oberhalbstein ist eine ganze Anzahl von Teildecken ausgesondert worden. In den Salzburger Alpen Fig. 39. Fenster AK, Hebvet. Krerde C Vrdelic sche Sehollen ırır Dechienramn ser Schematische tektonische Karte des westlichen Teiles’der Ostalpen. Nach O. Ampferer, geändert. gliedern Zaug und Lugeon das ostalpine Deckensystem in (von oben nach unten): Dachsteindecke. Hallstätter Decke, Salzdecke, Bayrische Decke. Für jede dieser Decken wird eine besondere, von der der anderen mehr oder weniger abweichende Schichtfolge angegeben. Sowohl diese Deckenzahl wie auch ihre Folge wurde bestritten, doch findet neuerdings die Einordnung der Hallstätter Decke zwischen die bayrische und die Dachstein- decke auch gerade bei ostalpinen Geologen Zustimmung. Österreichische Geo- logen nennen die bayrische Decke auch die voralpine Decke (eine Bezeichnung, die etwas mißverständlich ist, weil man dabei leicht an die Schweizer Vor- alpen und damit an vindeliecische Decken denkt), die Dachsteindecke die hochalpine. Die Salz- und die Hallstätter Decke gehören eng zusammen. Die Hallstätter Decke weicht in der Ausbildung der Trias von der bayrischen und der Dachsteindecke ab, die sich wiederum mehr gleichen. Es wird 56 Otto Wilekens. das daraus erklärt, dal) die Sedimente der Hallstätter Decke in der Tiefe der Geosynklinale, die der beiden anderen an den beiderseitigen flacheren randlichen Zonen derselben abgelagert worden sind. Die Hallstätter Decke ist oft stark verquetscht und die Feststellung ihrer Schichtfolge macht deshalb besondere Schwierigkeiten. Die hochalpine Decke zeichnet sich durch die große Mächtiekeit ihrer Triaskalkmassen aus, die mit ihren 1500 m die der bayrischen Decke um das Zwei- bis Dreifache übertrifft. Die bayrische Decke ist eine von ihren älteren (Gresteinen abgescherte und weit vorgestolene Decke und gehört dem bei der Besprechung der Grauwackenzone erwähnten unteren ostalpinen Deckensystem an. Der Mandlingzug ist ein ihr zugehöriger Schubspan. Östlich des Tauernfensters bildet die ostalpine Decke eine geschlos- sene Masse, doch öffnet sich darin am Semmering noch einmal ein Fenster, in dem zwar nicht die Glanzschieferdecke, aber doch, soviel sich bis jetzt sagen läßt, die Radstätter Decken noch einmal zutage treten. Die Wurzelzone des ostalpinen Deckensystems liegt südlich von derjenigen der Radstätter Decke. In bezug auf die Beteiligung meso- zoischer (Gesteine an ihrer Zusammensetzung besonders gut entwickelt ist sie im Grailtaler Kalkgebirge, das von Sillian über die Villacher Alpe-Hoch- obir-Petzen bis zum Südrande des Bachergebirges läuft. Dies Triasgebiet zeigt dieselbe facielle Ausbildung wie die Kalkalpen im Norden. Das war bereits in jener Zeit, als man an die Deckentheorie noch nicht dachte, bekannt und erregte besonderes Aufsehen, weil die nördliche Facies süd- lich der damals als „krystalline Zentralzone“ betrachteten Hohen Tauern angetroffen wurde. Wie es für „Wurzelland“ bezeichnend ist, findet sich in dieser „Gailtalzone* eine steile, isoklinale Schichtlagerung, während sich die Schichten in den vorderen Teilen der Decken mehr flach ausbreiten, was wiederum für „Deckenland“ charakteristisch ist. Die Wurzelzone, die zwischen dem sie im Süden begrenzenden „Gail- bruch“ nnd den Hohen Tauern etwa 40 km breit ist, verschmälert sich nach Westen zu auf 15km zwischen Sterzing und Mauls. Südlich von ihrer süd- lichen Begrenzungslinie, die von einer Verwerfung gebildet wird, liegt ein geologisch von den Alpen sehr verschiedenes (rebiet, das von E. Suess geradezu mit der besonderen Bezeichnung „Dinariden“ von den Alpen abgetrennt ist. Der Name kommt von den Dinarischen Alpen in Dalmatien- Bosnien, die ohne jede Grenze gegen die „südlichen Kalkalpen“ herauf- ziehen, die den Dinariden angehören, aber nicht ganz mit ihnen identisch sind, indem zu den Dinariden auch noch ein Stück krystallinen Gebirges hinzugehört, das westlich der großen, von der Grenze zwischen Alpen und Dinariden sich abspaltenden „Judikarienverwerfung“* liegt. Außer in faci- ellen und stratigraphischen Eigentümlichkeiten liegt die Eigenart der Di- nariden besonders darin. daß der Gebirgsschub hier nicht wie in den Alpen nach Norden, sondern nach Süden gerichtet ist. Die Grenze von Alpen und Dinariden ist vielfach durch das Auftreten von Stöcken körniger ey Der Deckenbau der Alpen. 7 Eruptivgesteine von dioritischem Charakter, sogenannter Tonalite, ausge- zeichnet. Solche sind z. B. die Tonalitmasse des Kreuzberges, des Iffinger, die Brixener Masse. Der große Stock des Adamello liegt innerhalb der Dinariden und, so viel bis jetzt bekannt ist, läuft die Grenzlinie gegen die Alpen nördlich von ihm, in der Gegend des Tonalepasses, durch und von hier aus weiter in das Veltlin. Diese Eruptivstöcke sind jung, wahr- scheinlich vom Alter der alpinen Gebirgsbildung, aber freilich nicht, wie man lange annahm, ganz auf die Dinariden beschränkt, indem nach Stein- mann der Granitstock der Disgrazia, nach Argand der Syenit von Biella und der Diorit von Traversella-Brosso in die Wurzelreeion der oberen lepontinischen Decken in einer auf die alpine Deckenbildung folgenden Zeit intrudiert sind. Ob man berechtigt ist, einen Teil der westlich vom Comer See ge- legenen krystallinen Zone südlich von Bellinzona, Locarno und Finero noch als ostalpine Wurzelregion zu betrachten, oder ob man diese ganze Zone den Dinariden zuzuzählen hat, muß) zweifelhaft bleiben. Die Schmalheit der ostalpinen Wurzelzone ist auffallend und verlangt eine Erklärung. Es ist möglich, daß die Dinariden ein Stück über die ostalpine Wurzelzone hinaufgeschoben sind und daß dann ein Abbruch erfolgte. Es läge dann nur ein Teil der Wurzeln an der Oberfläche, während ein anderer südlich der alpino-dinarischen Grenzlinie in der Tiefe unter dinarischer Über- lagerung zu suchen wäre. Es ist oben die Hypothese erwähnt worden, daß das ostalpine Deckensystem von einer noch höheren Decke überschritten worden sein soll. Als dieser „Verdrückungsschlitten“ sind die Dinariden an- gesprochen worden. Es bleibt uns nun noch der Nordrand der Ostalpen zur Bespre- chung übrig. Er ist besonders interessant, weil hier wiederum tiefere Decken unter den ostalpinen hervortreten (Fig. 39). Vor dem Außenrande des Gebirges liegt wie in der Schweiz die Mo- lasse. Südlich davon erstreckt sich die „Flysch-* oder „Sandsteinzone*“. Das Kreidegebirge des Bregenzer Waldes, das als unmittelbare Fortsetzung des Säntisgebirges erscheint, also helvetisch ist, läßt sich in einer schmalen und mehrfach unterbrochenen Zone weit nach Osten verfolgen, im allge- meinen aus Nummulitenkalk unten und Senon darüber aufgebaut. Aber der Flysch ist gleichfalls helvetisch. Seine sandig-schiefrigen Gesteine fallen steil südwärts unter das Mesozoicum der Kalkalpen ein. Sie sind von großer Einförmigkeit und fast fossilleer, doch sind gerade Kreideverstei- nerungen darin mehrfach angetroffen worden. Zweifellos besteht die Flysch- zone aus mehreren Schuppen ; aber ihr Bau ist wegen des Mangels einer stratigraphischen Unterlage schwer entzifferbar. Östlich von Mattsee (nörd- lich von Salzburg), bis wohin noch typische helvetische Gesteine mit dem Flysch vorkommen, verbreitert sich die Sandsteinzone namentlich gegen Wien hin. Es begleitet also den ganzen Nordrand des Gebirges eine hel- vetische Zone, die von dem ostalpinen Deckensystem an einer steilen Über- E. Abderhalden., Fortschritte. X. 5 HS Otto Wilekens. schiebungsfläche überschoben wird. Innerhalb des Körpers der Ostalpen treten aber helvetische Gesteine nicht zutage, auch nicht in den Fenstern. Es ist schwer zu sagen, ob die helvetische Randzone im Norden als Aus- tritt der Jüngsten Gesteine von im Zusammenhang befindlichen Decken oder nur als vorgeschürfte Teile von solchen zu deuten sind. Für den breiten östlichen Abschnitt dürfte das erstere gelten. Aber nicht nur die helvetischen, sondern auch die lepontinischen Decken treten am Nordrande der Alpen unter den ostalpinen (und über den helvetischen) hervor. Auch hier scheinen im Westen nur mitgeschürfte Fetzen aufzutreten, während im Osten etwas mehr Zusammenhang im Le- pontinicum vorhanden ist. In Vorarlberg findet sich Flysch mit exotischen Blöcken und Klippen (Fig. 40). Er ist als Vertretung der Niesenhabkern- decke angesprochen worden. Einzelne Fetzen vindelieischer Gesteine finden Fig. 40. Klippe aus Aptychenkalk (kk) und sandigem Flysch (fs) mit exotischem Granitblock (g) in der Algäu-Vorarlberger Flyschzone. Nach A. Tornquist. sich im Aleäu. Eine zusammenhängende Zone bilden solche dagegen weiter östlich in der sogenannten „Klippenzone“, die von Gmunden bis Wien auf der Flysch- und Sandsteinzone und unter der ostalpinen Decke liegt. In ihr verbindet sich stark geschuppter Bau mit einer vindelicischen Facies. Flyschbildungen sind häufig, daneben findet sich eine Schichtfolge von der Trias bis zum Tertiär. Von krystallinen Gesteinen kommen Gra- nite, aber auch Serpentin vor. Wenn auch die Ausbildung mancher Schichten an die tieferen Teile des ostalpinen Deckensystems gemahnt, so zeigen doch andere die Merkmale der Schweizer Voralpen. Als Beispiele dafür ınöge das Vorkommen von Zoophycusdogger bei St. Veit, ferner das Auf- treten exotischer Granitblöcke bei Waidhofen a. d. Ybbs aufgeführt sein. Man merkt dieser Klippenzone, in der man vielleicht Klippendecke und rhätische Decke vermuten darf, an, daß sie unter starker Belastung nord- wärts geschoben ist. Der ursprüngliche Zusammenhang der Schichten ist Der Deckenbau der Alpen. 59 Du meist gestört, und die ganze Zone wird aus nach Süden einfallenden Schollen aufgebaut. Von unten nach oben folgen sich also am Nordrande der Ostalpen helvetische, lepontinische und ostalpine Decken. Auch hier bleiben die re- gionalmetamorphen penninischen Decken im (Gebirge zurück, während die vindelicischen bis an seinen Rand vordringen. Auch hier hat ursprünglich das helvetische Faciesgebiet am weitesten nördlich. das ostalpine am wei- testen südlich, das lepontinische in der Mitte gelegen. Die unsichtbaren Wurzeln des helvetischen Deckensystems müssen in einer Zone nördlich der Hohen Tauern-Zone in der Tiefe liegen. Die starke Zerreißung der Schichten in der ostalpinen Klippenzone hängt jedenfalls auch mit dem Vortreten des Gebirges nach Norden zu- sammen, das dann im Karpathenbogen seinen deutlichen Ausdruck findet. In den Karpathen findet die ostalpine Klippenzone ihre Fortsetzung in der pieninischen Klippenzone, deren wurzellose Klippen durch die Zer- reißung der weit nach Norden vortretenden Uberschiebungen der pienini- schen Decken entstanden sind. Die helvetische Sandsteinzone der Ostalpen setzt sich in den beskidischen Decken fort. Auch in Hinsicht der ostalpinen Decken sind die Karpathen die Fortsetzung der Alpen, die ihr plötzliches Ende im Osten nur dem Auftreten von Brüchen verdanken, die das Ge- birge quer herüber abschneiden. Diese Brüche waren schon zur Miocänzeit vollendet. Die Überschiebung der Decken muß) natürlich älter sein als die Brüche, die den von ihr erzeugten Bau durchsetzen. Im Westen der oberitalienischen Tiefebene werden die Decken der penninischen Zone von Oligocän diskordant überlagert. Am Aufbau der helvetischen und der lepontinischen Decken nimmt noch das Eocän teil. Demnach wäre ein Abschnitt der Gebirgsbewegung sicher altoligocän oder jungeocän. Andrerseits branden die helvetischen Decken an das mio- cäne Nageltluhgebirge, was auf eine weitere Phase der Gebirgsbildung in pliocäner Zeit schließen läßt. Wegen der schwachen Entwicklung des Ter- tiärs innerhalb der Ostalpen ist für diesen Teil des Gebirges die Zeit des Deckenschubes schwieriger zu ermitteln. Das Vorhandensein von polygenen Konglomeraten in der Oberkreide hat Anlaß zu der Hypothese gegeben, daß schon in dieser Zeit Deckenbildung stattgefunden hätte. Das Auf- treten solcher Konglomerate beweist an und für sich selbstverständlich Dislokationen, aber noch keinen Deckenbau. Nur die diskordante Aufla- gerung solcher Konglomerate über den Ausbil von Überschiebungsflächen wäre beweisend. Nach Ansicht mehrerer der jüngeren ostalpinen Geologen wäre das Alter der Dislokationen in den Ostalpen im wesentlichen kretazisch. Die Alpen sind nur ein Stück jenes großen Gebirgszuges der Alpi- den, dem außer ihnen noch Balkan, Transsylvanische Alpen, Karpathen, Apennin, Atlas und betische Kordillere angehören. Fast in allen Abschnitten dieses Zuges herrscht Deckenbau. Es ist von den Karpathen schon gesagt worden, dab sie die östliche Fortsetzung der Alpen bilden und daß auch 5*F 60 Otto Wilckens. in ihnen Überschiebungen die herrschende Dislokationsform sind. Die Förderlänge der karpathischen Decken übertrifft womöglich noch diejenige der Ostalpen, in denen dieselbe bereits Werte von 100—120 km erreicht. Im Apennin ist die Glanzschieferzone, deren Bildungsraum hier im Gegensatz zu den Alpen nicht nördlich, sondern südlich des ostalpinen lag, auf das letztere Faciesgebiet hinübergeschoben worden. Die Alpen sind das am besten erforschte Gebirge mit Deckenbau. Weil dieser letztere eine sehr große Rolle in jungen und alten Gebirgen der Erde spielt, wird die Geo- logie der Alpen zugleich zum Schlüssel des Verständnisses für den Bau der meisten anderen eroßen Gebirge der Erde. Wichtigste neuere, insbesondere neueste Literatur über den Deckenbau der Alpen. 1. Allgemeines. J. Boussac, Etudes stratigraphiques sur le Nummulitique alpin. Chap. I. Les grandes unites tectoniques de la chaine des Alpes. Mem. p. serv.& V’expl. de la carte geol. det. de la France, 1912. — Alb. Heim, Der Bau der Schweizer Alpen. Neujahrsblatt, herausg. v. d. Naturf. Ges. Zürich, 110. Stück, 1908. — M. Lugeon, Les grandes nappes de recouvrement des Alpes du Chablais et de la Suisse. Bull. Soe. G&ol. 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Buxtorf, Über die Geologie der Doldenhorn-Fisistockgruppe und den Gebirgsbau am Westende des Aar- massivs. Verhandl. d. Naturf. Ges. Basel, 20, S. 135—179, Taf. TV, 1909. — A. Buxtorf, Geologische Prognose für den nördlichen Teil der neuen Trace des Lötschbergtunnels, bis Kilometer 8 vom Nordportal. Verhandl. d. Naturf. Ges. Basel, 21, S. 222—244, Taf. I—IV, 1910. — Albert Heim, M. Jerosch, E. Blumer, Arn. Heim, Das Säntisge- birge. Beitr. z. zeol. Karte d. Schweiz. N. F., 16, 1905. — Albert Heim, Beobachtungen aus der Wurzelregion der Glarnerfalten (helvetische Decken). Beitr. z. geol. Karte d. Schweiz, N. F., Lief. 31, Nr. IV, S. 49—56. — Arnold Heim, Zur Tektonik des Flysches in den östlichen Schweizer Alpen. Beitr. z. geol. Karte d. Schweiz, N. F., 31, Nr. IH, S. 37—48, Taf. IV, 1911. — J. Oberholzer, Die Überfaltungsdecken auf der Westseite des Linthtales. Eclogae geol. Helvetiae, 10, S.531—555, Taf. 11—13, 1908. — W. 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Lugeon, La region de la Breche du Chablais. Bull. Serv. Carte geol. France, VII, Nr. 49, 1895—96. — H. Schardt, Sur l’origine des Prealpes Roman- des (Zone du Chablais et du Stockhorn). Arch. Se. phys. et nat. Geneve, 30, Nr. 12, 1903. — H. Schardt, Les regions exotiques du versant nord des Alpes suisses (Pre- alpes du Chablais et du Stockhorn et les Klippes), leurs relations avec l’origine des blocs et breches exotiques et la formation du Flysch. Bull. Soe. Vaud. Se. Nat., 34, pag. 113—219, 1898. 5. Französische Alpen. E. Argand, Les nappes de recouvrement des Alpes oceidentales et les territoires environnants. Essai de carte structurale, 1: 500.000, 1912. Avec 9 coupes A travers les Alpes occeidentales, 1 : 400.000. — E. Haug, Les nappes de charriage de ’Embrunais et de l’Ubaye et leurs facies caracteristiques. Bull. Soe. G6ol. France, 4° ser., 12, pag. 1—15, 1912. — W. Kilian et J. Rervil, Etudes geologiques dans les Alpes occidentales. 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Der Deckenbau der Alpen. quelques analogies des facies geologiques entre la zone centrale des Alpes orien- tales et la zone interne des Alpes occidentales. — Sur la synthese geologique des Alpes. C. R. Acad. des Sc. de Paris. November 1903. — P. Termier, Les nappes des Alpes orientales et la synthese des Alpes. Bull. Soc. Ge&ol. de France, 4e ser., 3, pag. 711— 765, 2 Taf., 1904. — P. Termier, Die wissenschaftlichen Ergebnisse der Alpenexkursion der Geologischen Vereinigung. Geol. Rundschau, 4, S. 42—50, 1913. — 4. Tornquist, Die Allgäu-Vorarlberger Flyschzone und ihre Beziehung zu den ost- alpinen Deckenschüben. N. Jahrb. f. Min. Geol. Pal., 1908, I., S. 63—112, Taf. IV—XI, 1908. — 7, Uhlig, Zweiter Bericht über geotektonische Untersuchungen in den Rad- städter Tauern. Sitzungsber. d. Akad. d. Wiss. Wien, Math.-nat. Klin., 117, Abt. I, S. 1379 bis 1422, 3 Taf., 1908. -- Führer zu geologischen Exkursionen in Graubünden und in den Tauern. Herausgegeben von der Geologischen Vereinigung 1913. Anm. Die Arbeit von Kober, Über Bau und Entstehung der ÖOstalpen. (Mitt. d. Geol. Ges. Wien. 5. S. 368—481) konnte nicht mehr benutzt werden. Neuere Forschungen über alkoholische Gärung. Von Hans v. Euler, Stockholm. Die moderne Gärungschemie beginnt mit dem von E. Buchner 1897 endgültig geführten Nachweis, daß die alkoholische Gärung ein von der lebenden, vermehrungsfähigen Zelle abtrennbarer Vorgang ist. Die Ent- deckung der Zymase resp. des Zymasekomplexes lieferte die Entscheidung einer sich über viele Jahrzehnte erstreckenden wissenschaftlichen Streitfrage, und sie bildet in gewissem Sinn einen Abschluß. Andrerseits aber begann mit ihr eine neue Periode intensiver systematischer Forschung, welche inner- halb der Biochemie und besonders der Enzymologie grundlegend geworden ist, so dal die Ergebnisse dieses Spezialgebietes für große Gebiete der Biologie wesentliche Bedeutung erlangt haben. Die Buchner-Hahnsche Methode zur Darstellung von zellfreiem oder zellarmem Hefepreßsaft dürfte in ihren Grundzügen bekannt sein: sie be- steht in der intensiven Zerreibung der Hefezellen mit Kieseleur und dem Auspressen der Reibmasse unter sehr hohem Druck. Die Einsicht, daß die Gärung ein von den lebenden Zellen abtrenn- barer, enzymatischer Vorgang ist, scheint zunächst zwar das wichtigste Resultat; sie war aber keineswegs die einzige Folge der Buchnerschen Entdeckung. Vielmehr hat sich die Chemie der alkoholischen Gärung zum großen Teil am Studium des Prebsaftes entwickelt. Haben doch — um nur zwei Ergebnisse hervorzuheben — Harden und Young bei ihren Unter- suchungen des Hefepreßsaftes das „Co-Enzym“ der Zymase entdeckt und ihre Gärungsgleichung gefunden. Wir wollen unsere Übersicht mit der Besprechung dieser Arbeiten beginnen. l. Die Rolle der Enzyme, Co-Enzyme und der Phosphate bei der alkoholischen Gärung. Durch die von Buchner angegebene Methode wird der Hefepreßsaft als klare, opalescierende Flüssigkeit gewonnen, welche Zucker in Gärung zu versetzen vermag. Die Gärkraft dieses Saftes variiert stark mit der Natur der Hefe; sie ist manchmal recht bedeutend, in der Regel sehr dentlich und — abgesehen von seltenen Ausnahmen — viel größer. als der Zahl der E. Abderhalden, Fortschritte. X. 6 64 Hans v. Euler. wenigen im Preßsaft vorkommenden lebenden Zellen entspricht. Andrerseits darf allerdings nicht übersehen werden, daß die Gärkraft des Preßsaftes viel geringer ist, als die der dazu angewandten Menge lebender Hefe. Von den Zellen kann der Saft vermittelst Filtration durch eine Cham- berlandfilterkerze befreit werden, ohne seine Gärkraft ganz einzubüßen. Durch Behandlung des Saftes mit Alkohol und Äther kann das gärungswirksame Arens, welches man nach Buchner als Zymase bezeichnet, in Form eines feinen gelblichen Pulvers niedergeschlagen werden, welches beim Lösen in Wasser seine Gärkraft wieder entfaltet. Die Zymase entspricht ihrem Verhalten nach in mancher Hinsicht den anderen bekannten Enzymen, unter welchen sie allerdings durch eine sehr große Empfindlichkeit gekennzeichnet ist. Diese eroße Empfindlichkeit des Preßsaftes äußeren Einflüssen gegenüber ist nicht nur durch die Enzymnatur der Zymase bedingt, sondern eine Folge der mannigfachen Wechselwirkungen der Enzyme und ihrer Hilfsstoffe, welche im Hefeprelisaft nachgewiesen werden konnten. Als Harden und Young(1) den Hefepreßsaft durch ein Gelatinefilter nach Martin passieren ließen, erhielten sie einerseits einen inaktiven Rück- stand, andrerseits ein unwirksames Filtrat. Sie machten nun die bedeu- tungsvolle Beobachtung. daß diese beiden an sich gärungsunwirksamen Teile durch Mischen wieder einen gärkräftigen Saft lieferten. Sie fanden ferner, daß der erwähnte inaktive Rückstand auch dadurch reaktiviert wird. wenn ihm „Kochsaft“, d. h. gekochter Preßsaft oder an sich inaktiver Hefenextrakt zugesetzt wird. In ähnlicher Weise läßt sich, wie Buchner und Antoni(2) fanden, eine Aufteilung der gärungserregenden Substanz durch einfaches Dialysieren mittelst Pergamentpapiers erreichen. Es zeigte sich also, daß für den Gärungsvorgang auber der Zymase die Gegenwart eines wärmebeständigen und dialysierbaren Stoffes notwendig ist. Diese Substanz haben Harden und Young als Co-Enzym bezeichnet. Ihrer Funktion nach ist sie ein Aktivator. Buchner und F. Klatte (5) haben ferner gezeigt, daß auch Preßsaft, welcher durch einfaches Stehen mit der Zeit unwirksam geworden ist, sog. „ausgegorener“ Saft, durch ge- kochten Preßsaft wieder aktiviert werden kann. Diese letztere Regene- rierung des ausgegorenen Preßsaftes ist wohl darauf zurückzuführen, dab während des Gärungsvorganges die Zymase —- wenigstens zum großen Teil — erhalten bleibt, das Co-Enzym aber verschwindet; da für den Gärungsvorgang beide Enzyme notwendig sind, wird der Preßsaft dadurch unwirksam, aber durch Zufügen von Kochsaft wieder akti- viert. Der Kochsaft scheint die Zymase vor der Zerstörung durch die Endotryptase zu schützen; ist relativ mehr Kochsaft vorhanden, so bleibt die Zymase und damit die Regenerierbarkeit länger erhalten [Buchner und H. Haehn (4)]. Einzehende Versuche haben gezeigt, daß die im Hefeprebßsaft in den ersten Tagen auftretende Vernichtung der Gärungsenzyme mit dem Gärungsvorgang selbst nichts zu tun hat. Die Zerstörung der Zymase tritt auch dann ein, wenn kein Zucker zugesetzt wird, das Tempo ist Neuere Forschungen über alkoholische Gärung. 65 sogar bei der Abwesenseit von Zucker ein rascheres. In ähnlicher Weise wie Zucker wirken starke Glycerinzusätze konservierend auf die Zymase. Die Versuche von Buchner und Klatte(5) hatten die merkwürdige Tatsache ergeben, dal} ausgegorener Prefsaft durch häufig wiederholte Zu- sätze von Kochsaft und Zucker 2—3 Wochen lang gärkräftig erhalten werden kann. „Man muß“ — schreibt Buchner — „daraus schließen, dal) eine Konservierung der Zymase gegenüber den vernichtenden Einflüssen der Verdauungsenzyme gelinet, indem für dauernde Anwesenheit von Co-Enzym gesorgt wird.“ Dies Ergebnis erklärt sich im wesentlichen dadurch, dal der Kochsaft einen besonderen Schutzstoff gegen ver- dauende Einflüsse enthält, welchen Buchner und Haehn als Antiprotease bezeichnen. Es gelingt, das Co-Enzym des Kochsaftes zu zerstören, ohne die Antiprotease zu vernichten. Man erreicht dies zunächst durch mehrstün- diges Kochen am KRückflußkühler; der so behandelte Kochsaft vermag „ausgegorenen Preßsaft*, der nach Ausübung der Gärwirkung auf Zucker unwirksam geworden ist, nicht mehr zu regenerieren, da das Co-Enzym fehlt, dagegen zeigt er noch Schutzwirkung für Gelatine und für die Zymase des lagernden Preissaftes. Beobachtungen von Buchner und Haehn haben ferner gezeigt, dal) Co-Enzym auch durch Sodalösung und sogar durch wiederholtes Kochen des Saftes zerstört wird. Über die chemische Natur des Co-Enzyms ist noch nichts bekannt. Die nahe Beziehung der Phosphorsäure zum Gärungsprozel) macht es wahr- scheinlich, daß eine Phosphorgruppe im Co-Enzym enthalten ist. Eine fraktionierte Fällung des Hefenextraktes läßt vermuten, daß derselbe nicht nur ein Co-Enzym enthält, sondern zwei wärme- stabile zum Zustandekommen der alkoholischen Gärung notwendige Aktivatoren. Das Co-Enzym wird durch eine Peptaselösung nicht angegriffen. Offenbar sind es die Lipasen des Hefenpreßsaftes, welche dasselbe zerlegen und inaktivieren. Alle diese Beobachtungen deuten darauf hin, dab es eine esterartige Verbindung der Phosphorsäure darstellt, welche von Basen verhältnismäßig leicht hydrolysiert werden kann. Versuche, das Co-Enzym durch bekannte Phosphorsäureester, Kohlehydratphosphor- säureester, Glycerinphosphorsäure zu ersetzen, sind von Harden und Young mit negativem Erfolg ausgeführt worden. Anorganische Phosphate vermögen das Co-Enzym nicht zu ersetzen, aber sie spielen beim Gärungsvorgang eine selbständige, nicht minder wichtige Rolle. Daß die Gärung durch Phosphate begünstigt wird, ist eine alte brauerei-technische Erfahrungstatsache. Die ersten Angaben über die stimulierende Wirkung der Phosphate findet man bei Wroblewski(23) und ausführliche Versuche in der Monographie von E. Buchner, H. Buchner und M. Hahn (24). Die Art dieses Einflusses aufzuklären war jedoch den Arbeiten von Jwanoff sowie Harden und Young vorbehalten. 66 Hans v. Euler. Was die chemische Natur der Zymase selbst betrifft, so hat Buchner schon frühzeitig betont, dal) sie kein einheitliches Enzym darstellt, sondern eine Mischung von mehreren Enzymen, durch deren Vermittlung die alkoholische Gärung vor sich geht. Solange die Milchsäure als Zwischen- produkt angenommen wurde, unterschied Buchner zwischen „Zymase im engeren Sinn“ und Lactacidase. Der gegenwärtige Stand unserer Kenntnisse erfordert die Annahme einer größeren Zahl von Enzymen. Die Verschiedenheiten, welche sich bezüglich der Einwirkung von Phosphaten auf die Gärung von Glukose und Mannose ergeben haben | Euler und Lundegvist (5)| und andere Tatsachen [vel. Slator (6)] machen es wahrscheinlich, daß ein besonderes Enzym existiert, welches aus den bekannten gärfähigen Zuckern ein unmittelbar vergärbares Kohlehydrat entstehen läßt. Die Differenz A—C, welche bei jeder Gärung zwischen der Menge des verschwundenen Zuckers A einerseits und der entwickelten Kohlensäure Ü andrerseits auftritt [Euler und Johannson (7), Euler und Berggren (8)] stützen die Auffassung, dal) der Zerfall der Hexosen durch besondere Enzyme „Glukase*“ „Mannase“ usw. eingeleitet wird. und die Tatsache, dal) der Extrakt solcher Trockenhefen, welche keine Zymase enthalten, reine Glukose nicht mit Phosphaten verestern, wohl aber Glukose, welche durch lebende Hefe vorbehandelt ist [Euler und Kullberg (9), Euler und Ohlsen (10)]|, zeigt, dal eine primäre enzymatische Verwandlung der Glukose stattfindet, noch bevor sich die Phosphate an der Zuckerspaltung beteiligen. Abgesehen davon, dal allermindestens ein weiteres Enzym existieren muß, welches sich an der Bildung von Alkohol und Kohlensäure beteiligt, müssen wir zwei Enzyme annehmen, welche die Mitwirkung der Phosphate an der alkoholischen Gärung vermitteln. Den Nachweis, daß die Vereste- rung eines Kohlehvdrates durch ein besonderes Enzym bewirkt wird, konnten Euler, Kullberg und Ohlsen mit dem Extrakt einer Stockholmer Hefe erbringen, welche Zuckerlösungen, die mit lebender Hefe vorbehan- delt waren, veresterte, ohne gleichzeitig eine Vergärung zu veranlassen. Dieses Enzym wurde, um seine synthetische Wirkung hervorzuheben, als Phosphatese bezeichnet (11, 9, 12). Schon L. lJwano/f hatte die Existenz eines solchen Enzyms angenommen, indessen waren seine Versuche, wie Harden und Young(13) zeigten, nicht beweiskräftig. Die selbständige Existenz der Phosphatese wird weiter erwiesen durch die Versuche des Verfassers mit Ohlsen (10) und mit D. Johannson (14, 15). Die Wirkung eines in der Hefe enthaltenen Enzymes, welches den von ihr gebildeten Kohlehydratphosphorsäureester in freie Phosphorsäure und organische Spaltungsprodukte unbekannter Art zerlegt, wurde von Harden und Young näher studiert und als Hexosephosphatase bezeich- net. Dieses Enzym, welches also einen Ester spaltet, scheint im allgemeinen den Lipasen nahe zu stehen. Es wird durch antiseptische Mittel wie Toluol Neuere Forschungen über alkoholische Gärung. 67 stark gehemmt. Auch Überschuß an Phosphat wirkt der durch dieses Enzym bewirkten hydrolytischen Spaltung entgegen | Harden und Young (16)]. An die genannten Teilenzyme reihen Neuberg und Rosenthal (17) die Carboxylase, welche Brenztraubensäure vergärt. Sie suchen die Auf- fassung zu stützen, dal) die Vergärung der Brenztraubensäure eine Phase der Zuckervergärung darstellt und daß demgemäß die Carboxylase ein Teilenzym der Zymase bildet. Dem gegenüber kann allerdings noch ge- fragt werden, ob nicht vielmehr die Aufgabe der CGarboxylase in der Zer- setzung der aus den Aminosäuren gebildeten «-Ketosäuren besteht. Die Tatsache, daß die Vergärung von Brenztraubensäure ohne das Co- Enzym verlaufen kann, welches bekanntlich zur Vergärung der Hexosen unbedingt notwendig ist, hat kürzlich A. Harden (18) festgestellt. Indessen kann, wie dieser Forscher hervorhebt, auf Grund dieser Tatsache noch keine Entscheidung über die Rolle der Carboxylase gefällt werden. Neuberg und Rosenthal berichten nun über weitere Verschiedenheiten zwischen „Zymase“ und Carboxvlase. „Die mitgeteilten Versuche tun dar, daß) die Carboxylase im Vergleich mit der Zymase ein recht beständiges Ferment ist und überhaupt beträchtliche Resistenz aufweist.“ Unter den Faktoren, auf welche sich die Differenzierung gründet, werden zunächst die Verschiedenheiten erwähnt, welche beim Aufbewahren und bei der Dialyse der Enzymsäfte zutage treten; doch wenden die Autoren selbst ein, daß diese Verschiedenheiten vielleicht auf den Verlust von Co- Enzym zurückgeführt werden können, das für die Zymasewirkung erfor- derlich, für die Carboxylasetätigkeit unnötig ist. Ferner bestehen aber zeitliche Unterschiede in der Wirkung der Zymase und Carboxylase, Differenzen in der Hitzebeständigkeit und in der Empfindlichkeit gegen antiseptische Mittel, welche kaum auf die verschiedene Konzentration des mitwirkenden Co-Enzyms zurückgeführt werden können. Während die Gesamtheit dieser Teilenzyme, die Buchnersche „Zymase im weiteren Sinne“, in Lösung sich durch große Empfindlichkeit gegen äußere Einflüsse auszeichnet, erweist sie sich in Form eines staubtrockenen Pulvers als recht beständig und kann viele Monate hindurch ihre Gärkraft fast unvermindert beibehalten. Auch in Verbindung mit den Hefezellen zeigt die Zymase in Abwesenheit von Wasser dieselbe Resistenz. Darauf gründet sich die Herstellung der Dauerpräparate von Hefe, welche unter den Namen „Zymin“ und „Hefanol* bereits ziemlich große Verbreitung erlangt haben. Trägt man nämlich nach der von R. Albert (19) angegebenen Me- thode Hefe in absoluten Alkohol oder in Aceton ein, so werden die Zellen getötet, d. h. ihre Fortpflanzungsfähigkeit, ihr Wachstum usw. wird ver- nichtet, während ein Teil der Gärkraft erhalten bleibt. Die so hergestellte Dauerhefe ist ein trockenes schwachgelbliches Pulver, welches, in Zucker- lösungen suspendiert, dieselben in Gärung versetzt. In diesem Zusammenhang sei die einfache und wertvolle Methode erwähnt, welche A. v. Lebedew (20, 21, 22) angegeben hat, um Zymase ohne HS Hans v. Euler. Anwendung einer Reibvorrichtung und einer hydraulischen Presse aus Hefe zu gewinnen. Gut gewaschene und abgepreßte Hefe breitet man auf ein auf einem Brett liegen- den Filtrierpapier in dünner Schicht (1—1’5em) aus und läßt sie dann im Trockenschrank oder Thermostaten bei 25—30° austrocknen, wozu 2 Tage nötig sind. Von dieser Hefe nimmt man 509, fügt 1509 Wasser hinzu, rührt die Masse in einer kleinen Schale mit einem Glasstab um, bis sie homcegen wird, und läßt sie dann für 2 Stunden im Thermostaten bei 35° oder 6 Stunden bei 25° stehen. Dann filtriert man die Masse durch ein gewöhnliches Papierfaltenfilter. Das Filtrat ist klar und tritt nach Zusatz des Zuckers gleich oder nach kurzer Zeit in eine lebhafte Gärung über. Nach den bis jetzt gewonnenen Erfahrungen liefert dieses Verfahren mit allen Hefen, aus welchen nach Buchner ein guter Preßsaft erhalten wird. einen wirksamen Extrakt. bzw. Mazerationssaft. Bei obergärigen Hefen versagen im allgemeinen beide Methoden, auch wenn die betreffen- den Hefen im frischen Zustande recht gärwirksam sind. Wir müssen hier in Kürze auf die Extraktionsfähigkeit bzw. die Lös- lichkeit der kohlehydratspaltenden Hefenenzyme eingehen. Es haben sich in dieser Hinsicht zwischen den Zymasen, der Maltase und der Invertase der verschiedenen Heferassen sehr erhebliche Unterschiede ergeben. Diese Unterschiede haben sich mit dem Verhalten der Hefenenzyme antisepti- schen Mitteln gegenüber in Zusammenhang setzen und von einem gemein- samen Gesichtspunkt aus darstellen lassen. In bezug auf ihr Verhalten gegen antiseptische Mittei kann man die Hefenenzyme in zwei Gruppen teilen: Für die erste Gruppe ist die Invertase typisch: Lösungen isolierter Invertasepräparate werden durch Toluol nicht beeinflußt, und auch die rohrzuckerspaltende Wirkung der lebenden Hefe bleibt in Gegenwart von Toluol, Chloroform usw. unge- schwächt. Im Gegensatz hierzu stehen die Zymasen: Auch hier sind die von der Zelle abgetrennten Enzyme unempfindlich gegen die Protoplasma- gifte, aber die Gärwirkung der lebenden Hefe wird durch diese Substanzen stark geschwächt und oft vollständig aufgehoben. Wird die Hefe in geeig- neter Weise durch Behandlung mit Alkohol oder Aceton, durch Trocknen im Vakuum bei 40° oder durch langsames Trocknen bei gewöhnlicher Tem- peratur von ihrem Wassergehalt befreit, so wird die Gärung von Zucker- lösungen durch diese Trockenpräparate in Gegenwart von Toluol viel weniger gehemmt als die Gärung durch lebende Hefe. Mit diesem Verhalten der Enzyme gegen Gifte steht nun ihre Ex- traktionsfähigkeit offenbar in engem Zusammenhang: Die Invertase und die Enzyme der gleichen Gruppe. welche in lebenden Zellen von Proto- plasmagiften nicht inaktiviert werden, lassen sich aus der getrockneten Hefe durch Wasser leicht extrahieren, während die Zymasen der Hefen immer nur in beschränktem Maße in wässerige Lösung übergehen. Gerade bei den Z/ymasen der verschiedenen Hefen zeigt sich eine deutliche Parallelität zwischen der Giftempfindlichkeit und der Extrahierbarkeit. Diese Tatsachen sind nun durch eine Hypothese zusammengefaßt worden, Neuere Forschungen über alkoholische Gärung. 69 nach welcher freie Enzyme im allgemeinen durch Protoplasmagifte in ihrer Wirksamkeit nicht gehemmt werden, während diese Enzyme, solange sie an das Protoplasma gebunden sind, durch antiseptische Mittel außer Tätigkeit gesetzt werden. Aus den erwähnten Vergiftungsversuchen zieht also Verf. den Schluß, daß in der lebenden Hefe nur ein geringer Bruch- teil des gärungsvermittelnden Agens als freies Enzym anwesend ist. Der weit überwiegende Teil muß in engerer Weise mit dem Protoplasma der Zelle verbunden sein. Zeitlicher Verlauf der Phosphatwirkung. Wird eine geeignete Menge des löslichen Phosphates zu der gärenden Lösung einer Hexose in Hefepreßsaft gesetzt, so steigt die Gärungsge- schwindigkeit schnell oft bis zum zwanzigfachen Betrag, dauert in dieser Weise eine Zeitlang fort, und nimmt dann angenähert den früheren Wert an |Harden und Young (1)]. Wie Harden und Young gezeigt haben, über- Fig. 41. Q 20 ° 40 6 80 100 120 140 160 Zeit ın Minvfen treffen während der Periode der vermehrten Gärung die Beträge von Kohlendioxyd und Alkohol diejenigen, welche sich in Abwesenheit von zu- gefügtem Phosphat ergeben, um eine Menge, welche genau äquivalent ist mit der Menge zugefügten Phosphats, im Verhältnis CO, oder C, H,O:R,HPO,. Einen solchen von den englischen Forschern ausgeführten Versuch stellt die Fig. 41 dar, in welcher das Volumen des entwickelten Kohlendioxyds und die Zeit als Koordinaten aufgetragen sind. Derselbe (l. e. S. 416) sei im folgenden beschrieben: 70 Hans v. Euler. >5 cm® einer wässerieen Lösung, welche 5 g Glukose enthielt, wurde zu 25 cm® Hefepreßsaft gesetzt (Kurve A); 5 cm® einer 03 molaren Lösung von gemischtem primären und se- kundären Natriumphosphat und 20 cm® einer Lösung, welche 5 g Glukose enthielt, wurden zu 25 cm® Hefepreßsaft gegeben (Kurve B). Kurve A zeigt den normalen Gärungsverlauf mit Hefeprefsaft, Kurve B zeigt den Effekt des zugegebenen Phosphates. Die Gärungsge- schwindigkeit steigt auf etwa 95cm in 5 Minuten, also auf etwa das Sechsfache des normalen Wertes, und fällt dann fast genau auf den Wert 14. Der Mehrbetrag der entwickelten Kohlensäure ergibt sich durch Rück- wärtsverlängerung der Kurven A und B zu 48—10=38 cm’. Durch Re- duktion auf Normaltemperatur und -Druck wird dieser Wert 389 em#. Nach Verlauf von 70 Minuten, von Beginn des Versuches an gerechnet, wurde zum zweitenmal dieselbe Menge Phosphat zuge- setzt. Dadurch wiederholt sich das ganze Phänomen, wie die Kurve C zeiet. Der Mehrbetrag der entwickelten Kohlensäure ist 107—68=39 cm}, also ebensogroß wie beim ersten Zusatz. Die Ergebnisse von Harden und Young wurden kürzlich durch Euler und Johannson (25) bestätigt. Die Autoren haben in Anbetracht der grundlegenden Bedeutung der Harden-Youngschen Formel untersucht, in welchem Umfang dieselbe zutrifft. Sie gilt, wie sich herausgestellt hat, nicht nur, wenn in Gegenwart von Hefepreßsaft oder von Trockenhefe die zugesetzte Phosphatmenge verbraucht ist, sondern — unter Einhaltung gewisser Versuchsbedingungen — auch bei der Vergärung von Zucker durch lebende Hefe in Gegenwart von Phosphat, und zwar in einem groben zeitlichen Bereich des Gärungsverlaufes. Welches ist nun die chemische Rolle, welche das Phosphat bei dem Gärungsvorgang spielt? Bevor wir auf diese spezielle Frage näher ein- gehen, wollen wir diejenigen Tatsachen und wichtigsten Hypothesen zu- sammenstellen, welche die Reaktionsphasen des Zuckerzerfalles betreffen, bei denen eine Mitwirkung der Phosphate nicht angenommen wird.!) ') Über die Einwirkung von Natriumphosphat auf Gärung durch lebende Hefe haben die Versuche zu verschiedenen Ergebnissen geführt. Man findet in der Literatur mehrfach angegeben, daß die Gärung mit lebender Hefe durch Phosphate nicht beschleunigt wird. Dies ist jedoch nicht allgemein der Fall. So ergab sich z.B. bei der von Euler und Lundegvist (5) untersuchten Hefe sowohl durch neutrales als durch reines Mononatriumphosphat eine Beschleunigung (2°/,iges Natriumphosphat erhöht die Geschwindigkeit der Gärung einer 8°/,igen Glukoselösung um etwa 25°/,). Auch durch organische Phosphate erfährt die Gärwirkung der lebenden Hefe eine starke Veränderung. Bekanntlich hatten Harden und Young gefunden, daß die Aktivierung durch organische Phosphate beim Arbeiten mit Hefepreßsaft sehr groß ausfällt. Ebenso fanden diese Forscher, daß sog. Dauerhefe, die mit Aceton oder Äther hergestellt worden war, auf die Einwirkung des Phosphates reagiert und daß Stoffe, wie Lecithin, ebenfalls als Aktivatoren der Zymase fungieren. Das gleiche wurde sowohl in bezug auf Kohlehydrat- phosphorsäureester als auf nukleinsaures Natrium konstatiert. Indessen bleibt noch festzustellen, ob hier spezifische Phosphatwirkungen vorliegen, oder ob es sich um Effekte handelt, welche den mit anderen organischen Salzen erreichbaren analog sind. Neuere Forschungen über alkoholische Gärung. 1 2. Die Reaktionsphasen des Zuckerzerfalls. A. Bildung des Zwischenproduktes. Die Grundformel der alkoholischen Gärung von Gay Lussac hat sich in den 100 Jahren, welche seit ihrer Aufstellung verflossen sind, als voll- ständig richtig erwiesen. Dagegen scheint die Frage nach den Zwischen- produkten um so komplizierter und um so weiter von ihrer definitiven Lösung entfernt, Je eingehendere Untersuchungen über den Mechanismus der Gärungs- reaktion angestellt werden. Der erste, welcher sich über Zwischenprodukte der alkoholischen Gärung ausgesprochen hat, war A.». Baeyer (26), welcher darauf hinwies, daß die Gärung durch Abspaltungen und darauf folgende Additionen von Wasser an das Zuckermolekül eingeleitet wird. Die Formulierung von Baeyer bildete den Anfang einer großen Reihe ähnlicher Schemen. Wir wollen sie mit dem begleitenden Text hier wiedergeben und gleichzeitig auf die Bemerkung Hardens hinweisen, dal) Baeyer zwar die Milchsäuregärung und die alkoholische Gärung in Parallele gestellt, die Milchsäure aber nicht als Zwischenprodukt der letzteren Gärung angesprochen zu haben scheint. I II III IV V CH, .OH cn, on Ch CH, CH, | | | | CH 7OH GOH—H CERSOL CH(OH) CB; I Minh I, | 07 CH ..OH eo (on, co | iß In 04 co CH. OH COOH Hu; .) C.(OH), N 4% | | CO CH.OH COH—H C (OH), | 66) | | | CH(OH) Oo GG CH.(OH), CH=(OH) CH, | x CH, CH, CH, „Die erste Formel ist die des unveränderten Zuckers; in der zweiten sind die austretenden Wasserelemente durch vorgesetzte horizontale Striche angedeutet, in der dritten ist ebensoviel Wasser hinzuaddiert, als ausge- treten ist, aber die OH und H sind in anderer Verteilung hinzugefügt In der dritten Formel befindet sich nun aller Sauerstoff an einem Punkte des Moleküls angehäuft, eine Erscheinung, die man Akkumulation nennen kann. Die Folge der Akkumulation des Sauerstoffs ist die Sprengung der Kohlenstoffkette, die bei der Milchsäuregärung einmal, bei der Alkohol- gärung dreimal stattfindet... . Die Formeln IV und V stellen das Produkt der Gärung als Anhydrid der Milchsäure und als Anhydrid der Äthyl- kohlensäure dar.“ Milchsäure als Zwischenprodukt. In den achtziger Jahren wurde die Annahme der wechselweisen An- lagerung und Abspaltung von Wasser bei der Zuckergärung von Nencki 2 Hans v. Euler. aufgenommen. Baeyers Schema ist später von Buchner und Meisenheimer 27, 28), denen man eingehende experimentelle Studien über alkoholische Gärung verdankt, modifiziert worden. Die genannten Forscher versuchten zunächst nachzuweisen, dab Milchsäure bei der alkoholischen Gärung durch Hefepreßsaft auftritt bzw. verschwindet. Ihre experimentellen Ergebnisse über die Vergärung der Milchsäure waren zwar mit dieser Annahme, daß Milchsäure ein Zwischen- produkt bildet, nicht ganz unvereinbar, aber schwankend. Immerhin nahm man die Milchsäure als intermediäres Gärungsprodukt an, und demgemäß sollte die „Zymase* aus zwei Enzymen bestehen: der „Zymase im engeren Sinne“, welche Traubenzucker zu Milchsäure spaltet und der „Lactacidase*“, die Milchsäure in Alkohol und Kohlensäure zerlegt: erstere sollte mit dem analogen Enzym der Milchsäurebakterien identisch oder verwandt sein. Vom chemischen Standpunkt aus wäre das Auftreten von Milchsäure bei der alkoholischen Gärung leicht verständlich. Denn mitrein chemischen Mitteln war es bereits früher gelungen, Hexosen in Milchsäure zu spalten. Durch Erwärmen von Glukose mit Alkali und sogar schon bei der Einwirkung von verdünnter Natronlauge bei Zimmertemperatur | Meisenheimer (29)) können 40-—60°/, von Zucker in Form von Milchsäure wiedergewonnen werden. Duclau.r hatte beobachtet, daß Glukose im Sonnenlicht bei Gegenwart von Kalilauge unter Bildung von Alkohol und Kohlendioxyd zerlegt wird, während in Anwesenheit von Barvtwasser Milchsäure entsteht. Buchner und Meisenheimer haben diese Beobachtungen bestätigt, aber gezeigt, daß bei Anwendung von 5°/,iger Kalilauge die Beihilfe des Sonnenlichtes für diese Reaktion nicht nötig ist. Auch Nencki und Sieber haben festge- stellt, daß bei etwas erhöhter Temperatur, bei 35 —40°, Traubenzucker mit 0:3°/,iger Kalilauge nach 6 Tagen verschwunden war, immer unter Bil- dung von Milchsäure. Auch in rein wässeriger Lösung von Glukose bildet sich Milehsäure unter der Einwirkung kurzwelliger ultravioletter Strahlen | Euler (30, 31). Dalström (32)]. Über die einzelnen Reaktionsphasen, welche eine Hexose bei der Umwandlung in Milchsäure erfahren kann, gibt das folgende von Wohl an- gegebene, hypothetische Schema Aufschluß: Methyl- Milch- glyoxal säure CHO CHO CHO CHO COOH | | | | CHOH ee COH co CO... ?.1.CHOH | | | | CHOH CH. CH, CH, | ® CHOH CHOH * CHOH ° cHoO CHO CHO | De CHOH CHOH CHOH CHOH aaa 00 | | a | CH,OH CH,OH CH,OH CH,OH CH, ICH: Glycerin- Methyl- aldehyd glyoxal Neuere Forschungen über alkoholische Gärung. 73 Soll nun wirklich die Milchsäure als Zwischenprodukt der alkoholi- schen Gärung angenommen werden, so muß erwartet werden, dab sie wenigstens so schnell wie Traubenzucker vergoren wird. Dies ist nun — soviel sich bis jetzt beurteilen läßt — nicht der Fall. Die Unfähig- keit der Hefe zur Vergärung von Milchsäure hat zuerst A. Slator (35. 6, 34) experimentell bewiesen und Buchner und Meisenheimer (35, 36) haben dieses Resultat durchaus bestätigt. Auf Grund dieser Versuche haben dann die letztgenannten Forscher ihre Hypothese verlassen oder vielmehr dahin modifiziert, daß nicht Milchsäure selbst, sondern eine nahe Vorstufe derselben das eigentliche Zwischenprodukt bildet, welches für gewöhnlich dann direkt in Alkohol und Kohlendioxyd gespalten wird, unter besonderen Umständen aber sich auch in Milchsäure umzu- lagern vermag. Methylelyoxal. Daß Methylelyoxal als Einwirkungsprodukt von Alkalien auf gärfähige Hexosen, z. B. Glukose, erhalten wird. haben Wohl und Nef(37) zuerst angegeben. Emmerling und Loges (38.39) erhielten Glyoxal nach derselben Methode und gleichzeitig Acetol. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der Befund von Windaus und Knoop(40), daß Methylelyoxal als Zwischen- produkt der alkalischen Zersetzung der Glukose auftritt; bereits früher hatte Pincus festgestellt (41). daß bei der Behandlung der Glukose mit Phe- nylhydrazin in alkalischer Lösung Phenylelyoxalosazon auftritt. Über die biologische Rolle des Methylelyoxals hat A. Fernbach einige Angaben gemacht. Er hatte diesen Körper als Zwischenprodukt bei dem Abbau der Kohlenhydrate durch Tyrothrix tenuis gefunden.!) Der gleiche Forscher gibt an (42), dal) sich Methylelyoxal aus Dioxyaceton bilden kann. In neuester Zeit ist überhaupt die Möglichkeit, daß Methylglyoxal ein Zwischenprodukt der alkoholischen Gärung ist. wieder mehrfach erwogen worden. Neuberg und Kerb (43) haben hervorgehoben, dal) Methylglyoxal die Vorstufe bei der Bildung von Brenztraubensäure sein könne, indem es eine Umlagerung im Sinne der Cannizaroschen Reaktion erleidet. „CB; — C(OH)— COOH (Glycerin) Ein die Cannizarosche Reaktion beschleunigendes Enzym ist zwar in der Hefe noch nicht nachgewiesen, wohl aber von Batelli und Stern und von Parnas (44) im Tierkörper. Die Vergärung des Methylelyoxals ist bis jetzt allerdings weder mit lebender Hefe (45, 36, 46), noch mit Hefepreßsaft gelungen (47); indessen ‘) Als Endprodukt der Kohlenhydratzersetzung findet Fernbach Formaldehyd und sein Befund könnte in gewissem Sinne als eine Stütze für die Auffassung von W. Löb angesehen werden, auf die wir später zurückkommen. 74 Hans v. Euler. wäre es, wie Neuberg meint, nicht ausgeschlossen, dal) eine andere als die bisher untersuchte Form dieses Stoffes gärfähig ist. Der Glycerinaldehyd ist von lebender Hefe nach Wohl (48) und Emmerling (49) nicht vergärbar, nach Buchner und Meisenheimer durch lebende Hefe langsam und durch Preßsaft sehr langsam. Dioxyaceton. Abgesehen von den im oben wiedergegebenen Wohlschen Schema auftretenden Stoffen ist auch noch Dioxyaceton als Zwischenprodukt in Betracht gezogen worden, zuerst von Wohl (Bioch. Zeitschr, 5) und von W. Löb (Landw. Jahrb., 1906), dann von Boysen-Jensen (50, 51), sowie Buchner und Meisenheimer (36). (Vgl. auch Buchner, Bl. [4] 7, XIX, 1910.) Das Auftreten dieses Zwischenproduktes chemisch zu formulieren macht keine Schwierigkeiten, und es bleibt nur die Frage, ob dieser Körper in höherem Grade als die zuletzt genannten vergärbar ist. Darüber liegen folgende Angaben vor: nach Bertrand (52) vergärte lebende Hefe langsam zu 25°/,: Boysen-Jensen erhielt nur geringe Mengen Kohlensäure und Alko- hol. Buchner und Meisenheimer (36) fanden langsame Vergärung durch Preß- saft und durch lebende Hefe, ». Lebedew gibt an, dab bei Anwendung von Macerationssaft Dioxyaceton eine Gärfähigkeit zeigt, welche in Konzentra- tionen bis 5°/, derjenigen des Rohrzuckers gleich oder nahe kommt. Piloty (53), Emmerling (49) und Slator (54) hatten dagegen auffallenderweise gar keine Vergärung von Dioxyaceton durch lebende Hefe gefunden. Harden und Young äußern sich auf Grund eigener neuer Versuche in dieser Frage wie folgt (Biochem. Zeitschr. 40. 455 [1912]): l. Dioxyaceton vergärt in viel langsamerem Tempo als Zucker. 2. Dabei wird keine typische Phosphatbeschleunigung wie bei Hexose beobachtet. 3. Die Gärprodukte sind nach Buchner und Meisenheimer Kohlen- säure und Alkohol. +4. Während der Gärung wird etwas freies Phosphat in eine orga- nische Verbindung übergeführt, die, wie v». Lebedew gezeigt hat, mit dem aus Hexose produzierten Hexosephosphat identisch ist. Gegen die Schlußfolgerung Slators, dab Dioxyaceton kein Zwischen- produkt der Gärung sein kann, ließe sich einwenden, daß größere Mengen dieser Substanz den Gärungsvorgang hemmen. Dies ist aber, wie Slator gezeigt hat, nicht der Fall. Auch aus den neueren Versuchen von Buchner und Meisenheimer geht hervor, daß eine Vergärung von Dioxyaceton durch lebende Hefe eintritt. In diesem Zusammenhang ist eine Beobachtung von A. Fernbach (57) zu erwähnen, nach welcher Zucker durch einen lebenden Spaltpilz, Tyro- thrix tenuis, und auch durch Dauerpräparate und Preßsaft desselben in Dioxyaceton aufgespalten wird. Offenbar enthält also der genannte Pilz -- Neuere Forschungen über alkoholische Gärung. r65) ein Enzym, welches Hexosen in Triosen zu spalten vermag, und es liegt daher nahe, die Existenz eines ähnlichen Enzyms in der Bierhefe anzu- nehmen. Die Frage, ob man sich bei Annahme von Dioxyaceton als Zwischen- produkt eine plausible strukturchemische Vorstellung von der weiteren Bildung des Alkohols und der Kohlensäure machen kann, ist auch von Franzen (58) besprochen worden, dessen Formulierung wir hier anführen wollen. Man kann sich vorstellen, daß Dioxyaceton zunächst unter Wasser- aufnahme in seine Glykolform übergeht, dal diese dann ein Molekül Wasser abspaltet unter Bildung dreiwertigen ungesättigten Alkohols: unter noch- maliger Abspaltung von Wasser entsteht ein zweiwertiger Alkohol mit zwei doppelten Bindungen und dieser lagert sich in den Malonsäurealdehyd um. Ge cn, ech. CH, CH | I BZ | | OH ©. OH OH OH OH OH OH. *OH.0H CH—=G=CH ER Est D | | — ect OH OH 47 —H „Von diesem Malonsäuredialdehyd, der noch nicht bekannt ist, könnte man sich unter Umständen vorstellen, daß er ebenso wie die Malonsäure unter Abspaltung von Kohlensäure in Essigsäure übergeht, unter Abspal- tung von Ameisensäure Acetaldehyd bildet.“ (6) (6) 16) ;0-CH,—0X +H,0 = C-CH,+HCOOH H ‘Y H Diese beiden Körper würden dann nach Schade unter Bildung von Äthylalkohol und Kohlensäure miteinander reagieren. Mit der Vergärung der Ameisensäure durch Hefe steht dieses Schema nicht in Widerspruch, wohl aber mit dem von Buchner beobachteten Auftreten von z-Milchsäure bei der Preßsaftgärung (sofern diese nicht aus dem Alanin stammt). Auch in unsymmetrischer Weise kann die Wasserabspaltung aus der Glykolform des Dioxyacetons eintreten, wie im Original nachzusehen ist. Der direkte Nachweis von Dioxyaceton in gärenden Lösungen ist bis jetzt nicht gelungen. Die diesbezüglichen Versuche von Boysen- Jensen (]. c.), nach welchen sich diese Triose in gärenden Glukoselösungen finden sollte, sind von Euler und Fodor (59), von Karauschanow (60), von Chick (61) und von Buchner und Meisenheimer mit negativem Ergebnis wiederholt worden. Diesen Abschnitt zusammenfassend, müssen wir also sagen, daß) als Zwischenprodukt zwar wahrscheinlich eine der Milchsäure nahestehende Substanz auftritt, dab aber keiner der erwähnten Stoffe, Glycerinaldehyd, Dioxyaceton oder Methylglyoxal als Zwischenprodukt einwandfrei erwiesen werden konnte. 16 Hans v. Euler. Indirekter Nachweis eines Zwischenproduktes. Wenn die alkoholische Gärung in mehreren Phasen verläuft, so daß sich melibare Mengen von Zwischenprodukten bilden, so muß notwendig während des Gärungsverlaufes eine Differenz zwischen dem verschwundenen /ucker und der entwickelten Kohlensäure auftreten, und dies ist tatsächlich der Fall: Läßt man Glukose durch lebende Hefe vergären und berechnet aus der bei der Vergärung eintretenden prozentischen Drehungsabnahme A die Menge des verschwundenen Zuckers, so findet man einen Wert, welcher größer ist als der Wert C, der sich aus der entwickelten Kohlensäure berechnet. Hier- über lag bis in die neueste Zeit nichts als eine ganz kurze Angabe von Jodlbauer vor (Zeitschr. f. Rübenzuckerindustrie, Bd. 25, S. 308, 1888). Das quantitative Studium dieser Erscheinung ist dann vom Verfasser (7 und 8) wieder aufgenommen worden. Bei der zellfreien Gärung durch Hefepreßsaft waren solche Differenzen mehrfach beobachtet worden, von A. Macfadyen, Harris Morris und S. Roland (63). Harden und De Young (64), Buchner und Meisen- heimer (47); indessen wurden dieselben immer als das Re- sultat der Glykogenbildungen ge- deutet, welche unter der Ein- wirkung eines im Preßsaft vor- handenen besonderen Enzymes verlaufen.°) Das Ergebnis der obengenannten Untersuchung von Euler und Johansson läßt sich am besten graphisch durch Fig. 42 wiedergeben. Für den Fall, daß die Dif- ferenz A—C nur durch die Bildung eines inaktiven Pro- duktes während der Gärung ver- anlaßt ist, würde also in obiger Figur die Ordinate die prozenti- sche Menge verschwundenen Traubenzuckers, die Abszisse die prozentische Menge des gebil- deten inaktiven Produktes dar- stellen. Allerdings ist zu be- merken. daß das Zwischenprodukt kaum vollständig inaktiv sein dürfte. Geht man von der Annahme aus, daß der Gärungsverlauf durch zwei Teilreaktionen zustande kommt, nämlich ') Solebe Synthesen machen sich als Nebenerscheinung allerdings bemerkbar. Ob die Glykogenbildung eine Zwischenphase der Gärung ausmacht, ist noch unsicher. Drehungsänderung in %G [N] © ) z 4 6 8 10 12 14 Differenzen A -C Neuere Forschungen über alkoholische Gärung. 77 Hexose —— Zwischenprodukt (Reaktion I) und /wischenprodukt ——> Alkohol+Kohlensäure (Reaktion I) — eine Annahme, welche wohl als eine wesentliche Vereinfachung der tatsächlichen Verhältnisse anzusehen ist — und hält daran fest, daß jede der beiden Teilreaktionen durch ein besonderes Enzym oder Enzymsystem !) beschleunigt wird, so besteht die Möglichkeit, die beiden Teilreaktionen durch Zusätze katalysierender Stoffe in ungleichem Maße zu beschleunigen, und so bis zu einem gewissen Grade voneinander zu trennen. Es hat sich gezeigt, dal eine solche Trennung in geringem Grade durchführbar ist, wie sich aus folgender Tabelle ergibt: 20 cm? 10°%/,ige Glukoselösung. 1 g9 frische Hefe. | Entwickelte CO, Drehungsänderung A Zeit in Differenz IN hkr uk dehnen (mr Dar FR RE Fre Sy (geilen 7 Be EFT Frame mr NE | g %o in Graden % — 5m? 115 0:0792 81 4:32 —3:59—0'73 16°9 88 Extrakt von 112 0:1477 | 15:1 4:32—-3:27=1:0 24:3 9:2 Trockenhefe|l| 235 02289 | 234 432—286—=146 | 338 | 104 cm? | 115 0:0566 38 432—375=0'57 13:2 74 ander | 165 0.0951 SR 432—-355=017 178 Ss1 ; 230 01576 | 161 —— — — Die Differenz A—C wird also in diesem Falle durch den Extrakt der Trockenhefe (das Co-Enzym) etwas vergrößert, was darauf hindeutet, daß die erste Reaktionsphase durch das Co-Enzym (bzw. die Co-Enzyme) mehr beschleunigt wird als die zweite. Über die Konstitution des zweifellos auftretenden Zwischenproduktes ist einstweilen noch nichts bekannt. Fernbach hat in seinem bereits erwähnten Vortrag angegeben, dal) bei der Einwirkung von Hefezymin auf Zucker ein Körper erhalten wird, welcher Feklingsche Lösung in der Kälte reduziert, aber noch nicht näher charakterisiert werden konnte. Es ist nun von besonderem Interesse, daß dieses noch unbe- kannte Zwischenprodukt, dessen Existenz bis jetzt also nur durch die Differenz A—Ü angezeigt wird, die Eigentümlichkeit zu besitzen scheint, mit anorganischen Phosphaten Ester zu bilden. Eine von Kuler und Berggren(S) ausgeführte Überschlagsrechnung hat nämlich ergeben, dab die Konzentration des hypothetischen Zwischenproduktes ausreicht, die- jenige Phosphatmenge zu binden, welche tatsächlich mit dem Kohlehydrat in Reaktion tritt. 1) Als Enzymsystem bezeichnen wir die Gesamtheit der an einem enzymatischen Prozeß beteiligten Katalysatoren und Aktivatoren. 18 Hans v. Euler. Es mag gleich hier erwähnt werden, dal) es nunmehr zweifellos ist, dal die alkoholische Gärung unter Mitwirkung von Phosphaten und unter intermediärer Bildung von organischen Phosphorsäureverbindungen ver- läuft, weshalb das W’ohlsche Schema eine Modifikation bzw. eine Ergänzung erfahren muß. Bevor wir aber auf die Teilnahme der Phosphate an der alkoholischen Gärung näher eingehen, wollen wir in Kürze feststellen, was über das Ende der Reaktion, die Bildung von Alkohol und Kohlensäure bekannt ge- worden ist. B. Zerfall des Zwischenproduktes in Alkohol und Kohlensäure. Sofern man die Milchsäure oder eine Vorstufe derselben als Zwischenpro- dukt annimmt, kann man sich den weiteren Gärungsverlauf mit Schade(65) und F. Ehrlich (Biochem. Zeitschr., Bd. 2, S. 52, 1907) in der Weise vor- stellen. dal) das der Milchsäure isomere Zwischenprodukt zunächst in Acetal- dehyd und Ameisensäure zerfällt, welche miteinander unter Bildung von Alko- hol und Kohlensäure reagieren. Diese Auffassung gründet sich auf den ex- perimentellen Befund von Framm (Pflügers Archiv, Bd. 64, S. 575), dal) bei der Einwirkung von verdünntem Alkali auf Hexosen fast nur Acetaldehyd und Ameisensäure entsteht, sowie auf die späteren Versuche von Schade (l. c.), welcher im metallischen Rhodium einen geeigneten Katalysator für den Übergang von Acetaldehyd in Alkohol und Kohlensäure fand. Die Ergebnisse von Schade waren, soweit sie die Reaktion Hexose-Zwi- schenprodukt betrafen, nicht einwandfrei und wurden durch eine Arbeit von Buchner, Meisenheimer und Schade (68) berichtigt. Dabei zeigte sich, dab dıe von Schade gefundenen Zuckerzersetzungen Oxydationsvorgänge sind und nicht in Parallele gestellt werden können mit der alkoholischen Gärung. Immerhin muß eine Nachahmung des Gärungsvorganges ohne Enzyme als sehr im Bereiche der Möglichkeit liegend betrachtet werden, und das Schema von Schade bildet wohl diejenige Hypothese, welche unseren chemi- schen Vorstellungen am besten entspricht. In allerjüngster Zeit ist sogar versucht worden, direkte Bestätigungen für das Auftreten von Acetaldehyd und Ameisensäure als normale Zwischenprodukte der Gärung zu liefern. ÄAmeisensäure. Franzen und Steppuhn (58) haben versucht, ob Ameisensäure durch Hefe vergoren wird. Es war ja zu vermuten, daß die Hefe, wenn sie den (sesamtvorgang der Gärung durch Vermittlung der Ameisensäure veranlaßt, auch den Teilvorgang, die Aufspaltung der Ameisensäure, ausführen kann. Prinzipiell ist hierzu folgendes zu bemerken: Wenn reine Ameisen- säurelösungen durch Bierhefe nicht oder nur schlecht vergoren werden, so liegt in diesem Umstand noch kein Beweis gegen das Auftreten von Ameisensäure als Zwischenprodukt. Die Vergärung kann nämlich an die Neuere Forschungen über alkoholische Gärung. 79 (Gegenwart anderer Stoffe gebunden sein, etwa von Acetaldehyd, falls man an dem Schadeschen Schema festhalten will. Als Nährlösungen dienten bei diesen Versuchen teils Bierwürze, teils Hefewasser. Die zu den Versuchen benutzten Erlenmeyerkölbehen wurden in folgender Weise ge- füllt: 50 cm? einer Lösung von 13'612 9 Natriumformiat in 17 Wasser wurden in die vorher sterilisierten Erlenmeyerkölbchen eingefüllt und 45cm? der betreffenden Nähr- lösung (Würze oder Hefewasser) hinzugefügt. Die sterilisierten Kölbcehen wurden nun geimpft und 24 Stunden stehen gelassen. Nach dieser Zeit wurden mit einer sterilen Pi- pette 5 cm? Kulturflüssigkeit herausgenommen und in die mit 95 em® O'1n-Natriumfor- miatlösung gefüllten Kölbehen einpipettiert. Die so vorbereiteten Kölbehen wurden dann in einen Thermostaten gestellt und nach je 24 Stunden so viele herausgenommen, als Parallelversuche ausgeführt werden sollten. Bei den Versuchsreihen mit Saccharomyces cerevisiae I Hansen war nur ein geringes Anwachsen der Ameisensäuremenge zu beobachten. Bei den meisten der 11 untersuchten Hefen wurde zunächst Ameisensäure ge- bildet, welche dann im geringen Grade wieder verschwand. Nur bei einer Heidelberger Bierhefe trat sofort eine kräftigere Vergärung der Ameisen- säure ein. Wie Franzen und Steppuhn erwähnen, ist die Bildung von Ameisensäure bei der Gärung bereits früher öfters beobachtet worden und es bleibt nur zu fragen, ob nicht die Ameisensäure etwa aus der Würze stammt; dies wird von den genannten Autoren verneint. Der Überlegung von Franzen zufolge, deren Wiedergabe hier zu weit führen würde, ist der Ursprung der auftretenden Ameisensäure nicht in den Aminosäuren zu suchen, und den Autoren scheint also keine andere Annahmeübrig zu bleiben, als dal die Ameisensäure beim eigentlichen Zerfall des Zuckers in Alko- hol und Kohlendioxyd entsteht. Was die experimentell gefundenen Mengen gebildeter und vergorener Ameisensäure betrifft, so entsprechen diese nach Franzen und Steppuhn nicht den tatsächlichen Verhältnissen. Viel- mehr sehen diese Forscher die gefundenen Zahlen als Kompensations- werte an, gebildet aus der Menge entstandener und vergorener Ameisen- säure. Einen ähnlichen Effekt wie mit lebender Hefe fanden Franzen und Steppuhn mit Hefeprebsaft. Die Kolben wurden mit einer Lösung von 0'001 Mol. Natriumformiat in 75 cm Wasser, 25 cm3 Preßsaft und 075 cm: Toluol gefüllt und bei 27° im Thermostaten gehalten. 3 | Kalomel Noch vorhan- Noch vorhan- Vergorene Vergorene Zeit in Tagen q dene HCOOH dene HCOOH | HCOOH HCOOH g °%o 9 % 2 47190 AG. 41 | ..100:232 2. -2.0:0010 + 0:23 3 4:7327 04625 10052 + 0.0024 0:52 4 | 46190 04514 95:12 — 0.0087 — 1'88 | 5 | 45403 0:4438 96°46 — 0'0163 —.994 Hier tritt, nachdem zunächst eine schwache Bildung von Ameisen- säure eingesetzt hat, eine kräftige Vergärung ein, welche am fünften E. Abderhalden, Fortschritte. X. 7 S0 Hans v. Euler. Tage einen Betrag von 3°54°/, der zugesetzten Menge erreicht. „Die Ver- gärung der Ameisensäure,“ sagen Franzen und Steppuhn, „gehört jeden- falls auch zu den in der Hefe verlaufenden enzymatischen Prozessen. Die Zahlen beweisen auch noch, wie die Vergärung der Ameisensäure durch Preß- saft in engem Zusammenhang mit dem Zerfall der Zucker in Alkohol und Kohlendioxyd steht.“ Tatsächlich tritt bei der alkoholischen Gärung durch Hefen in der Rerel eine organische Säure auf, die sich durch Quecksilberchlorid und Natriumacetat als Ameisensäure identifizieren läßt. Indessen sind die Mengen recht gering. Mit einer Stockholmer Hefe wurde der folgende Versuch angestellt: Je drei Kolben wurden mit 40 cm® 20°/,iger Glukoselösung und 2 g abgepreßter Hefe beschickt. Nach 100, 165 und 280 Minuten wurde filtriert. 20cm® des Filtrats wurden mit 0'12n-NaORH titriert. Drehungsänderung Entwickelte CO, 5 = a BE. 185 | 23 A: S = z < = in Graden ä < = 47 34 100 01446 a 1315—1201=114| 87 50 1:9 17 34 165 02538 65 | 13:15—1139=176 | 13°4 69 22 17 34 280 0.4945 | 126 | 13:15--1072=2'43 | 18°5 59 Bi Die Glukoselösung war 1'1 normal. Unter der Annahme, daß aus 1 Mol. Glukose 2 Mol. Ameisensäure entstehen, entspricht also die ange- wandte Zuckermenge 0'088 g-Mol. Ameisensäure. Nach 4 Stunden sind nach obiger Tabelle 0°00072 g-Mol. Ameisensäure anwesend, also etwa 1°/, der theoretisch möglichen Menge. Die anwesende Menge ist also jedenfalls kleiner als die Differenz zwischen verschwundenem Zucker und entwickel- ter Kohlensäure. In Anbetracht der kleinen Beträge der nachweisbaren Ameisensäure kann man wohl Buchner und Meisenheimer (Chem. Ber., Bd. 45, S. 1643, 1912) darin beipflichten, dal) die gefundene Ameisensäure ebensogut Nebenprodukt, d.h. Ergebnis einer besonderen Einwirkung von Hefe auf Zucker sein kann, oder eventuell aus den Eiweißstoffen abgespalten wird. Acetaldehyd. Dab Acetaldehyd, welcher nach dem Schema von Schade gleichzeitig mit der Ameisensäure entsteht, unter gewissen Umständen sich in gären- den Zuckerlösungen in ziemlich beträchtlichen Mengen bildet, hat kürzlich Kostytschew (69) gezeigt. In Gegenwart von Zinkchlorid geht die alkoholische Gärung des Zuckers durch Hefanol — wie Kostytschew fand — sehr langsam vor sich. Neuere Forschungen über alkoholische Gärung. — Seinen ersten Versuch beschreibt dieser Forscher folgendermaßen: 4 Gärkölbehen wurden mit je 39 Traubenzucker, 3 g Hefanol und 10cm: Wasser beschickt. Zu drei Kolben wurden 0'05g resp. CaÜl],, MeCl, und ZnCl, zugesetzt. Nach 96 Stunden waren folgende Kohlensäure- mengen in Gramm entwickelt: A. Wasser B. Cal], C. Mg], D. ZnCl, 0:82 053 058 013 Wie Kostytschew hervorhebt, ruft ZnÜCl,;, eine ungemein starke Hemmung der CO,-Produktion hervor, während die verwendeten Mengen von CaCl, und MgCl, die Gärungsenergie nur unbedeutend beeinflussen. Nach Beendigung der Versuche wurde eine jede Portion mit 100 cm3 Wasser versetzt und unter Eiskühlung abdestilliert. Die Untersuchung der Destillate ergab, dab nur die in Gegenwart von ZnÜl, gegorene Portion D Aldehyd- reaktionen aufwies. Der Aldehyd wurde durch weitere Proben mit Sicherheit als Acetal- dehyd erkannt. | Auf Grund weiterer Versuche geben Kostytschew und Hübbenet an (TO), dal Acetaldehyd durch Hefanol zu Alkohol reduziert wird. Die experimentellen Ergebnisse von Kostytschew und seinen Mit- arbeitern sind sofort von Neuberg und Kerb (71) bestätigt worden. Was dagegen die Deutung dieser Versuche angeht, so läßt sich bis jetzt kaum etwas mit DBestimmtheit sagen. Die Rolle des Zinkchlorids ist — wie Kostytschew selbst zugibt — keineswegs klar und man kann einigen Ein- wänden, welche Neuberg gegen die von Kostytschew gezogenen Schlüsse gemacht hat, eine Berechtigung nicht absprechen. Die wichtigste Frage ist offenbar, ob der bei den Versuchen von Kostytschew auftretende Acetal- dehyd wirklich aus Kohlehydraten oder aus dem Eiweiß der Hefe stammt. Diesbezüglich sind Kostytschew und Neuberg auf experimentellem Wege zu ungleichen Resultaten gelangt [siehe Kostytschew (72). Die Differenzen beruhen möglicherweise auf der verschiedenen Versuchsanordnung der beiden Forscher. ‚Jedenfalls wird man sich zu einer Annahme von Kostytschews Auffassung erst dann entschließen können, wenn dieser Punkt durch weitere Versuche entschieden ist. Seine theoretische Auffassung des Gärungsverlaufs hat Kostytschew folgendermaßen dargestellt: Eine primäre Spaltung der Zuckerarten führt nach Neuberg zur Bildung von Brenztraubensäure und zu labil gebundenem Wasserstoff: H CsH120.+Red. —$ 2CH,.CO.COOH + Red. n NH Bei diesem Vorgang könnte eine intermediäre Bildung von z-Milch- säure vorausgesetzt werden, was Kostytschew aber nicht für wahrschein- m. 7# S2 Hans v. Euler. lich hält. Nun erfolgt eine Spaltung der Brenztraubensäure durch die Neubergsche Uarboxylase: 2CH,.CO.COOH —> 2CH,.. CHO + 2C0,. Der gebildete Acetaldehyd wird durch den aktiven, an Redukase Red.) gebundenen Wasserstoff sofort zu Äthylalkohol reduziert: „H N N > 7 H \ Y > 2 OB. ÜDH HEN CE _, 2CH,CH, OH +Red. H Der Ausgangspunkt für diese Auffassung ist, wie man sieht, die Bildung der Brenztraubensäure bei der alkoholischen Gärung. Eine Vermutung, dal) Brenztraubensäure als Zwischenprodukt der alkoholischen Gärung auftritt, wurde 1910 von Neubauer und Fromherz ausgesprochen (73). Bei der Besprechung der enzymatischen Spaltung der Aminosäuren äußert sich Neubauer wie folgt: „Weiters ist zu schließen, daß die hier als Zwischenprodukt auf- tretende Brenztraubensäure durch gärende Hefe unter Reduktion zu Kohlen- säure und Alkohol zersetzt wird, d.h. mit anderen Worten, daß sie leicht vergärbar sein muß. Eigens angestellte Versuche, die noch nicht völlig ab- geschlossen sind, haben die Richtigkeit dieses Schlusses bestätigt. Damit ist nun ohne weiteres der Gedanke gegeben, die Brenztraubensäure könnte ein Zwischenprodukt der alkoholischen Gärung des Zuckers sein.“ Die Tatsache, dal) Brenztraubensäure enzymatisch gespalten wird, wurde experimentell nachgewiesen durch die Resultate Neubergs und Heldes- heimers, daß aus brenztraubensauren Natrium- und Kaliumsalzen CO, entwickelt wird. Die Spaltung der Brenztraubensäure in Acetaldehyd und Kohlensäure ist nach Neuberg und Kerb(45) ein echter enzymatischer Vorgang. Das betreffende Enzym, welches von Neuberg und Karczag (Chem. Ber., Bd. 44, S. 2477, 1911) als Karboxylase bezeichnet wurde, weist, wie eine Unter- suchung von Neuberg und Rosenthal ergab (17), gegenüber der Zymase deutliche Unterschiede auf. Bei der Vergärung von Brenztraubensäure ent- steht, wie erwähnt, zunächst Aldehyd; aus kleineren Mengen Brenztrauben- säure konnten Neuberg und seine Mitarbeiter zunächst nur wenig Alkohol durch Gärung gewinnen, während in Gegenwart von Glycerin etwas mehr Alkohol auftrat. Zur Erklärung dieses Befundes haben Neuberg und Kerb zwei Möglichkeiten erwogen: „Einmal könnte eine Reduktion des erwie- senermaßen bei der Brenztraubensäuregärung auftretenden Acetaldehydes durch die Hefe selbst vorliegen gemäß der von C. J. Lintner und H. J. v. Liebig(75) gemachten wichtigen Entdeckung, derzufolge lebende Hefe in Gegenwart von Zucker Furfurol zu Furfurolalkohol reduziert. /weitens könnte es sich um eine Beteiligung des Glycerins an dem Hy- Neuere Forschungen über alkoholische Gärung. 83 drierungsvorgange handeln. Schon in dieser ersten Mitteilung haben Neu- berg und Kerb vermerkt, dab eine solche Reduktion des Acetaldehyds in (regenwart von Zucker möglich ist.“ In neuester Zeit ist es nun Neuberg und Kerb (76) bei Verarbeitung von 1 kg Brenztraubensäure gelungen, bedeutende Mengen von Äthylalko- hol zu isolieren, und zwar sowohl in Gegenwart als in Abwesenheit von Glycerin, so daß Neuberg nunmehr mit großer Bestimmtheit die Brenz- traubensäure als ein Zwischenprodukt der alkoholischen Gärung anspricht. Einige Zeit darauf erschienen die Mitteilungen von S. Kostytschew und E. Hübbenet (70) und von A.v. Lebedew und N. Griaznoff (77), denen zu- folge lebende und abgetötete Hefe sowie Hefemacerationssaft zugesetzten Acetaldehyd reduzieren können. Was die Wege angeht, auf welchen eine Bildung von Brenztrauben- säure vor sich gehen kann, so sieht Neuberg das Methylglyoxal als wahr- scheinlichstes Zwischenprodukt an. Wie oben erwähnt, hat Wohl die Ent- stehung dieses Stoffes beim Zuckerzerfall angenommen; es bildet sich übrigens aus Traubenzucker in alkalischer Lösung. Der Übergang in Brenz- traubensäure geschieht durch eine einfache Oxydation: CH,.C0O.COH + 0 = CH,.C0.COOH Methylglyoxal Brenztraubensäure. Wie erwähnt, hat sich über die Rolle und Umwandlung der Brenz- traubensäure bei der alkoholischen Gärung auch ». Lebedew ausgesprochen (78). Er meint, dab Brenztraubensäure aus Glycerinaldehyd entsteht. Wir zitieren seine letzten diesbezüglichen Äußerungen wörtlich: „Man muß den Weg suchen, auf welchem der Glycerinaldehyd in die Hauptprodukte der Gärung gespalten wird. Diese Aufgabe ist übrigens viel leichter zu lösen, als die Aufklärung der Bildung des Alkohols und der Kohlen- säure direkt aus Hexose: doch waren dazu noch keine Anhaltspunkte da, bis die Versuche über die Vergärung des Glycerinaldehyds von uns ausge- führt wurden. Jetzt aber, nachdem wir wissen, daß bei der Gärung aus — UCH(OH).CH(OH).COH — Alkohol und Kohlensäure direkt entstehen können, und daß der Acetaldehyd durch den Macerationssaft zu Alkohol reduziert werden kann, ist es nur ein Schritt bis zu der Annahme, dab Glycerinaldehyd unter Abspaltung von H, in eine Vorstufe der Brenz- traubensäure übergeht, die sich unter intramolekularer Umlagerung — welch letztere von der Verschiebung der Elemente des Wassers, Hydroxyl und Wasserstoff, begleitet werden kann —, oder unter Wasserabspaltung, und -anlagerung sofort, analog der Neubergschen Reaktion, in Acetaldehyd und Kohlensäure spaltet, wobei die Brenztraubensäure nur vorübergehend entsteht und nicht nachgewiesen werden kann.“ Aus dem Gesagten geht offenbar hervor, daß sich über die Wege, welche bei der alkoholischen Gärung von und zu der Brenztraubensäure führen, noch nichts Endgültiges sagen läßt. Daß die Brenztraubensäure in irgend einer Weise bei der Gärung eine Rolle spielt, hat, be- S4 Hans v. Euler. sonders durch die letzten Arbeiten Neubergs, an Wahrscheinlich- keit gewonnen. Zweifellos ist durch diese Arbeiten eine Reihe wichtiger Tatsachen zutage gefördert worden. In einer Reihe von Abhandlungen vertritt W. Löb (79 — ST) die Auffassung. dal) die erste Phase der alkoholischen Gärung in einem stufenweisen Zerfall der Zuckermoleküle in Formaldehyd besteht. Die Grundidee dieser Hypothese liegt in der Auffassung des Assimilationsprozesses als einer reversiblen Reaktion. Da dasZuckermolekül durch Kondensationen von Formaldehyd aufgebaut werden kann, und durch Aldolkondensationen entstanden ist, so wird es die Ten- denz haben, unter Aufhebung dieser Bindungen wieder zu zerfallen. Als Stütze für seine Theorie führt Löb seinen Befund an, dal) sehr verdünntes Alkali aus Hexosen keine Milchsäure bildet, sondern Formaldehyd und eine Pentose. Unter anderem kann auch auf diese Weise der Zuckerzerfall in (lyzerinaldehyd und Dioxyaceton als eine Reversion der synthetischen Re- aktionen dargestellt werden. Besonders zu erwähnen wäre noch, dal Löb den weiteren Zerfall des Glycerinaldehyds (bzw. Dioxyacetons) folgender- maßen formuliert: CH, ..OH | CH,OH CH, OH CH-OHuse= +3.00=3}| +(C0, | CHO CH, CHO wonach also Glykolaldehyd und Formaldehyd als letzte Zwischenprodukte entstehen. Arbeiten rein theoretischen Inhaltes, welche keine neuen Tatsachen enthalten, müssen wir hier übergehen, und wir wenden uns nun der für unser gesamtes Gebiet außerordentlich wichtigen Frage zu, in welcher Weise sich die Phosphate an der alkoholischen Gärung beteiligen. C. Die Kohlehydratphosphorsäureester und ihre Beteiligung an der Gärung. Im Jahre 1905 machten L. Ivanoff (88) und gleichzeitig Harden und Young (1) die Beobachtung, daß Phosphorsäure bei der Gärung in eine organische, mit Magnesiamischung nicht fällbare Verbindung über- geht. Der dabei entstehende Körper wurde dann durch Hardenund Young, Iwanoff, v. Lebedew, sowie Euler und Fodor näher untersucht. Die definitive Feststellung der Formel des Hexosephosphorsäureesters verdankt man Young. Nachdem L. Loanof (88) eine Verbindung zwischen Phosphorsäure und einem Kohlehydratrest entdeckt und in Form eines Kupfersalzes iso- liert hatte, sprach er dieselbe als eine Triosemonophosphorsäure an (93). Young (59) isolierte im gleichen Jahre ein Bleisalz von der empirischen Zusammensetzung (C,H,O, (PO,Pb) und zeigte, daß dieses Salz bei der Zerlegung mit Schwefelwasserstoff eine schwach rechtsdrehende Säure Neuere Forschungen über alkoholische Gärung. 85 lieferte, welche durch Erhitzen in wässerige Lösung hydrolysiert wurde in Phosphorsäure und eine linksdrehende Substanz. Lebedew, welcher sich ebenfalls an der Erforschung dieser Substanz beteiligte (94, 92, 95), war zum Resultat gelangt, dal dieselbe ein Hexose- monophosphat ist. Die weitere Erforschung dieser Säure durch Harden und Young (96, 97) hat dann die folgenden Ergebnisse geliefert: Aus Glykose, Fruktose und Mannose wird bei der Vergärung in Gegenwart von Phosphat der gleiche Phosphorsäureester gebildet. Dem Ester kommt wahrscheinlich die Formel (,H,.0, (PO,H,), zu. Die freie Estersäure ist sehr instabil und zersetzt sich leicht unter Hydrolyse. Sie reduziert F'ehlingsche Lösung, in der Kälte erst nach einigen Stunden, schnell beim Erhitzen; Osazone oder Hydrazone konnten aus derselben nicht erhalten werden. Eine folgende Untersuchung (91) bestätigte im wesentlichen die früheren Ergebnisse, besonders die Formel C,H,,0, (PO,H,),. Nach Unter- suchungen im Laboratorium des Verfassers (59) existieren 2 Phosphor- säureester, nämlich eine Triosemonophosphorsäure und eine Hexosedi- phosphorsäure. Auf Grund ihrer Ergebnisse über die Beziehung zwischen gebildetem Alkohol und Kohlendioxyd und der Zusammensetzung des organischen Phosphates kommen Harden und Young zu folgender Gärungsgleichung: 2230,50, 22 PO/HR, ='2. 00; #2 GH;0H-+ C,H, , 0 RO.R,); + 2H,0. 2. 2 C,H100, (PO,R,), + 2H,0 = C;H,.0, + 2 PO,HR.. Die Bildung von Hexosephosphat wird dieser Formulierung zufolge von einer alkoholischen Gärung begleitet, deren Umfang genau der Menge des hinzugesetzten Phosphates entspricht. Die Gärungsgeschwindigkeit nimmt rapid ab, sobald alles freie Phosphat in Hexosephosphat umge- formt ist, obgleich die Konzentration des letzten gerade dann auf der Höhe ist. Wenn andrerseits die alkoholische Gärung nachläßt und schließlich aufhört, wird die organisch gebundene Phosphorsäure frei. Diese Umwand- lung wird durch ein Enzym hervorgerufen, von Harden und Young „He- xosenphosphatase“ genannt, welches die Spaltung des Kohlehydratphosphor- säureesters nach folgender Gleichung bewirkt: 2:6 ER OF LO) 21,00, H 0,52 PO,HR, Diese Reaktion findet während des gesamten Gärungsprozesses statt. Das frei gewordene Phosphat tritt während der gesamten Gärung wieder nach Gleichung I in Reaktion, solange Zucker im Überschuß vorhan- den ist. Sh Hans v. Euler. Auf diese Weise wird die Gärungsgeschwindiekeit bei Überschuß von Zucker, Enzym und Co-Enzym von der Menge des anwesenden Phosphates abhängige. Aarden und Young geben folgende Darstellung dieses Zusammenhanges, welches die S. 69 angegebenen Kurven erklären 98, 8. 49). In Gegenwart einer geeigneten Menge von Phosphat und Zucker stellt der höchste erreichte Betrag die maximale Geschwindigkeit dar, bei welcher Reaktion I in dem betreffenden Preßsaft resp. der betreffenden Trockenhefe verlaufen kann; dieser hohe Betrag ist charakteristisch für die Anfangsperiode der beschleunigten Gärung, welche auf den Zusatz einer passenden, Menge von Phosphat eintritt. Durch die einfache Maß- nahme, den Zugang von Phosphat ebenso schnell zu erneuern als es in Hexosephosphat verwandelt wird, kann dieser hohe Betrag während einer beträchtlichen Zeit aufrecht erhalten werden |#arden und Young (16)]. „Sobald indessen alles freie Phosphat in Reaktion getreten ist, hängt der Zugang an freiem Phosphat hauptsächlich von dem Betrag ab, in welchem das Hexosephosphat wieder zerlegt wird und der jetzt erreichte Gärungsbetrag wird durch das Fortschreiten der Reaktion II bedingt; letzteres hängt offenbar von der anwesenden Menge des hydrolytischen Enzyms, der Hexosenphosphatase, ab.“ Harden und Young nehmen an, dab in der lebenden Zelle das Phos- phat denselben Kreislauf durchmacht wie im Hefenpreßsaft, und daß im wesentlichen ein Unterschied zwischen der Zellgärung und der zellfreien Gärung nur darin besteht, dal) in einem Falle das Phosphat seinen Kreis- lauf schneller macht als im anderen. Aus der Menge Phosphorsäure in der Hefe und aus dem Verlauf der Gärung kann man die Anzahl der Kreisläufe des Phosphors berechnen, welche zur Hervorbringung des beob- achteten Gäreffektes notwendig ist. Die Vergärung des Zuckers durch Hefepreßsaft wird nicht allein durch Phosphate beschleunigt, sondern auch durch die Alkalisalze der arsenigen Säure und der Arsensäure. Die älteren Versuche von Buchner über die Einwirkung von Kaliumarsenit (vgl. Die Zymasegärung, S. 184) auf Hefepreßsaft haben unregelmäßige Resultate ergeben. Die neueren dynamischen Studien von Harden und Young zeigten, daß die Beschleuni- eung durch Arsenate von anderer Art ist als diejenige durch Phosphate. Die Zusetzung des ersten Salzes verursachen nämlich nicht die Entwick- lung eine der Arsenatmenge entsprechenden Kohlensäuremenge. Die Kohlen- säureentwicklung setzt nun fort auch über die berechnete Menge hinaus, und fällt nicht so charakteristisch ab wie bei der Gegenwart von Phos- phat. Die chemische Aufgabe desselben kann somit, wie durch die Unter- suchungen der englischen Forscher dargetan ist, nicht durch Arsenate ausgefüllt werden. Sie entfernten die Phosphorsäure fast vollständig aus dem Preßsaft und fügten an Stelle von Phosphat Arsenat zu: Es trat keine Reaktion ein. Durch einen direkten Versuch wurde bewiesen, daß Neuere Forschungen über alkoholische Gärung. 87 die Arsenatwirkung in einer Beschleunigung der hydrolytischen Spaltung der Hexosenphosphate besteht. Dieser Theorie der Gärung hat in neuerer Zeit A. v. Lebedew (95,99, 100) eine andere Anschauung entgegengestellt. Er legt besonderes Gewicht auf die von ihm gefundene Tatsache, daß der nach seiner Methode dar- gestellte Extrakt von lufttrockener Hefe Dioxyaceton ebenso schnell ver- gärt wie Rohrzucker und daß bei Gegenwart von Phosphat ein Phosphor- säureester entsteht, der mit dem aus Glukose, Fruktose oder Mannose unter gleichen Bedingungen gewonnenen identisch ist. Aus diesen Tatsachen leitet er folgende Formulierung ab: De. ,06= 261,0: 2. 2C,H,0, +2 RHPO, = 2C,H,0;RPO, + 2H;0. D. 2 GERO;REO, = C.H,,0, (RPO,),- 17.0, 9 OFIKRBO,, +IH,O = CH, 0.00, #.CH,O,RPO, + RHPO,. 5. C,H,00, (RPO,» +2 H,0 =2C,H,.OH + 2C0, + 2RHPO,. Diese Auffassung wird später (Chem. Ber., Bd. 45, S. 3240, 1912) in folgender Weise modifiziert: 46,H,0, = 80;H,0, Glycerinaldehyd Dioxyaceton 46,H,0,;, — 4H, = 4C,H,0, 4(6,H,0;, +4 RHPO, =4(,H,0,RPO, 4C,H,0; =40GH,0 + &C0, +4H,0 46,H,0 +4H, =4C,H, . OH 2.6.1.0, RP07 25,0, (RRO,) 20;H,,0, (RO, AEEO —2.0,4,0, 72, HPO, 2.6,H,,.0, = 2GER0, usw. Nach v. Lebedew wird durch diese Formeln, welche ich der Vollstän- digkeit wegen angeführt habe, eine Anzahl von Tatsachen erklärt, bezüg- lich deren auf das Original verwiesen werden mag. In einer ganz neuerdings erschienenen, sehr lesenswerten Mono- graphie!) betont Neuberg, dal die intermediäre Bildung von Triosen beim Gärungsprozeß bisher nicht bewiesen ist. „Man kann“ — schreibt Neuberg — „solange die 3-Kohlenstoffzucker nicht als Zwischenglieder nachgewiesen sind, folgendes Schema in Betracht ziehen, das auch die wichtigen Nebenprodukte berücksichtigt: !) Die Gärungsvorgänge und der Zuckerumsatz in der Zelle. Jena 1913. Ss Hans v. Euler. x) C,H, 0, — 2H,0 = (,H,0, (Methylelyoxal-aldol) 6) C,H:0, = 2CH, : C(OH).CHO bzw. 2CH,.CO.COH (Methylelyoxal) y) CH,:C(OH).COH +H,0 H, CH,OH.CH.OH.CH, OR (Glycerin) u CH,: C(OH).COH 0 CH,:C(OH).COOH (Brenztraubensäure) ö) CH,.CO.COOH = CO, + CH,.COH (Acetaldehyd) e) CH,.CO.COH 0 CH,.C0.COOH (Brenztraubensäure) al — = CH, .CHO HB, CH,.CH,OH (Äthylalkoho)). Leider sind in diesem Schema die Phosphorsäureester nicht berück- sichtigt, welche doch zweifellos eine wichtige Rolle bei der Gärung spielen. Die beiden am Phosphorsäureumsatz in der gärenden Hefe betei- lieten Enzyme scheinen sonst nur in geringen Mengen vorzukommen. Kleinere Phosphatese-Wirkungen konnte Verfasser mit KÄullberg in Aspergillus niger und in Haferkörnern nachweisen. Ein Material, welches die Phosphorsäureester auf enzymatischem Wege rasch und vollständig spaltet, hat Verfasser (101, 102) seit längerer Zeit vergeblich gesucht. Nach Harden (103) ist das Enzym auch im nicht gärfähigen Hefepreßsaft wirksam. In der Darmschleimhaut des Schweines und in der Pferdeniere konnte Verfasser Phosphatase sicher nachweisen. Ähnliche Versuche wurden bald darauf auch von Harding(104) ausgeführt, welchem es gelang, dasselbe im Rizinussamen nachzuweisen, und von Plimmer (105) weiter fortgesetzt. Auch in grünen Blättern ist diese Phosphatase unzweifelhaft, wenn auch T in geringen Mengen von Beth Euler nachgewiesen worden. D. Die vergärbaren Zuckerarten. Im nächsten Zusammenhang mit der Frage nach dem Weg, auf welchem der Zerfall der Hexosen geschieht, steht diejenige nach der Kon- stitution der überhaupt gärungsfähigen Zucker. Bekanntlich sind Glukose, Mannose und Fruktose durch Hefepreß- saft annähernd gleich vergärbar, und man hat diese Erscheinung in Zu- sammenhang gesetzt mit ihrer Fähigkeit, unter der Einwirkung von ver- dünntem Alkali einen Gleichgewichtszustand zu bilden, an welchem sich vermutlich eine allen drei Hexosen gemeinsame isomere Enolform betei- ligt. Die drei unveränderten Hexosen selbst zeigen ja bekanntlich eine weitgehende Übereinstimmung hinsichtich ihrer Konfiguration, während die Galaktose eine größere Verschiedenheit zeigt. Neuere Forschungen über alkoholische Gärung. 9 CHO CH,OH CHO CHO Ar 0=0 HOCH on en HOCH HOCH He CH em HCOH HCOH eh nn )H HCOH HCOH HCOH GH,OH er )H Yin )H CH,OH d-Glukose d-Fruktose d-Mannose d-Galaktose Auch Galaktose ist bekanntlich der Vergärung zugänglich, indessen hat es sich gezeigt, daß Hefe direkt eine sehr geringe Einwirkung auf Galaktose besitzt und erst bei längerer Berührung mit diesem Zucker diesen gegenüber einen höheren Grad von Wirksamkeit erlangt. Slator (6) untersuchte nicht nur PBierhefe, sondern auch noch eine größere Reihe anderer Arten und konnte zeigen, daß dieselben durch Kultur in Galaktose- lösungen ihr Vergärungsvermögen fast ausnahmslos bedeutend erhöhten, zuweilen sogar dasselbe über ihre Fähigkeit der Glukosevergärung stei- gerten. Die Resultate Slators sind dann von Harden und Norris (107) be- stätigt worden. Gerade die am leichtesten vergärenden Hexosen, die d-Glukose, d-Man- nose und d-Fruktose, sind stereochemisch miteinander nahe verwandt. „Keine Veränderung der Zucker“ — schreibt Emil Fischer (108) — „hat sich so abhängig von der Konfiguration gezeigt wie die alkoholische Gärung. Hier übt offenbar der geometrische Bau auf das Spiel der chemischen Affinitäten einen so großen Einfluß, dal mir der Vergleich der beiden in Wirkung tretenden Moleküle mit Schlüssel und Schloß erlaubt zu sein schien.“ Um das merkwürdige Phänomen zu erklären, haben Fischer und Thierfelder die Vermutung ausgesprochen, „dal die bei der Gärung tätigen Asenzien der Hefezelle, welche zweifellos wie die meisten komplizierten Stoffe des Organismus asymmetrisch sind, nur in diejenigen Zucker ein- greifen können, mit welchen sie eine verwandte Konfiguration haben“ (109). Polysaecharide werden, wie schon E. Fischer und Lindner (112) fest- gestellt hatten, nur dann vergoren, wenn die Hefe Enzyme enthält, welche die im Polysaccharid vorhandenen gärungsfähigen Hexosen frei zu machen vermag. Zur Spaltung der höchsten Kohlehydrate, Stärke und Cellulose sind die Hefezellen im allgemeinen nicht befähigt. Die nächsten Spalt- produkte derselben, die Dextrine, werden direkt selten bzw. unvoll- ständig gespalten. Immerhin haben sich einige spezielle Hefearten dazu als geeignet erwiesen. Daß Pombehefe diese Eigenschaft besitzt, war schon lange bekannt. Später hat Lindner auch bei verschiedenen Bier- und 0 Hans v. Euler. Weinhefen eine kräftige Vergärung nachgewiesen (110). Wie Effront (111) eefunden hat, können zahlreiche Hefen sich allmählich an Dextrin ge- wöhnen, womit im Einklang steht, daß) stark dextrinhaltige Maischen oft weitzehend vergoren werden. Glykogen innerhalb der Zelle wird leicht gespalten. Auf Grund des raschen Wechsels der Hefe an Glykogengehalt nahm Kohli 115) an, daß diese Substanz insofern ein Zwischenprodukt bei der Gärung darstellt, als aller Zucker zuerst in Glykogen umgewandelt werden muß. Im allgemeinen besitzen Hefen auch dann, wenn sich das betreffende hydrolvsierende Enzym nicht oder nur in untergeordnetem Grad extra- hieren läßt. genügende Mengen dieses Enzyms, um für die Vergärung aus- reichende Mengen Hexose zu beschaffen. So kommt es, daß im allgemeinen vergärbare Disaecharide mit der gleichen Schnelligkeit in Alkohol und Kohlensäure umgewandelt werden wie Hexosen. E. Untersuchungen an lebender Hefe. Durch das eingehende Studium, welches dem Hefepreßsaft seit dessen Entdeckung und außerdem den Trockenpräparaten gewidmet wurde, sind die chemischen Untersuchungen an lebender Hefe einige Zeit in den Hintergrund getreten; für die Erforschung des Zuckerzerfalls hatte sich die von Buchner, Harden und Young u. a. ausgearbeitete Methodik als be- sonders geeienet erwiesen. Indessen ist die Zahl der biochemischen Reaktionen der Hefe, welche sich bis jetzt von der lebenden Zelle haben trennen lassen, noch ziemlich beschränkt und so sind noch viele theoretische und praktische Probleme ungelöst, welche an der lebenden Hefe studiert werden müssen. Unter den für die gesamte Biochemie bedeutsamen Untersuchungs- gebieten, welche durch das Studium der lebenden Hefe eine Förderung erfahren haben, seien hier nur zwei erwähnt: l. Vergiftungserscheinungen. Die Gärwirkung des zellfreien Preßsaftes wird, wie buchner festge- stellt hat, durch Zusätze von Toluol fast nicht, durch Thymol und Chloro- form nur wenig beeinflußt; hinsichtlich der invertierenden Wirkung auf Rohrzucker ist der Preßsaft überhaupt unempfindlich gegenüber Proto- plasmagiften. In lebender Hefe verhalten sich hingegen Zymase und Inver- tase verschieden. Die Gärwirkung der lebenden Hefe wird durch anästheti- sche Mittel hingegen schnell und fast vollständig aufgehoben; in Gegen- wart von Toluol bleibt höchstens etwa 1°/, der Gärwirkung erhalten und auch dieser Rest verschwindet nach einigen Stunden. Dagegen wird die Wirkung der Invertase in lebender Hefe durch Protoplasmagifte so gut wie gar nicht beeinflußt und es ist deshalb möglich, chemisch dynamische Untersuchungen mit Invertase einfach mit lebenden Hefezellen in Gegen- wart von antiseptischen Mitteln anzustellen (114). Das die Maltose inver- tierende Enzym, die Maltase, verhält sich auffallenderweise nicht wie die Invertase, sondern wie die Zymase; sie ist sehr schwer extrahierbar und Neuere Forschungen über alkoholische Gärung. 91 es läßt sich also der schon früher erwähnte Schluß ziehen, daß in der lebenden Hefe die Gärungsenzyme (bzw. ein wesentlicher Teil derselben) wie auch die Maltase an das Plasma der lebenden Zelle gebunden sind, während die Invertase sich zum großen Teil in freiem Zustande in der Zelle befindet. Was schließlich den Verlauf der Vergiftung betrifft, so hat eine Untersuchung, welche J. Lundberg (115) mit einem Saponin, Zyklamin, an- gestellt hat, ergeben, daß die Resistenzkurven der Hefe von der Menge des Giftes abhängig sind und hat besonders das wesentliche Resultat er- bracht, daß die Wirkung eines Giftes vom physiologischen Zustand bzw. der physiologischen Tätigkeit der Zellen abhängig ist. Während nämlich dureh Vorbehandlung lebender Hefe mit reiner Zyklaminlösung ihre Gär- flüssigkeit nicht beeinflußt wird, setzt in Gegenwart von Zucker das gleiche Gift die Gärtätigkeit der Hefe stark herab. Die Stellung der Gärungsenzyme wie der Enzyme überhaupt zum Plasma ist eines der wesentlichsten, aber noch ganz ungelösten biochemi- schen und biologischen Probleme. Untersuchungen über die Energiever- wandlungen in der Hefe, wie sie in neuerer Zeit von Rubner (124) ausge- führt worden sind, versprechen auch in dieser Hinsicht wesentliche Fort- schritte. Eine eingehendere Besprechung dieser Arbeiten würde hier in unserer Übersicht über die Chemie der Gärung zu weit führen. Das Problem Enzym-Plasma ist in den letzten Jahren in zwei größeren Untersuchungsreihen angegriffen worden. In der einen derselben handelt es sich darum, die Gesetze der Enzymbildung zu ermitteln, und derartige Versuche haben sich bis jetzt auf die Galaktase, die Zymase im weiteren Sinne und die Invertase erstreckt. 2. Enzymbildunse. In bezug auf Invertase hat sich zunächst das Resultat ergeben, daß Hefe, in einer und derselben zuckerhaltigen Nährlösung aufbewahrt, seinen Gehalt an diesem Enzym stark vermehren kann. In ein und derselben Kulturflüssigkeit wird ein Maximum erreicht und bei der Erreichung dieses Maximums folgt die Hefe der Gleichung dx/dt =k(a—x), d.h. in jeder Zeiteinheit ist der Zuwachs der Enzymmenge proportional mit der Differenz zwischen der zurzeit vorhandenen Enzymmenge x und der überhaupt er- reichbaren Enzymmenge a, also der Differenz x—a. Die Konstante der obigen Gleichung kann man als Enzymbildungskonstante bezeichnen. Überträgt man aber die so an Invertase angereicherte Hefe in eine neue Nährlösung, so strebt die Hefe einem neuen, höheren Maximum des Enzymgehaltes zu, welcher auch bei weiteren Übertragungen noch weiter über- troffen wird, wie die folgende Fig. 43 zeigt (Euler und Mitarbeiter |116, 117)). Ein gleicher Zuwachs der Zymase wird bei ähnlicher Behandlung nicht erreicht. Im Gegenteil nimmt unter genau den gleichen Umständen die Gärkraft der Hefe stark ab, nachdem sie ein kleines Maximum über- schritten hat. (In der Fig. 44 sind 3 Versuchsserien: A—(, b—e, B und € angegeben, welche sich sämtlich von der Ausgangshefe a... a herleiten.) g2 Hans v. Euler. Die Kräftigung, welche die Invertasewirkung erfährt, kann also nicht auf einer allgemeinen Erhöhung der vitalen Tätigkeit der Zellen beruhen, sondern ist als eine Erscheinung eigener, bis jetzt noch unbekannter Art anzusehen, verschieden von denjenigen Enzymbildungen oder Vermehrungen, welche als Ursache von „Anpassungserscheinungen“ schon früher bei Bakterien und. wie 8. 90 erwähnt. auch bei Hefe beobachtet, aber bisher noch nicht quantitativ studiert worden waren. Die Invertasebildung scheint mit der Bildung des Protoplasmas eng verknüpft zu sein. Auch eine solche „Anpassung“ von Hefezellen an ein Kohlehydrat- substrat, welches ursprünglich nicht oder nur in sehr geringem Grad an- veriffen wird, verläuft mit einer unter gegebenen Umständen reproduzier- baren und meßbaren Geschwindigkeit und auch in diesem Fall erreicht die Hefe nach einiger Zeit einen Grenzwert der Vergärungsgeschwindig- Fig. 43. Fig. 44. keit, welcher bei weiterer Kultur im gleichen Medium (der gleichen Lösung) nicht mehr überschritten wird. Die folgende Figur zeigt den Verlauf der Erhöhung der Gärkraft bei einer in galaktosehaltiger Nährlösung gezüch- teten Bierhefe. (Als Maß für die Gärkraft ist die Zeit angegeben, welche zur Entwicklung von 6 cm® CO erforderlich war.) Bei den letztgenannten Versuchen handelt es sich offenbar um die Bildung eines Enzyms, welches die Vergärung der Galaktose einleitet, eines Bestandteiles der „Zymase“, welcher als „Galaktase“ zu bezeich- nen ist. Die Kurven der Fig.45 stellen somit den Zuwachs der „Galak- tase“ in den Hefezellen dar. Die Vorbehandlung der Hefe in Nährlösungen, welche von einer Ver- minderung der Gärwirkung und einer gleichzeitigen Vermehrung der Inver- Neuere Forschungen über alkoholische Gärung. 95 sionsfähigkeit begleitet wird, ist, wie besondere Versuche des Verfassers er- geben haben (116). mit einer Veränderung in der Zusammensetzung der Hefesubstanz verbunden, insofern einerseits die Gesamttrockensubstanz der Hefe abnimmt, während der prozentische Stickstoffgehalt wächst. Bildete Ammoniumsulfat die Stickstoffquelle, so traten diese Veränderungen, die Abnahme der Gesamtsubstanz und die Zunahme des prozentischen Stick- stoffgehaltes, sogar während der Hauptgärung ein, während sich bei An- wendung von Glykokoll und von Asparagin zur Nährlösung der Eintritt dieser Erscheinungen verzögerte. Wir berühren hiermit ein anderes, ebenfalls noch junges Problem der Hefeforschung: In welcher Weise ändert sich die Tätigkeit der Zelle mit ihrer chemischen Zusammensetzung? Es würde hier zu weit führen, auf die umfangreichen Untersuchungen ein- zugehen, welcheim Institut für Gärungsgewerbe dieser Frage gewidmet worden Fig. 43. sind, die endgültig wegen der großen Anzahl der Faktoren, welche hier mitbestimmend sind, nur auf Grund eines sehr umfangreichen Tatsachen- materiales beantwortet werden kann. Nur einige wichtige Arbeiten seien genannt. An die alten Versuche von H. Lange (1907) schließen sich die neueren von W. Henneberg (118—120), von Schönfeld und Hirt (121, 122) und von P. Schulz (123) an. Sie zeigen, daß die „Chemie der Hefe“, welche durch die Anregungen Delbrücks (125) auch volkswirtschaftliche Be- deutung erlangt, für die Erforschung des Gärungsvorganges ein Faktor von hervorragender Bedeutung ist. Literaturverzeichnis. 1. Harden und Young, Proc. Roy. Soc., Vol. 77, pag. 405, 1906. 2. Buchner und Antoni, H., Bd. 46, S. 141, 1905. 3. Buchner und F. Klatte, Biochem. Zeitschr., Bd. 8, S. 523, 1908. Hans v. Euler. . Buchner und H. Haehn, Biochem. 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(Inwiefern ist die Auffassung des belebten Motors als ka- lorische Maschine berechtigt?) Von Felix Reach, Wien. Der Vergleich des tierischen Organismus mit einer vom Menschen konstruierten Maschine ist sehr alt. Descartes beispielsweise bezeichnete den Menschen als eine vollkommene Maschine, beherrscht von der ver- nünftigen Seele. Lange Zeit diente dieser Vergleich gewissermaßen als Schlachtruf im Kampfe gegen den Vitalismus; und er ist in der Tat der beste Ausdruck für den Gegensatz zu dem, was Stahl (um 1700) lehrte, nämlich, daß alle, auch die einfachsten physikalischen und chemischen Vor- gänge,. in den belebten Wesen prinzipiell andersartig seien als in der leb- losen Welt. Neue Gesichtspunkte wurden für diese Betrachtungen ge- wonnen, als in der Mitte des vorigen Jahrhunderts /. R. Mayer dem früher nur von Einigen vorgeahnten Prinzip von der Erhaltung der Energie zum Durchbruche verhalf und dadurch die Grundlage für die energetische Betrachtung der leblosen wie der belebten Welt schuf. Im Zusammenhang damit, daß schon früher Lavoisier das Wesen der Oxydation überhaupt sowie die Oxydationen im tierischen Körper im besonderen erkannt und einen Kausalnexus zwischen ihnen und der Arbeitsleistung gelehrt hatte, war der Vergleich mit der Dampfmaschine gegeben, und um so mehr nahe- liegend, als die Dampflokomotive gerade zur Zeit Mayers seit kurzem ihre Triumphe feierte. Mayer stellte sich vor, daß die Verbrennungen in den Capillargefäßen vor sich gängen, und diese gewissermaßen den Heizraum der lebenden Dampfmaschine vorstellten. Mit dem weiteren Ausbau der Wärmelehre und den Fortschritten der Physiologie gewann die energetische Betrachtung der Vorgänge im lebenden Organismus an Vertiefung; es traten aber gerade jetzt auch Zweifel auf. Aus dem zweiten Hauptsatze der mechanischen Wärmetheorie wurde der wesentlichste Einwand dagegen abgeleitet, daß der Organismus eine kalorische Maschine wäre, d. h. daß die mechanische Energie, die er entwickelt, aus Wärme hervorgehe. Während es heute unzweifelhaft feststeht, dab die vom Tiere entwickelte Energie der latenten chemischen Energie der der Oxydation unterliegenden Sub- stanzen entstammt, ist es noch strittig, ob diese Energie, um in Arbeit verwandelt zu werden, den Weg über Wärme nehmen mul) oder nicht, ob also der tierische Organismus eine thermodvnamische Maschine ist oder viel- E. Abderhalden, Fortschritte. X. 9 . Us Felix Reach. mehr, wie Zick es nannte, eine „chemodynamische*. Diese Frage können wir dies sei gleich hier am Anfange vorweggenommen —- zurzeit noch nicht definitiv beantworten: dazu ist der Vorgang der Muskelkontraktion noch nicht genügend aufgeklärt. Immerhin dürfte es lohnen. in die Er- wägung des Für und Wider einzutreten. Ehe wir jedoch hierzu kommen, wird es zweckmäßig sein, die Energieproduktion im Tiere näher zu be- trachten und den Vergleich zwischen dem tierischen Organismus und der kalorischen Maschine nach dem heutigen Stand unseres Wissens in mehr- facher Hinsicht genauer durchzuführen. Die Energiequellen. Den Zusammenhang zwischen den Oxydationen im Tierkörper und seiner Arbeitsleistung erkannt zu haben, ist, wie erwähnt, ‘das un- sterbliche Verdienst Lavoisiers. Auch hier freilich gilt das Wort Goethes: „Wer kann was Kluges, wer was Dummes denken, das nicht die Vorwelt schon vor uns gedacht.“ So hatte Lavoisier in dem englischen Arzt John Mayor (1681) seinen Vorläufer. Trotzdem kann man sagen, daß die Lehre von der Verbrennung und mit ihr die moderne Chemie und die Stoff- wechselphysiologie mit den Arbeiten Lavoisiers beginnen. Heute ist der /usammenhang zwischen jenen Oxydationen und ihren Arbeitsleistungen dnreh zahlreiche, inzwischen mit verbesserter Methodik unternommene Forschungen so genau studiert, dab über die Tatsache dieses Zusammen- hanges an dieser Stelle außer dieser historischen Reminiszenz nichts gesagt werden soll. Welche Substanzen sind es nun, die bei ihrer Oxydation die Energie des Muskels liefern? Als Liebig sich mit diesen Fragen beschäftigte, waren die Nahrungsmittelchemie und die Stoffwechselphysiologie noch in ihren Anfängen. Liebig brachte sie durch seine genialen Arbeiten auf eine höhere Stufe. Er war der Ansicht, dab die im Muskelfleische besonders reichlich vorhandenen Substanzen, die Proteine und die Fleischextraktivstoffe, auch die Ursache der Muskelkontraktion wären, und stellte sich vor, daß der Muskel um so mehr Kraft zu liefern imstande sei, je mehr er von diesen Substanzen enthalte, und daß) er seine Arbeit um so länger fortsetzen könne, je mehr ihm von diesen Substanzen als Ersatz geboten würde. So lehrte er, dal) die stickstoffhaltigen Bestandteile des Fleisches, die Proteine und die Extraktivstoffe, ausschließlich der Erzeugung von Muskelkraft dienen könnten, während andere Nährstoffe (Fette und Kohlehydrate), die er als Respirationsstoffe bezeichnete, nur Wärme, nicht aber Arbeit lieferten. Auf diesen Anschauungen basierte seine Ernährungslehre und die in ihr enthaltene hohe Wertschätzung des Fleisches und des Fleischextraktes. Wenn sich auch seither die Wissenschaft der physiologischen Chemie weit von diesen Anschauungen entfernt hat, so wirkt gerade dieser irrige Teil seiner Lehren vielfach noch heute fort. Nicht nur im Laienpublikum, sondern auch in Ärztekreisen wird vielfach noch dem Fleisch und der Suppe ein Der tierische Organismus als Kraftmaschine. 99 besonderer kräftigender Wert zugeschrieben, den das Fleisch gewiß nicht vor anderen nur Kohlehydrat und Fett enthaltenden Nahrungsmitteln voraus- hat, während die Extraktivstoffe des Fleisches (und daher auch die besonders überschätzte Fleischsuppe) überhaupt nur geringen Nährwert besitzen. Es dürfte auch den Lehren Liebigs wenigstens zum Teil zuzuschreiben sein, daß der Fleischkonsum im Laufe der letzten Jahrzehnte so ungemein zu- genommen hat und die animalischen Nahrungsmittel in der Ernährung der europäischen Völker heute einen viel größeren Raum einnehmen als in früheren Zeiten. Diese Ernährungsfrage hat vom medizinischen und vom nationalökonomischen Standpunkte aus ihre Bedeutung, um so mehr als in manchen Ländern die Versorgung der Konsumenten mit Fleisch immer schwieriger wird und an die Leistungsfähigkeit der Nahrungsmittelproduktion viel höhere Ansprüche stellt als die Versorgung mit vegetabilischer Nahrung. Sicherlich haben die eiweißreichen animalischen Nahrungsmittel ihre In- dikationen und Kontraindikationen (die wir freilich noch nicht genügend präzisieren können), aber wir haben keinen Anlaß, die Fleischnahrung für die Gesunden als besonders kraftspendend anzusehen. Wir haben in diesen Betrachtungen das Ergebnis der wissenschaftlichen Forschung über die Bedeutung der Proteine als der Quelle der Muskelkraft schon teilweise vorweggenommen und kehren nach dieser kleinen Abschweifung zu unserem eigentlichen Thema zurück. Die Anschauungen Liebigs von den Proteinen und anderen stickstofthaltigen Bestandteilen der Muskelsubstanz als alleiniger Quelle der Muskelkraft wurde ganz insbesondere durch Unter- suchungen über die Ausscheidung von Stickstoff (bzw. Harnstoff) in Ruhe- und Arbeitsperioden erschüttert. Es dürfte nicht nötig sein, hier eingehend auf die betreffenden Untersuchungen von Bischoff und Voit und vielen Anderen näher einzugehen. Doch sei hier in Kürze auf die historische Besteigung des Faulhorns durch Fick und Wislicenus im Jahre 1865 hin- gewiesen. Diese Untersucher konnten durch Stickstoffbestimmungen be- weisen, dal) die Menge des zersetzten Eiweißes nicht groß genug war, um bei ihrer Verbrennung auch nur jene Energie frei werden zu lassen, die sie durch Hebung ihres Körpergewichtes auf den 2000 m hohen Gipfel in Form: von mechanischer Arbeit leisteten. Es geht also daraus hervor, daß die Iroteine unmöglich die einzige Quelle der Muskelkraft sein können und das hat sich seither auf mannigfaltige Weise bestätigt. Damit soll aber keineswegs gesagt sein, dal die Verbrennungswärme der Proteine im Organismus nicht zur Leistung mechanischer Arbeit dienen könne. In der Tat haben sie mitunter auch diese Funktion. Pflüger ließ einen sehr mageren Hund, der ausschließlich mit fettarmem Fleisch ernährt wurde, wochenlang arbeiten, und es ist nicht daran zu zweifeln, daß das Tier die Arbeit auf Kosten der chemischen Energie des Fleischeiweißes produzierte. Auch andere Untersuchungen auf diesem viel bearbeiteten Gebiete zeigen, dab körperliche Arbeit immer dann zu erhöhter Stickstoffausscheidung führt, wenn die dargebotene Menge stickstofffreier Nahrungsstoffe nicht groß genug ist. 100 Felix Reach. Da jedoch, wie wir gesehen haben, diese Herkunft der Energie für den belebten Motor nicht die einzige ist, so haben wir die weitere Frage zu beantworten. welche von den stiekstofffreien Nährstoffen dieser Funktion dienen. Da in der Regel außer Eiweiß, Fett und Kohlehydrat nur geringe Mengen anderer Substanzen aufgenommen werden, so ist es klar, dab entweder Fett oder Kohlehydrate, oder beide, (Quelle der Arbeitsenergie sein müssen. Von den Kohlehydraten ist es schon aus dem Grunde wahr- scheinlich. daß sie dieser Funktion dienen, weil die Muskelsubstanz selbst ein Kohlehydrat, das Glykogen, enthält. Es hat sich auch gezeigt, dab das in der Leber aufgestapelte Glykogen gerade unter dem Einflusse in- tensiver Muskeltätigkeit rasch verschwindet. Es gibt beim lebenden Tier keine bessere Methode, die Leber glykogenfrei zu machen, als die Hervor- rufung heftiger Krämpfe durch Strychninvergiftung. Außer diesen Gründen und außer der Beweisführung durch Respirationsversuche (von denen noch die Rede sein wird) ist die Zersetzung von Zucker auch beim isoliert arbeitenden Herzen direkt nachgewiesen. Die Zersetzung anderer Substanzen ist bei dieser Versuchsanordnung viel zu gering, um die große Leistung zu erklären. Wenn so die Arbeitsleistung auf Kosten von Kohlehydraten auber /weifel steht. so kann man dasselbe auch von den Fetten sagen. Im Zu- stande des Hungers schwindet der größte Teil des Glykogens sehr rasch und doch kann der Mensch oder das Tier noch immer eine erhebliche Arbeit leisten, ohne daß für diese Arbeit die Zersetzung stickstoffhaltiger Substanzen genügen würde. Eine Antwort auf die Frage, ob Fett und Kohlehydrate zur Arbeitsleistung herangezogen werden, geben ganz ins- besonders die Respirationsversuche. Aus der Untersuchung der Abfallstoffe läßt sich darauf schließen, welehe Substanzen zerstört werden. Die Fette und Kohlehydrate geben beide Kohlendioxyd und Wasser als Oxydations- produkte. Da Wasser in den Ausscheidungen auch von präformiertem Wasser herrühren kann, und da außerdem gerade die Wasserbestimmung bei den Respirationsversuchen gewisse Schwierigkeiten macht, so wäre es nicht so leieht, durch Messung dieser beiden Substanzen in den Aus- scheidungen zu erkennen, wieviel Fett und wieviel Kohlehydrat verbrannt wurde. Hingegen haben wir ein gutes Maß dafür in dem Verhältnisse des ge- bildeten Kohlendioxyds zu dem für die Oxydation verbrauchten Sauerstoff. {Von dem durch den Proteinumsatz bedingten Gaswechsel sehen wir bei dieser Betrachtung ab: er läbt sich auf hier nicht näher zu erörternde Weise in Rechnung setzen, bedingt überdies für das, was wir hier be- trachten. keinen großen Unterschied.) Die Kohlehydrate enthalten ja stets bereits so viel Sauerstoff im Moleküle, als zur Oxydation ihrer Wasserstoff- atome gerade nötig ist. Und da jedes Molekül 0, bei der Oxydation der noch übrig bleibenden Kohlenstoffatome ein Molekül CO, bildet, so ist bei der Oxydation der Kohlehydrate die Anzahl der Moleküle des verbrauchten Sauerstoffs und des gebildeten Kohlendioxyds einander gleich. Und was von der Anzahl der Moleküle gilt. das trifft nach dem Gesetze von Avogadro a Un Der tierische Organismus als Kraftmaschine. 101 auch für die Volumina dieser Gase bei gleichem Druck und gleicher Tem- peratur zu. Der respiratorische (Quotient, so heißt das Verhältnis der Volumina des gebildeten CO, und des verbrauchten O;, ist für die Kohle- hydrate —= 1. Aus der empirischen Formel der Fette ergibt sich sofort, dab hier ein ganz anderes Verhältnis vorliegen muß. Und da die für die Ernährung der Tiere in Betracht kommenden tierischen Fette einander hinsichtlich ihrer elementaren Zusammensetzung sehr ähnlich sind (Reinicke und Schulz), so kann man für Fettverbrennung einen bestimmten re- spiratorischen Quotienten angeben. Er beträgt 0'707. Es ist leicht ein- zusehen, daß sich für jeden zwischen den beiden Werten 0'707 und 1 liegenden Werten der Anteil von Fett und Kohlehydraten bei der Ver- brennung berechnen läßt. Die Veränderungen des respiratorischen Quotienten bei der Arbeit sind vielfach zu dem Zwecke studiert worden, um daraus Schlüsse über die Art der für die Arbeit verbrauchten Stoffe ableiten zu können. Mehrere Untersucher fanden bei der Arbeit einen höheren re- spiratorischen Quotienten als in der Ruhe und nahmen daher an, dal) die Zersetzung der Kohlehydrate für die Arbeitsleistung unerläßlich ist. Genauere Untersuchungen, die insbesondere aus dem Zuntzschen Laboratorium stammen (A. Loewy u. a.), zeigten aber, daß die Steigerung des respira- torischen Quotienten, die man beim Einsetzen der Arbeit oft beobachtete, ihre Ursachen in verschiedenen Nebenumständen, nicht aber in der Arbeit selbst habe. So verursacht die Änderung der Atemmechanik zunächst eine Ausschwemmung von Kohlendioxyd und damit ein Ansteigen des respira- torischen Quotienten. Auch ungenügende Sauerstoffzufuhr und Ermüdung haben diese letztgenannte Folge. Je mehr die Methodik dieser Unter- suchungen sich besserte, um so mehr zeigte sich, daß die Muskelarbeit selbst den respiratorischen (uotienten nicht erhöhe. Wenn mit fortgesetzter Arbeit der Glykogenvorrat des Körpers schwindet, hat dies sogar ein Sinken des respiratorischen Quotienten zur Folge. [Siehe z. B. die Versuche von Durig (11 u. 12).| Die Energie der Muskelarbeit kann also sowohl durch Fett als auch durch Kohlehydratverbrennung geliefert werden: in der Regel stammt sie von beiden her und unter besonderen Verhältnissen werden auch die Proteine diesem Zwecke dienstbar gemacht. Wir wissen, daß der Organismus außer den Substanzen der 3 groljen Nährstoffgruppen: Eiweiß, Fett und Kohlehydrat noch andere organische Verbindungen zu oxydieren imstande ist, so z. B. Alkohol, Glyzerin, Butter- säure und viele andere. Es ergibt sich von selbst die Frage, ob jede Sub- stanz, die im Organismus oxydiert wird, auch mechanische Arbeit pro- duzieren kann. Gerade für das uns beschäftigende Problem der Ähnlichkeit des Organismus mit einem unbelebten Wärmemotor ist dieser Umstand von größter Bedeutung. Für die kalorische Maschine ist es wenigstens im Prinzip gleichgültig, aus welcher Quelle die Wärme stammt, die in me- chanische Arbeit umgewandelt werden soll. Eine Lokomotive müßte ihre Aufgabe auch erfüllen, wenn sie anstatt, wie üblich, mit Kohlen beispiels- weise mit Benzin oder mit irgend einer anderen brennbaren Substanz 102 Felix Reach. geheizt werden würde, sofern nur die Heizanlage dafür geeignet ist. Andrer- seits hat man sich, wie wir noch näher sehen werden, speziell für die Kontraktion der Muskelfaser verschiedene Vorstellungen gebildet, die davon ausgehen, dal es in der Muskelfaser selbst eine Substanz gebe, deren Zer- störung die Kontraktion hervorrufen soll. Das sind Anschauungen, die mit den schon besprochenen Liebigs, daß die Substanz, die den Muskel aufbaut, auch die Quelle der Kraft wäre, verwandt sind. Wir haben schon gesehen, dal) sowohl Eiweiß als auch Fett und Kohlehydrat bei ihrer Zersetzung Arbeit leisten können und wir müssen uns nun auch damit beschäftigen, ob andere Substanzen diese Funktion ebenfalls haben können. Die Frage läßt sich begreitlicherweise nur für solche Substanzen beantworten, die dem Örganismus in größerer Menge als Nährstoffe zugeführt werden können: und es kommt daher für die experimentelle Prüfung von allen diesen Substanzen wohl nur der Alkohol im Betracht. In unserer Zeit ist um diese Substanz ein heftiger Kampf entbrannt, in dem mitunter auf beiden Seiten mit einem gewissen Fanatismus vorgegangen wird. Es war lange genug strittig, ob der Alkohol überhaupt als Nährstoff bezeichnet werden könne. Die zahlreichen Arbeiten der letzten Zeit lassen für den objektiv Urteilenden keinen Zweifel darüber übrig, daß dies in der Tat der Fall ist. Diesbezüglich sei auf eine Zusammenfassung dieses Gebietes durch Rosemann hingewiesen. Da der tierische Organismus auch ohne äußere Arbeitsleistung einen beständigen Stoffumsatz und damit eine be- ständige Energieumwandlung vollzieht, müssen wir hier die Frage so fassen, ob die Energie des Nährstoffes Alkohol auch der Arbeitsleistung und nicht etwa nur dem Ruheumsatze allein dienen könne. Experimentelle Unter- suchungen über die Wirkungen des Alkohols bei Arbeitsleistung liegen vor von Chauveau, Atwater und Benedikt, Durig und (aus der allerjüngsten Zeit) Krieger. Auf die Selbstversuche Durigs (11) soll hier näher eingegangen werden. Er leistete täglich eine gewisse Arbeit durch Bergsteigen und es zeigten die in verschiedenen Phasen der Bergsteigearbeit vorgenommenen tespirationsversuche, daß die Arbeitsleistung zum erheblichen Teile auf Kosten der Kohlehydrate zu setzen war. Je mehr er sich dem Gipfel näherte, um so mehr fiel an jedem Tage der respiratorische Quotient. Nahm er nun bei sonst gleichem Verhalten vor dem Anstiege Alkohol zu sich, so zeiete das Verhalten des respiratorischen @Quotienten deutlich eine Er- sparung von Kohlehydrat. Diese Ersparung kann nicht dem Ruheumsatze allein zugeschrieben werden, denn dieser war kaum größer als der Energie- wert des verbrannten Alkohols. Selbst unter der Annahme, es wäre diese Alkoholenergie zur Deckung eimes erheblichen Teiles des Ruhebedartes verwendet worden. wäre der Alkohol wohl immer noch als Quelle der Muskelkraft anzusprechen, da auch der „Ruhebedarf“ zu nicht unbeträcht- lichem Anteil auf Muskeltätigkeit (Herz, Atmung usw.) beruht. Nimmt man aber an, der Alkohol hätte nur jenen Rest des Ruhebedarfes be- stritten, der mit der Muskeltätigkeit nichts zu tun hat, dann läßt man die Energieausnützung dabei so unökonomisch sein, daß ein erhebliches 9 EEE 09 Der tierische Organismus als Kraftmaschine. 103 Ersparnis am Gesamtumsatz nicht hätte zustande kommen können. Es sprechen also diese Versuche Durigs (ebenso wie andere Arbeiten, die wir nur kurz erwähnten) sehr entschieden dafür, dab der Alkohol der leben- den Maschine bei ihrer Arbeit als Energiequelle dienen könne. Es können mithin sehr verschiedene Substanzen bei ihrem oxydativen Zerfall die Quelle der Muskelkraft bilden. Dabei bleibt noch die Frage offen. ob nicht bei manchen Substanzen der Energieproduktion eine Um- wandlung in andere Substanzen vorausgehe, so daß in letzter Linie vielleicht doch nur ein bestimmter Stoff die gedachte Funktion ausüben würde. Wir wissen ja, daß Umwandlungen verschiedener Stoffe ineinander im Stoffwechsel im großen Umfange vorkommen. Wir werden diesen Teil des Problems erst an einer späteren Stelle unserer Betrachtungen wieder aufnehmen, bis wir die Frage nach dem Wirkungsgrad der lebenden Maschine erörtert haben. (S. 115.) Die Energie spendenden chemischen Prozesse. Wir haben bisher stets nur von den Oxydationen oder Verbrennungen gesprochen, die der Energieentwicklung im Organismus zugrunde liegen. Es muß jedoch hier wenigstens kurz darauf hingewiesen werden, dab diese chemischen Vorgänge in vielfacher Beziehung andere sind als jene, welche wir außerhalb des Organs z. B. in einer vom Menschen erbauten Maschine als Verbrennungen betrachten. Es hat die kurze Bezeichnung Verbrennungen auch diesbezüglich zu einigen Mißverständnissen geführt, da man die Analogie zwischen dem tierischen Organismus und der ka- lorischen Maschine offenbar mitunter zu weit getrieben hat. Gemeinsam ist den beiden Vorgängen die Oxydation und die damit verbundene Akti- vierung potentieller Energie. Hingegen unterscheiden sich die Vorgänge z. B. dadurch, daß für die Intensität des Oxydationsprozesses im tierischen Organismus die Menge des zur Verfügung stehenden Sauerstofts innerhalb gewisser Grenzen nicht von Bedeutung ist, was gezeigt zu haben das Ver- dienst Pflügers ist. Es steht der Umtang der Oxydationen im Tierkörper vielmehr unter ganz anderen Einflüssen, als dies bei den Verbrennungen der etwa zum Betriebe einer Dampfmaschine üblichen Heizmaterialien der Fall ist. Der Umfang dieser Oxydationen ist wesentlich von dem Bedarfe des Organismus abhängig. So ist auch die Steigerung, die durch Zufuhr von neuem Brennmaterial hervorgerufen wird, gegenüber der durch die Einleitung der Muskeltätigkeit selbst hervorgerufenen verschwindend klein. Würde man in dieser Hinsicht den Vergleich zwischen dem Organismus und der kalorischen Maschine wirklich so weit durchführen wollen, so müßte man den Organismus der Maschine plus Bedienung, plus Heiz- materialreserve analog setzen. Rationellerweise kann sich dieser Ver- gleich nur auf die Umwandlung der bei der Oxydation frei werdenden Energie beziehen. Die Oxydationsprozesse selbst sind, wie erwähnt, ın mannigfacher Art von denen im Heizraum einer Dampfmaschine ver- schieden. Nieht nur, dal) sie anders angefacht werden, so werden sie auch 104 Felix Reach. anders reguliert, was aber keineswegs zu hindern braucht, dal) die che- mischen Spannkräfte auf dem Wege über Wärme in mechanische Arbeit umgewandelt werden, und das allein ist für uns das Problem der thermo- dynamischen Theorie der tierischen Arbeit. Mit Unrecht führt daher ein ınoderner Autor (36) gegen die thermo-dynamische Theorie der Muskel- kraft ins Treffen, daß niemand eine Dampfmaschine aus demselben Material erbauen wird, das zu ihrer Heizung dient, und daß eine solche Maschine unbrauchbar wäre. Hier liegt ohne Zweifel ein Zuweittreiben des Ver- gleiches vor. Sicher aber kann aus solchen Verschiedenheiten nicht ge- tolgert werden, dal) die mechanische Energie im Muskel des Tieres nicht aus Wärme entstanden ist. Die Oxydationsprozesse selbst sind noch keineswegs in ihren Einzel- heiten aufgeklärt. Es haben zwar die Forschungen der letzten Jahre mancherlei Licht über die Oxydationen im Tierkörper verbreitet. So er- kannten wir z. B., daß die Oxydation der Fettsäuren stets in der 3-Stellung beeinnt und daß die endständigen Gruppen paarweise abgestoßen werden. Vom Zucker sahen wir, daß der oxydative Abbau wenigstens teilweise über Milchsäure erfolgt. Trotz alledem ist der größere Teil der Aufklärungs- arbeit hier noch zu leisten. Überdies ist der genauere Weg des Abbaues tür unser Thema von geringerer Bedeutung. Nicht unerwähnt darf es aber bleiben, dab der Organismus auch (durch andere chemische Prozesse als durch Oxydationen Energie entwickeln kann, und daß auch auf diese Art mechanische Arbeit geleistet wird. Für manche niedere Tiere ist dies die einzige Art der Kraftentwicklung. Die Ein- geweidewürmer z. B. leben in einem fast sauerstofffreien Milieu und ihr (resamtstoffwechsel ist, wie Weinland gezeigt hat, eine Art Gärung, bei der insbesondere Kohlehydrat in Kohlendioxyd und Valeriansäure zerfällt. Trotzdem zeigen diese Tiere mitunter eine recht lebhafte Bewegung. Sie leisten ohne Zweifel eine gewisse äußere Arbeit mit Hilfe chemischer Prozesse, die exotherme Spaltungen, aber nicht Oxydationen sind. Es ist jedoch gezeigt worden, dab auch bei Wirbeltieren derartige Vorgänge stattfinden, und es kann beispielsweise der Froschmuskel auch ohne Aufnahme von Sauerstoff eine nicht unbeträchtliche Arbeitsmenge leisten. Mit Recht weist Zuntz (62 u. 63) darauf hin, daß auch bei der Kontraktion des isolierten (nicht durchströmten) Muskels anoxybiotische Prozesse vor sich. gehen müssen, da ein solcher Muskel wegen seiner geringen Oberfläche keine ausreichende Sauerstoffmenge aus der Luft aufnehmen kann. Auch hier haben wir es also mit einem in die Augen springenden Unterschiede zwischen dem Organismus und dem für technische Zwecke in Verwendung kommenden, vom Menschen konstruierten Wärmemotor zu tun. Prinzipieller Natur ist aber dieser Unterschied nicht; das Problem der Energieentwicklung im Organismus wird dadurch in seinem Kerne nicht tangiert. Es bleibt trotz dieses Unterschiedes unentschieden, ob zwischen dem chemischen Prozesse und der Arbeitsleistung die Wärme als Zwischenstadium ein- geschaltet ist, wie z. B. bei der Dampfmaschine, oder nicht. Der tierische Organismus als Kraftmaschine. 105 Der Ort, an dem die Energie liefernden Oxydationen (bzw. Zer- setzungen) vor sich gehen, ist die Muskelfaser selbst. Eingangs ist bereits erwähnt worden, daß nach der Vorstellung 7. R. Mayers die Capillar- gefäße Sitz dieser Vorgänge sein sollten. Indes ist, wie wir noch näher besprechen werden, gerade eine derartige Vorstellung mit der thermo- dynamischen Hypothese der Muskelarkeit unvereinbar. Wir wissen heute sicher, daß das Muskelgewebe die nötige Energie selbst produziert, d.h. dal im Muskel potentielle Energie durch die Umsetzung organischer Sub- stanzen der Ausnützung zugeführt werden. Den Beweis hierfür liefert die Tatsache, dab aus dem Körper herausgenommene Muskeln auch ohne vom Blut durchströmt zu sein, sich kontrahieren und beträchtliche Arbeit leisten können. Das Herz kann, vom Organismus losgelöst und anstatt mit Blut mit einer sauerstoffreichen, zuckerhaltigen Salzlösung durchströmt, tagelang Arbeit leisten. Bei Wahrung aseptischer Kautelen konnten Atha- nasiu und Gradinesco das Froschherz außerhalb des Körpers bis zu 55 Tagen lebend und arbeitend erhalten. Auf diese Tatsachen wurde hier ein- gegangen, weil sie in neuester Zeit von verschiedener Seite nicht genügend Beachtung fanden. Ein Ingenieur, J. Fischer, sieht die Haut als das Organ der Wärmeabfuhr für unerläßlich bei der Arbeitsleistung an. Ähnliche An- schauungen entwickelt der Physiker Schreber, und kürzlich hat ein Arzt, Simonson, die Behauptung ausgesprochen, nur der Organismus als ganzes wäre eine kalorische Maschine, während der Muskel nur der Kolben- stange oder einem Hebel, als Teil im Gesamtbetriebe der kalorischen Maschine, zu vergleichen sei. Das Unzutreffende der zuletzt genannten Be- trachtungsweise wird klar, wenn man sich vor Augen hält, wie gering der zur Auslösung einer Muskelzuckung nötige Reiz im Verhältnis zu dieser Zuckung selbst ist. Einen zahlenmäßigen Ausdruck für dieses Verhältnis liefern einige Versuchsreihen von Cybulski und Zanietowski. Diese Unter- sucher verglichen die Energie des auf den Nerv applizierten, elektrischen heizes mit der durch diesen Reiz hervorgerufenen Arbeit des isolierten Froschmuskels. Während die Reizenergie in einer als Beispiel heraus- gegriffenen Versuchsreihe zwischen 46 x 10=* und 63x 10 * Erg schwankte, hatte die Muskelarbeit die Größe von 750 bis 30.750 Erg. Sie war also mehrere hunderttausendmal (und in manchen anderen Versuchen auch mehr als eine Millionmal) größer als die Reizenergie.!) Es kann also kemem Zweifel unterliegen, daß der Muskel selbst die Kraftmaschine ist, die auf einen sehr geringen Anreiz hin die in ihr schlummernde Energie nutzbar macht. In dieser letzteren Beziehung bleibt bis zu einem gewissen Grade auch heute noch ein Vergleich recht zutreffend, der sich schon bei 4A. v. Haller findet. Der Nervenreiz und die Muskelarbeit verhalten sich !) Ähnlich sind die Verhältnisse bei direkter Muskelreizung, denn Bürker fand die Wärmeentwicklung im tätigen Froschmuskel bei gleicher Arbeitsleistung davon unabhängig, ob der Muskel indirekt (vom Nerven aus) oder direkt gereizt wurde. Damit erledigt sich ein Einwand Simonsons gegen alle myothermischen Versuche, nämlich der, die beobachtete Energie könne aus der Reizquelle stammen. 106 Felix Reach. ähnlich wie ein kleiner Funken, der eine Ladung Schießpulver dazu veranlaßt, eine mächtige Arbeit zu leisten. (Freilich löst der Funke die im Schießpulver verfügbare, latente Energie restlos aus, während ein Nervenreiz von der dem Muskel innewohnenden gesamten Kontraktions- energie stets nur einen kleinen Teil mobilisiert, dessen Gröbe von ver- schiedenen Umständen, wie Reizintensität und Belastung, abhängt.) Der Muskel besitzt also keinen gesonderten Heizraum, er ist in dieser Hinsicht der Dampfmaschine, dem ursprünglichsten Typus der kalorischen Maschine der modernen Technik, sehr unähnlich. Hingegen ist er darin den Verbrennungsmotoren (Explosionsmotoren) vergleichbar, bei denen wie beim Muskel der Ort der Verbrennung mit dem Orte zusammenfällt, an dem sich die Umwandlung der Energie in die Form der mechanischen Arbeit vollzieht (dem Zylinder). Die Art dieser Umwandlung freilich ist eine andere. Der Wirkungsgrad. Bei der Betrachtung des tierischen Organismus als Kraftmaschine ist es von wesentlichem Interesse, die quantitativen Beziehungen zu unter- suchen, die zwischen der durch chemische Prozesse frei gemachten Energie und der mechanischen Leistung bestehen. Das Verhältnis dieser 2 Größen, der Wirkungsgrad, gibt eine Anschauung von der Ökonomie des Organismus bei der Arbeit und ist eines der wichtigsten Momente bei der Diskussion der Frage, ob der Muskel als kalorische Maschine angesehen werden kann oder nicht. Die Methodik dieser Untersuchungen ist eine mannigfaltige, und wir wollen hier wenigstens im Prinzip die wichtigsten Versuchsverfahren besprechen. In einer großen Anzahl von Versuchen hat man sich bestrebt, einerseits den Stoffumsatz und andrer- seits die gleichzeitig geleistete Arbeit zu messen, Zur Bestimmung des Stoffumsatzes dient die Untersuchung des Harns und die der Respirationsgase. Hinsichtlich der Harn- untersuchung kommt es im wesentlichen auf eine N-Bestimmung an, aus der man auf die Größe der umgesetzten Proteinmenge schließen kann. Wiehtiger für die uns hier beschäftigenden Fragen ist die Untersuchung des respiratorischen Stoffwechsels. Zur Durchführung solcher Respirationsversuche befindet sich das betreffende Tier oder der Mensch nach der einen Art der Untersuchung in einem geschlossenen Raum, durch den Luft gesaugt wird. Läßt man diese Luft durch Lauge streichen, so kann man die gebildete Kohlendioxydmenge aus der Luft entfernen und bestimmen. Der von diesem Produkt des Stoffwechsels befreiten Luft werden ge- imessene Mengen Sauerstoffs aus einem Behälter zugesetzt, worauf sie in den Versuchs- raum zurückkehrt. Das ist in Kürze das Prinzip der Begnault-Reisetschen Methode, die in neuerer Zeit in Amerika in groß angelegten Laboratorien unter weitgehender Vervollkommnung von Atwater, Benedikt und ihren Mitarbeitern verwendet wurde. Diese letztgenannten Autoren haben jedoch mit diesem Verfahren ein zweites, auf anderem Prinzip beruhendes, verbunden, wovon gleich noch die Rede sein wird. Man hat dieser Methode vielfach vorgeworfen, daß sie das Versuchsindividuum dadurch, daß sie es seine eigene Respirationsluft wieder einatmen läßt. in unphysiologische Bedingungen versetzt. Diesem Fehler weicht das Verfahren aus, das namentlich von Pettenkofer und Voit in München für ihre wichtigen Stoffwechselversuche ausgebildet wurde und von dem in modifizierter Form in unseren Tagen die nordischen Forscher (Tigerstedt, Johansson, Koraen u. a.) Gebrauch machten. Bei diesem Verfahren streichen gemessene Mengen Der tierische Organismus als Kraftmaschine. 107 atmosphärischer Luft durch die Versuchskammer und werden bei ihrem Austritte ana- lysiert. Die Schwäche dieses Verfahrens liegt insbesondere darin, daß die Sauerstoff- bestimmung an großer Ungenauigkeit leidet, bzw. ganz wegfällt. Die große Luftmenge, die man durch die Kammer saugen muß, bringt es mit sich, daß die Bestimmung des Sauerstoffdefizites bei diesen Methoden an die Analysen Genauigkeitsanforderungen stellt, denen nicht entsprochen werden kann. Ein weiteres, vielgeübtes Verfahren ist das von Zuntz. Es besteht darin, daß man das Versuchsindividuum durch Ventile atmen läßt und direkt die Exspirationsluft mißt und analysiert. Die Vorzüge und auch die Nachteile dieses Verfahrens liegen in der kurzen Dauer dieser Versuche; speziell für die Untersuchung des Arbeitsstoffwechsels überwiegen jedoch die Vorteile, wie wir bald sehen werden. Aus diesen so gewonnenen, analytischen Daten muß der Stoffumsatz und schließlich die Energieproduktion berechnet werden. Nach dem oben Gesagten kommt das wesentlich darauf heraus, die Menge der verbrannten Proteine, Fette und Kohlehydrate zu bestimmen, und in dieser Hinsicht können wir auf das früher (S. 101) über die N-Bestimmung und ' den respiratorischen (uotienten Gesagte hinweisen. Die Berechnung der entwickelten Energie geschieht dann auf Grund der mit der kalorimetrischen Bombe festgestellten Verbrennungswärme der umgesetzten Substanzen. (Für die im Harn ausgeschiedenen Produkte unvollständiger Verbrennung, wie Harnstoff, muß natürlich ein Abzug gemacht werden.) Die Versuche ohne direkte Sauerstoffbestimmung geben unsichere Resultate, sofern man nicht ausschließen kann, daß sowohl Fett als Kohlehydrat am Umsatze beteiligt ist. Die vorher genannten amerikanischen Forscher haben mit einer derartigen in- direkten Kalorimetrie des lebenden Organismus bei Ruhe und Arbeit auch noch die direkte verbunden, indem sie ihre Respirationskammer gleichzeitig als Kalorimeter er- richteten. Sie konnten auf diese Art die Ergebnisse der Respirationsuntersuchungen durch die direkte Kalorimetrie kontrollieren und die weitgehende Übereinstimmung, die sie für die gebildete Wärme auf zwei so verschiedenen Wegen erhielten, spricht für die Richtigkeit der Forschungsmethoden. Die auf diese Arten gemessene Energieproduktion ist nun keineswegs nur diejenige, welche ihre Entstehung der Arbeitsleistung verdankt oder, teleologisch ausgedrückt, die Entwicklung mechanischer Arbeit ist nicht der alleinige Zweck dieser Energieproduktion. Man muß sich vielmehr vor Augen halten, dab der tierische Organismus auch im Zustande voll- kommenster Ruhe der Ort von Oxydationen und daher von Energiepro- duktionen ist. Ein erheblicher Teil der in der Ruhe produzierten Energie wird ohne Zweifel ebenfalls in Arbeit umgewandelt, die ja als Zirkulations- und hespirationsarbeit zur Erhaltung des Lebens unerläßlich ist. Ein Teil dieser Oxydationen muß aber als eine Erscheinung des Lebens selbst auf- gefaßt werden. Auch bei den in der Industrie gebrauchten, unbelebten Wärmekraftmaschinen hat die Oxydation der Brennstoffe mitunter noch anderen Zwecken zu dienen als dem der Arbeitsleistung. In chemischen Fabriken, Brauereien usw. wird die im Heizraume der Maschime erzeugte Wärme oft noch zur Erwärmung anderer Räume verwendet, und man zieht mit tücksicht auf diese Verwendung der bei der Arbeitsproduktion überflüssigen Wärme oft Motoren mit geringerem Wirkungsgrade solchen mit höherem vor. Einen Ruheverbrauch hat aber die Maschine als solche nicht. Daher ist die Bestimmung des Wirkungsgrades bei den belebten Motoren in dieser Hinsicht prinzipiell anders als bei den unbelebten. Um bei einem Arbeitsversuche am Menschen oder Tier den Umsatz für die geleistete Arbeit kennen zu lernen, ist es nach dem Gesagten 108 Felix Reach. nötig, derartige Respirationsversuche sowohl in der Ruhe als auch bei der Arbeit vorzunehmen. Es ist ein wesentlicher Vorzug der kurzen Versuchs- perioden, wie sie insbesondere der Zuntzschen Methodik eigen sind, dab ınan die Zeit reiner Ruhe der Zeit reiner Arbeit gegenüberstellen kann. Bei längeren Versuchsperioden, wie sie in der Respirationskammer unbedingt nötig sind, wird diese Scheidung von Arbeits- und Ruheperioden einiger- maßen verwischt. Die Ruheversuche von längerer, etwa 24stündiger Dauer, schließen stets eine Menge von Bewegungen ein, die zwar den Zustand des Versuchsobjektes noch als Ruhe im gewöhnlichen Sinne des Wortes erscheinen lassen, aber vom Standpunkte der Stoffwechselphysiologie doch schon als Arbeit qualifiziert werden müssen. Bei den Arbeitsversuchen von längerer Dauer ist es unvermeidlich, daß diese „kleine Arbeit“ einen anderen Betrag ausmacht als in den zugehörigen Ruheversuchen. Die Zuntzsche Methodik ermöglicht es, Ruheversuche von der Dauer einer Viertelstunde anzu- stellen, und namentlich wenn das Versuchsobjekt ein Mensch ist, gelingt es dann leicht. fast vollkommene Bewegungslosigkeit durchzuführen. Zur Berech- nung der auf die Arbeitsleistungen allein entfallenden Energieproduktion ist es dann nötig, von der Energieproduktion während einer gewissen Arbeitszeit den der gleichen Zeit entsprechenden Ruhewert abzuziehen. Man könnte freilich den Einwand machen, es sei fraelich, ob diese beiden Werte, Ruheumsatz und Arbeitsumsatz, sich einfach addieren, ob nicht vielmehr an- dere als additive Beziehungen zwischen Ruheumsatz und Arbeitsenergie be- ständen, z. B. in der Art. daß infolge des Arbeitsumsatzes ein Teil der sonst in der Ruhe nötigen Energieproduktion in Fortfall käme. Betrachtet man die Verhältnisse vom teleologischen Standpunkte aus, so wäre das a priori, für den Warmblütler zumindest, sogar ganz plausibel. Denn, da selbst- verständlich immer mehr Energie produziert wird als in Arbeit umgesetzt werden kann, so führt die Arbeitsleistung zu einer überschüssigen Wärme- produktion, und es wäre ganz gut denkbar. daß der Organismus dafür an anderer Stelle Energieproduktion, die etwa zur Aufrechterhaltung der Körpertemperatur in der Ruhe dient, erspart. Antwort auf diese Frage, ob es sich wirklich so verhält, müssen natürlich die Arbeitsversuche selbst geben. Wenn die Subtraktion des Ruhewertes von der Gesamtproduktion während der Arbeitszeit richtig ist, dann muß sich das darin ausdrücken, dab die Differenz dieser beiden Werte der geleisteten Arbeit proportional ist. Die zahlreichen Arbeitsversuche haben nun in der Tat ergeben, dab diese Proportionalität besteht, sofern bei den Versuchen gewisse Kautelen eingehalten werden. Insbesondere muß die Art der Arbeitsleistung die gleiche sein, und es muß Ermüdung vermieden werden. Dann zeigt es sich, daß das Verhältnis der Arbeitsleistung zu der nach dieser Be- rechnungsart auf sie entfallenden Energieproduktion bei einer jeden Person in engen Grenzen schwankt, wenn auch die Arbeitsleistung variiert. Simonson hat daher vollkommen unrecht, wenn er dieses Ver- fahren zur Berechnung des Wirkungsgrades nicht gelten lassen will, sondern von der Schätzung der durchschnittlichen 24stündigen Arbeitsleistung und Der tierische Organismus als Kraftmaschine. 109 der zur Erhaltung des Gleichgewichtes für den gleichen Zeitraum nötigen Nahrungsmenge ausgeht. Solche Berechnungen können selbstverständlich günstigenfalls Minimalwerte für den Wirkungsgrad ergeben, über denen der wahre Wert um ein Beträchtliches höher liegen muß. (Siehe auch S. 111, Anmerkung.) Ähnlich wie Söimonson rechnet auch Schreber. Die Art der Arbeitsleistung bei derartigen Versuchen kann eine ver- schiedene sein. In einem großen Teil der Versuche bestand sie im Gehen auf ansteigender Bahn, bei anderen im Radfahren, bzw. in der entsprechenden Bewegung auf einem feststehenden Zweirad. in anderen Versuchen wieder wurde sie durch Raddrehen mit den oberen Extremitäten oder durch Ge- wichteheben geleistet. Worin immer die Arbeitsleistung bestand, so ist nur ein Teil dieser Arbeit ganz direkt darauf verwendet worden, die gemessene Arbeit zu leisten. Nehmen wir als Beispiel das Aufwärtsgehen, so läßt sich die Arbeitsleistung als das Produkt aus dem gehobenen Gewicht und der Hubhöhe berechnen. Nun braucht aber der Mensch oder das Tier auch dann schon mehr Energie als in der Ruhe, wenn er seinen Körper auf horizontaler Bahn fortbewegt. er leistet auch dabei schon Arbeit. Ähnliches gilt natürlich auch vom Drehen eines gebremsten Rades, denn es sind damit selbstverständlich Bewegungen der Gliedmaßen, und folglich Arbeits- leistungen verbunden, die in dem Produkt Kraft mal Weg nicht enthalten sind. Wenn man also von der aut die Arbeitszeit entfallenden Energieproduktion den Ruheumsatz abgezogen hat und die Differenz zur Berechnung des Wirkungsgrades verwendet, so bekommt man Werte, die kein richtiges Bild von der Ökonomie des arbeitenden Muskels geben. Zur Abhilfe dieses Mangels haben deshalb viele Untersucher „Leerlaufsversuche“ angestellt; als solche sind beim Bergsteigen Marschversuche auf horizontaler Bahn anzusehen: den Versuchen mit Drehen eines belasteten Rades ent- sprechen solche, bei denen ein gänzlich unbelastetes Rad gedreht wurde. Nachdem man also von der auf die Arbeitszeit entfallenden Energie den Ruheumsatz für die gleiche Zeit abgezogen hat, wird noch der Umsatz für die Leerlaufsarbeit gleicher Ausdehnung (gleiche Wegstrecke, gleiche Anzahl Radumdrehungen usw.) subtrahiert. So erhält man einen Energie- wert, der mit dem der geleisteten Arbeit besser in ein Verhältnis zu bringen ist. und kommt zu dem „reinen Wirkungsgrad“, wie ich es im Gegen- Satze zum „rohen Wirkungserade*, bei dem die Leerlaufversuche nicht be- rücksichtigt sind, genannt habe. Es muß jedoch bemerkt werden, dal) der so gewonnene Energiewert noch immer eine Komponente enthält, die nicht dem direkt in Kilogrammmetern ausdrückbaren, gemessenen Arbeitswerte ent- spricht. Es steigert nämlich die Anstrengung auch die Arbeit des Herzens und der Atemmuskulatur, die „organische Arbeit“ (nach der Ausdrucks- weise von Berg, R. du Bois-Reymond und L. Zuntz). Indes ist diese Stei- eerung so gering, um für unsere Zwecke vernachlässigt werden zu können. Bei mancher Art der Arbeitsleistung, z. B. beim Gewichtheben, muß beachtet werden, daß sie mit sogenannter statischer Arbeit verbunden ist. Der belebte Motor verbraucht Energie nicht nur zum Heben, sondern auch zum 110 Felix Reach. Halten eines Gewichtes (und ähnliches gilt selbstverständlich bei mancher anderen Art von Arbeit). Das Heben eines Gewichtes ist mit um so mehr solcher statischer Arbeit verbunden, je langsamer es vor sich geht, und der diesbezügliche Umsatz wird durch Leerlaufversuche nicht immer ge- messen. Johansson und Koraen machten Versuche über den Stoffwechsel beim Heben von Gewichten und bedienten sich dabei eines Arbeitsapparates, der gestattet, die Versuchsbedingungen in mannigfaltiger Weise messend, zu variieren. Durch Ausführung entsprechender Kontrollversuche gestalteten sie ihre Versuche derart, dal es auch hier möglich war, den reinen Wir- kungsgrad (nach Eliminierung des „statischen Arbeitsumsatzes“) für das (rewichteheben zu berechnen. Über den hier erwähnten Stoff- und Energieumsatz bei statischer Arbeit sollen an dieser Stelle einige Bemerkungen eingeschaltet werden. Die unbelebten Wärme- maschinen sind so eingerichtet, daß bei ihnen diese statische Arbeit und der damit ver- bundene Energieverbrauch keine Rolle spielt. Ein prinzipieller Unterschied zwischen dem belebten und dem unbelebten Motor liegt hierin aber nicht. In der Technik liegt meist kein Anlaß dafür vor, eine Kraftleistung, die nicht in einer Bewegung besteht, durch einen Motor leisten zu lassen. Anstatt ein Gewicht durch einen Motor in einer bestimmten Höhe tragen zu lassen, kann man es aufhängen oder unterstützen. Die Möglichkeit für eine derartige Verwendung eines Motors besteht aber. Es gibt überdies, wie Parnas gezeigt hat, auch Muskeln, welche eine einmal angenommene Verkürzung gegen beträchtlichen Widerstand ohne Erhöhung ihres Umsatzes festhalten. Dies ist insbesondere für Schließmuskeln von Muscheln nachgewiesen, doch scheint das Vorkommen von „Tonusmuskeln“ im Tierreiche weit verbreitet zu sein. Vielleicht gehören auch die glatten Muskeln der Wirbeltiere in diese Gruppe. Eine ganz andere Versuchsanordnung, als allen diesen Stoffwechsel- versuchen zugrunde liegt, führt endlich auch dazu, den Wirkungsgrad des arbeitenden Muskels erkennen zu lassen. Das ist die myothermische Me- thode. Helmholtz, Heidenhain, Fick, Blix, Bürker und viele andere haben mit viel Scharfsinn und methodischer Feinheit die Temperatursteigerung des Muskels bei der Arbeit gemessen. Eine große Anzahl solcher Unter- suchungen wurde insbesondere auf thermoelektrischem Wege am isolierten Froschmuskel ausgeführt. Die Wärmebildung im Warmblütlermuskel suchten Lukjanow, Chauveau und andere zu eruieren. Trotz der groben Mühe. die auf die Ausbildung dieser Methoden verwendet wurde, sind die Resultate mit einem ziemlichen Grade von Unsicherheit behaftet. Hin- sichtlich aller dieser myothermischen Versuche sei auf die Zusammen- fassungen Franks und Bürkers hingewiesen. Betrachten wir nun die Resultate aller Versuche, die darauf ausgehen, den Wirkungsgrad der lebenden Maschine zu ermitteln. Die zahlreichen Versuche über das Gehen des Menschen auf ansteigender Bahn hat Durig (13) vor kurzem (1909) zusammengefaßt und kritisch besprochen. Es ergibt sich, bei im ganzen guter Übereinstimmung, ein Wirkungsgrad von etwa 31°/,. Ähnlich fand Zuntz für den Hund 30,7 bis 33,9%/,; ferner fanden Zuntz und Hagemann am Pferde im Mittel 344°/,. Bei den Ver- suchen im Respirationscalorimeter von Benediet und Carpenter wurde die Berechnung des Wirkungsgrades für Arbeit auf dem Fahrrade in dreierlei Der tierische Organismus als Kraftmaschine. all Weise durchgeführt. Die Arbeitsleistung eines Arbeitstages wurde einmal in ein Verhältnis zum (Gesamtumsatz dieses Tages gebracht, zweitens wurden bei der Berechnung die Ruhewerte in Abzug gebracht, und bei der dritten Berechnung außerdem der Umsatz für die Leerlaufsarbeit ab- gerechnet. Nach der zweiten Art der Rechnung ergibt sich der rohe Wir- kungsgrad zu 181 bis 21°6°%,. Die Werte entstammen teils 24stündigen, teils kürzer dauernden (bis einstündigen) Versuchen. Unter Rücksichtnahme des Leerlaufsumsatzes ergeben die Berechnungen reine Wirkungsgrade zwischen 216 und 246°/,.!) Nach den Untersuchungen von Berg, du bois-Reymond und L. Zuntz beträgt der reine Wirkungsgrad beim Rad- fahren 28°),. Über den Wirkungsgrad bei der Arbeit des Menschen mit den oberen Extremitäten liegen ebenfalls eine Reihe von Untersuchungen vor. (Siehe die Zusammenfassung von Reach.) Bestimmungen des Wirkungs- grades beim Kurbeldrehen finden sich bei Katzenstein, Reach, Sonden und Tigerstedt. Im Gewichteheben bestand die Arbeit bei Johansson und Koraen, sowie bei Hanriot und Richet. Die letzteren Versuche geben nicht die Möglichkeit, den reinen Wirkungsgrad zu bestimmen. Bei den übrigen ge- nannten Versuchen schwankt dieser Wert trotz der Verschiedenheit in der Methodik und der Art der Arbeit sowie der Minutenleistung in den engen Grenzen 240 und 27°9°%/.. Es erscheint also nach diesen Resultaten die Arbeit des Bergsteigens ökonomischer ausgeführt als andere Arbeitsarten. Zuntz erklärt dies damit, daß das Gehen die wichtigste und am häufigsten benutzte Tätigkeitsform ist. (Gelegentlich einer früheren Besprechung dieses Gegenstandes habe ich be- reits darauf hingewiesen, daß es immerhin eine andere Ursache haben könnte, dab für das Steigen ein höherer Wirkungsgrad gefunden wurde. Das Gehen auf horizontaler Bahn ist nämlich keine vollkommen adäquate Leerlaufsarbeit für das Bergsteigen, wenigstens nicht in dem Maße, als es das Drehen eines ungebremsten Rades in Beziehung auf das eines gebremsten ist. Das Gehen auf horizontaler Bahn unterscheidet sich vielmehr vom Steigen sowohl in Hinsicht auf die gewöhnlich verwendete Geschwindig- keit als auch, wenigstens sicherlich bei manchen Menschen. in Hin- sicht auf die Form der Bewegung. Jendrdssik hat diese beiden Gang- arten vor kurzem unter Verwendung des Kinematographen genau unter- sucht und zahlreiche Unterschiede gefunden, von denen hier nur wenige hervorgehoben werden sollen. Beim Steigen macht die Phase der beider- seitigen Unterstützung einen bedeutend größeren Teil der Schrittdauer aus. Wir tragen also das Gewicht unseres Körpers beim Gehen auf hori- !) Das Verhältnis der geleisteten Arbeit zu der während der gleiehen Zeit um- gesetzten Energie (ohne Abzug der Ruhewerte) schwankt in den oben angeführten Ver- suchen, in denen es sich um beträchtliche Arbeitsleistungen handelt, in Prozenten aus- gedrückt, zwischen 12'8 und 181. Diese Zahlen werden hier angeführt, weil Simonson, der den Wirkungsgrad auf ähnliche Art, aber auf ganz unzureichende Daten gestützt, berechnet, zu Werten zwischen 1 und 5°/, kommt. (Vel. auch 8. 109.) 112 Felix Reach. zontaler Bahn länger auf einem Fuße: dazu ist statische Muskeltätigkeit in höherem Maße nötig, als sie die Phase der beiderseitigen Unterstützung erfordert, während welcher beide Füße auf der Erde ruhen und die Schwer- linie des Körpers zwischen ihnen durchgeht. Die Kurven Jendräassiks zeigen ferner, daß beim Steigen der Schwerpunkt des Körpers nach jeder Hebung nur sehr wenig oder gar nicht gesenkt wird, während beim Gehen auf horizontaler Bahn der Hebung des Schwerpunktes bei jedem Schritte natürlich eine ebenso große Senkung folgt. Diesen Hebungen des Körpers entspricht mithin beim Steigen fast keine gleichartige, unnütze Arbeit. Es wäre also sehr wohl möglich, daß die Gesamtarbeit des Steigens kleiner wäre als die Summe von Hebung des Körpergewichtes um die Niveau- differenz plus Arbeit des Horizontalgehens bei gleicher Wegstrecke. Dann würde man mit den Horizontalwerten einen zu großen Abzug bei den Steigversuchen vornehmen, woraus sich ergeben würde, daß der Wirkungs- erad beim Steigen zu groß gefunden wird. Auf jeden Fall können wir aber konstatieren, daß der reine Wirkungsgrad des arbeitenden Menschen und Tieres, nach vielen und verschiedenartigen Untersuchungen ziemlich übereinstimmend zu etwa 25°/, oder etwas mehr gefunden wurde. Der Wirkungsgrad des belebten Motors variiert mit der Art der Arbeit und namentlich bei sonst gleicher Arbeitsart und gleicher Belastung mit der Geschwindigkeit der Bewegung, mithin mit dem Effekt. (Beiträge zu dieser Frage findet man bei Zuntz und Schumburg, Zuntz und Hage- mann, L. Zuntz, Reach, Durig (15), Brezina und Kolmer und anderen.) Man kann mit Durig von einer „ökonomischen Maximalgeschwindigkeit” sprechen, oberhalb welcher der Umsatz für die Arbeitseinheit wächst, also der Wirkungsgrad abnimmt. Die myothermischen Messungen geben zwar untereinander recht verschiedene Werte und sind, soweit es sich um die uns hier beschäftigenden Fragen handelt, jedenfalls noch mit größeren Fehlerquellen behaftet als die Stoffwechselversuche am intakten Tier oder Menschen. Für uns kommen jedoch insbesondere die Maximalwerte in Betracht, und da zeigt sich relativ gute Übereinstimmung mit den Stoffwechselversuchen. Auch aus den myo- thermischen Untersuchungen ergibt sich, daß unter günstigen Umständen etwa '/, bis '/, der durch die chemischen Prozesse im Muskel frei ge- machten Energie sich in mechanische Arbeit verwandeln kann. Nachdem wir den Wirkungsgrad des belebten Motors betrachtet haben, liegt es nahe, den Wirkungsgrad unbelebter Wärmemotoren zum Vergleich heranzuziehen. Hier müssen jedoch einige Bemerkungen voraus- geschickt werden"), da die Verhältnisse beim unbelebten Motor ganz andere sind. Der unbelebte Wärmemotor hat keinen Ruhebedarf an Energie. In- !, Bei der Abfassung der nachstehenden, auf den Wirkungsgrad unbelebter Wärme- motoren bezüglichen Bemerkungen hatte ich mich der schätzenswerten Ratschläge und der weitgehenden Unterstützung des Herrn Prof. J. Rezek (k. k. Hochschule für Boden- kultur in Wien) zu erfreuen. Ich spreche ihm auch an dieser Stelle meinen besten Dank aus. % Der tierische Organismus als Kraftmaschine. alas folgedessen gibt die Menge des während einer bestimmten Arbeitsleistung verbrauchten Brennstoffes, unter Berücksichtigung seines Heizwertes, ein Maß jener Energie, die zur Leistung der betreffenden Arbeit nötig ist. Der Quotient aus der „effektiven Arbeit“ (an der Motorwelle gemessen ) L. und dem Arbeitswerte des Brennstoffes L, ergibt den Gesamtwirkungs- rad. 4 — L: Diese für die Beurteilung der Maschine besonders wich- o tige Größe ließe sich allenfalls mit dem in Parallele setzen, was wir oben beim belebten Motor als „rohen Wirkungsgrad“ bezeichneten. Die auf diese Art berechneten Werte für den belebten wie für den unbelebten Motor sind um so kleiner, je größer der Arbeitsverlust durch Reibung der Motorbestandteile und durch andere innere Widerstände ist. Es ist jedoch zu bedenken, daß die Art, in der Mensch und Tier Arbeit abgeben, von der bei unbelebten Motoren grundverschieden ist. Die unbelebten Wärmembotoren liefern die Bewegung zumeist in Form von Rotation. Ent- weder wird (wie bei den Dampfturbinen) sofort eine drehende Bewegung produziert, oder ein Kolben versetzt durch seine schwingende Bewegung eine Welle in Rotation. Diese Drehbewegung in jene, häufig sehr kom- plizierten Bewegungen umzuwandeln, die der jeweilige Fall der Nutzarbeit verlangt, ist vollkommen Sache der Arbeitsmaschine. Im Gegensatze zum belebten Motor ist eben der unbelebte nichts als Motor. Bei Tier und Mensch gibt es keine Drehbewegung, die der Rotation der Arbeitswelle in ihrem Achsenlager ähnlich wäre, und auch keine der Kolbenbewegung analoge. Die Abgabe der Arbeit nach außen ist eine ganz andersartige als beim unbelebten Motor, wofür die ganz verschiedene Art der zur Orts- veränderung führenden Arbeit beim Tier einerseits, bei der Lokomotive andrerseits ein in die Augen springendes Beispiel ist. Alle diese Unter- schiede bringen es mit sich, daß die inneren Widerstände beim belebten und beim unbelebten Motor ganz verschiedene sind. Hierzu kommt noch. daß der belebte Motor, wie früher ausgeführt wurde, auch einen statischen Energieumsatz hat. So dürfte es sich empfehlen, zum Vergleiche des Wirkungs- grades in beiden Fällen solche Werte heranzuziehen, die durch den Verlust infolge innerer Widerstände nicht beeinflußt sind. Zum Vergleiche mit dem „reinen Wirkungsgrade* eignet sich daher ein an- derer, in der Technik der Wärmemotoren üblicher Wert besser als der Gesamt- wirkungsgrad, nämlich der thermische Wirkungsgrad. Der Gesamtwirkungs- grad läßt sich in zwei Faktoren : thermischer und mechanischer Wirkungsgrad zerlegen: n— «7m. Dabei ist der mechanische Wirkungsgrad das Verhältnis der effektiven zur indizierten Arbeit L, (mittelst des Indikatordiagramms u m Verhältnis der indizierten Arbeit zum Arbeitswerte des Brennmaterials: i t = 2 68 | daß man bei der Berechnung des Wirkungsgrades vom Dampfverbrauch E. Abderhalden, Fortschritte. X. 10 am Kolben gemessen): Ym und der thermische Wirkungsgrad das Speziell hinsichtlich der Dampfmaschine ist noch zu bemerken. 114 Felix Reach. auszugehen pflegt. Für unseren Vergleichszweck ist es nötig, den Arbeits- wert des Brennmaterials in Rechnung zu setzen, also den Wirkungsgrad der Dampfkesselanlage ebenfalls zu berücksichtigen. Bei den beiden Größen, die wir nun in Vergleich ziehen werden, reiner Wirkungsgrad des belebten und thermischer Wirkungsgrad des un- belebten Wärmemotors, sind jene Verluste größtenteils ausgeschaltet, die durch Reibung und innere Widerstände hervorgerufen werden; freilich ge- schieht diese Ausschaltung beide Male auf andere Art. Ausgeschaltet sind ferner beim belebten Motor der Ruheumsatz und der statische Energie- umsatz. Von den Verlusten, die bei der Berechnung des Wirkungsgrades nicht ausgeschaltet sind, vielmehr in ihm ihren Ausdruck finden, ist ins- besondere jener hervorzuheben, der nach dem zweiten Hauptsatze unver- meidlich ist und dessen Größe durch die des Temperaturgefälles bestimmt ist. Ob das Temperaturgefälle auch für den Muskel maßgebend ist, davon wird später die Rede sein. Der Vergleich des belebten Motors mit dem unbelebten hinsichtlich des Wirkungeserades kann nur mit einer gewissen Reserve durchgeführt werden. Wir wollen uns dessen bewußt sein, daß die aus so verschiedenen (sebieten stammenden und durch so verschiedene Methoden gewonnenen Werte nicht vollkommen analog sind. Es kann sich hier nur um einen Vergleich der Größenordnung nach handeln. Der thermische Wirkungsgrad einer kleinen Dampfmaschine von etwa 10 PS. beträgt, wenn man in üblicher Weise vom Dampfverbrauch ausgeht, etwa 4°2°/,: bei einer mehrhundertpferdigen Großdampfmaschine ist 7. ungefähr — 15°/,. Unter Annahme eines Wirkungsgrades der Dampf- kesselanlage von 75°/, würden wir als Vergleichswerte 315 und 11'3 er- halten. Beim Verbrennungsmotor ist der Wirkungsgrad nicht in solchem Maße von der Ausführungsgröße der Maschine abhängig. n. beträgt für einen Benzinmotor etwa 25°/,. Den höchsten thermischen Wirkungsgrad unter allen nicht belebten Wärmemotoren weist gegenwärtig der Diesel- motor auf. Wir können bei ihm n = 57’6—41'2°/, setzen. Man sieht aus den genannten Zahlen, daß der Wirkungsgrad des tierischen Organismus und der der unbelebten kalorischen Maschine keineswegs immer sehr differieren, wie man dies mitunter liest. Auch bei den unbelebten Motoren ist der Wirkungsgrad von dem Ausmaß) der Beanspruchung abhängig. Eine Dampfmaschine hat stets bei einer ganz bestimmten Leistung, die wesentlich kleiner ist als ihre Höchst- leistung, einen maximalen Wirkungsgrad; bei Mehrbeanspruchung sinkt er. (Ganz anders verhalten sich in dieser Beziehung die Verbrennungsmotoren, worauf hier nicht näher eingegangen werden soll. In dem Verhalten des Wirkungsgrades bei über eine gewisse Grenze steigender Belastung liegt also eine Ähnlichkeit, die der belebte Motor speziell zur Dampfmaschine hat. Indes geht man wohl nicht fehl, wenn man das Sinken des Wirkungs- srades mit steigendem Effekt beim belebten Motor wenigstens teilweise auf Ursachen zurückführt, für die es beim unbelebten Motor kein Analogon a he en Der tierische Organismus als Kraftmaschine. 115 gibt. Tier und Mensch ziehen nämlich bei der Ermüdung und wohl auch bei besonders starker Beanspruchung, Muskelgruppen zur Arbeitsleistung mit heran, die für die betreffende Leistung sonst nicht verwendet werden und dazu minder geeignet sind. Ferner ist zu bedenken, dal) die Ökonomie der Arbeitsleistung bei Mensch und Tier in hohem Maße von der Übung abhängt, und diese vor allem die Innervation der Muskeln betrifft. Die Isodynamie der Energiequellen. Nachdem wir nun die Frage des Wirkungsgrades im allgemeinen besprochen haben, können wir auf einen Gegenstand zurückgreifen, den wir früher nur erwähnt haben. Wir haben gesehen, daß die drei großen Nährstoffgruppen, Proteine, Fette und Kohlehydrate, und auch der Alkohol, bei ihrer Oxydation die für die Arbeitsleistung nötige Energie liefern können. Es blieb jedoch die Frage offen, ob nicht als Energiequelle in letzter Linie doch nur ein bestimmter Stoff diene, und die andern im intermediären Stoffwechsel zum Zwecke der Arbeitsleistung erst in diese Substanz umgewandelt würden. Das Studium des Wirkungsgrades gibt eine Handhabe, diese Frage zu untersuchen. Denn es ist einleuchtend, daß eine derartige Umwandlung nicht ohne Verlust an Energie vor sich gehen könne. Es müßte also der Wirkungsgrad bei Arbeitsleistung auf Kosten der anderen Substanzen ein wesentlich geringerer sein, wenn die Tätig- keit der Muskeln schließlich doch nur durch Umsetzung einer bestimmten Substanz zustande käme. Es hat nicht an Stimmen gefehlt, die diese letz- tere Vermutung ausgesprochen haben. Von der Anschauung, daß nur die Proteine die Quelle der Muskelkraft sein könnten, war schon die Rede. Die anderen Substanzen, wie Fett und Kohlehydrat, können sich jedoch nicht ohneweiters in Proteine umwandeln, da sie ja schon in qualitativer Hinsicht eine andere elementare Zusammensetzung haben, indem die Pro- teine sich durch den Gehalt an N und S auszeichnen. Man findet nament- lich in der älteren Literatur mitunter die Anschauung vertreten, andere Substanzen könnten nach einer teilweisen Zersetzung des Proteinmoleküls zum Wiederaufbau des Moleküls dienen. So könnten die Proteine alleinige (Quelle der Muskelkraft sein, jedoch bei der Oxydation einen N-haltigen Rest zurücklassen, der, durch Hinzutritt von Kohlehydrat beispielsweise, sich wieder zum Protein regenerieren würde. Dann würde die Stickstoff- ausscheidung kein Maß des wirklich umgesetzten Proteins sein, die Kohle- hydrate könnten indirekt als Quelle der Muskelkraft fungieren, während diese direkt von den Proteinen abstammen würde. Dem würde dann eine geringe N-Ausscheidung, wie in dem oben erwähnten Falle von Fick und Wislicenus, nicht widersprechen. Indes läßt die genauere Kenntnis von der chemischen Konstitution der Proteine, die uns die letzten Jahr- zehnte gebracht haben, diese Sache in einem anderen Licht erscheinen. Die Zusammensetzung des Proteinmoleküls aus stets durch die Amino- gruppe miteinander verbundenen, zahlreichen Aminosäuren läßt die Vor- 10% 116 Felix Reach. stellung nicht zu, dal» hier ein wesentlicher N-haltiger Rest entstände, ohne daß vollständige Zertrümmerung des Moleküls einträte. Nun deuten allerdings einige neuere Untersuchungen von Knoop und Kertess, Embden und Schmitz und Grafe darauf hin, daß auch der tierische Organismus unter gewissen Umständen anorganischen Stickstoff zum Aufbau von Organpro- tein verwenden kann: jedoch können wir wohl mit Sicherheit annehmen, daß derartige Vorgänge eine Ausnahme bilden. Die lebhaften Erörterungen und umfangreichen Untersuchungen (Abderhalden und Lampe, Grafe), die diese Frage in jüngster Zeit hervorgerufen hat. müssen neuerlich die Anschauung bekräftigen, daß solche Synthesen im Tierkörper in nam- haftem Umfange nicht stattfinden. So läßt sich mithin die Anschauung von der regelmäßigen vorherigen Umwandlung anderer Nahrungsstoffe in Protein zum Zwecke der Arbeitsleistung nicht aufrechterhalten. Hingegen bleibt hinsichtlich der Proteine noch die Frage offen, ob nicht bei Ausscheidung ihres N durch den Harn aus ihnen ein N-freier Körper ent- stehen könnte, der die letzte (Juelle der Muskelkraft wäre, und ähnlich könnten sich die N-freien Nährstoffe für diese Funktion ineinander umwandeln. Daß derartige Umwandlungen der Nährstoffe ineinander im tierischen Stoff- wechsel in ausgedehntem Maße vor sich gehen, darüber besteht heute kein Zweifel mehr. Die Umwandlung von Kohlehydrat in Fett ist sicher der gewöhnlichste Vorgang bei der Mast landwirtschaftlicher Nutztiere. Exakt nachgewiesen ist er insbesondere durch die Versuche von Meißl und Strohmer am Schweine. Die Lehre von der Um- wandlung von Protein in Fett hat eine ziemlich große Geschichte hinter sich. Nach- dem diese Umwandlung durch eine Zeit als der normale Vorgang der Fettbildung im tierischen Körper angesehen worden war, wurde er später angezweifelt, und war der Anlaß für zahlreiche experimentelle Untersuchungen und heftige literarische Fehden. Heute ist diese Umwandlung wohl außer Zweifel, wozu teils diese experimentellen Untersuchungen beitrugen, teils die Erkenntnis, daß sich die Protein» in Kohlehydrate umwandeln können, wonach ihre indirekte Umwandlung in Fett als ebenfalls möglich zugegeben werden mußte. Der direkte experimentelle Beweis für die Fettbildung aus Protein stieß auf große Schwierigkeiten. Es war schwer, ein Tier mit solchen Mengen Protein unter weitgehendem Ausschluß anderer Nahrungsstoffe zu füttern, daß dieser Beweis als einwandfrei gelungen angesehen werden konnte. Selbst die recht suggestiven Versuche von Cremer an der Katze wurden von Pflüger, dem großen Gegner dieser Lehre, noch angegriffen. Durch Entstehung von Kohlehydrat im Stoffwechsel wurde na- mentlich durch das Studium pathologischer Zustände, nämlich des Diabetes mellitus, aufgeklärt. Die Tatsache, daß bei der sogenannten schweren Form dieser Krankheit längere Zeit hindurch reichlieb Zucker ausgeschieden werden kann, ohne daß Kohle- hydrate in der Nahrung verabreicht wurden, beweist schon die Bildung von Kohlehydrat aus anderen Substanzen und es ist jetzt durch verschiedene Untersuchungen die Zucker- bildung aus Fett mindestens höchst wahrscheinlich, die aus Protein aber unzweifelhaft und teilweise auch näher aufgeklärt. In Anbetracht dieser Verhältnisse wäre also die Umwandlung aller Nährstoffe in einen N-freien Körper zum Zwecke der Arbeitsleistung nicht unmöglich. Speziell die Kohlehydrate wurden als unentbehrlich für die Muskeltätigkeit angesehen. Wir haben bereits einige Gründe erwähnt, die da- für zu sprechen schienen. Chauveau nahm eine solche Umwandlung an und berechnete, daß von dem Energiegehalte des Fettes bei dieser Um- wandlung mindestens 29°/, verloren gehen müßten. Es bietet sich hierin Der tierische Organismus als Kraftmaschine. 1987 eine Möglichkeit zur Prüfung dieser Anschauungen durch die Untersuchung des Wirkungsgrades. Solche Untersuchungen sind nun zunächst aus dem Zuntzschen Laboratorium veröffentlicht worden (Zuntz und Loeb, Heine- mann, Frentzel und Reach). Diese Versuche sind Arbeitsversuche von kurzer Dauer, in denen der Gesamtumsatz durch starke Arbeitsleistung auf ein Mehrfaches des Ruheumsatzes gesteigert war. Die Versuche wur- den nun so ausgeführt, daß sowohl Ruhe- als auch Arbeitsversuche das eine Mal bei ganz überwiegender Fettkost, das andere Mal bei ganz über- wiegender Kohlehydratkost stattfanden. Auch Versuche mit reichlicher Ei- weißnahrung liegen vor. Wäre nun wirklich jedesmal die Überführung von Fett in Kohlehydrat nötig, so müßte für die gleiche Arbeitsleistung bei Fettkost mindestens um 29%/, mehr Energie verbraucht worden sein als bei Kohlehydratkost. Das war jedoch nicht der Fall. Zum Beispiel ver- brauchte in den Selbstversuchen von F'rentzel und Reach die eine Ver- suchsperson (R.) für eine bestimmte Arbeit (Fortbewegung von 1 kg um 1m Wegs auf in konstantem Maße ansteigender Bahn) bei Fettkost im Mittel 2:119, bei Kohlehydratkost 2'086 kleine Kalorien. Mit Kohlehydrat wurde also nur um etwa 1°6°/, ökonomischer gearbeitet. (Die gefundenen Werte sind als innerhalb der Fehlergrenzen gleich anzusehen.) Selbst wenn man der Berechnung dort, wo sie ein wenig hypothetische Grundlage hat, nicht die aller Wahrscheinlichkeit nach richtigen, sondern die möglichst un- günstigen Annahmen zugrunde legt, kommt man nicht zu Werten, die sich mit der Anschauung der Umwandlung von Fett in Kohlehydrat zum Zwecke der Arbeitsleistung in Einklang bringen lassen. In den Versuchen von Heinemann war das Arbeiten bei Kohlehydratkost sogar etwas un- günstiger als das bei Fettkost.!) Ähnliche Versuche stellten Atwater und Benedikt in ihrem Respirationskalorimeter an. Diese Versuche bestanden aus 24stündigen Perioden, in denen jedoch sehr erhebliche Arbeitsmengen auf dem Zweiradsarbeitsmesser (bis über 250.000 mkg pro Tag) geleistet wurden. Der Energieumsatz wurde nicht nur, wie in den eben vorher er- wähnten Versuchen, indirekt durch die Messung des respiratorischen Gas- wechsels, sondern auch direkt (kalorimetrisch) bestimmt. Auch hier zeigte sich der Unterschied des Energieaufwandes bei Fett- und Kohlehydratkost in sehr engen Grenzen. Mit Kohlehydrat wurde, ähnlich wie bei Frentzel und Reach, etwas ökonomischer gearbeitet. Setzt man den Nutzwert der Kohlehydrate zu 100, so ist jener der Fette etwa 95. Auch diese Ver- suche lassen keine Möglichkeit dafür ersehen, daß Fett zur Arbeitsleistung in Kohlehydrat umgewandelt würde. Auf wesentlich anderem Wege suchte im Gegensatze hierzu ©. Porges zu beweisen, daß der arbeitende Muskel nur auf Kosten von Kohlehydrat 1) Diese Konstanz des Wirkungsgrades und nicht, wie Pauli irrtümlich bemerkt, das Verhalten des respiratorischen Quotienten, ist es, was bei dieser Beweisführung den Ausschlag gibt. Der respiratorische Quotient bestätigt vielmehr nur, daß wirklich über- wiegend Fett oder überwiegend Kohlehydrat verbraucht wurde, und läßt den Grad, in dem dieser angestrebte Effekt erreicht wurde, abschätzen. 118 Felix Reach. Energie entwickle. Nach Porges geht die dabei erforderliche Umwandlung der Nährstoffe in Kohlehydrat in der Leber vor sich. Nach Ausschaltung der Leber aus dem Stoffwechsel soll der tätige Muskel lediglich auf Kosten von vorgebildetem Kohlehydrat arbeiten. Die Ausschaltung nahm Porges bei seinen Experimenten in der Weise vor, daß er (bei Kaninchen) die Aorta abdominalis, die Portalvene und die untere Hohlvene samt den Lebervenen unterband. Es wurde also fast die ganze hintere Körperhälfte ausgeschaltet. Bei diesen Versuchen war nun in der Zeit zwischen dem Eingriffe und dem Tode der respiratorische Quotient erhöht. Porges folgert daraus, daß nunmehr die Umsetzung anderer Nährstoffe zu Kohlehydrat in Wegfall komme, und ausschließlich vorgebildete Kohlehydrate (Blut- zucker) für die nunmehr den größten Teil des Umsatzes erfordernde Tätigkeit von Herz und Respirationsmuskulatur oxydiert würden. Diese Versuche sind jedoch nicht überzeugend, denn ohne Zweifel hat dieser tiefe, experimentelle Eingriff so mannigfache Veränderungen im Stoff- wechsel zur Folge, daß eine Veränderung des respiratorischen Quotienten nicht mehr in so einfacher Weise gedeutet werden kann. Wir wissen ja, dab in der Leber beispielsweise auch Ammoniumkarbonat in Harnstoff um- gewandelt wird. Es ist daher naheliegend, daß bei Wegfall dieser Kohlen- säurebindung mehr Kohlensäure in der Exspirationsluft erscheinen mub. Die Ausschaltung der Nieren und zahlreicher anderer Organe muß über- dies unzweifelhaft zur endogenen Vergiftung führen. Zuntz bemerkt, dab unter solchen Umständen anoxybiotische Vorgänge, die der Gärung ähneln, wahrscheinlich sind, und daß auch dadurch eine Vermehrung der CO,- Ausscheidung und damit eine Steigerung des respiratorischen Quotienten einhergehen müsse. Sicherlich ist es untunlich, so weitgehende Schlüsse aus dem Vergleich des respiratorischen Quotienten vor und nach einem derartigen Eingriffe zu ziehen. Bei Versuchen an isolierten Organen oder nach Ausschaltung großer Gefäßgebiete, ähnlich wie in den Versuchen von Porges, sind nicht selten respiratorische Quotienten beobachtet worden, die die Größe 1 weit überschreiten, mitunter gleich 2 werden. Es folgt daraus, daß das Ansteigen dieses Quotienten hier nicht mehr durch ver- mehrte Kohlehydratoxydation erklärt werden kann, sondern auf abnormen (vielleicht gärungsartigen) Zersetzungen beruhen muß. (Als Beispiel der- artiger Versuche seien aus jüngster Zeit die von Evans angeführt. Gegen- über den Schlußfolgerungen von Porges vergleiche man überdies die Ar- beiten von Rolly, Fischler und Grafe.) Überblicken wir kurz das in den letzten zwei Abschnitten Bespro- chene, so kommen wir zu einem für die Beurteilung des Kontrak- tionsvorganges wichtigen Ergebnis. Unter den verschiedensten Verhält- nissen kann der tierische Organismus mit ungefähr dem gleichen Wir- kungsgrade von rund 30°/, Arbeit leisten ; er ist dabei weder an einen einzigen Vorgang (Oxydation), noch an eine bestimmte Energie- quelle gebunden. Der tierische Organismus als Kraftmaschine. 119 Der belebte Motor und der zweite Hauptsatz der mechanischen Wärmelehre. Auf die Größe des Wirkungsgrades, mit dem der belebte Motor ar- beitet, stützt sich der hauptsächlichste Einwand gegen die thermodynamische Hypothese der Muskelarbeit, nach der der Muskel als kalorische Maschine aufzufassen ist. Der Wirkungsgrad einer derartigen Maschine ist, wie der 2. Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie lehrt, abhängig von dem zur Verwendung kommenden Temperaturgefälle, und zwar ist für den umkehr- baren Kreisprozeß und eine vollkommene Maschine die Beziehung die, dab r B =, T, die Temperatur des wärmeren Körpers, von dem die Wärme bei der Ar- beitsleistung auf einen kälteren, von der Temperatur T,, übergeht. Für die Temperatur kommt hierbei das absolute Maß) zur Anwendung. Es ist also T, und T, um 275° höher als die in Gelsiusgraden gemessene Tem- peratur. Für den nicht umkehrbaren Kreisprozeb ist der Wirkungsgrad stets kleiner als die genannte Größe. Dies gilt, wie gesagt. für eine als vollkommen gedachte Maschine. In Wirklichkeit kommt in Betracht, dab andere Wärme- und sonstige Energieverluste selbst bei der best kon- struierten Maschine und ohne Zweifel auch beim Muskel in nicht unbe- trächtlichem Ausmaße vorkommen. Der genannte Ausdruck gibt daher für den Wirkungsgrad Maximalwerte. Man kann nun auch umgekehrt schließen, daß das Arbeiten einer Maschine mit einem gewissen Wirkungsgrad min- destens das nach obiger Formel berechenbare Temperaturgefälle (T,—T;) erfordert. sofern die Maschine eine kalorische ist. Führen wir diese Be- trachtung für den Muskel des Warmblütlers durch, so kommen wir zu folgenden Ergebnissen. T, müssen wir, wenn wir die Körpertemperatur der Wirkungsgrad gleich ist dem Quotienten Darin bedeutet T, p) zu 37° annehmen, gleich 57 + 273 = 310 setzen. Nehmen wir den Wir- kungsgrad des Muskels zu 30°/, und führen diese Werte in obige Formel ein, so ergibt sich durch Auflösung der Gleichung T, — 445. Diese ab- solute Temperatur bedeutet in der Celsiusskala 170° Die Arbeit des Warmblütlermuskels würde also voraussetzen, dab sich mindestens einige Teile des Muskels bei der Kontraktion auf eine Temperatur erhöhen, für die der Wert von 170°C einen unteren Grenzwert vorstellt. Darin hat man mit Fick!) (7) vielfach ein entscheidendes Argument gegen die thermo- dynamische Theorie erblickt. !) Seit Fick im Jahre 1867 diesen Einwurf gegen die thermodynamische Theorie der Muskeltätigkeit erhoben hat, ist die Diskussion über diesen Gegenstand nicht mehr aus der physiologischen Literatur verschwunden. In jüngster Zeit glaubte ein Autor (56) noch besonders betonen zu sollen, er habe das „Bewußtsein, im Besitze einer Erkenntnis zu sein, die noch nicht wissenschaftliches Allgemeingut ist..... Es ist die Erkenntnis, daß der zweite Hauptsatz der Energetik auch in der organisierten Welt Geltung haben müsse“. Der Begriff wissenschaftliches Allgemeingut ist freilich sehr unbestimmt. Aber der zweite Hauptsatz ist auch in den biologischen Wissenschaften schon lange nicht mehr neu. 120 Felix Reach. Engelmann weist diesen Einwand gänzlich zurück. Unter Berufung aut Prlüger führt er aus, daß die sogenannte Körpertemperatur nur ein arithmetisches Mittel ist, welches unendlich viele, höchst ver- schiedene, Temperaturen unendlich vieler verschiedener Punkte eines Organs umfaßt, und daß die durch die physiologische Verbrennung gebildeten Moleküle wenigstens im Augenblicke ihrer Entstehung eine sehr hohe Temperatur haben, ihre Wärme aber alsbald an die kühlere, wasserreiche Umgebung abgeben müssen. Speziell bei den Muskeln müsse die Temperatur dieser Moleküle wenigstens im Augenblicke der Verbrennung enorm hoch sein, so hoch, daß vielleicht nur die Kleinheit und die geringe Zahl der Wärmequellen es verhindere, daß diese als leuchtend wahrnehmbar sind. Es dürfte nicht ohne Interesse sein, daß Pflüger (45) zu dem Po- stulate der hohen Temperaturen im Organismus unabhängige von der thermodynamischen Hypothese und dem zweiten Hauptsatze kommt. Er führt aus, dal) unter der Annahme, die ganze Wärmemenge konzentriere sich für einen Moment in dem neugebildeten Kohlensäuremolekül, dessen Temperatur annähernd 10.000°) sein müßte. In der Tat ist es unmöglich, sich der Erkenntnis zu verschließen, daß vorübergehend an sehr kleinen Stellen im Körper viel höhere Temperaturen existieren als wir am Muskel messen können. Wenn man die Abwesenheit dieser hohen Temperatur zur (rundlage weiterer Schlußfolgerungen machen will, so müßte man erst beweisen, daß die Wärmeverluste durch Strahlung, Leitung usw. so rasch vor sich gehen, daß diese hohen Temperaturen nicht zustande kommen. Das Temperaturgefälle der Muskelmaschine ist also schon deshalb nicht nachweisbar, weil es sich auf einen außerordentlich kleinen Raum erstreckt. Fick (18) hat auch dagegen neuerlich Einwände erhoben. Er führt aus, dal) die höhere Temperatur des Wärmegefälles (T,), um die es sich hier handelt, nicht die Temperatur der Wärmequelle, sondern die Temperatur des die Energieumwandlung vermittelnden Körpers entsprechend der Luft in der Heißluft- oder dem Dampf in der Dampfmaschine ist. Demnach würde es auch in der Muskelmaschine nicht darauf ankommen, daß einige wenige Moleküle bei hoher Temperatur verbrennen, sondern es müßte die eigentlich kontraktile Substanz im Muskel die geforderte höhere Tempe- ratur haben. Es scheint jedoch die Theorie Engelmanns durch diese Einwände nicht widerlegt. Man muß sich vor Augen halten, daß die geforderte Temperaturerhöhung nicht nur räumlich, sondern wahrscheinlich auch zeit- lich eng begrenzt ist, und daß diesen Verhältnissen gegenüber auch die methodisch vollkommenste Temperaturmessung gänzlich unzureichend sein muß. Zwischen den Dimensionen der als Motoren funktionierenden Muskel- fasern und den zur Messung der Muskeltemperatur dienenden Instrumenten besteht ein Mißverhältnis, das, ins Technische übertragen, sich etwa fol- ') Pflüger geht bei seiner Berechnung von der Verbrennungswärme des Kohlen- stoffes aus, anstatt, was richtiger wäre, von der der verbrennenden organischen Verbin- dungen. Für unsere Betrachtungen ist der Unterschied jedoch irrelevant. Der tierische Organismus als Kraftmaschine. 121 eendermaßen präsentieren würde. Man denke sich eine große Anzahl Ver- brennungsmotoren und zwischen diesen Motoren ein Thermometer ge- steckt, dessen (@uerdurchmesser tausendemal so groß wäre als der Durchmesser eines einzelnen Motorzylinders. Es wird sicher niemand mit einer so ungeheuerlichen Versuchsanordnung, wie sie eben vergleichsweise skizziert wurde, das Temperaturgefälle dieser Motoren messen wollen. Eben wegen der räumlich und zeitlich so kleinen Dimensionen, die beim Muskelmotor vorliegen, können aus den myothermischen Untersuchungen keine zwingenden Argumente gegen die thermodynamische Hypothese der Muskeltätigkeit gewonnen werden. Der Verbrennungsmotor (Explosionsmotor) wurde hier zum Vergleiche mit der Muskelfaser herangezogen, weil er im Gegensatze zur Dampf- maschine und zum Heißluftmotor in zwei wichtigen Punkten mit der Muskelfaser übereinstimmt. Der Abwesenheit eines gesonderten Heizraumes wurde schon gedacht. Aber auch darin ähnelt die Muskelfaser dem Verbrennungsmotor, dal die Oxydationen (wie wir wenigstens anzu- nehmen Grund haben) nicht ununterbrochen verlaufen. Auch dem Te- tanus, der als gleichmäßige Dauerkontraktion des Muskels erscheint, liegen, wie die Beobachtung der bioelektrischen Erscheinungen lehrt, diskontinuierliche Vorgänge zugrunde Das Verhalten der bioelektri- schen Erscheinungen beim tätigen Muskel spricht auch dafür, daß die Oxy- dationen bedeutend weniger Zeit einnehmen als die Kontraktion. Fällt doch der Aktionsstrom, den man als mit der Oxydation parallel ver- laufend ansehen kann, mit seinem wesentlichsten Teile in die Latenzperiode, d.h. die hauptsächlichste elektrische Veränderung ist abgelaufen, wenn der Muskel zu zucken anfängt, und nimmt vorwiegend das kurze Zeit- intervall zwischen Reizung und Beginn der Zuckung in Anspruch. Beim Explosionsmotor ist die Verbrennung ebenfalls diskontinuierlich und nimmt eine relativ kurze Zeit ein. (Man denke an den Viertaktmotor.) (regen dieses große Temperaturgefälle wurde ferner geltend gemacht, daß das tierische Gewebe so hohe Temperaturen nicht vertrage. In Wirk- lichkeit fehlt es dafür an Erfahrung; denn experimentell ist eine kurz dauernde Einwirkung hoher Temperaturen auf so kleine Bezirke lebenden (rewebes noch nicht geprüft. Der gegen die thermodynamische Hypothese aus dem zweiten Haupt- satze abgeleitete Einwand wird, wie man sieht, dadurch hinfällig, daß die höhere Temperatur des in Betracht kommenden Temperaturgefälles be- deutend höher sein kann als Fick und seine Nachfolger in dieser Argu- mentation annehmen. Auf eine ganz andere Art bestrebte sich jüngst Simonson, jene Hypothese mit dem zweiten Hauptsatze in Übereinstim- mung zu bringen. Für ihn beträgt die höhere Temperatur des Gefälles 37°, und er suchte die untere Temperatur des Gefälles (T,) als niedriger hinzustellen, indem er erklärte, nicht der Muskel, sondern der Organis- mus sei eine kalorische Maschine und T, wäre daher auf der Haut zu suchen. Andrerseits suchte er den Wirkungsgrad des Organismus dadurch 122 Felix Reach. niedriger zu berechnen, daß er die in 24 Stunden aufgenommene Nahrung auf die 24stündige Arbeit bezog. In beiderlei Hinsicht ist ihm, wie aus früher (resagtem schon hervorgeht, der Beweis offenbar mißlungen. Aber der „Organismus als kalorische Maschine“ bedarf nach den ausgezeichneten experimentellen Arbeiten und theoretischen Erwägungen Engelmanns kaum mehr einer solchen Verteidigung auf willkürlich angenommener Grund- lage. (Ähnlich wie Sömonson argumentiert Fischer und teilweise auch Schreber.) Verschiedene Theorien zur Erklärung der Muskeltätigkeit. Schluß. Mit dem letzten Kapitel sind wir eigentlich bereits in die Erörterung über die intimeren Vorgänge bei der Muskelkontraktion eingetreten. Wir müssen das (Gebiet der Kontraktionstheorie wenigstens teilweise in den Kreis unserer Erörterungen ziehen, wenn wir uns schließlich an die Be- antwortung der Frage machen, inwieweit die Betrachtung des Muskels als eine kalorische Maschine berechtigt ist. Offenbar ist die Frage, ob die Energieumwandlung bei der Arbeit über die Form der thermischen Energie geht oder nicht, selbst ein Teil einer Kontraktionstheorie. Beim Fest- halten an unserem Thema haben wir jedoch diesen Problemenkomplex nicht in seiner Gänze durchzuarbeiten; eine Besprechung aller bestehen- den Kontraktionstheorien würde vielmehr den Rahmen dieses Aufsatzes überschreiten. Nur in Kürze sollen die verschiedenen Prinzipien erwähnt werden, auf die man die Muskelkontraktion zurückführen wollte. Das Rätsel dieses Lebensphänomens hat die Gehirne seit altersher beschäftigt. So füllt A. v. Haller im 18. Jahrhundert bereits mehrere Seiten seiner „Elementa physiologiae“ mit der Aufführung und Besprechung zahlreicher Lehrmeinun- gen. Diese Anschauungen haben freilich heute nur mehr historischen oder Kuriositätswert. Wir brauchen uns nicht mehr mit der Lehre Galens aus- einanderzusetzen, nach der die Nerven an den Muskeln ziehen sollten. Aber es scheint bemerkenswert, dal) man in manchen dieser alten Theorien einen Ansatz an neuere Anschauungen findet. So ist z.B. die Hypothese, dab es sich um längliche Bläschen handle, die sich bei der Kontraktion abrunden und verkürzen, in veränderter Gestalt in einigen modernen Theorien wieder zu finden. wobei freilich als Inhalt dieser Bläschen nicht mehr ein Gas („spiritus“) angesehen wird, das von den Nerven her ein- strömt. sondern die Kräfte der Osmose oder der Oberflächenspannung werden zur Erklärung der Abrundung solcher ovaler Gebilde herangezogen. Überdies ist ein erheblicher Teil der Ausführungen Hallers mit der Wider- legung vitalistisch-metaphysischer Lehren erfüllt. In einer späteren Ära waren die Muskeltheorien durch die Lehre von den Atomen und Molekülen beherrscht, und man glaubte durch die Annahme von einer bestimmten Lagerung der Moleküle und ihrer durch den chemischen Prozeß direkt hervorgerufenen gegenseitigen Anziehung die Muskelkontraktion erklären Der tierische Organismus als Kraftmaschine. 123 zu können. In den elektrophysiologischen Vorgängen vermuteten %. Dubois- keymond u. a. die unmittelbare Ursache der Kontraktion und Kraftent- wicklung. Die neueste Zeit sucht insbesondere die’Ergebnisse der modernen physiko-chemischen Forschung auch für unser Problem zu verwerten. So stützen sich mehrere Theorien auf den osmotischen Druck und die Obertlächen- spannung. Eine kritische Übersicht der neueren Kontraktionstheorien hat vor kurzem Biedermann gegeben, und schon dadurch sind wir wohl davon enthoben, auf verschiedene Details einzugehen. Eine besondere Stellung unter den modernen Theorien scheint uns die wohl ausgebaute Lehre Engelmanns einzunehmen, der auch Biedermann einen hervorragenden Platz in seinen Erörterungen einräumt. Seit der Zusammenfassung Bieder- manns haben Zuntz und Pauli Hypothesen über das Zustandekommen der Muskelkontraktion aufgestellt. Ehe wir von dem uns hier interessierenden Gesichtspunkte aus auf die modernen Muskeltheorien näher eingehen, müssen wir zunächst eine Unterscheidung feststellen. Mit der Erklärung des Problems der Muskel- kontraktion befaßt, suchten die Forscher zunächst zu ergründen. wieso der vom Nerven übertragene Reiz zur Befreiung der aufgespeicherten Energie führe, wieso es also zu den chemischen Vorgängen komme, die dıe For- schung des 19. Jahrhunderts als Grundlage der Muskelkontraktion erkannt hat; zweitens ist es Aufgabe einer Kontraktionstheorie zu erklären, wieso diese Energie in jene Form übergeführt wird, in der sie bei der Arbeits- leistung des Tieres nutzbar ist. Diese Zwiespältigkeit der ganzen Frage- stellung spiegelt sich auch in der verschiedenen Beurteilung, die dieses Problem in Hinsicht auf die Schwierigkeit seiner Lösung gefunden hat. Während Dubois-Keymond (zitiert nach Pauli) von einem fast verzweitelt dunklen Problem spricht, sagt Fick (20, S.2) im Jahre 1882 wörtlich folgendes: „Obgleich vielleicht keine andere Erscheinung desselben (des Lebens) auf den ersten Blick einen unerklärlicheren und rätselhafteren, man möchte fast sagen wunderbareren Eindruck macht, als die Muskel- zusammenziehung, so bin ich doch überzeugt, dab gerade sie zu allererst einer streng mechanischen Erklärung zugänglich sein wird.“ Dubois-Rey- monds Pessimismus bezieht sich wohl auf die Frage von der Irritabilität der Muskelsubstanz; Fick dürfte mit seinem Optimismus hinsichtlich des zweiten Problems Zustimmung gefunden haben. Nur dieses zweite Problem ist Gegenstand unserer Betrachtungen und auch dieses nur teilweise. Aus dem Gewirre der mannigfaltigen Hypothesen und Anschauungen, die die Gedankenarbeit zahlreicher Autoren im Laufe der Jahre angehäuft hat, können uns vor allem die in den vorhergehenden Abschnitten bespro- chenen Tatsachen der Stoffwechselphysiologie als Wegweiser dienen. Wenn wir auch, wie hier gleich vorweggenommen werden soll, heute keineswegs in der Lage sind, eine präzise Antwort auf die Frage, wie die Muskel- kontraktion zustande kommt, zu geben, so können wir doch immerhin eine große Anzahl von Anschauungen als unrichtig ablehnen und ungefähr die Richtung angeben, in der man die zutreffende Beantwortung zu suchen hat. 124 Felix Reach. Wir sahen, dal) die Oxydation verschiedener Stoffe Ursache der Muskelkon- traktion sein kann. Mit dieser Tatsache stehen jene Theorien im Wider- spruch, die die Verkürzung durch direkte chemische Anziehung erklären wollen (z. B. die Hypothese von Fick), wobei die Oxydationen am Muskel- protoplasma selbst vor sich gehen müßten. Mit Recht weist Engelmann darauf hin, daß die Substanzmenge, die bei einer Muskelzuckung ver- brennt, ein zu kleiner Teil der Muskelsubstanz ist, als daß Hypothesen, die auf der direkten chemischen Anziehung in der Muskelfaser basieren, zu recht bestehen könnten. Er berechnet, dab ein Bruchteil von 1Y/,000000 von der Muskelsubstanz ausreichen würde, um eine Muskelzuckung hervor- zurufen und erklärt es für unannehmbar, daß dieses Massenteilchen durch direkte chemische Anziehung das 3,999.999fache in Bewegung setze. Ein weiterer Einwand gegen diese Hypothese besteht darin, daß alle der- artigen Hypothesen die Proteine als alleinige oder wenigstens überwiegende (Jnelle der Muskelkraft zur notwendigen Voraussetzung haben. Auf Grund dieser Anschauungen muß man auch alle jene Theorien ablehnen, die die Z/usammenziehung und Wiederausdehnung des Muskels durch den Zerfall und Wiederaufbau des Protoplasmas erklären wollen (Verworn, Kassowitz). Wir sahen auch, dal) der Muskel mit demselben Wirkungsgrad von ca. 25°/, arbeitet, mag die Energie der Oxydation von Fetten oder von Kohlehydraten entstammen, und daß dieser Wirkungsgrad auch dann nicht erheblich anders zu sein braucht, wenn an Stelle der Oxydation eine gärungs- ähnliche Spaltung tritt. Von einer Kontraktionstheorie ist zu fordern. dab sie mit diesen Tatsachen in Übereinstimmung zu bringen ist. Pauli erklärt die Muskelzuckung durch Säurequellung!), und es soll nach seiner An- schauung die Kontraktion der Muskelfaser durch Bildung von Milchsäure, die Erschlaffung hauptsächlich durch Oxydation dieser Substanz zustande kommen. (Einen derartigen Doppelprozei, enthielten schon die älteren Hypothesen von Fick, Gad und Heymanns, Kohnstamm.) Als Milchsäure- «uelle kommen aber die Kohlehydrate in ganz überwiegend größerem Aus- male in Betracht als andere Substanzen, vor allem als die Fette. Es müßten also die Kohlehydrate bedeutend ökonomischere Energiequellen für den Muskel sein, was, wie wir gesehen, nicht der Fall ist. Weitere Schwierig- keiten bereitet der Paulischen Theorie die Erschlaffung nach der anoxy- biotischen Muskelkontraktion. Diese Erschlaffung läßt sich durch Oxydation ‘) Daß es sich bei der Muskelkontraktion um eine Quellung handle, hat diese Theorie mit einigen andern gemein. Es wird dabei stets angenommen, daß gewisse Teile des Muskels auf Kosten anderer quellen, also eine Wasserwanderung im Muskel vor sich geht. Da der Muskel sein Volumen bei der Kontraktion beibehält, indem er sich gleichzeitig verkürzt und verdickt, und da an anderen Gebilden eine derartige Quellung mit verschiedenem Verhalten in verschiedenen Richtungen nachgeahmt werden konnte, steht einer solchen Annahme nichts im Wege; sie wurde namentlich durch Engelmann sehr wahrscheinlich gemacht, worauf noch zurückzukommen sein wird. Wie aber diese Quellung zustande kommt, das erklären verschiedene Theorien, die in der Annahme der Quellung selbst übereinstimmen, auf verschiedene Art, und gerade das ist es, was uns hier am meisten interessiert. Der tierische Organismus als Kraftmaschine. 125 der Milchsäure nicht erklären. Pauli stellt deshalb die weitere Hypothese auf, dab außer der Oxydation zur Entfernung der Milchsäure noch andere Prozesse in engerem Ausmaße wirksam seien. Als solche Prozesse führt er an: die Amidierung der Milchsäure, ihre Umwandlung in sogenannte zyklische Komplexsalze und in zyklische Doppelester, ferner andere, noch aui- zufindende Reaktionen im Organismus. Diese Hypothesen bieten keine be- friedigende Erklärung für die en Bewegungen anoxybiotisch lebender Tiere und insbesondere für die prompte Erschlaffung eines nicht von sauerstoffhaltiger Flüssigkeit durchströmten Froschmuskels. Ganz ins- besondere müssen sich aber unsere Bedenken vergrößern, wenn wir die energetischen Verhältnisse näher betrachten. Bei Zucker als Energiequelle würde nach Pauli nur etwa !/,, der Verbrennungswärme auf die Kon- traktion, der Rest auf die Erschlaffung, auf „die Herstellung des mecha- nischen Ausgangspotentials“ fallen. Da nun nach dem, was wir bei Be- sprechung des Wirkungsgrades angeführt haben, die Energieentwicklung von !/,, der Verbrennungswärme keineswegs für die Leistung des Muskels ausreicht, so müßte bei der Erschlaffung der hauptsächlichste Anteil der Energie für die Kontraktion geliefert werden. Während der Erschlaffung würde also der Muskel mit jener Menge potentieller Energie aufgeladen, die er bei der vorhergehenden Kontraktion verbraucht hat. Bei der nächsten Kontraktion würde dann diese potentielle Energie in Arbeit umgewandelt werden.!) Es muß also der Prozeß der Milchsäureentfernung mit jener Energieentwicklung einhergehen, die zur Arbeitsleistung nötig ist. Die Oxydation der Milchsäure ist sicher mit einer so großen Energieentwicklung verbunden; hingegen ist es höchst unwahrscheinlich, daß auch die anderen Prozesse, die Pauli annimmt, soviel Energie liefern können. Bedenkt man noch, daß der anoxybiotisch arbeitende Froschmuskel unter Umständen denselben Wirkungsgrad haben kann, der bei Arbeit durch Oxydation die Regel ist, so müßte man auch annehman, daß bei der Ausschaltung einer bestimmten Milchsäuremenge durch Amidierung usw. die Wärmetönung die gleiche ist wie bei ihrer Verbrennung. Im ganzen kann man sagen, dab die Muskel- und die Stoffwechselphysiologie eine Anzahl von Tatsachen zutage gefördert haben, mit denen Paulis Theorie unvereinbar ist. Die chemischen Prozesse, die der Muskelkontraktion zugrunde liegen können, haben miteinander gemein, daß sie an Stelle großer Moleküle zahlreiche kleine setzen. Wenn das in einer Lösung vor sich geht, hat es stets eine Vermehrung des osmotischen Drucks zur Folge. Darauf gründen sich einige Muskeltheorien. In neuester Zeit hat Zuntz (62 u. 63) die 0os- motischen Vorgänge zur Erklärung der Muskelkontraktion herangezogen. Er stellte Berechnungen darüber an und versuchte zu zeigen, daß die bei der Muskelkontraktion vor sich gehenden osmotischen Veränderungen genugende Spannkräfte auslösen können. Diese Berechnungen sind natürlich 3 Ahnliche Anschauungen wie Pauli vertritt Höber in einem jüngst in der Deutschen Bunsengesellschaft gehaltenen Vortrag. Zeitschr. f. Elektrochemie. 19. Bd. 1913. S. 7358. Anmerkung während der Korrektur. 126 Felix Reach. auf sehr hypothetischer Grundlage aufgebant. Zuntz sieht es wie Pflüger wohl mit Recht als sicher an, daß am Orte der Verbrennung sehr hohe Temperaturen (6430°C bei der Annahme von Fettverbrennung) vorkom- men. Dadurch werden die osmotischen Kräfte erheblich gesteigert. Man sieht also, daß nach der Zuntzschen Hypothese der Muskel immerhin teilweise eine thermodynamische Maschine wäre. Es sei nebenbei bemerkt, dal) auch bei manchen Verbrennungsmotoren ähnliche Verhältnisse vorliegen, nämlich dann, wenn der Brennstoff ein solcher ist, daß das bei der Verbrennung entstehende Gasgemisch mehr Moleküle enthält als der Brennstoff und der zur Verbrennung nötige Sauerstoff zusammen. In diesem Falle ist der Motor auch nicht bloß als kalorische Maschine anzusehen; freilich überwiegt jener Energieanteil ganz bedeutend, der den Weg über Wärme nimmt. Dieses letztere gilt aber für den Muskel nach der Zuntzschen Theorie ebenfalls. Als wesentlicher Unterschied in der Wirkungsweise des Verbrennungs- motors und der Muskelfaser wäre, wenn man sich auf den Boden der Zuntzschen Theorie stellt, der Umstand anzusehen, dab es sich in dem einen Falle um den Gasdruck handelt, der den Kolben nach außen stößt, in dem anderen Falle um den osmotischen Druck, der die Flüssigkeit von einer Stelle des Muskels an eine andere bringt. Gegen die Zuntzsche Theorie hat W. N. Berg Einwände erhoben. (Pflügers Archiv, 149, 1912, S. 195.) Die Oberflächenspannung wurde ebenfalls zur Erklärung der Muskel- arbeit herangezogen. Bezüglich dieser Theorien sei auf die Zusammenfassung Macallums hingewiesen. Macallum erklärt, daß es bei dieser Erklärungsart noch immer fraglich erscheine, wodurch die Oxydativn zur Änderung der Oberflächenspannung führe. Daraus darf man wohl folgern, daß diese Theorien vorläufig wenigstens noch einer weiteren Befestignng in hohem Grade bedürfen. Man müßte für die Änderung der Oberflächenspannung nach einer Entstehungsart suchen, bei welcher diese Änderung proportional ist der Wärmeproduktion durch die chemische Reaktion. Auch die elektrischen Vorgänge im Muskel wurden eine Zeitlang zur Erklärung seiner Arbeitsleistung herangezogen. Von den Anschauungen du Bois-Reymonds und manches anderen kann hier wohl abgesehen werden, da wir heute diesen Vorgängen nicht mehr jene große Bedeutung beilegen wie früher, vielmehr wissen, daß die elektromotorischen Vorgänge im Muskel notwendige Begleiterscheinungen der chemischen Veränderungen sind, und daß die bioelektrischen Ströme im Muskel viel zu klein sind, um für die Entstehung der Muskelkraft in Betracht zu kommen. @. E. Müller stellte eine pvroelektrische Theorie der Muskelkontraktion auf. Nach ihm enthält der Muskel Teilchen, die ähnlich wie Turmalinkrystalle bei Erwärmung einen. positiv und einen negativ elektrischen Pol besitzen. Durch eine Anzahl weiterer Hypothesen, deren hauptsächlichste darin besteht, daß diese Pole alle gleichsinnig im Muskel angeordnet sind, kam Müller dazu, eine Kontraktionstheorie bis in weit gehende Details auszubauen. Diese Theorie enthält also die Annahme, dal) die Energie bei ihrer Verwandlung in mechanische den Weg über die Wärme nehme. Der Der tierische Organismus als Kraftmaschine. IT Muskel erscheint mithin auch hier als kalorische Maschine, wenn auch in der Kette der Energieumwandlungen die Elektrizität zwischen Wärme und Kontraktion eingeschaltet ist. Einwände gegen diese Theorie findet man bei Biedermann. Wir müssen nochmals darauf zurückkommen, daß der Wirkungsgrad des Muskels unter sehr verschiedenen Verhältnissen der gleiche ist. Der in Arbeit umsetzbare Teil der aufgewendeten Energie ist eine relativ kon- stante Größe. Der Aufwand an Energie aber ist identisch mit der Ver- brennungswärme, bzw. Reaktionswärme. Die Tatsache, daß zwischen dieser Wärme und der nutzbaren Arbeit ein konstantes Verhältnis besteht, läßt sich durch nichts einfacher und ungezwungener erklären als durch die Annahme, die Arbeit entstamme der Wärme: derartige Vorgänge finden wir ja auch sonst so oft in der Natur vor. Die thermodynamische Theorie der Muskelarbeit wurde, wie erwähnt, insbesondere von Engelmann ver- fochten. Den Einwand, den man gegen sie aus dem zweiten Hauptsatz herleitete, haben wir bereits besprochen. Einen weiteren Einwand hat A.V. Hill erhoben, und Pauli hat sich ihm angeschlossen. Hill beobachtete bei thermoelektrischen Untersuchungen am Muskel, daß die Temperatur- steigerung mitunter der Kontraktion nachfolgt. Daraus leitet er seinen Widerspruch gegen die thermodynamische Theorie ab. Indes gilt von diesen Messungen ähnliches, wie wir früher bei Besprechung des Temperatur- gefälles angeführt haben. Selbst unsere feinsten Meßmethoden sind sicherlich noch viel zu grob, um die Schwankungen, die sich innerhalb der Muskel- faser mit großer Geschwindigkeit abspielen, in adäquater Weise wieder- zugeben. Was beobachtet wird, ist die Durchschnittstemperatur einer größeren Muskelpartie; was beobachtet werden müßte, spielt sich in Abschnitten der Fibrillen ab. Die myothermischen Untersuchungen können wohl über die Gesamtwärmebildung Aufschluß geben, allein es dürfte zu weit gegangen sein, aus dem zeitlichen Verlaufe der beobachteten Temperaturschwankungen derartige Schlüsse zu ziehen. Gewichtigere Einwände erwuchsen der Eingel- mannschen Theorie aus den Messungen, die FZürthle an Momentphoto- graphien von ruhenden und arbeitenden Insektenmuskeln ausführte. Doch treffen diese Einwände mehr morphologische Details der Enngelmannschen Lehre als ihre prinzipielle Seite, um die es sich uns hier handelt. Engelmann hat überdies seine Anschauungen experimentell kräftig gestützt. Insbesondere sein Muskelmodell wirkt sehr suggestiv. Fngel- mann konnte nämlich zeigen, daß eine Darmsaite (Violinsaite) in Wasser beim Erwärmen in solcher Weise aufquillt, daß sie sich verkürzt. Die Analogie zwischen einer derartigen Darmseite und dem Muskel sind nun sehr weitgehende. Die „Chordogramme* Engelmanns sind Myogrammen außerordentlich ähnlich. Gleichwie der Muskel hat eine solche Saite die Eigenschaft, daß die verkürzende Kraft mit der fortschreitenden Verkürzung abnimmt. Auch ist die Abhängigkeit der verkürzenden Kraft von der Anfangsspannungähnlich wie beim Muskel. Daneben bestehen selbstverständlich sehr große Unterschiede. So vor allem in quantitativer Beziehung; diese 1?8 Felix Reach. Kontraktion geht bei der Saite viel langsamer vor sich als beim Muskel. Das erklärt sich jedoch wohl aus der bedeutend günstigeren Anordnung der kontraktilen Elemente beim Muskel. Wir haben den belebten Motor in diesem Artikel nur in Hinsicht auf gewisse Eigenschaften mit der kalorischen Maschine der Technik ver- glichen. Es gibt natürlich eine Anzahl tiefgreifender Unterschiede, wie die Verschiedenheit des Materials, der Bewegungsform, der Inbetriebsetzung und Regulierung. Diese Unterschiede wurden nur gestreift oder gar nicht erwähnt, da es sich hier nur darum handelte, jene Punkte herauszugreifen, die geeignet sein können, ein Licht auf die Frage zu werfen, ob der Muskel selbst als kalorische Maschine aufzufassen sei. Es sprechen eine Anzahl von Gründen dafür, daß im Muskel die chemische Energie auf dem Wege über Wärme nutzbar gemacht wird. Jedenfalls aber geschieht dies nicht auf dieselbe Art wie im unbelebten Wärmemotor der modernen Technik. Die wirkende Kraft ist nicht der Gasdruck. All zu weit gehende Parallelisierung könnte deshalb auf Irrwege führen. Der Muskel hat jedenfalls mit der kalorischen Maschine das Grundprinzip gemein: die Befreiung von latenter Energie durch einen chemischen Prozeß, der auch beim Muskel wenigstens in der Rezel eine Oxydation ist. Vor aen Dampfmaschinen und Heißluftmotoren hat er den Vorzug, daß der Verbrennungsraum und die eigentliche Maschine räumlich zusammenfallen oder wenigstens sehr nah beieinander sind. In dieser Beziehung also, auch noch in anderer, wie wir gesehen, ähnelt er den Verbrennungsmotoren. Die außerordentliche Kleinheit der zahlreichen einzelnen Motoren der Muskelfasern, und der schnelle Verlauf der Oxydationen bringt es mit sich, daß sich das Wärme- eefälle nicht konstatieren läßt und daß) das lebende Gewebe diese hohen Temperaturen verträgt. So läßt sich auch jenes Bedenken aufklären, das den unter den Physiologen weit verbreiteten Zweifel an dem Charakter des Muskels als kalorische Maschine hauptsächlich verursacht hat. Ist Engel- manns Lehre vom Ursprung der Muskelkraft auch nicht geradezu bewiesen, so ist sie doch keineswegs widerlegt, am allerwenigsten aber durch eine bessere Hypothese überflügelt. Als Hypothese mit viel Wahrscheinlichkeit und als anschauliche Hilfsvorstellung bleibt die Ansahme des Muskels als kalorische Maschine vorläufig aufrecht. Literatur: l. Athanasiu J. et Gradinesco A., Ü.r.soc.biol. (Reun. biol. de Bucarest), Bd. 73, p. 335, 1912. 23. 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Das Auftreten von Kohlesubstanz in Form von regelmäßigen Schichten, sogenannten Flötzen, von oft sehr großer horizontaler Ausdehnung und nicht selten sehr beträchtlicher Dicke innerhalb der verschiedensten geo- logischen Formationen inmitten anderer Schichten von gänzlich abweichender stofflicher Beschaffenheit — meist Sandsteinen. Schiefern u. dgl. — ist eine Erscheinung, deren Eigenart die Aufmerksamkeit der Geoiogen — und fast ebenso sehr der Laien — seit den ersten Zeiten geologischer Forschung in Anspruch genommen hat. Durch die praktische, wirtschaft- liche Bedeutung, welche diese Ablagerungen in wachsendem Maße ge- wannen, war dafür gesorgt, dal) das Interesse daran — auch das wissen- schaftliche — im Lauf der Zeiten nicht erlahmte, sondern sich eher noch steigerte und vertiefte. Das besondere geologische Interesse der kohleführenden Ablagerungen besteht darin. dab — während wir es in fast allen anderen sedimentären Formationen ausschließlich mit Meeresbildungen zu tun haben — in ihnen unter besonderen Bedingungen entstandene Bildungen des festen Landes vorliegen. Sie sind in dieser Hinsicht mit anderen kontinentalen Schichten- gruppen, wie manchen Gips- und Salzlagern oder den „fossilen Wüsten“ — ein Begriff, dessen Anwendung allerdings noch recht kontrovers ist — in Parallele zu stellen. Bis zu der heutigen Auffassung von der Natur der Kohlenlager und ihrer Entstehungsweise hatte die geologische Forschung naturgemäß einen langen, oft verschlungenen Entwicklungsgang zurück- legen, auf dem mancherlei Meinungswiderstreit zu überwinden oder aus- zugleichen war. Diese Entwicklung in ihren Hauptstadien darzulegen, soll in den folgenden Ausführungen versucht werden. Vorab sei hier bemerkt, daß dabei nur die rein geologische Seite des Problems berücksichtigt werden soll. Von einem Eingehen auf die kaum minder wichtigen und interessanten biologischen und klimatischen Fragen muß, schon des Raumes wegen, hier gänzlich abgesehen werden. Das Hauptinteresse bei der Behandlung der „Kohlenfrage“ hat sich von jeher der Steinkohle zugewandt, deren Natur und Entstehung die Forschung vor einen ganzen Komplex von Problemen stellte. E. Abderhalden, Fortschritte. X. 12 132 A. Dannenberg. Schon rein stofflich, vom mineralogischen und petrographischen Ge- sichtspunkt betrachtet, mußte dieses „Gestein“ — denn als solches ist es im geologischen Sinne, nach seinem Auftreten als Bestandteil der Erdrinde und im regelmäßigen Verbande mit anderen (Gesteinen zu be- trachten — als eine Abnormität erscheinen. Trotz seines äußerlich mineralischen Habitus, der in dem Namen „Steinkohle“ treffend zum Ausdruck gebracht ist, ließ es doch keinerlei Beziehungen zu irgend- welchen anderen Gesteinen, seien sie eruptiver oder sedimentärer Ent- stehung, erkennen. Hier war also eine Vorfrage mineralogisch-petro- graphischer bzw. chemischer Natur zu lösen, bevor man an das eigent- lich geologische Problem herantreten konnte. Analogieen mit jüngeren Formen von Kohlenablagerungen, die ihrer Entstehung nach z. T. bis in die Gerenwart hineinreichen, insbesondere Braunkohle und Torf in ihren verschiedenen Formen, führten schon bald zu der Vermutung, daß wie bei diesen auch im Material der Steinkohlenflötze veränderte Pflanzen- substanz vorliegen dürfte, während jedoch bei den genannten jüngeren Kohlegesteinen der pflanzliche Ursprung sehr leicht zu erweisen ist, ja vielfach — wie beim gewöhnlichen Torf und vielen noch deutliche Holz- struktur besitzenden Braunkohlen, sogenannten Ligniten — unmittelbar ins Auge fällt, war ein gleiches für die Steinkohle nur sehr schwer zu be- weisen. Hier hat die viel weiter vorgeschrittene Umwandlung des Ur- materiales eine fast homogene, strukturlose Masse geschaffen. Wohl fand die Annahme von der pflanzlichen Herkunft der Steinkohle eine starke Stütze in den die Flötze begleitenden, gleichfalls verkohlten, aber im übrigen oft wunderbar erhaltenen Abdrücken und sonstigen Resten der ver- schiedensten Pflanzenteile: Wurzeln, Stämme, Früchte, besonders aber Blattabdrücke sind in verschwenderischer Fülle, besonders über den Flötzen, in ihrem „Hangenden“ ausgestreut, die Kohle selbst aber wider- stand lange Zeit allen Bemühungen, ihre pflanzliche Natur, oder über- haupt eine bestimmte Struktur nachzuweisen. Die Entscheidung dieser fundamentalen Frage brachten nach verschiedenen mehr oder weniger ver- fehlten oder unzulänglichen Versuchen von anderer Seite!) die klassischen Untersuchungen von Gümbel?) im Jahre 1813. v. Gümbel konnte, die Er- gebnisse früherer Untersuchungen (bes. Links) zum Teil bestätigend und ') H. Link, Über den Ursprung der Steinkohlen und Braunkohlen nach mikro- skopischer Untersuchung. Abhandl. d. kön. Akad. d. Wissensch. Berlin 1838. Hier ist bereits der sichere Nachweis von Pflanzenstrukturen in der Steinkohle erbracht, doch scheint diese wichtige Beobachtung nicht die gebührende Beachtung gefunden zu haben. — Dawson, Notices of some fossils found in the eoalformation of Nova Scotia. (Juart. Journ. geol. soe. III, 1846, pag. 132. — Grand Eury, Memoire sur la transformation de la honille. Ann. des mines. VIII, 1882, pag. 109. — KReinsch, Neue Untersuchungen über die Mikrostruktur der Steinkohle des Karbon, der Dyas und der Trias. Leipzig 1881. — Fischer und Rüst, Über das mikroskopische Verhalten verschiedener Koblenwasser- stoffe, Harze und Kohlen. Zeitschr. f. Kristallogr. VII, S. 209. °) €. W.r. Gümbel, Beiträge zur Kenntnis der Texturverhältnisse der Mineral- kohlen. Sitzungsber. d. königl. bayer. Akad. d. Wissensch. 1883. Die Kohlebildung als geologisches Problem. 133 ergänzend, den sicheren Nachweis führen, daß auch die Steinkohle, ähn- lich den jüngeren Kohlenarten neben einer überwiegenden amorphen Masse aus deutlichen Pfilanzenresten besteht, deren Struktur die Herkunft von Holz- und Rindenteilen, Blättern usw. nach der Form ihrer Zellen und (sewebe zu erkennen gestattete. Die erwähnte strukturlose Grundmasse, das „Bitumen“, ». Gümbels „Carbohumin“ , das diese Pflanzenreste um- hüllt und durchtränkt, ist offenbar selbst aus der Umwandlung von vege- tabilischer Substanz hervorgegangen. Sie findet ihr Analogon in dem „Dopplerit“ der Torflager. Ihr Überwiegen in der Steinkohle erklärt deren amorphes Aussehen. Durch diese Untersuchungen war der Nachweis geführt, dab in der Steinkohle in der Tat — wie man auf Grund der angeführten Analogieen schon lange vermutet hatte — ein organogenes, speziell phytogenes Sedimentgestein vorliegt. !) Es erhoben sich nun des weiteren die beiden Hauptfragen: 1. welcher Art waren und unter welchen Bedingungen wuchsen die Pflanzen, aus denen später die Kohle entstand? und 2. an welchen Orten und unter welchen Bedingungen konnten die gewaltigen Anhäufungen von Pflanzen- material stattfinden, die wir zur Bildung der mächtigen Flötze voraus- Setzen müssen? Die erste dieser beiden Fragen kann noch als eine Vorfrage wesent- lich botanischer Natur angesehen werden: sie soll hier nur kurz darge- stellt werden. Mit der zweiten Frage kommen wir auf die eigentlich geo- logische Seite des Problems. Schon die Unsuchungen v». Gümbels und seiner Vorgänger hatten mit aller wünschenswerten Klarheit erwiesen, daß in den figurierten Be- standteilen der Kohlen 'aller Formationen wesentlich Reste von Land- pflanzen?) vorliegen, derselben Formen, deren deutlich erkennbare Reste !, Es soll hier die chemische Seite des Problems vollständig beiseite gelassen werden. Erwähnt sei nur, daß, nachdem man früher die Eigenschaften der Steinkohle durch Annahme einer Mischung von „Bitumen“ mit reinem Kohlenstoff erklären zu können geglaubt hatte, diese Auffassung vou Balzer dahin richtiggestellt wurde, daß freier Ü in den organogenen Kohlen überhaupt keine Rolle spielt, daß diese vielmehr lediglich aus verschiedenartigen Kohlenwasserstoffen bestehen. Der äußerst komplizierte chemische Bau der Kohle bedarf noch sehr der Aufhellung und bietet ein weites, jedenfalls sehr ergiebiges Feld der Forschung. Auch auf die Natur des chemisch-physikalischen Um- wandlungsprozesses, der von der Pflanzensubstanz zu den verschiedenen Kohlenarten führt, kann hier nicht eingegangen werden, ebensowenig auf die in letzter Zeit viel erörterte Frage, ob und wie weit hierbei Bakterien mitwirken. Die am Schlusse aufge- führte Literatur kann auch nach diesen Richtungen zur weiteren Information dienen. °) Allerdings nehmen an der Zusammensetzung gewisser Kohlensorten auch Wasserpflanzen, insbesonders Algen, einen wesentlichen Anteil. Diese sind aber unter besonderen Bedingungen gebildet und in tieferem Wasser abgesetzt. Daher mußte auch der Umwandlungsprozeb bei ihnen einen anderen Verlauf nehmen als bei den normalen Kohlensorten. Statt der Vermoderung trat Fäulnis ein. Derartige Kohlen und verwandte Gesteine werden daher von Potonie als „Faulschlamm“- oder „Sapropelkohlen- und Gesteine“ den eigentlichen Humuskohlen gegenübergestellt. Ihre Vertreter sind die 12* 134 A. Dannenberg. auch in verkohltem, zuweilen versteinertem Zustande die Flötze begleiten. Damit war einer, lange Zeit hindurch mit einer gewissen Vorliebe ge- pflegten Vorstellung über die Kohlebildung der Boden entzogen, derjenigen, die man als die Tangtheorie bezeichnen kann. Ihre Anhänger fand sie besonders unter den „Neptunisten“. Eine von Bischof ausgesprochene Ver- mutung wurde von Mohr!) zur Grundlage seiner mit großem Eifer ver- fochtenen Ansicht gemacht, dal) speziell die Steinkohlen auf Anhäufung von Algen, Tangen u. dgl., unter Ausschluß von Landpflanzen, zurückzu- führen seien. Die scheinbar amorphe Beschaffenheit der Steinkohle im (regensatz zu der deutlich pflanzlichen Struktur der Braunkohle und des Torfes bildet ein Hauptargument für seine Ansicht. Muck (Die Chemie der Steinkohle, Leipzig 1880, und: Grundzüge und Ziele der Steinkohlenchemie. Bonn 1881, S. 122 ff.) ist wohl noch als letzter mit ziemlicher Ent- schiedenheit — in seinen späteren Veröffentlichungen allerdings weniger bestimmt — für diese Annahme eingetreten, indem er die von ihm in ihrer Bedeutung wohl über- schätzten Unterschiede zwischen Steinkohlen einerseits und Braunkohle und Torf andrer- seits mit einer ursprünglichen Verschiedenheit des Ausgangsmateriales erklären zu müssen glaubte: hier Landpflanzen, die ihre Struktur bei der Vermoderung mehr oder weniger deutlich bewahren, dort Meerpflanzen (Tange etc.), die infolge geringer Festig- keit ihrer Zellwände und Gewebe leichter der Umwandlung in die, vermeintlich struk- turlose Steinkohlenmasse erlagen. — Zu den Vertretern der Tangtheorie gehörte u. a. auch Parrot (1815) und noch in neuerer Zeit erhielt sie eine Stütze durch die Unter- suchungen von Reinsch (s. o.), der in irrtümlicher Deutung der in der amorphen Kohlen- masse beobachteten Formenelemente die Kohlen aus primitiven Meerespflanzen ab- leiten wollte. Zur Veranschaulichung der Verhältnisse, unter welchen eine massenhafte An- häufung solcher Meerespflanzen stattfinden könnte, wurde auf die in gewissen Teilen der heutigen Meere unter dem Einfluß der Strömungen erfolgenden Ansammlungen dieser Art hingewiesen, deren bekanntestes Beispiel das sogenannte Sargassomeer im nördlichen atlantischen Ozean darstellt. In dem weiten, von Passattrift, Golfstrom und deren Verzweigungen umschlossenen Raume werden dauernd alle losen Seegräser, Tange usw., darunter besonders das vielgenannte Sargassum baceiferum, zusammen- getrieben und in diesem Stromkreis gewissermaßen gefangen gehalten. Quantitativ könnte man diese und ähnliche Ansammlungen wohl, wie Muck betont, als eine ausreichende Quelle der Kohlebildung betrachten. Die geologische Erfahrung würde dieser Deutung wenigstens nicht unbedingt widersprechen, da Steinkohlenflötze »icht selten in engem Verbande mit unzweifelhaften Meeresablagerungen auftreten. Indessen haben die Tief- seeforschungen erwiesen, daß mindestens unter dem heutigen Sargassomeere am Meeres- boden eine Ansammlung von Pflanzenmaterial mit anschließender Verkohlung nicht stattfindet, die Pflanzenreste müssen vielmehr schon an der Oberfläche durch Ver- wesung vollkommen verschwinden. Cannel- und Bogheadkohlen, Ölschiefer und Kerosenschiefer, bituminöse Kalke u. a. m.; ihr modernes Äquivalent die von abgestorbenen Wasserpflanzen, besonders Algen, und niederen Wassertieren, namentlich Krustazeen, gebildeten Faulschlämme („Sapropele“) stehender Gewässer. (Vgl. Potonie, Eine rezente organogene Schlammbildung des Cannel- kohlentypus. Jahrb. d. preuß. geol. Landesanstalt. 1903, S. 405. — Derselbe, Zur Frage nach den Urmaterialien der Petrolea. Ebenda, XXV, 1904, S. 342; ferner C. E. Bertrand, Charbons geologiques et charbons humiques. Compt. rend. VIII. Congres geol. internat. Paris 1901, T. I, pag. 458.) ‘) F. Mohr, Geschichte der Erde. Bonn 1866. Die Kohlebildung als geologisches Problem. 139 Nähere Untersuchungen erwiesen ferner, dab an der Bildung der Steinkohlen hauptsächlich Gefäßkryptogamen beteiligt waren. Diese ver- teilen sich hauptsächlich auf die Gruppen der Farnkräuter und der schachtel- halmartigen Gewächse, sowie die ihren Verwandtschaftsverhältnissen (Lyko- podien oder Selaginellen) nach nicht ganz sicheren großen, baumartigen Formen der „Schuppenbäume“ (Lepidodendren) und „Siegelbäume“ (Sigil- larien). Als einzige Vertreter der höheren Flora (Gymnospermen) kommen dazu in der Steinkohlenformation die eleichfalls baumförmigen Cordaiten. Bezüglich des Vorganges der Anhäufung von Pflanzenstoffen, von dem die eigentliche Kohlebildung ihren Ausgang nehmen muß, wurden abgesehen von der als erledigt anzusehenden „Tangtheorie* — zwei gegensätzliche Vorstellungen geltend gemacht, für welche die Schlagworte der autochthonen und allochthonen Bildung geprägt wurden. Autochthone Bildung bedeutet Ablagerung und darauf folgende Ver- moderung etc. des abgestorbenen Pflanzenmateriales am Orte des Wachs- tums („in situ“), wogegen Allochthonie getrennte Stätten des Wachstums und der Ablagerung, mit einem dazwischen liegenden Transport des Materiales annimmt. Das Schulbeispiel der Gegenwart für die autochthone Kohlenbildung stellen die Torfmoore dar. Für die allochthone Entstehung von Flötzen läßt sich eine vollgültige Parallele unter den heutigen geolo- gischen Vorgängen eigentlich nicht finden. Die letztere Anschauung trägt daher in höherem Grade hypothetischen Charakter. Welcher dieser beiden entzegenstehenden Annahmen man persönlich zuneigen mag, man wird nicht verkennen können, dab gerade ihr Wider- streit außerordentlich anregend und befruchtend auf die Erforschung der Kohlenlager , sowohl der Steinkohlen als der Braunkohlen, sowie der zum Vergleich herangezogenen modernen Vorgänge: der Torfbildung und der Pflanzenanschwemmungen aller Art gewirkt hat. Je mehr sich das Studium nach dieser Richtung vertieft hat, um so klarer und vollständiger sind die Analogien zwischen den Kohlenflötzen jeden Alters, von der eigent- lichen paläozoischen Steinkohle bis zu den Braunkohlen des Tertiärs auf der einen Seite und den heutigen Torfmooren auf der anderen hervor- getreten. Mehr und mehr hat sich dabei herausgestellt, daß die Torfmoor- bildung — wenn man darunter nicht nur die wesentlich aus Sphagnum und Verwandten bestehenden Hochmoore versteht, sondern naturgemäl) auch die Niederungs- und Waldmoore darunter begreift, sowie die ganze Reihe der durch Wasser- und Sumpfpflanzen eingeleiteten Verlandungsvorgänge stehen- der Gewässer — wohl so ziemlich alles leistet, was für das Verständnis der Flötzbildung, auch der Steinkohle, erforderlich ist. Alle Bedenken und Einwendungen, die dieser Erklärungsweise entgegengestellt wurden, haben sich mit der fortschreitenden Erkenntnis der Bildungsweise der heutigen Torfmoore und ihrer Existenzbedingungen als unbegründet erwiesen. Trotz- dem kann man nicht behaupten, daß bereits volle Übereinstimmung in dieser Frage erreicht wäre. Auch die Allochthonie hat noch heute ihre An- hänger und Verteidiger, und es muß zugegeben werden, daß gerade von 136 A. Dannenberg. dieser Seite ein außerordentliches Maß von Fleifl) und Scharfsinn zur Ver- teidigung und Begründung ihrer Ansichten aufgewandt ist. Geht man die Literatur über diese Frage durch, so erkennt man bald, daß sich die Anhänger der einen und der anderen Ansicht in sehr auffälliger, aber charakteristischer Weise nach ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten Ländern bzw. Nationen gruppieren. Zur Autochthonie bekennt sich nahezu die Ge- samtheit der Geologen Deutschlands, Englands, der Vereinigten Staaten, Kanadas usw., während die Anhänger und Verfechter der allochthonen Bildung heute fast nur noch auf französischer Seite zu finden sind. Dieser auffallende nationale Gegensatz in einer rein wissenschaftlichen Frage wird verständlich, wenn man die Verschiedenheit der Kohlenablagerungen in den einzelnen Ländern in Betracht zieht. Während die deutschen, englischen und amerikanischen Geologen bei ihren Forschungen und Er- klärungsversuchen von den großen, regelmäßigen, oft ungeheuer ausge- dehnten (in Amerika über Hunderttausende von Quadratkilometern) Ab- lagerungen ausgingen, stützten sich die französischen Forscher in erster Linie auf die unregelmäßigen, oft sehr unklaren und verworrenen Verhält- nisse der kleinen in der Mitte und im Süden des Landes, hauptsächlich im Bereich des „Plateau central“ auftretenden Kohlenbecken (St. Etienne, Blanzy-le Creusot, Gard, Commentry, Aubin-Decazeville u. a.). In der Ge- schichte der Erforschung dieser Ablagerungen bildet die klassische Mono- graphie von Fayol über das kleine, aber für die Gruppe in vieler Beziehung typische Becken von Commentry mit ihrer Fülle feinster Beobachtungen, die Grundlage, auf der alle neueren Vertreter der Allochthonie fuben. Schon diese Gegenüberstellung läßt den relativen Wert der beiden Anschauungen vermuten: der Allochthonie wird man -- günstigen Falles — eine Berechtigung für diejenigen Vorkommen zugestehen können, auf deren besondere Verhältnisse sie begründet ist, während alle Merk- male der großen Ablagerungen des nordwestlichen Europas und des nord- östlichen Amerikas für autochthone Bildung sprechen. Hierüber hat unter allen Kennern und Erforschern dieser Kohlenreviere eigentlich nie eine ernstliche Meinungsverschiedenheit bestanden. Mit aller Klarheit trat schon im 18. Jahrhundert ». Beroldingen für die autochthone Bildung der Steinkohle ein und hob treffend die genetische Übereinstimmung mit sraunkohle und Tortlagern hervor.!) Desgleichen sein Zeitgenosse de Lue?), der sich auf eine umfassende Kenntnis der Torfmoore Norddeutschlands stützen konnte. Von späteren Vertretern dieser Richtung seien nur genannt Lyell?®), der Begründer der modernen Geologie (besonders in den Be- richten über seine beiden Reisen nach Nordamerika in den Jahren 1841/42 und 1845/46), H. D. Rogers, der genaue Kenner der amerikanischen Kohlenfelder, ferner Dawson für die kanadischen Vorkommen. Unter den ') r. Beroldingen, Beobachtungen, Zweifel und Fragen, die Mineralogie betreffend. Hannover 1779. ?) De Luc, Lettres physiques et morales sur l’histoire de la terre et de l’homme. Paris 1779. Die Kohlebildung als geologisches Problem. 137 deutschen Vorkämpfern der Autochthonie steht an erster Stelle 9. R. Goeppert mit seiner preisgekrönten Beantwortung der Frage: Man suche durch ge- naue Untersuchungen darzutun, ob die Steinkohlenlager aus Pflanzen ent- standen seien, welche an den Stellen, wo jene gefunden werden, wuchsen, oder ob diese Pflanzen an anderen Orten lebten und nach den Stellen. wo sich die Steinkohlenlager befinden, hingeführt wurden?“, Amsterdam 1848. Die etwas schwerfällige Fragestellung kennzeichnet gleichwohl in treffender und erschöpfender Weise den Gegensatz beider Ansichten. Es ist nicht möglich, in einer kurzen Übersicht alle von den Ver- tretern der beiden Ansichten geltend gemachten Beweisgründe zu be- sprechen. Nur die Hauptpunkte der zeitweilig sehr lebhaften Kämpfe um diese Frage seien kurz gekennzeichnet. Die Allochthonie kommt heute eigentlich nur in der ihr von Fayol gegebenen Form, die man kurz als „Deltatheorie* bezeichnen kann, über- haupt noch in Frage. Fayol und seine Anhänger und Nachfolger sehen in den Kohlenlagern mechanische Anschwemmungen transportierter Pflanzen- substanz an Fiußmündungen, im Gebiet des Mündungsdeltas, sei es, daß dieses in einem Binnensee oder im Meere aufgebaut wird. Als Beweise werden angeführt: die innige Verbindung der Kohlenlager mit den zweifel- los mechanisch transportierten und abgelagerten Sedimenten: Sandsteinen, Konglomeraten, Tonschiefern usw., die auf eine gleichartige Entstehung hin- weisen sollen, ein Eindruck, der noch durch das häufige Ineinandergreifen beider Bildungen verstärkt wird; die unregelmäßige Form und Lagerung sowohl der Kohlenflötze wie jener Sedimente, die häufige Mischung beider, die der Struktur der heutigen Deltabildungen entsprechen soll: die inner- halb der Kohlenmasse selbst zu beobachtende Schichtung. — Das Vor- kommen umgestürzter, liegender Baumstämme soll ebenfalls für die An- schwemmung beweisend sein, während der entgegengesetzte Fall, die auf- rechte Stellung vieler fossilen Bäume, nicht dagegen sprechen soll. da solche auch heute bei angeschwemmten Bäumen zu beobachten sei, sobald ihr Wurzelwerk durch anhaftendes Erdreich, Steine u. del. genügend be- schwert ist. Die Autochthoniker dagegen berufen sich auf die auffallende, wie oben erwähnt oft über ungeheure Flächenräume anhaltende Regelmäßigkeit der Kohlenablagerungen, das häufige, oft massenhafte Vorkommen auf- rechter, noch eingewurzelter und daher zweifellos an Ort und Stelle ge- wachsener Baumstämme, die gute Erhaltung der Pflanzenreste überhaupt — auch in den feinsten Teilen, die bei einem weiten Transport nicht denkbar wäre. Wie man sieht, beruhen die Meinungsverschiedenheiten nicht nur auf verschiedener Deutung bestimmter in der Natur gegebener Tatsachen (aufrechte und liegende Stämme, Schichtung ete.), sondern man geht in beiden Lagern z. T. von grundverschiedenen Beobachtungstatsachen aus: hier große Regelmäbigkeit und Reinheit der Flötze, regelmäßige Lagerung usw., dort von alledem das Gegenteil. Die Erklärung hierfür wurde bereits 138 A. Dannenberg. angedeutet, sie liegt in der Verschiedenheit der Ablagerungen selbst. Da nun die Gruppe der kleinen Becken vom „Typus Commentry“, wie wir sie kurz bezeichnen wollen, gewissermalien einen Ausnahmefall darstellt, gemessen an dem Umfang und der Verbreiterung der großen regelmäßig vebauten Becken, so wird man schon aus diesem Grunde mit der Über- tragung der dort gewonnenen Ansichten auf diese letzteren vorsichtig sein müssen. Nur einige Tatsachen seien zur Verdeutlichung des Gegensatzes beider Gruppen hervorgehoben. In den kleineu Kohlenbecken des französischen Centralplateaus — und dasselbe gilt von den gleichartigen Ablagerungen in Sachsen und Böhmen — erscheinen die Kohlen oft als unregelmäßige Massen, die stellenweise enorme Mächtigkeiten, bis zu 50 und 60 m, erreichen, aber rasch nach allen Seiten, sowohl in horizontaler Richtung wie nach der Tiefe, abnehmen, so daß oft schon nach wenigen 100 m, oder allenfalls einigen Kilometern kaum noch eine Spur vorhanden ist. Die Kohlenmassen werden durchsetzt von eben so unregelmäßigen Sand- und Geröllablagerungen, so daß beide geradezu miteinander verzahnt erscheinen, wie namentlich die schönen Abbildungen in der Monographie von Fayol zeigen. Die Pflanzenreste, auch Baumstämme, oft wirr durcheinander liegend, scheinen durch einen gewaltsamen Vorgang losgerissen und wieder abgelagert zu sein allerdings feblt es auch hier nicht an Beispielen des Gegenteils, eingewurzelten und am Orte ihres Wachstums begrabenen Stämmen. Anders die großen Kohlenfelder Deutschlands, Englands, Amerikas usw. Nirgends finden wir bier die enormen Mächtigkeiten wie in Centralfrankreich. Einige Flötze des oberschlesisch-polnischen Beckens, die auf 10—20 m anschwellen, oder das „Mammut- flötz“ in Pennsylvanien mit 114° Mächtigkeit, wovon 105° Kohle — also etwa 30m — stellen hier schon ganz vereinzelte Ausnahmsfälle dar. Meist bewegt sich die Mächtig- keit zwischen einem halben und 1--2 m. Dafür erstrecken sich aber diese Flötze mit geringen Änderungen über weite Flächenräume. Die Hauptflötze des großen oberschle- sischen Beckens, das noch weit nach Österreich (Mähren, Galizien) und Russisch-Polen hineinreicht, lassen sich in dieser ganzen Ausdehnung von wenigstens 5000—6000 km? verfolgen. Gewisse gut charakterisierte Flötze Westfalens erkennt man im Aachener Revier und darüber hinaus in Holland und Belgien wieder, auf eine Länge von 300 bis 400 km. Das Areal des Pittsburgflötzes in Pennsylvanien wird auf 35.000 km? berechnet, zieht man seine letzten, heute durch Erosion abgetrennten „Auslieger* in Betracht, so ergibt sich ein Flächenraum von 70.000— 80.000 km’. Den eigentlichen Prüfstein für diese wie für jede geologische Theorie bildet der Vergleich mit analogen, genau erforschbaren Vorgängen der Gegenwart. Wenn wir auch nicht erwarten dürfen, für alles Geschehen der geologischen Vorzeit einen genau entsprechenden Parallelfall in der Gegen- wart und innerhalb unseres Beobachtungsbereiches zu finden, so wäre es doch offenbar eine unwissenschaftliche Willkür, solche Parallelen, wo sie vorhanden sind, unbeachtet zu lassen und an ihrer Stelle mehr oder weniger künstliche Konstruktionen zur Erklärung heranzuziehen. Nun ist die einzige Art, wie sich gegenwärtig reine Ablagerungen von Pflanzen- material in größerer Ausdehnung bilden, der Prozef der Vermoderung und Vertorfung einer autochthonen Sumpfvegetation. Hier liegt der Schwer- punkt der ganzen Frage: nur ein Vorgang, der reine, von minerali- schen Beimengungen fast freie Pflanzensubstanz in weit aus- gedehnten und unter Umständen auch mächtigen Schichten liefert, kann als wirklich befriedigende Erklärung der Kohle- Die Kohlebildung als geologisches Problem. 139 bildung gelten. Daß kleinere, unregelmäßige und unreine Pflanzenan- häufungen auch auf anderem Wege, durch Zusammenschwemmnng alloch- thonen Materiales zustande kommen und der Vermoderung und Ver- kohlung unterliegen können, ist nie bestritten, bleibt aber unwesentlich für die Kohlenablagerung im großen. Erstaunlich ist namentlich die Reinheit vieler Flötze und ihr oft minimaler Aschengehalt. Dies wäre bei der Annahme mechanischer Sedimentation durch Transport völlig unverständlich. Auch die sinnreichen Konstruktionen von Ochsenius'), dem Haupt- vertreter der allochthonen Bildungsweise auf ‚deutscher Seite, können in dieser Bezie- hung nicht voll befriedigen. Treffend bemerkt Green?), daß der vorhandene Aschen- gehalt der Flötze auf die Pflanzensubstanz selbst zurückzuführen sein dürfte, also me- ehanisches Sediment überhaupt nicht beteiligt ist, das ist aber wiederum nur bei Torf- bildung denkbar. Die Schichtung, die von den Allochthonikern als Kennzeichen und Beweis mechanischer Sedimentation in Anspruch genommen wird, findet man auch bei zweifellos autochthonen Torflagern. Transportiertes Pflanzen- material, wie solches ebenfalls in den Schichten der Kohlenformation und anderwärts bekannt ist, findet sich stets zertrümmert, als „Häcksel“. Die wohlerhaltenen Blätter, Fruchtstände usw. im Hangenden der Steinkohlen- flötze müssen von dort gewachsenen Pflanzen herrühren. Der Einwand mancher Allochthoniker, daß auch der üppigste Wald nicht genug Material für ein einigermaßen nennenswertes Kohlenflötz liefern kann (s. u. a. Ochsenius, a. a. O., S. 85) erledigt sich dadurch, daß uuter den Bedingungen der Torfmoorbildung das Material beliebig vieler, aufeinander folgender (renerationen an derselben Stelle angehäuft wird. Es kehrt sich vielmehr, wie Stevenson?) gezeigt hat, dieser Entwurf gegen die Anhänger der Allochthonie im Sinne Fayols. Unter den positiven Kennzeichen der Autochthonie sind vor allen Dingen die aufrechten Stämme der baum- artigen Steinkohlenpflanzen und die Wurzelböden als besonders beweis- kräftig hervorzuheben. Erstere, zweifellos am Orte ihres Wachstums be- findlich, sind, wie die zahlreichen Angaben in der Literatur beweisen, eine gewöhnliche Erscheinung, nicht nur bei den großen, regelmäßig gebildeten Ablagerungen, sondern vielfach auch in den kleineren Becken Frankreichs (Grand Eury: Bassin houiller de la Loire) und anderer Länder, die so gern für die Anschwemmungstheorie in Anspruch genommen werden. Kann schon hier kaum ein Zweifel an der Bodenständigkeit dieser Vegetation aufkommen, so tritt diese noch überzeugender in den sogenannten „Wurzel- böden“ (underelays) zutage. Mit erstaunlicher Regelmäßigkeit zeigt sich in den verschiedenen Revieren Europas und Amerikas die gleiche Er- scheinung, daß die meist tonige Unterlage — an sich schon als Vor- bedingung der Moorbildung bemerkenswert — der Flötze, ihr „Liegendes“ !) Ochsenius, Die Bildung von Kohlenflötzen. Zeitschr. d. Deutsch. geol. Ges., 44, S. 84, 1892. ?) A. H. Green, Geology, I, pag. 257. London 1882. (Zitiert nach Stevenson.) ”) J. J. Stevenson, The coal basin of Commentry in central France. Ann. of New York Acad. of se. 19, pag. 161, 1910. 140 A. Dannenberg. von einem Netzwerk der Wurzeln der großen Steinkohlenpflanzen, den Stigmarien (Stigmaria ficoides, die Wurzeln der Sigillarien und Lepidodendren) durchzogen wird. Es ist keine andere Deutung möglich, als daß hier der fossile Waldboden vorliegt, in dem die Kohlenvegetation wurzelte. Daß es sich etwa um mit Wurzeln verfrachtete und abgelagerte Bäume handeln könne, erscheint für den Kenner dieser Verhältnisse schon wegen der Regelmäßigkeit der Erscheinung und der gleichförmigen Durchwurzelung des Bodens ausgeschlossen. Eingehend nachgewiesen wurde die Unmög- lichkeit einer solchen Deutung noch durch Potoni‘!), auf Grund der Fr- haltungsweise dieser Fossilien. Dieselbe Erscheinung wiederholt sich im Tertiär bei den Braunkohlen, wo wir wiederum die schönsten . fossilen Wälder, an den eingewurzelten Stümpfen kenntlich, in vielen Revieren finden — nur dab der allgemeinen Entwicklung der Pflanzenwelt ent- sprechend an die Stelle der baumförmigen Kryptogamen der Steinkohlen- formation andere Gewächse, vorwiegend Coniferen, getreten sind. Diese Bildungsweise und die Wachstumsverhältnisse der Braunkohlenwälder stimmen wieder völlig überein mit den Verhältnissen der heutigen Wald- moore, die z. T. sogar noch dieselben Bäume tragen. Dal neben den auf- rechten, eingewurzelten, auch umgestürzte Baumstämme vorkommen, ist gerade auch im Hinblick auf die heutigen Wälder und Moore so selbst- verständlich, daß auf solchen Beobachtungen kein ernsthafter Einwand gegen die autochthone Entstehung gegründet werden kann. Erst wenn sich das Verhältnis umkehrt, wenn wirr durcheinandergeworfene Stämme, die dann vielleicht auch noch ihrer Kronen, Wurzelanhänge und sonstigen feineren Teile beraubt sind, die Regel bilden, und aufrechte Stämme da- neben nur vereinzelt auftreten, auch nicht zweifellos eingewurzelt er- scheinen, hat man die Kennzeichen allochthoner Bildung, einer Zusammen- schwemmung von Treibholzmassen vor Augen. Die meisten Einwände, die man der autochthonen, oder wie man präziser wohl gleich sagen kann, der Torfmoortheorie, entgegengehalten hat, haben sich mit der Vertiefung und Ausdehnung der Kenntnis der heutigen Moore als hinfällig erwiesen. So die Annahme, daß höhere Pflanzen, be- sonders Bäume, auf Torfboden nicht gedeihen könnten. Ferner wiesen die (segner der Autochthonie auf den angeblich tropischen Charakter der Steinkohlenflora hin, während Torfmoore in der heutigen Welt sich nur in gemäßigtem und kaltem Klima bilden sollten. Der tropische Charakter der Steinkohlenflora muß wohl zurzeit noch nicht als sicher erwiesen gelten, wenngleich gerade in neuerer Zeit von botanischer Seite (u. a. von Potoni£) gewichtige Gründe dafür geltend gemacht worden sind (beson- ders das Fehlen von Jahresringen sowie das häufige Auftreten stamm- bürtiger Blüten) — völlig grundlos aber ist die Behauptung, daß Torf- moore in tropischen Gegenden nicht vorkämen und sich überhaupt nicht bilden könnten. Die Entdeckung echter tropischer Torfmoore ist nicht %) H. Potonit, Eine gewöhnliche Art der Erhaltung von Stigmaria als Beweis für die Autochthonie von Carbonpflanzen. Zeitschr. d. Deutsch. geol. Ges. 45, S. 97, 1893. Die Kohlebildung als geologisches Problem. 141 einmal eine Errungenschaft der neuesten Zeit, nur waren die Nachrichten hierüber, wie so oft das Schicksal wissenschaftlicher Beobachtungen ist. für die man gerade keine Verwendung hat. übersehen und in Vergessenheit geraten. Schon aus älteren Berichten läßt sich mit mehr oder weniger Sicherheit das Vorhandensein von ausgedehnten Torfmooren im tropischen Afrika und Südamerika entnehmen. Besonders entwickelt sind diese Bildungen auf den großen Inseln des austral- asiatischen Archipels. Schon im Jahre 1794 erwähnt Andersson Torf aus Sumatra. Be- sonders ist hier das große, etwa 80.000 ha umfassende Torfmoor auf der Ostseite von Sumatra zwischen den Flüssen Siak und Kampar in den letzten Jahren durch die Untersuchungen von Koorders genauer bekannt geworden!) Auf Java findet sich im Ambaratal (Residentschaft Samarang) ein bereits von Junghuhm entdecktes, ca. 4000 ha großes Torfmoor „Rawak Penning“, wovon heute allerdings nur noch 1500 ha im Ur- zustand sind. Die Mächtigkeit beträgt nach Bohrungen bei Fort Willem I 30—31 m! Auf Borneo sind Torfmoore besonders im südlichen Teil entwickelt, in den Flußnie- derungen des Barito, Kahajan, Kapuwan. Sie finden sich aber anch in Nordborneo und in Sarawak. Sehr reich an Torfmoorbildungen ist auch Neuguinea. Im Distrikt Meranke sind 224.000 Aa mit Moor bedeekt usw. Die tropischen Moore sind leicht der Kultur zugänglich. Auf Java und Sumatra sind sie heute schon zum großen Teil in Reis-, Zucker- und Tabakpflanzungen umgewandelt. (Wichmann, The fens of the Indian archipelago. Konigl. Akad. van Wetenschapen te Amsterdam, Sitz. vom 29. Mai 1909.) Als besonders bemerkenswert hebt Wichmann (a. a. 0.) die grobe Gleichförmigkeit des tropischen Torfes hervor, wodurch die Ähnlichkeit mit der Steinkohle noch erhöht wird. Wie also schließlich auch die Frage nach dem tropischen oder nicht- tropischen Charakter der Steinkohlenflora sich entscheiden mag — ein Hindernis für die Annahme der Torfmoortheorie wird sich nicht daraus ergeben. In ähnlich befriedigender Weise scheint sich auch ein anderer, scheinbar sehr gewichtiger Einwand gegen diese Vorstellung zu erledigen, nämlich das Auftreten xerophiler Merkmale an den Steinkohlenpflanzen, die mit so extrem feuchten Standorten, wie ein Torfmoor darstellt, ın unlöslichem Widerspruch zu stehen scheinen. Aber auch hier eben nur scheinbar. Es hat sich nämlich herausgestellt, daß der Torfboden sein Wasser äußerst zäh festhält, so daß für die darauf wachsenden Pflanzen kaum etwas verfügbar ist, und sie fast ganz auf die Niederschläge an- gewiesen bleiben. Auch bei den Pflanzen der heutigen Torfmoore sind daher Einrichtungen zum Überstehen von Trockenheit, also xerophile Merkmale entwickelt. Eine Bestätigung dieses Sachverhaltes kann auch darin gefunden werden, daß manche Vertreter der Torfmoorflora — es sei nur an die bekannte Haide, Calluna, erinnert — außerhalb des Moores auf trockenem Boden wachsen?), wo sie derselben Schutzeinrich- ') Vgl. auch die Darstellung von Potonic, Die Tropen-Sumpfflachmoornatur der Moore des produktiven Carbons ete. Jahrb. d. preuß. geol. L.-A. XXX, Bd. 1, 5. 389, 1909. ?) Auch Wichmann bemerkt bezüglich der tropischen Torfmoore, daß dieselben Bäume wie im Moor auch außerhalb, auf trockenen Standorten wachsen. Auf die Ver- hältnisse des Carbons angewandt, ergibt sich daraus die Folgerung, daß auch ein 142 A. Dannenberg. tungen bedürfen. Etwas analoges zeigen die Pflanzen der in ihrer Gesamt- heit als Mangrove bezeichneten Ptlanzengesellschaft, die für tropische Flachküsten bezeichnend ist: auch hier, trotzdem die Wurzeln und unteren Stammteile von Wasser umspült sind, xerophile Merkmale! Die Erklärung lieet in diesem Fall in der Beschaffenheit des Meerwassers, das für diese Pflanzen nicht verwendbar ist. In beiden Fällen, beim Torfmoor und in den Salzwassersümpfen der Mangrove, liegt trotz Wasserüberflusses im Boden „physiologische Trockenheit“ vor. Die Allochthoniker, namentlich soweit sie sich Fayol anschließen, sehen in den Steinkohlenflötzen zusammengeschwemmtes und an Flußmün- dungen, in Deltas, abgelagertes Pflanzenmaterial. Ein eigentliches Seiten- stück hierzu läßt sich, wie schon bemerkt, unter den rezenten Ablagerungen kaum nachweisen. Die früher hierfür in Anspruch genommenen Bildungen im Mississippi- und Gangesdelta haben sich mit größter Wahrscheinlich- keit als versunkene Waldsümpfe, also als autochthone Ablagerungen heraus- gestellt. Noch mehr; Fayol muß zur Durchführung seiner Theorie groß- artige Überschwemmungen, wolkenbruchartige Regengüsse, kurz Ereignisse von fast katastrophenartiger Heftigkeit — er glaubt deren Spuren auch sonst im Bau des Beckens von Commentry zu finden — annehmen, wo- durch entweder die lebende Vegetation oder schon vorhandene Torfmoore von ihrem Wachstums- und Bildungsort losgerissen und im Mündungs- zebiet wieder abgelagert werden sollten. Derartige Gewaltakte der Natur als Teile des regelmäßigen Entwicklungsganges einzuführen, ist an sich schon bedenklich. Die von Fayol angerufenen Kräfte sind aber auch un- zulänglich, die ihnen zugeschriebenen Wirkungen hervorzubringen, wie Stevenson an verschiedenen Stellen eingehend dargetan hat. Gerade bei dem von den Allochthonikern mit Vorliebe angerufenen Beispiel des Mississippi zeigt sich, dab auch die stärksten Wasserfluten nicht imstande sind, die geschlossene Vegetationsdecke oder vorhandene Torfmoore von ihrem Standorte loszureißen. Als regelmäßige und normale Ursachen der Flötzbildune können daher diese Kräfte nicht in Betracht kommen. Es war nötig, diese zum Teil auf biologisches und pflanzenphysiolo- gisches (sebiet übergreifenden Vorfragen nach Art und Lebensbedingungen des in den Steinkohlenflötzen niedergelegten Pflanzenmateriales etwas eingehender zu behandeln, da nur hierdurch ein fester Boden für die Er- örterung des eigentlichen geologischen Problems zu gewinnen ist. Wenn wir uns jetzt diesem zuwenden, so haben wir dabei wesentlich folgende (sesichtspunkte zu berücksichtigen: 1. die topographischen Ver- hältnisse, unter denen sich die Moore der Steinkohlenzeit, aus denen später die Flötze hervorgingen, bilden konnten. 2. die besonderen geolo- gischen Bedingungen, die es ermöglichten, daf) dieser Vorgang nicht nur einmal stattfand, sondern sich an derselben Stelle oftmals, zuweilen hundert- eventuelles Vorkommen von Sigillarien, Calamiten ete. unter anderen Verhältnissen noch keinen Beweis gegen die Torftheorie bilden würde. Die Kohlebildung als geologisches Problem. 143 fach, wiederholen konnte, wobei die allgemeinen Ablagerungsbedingungen dieselben blieben. Stellen wir uns auf den Boden der Lehre von der autochthonen 3ildung der Kohlenilötze, so werden wir uns als Stätten der Ablagerung ausgedehnte, mehr oder weniger sumpfige (moorige), von einer entspre- chenden Vegetation bedeckte Niederungen zu denken haben. Eine anschau- liche Vorstellung solcher Verhältnisse kann uns der großenteils von Sumpf- wäldern und Torfmooren eingenommene Tieflandgürtel geben, der sich südlich der Nord- und Ostsee von Belgien und Holland durch Norddeutsch- land bis Rußland hinzieht, zumal wenn wir uns in den Urzustand dieses (sebietes zurückversetzen, bevor die Kultur die Wälder und Sümpfe auf ihren heutigen Umfang eingeschränkt hätte. Die Moostundren im nörd- lichen Rußland und in Nordsibirien sind weitere Beispiele einer entspre- chenden Topographie. Da die Pflanzenwelt des Carbons, und auch die der Braunkohlenformation, vorwiegend baumartigen Charakter hatte, werden wir. allerdings unseren Vergleich nicht auf den Pflanzenbestand dieser hochnordischen Moosmoore mit Sphagnum, Hypnum u. a. ausdehnen dürfen, sondern müssen vielmehr an Waldmoore denken, wie solche schon in unseren Breiten nicht selten sind. in großartigster Entwicklung aber in der wärmeren gemäßigten und in der heißen Zone erscheinen. Typische Vorbilder, geradezu Schulbeispiele für die Boden- und Vegetationsverhält- nisse sowie für die Ablagerungsbedingungen der Steinkohlenflötze bieten die Waldsümpfe an den atlantischen Flachküsten der Vereinigten Staaten. Schon ZLyell erkannte ihre Bedeutung für das Verständnis der carbonischen Ablagerungen. Das bekannteste. seit Lyell oft in diesem Zusammenhang angeführte Beispiel ist der „great dismal swamp“ in den Staaten Vir- ginia und Nordkarolina, zwischen dem Jamesflusse und dem Albemarlesund gelegen. In einer Ausdehnung von 500 Quadratmeilen (engl.) erhebt sich dieses Gebiet nur wenige Fuß über den Flutwasserspiegel und stellt ein typisches Waldmoor dar. Seine Hauptbäume sind die Sumpfzypresse (Taxodium distichum), Juniperus virginiana, Nyassa sylvatica. Daneben ist noch Schilf ein wesentlicher Bestandteil der Vegetation. Diese Pflanzen sind zugleich die Haupttorfbildner. Moos (Sphagnum) spielt nur eine unter- geordnete Rolle. Im westlichen Teil liegt der seichte, nur etwa 6 Fub tiefe Drummondsee. Den Boden bildet eine wenigstens 15 Fuß mächtige Tort- schicht, die durch die fallenden und absterbenden Bäume, Zweige und Blätter noch ständig erhöht wird. Hier haben wir alle Bedingungen der Kohle- bildung vereint, es braucht nur das geologische Alter hinzuzutreten. Mit den autochthonen Braunkohlenflötzen ist die Analogie vollkommen und erstreckt sich sogar auf den Hauptwaldbaum, Taxodium distichum, das fossil in den Braunkohlenflötzen des jüngeren Tertiärs in wenig abweichenden Varietäten (Taxodium distichum miocaenieum und pliocaenicum) in genau derselben Weise auftritt, wie seine lebenden Nachkommen an der amerikanischen Ostküste. !) 1) Vgl. Potonie, Über die Autochthonie von Carbonflötzen und des Senftenberger Braunkohlenflötzes. Jahrb. d. preuß. geol. Land.-Anst. 16, S. 1, 1895. 144 A. Dannenberg. Ähnlich, aber noch größer als der „Dismal“ ist der Okefinokee- Sumpf in Südgeorgia. Die „Everglades”“ von Florida bedecken eine Fläche von 7000 Quadratmeilen (etwa 20.000 km). Die gleiche Pflanzen- und Bodenformation zieht sich von der atlantischen an die Küste des mexikanischen Golfes. Hier haben wir einen torfbildenden Waldmoorgürtel, der sich an Ausdehnung wohl mit den großen Kohlenrevieren vergleichen läßt. Die tropischen Waldmoore sind schon an früherer Stelle besprochen. Ob die Mangrove eine Stätte der Torfbildung ist, scheint noch nicht festgestellt zu sein. Diese zum Teil noch im Bereich der Flut stehenden Küstenwald- moore stellen einen fest charakterisierten Typus der Torfbildung dar. Ein anderer ist in den binnenländischen Torfmooren, verlandenden Seen usw. gegeben. die unter wechselnden topographischen Verhältnissen und mit wechselnder Flora in den verschiedensten Zonen auftretend doch immer wesentlich denselben Vorgang darstellen. Dieselben beiden Typen begegnen uns in den Steinkohlenbildungen und werden seit Friedrich Naumann (Lehrbuch der Geologie, Il, 1854, S. 451, 271) als limnische, d.h. Binnenablagerung und paralische, d.h. Küstenbildungen, unter- schieden. Bietet somit vom Standpunkt der Autochthonie die Erklärung der Kohlenbildung, was die Herkunft des Materiales und seine Ablagerungs- weise sowie die ‚horizontale Verbreitung dieser Ablagerungen und ihre topographischen und klimatischen Vorbedingungen betrifft, kaum noch irgendwelche Schwierigkeiten, da wir uns überall auf die denkbar voll- kommensten Analogien in der heutigen Welt stützen können und ferner in den tertiären Braunkohlen ein wichtiges Bindeglied zwischen der re- zenten Torfbildung und den vorwiegend paläozoischen Steinkohlen besitzen, so sehen wir uns einem ernsteren Problem gegenüber, sobald wir die ver- tikale Entwicklung der großen Kohlenablagerungen, speziell der großen carbonischen Steinkohlenbeeken ins Auge fassen. Die produktive, d.h. die tlötzführende Abteilung des Saarbrücker Beckens stellt eine mindestens 3000 m mächtige Schichtenfolge dar. Auch die niederrheinisch-westfälische Ablagerung ist auf wenigstens 3000—4000 m zu veranschlagen, die ober- schlesische erreicht vielleicht 5000 » Stärke und ähnliche Werte ergeben sich für die großen Kohlenfelder Belgiens, Englands, Nordamerikas usw. In diesen gewaltigen Schichtenkomplexen zählen die Kohlenflötze, wenn- gleich sie nur einen untergeordneten Teil des Ganzen — meist nur wenige Prozent — ausmachen, nicht selten nach Hunderten. Die einschließenden Schichten bestehen nicht nur aus Küsten- und Binnensedimenten mechani- scher Natur mit Landpflanzen und einer Land- und Süßwasserfauna, wie wir sie an den geschilderten Bildungsstätten erwarten dürfen, sondern es beteiligen sich daran auch Meeresablagerungen mit unzweifelhaft mariner Fauna. Hier scheint eine ernste Schwierigkeit für das Verständnis dieser Ablagerungen zu liegen. Für die Entwicklung so mächtiger Schichten- systeme bieten die flachen Küstenlandschaften, die wir als Bildungsstätten Die Kohlebildung als geologisches Problem. 145 annahmen, keinen Raum, zudem stehen die marinen Ablagerungen im Widerspruch zu der terrestrischen Entstehung als Moore. Alle im vorher- gehenden Abschnitt gewonnenen Resultate scheinen in Frage gestellt! Schließlich bliebe auch die Herkunft so ungeheurer Sedimentmassen zu erklären, die ausreichend wären, einen tiefen Ozean auszufüllen. Was den ersten Teil des Problems betrifft, die Tiefe der für so überaus mächtige Sedimente erforderlichen Ablagerungsräume, so scheint dies allerdings unvereinbar mit den zuvor abgeleiteten Bedingungen der autochthonen Kohlenbildung und könnte, namentlich in Verbindung mit den marinen Einlagerungen, eher im Sinne der „Tangtheorie“ oder einer ähnlichen Ablagerung in großen Meerestiefen gedeutet werden. Um die im übrigen so wohlbegründete autochthone Anschauungsweise zu retten, werden wir genötigt, Verschiebungen anzunehmen; Schwankungen des festen Landes oder des Meeresspiegels, u. zw. genügt, wie leicht einzusehen, eine einfache aber ungleichförmige, von Pausen unterbrochene Senkung. Ausgehend von dem oben gekennzeichneten Stadium einer mit Torfmoor bedeckten Flachküste, würde eine verhältnismäßig rasch erfolgende Sen- kung die fertige Torfmasse unter den Meeresspiegel bringen. Die Ent- wicklung des Torfmoores selbst wäre damit natürlich abgeschlossen, die Pflanzen müßten absterben, das tote Moor aber würde von Sediment — sei es vom Lande herbeigebracht oder marin — bedeckt und damit konser- viert und der weiteren Entwicklung, eventuell bis zur Steinkohle, entgegen- geführt. Ein Aufhören oder eine wesentliche Verlangsamung der Senkung würde bei fortgesetzter Sedimentzufuhr die Auffüllung bis an den Wasser- spiegel zur Folge haben. Die so gebildete sumpfige Küstenebene würde aufs neue vom Land her von der moorbildenden Vegetation besetzt und so die Bildung einer neuen Torfschicht, über der versunkenen ersten, ein- geleitet werden, bis neuerdings beschleunigte Senkung auch diese wieder ertränken und mit Sediment eindecken würde. Der Vorgang ist leicht vorstellbar und an unseren heutigen Küsten — falls wir nur längere Zeiträume in Betracht ziehen — sozusagen eine alltägliche Erscheinung. Überraschend ist nur der ungeheuere Umfang der Senkung — zeitlich und räumlich —, den wir darnach für unsere größeren Kohlenbecken annehmen müßten. Wir müssen daher auch diese Vorstellung der Prüfung durch den Vergleich mit möglichst entsprechenden Vorgängen der Gegenwart oder wenigstens einer jüngeren und daher für uns leichter kontrollierbaren geologischen Vergangenheit unterwerfen. Wir werden dann die aus der Theorie ab- geleitete Forderung im vollsten Umfange bestätigt finden. Die zuvor betrachtete atlantische Küste Nordamerikas gilt als Sen- kungsgebiet; das vordringende Salzwasser tötet die Vegetation und die älteren Waldmoore sind bereits unter den Küstenanschwemmungen begraben. Die gleichen versunkenen Waldmoore finden wir an den Küsten des mexikanischen Golfes, ebenso im Ganges-Bramaputradelta. Nicht anders in Europa: Wo sich heute südlich der Nord- und Ostsee das weite, viel- fach mit Torfmooren bedeckte Flachland ausbreitet, findet man auch im 146 A. Dannenberg. Untergrunde in oft vielfacher Wiederholung gleichartige Ablagerungen durch Sand- und Tonschiehten getrennt. Diese unter das Meeresniveau versunkenen Wälder und Torfmoore beweisen eine seit dem Diluvium er- folgte Senkung der deutschen Nordseeküste um mindestens 20 m. Im all- gemeinen hielt die Auffüllung durch Sediment mit der Senkung Schritt, jedoch geriet zeitweilig, eben bei schnellerer Senkung, das Küstengebiet unter das Meer. das dann seine Ablagerungen mit Meeresmuscheln (be- sonders Uardium) zurückließ, wie man solche aus dem Boden der nord- deutschen Tiefebene kennt, zwischen Moränen der Eiszeit und diluvialen Torflagern. Die Torfbildung selbst entspricht wahrscheinlich einem statio- nären Zustand oder einer sehr langsamen Senkung, die durch das Dicken- wachstum des Moores ausgeglichen werden konnte. Lehrreich ist hier das von Lori!) mitgeteilte Profil des holländischen Bodens: Oben: Tork. „Arsch beine ka Ton. Sand und Kalk, zum Teil mit marinen Diatomeen 08 . toniger Sand mit Cardium und Serobieularia. . . . 59. schwarzer "Torf... %, un au. Se zäher blaugrauer Ton «4 !. =... =. =11su2..01 a Unten: schwarzer: Torf. =... «102.181 ans na022 2 2 Diese Ablagerungen, gewissermaßen ein Modell der Steinkohlen- schichten im kleinen, erstrecken sich über Tausende von Quadratkilometern durch Holland und Belgien nach Frankreich hinein, sowie andrerseits an der deutschen Nordseeküste entlang. Das weite Tiefland am Niederrhein und an der unteren Maas bildete ursprünglich eine Meeresbucht, die von ihrem inneren Ende bei Köln und Bonn einerseits, bei Lüttich und Mastricht andrerseits allmählich durch die Anschüttungen dieser Ströme, abwechselnd mit Meeressedimenten, auf- gefüllt wurde. Von den so gebildeten sumpfigen Küstenniederungen ergriff die tertiäre Braunkohlenvegetation Besitz und führte zur Bildung mächtiger, typisch autochthoner Flötze. Wiederholte, bald schnellere, bald langsamere Senkung begünstigte diesen Vorgang, den Tesch :) folgendermaßen darstellt: Schon in altpliocäner Zeit begann die Auffüllung dieses Meeresbeckens durch Maas und Rhein — „bis zum Ende der Tertiärzeit hat der Absatz dieser Sedimente die allmähliche Senkung des Meeresgrundes nahezu aus- geglichen“ — „durch die plötzlich gesteigerte Transportkraft der Flüsse (Anm.: auf diesen Punkt wird weiter unten eingegangen werden) und die gewaltige Zufuhr von Erosionsprodukten in diluvialer Zeit wurde dieser Absatz so stark, daß die Oberfläche des Deltas über den Meeresspiegel hinausragte“. Schließlich schob sich im Diluvium das Rhein-Maasdelta über die Nordsee bis an die englische Küste vor. *) Lorif, Les dunes int@rieures, les turbieres basses et les oseillations du sol. — Arch. du mus. Teyler. 2e Ser., 3, pag. 424 und 444, 1890. Zit. nach Stevenson. *) Tesch, Der niederländische Boden. Die Kohlebildung als geologisches Problem. 17, Schon diese Beispiele dürften genügen, um zu zeigen, daß das Widerspiel von Senkung und Auffüllung mit gelegentlichen, die Torf- bildung begünstigenden Stillständen keine willkürliche, der Theorie zuliebe eingeführte Annahme ist, sondern sich in vollendeter Weise in der Natur verwirklicht findet. Die auffallende Verknüpfung von terrestrischen Schichten mit Land- pflanzen und Kohlenflötzen und von Meeresablagerungen, die gewisse Regionen der Steinkohlenformationen kennzeichnet, finden wir in ganz gleicher Weise in den heutigen in Senkung befindlichen Küstengebieten wieder. Ja wir sehen weiter, daß die Ablagerungen limnisch-terrestrischer Natur mit solchen marinen Ursprungs nicht nur in vertikaler Richtung abwechseln, sondern auch in horizontaler Richtung ineinander übergehen. So finden wir dieselben Tertiärstufen (Oligocän, Miocän, Pliocän), die im Inneren der niederrheinischen (Kölner) Bucht durch fluviatile Kiese, Sande und Tone mit Braunkohlenflötzen vertreten sind, nach Norden als marine Schichten ausgebildet. In ähnlicher Weise sieht man z. B. in der appal- lachischen Region Nordamerikas die limnischen flötzführenden Ablage- rungen des Karbons nach Westen in Meeresbildungen übergehen, ent- sprechend der Richtung von der Küste des Karbonfestlandes zum offenen Meere. Es liegt auf der Hand, welchen Wert derartige Beobachtungen für die Rekonstruktion der paläogeographischen Verhältnisse haben, und wie deren Kenntnis wiederum das Verständnis der Ablagerungsbedingungen fördern muß. Welche gewaltigen Wirkungen sowohl in bezug auf die Anhäufung von mecha- nischem Sediment als auch auf das Anwachsen der autochthonen Torflager (bzw. Kohlen- flötze) eine fortgesetzte, aber von gelegentlichen Pausen unterbrochene, also gewisser- maßen rhythmische Senkung hervorbringen kann, dafür sei noch ein Beispiel aus der jüngeren geologischen Vergangenheit angeführt, und zwar wieder aus dem jungen Senkungsfelde der niederrheinischen Bucht im Mündungsgebiete von Maas und Rhein. Gerade dieses Gebiet eignet sich besonders zum Studium der uns hier interessierenden Verhältnisse, weil sein Boden durch eine große Zahl von Bohrungen, die zur Auf- suchung des versunkenen Steinkohlengebirges in Deutschland, Belgien und Holland aus- geführt worden sind, bis in große Tiefen untersucht und daher nach Aufbau und Schichtenlagerung genau bekannt ist. Diese Aufschlüsse zeigen, daß hier die Senkung während des ganzen Tertiärs angedauert hat, allerdings unter erheblichen Schwankungen, die durch wiederholten Wechsel von Vordringen und Rückzug des Meeres gekennzeichnet sind. In allen Abschnitten der Tertiärzeit aber gab es Perioden, in denen durch Ent- wicklung flacher Sumpf- und Küstenmoore die Bedingungen für die Bildung späterer Braunkohlenflötze gegeben waren. Eine solche Bildung, entsprechend einem Festlands- stadium, findet sich gleich zu Anfang der Tertiärzeit im Paläocän; sie wird bedeckt von marinen Sanden und Kalken, die verstärkte Senkung und Vordringen des Meeres anzeigen, das auch im Öligocän (vom Eocän ist wenig bekannt) seine Herrschaft be- hauptet. Zu Ende des Oligoäns beginnt dann die Ausfüllung mit Flußgeröllen (,„Vallen- darer Stufe“) und nun breiten sich in dem flachen Küstenschwemmland die Waldmoore des Miocäns aus, die durch ‚wiederholte Senkungen unter sandigem und tonigem Sedi- ınent begraben, die heutigen Braunkohlenflötze des „Vorgebirges“, westlich von Köln, lieferten. Bei langsamer Senkung konnte sich das Moor durch sein Diekenwachstum lange Zeit behaupten, und so entstanden hier autochthone Flötze von geradezu er- staunlicher Mächtigkeit. Erreicht doch das Hauptflötz des Vorgebirges stellenweise, wo E. Abderhalden, Fortschritte. X. 13 148 A. Dannenberg. die Bedingungen hierfür — d.h. die langsame und andauernde Senkung, die sich auch in den tektonischen Verhältnissen zu erkennen gibt — besonders günstig waren, über 100 m, wohl die größte überhaupt bekannte Mächtigkeit eines einzelnen Flötzes. Erneute und verstärkte Senkung im späteren (Mittel-) Miocän macht der Moorbildung ein Ende, bewirkt aber um so stärkere Sedimentaufschüttung. Den Höhepunkt erreicht dieses Widerspiel von Senkung und Auffüllung einerseits, Ruhelage mit Moorbildung andrer- seits im jüngsten Abschnitt des Tertiärs, im Pliocän. Hier zeigt sich zum ersten Male die Wirksamkeit der heutigen großen Ströme Rhein und Maas, die mit ihren gewaltigen Sand- und Kiesmassen das Senkungsgebiet immer wieder anfüllen und so die große Meeresbucht mit ihren Anschwemmungen zuschütten und damit den Boden bereiten, auf dem in den Pausen der Senkungsbewegung die kohlebildenden Küstenwaldmoore aufsprießen. Schrittweise wird hierdurch während des Pliocäns das Meer nach Norden zurückgedrängt. Treffend kennzeichnet Fliegel!) die Sachlage: „In dem Grade also, wie in jungpliocäner Zeit die Meeresküste zurückweicht, schieben sich die Flußablagerungen (Anm.: es handelt sich hier um die sogenannten Kieseloolithschichten oder die Duis- dorfer Stufe) nach Nordwesten vor“ und weiter: „die Ursache ist sicher in dem durch lange geologische Zeiträume anhaltenden Sinken des Küstengebietes zu suchen“. In bezug auf die Entwicklung der Koblenablagerungen unter diesen Verhältnissen äußert sich Holzapfel?) nicht weniger treffend und anschaulich: „Die Ablagerung der Braunkohlenformation (Anm.: gemeint ist die pliocäne Braunkohlenformation am Nieder- rhein) erfolgte in einem flachen, von lagunenartigen Gewässern bedeckten Gebiet, in das von dem im Süden gelegenen Lande Schlamm und Sand in großen Mengen einge- schwemmt wurde, so daß sich Schuttkegel und Sandbänke bildeten mit zwischenliegenden Wasserflächen, so daß die Sedimentbildung ganz ungleichmäßig erfolgte, und Sande, sandige Tone, tonige Sande und reine Tone nebeneinander abgelagert wurden. Vielleicht stellen die Kohlenflötze, wenn auch in wechselnder Mächtigkeit, noch die am weitesten aushaltenden Schichten vor. Die große Mächtigkeit dieser Braunkohlenformation findet ihre Erklärung in der Annahme, daß ihre Ablagerung auf sinkender Unter- lage stattfand. Es stellt so die Braunkohlenformation ein getreues Ab- bild der flötzführenden Steinkohlenformation dar.“ Die Mächtigkeiten, die diese Aufschüttungen entsprechend der durch sie stets annähernd kompensierten Senkung erreichten, sind in der Tat ganz gewaltige. Allein die jüngste Abteilung, das Pliocän, erreicht in der (segend von Aachen und Düren 400—500 m, in einer Bohrung bei Pier (s. u.) sogar über 700 m! Die Mächtigkeit des ganzen Tertiärs übersteigt in der Bohrung Molenbeersel in Belgien, nahe an der holländischen Grenze, 1000 m bei weitem, seine Basis ist hier noch nicht erreicht; allein das Pliocän beträgt hier wahrscheinlich ca. 760 m. Zur besseren Veranschaulichung dieser Verhältnisse sei hier noch das Profil der erwähnten Bohrung Pier in verkürzter Form wiedergegeben. Oben: Alluvium und Diluvium . . . 2.2.2 2... 47m Sand und Ton . 553, Braunkohle | nn Sand und Ton Pliocän ee ;raunkohle | | NW .. DE Sand und Ton ') @. Fliegel, Die Beziehungen zwischen dem marinen und kontinentalen Tertiär im niederrheinischen Tieflande. Zeitschr. d. deutschen geol. Gesellsch., 63, 1911, S. 527, P. ?) E. Holzapfel in: Erläut. z. geol. Karte v. Preußen, Bl. Düren, 8. 17. Die Kohlebildung als geologisches Problem. 149 Oben: Braunkohle 25 m Sand und Ton 1) Braunkohle aNzuR 4 0) ana 4 1 SZBBER Pliocän FINN. 4 „ Braunkohle . . AI B) Toismannra) BR. 3 Braunkohle BRAD 7 Sand und Ton FIIR, 19 Braunkohle | Hsr | ae ar Sand und Ton N Eiecaanue 289, Braunkohle Miocan | 9 Sand und Ton | SURINEE Marines Oligocän Ser 54 bei 723 m Tiefe: Kohlengebirge (Karbon). Wenn wir auf die bisher besprochenen geographischen und topo- graphischen Verhältnisse der Bildungsstätten der ausgedehnten rezenten und diluvialen Torflager, der großen Waldmoore und der tertiären Braun- kohlenbildungen zurückblicken, so sehen wir, daß es sich in allen Fällen um ausgedehnte sumpfige Flachküsten handelt, und daß die Ablagerung in der unmittelbaren Nähe des Meeres erfolgte, das nicht selten über das Küstenland vordringend die terrestrischen Ablagerungen samt den Moor- bildungen überflutet und unter seinen Ablagerungen begräbt. Genau die- selben Verhältnisse finden wir bei den meisten, und zwar den ausge- dehntesten und wichtigsten Steinkohlenablagerungen: über einer Basis von marinen Schichten (Kohlenkalk, Kulm) entwickelt sich die terrestrisch- limnische Sedimentreihe mit den Kohlenflötzen, zunächst noch in ständigem Wettstreit mit dem Meere und dessen oft siegreichem Andringen, wie häufige Einlagerungen mariner Schichten bewiesen, während in der weiteren Entwicklung das Meer meist endgültig zurückgedrängt wird und daher die höheren Horizonte des Steinkohlengebirges meist frei von solchen Ein- lagerungen sind. Wir haben es also in allen diesen Fällen, nach der oben angeführten Terminologie von Naumann, mit paralischen Torfen, Braun- kohlen- und Steinkohlenflötzen zu tun. Wir können dasselbe Resultat auch auf einem anderen Wege erhalten. Tragen wir die Lage der groben Kohlenbecken in eine geographische Karte der Karbonzeit!) ein, so sehen wir, daß sie allemal an die Küstenränder der damaligen Kontinente und in Buchten des Karbonmeeres zu liegen kommen, von bzw. aus denen sich das Meer im Laufe der späteren Karbonzeit mehr und mehr zu- rückzog.?) ') Vgl. z. B. die Rekonstruktionen in Frech, Lethaea palaeozoica, Bd. 2, Stutt- gart 1897— 1902. °) Hierzu ist allerdings zu bemerken, daß bei Konstruktion dieser paläogeogra- phischen Karten selbstverständlich die Anordnung der Kohlenbecken mit als Grundlage 13* 150 A. Dannenberg. Die zweite Gruppe, die der limnischen Kohlenablagerungen, tritt gegenüber den paralischen an Bedeutung sehr zurück, was schon durch die meist geringe räumliche Ausdehnung der binnenländischen Bildungs- stätten bedingt wird. Ihre Hauptvertreter in Deutschland sind, wie schon erwähnt. die sächsischen Kohlenbecken, dazu gesellen sich kleine Vor- kommen am Harz, in der Halleschen Gegend (Wettin, Löbejün) u. a. m., ferner gehören hierher die böhmischen Becken (Pilsen, Kladno, Radnitz u. a.) und als besonders typisch die gleichfalls schon namhaft gemachten kleineren und größeren Becken im Bereich des französischen Zentralplateaus.!) Sehen wir uns für diese Vorkommen nach Parallelfällen in der Gegenwart um, so dürfen wir dabei nicht an die binnenländischen Hochmoore denken, wie wir sie vielfach auf unseren Mittelgebirgen (Harz, Venn etc.) oder in Hoch- ebenen (oberbayerische Hochebene) antreffen, da wir fossile, den heutigen Hochmooren entsprechende Bildımgen nicht kennen, vielmehr werden wir entweder an sumpfige Flußniederungen gemäßigter und heißer Zonen (Mississippi, Amazonas, Paraguay u.a.) oder an verlandende Binnenseen zu denken haben, soweit man nicht etwa in besonderen Fällen allochthone Bildung gelten lassen will. Auch unter diesen Binnenbecken finden wir einzelne, die in bezug auf die Mächtigkeit ihres Schichtensystems den großen paralischen kaum nachstehen (z. B. St. Etienne). Eine solche ver- tikale Entwicklung wäre bei dem beschränkten Umfang der meisten dieser Becken noch weniger begreiflich, wie bei den paralischen Vorkommen, wenn nicht auch hier ausgiebige Senkungen während der Ablagerung mit- gespielt hätten. In der Tat lassen sich die Spuren dieses Senkungsvor- ganges in den tektonischen Verhältnissen, besonders bei den größeren jecken (St. Etienne, eventuell Saarbrücken) deutlich nachweisen. Diese großartigen, oft tausende von Metern betragenden Senkungen, deren unverkennbare Anzeichen wir also in allen bedeutenderen flötz- führenden Ablagerungen — vom Karbon bis zur Gegenwart und unter limnischen wie paralischen Bedingungen — immer wieder finden, erfordern eine Erklärung der Herkunft der gewaltigen Sedimentmassen, die zur ständigen Auffüllung dieser Senkungen erforderlich waren und ohne welche die autochthone Kohlebildung nicht denkbar wäre. Da die marinen Ab- lagerungen, wo solche überhaupt vorhanden sind, nur eine ganz ver- schwindende Rolle im Aufbau des „produktiven“ Kohlengebirges spielen, müssen diese Sedimente, wie auch die oben angeführten tertiären und jüngeren Analogiefälle vermuten lassen, als Gerölle, Sand und Ton- benutzt ist, daß sich also die obige Beweisführung gewissermaßen im Kreise bewegt, doch würde auch ein nur auf Grund der marinen Ablagerungen entworfenes Kartenbild wesentlich dieselben Umrisse zeigen müssen. ') Unbestimmt bleibt in dieser Beziehung die Stellung des großen Saarkohlen- beekens, da seine Unterlage und seine tiefsten Schichten, wo sich eventuell der Meeres- einfluß zeigen müßte, noch unbekannt sind. Die geographische Lage und die strati- graphische Entwicklung sprechen für limnische Natur, während es sich in der Aus- dehnung und Regelmäßigkeit seiner Flötze mehr dem paralischen Typus nähert. Die Kohlebiläung als geologisches Problem. 151 schlamm usw. vom Lande durch Flüsse herbeigeführt sein. Es ergibt sich ohne weiteres, daß nur ein ausgedehntes Festland die ungeheuren Massen von Gesteinsschutt aller Art liefern konnte, die für den geforderten Effekt ausreichend waren. Daneben mußte aber auch die Erosions- und Transportkraft der Flüsse zu einer außerordentlichen Wirksamkeit gesteigert sein, um diese Aufgabe bewältigen zu können. Zwei Bedingungen müssen erfüllt sein, um dieser Forderung zu genügen: ein bedeutender Wasserreichtum der Flüsse und ein starkes Gefälle im Oberlauf, wo die Tiefenerosion vorherrschend ist. Der Wasserreichtum muß naturgemäß durch ausgiebige Niederschläge — oder auch indirekt durch das Abschmelzen großer Eis- und Schneemassen — geliefert werden. Die für eine starke Erosions- und Transportwirkung erforderliche Energie wird durch ein gebirgiges Hinterland, am besten ein Hochgebirg, ge- währleistet. Man erkennt leicht, dafs diese beiden zunächst theoretisch abgeleiteten Bedingungen einander stützen: ein Hochland begünstigt (die atmosphärischen Niederschläge und führt zur Anhäufung von Schneemassen und zur Gletscherbildung. Daß ein regenreiches Klima dem Pflanzenwuchs und, bei geeigneten topographischen Bedingungen, der Moorbildung günstig ist, liegt auf der Hand. Prüfen wir nach diesen Gesichtspunkten die Entstehung der kohle- führenden Ablagerungen. Für die eigentliche Kohlenformation ist schon längst bekannt, daß sie eine Epoche der großartigsten Gebirgsbildung darstellt. Die Faltung der Erdrinde und ihre Aufwölbung zu zwei großen Hoch- gebirgssystemen: dem „variscischen“,, das ganz Mitteleuropa von den Su- deten bis zum französischen Zentralplateau durchzog, und hieran an- schließend dem „armorikanischen“, das seine Fortsetzung in der Bretagne, im südlichen England und Irland fand und wahrscheinlich quer über den Atlantischen Ozean fortstreichend erst im appallachischen Gebirgssystem ausklang, diese Gebirgsfaltung bezeichnet auch den Anfang der Kohle- bildung in beiden Kontinenten. Die Erhebung des Gebirges, durch Faltung. begann im Süden (Zentralplateau, Vogesen, Schwarzwald) und Osten (Schlesien, Mähren), um von hier nach Norden vorzuschreiten. So ent- stand ein ausgedehntes, gebirgiges Festland, in seinen höchsten Teilen vielleicht mit Firnen bedeckt und Gletscher ins Tal sendend, an dessen Fuß die Flüsse aus dem Verwitterungs- und Erosionsschutt ein weites, sumpfiges Schwemmland aufbauten und immer weiter in das Meer vor- schoben. Diese Alluvialebene wurde die Bildungsstätte der paralischen Flötze, während gleichzeitig auf dem Rücken des Festlandes in flachen Flußniederungen und in Binnenseen, die ähnlich wie die Randseen der heutigen Alpen durch das Sediment der einmündenden Flüsse allmählich zugeschüttet wurden und versumpften, Gelegenheit zur Bildung limnischer Flötze gegeben war. Wenden wir uns nun der zweiten großen Kohlenperiode, dem Tertiär zu, so sehen wir, wie die Erdgeschichte sich hier vollkommen wiederholt. 152 A. Dannenberg. Wie um die Mitte der Karbonzeit die Aufrichtung der „variseischen“ und „armorikanischen“ Hochgebirge den Boden für die großen Kohlenablage- rungen jener Zeit bereitete, so gab im jüngeren Tertiär die Alpenfaltung den Anstoß und die topographischen Vorbedingungen für die Braunkohlen- bildungen der sogenannten Molasse und verwandte Ablagerungen. Es würde zu weit führen, hier auf Einzelheiten einzugehen, die in vielen Punkten nur eine Wiederholung des beim Karbon Gesagten sein könnten. An einem besonders lehrreichen Beispiel, dem Braunkohlenbecken von Fuveau in Südfrankreich (Dept. Bouches du Rhöne), hat Marcel Bertrand!) in meister- hafter Weise die frappanten, bis ins einzelne gehenden Analogien in den topographischen und tektonischen Voraussetzungen der Flötzbildung im Karbon und im Tertiär nachgewiesen. Für die Braunkoblen- und Torflager des nordeuropäischen Tieflandes können wir allerdings die tertiäre Alpenfaltung nicht unmittelbar in An- spruch nehmen, doch fehlt es auch hier nicht an deutlichen Anzeichen klimatischer und topographischer Bedingtheit dieser Bildungen. Wir sahen oben, daß im niederrheinischen Tertiärbecken der größte Senkungs- und dementsprechend Aufschüttungsbetrag, verbunden mit Flötzbildung, auf den Jüngsten Abschnitt, das Pliocän, entfällt. Es ist nun wohl in diesem Zu- sammenhang nicht ohne Belang, daß wir hier zum ersten Male auch mächtigen Flußaufschüttungen des Urrheinstromsystems in Gestalt der (Wuarzschotter der sogenannten Kieseloolithstufe (s. oben) begegnen. Diese starke Transportwirkung ist wohl nur durch Erhebungen im Oberlaufe des Flußsystems, wenn auch nicht gerade zu alpinen Höhen, zu erklären. Auch in Norddeutschland haben, nach Wahnschafe, „am Schluß der Miocänzeit — namhafte Krustenbewegungen“ stattgefunden. Der Impuls zu verstärkter Erosion und Aufschüttung dürfte also auch hier gegeben gewesen sein. Ändrerseits mag auch der früher besprochene Rückzug des Meeres um diese Zeit und die dadurch erfolgte Tieferlegung der „Erosions- basis“ schon einen Anstoß in dieser Richtung gegeben haben, wie denn überhaupt die in einem früheren Abschnitt erörterten Senkungen an und für sich schon zur Belebung der Erosionsarbeit beigetragen haben müssen. Doch ist dieser Faktor wohl nicht ausreichend, für sich allein, ohne gleich- zeitige Hebung des Festlandes, eine so gewaltige Transportwirkung, wie wir sie gerade im Pliocän kennen gelernt haben, herbeizuführen. In den früheren Abschnitten des Tertiärs werden die Verhältnisse ähnlich gelegen haben, wenn sie auch im einzelnen weniger klar sind. Für die nächstältere und -wichtige Braunkohlenablagerung am Niederrhein, das Miocän, geben uns die Flußschotter der „Vallendarer Stufe“ (s. oben) einen ähnlichen Fingerzeig wie die Kieseloolithschotter im Pliocän. Deutlicher übersehen wir die Verhältnisse im Diluvium, das ja mit seinen fossilen Torfmooren die Braunkohlenbildung fortsetzt, wenn auch ') M. Bertrand, Le bassin eretac6 de Fuveau et le bassin houiller da Nord. Ann. des mines, 9. Ser., T. 14, 1898. Die Kohlebildung als geologisches Problem. 153 unter veränderten klimatischen Verhältnissen und daher mit einer ab- weichenden Pflanzengeselischaft. Allbekannt ist, dal das Diluvium — bei gleichzeitiger Abkühlung, die sich schon am Ende des Tertiärs geltend macht — eine „Pluvialperiode“ darstellt, wodurch die eine der oben for- mulierten Bedingungen: großer Wasserreichtum, im vollsten Umfange er- füllt ist. Allerdings werden die Erscheinungen durch die gleichzeitig ein- tretende Vergletscherung, besonders in Norddeutschland, erheblich ver- wickelt. Daß auch orogenetische Vorgänge bei der Bildung der nord- deutschen und niederländischen Diluvialablagerungen, soweit diese nicht glazialen und nordischen Ursprungs sind, eine Rolle gespielt haben, läßt sich aus der Terrassenbildung der Flußtäler entnehmen, wie sie nament- lich im Rhein- und Maasgebiet — aber auch an anderen Flüssen — stark entwickelt ist. Wenngleich diese Absätze in der Talbildung von den meisten Geologen mit dem wiederholten Wechsel von Vereisungen und Interglazialzeiten in Verbindung gebracht werden, so ist es doch nicht recht zu verstehen, wie dieser scharfe Gegensatz von zeitweiliger Aus- weitung des Tales verbunden mit Aufschüttung und von reiner Tiefen- erosion ohne gleichzeitige Niveauverschiebung zustande kommen soll. Solche Verschiebung wird man sich aber im dem besonderen Falle von Rhein und Maas am besten als eine ruckweise Heraushebung des ganzen Ge- birgsmassivs denken können. Wir müssen schließlich noch einen Schritt weiter zurückgehen, um die ursächlichen Verknüpfungen der Kohlebildung — der Vorgang immer als geologische Erscheinung im großen Maßstabe gedacht — mit den Be- wegungen der Erdrinde zu erfassen. Die kohleführenden Ablagerungen der paralischen Becken bauen sich, wie wir gesehen, über marinen Bildungen auf. Es ist also der durch die Kohlebildung gekennzeichneten Festlandsperiode die Herrschaft des Meeres in demselben Gebiete vorausgegangen. Dies gilt nicht nur für die Steinkohlenformation, sondern ebenso für die tertiären Braunkohlen und überhaupt für die kohleführenden Ablagerungen aller Formationen (Trias, Jura, Kreide). Besonders lehrreich sind in dieser Beziehung die Verhält- nisse In einem großen Teile Westfalens, im Harz u.a. ©. Hier beginnt das Karbon mit Kieselschiefern und Tonschiefern (Posidonienschiefer) des sogenannten Kulm, denen vielfach auch umfangreiche Kalkschichten ein- geschaltet sind, alles Ablagerungen, die durch ihre Gesteinsbeschaffenheit und die eingeschlossene Fauna als Bildungen eines offenen, zum Teil viel- leicht eines tiefen — die Ansichten hierüber sind geteilt — Meeres ge- kennzeichnet sind. Nach oben gehen diese pelagischen und großenteils organogenen Sedimente in gröber klastische Ablagerungen terrigener Her- kunft (Typus: Kulmgrauwacke des Harzes) über, die Tierwelt des offenen Meeres verschwindet, dafür erscheinen mit zunehmender Häufigkeit Reste von Landpflanzen, die ersten Vertreter der Flora des produktiven Kohlen- gebirges, aber hier noch nicht als autochthone Bestandteile der einschließen- den Schichten, sondern als eingeschwemmte Trümmer, sogenannter Häcksel, 154 A. Dannenberg. als Beweis, dal diese Ablagerungen bereits in landnahen Meeresbezirken ge- bildet wurden. Eine etwas andere, aber gleichsinnige Entwicklung finden wir in einem großen Teile von England und in Schottland. Auch hier ist das Unterkarbon vorwiegend durch rein marine Bildungen, den Kohlen- kalk oder Bergkalk, vertreten; diesem mischen sich nach oben ebenfalls mechanische, terrigene Sedimente bei, doch ist der Übergang nicht stetig, sondern vollzieht sich unter vielfachen Schwankungen, so daß eine in ver- tikaler Richtung sehr ausgedehnte Übergangszone entsteht, in der reine Kalke mit Mergeln und Tonschiefern abwechseln, die sogenannten Yore- daleschichten, bis die terrigene Fazies endgültig das Übergewicht erhält und durch Ansiedlung von Landpflanzen die Kohlebildung eingeleitet wird. In allen Fällen — auch wenn wir die in einem früheren Abschnitte eingehend dargestellten Verhältnisse des Tertiärs berücksichtigen — sehen wir dieselbe Entwicklung sich vollziehen: ein bis dahin offenes und auch wohl relativ tiefes Meer, dessen Ablagerungen keine Anzeichen von Fest- landsnähe aufweisen, verflacht sich zusehends, grobe, klastische Sedimente und eingeschwemmte Landpflanzen deuten auf die Nachbarschaft des Landes, ein Beweis, daß ein Teil des Meeresbodens bereits über den Wasserspiegel aufgetaucht ist. Diese Entwicklung setzt sich, wenn auch unter Schwankungen fort, so daß bald das Meer aus dem ganzen Gebiet verdrängt ist. Der grundsätzliche Unterschied dieses Vorganges gegenüber der zuvor besprochenen Gebirgsbildung liegt darin, daß die zunehmende Verflachung und das schließliche Emportauchen des Meeresbodens ohne Schichten- störung erfolgt. In allen großen paralischen Becken bewahren die Schichten des Unterkarbons, mögen sie als Kohlenkalk, Kieselschiefer, Tonschiefer oder sonstwie entwickelt, im offenen, tiefen oder flachen, küstennahen Meere abgelagert seien, untereinander — und meist auch gegenüber den Schichten der vorhergehenden Formation des Devons — vollkommen gleich- fürmige „konkordante Lagerung“, während sich die Gebirgsbildung des späteren Karbons durch ausgesprochene Diskordanzen zu erkennen gibt. Es ist daher nur die Deutung möglich, daß die Bildung der karbonischen Festländer durch ein langsames Aufsteigen des Meeresbodens eingeleitet wurde, der sich, meist nach wiederholten Rückfällen, über das Wasser erhob, wobei die Schichten aber zunächst ihre horizontale Lage beibehielten. Der im vorhergehenden Abschnitt geschilderten orogenetischen Phase mit Faltung ging also eine epirogenetische Phase ohne Faltung voran, erst das Zusammenwirken beider macht die Ausbildung und Lage- rung der Kohlenformation verständlich. Die gleiche Reihenfolge des Geschehens können wir, wie gesagt, in verschiedenen Perioden verfolgen. Da solche ausgedehnten und tiefgreifenden Veränderungen im Relief der Erdrinde natürlich von größtem Einfluß auf die Entwicklung und Verteilung der Tier- und Pflanzenwelt waren, hat man vielfach gerade in diese Abschnitte die Grenzen der sogenannten Formationen gelegt, in die wir der Übersichtlichkeit wegen die fort- Die Kohlebildung als geologisches Problem. 155 laufende geologische Entwicklung zu zerlegen pflegen. Man kann in diesem Sinne von sich wiederholenden Entwicklungszyklen sprechen, in denen Meeres- und Landherrschaft abwechseln, entsprechend den abwärts oder aufwärts gerichteten Bewegungen der Erdrinde. Den Höhepunkt einer Auf- wärtsbewegung bezeichnet jedesmal eine Periode der Kohlebildung, die um so bedeutender ist, je umfangreicher die zugehörige Hebung war. In diesem Sinne kann das Auftreten von kohleführenden Ablagerungen ge- radezu als Symptom für diese langsamen Bewegungen der Erdrinde, die „bBradysismen“ gelten. Einige Beispiele aus anderen Formationen mögen zur besseren Veranschaulichung dieser Beziehungen dienen. i Die alpine Trias folgt auf Permschichten, die durch ihren Gesteinscharakter (Verrucano, Grödener Sandstein) als wesentlich küstennahe Flachseebildungen, zum Teil sogar durch ihre Gipseinschlüsse als fast unter kontinentalen Bedingungen gebildet er- scheinen. Mit der Trias beginnt eine erneute Vorherrschaft des Meeres; zunächst noch mit Litoral- und Flachseebildungen (Werfener Schichten). Zunehmende Vertiefung bringt rein marine Kalke mit einer Fauna des offenen Meeres (Cephalopodenkalk) zu steigender Entwicklung. Gleichzeitig beweisen die zu vielen Hunderten, ja bis 1000 m Mächtigkeit anwachsenden Riffkalke und -dolomite die andauernde Senkung des Meeresgrundes („positive Phase“). Etwa in der Mitte der Formation kehrt sich die Bewegung um. Mergel, Sandsteine und gipsführende Schichten zeigen Verflachung und Nähe des Fest- landes an („negative Phase“ der Raibler Schichten), ja ein Teil des bisherigen Meeres- bodens taucht sogar über den Wasserspiegel auf; Landpflanzen erscheinen und es kommt schließlich zur Bildung von Kohlenflötzen (Lunzer Schichten), die jedoch keine sehr bedeu- tende Entwicklung erreichen, da die Festlandsperiode bald von einer erneuten Senkung ab- gelöst wird, und ein neuer Zyklus beginnt, der die Erscheinungen der vorhergehenden Periode: pelagische Ammonitenkalke, mächtige Riffbildungen usw. getreu wiederholt. Ähnliche Verhältnisse bringt auch der Übergang von der Trias- zur Juraforma- tion, die in ausgedehnten Gebieten Asiens zu hedeutenden Kohlenablagerungen geführt haben, deren westlichste Ausläufer wir in den Liassteinkohlenflötzen Ungarns (bei Fünfkirchen) finden. Sehr anschaulich und lehrreich gestalten sich wieder die Beziehungen von Ablage- rung und Krustenbewegung um die Wende der Jura- und Kreideformation. Im oberen — „weißen“ — Jura herrschen zunächst noch rein marine, allerdings nicht in tieferem Meere gebildete Ablagerungen. Nach oben hin wird der Seichtwassercharakter immer deutlicher durch reichliche Riffbildung u. a. In Süddeutschland stellen hier die „litho- graphischen Schiefer“ dieser Periode (Solnhofen, Nusplingen, Kehlheim) mit ihren ein- geschwemmten Landtieren offenbar Ablagerungen in Küstenlagunen dar. In Norddeutsch- land vollzieht sich im obersten Jura (Portland-Purbeck) der Übergang zur Festland- herrschaft durch Ablagerungen mit Süßwassermuscheln (Eimbeckhäuser Plattenkalke mit Öyrenen, Paludinen ete.), salz- und gipsführenden Mergel (Mündener Mergel) und schließlich Süßwasserkalke (Purbeckkalk) mit Plamorbis, Physa, Valvata, Bythinia u. a. Einzelne marine Einlagerungen (Serpulit) zeigen, daß auch in diesem Falle das Auf- steigen des Landes nicht ohne Oszillationen und gelegentliche Meereseinbrüche vor sich ging. Den Höhepunkt der festländischen Entwicklung dieses Zyklus aber stellt der Be- ginn der Kreideformation in der als „Wealden“ (Berrias-Stufe) bezeichneten Ausbildung dar. Eine kontinentale Flora und Fauna mit riesigen Landsauriern (Iguanodon) kenn- zeichnen diese Verhältnisse, die dann auch wieder an geeigneten Orten zur Bildung von nicht unbedeutenden Kohlenflötzen führen, wie sie namentlich am Deister (Obernkirchen) entwickelt sind. Auch hier bezeichnet wieder die Kohlebildung einen Wendepunkt. Er- neute Senkung läßt das Kreidemeer über diese Festlandbildungen treten, das im weiteren Verlaufe der Formation außerordentlich an Umfang und Tiefe gewinnt, bis es im Ter- tiär zugunsten neuer Landentwicklung zurückgedrängt wird. E. Abderhalden, Fortschritte. X. 14 156 A. Dannenberg. Die Kohlebildung als geologisches Problem. Als Hauptergebnis der vorstehenden Betrachtungen können wir zum Schlusse aussprechen, dal die Bildung der kohleführenden Ablagerungen nicht ein zufälliges oder für sich dastehendes Ereignis im Lauf der Erd- geschichte ist, sondern dab diese Bildung durch eine Reihe anderer Ent- wicklungstatsachen bedingt und mit ihnen ursächlich aufs engste verknüpft ist, ebenso wie diese anderen Ereignisse es untereinander sind. Die Kohle- bildung muß daher im gegebenen Zeitpunkt mit Notwendigkeit eintreten und konnte unter diesem Gesichtspunkt für bestimmte Stadien der Erd- entwicklung als symptomatisch bezeichnet werden. Als Grundursache aller dieser eng verbundenen Vorgänge haben wir die großen säkularen Schwankungen der Erdrinde erkannt, für die eine weitere Erklärung zunächst nicht gegeben werden kann. Eine allseitige und erschöpfende Darstellung des ganzen zugehörigen Tatsachen- und Wirkungskomplexes konnte selbstverständlich nicht gegeben werden. Zur näheren Belehrung über die Entstehung der Torf- und Kohlen- lager und die damit zusammenhängenden allgemeinen Fragen wird sich, auler den bereits im Text angeführten Arbeiten, die nachstehende Literatur nützlich erweisen. Literatur: H. Potonie, Die Entstehung der Steinkohle und der Kaustobiolithe überhaupt. 5. Aufl.. Berlin 1910. — Derselbe, Die rezenten Kaustobiolithe und ihre Lagerstätten. Abh. d. preuß. geol. Land.-Anst., N. F. 55, Berlin 1908—1912. — Grand’ Eury, La Formation des couches de houille et du terrain houiller. Mem. de la soc. geol. de France, 3. Ser., Vol. 4. Etude du terrain houiller de Commentry livre 1er: Fayol, Lithologie et stratigraphie. St. Etienne 1887. Eine außerordentliche umfassende Zusammenstellung und kritische Beleuchtung aller wichtigeren auf die Frage der Kohlebildung bezüglichen Arbeiten mit sehr voll- ständigen Literaturnachweisen von 1700 an ist das Werk von J. J. Stevenson, The for- mation of coal beds. Proceed. of the Amer. philos. soc., 1911—1913. Diese überaus fleißige und verdienstvolle Arbeit ist für ein eingehendes Studium des Gegenstandes fast un- entbehrlich und auch im Vorstehenden vielfach benutzt worden. — Dannenberg, (Geo- logie der Steinkohlenlager, Teil 1 und 2 (ein dritter Teil in Vorbereitung). Berlin 1908 und 1911. Über die allgemeinen geologischen und stratigraphischen Verhältnisse gibt jedes Lehrbuch der Geologie Auskunft; besonders verwiesen sei hier auf die neueren Werke: H. Credner, Elemente der Geologie. 11. Aufl., Leipzig 1912. — E. Kayser, Lehrbuch der Geologie, II. Teil: Geologische Formationskunde. 5. Aufl., Stuttgart 1913. Die hier in erster Linie interessierenden tektonischen und paläogeographischen Verhältnisse finden besondere Berücksichtigung in: A. Torngquist, Grundzüge der geo- logischen Formations- und Gebirgskunde. Berlin 1913. Trinkwasserreinigung durch Ozon. Von Gg. Erlwein, Berlin. Zu den wichtigsten und vornehmsten Aufgaben der Städtehygiene gehört die Reinigung des Trinkwassers zentraler Wasserwerke. Zur Lösung dieser Aufgabe hat die Wassertechnik die Sandfilter entweder in Gestalt der bekannten Schnellfilter oder der gewöhnlichen Bakterienlangsamfilter benützt. Diese beiden Filtertypen unterscheiden sich in der Hauptsache voneinander durch die Höhe der filtrierenden Sandschicht und die Größe des Sandkorns und die dadurch bedingten verschiedenen Filtriergeschwindig- keiten. Die Schnellfilter kommen in der Wassertechnik zur Anwendung, wenn es sich um mechanische Zurückhaltung von Schwebestoffen handelt. wie solche beispielsweise nach der üblichen Lüftung bzw. Rieselung des meist bakterienfreien Grundwassers oder bei Behandlung des bakterien- haltigen Oberflächenwassers mittels Aluminiumsulfat in Form von mehr oder minder grolßiflockigem Eisenoxydhydrat oder Aluminiumhydroxyd und deren Einschlüssen vorliegen. Die Bakterienlangsamfilter werden dagegen dann herangezogen, wenn neben den Schwebestoffen noch die Bakterien auf ein praktisches Minimum vermindert werden sollen, wie dies nach den gegenwärtigen Forderungen der Hygiene bei der Reinigung des immer bakterienhaltigen und daher stets infektionsverdächtigen Oberflächenwassers aus Flüssen, Seen und Talsperren als unumgänglich notwendig betrachtet wird. Wenn nun die mit großer Geschwindigkeit filtrierenden Schnellfilter schon bei Filtration von gerieseltem, schwach bakterienhaltigem Grund- wasser nicht immer keimfreies, einwandfreies Trinkwasser liefern, so ge- nügen sie natürlich bei stark mit Bakterien infizierten Oberflächenwässern ganz und gar nicht und entsprechen, selbst in Verbindung mit der ameri- kanischen Präzipitationsmethode durch Alaun in bezug auf Bakterienver- minderung nicht in allen Fällen den berechtigten Anforderungen der Hygiene. Auch die bakteriologischen Resultate der Bakterienlangsamfilter, die ja infolge der Mängel der sogenannten wirksamen Filterhaut auch bei bester Überwachung stets noch Bakterien durchlassen und selbst nach den deutschen behördlichen Normalien der Filterüberwachung noch 100 Keime pro Kubikzentimeter (die Kochsche Grenz- oder Gefahrzahl) durchlassen dürfen, sind hygienisch zu Zeiten von Epidemien nicht ohne Bedenken, weil die Annahme berechtigt ist, daß in Epidemiezeiten unter den vom Filter durchgelassenen Bakterien die gegenüber den harmlosen Wasser- E. Abderhbalden, Fortschritte. X. 15 1H8 Ge. Erlwein. bakterien dem Volumen nach kleineren pathogenen Bakterien die größere Anzahl sein und daher immer eine beträchtliche Gefahrenquelle bilden werden. Als nun Robert Koch und seine Schüler im letzten Viertel des ver- gangenen Jahrhunderts die Bakterien als Erreger und Überträger von Krankheiten und Epidemien erkannt, und auch die Wasserhygiene auf Grund dieser Erkenntnis schärfere Forderungen bezüglich der bakteriolo- gischen Beschaffenheit des Trinkwassers gestellt hatte, wurden der Wasser- technik im Laufe der Zeit eine Reihe von Verfahren vorgeschlagen, die darauf hinausliefen, statt der bei der Sandfiltration geübten „Absiebung“ die Vernichtung der Mikroorganismen auf physikalisch-chemischem oder rein chemischem Wege unmittelbar im Wasser zu erreichen. Von den so vorgeschlagenen Methoden des Abkochens von Wasser in geschlossenen, nach dem (regenstromprinzip arbeitenden Wärmeaustauschapparaten und der Behandlung des Wassers mit den stark bakterizid wirkenden ultra- violetten Strahlen der Quarzquecksilberlampen kommt die erstere aus wirt- schaftlichen Gründen nicht für Zentralwasserwerke, sondern nur für kleinere Spezialanlagen in Frage, während das Ultraviolettverfahren zurzeit noch im Stadium des Vorversuches steht und aus vielen Gründen vorläufig noch weit entfernt ist von der allgemeinen Verwendbarkeit im Wasserwerks- betrieb. Die rein chemischen Verfahren, das Wasser zentraler Wasserver- sorguneen durch Zusatz von Chemikalien, wie Chlor, Chlorkalk, Per- manganat und Ferrisulfat, bakteriologisch zu reinigen, haben bis jetzt, wenn man von Amerika absieht, wo verschiedene Wasserwerke mit Chlor- sterilisierung arbeiten, wo man aber auch dem Wasserkonsumenten gegen- über weniger Rücksicht auf Qualitätsmängel zu nehmen braucht, dauernd festen Fnb in der Wasserwerkspraxis nicht zu fassen vermocht. Und zwar sind es bei den chemischen Sterilisationsverfahren die Schwierigkeiten der Dosierung bei der wechselnden Zusammensetzung des Rohwassers sowie der Beseitigung bzw. Zerstörung des zur Sterilisierung notwendigen, den Geruch und Geschmack störenden Überschusses der Reagenzien und ferner die mit der Anwendung von Desinfektionssalzen verbundene unerwünschte Veränderung des ursprünglichen Salzgehaltes des Wassers, welche ihrer allgemeineren Benutzung zurzeit störend im Wege stehen. In den letzten 15 Jahren ist nun der Wassertechnik in dem Ozon- verfahren eine für zentrale Betriebe ausprobierte neue Sterilisationsmethode an die Hand gegeben worden, die zwar auch eine chemische ist, aber gegenüber den älteren den wesentlichen Vorzug besitzt, dab das sterili- sierende Agens Ozon in beliebigem Überschuß angewandt werden kann, ohne dal das Wasser nach beendeter Behandlung irgend einen störenden Geruch oder Geschmack nach dem Sterilisationsmittel zeigt, und ohne daß im Wasser zum Schluß etwas anderes als Luft, ein natürlicher und notwen- diger Bestandteil jeden Trinkwassers, zurückbleibt. Schon bald nach seiner Entdeckung durch Schönbein im Jahre 1840 waren die kräftig oxydierenden Eigenschaften des Ozons auf organische Trinkwasserreinigung durch Ozon. 159 Substanzen und seine hygienische Wirkung im Haushalt der Natur allge- meiner bekannt. Aber erst Ende der achtziger und Mitte der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, als die Wassertechniker und Hygieniker auf Grund der Arbeiten von Pasteur, Koch und ihren Schülern den Bak- terien als Krankheitserregern und -überträgern erhöhtes Interesse zu- wandten, wurde das Ozon zuerst von Werner ». Siemens, ©. Frölich und @g. Erlwein und dann von v. Tindal, Abraham-Marmier, Marius Otto und Vosmaer zur technischen Sterilisation des Trinkwassers herangezogen. Nach einer mehrjährigen Versuchsperiode, in der sich namhafte deutsche, fran- zösische, belgische und holländische Bakteriologen und Hyeieniker, sowie staatliche bakteriologische Institute zu gemeinsamer Arbeit mit den ge- nannten Ingenieuren und Ozontechnikern vereinigten, entstanden technische Ozonverfahren zur Sterilisation des Wassers zentraler Trinkwasserversor- gungen. Unter den Forschern, die während dieser ersten Entwicklungs- periode sich durch umfassende bakteriologisch-chemische Arbeiten große Verdienste um die Prüfung und Förderung der Wasserozonisierung er- worben haben, sind zu nennen Ohlmüller, Ermengem, Roux, Calmette, Proskauer und Schüder, Weyl und von den Instituten das Deutsche Reichs- gesundheitsamt (Ohlmüller), das Pasteursche Institut in Paris und Lille und das Institut für Infektionskrankheiten (Kochsches) in Berlin. Was nun die vorhandenen technischen Ozonverfahren für Wasser- sterilisation bzw. die Wasserozonisierungssysteme anlangt, so sollen im vahmen dieser Abhandlung nur diejenigen besprochen werden, die in Wasserwerksbetrieben dauernd Anwendung gefunden oder größere Probe- betriebe auf technischer Basis durchgemacht haben. Zu diesen gehören in historischer Reihenfolge die Verfahren bzw. Systeme von: 1. Siemens d& Halske, 2. von Tindal-de Frise, 5. Abraham- Marmier, 4. Marius Otto, 5. Vosmaer, zu denen neuerdings noch gekommen sind die von: 6. Bridge und 1. Leon Gerard. Vor der Besprechung der einzelnen Ozonisierungssysteme und einiger typischer Ozonwasserwerke seien einige kurze Bemerkungen vorausge- schickt über die Eigenschaften und Herstellung von Ozon, soweit sie für das vorliegende Thema von spezieller Bedeutung sind, sowie über die allge- meinen Prinzipien, nach denen die Sterilisationsapparate konstruiert sind. Eigenschaften und Herstellung des Ozons. Das Ozon, der 3-atomige, aktive Sauerstoff (O,), hat die Eigen- schaft, in Berührung mit oxydierbaren Substanzen ein Atom Sauerstoff abzugeben und dabei wieder in den gewöhnlichen 2-atomigen, inaktiven 160 Ge. Erlwein. Sauerstoff (O,) überzugehen. Bewahrt man ozonhaltige Luft auf, so zer- fällt das Ozon von selbst, jedoch erheblich langsamer als in Berührung mit oxydablen Stoffen. Die Geschwindigkeit des Ozonzerfalls ist von der Temperatur und der Konzentration abhängig, so daß sich verdünnte Ozon- luft bespielsweise bei Zimmertemperatur langsam, bei 200° C ziemlich rasch und bei 1000° momentan zersetzt. Reines Ozon, das — nebenbei bemerkt — in der Technik bis jetzt nicht hergestellt wird, würde sich im Wasser ungefähr wie 1:08 (bei 0° und 760 mm) lösen. In den großen Verdünnungen mit Luft, wie es zurzeit in der Ozonwassertechnik zur Ver- wendung gelangt (2—4g im Kubikmeter Luft), löst es sich nach den Henri- Daltonschen (Gesetzen des Partialdruckes. Das Ozon ist ein außerordent- lich energisch wirkendes Oxydationsmittel, das gegenüber den in der tech- nischen Chemie hauptsächlich benutzten Oxydationsmitteln Fig. 46. wie Permanganat, Halogenen und Hypochloriten den Vor- > f _ zug hat, nach seiner Wirkung keine festen, störenden “ stoff zurückzulassen. & Was nun die Herstellung des Ozons anlangt, so gibt es rein chemische. elektrolytische, thermische, photo- chemische und elektrokinetische Methoden. Die chemischen Methoden beruhen auf der Oxydation bestimmter Elemente wie Phosphor oder auf der Umsetzung gewisser Sauer- stoffsalze mit Säuren, die elektrolytischen auf der Elektro- Iyvse von Schwefelsäure unter Benützung sehr hoher Strom- dichten an der den Sauerstoff aktivierenden Anode. Die | thermischen Methoden beruhen auf der Zuführung der zur y Ozonbildung notwendigen Energie in Form von Wärme. Siemens-Ozonröhre. Zur Ausführung der Methode wird Luft oder Sauerstoff hoch erhitzt und danach sehr schnell abgekühlt. Die photochemischen bestehen in der Bestrahlung von Luft oder Sauerstoff mit ultraviolettem Licht, das z. B. von (Quarzquecksilber- oder Uviollampen ausgesandt wird. Die elektrischen oder elektrokinetischen basieren auf der Entladung hochgespannter Ströme in Sauerstoff oder Luft. Für die Zwecke der Wassertechnik kommt zurzeit nur die elektrische Methode in Frage, die dadurch charakterisiert ist, daß zwischen zwei Polen einer Hochspannungsquelle, zwischen denen sich Luft befindet, die soge- nannte stille, mit Ozonbildung verbundene Glimmentladung eingeleitet wird. Zur Ausführung gelangt diese Methode in der von Werner v. Siemens 1857 angegebenen allgemein bekannten Glasozonröhre (Fig. 46), bei der durch zwei konzentrisch ineinandergeschobene Glaszylinder, die an den Polen einer Hochspannung liegen, die Entladung gleichmäßig auf eine grobe Fläche verteilt wird, während durch den Zwischenraum zwischen den Glas- zylindern Sauerstoff oder Luft geblasen wird. Anf dem Prinzip dieser Ozonröhre bauten sich dann alle weiteren, auch die technischen, jetzt in der Industrie und den Ozonwasserwerken Zu Vor x - $ f Salze oder andere Stoffe, sondern nur gewöhnlichen Sauer- | ) | 1 i Trinkwasserreinigung durch Ozon. 161 benutzten Ozonapparate auf. Die einzelnen Konstruktionen unterscheiden sich nur dadurch voneinander, daß bei den einen die Glimmentladung zwischen Glasplatten, bei anderen zwischen Metallplatten und bei wieder anderen zwischen Metall- und Glasplatten hervorgerufen wird. Je nachdem nun dieke oder dünne Glaszylinder oder Glasplatten, breite oder schmale Entladungsräume genommen werden, also je nachdem die vom Strom zu überwindenden Durchgangswiderstände größer oder kleiner sind, sind die anzuwendenden Spannungen größer oder kleiner, wenn auf der Einheit der Entladungsfläche die gleiche Strommenge durchgehen, d.h. die gleiche Stromdichte erreicht werden soll. Und daher kommt es auch, daß die Be- triebsspannungen je nach der Beschaffenheit und Anordnung der Elek- troden bei den ein- zelnen Typen der BT: industriellenOzon- apparate verschie- den hoch sind und zwischen 6000, 8000, 15.000 Volt und mehr schwan- ken. Entsprechend der Verschieden- artigkeit des Elek- trodenmaterials und der Elektro- denform sind bei den einzelnen in- dustriellen Ozon- apparaten weiter Heib noch die Kühlvor- richtungen _ver- schieden, die mit Wasser arbeiten und den Zweck haben, eine zu hohe Erwärmung der Elektroden im Dauerbetrieb zu verhindern. In bezug auf die Ozonbildung und Ausbeute an Ozon in den technischen Ozonapparaten ist zunächst erläuternd zu bemerken, dab mit Hilfe der stillen Entladung nicht beliebig hohe Ozonkonzentrationen erzielt werden können. Setzt man Luft oder Sauerstoff verschieden lange Zeiten der Einwirkung der stillen Entladung aus und trägt die nach verschiedenen Zeiten erhal- tenen Konzentrationen als Ordinaten in ein Koordinatensystem ein, auf dessen Abszissenachse man die Reaktionszeiten einträgt, so stellen sich die Versuchsergebnisse in einer Kurve dar, wie sie in der Fig. 47 wiederge- geben ist. Die Kurve zeigt, dal mit wachsender Einwirkungsdauer der Entladung die Ozonkonzentration erst sehr schnell und sodann immer langsamer zunimmt, bis sie von einer bestimmten Zeit an überhaupt nicht mehr steigt, auch wenn man die Luft beliebig lange der Entladung aus- setzt. Mit anderen Worten, die Reaktion 30, =20, führt unter der Wir- Ozonconeentration I» Zunahme der Ozonkonzentration mit der Zeit. 162 Gg. Erlwein. kung der stillen Entladung nur bis zu einem bestimmten Gleichgewicht. Die erreichbare Gleichgewichtskonzentration ist abhängig von den jeweils gewählten Bedingungen der Temperatur, der Spannung, der Frequenz des Wechselstroms sowie von der Konstruktion des Ozonapparates selbst. Hieraus geht hervor, dab es sich bei der Ozonbildung durch stille Entladungen nicht um eine elektrolvtische Wirkung des Stromes handeln kann. Als Strom wirkt dabei nur der die Luft des Entladungsraumes durchfließende Leitungsstrom und nicht der Ladestrom, der zur Aufladung und Umladung der als Kondensatorflächen zu betrachtenden Elektroden nötig ist. In der Tat findet die Ozonbildung auch nicht nach dem Faraday- schen (resetze statt, sondern es entsteht zu Anfang der Reaktion viel mehr Ozon, als nach diesem (Gesetz zu erwarten wäre, während gegen Ende der Reaktion bedeutend weniger Ozon entsteht, als das Faradaysche Gesetz verlangt. Die Angaben über Ozonausbeuten müssen daher stets in Verbin- dung mit der Konzentration gemacht werden, im anderen Fall beziehen sich solche Angaben — wie sie übrigens häufig in der technischen Lite- ratur vorkommen auf die Nullausbeute, d.h. auf Ozon von sehr ge- ringer Konzentration, das infolge seiner großen Verdünnung für Oxyda- tionsprozesse weder in der chemischen Industrie noch in der Wasser- technik eine praktische Bedeutung besitzt. Es wird in der Wassertechnik bei den verschiedenen Ozonsterilisationssystemen mit Konzentrationen von 1—6 g pro Kubikmeter gearbeitet, so dal) die Leistungsangaben, wenn sie ein richtiges Bild der Wirkung der technischen Ozonapparate geben sollen, unter Berücksichtigung dieser Konzentration zu machen sind. Am zuver- lässigsten für die Bewertung der Apparatenleistung ist hier der Weg der graphischen Darstellung, wie er z.B. in Fig. 48 zur Charakteristik eines in Wasserwerken angewandten Ozonapparates gewählt ist. In diesen für die Zwecke der Technik konstruierten Kurven wird aus prak- tischen Gründen als Abszisse nicht die Reaktionszeit aufgetragen, son- dern ihr reziproker Wert. d.h. die in der Stunde durch den Apparat hin- durchgeleitete Luftmenge. Dementsprechend nimmt die Konzentrationskurve einen fallenden Verlauf (hohe Konzentration bei kleiner Luftgeschwindig- keit, niedere Konzentration bei großer Luftgeschwindigkeit). Es kommen in diesen Diagrammen, in denen die Kurven der Ausbeuten und die Konzen- trationskurve entgegengesetzt verlaufen, die Beziehungen zwischen Konzen- tration, durchgeleiteter Luftmenge und Ozonausbeute klar zum Ausdruck. Zur Herstellung von 1 kg Ozon aus Luft mit Hilfe der stillen elek- trischen Entladung sind bei Ozonkonzentrationen von 2—4 (d.h. 2—4yg Ozon im Kubikmeter Luft bzw. Sauerstoff) rund 17—25 Kilowattstunden bzw. 23—24 Pferdekraftstunden erforderlich. Rechnet man die Pferde- kraftstunde zu 3 Pf., was man bei größeren Sauggasanlagen kann, so stellt sich das Kilogramm Ozon von Konzentration 2—4 in industriellen Anlagen nach Kraftkosten allein auf Mk. 070—1 und inklusive der anderen Betriebs- unkosten und Amortisation und Verzinsung der Ozonanlage auf Mk. 1'20 bis 180. Wird reiner Sauerstoff angewandt, so stellen sich die Zahlen Trinkwasserreinigung durch Ozon. 163 unter Berücksichtigung der dreifachen Ausbeute auf 8—12 Pferdekraft- stunden und der Kilopreis des Ozons nach Kraftkosten allein auf 24 bzw. 36 Pf., und zuzüglich der übrigen Betriebskosten auf rund Mk.060— 090, wozu noch die Kosten für den Sauerstoff kommen. Um einwandfreies Arbeiten und gute Ausbeute der Ozonapparate, die in zentralen Wasserwerken zu sogenannten Ozonbatterien vereinigt werden, zu gewährleisten, ist es erforderlich, daß die Luft, bevor sie in die Ozonbatterie tritt, möglichst weitgehend getrocknet wird. Dies ge- schieht entweder, indem man die Luft über Chlorcaleium streichen läßt, Fig. 48. Titration mit neutraler Jodkalıumlösung. Gramm Ozon im Kubikmeter Luft (Konzentration) — — — — Gramm Ozon in der Stunde — +.—+— Gramm Ozon für die Kilowattstunde. 421 = I I ni Bere zuerreren il EOBEBENEEERNNE don at 18 20 Kubikmeter Luft in der Stunde Charakteristik eines technischen Ozonapparates. oder indem man die Luft durch Abkühlen von ihrem Feuchtigkeitsgehalt befreit. In größeren Wasserwerken sind zu dem Zweck besondere Kühl- maschinen vorgesehen. Prinzipien der Ozonluftverteilung in den Sterilisations- apparaten. Um nun das Ozon zur Sterilisation von Trinkwasser benutzen zu können, muß es in besonders dazu konstruierten Apparaten, den Sterilisa- tionstürmen, innig mit dem zu sterilisierenden Wasser, das natürlich ge- nügend vorgereinigt sein muß, gemischt werden. Bei den Sterilisationsapparaten kommt entweder das Prinzip der in der Gas- und Wassertechnik bekannten Skrubber- oder Rieseltürme zur 164 Ge. Erlwein. \nwendung, in denen das in feiner Verteilung herabfließende Wasser im Gegenstrom der Ozonluft begeenet, oder es wird von den Wasserstrahl- pumpen (den Körtingschen Ejektoren oder Emulseuren), welche das unter Druck einlaufende Wasser durch Saugwirkung mit Ozonluft in feiner Ver- teilung mischen, Gebrauch gemacht. In wieder anderen Systemen wird Ozonpreßluft benutzt, die in den von Wasser durchflossenen Türmen unter Benutzung von mehreren feingelochten Querwänden zu feinen Bläschen verteilt wird. Bei manchen Sterilisationstürmen sind die eben genannten Fig. 49. ÖOzonapparat System Siemens & Halske. Hilfsmittel zur Ozonwassermischung in kombinierter Form zur Anwendung selangt. Durch die Größe der Türme, durch welche die Aufenthaltsdauer des Wassers im Sterilisator bedingt wird, hat man es in der Hand, die Dauer der Einwirkung der Ozonluft auf ein bestimmtes Wasserquantum und damit den Grad der Sterilisationswirkung innerhalb großer Grenzen zu varlieren. In den nachfolgenden Zeilen wird eine kurze Charakterisierung der oben erwähnten Ozonisierungssysteme, und zwar sowohl ihrer Ozonapparate oder Ozonisatoren (a) als auch ihrer Sterilisationstürme oder Sterilisatoren (b) segeben. Trinkwasserreinigung durch Ozon. 165 I. Siemens & Halske. a) Ozonapparate. — Die elektrische Glimmentladung wird zwischen Aluminium- und Glaszylindern eingeleitet. Je ein Alumiumzylinder und ein an seiner Außenwand durch Wasser gekühlter Glaszylinder bilden ein selbständig arbeitendes Ozonröhrenelement, deren gewöhnlich 6 oder 8 in einem gubeisernen Kasten zu einer größeren Apparateneinheit vereinigt sind. Der Aluminiumzylinder ist der innere, der Glaszylinder der äußere Pol eines Ozonröhrenelementes. Fig. 49 zeigt einen solchen Kasten, in dessen mittlerem, von Kühlwasser durchflossenem Teil die Ozonröhrenele- mente parallel nebeneinanderstehend angebracht sind, während der untere leere Teil den Raum für Zutritt der zu ozonisierenden Luft, der obere den für Aufnahme und Abführung der Ozonluft bildet. Die Betriebshoch- spannung beträgt je nach der Periodenzahl des benutzten Wechsel- stromes 6000 — SOOO Volt; ein Pol der Hoch- spannung, nämlich der an den Glasröhren lie- gende, ist durch das Kühlwasser und den (rußeisenkasten geerdet, so dal) der Ozonapparat an seinen äußeren zu- gänglichen Stellen, trotz des Hochspannungsbe- triebes ohne irgend Ozonapparat von Siemens & Halske (horizontale Anordnung). welche Gefahr für das Betriebspersonal berührt werden kann. Die Ozonkastenapparate werden in der Praxis in vertikaler und horizontaler Anordnung ausgeführt. Bei dieser Anordnung ist die obere Wand des mittleren Kastenteils ent- fernt, so daß die Röhren und das zirkulierende Kühlwasser frei liegen (siehe. Fig. 50). b) Sterilisator. Er besteht aus einem mit taubeneigroßen Steinen ca.2 m hoch gefüllten Riesel- oder Skrubberturm (Fig. 51) aus Mauer- werk, in welchem das Wasser von oben nach unten in feiner Verteilung fließt und dabei im Gegenstrom dem unten eingeblasenen, nach oben gehen- den Ozonluftstrom begegnet. Das Ozon, das stets in angemessener Kon- zentration (15—2'5) und großem Überschuß den Turm passiert, geht, soweit es nicht absorbiert und verbraucht ist, im Kreislauf wieder zu den Ozonapparaten zurück. II. v. Tindal-de Frise. a) Ozonapparat (Fig. 52). Die Glimmentladung findet von Metall zu Metall statt, und zwar von einer Metallrinne zu einer oder mehreren Me- 166 Gg. Erlwein. tallscheiben, die senkrecht zur Längsachse der Rinne stehen. Die gub- eiserne Metallrinne hat eine Doppelwand, durch die Kühlwasser fließt, und ist oben durch Glasplatten luftdicht abgedeckt, in welchen die Zuleitungen zu dem nicht geerdeten Hochspannungspol — also den Metallscheiben — iso- liert angebracht sind. In den Stromkreis sind vor den nicht geerdeten Pol außerhalb des Ozonapparates Widerstände von großer Ohmzahl in Form Fig. 51. G G,; TER G ;_ — Ma a ei, ee Tufl Schnitt durch einen Skrubberturm. A Rohwasserbassin, B Reinwasserbassin, C Absperrventil, D Wasserverteilungskasten, E Siebe, F Roste. @ Ozonzuleitung, H Ozonableitung. von elvceringefüllten dünnen Glasröhren eingeschaltet, welche Funkenent- ladungen und störende Kurzschlüsse verhindern sollen. Da in der Metall- rinne eine Reihe parallel zueinander stehender Entladungsplatten ange- bracht ist. bilden die außenliegenden vorgeschalteten Glycerinwiderstände eine Art Gitter über dem Ozonapparat. b) Sterilisatoren. Es sind 6—7 m hohe Türme aus Eisen von 1 m Durchmesser, die mit mehreren perforierten Querwänden aus Üelluloidplatten versehen sind. Das Wasser fließt von unten nach oben durch den Turm Trinkwasserreinigung durch Ozon. 167 und erfüllt den ganzen Turmquerschnitt; das Ozon wird ebenfalls von unten nach oben durch den Turm gedrückt und jedesmal beim Passieren der Querwände in viele sehr kleine, für die Absorption vorteilhafte Bläs- chen verteilt. Durch die Wahl des Turmquerschnittes bzw. der Wasserge- schwindigkeit kann in diesem Turm die Kontaktdauer des Wassers mit dem Ozon beliebig gestaltet werden (Fig. 53). III. Abraham- Marmier. a) Ozonapparat. Die Entladung findet bei 12.000—15.000 Volt zwi- schen zwei quadratmetergroßen Glasplatten statt, die an den beiden Außen- seiten durch anliegende Metall- kästen, durch welche Wasser fließt, gekühlt werden. Um Kurzschluß zwischen den Hoch- spannungspolen zu vermeiden, ist der Kühlwasserstrom zwi- schen der gemeinsamen Wasser- leitung und den Kühlkörpern durch einen Regenfall unter- brochen. In luftdicht geschlos- senen Kästen werden eine Reihe von Entladungsplatten, die senkrecht zum Kastenboden stehen. zu einer gröberen Apparateneinheit vereinigt (Fi- gur 54). b) Sterilisationsturm. Er besteht in einem Skrubber- oder Rieselturm, in dem das herab- rieselnde Wasser der Ozonluft im Gegenstrom begegnet. Ozon-Apparat Tindal.de Frise. ram IV. Marius Otto. a) Ozonapparat (ältere Type). Die elektrische Hochspannung von 11.000— 15.000 Volt entlädt sich zwischen einem äußeren feststehenden Eisenzylinder und einer Reihe von runden Aluminiumscheiben, die auf einer zentral im Eisenzylinder liegenden rotierenden Achse befestigt sind (Fig. 55). b) Sterilisationsturm (ältere Ausführung). Ein Turm nach Art der Rieseltürme ist an seinem oberen Teil mit einem Emulseur versehen, der nach Art der bekannten Wasserstrahlpumpen oder Körtingschen Ejek- toren die Ozonluft einsaugt und das Wasser zuerst mit Ozon innig mischt. während in dem unter dem Emulseur liegenden Raum des Turmes noch 168 Gg. Erlwein. eine Nachwirkung des Ozons auf das über fließende Wasser erfolgt (vgl. Fig. 70). festes Verteilungsmaterial Neuere Ausführung: Die Türme sind mit Emulseuren versehen, deren \bflußrohre bis auf den Boden des Turmes verlängert sind, im Emulseur vorbehandelte Wasser Ozonableitung Schauglas f Wassereintritt Ozoneintritt - de Frise-Turm. leitungsrohres, durch welches Wasser so dab das Turm dureh die vom Boden nach Fig. 54. el eu SA nasser Ofon BE ul Im 1 I mi ÖOzonapparat System Abraham-Marmier. oben steigende Ozonluft nochmals nachbehandelt wird (vgl. hierzu Fig. 63). V. Vosmaer. a) Ozonapparat. Zylinderele- mente mit Entladung von Metall zu Metall unter Benutzung eines miteingeschalteten Kondensators und einer Induktionsspule in den Betriebsstromkreis zur Vermeidung von Funkenbildung oder Kurz- schlüssen in dem Entladungsraum. b) Sterilisationsturm. Verwen- det wird ein Turm in Gestalt eines weiten ca. 10 m hohen Wasser- in einer Vollsäule fließt, die von fein zerteilter Ozonluft, deren Verteilung an ihrer Eintrittsstelle geschieht, in ihrer ganzen Ausdehnung durchperlt wird. VI Bridge. a) Ozonapparat. In den Ozonapparaten, die in Röhren oder Platten- form ausgeführt werden. ist der Entladungsraum abgegrenzt von einem Dielektrikum als äußerem Pol, der seine Stromzuführung durch aufliegendes Trinkwasserreinigung durch Ozon. 169 Aluminiumblech erhält, und von einem Metall als innerem Pol. Durch Löcher des Innenpols, die nach der Innenseite des Entladungsraumes zu erhöhte Ränder haben. an denen intensive Büschelentladung stattfindet, streicht die Luft und hat so eine große Anzahl einzelner wirksamer Ent- ladungsbüschel zu passieren. Die Betriebsspannung ist ca. 10.000 Volt (Fig. 56). b) Sterilisationsapparate. Sie sind in Gestalt von ca. 9 m tiefen und 18m weiten, in manchen Fällen mit Kieselsteinen gefüllten Brunnen, in denen ein Wasser- fallrohr bis auf den Fig. 55. Boden führt, ausge- bildet. Am oberen Ende ist das Wasser- fallrohr nach Art einer Wasserstrahl- pumpe oder eines Körtingschen Ejek- tors konstruiert, so dal} das Wasser bei seinem Fall von ca. 12—1'’5 m Fallhöhe die schon mit schwa- chem Überdruck aus den Ozonapparaten kommende Ozonluft ansaugt, sich mit dieser schon im Fall- rohr vermischt und sie dann weiter auf den Grund des Brun- nens bringt, von wo sie in feinen Blasen im Wasser aufsteigt oder durch dessen Steinfüllung weiter ÖOzonapparat System Otfo mit rotierenden Elektroden. im Wasser verteilt wird. Mehrere solcher Apparate sind zu einem System vereinigt (Fig.>7). VII Leon Gerard. a) Die Ozonapparate sind nach dem Typus der Siemensschen Glas- ozonröhre konstruiert und arbeiten daher mit zwei Glaszylindern, die mit Stanniolbelegungen für die Stromzuführung versehen sind. Die zylindrischen und senkrecht angeordneten Glasröhrenelemente, die ihre Luftzuführung unter Benutzung der inneren Glasröhre erhalten, stehen in Öl als Kühl- 170 Ge. Erlwein. flüssigkeit und sind von einem im Durchmesser größeren Zylinder aus Zinkblech umgeben, von dem der Konstrukteur annimmt, daß er die Zirkulation und damit die Kühlwirkung des Ölbades und die Ozonbildung im Entladungsraum infolge seiner Wirkung als elektrischer Kondensator fördere. Mehrere solcher Röhren (gewöhnlich 10 Stück), die mit einer Be- triebsspannune von 10.000-—-12.000 Volt arbeiten, sind in einem mit Öl gefüllten Kasten zu einer größeren Einheit vereinigt (Fig. 58). b) Sterilisationsapparat. Er besteht aus einem ca. 8m» hohen und 1’S m weiten Turm, der durch feste Querwände in drei gleich große über- Fig. 56. Aluminiumplatte FETT in nn ni >>> >ssss>.si>iitsiiIssesssssshsEsssen en N Aluminiumzylinder 55553522325 = 5 mem uacemummmusumnumaunı DET L SL BLZ ZELLE LLB LE LT ALELLL DL LSELGELDLELLEIEN DD 'alaszylinder VGA NN KMNMILNELMINMENER NARBEN: N M_ | So a zaasıanrn.a 2 | ee | © BEIGE EREZEIEH. Dee: a Da ze BB um u 2 7 7 ; ee GEL ELLE L LE LEL EZ ZZ GER LSEELZ ZELLE ZB RER N TREE TUT ÖOzonapparat Bridge. einanderstehende kleinere Türme zerlegt ist, durch die das Wasser der Reihe nach von oben nach unten fließt und dabei auf seinem Wege mit Ozon von steigender Konzentration in Berührung gebracht wird, Die Mischung des Wassers mit Ozonluft in den einzelnen Türmen erfolgt zuerst in Fall- röhren. die an ihrem oberen Ende mit Ejektoren versehen sind und in ihrem unteren Ende in ein System von auf dem Turmboden liegenden, dnrehlöcherten Röhren münden, von denen aus die Wasser-Ozonluftemulsion springbrunnenartig in den leeren Turmraum spritzt. Die Luftsaugleitung des Ejektors im untersten Turm erhält das Ozon direkt aus den noch mit zusätzlichem Gebläsedruck arbeitenden Ozonapparaten, während die Ejektor-Saugleitungen der Türme 2 und 3 aus den Turmräumen 1 bzw. 2 Trinkwasserreinigung durch Ozon. er: das dort nicht verbrauchte überflüssige Ozon absaugen und so zweck- entsprechend ausnutzen (Fig. 59). Die einzelnen im vorstehenden kurz charakterisierten Systeme arbeiten in der Praxis in Anpassung an die durch die Turmkonstruktion gegebene Kontaktdauer zwischen Wasser und Ozon mit verschiedenen Ozonkonzentra- Fig. 58. Fig. 57. Es -&b Sterilisator Bridge. Ozonapparat Gerard. tionen, deren Werte zwischen 1'5 und 6 (d.h. Gramm Ozon im Kubik- meter Ozonluft) schwanken. Im Verlauf der Entwicklung der Wasserozonisierung fanden aus tech- nischen Gründen verschiedene Kombinationen der genannten Systeme statt. So haben Siemens & Halske ihre Ozonapparatur in vielen Fällen der Praxis mit den Sterilisationstürmen von Tindal-de Frise und in einem Einzelfall mit dem Ottoschen Emulseurturm neuester Konstruktion kom- biniert. Otto hat seinen Emulseur und den neueren Typus seines Emulseur- turmes mit den Plattenozonapparaten von Abraham-Marmier vereinigt. 12 Gg. Erlwein. Von den vorgenannten originalen oder kombinierten Systemen haben im Betrieb von kommunalen zentralen Trinkwasserversorgungen Eingang gefunden oder sind für solche vor- BE RU NER gesehen und zurzeit im Bau: EI— + Wasserzufluß a) Das von Siemens d Halske ISIN in Wiesbaden (250 m® Wasser pro Fig. 59. jun Stunde) und in Paderborn (150 m® Injektor 3rOE NN pro Stunde); and ' N b) das kombinierte System | tl / N Siemens-de Frise, ausgeführt in N Ten l N Hermannstadt in Ungarn (180 m® NE HEN pro Stunde), dann bei Vergrößerung rs NS des Ozonwerkes von Paderborn und bei den Ozonwerken der Städte Chemnitz (450 m® pro Stunde), Ro- Injektor 272! NN | ee | IN vigo (80 m® pro Stunde) und Flo- I // IN renz (250 m?); BR IN NN c) das Tindal-de Frisesche NEN System in Ginnecken (100 m®) in KEN Holland: Injektor ı (4o—- Ozonlaft d) das von Abraham-Marmier Dritte IN in Cösne-sur-Loire (200 m? pro Behandlung F Stunde): e) das von Otto in Nizza bzw. Bon-Voyage und Rimiez (2000 m® bzw. 600 m®) und in Villefranche, Monte-Carlo, Mentone (1100 m®) ; f) das kombinierte System Otto- Abraham-Marmier in Chartres (250 m®) und in der einen Betriebs- hälfte des großen Ozonwasserwerks der Stadt Paris (2000 m’ pro Stunde); g) das kombinierte Siemens- IIISAIIITORIIURS Ottosche System für die zweite Be- NN triebshälfte des Wasserwerks Paris Be N für ebenfalls 2000 m® Stundenlei- UN stung, sowie für das große Ozon- werk Penkowaja der Stadt Peters- burg (2500 m® pro Stunde); h) das von Bridge —. der nach seinen Erfahrungen mit dem a REITER TE nunmehr von der Technik verlas- senen System Vosmaer ein neues System geschaffen hat — in Lindsay (150 m® pro Stunde) und Ann Arbor (350 m®) in Amerika. Trinkwasserreinigung durch Ozon. 173 Für die konstruktive Einrichtung großer zentraler Ozonwasserwerke werden zurzeit nur noch die kombinierten Verfahren: Siemens-de Frise, Siemens-Otto und Otto-Abraham-Marmier gewählt. Technische Einrichtung zentraler Ozonwasserwerke. An der Hand photographischer Abbildungen und Schemata soll nun in nachstehendem die Einrichtung einiger mit verschiedenen Sterilisations- systemen arbeitender zentraler Ozonwasserwerke erläutert werden. Da die beiden großen Ozonwasserwerke der Städte St. Petersburg (Penkowaja) und Paris (St.Maur), welche zur Bekämpfung von Cholera- und Typhusepidemien errichtet worden sind, typische Beispiele für die Einrichtung von Ozon- wasserwerken großen Stils vorstellen, so sollen diese an erster Stelle be- sprochen werden. Ozonwasserwerk Penkowaja in St. Petersburg. (System Siemens-Otto.) Das Ozonwerk hat bakterienhaltiges und besonders zur Zeit der Schneeschmelze außerordentlich durch Trübungen und Schwebestoffe ver- unreinigtes Newawasser zu sterilisieren. Das Rohwasser muß daher vor der Sterilisierung, d. h. vor dem Eintritt in die Sterilisationstürme, durch Schnellfiltration von den Schwebekörpern befreit werden, da gröbere — in ihrem unzugänglichen Innern Bakterien einschließende — Schwebestoffe die Ozonwirkung sehr erschweren würden. Aus diesem Grunde besteht das Werk Penkowaja aus 2 Hauptteilen: aus der Filteranlage und dem eigent- lichen Ozonwasserwerk. Die Filter der Anlage (35 Stück, davon 10 Reserve, Fig. 60), die ca. lm mit 2mm-Kies und unten mit gröberem Kies gefüllt sind und mit Filtriergeschwindigkeiten von 45 m pro Stunde — gegen 100 mm der gewöhnlichen Bakterienlangsamfilter — arbeiten, leisten in Verbindung mit einer Präzipitation des Wassers durch Aluminiumsulfat rund 2000 m® pro Stunde. Bevor das Wasser auf die Schnellfilter gelangt, wird es mit Aluminiumsulfat (ca. 30 9 auf 1 m® Wasser) versetzt und ihm Gelegenheit gegeben, 2 Stunden in groljen Absetzbottichen das ausgefällte Aluminium- hydroxyd nebst eingehüllten Schwebesubstanzen zum größten Teil absetzen zu lassen. Von den Filtern aus geht das Wasser genügend vorgeklärt, aber noch bakterienhaltig, durch freien Fall in die Sterilisationstürme des Ozonwerks, das aus der Maschinenhalle mit den Antriebsmotoren, Elektromotoren, Hochfrequenzumformern und Schaltbrett und der davon durch eine Wand getrennten Halle für die Ozonbatterien, Transformatoren, Sterilisations- türme und Luftkühlmaschine besteht. In dem Maschinenraum stehen 3 Dampfmaschinen zu je 150 Pferdestärken (1 Reserve), welche 3 Haupt- stromgeneratoren treiben, die ihrerseits die Umformermotoren zur Erzeu- gung des Hochfrequenzstromes speisen. E. Abderhalden, Fortschritte. X. 16 Ge. Erlwein. Die Ozonbatterie (Fig. 61) hat 128 auf Gestellen montierte Ozon- apparate (davon 32 als Reserve) der Siemensschen Konstruktion zu je 6 Elementen mit je einem inneren Aluminium- und äußeren Glaszylinder. Die Ozonbatterie arbeitet mit einer Betriebsspannung von 6500 Volt bei 500 Perioden und erhält Luft zugeführt, die zur Erhöhung der Ozonaus- beute durch Eismaschinen entsprechend vorgetrocknet wird. Filteranlage. ÖOzonwasserwerk Petersburg. fig. 61. Trinkwasserreinigung durch Ozon. 179 Das in der Ozonstation hergestellte Ozon von der Konzentration 3 (3 9 Ozon im Kubikmeter Luft) gelangt mit dem Wasser in innige Be- rührung und Reaktion in den 5 Ottotürmen (1 Reserve). Jeder der runden Türme, die aus Zementbeton hergestellt sind, hat 4 Emulseure mit ver- längertem Ausflußrohr für eine Stundenleistung von je 125 m® Wasser, so daß der einzelne Turm 4x 125 = 500 und die ganze Turmanlage daher 16* Ozonapparate, Ozonwasserwerk Petersburg, D 176 Gg. Erlwein. 2000 m° Wasser pro Stunde gibt. Ein Bild von der Turmanlage gibt Fige.62. Die Konstruktion des Einzelturmes mit der Entlüftungskaskade ur Entfernung des überschüssigen Ozons ist aus Fig. 63 zu entnehmen. Die Art und Weise, wie die im Ozonwerk ausgeübten drei Einzelverfahren: Vorklärung durch Präcipitation, Filtrierung und Ozonisierung zu- sammenarbeiten und ineinander übergreifen, ergibt sich am besten durch Be- Ozonwasserwerk Petersburg, Sterilisationstürme, durch die Emulseure in 2 den Sterilisationsturm, um dann nach Passieren der Entlüftungskaskade in das Reinwasserbassin zu gelangen, von wel- chem aus Hochdruckpumpen das städtische Leitungs- netz gedrückt wird. Beim Eintritt die Klärbehälter erhält es automatisch geregel- ten Zusatz von Alaun- lösung, beim Durchgang durch die Emulseure (Wasserstrahlluftpum- durch Fallwirkung die Ozon- luft der Batterien an und mischt sich derselben innig. Das seit 2 Jahren genommene mittels in Betrieb Wasserwerk, das unter dauernder Überwachung der Stadt steht, bakteriologische und technische Resul- tate ergeben. Die An- lage ist inzwischen auf Stunde Trinkwasserreinigung durch trachtung des Schemas der gesamten Anlage (Fig. 63). Wie daraus zu ersehen, nimmt das Wasser von der Schöpf- stelle an der Newa aus seinen Weg zuerst in die Absetzbehälter., dann nach 2stündiger Absetzzeit von hier in die Schnellfilter, fließt Ozon. WESISI/D/DU Vz DIYESMS N EN AN MM z\ =Iie IY SV SR =! -1 je! o| be} n| rn S| = yy Sl % S| Y Nr ISSN, o | | 2 Sr Ex 2 N vn = zu \ 2, je A [e7 Prung » Fall = = ; IN N Y — LENNY} \ (B))) N E N ie i \ .2 INS B 7 =! | | et ] DR N 7 \ | | | nA \ | ah IN \ \ ER Are s ! =) 22 z7 t / ) “s = \ | : a \ | ın ml a IN 3 \ | IN N \ in Fig. 63. ar chälter - 95 Q Neimvarsoz Ruft [23 T & 2 <= I= SICH us, = BA lese cozunt Le ET IT EU 5 } = ee | [S= ui Er Se. ah burn" y = > = r Lt I x er LES \ 3 . e® } mit = | 5 L PPNSISISIISISSUSS) S 2 'n En en) » i==i: == NM [7] Il IN hat [ex U u & 1 n 5 5 I m > I | U EN Im S = fi WM; B Il NS z y7 GG ——— >> NS Az W7, © N von i % N \ MES US IST, 657 Sen SSH, y] SÜSVSUSUSUS Ozonwasserwerk Petersburg (Schema). —) -1 S Gg. Erlwein. vergrößert worden, auch ist die Ozonisierung des gesamten Wassers der Stadt Petersburg (ca. 11.000 m® pro Stunde) in Aussicht genommen. Die Gestehungskosten für Reinigung und Sterilisierung eines Kubikmeters Wasser in der Anlage betragen 0°9 Pfg. für die Ozonisierung und 09 Pfg. für die Vorreinigung und Schnellfiltration, also im ganzen rund 1'8 Pfg. pro Kubikmeter. Ozonwasserwerk der Stadt Paris in St. Maur (4000 m® Stundenleistung). Die Stadt Paris ozonisiert in ihrem Zentralwasserwerk in St. Maur Marnewasser, welches durch eine Vorfiltration nach dem System der mehr- fachen Stufenfiltration vorgereinigt ist. Die eine Hälfte (2000 m®) der Gesamtleistung wird nach dem System Abraham-Marmier-Otto 0zoni- siert. während die andere Hälfte nach der Methode Siemens-Otto behan- delt wird. Die Fig. 64 mit den darunter stehenden Erläuterungen der Ein- richtung zeigt auf der linken Seite die eine nach dem System Abraham- Marmier mit Plattenapparaten arbeitende Ozonbatterie, auf der rechten Seite die Siemenssche Batterie mit Ozonröhrenelementen. Die fünf zu selb- ständigen Untergruppen unterteilten Gruppen der Ottoschen Ozonbatterie enthalten 80 Plattenapparate, die Siemenssche in 8 Gruppen geteilte Ozon- batterie 80 Kasten mit 240 Ozonröhrenelementen. Die beiden Batterien, die maximal je 80 Kilowatt aufnehmen können, aber im Pariser Betriebe in Wirklichkeit mit niedrigerem Energieverbrauch arbeiten, können bei Vollbelastung 8000 g Ozon von der Konzentration 3 geben. Der Energie- aufwand zur Sterilisierung eines Kubikmeters Wasser beträgt in Paris einschließlich der Energie für die abnorm große Wasserhebung auf den Turm und für Luftkompression und Luftkühlung 60—70 Wattstunden. Rechts und links im Vordergrunde sind die Ottoschen Emulseur- türme mit ihren durch Glasplatten abgeschlossenen Kaskadenräumen zu sehen. In der Mitte des Bildes befinden sich die an das städtische Netz angeschlossenen Hochfrequenzgeneratoren sowie die Hauptschalttafel. Ozonwasserwerke des Systems Siemens-de Frise und der älteren Systeme Siemens, Otto und Abraham-Marmier. In die Einrichtungen der Ozonwasserwerke, die nach dem System Siemens-de Frise und den älteren Systemen von Siemens, Otto und Abraham-Marmier gebaut sind, geben die nachstehenden Abbildungen und Schemata einen Einblick. In den Abbildungen Fig. 65 und 66 ist der Batterie- und Turm- raum des für eine Stundenleistung von 250 m® nach dem System Siemens- de Frise gebauten Ozonwerks Chemnitz dargestellt. Das Ozon von der Konzentration 15 bis 2 wird aus der Siemensschen Ozonbatterie, deren (er) "uspunw o1mesjnwrf ıop uodungıejıyoy oıp punan) us1ep jn® “aewanyınes I -[nwsf UHp SU® SIOsSe AA UHNIOISTTLIAIS SEP JUEISNY O TO "NIyn} uernespnmn UAp NZ UOZG) SEP aydToMm ‘Bunnopigoy-uoLzN N “MW mW 'omO WeIsÄg anospnug z7 ‘7 'Panospnum Ten eıp ang Sungropayoagngnz .y 17 "uegey eumospnwpg PIP JNB Ay a0p Fnejsny WwoA dosse A Stp PUDTOMm ‘uaedwng Hyosıayyofe ff “pr pr "uoseıq oyeaeddruoz(g HIp ur 4m ouoyoo«} pun ogpex] oIp oyojom “unrogepiyuoA Oydstagyolt 77 "F U] Asp Zunuyxoong ınz euryasewigny zd 79 "TOLAEUAN-IOION af A 1 "(aoddnar) g) suawars wegsig oyearddv -uoz() app prioggugg 7 "luoddn.in 6) org -wonrypıgp wogsAg oyewddwuozQ A9p oOrIOyRA (7 "IOMLOSSEMUOZQ WI sEWong maydsıle[fe Sep ZungrspeA nz [Jens da ‘av "IMeW-IJUTeS nz SLIBg IPUIS Op NIEMIOSSTMUOZO =) (=) N oO „a 2 | >) ro) on = = on .-_ | .-_ (eb) Pan _ © 177} 7) S E B-] \= - = 79 80 IS0 Ge. Erlwein. horizontale Kasten, wie aus der Fig. 65 ersichtlich, auf Gestellen in Reihen montiert sind, durch Naßluftkompressoren angesaugt und in die ca. 5m hohen, mit luftverteilenden Querwänden versehenen Sterilisationstürme Frisescher Konstruktion gepreßt. Wasser und Ozonluft, die unten in den Turm eintreten, durchströmen ihn in gleicher Richtung. Die Größe der Sterilisationstürme ist so berechnet, daß das Wasser von seinem Eintritt in den Turm bis zum Austritt ca. 3 Minuten mit der Ozonluft in innigem Kontakt bleibt. Da das aus Sickergalerie und Flachbrunnen kommende bakterienhaltige Wasser klar ist, ist eine Vorfiltration nicht nötig. Özonwasserwerk Chemnitz. Maschinenraum mit Ozonapparaten. EG A Trinkwasserreinigung durch Ozon. 181 In Florenz wird die von den Ozonbatterien kommende Ozonluft mittels Naßluftkompressoren in die de Frise-Türme gepreßt, in welche Fig. 66. das klare, aber bakterienhaltige Quellwasser in freiem Fall fließt. Die technischen Anordnungen von Anlagen nach Siemens-de Frise, bei welchen mit der ÖOzonisierung eine Vorreinigung durch Schnellfilter, wie in Rovigo und Hermannstadt, verbunden werden muß, lassen sich deutlich aus dem Schema Fig. 67 erkennen. Als Schnellfilter können in solchen Fällen die in der Technik bekannten, mit Filtriergeschwindig- Ozonwasserwerk Chemnitz. Sterilisationstürme, ui F S Gg. Erlwein. keiten von 3—5 m . arbeitenden Jewell-, 1 BEER: Oesten-, Breda-, Boll- N AR IRQ RR mann-, Reissert- und N Sucro-Filter vorge-. \ N: schaltet werden. DI» Ansdem schema- \£ tischen Bild des Ozon- Sterili. sntions- turm (A NUN ÜÜÜÜÜÜRÜRÜTERRÜRÜÜQÜQÜÜT N man die Einrichtun- | IS F > III gen des älteren Sie- | Ber OT mensschen Ozonisie- | s Mi rungssystems, wie es | Ned auch in der als Re- x | x S SITAH: R servewasserwerk be- | IN® IS ||, E trachteten Ozonan- l B | ; | : lage in Wiesbaden A | fer? 3, ee (Fie.69) zur Ausfüh- s | | am ig‘ = E a rung gelangte, be- u £ Er 5: züglich Batterie- und - —— N x Es Turmkonstruktion i 25 kennen. Bei dieser 5 Ausführung wurde En das Wasser auf vier- > eckige, mit Kiesel- F steinen gefüllte Rie- zZ seltürme gebracht, in welchen es in feiner Verteilung herunter- floß und im Gegenstrom mit dem von unten nach oben ge- preßten Ozonluftstrom in innige Berührung kam. Die in die Rieseltürme eingedrückte Ozon- luft von der Konzentration 1'5 wurde Batterien mit vertikal ste- henden Kästen und Röhren (vergl. Fig. 69) entnommen. Im Ozonwerk Paderborn, wo das klare, aber bakterieninfizierte Wasser der Paderquellen zur Verfügung steht und daher keine Vorreinigung nötig ist, nimmt das Wasser den in der Fig. 68 gekenn- zeichneten Weg von der Schöpfstelle durch die Rieseltürme über die Ent- oO Trinkwasserreinigung durch Ozon. 33 lo} Je lüftungskaskaden nach dem Reinwasserbassin. Neuerdings sind, wie bemerkt sei, bei der Erweiterung des Werkes Frise-Türme aufgestellt worden. ol Seren - ‚Schema des Ozonwasserwerks in Paderborn (System Siemens & Halske). S Rohwasserbassin, APumpenschacht, U Entlüftungsanlage mit Reinwasserbassin, I/Sterilisationstürme, O Transformatoren und Ozonapparate. Die Fig. 70 zeigt in schematischer Darstellung die Einrichtung des Ozon- werks Nizza (1500 m® pro Stunde), bei welchem das ältere Ottosche System Fig. 69. ar Ez Senkrecht stehende Ozonapparate im Wasserwerk Wiesbaden -Schierstein. (Plattenapparate und Türme, die mit kombinierter Emulseur- und Skrubber- wirkung arbeiten) zur Anwendung gelangte und Fig. 71 gibt das nach 184 Gg. Erlwein. dem alten System Abraham-Marmier (Plattenozonapparate in Verbindung mit großen, mit Steinen gefüllten Rieselern) errichtete Ozonwerk der Stadt Cösne ebenfalls im Schema wieder. | > - | IA ta RI - DER®: ee 1 KIN | ‚Schalttafel | N ame) 5 x | en! | ee ' ——— er | | Sir. Keil. | > SEA || IT @ @) Kompreser || Pur Ka Ne Ha |a| | | | L r | Q Lead n Dam nn =, | L wer | | » I | | | > # | AD I | H N IT Bw T 1 Sl. IK | See), SAN ATI FIT POEERON I / ‚ | Trensfrmaloı U 11 j || N N | h | H e | FESTNETZ | Emulseur —fabel ANRRINAINNTNRARENDANDENNANNNANAANRERNVENNNNUN?, ) Uül S [3 m on un S m DER Reinwasserabfluss Ozonwasserwerk Nizza (Schema). Die Özonwasserwerke aller Systeme haben folgendes gemein- sam: Sie erfordern eine eigene elektrische Kraftstation oder Anschluß an Trinkwasserreinigung durch Ozon. Reinwasserabfluss R le = ia nm R Sr &6 N « es ES H SS SINE ÜSs KON Pumpe | Rohwasserzufluss 185 Ozonwasserwerk Üösne (Schema). IS6 Gg. Erlwein. ein Zentralwerk zum Betrieb von Wechselstromgeneratoren, Transforma- toren, um die Wechselstromprimärspannung auf die für den Betrieb er- Fig. 72 m = En E 5% A IV u 445° ae); n 9) Kleine Sterilisationsanlage für 2—5 m? Wasser pro Stunde. = I torderliche Hochspannung zu transformieren, Saug- oder Druckpumpen zum Absaugen des Ozons aus den Batterien und zum Einführen desselben in die Sterilisationstürme sowie Anlagen zum Trocknen der zu 0zo- fig. 78. Trinkwasserreinigung durch Ozon. 187 nisierenden Luft. Sie müssen, wenn das vorliegende Rohwasser nicht schon eine genügende Klarheit hat, mit Schnellfilter- und mitunter auch noch mit Präcipitations-Anlagen zur Entfernung von Schwebestoffen verbunden werden. Auch müssen sie mit Sicherheitsvorrichtungen versehen Filterwagen. Fahrbare Ozonanlage (System Siemens). sein, die selbsttätig verhindern, dab Wasser bei Betriebsstörungen un0Z0- nisiert und daher unsterilisiert den Sterilisationsturm verläßt. Störungen des Betriebes können eintreten, wenn der Strom für die Transformatoren versagt oder die Spannung am Transformator unter ein gewisses Mindest- 4 Fig 188 Ge. Erlwein. mal) herabzeht oder wenn die dem Turm zugeführte Luft beim Versagen der Kompressoren ausbleibt. In Ergänzung des vorangehenden Abschnitts möge nicht unerwähnt bleiben, dab auler in Gestalt zentraler Anlagen das Ozonisierungsverfahren | | . 1 f { \ i I \ | auch in kleinen Einzelanlagen Eingang in die industrielle Praxis gefunden hat. Anlagen dieser Art (Fig. 72) von 2—5m3 pro Stunde, deren Betrieb I— 2 Pferdestärken braucht und die daher an jedes elektrische Hausnetz angeschlossen werden können, haben Verwendung auf Kriegsschiffen, in Fahrbare Ozonanlage (System Siemens) in Betriebsstellung, Trinkwasserreinigung durch Ozon. 189 Fortifikationen und in der Fabrikation künstlicher Mineralwässer gefunden. Die Fig. 72 zeigt eine solche kleine, aus Wechselstrommaschine, Konsole mit Ozonapparat und Transformator und Sterilisationsturm bestehende in- dustrielle Ozonanlage. Auch hat man Ozonisierungsanlagen für die Zwecke der raschen Be- schaffung guten Wassers für das Militär im Felde oder auf Truppenübungs- plätzen transportabel hergestellt. Solche Anlagen mit Wasserleistungen von 2—3 m® pro Stunde sind aus den Bildern (Fig. 73 und 74) ersicht- lich. Die gesamte Apparatur ist auf 2 zweirädrigen Wagen montiert. Auf dem einen Wagen, dem Maschinenwagen, befinden sich der Benzinmotor mit dem mit ihm direkt gekuppelten Wechselstromgenerator, der Wasser- pumpe und dem Luftgebläse, während auf dem zweiten Wagen die ruhen- den Teile: der Sterilisationsturm, Filter und Transformator untergebracht sind. Ozonkarren dieser Konstruktion sind von der russischen Militärver- waltung mit gutem Erfolg im russisch-japanischen Krieg in den Zentral- lagern und Lazaretten in Mukden, Charbin und Wladiwostok verwandt und neuerdings auch von der chilenischen, spanischen und französischen Armee eingeführt worden. Die bakteriologischen Leistungen der Ozon- karren sind, selbst bei sehr stark infiziertem Rohwasser, nach der neueren eingehenden Untersuchung von Proskauer und Sobernheim als einwandfrei zu bezeichnen. Ökonomie des Ozonverfahrens. Die Gestehungskosten eines Kubikmeters ozonisierten Wassers schwan- ken naturgemäß je nach den vorliegenden lokalen Verhältnissen innerhalb beträchtlicher Grenzen und sind von folgenden Faktoren abhängig: a) den lokalen Kraftpreisen, 6) der Ausbeute der Ozonapparate an Gramm Ozon pro Kilowatt- stunde, c) dem Kraftaufwand zum Einpressen oder Einsaugen der Ozonluft in das Wasser, d) dem Reinheitsgrad des Rohwassers bzw. dessen Ozonverbrauch pro Kubikmeter, e) der Höhe der lokalen Arbeitslöhne und J) der Höhe der Amortisation und Verzinsung der Anlage. Unter der Annahme eines Kraftpreises von 7 Pfg. pro Kilowatt- stunde und unter Zugrundelegung der Ozonausbeute guter technischer Ozonapparate und eines Ozonverbrauches von beispielsweise 29 pro Kubikmeter Wasser stellen sich die gesamten Unkosten pro Kubikmeter einschließlich Amortisation (10°/,) und Verzinsung (33/,°/,) bei Ozon von der Konzentration 2:5 auf 13 Pfe. für Anlagen von ca. 300 m pro Stunde, bzw. auf 09 Pfg. für größere Anlagen von ca 2000 m® pro Stunde. Bei E. Abderhalden, Fortschritte. X. al 190 Gg. Erlwein. zerinzerem Ozonverbrauch pro Kubikmeter vermindern sich die Kosten um den Preis des weniger aufzuwendenden Ozons. Der Wasserozonisierung müssen für den Fall, dal) eine Vorreinigung des Wassers von Schwebestoffen oder Trübungen erforderlich ist, noch die Kosten der Schnellfiltration zugeschlagen werden, die man nach den Er- fahrungswerten der modernen Filtrationstechnik bei Anlagen von 300 bzw. 2000 m® pro Stunde auf ca. 0'7 bzw. 05 Pfe. pro Kubikmeter einschließ- lich aller Unkosten rechnen kann. Chemischer Effekt der Ozonisierung. Durch die Ozonisierung kommt neben Ozon, das nur ganz kurze Zeit frei im Wasser bleibt und dann durch Zersetzung wieder verschwin- det, nur Luft in das Rohwasser, also ein Körper. der von Natur aus schon in jedem normalen Wasser vorhanden ist. Die Folge der Lüftung (Ozoni- sierung) ist, dal sauerstoffarme Rohwässer an Sauerstoffgehalt ca. 10 bis 20°/, zunehmen. Der Oxydationsgrad des Rohwassers nimmt durch die Ozonisierung entsprechend dem Ozonverbrauch bis zu 30°/, ab (siehe Ta- belle I). Die freie Kohlensäure wird zum Teil entfernt, die Bicarbonate und andere Jen Geschmack des Trinkwassers bedingende Salze werden durch die Ozonbehandlung nicht verändert, auch nimmt das Wasser keinen dauernden Geschmack nach Ozon an. Der Nitratgehalt nimmt infolge der in jedem Ozonapparat auftretenden Spuren von Stickoxyden bzw. Salpeter- säure im Reinwasser um minimale, kaum nachweisbare Mengen zu, die aber, da man die Provenienz des Stickstoffes kennt, nach dem Urteil Ohl- müllers von gar keiner hygienischen Bedeutung sind. Bakteriologische Wirkung des Ozons. Als die bactericiden Eigenschaften des Ozons schon im Laborato- riums- und mittleren Versuchsbetrieb von der Technik untersucht und be- stätigt waren und die Ozontechniker dazu übergingen, das Verfahren der Wasserozonisierung den zentralen Trinkwasserwerken zu empfehlen, ver- langten die Hvgieniker zuerst den sicheren Nachweis, daß durch die Ozoni- sierung, selbst unter den wassertechnisch ungünstigsten Verhältnissen, wirklich alle pathogenen Keime beseitigt werden, also die unter ge- wissen Bedingungen zurückbleibenden Bakterien wirklich nur harmlose Wasserbakterien sind. Nur dann, wenn diese Voraussetzung zutreffe, könne das Ozon als einwandfreies Hilfsmittel der Wasserhygiene betrachtet und von den zuständigen Behörden empfohlen werden. Aus dieser Forderung heraus entstanden die Arbeiten von Ohlmüller, vom Deutschen Reichs- (Gesundheitsamt (1 und 2), von Ermengem (3), von Calmette vom Pasteur- 101 Trinkwasserreinisung durch Ozon. "Ig/0E "SIOAIOSST AN n "[pqsen) 'F’umof ‘oaysjppp P suowarg UA WOYSÄg WOP YORU SUNSTLUTDLIOSSTANULLL Wa SUY (i IN "TO6I "UOPIOR OYIWUID JernsongT pur spop uEUSPAITDSIIgE ummey -pop snu S9p woneagt], yaanp INUOZO AOp uoylo]L uegonbiye uf Wan], wep degurg pum TOA SOLO SEP Punayen 98T UOZO Sec x -uOpAoM OEL AOSSU AA 7 I od owweadıpın "nzq ‘togowytanyyp oad (O UmM) yeurdurunodunmeyy wuvan uopaopordsgus op eG.g I ULOPRASSUONRPÄXO AOSIIO UOrBytLÄgmm y9anp ep 08 “UOPIOn FIONEIAIA AOSSE A AONOWSTny o1d U9HZURISING UOTIEPÄXO A9P UONEPÄXO Anz »Ip ‘FFOISIENKEg uomwe.ais) Ur UOgEFFUR pun SPoygauReurduruno] Top Yowu ywursodg PUIS SIOSSE AM SOP OPEADSUONBPÄXO ld 76:81 6-6 39.0 IININ G.Ie :6 69-0 01:3 |F6-0 |Fe.g sr ge] ST-c |80| TE | 6-8 TI 120168 |198| ers |60| 65| 88 ol SI 1:@ 1:0 86-T | 20| rel sg] 06T \2o|re|ır| Olz ||80|oE|8E| ses |90| TEe|lze| ° '8I SH] 66 a0) el-3 59:0 88:5 |sG-€ | 60.6 || 7.0 | 6E | IE 66 40 | TE | 9-8 el-& |) 9-0 66-8 |9L-€ Et 6 66 81.0 u N) DENE SQ DEE er >> s0\|86| 17 —=9:02]10:6428:6 GT 0:81 82 2:0 — 1190| 28| 8E€ — 21|8|77 — 90. ELE —EH BONES nl 6:91 6 9.0 II 90| 68| 88 Te r0|2€|9€8 a 30186 19€ — 1190| 2828| 88 ee 0-81 G I = 6:0 | 8:41 2-8 - | 2:0| 6.8 | 9-$ — |970|83|&8€ — 1 ROSE | cl 1.86 rc “Lo 8:5 | 80| 7re| SE] Zre 160 |181|08 bes | 90|9|68 866 | LO0| Le| F-$ a! 6:21 VE-C 9.0 28:3 \\#9.0 FF:S 80-8| 098 | 20 | 8-6 | G-& ces | 40 |08|G € 6.-° 19-0 | 0-8| 9€ SET | 0.18 a” Eee Ts | O-T| IH I Hl 91% |E0O|SE|GE c96 I 7116-5 |&F IL. | 20 | 8E| E71 2A 4 8:81 262% | 9.0 PRIN | 2-11 66-6 90 | — |, sc |9G0 | 66 | 77 a | 66:5 |G0 | LE | CT RA eb 89:6 e G1.0 | | ce 160 | I8|0F | ei 096 | 90 | 18 | L8 = 207 06 G1.0 = || -.| #82 j80| TE|6E| 202 20 | LE |8E De | Feel 0.28 6:0 Zar - — | 682 |6o|ae|ı7| 08 |60|08|6€ Seel 0.46 0-T ei re Porer 2] ges 76° | 0-1 | 85188 er Hle= 5 see | 01|6|67 SEireT e2l GL.0 LE or) #877] 88 |20|86|€5 Zee el 0-21 A) Zr ze 1 9% || 20 Fr&| 67 Ta == 5 = 3 ZAONE SO! q Y A <4| | n ee DE a 3: 8 ara [war | vor | „3 8 ||wea | um | an „3 _ 3, wa upon | on | .3 _5 wa [u won ‚B1071U0ZQ wwnsog AT] -guonepkxo| ES IF — | 8 8 87 - = RR S r -— B Ss 5| —— op yarnp | oA [om op uozuou | » Se 6) = ” Se Se a wmyel] SIOsse A TOSSe MA spa wp id = = 51 opeassuonmpÄxO | 4 = S5 || opradsuoımpAxO | - = = 5 || opead3suorwpAxXO | - 3 25 || PpeadsuoyepAxO sop sopuid | zw od sne pyın | ERT 5 au Fr EnwB au BB.wB ayf BnTh| auf 01 -SHOLPEPÄNGO | FO Pwwm.ir) " Ban 3 Ds] Ze 3 Fan 3 'p owuygwugV "19 A BEER ee ER > A) SIOSSE A UOppurgsq AOJ9WmyTqny Old uomwwad ur YONBAAIDAUOZ( ‘u9Ju9ZOAT Ur Bunaoıstuozg) Ip qaanp SOprassuonepsxg Sop owywuqy !sdossenumoy pun SIOSsseAyoy SOp Opw1ssuonrpixQ AOp ZUAOFFLA SIOSSENMUIOY WOJIOISIUOZO UAPUEHFHLTFIL SEP pun SAOSssemyoy UAPUYFVAFULO WLANFSUOLBSILIIG Up u SOp OPe.dsuogepÄxg 192 Gg. Erlwein. Tabelle II!) Bakterienaufschwemmungen in destilliertem, sterilisiertem Wasser. hLLL—L—L—L—————————————— nn Ein- Ver- 12? Luft | Berech- Verhalten der geimpften wirkuugs- brauchte lieferte nete ÖOzon- Anzahl der Mäuse dauer Luft Ozon menge Keime in 1 cm? Aufschwem- « mung?) tot nach | Mikroskopischer Minuten mg Tagen | Befund in der Milz 1) a) Milzbrandsporen. 0 0) 15'2 0 3717000 3 Bacillen 5 3060 465 26000 3 Bacillen 10 5850 s99 0 Nach 14 Tagen noch lebend 20 11850 18011 0 „1 40 23550 3578 0 u Je ee b) Milzbrandbazillen. 0 0 I6 0 57000 4 | Baeillen 2 1200 115 21500 3 | Bacillen 5 3010 28:8 5000 3 | Bacillen 10 6040 | 580 0 Bleibt am Leben ———— Ein- Ver- 12 Luft | Berech- wirkungs- brauchte lieferte | nete Ozon- z dauer Luft Ozon | menge rn = Kae Wachstum in Bouillon in 1 cm? Auf- Erge bei 37:00 C schwemmung Minuten cm? mg c) Typhus. 0 0 0 12247000 ar 2 3100 63 195 0) = 5 7900 498 0) - 10 16500 | 1039 0) _ | d) Cholera. D2,32.70 | zu Anfang 0 2721000 Sr 2 1350 127 EI 0 == 5 3250 zu Ende 403 0 — 10 6450 122 80:0 0 = Mittel 124 !) Aus Ohlmüller, Über die Einwirkung des Ozons auf Bakterien; Arb. aus dem Kais. Gesundheitsamt, Bd. VIII, S. 242 (1891). 2) Hierunter ist die für 1 cm? der bakterienhaltigen Flüssigkeiten berechnete Anzahl von Keimen zu verstehen, welche ermittelt worden ist aus der Zahl der, bei Verimpfung bestimmter Mengen der Versuchsflüssigkeiten in Gelatine, bei Zimmer- wärme ausgewachsenen Kolonien. Trinkwasserreinigung durch Ozon. 193 Tabelle IL‘) Pi 5 o|7 Gesamtzahl?) der Zeus) ee e ie Keime in 1 cm® © sn | 32|5 Oxydierbarkeit für Die Wasser einschließ- 2) | Sig Ann on 1 2 Wasser mg Oxydier-| lich der zugesetzten | © | s EI SE ER Sauerstoffverbrauch | parkeit pathogenen Bak- HM gel nahm terien ® Eee ab um 3, 2? E Sa r- vor | nach vor nach 3 a £ = ARE der Ozoneinwirkung [eV m’ g nur mg auf Gelatine Cholerabakterien | in 1 Teil Spree-, 2 Teilen Lei- | | tungswasser . .| 7 138 1376| 464 | 400 0:64 | 38330 fe) 0 t | Typhusbaeillen in | 2 Teilen Spree-, 1 Teil Leitungs- | | wasser, Wasser | | | aus kondensier- | | | tem“ Dampf-= >. | 7 27,38=|3:79)| .9:365 | 8:16 120 | 16590 98) 0 | | | schen Institut, Paris-Lille (4), von Loir und Fernbach vom Institut Pasteur in Paris und Tunis (5), von Proskauer und Schüder (6 und 7) vom Ber- liner Institut für Infektionskrankheiten (Kochsches) und von noch anderen Forschern, durch welche die Sterilisationssicherheit des Ozonverfahrens hinsichtlich der pathogenen Bakterien von autoritativen und behördlichen Stellen bestätigt werden konnte. Ohlmüller hat als erster in zwei, im Auftrag des Reichsgesundheits- amts ausgeführten, exakten und umfangreichen wissenschaftlichen Arbeiten die bakteriologischen und chemischen Grundlagen der Wasserozonisierung geprüft und sichergestellt. In der ersten Arbeit stellte er generell die Sterilisationswirkung des Ozons auf gewöhnliche und pathogene Bakterien und deren Abhängigkeit von der Ozonmenge und dem Gehalt der im Wasser gelösten vorhandenen organischen Substanzen fest und fabte das Endresultat dahin zusammen, daß das Ozon auf Bakterien, welche in Wasser aufgeschwemmt sind, in kräftiger Weise zerstörend unter der Be- dingung einwirkt, daß das Wasser nicht zu stark mit lebloser organischer Substanz verunreinigt ist; der Erfolg ist der gleiche, wenn die Menge der ) Aus Ohlmüller und Prall, Die Behandlung des Trinkwassers mit Ozon. Arb. aus d. Kais. Gesundheitsamt, Bd. XVIII, S. 430 (1902). ?) Die aus dem nicht behandelten Wasser angelegten Platten wurden nach 2 Ta- gen, die anderen nach 10 Tagen ausgezählt. 3) Die Keime entstammen denjenigen, welche durch Aufkochen nicht abgetötet worden oder während der Abkühlung des Wassers hinzugetreten sind; typhusähnliche befanden sich unter ihnen nicht. 104 Gg. Erlwein. Tabelle IV.') Oxydierbarkeit für 1! Wasser mg Sauerstofiverbrauch In 1! Luft waren Die Keimzahl mg Ozon bzw. in BR a Oxydierbarkeit nach der 1m3g ee an nahm ab um mg Ozonwirkung | a) Cholera in sterilisiertem Spreewasser; 1 cm’ enthielt 16350 Keime; 549 192 688 104 0) 453 792 696 0.96 0 345 1.92 704 0:88 0 2:85 192 | 12, 0:80 0 b) Cholera in sterilisiertem Spree- und Leitungswasser zu gleichen Teilen; 1 cm® enthielt 17850 Keime; Kultur 1 Tag alt bei 30%. 519 5:72 5.00 0:72 0) 441 572 | 488 0:84 0 3:39 572 | 5:04 0:68 0 261 572 | 5:04 0:68 0 | der Ozonwirkung Kultur 1 Tag alt bei 30°. ce) Typhus in sterilisiertem Spreewasser; 1 cm? enthielt 39050 Keime; Kultur 1 Tag alt bei 30°. 4,89 8:40 | 736 1:04 0 4:20 8:40 | 7:52 0:88 | 0 3:54 8:40 | 7.60 0:80 0 2:73 | 8:40 776 0:64 0 d) Typhus in sterilisiertem Spree- und Leitungswasser zu gleichen Teilen; 1 cm? enthielt 31400 Keime; Kultur 3 Tage alt bei 30°. 531 5:60 4:64 0:96 | 0 4:56 560 472 0:88 0 324 560 4:68 0:92 0 240 5:60 4:76 0:84 0 e) Coli in sterilisiertem Spreewaser; 1 cm? enthielt 30600 Keime; Kultur 1 Tag alt bei 30°. 528 184 6:88 0:96 0 4.56 784 6:96 0:88 0 342 7184 6:88 0.96 0 2:49 1854 6:96 0:88 0 f) Coli in sterilisiertem Spree- und Leitungswasser zu gleichen Teilen; 1 cm? enthielt 36000 Keime; Kultur 1 Tag alt bei 30°. 531 584 504 080 | 0 +4 584 5.04 080 0 330 584 520 064 0 2:64 584 524 0.60 0 1) Aus Ohlmüller und Prall, ]. ce. S. 427. Trinkwasserreinigung durch Ozon. 195 Tabelle V.}) 10 m® Betrieb. (Mischwasser ?°/, Spree- und '/, Charlottenburger Leitungswasser.) Anzahl der Keime des Rohwassers vor Eintritt in den Turm und des ozonisierten Rein- wassers beim Austritt aus dem Turm pro m? Wasser, gezählt auf Gelatineplatten am 3. resp. 4. Tage der Entwicklung. | 10 Uhr 12 Uhr 2 Uhr 4 Uhr eg: | = | Roh Rein Roh Rein Roh Rein Roh Rein - | | | | | | 6. Nov. || 52330 8 | 60760 | 0 | 40920 | 0 | 77500 OL TE = I BERN A 600 | 0 | Sue | — —_ 43772 | (0) verfl. 6) verfl. | 0 oe: 56700 | 38 40120 | 7 60480 | 11 66080 | 3 10% 58600 | ) 49600 | 0 57000 0 48830 | 0 ion 73080. 35 75430 | 16 = = AHT213D ) 13: R | verfl. 7 verfl. | 7 verfl. 1 verfl. 11 14: =, "wertl. 732-7: — | — verfl. 0 verfl. — | verfl | | | 9 — - 40320 | 12 55440 10 61310 | u 16, 52920 1 50400 | 8 61520 1 5850| 7 17. 20160 o | aw| o | a0] 0 |aio| ı 7. Dez. = — 1725100 | 5 [z0sse0 | 3 Jıessao| 3 8. 152310 50.156240 \.. 1f 11401102). 1% 180120. 10. y verfl. verfl. verfl. | 4verfl. | verfl. | 2verfl. | 56420 0) | 112”, 119700 | 34 [127300 | 4 76860 | 3 - | 109700 1 Re —_ 95760 | 1 49240 3 64260 5 13, 46620 o lı10ss00 | 2 62740 2 _— || 1A. 41120 6 85400 | 3 | 168100 2 [100800 | 2 15, 121220 | 5 1|110580 | 2 [105520 1 110330| ı IT; 93240 | 10 Jioow0| ı Fussıoı 2 [Jessie 3 18. 65200 9 61100 | 4 55420 | 2 56700 a ı9. „ || 9e320| 8 | 6510| 2 | 9500| 2 | 89500 | 10 leblosen organischen Masse bis zu einem gewissen Grade durch das Ozon oxydiert wird. In seiner zweiten Arbeit erweiterte er seine Versuche mit pathogenen Bakterien und untersuchte dann im Siemensschen Versuchsozonwasserwerk in Martinikenfelde (10 m® pro Stunde), ob pathogene Bakterien der Cholera und des Typhus auch im Großbetrieb eines Ozonwasserwerks mit Sicher- heit abgetötet werden. Gleichzeitig prüfte er dabei auch, in Hinblick auf eine vorher von @g. Erlwein (8) publizierte Arbeit des Siemensschen Labo- ratoriums, ob und welche Veränderung das Wasser in seiner ursprüng- lichen Zusammensetzung durch die Ozonisierung erfährt. Die Ohlmüllersche Tabelle aus seiner ersten Veröffentlichung (Ta- belle II) gibt ein instruktives Bild von der Ozonwirkung in Abhängigkeit von Ozonmenge und Zeitdauer. 1) Aus Erlwein, ]. e. 196 Ge. Erlwein. Die mit hinreichenden Erläuterungen ‚versehenen Tabellen III und IV enthalten einen Teil der Resultate der zweiten, auch auf das Ozon- werk Martinikentelde ausgedehnten Arbeit Ohlmällers mit pathogenen Keimen. Die bakteriologischen Resultate der Siemensschen Dauerversuche im Ozonwerk Martinikenfelde, die vor den Ohlmüllerschen stattfanden, aber sich nur auf nicht pathogene Bakterien bezogen, sind in Tabelle V wieder- gegeben. Die angefügten Abbildungen der Gelatineplattenkulturen (Fig. 75), die bei Rohwasser mit 0'1 em®, bei ozonisiertem Wasser mit 10 cm®3 an- oesetzt und deren Kolonien nach dem 4. bzw. 10. Tag gezählt sind, be- stätiren die Siemensschen Sterilisationsresultate. Gelatine-Plattenkulturen. a) Rohwasser, 5b) ozonisiertes Wasser. Bezüzlich der angewandten bakteriologischen Methodik ist erläuternd zu erwähnen. daß sowohl das Reichsgesundheitsamt wie das Kochsche In- stitut für die Prüfung des behandelten Wassers nicht, wie bei Probeent- nahmen in Wasserwerken sonst üblich, mit nur 1 cm® arbeiteten, sondern bakteriologische Kontrollproben von 180—200 cm® bzw. 20—22 ! nahmen und dabei das Anreicherungsverfahren in Verbindung mit den bekannten biologischen und chemischen Methoden der bakteriologischen Diagnostik benutzten. Die in den Tabellen des Kaiserl. Gesundheitsamtes und des Institutes für Infektionskrankheiten (Tabelle VIund VII) zum Ausdruck kommenden Resultate, nämlich daß durch Ozon alle pathogenen Keime der Cholera, des Typhus und der Ruhr abgetötet und die harmlosen Wasserbakterien yet Trinkwasserreinigung durch Ozon. 197 Tabelle VI.*) Versuche von Proskauer und Schüder (Kgl. Institut für Infektionskrankheiten) im Ver- suchswasserwerk Martinikenfelde. Bakterienzahl Bakterien- Datum vor nach art Ozonisierung 12. März 1902 . . . . .') 600000 0) Cholera TE 2019022. 7.2... 1| 600000 0 x 131902 2 > 2 600000 0 Coli!) Wasser infiziert mit 2er 31902 70.02 2.1 |j/600000 0 Typhus pathogenen Bakterien 2EApEIl 19027 5.5... - || 600000 (0) n 27. März 1902 . . . . . | 600000 (0) Ruhr Tabelle VI.*) Versuche von Proskauer und Schüder (Kgl. Institut für Infektionskrankheiten) im Wasserwerk Wiesbaden-Schierstein. Bakterienzahl vor nach | . Datum | i Bakterienart Ozonisierung | Vergleichs- SeW. | pakterien?) || 127Ju11. 19027 72 22.2.21.600000 0 Coli?) 162.,5.1902% 3... #0221.600000 0 Vibrionen Wasser infiz. lme- 1902, + 5 221600000 0 a | ganz oder bis auf einige wenige, weit unter der Kochschen Gefahrzahl bleibende reduziert werden, begründeten den Wert des Ozonverfahrens und öffneten ihm den Weg in die Wasserwerkspraxis. *) Aus Erlvein, Über Trinkwasserreinigung durch Ozon und Ozonwasserwerke. Vortrag auf der 43. Jahresversammlung des deutschen Vereins von Gas- und Wasser- fachmännern in Zürich 1903. !) Nicht pathogen. 2) Typhusähnliche Coliarten und choleraähnliche Vibrionen, in ihrer Resistenz gegen Sterilisationsmittel den pathogenen Bakterien sehr ähnlich. >) Nicht pathogen. 198 Ge. Erlwein. Die mit den zentralen eroßen Ozonwasserwerken seit Jahren er- zielten bakteriologischen und hygienischen Resultate sind denn auch in jeder Beziehung als gute zu bezeichnen. So sind z.B. in den Städten Paderborn, Hermannstadt und anderen, die früher unter fast jähr- lich wiederkehrenden und mitunter sehr heftigen Typhusepidemien zu leiden hatten, diese Epidemien seit der Inbetriebnahme der Ozonwerke verschwunden. Ein übersichtliches Bild von den seit mehreren Jahren mit dem Paderborner und seit einem Jahre mit dem Petersburger Ozon- werk erzielten bakteriologischen Resultaten geben die graphischen Schemata der Fig. 76 und 77. Eine wertvolle Betriebserfahrung hat sich hinsichtlich der bakteriolo- gischen Kontrolle der Ozonwasserwerke ergeben, nämlich dal das tägliche Ansetzen von Plattenkulturen zur Betriebskontrolle durchaus nicht nötig ist, sondern dal) es schon genügt, wenn in dem aus dem Sterilisationsturm kommenden Wasser durch die bekannte, jede Minute ausführbare Farben- reaktion mit Jodkalistärkelösung freies Ozon, das erfahrungsgemäß die Sterilisationssicherheit verbürgt [Schreiber (9)], nachgewiesen wird. Wenn nun die Frage aufgeworfen wird, in welchen Fällen der Wasser- werkspraxis das Ozonverfahren Bedeutung hat und in Betracht gezogen werden muß, so sind hierfür bestimmend die Schlußsätze, die Ohlmüller, der sich um die Einführung des Ozonverfahrens in die Wasserwerkstechnik große Verdienste erworben hat, am Ende seiner zweiten Arbeit (2) formuliert hat und die hier wörtlich wiedergegeben werden mögen: „l. Durch die Behandlung des Wassers mit Ozon tritt eine beträcht- liche Vernichtung der Bakterien ein; in dieser Hinsicht übertrifft das Ozonverfahren im allgemeinen die Abscheidung der Bakterien durch zen- trale Sandfiltration. 2. Im Wasser aufgeschwemmte Bakterien der Cholera und des Typhus werden durch das Verfahren vernichtet. 3. In chemischer Beziehung wird das Wasser durch das Verfahren nur insofern beeinflußt, daß, eine Abnahme der Oxydierbarkeit und eine Zunahme des freien Sauerstoffes eintritt; beides bedeutet eine Verbesserung des Wassers. 4. Das Ozon, welches bei dem Verfahren das Wasser in Lösung nimmt, ist in technischer und gesundheitlicher Beziehung belanglos, da es sehr rasch in die Form von Sauerstoff übergeht. 5. Das Verfahren verbessert das Wasser durch Zerstörung färbender Substanzen und 6. durch dasselbe nimmt das Wasser keinen fremdartigen Geschmack oder Geruch an.“ Das Ozonverfahren scheidet entsprechend seinem Charakter als Ste- rilisationsverfahren bei gutem Grundwasser aus, das infolge seiner natür- Trinkwasserreinigung durch Ozon. 199 lichen Reinigung beim Passieren unterirdischer gut filtrierender Sand- schichten keine Bakterien enthält und daher als hygienisch einwandfrei ‚Januar o > a a Si oe ee re INN E = BEER BR NNINNNNINN e ni [1 5 © EEE EEE HE BR NN NNINLLLNLN = = Gogh 1] NN] s = | 5 INN Re} &0 2 BAT IE z e 5 = rs R=| BeNeıE 5 SE ae B — og nn a 2 3 0L8 n EEE - SueENz : a BEE 2 = < ern 5 e 5 Bere 2 na, B Bure;E x DSH ee Bz® e oe =! ae = ‚a = S m, ler) en Eee - = - > =] = un oO _ un i= 5 = Ss oaM = sn 83 = Fe ss er ee er < [79] .. < © 2° oil | vs) oo o &3 : RB: 2 Se BE En a En ne = er re ee er Zune = 005 =] an e See a ee E rs = oo. | EEE 2 o un e = o un 5 en = 25 © = - [eb] _ u a2} [ee] "PIUgOSYOIUPUSYIO MA WI A9SSEAMYOYN cWwo T ur auoyy zu betrachten ist. Es hat daher beispielsweise für die Wasserversorgung der norddeutschen Tiefebene mit ihren mächtigen Grundwasserströmen 1904—1910. Jahre 200 | BE EEE EEE [2 a EEE EEE [1 BRBEEEEIEER BEDERBEMM Eu RNEBEIRE | gpEsen Anm mmeims nz EREIZEINER HH ERE = ERBEN 4 BRIERE BSR BRRDNESEHN! EaREEnDE Ä en ESTRERRRERINN Bine 1909 ca. 125 m?/ Std. Von 1907—1909 war die Anlage bedeutend überlastet, da sie |Erweiterungd. Anlage für 125 m? Wasser pro Stunde, fertiggestellt i. Januar 1910 Januar neeerihor 3 e E a,c8l 3 8: a ERREEEEN a 38 eh BERPE Re o| © 3 CH ie — — — — —— ä2| ss} u: BENENBEBER HIN 738 = Em ° 25 En 4 B ee E B 5 ma ii - | A =: Er. IE E ee [ıı I E = ee. 3 | een u. S 5 m © - 1} a — ee BEREZ Be 2: =: | = Er | nz S R-| E PISTEN: IH © 55 F bel] Hm ; 2 s BESBRzUNNN) u = 5 2 | BRREBLNN Mc = Star N = E 2 1 ee. = : — PERS SEIEREEFEFENN 5 a la 3000 max. bis 1906 Bakterien im Rohwasser rer ca. 80 m?/Std | | | . Fr - + 4 —! 5 | ] ı ı | | | BUBERIER zii | | | 1 1 BEEBEREREREREETE DER za m m ER Mi | aa] [| N Januar Bulle | | | N — o 1} | a! | a | | SE E II S = It m—— = Aa EEE | ki nit Eh il | REITEN TI ee au) Bakteriologische Resultate des Ozonwasserwerkes Paderborn während der bis 1905 ca. 60 m?/Std. ca. 60 m3/Std. = o o o = = = z = B=o - E z = zZ En 232 = pe _ = - Suo Sa = om ee: mag =. m © 3 RE: 2eo= SE 32 ans un Trinkwasserreinigung durch Ozon. 201 nur eine verhältnismäßig geringe Bedeutung. Nur wenn Grundwasser „bös- artiges“, d.h. an organische Humussäure gebundenes und durch Lüftung schwer oder gar nicht entfernbares Eisen oder Mangan enthält und gleich- zeitig noch höhere Bakterienzal.len aufweist, kommt in Einzelfällen Ozon in Frage, das alles Eisen und Mangan in Rieseltürmen momentan und mit Sicherheit zur Ausfällung bezw. Filtrationsfähigkeit bringt. Dagegen kommt das Ozonverfahren in allen Fällen in Betracht, wo zur Trinkwasserversor- gung Öberflächenwasser, also Wasser aus Flüssen, Seen oder Talsperren, das stets in höherem oder geringerem Grade bakterienhaltig und daher infektionsverdächtig ist, herangezogen werden muß. Auch dort ist es am Platze, wo es sich, wie an vielen Stellen der Jura- und Kreideformation, um sogenanntes Quellwasser handelt, das auf seinem unterirdischen Lauf zeitweilig oder dauernd, sei es durch Erdspalten, sei es durch Kommuni- kation mit Flüssen, Zuflüsse von bakterienhaltigem Oberflächenwasser er- hält, und das wegen seiner sonstigen Klarheit und Reinheit — da es eine bakterienundurchlässige Schlammdecke oder Haut auf Sandfiltern nicht zu bilden vermag — durch die sonst übliche Sandfiltration bakteriell nicht gut gereinigt werden kann. Der Ozonisierung muß, wie hier nochmals wieder- holt sei, bei Wasser mit Schwebestoffen oder Trübungen aus ästhetischen Gründen eine Vorreinigung durch die an früherer Stelle schon erwähnten Schnellfilter vorausgehen. Das Verfahren der Trinkwassersterilisation mittels Ozon für zentrale und Einzelanlagen ist im letzten Jahrzehnt, unter intensiver Zu- sammenarbeit von Hygiene, Wassertechnik und Elektrotechnik technisch und wissenschaftlich so vollkommen ausgebaut worden, daß es jetzt als wertvolles Hilfsmittel der Wassertechnik zu betrachten ist. Literaturverzeichnis. 1. Ohlmüller, Über die Einwirkung des Ozons auf Bakterien. Arbeiten a. d. Kaiserl. Gesundheitsamt, Bd. VIII, S. 229 (1891). 2. Ohlmüller und Prall, Die Behandlung des Trinkwassers mit Ozon. Arbeiten a. d. Kaiserl. Gesundheitsamt, Bd. XVII, H. 3, 1902. 3. De la sterilisation des eaux par l’ozone. Annales de l’institut Pasteur, 1895, T. IX, pag. 673. 4. Calmette, Rapport sur la sterilisation industrielle des eaux potables par l’ozone. (Procedes et appareils de Marmier et Abraham.) Annales de l’institut Pasteur, 1899, T. XIII, pag. 344. . Loir und Fernbach, Epuration et sterilisation industrielle des eaux par l’electrieite. Bericht an die „Compagnie de l’Ozone“, Paris. [b} 1 202 Gg. Erlwein. Trinkwasserreinigung durch Ozon. 6. Über die Abtötung pathogener Bakterien im Wasser mittels Ozon nach dem System Siemens d Halske, Proskauer u. Schüder. Zeitschr, f. Hyg. u. Infektionskrankh. Bd. 41, 1902. 7. Weitere Versuche mit dem Ozon als Wassersterilisationsmittel im Wiesbadener Ozon- wasserwerk. Proskauer und Schüder, Zeitschr. f. Hyg. u. Infektionskrankh., Bd. 42, 1903. . Trinkwasserreinigung durch Ozon. @g. Erliein, Journ. f. Gasbeleuchtung und Wasserversorgung, 1901, Nr. 30/31. &) TI 9. Schreiber, Zur Beurteilung des Ozonverfahrens für die Sterilisation des Trinkwassers. Mitt. der Kgl. Prüfungsanstalt für Wasserversorgung und Abwässerbeseitigung. Heft 6 (1905). Wissenschaftliche Hochfahrten im Freiballon. Von Albert Wigand, Halle a.d.S. Inhalt: Einleitung. — I. Hochfahrtstechnik. — II. Sauerstoffatmung. Er III. Meteo- rologische Grundbeobaehtungen. — IV. Aerophysikalische Untersuchungen. — V. Psy- chisches und Physisches aus 9000m Höhe. — VI. Fahrtberichte. Einleitung. Die Luftfahrt hat in den letzten Jahren durch die Entwicklung des Lenkballons und der Flugmaschine, sowie durch das Aufblühen der Frei- ballonsports einen solchen Grad von Popularität gewonnen, dal sich nie- mand mehr ihrem Banne entziehen kann. Gewiß ist das Problem. die Luft zu beherrschen, das, was im Vordergrunde steht und dazu reizt, alle Kräfte der angewandten Wissenschaft anzuspannen. Aber für den Vertreter der reinen Naturforschung steht sogleich daneben die Frage: Wie benutze ich die Methoden der Luftfahrt zum Zwecke der Forschung? Welche neuen Gesichtspunkte und Fragestellungen gewinnt die an den Erdboden gefesselte Forschungsarbeit, wenn sie auch über den Luftraum verfügen kann? So ist es schon gleich bei der Erfindung des Luftballons vor 130 Jahren gewesen. Die wissenschaftliche Luftfahrt, die Verwendung des Freiballons als Forschungsmittel hat ihre Geschichte. Gleich gewaltig wie das psychische Erlebnis und der ästheti- sche Genuß einer Fahrt durch die Luft ist die Fülle der Gesichte, die auf das geistige Auge einstürmt, wenn es das weite Arbeitsfeld wissen- schaftlicher Luftfahrt durchmustert, um sich dies oder jenes der Probleme auszuwählen, dessen Bearbeitung mit den Methoden physikalischer Meb- kunst allein schon ein Genieben ist. Wenn man von der Forderung der Lenkbarkeit in horizontaler Rich- tung absieht, so besitzen wir heute im Freiballon ein Luftfahrzeug von nahezu idealer Vollkommenheit und Einfachheit. Mit dieser Erkenntnis, die dem kundigen Ballonführer unzweifelhaft feststeht, erwächst dem Phy- siker das starke Bedürfnis, das Gebiet der atmosphärischen Forschung zu beschreiten und sich an der Beantwortung einiger der vielen Fragen zu versuchen, die ihn lockend umgeben. E. Abderhalden, Fortschritte. X. 18 204 Albert Wigand. Da ergibt sich nun bei näherem Zusehen sogleich, daß die eigent- lichen Kernfragen Hochfahrtsprobleme sind. Es kommt darauf an, die Untersuchungen bis in die größten erreichbaren Höhen hinauf auszudehnen, jedenfalls bis zur Grenze der untersten Luftschicht, der Troposphäre, in etwa 10 km Höhe, wenn irgend möglich aber noch einige Kilometer höher hinauf bis in die nächste Luftschicht, die Stratosphäre hinein. Mit diesen Überlegungen nahm ich vom Sommer 1910 bis Herbst 1912, unterstützt von den Luftfahrtsvereinen in Halle, Bitterfeld und Dessau, einige Probleme in Angriff, die zum Teil zwar schon früher im Ballon behandelt worden waren, aber noch nicht zu einem entscheidenden Ergebnis geführt hatten. Es handelte sich zunächst um die Frage, ob eine Änderung in der Zusammensetzung der Luft durch Untersuchung von Luftproben aus geringeren und größeren Höhen nachgewiesen werden kann, wenn man die Analysen für die schwersten und die leichtesten normalen, gasförmigen Luftbestandteile (Kohlendioxyd einerseits, Neon, Helium und Wasserstoff andrerseits) durchführt. Diese Arbeit, bei der ich maximal 9100 m Höhe erreichte, wurde durch Zuwendungen aus der Parey-Stiftung von der Philosophischen Fakultät zu Halle und aus der Trenkle-Stiftung von der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte erheblich gefördert. Zugleich führte ich Untersuchungen aus über die Menge und Natur jener luftfremden Bestandteile der Atmosphäre, die als Kondensations- kerne die Wolkenbildung vermitteln und als Dunstteilchen für das Ver- halten der Luft zu der sie durchsetzenden Strahlung von Bedeutung sind. In engem Zusammenhange damit wurden Studien über Wolken, Dunst- schichten und Temperaturinversionen bis zu großen Höhen gemacht, in- dem ich bei jeder Fahrt die meteorologischen Grundbeobachtungen der Temperatur und Feuchtigkeit sowie der Richtung und Geschwindigkeit des Windes anstellte. Dadurch sollen die Gesetzmäßigkeiten der vertikalen Verteilung der Kondensationskerne aufgedeckt und erklärt werden. Eine Erweiterung erfuhr das Arbeitsprogramm im Herbst 1912 durch die selbständige Mitarbeit meines Freundes Dr. Georg Lutze und durch die Freigebigkeit des Herrn Prof. Dr. Karl Schmidt in Halle. Wir be- handelten, zum Teil unter bewährter Mitwirkung von Herrn Dr. Georg Jenrich, bei Ballonfahrten in geringeren und größeren Höhen zwei Pro- bleme der drahtlosen Telegraphie, nämlich das Gesetz der Wellen- ausbreitung nach Entfernung und Höhe sowie die Natur der luftelektri- schen Empfangsstörung. Die Erfolge dieser ersten Arbeiten halfen dazu, daß die Forschungen seit Anfang 1913 auf eine breitere Basis gestellt werden konnten. Es ge- lang, durch Stiftungen der naturforschenden Gesellschaft zu Halle, der Philosophischen Fakultät (Parey-Stiftung) und mehrerer Hallescher Bürger einen „Aerophysikalischen Forschungsfonds“ zu sammeln, der es möglich machte, das Programm in größerem Stile auszugestalten und abzurunden. Die Vorbereitungen hierzu waren bereits getroffen. Einen Teil der Auf- gaben übernahmen als Mitarbeiter mit der notwendigen eigenen Initiative Wissenschaftliche Hochfahrten im Freiballon. 205 und Verantwortung die Herren Dr. Emil Everling (luftelektrische Zer- streuung und Potentialgefälle) und Dr. Werner Kolhörster (durchdringende Strahlung). In dieser Epoche unserer gemeinsamen Hochfahrtsuntersuchungen des Jahres 1913, die im Herbst zu einem gewissen vorläufigen Ab- schluß gelangte, handelte es sich vornehmlich um Fragen der Luft- elektrizität, wie sie uns während der anfänglichen Arbeiten über Kon- densationskerne, Empfangsstörung und Wellenausbreitung bei der draht- losen Telegraphie bereits entgegentraten. Wir haben die elektrische Leitfähigkeit der Luft und das Potentialgefälle gemessen und unter- suchten, indem wir auf die Ursachen der Luftelektrizität eingingen, ob sich die Grenze des Sonnenspektrums im Ultraviolett mit zu- nehmender Erhebung über den Boden ändert, und wie die in der freien Atmosphäre vorhandene durchdringende Strahlung, vom Charakter der y-Strahlen des Radiums, ihrer Intensität nach von der Höhe ab- hängt. Bei drei Fahrten mit erfolgreichen Untersuchungen dieser Art er- reichten wir maximal Höhen von 8510, 9005 und 9425 m, während die Grenze luftelektrischer Forschungen bisher in 6000 m Höhe lag. Einige mehr meteorolgische Probleme konnten wir nebenbei auf unseren Hochfahrten behandeln, vor allem Fragen der Wolkenkunde bis hinauf in das Gebiet der Cirruswolken, im Zusammenhang mit meteorologisch-optischen Studien. Es ist bis jetzt noch wenig Sicheres bekannt über die Eiskristallwolken, soweit ihre Eigenschaften vom Ballon- fahrer in den Wolken selbst oder in nächster Nähe beobachtet werden können. Abgesehen von Untersuchungen über die Dunstbildungen und Wolkenformen in den tieferen Luftschichten, besonders über Wogen- und (rewitterwolken, haben wir uns im Cirrusniveau mit folgenden Problemen be- schäftigt: Die Struktur der Cirren, die Form und Größe der Eisteilchen, aus denen sie bestehen, die Temperatur- und Feuchtigkeitsverhältnisse, besonders die Frage, ob und bis zu welchem Grade Übersättigungen vorkommen, ferner Halo-Erscheinungen, Untersonne und Lichtsäulen. I. Hochfahrtstechnik. Die meisten Ballonfahrten halten sich möglichst nahe über dem Erd- boden, wenige hundert Meter hoch. Nur gelegentlich steigt man bis 3000 m auf, weil der Reiz der Landschaft mit wachsender Höhe des Ballons schnell abnimmt. Selten werden 5000 m erreicht, jene Grenze, bei der die Lebensbedingungen für den Menschen, da der Luftdruck schon fast auf die Hälfte gesunken ist, so sehr von den Verhältnissen am Boden ab- weichen, daß sich die ersten Symptome der Höhenkrankheit einstellen. Für höhere Fahrten ist man daher auf die künstliche Atmung von Sauer- stoff angewiesen. Wir bezeichnen solche Aufstiege über 5000 m Höhe als Hochfahrten im eigentlichen Sinne. 18* 206 Albert Wigand. . Die erste Bedingung zur Erreichung einer beträchtlichen Höhe ist eine genügende Größe des Ballons. Wenn wir mit „Tragkraft der Gas- kurel“ das Gewicht der von ihr verdrängten Luft (Auftrieb), vermindert um das Gewicht des Gases, bezeichnen, so ist die Tragkraft und damit die bei gegebener Gesamtbelastung erreichbare Maximalhöhe um so größer, je größer wir das Volumen der Ballonkugel wählen. Die Tragkraft muß hinreichend sein, um in der Maximalhöhe die (resamtbelastung zu tragen, die aus dem Gewicht von Hülle, Takelung, Korb, Ballongerät, Instrumenten, Sauerstoffapparaten, hinreichendem Ballast für Abstieg und Landung so- wie von zwei Personen besteht. Die größten Ballone, die wir zurzeit in Deutschland besitzen, haben ein Gasvolumen von 2200—2300 m’. Mit einem Ballon dieser Größe können zwei Insassen unter sehr günstigen Bedingungen höchstens 10.000 m ersteigen, was sich durch eine einfache Berechnung ermitteln läßt. Man gelangt mit einem solchen Ballon also im günstigsten Falle ge- rade eben bis zur unteren Grenze der Stratosphäre. Um einige Kilometer hoch in die Stratosphäre vorzudringen (etwa bis 13.000 m Höhe), müßte ein Ballon von mindestens 3500 m® Inhalt zur Verfügung stehen. Bei dieser Berechnung ist angenommen, daß sich dem in die „obere Inversion“ eindringenden Ballon keine besonderen fahrtechnischen Schwierigkeiten ent- genstellen. Wir wollen die Berechnung der Maximalhöhe an einem Beispiel durchführen, und zwar für einen Ballon von 1680 m’ Gasvolumen, wie es nächst der 2200 m’-Größe bei den deutschen Ballonen häufig vorkommt. Eine gewisse Willkür steckt bei dieser Berechnung in den Annahmen für die Einzelgewichte der Belastung und für die herrschenden Temperaturen. Es sollen etwa die Temperaturverhältnisse an einem Januartage mit Hoch- druckwetter zugrunde gelegt werden. Berechnung der Maximalhöhe für den Ballon „Nordhausen“ (1680 m®) mit Wasserstoffüllung: Tragkraft gleich Auftrieb minus Gasgewicht. Tragkraft (Normalwert für 760 mm Quecksilberdruck und 0° Tempe- ratur) : 1680 (1293—0'089) = 1680 . 1'204 = 2022 kg. Hierin ist gesetzt für die Normaldichte der Luft 1'293, des Wasser- stoffs 0089. Diese Normaltragkraft ändert sich (wie die Dichte) proportional dem Luftdruck p. Wenn am Boden p = p, = 760 mm und in der Normal- maximalhöhe p = p, ist, so wird die Tragkraft G in der Normal- maximalhöhe, wenn als gemeinsame Temperatur von Luft und Füllgas 0° angenommen wird: ge Dieser Tragkraft muß in der Normalmaximalhöhe die Gesamtbe- lastung B gleich sein: G=B Wissenschaftliche Hochfahrten im Freiballon. 207 (sewicht von Hülle, Netz, Korb, Schlepptau . . 450 kg „ Ballongerät und Instrumenten . . 50 „ e sauerstoffapparaten % ı7. - 3.:...°,°18360%,, „ Brems- und Landungsballast . . . 75 „ " DeBersonenamite@Gepäackr 2.2 22.1607, Gesamtbelastung: B = 795 kg 2022 jr „en 1 2760 160 . 193 P, So 299 mm. Diesem Luftdruck p, entspricht nach der barometrischen Höhenformel die Normalmaximalhöhe: 760 H = 18400 . 1g 999 An diesem Höhenwerte sind wegen der von 0° abwei- chenden Temperaturen der Luft und des Füllgases noch fol- gende Korrektionen anzubringen !): Zunahme der Höhe wegen — 56° Temperatur von Luft und Füllgas (+ 56.30 = 1080) Br Zunahme der Höhe wegen + 30° Temperaturüberschuß des Füllgases über die umgebende Luft (+ 30.2= 60) . + 60m 8600 m 7460 m + 1080 m Abnahme der Höhe wegen der wirklichen mittleren Tempe- 0 — 36 ratur der Luitsäule = ——- — = 18%; — 18.0004 = — 0:072; — 8600 . 0072 = — 620). . — 620 m 7980 m Nach Anbringung der Temperaturkorrektionen ist noch hin- zuzufügen die Seehöhe des Aufstiegsortes (Bitterfeld) . + 80 m Maximalhöhe 8060 m Man wird also erwarten können, dal zwei Personen ohne besonders schwere Apparate mit einem guten 1680 m>-Ballon, bei Füllung mit reinem Wasserstoff, unter günstigen atmosphärischen Bedingungen etwa 8000 m Höhe erreichen. In Wirklichkeit bleibt die Maximalhöhe immer etwas unterhalb der mit günstigen Annahmen berechneten, schon deshalb, weil es selten gelingen wird, beim Aufstieg ein zeitweiliges, kurz dauern- des Sinken des Ballons ganz zu vermeiden, wodurch bei intensiver Sonnen- bestrahlung eine Verschlechterung des Gases durch Mischung mit der am Füllansatz eintretenden Luft stattfindet. So gelangte ich z.B. am 5. Januar 1913 im Ballon „Nordhausen“ (1680 m® Wasserstoff) gemeinsam mit Herrn Lutze bis zu 7005 m maximaler Höhe bei 309 mm Luftdruck und '!) Vgl. R. Emden, Grundlagen der Ballonführung. S. 39—46. Leipzig und Ber- lin 1910. 208 Albert Wigand, - 36°3° Lufttemperatur, mit noch S0 kg Ballast zum Bremsen beim Ab- stiee und Landen. Die im Vergleich mit der berechneten zu geringe wirk- liche Maximalhöhe erklärt sich hauptsächlich dadurch, daß der Ballon schon nahezu 100 Fahrten gemacht hatte und wohl nicht mehr ganz gas- dicht war, daß ferner sowohl die Sauerstoffbomben, wie auch die zu den Versuchen mit drahtloser Telegraphie an Bord befindlichen Apparate schwerer waren als die bei der Berechnung eingesetzten Gewichte. Im 2200 m®-Ballon „Har- EIN. ZS: burg III“ kamen Herr Lutzeundich am 14. Mai 1913 mit 9425 m der vorberechneten Maxi- malhöhe von etwa 10.000 ın relativ näher. Die speziellen Auf- gaben, die der Ballon bei einer Hochfahrt zu erfüllen hat, erfordern, daß die gewöhnliche Füh- rerpraxis in mancher Hinsicht geändert wird. Die Gesichtspunkte, nach denen eine für die Hochfahrt geeignete Wetterlage auszuwäh- len ist, werden durch die zu behandelnden Pro- bleme mitbestimmt und sollen hier keine nä- here Erörterung finden. Durch den öffentlichen Wetterdienst und die täglichen aerologischen Aufstiege der Observa- Abwiegen des zur Hochfahrt gefüllten Ballons „Harburg III“ 2 ‘7 Ay . enge ie torien sind wir m Deutschland jederzeit in der Lage, den augenblicklichen Zustand der Atmosphäre und seine Weiter- entwicklung für einen Tag so genau zu erkennen, daß wir die Eignung der Wetterlage für eine Hochfahrt danach beurteilen können. Da die heute zur Verfügung stehenden deutschen Ballone leider zu klein sind, um größere Höhen bequem zu erreichen und längere Zeit ein- zuhalten, so werden zweckmäßig zu einer extremen Hochfahrt nicht mehr als zwei Personen aufsteigen. Das Wagnis Bersons, der im Jahre 1894 auf einer Alleinfahrt bis 9155 m vordrang, läßt sich bei aller Anerkennung doch nicht zur Nachahmung empfehlen. schon weil die Führung des Ballons Wissenschaftliche Hochfahrten im Freiballon. 209 und die meteorologischen Grundbeobachtungen den einzigen Korbinsassen so sehr in Anspruch nehmen, dal) er keine anderen Untersuchungen an- stellen kann. Beide Hochfahrer sollen womöglich Ballonführer sein und die Mühe der Führung und der Grundbeobachtungen gleichmäßig auf sich nehmen, damit jeder seinen Anteil an dem übrigen Arbeitsprogramm, um deswillen der Aufstieg eigentlich veranstaltet wird, gut zu erledigen im- stande ist. Im allgemeinen will man schon bald nach der Abfahrt in größere Höhen gelangen und sich in den unteren 3000 m nicht lange aufhalten Fig. 79. Fertige Füllung zum Doppelaufstieg in Bitterfeld am 5. Januar 1913; Ballon „Nordhausen“ (links), zur Hochfahrt nicht prall gefüllt, wird abgewogen. Dies läßt sich erreichen, ohne daß man sich mit Ballastwerfen abzumühen braucht, und zugleich auch unter wesentlicher Ersparnis an Füllgas, wenn der Ballon nicht ganz prall, sondern nur etwa 2/,—>/, voll gefüllt wird (Fig. 78 und 79). Das kann unbedenklich geschehen, wenn der Bodenwind nicht zu heftig und nicht böig ist. Da man die vertikale Temperaturverteilung auch in den untersten Luftschichten zum Zwecke einer exakten Höhenberechnung wenigstens an- nähernd kennen muß, so empfiehlt es sich, den Ballon nicht zu leicht ab- zuwiegen, damit er mit nicht viel größerer Geschwindigkeit als 1—2 m in der Sekunde steigt und so brauchbare Barometerablesungen und Tem- 210 Albert Wigand. peraturmessungen unmittelbar nach der Abfahrt auszuführen gestattet, was bei zu großer Steiggeschwindigkeit unmöglich wäre. Wir haben mehr- mals die genaue Ausmessung der unteren Luftschichten den Insassen eines zweiten, kleineren Ballons übertragen, der gleichzeitig mitgdem Hochfahrts- ballon aufstieg und auch für die übrigen Punkte des Arbeitsprogrammes Simultanmessungen in den tieferen Schichten möglich machte (Fig. 79). Der nicht prall gefüllte Ballon verhält sich, nachdem erst im Augen- blicke der Abfahrt der Füllansatz aufgezogen worden ist, zunächst wie ein geschlossener Pilotballon aus dehnbarem Gummi: denn das sich aus- dehnende Gas füllt den zusammengefalteten unteren Raum der Hülle all- mählich mehr und mehr aus. Der Ballon steigt in einer homogenen Luft- schicht gemäß dem Hergesellschen Gesetze mit konstanter Geschwindigkeit und wird beim Eintritt in eine Schicht mit anderer vertikaler Temperatur- verteilung im Ansteigen verzögert oder beschleunigt, je nachdem der Tem- peraturgradient kleiner oder größer ist. Beim Eintritt in eine Temperatur- inversion ist beispielsweise eine deutliche Abnahme der Steiggeschwindig- keit zu bemerken. Ferner wirken aufsteigende und absteigende Luftströ- mungen vergrößernd oder verkleinernd auf die Geschwindigkeit des An- steigens. Das Barogramm und besser noch die dauernde Beobachtung und Notierung der Angaben des Höhenvariometers ergeben, so lange der Ballon noch nicht prall ist, ein Bild der vertikalen Temperaturverteilung und der vertikalen Luftbewegung, was nachher im letzten Teile des Abstiegs vor der Landung fahrtechnisch von Nutzen sein kann. Ist der Ballon nach fortgesetztem Steigen prall geworden, so steigt er mit abnehmender Geschwindigkeit noch etwas weiter, bis durch den Füll- ansatz soviel Gas entwichen ist, daß sich Tragkraft und Belastung das Gleichgewicht halten. Von diesem Augenblick an muß zur Erreichung größerer Höhen Ballast ausgeworfen werden. Wenn die Absicht besteht, lediglich so hoch als möglich zu steigen und die geplanten Beobachtungen nur in der Maximalhöhe auszuführen, so muß der Aufstieg möglichst gleichmäßig gestaltet werden. Zu diesem Zwecke hat man in kurzen Zwischenräumen kleine Ballastmengen auszu- geben und sollte nach Möglichkeit vermeiden, dab der Ballon zeitweilig sinkt. Das erfordert große Aufmerksamkeit, besonders wenn bei instabiler Luft absteigende Strömungen auf den Ballon wirken. In vielen Fällen, z. B. bei luftelektrischen Messungen, wo das Ver- halten der beobachteten Größe auch in den Zwischenschichten von Inter- esse ist, wird man jedoch einen stufenweisen Anstieg vorziehen. Hierzu ist die Ballastabgabe so einzurichten, daß der Ballon zwei- oder dreimal vor dem Erreichen der Maximalhöhe etwa eine halbe Stunde in gleicher Höhe schwebt, damit man hier eine vollständige Beobachtungsreihe durchführen kann. Zwischen den Stufen muß aber auch hier für möglichst gleich- mäßigen Anstieg gesorgt werden. Einer der Insassen hat sich in jedem Falle dauernd mit der Beobachtung des Variometers und der Ballast- dosierung zu beschäftigen. Wissenschaftliche Hochfahrten im Freiballon. ht Bei einem solchen Stufenanstieg ist es zur Ersparnis von Ballast vorteilhaft, wenn man die Schichtung der Luft auszunützen versteht und für die Stufen solche Höhen wählt, die vermöge ihres geringen Tempe- raturgradienten eine natürliche Stabilität besitzen. Das Erkennen solcher Schichten wird durch die Beobachtung von Wolken- und Dunstbildungen, die ausgeprägte horizontale Schichtgrenzen aufweisen, erleichtert, auch wenn diese nur in größerer Entfernung vom Ballon sichtbar sind. Ist nur noch wenig mehr Ballast vorhanden als die für Abstieg und Landung zurückzuhaltende Menge, dann muß man den noch verfügbaren Rest entweder allmählich in kleinen Mengen oder auf einmal ausgeben, je nachdem ob ein längerer Aufenthalt in dieser Höhe oder ein noch etwas höherer Aufstieg mit nur kurzem Verweilen in der Maximalhöhe für die beabsichtigten Beobachtungen zweckmäßiger ist. Große Sorgfalt ist auf die einwandfreie Beschaffenheit und gute Unterbringung des Ballastsandes zu verwenden, wenn nicht Zeit und physische Kraft der Korbinsassen beim Ballastausgeben ungebührlich in Anspruch genommen und ein Teil des Sandes zwecklos mitgenommen werden soll. Der Sand mul kurz vor dem Aufstieg scharf getrocknet und bis zum Einfüllen in die Säcke so aufbewahrt werden, daß er nicht durch Nebel oder Niederschläge wieder feucht wird. Gefrorene Sandsäcke sind so ziemlich das Ärgerlichste, was es während einer Hochfahrt geben kann. Und zum Festfrieren des Sandes reicht schon eine geringe, mit den Fin- gern kaum merkbare Feuchtigkeit aus. Die übliche Unterbringung des Sandes in Säcken, die einzeln auf den Korbrand gehoben und dann ausgeschüttet werden müssen, ist nur für wenige zur Landung bestimmte Säcke zulässig. Die große Mehrzahl der Säcke sollte mit Schnüren am Korbring oder an kleineren Ringen, die etwa bis Brusthöhe vom Korbringe herabhängen, befestigt und mit je einer zweiten Schnur am Boden des Sackes so angebunden sein, dal) nur die obere Schnur durchgeschnitten zu werden braucht, damit der Sandsack umkippt und sich entleert (Fig. 80). Ein Übelstand bei dieser Befestigungsart, wenn man die Säcke mit dem üblichen Inhalt von 15—20 kg Sand nimmt, ist die große Anzahl von Schnüren, die den Korb rings umgeben und die Beobachtungen im Innern des Käfigs stören. Bei einem Aufstieg mit dem 2200 m°-Ballon „Harbarg III“, den wir mit 2000 m? Wasserstoff gefüllt hatten, hingen etwa 1400 %g Sand in 90 Säcken rings um den Korb herum. Um dies zu vermeiden, verwenden wir einige große Sandsäcke, die 80—100 kg zu fassen vermögen und besonders bei einem Stufenauf- stieg brauchbar sind. Diese Säcke — sie tragen den bezeichnenden Namen „Tennishosen“ — sind beiderseitig offene Leinwandschläuche und werden so aufgehängt, daß der unterste Teil, einige Zentimeter breit umgeschlagen, angebunden ist mit einer Schnur, die zur Entleerung abgeschnitten wird. In der Mitte kann der Sack durch eine Schnur taillenförmig eingeschnürt 212 Albert Wigand. werden, wenn man nicht den ganzen Inhalt auf einmal entleeren will, was gelegentlich wegen des Luftzuges beim schnellen Steigen unangenehm ist; so bewirkte z. B. die Entleerung eines ganzen großen Sackes in 8000 m Höhe bei —40° eine Steiggeschwindiekeit von mehr als 5m in der Sekunde. Auf die Frage, wieviel Ballastsand in der Maximalhöhe noch übrig behalten werden muß, um den Ballon beim Abstieg sicher abfangen und glatt zur Landung EBD, bringen zu können, läßt sich keine allgemeine Antwort geben. Wer sehr vorsichtig sein will, rechne bei einem 2200 m’-Ballon auf je 1000 m Abstieg einen 15 kg-Sack zum Brem- sen und etwa noch drei solche Säcke als Lan- dungsballast. Bei einem 1680 m>-Ballon ist man mit etwa ?°/, dieser Ballastmenge reichlich genug für alle Fälle aus- gerüstet. Es kommt einem allerdings oft hart an. eine so grobe Ballastmenge in der Maximalhöhe unberührt zu Jassen und nicht einen Teil davon noch zu einem weiteren An- stieg von einigen hun- dert Metern zu ver- wenden. In vielen Fällen wird man unbedenklich Verlig snontierter Hochfaliriekorblam DB TEe ER: noch ein paar Säcke zur SEE Ti a a 7a Erreichung einer grö- beren Höhe ausgeben können, wenn man beim Aufstieg durch die Temperaturmessungen und die visuelle Beobachtung von Wolken- und Dunstschichten festgestellt hat, dal) eine oder mehrere ausgeprägte Stabilitätsschichten (Inversionen oder Isothermien) vorhanden sind, in denen der absteigende Ballon von selbst ohne erhebliche Abgabe von Bremsballast zum Stillstand kommt. Wer ein- mal diesen großen Vorteil der Temperaturmessungen erfahren hat, wird als Ballonführer schon um des großen Sicherheitsgefühls willen, mit dem Wissenschaftliche Hochfahrten im Freiballon. 913 er den Abstieg leitet, überhaupt bei keiner Ballonfahrt das Aspirations- thermometer vermissen wollen. Man läßt den Ballon, auch wenn er eine große Fallgeschwindigkeit hat. ruhig bis nahe zu der Stabilitätsschicht durchfallen und fängt ihn alsdann durch geringe Ballastausgabe leicht ab. Ein solches Absteigen in mehreren Stufen ist bei einer wissenschaftlichen Hochfahrt schon deswegen zu empfehlen, weil auch während des Abstiegs Kontrollbeobachtungen ausgeführt werden sollten. Zwei Beispiele mögen diese Ballastverwendung erläutern. Bei dem Aufstieg am 5. Januar 1913 war der 1680 m®-Ballon „Nordhausen“ mit 1500 m® Wasserstoff gefüllt und bekam, leicht abgewogen, 825 kg Sand in 55 Säcken zu je 15%kg mit. In der Maximalhöhe (7005 m) wurden etwa 51/, Sack = 80 kg zurückbehalten. Nach richtigem Abfangen und kurzem Verweilen in 800—500 m Höhe und nach der glatten Landung in 50 ın Höhe waren noch 1!/, Sack übrig. Der 2200 m®-Ballon „Harburg III“ stieg am 14. Mai 1915, mit 1700 m® Wasserstoff gefüllt und mit 1185 kg Sand in 79 Säcken zu 15 hg leicht abgewogen, bis 9425 m maximaler Höhe auf, wo bei Beginn des Abstiegs noch 10 Sack Ballast vorhanden waren. Die Abgabe von ?/, Sack in 7000m Höhe brachte den fallenden Ballon zum Anhalten und Wiederaufsteigen bis zur vorigen Maximalhöhe, aus der er nun mit 9 Sack = 135 kg herabgeing. In etwa 3000 m Höhe genügte ein geringer Sandauswurf, um den Ballon in einer Inversion über zwei Stunden lang nahezu in gleicher Höhe zu halten. Der Rest des Ballastes wurde beim Durchfallen der sehr wenig stabilen, heißen Bodenluftschicht und zum Aufsuchen eines passenden Geländes bis zur glatten Landung verbraucht. Zwischen 3000 und 1000 m Höhe befindet sich fast immer eine Schicht von guter Stabilität, oft als obere Wolkengrenze (Cumulus oder Stratus) ausgebildet, in welcher der absteigende Ballon unbedingt einige Zeit anhalten sollte. damit die Mehrzahl der Apparate verpackt werden kann und die Insassen Muße finden, sich frei von der Sauerstoffatmung nach der Kälte der höheren Schichten ein wenig zu erholen und sich zu stärken für die harte Arbeit, die das Landen, das Verpacken des großen Ballons und die Schlußbeobachtungen am Landungsplatz mit sich bringen. Noch ein Wort über den Gebrauch des Ventils bei einer Hochfahrt. In der Regel ist ein Ventilzug erst kurz vor der Landung nötig und nicht etwa schon zur Einleitung des Abstiegs in der Maximalhöhe. Denn der Ballon fängt von selbst zu fallen an, wenn kein Ballast mehr ausgegeben wird, manch- mal allerdings erst nach einiger Zeit, falls nämlich die Luftschichtung in der Maximalhöhe stabil ist, was man ja nur willkommen heißen kann. Wird hingegen der normale Verlauf der Fahrt gestört, etwa durch ungünstige Fahrtrichtung oder ein nahes Gewitter oder dadurch, daß die wichtigeren Apparate oder gar die Beobachter aus irgend einem Grunde versagen, so muß der Hochfahrtsanstieg oder ein längeres Verweilen in der größten Höhe vorzeitig durch Ventilziehen abgebrochen werden. 214 Albert Wigand. Il. Sauerstoffatmung. Zur Vermeidung der Höhenkrankheit verwendet man im Ballon wie im Hochgebirge die künstliche Atmung reinen Sauerstoffes oder eines Ge- menges von Luft und Sauerstoff. Zahlreiche Versuche haben ergeben, dal) die Beschwerden, die beim Menschen in größeren Höhen infolge des ge- ringeren Luftdruckes auftreten, hauptsächlich durch Sauerstoffmangel ent- stehen und bei gut disponierten Personen praktisch vollkommen durch die Sauerstoffatmung gehoben werden. Nach den Beobachtungen der Phy- siologen über die Partialspannungen der Luftgase in der Lunge!) kann man erwarten, daß der Mensch bis zu einer Höhe von 13.000— 14.000 m: durch Atmung von reinstem Sauerstoff noch lebensfähig erhalten wird. Wer an das Wagnis einer extremen Hochfahrt herangeht, hat die Aufgabe, seine Sauerstoffapparatur so auszubilden, daß sie in allen ihren Teilen sicher arbeitet und keinen Störungen ausgesetzt ist. Das Streben nach diesem Ziel, die Konstruktion und Überwachung der Funktion des Atmungsapparates habe ich von Anfang an als unerläßliche Vorbedingung für die Erreichung wissenschaftlicher Erfolge in größeren Höhen erkannt und betont. Die schrittweise Vervollkommnung der Methoden von Fahrt zu Fahrt, die genaue Beachtung und Verwertung der Erfahrungen hat uns eine Apparatur geliefert, die bereits im hohen Grade betriebssicher ist und dem erstrebten Ideale recht nahe kommt. Die einzelnen Teile der Atmungsapparate wurden vom Drägerwerk in Lübeck und von der In- habad-G. m.b. H. in Charlottenburg bezogen und sind zum Teil nach meinen Angaben hergestellt worden. Zunächst ist grundsätzlich zu fordern, daß für jeden Balloninsassen bei einer größeren Hochfahrt zwei vollständige Atmungsapparate mitge- nommen werden, der Hauptapparat und ein Reserveapparat; beide müssen vor Antritt der Fahrt vollkommen gebrauchsfertig im Korbe mon- tiert und auf ihr Funktionieren geprüft sein. Nur so kann es mit Sicher- heit vermieden werden, dal ein Versagen der Sauerstofflieferung eines Atmungsapparates, wie es doch immerhin im Bereiche des Möglichen liegt, verhängnisvoll wird. Sobald auch nur einer der beiden Hochfahrer gezwungen ist, von der Sauerstoffreserve zu zehren, dann sollte der Aufenthalt in den Höhen, die künstliche Atmung unbedingt erfordern (oberhalb 6000— 7000 m), durch einen möglichst baldigen Abstieg in tiefere Schichten abgebrochen werden. Denn ohne Ersatzapparat für die Atmung ist das Risiko doch zu groß. Es steht ja allerdings noch die Sauerstoffreserve des anderen Korbinsassen zur Verfügung; und schließlich können sogar im äußersten Notfall beide Hochfahrer sich aus einem einzigen Apparate mit Sauerstoff versorgen, indem sie sich etwa minutenweise abwechselnd die Atmungsmaske vor- halten. Doch sollte man mit solchen Notbehelfen, die, wie ich es erlebt habe, zu sehr peinlichen Situationen führen können, lieber nicht rechnen. ') N. Zuntz, Zur Physiologie und Hygiene der Luftfahrt. Berlin 1912, S. 63—64. Wissenschaftliche Hochfahrten im Freiballon. 915 Da sich die Mitführung von flüssigem Sauerstoff in offenen Vakuummantelflaschen wegen der Zerbrechlichkeit der Gefäße und auch bei der Verwendung von Kautschukbeuteln wegen des schwierigen Ver- dampfungsmechanismus nicht bewährt hat, so kommt praktisch allein der in Stahlflaschen komprimierte Sauerstoff in Betracht. In den frisch gefüllten Flaschen hat der Sauerstoff einen Druck von 125 At- mosphären. Die Flaschen werden aber unter einem höheren Drucke ge- prüft und sind so widerstandsfähig, daß sie ohne Gefahr auch einen heftigen Landungsstoß aushalten, ja sogar im Notfalle nahe über dem Boden als Landungsballast ausgeworfen werden können, ohne Schaden zu nehmen. Um die Gefahr der Explosion nicht ganz entleerter Sauerstoffflaschen beim Landungsstoß zu vermeiden, hat man empfohlen, das ungebrauchte Gas vorher, nach Entfernung des Reduzierventils, ausströmen zu lassen. Nach unseren Beobachtungen ist diese Besorgnis bei der großen Festig- keit der Flaschen unbegründet. Ein schnelles Ausströmenlassen des Sauer- stoffes bringt im Gegenteil wegen der dabei stattfindenden starken elek- trischen Aufladung der Flasche und damit des Ballons die Gefahr der Funkenbildung mit sich und ist deshalb zu verwerfen. Auch läßt es sich, wie wir gelegentlich bemerken mußten, schwer vermeiden, daß der Ballon infolge der Repulsionswirkung in drehende Bewegung gerät, was ebenso wie die heftige Detonation des schnell ausströmenden Gases recht unan- genehm sein kann. Erfahrungsgemäß sind durchschnittlich im Zustand der Ruhe etwa 5 1 Sauerstoff vom Drucke einer Atmosphäre pro Minute zu ausreichender normaler Atmung erforderlich, bei körperlicher Anstrengung bis zu TI. Für Höhen von 5000—7000m muß man mit etwa 7/, zwischen 8000 und 10.000 m Höhe mit etwa 10/ Sauerstoffverbrauch in der Minute rechnen, da durch die Verwendung einer Atmungsmaske stets etwas (Gas verloren geht und auch zur größeren Sicherheit der Vorrat reichlich bemessen werden sollte. Hiernach kann man die mitzunehmende Sauerstoffmenge bestimmen, wenn man, wie es in der Regel der Fall ist, die Höhe und Dauer der Hochfahrt annähernd voraussieht. Beispielsweise wird eine Person zwischen 5000 und 9000 m durchschnittlich 7—8/ in der Minute, für einen dreistündigen Aufenthalt in diesen Höhen also etwa 1400 / Sauerstoff vom Drucke einer Atmosphäre brauchen. Unter den verschiedenen Flaschensorten ist am zweckmäßigsten eine mittlere Größe von 20 kg Gewicht mit 11 Inhalt, die, unter 125 Atm. Druck gefüllt, etwa 1300 Sauerstoff vom Drucke einer Atmosphäre ent- hält, also nahezu die im vorstehenden Beispiele berechnete Menge. Die Flaschen der nächst größeren Sorte von 42 kg Gewicht enthalten nicht ganz die dreifache Gasmenge und sind für gewöhnlich unnötig groß. Oft wird man auch mit dem kleineren Flaschentyp, der etwa 800 /! Sauerstoff vom Drucke einer Atmosphäre enthält, auskommen, besonders für die Reserveapparate; die Gewichtsersparnis ist jedoch nicht erheblich. 216 Albert Wigand. Um Sauerstoff und Flaschengewicht zu sparen, empfiehlt das Dräger- werk eine Einrichtung zur Regeneration der Ausatmungsluft, bei der die Kohlensäure und der Wasserdampf in einer Kalipatrone absorbiert werden. Der Vorteil und die Sicherheit dieses Zusatzteiles scheinen mir nicht groß genug. zu sein, um bei einer Hochfahrt die Zulassung einer weiteren Komplikationsmöglichkeit an dem ohnehin recht umständlichen Atmungsapparate zu rechtfertigen. Ich habe allerdings noch keine Erfah- rungen mit dieser Einrichtung sammeln können. Der Druck, unter dem der in der Stahlflasche komprimierte Sauer- stoff steht, wird durch ein Manometer (Inhaltsmesser) angezeigt, nach dessen Angaben man jederzeit angenähert weiß, wieviel Sauerstoff vom Drucke einer Atmosphäre in der Flasche noch vorhanden ist. Das Gas durehströmt ein Reduzierventil, das mit einer vorn befindlichen Flügel- schraube fein reguliert und durch eine zweite, seitliche Schraube schnell gänzlich verschlossen werden kann. Ein zweiter Druckmesser (Dosierungs- manometer) gibt den wenige Atmosphären betragenden Druck an, unter dem das Gas das Reduzierventil verläßt, und wird zweckmäßig mit einer Skala versehen, die anstatt dieses reduzierten Druckes die in der Minute ausströmende Anzahl von Litern angibt. Das Ventil muß bis zu 10 Litern in der Minute liefern. Ventile mit kleinerem Höchstdrucke sind für den Atmungsapparat bei Hochfahrten unbrauchbar. Während der Atmung sollte das Dosierungsmanometer von Zeit zu Zeit beobachtet und die Flügelschraube so reguliert werden, dal» nicht mehr und nicht weniger (as geliefert wird, als man zur Aufrechterhaltung des Wohlbefindens be- darf. Die Wirksamkeit der Regulierschraube ist so, daß durch Hinein- drehen (im Sinne des Uhrzeigers) -die ausströmende Gasmenge vergrößert wird. Die Versuche, einfacher als mit einem solchen Reduzierventil die Sauer- stofflieferung zu regulieren, haben im Ballon kein befriedigendes Er- sebnis gehabt. Die beiden Reserveatmungsapparate habe ich zur (Gewichtsersparnis an einer gemeinsamen Stahlfiasche mit einem T-Stück so montiert, daß die Verzweigung direkt an der Flasche beginnt. Der Inhaltsmesser ist für beide Apparate gemeinsam vor der Verzweigung angebracht. An den beiden Enden des T-Stückes sitzen zwei unabhängige Reduzierventile mit Dosie- rungsmanometern (Fig. 81 und 82). Auf seinem Wege zur Atmungsmaske passiert das Gas, ehe es in den Schlauch eintritt, einen dünnwandigen Gummisack von 2 Litern Inhalt (Sparbentel), in dem es sich während der Pausen zwischen den Atem- zügen ansammeln kann. Man hält den Beutel stets etwa ?/, gefüllt. Da- durch wird ein Ausgleich verschieden tiefer Atemzüge hergestellt und ein stärkerer Überdruck des Gases in der Maske vermieden. Der Schlauch besteht am besten aus Gummi, da sich Metallschläuche wegen der Gefahr des Kniekens und Brechens nicht bewährt haben. Ein 2m langer stark- wandiger Gummischlauch mit Leinwandeinlage genügt vollkommen den Bedürfnissen bei einer Hochfahrt. Wissenschaftliche Hochfahrten im Freiballon. I Die Ausbildung eines einwandfreien Typs für die Atmungsmaske war schwieriger, als man denken sollte. Nach den bei den einzelnen Hoch- fahrten gemachten Erfahrungen habe ich, zum Teil unter Mitwirkung der Herren Flemming, Lutze und Everling, von einer Fahrt zur anderen schritt- weise wichtige Abänderungen der Maske vornehmen müssen und bin jetzt bei einem Modell angelangt, das eine weitgehende Bequemlichkeit und Fig. 81. Sauerstoffprobe am T-Stückapparat mit Voll- und Nasenmaske (Kolhörster, Everling). Sicherheit besitzt und wahrscheinlich auch bis zu den höchsten Höhen ausreicht, in die der Mensch bei derartiger Atmungsmethode wird auf- steigen können. Scheinbar ganz unwesentliche Einzelheiten gerade an der Maske sind, wenn sie nicht gebührend berücksichtigt werden, mitunter von ausschlaggebender Bedeutung. Die früher übliche primitive Schlauchatmung, bei der das freie Ende des Schlauches mit einem einfachen Mundstück nach Bedarf wie IS Albert Wirand. ein Pfeifenrohr in den Mund genommen wurde, ist wegen ihrer Unsicher- heit entschieden zu verwerfen.’) Die Zuführung des Sauerstoffes in die Respirationsorgane sollte so geschehen, dal) die betreffende Person dauernd zwangsweise mit dem Schlauche verbunden bleibt und, ohne sich immer- tort um die künstliche Atmung kümmern zu müssen, den Beobachtungen und der Ballonführung obliegen kann. Nur dann ist es ausgeschlossen, daß man bei starker anderweitiger Inanspruchnahme, durch eine unzweck- mäbıge Bewegung oder eine plötzliche, sonst vorübergehende Unpäßlich- keit, wie es vorgekommen ist, den Schlauch aus dem Munde verliert. Der Sa stoffflasche mit T-Stück, Inbaltsmanometer. Reduzierventilen, Dosierungsmanometern, Sparbeuteln und Schläuchen Sauerstoffmangel bewirkt ziemlich schnell einen Schwindelanfall. Man ist dann oft physisch nicht mehr imstande, sich wieder mit dem Sauerstoff- apparat zu verbinden und die Ohnmacht kommt unvermeidlich. Daß das Einatmen des kalten Gases durch den Mund schädlich werden kann, leuchtet ohne weiteres ein. Immerhin gibt es genug Leute, die sich auch beim gewöhnlichen Atmen kaum der Nase bedienen und an Mundatmung gewöhnt sind. Will man dem Rechnung tragen, so kann auch für die Sauerstoffatmung bei Hochfahrten ein aus Hartgummi gefertigtes 1) Vgl. N. Zuntz, ]. e. S. 58. Wissenschaftliche Hochfahrten im Freiballon. 219 Mundstück benutzt werden, das ein Ausatmungsventil besitzt!) und mit Riemen am Kopfe befestigt wird. Die Nase ist alsdann mit einer leichten Klemme dauernd zu verschließen, was mir persönlich das größte Unbehagen bereitet. Einem meiner Mitarbeiter ist diese Atmungsmethode allerdings sympathischer als die Verwendung einer an sich auch nicht gerade behag- lichen Maske. Die individuellen Verschiedenheiten der persönlichen Dispo- sition müssen überhaupt bei der Auswahl der Atmungsmethode berück- sichtigt werden. Den normalen Atmungsbedingungen entspricht es jedenfalls am besten, wenn eine Maske verwendet wird, die Mund und Nase bedeckt. Solche Vollmasken sind schon länger bekannt, z. B. gebraucht sie der Arzt beim Chloroformieren. Ein oder zwei Ausatmungsventile an der Maske, leicht spielende Verschlußplättchen aus Glimmer oder Aluminium ohne Metallfedern, lassen bei geringem inneren Überdruck die ausgeatmete Luft nach außen entweichen, schließen sich jedoch durch den minimalen Unter- druck, der beim Einatmen des Sauerstoffs durch das Ansaugen im Innern der Maske entsteht. Das Rohr, durch welches das Gas in die Maske ein- strömt, sollte ein Einatmungsventil enthalten, das sich durch inneren Überdruck schließt, damit nicht beim Ausatmen die verbrauchte Luft in den Schlauch und Sparbeutel gedrückt wird und so den Sauerstoff für den nächsten Atemzug verschlechtert. Als Material für die Maske kommt nur Metall in Betracht, Alumi- niumblech oder dünnes, vernickeltes Messingblech. Masken aus Celluloid haben uns, da dieser Stoff bei großer Kälte spröde wird und leicht bricht, einmal in 9100 m» Höhe zu vorzeitigem, schleunigem Abstieg gezwungen und sind gänzlich unbrauchbar. Auch Hartgummi ist wegen der Bruchgefahr bedenklich. Einige Schwierigkeiten macht es, den dichten Anschluß der Maske an das Gesicht herzustellen. Die hygienische Forderung, daß ein leicht auswechselbares Material (Watte, Gummischwamm, Fig. 81 links und 83) zur Abdichtung verwendet werden soll, mag berechtigt sein, wenn die Maske von verschiedenen Personen nacheinander benutzt wird, läßt sich aber bis jetzt technisch nicht befriedigend erfüllen und wird hinfällig, wenn jeder Hochfahrer seine eigene, nur für ihn bestimmte Maske besitzt. Entschieden am besten hat sich ein Pneumatikwulst von angepaßter Form bewährt, der um den Rand der Maske gelegt wird und so weit aufgeblasen werden kann, daß er dicht ans Gesicht anschließt, ohne zu drücken (Fig. 81 rechts und 54). Die Maske wird zweckmäßig mit zwei Riemen so am Kopfe befestigt, dal) der eine Riemen seitlich rings herum unter dem Hinterkopfe und der zweite vorn nach oben über die Schädeldecke nach hinten verläuft, wo er mit dem andern Riemen verbunden ist (Fig. 81 links und 85). Herr Flem- ning hat die Maske vorn an der Mütze befestigt, um ihre Last auf den t), Vom Draegerwerk in den Handel gebracht. E. Abderhalden, Fortschritte. X. 19 220 Albert Wigand. ganzen Kopt zu verteilen. Andere Befestigungsarten (Fig. 81 rechts und 80) haben den Nachteil, dal durch den Abwärtszug des Schlauches der obere Teil der Maske bei gewissen Stellungen des Kopfes mitunter vom Gesicht abgelöst werden kann. Alle Masken, die von der ausgeatmeten Luft durchstrichen werden, auch das vorher erwähnte Mundstück mit Ausatmungsventil, zeigen den schweren Ubelstand, daß sich die aus den Respirationsorganen kommende Feuchtigkeit teil- weise kondensiert, bevor sie an die Außenluft gelangt ist. Die Ansammlung und vor allem das Ge- frieren des konden- sierten Wassers in der Maske kann zu erheblichen Störun- gen führen. Wir ha- ben es öfters erlebt, dab die Verschluß- plättehen in den Ventilen festfroren, so dab die Öffnungen entgegen ihrer Be- stimmung dauernd offen oder geschlos- sen waren. Das Was- ser drang auch ein- mal in das Gaszu- führungsrohr und verengerte durch Eis- bildung Rohr und Schlauch. Ein öfters auszuwechselnder Wattebausch, der auf den Boden der Maske, am besten in ein dort angebrachtes kurzes, geschlossenes Ansatzrohr gelegt wird, ist imstande, einen Teil des kondensierten Wassers aufzunehmen, ohne jedoch den Übel- stand ganz zu beseitigen. Im Notfalle läßt sich die festgefrorene Stelle meist durch die Wärme der Hand wieder auftauen. Wer eine Nase mit reichlich weiten Luftweeen besitzt, ohne die Tendenz zu starker Schleimabsonderung bei großer Kälte, benutzt am besten eine Nasenmaske, die den Mund frei läßt und auf der Oberlippe dicht anliegt. Beim Atmen ist dann der Mund dauernd zu schließen, was dem Fig. 83. Vollmaske aus Aluminium mit Ausatmungsventil (rechts oben) und Befestigungsriemen. Wissenschaftliche Hochfahrten im Freiballon. 331 normalen Menschen nicht schwer fällt. Die Ventile, die beiden Ausatmungs- ventile seitlich und das Einströmungsventil vorn, sind zweckmäßig möglichst hoch anzubringen, damit die kondensierte Feuchtigkeit der ausgeatmeten Luft weniger hineindringen kann. Die Nasenmaske hat im Vergleich mit der Vollmaske mehrere Vorteile: Einmal ist sie kleiner und daher leichter. Sodann läßt sie den Mund frei, was sehr angenehm ist und für die gegen - seitige Verständi- gung der Korbinsas- er sen eine nicht zu unterschätzende Er- leichterung bedeutet. Das kleinere Volumen der Nasen- maske bringt noch einen Vorzug mitsich. der für Fahrten in extreme Höhen be- sondere Beachtung verdient: Der zuströ- mende reine Sauer- stoff wird durch die Ausatmungsluft we- niger verunreinigt als in einer Vollmaske, bei welcher der schäd- liche Raum natur- gemäß) größer ist. Da der äußere Luft- druck und damit auch der Druck, unter dem der Sauerstoff einge- atmet wird, in Höhen über 11.000 m bereits kleiner als !/, Atm. wird, muß hier für = a 5 Nasenmaske aus vernickeltem Messingblech ohne Ausatmungs- größte Reinheit des ventil; Befestigungsriemen sind weggelassen. eingeatmeten Sauer- stoffs gesorgt werden, damit die Spannung des Gases in der Lunge hin- reichend groß ist.!) Unsere Nasenmasken sind für die ausschließliche Be- nutzung einer einzigen Person konstruiert und der individuellen Form der Nase und der benachbarten Gesichtsteile so genau angepal)t, daß nur ein schmaler Raum zwischen Maske und Haut frei bleibt und der schäd- liche Raum äußerst klein wird. Dadurch ist auch die Möglichkeit des Ein- D)N. Zuntz,:]. c. 8. 60. 198 392 Albert Wigand. frierens der Ventile eingeschränkt, da die Maske von der Wärme des (resichts meist über der Gefriertemperatur gehalten wird. Um schließlich in der Reinhaltung des Sauerstoffes noch einen Schritt weiter zu gehen, habe ich trotz anfänglicher Bedenken eine Nasen- maske ohne Ausatmungsventile konstruiert (Fig. 34). Man muß sich als- dann gewöhnen, dauernd nur durch die Nase einzuatmen und nur durch den Mund auszuatmen. Nach den Erfahrungen, die Herr Everling mit einer solchen Maske bis zu 9000 m Höhe gemacht hat, ist das ohne weiteres möglich. Nachdem ich bereits bei Besprechungen mit Herrn Flemming dieses Prinzip angegeben hatte, mußte Herr Everling zufällig die besondere Atemtechnik bei einer Hochfahrt erproben, als ihm die Ausatmungsventile einer Nasenmaske zufroren. Der gute Erfolg veranlaßte uns dann, eine Nasenmaske ohne Ausatmungsventile anfertigen zu lassen. Die Vorzüge dieses unseres letzten Maskentyps, die also besonders in der großen Reinheit des Sauerstoffs und im Wegfallen jeder Komplikation durch kondensierten ausgeatmeten Wasserdampf bestehen, sind wirklich ganz erheblich, wenn man sich erst die spezielle Atemtechnik zu eigen gemacht hat, was leicht durch Vorübungen am Erdboden ohne und mit Maske geschehen kann und bei Verwendung der Maske dadurch erleichtert wird, daß sich dem Ausatmen durch die Nase wegen Fehlens einer Öff- nung ein großer Widerstand entgegenstellt. An den Reserveatmungsapparaten verwenden wir jedoch Vollmasken für Mund und Nase, in der Überlegung, daß für den Fall des Versagens eines Hauptapparates eine schnelle, möglichst reichliche Sauerstoffzufuhr durch Nase und Mund am dienlichsten sein wird. Wenn beim Umwech- seln infolge des kurz dauernden Fehlens der Sauerstoffzufuhr ein Schwäche- zustand eintreten sollte, so würde man vielleicht nicht mehr imstande sein, die bei Verwendung einer Nasenmaske ohne Ausatmungsventil erfor- derliche spezielle Atemtechnik auszuüben. Obgleich man im Ballon normalerweise erst in Höhen über 5000 m ein stärkeres Bedürfnis nach der Sauerstoffatmung empfindet und sie nur oberhalb 6000 bis 7000 m unbedingt braucht, ist es gut, zur Schonung der Kräfte spätestens bereits in 4000 m Höhe beim Aufstieg mit der künstlichen Atmung zu beginnen, auch wenn noch keine Wirkungen des Sauerstoffmangels zu spüren sind. Fängt man zu spät an, so wird eine anfängliche Erschlaffung nur selten bald wieder weichen. Die Atemzüge sollen tief und langsam sein. Von medizinischer Seite wird das Bedenken erhoben, daß ein länger dauerndes Atmen von reinem Sauerstoff die Gefahr der Entzündung für die Atmungswege und die Lunge mit sich bringe. Wir haben bei unseren Hochfahrten niemals solche Folgen der Sauerstoffatmung wahrgenommen. Die Beobachtungen, auf die sich das Bedenken stützt, sind im Laboratorium an Tieren ausgeführt worden und können wohl nicht direkt auf den Menschen bei einer Hochfahrt übertragen werden, da der Sauerstoff hier unter wesentlich geringerem Drucke als dem einer ganzen Atmosphäre und auch nur während Wissenschaftliche Hochfahrten im Freiballon. 223 kurzer Zeit, seiten mehr als vier Stunden lang, eingeatmet wird. Die bei den ersten Hochfahrten in früherer Zeit übliche absichtliche Zumischung von Luft zum Sauerstoff würde die Erreichung extremer Höhen unmöglich machen. Der käufliche Bombensauerstoff enthält ohnedies in der Regel 3 bis 4°/, Stickstoff. Bei Hochfahrten bis 13.000 m Höhe sollte nur reinster Sauer- stoff ohne einen groben Stickstoffgehalt benutzt werden. III. Meteorologische Grundbeobachtungen. Bei jeder wissenschaftlichen Freiballonfahrt sind die zur Beschrei- bung des Zustandes der Atmosphäre notwendigen meteorologischen Ele- mentarbeobachtungen gewissenhaft auszuführen. Für alle durchfahrenen Höhen, besonders aber für charakteristische Luftschichten und ihre Grenzen, müssen, zugleich mit genauer Zeitangabe nach einem Chronometer oder einer guten, vor und nach der Fahrt zu kontrollierenden Taschenuhr, zuver- lässige Werte des Luftdruckes, der Temperatur und Feuchtigkeit der Luft sowie der Richtung und Geschwindigkeit der horizontalen Luftbewe- gung, des Windes, beobachtet werden. Die vertikalen Luftströmungen und die visuell bemerkbaren Erscheinungen der Wolken, des Dunstes und der Sonnenstrahlung sind wenigstens qualitativ festzustellen. Eine Ballon- fahrt in größere Höhen, die lediglich zur Ausführung solcher Beobachtungen unternommen wird, ist schon genügend gerechtfertigt. Und eine wissen- schaftliche Hochfahrt, bei der die meteorologischen Grundbeobachtungen zugunsten anderer Untersuchungen weitgehend vernachlässigt würden, ver- löre dadurch sehr an Wert, sei es auch nur aus dem Grunde, weil eine genaue Bestimmung der Höhe alsdann auszeschlossen wäre. Alle Ablesungen von Instrumenten im Ballon sind um so wertvoller, je geringer die Höhenänderung während der betreffenden Beobachtung ist. Das Höhenvariometer nach Bestelmeyer, Precht oder von dem Borne ist daher nicht nur für die Ballonführung, sondern auch für die Beobachtungen ein unentbehrliches Hilfsinstrument. Man hat vor allem in den Gleichgewichts- lagen des Ballons, sowohl in den natürlichen, länger dauernden, als auch in den durch die Luftschiehtung nicht unterstützten, schnell vorübergehenden whelagen der Steig- und Fallbewegung, ferner bei langsamer Änderung der Höhe zu beobachten. Beträgt die Vertikalgeschwindigkeit erheblich mehr als einen Meter in der Sekunde, so sind die Barometer- und Ther- mometerablesungen ziemlich zwecklos. Bei den Luftdruckbestimmungen muß außerdem auch auf Gleichmäßigkeit der Vertikalbewegung geachtet werden, da eine Beschleunigung oder Verzögerung des Steigens und Fallens die am Quecksilberbarometer gewonnenen Luftdruckwerte fälscht. Auch auf die Ablesungen am Boden vor dem Aufstieg und nach der Landung ist großer Wert zu legen. Zur Bestimmung des Luftdruckes kann man bei Hochfahrten das Aneroid nur in der Form des Barographen verwenden. Die graphische Darstellung des zeitlichen Verlaufes von Luftruck und Höhe im Barogramm 294 Albert Wigand, ist zwar mit deutlichen Fehlern behaftet, kann aber bereits während der Fahrt zur Ablesung eines angenäherten Wertes der Höhe benutzt werden. Man hat dann den Barographen vor der Abfahrt auf die Höhe des Aufstiegsortes richtige einzustellen. Selbst für gute Aneroide entstehen durch die bei extrem niedrigen Temperaturen schwer kontrollierbare elastische Nachwirkung und auch durch unzureichende Temperaturkompensation so beträchtliche Fehler, dal man für eine genaue Luftdruckbestimmung auf das Quecksilber- barometer angewiesen ist, wenn auch dieses Instrument wegen seiner unbequemen Form und Zerbrechlichkeit sicherlich der am wenigsten be- liebte Apparat des Luftfahrers ist. Wir haben bei unseren Hochfahrten einen Barographen der Firma R. Fuess, Steglitz-Berlin (Fig. 85), verwendet, der nach meinen Vorschlägen Barograph für Ballonhochfahrten (Fuess). eine sechsstündige Umlaufszeit der Trommel besitzt und bis zu Drucken von 150 mm eingerichtet ist, so daß er also bis über 12.000 m Höhe aus- reichen wird. Die Fehler dieses Instrumentes sind bis auf die stets merk- bare elastische Nachwirkung sehr gering. Die Prüfung eines Barographen geschieht in bekannter Weise unter dem Rezipienten einer Luftpumpe durch Vergleich mit einem Quecksilber- barometer oder Manometer. Wenn man ein Barogramm quantitativ aus- werten will, was gelegentlich zur Ergänzung der Ablesungen am Ballon- (Juecksilberbarometer und zur Interpolation nötig wird, hat man das In- strument nach der Fahrt im Laboratorium zu prüfen und verfährt dabei zweckmäßig so, daß die Änderungen des Luftdruckes während der Prü- fung zeitlich möglichst genau den Verhältnissen bei der vorangegangenen 3allonfahrt entsprechen, damit man ähnliche Bedingungen für die elasti- oe u + Wissenschaftliche Hochfahrten im Freiballon. 225 sche Nachwirkung bekommt. Die durch sehr tiefe Temperaturen bei niedrigen Drucken be- dingten Fehler lassen sich allerdings nur durch recht umständliche Einrichtungen ermitteln. Zur Kontrolle des Uhrwerks, dessen gleich- mäßiger Gang ebenfalls unter den großen Temperaturdifferenzen leidet, sollte man wäh- Fig. 86. Quecksilberbarometer für Ballonhochfahrten. rend der Fahrt einige Male durch Erschütte- rung des Barographen eine Zeitmarke im Baro- gramm anbringen und dies zusammen mit der Zeit notieren. Das von uns benutzte Quecksilberbaro- meter (Fig. 36 und 87) wurde von der Grol- herzogl. Sächs. Fachschule für Feinmechanik Fig. 87. Thermometer Quecksilberbarometer für Ballon- hochfahrten. 226 Albert Wigand. in Ilmenau hergestellt und ist, bis auf einige von Herrn F. Schwab vorge- nommene Abänderungen, entsprechend dem Vorbilde des Reise-Gefäßbaro- meters mit reduzierter Skala, derjenigen Form nachgebildet, die sich bereits früher für Ballonfahrten bewährt hat.!) Das Rohr wurde bis zum Drucke von 130 mm geteilt und geprüft. Die Buntesche Luftfalle des Glasrohres ist von außen durch eine Aussparung im Messinghüllrohr sichtbar. Die Bodenschraube, die durch Anpressen einer Lederplatte das Quecksilberrohr von unten zu verschließen gestattet, besitzt außer dem Gewinde einen zylindrischen Zapfen, der durch eine Dichtung geht, damit einem Verluste von (Quecksilber möglichst vorgebeugt ist. Zur Erleichterung der Ablesung hat der Tragkasten innen einen Bezug von weißem Glanzkarton; die Rück- wand braucht alsdann nicht geschlitzt zu sein, wodurch das Barometer in der kalten Luft wärmer gehalten und die Temperaturschwankungen im Kasten verringert werden. Man öffnet den Kasten immer nur kurze Zeit für die Ablesungen. Dann geht die Temperatur der Quecksilbersäule, wie sie vom attachierten Thermometer angezeigt wird, während einer Hoch- fahrt infolge der Erwärmung des Kastens durch die Sonnenstrahlung selbst bei weniger als — 50° Lufttemperatur und geringer, durch Cirren ge- schwächter Sonnenstrahlung erfahrungsgemäß nicht unter —20° hinab. Das Thermometer ist seitlich so befestigt, daß es mit seinem flachen Ge- fäße durch das Messinghüllrohr hindurch zu ausgedehnter Berührung mit dem das Quecksilber enthaltenden Glasrohre des Barometers gelangt. Trotz dieser engen Attachierung des Thermometers ist es Herrn Schwab ge- lungen, den Nonius, mit dem die Zehntelmillimeter abgelesen werden, so anzubringen, daß er bequem bis zum unteren Rande der Skala (130 mm) verschoben werden kann. In Fig. 86 ist die Einstellung auf 221 mm zu sehen: diesen Luftdruck beobachtete ich am 14. Mai 1913 in der Maximal- höhe von 9425 m zusammen mit Herrn Lutze. Das Quecksilberbarometer wird mit einer Schnur am Korbring frei schwebend aufgehängt. Vor der Landung ist es in verschraubtem Zustande umzukehren und an einer Korbleine über einer hinteren Ecke des Korbes, also auf der Schlepptauseite, seiner ganzen Länge nach festzubinden, und zwar reichlich über Korbrandhöhe. Diese einfache Sicherung genügt in der terel, damit das Barometer den Landungsstof) und eventuell eine kleine Schleiffahrt ungefährdet übersteht. Die Luftdruckmessungen haben in erster Linie den Zweck der Höhen- bestimmung. Die abgelesenen Werte des Luftdrucks sind auf 0° zu reduzieren. Die Korrektionen wegen der Abweichungen der Schwere und Feuchtigkeit von den als normal angenommenen Werten können in der tegel vernachlässigt werden, da sie für die Höhe nur einige Meter aus- machen werden und meist innerhalb derjenigen Fehler liegen, die bei der Bestimmung der vertikalen Temperaturverteilung und ihrer Änderung während der Fahrt unvermeidlich sind. Die Seehöhe wird auf Grund der 3 EB. Assmann und A. Berson, Wissenschaftl. Luftfahrten, I, S. 165. Braun- schweig 1900. Zu Wissenschaftliche Hochfahrten im Freiballon. | mit dem Aspirationspsychrometer gewonnenen Lufttemperaturen nach der Bersonschen Staffelmethode!) aus dem reduzierten Luftdruck mit der baro- metrischen Höhenformel ausgewertet. Die Bestimmung der wahren Temperatur und Feuchtigkeit der Luft geschieht mit einem Assmannschen Aspirationspsychrometer von R.Fuess, Steglitz-Berlin (Fig. 88 rechts), das Fig. 88. wegen der tiefen Tem- peraturen in großen Höhen mit Alkoholther- mometern auszustatten ist. Die beiden Thermo- meter sind durch polierte Metallhülsen gegen Strahlung geschützt und werden durch den Luft- strom des Aspirators in ausgiebige Berührung mit der Luft gebracht. Das Instrument hängt an einer Schnur vom Ballonäquator oder den „großen Gänsefüßen“ (unterer Rand des Netzes beim Übergang in die Korbleinen) herab, etwa in der Höhe des Korb- bodens, und wird an einer zweiten Schnur zur Ablesung momentan auf Armlänge zu einer Korbecke herangezogen, wobei sich der Beobh- achter möglichst weit hinausbeugen mub. Schwarzkugelthermometer und Aspirationspsychrometer nach Assmann. Diese einfache Ablese- methode schließt bei einiger Übung keinen merklichen Fehler wegen der Erwärmung des Instrumentes oder der aspirierten Luft vom Ballonkorb her ein, was durch Kontrollbeobachtungen mit Fernrohrablesung bei 2—3 m Entfernung des Psychrometers vom Korbrande festgestellt werden konnte. Es erhöht die Schnelligkeit der Temperaturmessungen und damit die Ge- nauigkeit, wenn zunächst immer die Zehntelgrade und dann erst die ganzen (Grade abgelesen werden. Die Psychrometermessungen finden, wenn irgend 1) Assmann und Berson, 1. ce. I, S. 204. 398 Albert Wigand. möglich. genau gleichzeitig mit den Ablesungen des Barometers statt; dies läßt sich bei zwei Beobachtern leicht durchführen. Das Uhrwerk des Aspi- rators ist unter Heranziehung des Instrumentes zum Korbe rechtzeitig auf- zuziehen, so daß der Aspirator vor der Ablesung mindestens 5 Minuten gewirkt hat: und die Befeuchtung des feuchten Thermometers ist häufig, besonders in trockenen Luftschichten, zu wiederholen. Ferner muß man darauf achten, ob bei Temperaturen unter 0° das feuchte Thermometer mit Eis (e) oder unterkühltem Wasser (1) bedeckt ist. Die hierzu nötigen Mani- pulationen machen häufig eine zusammenhängende Beobachtungsreihe un- möglich. Bei Verwendung eines Psychrometers mit zwei feuchten Thermo- metern kann dieser Übelstand vermieden werden. Sehr zweckmäßig ist es zur Erhöhung der Genauigkeit, auf eine Psychrometerablesung in Zeit- abständen von 1—2 Minuten einige Kontrollablesungen folgen zu lassen. Bei Temperaturen unter —30° in großer Höhe ist die empirische Psychrometerformel nur noch unsicher anwendbar, so daß die Differenz zwischen den Einstellungen des trockenen und feuchten Thermometers nicht mehr zur quantitativen Berechnung des Wasserdampfgehaltes der Luft verwendet werden kann. Zeigt das feuchte Thermometer, wie es in Eiskristallwolken auch über —30° vorkommt, eine höhere Temperatur an als das trockene, so herrscht in bezug auf die maximale Dampfspannung von Eis Übersättigung. Zur quantitativen Feststellung solcher Übersättigungen, wie überhaupt zur exakten Feuchtigkeitsbestimmung unterhalb —30° bei geringen Luft- drucken wird man jedenfalls ein aspiriertes Hygrometer bei Hochfahrten verwenden können. Versuche darüber mit Haaren, tierischer Haut und Pflanzenfasern als hygrometrischer Substanz sind im Gange. Zur Ergänzung der direkten Ablesungen am Psychrometer und zur Interpolation, besonders für die unteren vom Ballon schnell durchfahrenen Schichten wäre es sehr wünschenswert, wenn man bei Hochfahrten im Freiballon einen zuverlässigen Thermohygrographen mitnehmen könnte. Unsere Versuche mit einem solchen Meteorographen, der an einer Schnur in Korbhöhe von den „großen Gänsefüßen“ herabhing, waren bisher unbe- friedigend, da es nicht gelang, eine jederzeit sicher und ausreichend arbei- tende Aspiration im Apparate herzustellen. Der mit einem kleinen Elektro- motor betriebene Aspirator wurde durch den Gegenluftstrom bei der Verti- kalbewegung des Ballons häufig gebremst und ganz still gestellt. Die Ver- suche sollen mit horizontal gelegtem Aspirationsrohr, wobei diese Schwierig- keit wegfällt, fortgesetzt werden. Die Psychrometermessungen dienen neben der Höhenberechnung dem Zwecke, den Zustand der Atmosphäre während der Fahrt soweit zu bestimmen, daß man in der Lage ist, die Beziehungen der anderen Be- obachtungen zu dem jeweiligen Zustand der Atmosphäre und der allge- meinen Wetterlage festzustellen. Die Temperatur, die normalerweise mit zunehmender Höhe abnimmt, ändert sich in einem größeren Höhenbereiche niemals gleichmäßig, sondern die Atmosphäre besitzt eine blättrige Struktur. Wissenschaftliche Hochfahrten im Freiballon. 2929 Luftschichten mit größerem und kleinerem Temperaturgradienten, auch Schichten mit konstanter Temperatur (Isothermien) oder mit Temperaturzu- nahme bei wachsender Höhe (Inversionen) liegen in häufigem Wechsel über- einander. Das Verhalten der Temperatur in einer Luftschicht, wie es sich auch im aerostatischen Verhalten des Ballons sowie in der Schichtung von Wolken und Dunst bemerkbar macht, ist oft für eine aerophysikalische Untersuchung (z. B. Luftelektrizität und Strahlung) von außerordentlicher Bedeutung. Auf den fahrtechnischen Vorteil, den die Ausnutzung der natürlichen, durch die vertikale Temperaturverteilung bedingten Stabilitätsschichten beim Aufstieg sowohl wie beim Abstieg des Ballons mit sich bringt, habe ich bereits hingewiesen. Zur leichteren Übersicht über die Änderung der Temperatur mit der Höhe und damit zum schnellen Erkennen stabiler Schichten empfiehlt es sich, schon während der Fahrt beim Aufstieg so- gleich die beobachteten Lufttemperaturen mit den zugehörigen am Baro- graphen abgelesenen Höhen auf einem mit Millimeterpapier überzogenen Karton einzuzeichnen. Die verschiedenartigen Luftschichten sind auch durch Unterschiede der Luftbewegung ausgezeichnet. Stärke und Richtung des horizontalen Luftstromes, des Windes, wechselt meist von Schicht zu Schicht und läßt sich durch häufige Feststellung des Geländepunktes, über dem sich der Ballon befindet, nach Karte und Kompaß ermitteln, was allerdings in größeren Höhen nur mit geringer Genauigkeit möglich ist. Selbst wenn man während der Fahrt die geographische Orientierung nicht so sicher hat, daß ein gesichteter charakteristischer Geländepunkt zuverlässig nach der Karte identifiziert werden kann, wird man ihn durch eine kurze Beschreibung und Skizze im Bordbuch festhalten und kann ihn dann nachträglich durch Interpolation der projizierten Flugbahn des Ballons leicht und sicher be- stimmen. Von der vertikalen Luftbewegung in Schichten mit starker Temperaturabnahme bei zunehmender Höhe bekommt man bei einiger Aufmerksamkeit und Übung ohne große Mühe wenigstens einen qualitativen Begriff durch die Beobachtung der Steig- und Fallgeschwindigkeit des Ballons nach dem Höhenvariometer und aus der Ballastdosierung. Zu den meteorologischen Grundbeohachtungen einer wissenschaft- lichen Ballonfahrt gehören ferner Notizen über den Grad der Bewölkung und die Form und Dichte der beobachteten Wolken, über die Intensität und Schichtung des Dunstes sowie über etwaige optische Erschei- nungen. Schließlich sind noch Angaben über die Sonnenstrahlung nicht zu unterlassen. Man schätzt die Intensität des Sonnenscheins nach einer dreiteiligen Skala : ©? bedeutet unverhüllte Sonne; ©! bezeichnet eine Verschleierung der Sonne durch dünne Wolken, wenn man die Form der Sonnenscheibe noch erkennt; das Zeichen ©° wird gesetzt, wenn die Ver- hüllung der Sonne soweit geht, daß man nur noch eben sieht, wo die Sonne steht. Zu halbquantitativer Wertung der Wärmestrahlung der Sonne dient das in ein evakuiertes Glasrohr eingeschlossene Schwarzkugelthermo- = puppsyon USW) — = [Fqanosysrpy mr uorwg]| — —_ [read uoreg] _ [aoppugas Isqfps uoA ue} -[eguy WOZany JORUJD10IS umoyfey[, UOA OND9PaoN | uorpegg NeIs Iydap qAoy] IZUIDIIIR Jieyds usgo yaru yJuroyds — -ı9 YUDLyOSISUNG] POAZ — puspmuydsqw JIeyDS u9go yawu Fydıyos — -Jsun(] u9aoJun AOp 9Zua.aK) — Gayryqyv) —O ung ‘9 = II 1092077 379 M 104 zyejdgmg "PIEFOMA En = Albert Wigand. 30 -* ) von 110 -Sıpurayos so4os1d0[0109I0 U -) pun Dunyyora -JIUU Ad 68T | ‚80-1 060 | EF.C—| 20— "IMNM („DO zusasyieg PyosııyowougyYV) epungg/uy yuoydıy -gono,T 0.01 07-0 680 0.6 | 7.7 | O6TE | 8.814 | IT 8-C1 29-0 94.0 r8-| C.8- | SITE | 4880 | O1 8 r.Ll [8.0 62.0 9.9G— | 1.07 | 9486 | 8-29 | 9.06 oses | 6.424 |G.6H = _ = — [0002| — [67 1.67 let re.& GT 9.4 09ET 9.169 68 = ez = = — | [ooor]| lozgl | se P> = = — _ [oer] I|Gleae] | TE a L E64 8-2 88 80l 08 0.892 | WIE 9 "zOo1d us fe) wu | war wu sıugwu = ——— -I0A yyoney | uoyoon -sBunyos Enke Fo euoy 1PNIp 9107 - -98Q mr oArIoy "IN gcuna AOPWOULIOLLT, usn wur yo wu 06E6 ur op. 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Zieht man von der Temperatur- angabe dieses Instruments, wenn es einige Zeit der Bestrahlung ausgesetzt war, die vom aspirierten Thermometer angezeigte Lufttemperatur ab, so hat man in dieser „aktinometrischen Differenz“ ein angenähertes relatives Maß der Strahlungsenergie der Sonne. Das von uns benutzte Schwarzkugelthermometer ist wie unser Ballon-Quecksilberbarometer von der Großherzogl. Sächs. Fachschule für Feinmechanik in Ilmenau herge- stellt; beide Instrumente haben sich vorzüglich bewährt. Das vorstehende Fahrtprotokoll (Tabelle) mag zur Illustration dessen, was über den meteorologischen Teil der Beobachtungen bei einer Hochfahrt gesagt wurde, dienen. IV. Aerophysikalische Untersuchungen. 1. Die Zusammensetzung der Luft in größeren Höhen.') Nach theoretischen Überlegungen sollte sich in der Atmosphäre ein Diffusionsgleichgewicht ausbilden derart, dal unter der Wirkung der Schwere die leichteren Gase mit der Höhe auf Kosten der schwereren zunehmen. Andrerseits ist bis zu einer gewissen Höhe hinauf infolge der vertikalen Luftströme eine gleichmäßige Durchmischung zu erwarten. Nachdem frühere Versuche kein entscheidendes Resultat gebracht hatten, ergab sich eine erste andeutungsweise Bestätigung der Theorie des Diffusionsgleichgewichts durch Untersuchungen, die bei Gelegenheit der Annäherung des Halleyschen Kometen an die Erde im Jahre 1910 vom Direktor des Aeronautischen Observatoriums in Lindenberg, Herrn Geheimrat Assınann, veranstaltet wurden. Aus fünf Analysen von Luftproben, die bei Freiballonfahrten aus Höhen zwischen 1600 und 8000 m herab- gebracht worden waren, ergab sich, daß der Gehalt der Luft an Neon, Helium und Wasserstoff mit der Höhe zunimmt. Dieses noch unsichere Ergebnis bedarf notwendig der Bestätigung und Ergänzung. Bereits im Jahre 1910 habe ich, unabhängig von den er- wähnten Untersuchungen, dasselbe Problem in Angriff genommen. Außer den Mengen von Neon, Helium und Wasserstoff in der Höhenluft wird auch die Änderung des Kohlendioxydgehalts der Luft mit der Höhe untersucht. Dieses Problem ist für die Erkenntnis sowohl des Kreis- laufes des Kohlenstoffs in der Natur wie der Absorption der Wärmestrahlen in der Atmosphäre von Bedeutung. Auf die Ausbildung einer zweckmäßigen und möglichst einwandfreien Methode zur Aufnahme von Luftproben im Ballon wurde besonders Wert gelegt. Die Luftflaschen haben je 27 Inhalt und sitzen stoßsicher in wider- standsfähigen Holzkästen (Fig. 89), die oberhalb des Korbrandes nach außen aufgehängt werden. Die Flasche ist vor der Fahrt evakuiert und mit einem !) A. Wigand, Publikation steht noch aus. 234 Albert Wigand. Dreiwegehahn verschlossen. Ein 25 m langes, vom Korbe herabhängendes Aluminiumrohr kann je nach der Stellung des Hahnes mit einem seitlich anzebrachten Gummisauggebläse oder der Flasche verbunden werden. Das Aluminiumrohr ist alsbald nach Antritt der Fahrt aus einzelnen, 1'/, m langen Stücken zusammenzuschrauben. Soll die Luftprobe aufgenommen werden, was am zweckmäßigsten geschieht, wenn der Ballon langsam fällt oder sich im Gleichgewicht Zu. befindet, so wird zunächst durch ein paar Züge des Saugersdas Aluminiumrohr mit der Luft aus der be- treffenden Höhe gefüllt und sodann der Hahn so ge- dreht, dal) die evakuierte Flasche mit dem Alumi- niumrohre in Verbindung steht und die Luft ein- strömen kann. Darauf ist die Flasche sogleich wieder mit dem Hahn provisorisch zu verschließen. Sobald als irgend möglich nach der Landung wird schließlich die Flasche in der Flamme einer mitgenommenen Ge- bläselampe durch Abziehen des Hahnstückes definitiv verschlossen und kann so unbedenklich bis zur Ana- Ivse aufbewahrt werden. Nachdem ich die Me- thode zur Aufnahme der Luftproben bei einer Ballon- fahrt erprobt hatte, brachte ich bei drei Fahrten mit Luftflasche in Kasten. verschiedenem Witterungs- charakter aus Höhen von 5000, 6300 und 9000 m eine Anzahl Luftproben herab. Herr Prof. Ernst Erdmann in Halle, der die Analysierung nach einer eigenen, dem vor- liegenden Zwecke angepaßten Methode übernommen hat, konnte bisher nur einen Teil der gesammelten Luftproben untersuchen. Aus diesen Analysen läßt sich aber bereits deutlich ersehen, daß der Kohlendioxydgehalt der Luft in der freien Atmosphäre mit zunehmender Höhe abnimmt, was hierdurch zum ersten Male festgestellt wurde, während die Mengen von Neon, Helium und besonders Wasserstoff mit der Höhe wachsen. z f F | i ) i Wissenschaftliehe Hochfahrten im Freiballon. 235 Auch ist der Einfluß unverkennbar, den die Wetterlage ausübt auf den Grad der Durchmischung der Luft und auf die einer gleichmäßigen Durch- mischung entgegenwirkende Einstellung des Diffusionsgleichgewichtes unter der Wirkung der Schwere. 2. Kondensationskerne.') Die Anzahl der zur Nebelbildung erforderlichen Kerne im Kubik- zentimeter Luft haben wir im Ballon wie am Erdboden durch umfang- reiche Versuchsreihen bestimmt. Da bisner, abgesehen von gelegentlichen orientierenden Messungen, systematische Untersuchungen über die wichtige Frage der vertikalen Verteilung der Kondensationskerne in der freien Atmosphäre noch nicht vorlagen, führte ich mit gleichzeitigen me- teorologischen Beobachtungen, besonders solchen über die Luftschichtung, bei 9 Fahrten, die Herren Zutze und Jenrich auf meine Veranlassung bei 3 Aufstiegen Kernzählungen aus, die sich bis zur Höhe von 9200 m er- streckten. Aus diesen Messungen, die demnächst zusammenfassend publiziert werden sollen, haben sich für die Änderung der Kernzahl mit der Höhe einige bisher noch unbekannte Gesetzmäßigkeiten ergeben, deren Erklä- rung leicht gelingt, wenn man die vertikale Luftbewegung und die Luft- schiehtung mit den Wolken und Dunstbildungen in Betracht zieht und dabei die Verschiedenheit der Größe und Fallgeschwindigkeit der Kerne unter den wechselnden Verhältnissen der Feuchtigkeit und Temperatur berücksichtigt. Die Kondensationskerne haben die Eigenschaft, mit zuneh- mender Luftfeuchtigkeit zu wachsen. Sie werden bei gleichbleibender Größe um so schneller fallen, je wärmer und dünner die Luft ist. Die Kernzahl nimmt im allgemeinen mit zunehmender Höhe ab. Während am Erdboden je nach der durch die Wetterlage und den Cha- rakter des Ortes bedingten Reinheit der Luft die Kernzahl zwischen einigen Tausend und mehreren Hunderttausend pro Kubikzentimeter schwankt, hat sie in der Region der unteren Wolken bis etwa 3000 m Höhe in wolkenfreier Luft Werte von einigen Hundert pro Kubikzenti- meter. Oberhalb 4000 m Höhe sind in der Regel weniger als 100 Kerne in einem Kubikzentimeter Luft vorhanden; und von etwa 5000 m an, in den Höhen der Cirruswolken, ist die Kernzahl stets kleiner als 20, wahr- scheinlich von der Größenordnung 1 pro Kubikzentimeter oder noch ge- ringer. Die Bestimmung so kleiner Kernzahlen ist mit dem gewöhnlichen Aitkenschen Apparate nicht mehr genau möglich, da dieser für mittel- große Kernzahlen eingerichtet ist und bei Werten unter 50 wie auch über 100.000 pro Kubikzentimeter nur noch Schätzungen zuläßt. '!) A.Wigand und F. Schwab, Physik. Zeitschr., 13, S. 677, 1912. — A.Wigand, Met. Zeitschr., S. 10 und 249, 1913; Beitr. z. Phys. d. fr. Atm., 5, S. 178, 1913. — A Wigand und @. Lutze, ebendort, 6, S.173, 1914; Abhandl. d. Naturforsch. Ges. zu Halle, N.F., Nr. 2, 1913. — @. Lutze und E. Everling, ebendort, Nr. 3, 1914. — W. Kolhörster, ebendort, Nr.4, 1914. E. Abderhalden, Fortschritte. X. 20 256 schneller ab als bei Tiefdruckwetter, -(STOT af 'St ww yarwjuorpugg) [quzuioysuonusunpuoy pun tquzsdunaggssdungdwgg Groydgoneg ‘ınynaodwme,], op noamyapumanz Albert Wigand. Bei Hochdruckwetter nimmt die Kernzahl mit zunehmender Höhe WITZRRIETTN 0 0I- 07- aparbsms/2)+- 0l+ ) HN UNNA TU 0001 08 09 0% N u 2) NJEZSDUR, 0.091.091 000108 09 0% UN Ud) 000% „wo 04 vayyPZuay 00001 00003 H000€ je 1.4 0000% — Seehöhe m (ment oy I | | Hi Bun | En | 06 d14 da sich die Kerne bei Hochdruck- wetter wegen der absteigenden Ten- denz der Luftbewegung mehr am Boden ansammeln und bei Tiefdruck- wetter durch die aufsteigende Luft- bewegung in größere Höhen geführt werden. Das stimmt mit dem Re- sultate der Zählungen am Boden überein. Wenn die Luft eine ausge- prägte Schichtung besitzt, was bei jeder Wetterlage vorkommt, können Schichten mit sehr verschiedenem Kerngehalt, auch kernreichere über kernärmeren gelagert sein. Innerhalb einer kernhaltigen Luftschicht sind die Kerne vertikal häufig so verteilt, dal) sich ihre größte Menge in einer mittleren Partie der Schicht befindet, nicht aber am unteren oder oberen tande. Bei einer Temperaturinversion treten in den unteren Teilen mehr Kerne auf als in den oberen Teilen; das Kernzahlmaximum liegt jedoch noch über der unteren Grenze der Inversion. Gerade diese Art der verti- kalen Kernverteilung, bei der also mehrere Maxima und Minima in der Kernzahlkurve vorkommen, habe ich häufig festgestellt. Mitunter befinden sich infolge einer solchen Verteilung einige 100 m über dem Erdboden mehr Kerne in der Luft als am Boden selbst. Fig. 90 rechts zeigt ein Beispiel. Der Kerngehalt von Dunst- schichten, die sich dem Auge durch Trübung der Luft bemerkbar machen, ist besonders groß. Häufig ist eine Parallelität zwischen der Kernzahl und der Intensität des visuell erkenn- baren Dunstes vorhanden; diese Beziehung hat jedoch nur bei konstanter Luftfeuchtigkeit einigermaßen Geltung. Mit dem Resultate der Kernzäh- lungen, dab oft kernreichere über kernärmeren Schichten liegen, stimmt Wissenschaftliche Hochfahrten im Freiballon. 237 überein die gelegentliche Beobachtung mehrerer getrennter Dunstschichten übereinander. In Wolken werden dagegen sehr wenig oder gar keine Kerne gefunden, da sie zur Wolkenbildung verbraucht worden sind. Dicht über einer Dunst- oder Wolkengrenze liegt meist ein ausgesprochenes Minimum der Kernzahl. Fig. 92. Apparat nach Aitken und Lüdeling zur Zählung der Kondensationskerne. Meine Beobach- tungen am Boden im Freien wie im Labora- torium betrafen die Kernwirkung von Staub und Rauch so- wie den Einfluß von Wetterlage und Qu t. e 2 ae Apparat nach Aitken, Lüdeling und Wigand zur Zählung der Windrichtung aufdie Kondensationskerne. Kernzahl. Die letztere Frage hat Herr Jenrich für einen längeren Zeitraum durch zahlreiche zu- sammenhängende Beobachtungen eingehend behandelt: seine in Kürze erscheinende Dissertation wird darüber berichten. Aus den Staubunter- suchungen ergab sich das für die Messungen im Ballon wichtige und auch beim Ballastgeben häufig bestätigte Resultat, daß gewöhnlicher Staub (nichthygroskopischer mineralischer, organischer und Kohlenstaub) im Kern- zähler nicht zur Wirkung gelangt und für die Kondensation des Wasser- dampfes in der Atmosphäre nicht in Betracht kommt. Rauch dagegen bewirkt stets eine bedeutende Vermehrung der Kondensationskerne in der 20% >38 Albert Wigand. Luft. Nähere Untersuchungen über die Natur der atmosphärischen Kon- densationskerne, speziell über die Rolle, welche die nach Masse, Ladung und Herkunft verschiedenen Ionen unter ihnen spielen, sind in Angriff genommen: denn dieses Problem der Luftelektrizität bedarf dringend der Bearbeitung. Der von Lüdeling verbesserte Aötkensche Apparat (Fig. 91) erwies sich für die erschwerten Versuchsbedingungen im Ballon, besonders in eroßen Höhen noch als unzureichend und wurde in einigen Punkten zu erößerer Bequemlichkeit und Genauigkeit abgeändert (Fig. 92). Der Hand- griff, die größeren Griffe an den Hähnen und am Pumpenkolben sowie eine Marke für die Zulassung von !/,.. Außenluft sind die Verbesserungen dieses Instruments, das sich bei guter Einübung des Beobachters durch- wer bewährt hat. Die Dichtung der Kondensationskammer, der Hähne und der Pumpe bereitet allerdings gelegentlich immer noch Schwierig- keiten. Zu genauen Bestimmungen der kleinen Kernzahlen in großen Höhen ist der Apparat noch zu modifizieren. 3. Die Ausbreitung der elektromagnetischen Wellen der drahtlosen Telegraphie längs der Erdoberfläche und in den Luftraum.') Von großer Bedeutung für die Theorie und Praxis der drahtlosen Telegraphie ist die Frage, ob sich die elektromagnetischen Wellen vorzugs- weise längs der Erdoberfläche oder in den Luftraum hinein ausbreiten. Eine Berechnung von Sommerfeld zeigt, daß den Oberflächenwellen für die Zeichenübertragung eine große Bedeutung zukommt. Diese Wellen breiten sich längs der Erdoberfläche aus und nehmen nach unten, in die Erde hinein, sehr rasch, nach oben hin langsamer ab. Zur experimentellen Prüfung dieser Theorie ist der Freiballon sehr geeienet, wenn von einer Landstation aus die Wellen mit konstanter Energie gesendet werden. Die Empfangsstation im Ballon ändert ja ihren Abstand von der Sendestation in horizontaler Richtung und zugleich ihre Höhe über dem Boden. Während solcher Versuche bei einer Hochfahrt wird zweckmäßig gleichzeitig in einem zweiten, tief fahrenden Ballon be- obachtet. Die Empfangsstation im Ballon (Fig. 93 und 80) ist so eingerichtet, daß ein einfacher Draht von variabler Länge bis zu 200 m Tiefe von einer Trom- mel am Ballonkorbe herabhängt und als Antenne zum Auffangen der Wellen dient. Als Gegengewicht werden ein oder mehrere isolierte Drahtringe horizontal um den mittleren Teil der Ballonkugel gelegt, am Netz befestigt, sowie durch Drähte untereinander und mit den Empfangsinstrumenten (De- tektor, Telephon, variable Kapazität und Selbstinduktion) im Korbe ver- bunden (bei T in Fig. 93). Die Messung der Intensität der aufgefangenen !) G. Lutze, E.T. Z., S. 273, 1913; Physik. Zeitschr. 14, S. 288 und 1151, 1913; Verh. d. Deutsch. Physik. Ges. Bd. 15, S. 1107, 1913. — @. Lutze und E. Everling, Ab- handl. d. Naturforsch. Ges. zu Halle, N. F., Nr. 3, 1914. Wissenschaftliche Hochfahrten im Freiballon. 239 Zeichen geschieht nach der „Parallel-Ohm-Methode“ durch Variierung eines zum Telephon parallel geschalteten Widerstandes. Die Resultate lassen sich dann nachträglich mit einer empfindlichen Baretter- anordnung auswerten. Durch Versuche bei mehreren Ballonfahrten in geringen Höhen und bei zwei Hochfahrten mit Maximalhöhen von 7000 und 6100 m ergab sich eine Abnahme der Stärke der empfangenen Zeichen mit zunehmender Erhebung über dem Erdboden und mit wachsender Entfernung von der Sendestation. Die Lautstärke der von Nord- deich gesandten Wellen war in 6500 m Höhe etwa halb so groß wie in 1500 m. Beim Empfang der von Paris gegebenen Zeichen sank die Lautstärke in 5500 m etwa auf den achten Teil der 1050 m Höhe gemessenen; die Aufstiege fanden in Bitter- feld statt. Damit ist experimentell bewiesen, . daß sich die Wellen vorzugsweise längs der Erdober- fläche fortpflanzen. Die Resultate stimmen mit dem Ergebnis der theoretischen Berechnung von Sommerfeld überein. Diese Theorie der Oberflächenwellen gründet sich auf den Einfluß, den die Leitfähigkeit und die Di- elektrizitätskonstante der Erdoberfläche je nach ei i f x 7 $ Le Empfangsstation für drahtlose ihrer Feuchtigkeit auf die Ausbreitung der Wellen "Telegraphie im Ballon. Die stär- ausüben. Inwiefern die mit der Höhe stark zu- "Drähte der Ballonantenne“ nehmende elektrische Leitfähigkeit und die Feuch- tigkeit der Luft für die Deutung der bei den Hochfahrten gewonnenen Resultate heranzuziehen sind, soll noch untersucht werden. 4. Luftelektrische Empfangsstörungen der drahtlosen Telegraphie und Störungen des atmosphärischen Potentialgefälles.') Schnelle Störungen des luftelektrischen Potentialgefälles lassen sich nur mit einer Meßvorrichtung von sehr kurzer Ausgleichszeit verfolgen Recht weitgehend kann dies bereits geschehen, wenn ein dem „Momentan- kollektor“ sehr nahe kommender, von Herrn Lutze konstruierter (Fig. 94) und von Herrn Everling für Versuche im Ballon etwas abgeänderter Spritz- kollektor (Fig. 95) verwendet wird, bei dem sich durch eine geeignete Kombination von Druck- und Saugzerstäubung sowie durch möglichste Herabsetzung aller Kapazitäten und Verwendung eines Elektrometers von geringer Trägheit eine Aufladezeit von nur 3 Sekunden erreichen läßt. 1) A. Wigand und @. Lutze, Abh. d. Naturforsch. Ges. zu Halle, N. F., Nr. 2, 1913; @. Lutze und E. Everling, ebendort, Nr.3, 1914; @. Lutze, Physik. Zeitschr., 14, S. 1148, 1913; Verh. d. D. Physik. Ges. 15, S. 1100, 1913; R. Breyer, Dissert. Halle 1914. 240 Albert Wigand. In der drahtlosen Telegraphie äußern sich schnelle Potentialschwan- kungen als „luftelektrische Empfangsstörungen“ dadurch, dab sie im Telephon der Empfangsstation störende Geräusche erzeugen. Dieser Zusammenhang ließ sich durch Parallelbeobachtungen der Potential- und Empfangsstörungen auf einer Landstation feststellen, wobei die Potentialstörungen häufig als oszillatorische Vorgänge mit einer Frequenz von mehr als 2000 pro Sekunde erkannt wurden. Die Empfangsstörungen können nach Anzahl und Stärke gewertet werden („Störungszahlen“). Fig. 93 zeigt die vereinfachte Schaltung ohne Detektor im Ballon (bei T das Telephon) und die Anbringung der Ballonantenne. Die Beobachtungen mehrerer Freiballonfahrten ergaben bei gleich- zeitiger Verfolgung der luftelektrischen Empfangs- störung im Ballon und auf einer Landstation zwar Fig. 94. (sanges, wie er sich ausprägt in einer doppelten Periode ; die einzelnen Störungen sind jedoch auf lokale Ursachen zurückzuführen. Es zeigte sich, dal) der meteorologische Charakter der betreffen- den Luftschicht, in der sich der Ballon befand, und auch die Beschaffenheit des darunter liegenden Ge- RER ländes von bestimmendem Einflusse auf die Stö- Saug-Spritzkollektor nach Lufze - ok D T . zur Messung des Potentialgefälles. TUNEEN Ist, und daß sich besonders in Wolken eine l; Zuführungsrohr für Druckgas; r £ A) J n 1, Ausflußrohr für Wasser; aklein. Starke Vermehrung der Empfangsstörungen fest- If } zZ 7 j er 1. J . .. re ae ar Pe stellen läßt (Fig. 90). Daraus ist auch auf stärkere Potentialstörungen in Wolken zu schließen. In großen Höhen (über 5000 m) wurden stets sehr geringe Empfangsstörungs- zahlen gefunden, und auch das Potentialgefälle verhielt sich relativ ruhig. 5. Luftelektrisches Potentialgefälle.') Das luftelektrische Potentialgefälle ist schon wiederholt im Freiballon gemessen worden. In größeren Höhen (3000—6000 m) haben Börnstein, baschin, Le Cadet, Gerdien und Linke solche Messungen ausgeführt. Das Potentialgefälle, das mit zunehmender Höhe abnimmt, hat am Boden einen mittleren Wert von etwa 100 Volt/m und fällt in 1500 m Höhe auf etwa 25 Volt/m, in 4000 m auf etwa 10 Volt/m. Nach Gerdiens Messungen kann in 5760 m Höhe ein Potentialgefälle von 2°9 Volt/m herrschen. Bei zwei anderen Fahrten fand Gerdien in 5900 m 85 Volt/m, in 6030 m 79 Volt/m, also im Mittel etwa 8 Volt/m für 6000 m Höhe. Es erschien nun wünschenswert, diese Messungen nachzuprüfen und in noch größere Höhen hinauf auszudehnen. Nachdem zunächst nur ge- plant war, Messungen des Potentialgefälles im Ballon als Parallelbeob- achtungen zu den Untersuchungen über die luftelektrische Empfangsstörung ') E. Everling, Verh. d. D. Physik. Ges. 16, S. 240, 1914. eine Übereinstimmung des allgemeinen täglichen De u nn ee - Wissenschaftliche Hochfahrten im Freiballon. 241 der drahtlosen Telegraphie und die Wellenausbreitung anzustellen, trat späterhin die erstgenannte Aufgabe in den Vordergrund. 3ei der Ausführung der Versuche wurde, um die Apparatur zu ver- einfachen, auf die Verwendung zweier Kollektoren verzichtet und lediglich die Spannungsdifferenz zwischen dem Ballon und einem einzigen Kollektor mit Hilfe eines Zweifadenelektrometers nach Wulf gemessen. Zu diesem Zwecke wurde der Ballonkorb mit Drähten umzogen und, wie beim Ge- gengewicht der Ballonantenne (Fig. 93), um die Ballonkugel ein Draht- ring gelegt, von dem an mehreren Stellen Leitungen zum Korbe führten. Fig. 95. Saug-Spritzkollektor nach Luftze und Everling zur Messung des Potentialgefälles, mit Zubehör. Damit ließ es sich erreichen, daß der Ballon auch bei trockenem Wetter einen eindeutig definierten Leiter darstellte. Um den Ballon mit dem umgebenden elektrischen Feld der Atmosphäre auszugleichen, wurden außen am Korbe ständig tropfende Säcke aus Ballongummistoff angebracht, mit 42:3°/,iger Caleiumchloridlösung gefüllt, deren Gefrierpunkt nahezu bei — 59° liegt. Der Ballon nimmt dann dauernd das Potential derjenigen Äqui- potentialfläche an, die durch eine untere Korbecke geht, wo die Tropfstelle der Gummisäcke liegt. Ferner wurde dafür Sorge getragen, daß keine Gegenstände unter den Korbboden hinabhingen, und daß der Meteorograph und das Psychrometer von jener Ecke möglichst weit entfernt waren. 242 Albert Wigand. Als Kollektor diente eine für Versuche im Ballon etwas abgeänderte Form des Zutzeschen Spritzkollektors mit Druck- und Saugwirkung (Fig. ! und 95). Er wurde vom Korbe aus mit einem Gummihandgebläse betätigt und war gefüllt mit einem Gemisch von Kochsalzlösung und Alkohol. Wegen des geringen Verbrauches genügte eine einzige Füllung von etwa "/, für die ganze Fahrt. Der Kollektor hing in Korbbodenhöhe in der Ebene einer Seitenwand des Korbes, 125 cm entfernt von jener Korbecke, die durch Fig. 96. BENBARERBEBESE HENENENSHRRRE =: u. FEFEFFER FEESFEESEFEEFFFFERE NEBEBREBE 7000 6000 5000 4000 3000 2000 7000 0 RT “ESE 4 20 2 oVolt = 55 e Pr 50 60 70 80 90 100 Elektrische Leitfähigkeit und Potentialgefälle in der freien Atmosphäre bis 9000 m Höhe. die Ausgleicher auf dem Potential der Umgebung gehalten wurde. Dar- über befand sich, an 3 Schnüren aufgehängt (wie in Fig. 99), das Wulf- Elektrometer, dessen Fäden mit dem Kollektor durch einen dünnen Draht verbunden waren. Zur Isolation der Aufhängung des Kollektors und der Schlauchleitung für die Druckluft dienten Hartgummi-Zylinder und -Röhren, deren Oberfläche mit Rillen versehen und paraffiniert war. Aus der Aufladung des Elektrometers ließ sich nun die Spannungs- differenz zwischen der ausgeglichenen Korbecke und dem Referenzpunkt des Kollektors ermitteln, d. h. ein relativer Wert, der dem absoluten in Dei u Sen Wissenschaftliche Hochfahrten im Freiballon. 243 Potentialgefälle (Volt/m) proportional ist. Durch Ausmessung an einem Ballonmodell im künstlichen Felde kann ermittelt werden, welche Defor- mation die Äquipotentialflächen durch die Anwesenheit des Ballons er- fahren. Daraus läßt sich dann der Reduktionsfaktor für die relativen Messungen und der absolute Wert des Gefälles bestimmen. Da die Messungen am Modell noch nicht beendet sind, so seien einst- weilen nur einige relative Werte des Spannungsgefälles in der Fig. 96 mitgeteilt, nach Beobachtungen, die bei einer Hochfahrt mit antizyklonaler Wetterlage bis 9005 m Maximalhöhe gewonnen wurden. Die Werte fielen nach jedem stärkeren Steigen des Ballons zunächst zu hoch aus und wurden erst dann, wenn sich der Ballon ausgeglichen hatte, konstant. Da nach Messungen von Linke bei ähnlicher Wetterlage das absolute Spannungsgefälle in 3400 m Höhe etwa 15 Volt/m beträgt, bei der 9005 m-Fahrt aber in 3500 m Höhe 94 Volt, so ist der Reduktions- faktor schätzungsweise 0'16. Danach ergibt sich für 9000 m aus dem be- obachteten relativen Werte 22 Volt ein absolutes Potentialgefälle von etwa 35 Volt/m, also jedenfalls auch in diesen Höhen noch ein endlicher, meb- barer Wert. Das Potentialgefälle scheint mit wachsender Höhe nach einem Exponentialgesetze abzunehmen. Die Schwankungen des Potentialgefälles sind bei konstanter Höhenlage von geringerer Amplitude. Auch die kurzdauernden Störungen des Potentialgefälles, die mit den Empfangsstörungen der drahtlosen Tele- graphie in engem Zusammenhang stehen und nur mit einem Elektrometer von geringer Trägheit und einem schnellwirkenden Ausgleicher wahrgenom- men werden können, sind, ebenso wie jene Empfangsstörungen, schon in wenigen tausend Metern Höhe nur selten bemerkbar. Die Werte des Potentialgefälles von der 9005 m-Fahrt stimmen über- ein mit den Resultaten, die auf zwei anderen Ballonfahrten mit Maximal- höhen von 5400 und 8510 m gewonnen wurden. 6. Luftelektrische Leitfähigkeit.') Zur Messung der elektrischen Leitfähigkeit der Luft im Ballon hat Gerdien einen brauchbaren Apparat (Fig. 97) angegeben und zu erfolg- reichen Messungen benutzt. Es zeigte sich, dal die Leitfähigkeit, nach beträchtlichen Schwankungen in den untersten tausend Metern, dar- über mit der Höhe erheblich zunimmt und in 5760 m Höhe den Wert 1365 x 10E.S. E., in 6000 m 20:6 x 10% erreichen kann; das ist der 22fache Betrag des Potsdamer Mittelwertes für normale Tage (095 x 10* E.S. E.). Die wenigen Messungen in höheren Luftschichten bedürfen in An- betracht der großen Bedeutung, die der Leitfähigkeit für den elektrischen Zustand der Atmosphäre zukommt, und zur Aufklärung ihrer Ursachen der Nachprüfung, besonders aber der Ausdehnung auf größere Höhen als 1) A. Wigand, Verh.d. D. Physik. Ges. 16, S. 232, 1914. >44 Albert Wigand. 6000 m. Die neuen Bestimmungen der Leitfähigkeit sind bis jetzt bei zwei Fahrten mit 6300 und 9005 m Maximalhöhe von mir, ferner auf meine Veranlassung hin bei einem Aufstiege bis 3510 m Höhe von Herrn Lutze und außerdem bei einer gemeinsamen Fahrt bis 5400 m Höhe von Herrn H. Bongards (Lindenberg) ausgeführt worden. Bei der letztgenannten Fahrt (es war zeitlich die erste) wurde ein dem Lindenberger Aeronautischen Observatorium gehöriger älterer Gerdien- scher Apparat verwendet, in dem das Blatt-Elektrometer durch ein Wulf- sches Zweifaden-Elektrometer ersetzt war. Für die drei anderen Aufstiege be- nutzten wir einen Herrn Prof. Berndt (Charlottenburg) gehörigen Leitfähig- keitsapparat, der gegenüber der ursprünglichen Gerdienschen Form einige Änderungen aufwies: Zunächst wurde statt des Blatt-Elektrometers ein Fig. 97. Apparat nach Gerdien zur Bestimmung der elektrischen Leitfähigkeit der Luft, mit Blatt- Elektrometer nach Elster und Geitel. Wulfsches Elektrometer benutzt. Ein Sflügeliger Aspirator erzeugt eine genügend konstante Luftgeschwindigkeit auf dem ganzen (Querschnitt des Zylinderkondensators, so daß die Anbringung eines (@Querdrahtnetzes nicht nötig ist. Wenn als Anfangsspannung 160 Volt nicht erheblich überschritten werden, genügen in geringeren Höhen 1—2 Umdrehungen der Handkurbel in der Sekunde zur Erreichung einer hinreichenden Luftgeschwindigkeit im Kondensator. In Höhen über 6000 m muß man aber die Anzahl der Umdrehungen in der Sekunde auf 3—4 steigern, was recht mühsam ist. Der Handantrieb soll daher durch ein mechanisches Werk ersetzt werden. Die Leitfähigkeitsmessungen werden gestört, wenn ‘der Ballon relativ zur umgebenden Luft eine erhebliche Eigenladung besitzt. Dies kann ein- treten bei schneller Höhenänderung oder bei Ausgabe von trockenem Sand- ballast. Die Eigenladung verliert sich zwar, wenn der Ballon eine Gleich- Wissenschaftliche Hochfahrten im Freiballon. 245 gewichtslage einhält, nach einiger Zeit von selbst. Es ist aber zweckmäßig, diesen Vorgang zur besseren Ausnutzung der Zeit durch Anbringung eines Ausgleichers am Korbe zu beschleunigen. Wir benutzen dazu in der Regel ständig tropfende Gummisäcke mit Caleiumchloridlösung, wie sie auch bei den meist gleichzeitigen Messungen des Potentialgefälles verwendet wurden. Die Fig. 96 zeigt, wie nach Beobachtungen bei den vier Aufstiegen die Leitfähigkeit in der freien Atmosphäre mit der Höhe beschleunigt zunimmt. Die größte, in 8865 m Seehöhe gemessene Leitfähigkeit (373 x 10? E.S.E.) ist 68mal so groß wie die gleichzeitig am Erdboden herrschende. Der Pots- damer Mittelwert für normale Tage ist !/,, des beobachteten Maximalwertes. Die Berechnung des vertikalen Leitungsstromes aus den beobachteten Leitfähigkeiten kann erst stattfinden, nachdem an Herrn Everlings gleichzei- tigen Beobachtungen des Potentialzefälles die noch fehlende Absolutreduk- tion angebracht ist. Wenn die auf den positiven und negativen Ionen beruhenden Leit- fähigkeiten gesondert betrachtet werden, so ergeben sich in den verschie- denen Höhen interessante Beziehungen zwischen dem beobachteten Über- wiegen der Leitfähigkeit eines Vorzeichens (Unipolarität, räumliche Ladungs- dichte) und der Bildung und Auflösung von Wolken, besonders von Gewit- terwolken. Die Zunahme der Leitfähigkeit mit der Höhe kommt zum Teil auf vechnung der bei Luftdruckerniedrigung zunehmenden Beweglichkeit der Ionen. Gerdien hat gefunden, daß in der freien Atmosphäre in einigen 1000 m Höhe die Ionenbeweglichkeit größer ist, als sienach dem im Labo- ratorium gefundenen Gesetze der umgekehrten Proportionalität von Be- weglichkeit und Luftdruck sein sollte. Eingehender ist diese Tatsache mit ihren Ursachen noch nicht verfolgt worden. Es scheint, dal) die in großen Höhen herrschenden Temperatur- und Feuchtigkeitsverhältnisse sowie das Vorkommen mehrfacher Ionenladungen hier in Betracht gezogen werden müssen. Zu einem anderen Teile ist es aber jedenfalls eine erhöhte Anzahl von Ionen, die in größeren Höhen die Leitfähigkeit der Luft vermehrt. Nähere Untersuchungen hierüber, wie über die Wirksamkeit der verschie- denen in Betracht kommenden Ionisatoren fehlen ebenfalls noch. Die Leitfähigkeitskurve zeigt in Höhen über 4000 m eine ähnliche Form (beschleunigte Zunahme mit der Höhe) wie die Kurve der Inten- sität der ultravioletten Sonnenstrahlung, die ich bei einer Hochfahrt mit 9425 m Maximalhöhe auf lichtelektrischem Wege bestimmte, und auch wie die von Herrn Kolhörster bei unseren gemeinsamen Fahrten bis zu 6300 m Höhe ermittelte Kurve der durchdringenden Strahlung (Fig. 103), was auf einen schon von vornherein denkbaren ursächlichen Zusammenhang hinweist. Inwieweit die ultraviolette Sonnenstrahlung nach ihrer spektralen Qualität und Intensität und die durchdringende Strahlung quantitativ bei der Ionisation der höheren Luftschichten wirksam sind, bleibt der Unter- suchung noch vorbehalten. Wir hoffen, über diese Fragen der lonisatoren, 246 Albert Wigand. lonisation und lonenbeweglichkeit in größeren Höhen bald weitere Auf- schlüsse zu erlangen und die Beobachtungen auch noch in Höhen über 9000 m ausdehnen zu können. 7. Ultraviolette Sonnenstrahlung. ') Das Sonnenspektrum reicht im Ultraviolett bis zu einer be- stimmten Grenze, die sich nach den photographischen Aufnahmen von Cornu und Simony um so weiter in das Gebiet der kurzwelligen Strahlen erstrecken soll, je geringer die Luft- schicht ist, die von den Sonnenstrahlen durchlaufen werden muß. Nach neueren Untersuchungen, die von Miethe und E. Lehmann mit einem vollkommeneren Spektrographen im Tiefland und Hoch- gebirge bis 4560 m Höhe angestellt wurden, ändert sich jedoch die Länge des Sonnenspektrums im Ultraviolett nicht mit der Höhe des Beobachtungs- ortes; die letzte im Spektrum wahr- nehmbare Lichtspur hat vielmehr kon- stant eine Wellenlänge von 2912 vv. Durch spektrographische Auf- nahmen in Halle und bei drei Ballon- fahrten bis zu 9005 m Höhe habe ich diese Frage von neuem behandelt. Dabei ergab sich, daß dieGrenze desSonnen- spektrums im Ultraviolett tat- sächlich von der Höhe unabhängig ist. Es gelang jedoch, in den höheren Luftschichten dank der dort größeren ultravioletten Strahlungsintensität und Quarz-Kalkspat-Spektrograph für das Sonnen-- im Tiefland durch Verwendung eines ultraviolett nach Miethe und Lehmann, mit N - : Bromdampffilter. ;romdampf-Lichtfilters das Sonnenspek- trum bis zu Wellenlängen von 2896 pp. zu verfolgen und auch einige neue Absorptionslinien im äußersten Sonnenultraviolett aufzufinden. Die Aufnahmen wurden mit dem von Miethe und Lehmann verwendeten Quarz-Kalkspat-Spektrographen (Fig. 98) ge- macht. Die Spektrogramme sind bis nahe zum ultravioletten Ende scharf und kontrastreich. Zur Erklärung der Versuchsresultate kann die Hypothese dienen, daß nach Rayleighs Theorie die Zerstreuung des Lichtes an den Luft- Fig. 98. !) 4.Wigand, Physik. Zeitschr., 14, S. 1144, 1913 ; Verhandl. d. Deutschen Physik. Gesellsch., 15, S. 1090, 1913. Wissenschaftliche Hochfahrten im Freiballon. 247 molekülen oder anderen kleinsten Partikeln in den obersten Luftschichten die konstante Begrenzung des Sonnenspektrums im Ultraviolett bewirkt. Die spektrographische Untersuchung der ultravioletten Strahlung des blauen Himmels ergab 2894 uv. als Wellenlänge der äußersten merk- baren Lichtspur. Fernerhabeich Fig. 99. begonnen, die Ände- rung sowohl der spek- tralen Erstreckung als auch der Inten- sität des Sonnen- ultravioletts mit der Höhe im Ballon nach lichtelektri- schenMethoden zu untersuchen.!) Der hierzu verwendete Apparat (Fig.99), wie ich ihn bisher bei zwei Aufstiegen mit Maximalhöhen von 4500 und 9425 m benutzte, ist im Prin- zip ein „Zinkkugel- photometer* nach Elster und Geitel. Gemäß Herrn Ge- heimrat Lenards An- gabe können durch Vorschaltung _ver- schiedener Liehtfilter .. Be (Glas, Uviolglas, = 3 e Quarzglas,Quarz)ein- © E 2 zelne spektrale Ge- Fr ra 37 biete des Ultravioletts Lichtelektrisches Aktinometer für das Sonnenultraviolett nach Elster und getrennt untersucht Geitel, mit Filterplatte Er a u nk roroker; Aufhängung werden. Als Elektro- meter diente das bei Ballonfahrten besonders geeignete Wulfsche Zweifaden- instrument. Unter den verschiedensten Arten der Montierung hat sich im Ballon am besten die Aufhängung des Elektrometers mit drei Schnüren bewährt (Fig. 99). Eine Schnur ist am Ballonnetz und die beiden anderen am Korbringe so anzubinden, daß das Elektrometer in Augenhöhe nahe außerhalb des Korbes hängt. Die unvermeidlichen Erschütterungen des ‘) Die Ergebnisse sind noch nicht publiziert. J48 Albert Wigand. Korbes haben alsdann nur geringen Einfluß auf das Instrument, und die Ablesung ist bequem trotz der Engigkeit im Korbe. Als lichtelektrisch wirksames Metall der Kugel wurde anstatt des allzu empfindlichen amal- gamierten Zinks Magnalium und Aluminium gewählt. Die Witterung während der beiden Aufstiege war für die Ultra- violettmessungen nicht besonders günstig, weshalb die Resultate nur zur vorläufigen Orientierung dienen können; bei der ersten Fahrt wurde die Luft durch Gewitter- Fig. 100. bildung bis hoch hin- ranee N auf getrübt, und bei | der zweiten verhüllte auch oberhalb 9400 m Tr ein ganz dünner Cir- Paz \ russchleier die Sonne, \| Das Ergebnis der Be- = obachtungen war zu- \ nächst, daß die Länge des ultravioletten Sonnenspektrums, \ || \ übereinstimmendmit \ ar dem spektrographi- / RE schen Befund, in allen ! \\ Me durchfahrenen Höhen NH N) N konstant bh re ARIE = Cr A| I onstant blieb. Es en Zum Ei 2 | Te sind zwar in den | DE \.;in | zwischen 6700 und | | 9550 m Höhe ge- messenen Werten der lichtelektrischen 7) 1 Jolly elhırı pt [ e a u er Te N Zerstreuung Andeu- } 1 IL Se “ tungen vorhanden für | - | das Auftreten von h PEN al Strahlen mitkürzerer => == Wellenlänge, als sie Neukonstruktion des Wulfschen Apparates zur Messung der durchdringen- -— Tiefland beobach- den Strahlung für Ballonfahrten von Kolhörster. tet werden. Dieser Effekt kann jedoch bei der Beschaffenheit des Instrumentes leicht vorgetäuscht sein durch den Einfluß der hohen Leitfähigkeit der Luft in den großen Höhen. Ich fand z.B. in 8565 m Höhe für die elektrische Leitfähigkeit der Luft den 68fachen Betrag des gleichzeitigen Wertes am Erdboden, nämlich 373.10 E.S.E.; das ist das 39fache des Potsdamer Mittelwertes für normale Tage (095. 10 E. S. E.). Sodann ergab sich für die lichtelektrisch wirksame gesamte Inten- sität der ultravioletten Sonnenstrahlung aus den Messungen der beiden Wissenschaftliche Hochfahrten im Freiballon. 249 Fahrten eine außerordentlich starke, wahrscheinlich beschleunigte Zunahme mit der Höhe. Da das bisher benutzte Instrumentarium im Ballon noch nicht Re- sultate von der wünschenswerten Zuverlässigkeit zu erzielen gestattet, soll eine verbesserte lichtelektrische Apparatur bei weiteren Hochfahrten zur quantitativen Untersuchung der Intensität, auch für eng begrenzte Spek- Fig. 101. Apparat nach Wulf und Kolhörster zur Messung der durchdringenden Strahlung im Ballon. tralbereiche, und ferner zur Nachprüfung der Konstanz der Spektrums- grenze bei Höhenvariierung dienen. 8. Durchdringende Strahlung. ') Die durchdringende Strahlung in der Atmosphäre, die den Charakter der Gammastrahlung radioaktiver Substanzen zu besitzen scheint, wird ') W. Kolhörster, Physik. Zeitschr., 14, S. 1066 und 1153, 1913; Verhandl. d. Deutschen Physik. Gesellsch., 15, S. 1111, 1913; Mitteil. d. Naturf. Gesellsch. zu Halle, 8, Nr..5, 1913; Abh. d. Naturforsch. Ges. zu Halle, N. F., Nr. 4, 1914. 250 Albert Wigand. mit einem von Wulf angegebenen Apparate bestimmt, der im wesent- lichen aus einem Zweifadenelektrometer in einem geschlossenen Gefäße besteht. Für die Versuche im Ballon bei Hochfahrten war eine veränderte Konstruktion dieses Apparates erforderlich (Fig. 100, 101 und 102). Wulf, Me Lennan und Maccallum sowie Bergwitz haben die Abnahme der durchdrin- genden Strahlung in geringeren Höhen auf Türmen nachgewiesen, Bergwitz und Gockel auch bei Ballonfahrten. Ferner fand Gockel, daß in Höhen über 2000 m eine geringe Zunahme der Strahlung stattfindet. Bei mehreren Freiballonfahrten führte Hess eingehendere Messungen durch bis zu Höhen Fig. 102. Apparat nach Wulf und Kolhörster zur Messung der durchdringenden Strahlung im Ballon, mit Filzmantel und Zubehör. von annähernd 5000 m und stellte dabei eine starke Zunahme in größerer Höhe fest. Diese Resultate sind nicht unwidersprochen geblieben, da noch keine Erfahrungen über die Abhängigkeit der verwendeten Apparate von Druck- und Temperaturschwankungen vorlagen. Es waren daher Messungen in erößeren Höhen erwünscht. die nunmehr bis 6300 m Seehöhe ausgeführt wurden, und zwar mit einem in bezug auf Druck- und Temperaturein- flüsse gut definierten und geprüften Apparate. Der Strahlungsapparat ist so eingerichtet, daß er einem inneren Überdruck bis zu ?2/, Atm. standhält und schon innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeit brauchbare Messungen gestattet. Dies ist von Bedeutung, da es Schwierigkeiten bereitet, den jallon längere Zeit in konstanter Höhe zu halten. Bei den drei von Wissenschaftliche Hochfahrten im Freiballon. 251 Bitterfeld aus unternommenen Fahrten mit Messungen der durchdringen- den Strahlung wurden Maximalhöhen von 4000, 4400 und 6300 m erreicht. Es ließ sich eine bedeutende Zunahme der durchdringenden Strahlung be- sonders über 4000 m feststellen. Die Werte bis 4000m stimmen mit den früheren Beobachtun- gen, besonders mit denen von Hess, gut Fig. 103. ee . 5 “ Seehöhe überein. Die Strah- m unagas BaSsupprEe lung nimmt beim = Bee 2 ae 7 » 1 7 Aufsteigen durch die soo nn ersten 1000 m gegen- —-H EHESSEBEER EEBErASNnnEN | 20 [sr] ee lee] si fsa]erlfe\pe false lm] ee) Ir BE | über der am Erd- EEEEBEIFEEBIEEEREERFSERRSZEELLTEELCH boden gemessenen I SuBESIE EEEHESSERPFESSEFFERE e= | ze Wr ab, wächst sodann 5000 SEEEEEE SEEFHBEFFEFBBFEESSEESEEEFE N langsam, so daß sie SEHR Bann EnunE Bug ugEEE in ungefähr 1700 m EESERESSEBENSEBEETEE EEFFEFEFFEEH gleiche Werte wie am SHE cH DOSuHE Boden erreicht, und u Kanl PL ESENS ESBEEERSI BEnE nimmt von 4000 m FH BErEnnEEE = Susan an schneller mit der Sasee Br.EuuE jan Höhe zu. Fig. 103 EEnNnEE JNNNNSNENNENENNENEN BEBEN za zeigt, wie sich die a EILYEH 1 == FrcH bel Anzahl der von der — HH H EH PEEEHRSFFFER 5 _ u - i 1 T: — durchdringenden 1eleiiz) f} EIEeH BENEDENEGUNENEDERER Strahlung in 1 cm? HH H HH IH in der Sekunde er- EnEnER, EP Bzizsjaegeian : zeugten Ionen („Ioni- en 7 IH HEnaE SEEN EEE sierungsstärke“) mit ErH EEE H Inle m HH der Höhe ändert. A Sleflelalet | za = iR — — I | ==: Die Resultate liefern [1 2 BE HH Anhaltspunkte dafür, 0 FESFFFRRR — EESEESENE daß neben den durch- 1 FH IHRER 5 S 11 | 1 dringenden Strahlen 500 2 : Te der radioaktiven Sub- EEEEEEEREEFEEIE u ! stanzen des Erd- o GERN ELLIEEFFHFFFEEFFERR bodens und der Luft ee a oe sr 1295, E80: 56 eine bisher nur im Differenz der Ionisierungsstärke gegen den Wert am Boden. Freiballon festge- ’ Nirg = Intensität der durchdringenden Strahlung in der freien Atmosphäre bis stellte Strahlung von 6300 m Höhe. hohem Durchdrin- gungsvermögen, also wahrscheinlich vom Charakter der Gammastrahlen, in größeren Höhen der Atmosphäre existiert, deren Ursprung im Kosmos oder in den höheren Schichten der Atmosphäre selbst, vielleicht in der „oberen Inversion“, zu suchen ist. E. Abderhalden, Fortschritte. X. 21 9 Albert Wigand. 9. Meteorologisch-optische Probleme, Wolken- und Dunst- studien.') Eine Erscheinung, die so alltäglich ist. daß sie meist nicht beachtet wird. sind die lanegezogenen Lichtsäulen, die man wahrnimmt, wenn man das Spiegelbild eines Gestirns oder einer irdischen Lichtquelle auf einem bewegten Wasserspiegel, auf feuchtem Straßenpflaster oder anderen Fig. 104. Untersonne in einer Cirrostratus-Wolke. Seen und Flußlauf in der Landschaft. Ballonhöhe 4900 m. rauhen Flächen betrachtet. Auch an Sonne und Mond selbst, wenn sie durch Eiskrystallwolken hindurchscheinen, können solche, meist vertikale Lichtsäulen beobachtet werden. Vom Ballon aus, bei Hochfahrten im Ge- biete der Cirruswolken sieht man zuweilen die Untersonne, ein A.Wigand und F. Schwab, Physik. Zeitschr., 13, S. 677, 1912; A. Wigand und E. Ererling, Verhandl. d. Deutschen Physik. Gesellsch., 15, S. 237 und 1117, 1913: k. Zeitschr., 14. S. 1155, 1913; A. Wigand, Deutsche Luftfahrer-Zeitschr., 1912, Wissenschaftliche Hochfahrten im Freiballon. 353 Spiegelbild der Sonne in den horizontalen Krystallflächen einer Eiswolke unterhalb des Ballons, ebenfalls vertikal verlängert, manchmal mit langen, schwanzartigen Fortsätzen in der Längsrichtung (Fig. 104 und 105). Diese Erscheinungen, besonders die Spiegelungen in Eiswolken, habe ich, zum Teil gemeinsam mit Herrn Schwab in Ilmenau, durch Messungen der Winkelgrößen und photographische Aufnahmen im Ballon eingehend Fig. 105. Untersonne und Halo in einer Cirrostratus- Wolke. Ballonhöhe 5500 m. studiert. Dabei wurde Wert gelegt auf gleichzeitige Beobachtungen der Halo-Erscheinungen (Fig. 105), jener durch die Brechung des Lichtes in den Eiskrystallen entstehenden großen Lichtringe und Nebensonnen. Für das Auftreten dieser Spiegelungs- und Brechungsphänome in den Cirrus- wolken und ihre verschiedenartigen Erscheinungsformen ist es von Be- deutung, welche Struktur die Wolke und welche Form (Nadeln, Plätt- chen, Sterne) und Größe ihre Eiskrystalle besitzen. Auch hierüber und 21* IH Albert Wigand. über die Feuchtigekeitsverhältnisse der Eiskrystallwolken, in denen mitunter Übersättigung vorkommt, wurden Beobachtungen angestellt. Mit der Nachahmung der Lichtsäulen im Laboratorium und ihrer theoretischen Erklärung beschäftigte ich mich gemeinsam mit Herrn Everling, dessen rechnerische Durchführung der Theorie Kurven lieferte, die in ihrer Gestalt der Form der beobachteten Lichtsäulen sehr nahe kommen. Fig. 106. Dunsthorizont 500 m über Erdhorizont. Winterlandschaft bei Gifhorn an der Aller. Ballonhöhe 1500 m. Zum quantitativen Studium der Eigenschaften des Dunstes in allen Höhenlaeen, insbesondere seiner Schichtungen, gehören zwar zunächst ;allonuntersuchungen über Kondensationskerne, Feuchtigkeit und Absorp- tion der Wärmestrahlen. Aber auch Messungen der Polarisation des blauen Himmelslichtes und des Grades der Himmelsbläue sind zur Charakteristik der vertikalen Dunstverteilung wünschenswert. Diese bisher im Ballon noch nicht bearbeiteten Probleme haben wir gleichfalls in unser Arbeitsprogramm mit einbegriffen. Brauchbare Instrumente für solche a a a Wissenschaftliche Hochfahrten im Freiballon. 255 Untersuchungen sind der Jensensche Pendelquadrant, mit einem Savart- schen Polariskop zur Bestimmung der Lage der neutralen Punkte der atmosphärischen Polarisation, und eine von Herrn Schwab hergestellte Blauskala, die als Cyanometer dient. Die horizontale obere Grenze einer Dunstschicht läßt sich wegen ihres bedeutenden Helligkeitskontrastes gegen die darüber liegende dunst- freiere Luft leicht photographieren. Bereits in geringer Höhe über dem Erdboden trifft man meist einen scharfen Dunsthorizont an, der sich auf vielen Ballonphotogrammen des Geländes findet (Fig. 106). Aber auch in Fig. 107. E Stratusdecke in 700m Höhe. Darüber Dunstschicht mit Bildung einer zweiten Stratusdecke in der Ferne in 2500 m Höhe. Darüber schmaler Dunststreifen. Ballon- höhe 2500 m. wenigen 1000 m Höhe über und zwischen Wolkenschichten und sogar in Höhen über 5000 m, im Gebiete der Hochfahrten, werden Dunstschichten angetroffen. Die Fig. 107 zeigt über einer Stratusdecke in 700 m Höhe eine Dunstschicht mit Bildung einer Stratusdecke links in der Ferne in 2500 m, oberhalb deren noch ein schmaler Dunststreifen sichtbar ist. Die Bilder von Wogenwolken in 1600 » Höhe mit äquidistanter Querteilung (Fig. 108 und 109) lassen in einiger Höhe über dem Wolkenniveau eine dunkle Dunst- schicht mit scharfer oberer Grenze erkennen. In Fig. 110 sind Gewitterwolken (Cumulo-Nimbus) zu sehen, die sich aus einer vom Boden bis in große Höhen hinaufreichenden Dunst- 256 Albert Wieand. masse entwickelt hatten. Die Aufnahme machte ich wenige Stunden vor Ausbruch des Gewitters aus 3000 m Höhe im Ballon. Sie zeigt gut die für eine Gewitterwolke typische Durchbrechung des unteren Cumulus- Fig. 108. ß Ber 5 yes r © na Br, BR Be Wogenwolken in 1600 m Höhe. Parallele Cumulus-Streifen in den Wellenbergen von Luftwogen. Darüber Dunstschicht mit scharfer Grenze. Ballonhöhe 3100 m. niveaus in 2000 m Höhe und die schirmförmige Ausbreitung in 4000 m Höhe. V. Psychisches und Physisches aus 9000 »: Höhe. Wie einem da oben zumute sei, danach wird man immer gefragt. Weiß ich’s doch selber kaum, jedenfalls nicht während der Ballonfahrt mit vollem Bewußtsein, höchstens später bei ruhigem Nachdenken. Es ist er- staunlich, was die Leute sonst noch alles wissen wollen: Ob denn die Adern nicht platzten und das Blut aus Nase, Mund und unter den Nägeln hervorschösse bei dem geringen Luftdruck: ob der Arm nicht davonsauste bei einer schnellen Bewegung wegen der verminderten Schwerkraft; ob es Wissenschaftliche Hochfahrten im Freiballon. 257 überhaupt möglich sei, bei 50° unter Null noch ein Glied zu rühren und gar zu arbeiten? Dal man die Erde noch unter sich sähe bei klarem Wetter, hält kaum jemand für möglich; und es ist doch direkt nach unten nur eine Entfernung von 9 km. Ja, aber dann der Schwindel! Fig. 109. Wogenwolken in 1600 m Höhe. Ein einzelner Cumulus-Streifen im Wellenberg, mit äqui- distanter Querteilung. Darüber Dunstschicht mit scharfer Grenze. Ballonhöhe 3100 m. Es tut mir wirklich leid, aber von solchen Sensationen ist nicht die Rede. Die Frager sind, wenn man ihnen das sagt, meist recht enttäuscht, ähnlich wie das brave Landungspublikum, wenn es zu seinem Bedauern merkt, daß der Ballon ohne den vermuteten Unglücksfall ganz glatt ge- landet ist. Aber ein Erlebnis bleibt sie doch, so eine Hochfahrt, ein tiefes und starkes Erlebnis, gänzlich anders als etwa eine Ballonspazierfahrt in den unteren Luftschichten. Schon hierbei sind die Eindrücke groß und er- hebend, und mancher Empfängliche hat das bereits schön geschildert. Die Anregungen kommen bei einer solchen tiefen Luftfahrt hauptsächlich von außen. Ein ergreifender Naturgenuß) hält die Psyche im Bann. 358 Albert Wigand. Bei einer Hochfahrt ist das anders. Da kommt die Stimmung von innen heraus; ernst und grol) siegt sie über die unsagbare Öde und Kälte aulien umher. Fern ist die Erde, leblos und glatt wie die Landkarte, und ihre warmen Farben sind in das nivellierende Grau des Dunstes getaucht. Nur selten dringt ein schwacher Laut herauf aus der Tiefe. Die unteren Wolken mit ihren wundervollen bewegten Formen und ihrem Farbenspiel von Weiß, Blau und Violett sind weit entfernt. Zwar gibt's auch hohe Wolken, Cirren, die von der Erde aus gesehen so reizend als Schäfchen weiß im Blauen schweben. Aber das sind, wenn der Ballon hineinkommt, Fig. 110. Gewitterwolken (Cumulo-Nimbus). Wolkenbasis in 2000 m Höhe, schirmförmige Aus- breitung in 4000 m Höhe. Ballonhöhe 3000 m. dünne, graue, formlose Schleier aus unzähligen schwebenden Eiskryställchen. Was hilft's, wenn sie die Sonnenstrahlen zu bunten Ringen und Licht- flecken spiegeln und brechen; sie wandeln das Tiefplau des Himmels in einen stumpfen, graublauen Ton und nehmen der Sonnenstrahlung die bitter nötige Wärme, so daß die Kälte der Luft von 40—50° unter Null alle Kräfte, körperliche wie geistige, lähmen möchte. Die drei Hauptfeinde des Menschen. wenn er höher als 5000 m auf- steigt, sind Sauerstoffmangel, Kälte und Sonnenstrahlung. Aber sie lassen sich überwinden. Selbst in Höhen von 9000-9500 m, wie ich sie bei dreien meiner Hochfahrten erreichte, wo der Luftdruck nur !/, bis '/, Atmosphäre beträgt, wird durch eine sicher arbeitende künstliche — ng. Wissenschaftliche Hochfahrten im Freiballon. 259 Atmung von reinem Sauerstoff die gefürchtete Höhenkrankheit voll- kommen vermieden. Allenfalls bekommt man vorübergehend einen be- nommenen Kopf bei besonders tiefem Atemholen. Aber Ohnmacht, Schwindel, apathische Willenslähmung oder andere Symptome einer ungenügenden Versorgung des Organismus mit Sauerstoff sind nicht zu bemerken. Gegen die Kälte läßt sich der Körper hinreichend durch warme Kleidung schützen. Das hindert aber nicht, dal man mitunter doch mal ganz fürchterlich an Händen und Füßen friert. Eine besondere Brille aus gelblichem Euphosglas hält die intensiven ultravioletten Sonnen- strahlen von den Augen ab und verhindert die Blendung durch das grelle Licht. Die freie Haut kann man durch Schleier oder Salben vor dem Verbrennen bewahren. Alle diese Schutzvorrichtungen sind zweifellos recht hinderlich für das Beobachten: sie erhalten aber den Menschen leistungsfähig, so dal keine erheblichen Beschwerden auftreten. Lediglich nach der Fahrt am Abend und auch am folgenden Tage kommt eine starke Ermüdung nach, hauptsächlich wohl eine Nervenerschlaffung infolge der äußersten An- spannung aller geistigen und körperlichen Kräfte während der Hochfahrt, vielleicht auch weil der Organismus durch das Atmen von reinem Sauer- stoff mehr als sonst beansprucht wird. Es ist oft von einer persönlichen Disposition zur Ertragung der abnormen Lebensbedingungen bei einer Hochfahrt, von einer „Höhen- menschennatur“ die Rede. Dal) es etwas Derartiges gibt, kann nicht be- zweifelt werden. Abgesehen von der besonderen psychischen Eignung, die in Willenskraft, Mut und Ausdauer besteht, ist die Grundlage jener Dis- position eine vollkommene Gesundheit von Herz und Lunge, worauf sich jeder, der eine Hochfahrt unternehmen will, ärztlich prüfen zu lassen hat. Der Ausgleich des Druckes der im Ohr eingeschlossenen Luft bei Höhen- änderung darf nicht erschwert sein und muß sich leicht durch eine Schluck- bewegung bewirken lassen. Besonders vorteilhaft ist es, wenn die gewöhn- liche Atemmechanik eine große Atemtiefe besitzt. Sodann ist ein gewisses Mindestmaß von Körperkraft und Geschmeidig- keit zu fordern. Sportliches Training jeder Art, besonders Bergsteigen, Reiten und Schneeschuhlaufen, ist für Hochfahrten stets von Nutzen, wie sich denn die Disposition auch durch die Übung bei den Hochfahrten selbst zweifellos steigern läßt. Eine vernünftige Ernährung, vor allem die Vermeidung von blähenden Speisen und Getränken und von Alkohol vor und während einer Hochfahrt ist unerläßlich. Die schwerste Aufgabe, die der Organismus bei einer Hochfahrt zu er- füllen hat, ist offenbar die, daß er den schnellen Wechsel des Luftdruckes und der Temperatur beim Auf- und Abstieg ertragen, also die Fähigkeit besitzen muß, sich dem Höhenklima und seinem schnellen Wechsel fast momentan anzupassen. Dazu gehört sicherlich eine bestimmte Veranlagung. Nicht im Physischen liegt die eigentliche Leistung bei einer wissen- schaftlichen Hochfahrt, sondern im Psychischen. Denn in diesen wenigen 260 Albert Wigand. Stunden ist das ganze Ich von einer eminent angespannten Willenskraft erfüllt. Das ist die Grundstimmunge. Ein volles Bewußtsein des Wertes, den hier jede Minute Forscherarbeit in dieser kurzen Spanne besitzt; zu- gleich die klare Erkenntnis der technischen Schwierigkeiten, die für das wissenschaftliche Beobachten, die Ballonführung und überhaupt für das Leben unter den abnormen Bedingungen bestehen; das bewirkt eine so außerordentliche Konzentration der Gedanken und Gefühle, eine solche Steigerung der Energie, daß alles andere davon verschlungen wird. Merkwürdig ist's, wie man sich in dieser Lage zu dem einzigen Korb- genossen verhält. Nicht nur äußerlich sind wir so eng verbunden, wie nur denkbar: allein auf demselben Fahrzeug, einer absolut abhängig vom anderen im Leben und Tod. Auch im Herzen sind wir ganz gleichgestimmt auf den gewaltigen Genuß der Arbeit, der Tat. Aber das ist alles so selbst- verständlich und kommt gar nicht recht zum Bewußtsein. Kein teil- nehmender Händedruck, kaum ein Blick dem anderen ins Auge. Hart ge- worden ist der Sinn, und fast barsch klingen die abgerissenen, kurzen Mitteilungen hinüber und herüber, oft ein Kommando: „Ruhe!“, wenn ein gegen Schwankungen empfindliches Instrument abgelesen werden soll; oder: „Achtung — jetzt“ bei den genau gleichzeitigen Notierungen von Luft- druck und Temperatur. Die Sauerstoffmasken schränken überdies noch das Reden ein, wenn sie auch in unserer neuesten bequemen Form als Nasen- masken den Mund frei lassen. Der Ballon hat seine größte Höhe erreicht und wird dort eine Zeit- lang gehalten, ehe der Abstieg beginnt. Fieberhafte Tätigkeit herrscht im Korb; denn das Arbeitsprogramm ist immer allzu reichlich. Da, mitten im rastlosen Schaffen kommt ein Augenblick, um den uns beneiden muß, wer sich sehnt, aus des Lebens Gleichförmigkeit herausgerissen zu werden durch ein starkes Gefühl. Nur einen Augenblick lang der Höhepunkt des psychischen Erlebens, des aufs äußerste gesteigerten Selbstbewußtseins. Durch das Herz zittert eine ernste, gewaltige Freude. Fern die Erde wie ein fremder Weltkörper, wir zwei Männer allein auf sicherer Warte im hohen, freien Raum, ganz Herren unserer selbst, der Forschungsinstru- mente und des Fahrzeugs! — Aber schnell wieder wird das Herz still und bescheiden. Sind wir auch mit zwei oder drei anderen die einzigen, die dies erlebten, die ersten überhaupt. die mehr als rein meteorologische Beobachtungen in diesen Höhen ausführten, und mit Erfolg — klein und unansehnlich ist's doch im Vergleich mit dem, was des Menschen Mut, Ausdauer und Geschick sonst alles erreichte und noch erreichen wird. Ohn- mächtig und hilflos sind wir preisgegeben tausend Gefahren, bekannten und unbekannten, die uns dem Ikarus gleich aus der einsamen Höhe zu stürzen drohen. Eine grone Sehnsucht nach der Erde und ihrer Schönheit, nach den Lieben, denen das Herz gehört, läßt für eine Weile jedes andere Gefühl in nichts versinken. Ein energischer Ruck, und auch das geht vorüber, es muß! Die Zeit ist zu kostbar und soll bis zuletzt ausgenutzt werden. Eilig hinab Wissenschaftliche Hochfahrten im Freiballon. 261 steigt dann das Fahrzeug, unaufhörlich, bis einzelne erdnahe Wolken uns nachbarlich grüßen und wir, nach kurzem Verweilen in ihrer warmen Zone, wieder fest auf dem Boden stehen. VI. Fahrtberichte. 1. In Himalajahöhen über dem deutschen Land. (Barogramm Fig. 111.) Einen Ballonaufstieg zu luftanalytischen Versuchen und meteoro- logischen Beobachtungen in größerer Höhe machte ich am 28. Sep- tember 1912 gemeinsam mit Herrn Stabsarzt Dr. Flemming (Berlin), der Fig. 111. ee a an a ren ve \ Barogramm des Ballons „Harburg III“ vom 28. September 1912. Maximalhöhe 9100 m bei — 43° C und 231 mm Quecksilberdruck. (Die Druckangabe des Barographen war in größerer Höhe zu niedrig.) zugleich physiologische und hygienische Versuche ausführte. Der Bitterfelder Verein für Luftfahrt hatte uns den Ballon „Harburg III“, einen von der größten Klasse (2200 m: Inhalt), zu der Hochfahrt ausgerüstet. Vollgepackt wie ein Möbelwagen stand der Korb mit nur ungefähr 2 m: Bodenfläche unter der birnenförmigen Ballonhülle, die mit Wasserstoff nicht ganz prall gefüllt war. Der Korb enthielt, meist außen und drüber hängend, zunächst mal 87 Sack Ballastsand , jeder 15 kg schwer, und die üblichen Instrumente: Barograph zur angenäherten nenne: Vario- meter für die Bestimmung der Steig- und Fallgeschwindigkeit, Aspirations- psychrometer zur Messung der Temperatur und Feuchtigkeit der Luft, Strahlungsthermometer für die Beobachtung der Sonnenstrahlungsintensität. Außerdem hing und stand aber noch vieles da herum: ein Quecksilber- barometer zur genauen Höhenmessung, drei Sauerstoffbomben mit Atmungs- apparaten, ein Experimentiertisch, ein Brieftaubenschlag, ein Kaninchen- 262 Albert Wigand. stall und eine Katze im Käfig: ferner ein zusammengelegtes Aluminium- rohr von 25 m Länge, sechs Kisten mit den Flaschen für die Luftproben und schließlich noch ein paar Kisten zur Verpackung der Apparate. Dünner Morgennebel und schwacher Wind aus Ostsüdosten; günstige Auspizien bei dem beständigen Hochdruckwetter, da sich der Nebel wohl bald auflösen und der Wind in der Höhe nach links drehen wird, so daß die See keine Gefahr bedeutet. Durch Pilotballonaufstiege und auch bei Fahrten im bemannten Ballon in den Tagen vorher war eine solche Links- drehung des Windes in höheren Luftschichten festgestellt worden. Ein herzlicher Händedruck, ein frisches „Glückab“ der Zurück- bleibenden, und der Ballon verläßt um !/,9 Uhr vormittags den Startplatz in Bitterfeld, steigt in den Nebel hinauf und schwebt schon nach zwei Mi- nuten im Sonnenschein über dem geschlossenen, wallenden Wolkenmeer, das übrigens bald Lücken bekommt und im Laufe der Fahrt bis auf wenige, in parallelen Reihen angeordnete Cumuluswolken (ähnlich wie in Fig. 108) ver- schwindet. Zur Orientierung am Boden ist kaum Zeit, da die Vorbereitung der Höhenversuche und die meteorologischen Beobachtungen von Temperatur, Feuchtigkeit. Wolken und Dunst fast die ganze Aufmerksamkeit in An- spruch nehmen. Es genügt zu wissen, daß sich die Fahrtrichtung dauernd nach links dreht und bald nahezu entgegengesetzt der Anfangsrichtung verläuft, nämlich nach Südosten. Nachdem der Ballon schon in 1000 m Höhe prall geworden war, fiel ein Sack Ballast nach dem anderen. Ein gleichmäßiger Aufstieg erforderte einige Sorgfalt; denn in der unruhigen Luft gab’s offenbar Fallböen, ab- steigende Luftströmungen, die den Ballon immer wieder zum Fallen bringen wollten, wenn er ein Stück geklettert war. Nach 21/, Stunden waren wir in 5100 m Höhe, also über Europas höchsten Bergesspitzen, und begannen, da sich der Sauerstoffmangel jetzt fühlbar machte, mit der regelmäßigen Sauerstoffatmung. Fast bequem war's nach kurzem Gewöhnen, trotz der Maske, die über den mittleren Gesichts- partien liegt, und wenn auch der Schlauch zur Bombe hin die Bewegungs- freiheit hindert. Die Lufttemperatur ist auf 20° unter Null gesunken. Aber die Sonne strahlt warm und wohltuend trotz des Dunstes, der noch in einer Höhe von 5150 m eine scharfe obere Schichtgrenze erkennen läßt und auch nachher in der größstten Höhe, ohne eine Wolkenstruktur zu zeigen. den Himmel gleichmäßig weißblau macht. Nichts von dem tief- blauen Ton, der im Kontrast zu dem sattgelben Ballon den Luftfahrer sonst oberhalb der Wolken entzückt. Die Brieftauben werden nacheinander versandt, die erste bereits aus 4000 »» Höhe. Sie will nicht abfliegen und muß hinuntergestoßen werden, klettert aber immer wieder am Ballonkorb von außen empor und läßt sich sogar von der Katze, auf deren Käfigeitter sie sitzt, die Füße belecken, ohne den Platz zu wechseln. Hinuntergeworfen, fliegt sie schließ- lich nach Osten, kehrt dann in der Ferne über den Wolken um und taucht in eine Lücke hinein. Zwei Tauben von den sechs abgesandten sind gut Wissenschaftliche Hochfahrten im Freiballon. 263 in Bitterfeld angelangt; die übrigen wurden offenbar durch die Wolken unter ihnen irre gemacht. Ein geschlängeltes Flüßchen schaut aus der Tiefe herauf, die Saale, und nach dreistündiger Fahrt fliegt der Ballon 8000 m» hoch an Halle und Merseburg vorbei. Schnell wird der letzte verfügbare Ballastsand ausgegeben. Mehrere Säcke sind leider hart gefroren und verderben uns so, da wir die (regend nicht mit Klamotten von 15 kg Gewicht bombardieren können, ein paar hundert Meter an der Maximalhöhe; der liebenswürdige Barograph zeigt über 10.000 m Höhe, auch ohne daß wir ihm, wie den Höhentliegern häßlicherweise nachgesagt wird, eins draufhauen. Aber das Quecksilber- barometer ist streng und unbestechlich und gibt 231 mın als den niedrigsten erreichten Luftdruck an. Das Aspirationsthermometer zeigt —43° Luit- temperatur. Wir sind 9100 m hoch über dem deutschen Land, höher als die Spitzen des Himalaja. Nur vier Menschen haben vor uns diese Höhen erklommen. Aber für Gefühle ist keine Zeit. Die Sonne strahlt warm, so dab wir ganz ohne Mantel und meist ohne Mütze und Handschuhe sein können, nur mit der Atmungsmaske und der Schutzbrille vor dem Gesicht. Doch die Beine werden leicht kalt, wenn man sie ruhig hält, wegen des Schattens vom Korbrand, und bei Berührung von Metallteilen empfindet die Hand einen stechenden Schmerz. Mit fieberhafter Eile wird die kurze Zeit von 23 Minuten ausgenutzt, bis der Ballon langsam von selbst wieder zu fallen beginnt. Es ist eine seltsame Musik um uns in dieser Öde, in die kein lebendes Wesen und kein Laut aus der Tiefe heraufdringt: die Reduzier- ventile der beiden Sauerstoffflaschen sausen, und in den Ventilen der Atmungsmasken klappern mechanisch die Verschlußplättchen. Der Aspirator des Psychrometers summt wie eine gewaltige Hornisse. Schreckliches Jammergeschrei der Katze erfüllt die Luft; aber weder Kälte, noch Strahlung. noch Sauerstoffmangel haben dem zähen Tier etwas angetan. Stumm ver- richtet jeder von uns beiden seine Arbeit. Da tönt dumpf unter der Maske der Ausruf: „Es ist hinuntergesprungen.“ Ein armes Kaninchen, das nach Hergabe einiger Blutstropfen ohnmächtig auf dem Operationstisch lag, ist nämlich mit einer Zuckung über Bord gegangen. Die Luftflaschen waren sämtlich gefüllt, die Bakterienröhrchen be- strahlt, die Blutproben entnommen und damit die geplanten Arbeiten in der Hauptsache erledigt. Nun wollten wir bei langsamem Abstieg in Ruhe noch manche sorgfältige Beobachtung, besonders meteorologischer Art, machen; es kam aber anders. Eine Viertelstunde nach dem Verlassen der größten Höhe befanden wir uns noch 8500 m hoch und waren durchaus wohl und leistungsfähig, als einer der Atmungsapparate versagte. Der hatte schon vorher, weil das Zuführungsrohr an der Celluloidmaske infolge der Kälte zerbrach, die Beobachtungen gestört, hörte nun aber ganz auf, die Lebensluft zu spenden, da der Sauerstoffvorrat in der Bombe erschöpft war. Vergeblich versuchten wir die zur Reserve mitgenommene dritte Sauer- stoffbombe gebrauchsfertig zu machen. Als die Zufuhr des Gases für Herrn 264 Albert Wigand. Flemming kurze Zeit aussetzte, bekam er einen leichten Ohnmachtsanfall: erauviolette Gresichtsfarbe, ein zuckendes Greifen in die Luft, ein Taumeln in die Korbecke. Ich nahm rasch meine Maske ab, und wir zehrten eine Weile abwechselnd von meiner, noch gut funktionierenden Bombe, mußten aber doch, da alles Herumarbeiten an der Reservebombe nichts half, kräftig am Ballonventil ziehen, um möglichst schnell in tiefere Regionen zu kommen und von der künstlichen Atmung unabhängig zu werden. Es waren bange Minuten. Die Ohnmacht war zwar bald überwunden, aber der Ballon fiel mit rasender Geschwindigkeit, und wir hatten nicht genügend trockenen Sand. um zu bremsen. Die gefrorenen Sandsäcke und auch die Sauerstoff- bomben, jede 42%g schwer, hätten bei vorsichtigem Landen normaler- weise dazu benutzt werden können, den Ballon abzufangen, d.h. seinen Fall aufzuhalten. Da wir aber gerade über die Stadt Chemnitz hinweg- flogen, war nicht daran zu denken, solch gefährlichen Ballast auszuwerfen. Die Fallgeschwindigkeit hatte zwar von selbst etwas abgenommen, doch waren die Instrumente nur halb verpackt, und ein heftiger Aufstoß hätte den ganzen Erfolg der schönen Fahrt in Frage gestellt. Nun sind’s nur noch wenige hundert Meter bis zum Boden. Ein Blick nach unten; einsamer Tannenwald, eine Lichtung, ein Weg, weder Mensch noch Tier. Über Chemnitz sind wir bei dem guten Oberwind längst hinaus und fahren nun unten mit Rechtsdrehung langsamer nach Süd- westen. Aber wir fallen wieder schneller und müssen den Ballon abfangen, um jeden Preis! Ein schneller Entschluß, ein rascher Schnitt durch die Stricke, in denen die Stahlbomben hängen, und zweie sausen über Bord in die Tiefe wie Torpedos, mächtig sich einbohrend in den spritzenden Boden. Der Ballon ist abgefangen und landet alsbald nach kurzem Ventil- zug. mit Hilfe des Schlepptaues und zweier gefrorener Sandsäcke sehr glatt auf einem Stoppelfeld zwischen zwei Waldstreifen. 3000 m in einer halben Stunde durchfallen! Nichts ist verletzt, weder wir, noch die Apparate, noch die Tiere. Auch der ungewöhnliche Ballast, den wir kurz vor der Landung auswarfen, scheint niemand getroffen zu haben. Das stellten wir erst noch nach Möglichkeit fest, ehe wir aufatmend und befriedigt, fast begeistert, wenn wir nicht todmüde gewesen wären, nach dem mühsamen Verpacken der vielen Dinge die Heimreise antraten. Keinen Augenblick, abgesehen von dem kurzen Ohnmachtsanfall beim Aussetzen des Sauerstoffs, hatte das Wohl- befinden gelitten, obwohl der Luftdruck in der Höhe auf weit weniger als ein Drittel gesunken war, trotz der tiefen Lufttemperatur und des schnellen Abstiegs. Dal) wir, auf dem Erdboden gemessen, nicht weit gekommen waren (in 5!/, Stunden von Bitterfeld bis nahe bei Chemnitz, nur etwa 100 km in der Luftlinie), konnte uns wegen der kurzen Rückreise nur lieb sein. Bei einer Hochfahrt liegt einem bloß an der dritten Dimension. 2. Im Reiche der Cirruswolken. Zu einer Hochfahrt für aerophysikalische Untersuchungen sollte der 2200. cm® fassende Ballon „Harburg III“ am 13. März 1913 mit Dr. Lutze ’ EEE Wissenschaftliche Hochfahrten im Freiballon. 265 und mir in Bitterfeld aufsteigen (vgl. Fig. 78). Den Insassen des kleinern Ballons „Altenburg“, der gleichzeitig eine synoptische Fahrt von Bitterfeld aus machte, fiel die Aufgabe zu, Parallelbeobachtungen in tieferer Höhen- lage auszuführen; und auch am Erdboden in Halle-Cröllwitz, Lindenberg und Potsdam war für Basisbeobachtungen gesorgt. Es galt, die Stärke funkentelegraphischer Zeichen in verschiedenen Entfernungen und Höhen zu messen und zugleich die elektrische Leitfähigkeit der Luft sowie ihren meteorologischen Zustand zu untersuchen. Vom Eiffelturm in Paris wurden die elektrischen Wellen dauernd in gleichmäßigen Zwischen- räumen für unsere Versuche gesendet. Es standen auch spektrale Unter- suchungen der ultravioletten Sonnenstrahlung nach einer lichtelek- trischen Methode für den Hochfahrtsballon auf dem Arbeitsprogramm. Wie immer bei einer Hochfahrt waren lange und mühsame Vorbe- reitungen nötig, bis endlich das Kommando „Los!“ ertönen konnte. Viel komplizierter als bei einer wissenschaftlichen Ballonfahrt in tieferen Luft- schichten oder gar bei einer gewöhnlichen Spazierfahrt im Freiballon ist die Ausrüstung eines Ballons für größere Höhen. Schon die Beschaffung und bequeme Unterbringung von 27 Zentnern pulvertrockenem Ballastsand in 90 Säcken am Korbe ist keine einfache Aufgabe. Ein Teil der Säcke wird am großen Ring oberhalb des Korbes mit zwei Schnüren so angebunden, daß zur Entleerung des Sackes nur eine Schnur durchgeschnitten zu werden braucht; dann ist das mühsame Hochheben der Säcke zum Entleeren überflüssig. Wohl der wichtigste Teil der Hochfahrtsausrüstung sind die Sauer- stoffapparate zur künstlichen Atmung: Stahlbomben mit Reduzierventilen, Schläuche und Atmungsmasken; alles wird unmittelbar vor dem Aufstieg erst sorgfältig ausprobiert. Auch die Apparate für die Beobachtungen, deretwegen die Fahrt überhaupt veranstaltet wird, sind inzwischen unter- gebracht worden: die Ballonantenne, bestehend aus mehreren Drahtringen um die Ballonkugel und einem bis zu 200 m Tiefe unterhalb des Korbes hinabhängenden Drahte, die Instrumente zum Empfang der Zeichen mit Saitengalvanometer und Telephon, das Elektrometer für die Bestimmung der Leitfähigkeit der Luft oder zur lichtelektrischen Messung der ultra- violetten Sonnenstrahlung, das Quecksilberbarometer für genaue Luftdruck- und Höhenmessung, das Aspirationspsychrometer für Temperatur- und Feuchtigkeitsbestimmung und noch manches andere. Um 6 Uhr früh war Morgenrot! Kein günstiges Vorzeichen für ein Wetter, wie wir es brauchen, wenn wir einen mehrere Stunden dauernden Aufstieg in größere Höhen wagen wollen. Da sollte die Luft klar und fast wolkenfrei sein, so dal) die Orientierung am Erdboden keine Mühe macht; und der Wind darf nicht nach dem Meere oder dem ebenso ungastlichen Rußland hin wehen. Aber der Himmel bleibt doch ziemlich klar, und die Sonne scheint durch, wenn auch leicht verhüllt von einem Wolkenschleier, der uns um 9 Uhr durch prächtige Haloerscheinungen (Ringe und Nebensonnen) über seine Natur als hohe Cirruswolke genauere Aufschlüsse 966 Albert Wigand. gibt. Er besteht aus kleinen Eiskrystallen, in denen sich die Sonnenstrahlen spiegeln und brechen und so jene charakteristischen Halophänomene er- zeugen. Es gelingt, in Lindenberg und Bitterfeld durch kleine, unbemannte Pilotballone die Richtung und Geschwindigkeit des Windes bis 5500 m hinauf festzustellen mit dem Ergebnis, daß der bedenkliche Südwind am Boden bald und kräftig mit zunehmender Höhe nach rechts dreht; die Ostsee bringt also wenigstens keine Gefahr; und wir beschließen den Aufstieg. Der Ballon „Harburg III“ verläßt um !/;,11 Uhr den Füllplatz, über- fliegt sogleich die großen Ballonhallen der Parsevalwerft und macht nach 6 Minuten in 900 »n Höhe für kurze Zeit Halt. Er war nicht ganz prall mit Wasserstoff gefüllt worden, hat sich nun aber vollkommen zur Kugel ausgedehnt und verweilt ein wenig in einer dunsterfüllten Luftschicht, die in dieser Höhe um einige Grade wärmer ist als die Luft am Boden. Durch Ballastabgabe wird aber bald ein weiteres Aufsteigen herbeigeführt, während der Ballon „Altenburg“ hinter uns sichtbar wird, etwas tiefer fliegend nach Nordnordost in der Richtung auf Wittenberg zu uns folgt und uns schließlich mit dem schnelleren Unterwind sogar überholt. 2000 m tief unter uns fließt die Elbe, als wir sie bei Wittenberg kreuzen. Es ist immer ein erhebender Augenblick, wenn wir über einen unserer großen deutschen Ströme so lautlos dahinschweben. Eine gute Stunde nach der Abfahrt sind wir 3500 m hoch über dem Artillerie- übungsplatz bei Jüterbog, ohne uns durch die heftigen Schießübungen da unten beirren zu lassen. Der Ballon „Altenburg“ war in seiner tieferen Flugbahn allerdings schlimmer dran und entging nur mit Not den Granaten, die auf einen nahe fliegenden Modellballon geschossen wurden. Um 12 Uhr 15 Minuten sind wir 4700 m hoch und beginnen allmäh- lich, uns mit Sauerstoff zu stärken, um dann über 5000 m regelmäßig aus den umgebundenen Masken zu atmen. Wir sind nun mitten in den Cirro- stratus, die Eiskrystallwolke, hineingekommen. Ein dünner Nebelschleier um- gibt den Ballon und schwächt die Sonnenstrahlung, so daß wir bei 18° Kälte uns tüchtig bewegen müssen, um nicht zu frieren. Winzige Eis- flitterehen schweben in der Luft und setzen sich überall im Korbe nieder. Es gelingt, mit der Lupe zu erkennen, daß der Eisnebel aus sechsseitigen Plättchen besteht, nicht größer als !/,, mm; auch einfache Schneestern- chen und Flocken setzen sich mitunter auf dem Rockärmel nieder. Ein großer, farbiger Ring umgibt die Sonne, und ein anderer heller, horizon- taler Ring ist ringsum in Sonnenhöhe zu sehen. Rechts und links von der Sonne, wo sich die beiden Ringe schneiden, stehen glänzende „Neben- sonnen“. Unterhalb des Ballons über der noch gut erkennbaren Landschaft spiegelt sich die Sonne in den horizontalen Flächen der schwebenden Eis- krystalle und erzeugt dadurch einen in vertikaler Richtung verlängerten, nahezu elliptischen Lichtfleck, die „Untersonne“. Diese Erscheinung, bisher nur von Ballonfahrern beobachtet, besteht aus zahllosen einzelnen Licht- blitzen. wird bald heller und bald schwächer und wandert immer mit dem jallon unterhalb der Sonne flimmernd dahin. Wissenschaftliche Hochfahrten im Freiballon. 267 Beim weiteren Aufsteigen zeigte es sich, daß der Cirrostratus aus mehreren horizontalen Schichten von verschiedener Dichte des Eisnebels bestand. Als wir in 6300 m Höhe bei 27° unter Null über Frankfurt a. O. flogen, lag unter uns eine ebene Schichtgrenze der Eiswolke, auf der, von einer bunten Aureole umgeben, der Schatten des Ballons zu erkennen war, das „Brockengespenst“ des Luftfahrers. An manchen Stellen unter dem Ballon hatte sich inzwischen der dünne Nebel zu dichteren Wolken geballt und entzog uns zeitweise ganz den Anblick der Erde. Der Himmel war trotz der Wolken unter uns noch immer mit einem gleichmäßigen, viel höher hinaufreichenden Schleier bedeckt. Die Geschwindigkeit des Windes wuchs auf 74 km in der Stunde an, so dab wir wegen der östlichen Fahrt- richtung und, um die Orientierung zu behalten, schweren Herzens be- schlossen, den weiteren Aufstieg nun nach 3stündiger Fahrt schon in 6300 m Höhe mit noch 28 Sack Ballast zu unterbrechen, da wir nicht nach Rußland getrieben werden wollten. Die geplanten Messungen der ultra- violetten Sonnenstrahlung mußten wegen der beträchtlichen Schwächung durch den Cirrusschleier leider unterbleiben. Dafür war aber ein anderer Teil des Arbeitsprogrammes erfolgreich. Die Lautstärke der funkentelegra- phischen Zeichen nahm mit zunehmender Höhe sehr ab, was von Dr. Lutze schon bei einer früheren Hochfahrt gefunden worden ist; ein Beweis da- für, daß sich die elektrischen Wellen hauptsächlich längs der Erdober- fläche fortpflanzen und nur wenig in die höheren Luftschichten eindringen. Beim Abstieg nahm, wie zu erwarten war, die Stärke der Zeichen wieder zu, trotz der größeren Entfernung von der Sendestation in Paris. Der Ballon fiel, nachdem er sich nur wenige Minuten in der größten Höhe gehalten hatte, ohne Ventilzug von selbst bis 4000 m Höhe, so daß wir uns bald von den lästigen Atmungsmasken frei machen und nun bei langsamem Absteigen neben den Beobachtungen auch die Schönheit des Landes noch ein wenig genießen konnten, besonders die Seen der Provinz Posen. Wir flogen über Warthe und Netze bis in die Gegend von Brom- berg, suchten uns eine passende Eisenbahnlinie aus und landeten dann, nachdem in 7stündiger Fahrt 405 km zurückgelegt waren, sehr glatt bei dem Schlosse Runowo, nördlich von Nakel. Zum Schlusse mußten wir leider einem braven Manne noch einen Kummer machen. Es war dunkle Nacht, als der verpackte Ballon einem Wagen mit vier Ochsen anvertraut war, während wir mit den Instrumenten auf dem leichteren Fuhrwerk eines hilfsbereiten Gutsbesitzers der nächsten Bahnstation zueilten. Plötzlich ruft uns Einer „Halt!“ zu, und unsere Elektro- Glühwürmchen beleuchten einen strammen, berittenen Gendarmen, der von der Ballonlandung gehört hatte und viele Stunden weit herbeigaloppiert war, um sich den Fang von russischen Spionen nicht entgehen zu lassen. Wir wurden auf der Weiterfahrt höflichst eskortiert, in das Bureau des Bahnhofsvorstehers geführt und dort peinlich verhört. Pässe hatten wir zwar nicht, konnten uns aber durch andere Papiere sowie dadurch, daß wir Fahrkarten nach Berlin und nicht nach Warschau lösten, doch ge- E. Abderhalden, Fortschritte. X. 22 IHN Albert Wigand. nügend legitimieren, so daß das Schmunzeln des Herrn Wachtmeisters bald einer gelinden Enttäuschung Platz machte. Wesentlich genützt hat uns zweifellos dabei eine gewöhnliche Photographie von mir; jedenfalls war, nach der Bemerkung .ja, Sie sind’s“ zu schließen, der Beweis der Identität und damit auch der Harmlosigkeit einwandfrei erbracht. 3. In 9425 ı Höhe. (Barogramm Fig. 112, Fahrtprotokoll am Schluß des dritten Kapitels.) Nach mehreren vorbereitenden Ballonfahrten in geringeren Höhen hatten zwei Hochfahrten Herrn Dr. Lutze und mich in Höhen von 7000 und 6300 m zu radiotelegraphischen und luftelektrischen Messungen geführt, am 5. Januar und 13. März 1913. In der Pfingstwoche planten wir nun für den 14. Mai 1915 eine Fahrt bis etwa 9500 m Höhe und beabsichtigten, hierbei lichtelektrische Untersuchungen der ultravioletten Sonnenstrahlung und Zählungen der Kondensationskerne zu- sammen mit den meteorologischen Grundbeobachtungen vorzu- nehmen. Die Vereinigten Gummifabriken Harburg-Wien stellten uns, wie schon mehrmals vorher, in entgegenkommender Weise ihren großen Ballon „Har- burg III“ zur Verfügung. Der Aufstieg sollte auf dem Wasserstoffüllplatz des Werkes Elektron Il in Bitterfeld stattfinden. Da nach der Wetterlage Gewitter zwar wenig wahrscheinlich, jedoch nicht ausgeschlossen ist, planen wir, so früh als möglich aufzusteigen, um die gefahrlosen Vormittagsstunden für die Fahrt auszunutzen. Kurz nach 6 Uhr ist die Füllung schon beendet, doch nimmt die weitere Ausrüstung des Ballons, die doppelte Aufhängung der Ballastsäcke zum bequemen Ent- leeren, die Erprobung und Unterbringung der Atmungsapparate, die Auf- stellung der Instrumente noch über eine volle Stunde in Anspruch. Leider trüben einzelne leichte Cirrusgebilde das reine Blau des Himmels. Es ist nicht sicher, daß der Ballon über sie wird hinaufsteigen können, was für die Strahlungsmessungen unbedingt erforderlich wäre. Wir haben den 2200 m® großen Ballon nur mit 1700 m® füllen lassen, um schneller und mühelos hochzukommen, auch aus Sparsamkeit. Trotz- dem bekommen wir, leicht abgewogen, 79 Sack Sandballast zu 15 kg mit. 7 Uhr 285 Minuten beginnt der Aufstieg, der uns rasch bis zur Prall- höhe in etwa 2000 m hinaufführt. Über dem Boden lagert der typische Hochdruckwetterdunst, den wir schnell durcheilen. Nach 2!/,; Minuten no- tieren wir in etwa 450m Höhe: „Dunstgrenze scharf“, müssen aber noch eine zweite dunsthaltige Stufe durchfahren und haben nach weiteren 7 Minuten in etwa 1000 m Höhe auch ihre obere Grenze erreicht. Die Temperaturverhältnisse dieser Schichten in allen Einzelheiten festzuhalten, ist nicht möglich. Der Ballon, dessen Anstieg dicht über der oberen Dunst- srenze etwas langsamer geworden ist, fängt, sobald er diese Stabilitäts- schicht durchstoßen hat, von selbst wieder kräftig zu steigen an, bis er Wissenschaftliche Hochfahrten im Freiballon. in etwa 2000 m prall wird, um dann noch ohne Ballastabgabe langsam weiterzusteigen bis zur Gleichgewichtslage in 2350 m. Kurze Zeit verweilen wir in dieser Höhe zur Ausführung der meteo- rologischen Messungen. Dann führen wir den Ballon durch all- mähliches Auswerfen von Ballast in kleinen Stufen ständig höher. Dreiviertel Stunden nach dem Aufstieg können wir in 3200 m Höhe mit den Messungen der ultravioletten Sonnenstrahlung und den Kernzählungen beginnen. Ein Telegramm des Lin- denberger Observatoriums hatte am Tage vorher mit der Höhen- lage wechselnde Windrichtungen gemeldet. Da die Wetterlage an- nähernd dieselbe geblieben war, mußten wir also einige bedeu- tendere Drehungen der Fahrt- richtung erwarten. Und so kam es auch. Anfangs wendet sich der Ballon nach Westnordwest auf Coethen zu, dann oberhalb 1400 ın nach Westen; während wir weiter von 3000 auf 4000 m steigen, fliegen wir in südwestlicher Rich- tung auf den Petersberg bei Halle zu; schließlich biegt die Fahrt- linie nach Ostnordost wieder an Bitterfeld vorbei bis Dessau ab, um sich dann oberhalb 7000 m noch einmal nach Südost zu wen- den, so daß wir die Maximal- höhe von 9425 m bei Ruhland an der Bahnlinie Falkenberg- Kohlfurt erreichen. Ähnliche Drehungen erleidet die Fahrt- richtung beim Abstieg; so ist der Ballon bis zur Landung bei Saxdorf unweit Falkenberg etwa Fig. 112. ee ee \ Fü EA St FEN 200m 4 N 500 ll un ER TOR 269 0 | a E & rs Te | | Di | | o Das >} — BE Br rS nn nd © © e [a 2 a - al cı I Fe] 5 oO o = > Barogramm des Ballons „Harburg III“ am 14. Mai 1913. Maximalhöhe 9425 m bei 270 Albert Wigand. die Hälfte seiner weitesten Fahrtstrecke wieder zurückgeflogen. Während wir über 7000 m hoch nördlich von Bitterfeld standen, gelang es Herrn Dr. Rotzoll, den Ballon von unten mit dem Theodolithen anzuvisieren und so seine Höhe angenähert zu bestimmen. Je höher der Ballon steigt. desto umfassender wird der Blick. Bern- burg. Dessau. Halle bezeichnen etwa den Kreis, der schon aus 4000 m Höhe klar und leicht zu überschauen ist. In größerer Entfernung wird das Bild mehr und mehr durch den starken Dunst verschleiert, bis schließlich im trüben Grau alle Einzelheiten in der Ferne verschwimmen. So erhält das leuchtende Bild der klar zu unseren Fül)en gezeichneten Dörfer und Städte, Bäche und Flüsse, Wiesen, Felder und Wälder einen dunklen Rahmen, der die sonst fast endlose Fernsicht begrenzt. Eine besonders reizvolle Gruppe bildet unten der bekannte Petersberg im Norden unserer Musen- stadt Halle, mit Kirche und Bismarckturm im dunkelgrünen Wald. Nach- dem die Höhe von 5000 m überschritten ist, verblassen, je mehr wir uns von der Erde entfernen, alle Farben. Das Gelände wird unter uns immer eintöniger: ein grauer Schleier ist darüber gebreitet. Kartenhaft glatt ge- strichen verliert die Landschaft jeden Reiz. Der breite Elbestrom zwischen Torgau und Dessau ist nur eine schmale, mattglänzende Wasserader. In scheinbar ganz geringer Entfernung, parallel zur Elbe fließt die schwarze Elster, die sich als dünner, dunkler Strich kaum vom grüngrauen Karree- muster der Felder abhebt. Als der Ballon über Kirchhain steht, ist noch der Zusammenfluß der beiden Ströme und in der Maximalhöhe bei huhland im starken Dunst unklar das Dresdener Stadtbild im Süden zu erkennen. Für den unmittel- baren Blick wird keine Bewegung des Ballons merkbar. Das vom Auge mit einem Male überspannte Panorama ist, um mit den Worten des Hoch- fahrers Berson zu reden, zu groß, als daß der Eindruck aufkommen könnte. wir schwebten über einem einzelnen Punkte der Landschaft. Während wir mit einer Geschwindigkeit von fast 80 km in der Stunde dahingetragen werden, scheint sich die Gegend kaum zu ändern. Verschiedentlich war unser Augenmerk auf die Cirren über uns ge- zogen worden. In 4710m Höhe wurde notiert: „Unterhalb der Sonne Ci, 15 über dem Horizont: im W Ci, 10° über dem Horizont: kein Halo.“ Auch später während der Fahrt sahen wir uns mehrmals vergeblich nach Halo- erscheinungen um. Am Erdboden (in Ilmenau) hat Herr F. Schwab an diesem Tage, jedoch zeitlich nur vor und nach unseren Ballonbeobachtungen, Nebensonnen und einen Teil des großen Ringes gesehen: die Erscheinungen waren, was selten beobachtet wird, farblos. Leider wurde unsere Hoffnung, die Ci übersteigen zu können, zu nichte. Auch in der Maximalhöhe um- gab uns noch ein Cirrusschleier und ließ den Himmel weißblau.erscheinen. Daß es kein „Dunst“, sondern wirkliche Wolken waren, beweist die hohe Feuchtigkeit in diesem Niveau. Durch die Ci-Wolken wird die Sonnenstrahlung herabgesetzt. Die Ab- lesungen am Schwarzkugelthermometer ergeben „aktinometrische Diffe- Wissenschaftliche Hochfahrten im Freiballon. 971 renzen“, die in Anbetracht der großen Höhen nicht beträchtlich sind. Die lichtelektrischen Ultraviolettmessungen werden durch die Cirren beein- trächtigt. Aber auch an uns selbst müssen wir’s fühlen. 514° Kälte der umgebenden Luft bei geringer Sonnenstrahlung machen sich sehr unan- genehm bemerkbar. Am meisten empfinden wir die tiefe Temperatur, als wir einen großen Sandsack, der fünf kleine enthält, zur Einleitung des letzten raschen Anstieges in 7800 m bei 36° unter Null auf einmal ent- leeren. Der Ballon steigt infolgedessen mit einer Geschwindigkeit von mehr als 5m in der Sekunde; bei dem entstehenden Luftzug kommt die Kälte voll zum Bewußtsein. Ein starkes Zittern des ganzen Körpers läßt sich nicht völlig unterdrücken. Jedes Anfassen von Metallteilen mit ungeschützter Hand bewirkt bei der tiefen Temperatur einen stechenden Schmerz. Die ausgeatmete Feuch- tiekeit kondensiert sich an der metallenen Atmungsmaske, die Mund und Nase verdeckt; ein auf den Tuchhandschuh gefallener Tropfen wird sofort zu Eis und verursacht eine kleine „Brand“-Wunde auf der Hand. Ein anderer Tropfen, der zwischen die Seiten des Notizbuches fällt, klebt die Blätter fest zusammen. Der eine von uns hat erhebliche Schwierigkeiten mit seinem Sauerstoffatmungsapparat zu überwinden. Das kondensierte Wasser ist aus der Maske in das Gaszuführungsrohr gedrungen und ver- engert es durch Eisbildung. Zum Glück genügt die Wärme der Hand, um das Eis aufzutauen. Endlich werden auch die Beobachtungen sehr erschwert, indem sich die Gläser an Fernrohren und Mikroskopen beim geringsten Anhauch mit einer undurchsichtigen Eiskruste überziehen. Bei der im übrigen gut arbeitenden Sauerstoffatmung haben wir aber ungeachtet eines mehr als vierstündigen ununterbrochenen Gebrauches der künstlichen At- mung und trotz eines 2!/,stündigen Aufenthaltes in Höhen von mehr als 7000 m, bei Luftdrucken bis herab zu 2214 mm, sonst keine Beschwerden oder schädlichen Nachwirkungen, auler etwa einer stärkeren Ermüdung am folgenden Tage, empfunden. Nach Überschreitung der Maximalhöhe fängt der Ballon von selbst zu fallen an mit 3m» Geschwindigkeit pro Sekunde. Wir versuchen, in 7000 m Höhe den Fall einzuhalten. Ein halber Sack Ballastabgabe genügt nicht. ein weiterer Viertelsack aber leitet einen neuen Anstieg des Ballons bis fast zur vorigen Maximalhöhe ein. Es ist dies ein Zeichen für die auber- ordentlich instabilen Verhältnisse in diesen hohen Luftschichten, ent- sprechend einem grolien, fast adiabatischen Temperaturgradienten. Da noch einige Strahlungsmessungen ausgeführt werden sollen, so hemmen wir den Ballon nicht in seinem Steigen und erreichen so, daß wir uns außer- gewöhnlich lange, wie schon erwähnt, 21/, Stunden, in Höhen von mehr als 7000 m halten können. Als der Ballon mit noch 9 Sack Ballast für Abstieg und Landung zum zweiten Male aus 9400 m herabzusinken beginnt, mildern wir den Fall erst in 3000 m. In dieser Höhe hatte sich eine vielfach unterbrochene, stellenweise in Wogenreihen geordnete Cumulusdecke über einer Dunst- 372 Albert Wigand. Wissenschaftliche Hochfahrten im Freiballon. erenze ausgebildet. Ohne größeres Ballastopfer fängt sich der Ballon im Wolkenniveau von selbst ab, ja er beginnt ganz allmählich um wenige hundert Meter wieder zu steigen. Zwei Stunden lassen wir den Ballon ruhig in dieser Schicht, einer Isothermie, schwimmen, finden reichlich Ge- lerenheit zum Beobachten des Meteorologischen, freuen uns über den An- blick einer schönen Aureole um den Ballonschatten, der über einen Uumulus huscht, genieljen vor allem die angenehme Temperatur von nur 4° Kälte und verpacken dabei in Muße die empfindlichsten Instrumente. Durch manchen kräftigen Ventilzug läßt sich endlich der Ballon bewegen, die eut ausgebildete isotherme Schicht zu durchfallen, kommt aber an ihrer unteren Grenze im Niveau der Cumulusbasis noch einmal zum Stehen. Wieder müssen wir uns ans Ventil hängen, um nun in gleichmäßigem, ziemlich raschem Fall uns der Erde zu nähern. Nahe dem Boden be- schleunigt sich der Fall plötzlich in der über einem ausgedehnten Wald- stück lagernden heißen Luft. Wir tauchen in die Kiefern ein, zunächst sacht. das zweite Mal etwas heftiger, so daß die letzten beiden voll- gefüllten Sandsäcke abgerissen werden. Zur Landung auf einer Wiesenfläche hinter dem Wald stellt sich Herr Lutze bereit, eine der schweren Sauer- stoffflaschen als Ballast auszuwerfen. Es erweist sich als nicht nötig. So muß er mit der eisernen Bombe im Arm landen und eine leichte, 10 m lange Schleppfahrt, zu der uns ein böiger Bodenwind zwingt, mitmachen. Um 4 Uhr 26 Minuten nachmittags nach nahezu neunstündiger Fahrt er- folgt die glatte Landung bei Saxdorf in der Provinz Sachsen, unweit Falkenberg. Die Hochfahrer und die Instrumente sind unversehrt geblieben. Nur läßt sich leider der Luftdruck am Landungsplatz nicht mehr messen, da beim Verpacken des Quecksilberbarometers noch während der Fahrt Luft in das Glasrohr eingedrungen war. Der harte metallische Klang beim Anschlagen des Quecksilbers an die Wand des Glasrohres hatte jedoch sicher gezeigt, dal) bis dahin das Vakuum gut geblieben war und das Barometer einwandfrei gearbeitet hatte. Der Ballon wird schnell verpackt. Herr Rittergutsbesitzer Wilke hat Verständnis für unsere überstandenen Strapazen und lädt uns zu kurzer, aber gründlicher Erholung in seinem idyllischen Gutsgarten ein. 31/, Stunden nach der Landung besteigen wir den Zug, der uns heimwärts führen soll. Halle a.d.S., im Februar 1914. (Aus der Biologischen Station in Lunz.) Die Verteilung des Planktons in Sübwasserseen. Von F. Ruttner, Lunz. Einleitung. Das Plankton, die Lebensgemeinschaft der im freien Wasser der Meere, Seen und Teiche schwebenden Organismen, weist in seinen Daseinsbe- dingungen Besonderheiten auf, die eine Erforschung des Zusammenhanges seiner Lebenserscheinungen mit physikalischen und chemischen Faktoren seiner Umwelt außerordentlich zu begünstigen scheinen. Vor allem sind es die Einheit und die Gleichförmigkeit des Mediums, welche diese Biocönose vor den meisten anderen auszeichnen. Das Wasser, das einen Plankton- organismus stets umgibt und an das er in allen seinen Lebensfunktionen gebunden ist, besitzt unter normalen Verhältnissen in derselben Tiefe unter der freien Seefläche annähernd die gleiche Temperatur. Lichtabsorption, Dichte und chemische Zusammensetzung, Veränderungen im Laufe der Zeit oder nach der Tiefe hin erfolgen gesetzmäßig und sind stets leicht kontrollierbar. Vergleicht man mit diesen relativ einfachen Verhältnissen die Lebens- bedingungen am Lande oder in der Uferreeion der Gewässer, wo die Organismen meist an zwei Medien gebunden sind (Luft—Boden, Wasser — Boden), wo die physikalischen und chemischen Eigenschaften sich oft von Quadratzentimeter zu Quadratzentimeter ändern und mitunter ganz unkon- trollierbare Faktoren einen mächtigen Einfluß ausüben können, dann ver- steht man es, daß planktologische Studien von allem Anfang an auch im Hinblick auf allgemein biologische Fragen so aussichtsreich erschienen und zahlreiche Forscher fesselten. Die Probleme, die sich den Planktologen im Laufe der Arbeit auf- gedrängt haben, sind sehr vielgestaltig, und da dieser Forschungszweig auch noch recht jung ist, sind ganz abgeklärte und umfassende Ergebnisse noch nicht zu erwarten; denn wie auf keinem anderen (Grebiete muß hier eine Unsumme von Beobachtungen von allen Orten zusammengetragen werden, bevor es möglich sein wird, auf Grund dieser Detailstudien Schluß- folgerungen von allgemeiner Bedeutung zu erzielen. Es können daher in dem folgenden Referat über den Stand unserer Kenntnis von der Verteilung des Plänktons in Süßwasseransammlungen E. Abderhalden, Fortschritte. X. 23 274 F. Ruttner, nur die Wege, auf denen sich die bisherige Forschung bewegte, geschildert, über die Ursachen der zutage getretenen Erscheinungen jedoch in den meisten Fällen nur mehr oder weniger wahrscheinliche Vermutungen aus- gesprochen werden. Unsere Frage, ob ein bestimmtes Wasserquantum an verschiedenen Orten eines (Gewässers und in verschiedenen Tiefen Unterschiede im Planktongehalt aufweist und welcher Art diese Unterschiede sind, wurde von sehr zahlreichen Forschern gelegentlich limnologischer Arbeiten berührt und durch mehr oder weniger exakte Untersuchungen zu beantworten gesucht. Eine vollständige Berücksichtigung aller dieser Arbeiten würde weit über den Rahmen dieses Referates hinausgehen und wäre um so über- flüssiger, als die diesbezügliche Literatur bis 1910 in Steuers ausge- zeichnetem Planktonwerke eingehende Berücksichtigung fand. Der folgenden Darstellung wurden daher unter Verwertung nur der wichtigeren Ergeb- nisse älterer Forschungen einige neuere Arbeiten und eigene Beobachtungen zugrunde gelegt.') Wenn letzteres vielleicht etwas über Gebühr geschehen ist, und insbesondere für die Abbildungen hauptsächlich Beobachtungen aus den Lunzer Seen verwertet wurden, so mag das damit entschuldigt werden, daß ich auf eine graphische Darstellung der Ergebnisse den größten Wert legte und viele andere, wenn auch sonst sehr eingehende Untersuchungen nicht in einer Form veröffentlicht wurden, die eine solche Wiedergabe er- möglicht. Im übrigen wurden in erster Linie ins Auge gefaßt die größeren und tiefen Seen, da ja nur diese die idealen Verhältnisse für eine aus- giebige Entfaltung des Planktons in vertikaler und horizontaler Richtung bieten. Vor Erörterung des eigentlichen Themas ist es jedoch notwendig, über die Methoden, welche für die Feststellung der Verteilung pelagisch lebender Organismen im Süßwasser Verwendung finden, einige Worte zu sagen, denn die bisher gebrauchten Verfahren sind nicht gleichwertig und es ist daher nur dann ein zuverlässiger Vergleich von Planktonbeobachtungen untereinander mög- lich, wenn sie in einheitlicher Weise gewonnen wurden. Unsere Frage nach den Mengenverhältnissen der Planktonorganismen in verschiedenen Teilen und Tiefen eines Gewässers ist im wesentlichen eine Aufgabe der Statistik und diese kann, wie auf allen anderen Gebieten, auch hier ohne zahlenmäßigen Ausdruck ihrer Ergebnisse nur schwer aus- kommen. ") Während des Druckes erschienen noch zwei wichtige Arbeiten über unseren Gegenstand, welche im Text nicht mehr berücksichtigt werden konnten: Kurt Lantzsch, Studien über das Nannoplankton des Zugersees und seine Be- ziehung zum Zooplankton. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. CVIII, 1914. Fr. V. Colditz, Beiträge zur Biologie des Mannsfelder Sees. Ebenda, Die Verteilung des Planktons in Süßwasserseen. 275 t Es war daher ein sehr bedeutender Fortschritt, als Apstein in den letzten Jahren des vorigen Jahrhundertes Zensens quantitative Unter- suchungsmethode des Meeresplanktons auf das Süßwasser übertrug. Wohl wurde das „Planktonzählen“ von mancher Seite angefeindet und als unnötige Zeitverschwendung gebrandmarkt. Doch von allen jenen, welche im Laufe ihrer Untersuchungen die große Unsicherheit der durch Schätzung ge- wonnener Resultate empfinden mußten, wurde sie mit Freuden begrülst und ist bis heute, allerdings weitgehend verbessert und umgestaltet, ein unentbehrliches Hilfsmittel planktologischer Forschung geblieben. Anfangs wurden die Fänge auch für quantitative Zwecke mit dem bekannten, aus Seidengaze (Müllergaze) verfertigten Planktonnetz ausge- führt, das für die Feststellung der Planktonverteilung in zweierlei Weise Umgestaltungen erfuhr: als Vertikalnetz und als Schließnetz. Das Vertikalnetz wurde bis in die gewünschte Tiefe versenkt und dann langsam wieder auf- geholt und man glaubte, unter Berücksichtigung gewisser Korrekturen den ganzen Planktongehalt der vom Netze durchfischten Wassersäule erbeutet zu haben. Der Vergleich solcher Vertikalfänge aus verschiedenen Tiefen, soge- nannter Stufenfänge, ergab ein wenn auch sehr ungenaues Bild der vertikalen Planktonverteilung. Bessere Resultate lieferten schon die Schließnetze, welche in einer bestimmten Tiefe geöffnet und nach Durchfischung einer gewissen Wegstrecke in horizontaler oder vertikaler Richtung wieder geschlossen und aufgeholt wurden. Bald zeigte es sich jedoch, daß die wahre Wassermenge, die ein Planktonnetz beim Durchfischen einer Wegstrecke filtriert, viel zu variabel ist und zu sehr von verschiedenen Faktoren, vor allem von der Zu- sammensetzung des Planktons beeinflußt wird, um für quantitative Unter- suchungen verwendet werden zu können. Man ging also zu der bedeutend exakteren, allerdings aber umständlichen und eine schwer transportable Apparatur erfordernden Methode über, mittelst Pumpe und Schlauch aus verschiedenen Tiefen Stichproben (meist 50—100 7) zu entnehmen und diese durch ein Planktonnetz zu filtrieren. Für größere Organismen, wie die Crustaceen und manche häder- tiere, gibt dieses Verfahren einwandfreie Werte; nicht aber für das kleine Phytoplankton, die Protozoen und die kleineren Rotatorien, da alle diese Formen die Maschen auch der feinsten Planktonnetze, die immerhin eine Weite von 60—70 u. aufweisen, ganz oder teilweise passieren. Obwohl auf diese Fehlerquelle schon früher wiederholt hingewiesen wurde, war es ins- besondere das Verdienst Zohmanns, die Größe der Verluste bei der Fil- tration durch Müllergaze zahlenmäßig festgestellt und andere ausgezeichnete Verfahren an ihre Stelle gesetzt zu haben. Es sind dies die Filtration durch dichte Filter und die Zentrifugierung kleiner Wasserproben. Für das Filtrieren von !/;—1/ Wasser, das mittelst eines Schöpfers aus der gewünschten Tiefe heraufgeholt und gleich an Ort und Stelle mit ca. 1°/, Formol versetzt wird, verwendet man gehärtetes Filtrierpapier, von dem sich der Rückstand leicht abspülen läßt und nach Zentrifugieren 23* 276 F. Ruttner. in spitz zulaufenden Gläschen mittelst feiner Pipetten auf den Öbjekt- träger zur mikroskopischen Durchmusterung übertragen werden kann. Man erhält auf diese Weise für alle fest umhäuteten pflanzlichen Zellen (Grün- alzen, Diatomeen, Peridineen, manche Flagellaten) sehr verläßliche Werte; nur die zartesten, nackten Flagellaten, welche oft die Hauptmasse des „Nannoplanktons“ — wie Lohmann die Gesamtheit dieser den älteren Methoden zum großen Teil entgangenen Zwergorganismen nennt — aus- machen, gehen bei der Konservierung mit Formol und anderen Mitteln zugrunde. Zur Feststellung dieser Formen verwendete nun Lohmann die zuerst von (ori in die Planktologie eingeführte, aber früher nur wenig ver- wendete Zentrifuge in der Weise, daß er sehr kleine Wasserproben (10 bis 15 cm® oder noch weniger) ohne vorherige Fixierung durch ca. 7 Minuten einer Umdrehungszahl von 1300 pro Minute aussetzte und auf diese Weise alle darin suspendierten Lebewesen, mit Ausnahme vielleicht der kleinsten Bakterien, zur Sedimentierung in spitz zulaufenden Gläschen brachte, Er führte dadurch die planktologische Forschung um einen gewaltigen Schritt nach vorwärts und erschloß ihr eine bisher ungeahnte Welt neuer Or- sanismen, die in ihrer Bedeutung für den Haushalt der Gewässer nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. ; Will man also das Gesamtplankton in einer bestimmten Wasser- menge feststellen, so kommt man mit einer Methode nicht aus, sondern wird die drei soeben geschilderten Verfahren kombinieren müssen. In vielen Fällen wird man auch schon mit Netzfiltration und Zentrifugierung auskommen. In Gewässern, die sehr reich an Nannoplankton sind, braucht man zur Feststellung seiner häufigsten Vertreter gar nicht zu zentri- fugieren, sondern es genügt, nach dem Verfahren von Kolkwitz O'1—1 em? des geschöpften Wassers in einer sogenannten „Planktonkammer“ durch- zumustern. Über die höchst einfache Auswertung des Fanges durch Auszählen eines Bruchteiles oder des Ganzen mit Hilfe eines beweglichen Objekt- tisches soll hier nicht weiter gesprochen werden, Interessenten seien auf die Werke von Apstein, Lohmann und Steuer verwiesen, die den Gegen- stand in aller Ausführlichkeit behandeln. Nur der graphischen Wiedergabe der Ergebnisse sollen noch einige Worte gewidmet sein, da eine solche in den folgenden Darlegungen mehr- fach zur Anwendung gelangte. Es ist einer der Hauptvorteile der Zähl- methode in der Planktonforschung, dal) sie es gestattet, ihre Resultate durch graphische Darstellung bildlich zum Ausdruck zu bringen. Solche Verteilungsbilder lassen nicht nur den fernerstehenden Leser mühelos, mit einem Blick die erörterten Verhältnisse erfassen, sondern ermöglichen es auch dem Beobachter selbst, Beziehungen zu erkennen, die ihm bei der verwirrenden Unübersichtlichkeit gewöhnlicher Zahlentabellen vielleicht ent- gangen wären. Die hauptsächlich in der Planktologie angewendete Form der gra- phischen Darstellung ist jene, bei der z. B. für die Wiedergabe der verti- Die Verteilung des Planktons in Süßwasserseen. DIT kalen Verteilung einfach die gewonnene Individuenzahl einer Art auf der einen, die dazugehörige Tiefe auf der anderen Achse des Koordinaten- systems aufgetragen wird. Man denkt sich hierbei die Individuen in der für die verschiedenen Tiefen festgestellten Anzahl in gleicher Entfernung voneinander auf Gerade aufgetragen und vergleicht die auf diese Weise entstandenen Längen. Dieses Verfahren ist nun für die Planktonstatistik wenig geeignet; denn einerseits sind die Ausschläge solcher Kurven viel zu groß, so daß auf Kosten der Maxima die oft nicht minder wichtigen Schwankungen bei niedriger Individuenzahl unterdrückt werden müssen, an- drerseits ist es unmöglich, bei allen Organismen, deren Mengen ja oft um das Tausendfache differieren, ein und dieselbe Einheit zu verwenden: die Wahl verschiedener Einheiten aber kann leicht zu Mißverständnissen führen. Diesen mehr praktischen Mängeln gesellt sich noch das prinzipielle Bedenken hinzu, dal eine lineare Anordnung kein adäquates Ausdrucks- mittel für eine im Raume dreidimensional verteilte Volksdichte sein kann. Zur Beseitigung der prakti- schen Mängel empfiehlt Seourfield er die Verwendung logarithmischer Zur Kurven, während Lohmann in fol- Om sender Weise zu einem in jeder Hinsicht geeigneten Darstellungs- modus zu gelangen sucht: Er schlägt vor, die in einem bestimmten Wasservoiumen gefundene Indivi- duenzahl einer Art als Kugelvolumen zu betrachten, welches die Organis- 5 nL[.__: men bei gleichbleibender Entfernung voneinander ausfüllen würden. Die Durchmesser dieser z. B. für ver- schiedene Tiefen sich ergebenden Kugelvolumina sind Größen, welche 25 ml---.___ 0 A Je die Grundlage zur Konstruktion in | vieler Hinsicht sehr brauchbarer Kurven, sogenannter „Kugelkur- ee ven“, liefern. (Erklärung im Text.) Ein Beispiel wird dies am besten klar machen. Es wäre die Aufgabe, die vertikale Verteilung eines Plank- tonten in einem 30 m tiefen See durch eine „Kugelkurve“ auszudrücken. Aus ®: 9,0.10,.7715.°20,°25, 830m "seien Proben mit 0, 113, 523, 268, 34, 0, 0 Individuen entnommen worden. Denkt man sich nun in einem von der Oberfläche bis zum Grunde reichenden Wasserzylinder (a der nebenstehenden Figur) die in den ein- zelnen Tiefen entnommenen Proben als gleichgroßse Kugelvolumina, so werden bei der sehr verschiedenen Volksdichte auf ihre Durchmesser sehr verschiedene Zahlen der regelmäßig angeordnet gedachten Planktonten Fig. 113. [7 b Be 10 Mm = 29: - —- II 378 F. Ruttner. entfallen, wie man ja aus den Individuenzahlen nach der Formel des Kugelvolumens leicht berechnen kann. Denkt man sich ferner die Indi- viduen in gleiche Entfernung voneinander verschoben, so verändert sich das Volumen der Kugeln dem Verhältnis der Volksdichten entsprechend und durch Verbindung der Endpunkte ihrer Durchmesser in 5b entsteht die Kugelkurve. Sie ist der Längsschnitt eines Rotationskörpers, der da- durch entsteht, daß die in den @uerschnitten einer Wassersäule (bei schematisch gedachter Anordnung) gelegenen Planktonindividuen der in Frage stehenden Art in horizontaler Richtung in gleiche Entfernung von- einander gerückt wurden.*) Die in dieser Abhandlung verwendeten graphischen Darstellungen sind alle von der soeben geschilderten Art, als Grundlage wurde bei allen Organismen die Individuenzahl für 12 Wasser gewählt; die Ergeb- nisse fremder Untersuchungen wurden, wenn nötig, in diesem Sinne um- gerechnet. Bevor wir die Methodik verlassen, sei noch kurz ihrer trotz aller Vervollkommnung noch immer reichlich vorhandenen Fehlerquellen gedacht. Neben den auch bei sorgfältiger Behandlung des Fanges kaum zu ver- meidenden Verlusten, sowie neben der Ungenauigkeit des Zählens bildet den Hauptmangel der Umstand, dal) den Beobachtungen nur Stichproben zu- grunde liegen und die dazwischenliegenden Kurventeile willkürliche Inter- polationen sind, die sich nur selten mit den tatsächlichen Verhältnissen decken dürften. Eine weitere Fehlerquelle liegt, wie Apstein aufmerksam machte, hauptsächlich für die Beurteilung der vertikalen Verteilung darin, daß tote oder geschwächte Exemplare aus den Schichten, in denen sie eigentlich vorkommen, in tiefere Zonen absinken und man oft schwer beurteilen kann, ob die unterhalb eines Maximums einer Art gefangenen Individuen in dieser Tiefe wirklich gelebt oder nur passiv hingelangt sind. Und nun zu unserem eigentlichen Gegenstande, zur Frage nach der Verteilung des Planktons in Süßwasserseen. Sie wird in doppelter Hinsicht zu beantworten sein: Wie verhält sich die Menge und Zusammensetzung des Planktons a) in vertikaler, b) in horizontaler Richtung? A. Die vertikale Verteilung des Planktons. Wenn man bedenkt, wie sehr sich so wichtige Lebensbedingungen, wie Licht und Temperatur, in einem Gewässer nach der Tiefe hin ändern, so ist es von vornherein sehr wahrscheinlich, daß die Planktonorganismen, welche. unter diesen Bedingungen zu: leben haben, in vertikaler Richtung ‘) Als Beleg dafür, daß eine ähnliche Darstellungsweise auch auf anderen Ge- bieten gebräuchlich ist, sei auf Kohlrausch verwiesen, der in seinem „Leitvermögen der Elektrolyte* empfiehlt, der graphischen Darstellung der Ionen-Konzentration einer Lösung die Dichte der Teilchen auf einer in der Flüssigkeit gedachten Linie, also die dritte. Wurzel aus der Volum-Konzentration, zugrunde zu legen. Die Verteilung des Planktons in Süßwasserseen. 279 nicht gleichmäßig verteilt sein werden. Vor allem muß man erwarten, dab in einer gewissen Tiefe die Lichtintensität nicht mehr ausreicht, um autotrophen pflanzlichen Organismen die Produktion organischer Substanz zu ermöglichen und daß in dieser Zone eine starke Abnahme auch des an Pflanzennahrung gebundenen tierischen Planktons platzgreifen dürfte. So- wohl die Planktonuntersuchungen im Meere wie im Süßwasser haben diese untere Begrenzung der pelagischen Lebewelt, beziehungsweise eines Teiles derselben erwiesen, nur sind dem Plankton im Süßwasser viel engere Grenzen gezogen als im Meere. Während in den Ozeanen die trophogene, Nahrung produzierende Schicht des Phytoplanktons wohl hauptsächlich wegen der großen Durchsichtigkeit des Wassers, aber auch infolge einer viel weiter- gehenderen Anpassung seiner Bewohner mehrere hundert Meter umfaßt und unterhalb derselben eine eigenartige pelagische Tiefseefauna, ihren Nahrungs- bedarf mit den aus den oberen Schichten niederrieselnden Mengen abge- storbener und sterbender Organismen deckend, tausende von Metern tief hinabsteigt, sehen wir das pelagische Leben im Süßwasser in seiner haupt- sächlichsten Entfaltung selbst in den klarsten Alpenseen auf die obersten 100 m beschränkt. Zwar werden einige wenige Arten (z. B. das Rädertier Triarthra) regelmäßig, andere unter gewissen Umständen auch in noch größeren Tiefen gefunden, vielleicht werden auch später exaktere Forschungen aus dem Reich des Nannoplanktons und der pelagisch lebenden Bakterien Tiefen- bewohner namhaft machen: doch dies wird nichts an der Tatsache ändern können, daß das Süßwasserplankton im allgemeinen an eine Wasser- schicht von relativ geringer Mächtigkeit gebunden ist. Gilt ja diese mit ungefähr 100 »» angenommene Grenze auch nur für die klarsten Gebirgs- seen, in den allermeisten Fällen sehen wir schon in Tiefen von 30 —50 m die Planktonmenge bis auf kaum nennenswerte Reste verschwinden); wir müssen daher im großen und ganzen die Region von der Oberfläche bis zu dieser Tiefe als die eigentliche Heimat des Limnoplanktons betrachten. Viele Seen reichen in ihrer Tiefe nicht bis zur unteren Grenze der Planktonentwicklung hinab und wir sehen in solchen seichteren Gewässern mehr ‚oder weniger reichliche Planktonmengen die ganze Wassermasse. bis hinab zum Grunde bevölkern, wenn nicht besondere Umstände (in erster Linie Sauerstoffmangel) dies verhindern. Wenn auch im Vergleich zum Meere klein, ist die vom Plankton bewohnte Zone des Süßwassers noch mächtig genug, um innerhalb der- selben eine deutliche Differenzierung der vertikalen Verteilung aufkommen zu lassen; ja wir sehen diese zonare Schichtung des Planktons nicht nur im klaren und tiefen See, sondern auch in jedem, wenn auch nur wenige Meter tiefen, trüben Teich. Bei der so voneinander abweichenden Organisation der Planktonlebe- wesen, die ganz verschiedenen Stämmen des Pflanzen- und Tierreiches an- ') Von den auch in relativ bedeutenden Tiefen unmittelbar über dem Same wiederholt beobachteten Planktonansammlungen wird später die Rede sein, IS0 F. Ruttner. eehören, sind auch große Unterschiede ihres biologischen Verhaltens zu er- warten. es werden also Beobachtungen des Gesamt pla nktons die Erkenntnis seiner Biologie nur wenig fördern können, und wir werden, um die Er- scheinungen der verti- R< 0 = 2 SE & kalen Planktonverteilung eu ely verstehen zu lernen, unser Hauptaugenmerk dem Verhalten der einzel- nen Spezies zuwenden müssen. Zur ersten Örien- tierung über die so ver- schiedene Verteilung eini- eer Arten in ein und demselben Gewässer sei auf Fig. 114 hingewiesen, welche das Verhalten von je 5 Vertretern des pflanz- lichen und tierischen Planktons im Lunzer Untersee unter normalen Verhältnissen während des Sommers illustriert. Schon ein flüchtiger Blick auf die Figuren offenbart eroße Unterschiede. Allen gemeinsam ist nur eine mehr oder weni- eer deutliche Abnahme der Volksdichte unmittel- bar unter der Oberfläche, sonst finden wir die größte Mannigfaltigekeit in der Gestaltung der Vertei- lungsfiguren. So ist z.B. die zierliche Desmidiacee Staurastrum paradoxum in allen Tiefen zu finden, UMmX« HIU[NDTOR wn1Is480[,) wmnIgsRAInn]IS V[[PUOLIOISY Burn] [ı IMmıA BunpfIojplo A UO[UYTL.OA 19p uodAs, up vjjpurpunarg tumt]j8.10,) "dig "FI vwuardw sSTaowoL [Te N (JouMMOosS) vosdojt;) JOzZunrf w suogyunfd Polyarthra platyptera er nochilus unicornis Triarthra longiseta Diaptomus ra ilis f a . . E wenn auch die Individuen- I a 1 1i . Bi . a zahl bei einem Maximum in den mittleren Schichten in größerer Tiefe bedeu- tend abnimmt. Diesem Typus entsprechen im Lunzersee wie auch in anderen Gewässern viele Vertreter des Phytoplanktons, die meisten Chlorophyceen und einige Diatomeen, der größte Teil des pflanzlichen Die Verteilung des Planktons in Süßwasserseen. >81 Nannoplanktons, wie z. B. der häufige Flagellat Rhodomonas lacustris und andere mehr. Prägnanter schon ist mit einer deutlichen Beschränkung auf die oberen und mittleren Schichten die Verteilung des allbekannten und ver- breiteten Ceratinum hirudinella, dem sich das stammverwandte Peridinium Willei und das in bäumchenförmig verzweigten Kolonien auftretende Dino- bryon divergens anschließen. Auf eine Zone von nur wenigen Metern Mächtig- keit beschränkt und in dieser Hinsicht im Lunzersee einzig dastehend ist der mit langen Schwebeborsten ausgestattete Flagellat Mallomonas alpina, ein Verhalten, das nach Lozerons Mitteilungen auch Oscillaria rubescens im Züricher See zeigt. Bei Asterionella gracillima endlich, jener regel- mäßige Sternkolonien bildenden Diatomee, und bei Closterium aciculare, einem Stammesverwandten des früher erwähnten Staurastrum, sehen wir den interessanten Fall verwirklicht, dal pflanzliche, auf die Energie des Sonnenlichtes angewiesene Organismen auf die für Süßwasserverhältnisse bedeutende Tiefe unterhalb 15 m beschränkt sein können. Ihre Zahl steigt bis in die größte Tiefe von 32 m, ihre Verteilungsfigur wird vom See- grunde gewissermaßen durchschnitten. Bemerkenswert ist, dal) von Asterio- nella nur aus einigen Seen ein ähnliches Verhalten berichtet wird [so von Juday (nordamerikanische Seen)], daß diese Art jedoch in vielen, dem Lunzersee verwandten Alpenseen gerade die oberen Wasserschichten be- wohnt und so sich die Vermutung aufdrängt, es könnten hier zwei bio- logisch verschieden reagierende Varietäten vorliegen. Beim Zooplankton sehen wir die gleichen Typen wiederkehren. So hat von Urustaceen Diaptomus gracilis ein Verteilungsbild, das mit Aus- nahme der ÖOberflächenschicht alle Zonen umfaßt, wenn auch in sehr verschiedener Mächtigkeit. Ähnlich verhält sich im Lunzer See auch Cyclops strenuus, der jedoch im Bodensee nach Hofers Beobachtungen ein Be- wohner größerer Tiefen ist. Bedeutend enger ist schon das Bereich von Daphnia longispina und Bosmina coregoni begrenzt, beide Arten werden im Lunzersee unterhalb 15 m nur selten gefunden. Eine andere nahe- verwandte Art von Daphnia, D. hyalina, geht nach Burckhardt im Vier- waldstättersee in viel größere Tiefen hinab. Sehr verschieden ist das Verhalten der im Süßwasserplankton so ver- breiteten Rädertiere. Die meisten sind Bewohner der oberen und mittleren Wasserschichten, wie in unserer Figur Polyarthra und Conochilus zeigen, und zeichnen sich oft durch sehr scharf ausgeprägte Verteilungsbilder aus: doch gibt es auch echte Tiefenformen in dieser Gruppe, vor allem nach übereinstimmenden Berichten zahlreicher Forscher die mit langen Borsten ausgestattete Triarthra longiseta. Allerdings wurde diese Art auch schon in flachen Teichen in reicher Entwicklung gefunden. Andere Arten, wie Notholca longispina, nehmen eine Mittelstellung ein und bevorzugen die mittleren Schichten, ohne in tieferen Regionen zu fehlen. Wie oft konstatiert werden konnte und wohl auch vorauszusehen war, sind die an verschiedenen Beobachtungstagen gewonnenen Verteilungs- 982 F. Ruttner. bilder einer Art nicht vollkommen identisch. Besonders das Verhalten gegen die Oberfläche kann recht bedeutenden Schwankungen unterworfen sein, ebenso können sich die Mächtigkeit der bewohnten Schicht und die Lage des Maximums etwas verändern. Doch werden im großen und ganzen die Verteilungsfiguren unserer Abbildung den tatsächlichen Verhältnissen im Lunzersee bei einigermalien konstanten Bedingungen während der Sommermonate im wesentlichen entsprechen. | Es seien nun die schon früher zum Vergleiche gegebenen Hinweise auf andere Seen durch weitere Angaben aus den bisher vorliegenden Be- richten ergänzt. Vorausgeschickt muß werden, dal die Zahl der zum Ver- gleiche geeigneten eingehenderen Untersuchungen noch keine sehr große ist und daß sich insbesondere die älteren Beobachtungen vielfach auf Stufen- und Schließnetzfänge stützen, deren Ergebnisse mit denen der Pumpmethode nicht ohne weiteres verglichen werden können. Stellen wir also die Befunde in anderen Seen den bisher erörterten Ver- hältnissen des Lunzersees gegenüber, so vermissen wir zunächst hier gewisse Verteilungstypen, die in sehr vielen anderen Gewässern vorkommen. Vor allem fehlen im Plankton dieses Sees vollständig die Schizophyceen, von denen ein großer Teil gerade die vom sonstigen Plankton wenig bevor- zugte äußerste Oberflächenschicht bewohnt und diese bei ruhigem Wetter mit einem spangrünen Schleier als sogenannte Wasserblüte bedeckt. Auch unter den Tieren kennen wir eine stets an der Oberfläche schwimmende Art, die Cladocere Scapholeberis mucronata. Ferner hatten wir keine Gelegenheit, in dem artenarmen Crustaceen- plankton des Untersees auf die in anderen Seen häufigen Tiefenbewohner dieser Gruppe hinzuweisen. So bevorzugt der größte unter den Plankton- krebsen, Leptodora hyalina, allgemein noch mittlere Schichten von 10 bis 15m, tiefer hinab steigt schon der von Leydig und Weismann im Bodensee als Tiefenform entdeckte Bythotrephes longimanus: verschiedene Kopepoden endlich, so die Heterocope- und Limnocalanusarten, ferner einige Diaptomiden (z. B. Diaptomus laciniatus) kommen in vielen Fällen erst unterhalb 20 m häufiger vor, in manchen Seen liegt sogar ihre Hauptansammlung erst bei 50—60 m. Überall sehen wir die größten Unterschiede im Verhalten der ein- zelnen, auch stammesverwandten Arten, eine Tatsache, die beweist, daß eine Unterscheidung von Zonen auf Grund der hauptsächlichsten Verteilung großer, systematischer Gruppen, wie z. B. von der Oberfläche in die Tiefe fortschreitend: Algenzone, Rotatorienzone, Uladocerenzone und Kopepoden- zone nur in ganz vereinzelten Fällen berechtigt ist. | Daß auch ein und dieselbe Art sich in verschiedenen, in ihren Be- dingungen anscheinend sehr ähnlichen Seen ganz verschieden verhalten kann, darauf wurde schon bei Asterionella und Cyelops strenuus hinge- wiesen, und diese Beispiele ließen sich noch durch manches andere ver- mehren. Beschränkt man aber den Vergleich nicht auf die größeren und vor allem tieferen Seen. sondern zieht man auch Beobachtungen aus Die Verteilung des Planktons in Süßwasserseen. 283 seichteren (sewässern herbei, so ist man erstaunt, viele der Organismen, die dort allgemein als Bewohner der mittleren und tieferen Regionen ge- funden wurden, wie z. B. Triarthra, Daphnia longispina, Leptodora, ja selbst Bythotrephes und Diaptomus laciniatus, hier das Wasser ganz flacher Teiche bevölkern und auch die Oberfläche nicht meiden zu sehen. Inwieweit der Einfluß äußerer Bedingungen oder biologische Rassen- eigentümlichkeiten diese Unterschiede bedingen. ist zur Zeit nur selten zu entscheiden. Es hat den Anschein, als ob diese Arten hier ganz ihre pelagischen Gewohnheiten aufgegeben und sich den ihnen aufgezwungenen Verhältnissen anzupassen vermocht hätten. Aus den Unterschieden der vertikalen Verteilung der einzelnen Arten einerseits und dem verschiedenen Verhalten ein und derselben Art in ver- schiedenen Gewässern andrerseits können wir die so voneinander ab- weichenden Angaben über die Verteilung des Gesamtplanktons, worunter allerdings meistens nur das Zooplankton gemeint ist!), eher verstehen. Die Mehrzahl ähnelt wohl mehr oder weniger dem früher geschilderten Lunzer Typ, wo der größte Teil des Planktons die Schichten von 5—15 m bevölkert. Es scheint dies zu gelten für viele Seen des nördlichen Alpen- randes (soweit man nach den spärlichen Beobachtungen schließen kann), für viele .nordamerikanische und auch die eroßen norddeutschen und dänischen Seen. Es nehmen diese Gewässer eine Mittelstellung ein zwischen zwei Extremen, den großen Schweizer und oberitalienischen Seen einer- seits, in denen die Hauptmasse des Zooplanktons in bedeutenden Tiefen von 20-40 m konzentriert ist, und zahlreichen kleinen und flachen Ge- wässern der Ebene andrerseits mit der reichsten Planktonentwicklung unmittelbar unter der Oberfläche. Noch einmal sei darauf hingewiesen, daß alles bisher Gesagte sich auf die Verhältnisse, wie sie im Sommer bei Tage die Regel sind, be- zieht; die durch den Wechsel der Jahreszeiten und von Tag und Nacht bedingten Veränderungen der vertikalen Planktonverteilung sollen später eingehende Erörterung finden. Die in diesem Abschnitt mitgeteilten Beobachtungen werden genügen, um zu zeigen, wie vielgestaltig das Problem ist, das uns in der Erschei- nung der zonaren Schichtung des Planktons entgegentritt. Um so reizvoller mußte es seit jeher erscheinen, eine Analyse der dabei beteiligten Faktoren zu versuchen, zu prüfen, inwieweit ein jeder die Verteilung der Orga- nismen in vertikaler Richtung beeinflussen kann und welche der bisher beobachteten Erscheinungen ihm zuzuschreiben sind. Leider ist aber unsere Kenntnis des diesbezüglichen Tatbestandes noch zu mangelhaft und ins- besondere die Zahl der exakten, in Verbindung mit physikalischen und chemischen Beobachtungen ausgeführten Untersuchungen zu gering, um in vielen Fällen eine befriedigende Erklärung zu ermöglichen. !) In den meisten Fällen wurde zur Bestimmung des Gesamtplanktons das in einem Meßzylinder abgesetzte Volumen des betreffenden Fanges verwendet. Über die Ungenauigkeit dieses Verfahrens vgl. Lohmann. I84 F. Ruttner. Faktoren, welche die vertikale Verteilung des Planktons beein- flussen können. Will man sich Rechenschaft darüber geben, welche Ursachen einen Planktonorganismus veranlassen können, bestimmte Tiefen zu bevorzugen, andere wieder zu meiden, so zeigt schon eine flüchtige Überlegung, dab da zwei große Gruppen von Faktoren wirksam sein werden: Erstens solche, die in den mechanischen Eigenschaften der Organismen und ihres Lebens- elementes begründet sind, wie die Mechanik des Schwebens, die Strömungen des Wassers u. dgl.. wir wollen sie mechanische Faktoren nennen; zweitens jene. die sich aus den Lebenserscheinungen des Planktons unter den wechselnden Bedingungen seines Milieus ergeben: Biologische Faktoren. Da aber in der Natur diese Faktoren vielfach ineinandergreifen, so wird auch in der folgenden ihrer Wirkungsweise gewidmeten Darstellung eine scharfe Trennung oft nicht möglich sein. Il. Mechanische Faktoren. \on diesen kommen für uns in erster Linie jene in Betracht, welche die charakteristischeste Eigenschaft des Planktons, das Schweben, bedingen. Wesenberg-Lunds und später ganz besonders Wolfgang Ostwalds Untersuchun- gen haben ein tieferes Eindringen in die Mechanik der Schwebevorgänge im Wasser ermöglicht. Ohne auf die theoretischen Erwägungen dieser Forscher näher einzugehen, sei als für uns wichtig hier nur angeführt, dal das Schwebevermögen eines Körpers abhängig ist vom spezifischen Ge- wicht und Formwiderstand des Körpers und vom spezifischen Ge- wicht und Reibungswiderstand (innerer Reibung) des Wassers. Da aber im Süßwasser Schwankungen des Salzgehaltes zu minimal sind, um merkliche Verschiedenheiten der Dichte zu bedingen, sind Ver- änderungen dieser Größe fast ausschließlich von den Schwankungen der Wassertemperatur abhängig; ebenso kommt für Veränderungen der inneren Reibung des Wassers hauptsächlich seine Temperatur in Betracht. So be- trägt nach Ostwald die innere Reibung bei 25° nur die Hälfte ihres Be- trages bei 0° und bedingt somit eine Verdoppelung der Sinkgeschwindigkeit. Wir können uns also darauf beschränken, das spezifische Gewicht und den Formwiderstand des Körpers sowie die Temperatur des Wassers in ihrer mechanischen Einwirkung auf die vertikale Verteilung des Planktons zu betrachten. Von diesen Faktoren ist 1. das spezifische Gewicht des Körpers der weitaus wichtigste. Bekanntlich schwebt ein Körper im physikalischen Sinne dann, wenn sein Gewicht gleich ist dem des verdrängten Flüssig- keitsvolumens, ein Fall, der in der Natur niemals vollständig realisiert ist. Ein Planktonorganismus wird in seinem spezifischen Gewicht stets etwas, wenn auch minimal, von dem seines Lebenselementes abweichen, Die Verteilung des Planktons in Süßwasserseen. 9385 er wird immer etwas schwerer oder leichter sein als das von ihm ver- drängte Wasservolumen. Er wird also nie im strengen Sinne des Wortes schweben, sondern langsam absinken zum Grunde oder aufsteigen zur Oberfläche des Sees. Daß beide Fälle häufiger, als es bisher den Anschein hatte, nebeneinander vorkommen, das hat in letzter Zeit Pascher durch instruktive Versuche nachgewiesen. Er zentrifugierte in der zur Gewinnung des Nannoplanktons üblichen Weise Wasserproben, doch hatten seime Zentrifugengläschen eine von der allgemein gebräuchlichen abweichende Form. Sie bestanden aus zwei spitzzulaufenden Teilen, die unter Wasser zu einem etwa spindelförmigen Gefäße zusammengefügt werden konnten und eine Gewinnung des an beiden Enden sich absetzenden Rückstandes ermöglichten. Die spezifisch schwereren Organismen waren dann in der gegen die Peripherie, die leichteren in der gegen das Zentrum der Zentri- fugalbahn gerichteten Spitze zu finden. Ähnliches zeigt sich. wenn mit einem Netze gefischtes Plankton aus manchen Gewässern in einem Zylinder- glase einige Zeit sich selbst überlassen bleibt. Ein Teil der Organismen sinkt zu Boden, ein anderer sammelt sich an der Oberfläche der Flüssig- keit an. Derselbe Vorgang wie im Glase spielt sich auch in den Gewässern ab, und wir werden also unter den Planktonorganismen zwei in ihrem Ver- halten ganz verschiedene Gruppen unterscheiden müssen: solche. und dazu gehört die überwiegende Mehrzahl, welche die Tendenz haben, langsam zu sinken, und solche, welche zur Oberfläche emporstreben und sich dort bei ruhigem Wetter ansammeln und Überzüge bilden können. Diese Orga- nismen sind es, welche die bei der allgemeinen Charakteristik der Plankton- verteilung erwähnte Wasserblüte verursachen, eine Erscheinung, an der sich nur wenige Vertreter des Phytoplanktons beteiligen und die in zahl- reichen (Gewässern ganz fehlt. Es möge daher, da sie in ihrem Verhalten so ganz von dem des übrigen Planktons abweicht, gleich an dieser Stelle das Wichtigste über die Wasserblüte mitgeteilt werden. Wie schon früher erwähnt, sind es hauptsächlich Algen aus der Klasse der Schizophyceen, die sie verursachen und oft große Wasserflächen des Flachlandes mit einem grünen, rahmartigen Überzug bedecken und schon frühzeitig das Auge der Naturforscher auf sich lenkten. Einigen Arten hat diese Eigenschaft den Namen gegeben, so dem in Bündeln von Fäden auftretenden Aphanizomenon flos aquae und der kleine Fadenknäuel bildenden Anabaena flos aquae. Außer diesen verursachen noch sehr häufig Wasserblüte die unregelmäßig durchlöcherten Hohl- kugeln von Microcystis aeruginosa und die ebenfalls zu kugelförmigen Kolo- nien von 1—2 mm Durchmesser vereinigten, peitschenartigen Fäden von uvularia echinulata. Wie sich diese Art bei ruhigem Wetter, wenn der See nur wenig oder gar nicht bewegt ist, unter der äußersten Oberfläche ansammeln kann, zeigt nebenstehende, nach Strodtmanns Befunden her- >Sh F, Ruttner. eestellte Skizze ihrer vertikalen Verteilung im Großen Plönersee (Fig. 115). Ein stärkerer Wind zerstört diese Konzentration an der Oberfläche und man findet dann die Kolonien bis in eine Tiefe von einigen Metern mehr oder weniger gleichmäßig verteilt. Werden diese Algen durch die Bildung von Dauersporen am Ende ihrer Vegetationsperiode wieder spezifisch schwerer, sinken sie ebenfalls in tiefere Schichten ab. Alle. diese Arten besitzen eine charakteristische Eigentümlichkeit: sie führen im Protoplasma ihrer Zellen eingebettet eigenartige, meist unregelmäßig verzweigte (Ge- Fig. 115. bilde, die sich in rötlicher 25. VII. (ruhig) 27. VII. (Wind) Interferenzfarbe scharf von 6240 dem übrigen Zellinhalt ab- heben. Diese Gebilde sind es nun, welche die Verringerung des spezifischen (rewichtes ihrer Träger herbeiführen und - -- somit das Aufsteigen zur Ober- fläche verursachen. Es hat | dies Strodtmann durch einen | schönen Versuch nachgewiesen. Gibt man in eine mit Kork ee a ee Tr == verschließbare Glastube frisch | gefischtes Material von Rivu- larıa echinulata, so sammeln sich die kugelförmigen Kolo- nien bald an der Oberfläche a a er u. des Wassers an. Durch einen kräftigen, auf den Korkstopfen ausgeübten Druck werden die Algen jedoch zum Untersinken gebracht und die mikroskopi- sche Untersuchung zeigt, dal gleichzeitig die fraglichen Körper verschwunden sind. Es war nun naheliegend, diese re h) | Gebilde für Gasblasen zu hal- Verteilung der Wasserblüte (Rivularia echinulata)in dn ten und sowohl Strodtmann ng (nach Strodimann). als auch Klebahn haben sich in diesem Sinne ausgesprochen. Später ist es aber Molisch gelungen, zu beweisen, daß es sich in diesen Gebilden auf keinen Fall um Gas, sondern um einen Körper von vermutlich zäh- flüssiger Konsistenz mit geringem spezifischen Gewicht handelt. Bei dem soeben geschilderten Druckversuch werden nun diese Gebilde zerstört oder doch so weit verändert, daß eine Erhöhung des spezifischen Gewichtes eintritt. m.» ee ee igcen... N Die Verteilung des Planktons in Süßwasserseen. 287 Aber nicht alle Organismen, welche die Tendenz haben, sich an der Oberfläche anzusammeln, besitzen solche Schwebekörper. Man beobachtet der Wasserblüte ähnliche Anhäufungen auch bei anderen Algen und Flagel- laten, welche im Gegensatz zu den vielfach auf größere Gewässer be- schränkten, Schwebekörper führenden Schizophyceen besonders häufig in kleinen Teichen und Tümpeln zu finden sind. So bilden kleine Grünalgen (z. B. Stichococeus) und besonders häufig ein Flagellat, Euglena, gras- grüne Überzüge, während eine rotgefärbte Art der letztgenannten Gattung (E. sanguinea) die Farbe der meist kleinen, in den Alpen nicht seltenen Blutseen verursacht. Inwieweit diese Fälle durch ein geringeres spezifisches Gewicht der Zellen bedingt werden, ist nicht ohne weiteres zu entscheiden. Es besteht auch ein gewisser Unterschied zwischen diesen Erscheinungen -und der echten Wasserblüte, indem bei dieser die Ansammlung sich stets unter der Wasseroberfläche befindet und durch jede Bewegung sofort in die darunterliegenden Wasserschichten verteilt werden kann, jene dagegen die in einer zusammenhängenden Kahmhaut angesammelten Zellen auf der Wasseroberfläche schwimmend zeigen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die Organismen diese Kahmhaut erst durch lebhafte Vermehrung gebildet haben oder, wie Euglena, durch ihre Eigenbewegung dahingelangt sind. Ganz sicher ist letzteres der Fall bei einer schön goldgelben Wasser- blüte, die mitunter schattige Tümpel im Walde, sehr häufig aber Wasserbecken in Warmhäusern überdeckt und durch einen Flagellaten, Chromulina Rosanoftfii, hervorgerufen wird. Die kleinen Schwärmer dieser Art durchbohren das Wasserhäutchen, setzen sich darauf als unbewegliche Cysten mit einem Stielchen fest und bewirken nach den Untersuchungen Molischs durch gleichsinnige Orientierung der schüsselförmigen Chromato- phoren den erwähnten Goldglanz. Ob sich nicht gelegentlich auch das spezifische Gewicht anderer Planktonorganismen (eventuell durch Anhäufung spezifisch leichter Assimi- lationsprodukte und Reservestoffe) soweit verringert, daß ein Aufsteigen zur Oberfläche eintritt, ist nach den vorliegenden Beobachtungen mit Sicherheit nicht zu entscheiden. Gewiß lassen aber die Angaben Apsteins, der in verschiedenen Seen Norddeutschlands das Phytoplankton, und zwar insbesondere Asterionella in der oberflächlichen Schicht von 2 cm ange- sammelt fand, während ihre Individuenzahl nach der Tiefe hin sich rasch verringerte, diese Vermutung als wahrscheinlich annehmen. Da die Diato- meen Öltropfen in ihrem Zelleibe ablagern, wäre bei einer Anhäufung dieses Assimilationsproduktes ein derartiges Verhalten sehr verständlich. Bei allen jenen Planktonorganismen jedoch, die schwerer sind als Wasser, wird das spezifische Gewicht an sich und ebenso auch der Form- widerstand wohl die Geschwindigkeit des Sinkens, die vertikale Verteilung des Planktons aber nur im Zusammenwirken mit anderen Faktoren, vor allem der Dichte und inneren Reibung des Wassers beeinflussen können. Da aber diese Eigenschaften des Wassers im wesentlichen durch dessen IS F. Ruttner. Temperatur bedingt werden, wenden wir uns gleich der Besprechung dieses außerordentlich wichtigen Faktors zu. . In sehr mannigfacher Weise beeinflußt die Temperatur die Daseins- bedingungen des Planktons. Einerseits als biologischer Faktor, durch direkte Einwirkung auf die Lebensfunktionen, andrerseits mechanisch durch Veränderung der physikalischen Eigenschaften des Milieus. Zunächst soll nur von den letzteren die Rede sein. Um den Einfluß dieser Veränderungen auf die vertikale Verteilung des Planktons zu studieren, wird man zweckmäßig eine Zeit wählen, in welcher unsere temperierten Seen die größten Temperaturunterschiede in vertikaler Richtung aufweisen, also die Zeit der warmen Sommermonate. Während dieser Zeit weist die Temperatur von der mehr oder weniger stark erwärmten Oberfläche nach unten hin ein Gefälle auf und er- reicht in der Tiefe vieler Seen mit 4° C bei größter Dichte des Wassers einen Wert, der von den jährlichen Temperaturschwankungen unberührt bleibt. Diese obere Grenze der annähernd konstant temperierten Tiefen- schicht liegt in den einzelnen Seen verschieden tief (z.B. am nördlichen Alpenrande etwa 50—100 m), ist im hohen Grade von Klima und Höhen- lage, aber auch von der Morphologie des Sees abhängig und der durch sie wesentlich bestimmte Charakter des Temperaturgefälles in den oberen Wasserschichten ist somit in vielen Fällen ein vortrefflicher Ausdruck der klimatischen Verhältnisse eines Gewässers. So zeigt z. B. der Lunzer Unter- see in 32m eine Temperatur von ca. 55°. Der um 500 m höher gelegene Übersee erreicht die gleiche Temperatur schon bei 15 » Tiefe. 3etrachten wir das Temperaturgefälle eines Sees, z. B. das in Fig. 116 dargestellte des Lunzer Untersees näher, so fällt vor allem auf, daß die Abnahme der Temperatur keine gleichmäßige ist, sondern nach sehr ge- ringen Veränderungen in den oberen Schichten in einer bestimmten Tiefe, in unserem Falle zwischen 6 und 10m, ganz besonders schnell erfolgt. Diese Wasserschicht wird Sprungschicht genannt und die Stelle der größten Temperaturabnahme in der Kurve Thermokline. Die Wasser- schicht über der Thermokline bis zur Oberfläche heißt Epilimnion, jene unter derselben bis zum Grunde Hypolimnion. Über die Entstehung der Sprungschicht sei vorläufig nur bemerkt, dab sie die untere Begrenzung des durch Abkühlungs- und Windstöme ständig durchmischten und daher mehr oder weniger gleichmäßig tempe- rierten Oberflächenwassers darstellt. Näheres über ihr Zustandekommen sowie über ihre Veränderungen im Laufe des Jahres soll später mitgeteilt werden. Diese Zone sehr rascher Temperaturabnahme ist ganz besonders wichtig für die Beurteilung der Frage. inwieweit die vertikale Verteilung des Planktons durch die mit der Temperatur verknüpften Veränderungen der physikalischen Eigenschaften des Wassers beeinflußt wird. 2. Temperatur (als mechanischer Faktor). DE Die Verteilung des Planktons in Süßwasserseen. 289 Betrachten wir mit Ostwald das Schweben insbesondere des unbe- weglichen Planktons als ein Sinken mit sehr geringer Geschwindigkeit. wobei ein Individuum aus der Zone seiner optimalen Entwicklung, wenn auch auf allerlei Umwegen allmählich in tiefere Wasserschichten gelangt, um schließlich entweder schon tot am Grunde des Sees angekommen oder dort in kurzer Zeit abzusterben, so wird dieses Absinken wegen der Zu- nahme der Dichte und inneren Reibung des Wassers bei abnehmender Temperatur mit immer geringerer Geschwindigkeit erfolgen. Es ist auch der Fall denkbar, daß unter besonderen Umständen (sehr geringem Über- gewicht und großem Formwiderstand) diese Sinkgeschwindigkeit bei einer gewissen Temperatur nahezu Null wird. Die Sprungschicht mit ihrem außerordentlich raschen Temperaturabfall wird diesem Absinken ein sehr wirksames Hindernis entgegensetzen und es wäre zu erwarten, dab sich zumindest das unbewegliche Plankton innerhalb dieser Zone anstaut und eine plötzliche Steigerung der Volksdichte eintritt. Das ist aber keineswegs so klar und allgemein der Fall, als man nach diesen Überlegungen voraussetzen könnte, und der Grund dafür liegt hauptsächlich darin, daß in der Schicht des Epilimnions, wie später noch ausführlich besprochen werden soll, mannigfache Strömungen den Effekt des Absinkens ganz oder teilweise verwischen. Immerhin zeigen sich innerhalb der Sprungschicht recht häufig An- deutungen einer größeren Volksdichte, und wenn man auch meistens schwer entscheiden kann, ob die Veränderung der Lebensbedingungen (Temperatur und Licht) oder die hier behandelte Hemmung des Absinkens dafür ver- antwortlich zu machen sind, so gibt es doch mitunter bei besonders sünstigen Umständen Fälle, die sehr für das letztere zu sprechen scheinen. So zeigte z. B. im Spätsommer des so abnorm warmen Jahres 1911 die Temperaturkurve des Lunzer Untersees, wie Fig. 116 zeigt, eine auber- ordentlich scharf ausgeprägte Sprungschicht und gleichzeitig wies das zu dieser Zeit gerade in maximaler Vegetation befindliche Staurastrum Man- feldtii var. planctonicum eine abnorme vertikale Verteilung auf. Während sonst sein Verteilungsbild von dem des naheverwandten St. paradoxum (Fig. 114) wenig abweicht, zeigt es hier eine außerordentlich starke An- schwellung unmittelbar unter der Thermokline. Auch die anderen Stau- rastrumarten, die damals die Hauptmasse des unbeweglichen Planktons ausmachten, ließen, wenn auch nicht so deutlich, dasselbe erkennen. Sehr klar konnte Wesenberg-Lund die Verlangsamung der Sinkgeschwin- digkeit in den tieferen, kalten Wasserschichten des Furesees an den Skelett- teilen von Diatomeen beobachten. Nach einer starken Massenentfaltung an der Oberfläche fand er die abgestorbenen Zellen mancher Arten (Melosira, Stephanodiscus, Fragilaria) viele Wochen lang in einer Tiefe von 20 bis 30 m suspendiert. Auch die an ruhigen Tagen in vielen Seen zu beob- achtende Planktonarmut der äußersten Oberflächenschicht, die schon bei Fig. 114 erwähnt wurde, dürfte vielleicht, soweit es sich um unbewegliches Phytoplankton handelt, auf passives Absinken zurückzuführen sein, dessen E. Abderhalden, Fortschritte. X. 24 290 Folgen sich ja stärker erwärmt unmittelbar Ist, F. Ruttner. unter am ehesten zeigen müssen. n N _ IX IV -- —_ => en = _ = Sr SO + oa = b S S S Ss > S > BG S S NS N ——. SS Sn R- 7 0m = Do Gm) de se ' — 1 | f = il ‘ Dd ı } 3 ı IS f = Eh er z 1 Fi Son nes Furt CH u e e) N SEHEN | = I 5 = 2 yes 1 — } har .- nn | -:- — 5 B: Tg =‘ = e a» & = men n 2 Eee BE en een + = 2 | = ai N i Zur z\ | al N ı za A Er Sam - = al nl En =) | j u | IN ‚ u 1} ’ = =E | | 8. © IF Bere z n > Es r ee | ==, ' 21 I =, ' SE h = m 1 SE - tg no! E id = Se | = IH = "| ö = “| = m“ 1 =. De eı zo! NR u - nn | - ur =) 2 rs = Pe Ma. Z 3 - | » N 2. en oO 8 nn sei 2 + m - .— = > = = = >, = ı en Mr =; = Z. I - Fe der Oberfläche. die noch dazu meist Andieser Stelle möge auch jener eieentümlichen Ansammlungen von Planktonorganismen unmittelbar über dem (Grunde gedacht werden, welche schon seit längerer Zeit bekannt sind und in einer während des Druckes dieser Abhandlung erschie- nenen Arbeit von Behrens besonders betont wurden. Doch ist ihr Zusammen- hang mit der hier bespro- chenen Faktorengruppe keineswegs erwiesen. In unserer Fig.119 ist diese plötzliche Zunahme der Individuenzahl über dem Seegrunde bei Dia- ptomus deutlich zu sehen und dasselbe tritt auch in Fig. 117 bei Diaptomus und Notholca hervor. Die Ver- ınutung liest nahe, daß es sich hier um geschwächte Individuen handelt, welche die Wirkung der Schwer- kraft durch ihre Eigenbe- wegungen nur teilweise ausgleichen können, lang- sam zum Grunde absinken und sich dort ansammeln. Woltereck jedoch be- trachtet diese Ansammlun- gen alsdurch den Grund her- vorgerufene Verkehrsstau- ungen aktiv nach abwärts schwimmender Tiere. Für diese Auffassung spricht sehr die Tatsache, daß, wenigstens im Lunzer See, solche Anhäufungen in der Tiefe in nennenswerter Stärke nur bei jenen Arten auftreten, deren Verbreitung, wenn auch in sehr verringerter Anzahl, ohnehin zum Grunde hinabreicht. rn Die Verteilung des Planktons in Süßwasserseen. 291 Von ganz anderem Charakter als diese Tiefenmaxima sind jedoch jene Ansammlungen von Rotatorien und auch Krebsen, welche man im sauerstoffarmen Wasser mancher Seen, bzw. knapp oberhalb der von Sauer- stoff ganz freien Zone beobachten kann und auf welche wir noch später zurückkommen werden. In das Kapitel der Beeinflussung der vertikalen Verteilung durch die an Temperaturverhältnisse geknüpften Schwankungen «er Dichte und inneren Reibung des Wassers gehört auch eine interessante Beob- achtung, die Wesenberg-Lund an zwei Bosmina-Arten gemacht hat. Die eine Art dieser Orustaceengattung, Bosmina longirostris, welche im Winter die oberen Wasserschichten bewohnt, sinkt im Sommer von der erwärmten Oberfläche in kältere und daher tragfähigere Schichten ab, die andere Art, B. coregoni, kompensiert die Temperaturwirkung durch eine mit Verände- rung der Körpergestalt verbundene Erhöhung des Formwiderstandes (Saison- varlation). Inwieweit die mechanische Temperaturwirkung Ursache der spezi- fischen Verteilung der Tiefenformen ist, kann derzeit nicht sicher fest- gestellt werden. Vorläufig ist jedenfalls der später darzulegende biologische Einfluß von Temperatur und Licht mit größerer Wahrscheinlichkeit als maßgebend zu betrachten. Sonst ist jedoch weitaus größer die indirekte Wirkung der Thermik, insofern, als sie sehr umfangreiche Strömungen selbst hervorrufen und durch andere Ursachen entstandene wesentlich beeinflussen kann. Die vertikal verlaufenden Konvektionsströmungen werden direkt durch die Temperatur- beziehungsweise Dichteschwankungen des Wassers bedingt, doch schreiben die thermischen Verhältnisse auch den horizontalen Wind- strömen und dem Wassererneuerungsstrom ihre vertikale Wirkungssphäre vor. In welcher Weise dies erfolgt, wird am besten eine kurze Schilde- rung der Thermik eines Sees im Laufe des Jahres und der damit ver- knüpften Folgeerscheinungen dartun. Betrachten wir zunächst die Verhältnisse im Frühjahr, unmittelbar nach Verschwinden der Eisdecke. Der See zeigt um diese Zeit nirgends eine Temperaturschichtung, das Wasser hat von der Oberfläche bis zum Grunde überall die gleichmäßige Temperatur von 4° und seine größte Dichte. Die intensive Sonnenstrahlung bewirkt eine rasche Zunahme der Temperatur an der Oberfläche, die aber wegen des geringeren spezifischen (sewichtes des erwärmten Wassers nur langsam in die Tiefe vordringen kann. Die Temperaturkurve würde daher ein ungemein rasches Abfallen von der Oberfläche bis in eine geringe Tiefe aufweisen, wo dann die 4 Schicht wieder erreicht wäre. Wir hätten da gewissermaßen eine direkt an der Wasseroberfläche beginnende Sprungschicht vor uns. Doch ein der- artiger Zustand kann sich nicht halten, da die Oberfläche mannigfachen Einflüssen ausgesetzt ist und rasch eine Durchmischung der oberen Wasser- schichten eintritt. So werden schon während der Nacht durch das Absinken des abgekühlten Oberflächenwassers Konvektionsströmungen von allerdings 24* 299 F. Ruttner. zunächst geringer Mächtigkeit ausgelöst. Weit tiefer greift die Wirkung des Windes ein, wie Wedderburn und in neuester Zeit wieder Brönstedt und Wesenberg-Lund sowie Birge und Juday gezeigt haben. Er erzeugt zunächst einen in der Windrichtung verlaufenden Oberflächenstrom; diesem wird am Seeufer eine Grenze gesetzt, er muß dort untertauchen und in einer tieferen Schicht wieder zurückfließen. Die Tiefe, in welche diese Gegenströmung vordringt, ist bedingt von der (reschwindigkeii des Oberflächenstromes und vom Temperaturgefälle, denn es ist ja klar, daß die tieferen Wasserschichten dem Untertauchen des spezifisch leichteren Oberflächenwassers um so mehr Widerstand ent- gegensetzen werden, je kälter sie sind. Die Geschwindigkeit der Gegen- strömung wird also nach der Tiefe hin rasch abnehmen. um in einer ge- wissen Zone unmerklich zu werden. Oberhalb dieser Zone wird durch die zwei entgegengesetzten Strömungen eine Durchmischung des Wassers und eine mehr oder weniger gleichmäßige Temperatur herbeigeführt und eine Sprungschicht kann sich erst unterhalb dieser Region ausbilden. Mit fortschreitender Erwärmung wird die obere, von Windströmen durchmischte Schicht, das Epilimnion, immer mächtiger und die Sprung- schicht sinkt allmählich in größere Tiefen hinab, um dann während der Sommermonate unter normalen Verhältnissen eine ungefähr konstante Lage beizubehalten.!) Es ist dies der Zustand der Sommerstagnation. Allerdings kann es mitunter vorkommen, dal) ein besonders starker Sturmwind diese Ver- hältnisse zerstört und eine tiefgreifende Durchmischung des Wassers mit bedeutender Verlagerung der Sprungschicht in die Tiefe herbeiführt. Solche Fälle sind sowohl von Juday an nordamerikanischen Seen als auch in Lunz beobachtet worden, doch gehören sie zu den Ausnahmen und vermögen nur vorübergehende Störungen herbeizuführen, da sich ja von der Ober- fläche her bald wieder eine neue Sprungschicht ausbilden muß. Auf diese Weise erklären sich also die Fälle, in denen zwei oder mehrere Sprung- schichten beobachtet wurden. Andrerseits kann es auch bei besonders ruhigem und warmem Wetter zu einer deutlichen Temperaturschichtung im Epilimnion ober der normalen Sprungschicht kommen. Dieser Zustand der Sommerruhe bleibt nun so lange erhalten. bis im Herbste die Nächte kühler werden und ein Vordringen von Abkühlungs- strömen in größere Tiefen veranlassen. Diese Konvektionsströmungen er- reichen bald auch die Sprungschicht und führen ihr allmähliches Absinken herbei. dem schließlich durch den Seegrund, oder bei sehr tiefen Seen, durch die Zone der konstanten (4°) Temperatur eine Grenze gesetzt wird. Nun ist die ganze Wassermasse darüber in Strömung versetzt und man nennt diese Periode die der herbstlichen Vollzirkulation. Selbstverständlich wird durch das Absinken der Thermokline auch das ‘) Die Tiefe,der Sprungschicht ist natürlich in verschiedenen Seen nicht gleich und hängt von mannigfachen Faktoren ab. Die Verteilung des Planktons in Süßwasserseen. 5 DD 95 Vordringen der Windströme in immer größere Tiefen ermöglicht, bis zur Zeit der Vollzirkulation auch sie die ganze Wassermasse in Bewegung setzen können. Diese Periode der vollständigen Durchmischung des Wassers dauert so lange, bis die Abkühlung auf 4° vorgeschritten und die größte Dichte erreicht ist. Von da ab führt eine weitere Abkühlung kein Absinken der Wassermassen mehr herbei, es bildet sich an der Oberfläche wieder eine Temperaturschichtung aus, jedoch im Gegensatz zu den Verhältnissen im Sommer nach der Tiefe hin zunehmend. Eine fortschreitende Abkühlung führt schließlich zur Eisbedeckung und wir haben dann unter dem Schutze der Eisdecke den Zustand der Winterstagnation mit inverser Tem- peraturschichtung vor uns. Nicht alle Seen unseres Klimas bedecken sich im Winter mit Eis und in diesen ist während des Winters nur bei sehr ruhigem Wetter Stagnation zu finden; denn schon ein einigermaßen starker Wind wird die schwache Temperaturschichtung vollständig ver- wischen können. Im Frühling, wenn der See eisfrei wird, kommt wieder, allerdings nur vorübergehend, eine Homothermie bei 4° von oben bis unten zustande (Frühlings-Vollzirkulation) und wir haben damit den Zustand gegeben, von dem wir ausgegangen sind. Dal) diese gewaltigen Strömungserscheinungen nicht ohne Einfluß auf die Verteilung des Planktons bleiben können, ist wohl selbstverständlich ; sind doch alle seine Komponenten, die über kein ausgiebiges Bewegungs- vermögen verfügen, außerstande, selbst schwachen Strömungen Widerstand zu leisten. Wir werden daher beim Phytoplankton auch in der Zeit der Sommerstagnation große Unterschiede der Volksdichten in dem von Wind- strömen durchzogenen Epilimnion nicht zu erwarten haben, eine Annahme, die durch alle bisherigen Untersuchungen, wo darauf geachtet wurde, ihre Bestätigung findet (vgl. insbesondere Juday und auch unsere Verteilungs- figuren). Allerdings kann es an windstillen Tagen auch hier zur Andeutung einer Schichtung kommen, hauptsächlich bei Flagellaten und Peridineen, die eine schwache Eigenbewegung besitzen, und ferner auch bei unbeweg- lichen Formen unmittelbar an der Oberfläche, deren häufig zu beobachtende Armut auch an Phytoplankton, wie schon früher erwähnt, durch passives Absinken zu erklären sein dürfte. Die lebhaft beweglichen Rotiferen und Kruster dagegen werden durch schwache Strömungen in ihrer vertikalen Verteilung kaum gestört und ihre Verteilungsbilder zeigen auch oberhalb der Sprungschicht charakte- ristische und scharf ausgeprägte Formen.!) Ganz anders sind die Verhältnisse in und unterhalb der Sprungschicht, wo Wind- und Konvektionsströmungen wegfallen. Nur dort ist eine so eng 1!) Eine riehtige Beurteilung des Einflusses von Strömungen ist leider nicht möglich, da meines Wissens bis jetzt exakte Strömungsmessungen Hand in Hand mit Planktonbeobachtungen im Süßwasser noch überhaupt nicht ausgeführt wurden, 294 F. Ruttner. beerenzte Ansammlung einer schwachbeweglichen Form, wie Mollomonas alpina (vergl. Fig. 114) oder auch das auf die Tiefe beschränkte Vorkommen der unbeweglichen Arten Asterionella und Olosterium acieulare möglich. Viel bedeutender und allgemeiner ist aber der Einfluß jener Strö- mungen, die zur Zeit der Herbstzirkulation so gewaltige Wassermassen in Bewegung setzen. Da sehen wir bei fast allen Organismen ein Ver- schwinden der zonaren Schichtung. das mit den Konvektionsströmen in die Tiefe fortschreitet, um schließlich eine sehr gleichförmige Verteilung von der Oberfläche bis zum Grunde herbeizuführen. Diese Erscheinung hat schon Hofer vor mehr als 20 Jahren bei seinen Bodenseeuntersuchungen beobachtet und sie ist seither an ver- schiedenen anderen Gewässern bestätigt worden. Wie sich diese Verhält- nisse im Lunzersee gestalten, zeigt Fig. 117. a gibt die Verteilung einiger Panktonten unmittelbar am Beginn der Zirkulationsperiode (Teilzirkulation) wieder. Die Sprungschicht ist wohl schon bis zwischen 15 und 20 m ab- gesunken, doch ist die zonare Schichtung, wohl durch eine wieder ein- getretene Wärmeperiode kaum gestört. b zeigt den Zustand nach 2 Monaten, bei Vollzirkulation und Homo- thermie von 4°. Da sehen wir nun überall die größte Einförmigkeit, die Be- wohner der oberen Schichten sind bis zum Grunde, die Tiefenform Arterionella bis zur Oberfläche vorgedrungen und die Verteilungsfiguren weisen nirgends wesentliche Veränderungen ihrer Breite auf. Nur die besten Schwimmer, vor allem die Krebse, meiden auch da noch tagsüber unter dem Einfluß des Lichtes die Oberfläche, aber in tieferen Zonen, wo keine stärkeren Reize auf sie einwirken, lassen auch sie sich von den Strömungen willenlos treiben. Nachts, wo der Einfluß des Lichtes wegfällt und die Konvektions- ströme infolge stärkerer Abkühlung noch lebhafter sind, ist die Gleich- förmiekeit noch deutlicher als bei Tage. In sehr tiefen Seen kann das Plankton durch die Zirkulationsströme im Winter in Tiefen gelangen, die sonst im Sommer fast planktonleer sind. So fand z.B. Burckhardt im Vierwaldstättersee die untere Grenze zahlreicher Organismen im Winter doppelt so tief als im Sommer (150 bis 200 m). Aber auch in seichteren Seen kann eine ähnliche Erscheinung ein- treten, wenn in der Stagnationsperiode ungünstige Lebensbedingungen, z. B. Sauerstoffmangel das Plankton von den tieferen Schichten fernhalten. Durch die Zirkulation wird der Sauerstoffgehalt ausgeglichen und eine gleichmäßige Verteilung der Organismen auch nach der Tiefe hin herbei- seführt. Solche Verhältnisse, die später noch eingehender zu besprechen sein werden, liegen z. B. in zahlreichen nordamerikanischen Seen und im Lunzer Obersee vor. Zur Zeit der Winterstagnation sehen wir, wie aus der Serie ce in Fig. 117 zu entnehmen ist, unter dem Eise wiederum eine deutliche zonare Schichtung des Planktons auftreten. In jenen Seen, die im Winter keine Eisdecke tragen, zeigt sich diese Erscheinung nur bei ruhigem Wetter deutlich und dieser Umstand hatte wohl die Angaben zur Folge, daß eine Die Verteilung des Planktons in Süßwasserseen. 295 Fig. 117. ag" [e) Om 0 m 10 m 17.X. 15 m\ 20 m |. 25m |.. ee wu ee A ET ea I 32m O-m Bm 10 m b 15. XI. 1908 15 m 20) m 2m 32m Om Bm 10 m |. c Ban” 1909 20 m 25) m 32 m ie) Temperatur Asterionella Staurastrum grac. Manfeldtii platypt. Notholea longisp priodonta Polyarthra Asplanchna | Veränderungen der Temperaturschichtung und der Verteilung einiger Planktonorganismen vom Ende der Sommerstagnation (a) durch die Zeit der Vollzirkulation (b) bis zur Winterstagnation (ce). (Lunzer Untersee.) (Die Verteilung von Diaptomus in a mit dem Maximum in 25 m ist abnorm). 296 F. Ruttner. Planktonschichtune im Winter überhaupt fehle. Doch wurde ihr Bestehen schon vor mehr als einem Jahrzehnt von Burckhardt im Vierwaldtstätter- see und von Brehm im Achensee nachgewiesen, Bisher wurde von jenen Strömungen nicht gesprochen, die mit der Wassererneuerung verbunden sind, einem Faktor, der unter Umständen, insbesondere in den stark durchströmten Alpenseen für die Verteilung des Planktons eine große Bedeutung gewinnen kann. Durch die in den See mündenden planktonleeren Zuflüsse wird eine Verdünnung des Planktongehaltes in jenen Schichten herbeigeführt, in welche das einströmende Wasser gelangt. Die Tiefe dieser Zone hängt von dem Dichteverhältnis des einströmenden Wassers zu der des Seewassers ab, also im wesentlichen von der Temperatur: der Zufluß wird im äußersten Fall in jene Tiefe vordringen können, die seine Temperatur aufweist. Da nun durch den Ausrinn bei normalen Verhältnissen wiederum das Ober- flächenwasser angesaugt wird, so kann die Wassererneuerung nur in einer Schiehte zwischen der Oberfläche und jener Tiefe, bis zu welcher das ein- fließende Wasser einsinkt, stattfinden. Bei lebhafter Wassererneuerung kann der damit verbundene Verlust an Plankton!) den Betrag seiner Vermehrung überwiegen, es tritt in dieser Zone eine Planktonabnahme ein, die auch in Veränderungen der vertikalen Verteilung sich ausdrücken kann. Im Lunzer Untersee z.B. fällt die Zeit der intensivsten Wasser- erneuerung mit der Schneeschmelze im Gebirge (im Mai) zusammen.?) Um diese Zeit ist aber die Erwärmung des Sees meist schon ziemlich weit vorgeschritten und eine deutliche Temperaturschichtung zur Ausbildung eekommen. Die gewaltigen Wassermassen, die der Seebach dem See zu- führt, haben eine Temperatur von etwa 6°, sinken daher unter, können jedoch äußerstens bis zu der mit ihnen homothermen Schicht von 15—20 m vordringen. Es findet nun auch, wie Beobachtungen der Konzentrations- veränderung®) nachgewiesen haben, wirklich nur die Erneuerung der ober- halb dieser Tiefe befindlichen Wassermengen statt, und zwar in erstaunlich kurzer Zeit, mitunter innerhalb einer Woche. Die kalte Tiefenregion bleibt von diesen Veränderungen unberührt. Die mit diesem so ungemein raschen, partiellen Wasseraustausch verbun- denen Verschiebungen der vertikalen Planktonverteilung treten insbesondere bei jenen Arten deutlich hervor, welche um diese Zeit den Höhepunkt ihrer Entfaltung schon überschritten haben, deren Vermehrungsintensität also nicht ausreicht, die Verluste wenigstens teilweise wieder auszugleichen. Auf diese Weise kann es sogar zum vollständigen Verschwinden mancher Arten aus den oberen Wasserschichten kommen. !) Dieser erstreckt sich auf alle Organismen mit Ausnahme der Crustaceen, welche nach Wolterecks Befunden in der Regel den Ausrinn meiden. ?) Über die Thermik und den Wasserhaushalt der Lunzer Seen vgl. auch den vorläufigen Beriebt über die eingehenden Untersuchungen Götzingers. ®) Durch Bestimmung der elektrolytischen Leitfähigkeit. Die Verteilung des Planktons in Süßwasserseen. 297 Dies ist bei Asterionella der Fall, wie Fig. 115 nach drei innerhalb zwei Monaten ausgeführten Fangserien klar zeigt. Diese Art hatte den Winter über alle Wasserschichten in großer Menge bevölkert und war besonders im ersten Frühjahr zu starker Entwicklung gekommen. Die Schmelzwasserströme entführen sie nun in kurzer Zeit vollständig aus der Zone bis in etwa 15 m Tiefe, und da bei fortschreitender Jahreszeit ihre optimalen Lebensbedingungen in den oberen Wasserschichten verschwinden, ist auch eine Wiederbesiedelung während des Sommers ausgeschlossen. Astrionella bleibt daher in die Tiefe verbannt, bis die Konvektions- strömungen im Herbste sie zu neuer Entfaltung an die Oberfläche empor- führen. Om | | | 10 m 20) m 30 m Einfluß der lebhaften, auf die Schichten oberhalb 15 m beschränkten Wassererneuerung im Frühjahr auf die vertikale Verteilung von Asterionella. (Lunzer Untersee 1911.) Doch tritt ein ähnliches Verhalten auch bei solchen Organismen zu- tage, deren Entwicklung an der Oberfläche auch während des Sommers andauert. So verschwindet z. B. auch Rhodomonas während der Zeit sehr lebhafter Wassererneuerung aus den obersten Schichten, um sie nachher in großer Individuenzahl wieder zu besiedeln, und wird also vorübergehend zu einem Bewohner der Tiefe. Hierher gehört auch eine Erscheinung, auf die noch kurz hingewiesen werden soll, da sie in den Verteilungsbildern der Fangserie vom 20. Januar 1909 (Fig. 117 ec) deutlich zum Ausdruck kommt. Da sieht man bei Asterionella und Staurastrum eine sehr gleichmäßige Verteilung in den tieferen Schichten, dagegen eine rasche Abnahme ober- halb 10m und ein vollständiges Fehlen in der Oberflächenschicht von 2—3 m Mächtigkeit. Dieses Verhalten, das im Winter sehr häufig beob- achtet werden konnte, sich aber nur auf die unbeweglichen Formen be- 298 F. Ruttner. schränkt, ist offenbar auch auf eine teilweise, diesmal aber nur die Ober- tlächenschicht betreffende Wassererneuerung zurückzuführen. Das Wasser des etwa auf 2° temperierten Zuflusses überschichtet im Winter das in seiner Hauptmasse 4° aufweisende Seewasser und die tieferen Zonen werden daher von der Wassererneuerung nicht betroffen. Anhangsweise möge noch erwähnt werden, daß nach den Ergeb- nissen der neuesten Forschungen die Sprungschicht an ein und derselben Stelle periodischen Schwankungen in vertikaler Richtung unterliegt, indem durch den Winddruck eine Schrägstellung der Temperaturschichten erfolgt, welche dann in gleichmäßige Schwingungen ausklingt. Näheres über diese Temperaturseiches, sowie über die neueren Forschungen auf dem Ge- biete der Thermik überhaupt wolle man in einer vor kurzer Zeit an dieser Stelle erschienenen zusammenfassenden Abhandlung von Halbfass nachlesen. Es ist klar, daß derartige Schwankungen der Wasserschichten auch in periodischen Veränderungen der Planktonverteilunge zum Ausdruck kommen müssen, doch liegen darüber noch keinerlei Beobachtungen vor. II. Biologische Faktoren. Waren die bisher geschilderten Verhältnisse ziemlich einfach und ließen sich trotz unserer noch sehr lückenhaften Kenntnisse mitunter recht klare Beziehungen zwischen der vertikalen Planktonverteilune und den in rein mechanischer Weise wirksamen Faktoren feststellen, so begegnen wir beim Nachforschen nach den biologischen Ursachen dieser Erscheinung überall der größten Unsicherheit. Es ist dies ja auch gar nicht zu ver- wundern, wenn man bedenkt, um wieviel komplizierter ein Vorgang wird, wenn Lebenserscheinungen in ihn eingreifen, als wenn er sich nur nach längst bekannten physikalischen Gesetzen abspielt. Und doch sind es offen- bar gerade die Lebensvorgänge, welche die zonare Schichtung der Plankton- organismen hauptsächlich und vor allem in ihrer großen Mannigfaltigkeit bestimmen, während mechanische Faktoren, wie wir gesehen haben, das bereits entstandene Bild nur modifizieren oder stören können. Da uns aber auf diesem Gebiete gerade die wichtigste Grundlage fehlt, nämlich ein tieferer Einblick in die Lebensfunktionen der in Betracht kommenden Organismen, müssen wir uns damit begnügen, nur in ganz groben Zügen die Wirkungsweise biologischer Faktorenkomplexe nach den Ergebnissen der bisherigen Forschung zu erörtern und für die weitaus meisten Erschei- nungen von einer späteren Zukunft eine befriedigende Erklärung zu er- hoffen. Von den Äußerungen des Lebens sind es die Erscheinungen der Vermehrung und Bewegung, die unter dem Einflusse der wechselnden äußeren Bedingungen und durch die so verschiedene Reaktionsweise der einzelnen Arten, Rassen, ja sogar der Altersstadien ein und desselben Individuums die außerordentliche Mannigfaltigkeit der vertikalen Plankton- verteilung bedingen. Von äußeren Faktoren, die auf diese Lebensfunktionen Lau. Die Verteilung des Planktons in Süßwasserseen. 299 einwirken, kommen für uns hauptsächlich in Betracht Temperatur, Licht, chemische Beschaffenheit des Wassers und, für das Zoo- plankton, die Menge der vorhandenen Pflanzennahrung. Der Einfluß dieser Faktoren im einzelnen ist jedoch sehr schwer auseinanderzuhalten:; sind ja doch in den meisten Fällen mehrere gleich- zeitig tätig und außerdem ist die Wirkungsweise des einen im hohen Grade von den anderen abhängig. Selten sind wir daher in der Lage, für gewisse Erscheinungen der vertikalen Verteilung einen Faktor allein verantwortlich zu machen. Meistens wird das Verhalten der Organismen durch eine Resultierende zahlreicher, auf seine Lebensfunktionen einwirkender Faktoren bedingt werden. 1. Die Temperatur haben wir schon als den wichtigsten der mechanisch wirksamen Faktoren kennen gelernt. Nicht geringer ist aber auch ihr Einfluß als Lebensbedingung. Bei den großen Temperaturunterschieden, welche die Seen in vertikaler Richtung aufweisen, werden die einzelnen Arten mit ihren verschie- denen Ansprüchen auch in verschiedenen Tiefen ihre Temperaturoptima finden und müßten dort eine besonders lebhafte Vermehrung aufweisen, wenn die Temperatur allein maßgebend wäre und die anderen Faktoren konstant blieben. Bei den frei beweglichen Formen des Planktons kommt dazu noch die Wirkung der Temperatur auf die Eigenbewegung. Wie wichtig die Eigenbewegung der Planktontiere weniger zur Orts- veränderung als vielmehr zur Kompensation der Schwerkraftwirkung, also gewissermaßen als Schwebeanpassung ist, darauf hat neben älteren Autoren in letzter Zeit ganz besonders Woltereck hingewiesen, der zunächst für einige Cladocerenspezies eine genaue Analyse der Bewegungserscheinungen durchgeführt hat. Der Einfluß von Temperaturveränderungen auf die Eigenbewegung kann sich in zweierlei Art äußern: 1. in einer Veränderung der Intensität, 2. in der Festlegung der Bewegungsrichtung im Temperaturgefälle. Über letztere Erscheinung, die sogenannte Thermotaxis, wissen wir bei Planktonorganismen noch sehr wenig und es ist daher derzeit noch kaum möglich, ihre Wirkungsweise bei zonaren Ansammlungen im Seen- plankton zu erörtern. Daß sie mitunter zur Geltung kommt, ist, nach dem Verhalten einiger Tierformen zu schließen, nicht unwahrscheinlich. Die Wirkung der Temperatur auf die Intensität der Bewegung ist ganz all- gemein die, daß die Bewegungen im warmen Wasser rascher, im kalten langsamer werden. Durch die Beschleunigung der Bewegung im warmen Wasser wird also die früher besprochene Erhöhung der Sinkgeschwindigkeit wieder kompensiert. Die wichtigste und für das unbewegliche Plankton einzige Einwirkung des Temperaturfaktors auf die Lebenserscheinungen, soweit sie für die 300 F. Ruttner. vertikale Verteilung in Betracht kommen, ist jedoch die Beeinflussung der Vermehrungsgeschwindigkeit. Sehen wir uns nun unter den bekannten Erscheinungen der vertikalen Verteilung nach solchen um, die auf eine Wirkung der Temperatur als biolo- eischen Faktors zurückgeführt werden könnten, so ist die Zahl der sicheren Fälle nicht groß, da der Einfluß der anderen Faktoren meist schwer von jenem der Temperatur getrennt werden kann. Wenn wir z. B. beobachten, daß Asterionella und auch Closterium acieulare im Lunzersee während des Sommers auf bedeutende Tiefen unter- halb der Sprungschicht beschränkt sind und nur im Winter und Frühling auch in den oberen Wasserschichten eine reiche Entwicklung aufweisen, wenn diese Organismen also das Vordringen in wärmeres Wasser zu jeder ‚Jahreszeit meiden, so können wir wohl mit hoher Wahrscheinlichkeit an- nehmen, dal sie an eng begrenzte niedere Temperaturen gebunden sind und infolge dieser Stenothermie die charakteristischen Verteilungsbilder besitzen.!) Doch darf nicht verschwiegen werden, daß mit diesen Ver- änderungen der vertikalen Verteilung auch Veränderungen der Konzen- tration des Wassers parallel laufen und daß diese Algen in dem hier besprochenen Falle stets an das Wasser der höheren Konzentration ge- bunden erscheinen. Es bleibt also auch die Möglichkeit offen, daß hier der Chemismus der ausschlaggebende Faktor ist, und wir können, wenn auch die Wahrscheinlichkeit sehr auf Seite der Temperatur ist, ohne ge- naue Kenntnis der Physiologie dieser beiden Arten eine sichere Entschei- dung nicht treffen. Daß Asterionella sich in anderen Seen nicht so verhält, sondern auch im Sommer die stark erwärmte Oberfläche bevölkert, wurde schon früher erwähnt und auf die Möglichkeit hingewiesen, daß hier zwei in ihren Temperaturansprüchen verschiedene Rassen vorliegen. Die Mehrheit des sonstigen Phytoplanktons zeigt keine deutliche Stenothermie, sondern ist weiteren Temperaturgrenzen angepaßt, also mehr oder weniger eurytherm. Doch sind die Optima natürlich von Art zu Art verschieden; so wird den Grünalgen und ganz besonders den Blaualgen eine Vorliebe für warmes, den Diatomeen eine solche für kälteres Wasser zugeschrieben. In vielen Fällen ist dies wohl richtig und wird auch durch die Befunde der vertikalen Verteilung bestätigt. Wie wenig man aber verallge- meinern kann, das beweist das eben besprochene Beschränktsein von Closterium, einer Grünalge, auf die Tiefe des Lunzersees und das Vor- kommen von Diatomeen an der Oberfläche stark erwärmter Flachland- GEWÄäSSET. Auch das Zooplankton ist im allgemeinen relativ eurytherm ; doch sind die Fälle von Stenothermie, die auch in der vertikalen Verteilung zum Ausdruck gelangt, vielleicht häufiger als beim Phytoplankton. ‘) Inwieweit beim assimilierenden Phytoplankton Temperatur und Lichtwirkung miteinander verknüpft sind, darauf werden wir noch zu sprechen kommen. Die Verteilung des Planktons in Süßwasserseen. 301 So ist der Krebs Limnocalanus macrurus nach Sven Ekmans und Judays Angaben stets auf die Tiefenregion unterhalb der Sprungschicht beschränkt und kommt, was besonders wichtig ist, auch bei Nacht nicht über diese Zone empor. Ähnliches scheint für Mysis relicta zu gelten und ebenso ist nach den meisten Berichten das Rädertier Triarthra longiseta den Sommer über ein Tiefenbewohner, der nur im Winter auch in die oberen Schichten eindringt. Konnten wir in den bisher besprochenen Fällen die Temperatur doch mit einiger Wahrscheinlichkeit als Ursache anführen, so ist ihr biologischer Anteil an den häufig zu beobachtenden Ansammlungen innerhalb der Sprungschicht viel weniger einwandfrei zu bestimmen. Kommt doch hier eine ganze Reihe von anderen Faktoren mit in Betracht, vor allem die plötzliche Verlangsamung der Sinkgeschwindigkeit in dieser Zone und außerdem noch die Möglichkeit, daß in diesen noch gut durchleuchteten Schichten die optimale Lichtintensität zufällig, oder auch wegen ihrer oft innigen Verknüpfung mit dem Temperatureinfluß, in die Sprungschicht fällt. Völlig versagt schließlich eine Erklärung auf Grund der Temperatur- verhältnisse in jenen Fällen, wo wir (bei vielen Vertretern des Zooplanktons) auch oberhalb der Sprungschicht in einem nahezu gleichförmig tempe- rierten Epilimnion oft sehr markante Unterschiede in den Volksdichten verschiedener Zonen auftreten sehen und ferner auch ganz besonders dort, wo nach vollzogenem Ausgleich durch die herbstlichen Konvektions- strömungen im Winter unter der Eisdecke bei verkehrter Temperatur- schichtung ganz ähnliche Verteilungsbilder erscheinen wie im Sommer (vel. Polyarthra, Asplanchna, Daphnia in Fig. 117). Hier müssen wir im >ebicht die wirksame Ursache suchen. Hatten wir bei den bisherigen Erörterungen an der verhältnismäßig genauen Kenntnis der Thermik der Seen einen einigermaßen festen An- haltspunkt, so ist unser Wissen über die Lichtverhältnisse im Wasser sehr gering und es fehlt uns damit die unerläßlichste Grundlage für die richtige Beurteilung der Wirkungen dieser so ungemein wichtigen Lebensbedingung auf die Verteilung des Planktons. Wohl wissen wir, daß ein beträchtlicher, in letzter Zeit durch Schmidt exakt bestimmter Teil der auf die Wasserfläche auffallenden Lichtstrahlen reflektiert und der ins Wasser eindringende Rest allmählich absorbiert wird, so daß in die größten Tiefen unserer Seen versenkte photographische Platten kaum eine Schwärzung mehr aufweisen. Ferner haben einige wenige, insbesondere von Regnard und später auch von Zinsbauer, Bertel, Ewald u. a. ausgeführte Beobachtungen gezeigt, daß der Verlauf der Absorption, der theoretischen Forderung entsprechend, annähernd im geometrischen Verhältnis erfolgt, da ja in jeder gleich mächtigen Wasserschichte von der zu ihr gelangenden Lichtintensität der gleiche Bruchteil zurückgehalten wird. Schließlich wissen wir aus Labora- toriumsversuchen, daß im Wasser die roten und gelben Strahlen weit 302 F. Ruttner. stärker absorbiert werden als die grünen und blauen und so nehmen wir an, dal in größeren Tiefen ein grünblaues Licht herrschen dürfte.!) Jedoch nähere Aufschlüsse darüber, wie sich Intensität und Qualität des Lichtes in verschiedenen Tiefen und (Gewässern verhalten, fehlen uns noch sowohl im Süßwasser als auch, von einigen, allerdings bemerkenswerten Anfängen abgesehen, im Meere. Versuche im Laboratorium können hier nicht ausreichen. (Grestattet doch die Messung der Absorption, die ein Lichtstrahl beim Passieren einer Wasserschicht im Versuchsrohr erleidet, keinen Rückschluß) auf die Beleuchtungsverhältnisse in einem See. Denn hier kommt. abgesehen von den verschiedenen Reflexions- und Brechungs- erscheinungen an der Oberfläche, zu dem von oben einstrahlenden direkten Lichte noch eine von allen Seiten kommende diffuse Beleuchtung, welche durch Reflexion an den im Wasser suspendierten Teilchen entsteht und welche, vom Trübungsgrad abhängig, die in den verschiedenen Tiefen herrschende Lichtintensität in sehr wechselnder Weise modifizieren dürfte. Exakten Untersuchungen im Freien standen aber bis jetzt bedeutende Mängel der Methodik hindernd im Wege. Sieht man von der mehr der Bestimmung des Trübungsgrades als der Lichtabsorption dienenden Methode der Sichttiefenbestimmung durch Versenken einer weißen Scheibe ab, so verwendete man bisher bei optischen Untersuchungen in (Gewässern ent- weder (z. B. Linsbauer, Steenstrup, Ewald) die Schwärzung photographischer Platten und Papiere, oder die Eigenschaft des Selens, im Licht seine elektrische Leitfähigkeit zu ändern (Regnard, Kreidl). Beide Methoden haben den Nachteil, dal) sie nur auf bestimmte Strahlenbezirke reagieren und daher für die biologisch so wichtige Prüfung des Verhaltens der ein- zelnen Lichtqualitäten nicht ohne weiteres verwendbar sind. Eine Kombi- nation der photographischen Methode mit verschiedenen Lichtfiltern kann jedoch da eine wesentliche Besserung herbeiführen. Durch Konstruktion eines versenkbaren Spektrographen ist Bertel zu einem vielversprechenden Apparat gelangt, mit dem er auch schon eine Reihe von Messungen bis zu beträchtlichen Tiefen hinab in der Nähe von Monaco erfolgreich ausführte. Zu dieser Unkenntnis der optischen Milieubedingungen kommt noch, dal wir, von einigen Ausnahmen abgesehen, im einzelnen ebensowenig darüber unterrichtet sind, in welcher Weise die Planktonorganismen auf verschiedene Intensitäten und Qualitäten des Lichtes reagieren, und es kann daher nicht wundernehmen, wenn wir in den allermeisten Fällen nicht darüber hinauskommen, gewisse Erscheinungen der vertikalen Planktonverteilung nur im allgemeinen auf Unterschiede der Beleuchtung zurückzuführen, ohne uns über die Wirkungsweise dieses Faktors irgend- welche Rechenschaft geben zu können. Wie bei der Temperatur, so werden wir auch beim Licht zweierlei Wirkungen zu unterscheiden haben: den Einfluß auf Wachstum und Vermehrung und jenen auf die Bewegung der Planktonorganismen. ') Vgl. hierüber Aufseß, O. Freih. v., Die physikalischen Eigenschaften der Seen. Braunschweig 1905. Die Verteilung des Planktons in Süßwasserseen. 303 Was nun zunächst das Wachstum und die daran geknüpfte Ver- mehrungsgeschwindiekeit anbelangt, so ist für diese Erscheinungen beim assi- milierenden Phytoplankton das Licht von ausschlaggebender Bedeutung. Es ist zweifellos die Ursache, daß wir die Pflanzenwelt des freien Wassers auf eine mehr oder weniger mächtige Oberflächenschicht be- schränkt sehen und daß die vertikale Ausdehnung dieser schon früher er- wähnten trophogenen Zone in offenkundigem Zusammenhange steht mit der Klarheit des betreffenden Gewässers. Da aber die einzelnen Arten bei verschiedenen Lichtintensitäten und Spektralbezirken ihr Optimum der Kohlensäureassimilation finden, so müssen wir auch innerhalb der von Pflanzen bewohnten Region eine zonare Schichtung des Planktons auf Grund der Beleuchtungsverhältnisse erwarten. Aber die Kohlensäure- assimilation ist nicht allein von den Lichtverhältnissen, sondern in hohem Maße wie alle anderen Lebensvorgänge auch von der Temperatur ab- hängie, so zwar, daß ihr Wert zunächst mit der Temperatur wächst, nach Erreichung eines Maximums bei weiterer Temperatursteigerung wieder abnimmt. Es wird also innerhalb gewisser Grenzen bei niedriger Tempe- ratur eine größere Lichtintensität zur Erreichung derselben Assi- milationsgröße notwendig sein als bei höheren Wärmegraden. Temperatur und Lichtwirkung erscheinen also hier und ebenso auch in ihrer Wirkung auf die vertikale Verteilung des pflanzlichen Planktons eng miteinander verbunden. Aber auch in anderer Weise, und zwar indirekt, vermag die Thermik eine auf Grund der Beleuchtungsverhältnisse mögliche Schichtung des un- beweglichen Planktons zu modifizieren, indem nämlich auch hier die Ebene der Thermokline im See eine sehr markante Trennung hervorruft und in bezug auf den Lichtgenuß im Epilimnion und Hypolimnion ganz verschiedene Bedingungen schafft. Wird ja doch oberhalb der Sprungschicht durch die dort herrschen- den Strömungen das gesamte Phytoplankton in einer nur von kurzen Ruhe- perioden unterbrochenen Bewegung erhalten und eine jede Algenzelle bald in höhere, bald in tiefere Schichten mit verschiedenen Lichtverhältnissen ge- führt. Der Lichtgenuß im Epilimnion wird daher ein wohl sehr wechseln- der, aber für die Individuen aller Arten ein durchschnittlich gleicher sein und somit unter normalen Verhältnissen keine zonare Schichtung des Phytoplanktons herbeiführen können. Wir müssen daher die ganze Wasser- schicht oberhalb der Sprungschicht auch hier als eine Zone betrachten und wollen sie in Anlehnung an die für das Meer getroffene Einteilung als photische Region bezeichnen, welche von Arten mit den relativ größten Lichtansprüchen bevölkert wird. Ihre Mächtigkeit hängt von der Lage der Sprungschicht ab; reicht sie im Meere bis in eine Tiefe von 80 m, so werden wir im Süßwasser ihre vertikale Erstreckung in den meisten Fällen mit 5 bis 15 m, seltener bis 20 m feststellen müssen. Allen in und unterhalb der Sprungschicht schwebenden Algen fehlt jedoch die Möglichkeit, je an die stark durchleuchtete Oberfläche emporzu- 304 F. Ruttner. gelangen, sie bleiben stets an das in der Tiefe herrschende Dämmerlicht gebunden. In der Sprungschicht beginnt also die dysphotische Zone (Dämmerzone) und erstreckt sich je nach der Klarheit des Wassers in ver- schiedene Tiefen hinab, wo dann das Dämmerlicht zu schwach wird, um auto- trophen Pflanzen noch das Dasein zu ermöglichen. Ist dies in den klarsten Meeren erst bei etwa 400 » der Fall und diese so mächtige Zone durch das Vorkommen charakteristischer Schattenpflanzen, insbesondere Diatomeen, ausgezeichnet. so sehen wir, wie schon früher hervorgehoben wurde, das Pflanzenleben im Sülwasser wohl wegen dessen geringerer Durchsichtigkeit und vielleicht auch infolge des Fehlens von Arten, die an besonders niedrige Lichtintensitäten angepaßt sind, in viel engeren Grenzen zusammengedrängt und die von Pflanzen bewohnte Dämmerzone dürfte in den meisten Fällen schon in etwa 50 m Tiefe ihre untere Grenze erreichen. Je weniger klar das Wasser ist, desto höher wird diese Grenze rücken und in sehr trüben Seen wird sie sogar die Sprungschicht erreichen. In diesen Fällen muß nach den bisherigen Ausführungen die dysphotische Zone verschwinden. Wir haben hier nur zwei Zonen vor uns: die photische Zone oberhalb der Sprungschicht mit einem für alle Individuen annähernd gleichen Lichtzenul) und eine aphotische Zone unterhalb der Sprungschicht, in der ein autotrophes Pflanzenleben nicht mehr möglich ist. Nach dem bisher Gesagten müssen wir also den größten Teil der Planktonalgen im Süßwasser als Bewohner der photischen Zone mit relativ hohen Lichtansprüchen bezeichnen. Selbstverständlich werden sich jedoch von Art zu Art spezifische Eigentümlichkeiten im Lichtbedürfnis ergeben, die zum größten Teil noch ganz unbekannt sind. Viel geringer ist die Zahl der ständigen Bewohner der Schatten- region. Wir können als solche, auf die früheren Ausführungen und auf unsere Verteilungsbilder verweisend, die ausgesprochenen Bewohner der Sprungschicht, z.B. Mallomonas alpina im Lunzersee und Oscillaria rubes- cens im Zürichersee sowie die tiefere Regionen bevölkernden Asterionella, Synedra acus und Ulosterium acieulare bezeichnen. Neben diesen besonders scharf ausgesprochenen Fällen dürften auch einige Arten, insbesondere Diatomeen (z. B. Cyclotella bodanica), ihre häufig vorkommenden Anhäufungen in der Sprungschicht neben der Temperatur einer optimalen Lichtintensität in dieser Zone verdanken, ohne jedoch von den anderen Schichten ausgeschlossen zu sein. Die bisherigen Angaben beschränkten sich sämtlich auf die Zeit der Sommerstagnation. Wenn im Herbste die Konvektionsströme einsetzen und die Thermo- kline in die Tiefe drücken, so verschwindet einerseits die Grenze zwischen photischer und dysphotischer Zone, andrerseits werden aber durch die Herabsetzung der Sonnenstrahlung und den früher besprochenen Einfluß der Temperaturerniedrigung auf die Intensität der Kohlensäureassimilation auch in den oberflächlichen Schichten günstige Lebensbedingungen für die Schattenpflanzen geschaffen. So ist wohl die Tatsache zu erklären, daß Die Verteilung des Planktons in Süßwasserseen. 305 wir diese Arten, nachdem die Konvektionsströme im Herbst sie empor- gebracht, während des Winters und Frühlings in lebhafter Vermehrung an der Oberfläche finden, wenn auch ein volles Verständnis der -Erscheinung erst von der genauen Kenntnis der Physiologie der einzelnen Spezies zu erwarten sein dürfte. Neben dieser auf die chlorophyliführende Pflanzenwelt beschränkten Bedeutung des Lichtes als Energiequelle für die Kohlensäureassimilation kommt vielleicht auch noch seine, bei chlorophylifreien Organismen beob- achtete, das Wachstum und die Vermehrung hemmende Eigenschaft für die vertikale Verteilung des Planktons in Betracht. Sichere Angaben hierüber liegen meines Wissens nur über Bakterien vor, von denen ja bekannt ist, dal) viele Arten durch intensives Licht direkt abgetötet werden. So hat man denn in verschiedenen Gewässern an der Ober- fläche einen geringeren Keimgehalt beobachten können als in der Tiefe. Doch ist noch keineswegs einwandfrei bewiesen, dal) dieses Verhalten wirklich auf eine schädigende Einwirkung des Lichtes zurückzuführen ist. Inwieweit ein solcher schädigender oder entwicklungshemmender Ein- fluß starker Lichtintensitäten für manche Erscheinungen der vertikalen Verteilung des tierischen Planktons verantwortlich gemacht werden kann, müssen auch erst spätere Untersuchungen zeigen. Jedenfalls ist von weit größerer Bedeutung die Einwirkung des Lichtes auf die Bewegungserscheinungen des Planktons, insbesondere des Zooplanktons. Dieser Gegenstand steht jetzt im Vordergrunde des In- teresses, zahlreiche Forscher beschäftigen sich mit den daran geknüpften Problemen und heftig ist der Kampf der widerstreitenden Meinungen. Hauptsächlich ist die Gattung Daphnia Gegenstand vielseitiger Versuche und Beobachtungen, so dab wir über das Verhalten ihrer Arten noch am besten unterrichtet sind. Trotzdem ist unsere Kenntnis der Reaktions- weise auch dieser bestuntersuchten Tiere in vieler Hinsicht noch recht unvoll- ständig. Doch haben manche der bisherigen Arbeiten gewil) den rich- tigen Weg betreten, interessante Beziehungen aufgedeckt und gezeigt, welche Fülle von Faktoren am Zustandekommen der hierher gehörigen Er- scheinungen beteiligt ist. Von den so gewonnenen Ergebnissen sei nur das für unsere Frage unbedingt Notwendige hier angeführt, im übrigen aber auf die einschlägige Literatur verwiesen, so auf die älteren Untersuchungen z. B. von Loeb, Radl, Ewald und auf die neuen Arbeiten von Woltereck und vo. Frisch und Kupeliwieser. Bekannt ist die Erscheinung, daß) Planktontiere, vor eine Lichtquelle ge- bracht, sich entweder an der dem Licht zugewendeten oder an der entgegen- gesetzten Seite des Gefäßes ansammeln. Diese Ansammlungen bleiben bei den meisten Arten, insbesondere bei den Krebsen nicht bestehen, sondern die Tiere verteilen sich nach eingetretener Adaptierung an die herrschende Lichtintensität wieder gleichmäßig im Gefäle. Sie reagieren eben weniger auf absolute Intensitäten, als auf Intensitätsschwankungen,und zwar auf eine Steigerung meist positiv, durch Bewegung zur Lichtquelle, auf eine E. Abderhalden, Fortschritte. X. DE ner: * 306 F. Ruttner. Abschwächung negativ, durch Flucht von der Lichtquelle weg. Im übrigen stellt sich dieses Schwimmen in der Richtung der Lichtstrahlen, Phototaxis oder in Anlehnung an die analoge Erscheinung bei den höheren Gewächsen, Heliotropismus genannt, als ein höchst kompliziertes Phänomen dar. Äuliere und innere Faktoren mannigfacher Art, zum kleineren Teil bekannt (wie Alter und Ernährungszustand des Tieres, Farbe des Lichtes, Kohlensäuregehalt des Wassers, u.a.), zum größten Teil aber noch ganz uner- forscht, beeinflussen den Sinn und die Intensität dieser Bewegungen. Dazu kommen noch manche andere, der Phototaxis nicht unterzuordnende Wir- kungen der Beleuchtung auf den Bewegungsmechanismus der Organismen und alle diese Erscheinungen stellen den Beobachter oft vor anscheinend ganz unentwirrbare Rätsel. Daß ein so auffallender Einflul) des Lichtes auf die Lokomotion der Tiere auch in den Verhältnissen der freien Natur seinen Ausdruck finden dürfte, ist bei der starken Absorbtion des Lichtes im Wasser, wo jede kleine Tiefenänderung ein Eintreten in andere Lichtintensitäten zur Folge hat, ferner bei den Schwankungen der Beleuchtungsverhältnisse im Wechsel von Tag und Nacht von vornherein zu erwarten. Allerdings gestalten sich hier die Schwierigkeiten bei der Deutung der Beobachtungen noch größer als beim Experiment und es ist daher nicht zu verwundern, wenn man noch zu sehr wenigen, eindeutigen Ergebnissen gekommen ist. Wohl ist es aber möglich, einzelne Erscheinungen der vertikalen Planktonverteilung auf die Wirkung des Lichtes im allgemeinen zurückzuführen. Dies ist z. B. der Fall bei der schon früher erwähnten, meist sehr scharf ausgesprochenen, plötzlichen Abnahme der Individuen- zahlen der meisten Planktontiere in den oberen Wasserschichten, wie ein Blick auf die Veränderungen der vertikalen Verteilung im Laufe des Jahres ohne Schwierigkeit ergibt. So zeigen sich, wie schon mehrfach erwähnt, beim Zooplankton im (regensatz zum unbeweglichen Phytoplankton auch oberhalb der Sprung- schicht häufig stark differenzierte Verteilungsbilder. Ferner sehen wir auch zur Zeit der lebhaftesten Herbstzirkulation, wo sonst jede Schich- tung. sowohl die der physikalischen Bedingungen, als auch die des Planktons ausgeglichen ist und nur die Lichtabsorbtion unverändert bleibt, Arten mit besonders lebhafter Eigenbewegung, insbesondere die Krebse, die Ober- fläche ebenso meiden wie zur Zeit der Sommerstagnation. Wenn schließlich im Winter bei inverser Temperaturschichtung die Tiere sich ebenso ver- halten wie im Sommer, jedoch nur so lange, als die Eisdecke schneefrei ist, so ist dies wohl nur auf die Lichtwirkung zurückzuführen. Wenn eine Schneedecke von großer Mächtigkeit das Eis überlagert und den größten Teil des Lichtes abhält '), findet man das Zooplankton auch in den obersten ') Nordquists interessante Beobachtungen an schwedischen Seen haben ergeben, daß auch durch eine Schneedecke von 12 und 18 cm noch genügend Licht eindringt, um eine weiße Scheibe in einiger Tiefe erkennen zu lassen. Es ist also für die Auf- hebung der zonaren Planktonverteilung ein absoluter Liehtabschluß nicht nötig. BEN Die Verteilung des Planktons in Süßwasserseen. 307 Schichten reichlich vorhanden und auch in den tieferen Horizonten Unter- schiede der Volksschichten fast vollständig aufgehoben, wie die Gegen- überstellung der Verhältnisse bei schneefreier und schneebedeckter Eis- fläche für Diaptomus in Fig. 119 klar zeigt. Diese Tatsache fordert förmlich dazu heraus, nachzusehen, welche Veränderungen ein Entfernen der Schneedecke von kleinen Partien der Eis- oberfläche in der vertikalen Verteilung des Planktons hervorzurufen ver- mag und so die Bedeutung des Lichtes für unsere Frage gewissermaßen durch ein Experiment in der freien Natur Fig.119. > »11 'g zu prüfen. 13. II. 1907. 20.1.1909 Eisdieke Fig. 120. =D I 25cm, Schnee- 7 & Kisdicks höhe über Unter 10 cm starker Schneedecke 20 cm, keine dem Eise i 41 03 Schneedecke 9 cm Om Comer Om | lm! er 10 ın Sm een 3 Stunden nach Entfernung des Schnees 0) 0) Um 20 m | 1m 32 m \ 3m Verteilung von Diaptomus gracilis bei Durch Entfernen der Schneedecke hervorgerufene Ver- schneefreier und schneebedeckter Eis- änderung der Verteilung von Polyarthra und Triarthra fläche. (Lunzer Untersee.) in den obersten 3 m. (Lunzer Untersee.) Fig. 120 zeigt den Erfolg eines solchen Versuches, 3 Stunden nach Entfernung einer 10 cm hohen Schneedecke von einer nur ca. 12 m? messenden Fläche für 2 Rotatorien-Spezies in den obersten 3 m. Die vor- her reich bevölkerte Oberfläche ist schon nach so kurzer Zeit vollständig verlassen und die Tiere haben sich sämtlich in tiefere Schichten zurück- gezogen. Wiederholungen dieses Versuches bei verschiedenen Schneever- hältnissen und gleichzeitige Kontrollbeobachtungen unter intakter Schnee- decke haben für Rädertiere und Kruster stets dasselbe Resultat geliefert: Unter der Schneedecke gleichmäßige Verteilung oder sogar eine An- häufung an der Oberfläche, unter den in der Schneedecke hergestellten „Fenstern“ sofortiges Auftreten der zonaren Schichtung bei Vermeidung der Oberfläche. [XD ou 308 F. Ruttner. Unter diesen Umständen müssen wir erwarten, dal) auch der Wechsel von Tag und Nacht an der vertikalen Verteilung wenigstens der kräftig- sten Schwimmer nicht spurlos vorübergehen wird und wir kommen da- mit zur Erörterung eines schon lange bekannten und sehr auffallenden Phänomens der Planktonbiologie, der täglichen Vertikalwanderung des Planktons. Wenn man an einem klaren, ruhigen Sommernachmittage eine weiße Blechscheibe, wie sie zum Bestimmen der Sichttiefe verwendet wird, langsam ins Wasser versenkt, so sieht man die Planktonkrebse, meist von einer das Epilimnion durchziehenden Strömung langsam getrieben, sich deutlich von dem hell erleuchteten Grunde der Scheibe abheben. Aber nur, wenn man die Scheibe in eine etwas größere Tiefe, im Lunzersee z.B. in 1 bis 1'!/; m versenkt hat. Die obersten Schichten erweisen sich also auch bei direkter Beobachtung unter normalen Verhältnissen als fast frei von Plank- tonkrustern. Wenn es aber später wird und die Sonne schon tief am Himmel steht. dann ändert sich das Bild; auch die oberen Wasserschichten bevölkern sich mit Krebsen und in den letzten Strahlen der sinkenden Sonne können wir über die nur 10 cm tief versenkte Scheibe die scharfen Schattenrisse von Oyelops, Diaptomus und Daphnia in reicher Abwechslung dahingleiten sehen. Mit hereintretender Dunkelheit nimmt die Volksdichte dieser Tiere an der Oberfläche immer weiter zu. und wenn man dann im Dunkeln Wasser von der Oberfläche schöpft und durch ein Netz filtriert, ist man überrascht, ein Gewimmel von Krustern ins Fangglas zu bekommen, wo der gleiche Vorgang in den Mittagsstunden kaum ein oder das andere an die Ober- fläche verirrte Exemplar erbeuten ließ. !) In den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts fast gleichzeitig von Forel und: Weismann entdeckt, fesselte diese Erscheinung rasch das Interesse der Hydrobiologen und bald lagen Berichte aus den verschieden- sten Gewässern vor. Im Meer wird sie ebenso beobachtet wie in den Seen der Alpen, in jenen des norddeutschen Flachlandes wie in seichten Teichen verschiedener Größe bis herab zum kleinen Versuchs-Zementbecken von kaum 1m Tiefe, wo wir selbst auf so kleinem Raum analoge Bewegungs- erscheinnugen beobachten können. Wir müssen also die tägliche Vertikal- wanderung als eine ganz allgemein verbreitete Erscheinung im Reiche der Planktonbiocönose bezeichnen. Wir können es uns, wiederum auf Steuers so sorgfältiges Handbuch verweisend, ersparen, auf die zahlreichen Einzelnan- gaben einzugehen und wollen der folgenden Schilderung der Erscheinung !, In letzter Zeit wurde von Langhans und insbesondere von Franz die Existenz der Wanderung überhaupt bezweifelt und die bisherigen Beobachtungen mit der An- nahme erklärt, daß die an der Oberfläche vorhandenen Tiere bei Tag die Netze oder andere Fanggeräte sehen, davor fliehen und daher nur bei Nacht gefangen werden können. Ganz abgesehen davon, daß diese Auffassung auch sonst mit den Tatsachen in Wider- spruch steht, kann sich jeder schon durch die soeben geschilderte direkte Beobachtung von der Grundlosigkeit eines solchen Zweifels überzeugen. Die Verteilung des Planktons in Süßwasserseen. 309 nur die umfassenderen und auf exakten Beobachtungen beruhenden Berichte zugrundelegen. Fragen wir uns zunächst, welche Planktonorganismen nun eigentlich diese nächtlichen Verschiebungen in ihrer vertikalen Verteilung zeigen, so stellt sich heraus, daß diese Erscheinung auf einen recht kleinen Teil des (Gresamtplanktons beschränkt ist. So ist sie bis jetzt noch hei keinem Ver- treter des Phytoplanktons mit Sicherheit beobachtet worden und ebenso fehlt sie bei den meisten Rädertieren. Einige Arten dieser Gruppe, wie nach Burckhardts Berichten Notholca und Anurea, zeigen die Erscheinung schwach angedeutet, deutlich tritt sie hingegen bei zwei Spezies hervor, bei Synchaeta pectinata im Lunzersee und Conochilus volvox im Plönersee: dagegen läßt der nahe Verwandte der letzteren Art, Conochilus unicornis (im Lunzersee), nichts dergleichen erkennen. Unter den Planktonkrebsen jedoch sind diese nächtlichen Wanderungen sehr verbreitet und fehlen nur ausnahmsweise. So finden wir sie gar nicht oder nur undeutlich ausge- bildet bei Ceriodaphnia, Diaphanosoma und Polyphemus. Aber auch eine sonst stark auftretende Vertikalwanderung einiger Arten kann in manchen Gewässern unterbleiben. So fand z. B. Juday bei Daphnia hyalina in einem von 10 untersuchten Seen keine Wanderung. Ebenso zeigt Diaptomus denticornis im Silsersee nach Burckhardt eine deutliche, im Lunzer Obersee keine oder eine nur wenig ausgeprägte Wanderung. Ähnliche Beobachtungen liegen über Diaptomus laciniatus vor. Besonders in kleineren Gewässern scheinen sonst stark wandernde Arten die Neigung zu haben, diese Gepflogenheit aufzugeben. Doch mul) auch hervorgehoben werden, daß Wanderungen von kleinerem Umfange leicht übersehen werden können. In diesem wechselnden Verhalten finden wohl auch Sven Ekmans Beobachtungen ihre Erklärung, der in schwedischen Hochgebirgsseen zahlreiche Kruster sich unmittelbar unter der Oberfläche tummeln sah. Außer den genannten Rädertieren und Krebsen zeigt nach Beobachtungen an mitteleuropäischen und nordamerikanischen Gewässern auch noch die glas- helle, planktonisch lebende Larve der Zuckmücke Corethra plumicornis eine lebhafte Nachtwanderung. Die großen, soeben besprochenen Unterschiede im Verhalten der Plank- tontiere bedingen es, daß die Berichte über das Ausmaß der vertikalen Wanderungen in verschiedenen Gewässern so voneinander abweichen. Die Extreme stimmen mit denen, welche wir bei der allgemeinen Charak- teristik der vertikalen Planktonverteilung kennen lernten, im allgemeinen überein. So steigen im Vierwaldstättersee nach Burckhardts eingehen- den Beobachtungen die Planktonkrebse tagsüber in sehr bedeutende Tiefen hinab und die vertikale Wanderung z. B. bei Daphnia hyalina und Diaptomus laciniatus erinnert mit ihrem gewaltigen Ausmaß von 40—50 m an die Verhältnisse im Meere. Im Lake Mendota dagegen ist dieselbe Er- scheinung nach Birges und Judays übereinstimmenden Berichten auf einen Bruchteil des obersten Meters beschränkt, noch dazu bei derselben Daphnien- 310 F. Ruttner. art! Wie im Vierwaldstättersee dürften die Verhältnisse auch in anderen erolien Seen der Schweiz und Oberitaliens liegen, wie die Beobachtungen von Pavesit) und Fuhrmann erkennen lassen, während das Verhalten der Kruster in Lake Mendota in den seichten Teichen des europäischen Flach- landes ein Analogon findet. Die Mehrzahl der Binnengewässer scheint je- doch eine Mittelstellung einzunehmen. So beobachtete Juday in den meisten der von ihm untersuchten nordamerikanischen Seen ein von 2—12 m schwankendes Ausmaß der täglichen Planktonbewegung. Ähnlich liegen die Verhältnisse in den Seen des nördlichen Alpenrandes, z. B. im Bodensee und im Lunzersee. In ersterem zeigt nach Hofers Beobachtungen nur He- terocope eine sehr bedeutende Wanderung von etwa 20 m. Ähnliche Ver- hältnisse, wie in diesen Gewässern, finden wir auch in den baltischen Seen. Aber nieht nur im Ausmaß), sondern auch in der sonstigen Gestal- tung der nächtlichen Planktonwanderung scheinen die erstgenannten Schweizer- seen eine etwas abweichende Stellung einzunehmen. So sehen wir nach Burck- hardts Beobachtungen im Vierwaldstättersee die Kruster nicht nur des Nachts die tagsüber gemiedenen Schichten wieder bevölkern, sondern sich hier auf Kosten der tieferen Zonen anhäufen, oft so stark, daß ihre Gesamt- menge in einer relativ wenig mächtigen Oberflächenschicht zusammenge- drängt erscheint. Einige Zahlen aus Burkhardts Arbeit sollen dies illu- strieren. So stellt sich die Verteilung einiger Arten, in Prozenten der in einer Wassersäule lebenden Gesamtzahl ausgedrückt, bei Tag und bei Nacht wie folgt: Diaptomus Jaeiniatus Daphnia hyalina Leptodora Tiefe (junge) m I Tag | Nacht Tag Nacht Nacht 0— 10 1:,°R, ‚100 10— 20 1 — 20— 30 15 _ 30— 40 42 a 60 —100 4 er Dabei findet, wie Burkhardt berichtet, die Hauptkonzentration noch in einer viel weniger mächtigen Schicht als in den obersten 10 m statt. Die Männchen von Diaptomus laciniatus fand der genannte Forscher so- gar im obersten Meter zusammengedrängt. Diese gewaltige Verschiebung der Gesamtmasse gewisser Crustaceen in ganz andere Zonen finden wir nun in den genannten anderen Seen nicht wieder. So berichten Juday und Hofer, dab in nordamerikanischen Seen und im Bodensee die Krebse wohl die bei Tag verlassenen Ober- flächenschichten nachts wieder besiedeln, “ohne aber dabei in den tieferen Zonen übermäßig an Zahl abzunehmen. Ganz ähnlich stehen die Dinge im !) Nach Burckhardts Angabe. Die Verteilung des Planktons in Sübwasserseen. 31l Lunzer Untersee, wie aus nebenstehenden Verteilungsbildern zu ersehen ist (Fig. 121). Doch bemerkt man hier immerhin schon in der Mehrzahl der Fälle eine deutliche Verlagerung der Maxima gegen die Oberfläche in den Nachtfängen, eine Andeutung dessen, was im Vierwaldstättersee so ungemein scharf zum Ausdruck kommt. ie: 121. 14. II. 08 DIE NISOS 15. XII. 08 12h vorm. 12h mittags 12h mittags (unter Eis) 2 Om 0 lm 3m 5m = 10 m B 9h abends 7b abends 9h abends or 7.6 06 32 12 7 1m 3m m = e 10 m Daphnia longisp. Nauplien Junge Erwachsene Erwachsene ne Diaptomus gracilis Verteilung einiger Crustaceen bei Tag und bei Nacht in den oberen 10 m des Lunzer Untersees. Einen von den bisher besprochenen abweichenden Fall von vertikaler Wanderung, auf den wir schon früher, bei Besprechung der Stenothermie, hinzuweisen Gelegenheit hatten, beobachtete Juday bei Limnocalanus im Green Lake. Dieser Krebs hatte sein Maximum tagsüber in der bedeuten- den Tiefe von etwa 50 m; nachts steigt er nun wohl empor, aber nicht bis zur Oberfläche, sondern nur bis zur Sprungschicht in etwa 15 m Tiefe. 31» F. Ruttner. Der Grund für dieses wechselvolle Verhalten bleibt vorläufig noch rätselhaft. Es war naheliegend, ihn in der verschiedenen Durchsichtigkeit dem Trübungsgerad) der Gewässer zu suchen. So gewiß aber auch in vielen Fällen die Trübung des Wassers das Ausmal) der Tiefenwanderung beein- tlussen mag. so reicht sie doch zur Erklärung der geschilderten Differenzen keineswegs aus. Hat doch z.B. der Vierwaldstättersee keine größere Licht- tiefe als der Lunzersee und auch in nordamerikanischen Seen fand Juday keinerlei Parallelismus von Trübungsgrad und Tiefe der vertikalen Wan- derung. Die Unterschiede in der Gestaltung der Tiefenwanderung sind eben geradeso wie jene vieler anderer Lebensäußerungen der Ausdruck be- sonderer biologi- scher Charaktere der einzelnenSeen, deren stets etwas 8 9 16.20 verschiedenen Be- dingungen sich die Organismenwelt entsprechend an- gepabt hat. Wieverschie- den sich der Ver- lauf der vertikalen Wanderung in der Zeit und der Dauer des Aufstieges zur Oberfläche gestal- tet, davon soll Fie.122 eine Vor- e a = on Ma Rn Dr stellung geben, ie chen mittags Welche die Verän- niger Planktonkrebse an der Oberfläche des Großen Plöner derung der Volks- Te en a ea u ee Oberfläche des Plönersees im Laufe von 24 Stunden veranschaulicht. Die Zahlen sind Durchschnittswerte aus den Beobachtungen mehrerer Tage, so dab die zum Ausdruck gebrachten Verhältnisse von zufälligen Beobachtungsfehlern wenig beeinflußt sein dürften. Cyelops oithonoides fehlt nie ganz an der Oberfläche, doch zeigt seine Volksdichte einen in den späten Nachmittagsstunden beginnenden und durch lie ganze Nacht andauernden Anstieg, der vor Anbruch der Morgen- dämmerung sein Maximum erreicht, um dann rasch wieder abzufallen. Dagegen suchen die Calaniden und die wegen ihrer Größe nur in kleinen Individuenzahlen auftretende Leptodora die Oberfläche auf. Doch zeigen sich auch da Differenzen: während die Zahl der ersteren bis Mitternacht ansteigt. um dann rasch wieder abzunehmen, erreicht Leptodora sehr bald Die Verteilung des Planktons in Süßwasserseen. 313 (zirka um 10 Uhr) schon annähernd ihr Maximum, um dann die ganze Nacht über konstant zu bleiben. Sehr merkwürdig und von diesen Fällen ganz abweichend ist das Verhalten von Hyalodaphnia kahlbergensis, dem sich auch die Bosmina coregoni des Plönersees anschließt. Beide Arten fehlen auch bei Tage nicht an der Oberfläche, doch zeigt ihre Volksdichte nicht ein Maximum in der Nacht, sondern deren zwei in den Dämmerungszeiten abends und morgens, während in die Nachtstunden ein zweites Minimum fällt, mit kaum höherer Individuenzahl als das am Tage. Wir können also außer einer „Nachtwanderung“ auch eine „Dämmerungswanderung“ unter- scheiden. Nicht nur die einzelnen Spezies weichen in ihren Reaktionen auf den Wechsel von Tag und Nacht sehr voneinander ab, sondern auch die Altersstadien innerhalb ein und derselben Art können ein ganz ver- schiedenes Verhalten äußern. So wird zunächst übereinstimmend berichtet, dab die Jugendformen die Erscheinung der vertikalen Wanderung weniger deutlich zeigen als die Erwachsenen. Dies finden wir bei Daphnia und besonders bei Diaptomus. Aus Fig. 121 ist z. B. zu ersehen, dal die Nauplien, die Larvenstadien dieser Gattung, im Lunzersee keine Spur einer nächtlichen Aufwärtswanderung zeigen, ja im Gegenteil im Nachtfange eine Verschiebung des Maximums nach abwärts erkennen lassen, was sich mit den Beobachtungen von Steuer, Marsh und Burckhardt deckt. Die jungen, aber noch nicht geschlechtsreifen Tiere zeigen unser Phänomen schon deutlich, aber noch lange nicht so ausgeprägt wie die vollkommen ausgebildeten. Auch bei Männchen und Weibchen einiger Arten hat Burck- hardt ein verschiedenes Verhalten konstatieren können. Fragen wir nun nach den Ursachen der vertikalen Wanderung, so müssen wir zwei Phasen scharf auseinanderhalten: 1. Die Abwärtsbewegung bei Tagesanbruch, 2. Die Aufwärtsbewegung am Morgen. Wenden wir unsere Aufmerksamkeit zunächst der ersten Phase zu, so ist es am naheliegendsten, diese Flucht von der Oberfläche auf die rasche Zunahme der Lichtintensität bei Tagesanbruch zurückzuführen und es haben daher schon Weismann und mit ihm die meisten älteren Be- obachter diese Abwärtswanderung der Lichtscheu, Leukophobie, der Plankton- tiere zugeschrieben. Doch fehlte es auch nicht an Versuchen, mechanische, an die Temperaturerscheinungen geknüpfte Ursachen dafür verantwortlich zu machen und im letzten Jahrzehnt war es namentlich W. v. Ostwald, welcher den im übrigen für die Planktonbiologie gewiß sehr bedeutungs- vollen Faktor der inneren Reibung des Wassers zur Erklärung heranzog. Doch können alle diese Deutungsversuche den Ergebnissen der neueren und zum Teil auch der älteren Beobachtungen nicht standhalten. Passive „Wanderungen“ im kleinsten Umfange kann man allerdings gelegentlich beobachten, insbesondere in der Periode der Herbstzirkulation. Wenn um diese Zeit tagsüber eine Erwärmung der Oberfläche eintritt, 314 F. Ruttner. so halten die Konvektionsströme inne und bei windstillem Wetter können sich dann Unterschiede in den Volksdichten auch des Phytoplanktons aus- bilden. Die bei Nacht wieder einsetzenden Konvektionsströme führen die tagsüber von der Oberfläche abgesunkenen Individuen wieder empor und täuschen so eine vertikale Wanderung vor. Ähnliche Erscheinungen können wir auch in Sommernächten mit starker Abkühlung beobachten, es kann z. B. Dinobryon, das tags ein Maximum in 1>»n Tiefe hatte, nachts auch die Oberfläche reich bevölkern. Solche gelegentlich zu beobachtende Fälle können aber nicht mit der viel mächtigeren Vertikalwanderung der Krebse und mancher Rädertiere verglichen werden, die sich mit. der größten Regelmäßigkeit Tag für Tag wiederholt und sei es auch direkt entgegengesetzt den Konvektionsströmungen. Dal thermische Verhältnisse überhaupt nicht zur Erklärung heran- gezogen werden können beweist der Umstand, daß die Wanderung bei manchen Arten und in manchen Seen bis tief unter die Sprungschicht hinabreicht, ja, bei Limnocalanus, sich nur unterhalb der Sprungschicht abspielt. Dal ferner die älteren Autoren Recht hatten, wenn sie im Licht die Ursache der Abwärtsbewegung suchten, beweisen unsere früher er- wähnten Versuche unter schneeverhüllter Eisdecke. Mit der zonaren Schichtung fehlt unter einer genügend mächtigen Schneedecke natürlich auch jede tägliche Vertikalwanderung. Unter einem in der Schneedecke hergestellten Fenster kehrt jedoch sofort mit der zonaren Verteilung auch täglich die Wanderung ungeschwächt wieder. Es hat allerdings Wesenberg- Lund darauf aufmerksam gemacht, daß bei Sonnenbestrahlung tägliche Schwankungen der Wassertemperatur auch unter dicker Eisdecke statt- finden können. Doch sind diese so minimal und können wegen der aus Fig. 117e ersichtlichen raschen Temperaturzunahme so wenig in die Tiefe vordringen, dab sie für unsere Frage belanglos wären. Außerdem haben aber genaue Beobachtungen gezeigt, daß an kalten Tagen die Abwärts- bewegung am Morgen schon vollzogen ist, während die Wassertemperatur unter dem Eise noch fallende Tendenz hat. Nicht so klar zutage liegen die Ursachen der zweiten Phase, welche die tagsüber von der Oberfläche vertriebenen Tiere wieder empor- führen. Jedenfalls hat es den Anschein, als ob dieser Vorgang nicht überall einheitlich und auf gemeinsame Ursachen zurückzuführen wäre. In jenen Fällen, wo in der Nacht eine einfache Besiedlung der oberen Schichten eintritt, ohne eine sonderliche Verschiebung der Ver- teilung in den tieferen Zonen, wie z. B. in vielen nordamerikanischen Seen und im Bodensee, ist die Annahme einer besonderen Kraft, die die Tiere zur Oberfläche emportreibt, nicht nötig. Es reicht hier die Erklärung aus, daß die Tiere nach dem Wegfallen, beziehungsweise nach der Schwächung des sie in die Tiefe bannenden Lichtreizes vermöge ihrer raschen Eigen- bewegung in kurzer Zeit sich in den tagsüber verlassenen Wasserschichten ausbreiten, um so mehr, als gerade die Ruderbewegungen der Krebse eine starke, nach aufwärts gerichtete Komponente besitzen. Mit dieser Annahme Die Verteilung des Planktons in Süßwasserseen. 315 ist insbesondere auch das Verhalten vieler Rotatorien im Einklang, die keine tägliche Vertikalwanderung zeigen, trotzdem ihre scharf ausgeprägte zonare Verteilung zumindest nach der Oberfläche hin offenbar durch das Licht bedingt ist. Klar tritt dies bei früher geschilderten Versuchen unter schnee- bedecktem Eise zutage. Nach Entfernen der Schneedecke verschwinden die Rädertiere unter der Einwirkung des Lichtes ebenso rasch von der Ober- fläche wie die Krebse. Nachts kommen jedoch nur die Krebse wieder empor, während die Rädertiere durch ihre schwachen und weniger nach oben ge- richteten Bewegungen während der Nacht die verlassenen Schichten nicht wieder besiedeln, sondern einen längeren Lichtabschluß unter einer neuen Schneehülle brauchen, um in voller Zahl wieder emporzukommen. Selbst die im Lunzersee deutlich sichtbare nächtliche Verschiebung der Maxima nach aufwärts könnte auch ohne Zuhilfenahme besonderer Reiz- erscheinungen in der Weise erklärt werden, daß bei Wegfall der hemmen- den Lichtwirkung die nach aufwärts gerichteten Bewegungen bei allen In- dividuen ungefähr gleichzeitig wirksam werden und so die ganze in der Tiefe entstandene Ansammlung emporführen (vgl. hierzu auch die weiter unten wiedergegebene Ansicht Wolterecks über die Erscheinung bei Daphnia). Bemerkenswert ist jedenfalls, dab zur Zeit der Zirkulation kaum Spuren einer Ansammlung zu bemerken sind und die Aufwärtswanderung auch im Lunzersee nur in einer Wiederbesiedlung der tags verlassenen Oberfläche besteht (vgl. Fig. 121). Wenn wir aber, wie im Vierwaldstätter See, ein gewaltiges Empor- drängen des gesamten Crustaceenplanktons und seine Konzentrierung in den obersten Wasserschichten beobachten, so werden wir wohl für die Er- klärung dieser Erscheinung kaum ohne die Annahme eines die normale Aufwärtsbewegung steigernden und die Tiere so emportreibenden Reizes aus- kommen können. Da aber das Plankton, das in diesen Seen so gewaltige Bewegungen ausführt, zum Teil aus denselben Arten besteht wie in anderen Gewässern mit schwächerer Vertikalwanderung, so müssen wir annehmen, daß derartige Reize auch anderswo wirksam sind und sich beim Zustande- kommen der nächtlichen Aufwärtsbewegung beteiligen, wenn auch viel schwächer und nicht immer erkennbar. Welcher Art diese Reize sind, darüber sind wir noch sehr im un- klaren. Mechanische und thermische Einflüsse sind auf Grund des oben Gesagten auch für die Aufwärtsbewegung zurückzuweisen. Ebenso sind chemische Einwirkungen unwahrscheinlich, da bedeutendere tägliche Schwan- kungen im Chemismus des Wassers nach unseren bisherigen Kenntnissen nicht vorhanden sind. Auch geotropischen, durch die Schwerkraft hervor- gerufenen Reizen dürfte für die Aufwärtsbewegung des Planktons keine große Bedeutung zukommen, da ja die Krebse, wie Fig. 119 zeigt, unter der das Licht abschließenden Schneedecke im Winter in der Regel gleich- mäßig verteilt sind. Es bliebe also auch hier als wahrscheinlichste Ursache der Aufwärtsbewegung ein Lichtreiz übrig, und zwar jener, der durch die 316 F. Ruttner. am Abend erfolgende Abnahme der Lichtintensität auf die Tiere einwirkt und den sie, wie wir schon früher gesehen haben, im Experiment meist mit einer gegen die Lichtquelle gerichteten Bewegung beantworten. Hiermit kommen wir jedoch von der Frage nach den Ursachen der vertikalen Wanderung im allgemeinen zur Erörterung der Art und Weise, in welcher diese dabei wirksam sind. Konnten wir das Licht für die Abwärtsbewegung des Planktons mit ziemlicher Sicherheit, für gewisse Erscheinungen der Aufwärtsbewegung mit großer Wahrscheinlichkeit als Ursache angeben, so sind wir über seine Wirkungsweise im einzelnen noch wenig aufgeklärt und begegnen recht verschiedenen Ansichten. Es würde viel zu weit führen, alle Mög- lichkeiten hier zu diskutieren und es sei daher nur das Wesentlichste dar- über mitgeteilt. Aut phototaktische Reizbewegungen führt insbesondere J. Loeb die (sesamterscheinung der vertikalen Wanderung zurück. Dieser Forscher, dem wir so viele wichtige Beobachtungen über die Lichtreaktionen und ihre Beeinflussung durch äußere Faktoren verdanken, denkt sich den Vor- gang in folgender Weise: Bei Tagesanbruch werden die Tiere durch die rasch zunehmende Lichtintensität negativ phototaktisch und schwimmen in die Tiefe. Dieses Abwärtsschwimmen hört aber bald auf, da die Tiere in größerer oder geringerer Tiefe bei der starken Absorption des Lichtes im Wasser in eine Beleuchtung gelangen, die keine negative Re- aktion mehr auslöst: dazu kann unter Umständen auch noch der Einfluß der niederen Temperatur und eines eventuell höheren Kohlensäuregehaltes kommen, welche Faktoren beide, wie Loebs Versuche gezeigt haben, den Sinn der Phototaxis umstimmen. Die Abnahme der Lichtintensität am Abend macht die Tiere wieder positiv phototaktisch, sie schwimmen empor zur Oberfläche und können sich, wenn die phototaktische Reizbarkeit genügend groß ist, hier in dichten Schwärmen sammeln. Allerdings ist auf Grund dieser Auffassung nicht die Tatsache aufgeklärt, daß die nächtlichen Planktonansammlungen an der Oberfläche, die in manchen Seen beobachtet wurden, nach Eintritt der Dunkelheit noch die ganze Nacht andauern. Denn zugegeben, daß auch in finsteren Nächten keine absolute Dunkel- heit herrscht, so haben doch die Beobachtungen unter schneebedecktem Eis gezeigt, daß die völlige Aufhebung jeder vertikalen Schichtung und Wanderung schon eingetreten ist, solange die Schneedecke, wie wir aus Nordquists Untersuchungen wissen, noch erhebliche Lichtmengen durch- läbt. Dagegen läßt sich mit Loebs Theorie sehr gut die Tatsache vereinen, dab die Aufwärtsbewegung am Abend schon vor Sonnenuntergang beginnt. Denn die schief auf das Wasser auffallenden Sonnenstrahlen werden zum größten Teil reflektiert, so daß die Dämmerung im Wasser viel früher einsetzt als am Lande. Der Umstand, daß die Reaktionen der Tiere weniger an absolute Intensitäten, als vielmehr an Intensitätsschwankungen gebunden sind, erklärt auch die Tatsache, daß die Unterschiede der ver- tikalen Wanderung und Verteilung im Sommer und Winter, bei klarem und Die Verteilung des Planktons in Süßwasserseen. 317 bedecktem Himmel lange nicht so groß sind, als man erwarten sollte. Auf dieselbe Ursache dürfte auch die zuerst von Steuer gemachte Beobachtung zurückzuführen sein, daß selbst durch den Mondaufgang eine schwache Abwärtswanderung des Planktons eintritt. Wenn also auch auf Grund der Phototaxis eine restlose Erklärung der vertikalen Wanderung nicht möglich sein dürfte, so haben doch die experimentell festgestellten Befunde viele ihrer Erscheinungen unserem Verständnis näher gebracht und ein tieferes Eindringen in die Vielgestal- tigkeit der phototaktischen Reaktionen läßt noch die Lösung so manchen Rätsels erhoffen. So ist es z. B. nicht unmöglich, daß die Dämmerungs- wanderung von Hyalodaphnia auf eine durch verschiedene Adaptation geänderte Reaktionsweise zurückgeführt werden könnte, indem sowohl die am Abend hell adaptierten Tiere auf die Intensitätsherabsetzung als auch die am Morgen dunkeladaptierten auf eine Intensitätserhöhung positiv reagierten, bis nach vollzogener Adaptierung in beiden Fällen wieder ein Aufhören des Reizzustandes mit mehr minder gleichmäßiger Verteilung in den oberen Schichten einträte. Da ferner erwiesenermaßen nicht nur die einzelnen Arten und Rassen, sondern auch die Individuen ein und derselben Population phototaktisch nicht gleich reagieren, so erscheinen uns alle die früher geschilderten Verschiedenheiten der vertikalen Verteilung und Wanderung immerhin schon eher verständlich. In etwas modifizierter Form hat auch Kirald sich den Anschauungen Loebs angeschlossen. Inwieweit der jüngst durch ». Frisch und Kupelwieser festgestellte Far- bensinn der Daphnien die vertikale Verteilung beeinflußt, ist vorläufig noch nicht festzustellen, doch sind bei der Klarheit der gewonnenen Versuchs- ergebnisse?) und in Anbetracht der Tatsache, dal) infolge der selektiven Licht- absorption in verschiedenen Tiefen auch Strahlen von verschiedener Wellen- länge vorherrschen, auch von diesem Faktor deutliche Wirkungen zu erwarten. Gelegentlich einer genauen Analyse der Bewegungserscheinungen der Daphniden im allgemeinen gelangte Woltereck, zum Teil auf Grund neuer Vorstellungen, auch zu einer Erklärung der Vorgänge bei der vertikalen Wanderung von Daphnia. Das Auge vieler Daphniden hat nämlich die merkwürdige Eigenschaft, dem Licht möglichst einen bestimmten Punkt zuzuwenden und so in seiner Stellung festgehalten zu werden. Diese Stellung ist in der Ruhelage des Auges dann gegeben, wenn das Tier dem Lichteinfall den Rücken zukehrt. Sobald sich die Lichtrichtung ändert, verändert zunächst auch das Auge seine Lage und der übrige Körper wird so lange nachgedreht. bis die frühere Normalstellung wieder erreicht ist. Auf Grund dieser schon seit längerer Zeit bekannten Erscheinung erklärt Woltereck den Vorgang der !) ». Frisch und Kupelwieser stellten fest, daß durch Beleuchtung mit langwelligen Strahlen des Spektrums positive, mit kurzwelligen negative Reaktionen hervorgerufen werden, auch wenn (innerhalb gewisser Grenzen) nach den damit verbundenen Intensi- tätsänderungen das Gegenteil zu erwarten wäre. 318 F. Ruttner. vertikalen Wanderung in folgender Weise: Wenn die Daphnien dem von oben kommenden Lichte unter der Wasseroberfläche den Rücken zuwenden, so ge- langen sie in eine annähernd horizontale Lage und ebenso verlaufen ihre Schwimmbewegungen. Da sie so der Schwerkraft nicht mehr entgegenwirken können, sinken sie allmählich in größere Tiefen ab, bis sie außer Bereich der horizontalisierenden Lichtwirkung gelangen und wieder normal, d. i. schräg nach oben schwimmen können (Wolterecks 1. Phase). Mit fortschreitender Dämmerung rückt die Zone, in der die Bewegungen wieder normal werden, immer weiter hinauf und schließlich gelangen die Tiere an die Oberfläche, wo sie sich allmählich ansammeln (2. Phase). Diese Ansammlung ist jedoch nur vorübergehend, ihr weiteres Anwachsen wird dadurch verhindert, daß die wiederholte Berührung mit der Oberfläche Reize auslöst, welche die Tiere wieder zur Abwärtsbewegung veranlassen (3. Phase). Die Dämmerungs- wanderung unterscheidet sich nach Woltereck nur in der 3. Phase wesent- lich von der Nachtwanderung, in der Weise, daß die Abwärtsbewegung infolge der Berührungsreize eine lebhaftere ist und zu einer Abnahme der Individuenzahl an der Oberfläche schon in den ersten Nachtstunden führt, und dal ferner die Morgendämmerung, bevor noch das Licht stark genug ist, die Bewegungen horizontal zu machen, nur deren Intensität steigert und so zu einer vorübergehenden Ansammlung der Tiere an der Oberfläche führt. Wolterecks Phase 1 und 2 stimmen, wie schon früher erwähnt, sehr gut mit den Beobachtungen an vielen Seen überein. Inwieweit man die Berührungsreize der Phase 3 zur Erklärung der von Juday beobachteten, schon mehrere Stunden vor Sonnenaufgang erfolgenden Abwärtsbewegung heranziehen kann, müssen spätere Untersuchungen erweisen, sowie auch die Beziehung dieser Phase zur Dämmerungswanderung wohl noch nicht sanz sichergestellt ist. Auf den Versuch Dieffenbachs, die vertikale Planktonwanderung durch Veränderungen der Ernährungsbedingungen der wandernden Tiere zu er- klären, werden wir später noch zurückkommen und wollen jetzt noch wenige Worte über einige ökologische Deutungen der Erscheinung sagen, die auf ihren Zweck und ihre phylogenetische Entstehung abzielen. Schon die beiden Entdecker der vertikalen Planktonwanderung haben ihre Ansichten über den Zweck der Erscheinung ausgesprochen. Während Weismann in diesen Wanderungen der Kruster ein Mittel sah, die vorhandene Nahrung mög- lichst auszunützen, erblickt Forel darin (namentlich in der Abwärtsbe- wegzung) eine Einrichtung, die Tiere der Gefahr des Strandens durch See- winde zu entziehen. Burckhardt knüpft an Forel an und bringt die vertikale Wanderung mit der später zu besprechenden Uferflucht des Planktons in engen Zu- sammenhang. Brehm schließlich hält die Lichtscheu der Krebse für eine sekundär erworbene Eigenschaft, deren Grund in der Stenothermie der Tiere zu suchen sei. Die Lichtreaktionen seien den Tieren, die ihre Heimat großen- teils im kalten Norden haben und erst in der Eiszeit bei uns einwanderten, Die Verteilung des Planktons in Süßwasserseen. 319 im Kampfe ums Dasein angezüchtet worden, um sie von der tagsüber er- wärmten Oberfläche hinab in kältere, ihnen besser zusagende Wasser- schichten zu führen. 3. Chemismus des Wassers. So selbstverständlich es ist, daß die chemischen Eigenschaften des Wassers, das eine Planktongenossenschaft beherbergt, deren biologischen Charakter und Volksdichte bestimmen und obwohl schon die Praxis aus diesen Beziehungen in der biologischen Wasserbeurteilung Nutzen gezogen hat und aus dem Charakter der Biocönose auf die chemische Beschaffen- heit des Gewässers zurückschließt, so ist doch unsere Kenntnis über die Art und Weise, in der dieser Faktor die vertikale Verteilung beeinflußt, noch sehr gering. Der Grund dafür liegt einerseits in den meist geringen Unterschieden, die im Chemismus eines Wassers in vertikaler Richtung vorhanden sind und in der Schwierigkeit und Unzulänglichkeit der Methoden, diese kleinen Differenzen exakt nachzuweisen. Erst in jüngster Zeit sind zwei sehr wichtige Arbeiten erschienen, die einen vielversprechenden Anfang auf diesem Gebiete bedeuten und die wir beide schon früher zu erwähnen Gelegenheit hatten: die eine von /uday über nordamerikanische Seen, die andere von Brönstedt und Wesenberg-Lund über dänische Seen. Diese so- wie die bisher in Lunz ausgeführten Beobachtungen wollen wir dazu be- nützen, einige Beziehungen zwischen chemischen Eigenschaften des Wassers und Erscheinungen der vertikalen Planktonverteilung festzustellen. Als verdünnte Lösung wirkt ein jedes natürliche Wasser in zweierlei Weise auf die von ihm umspülten Organismen: erstens durch seine Kon- zentration, zweitens durch den spezifischen Einfluß der in ihm gelösten Stoffe. Die Gesamtkonzentration des Süßwassers ist begreiflicherweise eine sehr geringe und sehr wesentliche Schwankungen treten nur dort auf, wo Süßwasserbecken mit dem Meere oder mit salzhaltigen Binnen- seen irgendwie kommunizieren. Auf die in solcher Weise geschaffenen Ver- hältnisse näher einzugehen, würde uns von unserem Gegenstand weg auf das (rebiet der Meeresbiologie führen. Immerhin kommen auch in Süß- wasserbecken deutlich meßbare Schwankungen der Konzentration in verti- kaler Richtung vor. Dies wurde durch Brönstedts und Wesenberg-Lunds Untersuchungen in den dänischen Seen, sowie durch Mulleys!) Analysen in Lunz erwiesen und daselbst durch zwei Jahre fortgeführte, sehr zahlreiche Messungen des elektrolytischen Leitvermögens des Wassers haben es vollauf bestätigt.?) Ob und inwieweit diese absolut nicht sehr bedeutenden Schwan- !) Die Ergebnisse dieser Untersuchungen werden demnächst veröffentlicht werden. °®) Da das elektrolytische Leitvermögen verdünnter Lösungen ihrer Konzentration direkt proportional ist, ist uns durch die höchst einfache Messung dieser Eigenschaft ein Mittel in die Hand gegeben, Veränderungen der Konzentration sehr rasch und genau festzustellen. 320 F. Ruttner. kungen die vertikale Verteilung des Planktons beeinflussen, muß noch dahin eestellt bleiben, da wir ja über die Einwirkung so eerineer Konzentrations- € d > te o veränderungen auf die Lebenserscheinungen gar nicht unterrichtet sind. Von den im Wasser gelösten Stoffen kommen für unsere Frage in Betracht: 1. Die Nährstoffe für das pflanzliche Plankton, 2. der für die Atmung notwendige Sauerstoff und 3. schließlich eventuell vorhandene Giftstoffe. Absolut giftige Lösungen dürften unter natürlichen Verhältnissen selten vorkommen; die bei der Fäulnis entstehenden Zersetzungsprodukte sind dagegen in der Regel nur relativ giftig; manche Lebewesen, be- sonders aus dem Reiche der Bakterien, vermögen gerade durch deren (regenwart erst üppig zu gedeihen. So gelten höhere Schwefelwasserstoff- konzentrationen als giftig für die Mehrzahl der Lebewesen, doch finden die Schwefelbakterien gerade in Wasser, das mit diesem Gase beladen ist, ihr Lebenselement. Das (redeihen der Planktonpflanzen in einem See ist an die Grund- bedingung geknüpft, daß das Wasser die für das Wachstum nötigen Stoffe enthält und die Anzahl der entstehenden Individuen hängt weiter- hin davon ab, in welcher Menge diese Stoffe vorhanden sind. Maßgebend dabei wird derjenige Nährstoff sein, der in einer für das Bedürfnis der Pflanze jeweilig geringsten Menge da ist. Die Massenentfaltung der einzelnen Arten wird also durch den für sie im Minimum vorhandenen Nährstoff bedingt und reguliert. Dieses zuerst von Brandt ausgesprochene Gesetz ist auch für unsere Frage von der größten Bedeutung. In ihm liegt aber auch die Schwierig- keit verborgen, die sich einer Kontrolle dieser Beziehungen entgegenstellt. Denn von den für das Pflanzenleben notwendigen Stoffen sind gerade zwei der wichtigsten, Stickstoff und Phosphor, in den Gewässern meist in sehr geringer Menge enthalten und es ist also in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle vermutlich eines dieser beiden Elemente für die Ent- wicklung der schwebenden Pflanzenwelt maßgebend. Nun ist der Gehalt an diesen Stoffen insbesondere im „reinen“ Wasser der Gebirgsseen so außerordentlich klein, daß er der quantitativen Bestimmung oft Schwierig- keiten bereitet und eine verläßliche Feststellung der Schwankungen vereitelt. Auch von anderen wichtigen Substanzen, z. B. der Kieselsäure, die nach Richters Befunden für die Diatomeen unumgänglich notwendig ist, gilt mitunter dasselbe. Die Aufgabe, Schwankungen des Nährstoffgehaltes für die Erklärung von Erscheinungen der vertikalen Planktonverteilung heranzuziehen, wird außerdem noch dadurch erschwert, daß solche Schwankungen aus mehrfach schon erörterten Gründen nur unterhalb der Sprungschicht möglich sind, in einer Zone, wo für eine große Anzahl von Algenformen schon ungünstige Lichtverhältnisse herrschen. So kommt es denn, daß wir über eine Ab- hängigkeit der vertikalen Planktonverteilung von diesem Faktor noch gar nichts Sicheres wissen. Da aber der Gehalt an gelösten Salzen, wie früher | 3 | | | | Die Verteilung des Planktons in Süßwasserseen. 321 erwähnt, unter der Sprungschicht nicht unbeträchtlich wächst, muß man einen solchen Einfluß für sehr wahrscheinlich halten, wenigstens für solche Arten, die in der Tiefe ihr Maximum haben. So wurde schon früher darauf hingewiesen, daß für das ausschließliche Vorkommen einiger Diatomeen (Asterionellen, Synedra acus) in der Tiefe mancher Gewässer während der Sommerstagnation neben anderen Faktoren auch der höhere Gehalt dieser Schichten an Kieselsäure verantwortlich gemacht werden könnte. Viel klarer sind die Beziehungen bei physiologisch abweichenden Organismen, deren Auftreten an das Vorkommen bestimmter Stoffe ge- bunden ist. So gibt es eine Gruppe von Spaltpilzen, die Eisenhakterien, welche die Fähigkeit haben, in ihren röhrenförmigen Hüllen Eisenoxydhydrat einzulagern und welche, wenn sie auch ohne diese Eiseneinlagerung, wie Molisch gezeigt hat, leben können, in der Natur stets nur in eisenhältigen Wässern zu finden sind. Die gleiche Eigenschaft, wenn auch in schwächerem Grade, zeigt ein Flagellat, Trachelomonas, dessen Gehäuse auch durch Eisen braun gefärbt ist. Das Wasser unserer Seen ist nun in der Regel sehr schwach eisen- hältig; doch kommen häufig Fälle vor, in denen das Tiefenwasser Hand in Hand mit einem geringen Sauerstoffgehalte einen erheblichen Eisen- gehalt aufweist. Dies ist z. B. im Lunzer Obersee der Fall, wo in einer Tiefe von 10m eine plötzliche, sehr erhebliche Steigerung der in den oberen Schichten kaum nachweisbaren Eisenmenge eintritt. In voller Über- einstimmung mit dieser Tatsache sehen wir, wie aus Fig. 125 5 hervorgeht. das Wasser von dieser Tiefe abwärts mit großen Massen von Eisenbakterien und Trachelomonas bevölkert. Andere Spaltpilze, nämlich die schon früher erwähnten Schwefel- bakterien, zeigen einen ganz außergewöhnlichen Stoffwechsel dadurch, dab sie Schwefelwasserstoff zu Schwefel und weiterhin zu Schwefelsäure zu oxydieren und die dabei freiwerdende Energie zu verwerten vermögen. Der im Zellinnern abgelagerte elementare Schwefel ist für diese Orga- nisınen sehr charakteristisch. Schwefelwasserstoff, an den sie gebunden sind, finden wir ebenfalls in der sauerstoffreien Zone mancher Gewässer und mit ihm treten auch die Bakterien (Schwefelspirillen) im Plankton auf. Mußten wir uns hinsichtlich der Nährstoffe auf diese wenigen deutlich ersichtlichen Beziehungen beschränken, so sind wir über den Einfluß der Sauerstoffverteilung auf die Planktonbiocönose weit besser unter- richtet. Neben einigen älteren Arbeiten waren es in letzter Zeit ganz be- sonders die sehr umfassenden und an einer sehr großen Anzahl von Seen (158!) ausgeführten Studien Judays, die unsere Kenntnis um ein gutes Stück vorwärts gebracht haben. — Die Menge des im Wasser der Seen absorbierten Sauerstoffes ist nur während der Zirkulationsperioden in allen Tiefen gleich. Während der Stagnation, insbesondere im Sommer, nach Aus- bildung einer Sprungschicht, stellen sich bald erhebliche Unterschiede ein, die darauf zurückzuführen sind, daß nur das Wasser oberhalb der Sprung- schicht durch Strömungen verschiedener Art stets mit der Luft in Be- E. Abderhalden, Fortschritte. X. 26 322 F. Ruttner. rührung bleibt und daher den Sauerstoffeehalt auf seiner Höhe erhalten kann, während die Wassermassen unter der Sprungschicht, von der Be- rührung mit der Atmosphäre vollständig abgeschlossen, durch Oxydations- prozesse mancherlei Art ständig Verluste ihres Sauerstoffes erfahren. — "N wur ur ua aan \ o_ 2 o00 oO or oO -] 9X en) > 8 S SI En IS S I S SU > 5 RS I SS N S S S SS NS S Om oe = SS SS NS S S S SEERHER S -- FT —— — ———r - = un = = — T =. 2 e Io Toon z= - = ‘ ° Sl ° > N ' = = a er u | ı\ N - 2 = = r Zu \ n = En | » u! ' 1) Eu be ) e .- I = 1 f ia - 5 2 ee ee Fr > = } ! | Z y | I Un - R SQ . r f 2 en % I ' | = 1) I f | | Di “- e = > DB #1 = | | AN : | j ! - B > I | ı ' 2 B © = ) | Mare ea 2 lg Pr 4 er - %. | I Ban ‘ \T ı 1 En : 5x | | ' \ı j . LE S H ' \, ! _ uz =: I | 1 on; = ı J 1 — “2 l | r3 ' Ni S = = Er S 2 5 = | l I ! N | ı EI = - ) l 2 | ' \ | Q SH — \ E oa oe — -- | > _— [ \yvp I _. Fl j ' i ! \ = Bo IE Oporeo-8) N N D ee =o ’ ) > 1 pet\ > =o = S = = 1 ar = u He em | ' > r | N | Du je 1 ' > ee \iplt E “ >> ı I | = f ı N m u | | 7 ) 2 | > m = En En B © 6 - h ! 1) ES a er ) eR= ® © I ! Sr om IR F m 2 pur N. 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Da nun ler Sauerstoff insbesondere für die Planktontiere ein unerläßliches Die Verteilung des Planktons in Süßwasserseen. 323 Lebenselement ist, so können wir in dieser Hinsicht mit Juday zwei biologische Hauptgruppen von Seen unterscheiden: erstens solche, in denen der Sauerstoffgehalt in einer für das Leben ausreichenden Menge bis zum Grunde reicht, zweitens solche, die in ihren Tiefen eine sauerstoffleere, für tierisches Leben im allgemeinen unzugängliche Zone besitzen. Von den bisher untersuchten europäischen Seen gehören, wie es scheint, die meisten, von nordamerikanischen ein großer Teil zur ersten Gruppe. Die zweite Gruppe scheint in Nordamerika reicher vertreten zu sein als bei uns, allerdings sind hier auch noch nicht so viele Seen darauf- hin untersucht worden wie dort. Als Beispiele seien von unseren (rewässern angeführt der Lunzer Obersee und der Sakrowersee. !) Nur in den Seen der zweiten Gruppe wird das Sauerstoffgefälle auch in der vertikalen Planktonverteilung deutlich zum Ausdruck kommen Fig. 124. Sauerstoff Rota- _Crusta- (cm? im 1) torien ceen Nauplien Om 42 10 m| 12,773 VRR E EN BE ae Nr 2 ET En | Dam re En N Tr SA El AN TE FE NIBEERFER Einfluß des Sauerstoffgehaltes auf die Verteilung des Rotatorien- und Crustaceen-Planktons im Lake Mendota nach Juday. können. Denn die Intensität der Atmung und der Minimalbetrag an Sauerstoff, den sie erfordert, ist bekanntlich in sehr hohem Maße von der Temperatur abhängig. Es wird also im kalten Tiefenwasser eine schon recht beträchtliche Abnahme des Sauerstoffgehaltes in ihrer Wirkung auf die Atmung durch die Temperatur kompensiert werden. Die Figuren 124 und 123«a zeigen nun den Einfluß der Sauerstoffspannung im Wasser auf die Verteilung des Planktons im Lake Mendota und im Lunzer Obersee. Aus beiden Beispielen, denen sich aus Judays Untersuchungen noch viele andere anreihen ließen, geht deutlich hervor, dal) das Sauer- stoffminimum für die Planktontiere ein sehr niedriges ist. Es mag nach !) Über das Verhalten des Crustaceen-Planktons im Sakrowersee ist während des Druckes dieser Ausführungen eine Arbeit von Behrens erschienen, welche den hier ge- schilderten Tatsachenbestand auch bezüglich der sauerstoffarmen Zone dieses Gewässers im wesentlichen bestätigt. 26* 324 F. Ruttner. Juday für die Kruster um 0'2 cm® p. 1. liegen, für die Rädertiere wohl noch niedriger sein und oberhalb ca. 2 cm® p.]. spiegeln sich Schwankungen des Sauerstoffgehaltes nicht mehr in der vertikalen Verteilung des Zooplanktons. ‚Ja es tritt uns in manchen Seen, ganz besonders häufig bei Rädertieren, aber auch bei den Naupliuslarven der Kruster die sehr überraschende Erscheinung entzegen, dal) gerade in der Zone sehr geringer Sauerstoffspannung, un- mittelbar oberhalb des Existenzminimums zuweilen sehr starke Anhäufungen stattfinden. So zeigt sich z. B. in manchen Fangserien aus dem Lunzer Übersee fast die Gesamtmasse von Polyarthra gerade in dieser Region konzentriert (Fig. 125a), ebenso sehen wir eine starke Ansammlung der Nauplien des Lake Mendota unter gleichen Bedingungen in Fig. 124. Die Ursache dieses eigentümlichen Verhaltens ist noch ganz unaufgeklärt und man ist versucht zu glauben, daß hier eine ähnliche Erscheinung vorliegt, wie die Chemotaxis gewisser Bakterien auf niedrige Sauerstoff- spannungen. ‚Jedenfalls ist es sehr bemerkenswert, dal) Tiere in so unge- heuren Mengen Zonen bevölkern können, die fast frei sind von Sauer- stoff. Nicht ohne Bedentung hierfür sowie für die durch Sauerstoffverhältnisse bedingte Verteilung der Tiere überhaupt dürfte der Umstand sein, daß der Sauerstoffabfall sehr rasch erfolgt und sich schon in einer Schicht von wenigen Zentimetern Mächtiekeit erhebliche Unterschiede finden. Es können daher die Tiere vermöge ihrer raschen Eigenbewegung abwechselnd bald an Sauerstoff reicheres, bald ärmeres Wasser aufsuchen. Auch dafür findet man in der Bakteriologie experimentell beobachtete Analoga, ins- besondere bei Schwefelbakterien. Das Phytoplankton ist im allgemeinen nicht in der Weise wie das Zooplankton an die sauerstoffhältigen Schichten gebunden, da es ja bei der Kohlensäure-Assimilation immer Sauerstoff zu erzeugen vermag; doch sehen wir auch die Algenvegetation selten tief in die sauerstofffreie Zone hinab- tauchen (vgl. Uryptomonas in Fig. 123a). Übrigens ist eine reiche Ent- wicklung von Phytoplankton und das Fehlen von Sauerstoff schwer ver- einbar, eben wegen der bei der Kohlensäure-Assimilation freiwerdenden Mengen dieses (rases. Wenn auch die sauerstofffreien Wasserschichten, die in größerer oder geringerer Mächtigkeit über dem Grunde mancher Seen lagern, das Plankton und vor allem das Zooplankton im gewöhnlichen Sinne des Wortes nicht enthalten, so sind sie doch keineswegs als tot zu bezeichnen. Kennen wir doch eine ganze Anzahl von Organismen, die entweder direkt einer nur anaeroben Lebensweise angepaßt sind oder doch die Fähigkeit haben, auch bei Sauerstoffabschluß lebhaft zu gedeihen. Allerdings gehört die Haupt- masse dieser Lebewesen dem Nannoplankton an und besteht vorwiegend aus Bakterien und Protozoen. So fördert die Zentrifuge aus der sauerstoff- freien Zone des Lunzer Obersees schier unzählbare Mengen von Eisenbakterien, mitunter auch von Trachelomonas zutage: doch konzentriert sich letzterer Flagellat hauptsächlich an der oberen Grenze der Zone und scheint daher doch an einen minimalen Sauerstoffgehalt gebunden zu sein. Diesen beiden EEE 2 EBD WERE WERE Die Verteilung des Planktons in Süßwasserseen. 3»5 gesellen sich noch bei: wechselnde Mengen schwefelführender Spirillen, von Flagellaten vereinzelte Euglenen, von Ciliaten Coleps, alles Organismen, die in den oberen Wasserschichten gänzlich fehlen. Juday beobachtete unter den gleichen Bedingungen in nordamerika- nischen Seen neben Infusorien (Stentor-Arten) auch noch einen hochorgani- sierten Planktonten, die Larve von Corethra, welche sich nicht scheut, tagsüber in die sauerstofffreien Zonen unterzutauchen. Dies stimmt mit dem Verhalten mancher nichtplanktonischer Chironomidenlarven überein, die nach Thienemann im Schlamme bei Sauerstoffausschluß gedeihen können. Nachts kommt die Corethralarve, die, wie wir sahen, eine lebhafte tägliche Tiefenwanderung aufweist, wieder in die oberen Wasserschichten empor. Aber es wirkt nicht nur der Chemismus des Wassers auf die Zu- sammensetzung und Verteilung des Planktons ein, sondern es hinterlassen auch die Planktonorganismen ihrerseits durch Stoffwechselpro- zesse Spuren in der chemischen Beschaffenheit des Wassers. Vor allem sind es die Vorgänge des Gasstoffwechsels, welche Verände- rungen im Wasser hervorzurufen imstande sind und über sie liegen auch schon verschiedene Berichte vor. Tagsüber wird von den Pflanzen durch die Kohlensäure-Assimilation Sauerstoff frei gemacht, es tritt eine An- reicherung dieses Gases in den von ihnen reichlich bewohnten Wasser- schichten ein, welche während der Nacht durch die Atmung des Gesamt- planktons wieder zurückgeht und einer neuerlichen Anreicherung von Kohlen- säure Platz macht. Letztere Erscheinung ist allerdings meist nicht klar zu erkennen, wohl aber die Bildung von Sauerstoff durch den Assimilations- prozeß, welche um so deutlicher wird, je mehr das Phytoplankton das tieri- sche überwiegt. So fand Juday in einigen seiner Seen an der oberen Grenze der Sprungschicht eine ganz abnormale Übersättigung des Wassers mit Sauerstoff, die von sehr großen Algenmengen begleitet wurde. Solche Unterschiede sind auch hier natürlich nur innerhalb der Sprung- schicht denkbar, da ja oberhalb derselben Windströme die Differenzen rasch ausgleichen und bei dem geringeren Druck, unter dem das Oberflächen- wasser steht, überschüssige Sauerstoffmengen rasch entweichen. Nicht in allen Gewässern finden die Algen die zur Assimilation nötige Kohlensäure in freiem Zustande vor. Oft ist sie in den im Wasser gelösten Bicarbonaten von Kalk und Magnesia enthalten. Die Algen haben nun die Fähigkeit, auch diese halbgebundene Kohlensäure für den Assi- milationsprozeß nutzbar zu machen. Hierbei werden die unlöslichen, ein- fachen Carbonate ausgeschieden und sinken als mineralische Trübung allmählich gegen den Grund des Gewässers nieder. Es wird also haupt- sächlich das Oberflächenwasser durch den Assimilationsprozeß entkalkt. Der Kalk kann in der Tiefe durch etwa vorhandene oder durch die At- mung der Tiere freiwerdende Kohlensäure wieder aufgelöst werden und so kommt es zu einer Anreicherung von Bicarbonaten im Tiefenwasser. Aber auch durch Absinken der Planktonleichen in die Tiefe wird den tieferen Wasserschichten Substanz zugeführt. Denn insbesondere bei der 326 F. Ruttner. niedrigen Temperatur unter der Sprungschicht sinkt das tote Plankton sehr langsam, und wird schon unterwegs aufgelöst. Am auffälligsten tritt diese Erscheinung, wie Wesenberg-Lund ge- zeigt hat, bei der Kieselsäure zutage. Durch die immensen Diatomeen- wucherungen, wie sie im Plankton so vieler Seen vorkommen, wird ein großer Teil der in den oberflächlichen Schichten vorhandenen Kieselsäure gebunden. Nach Ablauf der Vegetationsperiode sinken die toten Leiber so langsam ab, daß Wesenberg-Lund, wie schon erwähnt, diesen Vorgang durch Wochen verfolgen und dabei beobachten konnte, wie die Schalen nach und nach korrodiert und aufgelöst wurden. Hand in Hand damit ging eine starke Anreicherung der Kieselsäure in der Tiefe. Diese Vor- eänge geben uns eine recht plausible Erklärung für die schon früher er- wähnte Erscheinung, dal) die Konzentration des Tiefenwassers der Seen während der Stagnationsperioden einen steten Zuwachs zeigt. In den Zirkulationsperioden findet dann wieder ein Ausgleich statt und die in der Tiefe angehäuften Nährstoffe kommen den oberflächlich lebenden Pflanzen zugute. Welche Bedeutung in diesem Sinne vertikalen Strömungen im Meer zukommt, darauf hat schon Nathanson hingewiesen. 4. Nahrung. Die gleiche Rolle, wie für das pflanzliche Plankton die im Wasser gelösten Nährstoffe, spielt für die Tiere die suspendierte, geformte Nahrung. Nach Pütters Ansicht sind wohl auch für die Ernährung der Tiere die im Wasser gelösten organischen Substanzen der Hauptfaktor, doch ist diese Hypothese jetzt noch so viel umstritten und nicht sicher bewiesen, daß wir ruhig an der älteren Ansicht festhalten und annehmen können, dab die Planktontiere in ihrer Ernährung auf die im Wasser schwebenden organischen Körper, vor allem auf das Phytoplankton angewiesen sind. Allerdings ist man über die Art der Nahrung bei den verschiedenen Tieren noch recht wenig unterrichtet. Doch durch die Untersuchungen Wolterecks und seiner Schüler ist wenigstens für die Daphniden und einige Rädertiere festgestellt worden, daß es gerade die kleinsten Planktonpflanzen, die wir unter dem Namen Nannoplankton zusammengefaßt haben, sind, welche in der Hauptsache die Nahrung dieser Tiere ausmachen. Frühzeitig schon ist die Ansicht laut geworden, daß in gleicher Weise, wie die Felchen und die Saiblinge der großen Seen nach den Er- fahrungen der Fischer sich in ihrer Verteilung nach der Hauptmasse des Urustaceenplanktons richten und sogar die täglichen Vertikalwanderungen mit diesem ausführen, auch das Zooplankton sich hauptsächlich in jenen Schichten ansammle, in denen es die reichste Nahrung findet, die also eine Konzentration von Phytoplankton enthalten. In neuester Zeit haben insbesondere Dieffenbach und Sachse sich für diese Ansicht ausgesprochen und das Nannoplankton für die Verteilung der Rotiferen in den von ihnen untersuchten Teichen verantwortlich gemacht. Die Verteilung des Planktons in Süßwasserseen. 327 Der Einfluß der Nahrung wird ähnlich wie jener der gelösten Nähr- stoffe und des Sauerstoffes erst dann zur Geltung kommen, wenn ihre Menge im Verhältnis zu dem jeweiligen Nahrungsbedürfnis des Zooplank- tons auf ein gewisses Minimum herabsinkt. Bei einem Überschuß von Nahrung wird aber die Verteilung der Tiere von ihrem Einfluß unab- hängig sein. Es ist schon früher von verschiedenen Seiten, unter anderem auch von Burckhardt, darauf hingewiesen worden, daß ein bedeutender Einfluß dieses Faktors in den bisher untersuchten Seen unwahrscheinlich ist, da ja das Phytoplankton in den oberen Schichten meist eine sehr gleichmäßige Verteilung aufweist. Die bisher vorliegenden Untersuchungen des Nanno- planktons im Lunzersee können diese älteren Befunde nur vollauf bestätigen. Nirgends zeigt sich eine Übereinstimmung in der Verteilung von Pflanzen und Tieren und gerade oberhalb der Sprungschicht, wo Rädertiere und Kruster die prägnantesten Verteilungsbilder zeigen, finden wir beim Nanno- plankton selten bedeutende Unterschiede der Volksdichten. Wenn wir also auch die Möglichkeit einer Einwirkung des Ernährungsfaktors auf die vertikale Verteilung der Planktontiere zugeben müssen, so fehlen uns doch bisher alle Anhaltspunkte, die bisherigen Erfahrungen bezüglich der oberen Wasserschichten so zu deuten.!) Immerhin mögen in den von Dieffenbach untersuchten Teichen die Verhältnisse so liegen, daß seine Schlüsse für dort Geltung haben. Dagegen ist sein Versuch, die vertikale Plankton- wanderung auf tägliche Veränderungen in der Verteilung des Nannoplank- tons zurückzuführen, entschieden verfehlt, da wiederholte Beobachtungen gezeigt haben, daß es eine nennenswerte Wanderung des Nannoplanktons nicht gibt. Anders liegen die Verhältnisse bezüglich der größeren Tiefen; dort mag, wie schon eingangs erwähnt, die rasche Abnahme des Phytoplanktons die Hauptursache der Verringerung auch des Zooplanktons sein. B. Horizontale Verteilung. Viel weniger vielgestaltig, als die vertikale, erscheint nach den bis- herigen Untersuchungen die horizontale Verteilung des Planktons in einem See. Es wäre ja auch zu verwundern, wenn dem nicht so wäre, denn alle die Faktoren, die nach der Tiefe hin gewaltige Veränderungen aufweisen und auf die wir die Erscheinungen der vertikalen Planktonverteilung zu- rückzuführen suchten, weisen in horizontaler Richtung keine oder nur minimale Schwankungen auf, wofern wir von der Uferregion absehen. Dieser Mangel beächtenswerter Differenzen der Milieubedingungen inner- halb ein und desselben Horizontes der Region des freien Wassers wird !) Zu ähnlichem Ergebnisse wie der Autor im Lunzer See ist kürzlich Lantzsch bei seinen eingangs (siehe Anmerkung S. 274) zitierten Untersuchungen am Zugersee ge- kommen. 328 F. Ruttner bedingt durch die Gleichförmigkeit der äußeren Einflüsse, wie Licht- intensität, Imsolation und Lufttemperatur, andrerseits aber insbesondere dureh die Windströmungen, die in den Wassermassen oberhalb der Sprung- schicht alle Unterschiede verwischen. Dazu kommt noch, daß Verschieden- heiten der Temperatur oder des Salzgehaltes im Wasser nebeneinander auf die Dauer nicht möglich sind und infolge der damit verbundenen Dichteunterschiede bald verschwinden müssen. Frühzeitig haben die Planktologen der Frage nach der horizontalen Planktonverteilung ein reges Interesse zugewendet. Hängt doch von der Entscheidung, ob der an einem Orte ausgeführte Planktonfang mit dem an einer zweiten Stelle aus denselben Tiefen gewonnenen quantitativ und qualitativ übereinstimmt oder nicht, in vieler Hinsicht die Brauchbarkeit der quantitativen Methode und ein großer Teil des Wertes planktologischer Forschungen überhaupt ab. Es entbrannte alsbald ein heftiger Streit in dieser Sache; die einen behaupteten die praktisch gleichförmige Verteilung der Planktonorganismen, andere wieder meinten, dal) dieses Bild zu häufig durch Schwärme gestört werde, als dal) zwei an verschiedene Stellen ausgeführte Fänge als gleich- wertie angesehen werden könnten. (Glücklicherweise haben bald sorgfältige, auf verbesserte Methoden aufgebaute Untersuchungen die Frage dahin entschieden, daß) unter normalen Verhältnissen der Gleichmäßigkeit der Lebensbedingungen auch eine gleich- förmige Verteilung des Planktons in horizontaler Richtung entspricht. Natür- lich ist damit keine mathematische Übereinstimmung gemeint. Schwankungen der Individuenzahlen von 50°/, und darüber bedeuten bei Planktonunter- suchungen nicht viel. Ausnahmen von der Regel finden sich dort, wo ein See durch seichte Bänke in zwei oder mehrere Becken gegliedert ist, die mitunter große Verschiedenheiten der Planktonzusammensetzung zeigen können. Darüber sind aber keine Worte zu verlieren, da in diesen Becken ebenso ver- schiedene Lebensbedingungen zur Ausbildung kommen. Wir haben dann biologisch nicht einen See vor uns, sondern mehrere. Ähnliche Erscheinungen bemerkt man bei großen Seen, die sehr seicht sind, wie z. B. beim Plattensee, der bei enormer Flächenausdehnung nur 6m Tiefe aufweist. Auch hier sind Differenzen in der Planktonverteilung leicht verständlich, da Unter- schiede leicht zur Ausbildung kommen, aber nur schwer wieder verwischt werden können. Aber auch in tiefen Seen hat man schon unter besonderen Um- ständen auffallende Verschiedenheiten beobachtet. Insbesondere scheinen die in Gebirgsseen vorkommenden Beleuchtungsunterschiede wirksam zu sein. So fanden Brehm und Iina Monti in Alpenseen, die zum Teil be- schattet, zum Teil besonnt waren, Ansammlungen von Planktonkrebsen im beschatteten Teil. Ferner kommt man mitunter gelegentlich quantitativer Studien bei sonst sehr übereinstimmenden Befunden unvermittelt für manche Arten Die Verteilung des Planktons in Süßwasserseen. 329 zu Zahlen, die ganz aus dem sonstigen Rahmen herausfallen. Ganz be- sonders häufig scheint dies bei Polyarthra vorzukommen, wie von ver- schiedenen Seiten übereinstimmend berichtet wird, das gleiche gilt von der in norddeutschen Seen planktonisch lebenden Larve der Muschel Dreysensia polymorpha. Wir müssen also wohl annehmen, dal) diese Arten zu einer unregelmäßigen Verteilung neigen, ohne daß wir die Gründe dafür angeben könnten. Doch -sind schwarmartige Ansammlungen auch von Krebsen hier und da bemerkt worden. So von Birge an der Öber- fläche der Lake Mondata solche von Daphnien und auch im Lunzersee fanden sich einmal bei ganz ruhigem Wetter und in der vollsten Sonne unregelmäßige Ansammlungen verschiedener Kruster unter der äußersten Oberfläche, die in einer Tiefe von wenigen Zentimetern zu fehlen schienen. Schon dieses auffällige Verhalten beweist, daß es sich hier nur um einen abnormen Zustand handelte. Es sind alle diese Unregelmäßigkeiten nur von untergeordneter Bedeutung und wir können den Satz von der gleich- förmigen horizontalen Verteilung des Planktons innerhalb der Region des freien Wassers als feststehend betrachten. Ganz anders gestalten sich aber die Verhältnisse bei der Annäherung ans Ufer, da zeigt sich, wenigstens in den klaren Alpenseen, sehr bald eine rasche Abnahme des Zooplanktons, vor allem der Krebse, und das Wasser über der Isobathe von etwa 5m bis ans Ufer kann als die an Crustaceen ärmste Region des Sees bezeichnet werden. !) Diese merkwürdige Uferflucht findet schon in älteren Beobachtungen, z. B. von Forel, ihren Ausdruck und wurde in letzter Zeit neuerdings von Woltereck hervorgehoben und von Burckhardt durch eingehende Beob- achtungen im Silsersee wie im Genfersee festgelegt. Sie ist auf das Zooplankton beschränkt; die pflanzlichen Organismen, sowohl die größeren, als auch das Nannoplankton besiedeln auch die Ufer- region in unveränderter Anzahl. Aber auch die Tiere zeigen ein recht verschiedenes Verhalten, wie aus den die Verteilung in der Ufernähe des Lunzersees wiedergebenden Fig. 125 und 126 hervorgeht. Fig. 125 gibt die Verteilung von Daphnia longispina zur Zeit ihres maximalen Auftretens im Spätsommer innerhalb der oberen 5 m gegen das Ufer hin wieder. Dieser Krebs, der im Lunzersee die Uferflucht am deutlichsten zeigt, beginnt über einer Tiefe von 7 m neben erst aufzutreten und erreicht seine volle Individuenzahl erst über einer Tiefe von 15—20 m. Von anderen Planktontieren derselben Beobachtungsserie sei ohne Wieder- gabe der Verteilungsbilder mitgeteilt, daß Bosmina und insbesondere Diaptomus bedeutend näher als Daphnia ans Ufer heranrückten. Letzterer !) Sehr deutlich äußert sich diese Tatsache im Wachstum von Forellenjungbrut, welche in auf der Wasseroberfläche schwimmenden Kästen mit durchlochten Blech- wänden einerseits in der Uferregion über 2m, andrerseits im offenen See über etwa 20 m Tiefe ausgesetzt wurde. Die Tiere am Ufer nahmen an Gewicht gar nicht zu und verhungerten nach etwa 1—2 Monaten, während jene draußen im See auf Grund der reichlichen Planktonnahrung eine recht erhebliche Gewichtszunahme aufwiesen. 3530 F. Ruttner. hatte schon über 7 m fast die gleiche Individuenzahl wie über 20 m Tiefe, dagegen zeigte in diesem Sommerfange keines der Rädertiere auch nur eine Andeutung von Uferflucht. Aus Fig. 126 ist zu ersehen, dal) die Uferregion auch zur Zeit der Winterstagnation gemieden wird. Diese Beobachtungsserie ist deshalb von Wichtigkeit. als unter dem Eise Windströmungen wegfallen und daher eine Störung der Verteilungsbilder nicht zu befürchten ist. Das Ergebnis bezüglich der Krebse (Diaptomus und Bosmina, Daphnia fehlte) ist an- nähernd dasselbe wie im Sommer, aber diesmal zeigten auch einige Räder- tiere (Polyarthra, Triarthra, Notholca) eine allerdings nur auf die seichtesten Partien beschränkte Uferflucht. | Fig. 125. I II III Entfernung vom Ufer 20 m 339 m 58 m ) Quer-Profil am Südufer des Lunzer Untersees, mit der Verteilung von Daphnia longi- spina in den oberen 5 m. (26. VILI. 1911.) Auf Synchaeta, die im Gegensatz zu den besprochenen Fällen eine starke Abnahme der Individuenzahl vom Ufer gegen den See hin erkennen läßt, werden wir noch zurückkommen. Die Tiefe der Isobathe, über der eine Uferflucht beginnt, hängt also von den das Plankton zusammensetzenden Arten und insbesondere auch von dem bei der vertikalen Verteilung und Wanderung wiederholt hervor- gehobenen biologischen Charakter eines Sees ab. So sehen wir die Er- scheinung am deutlichsten ausgesprochen in den größeren klaren Alpen- seen. Aus norddeutschen und dänischen Seen liegen noch keine Mitteilungen darüber vor, doch scheint sie dort viel schwächer zum Ausdruck zu kommen. Ganz fehlt die Uferflucht schließlich in kleineren und seichten Gewässern, wo man typische Planktonkrebse mit dem Kätscher vom Ufer aus, mitten unter Wasserpflanzen schöpfen kann. Interessanterweise sind es oft die- selben Arten. die in anderen Seen das Ufer streng meiden. So hat z. B. Daphnia longispina im Lunzer Obersee (im Gegensatz zum Untersee) eine sehr unregelmäßige Verteilung und kann am seichten Ufer in Menge be- obachtet werden und auch Leptodora scheint in den meisten Teichen, und Die Verteilung des Planktons in Süßwasserseen. >31 wenn es auch große sind, wie der Hirschberger Teich (vgl. Langhans), bis ans Ufer heranzugehen. 0 Synchaeta BE pectinata BRE Polyarthra Be platyptera 4 Nauplien Diaptomus graeilis an RE Tirwachsene ee Bosmina coreg( ni 15 m 39 m 5: - ----) 10m [ Tiefe S= 15 mn +21 m L Horizontale Verteilung einiger Planktonorganismen in der Tiefe von 1m am Südufer des Lunzer Untersees. 19. II. 1913, 6h morgens (unter Eis). Wir stehen hier eben neuerdings vor der schon so oft hervor- gehobenen Erscheinung, dal) ein und derselbe Organismus sich in ver- schiedenen Gewässern ganz verschieden verhalten kann, eine Tatsache, die einerseits vor Verallgemeinerungen warnt, andrerseits aber in dem Ver- 332 F. Ruttner. gleiche der Seen und ihrer Lebensbedingungen ein aussichtsreiches Arbeits- gebiet öffnet. Vielleicht (nach Burckhardt) im Zusammenhang mit der Uferflucht steht die von Woltereck entdeckte Erscheinung, dal) das Crustaceen- plankton durch den Abfluß des Sees nicht entführt wird. Es ist jedoch die Abhängiekeit von der Uferflucht nicht ganz klar, denn mitunter, und zwar an sehr kalten Wintertagen, enthält das abfließende Wasser bei sonst sehr deutlicher Uferflucht große Mengen von Planktonkrebsen, eine eigentümliche Tatsache, die noch weiterer Untersuchungen bedarf. Auch für die Uferflucht selbst ist bis jetzt noch keine ganz befrie- dieende Erklärung gefunden worden. Die Veränderung der physikalischen und chemischen Bedingungen in der Uferregion, deren Studium bisher stark vernachlässigt wurde, bis Wesenberg-Lund auf ihre Bedeutung hin- wies, können hier nicht herangezogen werden, da ja die Uferflucht schon bei bedeutender Tiefe beginnt. Aus demselben Grunde erscheint mir auch die Vermutung Wolterecks, dal) die Tiere durch die von Berührungen an Wasserpflanzen und am Grunde ausgelösten Reize vom Ufer ferngehalten werden. nicht wahrscheinlich. Dasselbe gilt für die auf den ersten Blick recht plausible Hypothese Burckhardts, der die Uferflucht mit der verti- kalen Wanderung in Zusammenhang bringt. Nach seiner Ansicht müßte für die Uferflucht eben jene Tiefe maßgebend sein, in welche sich die Krebse bei Tage zurückziehen. Nehmen wir an, es gelangt ein Kruster auf die Uferbank, so wird er bei Tage seinem Bestreben, in die Tiefe zu gelangen, folgend, entlang der Uferböschung herabgleiten, bis er in die ihm zusagende Tiefe kommt. Da nun der nächtliche Aufstieg mehr weniger vertikal erfolgt, bleiben die Tiere auch zu dieser Zeit dem Ufer fern. Wenn auch für diese Hypothese vor allem der Umstand spricht, daß wirklich bei den einzelnen Planktonten die Intensität der vertikalen Wanderung und der Uferflucht ungefähr übereinzustimmen scheinen, so verursachen schon die bisher vorliegenden Beobachtungen schwerwiegende Bedenken dagegen. Vor allem ist nicht einzusehen, warum (Fig. 125) in den oberen 5 m über 7m Tiefe nicht die gleiche Menge von Daphnien vorhanden sein sollte, wie in derselben Schichte über 22m, da der Fang ja bei Tage ausgeführt wurde und der größte Teil der Tiere kaum unter 5m hinab wandert, ja viele schon bei 2 und 3m bleiben. Man müßte annehmen, daß eine jede Daphnia durch die ganze Tiefe der Schichte, die von der Art bewohnt wird, ständig auf und ab wandert, so daß eine jede einmal auf den Grund gelangen und dadurch gezwungen würde, seitlich abzuweichen. Aber auch bei einer solchen unwahrscheinlichen Auffassung bliebe noch so mancherlei unaufgeklärt. So wurde z. B. die Beobachtungsserie, die Fig. 126 zugrunde liegt, am 19. Februar um 6 Uhr früh, also am Ende einer langen Winter- nacht, entnommen. Da nun die Aufwärtsbewegung der Krebse durchaus nicht streng vertikal. sondern nach Woltereck in ziemlich schrägen Bahnen erfolgt, und da ferner die einzelnen Probeentnahmestellen so nahe bei Die Verteilung des Planktons in Süßwasserseen. 35: R %) einander liegen, sollte man eine Schwächung der Erscheinung gegenüber den Tagbeobachtungen erwarten. Aber gerade das Gegenteil ist der Fall: Diese Nachtbeobachtung zeigte die Uferflucht sogar noch deutlicher als die vom Tage und Abend. Auch zeigen nicht alle Planktonten, welche vertikale Wanderungen ausführen, auch die Erscheinung der Uferflucht. So sammelt sich Synchaeta trotz sehr deutlicher „Nachtwanderung“ gerade in der Uferregion stärker an als in der limnetischen. Anhäufung von Planktonorganismen in der Litoralregion. Das eigentümliche Verhalten von Synchaetapectinata leitet uns zu den mannigfachen Beziehungen der litoralen (vadalen) Biocönosen zum Plankton hinüber, welche wir hier nur kurz streifen können. Offenbar findet Syn- chaeta gerade in dieser von echten Planktontieren mehr minder gemie- denen Zwischenregion des Wassers über den die Uferbank bewohnenden Lebensgemeinschaften ihr Existenzoptimum, sie stellt gewissermaßen ein Bindeglied zwischen limnetischer und litoraler Lebensweise dar. Ähnlich wie dieses verhalten sich andere Rädertiere und auch unter den Krustern finden wir Beispiele. So umgürtet z. B. Polyphemus pedieulus im Frühjahr bei Beginn seines Auftretens in dichten Scharen den Ufersaum und schwärmt erst später ins Plankton hinaus. Dasselbe gilt von Scapholeberis. Außer diesen regelmäßig zu beobachtenden Erscheinungen bei immerhin aner- kannten Planktontieren kommt es nach Wesenberg-Lunds Berichten auch vor, daß rein litorale Lebewesen in die limnetische Region eindringen und sich für kürzere oder längere Zeit über die ganze Seefläche ausbreiten, eine Tatsache, auf die auch Langhans anspielt. Alle diese Tatsachen beweisen die engen Beziehungen der beiden Hauptbiocönosen des Süßwassers zuein- ander und lassen uns erkennen, wo wir den Ursprung des Planktons zu suchen haben. Man muß daher Wesenberg-Lund nur recht geben, wenn er zu einer eingehenden Beobachtung der bisher sehr vernachlässigten Lebens- erscheinungen im Litoral aufmuntert und ohne sie ein volles Verständnis vieler Vorgänge im Plankton nicht für möglich hält. Literaturverzeichnis. Apstein C., Das Süßwasserplankton. Kiel und Leipzig 1896. Derselbe, Hat ein Organismus in der Tiefe gelebt, in der er gefischt ist? Internat. Rev. d. ges. Hydrobiologie und Hydrographie, Bd. III, 1910. 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