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JUN^

Friedrich IlaumMif

Seine Entwicklung und feine Bedeutung für die deutFdie Bildung der Segenwart.

Beinrich IReyersBenfey«

G5ttingen* Vandenhoeck & Ruprecht 1904.

- III

Vorwort.

Die 2lbbanbluny, bte icb Her rorlege, bildet mit meinem im aleicfcen Berlage crfcbienenen „naumamt^ Bucbe" eine innere Einheit unb entbält bie bort rer= fproÄene eingebenbe Segrünbung meiner 2UiftaiTung unb Scfcätjung llaumannr, bie bas Doriport nur anbeuten fonnte. Diefe Se^iebung brücft ftcb aucb barin au5, bag auf bie einzelnen Stücfe bes „rtaumann=Su(±e5" be= ftänbig renriefen unb fo bie 2lustpabl im Detail moti= riert u?irb.

Diefc Scbrift ift entftanben aus einem Dortrage, ben id> bier im ;februar T903, a»äbrenb ber 2trbeit am „llaumann-i^ucbe", über „Tiaumann als Scfcriftfteller" gebalten babe. v£r batte, ebenfo tpie jene 2lntboIogie, einen rein literarifcben unb burd?aus unpolitifcfccn (Ebarafter, IDie ficb biefer Keim allmäblid) 5U einem Sucbe ron nicbt gan^ geringem Umfange ausgelaufen bat, hiaud>t bier nicbt er^äblt 5U roerben. 3* ern?äbne aber bieien Umftanb, n^cil er rieüeicbt eine fo au5fübr= liebe monograpbifd)e Sebanblung Naumanns, trie fie fonft bei politifcben Rubrem nid)t üblicb, baqe^tn bei Dicbtern unb Scbriftftellcrn gan5 geroöbnlicb ift, a"»eniger auffällig erfcbeinen lai^en vo'ixb. ^dq babe eben aucb llau* mann ^unäcbft einfacb als literarifcbe perfönlicbfcit 5U erf äffen gefucbt. ^lls icb micb jur Dcröffentlicbung in ber anfprucbsrolleren ;^orm eines Sucbes entfcfclofj, ba lieg fivb allerbings jene ^cfcbränfung nicbt aufrectt er= balten. 3* niuißte nun bcn Kabmcn u?eiter fpannen unb ben Perfucb einer IPürbigung ber gcfamten riel= feitigen üätigfcit iTaumanns tragen. €s fei geftattet, die 2lb]iSt biefer Scbrift noi) genauer 5U begrenzen.

3cb rrill natürlicb nicbt eine Siograpbic llaiu manns fcbreiben. Das n:>äre rerfrübt bei einem IHanne, ber fo in roüer Scbaffensfraft unter uns lebt unb eigent^

IV -

Itd? erft am ^Ittfangc feiner £aiifbal>n ftctjt. Unb es ipärc unmöcjUd) für jentanö, 6er ifyn md>t perfönlid? nabe fielet unb fein XDerben unb IDirfen nid?t in nädjfter Habe unb uertrauter (Seineinfamfeit niitgelebt bat. €s ruibcrftrebte burd^ans nicinein (5efül|I über ITaumanns äugern Lebenslauf näbere (£rhmbigungen ein5U3iel|en, nnb ebenfo iräre es beni befdjeibenen Sinne Haumanns 3un)iber aeipefen. XDas id) im erften Kapitel, iro ber biocjrapbifd3=d)ronoIogifdje ^aben nid^t 5U entbebren roar, barüber mitteile, ift Icbiijlid? ben anc^e^chemn Beridjten feiner früE>eren ITiitiämpfer nadjer3äJ|It. Heues iUateria! fonnte unb u^oHte id) nid^t bringen.

3d> bemerfe babei, baß man überbaupt bie lX)id)tigfett ber äugern %thcnsbaten für bas Derftänbnis eines UTenfcben im allgemeinen überfdjä^t. Das tereffe, bas ben lebensumftänben, Umgebungen unb ^e= 5ietjungen namentlid? ber Didjter in fo reid^em IHage gefpenbet tpirb, ift jum größten Seife gar nid^t vohU liebes Perftet^enujoIIen, fonbern müßige Heugier unb Untertjaltungsbebürfnis. ^ür jeben mal^rt^aft fdjöpferifdjen ITlenfc^en alfo im (5runbe für jeben, von bem eine cigentlidje Biograpt^ie iDÜnfAensmert unb möglich ift gilt mel^r ober weniger, mas Simmel in ber erftcn feiner fierrlicben Dorlefungen über Kant ausfüE^rt: „<Zs ift er= ftd^tlid), baß u)ir auf bie €r3äl|Iung feines äußeren Lebenslaufes ju t)er5idjten l^aben. (Seu)iß ift es für Perftänbnis, Hei3 unb jrudjtbarfeit einer pi^iIofopI]ifd?ert XPeltanfd^auung l]öd)ft n)id)tig, baß il^re steile nicht ein: fad? ncbeminanbct liegen, u)ie bie Länber eines 2DeIt= teils, fonbern vermittels ber babinterftef^enben €int)eit ber fdjöpferifdjen perfönlid)feit felbft als eine organifdje €inbeit u)irfen. ^lüein b i e f e perfönlidjfeit ift n\(bi ber reale l^iftorifcbe XUenfd), fonbern ein ibeeües (Sebilbe, bas nur in ber Leiftung felbft lebt, als ^usbruc! ober Symbol für ben fad^Iidjen, inneren §ufammen!iang il]rer Seile." (Dgl. aud) meine Sdirift „f^erber unb Kant", ßaüe \90^, S. 92f.) biefem Sinne mödjte id? aud? I^ier meine 2{ufgabe rerftanben n^iffen. Hun ift aller»

V

bings Naumann md}t bloß ein Dcnfer, fonbcrn 3ugleid^ ein Xdann bcs praftifdjen IDirfens, unb infofern ift t]ier bas äußere £cben bebeutungsuoüer, treil es fefter nnb manniaf altiger mit feiner £eiftung vctwacb\en ift. Sa fönnte man l]ier mol^I eine (Sefcljidjte ber national^ f03ialen Beweg uncj eriüarten. 3<i? '""^te aud) baüon abfeben nnb fonnte es um fo eber, ba i)ierfür ron anbrer berufenfter Seite (£rfat5 gefcbaffen irirb (S. \, 2lnm. 2).

Die 2tufgabe, bie id) mir geftellt babe, l^at brei Seile, bie eng ßufammenbängen unb fid? n'icbt txcnncn laffen. Xllein näd^fter §mecf mar, ein D e r ft ä n b n i s Zlaumanns 3U geroinnen. €inen iHenfd^en üerftelien l^ei^t, bie §ufamment|ängc ^iDifdien allen ^Teilen feines Weyens 3U ftnben, jene innerlidje, organifdje €int]eit, bie ipir feine perfönlid?feit nennen, Diefe ift aber nidit als etwas (feftcs unb fertiges gegeben, fonbern in he- ftänbigem lüerben; n?ir fönnen bas IDefen eines iTtenfdjeit nur in feiner (55efcbid)te, feiner (Entujicflung erfaffen. (Sntmicflung ift Beu^egung auf ein giel t^in, fie rohb^ nerftänblidj burd? bie ^btc, b. bie Dorfteüung bcs Mieles, njorauf fie gerid^tet ift. Die 2lufgabe ift alfo gelöft, voenn es gelungen ift, in bem mannigfaltigen unb' fompIi3ierten IDefen eines lllenfdjen bie €inbeit bcr perfönlid^feit auf3uu?eifen unb feine €ntn)icflung als eine folgerid^tige unb innerlid? notu^enbige bar^uftellen.

init bem Derftänbnis eines lllenfdjen ift 3ugleid?- bas Urteil über it^n gegeben; bies bringt nidjt 3U ber t]ifforifd)en DarfteEung eine neue unb frembe Betrad?tungs= u?eife t^in3u, fonbern es r»ergegenir)ärtigt in fctjarfer Formulierung ben eigentlidien 3nl]alt unb bas Hefultat jener. IDir meffen ben lllenfdjen an ber 3^»^^ ^on bem, lüas er fein fotl, bie ben Kern feines IPefens bilbet, unb mit meffen biefen feinen befonbern Beruf an ber allgemeinen 2lufgabe bcr Xllenfd)l|eit. W'iv ftellen ibn mit feinem XDirfen t|inein in bas (5cfamtleben unb bie Kulturarbeit feiner geit unb ber IHenfdjbeit überbauj^t.

IPenn wh fo einen Xltenfdjen in Besiei^ung 3U

YI

feinem Berufe unb bam'ü in bcftimmter 2X>eife 3ur ^uf= gäbe ber lllenfcbbeit unb jum giele aller Kulturentmii lung bctxaditen, fo ift es babei unüermeiblicb, ba§ u?ir unfre eigne Sesiel^ung ba3U feftftetlen. iPir fönnen 3. bas IDirfen eines politifers gar nidjt üerflel^en unb beurteilen, ol^ne felbft 3uni probleni ber politif Stellung 3U net^men unb uns eine Porfteüung r>on ibrer 2Iufgabe 3U bilben. Diefe eigne Stellungnabmc mag in ber biftorifc^en Darfteüung unausgefprorfjen bleiben; fie mag nielleidjt bem (5efcbid)tfdjreiber felbft gar n'idit 3um ^Bemu^tfein fommen; üorbanben ift fie auf jeben ^aü, wenn überl^aupt gefd^icbtlidjes Dcrftänb= nis erreid^t n?irb. norliegenben ^aüe, wo mir Xiau- mann bodj nidjt in erfter £inie ein (Segenftanb biftorifdjer ^orfdjung, fonbern ein (Element perfönliAen (Erlebens unb praftifd^er IPirfung ift, tjatte id) natürlid? feinen 2lnla§, meine Stellung 3U üerfdjupeigcn. Diefe Sd)rift möd)tc baber 3ugleid) and) als ein Seitrag 3ur Dis« fuffion ber in ber (Seftalt Naumanns perförperten pro= bleme angefet^en fein.

Deren roerben uns befonbers brci befdjäftigen: bie moberne Bilbung im allgemeinen, bie rcligiöfe Krifis unfrer ^eit unb bas problem ber politif.

Das Haumann^Bud) follte ausfcblicßlid) Naumanns 23ebeutung für bie beutfdje Bilbung unfrer geit beutlic^ mad?en. 2Iud) bier upirb bacon bie Hebe fein. 2lber u)äbrenb auf biefem ^elbe ein eigentlidjer JX>iber= ftreit ber ITleinungcn faum üort^anbert ift, fo fommen Her bie anhctn (fragen bin3u, wo id) auf mebr IPiber^ fprud) gefaxt unb in l^öl^erm (Srabe ber Had)fidit be= bürftig bin. Diefe Sd)rift ujenbet fid? alfo nidbt nur an bic n^eiteren r>ora)iegenb literarifd) intereffterten Bilbungs= fdiid?ten, fonbern and) an jene engeren Kreife, benen riaumann bisljer faft allein befannt war, an bie tt)eoIo= gifdjen unb poIitifAen Kreife. ^3eiben gegenüber ift ein IDort ber €ntfd?ulbigung am piat3e.

Die meiften religiös intereffterten £efer n^erben mir 3Ürnen, ba§ id? Naumann gerabe ba roiberfpredie.

VII -

wo er fonft ben ungetcilteften unb freubigften Bctfatt gefunben Jjat, tüentgftetts unter freier gertcbteten, mobernett ItTenfc^en. "Daj^ ic^ tjier nid}t gan3 mit tt^m einuerftanben bin, fann id? natürlid? eben fo ipenig änbern, mie ba§ ich [einen politifdjen 2ln[d?auungen burd^meg 3uftimme. Sie merben mir menigftens bie (5ered?ttgfeit n>iberfal|rett laffen, an3uerfennen, baß id? gegen Haumann nicht vom Stanbpunfte meiner eignen (Sebanfen aus poIemi|"terc {wie idi fie in meiner „ITlobernen Heligion" entu?icEcIt hßhe), fonbern bag id) meine (Einu)änbe entmeber il^ni felbft ober ben (Eatfad^en entnel^me, fo baß fiealfogleid^fam in ber Hid^tung feines eigenen X^enfens liegen, unb fo eine 2Xxt immanenter Kritif an il^m übe. Tin fie n^enbe id^ midj ferner bcfonbers mit bem Perfud), 3U 3eigen, u)ie bie XPenbung Naumanns rom geiftlid^en 2lmt 3ur politif burdiaus folgerid^tig unb organifdj notn^enbig u>ar, unb w\c Naumann bamit feinesn?egs feinem Be- rufe untreu gemorben ift, fonbern gerabe feinen rpal]rcn <3eruf gefunben l]at.

^nbrerfeits ift eine Bitte um llad)ftd)t notmenbig bei ben politifern, beren (Sebiet id? t^ier mit rcdjt un3ulänglid3er ^lusrüftung unb mit inncrem IPiberftreben betrete, gu meiner (Hntlaftung bicne, bai5 es mir nidit auf bie €rfenntuis irgcnbu)cld)er (£in3ell]eiten anfommt, fonbern gan3 allein auf bie grof^en, allgemeinen (Srunb= fragen, bas problcm ber politif überl^aupt, unb bas fpe3ielle problem ber beutfdjcn politif ber (Segenmart, meld^es eben ber Kern ber llaumannfd^en (5ebanEenu?elt ift. ^in bie (£inf{d?t in biefe (Srunbfragen ift bie lllaffc bes fonfreten Details entbel^rlid); ja fie treten flarer tjeraus, je mel^r biefes fern gcl]alten ir>irb. Übrigens menbct fid^ biefer (Ecil natürlidj n^eniger an bie poIi= tifer (obgleid? aud? bei il^nen 3Utt)eilen eine ^lufforberung, über bie (ßrunblagen ber politif nadj3ubenfen, bie man bei ber praftifdjen €in3elarbeit nur 3U leidet aus ben 2lugen uerliert, üielleid^t nid^t gan3 überflüfftg u)äre), als an bie große llTenge ber (Sebilbetcn, bie ber politif ferne ftel^t. Unb er wxü fie nidjt \owoi}\ in bie politi!

- VIII

ctnfül^rcn als an fic Jjci-anfütjrcrt. Datier finb bcfonbers bie ^n\ammen^änQe mit bcr €ti^if erörtert itnb rcr= (d?iebene ireitoerbrettete Porurtetle gegen politifdje Be= tätigung berücfftd^tigt. Unb bies fd?eint mir t^eute feine iiberflüfftge 2Irbeit. €ru?eift ftd? bod? immer met^r ber Q'dn^Vxd^e XHangel an politifdjem 3"^ßi"^ff^ u»^ politifdjer (Er5iebung in breiten Scbidjten unfers Dolfes, ^umal in t)er i^auptmaffe bes beutfd^en Bürgertums, als bas fd?n?erfte ^inbernis für eine gefunbe €ntn?icflung unfers öffentlid^en £ebens unb bie brot^enbfte (Sefai^r für unfrc gufunft.

Va^ Idl in ber politif burdjaus 2lnt^änger llau= iiianns bin, ijabe idj nirgenbs 3U verbergen gefud?t. Dalmer mar es unmöglich, im legten Kap. meine 2iuf= faffung von ber Naumanns 3U trennen, unb mein ^'id wat l|ter eben, bie (Srunblagen ber beutfd?en politif im Sinne ZTaumanns bar3ulegen. IDenn id? nun mit ber politifd^en €nta)icflung Naumanns im gan3en einr»er= ftanben bin, fo ergibt fic^ baraus von felbft, baß ic^ aud> intern bist^erigen €nbgliebe, ber ^ufion mit ber ^rei= finnigen Bereinigung, 3uftimme. Unb inbem id? biefen Sdjritt 3u red^tfertigen fuc^te, Ijat meine 5d?rift eine be= ftimmte politifdje Cenben3 erijalten, bie mir anfangs gän3lid^ fern lag, bie aber im IDefen ber Sadje liegt. So fdjiiege id? mit bem IPunfdje, bag aud? biefe X)ar= fteüung ein weniges ba3U beitragen möge, bie Por= urteile unb 2ibneigungen 3U tjeben, bie nod? immer auf beiben Seiten biefem ^ufammenfc^Iuffe unb ber mit it^m eingeleiteten €inigung bes beutfd^en Liberalismus im IDege ftetjen, unb ba§ fte baburd? einen fleinen Panf abstatten möge für bas (Sro§e, bas Naumann mir ge= geben l^at.

(Böttingen, ben \5. 0ftober 1(90^.

Beinrich Üleyer-Benfey.

- IX

^nhaltsüberüdiL

Poriport 5. IIL

1. Kap. [sehrjahre \

\. 1860—1890 \

2. €i-fte Schriften. Stellung 5ur Sosialbemofratie.

2Ubeiter unb Stubenten 5^

5. Zlaumann unb bie 3nnere Xfliffion .... \\

^. Die d?riftlid?=f05iale Beiregung bis \8^o . .

5. Zlanmann unb bie fo5iaIe Beu>egung bis ^895

((Srünbung ber „I^ilfe") oA-

6. Pom (Il]ri)tIicbfo5iaIcn 3uni Hationalfosialen . 39-

2. Kap. „6otfeshiIfe" 5^

\. ^^^iialt. praftifdjes d]iiftentum. 2^ii\s als

Poibilb 53-

2. (form unb 2lu5brucf. l^ünftlerifcbe Elemente 58-

3. Das Problem ber prebigt in unfrer ^c'ü . . 60 4;. Heligiöfe €ntiricflung. £osIö[ung Dom Sibeltej-t o\ 5. Die „(Sottest^ilfe" im <San^en ber Scbriftfteüerei

Zlaumanns ra

3. Kap. Öffhetik und Weltbild .... 75 \. „Kunft." Die Sfi35en in ber .^eit." llau-

manns Kunftbetraittung 75

2. Zlaumanns Zlaturgef übl. ilaturanbacbten. Heife=

bilber 8^

3. 2lusftellungsbcrid?te. Tiaumann unb b. Xllafcbine 92 ^. Zlaumann unb bie moberne beut|"d)c Bilbung 9& 5. 2tftbetifd)e Elemente in ber politif. 3^^^Jpo'

litif unb 2^eaIpoIitif. Das politifd^e Sdiauen ^o^

4. Kap. Religion, €fhik und Politik . . ^08 \. Briefe über Heligion I. Ttaumanns religiöfe

Stellung. Cl]riftentum unb moberne i^eligion ^09

2. Briefe II. Die (Brenden ber d?rxftlid?en €tt^if U9

Cbriftentum unb politif \23-

X

Die etMfcfccn (Srunblagcn bcx polittf . 12"

2. Xiaiimann als niobcrner XTlenfcb 152

^lUgemeines Scbcnm feiner (Hnttoicflung.

Religion unb politif \5i

formale Beurteilung feiner Politif . . . ^38

5. Kap. IlaMonalsfozialsIiberal . . . 1:^1

\. Bis tn ar (f s rbe xi\

Bisntarcf als Dorausfet3ung unb als Dorbilb x^2

2tu§ere politif. "Die beutige £age . . . 146 ^nmve politif. Bisniarcfs Stellung 3U ben

Parteien 1:^9

2. D e r n e u e 5 0 3 i a I i s nui s ^ 55

Der nationaIfo5iaIe (Sebanfe ^56

Befonberbeit bes nationalen 5o3iaIisinus . ^58

3. Derneucnationalisntus . . . . 161

I. IDefen bes Zlationalismus.

1) Volt unb Staat X62

2) Hationalisnius unb 3T^tßJ^nationaIismus ^6^ 5) Der fittlicbe Beruf eines Dolfes . . . ^68

II. r(ationaIfo3iaIe 2Iuffaffung bes Ha»

tionalftaates ;70

^ifitorifcfce €nttt)icflung bes Staatsgebanfcns \-\

Die £age Deutfcblanbs X75

(Htt^ifcbe XTtotiüierung ^75

4. Derneue£iberalismus ^76

€nbe ber nationaIfo3iaIen partei. ^nfcblug

an ben IDal^Ioerein ber liberalen . . X'd

£iberalismus unb Nationalismus . . . . ^8^ Liberalismus itnb So3iaIismus.

1) poIitifd)er Liberalismus 182

2) Üugere rOirtfAaftspoIitif. ^reibanbel . ^83

3) 3""^f^ IDirtfcbaftspoIitif.

Staatsbetriebe. ^rbeiterfd)u^gefet5e . I86

Nationalismus, Liberalismus unbSo3iaIismus 1 9 x

Grffes Kapitel, [lehrjahre«

Was vo'xx über ^ie IDcrbc^eit itaumanns vov feinem öffentlicben ^tuftreten xpifjeTi, pcr^anfen w'w au5]d-]\\e^lxcb bcn ZlTitteilungen von pauI (Söbrei) imb iHartin XUencf.2) ^3 ^^i-j^t r>icl, aber es genügt, um tie Porau5[e^ungen feiner fpäteren (Entoicflnng in großen (5ügen auf-- 3uflären.

irieörid? Haumann ift am 2 5. 21Tär5 1860 als Sobn eines fäcbfijdien Pfarrers in Stönntbal (füböftlidi von Ceipsig) geboren. X>ie Difpofttion 3um geiftlidjen Berufe erbte er i?on beiben Altern, benn feine 2T[utter ipar bie JTocbter bes feiner^eit jjerüEjmten Kanselrebners 5n^brid^ ^Iblfelb in

Dtc (ScfeüfcbaftXlV (|[898), u. ßeft, 5. 737—46. 2) Die «Entiricflung ber jüngeren (ibriftlicbfojialen. patria ^901, S. 3.^—6". Die ^ortfe^ung biefer bis jur (Srünbung bes national^fosialen Dereins rcicbenben 2lr= beit njiri) bic bcrorftebenbe patria für ^jos bringen.

f?. mcYcr: ^rbr. Naumann. .

Ceip3tg. Seine Btlbung empfing er auf 5iüei Sdjulen, bie mebr als anbere bie üaffisiftifdjen unb tl)eoIo9ifd^en Crabitionen pflegten, auf ber nifolaifd]uIe in £eip3ig unb ber 5ürftenfdnile in ZHei§en. ^uf biefer ipurbe er bereits mit feinem uier 3al^re jüngeren £ant>5mann paul (5öl]re hetannt So roirften benn «Slternl^aus unb Sd^ule, K?ie es fd^eint, im gansen einträdjtig 3ufammen: in beiben J^errfd^te ber gleid^e firdjlid-je, altgläubige, fonferuatioe (Seift, ein (Seift ber 3^\d]t unb pietät. Vemnadi voav es natürlid"», bag aud^ Hau» mann bie tl) eo logif d? e Caufbabn einfd^Iug unb baß er feine Stubien in Ceipsig unb €rlangen abfoloierte, ben beiben Bod^burgen bes ortboboren Cutbertums. Viivd] alle biefe (£inflüffe ipurbe feinem ^eben unb feinem (Seifte bie ^abn r^orge^ 3eidmet, in bem fie ftdj lange beu?egt baben. Bis Anfang \S^7 hat Haumann ben Beruf eines (Seifte Iid]en ausgeübt; unb nodi \8^S fagt (Söt>re von it^m: „(£r ftel^t, tbeologifd^ betrad^tet, nod) beute auf ber redeten Seite"; er felbft füblt fidi barin am meiften von ibm r>erfd)ieben. Unb bodi fd'jeint beibes, ber geiftlid^e Beruf unb ber oxth^o'^^oiyton-' feruatiue Stan'öpunh, mebr 5ur äußeren Sd^ale als 3um eigentlidjen Kerne von ZTaumanns perfönlid?^ feit 3u gel:|ören. (£s ift fetjr bemerfensu)ert, bag Haumann, rt)ie Wend er5äblt, anfangs melir Heigung 3ur ZlTatl^ematif als 3ur Cbeologie batte, unb bag erft ber (£rlanger Profeffor ^rancf itjn cnbgültig für bas ttjeologifd^e Stubium gewann. Hnb u>as ben anbern punft betrifft, fo upirb bar^

über im ^weiten Kapitel 311 banbeln fein. Vodf fei fd?on l^ier barauf I^ingeipiefen, bag Haumann offenbar febr u?enig 2^iexe\]e für Doqmatit batte. Ellies, was er vox \S^5 gefd^rieben I^at, betjanbelt, fotoeit es mir befannt ift, niemals <5egenftänbe bes (Slaubens ober ber Cel^re, fonbern aus^ fd^Iießlid^ praftifd^c, paftorale ober fosiale Sxagen, 3n üiel hßh^exm (5rabe ift bie pra!tifd)e Cel^rseit für Haumann beftimmenb getoorben^ bie auf bas tl^eoretifd^e Stubium folgte: Von \8So 85 ipar Haumann 0berbeIfer im Hautjen ^aufe, rjorn bei Bamhuxq, jener 2tnftalt, bie \S5o als erfter Keim ber 2^ncxn ZlTiffion gepflaujt u?urbe unb i?on wo aus biefe il^re <3u?eige über ganj ^eutfd-jlanb ausgebreitet liat. IDid^ern felbfti) u?ar \SS\ geftorben; aber [ein (Seift u^ar nod) lebenbig in ber in5u?ifd)en 3U einem fleinen Dorfe an(^ewadi\enen (5rünbung, unb er l^at tiefer unb innerlid^er auf Haumann gemirft als Cutbarbt unb 5rancf. IPieberboIt gebenft Haumann feiner mit lüärmfter, banfbarer Derebrung unb säblt ibn unbebenHid] 5U ben großen, fd^öpferifd^en (Seiftent ber d]riftlid]en Heligion .2) X)iefe Sd^ä^ung ift ge^

') Über ihn orientiert je^t bie populäre Btograpt)tc von (Dtio Sdjni3er, 3o^ann f^einricfa Ü^icbern i>er Pater ber 3""ßi^n ITliffton. (Lalvo unb Stuttgart ^90-^. Da3u lefe man feine ßauptfArift: Die innere IHiffion ber beutfcben ecangelifAen Kirche, fjamburg ^849.

Pergl. befonbers ben 2tuffat5 „IDicbern unb bie 3n>eite periobe ber 3""^^^" Uliffion", Cbriftlidje IDelt VI (^892), srpff.: „3a, IPi^ern ift proptjet; benn er hat nid?t blo^ für feine (Seneration gerebet unb ge^

X*

- ^ -

vo\% bercditigt; sugleid) aber niod^tc Haiiinann xfyw gccjeiiübcr bas (5cfül]l fcclifd^cr Dcrtoanbtfd^aft l^abciT. Bcibe finb ftdi in fielen ^ügcn über^ rafd]cnb äl-^nlid]: beibc scigcn bicfclbc fd]Itd]te, edjte, ipebcr ron <5u?cifcln geplagte nod] mit bog* iitatifdier ^ngl^ersigfeit bel^aftete 5i*öminigfeit, bie fid] in praftifd^em IDirfen, in Caten I^elfenber nnb rettenber Z1Tenfd]enIiebe offenbart, beibe benfelbcn unerntüblid]cn Cätigfeitsbrang unb bie erftaunlid-je ^rbeitsfraft, beibe bas unr>ergleid|lid]e Calent für burd)bad:)te5 X>ifponieren unb 0rganifieren, beibe enblid^j bie perfönlid]e <S>Qwa\t über ZlTenfd)enfeeIen, bie IDidjern fornot]! feine reid]gefegnete (Srsieber* tätigfeit an üertoabrloften Kinbern icie feine grog» artigen €rfoIge als 2lgitator unb 0rganifator er* möglidite.

Was Haunmnn Ijier gelernt I:jatte, bie (£in= fid]t in bas (£Ienb unb bie fosialen Höte unfrer ^eit unb bie Übung d^riftlid^er Häd]ftenliebe, hatte er audi fpäter in feinem fjeimatlanbe reid^e (Se» Iegenl]eit 3U betätigen. Von \886 \8^0 wav er Pfarrer in einem armen Strumpf u^irferborfe Langenberg bei fjol^enftein (£rnfttB)aI (iwiidicn (5Iaud^au unb CEjemni^). Ejier trat ibm bie Eifere ber fjausinbuftrie r>or bie klugen unb natjm täglid^

bad)t. Wh lüiffen ntd?t, ob er 3<iljr{^unbcrtc überragen n)irb; aber je^t, voo bie legten feiner Hilters genoffen fd?Iafen gc{|n, ift IPidjern nod? wie ein unfid?tbarer £ebenbiger. 2lüc öie, bie uns je^t in ber praftifdjen 2lrbeit ber eoangelifd^en Kirdie rorrräris füt^ren, 3et^ren Don it^m. StöcEer, ^obelfd^iringl^, Sulse fann man nidit anbers barftellen, als am bes Stanbbilbes, ron bem IDid^erns großer flarer Kopf l^erabblicft".

feine fjilfc imö feinen l\at in 2lnfprud>. (5ugleid) voav er, u?ie (Söbre er5ät>It, „ber ^J-'^nnb aller ^ ant>u? er fsburf dien unb u?anbernben Ceute, bie bei ifyn faft brüberlid]e ^lufnabme fanben; id"> felbft n?ei^ bas von itjnen aus meiner r>anbu?erf3-- burfd]en5eit in bortiger (Segenb." (5. 758.) 2lber aud] bie eigentlid^ typifd";e NSrfd^einung in ber rüirtfd^aftlid^ = f03ialen pbyfiognomie iinferer S^it, bie 5<5brifinbuftrie unb bas 5abrifarbeiter = prole* tariat, lernte er bier in täglid^er 53erübrung grünblidi fennen. „^as Dorf feiner erften 2bnt5' jabre ix^ar von ben Sd^Ioten ber ^cibrifen auf ber einert, ber Kol^Ienbergwerfe auf ber anbern Seite iimgren3t", n?ie (ßöt^re an anberer Stelle berid^tet (dl^riftl. IPelt V, 269).

2.

2iu5 biefer ^eit ftammen bie erften f dir ift- Ii dien Kunbgebungen Haumanns. i) Sie be» ipegen fid^ alle in ber burd] bie Otniere 21Iijfton v>orge3eid>neten Cinie. Sie finb 5um größten Qleile in (^eitfd^riften 5erftreut, befonbers 5ablreid) in ber \S87 begrünbeten unb von ZlTartin Habe, bamals Pfarrer in Sd-jönbadj (Sadjfen), berausgegebenen „Cliriftlidien IPelt". ^tud^ was in <3udiform er* fd^ien, beftebt 5um Ceil aus prebigten unb Vot-- trägen ; es finb bünne fjefte, beute meift Der griffen unb fd]iper auf3ufinben. Sie seigen uns Haumatm

^) €irtige nod) ältere ^tuffät^e fteben, 5. ü. ohne rcamen, in ben „^liecjenben blättern aus bem Hauben f7aufe".

bcutltd^ als bcn „paftor ber armen Ccute*. Das crftc ift ein Dortrag über Vagabund enwe^en, Vex-- pflegftationen unb ^rbeiterfolonien, ben ber Sdiön-- badjer Derein gegen ben 21Ti§braud] geiftiger (Se^ tränFe unter bem Cttel „2trme Heifenbe", mit einem Doriport r>on Habe, i?eröffentlid]te. 3bm folgte, ebenfatts \S8S, eine „^Irbeiter^prebigt", beim erften 3al:^re5feft bes er>angelifd^en ^Irbeiter-- üereins lOilf au < Hieberl^aglau gelialten.

Hun fd^Ioffen fid] eine Heibe fleiner, aber rutd]tiger 5d]riften programmatifd^en 3"I^<^^t^ Q", bereu erfte ben heieid]nen^en Citel „^Irbeiter* K ated] ism u 5 " fütjrt.^) fjier seigt fidi Haumann von einer neuen Seite. €5 ift ifyn nid^t genug, bie Firmen unb Hotleibenben burd] erbaulidje Heben 5U tröften ober bem (£in3elnen im einseinen ^alle mit Hat unb Cat 3ur Seite 5U ftel^en. 3n u?al->r:^ baft brüberlidjer XPeife bemül^t er fid], in il]re (Sebanfenmelt einsubringen, unb ber innige ZDunfd) 5u belfen veranlagt il:jn, bie Hot unb bie IHittel 5ur 2lbl^ilfe grünblidj 5U ftubieren. Haumann ift einer ber erften ei>angelifd]en (Seiftlid^en, ber eine gebiegene Kenntnis ber Sosialbemofratie fidi erujorben t^at, eine Kenntnis, bie nid^t allein aus ben f)auptu?erfen ber Cel^re, fonbern aud^ aus ber populären ^rofdiüren^Citeratur gefdiöpft ift;2)

') 2Irbeiter=Katccbismus ober ber malere So^xaüs= mus. Seinen arbettenben Brübern baxi^eboten von ^x. 11. Call», Dereinsbudjl^. \888. 3d? fenne fie leiber nur aus ben IHitteilimgen von Wcnd, S. 36 f. unb (Söhre, Cbriftl. Welt 5. 979—983. 2) Dergl.

3. feinen Beriebt über bie „Berliner 2IrbetterbibIio=

imb r>icneid]t nodi fcitncr xvax bic llnbefangenJ^dt bc5 Urteils, ipoinit er iljr entgegentritt, unbeirrt burdi ben fird:>enfeinblid]en Cl^arafter iE>rer ^gi* tation. Der größte Ccil ber Sd^rift E^anbelt von irirtfd^aftlidjen Dingen, unb ^voav in aiisgefprodjen arbeiterfreunblid^em, fosialiftifd^em Sinne. Der uors Ijanbene Hotftanb voxvb rücf^ialtlos anerfannt unb mittel 5u feiner fjebung, befonbers umf äff enbe Perfid^erungen unb Sd^u^beftinunungen geforbert. Was Haumann von ber Sosialbeniofratie fdjeibet, liegt u?eniger auf u?irtfd]aftlid]em (5ebiete es xpirb bie Hotu?enbigfeit bes Privateigentums be- tont imb bie pflege bes 5<ii"iIiß"I^^'ßns geforbert als in ben allgemeinen d^riftlid] geiftlid^en 3been : an Stelle bes uerberblid^en Klaffenfampfes 5u?ifd]en ^ourgeoifie unb 2lrbeiterfd7aft ipirb gegen« feitige Ciebe als ^lUbeilmittel gepriefen ; unb an Stelle ber materialiftifdjen Cel^re ber Sosialbemo* !ratie folt fid^ bie ^lrbeiterfd]aft mit d^riftlidieni (Seifte burd^bringen. biefem ^u?ecfe u?irb Eintritt in bie er>angelifd]en ^Irbeiterrereine empfol^len, unb eine d]riftlid]e ^trbeiter=partei als (5iel liingefiellt.

Seine Stellung jur Sosialbem of ratie bßt Haumann tiefer unb r>ollftänbiger cntmicfelt in einem fel]r inbalts= unb gebanfenreid^en Dortrage, beffen Cl^ema er formuliert: „tOie retten u?ir

tl]eE", (Ebriftl. IDcIt IV (\890), 258 ff. 272 ff. 55\^.

') Was tun irir gegen bie glaubenslofe 5o3ial= bemofratic? Dortrag auf ber (Seneralrerfammlung bes Sdjiefif d?en proüin3talt)ereins für 3""^^^^ XTliffion in £iegnit3, b. ^3. 3""i ^899. £p3v <5. Bcl^me riadjf.

8

CEjriftenfeelen aus ber urigel:jeuren (5eix?alt bcs Unglaubens, bte in bem Woxie Sosialbcmofratie bcfdiloffcn liegt?" Sdion biefe 5<iffung aetgt uns beutlidr. Haumann tjat ben (Segner nid^t nur fennen, fonbern babei sugleidj ad)ten unb fürd]ten gelernt. Die Sdjrift beginnt mit bem unum- rDunbenen (£ingepänbnis : „Die Kraft ber Soixal- bemofratie ift nid]t bas Sd^Ied^te an iEjr, fonbern bas relatiü (Sute. Sie lebt nid^t von Su§erlid> feiten, fonbern burd^ iE^re eigne 3nnerlid]!eit, il^ren (Seift. Die Sosialbemofratie ift (Seiftes* mad^t." Die fo3iaIbemofratifd]e Citeratur ftel:^t ent= fd]ieben über beut Durd]fd]nitt unb fou?ol]I itjr intelleftuelles Hioeau xüie il^re fittlid^e Haltung ift feljr ad}ibav. Unb nun ift es u?irflid7 beipunberungss rcürbig, u)ie auf rcenigen Seiten bie So5iaI= bemofratie treffenb unb uoUftänbig bargeftellt unb fritifiert u?irb, nadti t>ier (Scfid]tspun!ten : il^rem praftifd]en Programm, il^rent 3beal, il:|rer materia= liftifdjen IPeltanfdjauung unb ibrer prin3ipiellen ©ppofttionsftellung. VOäxe biefe ^emegung in fid^ einl^eitlid], fo wäve fie unüberi^inblidi. ^ber in U)al]rl:)eit l>ängen alle uier Ceile mit einanber nid]t innerlidj unb notmenbig 5ufammen. Befonbers u?id]tig ift ber erfte punft ber Kritif, u?orin bie 2ld]illeusfer(e ber So3ialbemo!ratie mit fidlerem Sdiarfblicf erfaßt ift: ber XDiberftreit bes praftifd]en Programms mit bem ptjantafteibeal. Hur glaubte Haumann bamals an ben Sieg bes pl^anta ftif d^en 3beals über bas praftifdje. Diefe fonfreten rcirt^ fd]aftlid")en 5orberungen ftnb natürlid^ für ben

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(£t)viftcn o^m weiteves annefynbav. 2ihev and] öas ^ufunftsibcal als fold^es brandet man vom dvnft- lidien Stanbpunft aus n'idbt 311 u>eru?erfen. Dev ciacntlid^c (5ecjcnfa^ liegt v»iclmel]r im brüten punfte: ber Kampf 3u?i|d]en (Il^riftcntiun imb 5o5iaIbemofratic ift ein Kampf 3n?eier lUeIt= anfd^auungen. Dorfd^Iäge, ipie biefer Kantpf ge= füt^rt werben fann, nel^men ben Sd^Iugteil bes ijeftes ein.

Haumaun rebct 3U nnb von 2lrb eitern nid^t im üblid]en Kan3eItone, aus ber fjol^e unb ge= fd]ü^ten £age bes paftors, fonbern er tritt neben fte als 5reunb, ZlTitftreiter unb ^tna^alt. €r prebigt iJ^nen nid^t Ergebung unb (Senügfamfeit, fonbern er tritt mit (Snergie für Derbefferung ihrer Cage ein unb fud]t Xl)ege 5U biefem (5iele. ^wei punfte fd^einen mir babei befonbers d]arafteriftifd?. 5d]onim „2lrbeiter=Kated^ismus" l^anbelt ein Kapitel von neuen ^ ebürf nif fen, bie fid] ber ^Irbeiter angeix)öijnen folle, ^ebürfniffen erböl:>ter Ziehens-- I^altung unb Bilbungs^Sebürfniffen. 5ßi-*ner bat Haumann begriffen, bag ber ZlTenfd^ nidit nur ^rot unb Arbeit brandet, fonbern baß für eilt menfd]enu>ürbiges Ceben aud^ eiit gemiffes UTag r>on 5i-*ßiibe unb ^firl^olung unentbelirlid] ift, 3umal bei ber ^abrifarbeiterfd^aft ber großen Stäbte, in bem feelenlofen ZHed^anismus ibrer 21rbeit unb fern r>on ben natürlidien 5i^^ubenqueIIen bes Catibes. Haumann l]at biefer u?id]tigen (£rl]oI ungsf r age ernftlid] nadige^^adit unb fie in d]riftlid]em Sinne ' bel^anbelt in einem Beitrag 3U einem tl]eoIogifd^en

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SammelvoextO) (5crn fielet man il]n fclbft baritt am VOctfe, wenn ex ev^ä^lt, wie ber ungenannte paftor ein altes IDeil^nad^tsfpiel für feine Dorf- finber 5ured]t mad^t iinb sur ^(uffül^rung bringt.

^Ue eru?äl7nten 5d">riften unb 2Iuffä^e l">aben es mit bem 2lrbeiterftanbe 3U tun; fte bleiben in berfelben Spljäre, in ber fid? bie praftifd^e, feel= forgerifd^e Cätigfeit Haumanns bemegte. Xluv eine f leine (5ruppe fällt aus biefent 2\aE^men I^eraus, inbem fie fid^ an eine Klaffe u^enbet, mit ber Hau* mann siüar nid^jt burd^ ^erufspflid^ten i?erbunben u?ar, bie il^m aber woi}i befannt war imb feinem fjer3en nal]e ftanb von ber ^eit i}ev, wo. er felbft ba3u geB^örte: an bie Studenten, Wenn es bie eigentlid^fte ^lufgabe ber 3imern ZHiffton ift, bas Cliriftentum bem beutfdien Volte u?ieber nabe 3U bringen, fo ift ein rid^tiger unb frud^tbarer (5e» banfe, bag fid] bie prebigt besfelben mannigfad^er geftalten, nad] ben rerfd^i ebenen Stäuben unb Klaffen abftufen unb ben ebenfo i?erfd]iebenen 3e* bürfniffen unb bem geiftigen Hiueau biefer 5dnd]ten anpaffen mug. ^ei biefem <5ufammenl:^ange fd^eint mir bie 5orberung befonberer Stubentenpaftoren burd]au5 fonfequent gebadet imb u?ol]Ibegrünbet ; bie afabemifd]e 3wgenb ift in ber Cat mel^r als anbere Stäube eine IDelt für fid], mit iljren eignen X)erfud]ungen, Höten unb Problemen, aud] in religi* öfer unb fittlid^er fjinfidjt. Haumann t|at biefen (Se*

^) Ctjriftlidje Dolfscrl^olungen. Limmers ^anbbibl. ber Tpxaft. ^{}eoloQic, u-— Bb., ^6. (SotJ^a, pertt^es ^890.

tianfcn meh^xfadi in 5cit(d]nftcn imb aud) in einer eignen Sdjrift vex\oditen. VOenn er it^n fpäter fallen gelaffen l^at, fo l^at er fid? uielleid^t i>on feiner ^tusficbtslofigfeit überzeugt ober er bat aud) fein 3"fßJ^^ff^ liefen ilTijfionsbeftrebungen vex-- loren. 2)ie ^üi^Iung ntit ber Stubentenfä^aft l-jat er baruni nid]t aufgegeben. Hod^ \S^^ tjat er auf beut d]riftlid]en 5tubenten!ongref|e 3U ^i^anf» furt a. ZIT. einen Dortrag gebalten.i) X>en ftär![ten €influß l]at er inbeffen erft erreid-jt, fcitbeni er fid"> nid]t mel^r in befonbcrer lOcife an f\e u?enbet, fonbern fie für feine allgemeinen politifd^en 3^^<^1^ 5U gert)innen ftrebt. 211äd)tig l^at er bie 3ugenb aus ibrer politifd^en (Sleidngültigfeit aufgerüttelt, benn er Ijat alles, u?a5 bie 3"9^"^ begeiftert: große unb erbcbcnbe 3*^^^^^ i^"^ ^auberntad^t ber genialen perfönlid>feit; unb nur, inbent man fie begeiftert, fann man bie Wersen bcr iperbenben (Seneration geu?innen.

5.

€5 ift faft, als ob bas Sd^idfal Haumann mit ^bfid^t für feine 21Tiffion erjieben a^oUte; fo folgerid]tig unb fd)rittu-)C!fc wirb fein Ceben aus bem alten tljeologifd^en ^ette in eine neue ^al^n B^inübergeleitet. 3^^^)^*^ \890 r>erlieB er fein

ftilles X>orf, um einem Hufe nad^ furt a. ZlTain als D ereinsgei ftlid]er für 3iniere ZHiffion" 5U folgen. Ihxdi b\cv blieb er ber „paftor ber armen Ceute" ; aber er fonnte fid]

') Der Stubent im Dcrfebr mit ben ücrfcbieöcnen Polfsfreifen. (Söttingen, Danbenboecf & Kuprecbt \8^5.

1.2

^cm X)ienftc feiner atmen unb niebrigen trüber nun au5fd^Iie§lid|er unb in größeren X)imenfionen ipibmen. 2lnnenpf(ege, bie ^luffid^t über VOohh tätigfeitsanftalten unb lDol7lfaI:jrt5einrid'>tungen, Ceitung diriftlid^cr Dereine unb gan5 fdjlidjte Sonntagsprebigt für einfädle Ceute, bas roaren nun feine Serufspflid^ten. 2ludi bas fosiale €Ienb unb bie eigentünalidjen CebensoerB^ältniffe, u)ie fie gerabe beim Proletariat ber (Sroßftabt fid] ge» bilbet I:jaben, lernte er liier in anberem Umfange nnb aus größerer Zlähe fennen. Unb u?äl]renb er bist^er bie Sosialbemofratie l^auptfäd)Iid:? aus ^üd]ern unb Leitungen ftubicrt I^atte, trat fie il^m je^t in lebenbiger (Segenwart i?or klugen, imb er ließ bie (5etegenl]eiten, fie 3U ftubieren unb fid^ mit ib^v 3u meffen, nid^t imgenu^t.

Naumann gel:|örte ber ^nnexn Uliffion nun gan3 unb offi3ielI an. (£r wax nid^t mebr barauf befd^ränft, il^r burd] (3ebanUn unb Tin-- regungen, Heben unb Sdjriften 3U bienen, fonbern er fonnte praftifd^ eingreifen, l^anbeln unb fd^affen. Zlodi \8^0 grünbete er in ^i^anffurt einen eoan* gelifd^en 5lrbeiterr>erein, beffen llTitgIieber3ay balb in bie fjunberte ftieg. ^ber er mar fd^on je^t eigentlid^ über ben Stanbpunft ber 2^mexn ITJiffion Ijinaus» qewad]\m unb in biefer Hid]tung mürbe er in ;$ran!furt burd^ feine (Srfal^rungen imb fein X>enfen weiter unb weiter gebrängt. €s ift l]ier au ber ^eit, Haumanns Stellung 3ur ^nnexn 2;Tliffi on im (5an3en 3U überfd^auen.

Das widitigfte X>o!ument ift ein 2Iuffa^, ber

\5

bereits ^888 in bex ,(£t]riftlid]en WcW {Viv. ^3, ^5, ^7) crfd]ien unc) in ben beteiligten Kreifen leb' Ijaftes ^iif leiten erregte. (£r ift über[d]rieben „X>ie ^ufunft ber 3"nern ilTiffion." gebe eine ^u-

fainmenfteUung ber Ceitgel^anfen.

X>ie 3nnere llliffion I^at fiel] in ben 50 Jal^ren itjres 23eftelien5 aus ber (£nge unb ^Eiefe in bie lUeite entmicfelt; fie ift aus einent „fd^önen (Se^ I^eimnis fleiner gottjeliger Kreife" 5ur ^Ingelegen- Ijeit ber Kird^e inib ber 53el]örben, fie ift r>olfs= tüntlid] unb faft fdpn ZlTobefad^e aewovben. ipeitern Derlauf biefer (£ntrr>icFlung ipirb fie fd^lieg* lid? allgenteine Dolfsfad^e iperben unb ben dliarafter bes befonberen religiöfen Unternel]niens i^ollftänbig verlieren, fie u)irb bamit aus beut Stabium bei' freien priuaten Cebenstätigfeit in bas ber gefe^^ lid]en 0rganifation treten unb il]re (Srünbungen teils an ben Staat, teils an bas regelmäßige firdv Iid?e 2lnü abtreten, u?ie bas bei mandien (£in* rid^tungen bereits gefd]el]en ober int IPerfe ift. „X)ie 3"^^<^^<^ llliffion ift bie freie d^riftlid^e Dor* arbeit für sufünftige bleibenbe 0rganifationen iit Staat imb Kird]e." IDenn fomit bie ^^rnexe 211iffion bie Cenbens l^at, fid] felbft überflüfftg 31t mad]en unb in Staat unb Kird]e auf5ugel]en, fo- tperben bod] eben biefe burd] il]ren Hinflug u?efent« lid] veränbert u?erben. X>ie ^nncxc 211iffion l^at eine grunbfäfelid^e Deru?anbtfd]aft mit bem Sosialis» mus; benn beibe I^aben bas gemeinfame ^iel: bie- (Entlaftimg ber 53ebrängten. Die Annexe 211iffion bient bem Sosialismus unb l^ilft mit an ber fjer*

\^ -

beifül^rung feines ^ieb, inöem fie bas Kapital am VOadisium tjitibert, neben bem Eigentum am Befi^ ein Eigentum ber Bed^te (Hedit auf Kranfljeits^ unb ^Itersuerforgung, auf gute IDobnung unb lol^nenbe Arbeit) fdjaffen b}\\t unb bie (£ntiDicfIung t)er 5d?u^red^te förbert. Sie geftaltet ferner bie Kird^e um burd) bie 2(npaffung ber prebigt an bie l^eutigen Dolfsbebürfniffe unb bie uerfd^iebenen Polfsfdjidjten, unb burd^ ^nbal^nung neuer (Se^ meinbeformen; bie Kirdje u?irb burd) fie mieber Polfsfird^e. „Der fosiale Staat unb bie volU-- tümlid^e Kird]e, bas ift bie ^ufunft ber 3"^^^i^^" 2niffion, bas ift, fo <3ott u?iU, bie ^uhmft bes Polfes."

Haumanns 2(uffaffung ber 3nnern 21Tiffion n?urbe in Hr. 5\ beffelben 3al|rgangs von ma§= gebenber Seite (X)r. ^. v. Sdjubert=fjorn, Der alte unb ed^te Segriff ber innern 2Tiiffion) beftritten; bod] I^at er fie nod] ^ 3<^^i^^ fpäter im lDefent= lidjen aufredet erlialten („XPidjern imb bie 3u?eite periobe ber 3nnern ZlTiffion", (Eljriftl. IPelt \S^2, Hr. 39). €5 ift u>obI nid^t 5U leugnen, ba§ feine (5egner ftreng genommen Hed]t traben; fie B>aben -ben urfprünglidKn Sinn ber 3^^"^^^^^ ZlTiffton, bie 3bee IPidierns imb bie Crabition treuer beu^aljrt. -2tber Haumanns ^^l^Ier liegt barin, ba§ er, eine mel^r V)erein3elte Sugerung IDidjerns 3U febr be= tonenb, feine ^uffaffung mit ber bes Derebrten 2neifter5 ibentifisiert, um il^r bie I|iftorifd?e lOeiE^e .3U geben, roal^renb fie in lDirfIid:)feit eine neue unb eben besl^alb roertüoll ift. Sie ift einerfeits ^uxdi ben r>eränberten Cbarafter ber <3eit bebingt;

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anbrcrfeits he^eidinet fie audb einen gemaltigen gebanflid^en xmb fittlidjen 5ortfdjritt über . lPid]ern ijinaus.

Was bie 3nnere ilTt)fion i nt 5 i n n e U) i r n s fein foU, bas fagt ber öurd] il]n tjerrfd^enb geu?or^ t>ene Harne mit aller u^ünfd]en5iperten Deutlid^feit unb uodi beutlidier fprid]t es bie X)enffd^rift von ](8^9 t/^^^^ innere ZlTiffion gilt uns . . . bie

gefanite ^Irbeit ber aus beni (Slauben an Cl]riftuni geborenen Ciebe, u?eld^e biejenigen Zllaffen in ber Cbriftenl^eit innerlid^ unb äugerlidi erneuern u?iU, bie ber ZTTadjt unb fjerrfd^aft bes aus ber Sünbe bireft ober inbireft entfpringenben niannigfadien äußeren unb inneren Derberbens anlieintgefallen finb, ol^ne bag fie . . . von ben jebesmaligen ge^ orbnetett d^riftlid'jen 2lmtern erreid]t iverben." (5. „Hod] foU an biefer Stelle ausbrücFlid^ ... bie iUeinimg abgeu)iefen u?erben, als ob bie iti= nere ZTTiffion als fold^e nid)ts ^tnberes fei, als ein lUerP ber IDol^ltätigfeit, im d^riftlid]en Sinne betrieben; alfo eine djriftlid] erneuerte pflege, Per= forgung ober 33efd^äftigung ber Firmen. <£5 lä§t fid^ bie reid^fte Cätigfeit ber inneren ZHif^ (ton benfen unb (te ejriftiert ipirflid] , ol^ne i)ag je aud^ nur eine leiblid]e IDol^ltat babei 3U fpenben nötig geu?efen voätc; es lägt \xdi eine (Semeinbe benfen, in u?eld]er bie Heid^en, (Sebil= beten bas (5ebiet finb, bas fidj bie innere ZUiffxon allein eripäl^len fann, u?eil fte arm finb an (Sott, roäl-jrenb bie Firmen, u?eil reid^ an iljm, bie Cräger ber inneren ZlTiffion fein fönnten.

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IDol]Itätigfeit, u?ddje aud? von bcr inneren ^Tliffion in bes fyxxn Hamen geübt luirb, ift an eben fo pielen Stellen, als ipie an anbern Stellen nid)t, ein X)urdjgang5punft il^rer ' Cätigfeit, ein feljr oft, aber bod] nur 5ufäIIig mit il>r i?erbun* benes (Element, in feinem 5<^öß tiber je il:jr eicjent* Iid?er ^wed." (S, 1(7— ]i9.) m\o, weit entfernt in ^arntl]er3igfeit unb IDobltätigfeit auf5ugeben, liat bie 2^ncvc ZlTiffion eine boppelte 2^ufgabe, lüie fie Hr. \ ber Statuten bes ^entralausfdnifj'es formuliert: „Die innere ITtiffion J^at 5U il^rem Svoede bie Hettung bes eoangelifd^en Polfes aus feiner geiftigen unb Ieiblid]en Xlot buvdi bie Der* fiinbigimg bes €r»angeliums unb bie brüberlid]e fjanbreid^ung ber djriftlid]en Ciebe." Unb biefe beiben ^tpecfe finb nid]t nur unlösbar Derbunben, fonbern in ein fold^es Hangoerbältnis gefegt, ba§ bie Befel^rung ^auptfad^e, bie Ciebesübung entbeBjr» lid^es Beiu?erf unb ZlTittel 3um ^wed ift. Das wixb aud} von ben Spätem mit aller (£ntfd?ieben» B^eit betont; id] fe^e nod^ bie beseidinenbften Sä^e von Sd^ubert t|er: „Die Ciebestat am äußern ZTtenfdien foll, aud^ wo fie einen breiten Haum einnimmt, bod] nur eine prebigt ber göttlidjen Ciebe fein unb für bie Seelforge gefügig madjen. So geu?ig bie Seele ber Ceil im 21Tenfd^en ift, ber, eu?ig unb r>on unr>ergänglid]em Wevte, bas Zentrum aud? bes Ceibeslebens bilbet, fo gemig ift bie Seelenrettun g bas Zentrum ber inneren 21Tiffion. fjier I^at fie iE^r felbftänbiges prin3ip, unb r>on ijier laffen ftd] it)re (ßrunbsüge

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entfalten. ITic imb nimmer unb niemals ift bie bloge pflege eines Kranfen aus ebler ^flTenfcl-jen* liebe ober bas ernfte ^emül^en um bie fjebung ber 2trmut fd^on ein lOer! ber inneren 21Tiffion."

(Seu>ig ein flares unb beut ^Infdiein nadi unangreifbares Programm. Unb bod^ Ijat es ftd) nidjt burd'>fül:jren laffen unb ift von ber (Sefd^id^te üeriporfen. Tcid^t einmal IDid-jern felbft I^at fid? ftreng baran gebalten. Denn als er \86^ unb ujieber \S66 unb \S70 mit 3rübern unb freiwilligen geifern in ben Krieg 50g, unb eine 5ßIbbia!onie organifierte, bie suerft bas „rote Kreus" in bie (Se* fd|id]te einfül^rte, ba ftellt er ohne ^ivcxfel bie 0rgane ber 3^1"^^^^" 21Tiffion in ben X>ienft ber ^armbersigfeit unb fjumanität, otjne ^e!el]rungs* I^intergebanfen, imb bas ^üd]Iein, bas r>on biefen Caten ersäblt, ift bement|pred]enb überfd^rieben „Kriegsbienfte ber 5i^ßtu?iIIigen Ciebestätigfeit." Unb bie von ber 3""<^i^^^ ZTliffion gefd">affene ^in» rid^tung ber (Semeinbebiafonie fann ebenfalls einen anbern Sinn nid^t l^aben. Unb aud^ bas u)irb fein Derftänbiger leugnen : U.'^enn bie ^^rncve 21Tif* fion nid]t biefe £iebesu?erfe aud] als 5elbft5ix>ecf unb fjauptfad-te getrieben unb barin fo Bebeutenbes geleiftet l^ätte, niemals hätte fte eine fold^e Tins-- beijnung unb fold^es 2lnfel^en erlangt.

Dodi C5 lobnt fid) u^ol^l, ber Sad^^e prinsipiell nad^3ubenfen. U^idjerns ^Jtuffaffung u?ar burd^ breierlei bebingt: burd] bie 5eitr>erl]ältniffe, burd] feine prajis unb burd^ gcu?iffc tl^eoretifd^e 2lnfd]au* ungen. 2llle brei punfte galten für \S^0 unb für

^. mcyer: S^br. Naumann. 2

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Haumann ntdjt mel^r. X>ic S^itvcx^äitm\\e fommen infofern in Betvadit, als bas (£Ienb ^8^9 nod^ nidjt in bem (5rabe ZlTaffenerfd^einung wav wie jc^t unb nod] eb.et bie f^offnung julicg, man fönnc feiner auf inbir>ibualiftifd]em IDege burd> perfönlid^e 2lrbeit am (Einseinen i^err u?erben. ^ie Praxis : foupol^I IPid^ern perfönlid] u?ie bie von x^m in bie IDege geleitete ^nmve 2Tliffion be= gannen mit ^^ettungsl^äufern für permal^rlofte, gar nidjt ober fd^Ied^t ersogene ober fd^iüer er^ieEj^ bare Kinber. fjier ipar freilid] Ieiblid]e5 unb feelifd^es (£Ienb untrennbar uerbunben unb würbe bie feelifd]e Beljanblung 3ur fjauptaufgabe, rx?omit in ber Hegel aud^ bie äußere Hot gel^oben u?ar. Unb ron I^ier aus fonnte man leidjt 3u ber Per* allgemeinerung fontmen, bag mit ber d?riftnd)eti (£r3iel|ung unb feelifd^en (Srneuerung bes Voltes alles (£Ienb aus ber IDelt gefd^afft werben fönne. Damit war nun bie fird^Iidje Cebre in Überein* ftimmung, bie in ber Sünbe bie lUursel aüer Hot unb alles Derberbens fal-j; bie Sünbe aber t^atte natürlid^ it^re le^te Urfad]e im 2tbfaII üom Ctjriftentum.

2)iefe I^er!ömmlid]e paftoren=^uffaffung Iie§ fid-> angefid]ts bes ^ITaffenelenbs im (Sefol'ge ber mobernen 3^''^iifti^i^ "^^^ aufredet erl^alten. 2Tlan brandet weber Haumanns pfyd]oIogifd]en Ciefblicf nod] feinen Bruberfinn gegenüber ben Ernten 3u lijaben, um ein3ufel^en, bag bie traurige Cage ber ijausweber nid^ r>on ber Sünbe unb am aller* wenigften von il^rer eigenen Sünbbaftigfeit E^erfam,

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fonbern öag ftc reiu öfonomtfd^c Urfadien bßtte, in öer tpirtfd^aftlid]cri unb polittfd^cn Perfaf= fung ber (ßefellfdjaft lagen, unb ba§ tl|r burd? feine Bef^I^rung unb fittlid^e €rneuerung, fonbern allein burd] Umgeftaltung ber fo$iaIen PerJ^ältniffe abgeljolfen u?erben fonnte. Unb biefe (£r!enntni5 wax n'idit einmal neu 3U geu?innen. Sie lag fertig t>or, von einem genialen Venhv mit u?ud]tiger Konfequens 5U einem u)iffenfd]aftlid]en Syftem ent^ loidelt imb von einer nadi fjunberttaufenben 3ät|= lenben ZTlenge als (£r>angelium uerel^rt. Diefe <£infid]t brad]te Naumann bereits nad^ S^<^^^'' furt mit.

Damit u?ar bie fefte Perfnüpfung ber beiben 2tufgaben ber 3nnern ZHiffion gelöft unb il^r Per= l^ältnis 3u einanber grünblid^ r>eränbert. iPenn XPidiern unb feine Had^folger u?oE^I eine Seelen* rettung, wo feine materielle Xloi wav, aber feine blofee Ciebesübung ol^ne Seelenrettung suliegen, fo verlangte je^t biefe it]re ^Inerfennutig als felbft- ftänbige Arbeit unb trat gerabesu in ben Dorber- grunb. Haumann ift fid] biefer IDanblung r>olI= fommen beu)ugt; bie „fd^öne ^eit ber erften Ciebe", t)ie er d^araf terifiert : „eitles badiie nur an Seelen-- rettung; r>on fo$iaIer Zlot wav wenig bie Hebe", gel^Ört für il^n ber DergangenE^eit an. Diefe 3e= ftrebungen aber, bie allein auf bie ^efeitigung ober Cinberung ber materiellen Zlot gerid]tet waven, liefen fid? nun fd]Ied]terbings nid]t meEjr als Ztebenu^erf ober als ZlTittel 3mn ^u^ecf ber (£üan= gelifation treiben, fie geu?annen uielmel^r eine

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IOid]ticjfcit, vox bcr aücs anbcrc 3urücftrat. VOcv bic (5rögß (£Ienb5 fo fannte Haumann, bcm Ijätte es als ^laspljcmie crfd]eincn muffen, ba§ man ben ^rmcn tun* I^elfen ü:)olIe, um fte feelforge* rifdier (Einmirfung sugänglid] 3U madicn. Xlaiu mann fprtd^t es fd^on ](888 aus: „lUer es fonft nid)t ix>eig, ber bemül|e fid] nur einmal vier XDodjen um Vevhiiv mit fogenannten „geiPÖB>n» lid^en" Ceuten, unb es mirb il^m unerfd]ütterlid] gerpig u?erben, bag bas tieffte 3^itereffe, bie etgent-- lidifte ^lufgabe unfrer ^eit bie fosiale 5rcige ift." Unb wenn er neben bem Sosialismus ber 2^nevn ^iffton eine bienenbe unb norbreitenbe Holle 3U' u?eift, fo ift bas eine 2tuffaffung, bie r>on ber ZDidierns allerbings ftarf abn^eid^t, aber eben bes* iialb ben (^uftänben unb bem (Seifte unfrer ^eit gered]t roirb.

Hatürlidj ftnb bie IDerfe ber bienenben Häd^ftenliebe für fid] ein unbeftreitbares Hed]t unb eine pflid^t bes loaBjren Ct^riftentums, eine not» u?enbige Cebensäugerung ber d]riftlid]en (5emeinbe, benn „ber (Slaube ol^ne bie iPerfe ift tot an il^m felber". X>iefe Cätigfeit fann fidj nid^t an bie üon IDid^ern gesogenen (Srensen hingen. €s roiberfprtdit burd^aus bem natürlid^en fittlid^en (ßefübl, einen Kran!en, ben man pflegt, 3ugleid? 3um 0bieft für ^efeEjrungsuerfudje 3U mad^en. ^ud] bie rein fird^Iidjen 2lnftalten imterlaffen bas unb mad]en l)ier feinen Unterfdjieb 3u?if d?en 5rommen unb (Sottlofen (weld) le^tere allein in ben ^ereid^ ber 2'^ncvn ZHiffion in XOid]evns

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Sinne fallen upürbcn); imb fo E)at bie Kird^e wo^i ftets v>erfal:jren. TXodi wenxQet Iä§t ftdj natürlidi ^tefe Sd^eibuncj burdjfül^ren bei bcn Perfud^cn, bcm f05ialcn (£Ienb iinfrer ^cit 311 ix?et>rcn. Die 5ragc ift alfo nur, ob man alle biefe Siebes» u?erfe 3um (5ebiete ber 3^^"^^^" ZlTiffton l^in3u= red^nen ober bai?on au5)d]Iießen n?ill. (Seu?iß ift, bag fie bem urfprüncjlidien Begriffe iinb bem eigentlidjen IPortfinne ber 3Tinern 21Tiffion nad) nid]t ba3u geboren^); aber ebenfo un5u?eifelbaft tpürbe biefe alle Bebeutung unb alle Cebenffraft verlieren, wenn fie im €rnft barauf i?er5id^ten u?ollte. Denn gerabe als (Drganifatton ber d^rift* lid^en Ciebestätigfeit ift fie gro§ imb mäd^tig ge= iporben; gerabe l^ier l>at fie il^re anerfannten Der= bienfte imb il^ren bauernben Wext,

So Ijat fid^ bie 2lufgabe ber 3nnern Zlliffton in mebrere felbftänbige, burd^ fein iimeres Banb i?erfnüpfte 2lrbeiten 3erlegt. 5lber aud^ biefe l^aben babei rcefentlid^e Deränberungen erlitten. IPir betrad">ten fie bal^er ein3eln.

Die 3""^^^^ ZlTiffion foU, gan3 analog ber ^eibenmiffton, nur innerl^alb ber Kird^e, bie (ßlaubenslofigfeit inib bas und^riftlid^e Xüefen be= fämpfen; il]r IDerf ift prebigt, Seelforge, Be= fel]rung. Das fefet voraus, ba§ man felbft einen 3u?eifello|en (glauben l>at unb bas Hed^t unb bie

0 Diefc Scbmierigfeitcn bei ber Bcgriffsbeftimnmng unb (ScbictsabgrcnjUtig ber 3nncrn XlTiffion bat Naumann fclbft eingefcl^ert; er erörtert fie in einem ^tuffat^e: „Was ift innere Xlliffton" in ber Zllltjem. Konfercatioen XTlonats= fcbrift :^888, S. 69^ 6.

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pflid^t, bicfcn andern mttsutcilcn. TOidicxn voav im ^eft^e eines fold^en feften (Glaubens, unb voo biefer fel:|lte, ba fal^ er geiftigen imb fittlid^en ZHangel. 2lngefid]t5 ber Sosialbemofratie ipar biefe 2TCeinung (bei näl]erer ^efanntfd^aft) nid]! Iialtbar. Venn btcfe l]atte felbft ibre Über- Seugungert, il:jre 10eltanfd]auimg, unb bas geiftige unb fittlid^e Hiüeau wav in il^r nid]! niebriger, fonbern el^er tjöber als bei ber 21Taffe bes „d]rift= Iid]en" Dolfes. fjier tjanbelte es fid] nid^t baruni, einen (ßlauben foId]en mitsuteilen, bie felbft feinen hßtten, fotibern es ftanb (Slaube gegen (Slaube. IDolIte man bier etu?as ausrid|ten, [o ntu^te man 5uerft ben fremben (5Ianben grmiblid? ftubieren, bann r>ont diviftlid^en Stanbpunft aus biejenigen (Sebanfen unb ^tusbrudsformen entmideln, u)omit man bem (5egner beifommen fonnte. ^us ber prebigt w'ivb eine 2lufgabe ber 2tpoIogeti? unb polemif. XUar biefe fd^on gegenüber bem lUate-- rialismus ber Sosialbemofratie nid]t gan3 einfad^, fo u?urbe fie unenblidi fomplisierter, ipenn man einmal anfing, ben „Unglauben" ber gebilbcten Kreife unb ibr pielgeftalliges religtöfes Seltnen unb 5ud]en ins ^Muge ju faffen. Da fonnte man poUenbs mit bem ererbten 53eftanbe nidjt aus* fommen, ba galt es, neue (Sebanfen, neue (Slaubensart 5U [diaffcn. ^n biefer 2lrbeit, b'e ja nodi gans im ^luffe ift, k^i Haumann nod] fpäter, ja eigentlidi erft fpäter teilgenommen; w'ix u?erben int 4. Kap. barauf 5urücFfommen.

So finb u?ir mitten in ben i|eutigen Kantpf

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um eine neue 10cltanfd]auung cjcratert, rocitab von bcr 3nncrn ZUiffion unb tl^rcm Wethen um bte cinscliie Seele. Diefes fd^eint uns eine minder belangreid]e unb nid]t qan^ mtbcbenflid'>e Sad^e. Unfer (Sefübl verlangt, bag w'ix jebe Überseugung adjien, unb in unfre perjönlid^ften unb innerlidjften ^lngelegenl:)eiten, ipte es (Slaube unb fittlidies Ceben finb, laffen w'xx uns von feinem 5r^i"»iben oI:>ne unfern lUunjd") l^ineinreben. (£igentlid^e Hettungsarbeit fann nur an benen gcleiftet u?erben, bie in offcnfunbigent morali|d]en ^lenbe i?er= !ommen, otjue bie Kraft, fid^ felbft barau5 3U retten. f)ier tjat je^t bie rjeilsarmee IPege ge= funben unb energifdje, erfolgreid^e 2lrbeit getan. 3m übrigen fann bas dbriftentum prebigt unb (5u[prud] nur anbieten, nid^t aufbrängen. Dasu bebarf es aber nid^t einer befonbern *£inrid]tung, fonbern bas ix?äre bie Sad^e ber Kird^e unb il^rer georbneten 0rgane. So ergibt fidi bie 5orberung einer (Erneuerung bes offisiellen Kird]enipefen5, unb feiner Umgeftaltung 3U einem lebenbigen imb leiftungsfäl^igen ^rganisntus, feiner «Erfüllung mit neuem (Seifte unb neuen (5ebanfen, u?ie fie bie ntoberne XDelt brandet, unb ber ^tusbilbung seit- gemäßer, u^irffanter, r>oIf5tümIid]erer formen bes fird^Iidien Cebens. ^)

') Wie icb mir bicfe „Hcform bes proteftantismus" bcnfe, iiabc id? im „^ext(^c\^t" vom 18. ^u\i ^90^ aus= gcfülirt. €rft nacbträglid) habe id) cjefet^cn, ba§ bie (5runbgebanfen bicfes 2iii'ffat3es fd?on ^892 von nau= mann ausgefprodjen finb. (5. Was fann bic innere llliffiort 5ur Belebung ber (5emeinben beitragen? 5. ^.)

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Wenn bie ZPirffamfeit öer 3nrtern IHiffton in bicfcn Hid^tungcn un3eitgßmcig erfd^cint, l>at fte in bcr organifierten Ciebes^ imb ßilfsarbcit einen unbeftrittenen Beruf üon 3ix?eifenofem IDerte. lOol^Itätigfeit imb fjilfeleiftung ipirb wobj, nie ent^ beljrlid) fein, unb es fragt ficb, ob man babei auf bie prioate unb freimillige Ceilnabme je loirb r>er= Sid^ten fönnen. 5i^^ilid] tuerben immer meljr 5ßlber, bie von ber ^nnexn 2Ttiffion angebaut finb, fpäter vom Staat unb von ber (Sefeüfd^aft in pflege ge» nommen. Unb immer mebr erfd]eint bas fpe5ififdT <El^riftIid]e bei biefen (Einrid^tungen als nebenfäd^^ Iid]es unb entbebrlid^es ©rnament, wäbrenb im XDefen 3tx)ifd]en Cl^riftentum unb f)umanität fein Unterfd]ieb r>orbanben ift.

(£s ift nun aber bie (£igentümlidifeit ber mobernen 5orm bes (£Ienbs, baß es fo^iale ^affenerfd^einung ift, unb bag bal:>er bie VOobl' tätigfeit, bie fid^ an ben (£in3elnen u?enbet, gän3lid? auger Stan'öe ift, bas Ubel an ber 2X)ur3eI 3U faffen unb grünblid^e, bauernbe fjeilung 3U fd^affen. Dies fann nur burdj Snberung ber u^irtfd^aftUd^en ^uftänbe erreid^t roerben, unb ba^u fübrt allein politifdje Otigfeit, ftaatlid^es (Eingreifen unb Q)v- ganifation. „Die Ciebe im größten Stil ift unb bleibt bas barml)er3ige Staatsgefe^. " (Ct^riftl. XPelt II, 57^.) Haumann getjört 3U ben (£rften innerljalb ber fird^Iid^en Kreife, benen biefe (£r^ fenntnis in voller Klarl^eit aufgegangen ift. (£r Ijat ber (Srfenntnis bie Cat folgen laffen unb ift felbft ben gewiefenen 2Deg gegangen. Der

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fütjrtc il^rt aus bem cjeiftlid]en 2lmt in bic politifd^e 2lrbeit, aus ber 3nnern ZTliffton in bic d]rtftltd:j= f03talc Bewegung.

'k-

X>a u?ir bereits eine grünblid^e unb gediegene (5ejdMd]te biefer Beftrebungen aus ber ^ßber eines tl:|rer S^^k^^^ befi^en,!) fo fann id> mid] auf fur3e ^nbeutungen befdjränfen.

^ud] biefe (Sefdnd)te gebt aus von IPidiern. (£r bßt ben eDangelifdj-fosialcn (Sebanfen suerft i?er!ünbigt, \S^S in ben „5Ii^gcnben Blättern" luib auf bem Kird^entage 5u IDittenberg (2{. Sept.): Die feciale 5r<^gß ift u?eber burd] bas allgemeine XPablred^t (auf liberalem IVeqc) nodi burd^ ben Kommunismus 3U löfen, fonbern burd] eine neue 2^id|tung ber poIitiF, bie vom (Seifte bes c£t>riften= tums burd]tränft ift. Unb er fielet biefe Beu?egung als birefte 5ortfe^ung ber 3""^^^" ZlTiffton in jener u?abrl]aft propt»etifd^en Stelle feiner Venh

*) pauI (Söhre, bie euangelifcb = feciale Be= iDCcjuncj. !£eip3tg, (Srunou? ^896. 200 5. Scbon üor ^877 entftanben r»erein3elt fosialreformerifcbe plätte unb Wi\n\(bt in ber fonfert^atinen partei; bod) geboren fie nur tjalb bierber, ba fie ftd? nidjt an bas Volt, fonbern an bie Hegieriing ipenben. Dergl. über biefe „fo3ial: fonferr>atir>en" Beftrebungen ben (ftarf fubjeftir»en) Bc= riebt etites il^rer ^auptförberer, Hubolf lITeyer, Die ^^nfänge ber eponcjelifdj^fojialen Betregung, in ber ^u-- fiinft IV, 25. 2^. (6.l\5. Xnär3 ^897.) ^rüber unb cnergtfdjer tjatte bie fatbolifcbe Kircbe tnit ber (Srünbung ron 2lrbettert?ereinen angefangen, befonbers in Belgien unb (franfrcid).

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fd^rift von (5. ^37 ff.), bie rcaiimann fo gern

unb oft jitiert imb bic offenbar für feine ganie ^nhütcFIung cntfdieibenbe Bebeutung i]at „^lUe Derbrüberungen unb Derfd]rDtfterungen biefer 2lrt finb bi5 je^t nur Derbinbungen für fjilfsbe» bürfttge; bie perfonen ber imteren Klaffen, bie ber fjilfe bebürfen, ftel^en jenen Derbinbungen, bie ilinen Dienft unb rjilfe bringen, bod] intnierl:|in pereinselt gegenüber. (£in neuer 5d]ritt, ber nod^ getan inib perfolgt u?erben nui§, ift: d]rift' lid-je 2tf fo3iationen ber fjilfsbebürf tigen felbft für beren fo5iaIe (5amilie, Befi^ imb ^trbeit betreffenbe) ^wede 5U ueranlaffen. Begibt fid) bie innere ZTtiffion erft ernftl>aft an bie Deripirf^ Iid]ung biefer 2lufgabe, fo ift ber cßrensftein aufgerid^tet 5u?ifdien ber bisherigen unb einer fünftigen (Spodje ber d^riftlid) rettenben £i ebesa rbeit, unb fie tritt mit gleid]en XDa^cn imb gleidier l^üftung wie ibre (Segner auf bcn Kampfe unb ^lunnnelpla^ ber Belegungen, u?eld]e je^t bie IDelt erfdnittern". 2Tüt biefer ^orberung ber „Derbrüberung ber 5Irb eiter 3ur 5elbftl]ilf e" ift IDidiern u?eit hinaus gewadifen über ben (Seift patriard>alifd|er Beporntunbung, ber nodi lange l^in alle eoangelifdi» fojialen Beftrebungen unb ber Bisntards fosiale 2\eforntgefe^gebung gans unb gar beberrfdjt. 5reilid) finb bie ^Iffosiationen bod] nivi^t als ein== feitige Vertretung ber 2trbeiter unb 0rgane bes Klaff enfampf es g.et>ad)t^ fonbern als eine „d^rift- lid^e 2lffo5iation ber rerfdiicbenen Arbeits* unb

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^efi^ftänbß" 511 gegcitfeitigcr tragender inib för= herüber fjanbreid^ungJ)

ausbrücfüd] ber (5ufunft suweift, i}ai VOidicxn n\d)t fclbft in bic ijanb genommen; ben crften Derfud] ba3u mad]te ber il^m nal-jeftcbenbe Diftor 2time ^uber. Dod] baben wcber feine Sd^viften nod) feine praftifd]en (Srüitbungen buvd]fd]Iagcnben (£rfoIg getrabt, I^auptfäd^lid) weil er in ber ge= noffenfd^aftlid^en 0rganifation ba5 ^tlll^eilmittel fal], biefe aber allein auf privatem IPege, burd] 5elbft= tjilfe unb freie Unterftü^ung, obnc Znitiuirfung bes Staates, burdifübren wollte, ^ine nad^baltige 53eu?egung int grögern Stil fet^t erft mit bem 3al]re \877 ein, wo gleid]3eitig unb im <£ini'>er= nel^men mit einanber 5tüei llTämier auftraten, ein d]eoretifer unb ein praftifer. 3ene5 u?ar ber paftor 2hl b. ilobt mit feinem 23ud]e „Vcv va- bifale beutfdie Sosialismus unb bie d]riftlid]e <5e= fellfd]aft"; biefes ber X^ofprebiger 2tbo If Stöcf er, ber eigentlid^e Dater ber gan5en eoangelifd^ = fo= jialen Bewegung, ber burd^ feine mutige 3^^it^<-'itii''^; feine erftaunlid^e Catfraft, fein r»ielfeitige5 poU' tifd]e3 (5efd]id unb bas ^^n^i-* feiner ^erebfamf'eit fie rafd"! 5U (Erfolg unb i^ebeutung gebrad^t bat, aber aud^ burd] bie <3u?iefpältigfeit feiner perfön»

') Später l]at VO\d)tvn aud? bic Ttotmenbigfcit, burd) bic (Sefct5gcbung cin3ugreifen, eingefelicn. €s »erbient €nr)äl]nung, ba§ er ^872 auf einer Konfereii5 länblid^er ^Ubeitgebcr in Berlin eine Hefolution 3U= tjunften ftaatlid^er ^eftfet^untj eines Hormalarbeitstages für £anbarbciter unterftü^t l^at.

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lidicn Stellung bic fjauptfd^ilb an tt^rcn lOiber» fprüd^cn, (Scfal^ren unb ZHigerfoIgcn trägt.

Bctbcn gcntcinfani ivat int (Segcnfa^ 311 il^rcn Vorgängern eine grünblid^e Kenntnis ber fo5iaIbemofrattfd^en Cetjren unb bie Bereittüilligfeit, von x^nen 5U lernen, fotpie ber entfd^iebene IDille 3ur politif. Daxühev l^inaus ift es eine (Eigen» iümlid^feit aller ermätjnten IHänner, ba§ fie fird^lid? tpie politifd'j r>on red]ts, aus bem f onf ert> atir> en Cager fommen. X>ie5 ift ol^ne ipeiteres r>erftänblid? in religiöfer Bestellung, ^ier finbet fid? Kraft iinb X>rang 3U praftifd]em IPirfen unb Caten ber Ciebe am leid^teften ba, voo ber 21Tenfd^ in uner= fd]üttertent finblid]en (Slauben mit fid^ unb feinem <5oit in ^rieben lebt unb von feinen Sfrupeln unb 5u?eifeln geplagt ift. Die 0rtl^oboj-ie gibt <im erften ben feften Boben unb bie innere 5id^er= I^eit, bie planwolles ^an^eln »erlangt, dagegen tt>irft bie fd]u?anfenbe, \ud:im^e fjaltung bes mobernen, liberalen dl^riftentums Ieid]t lätjmenb auf bie praFtifd]e Energie, ba bas Sud^en unb fingen nad^ einer IX)eItanfd]auung felbft 3ur>iel feelifd^e Kraft »erbraud^t, ba bie Porausfefeungen unb tl^eoretifd^en (Srunblagen bes Vian^dns un-^ fidler u^erben unb ba bie (Semeinfamfeit ber Über= 5eugungen mit ben 2Inbern, 3umal bem Polfe, ge» ftört, baburd^ bie Perftänbigung erfd]ix)ert ift. So ift es nid]t feljr überrafd]enb, bag bie religiöfe ^tmofpl^äre, in ber IDid^ern wie Stöder lüie Hau-- mann il^re ^eimat Bjaben, bie einer fd^Iid]ten, r>oIfs= lümlid^en, bogmati[d? n?enig intereffierten (Släubig*

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-feit ift. Diel merfmürbiger unb nur aus bem befonberen (Il]arafter unb Derbältnis ber Parteien im bamaligen ^eutfdilanb 5U erflären ift ber po= litifd^e Kon] emativ) ism U5, in bem [\di f)uber, ^obt unb Stöcfer 5ufanimenfanben. €ine ^eu^e- gung, bie auf eine fo funbanientale Umipanblung imb Erneuerung ber beftebenben ftaatlid-jen unb u?irtfd">aftlidien üerbältniffe absielt, bie einen fo ent* fdjiebenen, immer beutlidjer ausgeprägten arbeiter» freunblid^en vibarafter bat, gebt nid^t nur aus bem Sd^oße ber fonfcrpatiuen partei berr>or, fon= bern bleibt bauernb in beut ^annfreis ibrer (5e* banfen unb ibres Programms gefangen! Das be* greift fid] nur aus beut gemcinfamen (Segenfafee beiber gegen ben bamals tjerrfdienben Ciberalis« mus. Die fonjeruatiue partei bagte in \i}m ben re^ rolutionären llr)prung, ben bemofratifd^en (Ebarafter unb bie Porliebe für bie i^epublif, ber Sosialis^ mus bie Derförperimg bes Kapitalismus unb bie Doftrin bes llTand-jeftertunts, beibe aber ba^teit in il^m ben ärgften 5ßinb. 5ür bie ^briftlid]en u)irfte augerbem bie u^eitu erbreitete 5i^^igßift^rei unb Hcligionsfpötterei unb bie ftarfe Beteiligung bes 3ubentums abftogenb. So fonnten beibe Ceile in ber 5ßinbfd)aft gegen ben gemeinfamen (Segner bas (SefüI^I einer geu?iffen ^ufammengebörigfeit l^aben unb ben (Slauben, ba§ ibre lX>ege u?obI 3U' fammengel:)en fönnten. Unb biefer vginbrucf tpurbe baburdi ^erftärft, baß ber Ciberalismus feinerfeits^ gan3 beftricft von ber mand]efterlid]en Cl^eorie, burd]aus fein Perftänbnis für bie fosialen Bebürf^

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niffe unb Aufgaben ber <3cit vextiet 2iudi 'Bis-- mavd hatte ja bas allgemeine lDaI:>Ired|t aus bem (Segenfa^ 3um Ciberalismiis beraus unb im Per* trauen auf bie Königstreue unb fonfer^atiüe (5e^ finnimg ber ZlTaffe bes Dolfes gegeben. Diefe 3IIufion üon einer 2lrt XPabIr»ent)anbtfd]aft bes KonferDatir>ismu5 imb bes djriftlid^ gefinnten Sosia» lismus ipurbe grünblid] S^rftört, als Bismartf \887 mit feiner Kartellbilbung unb ber Hücffebr ^um 5d]u^3oIIjyftem bie periobe ber 3"^^J^clK"PoIitif einleitete unb bie fonferr>atiüe partei ftd^ t>ann überrafd^enb fdinell in eine rücffiditslofe Vertretung einfeitiger Stanbesintereffen von brutalftem i£gois= mus r>eru?anbelte. Die (ri]riftlid? = Sosialen um Stöcfer haben gleidiipobl bie Unuereinbarfeit beiber Hidjtungen niemals begriffen unb bas Banb, bas fie mit ben Konfen^atipen Dereinigte, felbft bann nid]t burdjfdjnitten, als Stöcfer im 5ßbruar aus ber partei binausgebrängt ipurbe.

Unterfdjiebe beftanben 5u?i]d7en Cobt unb Stöcfer befonbers in ^wei punften. 5ür Cobt wav bie (Srutiblage unb bie böd^fte Jnftans aller He= formibeen bas neue Ceftament, bem er burdi ein fel^r bebenfücbes 3uterpretationsr)erfal3ren birefte f onfrete fiinselforberungen entnebmen u?oIIte. Stöcfer lelinte bi.efe ^egrünbung ab. Die Bibel entl:jält feine fosiale (5efe^gebung unb fein u^irtfd^aftlid^es Programm; fie fann nur bie für bie fosiale 2^eform notu^enbige (Sefinnung eru?ecfen. freilief] liat er fid] fpäter nidit fonfequent in ben fo ge^ 3ogenen (Stenden gel^alten unb nodi u?eniger l^aben

feine 2lnbänger getan. X>er an^re punft betraf ^)ie Beteiligung ^ef (Seiftlii";en an ^er fosialpolitifcben Cätigfeit. ^o^t vcvwiift ^ie']e; er »erbietet ibnen je^e öffentlicbe parteinabnte un^ üeriüeift fie auf öie josial üerfobnen^e 2trbeit in <)er (Semeinbe. v£r felbft bat biefer iPeifung gemäg gebändelt. Um \e^od> feinerfeits ^'eni Programm bie ^at folgen ju laffen, gründete er nod^ am 5. J>ei. \S77 in (Semeinfcbaft mit Zi^olf Stöcfer imb ben rtationalöfonomen 2lbolf ITagner un^ i^ubolf ilTeyer ben (5entralr>ercin für So^ialreform auf religiöfer unö fonftitutionell= monardiifd";er (SrunMagc", einen Perein, ber nid:>t für bie Perxpirflid^ung bcr fo^ialen ^Aeform fämpfen wollte, fonbern fid^ nur ibre I'^orbcreitung 5um ^u?ecf fe^te unb, obu^obl ben 3ntere(fen ber 2lr= beiter 5U Lienen beftimmt, öod^ nur unter ben <5e= bildeten unb Befi^en^en feine ^llitglie^er fudne.

Stöcfer, eine tentperamentuolle Kämpfer^ natur unö ganj auf prattifd^es lUirfen angelegt, roar nidit gefonnen, bie ivn «Tobt crridncte 5d";ranfe 3U refpeftieren. v£r riß je^t überbaupt ^ie ^übrung an ]idi unt> fanb feinen treueften unb überseugteften 2TTitftreiter in bem Berliner Staatffosialiften ^l^^olf XUagner, c»em eigentlid^en u?iffenfd:>aftlid^cn Cebrer imö Berater tiefer gansen (Seneration. 5aft un- tnittelbar nad^ bem >£ntftcben bes (5entralv>ereinr untertiabm er ef, ben er>angelifd>fo5ialen (Se^'anfcn in bie ZTTaffen ^>er ^Irbeiter felbft binaufsutragen unb bie geforderte politifd^e 0rganifation ins Ceben 3u rufen. 2hn 5. 3anuar \STS gründete er im

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„<S,\sfeUet" unter I^efttgcin Kampfe mit ber Sostal* ^emohatie eine d]riftlid^ = f osiale 2trbeiter* partei. Sie voudis sunädjft fdjnell unb verbreitete fid? fd^on im Sommer besfelben Jahres über Horb* beutfd]Ianb. ^Iber bie €reigniffe biefes Sonnners, bie Attentate im 2T?ai, unb beren Solche: bie ^uflöfung bes Heidjstags unb bas So^ialiftengefe^ (am 2\. ®ft. r»er* öffentlid^t), bas bie So5ialbemofratie 5unädift r>olI* ftänbig 5u Boben loarf, raubten aud] ihiv bas 3"' tereffe unb bie u?erbenbe IDirfung bes öffentlid^en Kampfes. X>ie Arbeiter sogen fid] jurüd ; an itjre Stelle traten fjanbu?erfer unb fleine Kaufleute; unb bie er>angelifd^=f03iale 2lrbeiterpartet luanbelte fid^ \dion int ^erbft \S78 in eine ZHittelftanbs* partei um, bie ein neues prin^ip im ^Intife* tnitismus fanb. 2tm Sept \87^ formulierte Stöcfer sunt erften ZITale „Unfere 5orberungen an bas moberne 3ii^ß"^i""" ; Somnter \S80 he-- funbete bie partei offtsiell ihre Ummanblung, inbem fie iljren Hamen in „d^riftlidi^f osiale partei" abänberte.

X)iefe ^£ntu?idlung u?urbe tpeiter geförbert burdi bie „Berliner Beipegung", bie im fjerbft {880 he(^ann. X>ie alten, von fjaus aus fonfer* t?atir»en Bürgerr»ereine Berlins fud]ten ^üyung mit Stöder unb erlebten burd? feine fräftige Unter* ftü^ung unb feine Hebegabe eine neue Blüte. €s entftanben neue, unb eine ganse Heilje äl^nlidjer (ßrünbungen, n?ie 3. B. im 3^i"ii^ii^ \^^\ ein beutfd^er Stubenten, fdjloffen ftd^ an, bie alle burdj bas „Conferr>atit)e (Ientral=(£omitee'' sufammen»

33

qelialten wuv^en, ^ud? bei ücrfd]tcbcncn IDal^Ien evxeidiie bic BcrDegung naml^aftc «Erfolge. fjötiepunft fällt in t>a5 3al^r ](88^. Sie wav burd^aus fonferc>atir>, rerbanb aber bamit bas antifemitifd^e prinsip. (Seftü^t auf biefe (Erfolge fagte Stöcfer nun einen umfaffenberen, tpeit aus* fd]auenben plan. (£r vooütc bie f onf err> atiüe Partei, für bie er mit unermüblidjer Energie allentl:|alten agitierte unb in ber er baburd] einen immer fteigenben (Einfluß getponnen l]atte, 3ur beutfd]en (Sefamtp artei exwexievn, alle itjre (5egner enttx?eber nieberfd^Iagen ober abforbieren, imb, ipenn fie fo aüeinljerrfdienb unb allmädjtig geroorben, ^ann mit il:^rer fjilfe bie Sosialreform burd]fül:|ren. bereits fdjien ber fül^ne (Seban?e ber Deru?irnid]img näl]er 3U fommen, ba trat il^m u)ieberum ^ismarcf in ben ZPeg unb l^emmte feinen Siegeslauf burd^ fein Kartell aller „ftaatserl^alten» ben" Parteien, ^ie äugerfte Hed^te unter Stöcfer fd]log fid] biefer IDenbung nid]t an imb verlor baburd^ alle politifd^e 53ebeutung. Die fonfer* vatwe Partei überl^aupt aber entu:)icfelte fid? nun« meljr 3ur reinen agrarif djen ^ntexe\\cnpavte'x, in ber für fo3iale Heformgebanfen fein ^oben unb am €nbe fogar für Stöder felbft fein plafe metjr roar.

3n3u?ifd]en l^atte anbersupo unb unabl^ängig bapon aus ben befd^eibenften Urfprüngen eine anbere ^ilbung begonnen, bie fid] balb ber von Stöder geleiteten Strömung näl^erte, ol^ne bod] in x^x auf3ugel]eu. ^us ben Kreifen ber 2lrbeiter

tf. in ey er: ^rbr. Naumann. :r

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felbft Ijeraus voaxen Cüangelifd^e 2trbcttcr« V ex eine entftanben; ber crfte wav im 2Tüai 1882 in (Sclfenürdicn (IPeftfalcn) pon einem Bergmann unb einem Cebrer 3U ftanbe gehtadit 1885 be^ ftanben bereits 25 in Hbeinlanb unb IDeftfalen, bie jtd? 3U einem Derbanbe 3U)ammenfcl7lof|en. Sie waren in iE>ren 'Anfängen rein fonfeffionell, im (Segenfa^ 3U ben !atE>oIi)d]en 2trbeitert)ereinen ge= grünbet, unb oBjne alles proletarifcbe Klaffen* beroußtfein. ^trbeitgeber unb Befi^enbe aller 2ixt voaxen il-jre (Sönner unb „ZHitgenoffen", bie „gott= unb tJaterlanbsIofe 5o3iaIbemo!ratie'' ibr 5^"^^. ben fie mit aller Kraft befämpfen rooUten. Um -(888 heqannen fie bie (Sren3en ibres Urfprungs* gebiets 3U überfdireiten, unb bamit nah^men fie aud^ allmäblid^ einen mebr rabifalen unb prole- tarifd^en dbaraher an.

5.

Das 1890 be3eid-!net nid>t nur in

Haumanns ^iehenshahn einen u?id>tigen «Einfd'jnitL 5ür bas gan3e Daterlanb brad^te es eine neue IDelle fo3ialen unb politifd?en Cebens unb xouxbe baburd] für Haumann boppelt bebeutfam. 2lm 4. 5ebr. erfd)ienen bie faiferlid?en <£rlaffe, bie einen rueitern Ausbau ber (Sefe^gebung in ber Hidjtung ber ^5ürforge für ben upirtfd^aftlidj« fditpädjeren Ceil bes Dolfes im (Seifte d^riftlid-jer Sitten lel:jre* antünbiqten, X>a5felbe 2<^hx erlebte bie <£ntlaffung Bismarcfs unb bas 2lufbören bes So3ialiftengefe^es.

Von ben ecangelifd^-fosialen Sd^öpfungen ber

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c)orl)crgcI>enben Seit xvavcn cigentlid^ nur bie evange{i]dien 2trbctterr>ereinc uorbanbcn; bcnrt jene anbern fonferpatiu^antifemitifd^en Pereine fomnten fyev nxdit in Betrad^t. 3efet rief ber raftlos tätige Stöcfer, ber 1(890 feine fjofprebicjerftelle uerlor unb baburd^ feine üolle ^^^ßi^^^it 5U politifd^er IPirffamfeit u)ieber geipann, eine neue Deran= [taltung ins Ceben: ben euangelif d^ = f Oji alen Kongreß, unter allen feinen (Srünbungen bie ipertüoUfte unb bis l^eute beu?cilirtefte. Diefer nahux in weiterem 2^al^men unb freierer (f)ffent= lidifeit geupiffennaßen bie 2lrbeit bes 5^"traIoer« eins u?ieber auf, ber fd^on \SS\ in ber Stöcfer'fd^en Partei aufgegangen u?ar. 2tud^ er u?oIIte nidjt parteipolitif treiben unb praftifd^e Hefultate förbern, fonbern nur bie allgemeinen Dorausfe^ungen ber Sojialreform, fosiales Derftänbnis unb fo^iale (5e» finnung, r)erbreiten, unb neben ber grünblid^en ^eleJ^rung über nationalöfonomifd^e D'mqe fanb er fein eigenftes (5ebiet in ber i£rörterung ber ^ufammenl^änge 3u?ifdien ben u?irtfd^aftlid^=poIi= tifd]en unb ben etl^ifd]en 5rcigß". ^3 gelang, unter biefem S^idien viele ber tjeruorragenbften Vertreter ber Polfsu?trtfd^aft unb ber Cl>eologie, unb utiter biefen u?ieberum fold^e r>on red">ts unb r»on linfs 3u vereinigen; es mag genügen, bie Hameti lUagner, Stöcfer unb fjamacF 3U nennen. 2hn 27.-29. ZlTai (89O trat ber Kongreß 5um erften ilTale in Berlin 5ufammen unb ijat feitbem atljäbrlid] feine »Tagungen gel:>abt, beren protofolle ein u?ertr»olIes 5trd^ii? für bie fo5iale Bewegung ftnb.

3*

Einfangs voav bcr Kongreß gans von bem (ßeifle Stöcfcrs unb TOa^nexs bel")crrfd]t. Balb inbcffcu seilten fid") X^iprcnscn, inbem eincrfcits in ber CB^coIogic bie „pofttiüc" unb bie liberale Hid^tung mand]mal auseinanbergingen, anbrerfeits auf bem politifd^en (ßebtete fid^ ein (5egenfa^ I^erausbilbcte 3ix)tfd^en benSitcrn, ben unbebingten 2Inbängern Stöcfers, unb ben 3üngern, bie i?on ber Derquicfung ber fosialen Heformbeftrebung mit fonferoatiüen ^en'Öenien ntd]t5 u?iffen u)oIIten. ^ie Seele biefer ©ppofttion voav Haumann, ber \S^2 über Cl^riftentum unb 5<ii^ili^ fprad^. 3tjm 5ur Seite ftanb pauI (Qö^ve, feit \8% (5eneral» fe!retär bes Kongreffes. ^um ^usbrud] fam ber (Segenfa^ befonbers \8^^ auf bem fünften Kon* greg, voo (5öE^re unb Vfia^ 3X>eber auf (Srunb einer umfaffenben (£nquete über „bie Cage ber Canbarbeiter in X)eut[d]Ianb" referierten imb rücf» l^altslos bie partei biefer nal^men gegenüber bem (ßrunbbeft^. 3"^ß[f^" I^f*^ fi<^] Spannung, inbem \S^6 Siödev unb feine (Setreuen aus bem Kongreg ausfd^ieben. X>iefer l^at u?eber bierburd^ nod? überl:jaupt burd^ jenen ^u^iefpalt (Sinbuge erlitten; nur tft bie Ceitung immer entfd]iebener in bie fjänbe ber „3wngen", ber mobernen, übe* ralen (Elemente übergegangen, bie barin anfangs faft nur burd^ Viavnad vertreten iDaren.

^u5gefod]ten u?urbe ber Kampf ber beiben Cager n'idit auf biefem bem 5neben unb ber Per« föt^nung geu^ibmeten 5elbe, fonbern in ber poli- tifd^en ^rena, in ben er> angelif d]en Arbeiter»

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vereinen. 5d]on \S^0 J>atte Haumami einen Dcrcin in 5ran!fiirt cjegrünbet, unb bicfer trug üon Einfang an einen ftarf abipeid^enben <Zb,avahev im Dergleid] mit ber älteren (Sruppe, beren ^ütjrer £ic. tPeber in ZTTünd^en'(5Iabbad^ ir»ar. (£r foUte nid]t nur ein ^ilbungs» imb Unterftü^ungsüerein fein unb nebenbei ein frieblidies Pertjältnis swifd-jen Arbeitgebern unb 2(rbeitern pflegen, fonbern er follte r>or allem feine 2TiitgIieber für ben politifd^en Kampf fd^ulcn unb 3ur ZHitarbeit an ber 2trbeiter= beipegung tüd]tig mad]en. 5al^ bod^ Naumann, voie er fid^ in einem (Söttinger Portrage ausbrücfte, in ben epangelifdjen Arbeitervereinen ben Kern ber IDelle, bie ber fo3iaIbemofratifd]en IDelle folgen foUte. ^ei biefem Seftreben mad]te \\d] ber ZlTangel eines feften fosialpolitifd^en Programms bemerkbar, unb Haumann unb feine Anl^änger, 5U benen befonbers bie babifd^en unb u?ürt= tembergifd^en Dereine unter ber ^ül^rung von VOend unb Craub gei^örten, brangen auf Abl^ilfe. 3n ber Cat befd]Iog man \S% ein Programm 5U fd]affen. Der (£nta?urf, ber {8^3 vorgelegt u?urbe, u?ar bas Wext bes Haumannfd^en Kreifes, unb er u)urbe in ber Cat, mit einigen ^ugeftänbniffen an ben red]ten 5IügeI, angenommen. (£r offenbart aufs X>eutlid]fte ben gansen (El^arafter ber evan-- gelifd] 'f03ialen Bewegung in ber eingel^enben d]riftlidv etBjif d^en Begrünbung unb in ber Hinsel» ausfül^rung nad^ rein lüirtfdjaftlid^en (ßefid^ts» pnntten.

5ou?ol]l bei ben Beratungen über bas pro*

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gramm voie hei bcm crften r>om Kongreß »er« anftaltcten fo5taIpoIitifd]en Kurfus 3U Berlin im fjerbft \8^3 iiaücn fid? bie „3ungen'' f efter 3U» fammengefd^Ioffen. 2tu5 iJ^rem Kreife ging junäd^ft bie (ßöttinger Arbeiter * Bibliotl^ef Ijeruor, beren fjefte namentlid) ber Sdjulung ber er>an gelif d^en Arbeitervereine bienen foüten unb 5um Ceil fel^r groge Verbreitung gefunben l^aben. 5ür eine ipeitere X>urd^arbeitung unb Verbreitung it]rer 3been voav il^nen r>or allem eine eigene ^eitfdjrift Bebürfnis, benn ber S^<^^^uxtex „Sonntagsgru^*, ein 5onntag5bIättd7en für 3nnere 21Tiffion, in bem Haumann üornetjmlid] fd^rieb, reid^te bafür nid^t aus. <£nblid] glaubte man ftarf genug 5U fein, um eine eigene (5rünbung u^agen 3U bürfen, unb, nad]bem int De^. ](89^ su'ei probenummern VJoraus* gegangen u?aren, begann am 6. 3an. \8^o w^^^ :^ilfe" 3u erfdjeinen. ') Sie l^at feitbem alle IPanblungen unb (Sefd^ide ber Haumannfd^en (Sruppe überbauert unb begleitet, unb ilir einen feften (5ufantntenl]alt unb eine Stätte für gegen* feitige Au5fprad]e imb gemeinfame (5 ebanfen arbeit gegeben. 3" ^k^*^^ äußeren (£rfd)einung l>at fte fid^ nie geänbert, nur ber Umfang unterlag einigen Sd]tt?anfungen, in il^rem 3"I^^iit bagegen ift eine grunbfä^lid^e, tief eingreif enbe IDanblung eingetreten. Denn gerabe bas erfte 3<^^^^ ^^^^^ (grfdieinens brad^te bie für Haumanns (SntiDid»

1) Über 3ntjalt unb (Seift bes crften 3at)r0an3S orientiert eingetjenb Wtnd a. a. 0. 5. 52 ff.

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hing cntfdici^cnbc Krtfis, bcr voix uns nunmcljr 3U* 6.

Den Naumann von \S^^ lernt man am bcftcn Dcrftcbcn als aus einem ^luffa^e mit ber Überfd^rift „(ri>riftIidv5o3iar', ben er im Anfang bes 3al^re5 für bie „^ufunft* fd^rieb xmb ber aud] bas erfte ^eft feiner gefam^ melten ^luffä^e ^lOas I^eigt di^riftlidj'Sosial" er* öffnet. €r entl)ält im Einfang eine Stelle, bie ein fo rpimberbares ^efenntnis ift unb 3ugleid) eine fo profunbe (Einftdjt r>errät, ba§ fie tjier nid?t 3u entbel^rcn ift. Sie lautet:

„€s gibt (II^riftIic^s5o3iaIc, bie im großen unb gan3en bas fonfcrcatice (Etüoliprogramm für ben 2lus= brucf ihrer IPünfcbc bßlttn, es gibt anbere, irelcbe im ircfcntlicben bie ^nncxe ITliffion ober bie Kird?gemeinbe als ^lusgangspunft iE>rer 2Irbeit anfel>cit, unb es gibt foldje, bie nac^ einem neuen Programm fucben, ujelcbes bie d?riftltd?e Seantn^ortung ber ron ber So3iaIbemofratie aufgeworfenen fragen enthalten foU. IDir reebnen uns 3u biefer britten Heitre. Uns ift bas Ctjriftlid? - 5o3iaIe nid)ts (fertiges, fonbern etwas IDerbenbes. Die neue (Sebanfenmadjt fchu?cbt über uns unb mir ringen mit ihr. IDir liaben fein fertiges f^anbbücblein ober ctitdjc wenige fjauptfä^e, bie unferen Kaften füllen, fonbern bie gwfunft umgibt uns wie ein ilebel, voü von geiftiger geugungsfraft. W'it füt>fen, ba§ nid?t mir bas Ct>rifts Iid)=So3iaIe befit5en, fonbern bas Ct|riftUcfa=5o3taIc tjat uns, es fdjicbt uns, tjebt uns, trägt uns, läßt uns rui)ern unb ringen, läßt uns jaud?3en unb feuf3en, es fommt über uns als Kraft unb (ßnabe, als 5n?ang unb Drucf. IDir mätjlcn nidjt einen iDeg, meil er uns flug

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fc^eint, [oTtbern eine neue We\le bes Dolfslebens raufcbt l^eran, unb tpir liegen 3ufälltg gerabe ba im XPaffer, n)o fie fid? beängftigenb emporijebt. Das mag meinen £efern u?ie IHyftif Hingen, aber id? fann baxan nidjts änbern, bag eine religiös^fosiale Strömung, aienn fie ernft fein foll, etmas XHyftifcbes in fidj tragen mu§. 2X>ir muffen fühlen, ba§ (Sott in uns arbeitet, u)ie er in ben Propheten bes 2IIten 2!eftaments gearbeitet hat. €s mug ber innere, in fxch felbft geroiffc Drang üorhanben fein, votnn üwas u?erben foü. (Serabe, rvo mir je^t fo riele Parteien haben, bie nur noch burd? Sä^e, aber nx(bt mehr burd) innere (Semalt 3ufammengehalten merben, ift es eine (Srunbfrage, ob eine neue Bemegung einen eingeborenen 5d?öpfungstrieb hat, ober ob fte ent- steht wie ein He3ept, in voelcbem etwas Sosialismus unb etwas XHonardjismus mit etlidjen (Sramm !Kird)Iid?feit unb einem fleinen ^n^ai^ 2tufflärung nad) beftem IPillen forgfältig gemifd)t merben. 2Xhet gerabe, meil mir bas €hriftIid?:5o3iaIe als eine lCOu(bt unb Kraft empftnben, gerabe barum ift es nötig, bas (Empfunbene, fo üiel mie möglid), in fefte, einfädle IPorte 3U faffen. IDir müffen bie Zloten ftnben 3U bem ftürmif d?en ^rüJjIingsgefang, ber unfere Seele füüt. 0hne biefen pro3e§ ber Um= fet3ung bes (Sefühls in IDorte nüt5t bie Begeifte» rung gar nichts; biefer pro3eg aber ift erft im Beginnen. Daher fönnen mir unferen £efern beim heften IDillen nod) feine 2Iusfunft auf jebe ein3elne (frage geben, bie im Dolfsleben auftaudjt. IDir finb froh, wenn bie c^riftIid?=fo3iaIe Sat5bilbung riAtig be» gönnen tjat."

IDer bicfc Sä^e als myftifcli unb fd^marm^ gciftig befpöttclt, ber 3cigt bamtt, ba§ ibj^n jcbe ^bnung üon ben Dorausfe^ungen voahx^x (5rö§e feblt, baß er nie einen BItcf getan t^at in bie ^Tiefen, xoo alles tt?al]rljafte Ceben, alles gefdnd?t* Iid)e unb Kulturfd-jaffen feine IPurseln tjat.

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bas cntfpringt nidjt in ben Hegioncii, bic bcr Per= ftanb crl>ellt, fonöent itt bcn cjcbcintnisiioUen Unter= grünbcn bcs UnbeiPiißtcn, bcs ur|priinglid^cn (Se= fütjis, unb beginnt mit einer buntpfen. lei^enfd^aft' lid^en unb fruditbaren (Säbrung. lUenn biefe bei Naumann ftärfer erfd^eint als bei andern, fo ]prid)t ba5 nur für bie größere iliefc unb Kraft unb ^rud^tbarfeit feiner Seele. Das dl^arafteriftifdie ift aber gar nid^t biefes buntpfe, d^aotifd^e lUogen iinb (Sätjren felbft, fonbern bag er ftdj biefes <5w' ftanbes unb feiner Bebeutung beutlidi bewußt ift imb baß es ibm gegeben ift, bas flar au55u]pred">en, was fonft im X>un!eln bleibt unb ben klugen ber IX^elt ent3ogen ift. Unb eben bas fünbigt an, bag er nid^t in biefem Stabium i-)erl]arren wirb, fonbern baß ibm jugleid? bie überlegene (Seiftesfraft inne= ir»obnt, bie in bem (Ebaos ber (SefüHe Cid^t unb 0rbnung fdjaffen wirb. I1id]t 5diiv>armgeifterei u?irb ber !riti|'d^e Cefer in biefer Stelle finben, wie Naumann entpfanben bamals geang v>iele, wenn aud] nid^t fo tief imb ftarf, fonbern, bei ber biuiflen (Sefülile (Sewalt, aus ber alles ^£d)te unb (Sroge geboren wirb, eine gans einsige ^c- fonnenl^eit. Haumanns fpätere £ntivncflung liat biefe Derl^eißung erfüllt. v£r ift ein politifer von unerbittlid^er Klarbeit unb Hüd>ternl^eit ge= worben, bem in feiner Heife Hiemanb mebr Sd-jwärmerei ober (SefüJ^Isüber|d)wang uorwerfen wirb, wäl^renb ^Inbre ibr Ceben lartg in ber (Sefüblspolitif ftecfen blieben. Unb gerabe <)avan l^aben fid^ v>iele geärgert. (£h(^n<>esbaib fdjieti

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CS boppclt notmcnbig, auf liefen 2lnfang mit allem Hadjbrutf f:^in3Utt?etfcn.

Tramals wav allerbings bic ausgefprod^cnc <£rfenntni5 rtod] burdjaus propl^ctifdi, benn nod? ix)ar bas criöfcnbe Wovt nidjt gcfimbcn. (Serabe bcr Fortgang bes ^(uffafees 3cigt, u?ic fci^r Hau* mann bamals nod] in bcm d^riftlid^fosialcn Vox-- ftcllungsfrcifc befangen ift. Denn nadi ber (£in* leitung, bie in fel^r intereffanter tDeife ba5 Vex^ ilältnxs bes d^riftlid^en Sosialismus 3U ber Sosial* bemofratie befprid^t, ift sunäd^ft bie Hebe von 3efus Cl^riftus, t>ann von ber Kird^e unb ber ^uf» gäbe bes (5eiftlid^en, erft ^ann von ber Sosial* politif. Cl^arafteriftifd? finb befonbers bie Uber* gangsfä^e: „Wenn vo'ix bie (Srneuerung ber (5e* fellfdiaft von ber Heubelebung bes Bilbes 2^\\x ermarten" .... „5elbfti?erftänblid] ift bas Heli* giöfe im (£t^riftlid]=5o3iaIen nur bie eine Seite, ^as IPirtfd'jaftlidje mug aber inijarmonie 3U it^m ftel^en. IDie gelangen u?ir 3U einer d]riftlid?'f03ialen XPirt* fdjaftsauffaffung, bie bem ent)prid]t, was vo\x bis je^t ausgefül^rt l|aben?"

Damit l^ai Haimtann felbft bie fjauptfrage formuliert, bie nad? bem Derl^ältnis bes Ct^rift* lid^en unb bes 3o3ialen im (£t^riftIid^5o3ialen. ^wei 2tntu)orten finb ben!bar unb tatfäd]lidj ge« geben. (Enttoeber ift ber 5o3iaIismus bie birefte Konfequen3 bes (El^riftentums, biefes bas beftim* menbe prin3ip für jenen, bas i^ar ber Stanb* punft Cobts gemefen. Stöder unb bie nadi ifyn famen, permarfen il^n, unb in ber Cat ging

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es mdit voohl an, allen, bie ftd^ n'idit 5um So^ia^ Itsmus bekannten, tic Cbriftlid)fcit abjufprcd^en. 21ber voenn aud] bas Zleue Ceftamcnt fein u?irt* fcbaftlicbcs Programm, fonbcm mir einen neuen (ßeift ber Brüberlicb!eit bringen foU, u?ir eru?arten bod?, ba§ biejer (Seift irgenbroie ^^^üdite bringen, bag unter feinem ^influffe bas u?irtfd:>aftlid>e pro* gramm ein anberes, fpesififdi d-iriftlid-jes ^tusfeben erbalten u?irb. v£ine v>era'>anbte vErflärung gibt Haumann \S^6 in ber Sd^rift „Einige (S>e^anten über bie (5rünbung d^riftlid^'o^ialer Dereine" : Der Hame „d:)riftIid:)=fo5iar' bebeutet bie Dereini^ gung ^weier Prinzipien, bie daneben gefonbert eriftieren, äbniid) u?ie etu^a bie nationaMiberale Partei neben fid"» foipobl nationale u?ie liberale Hid)tungen anerfennt imb nur bie <5u|'ammenfaf' fung beiber Begriffe für fid] in ^Infprud"» nintmt. Had"» biefer 2tnaIogie u?ürben u>ir im Prograntm ber d)riftlid>f05ialen partei neben einanber d^rift= Iid";e unb fo^iale 5orberungen erwarten. 3[t ber 5all?

Das Programm r> o n 18 93 verneint biefe 5rage mit größter Deutlidi!eit. (£5 entbält 3u?ar einen d^riftlid-;en unb einen fo5iaIen Ceil. 2Iber d";riftlid-; ift nur bie allgemeine Einleitung, bas Sinjelprogramm felbft ift nur fo5iaI unb fann i?on euangelifd^en (Ebriften, Katbolüen, 3"^^^^ '^^^^ ^Itbeiften in gleid^er iX>eife unterfdirieben a^erben. Unb biefer lOiberfprud^ ift fogar in ber (Einleitung ausbrücflid] proklamiert. Denn 5U Einfang erflärt fie: „Das Si^l unferer Arbeit feben u?ir in ber

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<£ntfaltung feiner ipcitcrneuernben Kräfte (bes <Il:|riftentum5) in bem lOirtfd^aftsIeben ber (ßegen^ trart", unb verlangt in Konfequen3 baoon „eine organifdie, gefdnd|tlid] vermittelte Umgeftaltung imferer Derljältniffe gemäß ben im (£r>ange= Ii um entJ^altenen unb baraus 511 entu)icFeInben fittlid^en ^t>ecn." Vanadi eru?artet man ge« tx)ig einen anbern Sdjiuß als: „Unfere 5orberungen tperben voiv formulieren von sn 5aII, nad] öem 2TJage ber tt>ad)fenben u?iffenfd'>aft= lidj en (£rf enntnis bes IPirtfd^af tslebens." Unb ebenfo beginnt ber fo^iale Ceil bes 2luffa^es „d]riftIid]=5o3ial" tro^bem er „imter Anleitung ber diriftlidjen (£tl^if " vorgeben wiü unb als bie toid^* tigften Autoritäten „2Tlarr unb dbriftus" nennt : ^lOir müffen bie u?irt)'d]aftlidien (5ebanfen genau an bem punfte roeiterbenfen, wo bie Sosial* t)emo!ratie aufl:>ört."

Das CBjriftentum I^atte fid| aI)o imfäl^ig 5ur <SeftaItung eines fosialpolitifdien Programms be* toiefen. Die ridjtige Konfequen3 toäre natürlidi geu^efen, es gan3 aus3ufdialten, unb ben <£ntwuxf audi in ber Einleitung als bas an3ufünbigen, was ex tat\ädil\di wav: als ein rein u^irtfdjaftspolitifd^es fo3iaIes Programm. X>ie (5rünbe, rDesI:jaIb man ^>iefe 5oIgerung nid^t 30g unb ftd] überl^aupt über ben J^anbgreiflid?en IPiberfprud^ fo lange täufd^te, liegen nahe genug. 2lüe biefe jüngeren (£t^riftlid> fo5iaIen u^aren nid]t nur felbft über3eugte unb be= geifterte (Etjrij^en, r>on bem glütjenben Dvanqe nad> einer polfstümIid]en Erneuerung bes Cljriften»

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tums unb einer IDicbercjeburt öcs beutfd]en Voltes ^uxdi bas (Il^rifteTitum bcfccit, fonbcrn fie iparcn aud) eben Don ba aus 5um Sosialismus gefommen. X>a5 (Erbarmen mit ben Ernten, ^ebrücFten, 5d]u^^ lofen, bie brüberlid^e Ciebc 5u ibnen imb bie ^e^ gier il^nen 311 l7elfen, bas ipar es, ipas fie mit bem Ci^riftentum meinten, unb xx?as bei il]nen tatfäd]Iid) ber ^usgangspunft unb Untergrunb il]res Sosia* lismus a^ar. Unb aud] ein il]nen felbft unbeipugter 3nftinft fpielte woiil mit: Dct programmentiv?urf allein nämlid] ol^ne alle ^nlel^nung fonnte nid]t ftel^en. (£s fel]It il^m bie nötige Konfiftens unb Kol^äfion. (£r beftanb aus einer Heilte von €in5el= forberungen, bie jumeift nid]t neu ujaren, aus per* fdjiebenen Quellen flammten uitb lofe neben ein- anber ftanben, ol^ne ein oberftes prin3ip, bas it|nen Begrünbung unb sugleid] (£inEjeit unb ^ufammen« 1qalt gab. Dies l^atte man ja eben im (Il]riftlid]cn 3u finben gemeint, tuenn aud] nur irrtümlid]. Unb erft als bies in lDab£rJ]eit gefunben u?ar, burd]* fd]aute man bie Oufd]ung unb lieg fte fallen.

(£s ift befannt, bag biefes prin3ip im natio* nalen (5eban!en gefunben u?urbe. 3nbeffen barf man fid] bie Ummanblung nid]t fo i^orftellen: (£rft woütc man 5o3iali5mus unb (Il]riftentum 3ufammen* f Oppeln; bas ging nid]t red]t; ba r>erfud]te man es mit bem Nationalismus, unb nun gings beffer. Denn aud] biefe (£ntn?icflung unb gerabe fie u?urbe nidit burd] ben beredjnenben Derftanb gelenft^ fonbern x)oll3og ftd] in ben Seelentiefen unterl]alb bes 53eu?ugtfeins unb entflammte einem Drange,

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^cv ftärfer wav als bemühtes Renfert imb IDoIIert wnb Naumann mit bcr inftinftiuen 5id?crl^eit gcnU aUx Xlaimen feinem ^iele sutrieb. Diefer 3nftinft xvav voo^l bie gel^eime Urfad^e, marmn er einen fonft nal^eliegenben 5d]ritt nid]t tat. Denn man fann wo^ fragen, ix>arum er nid]t 5ur Sozial' t)emofratie übergetreten ift. politifd^e (5rünbe entfd^eibenber ^Irt lagen dagegen faum üor. IPir ■erinnern uns, ba§ Naumann gerabe in feiner irüEj3eit nid]t nur bie praftifd^en (£in5eIforberungen öer 5o3iaIbemofratie ol^ne Hüdl^alt anerkannte, fonbern aud] gegen il^r 2^eai faum prinsipieHe ^ebenfen l^atte. Die genoffenfdjaftlid^e (Sefell* fd]aft5orbnung unb bie Pergefellfd^aftung ber pro* ^uftionsmittel ipar für iJ^n bamals nid^t blog ein <kn fid] 5uläffiger (5ebanfe, es fd^eint aud? fein eignes 3beal getoefen 3u fein. IDenigftens I^inbert .nid^ts, feinen ,,fo3ialiftifd^en Staat" in biefem Sinne 3U uerftel^en, ba er feinen (5egenfa^ 3ur So3ialbemofratie niemals auf bas (£nb3iel be3ieE|t, fonbern ftets auf ben IPeg bal^in, ber für ber IDeg allmäl:jlid]er, organifdjer unb gefefelid^er <£m tüicflung ift. („Der fo5iaIiftifd?e Staat u)irb bas legitime Kinb bes B^eutigen Staates fein.* (lEjriftl. XPelt II, ^22.) Die ganse Sd^ärfe bes Angriffs rid]tet ftd] gegen bie Heligion5feinbIid]feit unb bie materialiftif d]e IDeltauffaffung ber So3:aIbemoFratie. Ztad^bem aber Haumann fd^on in feiner erften 2tuseinanberfe^ung mit il^r erfannt Ijat, ba§ biefe Cl^eorie mit it^ren praftifd]en fielen nid?t notrpen^ -big Derbunben ift, u?ar Haum für bie fjoffnung,

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fie von bcr Sostalbemofratie lossulöfen. Unb ba5 ^lel, bte IHaffen ber 2lrbeitcr u?icber für bas (Etjriftcntum 311 gewinnen, formte er fogar am cl^eften 5U erretd^cn boffen, u?erm er gani 311 it^nen übertrat. Diefer Weg wax an fidj gangbar, iinb 2tnbre finb il|n gegangen, fo fd^on \893 ber »lE^eoIoge Ct^eobor pon lOädjter, bann fpäter, bereits vom nationaIfo3iaIen Derein aus, (Sötjre (\898), imb ipieberum \^05, bei ber ^luflöfung bes r>aitpti?er= eins, IVia^ ^TJaurenbred^er. lOenn Tcaumann, wie CS fd)eint, niemals ernftlid) t^avan gebadit bat, fo tjatte er im 3""^'^f^^" idoI]1 bas (SefüM eines anbern, für bas politifd^e Dertjalten beftimmenberen <5egen)a^e5.

XPesbalb luar nun bas nationale prin3ip mel:jr als bas d]riftlid]e geeignet, bem fo5iaIen Streben ein feftes ^unbament 3U geben? IPir tüoüen ber fpätern (£rörterung bes ZTationalismus nid]t vorgreifen, nur for>ieI fei fdjon bier feft= geftellt: Der nationale (Sebanfe ift nidjt ein poIi= tifdjer begriff u?ie anbre aud), fonbern, wie Xlau- mann itjn fa§te, ift er ber Staatsgebanfe fdiled]t= fyn ; er bebeutet nid^ts anberes als bie ^nerfennung ^es r>orl)anbenen Staates unb bamit bie 2lufgabe, i>ie ^ebingungen feiner €riften5 unb feines Cebens 3U begreifen, unb ben entfd? loff enen iPillen, an feiner €rl^altung imb lX)eiterentu?icfIung mit3u= arbeiten. 3" biefem Sinne ift er bie (Srunblage imb notmenbige Dorausfe^ung aller ernftl^aften, ^ofitiüen praftifd^politifd^en ^Irbeit.

Diefer (Sebanfe ift in ZTqumann burd^ 2ln=

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regung von außen gevoedt llnö iwax hat ihn nadb IVends vErsdblung jucrft Delhxüd barauf bingctoicfcn. Befonbcrs nad^baltigen vEinbrucf tjat auf ihn bann bic ^ntrittsrebe gcmadbi, mit ber einer feiner ZHitfämpfer, 21Tar IDeber^), feine profeffur ber Staatsrriffenfd^aft in ^reiburg antrat: „X>er Hationalftaat unb bie Dolfripirtfd^aftspolitif.* (5reib. i. ^. 1895. 54 5.) Tcaumann bat bie gebaltreid-je, von ed'jtem politifcben (Seifte burcb* toebte Scbrift in ber f>ilfe vom 3uli 1895 an» gezeigt unb im ganzen mit entfdnebener ^uftimmung begleitet. 3bre (Srunbgebanfen geboren feitbeni 5um feften Beftanbe feiner (Sebanfenmelt. 3"^ Caufe biefes ^ab^xes h^at fid) bann bie neue ^bee immer mebr in iljm gefefttgt unb nadi aflen Seiten burdigearbeitet, unb in bemfelben (Srabe tritt bas Cbriftentum in feinem poIitifd";en Denfen in ben r^intergrunb. ^ie nädjfte Heujabrsnummer ber „fjilfe* rerÜinbet beutlid^ bie im prin^ip voll-- sogene (Trennung: „X>\e dbriftlid^ Sosialen haben 5u?ei ^lufgaben, rreldje fid? nobe berübren, bie aber nid")t mit einanber üenped"}felt rrerben bürfen. Die eine ^lufgabe ift politifd) unb bie anbere ift religiös. 3^^^ toerben beibe 2lufgaben in ben* felben Dereinen gepflegt, es ift aber nid^t un^ möglid^, bag fpäter einmal 3n?eierlei Bereinigungen nötig roßrben, um nid^t bie Heligion burd> bie (Einselbeiten ber politif ju fd^äbigen, unb um nid^t an politif d^er Derbinbung mit fold^en Ceuten ge»

»} Der £efer bütc fiA, btc ücrfAicbencn „Wehex'% bie an ber fo3iaIcn Seipegun'g beteiligt fmb, 3u rerrrcAfeln.

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Ijinbcrt 311 fein, bic einen anbern relicjiöfen Stanb* punft einneljmen als von.*' <£s ift bemerfensr^ert, bag in ber Darlegung ber poIitifd]en Aufgabe nirgenbs mel^r r>om „dixi\Üxd\en" Sosialismus bic Hebe ift, fonbern bafür anbre ^eiipörter eintreten: „Unfere politifdie 2luf gäbe roirb es fein, einen regierungsfätjicjen Sosialismus vorzubereiten." „(£s mug aber Ceute geben, bie nur bies eine politijd^ im 2luge ijaben, ben nationalen praftifd^en Sosia^ lismus 3u treiben." Unb nur am Sd^Iuffe beigt es u)ieber: „X>aburd->, ba§ u?ir uns „d^riftIid]'fo3ial'' nennen, fagen u?ir, ba^ n?ir an ben Sieg unb Hu^en eines praftifd^en r>aterlänbifd]en 5o3ialismus erft ^ann glauben fönnen, tcenn er r>on tiefer religiöfer (Erneuerung begleitet ift." Zlodi beutlidjer rebet bie genannte Brofd^üre r>on ^896: „So liegt es, bag 3u?ei gefd]id:)tlid7e Strömungen fid^ jeitgefdiiditlid] begegnen, eine ^rneuerungsbe* tpegung im er> an gelif d]en (£I:^riftentum unb eine fo3iaIe ^eu^egung auf poIitifd]em (Sebiet. X)iefe beiben gleid]3eitigen Beilegungen laufen neben cinanber, berül^ren fid?, greifen 3eitu?eife ineinanber ein unb u?erben vielfad^ burd^ bie gleid^en perfonen vertreten. (£s lianbelt fid? aber, um einen Dergleid^ 3u braud^en, nid^t um eine d:jemifd)e (EinBjeit von beiben X>ingen, fonbern geu)iff ermaßen nur um eine pJ^yf^^^Jl^W^ mifd^ung, bas foU Ijeigen, ber pro3e6 ber religiöfen Erneuerung voivt feinen lOeg für fxdt gelten unb ber pro3e6 ber politifd^en (£nt» rbidlung n>irb feinen lOeg aud") für fid^ gelten, nur 3eittt?eife laufen bie beiben Beu)egungen ein

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Stücf ipeit neben einanber." Zladti biefer burcbaus 3utreffenben Dav\ieüung toürbe bie im VOovte ^d^riftlid^fosial" ausgebrücfte (£inl^ett auf eine seitipeilige perfonalunion rebu3iert. (£5 wav nid>t Zlaumanns Sad^e, lange in biefer Unentfcl^Ioffen^ tjeit unb fjalbl:)eit 3U üerl^arren unb bie als not* lüenbig ernannte praftifd?e Konfequen3 aus bem beutlidjen Sadivev^alt ins Unbeftimmte 3U ver- tagen. ZXadi mel:jreren Dorbefpred^ungen faßte ber in3tDif d)en errpeiterte 5i^ßunbesfrei5 um Ziau- mann am 6. 2^ug. \S^6 in fjeibelberg ben Befd>Iu6, eine eigne poIitifd]e 0rganifation unb 3ugleidi eine eigne ^ages3eitung 3U begrünben. Diefe, bie „^eit'', fam feit bem \, (Dtt. in Berlin l^eraus unb u?urbe mit fd]iperen 0pfem ein 3ai)r ijinburdj gel:jalten. längere ^auer u?ar bem „Nation al- fo3iaIen Derein" befd]ieben, ber im Hor>. \S^6 fid] in (Erfurt fonftituierte.

2nit ber €ntipicflung 3um nationalen 5o3ialis= mus ift bie eigentlid^e lX)erbe3eit Naumanns 3U (£nbe. Seitbem ftel^t feine geiftige pJ^yfionomie unb feine gefd^id^tlid^e Stellung in ben (Srunb3Ügen feft unb bat feine u>efentlid>en IDanblungen mefy: erf al:jren. 1) Damit laffe xdi ben ^^iben bes ge= fdiid?tlid]en Perlaufs fallen, inbem id? bafür auf Wend t)ertt)etfe. 2Tleine 2lufgabe u)irb nunmel^r fein, bie verfdiiebenen Seiten ber Cätig!ett Ziaw- manns in il:^rer Per3u?eigung unb in itjren innern <3ufammenJ|ängen 3U »erfolgen.

Da§ ber ^nfd?Iug an bic ^reifinnige Pereinigung feine ift, werbe icb fpätcr bar3utun Jjaben.

Zweites Kapitel.

Die ^ilfe trägt bcn Untertitel, ber ben Sinn '^es fjaupttitels genauer fpesialifiert : „(Sottesl^ilfe, Selbftl^ilfe, Staatsl^iife, Bruberl^ilfe/ Der I^ier hcohaditeien Hangorbnimg entfpridit ber 3"^^^^ infotpeit, ^a^ er ftets bis \^05 mit einem fleinen Stücf religiöfen 3nl:jalt5 beginnt. (£5 jtnb furse Sonn* tagsbetrad^tungen, burd^weg in bem unv>eränberlid^ gleidien Umfange von einer Spalte unb ftets r>on Ztaumann felbft gefd^rieben. Bei bem offisiellen 0rgan einer Hid^tung, bie fd]on in il^rem Hamen bas (£I:jriftIidje üoranftellte, bei einem Blatte, bas von einem (ßeiftlidjen Ijerausgegeben u?urbe, ipar bas nur natürlid] unb felbftuerftänblid^ ^ber aud^ als bie „fjilfe" nid)t meljr „d^riftlid^fosial'' unb Naumann nid^t meJ^r (5eiftlid^er tt>ar (feit 2lnf, \S^7) u?urbe biefe (£inrid^tung beibel^alten ; es ipar eine alte liebe cßeu^oljnl^eit, bie unsät^Iigen IHenfdjen 5reube mad^te unb niemanb ftörte. Diefe 2tnbadjteti loaren nunmel^r bas (fiinsige, was an fein frül7ere5 2lmt erinnerte. Sie ipurben am Sd^Iuffe eines jeben 3^^^^^ gefammelt unb in fleinen sierlidjen

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^änbd^cn als „(ßottesl^ilfc* we'itex vevhxeitet lü'xt bcm (Snbc bcs 3^^!^^^^ Iiaben fte, roie es

fd^ctnt, für immer, aufgel^ört. ttjrer Stelle

brad)te ber nädbfie 2^k^Q<^^9 ^ Briefe über Religion" , ipomtt Haumann einftipetlen von ber BeJ^anblung religiöfer X>inge ^bfdjieb nabm. Von ben er* fd^ienenen 8 3<^I?J^9^ngen bat bann ber Huprecbt'fd^e Derlag eine neue, fadilidi georbnete (Sefamtaus* gäbe in einem fd)önen, roürbtg ausgeftatteten unb red)t rooblfeilen ^anbe üeranftaltet.i)

X>ie]e 'Un'öaditen hßhen von allen Sdjriften Haumanns ben größten (Erfolg gel:|abt - fomobl voas ben 2tbfa^ roie rt?as bie 5d)ä^ung betrifft unb bie allgemeinfte, uneingefdiränftefte 2Iner- fennung geerntet. 3n ber breifad^en 5c>rm ibrer Peröffentlidjung, in ber „fjilfß*, in ^inseb hän'Ödtien unb in ber (öefamtausgabe, finb fie xvobi allen hetannt geu?orben, bie irgenb u?eld^en 2lnteil an Haumann nebmen, unb piele fennen it|n nur iiieraus. 3" tEjeoIogifd^en unb an^cvn blättern l^aben bie berufenften Kritifer i\:ix tob ge* fungen. ^b^nen Derbanft er aud^ bie einsige öffentlid^e (£J:)rung, bie it^m bisl^er 3u teil geroorben ift, bie Ernennung 3um (£l)renboftor ber ^tjeol. burd] bie fjeibelberger ^^i^ultät. 3"^^ff^^ f^"^ "^^^ biefe äußern Umftänbe, bie mxdi r>eranlaffen, ibnen eine eingel>enbe Betraditung unb ein eigenes

*) (Sottcsbilfe. (Sefamtausgabe ber 7lnba<bUn aus ben 2^h^^^ 1(895—1902 fad?Iidj gcorbnct von ^ricörtcb Naumann. (Böttingen, Danbent^oecf 8c 2^upred?t. ' 1902. XII, 6U 3. geb. 6 IXl. ZIad? biefer 2lusgabe u>irb im ^olgenben sittert.

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Kapitel 3U lüibmen, fonbcrn nod] mcfy: fadjitdje <5rünbe. Von ber ^l^cologic unb üom Pfarramt ift Haumann ausgegangen unb erft fpät i^at er fxdi ganj bauon getrennt. (£5 u?irb 3um Vex- ftänbnis feines IDerbens unerläßlid^ fein, ba§ u?ir 3uerft ben Cl^eologen, ben pfarrer fennen lernen. Daiu bieten aber biefe ^nbad]ten nidjt nur bas reid]fte unb sugänglid^fte 2naterial, fie empfel^Ien fid] audj burd"? itjre (£ntfteJjungs3eit, fie fefeen nämlid') ein hir3 r>or bem Beginn ber (£nttt)icflung, u)oburd7 ber neue, eigentlidje Naumann entfielet, unb fammeln ben geiftigen (£rtrag ber periobe, bie porausliegt. (£s fei bal^er geftattet, nad> il^rer Einleitung bas Bilb bes „Pfarrers" Naumann in ben £jaupt3Ügen 3U 3eidjnen.

h

Vcv ^ug, ber 3unäd7ft in bie ^ugen fpringt, ift eine groge €t^rlid^feit unb H) al^ rl^aftig» feit, rtaumann ift es tjeiliger €rnft mit bem, tt>as er fagt. €r madjt nidjt Hebensarten, gibt nid^t bie lanbläuftge d^riftlidje 5d7eibemün3e u?eiter; er fagt nur, was er felbft empfinbet, benft, erlebt, unb upofür er fid? felbft mit feinem Ceben ein3u= fefeen bereit ift. €r fd^reibt nid^t, u>ei( es fo ber Braud] ift, unb u^ie es ber Braud^ ift, fonbern aus bem Drange feines fjer3ens tjeraus. Davaus folgt gan3 v>on felbft, bag aud? ber 3nJjalt feiner 53etrad]tungen eigenes imb perfönlid^es (Sepräge Seigt. (Df^ne bies u?äre ja bie <£tjrlid^feit eine leere Sdjale, benn et|rlid? fein, J^eigt, fid? felbft

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xixdhiaitslos unb rücfftd^tslos gehen, fid^ offen unb entfdjicbcrt 3U feinem Selbft l^efennen. llJan mu§ ein Selbft I^aben, um es geben unb vertreten 5U fönnen. Damit ift nid^t gefagt, bag es lauter originale unb funfelnagelneue (öebanfen toären, voas Naumann l^ier vorbringt; ron u?em fönnte man bas fagen ? (£s , ift 3um großen Ceile bas alte, gläubige, uns rool^Ibefannte dl^riftentum, bas Haumann verfünbigt. (£r gibt in vielen 5ällen bie überlieferten Porftellungen unb (belaufen roieber, wo er [\di mit il^inen einig fül^lt. (£s fommen u?oI^I aud^ Stellen vor, obfd]on feiten unb nur in ber frül:jeren ^eit, wo er trabitionelle Wormeln vexwen^et, ol^ne bag man iJ^nen eine he-- ftimmte, im ^ufammenljange notivenbige ^ebeutung abgetvinnen fönnte. X>as alles mug 5ugegeben tverben ; aber es I^inbert nid]t, ba§ ftd"> aus bem (Sanken ein beutlidies Bilb einer inbivibuellen perfönlid]feit ergibt. 3n ^usu)al:jl imb ^ciffu^tg fünbet fid") bie (Eigenart bes Perfaffers, aud> u?o ber Stoff nid]t neu ift. 2lber aud? neue, wexU volle (S>ebanten finben fid^ in reidjer 5üIIe.

Der 3nt^alt von Haumanns Derfünbigung lägt fidi gans gut burd^ stvei Stbjef tive d]arafterifteren : es ift ein praf tif dies, fo^iales Ctjriftentum. praf* tifdKs Ctjriftentiim! Der 2lusbrucf tft für uns Deutfd^e burdj BismarcF geprägt in ber hetarxnten Hebe 3um Unfallverftdierungsgefefe vom 2. 2(pril \88\ ; fo red)t geläufig ift er uns bod? burdj bie dm^U Iid)=fo3iaIe Bervegung geu?orben. Unb auf nie^ manb pagt er fo gut tvie auf Haumann. 3"

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ganzen ftattlidjen Banbc fin^>et \\di auffallcnb tDcnig Cl^cone. (£5 feh^len mdit nur ttcfftnnicjc 'Betxadiiungen über bic (5el)cimniffc bcs d^riftUd]cn Dogmas, bas ift l^cutc mcl^r ober ipeniger felbftücrftänblid?. 2lbcr es fch^kn aud] ober ftnbcn fid^ nur wcreinsclt bic ^useinanberfc^ungcn mit anbern IPcItanfd^auuncjen, unb bic ftnb tjcute feinesipcgs übcrflüfftg. Hur 3uu?cilcn tt)erbcn einige qan^ allgemeine (Srunblagen djriftlid]er ober überl^aupt religiöfer X)enfu?eife gegenüber bem ZHaterialismus r>erteibigt. 3"^ Übrigen fefet Hau* mann bas Ct^riftentum einfad? i^oraus; er u?enbet fid^ ja aud] an £e(er, bie tjierin mit il^nt einig ftnb. 2111 fein Sinnen unb Streben gel^t barauf, ba§ biefes dl^riftentum, bas alle be!ennen, red^t lebenbig unb u?irffam u)erbe, ein (El^riftentum ber Cat unb Xt>al?rl:jeit, ber l>elfenben unb bienenben Bruberliebe, eine beljerrfd^enbe Cebensmad^t für ben (£in3elnen wie für bie (5efamtl|eit, eine u?irflid^c Hadifolge 3efu im Ceben.

3efu5 als Dorbilb unb Horm unf ers Cebens tritt bal^er in biefen ^Inbad^ten febr be= beutfam unb entfd^ieben in ben Porbergrunb. 2Iber biefer Haumann'fd?e 3^\us liai fe^^r eigen» artige <5üge. IDir finben fie überftditlidj 3ufammen» gefagt in bem crften fjeft ber ebenfalls r>on Haumann erausgegebenen „(Söttinger ^trbeiterbibliottjef" mit bem Citel „3^fus als Dolfsmann/i)

M (Sötttngen, in bemf. Dcriage ^89^. (3etabe tn biefer §eit tjat bie <5eftalt 3^fw Porbilb Hau- mann am intenfiüften befdböftigt, Sie beijerrfdjt auf^

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3efu5 tft für Naumann sunädift ber Vdann bcr Cat, bcs IDillcns unb bcr Kraft, ntdjt ber tbyllifd^e „gute ^irte*. ober ein rpeid^er (ßemütss menfd], fonbern ber unermüblid^e 2trbeiter, ber fxdi in feinem Berufe oersel^rt unb an nid^ts benft als bas 5U tun, wo^u tt|n (Sott gefanbt l^at, unb ber mutige fjelb, ber unerfdjrocfen ben ZTTad^tl^abem feiner ^eit entgegentritt unb fid? burd] feine <S>e- faEjr unb Cobesfurd^t in feinem 2X>irfen ijinbern läßt. Sein 3efu5 ift aud^ fein fanfter ^nebens* unb fjumanitäts'^poftel; wie er felbft ben Kampf nid]t fdieute, fo u?eig er, ba§ er ber lOelt nid^t ben 5nßben, fonbern bie ^toietrad^t bringt. ^3d^ bin fommen, ba§ id^ ein 5ßuer ansünbe auf <£rben/ Unb enblid? ber entfd?eibenbe ^ug: fein 3efu5 ift ber „fosiale* 3^fw5, ber „Polfsmann", ber ireunb ber Firmen unb Sünber, unb ber 5ßiub nid^t ber Heid]en, aber bes Heiditums unb ZHammonsbienftes, ber bie Firmen feiig pries unb über bie Heidjen iX)el:je rief; ber gefagt b^at: „(£s tft leidster, bag ein Kamel burdj ein ZTabelöbr gelje, benn ba§ ein Heid^er ins Heid] (Sottes fomme", ber feine ^ntjänger mal^nte: „Derfaufet, ipas il>r Jjabt, unb gebt es ben Firmen!* unb ber

ben programmatifc^en 2luffa^ „Cl>riftIid?=5o3iaI", f. oben 5. 39 ff. Die \ . probenummer ber „^tlfe" beginnt mit bem 23efenntnts „3efus Cljnftus geftern unb tjeute unb ber= felbige aud? in (Eirigfcit", unb ben 3öl?rgang felbft burd?3iel)t eine Heilte von Briefen an einen Arbeiter „IDcr wat 2t\us von Uaiattt^i"' (von anbrer ^anb). Unb noc^ IDeifjnad^ten ^895 prebigt U. in ber „gufunft" „Die Hucffcljc 3U jefus."

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beim jüngften (Sendete allein nadi ben VOexhn bcr Ciebß fragt, bic u?ir bcn ^rmen unb Ccibcnben eripief cn I:|abcn. X)iefcr 3cfu5 ift fo 9an3 anbers als bas Ijcutige offisiellc Kird^en^ unb Staats^ d^riftcntum: er l^ielt ftd^ nidjt 3U ben ItTäd^tigen, fonbern 5U ben Kleinen in jebem Sinne; er faß 311 Cifdie mit Zöllnern unb Sünbern, tt?a5 Hau= mann einmal fel^r treff enb ins Zlloberne überfe^t: er r>erfel^rt mit Sosialbemofraten unb 3uben; er vexwaxf bie Deru?orfenften nid">t unb glaubte aud^ bei itjnen an bie 2nöglidifeit ber 53uße, nur mit ben (Sered-jten u?u§te er nid^ts anzufangen, unb in ben Vertretern ber ofpsiellen Kird^e feiner ^eit fanb er feine fd^Iimmften, unperföljnlid]en 5ßinbe. Naumann ift f\di ber ^Einfeitigfeit biefes 3^fii^' bilbes burd]aus bett?u§t. <£r u?eiß wobX baß es aud] anbre 2(uffaffungen gibt unb ba§ bie eben» falls il^r relatives Hed^t haben. 2tber er I>ebt biefe ^üge t^eraus unb unter ftreid^t fie fo ftarf, u?eil er über3eugt ift, bag fte 3U lange unb 3U febr überfel:jen finb unb bag gerabe fie einem Bebürfniffe unfrer ^eit entfpredjen. iPir bürfen voo^l liiniu- fügen: u?eil fie vot allem beut Bebürfnis feiner Seele entfpredjen, meil er fidj barin mit feiner Setjnfud^t imb feinem reinften Woüen u^ieber pnbet, u>eil fie nur bas ausfpredjen, u?as als ibeale 5orberung in il^m felbft lebt.

rtatürlidi ift bamit nid^t ber JnJjalt ber gan3en Sammlung erfd")öpft; bie 580 Stüde, aus benen fie beftel^t, entt^alten eine erftaunlid^e 5ülle unb tt?ieberi^oIen fxd} nur feiten. 2lber bas, was wiv

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exwälinten, ift bod^ tex lentxale unb d|arafterifttfd]e ^ug in bcm Bilbe.

2.

(£benfo rctditig iinb bebcuhmgsDoU als bas, ipas er fagt, ift beim prcbigcr bic 2(ri, rote ex es fagt. Unb ba entfprid^t ber (EEjrlid^fcit unb ^d^tBidt bc5 yxlialts bie äugerftc 5 I i t c i t bcr ^lusbrucfsipcife. Haumann u)ill bic breiten Dolfsmaffcn tt>ieber für bas Cl^riftentum gerrinnen, er voxll 3efu5 als ben Dolfsmann unb ^ntoalt ber ^rmen üerfünbigen, rx>ie er felbft paftor ber armen Ceute geroefen ift. €s ift bie felbftDerftänblid^e 5oIge, bag er bie Spradjc bes Dolfes fpridjt, bag er ben ^usbrud xväi}it, ber biefem am meiften r>erftänblid? imb munb* geredet ift. 3n biefer ^infid^t I^at Haumann (Sroges geleiftet. Seine X)arfteIIung ift überaß im iiddi\ten (Srabe einfad], !Iar unb fnapp, foipeit es bie Hatur ber Sad^e irgenb 3ulä§t, audj ba, voo ex S^<^Q^^ beJ^anbelt, bie immerl:jin fdjon eine getpiffe ^ilbungsftufe üorausfe^en. Sie ift bas üollfommene (5egenteil eixoa von ber glansoollen Htjetorif Sd^Ieiermad^ers. Sie fann fid? bireft auf bas Dorbilb 2^\u berufen, ber aud? im „Volfe" fein liebftes unb, tro^ allem, fein banfhax\ies publifum fanb, unb r>on B^ier aus bie lOelt er* öberte. Unoerfennbar I^at fidj Haumann an ber Sprad?e ber (£r>angelien gebilbet, fo toenig er pe äugerlid? nad^al^mt. Xlaumann fdjreibt 3unäd?ft in gan3 fur5en, einfad>en Sä^en; bie ^urdjfd^nitts* länge u>irb faum meljr als eine ^eile betragen.

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Xlehcn^äi^e jtnb feiten, funftüollere perioben fet^Iert gani. (£benfo hirs unb einfad^ ftnb bie <5ebanfen. €5 ftnb niemals fontplisierte (5ebanfengebäube imb ^useinanberfefeungen, fonbern einselne, für fxdi tjingeftellte, in fid) überseugenbe unb lebenbige- (5ebanfen, bie teilipeife ifoliert, teilweife in lofeii (Sruppen, ober in einfadjen (Sefügen bargeboten tüerben. X>er 2tufbau einer ^tnbad^t ift oft locfer unb funftlos, imnter leidet unb überfid^tlid%

2tber bie bIo§e Derftänbigfeit unb üerftänb^ Iid]feit genügt nid^t. Der prebiger, jumal ber Polfsprebiger, bat wenig geu?onnen, u?enn er beti Derftanb überseugt; er mug sum (Sefübl fpred^en^ unb ber lUeg basu gebt burdj bie pbantafie. Z^aumanns Darfteilung ift niemals nüd^tern unb trocFen; fie ift bei aller Sd^Iid^tl^cit unb Sad^Iidi- feit ungemein bilblid^ unb farbig. €r a->ei^ bas redete IDort 5U finben, bas sunt fjersen gebt. v£r u>irFt nid^t burd] Ijäufung, fonbern burd] d^araf- teriftifd]e IPatjI bes ^usbruds. €s fmb fünftle^ rifd-je (Elemente in feinem Stil, imb biefe be^ ftimmen nid^t nur ben ^lusbrud im (^injelnen,. fonbern beleben aud? bas (San^e. Sebr v>iele biefer Betrad^tungen fmb als (ßanses ein ^ilb^ nid]t ein (ßleid^nis im Stil ber €r>angelien, eine an fidj belanglofe (£infleibung einer leiere, fonberrt eine Ssene aus bem Ceben, beren feelifd^en (Sel>alt uns Naumann empfinben läßt. So werben uns- bie Ssenen ber biblifd^en (Sefdjid^te ausgemalt,, mit gutem Ijiftorifd^en Sinn unb bemerfenswertem Calent, fid] in bie feelifd]e 2lvt unb bie Cebens-

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formen einer fernen ^eit I^ineinsufüEjIen. Ztod} Ijötjer fteljen bte Stücfe, rt?o Haumann ein BUb aus bem Ceben ber (5egenu?art entoirft, btefem Ceben, bas er fo grünblid] fennt unb bas fein <5efül)I unb fein Vcnfm fo tief unb intenfto be* fdjäftigt tt>ie IDenige. Unter iJ^nen gibt es mand]e, bie fid? beinal^e 3u fleinen Kunftix?erfen ausrpadjfen. ^m freieften unb glän3enbften offenbart fid? bie fünftlerifdje Kraft in ben Haturanbad]ten, wo bie lel^rEjafte 2lbftd^t gans 3urücFtritt fyntev ber tief empf unbenen unb üirtuos u?iebergegebenen Stimmung. So ftnb biefe prebigten, roegen ber gleid^en (Sigenfdjaften, bie fie ben geiftig ^rmen 3ugänglidi madjen, audj für ben fjödjftgebilbeten eine rei3'' DoUe Ceftüre.

3.

Haumanns '^n^aditen befdiäftigen uns J^ier als ein Ceil feines literarifdien lOerfes unb nad] tE^rer Stellung im (Sanken feiner probuftion. Tlhev daneben ftellen fie bas allgemeine Problem ber prebigt in unferer ^eit überl^aupt, unb audi biefe 5rcige ift l^ier nid^t 3U imtgeljen.

^Ue prebigt unferer ^eit leibet an einer Sdjrpierigfeit unb einem innem lOiberfprud?, ben roir ebenfo in biefen fd^lidjten, üolfstümlidien Tin- Zaditen wie in ben Hebehmfttxjerfen Sd] leiermadiers finben. Sie gelten aus von einer Bibelftelle unb tDoUen 3u einer ^nu?enbung auf unfer Ceben ge^ langen. Sie moUen bamit 3rDei ^inge 3ufammen üerbinben, bie gan3 »erfd^iebenen IPelten angel^ören xmb suipeilen fd^led^terbings nid^t 3U einanber paffen.

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Die Sdjrtftcn bes neuen Ceftantents ftnb ge= fdjrteben im ausgel^enben 2(Itertum, im ^Tüorgen» lanbe, inmitten eines unfelbftänbicjen SUavenvolUs tnnerl:jalb eines allumfpannenben iPeltreid^es auf roenig unentu)icf elter Kulturftufe unb finb burd^aus auf bie Derljältniffe biefer ^eit unb (Segenb 3U* gefdinitten. XDas fönnen irir, bei benen feine biefer Porausfe^ungen sutrifft, bamit anfangen? 2)iefe 5d]U)ierig!eit liegt jebod^ u?eniger in bem lOanbel ber ^^iten unb Umftänbe an \\di ; frül:jere (Generationen tjaben fie ipeniger empfunben, u?eil fid? il]nen ber Sinn ber 53ibel mit il:jnen iDanbelte unb fte in il:|rer Haiv>ität gar nid^t anbers fonnten, als bie Sd^rift im Sinne ber eigenen <5eit aus* legen. (£rft bas €ru?ad]en bes l^iftorifd^en Sinnes Ijat biefer ^(aiDität ein (£nbe gemad^t ; feitbem fönnen vo'iv bie ^ibel nid^t mel^r gan3 in ber alten IPeife 5ur Honu bes Cebens unfrer ^eit neEjmen. Zninbeftens ipirb es oft nid^t oI:jne allerlei (5eu?alt» famfeit, Soptjifterei unb Selbfttäufdning abgelten. IPir müffen entu?eber bem ^citfinn ber ^ibel, u?ie il^n uns bie l^iftorifd]e 5orfd]ung i^erftel^en lebrt, <ßeu?alt antun, um i^n auf uns anioenbbar 3U mad]en; ober u>ir müffen gegen unfre ^cit unge* red?t fein, u?enn luir fie am ^eitd^arafter bes neuen Ceftaments meffen; unb nid^t feiten u?erben |?eibe Ceile 3U fürs fommen. 3m allgemeinen ipirb bie I^omiletifd^e Derupenbung ber ^ibel um fo leidster fein, je f efter ber prebiger in ber ^rabition brin fteljt, je ortlioboj-er er ift; benn um mit etu?as praftifd^ arbeiten 3U fönnen, mug es

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■felbft 5uerft fcft unb fertig ba fein. Die tciffeiv fd-jaftlid^e Sov\dii\nq aber bat gerabe bie Cenben$, ■alles trabitioneE (Segebene in S'^<^Q^ unb problem 3u ftellen, alles 5^ftc unb Starre voanUnt) unb fließenb 511 madjen, in lebenbige, geiftige Betoegung <ixif5ulöfen. 2lber in bemfelben (5rabe, roie einer im 'Sanne ber Crabitton unb bes Dogmas ftel:|t, wirb er audi unfäBjtg fein, bas mobeme Ceben erfaffen unb 3U leiten. IPie ftellt fidjnun Naumann 5U biefem Dilemma ? -(^unädift finben u?ir audi bei iEjm bie 5d|U)ierig= feit beutlid^ porl>anben. ^ber u?ir bemerken ebenfo ^en imbebingten 2Ttut unb XPillen 3ur XPal^rbeit, ^er jebe fromnte Belügung feiner felbft unb -^Inbrer uerfdimäEjt unb bie Sd^roierigfeit nid^t über» -fiebt unb umgel^t, fonbern il^r entfd^Ioffen ins ^uge hlxdt So lefen wxv ben guten Safe (S. \32): „Das ift bie 2td>tung cor ber Bibel, ba§ man fte Tiid^t moberner mad]t, als fie felber ift; barin 4iber beftetjt bie 2(d]tung vox bem l^eutigen ZUenfd^en, ■ba§ man ihm aud> in (Slaubensbingen ein offenes lüort geroäbrt über bas, was er nun felber wktlidi glaubt." So wix^ bie Derfdjiebenl^eit ■beiber IDelten ausbrücflid) anerfannt. Hnb ferner S. 586: „3^\^^ f^I^^P k<^^ öfter üom Perlaffen ber Familie gefprod]en als r>on itjrer Pflege. (£r ge* t)örte ber gansen lOelt unb \ian^ mitten im Kampf, ^alfd? u?äre es barum, bie IDorte, bie er in gan5 befonbers perfönlid'jer Cage fprad^, für jebermann 5u verallgemeinern." (£in fel:jr ridjtiger, aber ge^ fxäl^rlidjer (ßrunbfafe. Denn was Haumann in

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t)iefcm S<^^^ verlangt, bas fönnte man ja xvo\:il audti in anbcrn 5^Ücn geltcnb madben, unb wo^xn fommt man bann? 3a, wenn man gans cl^rlidi fein wiÜ, fo mug man es cinfad] auf alle lOorte 3efu anwenben: fie alle ftnb in gan5 perfönlid^er Cage für beftimmte befonbers geartete Derl]ältniffe ober für inbiuibiielle S<^^^ gefprod]en; fie alle bürfen batjer nid>t fdiledittjin v>erallgemeinert werben, b. Ii. fie finb nid^t ot^ne lDeitere5 auf uns anu?enb» bar unb für uns perbinblid?.

Cro^bem füt^It Haumann als über5eugter <Et|rift bas bringenbe öebürfnis, fid^ in feinem (£mpfinben unb lUoUen in Übereinftinnnung mit 3efus, ipenigftens tiidH in iUiberfprud] 3U il^m 5U u?iffen. Venn auf biefe negatioe rjarmonie fommt es in ben meiften S^lien iixnaus, ba u?ir bie pofitiDen, frud^tbaren 3^^^^^/ benen Zlaiu manns (£tl^if betjerrfd^t ift, bei 3^f"^ vergeblid^ fud]en unb aud^ nid^t upoEjI finben fönnen. Tlhev felbft biefe negative Ubereinftimmung ift 3uu?eilen nur eine fd]einbare unb erfünftelte. (5eu?i§ u?ar 3cfu5, u?ie il^n ims bie «Eoangelien jeid^nen, ein f^elb, ber ben Kampf nid^t fdjeute ; aber bag ber, weldiev gefagt l^at: „Ciebet eure ^cinbe!", „lUer bid^ f dalägt auf bie red]te lUange, bem biete aud] bie anbere" ufu?., ba§ berfelbe jemals ben Pölfer^ frieg gutgel^eigen I^ätte, liat bod^ u>enig Wa^v- fd^einlid^feit für fid]. Ihxdi ijxex bleibt am €nbe nur bas (ßeftänbnis: „Das neue Ceftament bietet fein Kriegsgebet, aber (5ott ift nidn "ur im neuen Ceftament. Wo neue llTenfd^t^eitsgeftaltungen fom*

6^ ~

men, tft etwas von bcin bcffcn im VOevte,

^ev aller ZTlcnfd^l^cit pfabc leitet/ ZTaumann rpenbet ftd? in einer in bie (Sefamtausgabe nid^t aufgenommenen ^Inbad-jt (fjilfe VIII, ^) gegen ben Hücfertfd]en Sprud?:

Keffer ein 3i^i^^""^/ ^'^^ beglücft, 2ll5 eine IDal^rEjeit, bie bid? nieberbrücft! in fpesieller ^nrpenbmtg auf bie Heligion, unb fommt 3u bem 5d?Iuffe: ^^ins ift uns bod? g^ojig, bag im (5runbe nidits glücflid] madien fann, was man felber nur mit l^albem fjersen glaubt. 2lud^ toenn bie IDaljrl^eit bid? nieberbrücft, bu mugt fte fud^en! So fd]u?ad] beine Kräfte finb, bu rtJÜrbeft bid") felbft üerad^ten, wenn bu bid] nid]t mel^r 5ur (Sefolgfd^aft ber IX)aI:jrI^eit5fud^er red]nen fönnteft." X)iefe iio^e, tapfere IDaljrl-jaf* tigfeit ift bas Siegel einer großen Seele; unb u?ir müffen fte gerabe einem Cl^eologen boppelt I^od) anredinen.

^.

Haumann ging aus r>on ber lutl^erif d]en 0r* tl^oboj-ie ftrengfter (2)bferr>an3 unb fd^eint 5unäd^ft wen'iQ von ^toeifeln unb (5Iaubens!ämpfen geplagt 3u fein. (£r ift feinen (Semeinben otjne Zweifel ein gans I)en?orragenber prebiger geu)efen. ^iefe fjilfe = 2Inbad)ten ftel^en, namentlid? im 2tnfange, rool^l nidit gans fo Bjod^. X>enn eine münblid?e unb eine gebrucfte prebigt finb 3u?ei gan3 Ijeterogene X>inge. 3ene rt)irb üor einer beftimmten unb 3umeift bem Hebner ipol^lbefannten ^uliötet'- fdiaft gel^alten unb ii^r IDert liegt barin, upie r>iel

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fie gerabc btcfen 21Tciijd]cii ^ehen unb iyifen fatm. Die 2Xu5wa^ bcr (Se^anfen nadi bcn bcfonbcrcn ^ebürfniffcn gcrabc biefes Krcifcs, bie inbiutbuclle ^niücnbimg ift bie fjauptfad^e; iPol>er bic (5c* banfen ftammcn, ift belanglos. Sie u?crbcn im allgemeinen bem von ber Dergangenlieit 5ufammen» getragenen Sd^a^e entlebnt; unb fteÜen ftd] um fo leid'jtcr unb reid^Iid]cr ein, je mebr biefer über» lieferte 5d]a^ bem prebiger fefter, fidierer Beft^ ift. X)al]er bier ber groge Dorteil bes ©rtl-jobo^en unb 2tltgläubigen, jumal, xpenn er babei, roie Haumann, entfd-jieben pra!tifd] gerid^tet unb mit p{Yd">oIogifd]em ^Talent unb gefunbem, tiefem Cebens* finne ausgeftattet ift.

^ei ber gebrucften, literarifdicn prebigt fallen alle biefe 3e5Üge ipeg. X>iefe xuenbet fidj nid^t an eine fonfrete (Sinselgemeinbe, fonbern an bas große, allgemeine, unbe!annte Cefepxiblifxnn. fjier fann alfo i>on inbii>ibueller ^Inu^cnbung feine 2\ebe fein; mir ber (Sebanfcngel^alt als fold^er xviegt. Unb ba genügt es nid^t, bereits üorbanbene unb überlieferte (Sebanfen 5u u^iebertjolen, fonbern biefer Sd^afe mu§ burdi neue, eigne 3been »er» meljrt iperben. T>ie\e xx?erben aber gexpöt^nlidi in innern Kämpfen geu?onnen.

Soldie fdieinen bei Hamnann eigentlid^ erft ge!ommen 3U fein, nad^bem er bem paftorenberufe entfagt I^atte; teils burd] bas tiefere (Einbringen in bie Cebensformen unb bcn (Seift ber (5egcntt)art, benen nun fein ganscs Stubium galt, teils infolge ber ^erül^rung mit ber mobernen tI:jeo logif d]en IDiffen»

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fd^aft, mit bereit Vertretern il^n feine praftifd?en Beftrebungen 5ufammenfüJ^rten.i)

Die religiöfe €ntipicflung Haumanns ift, roie natürlidi, eine aIImäBjIid]e Coslöfung von ^)er Crabition unb ein (£rftarfen ber 0rigina^ lität Sie 5eigt fid? fd|on in einer Siugerlid^feit 3m allgemeinen trägt jebe Betrad^tung einen B i b e l f p r u d] als TXlotto. Tin bef) en Stelle treten nun 3uix)eilen anbre Sprudle, aber erft rom 6. 3ai^rg. an, unb bann in fteigenbem ZHage. fjier finb je einmal bas Kird">enlieb, PeftaIo35i, (5oetl^e, Sd]Iciermad]er, 21. 10. Sd^Iegel, (Seibel vertreten. X>er 8. 3abrg. entijält bagegen nid^t ipeniger als \5 freie „Ceitfä^e", unter benen neben (Ebryfoftomus, Cutber unb 0mar dl^ajiam aud? ZTamen wie Husün, 5ontane, IDilEj. Hofd?er vot-- fommen. Haumann mug im Poruport biefe 5reil:jeit gegenüber rc>ieberI:joIten ZTTabnungen r>er* teibigen. 5ür ben mobernen Cefer tpürbe etjer bas

^) £eibcr madjt es bie (Sefamtausgabc unmöglicb, ben Derlauf biefer Umt»anblung 3u überfeinen, n?eil fte bie djronologifcbe (folge serftört tjat. (5etpi§ ift in einem für praftifd^e €rtnoIungs3U)ecfe beftimmten 2tnbad?ts= bucbe bie fad^Iic^e 2trtorbnung beredjtigt. 2tud? ift fie trefflid? geeignet, ben ungemeinen Heic^tum, bie Kunft bes Derfaffers, bemfelben (Segenftanb immer neue Seiten abjugeujinnen, in bas redete £id?t 3U ftellen. 2iber ihre Hadjteile hat bie Sad?e bodj; fo aud? ben, ba§ nun bie am menigften get)altreid?e unb an3iebenbe von allen 2tbteilungen ben Heigen eröffnet. („Die cbriftlid^en ifefte.") 2tm meiften tft 'jebod? bas (feJjIen ber Ctjronologie 3U bebauern. fjier hätte menigftens burd? 2tngabe ber urfprünglicben ^unbfteüen im 2'^iia[tsvei= 3ei4nis unb eine rergleidjenbe Cabeüe ein Zlotbetjelf ge= geben u?erben fönnen.

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<5ccjenteil bcr ^ntfd^ulbtguncj bebürfen. Z>enn es ift flar, bag l^icr bte mciftcn 5d]u>terigfeitcn, bie voiv in bcr l^cuttgcn prcbigt fanbcn, in IPcgfall fommcn, unb tatfäd^ltdi ift bcr 5ortfd]ritt imoerfcnnbar.!)

Tlhev bte Coslöfung oom ^ib eitert seigt ftd] nid^t iceniger in ben ZTummern mit einem biblifd^en Stirnfd^mucf. (5etpig eripeift fidj ein foldjer Bibelfprud] I^äuficj frud]tbar als ^n-- reger unb ^luslöfer üon (5ebanfen 2) Hid]t feiten aber ift bie Be5iel^mig eine fel^r lofe. So lefen roir über ber „IDinteranbad^t* (252) ben Sprud] 3efaia \, \S: „IPenn eure Sünbe gleid] blutrot ift, foU fie bodi fd^neeipeiß u?erben." Die ^tnbad^t üeru^enbet baraus nur bas eine IDort ^fd^neeu?eiß"; fie seigt, wie ber Sd^nee im IDeberborfe alles

*) Überijaupt bemcgt fidj bie €ntipicflung Uau- manns als prcbiger in cnt\d>ki)m auffteigcnber Sinie. €s ift öaber fcbr bedauern, ba§ bicfc „(5cfamtaus= gäbe", um nod? für ben lüeiljTiadjtsmarft 3ured)t5ufommen, bas le^te Drittel bes 8. 3^IjJ^9ö"9* (^^^n Zlr. 36 ber ^ilfe an) fortlaffen mußte (um fo metjr, ha vom 8. 3^l!i^9- audj eine Sonberausgabe rermißt n?irb). (ßerabe unter tljnen ftnben fid? inbaltlicb fel^r bebeutfame unb n?ert= roUe, mie aud? formell burd?gebilbele Stücfe, u?ie „Zlrbeitslos" (36), „^djtung ror ben Dätern (3?), „Der Segen ber ^freube" (39), „^Irbeit" (^0), „IDaljrljeit unb (5[M" {^\, oben sitiert), „Unfer (Sott" (^^), bie fomit bem £efer bes ^udjes unterfd)Iagen n?erben. ^n?et bavon habe id? in mein „rtaumanmSuc^" aufgenommen, f. baf. Ux. 24) u. 27. 2lud? biefen IHangel voitb Ijoffentlid? balb eine jroeite Auflage abftellen.

2) €in flaffifdjes Seifptel bafür ift bie ^Iraurebe über Pf. 126, \ 5 (geit 1,^6, teilo». aud? 11.--^. Uv. 34^). ITland?maI ift biefes llTotto aud? äftljetifd> üon ausge^ 3eid?neter IDirfung, fo 3. 3. bei „3m €ifenu>erf" ((Sottcslj. 238, l\.--}3. 23).

5*

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<£Icnb jubcdt unt» allem ein weites, reines (5es üpanb überstellt. 2tn bie Sünbe mal^nen nur sroei furse Sä^e, bie (^ufammentjang unb Stimmung bes (Jansen red^t l]äglid7 unterbred]en. Caffen w'ix fie fort, [o lefen u?ir ein fd^tDungüoIIes (Sebid]t in profa. Über 563 („Mutterliebe") fteljt: „Kann aud] ein XDeib itjres Kinbleins r>ergeffen? 34^1^ ^9, X)ann folgt eine mit feiner 3i^c>'^i^ ersät^lte (Se* fd]id]te, beren 3nl^alt unb ZHoral ber erfte 5a^ genügenb ant)eutet: „5räulein 5neberife I^ätte ein gan5 tüd^tiger ZHenfd] roerben fönnen, n?enn fie von iB^rer Zllutter toeniger geliebt toorben roäre.* Soll biefe gans moberne Houelle in nuce mit bem 3ibelfprud? irgenb etmas 3U tun I^aben, fo fönnte man fie Ijöd^ftens als eine Satire barauf faffeit. 3" IDal^rl^eit ift ber Sprud] l]ier 3u einem burdjaus be- beutungslofen unb überflüffigen Sd^nörfel geu^orben.

lDid|tiger unb mannigfad]er finb bie IPanb» lungen, bie ber (Sel^alt von Haumanns reli* giöfer (5ebanfennpelt im Caufe biefer 8 ^a}:ive erfal^ren i^at; bod? es u?ürbe 3u voc'it fül:|ren, biefe im einseinen 3u verfolgen. Hur 3tx?ei fjauptfad^en w'iü xd] in Kurse anbeuten. Vev fd^Iid^te Bibel* glaube Haumanns fommt anmäl:)lid] ins lUanfen; er fommt mit ber rt)if|enfdjaftlid7en Cl^eologie in Berül^rung unb lernt r>on il^r, bag nid^t alles feft* jlel^enbe Catfadje ift, was ber Sd^üler Cutl^arbts xmb iranfs bafür gel^alten Ijatte. Hatürlid? ift ber poIitifd]e Kämpfer unb parteigrünber nid]t in ber läge, felbft in bie Arbeit ber 5orfd]ung einsutreten, aber er teilt gelegentlid] il^re Hefultate mit, unb^

69

voas meh^x fagt: er tritt unbedingt für fte ein unö 3tel{t ^ie Konfequensen. (£ine fcf^öne, ftntiüolle Parabel „Die alte 'Buxg" oerfid^t bas Hed^t ber Ijiftorifdjen Kritif, in ber Überseugung, bag ber Kern ber Heligion baburdj bod] nid]t serftört lüerben fann, unb ba§ gerabe bas Streben nad] ^ex XPabrI:jeit eine ipürbige 2trt, (Sott 3U bienen, ift. Die 5oIge aber ift r>or allem, ba§ bas eigent* lid) Cl^eologifd^e nun überl^aupt 5urücftritt. 23etrad]tungen über bas IPeil^nadjtstounber, bie Bebeutung bes Cobes 3efu u. a. werben allmälilidi immer feltner. 3^ ausfd^ließlidier imb tiefer Hau-- mann fidi beut ^eben ber (Segenioart unb bem praftifdien IDirfen in ilir u?ibmet, um fo mel^r ftnb aud^ biefe 2ln^aditen bauon erfüllt. 2lud| bas fpejififd^ dl^riftlid^e verliert feine 53ebeutimg. 3efus felbft, ber anfangs fo energifd] als 2TIeifter unb Porbilb porangeftellt u)irb, tritt gan^ fad-jte etwas in ben fjintergrunb, nad^bem er jtd^ 3ur politif d]en 5übrung untauglid] geseigt l]at. 2ln feine Stelle tritt ein gans neuer (Sebanfe. TXaiu mann entbecFt (Sott im Ceben ber (Segen = wart. (£r finbet il^n im Ceben ber Hatur unb feiert il>n in ben präd^tigen ZTaturl:jYmnen, in benen eine altteftamentlid^e ZTaturreligion in neuen, fel^r feinen unb poefteuollen formen wieber er ftel^t: unb er erfennt fein IPalten in ben wirtfdjaftlid^en unb fosialen t£rfd->einungen, im Saufen ber ZlTafdnnen imb im (Setriebe ber (Sroßftabt. Hatürlid? benft Naumann nid]t entfernt baran, bas (El)riftentum über ^orb ju werfen. ba3u ift er 3U feb^r ron

70

Ijiftorifd^er öilbimg burd^brungcn; aud] traut er unfcrcr ^dt bte 5^iJ^i9fdt 511 einer reltgiöfen Heu* fd?öpfung nid?t 5U. 2(ber es I:|anbelt fid? bod) nid]t mel^r um eine einfädle Erneuerung bes 2IIten; es mug aus bem (Seifte ber (5egenu)art u)ieber' geboren u)erben. Die (£ru?artung eines Heuen, Unbefannten, bas ba fommen foll, bas nodi ge* IjeimnisüoU im Sd^oge ber ^ufunft fd?Iummert, Hingt beutlidi burd], („Deutfd^es cEEjriftentum." 333.)

5.

(£s bleibt bie S^<iQ^' bedeuten biefe 2In»

bad]ten innerE^alb ber gefamten 5d?riftfteflerei Haumanns?

Sie finb in geu?iffer fjinfid^t bie (5runblage unb ber 2lusgangspunft. Dom Berufe eines ^ant>'' Pfarrers, Don ber Kansel tt?ar Haumann i^erge» fommen. lludi feine poIitifd?=organifatorifd]e ^Eätig* feit u?ar suerft als ^Betätigung bes dE^riftentums gebad]t. Der nationale Sosialismus ift aus bem d^riftlidien ermad^fen. ^reilid] ift im politifd^en Programm r>on Einfang an ein (ßebanfe entl^alten, ber ipeit über ben djriftlidjen fjorisont l^inausu?eift unb ben w'xx in biefen 2Inbad")ten oergebens fud]en, ein (5ebanfe, ber ^ann ein frud)tbarer Keim ber roeiteren (£nttt)icflung upurbe: bie 5orberung ber organifierten SelbftE^ilfe.

3eber bet>euten'^e JTlenfd], ja im (5runbe jeber ZITenfd^, l^at i>iel mel^r S<^tyQteiten unb Einlagen in fid], als er in feinem eigentlidjen Berufe unmittel* bar hxaudit Denn er ift ja nidjt nur biefer unb

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jener Spesialtft, fontern er ift sualeid^ 211enfd^ imb mug in geroiffer IDeife in ftd^ bie ^Totalität bes ZlTenfd^enroefens 3ur ^Infd^auung bringen. 2tber es u?erben aud> 311 ber einzelnen Cätigfeit üiel mebr unb mannigfad^ere Qualitäten gebrandet, als man 5unäd]ft benft. Der Künftler lebt vom Sdjauen unb (Empfangen, aber beim Sd^affen fann er aud) bcn ahwäqen^en Perftanb unb ben energifd^en 2Irbeit5= miüen nid]t entbel^ren. Der ijiftorifer muß 5U bem Spürftnn imb ber fritifd]en 2TJetljobe bie auf» bauenbe pl^antafte bes Did^ters unb bie (5abe bes pfyd]oIogifd]en Anratens beft^en. Unb fo bei ben anbern. ÜberJ^aupt ift jebes roirÜid? fd^öpferifdje, geniale Cun, bas ein perfönlidjes beugen ift, nur als IDirfung eines gansen 21Tcnfd^en mögIid^ <£s roirb bai^er nid)t Ieid>t jemanb auf einem ^^Ibe u?irflid]c Bebeutung geu^innen, ber nid^t aud? für anbre eine geu?iffe Befät>igung »erriete; freilid^ aud^ nid^t, oJjne ba§ ein Calent sur entfdnebenen DorBjerrfdiaft gelangt imb alle anbern mel^r ober u)eniger surücfbrängt unb perfümmern läßt.

Den urfprünglid^en Heidjtum bes rtaumann-- fd^en (Seiftes, feine 5üIIe von Anlagen unb ZtlÖglid^* feiten fönnen toir nirgenbs fo gut überfetjen n?ie in biefen 2lnbad^ten. Die tiefe ^römmigfeit, bas fojiale (5efüI|I ((5emeinfdiaftsgefübl) imb bie l:>ilfs- bereite 2Tlenfd|enIiebe, ber liiftorifd^e Sinn unb bas tiefe (Erfaffen ber (5egenu?art, bie fünftlerifd^en iäbigfeiten: bas bilbl^afte Sd^auen, bas 0rgan für Stimmungen, ber Seelenblicf, fie alle finben l^ier iljren ^usbrucf. ^ber fie erfd^einen t^ier nod^

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als Keim unb Knofpe. Hetfe unb tBjre enb^

gütige 2lu5prägung I^aben fie, forceit fie eigentlid? probuftio gerporben ftnb, in anbern Sd^riften ge^ funben. X)al^er nel:jmen biefe 5ad>en bodj in Naumanns gefamtem Cebensrperfe nidit gerabe eine i^erüorragenbe Stelle ein: Sie finb reid^er unb bunter als alle anbern, aber u>eniger burdigebilbet, unb ben üoUen (Sinbrud r>on ber I0ud]t unb Be= beutung feiner perfönlid^feit fann man aus il^nen nid]t getüinnen. (5erabe in ben fpätern 3al^r» gängen, voo Naumann fo r>iel originaler, felbftän^ biger u>irb unb ber geiftige (SeJjalt ftar! wäd^ft, ba genügt oft ber Haum nid^t, um bie angeregten (5ebanfen u?irflid7 aus3ufül^ren, imb ebenfo u^enig I^at ber angefpannt tätige, fampfumbraufte politifer ^eit, fie immer 3U €nbe 3U benfen. X>as Por* iport fpridjt es aus als (£igentümlid]feit ber Sammlung, bag fie r>on einem Sud^enben für Sud^enbe gefd]rieben tft. Das ift ein unsmeifel^ I^after Dor3ug; benn es fudit unb lernt (unb irrt) ber ZTienfd], fo lange er u)al:jrl^aft lebt. So ift aud] ber politifer Haumann ftets ein Sud^enber, infofern als er nie fertig unb abgefdjloffen ift. 2lber ber ^nbadjtenfd^reiber ift es bod^ nodi in anberm Sinne : er fann nid^t immer fud^en, bis er finbet, unb mug oft Dor ber c^eit ahhved}cn, (£r beutet nad^ einer Hid^tung, ol^ne fie felbft 3U üer= folgen. ®ber 3uu)eilen entlägt er uns aud] mit einem ungelöften 5r^i9^3^iclien.

So gel^t es 3U, ba§ ber abfolute lOert unb (5el^alt biefer 2lnbad]ten üon ^a}:iv 3U 3al^r 3U=

73

nimmt, aber gleicbaCttig il^re relative Bebeuhmg, vexqlidien mit ben übrigen Sd^riftcn Haumanns, in bemfelbcn (Srabe abnimmt. Sic bedeuten immer toeniger innerhalb feiner gefamten pro-- buftion, roeil er immer entfdjiebener über fie Ijinaustpäd^ft. IDir haben fürs angebeutet, u.^eld'je (£ntn?icFIung ftd^ in il-jnen abfpielt; daneben läuft bie <£ntu?icFIung über fte Ijinaus, beren €nbe ift, bag Haumann am (£nbe bie £uft ba5U rerliert. Sd^on im 2Infange bes 8. 3<^^^^9^"9^ Ü"*^ \^ Hummern aus frül^eren 3«^^?^^^^ u)ieberboIt; mit bem (£mbe besfelben baben fie aufgebort. IX^as Haumann in il^nen gab, bafür bat er nun anbrc, entn?icflungsfät>igere ^tusbrucFsformen gefunben. Das fünftlerifd^e Clement bat ftd^ frypalliftert ju ben ausge5eidmcten Kunft[fi35en, bie in ber neuen nationalfojialen IDodienfd^rift ^Die ^^it" bie Stelle ber ^tnbadHen einnel^men. Das €rgrünben bes Cebens unb ber Seele unfrer (5eit fonnnt 3. in ^lusftellungsberid^ten 5U IPorte. Das fosiale (Sefübl ift enblidi in bie große poIitifd";e (Sebanfenarbeit eingemünbet. Das religiöfc J'^l^^^i^' effe, bas fonft feine felbftänbige Betätigung mebr finbet, !ünbet fidi nod] einmal in 5orm einer 5ufammenl^ängenben Unterfud'jung in ben „Briefen über Heligion". £5 u?irb unfre ^lufgabe fein, biefer >£ntu?idlung nad^sugel'jen, unb aus ibr tt?erben u?ir ein rollftänbigeres unb $utreffenberes Bilb r>on ber Bebeutung Haumanns erl>alten.

(5Ieid^u)oI:>l möd^en u?ir barin bie „(5ottes= ijilfe* feinesujegs miffen. Sd^on n?egen ibres

7^ -

üppigen Hcidjtuins. riTöcjcn immcrl^m bie cinscincn Bcftanbtcile Derfd^tebcn unö tciliDeife ungicidjtücrttg fein, von bem (Sansen u?irb Hiemanb ol^ne (5enu§ imb (£rl^ebung fd^eiben. (£5 ift für uns ein xvevU voUes Zeugnis ber (ßrunbanlage unö ber <£nt* micfhing Haumanns. €s gibt uns v£inblicf in mand]e Seiten, bie in ber politifdjen 2Irbeit nid^t fo offen am Cage liegen. Vov allem seigt es uns, unb es ift gut, ba§ voix bas fo beftimmt aufweifen fönnen, ba§ aud^ bei ibm, roie überall im Ceben, alles ipal^rl^aft (ßroge unb £ebentt)ecfenbe aus bem (Sefül^I entftel^t, aus ed^ter 5römmigfeit, ftarfer Ciebesfätjigfeit unb fittlid^em 3bealismus

Drittes Kapitel. Hfthetik und l^eltbild«

h

W\x fanden in Haumanns 2Inbad^tcn he^eiu tcnbc fünftlcrtfd]c Qualitäten; aber u?ir fallen 5U- gleid], u?ie fie 5uu?eilen mit bem <5u?ecf ber pve-- bigt siemlid] lofe sufammenl^incjen. So ift es eilt gans natürlid^er ^ortfd^ritt, bafe jene ^äl^igfeiten fid] neue formen gefud^t unb gefd^affen l^aben, in benen fie fid] reiner, felbftänbiger unb voller aus^ leben fönnen.

Die „fjilfe" toar r>on Anfang an als Volts-- blatt gebadjt. Sie ift 3u?ar 5eitu?eife, befonbers in ben 2<^):ixen, wo fie bas einzige 0rgan ber nationaIfo3iaIen partei u?ar, etu^as über ben Hal^men unb bas Hiueau eines foldien J^inausgeu^ad-^fen, an Umfang ipie an Qualität bes (S>ehotcnen-^ aber fie I^at bie Hiicffid^jt auf bie ^ebürfniffe unb bie ^offungsfraft bes „Voltes", b. I^. befonbers ber oberften Sd^id^ten ber Arbeiter, nie auger 2(d]t gelaffen. X>as fd>Iie§t nun feinesu?egs aus, ba^ felbft bie fjöd^ftgebilbeten fie mit (5enug lefen unb reid^en <S>ew\nn aus il^r fd")öpfen fönnten; in: 53e3ug auf ben fjauptintjalt, bie politif, finb bie

76 ->

Unterfdjicbe ja ot)neI:>m u'idit fo groß. 2Iber rüic fic Vfiandies bringen mugtc, was bem 2niexe\\e ^cr (5cbilbctcn ferner liegt, fo fonnte anbrerfeits Vflandies, was biefe in einer ^eitfd^rift 311 ftnben ^erPoB^nt finb, in ibr nur in befdjränftem TXla^e 311 feinem Hed^te fommen. 3mmert^in ift rül:jmenb I^emorsul^eben, baß andti ber literarifd^e Ceil, fo« lüotjl bie belletriftif d^en Beiträge ipie bie äftbetifdje Kritif, 3umeift burd) Sd^Iaifjers Derbienft, ftets -auf einer refpeftablen f^öl^e ftanben. 3nbeffen ber X>oppeId">arafter ber fjilfe u?urbe auf bie ^auer t)od| als Öbelftanb empfunben unb legte ben (5e* Tanten einer Ceilung naije. So trat feit bem X. 0ft. \^0\ neben bie „f^ilfe", bie unter ^urücf= fül^rung auf iliren frül-jeren Umfang unb 5ufd>nitt -als Dolfsblatt fortgefutjrt tourbe, ein neues Blatt, bie „^eit", ebenfalls eine IDod^enfd^rift, bie ftd^ nun fpesiell an bie Kreife ber Bilbung u?anbte unb fid] von Einfang an in bie erfte Heibe unfrer poli-- -tifd^en ^eitfd^riften ftellte. Ceiber I^at fie, infolge t)er poIitifd]en Sd^idfale ber partei, fd]on mit bem 3roeiten ^a\:ivqange iE>r (£nbe eneid^t.

fjier tt?ar bie 5orm ber erbaulid'jen Sonntags» J)etradjtung nid^t mebr am pla^e. 2ln iljre Stelle tritt etu?as Heues, fjinter ben größeren 2tuffä^en fommt eine 2tbteilung mit ber Überfd^rift K u n ft. " Sie entbält gans f urse Betrad]tungen über Kunftwerfe unb Kunftfragen. Hid]t in allen, aber ^odi in ben meiften Huntmern ift bie erfte barunter t?on Haumann felbft unter3eidjnet. X>iefe f leinen Sfi33en, bie u?eniger als eine Seite einneljmen imb

[xdl fyev fo bc]'d-;eibeii Derftecfcn, finb nun ganj föftlicbe unb in ihrer 2lvt einzige (Sabcn, bie bcn predigten an 0riginaIität unb allgemeinem IPerte u?eit überlegen finb. Sie geben faft immer von einem IPerfe ber ZlTalerei auf. £5 ift, u?ie es fd^eint, bie einsige Kunft, 511 ber Naumann ein nid^t bloß reseptiues Perbältnis bat; bat er bod^ felbft feine Heifebe|d"jreibungen mit «^eidnumgen gefd^müdt, bie nid^t gerabe als bebeutenbe Kunft- rper!e gelten fönnen, aber ifyu bod^ eine Sd^ulung. bes kluges gegeben haben, vo'xc fic ber Caie burd> bloßes ^etrad'iten obne eigene Übung fd]wer er= ipirbt. Unb biefes gefdnilte ^Uigc ift bie ganse ^Uisrüftung, mit ber Haumann r>or bas ^ilb bin^ tritt; weber funftbiftorifd^es IDiffen nod) äftbetifd^e Cbeorien belaften imb bemmen ibn. >£r fiebt ein^ fadi bas Bilb an, bis er begriffen bat, iporauf es anfommt. Unb er rerftebt 5U feben, u?ie u?enige,. 5umal imter ben Hiditfünftlern. >£r ipeiß bie X>inge 5u 5u?ingen, baß fie itjm Hebe fteben unb ibr innerftes (Sebeimnis uerraten. ^Er fiebt im ^ilbe bas malerifd^e Problem, bie ^hifgabe, bie fidi ber Künftler geftellt bat, unb sugleid^ bic ^ebingungett unb 5<^rberungen il:)rer Cöfung. Sein Seben ift^ roie eigentlid> alles Kunftgeniegen, ein Had)fdiaffeti bcs IDerfes im (5eifte. So u^erben ifyn an bent Kunftu?erf sugleid^j bie eigentümlid^e 2lrbeitsu?eife unb feelifdje 2lxt bes einseinen Künftlers unb bie (Sefe^e unb formen bes fünftlerifd^en Sd^affens- überl^aupt flar. 2ln einem iPerfe r>on Vetimann rpirb erläutert, n?ie ber IPinb bargeftellt uperberi

78 ,

fann. „Der (Seletjrtc" von lR^mbxant)t mug auf ^ie ,,Wk malt man bas VenUn?" ant--

wovtcn. Dßrfd^icbcne porträts erläutern bte ^uf= qahcn ber Bilbnisfunft. (£ine Canbfd^aft t)on €eiftifom 5eigt, tt)a5 eine „ftilifierte Canbfdiaft" ift, tporin bas IDefen unb ber Sinn joldier Stilifierung Befielet, ^n bem ,,5tur5berDerbammten" r>on Hubens fönnen rüir lemen, was 2Ttaffenpl^antafte unb „er= habene epi[d>e (ßeftaltimcjsfraft" finb, (£igenfd]aften, ^)ie ber mobernen DTalerei verloren 3U fein fd]einen unb bie man in unfern Kriegsbilbern 3. fo feEjr uermigt. ^uu?eilen roerben aud^ einselne ^aler in il^rer (5efamtperfönlid]feit djarafterifiert. Selten tft bas (£in3ige unb Unr>ergleid]lid]e in ^öcflins Malerei fo fein unb treffenb bargelegt wie in ber f leinen Stubie „Bödlin unb bie 2lnbern." Das fxnb einige proben. X)iefe Betradjtungen net^men einen feE^r geringen Haum ein, aber wddie 5üüe feinfter Beobad]tung unb tieffter äftl^etifd^er <£v- f enntniffe ftedt barin ! Da fie leiber mit bem (£in* ^el^en ber „^eit" üorläufig 3um ^bfd^Iug gefommen fxnb, fo u?äre eine Sammelausgabe in Bud^form -bringenb 3U u^ünfd^en.^) iPir I^aben je^t enb« lidj eingefel-jen, ba§ bie äftl^etifd7e (£r3iel^ung ein tpidjtiges unb u)efentlid]es Stücf ber allgemeinen Dolfsbilbung, bag fie für uns Deutfd^e gerabe3u eine nationale Cebensfrage ift, unb ITTänner wie ^Denarius, £id)iwavt, Dolfmann, Cange u. a. finb

^) €ine ficine 2IustDabI aus iJjncrt bilbct bie erfte ^bteilutt0 meines „llaumann=Sud)cs" (Uv. 2—\6).

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ctfrtcj am VOevU, bas lange Dcrfäumte nadi^u-- t^olcn. 5ür biefen lüürbc nid^t leidet ein

"Budi fo u?crtDoll fein, wie eine Sammlung v>on Hamnanns ficinen Süssen. (5erabe, bag fte fo frei von allem Sd^ulfram, aller (Selel^rfamfeit unb CJjeorie finb, bag fie frtfd] unb unmittelbar aus bem 2lnblicfe ber X)inge felbft eru?ad>fen, unb von einem Caien für Caien cjefd^rieben finb, fid^ert it^nen bie breitefte lOirfung.

ireilid^, suipeilen, wenn aud) nur gani feiten, crrüeift biefer Dor^ug fid] aud] als Sdjranfe. ^lud] I^ier u?irb woiil einmal bie llnterfud]ung r>or ber <5eit abgebrod^en unb mit einem (5ebanfen qe-- fd^Ioffen, ber für ftd] allein einen gans annel]m= baren (£inbrucf madit, aber u?eniger ifoliert he-- trad]tet unb in feine Konfequensen binein »erfolgt fid? nidit Italien lägt. 3^ benfe 3. ^. an bas Stücf „(£in uerfpäteter Klaffifer" (H.^:^. \6): „(£inft ipar es firljebung, einen 2tpollo 3U finben, benn cinft u?ar biefer Apollo ein nod] ungefunbener Sd]a^, ein problem. . . . fjeute aber ift ^tpolto eine Erinnerung. €r brandet nid^t meljr gefud^t 3U u^erben, benn er ift gefunben." Sinb nid^t audi für 3^fii5/ ober für bie X)arftellung bes Cobes eben fo reife unb üoUenbete Cöfungen in t»er Dergangenlieit gefunben, toie für 2lpolIo? Unb foUen biefe Poru?ürfe nun aiidi ber mobernen Kunft perboten fein? lludt ^IpoUo ipürbe fofort tüieber neu, erl^ebenb u?irfen u?ie ant erften Cag, tuenn ein ed]ter Künftler, beifpielsu>eife Klinger, iljn aus feinem (Empfiitben neu fd^üfe. Unb u?enn bie

80

antiftficrenbe fjoffunft eines Begas uns fo falt lägt, fo liegt ^ie 5cl]ulb nid]t baran, bag il^re Voxwmfe erlebigt ftnb, fonbern bag fie n'idit aus einer lebenbigen, lebenfd^affenben Künftlerfeele ge* boren, ba§ fte aus falter 3mitation entftanben fiiib. Diefe 33emerfung foU burd^aus feinen ^label gegen Haumanns Kunftbetradjtung ent* l]alten. 3^^^^ Unmittelbarfeit, bie 2Ibrunbung unb DoUenbimg ber ein5elnen Stücfe rwäre nid^t möglid^ otjne bie 3f<^Ii^J^ii"9 (£in5elnen unb bas ent-- fd'jloffene 2Ibreigen bes 5<^^ßns, unb xliv Wext u?irb burd] foId]e nod] ba3u fel]r riereinselte (£ntgl^ifungen nid)t im (Seringften geminbert. Hur ift es nidjt nötig, bag man fie als unfei^Ibares (£v>angelium helian^elt unb auf jebes Woxt fdju)ört. übrigen mu§ man ja gerabe an bem eru?ät|nten Stücfe feine I^elle ^r^ube B^aben.

3nbeffen, fo feljr bie einseinen Stubien formell felbftänbig, jebe für ftd] einseln 3U uerftel^en unb 3U genießen finb, fte l^aben nid]ts befto u?eniger iljre ftarf ausgeprägte innere €inl]eit in ber per* fönlid]feit bes l^erfaffers imb feiner perfönlid^en Kunftauffaffung. Unb aud] biefe Kunftauf» faffung, fo originell imb inbiüibuell fie erfdieint, u?ie fte benn in ber Cat nid]t burd) Stubium unb ^\\eoxie gebilbet ift, fonbern gans urfprünglid] aus bem eignen (Erleben fliegt, aud) fie ift feinesu?egs »ereinselt unb gefd^idjtslos. Sie betoegt fid? gans in benfelben Baljncn, rt?ic bie groge imb fdiÖpfe* rifd^e ^eit ber beutfd^en äfttjetifdien :3tlbung, bie ipir eben besroegen bie Jlaffifdie'' nennen. Unb

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bicfe Übercinflimmung ift um fo wextvoüex, jte eine gans fpontane unb n?abrfd>etnlid] unbeiDugte ift.

ilaumanrt ftel>t burcb bie 2Irt unb 3"^^")'^^^^ feines Haturgefübls, burd^ feine €infid";t in bie Bebingtbeit bes ZlTenfd]en biird] Umgebung unb Derl^ältniffe unb feine liebe für bie ^rmen unb fiebrigen, beibes finb ja bie lOurseln feines fosialen Sinnes, 3U ber mobernen Kimft lutb fpesiell 5um Haturalismus in einer innern IVahU üeru?anbtfd]aft. Cro^bem ift er nirgenbs in ber naturaliftifd]en Doftrin befangen. (Serabe bie Umbilbung ber Hatur 3ur Kunft unb bie eigentlid? form)d>affenben ^aftorcn finb es, benen er in crfter Cinie feine 2Iufmerffamfeit ^uioenbet imb u?ofür er ein überrafd-jenb tiefes, gebiegenes Derftänbnis 5eigt: Stilifierung, Svmbolif, Kompofition, Kontraft» u:)irfung. vEbenfo ftarf unb entfd^iebcn ift fein Sinn für bie Offenbarung ber perfönlid-jFeit im Kunftu?erf unb ben barauf begrünbeten Hnterfd^ieb 3u?ifdien Dirtuofität unb ed?ter Kimft. („€ffeft* maierei", ZL-B. \5.) 2lud) ben Besiebungett ber Kunft 5u ben anbern Seiten imfers Seelenlebens, fpesiell 3ur Religion, bat er grünblid^ nadige^adit unb babei eigene, tiefe (£inpd>ten gewonnen, nidjt nur in bem Cürmer^^luffa^ „Heligion unb Kunft', fonbern aud? in ber liebeuollen Stubie über Stein« ijaufen. (SieJie \5, \^.) Unb gans im Sinne

unfrer flaffifd^en ^eit ift es, roenn Ztaumann jebe birefte ftttlid"» beffernbe lOirhmg bes äftbetifd^en (£mpfinbens ablel:^nt, aber beibes, fittlidien unb fünftlerifdien Sinn, als 5um gansen 2TIenfdien 3U*

ß. rricTer: ^xtr. nauntatm. g

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^cl^örtg imb iincntbeJjrlid^ anevtennt („Oh man ^uxdt fd^öne (SirtbrücFe beffer wivt)", H.'B. 2.)

XX)ic fid] Haumann Ijicr ben ^cjlen i>er Per» gangcnljcit pcrroanbt 3cigt, ücnx?ant>t nid>t burd^ ^Ibl^ängigfeit, fonbcrn burd) urfprünglid^e Einlage xinb ^rt, fo ift er überl^aupt tief burd'jbrungen von bem ijtftor tf d^" Sinn, ber ein fo tpefent» Itd^es Erbteil unb IHcrfmal ber beut[d]cn Bildung ift. So l^at er audti für bie große Kunft ber Vev-- gangenljeit ein feines unb umfaffenbes Derftänbnis. X>ie ^ntife unb bie Henaiffance, romanifd^e imb germanifd]e Kimft, Hubens unb IRemhvanU finb il^m r>ertraut unb offenbaren ibm itire Seele, ^ber bie m o b e r n e K u n ft fteJ^t barunt feinem fjersen nidjt minber naBje; üielmel^r ift er felbft in feiner Heigung unb (5efd?madsrid]tung burd^aus mobern. (£ben weil fein Sinn für bie Dergangen^ I^eit bei il:)m urfprünglid?e Haturanlage, u?eil fein PerB^ältnis 5U itjrer Kunft burdjaus perfönlid] lebenbig ift, barum u)irb es i£jm nidit 5ur Sd^ranfe unb ftört nidit bas (5efüljl ber ^ufammengel^örig^ feit mit ber Kunft, bie in unfrer <5eit natürlid] unb lebenbig ift. Dalmer bas tiefe Perftänbnis fou?ol]l ber „flaffifdjen" roie ber mobernen Kunft unb bie unbebingte Peru)erfung alles (£pigonen= tums imb 5lfterflafft3ismus. (Dhvoo^i er aud^ bas fennt unb fielet, was bie alte Kunft vov ber mobernen üoraus l^at, man benfe an bie 3nterpretation bes Hubensfdjen ^ilbes, fo ftei^t CS iljm bod] feft, bag bie Kunft von l^eute nidjt Had^atjmung unb XPieberbelebung irgenb einer

früheren fein öarf, bag ftc frei unö original aus öem Ceben unb öem (Seifte imfrer ^eit berauf= n>ad-!)en muß. 2lIIe aroßen Künftler unb Kunft« epod'ien ber Pergancjenbeit r>on ben (Sriecben bes 5. 3^^^^^^- rx?aren 511 ibrer (5cit fesefftoniftifcb : fie hxadbcn mit bem, ix>a5 Dor ibnen war, unb fcbufen ein Heues unb Eigenes; eben besbalb rpurben fie binterber flaffM»^- 3" bemfelben Sinne muß aud) bie mobeme Kunft fesefnoniftifdi fein, icenn fie bleibenben IPert baben foll. (^£in rcr= fpäteter Klaffifer/)

Naumann u?enbet biefen (Sebanfen in roUer 5d)ärfe aud) auf eine Kunft an, bie im allge= meinen nodb gans im Banne ber Dergangenbeit ftebt unb nur erft rereinselte fdnid:>tenie 2lnfä^e 5U originalen Heufd^öpfungen 3eigt: bie Baufunft. (£tne alte gotifdje Kird>e ift ein IX>erf, bqf^n er= Ijebenbe IDirfimg unr aud^ beute nod?_ empfiuben. Sie ipar 5U ibrer ^eit bas ijödjfte, was bie JTlenfdien fdjaffen tonnten. 2tt>ev wenn man beute eine qotiidbe Kird)e baut, fo if^ bas eigentlidi ein 2Inad^roni5mu5 unb für bie fünftlerifd^e Be= urteib.mg unfrer <5eit roertlos. Der Bauftil ifi burd"» bas Jllaterial bebingt. Jllle früheren 'Bau- normen finb am Stein ober am r^ol5e ausgebilbet. Das eigentümlidje Baumaterial ber (Segenupart ift bas v£ifen. 2lus ibm muß ber Bauftil ber (^ufunft enx?adifen, ein Stil, ber nun nid-jt fd^tper unb maffxg, fonbern leid^ unb fd)Ianf, frei unb rneit fein u?irb. Bauwerfe, in benen biefer fifenftil v>eru?enbet ift, unb wo bie Konfiruhion nid>t burd)

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fünftlid]c 3mitatton luic) ^cfleibuncj vex'öedt i\t, (onbern offen jutagc liegt unb burdj iE^re fadi» Iid]c Klarl^cit unb (ßrögc loirft, Xüexfc ix)ie bas palmcnijaus in BannoveVf bcr 5i^anffurter ^al^n* Iiof, r»or Klient bcr mit Begeiftcrung gcpriefene €iffclturm, bas ftnb bie eigcntümlidjcn wevtvoüen Cciftungen ber (Segenipart, bic Vorläufer ber (5ufunft.

2.

(5an5 in bcrfelbcn IDcifc rpic ein (ßemälbc interpretiert ZTaumann einen Hatiireinbrucf in ber 5fi35e ,^er<3ufall alsZlTaler*. (rc.Ä5.) Diefe^Irt ber Haturbetradjtung ift fpesififcb malerifd?; fie fennt nur, u?er felbft ein Sind Künftler in fid? trägt ober voev [\di biird^ intenftües 'Betvaditen unb Stubium guter Silber basu ersogen J^at. Diefe (5abe, bie Hatur äftEjettfd? 5U feigen, ift mdit etwa bie Dorausfe^ung, fonbern bie 5oIge bes Kunft* t>erftänbniffe5. (Ettpas anberes ift bas tiefe, Ivrifdje (Srunbgefüljl für bie Ztatur, bas nidjt am (Sinselnen bängt, fonbern bie Hatur als ein (Sanges erfaßt, ober r>ielmel:jr r>on ibr gefaßt ixjirb, ergriffen, be* jaubert ix>ie oon einer tounberbaren, taufenbftimmigen ZHufif. Diefes (5efüI^I fprid]t 5U uns fd-jon aus ben alten Ztaturreligionen unb 3u?ar ift bies bie Saite il]rer fjarfe, bie in uns nod? am uollften unb unmittelbarften mitfd]u)ingt. iX>enn es fid"> mit bem gefd^ulten Künftlerauge vereinigt, bann entftel]t bie groge Kimft ber Canbfd] aftsmalerei unb Haturbid]tung, bie 3U ben ftolseften Sd-jöpfungen bes vergangenen ^^b^^^un'Öexts gel^ört. 2Iud? bies

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Haturgef ül^I tft bei Haumann in f eltener Stärfe unb Ciefe r>orI^anben. 5oIaenber Umjlanb mag Ijier eru?äl:jnt u?erben. 2i[s idi Haumann um ujeiteres biograpl^ifdies ZTIaterial bat, fd^icftc er mir eine Karte mit u?enigen trocfenen Daten. Diefe fannte idi alle \d]on aus cSöl^re ober VOend, bis auf 3tpei: \SSO erfte 5al^rt ins ZlTeer, unb \S8\ erfte ^tlpentour. Beibe vSrIebniffe fdnenen

voidit'ig genug, um unter ben fjauptereigniffeti feines Cebens uerseidinet 3U u?erben. 3n ber Cat l^aben beibe il]re Spuren aiidi in bcn fpätern Sd^riften Haumanns binterlaffen. ZlTan lefe nur bie l^errlid^e „2tlpenprebigt", bie bas „Haumann= Bud^" eröffnet. Später bßhen bann befonbers bie Heifen in ben 0rient unb nad? 2lfrifa fein Hatur* gefül:>l bereid]ert.

3n allen Haturbilbern unb Haturljymnen, bie uns Haumann gefd^enft l^at, Hingt (£in «Eon am l^äufigften tuieber: X>ie S<^'^<^^ ber Sonne. Pier prebigten ber „(ßottestjilfe" finb von ibrer fierrlid]!eit burdjleud^tet. Unb augerbent bat er il^r bereits im 2. 3^l^i^9- ^^"^ n^^^\'^" Bymnus gebid]tet. {„2ln bie Sonne" in Hr. \\.) Haumann ift ein Sonnenmenfd"» imb ein Sonneni?erel^rer u?ie ujenige; il:>re belebenbe, frud^tbare (Slut ift für feine gefunbe DoUnatur bie gemäße ^tntofptjäre, bie Klarbeit unb Igelte IDeite entfprid?t bem 3ebürfnis feines (Seiftes, unb bas u)unberpolIe Spiel ber 5arben ent^üdt feinen Künftlerblid. IPid^tiger ift es, eine anbre (£igentümlid]feit feines Hatur= gefül^Is feftsuftellen, u?eit fie u?ieberum ZTaumann

als ed?t mobcrncn 2TJcnf d?cn hnnieidinet €5 ift ntcfjt bas Cicblid^e, 5reunbltdje, 3bvüif<i?e, mas er am meiftcn liebt unb fud^t, fonbcrrt bas (5ro§e unb <£tnf ad? e ober €tnförmige. Unb eben besipegen, foipenig il^m bie 5i*ßube am beutfd^en IPalbe fel^It, empfängt er bie tiefften €inbrücfe erft ba, wo bie organifd^e Hatur, „bas l7eilige (Srün, ber S^uqe bes erpigen fd^önen Cebens ber lOelt", auftjört, unb ber ZHenfd] gans allein ber ftarren (firt^abentjeit ber (£rbe unb ber Unermeg* lidjfeit bes fjimmels gegenüberftel^t; am mäd^tigften u?irft auf iljn bas fjod^gebirge oberl^alb ber (5ren3e bes 3aumn?ud?fes, „wo bie Hippen ber vErbe nacft am Cage liegen", unb ebenfo bas VTicev, fou?oI|I im u?eid?en, u?armen Sonnenglanse feiner Hul^e, u?ie aud? unb nod? meljr int 2tufrubr bes Sturmes. „X>as ZTieer ift erft bann red^t grog, u>enn es mit uns fpielt. lOenn es feinen eigenen (5ang gel^t, feine (ßlieber redt, fein ijers pulfieren läßt, feine Seele atmen l^eigt, wenn es bie ^ütags^ faulbeit i>ergeffenb ein groger u?oIIenber Körper u?irb, wenn es fpottenb eine IDoge uns über Decf rcirft, u?enn es Cäler gräbt, in bie wix fpringen müffen, u?ir mögen rcoUen ober nid^t, ipcnn es (5ebirgsfämme tjinftellt unb u?egnimmt, wenn es 21Tenf d]en uerad^tenb mit uns fd^altet imb maltet, bann fönnen ir>ir nid^t anbers als in feinem Traufen bie Kraft 5U fpüren, bie bas IDeltall beu?egt, unb r>erel]ren (5ott, ben Unbegreiflid]en, in feiner uralten 5lut." (Heifebilber aus 2lfrifa III.) 2Upen unb ZHeer l^atte Naumann fd]on als Stubent

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tennen gelernt; fpäter tarn ein drittes fyn^u, bas betben ben Dorrang ftreitig madjte: bte lOüfte, Denn tyev wax bie gleid]förmige, tote Unenblidj^ feit mit ber ftärfften Sonneniüirhing üerbunben, 3n einem intereffanten ^^wil^ßton ber IPiener „<5eit" r>om ](^. Des. ^902 „Heue Sdjönljeit" sälilt Haumann bie )d]önften Caubfi^aftsbilber auf, bie er gefetjen I^at, ,,unb foll xd} etwas t^erausgreifen, bas bas ^Ilerjd^önfte u?ar, bann u?ar es ber Süb» abljang bes ^ttlasgebirges ntit bem ^lusblicf auf bie Sal^ara."

Diefer 2Iuffa^ ift u?id]tig, u?eil Haumann I^ier felbft biefe BefonberBjeit bes mobernen „(ßefdimacfs- für Haturfd?önl]eit* im (Segenfa^ 3U frül^eren 5^^^^^^ ftatuiert unb bie (Srünbe bafür fud^t; er finbet fie i|auptfäd^lid^ in bem Steigen bes Derfel^rs unb ber ^usbeljnung bes (Sefid^tsfreifes burd? bie €ifen' bal]n. „Damit ging eine zweite fintmicFIung parallel: mir gewannen im Dergleid)en ben Sinn für bas Konftru!tii>e in ber ^anbfd^aft. <£s ift nid^t mel]r bas 'Beiwevt, bas uns feffelt: Baum, IPäfferd^en, fonbern toir fud]en bie ^orm in il^rer Kal^Il^eit unb (ßröfee: bie £jori5ontIinie bes ZTTeeres, bie fjimmels^ fante ber £jod"jaIpen, bie 5Iäd^e/ 2tber bamit nidit sufrieben, u^eift Haumann biefelbe IDanblung bes (Sefdjmacfs aud] in ber Bauhmft nad"> unb finbet für beibes eine 3uf ammenf äff enbe 5ormeI: „Das, roas in beiben Säüen gleid] ift, ift bie all= mät>Iid]e ^tbgewöl^nung ber 5reube am Kleinfram, bie u?adifenbe Sel^nfud^t nadj fatjlen, fonftruftipen Linien, nad] funftüoller (Seometrie im (5ro§en."

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„Vev Blicf auf biß nadten Berge ber IDüfte unb ber Blicf auf ben €iffeUunn, bas ftnb bie stoei fd^önften Blicfe, bie mir ein Ceben voü von allerlei IDanberungen bot. 3^ (Srunbe ift es eine (Se= fdjmacfsrid^tung, bie ftd> r>or beiben äftt>eti)d)en ijöbepunften äußert, bie Hid^tung bes .^^italters bes IX)eItt)er!ebr5 unb ber fjod-jöfen." Ciefer unb funbamentaler ift niemals ber äftbetifd)e (Zbavaftev unfrer ^eit erfagt; unb gerabe ipeil biefe £r= fenntnis nid)t an ber 0berflädie liegt unb bem allgemeinen Beroußti'ein geläufig ift, roeil ber erfte ^lugenfd^ein ibr fo üielfad^ roiberfpridjt, beir>unbem wix um fomebr bie geniale Sid-jerbeit biefer 3ntuition.

ZTaumanns ZTaturgefübl fommt 3U IDorte in feinen Tlnbadiim unb in ben Heifebilbern. Dort trägt eine ganse (Sruppe bie Überfdjrift „(Sott unb Hatur," Diefe Zlatuxant)aditen finb gerabe von tbeologifd^er Seite mit Hed^t als eine u?ert' üoÜe ^Bereid-jerung ber (Erbauungsliteratur unb eine moberne (Enteuerung altteftamentlid>er pfalmen= bidbtunq gerübmt. Sie seigen bas Haturgefübl nid>t in äftbetifd^er Derfeinerung, jonbem in ber urroüdifigen gefammelten llTäd'jtigfeit, wo es religion-- bilbenb ipirb. So Derftel^t er bie Haturreligion ber alten DöÜer, unb finbet in fid^ felbft nod) etwas üon biefem religiöfen (Sefübl, ebenfo roie fein Sd^auen ber ZTatur untoillfürlid) mvtboIogi)d)e ;^ormen annimmt. Hatürlid^ ift bies für uns nur ein Heft uralten Dätererbes, ein bumpfer Unterton 3ur 2TTeIobie unfers Gebens; unb ZTaumann überfe^t ihn obenbrein ins Xbriftlidje, inbem er aufteile ber

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alten ZTaturgöttcr bcn übernatürltdien <5ott tyntev bie <£x\dieinun^en fteÜt. Daburd] fommt luwoiUn, bcfonbers am Sd^Iuffe, ein für bas mobeme (£m^ pftnbcn ftörenber paftoralcr .^ug tjerein, teils nad^ ber ZTTelobie: toie groß muß ^ev (Sott fein, ber alle biefe fjerrlid^feit gefdjaffen I^at!, teils burd^ erbaulidje Pergleid^e imb moralifd^e Hu^anipen= bungen. 2tm tiefften wirft Haumann jebenfalls ba, n?o er bas Haturgefüt^I fid^ gans rein obne fremben ^eifa^ ausfpred^en läßt.

Don ben Heifebilbern ift bas umfangreid^fte imb u?ertr>oIIfte Stücf aud) in ^ud")form erfd^ienen unter bem Oel „^Ifia", mit 5eid"!nungen i?on Haumanns eigner Vian"^ gefd^mücft. (£s ift bie Sd^ilberung einer 0rientreife nad] Konftantinopel, Syrien, 3^J^"[<^t^"^ Kairo im ^nfd^Iuffe an bie Kaiferfaljrt, f^erbft ^898. lOas il^n bortbin 30g, u?ar natürlid^ in erfter £inie ber lOunfd), bei biefem iUenbepuntte beutfd^orientalifd"»er (5efd>id-;te 3ugegen 3U fein unb fid> auf (Srunb eigner 2Uv fd^auung ein Urteil über bie Bebingungen unb 2Iu5fid^ten ber bier eingefd^Iagenen politif 5U bilben, daneben eine religiöfe 3ii9^"^f^^^"|iicJ^t nad) ber lOiege bes Cl^riftentums unb ber allgemeine X)rang nad) (Erweiterung ber IDeltfenntnis. So folgen benn ben roed^felnben, farbenreid^en Silbern bes Heifetagebud]es in befonbern 2lbfd)nitten bie religiöfen unb politifd^en <£rgebnif|e; bie le^tern finb bisl]er Hauntanns bebeutenbfter Beitrag sur auswärtigen beutfd^en politü. Die tiefe unb ,wol)Itätige iPirfung bes Sonnenlanbes ^tgvpteu

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unb bcr liier nur eben cjcftrciften IDüftc unb bcr IPuttfd?, bas begonnene Stubium bcr ^Tlittclmecr« füften in tE^rer politif dien Bebeutung unb il^ren 5u!unft5möglicl]!eiten fortsufefeen, beftimmten il:|n bann, im 2tnfange bes ^al:ixe5 \^02 eine von feiner (Sefunbl^eit cjeforberte (Srl^olungsreife nadj 2llgier unb Cunis 3U lenfen. Don il^r er3äl]Ien bie „Heifebilber aus :^\x\fa" in ber «geit (I, \S bis 26). ^lud? Ijier fommen alfo 3U bem nädiflen ^wed politifdje Hebenabfid]ten B|in5u. 2tber bas l^inbert il^n gar nid^t, 3unäd]ft bie neue Welt gani unbefangen auf fid| wixten 3U laffen unb mit reinem, offnem Sinne in fid] auf3unel:jmen. <5u* nädift rx)irb bie äußere (Erfdjeinung mit 21TaIerbIicf erfaßt unb, fo gut es gebt, mit bem ^eid^enftift f eftgel^alten : bie Canbfd^aft in il:|ren d^arafteriftifdjen formen unb Stimmimgsn^erten, bie etgentümlid]en Polfstypen in il^ren Cebcnsformen, il^rem bunten Durdjeinanber. 21ber balb bringt ber Blicf tiefer unb fud]t bas Annexe bes Bilbes 3U erforfdjen: ber politifer fpürt nad) ben Cebensbebingungeu unb ben gegenfeitigen ^e3iel|ungen ber Z]Tenfd?en, ber pfyd^olog fud^t iljre feelifd^e 2trtung, il^re 2>enf= unb €mpftnbungsu?eife 3U burd]bringen. <£nblid7 u?irb bas ^ilb in ben 5ufammenl>ang ber IPelt imb ber IDeItgefd|id]te eingereit^t: bie großen (Erinnerungen ber DergangenB^eit melben fid) unb xperben am 21nblicf ber 53ene geprüft; i?on ibnen aus ujerben bie möglidjen (guentualitäten imb Konftellationen ber ^ufunft eru?ogen. So wexben, tDteberum aus ber lebenbigen, intenfiren Betrad?»

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urtb Probleme aufgetoorfen un&, \owe\t es bie Kür5e ber <5cit 5ulä§t, beantvoovtet. (£5 ift biefelbe 2lrt, bie mir in ben äftEjetifd^en Süssen gefunden Ijabeit imb bie jtd] üon ben ^nbad]ten d]arafterifti)d> abliebt: ber Perfaffer tritt nid]t mit feftftelienben ^nfdjauungeu unb allgemeinen (5ebanfen an bie ^inge tjeran, mißt biefe an jenen, fud^t in il^nen <£j:empel unb Belege für jene, fonbern er tritt r>or bie Dinge l^in unb fagt fie fd^arf unb tief ins ^luge, um il^nen felbft ben innern Kern it^res IPefens, bie (Sefe^e, nadi benen fie u?urben unb finb, 5u entlocfen. ^lus bem (£in5elncn u?irb bas ^tllgemeine abgeleitet, im fonfreten (£in5elbinge u?irb bas (Sefe^ gefd^aut. Ttur finb biefe Dinge l^ier nid^t mel^r ifolierte unb abfeits liegcnbe €in5el= I^eiten, u?ie jene iDerfe ber bilbenben Kunft, fonbeni fie orbncn fid] 3U großen 5ufamntenl]cingen, am legten <£nbe in bie(5ufammenl]änge, u?orin Z'caumann mit feinent eigentlid^en Berufe unb Cebensu?erfe- i?erfIod]ten ift.

Xiodi beutlid]er ift bie 2lbfid]t politifd^er Stu^ bien bei iwei Kerfen in benad]barte Kulturlänber, von benen Heifebriefe in ber „fjilfe" fürs berid]ten: eine nad] Belgien unb l'jollanb im Sommer \8^^ (^ilfe V, 29f.) unb bie nad^ Ungarn im legten Sommer (fjilfe X, 2^—50). fjier tritt bie Hatur- fd^ilberung mel^r als fonft surücf r>or ber einbrin^ genben ^rforfd]ung bes u?irtfd]aftlidien, fosialen: unb poIitifd]en (Il]arafters ber Cänber unb Pölfer.

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3.

Hod] mebv fübrt eine anbre (ßruppe oon 2luffä^cn in bas eigentlid^e Zentrum ber Weit,

Haumanns fjcimat ift: bie 2lu5 ftcHungs'- bericbte. Haumann ersäblt fclbft, baß er feit ](890 faft alle größeren beutfd^en ^usftellungen befud)t bat. Pon breten bat er ausfübrlid-jer be* xid^tet, r>on ber Berliner im Sommer (^ilfß II, 27—30, von ber partfer \^00 (bie roicbtigen „parifer Briefe" ^ilfe VI, 25— 3{, bas Baupt- ftücf biefer (5ruppe) unb von ber ^üffelborfer 1(902 (^eit I, 56 7, mit geringen Kürsungen im Ttaumann-Bud^ Xlx. 20). Ceiber finb fie alle nidjt in einer Sonberausgabe 5ugänglid'); bod) finb gerabe fie im Haumann=Bud> biird? eine reid]Iid?e Tlus-- wähl pertreten (Hr. \8— 22, 28).

3m (Eingang b«r Düffelborfer Briefe fe^t Ztaumann auseinanber, warum er 2tu5fteIIungen be^ndit Sie ftnb bie hohe Sd-jule für bie ZlTetbobe ber 2lnfd^auung unb für oolfsupirtfd^aftlidies X>enfen, ein unenblid"> Dielfeiliger unb plaftifd) greifbarer ^Infd^auungsunterrid^t 3um Stubium ber national^ öfonomie. Sie finbs für einen, ber su feben ge^ lernt bat, unb in biefer Kunft bat Haumann nidbt leid'jt feines (Sleid^en. Unb gerabe bier feiert ^>iefe Kunft bes Sd^auens itjre größten Criumpbe, •benn 3u bem gefdnxlten ^uge gefeilt fid^ ein riefen-- bafter ted>nifdier Derftanb, ber ibm aud^ in ben fompIi3ierteften unb fubtilften 5i^<^gßi^ inbuftri» >ellen Betriebes eine gebiegene vEinfid^t unb ein felbftänbiges Urteil ermöglid-jt. ZHit grünblid^em

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(£rnft unb gefpaimter ^lufmcrffainfeit ftubicrt Xlaiu mann bte enblofcn Vaxietäten bcs Begriffes papier unb verfolgt er bie (5ejd^id)te bei* ^\]enbabn-' fd]iene unb il^re mannigfad^en Probleme. X)ie typtfcl^e imb 5entrale (Erfdieinung, bas eigentltd">e IUaE^r5eid]en ber tjeutigen ic>irt]d")aftlid:|en Welt ift mm offenbar bie 7Xla\d]\ne. 3^"!^ gebort IXau-- nxanns 2^teve]\Q von 2tnfang an im I^öd^ften (5rabe. (£r bat fie ja fdjon frül| !ennen gelemt in feinem erften pfarrborf, nnb fdion ber Berliner ^tusftellungsberidit gibt eine in KIarl>eit unb (Srünb» lid^feit unübertrefflid-je ^lnta->ort auf bie S^<^Q^ „Was ift eine ZlTafd^ine?" (H.=B. 21) Unb 3u ber genauen Kenntnis gefeilt fid-j eine unbe^ gren5te Beu?unberung. 3"^^"^^^ u^ieber u?irb fie x)ert)errlid]t als ber eiferne 2TTenfd\ ber alles fann unb ber fo tpunberbar eraft arbeitet, u?eil bas- einselne (£j:emplar immer nur eins tut; als ber Sieg bes ZlTenf djen über bie anorganifd]e Z7atur^ ben gelungenen Derfud] ben roben Stoff 5u einem 0rgan bes menfd^lid^en (5eiftes 3u ntad]en unb baburdj in bie IDelt bes Gebens liinein^usieben.

fjier 5eigt fid^ Haumann als ein burdi unb^ burd] moberner 21Tenfd> unb gerabe in biefer Bin* ftd^t ift ers am frül^eften gcn?efen. Sd^on \S% fdireibt (Solare üon iEjm ((El^riftl. IX^elt V, 269): „Der Derfaffer ift ein moberner paftor vom Sd^eitel bis 5ur Sol]le . . . . ^r tjat feine 5reube an bem raffelnben (Setriebc einer ;^abrif, an bem beu>egten Durd^einanber ber großen Balinl^öfe" ufu?. Unb bod] fmb itjm bie bunflen Sd^atten im Bilbe

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^)urd)au5 rttd't unhefannt, btc saMrcid^cn unb ^d]wexen XXötc unb Übelftänbc, bie unfrer ^cit ■cigcntümlid) unb größtenteils eben bic Begleite iinb 5oIgecrfd"!emungcn bes 3nbuftnal!5mu5 ftnb. <£r bat fic ja fd)on in feiner unpolitijdjen ^eit reidilid? unb täglidi aus näd^fter Habe fennen ge= lernt, in ^ausinbuftrie unb ^abrifbetrieb, unb «ben aus ber (£infid>t in biefe Höte unb aus bem innigen ITTitleib mit ibren 0pfern ift ibm ber Tin-- trieb ber politifdjen Cätigfeit unb 5um großen Ceile CLudi ber 3"^^^^ feines politifd^en ^enfens er^ wadb\en. Unb feit er im politifdjen Ceben brin ftel)t, bat er biefen Seiten bes Cebens erft red^t ein allfeitiges fvftematif dies Stubium u?ibmen muffen. <£r roeiß aud? febr wolil, baß bie 2Tlafd]ine nid]t nur materielles <£Ienb mit fid] fübrt, fonbern baß fie audi ben Seelen ber 2TIenfdjen (5efaE^r unb Sd^äbigung bringt, baß fte, ber riefenbafte Stiave ^es UTenfdien, nun bie große UTaffe ber 2TIenfdien ipieberum 3U itjren Stlaven mad>t, in 2nafdjinen ober Ceile einer 2TCafd)ine perujonbelt. 2lber bas alles trübt il^m nidjt bie (£rfenntnis, baß ber 3n= ^uftrialismus bie Signatur unferer <5eit unb für ims ber einjig möglid]e IDeg in bie 5u!unft ift; unb es erfd]üttert nid]t feinen (5Iauben, baß er ■trofe allem ein 5ortfd|ritt, baß er (Sottes Wiüe ift, unb baß alle feine ZTTißftänbe am (£nbe burdi flare (£infid>t unb feften IDillen übertüunben unb 3um <5uten gelen!t u?erben fönnen unb müffen. Hie roirb er einen 2lugenblicf fd">tx)anfenb, ^)aß toir t>inburvii unb uorupärts müffen; nie be=

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fcblcid^t iE|n bie 5ebnfud)t nadi ber guten alten ^eit, bie I:>inter uns liegt.

Pielleidjt tx>irb es mand^e überra)d)en, ba§ ^dbon ber „paftor ber armen £eute" ein ^emun= berer ber ZTTafdnne mar. Unb bod^ fann es nid^t gut anbers fein. Venn Naumann geborte niemals 3u benen, bie vqv bem Ceben itjrer ^eit bie klugen perfdHießen ober ahweni^m unb [xd} aus ber Wixh lid^feit in eine lOelt ber (Träume, ber Sebnfudn, ber s£rinnerung flüdjten. 5ß[t uiit beiben 5ÜB^n in ber (Segenwart unb ber Healität 5U [teben, feiner ^eit entfd^loffen ins (5efxdn unb bis auf ben <5runb 5U feben u>ar fein Streben. Unb einem foldicn fonnte es nid^t verborgen bleiben, baß ^n- buftrie unb 2TIafdiine einmal ba fmb unb burdi feine llTadjt mieber aus ber IPelt gefd^afft u?erben fötmen, ba§ fpesiell Deutfdjlanb auf bem lUege ift ein 3"^"f*^^^^<^"^ 5" werben, unb bag audi b)iefer proseß fid^ u?eber aufbalten nod^ rüdgängig mad^en läfet, baß baber bie fjoffnung unfrer S^i- fünft nur auf ber IX'>eiterentu?icflung 5um 3i^^ii' ftrialismus berulien fann. IlTit biefer £inftd>t ift bereits bie Bejaliung biefer <£ntn?icflung gegeben; benn in einen allgemeinen peffimismus 5U v>er= fallen, bafür fd^ü^t Haumann feine gefunbe, lebens^ ftarfe, tapfere unb gläubige Hatur. 2tber audi an pofitiren (Srünben feblt es nid->t, um bie lUa- fd^ine 3U lobeti unb auf bie ^ufunft 5U vertrauen. Venn auf jeben w?irb burd^ ben HTafdjinen^ betrieb ber Ertrag ber menfd^lid^en 2[vhe\t auger= orbentlidj gefteigert unb baburd^ bie ZlTenge ber

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übcrtjaiipt porlianbencn Perbraucbs^ imb (ßcnug* guter, bcr Dorrat an dugcrn (5Iücf£mÖ9lid]fcitßn vexmchxt Dag btcfcr äbßrfd]u§ 3unäd]ft nur einer ^ninberbeit 3ugute fommt, bag für bie 21Tenge im Anfang nur ein neues (SIenb entfteEjt unb bie Kluft 3U)i|'d]en Heid] unb 2lrm eru>eitert u?irb, ift nid]t 3U üerfennen. (Serabe barauf berul^t eben bie fosiale 5rage unb bie Befeitigung biefer Übel ift bie 2tufgabe ber Sosialpolitif. 2Jber biefe "Sc- feitigung erJ^offen voix nicbt allein von unferm guten IDillen, fonbern bie innere Cogif ber Sadie felbft u?ir!t in biefer Hid|tung. Denn bie geu?altig voadi'\en'öe ZTTenge ber (5üter ift für bie befi^enbe Zninberl^eit felbft voextlos, wenn fie nidjt i?erbraud]t tpirb; in beut eigenften 3"^^i^^ff^ biefer alfo liegt es, bag ftd^ gleidjseitig ber Konfum ber 2Tüaffe Ijebt Unb fo feBjen u?ir tatfäd]Iid?, ba§ in aflen (Gebieten ber 2nbu]ixie, fobalb biefe bie erften Kinberfranfl^eiten überipunben unb eine gerpiffe Heife unb 5ßftigung erlangt liat, bie Cebensl^al* tung breiter l^oIFsfd^iditen fteigt.

2lber bie le^te unb u^id^tigfte 5rage ift nidit bas, ob bie 2TIafd|ine mel^r (5Iücf ober mel^r €Ienb bringt; entfd^eibenber ift bie 5rö9^ "^cJ? itjrer fittlidjen lOirfung, nadi ber 2lrt, u?ie fie bas r>erE>äItnis ber 2T?enfd]en 3U feiner Arbeit, ben Spielraum für bie (£ntu?icflung unb ^us-- prägung feiner (Eigenart umgeftaltet. fjier ift natürlid] bie geipöl^nlid^e 0berfläd?enanfid7t bie, ba§ bie ZlTafdiine gan3 unperfönlid] ift unb bal^er fo3ufagen entperfönlid]enb ipirft. ^ber bie Sadje

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liegt burdjaus nidjt fo ctnfad] unb flar. Naumann Ijat fte fcl^r fein unb umfid^tig erörtert im 5. ber parifer 23riefe („ (5 ef amtarbeit unb (Einselfd^öpfimg", ZT.'B. 28), unb er gibt feine ^Infid^t mit aller ^urücftjaltung bal^in ab, bag es aud? im Vfla^^ fd^inenseitalter ftets eine groge Unter[d^id]t von perfönlid] unenttoicFelten ZTTenfd^en geben u?irb, ba§ aber über biefer fid^j ein beftänbig suneJjmenbes (5ebiet perfönlid^er IDirfung bilbet, unb bag bie ZlTafd^ine mel^r plä^e für 3"^^Üigen3, mel\v „Stellen, voo ein 3d? in bie 2TTaterie tjineingelegt u?erben fann", fd^afft, als jemals frütjer porl^anben u?aren.

Haumann entbedt fogar eine ^Irt Kaufat» besieJ^ung unb IDed^felioirfung 5u>ifd]en intelleftu* eller fjöJ^e unb perfönlid?feit einerfeits unb ZHafd^ine unb (Srogbetrieb anbrerfeits. (£I^emaIs roaren w'w ein Volt ber X^enfer. ir>enn u?ir je^t ein 3nbuftrier>oIf geu?orben finb, fo u?irb bamit unfre Dergangent^eit nid^t üerleugnet, fonbern fie trägt neue 5J^üd]te, benn unfer inbuftrieller 2luf* fditt)ung berul^t burd]aus auf ber liol^en (£nt* roicflung bes X>enfens imb ber ganzen Bilbungs« arbeit ber porl^ergetjenben periobe. „lOas w'xt in bie IPagfd^ale 3u ruerfen hßhen, ift bie Kon* fequen3 bes mafd^inellen ^enf ens. Die pj^ilofopl^ie, bie bem Deutfd^tum im ^lute ftedt, liat begonnen fid) 5U materialifieren. 0 u?ie imenblid) ift QC^adit u?orben, bamit biefes 3neinanber v>on 2nafd]inen entftet^en fonnte!" 2lud? in <5ufunft r^irb gerabe für uns Deutfdie ber Sieg unfrer 3"^iif^^i^

^. ITlcYcr: ^rbr. Naumann. 7

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bcr fjötjc unfrer Dolfsbilbung abbßrxQen, bcnn imfre Uberlegcnl>eit fann niemals in ber großem 53ini9fcit, fonbcm nur in ber beffem Qualität unfrer 5<JJ>nfcite liegen. 2)ie Qualität ber IDare aber ift u?ieberum burd^ bie Qualität bes Arbeiters bebingt, unb ber beffere Arbeiter ift eben ber^ jenige, ber mel^r 3nbipibualität unb perfönlicb^ feitsmert Jjat. XPenn alfo ber inbuftrielle (ßro§* betrieb un3tpeifelbaft eine Cenben3 3U Unter= brü<fung ber perfönlid^feit Ijat unb ibre ^iusbilbung erfd^ujert, er mad^t fte gleid^seitig um feiner Selbft» erl:>altung voiüen boppelt notu?enbig unb ftellt baburd? ber Sd^ule neue, l^öbere Aufgaben. Naumann Ijat biefe (Sebanfen in einem fetjr gebaltoollen Dortrage ausgefübrt.i) Hiemanb, bem es um PerftänOnis unfrer (5eit 3U tun ift, barf an i^nen porbeigel^en.

Naumann ift ein burd^aus m 0 b e r n e r 2n en f d> .2) :Das ift fdjon u>ieberI^oIt ausgefprodjen unb ift in ber Cat ein ^ug, ber in feinem Bilbe befonbers ftarf in bie klugen fpringt. 3" ber Cypus bes mobernen UTenfdjen fo vexd] unb mäd]tig ausgebilbet, n?ie oielleid^t in feinem anbern unfrer «geitgenoffen. X)as ift eigentlid? ber punft,

Die (Hr3iebun9 3ur pcrfönlicbfeit im Zeitalter öcs (Sro§betnebes. ' Hebe, gebaltejt am 26. (febr. \^0i im berliner £ebreiDerein. ^udjuerlag ber „^ilfe".

2) Diejenigen, für bie bas IDort „mobern" einen üblen Klang bat, rerireife tcb auf meinen ^iuffat, „VOas Ijeißt mobern" in ber ^vant\. Rettung vom 6. Sept. ^90-^.

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voox'm mir Haumanns Bebeutung außcrJ^alb ber politt(cbcn Spl^äre, fein cinsigcr unt) unerfc^lid^er IDert für bie beutfdje ^ilbung unfrer ^eit 311 liegen fdjeint.

Die beutfdje Bildung ift l>eute in einer etwas üblen Cage; fte fifet fosiifagen 3u?if d^en 5u?ei Stül-jlen. Sie bßt ibre groge S'^'it gel^abt in ber 5u?eiten ^älfte bes 18. 3al^rb.; bamals bat ber beutfd^e (Seift feine B>errlid]ften 5nld]te getragen, r>on benen vo'w nodi bleute leben; bamals finb burd? Kant, X^erber, (Soetbe, bie fjumbolbts, Sdjieiermadier unb il>re ^Mitarbeiter bie (5runb= lagen unfrer gefamten geiftigen Kultur gelegt. 2^ber bas folgenbe 3al:)rbunbert I^at auf biefer (ßrunblage nid)t u?eiter gebaut, fonbern einen neuen (5runb gelegt. (£5 u?ar bel^errfd^t von ben Siegen ber Haturwiffenfdiaft unb ber Ced^nif, fein (Slaubensbefenntnis wav ber 21TateriaIi5mu5. 2Iuf biefem Boben ift imfer äußerer lOoI^Iftanb, finb unfre öffentlid^en Perb.ältniffe, ift unfer Kapitalist mus u?ie unfer Sosialismus eru^adifen. 2lber auf ben Siegesraufd] ift eine grünblid^e €rnüdjterung gefolgt. 2tIIgemein ift bieute bas 23eu?u§tfein, baß bas naturroiffenfd^aftlidie Zeitalter bei allem mate^ riellen Heid]tum unfre Seele ann gemad)t I^at unb ljungern lägt. Diefe fann nid^t leben otjne 3bealismus. Unb fo ift längft ber Huf erfd>oIIen: ^urücf 5u Kant! .gurücf 5U (Soetl^e! ^urücf jur Homantif !

So fpcift f\d] bas geiftige Ceben ber (Segen* u?art aus 3u?ei Quellen gan3 cntgegengefe^ter ^trt

7*

Keine von beiben fönnen wir miffen, aber feine von beiben genügt uns unb gibt uns bireft bas, u?a5 u?ir braud-jen. XPir benfen nid^t t>axan unb fönnen nid]t <)avan benfen, bie fortfd^ritte unfrer iTaturerfenntnis unb Ced^nif u)ieber aufzugeben, aber unfre Seele »erlangt nad) ^Inberm. Unb aud) ben 3bealismus unfrer großen Dergangenbeit fönnen rpir nid-jt einfad^ u)ieber erneuern, benn feitbem ift bie lOelt febr anbers gemorben, unb vo'w blähen viel gelernt, roas fxd] nidbi oergeffen lägt. IPir fönnen ihn nid]t ohne u?eiteres in unfre ^eit berübernebmen, unb fönnen iljn nid)t entbebren. IDir fomnten nid^t mit ibm aus unb u?iffen nidjts Keffer es. Unb baber unfer toiberfprud^sDoIIes Der- I:>alten, baß toir gleidjseitig he]iveht ftnb, iE>n ju neuem Ceben 5U ermecfen, u?äB)renb u?ir ibn ba, wo er bisber nod^ gel^errfdjt bßt, in ber Sdnile, immer meb^v 5urü(fbrängen imb perfür3en.

Wie rerfd^ieben ift unfre <5cit von jenem äflI:>etifd]=pl^iIofopbifd^en Zeitalter! U^ir haben feit* bem ben politifdjen (Sroßbetrieb eines mädHigen Heidies, bas int Kampf um bie UJ^eltberr« fd^aft fonfurrensfäbig fein u?ill, u?ir Ijaben bie freie vLeiInaI:>me bes Polfes am politifd^ei: Ceben bes Derfaffungsftaates, u?ir J^aben Dor allem ben tDirtfd)aftIid->en ^uffd^ujung, bie Derfd^iebung ber öfonomifdjen (Slieberung unb fo5iaIen 5d)id>tung bes Dolfes, unb bas (Ergebnis bar>on: bie alles beberrfd^enbe Hot ber fosialen S^^CLge, lauter 5)inge, r>on benen bas \S. 2^bxb. n'xdits wn^te, für beren Betoältigung es feine geiftigen 0rgane

m

entwxdein fonnte. ZXkman^ fann unfrcr (5cit geredet irer^cn, vocv fte mit bcn ^tugcn ^er Vexc^anqenheit ficbt. 2iud} eine äußere Svntbefc ber alten tbcaliftifd^en unb ber neueren natitru?if|en[cl^aftlicf)en 3ilbung ift nid>t möglidi. Die neue beifd^t eine neue IPeltanfdiauung, bie nur aus ibr felbft in originaler »Tat gefd^affen u?erben fann. Dasu liefern bie enüäbnten ^trbeiten Haumanns einen rc»ertt>oIIen Beitrag. >£r bat r>on beiden Parteien, r>on Kant imi> (Soetbe toie r>on X)aru?in unb ZTTarj-, gelernt, u?a5 fid> lernen läßt; aber bie ent= fd^eibenben (Sebanfen [eines Xl^eltbilbes bat er von feinem anbern übernommen, fonbern allein aus ber tiefen €rfenntnis ber IDelt, in ber mir leben, gefdjöpft. Unb in biefe gegenu^ärtige IDelt fo tief cin5ubringen, bis u?ir ibrcn Kern, ibre innere €inbeit erfennen, bis wir bie IDursel feigen, u?oraus ber ineläftige ^aum geu?ad^fen ift, bas mad";t bodi tt?obI Si^l unb 3nbalt ber mobemen ^ilbung aus.

5.

IPir bähen bisl)er Naumanns äflbetifd^e Begabung, beren Keime roir in ben ^tnbad^ten fanben, in ibrer n?eitern <£ntwicflung verfolgt. lOir faben, u?ie fxe fidi ein eignes 5^Ib fd-jafft in ben Kunftbetraditungen ber ,(5ßit.* 3nbcf|en bie (Segenftänbe, um bie es ftd) i^ier banbelte, geböten einem Sonbergebiet ber Kultur an, einem (Sebiet, bas abfeits r>on Haumanns eigentlidier Lebensarbeit Hegt. 2lber biefelbe Kunft bes Sd^auens bat Hau- mann bann an bebeutenberen X>ingen unb in

H02

größerem Xtla^c geübt auf Heifen unb ^lusftellungen» 3I^re I^ödifte X^oUenbung, ttjre üoUfte 2lusbrettung unb il^rcn 5nfammenfd]Iu§ finbet (te in ber politifdjen Denf arbeit. Unb es ift fel^r lel^rreid], an biefem Beifpiele 3U beobad^ten, roie alle politif großen Stils, überl^aupt alle u?at^re politü, bie eine Kunft unb ein bemußtes fjanbeln ift unb nid]t gebanfenlos in ben Cag I^inein lebt, 5ätjig!eiten perlangt, bie ben fünftlerifd^en naJ^e perroanbt finb.

IDir finb ge«?ol^nt, einen <5egenfa^ 3u?ifdien 3beaIpoIitif unb Healpolitif 5U fonftruieren, unb bann ber Healpolitif ben Dorjug 3U geben, ja fie als bie roaljre unb einsig möglid^e politif an5ufel^en, inbem uns Bismarcf als Cypus bes Healpolitifers gilt. 2lber bie ganse (Segenüber* ftellung ift falfdi unb unuerftänbig. ^Iles men[d> lidje Cun, unb bie politif im l^öd]ften (5rabe, uer-- langt burd]au5 3u?eierlei: eine (Einjtdit unb ein IPoIIen, eine <£rfenntnis beffen, was ift, unb eine Dorfteilung r>on bem, upas roerben foll. 2lIIe politif mu§ 3^^ölp<^lit^f Healpolitif 3ugleid] (ein. Healpolitif: fte ift nur möglid^ auf (5runb genauer Kenntnis ber tatfäd^Iid^en (5egebenl^eiten, ber üorI:janbenen Kräfte, ZTTittel unb lOiberftänbe, mit benen fie 3U redjnen I^at; fie erforbert ben fd^arfen Blicf für 21Ten[d]en unb Dinge, u?ie fie finb, ben nüdjternen XX)irfIid]feitsfinn, ber ein Pors redjt gan3 roeniger IHenfd^en ift, benn bie große Znaf[e lebt bod? nur von überfommenen Üor» ftellungen, ptjrafcn unb Porurteilen unb ftel^t nie

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mit eigenen 2Iugen. Hnb 3^^^^P^^^^ifr ^^^^ unfcr €un ift ein Vewo\xU\d]en von 3bccn. politif ift ein fjan^cln iinb Cenfcn ber «Sreigniffc, es gibt aber fein ßanbeln otjne Dorpellung bes Hefultats, ein Cifd^Ier fann feinen Cifd^ mad^en, irenn er nidjt ein 33ilb bes Cifd^es, ber irerben foU, in feinem (5ei(^e I^at, unb es gibt fein £enfen otjne ein lüiffen um bas ^iel, tporauf man su» fteiiert. llnftnnig ift eine einfeitige Jbealpolitif, bie fidj in Unternel^mungen einläßt, ol^ne ibre ZTTittel unb <Zl\ancen 3U bered^nen, unb auf ein 3iel Iosgel>t, ol^ne ben IPeg 3U fennen. Unb finnlos ift eine bloße Healpolitif, bie nidjt ireiß, toas fte u?ill, unb fidj von ben 5)ingen treiben lägt. Wenn voix uns geipötjnt I^aben, in Bismarcf bas Urbilb bes Healpolitifers 5U feigen, fo fonnnt bas bal^er, toeil bie leitenbe 3bee, bas S'iel, auf beffen €rreid)ung fein Cun gerid^tet a^ar (bie Einigung X)eutfd^Ianbs), von ibm nid^t erfi ge* funben ix?erben mugte, fonbem il:jm burd] bie (5e» fd^idjte aufgegeben u?ar. 2Iber feinem €efer ber „(Sebanfen unb Erinnerungen* fann es entgehen, toie gans feine politif von großen, burd^gebenben 3been beftinnnt ift. Unb wenn man beute bas 5djIagu?ort Healpolitif fo gern im ZHunbe fübrt, fo ift bas in ben meiften fällen n'xdits als ein ZTlänteId]en für bie eigne (Sebanfenlofigfeit unb politifdie Unfäbigfeit. IDas bei einer fold-jen ibeen-' unb siellofen politif l|erau3fommt, müffen u?ir ja am eignen £eibe genugfam erfahren.

Den IDirflidjfeitsfmn Ijat Haumann in feltenem

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(Srabe. ^n\o\em tft er unbebingt Hcalpolitifcr iinb er tft es unter bem fid]tbaren €influf)e ^15= mar<f5 immer entfcbiebener gemorben. (£r bßt ein tiefes Derftänbnis für anbre Vflcn^dion, itnb ivoax r>erftel|t er ebenfo gut bie bumpfen Hegungen ber Dolfsfeele, bie 2Tüaffengefül:jIe unb ZlTaffen^ gebanfen ber ZTTenge, l]at er fidi bod^ t>on Anfang an gerabe in bie geiftige iPelt ber ^Irbeiter^ maffen ein3uleben geftrebt, roie bie feineren, bifferen3ierten Seelenoorgänge in ber fd^öpferifd]en (£in3elperfönlid]feit. Das befte Beifpiel für feine Kunft, 2nenfd^en 3U analyfieren, in iJ^rem Ceben 3U erfaffen unb von innen I^eraus 3U erleud]ten, beffen idt mid] erinnere, ift feine Hebe auf ^ennigfen auf bem nationaI=fo3iaIen Parteitage in fjannooer 1(902. 3n feinen Sdjriften tritt biefe (Sabe u?eniger tjerDor.

IPie Naumann es oerfteljt, bie Dinge 3U fetjen, ift uns hefannt 2lber anbevs fielet ber Künftler, anbers ber Haturforfdjer, anbers ber politifer. Haumann Ijat ben Künftlerblicf unb bie rein äftb^etifd^e 5reube an ber IDelt nie verloren, aber immer entfd]iebener bilbet fid^ fd^on in feinem Sdjauen ber (L^avahov bes polttifers aus. ^voeievUi ift bafür beftimmenb. <5unäd?ft r>erbinbet fid? bie Sd^ulung bes kluges mit allem, was er von volts-- rt>irtfd]aftlid^en unb politif d^en Dingen u>ei§ unb barüber gebadet I^at; unb burd? bie beftänbige (5erx?öi^nung riditet fxdi bie ^ufmerffamfeit gan3 unu)illfürlid> auf bie Seiten ber Dinge, bie 3u biefen (5eban!en paffen. Unb ferner, er

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fici^t bie Dinge, bie Bilbcr ber Hatuc unb bic Sscncn bcs Ccbcns, nid^t ein3eln, abge^ fd^Ioffcn, in rul^enbcr Selbftgenügfamfeit u>ic bcr Kürtftler, fonbevn er fielet fie, ir>te fxe ja ipirflid] ftnb, in tljrer (5emeinfd^aft, il^rer aU= fettigen Perbimbentjeit unb ipedifelfeitigen 33ebingt= I^eit. Sie orbnen fid^ ein in groge ^ufammen« l^änge, in bie eigentümlid^ großen unb umfaffenben ^ufammenl^änge, in benen fid^ bas Deuten bes politifers betoegt. Sdion \S^S in paläftina madit il^m ber ^tnblicf ber fteinigen IPege flar, ba§ 3efu5 ber Sinn für fosiale. organifierenbe Cätig- feit, ba§ il^m unfer Kulturibeal fel^lte. (^tfia S. U^f.) Unb bie üppigen, ausgebel^nten IPälber um preg» bürg r>erfenfen il^n n'idit in eine Stimntung bes großen Haturfriebens unb ftiller, lueltentrüdter (£infanifeit, fonbern fie reben il^m von beut Über* ipiegen bes (Sroßgrunbbefi^es unb ben Sd^u)ierig* feiten ber Demofratifierung in Ungarn (l^iilfe X,'2^).

'Bei biefer 2lxt bes Ventens unb Sd^auens Ijängt 5ulefet alles 5ufammen unb ift auf unenblid-je U>eife »erbunben: ein Volt mit bem antietn, UTenfd^I^eit unb Boben, U)irtfd]aft unb Perfaffung, (ßeiftiges unb ZTIaterielles, Pergangenl^eit, (Segen» tüart unb (gufunft. X>ie ganse U)eltgefd^id]te u?irb 5U einem ein3igen, großen Drama, einem ipunber* bar hunien Spiele unsäl^Iiger Kräfte, einem Syftem unenblid^ DermicFelter U)ed^felbe3iel^ungen unb lt)ed^felu)irfungen. (£5 getjört eine eigentümlid? mäd^tige ^tnfd^auungsfraft basu, um fo nid^t ein fleines begrenstes Stüd Ceben, fonbern bas Ceben

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eines c^anien Voltes im Su\ammcx\hiange bes WelU gctricbcs als €inl^eit 5U fdjaucn,

Unb ^odi genügt es ntdjt, bas 3U fcE^en, was üorl^anben ift: ber politifer mu§ aud) bas feBjen, was ipirb, mas it?erben fann unb ruerben foU. VOolil ift bas Cun bes politüers burdi praftifd^e 3been unb alfo lefetlid? burd] etbifd^e Segriffe be» ftimmt. 2lber bas unterfd^eibet ben ed^ten Politiker r>on (Sottes (Snaben, rx?ie es Haumann ift, com Dilettanten unb 5d]ir>ärmer, ba§ fein ^'öeai nid]t ein moralifdjes ift, entn?orfcn aus allgemeinen (Se* Tanten ot^ne Hücfftd]t auf bie Dinge, fonbem ein fpesififd] politifd^es 3beal, aus ber flaren fenntnis ber gegebenen IDirflidjfeit Ijeraus ent-- micfelt als bie nottoenbige 5ortfet5ung ber Cinien, bie bereits in ber (5egenix)art angelegt ftnb. Das erB^eifd]t einmal bie 5ät^igfeit, in bem X)orI:janbenen bie Keime unb 2nöglid?feiten roeiterer <£ntu?icflung 3u erfennen, im Seienben bas IDerbenbe 3U al^nen, unb 3ugleid7 bie aufbauenbe, formgebenbe Kraft ber ptiantafie, bie alle vox^anbmen ZHöglid^feiten unb 23eipegungsrid)tungen 3ur i£inl)eit 3ufammen' fd^aut unb fo über ber (ßegenroart aus ber €r' fenntnis ber (Segenroart ein 53ilb ber ^ufunft fd^afft, bas bem ^lan^ein bie Hid^tung u?eift.

33ei ftarfen fünftlerifd^en Qualitäten ift Hau* mann bod) nid?t 3um Künftler geu^orben. X>iel= me^v münben jene Dor3Üge in feine politifdje Se* gabung ein unb finben bort iljre ^nipenbung. Denn bie gan3e Hid^tung feiner Hatur gebt burd)» aus aufs praftifd]e unb nur Ijier toirb er wafyc'

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Ijaft probufttD. €3 ift bas gegenfcitigc Derijältnts unb bie Hangorbnung ber Sccicnfräfte, was bem gansen 2Tfen[d?cn fein (Sepräge gibt unb aud] bas ciTi3cInc Vevmöqen in feiner lDir!ung beftimint Haumann ift, n?enn man ipill, nid^t eine äftl^etifd^e^ fonbern eine ett^ifd^e Hatur. ^ud) bie 2irt feines Sd^auens ift baburd^ beftimmt, infofern fie nid^t im einseinen, gefd^Ioffenen Bilbe ruljt, fonbern fid| in bie großen <5ufammenl]änge ergießt. Diefe praftifdien 3been, bie Haumanns lUefen unb Sdjaffen beftimmen, in il:^rer <£ntu?icflung 5U uer^ folgen, ipirb unfre nädifte ^lufgabe fein.

Vierfes Kapitel. Religion. Sthik und Politik«

2tm Anfang unfrcr btogvapijifdien VOan^c- tung ftanb ber prcbiger Haiimann, bcffcn Btlb rotr uns nad} ber „(ßottesijilfe" 3u entwexfen fudjtcn. ^meierlßi fanben roir babei bemerfens^ Tocrt: bie fünftlerifd]cn Qualitäten ber 5orm unb ^te f03iale (5eftnniing. 2tm (£nbc bcr (Sntrüicflung fteB^t ber polittfcr. Unb andi biefcr bietet ber ^etrad]tung 3n>ei Seiten, eine ttjeoretifdje: bas IDeltbilb, bie (£rfaffung ber gegebenen XPirflid^ feit, unb eine praftifd^e: bie Porftellung oon bem, was tüerben foll, bas <3iel. Das tl^eoretifd]e Der« mögen im budiftäblid^ften Sinne bes IPortes: bie Kxmft bes Sd^auens, Ijaben u?ir im britten Kap. in iljrer gansen Entfaltung unb 2lusbreitung be« gleitet, von ber gefammelten Perfenfung in bas ein3elne Kunftu>erf bis 3um tpeltumfpannenben Über« fd^auen unb ^ufammenfd^auen bes poIitifd]en Den« fers. St^nlid] rperben rpir je^t, tpenn id? mid^ fo ausbrücfen barf, bie praftif d^e (£ntix)icflung Hau« manns überbliden. <5tx?ar, ben Ijiftorifd^en Verlauf xmb bie innere Nötigung, bie Haumann t>on ber

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3ßfu5nad]foIgc imb ^ein Cicbcsbienft an bcn armen Gräbern 3ur poIttifd]cn partcigrünbung rocitcrbrängtc, Ijat bereits bas erfte Kap. bar3u^ (teilen x^erfud^t. So bleibt nun bas prinsipielle Derl:^ältni5 ber (Sebanfen 3U erörtern.

l

Haumanns relicjiöfe€ntu)icflung l^aben u?ir in einigen f>aupt5Ücjen aus ber „(5ottesI:>iIfe" ab5ulefen ge(ud]t, inbent u?ir bie Urfunbe, bie ben Dorläuficjen 2lbfd)Iuß imb bas Hefultat biefer (£nt= ipicfluncj barftellt, einftweilen beifeite ließen. X>iefe foU uns jefet im ^ufammenliancje befd^äftigen. (£s jtnb bie „Briefe über HeIigion."i)

X)iefe Briefe u)oUen ben ^e|ern antivorten, „bie es nid]t red^t r>erftel:>en, u?ie Haumann gleidiseitig (£l]rift, X)aru?inift unb 5Iottenfd^u?ärmer fein fönne." Sie serfallen in 5u?ei Ceile: ber erfte foll feine religiöfe Stellung red^tfertigen, bie fid] als eine Bereinigung von ^Il^riftentum unb mobernem Denfen („X)aru?inismus") djarafterifiert; ber iwextc unter= fud^t bas l?erl:)ältnis von (£l]riftentum unb politif. 3ßner fämpft mit ber boppelten 5ront[teIIung, 5U ber Haumann von ber einfeitig d^riftlid^en Hid-jtung feiner 5rül]3eit aus gelangt i[t: gegen feine ITlit-' d^riften mu§ er feine mobern e, barroiniftifd^e Denf^ rueife, gegen bie ZTTobernen fein Befenntnis 3um dtjriftentum üerteibigen.

') Urfprünglid? in öcr „^ilfc" IX, \ 27\ bann als Budj im 3"Ii ^903, 2. 2lufl. llov. \^05 (IMIfe.-Der* lag, fort. \,20 IXit).

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Das (Sanse ift eine l^ödjft originelle unb ^eiftüoüe Sd^rift, üielleid^t nod^ meljr als bie metften anbern, unb bas IPerf eines ebenfo ur* ix?üd]ftgen u?ie grünblidjen Denfers. Da^ fie eine Vermittlung fud^t sroif djen Ctjriftentum unb moberner XDelt, teilt fie 5ipar mit unsätjligen probuften ber legten Jal^re; aber bie Wege, roorauf fie biefem ^iele suftrebt, fmb burd^aus neu unb intereffant. XDieber betpunbert man ben tiefen, fad^lid^en €mft, ^en I^eiligen IDillen unb ZlTut 3ur IDal^rtjeit, bie Konfequens unb IDud^t bes Denfens, lauter Por3Üge, bie man bei ben meiften Ian^>Iäufigen Vermittlungen stoif d^en „(glauben unb lOiffen'' fo ungern r>ermi§t. Naumann u?ill eben gar nid^t lim jeben preis eine Derföl^nung 3uftanbe bringen. Sdiarf unb flar u?erben bie oort^anbenen (Segen-- fä^e unb 5d?ix>ierigfeiten aufgemiefen, unb niemals tperben bie Klüfte mit fd]önen Hebensarten ju^ ^ebedt; niemals roirb, u>as im Deuten nidit ^w- fammengeljt, im voexdien, fd]u:)immenben (ßefüEjle Derfdimolsen. ^ber freilid^, eine Sdjrift, bie mit fo furd^tlofer XPal^rl^aftigfeit eine fo eigenartige, ifolierte pofition r>erteibigt, mu§ fid] auf oiel <5 egnerf d]af t üon red]t5 unb linfs gefaßt mad^enJ) 3d| glaube inbeffen, fie bietet aud) mel:jr Haum

*) €ine (Scgenfd?rift von rcd?ts, ol^irot^I von einem ,,naturforfd)er" üerf a§t, ift: €. Dennert, Vaxwinu fttfd?es Ct^riftentum, Stuttgart ^90^. £eiber ift fie 3iemlid? unbebeutenb unb unerquirflid? ausgefallen. IHtt einjelnen Bemerfungen über tTaumanns Dartrinismus bat fie rielleicbt Hec^t; im <3an^tn fann fie nicbt über= 3cugen, u)eil fie iljren Stanbpunft, ben einer tjarmlofen.

\\\ -

für Angriffe unb für begrünbeten lOiberfprud^ als irgenb eine anbre neuere 5d>rift Haumanns. lOenn xd) I>ier einige (Sinipänbe evh^ehe, fo ift meine 2lbftd^t babei nid^t, meine eigne pofttion, t)ic mdit tjiertjer geljörti), ber Haumanns gegen-- überjuftellen, Dielmebr u?erbe id], foioeit möglid^, Haumann felbft gegen Haumann seugen laffen.

Sd^on bie Beurteilung ber gegenu?ärtigen Situation ift 3U)iefpäItig. Haumann gel^t au5 r>on ber Cl^efe, bag neue, religionsbilbenbe ©jfen« barungen unfrer S^^^ fel]Ien, bag fie feine fdiöpfe^ rifd^e ^eit ift, fonbern x?om (Erbe ber Dergangen-- tjeit lebt (IV). Diefe pefftmiftifd^e ^luffaffung über= rafd^t boppelt, nad^bem fd^on in ber ^(Sottesl^ilfe" ein neues Befenntnis, bas fid^ aus ben alten, fremben bilben foUte (555), ein (Sott, bem audj t>k €ifenrx>erfe bienen (258), uerfünbet u?ar. ^ber fie u?irb aud^ tiier nid^t inne gel]alten, benn im 8. Briefe I^eigt es: „So haben ipir bie lange Heib^e von fertig geseidjneten (5 laubens leieren Ijinter uns gelaffen unb u?agen auf eigene ^anb 3u fagen: bas füllte id] alsHeligion! 0ft ift es Ijerslid] wenig, aber bas u?enige Ijat bann bod> perfönlidjfeitstt>ert. Hodi ift bas Cappen unb Sudjen r>on ber Dergangenljeit beeinflußt, nod] blicfen u?ir 5u ben alten 2neiftern auf, aber bas

Irabitionellcn (Bläubigfctt, einfacb rorausfc^t unb offcn^ bar feine recbte 2lbnung bat, roorum es ftcb in biefen Kämpfen um eine moberne IDeltanfcbauung Ijanbelt.

2) X?gl. barüber meine „Xlloberne Heligion", S£eip3., €. Dicbcridjs. ^902.

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3d^ iiat 3U leben begonnen." Sonad) tpäre ja gerabe unfere ^eit frudjtbarer als bie Vergangen» I^eit. Hun ipirb 5u?ar gleid) baneben r>erftd?ert^ tag biefe perfönlidje ^eligtofität, bei ber es nid]t auf bas Was, fonbern auf bas Wie, bie Stärfe unb HeinE^eit ber Stimmungen anfomme, nidjt bas fjöd^fte in ber Keligion fei (u?arum nid^t?}; aber berfelbe (Z^axattcv, ber eigentümlid^e dt^arafter einer Übergangsseit u^irb anbersroo aud) bem geu^ig eminent religiöfen pietismus, roirb ebenbort fogar bem Heuen Ceftament 5uerfannt. Waten audi biefe (Reiten in religiöfer fjinfid^t minber* tpertig? (Selegentlid] ipirb aud^ eine ffrupellofe 5reube an ber Überlegenl^eit bes mobernen (Rottes* glaubens über ben alten laut (am Sd^luffe bes \0, :8riefes).

^roeierlei ift es, was \di in biefem erften Ceile 3uu?eilen »ermiffe. Haumann ift I^ier unb ba mer!u)ürbig xven'iq u?ät^Ierifdj in feinen ^rgumem ten; er nimmt, was fid? auf ben erften (5riff bietet, ol>ne feine ßaltbarfeit unb Cragfraft 3U prüfen. 5ßrner madjt fid^ ein ZHangel fd^arfer 23egrtffsbeftimmungen bemerfbar. Sold^e ftnb ja nidjt immer notroenbig; aber bei polemifd? 3uge[pi^ten ^useinanberfe^ungen !ommt man nidii 3ured)t otjue fie. Haumann rt)ei§, bag bie Heli* gion nid^t an bie Kird]e gebimben ift, unb fein 3efus roürbe fd|Ied]t in unfre gotifdien Bacfftein« fird-jen unb unfre Konftftorialfifeungen paffen (XXVI); bas Ijinbert il:>n nid]t, ben Sieg ber offi3ieIIen Kird]e unb priefterfdiaft in ^T^anhexdi als einen

U3 -

Steg bcr Religion ansufctien. (Eingel^cnb fpnd]t er über bie Perföl^ninigslel^re (XIII— XIV); er ift froJ^, bag fie il:|m von fjaus aus pertraut ift unb möd^te fie um feinen preis aufgeben, ^ber er u)ei§ ^odi nidits ^efferes für fie ansufül^ren, als ben alten, üblen (5emeinpla^, ba§ aud^ fluge Ceute auf il^rem Sterbelager nad^ bem priefter gefd]icft I^aben. ((£s fommt axid] vor, baß 2Tlenfd]en im Hilter finbifd^ iverben; ift bamit aller Perftanb il^rer ^TJannesjal^re u?iberlegt?) So ungern er es 5ugeben u)ürbe, er uerrät bod^, ba§ aud] er mit biefer angeblid^ fo getieimnisrollen (übrigens ljöd]ft und^riftlid]en) Cel^re im (Srunbe nidjts mei^r an3u= fangen lüeig; unb er merft nidit einmal, ba§ er felbft in ^wei Sä^en il^re ireffenbfte iX^iberlegung fd^reibt (XIV, Sd^Iug bes 2. ^Ibfafecs).

(£s würbe 5U ix?eit fül:^ren, alle 2Ui5füI:)rungen xmter bie fritifd^e Cupe ju nel^men; u?ir befd]rän!en uns auf ben sentralen (Sebanfen: X>ie 21Tenfd]t|eit fann nidit oljne Heligion leben bie Begrün* bung ift \dixoadi, ber Sa^ felbft unsxveifelbaft ridjtig ; als Heligion fommt für ims nur bie d^riftlid^e in Betrad^t. X)ie Unmöglid]feit, eine neueHeligion l^erpor5ubringen, foll burd^ eine bem X>aru)inismus entnommene 2lnaIogie begrünbet u)erben. 2tber 2InaIogien fönnen nur erläutern, nid]t beipeifen. Unb bie 5rage, ob eine neue He« ligion möglid] fei, verliert allen Sinn, wenn es ftd) Ijerausftellt, bag fie bereits irf Ii di ift. Unb bag es ftd] in ber Cat fo uerl^ält, ift n'xdit nur meine Zl'teinung ; aud^ Naumann u?ei§ es unb I^at

£f. ITl e Y e r: o^ör. riaumann. g

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CS nur Bjier ücrgeffert. „(ßottesEjilfe" trägt eine 2ln^adit bte Überfd^ift ^(5oetijc" unb bas JTtotto: „3ft (Sott nidit aud? ber Reiben (5ott? 3a freilid?, aud^ ber fjetben (5ott." ^er 3"^<il^ cntfprid^t bcm: (Soetl^e rt?ar fein Ct^rift, fonbem ein XDeltfinb, unb aud^ in Sittlid^feitsfragcn voav ev mcl>r (ßriedjc als Hasarener, aber er war ein frommer 2T{enfd^ unb t^atte eine eigene, aber u?irf= lidje ^rt bes (Slaubens. Hun gut, l^ier ift alfo rüirflid^e Heligiofität, bie nidjt d]riftlidj ift. Unb tpenn fie nur in (Soetlje ba wäve, es genügte, um bie S^<^<i^ nad> ber 21TögIid]feit einer neuen, nid^t-- djriftlid^en Heligion gegenftanbslos 5u madjen.

IDas Haumann geneigt mad^t, biefe beutlid^e Catfad^e 3U überfeE)cn, finb 3um Ceil äugere (Srünbe. Die moberne Heligion lebt nur in ben Seelen ein- 3elner lTTenfd]en; fie ipirb niemals Kird^en unb (Sottesbienfte, priefter unb Konfiftorien, 3e!ennt= nisformeln unb Saframente traben. Sie l^at femer loenig 2tusfid?t, balb ZTTaffenreligion 3U lüerben. 3n feiner lDerbe3eit I^atte Haumann mit ^voei reit* giöfen l?erl^altungsu?eifen 3U tun: mit ber ortI:jo* boren 5orm bes Cl^riftentums unb mit bem un= religlöfen ZHaterialismus ber So3iaIbemofratie. (£s finb bie beiben formen, bie größere ZTTaffen be* I^errfdjen. Die freieren mobernen Birten ber Heli* giofität traten iljm erft näl^er, als er bereits in ber politif lebte ; 3U il^nen f onnte er jebod? gerabe als politifer feine Be3ieE^ung finben, toeil fie fo gar nid^t ZlTaffenerfd^einung finb unb für ben po* litifer nur bie ZTTaffe 3ät>It. Hatürlidj liegt es il^m

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fern, btcfc Sd^ä^mtg in bie rcitgiöfe Spl^äre tjin^ cinsutragen; aber bie moberne Heligion u?irb in feinem ^enfen untoillfürlid^ baburd] 3urücfgebrängt.

Sadilxdie (5rünbe fommen I:jin3u. Naumann übertreibt ben Unterfd^ieb 3rpifd>en d^rift* lid? unb nid^tdjriftlid]. IH an !ann freilid^ „feine neue 2(rt ZPeltanfd^auung unvermittelt anfangen"; aud] 3efu5 Ijat es nid">t gefonnt. (5erabe beute fetten wxv immer tiefer ein, rt>ie fel^r er burd^ bas fynf retiftif d]e 3ubentum feiner ^cxt vorbereitet unb bebingt loar. Das J^inbert nid]t, mit ibm eine neue Heligion 3U beginnen ; unb ebenfou?enig f ann CS uns 2Tloberne an ber 2tusbilbung einer neuen Heligion I^inbern, bag u?ir in einer „von d]rift= Iid]em (Seifte burdju?irften (Sefeüfd^aft" leben unb imter bem nad]tt?irfenben (5ix)ange ber Dergangen= ijeit ftel:jen. Haumann unterfd^eibet allerbings 3u>ifd]en U)eiterentn?idlung unb ^Ibtrennung (^nf. V. V). Die ^ntitl^efe ift äugerft geiftreid^ aber bod] nur fdjeinbar unb nidjt ftid^tjaltig. 3cfu5 bßt fid^ fel:}r feiten fo fdjroff ZHofes gegenüber ge« ftellt, unb im (5an3en un3u?eifell^aft bas Banb ber (5emeinfdjaft mit bem 3wbentume md?t burd?= fd^nttten; felbft bas „\di aber fage eud^" ber Berg^ prebigt liege fid^ gans u?oJjl nodj imter bem Be= griff ber lDeiterentu?icfIung imterbringen. Xtod} fliegenber finb bie (5ren3en in ber Heu3eit. Haumann glaubt 3n?ar bie (5ren3e fd]arf 3ieJ^en 3u fönnen: „5ür ober gegen ^e\u5, bas ift ber Sd^eibepunft, an bem man felbj! erfennen fann, ob man fid^ nodj mit eigenem lOillen imb

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W\\\en 3um dl^riftcntum xed\nen fann" (V). Die X>i5iunftion flingt ^e^x einfadi unb ift für einen fo Icibenfd^aftlidjcn 2^\u5vexeiixet gan^ natürlid?; für anbre ift fic nid]! cbenfo cinleudjtenb. Was l^eigt: für 3efn5? 2lud] bic ZITuI^ammebaner er* fennen 3efu5 als großen propJ|eten an; finb fie barum (EB^riften? (£iner ift für 3^fu5, b. ij. er empfinbet il^m gegenüber große Dereijrung unb Ciebe unb in tpefentlidien pnnften Übereinftimmung, aber er ift ebenso für ^ubbE^a ober für piaton; ift er Ctjrift, Bubbl^ift ober platonifer 3ugleid]? ^nbre gibt es, unb iljre ift Cegion, bie nie«

mals barüber nadtiQet^adit l^aben unb im (£rnft gar nid^t 3U fagen roüßten, vo\e fie 3U 3efus ftel^en; vool^m tun voix bie? Selbft bei großen unb enU fdjieben religiöfen IHenfd^en fann man feJ^r in ^voe\\d fein. 3^>fß"/ ^jörnfon, 2TJaeterIind I^aben ims üiele ^änbe gefd?enft, unb id^ glaube fie gut 3U fennen, aber mir ift feine Stelle erinnerlid?, u?onad] fid] il^r 5ür ober (Segen 3^)'"^ imsiveifel* ijaft entfd]eiben ließe. Unb 3U u^eld^en tounber* lid^en Z^efultaten fämen xo'xx bei biefer 5d]eibung! Können toir u)irflid) ben Crennungsftrid? fo 3iel]en, baß Ccffing, Kant, 5dileiermad]er, Darivin, ^is* mard I^üben, (Soettje, 5d]iIIer, Z1Tar^ brüben bleiben, rDäl^renb Kant unb Ciguori, IDidjern unb bie ZTTörber Don Kifd^ineu? frieblid] 3ufammen ftel^en? Kant I^at ftd? xool]l ftets 3U ben dl^riften gesäl^U 5d]i[Ier in einem befannten (Epigramme es abge* letint, fid] 3U irgenb einer Heligion 3U befennen; 3tDifd]en beiben beftel]t roUfommenfte Überein*

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ftimmung iljrer gefamtcrt IPcItanfdiauimg, unb bod?

fielet ber eine red^ts, ber anbre linfs ? Die rid^tige

iragefteüung fd]emt mir Dielmel^r: ijat 3efu perfon

unb Celjre für unfer Ceben eine sentrale, be*

Ijerrfd]enbe Bebeutung ober ift er nur ein (Element

imfres geiftigen IDefens neben anbexn? Hur im

crfteren 5ctne I^at es einen guten Sinn, fid] (Ctjriften

3u nennen. Wenn es aud^ bie anbern tun, fo

lügen fte nid]t, aber ber Zlame ift bod^ irrefül^renb,

u?eil er ben Sadfoerf^alt fdjief barftellt, es ift eine

^rt unbeicugter 33ilan3r>erfd]leierung. (£t{rtften in

bem angegebenen »ollen Sinne bürfte es inbeffen

unter ben mobernen benfenben ZTfenfd^en nur u^enige

geben. 3ei uns allen I^at 3^fws an unfrer geij^igen

Subftan3 mitgebaut; aber bei uns allen ftammt nur

ein Ceil berfelben üon il^m, u?ir mögen uns dtiriftett

nennen ober nid]t. 5)ie n^irflid^en religiöfen Unter^-

fd^iebe innerl^alb ber I^eutigen europäifd]en Kultur*

menfdjl^eit unb es gibt fetjr gro§e unb toefent*

lid^e u?erben burd] bie Unterfd^eibung (EEjrift

ober Hid^tdjrift in feiner IPeife angebeutet.^)

2tud^ eine anbre Formel, bie Haumann für

t>ie Cage ber Heligion gefunben I^at, fdjeint mir

unljaltbar: „Die (5efüI]Ie bleiben, u?ätjrenb bie

Begriffe u?ed]feln.^ IDäre bem fo, ^ann voäxe

Dicimctjr bedt btc gemeinfame Bescidjnung „c^riftlic^" cjerabc ben burdjgrcifenbften llntcrfd?ieb 3U. Katt^olisismus unb proteftanttsmus ftnb in ber <Lat vet= fdjicbenc Heligioncn. Das ift um fo beutltc^cr, ba bie hcxben getrennten IDelten bei uns alles anbre: Staat, lüiffenfdjaft ufu). gemein tjaben unb ber ungel^eure 2lb= flanb ftd? allein auf ber religiös=ettjif d?en Derfdjiebent^eit aufbaut.

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bie Hcitgton in ber Cat bicfclbc geblieben, beun Heligion tft xbixem VOe\en nadi (ScfüI^I. 3d? glaube^ gerabc unfrc (Scfüljle I^aben fid^ fo grünblidj ge-- wandelt, wie bas nur möglid) tft. ^ber jene Soxmei gestattet uns einen ix>ertüoflen 53Iicf in Haumanns Seele. ^Öerbings ift bas (ßefül^I bas fonferoatipere ®rgan unfrer Seele. Unb Hau* manns (5efül^I l^at ftd? fo frütj unb fo lange an bas dljriftentum geflammert, ift fo feft unb innig bamit vexwad}\en, bag es nid]t mel^r los fann unb il^n babet feftl^ält, aud) nadibem fein Venten fid^ gan3 baüon losgelöft B^at. Unb we'ü fein (5e* fül:)! fo gans am ^Iten tjängt, mer!t er nid^t, ba§ bies (5efül^l felbft feinesu?egs alt, fonbern burdj* aus mobern unb üom 2(Iten r>erfd^ieben ift. Um bies an bem u)id?tigften pun!te ftarsuftellen : bas fo3iaIe (SefüEjI Haumanns ift etiuas gan5 anbtes als bie altd^riftlidje Caritas. Diefe ift feiig, u^enn fie fd^enfen, ^Imofen geben unb Hot linbern fann; fie bebarf bes (£Ienbs, lun ftdi t:)axan 5U betätigen. IDir empfinben es als eines 2Tlenfd]en imu?ürbig, ^Imofen nei^men unb üon 2IImofen leben 5u müffen; batjer tft uns aud) bas Sd^enfen oft ein ujenig peinlid^ unb unfer Streben getjt gan3, und?riftlid?er lOeife batjin, bas 2tImofen entbel^rlidi 5u madjen unb (mit bem <£Ienb) absufd^affen.

2IIfo aud^ in feinem iüljlen, nid^t nur im Denfen ift Uaumann tnoberner, als er felbft al^nt. Hur, ba§ iE^n fein (5efüy i|inbert, ftd? entfdjloffen mit beiben iügen auf ben ^oben ber neuen IDelt 5u fteUen.

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Soll bies einen Ca^cl enthalten? XOex^en xo'iv deswegen geringer von ifyn benfen? (5eu?i§ nid>t. (£5 ift ja nid-^t Sd^wädy ober X)enfträgbeit, u?as il^n baran l>inbert, fonbern bie übermäd^tigc Kraft feines (5efül:>l5, ber beutfdien Creue unb pietät. Unb um fo größer ift iinfre ^etounberung für bie Strenge unb Capferfeit bes ^enfers, ber fid^ tro^bem nid]t von feinem IPege abbrängen lieg. (£r erinnert an Kant, beffen ijers ebenfalls am alten (Sottesglauben I^ing, unb ber bod] mit unbeirrbarem €rnft ben 53egriff feiner IPelt ber iTaturgefe^Iidifeit imb Kaufalität 3U <£nbe badete unb ftreng barauf l|ielt, bag ber (Sott, bem er burd^ eine fünftlid-je Konftruftion ein hauen u?oIIte, feine Kreife nid^t ftörte. (£5 u?äre natür» lid] für einen ZlTann von Haumanns €brlid]feit unb Strenge gegen fidi felbft nid^t unmöglid\ aud^ biefe Hücfftänbe ju befeitigen unb in feiner (Se- fütjlsu^elt biefelbe KlarJ^eit unb ^inljeitlidifeit 5U fd-jaffen, bie in feinem X>en!en tjerrfd^t. ^Iber ber Kampf, ber biefem Siege iJorljergeE^en müßte, lüürbe ein größeres ZTTag r>on feelifd^er Energie r>erbraud]en, als je^t für biefe Probleme oerfüg* bar ift. lOenn alfo rtaumann in feinem Hingen nadi einer eintjeitlidien IDeltanfd^auung nid^t gans ans ^iel gefommen ift, fo ift biefer Persid^t in geu?iffent Sinne ber preis, um ben feine ^ewaU tige politifd^e Denf arbeit möglid^ mar.

2.

3n ber Station" r»om \9. Sept. \^0ö hßt

\20

^axnad bie „Briefe über Heligion" angezeigt (£r fargt nid>t mit 2tnßr!ennung, aber nur bem erften Ceile gibt er feine ^uftimmung, n?äbrenb er ben 3u?eiten ablel>nt. Der groge fjiftorüer möge mir üerseiijen, rrenn idi in beibem anbrer IHeinung bin. Was über ben erften Ceil gefagt rperben muß, ift gefagt. Was ben srceiten betrifft, fo ift Haumann barin ii^m gegenüber burcbaus im Hedjt unb exwei]t ftdj als ber überlegene unb tiefere prinsipielle Denfer. (5erpi§ läßt jebe fcbarfe 2lnti* ttjefe, jebe ^ufpi^ung einer S^age l^imbert (£in^ fd:)rdnfungen ju, unb gerabe ber ßiftorifer roirb biefe am ebeften feben. 2iber es ift imenblicb frucbtbarer, ein problem, einen U)iberfprud) in feiner gansen Ciefe unb IPucbt E>erau5$uarbeiten, als es mit 2Ibfcbu)äcbungen unb Dermittelungen 3U3ubecfen unb ftd? mit allgemeinen Sä^en 3u täufd^en, bie ber Scbmere ber Aufgabe nid^t ge^ u>adifen finb unb vov ber fonfreten IDirflid^feit oerfagen. Das problem aber lautet fo:

XPir fönnen nid^t bie IPorte 3efu unmittelbar auf uns anvoenben unb unfer gan3es Ceben nad) ben (5runbfä^en d)riftlidier £tbi! einrid^ten. IDir fönnen nicht dbriften im genauen IDortfinne ber fioangelien fein. (Sroge (5ebiete imfers Cebens laffen fid) nidjt nadb ben 3been bes ZHitleibs unb ber Bruberliebe regeln, fonbern n^erben üon an'öem Crieben gelen!t unb legen anbre pftid^ten auf. 3n ibnen fmb (Egoismus, (Sefdjäftstüditigfeit unb €rmerbsfinn, XD'iüe 3ur ZtladoX 3um (Erfolg bie ent\dieibent>en Cugenben. Das (Ebriftentum ift

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mdit unfrc ganie <£thit, fonbcrrt nur ein ^Ecit ^)crfclben. VOiv (Inb im beften 5aIIe mit ber rcd]tcn fjanb (ßßfd'jäftsleutc imb mit ber linfen 3üngcr 3efii.

Haumann empfinbet bic gan3e Sdiweve bes ^micfpalts ; er tjat pcrfönlid] picl tiefer als 2lnbre barunter gelitten, u?eil es il^m I:jeiliger (£rnft u?ar nttt ber Had^folge 3^fW' Tiber er I:jält ibn für unentrinnbar unb tnfolgebeffen für erträgIid^ €5 fragt fid^ jebod?, ob bamit nid^t mel^r bel>auptet ift, als vom Sianbpnntte bes (ri:|riftentums aus 3ugegeben n?erben fann.

2lu§ert{alb ber Kompetens ber d^riftlidien €tbif fäHt 5unäd]ft bie gan3e Spljäre bes Staates unb bes öffentlid]en Cebens. Dielleid^t ift biefe Be» fdiränfung nodj am el^eften 3U ertragen. Denn Staat unb Hed^t fällt überbaupt aus bem (5eftd^ts= freife bes Cl^riftentums l^eraus. Die €tl^if bes CBjriftentums ift rein unb ausfd]Iie§Iid7 inbioibua^ liftifd?. Dalmer !önnte I^ier bie €tl]if bes Staates als eine (£rgän3ung ba3u angefet^en uperben. Unb bie pielen, bie nid^t bireft an ber Arbeit bes Staates beteiligt finb unb bie es permeiben, über bie Probleme bes Staates nadj^ubenfen, würben ^ann ben IPiberfprud^ faum bemerfen.

2tber aud] (5efd]äft unb Berufsleben ent3iel^en fid^ ben (Sehotm ber Bergprebigt. 2lud^ ba l^errfdjt ber Kampf ums Dafein; aud> ba fiegen nid^t Ciebe unb ^ier3ensreinl]eit, fonbern "Kraft unb ^Inpaffungstüd-jtigfeit, Klugl^eit unb IDille 3ur Selbftburd?fe^ung.

lOas bleibt mm für bie d]riftlid]en (Sebote

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übrig? <£s fielet offenbar mdit fo, bag xfyxen nur groge (Sebicte iinfcrs Ccbens cntjogen finb, fonbem alle Banpt]phäxen besfelben geB>ord?en anbem (5e^ fe^en. Staat, (5efeIIfcbaft unb ^eruf, bas ftnb bie 3"^^*!^^/ unfer Ceben 5um größten Ceile unb immer rollftänbiger ausfüllen ; was übrig bleibt, erfd]eint baneben faft als 53eiu?er!. Unb es fragt fid] nod\ roieoiel bier bie d^riftlid^e €tbi! bebeutet.

(£s finb nodj iwei pun!te 3U beaditen: ^ie (Sefe^e, bie jene großen Gebens fpi^ären beberrfd'jen, finb nid)t nur anbere als bie djriftlidien, fie finb bireft entgegengefe^t. Sie sroingen uns ununter^ brod]en, IDorten 3c]n, vo'ie „Sorget nidit für ben fommenben ZHorgenl", „IDenbe bidj nid>t r>on bem, ber bir ahbov^en vo'iül" juwiber 3U banbeln; unb nie befinnen rcir uns, voeldtiet Stimme wiv in foldyem Konflift folgen follen. ^ud^ bas ift eigentlid^ nid?t gans ridjtig, bag roir nid^t gan3 Cbriften fein f ö n n en, fonbem u>ir rr> 0 II e n es n'idit, felbft rrenn toir es fönnten. Va^ es für ben (Sinselnen im (Sansen möglid] ift, ben d)rift* lidien (geboten nad^suleben, unb rr>ie bas ausfallen upürbe, bas ^at uns ja einer unfrer tiefften unb ebelften ^eitgenoffen geseigt, ein Vflann, ber uns burd? bie Heinbeit unb ftttlid^e Kraft feiner Seele 3ur <£B]rfurdit 3u?ingt, gleid^uiel ob unfer Derftanb itjm beipflidjtet ober nidit. ^ber gerabe bei S^olftoi ipirb es uns red^t beutlid>, baß vo'w bie u?al:>re Hadjfolge 3efu gar nid]t roollen fönnen. X>enn u?ir müßten fie mit bem 0pfer nidjt nur bes

Staates, fonbcrn unfrer gcfamten materiellen im^ geiftigcn Kultur heiah^en. 2lber aud] biefe fxub etl^ifdje Uferte, bie 3U erl^alten uns pflid>t. lTid}t unfre Sdiwäd\e unb Sünbbaftigfeit Iitnbert uns, 3efu 3w"9^i^ 511 f^i^f fonbern unfre reid^ere unb entiüicf eitere (£tliif felbft.

^Is bie I5auptpun!te diriftlid]er (£tbif be^ jeidinet Naumann r>öllig 5utrejfenb ZTJitleib unb Keufd^l^eitJ) Unsa^eifclbaft a^aren bas bie Cugenben,. burdi meldie ftd] bas urfprünglidie ^briftentum von ber umcjebenben iPelt unterfdjieb. Va^ eine burd? biefc pole beftimmte i£tl]if in unferm beutigen Ceben frentb unb unmöglid^ ift, bat Naumann aud") ausgefübrt in' bem l^errlidien ^hiffa^e „Die Ho^ mantif bes parfifal" (c5eit I, 48).

Von ben €in5elfällen bes Problems I^at einer biftorifd^e Bebeutung: bas Dertjältnis swifd^en (II]riftentum unb politif. Die nationalfosiale Partei l^at fid^ aus ber d]riftlid]f05ialen entu?icfelt; Haumann felbft unb ein großer Ceil feiner Ijelfer unb ^nb^änger iparen von Baus aus iIl)eoIogen; für fie alle mugte bie 5rage nadi ber Dereinbar-

1) 3* bcmerfe auch l^icr, ba^ man djriftlicbe untv ftoteftantifcbc (Etbif notirenbig trennen muß. giPtfcben proteftantifcfcer uni) moberner €tbif beftebt eine fo \(bav\e Spannung nicht, ütelmelir finbet t^ier eine organifAe XDetterentiDicf lung ^tait : Kant als bie DoUenbung £utbers. man tann aber nid?t ebenfotPot>I von einer IDeiter^ bilbung bes dl^riftcntums reben, ujeil gcrabc bie Keime, btc je^t frucbtbar geirorben finb (rgl. unten 5. |56f.), im. urfprüngltcben dtjriflentum 3um CEeil fel)len unb, sufolgc- i»er esdjatologifcfaen Orientierung jener ^tit, fctjlen mußten.

m

feit beiber prinsipien 3ur pcrfönlid^cn Cebensfrage voev^en. Vev Konflift ipurbc brcnncnb, infolge eines 3ufänigen 2lnla\\es, auf bem Parteitage ju Ceip5ig V)00, unb feitbem ift bie ^useinanber* fe^ung stüifd^en €tl^if iinb politif nie u>ieber 3ur ^ul^e gefommen. 2lm fd^ärfften I^at bamals Sol^m ben lOiberftreit unb bie Unpereinbarfeit beiber ausgefprod^en: Staat unb Krieg, beibe un* trennbar jufammengel^örig, fönnen nidit angewandte €ttjif fein, fie ftnb nad? (5runbfäfeen ber <£tBjif unmöglidi. Das Volt, ber Staat E^at feine Heli* gion unb unterftel^t feiner (£tl]if ; er ift „ber Uber= menfd?, ber Unmenfdj". Die\e extreme 5ormeI ift offenbar untjaltbar. Sie roürbe jeben etl:jifd? ge* rid'jteten ZHenfdien in bie unbebingte Staatsfeinb» fd^aft i^ineinbrängen, 3um 2(nard?iften mad]en. Dev Staat voäxe bann bas abfolut Böfe, Unftttlid^e unb IX>ibergöttIid?e. 2lber fie fixiert nid^t nur 3U un-- ntöglid]en Konfequen3en ; fie rul|t aud] auf trüge- rifdiem <5runbe. ^enn freilid? ift bas lOefen bes Staates 5tr>ang, aber biefer ^mang felbft ift am legten <£nbe roieber etl^ifd] bebingt. Denn ber ^wang bes Staates fann nur burd] ZHenfdien, 23eamte unb Solbaten, ausgeübt toerben unb I:|ängt ab üom (ßet)orfam biefer. Hur u>o überl^aupt nodi feine bemühte Sittlid]feit fid] entfaltet E^at, fann biefer als Stumpfftnn unb eine ^rt blinbe ^Vpnofe erfd]einen. Bei I:jöl]er enttüicfelten Dölfern bagegen fann fid^ ber S^anq bes Staates nur <iuf ben (Stauben an feine Hottpenbigfeit unb bie freiu)illige Unteroperfung unter fein (ßebot, upenigftens

\25

hex einem Ccile feiner 0rcjaiie, grünben, unb er brid^t 5ufammen, wo btefe etl:jifd]en TXlomente i?er* fagen. Der Staat ift alfo te'meswe^s von etl^ifd-jen (ßefe^en ej-emt, fortbern er bebarf tl^rer 3u feinem eignen 3eftanbe. X>iefe5 „IDefen ber politifdjen lüadii" l^at Hiemanb flarer erfannt als Haumann (f. fjilfe VIII, 52, rc.=3. 38); er l]at bamit viel liefer gefe^^en al5 SoEjm.

Sol^ms ^tusfül^rimgen foUten bamals Xlan- manns ^altimg Derteibigen, unb biefer Jjat fid? u)al]rfd]einlid] bamit in Übereinftimmung gefül^It. 2Iber tatfäd]Iid7 fagen fie etrcas, it?a5 Haumann niemals 5ugegeben t^ätte. Hiemals ^at biefer Staat unb Sittlid]feit in (ßegenfafe geftellt, er l^at immer nur bel^auptet, bag in ber politif eine anbre (£tt^if gilt als bie d]riftlid]e unfers privat* lebens. (£r ift genügenb J)iftorifd7 gebilbet, um 3U toiffen, bag es anbre (£tJ]ifen gibt; ^id^tes „Heben an bie beulfd]e Hation" finb il^m nid^t imbefannt. Unb roenn ^ismarcfs Cebensu?erf audt voenxg 5U. ben Dorfd^riften ber ^ergprebigt ftimmt, es ift barum bod] nidjt ftttlid^ u>crtIos ; in il^m ftecft üielmel^r eine gan5 eminente ftttlid^e potens, nämlid^ eine geu?altige Kraft bes IDillens, eines IDillens, ber burd] Pernunft, burd? felbftgeftecfte ^iele he-- ftimmt ift.

^ber i ft es nun überl^aupt möglid?, r> e r f d] i e b e n e 2^ToraIf obe^-e neben einanber 5U h.ahen imb nad) 23elieben balb vom einen, halb vom anbern (5e» hvandi 5U madien? 3ebe Zlloral ift ein eifriger (Sott, ber feine anbern (ßötter neben fid^ bulbet.

126

^ud} bie dinftlid^e TXlovai wax Mnesvoegs gemeint, nur für ein Ceilgebiet 3U gelten, fonbern trat in bie Weit mit bem felbftüerftänblid^en ^Infprud), ^as gefamte Ceben aller ZTTenfd^en 3U regieren. 3ft man übert^aupt nod^ ein Cljrift, wenn man um ein bekanntes lOort vom Liberalismus 5U 4>arobieren fid? bie (ßelegenl^eiten ausfudjt, wo man d^riftlid? [ein Jann? 2lber u?ir feigen vom (Et^riftentum ab. ZTTit (£ttjif fud^n ii>ir überl^aupt bie 2TJad]t 5U nennen, bie unfer Ceben von innen -geftaltet unb bas fd^afft, was wiv unfre perfön* lid^feit I^eigen. Sie ift ber innerfte Kern imb bie «igentlidje 5ubftan3 unfers IPefens. Ellies 2lnbre •^rfd^eint neben iEjr sufällig unb uniüefentlid^. Unfer ^enfen, unfer €mpfinben mag immerl]in üielfpältig imb toiberfprudisüoU fein, tyev muffen w\v -<£inl^eit fein ober w'ix finbs nirgenbs, u?ir I^aben überl^aupt fein ^di, feine perfönlid^feit.

^jat nun Haumann betoiefen, bag es feine '«inl^eitlid^e (£tl^if geben fönne? Durd^aus nidit. Hur, ba§ bie djriftlid^e (£tl^if bies nid^t fein fann. ^ud^ er atjnt, bag es irgenb eine l^öl^ere (£inl|eit geben mug, bag ber (5ott ber 2Tiad]t unb ber <5ott ber Ciebe irgenbtt?o 3ufammenl^ängen, aber er r)er3tx?eifelt t^axan, biefen ^ufammenBjang 3u ergrünben unb meint: „Das Ceben felbft ift •größer als alle prin3ipien, bie ja nur aus il^m entnommene (ßebanfenreil^en pnb." (XXIII.) Wenn fid7 alfo prin3ipien als ungenügenb unb unfäEjig, bas Ceben 3U faffen, erliefen l^aben, fo gebe man fie auf unb fud^e neue, beffere. Dies 3U tun,

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Ijmbert Haumann nur feine unerfd)ütterlidie ^tn» tjänglid]feit an bas dEiriftentum. Sonft u?äre ihm mdit entgangen, baß biefes böbere prin^ip, bas lütr fud^en, aus bem fidi fou?obI bie inbiribuelle wie bie politifdje ^tbif ableiten laffen, gar nid^t fo unjugänglidi unb unerreid^bar ift, baß es längft crfannt unb innertjalb bes Kreifes ber mobernen ^ilbung anerfannt ift. €5 ift gefunben von ber= jelben ^eit, ber tpir alle (Srunblagen unfrer ^eiftigen Kultur perbanfen, unb fein v£ntbeder beißt Jmmanuel Kant.

3di u)ürbe am liebften audi bier meine eigne Stellung gan^ aus bem Spiele laffen, aber id^ fann eine furse ^Inbeutung nid^t entbebren, teils roe'd fonft an biefem entfd^eibenben punfte eine offne Cücfe bleiben u?ürbe, teils u?eil bas, u?as tpir I^ier braud'jen, fid] ivoax aus Kant ergibt, aber bei it^m bodj nid^t fo bireft ausgefprod^en unb baljer burd] Hennimg bes Hamens nid^t obne lOeiteres gegeben ift.i)

^er ^entralgebanfe ber Kantifdjen €tbi! ift t)er begriff ber 5reib,eit. Sie bebeutet: Beftimmt* fein burd^ eignes (Sefe^, ^tutonomie, unb bat einen boppelten (ßegenfa^: äugeren ^voanq ober Beftimmung burd^ ein frembes, x?on anbrer Seite <mferlegte5 (5efe^ (ßeteronomie), unb gefe^lofe IPillfür. Kant bat, ber lanbläuftgen Sd^ub unb Kird^enmoral folgenb, biefen (Zhßxattex ber S^eilieit

IDeiteres in meiner Scbrtft „fjerber unb Kant", £taüe a. 5. ^90-5^, S. zrff.

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ober 5ittHd]feit (bcibes fagt bas\dhe) tiur an bet emielnen ^anblung anfd]aultd] gcmad]t. ^ber biefe ^arftellung ift ungertügenb unb uerbirgt bie gansc Ciefc unb 5i^ud]tbarfcit feiner €ntbedung. X>enn ber wahrte (ßegenftanb ber (£tEjif ift ber ZHenfdi, unb bie ein5elne fjanblung ift burd] ben Cljarafter bes Ijanbelnben 2TJenfd?en beftimmt un^ nur von tjier aus 3U beurteilen. 5el:jen w'w bavon ah, fo ergeben fidi nur gans allgemeine, formale Beftimmungen unfers Cuns, unb bie lOirfung bes prinsips bebält etroas Zufälliges, (0elegentlid]e5, voxe es bei allen altern <£tl]ifen ber S<^^ ift. €rft burd] bie ^nwenbung auf ben IHenfdien, inbem voix biefen als (Einlieit faffen, u?irb es mit fonfretem 3nEjaIt, mit £ebensfaft erfüllt. X)iefer ganse Vflen\dt ift nun burd? ein eigenes (Sefe^ beftimmt, ein (ßefe^, bas itjm allein 5ugel]örig, il^m eigentümlidi ift unb iiin 3U einer fittlid^en 3nbioibuaIität, b. Bj. einer perfönlidjfeit, mad]t, ein (ßefefe, bas beftimmt ift, fein ganses Ceben 5U leiten, unb bas roir in ber ^Iltagsfpradje feinen ^eruf nennen, ^nbem er biefen feinen befonberen Beruf erfüllt, inbem bas in il>m angelegte (ßefe^, bas fein eigenftes XX)efen ift, fein ganses Ceben geftaltet, lebt er mabrbaft frei unb fittlidj. So geroinnen roir eine (£tl:|if für ben (£in3elnen, bie nidjt nur bie fleinen rcebenbinge unfers Cebens fa§t unb cor bem fjaupt-- inE^alte besfelben r>erfagt, fonbern bie xmfer gefamtes ^un imb Ceben als (£inl:jeit sufammenfagt unb formt.

^ber bas ift nid^t alles, u?as fte leiftet, fonbern fie gibt uns audi bie 2TtögIid^feit einer

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übcrinbiiMbucIIen, einer <5emeinfd]aft5 = €tEjiF. 5tttlid]e5 fjonbeln, weldiev 5lrt es fei, tft nid^t üorftellbar an bem ifolierten (£in3elnen, fonbern nur in Besiel^ung auf 2(nbre. IPir !önnen nid]t5 tun, was nidit irgenbrnic ein lOirfen auf 2Inbre ober ein Sd^affen für ^nbre ober für bie 2Ttenfd)* I^eit rüäre. 2tl5 fittlid]e, b. Ii. frei tjanbelnbe IDefen finb voix ganj r>on felbft (ßlieber einer (5e* meinfd-jaft üon eben fold^en IPefen. IPenn uns nun all unb jebes Cun in Besieljung 3U biefer (Semein[d]aft fe^t, fo lägt fid^ bod] ein befonberes Cun benfen, unb es ipirb fogar notu?enbig fein, bas eben bie (ßeftaltung biefer Bejiel^ungen 3u?ifd]en ben einseinen UTenfdien unb stpif dien bem (£in3elnen unb ber (5efamtl7eit 3um <3egen\ian^e ^at Dies roürbe bann im u?eiteften Sinne f 0 3 1 a I e s unb poHtifd^es J^anbeln fein. Don fyev aus ftnb »erfd^iebene ^ortfül^rungen benfbar, bie fid] freilid) feinesroegs ausfdiliegen, fonbern kombiniert u?erben fönnen unb »ielleid^t müffen: Das poIitifd]e fjanbeln fann lebiglid] barauf gerid^tet fein, bie ^r^i^l^it bes (£in3elnen mit ber 5reilieit ber ^nbern 3U r>er* mttteln, baburd) einsufdjränfen imb bar>or 3U fd^ü^en, ber bloge Hed]tsftaat. Der €in5elne !ann aber audi von ber (ßemeinfd^aft pofitioe 5örberung feines Cebens unb Cims erroarten. (2)ber bas lOirfen ber <£in3elnen fann 3U einer (5efamtleiftung 3ufammengefagt werben, bie (5efamt* I^eit felbft tritt l^anbelnb auf unb bilbet ftdj eine n^ue, foEe!tir>e 5orm ber 5ittlid]feit aus. €s tft nidit I^ier ber 0rt, biefe ^inu^eife 3U »erfolgen;

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es genügt, wenn idi beutltd^ qemadit habe, K?te auf bcm Robert btejcr einem Kulturool! allein angemeffenen (£tl]if aud? eine etl|ifd]e (Srunblegung ber politif, eine 2Iuffaffung ber politif als ^ange» roanbter (gtl^if^ burd^aus möglidi ift.

Dodi nein, eine ^emerhmg barf nid]t unter« brüdt rcerben, benn fie gel^ört 3U unferm (ßegen* ftanbe. ^iefe (£tbif gibt nämlidj nid^t nur allge* mein ben „(5eift", in bem bie politif getrieben iperben foll, unb ift gegen ben 3nl:jalt berfelben gleidjgültig, fonbem fie ergibt aud^ l^ierfür fel^r beftimmte unb ir>id]tige Konfequensen. Das bloge prin3ip ber 5reiE)eit = Autonomie füEjrt 3U ber unab« toeisbaren 5orberung, bag fein ZTTenfd^ einem (ßefefe untermorfen toerben foII, bas er fid] nid^t felbft gegeben, b. Ij. an beffen 5^ftf^^ung er nid^t mit* geiüirft l^at, unb bag nur ein (5efe^, bei bem btes ber 5citt ift/ fittlidj uerpflid^tenbe Kraft I^at. 5ür uns ift bal:jer bie X)emofratie nid^t bIo§ aus toirtfd^aftlidjen unb anbern €rtx)ägungen nottoenbig, fie ift nid^t eine Staatsform tt)ie anbre aud], bie w'ix sufällig gerabe je^t traben unb l^aben woüen, \onbevn fie ift bie Staatsform, bie allein bem Staube unfrer fittlid]en (Entroicflung entfprid^t, fie ift für uns ein etl^ifd^es prin3ip, bas lüir, nadti't>em es einmal ins 33eit)u§tfein ber 2Tfenfd]l^eit getreten ift, niemals roieber aufgeben fönnen unb bürfen, fie ift uns unbebingte fittlid^e pflid^t. 3^^^ Staats-- form, bie [xdi auf bem prin3ip ber 2lutorität auf« baut, ift nid>t nur fd]äblid7 unb unbraud^bar, fonbem ift fittlid^ rücfftänbig. Diefe Demofratie

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ift Tiatürltd^ ber lOille ber (Sefamtl^cit, wcrförpcrt in bcr Znajorität. ^bcr für jtc ergeben fid? nod] tpeitere Befttmmungen aus bemfelben <5runb« cjebanfen. Sie barf nid^t befpotifd^ fein, iinb bie 5reil:jeit bes (£in3elnen r>ernid]ten, ipie es bie an- tifen ^emofratien rielfadj taten, ^ud^ bas Der* tjältnis 3tt)ifd:)en Staat unb 3"^i^^^wwm mu% burd] €tl:jifd]e (ßefidjtspunfte geregelt fein: Der Staat barf bie S^^'^k*^'^^ (Einseinen nur fo toeit he-- fd^ränfen, als es bie 5r^il^ßit ber 2Inbern ober ber ftttlidie Beruf, bie Kulturaufgabe ber (Sefamttjeit verlangt. Die alte (ßrunbforberung bes Ribera« lismus. Unb wexicx: Der Staat mu§ bie 5i^^i* tjeit bes (£in5elnen in foldjen Sdjranfen Ijalten, ba§ bie 5rßil?ßit ber 2lnbern bamit beftet^en fann, bas ift ber Kern alles Sosialismus, ber alfo nidjt eine Hegation, fonbern eine Vertiefung ^)e5 Ciberalismus ift. (£ine Demofratie, toeldie t)ie gröfetmöglid^e S'^^'^k'^'^^ ^^^^ (fon^eit fie eben 3ufammen befteben fann, wenn wivtlxdi afle frei fein follen; im u>iffenfd^aftlid^en 3^i^^9<5"* ^'^^ fjöd?ftma§ foepftibler ^i^ettjeit) unb bie I^ödjfte Kulturleiftung ber (Sefamtbeit ftd^ert, bas u?äre bas politifd^e 3beal, bas fid? unmittelbar aus ber Kantifd^en (5runblegung ber €tl^if ergibt. lOie ^as nun 3U ueru^irflid^en ift unb u?ie im einseinen 5aIIe feine äugere (£rfd]einung ift, bas lägt fid^ nidjt im allgemeinen beftimmen, es ift gar nidjt fidjer, ob bie Hepublif bafür ftets geeigneter ift als bie UTonardjie, unb ift Sadje ber poli* tifdjen Ced^nif.

9*

3(32

3.

<£s tüirb nicmanb entgangen fein, bag bie politifdie (ßninbauffaffung, bie id? ijier entmidelt I^abe, genau btefelbe ift, bte Haumann Dertrttt unb in grünblid^fter X>urd:?füüjrung foeben in ber britten neubearbeiteten Auflage von „X)emofratie unb Kaifertum" üorgetragen I^at. (£r I^at niemals ben etl^ifd^en Untergrunb aller politif r>erfannt. Hun rpiffen u?ir, ipeld^er 2Irt biefe (StE^if ift unb bag; fie nid]t nur für einen Ceil bes ZHenfd^enlebens, fonbern bag fie für bas (Sanse gilt. XOir u?iffen aud], bag es fid] nidjt um eine beliebige ober abfeitige (£tl]if I^anbelt, fonbern um bie, voov'm bie fdjöpferifdie ^eit ber mobernen beutfdjen Bilbung 5unt ^erpu^tfein itjres tiefften XPefens gefomnten ift, bie bis jefet bie l^ödjfte Stufe bes 5elbftbeu>u§t* feins ber IlTenfd^l^eit überl^aupt ift. IPätjrenb er lange mit I^ei^em ^emüijn, bas bann bod] rser» lorne £iebesmül:je voav, t:>anadi gerungen l]at, Hadifolger 2e\u ju fein, aud) in ber politif, ift er in XPal^rl^eit längft 3ünger Kants geu>efen.

(5an3 ätjnlid? rt>ar es in ber Heligion. ^ud> ba ift er im (5runbe gans mobern, fou)otjI mit allen eigenen, pofttiüen, aufbauenben (5ebanfen, voie mit ben (ßrunbridjtungen feines (Empftnbens,. bem Haturgefül^I, bem Hationalgefül]!, ber fosialen (ßefinnung, bem l^iftorifd]en Sinne ufu?. 2lber er merf t es felbft nid^t, wie mobern er ift, weil ein tief inneres, mäditiges pietätsgefül^I il]n Ijinbert, bie alten füllen absuftreifen. (£r rerfud^t es, ben

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■neuen, gäbrenben llToft in bie alten Sdjläud^e 511 gießen, bie babei bod? an allen (£nben ^erpla^en.

Naumann felbft ift ]\<h biefer ^rütefpälttgfett ^uvdiaus bewußt, aber er bält {te für notcoenbig unb fud^t fie tbeoretifd? 3U red^tfertigen. (£r fpridit ^ern unb oft uom (£rbe ber 2ll:>nen. bas u?tr in uns tragen, t>on unfrer (Sebunbenbeit burdj bie Pergangenl^eit unb burd^ bie Perliältniffe, beren probuft w'xv finb; baß unfre S^it eine Übergangs^ seit ift, unb baß voiv batjer Stüde r>erfdjiebener IDelten in uns vereinigen. Das ifl natürlid") burdv aus rid^tig, nur Iiinbert es nid^t (was itjm eben« fomobl beu?ugt ift), ba§ ein orbentlid^er Kerl tro^ allem Zwange ber Dergangentjeit ein ZTeues unb Eigenes tx?irb ; unb bie ftttlid^e potens eines 2Tienfdien ipirb ftd^ nisiit 3um menigften barin seigen, toie grünblidi bie bifparaten (Elemente in il:jm 3U einem befonberen unb eintjeitlid^en IDefen 3ufammen' gefd]mol3en finb. 23ei Naumann felbp ift bies im J^ödiftcn (Srabe ber 5<iÜ unb )o braud^t er für fidi biefe €ntfd]ulbigung eines Übergangstvpus qew\% nid')t. (£r ift fo gan3 unb fo mobern, u?ie nur einer. 3" äjllietifdjer Be3iel^ung ift er es t?on Einfang an, ba n?ar er burd^ feine Crabition beeinflußt. 3" ^^1^ politif u?ar er anfangs mit allerlei unmobernen Dorftellungen belaftet, aber ba hßt er mit unnad^fid^tiger Strenge alles ausgetilgt, toas ben einl^eitlid^en, feftgefügten unb frvftallflaren ^au feines IPeltbilbes ftören fönnte. Hur in ber religtös-ettjii'd^en Spbäre, tool^in fidj nidjt bie ooUe XPudit feines Denfens u?erfen fonnte, ifl es im

(Srunbc aud] mdit anbers. ^ud] ba ift bcr Kern burd]au5 mobern, pcrfönltd?, einftimmig. Huv finb einselne Stücfe ber alten fjülle an itjm I^ängen ge* blieben, bie, bei feiner unbebincjten IDatirl^aftigfeit gegen ftd? felbft, feinen Sd^aben ftiften, als bag fte eben bie (£inl:jeitlid?feit bes Kernes r>erbecfen, bie aber freilid^ aud] feine fadjlid^e ^ered^tigung iinb objeftiüe (Geltung meljr i^aben.

Don liier roerfen roir einen flüd]tigen ^licE 5urücf.

Don ber Heligion ift Haumann ausgegangen. Sein (El^riftentum E^atte il^n 5ur poIitifd]en lOirf* famfeit IjingefüE^rt. 2lber nad^bem biefe einmal angefangen tt?ar, madjte fie itjre Hed]te geltenb unb folgte iBjren eignen immanenten (5efe^en. (£s fpielt ftdj E^ier ber für alle Kulturfd^öpfung typifd^e Dorgang ab : bie 53eu?egung tpäd^ft aus ber Heligion I^eraus, ber gemeinfamen ZHutter aller Sdjaffens» arten; aber je meljr fie erftarft unb felbftänbig rpirb, um fo mel:|r tritt bies religiöfe Clement surücf unb es üerfdjupinbet, fobalb fie fid? 3U il:|rer voüen Heife ausgeu?ad]fen ^atA) Das ift ber <£ntvoid' lungsgang, ben Haumann felbft in einent feiner frül^eften ^uffä^e an ber ^nmxn 2Tii(fion aufge* ujiefen Ijat. (5. oben 5. <£r trifft aber genau fo gut bei feiner eignen (£ntn?idlung 3U; unb gerabe I|ier finb bie brei Stabien feljr beutlidj gefd]ieben: bie erfte ^eit, wo ber Drang nad? fosialem IPirfen

^) V^l irtoberne Heligion S. uff«

1^5

fid) unb fein ctgcntlid^cs IDcfcn nod? nid?t gefunden iiat imb ftd? in rcitgiöfcn formen (Scnüge 311 tun fud]t: Kaumann als paftor unb im X)icnftc bcr 3nnern 2TIiffton. Dann bie politif, bic bereits itircm eignen (5efe^ folgt, aber jtd^ nodj md?t aus bem ^annfreife religiöfer Dorftellungen losgemad^t unb ben TXlut gefunben I^at, gans auf ftd^ felbft 3U ftel^en: Haumann als <IE>riftIid]fo5iaIer. Dann bie reine politif, bie fid^ gan3 als fold^e gibt: Hau* mann als Hationalfosialer.

Beim einseinen ZTÜenfd^en lä^t fid] bie Sadje aud] fo ausbrücfen: Ellies (Sroge unb (£dite ent» fpringt aus bem (Sefübl unb l]at in ber Ciefe bes (5emüts feine lOurseln. Hid^ts (Kroges entftebt nur aus bem Perftanbe. ^ber bamit etwas (5ro§es 3uftanbe fomme, mug bie Beipegung nid^t im Stabium bes unflaren, ipogenben (Sefül^Is ftccfen bleiben, fonbern biefes mug in flare (Sebanfen, in bett)ugte5 IDoUen unb in Caten umgefe^t werben. 3n ben erften 5d]riften Haumanns fommt bas (Sefül^l felbft, nid^t nur in d]riftlid|er €infleibung, fonbern aud] als jugenblid] überfd^äumenbe Be* geifterimg für bie Sad^e, oft mädjtig unb ergreifenb 3U IDorte. 2lber baneben liegt fd^on l^ier bie an» geftrengtefte (5ebanfenarbeit unb, merftpürbig ge* nug, fogar bas flare Bewugtfein r>on ber ZloU roenbigfeit biefer (£nttt)icflung felbft. Später, 3iem* lid^ balb, ift biefe (Sefüt^Isfpradje r>erftummt unb es fprid?t nur nod] bie flare, nüd^terne 5ad|Iid]feit unb bie ftrenge, unerbittlid^e Cogif. Unb nur ber lOiffenbe al^nt, xvcldie ^ülle imb (5Iut unb Kraft

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^)C5 fjerscns fidi ijmter btefen feften, ujol^Igefügten (5ebäuben t>on Catfadjcn unb (5rünbcn verbirgt Das (El:|riftentum fdjeibet alfo aus Xlaumanns politifdjem (Scbanfcnf reife aus, unb an feine Stelle tritt ein neuer, fpesiftfd? politifd^er 5ciftor, ber Zta^ tionalismus, ber Staatsgebanfe. Damit üoüenbet ftd? ber politifer Haumann. XDie man über biefe IDanblung, biefe ent\diei'^enbe Krifis in feiner €nt^ u>icflung ben!t, bas entfd^eibet andi über bte IDer* tung Haumanns. £iegt eine organifdie IDeiter» cntu>icflung ober ein Brud] vov? 3ft Haumann, als er bie Kan$el oerlieg, feinem urfprünglid^en Berufe untreu getporben ober I^at er erft je^t feinen u)atjren Beruf gefunben? 3d^ i^offe, es ift mir gelungen nad]3uu?eifen, ba§ biefe <£ntu?icf* lung in äugerer u?ie in innerer fjinfid^t, fad^Iid-) u?ie pfydjologifd?, notmenbig unb folgerid^tig war, Wiv rpollen fie aber nod] oon einer anbevn Seite betxaditen,

ZXaumann I^at bas (El^riftentum in ber IutB>e= rifd^en (Seftalt über!ommen. Der Porsug unb ;^ortfd)ritt bes lutl^erif d^en (Ibriftentums ift bie Öberipinbung ber XPeltfludjt unb l0eltv)erad]tung unb 3tDeitens bie Uberipinbung ber Ctjeorie r>on ben guten lOerfen unb ber fafuiftifdjen ^erfplitte* rung bes ftttlidjen Gehens, 2Infä^e, bie eben in ber Kantifd]en €tl^if 3ur sollen €ntfaltung Jommen. Cutl^er mad^t (£rnft mit bem paulinifd]en Sa^e, ba§ all unfer Cun sur <£bje (ßottes ge^ fd^el^en, alfo ein (Sottesbienft fein foU. IPir bienen (Sott nid^t allein burd? Beten unb lPer!e ber Barm--

Ijersigfcit, fonbern wiv dienert ifyn audb un^ vor allem, inbem vo'iv treu unb cjeipiffenbaft ben pla^ ausfüllen, auf ben er uns geftellt bat, unb tun, toosu er uns berufen bat. Dag Naumanns ^e= ruf bie polittfd^ organifatorifd^e Cätigfeit ift, bat ber CrfoIg geseilt; inbem er ibr feine ganse l^raft u?ibmet, bient er (Sott auf feine IPeife.

Unb biejer Beruf ift bei ibm nidjt etroas S^- fälliges ; er bängt innig mit feiner 5römmigfeit 5u= fammen. Das religiöfe (Sefübl 5eigt mand^erlei Färbungen imb Huancen. Die befonbere Hote Naumanns ift bie fosiale (Empftnbung, bas (Se= metufd^aftsgefübl. llüe Zllenfd^en fmb trüber, ^um Dienft unfrer Brüber finb u?ir beftimmt unb für fie r>erantu?ortIidi. Die Betätigung biefer (5e= meinfd)aft in ber Ciebe ift ber Sinn bes 2nen]d^en> lebens. Von bier aus fann man 3ur IDobltätig^ feit unb 5ur 3"'^^i^" 2ni)'fton fommen, ober man gelangt 3U ben urd^riftlid]en unb Colftoif d)en 2hu fd]auungen. Der v£in5elne u?irb barin feinen ^n^ben ftnben; eine u?irflid^e Überu?inbung ber IPelt ift fo nidjt möglid). Die fann nur gelingen, inbem man in ber IPelt bie formen bes (Semeinid-jafts^ lebens I^erftellt, lueldie biefem (Seifte ber Ciebe ent= fpred^en, ober inbem man bie be\teben'^en 5ornten in biefem Sinne um= unb ausgeftaltet. €s ift ber «igentlid^e 3nl>alt bes politifd^en »Iims. Die politif ifi bie Ijödifte unb gemägefte 5orm ber Betätigung ber eigentümlid-jen Heligiofität Haumanns.

Diefer religiöfe Untergrunb ift in Hamnanns politifdjer Cätigfeit äugerlid^ nirgenbs ftdjtbar unb

\öS

beeinflußt fte niemals int (Einjelnen. (£r I^at ben paftor grünblid^ ausgesogen unb benft unb I^an* belt rein politifd^. (ßerabe bie Konfequens unb <5rünblid]feit feiner Uma)anblung tft bas Siegel feiner (ßröße. 2tber es ift bod) aud] für ben po* litifer nid]t belanglos, ba§ er ein tief religiöfer nTenfdj ift; er roirb bestiegen nidit ein befferer unb hxaudit nidjt ein fd]Ied]terer politifer 3U fein, aber er rpirb bie politif in anberm (5eifte betreiben, wenn er fte als (5ottesbienft anfiel:jt. (£r u?irb nid>t in (5efaJ^r fein, bie politif jemals 5um blogen fjanbiperf, 3U einer Ced?nif I^erabsutPÜrbigen unb bie ZTTenfd^en als bloßes ZlTaterial für feine (Se* fd^icflid]feit unb Kombinationsluft ansufeljen. Venn er ipirb nie r>ergeffen, bag bie politif eben 3um X)ienft biefer ZHenf d]en gefd]affen ift, baß bas XX)oB|I biefer 2Henfd?en ober rielmetjr bie (Sefunb» Ijeit ber fosialen (Drbnungen, bie X>eru?irflidning ber Ciebe in ben formen bes ^ufammenlebens bas eigentlid^e ^iel feiner Otigfeit ift, nidjt ein oirtuofes Spiel, nidjt ein abftraft, oB^ne Hütffid^t auf bie ITTenfdjen gebadeter Staatsbegriff, (£r rr>irb aud^ nidjt basu fommen, einem fleinen, perfönlid^en ober partei=(£rfoIge bas 2^iexe\\e bes (Jansen unb ber Sadie, in beren ^ienft er ftel:|t, 3U opfern, wie wix es wolii bei an^exn parteifüEjrern erlebt i^aben.

^amit finb wix 3U einer allgemeinen (Zhiaxat-- teriftif Haumanns gefommen, bie r>om 3"^^^^^ feines politifdjen ^enfens unb Cuns unabl^ängig ift. IDir laffen es Ijier bat^ingeftellt, ob biefes

ridjtig ift ober nid^t; aber bas mug gefagt roerben: wären feine fämtlidjen 3been falfd], tDäre feine ganse Hid-jtung ein 3rrix)eg, er J^at ftd? bod] burd^ bie ^rt, u?ie er feine politif betreibt, ein Perbienft um unfer öffentlid]e5 Ceben eru?orben, bas man gar nid^t 5U ^od] fdjäfeen unb bas ifyn fein er^ bittertfter (5egner nid]t beftreiten fann. Die all' gemeine politifd^e Ceilnal^mslofigfeit ber (ßebilbeten berul^t bod] nid^t lebiglid] auf Stumpffinn un^ ZlTangel an 3ntereffe, fonbern aud^ auf ber 2lnfid)t, ba§ bie politi! ein fd^mufeiges (Semerbe fei, mit bem man fid? nid^t bef äffen mag, um ftd^ nid]t bie fjänbe 3U befubeln. Das ift leiber 3um Ceit u>al7r. ^reilid] nur eine I^albe IPal^rt^eit; benn es ift eben 5um Ceil gerabe besupegen fo, u?eil bie feineren unb r>ornel^meren (Elemente fidj r>om politifdjen Ceben fernl:jalten unb es allerlei Strebern unb Demagogen unb su^eifell^afteti <£p\ienien überlaffen. (Serabe anbre parteigrünbungen ber legten S<^it i}abcn bie Demoralifierung unfers öffent* lidjen Gebens in erfd^recfenbem ZlJa^c geförbert. Dag l^ier ein TXiann aufgeftanben ift, bem bie politif nid^t im ^afd^en nadi fleinen felbftfüd)» tigen Sonberoorteilen aufgeijt, fonbern bem bas 3ntereffe bes Dolfsgansen oberfte ZlTa^rime ift, ber bie Catfad^en nid^t nadi feinen Steden aus» wähilt unb suredjtftu^t, fonbern bas ganse ZlTaterial mit üoUfter 0bjeftir>ität erforfd^t, ber nid^t nad| parteitaftifdjen, fonbern allein nad] fad^Iid^en (5rün* ben entfd]eibet, ber audj bem (Segner nid]t mit grunbfäfelid^er Perftänbnislofigfeit ober Perleum*

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^iing, begegnet, fonbern audi in öer polemtf ftrengfte (SeredHigfeit unb Pomet>mbeit voab^xt; xinb ba§ biefer llTann eine ganse poIitifd>e (5ruppe in ber gleidien (5eftnnung nadi ftcb sielet, bas ift ein Derbienft, roofür bas gefamte beutfd^e Polf -Ztaumann banfen roirb, loenn es politifd? münbig .getüorben ift.

Fünftes Kapitel.

Rational Kozial liberal.

\, ^ismarcfs (£rbe. 3dj glaube nun allcrbings nid]t, ba^ u?ir bcn poHtifcr rtaumann nur wegen biefer allgemein ctt|ifd?ert unb formalen Qualitäten 5u fd^ä^en baben, fonbern \d\ bin audi mit ben 2lnfd]auungen, bie er vertritt, burdiaus einperftanben, unb febe in. iljnen feine größte imb u?ertüolIfte Ceiftung, wo-- gegen alles 2lnbre, für bas u?ir ifyu fonft Dant fd^ulbig finb, bod] als Hebenfad^e imb ^eiu?erf erfd]eint. (£s fann mir nun nidjt in ben Sinn fommen, biefe nationalfosiale (55ebanfenu?elt tycv im (£in3elnen 5U entu?icfeln ober 3U r>erteibigen. Sie ift allen, bie überl^aupt Don Haumann tpiffen,. genügenb befannt ober bod-} in feinen öüd-jerni) unb Vorträgen leid^ 5ugänglid]. ZTTit biefen 3U loetteifern ober il^r Stubium entbel|rlid] 3U mad^en,

') Dcmofratie unb Kaifcrtmn. €in f^anbbud? für innere politif. \c}00 Dritte neubearb. (billige) llxxfia^e foeben erfd^ienen. Zleubeutfdje lDirtfd?aftspoIitif. 1^02. (lleubearb. für bas näc^ftc 3^^!^* üerfprocijen.) (für Sie ficineren Sdjriften rgl. bie ^iblioarapl^ie am Sdilug. bcs „naumanmBudjs."

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liegt rocber in meinen Kräften nod^ in meiner 2lbfid?t. Sie ftnb bie I^oB^e 5d]ule bes politif d^en ^enfens, xinb niemanb, ber I^ier mitreben toill, follte ftd] eine ^rünblidje Befd]äftigung bamit erfparen. 2lber felbft bem politifd] »weniger 3"tereffierten ipirb ber ipeite fjorisont unb umfpannenbe 3Iicf, ber granbiofe XOirflidjfeitsfinn iinb bie nüdjterne Sadjiidjfeit, bie fid^ J^ier mit bem feinften unb tiefften Sinn für ^ie „3mponberabiIien/' für bie Seele ber ^inge unb bie Xüädite bes menfd^lidjen (Semüts part, ^)ie Kon[equen5, Cogif unb (Sefd^IoffenBjeit feiner ^eiüeife unb bie burd)ftd|tige Klarl^eit unb leben» ^>ige ;$rifdje feiner ^arftellung einen feltenen (5e* nug Qewä\;]xen, Sie ftnb eine unrergleid^lid^e -geiftige X>i53iplin, erquicFenb unb ftärfenb wie ein Staiilhab ober bie £uft ber ^erge an einem Haren fjerbftmorgen.

^ber eben roegen biefer 23ebeutung fann \di <3U5 einem Budje, bas meine 2Iuffaffung imb 53e= urteilung Haumanns bartun foll, feine politifd^en 2Irbeiten nid]t ausf daliegen, ^d} roerbe bal^er bie fjauptbegriffe, bie (£cffteine, bie ben ftol5en Bau tragen, beleud]ten unb il^re <3ufammenl^änge auf» 3eigen, inbem id) nod] mel^r als bi5l:|er alles Detail Beifeite laffe.

3eber, ber fid? J^eute mit beutfdjer politif befd^äftigt, Ijat fid^ 3unäd?ft mit bem ZlTanne aus* «inanber5ufe^en, ber ein 2Tüenfd?enaIter t^inburd? ^)ie bel:jerrfdienbe (Seftalt auf bem politifd^en Sd]au« pla^e nid)t nur Deutfd^Ianbs, fonbern (Europas lüar.

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Hnb iwat f ommt 23 t s ni a r cf für jcbert Spätem in 3u?icfad|cr fjmfid]t in 53ctrad]t: als Doraus* fc^ung unb als Dorbilb. Tils Dorausfc^ung: faft alle politifdjcn €innd^tunacn unb Derbältniffe, mit bencn toit l^eutc in X)cutfd]Ianb 3U tun blähen, finb fein Wext, unb wenn wiv fie üerftel:jen u?oIIen, fo müffen u>ir uns vot allem flar mad^en, u?as fie im Sinne unb (Seifte iJ:jre5 Sd^öpfers u?aren. lOir müffen in ^ismarcfs (Sebanfentoelt 5U fjaufe fein, um bie ^ufammenl^änge 3U überfeinen unb bie <5ebanfen ba u^eiter 3U benfen, wo er fie fallen gelaffen tjat. Unb als Dorbilb: er ift ber politifd^ (£r3iel]er bes beutfd^en Dolfes gemorben. (£r l:jat uns burd^ bie mud^tige Spradie ber tEat* fad]en unb 3ulet5t burd"? bas Selbftbefenntnis ber ^(öebanfen imb Erinnerungen" geleiert, u?a5 politif ift unb was fie verlangt. €r l^at ein Volt von 3beologen 3um nüd^ternen Healismus er3ogen, er l^at ims ben Hefpeft r>or allgemeinen Cl^eorien abgemöljnt unb bie fjerrfd^aft ber pljrafe ge= Brodten, burd? il^n wi\\en wiv, bag man in ber politif mit XPünf d^n unb etljif d?en ^orberungen gar nidjts erreid^t, fonbern nur mit ZTTadjt unb ber entfd]loffenen imb umfid^tigen 2lnu)enbung ber TXiadit, bag alle politif sunäd^ft eine ZTTaditfrage, ein Kampf realer Kräfte ift. ^ei niemanb merft man bie tief umgeftaltenbe (Sinmirfung ^tsmarcfs t>eutlidiev als bei Naumann, gerabe u?eil bei tbm eine totale iPanblung erfolgt ift, eine IDanblung, bie allerbings bei il^m innere Hotu?enbtgfeit unb in ber ^an3en €ntn?icflungsridntung feines DmUns von

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voxnlieve'm angelegt voav. Unb niemanb l^at nadj* brücf lieber unb imermüblidjer auf biefe ^ebeuhmg Bismarcfs l^ingerütefeni), unb baburd? wie burd^ fein eignes IDirfen biefe (£r3ieB|ung5arbeit fortgefe^t. Haumann ift ber größte Sd^üler ^ismarcfs unb ber größte (£r3iel:jer unferes Dolfes nad\ itjm.

Der roal^re 3ünger ift aber nid^t, u?er getreu* lid? auf bes DTeifters XPorte \d]w'6vt unb ibm alles- nad]3umad]en beftrebt ift, fonbern wex feine eigen* tümlid]e 2(ufgabe im (Seifte unb in ber Kraft bes 2TCeifters erfüllt. Denn bas c5\^l aller edjten <£r* Sietjung ift bie 5elbftänbigfeit bes Sd^ülers. 3^ I]ötier u^ir alfo Bismard gerabe als politif d'jen (Ersieljer fd]ä^en, um fo entfd^iebener müffen voit es ableEjnen, bie ein3elnen 2In[d)auungen, ^Tla^imen, fjanblungen unb Cenbensen Bismards 3ur imuer* brüdjlid]en Hid]tfd]nur für alle politifer nad) iB^nt 5u madjen imb alles, u?as von ifyn abu?eid]t, nur besiüegen 3U tabeln. (£ine fflapifd'je Had^al^mung feines Derl^altens voäxe nielmebr bie ben!bar un^ glüdlid)fte 2Irt ber Hadifolge.

Denn erftens: bie gro§e 2lufgabe, bie Bis* mard oblag, ift von il|m erfüllt: bas beutfdje Heidr ift gegrünbet. Unb tx>enn aud^ bie (£rl)altung bes (Sefd^affenen beftänbig biefelben Cugenben von :Deutfd]Ianbs Ceitern forbert, rooburd? es gefd^affert ift: militärifd^e Cüd";tigfeit unb Sd^Iagfertigfeit unb eine umfid^tige, fefte Ceitung ber biplomatifd^en

0 €ine ausgeßcid^nctc tPürbigung ^ismarcfs ent^ ll'dli bereits ber ^ jabrg. ber „i^ilfe" ; fie ftetjt aud? im iXavimann--'Bu(b {XXx. ^0}.

"^e^kfymqen, ein Programm bcutfdier (Befamt^ politif ergibt ftd^ daraus nid^t. ^ud] eine Vev-- »oUftänbigimg bes bcutfd^cn Hcid^es fommt als möglid^es politifdjes ^icl für bic (Segcnroart nid^t in Betrad^jt, Vxelmehy voixb es jtd^ nun sunäd^ft um bic innere ^inrid^tung unb rDobnIid->e 2Ui5- geftaltung bes fjaufes Ijanbeln, bas uns ^ismarcf gebaut hßt 2Iuf einen gans von ber äußern politif bel^errfd>ten Zeitraum folgt ein anbrer, ber roefentlidi von innern 2lngelegenbeiten ausge* füüt ift.

5erner bat aud) bie größte Begabung ibre (Srenjen. Unb gans große Ceiftungen in einer Hid^tung u?erben nid^t feiten nur burd] eine ftarfe (£infeitig!eit ermöglid"!t, u?obei anbre Einlagen unb Calente nid^t 5ur (Entfaltung fommen. Unb felbft xoenn bie politif d-je Jntelligens eines Staatsmannes burd^ feine Sdiranfen beengt u^äre, bas Bebürfnis bes praftifd^en £>anbelns u?irb ibn bod] 5ur Be= fdjränfung jroingen. 3" ^^"^ ungeEjeuer fompli» Sierten unb fd>iüierigen Spiele ber politifd^en Kräfte ift es unmöglid], ein ^iel 3U erreid^en, u?enn man ntd^t anbre, ebenfalls erftrebensu^erte, einftmeilen beifeite lägt. (£ine (£in)eitigfeit, bie bei Bismarcf, fei es aus Begrenstl^eit bes Calents, fei es aus ^ttjang ber Üerl^ältniffe, notu?enbig unb für feine 2T[iffion beilfam wax, u?ürbe bei jebem anbem, ber fein beutfd^es Heid? 5U grünben bat, unent» fd]ulbbar unb itjrc 5ortfe^ung für X>eutfd?lanbs <5efd7icf r»erl?ängnisr>oll fein. Unb fo geu?ig jeber, ber fxd? nad> Bismarcf mit beutfd^er politif he*

£}. meyrr: ^rbr. nanmann.

m -

Bcfd>äftigt, fid] nid]t baoon bifpenficren fann, näcbfi einmal 'B'ismavds (Sekanten burch= imb nad>5ubcnfcn, fo geupig tpirb feine fjauptauf gäbe bie fein, fie ba ipeiter 3U benfen, ipo "Sismaxd auf= gebort l>at.

(Snblid^ bie «^eit unb bie Perl>ältniffe änbem ftd^ unb jebe neue Seit [teilt neue ^tufgaben. VO'it ftet^en im 3aBjre 1(9^^ 9<^"5 «inbern Problemen, als Bismarcf \862 ober 1(870. 2lIIein burd^ bie (5rünbung bes neuen Heid^es felbft ift bie politifd^e Situation nad^ äugen ujie nad} innen üollftänbig vev\diohen. Unb rpieüiel ift feitbem anbers ge= ujorbenl Wenn voit uns biefen neuen Aufgaben 5uit)enben, fo ift es babei üöllig gleidjgültig, roie-- tpeit Bismarcf fie nod? perftanben, unb u?eld?e Stellung er 5U il)nen eingenommen I:jat. €5 ift von il^m geroig nidit 3U »erlangen unb nid^t ein» mal 3u erwarten, bag er ben 2lnforberungen ber neuen ^ext, bie er bodj felbft I:>eraufgefüt|rt I:|at, ebenfogut i>ätte geredet toerben fönnen u?ie ber 2lufgabe, bie il^m üon ber (Generation üor itjm als I>öd]ftes <3iel beutfd^en Sel^nens überliefert roar.

^ismarcfs unr>ergänglid?fte Cat ift eine Sd^öpf= ung ber äugern politif. IDas er uns mit ber <£inigung X)eutfd|Ianbs gegeben Bjat, fönnen roir gar nidjt l>od^ genug fd^ä^en, unb n'idits, was voit fonft etwa gegen ibn haben, barf uns ben X>anf t>afü.v minbem. X>as beutfd^e Heid^ ift Poraus» fe^ung für alle roeitere (£ntu?icflung, für ben materiellen 2luffdju?ung, für bas Steigen unfrer

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Vfiadit unb unfres ^tnfetjcns, für jcbcn politifd^cn 5ortfcl]ritt, für bie gansc (£nttt)i(flung unfrer inncrn Derl^ältntffe. Dicfes Heid] unr>crle^t unb in DoUcr Kraft 5U ert^altcn, mug bie crfte Sorge bcr beutfd^cn politif fein, ^ber felbft l^ier, wo Bismarcf bas fjöd]fte crrcid]t Ejat, was nadi £age bcr Dinge möglid] wav, genügt es nid>t, bas (5eir>onnene 311 beE^aupten. 2ludj Ijier ift eine XPeiterentipicflung noti^enbig.

Denn erftens I^at fid] ber tueltpolitif d^e 2lfpeft feit \870 grünblid^ geänbert. Damals lüar ber politifd^e fjorisont ipefentlid] auf Europa befd]rän!t unb bas (5Ieid]getüid)t ber europaifd^en (5ro§mäd]te ber Ceitftern ber Diplomatie. 5ür Deutfdjianb felbft I^ieg bie fjauptaufgabe: 5id]e» rmtg gegen einen fran3Öfifd|en Keuand^efrieg. legten ZHenfd^enalter Iiat fid^ 3um erften Xüale eine IPeltpoIitif im i?oIIen Sinne l^erausgebilbet. Der alte (Segenfa^ i^at feine ^ebeutung verloren. 2(n* ftatt beffen finb u>ir eingeflemmt 3tr>ifd"jen ^wei Heidje r>on einer ^lusbel^nimg unb ZTlad^tfüIIe, wie fie feine früE^ere ^eit gefannt I^at, unb ber Kampf biefer llTäd^te lun bie fjerrfdjaft über bie €rbe ift ber 3nlialt bes fommenben Zeitalters. biefer Konfteltation u?ürbe audj bie erfte blog europäifd^e (5rogmadjt 3U einer lDeItmad]t 3ir>eiten Hanges I^erabfinfen, unb ein Stillftanb, ein bloges 'Qe-- t^arren u?ürbe Hürffd^ritt bebeuten neben bem un* geftümen Poripärtsbrängen unfrer Hiualen. (£s gilt alfo ein 2lufraffen 3U iveiterer (£j:panfton, eine neue Kraftanfpannung, bie uns in ben Stanb fe^t^

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in ben VOetthcwexh mit €ncjlanb, Hu§Ianb, Horb» amevifa c'miutxcten unb neben il^nen eine unab* l^ängige Stellung auf ber (£rbe 3u bel^aupten. 2)a es fid^ babei sumeift um überfeeifd'je ^esiel^uncjen ijanbelt, fo toerben u?ir neben bem CanbBjeer eine ftarf e Seemadit [d^affen muffen. Cuu xvxt bas nidjt, fo u>ürben xoiv fou?ol)I unfre Selbftänbigfeit u)ie imfre roirtfdjaftlidie <£ntu)idlung bem guten IPillen unfrer 2TJitbeu>erber anoertrauen unb (elbft bie ^ufunft unfrer nationalen (£fiften3 gefät^rben.

X>er anbre 5<3^tor, ber unfre politi! beftimmen mu§, ift bas ftarfe unb ftetige XPad^stum ber VoUsialil rOir finb feit \8S0 von ^5 auf 60 2T{iIIionen angewadi^en imb ttad) roeiteren 25 3al7ren roirb Deutfdilanb etu?a 80 Millionen <£inwohnev Ijaben (Demo!ratie unb Kaifertum 5. 20). Sdion je^t finb es metjr, als unfer Boben ernätjren fann. XDir finb alfo aus einem (Setreibe ausfül^renben ein (Betreibe einfül^renbes Canb geu)orben. 5ür einen Ceil ber tjeutigen Betuobner X)eutfd'!lanbs unb für ben gefamten ^uu^adjs, ben bie ^ufunft bringen u?irb, muffen bie Cebensmittel aus bem 2luslanbe fommen imb mit anbem lOaren, bie natürlid] nur 3nbuftrieer3eugniffe fein fönnen, besalilt lüerben. IDir braudjen alfo 3^P<^'^t (£rport, Ceilnatjme am IPeltlianbel unb lOelt^ vcxU^v, unb 3um 5d)u^e besfelben toieberum eine 5Iotte. Unb wit hvaixdien eine fräftige (£ntipicflung ber 3nbuftrie, bie allein unfre SJusful^r beftreiten unb unfren Seüölferungsüberfd?u§ aufnel:jmen fann. 2lIIe tl]eoretifdiert (Erörterungen über bie Dor3Üge

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^es ^Igrar* unb bes 3nbuftrieftaat5 finb für ixns olinc Bct)eutung. 'Denn nur ein ftets ix>ad]fenber 3nbuftrtali5mu5 fann unfcrm Volte Brot fd^ajfen.

Duxdi bicfcs beibcs ift bcr beutfd^en politif ^)ie Hiditung t>orge3eid]nct : IDcItpoIttif unb 3^^= ^)uftnalt5mu5. Bcbincjung für heiles ift bie 5Iottc; ftc ift bas 5^Ib3eid]cn für bic neubeutfd^c aus» ix?ärtigc politif. 23cbingung für bcibes ift ipciter* I^in ^rciJ^cinbcI besw. fjanbelsoertragsfyftem. ^odv fdju^5ÖIIe unb gcf d]Iof| cner ^anbelsftaat" fmb eine Unmöglid^feit für ein Voif, bcffcn Brot in Huglanb iinb Argentinien u?äd]ft.

Auf bem (ßebiete ber innern politif ift Bi5mar<f nid]t ebenfo erfolgreid) geu?efen. Audj tjier t>anUn toix ifyn freilidj ein (5efd^enf, bas für uns Don unfd^ä^barem Heerte unb bas 5wnbament imfrer gefamten innern Cage ift: bas allgemeine, gleid^e unb birefte Heid]stagsu?al^Ired^t. 3"^^fK"/ €s ift befannt, bag Bismar^ es gleid]fam sufäüig unb ob^ne bie DoIIe (£infidjt in feine «Tragioeite gegeben l^at {(SebanUn unb <£v\nn. II, 5. 58). Hm fo mel:|r ift es natürlid] für uns, bie wit roiffen, u?as wxv bavan traben, unbebingte pflid^t, t»iefes pallabium unfrer Polfsred^te unb Dolfs* freil^eit mit allen Kräften ju bel^aupten.

ÜberBjaupt leibet Bismarcfs innere politif t)arunter, bag er fte 5umeift unter bem (5efxd]ts» punft ber äußeren politif betxaditet unb fidj burd] 2^ücffid^ten auf biefe l]at beftimmen laffen (5. 5. B. <Seb. u. (£rinn. II, 53. 56. 68). X)ie innere politif

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ift aber eine 511 geiüidittge imb fd]ix?terige 5ad]e^ als ba§ man fie ol^ne (ßefal^r anbern 3ntereffen unterorbnen, als UTittel ju fremden ^tüecfert be* treiben bürfte. ^ismarcf lägt Jjier 3uipeilen ge* rabe bie ^ugen^en »ermiffen, bie fonft feine Di' plomatie in fo J)oI:jem (Srabe ausseid^nen : bie S^i^' fül^Ii^feit für Stimmungen, für geiftige 5<3ftoren, für „3mponberabiIien*, bie ^eredjnung aller 2TTöcj* Iid]feiten unb «Eoentualitäten^ bie Befonnenl^eit, bie mitten im Kampfe fd^on ben 5nßben r>orbe* reitet ; bafür jeigt er eine Heigung 3U (Semaltpolitif unb UnterbrücPung, bie nur aus bem geringem 3ntereffe, bas er biefer gan3en 21Taterie fd]enfte, 3U begreifen ift.

ZUan ^at ix>eber bas Hedjt, Bismarck einen 3unfer 3U fd^elten, nod^ feine politif als !onfer= »atio 3u be3eid]nen. 2lber man fann bodi aud) nid^t leugnen, ba§ feine erften (Sinbrücfe, bie feine IDeltauffaffung beftimmten unb bie burd^ feine fpätern €rfal^rungen gan3 ausgelöfd^t u^erben fonnten, aus ber lOelt ber oftelbifd^en Hittergüter ftammten; unb bag er fid? gegen (£nbe feines Cebens immer meEjr ben KonferDatiuen nät^erte, tro^ ber geEjäffigen, maglofen ^nfeinbung, bie er gerabe aus il^ren Kreifen erfal^ren I^atte. Cat* fäd^Iid] finb bie fpätern großen IDenbungen feiner politif 3umeift il^nen 3ugute ge!ommen. Das „Kartell" J^at itjre 21Tad?tfteIIung gef eftigt imb ben größten Ceil bes eE^emaligen Ciberalismus 3U einer 2)epenben3 von il^nen gemad^t. X>ie HücFfel^r 3um 5d]u^3oII biente ausfd]Iie§Iid7 ibren 3^^^'^^ff^"*

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ViatütUdi wav es n\d>t allein pcrfönlid^c Sympathie unb bas (ßcfüE|I bcr Stanbessugcbörtgfeit, was feine fjaihmg beftimmte, fonbern in erfter Cinie voav ber (ßrunb, bag er in il>nen (mit Hed^t) bie feften Stü^en ber nationalen We^xhaft unb 2nad}t falj unb ba§ ibm als bem r>erantu?ortIidien Ceiter beutfd?er politi! (ebenfalls mit Hed)t) biefe Hücf* ftd?t über alles ging. 2lndi lieg )\d} bie (SefäE^r» lid^feit biefer iPenbung bamals nid|t fo beutlid^ er!ennen u?ie l^eute. X>enn erft, feitbem ^eutfd> lanb 5U einem (Setreibe einfütjrenben 3^^iM't^i^' lanbe geiporben ift, tjat )\di ber (ßegenfa^ 5ix?ifd-;en ben 3ntereffen ber Agrarier unb benen bes (5efamt* volUs in aller 5d?ärfe berausgebilbet; erft feitbent ift ber (5ro§grunbbefi^ ein niebergebenber Stanb gemorben, ber nur fünftlid^ auf Koften unb sunt Sdia^en ber (Sefamtt^eit gebalten u?erben fann. 3mmerl^in ift Catfad]e, baß bie partei ber 3unfer tJ^re befpotifd^e fjerrfd">aft in preugen unb il^re relatiü be^eutenbe ZHadjtftellung im Heid->e sunt guten Ceile Bismarcf r>erbanft.M

IPäl^renb er bie Konferuatiüen fo 5um Sd^abeit bes beutfd)en Dolfes begünftigte, Iiat er bie anbem grogen parteigebilbe alle Kraft feines fjaffes füblen laffen, mit febr r>erfd]iebenem, aber in allen 5öllert mit unbeilooUem 2lusgange. Hur in €inem Kampfe ift er unbebingt Sieger geblieben, unb an biefem

€inen üiel oerbängnisroUeren Dicnft, bcffcn ^olqen febr fcbipcr beben finb, bat ibr ^ismarcf fcbon im 2tnf angc feiner llTiniftertätigfeit geleiftet, als er ^865 in ber KonfIiftS3eit ben Ciberalismus bes prcußifdjen Bc= amtcntums rücfficbtslos rergetraltigte.

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Siege ijaben toir am fcbiuerften 3U tragen. Den Ctberalismus Jjat er grünblid] unb auf lange bin 3u Boben gefd?Iagen. €r bat es erreicbt, ba§ ^)ie größere JP)äIfte ber alten liberalen es üerlemt Ijat, liberal 5U fein, unb in itjrer gänslid^en ^»olitifd^en E^altloftgfeit nur nod? als 2InljängfeI ber Konferüatiüen, als Sdjieppenträger ber Heaftion ^ebeutung bat, u?ät:jrenb ber anbre 5IügeI in fidi jerfpalten unb mad^tlos ift. (Seu?iß bat ber alte Liberalismus burdj feine unfluge Haltung unb politifdje Unfäbigfeit fein Sd^icFfal felbft uerfdiulbet. 1>ennodi voäve nur eine liberale partei 3ur Leitung bes neuen Deutfd^lanbs imftanbe. Denn lüie fann ein junges, fräftig aufftrebenbes Volt von einer niebergebenben Sd^id^t, u?ie ein 3"^iM'^^^^^^^^^^ ^Igrariem, wie ein Volt, bas burd^ ^ilbung unb Kulturfortfd^ritt groß geiporben ift, r>on einer bilbungs= feinblid^en reaftionären Klaffe regiert u?erben? <£s lüirb bie fd-^tcerfte, müber>ollfte ^lufgabe imfrer nädiften (^ufnnft fein, bas langfam ipieber 5U bauen, was Bismarcf allsurafd^ zertrümmert bat.

IDenn Bismard bier einen leidsten unb doII= ftänbigen Sieg bapontrug, fo erlitt er in bem nädi^ ften innern Konflift, bem fog. Kulturfampf, feine crfte unb fd)u?erfte Hieberlage. 3n ber 3unäd>ft unpolitifdjen 2:Tfad>t ber fatbolifdjen Kird^e fanb ber 2TJeifter ber politifd^en Kunft feinen ZTTeifter. <£r ijat iljr nid^t nur nid)ts anhaben fönnen, fon- t>ern er Ijat fie erft eigentlid^ 3U einer politifdien Vfladbt im neuen Heid^e gemadjt. €r bat alle beutfd^en Katljolüen unter bem Banner bes

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Viitx amontanismus geeinigt unb bißfcm alle Dorteile bcr ©ppofitionsftellung, bie natürlidje SympatB^ic aller Ciberalen für bie Unterbrü(ftcn unb Pergeroaltigtcn unb üor allem bie unbebingte Polfstümlid^feit innerl^alb ber fatE^oIifd]en Bei?öl= ferung, in bie fjänbe gefpielt; er I^at es ber Der= tretung ber unertjörteften Tyrannei bei nns ermög» lid'it, als polfsfreunblid?, als ^ort ber ^reit^eit auf» 3utreten; er tjat ben ^Inftog gegeben 3U ber €nt5 roicflung, beren Hefultat nun bas Unglaublid^e ift, t>ag ein 5U ^/^ von proteftanten beu^ol^ntes unb von einer ftreng proteftantifd^en Dormad]t gefiltertes Heid] nadi bem XPillen bes fattjolifd^en «Zentrums regiert ipirb, Unb biefe je^t in X)eutfd]Ianb aus» fd]Iaggebenbe partei ift gerabe biejenige, bie u>ir!» lidj reid^sfeinblid] ift; benn fte ift in lDat]rl]eit itjrem IDefen nadi international unb i^aterlanbslos; fte l^at einen 5d]u?erpunft augert^alb Deutf d^Ianbs, ber bie Hidjtung il]rer ^eu?egimg beftimmt. Sie ift ein Ceil ber llTad^t, bie fd]on im 2TCitteIaIter ^er 5iudj imb bas Dertjängnis unfrer (5efd]id]te rx?ar. IDie r>iel unerträglidier ift Jefet il^re fjerr^ fd^aft, u?o Deutfdilanb überu^iegenb proteftan» lifd] ift!

2(ud] ber anbre Derfud? ^^ismarcfs, eine gei= ftige ZTÜadjt burd] Staatsgeu)alt 5U erbrüden, fül^rte 3U einem ZHigerfoIge. iPenn oon regierungsfreunb* lid^er Seite bie Sad^e 3uu?eilen fo bargeftellt u?irb, ols u?äre bas Sosialiftengefe^ einer päbagogifdjen 2tbftd^t entfprungen unb fei fallen gelaffen, nadi-- ^em es feinen ^wed erreid^t, fo ift bas offenbar

lö^

eine (£ntftellung bes Sad}vexhali5. ^ismarcf woUie mit biq'er Z\'(a^xegel uniwe'\\elha\t bie Sosialbc* mofxatie vevmdbten unb er I^at bas genaue (Segenteil: ein ungeheures 2Infd7u?eIIen berfelben, evxeidit Das bxaud^iie an ftd-j für unfre politif fein Unglücf 3U fein, roenn nidit 5ugleid^ eine anbre 5oIge eingetreten u?äre. €ben burd? bie brutale Unterbrüdung ift in ber Sosialbemofratie bie tiefe Verbitterung unb 5ßi"bfdjaft gegen ben Staat ge= feftigt unb bas Pertrauen 5ur Regierung uergiftet. Dies fann nur langfam u^ieber geiponnen u?erben, r>ielleidit erft, wenn bie gan3e (Generation ber Ttlax'- tyrer baliin gegangen ift; unb bis baB^in ift eine u?irflidje Befferung unfrer inneren ^uftänbe über* baupt ausgefd]Iof|en.

So feigen voix, u?ie bie meiften innerpolitifdjen ilTagnabmen ^ismards fid] für bie (£ntu?idlung X)eutfd->Ianbs fd-jäblid] erix?iefen hahen unb u?ie bie Ijeillofe ^erfal^renl^eit unfrer beutigen innerpoliti» fdien Situation 3U einem großen Xeile fein Wext ift. Die innere politif, bie für bie näd^fte periobe überl^aupt im Dorbergrunbe bes 3ntereffes fteben rüirb, I^at alfo 3unädjft bie beftel)enben Sd-jäben 3U beilen unb ^aE^nen ein3ufd"!lagen, bie benen ^is* mards entgegengefe^t laufen. 3br üornebmftes ^iel u?irb bie Sd]affung einer neuen liberalen Partei fein müffen, einer ftarfen, einl^eitlid^en unb regierungsfähigen Cinfen, bie imftanbe ift bie fjerr* fd^aft ber Konferuatiuen unb Klerifalen ab3ulöfen. Um regierungsfäl]ig 3U fein, muß fie mit aller Energie fid^ ber €rl:jaltung ber nationalen VOeliX'

fraft annel}men. Unb ba, wie bic 'D'mqe cinmat liegen, ihren Kern notivenbig bie Sosialbemofratie bilbcn muß, fo lüirb fte ebenfalls bie ^orberungen ber 5o3iaIreform 3U übernetimen I|aben. t)iefe Aufgabe ber innern politif ift mit ber unfrer äugeren burd]aus in Übereinftimmung. Beibe ftnb nur bie praftifdien Konfeqnensen ber einen (Srunb^ tatfad]e unb (5runbnotu?enbigfeit unfrer wirtfd^aft- lid^en (5efd]id^te: ber 3nbuftriaIifierungZ)eutfd7lanb5.

2. X) e r neue 5 0 3 i a I i 5 nt u 5. X>er (Sebanfe, ber ^wei 21Tenfd^enaIter l]in^ burd] bie ebelften fersen X)eutfd]Ianb5 am tiefftcn beilegte, u?ar bie Einigung Deutfd^Ianbs, bie XDieberaufrid^tung bes beutfd]en Heid^es, ba* mals ein problem ber auswärtigen politif. IXady- bem bies Si^l erreid^t tüar, erreid^t mit fjilfe ber militärifd^en ZlTad^t preugens, erl]ielt ber natio^ nale (ßebanfe einen anbern Jnl^alt: (£rl]altung unb Dermeljrung ber 2Del^r!raft bes beutfd^en Daterlanbes. Der nationale (Sebanfe fiel 3ufammcn- mit bem 2Had]tgebanfen. Die Parteien, bie biefen begriffen l^atten unb Dertraten, bas tcaren bie- nationalen ober ftaatserl^altenben. 3"5"^^f^^^ wax eine anbre Hot unb 5rage 3U immer größerer Dringlidifeit gebieljen unb I^atte bie fjer3en ber heften ergriffen: bas fo3iaIe problem. Seine Vertreter fagen auf ber äugerften Cinfen. ^eibe (Sebanfen waten im (5runbe bie ein3igen geiftigen- poten3en, bie im politifd^en Ceben Deutfd^lanbs^ etwas bebeuteten, unb bie Parteien, bie fidj um

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f e fdiarten, tjattcn bamit il^rc 3beale unb (5ielc. -■^ber bas fo3ialiftifd]e 3^^^^^ ^!<^tte imuergleid^üd] mcE^r (5Iut unb 5pann!raft ; bcnu es rt?ar nod] im XPerbcn unb fein Heid^ lag in ber <5ufunft; basu ipurbe es verfolgt unb ijaüe feine Hlärtyrer. Don ■t>en anbern Parteien u)urbe bas (Zentrum burd? •eine nid?tpoIitifdje 2^ee sufamniengetjaUen ; bod^ mugte es um feiner lX)äl:jIermaffen ipillen einen gemäßigten Sosialismus pflegen. Unb nur ber Partei (£ugen Hid^ters, bie u?eber national nod] fo3ial voat, fe^te Jeber praftifdje (5eI^aU unb jebes pofitioe 5iel; fie war „ber (Seift, ber ftets verneint."

^ie Vertreter bes nationalen unb bie bes -fosialen <5ebanfens waren alfo ftreng gefd]ieben jumal nadibem Stöders plan, bie Konfer^ r>atir>en für ben 5o3ialismu5 3U gewinnen, befinitio gefdieitert war, imb einanber fo entgegengefe^t, wie it^re Si^e im 2^eid?stage. llnb biefer (5egen= fa^, ber bie ZHad^t nad] außen faum beeinträd^tigte, l^inberte jeben innern 5ortfdjritt. IPar es nidit ein •erlöfenber imb üon ber Situation geforberter (5e= -ban!e, beibe 3^^^" vereinigen, bie breiten mäd]tigen Strömungen, bie bamit be3eid?net würben, in (£in 3ett 3U leiten? IDeim man sugleidi national imb fo3ial fein fonnte, bann mußten ftd^ bod] am <£nbe alle, bie es mit bem beutfd^en -Polfe el^rlid) meinten, unter €iner fammeln laffen. Böfe jungen befinieren baljer bie Hatio* nalfosialen als bie Ceute, bie bie „ItTarfeillaife" madi ber 2Tlelobie ber ,,Wad]t am Hinein" fingen.

So einfad] ift bas Perl^ältnis nun bod^ nidit.

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TXlan faim n\d]i beliebig ^wei pritisipien, bie mit cin*= anbet nxdbts 311 tun l^abcn, in einen ^Eopf luerfen unb baraus ein neues brauen. tO'xe wenig bas c^ebX I^atte ja bie ecangelifd^fosiale Bewegung geseigt. Wenn fid) aus ber Bereinigung bes nationalen unb bes fo5iaIen (ßebanfens u^irflid? ein neues,, politifd^ frud]tbares prinsip ergab, fo gefd^al] bas, roeil beibe <5ebanten von felbft 3ufammengel]örten unb in einer innern Deru)anbt)\-baft [tauben. €s lüar nid^t eine Fünftlid">e, äugerlid^e Cegierung, fonbern eine d^eniifdie Derbinbung auf (5runb natür* lidier lt)al]Iüeru?anbt(d^aft, wobei aus 5wei Beftanb^ teilen ein ^eues u?irb, bas jene beiben in fid| cnt- ^äit, aber von jebem von il^nen r>erfd:?ieben ift. T>iefe 2tuffaffung ftel]t ber frül|cren fd^arf entgegen.. lOir finb nid^t fosial, tro^bent w'w national finb, fonbern u?ir finb fo3iaI, u?cil w'w national, imb national, iv>eil rcir fo^ial finb. iud]t ber ipillfür* lid^e Einfall 3ipei bifparate (Elemente 3U fombinieren,. fonbern bie (£rfenntnis ber notu>enbigen ^ufammen- gel^örigfeit bes Nationalismus unb bes Sozialismus ift bas Heue imb 53ebeutcnbe, luas ims Naumann gehtadit Ijat; fie erft ift ber nationalfosiale (5e* banfe. X)iejer fonnte nur gewonnen rt>erben burd]- eine tiefere (£rfaffung bes IDefens ber beiben bis^ Ijer u?iberftrebenben prinsipien. Unb eben, voeil es fid") um eine neue, r>ertiefte (£infid"{t tjanbelt, bie ein Hadjbenfen imb Umbenfen geu?ol]nter Dorftellungen verlangt, barum ift es nur natürlid?, bag ber nationaIfo3iaIe (Sebanfe, 3umal in einem polttifd] unreifen Volte, n\d}t fogleid] Erfolg I^atte-

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anb gans langfam unb fdirittrücife Boben geiotrtnt, ^ud] tnnerljalb ber natiortalfosialen partci felbft Ijat er nodi eine (£ntipicflung gcl^abt; bcnn in ben Dehatten ber erftcn 3al:jre, ob bcm Hattonalcn ober beni 5o5ialen ber Porrang gebül^re, vo'ivft im (Srunbe nod^ bie alte Porftellung üon ber (Segen* fä^lid]feit beiber prtn3ipien, bie alfo einanber ein» fd]rän!en müßten, nad>. (£5 tft unfre Über* ^eugung, ba§ an bem Siege biefes (5ebanfen5 bie .(^ufunft Deutfdjlanbs I^ängt.

Durd] bie neue ^uffaffung hßhen fotüoljl ber Ztationalismus n?ie ber Sosialismus einen anbem Sinn imb (Sel^alt befommen.

rOie imterfd]etbet fid] ber neue So3iaIi5mu5 t>on ben älteren 5ormen, bem internationalen, toie bem d^riftlid^en So5iaIi5mu5? 2^t)en\aÜ5 liegt nid^t ber nnterfd]teb im (£nb siel, benn biefes tjat I^eute überijaupt feine Bebeutung au§er ber einer •agitatorifd^en pl^rafe. 3d^ toeig nid]t, u?ie Hau-- mann über ben (^ufunftsftaat benft, unb üermutlid^ ipürben t>iele Sosialiften in Perlegenl^eit fein, menn fie ba3u Stellung neEjmen foUten. Der allmäd^tige ^rpangftaat ber neuern Utopien, ber alles bis ins (Etnselne befpotifd? regelt, bürfte für bie lOenigften ■ein annelimhaxes 2^eai fein, ^nbrerfeits finb barin vooiil fo siemlidi alle einig, bag ber 0rganifation ^er 2trbeiter freie 'Sahn gefd^affen uperben mu§, ^a^ genoffenfdiaftItd]e ^Übungen, wo fie fid] aus eigner Kraft emporentmicfeln, mit Sympatl^ie 31; begrüben finb, bag befonber-s bas Konfumgenoffen»

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fd]aft5u?efcn 5örberung r>crbicnt, ba§ Übernabme in Staatsbetrieb ba ansuftreben ift, wo fad^Iid^e (Srünbe bafür fpred^en, mte bei ben Derfel^rsein^ rid^tungen unb ber €rfdiließung ber ^obenfd]ä^e uftx). Daraus ertjellt, bag ber Sosialismus überbaupt nid^t mel^r ben alten, ipettfüegenben, abfohlten Sinn l^at: Dergefellfd]aftimg ber probuftionsmittel unb genof)'enfd|aftIid]e ©rganifation aller 2trbeit, fonbern ben viel befd^eibeneren, relativen unb bes= rcegen erreid]bareren : l^ebung ber ^Irbeiterflaffe, foroeit möglid^, auf bem XPege ber ©rganifation unb georbneten Selbftbilfe, unb fou?eit nötig, burd^ gefe^geberifd^es Eingreifen bes Staates, unt C>ie Sd^u?äd^ern vox ber Übermad^t bes Kapitals 3U fd">ü^en unb bie r)erberblid]en 2lu5wnd]\e bes Kapi= talismus absufd^neiben. Daß bei biefen fo gar nid]t revolutionären ^leUn andi ber lOeg ba3u nid^t burdi bie Heüolution fül]rt fte batte \a lebiglid] iliren pla^ in bem ^ufammenl^ange bes €fd?atoIogifdvpt^antafti)d]en ^uhmftstraumes, an bem \\di bie nod] jugenblidie Sosialbemofratie be= rau|d)te , fonbem ber IDeg praftifd^er, gebulbiger Heformarbeit im Einselneu ift, ergibt ftd^ nunmebr üon felbft. 2ludi bie sum llTanne gereifte So3iaI= ^lemofratie l^at biefen IPeg längft befd^ritten unb lann gar nid^t mel^r anbers als fid^ imnter ent- fd^iebener 3U einer rabifalen Heformpartei „maufern".

Darin alfo finb J^eute alle, bie fid] irgenbwie fo5iaI nennen, im (Sanken einig. XDas trennt uns benn? Hur bies, bag u?ir HationaIfo3iaIe jnit Seuju^tfein imb aus pnn3ip,: bgl^er fonfequent

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unb mit mel^r 2lu5fid]t auf Erfolg eben bas turt wollen, was bic Sosialbemofratie I^alb lotbcripillig. unb fd?u)anfcnb, aber burd] bic Umftänbc gebrängt, ebenfalls tun mug: ben t>orl^anbenen Staat an^ erfennen unb auf biefer ^afis praftifd^e Heformen anftreben. Das verlangt fd]on eine einf ad]e taf^ lifd^e (ErtDägung. Sosiale Heformen laffen ftd^ nur unter 21Titu)irfung ber Hegierung erreid]en unb l^ängen Don beren gutem XDillen ab. VOas^ ift ba töriditer, als biefe Hegierung beftänbig 3U brusfieren? X)iefe Hegierung roirb fid] nur bann rooEjImoflenb seigen, roenn man il^r in bem 3U IDillen ift, ipas für fte il:jrer Hatur nad) £iaupt== fad)e fein mug: in ber (SrB^altung ber militärifdjen Xüadit. Die ^tblel^nung bes ITlilitärbubgets von Seiten ber 5o5iaIbemofratie l^at für bie 5ad]e felbft feine ^ebeutung: X>as Bubget u?irb bod? ftets be* rpilligt, unb gefdiäEje bas einmal nid]t unb imfre XPel^rfraft litte barunter, fo tpürbe bie Arbeiter» fd^aft am meiften baburd^ gefäl^rbet fein. Sie ift nur eine nu^Iofe proteftfunbgebung unb tjat allein ben (£rfoIg, bie Hegierung in il^rer feinblid^en fjaltung feft3ul:jalten unb ein energifd^es 5ortfd^reiten bes Heformu?erfes $u Ijinbern.

2lber nod} tiefer liegenbe fad^Iid^e (Srünbe beftimmen unfer Derljalten. X>ie fjebung Oes ^r* beiterftanbes ift allein möglid?, u?enn unfer Volf als (Sanses im Steigen ift unb ber 2Iuffd]tt)ung unfrer 3nbuftrie anljält. 3" <^'^nem niebergeljenben Dolfe ift bie Sad]e bes Sosialismus von vom Ijerein ausfid^tslos. Wo ber (Ertrag ber VolU*

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ipirtfdiaft im <5an5crt aBnimmt, vo'wb fid) bies am meiftcn bei bcn ipirtfdjaftlid^ Sdiwadicn hemexh hax mad>en. Um bie 3Iütc xmb gebciijlid^e €nt' rpicPIimg unfrer 3T^'^iifti^i^/ Quelle unfers natio' nalen lOoljIftanbes 311 fd^ü^en, hvaudim w'w eine ftarfe fjeeresmad^t unb 5Iotte, bie ims ben ^n^bert fid^ert unb r)ernid]tenbe KataftropB)en fernl^ält. il]rem eigenften 3ntereffe alfo muffen bie 2lrbeiter unfre lDeI:jrfraft er^^alten I^elfen.

2tber u?ie verträgt fidj biefe national be* cjren3te lOirtfdiaftspoIitif mit ber gerabe von Hatio* nalfosialen vertretenen ^tnfd^auung, bag voxx im <5eitalter einer roerbenben IDelttoirtfd^aft leben? Hun eine ^Ibfperrung üom IDeltuerfeE^r u?oIIen roir u?al^rl|aftig nid]t. (5. oben 3. \'{S.) Unb biefe lOelt* ujirtfd^aft ift bod^ nur eine über bas einselne Volt I^inausgetjenbe 2lrbeit5teilung, ein IParenaustaufd? unb IDettbeiperb ber üerfd^i ebenen Cänber. (£ine roirflid^e lX'>irtfd]aft5gemeinfd]aft, bie eine einbeit* Iid]e Ceitung unb f>olitifd]e ^eeinfluffung sulä^t, ift nur bie IDirtfd]aft bes einseinen Staates. T)a% ber (£rtrag imfrer beutfd^en X)olf5u?irtfd)aft mög= lidjft groß ausfalle, ift bas gemeinfamc 3"^^^^ff^ ber 2Irbeiter u?ie ber Unternel^mer unb überbaupt aller Dolfsgenoffen. (£rft u?enn biefer €rtrag ba ift, fönnen bie Arbeiter itjren fpesiellen Kampf um bie (5röge iEjres 2tnteils ^axan mit (£rfoIg füljren.

3. X)er neue Nationalismus. <£s n?irb nid]t überflüffig fein, bag voxx ben begriff bes Hationalismus felbft näijer 5U be*

^. meyer: ^rbr. rtaumann. «*

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ftimmcn fucben. VOiv betrachten tt^n in brei "Be- jiebungen.

\) ^nbem vo'iv ben Nationalismus mit ber 2Iner!ennung bes gegebenen Staates gleid>fe^en, erbebt ftcb bie S^^cli^^ nad] bem Derbältnis stpifd^en r>oIf unb Staat.

Wenn voix ben Staat lebiglid] als Derroalter bes Hed^ts betrad^ten, fo fommt es nur barauf an, bag überbaupt ftaatlid^e ©rbnung ba fei, tüäbrenb bie ^lusbeBjnung bes ein3elnen Staats offenbar gleid^gültig ift. ^ie Begrenzung bes Staates unb bie 2Tiebrbeit r>on Staaten neben ein» anber xuh^t auf feiner barüber binausgebenben "Be-- beutung, bag er bie 0rganifationsform eines Polfes ift, ber fid^tbare Ceib, ben fid^ bie Dolfsfeele baut.

rOas ift ein Volt? Dolf ift bie umfaffenbfte (Semeinfd^aft oon ^TCeufd^en, bie eine Healitdt ift. IDas barüber i)inausgel]t, Dölferfamilie, Haffe, (tnb r>age, mehr abftrafte Begriffe, bie feine bauer= baften Bilbungen tragen fönnen. Das Volt aber ift eine lebenbig empfunbene lDirfIid]feit. Das IDefen bes Dolfes aber ift: Sprad^gemeinf d^af t. Dies ift bie einsige tbeoretifd? faßbare unb praftifd> üerupenbbare Begriffsbeftimmung. Die Spradje ift aufs 3nnigfte mit unferm Denfen oermadjfen; gleid>e Sprad^e bebeutet bal^er eine geu?iffe Über» cinftimmung ber geiftigen 0rganifation, rc»eld>e bie Porausfe^ung einer eintjeitlidjen Kultur ift. Die Spxadbe begrünbet nid>t nur eine innere Penüanbt» fdiaft, fonbem sugleid^ einen äußern ^u^ammen-' fd^Iug berer, bie fie fpred^en: fte bilbet eine Der-

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fcEjrsgcineinfd^aft unb bei ber ungebcurcn 'Be-- ^)cutung ber Si>vadie als 21TitteI, ZHebium bcr Kultur, titd^t nur ber litcrarifcbcn, fonbern aud^ bcr poU^ lifdjen, tDiffenfdjaftlid^cn ufm. eine Kultur« ijemcmfd]aft. Diefe umfaffcnbe geiftige (Scmcm= fd^aft berer, u?eld>c biefclbe 5prad]C fprcd)cn, mad>t i)ie cigentlidje 5ubftan3 eines Voltes aus; fie meinen voix, wenn wix vom Volte als von einer <£inl:jeit, von einer DoÜsfeele ufm. reben, wenn w'ix ein Volt als einen Organismus, ein 3nbir>i= t>uum aujfaffen.

Das 3"^^^^^!^""^ ^^I^ <^I5 fold^es einen gemeinfamen IDillen unb brandet ein Organ 5U gemeinfamem ^anbeln. X>ies fd^afft es f\d] im Staat. IDie jebes 3"^^^i^ii*i"^r erl^ebt es ben 2lnfprudi auf S^^'^k^'^^i ^lutonomie: es mill feinen eigenen Staat i^aben. Zlux als Polfsftaat fann ^ex Staat biefen tiefen, ftttlid^en 3"^^^^^ baben. X)er Dolfsftaat mu§ baber unbebingt als bie Horm betcad^tet operben. 2^'öes Volt ^at nidit nur bas Hed^t, fonbern bie fittlid^e pfiid^t, für feinen eignen Staat, für feine poIitifd^eUnabl^ängigfeitsufämpfen; xmb nur, wo ftd] gar feine ZTTöglid^feit basu jeigt (3. ^. u?enn ein Volt serftreut ober mit anbern Pölfern üermifd^t u?oI^nt, wie bie 311^^^^ menier), ift Hefignation am pla^e.

Das iX^ort X> 0 1 f ijat im Deutfdien eine bop* pelte politifdje ^ebeutung: es ijt einmal bie ZTation im (Segenfa^ $u anbern Nationen ; es i\t femer bas Subjeft ber Demokratie im (Segenfa^ 5U einer monard-jifd^en ober oligard^ifdjen Hegierungsform.

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T>\e he'iben 2^l:ialte, bie für uns basfelbe Wort ausbrücft, hängen aud] fad]Ud? fcft sufammcn» (Ein etgentlidicr Halionalftaat fann nur bcmofra* tifd] fein. V\e 21nl)änglid]fcit eines befpotifd) regierten Voltes an feinen fjerrfdjer unb fein (5e* Bjorfam gegen bie Hegierung finb unpolitifd^er 2trt. (£5 ift bie freitpillige X>ienftbarfeit von Xilen\dien, bie nod) feinen eigenen IDillen, fein prinsip ber 5reit]eit in fid] entbedt ^ahen: bie 5ittlid?!eit auf ber nieberen Stufe ber fjeteronomie. IDirflid) lebenbiges Hationalgefül-^I unb StaatsbetDUßtfein, eigentlidj politifd^er Sinn fann fidj nur ba bilben, wo bas gefamte Volt politifd) frei, Subjeft ber politif ift. Umgefel^rt mug ein internationaler Staat notmenbig unbemofratifd^ fein; er fann ent* ipeber eine befpotifd]e Hegierung über ber (5efamt* maffe politifd] unmünbiger „Untertanen" aufrid?ten, ober er mug fid] auf ein einseines Dolfstunt ftü^en, bas ben anbern in bemfelben Staate vereinigten an fultureller (£ntrt)icFIung ober an politifdjer Kraft bebeutenb überlegen ift. 2^1. beiben fällen »werben, fobalb biefe Dölfer anfangen national 5U enipfinben, bie 5entrifugalen Kräfte bie 0berl:|anb geioinnen unb bas Staatsgebäube ^erfprengen. (Cürfei, Öfter» xeidi.)

2) Nationalismus unb 3"ternationaIiS' mus. ^et^es Volt ftrebt nad'j einem eigenen, auto* nomen Staat. 2lber nid]t jebes Dolf ift l^eute in ber Cage, fid] einen foldjen fd]affen 3U fönnen. Diele befinben fid] in 2tbl]än gigfeit von anbern unb fönnen iJ]re ^^^i^^^it nur burdj Kampf er^»

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langen, ^tnbrerfcits J>at jebßs freie unb ftarfe Volt bie Cenben5, feine Spljäre 5U eripeitern auf Koften anbrer, biefe 3U unteriüerfen obei* 5U abforbieren. 5d?on bas u?ad?fenbe Bebürfnis einer u)ad]fenben Beuölferung nötigt basii. 2lu§erbem tft ber (£fpanfionstrieb, ber XPille 3ur 21Tad]t unb fjerrfd^aft ber unaustilgbare (Srunbbetrieb alles Cebenbigen. Unb biefer XPiberftreit ber Hationa* liläten ift bie Quelle ber unaufl>örlid^en Kriege, unter benen bie 2TTenfd?beit feuf5t. (5erabe im 2cL^vb., nacl]bent bie <5eit ber Kabinettsfriege Dor* über u?ar, finb Kriege in poriger unbefannten Di- menfionen unb mit unerl:^örter Energie gefütjrt. Unb mir u?iffen alle, ba§ nod} auf lange l]in fein (£nbe ber Kriege fein u)irb.

Die l]eutigen Kriege entfpringen alfo aus ber 2tnfpannung bes Hationalgefül^ls unb fie «werben ermöglid^t burd^ ben militärifd^en Cljarafter aller größeren Staaten, bie je^t roie rieftge pansertiere crfd^einen. Damit be3al]len u?ir unfre nationale 5onberei*iften3. 2lber ift ber preis nid^t 3U teuer? Durd] unfre gan3e ^eit, bie neben ungel^eurer 2tnfpatmung aud^ üiel begreiflidje ZTÜübigfeit birgt, gellt eine tiefe 5nßbensfel>nfud:?t; unb u?eit per» breitet ift bie ZlTeinung, ba§ ber Krieg unb mit ifyn ber ZlTilitarismus eine unfrer Kulturl>öBje un* tpürbige Barbarei fei. Sie l^at auf ihre lUeife nur 3u feljr Hed^t. Ellies, was man Je bem Kriege Sd]linunes unb S^iT^^]^l^Cite5 nad]gefagt l]at, reid]t nid^t entfernt an bie grauenvolle I0irnid]feit. Sollte es nid]t möglid? fein, biefen fdjredlidjften

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ber 5d?recfen cnblid] aus ber lOcIt 3u fdjaffcn unb bafür auf immer bcn cblen 5ricbcn 3u bcfcftigcn, bcn QucU allc5 Segens unb ^ort ber (ßefittung?

€5 gibt nur (£in ZHittel: bic (Erriditung eines IPeltreid^es, bas alle Dölfer in ftd? umf agt. X>as u?ar einft für bie bamalige Kulturn^elt bas römifd]e Heid], unb fobalb bies feine befinitioe ^lusbel^nung erreid^t l^atte unb bie innern lOirren r>orbei u?aren, ba toar allgemeiner 5riebe unb nur an ben Hänbern enthxannte nodi inweiUn ber Krieg. 0t)ib unb Pirgil I]aben ben erften Kaifer als 5nßbensfürften gefeiert unb nod? ber islänbifdje J^iftorifer bes ](3. 3al^rl]. batiert nad] ber ^ett, „ba Kaifer 2luguftus in ber gansen IDelt 5i^i^ben ftiftete/ fjeute nel^men bie beftänbigen 5d|Iäd]te« reien ber afrifanifd]en Stämme ein (£nbe, fobalb fte unter europäifdie fjerrfd^aft fommen. Woüen voiv guten «Europäer uns nid]t aud] unter (Einem Ssepter pereinigen unb fo mit einem Sd^Iage r>on aller Kriegsgefal^r unb r>on ber unerträglid]en £aft unfrer Hüftung erlöft (ein? 3d) 3tt?eifle nid]t, Englanb u?ürbe gern bereit fein, bie Hegierung biefes Unioerfalftaates auf feine 5d)ultern 3U nel^men.

JDir ujollen es nid^t unb we^e uns, wenn voix es iPoHen fönnten! ^enn biefer Stimmung liegt 3ugrunbe eine eubämoniftifdie ^tuffaffung, bie 3ur (ßrunblage bes Kulturlebens nid^t ausreid]t. Hid^t um in trägem, forglofen Beilagen uns 3U bel^nen, finb tt?ir auf ber Welt, fonbern um „ben tOillen <3ottes 3U tun", b. Ij. unfern ^eruf 3U er«

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füllen, bie uns innercol^nenbe unb unfer eigcnftes IDcfen fonftituiercnbc 3bce 511 vexvo\xf[\d]eu. Zl\d]t bas (5Iücf, fonbern bic ^i^ciljcit (= 5ittlid)fcit, f. oben 5. ^27 f.) ift ber Sinn unfers Cebcns. llnb bicfe perlangt als iBirc Bebingung aiid] bic äugere Hnqbl^ängigfctt, bie ^Höglid^fcit, ungebinbert von anbern nad\ eignem <5efe^ 5U leben. 2lud-> bie Voümadit, felbft über fein Sd^icffal 5U ent[djeiben unb auf eigne Hed^nung unb (Sefal:)r bas £ebeu 5u Klagen. Das alles gilt r>om Polfsgansen wie vom (£in3elnen. Hur bas niebergebenbe, alters» fd^ujad^e Ceben fdjeut bie Xlötc unb (Sefal^ren bes Kampfes ums Dafein; bas ftarfe unb gefunbe Ceben liebt unb fud^t ben Kampf, benn nur er entbinbet alle fdilummernben Kräfte unb fteigert fie 3u fonft ungeal:|nter IPirfung, fei es ber brutale Kampf ber (ßeu?el^re unb Kanonen, fei es ber u?irtfd]aftlid]e Konfurrensfampf. Sdjon fjomer vou%te, bag ^eus bem ZlTanne bie fjälfte ber ^Eugent> raubt, n?enn il>n ber Cag ber Kned^tfd^aft ereilt. (0b. \7, 322 f.) Unb bie (Sefd^idjte hßt iljm faft immer Hed^t gegeben, 3" Hegel feben u?ir einer friegerifdjen 2tnfpannung unb einem poIitifd)ert 2luffd^tt)unge eines Volhs eine ^lüte ber geiftigen Kultur folgen unb ebenfo geu)öbnlid^ verliert ein: Voif feine fulturelle Sd^affensfraft sugleid^ mit bem Untergange feiner ftaatlidien Selbftänbigfeit. U^oUen wix alfo unfern uns angeu?iefenen plafe auf ber i£rbe ausfüllen, u?oIIen lüir ber ZHenfd'!l:>eit alles bas fdjenfen, u?as als Keim unb Hlöglid^feit in uns liegt, fo müffcn w\x audi unfre nationale Un»

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abl^ängtgfcit hd^aupten uiib unfre mtUtärifd^poli» t\\die Kraft ungcfd)u?äd^t crljaltcrt. (£5 tft einmal fo, bag üitaiß Energie, Kampftüdjtig!eit imb cjeifttge ,5^ii9ii"9^fj^<ift ^"9 cinanber gebunben finb. Unb es ift gut, bag es fo ift, benrt tpte follte fonft in bem Ijarten, graufamen Cebensfampfe überljaupt Kultur emporfommen, ftd] erl^alten unb ipadjfen, upenn fie nid^t eine Blüte loäre am Stamme berfelben ptjyftf d]en Cebensfraft, bie im Kampfe ums ^afein fiegreid? bleibt?

X>er gebadete Unicerfalftaat rpürbe wiegen feiner Dimenftonen unb infolge bes ^^I^lens aller Hir)alität bie Energie bes politifdien Cebens auger« orbentlid] Ijerabftimmen. (£r toürbe ferner eine Sprad^e 3ur Staatsfprad^e erE^eben müffen unb baburd^ bie (Seltung ber anbern Sprad^en befd?rän!en unb ber geiftigen Sonberart ber Pölfer (Eintrag tun. (£r u)ürbe alfo bodj eine geroiffe Hioellierung unb Uniformierung t^erbeifül^ren, aud^ bies 3um SdiaCx^n ber (5efamt!ultur. X)iefe fann nur burd^ ben freien IDetteifer aller 3ttbit)ibualitäten 3U r>oIIem *£rblül^en fommen. Wiv bienen alfo aud] bem 3ntereffe ber ZTIenfdil^eit, rr»enn u?ir uns als freies Volt lebenstüdjtig unb fd^affensfräftig 3U erl^alten ftr eben.

3) IPir I^aben u)ieberijolt bas Volt als tEräger eines fittlid^en Berufes, einer ge« fd]idjtlid]en 2Tliffion be3eid?net. Das ift allerbings unfer (Slaube, unb ift im (5runbe fd>on bamit ge= geben, bag ipir bas Volt als ein lianbeln'öes XOefen auffaffen. Hur barf bies nidjt fo r>erftanben

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vocvben, als ob bas Polf als folcbcs uitmittclbar mit ^ilfe feines (Dvqans, öes Staates, eine Kultur^ aufgäbe löfen fönnte. Dct Staat fann unb foll t)ie Kultur fördern burdi (Seu?äbrung ber nötigen ZlTittel, ^inriditung unb Perrüaltung ber Untere ridits= unb ^rbeitsanftalten ufu?., aber er fann immer nur bie äußere ZTTöglid]!eit, bie materiellen Dorbebingungen barbieten: fd^ajfen fann nur ber <£in3elne, bie [d)öpferifd^ veranlagte perfönlid^feit. Dennodi ift aud"> für biefe bas '^efteben unb bie ^efdjaffenbeit eines nationalen Staates nid-jt u?ert-- los, gan5 abgefel^en von jenen äußern ^eibilfen. X)enn ber ZlTcnfdi, unb in befonberem (Srabe ber Sd)affenbe, ift einerfeits r>on ber (Seiftesart feines Dolfes getragen unb beftimmt, er ift anbrerfeits von ben äußern £ebensbebingungen abbängig. ^ur als freier Bürger eines freien Staates mirb er fid") frei entmicFeln fönnen. lUenn biefe Vor-- ausfe^ung feblt, u?irb fein Sd^affen leidet baburcb gel^inbert, beengt ober abgelenft u?erben.

Das IDiditigfte, n?as ber Staat ber Kultur 5U leiften hßt, ift alfo, bag er bem Dolfe feine nnab-- bängige (Sriftens unb bie materiellen Dorbebingungen für gefunbe i£ntu?icFlung unb fulturelle Betätigung fd^afft. Wenn w'iv von ber politif nur Ceiftungen materieller 2ht v>erlangen, fo verfennen unr burd]= aus nid^t, baß aud^ bas Ceben ber Dölfer nod^ anbre 3nbalte bat als ben Kampf unt bie bloße Selbfterbaltung unb äußeres (Sebeiben, nur finben ir»ir tjier bie (Srensen ber IPirffamfeit bes Staates, lUir fönnen aber natürlid^ biefe nid^t von bem

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geiftigen Berufe abbänaig tiiad';crt, unb nur bcm VolU ein fclbfiänbiges ftaatlid^cs Däfern 5ugeftebcn, bas bereits etwas für bie Kultur gciciftet bat. IPic ber (Einlebte unter allen Umftänben, gleid]ütel ob er einen ^eruf bat unb ob er Ceiftungen auf* roeifen fann ober nid^t, bie pflidjt bat, fein £eben 5u erbalten, unb bas 2^edjt, beffen 5diu^ r>om Staate ju verlangen, ebenfo barf unb mn% ein jebes Volt 5unäd^ft feine freie (Eriftens als Volt mit allen Kräften beijaupten unb barauf r>ertrauen, bag es iB^m bann audi an fulturer5eugenben per* fönlid:)feiten nid]t feblen u?erbe. Xluv wo ba^u jebe ^Töglid)!eit fel]It, irirb es üersid^ten bürfen, wirb \\di bann aber aud? befd^eiben müffen, als Kultur* volf nid]t in ber erften Heibe 5U ftel^en. 5ür uns Deutfd'je ift 3um (5Iü<J roeber unfre nationale £riften3 irgenbiuie bebrobt, nod] ijat trgenb ein ^rceifel an unfrer fulturellen Ceiftungsfäbigfeit Haum.

IDas ift nun bas Befonbere an ber national* fosialen ^uffaffung bes ZTationalftaates? (£5 ift nidjts anbers, als was wiv in ber erften (Erörterung ausgef übrt baben : bie ^ufammengel)örig* feit ber beiben Seiten bes Begriffes „Volt", Nation unb Demos. €s ift bie (£ntbecfung einer IDabrbeit, bie bereits im ^Derben ift; aber erft, inbem fie als prinsip erfannt unb in itjre Kon» fequensen verfolgt roirb, ipirb fie 5um 5unbament einer poIitifd)en <5efamtauffaffung unb praftifdjen Cätigfeit.

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Die politt! ber frül^ereii 3abrbunbcrtc ift 9an3 von bcm Streben nad] 21Tadit bel^errfd^t. Unt ber ITTadjtentfaltung toillen nad] äugen mug int 3nnern möglidjfte (Dvbming unb Autorität l]err]d]en. Xluv €iner ift poIitifd)e5 Subjeft unb bat einen. IDillen: ber fjerrfd^er; bie „Untertanen* liaben nur 5u geE^ord^en. Diefe ^uffaffung ift gefd^id-jt« lid] 5U üerfteJjen unb roar ju il^rer S'^'xt bered^ticjt. Denn alle größeren Staaten finb aus Heineren politifd^en (5ebilben 3ufammengeu?ad]fen, inbem bas ftärfere (5emeinipefen anbere, fd]u?äd]ere fid? untere u?arf unb einuerleibte. Dabei mugte um ber Staats- einl^eit millen ber Cro^, bie lPiberfe^Iid]feit, bas Sonberftreben ber früE^er felbftänbigen ^Teilftaaten. 5unäd]ft gebrod^en unb unmöglid] geniad^t lüerben. Das rerlangte unb fdjuf sugleidi bie unbebingte (ßeltung unb biftatorifd^e 21Tad?tfülIe bes einen (£inl]eitsu?illens; jebe Sd]u?ädie ber ^entralgeu^alt u)ürbe einen ^evfaU. bes gansen (Sebäubes in bie einjelnen Beftanbteile 5ur ^olge gel^abt tjaben. Die (Sefdjidjte aller europäifd]en Onber beginnt mit: einem lebenbigen, bunten Durd^einanber Heiner, gan3 bemofratifdjer (5emeinu?efen ; im \8. ^^^xli. finb baraus faft überall eintjeiflid^e, abfoIutiftifd]e Staaten geivorben.

^is bal^in rpar es gan5 3utreffenb, bag bie- äußere Znad]t mit. ber ^entralifierung imb bem ^Ibfolutismus im 2^ncvn parallel ging. 3e un« eingefd?ränfter ber ^entralioillc galt, je imbebingter il]m ITTenfd^ert unb ZTTad^tmittel unteru?orfen waren, lun fo mel|r iparen alle Kräfte bes Staates in (£iner

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Jjanb unb um fo fd^neller, encrgifd^cr unb it>ud]tiger tonnten fic rtad^ au^en Dcripenbet wetzen. So voivtte bie ZlTad]t bß5 Staates nad^ innen als Defpotismus unb fd^Iog alle Dolfsfreil^eit aus. ^ber im 5ortfd]reiten ber geiftig^^ttlidjen Kultur <5ibt es eine Stufe, wo bie Hedjnung nid]t meijr ftimntt. iPenn nämlid^ bie 2TJenfd^en eine geipiffe fittlid^e Heife unb Böl^e erlangt l:|aben, bann i^alten fie es nid^t mel^r unter bem Drucfe biefes befpotifdien <5u?angsflaates aus; bie münbige Sittlid]!eit fann nur in ber Cuft ber ^i^^i^I^it leben. 3ft es foupeit ^efommen, fo u?irb ber Staat 3unäd]ft nad] feiner alten 2Ttetl|obe r)erfal|ren unb biefe ^i^^itj^itsregungen mit rücffid]t5lofer ^usnu^ung feiner ZTtad^t nieber» fdjlagen. 2tber bas Hefultat u?irb il^m felbft 3um Sdia^en ausfallen. Denn er beraubt fid^ baburd? felbft feiner fittlid) entrpicfeltften, mitE^in u?ertüolIften Kräfte. (£in anbrer Ceil feiner ZTTadjt wivb eben .3U beren HieberB^altung r>eru)enbet unb bal^er für anbre ^mede ebenfalls ausgefd^altet. Unb fo toirb, je mel^r biefe (£ntix?idlung fortfd^reitet unb je brutaler ber Staat feine 2lutorität unb Übermad^t geltenb mad7t, um fo mel:|r innere (Zerrüttung unb dugere ^l^nmad^t bie 5olge fein. Wo ber Staat bagegen bem ^i^^if^ßitsftreben nad^gibt, ba u?irb er ^aburd^ feinesu^egs ober bod^ nur r>orübergel:jenb gefdju>äd]t, benn biefe Kräfte xx?ollen nid^t los von ifyn, wie in ben alten <3eiten bes partifularismus, fonbern fie tPoUen gerabe 2tnteil am Staate unb freien Haum im Staate, Pielmel|r erfäl^rt er einen •imgeal^nten ^uwad^s an 21Tad]t; benn erft bie

5rciB>eit entfcffelt alle Kräfte, crft in ibr u^ad^fert fic fid? 511 ibrer sollen Ceiftung aus luib i^er^en burd^ ben aecjenfeitigen IDetteifer beftänbig in iin- begrenztem ZlTage gefteigert. So it>irb ber Staat, ber feinen bürgern ^i^^i^^it Iä§t, boppelt im Dor= teil fein r>or bem (^wangsftaat alten Stiles, ber fid] ber ZTTöglidifeit biefer ZHaditjunabme felbft he-- raubt unb 5ugleid] ben beften Ceil ber üorbanbenen Kräfte lal^m legt. Siw ben (£ffeft biefer beiben Staatsgrunbformen baben u?ir ja an ben beiben tjeutigen lOettbeiDerbern um bie IDeltberrfd^aft, <£nglanb unb 2%uBlanb, gerabesu flaffifd^e Beifpiele.

5ür X)eutf d-) laub ift biefe ^i^age befonbers brennenb. ^lls jüngfte in ben Kreis ber europäifd>en (5ro§mäd^te eingetreten, fel:>en u?ir uns fofort vov bie 5rage geftellt: fönnen u?ir ims swifd^en i£ng-' lanb imb i^uglanb als gleid^bered)tigter Hcben= bul-)Ier bebaupten ober irerben wir 5U einer ^ITad^t jiDeiten Z\anges I:^erabfinfen? llnfre wad>fenbe Dolfsmenge unb bie einfädle pflid^t ber Selbft- erbaltung »erlangt bas ^rftere; aber unfre Cbancen finb fet^r üiel ungünftigcr, unb nur bei äu^erfter 2(nfpannung aller Kräfte u)irb es pielleid-jt möglid) fein. Die Vfladit, bie u?ir 5U unfrer nationalen Selbfterl]altung braudjen, fann itiemals ein ge» bunbenes Volf aufbringen, fonbern nur eins, bas in DoIIer fr^i^^cit fid] regen unb u?ad]fen !ann.

Bismarcf war Fein prin3ipieUer (Segner einer freil]eitlid^en Derfaffung. (£r Jiat fd^arfe Urteile über ben 2lbfoIutismus ausgefprod^en unb u?ar ebr^ lid^ überseugt uon ber ZTotwenbigfeit imb berrv

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Ttu^cn bc5 Konftitutionalisiuus. (5. 3. (5ebatif. 11. (Erinn. II, 5. 60 f. 68.) Cro^bem Bjat er bcr Derfudiung nadigec^eben, bic Sosialbßmofratic mit brutaler (Gewalt 311 Boben 311 (dalagen, mit voeldicm €rfoIge, ift uns hetannt Dies Beifpiel hätte bie Spätem belel:^ren follen. 2tber nod] immer finb nid]t blog bie fonferuatioen ^fjerren im fjaufe", fonbern mit it^nen aud] bie groge ^TTel^rljeit bes Bürgertums, bie qanie „reaftionäre Z\1a\\e", auf ben „Kampf gegen ben Umftur3" he-- ^ad}t unb erfinnen neue ZTÜittel, um bie Sozial* bemofratie 3U pernid^ten. Unb in il^rer fur3fid^tigen, gebanfenlofen Derblenbung upotlen fie nid|t ein^ jetjen, bag il^re plane, toenn fie irgenb u?eld]e ZTlöglid^feit bes (Belingens Blatten, gan3 einfad^ ben Huin X)eutfd7lanbs 3ur 5oIge Jjaben u?ürben. Hid]t nur bie IDobIfaEjrt, fdjon bie (£rnäl:|rung unfers X^olfs berul:jt auf imfrer 3"^uftrie, ber Sieg imfrer Jnbuftrie ijängt ab von ber Qualität unfrer ;$abrifate, biefe ift bebingt burd] bas Bilbungs» nir>eau unfrer Arbeiter, mit einer in il^rem (£mporftreben betjinberten unb gefnebelten 2lrbeiter« fd^aft fönnen wiv nun unb nimmer bie englifd^e unb amerifanifd^e Konfurren3 (dalagen. 23alb irirb ainfer fjeer fidj 3ur größten ^älfte aus ber in* buftriellen Beoöüerung refrutieren unb fd^on je^t ift ein beträd^tlidjer Ceil fo3iaIbemofratifd7, u?oBjin foll es füEjren, u^enn u?ir alle biefe 3U üaterlanbs^ lofen (Sefellen ftempeln unb burd? bie unftnnige Befämpf ung am (£nbe u?irf lidj ba3u mad]en ? Was xoixb überl:iaupt aus bem beutfd)en Volte, wenn wiv

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fernen tüdjtigftcn, aufftrebenbftcn, boffnungsoollfteit Ceil (unb öas tft un3u?cifell^aft btc in ber 5o5iaIbcmo= fratie organiftcrte ©bcrfd^id-jt bcr inbuftriellen Cobn= <irbeiterfd]aft) als „innern 5cuib" bcfämpfcn? (IPcId] unl^eimlid^cr tPal^nfmn in bcm IVovte liegt, fd-jetnt Ttiemanb 511 empfinben.) Hein, bie J^eutigc 2tufgabe iinfers Polfes x?erlangt alle ol^ne ^tusnab^me; nur wenn alle Stänbe iinb Sd^idjten frei 3U €inem -

3ufamntenu)irfen, tjaben rüir eine (^nhuift. Das ganse Deutfdjianb foll es fein! X>as bat ijeute u>emger geograpl^ifd^en als fojialen Sinn. Hnb eben biefes, bag bie beutfd)e politif r»ont gansen Volte getragen iperben mu^, bas ift ber neue Sinn bes Nationalismus, ber Nationalismus im Zeitalter ber fosialen S^<^<^<^' ift^, u?as

ipir mit bem Namen „nationalfooial" nteinen.

IDir hßhcn bisl]er nur ber Stimme ber poIi= tifd]en Klugl^eit gelaufd^t, unb biefe fagt uns : IPir braud^en 3ur €rl^altung imfrer nationalen (Efiften^ (politifd) unb üolfsroirtfdiaftlidi) 21Tad]t, r>iel 2Tüadjt, politif d]e unb roirtfd^aftlidie 2Ti[ad]t, 2Tüilitarismus unb 3nbuftrialismus, ZTTenfd^en unb (Selb. Unb barum braud]en ujir 5J^etBjeit, X)emofratie, fo3talen 5ort- fd^ritt unb ^ilbung. Venn voiv braud^en mebr ZHad^t, als autoritatiue (Sebunbenljeit unb ftaat* lid^er ^toang erseugen fann. Unb in einem münbigen Polfe fd^afft bie^reil^eit mel^r2Tfadjt als bet^voang. Od? u?eife 3um Sd^luffe fur3 barauf l]in, bag eben basfelbe aud^ bas (Sebot unfrer mobernen (£tl]if verlangt. X)er (Srunbfa^ ber Kantifd)en fo3ialen (£tl^iF ift be!anntlid], bag u?ir einen ZlTen=

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fdjcn niemals bloß als ZITittcI gebraud^cn follcn. Vas ifts aber gerabe, u?as bcr abfolutc Staat tut: er nimmt bie Zncnfdien Icbiglid? als 2TJitteI für feine ^wcde unb sruingt ibnen feinen lOillen auf; unb felbft roenn er fid? uielleidit il:jre lDobIfal:|rt 3inn ^wede fe^t, er geflattet iJjnen feine eigne (5t»ecffe^ung unb ad^tet fie nidit als freie, fid^ felbft beftimmenbe IDefen. Hur im bemofratifd^en Staate ift ber Bürger frei, benn er fteljt tjier nur unter (Sefe^en, an beren ^u^ianbetommen unb 5ortbauer er felbft irgenbu)ie beteiligt ift. (£r ift bier nid^t nur ein 21TitteI für bie 5u?ecfe bes Staates, fon* bern ber Staat ift it^m jugleid] ein Ttlittel für feine ^ipede, 5ur Deru?irflidjung feines politifdjen 3beals. (£r ift sugleid) Subjeft unb (Dhydt ber politif.

So finben w'w bie ;$orberungen ber Klugl^eit unb ber Sittlid]!eit in üollfommener Übereinftim* mung, roie es notu?enbig ber S<^^ ^t, voenn roir ben Blicf nicbt auf ein (£in3elnes, fonbern auf bas <5anie ber men]d^Iid)en fjanblungen rid]ten. X>enn beibe finb ja nur üerfdncbene Birten, basfelbe 5U betrad^ten, nämlid] unfer Cun in feiner eigentüm* Iid?en (5efefemägigfeit.

4. V ex neue Ciberalismus. l^ielleidit hätten w'w vor 1^/2 3al]ren ijier unfre Betrad]tung ber nationalfosialen politif ah-- bred^en fönnen. Seitbem ift eine Deränberung in ber äugern Situation bes Hationalfosialismus ein» getreten, bie uns nötigt, ben Blicf nod? nad] einer

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anbern Hiditung 5U rocnben. 2luf bcm Ickten Vevtxetextage am 29,/30. 2tucjuft \^03 in (Böttingen Ijat Haumann bie ^luflöfung bes nationalfostalcn ^cntralucrcins unb für fid] mit ber großen 2Tfcbr* jatj! feiner ^nJ^änger ben ^nfd^Iug an ben IDalil* »erein ber liberalen vollzogen. Seitbem gibt es eine nationaIfo5iaIe partei nidjt mebr, fonbern nur nod] nationaIfo3iaIe Canbesuerbänbe, ©rtsüereine imb (£in5eIperfonen, bie fidi, fou?eit fie überl:jaupt politifd] eingegliebert finb, sur 5reifinnigen Bereinigung red^nen.

Diefer Sd^ritt entfprang ber eignen 3"^tiatir)e Haumanns unb u?ar bas (Ergebnis ber 3ipeiten loieberum erfolglofen Beteiligung ber National» fojialen an ber Heidjstagsrpat)!. €r erregte 5U» näd^ft bei faft allen feinen 2lnl|ängern Befremben unb Untpiüen. XPenn Haumann bann bod^ in ix>enig IDod^en es fertig gebrad"»t hßi, ben größten Ceil feiner partei umsuftimmen unb auf bie neue 23aJ^n mit3urei§en, fo ift bas allgemein als ein ftrategifd]es ZlTeifterftüd unb eine Kraftprobe erften Hanges betDunbert u?orben. 2tber aud] mand^e, bie il^m folgten, Ijaben fid] bamit nur balb toiber* Jüillig ber einmal gefd]affenen Situation gefügt unb fein Derl^alten burd>aus nid]t gebilligt. Unb 2Inbre fxnb bamals für immer an il^m irre geiüorben.

2di glaube, alle, bie bamals Haumann tabelten, il^m 2TJangel an pf(id]tgefül^l ober an ^usbauer r»oru?arfen (aud] \di gel^örte basu), u>aren fid? bes Unterfdjiebes jtDifdjen ben pflid^ten bes Solbaten imb benen bes 5ßlbl>errn nid^t beupu^t.

^. m e Y e r : 5rbr. naumann. 12

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Vet Solbat fcnnt nid^ts f^öBjeres, als auf bcm il>m angeroiefcnen poftcn aussutjarrcn ; er tut feine 5d]ulbi9!eit unb ftellt ben Sieg (Sott anl^eim. Der fjeerfübrer farm unb barf nidit fo l>anbeln, für ihn verbietet ftdi bie Cofung „fiegen ober fallen", benn er ift für ben (Srfolg unb für bas 5d]icffal ber itjm anvertrauten Cruppen r>erantu?ortlid:?. (£r barf fie nid]t nu^Ios in üergeblidjem Kampfe auf r>erIorenem poften aufreiben, fonbern nuig fie auf= fparen für eine (5elegenl:>eit, bie ^lusftd^t auf Sieg 5eigt. So modjte fid? ber einselne Tcationalfosiale begnügen, feine Über3eugung 3U vertreten unb 3U ruarten, bis einmal bie <3eit für praftifd]e Betäti« gung fommen u?ürbe. Hid^t fo Haumann. (£r fonnte ben Kampf, nadjbem er feine ^usfid^tslofxg» feit erfannt I:>atte, nid7t fortfe^en unb fidj unb feinen 5r^iinben weiter bie ®pfer an 2Irbeit, ^eit imb (Selb auflegen. So mar fein erfter (Sebanfe, einfad? bie poIitifd]e 2lrbeit ein3uftellen. 2tber bies roürbe in ber Cat gebeigen l^aben, alle biejenigen, bie pon il^m gelernt J^atten, was politif ift, unb 3u il^m als il:jren 5üBjrer auffd^auten, jefet rat= unb I|iIfIo5 3u laffen, bas mit unfäglid?er ZHütje ge= fammelte Kapital von politifd^er (£infid?t unb (£nergie 3u r>erfd]Ieubern. Unb fo Ejat er u?eiter Qe^adit, bis er einen 2(usrt)eg fanb, ber bie 5ortfe^ung ber poIitifd]en 2lrbeit in anbrer IPeife möglid] mad^te.

Die eigentlid^e Hieberlage \aii Haumann nidjt barin, bag r>on allen nationaIfo3iaIen Kanbibaten nur ein ein3iger in bie Stid^maljl (unb nad-jl^er in ^>en Heid^stag) fam, fonbern in bem ^lufd^mellen

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^er 5o5taIbcmofratie sur Hicfcnpartei r>on mcl^r als 3 2TIiIIioncu Wä^ievn. Damit wat ber ur» fprünglid^e (5cbanfc ber (5rünbcr bes national* f05talcn Vereins: neben bic internationale Sozial* ^»emofratie eine nationale 2(rbeiterpartei 5u [teilen, eis unausfüJ^rbar eripiefen. Cro^ allen rnül:jen unb ben beften (Srünben famen bie 2Irbeiter bod^ Tiid^t 3U uns (mit geringen ^lusnal^men), fonbern jur 5o3iaIbemofratie. Der Kolog 30g allein burd^ fein <3evoidit immer neue llTaffe an. Unb fann man es benn jemanb oerbenfen, wenn er lieber ^a ^nfd]Iug fud?t, wo nid]t nur guter IDille ift, fonbern aud] bie ZlTad]t 3U fein fd]eint, ben IDillen ^urdi3ufe^en? Da3U fam, bag ber nationaIfo3iaIe <5ebanfe ben geu?otinten (5ebanfengängen 3U fel^r 3uu?iberlief, um in bie poreingenommenen (Sel^irne t)er Arbeiter leidet unb fd]nell (Eingang 3U finben. IPas fidj tatfäd]Iid^ in 7 2<^\:ixen um bie national* f03iale Sabine gefdjart tjatte, fam tpeit überu)iegenb aus bürgerlidien Kreifen, befonbers aus ben ftu* bierten berufen. So gel^örten u?ir 3U ben anbern Parteien ber bürgerlid^en Cinfen, unb unter il:jnen he\an'ö fid] eine, mit ber u?ir in u?efentlid]en punften einer 21Ieinung iparen: eben bie 5 i^^i finnige Pereinigung. Diefe Übereinftimmung «?ar bei rerfdiiebenen <5elegenl^eiten 3utage getreten; nament* lid] im Kampf gegen bie (5udjtI:jausi?orIage unb ben Zolltarif l^atte fie genau bie fjaltung ein* genontmen, bie wix verlangten unb im Heidjstage leiber nid]t r>ertreten fonnten. Da femer bie gleid]e Situation Kampf mit agrarifd?*flerifaler He*

12*

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aftion unb 5d]u^3ÖlIncrct üorausftd^tlid? iiod? bie näd]ftcn 2a):ixiclinte I^inburd? fortbaucrn roirb, fo xvax Ttidit 3U befürditcn, bag bte (£intrad^t fo balb eine Crübimg erfal^rcn roiirbc. €5 tx)ar alfo bic rid]tigc Konfequcns aus bcr (Erfcnntnts biefer Hbereinfttmmung iinb ber Catfadie, bag u?ir u)tber unfern IPillen eine faft rein bürgerlidie Partei cjemorben u?aren, bie Haumann $og ; unb er Ijanbelte jugleid) in (Semä^l^eit ber fo oft laut getporbenen Klagen über bie (gerfplitteruncj ber bürgerlid^en £in!en unb tat einen erften Sdjritt 5ur 5d7affung ber liberalen (5efamtpartei ber ^ufunft, inbem er einen ^ufammenfd^Iu§ biefer beiben (5ruppen I^erbeifüJ^rte. fjeute, mo ein ^^Hv ba^ rüber ^erfloffen ift, fönnen xv'iv feftftellen, ba§ bas llnternet^men fid] hewä\:ixt B^at.

2ll5 ber 5o3iaIi5mu5 suerft auffani, ba u?ar ber Liberalismus ber ^ßi^ib, an bem er bie ganse Kraft feines fjaffes erfd^öpfte; benn ber Ciberalis* mus, bas u?ar ber Kapitalismus, bie 33ourgeoifie, bas ZHand^eftertum. Das galt 3unäd:)ft von ber Sosialbemofratie. 2lber aud] bie an^exn formen bes 5o5iaIismus teilten biefe ^bneigimg; ja, fte tourbe bei it^nen nodj burd^ befonbere religiöfe unb nationale ober rid^tiger monard^ifd^e (ßegenfä^Iid]* feiten gesteigert imb gefärbt. ZlTit biefer 5^i"b* fd^aft voav Haumann geu?iff ermaßen erblid] belaftet^ üon XDidjem unb üon Stöcfer Ijer. 3ft "^^^ merfrpürbig, ift es nid]t eine ^xome ber (ßefdjid'jte, ba§ er nun bod) in ben fjafen bes 5i^^ifi""5 ein*

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laufen mu^te? 2^ ücrftctje bie Dericunberung vielet DoIIfommcn; aber idi glaube, bag bei nät^erem <3ufel:)en jeber 2(nla§ basu fd^tt>mbet.

Um bas r>ortt?eg5uneljmert in natto* Tialer Bestellung hiat iwijdien Haumann unb ber ll'iex in 5i^<3ge ftel]enben Parteigruppe nie ein merflid]er Unterfcbieb beftanben. €in furser Blicf auf it^re Dorgefd^id]te fei I^ier geftattet.i)

national unb liberal fmb X>inge, bie inDeutfdi* lanb urfprünglidj innig üerbunben u>aren. Das einige, freie X)eutfd^Ianb ipar lange ^eit tjinburd^ ^as liödi\ie 5el:jnen unb ber fd^önfte Craum bes ^)eutfd)en Dolfes. Diefes Streben u?ar bamals revolutionär, benn es mugte fid] gegen bie be-- ftel^enbe Kleinftaaterei ridjten, unb es wat burdv aus ibealiftifd?. 2lis man \8^9 ^iele 3U fein glaubte, ba seigte es fid], u?as fel^Ite: bie reale Ztladtii, um ben Craum 3U r>ern?irflid]en. ^bet erft nad} ben erften großen Erfolgen Bismarcfs begriff ber eine Ceil bes Ciberalismus, bag bie <£inlieit X)eutfd:|Ianbs nur mit Blut unb (£ifen 3U= fammengefd^tpeigt werben fönne unb ba§ Bismarcks IPeg ber rid^tige fei. Unb erft in ber im Q)tt \S66 gegrünbeten nationaMiberalen partei ijat ber ZTationalismus ben l^eutigen ftaatsert^al- tenben" 3nl]alt befommen: 2Tlad?tpoIitif unb TXi'di'' tarismus, Sie leiftete Bismarcf begeifterte fjeeres^ folge unb I^at an bem nationalen €inigungstt?erfe u?acFer mitgetjolfen. 2Iud) im neuen Heid^e u?ar

Dgl. 6a3u Demofratie unb Kaifcrtum^ 5. ^35 ff.

\S2

fte bis 1878 bic aiisfdjlaggcbcnbc partei. ^bcr anftatt x^xe XWadit 3um ^tusBau bcr X)cmofratie 5u bcnu^cn, folgte ftc Bismar^ aud] ba, als er bte liberale Baljn verlteg. 5d]on bie erfte cjroge innerpolitifd^e 2lftion, t)er Kulturfampf, ipurbe iijr 5um Sünbenfall. Seitdem ift il^r Ciberalismus immer mel^r in bie ^rüd]e gegangen i;nb je^t mad^t fie von iBjm im allgemeinen faft nur nod) rl^etorif d^en (5ebraud?. Xluv eine (5ruppe unter Hi(Jert5 5ül?rung mod^te ben neuen, burd] Sd^u^' 5ÖEe unb Sosialiftengefefe gefennseidjneten Kurs nidtit mitmad^en. Sie trat am 5. 2lug. \880 als „Ciberale Bereinigung" aus unb vereinigte fid] am 5. TXiäxi \88'{ mit ber (in preu^en \86\ ge* ftifteten) Deutfd^en 5ort[djritt5partei (unter Hid^ter) 5ur X>eutfd7freifinnigen partei. 2tber \8^5 trieben 2Ttilitärfragen bie beiben Ceile u?ieber aus ein* anber; am 6. Vflai fpaltete fid^ bie 5reifinnige partei in 3tt)ei felbftänbige 5r<jftionen: ber ftärfere anti* militärifdie Hid^terfd^e 51^9^1 nannte fid? „^reiftn-- nige Dolfspartei", ber militärfreunblid^e unter Hi(fert bilbete bie 5i^ßifi""i9ß Bereinigung, ^iefe ift alfo bas (Srgebnis einer boppelten 5e3ef* fion, r>on benen fie bie eine üoHsog, um it^ren Ciberalismus, bie anbere, um il^ren Nationalismus 3u retten. Daxaus erl^ellt, ba§ fie allein bie alte Bereinigung beiber prin3ipien, bie urfprünglid^e Cinie bes Hationalliberalismus gemaJjrt Ijat.

Komplisierter ift bas Berl^ältnis 3u?ifd]en Liberalismus unb 5o3ialismu5.

\) Liberalismus ift einerfeits eine politifd^e, cmbrerfeits eine rDirtfd|aftlid]e 3bee. X>er poIi=

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tifd]C Liberalismus ipill 5i*^i^]cit im Staate, VoUsvedite, Demohatie, 53ßtciligung aller am Staate nnb Sid^erung cjegcn Übergriffe bes Staates. Das allgemeine Wal^lvedit (für alle Vertretungen) unb Dereinsfreil^eit finb feine f>auptforberungen. Sein 2X)iberfpieI ift bas ^lutoritätsprinsip bes Konferwa« tii>ismu5, bie patrtard]alifcl]e ^eüormunbung burd? ben poliseiftaat. Viesen Liberalismus vertritt natürlid^ aud? bie Sosialbemofratie; ol^ne il^n I^ätte fie nie auffommen fönnen unb fönnte fie fid? feinen Cag he^au^ten. Unb upenn bie d^riftlid]=f03ialen Strömungen anfangs ftarfe fonferuatiue Heigungen ge3eigt I^atten, fo l^atte Haumann von voxn l^erein bavan nldit teil genommen. 3" <^^^^ biefen fingen l^at alfo 3u?ifd?en Haumann unb bem Hicfertfd]en 5i-*^ifi"n ftets nöllige Übereinftimmung gel^errf djt.

2) 2tuf u?irtfd]aftlid]em (5ebiete I^at man bann n?ieberum jupifd^en äußerer unb innerer politif (u?enn ber ^usbrucf geftattet ift) 5U unterfd^eiben. Unter äußerer U:)irtfdjaftspoIitif r>erftel]e id? bie Stellung bes Staates 5U bem internationalen (5üter» austaufd?. fjier ift bie Cofung bes Liberalismus ber 5i^^iJ^cinbeI. Unb and) I^ier ift bie Sosial» bemofratie mit itjm uollfommen einig. Denn bem ^uslanbe gegenüber tjaben fie beibe basfelbe ge* meinfame 3ntereffe am (ßebeil^en unb Ertrage ber beutfdKH 3nbuftrie. dagegen liat Haumann nid^t Don Einfang an biefen Stanbpunft einge= nommen. 3" ^^^^ U)ürbigung Bismarcfs, bie er in ber „fjilfe" üom 3\. IXiäxi \S^5 gab, red^net er es 3U feinen Perbienften, bag er „ber 5üJjrer

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Bei ber HücffeEjr t?om 5i^ßi^jcinbel 5ur nationalen ^olltüirtfdiaft" n?ar. Dodi ift er 3iemlid7 halb unb grünblidj baüon surücfgefommen. Diefe BefeEjrung 3um 5rßil^önbel ift feBjr bemerfenstpert gerabe bei einem Xdanne, ber anfangs fo tceit r>om 5i^^ifinn entfernt ix)ar, ber immer burd^aus national geftnnt unb niemals t>on Cl^eorien befangen tpar, unb foUte allen el^rlid^en ^oUfreunben ernftlid^ 3U benfen geben. Hun roirb in ber nationalfo3ialen Citeratur bas 3efenntnis 3um 5i^eit!cinbel meiftens nid^t als eine prin3ipienfrage, fonbern als eine 5i^öge augen-- blidlid^er <5tt>edmägig!eit B^ingeftellt. ZHir fdjeint, biefe 2)arftellung rt?irb ber Sadje bod] nid>t gan3 geredet. Hid^tig ijl, ba§ es für uns nid|t ein <5lauben5arti!el ift, bag 5i^ßil?cinbel unter allen Umftänben beffer als 5d:?u^3oll unb imbebingt ge« boten ift. 2tber ba§ toir 5i^ßtl?<inbel braud]en, ift bod? aud] nid^t ein 3ufälliges Ergebnis ber augen= blicflid]en £age, bas fid^ möglid^er IPeife morgen änbeni fönnte. Sonbem fo fteljts: 5i^ßil^<inbel ift bie IDirtfd^aftspoliti! eines u>irtfdjaftlid^ ftarfen, röifen, fonfurren5fäl:)igen Üolfes. Sdju^söUe braud)t nur eine Dolfsipirtfdiaft, ober ein XX)irtfd]afts3u?eig, ber nod] in ben Anfängen ftedt, nod] nid|t 3U feiner üoUen Ceiftungsfäl^igfeit gelangt ift, unb in biefem Stabium burd? bie Konfurren^ eines ftärferen Hebenbul^lers in feiner (Snttüicflung gel^emmt lüerben fönnte ((£r3iel:jung53Ölle); unb ^ölle r>er= langt ebenfo eine niebergeljenbe Hation ober 'Be- triebsform, bie nidjt meEjr basfelbe leiften fann, u?ie bas 2tuslanb, obipoljl fte aud^ burd^ alle ^ölle eine bauerljafte Befferung nidjt erreid?en

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fann. ^öHß fint> eine Krücfc, biß ba5 Kinb unb bcr (Sreis nötig iiat, bie aber für ben gcfunbcn ZHann nidjt nur unnü^, jonbcrn Jjöd>ft fdjäblid^ ift. €inft xvav es bie 3"^wftrie, bic S'oüe verlangte, bcnn fie ipar bamals nodi idivoad} unb iment» toicFelt. 3n3U)ifd]cn I:jat jte ftd^ 311 einer felbft iijrer englifd^en Sdiwe^iex nidit nur geu?ad^fenen, fonbern üielf ad? überlegenen Hiualin au5geu?adifen unb bebarf vom Staate nidjts metjr, als bag fie freien ZTlarft unb überall offnen, burd? feine <3oII= fd]ranfen r>er[perrten (Eingang finbet. Unb bie 2^grarier, früEjer bie eifrigften 5rciJ^än^I^i^, finbs, bie je^t nad? (Böllen fdjreien. läge es nun fo, bag bie ^ufunft unfrer gefamten Canbmirtfd^aft von ben Sd^u^jöUen abl^inge, fo I^ätte man freilid] allen (Srunb, fid? 5U het>enten. 2lber bas ift be» fanntlidi keineswegs ber 5tiü. PielmeE^r finb es ausfd)Iie§Iid] (ober faft ausfd]Iie§lid?) bie (Srog* grunbbefifeer, benen 5d^u^3ÖIIe ein Bebürfnis finb unb 3ugute fommen. XOeidies Jntereffe Ijätte bas beutfd^e Volt, biefen Stanb fünftlid^ 3U erl^alten, ber unfrer gefamten politif ein unerträglidjes fjemmnis ift, ber ber gefd^tuorene ^^inb jebes politifd^en unb fo3iaIen 5ortfd]ritts ift, ber unfern ®ften entoölfert unb polonifiert, unb 5U biefem <5u?ecfe eine ber (Sefamtl:jeit l^ödjft unnatürlid7e unb üerberblid^e politif ein3ufd?Iagen ? X>ie beutfd^e DoIfsu?irtfd]aft ift ben Kinberfd-jutjen entu)ad>fen imb über bie ^eit ber „ifirsiel^ungssöUe" ein für allemal Bjinaus. IDenn u?ir uns für 5i^^^il^<inbel erflären, fo fpred^en wiv bamit aus, bag voit fie für münbig unb fonfurren3fäl?ig I^alten. Unb fo geu?ig

\S6

voxv Bjoffcn, baß imfer Volt nodi lange ein gefunbes- imb aufftrebenbes [ein voirb, fo ftd]er wirb auf ab* feljbare ^eit l^in nid^t 5d?u^3oII, fonbern 5rei* I^anbel für uns Cebensbebürfnis fein. X)ie Hot^ rrenbigfeit bes ^ollfdiu^jes n)ürbe ben Eintritt ber 2IIter5fd^ix?äd^e unb X>efaben3 bebeuten. Das 5u befürd^ten, E^aben roir einftu?eilen feinen (5runb. IPenn uns Ijeute burd? ben 5u?ang ber politifd^ert Cacje aufgelegt trerben, fo ift bas ein ZTTi^^

r>erl]ältnis, bas roir mit allen Kräften 3U I:jeben bemüt|t fein muffen.

3) Die ganse Sd^ärfe bes (Segenfa^es be» fd]ränft unb fonsentriert ftd^ alfo auf bas (Sebiet ber innern ID irtfd?af tspolitif.i) Unb l^ier fdjeint fte 3unäd]ft unübertpinblid]. Der Ciberalismus fe^t alles auf ben (£in3elnen; er m'di biefem freien Haum fd]affen, feine Kräfte 3U entfalten unb 3U nutsen ; er entartet alles r>om freien Spiel ber ftd) felbft überlaffenen Kräfte, unb von ber auslefenben unb fteigernben Vfladit bes Kampfes ums Dafein. 5reie Konfurrens unb freier ^rbeitsuertrag ! (£r »erlangt ^efd]ränfung bes Staates auf bie Z^oUe bes unparteiifd^en f^üters bes Hed^ts. Dagegen u?ill ber 5o3iaIismus 0rganifation bes gan3en probuftionsbelriebes burdi bie (5efeIIfdjaft ; ber (£in3elne fügt ftdj ber feftftel^enben 0rbnung ein, imb biefe fdjü^t il]n unb forgt für iE^n.

Der IX)iberftreit beiber prin5ipien u?äre in ber Cat unlösbar, toenn fie fid] in il^rer extremen Heinbeit Ijätten bel^aupten fönnen. Das ift beiber* eits nid^t ber ^aU..

t^ier3u Demofratie unb Kaifcrtum^ S. 26ff.

\S7

^eim Sosialismus, bas a^ffen ipir fd^on^ bat bas alte pbantaficibcal eines c^ani fo5taIifti|d^ georbneten ^ufunftsftaates längft alle Bedeutung üerloren. IPeber ber ^^^in^^ftc^at nadi bent 21Tufter bes Looking backward, bei* nadti IDillfür mit bem (£in5elnen fd]altet, nodi bas freie Syftem von 2lrbeit5genoffenfd"!aften in „5reilanb" {v. .^er^fa) ftnb 3^<^^"/ bencn mir irgenbipie ernfttjaft

politifdi red]nen tonnen. Soweit ber Sosialisinus nid-jt eirtfad^ Befferung ber Cage ber 2trbeiter auf bem IDege ber Selbftliilfe burd] 0rcjanifation be* 5ipecft ber (5eban!e ber 0rganifation ift 5ipar bem reinen Liberalismus fremb, u?iberfprid]t it^m jebod] nidit cjerabesu , läßt er fid] auf ju^ei fragen 3urücffüb^ren : \) 3nu?ieu?eit ift Überfütjrung einselner ^Irbeits^ipeige in Staatsbetrieb 5U« läfftg unb ipünfd^ensipert? 2) lU^ieixieit barf imb foU ber Staat gefe^geberifd? in ben prir>at = u?irt* fdjaftlid^en Betrieb eingreifen?

X)ie erfte 5rage l^at längft iliren prinsipiellen CEjarafter abgeftreift, ba bie beiben ertremen lint- u?orten ausgefdjioffen finb. Seitbem einzelne große Betriebs3u?eige, u?ie bie poft unb im (5rogen imb (5ani<>n bie €ifenbal^n, Staatsimternel:jmung ge* u?orben ftnb, ift ber gän3lid^e 2lusfd]Iug bes Staates r>on ber IPirtfd^aft unbenfbar. (£benfo I^at jene fosialiftifd^e Utopie einer Übernal|me ber gefamten probuftion burd^ ben Staat aufgetjört, bisfutierbar 5u fein. Die ^J^age, ob prir>at= ober Staatsbetrieb, läßt ftd] alfo nur für jeben einseinen ^we'ig von. 5all 3U 5<iII nadi (5u?ecfmäßigfeitsgrünben entfd]eiben.

^as^tnbre, bie^lrbeiterf d^u^gefe^gebung^

{88

ift allcrbings bcm urfprünglidicn Cibcralismus 3utpit)er. Dod] rocrbcn beute nur Xüeniqe prin» ^tpienreifer genug fein^ um fte in 23au|'d^ unb ^ogen 3U oermerfen. ^ud] ift btes nur bei einer fel^r fladjen unb äugerlidien ^uffaffung bes Cibe* ralismus möglidi. Denn ber Arbeiter, ber nidjts bat als feine Arbeits fraft unb biefe, um nid>t 5U rerl^ungern, 3U jebem gebotenen preife werfaufen "»Ttu§, l^anbelt er frei unb fann er überEjaupt ^inen freien Dertrag fd^Iie^en? 3ft ^'^^ 5u?ang •bes fjungers gelinber als ber bes Staatsgefe^es? X>ie (£rfaB>rung iiat ge5eigt, ba§ überall, wo fidj ■bie 2Infänge bes 3"^iifti^t<^Ii5^ii5 imter ber fjerr* fd^aft bes laisser faire entipidelten, bie 2lrbeiter Balb nid^t nur alle freie Selbftbeftimmung, fonbem <iud7 jebe 21TögIid?feit einer menfd^enroürbigen ^riftens einbüßten. Wenn nun ber Staat fyev ein» greift, fo befd^ränft er yj^ax bie 5i^ßibeit ber Unter= nel:jmer, nämlidi il:>re 5reil^eit, bie 2Irbeiter rüd= fid]tsIos auszubeuten, aber er befdjränft fie nur 3u (Sunften biefer, um il:|nen einen Ceil il^rer ;$reil7eit unb il^res llTenfd^feins surüdsugeben. (£r erfüllt burd^aus nur feinen Beruf, bie 5reibeit aller 5U fd]ü^en, inbem er bie ^r^i^l^it ber IDenigen minbert, um nid^t bie ^r^i^J^it ber Pielen gan3 üer* ntd^ten 3U laffen. Unb u?enn Bleute alle befonnenen Ciberalen bafür eintreten, fo I:>at roeniger eine (£in» fd^ränfung als eine Vertiefung unb Derinnerlid^ung bes Ciberalismus ftattgefunben.

2lber aud? beim 5 0 3 i a I i s m u s ift bier eine getpifje Derfd^iebung eingetreten, ober fie ift üielleidjt <iud^ nur je^t ins Beupugtfein getreten. 2U5 Hau*

mann auf feine Begrügung buvd) bie (S>enexaU üerfammlurtg bes liberalen IDayüereins erflärte, bag u)ir fosialen 5ortfd^ritt nur auf liberaler (Srunblage tüoüten, ba mod^te bies mand^e im 21ugenblicf frappieren. (£r [agte uns uielleid^t ntd]t5 abfolut Heues, nur tjatten u^ir es uns üorljer nid^t red]t flar gemad^t. 2tber es ift fo. Staatsl^ilfe barf niemals an bie Stelle ber Selbft^ Blilfe treten unb biefe überflüffig mad]en. X>as^ »erlangt ber lUert, ben u?ir ber ^i^eit^eit beilegen. Das »erlangt bie einfädle (£npägung, ba§ ber ^Tenfdj nur bann feine gan3e Kraft anu?enben rcirb, menn er mu§ unb für fein Sd^icffal felbft üerantiDortlid^ ift. Überall, wo 5elbftl|ilfe möglid^ ift, ba perlangen u?ir, gan5 im Sinne bes Cibera» lismus, freie ^atjn für biefe, insbefonbere Koali* tionsfreit^eit, unb »oUe 2lner!ennung bes 2lrbeiters als eines gleid^bered^tigten Kontral:jenten. Unb nur bei ben nieberen Sd]id:jten ber 2lrbeiterfd]aft,. befonbers bei ben ^ungelernten" ^^rbeitern, ben fjausinbuftrtellen ufu?., wo einftu?eilen lüirffame Selbftl:)ilfe unmöglidi ift, muj3 ber Sd^ju^ bes Staates ergänsenb eintreten. 2luf biefer Cinte fönnen fid] Ciberalismus unb Sojialismus r»er* einigen, ot^ne etwas von il^rem 3^^^?<ilt auf3ugeben.

^ennod? tt?ürbe es um bie ^lusfidjten bes ^rbeiterfd^u^es übel beftellt fein, toenn nur biefe allgemeinen etl^ifdjen (ßrünbe für il^n fpräd]en, nidjt aud) (ßrünbe ber ef dj äf tsf lugljeit. Das tann nun nidjt im allgemeinen entfdjieben ruerben, fonbern nur für ben einseinen Unb bei uns in ^eutfd]lanb trifft 5um (ßlüd aud] bies

- -

5U. Die Konfurrensfäl^tgfeit unfrei* 3ii^wftrie be* rutjt md]t auf bcr Billtgfctt, fonbcm bcr (5üte unfrcr IDaren. 3" Bebürfntsloftgfcit fönnen u?ir €5, fclbft bei ben ärgften ^ungerlöl^nen, bod> nie= irtals mit dt^inefen unb ^inbus, \a nid]t einmal mit ben polen aufnel^men. Qualität5u?are aber xierlangt einen ijod^cntipicfelten, gebilbeten 2lrbeiter* ^iant>, Die Untern el^mer banbeln alfo im woh^l- x>erftanbenen eigenen 3ntereffe, rpenn fie bas Streben ber ^Irbeiter nadi befferer Cebensijaltung xmb B)öl:jerer Bilbung unterftü^en. 2Iud) bie Kür* Sung ber 2lrbeit53eit fteigert bie probu!tir>ität ber 2trbeit. So Bjerrfd^t audj l^ier im (Srunb 3"^^^^* effengemeinfd^aft. Die 2lrbeiter Bjängen r>om (Se» beil:>en ber 3ii^wft^^^ (Sanken ab unb müffen batjer alles, was biefer bient, aud^ r>on il^rem Stanbpunfte aus förbern. (£benfo jtnb bie Untere nel^mer an ber fjebung il:jrer 2trbeiter interefjtert. ^eibe aber iperben am beften fatjren, loenn fie fid] nidit burdi unnü^e Kämpfe unb Kraftproben fdjrtJädien, fonbem frieblidie (Einigung auf bem ^oben ber (5Ieid]bered)tigung fud^en.

Die i^eutige Cage ber politifd^en Parteien in Deutfd^Ianb lägt ein ^ufammengeE^en bes entfd^ie^ benen Ciberalismus unb ber Sosialbemofratie als bas einsige 2TtitteI, bie ^errfd^aft ber Heaftion 5U bredjen, erfd^einen. IDir ijaben gefelien, bag bie toirtfd^aftlid^en Dorausfe^ungen für biefes <5ufam= mengel^en üorl^anben finb. VOenn fie l^eute an* fangen, ftd^ 3U einanber 3U ftnben, fo I^aben fie ftd] allerbings beibe in getoiffer IDeife geroanbelt; aber fie Ijaben bamit nid]t it)r IDefen aufgegeben,

onbcrn nur tiefec begriffen. Dies alles b^at fein le^tes 5unt>ament in öer inneren ^ufantmengel^ö* tigfeit öer prinsipien bes Ciberalismus unb bes Sosialismus.

Hat i onalismus, Ciberalismus, 5o5ia = lismus bas finb öie ZlTäd]te, bie ben Staat Bauen unt) bas politifdie Ceben berDorbringen. Der Hationalisnius Derftd^t bas 3ntereffe bes Staats^ gan5en: llTad^t nadi äugen, (£inl]eit im 3""^i-*^^- Der Liberalismus tritt ein für bie Hedite bes <£in3elnen im Staate unb gegenüber bem Staate. Der So5iaIismus ift ber politifd^e lOille ber llTaffe, bie nur als 21Taffe, nid]t in ^orm ein5elner ^n- biuibuen fid] burd]fefeen fann.

Diefe brei Criebe finb nid]t notipenbig imb roaren nid]t immer in Streit mit einanber. Hatio^ nalismus unb Liberalismus l^aben einen feften 23unb gefdjioffen in ber alten nationaltiberalen Partei, ^ud? ber So3iaIismus voav nid^t von ^n* fang an unnational. (£s ift hdannt, bag \S62 eine ^rbeiterbeputation fid^ 3um (Eintritt in ben ZTationaIr>erein melbete, unb iljre 2lbu)eifung erJjeltt bie unglaublidje Kursfid^tigfeit unb innere Sdiwädie ^er liberalen Bourgeoifte, beren r>erI^ängnisr>olIe Hefultate tr»ir i}eute beHagen, Dann aber gingen bie brei 3been in Deutfdjianb gans auseinanber, fanben ii^re Cräger in r>erfd^iebenen Parteien unb befämpften fid? grimmig als Cobfeinbe. Der Nationalismus tpurbe bas prir>ileg ber KonferDa* tiuen (bie erft r>iel fpäter „national" geu?orben ioaren als bie Liberalen), benen man je^t audj bie

\92 -

nationaUihexale partei im (Sanken ^uxed^nen mu§; bcr Ciberaltsmus ^üditctc ftd-} 3um „Sveifmn'^ ber Sosialismus fanö in ber internationalen 5o3iaI* bemofratie eine ftets tt)ad]fenbe (5efoIgfcl]aft.

Diefer XPiberftreit ift bie eicjentlidie VOuviei iinfrer unglütflid]en poIitifd]en ^uftänöe. ^ie por^ anfteEjenbe Betrad^tung l|at uns gelel:|rt, bag er ein r>erl>ängni5PoIIer 3^^^^tii^ ifr '^^ ift "i^il^ lüefen jener prin3ipien begründet, fonbern in ibrer einfeitigen unb oberfIäd:^Iid]en ^uffaffung unb ber j)oIitifd^en Kursfiditigfeit iJ^rer Vertreter. €ine grünblidjere, vertiefte Cinfid^t leiert, bag fie r>iel- niet^r 311 einanber gel:jören iinb fid] gegenfeitig. forbern, baß fie nur in iE^rer Bereinigung iBjr eignes XPefen erfüllen unb bas Wohl bes beutfd^en Pater* lanbes fd-jaffen fönnen.

DieIIeid)t toirb es befremben, ba§ bie (£r* u^ägung ber poIitifd]en (ßrunbmotiüe bas gleid^e Hefultat ergeben hßt, wie bie ^etradjtung ber I^eutigen politif dien Situation X)eut)d]Ianbs, mit ber bies Kap. begann, unb roie bie X^arlegung bes allgemeinen etbifd^en ^unbaments ber politif, roomit bas porige fd^Iog. Das erfdjeint als u?iflfürlid]e Konftruftion. Unb fo ift es in ber Cat unb mufe fo fein, ^e^ev Derfudj, ein großes 5ßlb bes geiftigen Cebens als gan3e5 3U überblicfen, muß an geroiffen 3been orientiert unb baraus fonftruiert fein. Die Sxaqe ift nur, ob bie Konftruftion ben Catfadjen geredet roirb, ob fie nid^t roefentlidie Ceile ber ge* gebenen lOirflid^feit überfiebt ober entftellt. lPie= roeit bas bier gelungen ift, muß id] bem Urteil ber Kunbigen überlaffen.

195

Die ^usbil^ung luib Dcrbrcitimg ber poIiti]i-;en (Sefamtaujfafi'ung, bcren (SrunMintcn J^ier v^erfoUjt finb, ift bas eigcntlicbc Cebcnsiper! ZTaiimanns. 3br bat er burd^ feine Sdn-iftcn, Vorträge, (5eit= fdu'iften gedient; in tbreiu X)ien|'te l^at er audi ^cn Perfud] einer eignen parteigrünbung geu?agt, un^, als bie 5orm 511 eng ausfiel, fie mit eigner r>anb 5erbrod^en nnb burd^ ben ^Infd^Iuß an bie 5rei= finnige Bereinigung ein leiftungsfäbigeres 0rgan 3U fdiaffen gefud^t. Unb biefc partei, beute bie fleinfte aller felbftänbigen Parteien bes beut] d^en Keidjstages, ift es, an ber je^t 5unäd]ft unfre Ijoffnung auf eine beffere 5ii^ii"ft bängt. ^ITögc fte, beren nationale unb liberale (Sefinnung ftets unerfdnittert geblieben ift unb bie je^t it>ren Liberalismus fo erweitert unb vertieft, bag er aud^ ben 5o5iaIismus mit einfd^Iicßt, möge fte 5um Krvftanifationspunft u?erben für alles, tvas ivabr» baft liberal ift, unb möge fo aus ibr bie neue beutfd-je Cinfe beruorgebcn, bie ims v>om ^'^d'^c öer Keaftion erlöft unb 5U neuen rjöben beutfd^er (Srö^e, 5rei^?ßit unb (Sefittung fübrt I X)ie partei ber ^iifimft, beren iPablfprud^ beißt: Station lismus, Liberalismus, Sosialismus ge- f>ören jufammen, benn nur r>ereinigt ergeben fie eine gefunbe beutfd^e politif. 2luf fie boffen unb fie vorbereiten, bas ift alles, mas uns bie (Segen= ipart erlaubt.

^3

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Vom Perfaffcr Dorlicgcnber Sd^rift crfd^icnen frütjcr:

f^cröers IDerfe I, \. Übcrfc^ungett. I, 2. Stimme ber

Pölfer. (Kürfcbncrs Deutfd?c ZlattortaI= iCiteratur.

7^. 3anb. Stuttgart, Union ^893.) Die Sprad^e bcr Buren. ((Söttingen, ^r. IDunber, \90\.) XHoberne Heligion. Sc^Ieicrmad^er. Xllaeterlincf. (i^eip3ig,

(E. Dieberid^s, ^902.) Pie moberne Literatur unb bie Sittlidjfeit. (Seipßig,

f?. Seemann Zlad?f., 1(902.) £ucinbe unb lex ^ein3e. {(Zhenba \905.) Zlaumann=Bud?. €ine lluswa^i flaffifc^er Stücfe aus

^r. ITaumanns Schriften. ((Söttingen, Danbent^oecf

& Hupred?t, ;903.) i^erber unb Kant. Der beutfd?e 3^^^tli5mus uub feine

Bebeutung für bie (Segentüart. (fjaüe a. S., (Sebauer*

Sd?u)etfd?fe, ^90^.)

Verlag vonTandcnboeckÄ Ruprecht in Göttingen.

fr* jVaumann: 6ottC9bUfe*

GeTamtausgabe : 380 Hndachten, fachlich geordnet.

(Sin ftarJcr ^aitb gr. 8. 4—7. 3;aufettb. ^^retö in Sujbbb. 6 mt , feine atuögabe 7 9Kf. 80 ^fg. (.palblebcrbanb.) 3)tc f leine Slu^c^abe— T ^^änbcficn 311 je Wd. 1,80 tjcb., 50Zf. 1,40 fart. bleibt banebeu befte()en 2)ic 5.^änbc 1, 2, 4 u. 5 enti)altcn befonbere, teilrocifc Iäiu"icre (Sinlcitiiniien, 2Bb. 7 ent* f)'dU ein au5fül)rli(l)eö Sad)- nnb 2:ertr e 13 ifter über alle [iebcn Sänbcficn.

^U- 0 f 81 b 0 I f £> g t n Q (f fdjveiöt onlöftlid) beS ©ric^cincnS ber 0es f amtaueflabe in ben ii^reuR. ^afrbücöern : „31 d| kenne keine «n>ere öomm- htn0 d)rifliid)er ^etradjtungen, bte ntte biefe in bem ber (!3eaenn*a«rt ninrielt nnb btfdj ba« nlte (Snaitgelium vtv- ktinbiat. $:er ift nid)tS bloß Uebei-(ieferte*, ntd}t3 3JafnnterteS unb nii^t^ ^iinftli^eg. ©o toerben bteie 2lnbacl)ten, bie je^t eine flroRe üJliifioit erfüllen nnb and) in ber S?nnft ifirev Sprache ein ÜJieifterroerf finb, einft ein firdie!'.pefd)id)tlicf)eg Xofnment fein für bie SUi^prägun^ ber ebangelifc^en jV-römniiflteit im Sluefian« bt» 19. 3al}rbunbert8 ein S^ofiiment, bcffen lüir nng nid)t 3U fc^ämen brnnd^en unb bnä bem, ber e^ gefefet ^at, ein un* toergcinfllid)eg Slnbenfen fiebert."

]Vraumanti-ßuch»

©ine 3lu§n)al)I f(af[if({)er (Stiirfe auy D. priebrid) 3^aumann§ ©d)ritten, i)eranöe3ei3eben üon Dr. .^^einrid) 93Zei) er='^enfcn.

3. unüerätiberte 3(uf(age. 5. nnb 6. 2;au[enb. ^dn fart. m. 1,75; eleg. geb. m. 2,50.

„^a8 ©üt^leln ip Jjro^tbon. (?ine Stueiualir au§ 9ianntann? fämtridjen ©c^riftcn, 43 ,<i?abinettftücfd)en ücrfdiiebenen ^nfiafte?, fünftlerifd)e, retigis öfe, pl)ilofopl)ifdK, politijd)e, unvt)d)aft(id)e: üorn ein gutc^ 2?ilb beS ef)c= maügen 5Ufarrer§; ba8 gonje in ein einfad)cS gefdjmacfootTc^ ©eiuanb ge^ fleibet. SÜSer ba^ S3üd)lein lieft, mirb beut .s?erausgeber bantbar fein."

(5öolt*tt)irt|diaftlid}e Slätter 1903, 12.)

„^){e auf iftre Söirfung pfDdiologifd) loirflid) fein beredjnete Jln^maöl unb Slnorbnung ocrleiljt bem S3ud) einen SBert nod) über ben f)inau'?, ben für jeben $}Jaumannfreunb eine 3")C5nnu<nftcllung an ficö fd)on ftaben ttjürbe, unb mad)t e3 bal)er befonberS geeignet jnr 2>erbreitung unter foldien, bie Slanmann nid)t ober oberflädjlic^ fennen." (3nonatid)r. f. b^ f. ^^irariS 1903, 10.)

Verlag vonTandenboed? & Ruprcd^t iiiGöttingcn»

'Kär^lidi fmb erfdjienen:

Verhandlungen 15, GyAoz. Kongrerres

3u Breslau am 25. unb 26. lUai \c)0^. preis 2 Ulf. pfg.

Prof. Dr. £reclt^<f^: Tic dfvifiHidfc €ti)it unb bic ifcuVtQC <9efcUf(Itaft.

Dcbatfereben von Kaftan, Kaufmann, II au mann, Habe. Lic. £rauf»;Dortmunb: 3>tc 0r0attif atidn 5cr 2(rt>eit in t^rer WittuttQ a»if feie |)crfcnli<^f«it. Debattereben von fjarnacf, Hauniann, ID a g n e r u. a.

Prioatboj. Dr. Scrn^orfc^Bcrlm unb ^abrifant ^cinr. ^rcefe: 3>a* mos bevnc Ce^nfyftcm wnfe 6ic Sojtalrcforin. (Sarifgemeinfchaften, (SetPinnbeteiltciung 2c.)Sebattereben von: <Sotbein,2Ib. ICagneru. a.

^rl. Tyi}ven\uvH} unb Dr. 2t)i(I>ran6t: 3>ie weibliche ^ctmartxit. De-

batterebenpon: ^ a r n a cf , ^rtiuJJeg-'Hatlü e g n c r, (frl. ITl a r 1 1 n u. a.

Der Beriefet ber dojialcn pvavis filiert: „Der Derlauf ber Tagung tDirb alle fo3iaIpoIitifdj gcftnnten Kreife hod^ befriebtgen. Der So.sfoj, 2{on= Qre% bat aufs neue betpiefen, ba% er ein ftarfer jaftor in unferm öffentl. Ceben ift."

Croeltfd^s üortrag iji in ertoeitertet ^orm erfd^ienen u. b. C:

politircbeetMh und Cbrirtentum, 1^^"^^^^"^*

?^rciö 1 mt

2{I§ ©rgänjung fei empfol^ren :

Die fittUcben öleifungen ^efu, ^Hr ffii%bratjd>

:^ ~ und ihr ricbti-

9cr 6ebraticb. ^on ^^^rofefior D. SS. .^errmann=9)Zar»

burc3 1904. ^reis fein fart. 1 mt

„3eber, ber eine SorfleQunfl baüon i)at, bafe ^icr eine ber tiefffen f^roflett gußleid) ber (?t^if unb ber (ijefcfitc^te. be* )3eriönlid)eu iieben§ unb be§ 25ölferbaiein§ Dorließt, fei auf biefe teiben SSorträge üertDiefen." (5^rof. 0. ^tlbrüd '-jßreuB. 3at)rbü^er 1904, Cft.)

Randel und Sthik '}}'\^'Jl^^^'^^^^^^

2]Dn '^Sfarrer e. äß. 58u^mann, 8ueno§=5{ire§. 1902. -^Preiö 1 mt

„^mn ein Kaufmann mit SBetBUBtfein ö^rift bfeiben? ^aim ein be* tru&ter 6f)rift ofine öeioiffengbiffe mit erfoTg bcn faufni. 23eru* aulfüCcn? 3ur 25e^anbl ing bteie§ 5;^robIem§ toar 33. um fo me^r befähigt, ar§ er feit Dielen Satiren in einer £»anber?metropore in einer '/« bem ÄQuf* inann?ftanbe ange^öriaen (55emdnbe tätig ift unb nid^t nur bic fiier tätigen 9.T?cnf(f)en, fonbern aucb ben mobernen ^anbel§betrieb grünblic^ fennt. 3* muB geftcben,' ba§ mt^ feine 3{U3füf)rungen gan^ überjeugt tjaben."

mxm- 2BeIt 1903, 9h-. 23.)

Verlag vonTandcnbocck & Ruprecht in 6öttingen«

Cbonias Carlyle:

Cbontas ßdrlylcs $o2iaipoiiti$cbe Scbriftcit.

^srof. Dr. A^CttfeJ, (Srlciui^eu. 1895,96 I. 33anb 4 aeb. 4 80. II. «anb 7 93if., tjeb. 5DZf. 7.80. III. iBaiib 6 9Jif., aeb. 93{f. 6,80. 3ul)alt: I. 5Bb. (Einleitung. 5)er (SI)artiöniuö. 2)ie- S^egerfraae. 3)en Sfliagara Ijinuutei unb bann ?

II. 3^b. (5,I)arafteriitif unferer Seit. glui3fd)nften am elfter ©tunbe.

III. a3b. (Sinft unb Seljt (Fast and Present).

5Bci (jteic^seiti^cm 53e3Uöe aller brei ^^iinbe foftet unfere Sluöcjabe bei BoiialpoHti^dmi Srf)riften (^atlt)M,

IjerauSgegeben üüu ^lirofeffür iocttfcl, ftatt 17 53if. nur

SÖJan üermeibc ülicrwcc^elungeu mit einer fpäter unter 9leid)em Stitel erittjieuenen 2 bänbigen ^^lucn^abe, bie uieber „föinft unb Setit", nocl) Slnniertuugeu unb nur eine fur^e (Sin»- leituug bietet.

„Ö'tnft unb ?let}t", in btefev foitflenialcn, ..mit bcn abiolut not= loenbigeu unb 3uöevläfiinen Slnnierfunflen tievfel)fncn Übci-fefeunfl ift üon ber beutidien J?ntif alä „bie ftronc t>ev ro!ialt>o(itird)«n §d)trtft<n Cttr- itjUo" beaeidjnet worben. ©erabe biefe^s SBert fiiljrt roie fein anbere^ iit Carl^{e3 (SJebantenttielt ein unb läfjt ben, bcv c8 einmal aufgefc^ilagen i)at,. niit iviebcc lo8.

Cebenscrinnerungett i^ott Cb. Carlylc.

Deutfd) von P. Jacger.

1. a^ttitb. 2. Sluflage. 1902. mt mbni^i 2:1). (>arli)le§. 4 m., geb. 4,80. 5nl).: Same^ä (5arli)Ic (i^ater); (Sbunirb Srüing.

2. ^^ant». 1901: Saue Seilt) (^arli)le. mt ^ilbniö uou grau 5. 2ß. CSarIi)le. 4 geb. mt 4,80.

S3.<er ®arh)(e recht tier)"tef)eu unb loiirbiflen loiü, barf au ben „(Svinnes rungen" nidjt Dovbeigeljen.

S)iefe el•c^reifen^en ©cPänbniffe unb 23cfcnntni)fe flingcn au^ in bie ajlaljnung: „S3linb unb taub finb wir: o, bcbcnfe eg, menn bu nod) ein lebenbigeÄ 2Beieu Iiaft, baS bu lieb I)aft, toarte nidjt, biä ber Sob bie orms Seligen ©taubttjotfen unb leeren ©iffonanjen beö Slugentilicf« I)erunterfegt unb aüti guleöt )o iraueröoa ftar unb fcftön baftel}t, toenn eS jn fpät ift!"

1895 ift erfd)ienen: i^i)V^ ^ifoci^c^ Zi). (Sarhjle. ©in ©ebcnfblatt feinent 100. ©eburtötage. 1 ^^f. 20 i^ftj.

Tcrlag von Tandenboed? & Rupred)t in Göttingen.

Soeben fitib en'c^tcnen :

<3rorsrtadterweiteruiiöeii. 35eitrag^um ^^^u-

^ tigen 2tabtebau. 33on

,^eg.=33aumeiiter C.fjcrc^cr. 53cite.farb. ^Inne. 1 g)lf.60^f. 5rer Scf)n)erpunft liec^t in ber -Darftelluni.] eines ftreng bur(f)ge- füf)rten praf ti i'(f)en 53eii^nel§ einer Stabterrceiterung.

Die jS^euordnung des zollfreien Ter- edelungsverfeebrö ^"^^ ^J<,3-^^^}^^'^^^^-

Ser neue 3oütarif unb bie neuen -panbelsDerträcie bebro^en biejenigen 5nbuftne3tt)eii]e, beren (Jntraicflunci für 'S^eutfc^Ianb angcfi(f)t5 feiner 39eöi)Iferunc5§Dermef)runc^ eine Lebensfrage ift: bie ber fog. <5ertio(f abrif äte. 5)ie rationelle ©eftaltuncj bc§ IßerebelungsDerfe^rä gewinnt unter biefem ©efirf)tspunft bie gröBte 33ebeutung.

Don bentfelben Derfaffer ift ][903 erfjjienen:

Kartell und Cruft/^^^leid^^lideanter.

Tud^ungen über deren

^eten und Bedeutung. 35du Dr. Z. 3:f(^terfc^ft).

2 mt 80 ^fg.

€ine ctngebenbe KriHf Prof. Hob. Ctcfmanns in ben 3^^irbüdjcrn f. rtationalöfonontie u. Stnt. H904., 6 fd)Iic§t mit ben iüorten : „Das Sud? oerbicnt oon allen ftubiert 3U roerben, bie fid) mit ben neucften (Entt»icflungs= •erfdjeinungen ber mobernen Dolfsroirtfcfcaft befiiäfttgen."

^erbfi ^902 ift erfcbienen:

Bevölkerungsbewegung, Kapitalbildung und periodifcbe Cdirtfcbaftshriren.

tracbtung der Clrsacbcti und sozialen ^dirhutigcn der modernen Jndustrie- und I^andelshrisen tinter be* sonderer Berücksicbtigting der Kartellfrage uon ^rof. Dr. ^ubwig ^ot)k. t^reis 1 mt 60 '^^\.

„€ine intereffante, roiffcnfdjaftlidjc Setradjtung ber Urfadjcn unb fojiafen XDirfungen ber mobernen 3"buftrie= unb ^anbelsfrifen mit befonb. Seräcf= fiditigung ber Kartellfrage. Sefonbercs 3"fPreffe perbienen bie 2lHsfäbrungen übet ben »olfsroirtl'djaftlid^cn (Einfluß ber Kartelle unb bie ftaatlicbc Regelung ■bcs Synbifatstoefens." (Ceipjiger gtg. ^902, ^^^3.)