di, n zn us N‘ . 6; 52 r “ w “ N eng en" x w R er N pP nn Wa ir Kz - en - — x 2 u - . " * n > —_ . = 175 Erweiterung mit dem Finger löst. Der Kranke liegt auf dem Rücken mit erhöhtem Becken und niedriger liegen- den Schultern, die Kniee gebogen und der Körper etwas nach der dem Bruch. entgegengesetzten Seite geneigt. Mit dem Zeigefinger sucht der Operateur die Bruchpforte; indem er die Haut weiter unten fasst, schiebt er nun den Finger zwischen dem Darm und der Bruchpforte ein und drückt dabei mit dem Finger den Darm oder das Netz nieder, langsam zwischen den Bruchinhalt und der Bruchpforte eingehend. Es gehört dazu einige Ausdauer. Dann biegt man den Finger hakenförmig und zieht an dem Leistenringe stark genug, um einige Fasern zu zer- reissen. Diess macht sich durch ein deutliches Krachen bemerklich; geschieht diess nicht, so wird die Ausdeh- nung weiter fortgesetzt, bis dadurch die Einklemmung aufhört. Diess ist namentlich zweckmässig bei dem Gim- bernat’schen Band oder beim Schenkelbruch. Beim Lei- stenbruch muss das Ziehen die Richtung von innen nach aussen und von unten nach oben haben. Der Finger er- müdet bald und es kann sich nöthig machen, dass der Operateur seine Finger durch die eines intelligenten Ge- hülfen ersetzt. Die Methode ist bis jetzt am meisten bei Schenkelbrüchen in Anwendung gekommen. — Gelingt es nicht, den Finger einzuführen, so räth Dr. Seutin, einen kleinen Hautschnitt zu machen, um einen Spatel oder ein anderes stumpf abgerundetes Instrument einzu- führen und dadurch die Bruchöffnung zu erweitern. Dr. Seutin giebt zu, dass es Ausnahmen für seine Methode geben könne; ein Hauptbedenken ist, dass er nicht feststellt, wo eigentlich die Ursache der Einklem- mung zu suchen sei, im Leistenring oder im Bruchsack- hals. Wenn sie im letzteren zu suchen ist, so kann freilich seine Operation nicht passen. Diess ist fast nur bei alten Brüchen der Fall und dann ist der Bruchschnitt nicht zu umgeheh. Eine weitere Frage aber ist, ob die Zerreissung der aponeurotischen Fasern des Leistenkanals so leicht sei, und ob, was man am Leichnam ausführen könne, ebenso gut beim lebenden Körper gelinge. Man kann auch noch ferner fragen, ob der Darm durch das Eindrängen des Fingers nicht verletzt werden könne, und ob die Einführung des Fingers immer gelingen möge? u. s. w. Wie dem aber auch sei, erfolgreiche Fälle verlangen Beachtung. Der Unterschied der Gefährlichkeit zwischen Bruchschnitt und Seutin’schem Verfahren ist gross genug, um in den passenden Fällen darauf zurückzu- kommen. 176 Seutin hat von 1846 — 1856 im Ganzen 26 ein- geklemmte Brüche zu behandeln gehabt; die Statistik der- selben stellt sich folgendermaassen: Bruchschnitt ... . . 14mal, hatte Ymal den Tod zur Folge, Zurückdrängen ohne Operation 12mal, führte 12 Heilungen herbei, davon wurden 6 mit anhaltender Taxis und 6 mit Aus- dehnung und Zerreissung des Leistenringes mittelst des Fingers bewerkstelligt, und zwar drei alte, seit 2 Tagen eingeklemmte Cruralbrüche bei Frauen und drei Inguinal- brüche. Von 10 weiteren glücklichen Fällen, die Hr. Seu- tin neuerdings veröffentlicht hat, sind 5 anderen Wund- ärzten entnommen, welche Seutin’s Methode angenom- men hatten, und welche auch zu seinen Gunsten spre- chen. (Journal de Med. de Chir. et de Pharmacologie. Bruxelles, Fevrier 1856.) Miscellen. Die Diagnose der Lipome wird nach Nelaton bisweilen dadurch erschwert, dass sich ein täuschendes Flu- ctuationsgefühl vorfindet, welches davon herrühre, dass die Haut durch die Ausdehnung über dem Lipom ungewölinlich verdünnt sei. (Gaz. des Höpitaux No. 5. 1856.) Myopathische Luxation nennt Dr. H. Friedberg (Berlin) die Luxationen, welche in Folge chronischer trau- matischer Entzündung einzelner Muskeln sich ausbilden; sie gleicht in ihren begleitenden Erscheinungen der s.g. ,„‚pro- gressiven Muskelatrophie,“ ist aber ihrem Wesen nach eine Lähmung, bei welcher, in Folge der Ernährungsstörung der Muskelsubstanzen einestheils die primitiven Muskelfasern ihre Verkürzungsfähigkeit, anderntheils die sie umspinnenden Ner- venfasern ihre Leilungsfähigkeit verlieren. In einem Falle dieser Art folgte nach der entzündlichen Reizung der Schul- termuskeln durch eine heftige Erschülterung bei einem Falle auf die Hände ein Herabsinken des Oberarms und endlich eine in perpendieulärer Richtung nach unten geschehende Luxation des Oberarmkopfes, welche, da sie durch die Ernährungs- störung der Muskeln entstand, eine myopathische Luxation zu nennen ist. — In perpendiculärer Richtung nach abwärts kann aber der Oberarm in der That nur dann sinken, wenn der M. supraspinalus zerrissen ist oder in Folge einer Ernäh- rungsslörung seine Elactieität eingebüsst hal. Dieselbe Luxa- tion kann aber auch nach innen abweichen, wenn Contractur des Pectoralis und Latissimus dorsi slatlfindet. Die Kur wird bewirkt im ersten Falle durch Faradisirung des M. supraspi- natus, wozu im letztern Falle noch die beiden genannten Muskeln dem continuirlichen galvanischen Strome ausgesetzt werden müssen, (Oesterreich. Zeitschr. für prakt. Heilkunde 1857 No.1) Bibliographische Neuigkeiten. N. — J. Wagner, Das Möllthal und d. Grossglockner. gr- 8. Leon in Klagenfurt, 4857. %, Thlr. E, Laukester, The Aquavivarium, fresh and marine. London, Hardwicke. G. Tugwell, A Manual of the Sea Anemones commonly found on the English Coast. 8. Lond., Van Voorst. 7 Sh. 6d. HM. — F.W.G.Kranichfeld, Grundzüge d. auf den Begriff v. wahrem Leben beruhenden Pathologie und Therapie. 1. Bd. Imp.-4. Evangel. Buchh. in Berl. 410 Thlr. Deshayes, Description des animaux sans vert&bres decouverts dans le bassin de Paris. Livr. 1 et 2. de 10 feuilles plus 40 planches lith. Paris, J. B. Bailliere. ä 5 Fres. WM) Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena. -. .Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. H. Band N 12, Naturkunde. L. Rudolph, Culturpfanzen mit Knollenwurzeln. (Schluss folgt.) — Miscelle. Ludw. Rudolph, At- las der Pllanzen- Geographie. — Meilkunde. A. Reumont, Ueber Inhalationskuren an den aachener Schwefelther- men. — Schultz-Schultzenstein, Ueber Knochenverjüngung. — Miscellen. Heilung einer chronischen Bleiver- giftung durch Chlorobrom. — Ein rasch wirkendes Blasenzugmittel. — Chinin gegen Neuritis phrenica. — Harris, Uva ursi ein Surrogat der Ergoline. — Eine Herzkrankheit durch Veratrin geheilt. — Bibliographie. Naturkunde. Culturpflanzen mit Knollenwurzeln. Von L. Rudolph (Berlin) *). Als Begleiter zu seinem Atlas der Pllanzengeographie (s. d. Misc.) hat der Verf. ein Werkchen erscheinen lassen, wel- ches das Material, das in dem Atlas versinnlicht ist, mehr im Einzelnen darbietet, und namentlich zum Selbststudium des betreffenden interessanten Zweiges der Naturgeschichte geeignet ist. Wir heben daraus aus der Abtheilung über die Gewächse, welche durch ausgebreitete Cultur auf den Charakter der Länder einen Einfluss üben, das Kapitel über die Knollengewächse aus. „Nächst den Getreidearten sind die Gewächse mit Knollenwurzeln als die wichtigsten Culturpflanzen zu be- trachten. Während jene ihre mehlreichen Samen über der Erde zur Reife bringen, entwickeln diese ihre essba- ren Knollen im Schoosse derselben. So bilden diese bei- den ersten Abtheilungen der Culturpflanzen auffallende Gegensätze. Während der fleissige Landmann bei dem Besuch seiner Getreidefelder jeden Tag mit Freuden die Fortschritte wahrnimmt, welche die reifenden Halme ma- chen, muss er bei den Knollengewächsen ruhig abwarten, was der dunkele Schooss der Erde ihm liefern werde. Aber diese beiden Fruchtarten ergänzen sich auch. Denn es ist eine bekannte Thatsache, dass beim Missrathen der Getreideernten die Knollengewächse gewöhnlich um so bes- ser gedeihen, und umgekehrt. So ist dem Menschen bei mannigfacher Bestellung des Bodens sein Unterhalt mehr gesichert, als wenn er sich auf die Erziehung einer ein- zelnen Fruchtart beschränkt. Da die Knollen hauptsäch- *) ES” Die Pflanzendecke der Erde. Populäre Dar- stellung der Pfanzengeographie für Freunde und Lehrer der Botanik und Geographie von L. Rudolph, Lehrer zu Ber- lin. 8. 416 S. Berlin, Nikolai’sche Buchhdig. lich aus Stärkemehl oder pflanzlichem Eiweissstoff beste- hen, so dienen sie einem grossen Theile der Menschen zur Nahrung und werden deshalb an vielen Orten der Erde in sehr bedeutendem Umfange angebaut. 1. Die Kartoffel. Solanum tuberosum. Mit dieser Pflanze ist die alte Welt von Amerika aus beschenkt worden. Wenngleich sich Wohlstand und Cultur auch ohne die Bekanntschaft mit der Kartoffel bei uns schon lange entwickelt haben, so hat doch die all- gemeine Verbreitung derselben eine vollständige Umwäl- zung in dem Betriebe des Ackerbaues hervorgerufen. Ja, es ist uns durch die Kartoffel das sicherste Mittel gebo- ten, einer allgemeinen Hungersnoth zu begegnen, die frü- her so häufig in Europa eintrat. Da der Fall so häufig nicht vorkommt, dass die Getreide- und Kartoffelernte gleichzeitig missrathen, so ist der Noth der armen Men- schen so ziemlich abgeholfen. Wie wichtig für uns die Kartoffel ist, lässt sich daraus abnehmen, dass beim Missrathen derselben die Noth des ärmeren Landmannes bei Weitem grösser ist, als bei einer schlechten Getreide- ernte. Nicht allein, dass wir die Kartoffel fast täglich essen, und dass selbst in vielen Gegenden das Roggen- brot mit Kartoffeln gemischt wird; sondern die Bereitung des Stärkemehls, des Sago, des Branntweins, des Wei- nes und sogar des Zuckers wird eine Quelle des Unter- halts für Millionen von Menschen. Ebenso würden Fleisch, Milch, Butter und Käse bei Weitem nicht so wohlfeil sein, wenn der Anbau der Kartoffel das Halten eines grösseren Viehstandes nicht so wesentlich erleichterte. Das Vaterland der Kartoffel ist, wie schon gesagt, Amerika. Sowohl in Chile als in Peru wächst sie wild; in letzterem Lande in Wäldern, jedoch selten, denn schon bei der Entdeckung dieser Gegenden fand man sie dort 1% : F FOR THE PEOPLE FOR EDVCATION FOR SCIENCE LIBRARY THE AnERICH MUSEUM NATURAL HISTORY LIENI “ ... Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde, zesammelt und mitgetheilt von Dr. Robert Froriep, des rothen Adlerordens vierter Classe Ritter, Königl. Preuss. Geh. Medicinalrathe a. D. und praktischem Arzte in Weimar, Vicedirector der Königl. Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt, Mitgliede und Correspondenten der Academie imp&riale de Mödecine zu Paris, der Hufelandischen medicinisch-chirurgischen Gesellschaft, des Vereins für Heilkunde in Preussen, der Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Berlin, der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, der Svenska Läkare-Sällskap zu Stockholm, der Societas physico-medica zu Moskwa, der K. K. Gesellschaft der Aerzte in Wien, des ärztlichen Vereins zu Hamburg, der Louisiana Society of Natural History and Sciences zu Neu-Orleans, des Deutschen Vereins für Heilwissen- schaft zu Berlin, der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur zu Breslau, der ?v Adrjvaıg larpınn) Erarpei« und des ngischen historischen Vereins sowie der Grosshzgl. S. Gesellschaft f. Mineralogie und Geognosie zu Jena; Ehrenmit- gliede Vereins Grossherzogl. Badischer Medicinalbeamten für die Beförderung der Staatsarzneikunde, des Apothekervereing im nördlichen Deulschland und des naturwissenschaftlichen Vereines des Harzes, e . gunh® \yareer- “ \ RS N, Jahrgang 1857. Erster Band. r - - “ Mit 4 Tafel Abbildungen, a > n 5 * —— _— — [ * _ . n . Jena, . ’ # Druck und Verlag von ie. RR Mauke. - 1857. Rn i . e en « “ FR a weh “3 KaBr PaReY?.r, uni u: ar Br H% re u “ RS) 4 i au sr BR ee ige gi SO or a8 han Bla a A Be M KR er Ba 2 Ana Debian . ze BualL Ne Mi ee BE ° rs rue i eis) ad ya RR) f ve. (M. bezeichnet die Miscellen; m. Abb.: Abhärtung durch Wasserkuren. 13. 301. Abortivbellandlung d. Rulır. 18, 283. Aconitextract gegen rw ar Ge- sichtsschmerz. M. 8 1 BEER: Livingstone’s an 6. —— Binnenmeer, daselbst. M. 15. 234. Amyloid ein d. Lyinphdrüsen, M. Pen 16. 241. —— Bostfasergewinnung. 18. 273, Algen, das Geschlecht derselben. 10. 145. — 11. 161. Angst als Entstehungsursache bei Epi- demieen. 11. 171. Arsenik bei Astlıma. M. 5. 79. Atropin-Valerianat. M. 15. 240. Augentrost, Heilkräfte. M. 18. 288. Baumgärtner, Herzmechanismus. 19. 289. — 20. 305 Beer, Ueber d. Ananas. 16. 241. —— Bastlaser aus der Ananas. 18. 273, Beneke, Sitz der Geistesthätigkeiten, 4. 49. Benzin tödtet Insecten. M. 20. 313. Blasenzugmittel, rasches. M. 12. 192, 13. 300. Blitzschlag, merkwürdiger. M. 6. Blut, durch Chloroform zersetzt. 8 Blutlauf, directe Beobachtung desselb. N. 7. 108. —— Einfduss auf die Bewegungen am Kopfe. M. 14. 216. Bluttemperatur, fortschreitende. M. 4. Blulhusten, idiopath. und phlhisisch. M. 16. 2506. Be": Krebs d. Vaginalportion. 15. -— Diagnose d. Uterusfibroide. 18. 286. Bronchiektasie. M. 23. 368. Brüche, eingeklemmte, ohne Operation re- niren. 11. 174. Bulise, Salzseen d. Steppe. 24. 376. Burton, Tag und Nacht auf d. rollıen Meere. 16 246. ssus d. Acephalen. M. 8. 121. ne di deren Behandlung. M. 20. 320. Causticum aus Gutlapercha. M. 6. 96. Cellulose, Chemie derselben. 1. 1. ar gegen Neuritis phrenica. M. 12. Inhaltsverzeichniss. Chitinfrage, Bemerkungen dazu. 13. 196. Chlorbrom gegen clıron. Bleivergiftung. M. 12. 192. Cholera. Verbreitung derselben. 22. 313. 23. 362. —— durch kaltes Wasser zu heilen. M. 16. 256. —— in Frankfurt a. M. 4. 55. Cochenillezucht in Spanien. °M. 17. 264. a Entwickelung d. Vegetation. 8. 113. a Pl d. Algen. 10. 145. 11. 161. —— Blitzschlag. 13. 200. Contraclilität d. Sehnen. 6. 87. Cotta, Ueber Flötziormation. 15. 225. Culturpflanzen mit Knollen. 12. 177. 15.1 Cyste, atlıeromalöse, unter d. Zunge. M. 9. 144. Edammrisse, Kur. M. 20. 320. Darmschleimhautzellen, Eindringen fester Körper in dieselben. 17. 257. Desoria, Thierchen d. schwarzen Schnees. M. 2. 4. Diabetes, künstlicher. M. 13. 302. Diabetometer Robiquet’s, M. 6. 88. Dronteknochen. M. 21. 326. Einkapselung fremder Körper im Glas- körper. 8.121. Electricität bei Kinderkrankh. 24. 379. Electrisirung gegen Lähmungen des N. facialis. 9. 73. Embolie, Tod dadurch. M. 14. 224. Extrauterinalschw angerschaft. M. 14.224. Fano, Complicationen d. Rippenbrüche. 8. 39. Fische, elektrische. M. 10. 152. Flötzformationen und ihr Alter. 15. 225. Fluor im Blute. M. 17. 264. Fölkersahm, Kollfliege. 20. 312. F Klatbung, Muskelentzündung. 16. Froriep, Rheumatische Schwiele. 5. [a7 Gerinnung des Blutes nach Durchschnei- dung des Sympalhicus. 24, 321. Geistesthäligkeiten, ihr Sitz. & 49. Gluge, Durchschneidung des N. Sym- pathicus. 21. 321, Glycerin, äusserlich.,. M. 19. 304. u. mit Abbildungen; die 1. Ziffer die Nummer des Blattes, die 2. die Seitenzahl.) Gräger, Luftdruck und Vegetation. 9. 131 Grind, Behandlung desselben. 5. 77. Guerin, Selmencontraclilität. 6. 87, BEague, Künstliche Perlenbildung (in China. 22. 337. Herzthätigkeit, Mechanismus ders. 19. 239. 20. 305. Hippursäure. M. 1. 8. Hörmaschinen. 14. 217. Hoppe, Angst als Entstehungsursache bei Epidemieen. 11. 171. Hüter, Angebornes Lungenemphysem. P, £ Hydrocele, neue Art. M. 6. 9%. Hypochondrie. 16. 252. Hysterophor von Schwank. M. 5. 79. Jäger, Einkapsel fremder Körper im Glaskörp wi 8 fat. ie Inhalation Fa aachener Thermen. 12.183. Irrenzahl hat nicht zugenommen. M. 2. Isolirtstehen d. Wahnvorstellungen Irrer. M. 8, 48. m a Br, gegen Mundfäule. M. Knieankylose. M. 15. 240. Kaloscheibenäygrome, Exslirpation. M. 6, Knochenverjüngung. 12, 188. Kohlfiege. 20. 312. Kolik Neugeborner. M. 22. 352, eg N in der belgischen Ar- mee. M. 6. Kumisskur. 7. 4107. Zabyrinth, Erkrankung. 19. 295. Leichardt’s Schicksal. M. 24. 378 a mit Taschenbildung. M. 6. 96. Lenz, Zoologie der Alten. 5. 65. Lindenmeyer,Mineralquellen Eubösas. 24. 369. Lipome, ilıre Diagnose. M. 11. 176. 2 To strahlende Wärme identisch. 6. 81. Livingstone’s Entdeckungen in Afri- ka. 6.85, Localisation in der Nervenphysiologie. Löwig, Nutzung des Wassers durch Zersetzung. 15. 231. Luftdruck, sein Einfluss auf die Vegeta- tion. 9. 131. Lungenemphysem, angebornes. 1. LE Rkagengeschwür, dessen ‚Charakter. M. 4. 64. Mappes, Cholera. 4. 55. Markbreiter, Electricität bei Kinder- krankheiten. 24. 379. Meckel, Freie Körper in Schleimbeu- teln. 4. 58. —— Perlenzucht. 2. 17. Meteorologische Beobachlungsstationen. M. 2. 32. Meyer-Ahrens, Nervenkrankheiten. 2. 25. Mincralquellen auf Euböa. 24. 369. Moleschott, Eindringen fester Körper in die Darmzellen. 17. 257. Mundscorbut Neugeborner. M. 10. 160. Muschelschalen. 9. 129. — — organische Materie ders. 11. 167. Muskelentzündung. 16. 247. Myopathische Luxation. M. 11. 175. Myopia indistans. M. 2. 32. Wekrolog von Hugh Miller. 3. 40. Malten und Jahn. 17. 264. v.Du- mont und Kane. 214. 378. Nervenfaden, Zusammenhang mit Gang- lienzellen. M. 24. 378. Eee des hohen Nordens. 2.25. Nervenröhren, ihre Lebensbedeutung. M. 23. 362. Nervosität keine Einbildung. M. 16. 256. Neurosen, Behandlung. 17. 265. Nordpolexpeditionsschiffe. M. 3. 40. @©perationswunden, Reinhalten. M. 24. 384. Ore, Electrisirung bei Faciallähmung. 5. 73. Parasiten d. menschl. Zähne. M. 4. 64. Paul, Ueber Scorbut. 6. 89. Perlenbildung, natürl. und künstliche, in China. 22. 337. — m. Abb. 23. 353. Perlenzucht und Perlenfischereien. 2.17. Pflanzenwelt, ihre periodischen Erschein- ungen. 7. 97. Pleuroencephalie. M. 24. 384. Pocken, Erblindung. M. 13. 308. Prager Schule, ihre Grundsätze. 20. 313. Priapismus, Heilung. M.1. 16. 2 % Prodigium, ein neues. 2. 24. Punction der Eierstocksbalggeschwulst. M. 2. 31. Babenhorst, Ein neues Prodigium. 2. 24. Rau, Ueber Hörmaschinen. 14. 217. Labyrinth-Erkrankung. 19. 295. Reumont, Inhalationskuren. 12. 183. Richter, Abhärtung durch Wasserku- ren. 13. 301. Rippenbrüche, ihre Complikationen. 3. 39 v. Rothkirch, Ursprung d. Zigeuner. 14. 309. Rudolph, Culturpflanzen mit Knollen- wurzeln. 12. 177. 13. 193, —— Atlas der Pflanzengeographie. M. 12. 184. Rückenmarksstränge, Degeneration zelner. 9. 140. — 10. 153. Rulır, Abortivbehandlung. 18. 283. —— Aetiologie derselben. 21. 325. Salpetersäure, ihre Wirkung. 9. 137. Salzseen der Steppe. 24. 376. Schleimbeutel, freie Körper ders. 4. 58. Schlossberger, Chemie d. Thiercel- lulose. 1.1. —— Localisation in d. Nervenphysiolo- gie. 8. 33. —— Muschelschaten. 9. 124. —— organ. Materien der Muschelscha- len. 11. 167. Vivianit. zur Chitinfrage. Schneller, Strychnin. 8. 44. Schnupfen Neugeborner. M. 6. 95. Schulz-Schulzenstein, Knochen- verjüngung. 12. 188. Schwendener, Periodische Erschein- ungen in d. Pflanzenwelt. 7. 57. Scorbut d. Gefängnisse. 6. 89. Sectionsergebnisse. Statistik. M. 17. 271. Sehnen, ihre Contractilität. 6. 87. Sen ie: Altersveränderungen. M. 5. 74. Sensibilitätsbezirke d. Haut. 18. 281. Seutin, Bruchreposition ohne Opera- tion. 11. 174. v. Siebold, Künstl. Perlenbildung. 23. 353. m. Abb. Snow, Verbreitungsweise der Cholera. 22. 343. — 23. 362. ein- 15. 232. 15. 196. Speichelkörperchen von Donders. M. 10. 152. Spengler, Kumisskur. 7. 107. Spirituosa, ihre Wirkung auf die Ver- dauungsorgane. M. 5. 73. Sitrychnin, Wirkung desselben. 3. 44. ar bei Cholera-Asplıyxie. M. 18. be Raogı Nacht auf d. rothen Meer. 16. Temperatur bei Typhus und Febr. ty- phosa. M. 18. 288. Terpentinöl, Dünste schädlich. M. 14. Trepanation bei Epilepsie. M. 20. 320. Türk, Degeneration einzelner Rücken- marksstränge. 9. 140. 10. 153. —— Hautsensibilitätsbezirke. 18. 281. a unter den Hasen. M. 5. 8 Vterusfibroid und Eierstocksgeschwulst. 18. 286. Uierusmangel. M. 10. 160. Uya ursi statt Ergotine. M. 12. 192. Waginalporlion. Krebs ders. 15. 233. Vas deferens, Bewegung in demselben. M. 22. 343. Vegetation, ihre Entwickelung. 8. 113. Veratrin gegen Herzkrankheit. M. 12. 192. Verdünnte Arzneimittel. M. 20. 319, Vivianit im Thierkörper. 15. 232, Vv Se Abortivbehandlung d. Ruhr. 18, —— Aeliologie der Rulır. 21. 325. Wasser, dessen Nutzung durch Zersetz- ung. 15. 231. Weber, Identität v. Licht und strah- lender Wärme. 6. 81. Wittmaak, Hypochondrie. 16. 252. —— Neurosen. 17. 265. ee der prager Schule. 20. Wunderlich, Wirkung d. kaust. Sal- petersäure. 9. 137. Zerreissung der Fasern d. Muse. rectus abdominis. M. 7. 112. Zigeuner, ihr Ursprung.. 14. 309. ee der alten Griechen und Römer. sr im Darmkanal. M. 2. Berichtigung. S. 153 dieses Bandes ist die Fortsetzung eines Aufsatzes falsch überschrieben; es muss S. 153 Z. 1 von oben heissen: „Selbstständige Degeneration einzelner Rückenmarksstränge“ von Dr. Ludw. Türck (Wien). Schluss. nA - Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. I. Band N 1. Naturkunde. J. E. Schlossberger, Chemie der Thiercellulose.. — Miscelle. Hippursäure, Folge von Muskelan- strengung. — Heilkunde. C. Ch. Hüter, Ueber das angeborne Lungenemphysem. — Miscelle. Velpeau, Heil- ung eines mehrere Tage bestehenden Priapismus. Naturkunde. Chemie der Thiercellulose. Prof. Dr. J. E. Schlossberger (Tübingen) *). In dem unten angeführten verdienstlichen Werke ar ein bedeutender Schritt gewagt, welcher längst ge- „wünscht werden musste; das Werk berücksichtigt nach dem Vorbild der vergleichenden Anatomie den mensch- lichen Körper nur in so weit, als der Mensch eine Spe- cies oder Gattung im zoologischen Systeme repräsentirt ; dagegen hat es vom Menschen abwärts bis zu den nie- dersten Wesen des Thierreiches den gesammten animali- schen Chemismus, so weit er bekannt ist, zum Vorwurf. Die I. Abtheilung enthält die Gewebe der Gerüste, Hüllen und allgemeinen Verknüpfung als Knorpel und Knochen, Bindegewebe, Horngewebe; die II. Abtheilung die vorzugsweise animalen Ge- webe, Nervengewebe und contractiles Gewebe. Wir heben aus dem reichhaltigen Werke die Ab- handlung über Thiercellulose aus, welche als ein Anhang der Monographie über das Bindegewebe hier mitge- theilt ist: „Der Mantel der Tunicaten (Seescheiden und Salpen) unterscheidet sich von dem der übrigen Acepha- len höchst wesentlich. Er umgiebt das ganze Thier voll- kommen, so dass nur der Mund und After Durchbohr- ungen an ihm darstellen, ist wenig reizbar, scheidet keine Muschelschale ab und enthält endlich, als hervor- ragendes Merkmal, ansehnliche Mengen von Cellulose (Holzfaserstoff) abgelagert. Die letztere Erscheinung ist u; *) DS” Enster Versuch einer allgemeinen und verglei- chenden Thierchemie von J. E. Schlossberger. 1. Bd. Auch unter dem Titel: Die Chemie der Gewebe des Thier- reichs. gr. 8. 3648. Leipzig und Heidelberg, €. F. Win- ter’sche Verlagshandig., 1856. so einzig in ihrer Art, dass wir sie bei keiner anderen Thiergruppe wieder antreffen. Aber auch von den Pflan- zengeweben, welchen sich, stofflich betrachtet, der Man- tel der Tunicaten anreiht, soll er sich nach den neuen Mittheilungen von Schacht *) ganz wesentlich unter- scheiden, indem bei den Pflanzen die Cellulose immer und überall organisirt, als Zellhaut auftritt, während sie bei den Tunicaten nur als Zwischenzellsubstanz, nicht als organisirte Haut auftreten soll. In letzterer Hinsicht habe ich einige Versuche an Phallusia mammillata und Ascidia parallelogramma ange- stellt, deren Mantel mit Jod und SO ® sich prächtig blau färbt; ich konnte mich dabei nicht vollständig überzeu- gen, dass die Intercellularsubstanz der Sitz der Cellulose ist; bei längerem Maceriren in der Säure lösten sich ei- nige kugelige Zellen ab, die ganz isolirt herumschwam- men und prächtig blau gefärbt waren (bei Phallusia mammillata). Dazu kommt, dass nach neueren Ansichten die Cellulose auch bei den Pflanzen vielleicht nicht die eigentliche Zellhant, sondern eine Auflagerung auf den Primordialschlauch darstellt, welch’ letzterer aus stick- stoffhaltiger Materie wie die thierische Zellhaut besteht. Vielleicht verhält es sich ebenso bei den Tunicaten; die Cellulose wäre dann die äussere Zellhaut. Die Entdeckung des Vorkommens von ächter Cellu- lose bei den Ascidien verdanken wir €. Schmidt *). Da derselbe auch bei den Medusen und Polypen densel ben Stoff vermuthete, prüfte Loewig (mit Kölliker) die verschiedenen Klassen der Wirbellosen durch, trafen aber den Pflanzenzellstoff durchaus auf die Tunicalen be- schränkt, hier aber in allen untersuchten Species. Das alleinige Organ, welches ihn führt, ist der Mantel. Die *) Müller’s Archiv 1851, S. 18. a “+, Zur vergl. Physiologie der Wirbellosen S. 62. 3 Angabe von Schmidt, dass auch den Infusorien (Fru- stulia) Cellulose zukomme, hat dadurch ihre Bedeutung verloren, dass gerade die von Schmidt untersuchte In- fusorienart jetzt zu den Pflanzen gestellt wird und in kei- nem unzweifelhaften Infusionsthiere bis jetzt Cellulose entdeckt ist. Während mehrfach behauptet oder stillschweigend vorausgesetzt wurde, dass die Cellulose im Tunicaten- mantel in völliger Analogie mit dem Pflanzengewebe die Zellhaut bilde, erklärt Schacht (a. a. 0.) die Zellhäute des Mantels in Kali löslich und N-haltig, vergleicht sie daher dem Primordialschlauch der Pflanzen und sieht seine Cellulose als eine Art homogener Grundsubstanz an; sie könnte dann einigermaassen der leimgebenden Intercellu- larsubstanz vieler Bindegewebe und Knorpel oder noch mehr (wegen gleichzeitiger Unlöslichkeit in Kali) dem Chitin im Leydig’schen Sinne an die Seite gestellt wer- den. Doch lässt Leydig die Erzeugung der Grundsub- stanz in den Chitingebilden ganz dahin gestellt, indem er in denselben nie und nirgends zellige Elemente beob- achtete, während Schacht die Mantel-Cellulose als Aus- scheidung der thierischen Zellhaut betrachtet. Er sah deutliche Zellen in die Cellulosemasse eingebettet. Wir lassen zunächst eine Schilderung des Tunicaten- mantels folgen: a) Ascidien. Ihr Mantel zeigt bei den verschiedenen Gattungen ansehnliche Abweichungen im gesammten physikalischen Verhalten, vorzüglich in der Konsistenz. So ist die letztere lederähnlich bei Cynthia, fast knorpelartig bei Phallusia, gallertartig bei Clavellina, Diazona, Aplidium, Botryllus, Pyrosoma *). Am gründlichsten wurde er bei Phallusia mam- millata untersucht, also bei derjenigen Ascidie, bei wel- cher überhaupt die Thiercellulose erstmals angetroffen worden ist. Seine innerste Schicht besteht nach Loewig und Kölliker**), sowie nach Schacht aus gekern- tem Pflasterepithel, welches nach letzterem auf einer dün- nen faserigen, mit Kernen übersäeten Haut aufsitzt, die durch Jod und SO? blau wird. Die Epithelien lösen sich in kochendem Kali, nicht aber ihre dünnhäutige Unterlage, welche eben Cellulose ist. Die äussere Schicht, welche #—# des Mantels beträgt, wird von zahlreichen verzweigten, vom Herzen kommenden Gefässen durchsetzt, die am Mantelrand keu- lenförmig endigen (rückwärts verlaufende konnte Schacht nicht sehen). Sie enthält eine homogene Grundmasse, in der grosse Zellen eingebettet sind; Schmidt ver- gleicht sie dem Parenchym der Cacteen und mancher Früchte. Die Meuge, Grösse, Form dieser Zellen ist an verschiedenen Partieen der äusseren Schicht wechselnd; mit der Zunahme der Zellen vermindert sich die Zahl *) v. Siebold, Vergl. Anat. S. 237. **) Annal. des sc. nat. 1846. T. V. 8.198 u. £. 4 der Kerne. Kölliker weiss die grossen Zellen dieser Schicht mit keinem anderen Thiergewebe, als denen der Chorda dorsälis zu vergleichen. — Die mittlere Schicht geht ganz allmälig in die äussere über. Gegen den Rand kommen auch pigmentirte Zellen vor. Schmidt, Loewig und Kölliker erklären die Membranen der Zellen der äussersten Schicht für Cellulose, doch machen schon die letzteren auf eine in Kali unlösliche Grundsubstanz aufmerksam. Schacht behauptet, dass die Zellhäute sich in Alkali lö- sen, so gut wie die Kerne und Gefässe des Mantels; dass ferner die blaue Färbung durch Jod und SO® nur die homogene, in Kali un- lösliche Zwischensubstanz betreffe. Mit Chlor- zink und JK blieb die Grundsubstanz farblos, während die Cellulose der Pflanzen allermeist dadurch violett oder blau wird; doch tritt diese Reaktion auch manchmal bei Pilanzenzellgewebe nicht ein, z. B. bei manchen Algen. Nach Behandlung mit erwärmtem Kali lässt sich auch die Zwischensubstanz des Tunicatenmantels durch das Schultze- sche Reagens (ClZn und JK) bläuen. Wie dem KO, so widersteht die Zwischensubstanz auch der Behandlung mit einer Mischung von C10° KO und NO°. Die Zellhäute fand Schacht zwar in KO löslich, ohne Zweifel N-haltig, allein sie sind wohl nicht pro- teinhaltig, denn sie werden weder durch Salzsäure blau, noch durch Zucker und Vitriolöl purpurn. Loewig be- merkte eine Löslichkeit der Zellwände nur bei Didemnum. Die Krystalle im Mantel der Phallusia hielt derselbe für C0?Ca0, dagegen sollen sie sich nach Schacht in Salzsäure nicht, in SO® nur langsam lösen. Der Mantel einiger Cynthien wurde gleichfalls von Schacht,»sowie von Loewig und K. untersucht. Auch seine innerste Bekleidung ist ein Epithel, seine äusserste eine hornartige Epidermis; beide Zellschichten lösen sich in heissem Kali. Die Mittelschicht, of- fenbar die Hauptsubstanz, ist ein farbloses, glänzendes, unter dem Mikroskop deutlich faseriges Gewebe, in welchem zahlreiche Gefässe, Kerne und Krystalle liegen. Behandelt man einen dünnen Schnitt derselben mit Kali, so löst sich hier, ungeachtet keine Zellhäute da sind, doch ein weit beträchtlicherer Theil des Gewebes auf, als bei der zellenreichen entsprechenden Schicht von Phallusia. Die Fasern bleiben erhalten und werden durch Jod und SO3 deutlich blau; sie lösen sich in star- ker S03. 0Ob die N-haltige, in KO lösliche Materie hier zwischen den Fasern abgelagert war oder dieselben durch- dringt, lässt Schacht "unentschieden. Uns scheinen diese Erfahrungen selbst gegen Schacht’s Lehre zu sprechen, dass die Cellulose bei den Tunicalen als’ Intercellularsubstanz auftrete. Schacht freilich will die Fasern der Cynthien nicht als Aequivalent von Zel- len gelten lassen, sondern als faserig gewordene Grund- substanz. Bei Clavellina fanden Loewig und Kölliker 5 ähnliche Zellen wie bei Phallusia, ebenfalls in einer Grundsubstanz; bei Pyrosoma nur einzelne verzweigte Zellen. Die- strukturlose Hülle von Diazona wird von Verlängerungen der fleischigen Hülle des Thieres durch- setzt. In den Hüllen von Didemnum begegneten sie Zellen, die aber von CO? CaO inkrustirt waren; die Zell- haut löste sich bei ihnen in Kali, ebenso bei Aplidium, wo auch die Zwischensubstanz unlöslich war. Bei Bo- tryllus ist die Mittelschicht faserig und widersteht der Salzsäure und dem Kali. b) Salpen. Ihr Mantel wurde von Huxley*) undLeuckart**) näher erforscht, Er besteht, wie bereits Pallas und Cuvier wussten, aus zwei Schichten, dem sogenannten äusseren und inneren Mantel, welche beide durch eine scharfe Grenze gegen einander abgesetzt sind und nur an den beiden Oefluungen des Thieres (Mund und After) in einander übergehen. Doch stehen beide in unmittelbarer Kontiguität, so dass kein leerer Raum zwischen ihnen bleibt, Der äussere Mantel ist dick, fast lederartig, aber ganz hyalin und durchsichtig, so dass man ihn während des Lebens nur auf einer dunklen Grundlage wahrnimmt. Die innere Hülle dagegen zeigt eine lichte Trübung und irisiet. Die Spitzen und Stacheln an der Körper- oberfläche bei Salpenammen kommen fast ganz auf Rech- nung des äusseren Mantels; dagegen erscheinen die Haft- organe der Kettenform als Verlängerung des inneren Man- tels und durchsetzen die ganze Dicke des äusseren. Leuckart, Histologisch stimmen beide Hüllen im Wesentlichen ganz überein. Beide bestehen aus einer strukturlo- sen homogenen Grundsubstanz, in welche zahlreiche kleine Körperchen eingestreut sind. Auch hier beschränkt sich die Cellulose auf die Grundsubstanz, während die Einlagerungen durch Säuren oder Alkalien verschwinden. Falsch ist nach Leuckart die Angabe von Huxley, dass nur der äussere Mantel Cellulose führe. Die der Cellulosemasse eingelagerten Körper sind theils gekernte Zellen, theils auch blosse Kerne, ganz von der Form der in den Zellen eingeschlossenen. Die Zellen besitzen verschiedene Gestalt. Nur bei Salpa ma- xima trift man noch Krystalle, die aus Kieselerde be- stehen sollen. Trotz dieser histologischen Identität sind die beiden Mäntel sehr verschieden. Leuckart betrachtet den äusseren als Sekret, von der Art eines Epithelial- gebildes, wofür auch die Thatsache spricht, dass in ihm weder Blutbahnen und Nerven noch Muskeln vorkommen. Der innere Mantel dagegen enthält alle die letztge- nannten Organe, und steht auch mit allen übrigen Kör- pertheilen in directem Verband; er setzt mit den Einge- weiden den eigentlichen Leib der Salpen zusammen. Quaterl. Journ. of microsc. soc. 0205? p- 22. Zoo}. Unters. II. 1854 S. 11—1A. Physiologisch dient die äussere Hülle nicht bloss als Epidermis, sondern ist auch durch ihre Elasti- eität für dieBewegung und Nahrungsaufnahme von höchster Wichtigkeit. Die Muskeln der Athemhöhle, welche den Ein- und Austritt des Wassers vermitteln, sind blosse Contractoren ; die Erweiterung der Athemhöhle geschieht nicht durch Muskeln, sondern wie bei den Scheibenquallen und A. durch eine elastische Substanz, und diese ist hier der äussere Mantel. Die Elasticität des inneren Mantels ist viel geringer; auch ist derselbe auf beiden Seiten von Pilasterepithel besetzt, dessen Zel- len aber bei den Erwachsenen vollständig mit der Glas- substanz des innern Mantels verschmelzen. Leuckart. Die Cellulose der Phallusia wurde von Schmidt, sowie von Loewig der Elementaranalyse unter- worfen, von Letzterem auch die der Cynthia: Phallusia mammill. Cynthia papillata ee Schmidt. Loewig. Loewig. C » . 45,38—43,40 . 43,20 H 6,47— 5,68 . . 6,16 ) 48,15 — 51,32 50,61. Die Differenzen in C-Gehalt sind in den Analysen der beiden Chemiker nicht unbedeutend (2 Proc.); doch entsprechen beide Resultate der Formel eines Kohlenhydrats. Die Darstellung der Tunicatencellulose geschieht ganz so wie die des Pflanzenstoffs, nämlich durch Ausziehen des Löslichen mit Wasser, Weingeist, Aether, verdünn- ten Säuren, Alkali. Da der Rückstand mit Jod und SO®, auch mit ClIZn— JK blau wird, so dürfte an seiner Iden- tität mit dem Pflanzenzellstoff nicht zu zweifeln sein. Die Löslichkeit in starker SO3 hat die Thiercellulose gleich- falls mit der der Pflanzen gemein. Die Ueberführung der ersteren in Zucker erfordert sehr langes Kochen mit verdünnter Säure, wenn sie überhaupt gelingt. In Glas- röhren auf 200° erhitzt, bleibt die Thiercellulose unver- ändert; beim vorsichtigen Verkohlen behält sie ganz die ursprüngliche Form, verglimmt dann aber, an die Luft gebracht, wegen der feinen Vertheilung rasch und vollständig. Der Wassergehalt des Mantels von Phallusia ist höchst bedeutend und beträgt 99 Proc. (!), so dass der ganze Mantel eines faustdicken Thieres nach dem völligen Trocknen nur 0,5 Gramm wiegt. Ueber den Ursprung der Thiercellulose lassen sich noch keine, irgend näher zu begründende Vermuth- ungen aussprechen. Vor Allem wäre eine Analyse ihres Bintes von Wichtigkeit; enthält dasselbe vielleicht in der Art der Pilanzensäfte Destrin oder Zucker gelöst? Wenn man im Darm der Ascidien Pflanzenreste antrift, so ist damit natürlich die Herleitung der Mantelcellulose noch in keiner Weise erleichtert. Ohnediess bleibt die Mög- lichkeit, dass die Thiercellulose sich aus slickstofligen Körpern, etwa unter Abscheidung einer N-reichen Paar- lings aus den Proteinkörpern unter irgend welchen Ein- flüssen hervorbilde. Die Cellulose genannte Materie, rc Virchow ” 7 neuester Zeit in den sogenannten corpora amylacea des Menschen beschrieben hat, hat noch nicht unzweifelhaft als Cellulose constatirt werden können. — Dass weder ‚bei den Medusen noch den Polypen und ächten Infusorien bis heute Cellulose nachgewiesen wurde, haben wir be- reits angegeben. Die Entwickelungsgeschichte der Ascidien nach Milne Edwards lehrt, dass die äussere struktur- lose Gallerthülle ihres Embryo später zum Mantel des ausgebildeten Thieres wird, und dass sie ein Produkt der durch den Furchungsprocess gebildeten Zellen ist. Später enthält der Mantel Zellen, Fasern, Kerne u. s. w. Kölliker vermuthet, dass der gefässhaltige Mantel der Ascidien, so lange er strukturlos ist, keine Cellulose ent- hält, sondern diese erst von seinen Zellen ausgeschieden wird. Bei Cynthia freilich fehlen die Zellen, aber nicht die Cellulose; vielleicht entsprechen die Fasern hier den Zellen. An die Thiercellulose reihen wir die von Gott- lieb *) als Paraamylum beschriebene Substanz. Dieselbe ist gleichfalls ein thierisches Kohlenhydrat, welches im Körper von Euglena viridis in Form von stärkemehlartigen Kügelchen auftritt, übrigens sowohl vom ächten Amylum als der Cellulose sehr bedeutend sich un- terscheidet. Die. Euglenen, die auch v. Siebold zu den Thie- ren stellt, enthalten lebend und eine Zeit lang nach dem Absterben eine grosse Zahl von Körnern, welche ihnen bei ihrer grünen Färbung, besonders wenn sie sich zu einer kugelförmigen Blase zusammengezogen haben, eine grosse Aehnlichkeit mit einer stärkemehl- und chlorophyll- haltigen Pflanzenzelle verleihen. Beim Zerdrücken treten die Körner einzeln aus; Jod färbt sie nicht blau. *) Annal. der Chemie 1850 Juli, S. 51—61. 8 Mechanisch gereinigt, dann mit Aether und Alkohol ausgezogen, erscheinen die Euglenen lebhaft violett; ein kochendes Gemisch von Alkokol und Salzsäure entfernt auch diese Färbung; sie sind jetzt gelblich- weiss; aus vielen ist durch Berstung der körnige Inhalt ausgetreten. Durch ein gereinigtes Baumwollengewebe lassen sich die Körner mit Wasser durchdrücken, während die Hüllen zurückbleiben. Die stärkeähnlichen Körner lösen sich in verdünn- tem Kali und werden durch Salzsäure daraus als opalisi- rende Gallerte ausgeschieden. In Wasser und verdünn- ten Säuren sind sie völlig unlöslich und geben auch bei längerem Kochen mit verdünnter SO? keinen Zucker. — Im reinen Zustande sind sie weiss, wie Weizenstärke, nur viel kleiner; aus Kali ausgeschieden stellt ihre Sub- stanz gummiähnliche Stückchen dar, welche zähe sind und beim Verkohlen nach Zucker riechen. In Ammoniak sind sie unlöslich, ebenso in Salzlösungen; überhaupt würde das Paraamylum durch seine Resistenz gegen die Lösungsmittel sich an die Cellulose anschliessen, wenn es nicht in KO leicht löslich wäre. Miscelle. Auf die Bildung der Hippursäure scheint die Athemthätigkeit einzuwirken. Mr. Roussin (Al- fort) hat der Acad. des Sciences eine Abhandlung überreicht, in der er nachweist, dass Pferde, welche stark angestrengt werden, viel Hippursäure und im Verhältniss wenig Harnstoff absondern, während Pferde in der Ruhe fast gar keine Hippursäure produ- ciren, dann ist der Urin sehr dünn; wenn der Urin hell ist und wenig kohlensauren Kalk absetzt, so enthält er viel Harnstoff und wenig Hippursäure, umgekehrt ist es bei sehr trübem Urin. Die Respirationsthätigkeit und Muskelanstrengungen scheinen also den Harnstoff in Hippursäure umzuwandeln; Ruhe dagegen lässt den Harnstoff unberührt und scheint seiner Umwandlung in Hippursäure nicht günstig. (Sitzung vom 31. März 1856.) Heilkunde. Ueber das angeborne Lungenemphysem. Von Prof. Dr. Hüter (Marburg) *). Die unten angeführte Schrift hat den für die Pra- xis wichtigen Zweck, das lange bestrittene „‚angeborne Lungenemphysem‘“ durch Beobachtung nachzuweisen und wissenschaftlich zu begründen. Die Wichtigkeit der Un- tersuchung wird um so mehr in die Augen springen, wenn man sich erinnert, dass die Untrüglichkeit der Lungenprobe für den Gerichtsarzt wesentlich davon be- rührt wird. Der Verf. bespricht die Anwesenheit von Luft 1) in der Leibesfrucht, im Gefässsystem, in den Lungen, im *) [SS° Die Lehre von der Luft im mensch- lichen Eie. Nach Beobachtungen in der Entbindungsan- stalt zu Marburg. Von Dr. €. Ch. Hüter, o. ö. Prof. d, Geburtshülfe zu Marburg u.s.w. Mit 3 Taf. Abb. 8. 420 8. Marburg , Elwert’sche Univers.-Buchh. 1856. Darmcanal, in der Leber und im Schädel; 2) in der Ei- höhle; 3) im Nabelstrang; 4) im Mutterkuchen. Der wesentliche Theil seiner Schrift ist jedenfalls der die Luft in den Lungen besprechende Abschnitt $. 55— 205, und in diesem interessiren wiederum die Theile am meisten, welche die Luft in den Lungenbläs- chen in dem Bindegewebe der Lungen betreffen; hierüber sagt der Verf.: „Die Luft kann unter gewissen Umständen zu den Lungen der Frucht ganz auf dieselbe Weise, wie nach der Geburt, also im selbstständigen Leben — nämlich durch das Einathmen — gelangen. Es sprechen hierfür so bestimmte Thatsachen, dass die Mehrzahl der Schrift- steller die Möglichkeit dieses Ereignisses nicht mehr be- zweifelt, wovon bei II „Luft in der Eihöhle (Am- niophysema)“ näher die Rede sein wird. Es kommen aber auch Fälle vor, in welchen die Luftzellen der Lungen einer Frucht von Luft ausgedehnt 9 gefunden werden, ohne dass — weil der Zutritt der at- mosphärischen Luft zu den Respirationsorganen der Frucht nicht wahrscheinlich oder nicht möglich war — ein sol- ches Athımen der noch in der Gebärmutterhöhle befind- lichen Frucht nachgewiesen oder angenommen werden kann. Es ist alsdann entweder auf das Eindringen eines in der Gebärmutterhöhle sich ansam- melnden Gases, oder auf eine Secretion des Gases in der Weise, dass die Lungenbläschen wie bei der gewöhnlichen Respiration aus- gedehntwerden, Rücksicht zu nehmen. Spre- chen in einem bestimmten Falle für jenen Vorgang keine besonderen Gründe, so wird man diesen anzunehmen ge- nöthigt, besonders wenn derselbe durch manche Umstände unterstützt wird. Doch können auch Fälle vorkommen, in welchen es zweifelhaft bleibt, ob die Luft durch diese hier näher zu betrachtende Secretion oder durch Ath- mungsversuche während des Fötallebens in die Lungen- bläschen der Frucht gelangt ist, weil Umstände, welche auf den einen oder andern Vorgang hinweisen, nicht auf- gefunden werden können. Findet sich, wie bisher gezeigt worden ist, biswei- len Luft in dem Blute der Frucht, insbesondere in dem Blute der Lungen, so kann eine Absonderung der Luft an diejenige Stelle, welche für die beim selbstständigen Leben eindringende atmosphärische Luft bestimmt ist, nicht räthselhaft, wenigstens nicht so aflallend sein, als wenn sie an andern Organen, wie weiter unten noch gezeigt werden wird, statt finde. Nach Weber’s Beobachtung konnte ja bei einer faulenden Frucht die Luft aus dem Herzen durch die Gefässe in die Lungenbläschen getrie- ben werden, so dass diese blassröthlich und schwimm- fähig wurden. Warum sollte nicht während des Fötal- lebens eine selbstständige Absonderung der mit dem Blute kreisenden Luft in die Lungen- bläschen statt finden können? Ist es auch nicht mög- lich, diese Frage durch das Resultat eines Versuches, welcher keinen Einwurf zulässt, bejahend zu beantworten, oder diesen Vorgang durch eine bestimmte Beobachtung nachzuweisen, so könnte doch von den bereits erzählten Beobachtungen von Luftentwickelung im Gefäss- systeme der Frucht der Fall, in welchem bei be- deutender Luftentwickelung im Gefässysteme einzelne Stellen der Lungen lufthaltig (nicht nur Em- physema vesiculare, sondern auch Emphysema subpleuri- ticum) gefunden wurden — zur Unterstützung der Ver- mulhung angeführt werden, dass die im Blute ent- haltene Luft dieses Emphysem bewirken könne; doch habe ich, weil ein Ausströmen von Gas aus der Gebärmutterhöhle bei der Geburt beobachtet wurde, als wahrscheinlich angenommen, dass die in der Gebärmutterhöhle angesammelte Luft in die Respirations- organe der Frucht eingedrungen sei. Sollte aus der Ansicht, dass die im Blute der Frucht umlaufende Luft zur Absonderung der Luft in den Luft- zellen der Fötallungen dienen könne, gefolgert werden, 10 dass in solchen Fällen auch immer gleichzeitig Luft in den Gefässen gefunden werden müsse, so ist zu bemer- ken, dass ich keinesweges dieser Meinung sein kann, da, die Luft nur in den Lungenbläschen, nicht aber in den Lungengefässen, gefunden werden kann, vielleicht weil die in dem Blute vorhandene Menge Luft nicht so be- deutend ist, dass sie leicht aufgefunden werden kann, oder weil sie selbst nach erfolgter Ausscheidung im Blute vermindert wird.“ — Zur Bestätigung werden vier Fälle eigner Beobacht- ung angeführt, worauf der Verf. fortführt: „Nach Betrachtung dieser Fälle verweise ich noch auf die (primäres interlobuläres Lungenem- physem, Pneumono-chymatophysema prima- rium) zu erzählenden Fälle, bei welchen auch Luft in den Luftzellen und im Bindegewebe der Lungen gefun- den wurde, Hier tritt zunächst die Frage auf, ob mit solchen Lungen versehene Früchte noch in das selbststän- dige Leben gelangen können oder ob sie gleich mit der Geburt sterben müssen? Diese Frage lässt sich mit Bestimmtheit nicht beantworten. Es lassen sich vielmehr hierüber nur Vermuthungen aufstellen. — Nimmt man einen Fall an, in welchem die ganzen Luftzellen der Fötallungen von darin abgesonderter Luft ausgedehnt wären, so wird die grössere Wahrscheinlich- keit eher für ein Absterben der Frucht als für die Möglichkeit, dass die Frucht nach der Geburt zum Athmen gelange, sprechen. Schult- zen (Med. Zeit. vom Vereine f. Heilk. in Preussen. 17. Jahrg. 1848 Nr. 17, S. 77) äussert ebenfalls die Mein- ung, dass die von ihm beschriebene Frucht, wenn sie die Reife erlangte und mit Lebenszeichen geboren würde, doch gleich sterben müsste, weil die emphysematischen Lungen bereits auf den höchsten Grad ausgedehnt keine Luft mehr in sich aufnehmen könnten, das Athmen also unmöglich wäre. Anders verhält es sich vielleicht bei nur partieller Ausdehnung der Luftzellen der Fötallungen; denn es lässt sich denken, dass, wenn nur an einzelnen kleinen Stellen das Gas ausgetreten wäre, beim Eindringen der atmosphärischen Luft die übrigen Theile ihre Thätigkeit beginnen, und alsdann die Erscheinungen der Respiration die des angeborenen Emphysems völlig unkenntlich ma- chen könnten, falls, wie zu vermuthen ist, der Tod bald erfolgt. Ueberhaupt ist aber noch die Frage zu beantworten, ob das angeborene vesiculäre Emphysem von der bei dem Athmen erfolgenden Ausdehnung der Luftzellen durch bestimmte Merkmale zu unterscheiden sei? Ich glaube nach den mir vor- liegenden Beobachtungen diese Frage verneinen zu müs- sen. Zwar ist Schultzen weit entfernt zu glauben, dass durch seine Beobachtung die Lungenprobe an ihrem Werthe wesentlich einbüssen werde, weil es keine Schwie- rigkeit haben könne, die in Rede stehende Entartung der 1 Lungen jedesmal zu erkennen. Nach 8. sind die lok- kere schwammige Beschaffenheit der Lun- gen, ihre weissgraue-Farbe, ihre blutleere, saftleere, fasttrockene Beschaffenheit, ihre Schwimmfähigkeit im Wasser, die deutlich wahrnehmbare Vergrösserung der Lungen- bläschen, die Entwickelung der vielen Luft- bläschen aus den unter dem Wasser gehalte- nen Durchschnittsflächen einzelner Lungen- stücke beim Drucke so bezeichnend, dass ein Irr- thum nicht möglich ist. Auch glaubt S., dass, wo ein solcher Krankheitszustand gefunden würde, die positive Todesursache entdeckt wäre. Doch hält er es selbst für denkbar, dass sich das Lungenemphysem in einem un- vollkommenen Grade im Fötus ausbilden könne, dass derselbe lebend zur Welt käme und bald unter den Er- scheinungen des ganz entgegengesetzten Zustandes — der Atelectasis pulmonum — wegen unvollkommenen Ath- mens stürbe. S. glaubt, dass alsdann die Kennzeichen der Windgeschwulst nicht eklatant sein, die Lungen zwar im Wasser schwimmen, ihre Farbe etwas blass rosenroth sein, aus ihren Durchschnittsflächen ein schaumiges blu- tiges Serum sich ausdrücken lassen würde und hält es nicht für unmöglich, dass das, was Krankheitsursache und Todesursache ist, für einen Beweis stait gehabten Athmens gehalten und bei heimlich Gebärenden der Ver- dacht auf absichtliche Tödtung entstehen würde, will aber diese blosse Vermuthung auf sich beruhen lassen, bis Beobachtungen Aufklärung geben. Nach Nicolai sind die von Luftansammlung ver- änderten „grösseren oder kleineren Stellen des Lungen- gewebes erhaben, weissgrau, weich und beim Drücken fühlt man das eigenthümliche Kni- stern, als wenn Luft von einer zur andern Stelle gedrückt würde“ Da N. nicht angiebt, dass diese Zeichen von einem beobachteten Falle entnom- men seien, so sind sie wohl nicht zu benutzen, um die Erkenntniss des angeborenen vesiculären Lungenemphy- sems festzustellen. Wenigstens werden sie sich so we- nig, wie die von Schultzen angegebenen Merkmale an den vorgelegten Beobachtungen auffinden lassen. Die Lungen hatten in unseren Fällen eine weniger lebhafte Röthe als Lungen, die geathmet haben, eine dunkele Röthe mit hellrothen Stellen, waren in den Fäl- len, in welchen zugleich Luft in den Gefässen war, blass- braun und blauroth mit hellrothen Stellen, liessen sich zum Theil derb, wie Fötallungen, zum Theil elastisch anfühlen,, knisterten deutlich oder nicht; in den ersten Fällen ist im Protokoll hierüber nichts bemerkt worden. Flachs hat schon darauf aufmerksam gemacht, dass der Mangel knisternden Geräusches und hervorquellenden Blu- tes keinesweges mit Sicherheit nachgewiesen sei. In Be- treff auf letzteres Zeichen muss ich darauf verweisen, dass beim Zusammendrücken der eingeschnittenen Lungen dünnes, schaumiges Blut von schmutzig grauer Farbe hervordrang, dass eine mit vesiculärem Emphysem ver- 12 sehene Stelle beim Einschneiden Luftbläschen, aber nicht Blut entleerte, bei den übrigen Fällen aber der Blutge- halt nicht angeführt ist. Die Schwimmfähigkeit solcher Lungen stellt sich ebenfalls in verschiedenem Grade dar. Aus der Zusammenstellung der Merkmale, welche solche Lungen bei der Untersuchung darstellen, ergiebt sich, dass mit diesem Emphysem versehene Lungen eine grosse Aehnlichkeit mit denjenigen haben, welche unvoll- kommen geathmet haben. Selbst die leise Erhöhung der Lungenzellen über die nebenliegenden dunkelen Stellen spricht für diese Aehnlichkeit, so dass also eine bestimmte Unterscheidung des angeborenen vesiculären Lungenemphy- sems von den Erscheinungen, welche ein unvollkommenes Athmen hinterlässt, zur Zeit nicht möglich ist. Noch ist zu bemerken, dass einzelne Luftbläschen, die im Schleim der Bronchialäste und bei einem Fall aus der Privatpraxis in den Bronchialästen sich befanden, keinesweges auf eine unvollständige Repiration zu schlies- sen berechligen, auch dass das blosse Anblasen bei den Belebungsversuchen der geborenen Frucht die in den Lun- gen vorgefundenen Erscheinungen nicht bewirkt haben kann. Wie in den Luftzellen der Lungen einer Frucht, so kann auch Luft in dem Bindegewebe der Lungen einer Frucht — sowohl im Parenchym- als auch indem Subpleuralbindegewebe — gefunden werden. Diese Art des Emphysems ist ihrer Entstehung nach verschieden. Entweder findet sich nämlich in dem Paren- chym der Lungen die Luft ohne deutliche Zerreissung von Blutgefässen, wenigstens an Stellen, an welchen Blutaustritt nicht wahrzunehmen oder an Stellen, an wel- chen Blut ergossen ist. Da in jenem Falle die Luft sehr wahrscheinlich aus den Gefässen ausgeschieden, in diesem aber aus dem in das Parenchym ergossenen Blute entwickelt wird, so kann in jenem eine primäre, in diesem eine secundäre Entstehung dieser Luftgeschwulst, also ein primäres und ein secundäres interlobuläres Lungenemphysem angenommen werden.“ Auch diese Angaben werden durch zwei Beobachtun- gen belegt, an welche der Verf. folgende Betrachturgen anreiht. „Was die Entstehung dieser beiden Emphyseme in den vorliegenden Fällen betrifft, so ist im ersten das Zu- leiten der äusseren Luft in die Gebärmutterhöhle, undenkbar, im zweiten höchst unwahrscheinlich, da die Reposition der Nabelschnur nur mit zwei in die Mutterscheide ein- geführten Fingern, nicht mit der ganzen Hand ausge- führt, auch in der Luftröhre und in den Bronchien Luft- bläschen nicht in grosser Menge gefunden wurden, in beiden Fällen aber gewiss nicht bei der Entbindung er- folgt, da diese erst nach dem Absterben der Frucht un- ternommen worden ist, daher zur Erklärung des vesi- culären Emphysems nicht anzunehmen, auch zur Er- klärung des interlobulären Emphysems überhaupt nicht geeignet. 13 In dem ersten Falle war ‘die Luft in den Lungen- gefässen in viel grösserer Menge als in dem zweiten vor- handen. Auch enthielt im ersten das in den Nebennieren ergossene Blut Luft, so dass die im Blute befindliche Luft als die Veranlassung der übrigen emphysematischen Erscheinungen der Lungen angesehen werden kann. Im zweiten war die Luft in den Gefässen in so geringer Menge vorhanden, dass diese Erscheinung der Beobach- tung hätte entgehen können, wenn wir nicht in Folge der übrigen auffallenden Erscheinungen auf diesen Um- stand besondere Aufmerksamkeit verwendet hätten. Den- noch bleibt auch in diesem Falle nur die Erklärung durch Absonderung des im Blute befindlichen Gases als die al- lein annehmbare Ursache übrig. — Selbst wenn das Gas im Blute bei der Section noch viel weniger aufzufin- den ist, wird die in dem Lungenparenchym aufgefundene Luft einer Exhalation aus dem Blute zuzuschreiben sein. Da in den beiden Fällen von interlobulärem Emphy- sem zugleich die beiden anderen Arten von angeborenem Lungenemphysem beobachtet wurden, so kann daraus ge- folgert werden, dass dasselbe stels Folge des einen oder anderen Lungenemphysems sei, dass namentlich die in dem Blute enthaltene Luft sowohl in die Luft- zellen, als auch in das interstitielle Binde- gewebe abgesondert werden könne. — Schon der Fall, in welchem bei Entwickelung der Luft in dem Gefässsysteme auch Luft unter der Pleura und in den Lungenbläschen gefunden wurde, könnte zur Unterstützung dieser Meinung angeführt werden, wenn nicht, da bei der Geburt Gas aus der Gebärmutterhöhle ausströmte, wenigstens zur Erklärung des vesiculären Emphy- sems das Eindringen der in der Gebärmutterhöhle an- gesammelten Luft in die Respiralionsorgane der Frucht angenommen werden könnte. Nehmen wir nun die in dem Blute enthaltene Luft als die Ursache der beiden andern Arten des Emphysems an, so ist leicht einzusehen, dass sie in die Lungenbläschen und in das interstitielle Bindegewebe der Lungen durch Aushauch- ung gelangen kann, selbst wenn sie im Blute nur in gerin- ger Menge vorhanden ist, aber auch zu vermuthen, dass sie allein in die Lungenbläschen, so auch wohl allein in das interstitielle Bindegewebe abge- sondert werden kann. Wollte man nämlich aus den beiden Beobachtungen den Schluss machen, dass das angeborene interlobuläre Emphysem immer mit dem Pneumonophysema ve- siculare verbunden sei, so könnte doch wohl ein selbst- ständiges Vorkommen des interlobulären Lun- genemphysems, worüber jedoch weitere Beobachtun- gen erst entscheiden müssen, wenigstens nach theoreti- schen Gründen nicht geleugnet werden; denn wenn Vir- chow (vergl. dessen Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie und für klinische Medicin. 8. B. 1. H. $. 103—113) im selbstständigen Leben in die elastischen Fasern und das Bindegewebe der Lungen Kalksalze abgesetzt fand, so kann die Absonderung der Luft in 14 das Bindegewebe der Lungen viel weniger räthselhaft sein. Auch kann dieser Vorgang, da die Lunge das für die Einwirkung der Luft bestimmte Organ ist, viel weniger auffallen, als bei Craniophysema die Ausscheidung der Luft zwischen die harte Hirnhaut und den Schädel- knochen. Ebenso ist die Möglichkeit, dass das vesiculäre Emphysem, wenn die Lungenzellen durch das ausge- hauchte Gas zu sehr gedehnt würden, durch deren Zerreissung zur Entstehung des interlobu- lären Emphysems Veranlassung geben könne — auf welche Weise ja bei Erwachsenen das interlobu- läre Lungenemphysem nicht selten entsteht — nicht ab- zuleugnen. Doch ist auch die Entstehung des vesicu- lären Lungenemphysems aus dem interlo- bulären nicht undenkbar, da bei Zerreissung des Lun- gengewebes durch das ausgehauchte Gas auch Luftzellen geöffnet werden und zur Aufnahme des Gases geeignet sein können. Die Entstehung des einen Lungenemphy- sems aus dem andern wird durch bestimmte Merkmale nicht zu unterscheiden sein. In unserem ersten Falle schienen sie selbstständig neben einander zu bestehen, also einzeln entstanden zu sein, weil das interlobuläre Emphysem entfernt von dem vesiculären lag. In dem zweiten dagegen schien das subpleuritische Emphysem, weil es in der Nähe des vesiculären und bei der Section der Leiche in geringerer Menge als dieses gefunden wurde, aus diesem entstanden zu sein. Für diese Meinung spricht insbesondere auch das Resultat der mit Fötal- und Kin- derlungen angestellten Versuche, an welchen, wenn sie Luft enthielten und in Spiritus gelegt wurden, Emphy- sema subpleuriticum sich bildete. Auch lässt es sich denken, dass die Gefässe der Lungen, wenn sie von Luft sehr ausgedehnt sind, zer- reissen und die Luft in das Bindegewebe, welches die Ge- füsse und die Lungenbläschen verbindet, austreten lassen, so dass dieses Emphysema der Entstehung nach als ein traumaticum zu bezeichnen wäre. Es ist einzusehen, dass diese Entstehungsweise von der durch Absonderung der Luft bedingten, bei welcher die Zerreissung des Bin- degewebes hinzukommen muss, bei der Untersuchung der Lungen nicht zu unterscheiden sein werde. — In unserm er- sten Falle wäre diese traumatische Entstehungsweise bei der grossen Menge der in den Lungengefässen enthaltenen Luft und bei der beträchtlichen Zerklüftung des Lungen- gewebes wohl zu vertheidigen. — Selbst bei dieser pri- mären Zerreissung der Gefässe wäre der Austritt von Blut als nothwendige Folge dieser Erscheinung nicht zu fordern, weil anzunehmen ist, dass nur diejenigen Ge- füsse, welche von der angesammelten Luft sehr gedehnt sind und darum wenig Blut enthalten, zerreissen würden. Dieses interlobuläre Lungenemphysem darf nicht mit dem secundären, nicht mit der nach Chaussier bei er- gossenem Blute entstehenden Luftentwickelung verwech- selt werden; denn, wenn auch im ersten Falle in der Leber, in den Nebennieren Blut, welches Luft enthielt, 15 gefunden wurde, so war doch in der Lunge selbst kein Blut, welches Luft enthielt, ausgetreten, wiewohl die- selbe von Blut strotzte und hier und da, gleich wie das Herz, kleine apoplektische Stellen zeigte. Im zweiten Falle fand sich sogar ausser den kleineren Echymosen eine grössere Blutaustretung (in der Ausdehnung von einem Zoll) an der Verbindungsstelle des obern und mitt- lern Lappens der rechten Lunge, jedoch ohne dass hier Luft entwickelt war. — Es wird diese Unterscheidung noch mehr hervortreten, wenn wir das secundäre in- terlobuläre Lungenemphysem selbst betrachten. Uebrigens dürfte es nicht befremden, wenn an der Stelle, an welcher die Luft abgesondert und das Gewebe zerklüftet wird, auch bei der hierbei primär oder secun- där erfolgenden Zerreissung der Gefässe Blut austreten würde. Der Blutaustritt würde alsdann nur Folgesymp- tom dieses Emphysems sein, während das ergossene Blut bei dem secundären interlobulären Emphysem die Ursache der Luftentwickelung ist. Vielleicht ist die bei der Luft- absonderung in das Bindegewebe entstehende Dehnung und Spannung des Gewebes ein Hinderniss für das etwa nachfolgende Austreten des Blutes, sowie das in dem zweiten Falle ergossene Blut vielleicht gerade durch die eintretende Spannung es verhinderte, dass Luft an der- selben Stelle abgesondert wurde. Der Umstand, dass das interlobuläre und subpleuritische Emphysem neben den apoplektischen Stellen und nicht an denselben bestand, ist ein sicherer Beweis für die Richtigkeit der hier ent- wickelten Ansicht, dass dieses Emphysem in den beob- achteten Fällen nicht Folge des ausgetretenen Blutes war. Die Erkenntniss des interlobulären und subpleuritischen Lungenemphysems ist, wie nach den vorliegenden Beobachtungen vermuthet werden kann, für den gehörig Unterrichteten nicht schwierig. Die Lun- gen haben eine dunkelbraune oder stahlblaue Farbe, von welchen die lufthaltigen (bei interlobulärem Emphysem) nicht sehr abweichen, weil sie durchsichtig sind. Drängen sie die Pleura nicht bedeutend hervor, so können sie leicht übersehen werden. Das subpleuri- tische Emphysem fällt auf der dunkeln Fläche der Lun- en durch seine helle, weisse Farbe auf. — Die hellrothen Stellen dürfen mit den subpleuritischen Em- physemstellen nicht verwechselt werden. — f Die Schwimmfähigkeit der mit interlobulärem oder subpleuritischem Emphysem versehenen Lungen hängt ohne Zweifel von dem Grade der Luftentwickelung ab. Da ich einen ganz reinen Fall von diesem Emphysem (ohne ve- sieuläres) nicht beobachtete, wage ich die Frage, ob die Lunge dadurch schwimmfähig werden könne? nicht mit Bestimmtheit zu beantworten. Doch vermuthe ich, dass die Schwimmfähigkeit geringer ist, als bei den mit vesiculärem Emphysem versehenen Lungen, da in unsern beiden Fällen die mit vesiculärem Emphysem ver- sehenen Stellen eine deutliche Schwimmfähigkeit zeigten. Dabei muss ich bemerken, dass ein Herausschneiden der blasigen Stellen zur Prüfung der Schwimmfähigkeit dieses 16 Theiles der Lunge gar nicht statt fand. Es-lässt sich aber vermuthen, dass die Schwimmfähigkeit, weil die Luft nicht sehr verbreitet ist, geringer und auf eine kleinere Stelle beschränkt ist, als bei dem vesiculären Emphysem. Wichtig ist hier die Frage, ob die mit ange- borenem interlobulärem Emphysem versehe- nenLungen einer Frucht noch das Athmen zulassen? Nach den mir vorliegenden Beobachtungen ist sie mit grösster Wahrscheinlichkeit zu bejahen. Dieses Athmen kann ein zu frühzeitiges, schon während der Geburt eintretendes sein. Wenn die- ses zu frühe Athmen überhaupt möglich ist und die hier be- trachtete Beschaffenheit der Lungen einer Frucht das Respi- riren nicht hindert, so kann unter gewissen Umständen auch wohl in solchen Lungen, während die Frucht noch in der Gebärmutterhöhle sich befindet, Luft in die Respira- tionsorgane dringen und ein — wenn auch unvollständi- ges — Athmen veranlassen. Ein Fall, welcher diesen Vorgang nachweisen könnte, ist mir nicht vorgekommen. Der zweite früher erzählte Fall könnte die Erklärung zu- lassen, dass die Luft durch die Geburtswege bei dem Zurückbringen der Nabelschnur in die Gebärmutterhöhle und die Respirationsorgane vorgedrungen sei; doch habe ich geglaubt, bei Anführung von Gründen gegen eine solche Vermuthung — durch welche, wenn sie sich auch bestätigt haben sollte, doch die Entstehung des subpleu- ritischen Emphysems nicht zu erklären wäre — mich aussprechen zu müssen. Dagegen sind eher Fälle für die Wahrscheinlichkeit, dass mit solchen Lungen behaftete Früchte, wenn die fehlerhafte Beschaffenheit nicht einen sehr grossen Theil der Lungen einnimmt, in das selbstständige Le- ben gelangen, mehr oder weniger beschwer- lich athmen und bald sterben, anzuführen. — Die hierher gehörigen Beobachtungen zerfallen in zwei Reihen. Entweder findet man bei solchen Kindern die blasige Stelle gegen das nächste Gewebe der Lungen, welches sich nicht entwickeln "kann, daher comprimirt erscheint, durch eine besondere Membran abgegrenzt, oder es fliessen mehrere kleine Blasen, indem das Gewebe beibeträchtlicher Dehnung zerreisst, in grössere zusammen, so dass das Gewebe em- physematisch zerfliesst und gleichsam auf- gelösst wird.“ Das Buch, reich ausgestattet mit literarischen Ap- parat verdient das ernstliche Studium der Physiologen, Geburtshelfer und Gerichtsärzte. Miscelle. Zur Heilung eines seit mehreren Tagen bestehenden Pria- pismus hat Velpeau eine Punktion der Corpora cavernosa angewendet, welche mit augenblicklichem Erfolg von einer Seite nach der andern ausgeführt wurde. (Gaz. hebdom. 1856 pag- 246.) Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena, Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. EI. Band N 2, Naturkunde. H. Meckel von Hemsbach, Perlenzucht und Perlenfischereien. — L. Rabenhorst, Ein neues Prodi- ium, — Miscellen. Papon, Desoria, das Thierchen des schwarzen Schnee’s. — Collin, Ueber die Entstehung des uckers im Darmkanal und seine Absorption durch die Chylusgefässe. — Meilkunde. Meyer Ahrens, Ueber Ner- venkrankheiten des hohen Nordens. — iscellen. Bartlı, Eine neue Art der Punktion der Eierstocksbalggeschwülste. — Leverrier, Meteorologische Beobachtungsstationen. — A. v. Gräfe, Myopia indistans. — Gibert, Ueber die Wirk- ung des oxydirt salzsauren Kalis gegen die Geschwüre der Mundfäule. — Castiglioni, Ueber die Abnalıme der Irren in der Neuzeit. — Bibliographie. Naturkunde. Perlenzucht und Perlenfischereien. Von Prof. Dr. H. Meckel (gest. in Berlin). Die „Mikrogeologie‘ *) ist das letzte eigentlich un- vollendete Werk des Verfs., welches, vom Grossen auf's Kleine eingehend, die Bildungsweise der Concremente der thierischen Organismen wissenschaftlich erklärt. Es ist das Buch voll der interessantesten Thatsachen, von denen wir das Wesentliche ausheben wollen, heute aber zum Nachweis der interessanten Bearbeitungsweise Einiges aus einer grösseren Abhandlung über die Perlen und die Schalen der Schnecken und Muscheln ausheben. Es heisst daselbst über die Entwickelung der Perlen: „Die Perlen der Muscheln sind zunächst als Krankheits - Erzeugnisse zu bezeichnen, weiter als Erzeugnisse einer ansteckenden Krankheit nach der Erfahrung von Perlzüchtern, dass jede Perlbank einiger perlträchtiger Individuen bedarf; schliesslich ist es nach Filippi’s Untersuchungen wahrscheinlich, dass diese Ansteckung und die Perlbildung überhaupt von Endo- zoen abhängt. Alle Süss- und Salzwassermuscheln sind’ stark von Eingeweidewürmern aller Art heimgesucht, die theils in der Kalkschale, theils zwischen ihr und dem Mantel, theils in den Weichtheilen nisten. Das parasitische Leben in den dickeren Schalen fest- sitzender Muscheln ist ausserordentlich mannigfaltig und jede ältere Perlmutterschale ist aussen theils verdickt, theils zerfressen durch Parasiten, welche zum Theil tief eindringen und in der Schale Kanäle bauen. Alle diese *) DS” Mikrogeologie. Ueber die Concremente im tierischen Organismus von Dr. H.,Meckel von Hems- bach. Nach d. Verfs. Tode herausgeg. von Dr. Th. Bill- roth. 8. 275 S. Berlin, Georg Reimer, 1856. bohrenden Parasiten der Schale kommen häufig an die innere Perliläche der Schale; dann muss der hier gereizte Mantel der lebenden Schnecke alsbald verklebendes Sekret von Hornschleim mit Kalk als Kallusmasse liefern. So entstehen die verschiedenen warzigen und rundlich bla- sigen Wucherungen von Perlmasse auf der inneren Scha- lenfläche, wie sie als breit aufsitzende, halbe, nichtfreie, von den alten Römern als Physema, mo- dern als Baroque-Perlen bezeichnete Perlen oft gefun- den worden. Pastor Hermann bildete sie von Anodonta aus der schlesischen Queiss ab (Miscell. Be- rolin. t. 5. 1729 tab. 4.), wo sie, ausser auf der Perl- muttermasse, auch auf dem hornigen Schloss sitzen. Alle solche Auswüchse lassen sich durch Anbohren künstlich bilden. Solche mit Perlauswüchsen versehene Muschel- schalen wurden im alten Rom als Pomadenteller ge- braucht. Aus der Analogie der Polypen von Schleimhäuten und anderen Theilen des Menschen — welche Anfangs stets flach in den Parenchymen versteckt liegen, dann halbkugelig sich hervorhebend breitaufsitzen, dann an immer schmälerem Hals und mit immer längerem Nabel- strang abschnüren, um endlich als freie Körper abzu- fallen — liesse sich schliessen, dass auch primär fest- sitzende Baroque - Perlen später zu freien, ganz runden Perlen werden könnten. Doch passt der Vergleich nicht, weil die Perle kein organisch belebtes und durch Stoff- wechsel sich veränderndes, zugleich kein plastisches, son- dern starr unveränderliches Produkt ist. Demnach haben die echten, runden, freien Perlen ihren Ursprung nie aus Baroque-Perlen der Schale, son- dern müssen von erster Bildung an frei in Weich- theilen entstanden sein. Dass sie aber in Weichthei- len oft nach Art der Schleimhautpolypen ent- stehen, dafür sprechen entschieden die verschiedenen For- 3 19 men der Perlen, namentlich die Birnform, Thränenform u. dergl. Die Zahl der guten Beobachtungen über den Ort der Entstehung der Perlen ist sehr gering, keine einzige Beobachtung ist genau genug (Filippi kenne ich nicht im Original), daher bleibt manches Fragliche noch zu lösen. 1) Der gewöhnlichste Sitz der Entstehung der Perlen ist nach übereinstimmenden Angaben von Reaumur, Hermann, R. v. Bär u. A. die Haut des Thieres und zwar nur die Haut des Rückens, da, wo sie zugleich mit dem Mantel eins ist und der Man- tel von ihr ausgeht, gerade über dem Schlossiheil der Schale. Hermann sah diess stets bei 20jähriger Un- tersuchung schlesischer Muscheln und bildet es a. a. 0. ab, so dass man hier an dem ausgebreiteten Mantel des Thieres von der äusseren Fläche eine ovale Scheibe un- terscheidet, welche mit Perlen besetzt ist, entsprechend dem Schalenschloss und dem Thierrücken. Dieselbe Stelle ist als perlbildend von Home abgebildet und spricht gegen seine eigne Theorie von Bildung der Perlen im Eierstock. 2) Einige Perlen sind sicher auch im eigentlichen Mantel beobachtet. Ein von Kundmann 8. 434 ei- tirter zwickauer Anonymus von 1693 giebt an, beim Ablassen eines Teiches in einer der Muscheln eine aus 54 grossen und kleinen, theils matten theils glänzenden Perlen bestehende, haselnussgrosse, gestielt am Man- tel festsitzende Traube von Perlen gefunden zu haben. Auch Poli giebt den Sitz im Mantel an bei Pinna. 3) Im grossen Quermuskel sah Audouin Per- len (Mem. du Musee t. 19). 4) Poli sah bei Pinna Perlen unter dem Perito- näum und im Herzbeutel — letzterer ein Lieblingssitz mancher Endozoen bei Mollusken. Vermuthlich entstehen die Perlen an all diesen Or- ten als Einkapselungen von Endozoen, sind also einiger- maassen zu vergleichen mit den beim Menschen vorkom- menden Verkalkungen von abgestorbenen Cysticercus, Trichina spiralis u. dergl. — Bär’s Meinung, dass ei- genthümliche sirukturlose Gerinnselkügelchen den Kern bilden, ist genauer zu untersuchen. Aus den Formen sehr vieler Perlen, wie sie von Poli Taf. 37 Fig. 4 aus Pinna abgebildet sind und in ähnlicher Art noch unzählige Variationen bieten, geht hervor, dass die schönsten regelmässigen Perlen, wie auf einer Drehbank, durch einseitige Rotation um eine feste Axe, dass sie demnach freilich in einer mus- kulösen Höhle entstehen müssen. Hierzu würde auch der Mantel des Thieres geeignet sein können, der stark muskulös beweglich ist. Am eigenthümlichsten sind die mit oft lang ausgezogenen Spitzen versehenen, thränen- förmigen Perlen bei Pinna nach Poli; weit weniger die perlenglänzenden, vielmehr die korallenrothen Pinna- Perlen zeigen diese Form. Die histologische Entstehung und Struktur der Perle 20 ist ganz gleich der der Schale. Es kommen’ alle diesel- ben verschiedenen Strukturverhältnisse vor, wie in der Schale, namentlich primär braune Hornsubstanz, Perl- muttermasse und krystallinisch - strahlige Säulenstruktur oder Porzellanmasse. Was die Nachweisung von Endo- zoenresten als Kern der Perle betrifft, so habe ich vier kleine orientalische Perlen ohne wesentliches Resultat durch Salzsäure entkalkt; es zeigte ich im Centrum eine zwar durchaus histologisch von der Perlsubstanz abwei- chende Masse, kleinkörnig krümlich, wie aus kleinen Zellen bestehend, doch war nichts Charakteristisches, was für Endozoen sprach; ebenso blieben feine Schliffe in dieser. Hinsicht erfolglos. Da die centralen Theile jeder Perle die frühest gebildeten, ältesten sind, so ist es hier, wo immer die ursprünglichste Perlmutterstruktur zuerst völlig verschwindet, indem sich als Entartung radiale Krystallisation bildet. Vermuthlich niemals be- steht in einer mehr als 1 Linie dicken Perle das Cen- trum noch aus Perlensubstanz, sondern in allen grösse- ren Perlen besteht es aus strahlig -säuliger Masse, wie Durchschnitte und die mikroskopischen Schliffe zeigen. — Nach Reaumur’s Untersuchungen an Pinna-Perlen giebt es zweierlei Arten von Perlen: 1) die aus geschichteter, 2) die aus strahliger Masse bestehen; diese Verschiedenheit soll vom Entstehungsort der Perlen ab- hängen. Re&aumur hat jedenfalls den Umstand über- sehen, dass jede geschichtete Perle im Centrum strahlig wird durch Entartungskrystallisation. Uebrigens ist es nach ihm wahrscheinlich, dass gelegentlich auch Perlen vorkommen, welche bis an die Oberfläche strahlig kry- stallinisch wurden, wenn das Appositionswachsthum durch neu aufgelegte Perlmutterschichten aufhörte — ganz nach Analogie der völlig strahlig umkrystallisirten Cholestrin- steine der Galle des Menschen. Die Farbe der Perlen ist grossentheils weiss, doch auch bunt, jenachdem dieselben etwa in Stellen des Man- tels entstanden, welche auch eine bunte Kalkschale be- reiten. So finden sich rothe, violette, blei- und stahl- graue Perlen, letztere zum Theil von sehr hohem Werth im Handel; Goldfarbe gelegentlich ausgezeichnet.“ „Die zahlreichen Perlenfischereien in süssem und Seewasser unterscheiden sich namentlich nach ihrer ro- hen und ungeregelten oder verfeinerten und geregelten Bewirthschaftung. Die Fischerei der echten orientalischen Per- len wird bisher grossentheils wild betrieben. Im per- sischen Golf ist der Mittelpunkt der Bänke etwa Bahrein, ausserdem am ganzen arabischen Gestade ent- lang und um die Inseln, worunter namentlich Karrack, Korgo und Ormus berühmt sind. Trotz des wilden Be- triebes soll der Ertrag im persischen Golf 1 Million spanische Thaler betragen, nach neuerer Schätzung des englischen Residenten zu Abuscheher 2 bis 2% Million. Erwähnenswerth ist an der arabischen Küste besonders die Perlenbank Katif. Grosse Perlbänke bei Ceylon, namentlich seit alter Zeit im Golf von Manaar, neuer- lich mehr in der Bai Condatchy; früher portugiesisch, dann holländisch, jetzt englisch, soll der Perlenfang von Ceylon als Monopol der Regierung 25,000 bis 200,000 Guineen eintragen. In das Bereich dieser Zone gehört endlich die japanische Fischerei an der Insel Hainan. Nach Albrecht Heerport's Reisebeschreibung von 1666 wurde die Fischerei von Ceylon so verwaltet, dass jährlich einmal möglichst viele Theilnehmer von der Regierung nach dem sonst so öden Manaar zusammen- berufen wurden und in einer Flotille von 400 Fahrzeu- gen zur grossen Perlbank ausfuhren; Taucher, zum Theil mit fester Kopfkappe und Athmungsröhre, brechen in dem sehr klaren Wasser die Muscheln ab; alle Mu- scheln werden am Lande in der Sonnenhitze der Fäul- niss überlassen, daher dann fürchterlicher Gestank und Seuchen unter den zusammengedrängten Menschen, so dass binnen 6 Wochen 1500 Menschen unter 200,000 starben. Nachdem die Muschelthiere verfault sind, öffnet man; vielleicht sind 20 Muscheln leer, dagegen auch in einer Muschel wieder 20 Perlen. Weiterhin auf dem allgemeinen Markt werden die Perlen durch graduirte Sieblöcher in eine bestimmte Anzahl verschiedener Grösse- sorten gesondert. Die grössten Perlen pflegen etwa den Umfang einer Haselnuss zu haben. In einem neueren Werke über Ceylon 1803 be- schreibt Pereival die Perlenfischfangsaison von Con- datchy vom Februar bis April, mit ihrem Gewimmel von Fischern, Handeltreibenden, Juwelieren aller Rassen u. s. w. als eins der interessantesten Volksschauspiele. Es besteht eine Art Wechselbetrieb der verschiedenen Bänke, indem etwa 3 bis 4 Schläge für die verschiedenen Jahr- gänge abgetheilt sind (wie im Forstbetrieb u. A.). Vor dem Fange werden die einzelnen Bänke untersucht, von der Regierung dann nach Umständen für reif erklärt und meist verpachtet, selten auf eigene Kosten ausgebeutet, Jeden Tag segelt gleichzeitig nach Signalschuss die ganze Flotille zum Perlfang aus; der Taucher lässt sich schnell in die Tiefe, unter Mithülfe eines schweren Steins, zum Theil bis 4 und 10 Toisen Tiefe; er hält ohne Luft- wechsel bis 3° Minuten, selten auch 4 und 5 Minuten aus, so dass er jedesmal gegen 100 Muscheln bringt, Manche Perle wird von den Tauchern u. A. aus dem frischen Thiere gestohlen und verschluckt; die Pächter pflegen dann bei vorhandenem Verdacht Brech- und Ab- führmittel anzuwenden. Die Perlmuscheln werden dann der Fäulniss überlassen, endlich die Perlen ausgesucht. Weitere Zubereitung besteht noch darin, dass man die Perlen reinigt, polirt, ihnen eine bestimmte Form giebt, endlich sie durchbohrt. In Amerika finden sich Fischereien an verschie- denen Stellen des Golfs von Mexiko, bei den Inseln St. Martha und Margerita und Cubagua an der Küste von Comogola und Cumanaz andererseits in der Südsee in der Bucht von Panama und bei Kalifornien. Die Fische- 22 reien des mexikanischen Busens und von Panama waren Anfangs sehr einträglich; allein im J. 1587 sollen von daher 700 Pfund Perlen in Sevilla eingeführt sein; jetzt ist der Betrieb verwildert, auch trotz einer englischen Aktien - Gesellschaft, welche 1826 an dem Versuche fallirte. In Afrika besteht nur eine Perlenfischerei an der Küste von Algier, ohne grössere Bedeutung. Alle europäischen Fischereien gelten nur dem Süsswasser. Der englischen Perlen gedenkt schon Tacitus; von 1761 bis 1764 trug der Fang zu Perth in Schottland jährlich 10000 Pfund ein, und auf der londoner Ausstellung von 1851 waren schöne Proben aus den schottischen Flüssen Yihan, Don und Ugin und dem irischen Flusse Strule vorgelegt. — In Hessen, Franken, in der Saale bei Halle finden sich gelegent- lich schlechte Perlen von Anodont.. — Bairische Perlen erwähnt 1637 Geiger, um sie statt orientali- scher medieinisch anzuwenden; berühmt ist die Ils bei Passau, für deren Perlen der Jude in früherer Zeit zum Theil 50 Thaler bot. — Böhmische Perlen beschrieb Balbinus 1680. — In Schlesien und der Lau- sitz sind seit alter Zeit besonders die Perlen der Queiss bei Hirschberg berühmt. — In Schweden, Norwe- gen und Liefland bestanden früher grosse Fische- reien, welche aber in Verfall gerathen zu sein scheinen. — In der Somba im Gouvernement Archangel, ebenso in Nowgorod, Twer und Pskow, in mehreren Zuflüssen des Don fanden sich einige Perlen; die ‚Fischereien wa- ren nicht ergiebig genug, dass die Regierung sie meno- polisiren könnte. Seit alter Zeit sind die bedeutendsten europäischen Fischereien in der Elster im sächsischen Voigt- lande, in der Ausdehnung von Adorf bis Elsterberg; ober- und unterhalb dieser Gegend ist das Wasser durch Beimengungen zu sehr verunreinigt und das Gebiet von Plauen ward 1825 wegen neuer Fabriken ganz von den Perlmuscheln verlassen; künstlich wurden Kolonieen von Perlmuscheln auch in benachbarten Flüsschen angelegt. — Seit 1621 ist diese Fischerei ein Regal. Im. Jahre 1650 gewann man 224 Stück, darunter 45 ganz helle und 16 grosse; im J. 1673 waren es 294 Stück, im J. 1681 104, darunter 73 glänzende. Von diesen Per- len hatte eine Herzogin von Sachsen-Zeitz ein Halsband, wofür der Hofjude 40000 Thlr. bot. — Nach neueren Mittheilungen des statistischen Vereins zu Dresden wurde gewonnen: in den Jahren Thaler für 1719—1801 10000 11280 Stück Perlen. 1805—1825 2150 2560 „ = 1826— 1836 890 1550. „ - Also Summa in 106 Jahren (nach Abzug von 11 leeren Jahren) 13050 Thaler für 15400 Perlen. Vom Ertrage der ersten Periode wurden 1805 die schönsten Perlen zu einem Halsband von 3000 Thaler ie gesammelt, ” 23 jetzt im grünen Gewölbe. Im Allgemeinen war nach obiger Tabelle die Menge und Güte der Perlen im Ab- nehmen. Für eine geordnete Zucht und Betriebswirthschaft der Perlbänke sind namentlich die voigtländischen Erfahr- ungen maassgebend, wie sie Eberhard mittheilte. 4) Man zerstöre nicht die Muscheln wegen einer Perle; vielmehr lässt sich leicht, vermittelst der. von Eberhard abgebildeten Instrumente, die Perle aus dem Mantel exstirpiren ohne Schaden der Mutter, welche im Wasser neue Perlen zeugen kann. Viel Schaden thaten gelegentlich Kinder und in früheren Kriegen die Lands- knechte. — Für die mit Bart-Byssus festsitzenden orien- talischen Perlmuscheln ist diese Regel kaum anwendbar, weil die neue Anheftung losgerissener Thiere nicht leicht erfolgen wird. — Die Zahl der kleinen Perlen wird bei dieser Methode viel geringer sein, als beim wilden Be- trieb, dagegen die grossen Perlen zahlreicher. 2) Wo die Muscheln sich zu dicht drängen, wer- den die überflüssigen verpflanzt. 3) In jeder neuen Kolonie sorge man dafür, dass etwa gleichviel Männchen und Weibchen vorhanden seien. 4) In jeder Kolonie sorge man dafür, dass einzelne Mitglieder perlhaltig seien, insofern die Perlbildung we- sentlich durch Ansteckung (Endozoen) befördert wird. 5) Das Wasser werde geschützt vor mechanischen and chemischen Störungen durch Grundeis, Holzflösse, Sturm, Strömung, Brandung, Schlamm, Sand, Schmutz, Fabrikenauswurf, ebenso vor dem etwaigen Trockenlegen bei den jährlichen Mühlenausbesserungen. 6) Der Boden sei weich, mässig feinkörnig, ent- halte Schlamm und Sand; vom Boden ist zum Theil die - Farbe der Perlen abhängig. 7) Je tiefer im Wasser und je mehr im Schatten die Muschel liegt, desto schöner die Perlen. 8) Ueber die künstliche Anregung zur Perlbildung in den Muscheln, entweder durch Anbohrung der Schale und Einbringung fremder Körper nach Linn€ oder na- mentlich durch Ansteckung mit Endozoen (durch Fütter- ung??) nach Filippi sind zunächst neue Versuche an- zustellen, um zu entscheiden, ob auf diese Art leicht und sicher freie Perlen zu erzielen sind. Für Nachahmung von Perlen haben die für Fälsch- ungen besonders geeigneten Franzosen das Verdienst der Erfindung und Ausbildung. Ein gewisser Jaquin erfand zur Zeit der Katharina von Medicis die Kunst, aus den perlglänzenden Fettkrystallen der Schuppen klei- ner Fische, namentlich Cyprinus alburnus, eine Lösung zu bereiten, welche auf Glas verdunstend eine Perlfläche zurücklässt. Auf der londoner Ausstellung von 1851 waren solche Perlen vorgelegt von Truchy und von Vales in Paris. Die zur Nachahmung des Perlglanzes dienende Substanz konnte entschieden nicht besser ge- wählt werden, als aus dem eigenthümlichen silberglän- zenden Pigment der Fische, welches aus unendlich fei- 24 nen Krystallblättchen besteht und so noch unter dem Mikroskop das prachtvollste Bild des Irisirens zeigt.“ Ein neues Prodigium. Von Dr. L. Rabenhorst (Dresden). In den letzten Tagen des Septembers und Anfang Octobers zeigten sich wiederholt in dem Speisegewölbe des Hrn. Professor Richter hier auf frisch gekochtem Fleische, Milch und über Nacht gestandenem Warmbier hochrothe, mehr oder minder verbreitete Flecken, die man natürlich sofort für die Palmella (Monas) prodigiosa, Ehrenberg, ansprach und als solche mir überreichte. Schon der Habitus, die Art und Weise ihres Wachs- thums, die eigenthümliche, pfirsichblüth-, nicht blut- rothe Färbung zeigten mir, dass es die bekannte P. pro- digiosa nicht sein könne, und die mikroskopische Unter- suchung lehrte mich, dass sie sehr wesentlich von jener verschieden sei und zu keiner bekannten Art gehöre. Ich betrachte sie somit als neu und nenne sie Palmella mirifica. Ihre Entwickelung auf gekochtem Fleische, wo ich sie nur beobachtet habe, erfolgt auf eine bewunderungs- würdige Weise so schnell, dass nach einer Uebertragung von 8—10 Zellen binnen 2—3 Stunden ein Flecken von der Grösse eines Neugroschens nicht nur oberflächlich entsteht, sondern in die Fleischsubstanz 1—2’’ tief ein- dringt und die Fasern auflockert. Hierauf bilden sich stellenweise an der Oberfläche dieser lagerarligen Aus- breitung kleine trauben- oder kammartige Anhäufungen, ähnlich einer Effloresceenz oder ähnlich dem Protococcus miniatus, wenn er jahrelang ungestört, gegen Licht et- was gedeckt, sich hat entwickeln können. Die Farbe ist ein lebhaftes Pfirsichroth und die Oberfläche zeigt keine Neigung zur Tropfenbildung, wie die blutrothe P. pro- digiosa, vielmehr eine gewisse Trockenheit mit leichtem Feitglanz. Die Zellen zeigen eine sehr verschiedene Grösse, von zploo Dis zz‘ im Durchmesser, und sind ebenso mannigfach an Gestalt, die von der Kugelform bis zur länglichen Eiform alle Zwischenformen durchläuft. P. pro- digiosa besteht stets aus kugelrunden Zellen, deren Durch- messer zwischen zn bis zoyn‘ schwankt. Eine Uebertragung auf amylonhaltige Substanzen, wie Semmel, Brod, Reis u. s. w., ist mir nicht gelun- gen, und da das Fleisch nicht zu conserviren ist, so musste ich früh daran denken, sie wenigstens als Prä- parat zu erhalten. Diese Präparate sind in grosser Zahl gefertigt, und oflerire sie hiermit den Freunden der Wis- -senschaft. (Allg. deutsche Naturhist. Ztg. Bd. II. Hft. 11.) Miscellen. Desoria, das Thierchen des schwarzen Schnees. Im Januar 1856 bedeckte sich mit Südwind die Schneefläche im Kanton Zürich und Graubünden streckenweis mit dichten Schwärmen kleiner lebender Thierchen, dass davon der Schnee schwarz gefärbt erschien. Nach der Untersuchung des Dr. J. Papon ist das Thierchen, das sich besonders auf freien walönächen und Wiesen, hinter trocknen Mauern fand, für eine Desoria mit einem langen Springschwanz, die derselbe für neu hält und als Desoria nivalis bezeichnet, während sie C. Vogt mit der Desoria viatica Nicolabes zusammenstellt. (BES Jahresbericht der naturforschenden Gesellschaft Grau- bündens. Neue Folge. 1. Jahrgang, 1854 —55. Chur, Gru- benmann’sche Buchh. 1856. Eine erfreuliche Erscheinung, wodurch eine seit melır als 40 Jahren bestehende Gesellschaft 26 auf weitere Kreise anregend wirken wird. Geologie und Bo- tanik bilden den Hauptinhalt des Jahrgangs.) Ueber die Entstehung des Zuckers im Darmka- nal und seine Absorption durch die Chylusgefässe hat Dr. Collin (Alfort) der Acad. d. Science. eine Arbeit überreicht, aus der sich ergiebt: 1) dass Zucker im Chylus enthalten ist; 2) dass sich dieser Zucker in Darmknnal bildet; 3) dass er sich aus animalischen Bestandtheilen der Nahrung bildet; 4) dass er ganz oder grösstentheils von den Chylusgefässen auf- genommen, in den Ductus thoracicus und von da in den all- gemeinen Kreislauf ergossen wird. (Gazette hebdomadaire, 1856. 14.) Heilkunde. Ueber Nervenkrankheiten des hohen Nordens. Von Dr. Meyer Ahrens (Zürich) *). Eine ungemein merkwürdige Erscheinung auf dem Gebiete der Pathologie ist die ausserordentliche Reflex- erregbarkeit der Centralorgane des Nervensystems, die im hohen Norden vorzugsweise bei Weibern, doch auch bier und da bei Männern vorkömmt und sich durch An- fälle charakterisirt, welche durch Schrecken hervorgerufen werden und zuweilen den Charakter hysterischer, epilep- tischer, ecstatischer Paroxysmen haben, in der Regel je- doch sich als förmliche Manie gestalten. Meines Wissens ist über diese sonderbare Erschei- nung in der deutschen Literatur noch nichts Vollständiges mitgetheilt worden, und es dürfte desshalb vielleicht in- teressiren, etwas Näheres über den fraglichen Gegenstand zu vernehmen. Die Gegenden, in denen diese krankhafte Reizbar- keit bis jetzt beobachtet wurde, sind Lappland, die Ge- genden an der Pinega und am Mesen, Jakuzk und Kamtschatka. Eine ähnliche Erscheinung scheint an der nördlichen Kolyma und überhaupt im nördlichen Sibirien vorzukommen. Der Erste, der über dieses Uebel, wie es in Lapp- land beobachtet wurde, berichtet, ist meines Wissens Freiherr v. Hoggudr, welcher eine Strecke weit mit einer 25 Jahre alten Lappin reiste, die an dieser Re- Dlexerregbarkeit litt. Ein unerwartetes Geräusch, eine Berührung, ein aufliegender Vogel, ein fallendes Reis, eine Kleinigkeit, ein Nichts reichte hin, die Lappin in die heftigste Auf- regung zu versetzen, Sie erhob ein fürchterliches, grel- les, durchdringendes Geschrei und zankte und schimpfte den Gegenstand, der sie erschreckt hatte, mit einer wah- ren Wuth aus, oder sie verfiel in ein hysterisches Lachen, das oft lange dauerte. Die Anfälle endigten gewöhnlich mit heftigem Weinen. Kaum aber war ein solcher Pa- *) Schweizerische Zeitschrift der Medicin, Chirurg. und Geburtsbülfe, von den med.-chir. Canton - Gesellschaften von Zu Bern, red. von B. v. Tscharner. 1856. IV. z r. Schulthess, 1856. roxysmus vorüber, so konnte die unbedeutendste Veran- lassung wieder einen neuen Anfall hervorrufen. Während vier Stunden, die Hr. v. Hoggue&r mit der Lappin auf dem Wege zubrachte, bekam sie mindestens fünf bis sechs solcher Anfälle, die bald schwächer, bald stärker waren. Dabei war dieselbe keineswegs etwa zart gebaut, im Ge- gentheil, Hr. v. Hoggu6r hielt sie lange für einen Mann, und zwar für einen der hässlichsten Männer, die es geben konnte. In diesem Falle trugen die Erscheinungen ganz den Charakter der Hysterie an sich; manchmal aber verfallen die erschreckten Personen, wie schon angedeutet wurde, in einen der Epilepsie, Catalepsie oder temporärem Wahn- sinn ähnlichen Zustand, denn es leiden viele Lappiunen an diesem Uebel. Zehn Jahre nach Hogguer, der Lappland im J. 1828 besucht hatte, hatte Castr&n Gelegenheit (1838), die fraglichen Erscheinungen ebenfalls kennen zu lernen. Man hatte ihm viel davon erzählt und stellte nun, um ihn von der Wahrheit der ihm berichteten Thatsachen zu überzeugen, in seiner Gegenwart förmliche Experimente an. Ein russischer Kaufmann, der dabei anwesend war, versteckte vor dem Beginne des Versuches jedes Messer, jedes Beil und andere scharfen Instrumente, die leicht zu haben waren, dann trat er plötzlich vor eine Frau hin und schlug die Hände klatschend zusammen. Sogleich sprang die Frau, einer Furie gleich, auf ihn ein, kratzte, schlug und prügelte ihn sehr nachdrücklich durch. Nach- dem sie ihn eine Weile auf solche Weise misshandelt hatte, sank sie auf eine Bank nieder, und es währte lange, bis sie wieder zu Athem kommen und sich erho- len konnte. Zur Besinnung gekommen fasste sie den Entschluss, sich nicht wieder erschrecken zu lassen, und der nächste Versuch lief dann auch so ab, dass sie nur einen durchdringenden gellenden Schrei ausstiess. Wäh- rend sie sich noch über dieses Resultat freute, warf ein anderer anwesender Kaufmann sein Taschentuch so, dass es an ihren Augen plötzlich vorüberflog, lief jedoch schon im nächsten Augenblicke aus dem Zimmer. Jetzt aber fuhr das Weib von Einem zum Anderen, warf hier Ei- nen zu Boden, schlug dort Einen, schleuderte Einige an die Wand und riss Anderen die Haare aus. In einem 27 Winkel sitzend, hatte Castre&n mit Angst dem Augen- blicke enigegengesehen, in welchem die Reihe an ihm sein würde, als er mit. Entsetzen bemerkte, dass das Weib ihren wilden, stieren Blick auf ihn lenkte und sie dann auch plötzlich mit ausgestreckten Armen anf sich einspringen und im Begriffe sah, ihm ihre Nägel in’s Ge- sicht zu drücken; da aber hielten sie noch zu rechter Zeit zwei handfeste Karelen zurück, denen sie dann ohn- mächtig in die Arme sank. Ein anderes Experiment stellte man mit einem jun- gen Mädchen an, dem man damit Schreck einjagte, dass man irgend einen Gegenstand ihr auf den Kopf fallen liess; das Mädchen schrie laut auf und lief aus der Stube. Später schlug man mit einem Hammer gegen die äussere Wand, worauf die erst erwähnte Frau schnell auffuhr ; allein gleichzeilig bedeckte Jemand ihre Augen mit den Händen, wodurch sie plötzlich wieder zur Be- sinnung kam. Man sieht, dass man dem Ausbruche der Wuth zuvorkommen kann, sei es, dass sich der Kranke freiwillig rasch aus den Umgebungen, die ihn erschreckt hatten, entfernt, oder dass man ihm auf andere Weise rasch den Anblick dieser Umgebungen entzieht. Zuweilen scheint sich die Reaktion gegen den Schreck auf eine einzige rasche, unsinnige Handlung zu beschrän- ken, die dann freilich oft mehr Unheil stiften kann, als das Durchprügeln einiger Personen. So warf eine Lap- pin ihr kleines Kind, das sie an der Brust trug, in’s Meer, als sie plötzlich die ungewöhnliche Tracht eines Karelen gewahr wurde, der auf das Boot stiess, in dem sie eben fuhr. Zuweilen nimmt die Reaktion oder die Reflexaction, wie schon bemerkt wurde, die Form der Epilepsie und Catalepsie an. So erzählte ein Karele Castren, er habe sich vor vielen Jahren in einem Kreise terskischer Lappen befunden, man habe von gleichgültigen Dingen gesprochen, als sich plötzlich ein Schlag wie von einer Keule oder einem Hammer hinter der Wand habe hören lassen; augenblicklich seien alle anwesenden Lappen anf den Fussboden niedergefallen, haben ein wenig mit Hän- den und Füssen gezappelt und seien nachher steif und unbeweglich geworden wie Leichen; nach einer Weile ha- ben sie sich wieder erhoben, als ob nichts Ungewöhnli- ches geschehen sei. ‚Bei dieser letzien Scene kann man sich freilich des Gedankens nicht ganz erwehren, dass da abergläubische Furcht mitgewirkt haben könnte, allein die vorher er- zählten Fälle, sowie die weite Verbreitung dieser Erschei- nungen zeigen doch, dass denselben etwas mehr als ge- wöhnliche Furcht oder Aberglaube zum Grunde liegen muss. So ist diese eigenihümliche Reflexerregbarkeit unter den Weibern an der Pinega allgemein verbreitet, obgleich sie auch hier, wie das im letzterwähnten Falle stattge- funden zu haben scheint, zuweilen unter Männern vor- kommt. Man nennt das Uebel hier „Ikota.‘ 28 In seinen leichteren Graden äussert es sich hier da- durch, dass die damit behaftete Person, sobald sie Etwas vor ihren Augen geschehen sicht, was ihr zuwider ist, oder wenn sie muthwillig mit dergleichen geneckt wird, ihren Widerwillen auf mannigfache Weise zu erkennen giebt. Wo aber das Leiden einen hohen Grad erreicht hat, bricht die Kranke gegen den Urheber ihres Wider- willens in Wuth aus, speit ihn an, schimpft ihn ohne alles Schamgefühl aus, schreit dabei wie besessen in thie- rischen unartikulirten Lauten (was eben „ikätj“ genannt wird), schlägt um sich, ja kehrt zuletzt, wenn die Ma- nie den höchsten Grad erreicht hat, ihre Wuth gegen sich selbst, indem sie sich schlägt und verzweiflungsvoll das Haar ausrauft, während sich das Gesicht mit livider Blässe überzieht. Die Anfälle dauern einige Zeit an, worauf die Kranke wieder zu sich kömmt. Im Uebrigen erscheint sie durchaus nicht leidend. Das Weib, bei dem Schrenk einen Anfall beobachtete, besass eine robuste Konstitution und ein durchaus gesundes Aussehen, und sprach, nachdem der Anfall vorüber war, über ihren Zu- stand, wenngleich mit sichtbarem Widerwillen, Man glaubt an der Pinega, die Krankheit entstehe durch die Einwirkung boshafter Menschen, die in gottlo- sem Einverständniss mit dem Teufel die Kraft besitzen sollen, Denjenigen, dem sie aus irgend einem Grunde nicht wohlwollen, durch die Krankheit zu verderben, und bezeichnet daher die Kranken auch wohl mit dem Na- men „Verdorbene.“ Dieser Glaube oder vielmehr Aberglaube ist im Ge- biete der Pinega so tief eingewurzelt, dass Schrenk selbst von Beamten, die auf einige Bildung Anspruch machten, das Märchen mit gläubigem Munde erzählen hörte. An der Pinega sind es besonders verheirathete Frauen, die an dem fraglichen Uebel leiden. Wie schon im Eingange bemerkt wurde, beobachtet man die in Rede stehende Erscheinung auch im Gebiete des Mesen, und hier hat man auch denselben Aberglau- ben über ihre vermeintliche Ursache wie an der Pinega. An der nördlichen Kolyma und überhaupt im nörd- lichen Sibirien kommt eine Krankheit vor, die man dort „Miräk‘“ nennt, und die offenbar in dieselbe Kategorie gehört wie die ‚.Ikota.“ Auch hier sind es meist Weiber, die daran leiden, und die Natur des Leidens wird uns ohne nähere Beschreibung, die wir nicht finden konnten, am Besten daraus klar, dass wir erfahren, es herrsche der Aberglaube, die Krankheit entstehe dadurch, dass der Geist einer zwar längst verstorbenen, aber noch immer sehr gefürchteten Zauberin in die kranke Person gefahren sei und sie nun auf allerlei Weise quäle. s Ganz unter denselben Erscheinungen wie in Lapp- land, an der Pinega und am Mesen tritt unser Lei- den auch in Jakuzk (Sibirien) und in Tigilsk (Kamt- schalka) auf. Ursprünglich kam die Krankheit nur bei den Jaku- ten vor und ging erst später, offenbar, wie Erman meint, durch Verschwägerung und Vererbung, auch in russische Familien über. Sie wird im Sibirischen rus- sisch durch das Wort „mirjatschit" bezeichnet, was etwa so viel als „vor Schrecken sinnlos oder ohnmächtig wer- den‘ bedeutet. Auch hier werden die mit der krankhaften Reflexer- regbarkeit behafteten Personen durch jede unerwartete , Begegnung und älnliche geringfügige Vorfälle in rasende Wuth versetzt, in der sie ihre Umgebungen und na- mentlich den vermeinten Urheber des Schreckens anfallen. Erman sah in Tigilsk in Kamtschatka eine ältliche Frau, die aus Sibirien stammte und in hohem Grade an dem fraglichen Uebel litt. Die blosse Drohung, man wolle sie erschrecken, brachte sie in Erman’s Gegenwart in solche Angst und Aufregung, dass von dem Ausbruche des Paroxysmus sehr nachdrückliche Folgen zu erwarten standen, Ausserdem war Erman nur eine ungewöhn- liche Lebhafligkeit der Stimme und der Geberden und eine Scheu vor dem Umgange mit Fremden an dieser Frau aufgefallen. Kapitän Sabjelow erzählte Erman, wie ein da- mals in Ochozk ansässiger Seemann, von dessen bedeu- tender Körperkraft Erman sich selbst überzeugt hatte, bei seiner Durchreise durch Jakuzk von einer solchen Frau besiegt und übel zugerichtet worden sei, nachdem man ihn veranlasst, sie zu erschrecken. Es ist gewiss eine höchst merkwürdige Erscheinung im rauhen Norden, unter der feineren Civilisation noch so fern stehenden Menschen eine solche Reizbarkeit des Nervensystems zu finden, die man sonst gerade als eine Folge vorgerückter, ja zu weit vorgeschrittener Ci- vilisation oder vielmehr Raffinirung anzusehen gewohnt ist. Allein gerade diese Naturmenschen haben viel Ge- fühl und Gemüth. So haben namentlich die Berglappen im finnischen Lappmarken ein ungemein reiches Gemüth, und auch die russischen Lappen sind ein gemüthliches Volk. Die russischen Weiber und Mädchen im Kolyms- kischen zeichnen sich durch eine gewisse Empfänglichkeit für feinere Eindrücke auf das Gefühl aus, was schon ihre improvisirten Lieder zeigen, die von grossem Gefühl und reichem Gemüth zeugen und ausserdem dadurch merk- würdig werden, dass sie Reminiscenzen an Gegenstände enthalten, die auf Tausenden von Wersten nicht zu fin- den sind, und welche also die Sängerin nur der Sage nach kennt. Die Jakuten sind ebenfalls ein gutarliges Volk, in dessen Gesängen sich nicht minder als in denen der si- birischen Russen tiefes Gemüth ausspricht. Da reden die Bäume des Waldes unter einander oder ähnliche unbe- lebte Dinge reden zu den Menschen; auf der Reise oder bei freudiger Stimmung zu Hause singt ein Jeder nur neue und augenblickliche Eindrücke von den Gegenstän- den, die ihn eben umgeben, und ihre in bloss zwei Tö- nen bestehende Gesangsweise klingt von fern wie das laute Schluchzen eines Menschen. 30 Endlich zeigen sich auch die Kantschadslen durch ihre Sanftmuth vortheilhaft aus, und diese _Gemüthsart hat sich durch Verheirathung auch auf die en über- tragen. . Eine mehr oder minder sanfte, in’s Melancholische streifende Gemüthsstimmung ist somit den sämmtlichen Bewohnern des hohen Nordens eigen, und "iese "erklärt uns auch ihre Anlage zu der grossen Erregbarkeit ihres Nervensystems, die der hier in Rede stehenden krank- haften Erscheinung zum Grunde liegt. Auf den Faroerinseln und auf Island findet sich diese Erscheinung nicht. Gleichwohl ist die Hysterie auf Is- land häufig *), während Geisteskrankheiten daselbst selten sind, so zwar, dass nur 7%, Procent der Bevölkerung an Geisteskrankheiten leiden. Auf den Faroern hingegen leidet mindestens 745 der Bewohner an Geisteskrankhei- ten, die im Anfange vorzugsweise den Charakter der Me- lancholie und Dämonomanie haben, aber bald in Ver- wirrtheit übergehen. Doch kommt auch angeborener oder in den Entwickelungsjahren entstandener Blödsinn vor. Die Blödsinnigen bilden auf Island nur 74,4 Procent der Geisteskranken. Kretinismus und Kropf kommen weder auf Island noch auf den Faroerinseln vor. Die excessive Reflexerregbarkeit des Nervensystems, die zunächst das Thema unserer Besprechung bildet, ist offenbar auch der Boden, auf dem die Zauberei in die- sen nördlichen Gegenden wurzeln konnte, bei welcher die Verzückungen der Zauberer eine wesentliche Rolle spie- len, sie ist nicht minder der Boden, auf dem die Kon- vulsionen wurzeln, die in früherer wie noch in neuester Zeit hier und da bei der Sekte der Leser (Läsare) im nördlichen Schweden vorkamen. — In eine nähere Er- örterung über die Zauberei im Norden (Schamanismus in Sibirien) kann ich hier ebenso wenig eintreten, als in eine nähere Darstellung der Erscheinungen, die man bei den Lesern im nördlichen Schweden beobachtet haben will. Hierüber und über die verwandten Erscheinungen, die im südlichen Schweden vorgekommen sind (die rufenden Stim- men, die Predigtkrankheit), werde ich vielleicht Gelegen- heit haben, an einem anderen Orte zu sprechen *). *) Vielleicht ist die auf Island sehr häufige, am häufig- sten aber auch beim weiblichen Geschlechte vorkommende Brachialneuralgie auch bloss eine hysterische Erscheinung. Die Schmerzen sind stets stechend, kriebelnd oder brennend, erstrecken sich von den Fingerspilzen bis zum Ellenbogen- gelenk und sind zuweilen so heflig, dass sie den Schlaf stö- ren. Hat die Krankheit längere Zeit angedauert, so wird das Hautgefühl stumpf und es tritt unvollständige Lähmung ein. Vollständige Lähmung und eine Veränderung in der Ernähr- ung und Wärme des Armes beobachtete Schleisner, der uns über diese Neuralgie berichtet, nie. (Canstatt’s Jah- resber. f. d. J. 1849. Bd. Il. S. 167.) **, Ueber die convulsivischen Erscheinungen bei den „Lesern“ s. das Archiv für alte und neue Kirchengeschichte von €. F. Stäudlin und H.G. Tschirner, Bd. IV, Leip- 31 Die Ursachen aber, die der in Rede stehenden krank- haften : zum Grunde liegen, scheinen mir theils im Klima, theils\in der einförmigen, durch ihre Isolirung bedingten Lebensweise dieser Bewohner des Nor- dens zu liegen. Unter den klimatischen Momenten scheint mir namentlich der andauernde, durch die langen Tage bedingte Lichtreiz, «der nach dem Zeugnisse von Mar- tins selbst der nächtlichen Ruhe Eintrag thut **), eine grössere Rolle zu spielen, als vielleicht die Bewohner des hohen Nordens selbst ahnen ***). zig, 1818. S. 625—658, wo sich eine sehr klare Darstellung der Geschichte der fraglichen Sekte bis zum Jahre 1817 von Schubert findet; ferner in Bezug auf die neuesten Ereig- nisse einen Aufsatz über Schweden von einem Schweden in der „Gegenwart“. Bd. XI. Leipzig, 1855; — und die Allgem. Zeitschrift f. Psychiatrie, 1854 S. 125 (darnach in Canstatt’ Jahresbericht f. d. J. 1854 Bd. Il. S. 17). *) Canstatl’s Jahresbericht f. d. J. 1844 Bd. II. S. 238 — 239. **) Der längste Tag beträgt unter 490 22° 46 Stunden. „ 630.23° 120 r „» 660 32° 24 Y » 680 23° 41 Monat. » 130 39° 3 Monate. Miscellen. Eine neue Art der Punktion der Eierstocks- balggeschwülste beschreibt Dr. Barth (Paris). Sie be- steht darin, dass er von der Linea mediana 3 Finger breit über der Symphyse einen gekrümmten Troikart mit nach un- ten gerichteter Spitze in die Cyste einsticht, das Stilet zu- rückzieht, nach Entleerung des Inhaltes aber es wieder ein- führt, mit der Spitze nach oben wendet und 3 Zoll über dem Einstich in der Mittellinie wieder aussticht, das Stilet zu- rückzieht, mit einer geöhrten Sondennadel einen Leitungsfa- den einlegt, die Trokartröhre entfernt, nachdem mit dem Lei- tungsfaden eine Kautschukröhre eingeführt worden ist, die nach oben und unten aus den Bauchdecken herausragt, in der Mitte aber 2 Oeffnungen (ovale Augen) hat, durch welche Flüssigkeiten ausfliessen oder Jodinjectionen gemacht werden können. (Gaz. hebdom. 1856. 14.) 32 Meteorologische Beobachtungsstationen in grösserer Anzahl über ein Land vertheilt, wie jetzt durch Leverrier 25 in Frankreich eingerichtet worden sind, wel- che täglich ihre Beobachtungen dnrch den elektrischen Tele- graphen an das Observatoire zu Paris überliefern, sollten von den Aerzten benutzt werden, damit gleichlaufend Beobachtun- gen über klimatische Einwirkungen auf die Krankheitsconsti- tution anzustellen. Es wäre diess Aufgabe für einen ärzt- lichen Verein der, so wenig die Vereine sonst nützen, sich in der That grosse Verdienste durch sehr mässige Arbeit erwer- ben könnte. Myopia indistans nennt A. v. Graefe den Zustand bei mässig Kurzsichtigen, die noch auf 2 Fuss Druckschrift lesen können, wenn dieselben entfernte grosse Objecte kaum in ihren allgemeinen Umrissen erkennen. Schwache Concav- gläser bewirken in solchen Fällen vollständiges Sehen ent- fernter Objecte, es ist also der Zustand nur als eine Ano- malie des Accomodationsvermögens zu erklären, da, wenn scharfe Accomodation nicht möglich ist, nicht mehr der rela- tiv günstigste Zustand der Accommodation, sondern ein ge- radezu entgegengesetzter eingeleitet wird. — Der Zustand un- serer Accomodation ist in derselben Weise durch die Netz- hautfunctionen regulirt, wie die Bewegungen des Augapfels. (Allg. med. Centralztg.) Ueber die Wirkung des oxydirt salzsauren Ka- li’s (Potassa hydrochlorata) gegen die Geschwüre der Mundfäule sagt Hr. Gibert in einer ausführlichen Ab- handlung: 1) die Mundfäule heilt oft ziemlich rasch, schon bei gehöriger Reinlichkeit; 2) die Heilung geht aber rascher und ist sicherer, wenn man salzsaures Kali anwendet; 3) ra- scher wirkt das Mittel topisch, als wenn man es innerlich an- wendet; 4) da nachgewiesen ist, dass das genannte Salz in- nerlich genommen durch die Schleimhäute, besonders mit dem Speichel, wieder ausgeschieden wird, so kann man an- nehmen, dass das genannte Mittel jedenfalls wirklich nur nn ee Mittel wirkt. (Gazelte hebdumadaire, 5. Juni 56.) Dass in der Neuzeit dieZahl der Irren nicht zu- genommen habe beweist Castiglioni in den Annali univ., Jan. 1855. Esquirol, Brierre de Boismont u. A. haben behauptet, mit der Civilisation steigen die Geistes- Krankheiten; die Irrenstatistik der Lombardei stimmt damit nicht überein. 1824 zählte die Lombardei mit 2,259,611 See- len 1 Irren auf 1553 Einwohner, im Jahre 1854 dagegen bei 2,772,116 Seelen 1 Irren auf 1612 Einwohner. Hieraus geht das Gegentheil hervor: die Irren haben sich verhältnissmässig vermindert. Bibliographische Neuigkeiten. N. — Rob. de Visani et Abr. Massalongo, Flora de’terreni terziarii di Novale nel vicentino. c. XIH. tav. gr. 4. To- rino. 8LL. ital. J. C. Schlossberger, Erster Versuch einer allg. und verglei- chenden Thierchemie. I. Bd. Die Chemie d. Gewebe des ges. Thierreichs. Winter’sche Buchhandlung in Lpz. 4 Thlr. 12 Sgr. A H. 0. Lenz, Zoologie der alten Griechen und Römer. Deutsch in Auszügen a. deren Schriften. gr. 8. Beckersche Buchh. in Gotha. 2 Thlr. 24 Sgr. Stilling, Neue Untersuch. üb. den Bau des Rückenmarks. 1. Lig. gr. 4. Mit Atlas in Imp.-Fol. Liter. Anstalt in Frankfurt a. M. 6 Thir. H. — J. Gimelle, Du tetanos. Mem. couronne. 8. 142 p. Batignolles. S. Neumann, Z. berliner Armenkrankenpflege. 2. Beitrag z. Frage v. Arzneiverbrauch. G. Reimer in Berlin. geh. 1/, Thlr. G. Geilfus, Einflüsse d. Klimas und des Bodens auf d, Cul- turverhältnisse d. Völker. 16. Steinersche Buchhälg. in Winterthur. geh. %, Thlr. F. W. Scanzoni, Lehrb. der Krankheiten d. weibl. Sexual- ie: Lex.-8, 1857. Braumüller’s Verlag in Wien, Thlr. H. Meckel, Mikrogeologie. Ueber die Concremente im thier. Organismus. v. Billroth. gr. 8 G. Reimer in Berlin. 1'/, Thir. Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena. Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. E. Band X 3. Naturkunde. Schlossberger, Ueber Localisationsversuche in der Nervenphysiologie. — Miscelle. Franklin-Expe- dition. — Nekrolog. — Heilkunde. Fano, Ueber Complikation der Rippenbrüche. — J. Schneller, Ueber die Wirkung des Strychnins. — Miscelle. Monro, Isolirtstehen der Geisteskranken. Naturkunde. Ueber Lokalisationsversuche in der Nerven- physiologie. Von Prof. Schlossberger*). Die neuere Nervenphysiologie ist eifrig bemüht, die Bezirke zu bestimmen. auf welche dieses oder jenes ner- vöse Vermögen beschränkt ist. Eine strenge Kritik ist hier sehr nothwendig. Schon die Bezeichnung der Ver- richtung ist schwierig, ungleich schwerer die Lokalisa- tion der Vermögen in den Nervencentren, und bezüg- lich des Sympathikus fehlt es fast an jeder sicheren Angabe. „Ob es richtig ist, in dem aus so zahlreichen Thei- len zusammengesetzten Gehirn noch einen besonderen Ort zu staluiren, welcher das nächste Substrat der Seele bil- dete, während alle übrigen Theile der Cerebrospinalachse zu ihm nur den Rang von Hülfsorganen einnähmen, und ob gerade die Rindensubstanz als derartiges „Instrument of mind“ anzusehen sei; ob man berechtigt sei, in die Strei- fen- und Vier-Hügel die Centralorgane der willkürlichen Bewegung, in die Sehhügel den Herd der Empfindungen zu verlegen, die Olivenkörper als Sprachganglien, die Pyramiden als Gehörganglien zu deuten; ob es die Auf- gabe der den einzelnen Sinnesnerven zugetheilten Cen- tralmassen bildet, den Eindrücken die bestimmte Form zu geben; ob .das kleine Gehirn als Regulator und Co- ordinator der Bewegungen und das Rückenmark als wich- tigster Centralapparat für die Reflexbewegungen zu be- trachten sei oder letzterem überdiess noch ein Antheil an den höheren, von den Meisten nur dem Gehirn zuge- sprochenen Funktionen gebühre; — diese vielleicht be- rühmtesten Lokalisationsversuche sind schon nach den Erfahrungen am Menschen vielen Zweifeln ausgesetzt, *) S, Dessen vergleichende Thierchemie, II. Bd. und die Versuche an verschiedenen Wirbelthieren geben oft höchst abweichende Resultate. Schon früher wurde mitgetheilt, dass anatomisch entsprechende Gehirntheile in den verschiedenen Wirbelthierklassen mit verschiede- nen Energieen ausgestattet sein können. Eine Ueber- tragung der an den Wirbelthieren gemachten Erfahrungen auf die schon grobanatomisch so sehr abweichenden Ver- hältnisse des Nervensystems der Wirbellosen ist nur höchst uugenügend möglich, vielfach misslich, ja in vie- len Momenten wohl ganz unstatthaft. Bei vielen niede- ren Thieren sind offenbar die (psychischen) Energieen, soweit sie überhaupt denselben zukommen, gleichförmiger über das ganze Nervensystem verbreitet, nicht mehr die einzelnen so ganz scharf an bestimmte Anhäufungen ner- vöser Substanz gebunden; daher manche dieser Thiere ohne Verlust des Lebens theilbar sind und einzelne Kör- perpartieen selbstständig fortleben können. Nach dem eben Bemerkten darf es nicht Wunder nehmen, wenn die Chemie in diesem Gebiete noch so wenig geleistet hat. Selbst bei der Annahme, dass wir sehr genaue Analysen der einzelnen, funktionell abge- grenzten Partieen des Nervensystems besässen, wären diese chemischen Resultate nicht sicher verwerthbar, so lange solche physiologische Fundamentalfragen unent- schieden oder unbeantwortet sind. Uebrigens war es doch möglich, wenigstens einige auf Thatsachen gestützte Andeutungen zu machen über ansehnliche chemische Dif- ferenzen der Nervensubstanz in den verschiedenen Orten ihrer Ablagerung, sowie zu differenten Perioden ihrer Ausbildung, und in denselben Theilen verschiedener Thiere. Weit erfolgreicher als im Gebiete der Nervencentren (und Ganglien) waren bisher die Studien der Physio- logen an den Nerven selbst, und es wurde hier wenigstens eine solide Grundlage für künftige Forschun- 35 gen erreicht. Doch begegnen wir sogar hier noch einer Menge von Unsicherheiten, ja vollkommenen Räthseln. So ist wohl das oberste Gesetz, welches die heutige Nervenphysik anerkennt, das der isolirten Leitung. Nun hat aber die feinere Anatomie nicht nur die schon schwer damit in Einklang zu bringenden Verästelungen der Primitivröhren als eine bei allen höheren Thieren häufige Thatsache kennen gelehrt (sie erklärt sich wohl noch am besten, wenn man mit Remak den Achsen- cylinder als ein Bündel von Fäserchen und letztere als die wesentlichsten leitenden Theile ansieht), son- dern man hat auch Nerven, ja ganze Nervenstämme aufgefunden, an welchen sich durchaus keine einzelnen Primitivröhren erkennen lassen. Hierher ist der elektrische Nerv des Malapterurus zu rechnen, welchen man als eine kolossale Nervenfaser deu- tet; namentlich aber kommen hier die Nerven der Sal- pien *), die Genitalnerven der Käfer u. A. in Betracht. Hier bestehen ganze Nerven nur aus zarten, einen fein- körnigen Inhalt umschliessenden Schläuchen; von einer einzelnen Primitivröhren übertragenen und auf sie be- schränkten Leitung kunn dabei offenbar nicht mehr die Rede sein. Der Nerveninhalt hat hier im Nerven und seinen Verzweigungen etwa die Rolle des Blutes in einer Arterie und ihren Aesten übernommen, wenn auch von einer Circulation des ersteren nicht die Rede sein kann. Von Manchen werden auch die Erscheinungen im Nervenleben, welche man als sogenannte Reflexthä- tigkeiten zusammenfasst und welche vielleicht bei den niederen Thieren noch weit verbreiteter auftreten als bei den höheren, durch Ausnahmen von dem Gesetz der iso- lirten Leitung, durch die Hypothese der Querleitung oder des Ueberspringens der nervösen Erregung von ei- ner Primitivröhre auf die andere, benachbarte, aber an- ders funktionirende, zu erklären versucht. Freilich lässt man dabei meist auch die Nervenzellen eine gleichsam vermittelnde Rolle spielen. Wenn aber eine multipolare Nervenzelle mit mehreren, funktionell verschiedenen Ner- venröhren in direktem Zusammenhange steht, so werden zwar einzelne derartige Erscheinungen begreiflich, aber eine neue Reihe von Dunkelheiten herbeigeführt. Ein weiteres wichtiges Gesetz der Nervenphysik, die Consequenz der Bell’schen Entdeckung, ist das der ein- *) Leuckart, Zool. Unters. II. S.23 und Leydig, Zeitschr. für wiss. Zool. 1853, S.7. Letzterer unterschied folgende Stufen bei den Wirbellosen: 1) Der Nerv besteht aus homogener Hülle mit homoge- nem Inhalt (Räderthiere, vielleicht Echinodermen, Polypen). 2) Der Nerv besteht aus homogener Hülle mit fein längs- streifigem Inhalt, letzterer noch ohne weitere Son- derung (manche Mollusken, niedere Krustenthiere). 3) Wie 2), aber der längsstreifige Inhalt ist inBün- del gesondert, die zum Theil von zarter kernhaltiger Scheide umhüllt werden (manche Anneliden und Mollusken). 4) Endlich findet sich zwischen den Längsstreifen und der Scheide eine Schicht heller Substanz, dem Mark in den weissen Fasern der Wirbelthiere entsprechend (höhere Kru- staceen). 36 sinnigen Leitung. Es kann in den sensibeln Ner- ven nur in centripetaler, in den Bewegungsnerven nur in der Richtung ihrer Verzweigungen, niemals rückwärts ein Impuls geleitet werden (oder vorsichtiger gesprochen, ein physiologischer Effekt zur Beobachtung kommen). Zum Glück für die Nervenphysiologie wurde eine bedeu- tende Abweichung von diesem Gesetz erst in neuester Zeit entdeckt, d. h. nachdem dasselbe durch Beobacht- ungen an dem Menschen und höheren Thieren schon festgestellt war, wie es denn auch heutzutage noch für alle Arten der Nervenerregung mit alleiniger Ausnahme der elektrischen gültig scheint. Nur bei letzterer können Zuckungen in Muskeln erfolgen, deren Nerven höher am Stamme abgehen, als der gereizte Ast eines Bewegungsnerven *). Nach der trefflichen Arbeit von Newport**) findet das Bell’sche Gesetz bereits Anwendung auf die Wirbel- losen (Insecten und Crustaceen), indem einer ihrer Bauch- stränge motorisch, der andere sensiliv zu sein scheint. Doch wurden mehrfach Zweifel hiegegen ausgesprochen. Bei manchen Wirbellosen sind sicher — mit Ausnahme der specifischen Sinnesnerven — molorische und sensitive Nerven nirgends geschieden. So gibt bei den Heteropoden derselbe Nerv in seinem Verlauf Zweige an die Muskeln und die Haut ab ***). Die Ner- venphysiologie der Wirbellosen ist überhaupt noch ein unbearbeitetes Feld. Die Veränderungen, welche in den Nervenröh- ren bei deren Reizung vor sich gehen, erzeugen an den verschiedenen Lokalitäten des Organismus Wir- kungen, welche qualitativ verschieden sind. Bald sehen wir dadurch Empfindungen der verschieden- sten Art, bald Muskelzuckungen, bei einigen Fischen auch elektrische Entladungen durch sie erzeugt werden; in anderen Fällen erfolgen dabei Abänderungen im Stofl- wechsel, in der Sekretion und Wärmeerzeugung; endlich sind einige (freilich centrale) Fasern unter keine dieser Rubriken zu bringen, sondern scheinen nur zur Verbind- ung symmetrischer Centraltheile bestimmt. So gewiss es nun ist, dass die Erfolge der in den einzelnen Nerven sich propagirenden Impulse nicht auf einander zurück- führbar sind, so fest steht auch die Thatsache, dass während des Lebens jedem qualitativ verschiedenen Im- pulse auch eine besondere Normalbahn angewiesen ist, und es wird nie eine motorische Faser Empfindungen erregen ‚oder ein Geschmacksnery Eindrücke des Lichts oder der Lufterschütterung vermitteln. Diese beiderlei Thatsachen (die grosse Verschieden- heit der von den Nerven geleiteten Impulse wenigstens in Betreff ihrer Effekte und ihre Beschränkung auf ganz *) du Bois, 1. c. Bd. Il. 545—548 (paradoxe Zuckung). Rücksichtlich der sensiblen Nerven vgl. 1. c. 595 u, £, (Aus- nahmen vom Bell’schen Gesetz). **) Philos. transact. 1834 S. 406 u. f. ***) Leuckart, Zool.' Unters. 3. Heft 1854 S. 20. 37 bestimmte, anatomisch abgeschlossene Bahnen) wurden von zwei, in ihrer schroffen Fassung völlig contradicto- rischen Gesichtspunkten aus interpretirt; wir versuchen jetzt eine etwas nähere Beleuchtung beider. Die Einen halten die Nerven, welche speeifisch ver- schiedene Wirkungen vermitteln, für ihrer Natur nach differente Apparate. Nach ihnen besitzen nicht nur die einzelnen Abtheilungen ‚der nervösen Üentren specifische Energieen, sondern auch die von ihnen ausgehenden oder zu ihnen sich erstreckenden Nerven; sie kommen damit nothwendig zur Voraussetzung einer verschiedenen Constitution der funktionell verschiedenen Nerven. Bei Allem dem verkennen sie nicht, dass bezüglich der physiologischen Gesammtwirkung sowohl die am centralen als am peripherischen Nervenende_lie- genden, nervösen oder nicht nervösen, Apparate einen höchst bedeutenden Antheil haben. Nach der zweiten Ansicht spielen die Nerven rein nur die Rolle organisirter Leitungsdrähle; sie führen die ihnen übertragenen Impulse ganz unselbstständig weiter, in der Art und Richtung, in welcher dieselben erfolgen (oder vielleicht nach allen Richtungen hin, während der Effekt nur an Einem dazu geeigneten Orte der Beobacht- ung zugänglich wird). Hiernach dürften alle Nerven- röhren eine im Wesentlichen gleiche Be- schaffenheit besitzen, und die histologischen wie chemischen Verschiedenheiten derselben würden keine nach- weisbare und constante Beziehung zu ihren Verrichtun- gen darbieten. Die funktionelle Differenz der einzelnen Nerven würde nicht auf Rechnung dieser selbst zu schreiben sein, sondern allein nur durch die Or- gane bedingt werden, mitdenen sie zusammen- hängen. Die hiemit ausgesprochene vollständige Abhän- gigkeit der Nerven wäre eine doppelte; erstens von den Erregerapparaten und zweitens von denjenigen, in wel- chen die Erregung zu ihrer Manifestation gelangt, oder welche die Innervation beantworten. Das Verhältniss zu den letzten Apparaten lässt sich künstlich nicht ersetzen (ausser vielleicht beim Muskel); wohl aber können den Erregerapparaten künstliche Reiz- mittel für einige Zeit substituirt werden. Könnte man hienach einen motorischen Nerven genau an die Stelle eines sensiblen, z. B. in organischen Verband mit dem optischen Apparat des Auges und den entsprechenden Hirntheilen bringen, so würde er Lichtempfindungen ver- mitteln. Versuche, welche im Falle ihres Gelingens diese Frage sicher entschieden hätten, wurden von Bidder *) angestellt, indem derselbe sich bemühte, gleichzeitig durchschnittene motorische und sensible Nerven zusam- menzuheilen. Während aber die Wiedervereinigung durch- schnittener Fasern desselben Nerven leicht geschieht, scheiterte sie hier bei den ungleichnamigen Nervenstücken gänzlich. *) Müll. Arch. 1812 $. 107. In der neuesten Zeit hat die Ansicht von der we- sentlichen Gleichartigkeit der Nerven, womit fast noth- wendig auch die Lehre von ihrer Passivität und unter- geordneten Stellung den Nervenzellen gegenüber gegeben ist, sich mehr und mehr Beifall erworben. Die Unmög- lichkeit, constante Verschiedenheiten zwischen den mo- torischen und sensiblen Nervenfasern aufzufinden und der von du Bois gelieferte Nachweis, dass die elektrischen Eigenschaften in den beiderlei Nerven dieselben sind, ha- ben hauptsächlich dazu beigetragen. So sehr wir nun das Gewicht dieser Gründe anerkennen, so glauben wir doch den Anhängern der gegentheiligen Lehre wenig- stens zwei Einräumungen machen zu müssen: 1) dass die Annahme von specifischen Energieen der Nerven sich auch jetzt noch nicht bestimmt widerlegen lässt; 2) dass jedenfalls die Nerven nicht als rein mecha- nische, durchaus passive Leitungsapparate angesehen wer- den dürfen, sondern sicher ein ebenso wesentliches und auch selbstthätig mitwirkendes Glied des Nervensystems ausmachen wie die Nervenzellen. Unsere Gründe hiefür sind folgende: die Gleich- artigkeit der Constitution bei funktionell verschiedenen Nerven ist schon histologisch nicht sicher zu behaupten, da z. B. die grauen und weissen Nervenröh- ren doch sehr von einander abweichen und die Lehre von der feineren Struktur der lebenden Nervenröhren noch selbst in fundamentalen Punkten nichts weniger als abgeschlossen vorliegt. Vielleicht dass man auch noch zwischen motorischen und sensiblen Röhren eine con- stante Verschiedenheit auffindet. Chemischerseits vollends ist an den Beweis jener Identität nicht zu den- ken. Einige sehr allgemein gehaltene und noch dazu schr dürftige mikrochemische Prüfungen sind hier durch- aus nicht entscheidend, und eine Uebereinstimmung in den allgemeinen Verhältnissen schliesst eine Verschieden- heit in den Einzelnheiten der Composition keineswegs aus. Leider lassen sich die ganz auffallenden Differen- zen, welche an verschiedenen Nerven in den Mischungs- verhältnissen beobachtet wurden, noch nicht physiologisch verwerthen. — Die Thatsachen, dass nicht alle Reize auf alle Nerven wirken und dass ferner dieselben Reize auf verschiedenen Nerven so differente (specifische) Wir- kungen ausüben, lassen sich nach beiden Doktrinen er- klären. Dagegen erkennen wir wenigstens für die Selbst- thätigkeit des Nerven, zu deren Gunsten schon einige anatomische Thatsachen aufgezählt wurden, ein bedeutendes Moment in der merkwürdigen Erfahrung, dass vom Centralorgan abgelöste Nerven nicht nur ihre Erregbarkeit noch längere Zeit beibehalten, sondern auch gerade wie im lebenden Körper die Zustände angehäufter oder erschöpfter Erregbarkeit zeigen, ja nach der Erschöpf- ung durch Ruhe u. s. w. die Erregbarkeit wieder gewinnen können. Wenn wir diese Beobachtung Bu: vu bei den n 39 motorischen Nerven, wo nach Abtrennung der Nerven- centren der Nery nur noch mit einem ihm ungleichna- migen Gewebe (dem Muskel) im Zusammenhange steht, überdenken, so werden wir zu der Annahme genöthigt, dass die Primitivröhre in sich selbst die Er- regbarkeit erzeuge. Der Stoffwechsel im Nerven, die Regulirung seiner Mischungsverhältnisse, die Erhalt- ung der elektromotorischen Vermögen, der Ersatz des Verbrauchten, der Widerstand, welchen er erregenden oder zerstörenden Einflüssen entgegenstellt, die Fortpflan- zung der Erregung und der physiologische Effekt (Zuck- ung der Mukeln) sind Prozesse, welche im Nerven (we- nigstens eine Zeit lang) unabhängig von den Nerven- centren vor sich gehen. Damit hat aber auch der mo- torische Nerv die Quelle aller Kräfte in sich selbst; der motorische Centraltheil, welcher ihn im Leben anregt, ist gleichsam nur die freilich wichtigste Gelegenheitsur- sache, die seiner Thätigkeit eine besondere Richtung an- weist, so gut wie künstliche Reize am abgeschnittenen Bewegungsnerven. Dessenungeachtet bleibt es wahr, dass für die Dauer das Leben der Nerven an den Zusammen- hang mit den Nervencentren gebunden ist, wie die Thä- tigkeit der letzteren an die Koexistenz der Nerven. Es ist dieses das Verhältniss der Wechselseitig- keit, nicht der unbedingten Unterordnung des einen Faktors unter den anderen. Die Ergebnisse der Unterbindung der Bauchaorta sowie vielleicht die Versuche mit den lokalen Anästheticis weisen ebenfalls auf die Selbstständigkeit der Nerven hin; erstere führten schon Stannius*) zu dem Ausspruch, dass er in seinen Versuchen nur einen Beweis für die Un - abhängigkeit der peripherischen Nerven von den Centralorganen hinsichtlich der Be- hauptung ihrer Energie erblicke. Auch das *) Archiv für phys. Heilkunde 1852 S. 18. 40 Ritter- Valli'sche Gesetz, wornach die Muskelnerven in centrifugaler Richtung absterben, spricht für diese Selbst- ständigkeit. Mit dem Zugeständniss der Selbstständigkeit der Nerven, den Nervencentren wie den peripherischen End- apparaten gegenüber ist freilich die Existenz specifischer Energieen der verschiedenen Nerven noch nicht erwiesen; doch ist deren Annahme damit erleichtert. Diejenigen aber, welche den verschieden wirkenden Nerven alle be- sondere Begabung absprechen, d. h. alle Nerventhätig- keit, soweit sie innerhalb der Nervenröhren erfolgt, für identisch erachten, müssen consequenterweise auch rück- sichtlich der Primitivröhren innerhalb der Centren ebenso verfahren; es bleibt ihnen dann für eine ganze Reihe nervöser Funktionsverschiedenheiten nichts übrig, als die Hypothese, den Grund derselben ausschliesslich nur in der Differenz der zelligen Nervengebilde zu suchen. Aber auch hier stösst man auf grosse Ana- logieen in Form und Mischung bei nervösen Theilen von sehr abweichenden Funktionen und die Erklärung ist da- mit nicht erleichtert, sondern nur weiter hinausge- schoben.“ Miscelle. Beachtenswerth mit Bezug auf die öfters besprochenen Gegenstände, welche von der Franklin-Expedition in den Hän- den von Eskimos aufgefunden worden sind, ist, dass in neue- ster Zeit die Eskimos der Pontsbay erzählt haben, dass zwei der von Belcher im Eis des Wellingtonkanals zurückgelas- senen Schiffe durch den Lankastersund herabgetrieben sind, und dass diese Eskimos eine grosse Menge von Eisentheilen und anderen Dingen, die zur Schiffsausrüstung gehörten, vor- zeigten, welche indess, nach ihrer neuen Beschaffenheit zu urtheilen, nur von der Belcherschen Expedition herrühren konnten. (Athenaeum 1520.) Nekrolog. In der letzten Woche des December ist ein ausgezeichneter geologischer Schriftsteller, Hugh Miller, durch eigne Hand gestorben. Heilkunde. Ueber Complikationen der Rippenbrüche. Von Dr, Fano. Die Rippenbrüche kommen in der Praxis sehr häufig vor und zwar nicht nur als einfache, sondern auch als durch verschiedene Zufälle complieirte. Diese letzteren will nun F. insbesondere erörtern, da man sie nicht im- mer gehörig würdigte und oft mit Brustwunden confun- dirte. J. L. Petit (Oeuvres completes p. 143) machte bloss auf das Anstechen des Brustfelles unter den Zwi- schenrippenschlagadern durch die Bruchstücke aufmerksam. Boyer (Trait& des maladies chirurgicales. 5-me edit. T. II.) sprach schon ausführlicher über die Zerreissung des Brustfelles, die Verletzung der Lungen, die hierauf folgende Entzündung, das Emphysem und die Verletzung der Zwischenrippenschlagader. $. Cooper (Neuestes Wörterbuch der Chirurgie. Art. Fracturen) wiederholt das von Boyer Gesagte. Dupuytren (Legons orales, 2-de edit. F. II. p. 206) beschäftigte sich ausschliess- lich mit dem Emphysem, auch gedachte er noch eines Zufalles, den er einmal beobachtet hat, bei welchem das Rippenbruchstück den Herzbeutel und das Herz verletzt hatte. A. Berard und Cloquet (Diction. de medecine. art. cötes) zählte die möglichen Complicationen der Rippenbrüche auf. Malgaigne endlich (Traite des fractures p. 431) machte zuerst auf jene leichte um- schriebene Pleuritis aufmerksam, welche von den Bruch- flächen aus durch Weiterverbreitung der Irritation erzeugt wird. Folgende fünf Beobachtungen dürften geeignet sein, die verschiedenen Grade der Verletzungen der Pleura und der Lungen bei den Rippenbrüchen darzustellen. Erster Fall. Bruch der 6. Rippe rechter 4 Seits. V., 65 J. alt, Taglöhner, wurde von einem Wagen zu Boden geworfen, wobei das vordere Rad die rechte Seite des Brustkastens quetschte, ohne über den Thorax hinweggegangen zu sein. Als V. am 30. Januar 1848 (den Tag nach der Verletzung) im St. Antoine- Spital aufgenommen wurde, konnte man bei der genaue- sten Untersuchung der Brust nirgends eine Ecchymose wahrnehmen. Ein Druck auf die 6. Rippe rechterseits verursachte heftigen Schmerz. Beweglichkeit der Bruch- enden und Crepitation waren deutlich; röchelnde und ras- selnde Geräusche vernehmbar; der Kranke versicherte, schon seit langer Zeit zu husten. Am 4. Febr. stellte sich Athemnoth und Fieber ein, das röchelnde Geräusch war noch immer vernehmbar. Man machte einen Ader- lass von 200 Grammes. Das aus der Ader gelassene Blut bildete keine Speckhaut. Die Respiration ward dar- nach leichter, der Husten erregte jedoch noch heftigen Schmerz an der Bruchstelle. Der Auswurf war schäu- mig. Nach 4 Wochen wurde der Kranke auf dem Wege der Besserung aus dem Spitale entlassen. Zweiter Fall. Linksseitiger Bruch der 9. und 10. Rippe an ihrer grössten Wölbung. Der 36jährige R. war von einer Höhe herab mit der linken Seite des Thorax an eine Tischecke gefallen. Am andern Tage (17. Mai 1848) in's Spital gebracht, klagte der Kranke beim Einathmen über Schmerz in der Gegend der 9. und 10. Rippe. Druck mit den Fingern auf diese Stelle rief heftigeren Schmerz hervor und zeigte in der Gegend der grössten Convexität der gedachten Rippen ab- norme Beweglichkeit und Crepitation. Beim Athmen dehn- ten sich beide Thoraxhälften gleichmässig aus. Im gan- zen Umfange der Brust waren unbestimmte Rasselgeräu- sche vernehmbar. Am ?. Juni wurde der Kranke geheilt entlassen. Der erste Fall zeigt einen Rippenbruch bei einem alten, mit chronischem Lungencatarrhe behafteten Manne. Am 4. Tage nach der Verletzung bekam der Kranke Dy- spnöe und Fieber, die nach einem Aderlass schnell be- schwichtigt wurden, was nach Fano’s Ansicht auf eine umschriebene Pleuritis in der Nähe der Bruchstelle schlies- sen lässt. — Im zweiten Falle ergab die Auscultation das Vorhandensein einer allgemeinen Bronchitis, und es fragt sich, ob die Entzündung der Schleimhaut der Luft- wege und der Rippenbruch nicht in eisen ursächlichen Zusammenhang gebracht werden können. Dritter Fall. Linksseitiger Rippenbruch — beträchtliches subeutanes Emphysem — Verrenkung des inneren Endes des rechten Schlüsselbeines nach vorn. N. P., 48 J. alt, Fuhrmann , war von einem Fourgon umgeworfen worden, dessen Räder ihm von links nach rechts und von unten nach oben über die Brust hinweggingen. 12 Stunden nach der Verletzung wurde der Kranke in einem solchen Zustande in's Spital gebracht, dass sogleich Blutentzie- hungen und Auflegen von Senfteigen nöthig schienen. Ein weit verbreitetes subeutanes Emphysem erstreckte sich 42 von der linken Seite des Halses über die linke Brust- hälfte und endete 4 Querfinger über dem linken Crural- bogen; ebenso zeigte der linke Arm bis zum Ellenbogen Emphysem. An der rechten Seite war das Emphysem geringer und trat nur in der Mitte nach aussen stärker hervor. Die Untersuchung des Thorax war so schmerz- haft, dass die Zahl der gebrochenen Rippen nicht zu be- stimmen war; dabei hustete der Kranke wiederholt kleine Mengen Blut aus. Das Brustbeinende des rechten Schläs- selbeines hatte eine Verrenkung nach vorn erlitten; der vorstehende Gelenkkopf des Schlüsselbeines war bei der Berührung sehr schmerzhaft. Am folgenden Tage hob sich der Puls etwas und die Respiration wurde freier. Am dritten Tage bemerkte man eine breite Ecchymose, die sich wie ein breiter Gürtel über die linke Brust und Bauchgegend zog. Das Emphysem hatte etwas abgenom- men, das Athmen wurde leichter, die Sputa noch immer mit etwas Blut gemischt. Ein Einrichtungsversuch des linken Schlüsselbeins gelang, doch konnte das luxirte Ende nicht in seiner natürlichen Stellung erhalten wer- den. Zwei Tage später zeigte die Percussion an der linken Seite nach unten, aussen und hinten einen matten Ton, und das Respirationsgeräusch daselbst war kaum wahrnehmbar. Das Allgemeinbefinden besserte sich von nun an täglich und das Emphysem schwand allmälig. Am 21. Tage nach der Verletzung klagte der Kranke über Mattigkeit, seine Hauttemperatur war erhöht, der Puls sehr beschleunigt; auf den zwei unteren, hinteren und äusseren Drittheilen des linken Thorax ergab die Percus- sion einen leeren Ton, die Auscultation liess ein ober- Nlächliches, knarrendes Reibungsgeräusch vernehmen. Ein Aderlass von 400 Grammes brachte Erleichterung. Von dieser Zeit an fortschreitende Besserung, so dass der Kranke 3 Wochen darnach von diesem Uebel geheilt, wenn auch mit stark hervorragendem Brustbeinende des Schlüs- selbeins, aus dem Spitale entlassen werden konnte. Hier finden wir schlimmere Zufälle als in den bei- den ersterwähnten Fällen. Gleich Anfangs liessen zwei Erscheinungen auf eine Verletzung der Lungensubstanz durch die Bruchenden schliessen, nämlich das subcutane Emphysem und das Blutspeien. Von der Rippenfellent- zündung zeigte sich die erste Spur nach 7 Tagen, auch trat sie im Beginne unter gelinden Erscheinungen auf. Erst am 21. Tage erhob sich eine acute Entzündung mit Exsudation, deren Heftigkeit durch Blutentziehungen ge- brochen und worauf der Kranke rasch der völligen Gene- sung entgegengeführt wurde. Vierter Fall. Bruch der unteren linken Rippen. — Subcutanes Emphysem. — Ver- renkung des Schulterblattendes des linken Schlüsselbeins. P., 32 Jahre alt, Erdarbeiter, war am 26. Januar 1848, in einer Grube arbeitend, durch Einsturz der Grubenwand verschüttet worden, und blieb 4 Stunden lang besinnungslos. Man liess ihm zur Ader und brachte ihn in’s Spital. Er klagte über heftigen Schmerz in der Gegend der unteren Rippen linkerseits; 43 beim Betasten der 8. und 9. Rippe wurde der Schmerz heftiger, stechend, auch war Crepitation vernehmbar. Ein subeutanes Emphysem nahm die äussere Gegend des Thorax unterhalb der Achselhöhle ein und erstreckte sich bis zum Schulterblattwinkel. Das Athmen war erschwert, der Kranke hustete und warf zähen, gelblich gefärbten Schleim aus. Die Percussion schmerzte so sehr, dass man sich ihrer zur Diagnose nicht bedienen. konnte, die Auseultation liess in der Gegend des unteren Winkels des Schulterblattes blasende Respiration und Acgophonie wahrnehmen. Der Kranke konnte den linken Arm nicht erheben, die Schulter hatte sich gesenkt und man fühlte, dass das Akromialende des Schlüsselbeins mit dem Akro- mion nicht mehr verbunden war, der Puls war beschleu- nigt, der Durst lebhaft. Der Thorax wurde mit einer Binde umgeben, die linke Schulter cataplasmirt, und ein zweiter Aderlass von 400 Gr. (14 3) gemacht. Am 29. Januar wurde der Husten heftiger, der Kranke warf schlei- mig-eiterige Sputa aus, der Schlaf war unruhig, beim Sprechen vibrirte der Brustkasten auf beiden Seiten, ebenso war ein Blasen beiderseits, und linkerseits grossblasiges Rasselgeräusch vernehmbar. Sputa schaumig, ohne Spur von Blut. Am 31. Jan. trat Schweiss ein, die Zunge wurde feucht, die Auscultation ergab unterhalb des Win- kels des linken Schulterblattes starkes Schleimrasseln. Am 2. Februar war das Emphysem bis auf eine kleine Stelle in der Höhe der Achselhöhle verschwunden, sowie die Geschwulst auf der Schulter, so dass die Luxation des Schlüsselbeins genau diagnostieirt und ein zweckmässiger Verband angelegt werden konnte. Hierauf schritt die Besserung des Kranken allmälig vorwärts, so dass er am 25..d. M. geheilt entlassen werden konnte. In diesem Falle dehnte sich die Entzündung des Rippenfelles an der Bruchstelle bald auf die entgegenge- setzte Seite dieses Organes aus, auch gesellte sich eine umschriebene Pneumonie dazu. Bemerkenswerth ist die geringe Aufregung des Kranken, die Milde der Krank- heitserscheinungen und die rasche Lösung der Krankheit, wodurch sich diese traumatische Rippenfellentzündung we- sentlich von einer spontanen unterscheidet. Fünfter Fall. Verwundung durch eine Flintenkugel. — Comminutivbruch des Ober- armes. — Splitterbruch zweier Rippen der linken Seite, mit Eindringen der Splitter in die Lungensubstanz. — Pleuropneumonie und Pneumothorax. — Rascher Tod. B., 21 Jahre alt, Soldat, hatte bei der Revolution am 29. Febr. 1848 eine Schusswunde erhalten. Die Kugel drang in der Ge- gend des unteren Drittheiles des linken Oberarmes ein, hatte den Knochen zerschmettert, trat an der inneren Seite des Armes wieder aus und in der Gegend der 7. und 8. Rippe in die Haut des Thorax wieder ein, hatte diese zwei Rippen zersplitterl und war endlich unter der Haut über den Rücken hin nach rechts gegangen, wo sie unterhalb des unteren Winkels des Schulterblattes fest sass. Der Verletzte warf kein Blut aus, aber es ent- 44 wickelte sich rasch Enphysem unter der Haut des Tho- rax. Der Kranke wurde in’s St. Antoine-Spital gebracht, wo die Kugel durch eine einfache Incision mittelst des Bistouri leicht entfernt wurde. Am andern Tage klagte Patient über heftigen stechenden Schmerz an der linken Seite. — Zwei ausgiebige Aderlässe; Scultet’sche Binde am Arm. Am 26. Febr. zunehmender Schmerz, heftiger Durst, kleiner beschleunigter Puls. Während der Nacht war der Kranke sehr aufgeregt; der Zustand ver- scalimmerte sich immer mehr. Am 27. Puls schwach, Hauttemperatur vermindert, Nasenlöcher trocken, spröde, höchste Abgeschlagenheit, völlige Schlaflosigkeit. Keine Oppression. Am 28. traten Delirien auf, Puls kaum fühlbar, das Athmen ungemein schnell. Die Percussion ergab an der linken Seite des Thorax nach vorn tympa- nilischen Schall, nach hinten leeren Ton. Der Kranke starb noch am selben Tage um 11 Uhr früh. Die am 1. März gemachte Autopsie zeigte die rechte Lunge ge- sund und die rechte Pleurahöhle mit wenig Serum ange- füllt, die linke Lunge war durch weiche Exsudatmassen nach unten mit. der Pleura verklebt. Der Pleurasack ent- hielt röthliches Wasser mit albuminösen Flocken. Die Wunde des Thorax hatte die Grösse eines Dreifranken- stückes, war von Blutunterlaufungen umzogen und um- gab einige Knochensplitter von der 7. und 8. Rippe. Der ganze linke untere Lungenlappen war hepatisirt. Die Kugel war nirgends in die Brusthöhle gedrungen. Nach- dem sie die 7. und 8. Rippe zersplittert, hatte sie sich nach hinten und oben gewendet und war unter der Haut und dem Trapezius bis nach rechts gedrungen. Dieser Fall steht im grellen Contrast mit den an- deren Fällen, in welchen die Pleuritis unter so milden Symptomen aufgetreten, und beweist die Gefahr einer traumatischen Pleuropneumonie. Die Raschheit des Ver- laufes und die Bedeutung der Krankheitserscheinungen hätte die Annahme, dass die Kugel die Brusthöhle durch- drungen habe, gerechtferligt. Die Autopsie hat jedoch das Gegentheil nachgewiesen. (l’Union medicale 1856. 83 et 85.) Ueber die Wirkung des Strychnins. Von Dr. J. Schneller. In der Oesterr. Ztschr. des Doct.-Coll. findet sich eine grössere Abhandlung, in welcher der Verf. Folgendes über die physiologische Wirkung des Strychnins ermittelt. 1) Dass, wenigstens bei Hunden, wie allgemein an- genommen wird, vorzugsweise Sireckkrämpfe, d. i. teta- nische Erscheinungen und Trismus die Charakteristika die- ser Vergiftungsart bilden, dass aber in der grossen Mehr- zahl der Fälle (unter sieben Fällen bei sechs) deutliche klonische Krämpfe, und zwar nicht bloss in der Haut, sondern in sämmtlichen Muskeln mitunter von grosser Heftigkeit eintreten. Letztere konnten am besten mit epileptischen Krämpfen verglichen werden, sie traten stoss- 45 weise auf und wechselten mit Tetanus, mit allgemeiner Starrheit ab. 2) Das erste Zeichen der beginnenden Strychnin- action war constant ein Auseinanderspreitzen und Steif- werden der hinteren Extremitäten, ein Beweis, dass das Strychnin vor Allem die motorischen Rückenmarkswur- zeln jener Nerven alfieirt, welche die hinteren Extremi- täten versorgen; auch beim Menschen werden die unte- ren Gliedmaassen vor Allem ergriffen, so dass das Gehen schwer wird und die Gefahr, zur Erde zu fallen, in ho- hem Grade vorhanden ist, wobei das Aufstehen ohne Hülfe nahezu unmöglich wird, wie Verf. sich in einem Falle überzeugte. 3) Durch die mitgetheilten Versuche wird auch die Angabe aufs Neue bekräftigt, dass die Empfindlichkeit gegen äussere Eindrücke, namentlich gegen mechanische Berührung und den Schall Anfangs schr gesteigert ist; leichte Berührung schon, die mindeste Erschütterung, Veränderung der Lage genügt, um Rellexbewegungen, klonische Krämpfe, Zusammenfahren hervorzurufen ; war aber bereits Telanus zugegen, so ist die Receplivität eine sehr geringe. 4) Die Häufigkeit des Athmens und der Pulsschläge schien mit der Heftigkeit der klonischen Krämpfe in ge- radem Verhältnisse zu stehen; das Athmen wurde erst kurz und keuchend, als bereits Convulsionen sich einge- stellt hatten; bei beginnender Paralyse nahmen letztere Erscheinungen an Stärke ab. Das Schlingen war nur im Anfange möglich, beim Eintritt der Krämpfe ging es nicht mehr. Merkwürdig war, dass weder Schreien, noch Heu- len oder Bellen, ja nicht einmal der Versuch dazu wahr- genommen wurde, welches Letztere dafür zu sprechen scheint, dass weniger ein Krampf in den Muskeln des Kehlkopfs davon die Veranlassung ist, als vielmehr die Abwesenheit von stärkeren Schmerzempfindungen, so dass man annehmen muss, dass die sensitiven Nerven (mit Ausnahme vielleicht .der Haut- und Sinnesnerven) nur in sehr untergeordneter Weise von Strychnin afficirt werden. 5) Eine constante Veränderung in der Pupille wurde erst kurze Zeit vor dem eintretenden Tode beobachtet. Die Pupille erweiterte sich da schr bedeutend und auf die Paralyse folgte der Tod. Cephalische Symptome wurden nicht wahrgenommen, keine Betäubung, kein Sopor; das Bewusstsein schien stets vorhanden zu sein. Mit Gewissheit lässt sich diess nur so lang behaupten, als das Thier noch im Stande war, auf das Anrufen, Schmeicheln u. dgl. zu reagiren; später, wo die willkürliche Bewegung aufgehoben ist, kann man es bloss muthmassen aus der Abwesenheit von Sopor und solcher Erscheinungen, welche überhaupt eine Störung des Selbstbewusstseins begleiten. 6) Die Aufnahme des Strychnins in’s Blut *) er- hy *) Auf der Eigenschaft des Strychnins, vom Blute rasch aufgenommen zu werden, und gestützt auf die Erfahrung, dass 46 folgt mit grosser Raschheit; so trat im ersten Falle, wo 2 Gran des so leicht löslichen salpetersauren Strychnins zegeben wurden, schon in 3 Minuten die heftigsten Krämpfe ein; nach 7 Minuten folgte der Tod. Unter allen Umständen zeigten sich auf } und auf 4 Gran des eingenommenen Giftes spätestens nach Ver- lauf von 10 Minuten die ersten sicheren Zeichen der be- ginnenden Wirkung desselben, nämlich schwere Beweg- lichkeit der hinteren Extremitäten. 7) Dass das Strychnin nach den mitgetheilten Ver- suchen auch für Hunde als ein starkes Gift zu betrach- ten ist (schon mit $ Gran vermochte es grössere Hunde zu tödten), unterliegt wohl keinem Zweifel. Aus der so schnellen Resorption des Strychnins geht 8) hervor, dass bei einem antidotarischen Verfahren nebst der schleunigen Wegschafflung des etwa noch nicht resor- birten Giftes aus dem Magen (wenn es auf diesem Wege aufgenommen wurde) mittelst Erbrechens ein Mittel nur dann etwas nützen wird, wenn es auch äusserlich leicht einzuverleiben ist, da Trismus meist das Einnehmen hin- dert; wenn es ferner rasch vom Blute aufgenommen wird, allgemeine Wirkungen hervorzurufen im Stande ist und dabei das im Blute enthaltene Strychnin, sowie die ei- genthümliche Beziehung des Strychnins zum Rückenmarke zu neutralisiren vermag. Ein solches Mittel kennen wir aber noch nicht; das in unserem Falle angewendete, aus bekannten Purgir- und Brechmitlteln, nämlich aus Calomel 4 Scrupel, Ja- lappa 2 Drachmen und Brechweinstein 10 Gran, mit Ho- nig zu einer Latwerge angemacht, bestehende sogenannte Gegenmittel fruchtete nichts; auch eine gleichzeitig mit dem Strychnin gegebene Lösung von Brechweinstein al- terirte die Wirkung kaum; als Erbrechen eintrat, folgten unmittelbar die epileptischen Anfälle, und das Thier starb bald darauf. Ja, es ist die Frage, ob nicht durch die sonstige bekannte reizende Wirkung des Brechweinsteins auf die Magenschleimhaut die Resorption befördert, und schon Yıooo Gran desselben und noch weniger, gelöst in Essig oder Wasser, auf den Rücken eines lebenden, eben aus dem Wasser genommenen Frosches applieirt, telanische Krämpfe hervorruft, beruht der Vorschlag Marshall Hall’s, beim Verdachte einer Strychninvergiftung die Contenta des Magens und Darmcanals, das Blut, den Harn u. s w. vorsichtig ab- zudampfen, das Strychnin, wo möglich, rein darzustellen und damit obigen Versuch an Fröschen anzustellen, welche auch in die Flüssigkeit getaucht werden können. Er nennt diess die physiologische Probe. — Uebrigens erklärt Watson das Goldehlorid für das empfindlichste Rengens auf Strychnin, in- dem es bei einer Solution von Gran Strychnin in 7 Theilen Wasser noch eine sehr deutliche gelbe Trübung her- vorruft. Mangan- und Bleihyperoxyd zeigen nach Letheby noch die Gegenwart von Yo Gr. Strychnin an; auch die galvanische Probe ist sehr empfindlich, indem man den osi- tiven Pol einer galvanischen Batterie mit einer Platinplatte, auf welcher eine eingedampfte, wässerige Lösung von Y, bis Y/gooo Gr. Sirychnin nebst etwas concentrirler Schwelele säure sich befindet, in Verbindung bringt, während man den negativen Pol an die Säure leitet; hier zeigt sich augenblick- lich eine violette Färbung (Farbenprobe). 47 ob nicht gerade durch die beim Erbrechen stattfindende allgemeine Erschülterung des Körpers der Eintritt der Krämpfe beschleunigt wurde, da dieses Thier bei 5 Gran Strychnin schneller (in 28 Minuten) verendete, als die übrigen Thiere, die meist über eine Stunde lebten, mit Ausnahme eines Hundes, der mit } Gran schon in 27 Minuten todt war? Ist die Hervorrufung von Erbrechen angezeigt (und das dürfte nur unmittelbar nach genom- menem Gifte der Fall sein, denn später wirkt Erbrechen absolut schädlich), so wird mechanische Reizung, dann, wenn Schlucken möglich ist, Ipeacuanha, Kupfervitriol dem Tart. emet. vorzuziehen sein. Jedenfalls wird beim Verfahren gegen eine solche Vergiftung die strengste Beobachtung körperlicher und geistiger Ruhe des Kranken, Entfernung aller jener Ein- flüsse, welche denselben physisch oder moralisch erschüt- tern können, da hierdurch leicht heftige Krämpfe herbei- geführt werden, eine Hauptsache, und die Einverleibung von Opiumpräparaten zu rein symptomatischem Zwecke nicht ohne Nutzen sein. Was die Antidote im engeren Sinne des Wortes be- trifft, d.h. solche Mittel, welche die schädlichen Eigen- schaften des Giftes auf chemischem Wege durch Zer- setzung oder Verbindung zu anderen Körpern aufzuheben vermögen, wie Chlor, Jod, Brom (nach Donn& und Bou- chardat), welche die Alkalien zersetzen, so ist von ihnen bei einer acuten Vergiftung wohl kaum etwas zu erwarten, da sie, wenngleich nach genommenem Gifte gereicht, wohl immer durch ein Brechmittel besser er- setzt werden, und, wenn später gegeben, wo die Re- sorplion bereits eingetreten ist, entweder wenig oder gar nichts nützen dürften; auch die Erfahrung spricht nicht sehr zu ihren Gunsten. Indess sind sie immerhin beim Abgang besserer Antidote des Versuches werth. Ueber die Zweckmässigkeit von Chloroformeinath- mungen, welche, wenigstens vom theoretischen Stand- punkte aus, die leichte Anwendung auch bei vorhandenem Trismus, die schnelle Wirkung im Wege der Resorption, sowie ihre krampflösende Eigenschaft für sich haben, da- her eine palliative Wirkung erwarten lassen, spricht sich das Experiment nicht günstig aus und wir verdanken in dieser Beziehung der freundlichen Mittheilung des Direc- tors Dr. Röll, sowie des Prof. Dr. Pillwax mehrere sehr interessante Daten. Es wurden nämlich. im k. k. Thierarzneinstitute vier Versuche über die Wirksamkeit des Chloroforms bei Strychninvergiftungen an Hunden angestellt; beim ersten Erscheinen tetanischer Krämpfe auf die Gabe von 4 bis 4 Gran Strychnin wurde Chlo- roform theils als Inhalation verabreicht, theils zu 10 bis 20 Tropfen eingeflösst. Das Ergebniss war, dass wohl theilweise die tetanischen Krämpfe insofern abgekürzt wur- den, als sie sich in klonische, d. i. in Convulsionen ver- wandelten, dass hierbei aber sugleich die Reizempfäng- lichkeit im Allgemeinen eine Steigerung erfuhr, ein Um- stand, der zur Erzeugung von Krämpfen nur noch mehr disponirte; der Tod trat übrigens in allen vier Fällen 48 unter den gewöhnlichen Symptomen ein. Nach diesen Er- fahrungen hat das Chloroform als Gegenmittel des Strych- nins gar keinen Werth und als Palliativ einen höchst untergeordneten. Auch das vorgeschlagene Urari oder das amerikani- sche Pfeilgift (Curare, Woorara) dürfte nach Kölliker (siehe dessen physiologische Untersuchungen über die Wir- kung einiger Gifte in Virchow’s Arch. 10. Bd. 1. u. 2. H. 1856) als Gegenmittel von Sirychnin und Tetanus nichts nützen, und zwar schon aus dem Grunde, weil es vorzugsweise auf die peripherischen Nerven wirkt, wäh- rend das Strychnin als Hauptangriffspunkt seiner Wirk- samkeit das Rückenmark erkennt. Das Urari wäre allen- falls nur dann endermatisch angewendet indieirt, wenn es sich darum handelte, auf peripherische motorische Ner- ven deprimirend zu wirken, also etwa die bei Strychnin- vergiftung vorhandene Hyperästhesie zu mindern, was aber kaum zu rathen ist, da durch Beobachtung absoluter Ruhe des Kranken Aehnliches auf gefahrlose Weise er- reicht wird. Bei dieser geringen Aussicht auf eine erfolgreiche Wirksamkeit von Antidoten gegen Strychninvergiftung bleibt uns vorläufig nur der Trost, dass devlei Vergif- tungen in solchen Ländern, welche sich einer geregelten Sanitätsverwaltung erfreuen, wo der Handel mit Giften einer strengen Controle unterworfen ist, gewiss zu den Seltenheiten gehören werden, dass wir daher auch nur selten in die Lage kommen dürften, gegen Strychninver- giftung einzuschreiten. Nicht ganz überflüssig erscheint es hier, auch dem practischen Arzte Vorsicht bei Darreichung der Strych- ninpräparate, sowie der Nux Vomica, Faba St. Ignatii anzuempfehlen, indem die Toleranz für diese Stoffe eine sehr verschiedene ist, und bei längerem Gebrauche, wenn auch kleiner Dosen, der Organismus sich nicht so wie bei Opiaten bald daran gewöhnt, sondern vielmehr plötz- lich eine cumulative Wirkung eintreten kann, welche oft von schlimmen Folgen ist. \ Miscelle. Das Isolirtstehen Geisteskranker in ihren Wahn- verfallungen ist ein von Hy.’M onro im Asylum Journ. I. April 1856 hervorgehobener charakteristischer Zug. Irre sind in ihren individuellen Charaktereigenthümlichkeiten und selbst in ihren Idiosynkrasieen gesteigert, aber es geht ihnen jede Sympathie für gleiche Richtungen ab. Während man behaupten kann, dass, je vollkommener die Geistesgesundheit eines Ge- sunden sei, um so lebhafter das Mitgefühl und das Bedürfniss der Theilnahme an den Strebungen und Handlungen anderer ihnen sympathischer Individuen sei, so ist es auflallend, dass ein Geisteskranker mit dem Wahnsinn eines anderen Irren nie sympathisirt. Vielmehr hat jeder Geisteskranke seine beson- dere Welt für sich und daher sind wohl die unendlichen Ver- schiedenheiten des Irreseins zu erklären. Nicht zwei Geistes- kranke gleichen sich in Wirklichkeit. Letzteres kann man freilich auch von den Gesunden sagen, doch gleicht die Sym- pathie Vieles aus und nur beischr ausgesprochenem Egoismus fehlt Ausgleichung, Verständniss und innere Verbindung. Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena, Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. EI. Band N 4, Naturkunde. F. W. Beneke, Ueber den Sitz der Geistesthätigkeiten. — Miscelle. Bernard, Bluttemperatur in den Verdauungsgefässen. — Heilkunde. J. M. Mappes, Die Cholera in Frankfurt a. M. — H. Meckel, Freie Körper der Schleimscheiden- und Schleimbeutel-Hygrome. — Miscellen. Cruveilhbier, Die Charaktere des einfachen Ge- schwüres. — Boditsch, Ueber Parasiten auf den menschlichen Zähnen. Naturkunde. Ueber den Sitz der Geistesthätigkeiten. Von Dr. F. W. Beneke*). Aus dem unten angeführten Werke, welches eine klare und gedrängte Uebersicht des neuesten Standes der Naturwissenschaften in populärer Form enthält, heben wir als Probe folgende Betrachtungen aus: „Es bleibt uns übrig, die vierte wesentliche Leist- ung des Nervensystems in’s Auge zu fassen. Wir bezeich- neten das Nervensystem als den Sitz unserer Geistes- thätigkeiten, als denjenigen Apparat, an welchen unser Denken und Wollen gebunden ist, dessen Erregun- gen, das Licht von der Farbe, von geistigen Aclionen begleitet sind, der ferner in einer besonderen und nahen Beziehung zu unserer unsterblichen Seele steht. — Dür- fen wir es bei dem heutigen Standpunkte der Physiologie schon wagen, auf das weite, ebenso anziehende als schwie- rige Gebiet, welches durch jene Bezeichnung angedeutet wird, einzugehen? — Der heisse Kampf, welcher heutigen Tages um Kraft und Stoff, um Leib und Seele, um Materie und Geist geführt wird, er gehört in der That, wie es uns scheint, nur zum kleinen Theil vor das Forum der Physiologie, und wenn wir in einem früheren Vortrage schon auf die Nothwendigkeit der Trennung unserer un- zweifelhaft an die Gehirnsubstanz gebundenen Geistes- thätigkeiten von einer unserm Organismus zugehörigen Seele hinwiesen, so halten wir auch hier an dieser Trennung fest. An das Dasein einer immateriellen Seele - *) => Phiysiologische Vorträge für Freunde der Na- turwissenschaften. Von Dr. F. W. Beneke, Med.-Rth. 8. Oldenburg, Ferd. Schmidt, 1856, glauben wir, ohne über deren etwaigen Sitz auch nur das Geringste aussagen zu können; es verhält sich dieselbe ähnlich zum menschlichen Organismus, wie Gott zu der Welt. Das Gebundensein der Geistes- thätigkeiten an die Nervensubstanz können wir aber beweisen, die Discussion über ihr Zustandekommen, ih- ren Sitz u. s. w. gehört in das Gebiet der Physiologie und also auch nur auf sie gehen wir ein. Doch auf kür- zeste Andeutungen beschränkt, wollen wir nur einiger weniger, vorspringender Fragen gedenken. Das gesammte Gebiet der uns ihrem Wesen nach gänzlich unbekannten Geistesthätigkeiten trennen wir pas- send in das der Denkbewegungen, das der Gemüthsbe- wegungen und das der Willensbewegungen. Es sind diese Thätigkeiten an gewisse Theile des Gehirns gebunden, denn ein Mensch oder Thier ohne Kopf denkt, empfindet und will bekanntlich nicht, ein Satz, der eine eben so „triviale,“ als tiefe Wahrheit enthält. Wie nun aber kommen jene Thätigkeiten oder die Erregungen jener ge- wissen Theile des Gehirns zu Stande? Wir dürfen nicht anstehen, eine doppelte Möglichkeit für die Entstehung derselben zu statuiren. Auf der einen Seite sind es die Sinneseindrücke, die Empfindungen, welche irgend eine geistige Bewegung, sei es im Gebiete der Gedanken, in dem des Gemüthes oder dem des Wollens hervorrufen; es ist aber andererseits auch ein ausserhalb der Ganglien- zellen liegendes, unerforschliches Etwas, es ist unsere Seele, die jene Erregungen einzuleiten vermag. Im er- steren Falle ähneln die geistigen Bewegungen in der That jenen Reflexbewegungen, die wir bei Betrachtung der Muskelbewegungen kennen lernten; ein Sinnesein- druck versetzt gewisse Ganglienzellen des Gehirns in Er- regung und diese Erregung pflanzt sich sofort auf jene Zellen fort, an deren Vorhandensein die Dil Thätig- 51 keit gebunden ist. Im zweiten Falle haben wir es da- gegen mit ähnlichen Erregungen zu thun, wie sie als ursächliche Bedingungen. der sogenannten automatischen Bewegungen angesehen werden; wir kennen das erregende Etwas nicht, wissen nicht, was die Ganglienzellen in Erregung versetzt, sondern wissen nur das, dass, wenn wir die letztern hinwegnehmen, die Bewegung selbst nicht mehr erfolgt, ihr Erregungszustand also eine noth- wendige Bedingung für das Zustandekommen der Beweg- ung ist. Der Seele, so sagt man, sind die Ganglien- zellen des Gehirns eine Claviatur. Jenachdem sie diese oder jene Tasten berührt, erfolgt diese oder jene gei- stige Bewegung, und diese Bewegungen sind, wie die Töne des Instrumentes, um so harmonischer, um so tiefer und schöner, je feiner und ausgebildeter der Mechanismus des Instrumentes, d. h. der Bau des Gehirns, je inniger und alltäglicher, um den Vergleich beizubehalten, der Verkehr zwischen Spieler und In- strument ist. So hängt denn in der That die Höhe unserer geistigen Bildung, unserer Erkenntniss, unse- res Gemüthes und unseres Willens, ab von dem Reich- thum unserer Sinneswahrnehmungen, von der Vielseitig- keit unserer Erfahrungen auf der einen und von der In- nigkeit und Pflege des Verkehrs mit unserer Seele, d. i. mit göttlichen Dingen und Gott selbst, auf der andern Seite. Je höher die Stufe, die sie erreicht, d. h. wie- der, je feiner ausgebildet und ausgespielt der Mechanis- mus, um so reicher die Möglichkeit der Combinationen verschiedener Erregungen, um so reicher die Welt der Ideen. Die Höhe der geistigen Bildung ist nach dieser Vorstellung unfehlbar abhängig von der Grösse des ma- teriellen Substrates, von der Anzahl der von Natur ge- gebenen Ganglienzellen; es kann ein Mensch mit einer geringern Anzahl derselben nicht zu derselben Stufe der Intelligenz, des Ideeenreichthums gelangen, wie ein „be- gabterer,‘‘ und entsprechend dieser grösseren oder gerin- geren Ausbildung des materiellen Substrates nimmt auch in der Thierreihe der Anschein geistiger Thätigkeit ab. Aber es widerspricht das nicht der schöpferischen Idee, die gross genug ist, um die Leistung nach den gegebe- nen Kräften zu bemessen. Und wo nun haben diese den geistigen Thätigkeiten dienenden Ganglienzellen ihren Sitz? Wir können es nicht treffender bezeichnen, als wenn wir sagen, dass sie die den sinnlichen Wahrnehmungen, Empfindungen und körperlichen Bewegungen dienenden Theile des Gehirns überbauen; in dem oberen Theile der grossen Gehirnhe- misphären haben wir sie zu suchen. Ueber die wahr- scheinliche nähere Beziehung des kleinen Gehirns zu den willkürlichen körperlichen Bewegungen wurden oben schon einige Andeutungen gegeben. Es ist jedoch das kleine Gehirn nicht etwa Sitz des Willens selbst, es bietet dem- selben vielmehr nur, so weit er sich auf Handlungen bezieht, die ersten Angriffspunkte dar, und scheint ver- möge seines besonderen Mechanismus derjenige Apparat 52 zu sein, in welchem eine Menge einzelner Willensacte sofort zu einem geordneten Ganzen zusammengefasst werden, jedesmal eine eng zusammengehörige ganze Gruppe von Ganglienzellen gleichzeitig in den Erregungszustand versetzt und somit die Zweckmässigkeit, die Coordination der einzelnen körperlichen Bewegungen vermittelt wird. Wir wiederholen es, dass nach Wegnahme des kleinen Ge- hirns der Wille selbst bei Thieren nicht erloschen ist und Beobachtungen an Kranken machen es ebenfalls schr wahrscheinlich, dass es eben so wenig für das Wollen selbst, als für andere Geistesthätigkeiten die Ursprungs- stätte bildet. Daran jedoch, dass die die Oberfläche des grossen Gehirns, die Wülste der Gehirnwindungen bilden- den Ganglienzellen in einer besonderen Beziehung stehen zum Denken, zum Gemüth und zum Wollen, dass sie es sind, deren Erregungen allemal von geistigen Thätigkei- ten begleitet werden, lässt uns eben so wenig die Ex- perimentalphysiologie, als insonderheit die Beobachtung an Geisteskranken zweifeln. Sehr treffend sagt in dieser Beziehung Virchow*): „Neben den im Hirn zerstreu- ten Ganglien, von denen wir wissen, dass sie überwie- gend motorische oder überwiegend sensitive Function be- sitzen, bleibt eine gewisse Masse von grauer Substanz übrig und dahin gehört hauptsächlich die Hirnrinde, von der wir nichts Derartiges aussagen können, bis zu der aber bis jetzt noch kein Anatom peripherische Nerven verfolgen konnte, sondern die zunächst durch weisse Sub- stanz mit den genannten motorischen und sensitiven Kno- ten in Verbindung steht. Wenn nun insbesondere die Erfahrung an Kranken lehrt, dass sowohl durch directe Veränderung dieser grauen Rinde, als auch durch Stör- ung der Leitung zwischen ihr und den nächsten Knoten psychische Störungen bedingt werden, nicht bloss Unter- brechungen der bewussten Empfindung und der willkür- lichen Handlung , sondern auch Störungen des Denkens, der Erinnerung, der Phantasie, sollen wir dann nicht schliessen, dass gerade diese Anhäufung von Ganglien- zellen eine speciellere Bedeutung für das Zustandekommen psychischer Leistungen beanspruche?“ Und wir können noch einen Schritt weiter gehen. Wir dürfen selbst den Denkbewegungen einer- und den Gemüthsbewegungen an- dererseits eine bestimmte Localität ihres Zustandekommens anweisen, der Art, dass jene in dem vordern Theile, diese in dem hinteren Abschnitte der oberflächlichen Theile der grossen Gehirnhemisphären zu suchen sind. Wie Vieles auch an der Gall’schen Schädellehre auszusetzen sein mag, in der Behauptung erweist sie sich im All- gemeinen als richtig, dass ein umfangreicher Vorder- oder Stirntheil des Schädels im Allgemeinen auf höhere Denkfähig- keit, ein umfangreicher Scheiteltheil auf eine reichere Anlage zur Entwickelung des Gemüthslebens schliessen lässt. Es stimmen mit diesen verschiedenen Aussprüchen nicht nur die *) Artikel: Transcendenz und Empirie in Virchow’s Archiy für pathologische Anatomie. Bd. VII. Hit. 1, 1854, vergleichend anatomischen Untersuchungen bei verschiede- nen Thieren, sondern auch die Ergebnisse der erst neuer- dings sorgfältiger angestellten vergleichend - anthropologi- schen Untersuchungen. Je weiter wir in den verschie- denen Classen der Wirbelthiere hinabsteigen, um so mehr verliert, wie wir oben erfahren haben, das grosse Gehirn an Umfang, desto flacher und spärlicher werden seine Windungen. Ganz dem entsprechend nimmt aber auch die geistige Befähigung der Thiere von Stufe zu Stufe ab und mit Recht verlegen wir deshalb den Sitz der gei- stigen Bewegungen in jenen wesentlichen Abschnitt des Nervensystems. Huschke ferner theilt uns nicht nur mit, dass das Gewicht des gesammten Hirns und damit die grösste Befähigung zu sämmtlichen Leistungen des Nervensystems am grössten sei bei den verschiedenen Gliedern des germanischen Stammes, den Deutschen, Eng- ländern und Flamändern (im Durchschnitt 1445 Grm.), dass ihnen der celtisch-romanische Stamm, die Schotten und Franzosen, folgen (1313—1320 Grm.), zu unterst aber die Neger und Bewohner Ostindiens stehen, bei de- nen sich selbst Hirne von 737 Grm. Gewicht finden und der Typus des Hirns (wenigstens bei den Negern) dem des kindlichen und dem des Hirns der höheren Affen nahe kommt, sondern auch die wichtige Thatsache hebt er hervor, dass die Glieder des germanischen Stammes mehr grosses und verhältnissmässig weniger kleines Ge- hirn haben, als die des cellisch-romanischen Stammes, dass ferner, nach Parke’s Untersuchungen, die Hindus nicht nur überhaupt ein kleineres Gehirn als die Englän- der (1176:1435) Grm.) besitzen, sondern diese im Ver- hältniss zum kleinen auch mehr grosses Gehirn besitzen, als jene, der Art, dass bei den Engländern auf 1258 Grm. grosses 177 Gr. kleines, bei den Hindus dagegen auf 1117 Gr. grosses 157,7 Grm. Hinterhauptshirn kom- men. Ohne Anstand dürfen wir es aber behaupten, dass ganz entsprechend diesen Gewichtsverhältnissen des gros- sen Gehirns auch die Grösse der geistigen Begabung im Allgemeinen bei den verschiedenen Nationen variirt, ein Ausspruch, der in dem weitern und wünschenswerthen Verfolge vergleichend-anthropologischer Studien und Hirn- wägungen ohne Zweifel seine Bestätigung finden wird. Und wenn endlich bei einzelnen, besonders durch geistige Begabung ausgezeichneten Männern abnorm schwere Ge- hirne gefunden wurden, wie u. A. bei Lord Byron an- geblich ein Gehirn von 2238 Grm. Gewicht, bei Cu- vier von 1829 Grm., wenn andererseits geistig verküm- merte Individuen, wie die Cretins, sehr kleine Gehirne (nach Sims, Leuret, Tiedemann, Esquirolu. A. von 772-500 Grm. Gewicht) und besonders vorn abge- flachte Hemisphären des grossen Gehirns besitzen, wenn ferner das Stirnhirn der Neugeborenen im Verhältniss zum übrigen grossen Gehirn kleiner ist, als das der Er- wachsenen, so findet auch darin der Schluss auf eine besondere Beziehung der Grösse des Gehirns überhaupt, wie der Grösse der vorderen Hemisphären im Besondern zu den Thätigkeiten des Geistes seine Berechtigung. 54 In trefflicher Weise hat Huschke auch die Grös- sen- und Gewichtsverhältnisse des Vorderhirns im Ver- hältniss zu dem hintern Abschnitt der grossen Hirnhemi- sphären verfolgt. Was wir oben über die Vertheilung der Geistesthätigkeiten auf beide Abschnitte angedeutet, findet darin seine Bestätigung. „Nach Freiheit strebt der Maun, das Weib nach Sitte.“ Dort ragt im Allge- meinen die Denkkraft, der Verstand, das urtheilsvolle Streben nach Handlungen, hier das Gemüth, die Liebe, das Handeln nach Gefühlen hervor. Ganz dem entspre- chend ist nun aber auch im Durchschnitt das Gewicht des vorderen Abschnittes der grossen Gehirnhemisphären im Verhältniss zu dem des hinteren Abschnittes beträcht- licher beim Manne als beim Weibe; und es steht ferner damit im Einklang, dass, nach Beobachtungen und Er- fahrungen an Kranken, Störungen der Gemeingefühle, Schmerzen u. s. w. die gewöhnlichen Begleiter von Er- krankungen der hinteren Lappen des grossen Gehirns, Störungen der Denkkraft mit Leiden der vordern Ab- schnitte verbunden sind. Ein Weiteres ist uns hier nicht gestattet. Eine tiefe Wahr- heit liegt in den wenigen Worten Sir Benj. Brodie's, die er bei Gelegenheit einiger treflicher Bemerkungen über den Einfluss des Nervensystems auf die Production der thierischen Wärme aussprach: „The nervous system is the animal.‘ Die Mehrzahl der niederen Thiere, beschränkt auf ein fast ausschliesslich vegetatives Leben, sie würde dennoch ohne Vorhandensein des Nervensystems dieses Leben nicht führen können, und haben wir in den höheren Thierfor- men die Abhängigkeit der vegetativen Lebensvorgänge ebenfalls als in directester Abhängigkeit von dem Nerven- system kennen gelernt, haben wir das letztere hier als das von Stufe zu Stufe sich höher und feiner entwickelnde Organ der Geistesthätigkeiten kennen gelernt, so ist da- mit seine Bedeutung nur um so mehr in ein helles Licht gestellt. — Doch vergessen wir es dabei nicht, dass die Bildung, Entwickelung und andauernde Leistungsfähig- keit oder Erhaltung des Nervensystems selbst abhängig ist von dem Materiale, welches zu seiner Bildung und steten Verjüngung dargeboten wird, von dem Blute; er- innern wir uns der treffenden Worte Romberg’s, dass der Nerv mit Schmerz um gesundes Blut bettelt, dass im letzten Gliede von der Qualität und Quantität unserer Nahrungsmittel auch die Leistungsfähigkeit des Nerven- systems bedingt ist. Ungestraft werden wir es durch Excesse irgend welcher Art nicht verletzen oder schwä- chen, nicht die in ihm waltende Kraft verschwenden, denn ständig in übermässiger Thätigkeit erhalten, kann es sich nicht in naturgemässer Weise auch ständig ver- jüngen, beeinträchtigt es den Ablauf der vegetativen Le- bensvorgänge und frühzeitiger Untergang des ganzen Or- ganismus ist die unausbleibliche Folge. Ungestraft wer- den wir aber auch nicht seinen Lebensquell, das Blut, in seiner normalen Zusammensetzung stören, eine jede Störung auf dieser Seite hat vielmehr eine Störung in Zusammensetzung und damit der Br Pylliin des 55 Nervensystems im Gefolge. — So hält die Natur unser Thun und Lassen ständig im Schach; einen Schritt nur über die Felder hinaus, auf die sie uns beschränkt und das Spiel ist verloren. Erklären wir uns denn willig matt und geniessen mit einsichtsvoller Zufriedenheit die reichen Freuden, die sie uns trotz ihrer Herrschaft über uns und trotz unserer Gebundenheit nicht nur finden lässt, sondern auch zu geniessen gestattet.‘ Heilk Ueber die Cholera in Frankfurt a. M. Von Dr. J. M. Mappes (Frankfurt). In einem Vortrage im ärztlichen Vereine zu Frank- furt hat der Verf. auf sehr klare Weise von der Entste- hung und dem Gange zweier kleinerer Choleraepidemieen (1849 u. 1854) Bericht gegeben. Die Darstellung zeigt auf recht schlagende Weise, wie es zum Verständniss derartiger Processe entschieden vortheilhaft ist, nicht im- mer nur an grossen, durch das Uebermaass der Fälle die Uebersicht erschwerenden Epidemieen Studien machen zu wollen. Liest man das äusserst anspruchslose Refe- rat über diese zwei Epidemieen, die eine von 6 Fällen, die andere von 40 Fällen, so hat man einen klareren Eindruck über die Verbreitungsweise, als von vielen weit- schichtigen Berichten aus grossen Städten, wo täglich mehr, als hier in zwei Epidemieen im Ganzen, an Erkran- kungen vorgekommen sind. Der Verf. schliesst seinen Bericht mit folgendem Resume: „Aus diesen getreulich zusammengestellten Thatsa- chen scheinen einige Schlüsse gezogen werden zu dürfen. — Die Nothwendigkeit des Vorhandenseins zweier Fak- toren zur Entstehung der Cholera geht aus der verglei- chenden Betrachtung der Vorfälle im Jahre 1849 und 1854 hervor. Gerade bei dieser Krankheit ist der Be- weis um so leichter zu führen, als der Eine Faktor — diejenige Veränderung im Körper, welche diesen zur Dar- stellung der Krankheitserscheinungen geeignet macht — deutlich wahrnehmbar hervortritt im Darmkanale, dem Hauptangrifisort und vorzugsweisen Entwickelungsorgane der Krankheit selbst. — Eine grosse Reihe zuverlässi- ger Beobachtungen, vorzüglich aus England und Frank- reich bekannt geworden, haben gezeigt, dass dem Aus- bruche einer Choleraepidemie die in den bekannten Affec- tionen des Darmkanals sich aussprechende Dispositiou vor- ausgeht und sie begleitet, dass die Fortzeugung der Krank- heit selbst oft gehemmt werden kann durch Beseitigung jener Disposition. — Mit dem Fehlen dieser letzteren im Jahre 1849 war der andere Faktor, die Ansteckung — die Hervorrufung der Entwickelungsreihe der Krank- heitserscheinungen von aussen her — unwirksam. — Ob- gleich an mehreren nahegelegenen Orten die Cholera mäch- tig herrschte und zahlreiche Verbindungen unbeirrt mit 56 Miscelle. Nach Bernard’s Experimenten nimmt die Tempera - tur des Blutes bei seinem Weitergehen durch die Organe des Verdauungsgefässsystemes zu, und ist endlich in der Le- bervene, durch die es zum Herzen zurückströmt, am wärm- sten. (l’Union 117.) unde. denselben stattfanden, weil damals kaum mehr an An- steckung gedacht wurde, so kamen hier dennoch nur ge- ringe und nur solche Fälle vor, in welchen die Krank- heit auswärts an Orten des herrschenden Contagiums em- pfangen, hier aber geboren wurde und ihr Leben voll- endete. Obgleich man im Heiliggeisthospitale die Paar dahin gebrachten Cholerakranke wie andere Kranke an- sah, sie nicht von diesen trennte und wegen ihrer keine besonderen Vorsichtsmaassregeln ergrifl, übertrug sich.die Krankheit nur auf zwei durch längeres Siechthum herab- gekommene Personen, von welchen überdies berichtet wird, dass sie sehr Angst davor gehabt; sie zeugte sich nicht weiter fort, weil der der Entwickelung des Samens gün- stige Boden fehlte. Anders im Jahre 1854. — Da gab es viele zur Cholera vorbereitete Körper und obgleich, ausser Augs- burg und Nürnberg, der nächste von ihr ergriffene Ort, München, schon sehr entfernt ist und der ohnehin für gewöhnlich nicht sehr bedeutende Verkehr zwischen hier und. dort trotz der Industrieausstellung nicht viel ver- mehrt war, weil man wieder anfıng von Ansteckung zu reden und sich schon dadurch eine allgemeine Scheu ver- breitete, dass jedes, auch das kleinste Zeitungsblättchen die täglichen amtlichen Choleranachrichten eifrigst mit- theilte, als handelte es sich um Schlachtberichte und Siegesbülletins, so traten hier dennoch einige Reihen von Fällen auf, bei deren einer wenigstens mit ziemlicher Ge- wissheit ihre ursprüngliche Einschleppung nachzuweisen ist; aber die eingebrachten Funken erloschen nicht wieder in sich, wie im Jahre 1849, sondern sie brannten fort, weil sie Brennstoff fanden, und verbreiteten das Feuer weiter von einigen Herden aus; die selbstständige Fort- zeugung der Cholera hier war damals ausser Zweifel. — Wer nun fragen wollte, warum dann aber die hiesige Epidemie so gering und kurz verlief, dem könnte man zu erwägen geben, dass Frankfurt überhaupt ein gesun- der Ort und seit langer Zeit von keiner sonstigen im Vergleich zu andern Orten irgend bedeutenden Epidemie heimgesucht worden ist, dass hier auch die ärmeren Leute nicht so. gar schlecht wohnen, sich nähren und kleiden, dass Wohlthätigkeit in reichstem Maasse geübt wird und die Lebensweise im Allgemeinen nicht gerade für unmässig gelten kann. — Wir Aerzte haben es er- ‚57 fahren, wie seit den ersten hiesigen Fällen Jedermann auf sein Befinden achtete und gegen Diarrhöe sogleich Hülfe suchte; dadurch und durch eine allgemein gewor- dene sorgfältige, ja ängstliche Lebensweise ist der Krank- heit mancher günstige Boden entzogen und die begin- nende Epidemie in der Entwickelung aufgehalten worden. Darf man nach den hiesigen Erfahrungen die An- steckungsfähigkeit der Cholera nicht bezweifeln, so deu- ten sie zugleich darauf hin, dass die Auswurfstoffe des Darınkanals die hauptsächlichsten Träger der Ansteckung sind; angehäuft und eingetrocknet in den von den Kran- ken gebrauchten Leib- und Bettgeräthen mag die schlum- mernde Wirksamkeit durch Auflösung und Erwärmung beim Waschen verstärkt wieder erwachen, vielleicht durch eingegangene chemische Veränderung sogar noch kräfti- ger wirken, als frisch nach dem Abgange. — Dass die Hauptgruppen der hiesigen Cholerafälle mit Leuten begin- nen und fortschreiten, welche das Geräth solcher Kran- ken gewaschen oder benutzt haben, geht aus den obigen Mittheilungen hervor, und diese gestatten auch, dass ne- ben dem Post hoc das Propter hoc sich heraus wage. Schliesslich sei noch der öffentlichen Fürsorge zu Schutz und Trutz wider die Cholera erwähnt. — Das Physikat (das Medicinalcollegium des Freistaates, aus dem Physicus primarius als Director und 3 weiteren Physieis als Mitgliedern bestehend) ging von dem Gedanken aus, bierbei ohne alles Heimlichthun, aber mit möglichst we- nig Geräusch zu verfahren; entschieden sprach es sich gegen die üblich gewordene Veröffentlichung von Krank- heitsbülletins aus, wie sie auch bei Epidemieen anderer Art nicht geschehen und nie geschehen sind; sie können nur dazu dienen, Kleinmuth und Angst zu wecken und immer wach zu halten, während die statistische Wissbe- gierde vollständige Befriedigung privatim erlangen kann. — Die Fernhaltung solcher allgemeinen Seelenstimmung empfiehlt sich ebensowohl aus humanen, wie aus ge- sundheitspolizeilichen Rücksichten, man soll den Men- schen das ohnehin nur zu selten heitere und harmlose Leben nicht ohne Noth noch mehr verdüstern. — Nach- dem erwirkt worden war, dass alle unsere Krankenan- stalten jeden Cholerakranken in besonderen Räumen, so- fort und ohne nach der sonstigen bürgerlichen Berechti- gung zu fragen, aufnehmen wollten, und nachdem man für den entfernteren Stadttheil Sachsenhausen im Falle der Nothwendigkeit die Verwendung eines sonst für spe- eielle Krankheitsgattungen bestimmten Hospitals vorberei- tet halte, war für Herrichtung eigener Choleraspitäler nicht zu sorgen. — Ausserordentlicher Beihülfe von Aerz- ten war man versichert; Einrichtung ärztlicher Wachtzim- mer in den Hospitälern für Tag und Nacht zur unver- weilten Hälfeleistung in Privathäusern und Stationirung von Aerzten in den Dörfern des Landgebietes waren vor- geschen, aber glücklicherweise nicht erforderlich. — Die Aerzte hatten jeden ihnen vorkommenden, selbst zweifel- haften Fall sogleich auf dem Geschäftszimmer des in Mitte der Stadt gelegenen Senckenbergischen Bürgerhospi- 58 tals anzuzeigen, von wo mir unverzüglich die Mittheilung gemacht wurde; ich selbst oder einer meiner Collegen im Physikat begaben uns baldmöglichst zum Kranken, beob- achteten den weiteren Verlauf mit und trafen, soweit nö- thig, diejenigen Anordnungen, welche den Behörden ob- liegen; hierüber unterhielten die Physici einen steten Ver- kehr mit dem Polizeiamte, von welchem sie in den freie- sten Geschäftsformen förderlichst unterstützt wurden, und Mittel standen rasch zur Verfügung bei den ihrer Bedürftigen. Von allen diesen Anordnungen waren nur die Aerzte durch gedruckte Briefe in Kenntniss gesetzt, aber da sonst kein Geheimniss davon gemacht, auch das wirkliche Vorkommen von Cholerafällen absichtlich nicht verschwie- gen wurde, blieb das Publikum unaufgeregt und fühlte sich beruhigt. Alles von den Kranken benutzte Gerätlı wurde abgesondert, mit Lauge getränkt und erst später gewaschen, werthloseres verbrannt, branchbareres nur nach wiederholtem Waschen und Bleichen wieder ander- weit verwendet. Die Stuhlgänge und das Erbrochene wurden mit Chlorkalk bestreut und dieser auch in die Abtritte geworfen, Chlorräncherungen täglich in den Zim- mern vorgenommen, und diese erst später nach dem Ab- kratzen und frischen Tünchen der Wände und sonstigem sorgfältigen Reinigen wieder anderweit bewohnt. So wurde in den öffentlichen und Privathäusern verfahren, in letz- teren unter Aufsicht und meist auf städtische Kosten, da fast nur ärmere Leute betroffen waren. Aus dem am stärksten heimgesuchten Hause auf der Allerheiligengasse wurden sämmtliche Bewohner entfernt und anderwärts den Umständen gemäss verpllegt.‘* Freie Körper der _Schleimscheiden- und Schleimbeutel- Hygrome. Von H. Meckel. Die Schleimscheiden der Sehnen und die Schleim- beutel stehen sich sehr gleich in den bei chronischer Ent- zündung oder s. g. Wassersucht derselben, beim Hy- groma cysticum bursae mucosae und Hygroma tendinis, auftretenden Erscheinungen. Dabei ist wesentlich darauf aufmerksam zu machen, dass das Sehnenhygrom durch- aus zu unterscheiden ist von den sogenannten Ganglien oder Ueberbeinen, welche gar nichts mit Schnenscheiden zu Ihun haben und nur vermöge des urtheilslosen Nach- sprechens der Chirurgen noch oft als Erweiterungen von Sehnenscheiden gelten. Von Schleimbeuteln wurden durch Monro, Koch, Schreger, Cruveilhier, Velpeau, Hyrtl mit dieser Erkrankung beobachtet am häufigsten der Beutel der Kniescheibe, dann am Ellenbogen, ausserdem am Glu- taeus maximus, am M. subcapularis, an Schulter, Hand und Fuss. Das Maximum der Grösse erreicht gelegent- lich das Hygroma patellae, kindskopfgross. An Schnen- scheiden fand sich diese Wassersucht bei Weitem am häu- figsten in den Sehnen der Handläche, dann des Hand- 59 rückens, zuweilen auf dem Fussrücken und an anderen Stellen. — Bei Thieren sind sie als s. g. Sehnenschei- den-Gallen häufiger und sehr voluminös, z. B. bei der Kuh nach E. Gurlt mit 11 bis 17 Pfund Inhalt. Diese Anschwellungen entstehen vermuthlich immer traumatisch, z. B. die Scheuerfrauengeschwulst am Knie, die der Bergleute am Ellenbogen, beide oft Anfangs sehr schmerzhaft, später schmerzlos, durch Druck u. dgl., mehr oder weniger mit Zuthun von Erkältung und constitutio- neller Anlage. Dass hierbei nach Hunter’s und Vel- peau’s Meinung stets ein Bluterguss betheiligt sei, ist nach Analogie des oft sehr ähnlichen Verhaltens von Hy- drocele nicht wahrscheinlich. Die chronische Entzündung der serösen Haut bewirkt zunächst reichlichere Abschei- dung reinen wässerigen Serums, gerade wie bei Hydro- cele u. dgl.; zuweilen bald auch reichlichere Epitelienbil- dung, daher fadenzichend -zähere Beschaffenheit der Flüs- sigkeit, wobei sie trotz suspendirter mikroskopischer Zel- lenreste meist klar bleibt, gelblich; nach langem Bestand bildet sich etwa Trübung durch Zellenreste, Niederschlag von Fett, Cholestrin und Kalk und körnig geronnener Eiweissmasse; der Inhalt grosser, zur Operation führen- der Sehnenhygrome erscheint dann gelegentlich als trüber Schleim oder auch als flockig weisslich eiterartige Masse, worin nebenbei zahlreiche freie Körperchen enthalten sind. In sehr alten Hygromen kommt durch starke Verkalkung gelegentlich eine kalkbreiartige, weisse oder bei Blutbei- mischung hefenfarbige Masse zu Stande, welche in einem Falle von Luschka, in dem hühnereigrossen Knie- Schleimbeutel einer 70jährigen Frau, nach Schloss- berger 189 kohlensauren Kalk, 665% phosphorsauren Kalk und 169 Organisches enthielt. Ausserdem kommen im Inhalt Faserstoflgerinnsel vor, membranös oder kuge- lig gebailt; gelegentlich Bluterguss, ähnlich wie in Hä- matocele u. dgl. Selten bildet sich schliesslich eiterige Entzündung mit Durchbrüchen und Fisteln. Die seröse Haut selbst erscheint Anfangs unverän- dert, später, namentlich bei zäherer oder breiiger Se- kretion, wird sie verdickt und geröthet, mit immer fibrö- serer, schwartigerer Verhärtung bis zu 3 und 1 Linie Dicke und mit knorpelartiger Härte. Die innere Ober- fläche trägt in allen normalen Schleimbeuteln feinste Zotten oder Fransen, abgebildet von Schreger. (Bursae mucosae subeut. Erlang. 1825. Fol. Taf. 2. Fig. 2. vom Schleimbalg des Condylus int. humeri, "Taf. 3. Fig. 3. vom Ellenbogen eines Tmonatlichen Mädchens, keulförmige lange Zotten, Taf. 3. Fig. 7. mächtige verästelte Zotten vom Kniescheibenbeutel.) Dieselben Zotten sind in allen Seh - nenscheiden, Kölliker’s Gefässzotten. Unter ver- mehrter Ernährung und Entzündung entstehen hier auch ganz neue Zotlen; es verliert sich in den Schleimbeu- teln vermöge der wellenförmigen Biegung der Kapillaren immer mehr ihre spiegelnde seröse Oberfläche und erhält die letztere zahlreiche neue, feinste und grössere Papil- len und Zotten, welche sich dann ganz nach Art der Zotten in Gelenken ausbilden, bis zum Lipoma arbore- 60 scens u. dgl., oft auch ödematös keulförmig geschwollen;z es entstehen hieraus meist zart weiche, zuweilen hart fibröse, senfkorn- bis erbsgrosse und grössere, keulför- mige und langgestielte Knöpfchen, welche, wie die feineren Zotten, oft später frei abfallen. Oft bilden die weichen Zotten quastartige Massen oder rundliche Granu- lationen. — Ausserdem bilden sich aus der tieferen fibrösen Schicht der Schleimbeutelhaut beim Hygroma pa- tellare u. dgl. stets wulstig hervorragende Falten, wel- che sich immer mehr hervorheben, so dass eine Art Ge- kröse entsteht (wie bei den in gleicher Art entstehen- den und freiwerdenden Sehnen die Retinacula oder wie das Lig. suspens. Venae umbilicalis u. dgl., nament- lich wie an den Balkenmuskeln des Herzens), indem spä- ter oft dies Aufhängeband der Schleimbeutelfalte resorbirb und die Falte zu einem freistreichenden brückenförmigen Balken wird. In den Sehnenscheiden scheint es nie zu dieser Falten- und Balkenbildung zu kommen. Die vielfach beobachteten, vielleicht in jedem Hy- grom von Schleim- Scheide oder -Beutel vorkommenden freien Körperchen scheinen stets von einer eigen- thümlichen Hypertrophie- Entartung befallen zu‘ werden, wobei sie sich enorm vergrössern, während ihre primäre Zellgewebsstructur unter der immer dichteren Ablagerung und Verdrängung von eigenthümlichem Natron -Fibrinat oder -Albuminat oder ähnlichem festen Stoff fast ganz verloren geht, so dass eine anscheinend sehr structurlose Masse daraus entsteht, welche leicht für reines faser- stoffartiges Gerinnsel gehalten werden könnte; nachdem solche Zotten als gurkenkernförmige Körperchen frei ge- worden sind, vergrössern sie sich noch theils durch In- tussusception gleichen Stoffes, theils durch Apposition, haben demnach jetzt den Charakter selbstständiger Concremente. Werthvoll für die Deutung der Ent- wickelung war die anatomische Untersuchung nur in den Fällen, wo sowohl festsitzende als freie Körperchen zu- gleich beobachtet wurden, wie in den Fällen von Hyrtl 1842, Michou 1851 für Schleimscheiden, namentlich auch die Vergleichung mit Luschka’s Darstellung der Zotten am Hoden, deren Entartung zu freien Körpern er Verknorpelung nannte, Als jüngste Entwickelungsstufen dieser Körperchen sah ich in den mit serösem oder namentlich schleimigem Inhalt gefüllten Beuteln oder Sehnen-Hygromen viele feinste, weiche, röthliche Papillen und Zotten der Hy- grom- Wand, zahlreich in der Kniescheibenkapsel oder in dem Sehnenhygrom der Hand zerstreut, aus normalem, gefässhaltigem Zellgewebe bestehend, glatt ohne keulför- mige Anschwellung. Wenn diese Zotten die Entarlung zu freien Körperchen einleiten, so erhalten sie unter merk- licher ungleichförmiger und namentlich kolbiger Anschwel- lung ein schleimiges, halbdurchsichtiges Ansehen, mikro- skopisch charakterisirt durch Auseinanderdrängen der nor- malen Zellgewebselemente vermittelst einer strukturlosen _ oder gallertartig faserigen oder grob- und steilfaserigen, knorpelharten, ziemlich derben Infiltrationssubstanz; in w ihr verschwinden allmälig die Zellgewebsfibrillen, weiter- hin auch die meisten Reste der Kapillargefässhäutchen; es bleiben zuletzt nur die Reste der atrophischen Zellge- webszellen u. dgl. als spindelförmige Kernfasern, Kern- reste, Körnchenreihen, welche in einer fast homogenen Grundsubstanz sparsam zerstreut liegen, gelegentlich deut- liches Fettzellgewebe, selten hier und da eine Spur von Kapillargefäss. Dies Ganze erscheint als eine Umwand- lung und Verdrängung der Gewebe durch etwaiges Na- tronfibrinat oder Achnliches, was endosmotisch aus der Synovia aufgenommen und verdichtet wird. Es ist damit schliesslich alle Ernährung aufgehoben, ebenso wie durch akute Blutgerinnung bei Entzündungsbrand u. dgl.; die entartete Zolte ist nekrotisch ein fremder Körper, zur Abstossung und Sequestration vom Stiel bereit. Che- misch zeichnet sich die faserig homogene Grundsubstanz dadurch aus, dass sie weder von Essig noch von Kali wesentlich verändert wird; sekundär durch langsame Ver- wesung kommt gelegentlich feines Fett- und Kalkseli- ment zu Stande. Dergleichen entartete Zotten finden sich festsitzend in 2 bis 3, höchstens 4 Linien Länge und bis höchstens 4 Linie oder in Anschwellungen von inie Dicke, höchstens von Hanfkorngrösse, fein- gestielt. Von ihren Stielen abgefallen und frei, finden sich dieselben Körperchen in gleicher Grösse und Struk- tur. Ausserdem finden sich zahlreiche grössere Kör- perchen, welche in Uebergängen aus jenen festsitzenden abzuleiten sind und doch einige andere Eigenschaften ha- ben. In der ersten und zugleich unübertroffenen genaueren Untersuchung eines solchen Falles zieht Hyrtl (Oesterr. med. Jahrb. 1842 Bd. 30 S. 262) mit Recht aus der Thatsache, dass alle freien Körperchen grösser waren als die festsitzenden, den Schluss, dass sie noch nach dem Abfallen sich vergrössern — ein dann nicht or- ganischer Akt des Wachsthums, sondern unorganisches Aufquellen mit Apposition von aussen. Die freien Körperchen verlieren die Spuren ihrer organischen Entstehung aus Zellgewebszotten in hohem Maasse, können leicht für ganz strukturlos gehalten wer- den nach Art der oben erwähnten Faserstoffbälle aus dem Kniegelenk; zu sicherer Diagnose verhilft nur selten etwa Fettzellgewebe, wie in Hyrtl’s Fall. Man findet in ei- nem Schleimbeutel oder einem Carpal-Hygrom 10 bis 120 gelbweisse oder grauweisse, schlüpfrige, elastische, knorpelharte oder weiche Körperchen von der Grösse eines Stecknadelknopfes bis höchstens in seltenem Falle der einer Bohne, gelegentlich von viel Schleim umspült, in einem anderen Falle fast ganz dichtgedrängt ein Car- pal-Hygrom ausfüllend. Für die Form ist besonders häufig und charakteristisch die des Gurkenkerns mit fei- nem Stiel, wo der Nabelstrang riss; ausserdem zahlreiche andere Formen, wie Birnkern, Reiskern, zuweilen po- Iyedrisch, wie sich drängende Gallensteine, Tetracder, Würfel, auch 1 Zoll lang spindelförmig oder 3 bis 4 Körperchen perlschnurartig durch einen Faden vereinigt. Zahlreiche komplizirte Formen bis zu Bohnengrösse sind 62 abgebildet in Monro’s Abh. üb. d. Schleimsäcke, bearb. v. Rosenmüller. 1799. Fol.; aus einem Schleimbalg der Schne des Flexor pollicis longus etwa 50 Körperchen Taf. 15 Fig. 7—18, concentrisch geschichtet und im Inneren unregelmässig erweicht, wie die Abbildung mit der Lupe zeigt. Auf dem Durchschnitt sieht man deutlich feingeschichtlete Struktue, ohne dass sich die Schichten gut abschälen lassen; ein besonderer Kern nicht deutlich, doch findet sich oft eine unregelmässige, mit Wasser gefüllte, centrale Erweichungshöhle, welche dem Körperchen das Ansehen einer Blase oder Hydatide geben kann; mikroskopisch ist kein Epitel zu erkennen, die innere Substanz strukturlos halbfaserig, bei Zusatz von Essigsäure werden hier und da Kernfasern, Kerne, sparsame eigenthümliche Sternzellen deutlich. Jedenfalls vergrössern sich diese Körperchen theils durch innere Ablagerung neuen Natronfibrinats, theils durch Bildung neuer äusserer Schichten; doch lässt sich nicht die Gränze zwischen den primär organisirten Zottenkörperchen und den sekundären organischen Schichten erkennen. Che- misch haben diese Körperchen durchaus keinen merkli- chen Antheil an Leim, lösen sich vielmehr in kochendem Wasser nicht auf, bestehen also aus einem geronnenen Proteinstof. Diese Körperchen wurden theils richtig für abgefal- lene Zotten u. dgl. gehalten, so von J. F. Meckel, Nelaton, Hyrtl, theils für organische Gerinnsel, theils von Dupuytren, Laennec, Delle Chiaje und noch im Jahr 1845 in der Zeitschrift für rationelle Medicin zum Theil von Bidder für selbstständige Thiere, „Acefalocisto piano* u. dgl. Dupuytren blieb dabei, dass er die Körperchen sich bewegen sah, und machte den unübertrefllich unlogischen Namen Kyste hydatidi- forme für dieses Sehnen - Hygrom. In keinem Sehnen- Hygrom scheinen jemals diese freien Körper zu fehlen, daher ist bei der etwaigen Punk- tion einer an einer Sehne liegenden Geschwulst jedes Er- scheinen solcher Körperchen der sichere Beweis, dass hier ein Sehnen-Hygrom vorliegt — zum vollen Gegensatz gegen das Ganglion, was nur klaren gallertartigen Inhalt hat und nicht von der Schleimscheide ausgeht. In Schleimb eutel-Hygromen fehlen sie oft, z. B. auf der Kniescheibe, sind nie in sehr grosser Zahl vorhanden, wurden aber doch reichlich in der Bursa anconea, sub- scapularis, glulaea u. a. beobachtet. Bei Weitem am häufigsten und kolossalsten ist dies concrementhaltige Hygrom als Hygroma tendinum pal- mare, gelegentlich in einer Bengesehne nur eines Fingers liegend, oder doch ganz in der Hohlhand liegend oder unter dem Ligam. carpi volare durchgehend, so dass es hier zwerchsackartig eingeschnürt ist, überhaupt meistens in viele Kammern abgetheilt; in der Grösse einer Hasel- nuss bis zu der eines Gänseeies und mehr, etwa seit 2 bis 10 Jahren unter mehr oder weniger Schmerzhafligkeit bei Bewegungen entstanden, zuletzt oft spontan schmer- zend mit gerötheter Cutis und selbst mit Eiterung; bei 63 der Untersuchung fühlt man zuweilen ein sehr deutliches Knarren oder Krepitation, ein eigenthümliches Gefühl -des Hinuntergleitens der Körperchen. — Die erste Entstehung wird stets von einer traumalischen Ursache abzuleiten sein. — Der Sitz ist zuweilen nur eine Fingersehne, in der Länge von 1 oder 2 Phalangen am Finger oder am ganzen Finger entlang, gelegentlich von einem Fin- ger aus bis in die Mitte der Hohlhand, beiderseits blind geschlossen, im Verlaufe oft mehrere Einschnürungen und selbst totale Abschnürungen durch ein Septum. Den ge- ringsten Grad solcher Erkrankung stellen vielleicht Fälle dar, wie die von Notta (Arch. gen. 1850 Oct.) bei 2 Frauen beobachteten, wo bei der willkürlichen Strek- kung und Beugung im 2. und 3. Finger Anfangs ein ab- solutes Hinderniss entstand, welches nur künstlich durch die andere Hand überwunden ward, bewirkt durch ein deutlich unter der Finger-Handfalte fühlbares Knötchen der Sehne. Das Hygrom ist am häufigsten an den drei mittleren Fingern, selten am Daumen, sehr bestimmt zu diagnostieiren. In dieser Weise beschränkt bleibt der Sitz nur in den ungewöhnlicheren Fällen, wo einzelne Theile der Schleimscheiden abgekapselt sind; meistens verbreitet sich die chronische Entzündung und Entartung vom Punkt der ersten Entstehung aus in die gemeinsame Sehnen- scheide der Hohlhand, welche die Volarfläche der Carpal- knochen bekleidet, für jede Fingersehne eine Hülle giebt, zuweilen auch mit Gelenkhöhlen in Verbindung steht und ‚unter dem Lig. carpi vol. hindurch zum Vorderarm geht; diese Allgemeinverbreitung geschieht in gleicher Noth- wendigkeit chronisch, wie akute Eiterverbreitung der Seh- nenscheiden der Hohlhand; dann bildet sich die charak- teristische Zwerchsackform. — Bei anatomischer Untersuchung exstirpirter Stücke oder in Leichen fin- det sich dann die Schleimscheide stark fibrös ver- dickt und zuweilen dick schwartig, wie der Kniescheiben- beutel, die innere Oberfläche theils glatt, theils körnig und zottig gefranst, der Inhalt schleimig, etwas trüb mit den freien Körperchen; über den Zustand der Sehne liegt nur die eine Beobachtung von Hyrtl an einer al- ten maraslischen Frau vor, wo die (ausserhalb des Sackes guten) Sehnen des Flexor sublimis im Hygrom sehr ver- dünnt waren, ohne Glanz und Härte mit locker zotti- gem Ueberzug — analog der „Usur“ der Gelenkknorpel und. -Knochen bei chronischer Entzündung und Grei- sengicht. Die ganze Hygrom - Entartung der Schleimbeutel und -Scheiden hat demnach grosse Aehnlichkeit mit der chro- nischen Entzündung und dem Malum senile der Gelenke. Die Kur ist meist schwierig, besonders bei Seh- nenscheiden. Einreibungen u. dgl. erfolglos; die Opera- tion durch Einschnitt oft schwer, weil 1) der Balg schr dick, 2) die Concremente schwer auszudrücken. Grosse Einschnitte wurden gelegentlich durch Eiterung tödtlich, z. B. bei Dupuytren; in einem anderen geheilten Falle von Dupuytren kehrte das Leiden nach Jahren wieder. 64 Bei schwartig verhärteten Schleimbeuteln, z. B. am Knie, ebenso bei gefahrloser liegenden Scehnenscheiden ist die Exstirpation allein mit radikalem Erfolg anzuwenden.“ Miscellen. Die Charactere des einfachen Magengeschwü- res giebt Cruveilhier, welcher sich schon so grosse Ver- dienste um die Kenntniss dieser gefährlichen Krankheitsfor- men erworben hal, in einer der Acad. des Sciene. zu Paris vorgelegten Abhandlung folgendermaassen an: 1) das einfache Magengeschwür oder die reine geschwürige Magenentzündung lässt sich fast immer bestimmt feststellen. 2) Seine Diagnose gründet sich auf die Unterscheidung von Gastralgie, von Ga- stritis ohne Geschwür und von Magenkrebs. 3) Von der Ga- stralgie unterscheidet sich das Magengeschwür durch die Per- manenz der Erscheinungen mit nur zeitweise eintretenden Steigerungen und Remissionen, während die Gastralgie plötz- lich eintritt und dem Opium weicht. 4) Das einfache Magen- geschwür unterscheidet sich von Gastritis ohne Geschwür und von Gastralgie durch das schwarze Erbrechen und die schwar- zen Stuhlausleerungen. 5) Es ist sehr wahrscheinlich, dass es auch einfache Magengeschwüre ohne schwarzes Erbrechen und ohne schwarze Stuhlausleerungen giebt, dann ist die Un- terscheidung von Gastralgie und Gastritis olıne Geschwür sehr schwer. 6) Schwarzes Erbrechen ist für Magenkrebs keines- wegs charakteristisch, es kommt auch dem Magengeschwür zu. 7) Dasselbe gilt von den schwarzen Stühlen. 8) Beide Sym- ptome kommen sogar dem einfachen Magengeschwür. eigent- lich mehr zu als dem Magenkrebs, da sie alle Stadien oft vom ersten Beginn an begleiten, während es Magenkrebse ohne schwarzes Erbrechen und ohne schwarze Durchfälle giebt, da diese oft nur das letzte Stadium des Magenkrebses begleiten. 9) Die Unterscheidungsmerkmale zwischen Magengeschwür und Magenkrebs sind: 1. physikalische Zeichen; Mangel der Geschwulst beim Magengeschwür. 2. Schmerzen; diese feh- len oft bei Magenkrebs, nie bei Magengeschwür. 3. Art des Schmerzes; beim Magengeschwür das Gefühl einer frischen Wunde, Verbrennung oder Biss, in der Gegend des Schwerdt- knorpels, nach dem Rückgrat ausstrahlend, beim Krebs krampfhafte Zusammenziehung mit Verhärtung des Magens. 40) Der wahre Probirstein aber ist die verschiedene Wirkung der Nahrungsmittel, welche bei Krebs zur Heilung gar nichts vermag, beim Magengeschwür Wunder wirken. 414) Das grosse Rätlhısel beim einfachen Magengeschwür ist immer das Auffinden eines Nahrungsmiltels, welches ohne Schmerz im Magen ertragen wird; ist dieses einmal gefunden, so hat die Heilung keine Schwierigkeit melr. 12) In der grössten Mehr- zahl der Fälle ist Milchdiät die einzig anwendbare; in vielen Fällen scheint die Milch wie ein Speeificum zu wirken, diess rührt indess bloss daher, dass sie unschädlich ist. 413. Bei der Behandlung des einfachen Magengeschwüres sind alle Arz- ie! nur von sekundärer Bedeutung. (Gazette hebdom. \o. 11.) Ueber Parasiten auf den menschlichen Zäh- nen hat Dr. Boditsch in Newyork eine Vorlesung veröf- fentlicht*), worin er nachzuweisen sucht, dass Zahnschmerzen und Zahncaries häufig von 4 thierischen und 2 pflanzlichen Parasiten herrühren, welche mit Sicherheit nur dadurch be- seitigt und ferngehalten werden können, dass man die Zähne täglich mit weisser Seife ausbürstet, ” Aus den empfehlenswerthen naturhistorischen und chemisch-technischen ‚Notizen nach den neuesten Erfahr- ungen zur Nutzanwendung für Gewerbe, Fabrikwesen und Landwirthschaft. Sechste Sammlung. (4 Thlr.) 8. 366 S, Berlin, Expedit. d. med. Centralzeitung,, 1857. [020000 Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena. 7 a er Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. W. Band N 5. Naturkunde. H. 0. Lenz, Ueber die Zoologie der alten Griechen und Römer. — Chowne, Ueber den Einfluss der künstlichen Hitze auf die Atmosphäre von London. — Miscellen, Cl. Bernard, Einwirkung der Spirituosa auf den Verdauungsapparat: — Duplay, Ueber die Altersveränderungen der Secretions- und Excrelionsapparate seminis virilis. — Heilkunde. Or&, Zwei Lähmungen des Nervus facislis mit localisirter Elektrisirung behandelt. — Die Behand- lung des Grindes. -— Miscellen. Zwank’s Hysterophor. — Geens, Arsenik bei Astlına. — Becquerel, Eine Typhus-Epidemie unter den Hasen. — Bibliographie. Naturkunde. Ueber die Zoologie der alten Griechen und Römer. Von Dr. H. 0. Lenz (Schnepfenthal) *). Der Herausgeber der so verbreiteten „Schlangen- kunde“ und der „Gemeinnützigen Naturgeschichte* hat hier die Aufgabe gelöst, das über die Thiere vorzulegen, was in der alten klassischen Literatur darüber vorhanden ist, ein Handbuch, welches denen, die sich mit Natur- geschichte beschäftigen, vielfältig sehr nützlich und sehr bequem sein wird. Ueber die Bearbeitungsweise sagt derselbe: „Ich gebe die Stellen der Alten in deutscher Uebersetzung, bei der ich mich nicht an die Folge der einzelnen Wörter gebunden, wohl aber bemüht habe, den Sinn so treu als möglich wiederzugeben. Ich habe mir gedacht, dass mein Werk nicht bloss von Denen be- nutzt werden wird, die man vorzugsweis Gelehrte nennt, und habe auch, um bei niemand anzustossen, absichtlich Alles ganz weggelassen, was bei den jetzigen Begriffen von Sittlichkeit irgend Jemand ein Aergerniss geben könnte. Bei jedem Thiere habe ich die dasselbe erwähnenden Schriftsteller in chronologischer Reihen- folge aufgeführt, und bin von dieser nur in sehr weni- gen Fällen aus besonderem Grunde etwas abgewichen. — Interessante Thiere habe ich, wenn sich genügendes Ma- terial darbot, reichlich ausgestattet; diejenigen dagegen, welche in Deutschland nur Wenigen bekannt sind, wozu namentlich viele Seethiere gehören, habe ich gänzlich übergangen oder nur ganz kurz abgefertigt. *) Bs> Zoologie der alten Griechen und Römer, deutsch in Auszügen aus deren Schriften von Dr. Harald Othmar Lenz, Lehrer an d. Erziehungsanstalt zu Schnepfenthal. 8. 656 S. Gotha, Beckersche Buchhandl. , 1856. Ich habe die Thiere nach dem in meiner „Na- turgeschichte“ befolgten Systeme aufgeführt. und gedenke, dasselbe Verfahren auch bei der Botanik und Mineralogie einzuhalten.“ Hiernach führt er die excerpirten Schriftsteller mit einer kurzen Biographie ein; es sind: Herodot, Xeno- phon, Aristoteles, Cato, Nikander, Varro, Cicero, Gra- lius, Virgilius, Diodorus Siculus, Columella, Strabo, Pli- nius d. ältere und jüngere, Plutarch, Arrian, Pausanias, Appian, Aelian, Athenäus, Nemesianus, Palladius. Als Beispiele der Bearbeitung folgen hier 2 Artikel. „Das Einhorn. Aristoteles 2, 2, 9: Der indische Esel hat einfache Hufen, auf dem Kopfe ein einziges Horn; der Oryx hat einen in zwei Theile gespaltenen Huf, wie der Ochs und Hirsch, aber nur Ein Horn. Plinius 8, 21, 31: In Indien giebt es Ochsen mit einfachen Hufen und Einem Horn; auch ein gar erschrecklich gefährliches Thier, das Einhorn '), wel- ches einen Pferdeleib, Hirschkopf, Elephantenfüsse, einen Schweineschwanz, ein einziges, schwarzes, zwei Ellen langes Horn auf der Stirn hat, und gewaltig brüllt. Le- bendig kann es nicht gefangen werden. Aelian 3, 41: Indien soll einhörnige Pferde und einhörnige Esel ernähren. Aus diesen Hörnern werden Becher gemacht, aus denen man jedes Gift ohne Schaden trinken kann. Aelian 4, 52: Die indischen Esel sind, wie ich höre, nicht kleiner als Pferde, weiss, jedoch der Kopf purpurfarbig, die Augen dunkelblau. Auf der Stirn haben sie Ein Horn, das anderthalb Ellen lang ist; es es ist purpurfarben, nur an seinem unteren Ende weiss, 4) Monoceros, Plin. 67 die Mitte vollkommen schwarz. Aus diesen bunten Hör- nern trinken die vornehmen Indier, nachdem sie goldne Ringe darum gelegt. Sie glauben, wer daraus trinke, sei vor unheilbaren Krankheiten und vor Gift sicher. Die Knöchel des Einhorns sollen schwarz sein. Das Thier ist schneller als Pferde, Esel und Hirsche. Männchen und Weibchen bewachen die Jungen. Diese Esel woh- nen in den einsamsten Ebenen Indiens. Macht man zu Pferd Jagd auf die Jungen, so gehn die Alten den Rei- tern entgegen und stossen mit den Hörnern. Ihre Krafi ist so gross, dass der Stoss Alles durchbohrl. Deswe- gen nimmt man sich vor ihnen in Acht. Sie schlagen auch gefährlich mit den Hufen und beissen so tief, dass Alles zerreisst. Ausgewachsene kann man nicht fangen, aber man kann sie mit Wurfspiessen und Pfeilen erlegen. Das Fleisch ist sehr bitter und nicht geniessbar. Aelian 16, 20: Auf den Bergen des innern In- diens soll ein Thier leben, welches Einhorn *) heisst, von den Indern aber Kartazonon genannt wird. Es soll an Grösse einem erwachsenen Pferde gleichen, einen Haarschopf und gelbliches Haar haben und schr schnell sein, jedoch haben seine Füsse keine Gelenke, und sind denen der Elephanten ähnlich; der Schwanz ist wie beim Schwein. Das Thier hat mitten zwischen den Augen- braunen ein Horn, welches natürliche Windungen und eine schwarze Farbe hat, auch sehr spitzig sein soll. Die Stimme soll sehr widrig und durchdringend sein. Gegen andere Thiere ist es sanft, gegen seines Gleichen aber nicht. Daher kämpfen die Männchen gegen einan- der, und selbst gegen die Weibchen, auf Tod und Leben. Das ganze Thier ist stark, das Horn jedoch unbesiegbar. Es liebt einsame Weideplätze, schweift einsam umher. Jung gefangene werden zum König .der Prasier gebracht, und dieser lässt sie bei Spielen, die dem Volke gegeben werden, gegen einander kämpfen. WUebrigens erwähnt niemand, dass jemals ein erwachsenes Einhorn gefangen worden. Alle Angaben der alten Griechen und Römer über das Einhorn stammen wohl nur aus Einer Quelle, nämlich aus dem Buche, welches Ktesias über Indien unter dem Titel ’Ivdız«@ schrieb. Ktestas, aus Knidos in Karien gebürtig, war an 17 Jahre lang und bis ge- gen das Jahr 399 vor Christo Arzt am persischen Hofe, und gibt seine Berichte über Indien nach mündlichen und schriftlichen Nachrichten, nicht nach eigner Anschauung. Von seinen Schriften sind nur dürftige Auszüge und kleine Bruchstücke auf unsre Zeit gekommen. Was man in späterer Zeit über das Einhorn er- fahren, hat Carl Ritter in seiner Erdkunde, Berlin, Reimer 1834, Theil 4, S. 98 ff. zusammengestelit: „Die Ebne“, so sagt er, ,„‚wo die Stadt der Bhotiya’s Tingri liegt und von wo aus eine Pferdepost nach H’Lassa und China führt, hat seit einigen Jahren zur Entdeckung ei- ner Antilopenart geführt, die man für das Einhorn der *) Movöxepos, Aelian., und xapragovor. 63 Alten zu halten geneigt war. Dieses Thier ist bei den Historikern der Tibeter als Seru, der Mongolen als Kere, der Chinesen als Kio-tuan bekannt genug. Ein solches Einhorn, Seru, begegnete dem Weltstürmer Tschingiskhan, als er, auf seinem Eroberungszuge nach Hindostan begriffen, den Berg Djada-naring hinaufstiegz er hielt das falbe, seltsame Thier für eine Warnung, nicht weiter zu ziehn, und kehrte von seinem beabsichtig- ten Kriegszuge zurück. — Im östlichen Tibet, gegen China, in der Provinz Kham, trägt ein Gebirgsgau vom Einhorn den Namen Serudziong und im Osten zwischen L’Hassa und L’Hari nennt die Beschreibung von Tibet eine Gegend am Chan-wan, wo dasselbe vorkommen soll (8. Description du Tibet p. P. Hyacinth, ed. Klaproth, p- 230). Auch Sam. Turner (s. dessen Gesandt- schaftsreise nach Tibet) erfuhr bei seinem Besuche in Tassisudon vom Radja, dass er eine Art Pferd mit Einem Horn besitze, welches in einiger Entfernung auf seinem Landsitze sei, wo ihm das Volk göttliche Verehrung er- zeige; woher es aber komme, konnte er nicht sagen. — In tibetanischen Manuscripten hatte Major Latter (s. Quart. Rev. Dec. 1820), als Kommandirender im Terri- torium des Radja von Sikim, im Verzeichnisse des dor- tigen Gebirgswilds auch den Namen des Einhorns gefun- den und die Bestätigung gehört, dass ein solches sehr wildes, ungebändigtes Thier, hoch gleich dem Pferde, aber mit gespaltenem Hufe, in Heerden einen Monat- fern von L’Hassa lebe und häufig geschossen und verspeist werde. Es wurde ihm von Solchen, die es gut kannten, abgezeichnet. — Die armen Bhotiya’s, welche der Han- del und die Devotion jährlich aus Nepal nach Tibet führt, sagen (s. Hodgson in Asiat. Journ. vol. 19, p. 48), „auf den Ebenen Tibets, jenseit des Himalaya, zumal in einem waldigen Landstriche, Chaug-dung genannt, der mehrere Tagereisen im NW. vonDigurche (d. i. Teshu Zumbu) liegt, lebe das Einhorn. Es werde Chiro und Tschiru (d. i. Seru) genannt, sei aber zu gross und kühn, um es mit einfachen Waffen zu erlegen oder zu fangen. Die Hörner der umgekommenen Thiere würden den Göttern geweiht.“ Ein solches gewundenes Horn, das im Tempel von Sambhunath bei Kathmandu aufgehängt war, wusste sich der Resident Hodeson zu verschaffen und überschickte es der Kalkutta-Societät, — Ein anderes aus dem Walde in NW. von Teshu Lumbu durch einen Bhotiya nach Nepal mitgebrachtes Born die- ser Art, nebst einer Bhotiya-Zeichnung des Thieres, schickte Robinson (s. Asiatic. Journ. 1824, vol. 18, p. 395) aus Nepal an Dr. Wallich, der es für eine Antilopenart erkannte. — Späler wurde ein lebendes Thier dieser Art in die Menagerie des Gorkha Radja nach Nepal gebracht, wo es aber starb, weil es die hohe Temperatur von 214 Grad R. nicht ertragen konnte. Der Lama von Teshu Lumbu hatte es dahin geschenkt. Hodg- son schickte den Balg des Thieres an die Kalkutta-So- cielät, wo es von Dr. Abel nach seinem Entdecker im Systeme den Namen Antilope Hodgsonii erhielt. Jetzt erst erfuhr man durch den Teshu-Lumbu-Lama, dass der Lieblingsaufenthalt dieser Thiere die schöne Ebene von Tingrimeidan (s. Asiatic. Journ. 1826, vol. 22, p. 194) am Aruo sei, unmittelbar jenseit der schneeigen Kuli-Passage über den Himalaya. Grosse Tschiru- Heerden ziehn sich wegen der grossen Salzlager dahin, welche auf jener Hochebene verbreitet liegen. Das gra- ziöse Thier hat ganz die Natur der Antilopen, mit lan- gem, scharfem, schwarzem, geringeltem Horne mit drei- fach welliger Biegung; aber sie sind ungemein wild und flächtig. Wie bei allen Thieren jener kalten Hochebenen ist sein zwei Zoll lauges, röhrichtes Haar an der Wurzel mit weichen Daunen verschen.* Ob das bewusste Thier regelmässig nur Ein in der Mitte stehendes Horn habe oder ob es oft nur Eins habe, weil das zweite verkümmert oder abbricht, darüber ist mir nich!s Bestimmtes bekannt. Jedenfalls nimmt Abel im Edinb. Journ. of Se. 1827, p. 125 an, das Thier sei eine Antilope und habe zwei Hörner; eben so Hamil- ton Smith in Griffith Animal Kingdom V, 819, 12, und IV, p. 197, woselbst auch eine Abbildung. Jetzt nennt man das Thier auch Antilope Monoceros. Der Salamander. Aristet. 5, 17,413: Der Salamander") löscht, wie man sagt, das Feuer aus, wenn er hindurch geht. -— Plinius 10, 67, 86: Der Ursprung der meisten Thiere hängt vom blinden Zufall ab*). So erscheint z.B. der Salamander?) einzig und allein nach star- ken Platzregen *) und ist bei trockener Witterung nir- gends zu schen. Er hat die Gestalt einer Eidechse, sternförmige Flecke®). Er ist so kalt, dass er so gut “wie Eis das Feuer löscht, sobald er damit in Berührung kommt). Der milchweisse Saft, welchen er aus dem Rachen speit, beizt sogleich alle Haare weg, wo er den Körper berührt, und gibt der Haut ein Ansehen, als ob sie Flechten hätte’). 1) Zaiaudvdge, Aristot. 2) Dieser falsche Schluss ist ohne Zweifel nur auf das oft sehr unerwartete Erscheinen zahlioser Heuschrecken, Fröschchen, Mäuse, Salamander u. s. w. gegründet. 3) Salamandra, Plin.; Salamandra maculata, Laurenti, deutsch Feuersalamander, Feuermolch. 4) Er kommt nach warmen Regen auch bei Tage aus sei- nen Schlupfwinkeln hervor, bei trockner Witterung nur Nachts und auch dann nicht viel. 5) Unregelmässige hochgelbe Flecke. 6) Ein schwaches Feuerchen löscht er durch seine Kälte und durch den Saft, welchen er in Gefahr schwitzt, aus. 7) Der Feuersalamander hat an der Seite Reihen von Warzen, aus denen er in Gefahr eine weisse Flüssigkeit ‚sehwitzt, die nach Versuchen, welche Gratiolet und Cioez estellt haben, kleinen Vögeln, denen sie unter den Flü- Fi oder am Schenkel eingeimpft wird, in kurzer Zeit den bringt, kleine Säugethiere jedoch nur uuf karze Zeit nk macht, — Dem Menschen Ihul das Gift des Salaman- selbst in dem Falle keinen Schaden. wo» vs auf die Zenge oder in die Nase gestrichen wird. 70 Plinius 11, 53, 116: Manche an sich unschüd- liche Thiere werden giflig, wenn sie giflige Thiere ge- fressen haben. So muss Jeder sterben, der in den Ge- birgen Pamphyliens und Ciliciens von einem Schweine speist, welches einen Salamander gefressen hat. Die- ses Gift verräth sich nicht einmal durch den Geschmack oder Geruch, und selbst das Wasser oder der Wein, wo- rin ein Salamander gestorben ist oder wovon er auch nur getrunken hat, ist tödtlich '). Die Wespen fressen begierig an todten Schlangen und ihr Stich wird dadurch tödtlich ?). So gross ist der Unterschied zwischen den Nahrungsmitteln. Plinius 29, 4, 23: Das grässlichste von allen Thieren ist der Salamander. Die andern beissen doch wenigstens nur Einzelne und tödten nicht viele auf einmal, wobei ich noch den Umstand übergehe, dass sie, wenn sie einen Menschen umgebracht haben, so heftig vom bösen Gewissen gefoltert werden, dass sie selbst sterben; der Salamander aber kann ganze Völker morden, ohne dass man merkt, woher das Unheil kommt. Kriecht er an einen Baum, so werden alle Früchte daran ver- giftet und wer davon isst, der stirbt unter Frostschaner, als hätte er Schierling genossen. Berührt der Salaman- der auch nur mit dem Fusse ein Blech, auf welchem Brod gebacken wird, so ist das Brod Gift; fällt er in einen Brunnen, so ist das Wasser Gift. Berührt sein Geifer irgend einen Theil des Körpers und wär's auch nur Jdie Zehenspitze, so fallen alle Haare am ganzen Körper aus. Nichts desto weniger wird dieses greuliche Ungeheuer von manchen Thieren, z. B. den Schwei- nen, gefressen, denn jedes Geschöpf hat seine Feinde. Die Magier behaupten, er könne Fenersbrünste löschen ; es ist aber nicht wahr, denn sonst müsste man's in Rom auch bemerkt haben, Aeclian 2, 31: Der Salamander wird zwar nicht im Feuer erzeugt wie die sogenannten Pyrigonen (2), aber er fürchtet es nicht, geht ihm entgegen und sucht es niederzukämpfen. Dafür hat man folgenden Be- weis: Er treibt sieh bei den Feuerarbeitern herum. Diese bekümmern sich" um ihn, so lange ihr Feuer hell brennt und sehen ihn wohl gar auch als einen Gehülfen an. Stirbt aber das Feuer ab und blasen die Blasebälge ver- geblich, da kommen sie dahinter, dass der Salamander an dem Unheil schuld ist. Sie suchen ihn also und be- sirafen ihn. Ist Das geschehen, so fammt das Feuer wieder hell auf ?).* 1) Vor dem bewussten Schweinefleisch traucht sich nie- mand zu fürchten. — Das Wasser, worin ein Feuersalamat- der aufbewahrt worden , scheint dem Meuschen, wenn & ge- trunken wird, nach den von Gratiolet und Clocz ange- stellten Versuchen, allerdings schädlich. 2) Sie fressen überhaupt Fleisch todter Tkiere. 3) S. die Anmerkungen zu Plinius. 5* 71 Ueber den Einfluss der künstlichen Hitze auf die Atmosphäre von London. Von Dr. Chowne (London). Die bekannten Einwirkungen der Wolken durch Rück- strahlung der von der Erde aufstrahlenden Hitze veran- lasste mich, darüber einige Experimente anzustellen. Ich that diess in der Zeit, wo die Agentien zur Hervor- bringung künstlicher Hitze am allgemeinsten in 'Thätig- keit sind, nämlich in den Wintermonaten. Man kann sich leicht vorstellen, dass der ungeheure Betrag von Wärme, die in London oder in grossen Ma- nufakturstädten durch Oefen, Hausfeuer, Gaslicht u. s. w. erzeugt wird, eine beträchtliche Wirkung auf die Tem- peratur der Atmosphäre dieser Oertlichkeiten ausüben müsse. Im Jahr 1850 wollte ich die Temperatur der At- mosphäre von London in klaren Nächten im Vergleich zu mässig bewölkten Nächten und zu dicht bewölkten Nächten, wo die Strahlung fast ganz gehemmt ist, er- 72 forschen und setzte einen Cylinder von Zinkblech, 3 Zoll im Durchmesser und 12 Zoll lang, vertikal in die Erde und brachte einen Thermometer hinein. Die obere Oefl- nung der Röhre war mit der Erdoberfläche in gleicher Höhe und wurde mit einem aufgelegten Stück Zinkblech bedeckt. Das untere Ende war durch eine eingelöthete Zinkblechscheibe geschlossen. Gleichzeitig wurde ein an- derer Thermometer ziemlich genau über dem Cylinder, etwa 10 Zoll über dem Boden, in freier Luft aufgehängt. Der Zustand der Luft wurde während der Experimente notirt. Durch die folgende Tabelle ergiebt sich, dass nicht allein dieselben allgemeinen Temperaturschwankun- gen, die Wilson, Six, Dr. Wells, Melloni u. A. innerhalb gewisser Gränzen beobachtet haben, vorkamen, sondern dass in dichtbewölkten Nächten die Quantität der von den Wolken zurückgestrahlten Hitze im Stande war, das freie Thermometer auf einen höheren Punkt zu trei- ben, als derjenige, welcher sich an dem Thermometer in dem Cylinder im Boden zeigte, der unmittelbar an der Erd- wärme Theil nahm. Vergleichung der Temperaturen in der Nacht an 'Thermometern, die vor der Luft geschützt waren und an anderen, die exponirt waren. Zeit der Beob- achtungen. 1850 Barometer. Noy. 17. 7—12 30,0 leichte Wolken 028, 24: 10—12 29,5 keine Wolken nn 26. 9—11 29,4 leichte Wolken 627 28:29: 9—12 30,2 hell und klar Dechr. 1. 2. 8—12 30,2 wolkig n 4. 10 — | 301 sehr bewölkt "u z ganz bewölkt h 6. 9 — 12 30,4 sehr bewölkt 3 10. 8— 301 dicht bewölkt 91— 2 ganz bewölkt > 11 E 30,0 % zn * 12. 8L— 29,8 % 4 9, — 29,7 dicht bewölkt 12 — 29,8 * A Die mittlere Temperatur der Luft im Garten war 44° Fahrenh. bei diesen Beobachtungen. So hat sich genügend ergeben, dass an mässig be- wölkten Nächten (verglichen mit den 3 ganz hellen Näch- ten, 27.—29. Nov.) die Thermometer reflectirte Wärme anzeigten in einem Grade, der sich von dem, was man in freiem Felde beobachtet haben würde, nicht wesentlich unterschied; dass aber an dichtbewölkten Nächten ein Wärmegrad dadurch angezeigt wurde, der merklich über dem stand, den die Thermometer von der Erdoberfläche erhalten haben konnten. Andere Thermometer waren zu gleicher Zeit paar- Höchste Temperaluren Zahl der Be- obachtungen. im Schutz mitt- |frei gestellt mitt- lerer Ueber- lerer Ueber- schuss. schuss. wenig | viele wenig zahlreich keine keine keine | keine keine | DD Dy DD _ S.-X man keine keine keine keine keine oo... en weise aufgehängt. Der eine von jedem Paar hing an ei- ner mehr oder minder vor der Luft geschützten Stelle, der andere etwa 2 Fuss davon in gleicher Höhe über dem Boden, aber der Luft vollkommen exponirt. Das Resultat war, dass an dichtbewölkten Nächten die Tem- peratur des freien Thermometers höher stand, als die des geschützten Thermometers. Diess geschah in Nächten, in denen die freien Thermometer nahe über dem Boden einen höheren Grad erreichten, als die in den in den Boden eingelassenen Cylindern befindlichen Thermometer. Also, obwohl unter gewöhnlichen Umständen die Luft unter einer schützenden Decke in der Nacht wärmer ist, als die freie Luft, so ist in sehr bewölkten Nächten das Verhältniss der Temperaturen umgekehrt, ganz so, wie die Thermometer an sonnigen Tagen, wo die freien Thermometer eine höhere Temperatur zeigen, als die vor den Sonnenstrahlen geschützten Thermometer. Dr. Wells berücksichtigte, als er den Ort seiner Experimente über den Thau vom freien Felde nach Lin- coln’s Inn Fields verlegte, dass die umgebenden Häuser einen Einfluss auf seine Thermometer ausübten. Er sagt: „In Lagen, wo grosse Massen freistehender fester Kör- per sich befinden, ..... wird mehr Wärme durch den freistehenden Körper aufgenommen werden, als von ihm selbst ausgestrahlt wird; so z. B. schien es mir gewiss, dass die Häuser, welche Lincoln’s Inn Fields unmittelbar umgeben, einen Einfluss auf meine Thermometer während meiner Nachtbeobachtungen üben mussten, noch über das, was daher rührte, dass sie einfach eine Quantität Wärme zurückgaben, gleich der, welche sie von der Oberfläche des Gartens erhalten hatten.“ Dr. Wells berücksichtigte hiernach nicht den Ein- fluss, den künstliche Hitze bei Verbrennungsprocessen von der Erde nach den Wolken und von da wieder zu- rückgestrahlt haben möchte. (Athenaeum 1512.) Miscellen. Einwirkung der Spirituosa auf den Verdau- 74 ungsapparat. Cl.Bernard hat Alkohol durch die Schlundsonde in den Magen eines Hundes gebracht, der gleich darauf gelödtet wurde. Es fand sich der Magen voll einer Flüssigkeit, die grösstentheils Magensaft war Während bei einem Hunde, der nach längerem Fasten ohne Alkohelin- jection getödtet war, die Leber sehr wenig von der in Zucker sich umwandelnden unlöslichen Substanz enthielt, fand sich in der Leber eines nach Alkoholinjeetion gelödtelen Hundes sehr viel davon. — Eben so, nur stärker, zeigte sich der Einfuss des durch die Schlundsonde eingebrachten Aecthers (wonach keine Symptome der Aectherisation eintraten). — Nach der Aetherinjection fanden sich nach langem Fasten bei einem Hunde die Chylusgefässe mit weisser milchiger Flüssig- keit gefüllt. (Gaz. med. 1856, 19.) Ueber die Altersveränderungen der Secretions und Excretionsapparate seminis virilis hat Hr. Duplay (Bicötre) genaue anatomische Studien an sehr vie- len Greisenkörpern gemacht. Das Resultat seiner Arbeiten ist: dass bei den Greisen die Reproduclionsorgane keine von den Veränderungen darbieten, welche, wie z. B. die Verdicht- ung des Lungengewebes, wesentlich mit der lang fortgesetzten Thätigkeit der Organe zusammenhängen und auf eine so ratio- nelle Weise ihre Krankheiten und die allmälich eintretende Veränderung ihrer Functionen erklären. Bei Greisen häufiger als im früheren Mannesalter finden sich alle diese Veränder- ungen nichtsdestoweniger auch vor dem Eintritt des Greisen- alters und die Unfruchtbarkeit, welche beim Greise eintritt in Folge einer anatomischen Veränderung in der Struktur der beireffenden Organe, kann ebensowohl durch dieselbe Ursache auch schon in der Blüthe der Jahre eintreten. (Archives ge- nerales de Med. Septbr., Octbr. 1856.) Heilkunde. Zwei Lähmungen des Nervus facialis mit lo- ealisirter Eleetrisirung behandelt. Von Prof. Dr. Or& (Bordeaux). I. Fall. Rheumatische Lähmung des Fa- cialis; mässige Schwächung der electrischen Muskelcontractilität; rasche Heilung durch lokalisirte Electrisirung. Im April 1855 konsultirte mich Hr. de L., 39 J. alt, wegen einer Lähmung des linken Facialis, von der er plötzlich befallen worden war in Folge eines anhal- tenden Luftzugs. — Das Gesicht war stark nach rechts ‚verzogen, beide Augenlider der linken Seite standen weit von einander und Patient war nicht im Stande, das linke Auge zu schliessen. Durch das beständige Unbedeckt- sein war die Bindehaut des linken Auges roth und stark injieirt; die Thränen Nossen über; der Mundwinkel war abwärts und nach der Mitte gezogen, dagegen auf der rechten Seite nach aussen und oben verzerrt. Das linke * _Nasenloch war zusammengefallen; das Kauen auf der lin- ken Seite war beschwerlich, indem sich die Speise zwi- ‚schen Wange und Zahnfleisch legten und nicht zwischen die Zähne zurückgebracht werden konnten. Pfeifen und Blasen gieng nicht; das Zäpfchen aber war nicht nach der Seite gezogen. Um gleich vom Anfang diese Faciallähmung mög- lichst rasch zu bekämpfen (Pat. kam in den ersten 24 Stunden), wendete ich die von Duchenne (Boulogne) empfohlene Behandlung an, nämlich die localisirte Elek- trisirung mit seinem Faradisirungsapparat (appareil volta- faradique). Zunächst erforschte ich die elektrische Mus- kelcontractilität und fand, dass mehrere Muskeln (z. B. der Zygomaticus und Orbicularis) sich ziemlich gut auf die Einwirkung der Ströme I. Ordnung zusammenzogen. Unmittelbar darauf wendete ich Ströme II. Ordnung an, leitete sie auf den Nervenstamm, indem ich den einen Leiter hinter das Ohr unter den Zitzenfortsatz, den an- dern auf einen Punkt der Verästelung dieses Nervens setzte. Der Durchgang des Stromes durch den Nerven- stlamm veranlasste ziemlich lebhafte Contractionen aller Muskeln der linken Gesichtsseite. Tags darauf elektrisirte ich zum zweiten Male, aber nur mit Strömen I]. Ordnung; dabei zogen sich die Mus- keln besser zusammen als Tags zuvor, beide Augenlider konnten geschlossen werden und der Mundwinkel hob sich. Nach dieser Application konnte Patient bereits mit Leichtigkeit und nach Willkür die erwähnten Muskelbe- wegungen ausführen. Tags darauf war diess nach dem Elektrisiren noch mehr der Fall und nach 5 Sitzungen war Patient ganz und bleibend von seinem Leiden befreit. I. Fall. Lähmung des Facialis; voll- ständiger Verlust der elektrischen Muskel- ceontractilität,unvollständige Heilung, aber beträchtliche Verbesserung durch die An- wendung der localisirten Elektrisation. Mme.X. führte mir im Juni 1855 ein kleines Mäd- chen von 10 Jahren zu, welches seit 15 Monaten an ei- ner Lähmung des linken Nervus facialis litt, wofür sich nicht die mindeste Veranlassung nachweisen liess. Ich fand bei der kleinen Patientin folgende Einzelnheiten: Die linke Gesichtsseite war angeschwollen, ausdruckslos und leicht ödematös. Die normalen Ränder der Orbita, des Wangenbeins und des Unterkiefers waren verwischt, der Augapfel war aus der Orbita vorgetrieben. Wenn Pat. sprach, pfif? oder lachte, so wirkten nur die Muskeln der rechten Gesichtsseite und die linke Seite blieb vollstän- dig unbeweglich, was dem Gesicht einen höchst sonder- baren Ausdruck gab. Ohne allen Erfolg waren sehr verschiedene Behand- lungsweisen versucht worden. Ich bediente mich hier wieder des schon erwähnten Apparates von Duchenne. Ich wendete Ströme I. Ordnung an mit sehr raschen In- termissionen. Trotz der Stärke der Ströme und trotz der Schnelligkeit der auf einander folgenden ‚Schläge, war es unmöglich, die leiseste Contraction in den Muskeln der linken Gesichtsseite hervorzurufen. — Tags darauf elektrisirte ich abermals, ohne mehr Wirkung zu erzie- len. So gieng es 10 Tage fort und erst dann war ein kleiner Anfang von Contraclion in den Mm. zygomatici und eine leichte Erhebung des linken Lippenrandes zu bemerken. Nach sechs weiteren Sitzungen zog sich der Orbicularis palpebrarum schwach zusammen und bald wa- ren seine Bewegungen beträchtlicher. Doch ist sie nie vollständig hergestellt worden. Nach 50maliger Elektri- sirung setzte ich dieses Mittel aus; es hatte sich bis dahin ergeben, dass die absolute Unbeweglichkeit der linken Gesichtsseite grösstentheils verschwunden war; dass die Muskeln sich in der That leicht contrahirten und an der Bewegung der Muskeln der andern Seite Theil nahmen; Patientin lachte fast eben so gut auf der lin- ken als auf der rechten Seite; die Röthung der Con- junetiva war verschwunden. Die Heilımg war nicht voll- ständig, aber das Resultat war doch besser als nach den anderen Behandlungen. Bemerkungen. Ich habe diese beiden Fälle mit- getheilt, weil sie mir Gelegenheit gaben, ganz kurz die Ansichten des Hrn. Duchenne über die Behandlung der Faciallähmung durch localisirte Eleetrisation anzuführen. Man weiss, dass die rheumatischen Lähmungen des 7. Nervenpaares bisweilen sehr rasch unter dem Einflusse einer einfachen und methodischen Behandlung verschwin- 76 den; dass aber sehr häufig dieselben jeder Behandlung widerstehen und eine Entstellung bedingen, welche Jahre lang andauern kann. Die Prognose hat daher bei jedem Falle grosse Schwierigkeit. Mittels der Beobachtungen des Hrn. Duchenne über die elektrische Muskeleon- tractilität kann man die verschiedenen Grade der Lähm- ung und die Prognose mit ziemlicher Gewissheit fest- stellen. Hr. Duchenne erkennt 2 Grade von rheumati- scher Lähmung des 7. Paäres; der 1. wird charakterisirt durch eineschwache Verminderung der elek- trischen Muskelcontraetilität und der 2. durch gänzliche oder beträchtliche Aufhebung die- ser Eigenschaft. — Jedesmal, wenn die elektrische Contractilität wenig geschwächt ist, lässt sich eine kurze Dauer der Krankheit prognostieiren, welche bald der Anwendung der localisirten Elektrisirtung weicht. Der I. Fall unterstützt diese Angabe, in welcher die Behand- lung in den ersten 24 Stunden bei wenig verminderter elektrischer Contractilität begonnen wurde und nach 8 Sitzungen einen vollständigen Erfolg hatte. Wenn die rheumatische Lähmung sich mit dem Cha- rakter des II. Grades, d. h. mit Aufhebung der elektri- schen Contractilität zeigt, so sind alle Mittel fast erfolg- los. In diesem Falle ist die localisirte Faradisation sel- ten von vollständigem Erfolg, aber sie vermag den Mus- keln einen Theil ihrer Thätigkeit wiederzugeben und das Auffallende der Entstellung zu beseitigen, welche Lähm- ungen des 7. Nervenpaares begleitet. Die Beobachtun- gen von Duchenne, sowie mein Il. Fall, beweisen diess vollständig. Aus Vorstehendem kann man folgende Schlüsse ziehen : 1. Die localisirte Elektrisirung kann bei Faciallähm- ungen des I. Grades in der Mehrzahl der Fälle vollstän- dige Heilung bringen. 2. Bei Lähmung des 1. Grades bewirkt sie aus- nahmsweise die Radicalheilung; und wo diess nicht der Fall ist, da wird sie wenigstens mehr als andere Mittel im Stande sein, günstige Aenderungen herbeizuführen. (Journal de Medecine de Bordeaux. Avril 1856.) Zusatz. Der 2. Falf trägt alle Elemente in sich, um nach- zuweisen, dass in diesem Falle die von mir mit dem Namen „rheumatische Schwiele‘ bezeichnete Ex- sudalion in dem den Nerven umgebenden Unterhautbinde- gewebe vorhanden war. Diese durch das Gefühl se leicht zu constalirende Exsudation, welche alle rheumatischen Affectionen, es mögen sich dieselben in dem Gebiet der Empfindungs- oder der Bewegungsnerven geltend machen, habe ich in meiner Schrift „Die rheumatische Schwiele. Ein Beitrag zur Pathologie und Therapie des Rheumatismus v. Rob. Froriep. Mit 10 Holzsche. Weimar, 1843“ ausführlich nachgewiesen. Solche Schwielen werden, wie ich a. a. 0. gezeigt habe, durch das Rlektrisiren zur Re- ” sorption gebracht, es ergiebt sich daraus aber auch, dass es unrichtig ist, sich lediglich auf das Blektrisiren, oder wie es jelzt Duchenne benannt hat, auf die lokali- sirte Elektrisirung zu beschränken; die Therapie giebt noch eine Reihe von Mitteln an die Hand, durch welche erfahrungsmässig die Resorption der in dem Bindege- webe ausgeschwitzten serös- plastischen Stoffe ebenfalls rogt, bewirkt oder unterstützt wird; bei den hart- näckigeren Fällen, namentlich also bei den rheumatischen Lähmungen von längerem Bestande und mit beträcht- licherer und festerer rheumatischer Schwiele wird man ne- ben oder auch abwechselnd mit der Elektrisirung alle jene Mittel anwenden müssen, bevor man berechtigt ist, zu behaupten, der Kranke könne nicht vollständig ge- heilt werden; wie es ja überhaupt in der praktischen Mediein einer der hemmendsten Schritte ist, wenn man mit dem Ausspruch der Unheilbarkeit so rasch bei der Hand ist. Man muss immer nicht sowohl nach der bis dahin erprobten Leistungsfähigkeit eines bestimmten Mit- tels, als vielmehr nach der Krankheit fragen, diese wird im- mer neben einem speciellen Mittel noch Indicalionen zu weiteren therapeutischen Bestrebungen geben. R. Froriep. Die Behandlung des Grindes. Darüber giebt nach den Erfahrungen des Inselspita- les zu Bern die schweizerische Monalsschrift f. prakt. Medie. Juli 1856 nach statistischen Erörterungen über 161 Fälle folgendes Resume: „Auf diese Zuhlenangaben glauben wir folgende Schlüsse mit ziemlicher Sicherheit basiren zu dürfen: ı 1) Der Grind ist hier zu Lande mit höchst seltenen Ausnahmen heilbar, unter 161 Fällen. halten wir 145 Heilungen, 2 Besserungen, 1 ungebessert, 3 Todesfälle und 9 in Behandlung Verbleibende und 20 Recidive. Ein ausgezeichnet günstiges Verhältniss, wenn man es mit andern vergleicht (s. Mahon). 2) Derselbe ist aber eine der schwerer heilbaren Krankheiten, indem circa 4 der Fälle bis zur Heilung 1 bis 50 Tage, — 4 50 bis 100 Tage, — + 100 bis 150 Tage, — 4 150 bis 200 Tage, 7; 200 bis 250 an und ',; über 250 Tage erforderten. Auch diese rhältnisse sind schr günstig, da die frühere durch- schniltliche Behandlungszeit in Paris 4674 Tage war und bei der Behandlungsweise der Fröres Mahon eben- falls viel höher steht. — Obwohl die Zahl der Pilegtage nicht angegeben ist, so kann man sie annähernd berech- nen, indem von 4747 in 7 Jahren Behandelten nur 3170 ‚geheilt wurden, 1477 (also circa 4) in Behandlung ver- eben. Man müsste demnach annehmen, dass die milt- lere Dauer gegen 1} Jahre beträgt, weil in 7 Jahren durchschnittlich jährlich 678 Kranke in Behandlung ka- men, mithin mehr als die doppelte Zahl in Behandlung 78 blieb. „La durde da traitement — sagt Devergie von derselben — auquel sont joint les soins de proprete I# plus minutiense, varie entre 6 a 18 mois. Le plus sou- vent elle depasse le premier terme et parfois aussi le second.‘ Bazin, dessen Behandlungsweise in der Anwend- ung von Sublimatwaschungen und einer Pomade aus es- sigsaurem Kupfer besteht, nach vorgängiger Epilalion, wobei jedes kranke Haar einzeln mit einer Pincelte aus- gezogen wird (eine Operation, welche, beiläufig gesagt. über 6 Stunden erfordert), Bazin giebt die mittlere Behandlungsdauer von 60 im Hospital St. Louis behan- delten Favuskranken auf 5 Monate (150 Tage) an; wo- bei aber zu bemerken ist, dass eine ziemliche Anzahl von Mentagra dazu gerechnet wird und die Rechnung fälscht. 3) Die Fälle von Tinea asbestina und von Ring- worm sind verhältnissmässig in kürzerer Zeit heilbar als die Tinea sparsa. 4) Die Heilung des Grindes ohne Complication hat nicht die von Vielen befürchteten nachtheiligen Folgen für den allgemeinen Gesundheitszustand. Nur ein einziger Fall endete tödtlich, nachdem der Grind geheilt war und es fragt sich noch, ob die tödtliche Krankheit irgendwie mit der Heilung des Grindes zusammengehangen. Die Sektion zeigte Lungentuberkeln und Hydrocephalus acu- tus. In keinem einzigen andern Falle hatten wir den geringsten Grund, anzunehmen, dass die Heilung des Grindes Nachtheile gehabt habe. Anders scheint es sich bei Complikation mit Eezem zu verhalten, von welchen wir 11 Fälle aufgezeichnet haben, 2 davon tödtlich endend. Sehr wahrscheinlich rührt von solchen Fällen her die Scheu vor der Heilung des Grindes, wobei eine Verwechselung des Eezems mit einfachem Grind statlgefunden haben muss, wie man denn überhaupt bei Eczem hie und da innere Leiden naclı der Heilung entstehen sieht. Jedoch ist man auch da nicht immer des Zusammenhangs sicher, wie gerade in unsern 2 Fällen, wo bei einem die tödtliche Krankheit Bronchopneumonie, bei dem andern Tussis convulsiva. Pneumonie und Meningitis waren, Uebel, die bei Kindern überhaupt häufig und gerade zu jener Zeit auch sonst öf- ters zu sehen waren. 6) Ziemlich häufig sind die Recidive. In 5 Jahren 20 Fälle. Sie sind jedoch oft nicht eigentlich Reeidive. sondern neuer Ansteckung und der grenzenlosen Vernach- lässigung der armen Kinder zuzuschreiben , seltener wohl der Wiederentwickelung der bloss scheinbar geheilten Krankheit. Die Eltern dieser Kinder sind meist zu sorg- los, um durch Reinigung der Kleider eine neue Ansteck- ung zu verhindern und häufig ist es auch der Fall, dass. während ein Kind oder mehrere im Spital verpflegt und geheilt werden, noch kranke Geschwister zu Hause blei- ben, durch welche dann die geheilt heimkehrenden wie der angesteckt werden, 7) Die Complikationen mit andern Krankheiten sind ziemlich selten und sind ohne erheblichen Einfluss auf die Krankheit der Kopfhaut und erschweren die Heilung nicht. Bei 11 Fällen vorgekommene Nebenkrankheiten waren: Ikterus (1); Caries (1); Gangraena digitor., pe- dis a congelatione (1); Scabies (2); scerophulöse Oph- thalmie (4); serophulöse Hals- und Brustgeschwüre (1); Zellhautabscesse (1); Rhachitis (1); Meningitis (1); Bronchopneumonie (2); Pertussis und Pneumonie (1); Tuberculosis pulmonum et Hydrocephalus acut. (1). 8) Die häufigste Form ist die Tinea sparsa (86), dann die asbestina (33) und nachher der Ringworm (20). Miscellien. Zwanks Hysterophor. In der schweizerischen Mo- natsschr. £. prakt. Med. (Juli 1856) sagt Dr. Sevin (Zofin- gen): „Nachdem ich bei den vielen mir zur Behandlung vor- gekommenen Gebärmuttersenkungen und Vorfällen die Un- zweckmässigkeil, ja oft Schädlichkeit der gewöhnlichen Mutter- kränze erfahren, war ich froh, in Kilian’s Elythromochlion ein zweckmässigeres Instrument gefunden zu haben, womit es mir gelang, olıne Belästigung der Patientinnen mehrere be- deutende Muttervorfälle zurückzuhalten und am Ende zu hei- len. Die Schwierigkeit, dieses Instrument zeitweise heraus- zunehmen und es, sowie die Vagina zu reinigen, bestimmten mich zu Versuchen mit Zwank’s Hysterophor. Ich fand dieses letztere Instrument so praktisch, dass ich von allen übrigen Pessarien, selbst vom Elythromochlion zu abstrahiren für gut fand. In bereits 6, sehr weit gediehenen Fällen von Prolapsus uteri, wo schon mehrere andere Pessarien ohne Erfolg, ja selbst mit Nachtheil mehrere Jahre lang angewandt worden, half Zwank’s Hysterophor tulo, cito et jucunde; und ich kann daher nur das Zeugniss von Prof. Dr. Chiari in Wien über dieses praktische Instrument aus vollster Ueber- zeugung bestätigen, welches also lautet: 1) ist es einfach, dauerhaft und billig; 2) leicht und durch die Kranke selbst zu applieiren; 3) hält es sehr fest; 4) macht keine Schmer- zen noch Hindernisse beim Gehen und Sitzen. Dieser Vor- iheile kann sich kein anderes Pessarium rühmen.“ Arsenik bei Asthma. Darüber giebt Dr. Geens (Presse med. belge, 1856, 4. 5.) folgende Resultate seiner 80 Beobachtung: 4. Im Asthma essentiale haite der Arsenik un- erwartet günstigen Erfolg; die eingetretene Heilung hatte nach mehreren Jahren noch Bestand. 2. In Asthma mit Lungenkatarrh, modifieirte es erst, wie kein anderes Mittel, den Auswurf und verminderte dann Zahl und Intensität der Anfälle. 3. Im Asthma mit Emphysem bewirkle er ein auf- fallendes Freierwerden der Athmung unter Milderung der suffocatorischen Anfälle. Bei von Krankheiten des Herzens herrührendem Astlıma hält er ihn hier für centra-indicirt. R- Solut. arsen. Fowleri 3 3--j- Ag. Menth. pip. 5 IV. Ag. Cinnam. Syr. Diacod. ana 5 j- $. Täglich 2 Esslöffel, nach 4 Tagen auf 3 Esslöf- löffel u. s. f. steigend. Daneben wendet er die Hydrotherapie an: Zweimal täglich kalte Waschungen der Brust; dann allgemeine kalte Waschungen oder Einhüllungen in ein nasses Leinluch und darüber eine Wolldecke, bis sich-die Reaktion einstellt oder auch kalte Douchen. Zugleich empfiehlt er physische und mo- ralische Ruhe; Genuss von gebratenem Fleisch, leicht ver- daulichen Gemüsen. Wein mit Wasser. Die letzte Mahlzeit soll 3—4 Stunden vor Schlafengehen stattfinden. (Schweiz. Monatsschr. Juli 1856.) Eine Typhus -Epidemie unter den Hasen ist von Prof. Becquerel (Paris) beobachtet und in der Gaz. hebd. 21. Febr. 1856 beschrieben worden. In einem geschlos- senen Park von 200 Morgen gab es noch vor 3 Jahren unge- fähr 100 Hasen, sie wurden hier nicht zur Jagd, sondern nur zum Vergnügen gehalten. Seit jener Zeit findet man immer von Zeit zu Zeit abgemagerte todte Hasen am Wege liegen, während in den umliegenden Feldern auf weiten Strecken die Hasen sich vortreffllich befinden. In dem Park nahmen sie immer mehr ab, so dass endlich kaum noch 1 Dutzend da waren. Durch Untersuchung der Leichen hat Hr. B. alle charakteristischen Merkwale des Typhus bei den Hasen ge- funden, die Peyerschen Drüsen gereizt und geschwürig, das Peritoneum injieirt; Blutinfiltration der Lungen, Zersetzung des Blutes u. s. w. — Prof. B. spricht sich übrigens dafür aus, dass, wenn diese kranke Hasen gejagt und geschossen worden wären, ihr Genuss als Braten keinen Nachtheil ge- habt haben würde, Bibliographische Neuigkeiten. W. — €. L. Merkel, Anat.-Physiol. d. menschl. Stimme und Sprachorgans. (Anlhropophonik.) 1. Hlfte. Lex.-8. Abel in Leipzig. pr. eplt. 623 Thlr. €. G. Nehrlich, Die Gesangkunst, physiologisch, psycholo- gisch , ästhetisch und pädagogisch dargestellt. 2. Aufl. ?. Lfg. gr. 8. geh. Teubner in Lpzg. "4% Thilr. @. Masius, Natursiudien. Skizzen aus d. Pflanzen- und Thierwelt. 2. Sammlung. gr. 8. Brandstetler in Lpzg., 1857. 1 Thlr. 6 Sgr. G. Valentin, Die Einflüsse d. Vaguslähmung auf die Lungen- und Hautausdünstung. Lex.-8. Meidinger, Sohn u. Co. Frankfurt a. M., 1857. 1)/, Thlr. Sonklar, Kdl. v. Innstädten, Reiseskizzen a. den Alpen und und Karpathen. gr. 8. Seidel in Wien. 1 Thlr. 24 Sgr. BE. — W. Artus, Receptirkunst oder Anleitung u. s.w. 2, u 8. Schwetschke und Sohn in Braunschweig, 1857. 1 Thlr. G. W. Wood, A trealise on Therapeutics and Pharmacologr of Materia Medica. 2 Vols. 8. Philadelphia. 42 Sh. James Syne, The Principles of Surgery. 4. Edit. London, Murray. 14 Sh. Rob. Beniley Todd, Clinical Lectures on Paralysis, cerlain diseases ol the Brain and other Affeclions of the nervyous System. 2. Edit. 12. Lond., Churchill. 6 Sh. €. B. Williams, Principles of Medicine; an Elementary View of the causes, nature, Treatment, Diagnosis and Prognosis of Disease. With brief remarks on Hygienics or the preser- vation of Health. 3. Edit. London, Churchill. 15 Sh. Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena. Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. J ahrgang 1857. L. Band Ne- 6. Naturkunde. V. Weber, Ueber die Identität von Licht und strahlender Wärme. — W. D. Cooley, Livingstone’s Ent- deckungen im südlichen Central-Afrika. — Miseellen. Der Disbetometer-Robiquet. — Jackson, Das Blut soll durch Chloroform zersetzt werden. -— Meilkunde. J. Guerin, Contractilität der Selen. — Pa ul, Einiges zur Pathologie des Skorbuts in Gefängnissen, — Miscellen. Callaway, m men des Kniescheiben-Hygroms. — Bouchut, Be- denkliche Folgen des Schnupfen Neugeborener. — Vleminckx, Ueber die Krätzbehandlung in der belgischen Armee. — Beraud, Eine neue Art von Hydrocele. — Hartung, Ueber Taschenbildung bei Leistenbrüchen. — Boys de Loury, Ein Kauslikum aus Gultspercha mit Zinkchlorür als Aetzmiltel bei Geschwüren des Multerhalses. — Bibliographie. a ee a a En him 1, 7, Dune WR „Tran Eee SEE BE u Naturkunde. Ueber die Identität von Licht und strahlender Wärme. Von Vietor Weber (IHlalle) *). Noch immer sind die Stimmen über die Identität von Licht und Wärme getheilt, obwohl die neueren Ver- suche mehr und mehr die dagegen sprechenden Stimmen verstunmen machen. Die Meinungsverschiedenheit beruht hauptsächlich darauf, dass man den Begriff der Identität in verschiedenem Sinne fasste. Wärmestrahlen ohne ir- gend nachweisbares Leuchtendes sind nicht identisch mit den leuchtenden Sonnenstrahlen, denn zuwn Wesen des Lichtes gehört eben das Leuchten. In diesem Sinne könnte man aber auch nicht von Identität des blauen und gelben Lichtstrahles sprechen und dennoch wird man sie als Theile eines und desselben weissen Lichtes identifici- ren. In gleichem Sinne ist auch die Identität von Licht und strahlender Wärme zu nehmen; beide sind als Schwingungsäusserungen eines und desselben Aethers als Eins aufzufassen. Der Nachweis der Identität in diesem Sinne ist Aufgabe des unten bezeichneten Werkes. Dazu musste nächst der Undulationstheorie des Lichtes auch die Lehre von der strahlenden Wärme in ihren Beweisen fest- gestellt werden; auf beide gestützt wird sodann die Iden- tität als gerechtfertigt dargestellt. Als materielle Grundlage des Lichtes ist der Aether anerkannt, dessen Wellenbewegungen die Netzhaut des Auges je nach der Zahl seiner Schwingungen erregt und so das Sehen bedingt. *) DGS” Licht und strahlende Wärme in ihren Bezieh- ungen zu einander mit Rücksicht auf die Identitätstheorie, zu- eich als Einleitung in die Wellentheorie des Aeclhers von re Mit 5 Taf. Berlin bei Bosselmann, 1857. 8 S. Die Wärme kommt auf verschiedene Weise vor, mit Licht und ohne Lichtentwickelung. Jedenfalls aber ver- mag sie sich von ihrem Entstehungsort aus zu verbrei- ten, theils durch Leitung, theils durch Strahlung. Zum Nachweis der Wärmestrahlung dient das Experiment mit dem Hohlspiegel, in dessen Brennpunkt sich eine solche Menge von Wärme ansammeln kann, dass sich Körper in ihm entzünden können; diess geschieht auch im luft- leeren Raum. Die strahlende Wärme aber bewegt sich in gerader Linie fort, wie der Versuch mit der Oeflnung in einem Metallschirm erweist. Für die Fortpflanzung der strahlenden Wärme gilt ferner dasselbe Gesetz wie für das Licht: „Ihre Intensität nimmt ab mit dem Quadrat der Entfernung.“ Ebenso sind auch die übrigen Gesetze für die Verbreitung der Wärme dieselben, wie die für die Verbreitung des Lichtes, diess zeigt sich bezüglich der Brechung und Zerstreuung, der Reflexion und Diffusion, der Absorption, Doppelbrechung und Polarisation. „So mannigfach auch die Quellen der irdischen Wärme, wie die Reibung, Veränderung der Aggregatzu- stände, chemische Processe, auch sein mögen, so muss doch die Sonne, wie sie uns die hauptsächlichste Quelle des Lichtes ist, auch die Mutter der uns umgebenden Wärme genannt werden. Sie erregt leuchtende ınd wärmende Fluthen zugleich, die in geraden Linien fortgehend mit ausserordentlicher Geschwindigkeit sich durch den Raum verbreiten und, wie der Schall an vielfachen Hindernissen abgeprallt neue Richtungen einschlägt, von den Gegen- ständen auf unserer Erdoberfläche in den mannigfachsten Weisen zurückgeworfen und gespiegelt werden. So ist der ganze uns umgebende Raum von solchen Licht- und Wärmewellen durchwogt, die nach allen möglichen Richt- ungen gehend, sich vielfach durchkreuzen, hier verstär- ken, dort schwächen; bald Licht oder Dunkelheit, bald Wärmeerhöhung oder Wärmeerniedrigung En 83 Beide, Licht und strahlende Wärme, werden von gewissen Substanzen hindurchgelassen ohne beträchtliche Schwächung, wir nennen diese Körper durchsichtig für Licht, diatherman für Wärme. Beide werden von an- dern Stoffen gar nicht hindurchgelassen, sondern gänz- lich absorbirt: es sind die undurchsichtigen, athermanen Körper. Zwischen beiden die Mitte haltend, stehen an- dere Körper, die von allen sie treffenden Strahlen nur eine gewisse Gattung ohne Verlust hindurchlassen,, alle übrigen aber vernichten; es sind die farbigen Mittel für Licht, die thermochroischen, wärmefarbigen für Wärme: wir schreiben ihnen eine auswählende Absorption zu. Licht und Wärme erfahren beide, sobald sie in einen für sie durchgängigen Körper eindringen, Ablenkungen von ihrer ursprünglichen Richtung, so jedoch, dass beide, die zweite wie die erste Richtung, durch eine unyerän- derliche Bedingung an einander gebunden sind. Durch ein Prisma wird ein Bündel paralleler leuchtender oder wärmender Strahlen in seine einzelnen Elemente aufge- löst und zu einem Spectrum ausgebreitet. Doch nicht die ganze auffallende Licht- oder Wärmemenge wird von einem Körper gebrochen, ein anderer Theil wird zurück- geworfen und zwar ebenfalls nach einer durch das Ge- setz bestimmten Richtung so, dass die auffallenden und reflectirten Strahlen gleiche Winkel mit der zurückwer- fenden Ebene bilden. Ein dritter Theil endlich wird nach allen möglichen vom Einfallspunkte ausgehenden Richt- ungen zerstreut und bildet das diffuse Licht oder die diffuse Wärme. Ein Körper, der einige Zeit den Strah- len einer. Wärmequelle ausgesetzt gewesen ist und diese aufgesogen hat, wird selbst eine Strahlen- aussendende Quelle, sobald jener entfernt ist. Auch für Licht giebt es sich gleichverhaltende Körper. Bologneser Leuchtstein, Flussspath, Phosphor, Eierschalen werden im Dunkeln leuchtend, wenn sie vorher eine gewisse Zeit den Son- nenstrahlen ausgesetzt waren. Alle diese Versuche jedoch, so lehrreich sie sind, weisen nicht unmittelbar darauf hin, welcherlei Schwing- ungen und ob überhaupt Schwingungen, denen des Lichts ähnlich, das erzeugende Princip der Wärme sind. Sie liessen sich ebenso gut mit der Vorstellung eines Wärme- stoffs vereinigen, welcher denn auch Melloni Anfangs zugethan gewesen zu sein scheint. Erst als Matteucci glaubte Interferenzen der Wärmestrahlen entdeckt zu ha- ben, wäre die Nothwendigkeit einer Annahme von Schwin- gungen bewiesen gewesen. Diese Versuche erwiesen sich zwar als irrig, aber Forbes und Melloni entdeckten die geradlinige Polarisation der Wärme, der leuchtenden sowohl als der dunkeln. Hätten Interferenzen nur be- wiesen, dass die Wärme aus Schwingungen eines elasti- schen Mittels bestehen müsse, so wäre doch damit nicht entschieden gewesen, ob. diese longitudinal oder trans- versal, wie die des Lichtes seien. Sobald man aber ein- mal die Undulationstheorie auch für diese annimmt (und die weiteren Entdeckungen im Gebiete der strahlenden si Wärme zwingen dazu), so ist durch die Polarisation er- wiesen, dass die Wärme durch transversale Schwingun- gen erzeugt wird. Denn eine Polarisation ist eine un- mittelbare, geforderte Folge nur der transversalen Schwin- gungen; da diese bei longitudinalen Schwingungen nicht möglich ist und noch weniger die Spaltung eines Strah- lenbündels in zwei andere rechtwinkelig auf einander po- larisirte. Die wärmeerzeugenden Schwingungen sind also im Wesen identisch mit den lichtgebenden. Die Uebereinstimmung unter den Polarisationser- scheinungen geht nun so weit, dass diese für Licht und Wärme unter denselben Umständen, an denselben Sub- stanzen und unter demselben Winkel stattfinden. Ein Glassatz polarisirt durch einfache Brechung Licht und Wärme, es liegt die Polarisationsebene der gebrochenen Licht- oder Wärmestrahlen senkrecht auf der Reflexions- ebene, die der reflectirten in derselben. Ein Kalkspath und mit ihm alle Krystallgestalten des hexagonalen und quadratischen Systems zertheilen jedes einfallende Licht- oder Wärmebündel in zwei zu einander senkrecht pola- risirte, gleich intensive Strahlengruppen. Jede Licht- strahlengruppe befolgt mit der entsprechenden Wärme- strahlengruppe dieselben Gesetze der Fortpflanzung, da- her werden die Wellen- und Elasticitätsoberflächen sol- cher Krystalle für Licht und Wärme dieselben sein. Bei allen wird endlich in der Richtung der krystallographi- schen Axe weder ein Licht- noch ein Wärmestrahl ge- brochen und daher auch nicht polarisirt. Es ist demnach erwiesen, dass die Wärmeschwingungen transversale sind. Und, dass auf einem elementaren Strahle ebenfalls durch die fortschreitende Bewegung sich Intervalle bilden, in denen die Theile gleiche, aber entgegengerichtete Ge- schwindigkeiten haben, d. h. dass der Strahl aus Wellen- bergen und Wellenthälern zusammengesetzt ist, beweisen die Interferenzen der Wärmestrahlen. Indem Berg und Berg solcher Wärmestrahlen zusammentreffen, werden sie an der betreffenden Stelle eine Temperaturerhöhung und wo Thal und Thal sich vereinigen, eine Tempera- turerniedrigung hervorbringen. Die Beugung und die damit verbundenen Interferenzen bieten ein Mittel zur Messung der Wellenlänge eines Strahles dar. Indem nun Fizeau und Foucault fanden, dass die dunkeln In- terferenzstreifen auch genau mit denen der Wärmeer- niedrigung zusammenfielen, einem hellen Streifen auch eine Wärmeerhöhung entsprach, haben sie den Beweis geliefert, dass die Wellenlängen der Wärmestrahlen iden- tisch sind mit denen derjenigen Lichtstrahlen, welche gleiche Brechbarkeit besitzen. Für die Wärmestrahlen im Sonnenspeetrum ist also die Wellenlänge und folglich auch die Geschwindigkeit dieselbe. Da ein Wärmestrahl durch Doppelbrechung in zwei auf einander rechtwinkelig polarisirte, gleich intensive Strahlen zerlegt wird, so muss auch die Interferenz zweier gleiche Intensität, d. h. gleiche Amplitude be- sitzenden Wärmestrahlen, wenn der eine dem andern um 85 2 p oder 3. vorangeeilt ist, und wenn sie rechtwin- kelig auf einander polarisirt sind, kreisförmig polarisirte Wärme liefern, wie unter gleichen Umständen kreisför- mig polarisirtes Licht entsteht. Die Versuche von For- bes mit dem Steinsalzrhombo@der haben dies auf das Be- stimmteste gelehrt, nicht minder die von Biot und Mel- loni angefangenen von Provostaye und Desains forlgesetzten Untersuchungen. Sie beweisen, dass es eine links und eine rechts gedrehte Polarisation giebt, sowie dass eine das Licht rechtsdrehende Substanz auch die Polarisalionsebene der Wärme in demselben Sinne und derselben Stärke dreht. Für beide Agentien ist die Drehung proportional der Dicke der durchlaufenen Schicht und dem Grade der Sättigung bei Lösungen. Auch die totale Reflexion findet bei der Wärme statt, wie der Ge- brauch des Nicol’schen Prismas beweist. Die Wärme- strahlen können auch zweimal total reflectirt werden und werden dabei um dieselbe Grösse des Gangunterschiedes verzögert, so dass linear polarisirte Strahlen nach diesen Reflexionen sich zu kreisförmig polarisirten vereinigen, wie das Steinsalzrhomboöder gelehrt hat. Licht und Wärme werden endlich auch unter gleichen Umständen elliptisch polarisirt. Alle vibratorischen Eigenthümlichkeiten im Licht finden sich bei der Wärme mit gleicher Intensität und in gleichem Zahlenwerth. Es findet aber diese Gleichheit nicht blos zwischen dem Licht und derjenigen Wärme, welche das Licht begleitet, also im Sonnen- oder Lam- penlicht enthalten ist, statt, sondern auch mit der Wärme, welche jenseits des Roth im Spectrum liegt, der also die Eigenschaft des Leuchtens abgeht und die .sonach reine selbstständige Wärme ist und nicht als nur secundäre Wirkung der Lichtstrahlen angesehen werden kann. Die Strahlen eines auf 100% erhitzten Metalley- linders oder die Wärme des siedenden Wassers hat Mel- loni ebenso gut reflecliren, brechen, polarisiren u. s. w. lassen, und Alles nach denselben Gesetzen wie bei den leuchtenden Strahlen. Ein Gleiches hat Moser für die ebenfalls dunkeln übervioletten, chemisch wirkenden Strah- len nachgewiesen. Kurz die Uebereinstimmung lässt sich bis in die Einzelnheiten verfolgen. Wie gewisse Krystalle gegen Licht einen Polychroismus zeigen, so besitzen auch eselben Körper gegen die Wärme einen Thermopoly- . _ Beiderlei Strahlen unterliegen also in dem Innern dieser Substanzen gleichen Absorptionsverhält- nissen.“ Dr. Livingstone’s Entdeckungen im süd- lichen Central-Afrika. Von W. D. Cooley. Dr. Livingstone hat den Leeambye (Liambey) abwärts bis zum Zambezi-Strom verfolgt, eine bewun- dernswürdige That, wenn wir Ausdehnung und Natur der durchwanderten Gegenden berücksichtigen. Für die Geographie ist seine Entdeckung von ausserordentlichem Interesse, da sie einen ungeheueren Strom kennen lehrt, welcher so eigenthümlich ist, dass er nicht seines Glei- chen auf der Erde hat. Diese Entdeckungen bestätigen grossentheils die Zweifel, die man bis jetzt bezüglich der nun festgestellten Verbindung halte, denn es: ist nach Allem klar, dass nur ein kleiner Theil der Wasser des Leeambye die Seeküste erreicht. Dieser grosse Strom fällt gleich dem Nil in Abyssinien durch eine Basalt- spalte, wodurch seine Breite von 1000 auf 20 Ellen re- ducirt wird. Oberhalb dieser Wasserfälle breitet sich der grosse Fluss oder das System von Flüssen periodisch in einen grossen See aus und füllt Hunderte von Seitenca- nälen. Unterhalb der Fälle ist er ein breiter, aber ruhi- ger Strom von ganz verschiedenem Charakter. Dass die Wasser des Leeambye weniger Einfluss auf den Zambezi haben als der Regen der Meerregion, ist aus dem abzunehmen, was wir von dem letzteren Strom wissen, der als ein Verbindungscanal mit dem Innern von geringem Werthe ist. Kein ordentliches Fahrzeug, gross oder klein, segelt jemals in den Zambezi ein, da Jessen Mündung sich rasch zu schliessen scheint. Der Luabo oder die südlichste Mündung des Stromes, der in den Niederungen Cuama heisst, war noch schiflbar, als die Portugiesen zuerst an diese Küste kamen, aber er ist seit lange nicht mehr zu befahren. Der Guilimane oder die nördlichste Mündung hat sich in den letzten Jahren in dem Maasse geschlossen, dass er 6 Monate im Jahre, vom Juli bis Februar, selbst für ein Canoe nicht zu pas- siren ist. Wer den Strom hinauf reisen will, muss in dieser Jahreszeit 2 Tagereisen zu Land bis an die Spitze des Delta's zurücklegen, ehe er sich nach Sena einschif- fen kann. Von Sena bis Tete ist in der trockenen Jah- reszeit die Schifffahrt nie versucht worden und die Reise zu Land bis dahin nimmt in einem Tipoia oder Palankin durch ein hügeliges schwieriges Land auf vielfach ge- wundenen Pfaden 1 Monat in Anspruch. Einige Tage- reisen oberhalb Tete ist der Fluss leicht zu durchwaten und bewaffnete Züge der Eingebornen gehen oft durch. Etwas höher oben finden sich Cataracte, welche die Schiff- fahrt zu allen Jahreszeiten unterbrechen; oberhalb dersel- ben gelangt man nach Zumbo, einer Insel an der Münd- ung des Aruanzoa, welche in den blühenden Tagen von Tete der höchste Punkt war, den die Portugiesen jemals in leichten Canoes erreicht haben; und der Grund, warum sie nicht höher hinauf giengen, war doch nur, weil sie nicht konnten. Der Strom der Meerregion (dee Zambezi) geht in seinen periodischen Veränderungen 3 oder 4 Monate dem grossen Strom des Inneren voran. Da nun diese Ströme einen einzigen bilden, so sollte man denken, es müsste bei einer nur mässigen Strömung das Wasser von Se- scheka bis Tete abgeführt werden, aber im März und April, wenn der Leeambye am u wälzt sich ” 87 der Zambezi noch mit ungeheuren Fluthen dem Meere zu und im Juli, wenn der Guilimane aufhört, mit Canoes befahrbar zu sein, breitet sich der Leeambye zu einem See von Hunderten von Quadratmeilen aus. Zu der Unbefahrbarkeit des Stromes muss man noch den politischen Zustand der anliegenden Länder rechnen. Der Handel von Tete nach den südlichen und westlichen Ländern hat in diesem Jahrhundert ganz aufgehört. Kein portugiesischer Agent oder Sclavenhändler wagt es, in diesen Richtungen vorzugehen. Hart bedrängt von den feindlichen Absichten der Eingebornen, war seit Jahren sogar die Existenz von Tete bedroht. An den gegen- überliegenden nördlichen Ufern des Stromes haben die Portugiesen wohl einiges Land und führen einen spär- lichen Handel mit den Eingebornen in Nord und Nord- westen aber von dem westlichen Innern sind sie seit Jahren durch den Häuptling Chingamera ganz aus- geschlossen, dessen Ruhm, wie sich aus den Randbe- merkungen auf Dr. Livingstone’s erster Karte ergiebt, bis in das Innere eingedrungen ist. Der portugiesische Handel, welcher dieses Innere erreicht, wird ganz von der Delagoabay aus geführt. Die Eingebornen dieser Bay sind leicht an einigen Eigenthümlichkeiten ihrer spär- 88 lichen Kleidung zu erkennen und man hat sie in den Dörfern am Leeambye gesehen. (The Athenaeum 1520.) Miscelle. Der Diabetometer - Robiquet ein von Robi- quet der Academie d. Med. ‚zu Paris 11. März 1856 vorge- legter Apparat, ist bestimmt, mit Genauigkeit den Zuckerge- halt des diabetischen Urins anzugeben. Der Apparat ist nicht theuer und wird waher wohl in die Hände vieler Aerzte ge- langen. Es ist ein Polarisationsapparat, worin das (künst- liche) Licht durch ein Nicol’sches Prisma polarisirt, dann durch eine Röhre von 20 Centimeter Länge geleitet wird, die mit dem diabetischen Urin gefüllt ist; hierauf folgte eine Quarzplatie mit doppelter Rotation, um eine merkliche Färb- ung zu geben; ein zweites Nicol’sches Prisma dient sodann zur Zerlegung und eine Lupe fixirt das Auge. Es ist eine Skale beigefügt, an der man olıne Weiteres den Gewichtsgehalt an Zucker ablesen kann. Das Blnt soll durch das Chloroform zersetzt werden, behauptet Dr. Jackson zu Boston, der bei einer gerichtlichen Untersuchung der Leiche einer durch Chloro- forminhalation gestorbenen Frau in dem Blute statt Chloro- form nur Ameisensäure gefunden halte. Es hatte sich das Chlor mit dem Blute verbunden und demselben seine Coagu- lationsfähigkeit und die Eigenschaft geraubt, durch Einwirk- ung des Sauerstoffs sich zu röthen. (Gaz. hebdomadaire, 7. Mars 1856.) Heilkunde. Contractilität der Sehnen. Von J. Guerin (Paris). Darüber hat der Verf. der Acad. d. Scienc. zu Pa- ris einen Vortrag gehalten, in welchem er der Lehre von Bichat entgegen ausführt, dass die Sehnen keines- wegs so passiv bei den Bewegungen seien, dass sie viel- mehr eine gewisse Contrachilität besitzen, die sich von der der Muskeln etwas unterscheidet, geringer als letztere, aber doch durch histologische, physiologische und patho- logische Thatsachen bewiesen. 1) Histologische Thatsachen. Bei der fibrö- sen Entartung der Muskeln zeigen sich die umgewan- delten Theile mit allen histologischen Charakteren der ursprünglichen Sehne, von der sie alsdann nur eine ein- fache Verlängerung darstellen. Aus der Identität des Gewebes kann man auf die Identität der Function schliessen. 2) Pathologische Thatsachen. Die Sehnen vermögen sich für sich und ohne den eigentlichen Mus- kel zu retrahiren. Der anatomische Charakter der Seh- nenretraclion ist die Verminderung der Länge der Sehne im Verhältniss zu dem Muskel, welcher in manchen Fäl- Jen seine normale Länge behält. Das Gegentheil findet statt, wenn die Muskelfaser der ursprüngliche Sitz der Retraction oder der hauptsächlichste Sitz derselben ist. Der physiologische Charakter der Sehnen - Retraction “besteht darin, dass sie unter dem Einfluss einer localen Verletzung oder eines lokalen Schmerzes in der Nähe der Sehnen-Insertion sich bildet, wie z. B. bei manchen Gelenkleiden. Unter dem Einfluss dieses Schmerzes er- folgt eine Gelenkstellung durch die Wirkung verkürzter Sehnen ohne Theilnahme des eigentlichen Muskels. 3) Physiologische Thatsachen. Bei Per- sonen, welche eine Ankylose der Kniescheibe erlitten haben, überzeugt man sich, wenn man das Bein aufhe- ben will, leicht, dass sich zugleich mit den Streckmus- keln des Schenkels der Triceps femoris contrahirt; das untere Kniescheibenband, d.h. das Stück der Sehne, wel- ches zwischen der unbeweglichen ankylosirten Kniescheibe und der beweglichen oder unbeweglichen Tibia liegt, nimmt an der Contraction des dreiköpfigen Muskels Theil; es erhebt sich, wird straff und wird sichtlich und fühl- bar verkürzt. — Wenn man bei sitzender Stellung und so lange der Unterschenkel unter rechtem Winkel gegen den Schenkel gebogen ist, die Finger auf das s. g. Knie- scheibenband legt, so fühlt man deutlich die Sehne sich erheben und straff werden bei jedem Versuche, den Un- terschenkel zu strecken, auch wenn dieser unverändert in seiner gebeugten Stellung bleibt. Bei dieser Stellung bleibt die Kniescheibe unbeweglich fest gegen die ent- sprechende Fläche des Schenkelbeines angedrückt und ge- wissermassen in die Gelenkrinne zwischen beiden Kondy- len eingefügt, indem sie von Muskel und Sehne in ent- gegengesetzter Richtung gleichzeitig angezogen wird. Ueber die Natur der Sehnencontractili- tät. Die Sehnen contrahiren sich nicht wie die Mus- keln, weder auf gleiche Weise noch in gleichem Grade. Ein Sehnenstück, welches von seinem Muskelbauch ab- gelöst ist, scheint für die Einwirkung der Elektrieität keine Empfindlichkeit zu besitzen, unter welcher Form man diese letztere auch anwende. Die Unfähigkeit der Elektricität eine Sehnencontraction zu bewirken, beweist keineswegs die Abwesenheit dieser Contractilität, welche auf andere Weise bewiesen wird, sondern nur eine Ver- schiedenheit der Contractilität der Sehnen von der allge- meinen Contractilität der Muskeln. Es lässt sich auch experimentell der Antheil der Sehnencontractilität an der Verkürzung eines sich contrahirenden Muskels nach- weisen. Herr Guerin zieht aus seinen Arbeiten folgende Schlüsse: — 1) Die Sehnen, die man bisher für un- thätige Stränge angesehen hat, besitzen die Fähigkeit sich zu contrahiren. 2) Diese Eigenschaft, welche durch die histologische Untersuchung, durch pathologische Be- obachtung und durch physiologische Erfahrungen bewie- sen wird, besteht in einer eigenthümlichen Thätigkeit in einer Art von Erection oder Turgescenz begleitet von einer Verkürzung in der Richtung der Achse der Schne, 3) Die Umstände, unter denen die Sehnencontraction in Thätigkeit tritt, berechtigen sie als eine Contraction zu betrachten, welche von einer willkürlichen Contraction ganz verschieden ist und welche als Resistenzcontraction (contraction de resistance) bezeichnet werden kann. (Seance du 3. Mars 1856.) Einiges zur Pathologie des Skorbuts in Gefängnissen. Von Dr. Paul (Breslau). In der neueren Zeit ist öfter von einer Krankheit die Rede gewesen, welche den meisten Aerzten mehr theoretisch bekannt war, als dass sich Gelegenheit dar- geboten hätte, sie klinisch allseitig zu beobachten. Mit Ausnahme der Aerzte Russlands hatten in der neueren Zeit bisher besonders nur einzelne Gefängnissärzte Gele- genheit, über diese Krankheit Studien zu machen, und Breslau hatte von jeher den traurigen Vorzug, in seinen Gefängnissen eine Stätte des Skorbuts zu besitzen; in dem alten Inquisitoriatsgebäude und der damit combinir- ten Gefangenen-Krankenanstalt in der sogenannten Bar- bara-Kasematte. Jedoch auch nach der fundamentalen, weitgreifenden Umänderung des hiesigen Gefängnisswe- sens durch Erbauung des grossen Zellengefängnisses und nach der Restauration des alten Inquisitoriats sind die Skorbut-Endemieen nicht ausgeblieben, sondern haben sich alljährlich erneuert. Ja, wider alles Erwarten fanden sie sich nicht nur in dem alten, sondern auch in dem so geräumigen, lufligen neuen Gebäude wiederholt und auch in ähnlichen, nach demselben Principe gebauten neuen Gefangenen-Anstalten, wie in Ratibor ein. Dazu ist in 90 der jüngst verflossenen Zeit der Skorbut auch noch von zwei anderen Seiten aufgetaucht, wo er sonst nie aufge- treten war, im breslauer Landkreise und unter der hie- sigen Garnison; ja, er ist auch in einzelnen zerstreuten Fällen in der Stadt, besonders in der Armenpraxis, zu finden. Ich selbst habe ein Proletarierkind in das hie- sige Augusten - Kinder-Hospital mit einem skorbutischen Pemphigus aufgenommen, das bei der Section mehrfache unleugbare Zeichen der Skorbut-Dyscrasie nachwies. Ich habe ferner einen ausgebildeten Skorbutfall bei einem dürftig lebenden Literaten (mit glücklichem Ausgange) be- handelt. Gleiches vernehme ich von anderen Collegen, und häufig findet man an unseren Kellerbewohnern und Proletariern, welche in den ärmsten, engsten und unge- sundesten Stadtvierteln wohnen, Flohstichen ähnliche, petechienarlige, braunrothe Stippchen und grössere Flek- ken, die gewiss auch zum Skorbut gehören. Ich will es versuchen, einen Abriss meiner in den hiesigen könig- lichen Gefängnissen gemachten Beobachtungen hier zu geben und behalte die weitere Ausführung einer dem- nächst erscheinenden grösseren Arbeit „über die Krank- heiten der Gefangenen“ vor. Symptomatologie des Skorbuts. Die ersten Zeichen sind fälschlich sogenannte rheu- matische Schmerzen in den Gelenken und dem unteren Theile der Wirbelsäule, allgemeine Muskelschwäche, de- primirte Gemüthsstimmung; das Gesicht wird gedunsen, bleich, es folgt Appetitlosigkeit, träger Stuhlgang, die Haut wird saftlos, trocken, frostig. Darauf zeigt sich, gewöhnlich zuerst, ein violetter Rand am blassen, anä- mischen, von den Zähnen sich ablockernden Zahnfleisch, wobei die Schleimhaut des Mundes ebenfalls schmutzig- blassroth und der Gescmacksinn, so wie die Verdauungs- fähigkeit geschwächt wird. Die Zähne lockern sich spä- ter und fallen sogar, ohne cariös zu werden, aus. Ein lebhafter instincliver Appetit nach saueren und frischen Nahrungsmitteln zeigt sich oft. Die allgemeine Körper- Farbe und -Fülle sinkt schnell. Die Milz schmerzt zu- weilen, ist aber jetzt noch nicht vergrössert; auch spä- ter habe ich niemals sehr beträchtliche Vergrösserungen durch die Perkussion finden können (höchstens 1—1} Zoll ragte sie dann tiefer herab und war etwas breiter). Herz- und Pulsschlag sind schwächer, meist leerer, nicht frequent, zuweilen nur etwas beschleunigt. Die zweite Reihe der Haupterscheinungen beginnt bald oder läuft schon nebenher; die des Blutaustritts und der Ausschwitzung aus den erweiterten, zerreissenden, mürben, gelähmten Capillaren und feineren Gefässen. Das Blut tritt frei aus als Pünktchen, grössere Ecchymosen, grosse Flecken, Striemen, zuerst an den Unterextremi- täten, dann, wenn der Kranke liegt, auch an der obe- ren Körperhälfte, besonders am Rücken (wie Todten- flecke), wobei das Gesetz der Schwere und Blutsenkung seinen Einfluss mehr als sonst in organischen Processen geltend macht. So finden wirkliche Wanderungen der 9 Extravasate im Zellgewebe statt. Um Knöchel und Knie ist der Blutaustriit am häufigsten, am ansgedehnlesten — weil die Kranzgefässe am leichlesten reissen. Andererseits finden Ausschwitzungen von Faserstofl in das Zellgewebe und die Zwischenräume der Muskeln statt, welcher rasch gerinnt, dadurch dieselben versteift und den Theil aufschwellt, gewöhnlich mit Blutfarbstoff getränkt, also braunroth-speckig auf dem Durchschnitt ist. Aehnliches kommt in den Gelenkhöhlen selbst vor. Die trockene Haut schuppt sich beim Entstehen dieser Pe- techien. die Haare am Unterschenkel kräuseln sich und die Fleckchen erscheinen vornämlich gern rings um den Haarbalg, seltener in den Zwischenräumen. Skorbutische schwitzen niemals. Die grössten Ecchymosen kommen in den Kniekehlen, in der Conjunctiva und den Augenlidern, seltener in der Penishaut, den grossen Schamlefzen und dem Scrotum vor. Oft treten an gewissen Stellen, z. B. mitten am Schenkel tief in den Muskeln, besonders auch an der Vorderseite des Unterschenkels tagelang sehr heftige Schmerzen auf, welche von den Kranken als im Knochen bohrend und drückend beschrieben werden und doch keine entsprechende lokale Veränderung, als höchstens eiwas vermehrte Resistenz, erhöhte Wärme, Fülle, vor Allem aber noch kein Extravasat entdecken lassen. Jedoch bald finden sich die Farbenveränderungen des letzteren auf der Oberhaut, und man kann füglich diese Schmerzen nicht anders deuten, als durch den Druck entstanden, den ein beginnendes Extravasat unter der Fascie, in den Muskeln und Zellschichten auf die Nervenstämme ausübt, oder dass, wie am Unterschenkel, zwischen dem Periost und Knochen oder in der Diplo& und Markhöhle des letzteren der Bluterguss stattgefunden hat. — Die Zahnfleischauf- lockerung schreitet vor, das letztere wulstet sich oft un- geheuer, blutet bei der Berührung; der Grad der Auf- lockerung entspricht jedoch sehr oft gar nicht den übri- gen, weit beträchtlicheren Extravasations - Erscheinungen. Diese Auflockerung geht bis zum Brande und zur tiefen Ulceration. Excoriationen, Geschwüre, Wunden, welche sich zufällig am Körper befinden, werden bald zu An- fang von einem bläulichen Rande umgeben und von einer blutenden schwammigen Gewebsmasse überzogen. Andere Blutungen sind seltener und zwar am häufigsten noch das Nasenbluten, seltener blutige Stühle, Blutharnen, Uterinblutungen, noch seltener Blutbrechen. Eine ver- borgene Blutung findet jedoch desto häufiger statt, die in’s Lungenzellgewebe als blutig -faserstoflige Pneumonie oder lobuläre Apoplexie und in andere Organe, in den Herzbeutel, in Submucosa des Darmes, auch in’s Gehirn. Hat der Skorbut einige Zeit gedauert und verbes- sert sich die Blutmasse nicht, so tritt allgemeine Hydrä- mie ein, erst Oedem der Füsse, dann bald Ascites, pleu- ritische und pericarditische Ergüsse, am seltensten Hy- drocephalus. Der Harn ist meist alkalisch, dunkel, zur Zersetzung geneigt; Albuminurie ist in dem ersten Sta- 92 dium selten, im hydrämischen häufig, aber nicht con- stant. Die lokalen Extravasate machen ebenfalls selbststän- dige Metamorphosen durch. Die derben faserstoffigen werden langsam absorbirt, indem sie sich allmälig ver- kleinern; die vollkommenen Blutaustretungen aus zerris- senen Gefässen machen die gewöhnlichen Farbennüancen — blau, violett, grün, gelb — durch. Andererseits sieht man innerhalb des Zellgewebes wirkliche Scheidun- gen des Serum vom Blutkuchen, also Oedem über einer festen, violetten Unterlage. Die ganze Extremität ist dann besonders um’s Knie, die Wade u. s. w. ganz prall, ödematös oberflächlich, bei tieferem Druck hart, zumal wenn die Blutentmischung in voller Blüthe steht. Durch den Druck auf die Muskelbündel atrophiren diese, ver- fetten; daher nach der Resorption des Ergusses die Ab- magerung und Schwächung der Muskeln, bis zur Lähm- ung. — Selten entsteht Eiterung; dieselbe ist dann mehr blutige Verjauchung. Brand ist noch seltener, ich habe ihn nur am Scrotum, den Labiis majoribus, am Damme, dagegen an den Extremitäten, so dass ganze Theile der- selben, Finger, davon ergriffen worden wären, nie ge- sehen. Es geschieht diess wohl desshalb so selten, weil ja die Gefässe immer wegsam bleiben, nicht durch Pfröpfe und Coagula sich verstopfen, und so nothdürftig dem Gliede stets Lebensmaterial zuführen. Die Genesung manifestirt sich durch ein Wieder- kehren des vitalen Turgors im ganzen Körper, durch grössere Lebhaftigkeit des Geistes und der Bewegung. Die Flecken, die Zahnfleischlockerungen schwinden lang- sam und überdauern oft den Wendepunkt der Bluterase. Der Tod dagegen erfolgt meist nur im wasser- süchtigen Stadium, seltener durch skorbutische Pneumonie oder unter acut-septisch-typhösen Zufällen, durch pleu- ritisch-pericarditische Ergüsse oder Darmblutungen. Die Leichenuntersuchung ergiebt an allen erdenklichen Stellen in den verschiedenen Leichen Blut- infiltrationen und jene schon beschriebenen Exsudate, wel- che die Muskeln mürb, matschig, bräunlich machen, die Bündel aus einander treiben oder ihnen bei stärkerer Ge- rinnung eine lederarlige Consistenz verleihen. Diese Ex- sudate und Extravasate finden sich sogar im Herzmuskel vor. Die Höhlen-Exsudale sind dünnflüssig, blutig im Thorax, im Herzbeutel zuweilen, jedoch rein serös im Peritonäalsack. Die Lungen sind entweder zusammen- gefallen, welk, blaugrau oder stark blutig-schaumig se- rös infiltrirt, oder sie zeigen endlich lobuläre weiche, leicht zerdrückbare, blutige Gewebsinfiltration, zuweilen festere apoplectische Herde mit Zertrümmerung des Pa- renchyms. Sehr häufig sind auch subpleurale Extravasate selbst auf nicht infiltrirten Lungen. Die Blutsenkung, Hypostase, wie sie bei Leichen in den Lungen gewöhn- lich sich zeigt, ist hier weit beträchtlicher als je. Das Herz ist welk, blass, enthält dünnflüssiges Blut, wenig weiche Coagula. Die Leber ist kirschroth, blutreich. PM Auf der Darmschleimhaut finden sich Ecchymosen. Die Milz ist zuweilen um ein Viertel bis zur Hälfte vergrös- sert, dunkelkirschroth, von Extravasaten durchsetzt; sel- tener ist sie derb, Speckmilz, am ehesten im hydrämi- schen Stadium. Nieren, Ovarien, Ulerus zeigen ebenfalls Extravasate, seltener die Meningen und die Diploö der Röhrenknochen. — Das Blut ist, wie gesagt, durchweg dunkler, violett, stark alkalisch, dünnflüssig, coagulirt sehr langsam und unvollständig, so dass das Serum sehr blutig gefärbt bleibt; der Blutkuchen ist gross, weich; die Fibrineschicht fast schmierig, matt, schlotternd. Die mikroskopische Untersuchung ergiebt eine Ueberzahl von aufgequollenen Blutscheiben, besonders in dem Milzblut. Die Chemie hat nicht allzu viele Resultate in der Unter- suchung des skorbulischen Blutes ergeben. Mangel an Faserstofl ist nicht vorbanden; es muss eine qualitalive Veränderung vielmehr mit ihm vorgegangen sein, wel- che sich in der mangelhaften Gerinnungsfähigkeit mani- festirt. Die Aetiologie des Skorbuts ist die Frage, wel- che vielfach ventilirt worden ist. Hier nur so viel davon, dass der Mangel an guter respirabler Luft, erzeugt ent- weder durch Ueberfüllung eines gegebenen Raumes, wie in unseren Gefüngnissen, oder absolut schlechte Luft in den Gefängnissräumen durch Mangel einer genügenden Ventilation und Zurückhaltung der verbrauchten Luft die erste allgemeine Ursache ist. Ferner ist die wichtigste besondere eine gewisse Kost-Einförmigkeit, besonders aus- schliesslich stärkemehlhaltiger Nahrungsmittel, schweres, schlecht gebackenes, mangelhaftes Brod, der Mangel al- ler animalischen und frischer vegetabilischer Kost oder gehöriger Würze und Zuthat von Salz. Ueber diese diä- telischen Missverhältnisse will ich mich ausführlicher an einem anderen Orte noch aussprechen, weil sie den Haupt- antheil an der Blutentmischung haben; ich will hier nur darauf aufmerksam machen, dass es eben die Kosteinför- migkeit zu sein scheint, denn auch bei ausschliesslicher, stark gesalzener Fleischkost (Pökelfleisch — auf Schiffen) entsteht Skorbut, Dazu kommen noch als ätiologische Momente übermässige Arbeitsanforderungen und psychisch deprimirende Aflekte. Die Ueberschwemmungen scheinen ebenfalls ihren Antheil zu haben, indem sie die Luft durch wässerige umd sumpfige Ausdünstungen verderben. Die Therapie ist gegen den Skorbut sehr wirk- sam, wenn sie von richtigen physiologisch - diätetischen Grundsätzen geleitet wird. Vorerst ist dem Skorbut das Material der Weiterverbreitung zu entziehen, d. h. die noch Gesunden sind zu behandeln, und zwar rein diäte- tisch. Die Kosteinförmigkeit, welche bisher bestand, ist durch Abwechselung zu ersetzen, indem frische Gemüse, vor Allem animalische Kost — in Gefängnissen — ge- reicht wird. Ist es nicht direkt Fleisch, so seien es we- gstens Fleischabkochungen, Brühen von sogenannten bfällen, Thierköpfen, Eingeweiden, Gelenken, Kno- chen und zum Genuss weniger geeigneten Fleischstücken. 9 Das Schwarz- oder Kummissbrod, welches ohnehin für die Gefangenen nicht passt, welche nicht, wie die Sol- daten, alle junge, gesunde, frische Männer, sondern meist das Gegentheil sind und der freien Bewegung ermangeln, ist mit kräftigem guten Weissbrod zu verlauschen. Dazu gehört eine stärkere Zugabe von Salz und Gewürzen, so- wie Essig zu den Gemüsen. Vor Allem ist die frische, gesunde Kartoffel heilsam. Endlich möge man Bierpor- tionen, den Schwächeren Milch, Buttermilch darreichen, Die Arbeitszeit ist zu kürzen, die Bewegung in freier Luft in den Freistunden zu verlängern. Man entvölkere die Gefängnisse durch Entlassung der minder gravirten Sträflinge und durch Entsendung der Gefangenen zur Feldarbeit, wie sie eines der in der neuesten Zeit heil- samsten Gesetze gestattet. Man wird alsbald durch die- ses Verfahren die Endemie stillstehen und verschwin- den schen. Die Kranken bedürfen ebenfalls derselben diätetischen Pflege mit den durch die uoch vorhandene Kraft der Ver- dauungswerkzeuge gebotenen Modificationen. Man setze sie frischen Luftströmen aus, verlange aber nicht, dass sie umherlaufen sollen; das vermögen die geschwächten Muskeln nicht; neue, umfangreichere Blutextravasate und Oedeme sind die Folge. Medicamente braucht man nur wenig: Säuren, besonders vegetabilischer Natur, oder die Phosphorsäure mit Aromaticis sind angezeigt. Das Eisen passt mehr in der späteren Zeit der Anämie und Hydrä- mie. Auch diese Medicamente lassen sich durch diäteti- sche Mittel zum grossen Theile ersetzen (Citronensaft, Sauerkraut, Salat, saure Gurken, bitteres Bier, Milch, Buttermilch, Burgunder). Ich habe oft nur Kalmusthee, Fleischkost, Salat, Bier oder Milch und frische Kartof- feln gereicht und schnelle, augenscheinliche Besserung gesehen. Die Auflockerung des Zahnfleisches erfordert Alaungargarismen und den dreisten Gebrauch der Scheere; ich habe niemals beträchtlichere Blutungen folgen sehen. Auf diese Weise heilen die gewöhnlichen, selbst bedeu- tenden Fälle des Skorbuts innerhalb 3—4 Wochen. Die stärkeren, wie gesagt, erfordern das Eisen, Liq. ferri muriatici oxydulat. in einem aromatischen Infusum. Es wird sehr gut vertragen. Wenn die Heilung durch Ei- sen nicht schneller vor sich geht, als durch andere Mit- tel, so liegt dies daran, dass man es immer nur bei schweren Fällen anzuwenden hat, China ist gut, aber nicht besser, nur theurer als Calmus. Die anderen ge- rühmten Mittel (Hefe, Melasse, Cochlearia, Kieferspros- sen u. dgl.) habe ich nicht versucht. Die serösen Er- güsse erfordern neben dem Eisen die Scilla und Senega. Gegen die Pneumonieen verfahre man nie antiphlo- gistisch; Schröpfköpfe füllen sich gewöhnlich nur mit ei- nem schmierigen Gerinnsel, keinem flüssigen Blute; man kann nur mit Säuren und Senega, wohl auch mit Cam- pher und Eisen, etwas ausrichten. Blutige Durchfälle stehen auf Alaun und Tannin, sowie Eisumschläge. Oert- liche Behandlung erfordern noch die Geschwüre mittelst 95 verdünnten Holzessigs oder blossen Essigs; ferner die Neuralgieen. Narcotica nützen gar nichts. Besser sind Einreibungen von Campherspiritus, Umschläge und Ein- wickelung von kaltem Wasser und Essig; unter denselben verschwinden die Exsudate und Extravasate am schnell- sten. Wärme, selbst Watte, wird nicht vertragen. Im Garnison -Lazareth will man Nutzen von Umschlägen ei- ner Lösung von Ferrum sulphuricum gesehen haben. Man hüte sich, solche Extravasate aufzuschneiden. selbst wenn sie Auctuiren. Man hat dann und wenn sie selbst auf- brechen, mit argen Verjauchungen und Monate langen Eiterungen zu kämpfen. (XXXIM. Jahresber. der schles. Gesellsch. £. vaterl. Kultur. 1856.) Miscelle. Exstirpation des Kniescheiben - Hygroms. Diese macht Hr. Callaway miliels zweier elliptischer Haut- schnitie an der äusseren oberen Seite der Geschwulst, wo- durch das überflüssige Stück der Haut eingeschlossen und mit weggenommen wird; dann wird die Geschwulst ausge- schät, indem das zu enifernende Hautstück auf der Ge- schwulst sitzen bleibt. (Medical Times, 27. Oct. 1855.) Als bedenkliche Folgen des Schnupfens Neu- geborner nennt Hr. Bouchut das Aushungern und das Ersticken. Beides wird bedingt durch die Verstopfung beider Nasenöffnungen durch vertrockneten Schleim; da alsdann die Kinder beim Säugen nicht athmen können, so lassen sie die Brust gleich wieder los und verhungern langsam; durch die- selbe Verstopfung soll aber auch eine langsame Erstickung zu Stande kommen können. Wenn nämlich bei dem schon zeschwächten Kinde die Nase verklebt ist, so liegt es mit of- fenem Munde, beim Einsthmen wird Unterlippe und Zunge wie eine Klappe zurückgedıängt und verschliesst die Stimm- ritze, beim Ausaihmen aber wird die in die Nasenhöhle ge- triebene Luft, da sie nicht nach vorn entweichen kann, das Gaumensegel nach vorn drücken und den Eingang in die Mundhöhle schliessen; so besteht eine Doppelklappe, welche das Athımen, namentlich den Luftwechsel hemmt, die Blut- bereitung siört und dadurch die Schwäche des Kindes mehrt. Indieirt ist nur das Aufweichen der die Nase verklebenden Krusten. (Sitzung der Acad. des Science. zu Paris, 18. Febr. 1856.) . Ueber die Krätzbehandlung in der belgischen Armee hat Dr. Vleminckx, General-Ärzt, in der Gaz. hebdomad. ein Schreiben veröffentlicht, in welchem er sagt: Die Krätze wird in 2 Stunden geheilt und die Kleider wer- den noch rascher desinficirt. Die Krätze ist also keine Krank- 96 heil mehr für die belgische Armee, die Krätzabtheilungen in den Lazareihen sind aufgehoben; 5000 Mann, welche sonst durch die Krätzkuren dem activen Dienst beständig entzogen waren, sind diesem erhalten, es ist also der Effeetivbestand der Armee um dieselbe Zahl vermehrt und zugleich unend- lich viel Schreiberei erspart; viele Tausende von Franken sind erspart und eine sehr beträchtliche Quelle des Müssig- gangs und der Immoralität ist dadurch verstopft. Nur .dieje- nigen können den Gewinn in seiner ganzen Bedeutung er- messen, welche gesehen haben, was die Krätzabtheilungen ih- rer Zeit waren, jene Hölle, we so viele Elende zusammen- gedrängt waren, fast nackt, im Schmutz liegend, mindestens 40 Tage lang eine verdorbene Lnft athmend und eine Tem- peratur von 25 bis 30° €. aushaltend. (Gaz. hebdom. 29. Febr. 1856.) 7 Eine neue Art von Hydrocele beschreibt Hr. B&e- raud (Gaz. med. de Paris. No. 31. 1856); sie besteht darin, dass ein mit der Hydrocele der Tunica vaginalis testis com- municirender hühnereigrosser Divertikel in der Dicke der Tu- nica Dartos liegt. Die Erklärung dieser eigenthümlichen Form der Hydrocele tunicae vaginalis wird dadurch gegeben, dass Verf. durch Ausspritzen der normalen Tunica vaginalis testis mit Talg erkannte, dass diese Haut eine Menge kleiner Di- verlikel, 2—3 Millimeter lang, besitze. Als Taschenbildung bei Leistenbrüchen be- schreibt Dr. Hartung (Aachen) in der Deutschen Klinik 1856 zwei interessante Fälle, welche sich an die seltenen Fälle der Hernien mit doppeltem Bruchsack anschliessen. Verf. er- klärt die Taschenbildung in folgender Weise: Durch kräftige Repositionsversuche war der Darm, der durch die Bruchpforte nicht zurück konnte, an der hinteren Wand des Leistenkana- les angedrängt; diese hatte sich von;der Bauchwand gelöst und war zwischen Fascia transversalis und Musc. abdom. transver- sus taschenförmig in die Höhe geschoben worden. Hier findet also der umgekehrte Gang statt, wie bei den von Arnaud beschriebenen Brüchen mit doppeltem Bruchsack, wobei ein obe- rer Theil des Bruchsackes durch neues Andringen der Därme sich in den unteren einstülpt. EinKausticum aus Gutiapercha mit Zinkchlo- rür, das Robiquet hergestellt hat, ist von Dr. Boys de Loury (Gaz. des Höp. 1856 88.) wegen der Leichtigkeit, es beliebig zu formen, als Aetzmiltel bei Geschwüren des Mut- terhalses in Anwendung gebracht. Es wird aus einer Platie von Guttapercha und Zinkchlorür ein der zu ätzenden Stelle entsprechendes Stück ausgeschnitten, etwas erweicht und durch den Mutterspiegel auf das Geschwür gebracht und Charpie zum Schutz der umgebenden Theile nachgestopft. Das Aetz- miltel ist schmerzlos. Nach 24 Stunden findet sich ein weis- ser Aetzschorf. der sich nach einigen Tagen ablöst. Bibliographische Neuigkeiten. N. — H. Burmeister, Zoonomische Briefe. der thier. Organisation. 2 Thle. Lpzg. 21/, Thlr. J. W. Draper, Human Physiology, statical and dynamical. Lond., 1856. 12 5Sh. E. J. Lowe, British and Exotic Ferns. Vol. I. 8. London, Groombridge. 14 Sh. Th.Moore, The ferns of Gr.-Britain, Nature printed by Hy. Bradbury edit. by Dr. Lindley. Imp.-Fol. London, Bradbury and E. 6 £ 6 Sh. Allg. Darstellung gr. 8 0. Wigand in H. — B. W. Seiber, Anatomie d. Menschen f. Künstler und Turulehrer herausgeg. von A. F. Günther. 2. Ausg. 8. Mit Atl. Fol. Arnoldische Buchh. in Lpzg. 1", Thlr. Charles D. Meigs, A Treatise on acute and chronic diseases of the neck of the Uterus. Illusirated with numerous plates, coloured and plain. 8. Philadelphia. 25 Sh. er S Skey, Operative Surgery. 8. Lond., Churchill. 12 Sh. 6 d. J. R. Wild, Ueber d.Formelle bei gerichtl. chemischen Unter- suchungen. gr. 8. Bertram in Cassel, 1857. 's Thlr. Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena, or Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. "Jahrgang 1857. I. Band Ne <$ Naturkunde. S. Schwendener, Die periodischen Erscheinungen in der Pflanzenwelt. — Miscelle. R. Wagener, Ueber die directe Beobachtung des Blutlaufs. — Heilkunde. L. Spengler, Ueber die Kumiss-Kur. — Miscelle. Virchow, Zerreissung der Muskelfasern des M. Rectus abdominalis. — Bibliographie. Naturkunde. Die periodischen Erscheinungen in der Pflan- zenwelt. Von Dr. Schwendener (Zürich) *. Im Jahre 1846 sind auf Veranlassung der schwei- zer. Gesellschaft f. d. ges. Naturwissenschaften von vielen Freunden der Naturforschung Beobachtungen über obiges eingesendet, aber seildem nicht fortgesetzt worden. Der Verf. beabsichtigt nun, mit Zusammenstellung des bisher gewonnenen ‘Materials zu zeigen, wie viel schon damit gewonnen ist, und dadurch diese Beobachtungen wieder etwas in Aufschwung zu bringen. Bei dem lückenhaften Material konnte nalürlich von einer vergleichenden Be- trachlung der Vegelalionsverhältnisse in den verschiede- nen Gegenden der Schweiz (schweizer Hochebene, Alpen- thäler von verschiedener Richtung und Höhe u. s. w.) vorläufig nicht die Rede sein; der Verf. musste sich dar- auf beschränken, einige Gesichtspunkte, insbesondere die Verzögerung der Vegelalion mil der Höhe, hervorzuhe- ben, um wenigstens für diese letztere, so gut es ging, allgemeine Gesetze abzuleiten. Es ist demnach diese Ab- handlung als Vorläufer späterer, auf ausgedehntere Be- obachtungen geslützter Arbeiten anzusehen. Der Verf. ist bei der Bearbeilung und beim Durch- gehen der hierauf bezüglichen Literatur zu der Ueber- zeugung gekommen, dass zwar die auf diesem Wege zu erzielenden Resultate für die physikalische Geographie (Klimatologie) allerdings von grossem Interesse sein kön- nen, dass dagegen die wissenschaftliche Botanik sich vorerst nach einer anderen Methode umsehen muss, ‚. *) KS> Die periodischen Erscheinungen der Natur, ins- besondere der Pflanzenwelt. Nach den von der Allg. schwei- zerischen Gesellschaft für die ges. Nalurwissenschaften veran- lassten Beobachtungen bearb. v. Dr. S. Schwendener. 4. 60 S. 1 Taf. Zürich, in Commiss. bei $. Höhr, 1856. ehe zur Erforschung der periodischen Erscheinungen eine sichere Grundlage gelegt werden kann. Wie in neuerer Zeit die Physiologie der Ernährung durch sorgfältige Ex- perimente im Kleinen mehr gefördert wurde, als durch unzuverlässige Berechnungen über Kulturergebnisse im Grossen, 'so dürfle auch hier eine tiefere Einsicht in den Zusammenhang zwischen den Vegetationserscheinungen und den Veränderungen der Temperatur, der Feuchtigkeit «. s. w. eher auf dem Wege der Experimentation im Kleinen, als durch Beobachtung der Phänomene im Grossen zu erzie- len sein. Die Frage nach den periodischen Erscheinungen im Pflanzenreiche umfasst die ganze vegetative Entwickelung. Diess war bei der vorliegenden Arbeit noch nicht festzu- halten. Hier sind nur diejenigen Erscheinungen betrach- tet, welche mit der rotirenden Bewegung der Erde um die Sonne, also den Jahreszeiten, in der innigsten. Be- ziehung stehen. Im Allgemeinen ist diese Wechselbezie- hung bekannt, aber die wissenschaflliche Erforschung der- selben ist erst in der neuesten Zeit versucht worden. ,„Um- fassendere Arbeiten haben in neuerer Zeit (1846) Que- telet für Belgien und Dove*) für Deutschland gelie- fer. Dem Ersteren haben wir es wohl zu verdanken, dass die belgische Academie sich die Aufgabe stellte, zur *) Abhandlungen der Academie zu Berlin, 184. Dove giebt in seiner Abhandlung „Ueber den Zusammenhang der Wärmeveränderungen der Atmosphäre mit der Entwickelung der Planzen* interessante Vergleiche zwischen den Vegeta- tionsverhältnissen verschiedener Jahre und den gleichzeiligen Temperaturen derselben. Er stülzt sich dabei namentlich auf Beobachtungen von 1779 bis 1830 in Karlsruhe und weist nach, dass, wenn die Temperatur eines kleineren oder grösse- ren Zeitraumes, eines Monats z. B., über oder unter der mittleren Temperalur desselben steht, auch die beireffen- den Vegelalionserscheinungen um eine entsprechende von Tagen früher oder später eintreten, ‚als es im Mittel geschicht. 7 . 99 gründlichen Erforschung dieses Gegenstandes möglichst viele Materialien zu sammeln und zu diesem Behufe sich auch der Mitwirkung der schweizerischen Naturforscher zu versichern. Waren run auch die von Quetelet ent- worfenen Instructionen,,. welche zur Erzielung grösserer Gleichförmigkeit in den: Beobachtungen jedem Beobachter zugestellt werden sollten, für die Schweiz nicht ganz zweckmässig und durch ihre vielen Forderungen geradezu abschreckend, so brachten sie doch den Gedanken in An- regung, auf diesem Felde, das bisher noch so ziemlich brach gelegen, wenigstens Etwas zu thun; denn ausser der trefflichen Schilderung der Pflanzenwelt des Kantons Glarus vom Prof. Heer und den neueren Untersuchungen der Gebrüder Schlagintweit in den österreichischen Alpen ist in der That in der ganzen Literatur Nichts, gar Nichts vorhanden, das über die periodischen Erschei- nungen in der Alpenwelt einige Auskunft böte. Es wur- den daher vom Prof. Heer zweckmässigere Formulare ausgearbeitet und im Namen der Naturforschenden Ge- sellschaft in verschiedene Theile der Schweiz versendet, wo sich immer Freunde der Naturwissenschaft der Sache annehmen wollten. Wirklich sind in der Folge hie und da die Beobachtungen mit löblichem Eifer aufgenommen worden; allein bald darauf trat leider eine so bedeutende Erschlaffung ein, dass dieselben nur an wenigen Orten mehrere Jahre umfassen, an manchen sogar auf ein ein- ziges Jahr beschränkt sind. Am meisten ist zu bedauern, dass sich für höher gelegene Orte der Alpen, die uns gerade *die wichtigsten Aufschlüsse hätten geben können, nur selir wenige Beobachter finden liessen. Es: sind im Ganzen Verzeichnisse von 32 verschie- denen Ortschaften eingegangen, wovon 24 unter 2000’, 3 zwischen 2000—3000°, 3 zwischen 3800—5000° ge- ‘gelegen sind und nur eine 5270° erreicht. Dazu kom- men die Angaben von 17 Stationen im Jura, welche der für die Wissenschaft zu früh verstorbene Jules Thur- mann, Verfasser des „Essai de Phytostatique,‘* der Na- turforschenden Gesellschaft zur Verfügung: stellte. Sie beziehen sich alle nur auf das Jahr 1849. — Diese Verzeichnisse, welche Prof. Heer mir zu übergeben die Güte hatte, sind dieser Abhandlung zu Grunde gelegt. Eine sorgfältige Vergleichung derselben überzeugte mich bald, dass eine verhältnissmässig kleine Zahl von Locali- täten als sichere Vergleichungspunkte dienen können, die- jenigen nämlich, wo die Beobachtungen sich über wenig- stens 3— 4 Jahre erstrecken, und so die Bestimmung des angenäherten Mittelwerthes für den Eintritt einer ge- wissen Erscheinung. möglich machen. Sehr wenig maass- gebend sind dagegen die Angaben — und es sind deren nicht wenige — die nur einen einzigen oder zwei solche Jahrgänge umfassen, die in Beziehung auf den Verlauf der vegetativen Erscheinungen (wie etwa die Jahre 1846 und 1847) bedeutend von einander abweichen. Ein hier- aus berechnetes Mittel gibt fast ohne Ausnahme höchst unbefriedigende Resultate und hat in der Regel nicht. ein- mal das Gewicht einer einzelnen Beobachtung, wenn, diese 100 in ein ziemlich normal verlaufendes Jahr fällt. Dieser Umstand ist es, auf den ich billige Beurtheiler dieser Arbeit ganz besonders aufmerksam machen möchte, in- dem, wie ich hoffe, manche Lücke der Unvollkommen- heit, die im Hinblick auf die scheinbare Reichhaltigkeit des Materials auffallen könnte, darin ihre Entschuldigung findet. Bei der Uebernahme der Arbeit träumte ich selbst von symmetrisch verlaufenden Curven, die ich bei der graphischen Darstellung der wichtigsten periodischen Er- scheinungen erhalten würde; ich träumte von einem Sy- stem von Linien, die, eingerahmt auf beiden Seiten von der Curve der Schneeschmelze und des Einschneiens, durch ihre Neigungs- und Distanzverhältnisse das zeitliche Ver- halten der vegetativen Erscheinungen unter sich und zur absoluten Höhe recht anschaulich gemacht und in leicht verständlichem Bilde dargestellt hätten, wie das vegeta- tive Leben, unten mit breiter Basis beginnend, nach oben in immer kleinerem Raume seinen Cyclus vollendet. So würde auch ohne Zweifel die graphische Darstellung aus- gefallen sein, hätte man die erwähnten Linien nach Mit- telwerthen, statt nach einzelnen Beobachtungen, construi- ren können. Unter den gegebenen Umständen aber muss- ten sich die geträumten Curven umwandeln in sonderbar verlaufende Zickzacklinien, die nur in ihrem Totalverlaufe, nicht aber in den einzelnen Biegungen bestimmten Ge- setzen zu folgen scheinen. Auf diese Gesetze hinzudeu- ten, sie hervorzuheben aus dem Labyrinihe scheinbar wi- dersprechender Thatsachen, — das ist der Hauptzweck, den ich bei der Ausarbeitung dieser Abhandlung in’s Auge fasste. Habe ich diesen Zweck auch nur annä- hernd erreicht, habe ich vielleicht Etwas dazu beitragen können, hie und da in einem etwas gleichgültig gewor- denen Beobachter frischen Eifer zu wecken, oder für die gute Sache der Wissenschaft neue Arbeiter zu gewinnen, so wäre dies immerhin eine Errungenschaft, die mich nicht wenig freuen würde.“ Die Betrachtung der einzelnen Erscheinungen im Früh- ling, Sommer und Herbst leitet der Verf. zunächst, mit folgenden Betrachtungen ein: „Unsere höchsten schweizerischen Gebirge liegen Jahr, aus Jahr ein unter dem eisigen Mantel ewigen Schnees. Kein grünender Pflanzenteppich schmückt diese öden Hö-, hen der Eisregion, wo alle Pfeile der Sonne erfolglos abzuprallen scheinen; kaum dass spärliche Flechten und Moose, angeklammert an einsame Felsenhäupter, die ihre kahlen Scheitel emporheben über unabsehbare Firnen, ein kümmerliches Leben fristen *). — Etwas tiefer unten, in der Region, die in der Sprache der Wissenschaft die sub- nivale heisst, schwindet auf einige Zeit das umhüllende, *) Durch diese allgemein gehaltene Schilderung wird na- türlich das Vorkommen phanerogamischer Pflanzen in der Schneeregion nicht in Abrede gestellt, Es ist Thatsache, dass einige Alpenpflanzen, wie Silene acaulis, Cherleria se- doides, Cerastium latifolium L., Androsace glacialis und hel- vetica, Gentiana imbricata u: v. a. oft bis über 11,000’ hin- . aufsteigen, i ö Winterkleid, und ein saftiges, liebliches Grün, durchwo- ben vom dunklen Blau kleiner Gentianen, dem freundli- chen Roth der Gletscher - Aretien und den helleren Far- ben stengelloser Ceraslien, folgt, gepflegt und gezeitigt von den wärmenden Strahlen der Sommersonne, auf das einförmige Weiss des Winters. Schnell strömen dann die Lebenssäfte in der kleinen, freundlichen Florula ‚die mit ihrem grünen Rasenteppich sich wie ein weiches Kis- sen über die Felsen breitet; denn die Frucht, die das Fortbestehen der Species sichert, soll zur Reife gelangen, ehe der tödtende Hauch des bald wiederkehrenden Win- ters alles Leben vernichtet. Oft freilich erhascht ein früh- zeiliger Frost das zarte Leben noch vor seinem Ziele; dann hat die vorsichtige Natur die Erhaltung der Art in der Sprosskraft dicker, holziger Wurzeln gesichert. — Steigen wir jetzt herunter in die Region der Alpenwei- den, dann, dem Verlaufe der Thäler folgend, immer tie- fer und tiefer, bis in den ebneren Theil unseres Vater- landes, so sehen wir die Zeit des latenten Lebens in be- ständiger Abnahme, die Vegetationszeit dagegen und mit ihr den Reichthum der Flora in stetem Wachsen begril- fen, bis jene in tiefer gelegenen Gegenden wohl. 3 des Jahres umfasst. Zugleich treten die vegetativen Erschei- nungen weit aus einander. Während in den höheren Re- gionen der Alpen Schneeschmelze, Bodengrün und Ent- faltung der Blüthen unmittelbar auf einander folgen, ja oft sogar. einige Alpenpflanzen die. dünner gewordene Schneedecke durchbrechen, werden in tieferen Gegenden diese Frühlingsphänomene Wochen, ja Monate lang aus einander -gehalten.. Hier muss nämlich, bei dem ganz allmäligen Steigen der Temperatur, die ungleiche Em- pfindlichkeit der Pllanzen für die Wärme sich äussern durch frühere oder spätere, langsamere oder schnellere Entwickelung, so dass im Eintritt der gleichen Erschei- nung an verschiedenen Pflanzen eine bestimmte Reihen- folge wahrgenommen wird. In den Alpen, wo die Schnee- schmelze durchschnittlich bei etwas höherer Temperatur eintritt und wo ohnehin das Wiedererwachen der Lebens- thäligkeit schon durch die Endwärme veranlasst wird, werden jene Differenzen so ziemlich aufgehoben. Diese Abnahme der Zeitunterschiede, die wir hier bei der Be- trachtung des nämlichen Phänomens an verschiedenen Pilanzen von unten nach oben eintreten sehen, zeigt sich nicht minder im zeitlichen Verhalten verschiedener Er- scheinungen an der nämlichen Pflanze. Immer schneller erfolgt z. B. mit steigender Höhe auf das erste Ausschla- gen der Bäume die volle Belaubung, schneller aber auch im Herbste auf die Entfärbung der Blätter deren voll- ständiger Abfall. Nur die Dauer der Fruchtreife folgt, weil abhängig von einem bestimmten Quantum der Wärme, dem umgekehrten Gesetze. Sie nimmt von unten nach oben zu und kommt in den hohen Regionen kaum noch vor dem Eintritt der herbstlichen Fröste zum Abschluss. Kehren wir jetzt noch einmal zurück zur oben er- wähnten Empfindlichkeit der Pflanze für die Wärme. Wenn wir im Winter die Bäume, in Uebereinstimmung mit der 102 umgebenden Natur, kahl und öde dastehen schen, sich uns fast unwillkürlich der Gedanke auf, der gebun- dene Zustand des Pflanzenlebens sei weiter Nichts, als die nothwendige Folge der niederen Temperatur. Wer aber schon Gelegenheit hatte, die nämlichen Bäume wärmerem Klima, wo ein ewiger Frühling herrscht, in ihrer Winterruhe zu erblicken, wird hingewiesen auf eine individuelle Lebenskraft, vermöge welcher die nordischen Pflanzen, die baumarligen wenigstens, auch in anderen Himmelsstrichen eine gewisse Unabhängigkeit behaupten. So sah Prof. Heer auf Madeira unsere Obst- und Wald- bäume während des Winters inmitten !ropischer Blüthen- welt, entlaubt oder doch mit verdorrten Blättern daste- hen; nur war die Zeit latenten Lebens um einige Wochen kürzer, als in ihrer mehr nördlichen Heimath. Ein ge- wisses Minimum der Winterruhe ist demnach in unseren Breiten unabweisbares Bedürfniss der Pflanze. Ist dies Bedürfniss befriedigt, so folgt dieselbe den Einflüssen der Temperatur. Wären uns die Grenzen dieser letzteren be- kannt, innerhalb welchen eine gewisse Pflanze zu leben im Stande ist; wüssten wir, wo ihre Bildungsthätigkeit ein Maximum, wo sie ein Minimum erreicht und in welchem Verbältniss sie mit der Temperatur steigt und fällt, so wäre der Grund zu einer ächt wissenschaftlichen Erfor- schung der Vegetationserscheinungen gelegt, und wir könn- ten diese wohl bald mit mathematischer Schärfe als eine Funktion der Wärme darstellen, welche der Pflanze zu Gute kommt *). Bei dem gegenwärtigen Stande der Wis- senschaft müssen wir uns jedoch begnügen, die allgemei- nen Beziehungen der vegetativen Entwickelung zur Tem- peratur der umgebenden Luft auszumitten und durch möglichst viele Beobachtungen die Fehler annähernd aus- zumerzen, welche einerseits durch Unkenntniss der oben angeführten Verhältnisse, andererseits durch Nichtbeach- tung anderer influenzirender Umstände, wie z. B. der In- solation, Bodenwärme, Bodenbeschaffenheit u. s. w., noth- wendig herbeigeführt werden. Man sieht, es ist hier noch ein weites Feld zur Beurtheilung offen.“ Bezüglich der Darstellung der Frühlingsphänomene, der Sommer- und Herbstphänomene müssen wir auf das Werk selbst verweisen; die Art der Bearbeitung wird sich aus folgender Schilderung der Frühlingsphänomene zur Genüge ergeben. *) Neben der Wärme sind freilich noch andere Mamente zu erwähnen, welche auf den Vegetationsprocess den erheb- lichsten Einfluss äussern, so die Feuchtigkeit der Luft, die direkte Einwirkung des Sonnenlichtes, ja sogar der atmo- sphärische Druck u. s. w. Da indessen alle diese Einflüsse an einem bestimmten Punkte ziemlich oonstant und ohnehin von untergeordneter Bedeutung sind, so dürfen sie im Ge- ‘gensalze zur Variabeln der Temperatur als Constante angese- hen werden, deren absoluter Wertli für einen gegebenen Ort durch Beobachtung zu bestimmen wäre. — In den Tropen ist das Verhältniss umgekehrt, die Temperatur zeigt kleine, die atmosphärische Feuchtigkeit sehr grosse Schwankungen, Von dieser lelzteren als Variabeln hängt das Gedeihen der Vege- tation ab. 7° 403 „Den Verlauf der Frühlingsphänomene etwas genauer zu verfolgen, sei nun zunächst unsere Aufgabe. Lassen wir sie, um in wenigen Zügen ein treues Bild zu ent- werfen, in ihrer natürlichen Reihenfolge vor unserem Auge vorüberziehen. Das Wiesengrün eröffnet die Reihe; ihm folgen, bald in kleineren, bald in grösseren Abständen, die Kirschbaumblüthe, die Belaubung der Buche und die lange dauernde Birn- und Apfelbaumblüthe. Zwi- schen diese am meisten in die Augen fallenden Erschei- nungen, die voraus die Physiognomie des Frühlings be- dingen, drängen sich aber noch manche andere hinein und treten im Vorüberziehen, wenn auch weniger eflekt- voll, doch ebenso freundlich vor unser Auge; noch an- dere eilen als willkommene Vorboten selbst dem Wiesen- grün voraus. Schon im Februar (sogar im Januar schon) treiben zuweilen frühzeitige Tussilagines ihre gelben Blü- then empor; im Gebüsche verborgen, schmückt sich der Seidelbast; die Haselstaude öffnet die dicht anschliessen- den Kätzchenschuppen, und vom Winde getragen entlliegt der Blüthenstaub. Bald verbreiten Primeln und duftende Orte. A. Höhe. Wiesengrün. (Zürich (6 Jahre) 1270° 0 Frauenfeld (2—3 Jahre) 1290/ 0 Rafz (1846) 1290° u) Küssnacht (3 Jahre) 1270‘ 0 Glarus (45 Jahre) 1400° 0 Meitmenstetten (2 Jahre) 1460° 0 Mitlödi (2—3 Jahre) 1590° 0 Lohn (3—4 Jahre) 1970 0 Menzingen (2 Jahre) 2480° 0*) Matt (4 Jahre) 2560 0 Diese Zahlenverhältnisse sind nun allerdings nicht der Art, jenes allgemeine Gesetz so ganz leicht erkennen zu lassen, indem die Mittel von 2 bis 3 Jahren sich vom wahren mittleren Werth oft bedeutend entfernen können. Ueberdies ist der Vergleichungspunkt, das Wiesengrün, so sehr von der Lage zur Sonne abhängig, dass der Ein- fluss beträchtlicher Höhendifferenzen gegen jenen mächti- gen Faktor fast gänzlich zurücktreten kann. So sind 2. B. die grossen Zahlen für Mitlödi aus dem Umstande erklärbar, dass dieses Dorf an einem sehr sonnigen Ab- hange liegt, wo der Schnee frühzeilig schmilzt und das Wiesengrün ebenfalls sehr früh erscheint. In Lohn kommt zu diesen Vorzügen der Lage noch der Mangel domini- render Berge. Normalere Verhältnisse, daher auch die sichersten Anhaltspunkte, die allein eine Vergleichung zu- lassen, bieten Zürich und Frauenfeld für Höhen unter 1300, Glarus und Meltmenstetten für 1400—1500, Matt für 2560 Fuss. In dieser Höhenscala lässt sich denn auch ein fortwährendes Kleinerwerden der Zeitunterschiede *) Die Verzeichnisse geben nur den Tag der ersten Be- grünung der sonnigen Hügel; daher die grossen Zahlen. 104 Veilchen ihre Wohlgerüche; die Kornelkirsche entfaltet die kleinen Blüthendöldchen, und noch ‘ehe der Buchenwald in frischem Blätterschmuck prangt, hallt schon das ge- schwätzige Echo den Ruf des Kukuks zurück. Ich habe schon früher angedeutet, dass in grösseren Höhen die ganze vegetative Entwickelung in einen engeren Raum zusammengedrängt, dass ihr Verlauf ein schnelle- rer sei. Dieses allgemeine Gesetz soll hier in einigen Beispielen seine Bestätigung finden. In Zürich fällt die Kirschbaumblüthe ungefähr 38 Tage nach dem ersten Wiesengrün; in 8 Tagen folgt die Birnbaumblüthe, in 12 die Belaubung der Buchen, in 17 das Blühen der Apfel- bäume. In Glarus dagegen erscheint das erste Kirsch- baumblust schon 18 Tage nach dem ersten Bodengrün, nur 14 Tag vor dem Buchenlaub, nur 20—12 Tage vor der Blüthe der Apfelbäume. Einige andere Verhältnisse sind nebst diesen in folgender Uebersicht zusammenge- stellt. Die Zahlen geben an, um wie viel Tage die be- zeichnete Erscheinung später erfolge, als das Wiesengrün. Kirschenblust. Birnb.-Blüthe. Buchenlaub. Apfelb.-Blust. 38 46 50 55 30 40 36 50 33 40 52 65 28 38 35 47 18 2 191 29% 13 23 16 30 20 25 25 36 30 37 37 45 35 48 50 55 10 20 10 26 (1847) in allen Zahlenreihen deutlich bemerken; aber besonders charakteristisch ist das rasche Fallen der Reihe, welche den Abstand der Kirschbaumblüthe vom Wiesengrün be- zeichnet. Es ist auch in der That für jeden Beobachter der Ebene auffallend, wenn er in höher gelegenen Berg- thälern den Kirschbaum schon in seinem Blüthenschmucke sieht, nachdem kaum vorher die Begrünung des Bodens auch die mehr beschatteten Stellen erreicht hat, während er sonst gewohnt war, blühende Bäume nur in grasrei- chen Wiesen zu sehen, die schon mehr als einen Monat vorher sich mit dem schönsten Grün bekleidet. — Das Buchenlaub, das in der ebeneren Schweiz 6—10 Tage nach dem Kirschenblust erscheint, fällt in Glarus und Matt fast mit diesem zusammen, scheint sogar hie und da um einige Tage früher zu sein. Es beruht dies auf dem Umstande, dass gleiche Höhendifferenzen auf den Kirschbaum mehr als auf die Buche Einfluss haben. — Auch der Abstand zwischen Birn- und Apfelbaumblüthe wird mit der Höhe kleiner, doch mag hier die Verschie- denheit und Mannigfaltigkeit der Sorten mit eine Rolle spielen, obschon deren Differenzen mehr in der Fruchtreife als in der Blüthenbildung hervortreten. - Ich könnte nun auch aus dem Jura ziemlich umfas- sende Angaben mittheilen, allein abgesehen davon, dass sie alle bloss auf das Jahr 1849 Bezug haben, sind die klimatischen Verschiedenheiten der einzelnen Localitäten, die bald auf freier Bergeshöhe, bald in schattigen Thä- lern von verschiedener Richtung gelegen sind, so gross, dass sie oft mehr als eine ziemlich beträchtliche Höhen- Orte. Höhe. Kirschb.-Blüthe. 1. Monibeliard 960° 24. Apr. — 0 2. Befort 1100° 20. Apr. — 0 3. Del&mont 1342... 28. Apr. — 0 4. Porrentruy 1363° 3. Mai = 0 5. Bressaucourt 1644’ 5. Mai = 0 6. Pery et Court 2000° 40. Mai — 0 7. Cortebert 2220° 26..Apr..—.0 8. Les Bois 3150° 28. Mai — 0 Was in dieser Tabelle besonders auffällt, das sind die grossen negativen Zahlen für das Buchenlaub. Sind die Angaben richtig, so würde also die Belaubung der Buchen in Pery et Court um 1 Tag, in Les Bois um 4, in Bressaucourt sogar um 23 Tage früher erfolgen, als die Kirschbaumblüthe, und es scheint dies Verhältniss für Höhen über 1600° ein constantes zu sein; denn die scheinbare Ausnahme für Cortebert beruht wahrscheinlich nur auf dem falschen Datum für die Kirschbaumblüthe, die wenigstens 15—16 Tage später eintreten dürfte, als es hier angegeben. Cortebert liegt nämlich mit Pery im nämlichen Thale und ist sonst bei allen Vegetationser- scheinungen um einige (2—3) Tage später, als dieser letztere Ort. Warum sollte die Kirschbaumblüthe eine Ausnahme machen? Im Uebrigen sei es dem Leser selbst 106 differenz die Vegetationserscheinungen modifieiren und da- durch das Erkennen einer bestimmten Regel bedeutend erschweren. Es sind daher beispielsweise nur die - ben von 8 Stationen in nachstehende Uebersicht aufge- nommen worden; überdiess ist das Grün der Wiesen we- gen allzu grosser Schwankungen weggelassen und die Kirschbaumblüthe als Nullpunkt gesetzt. Birnb.-Blüthe. Buchenlaub, Apfelb,-Blüthe. 11 16 14 17 16 14 14 10 13 7 4 10 7 — 23 13 9 — 1 15 24 14 28 2 — 4 3 überlassen, die gleichen Verhältnisse hier wieder aufzu- finden, auf die schon vorhin hingewiesen worden.‘ Aus dem Abschnitt über die Sommerphänomene ist das, was die Fruchtreife betrifft, von Interesse. „In Beziehung anf die Dauer der Fruchtreife *) ist bereits bemerkt worden, dass eine Verlängerung der- selben in grösseren Höhen nicht stattfindet, und zwar zum Theil in Folge der hohen Sommertemperatur mancher Localiläten, zum Theil auch wohl wegen der kleineren Differenzen, die selbst unter normalen Verhältnissen auf so geringe Höhenunterschiede fallen müssten und die auch dem genauen Beobachter sehr leicht entgehen kön- nen. In folgender Uebersicht sind einige Angaben, wie sie aus den Materialien abgeleitet werden können, zusam- mengestellt. Dauer der Fruchtreife in Tagen. Tab. I Tab. II Tab. III Wintergerste 36 33,6 42,5 Roggen 50 50,2 49,0 Korn (Tr. Spelta) 42,3 42,1 32,5 Sommergerste 40,6 37,2 40,1 Hafer 39,7 37,9 _ Weinrebe 117,5 119,7 122 54,8 56,6 (43,6) Kirschen Es wäre nun interessant, mit der Dauer der Frucht- reife auch die Temperatur der einzelnen Tage in Verbin- dung zu bringen, um dadurch vergleichbare Zahlen für das Wärmequantum zu erhalten, welches der reifenden Frucht während ihrer Entwickelung zu Gute kommt. Ein vorläufiger Versuch, der sich auf die Thermometerbeob- achtungen von Zürich und Lenzburg stützte, gab indes- sen höchst unbefriedigende Resultate. Da nämlich die Sommertemperatur in Lenzburg bedeutend höher steigt, als in Zürich, die Dauer der Fruchtreife aber gegen das Tab. IV Bevers Lenzburg Zürich Frauenfeld Menzingen — — 34 34 45 65 54 59,6 44 59 u 44 44,5 37 35 51} — — —_ —_ —_ 113 119,1 112 —_ — 52 (56) 61 52 umgekehrte Verhältniss hinneigt, so müssen auch die von *) Ueber die Zeit von der Aussaat bis zur Fruchtreife sind nur Beobachlungen von Herrn Dr. Graf inRafz vorhan- den. Dieser den Freunden der Botanik bekannte Beobachter berichtet über die Sommergerste Folgendes: Sie ward zwischen dem 3. April und 8. Mai gesäet, zwischen dem 15. Juli und 5. August geerntet und brauchte vom Tage der Aussaat an bis zu dem der Ernte gezählt und im Mittel von 17 verschie- denen Aeckern 98 Tage. Am 3. und 4. April gesäete Som- mergerste erreichte die Reife zur Ernte nach 101 Tagen, am 26. April gesäete naclı 92, am 8. Mai gesäele nach 89 Tagen, — also im Mittel nach 3 Monaten. 107 der nämlichen Pflanze empfangenen Wärmesummen für Zürich und Lenzburg verschieden ausfallen, gleichviel, ob man bloss die Quadratur der 'Temperaturcurve zwischen den der Blüthenbildung und Fruchtreife entsprechenden Ordinaten suche, oder ob man mit Quetelet die Qua- drate der Temperaturen in Rechnung bringe. Auf eine genaue Uebereinstimmung dürfte man freilich auch im gün- stigsten Falle nicht rechnen, da die mittlere Temperatur im Schatten für die von der Pflanze absorbirte (je nach Farbe, Glanz u. s. w. grössere oder kleinere) Wärme- menge ein höchst unsicheres Maass ist; allein so grosse Differenzen, wie sie aus dem Vergleich von Lenzburg und Zürich hervorgehen, können nur von localen Verhältnis- sen der Beobachtungsstationen herrühren, welche den Fruchtfeldern wahrscheinlich nicht zukommen. Es existirt eben gegenwärtig für Thermometerbeobachtungen noch keine Methode, welche zum Studium der periodischen Er- scheinungen vollkommen vergleichbare Resultate lieferte. — Dass die Fruchtreife in höheren Regionen bei gerin- gerer Wärme eintritt, versteht sich wohl von selbst; es ist dies eine nothwendige Folge der Temperaturabnahme mit der Höhe. Ob aber diese geringere Temperatur durch die längere Dauer der Fruchtreife compensirt werde, ist eine Frage, die einer sorgfältigen Prüfung bedarf. Die bisherigen Beobachtungen, auch die spärlichen Angaben von Bevers sprechen dagegen, — die während der Fruchtreife empfangene Wärmesumme nimmt mit der Höhe ab. Mag nun auch der gesteigerte Lichtreiz in höheren Regionen, verbunden mit anderen modificirenden Eintlüs- sen, das aus unsern Thermometerbeobachtungen abgelei- tete Verhältniss dieser Abnahme beträchtlich ändern, so wird doch durch den geringeren Körnerertrag der Üerea- 108 lien die Richtigkeit der Regel im Allgemeinen bestätigt. Gerade weil die Cerealien, vielleicht in höherem Grade, als andere Pflanzen, auch mit geringen Wärmemengen vorlieb nehmen können, haben sie einen so grossen Ver- breitungsbezirk.‘ In dem Anhange ist noch ein Schema zu Beobach- tungen über die periodischen Erscheinungen in der Natur gegeben, welches (hier für die Alpenwelt) anderwärts mit Beziehung auf die Natur des Beobachtungsterrains aufgestellt werden müsste, um den so vielen Freunden der Naturbeobachtung nicht bloss Anleitung, sondern gleich die Sicherheit zu geben, dass ihre isolirten Beobachtun- gen sicher zu anderen unabhängig, aber nach gleichem Schema angestellten in einem ergänzenden Verhältniss stehen werden. Diess würde manche bereitwillige Bei- träge veranlassen. Miscelle. Zur directen Beobachtung des Blutlaufs hat R. Wagner die Gefässe des Mesenteriums älherisirter Thiere empfohlen, wo namentlich an den langen Kapillargefässen, die nur eine Reihe Blutkörperchen führen, sich die Geschwin- digkeit des Blutlaufs unter dem Mikroskop leicht messen lasse. Man sieht innerhalb der Gefässe immer 1) rothe Blut- körperchen, 2) farblose granulirte Blutkörperchen, 3) kleine Körperchen vom Aussehen der Fettkörnchen. — Bei seinen Untersuchungen sah der Verf. bei starker venöser Hyperämie des Darmes, dass sich einzelne Chylusgefässe mit Blutkörper- chen anfüllten; er betrachtet diess als Folge von Zerreissung einzelner Kapillargefässe in den Darmzotten, welche dann ihren Inhalt in den von Kapillaren umgebenen wandungslosen Centralraum der Zotten ergiessen. Feste Bestandtheile ge- langten durch die Zotten nicht aus dem Darminhalte in die 1856) und Chylusgefässe. (Göttinger Nachrichten No. 13. ö6. Heilkunde. Ueber die Kumiss-Kur. Von Hofr. Dr. Spengler (Ems) *). Die bekannte Thatsache, dass es bei den Kirgisen und Baschkiren weder Scrofeln, noch Tuberkeln gibt (vergl. Bin. Ztg. II. 345 und 346), hat mich veranlasst, nach- zuforschen, woher diese so auffallende Thatsache wohl komme. Die Antwort fiel meistentheils, wie auch schon an den angeführten Stellen, dahin aus, dass man glau- ben müsse, dass das hauptsächliche Nahrungsmittel der genannten Steppenvölker, der Kumiss, die gegohrne Stutenmilch, wohl die Ursache sein müsse. — Die Lite- ratur gab mir überhaupt nur sehr wenig Auskunft über diesen Gegenstand, und zwar ungefähr Folgendes: Kumiss ist serum lactis equinum, ein Getränk, das *) B&S> Ueber die Kumiss-Kur. Mitgetheilt von Hofrath Dr. L. Spengler zu Bad Ems. Abdr. aus der Balneol. Ztg. IV. No. 6 u. 7. 80%. 16 S. Wetzlar bei Rathıgeber, 1856. bei Dysenterie, Scorbut und Tuberkulose angewendet wird (Agatz, Aerztl. Taschenb. Würzb. 1856). Es ist ein Volksmittel, das in der Schwindsucht bei den Kalmücken gebräuchlich ist, ein geistiges Getränk aus Pferdemilch. Obschon die Literatur wenig Ausbeute lieferte, so erschienen mir die Thatsachen doch sehr wichtig, und ich benutzte die Gelegenheit, bei den Russen, die in den letzten Jahren unter meiner Leitung die Kur zu Ems gebrauchten, bei Aerzten und Laien, mich nach diesem Ku- miss zu erkundigen und seiner Bereitungs- und Anwen- dungsweise nachzuforschen. Ich erfuhr nun, dass man in die Steppen selbst häufig hinreise, um dort eine förm- liche Kumisskur zu gebrauchen, und dass auch in St. Petersburg selbst eine solche Anstalt sei. Auch fand ich glücklicher Weise Mehrere, die schon wirklich eine Kur dort in. den Steppen gebraucht haben und ihrer Güte verdanke ich die in den nachfolgenden Zeilen niederge- legten Mittheilungen, die ich theils mündlich, theils nach- träglich. schriftlich von ihnen erhielt. Der Kumiss, ein Mittel, welches im Westen Eu- ropa's fast gänzlich unbekannt ist, kann nicht allein als hygienisches betrachtet, sondern auch als Heilmittel bei chronischen Brustleiden, veraltetem Husten und bei der Auszehrung, welche im Beginnen ist, angewandt werden. Kumiss ist nichts zuders als in Gährung überge- gangene Stutenmilch, welche aber auch viel spirituöse Theile enthält. — Die Stutenmilch kommt ihren Bestand- theilen nach der Frauenmilch nahe, indem sic viel Zuk- ker, wenig Casein und Butter enthält. Das Casein ist sehr wenig, selbst in der gesäuerten Stutenmilch, zu bemerken; letztere ist fast ebenso flüssig wie Wasser. Die Butter zeigt sich in kleinen, wenig bemerkbaren Theilchen und nimmt eine dunkele Farbe an, wie man vermuthet, von den geräucherten Wänden der Saba (eine Art Schlauch, in welchem der Kumiss bereitet wird). Von Geschmack ist der Kumiss süsssauer ınd moussirt ziemlich stark. Ausser dem süsssauern Geschmack ist ein feuchter Geruch und Geschmack, welcher nur dem Kumiss eigen ist, wahrzunehmen; diese letzteren Eigenschaften sind sowohl vor, als nach dem Gebrauch des Kumiss zu bemerken. Die Meinung, dass dieser Geruch und Ge- schmack von dem ledernen Schlauch (Saba) herrühre, ist unbegründet; denn derselbe Geruch und Geschmack ist beim Kumiss wahrzunehmen, wenn solchor in einem höl- zernen Gefäss bereitet ist, nur mit dem Unterschiede, dass derselbe weniger moussirt und weniger sauer ist. Die Baschkiren und Kirgisen des Orenburg’schen Gou- vernements bebaupien, der gute Kumiss könne nur in einem ledernen Schlauch zubereitet werden, denn in demselben säuerte der Kumiss nicht zu schnell (was durchaus nölhig ist) und sei viel erfrischender. Die Zubereitung des Kumiss ist einfach, erfordert aber viel Aufmerksamkeit und einen gewissen Kunstgriff. Die Zu- bereitung wird folgendermaasen veranstaltet: Frisch gemolkene Stutenmilch wird in einen leder- nen, schmalen, gut durchräucherten Schlauch (Saba) ge- gossen. Wenn z. B. der Schlauch 12 Eimer Kumiss ent- halten kann, so werden diese zu } oder } mit gewöhn- lichem Trinkwasser zersetzt, es werden also die 12 Ei- mer Kumiss mit 3 oder 2 Eimer Wasser verdünnt. Diese Mischung von Milch und Wasser, welche von der Wärme säuert, wird vermittelst eines Rührstocks durchmischt, solches geschieht übrigens nur beim Anfange des Säuerns, wird nach einiger Zeit (etwa 2 Stunden) eingestellt, doch bleibt der Rührstock während der ganzen Gährung beständig in der Mischung. Durch das Umrühren geht die Gährung etwas schneller von Statten und es wird dadurch zugleich auch viel Luft hineingepumpt, so dass die Gährung uoch vor der gänzlichen Oxydation theil- weise in spirituöse Gährung übergeht. Man giesst läg- eh zur ersten Mischung frisch gemolkene Milch zu. Die gährt schnell, besonders wenn der Kumiss schon im Frühjahr , sobald die Stuten ein Füllen geworfen ha- ben, zubereitet wird. Die Gährung hängt viel vom 110 Wetter ab und kann im Verlauf von 12— 24 Stunden vollkommen fertig sein. Dem Anscheine nach hat der Kumiss Aehnlichkeit mit den Molken (von Kuhmilch), von welchen die Butter und Käse sich abtheilen; doch ist die Wirk- ung des Kumiss ganz verschieden von der Wirk- ung der Molken. Die Molken gehören zu den blutrei- nigenden, der Kumiss zu den nährenden und blutvermeh- renden Mitteln. Obgleich, wie wir aus den unten fol- genden Bemerkungen des Dr. von Chomenkoff er- sehen werden, beim Gebrauch des Kumiss keine Ver- stopfungen entstehen, so treten dennoch beim anfäng- lichen Gebrauch Verstopfungen ein; der Urin verrin- gert sich im Verhältnisse des Quantums des Getränkes; der Harn wird compacter, trüber und bildet einen bräun- lichen Bodensatz; — doch nach einiger Zeit lassen diese Erscheinungen nach und es treten andere ein. — Es ist aber zu bemerken, dass der Kranke selbst bei den Ver- stopfungen durchaus keine Beschwerden oder Blähungen im Magen fühlt, ungeachtet des zuweilen sehr grossen Quantum des Kumiss, welches er täglich nach Angabe des Arztes trinken muss. Wenn man sich einmal an den Kumiss gewöhnt hat, so zieht man gewiss dieses Getränk zur heissen Sommer- zeit allen übrigen vor. Der Kumiss erfrischt, stil den Durst, selbst den Appetit, und man fühlt sich nach dem- selben sehr gestärkt. — Da der Kumiss so zu sa den Appetit nur beruhigt und durchaus nicht benimmt, so kann man beim Gebrauch desselben dennoch viel essen, oder auch sehr wenig, jenachdem sich der Hunger ein- stellt. — Nach einem langen Spaziergange oder einer etwas angreifenden Fahrt fühlt man sogleich nach dem Genuss des Kumiss sich leichter und gestärkter. — Bis man sich an dieses Getränk noch nicht gewöhnt hat, ist nach dem Gebrauch desselben eine kleine Trunkenheit zu bemerken, welche aber nicht lange anhält und durchaus keine unangenehmen Folgen hinterlässt. Der Kumiss, welcher im Herbst bereitet wird, bringt am leichtesten eine Trunkenheit hervor, welche aber dennoch nur darin besteht, dass man sich sehr heiter und aufgelegt fühlt, im Gesicht erröthet und dabei, wenn man sich nieder- legt, sehr ruhig und fest einschläft. Kopfweh kommt niemals vor. Dr. v. Chomenkoff, weleher selbst den Nutzen des Kumiss erprobt hat, indem er von einem langjähri- gen Lungenleiden und einer schwachen Verdauungskraft befreit wurde, giebt folgende Notizen über die Wirkung des Kumiss. 1) Der Kumiss ist ein ungekünsteltes diätetisches Mittel, so zu sagen von der Natur selbst hingewiesen und daher in vielen Hinsichten vielen Arzneimitteln vor- zuziehen. 2) Es ist ein sehr nahrhaftes Getränk, welches den ganzen Organismus stärkt, die Eigenschaften der Säfte 111 verbessert und auch ein harntreibendes Mittel genannt werden kann. 3) Indem es diese Eigenschaften besitzt, stärkt es zugleich die Thätigkeit des Darmkanals, eine Eigenschaft, welche selten bei Arzneimitteln zu finden ist. 4) Von dieser heilsamen Kraft des Kumiss rühren die Erscheinungen her, welche während und nach der Kur zu bemerken sind. a) Bei der schwächsten Verdauung bringt der Ku- miss weder Schmerzen, noch Blähungen oder Beschwer- den im Magen hervor. Selbst in den grössten Quantitä- ten genossen (Ch. trank täglich 15—20, andere 40—50 Gläser Kumiss), bewirkt derselbe niemals Verdauungsbe- schwerden. b) Er vermehrt den Harn, welcher weisslich, wäs- serig und ohne Geruch ist. c) Die Ausdünstung der Haut wird vermehrt; er ist ein kräftiges Diaphoreticum. d) Die Ausleerungen sind immer regelmässig, unge- achtet des grossen Quantums , welches zuweilen der Kranke bei der Kur braucht. e) Nach dem Gebrauch des alten Kumiss bei nüch- ternem Magen ist eine leichte Betäubung (Trunkenheit) gleichsam wie beim Gebrauch des Porters zu bemerken. f) Wenn man eine Person, welche an Cachexia in- nominata oder Scorbut leidet, aus einer Vene zur Ader lässt, so bemerkt man, dass beim Gebrauch des Kumiss der Gehalt des Blutes an Fibrin und Üruor vermehrt und das Serum vermindert und mehr dicht wird. g) Das Aussehen der Kranken bessert sich merk- lich: man nimmt sehr zu, die trockene, sogar zusam- mengeschrumpfte Haut wird weicher, glatter, ein wenig feucht und bekömmt eine gesunde Farbe. Im Gesicht nimmt man zu, bekömmt gleichfalls eine gesunde Farbe und man möchte sagen ein ganz besonders gesundes Aus- sehen. — Die Baschkiren leben während des Sommers fast ausschliesslich von Kumiss, welcher ihnen als Essen und Trinken dient und werden dabei feit und stark. (Ja- rotzki, Die Heilkunde der Kirgisen. Med. Unterhalt- ungsbiblioth. II. 147.) Alle diese heilsamen Folgen des Kumiss sind beson- ders bei jungen Personen, welche an Nervenschwäche, 112 Atrophie oder Cachexia innominata, an Schwäche, Faul- heit der Bewegungen, Maltigkeit und Magerkeit des Kör- pers leiden, wahrzunehmen. Was die Krankheiten anbelangt, bei welchen der Kumiss gebraucht werden kann, so wollen wir folgende insbesondere anführen: 1) Bei allen veralteten organischen Lungenleiden, gleichfalls bei Lungenleiden nervöser Art. — Es ist aber zu bemerken, dass bei dem organischen Lungenleiden der Kumiss mehr palliativ wirkt; gegen jeden Grad der Aus- zehrung, Blutspeien, Katarrh, Engbrüstigkeit kann der Kumiss mit gutem Erfolg gebraucht werden. 2) Beim Scorbut, bei welchem sich vorzüglich Flek- ken auf den Füssen, Schmerzen und selbst Wunden zeigen. 3) Bei der Bleichsucht, im Fall, wo die Krankheit durch mangelhafte Blutbereitung bedingt ist. 4) Bei chronischer Wassersucht. 5) Bei Folgen einer Mercurialkur, wenn diese Fol- gen in Schwäche oder Dyserasia mercurialis bestehen. 6) In kleinen Dosen ist der Kumiss mit gutem Er- folg bei Reconvalescenten eines Nerven- oder typhösen Fiebers anzuwenden, besonders in den Fällen, wo die ge- sunkenen Kräfte gestärkt werden müssen, oder die Haut zur Thätigkeit gebracht werden muss. 7) Doch besonders entschieden und wohlthätig wirkt der Kumiss in den Krankheiten, welche von Mangel an Ernährung herrühren: dazu gehören alle Gattungen von Atrophie; oder bei Entkräftungen des Körpers, als Alters- schwäche, nervöse und besonders Spinalirritation, Tabes senilis, nervosa, dorsualis. Miscelle. Zerreissung der Muskelfasern desM. Rectus abdominis hat Virchow in mehreren Fällen bei Typhö- sen, Schwindsüchligen und bei einem Krebsleidenden beob- achtet. Er fand, dass die Muskelsubslanz fettarlig degenerirt oder eigenthümlich erweicht war, und dass die Zerreissung wahrscheinlich von der Bauchseite aus entstand; die Riss- stelle füllte sich mit Blut, welches koagulirte; nach Bam - berger, Friedreich und Hasse sind gewöhnlich Husten- anfälle die veranlassende Ursabhe. (Verhdlg. d. ph. med. Ges. zu Würzb. VII. 213.) Bibliographische Neuigkeiten. HM. — C. R. Braun, Lehrbuch d. Geburtshülfe mit Einschl. d. operaliven Therapeulik. 1. Abth. 8. pr. cplt. Brau- müller in Wien. 4 Tlilr. 16 Sgr. Dr. Paul Broca, De Petranglement dans les hernies abdomi- nales. 2 Edit. 8 271 p. Paris, Masson. F. Gross, Die Augenkrankheiten d. Ebenen Ungarns. Braumüller in Wien, 1857. 1 Thlr. 24 Sgr. Ch. West, Pathologie und Therap. in d. Kinderkrankheiten. Deulsch von A. Wegner. 2. Aufl. gr.d8. Hirschwald in Berlin, 1857. 2 Thlr. 18 Sgr. a gr. 4. N. — Bonnewyn, Considerations sur le the et sur son aceli- matement en Belgique. 1 Vol. 8. avec Fig. Gand. 1 Thlr. 6 Sgr. Du Chastel, Traite des arbres foresliers principalement em- ployes ä la plantation des roules, avenues el parcs. Espe- ces appropriees ä chaque terrain Description des especes, leur valeur commerciale. Prineipes generaux de culture. Instruments. Elulages sp@ciaux. Maladies. Insectes nuisibles etc. 12. 430 p. Bruxelles. 23 Sgr. Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena, . Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. I. Band No sS, Naturkunde. Ferd. Cohn, Ueber die Eutwickelung der Vegetation. — Miscellen. Schlossberger, Ueber den Byssus der Acephalen. — Virchow, Amyloid-Degeneration der Lymphdrüsen. — Heilkunde. Jäger jun., Ueber Einkapselung fremder Körper im Glaskörper des Menschen. — Miscelle. Aran, Mittel gegen intermittirenden Ge- sichtsschmerz. — Bibliographie. Naturkunde. Ueber die Entwickelung der Vegetation, Von Dr. Ferd. Cohn (Breslau). Der Vf. hat dem genannten Gegenstande nicht allein seine besondere Aufmerksamkeit gewidmet, sondern densel- ben auch zu methodischen Untersuchungen in der Schles. Gesellsch. f. vaterl. Kultur in Anregung gebracht. Im XXX. Jahresbericht sagt er darüber: „Ueber die Aufgaben und den Plan unserer Beob- achtungen habe ich nichts zu dem hinzuzufügen, was ich bereits in den Berichten für die Jahre 1851 und 1852 erörtert habe. Wenn ich damals hervorgehoben habe, dass wir uns darauf beschränken, zuverlässige und ver- gleichbare Data über die Entwickelung der charakteristi- schen Gewächse zum Zweck der Feststellung mitt- lerer, normaler Pflanzenkalender für die ein- zelnen Stationen zu sammeln, dass wir dagegen von allen vergleichenden Untersuchungen über das Ver- hältniss der Vegetation zu den klimatischen Faktoren vor- läufig absehen, so glaube ich auf diesem Gesichtspunkte, als dem einzigen, für ein Unternehmen dieser Art prak- tisch durchführbaren, auch jetzt noch beharren zu müs- sen. In dem Bericht für 1852 hatte ich erklärt, dass namentlich in Bezug auf das Verhältniss der Wärme zur Entwickelung der Pflanzen die bisher von Adanson, Babinet und Quetelet aufgestellten Theoreme mir wissenschaftlich nicht genug begründet erscheinen, um der Bearbeitung unserer Beobachtungen zu Grunde gelegt zu werden. Aus dieser Erklärung hat Quetelet Ver- anlassung genommen, der Akademie der Wissenschaften zu Brüssel eine Rechtfertigung seiner Anschauungen vor- zulegen (De linfluence des temperatures sur le developpe- ment de la vegetation: Bulletins de l’Academie de Bel- gique, tom. XXII, 1855. Nr 1.). Quetelet spricht zuerst seine Anerkennung über die Bestrebungen unserer Gesellschaft in diesem Gebiete aus, auf die wir um so mehr stolz sein dürfen, da sie von einem Manne ausgeht, der als die erste Autorität für alle Untersuchungen über die in den veränderlichen Erscheinungen des Natur- und Völkerlebens verborgenen Gesetze dasteht. Indem Quetelet aus unserem Bericht für 1852 diejenige Stelle übersetzt, welche die Kritik der Adanson-Babinet’schen, sowie seiner eigenen Hy- pothese enthält, sucht er unsere Einwürfe in Bezug auf die letztere zurückzuweisen. Ich hatte mich bemüht, dar- zuthun, dass, wenn dieselbe auch in einem von Quete- let selbst aufgeführten Beispiele der Wahrheit sehr nahe zu kommen scheint, dies doch nur Zufall sein könne, da sich ganz andere Resultate herausstellten, wenn man sei- ner Berechnung statt der Celsius’schen etwa die Fahren- heit’sche Scala zu Grunde legte, wodurch doch in der Sache selbst nichts geändert würde. Quetelet hat diese Betrachtung missverständlich aufgefasst; denn er erinnert daran, dass bei solchen Untersuchungen doch nur die wirksamen Grade in Betracht kommen können, d. h. die- jenigen, die sich über den Punkt des. Erwachens der Pflanze erheben; deswegen müsse man von der Fahrenheit'schen Scala von vornherein 320 abziehen, wel- che unter diesem Punkte liegen, der, wie er in dem hier betrachteten Beispiele voraussetzte, mit dem Gefrierpunkte zusammenfalle; nach Subtraclion dieser 32 Grade würde die Fahrenheit’sche Scala, wenn sie zur Berechnung sei- nes Theorems angewendet wird, genau dieselben Resul- tate geben, wie die von Celsius. Aber es war ja eben meine Absicht, darauf aufmerksam zu machen, dass Que- telet zwar im Prinzip zugebe, es sei der Punkt des Erwachens für verschiedene Pflanzen ein verschiedener; gleichwohl aber sind alle bisher nach der Quetelet’- schen Theorie angestellten Berechnungen „unbewusst“ von der Hypothese ausgegangen, dass die kr Ta Wärme 115 für alle Pflanzen und alle Entwickelungsstufen bei 0° be- ginne; wenn z. B. Quetelet die für das Blühen der Syringa, der Clethra und zahlreicher anderer Gewächse aus der brüsseler Flora erforderliche Wärmemenge durch Zahlen ausdrücken will, so berechnet er die mittlere Tem- peratur vom letzten Froste bis zum Eintritt der entspre- chenden Blüthenzeit, erhebt diese in’s Quadrat und mul- tiplieirt sie mit der Zahl der dazwischen liegenden Tage; hierbei wird stillschweigend angenommen, dass für alle diese Pflanzen die wirksame Wärme bei 0% anfange; nach derselben Hypothese hat Fritzsch für die wichtigsten Gewächse der prager Flora die erforderliche Wärme- menge berechnet. Es ist num aber nicht nur höchst un- wahrscheinlich, sondern es steht auch mit allen Beob- achtungen in directem Widerspruch, dass die niederen Temperaturen über 09 irgend welchen Einfluss auf die meisten Pflanzen unseres Himmelsstriches ausüben; be- kanntlich keimen Getreidesamen nach den Experimenten von Edward und Collin nicht, so lange die Tenipe- ratur nicht über 4—7°C. steigt; da jedoch das Hervor- spriessen der Gräser unter diejenigen Phänomene gehört, welche am frühesten, beim Beginne des Frühlings, von Statten gehen, so ist es höchst wahrscheinlich, dass min- destens eine solche, wenn nicht eine höhere Wärme er- forderlich sei, damit an den Knospen der meisten Bäume us, w. irgend welche Entwickelung eintrete; für das Blühen, Fruchttragen ist offenbar noch weit höhere Tem- peratur völlig wirkungslos. Wenn nun Quetelet, wie ich aus seiner Darstellung. entnehme, der Ueberzeugung ist, dass für jede einzelne Pflanze diejenigen Temperatur- grade über 00, die durch specielle Beobachtung als wir- kungslos für dieselbe festgestellt wurden, von den durch das Thermometer angezeigten Graden vorher abgezogen und ausser aller Berechnung gelassen werden müssen, so kann ich dagegen nicht den geringsten Einwand erheben; aber auch mir möge dieser hochverehrte Forscher es ver- zeihen, wenn ich darauf bestehe, dass alsdann die bis- her von ihm selbst, wie von Andern, unter einer ganz anderen, sicher irrigen Voraussetzung *) gemachten Be- rechnungen nicht haltbar sind, und dass, so lange jene Reductionen bei Feststellung der für jede Pflanze erfor- derlichen Wärmemengen nicht nachgetragen sind, was bisher noch nicht möglich war, auch das Urtheil über den wahren Werth seines Theorems im Vergleich zu dem von Adanson und Babinet keine sichere Basis hat, und die scheinbar so glänzenden Bestätigungen durch das Experiment an Syringa, Clethra u. s. w. vorläufig immer nur als zufällig angesehen werden können. Ein interessanter Streit über die Bedeutung der me- teorologischen Beobachtungen, wie sie gegenwärtig an- gestellt werden, für die Pflanzenphysiologie und ihre an- gewandten Zweige, die Acclimatisation, den Ackerbau und die Pflänzengeographie im Allgemeinen, erhob sich ...) Dass nämlich die wirksame Wärme überall bei 0% be- ginne, 116 im December des vorigen Jahres im Schoosse der pariser Akademie der Wissenschaften bei Gelegenheit eines Gut- achtens, welches der französische Kriegsminister über die Einrichtung meteorologischer Observatorien in Algier ein- gefordert hatte. Während die von der Akademie ernannte Commission durch ihren Berichterstatter Pouillet auf die möglichst genauesten meteorologischen Beobachtungen drang, weil solche nur einzig und allein für die Beur- theilung der Pflanzenentwickelung von Bedeutung. seien, stellten andere Akademiker die Nolhwendigkeit so serupu- löser Daten für diesen Zweck in Abrede, und der be- rühmte Physiker Biot erklärte in einem detaillirten Gut- achten, dass überhaupt die bisher in den meteorologi- schen Observatorien angestellten regelmässigen Tempera- tur-, Barometer- und Hygrometer- Beobachtungen völlig zweck- und nutzlos seien, und dass die Hoffnungen, die man auf dieselben von Seiten des Ackerbaues und der Pflanzenphysiologie gestellt hatte, sich als ganz illusorisch erwiesen hätten und erweisen müssten. Die Pilanzen, sagt Biot, haben gewissermaasssn ein doppeltes Leben, ein unterirdisches durch die Wurzel, ein oberirdisches durch den Stengel; die meteorologischen Einflüsse wirken auf beide in ganz verschiedener Weise; die Wärme kommt der Wurzel viel später, die Regen- menge in einer ganz anderen Vertheilung zu, als dem Stengel, welcher directem Sonnenlichte, nächtlieher Aus- strahlung, dem unmittelbaren Einfluss des Regens u. s. w. ausgesetzt ist. Unsere Bäume nehmen beständig mit der Wurzel Flüssigkeiten auf und hauchen solche in Gasform durch die Blätter wieder aus; aber das Verhältniss, in dem diese beiden Thätigkeiten zu einander stehen, ist ganz verschieden in verschiedenen Jahreszeiten. Im Anfange des Sommers wird die Flüssigkeit, welche die Wurzeln aufsaugen, vollständig entweder in den Zellen des Stam- mes verarbeitet oder durch die Blätter ausgehaucht, so dass diese Thätigkeiten sich im Gleichgewicht halten und ein in’s Centrum des Baumes reichendes Röhrchen keinen Saft ausfliessen lässt. Indem aber im Laufe des Som- mers sich die assimilirende Thätigkeit des Holzes er- schöpft und die Exhalation der gealterten Blätter sich verringert, so tritt das Aufsaugevermögen der Wurzeln in’s Uebergewicht, und die von unten aufsteigenden, den Stamm immer mehr und mehr überfüllenden Säfte bewir- ken den sogenannten zweiten, Augusttrieb, und fangen auch bald an, durch Bohrlöcher auszufliessen. Im An- fang des Winters bringt die Kälte die absorbirenden Kräfte des Stengels (Blätter, Knospen) völlig zum Stillstand; da sie aber noch nicht zu den Wurzeln gedrungen, so fahren diese fort, Flüssigkeit aufzunehmen, die den Stamm turgeseiren macht und bei Verwundungen gewaltsam aus- strömt. Gleichzeitig mit dieser aufsteigenden tritt zwi- schen Holz und Rinde eine absteigende Strömung eines gesätligteren Saftes auf, veranlasst durch die Kälte, de- ren von oben nach unten (wegen der nach unten immer dicker werdenden Rinde) fortschreitende Wirkung die Ge- fässe allmälig zusammenzieht und ihren Inhalt nach un- 117 ten zurücktreibt. Diese Doppelströmung setzt sich den ganzen Winter fort; der Turgescenz des Stammes ist auch das Zerspringen desselben bei starkem Froste zuzu- schreiben. Im Frühling erwacht die Thätigkeit der Knos- pen eher, als die der Wurzeln, daher saugen jene die in den unteren Theilen des Stammes aufgehäufte zucker- reiche Flüssigkeit mächtig auf, und so wird die aufstei- gende Strömung des Saftes um diese Zeit wieder über- wiegend, bis endlich auch die Wurzeln ihre Thätigkeit beginnen und bald von Neuem ein Gleichgewicht zwischen Aufnahme und Verbrauch der Säfte eintritt. — Die auf- saugende Thätigkeit der Wurzel documentirte Biot an einer 3 Fuss über der Erde abgehauenen Birke, die gleich- wohl am 16. Februar bis 17. Mai täglich etwa % Litre zuckerreichen Saftes durch ein Röhrchen ausströmen liess. Dagegen sieht man an den Getreidehalmen, deren Wur- zeln und unterer Theil schon völlig verdorrt ist, wenn die Aechre zu reifen beginnt, dass diese während des Som- mers allmälig allen Nahrungssaft aus dem Stengel aufge- sogen hat. 4Alle diese höchst complicirten Verhältnisse des Pllanzenlebens werden durch die gewöhnlichen meteo- rologischen Beobachtungen nicht im Mindesten aufgeklärt, so dass sich von diesen für die Pllanzenphysiologie durch- aus kein Nutzen erwarten lässt. (Comptes rendus de l’Academie des sciences XLI. 31. Dec. 1855. p. 1177. Eine der wichtigsten Arbeiten im Gebiete der Pflan- zengeographie, sowie aller verwandten, hier in Betracht kommenden Fragen ist das Werk von Alphons De Candolle (Geographie botanique raisonnde), welches im vorigen Jahre in zwei Bänden erschienen ist. Das erste Kapitel des ersten Bandes untersucht in gründlichster Weise das Verhältniss, in welchem Licht und Wärme zu ‚der Entwickelung der Vegetation stehen, und gelangt schliesslich zu dem Resultate, dass man die meteorologi- schen Beobachtungen und Tabellen nach einem ganz neuen Gesichtspunkte anordnen müsse, wenn sie für die Pflan- zenphysiologie von irgend welchem Werthe sein sollen. Man pflegt die Thermometer für meteorologische Beob- achtungen etwa 4 Fuss über dem Boden aufzuhängen; aber nur einige Sträucher befinden sich etwa in dieser Höhe, die Bäume dagegen in einem weil grösseren und die Kräuter in weit geringerem Abstande vom Boden; da aber die Temperatur in der Regel um so höher ist, je mehr man vom Boden aufsteigt *), so erhält man natür- lich nie durch das Thermometer die Wärme angezeigt, welche die meisten Pflanzen wirklich empfangen. Ferner ist die Temperatur des Bodens eine ganz andere; sie steigt und fällt nach ganz anderen Gesetzen, als die der Luft, und zwar sind die Temperatur- Extreme um so geringer und die Einwirkung der äusseren Wärme um so länger verzögert, je tiefere Erdschichten man untersucht; daher *) Vergleiche die neueste Untersuchung über Einfluss der Bodennähe auf die Anzeigen der im Freien aufgehängten Thermometer von Henrici. Poggendorf’s Annalen Jan. 1856, S. 319. 118 erhalten Pilanzen mit tiefen Wurzeln ganz andere Wär- memengen, als solche mit oberflächlichen; im Allgemei- nen ist der Boden im Winter um ‘mehrere Grade wär- mer, im Sommer um ebenso viel kälter als die Luft, Doch fällt der Einfluss der Bodentemperatur auf die Ve- gelation darum weniger in's Gewicht, weil überhaupt bei Entwickelung der Zweige mehr die Wärme, die sie direkt durch Strahlung empfangen, als die durch die unterirdi- sche Wurzel ihnen zugeleitete in Betracht kommt; die Bäume blühen und schlagen aus, selbst wenn die Erde noch gefroren ist. Da die Pflanzen direkter Insolation bei Tage ausgesetzt sind, so empfangen sie im Sonnen- schein eine um viele Grade (5— 6° im Sommer) höhere Temperatur, als das im Schatten aufgehängte Thermome- ter; auch die grössere Wärmeabsorption der grünen Farbe ist hierbei nicht ausser Acht zu lassen. Doch wird die durch die direkte Einwirkung der Sonne erzeugte höhere Temperatur vielleicht vollständig wieder ausgeglichen durch die stärkere Verdunstung der Blätter im Sonnenschein, sowie durch die ungehemmte Ausstrahlung bei Nacht, endlich durch die gegenseilige Beschattung, welche die meisten Blätter eines und desselben Baumes, namentlich im Walde, selbst auf einander ausüben, so dass ein ge- wöhnliches Thermometer in Wirklichkeit wohl im Mittel die Temperaturverhältnisse eines Baumes ziemlich genau bezeichnen mag; dies bestätigt auch die ziemlich gleich- zeitige Entwickelung der Blütlhen und Früchte bei beschat- teten oder unmittelbar der Sonne ausgesetzten Bäumen oder Zweigen *). Dagegen lässt sich in Gebirgen «ine bedeutend erhöhte mittlere Temperatur und beschleunigte Vegetation anf der Südseite im Vergleich zur Nordseite in der Regel nachweisen; ebenso tritt Blüthe und Frucht- reife weit eher ein bei Kräutern, die auf offenem Felde stehen, als bei solchen, die man gleichzeitig in einem stets beschatteten Raume aussäcte. Vor Allem aber hebt De Candolle mit Recht hervor, was auch wir bei un- serer Kritik der Quetelet’schen Untersuchungen als das wichtigste Moment bezeichneten: es beruhe der Haupt- fehler der bisherigen Bestrebungen, die Phasen der Ve- getation zu gewissen Wärmequantitäten in ein bestimmtes gesetzliches Verhältniss zu bringen, darin: dass man bei Berechnung der wirkenden Wärmesummen, der Monats- oder Jahresmittel die Temperaturen unter 0° ebenfalls in Rechnung gezogen habe, und zwar meist sogar als ne- galiv, indem man sie von den positiven abzog. In Wirk- lichkeit sind aber die Temperaturen unter 0° für alle Pflanzen schlechthin indiferent und wirkungslos, so dass sie bei der Berechnung gar nicht in Betracht kommen; die Entwickelung der Pflanzen befindet sich eben bei 0° in völligem Stillstand und verharrt darin, gleichgültig, *) Ich glaube ‚doch, dass hier grosse Differenzen statt- finden, dass die Entwickelung solcher Zweige, die das Son- nenlicht den ganzen Tag empfangen, um mehrere Tage der von schattigeren Parlieen vorausläuft, was für einen grossen Einfluss der Insolation spricht. 8*r 119 wie tief auch das Thermometer darunter fallen möge; ja für sehr viele Pflanzen, insbesondere für das Blühen und Fruchtreifen derselben, haben auch gewisse niedere Tem- peraturen über 0° noch‘ keine Einwirkung, so dass für diese bloss die Temperaturen über einen bestimmten Wär- megrad berücksichtigt werden müssen. Es darf bei pflan- zenphysiologischen Untersuchungen nur die wirksame Wärme (chaleur utile De Cand.; effiecace Quetelet) zu Grunde gelegt werden, d.h. diejenigen Mittel, die man erhält, wenn man je nach den verschiedenen Pilanzenar- ten alle Temperaturen unter 0°, 1°, 2% u.s. w. als nicht vorhanden ansieht und ganz ausser Rechnung lässt. Diese Wärme wirkt aber ganz verschieden nach der Entwicke- lungsstufe, in der eine Pflanze steht, also ganz anders im October als im April, obwohl die mittlere Temperatur beider Monate meist gleich ist u. s. w. Auch nimmt man an, dass eine gleichmässige Temperatur der Vegetation minder günstig sei, als Temperaturvariationen von der- selben mittleren Höhe, dass z. B. eine zwischen 5 und 15° schwankende Temperatur günstiger sei, als eine gleich- mässige von 10°; doch kann dies vielleicht darauf beru- hen, dass die für eine gewisse Pflanzenentwickelung er- forderliche wirksame Wärme über 10° liegt, also alle darunter liegenden Temperaturen überhaupt unwirksam sind. Dass auch eine höhere Wärme in geringerer Zeit dieselbe Wirkung. auf die Pflanzen ausübt, wie eine nie- derere Temperatur in längerer Zeit, ist gewiss; aber das Verhältniss, in dem Zeit und Wärme zu einander stehen, ist noch nicht erforscht; doch erklärt De Can- dolle in Folge seiner Untersuchungen sich nicht für die Hypothese von Quetelet, wonach die Wärme wirke nach Art der lebendigen Kräfte, entsprechend den Qua- draten der Tagestemperaturen, noch auch nach Art einer continuirlich beschleunigten Bewegung, wie Babinet an- nimmt; sondern er erachtet nach dem Vorgange von Boussingault und Adanson als die einfachste und zuverlässigste die Annahme, dass Ursache und Wirkung hier im direkten Verhältniss zu einander stehen, dass also die auf eine Pflanze bis zu einer bestimmten Entwicke- lung einwirkende Wärme ausgedrückt werde durch die Summen der mittleren Tagestemperaturen vom Beginne der Vegetation bis zum Eintritte jener Epoche. Der Grundirrthum fast aller bisherigen Versuche, die zwischen der Temperatur und der Vegetation obwaltenden Gesetze zu erforschen, beruht jedoch, wie De Candolle ganz besonders hervorhebt, darin, dass man die Pflanze für ein Thermometer ansieht, dessen Bewegung der em- pfangenen Wärme genau und regelmässig entspreche; aber die Entwickelung der Pflanzen steigt keineswegs in dem- selben Verhältnisse, wie die Wärme, noch geht sie rück- wärts, wenn die Quecksilbersäule sinkt. Die Pflanze ist eher mit einer Dampfmaschine zu vergleichen, die aller- dings erst dann in Bewegung gesetzt wird, wenn sie eine bestimmte Wärme empfangen, deren Thätigkeit im All- gemeinen auch durch höhere Wärme beschleunigt wird, 120 aber nicht in direktem Verhältnisse, da hierbei zahllose andere Bedingungen, namentlich der innere Bau, in Be- tracht kommen; sinkt die Temperatur unter einen be- stimmten Grad, so ruht die Maschine, aber sie hebt nicht ihre frühere Arbeit auf; sie beginnt vielmehr dieselbe so- fort, sobald die Wärme bis zu dem erforderlichen Grade wieder sich gehoben hat. Wenn man will, mag man die Einwirkung der Wärme auf die Fortentwickelung der Pflan- zen mit der Kraft vergleichen, die einen Wagen vorwärts treibt; ein Kind kann ihn nicht von der Stelle bringen, wohl aber ein Pferd; zwei, drei, vier Pferde bewegen ihn rascher als eins, aber durchaus nicht doppelt, drei- oder viermal so schnell; hört die treibende Kraft auf, oder sinkt sie auch nur unter einen gewissen Punkt, so steht der Wagen an der Stelle still, wohin er eben gebracht war; aber er läuft niemals zurück. Ich erlaube mir in Bezug auf diese Betrachtungen De Candolle’s nur die Bemerkung, dass, wenn auch für jede Pflanze und jede Entwickelungsstufe derselben nur die Wärme über einen gewissen Grad als nützlich betrachtet werden darf, doch die darunter liegenden Tem- peraturen nur so lange als unnütz und gleichgültig an- gesehen werden können, als sie nicht unter ein bestimm- tes Minimum fallen. Wenn der Wein nicht reift, so lange er nicht eine Sommertemperatur über 16° erhält, so ist jede Tempera- tur unter 160 für ihn völlig gleichgültig und als nicht vorhanden anzusehen, und wenn sie niemals so hoch sich erhebt, wie in London, so wird der Wein eben nie Frucht tragen. Fällt aber die Temperatur bis zu jener Tiefe, die man Frost nennt, die aber durchaus nicht immer un- ter 0° zu liegen braucht (bei tropischen Gewächsen), so ist sie nicht unnütz, sondern offenbar schädlich, indem sie das bis dahin von der Pflanze Producirte in der That wieder zer- stört; ihre Wirkung ist dann allerdings gewissermaassen negaliv,.'sie verzögert das Blühen u. s. w. eines Baumes, da dieses erst eintritt, wenn sich neue Knospen wieder gebildet. Genau genommen, hebt jedoch diese Thatsache das von De Candolle ausgesprochene Gesetz nicht auf, wonach Temperaturen, welche unter die „nützliche Wärme‘* fallen, gar nicht zu berücksichtigen sind; denn dieses bezieht sich nur darauf, dass der in einer Knospe ein- geleitete Entwickelungsprocess durch niedere Temperaturen zum Stillstande kommt, aber nicht zurückgeht; die Zer- störung der Knospen durch Frostschaden lässt sich mit den Verheerungen durch Hagel, durch Raupen u. s. w. in Parallele stellen, die ja auch das Blühen oder Fruchttra- gen bedeutend verzögern, wo nicht gänzlich verhindern. Die Ansicht Reaumur’s, Adanson’s, Bous- singault’s u. A., dass die Summe der mittleren Ta- gestemperaturen den einfachsten und entsprechendsten Aus- druck für die wirksame Wärme darstellt, hat, wie in den pflanzengeographischen Vergleichungen De Candolle’s, so auch in den Untersuchungen des Hrn. Prof. W. Lach- mann in Braunschweig, eine neue, höchst wichtige Un- 124 terstülzung erhalten, während sich die Quetelet’schen und Babinet’schen Theorieen bei dieser Prüfung als kaum haltbar erwiesen. (XXXI. Jahresbericht der schles. vaterl. Gesellsch.) Miscellen. Ueber den Byssus der Acephalen, welcher bisher za den Horngeweben gestellt wurde, hat Prof. Schloss- er Untersuchungen angestellt (Annal. d. Chem. und Physik. Se. Bd.); er benutzte Byssus der Pinna nobilis. Er fand die Fäden in Kali unlöslich; die mit Kali behandelte Byssussub- stanz wich im Stickstoffgehalt von dem Chitin der Crustaceen 122 wesentlich ab; sie steht zwischen Chilin und Conchielin in der Mitte. Amyloid-Degeneration der Lymphdrüsen ist nach Virchow eine eigenthümliche Entartung, wobei die Lymphdrüsen etwas anschwellen und hyperämisch werden; die Follikel der peripherischen Rindensubstanz werden in sago- ähnliche Körner umgewandelt, diese vermehren sich allmälig, so dass die Rindensubstanz gelblichgrau, bloss durchscheinend wird. Die Marksubstanz und die Lymphgefässe bleiben frei, die Arterien sind entartet, in den Wänden verdickt, im Lu- men verengt. Die Degeneration erscheint als eine Infiltration, ähnlich der Verkalkung. (Verhandl. d. plıys.-med, Ges. zu Würzburg. VII. 1856.) Heilkunde. Ueber Einkapselung fremder Körper im Glas- körper des Menschen. Von Dr. Jäger junior (Wien). Unter den mechanischen Verletzungen des Auges sind jene nicht die seltensten, bei welchen fremde Körper die Formhäute durchdringen und sich im Innern derselben dem Blicke des unbewaflneten Auges vollständig entziehen. Da es in der grösseren Zahl solcher Fälle bisher un- möglich war, das Verweilen des fremden Körpers im In- nern des Auges nachzuweisen, andererseits aber das rasche Verschliessen und Vertheilen der äusseren Wunde, die oft nur mässige Entwickelung, ja selbst der Mangel krank- hafter Erscheinungen in den äusserlichen Theilen des Auges, sowie in seiner Function, nur zu häufig die con- seculiven Störungen in den inneren Organen, ja selbst die ganze Verletzung übersehen liessen, so ist es erklärlich, dass unsere Erfahrungen über das Verweilen fremder Kör- er im Innern des Auges, besonders innerhalb des Glas- örpers, bisher noch so lückenhaft blieben und “wir über die hierdurch im Glaskörper veranlassten Ernährungsstör- ungen kaum irgend welche Andeutungen besitzen. Seitdem jedoch der Augenspiegel unsern Gesichts- kreis im Innern des Auges so wesentlich erweiterte, ward auch die Gelegenheit gegeben, in diesem Gebiete unsere Erfahrungen zu vervollständigen und wichtige Beiträge, Re über die entzündlichen Ernährungsstörungen des Glaskörpers zu sammeln, worüber ich hier nur an- deutungsweise Einiges mitzutheilen beabsichtige. — - Es sind gewöhnlich kleinere Metallstücke und Split- ter, die ob ihres geringen Umfanges und ihrer scharfen den gegebenen Widerstand in den Formhäuten leicht überwinden und somit ohne auffallende Erscheinun- n einer Verletzung theils die Sclerotica, häufiger jedoch e Cornea durchdringen, so dass der Verletzte kaum ihr un empfindet und sie oft ohne Ahnung der gefahr- en Verletzung, welche sein Organ getroffen, Tage, Wochen, ja für immer mit sich herumträgt. _ Hat der fremde Körper die Conjunctiva und Sclero- tica durchdrungen, so ist es oft schon nach wenigen Stun- den kaum möglich, die Eintrittsstelle nachzuweisen, wenn sie nicht zufälliger Weise durch ein zartes Extravasal, Klaffen der Scleroticalwunde oder durch die nachfolgen- den Entzündungserscheinungen angedeutet wird. Leichter ist es, die Verletzung in der Cornea aufzu- finden, wenn sich auch hier die Wundränder häufig so rasch und innig wieder vereinigen, dass kaum ein Ver- lust von Kammerwasser eintritt, oder dessen Ersatz naclı wenigen Minuten schon wieder erfolgt, so können doch, bei seitlicher Beleuchtung durch den Reflex der Cornea- oberfläche, oft noch Tage lang die äussern Wundränder nachgewiesen werden, insbesondere aber markirt sich der ursprüngliche Wundcanal in der Cornea, wenn er sich auch für das unbewaffnete Auge bei Tagesbeleuchtung scheinbar ohne Narbenmasse geschlossen hat, bei vom Augengrunde reflectirtem Lichte noch nach Monaten und Jahren durch eine wirklich bestehende oder nur schein- bare Trübung in Folge der durch ihn bedingten Ablenk- ung und Zerstreuung der Lichtstrahlen. Hatte der fremde Körper sofort die Iris durchrissen. so erblickt man je nach der Lage der verletzten Stelle eine mehr oder weniger umfangreiche Risswunde in derselben vom Pupillenrande aus, oder gewöhnlich eine kleine Lücke in ihrer Flächenausdehnung, die bei oberflächlicher Be- achtung nur zu leicht für einen Pigmentfleck gehalten, bei der Beleuchtung jedoch mit dem Augenspiegel durch das Hindurchleuchten des Augengrundes oder das Sichtbar- werden der dahinterliegenden Trübungen, mit Sicherheit als solche nachgewiesen wird. Hatte nun der fremde Körper mit oder ohne Ver- letzung der Iris seinen Weg sich bis in die Linse, oder durch selbe hindurch gebahnt, so gelingt es auch hier wiederholt, entweder denselben innerhalb der Linse auf- zufinden oder seine Bahn in und durch das Linsensystem zu verfolgen, indem nach solchen Verletzungen nicht immer eine sich rasch entwickelnde, oder überhaupt an Umfang zunehmende und über die ganze Linse sich verbreitende locale Trübung eintritt. Im Allgemeinen scheinen kleine, das Linsensystem rasch durchdringende Körper die vordere Kapsel weniger, 123 die hintere jedoch ausgiebiger zu zersplittern. Hierdurch wird nicht nur die Veranlassung zu einer in der vorderen Corticalschicht minder umfangreichen Trübung als in der hinteren, sondern auch zu einer häufigeren und vollstän- digeren Verlöthung der vorderen Kapselwunde gegeben, wovon aber auch die Richtung von aussen nach innen, in welcher der Körper eindringt, einen wesentlichen Factor bildet. Kurze Zeit nach der Verletzung stellen sich dem Um- fange der Kapselwunden und der Zertrümmerung der Lin- senschichten entsprechende oberflächliche Trübungen der Corticalmassen und häufig eine nur unbedeutende des übrigen, die tieferen Linsenschichten durchdringenden Wundcanals ein, die gewöhnlich nur dann an Umfang zu- nehmen, wenn eine dauernde Einwirkung der wässerigen Feuchtigkeit, des Glaskörpers oder des fremden Körpers selbst auf die Linse gegeben ist; hatte sich aber die vor- dere Kapselwunde vollständig verlöthet, so verbreitet sich die cataractöse Trübung bei, oft erst nach Monaten oder selbst Jahren, nachweisbaren Fortschritten allein von der hinteren Kapselwunde aus; war dagegen eine Verwachs- ung der vorderen wie hinteren Kapselwunde erfolgt, so bleibt in nicht seltenen Fällen die cataractöse Trübung auf die ursprünglich zertrümmerten und ihnen zunächst gelagerten Linsentheile beschränkt, die physiologische Er- nährung der Linse im Ganzen erhält sich, ja man be- merkt sofort nach Wochen und Monaten eine 'allmälige Verminderung der ursprünglichen Trübung und einen Er- satz mit durchsichtiger Masse, bis auf ein dem Umfange der Kapselnarbe entsprechendes Minimum, ‚gleichwie auch bei anderen Kapseltrübungen (z. B. cataracta centralis) sich häufig nur die unmittelbar dahinter gelagerte Corti- calmasse getrübt zeigt. Nicht immer jedoch verletzt der durch Cornea und Iris in den Glaskörper eindringende fremde Körper auch das Linsensystem, indem die Richtung des äusseren Wund- canales, die Lage der Iriswunde, so wie der Mangel einer Verletzung der übrigen Organe, den Weg durch den Pe- tit’schen Canal, welchen er genommen, andeuten. Ist nun endlich in der einen oder andern Richtung der fremde Körper bis in den Glaskörper ‚gelangt und hiebei die Kraft seiner Bewegung erschöpft, so senkt er sich ziemlich rasch nach abwärts und wird, ‚auf der Glas- haut aufliegend, am häufigsten in der Aequatorialgegend des Auges angetroflen. Beleuchtet man bei Abwärtsstell- ung des verletzten Auges dasselbe mit einem einfachen Concayspiegel von oben, so. dass die Lichtstrahlen unter einem sehr spitzen Winkel zur Irisebene durch. die Pu- pille eindringen, so erblickt man häufig ohne irgend ein Correetionsglas, ja selbst neben dem Spiegel in das Auge sehend, den zu den gegebenen Wunden scheinbar un- verhältnissmässig umfangreichen fremden Körper mit leich- ter Mühe. In der ersten Zeit erscheint der fremde Körper in dem durchsichtigen Glaskörper auf dem gelbrothen Augen- 124 grunde aufliegend, vollkommen deutlich, scharf begrenzt und in entsprechender Farbe, nach Verlauf jedoch von mehreren Tagen tritt unter gleichzeitiger Entwickelung lo- caler Retina- und Chorioideal- Entzündung eine leicht grauliche Trübung des Glaskörpers in der nächsten Um- gebung des fremden Körpers ein (und zwar — scheinbar — von der Peripherie des Glaskörpers gegen sein Cen- trum vorschreitend, so wie bei physiologischem Verhalten seiner übrigen und auch zunächst den Processus ciliares und dem Petit’schen Canale gelagerten Partieen), welche allmälig an Dichtigkeit zunehmend, zuerst den fremden Körper in ‘Form eines stark glänzenden, gelbweissen, breiten Saumes umgibt, wodurch dessen Contouren un- deutlich werden, derselbe jedoch in seiner Oberfläche durch seine meistens dunkele Färbung um so auffallender hervortritt. Nach und“nach gewinnt diese Glaskörper- trübung an Umfang und von der Peripherie auf die in- nere Oberfläche des fremden Körpers übergreifend, hüllt sie denselben vollständig ein und entzieht ihn dem Blicke gänzlich. Bleibt der Entzündungsprocess local beschränkt, so bemerkt man wiederholt schon nach 1 bis 2 Wochen, unter Verminderung der Entzündungserscheinungen in der Retina und Chorioidea, eine allmälige Abnahme im Um- fange des den fremden Körper einschliessenden Exsu- dates und unter Aufhellung des getrübten Glaskörpers bildet sich endlich eine derbe, den fremden Körper enge umschliessende Membran, so dass man anstatt des dunk- len fremden Körpers nun im Augengrunde die ihn um- gebende und im Allgemeinen seine Form in grösseren Dimensionen ausprägende, stark lichtrefleetirende weiss- gelbe Kapsel in scharfer Begrenzung wahrnimmt. In solchen Fällen treten auch während der Einkap- selungsperiode weder in den äusserlich sichtbaren, noch in den übrigen Gebilden des Auges auflallende Krank- heitserscheinungen auf; ein zeitweise sich einstellendes Gefühl geringen Unbehagens im Auge, leichte Umnebel- ung des Gesichtes und Beschränkung der Accommodation sind oft die einzigen, wiederholt auch vom Kranken nicht gewürdigten Symptome eines Processes, welchen der Arzt nur durch die innere Untersuchung des’Auges zu erken- nen vermag. Sollten aber auch, der In- und Extensität der all- gemeinen Verletzung wie des localen Processes entspre- chend, anderweitige Störungen in der Ernährung und Funktion des Auges eintreten, so verschwinden selbe doch nicht selten nach vollendeter Einkapselung mehr oder weniger vollkommen und es kann auch sonach die Form und Funktion des Auges dauernd erhalten bleiben. Solche Verletzungen des Auges endigen jedoch nicht immer so günstig, indem die Anfangs local beschränkte Chorio-retinitis immer mehr und mehr sich verbreitend alsbald zu jener In- und Extensität gelangt, durch wel- che nicht nur die Funktion, sondern, meistens auch die Form des Auges zu Grunde geht, und wobei unter Zu- 125 nahme der Trübung und Schmelzung der mit Exsudat in- irten Glaskörperparticen sich ein Abscess bildet und r fremde Körper ausgestossen, oder unter den vielsei- tigsten Verbildungen in den übrigen Gebilden endlich dennoch eingekapselt wird und sonach bei zufällig be- stehender Durchgängigkeit der Pupille für Lichtstrahlen noch in dem funktionsunfähigen und atrophischen Bulbus wahrgenommen werden kann. — Bei der grossen, stels wachsenden Zahl der Ver- letzungen des Auges durch mehr oder weniger tief ein- dringende fremde Körper, zu welcher die alberne Spie- lerei des Zerschlagens von Zündhütchen mittelst eines Hammers oder Steines und insbesondere das Meisseln von Gusseisen und Stahl den grössten Antheil liefern, hatte ich, abgeschen jener Fälle, wo das Verweilen des frem- den Körpers im Glaskörper und die Einkapselung nur auf indirecte Weise oder erst nach abgelaufenem Processe nachgewiesen werden konnte, bisher sechsmal die Gele- genheit, den Vorgang der Einkapselung innerhalb des Glaskörpers zu verfolgen. In dem ersten Falle war ein Gussstahlsplitter im Bereiche des oberen und äusseren Theiles der Pupille des rechten Auges durch die Hornhaut und das Linsen- system in beinahe paralleler Richtung mit der Sehaxe in den Glaskörper eingedrungen und hatte sich am Aequa- tor des Auges zu Boden gesenkt. Bei der Untersuchung am dritten Tage nach der Verletzung erschien die Trüb- ung der vereinigten Corneawande, so wie der Cortical- schichte im Bereiche der vorderen Kapselwunde nur von geringer Ausdehnung, die der Corticalschicht an der hin- teren Kapselwunde aber von grösserem Durchmesser. Der Wundcanal durch die mittleren Schichten der Linse war nur durch äusserst zarte Trübungen angedeutet. Die sich entwickelnde Entzündung blieb local be- schränkt und rief an den äusseren Gebilden des Auges keine sichtbaren Krankheitserscheinungen hervor, auch klagte Patient bloss über leichte Umnebelung seines Ge- sichtes. Während der Einkapselung dieses Stahlsplitters vermehrte sich die hintere Corticaltrübung allmälig, nach vollendetem Processe jedoch zeigte sie keine Zunahme mehr, die vordere Corticaltrübung nahm beträchtlich an Umfang ab, die Trübung der mittleren Linsenschichten verschwand gänzlich und das Auge blieb seiner Form und Funktion nach erhalten, so dass Patient es nun schon seit drei Jahren beinahe mit demselben Erfolge benutzt wie früher. — Bei dem zweiten Falle war ein. Eisensplitter im lin- ken Auge, ebenfalls parallel der Axe, nach innen und oben durch Hornhaut, Iris und Linse in den Glaskörper einge- drungen. - Patient, in der Meinung, die zarte Verschleierung in seinem Schfelde und einzelne vorübergehende fremd- arlige Gefühle im Auge seien durch den noch in der Cornea haftenden fremden Körper veranlasst, stellte sich erst acht Tage nach der Verletzung vor. 126 Die Hornhautwunde war kaum noch zu erkennen, die Iriswunde stellte sich bei Tagesbeleuchtung als klei- ner, elwas über 1 Mm. grosser, dreieckiger, schwarzer Fleck dar, konnte aber bei der Untersuchung mit dem Augenspiegel, ähnlich der normalen Pupille, erleuchtet werden; die vordere Kapselwunde erschien geschlossen, und die anliegende Corticalträbung von äusserst geringer Ausdehnung; der Wundcanal durch die Linse war nur durch sehr zarte Andeutungen zu verfolgen, die hintere Corticaltrübung dagegen zeigte einen beinahe dreifachen Durchmesser der Iriswunde. Die Einkapselung dieses im Aequator des Auges auf der Glashaut aufliegenden fremden Körpers wurde unter wiederholt sich steigernden, aber stets local beschränkten Entzändungserscheinungen, die nur in ihrem Höhepunkte mit leichten Reizungserscheinungen in den übrigen Gebil- den des Auges gepaart waren, nach drei Monaten ohne sichtbaren Fortschritt der Linsentrübung und ohne weiteren Nachtheil für Form und Funktion des Auges vollendet. Patient geht dermalen seit 1 Jahre ungestört seiner gewohnten Beschäftigung nach, und nur in der letzten Zeit scheint die hintere Corticaltrübung an Umfang zu gewinnen, und die Funktion des Auges sich entsprechend zu mindern. — Die dritte Einkapselung wurde bei einem Schlosser beobachtet, bei welchem ein Eisensplitter in der Ebene des horizontalen Meridians des linken Auges die Horn- haut nach aussen, den Pupillarrand der Iris und die Linse durchgeschlagen hatte. Die Wunde der Iris war gefetzt und die zwei freien Enden des Pupillarrandes ragten durch die vordere Kap- selwunde in die Corticalmasse der Linse hinein, so dass durch die Vereinigung der Kapselwunde die Iris in dieser eigenthümlichen Weise an das Linsensystem angeheftet erschien. Die Entzündungserscheinungen in den äusser- lich sichtbaren Theilen des Auges waren nicht erheblich, die Linsentrübung jedoch verbreitete sich nach und nach allseitig, verschwand aber nach drei Monaten grössten- theils, wornach durch die für Lichtstrahlen wieder durch- gängige Pupille der eingekapselte fremde Körper im Au- gengrunde wahrgenommen werden konnte und Patient gleich einem Staaroperirten sein Gesicht wieder erhielt. Eine Verletzung durch ein Zündhütchen erfolgte bei einem Tischlergesellen, indem selbes in einer Entfernung von zehn Schritten explodirte und ein kleines Stück der Metallhülse im äusseren Winkel des linken Auges, 5 Mm. vom 'Cornearande entfernt, durch die Sclerotica bis in den Glaskörper eindrang und sich in demselben nahezu in der Mitte des Auges zu Boden senkte. In Folge ungeeigneten Verhaltens entwickelte sich im Bereiche der Wunde eine ausgebreitete Sclerotieo- Chorioiditis, welche durch eine bedeutende Exsudation die Retina in ihrem äusseren Segmente von der Chorioiden ablöste und dadurch vollkommene Funktionsunfähigkeit des Auges hervorrief, jedoch keinen störenden Einfluss auf 127 die Einkapselung des fremden Körpers zu nehmen schien, die auch in kurzer Zeit vollendet wurde. Bei der sofort den Verhältnissen entsprechend eingeleiteten Behandlung verminderten sich die Entzündungserscheinungen nach und nach und verschwanden endlich im vierten Monate gänz- lich, wobei das Auge seiner Form nach erhalten blieb. — Eine ähnliche Verletzung stellte sich bei einem Kna- ben von fünf Jahren durch das Explodiren eines Zünd- hütchens ein. Dieselbe wurde in den ersten Tagen we- der von dem kleinen Patienten, noch von seiner Umgebung weiter beachtet, doch schon nach acht Tagen machten die Erscheinungen einer verbreiteten Chorio-retinitis ärzt- liche Hülfe nothwendig. Ein kleines Fragment des Kupferblättchens war in der Ebene des horizontalen Meridians des linken Auges durch den äusseren Theil der Cornea, Iris und den Pe- tit’schen Canal in den Glaskörper eingedrungen und lag nach abwärts auf der Glashaut auf. Durch die sofort eingeleitete Behandlung gelang es zwar, die auffallendsten Entzündungssymptome zu mildern, auch die Einkapselung des Metallstückchens wurde binnen kurzer Zeit vollendet, doch trat bei dem Fortbestande der durch den Einfluss neuer Schädlichkeiten wiederholt exa- cerbirenden Chorioiditis endlich nach Monaten Atrophia bulbi ein. — Der letzte, bis jetzt beobachtete Fall ward durch ei- nen Stahlsplitter veranlasst, welcher beim Meisseln in der Ebene des horizontalen Meridians des linken Auges eben- falls durch den äusseren Theil der Cornea, die Iris und den Petit’schen Canal in den Glaskörper eingeschlagen hatte. Ohne Ahnung der Grösse der Verletzung stellte sich Patient zehn Tage darauf, wegen leichter Umnebelung beim Sehen, uns vor. An den äusserlich sichtbaren Theilen des Auges war, abgesehen einer sehr geringen Andeutung der ehe- maligen Corneawunde und des über 1 Mm. grossen Iris- loches, keine Krankheitserscheinung ersichtlich, durch die durchsichtigen Medien hindurch konnte man jedoch im Aequator des Auges nach ab- und auswärts den frem- den Körper schon grösstentkeils vom Exsudate einge- schlossen wahrnehmen. Unter dem Fortbestande einer local beschränkten Chorio-retinitis vollendete sich die Einkapselung in den folgenden Wochen, und der zunächst dem fremden Kör- 128 per gelagerte gelrübte Glaskörper hellte sich nach und nach vollständig auf. Demungeachtet nahm das Sehver- mögen allmälich und constant ab, und 5 Wochen nach der Verletzung konnte man sich zuerst von einer begin- nenden Ablösung der Netzhaut in der Umgebung des ein- gekapselten fremden Körpers überzeugen. Dieselbe nahm in der folgenden Zeit an Ausdehnung zu und erstreckte sich zuletzt bis über den dritten Theil der unteren und äusseren Partie der Retina; zugleich konnte man aber auch bemerken, dass der eingekapselte fremde Körper aus seiner ursprünglichen Lage verrückt werde und sich auf- wärts gegen das Centrum des Auges erhebe. Diese Verrückung dauerte auch in den folgenden Wochen ohne erhebliche Vermehrung der localen Ent- zündungserscheinungen und bei nur geringen, periodisch auftretenden Reizungserscheinungen in den äusserlich sichtbaren Theilen des Auges stetig fort und wurde durch eine Neubildung veranlasst, welche von der Chorioidea und zwar von der Stelle, wo der fremde Körper auflag, aus- gehend, die Retina und Glashaut kegelförmig in die Mitte des Glaskörpers hineingedrängt, so dass der eingekap- selte fremde Körper auf der Spitze dieser Erhebung ruhte. Zu Ende des dritten Monates nach der Verletzung hatte sich der fremde Körper bis zur Sehaxe, und daher gerade in den Mittelpunkt des Auges erhoben, wobei er jedoch, in Rücksicht seiner Flächenausdehnung, aus sei- ner ursprünglichen horizontalen Stellung in eine ver- ticale übergegangen war, in welcher er nun unverändert verharrt. Die Entzündungserscheinungen sind dermalen ver- schwunden, der Bulbus ist seiner Form nach erhalten, die Linse und die übrigen Medien erscheinen durchsich- tig, und Patient vermag noch in seitlicher Richtung grössere Objecte, wie die Finger einer Hand u. s. w., zu unterscheiden. (Oestr. Ztschr. für prakt. Heilkunde Il. No. 2.) Misceille. Gegen intermittirenden Gesichtsschmerz empfiehlt Aran (Bullet. de Therap. 31. Oct. 1856) grosse Dosen von Extraetum Aconiti alkoholicum; in einem Falle am 4. Tage zu 1%, Gran, am 2. Tage zu 3'/; Gran, am 3, und 4. Tage 6%, Gran, am 5.—8. Tage 10 Gran, wonach der Kranke vollständig geheilt war, Bibliographische Neuigkeiten. B. — H. Br. Geinitz, Grundriss d. Versteinerungskunde. 2. Ausg. Lex.-8. Arnoldische Buchh. in Leipzig. 2", Thlr. Elisha Kent Kane, Arctic Explorations: the 2d Grinell Ex- ped. in Search of Sir John Franklin. 1853 u. 54—55. Illu- strated by upwards of 300 Engravings From Sketches by the Author. 2 Vols. 8. Philadelphia. 31 Sh. 2d. HI. — Delore et Berne, Influence des decouvertes physiologiques et chimiques recentes sur la pathologie et la therapeutique des organes digestifs. 8. 183 p. Paris, V. Masson. 31, Fres. D. Hodgson, The prostate gland; its enlargement in old Age. 8. Lond., Churchill. 6 Sh. Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena. Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. 1. Band No 9. Naturkunde. J. Schlossberger, Muschelschalen. — Gräger, Ueber Einfluss des Luftdrucks auf die Vegetation, — Heilkunde. C. A. Wunderlich. Ueber die Wirkung der kaustischen Salpetersäure. — L. Türck, Selbstständige Degeneration einzelner Rückenmarksstränge. Bibliographie. — Miscelle. Linhard, Eine atheromatöse Cyste unter der Zunge. — Naturkunde. Die Muschelschalen. Von Prof. J. Schlossberger (Tübingen). Die Forschungen der Mikroskopiker, obenan die von Carpenter und Bowerbank, haben erwiesen, dass die Schalen der Acephalen meist aus mindestens zweierlei im feineren Bau verschiedenen Schichten bestehen; die chemischen Analysen aber hatten bisher diesen von der Histologie gegebenen Wink nicht beachtet. Die Ausar- beitung des betreffenden Abschnittes meiner vergleichen- den Thierchemie veranlasste mich desshalb zu einer expe- rimentellen Prüfung der Frage, ob und in wie weit der Verschiedenheit in der Textur auch Mi- schungsabweichungen zur Seite gehen. Meine in dieser Richtung angestellten Versuche be- schränken sich bis jetzt auf die gemeine Auster. Unter den Pfunden von Schalen, die mir zur Verfügung stan- den, liessen sich einzelne Exemplare, namentlich der fla- chen Deckelschalen, auslesen, in welchen nicht allein mit dem unbewaflneten Auge dreierlei Bestundtheile unter- schieden, sondern auch auf einfach mechanische Weise so von einander getrennt werden konnten, wie es eine ge- naue Analyse jeder einzelnen (anatomischen) Substanz er- heischt. Es versteht sich von selbst, dass die Schalen zuvor sorgfältig gewaschen und gebürstet wurden, denn bei keinen anderen Muscheln ist wohl die Reinigung so unerlässlich, als eben bei der Auster (wegen des schup- pigblätterigen Schalenbaues). Die dreierlei anatomischen Bestandtheile, die, wie mir scheint, bei der Auster auch von den Histologen noch nicht mit der gehörigen Schärfe unterschieden wur- den, sind die folgenden: A. Die innerste, glänzende, glatte, halbdurch- scheinende weisse Lage: Perlmutterschicht, sub- nacreous substance von Carpenter *). B. Die durch ihre braune Farbe ausgezeichneten harten Schuppen, welche an den Deckelschalen als Randbesetzung der vielen über einander geschichteten Schalenblätter bemerkbar sind und dachziegelförmig über einander hervorragen: Carpenter’s prismalic cellular substance. C. Eine kreideweisse, glanzlose, undurch- sichtige und zerreibliche Masse, da und dort zwi- schen den Schalenlamellen eingelagert; ich nenne sie die kreideartige Schicht. Ihre Menge war in den verschiedenen Austern sehr abwechselnd; in einzelnen schimmerte eine beträchtliche Masse davon unter der Perl- mutterschicht, in der Nähe des Muskeleindrucks der letz- teren, durch; in anderen war sie sparsamer, wurde aber immer vorgefunden, nachdem einmal die Aufmerksamkeit auf sie gerichtet war. Sie ist wohl die Substanz, wel- che mehrere Naturforscher für eine Ablagerung von bei- nahe reinem kohlensauren Kalk gehalten haben; wir wer- den bald sehen, wie irrig diese Auffassung ist. Alle drei Substanzen hinterliessen beim Behandeln mit verdünnter Salzsäure ein organisches Skelet, das bei A und € structurlos oder undeutlich gestreift, bei B eher zellig genannt werden konnte; bei B war dasselbe stark gefärbt, bei A und € farblos. Das Pigment bei B ge- hört entschieden der häutigen Grundlage an, war aber nicht in Körnerform darin abgelagert, sondern ganz gleich- förmig verbreitet. 1. Die Mineralstoffe der Austernschale und Quantitäten ihres organischen Skelets. Bei jeder der isolirten Schalensubstanzen (A, B, C) *) Cyclopaed. of analomy. Vol. IV, article shell. 9 A, 131 wurde nach der Trocknung bei 120° bestimmt: a. die Kohlensäure im Fresenius-Will’schen Apparat; b. die Menge des weissgebrannten fixen Rückstandes nach dem Glühen (unter schliesslichem Zusatz von etwas kohlen- saurem Ammoniak). Die Kohlensäure wurde allein an Kalk gebunden berechnet, nachdem mehrfache specielle Bestimmungen der Magnesia ergeben hatten, dass deren Menge in diesen Schalen kaum 0,3 bis 0,5 pC. betrug; sie konnte also vernachlässigt werden. Das Verhältniss der Mischungstheile derselben Schalenschicht war bei verschiedenen Austern nicht genau dasselbe, doch stellte sich die Breite der Schwankungen als keine beträchtliche heraus. Am grössten waren die letzteren noch bei der Perlmutterschicht, in welcher die Mengen des kohlensauren Kalks zwischen 94 und 98 pC. bei verschiedenen Exemplaren wechselten. A. Perlmutterschicht: 41,7 pC. CO? entsprechend 94,7 pC. C0?Ca0; 2,2 pC. organische Materien (aus dem Glühverlust berechnet); 3,1 pC. andere Salze (und Verlust), durch Subtraction gefunden. 43,25 pC. CO? entsprechend 98,2 pC. C0?Ca0; 0,8 pc. organische Materie; 0,8 pC. andere Salze. B. Braune Schuppensubstanz: 39,2 pC. CO? entsprechend 89,09 pC. CO°Ca0; 6,27 pC. organische Materie; 4,64 pC. andere Salze. €. Kreidige Zwischensubstanz: 39,0 pC. CO? entsprechend 88,59 pC. CO°Ca0; 4,70 pC. organische Materie; 6,71 pC. andere Salze. Vorstehende Zahlen lassen keinen Zweifel darüber, dass den Structurverschiedenheiten wenigstens in der Au- Kohlensäure kohlens. Kalk pe. pc. Venus decussata 41,14 93,51 Deckel v. Turbo rug. 42,48 96,55 Mytilus edulis 36,12 82,12 (junge Schale) Bulimus radiatus 41,10 93,41 Voluta rustica 40,45 92,01 Cypraea erosa 41,45 91,21 » chinensis 41,86 95,16 a Ueber Einfluss des Luftdrucks auf die Vege- tation. Von Dr. Gräger (Mühlhausen). Ausser der Wärme wirken zwar noch andere klima- tische Factoren bestimmend auf die Entwickelung der Pflanzen; es ist jedoch bis jetzt noch nicht der Ver- such gemacht worden, den Einfluss derselben in eine Formel zu bringen und einer statistischen Berechnung zu Grunde zu legen. Ueber den wahrscheinlichen Einfluss, welchen die unregelmässigen Schwankungen des Luftdrucks, so weit dieselben durch das Barometer angezeigt werden, 132 sterschale auch Differenzen in der Mischung entsprechen; wir werden bei der Betrachtung des organischen Skelets sehen, dass dieselben nicht allein quantitativer Art sind. Die Perlmutterschicht ist am reichsten an Mineralstoffen ; die Substanzen B und C stimmen trotz des abweichenden Baues und der verschiedenen Farbe in den obigen Punk- ten eher überein; nicht so in der organischen Materie. Ich füge bei, dass ich in keiner Bivalvenschale, in keinem Gasteropodengehäuse, soweit mir solche zur Un- tersuchung kamen, vergeblich nach Phosphorsäure und Alkalien suchte, wenn ich grössere Quantitäten davon in Arbeit nahm. Sind auch die Mengen der PO? und der Alkalien meist so unbedeutend, dass ihre Bestim- mung schwierig wird, so scheint mir doch der Nachweis ihrer Gegenwart von Interesse. Man derke an die be- deutende Rolle, welche die Mollusken in der Geologie spielen, und andererseits an den vielleicht auch nie man- gelnden Gehalt an PO? und Alkalien in den Versteine- rungen führenden Kalken. Fluor und Jod konnte ich nie mit Bestimmtheit nachweisen, dagegen waren allermeist Spuren von Kieselerde und Schwefelsäure, zuweilen auch von Eisenoxyd zugegen. } Noch schliesse ich vor der Betrachtung der organi- schen Grundlagen der Austerschalen eine Reihe von . C0O?-Bestimmungen verschiedener Conchy- lien an, die in meinem Laboratorium *) vorgenommen wurden, ehe ich an eine getrennte Analyse der einzelnen Schalensubstanzen dachte: *) An den angeführten Analysen betheiligten sich mit Ei- fer und Sorgfalt meine beiden Assistenten, die Hrrn. Hauff und Vogtenberger. c0? CO02Ca0 pe. pe. Cypraea moneta 40,85 92,85 Oliva ? 41,00 93,20 Turbo neritoides 40,69 92,48 Turritella fuscata 39,02 88,70 Pupa (Westindien) 41,10 93,48 Anodonta anatina 39,15 88,90 Helix nemoralis 36,34 82,62. auf die Vegetation ausüben, ist der schles. Gesellschaft von ihrem Mitarbeiter, Herrn Dr. Gräger in Mühlhau- sen, ein Aufsatz übersendet worden, den Dr. Cohn zum Abdruck zu bringen für passend erachtete. N „Die an die Tageszeiten geknüpften regelmässigen Bewegungen der Quecksilbersäule sind eine schon früher gemachte Entdeckung. Zunächst unter den Tropen wahr- genommen, hat, man sie durch längere Zeit mit guten Instrumenten fortgesetzte Beobachtungen auch in den mitt- leren Breiten nachgewiesen und ihrem Umfange nach be- stimmt. Sie treten in den Ländern der Tag- und Nacht- gleichen zu den verschiedenen Zeiten des Tages mit einer nr i 133 Regelmässigkeit ein, dass man dort das Barometer als Uhr benutzen könnte. Die Ursache dieser Erscheinung kennt man mit Gewissheit noch nicht. Vergegenwärtigt man sich, welche Wirkung ein in der Stärke abwechselnder Luftdruck auf die Umgebung ausübt, so findet man, dass diese eine schr allgemeine, auf Alles sich erstreckende ist. Die Luft, nicht der At- mosphäre allein, sondern auch die der leeren Räume po- röser Körper, wird hierdurch nicht allein abwechsInd ausgedehnt und zusammengepresst, sie erneuert sich zu- gleich in den porösen Körpern fortwährend, Die Erde, als poröser Körper, wird aber ganz besonders von diesen Vorgängen berührt. Die Wirkung des sich in bestimmten Zeitintervallen ändernden Lufldrucks ist genau der einer Luftpumpe zu vergleichen. Auf diese Weise, erneuert sich, unter den Tropen innerhalb 24 Stunden zweimal die Luft in den oberen Erdschichten. Eine solche Luft- Erneuerung, die gleichbedeutend ist mit Sauerstofl-Zufuhr, kann weder auf die in der Erde lebenden Geschöpfe, noch auf die in dem Boden wurzeln- den Pflanzen, noch überhaupt auf die in dem Erdboden befindlichen organischen Substanzen, ob belebte oder be- reils abgestorbene, ohne Einfluss sein; man weiss auch, welcher Art dieser Einfluss ist. Die Thiere erhalten da- durch den zur Unterhaltung der Respiration, zur Erzeug- ung der thierischen Wärme nothwendigen Sauerstoff; die Pflanzen, indem die in dem Boden befindlichen Ueber- reste der Organismen der Verwesung anheimfallen, bei welchem Prozesse Kohlensäure und Ammoniak gebildet werden, empfangen so die beiden oben genannten Körper, die für ihre rechte Entwickelung unentbehrlich sind. Der günstige Einfluss, den eine Lufterneuerung in dem Boden auf die Entwickelung und das Gedeihen der Gewächse ausübt, lässt sich also schon a priori behaupten. Auch zielen viele unserer landwirthschaftlichen Arbeiten lediglich darauf hin, eine solche herbeizuführen oder doch zu erleichtern. Im Vergleich mit den Tropenländern ist bei uns der Umfang der regelmässigen Luftdruck-Evolutionen so un- bedeutend, und ihre tägliche Wiederkehr selbst so wenig verbürgt, dass von ihnen hier die oben angedeutete Wirk- ung zu erwarten sein dürfte. An ihre Stelle treten bei uns die sogenannten unregelmässigen Schwankungen des Barometers, die vorzugsweise von Aenderungen in der Richtung des Windes bedingt und an bestimmte Tages- zeiten nicht geknüpft sind. Ihre Wirkung ist selbstre- dend die der regelmässigen Schwankungen unter den Tro- pen, so dass durch sie auch bei uns eine fortdauernde Erneuerung der Luft in den oberen Erdschichten hervor- gerufen wird. Nur ist die Erneuerung keine so regel- mässige wie unter den Wendekreisen; sie ist eben ab- hängig von dem Steigen und Fallen des Barometers oder, was im Allgemeinen dasselbe ist, von der Aenderung der Windesrichtung. Die Beweglichkeit der Quecksilbersäule ist aber im Verlanfe eines Jahres eine sehr verschiedene, und es kommen Perioden vor, wo sich das Barometer wochenlang innerhalb sehr kleiner Differenzen bewegt, 134 wogegen wiederum auch Tage nicht selten sind, an de- nen sich das Barometer um 5 bis 6 Linien ändert. Eine solche Verschiedenheit kann nicht ohne Einfluss auf die Entwickelung der Vegetation bleiben und er wird sich nach der Periode der Entwickelung, in der sie sich be- findet, bald mehr, bald weniger geltend machen müssen. Die Aenderung im Luftdruck hat aber nicht nur die Erneuerung der Luft in den oberen Schichten des Erd- bodens zur Folge, es sind damit zugleich Temperatur- Veränderungen in diesen Schichten verbunden. Im All- gemeinen steht das Barometer hoch, wenn das Thermo- meter tief steht, und so umgekehrt. Wenn daher auf einen tiefen Barometerstand ein hoher folgt, so wird hierbei erwärmte Luft in den Erdboden gepresst und dieser dadurch selbst erwärmt; geht er aber aus einem hohen in einen tiefen über, so empfängt der Boden kalte Luft und wird dadurch abgekühlt. Es ist dies für unsere Breiten nicht ganz gleichgültig; denn wir wissen, dass im Herbste der Barometerstand sich hebt, so dass hierbei der Boden die warme Luft des Sommers erhält, gleichsam um sie für den Winter aufzuspeichern. Im Frühjahre, wo das Barometer wieder sinkt, verlässt die kühle Luft den Boden, um durch wärmere aus der Tiefe erselzt zu werden. Das Barometer kann also für den aufmerksamen Landwirth mehr sein, als, wofür es gewöhnlich angese- hen, ein noch obendrein unzuverlässiger Wetterprophet; es kann ihm sagen, ob und in welchem Maasse eine Luft-Erneuerung in Jem Boden, den er bebaut, um ihn zu beerndten, stattgefunden habe.“ Ob nun gleich die meteorologischen Untersuchungen, wie schon bemerkt, vorläufig noch ausserhalb des Be- reichs unserer gegenwärtigen Bestrebungen liegen, so hat es Dr. Cohn doch für Pflicht gehalten, diejenigen Beobachtungen, welche von den Theilnehmern seines Unternehmens übersendet wurden, für eine etwaige künf- tige Bearbeitung zu sammeln. Solcher, mehr oder min- der vollständigen, die Temperatur-, Wind- und Feuchtig- keitsverhältnisse, so wie den allgemeinen Witterungsgang betreffenden Beobachtungen kamen ihm zu: aus dem Jahre 1853 von Conitz, Münster, Giessen, Steinbeck, Kupferberg, Proskau, Wünschelburg, Ze- chen, Petersidorf, Gispersleben, Steyr, Osnabrück, Memel, Schreibershau ; aus dem Jahre 1854 von Neudamm, Claussen, Wohlau, Steinbeck, Wünschelburg, Münster, Zechen, Mar- burg, Danzig, Kupferberg, Conitz; aus dem Jahre 1855 von Görlitz, Eisdorf, Kiew, Ku- pferberg, Wohlau, Neudamm, Steinbeck, Wetzlar, Conitz, Trzemeszno, Creutzburg, Münster. Die meteorologischen Verhältnisse von Münster sind durch Hrn. Prof. Heiss in schr übersichtlichen Tableaux dargelegt worden. In Rücksicht auf den Plan, der unseren Beobach- tungen über die Entwickelung der Vegetation zu Grunde liegt (fährt Dr. Cohn in seinem Berichte m Vegetations- . 135 Entwickelung fort), sind uns von Hrn. Prof. Hoffmann in Giessen eine Reihe wichtiger Vorschläge mitgetheilt worden, die ich hier in ihren wesentlichen Theilen aufgenommen habe. „Es muss die Zahl der anzustellenden Beohachtun- gen bedeutend beschränkt werden, sonst giebt es nichts als Lücken in allen Ecken und Enden, und oft da, wo man sie am wenigsten brauchen kann. Die sämmtlichen Beobachtungen zerfallen in zwei Gruppen: a) Beobachtungen ersten Ranges, deren vollständige Ausfüllung von jedem Beobachter verlangt werden kann; tägliche Untersuchung der betreffenden Pilan- zen ist unbedingt nothwendig; es müssen Pflanzen von grösstem Areal sein, auch in Amerika vorkommend, we- gen der so wichtigen, durch Dove nachgewiesenen kli- matischen Compensation des alten und neuen Continents; wo möglich müssen Culturpflanzen gewählt werden. Ga- lanthus nivalis muss leider ausgeschlossen werden, weil sich gezeigt hat, dass Verschiedene etwas ganz Verschie- denes unter Blüthenzustand verstehen; Caltha palustris ist ebenfalls unbrauchbar, weil zu weit von den Wohnun- gen; es hängt daher von zufälligen Spaziergängen ab, ob man es 3—4 Wochen früher oder später blühen sieht; auch hat die Wärme einer Quelle, der Fall eines Grabens den grössten Einfluss darauf. Fraxinus ist beizubehalten wegen des späten Laubtriebes, Salix babylonica wegen des späten Laubfalles; einige Waldbäume wegen des prakti- schen Interesses, wodurch die Beobachtungen an allge- meiner Verwerthbarkeit gewinnen, auch die Zahl der Be- obachter sich vergrössertt. — Die Zahl der Rubriken muss bedeutend beschränkt werden; die Vollblüthe muss direct bestimmt werden, nicht als Mitte zwischen Anfang und Ende der Blüthenbildung. Gentiana verna findet sich im Juli, selbst im October blühend, und so sehr viele Anomalien; durch sie würde die richtige Zeit der Haupt- blüthe ganz verrückt. Der Raceneinfluss muss eliminirt werden (Früh- und Spätsorten), denn er ist äusserst einflussreich und störend; er wird vermieden, wenn man die Rubriken so bestimmt: Erste Blüthe u. s. w. in der Umgegend überhaupt. Laubfall ist unbrauchbar; Frühherbst-Eintritt und Stürme sind hier die Haupt- sache (Ueberschuhe statt Winterschnee zu setzen, wäre ähnlich); sein Ende ist zudem nicht wohl zu bestimmen, wenn man vollständige Entblätterung verlangt. Ich habe im Frühling einen vollständig mit altem Laube bedeckten Apfelbaum gesehen und so vieles andere Anormale oder Störende. Eine Rubrik über Gedeihen, höchste und nie- drigste Preise oder den Ertrag (...fältig) ist zuzufügen; dahin auch Notizen über Krankheit oder über besondere Effecte besonderer Witterungsereignisse (Aprilfröste, zwei- tes Blühen u. s. w.). Es müssen nur wenig, aber mög- lichst scharfe Rubriken sein, die zugleich die ganze Ve- getationszeit beherrschen, der Art, dass die aufgestellten Species mit ihren Rubriken in sehr kurzen Abständen das ganze Vegetationsjahr darstellen. In folgendem Schema sind z. B. Blüthen vom Anfang März (Corylus) bis Ende August (Colchicum), erste Fruchtreife von Ende Mai 136 (Daphne) bis October (Vitis), Laubverfärbung von Sep- tember bis November (Aesculus Hippocastanum bis Salix babylonica). Da das Laub von Robinia Pseudacacia und Rhamnus catharticus unverfärbt abfällt, so kann bei die- sen die Rubrik „Laubverfärbung“ nicht ausgefüllt wer- den. Nothwendig ist die Angabe der letzten und ersten Fröste. Hiernach ergiebt sich folgendes Schema: a) Beobachtungen ersten Ranges (vorzugs- weise zur Ausfüllung empfohlen). Hauptepochen der Ve- getation: 1) erste Blattspitzen brechen aus den Knospen oder der Erde hervor; 2) erste Blüthe ganz entfaltet, ihr Blüthenstaub her- vordringend; 3) erste Frucht reif, normal, ohne Wurmstich u. s. w.; 4) allgemeine Laubverfärbung ; 5) Bemerkungen über den Verlauf der Vegetation mit Rücksicht auf Witterungs- Ereignisse , Krankheiten u.s. w. (diese Rubrik zeigt das wie und ob, andern das wann); 6) Gedeihen, Ertrag, höchster und niedrigster Preis (Obst, Götreide, Brot ete.). Diese Rubriken sind auszufüllen für Abies excelsa, A. pectinata, Aesculus Hippocastanum, Castanea vulgaris, Catalpa syringaefolia, Colchicum autumnale, Corylus Avel- lana, Crocus vernus, Daphne Mezereum, Fraxinus excel- sior, Hepalica triloba, Hordeum vulgare, Juglans regia, Lilium candidum, Persica vulgaris, Pinus sylvestris, Pru- nus avium, Cerasus domestica, Pyrus communis, Malus, Quercus pedunculata, Ribes Grossularia, rubrum, Sam- bucus nigra, Salix babylonica, Secale cereale, Solanum tuberosum, Syringa vulgaris, Tilia grandifolia, Triticum vulgare, Vitis vinifera. — Letzter und erster Frost. b) Beobachtungen zweiten Ranges sollen den Vegetationsgang im Speciellen durch das ganze Ve- getationsjahr darstellen und sind deshalb an einem und demselben Exemplar anzustellen; sie haben überwiegend physiologischen, die Beobachtungen ersten Ranges mehr klimatologischen Werth. Es sind die 15 in unseren For- mularen angegebenen Entwickelungsstadien bei Prunus avium, Vitis vinifera, Triticum vulgare und Solanum tu- berosum, für letztere ausserdem noch der Tag der Saat zu noliren. Die Resultate dieser Beobachtungen lassen sich in Curvenform darstellen; zeichnet man dazu die Curven der Maxima, Minima, Mitteltemperaturen und Re- genhöhen, so erhält man ein genügendes Bild eines Jalgz ganges für eine bestimmte Gegend. Vielleicht liessen sich auch einige der vorbreitiiii Arten sub a alljährlich in einer Hauptcurventafel verar- beiten; eine solche Tafel müsste aussehen, wie die der Isodynamen oder Linien gleicher Fluthwellen; jedenfalls würde sie ein gutes Bild geben von der Art und Weise, wie der Frühling durch die Welt zog. So wird man einst mehrere Linien gleichen Klima’s erhalten.“ Indem ich die Bemerkungen unseres hochgeschätzten correspondirenden Mitgliedes hier mittheile, empfehle ich 137 sie zugleich den übrigen Herren Beobachtern zur Berück- sichtigung. Eine durchgreifende Abänderung unseres Pla- nes nach den obigen Vorschlägen halte ich jedoch bei ei- nem schon Jahre lang bestehenden Unternehmen nicht für thunlich, auch nicht für nothwendig, da die von Hrn. Prof. Hoffmann hervorgehobenen schärferen Bestim- mungen sich wohl auch in den Rahmen unserer Formu- lare fügen lassen. Dass von den für die Beobachtung hier bei uns vorgeschlagenen Pflanzen einzelne sich nicht als praktisch erwiesen, habe ich selbst schon anderwärts zugegeben; da jedoch auch für diese Gewächse hier und da Beobachtungen eingegangen sind, die zur Berechnung von Mitteln ausreichen werden, so hielt ich mich nicht berechtigt, sie wegzulassen. Dagegen fehlen allerdings in unseren Tabellen manche Arten, die sehr charakteri- stische Ergebnisse liefern würden; auf einige hat Hr. Prof. Hoffmann aufmerksam gemacht, andere finden sich in der Abhandlung des Hrn. Prof. Lachmann. Indem ich dieselben für die Zukunft zur geneigten Berücksichtigung empfehle, bemerke ich, dass ich überhaupt die in unse- ren Formularen hervorgehobenen Pflanzen nur als den Stamm betrachte, an den jeder Beobachter diejenigen Pllanzen, die ihm am geeignetsten erscheinen, anschlies- sen möge, um den einst festzustellenden Pfilanzenkalender seiner Gegend desto reichhaltiger und vollständiger zu machen. Dass die 15, der Beobachtung anheimgestellten Entwickelungsstadien von sehr ungleichem Werthe sind, habe ich selbst in meinem Berichte für 1851 und 1852 inehrfach ausgesprochen; ich stimme mit Hrn. Prof. Hoff- mann darin überein, dass eigentlich nur das Brechen der Knospen, namentlich aber die erste Blüthe ein bis auf den Tag scharf bestimmbares Datum zulassen; gleich- wohl muss ich darauf bestehen, dass die Beobachtungen sämmtlicher Stadien bei allen Pflanzen wenigstens ge- wünscht werden muss, nicht bloss wegen der interes- santen Einblicke und Vergleichungen, die gerade der voll- 138 ständige Entwicklungsgang uns gewährt, sondern auch um den „Beobachtungen ersten Ranges“ ihre Glaubwür- digkeit und eine gewisse Garantie zu sichern. Nur wer eine Pflanze in ihrem ganzen Lebenseyclus im Auge zu behalten sich gewöhnt hat, wird den Eintritt einer ein- zelnen Epoche zu einer bestimmten Zeit verbürgen kön- nen; namentlich, wo ausschliesslich die Aufzeichnung des Eintritts der vollen Belaubung, des allgemeinen Blühens, der vollständigen Fruchtreife u. s. w. zur Pflicht gemacht ist, da können zwei Beobachtungen um Wochen differi- ren, ohne dass man deshalb irgend eine für unrichtig er- klären könnte. Ich betrachte gerade in der Aufzeichnung vollständi- ger Entwickelungsreihen den eigenthümlichen Werth und die Berechtigung unseres Unternehmens neben so vielen ähnlichen. Dass dasselbe nicht gar zu grosse Zumu- thungen an die Theilnehmer stellt, ergeben die meist sehr reichhaltigen und vollständigen Beobachtungsreihen, die uns schon seit Jahren von den verschiedensten’Seiten zu- gehen; dass dasselbe die Zahl der Beobachter beschränkt, weil nur eifrige und begeisterte Naturfreunde solcher Aus- dauer fähig sind, ist sogar ein Vorzug desselben, da es sich herausgestellt hat, dass die vielen, nach einem Jahre wieder ermüdenden Dilettanten dem Unternehmen doch keinen wahrhaften Nutzen gewähren. Was die von Hrn. Prof, Hoffmann vorgeschlage- nen Curven betrifft, so habe ich es bereits in meinem Berichte für 1851 als eine Aufgabe dieser Beobachtungen hervorgehoben, Linien gleicher Blüthezeit u. s. w., isanthische Linien, herzustellen. Ich erkenne an, dass eine Erweiterung in dem von Hoffmann erörterten Sinne sehr wünschenswerth und interessant wäre, halte es je- doch für besser, die Zeichnung der Linien nicht auf die jährigen Beobachtungen, sondern auf die zu berechnenden Mittel zu begründen. — (XXXII. Jahresber. d. schles. Gesellsch. £. vaterl. Kult. 1856.) Heilkunde. Ueber die Wirkung der kaustischen Salpe- tersäure. Von Prof. C. A. Wunderlich (Leipzig) *). — Auf die Einbringung kaustischer Säuren erfolgen rungen, Entzündungen, Blutungen und Geschwür- ungen, sowie Narbenentstellungen u. s. w. Aus die- sen Einwirkungen folgen die übrigen Symptome. Dass aber auch sonst noch die in den Magen kom- menden Säuren schaden können, ist bis jetzt nicht gehö- rig beachtet worden. —*) Bis” Ordinis Medicorum Lipsiensis Dec. et Prof. Memorian E. G. Bosei pie celebrandam indicant. — C. A. Wunderlich de actionibus quibusdam acidi nitrici caustic er w humanum intromissi. 4%. 8 pag. Lipsiae, Edelmann, Bisweilen indess findet man Theile, welche mit der Säure nicht in Berührung gekommen sind, entzündet und zer- stört, — es zeigen sich die organischen Functionen, Er- nährung, Blutbereitung, Wärmebildung und die Hirnthä- tigkeiten mehr oder weniger gestört, auf eine Weise, dass eine Gewebszerstörung zur Erklärung nicht genügt. Dar- über sind in dem Leipziger Krankenhause folgende Beob- achtungen gemacht worden. Ein gesundes Mädchen von 17 Jahren nahm unge- fähr % Drachme concentrirte Salpetersäure. Es zeigten sich sogleich brennende Schmerzen in Mund, Hals und Magengegend, dann Erbrechen, wodurch mehrere Tage blutige Massen ausgeleert wurden; vom 2. Tage an er- folgten blutige Stühle mit Schmerz und Tenesmus; die Urinabsonderung blieb von da an unterdrückt. Am 3. Tage kam sie in’s Spital. 139 Ausser den Spuren der Säure im Munde litt die übrigens gut ausschende Kranke an dem hefligsten Schluch- zen mit zuweilen eintretendem Erbrechen seröser gelb- lich- blutiger Flüssigkeit, Durst, Appetitlosigkeit, Schmerz beim Schlingen. Der Unterleib war weich, nicht aufge- trieben, doch in der Gegend des Verlaufes des Dickdar- mes gegen Druck empfindlich. Leber, Milz, Brustorgane ohne Störung. Respiration 16, Puls 96, Temperatur des Körpers 30° R. In den folgenden Tagen einige Male Ausleerung blu- tiger und brandiger Massen nach oben und unten; alle 2—3 Stunden schmerzhafter Durchfall. Urinblase ganz leer. Puls 84— 100. Respiration 20— 24, Wärme 29 — 2810, Blasses Aussehen, Apathie und etwas Kopf- schmerz. Am 6. Tage wurde etwa 1 Pfund dunkler blutiger Flüssigkeit ausgebrochen, der Magen zeigt sich von Flüs- sigkeit ganz gefüllt, die Unruhe nimmt zu und es treten Delirien ein. Vier Stunden später wurde wieder } Pfund einer übelriechenden blutigen Masse ausgebrochen, die Körpertemperatur sank Tags darauf auf 2740 bei einem Puls von 92. Am 8. Tage war der Puls kaum zu fühlen, die Re- spiration besteht aus einzelnen seufzenden Bewegungen, Todtenblässe, vollständige Apathie, öfteres Blutbrechen und endlich Tod ohne Agonie. Die bei der Section gefundenen Veränderungen wa- ren: Wachsfarbe der Haut, im Gesicht gelblich, wenige Todtenflecke, an dem wohlgenährten, fetten Körper; die Muskeln trocken, straff, mit wenig Starre. Gehirn blass, Lungen oben blutleer, unten blutreich , die grosse Lun- genvene mit dünnem Blut gefüllt. Herz gesund, mit we- nig Blut, im Vorhof Blutgerinnsel, die Kranzadern von Blut strotzend. Zunge und Schlund mit Geschwüren be- deckt und mit schwarzen Krusten. Der Kehldeckel an- geschwollen, vorn geröthet, hinten mit rissigen, schwar- zen Krusten bedeckt. Speiseröhre grau, mit vielen Ge- schwüren und Krusten. Magen grau, an der grossen Curvatur mit schwarzer und grauer Kruste bedeckt, der Magen war mit einer schmutzigrothen, schwärzlichen Flüs- sigkeit gefüllt. Die Dünndärme mit demselben Inhalt waren von normaler Textur. Der Dickdarm vom Coecum bis zum After im Zustande der heftigsten Dysenterie, mit stärker Gefässinjection, stark infltrirt, gelbroih und schmutziggrün, mit starker Pseudomembranausschwitzung, zahlreicher Geschwürbildung, Eiterinfiltration unter der Schleimhaut, und mit kleinen Exsudationen auf der serö- sen Fläche. — Die Leber blass, mit*dünnem, kirschro- them Blut gefüllt, Pankreas und Milz normal; die Nie- ren um das Doppelte vergrössert, mit ihrer Kapsel ver- wachsen, die äussere Nierenfläche blass, mit sternförmi- gen Blutpunkten, die Rindensubstanz blutleer, um das Doppelte verdickt, mit gelben Stellen und injieirten Par- tieen und mit Blutaustretungen besetzt; die Pyramiden vergrössert, rolh und an der Basis zerrissen. Das Epi- thelium der urinführenden Gängehen undurchsichtig und 140 fein granulirt. Die Wände der Zellen fehlten theilweis, die Kerne waren fast unsichtbar; fibroplastische Cylinder waren nicht vorhanden, kurz, ein Zustand, wie bei der Bright’schen Krankheit. Blicken wir auf das Ganze zurück, so zeigten sich ausser der unmittelbaren ätzenden Einwirkung folgende Wirkungen der Salpetersäure: 1) beträchtliche dysenterische Entzündung des Dick- darms bei freiem Dünndarm; 2) der Bright'schen Krankheit ähnliche Niereninfl- tration bei aufgchobener Urinabsonderung während der ganzen Dauer der Krankheit; 3) Hemmung und Unterdrückung der Hirnfunction ; 4) ungewöhnliche Blutbeschaffenheit; 5) Minderung der Körperwärme trotz der Entzün- dung mehrerer Organe, deren Entzündung sonst mit Hitze begleitet zu sein pflegt; 6) der Tod mehr unter Lähmungserscheinungen als durch entzündliche Erschöpfung erfolgend. Der Verf. erinnert hierbei: 1) an die Vermuthung Rokitansky’s, dass die Ruhr aus einer sauren Beschaffenheit des Blutes entspringe; 2) an die Angabe der Homöopathen, dass bei Darrei- chung von Salpetersäure bei Gesunden Symptome von Dy- senterie eintreten; 3) an die bewährte vortheilhafte Einwirkung der Salpetersäure auf die Bright’sche Krankheit; 4) an die vorzügliche kühlende Wirkung der Säu- ren bei fieberhaften Krankheiten. Selbsiständige Degeneration einzelner Rük- kenmarksstränge. Von Dr. Ludwig Türck (Wien) *). Ausser der von mir aufgefundenen und in den Sitz- ungsberichten der kais. Akademie (Jahrg. 1851, März- heft; Jahrg. 1853, Juniheft) ausführlicher behandelten Erkrankung einzelner Rückenmarksstränge, welche sich secundär in Folge von älteren primären Krankheitsherden im Gehirne oder in Folge von andauernder Compression entwickelt, die das Rückenmark an irgend einer Gegend erleidet, kommt eine Degeneration einzelner Rückenmarks- stränge vor, welche keinen solchen Ursprung nimmt. Immer war die Untersuchung nur mit unbewaffnetem Auge vorgenommen worden. Pr Seit einer langen Reihe von Jahren hat Roki- tansky öfter Fälle, wie die angeführten, beobachtet, und in der hiesigen pathologisch - anatomischen Lehran- stalt demonstrirt, sowie derselbe auch das histologische Verhalten und die Bedeutung der partiellen Schwielen #) E&> Ueber Degeneration einzelner Rückenmarks- stränge, welche sich ohne primäre Krankheit des Gebirns oder Rückenmarks entwickelt von Dr. Ludw. Türck. Se- paratabdrück aus dem Sitzungsberichle der math.-phys. Cl. d. k. k. Academie XXI. Braumülicr in Wien, 1856. 441 des Rückenmarkes in seinem Handbuche der patholog. Anat., II. Bd. 1844 bei Behandlung der Sklerose des Gehirnes und in der Abhandlung über die Cyste (Denk- schriften der kais. Akad. d. W., I. Bd. 18419, 8. 21), sowie endlich in einer im Junihefte des Jahrganges 1854 der Sitzungsberichte d. kais. Akad. d. W. enthaltenen Abhandlung über das Auswachsen der Bindegewebs-Sub- stanzen u. s. w. 8. 18 erörtert hat; insbesondere legt er am letzteren Orte den gallertähnlichen und schrumpfenden faserigen Schwielen eine Wucherung der Bindegewebssub- stanz des Rückenmarkes zu Grunde, Durch mehrere auf meiner Abtheilung des k. k. allgemeinen Krankenhauses vorgekommene Fälle bekam ich nicht nur Gelegenheit zur Beobachtung der eben an- führten Degeneration der Hinterstränge, sondern ich lernte auch eine nur durch mikroskopische Untersuchung zu ermittelnde Degeneration dieser Stränge, sowie auch das bisher gleichfalls unbekannte Vorkommen von selbst- ständiger Degeneration der übrigen Rückenmarksstränge kennen. Endlich habe ich in allen Fällen, was von den früheren Beobachtern nicht geschehen war, das Rücken- mark in zahlreichen Querschnitten mikroskopisch unter- sucht, wodurch erst der Beweis einer isolirten Degene- ration einzelner Stränge bei anatomisch-normaler Be- schaffenheit der Umgebung geliefert werden konnte. Die nachfolgenden Mittheilungen sind 12 eigenen Fällen entnommen. . Darunter waren 8 Männer und 4 Weiber. Dieselben standen beim Ausbruch der ersten Krank- heitserscheinungen im Alter von 22, 23, 32, 36, 38, 38, 38, 42, weniger als 44, 44, 52, 58 Jahren. Die erkrankten Stränge boten folgendes pathole- gisch-anatomische Verhalten dar. In fünf Fällen war intensive Degeneration zu einer graulichen gallertig durchscheinenden Masse zugegen. Da- bei war nur einmal eine deutliche Verminderung der Con- sistenz bemerkbar. In einem dieser fünf Fälle waren zahlreiche Körnerhaufen (Körnchenzellen) und viel freies Felt zugegen, bei wenigstens stellenweise unverminderter Anzahl der Nervenröhren. In den vier anderen fand, namentlich in der Gegend der intensivsten Erkrankung, eine sehr beträchtliche Verminderung der Nervenröhren Statt. Körnerhaufen waren nur in zweien derselben in sehr geringer Anzahl vorhanden, während sie in den bei- den übrigen fehlten, in allen diesen vier Fällen fand sich zahlreich eine fein granuläre Masse vor. In einem Falle, wo sich für das unbewaflnete Auge nur ein geringer Grad von gallertähnlichem Ansehen zu erkennen gab, fehlten bei zahlreich vorhandenen Körner- haufen die Nervenröhren beinahe gänzlich. Auch hier war die Consistenz der erkrankten Stränge ungefähr die normale. In zwei anderen Fällen, wo an den erkrank- ten Strängen nur stellenweise ein ganz geringes, galler- tiges, minder weisses Anschen wahrzunehmen war, zeig- ten dieselben eine sehr auffallende Consistenzzunahme. Sie 142 liessen sich schwerer schneiden, die abgeschnittenen klei- nen Stückchen konnte man zwischen Objectiv- und Deck- glas nur schwer zu einer zähen häutigen Masse zer- drücken. Das Mikroskop erwies die Gegenwart zahlrei- cher Körnerhaufen bei nur gerioger Verminderung der Nervenröhren. Es sind endlich noch vier Fälle zu erwähnen, in denen sich weder für das unbewaflnete Auge, noch auch für die Loupe eine Spur von gallertähnlicher Degenera- tion oder irgend eine Farbenabweichung zu erkennen gab. In dreien dieser Fälle zeigte sich auch keine Con- sistenzabweichung, so dass sich die Erkrankung erst bei der mikroskopischen Untersuchung herausstellte, während in einem dieser Fälle die erkrankten Stränge eine sehr auffallende, der eben geschilderten gleiche Consistenzzu- nahme darboten. In allen diesen vier Fällen wurde in den erkrankten Strängen die Gegenwart von Körnerhaufen, und zwar einmal in sehr mässiger, die übrigen Male in sehr be- trächtlicher Anzahl nachgewiesen, nur zweimal waren die Nervenröhren am Sitz der intensivsten Erkrankung mäs- sig vermindert, und zwar zeigte der Fall mit Induration eine solche Verminderung der Nervenröhren und sehr zahlreiche Körnerhanfen. Es ist das eben angegebene pathologisch - anatomi- sche Verhalten der erkrankten Stränge dasselbe, wie es sich bei anderen Fällen in nicht nach Strängen abge- grenzten, sondern ganz unregelmässig im Rückenmark gelagerteu Herden vorfindet. Ueber das Alter der Erkrankung wurde Fol- gendes ermittelt: Zwischen dem ersten Eintritte der Krankheitserchei- nungen und dem Tode waren verflossen in den fünf Fäl- len von intensiver gallertartiger Degeneration nahe an 8 Jahre, 7 Jahre, 5, Jahre, mindestens 13 Monate, 1 Jahr; in den drei Fällen von geringer gallertartiger De- generation mit oder ohne Induration 1 Jahr 4—5 Mo- nate, 1% Jahr, 1% Jahr; in den drei Fällen von Er- krankung einzelner Stränge ohne alles gallertige Ansehen und ohne Iduration 2 Jahre, 1 Jahr, 5 Monate; in dem einen Falle von Erkrankung ohne gallertiges Ansehen, aber mit Induration, 1 Jahr. : Die bisher geschilderten pathologisch - anatomischen Veränderungen waren in folgender Weise über die verschiedenen Rückenmarksstränge ver- breitet: \ Es war die Affection stets eine paarige und merk- würdiger Weise, selbst wenn die betreffenden Stränge räumlich getrennt waren, so bei isolirter Erkrankung bei- der Seitenstränge. Die beiden Hinterstränge allein waren dreimal er- griffen und in einem vierten Falle blieb es zweifelhaft, ob an einer Stelle in der Gegend der intensivsten Er- krankung eine ganz geringe Ueberschreitung nach dem einen Seitenstrang hin stattfand; beide Hinterstränge zu- 143 gleich mit den innersten hinteren Partieen der Seiten- stränge waren fünfmal, die beiden Seitenstränge allein zweimal, die beiden Vorderstränge zugleich mit beiden Seitensträngen einmal ergriffen. Die genannten Stränge waren meist in einem sehr beträchtlichen Theile ihrer Länge erkrankt, und zwar so, dass in einem gewissen Bezirke die pathologisch - anato- mischen Veränderungen sowohl am weitesten vorgeschrit- ten, als auch nach der Dicke der Stränge am meisten ausgedehnt waren. Nach oben und unten von diesem am intensivsten befallenen Stück fand in beiden angege- benen Beziehungen eine successive Abnahme bis zum endlichen Erlöschen des Processes Statt. In den drei Fällen von alleiniger Erkrankung bei- der Hinterstränge war jene am intensivsten ergriffene Partie einmal die Gegend der Insertion des 10.—12. Brustnerven, und einmal jene der Insertion der letzteren Brust- und obersten Lendennerven, und einmal jene von der Insertion der letzteren Lendenneryen nach abwärts bis in den Conus medullaris unterhalb der Insertion der letzten Steissnerven. In jenem oben erwähnten vierten Falle von Er- krankung beider Hinterstränge mit zweifelhafter Ueber- schreitung in einen Seitenstrang fand sich die intensivste Erkrankung an der Insertion der letzteren Brust - und der Lendennerven. In allen vier Fällen waren am Sitz der intensivsten Erkrankung die beiden Hinterstränge in ihrer ganzen, oder beinahe ganzen Dicke ergriffen; in zweien derselben reichte die Degeneration, sich allmälig verschmächtigend, bis an das obere Ende oder in die Nähe des oberen En- des vom Rückenmark. ; Die fünf Fälle, in denen beide Hinterstränge zu- gleich mit den innersten hintersten Abschnitten der Sei- tenstränge ergriffen waren, zeigten folgendes Verhalten: zweimal war der Sitz der intensivsten Erkrankung die Gegend der Insertion aller Brust- und Lendennerven, einmal der Lenden- und Sacralnerven, einmal der Brust-, Lenden- und Sacralnerven; in einem Falle, wo sich die gallertige Degeneration nach der ganzen Länge des Rük- kenmarkes bis zu den Insertionsstellen der Sacralnerven verbreitete, wurden nicht hinreichend zahlreiche Unter- suchungen vorgenommen. Auch in diesen Fällen waren an dem Hauptsitze der Erkrankung die Hinterstränge bei- nahe durchaus in ihrer ganzen Dicke ergriffen, die Sei- tenstränge waren mitunter auch über die Gegend der 144 vorwaltenden Erkrankung hinaus noch in sehr geringem Grade betheiligt. Eine wenigstens sehr geringe Erkrank- ung der Hinterstränge, meist auf ihre innersten Ab- schnitte beschränkt, reichte in allen diesen Fällen bis zum oberen Ende des Halsmarkes oder bis in’s verlän- gerte Mark. Sowohl an den Stellen der intensivsten Erkrankung als auch über diese hinaus waren nach der Länge des Rückenmarkes mitunter Schwankungen in den patholo- gisch-anatomischen Veränderungen bemerkbar, so dass keine stetige Zu- oder Abnahme stattfand; insbesondere gilt diess von den geringeren Graden des gallertigen An- sehens. Nur in den wenigsten Fällen sehr intensiver alter Erkrankung war eine deutliche Verschmächtigung des Rückenmarkes bemerkbar. Wir kommen nun zu zwei Fällen, in denen die bei- den Seitenstränge allein Sitz der Krankheit waren. In einem derselben waren sie in einem ganz klei- nen Theile ihrer hinteren Abschnitte von der Insertion der unteren Halsnervenpaare bis zu jener des ersten Len- dennervenpaares gallertig degenerirt; bis in eine Entfer- nung von etwa 1—2 Insertionsstellen höher und tiefer war die Erkrankung nur mehr auf einer Seite aufzufin- den, und war über diese Entfernungen hinaus gänzlich erloschen. Im zweiten Falle waren die Seitenstränge gleichfalls in ihrem hinteren Abschnitte, jedoch in einem grösseren Querdurchmesser befallen; die Erkrankung gab sich nur durch die Anwesenheit einer mässigen Anzahl von Kör- nerhaufen kund, sie liess sich von der Insertion der un- tersten Lendennerven nach aufwärts durch die Pyramiden bis zu ungleicher Höhe in die Grosshirnschenkel verfol- gen, woselbst sie erlosch. (Schluss folgt.) Miscelle. Eine atheromatöse Cyste unter der Zunge fand Prof. Linhard (Würzburg) zwischen den beiden Mm. genio- glossi. Die Geschwulst wurde durch Spaltung der Mund- schleimhaut längs des Unterkieferrandes blossgelegt, sauber frei präparirt, dann durch einen Einstich um %z entleert und sodann durch die Mundhöhle herausgenommen. Diese Art der Exstirpation ist weit weniger gefährlich als die Exstirpation von der Halsfläche aus. (Oestr. Ztsckr, des Doctoren-Colleg. 1857 No. 3.) Bibliographische Neuigkeiten. N. — E. Pflüger, Ueber das Hemmungsnervensystem für d. peristaltischen Bewegungen d. Gedärme. gr. 8. Hirsch- wald in Berlin, 1857. 16 Sgr. vw. Weber, Licht und strahlende Wärme in ihren Beziehungen zu einander mit Rücksicht auf d. Identitätstheorie. gr. 8. Bosselmann in Berlin, 1857. 1 Thlr. Eu. — L. Türck, Ueber Degeneration einzelner Rückenmarks- stränge, welche sich ohne primäre Krankheit d. Gehirns oder Rückenmarks entwickelt. 8. Braumüller in Wien. 1% Thlr. L. Türck, Vorl. Ergebnisse v. Experimentaluntersuchungen z. Ermittelung der Hautsensibilitätsbezircke d. einzelnen Rük- kenmarksnervenpaare. Lex.-8. Braumüller in Wien. 2 Sgr. Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena, av Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. I. Band N: 10. Naturkunde. Ferd. Cohn, Ueber das Geschlecht der Algen. — Miscellen. Elektrische Fische. — Donders’ Spei- chelkörperchen. — Meilkunde. C. A. Wunderlich, Ueber die Wirkung der kaustischen Salpetersäure. (Schluss.) — Miscellen. Ramsbotham, Mangel des Uterus und der Vagina. — Mundscorbut. — Bibliographie. Naturkunde. Ueber das Geschlecht der Algen. Von Dr. Ferd. Cohn. Das Studium der niedersten und kleinsten Organis- men hat in neuerer Zeit um so höhere Bedeutung ge- wonnen, als man erkannte, dass gerade in dem Bereiche der mikroskopischen Welt der Schlüssel für die Erforsch- ung des- Lebens auch bei den höheren Pflanzen und Thie- ren, bis hinauf zu dem Menschen, verborgen liegt. Nach dem gegenwärtigen Standpunkte der Wissenschaft ist die Zelle der unsichtbare Herd, in dem alle physiologischen Thätigkeiten vor sich gehen; die gesammte Lebensge- schichte eines jeden Organismus ist in der Entstehung, dem Lebensprocesse und dem Tode seiner Zellen enthal- ten. Um jedoch das Leben der Zelle zu erforschen, da- für bieten die höheren Pflanzen und Thiere um so we- niger geeignetes Material, als die grosse Anzahl, die ungleiche Entwickelung und die höchst complicirte Struk- tur ihrer Gewebe fast niemals eine einzelne Zelle der Un- tersuchung zugänglich macht, es sei denn, dass man die- selbe durch gewaltsame Schnitte aus ihrer normalen Ver- bindung löst und damit gleichzeitig das Leben dieser kleinsten Elementarorganismen vernichtet. Die mikrosko- pischen Geschöpfe dagegen, die zum Theil nur aus einer oder wenigen grossen und freien Zellen bestehen, schei- nen gewissermaassen von der Natur selbst dazu bestimmt, das Leben der Zelle dem Studium der Forscher zugäng- lich zu machen. Wir können leicht Hunderte und Tau- sende solcher kleiner Organismen in einem einzigen Was- sertropfen unter den Focus unseres Mikroskops bringen und ihre gesammte Entwickelungsgeschichte vor unserem Auge vom Anfange bis zu Ende vorüberziehen lassen, ohne dasselbe von dem Ocular entfernen zu müssen. Nachdem Nägeli, A. Braum und Andere die nieder- sten Algen und Pilze als ein- oder wenigzellige Pflanzen hingestellt und Kölliker, Siebold, Auerbach u. s. w. auch einen grossen Theil der Infusorien für ein- zellige Thiere erklärt haben, seitdem hat das Studium aller dieser Organismen unter den Naturforschern der Ge- genwart eine ungemeine Ausbreitung gefunden, und wir verdanken es zum grossen Theil auch diesen Bestrebun- gen, wenn wir heutzutage manche Gesetze der allgemei- nen Physiologie, wenn wir die wichtigsten Erscheinungen des Respirations- und Assimilationsprocesses, der Ent- wickelung und Krankheit, des Wachsthums und des To- des der höheren Thiere und Pflanzen, aus der Entwik- kelungsgeschichte der einfachen Zelle zu erläutern im Stande sind. Nur das Geheimniss der geschlechtlichen Fort- pflanzung, welche bei allen grösseren Organismen die Entstehung eines neuen Individuums vermittelt, war bis zur letzten Zeit durch die Untersuchungen der mikrosko- pischen Organismen durchaus nicht gefördert. Es schien, als beschränke sich die Fortpflanzung derselben einzig und allein auf eine einfache Vermehrung ihrer Zellen durch freie Selbsttheilung oder durch Knospenbildung, ohne dass dabei irgend eine geschlechtliche Thätigkeit zum Vorschein kam. Bekanntlich ist bei allen höheren Thieren die Fortpflanzung an das Aufeinanderwirken zweier Geschlechter gebunden ; das weibliche bietet im Ei den Stoff zur Bildung des neuen Individuums; das männliche leitet durch die beweglichen Samenfäden (Spermatozoa) im Ei einen Entwickelungsprocess ein, welcher mit der Selbstfurchung beginnt und in allmäligem und gesetzmäs- sigem Fortschritt das zusammengesetzte Gewebe des jun- gen Embryo hervorbringt. Alle Thiere, von dem voll- kommensten Säugethier bis zum einfachsten Polypen, so verschieden auch ihre innere Organisation und ihre Stell- ung im natürlichen System sein möge, pflanzen sich in merkwürdiger Gleichförmigkeit auf ganz dieselbe Weise 10 147 fort, und nur die mikroskopischen Infusorien scheinen von diesem Gesetze ausgeschlossen, da man bisher bei ihnen keine Spur geschlechtlicher Differenz, sondern aus- schliesslich eine ungeschlechtliche Vermehrung durch Selbst- theilung, Sprossung oder endogene Knospen (Schwärm- sprösslinge) beobachten konnte. Auf der andern Seite pflanzen alle höheren Ge- wächse, die Phanerogamen, sich durch das Aufeinander- wirken zweier Geschlechter fort, ‚indem der männliche Pollen mit dem weiblichen Eichen (der Samenknospe) in Berührung trilt und auf dasselbe eine befruchtende Ein- wirkung ausübt; unter den höheren Kryptogamen ist das Geschlecht durch einen eigenthümlichen Generationswech- sel verhüllt, indem hier in der Entwickelung der Art zwei ganz verschieden organisirte Generationen auf einan- der folgen; ein jedes Moos, wie ein jedes Farnkraut be- ginnt mit einer geschlechtlichen Generation, welche aus der keimenden Spore sich entwickelt und endlich männ- liche und weibliche Organe, oder, wie sie gewöhnlich genannt werden, Antheridien und Archegonien, erzeugt; diese Generation wird bei den Farnen als Vorkeim, bei den Moosen als eigentliches, beblättertes Moospflänzchen bezeichnet. Indem durch die Spermatozoen der Anthe- ridien das Keimbläschen des Archegoniums befruchtet wird, nimmt in diesem letzteren die zweite geschlechtslose Ge- neration ihren Ursprung, welche als Abschluss ihrer Ent- wickelung die Sporen erzeugt, die ohne Befruchtung ent- stehen und keimfähig werden; dieser Generalion entspricht der eigentlich wedeltragende Stamm der Farne; bei den Moosen ist sie durch das Gebilde vertreten, welches man gewöhnlich als Kapsel bezeichnet. Durch die Keimung der Sporen geht wieder eine geschlechtliche und aus die- ser eine ungeschlechtliche Generation hervor; und so ver- läuft der Entwickelungscyclus dieser Pflanzen in fortlau- fendem Wechsel der Generationen. Bei den niedersten Zellenpflanzen, den Thallophyten, unter denen wir die gewöhnlich als Algen, Pilze und Flechten bezeichneten Formen zusammenfassen, war bis zum letzten Jahre keine Spur von Geschlechtsorganen auf- zufinden, und es war ein von dem bei Weitem grössten Theile der Botaniker als gültig anerkanntes Gesetz, dass diese einfachsten Gewächse sich nur nach der ge- wöhnlichen Art aller Pilanzenzellen vermehren, dass sie sich nur durch Theilung oder freie Zellenbildung repro- duciren können, ohne dass es dabei einer Befruchtung bedürfte. Zwar hatte Itzigsohn seit dem Jahre 1849 Beobachtungen über die männlichen Organe der Algen publieirt, wonach in den Zellen unserer Confer- ven sich bewegliche Kugeln, Spermatosphärien, bilden sollten, aus denen später die eigentlichen, vibrionenarti- gen Spermatozoen hervorgingen. Aber eine genauere Untersuchung seiner Angaben stellte heraus, dass die Itzigsohn’schen Spermatozoen pathologische Gebilde sind, die nur bei der Zersetzung der Zellen ihren Ur- sprung nehmen, aber nicht in den normalen Entwickel- ungskreis der Conferven hineinfallen. Desshalb setzten 148 nur wenig Botaniker Glauben in die Itzigsohn’sche Lehre von der Sexualität der Algen; vielmehr wurde es als eine wissenschaftlich feststehende Thatsache allgemein angenommen, dass das Gesetz der geschlechtlichen Diffe- renz auf die niedersten Formen des Thier- und Pflanzen- reichs keine Geltung habe. Diese Ansicht ist durch eine Reihe neuer Entdeck- ungen gänzlich umgestossen werden, welche seit dem Beginn dieses Jahres in die Oeflentlichkeit gelangten. Im Januar 1855 erschien in den Annales des sciences na- turelles die genaue Beschreibung der Untersuchungen, welche Thuret in Cherbourg über die Sexualität der Fucaceae angestellt hatte. Thuret fand, dass die Früchle dieser braunen Seetange von verschiedener Struk- tur seien; die einen männlichen, die andern weiblichen Geschlechts. In den weiblichen Früchten (Sporangien A. Br.) entstehen die Sporen; und zwar sind in der Regel acht Sporen in einer Mutterzelle (Sporocytium A. Br.) eingeschlossen, aus deren Inhalt sie sich gebildet hatten; sie durchbrechen bei ihrer Reife dieselbe und gelangen so an die Aussenseite der Frucht, wo sie sich in gros- ser Anzahl an der Oberfläche des Thallus anhäufen. In den männlichen Früchten (Spermatangien) entstehen die Spermatozoen, die in grösserer Anzahl in blasenförmigen ° Zellen (Spermatocylien, Antheridien) sich entwickeln und endlich durch die Oefinung der Frucht an die Aussen- seite hinaustreten; es sind kleine birnförmige Körperchen mit einem rothen, augenähnlichen Punkte und zwei be- weglichen, in charakteristischer Weise angehefteten Fä- den, durch deren Hülfe sie lebhaft im Wasser umher- schwimmen. Thuret vereinigte die Sporen aus den männlichen Früchten in einem Tropfen Seewasser; als- dann beobachtete er, dass die beweglichen Körperchen sich den Sporen näherten und sich an dieselben in grös- serer oder geringerer Zahl mit Hülfe ihrer klebrigen Flimmerfäden anhefteten, ja sie in lebhafte Rotation ver- setzten. Nach einiger Zeit hörte die Bewegung der Spo- ren und der Spermatozoen auf, und in jenen begann ein eigenthümlicher Bildungsprocess, welcher den Beweis lie- ferte, dass in denselben durch ihre Berührung mit den Spermatozoen ein Befruchtungsprocess stattgefunden habe. Die unbefruchteten Sporen waren nämlich schleimige Ku- geln ohne alle Membran; nun aber entstand eine starre Cellulosemembran rings um dieselben; bald darauf theil- ten sie sich durch eine Querscheidewand, und indem der Theilungsprocess nach bestimmten Gesetzen fortschritt, so ging endlich aus der einfachen Spore ein zusammenge- setztes Gewebe hervor, in welchem bereits die Gestalt des jungen Fucus sich erkennen liess. Thuret’s Entdeckungen setzten die Existenz ge- - schlechtlicher Differenz und eines Befruchtungsaktes bei den höchsten Formen der Algen ausser Zweifel; denn wenn er die Spermatozoen von den Sporen getrennt hielt, so zeigten weder die einen noch die anderen eine weitere Entwickelung; vielmehr gingen beide in kurzer Zeit zu Grunde, ohne einen neuen Embryo zu erzeugen. Den- noch konnte man aus diesen Beobachtungen noch nicht den Schluss ziehen, dass auelv bei den niedersten mikro- skopischen Formen der Algen eine ähnliche Geschlechts- verschiedenheit exislire; im Gegentheil schien es, als würden die Fucaceen gerade durch ihre Sexmnalität von den übrigen Algen entfernt und als eine besondere Klasse in eine höhere Rangordnung des Pflanzenreichs hinauf- gewiesen. Denn aus ganz demselben Grunde hatten die meisten Botaniker lange vorher die Familie der Charen, obwohl diese in ihrem Habitus und in ihrer Struktur ge- wissen Algen ausserordentlich gleichen, nichtsdestoweni- ger von denselben getrennt und höher hinauf in die Nähe der Moose gestellt, weil bei ihnen die Existenz männ- licher und weiblicher Geschlechtsorgane (Antheridien und befruchtele Sporen) nachgewiesen worden war, In den letzten Tagen des März 1855 erschien in den Monatsberichten der berliner Akademie eine höchst wichtige Abhandlung von Pringsheim über die Se- xualität der niedersten Algen. Pringsheim untersuchte eine unserer gemeinsten Conferven, die Galt- ung Vaucheria, welche in Bächen und Gräben vegelirt; sie bildet zierliche verästelte Bäumchen, welche nicht, wie die meisten Conferven, aus Zellenreihen, sondern in ihrer ganzen Ausdehnung aus einer einzigen Zelle ohne alle Scheidewände bestehen, die zu einem langen Schlau- che mit blinddarmartigen Aussackungen sich ausdehnt. Die Fortpflanzungsorgane dieser Alge halten schon im Jahre 1843 gewaltiges Aufsehen erregt, indem dieselben als duukelgrüne, eiförmige Körperchen erscheinen, die aus dem Schlauche heraustreten und sich nach Art von Infusorien lange Zeit im Wasser bewegen, ehe sie zu einem neuen Pllänzchen auskeimen; Thuret und Un- ger hatten damals entdeckt, dass die Bewegungen dieser Körperchen durch einen Pelz beweglicher Wimpern ver- ursacht werden, der ihre ganze Oberfläche bekleidet. Aus- ser diesen Schwärmsporen (Gonidien) kannte man bei Vancheria schon seit lange knospenähnliche Kugeln, die an der Seite der Schläuche hervorsprossen und gewöhn- lich als „ruhende Sporen“ bezeichnet wurden. An der Seite dieser ruhenden Sporen hatte schon der alte Vaucher hakenähnliche, schmale Aestchen sich erheben schen und dieselben als die männlichen Organe der Vau- cheria bezeichnet, ohne dass er irgend eine Beobachtung als Stütze für seine Ansicht hätte beibringen können. Als jedoch Pringsheim eines dieser gekrümmten Aest- chen unter sein Mikroskop brachte, so fand er, dass das obere Eude des Hakens von dem unteren sich durch eine Scheidewand abschnürte; allmälig wandelte sich der In- halt des abgeschnürten Theils in eine grosse Anzahl klei- ner stäbchenförmiger kKörperchen umz diese begannen sich im Innern ihrer Mutterzelle mit Hülfe von zwei Flimmerfäden zu bewegen; nun zeigte sich eine Oeflnung an der Spitze des Hakens; die Körperchen drangen durch dieselbe in dichten Schwärmen nach aussen und sammel- ten sich an der Spitze der benachbarten ruhenden Spore. Auch an dieser ward die Membran durch eine Ochuung 150 durchbohrt, die sich von selbst aufthat; die schwärmen- den Körperchen drangen durch dieselbe hindurch in das Innere der „ruhenden Spore“, deren Inhalt sich zu einer schleimigen , scharf begrenzten, aber membranlosen Kugel organisirt hatte. Nach etwa einer Stunde hörte die Be- wegung dieser Körperchen auf; einige derselben hefleten sich an die Oberfläche der Schleimkugel; bald darauf bildete sich eine Zellmembran rings um dieselbe, und diese bildete sich jetzt zu einer vollkommenen, mit fester Haut umgebenen Spore, die sich mit Oel füllte und zur rechten Zeit in ein neues Pflänzchen auskeimte. So stellte sich denn heraus, dass die einfache Zelle der Vaucheria zu gewisser Zeit doppelte Geschlechtsorgane entwickele, männliche (Spermatoeylien), welche beweg- liche Spermatozoen erzeugen, und daneben weibliche (Spo- rocylien), deren befruchteter Inhalt zu einer ruhenden Spore sich umbildet. Diese wunderbaren Vorgänge mussten das grösste Aufsenen bei den Naturforschern erregen und es gereichte mir daher zu grosser Freude, bald nach der Bekannt- machung der Pringsheim’schen Beobachtungen durch eigene Wiederholung derselben die Befruchtung der Vau- cherien in ihrem ganzen Verlauf bestätigen zu können. Doch schon vorher hatte ich das Glück, fast gleichzeitig mit Pringsheim, eine andere Thatsache geschlecht- licher Verschiedenheit bei einer niederen mikroskopischen Alge zu entdecken. ; Sphaeroplea annulina Ag. ist eine unserer zierlich- sten Confervenz; sie besteht aus schr langen, in einfacher Reihe über einander geordneten Zellen, die sich zu zar- ten, lebhaft grünen, schleimigen Fäden, ähnlich der be- kannten Spirogyra, an einander reihen. Der Inhalt dieser Zellen ist ein farbloser Schleim, in dem das Chlorophyll eine grössere oder geringere Anzahl von grünen, zier- lichen Ringen bildet, so dass etwa 20 derselben in regel- mässigem Abstand den inneren Umfang jeder Zelle um- kreisen. Diese prächtige Alge hatte ich Jahre lang ver- geblich um Breslau gesucht; als jedoch nach der grossen Oder-Ueberschwemmung im Jahre 1854 in den Vorstädten von Breslau überall Pfützen zurückgeblieben waren, die sich bald mit lebhafter Algenvegetation erfüllten, so machte mich Hr. Dr. Asch, hier auf einen mennig-rothen Filz aufmerksam, welcher in einer Ausdehnung von fast einem Morgen den in der Ohlauer Vorstadt gelegenen Kartoffelacker des Herrn Hofschlosser Meineke bedeckte; bei genauerer Untersuchung stellte sich heraus, dass die- ser Filz ausschliesslich durch die fructificirenden, mit rothen Sporen gefüllten Fäden von Sphaeroplea gebildet war, die, wahrscheinlich durch den benachbarten Ohlau- fluss von Ferne angeschwemmt, von mir bisher nie an dieser Stelle gefunden worden ist und seitdem wieder völ- lig aus Breslau verschwunden scheint. Die Fortpflanzung dieser Conferve war bis dahin fast unbekannt; es glückte mir jedoch, durch Aussaat der Sporen die höchst merkwürdige Keimungs- und Ent- wickelungsgeschichte in ihrem ganzen Hs in den 151 ersten Monaten des Jahres 1855 zu verfolgen. Indem ich in Bezug auf das Detail meiner Beobachtungen auf meine Abhandlung über Sphaeroplea annulina in den Mo- natsberichten der berliner Akademie vom Mai 1855 ver- eise, beschränke ich mich hier auf die Anführung der hauptsächlichsten Thatsachen in Bezug auf das Geschlecht dieser Alge. Wenn (im März und April) die Zeit für die Fortpflanzung der Sphaeroplea herangekommen, so wird der eine Theil ihrer bis dahin völlig gleichartigen Zellen männlich, der andere weiblich; die weiblichen Zel- len werden zu Sporocytien, in denen Sporen entstehen, die männlichen zu Spermatocytien, in denen Spermato- zoen sich bilden. In den weiblichen Zellen löst sich die aus grünem Chlorophyll und farblosem Protoplasma be- stehende und zahlreiche Stärkekörner einbettende Substanz der Ringe zu einer formlosen schaumigen Masse auf, die gleichmässig die Höhle der Zelle erfüllt und sich nach einiger Zeit in ebensoviel grüne Kugeln trennt, als vor- her Ringe in der Zelle gewesen waren; die Stärkekörner scheinen bei diesem Process als Attractions - Mittelpunkte zu dienen; ich werde diese grünen membranösen Kugeln als Sporenkeime bezeichnen, da sie nach der Be- fruchtung zu ruhenden Sporen werden. Gleichzeitig wird die Membran der weiblichen Zellen von etwa 5— 6 klei- nen Löchern in regelmässigem Abstand durchbrochen. Um dieselbe Zeit haben in anderen Zellen des Sphaero- pleafadens die grünen Ringe eine röthliche Färbung an- genommen; nun verwandelte sich unter meinen Augen die Substanz derselben in eine zahllose Menge kleiner stäb- chenähnlicher Körperchen, die am hinteren Ende etwas angeschwollen, am vorderen in ein langes Schnäbelchen verlängert waren und an demselben zwei lange, beweg- liche Flimmerfäden trugen. Diese Körperchen sind die Spermatozoen von Sphaeroplea; sie beginnen sich allmälig aus der Substanz der Ringe herauszulösen; frei gewor- den, bewegen sie sich im Innern ihrer Mutterzelle in zahllosen Schaaren wimmelnd durch einander, so dass man in einen Ameisenhaufen zu blicken glaubt. Nun bemerkt man, dass sich in der Membran dieser männlichen Zellen eben solche kleine Oefinungen gebildet haben, wie wir sie schon an den weiblichen Zellen beschrieben hatten; plötzlich tritt eines der Spermatozoen durch ein solches Loch nach aussen, andere folgen; bald ist die männliche Zelle leer geworden und die in's Wasser hinausgetrete- nen Spermatozoen schwimmen lebhaft nach allen Richt- ungen aus einander, als ob es Infusorien wären. Bald darauf sieht man sie sich um die weiblichen Zellen ver- sammeln, in denen die Sporenkeime als grüne, völlig nackte Schleimkugeln vollendet und die kleinen Löcher in der Membran aufgebrochen sind. Die Spermatozoen um- schwärmen die weiblichen Zellen und suchen sich deren Oefinungen zu nähern; plötzlich ist es einem dieser Ge- 152 bilde geglückt, in das Innere der weiblichen Zelle ein- zudringen, indem es seinen weichen Körper durch die enge Oeifnung mit Hülfe der wirbelnden Fäden hindurch- zwängte; allmälig gelangen auch andere Spermatozoen durch dieselbe oder durch eine andere Oeflnung in’s In- nere, und nach einiger Zeit ist der Raum der weiblichen Zelle erfüllt mit einer Anzahl von Spermatozoen, die in grösster Hast von Spore zu Spore schwärmen. Ich habe die Bewegung der Spermatozoen innerhalb der weiblichen Zellen länger als zwei Stunden beobachtet; aber nach dieser Zeit kamen dieselben zur Ruhe und hefteten sich einzeln oder zu mehreren mit Hülfe ihrer schleimigen Flimmerfäden an die ebenfalls schleimige Oberfläche der Sporenkeime; sie zerfliessen zu Tröpfchen, und es scheint, als ob ein Theil derselben vom Sporenkeim eingesogen würde. Wenn diess geschehen, so sind die Sporen be- fruchtet; denn nun wird an ihrer ganzen Oberfläche eine durchsichtige Cellulosehaut ausgeschieden; bald darauf entsteht eine zweite und dritte Membran unter der ersten, welche selbst durch Häutung abgeworfen wird; der grüne Inhalt verwandelt sich in rothes Oel, und wenn die be- fruchtete Spore reif geworden, dann erscheint sie als eine zierliche scharlachrothe Kugel, die von einer glas- hellen sternähnlichen Hülle eingeschlossen ist. (Schluss folgt.) Miscellen. Ueber die elektrischen Fische enthält das Edinb. New. Philos. Journ. 1856 einen Aufsatz, woraus wir entneh- men, dass die elektrischen Fische alleschuppenlos sind, einen glatten Körper haben und im Schlamme oder doch am Boden der Wässer sich aufhalten. Ausser den elektrischen Rochen, Rhinobotis und Gymnotus electricus wird besonders das Ge- nus Melapterus genannt, wozu der Silurus des Nils (Melapte- rus electricus) gehört; in den Flüssen der Westküste Afrika’s kommen verwandte elektrische Arten vor, namentlich im Alt- Calabar der Melapterus beninensis. Von der elekrischen Kraft dieses Fisches wird folgendes Beispiel erzählt. Ein Missio- när in Creen Town halte einen zahmen Reiher jung aufgezo- gen. Dieser erhielt einst zum ersten Mal in seinem Leben ei- nige lebendige Fische, darunter einen kleinen Melapterus. Der Vogel verschlang ihn, hatte ihn aber kaum im Leibe, als er einen lauten Schrei ausstiess und hintenüber fiel. Er er- holte sich indess wieder, war aber nie wieder dazu zu brin- gen, einen Melapterus anzurühren. Der Missionär berichtet übrigens auch, dass die Eingebornen ihre kranken Kinder mit der Elektrieität dieses Fisches zu kuriren pflegen. Donders Speichelkörperchen kommen in dem Speichel der Parotis nicht vor, sondern nur in dem Spei- chel, den man durch Saugen oder Druck auf den Boden der Mundhöhle unterhalb der Zunge zum Vorschein brachte. Sie stammen also aus Drüsen, deren Ausführungsgänge sich unter der Zunge auf dem Boden der Mundhöhle öffnen. (Nederl. Lancet, Oct. 1855.) 154 Heilkunde. Ueber die Wirkung der kaustischen Salpe- tersäure. Von Prof. €. A. Wunderlich (Leipzig). (Schluss.) Endlich ist noch ein Fall zu erwähnen, in dem die beiden Seitenstränge zugleich mit beiden Vordersträngen Sitz der Krankheit waren; die Erkrankung war gleich- falls nur bei der mikroskopischen Untersuchung durch die Gegenwart sehr zahlreicher Körnerhaufen erkennbar, welche beide Seiten- und Vorderstränge ihrer ganzen Dicke nach in grosser Zahl einnahmen, während die Hin- terstränge völlig frei davon waren. Sie waren ungefähr in gleicher Anzahl über den ganzen Hals- und Brust- theil verbreitet, an den Insertionsstellen der Lendenner- ven in den Vordersträngen schon sehr vermindert und an der Insertion der Sacralnerven auch in den Seiten- strängen schon verschwunden. Im verlängerten Mark liess sich die Degeneration durch die Pyramiden hindurch, links nur bis zum wnteren Brückenrand, rechts in schr geringer Intensität noch durch die Längsfaserbündel des unteren Viertheils der Brücke verfolgen; höher oben war sie gänzlich verschwunden. In vielen der hier angeführten Fälle untersuchte ich die Nervenzellen des Rückenmarkes, und fand sie mit Ausnahme der ohne besondere Präparation nicht erkenn- baren Fortsätze von normalem Aussehen. Die geschilderte Erkrankung hatte in meinen Beob- achtungen die folgenden Combinationen einge- sangen. Der zuletzt angeführte Fall war mit ganz oberfläch- licher gallertiger Degeneration der Gürtelschichte der Py- ramiden complieirt, welche jedoch die Pyramidenstränge intact liess. Ein Fall von Induration beider Hinterstränge mit Körnerhaufen und ganz geringem gallertigen Ansehen war combinirt mit Zelleninfiltration in der einen Brük- kenhälfte und davon abhängiger secundärer Degeneration des entgegengesetzten Seitenstranges. Ein Fall von De- generation beider Hinterstränge, welche auf die Bildung zahlreicher Körnerhaufen beschränkt blieb, war gleich- falls mit Zelleninfiltration im Gehirne und von ihr ab- er. 3 secundären Degeneration eines Seitenstranges combinirt. Ein Fall von mässiger Entwickelung von Körnerhaufen in den Seitensträngen war combinirt. mit - ehronischem Hydrocephalus.. Ein Fall von intensiver gallertiger Degeneration der Hinterstränge und hinteren Abschnitte der Seitenstränge war combinirt mit Verdick- ung und Verwachsung der innern Hirnhäute mit der Oberfläche der Gehirnwindungen und gallertiger Degene- ration der Scehnerven. Eine gallertige Degeneration in beiden Seitensträn- gen war combinirt mit gallertig durchscheinenden Schwie- len in beiden Sehhügeln und Atrophie der Schnerven. Von besonderem Interesse sind die beiden nachfol- genden Combinationen, nämlich jene mit alten Exsudaten in den inneren Rückenmarkshäuten, und jene mit Er- krankung von Rückenmarksnervenwurzeln. Die alten Exsudate der inneren Rücken- markshäute hatten stets nur ausschliessend oder ganz vorwaltend, wie solches Rokitansky von der acuten Meningitis spinalis angiebt, den die hintere Fläche des Rückenmarkes überkleidenden Abschnitt dieser Häute zum Sitz. Sie hatten sich mit Erkrankung der Hinterstränge allein oder zugleich mit Erkrankung der hinteren Ab- schnitte der Seitenstränge combinirt. Sie gaben sich im geringsten Grade als blosse Trübung und geringe Verdickung der Arachnoidea, wel- che durch den Vergleich mit einer gesunden Partie deut- lich wurde, zu erkennen und begreiflicherweise an der Pia mater nicht nachgewiesen werden konnte. Beträchtlicher als die Verdickung der Arachnoidea war mitunter jene der zahlreichen, am Halstheile eine Scheidewand bildenden Verbindungsstreifen zwischen der Arachnoidea und Pia mater in der hinteren Mittellinie des Rückenmarkes. ($. Kölliker, Mikroskop. Anatomie, 2. Band 1830, S. 489.) In den höheren Graden fand sich stärkere Trüb- ung, Verdickung und Verwachsung mit der gleichfalls verdickten Pia mater in den verschiedensten Intensitäts- graden, in deren bedeutendsten auch die Arachnoidea mit der Dura mater verwachsen war, so dass die Residuen einer hochgradigen, lange abgelaufenen Meningitis spinalis vorlagen. Die geschilderten Exsudate waren meist über den grössern Theil der Länge des Rückenmarkes mit unglei- cher Intensität verbreitet, und zwar fiel einige Male der Sitz der intensivsten Veränderungen in den Rückenmarks- häuten mit jenem der intensivsten Rückenmarkserkrank- ung ungefähr zusammen, andere Male dagegen nicht. Unter neun Fällen von Degeneration der Hinter- stränge, mit oder ohne solche der angrenzenden Partieen der Seitenstränge, fand ich achtmal solche obsolete Me- ningealexsudate, welche nur zweimal ganz geringfügig. in den übrigen sechs Fällen beträchtlich, mitunter sehr beträchtlich waren; über den neunten Fall fehlen mir ge- nauere Daten. Unter den fremden im Eingange angeführten Beob- achtungen finden sich Verdickung und Verwachsung der Arachnoidea spinalis ganz geringen Grades zweimal, und bedeutenden Grades zweimal angeführt (Cruveilhier, Ollivier), während in den übrigen Fällen der Zustand der inneren Rückenmarkshäute nicht erwähnt wird. Wenn sich aus diesen Dafen der wesentliche Zu- sammenhang zwischen Exsudativprocessen in den inneren Rückenmarkshäuten und der Erkrankung der Hinter- 155 stränge und der angrenzenden Partieen der Seitensiränge ergiebt, so lässt sich nicht entscheiden, ob die letztere blosse Folge der ersteren war, oler ob sie beide unge- fähr gleichzeitig gesetzt wurden, ja man könnte selbst die Möglichkeit einer Uebertragung vom Rückenmark aus auf seine Häute nicht absolut negiren. Ganz anders verhält es sich bei Erkrankung der Seitenstränge; in einem der vier hieher gehörigen Fälle konnte ich über die Beschaffenheit der inneren Rücken- markshäute nichts mehr auffinden, jedenfalls boten sie keine auffallende Veränderung dar; in den übrigen drei Fällen verhielten sie sich normal, mit Ausnahme der ziemlich häufig vorkommenden punklförmigen Pigmentir- ung der Pia mater, welche sich in einem der drei Fälle an ein Paar Stellen vorfand. Atrophie der hinteren Nervenwurzeln war bereits in einigen der aufangs citirten Beobachtun- gen von gallerliger Degeneration der hinteren Abschnitte des Rückenmarkes angegeben worden, und zwar hatten sie Cruveilhier dreimal, Hutin, Ollivier, Fro- riep und Romberg je einmal gesehen. In allen diesen Fällen erschienen jene Nervenwur- zen und zwar vorwaltend am unteren Abschnitt des Rückenmarkes dünn, graulichröthlich durchscheinend,, die anderen Wurzeln dagegen normal; eine mikroskopische Untersuchung war nicht vorgenommen worden. Unter meinen neun Fällen von Erkrankung der Hin- terstränge mit oder ohne solche der hintersten Abschnitte der Seitenstränge habe ich nur fünfmal das Verhalten der Nervenwurzeln näher beachtet”). Das Ergebniss meiner Untersuchung war folgendes : In einem Falle von Induration der Hinterstränge und hinteren Abschnitte der Seitenstränge mit ganz schwach gallertigem Ansehen und zahlreichen Körnerhaufen, mit beträchtlicher obsoleter Meningitis spinalis, bei welcher die hinteren Wurzeln nur wenig in die Verwachsung hin- eingezogen waren, nach 13jähriger Dauer der Krankheit, verhielten sich zahlreiche hintere Nervenwurzeln und zwar auch an Stellen der Verwachsung mit den Rückenmarks- häuten mikroskopisch normal. In einem Falle von geringer gallerliger Degenera- tion der Hinterstränge und hintersten Abschnitte der Seitenstränge, mit verminderten Nervenröbren und be- trächtlicher obsoleter Meningilis spinalis, waren alle Brust-, Lenden- und Sacralnervenwurzein von ganz ge- *) Wenn ich einzelne oder melırere Nervenwurzeln einer mikroskopischen Untersuchung unterzog, habe ich stets sämmt- liche Elemente einer Wurzel durchgemustert, so dass alle Neryenröhren ins Gesichtsfeld kamen. Diess war inbesondere noihwendig, wenn es sich darum handelte, sich die Ueber- zeugung des normalen Verhaltens einer Nervenwurzel zu ver- schaffen, da sich nicht selten die Degeneration der Nerven- röhren auf ein ganz kleines Bündel beschränkt. Es ist einige Vorsicht anzuwenden, um die durch spärliche Nervenröhren durchschimmernde Pia mater nicht für eine geringere Dege- neration der Neryenröhren anzusprechen. 156 vingem röthlichen, gallertigen Ansehen; einige davon, welche mikroskopisch untersucht wurden, verhielten sich vollkommen normal. In einem -Falle von Induraltien der Hinlerstränge mit sehr geringem gallerligen Ansehen, mit freiem Fett und zahlreichen Nervenröhren bei sehr geringer Trübung und Verwachsung der Arachnoidea spinalis des Brust- theiles vom Rückenmark, durch welche die Nervenwur- zeln fast gar nicht getroffen wurden, bei 1}jähriger Dauer der Krankheit waren die vorderen und hinteren Wurzeln der Lenden- und Sacralnerven minder weiss, als normal, undeutlich gallertig durchschimmernd und vielleicht schmächtiger; es wurden die vorderen und hin- teren Wurzeln aller Lenden- und Sacralnerven abwech- selnd auf einer Seite mikroskopisch untersucht, nur an der hintern Wurzel eines Lendennerven waren die Ner- venröhren vermindert, alle übrigen Wurzeln verhielten sich mikroskopisch normal. In einem Falle von auf die Hinterstränge beschränk- ter Induration mit zahlreichen Körnerhaufen und nur stellenweise verminderten Nervenröhren, obsoleter Menin- gitis spinalis geringeren Grades nach einjähriger Dauer der Krankheit waren die hinteren Wurzeln der letzteren Brust-, sowie der Sacral- und Lendennerven von, bis in die feinsten Zweige injieirten Gefässen begleitet und hat- ten dadurch ein röthliches Ansehen bekommen, welches jedoch durch Ausstreifen des Blutes sogleich verschwand, und der normal weissen Farbe Platz machte, ein Ver- fahren, welches man stets anwenden muss, um vor Ver- wechselung mit geringerer gallertiger Degeneration sicher zu sein. Mehrere hintere Wurzeln der letzten Brust-, Lenden- und Sacralnerven wurden mikroskopisch un- tersucht und zeigten stets einzelne oder mehrere Nerven- röhren in mässigem, bis sehr geringem Grade fettig de- generirt. Einige untersuchte hintere Wurzeln beider plex. brachiales mit Ausnahme der beträchtlich degene- rirten des sechsten rechten Halsneryen waren normal. Es wurden ferner beinahe alle vorderen Wurzeln der unte- ren Brust-, Lenden- und Sacralnerven beider Seiten mikroskopisch untersucht und vollkommen normal be- funden. In einem Falle von gallertiger Entarlung geringeren Grades der Hinterstränge und der innersten Abschnitte der Seitenstränge mit verminderten Nervenröhren und obsoleter Meningitis spinalis, welche sehr beträchtlich von der Insertion des 1.— 10. Brustnerven, oberhalb und unterhalb nur gering war, nach Sjähriger Dauer der Krankheit waren die hinteren Wurzeln des fünften Hals- bis zu den oberen Brusinervenpaaren mässig atro- phisch und von etwas gallertigem Ansehen, in geringe- ren Grade meist nur einzelne Elemente einiger vorderen Wurzeln dieser Gegend; die Wurzeln der Lenden- und Sacralnerven meist mässig atrophisch und von gallertigem Ansehen, und zwar intensiver die hinteren als die vor- deren. Es wurden sämmtlliche Wurzeln aller Lenden- 157 und Sacralnerven beider Seiten mikroskopisch untersucht; die hinteren Wurzeln waren entweder atrophisch durch- scheinend mit Verminderung der Nervenröhren oder sie verhielten sich für das unbewaflnete Auge normal, wiesen aber eine, wenn auch nicht intensive Fettdegeneration einzelner oder zahlreicher Nervenröhren aus. Die vorde- ren Wurzeln verhielten sich mikroskopisch vollkommen normal. Ein ganz Gleiches gilt von den Wurzeln des achten Halsnervenpaares, die übrigen wurden nicht mi- kroskopisch untersucht. Eine ausschliessende Degeneration der vorderen Wurzeln habe ich in einem Falle von De- generation der Vorder- und Seitenstränge beobachtet. Die zwei übrigen älteren Fälle von Degeneration der Sei- tenstränge mit oder ohne solche der Vorderstränge hatte ich leider nicht auf das Verhalten der Nervenwurzeln untersucht. In jenem Falle boten die unteren Abschnitte der Längsfaserbündel der Brücke, sowie die beiden Pyrami- den, die Seiten- und Vorderstränge des Rückenmarkes bis in die Nähe von dessen unterem Ende von völlig normalem Aussehen zahlreiche Körnerhaufen dar, die Rückenmarkshäute waren normal, die Krankheit halte 1 Jahr gedauert. Die vorderen Wurzeln der Hals- und des ersten Brustnerven, sodann der Lenden- und Sacral- nerven waren stark injieirt und schwach gallertig durch- schimmernd, die Wurzeln und auch ein Theil des Stam- mes beider N. accessorii und hypoglossi gleichfalls von gallertigem Ansehen und verschmächtigt, sümmtliche hin- tere Wurzeln dagegen für das unbewaflnete Auge nor- mal. Bei der mikroskopischen Untersuchung zeigten die N. accessorii und hypoglossi Verminderung der Nerven- röhren mit ziemlich ausgebreiteter geringer feltiger De- generation; eine beträchtliche Anzahl der vorderen Wur- zeln der genannten Spinalnerven zeigten eine geringe fettige Degeneration; von den hinteren Wurzeln wurden nur einige untersucht, sie verhielten sich aber vollkom- men normal. Aus den vorstehenden Beobachtungen ergiebt sich, dass bei Erkrankung der Hinterstränge mit oder ohne solche der hintersten Abschnitte der Seitenstränge öfter eine auf die hinteren Wurzeln der Rückenmarksnerven be- schränkte, oder in ihnen weit überwiegende Degeneration vorkommt, während im Gegentheile bei einem Falle von Erkrankung der Seiten- und Vorderstränge, wie es schien ausschliessend, die vorderen Nervenwurzeln mit den ihnen anatomisch und physiologisch gleichstehenden N. accesso- rii und hypoglossi degenerirt waren. Es ergiebt sich ferner, dass weder der Intensität noch dem Alter der Rückenmarkskrankheit, noch auch der Gegenwart oder Abwesenheit und dem speciellen Sitze einer vorausgegangenen Meningitis spinalis ein be- stimmter constanter Einfluss auf Erzeugung der Degene- ration der Nervenwurzeln zugeschrieben werden kann. Die Krankheitssymptome, die sich bei 158 Erkrankung der Hinterstränge mit oder ohne solche der hintersten angrenzenden Par- tieen der Seitenstränge darboten, waren fol- gende: In allen meinen Fällen, ohne Ausnahme, war suc- cessiv eingelretene motorische Lähmung der unteren Ex- tremiläten zugegen, welche meist eine unvollkommene blieb, so dass die Kranken noch ohne oder mit mässiger Unterstützung stehen und gehen konnten, selten zur bei- nahe vollkommenen oder vollkommenen wurde; in einigen Fällen hatten sich Krämpfe der unteren Extremitäten, so- wie unvollkommene Blasenlähmung eingestellt. In Fällen, wo sich die Degeneration von den unte- ren Abschnitten des Rückenmarkes in beträchtlicher In- tensität auch nach aufwärts bis über die Ursprungsstellen der Armplexus verbreitet hatte, war auch Parese der oberen Extremitäten erschienen; zwei Fälle mit sehr be- deutender Geistesschwäche, in deren einem Verwachsung der inneren Hirnhäute mit der Gehirnfäche zugegen war, boten das Bild der viel besprochenen Paralysie des alie- nes dar, bei welcher, wenn es sich in der That um Lähmung und nicht blos um mangelnden Willenseinfluss handelt, sich überhaupt wohl ohne Zweifel die gleichen pathologisch- anatomischen Veränderungen vorfinden, wie bei nicht Geisteskranken. Die Störungen der Sensibilität bestanden in zeitweise eintretenden Schmerzen und Formication der Extremitäten und in Anästhesie. Diese letztere war ganz constant; sie liess sich bei 8 von meinen 9 Kranken während ih- res Aufenthaltes im Krankenhause beobachten, nur im neunten Falle konnte sie bei bedeutender Geistesschwäche nicht ermittelt werden, jedoch soll auch dieser Kranke in einem früheren Stadium seines Leidens einen bedeuten- den Grad von Anästhesie der unteren Extremitäten dar- geboten haben. Sie beschränkte sich nach dem vorwal- tenden Sitze der Rückenmarks-Affection meist auf die un- teren Extremitäten, auch blos auf die unteren Abschnitte derselben, war aber in ein Paar Fällen sehr ausgebreitet. Ihre Intensität war in einigen Fällen eine ziemlich ge- ringe, in anderen eine sehr intensive. Sowohl die Motalitäts- als auch die Sensibilitäts- störungen traten zu Anfange häufig auf beiden Seiten nicht mit gleicher Intensität oder auch nicht gleichzeitig auf und zeigten auch im späteren Verlaufe noch seitliche Verschiedenheiten. Alle die angegebenen Erscheinungen fanden sich bei den im Eingange citirten fremden Beobachtungen eben- falls vor, nur waren sie im Ganzen intensiver. Stels war Paraplegie zugegen, und zwar unter neun Fällen von Cruveilhier, Hutin, Ollivier achtmal mit vollkommener oder intensiver Anästhesie, nur in einem Falle soll diese letztere gefehlt haben. Ohne Zweifel gehört hieher auch die Lepra anaesthelica, bei welcher Danielssen und Boeck sehr beträchtliche alte an der hinteren Fläche des Rückenmarkes vorwaltende Exsudate ”» 159 der pia Mater und Arachnoidea nebst Sclerose und Atro- phie des Rückenmarkes vorfanden. (S. Romberg, Ner- venkrankh., I. Bd. 3. Aufl. S. 319.) In allen diesen Beobachtungen wird nichts von Rük- kenschmerzen erwähnt. Auffallend ist das gänzliche Fehlen oder die Geringfügigkeit dieses Symplomes in meinen Beobachtungen, in deren Mehrzahl sich doch be- trächtliche Folgezustände früherer Meningitis spinalis an der hinteren Fläche des Rückenmarkes nachweisen lies- sen. Es waren nämlich in vier Fällen nie Rückenschmer- zen aufgetreten, während sich in drei derselben eine ge- ringere, in dem vierten aber eine bedeutende und aus- gebreitete Verdickung und Verwachsung der inneren Rük- kenmarkshäute vorfand, in zwei Fällen waren nur Schmer- zen in der Sacralgegend, nur einmal zwischen den Schul- terblättern, und einmal in der Gegend der letzten Brust- wirbel zugegen gewesen, in einem Falle liess sich nichts ermitteln. In meinen dreiFällen von alleiniger Er- krankung beider Seitenstränge oder zu- gleich mit solcher der Vorderstränge waren ganz ähnliche Störungen der Motilität wie in den vori- gen Fällen zugegen, auch Formication und Schmerzen in den Extremitäten, auch Rückenschmerzen kamen vor; die Anästhesie fehlte jedoch oder war wenigstens eine geringe oder nur vorübergehende. Der Zusammenhang zwischen den ange- gebenen Krankheitserscheinungen und den aufgefundenen pathologisch - anatomischen Veränderungen lässt sich nach unseren bis- herigen physiologischen Kenntnissen nur sehr unvollkommen einsehen. Zu Beobachtungen über die oberhalb der comprimir- ten Stelle des Rückenmarkes erzeugte secundäre Degene- ration findet sich häufig Gelegenheit. Es frägt sich hie- bei vor Allem, ob bei der Gegenwart einer solchen se- cundären Degeneration in denjenigen Körpertheilen, deren Nerven oberhalb der comprimirten Stelle entspringen, im Leben Sensibilitäts- oder Motilitätsstörungen zu beobach- ten waren. Nun zeigt zwar die Beobachtung, dass in solchen Fällen allerdings keine Störungen in den höher gelegenen Theilen eintreten, es ist hiebei jedoch noch Folgendes zu erwägen. Nach meinen Untersuchungen (s. Ueber secund. Erkrankung u. s. w. Fortsetzung in den Sitzungsberichten d. kais. Akad. 1853, Juniheft) ver- breitet sich die secundäre Degeneration, welche sich ober- halb der comprimirten Stelle in den Hinter- und Seiten- 160 strängen erzeugt, nur bis etwa 2—3 Insertionsstellen oberhalb der Compression mit grosser gleichmässiger In- tensität über die ganze Dicke der genannten Stränge, höher oben waltet sie in den inneren Abschnitten der Hinterstränge, sowie in der äusseren Partie des Mittel- stückes der Seitenstränge vor, um sich später auf diese beiden Stellen mit dazwischen liegendem normalen Ge- webe zu beschränken. Wenn nun auch in diesem suc- cessiven Zurücktreten der Degeneration und zwar gerade von den Insertionsstellen der sensiblen Wurzeln ein ge- wichtiger Grund für das Fehlen der Krankheitserschein- ungen in den höher gelegenen Theilen liegen könnte, so bleibt das constante Fehlen der Erscheinungen in so vie- len Fällen den Symptomen der nicht secundären Dege- neration gegenüber dennoch auffallend. Für entscheidendere Beobachtungen würden sich Fälle von Compression des obersten Abschnittes vom Brusttheile des Rückenmarkes eignen, in denen die Ursprünge der untersten Elemente der plex. brachial. als etwa des ersten Brust- und letzten Halsnervenpaares noch in die inten- sive gleichförmige secundäre Erkrankung der Hinterstränge und hinteren Abschnitte der Seitenstränge hineinfielen, in- dem die Sensibilitäts- und Motalitätsbezirke der genann- ten Nerven von denen der tiefer gelegenen in der Beob- achtung leicht abzugrenzen wären. (Sitzungsberichte der mathem.-naturw. Classe der k. k. Acad. Bd. XXI.) Miscellen. Mangel des Uterus und der Vagina hat Dr. Ramsbotham (Med. Times Dec. 1855) in 2 Fällen beob- achtet; in denen beiden die Brüste sehr entwickelt waren und auch die äusseren Geschlechtstheile keine Abweichung vom normalen Verhalten zeigten. Jedenfalls war eine bis vorn gehende Atresia vaginae vorhanden, der Mangel des Uterus wurde indess nur daraus geschlossen, dass zwischen einem in die Harnblase eingeführten Katheter und dem in den Mast- darın eingeführten Finger nur eine dünne Hautschicht gefühlt werden konnte. Die Menses fehlten, doch waren in 1 Falle 4wöchentlich molimina vorhanden. Auf Vorhandensein der Ovarien schliesst der Beobachter aus dem Vorhandensein der angeführten Theile des Geschlechtsappavates, diesem Schlusse wird indess durch einen gleichen Fall von Quain widerspro- chen, obwohl er durch einen Fall von Pears bestätigt wird, wo bei Mangel der Ovarien ein ganz kindlicher Körperbau, namentlich-der Brüste, angetroffen wurde. Der Mundscorbut neugeborner Kinder wird im Findelhause zu Wien mit Acidum murialicum, Citronenscheib- chen, Bestreichen der gangränösen Stellen mit Tinet. Opii be- handelt. Das Glycerin hat sich daselbst nicht bewährt. Bibliographische Neuigkeiten. W. — Die Fortschritte der Naturwissenschaften in bio- graphischen Bildern. 1—4. Heft. gr. 8. 1%, Tlilr. In- halt: 4) Nicol. Copernicus, %, Thlr. 2) Joh. Keppler, 2/5 Thir. 3) Galileo Galilei. /, Thlr. 4) Leop. v. Buch. "2 Thlr. Bosselmann in Berlin, 1856. Dr. Al. Mayer, Des rapports conjugaux, considerees sous le triple point de vue de la population, de la sante et de la morale publique. 3me. Edit. 18. 384 p. Paris, J. B. Bailliere. Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena. Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. I. Band No 11. Naturkunde. Ferd. Colın, Ueber das Geschlecht der Algen. (Schluss.) — J. Schlossberger, Die organischen Ma- terien der Muschelschalen. — Meilkunde. J. Hoppe, Angst und Furcht als Erkrankungsursache bei Epidemieen ex- erimentell nachgewiesen. — Seutin, Reposition eingeklemmter Brüche ohne Operation. — Miscellen. Nelaton, baspmıse der Lipome. — H. Friedberg, Myopathische Luxation. — Bibliographie. Naturkunde. Ueber das Geschlecht der Algen. Von Dr. Ferd. Cohn. (Schluss.) An diese merkwürdigen Vorgänge bei Sphaeroplea schliesse ich endlich noch die neuesten Beobachtungen über die Gattung Oedogonium, welche bereits durch Pringsheim in’s rechte Licht gestellt wurden, deren vollständige Betrachtung jedoch erst mir im Mai 1855 geglückt ist. Oedogonium besteht gleich Sphaeroplea aus faden- förmig an einander gereihten Zellen, die jedoch in der Regel kürzer und schmäler als jene, auch meist mit einem gleichförmig grünen Schleime erfüllt sind. Bis- her kannte man bei Oedogonium nur zweierlei Fort- pfanzungsorgane: Schwärmsporen, welche da- durch entstehen, dass der gesammte Inhalt einer jeden Zelle sich zu einer Kugel umbildet, welche die Zell- membran, in der sie eingeschlossen, zersprengt, indem sie den oberen Theil gleich einem Deckel abwirft; die frei gewordene, grüne Kugel entwickelt an einem Ende ein farbloses Köpfchen, unter dem ein Kranz beweglicher langer Wimpern hervorspriesst; durch die letzteren kreist die Spore lebhaft im Wasser umher, bis sie endlich zur Ruhe kommt und zu einem neuen Faden auskeimt. Aus- serdem waren bei Oedogonium noch ruhende Sporen beobachtet, d. h. kugelige, mit röthlichem Oel erfüllte und von derben Häuten umschlossene Körper, die in ein- zelnen, oft blasenförmig aufgeschwollenen Zellen des Fadens enthalten sind. Alexander Braun hatte die Beobachtung gemacht, dass an gewissen Stellen der Oedogoniumfüden die Zellen durch fortgesetzte Theilung ausserordentlich schmal wurden, dass diese kleinen Zell- chen nach einiger Zeit deckelförmig aufbrachen und der Inhalt derselben als ein kleines Körperchen hervortrat, welches am vorderen Ende einen Wimperkranz und da- rüber noch ein kleines Köpfchen hervortrieb, also bis auf die Grösse ganz den eigentlichen Schwärmsporen glich. A. Braun hatte jene Gebilde deshalb als Mikro- gonidien bezeichnet, im Gegensatze zu den grossen Schwärmsporen, die er Makrogonidien nannte. Die Mi- krogonidien keimten jedoch niemals zu jungen Oedogo- nien aus, wie die Makrogonidien, sondern sie setzten sich an erwachsenen Fäden fest und verwandelten sich in kurze Schläuche, die nach einiger Zeit inhaltsleer und abgestorben sich erwiesen, so dass sie keiner Entwickel- ung fähig schienen. A. de Bary machte darauf auf- merksam, dass diese Mikrogonidien sich vorzugsweise an solche Zellen des Oedogoniumfadens anzuheflen pflegen, in denen sich ruhende Sporen bilden. Pringsheim machte die wichtige Entdeckung, dass die Membran die- ser Sporocytiumzellen von einer seitlichen Oeffnung durchbrochen werde, und dass der Inhalt derselben, ehe er sich zu einer fertigen Spore umbilde, vorher als eine membranlose Kugel auftrete, die frei im Innern ihrer Mutterzelle schwimmt und sogar, wie er zu beobachten glaubte, durch die Oeffnung einen Fortsatz nach aussen heraustreten lässt. Pringsheim schloss hieraus, dass die ruhenden Sporen weibliche Organe seien, die befruch- tet werden müssen, und dass das befruchtende Element, die Spermatozoen, aus den kleinen Schläuchen der Mi- krogonidien hervorgehe. Mir selbst glückte es, diese Vermuthung durch direkte Beobachtung zur Gewissheit zu erheben. In einem Garten der Ohlauer Vorstadt war ebenfalls in Folge der grossen Veberschwemmung_ des Jahres 1854 ein röthlicher Filz zurückgeblieben, auf den mich gleichfalls Herr Dr. Asch aufmerksam machte und der ganz und gar von einer kleinen Oedogoniumart, Oedogonium Rothii Kg., gebildet ward; und zwar hatten die Zellen dieses Filzes jene kleinen fast quadratischen 2 P Ä 163 Dimensionen angenommen, wie sie für die Entwickelung der ‚Mikrogonidien charakteristisch sind; gleichzeitig zeigte der Inhalt eine röthliche Färbung, die sich auch im Co- lorit des ganzen Filzes bemerklich machte. An anderen Stellen erschien der Oedogoniumßlz licht grün, und hier waren die Zellen 'stellenweis aufgeschwollen, wie sie für die Bildung der ruhenden Sporen es zu thun pflegen. Ich beobachtete nun aus den kleinen röthlichen Zellen das schon oben beschriebene Austreten der Mikrogonidien, sah dieselben mit ihrem langen Wimperkranze umher- schwärmen, endlich sich an die aufgeschwollenen Mutter- zellen der ruhenden Sporen festsetzen, hier zur Ruhe kommen und durch Ausscheidung einer Membran sich in die kurzen Schläuche verwandeln. Nach einiger Zeit zeigte sich der Inhalt dieser Schläuche durch eine Quer- scheidewand getheilt; bald darauf wurde die Spitze des Schlauches als Deckelchen abgeworfen und es traten aus demselben zwei blassgrüne Körperchen heraus, welche sich mit Hülfe von Flimmerfäden bewegten. Leider glückte es mir nicht, die Zahl und Anheftung dieser Fäden zu beobachten; dagegen sah ich die kleinen Körperchen sich nach der Oeffnung in der aufgeschwollenen Sporo- cytiumzelle hin bewegen, deren Inhalt sich zu einer mem- branlosen Kugel, einem Sporenkeim, zusammengezogen hatte; sie setzten sich an dieser Stelle fest, kamen auch hier bald zur Rıhe. Ein Eintreten in’s Innere der Spo- rocytienzelle konnte ich nicht wahrnehmen, da ich die beweglichen Körperchen immer nur ausserhalb, das Loch verschliessend, fand; ich muss es daher unentschieden lassen, ob diess nur an einer noch unvollständigen Be- obachtung liegt, oder ob wirklich die Befruchtung hier nur durch äusserliche, wenn auch unmittelbare Berühr- ung des Spermatozoon und des Sporenkeims vor sich geht; ich vermuthe, dass Pringsheim’s Angabe von dem die Oeffnung durchbrechenden Fortsatz der Spore ebenfalls auf der Verwechselung mit einem, von aussen sich anlegenden Spermatozoon beruht. Jedenfalls dürfen wir jetzt mit Bestimmtheit es aussprechen, dass auch bei Oedogonium getrenntes Geschlecht sich findet, dass_ die Zellen, in denen sich die ruhenden Sporen bilden, ‚als weibliche zu betrachten sind, dass diese letzteren von Spermatozoen befruchtet werden müssen, um zu keimen, und dass die Sporen aus den Schläuchen hervorgehen, welche aus den Mikrogonidien entstehen und daher als männliche Spermatocytien anzusehen sind. Interessant ist, dass in meiner Beobachtung die Spermatocytien zeu- genden Mikrogonidien sich in der Regel in anderen Fä- den bildeten, als die weiblichen, ruhende Sporen hervor- bringenden Sporocytienzellen. Durch diese, trotz mancher merkwürdigen Differenz im Einzelnen, doch im Grossen und Ganzen wesentlich übereinstimmenden Beobachtungen an Fucaceen, Vauche- rien, Sphaeropleen und Oedogonien ist die Thatsache aus- ser Zweifel gesetzt worden, dass auch bei den. niedersten Pflanzen die Existenz zweier Geschlechter den eigentlichen 164 Fortpflanzungsprocess in eben solcher Weise einleitet und bedingt, wie dies nur immer bei einem höheren Gewächse oder Thiere der Fall ist. Ist gleich die Zahl der Algen, an denen wir das Geschlecht erwiesen haben, bisher noch eine geringe, so unterliegt es doch durchaus keinem Zwei- fel, dass ‚auch bei den übrigen Arten eine ganz ‘gleiche Differenz stattfindet, und dass bei ihnen ebenfalls ein Be- fruchtungsakt die Bildung der keimfähigen, echten Sporen vermittelt. Ja, indem wir die bisher bekannten Beob- achtungen über Fortpflanzung der Algen genauer 'betrach- ten, so stellt sich heraus, dass bei einem grossen Theile derselben bereits das eine oder das andere Glied der ge- schlechtlichen Organisation bekannt ist, und dass wir uns daher nur die Aufgabe zu stellen haben, das andere noch fehlende zu entdecken; bei anderen Arten ist es sogar wahrscheinlich, dass wir bereits die beiden Geschlechts- organe längst beobachtet haben, und es braucht nur noch «ler ‚Beweis (für ihre sexuelle Natur durch ein glückliches Belauschen des Befruchtungsaktes selbst geführt zu werden. Pringsheim hat es im höchsten Grade wahrschein- lich gemacht, dass die mit Oedogonium sehr nahe ver- wandte und nur durch ihre eigenthümlich verzweigten und in lange Borsten auslaufenden Aestchen charakteri- sirte Gattung Bulbochaete sich in derselben Weise wie Oedogonium durch Sporen fortpflanzt, die von Spermato- zoen befruchtet werden, und dass diese letzten ebenfalls aus kleinen Schläuchen ihren Ursprung nehmen, die von Mikrogonidien ausgekeimt ‚sind. Ruhende Sporen sind noch bei mehreren Algengattungen (Chaetophora u. s. w.) bekannt; wir können es jetzt als gewiss annehmen, dass diese Gebilde befruchtet werden müssen, damit sie keim- fähig werden, und wir haben nur die Spermatozoen oder Mikrogonidien zu suchen, welche diese Thätigkeit aus- üben. Auf der anderen Seite giebt es eine Menge Algen, bei denen man bewegliche Körperchen aufgefunden hat, die sich niemals durch Keimen zu neuen Individuen der- selben Art entwickelten; man wusste bisher nicht, was man mit ihnen anfangen sollte, und bezeichnete sie eben nur vorläufig als Mikrogonidien; jetzt können wir wohl sicher sein, dass ihnen eine befruchtende Funktion zu- kommt, und wenn, wie bei Hydrodictyon, noch keine Sporen bekannt sind, auf welche sie dieselbe ausüben möchten, so stellt sich uns die direkte Aufgabe, derglei- chen Organe zu entdecken. Bei den Volvocinen endlieh kennen wir ruhende Sporen, die in der Regel als grosse, unbewegliche, meist, wie bei Sphaeroplea, mit rothem Oel erfüllte, mit einer starren, doppelten, oft (bei Vol- vox) sternförmigen Membran umgebene Zellen erscheinen (so bei Pandorina, Stephanosphaera, Volvox, Chlamydo- monas, Chlamydococcus); ausser diesen finden wir ‚bei diesen Formen auch Mikrogonidien, die theils als freie, kleine, rasch bewegliche, mit 2—4 Flimmerfäden verse- hene Körperchen auftreten (bei Chlamydococcus und Ste- phanosphaera), theils auch in grösserer Anzahl zu zu- sammenhängenden Gruppen verbunden sind (Pandorina, Volvox); es käme nun nur noch darauf an, durch direkte Beobachtung der Vereinigung beider Gebilde ihren Cha- rakter als weibliche und männliche Organe zu legitimiren. Dass neben der geschlechtlichen, auf dem Contact zweier, eigenthümlich differenzirter Organe beruhenden Fortpflanzung bei den Algen auch noch eine unge- schlechtliche Vermehrung, entsprechend der Knos- pen- und Sprossbildung der höheren Pflanzen, bestehe, versteht sich von selbst, und Pringsheim hat mit Recht darauf aufmerksam gemacht, dass die Bildung der gewöhnlichen, ohne Befruchtung keimfähigen Schwärm- sporen (Makrogonidien) in diese Kategorie gehöre. Von vielen Algen kennen wir sogar bisher nur solche unge- schlechtliche Vermehrungsweisen (z. B. bei Cladophora, bei der man nur Schwärmsporen beobachtet hat); den- noch ist es kaum zweifelhaft, dass auch bei diesen die Geschlechtsorgane noch entdeckt werden müssen. Es ist sogar nicht unwahrscheinlich, dass die Auf- einanderfolge geschlechtlicher und ungeschlechtlicher Fort- pflanzungsweisen bei vielen Algen auf dem bei ilınen wal- tenden Gesetze des Generationswechsels beruht, wie er ja auch in ähnlicher Folge bei vielen anderen Pflanzen und Thieren herrscht. Namentlich bei Oedogonium schei- nen sich die so höchst merkwürdigen Vorgänge bei der Fortpflanzung am richligsten auffassen zu lassen, wenn man dieselben mit dem Generationswechsel der Blattläuse und Daphnien, sowie namentlich mit denjenigen Vorgän- gen vergleicht, die ich selbst bei den Räderthieren angezeigt habe (Ztschr. f. wissensch. Zool., Bd. VII. Hit. 4. 1855: „Ueber Fortpflanzung der Räderthiere“. Not. 1856. I. Bd. No, 3). Bei diesen Thieren finden wir nämlich geschlechtslose Individuen (Ammen), welche das ganze Jahr hindurch, ohne der Befruchtung zu bedürfen, Keime (sogenannte Sommer -Eier) produeiren, die alsbald zu neuen Ammen sich entwickeln. Im Frühling und Herbst gehen aus sol- chen Keimen andere, den Ammen äusserlich ganz ähn- lich gebaute Individuen hervor, die aber befruchtet wer- den müssen und-alsdann unbewegliche, mit dichter Hülle begabte, überwinternde Eier (Winter- oder Dauer-Eier) legen; dies ‚sind die weiblichen Thiere. Befruchtet werden diesellien durch die Männchen. welche um die- selbe. Zeit aus Ammen hervorgehen, die kleine, ebenfalls sofort sich entwickelnde Keime erzeugen; auch die ausge- schläpften Männchen sind bei Weitem kleiner als die Am- men und Weibelen, und enthalten gar keine Eingeweide, mit Ausmalıme der eigentlichen, Spermatozoen bildenden Geschlechtsorgane, Ich glaube nun diejenigen Oedogo- nien , welehe Makrogonidien bilden, mit den Ammen, die Schwärmsporen selbst mit den ohne Befruchtung sich ent- wiekelnden Keimen (Sommer - Eiern) der Rädertbiere ver- gleichen zu können; diejenigen Fäden dagegen, welche ruhende Sporen produciren, entsprechen den befruchteten n mit ihren Winter- Eiern. Die Mikrogonidien dagegen sind den männlichen Keimen analog, und die Schläuche, in die sie sich umbilden, den Männchen der Räderthiere; gleich diesen sind sie durch Verkümmerung 166 ihrer vegetativen Organe ausgezeichnet, ihre ganze Le- bensthätigkeit beschränkt sich nur auf die Bildung der befruchtenden Spermatozoen. Hiernach geben die Makro- gonidien weiblichen, meist vielzelligen Pflanzen, die ana- logen Mikrogonidien dagegen männlichen Pflanzen den Ursprung, die sich auf eine einzelne Zelle beschränken und ohne weitere vegetative Entwickelung die befruchten- den Organe produciren. Nachdem durch diese Untersuchungen sich die Exi- stenz geschlechtlicher Fortpflanzungsorgane bei den nie- dersten und einfachsten, selbst einzelligen Pflanzen hat nachweisen lassen, glauben wir, gestützt auf das Gesetz der Induction, zugleich mit Hinblick auf die neueren Ent- deckungen der Spermatien bei Plizen und Flechten, in Vebereinstimmung mit Pringsheim den Satz ausspre- chen zu können, dass bei allen Organismen, von der einfachen Protococcuszelle bis zum Men- schen hinauf, die eigentliche Fortpflanzung, als der Schlusspunkt der individuellen Ent- wickelung und Anfangspunkt eines neuen Cyclus, an die Aufeinanderwirkung zweier, in geschlechtlicher Weise, in der Regel in der Form von Eiern und Spermatozoen dif- ferenzirter, einzeln und an sich unfruchtba- rer, und nur dureh direkte und materielle Vereinigung zur Zeugung befähigter Organe gebunden ist. Wenn auch bisher im 'Thierreich bei den Infusorien sich weder Eier noch männliche Organe haben auffinden lassen, so erscheint doch jetzt, wo dies selbst bei den niedersten Pflanzen gelungen ist, die Pro- phezeiung wohl gerechtfertigt, dass schon in nächster Zeit eine glückliche Entdeckung hier eine wesentliche Lücke in unseren Kenntnissen über die Fortpflanzung dieser Thier- chen ausfüllen werde, Allerdings giebt es auch im Pflanzenreiche noch viele Formen niederer Algen, bei denen sich vorläufig noch nicht absehen lässt, in welcher Weise bei ihnen eine ge- schlechtliche Differenz bestehen sollte. Pringsheim hat bereits auf die Familien der Oscillarinen und Nosto- chinen aufmerksam gemacht, bei denen die Fortpflanzung noch völlig dunkel ist, und von denen die ersteren sogar überhaupt noch keine reproduetiven Organe, nicht einmal ungeschlechtliche, haben beobachten lassen. Bei den Fa- milien der Zygnemeen, Desmidieen und Diatomeen, bei denen der räthselhafte Process der Conjugation stattfindet, könnte es scheinen, als ob die Verschmelzung zweier Zell- inhalte zur Bildung einer Spore ein Analogen des Be- fruchtungsaktes darstellte, um so mehr, als ja auch das Wesen der Zeugung nur in der Vereinigung zweier mem- branloser Zellinhalte, Primordialzellen, zu beruhen und die Organisation derselben in Sporenkeime und Sperma- tozoen vielleicht unwesentlich scheint, Aber es ist bei der Conjugalion nicht nur schlechterdings keine Verschie- denheit in der Beschaffenheit der beiden zusammenflies- senden Zellinhalte bisher aufzufinden gewesen und die ge- gentheiligen Angaben von Areschon .. entschieden 167 unrichtig, sondern es widerlegen auch die Beobachtungen, welche ich selbst bei Mesotaenium Endlicherianum Naeg. (Palmogloea macrocca ‚Aut.) gemacht, jeden Gedanken, als ob hier zwei Geschlechter auf einander wirkten. Es verschmelzen hier nämlich nicht bloss zwei, sondern drei, vier, fünf, sechs und mehr Zellen mit einander, und zwar nicht bloss durch ihren Inhalt, sondern mit ihren vollständigen Membranen. Auch bei der anscheinend ana- logen, in ihrem Wesen freilich nicht minder räthselhaf- ten Conjugation der Rhizopoden (Actinophrys, Acineta u. s. w.) verschmelzen nicht bloss zwei, sondern auch drei, vier und mehr Individuen (vgl. Stein, Infusions- thierchen t. V. fig. 27). Aus alle Dem hat sich eine neue Bestätigung für den Satz ergeben, von dem ich bei diesen Betrachtungen ausgegangen bin, dass nämlich das Studium der mikro- skopischen Organismen für die Erforschung aller wesent- lichen Lebensprocesse uns die bedeutungsvollsten Aufklä- rungen zu bieten vermag. Gerade das Mysterium der geschlechtlichen Fortpflanzung, die bei allen höheren Pflanzen und Thieren in Folge der mannigfaltigen Com- plication der dabei zusammenwirkenden Organe in un- durchdringliches Dunkel gehüllt schien, liegt bei den nie- dersten Pflanzen klar und durchsichtig zu Tage. Der ganze Process der Befruchtung, vom Eindringen der Sper- matozoen bis zum Reifen des Embryo, lässt sich hier ohne alle Schwierigkeit und Unterbrechung von Anfang bis zu Ende mit den Augen verfolgen. Zwar haben die bisher erforschten Thatsachen über das eigentliche Wesen des Befruchtungsaktes noch kein entscheidendes Licht ver- breitet, und es ist selbst noch nicht gewiss, ob, wie Pringsheim glaubt, die Spermatozoen in die Sporen- keime unmittelbar eindringen, oder ob sie nur, wie Thu- ret und ich selbst gefunden, durch äussere Berührung und vielleicht endosmotisches Aufsaugen wesentlicher Stofle ihre Thätigkeit auf den Sporenkeim ausüben. Dagegen erweisen unsere Beobachtungen bei den verschiedensten Arten in völlig übereinstimmender Weise die Natur der unbefruchteten Sporenkeime als membranloser Zellinhalte (Primordialzellen), die Bildung der Zellenmembran und die darauf beruhende Verwandlung der Sporenkeime in eigentliche Sporen als unmittelbare Folge der Befruchtung, so wie die Nothwendigkeit eines materiellen und direkten Contacts zwischen Spermatozoen und Sporenkeimen für das Gelingen der Befruchtung — eine Thatsache, welche auch durch die neuesten Entdeckungen über das Eindrin- gen der Spermatozoen in die thierischen Eier ihre Bestä- tigung gefunden hat. (XXXIMN. Jahresber. d. schles. Ge- sellsch. f. vaterl. Kultur. 1856.) Die organischen Materien der Muschel- schalen. Von Prof. Schlossberger (Tübingen). Macerirt man grössere Mengen von Austerschalen in 168 verdünnter Salzsäure, so findet man der sich massenhaft entwickelnden Kohlensäure ein unangenehm riechendes, an Schwefelwasserstoff erinnerndes Gas beigemengt. Die Koh- lensäure entwickelt sich aus der Schale von allen Seiten her, mit besonderer Gewalt dringt sie aus den Zwischen- räumen zwischen den Schalenblättern hervor. Selbst sehr verdünnte Salzsäure löst bei der langen, zur völligen Ent- fernung der Mineralstoffe nöthigen Einwirkung nicht un- beträchtliche Mengen organischen Stoffes auf, daher man einen Irrthum begeht, wenn man die Gesammtmenge der organischen Materien der Schale durch Wägen der in Salzsäure unlöslichen Reste bestimmen wollte. Die Ein- äscherung liefert oft 4 Mehrgehalt an organischer Ma- terie (Verlust), als die eben genannte Methode. Die Na- tur der in der Säure gelösten organischen Materie habe ich noch nicht näher erforscht, doch vermuthe ich, dass sie hauptsächlich aus der organischen Grundlage der Perl- multerschicht und der kreideweissen Zwischenlagerungen herstammt. Stärkere Salzsäure ist beim Ausziehen der Mineralstoffe sorgfältig zu vermeiden, indem sie durch Lösung von organischen Stoffen einen grossen Verlust an diesen herbeiführt. In dem von der verdünnten Salzsäure ungelöst ge- bliebenen Schalentheil unterscheidet man, vorzugsweise wenn man denselben behufs des Auswaschens mit vielem Wasser aufschlämmt, mindestens zweierlei Materien: a. Braune, derbe, etwas durchscheinende Häute, die umfangreichsten vielleicht 4 so gross als die Schale selbst, daneben zahlreiche kleinere. Nach dem Waschen und Trocknen sind sie graugelb, ziemlich co- härent, fast undurchsichtig. Das Bild, welches sie un- ter dem Mikroskop geben, erinnert an die von Dr. Kost *) von der (von ihm sogenannten) Kalksäckchenschicht der Najaden entworfene Schilderung. Man bemerkt bei der Flächenansicht eine bräunliche strukturlose Grundsubstanz, in welcher zahllose, meist regelmässig rhompische, farb- lose Stellen (Körperchen oder Lücken ?) sich befinden. b. Weisse oder weissgraue Flocken, die sich zum "Theil schleimig anfühlen und ebenfalls Häuten entsprechen. Dieselben besitzen nicht die unter a. be- richtete Struktur, sondern sind entweder homogen, ge- faltet, oder undeutlich faserig (oder gestreift). Sie be- sitzen eine weit geringere Festigkeit, kein Pigment, und gehören theils der Perlmutterschicht, theils der kreidear- tigen Zwischensubstanz an. Ob zwischen den organi- schen Grundlagen der beiden letztgenannten anatomischen Schalensubstanzen chemische Verschiedenheiten vorhanden sind, wage ich nicht zu entscheiden, obgleich es mir wahrscheinlich ist. Sicher ist dagegen, dass die braunen Häute (a) we- sentlich von den weissen Flocken (b) abweichen, vorzüg- lich im Verhalten zu Aetzkali. Durch wiederholtes Schläm- men und Auslesen unter Wasser lassen sich die ungleich *) Dissertation über Structur und chemische Zusammen- setzung einiger Muschelschalen. 1853. S. 6. schwereren braunen Membranen von den meist oben auf- schwimmenden weissen Flocken vollständig trennen. Die Ausbeute an ersteren war (bei der Darstellung mit Salz- säure) stets weit ergiebiger, als die an weisser Substanz; ich vermuthe, dass sich viel von letzterer in der Säure löst. Nur die braunen Membranen erhielt ich in sol- cher Menge, dass eine gründlichere Untersuchung dersel- ben ermöglicht war. Ich muss danach der Ansicht auf das Ent- schiedenste widersprechen, welche die orga- nische Grundlage der Muschelschalen für ana- log oder gar identisch mit dem Chitin der In- sekten und Crustaceen erklärt. Allerdings theilt ein Theil des organischen Skelets dieser Schale mit letz- terem die merkwürdige Widerstandsfähigkeit gegen viele Lösungsmittel, insbesondere gegen caustische Alkalien; dieses Merkmal kann aber nicht entscheidend sein, finden wir doch auch bei manchen Theilen von alten Epithelial- bildungen eine ganz analoge Resistenz *). Ich werde am Schluss dieser Abhandlung (s. Nr. 13 d. Notizen) aus- führlicher auf die Chitinfrage zu sprechen kommen. Hier bemerke ich nur noch Folgendes: Der unlösliche Theil der braunen Häute würde einen neuen Namen verdienen, denn offenbar passt nach seiner Elementarzusammensetzung der Name Chitin nicht für ihn, oder sollen wir Substanzen von 6% und von 16,5 pCt. N mit demselben Namen be- zeichnen? Auch der C-Gehalt ist in der in KO un- löslichen Muschelsubstanz ein weit höherer als im ächten Chitin der Arthropoden. Es gaben nämlich: 0,408. Grm der Substanz 0,760 00? — 50,7 pl. € 0,240H0 = 6,5 „ H. Die höchste Zahl für das Chitin der Crustaceen nach Schmidt’s Analysen ist 46,6 pC. C. Ein neuer Name wäre desshalb gewiss gerechtfertigt, wenn nicht Fremy unlängst **) eine Materie aus den Muschelschalen bereits unter der Bezeichnung Conchio- lin als eigenthümlich hervorgehoben hätte. Freilich hatte er dieselbe nicht mit Kali ausgekocht, wobei sie vielleicht gleichfalls in zwei Materien geschieden worden wäre; auch sind seine Mittheilungen darüber sehr dürftig, so dass eine gründliche Vergleichung unserer beiderseitigen Er- fahrungen über diese Substanz nicht ausführbar ist. Doch entfernen sich die Fremy’schen Resulsate bei der Ele- mentaranalyse nicht so gar weit von den meinigen; er fand: C , H 5,9 N 17,5 0 26,6 Noch besser würde eine von ihm (a. a. 0. S. 97) mitgetheilte Analyse mit der meinigen übereinstimmen, *) Vgl. meine rege! über die Ichthyosisschuppen; Annalen d. Chem. u. Phys.XClII, 333 u. XCVI, 82. **) Ann. de chim. 1855, Janv., p. 96. 170 wenn sich dieselbe in der That auf sein Conchiolin be- zieht. Darnach nämlich erhielt er 16,8 pC. N, 6,3 pC. H und 49,4 pC. C. Ich vermuthe aber, dass hier ein Schreib- fehler in Fremy’s Publication vorliegt (man vergleiche dieselbe); kurz vor der Angabe dieser Analyse ist näm- lich von dem Hornskelet der Gorgonien die Rede. Der in Kalilauge gelöste Theil (AA) der brau- nen Häute liess sich aus der dunkeln Flüssigkeit nicht rein erhalten *). Offenbar war die braune Färbung der Flüssigkeit nicht oder wenigstens grösstentheils nicht von einem ursprünglich vorhandenen Farbstoff herzuleiten, son- dern von einer Materie, die sich während des Kochens mit dem starken Kali und durch dasselbe erst erzeugt halte. Sehr auffallend war mir, dass die kalische Lö- sung, welche doch 46 pC. der ursprünglichen braunen Häute enthielt, mit Säuren beinahe gar keine Fällung gab. Wurde sie mit Essigsäure übersättigt und Ferrocyankalium zugefügt, so entstand nur ein ganz unbedeutender Niederschlag. Man hat von Albuminaten in den Muschelschalen gesprochen; ich vermochte nahezu keinen eiweissarligen Körper darin aufzufinden. Die in Kali lösliche Portion der braunen Häute ist im Gegentheil eine ganz eigenthümliche Sub- stanz (oder Substanzengemisch), zwar noch wenig po- sitiv charakterisirbar, aber doch schon jetzt durch Nach- stehendes zu bezeichnen: Sie ist löslich in kochendem Kali, stickstoffhaftig und wird aus der kalischen Lösung durch Säuren nicht gefällt; überhaupt ermangelt sie, so- viel ich prüfen konnte, der Reactionen der sog. Protein- körper. Eine ganz analoge Materie traf ich im Byssus der Acephalen wieder und beim eifrigen Nachsuchen in der zoologisehen Literatur begegnete ich einer Angabe von Frerichs*), wonach die Mutterblasen von Echino- coceus ein sehr ähnliches Verhalten darbieten. Die weissen flockigen Häute, die von der Perlmutterschicht und der kreideweissen Substanz abstam- men, erhielt ich in so geringer Menge, dass ihre nähere Untersuchung für diessmal unterbleiben musste. Nur so viel kann ich von ihnen berichten, dass sie beim Kochen mit starker Kalilauge gelb, dann braun sich färben und beinahe vollständig sich lösen. Auch in dieser Lösung erzeugten Säuren nur eine sehr unbedeutende Trübung, der weitaus grösste Theil der gelösten Substanz konnte durch Säure nicht abgeschieden werden. Durch Schmel- zen mit Kalihydrat wurden auch sie rostgelb und zer- stört. Ich vermuthe, dass sie der löslichen Materie (AA) der braunen Häute chemisch sehr nahe stehen, vielleicht sind sie damit identisch. (Annalen d. Chemie u. Physik. 98 Bd.) *) Wurde die alkalische Flüssigkeit mit CO? übersättigt, dann abgedampft und mit Weingeist u—pergın: so färbte sich dieser gelb und hinterliess beim Verdunsten eine gelbe N-haltige Materie. *) Wiegmann’s Archiv, 1848, I, S. 24. Heilkunde. Angst und Furcht als Erkrankungsursache bei Epidemieen experimentell nachge- wiesen. Von Dr. J. Hoppe (Basel) *). Es ist allbekannt und es ist wahr, dass durch Angst und Furcht die Krankheiten entstehen, vor denen man sich fürch- tet, und dass man zur Zeit epidemischer Krankheiten gerade durch Angst und Furcht sich das Leiden zuziehen kann, dem man durch etwaige Flucht zu entgehen sucht, — Ich wollte im Folgenden es aufzuklären suchen, wie die Angst und Furcht wirken, wenn durch ihren Einfluss ein bloss gefürchtetes Leiden wirklich entsteht. — Zunächst muss ich bemerken, dass die Cholera kein Blutvergiftungsleiden ist, sondern dass ihr nächster Ur- sprung in den Nerven liegt, in denen sich das „Wesen“ der Cholera etwa als Erlahmung der Gefässnerven mit abnormen Impulsen der sensitiven Nerven äussert. Es könnte sein, dass zu diesem Nervenleiden die genügen- den Ursachen im Körper irgendwo bestehen und dass sie von hier aus erst auf die Nerven wirken. Aber end- lich gestaltet sich das Leiden doch immer als eine Ner- venaffection, und es ist auch mehr als wahrscheinlich, dass dieser keine Blutvergiftung vorhergeht. — Wenn man an Thieren örtliche Vergiftungen erzeugt, so finde ich, dess alle diese örtlichen Vergiftungen nichts als Lähmungen sind, die in verschiedenem Grade von Impulsen auf die sensitiven und motorischen Nerven be- gleitet werden, und ich finde, dass auch alle Vergift- ungen, die den ganzen Körper betreffen, nur als Lähm- ungserscheinungen aufgefasst werden müssen. Wenn man nun an dem Auge der Frösche, Kaninchen, Hunde u. s. w. verletzende Mittel anwendet, so entsteht dadurch, je nach der Stärke und Beschaffenheit des Mittels, eine Augenaffection, die sich als mehr oder weniger schmerz- hafte Erlahmung der Gefässnerven unter dem Bilde einer sogenannten Entzündung darstellt und oft einen bedeu- tenden Grad erreicht. Es fragt sich nun, wann schwin- det diese Affection wieder und wann wird die durch jene Mittel an den Nerven ausgeübte Einwirkung endlich spur- ls verschwunden sein? An den Gefässnerven besteht bei dieser „Entzündung“ eine Erlahmung, die auch mit Atusserungen einer verniehrten Thätigkeit untermischt sein kann; an den übrigen motorischen Nerven kann Erlahniung und auch vermehrte Thäligkeitsäusserung be- stehen, und an den sensiliven Nerven ist gewöhnlich eine Erlahmung mit oder ohne Schmerzhaftigkeit vorhanden. Niemand aber kann sagen, wann diese durch China, Digitalis, Opium, Strychnin, Blei, Arsenik, Mangan *) [SS Medicinische Briefe von Dr. J. Hoppe, Prof. in Basel. II. Jahrgg., 10. Hit. Freiburg im Br. Herder’sche Verl.-Hälg., 1855. u. s. w. an den verschiedenen Nerven erzeugten Verletz- ungen vorübergehen oder so vorübergegangen sein wer- den, dass an den Nerven keine Spur jenes Zustandes mehr besteht, der in ihnen durch jene Mittel erzeugt wurde. So lange jedoch dieser Zustand an den Nerven vorhanden ist, wirken diese auch noch diesem Zustande entsprechend, und sie wirken dann noch in der Weise und mit dem Charakter, wie dieser Zustand es bedingt. Ich habe z.B. von einem Gran Chinin am Auge des Kaninchens noch reichlich nach 200 Tagen die sichtba- ren Spuren gesehen. Genug, die Versuche, die ich in meinen „Nervenwirkungen der Heilmittel“ mitgetheilt habe, überzeugen mich, dass eine Nervenverletzung äus- serst lange bestehen kann, ohne sich erheblich, ja ohne sich wahrnehmbar zu äussern, wenn nicht noch andere Umstände hinzukommen und man muss die Dauer dieser Nervenverletzung, wenn sie auch vielfach variirt, im Allgemeinen als eine sehr lange betrachten. Nachdem man sich einmal — in der Forschersprache — „exact“ hiervon durch’s Experiment überzeugt hat, muss man eingestehen, dass diess in der menschlichen Pathologie jeder Arzt schon lange wissen konute und auch gekannt hat, und dass namentlich jedes auf seine Kinder bedachte Mütterchen diess wesentlich schon längst wusste. Nach Ablauf der sogenannten eigentlichen Nerven- affection können also die Nerven lange, ja zuweilen fast endlos lange in demselben Zustande geringeren Grades verbleiben, bei dessen stärkerem Grade eben die voran- gegangene Krankheit eintrat. Ebenso lange können aber auch die Nerven, ohne noch irgend eine Krankheit zu veranlassen, in einem geringeren Verletzungszustande ver- harren, ehe dessen grössere, schneller oder langsamer entstehende Steigerung eine Krankheit zum Ausbruch kommen lässt. Alle diese durch’s Experiment zu Tage geförderten Thatsachen hat das ziemlich treu beobach- tende Volk seit jeher damit schon ausgedrückt, dass es sagte, wie „ein Leiden Jemand schon lange in der Haut gelegen, im Körper gesteckt habe.‘ Beim Experimentiren mit sogenannten vergiftenden oder überhaupt doch verletzenden Heilstoffen am Auge der Thiere findet man daher nach Tagen, Wochen oder Monaten an dem Auge keinerlei Veränderung mehr, so dass die blosse Besichtigung dann an dem künstlich er- krankt gewesenen Auge keinerlei Unterschied zwischen diesem und dem andern, zwischen früher und jetzt mehr entdeckt. Sobald man aber das Thier eindringlicher, wenn auch noch so sanft, untersucht, so dass seine (geistige) Erinnerung an den früheren Eingriff erwacht, so kann man sehr deutlich sehen, wie von der früheren künstlichen Entzündung eine Erscheinung nach der an- dern wiederkehrt, und man hat es je nach der Angst und Furcht, in welche man das Thier versetzt, in sei- ner Gewalt, das frühere Entzündungs- oder Verletzungs- 173 bild wieder hervorzurufen. Kommt nun gar noch eine Berührung der Nerven hinzu, so gelingt diess noch deut- licher. Ich wiederhole es, dass dieser Versuch, je nach dem Thiere und dessen Naturell, je nach dem ange- wandten Mittel, je nach der seit dessen Anwendung ver- flossenen Zeitdauer und der den Nerven beigebrachten Verletzung, verschieden ausfällt. Immer aber wird man es bestätigt finden, dass die blosse Angst und Furcht des Thieres die bereits verschwundenen Erlahmungs- und Impulserscheinungen der einmal und wenn auch noch so schwach aflieirten Nerven wieder hervortreten lassen und zwar um so stärker, je mehr der geistige Zustand diess bedingt und der körperliche Zustand es begünstigt. An einem Frosche z.B, an dessen rechtem Auge ich Morphium angewandt halte, sah ich am 8. Tage nichts, als er im Glase sass. Ich fixirte ihn und die Pupille dieses Auges wurde enger. Ich nahm ihn in die Hand, und er drückte mit noch stärkerer Verengerung der Pupille gerade dieses Auge nieder und schloss das Lid; ich berührte die zufällig geöffnete Hornhaut und er benahm sich so empfindlich, wie es sich aus der Be- schaffenheit des Auges nicht erklären liess. — Empfind- lichkeit, Schmerzhaftigkeit, Muskelcontractionen, krank- hafte Haltung und endlich zunehmend sich steigernde Gefässinjeclion kehren demnach an einem solchen Auge wieder. Was aber das Froschauge nicht so deutlich zeigt, das lehrt das Kaninchenauge. Wendet man an einem solchen ein schwächeres Mittel an, so kann es der Fall sein, dass eine vermehrte Injieirbarkeit zurückbleibt, die noch lange nachher bei der sanftesten Umstülpung der Lider die chemals vorhanden gewesene Hyperämie spurweise wiederkehren lässt. Wendet man stärkere Mit- tel, wie das Emetin, an, so lässt sich kaum erwarten, wann sich endlich die Gefüsse, auch nach gänzlichem Ablauf der durch das Mittel angeregten Entzündung, ‚wie- der normal verhalten werden und die bereits gebesserte, sowie selbst die anscheinend geschwundene Entzündung sieht man durch das blosse Erfassen des Thieres sich verschlimmern, so dass eine Erscheinung nach der an- dern wiederkehrt. Experimentirt man mit vielen Thieren, so erkennt man oft bloss an der durch die Angst beim Erfassen des Thieres bedingten Wiederkehr einzelner Er- scheinungen das Auge wieder, das vor Monaten einstmals an einer künstlichen Entzündung litt, die man vielleicht selbst vergessen hat. Wie nun hier die Angst und Furcht der Thiere durch centrale Erlahmungen und Impulse die einmal af- fieirt gewesenen und irgendwie noch nicht ganz norma- len Nerven sofort in ihrer früheren Weise theils wieder erlahmen lassen, theils ihnen Impulse ertheilen, so kann man es sich ähnlich vorstellen, wenn bei ansteckenden oder epidemischen Krankheiten die Angst und Furcht ge- rade diese Krankheiten, vor denen man sich eben fürch- tet, entstehen lassen. Ich bin nun zwar der Ansicht, dass da, wo bei der Pest und Cholera die in diesen 174 Krankheiten ergriffenen Nerven gar nicht affieirt sind, auch durch die Angst und Furcht die Pest-, Cholera- und Typhus-Affection dieser Nerven nicht entstehen wird; doch lässt sich bei dem geheimnissvollen Wesen dieser Krankheiten diess nicht sicher behaupten. Wohl aber ist es gewiss, dass da, wo in einem Menschen während einer herrschenden Epidemie die von dieser gewöhnlich ergriffenen Nerven irgendwie schon etwas afficirt sind, die Angst und Furcht die schon leise bestehenden Er- lahmungen und Impulse dieser Nerven von dem Centrum aus in ähnlicher Weise verstärken, steigern und zu ge- fahrvollen Aeusserungen veranlassen werden, wie man es experimentell bei Thieren am Auge zeigen kann. Kommt nun etwa bei der Cholera noch eine erlahmende oder eine, den sensitiven Nerven einen beleidigenden Impuls gebende, Berührung der Darmnerven durch Pflaumen, Me- ‚lonen, Gurken u. s. w. hinzu, so wird die Aehnlichkeit mit dem Experiment an einem entzündet gewesenen Thier- auge, das man dabei obendrein etwa noch durch Berüh- rungen beleidigt, um Vieles anschaulicher. — Wesentlich reducirt sich dieses Alles auf das Gesetz der Erlahmung auf gangbären Bahnen, das ich in frü- heren Abhandlungen meiner „Briefe“ aufgestellt habe, und neu ist hier nur der Nachweis der Thatsache, dass der sensilive Nerv, der einstmals schmerzte und wahrnehm- bar gar nicht mehr leidet, — dass der Gefässnerv, der einstmals erlahmt war und wahrnehmbar nicht mehr er- griffen zu sein scheint, — und dass alle Nerven die einstmals Impulse erlitten hatten und sich nun als ganz beruhigt darstellen, dass alle diese Nerven vom Geiste aus in eine Verschlimmerung ihrer Zustände verfallen können, und dass es sich gar nicht bestimmen lässt, we- der bei Thieren noch bei Menschen, wann dieses nicht mehr der Fall und wann der Nerv vollkommen erholt sein werde. Die Verhütung der Recidive, wie der Krankheit selbst, und die Diät der Kranken fussen auf demselben Gesetz der „Erlahmung und Impulserleidung auf gangbareren Nervenbahnen“, und das Ma- terial der hierher gehörigen Erfahrungen der Praxis ist, wie sich jeder Arzt leicht erinnert, schr gross. Reposition eingeklemmter Brüche ohne Ope- ration. Von Seutin (Brüssel). Schon seit 8 Jahren bedient sich der Verf. eines ei- genthümlichen Verfahrens, um den Bruchschnitt zu ver- meiden. Dieses 1854 zuerst in der Presse medicale belge publieirte Verfahren hat keine günstige Aufnahme gefun- den, aber Hr. Seutin liess nicht nach, dasselbe zu. em- pfehlen. Jetzt macht er neue Beobachtungen zu Gunsten seiner Methode bekannt. Sie besteht darin, dass man den Leistenring ohne vorherigen Einschnitt lediglich durch 175 Erweiterung ‚mit dem Finger löst. Der Kranke liegt auf dem Rücken mit erhöhtem Becken und niedriger liegen- den Schultern, die Kniee gebogen und der Körper etwas nach der dem Bruch entgegengesetzten Seite geneigt. Mit dem Zeigefinger sucht der Operateur die Bruchpforte; indem er die Haut weiter unten fasst, schiebt er nun den Finger zwischen dem Darm und der Bruchpforte ein und drückt dabei mit dem Finger den Darm oder das Netz nieder, langsam zwischen den Bruchinhalt und der Bruchpforte eingehend. Es gehört dazu einige Ausdauer. Dann biegt man den Finger hakenförmig und zieht an dem Leistenringe stark genug, um einige Fasern zu zer- reissen. Diess macht sich durch ein deutliches Krachen bemerklich; geschieht diess nicht, so wird die Ausdeh- nung weiter fortgesetzt, bis dadurch die Einklemmung aufhört. Diess ist namentlich zweckmässig bei dem Gim- bernat’schen Band oder beim Schenkelbruch. Beim Lei- stenbruch muss das Ziehen die Richtung von innen nach aussen und von unten nach oben haben. Der Finger er- müdet bald und es kann sich nöthig machen, dass der Operateur seine Finger durch die eines intelligenten Ge- hülfen ersetzt. Die Methode ist bis jetzt am meisten bei Schenkelbrüchen in Anwendung gekommen. — Gelingt es nicht, den Finger einzuführen, so räth Dr. Seutin, einen kleinen Hautschnitt zu machen, um einen Spatel oder ein anderes stumpf abgerundetes Instrument einzu- führen und dadurch die Bruchöffnung zu erweitern. Dr. Seutin giebt zu, dass es Ausnahmen für seine Methode geben könne; ein Hauptbedenken ist, dass er nicht feststellt, wo eigentlich die Ursache der Einklem- mung zu suchen sei, im Leistenring oder im Bruchsack- hals.. Wenn sie im letzteren zu suchen ist, so kann freilich seine Operation nicht passen. Diess ist fast nur bei alten Brüchen der Fall und dann ist der Bruchschnitt nicht zu umgeheh. Eine weitere Frage aber ist, ob die Zerreissung der aponeurolischen Fasern des Leistenkanals so leicht sei, und ob, was man am Leichnam ausführen könne, ebenso gut beim lebenden Körper gelinge. Man kann auch noch ferner fragen, ob der Darm durch das Eindrängen des Fingers nicht verletzt werden könne, und ob die Einführung des Fingers immer gelingen möge? u. s. w. Wie dem aber auch sei, erfolgreiche Fälle verlangen Beachtung. Der Unterschied der Gefährlichkeit zwischen Bruchschnitt und Seutin’schem Verfahren .ist gross genug, um in den passenden Fällen darauf zurückzu- kommen. 176 Seutin hat von 1846 — 1856 im Ganzen 26 ein- geklemmte Brüche zu behandeln gehabt; die Statistik der- selben stellt sich folgendermaassen: Bruchschnitt . . ... 14mal, hatte Ymal den Tod zur Folge, Zurückdrängen ohne Operation 12mal, führte 12 Heilungen herbei, davon wurden 6 mit anhaltender Taxis und 6 mit Aus- dehnung und Zerreissung des Leistenringes mittelst des Fingers bewerkstelligt, und zwar drei alte, seit 2 Tagen eingeklemmte Cruralbrüche bei Frauen und drei Inguinal- brüche. Von 10 weiteren glücklichen Fällen, die Hr. Seu- tin neuerdings veröffentlicht hat, sind 5 anderen Wund- ärzten entnommen, welche Seutin’s Methode angenom- men hatten, und welche auch zu seinen Gunsten spre- chen. (Journal de Med. de Chir. et de Pharmacologie. Bruxelles, Feyrier 1856.) Miscellen. Die Diagnose der Lipome wird nach Nelaton bisweilen dadurch erschwert, dass sich ein täuschendes Flu- etuationsgefühl vorfindet, welches davon herrühre, dass die Haut durch die Ausdehnung über dem Lipom ungewölnlich - verdünnt sei. (Gaz. des Höpilaux No. 5. 1356.) nn Myopathische Luxation nennt. Dr. H. Friedberg (Berlin) die Luxationen, welche in Folge chronischer trau- matischer Entzündung einzelner Muskeln sich ausbilden; sie gleicht in ihren begleitenden Erscheinungen der s. 8. ,„‚pro- gressiven Muskelalrophie,“ ist aber ihrem Wesen nach eine Lähmung, bei welcher, in Folge der Ernährungsstörung der Muskelsubstanzen einestheils die primitiven Muskelfasern ihre Verkürzungsfähigkeit, anderntheils die sie umspinnenden Ner- venfasern ihre Leilungsfähigkeit verlieren. In einem Falle dieser Art folgte nach der entzündlichen Reizung der Schul- termuskeln durch eine heftige Erschütterung bei einem Falle auf die Hände ein Herabsinken des Oberarms und endlich eine in perpendieulärer Richtung nach unten geschehende Luxation des Oberarmkopfes, welche, da sie durch die Ernährungs- störung der Muskeln entstand, eine myopalhische Luxation zu nennen ist. — In perpendiculärer Richtung nach abwärts kann aber der Oberarm in der That nur dann sinken, wenn der M. supraspinalus zerrissen ist oder in Folge einer Ernäh- rungsslörung seine Elactieilät eingebüsst hat. Dieselbe Luxa- tion kann aber auch nach innen abweichen, wenn Contractur des Pectoralis und Latissimus dorsi slallfindet. Die Kur wird bewirkt im ersten Falle durch Faradisirung des M. supraspi- natus, wozu im letztern Falle noch die beiden genannten Muskeln dem continuirlichen galvanischen Strome ausgesetzt werden müssen. (Oesterreich. Zeitschr. für prakt. Heilkunde 1857 No.1) Bibliographische Neuigkeiten. W.— J. Wagner, Das Möllthal und d. Grossglockner. gr. 8. Leon in Klagenfurt, 1857. %3 Thlr. 2 E, Laukester, The Aquavivarium, fresh and marine. London, Hardwicke. G. Tugwell, A Manual of the Sea Anemones commonly found on the English Coast. 8. Lond., Van Voorst. 7 Sh. 6.d. MH. — F.W.G.Kranichfeld, Grundzüge d. auf den Begriff v. wahrem Leben beruhenden Pathologie und Therapie. 1. Bd. Imp.-4. Evangel. Buchh, in Berl. 10 Thir. Deshayes, Description des animaux sans vert&bres d&ecouverts dans le bassin de Paris. Livr. 1 et 2. de 10 feuilles plus 10 planches lith. Paris, J. B. Bailliere. ä 5 Fres, 4 u Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena. Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. HI. Band N 12. Naturkunde. L. Rudolph, Cultu las der Panzen - Geographie. — flanzen mit Knollenwurzeln. (Schluss folgt.) — Miscelle. Ludw. Rudolph, At- eilkunde. A. Reumont, Ueber Inhalationskuren an den aachener Schwefelther- men. — Schultz-Schultzenstein, Ueber Kuochenverjüngung. — Miscellen. Heilung einer chronischen Bleiver- giftung durch Chlorobrom. — Ein rasch wirkendes Blasenzugmittel. — Chinin gegen Neuritis phrenica. — Harris, Uva ursi ein Surrogat der Ergoline. — Eine Herzkrankheit durch Veratrin geheilt. — Bibliographie, Naturkunde. Culturpflanzen mit Knollenwurzeln. Von L. Rudolph (Berlin) *). Als Begleiter zu seinem Atlas der Pflanzengeographie (s. d. Misc.) hat der Verf. ein Werkchen erscheinen lassen, wel- ches das Material, das in dem Atlas versinnlicht ist, mehr im Einzelnen darbietet, und namentlich zum Selbststudium des betreffenden interessanten Zweiges der Naturgeschichte geeignet ist. Wir heben daraus aus der Abtheilung über die Gewächse, welche durch ausgebreitete Cultur auf den Charakter der Länder einen Einfluss üben, das Kapitel über die Knollengewächse aus. „Nächst den Getreidearten sind die Gewächse mit Knollenwurzeln als die wichtigsten Culturpflanzen zu be- trachten. Während jene ihre mehlreichen Samen über der Erde zur Reife bringen, entwickeln diese ihre essba- ren Knollen im Schoosse derselben. So bilden diese bei- den ersten Abtheilungen der Culturpflanzen auffallende Gegensätze. Während der fleissige Landmann bei dem Besuch seiner Getreidefelder jeden Tag mit Freuden die Fortschritte wahrnimmt, welche die reifenden Halme ma- chen, muss er bei den Knollengewächsen ruhig abwarten, was der dunkele Schooss der Erde ihm liefern werde. Aber diese beiden Fruchtarten ergänzen sich auch. Denn es ist eine bekannte Thatsache, dass beim Missrathen der Getreideernten die Knollengewächse gewöhnlich um so bes- ser gedeihen, und umgekehrt. So ist dem Menschen bei mannigfacher Bestellung des Bodens sein Unterhalt mehr gesichert, als wenn er sich auf die Erziehung einer ein- zelnen Fruchtart beschränkt. Da die Knollen hauptsäch- *) DES” Die Pflanzendecke der Erde. Populäre Dar- stellung der Pflanzengeographie für Freunde und Lehrer der Botanik und Geographie von L. Rudolph, Lehrer zu Ber- lin. 8. 416 S. Berlin, Nikolai’sche Buchlidig. lich aus Stärkemehl oder pflanzlichem Eiweissstoff beste- hen, so dienen sie einem grossen Theile der Menschen zur Nahrung und werden deshalb an vielen Orten der Erde in sehr bedeutendem Umfange angebaut. 1. Die Kartoffel. Solanum tuberosum. Mit dieser Pflanze ist die alte Welt von Amerika aus beschenkt worden. Wenngleich sich Wohlstand und Cultur auch ohne die Bekanntschaft mit der Kartoffel bei uns schon lange entwickelt haben, so hat doch die all- gemeine Verbreitung derselben eine vollständige Umwäl- zung in dem Betriebe des Ackerbaues hervorgerufen. Ja, es ist uns durch die Kartoffel das sicherste Mittel gebo- ten, einer allgemeinen Hungersnoth zu begegnen, die frü- her so häufig in Europa eintrat. Da der Fall so häufig nicht vorkommt, dass die Getreide- und Kartoffelernte gleichzeitig missrathen, so ist der Noth der armen Men- schen so ziemlich abgeholfen. Wie wichtig für uns die Kartoffel ist, lässt sich daraus abnehmen, dass beim Missrathen derselben die Noth des ärmeren Landmannes bei Weitem grösser ist, als bei einer schlechten Getreide- ernte. Nicht allein, dass wir die Kartoffel fast täglich essen, und dass selbst in vielen Gegenden das Roggen- brot mit Kartoffeln gemischt wird; sondern die Bereitung des Stärkemehls, des Sago, des Branntweins, des Wei- nes und sogar des Zuckers wird eine Quelle des Unter- halts für Millionen von Menschen. Ebenso würden Fleisch, Milch, Butter und Käse bei Weitem nicht so wohlfeil sein, wenn der Anbau der Kartoffel das Halten eines grösseren Viehstandes nicht so wesentlich erleichterte. Das Vaterland der Kartoffel ist, wie schon gesagt, Amerika. Sowohl in Chile als in Peru wächst sie wild; in letzterem Lande in Wäldern, jedoch selten, denn schon bei der Entdeckung dieser Gegenden ur‘ y- sie dort 179 angepflanzt. Ebenso gewiss ist es aber auch, dass sie den Mexicanern unbekannt war. Noch heutzutage bildet die Kartoffel, in der alten peruanischen Sprache Papa ge- nannt, die Hauptnahrung auf der Hochebene von Peru, und an den Ufern des Titicaca-Sees, 12,700 Fuss über dem Meeresspiegel, werden diese Feldfrüchte noch jetzt, wie zu den Zeiten der Inca’s, mit einer Sorgfalt gezogen, welche die unserige fast übertrifft. Höchst merkwürdig ist es, wie diese Pflanze auf so unbegreiflich schnelle Weise für ganze Welttheile die allgemeine Nahrung ge- worden ist. In ganz Europa, von Hammerfest in Lapp- land an, unter 71° n. Br., auf Island und den Färöern bis an das mittelländische Meer wird die Kartoffel ge- baut; in Sibirien und Kamtschatka, wie auf den niederen Plateaus von Indien, China und Japan, auf den Südsee- inseln, wie in Neuholland und Neuseeland, und, wie sich wohl von selbst versteht, in ganz Nordamerika ist die Kartoffeleultur eingeführt; zwischen den Wendekreisen je- doch ist ihr Anbau unbedeutend. Bei dieser ungemeinen Verbreitung sollte man glau- ben, dieselbe habe sehr bald nach der Entdeckung von Amerika stattgefunden. Dem ist indessen nicht so. In Sachsen wird die Kartoffel erst seit 1717 im Grossen gebaut, in Schottland seit 1728 und in Preussen erst seit 1738. Die Cultur dieser Pflanze wurde damals von den Landleuten mit erstaunlichem Widerwillen betrieben; die Kartoffeln waren lange eine verachtete, nur dem Aerm- sten und dem Vieh überlassene Speise, während es jetzt in Europa keine fürstliche Tafel giebt, auf der sie nicht zu finden wären. Ja, es ist bekannt, dass ‚Friedrich der Grosse die Pommern mit Gewalt zur Annahme dieser gros- sen Wohlthat zwingen musste. Um’s Jahr 1750 bis 1760 zog man die Kartoffel in Deutschland nur noch in Gär- ten, und erst 1780 wurde sie, jedoch immer nur im Kleinen, auch auf freiem Felde angebaut. Obgleich die Kartoffel bei Ankunft der Europäer in Amerika in Mexico fehlte, so sind doch verschiedene Quel- len vorhanden, welche der Vermuthung Raum geben, dass ihr Anbau in einigen Gegenden von Nordamerika betrie- ben wurde, und aller Wahrscheinlichkeit nach haben wir Europäer die Kartoffel gerade aus Nordamerika bekommen. Wie diese Pflanze nun aus Peru nach diesen nördlichen Gegenden hingelangt ist, ohne in Mittelamerika cultivirt zu werden, das bleibt freilich ein Gegenstand der Ver- muthung, da uns sichere Nachrichten darüber fehlen. In- dessen ist die Erklärung dieser Erscheinung doch nicht so schwer. Nehmen wir an, dass die Ureinwohner von Amerika bei ihren Wanderungen oder wenigstens bei ih- rem gegenseitigen Verkehr auch die Kartoffel verbreitet haben, so konnte dieselbe ursprünglich über Mexico nach Nordamerika gelangen. Da aber das Tropenklima dieser Pflanze wenig zusagt, so ist es sehr natürlich, dass die in Mexiko vielleicht nur spärlich gebaute Kartoflel wieder verschwand, um ergiebigeren Culturgewächsen Platz zu machen. — Die Colonisten, welche im Jahre 1584 nach Virginien gekommen sind, haben die Kartoffel daselbst 180 gefunden, und Schiffe, welche im Jahre 1586 aus der Bay von Albemarle zurückkehrten, haben die ersten Kar- toffeln nach Irland gebracht. Dennoch möchte es sehr zweifelhaft sein, dass Franz Drake die Kartoffel nach Europa gebracht habe. In der Beschreibung jener merk- würdigen Reise des englischen Seefahrers steht kein Wort davon, und als er bei seiner Rückkehr nach England, wo er bekanntlich mit seidenen Segeln in die Themse einfuhr, von der Königin Elisabeth auf seinem _ Schiffe mit einem Besuche *) beehrt wurde, da kamen alle Spei- sen und Früchte auf die Tafel, welche der berühmte Weltumsegler mitgebracht hatte. In der Beschreibung je- nes Gastmahls werden diese Speisen alle aufgezählt, der Kartoffel ist darunter aber nicht erwähnt. Von Vielen wird das Verdienst der Einführung der Kartoffel in Eu- ropa dem Seehelden Sir John Hawkins zugeschrieben, der sie im Jahre 1563 oder 1565 von Santa Fe soll erhal- ten haben. Gewisser ist es, dass Sir Walter Raleigh die ersten Kartoffeln auf seinem Landgute Youghal in Irland pflanzte, von wo sie nach Lancashire kamen. — Dass die Kartoffel nicht eben so schnell wie der Mais und die süsse Kartoffel durch die Spanier nach Europa gebracht worden ist, hat seinen Grund einfach darin, dass diese Pflanze nur auf der Westküste von Amerika gebaut wurde; und die Reisen um das Cap Horn dauerten damals noch zu lange und waren auch zu selten, als dass auf diesem Wege die Kartoffel mit. Leichtigkeit hätte nach Europa übergeführt werden können. Die Anzahl der Abarten von Kartoffeln ist sehr be- deutend; an 30 sind bestimmt dem Namen und den Kenn- zeichen nach zu unterscheiden, und wenn man einigen Angaben trauen darf, so soll sich die Anzahl aller Va- rietäten auf 150 belaufen. Unter diesen Abarten, die auch in Amerika gezogen werden, ist eine kleine, sehr süsse Kartoffel hauptsächlich zum Rösten auf Kohlen im Gebrauch. In den Städten Puno und Chuquito am Titi- caca-See erhält man zu jeder Tageszeit diese gerösteten Kartoffeln vom frischen Kohlenfeuer, ebenso wie im süd- lichen Europa die gerösteten Kastanien. Um noch ein Paar Worte über die oben erwähnte Abneigung des Landmannes gegen den Kartoflelbau zu sagen, so ist dieselbe allerdings nicht ohne Grund. Diese Pflanze gehört einer Familie an, deren Arten meist nar- kotisches Gift enthalten, und die noch nicht vollständig ausgewachsenen Knollen, und ganz besonders das Kraut und die Beeren haben betäubende Eigenschaften. Deshalb wird auch von den betreffenden Behörden der Verkauf dieser Knollen vor einer bestimmten Zeit (etwa Ende Juli) nicht gestattet. Allein die reifen Kartoffeln, welche Stär- kemehl, Eiweissstofl, Gummi und einige andere Stofle ent- halten, sind durchaus unschädlich; nur unmässiger Ge- nuss führt Nachtheile für die Gesundheit herbei. Dage- gen entwickelt sich jener narkotische Bestandtheil, das *) Am 4. April 1581 zu. Deptfort, wo Drake’s Schiff vor Anker lag. 181 Solanin, gleich wieder in den jungen Keimen, weshalb Kartoffeln dieser Art schon durch ihren Geschmack eine Abneigung gegen den Genuss hervorrufen und auch zum Futter für das Vieh nicht mehr geeignet sind. Nur zur Benutzung auf Branntwein sind sie noch zu gebrauchen, doch muss man sich hüten, den zurückgebliebenen Spü- licht zum Futter für das Vieh zu benutzen, da dieser gerade die giftigen Bestandtheile enthält, während der Alkohol selbst frei davon ist. Die Unbekanntschaft mit allen diesen Thatsachen, welche langjährige Erfahrung und wissenschaftliche Untersuchungen erst feststellen muss- ten, während unvorsichtige Anwendung gewiss manche Nachtheile herbeiführte, erklärt die oben angeführte Er- scheinung zur Genüge. 2. Die Arum- oder Aronswurzeln. Arum macrorrhizon, Ar. Colocasia, Ar. campanulatum ; Caladium acre und Cal. esculentum. Die Aronswurzeln ersetzen die Kartoffel, welche nur ausserhalb der Wendekreise gut gedeiht, in den tropi- schen Gegenden, wo sie mit ausserordentlicher Sorgfalt eultivirt werden. In mauchen Gegenden sind sie aber auch das hauptsächlichste Nahrungsmittel, oft sogar von noch grösserer Bedeutung als für uns die Kartoffel und das Brot. Auf den Sandwich- und Freundschaftsinseln, in Ostindien und China, in dem ganzen tropischen Afrika und den heisseren Gegenden von Neuholland, sowie in Westindien und an verschiedenen Punkten des Festlandes von Amerika, fast überall in Jen Tropen findet man eine oder mehrere der genannten Arten angebaut, Es möchte übrigens auch wenig andere Culturpflanzen geben, welche einen so hohen Grad von Wärme gebrauchen. In Eu- ropa gedeihen sie nicht mehr. Die grossen mehligen Wurzelknollen der Arum - Ar- ten haben, wie unsere Kartoffeln, scharf narkotische Ei- genschaften, die sich in der tropischen Hitze gewiss noch stärker entwickeln. Das Gift steht aber in so lockerer Verbindung mit der Masse, dass es schon beim Trocknen oder durch Kochen und Backen sich verliert, und alsdann ist die Wurzel durchaus unschädlich. Die Knollen dieser Pllanzen, von den Südseeinsulanern Tarro genannt, er- reichen die Grösse eines kleinen Kinderkopfes. Gekocht, oder in heisser Erde gebacken, haben sie grosse Aechn- lichkeit mit der süssen Kartoffel, nur sind sie noch nahr- hafter und zugleich von feinerem Geschmack. Die Pflanzen, welche die Aronswurzeln liefern, sind übrigens keinesweges unserer Kartofelpflanze ähnlich. Sie gehören vielmehr einer ganz anderen Familie an, zu der auch unser Kalmus gehört. Die breiten, dunkelgrünen Blätter mit regelmässigen, parallelen Rippen durchzogen, bei einer Art von 4 Fuss Länge, bei einer anderen schön oval gestaltet und wie die Blätter unserer spanischen Kresse, aber auf mannshohe Stiele aufgesetzt, bei noch anderen herzförmig oder regelmässig gefiedert, geben den Tarrofeldern ein prächtiges Ansehen, das von dem unse- rer Kartoffelfelder ganz verschieden ist. Wie unser Kal- 182 mus nur im Wasser wächst, so müssen auch die Arons- wurzeln sehr viel Feuchtigkeit haben. Man gräbt des- halb Bassins von 2—3 Fuss Tiefe, die 40—50 Fuss im Geviert haben, so dass man fliessendes Wasser in dieselben hineinleiten kann. Auf den Sandwich - Inseln sind dieselben sogar terrassenförmig angelegt und wird das Wasser aus einem Felde in das andere geleitet. Es giebt zwar eine Abart, die man auch auf trockenem Lande, und sogar in einer Höhe von 800 — 1000° baut; aber auch diese Pflanze, deren Knolle nie so gross und wohl- schmeckend wird, als die nasse Tarro. muss ausserordent- lich feucht gehalten werden. Deshalb pflegt man dort jede Pflanze mit einer kleinen Vertiefung zu umgeben, um mehr Feuchtigkeit um ihre Wurzel anzuhäufen. Die Zubereitung der Tarro ist sehr mannichfach. Am häufigsten isst man sie, nachdem sie abgekocht oder ge- backen ist, wie Brot, mit oder ohne Salz. Auch schnei- det man die Knollen in Scheiben, worauf sie in Fett ge- braten werden. Von einigen Arten werden auch die Blät- ter als Gemüse unter dem Namen: caraibischer Kohl ge- gessen. 3. Die Maniok-Pflanze. Jatropha Manihot. Die Wurzel dieser Pflanze ist eins der wichtigsten Nahrungsmittel in den tropischen Gegenden von Amerika und aller Wahrscheinlichkeit nach von dort her nach der alten Welt herübergekommen. Ueberall in den Tropen, auch in Asien und Afrika, wird sie in grosser Menge angebaut, und es leben ganze Völkerschaften von dersel- ben, wie bei uns von der Kartoflel. Ein Feld trägt dort 6mal so viel als ein Roggenfeld, und der Ertrag ist si- cherer als beim Getreide. Obgleich diese Pflanze mit den Bananen in derselben Zone wächst, so steigt sie doch nicht so hoch auf die Gebirge, als diese. In Amerika werden zwei Arten dieser Pflanze cultivirt, die bittere Manioka, Manihot utilissima, und die süsse, M. Aipi. Die Wurzel der letzteren ist durchaus unschädlich, die der ersteren dagegen ein schnell wirkendes Gift. Dasselbe tödtet in wenigen Minuten ohne Entzündung, wirkt also auf die Nerven. Da es indessen eben so locker mit der mehligen Masse zusammenhängt, wie bei der Aronswur- zel, so lässt sich durch Ausdrücken der zerriebenen Wur- zel der giftige Saft sorgfältig von dem Mehle absondern, und der Genuss der bitteren Manioka ist alsdann eben so unschädlich, wie der der süssen. Ueberraschend erscheint bei dieser Zusammenstellung von essbaren Knollengewächsen die Wahrnehmung, dass sie alle narkotisch giftige Eigenschaften haben und doch ganz verschiedenen Pflanzenfamilien angehören. Auch die Maniokpflanze hat weder mit unserer Kartoffel, noch mit den Aronswurzeln Achnlichkeit. Sie gehört vielmehr zu der Familie der Wolfsmilchpflanzen, steht denselben min- destens sehr nahe. Die Pflanze wird ein mannsheher, krummer Strauch mit 5—6 langen, langgestielten Blät- tern, die in lanzettförmige Lappen BUgE sind, wie bei 1 = 183 dem sogenannten Wunderbaum, dessen Samen uns das bekannte Ricinusöl liefern, und der ebenfalls in diese Fa- milie gehört. Die knollige Wurzel der Manioka ist flei- schig, wenigstens so dick wie ein Arm und wird oft 30 Pfund schwer. Aus dem Mchle derselben bereitet man Brot, Cazavi genannt. Der ausgepresste Saft wird in den französischen Colonieen Cassave, das ausgedörrte Mehl farine de Cassave genannt *). Das Brot selbst ist äus- serst nahrhaft und wohlschmeckend und dem Weizenbrote sehr ähnlich. Ein Pfund davon reicht dem eingeborenen Amerikaner zur täglichen Nahrung aus. Am besten gedeiht die Manioka auf höher gelege- nem und trockenem Boden; in feuchten Niederungen wird die Wurzel zwar ausserordentlich gross, neigt aber dann zur Fäulniss. So ergänzen sich diese beiden Knollenge- wächse, die Aronswurzel und die Manioka, auf vortrefi- liche Weise in den tropischen Gegenden für Hochllächen und Niederungen. Die Fortpflanzung der Maniokawurzel geschieht durch Stecklinge. Die Zeit des Reifens richtet sich einerseits nach dem Wärmegrade, andererseits ist sie auch bei den einzelnen Abarten sehr verschieden. In Brasilien wird eine Varietät cultivirt, welche schon in 6— 8 Monaten grosse Wurzeln liefert, in Mexiko sind 9 Monate die gewöhnliche Zeit bis zur Ernte; dagegen giebt es auch Abarten, deren Wurzeln erst nach 15—18 Monaten reif werden, eine Erscheinung, die uns ganz fremdartig vorkommen muss. Die herrliche Maniokawurzel lässt sich nicht hoch genug rühmen. Die Indianer, denen das Glück zu Theil geworden ist, diese Pflanze anzubauen, haben in dersel- ben einen Ersatz für den Reis und die übrigen Getreide- arten der alten Welt. Da indessen der Nutzen bei die- ser Pflanze nicht so schnell erfolgt als bei anderen Cul- turgewächsen, so muss ein Volk allerdings schon einige Fortschritte in der Civilisation gemacht haben, wenn es sich zum Anbau einer Pflanze entschliessen soll, die erst *) Dieses Mehl wird mehrere Maie mit frischem Wasser ausgewaschen, dann bereitet man dünne, scheibenförmige Ku- chen daraus und lässt sie auf heissen Blechen backen, damit alle Sckärfe entweiche. Diese Kuchen sind das Kassavebrot. Heilk Ueber Inhalationskuren an den aachener Schwefelthermen. Von Dr. A. Reumont (Aachen) *). Der Verf., der sich seit Jahren mit Einführung der Inhalationskuren in Aachen beschäftigt, hat eine gut *) Aachens Schwefelthermen. Eine balneotherapeutische Skizze, von Dr. A. Reumont. (Abdr. a. d. med. Ztg. Russ- lands.) 8. Aachen, Benrath und Vogelgesang, 1856. 184 in 8—18 Monaten essbare Wurzeln trägt. Auch er- fordert die Zubereitung des Brodes manche Vorrichtun- gen und manche Arbeit. Die Indianer Amerika’s hacken die röthlichen, inwendig aber schneeweissen Wurzeln heraus, schaben die dünne Haut mit einem Messer ab, waschen die Wurzel und halten sie dann mit der Hand gegen die Falze eines Rades, das mit einer durchlöcher- ten und daher rauhen Kupferschiene überzogen ist. Das Rad hat 4—5’ im Durchmesser und wird von 2 Men- schen gedreht. So fällt die abgeschabte Masse in einen Trog, aus welchem sie in einen langen Sack gelhan wird, der aus Baumrinden wie ein Korb geflochten und etwa 4° weit ist. Dieser Sack kommt unter eine Presse, dann wird das Mehl durch ein Sieb geschlagen und auf einem flachen Geschirr über Feuer unter beständigem Umrühren gedörrt. Das ungedörrte Mehl wird gleich zu Brod gebraucht, das binnen zwei Tagen gegessen wer- den muss; das gedörrte hingegen lässt sich ein Jahr lang aufbewahren. Das Vieh frisst roh alle Arten dieser Wurzel und wird dabei fett; der ausgedrückte Saft schmeckt süss und wird gierig von den Thieren gefressen, die aber bald daran sterben, wie die Menschen. Auch die Blätter der Pflanze werden als Gemüse gegessen und sollen selbst ein Heilmittel gegen den Saft sein. (Schluss folgt.) Miscelle. [ES> Atlas der Pflanzen-Geographie über alle Theile der Erde für Freunde und Lehrer der Botanik und Geographie nach den neuesten und besten Quellen entworfen von Ludw. Rudolph, Oberlehrer in Berlin. Nicolai’sche Buchhandl. in Berlin. Fol. 9 Karten mit Erklärung. — Die- ser Atlas ist hauptsächlich auf Grund von Meyen’s Pflan- zengeographie entworfen. Es sind sowohl die den Vegeta- tionscharakter der Länder bezeichnenden Bäume u. s. w., als auch die in demselben vorzüglich cultivirten Pflanzen berück- sichtigt und auf neun Karten mit Schrift von verschiedener Farbe eingetragen. Zur besseren Erläuterung und zu voll- ständigerer Erklärung dient das Werk: „Die Pflanzendecke der Erde“ von demselben Vf., von welchem wir oben beson- deren Bericht geben. unde. zusammengefasste Schilderung Aachens herausgegeben, wo- raus wir das auf die Inhalationskuren Bezügliche ausheben. „War bereits früher bei der allgemeinen Einwirkungs- weise der aachener Therme die auf die gesammten Schleim- häute hervorgehoben, so ist es speciell die Schleim- haut des Respirationsapparates, auf die das aachener Wasser seinen wohlthätigen Einfluss ausübt. Vor Allem kommt hier der chronische Katarrh des Larynx und der Bronchien in Betracht. Helfft sagt in seiner trefflichen Balneotherapie (1854) über die speciellen Indicationen der Schwefelthermen in dieser Be- ziehung: „Haben wir es mit Individuen zu thun, wo gleichzeitig eine Plethora abdominalis vorhanden ist, mit pastösen, phlegmatischen Constitutionen, wo die Leber nicht gehörig functionirt, so sind die heissen Schwefel- quellen, wegen ihrer mehr eingreifenden Wirkung auf das Venensystem und besonders wegen ihres Gehalts an alkalisch - salinischen Bestandtheilen mit Vorherrschen der Natronsalze, zu verordnen. Durch kräfligere Anregung zu schnellerer Steffmetamorphose rufen sie eine mässige Umstimmung im ganzen Assimilations- und Reproductions- processe hervor und befördern alle Exeretionen.“ Von besonderer Wirksamkeit ist in solchen Zustän- den die Inhalation der Thermaldünste; die Einrichtungen für dieses anerkannt treflliche Mittel sind zur Zeit noch sehr unvollständig, sollen jedoch beim Neubau des Badehauses unserer Haupttherme, der Kai- serquelle, in vollem Maasse berücksichtigt werden. Hier- mit sollten auch Einrichtungen für eine Wintercur in Verbindung gebracht werden, indem durch die natürliche Wärme unserer Thermen eine stets gleiche Temperatur hervorgebracht werden kann. Es braucht hier nicht nä- her darauf eingegangen zu werden, von welcher Heil- samkeit eine feuchtwarme, mit gewissen Gasarten und Salzpartikeln geschwängerte Atmosphäre in vielen chro- nischen Brustaffectionen sich zeigt. In einer Denschrift (1853) habe ich die Wichtigkeit dieser Methode der An- wendungsart unserer Therme beleuchtet und mich dabei namentlich auf Vernet bezogen, wo durch solche Inha- lationscuren (salle d’aspiration) die schönsten Resultate erzielt werden (vergl. in dieser Beziehung den KRapport sur le service medical des etabliss. therm. de France par Patissier 1852). Bei asthmatischen Beschwerden, die so häufig im Gefolge chronischer Catarrhe auftreten, be- dienten sich schon die älteren Aerzte (u. A. mein Va- ter) der Inhalationscur mit grossem Vortheil. Methoden der Anwendungsart der aachener Thermen. Es gibt deren fünf: 1) Die Trinkcur. 2) Das allgemeine Bad. 3) Die Douche. 4) Das Dampfbad. 5) Die Inhalationscur. Es kann bei dieser Veranlassung unsere Absicht nicht sein, eine vollständige Beschreibung der methodi- schen Anwendungsart der aachener Thermen zu geben; wir heben hier nur einzelnes Wichtige und Charakteristi- sche hervor. Viele seiner vortrefllichen Erfolge hat Aachen den ausgezeichneten Douche- und Dampfbad-Einrich- tungen zu verdanken. Schon die aus alter Zeit stam- mende herabfallende Douche war in Aachen bei Weitem zweckmässiger eingerichtet, als die feuerspritzen- 186 ähnlichen transportabeln Douchemaschinen so vieler Bä- der, die sich sonst durch moderne Eleganz auszeichnen. Die jetzt in allen Badehäusern eingeführten verbesserten Apparate für die Douche lassen an Zweckmässigkeit nichts zu wünschen übrig. Die Einrichtung ist einfach: das Mineralwasser wird in ein Reservoir hinaufgepumpt, das gewöhnlich in einer Höhe von 25 Fuss angebracht ist; die für jedes Bad aus demselben hinabführenden bleier- nen Röhren enden in einen biegsamen Schlauch, so dass man dem Strahl die erforderliche Richtung zu geben im Stande ist. Durch Aufschrauben der Mündung am Schlauch kann man die Dicke des Wasserstrahls beliebig reguli- ren; durch Aufsetzen verschiedener, z. B. siebartiger Apparate ist es möglich, die Form des Douchebades zu verändern und in ein Regenbad zu verwandeln. Die Wärme des Douchewassers wird auf Anordnen des Arztes durch eine eigene Vorrichtung genau regulirt. In mehreren Badehäusern bestehen auch zweckmäs- sige fontainearlige Einrichtungen für aufsteigende Douchen, die hauptsächlich bei Uterinkrankheiten be- nutzt werden. Um den kräftigen Strahl der Douche einestheils zu brechen, anderntheils die resorptionsbefördernde Wirkung noch zu erhöhen, sind geübte Badediener und -Dienerin- nen (hier Frotteurs und Frotteuses genannt) angestellt, welche mit dem Kranken in’s Bad steigen, den Strahl der Douche reguliren und mit höchst geschickter Hand den von derselben getroffenen Theil reiben und streichen. Einen grossen Theil des Rufes, den die aachener Dou- che geniesst, muss man der Geschicklichkeit dieser Per- sonen zuschreiben, was auch von Aussen anerkannt wor- den, indem noch vor wenigen Jahren einer unserer be- sten Frotteurs nach Warmbrunn in Schlesien beschieden wurde, um daselbst in der hiesigen Frottirmethode zu instruiren. Die Douche ist ein heroisches, kräftig einwirkendes Mittel, welches mit Vorsicht und Mässigung angewendet werden muss. Sie hat eine zertheilende (resorptionsbe- fördernde), erweichende, oft auch eine reizende Wirkung, und entwickelt desshalb eine grosse Heilkraft bei Anky- losen, Steifigkeit der Glieder, metastatischen Lähmungen, Anschwellungen u. s. w. Auch ist sie ein kräftiges Mit- tel, um Entzündung und Eiterung in einem Theile zu erregen, zum Zwecke, fremde Körper zu entfernen, auch um Narbeu wieder zu trennen. Die Dampfbäder, welche jetzt in allen Badehäu- sern eingerichtet sind, entstehen aus den natürlichen Dämpfen (Gasgemisch, salzige und organische Partikeln, Wasserdampf) des Thermalwassers, indem dieses in einem Canal über Steinstücke hinabfällt und so eine starke und schnelle Entwickelung der Dämpfe bewirkt, welche durch eine Oeffnung in einen darüber gestellten Kasten dringen, in dem der Kranke seinen Sitz nimmt, jedoch so, dass der Kopf durch eine oben angebrachte Oeffnung frei bleibt. Die Dämpfe haben meist eine Temperatur von 35° R. 187 (44° C.). Sollen bloss einzelne Theile (z. B. eine oder andere Extremität) der Einwirkung der Dämpfe ausge- setzt werden, so dienen dazu kastenartige Aufsätze, wel- che über der Oeffuung angebracht werden. Nach dem Bade wird der Kranke in ein wohlgewärmtes Bett ge- bracht, in welchem der durch die Dämpfe erregte Schweiss befördert und abgewartet wird. Die Dampfbäder wirken zunächst auf die äussere Haut, indem sie locale Congestion nach derselben her- vorrufen und eine Reizung auf die Hautnerven ausüben; zugleich hat der Wasserdampf noch eine eindringende und erweichende Kraft. Ihre Wirkung ist daher eine mächtig schweisserregende, erweichende und zertheilende, daher auch von inneren Theilen ableitende. Bereits oben wurde hie und da ihrer speciellen Indicationen gedacht. Specifisch ist namentlich ihre Wirkung beim Mereurialis- mus und oftmals sieht man bei ihrem Gebrauch Speichel- fluss und Geschwüre entstehen; aber auch bei Haut- krankheiten, namentlich gegen Ende der Cur, und bei rheumatischen und gichtischen Krankheitsformen, sind sie von ausgezeichnetem Werthe. Die Vorrichtungen zu Inhalations- und damit in Verbindung stehenden Wintercuren sind, wie schon oben bemerkt, zur Zeit noch unvollständiger Art, sehen aber ihrer Vervollkommnung entgegen. Die jetzigen Ap- parate bestehen in röhrenartigen Aufsätzen von Zink, die über der Oeffnung, aus der die Dämpfe für die Dampf- bäder dringen, befestigt werden und an denen sich ver- schiedene Vorrichtungen für das Einziehen derselben durch den Mund, die Nase, oder zur Application auf den äus- seren Gehörgang befinden. Von der Wirkung war be- reits die Rede. Die aachener Badehäuser sind des grossen Rufes würdig, den die Thermen geniessen, zweckent- sprechend eingerichtet, mit Ausnahme eines, des Kaiser- bades, dessen Neubau bevorsteht. Mit dem Fortschritte der Zeit haben auch sie bedeutende Verbesserungen er- fahren und es giebt gewiss keinen Badeort, in welchem die Badecabinette (zu jedem Bade gehört noch ein Vor- zimmer) so geräumig und reinlich, die Bäder selbst, welche alle aus Marmor aufgemauert sind, so umfang- reich und tief, namentlich aber die Douche- und Dampf- bäder in solcher Vollendung anzutreffen sind. Da die aachener Thermen mit einer Temperatur von 36 —44° R. (45 — 55° C.) zu Tage treten und die Bäder gewöhnlich nicht unter 26° R. und selten über 30° gegeben werden, so bestehen ausser den grossen Abkühlungs-Reservoirs (die während der Höhe der Sai- son nicht ausreichen) einige sinnreiche Vorrichtungen, um das Thermalwasser auf die gehörige Badewärme zu bringen. So hat man im Rosenbade ein offenes, mit ei- nem Dach bedecktes Bassin angelegt, welches mit kaltem Brunnenwasser gefüllt wird; durch dasselbe laufen eiserne Röhren, die schlangenförmig das kalte Wasser durch- streichen. Durch diese Röhren wird das Thermalwasser 183 geführt und läuft so abgekühlt in ein zweites Bassin, aus dem es für die Bäder benutzt wird. Durch diese Vorrichtung verliert das Wasser so wenig wie möglich an Gasgehalt. Zu allen Zeiten ist man in Aachen da- rauf bedacht gewesen, das Thermalwasser nie durch. ge- wöhnliches kaltes Wasser abzukühlen, d. h. es unver- fälscht zu erhalten.“ Ueber Knochenverjüngung. Von Prof. Schultz - Schultzenstein (Berlin). In der Hufeland’schen Gesellschaft zu Berlin hat der Verf. neue Beobachtungen über Knoehenverjüngung mitgetheilt und dieselben durch Vorzeigung von Präpara- ten zusammengestellter Vogelknochen und Baumstämme er- läutert, um die Aehnlichkeiten und Verschiedenheiten bei- der darzuthun. Zum Verständniss der Sache schickte der Verfasser voraus, dass wir bis jetzt zwei Knochenbil- dungs- und Regenerations - Theorieen besitzen, die nicht immer gehörig unterschieden worden seien, obgleich es zur Vermeidung von Unklarheiten nothwendig erscheine. Die erste und älteste dieser Theorieen ist die von dem Pflanzenphysiologen Duhamel du Monceau, der die Knochenbildung mit der Holzschichtenbildung der Bäume und die Verheilung gebrochener Knochen mit dem An- heilen des Pfropfreises an einen Baumstamm verglich, wobei die neue Knochenschichtenbildung so von dem Pe- riost der Knochen. wie die Holzschichtenbildung von der Rinde ausgehend betrachtet wurde. Die gebrochenen Knochenenden selbst verheilen hier nicht unter einander, sondern sie werden durch neue, vom Periost aus sich: bildende Schichten, welche den Callus bilden, auf dieselbe Art, wie das Pfropfreis mit dem Stamme durch von der Rinde ausgehende neue Wulstschichten von Holz, welche sich um die Pfropfstelle bilden, vereinigt, indem die auf- gesetzten Pfropfreiser selbst für immer von der Wund- stelle des Pfropfstammes getrennt bleiben. Für diese Theorie ist die Ablagerung rother Schichten auf Knochen nach Fütterung -mit Färberröthe, das Abblättern todter und nekrotischer Knochen, sowie die Verbreitung getrennt bleibender Knochenenden durch Ueberlagerung von Callus schon von Duhamel geltend gemacht und von Flou- rens durch seine berühmten neuen Versuche über die Färbung des Skelettes junger Thiere bestätigt worden. Die zweite Knochenbildungstheorie rührt von Scarpa her. Hiernach geschieht die Knochenbildung nicht vom: Periosteum, sondern vom Mark oder doch von innen, und die Verheilung gebrochener Knochenenden geschieht durch Auflockerung oder Anschwellung der Knochen. selbst, so dass der Callus durch diese Anschwellung, und nicht durch neue Schichtenbildung vom Periosteum aus gebildet: ist und die gebrochenen Enden als unmittelbar unter ein-. ander verschmolzen angenommen werden, ‚Nach der Dw- hamel’schen Theorie wird dem Periost bei der Knochen- a bildung die wichtigste Funktion zugeschrieben; nach der Searpa’schen ist das Periost fast ohne Einfluss. Die Beobachtung, dass oft die gebrochenen Knochenenden selbst zusammengeheilt erscheinen, hat später zu der Idee des provisorischen Callus geführt. Eine andere Modification der Duhamel’schen Theo- rie ist neuerlich vom €. W. Klose vorgetragen, nach der zwar die Knochenbildungen vom Umfange des Kno- chens, aber nicht vom Periost, sondern von den umge- benden Muskelschichten und deren Gefässen ausgehen, der Knochen selbst keine Regenerationsfähigkeit besitzen soll, wogegen man jedoch den augenscheinlichen Einfluss der Wunden des Periosts auf das Nekrolisiren der darunter gelegenen Knochen geltend gemacht hat. Prof. Schultz- Schultzenstein zeigte in Beziehung hierauf einen verheilten Knochenbruch an dem Laufknochen eines Vo- gels (Huhnes) vor, der gar nicht von Muskeln umgeben ist, aber dennoch wie andere Knochen verheilt erscheint, so dass die Muskeln keinen Antheil an der Knochenre- generation haben können. Damit sind aber die anderen Fragen noch nicht erledigt. . Der Vortragende betrachtet nun die Knochenregene- ralion unter dem Gesichtspunkte der Verjüngung und zeigt, dass die Analogie der verheilten Knochenenden mit dem Anheilen des Pfropfreises an dem Stamme allerdings eine Zeit lang besteht, aber später der Unterschied der äusseren Pianzenverjüngung (Anaphytose) von der in- neren thierischen Verjüngung hervortritt, wodurch sich Verschiedenheiten der zusammengeheilten Pfropfreiser bei Pflanzen von den verheilten Knochen erzeugen, welche ohne die Kenntniss des Unterschiedes der inneren und äusseren Verjüngung nicht haben enträthselt werden kön- nen, so dass deshalb mancherlei Irrthümer entstanden sind. In diesem Betracht ist besonders der bisher uner- klärt gebliebene Widerspruch hervorgehoben, dass Einige mit Duhamel ein beständiges Getrenntbleiben der ur- sprünglich gebrochenen Knochen annehmen, während An- dere mit Scarpa an eine unmittelbare Verschmelzung der gebrochenen Knochenenden selbst glauben. Dieser Widerspruch ist durch die Annahme eines vom Periost ausgehenden provisorischen Callus, der später durch ei- nen anderen, vom Muskel ausgehenden ersetzt werden soll, nicht aufgeklärt worden, da die Sequesterbildung deutlich eine für immer von der Peripherie ausgehende Neubildung des Knochens zeigt, und ein Nachweis der Fälle, in denen auch eine zweite Bildungsart der Kno- chen vom Marke aus stattfinden sollte, nicht gelungen ist. Zunächst sind hier die Thatsachen festzustellen, ob die gebrochenen Knochenenden nach der Heilung getrennt bleiben oder selbst unter einander verschmelzen. Bisher hat man nun entweder das Eine oder das Andere nach Duhamel oder Scarpa angenommen. Prof. Schultz- Schultzenstein zeigte zwei nach Brüchen geheilte Vi en vor, von denen die verheilte Bruchstelle des einen deutlich die noch getrennten, nur durch über- gelagerten Callus zusammengehaltenen Bruchenden zeigte, 190 während der andere Knochen die alten Bruchstellen ver- schwunden und die Knochenenden völlig verschmolzen zeigte. Dasselbe kann man auch an Säugethier- und Menschenknochen sehen, von denen einige die Bruchen- den völlig getrennt und nur von Callus umlagert, andere die Bruchenden völlig verschmolzen zeigen. Duhamel hatte also Unrecht, die verheilten Knochen immer als getrennt, Scarpa Unrecht, sie immer als verschmolzen zu betrachten. In dem ersten Falle (dem jüngeren Zustande) zeigte sich noch die vollständigste Analogie mit dem getrennt bleibenden Pfropfreise an der Pfropfstelle eines Baumes, wie die vorgezeigten Durchschnitte von Pfropfstellen [meh- rerer Bäume deutlich veranschaulichen; im zweiten Falle (dem späteren Zustand) leuchtet die Verschiedenheit ein, dass die früheren Bruchenden der Knochen verschmolzen sind, während der Verf. einen 25 Jahre alten Pfropf- stamm eines Spalierapfelbaumes vorzeigte, der im Innern das getrennte Pfropfreis noch ebenso wie eine ein- oder zweijährige Pfropfstelle zeigte. Diese Verschieden- heiten innerhalb der vorhandenen Analogie bleiben also aufzuklären. Nach S.'s Beobachtnngen zeigen alle frischen ver- heilten Knochen noch die getrennten Bruchstellen , die nur von Callusumlagerungen zusammengehalten werden. Dieser Zustand ändert sich aber später gänzlich, indem nach längerer Zeit die Bruchstellen völlig verschmolzen erscheinen. Die Hauptfrage ist, wie das geschieht, ob durch einen vom Mark oder Knochenende selbst ausge- henden späteren Callus oder auf eine andere Art. Vom Marke der Bruchenden kann die Verschmelzung nicht ausgehen, da das Mark selbst an dieser Stelle obliterirt, die Bruchenden aber in dem Maasse, als sie von neuen Schichten umgeben werden, ebenfalls einschrumpfen und resorbirt werden. Die Verschmelzung der gebrochenen Kno enden ist vielmehr nur scheinbar, indem mit der Zeit der ganze Knochen sich von Aussen nach Innen verjü und da- mit auch die Bruchenden colliquescirt und resorbirt und in demselben Maasse durch verjüngte Schichten ersetzt werden, so dass die gebrochenen Enden selbst in Wirk- lichkeit niemals verschmelzen; hierin zeigt sich nun der Unterschied der Knochenverjüngung von der Schichten- anaphytose der Pflanzen, indem die älteren Holzschichten im Innern eines Baumes und so auch die Pfropfstelle, nie- mals resorbirt und von Innen ausgeworfen werden, sondern dauernd bleiben, während immer mehr Schichten in die Dicke von aussen aufgelagert werden, so dass der Baum immer und unbegränzt an Dicke zunimmt, der Knochen aber ein in die Dicke begrenztes Wachsthum hat, indem er sich vom Umfange gegen die Mitte immer wieder zusammenzieht. Die Analogie des Schichtenwachsthums der Hölzer der Bäume mit den Knochen ist desshalb unvollkommen ge- blieben, weil man die Eigenthümlichkeit der Verjüngung überhaupt und die Verschiedenheiten derselben im Pflan- 191 zen- und Thierreiche nicht gelrennt hatte. Die Schich- tenanaphytose ist die Grundlage der Knochenverjüngung, die aber nicht Anaphytose bleibt, sondern in innere Ver- jüngung übergeht. Daher ist der Knochenbruch in der ersten Zeit noch einem Pfropfstamm ähnlich, während später die getrennten Enden in dem Callus verschwinden. Der Callus verhält sich bei der Knochenverjüngung wie die normalen Knochenschichten. Es wird nicht zweier- lei Callus, von Aussen und von Innen, gebildet, sondern der zuerst gebildete Callus wird allmälig nach Innen ge- schoben und von Innen resorbirt in dem Maasse, als sich neue Schichten von Aussen anaphytotisch auflegen. In demselben Maasse wird auch der gebrochene als der ältere Theil des Knochens resorbirt und durch neue Schichten von Aussen ersetzt. Diese neuen Schichten bilden dann die continuirliche Vereinigung der Bruchstelle, nicht aber die Verschmelzung der alten Bruchenden selbst. Durch diese Art der Verjüngung wird bewirkt, dass der Knochen nicht unbegrenzt in die Dicke wächst, wie der Baum, sondern dass sogar der Anfangs dicke Callus mit der Zeit sich wieder ebnet und die angeschwollene Bruchstelle wieder dünner wird, was bei der Pfropfstelle eines Baumes niemals geschieht, weil den Pflanzen die innere Verjüngung fehlt. Das Knochenwachsthum ist, wie alles lebendige Wachsthum, eine fortdauernde Verjüngung, in der der Verjüngungsaet von Neubildung und Mauser den Fluss der Lebensbewegung bilden. Dabei sind die beiden Arten, der äusseren Verjüngung (Anaphytose) der Pflanzen und der inneren thierischen, zu unterscheiden. Die Anaphy- tose bildet jedoch, als niedere Stufe, wieder die Grund- lage der thierischen Verjüngung, und wiederholt sich da- her in mancherlei Formen von Schichtung, Gliederung und Verzweigung der inneren Organe der Thiere. Die Mauserschichten und Mauserglieder, die bei Pflanzen per- manent sind, müssen im Fluss der thierischen Verjüngung immer colliquescirt und von Innen ausgeworfen werden, da ein äusseres Abwerfen auch bei den Knochen nicht möglich ist. Stockt der Fluss dieses Mauserprocesses in Krankheiten, so sinkt die thierische Verjüngung wieder auf die Stufe der Anaphytose zurück, indem dann durch fortlaufende Aufschichtung die trockenen Anschwellungen entstehen. Darin liegt das Wesen der Krankheit und auch der Knochenkrankheiten, welche in diesem Sinne, wie die Rhachitis, als ein Vegetiren erscheinen, wobei 192 die innere Verjüngung stockt und die Geschwulst eine nothwendige Folge der fortlaufenden Aufschichtung ohne Abwurf ist. (Allgemeine med. Central- Zeitung, 1856 No. 85.) ACR Miscellen. Die Heilung einer chronischen Bleivergift- ung mit heftigem Kopfschmerz und mehrfachen Lähmungen wurde nach dem Berichte des K. k. allg. Krankenhauses in Wien durch 19tägigen Gebrauch von Chlorbrom (täglich & Tropfen in 2 Unzen Wasser) bewerkstelligt. (Oester. Ztschr. f. prakt. Heilk. 1857 No. 1.) Ein raschwirkendes Blasenzugmittel wird aus Ammonium pur. lig. £ Thl. und Oel 2 Theile gemischt und auf Baumwolle aufgegossen. Fünf Minuten nach dem Auf- legen stehen linsengrosse Blasen auf der Haut, welche man aufstechen kann, um Morphium endermatisch anzuwenden. Chinin gegen Neuritis phrenica. Im wiener Bezirkskrankenhause Wieden wurde ein solcher Fall bei einem 20jährigen kräftigen Mann, der mit sehr heftigem schmerz- haften Singultus, Empfindlichkeit der Magengrube und Schmerz an den Anheftungsstellen des Zwerchfells (wie früher schon 2mal) aufgetreten war, mit 5 Gran schwefelsauren Chinins Morgens und Abends mit dem günstigsten Erfolge behandelt. Die Anfälle wurden von Tag zu Tag seltener und milder, während sie im Anfange oft nur wenige Minuten ausgesetzt hatten. Nach 6 Tagen war die Heilung vollständig. (Ztschr. d. Doct.-Collegiums 1. 1357.) Uva ursiist ein Surrogat der Ergotine. Dr. Harris hat es nach den Bullet. de Therapeutique in 5 Fällen erprobt, indem er durch ein starkes Decoct der Blätter starke Treibwehen hervorrief. Die Zusammenziehungen sollen weni- ger schmerzhaft gewesen sein als nach dem Gebrauch des Mutterkorns. Eine Herzkrankheit durch Veratrin geheilt, ist in dem Spital zu Bordeaux beobachtet worden; der Kranke, 56 J. alt, hatte seit Jahren Husten, Beklemmung, Herzklo- pfen und Oedem der Füsse. Bei der Aufnahme ins Spital war das Herzklopfen sehr heftig, von einem starken Raspel- geräusch begleitet, Dyspnöe, Meteorismus, unregelmässiger Puls von 120, dabei sehr starkes Oedem. Nun wird einen Monat lang Veratrin gegeben, in Pillen von 1/, Gran, Anfangs täglich 2, dann 4, 6 bis 8. Diese haben keine unmittelbare Einwirkung und werden ganz leicht ertragen, machen biswei- len etwas Verstopfung. Dagegen wird der Puls verlangsamt und regelmässig. Nach 3 Wochen ist kein Raspelgeräusch mehr walırzunehmen, der Puls 80, das Qedem ist vermindert; nach 4 Wochen Puls 60, normaler Herzschlag. Die Herstell- ung ist jetzt vollständig.. Das Veratrin hat rein sedativ ge- wirkt, wahrscheinlich bestand die Krankheit in einer Endo- carditis. (Journ. de Med. de Bordeaux. Avıil 1856.) Bibliographische Neuigkeiten. W. — Franc. Bonucci, Fisiologia e patol. deil’ anima umana, 16. Firenze. 16 Paoli. N. Pringsheim, Zur Kritik und Geschichte d. Untersuchungen über d. Algengeschlecht. 8. Hirschwald in Berl. 14 Tlılr. S. Th. Ebel, Beschreibung d. preussisch. Laubmoose. gr. 4. Gräfe und Unzer in Königsberg. 1/, Thlr. Arbeiten der geologischen Gesellschaft für Ungarn. v. Kovats. 1. Hft. 4 Thlr. 24 Sgr. A. Poppe, Chronologische Uebersicht d. Erfindungen und Ent- deckungen a. d. Gebiete der Physik, Chemie, Astronomie und industriellen Technik von d. ältesten Zeiten bis auf unsere Tage. gr. 8. Keller in Frankfurt a.M. 2, Thlr. Von Lex.-8. Pest, Braumüller in Wien. Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena, Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. I. Band h% 13. Naturkunde. L. Rudolph, Culturpflanzen mit Knollenwurzeln, (Schluss.) — Schlossberger, Bemerkungen zur Chi- tinfrage. — Cohn, Ueber einen merkwürdigen Blitzschlag. — Miscelle. Kühne, Künstlicher Diabetes bei Fröschen. — Heilkunde. C. A. W. Richter, Ueber Abhärtung durch Wasserkuren. — Miscellen. Dumont, Einfluss der Pocken auf das Erblinden. — Blount, Bezeichnung der Sinnestäuschungen. — Bibliographie. Naturkunde. Culturpflanzen mit Knollenwurzeln. Von L. Rudolph (Berlin). (Schluss.) 4. Die Batate oder Camote. Ipomoea tuberosa, Convolvulus Batatas. Von dieser Pflanze, welche wieder einer ganz an- deren Familie, nämlich den Winden angehört, werden vorzugsweise zwei Arten gezogen, Ipomoea tuberosa auf den westindischen Inseln, Convolvulus Batatas im gan- zen wärmeren Amerika, in Ostindien, so wie auch in Afrika und in Europa selbst bis gegen den 10. Grad der Breite. Die Batate, in den spanischen Kolonieen fast allgemein Camotes genannt, gehört ursprünglich der neuen Welt an und vermuthlich auch den Südseeinseln. Sie verlangt eine sehr grosse Wärme und wird in den Tro- pengegenden überall gezogen; da sie aber eine einjährige Planze ist, so kann sie auch noch ausserhalb der Wende- kreise angebaut werden, nämlich überall da, wo in den Sommermonaten eine tropische Wärme erreicht wird. Die Batate (C. Batatas) ist ein kriechendes Kraut, dessen Stengel 6— 9 weit laufen, ohne jedoch zu klettern ; sie hat 4° grosse, herzförmige oder fast Slappige Blät- ter und Blumen wie die Winden. Ihre Wurzeln sind denen der Kartoffel sehr ähnlich, aber süsser, wesshalb sie auch oft kurzweg süsse Kartoffel genannt wird. Sie ist sehr nahrhaft, leicht verdaulich und gesund, so dass in manchen Ländern Amerika’s die Sclaven fast das ganze Jahr hindurch nichts als Bataten und Mais essen. Am besten gedeiht die Camote in einem heissen, aber trocke- nen Klima. Ihre Knollen erreichen hier eine Grösse von 2, 3 und 4 Fäusten, sind mehlig und von einem so angenehmen Geschmacke, dass sie den Kartofleln weit vorzuziehen sind; besonders in heisser Asche gebacken, schmecken sie ganz vortreflich, In Südamerika, in dem Thale von Arequipa, in einer Höhe von beinahe 8000 Fuss findet man die Camoten von vorzüglicher Güte; ganz anders dagegen werden sie in einem heissen und feuchten Klima, wie z. B. in Ostindien und im südlichen China, wo gerade im Sommer die Regenzeit ist. Hier zeigt sich die Knolle im gekochten Zustande weichlich, kleisterartig und von unangenehm süssem Geschmacke; jedoch auf den Südseeinseln schon ist sie von grösserer Güte. Es giebt eine Menge Abarten dieser Wurzel, doch werden fast überall nur zwei derselben gebaut, eine mit gelber und eine mit weisser Knolle; am Mittelmeer wird auch eine Varietät mit rother Knolle gezogen, das In- nere ist jedoch bei allen weiss und voll Milchsaft; die grössten sind etwa 1 Pfd. schwer. Der Anbau geschieht fast ganz wie der der Kartoffel. Diese Wurzel erfordert die geringste Arbeit unter allen essbaren Knollen und giebt den meisten Ertrag; sie wächst auch in jedem Bo- den, bringt aber Blumen und Früchte nur auf magerem. Als allgemeines Nahrungsmittel ist indessen die Batate nirgends von der grossen Wichtigkeit wie bei uns die Kartoffel und die Getreidearten, und wie im heissen Ame- rika die Maniokawurzel und der Mais. Ausserdem, dass man die Bataten auf mancherlei Weise zubereitet isst, eben so wie bei uns die Kartoffeln, wird aus dem Mehl auch Brod gebacken; ferner brennt man Branntwein da- raus, füttert Schweine, Ziegen, Kühe und Pferde damit und benutzt die jungen Blätter auch als Gemüse. 5. Die Igname oder Yamswurzel, Dioscorea alata. Diese Pflanze bildet für sich eine besondere Familie, welche von allen vorher erwähnten wesentlich abweicht. Die Blätter der Pflanze haben Achnlichkeit mit denen unserer Maiblumen, die Blüthen sind klein Au gi wie 1 195 Spargelblüthen. Das Wesentlichste für unseren Zweck ist die mächtige Wurzelknolle, welche die enorme Grösse von 3 Fuss erreicht, rundlich oder länglich gestaltet, zuweilen selbst ein- oder zweimal gespalten ist und in heissen und feuchten Gegenden ein Gewicht von 30—40 Pfd. erlangt. Ihre äussere Rinde ist grau oder braun, inwendig dagegen sieht sie weiss, röthlich oder violett aus. Der Stengel der Pflanze steigt hoch empor; des- wegen steckt man lange Rohrstäbe neben die in die Erde gelegten Knollenstücke, damit die kletternden Stengel sich darum winden können. Das Vaterland dieser Pflanze ist Ostindien, wenig- stens wird sie daselbst noch wild gefunden, von dort aus hat sie sich aber nach den Inseln des indischen Oceans und den Südseeinseln verbreitet, wo sie allgemein angepflanzt wird, und zwar mit vieler Sorgfalt; denn nicht nur, dass die Erde umgegraben wird, das Land muss auch fleissig gejätet, und die Pflanzen müssen be- putzt werden. Erst nach 5 Monaten, im April, sind die Wurzeln reif, halten sich aber ein Jahr lang. Ausser- dem werden sie auch in Afrika, Amerika, Neuholland häufig im Grossen angebaut. Am allgemeinsten ist die Pflanze unter dem Namen Yams bekannt; die Benennung „Igname“ ist amerikanisch. Uebrigens cultivirt man sie nicht nur in der ganzen tropischen Zone, sondern noch weit tiefer gegen Süden hinab, denn Cook fand sie auch auf Neuseeland. Gegen Norden findet ihr Anbau unter den- selben Breitegraden wohl nicht statt. In Hinsicht ihres Wohlgeschmacks steht diese Wurzel der Batate weit nach ; doch verliert sie ihre natürliche Schärfe und Bitterkeit durch Einweichen in Wasser, so wie durch Kochen und Braten und wird dann wohlschmeckend. Sie ist sehr nahrhaft und liefert das sogenannte Mandioccamehl, wel- ches theils als Mehlspeise, theils als Brod die gewöhn- liche Nahrung der Eingeborenen wie der Reisenden ist. Wo Reis wächst, kümmert man sich übrigens wenig da- rum, weil ihr Anbau zu viel Arbeit macht. Die Felder müssen trocken liegen, man wählt sie daher am Fusse der Gebirge. Die rohen Knollen erregen Brennen an den Händen, weshalb man sich hüten muss, sie ins Gesicht zu bringen; also auch diess Knollengewächs ist nicht ohne giftige Eigenschaften, doch soll der Saft der Blät- ter gut gegen den Biss der Scorpione sein, und das Pulver der Wurzel, auf böse Geschwüre gestreut, eine gute Heilkraft äussern. 6. Die Oca. Oxalis tuberosa. Diese Pflanze wird nur auf der Cordillere von Me- zico, Peru und Chile gebaut und hat demnach ihr Vater- land wohl in Peru. Unter 11—12° s. Br. steigt ihre Cultur bis über 8000’ hinaus, und auch in Mexico soll sie mit der Kartoffel und der Quinoa nur in den kälte- sten Regionen gezogen werden. Werfen wir nun noch einen Rückblick auf die eben 196 betrachteten Nahrungspflanzen, so erscheint es zunächst interessant, dass wir sie mit Ausnahme der Arons- und der Yamswurzel, die dem Orient entstammen, sämmtlich aus der neuen Welt erhalten haben. Während also in der alten Welt die Getreidearten ursprünglich das Ueber- gewicht über die Knollengewächse hatten, fand in Ame- rika, das uns an Getreidearten nur den Mais geliefert hat, ursprünglich ein Uebergewicht der Knollengewächse über die Cerealien statt. Durch die Cultur ist diese Ver- schiedenheit zwischen den beiden Continenten allmälig ausgeglichen worden. Durch den Anbau der Kartoffel hat sich die Cultur der Knollengewächse über die ganze Erde ausgedehnt; diese wichtige Pflanze aber ist es allein, die in den gemässigten und kalten Erdstrichen gezogen werden kann, alle anderen Knollengewächse sind nur in den Tropen Gegenstand der Cultur. Besonders ersetzen ‘die Aronswurzel im feuchten und die Maniokawurzel im trockenen Erdreich den tropischen Gegenden die Kartoffel, die dort weniger gerathen will, während die Batate und Yamswurzel wohl nicht über die Wendekreise hinaus- gehen, dafür aber auch nirgend von der Bedeutung sind wie die drei zuerst beschriebenen Gewächse. Obgleich nun jede dieser Pflanzen einer anderen Familie des natürlichen Systems angehört (die Kartoffel den Solanaceen, die Aronswurzel den Aroideen, die Ma- nioka den Euphorbiaceen, die Batate den Convolvulaceen, die Igname den Dioscoreen und die Oca den Oxalideen), so haben sie doch alle, mit Ausnahme der Batate viel- leicht, narkotische Eigenschaften; einige können sogar die nachtheiligsten Wirkungen, selbst den Tod herbeifüh- ren, wenn sie unvorsichtig angewendet werden. Nichts- destoweniger hat der Mensch es verstanden, die genann- ten Uebelstände zu beseitigen; er hat der Natur diese Gewächse, die ihm ursprünglich feindlich entgegentraten, gleichsam abgerungen, und unter seiner Hand haben sich dieselben durch alle Zonen der Erde verbreitet. Als Nahrung für Menschen und Vieh sind sie jetzt unentbehr- lich geworden und neben den Getreidearten unbedingt als die wichtigsten Culturpflanzen der Erde zu betrachten.“ Bemerkungen zur Chitinfrage. Von Prof. Schlossberger (Tübingen). Vor mehr als 30 Jahren hat bekanntlich Odier aus den Hautbedeckungen der Käfer und Krebse eine Substanz isolirt, die er als fest, durchscheinend, unlös- lich in Kali, löslich in erwärmten concentrirten Mineral- säuren, beim Verkohlen nicht schmelzend beschrieb und Chitin (von xırwv, Panzer) benannte. Seine Charakteri- stik des Arthropoden-Chitins wurde von seinen Nachfolgern durchaus bestätigt, dagegen der Angabe ent- schieden widersprochen (Lassaigne, €. Schmidt u. s. w.), dass dieses Chitin stickstofffrei sei. Grössere Aufmerksamkeit, besonders von Seite der Zoologen, wurde aber dem Chitin erst durch €. Schmidt’s wichtige Un- 197 tersuchungen (1845) zugewandt, der die weite Verbrei- tung des Chitingewebes im Organismus der Arthropoden erwies und mehrere, unter einander gut stimmende Ele- mentaranalysen von dem Chitin aus der Haut von Kä- fern und Crustaceen bekannt machte. Das Chitin in den Athmungsorganen und im Darmcanal der Arthropoden überhaupt, dann das Chitin aus der Haut der Arachniden im Speciellen hatte bereits Schmidt nur aus der Un- löslichkeit derselben in Kali und etwa noch der Löslich- keit in concentrirten Mineralsäuren nach der Analo- gie erschlossen, Seit dieser Zeit findet man in den histologischen Arbeiten auf dem Gebiete der Wirbellosen nicht leicht eine Materie so häufig erwähnt, als eben das Chitin, indem allmälig in der überwiegenden Zahl von Abtheilungen des grossen Wirbellosen - Reichs, und in sehr verschiedenen Körpertheilen (bis zur Eischale hinaus) organische Mate- rien angetroffen wurden, die sich in Kali und Essig- säure nicht lösten. Vor der Entdeckung des Ar- thropoden -Chilins hätte man diese Gewebssubstanzen dem Horngewebe zugetheilt, jetzt wurden sie allermeist gera- dezu Chilin genannt. Von elementaranalytischen oder auch nur specielleren qualitativen Vergleichungen mit dem Arthropodenchitin war dabei nicht die Rede, konnte oft wegen der geringen Grösse der betreffenden Thierorganis- men nicht die Rede sein. Einzelne Histologen (Leuckart, Meissner) kamen zu der Vermuthung, dass das Wort Chitin in der Begründung und Ausdehnung, wie es neuester Zeit für die Bezeichnung so zahlreicher Gewebs- theile der Wirbellosen angewandt wird, nur einen Col- lectivausdruck für eine Gruppe chemisch und func- tionell ähnlicher Thiermaterien darstelle. Thatsächliche Stützen für eine derartige Hypothese waren die sich mehr und mehr häufenden Beobachtungen über (grössere oder geringere) Verschiedenheiten der vielerlei sog. Chi- tinmaterien im Verhalten zu Alkali und den concentrir- ten Mineralsäuren, also zu ihren zwei hauptsächlichsten, ja meist einzig in Anwendung gebrachten Erkennungs- mitteln. Sie waren z. B. bald in Kali auch beim Kochen ganz unlöslich, bald widerstanden sie wohl dem kalten, aber nicht dem heissen Aetzkali, einige endlich blieben schon in kalter starker Lauge nicht ganz unversehrt. Analoges lässt sich vom Verhalten zu concentrirten Mi- neralsäuren, wie ich mich selbst überzeugte, aussagen, indem einzelne sog. Chitinsubstanzen darin schon in der Kälte ganz oder theilweise sich lösen, andere durchaus nur in der Hitze; den heissen, starken Mineralsäuren freilich widersteht keine dieser Materien. Zu meiner eigenen Aufklärung, wie es sich mit dem Chitin anderer Wirbellosen, als der Artbropoden ver- Kahs, glaubte ich am besten die Muschelschalen und den wählen zu können, da wenigstens von ersteren eine re Menge mir zu Gebote stand. Und gerade bei hatte Doctor Kost (in seiner Inaugural- Dissertation) nicht allein durch qualitstive Proben, son- dern auch durch eine Elementaranalyse die nächste Ver- wandtschaft, wo nicht völlige Identität ihrer organischen Grundlage mit dem ächten Chitin (der Arthropoden) be- hauptet. Meine ersten qualitativen Versuche waren der Kost’- schen Angabe nicht ungünstig; doch wurde schon dabei constatirt, dass die organische Grundlage wenigstens der Austerschalen keineswegs bloss aus Einem Stoffe bestehe, sondern sich durch kochendes Kali in darin lösliche Ma- terien und Eine ganz unlösliche, in den braunen Häuten niedergelegte Substanz spalten lasse. Die letztere nun zeigte allerdings grosse Analogie in ihren Löslichkeits- verhältnissen mit dem ächten Chitin der Arthropoden, üb- rigens war schon da die Uebereinstimmung keine voll- ständige. In gleicher Weise verhielt es sich mit dem Byssus der Acephalen; auch er bestand aus in Kali lös- lichen, stickstoffhaltigen Körpern und einer darin unlös- lichen Substanz, welche noch ganz die Form der ur- sprünglichen Fäden besass. Allein die Elementarana- Iyse, in solchen Fragen die letzte Instanz, ergab eine ganz ausserordentliche Verschiedenheit der Zusammensetzung, bedeutend schon im Kohlenstoff- gehalt, überaus gross aber namentlich in der Stickstoff- menge: Chitin der Arthropoden nach Schmidt: nach Fremy: Conchiolin der Mollusken nach Schlossberger: C 46,64 50.0 49,4 50,7 H 6,60 59 63 6,5 N 6,56 17,5 16,8 16,7 0 40,20 26,6 27,5 26,1. An eine Zusammenordnung des Chitins mit der in KO unlöslichen Substanz der Muschelschalen ist fortan nicht mehr zu denken, wenn man nicht geradezu auch die Horngewebe des Menschen und der höheren Thiere in die Chitingruppe einreihen will, was Niemand einfallen wird. Das Conchielin ist elementaranalytisch vielleicht dem reinen Horngewebe isomer, doch lässt sich über des letzteren Zusammensetzung ‘noch keine genaue Ansicht feststellen, da es noch nie im reinen Zustand der Ele- mentaranalyse unterworfen werden konnte. Die Erfah- rung, dass man in den Horngeweben immer Schwefel fin- det, begründet wohl keinen sicheren Einwurf; denn schon Lehmann Yermuthet (Physiol. Chem. II, 59), dass ihr Schwefel wohl nicht den Zellhäuten angehöre, die eben dem Conchiolin u. s. w. in den Löslichkeitsverhältnissen am nächsten stehen, sondern dem Zellinhalt oder viel- leicht auch einer Intercellularsubstanz. Die reinen Zell- häute aller Horngebilde sind vielleicht so gut schwefel- frei, wie die erwähnten Materien der Wirbellosen, Auch von ihnen ist es bekannt, dass sie gradalive Unterschiede in der Löslichkeit in Kali zeigen und zuweilen fast un- löslich selbst in heissem Kali werden. Es ist interessant, zu sehen, wie eine ganze Reihe schr verschieden zusammengesetzter Gewebsmaterien an der Schwer- oder Unlöslichkeit in ale ne haben; ‚Rss 50 die überaus stickstoffreichen Materien: Conchiolin, ge- wisse Theile alter Horngewebe, eine Substanz aus dem Byssus, dann das stickstofärmere ächte Chitin, endlich die stickstoflfreie Cellulose. Vielleicht gehört auch die Pflanzencuticula, von der wir freilich noch sehr wenig wissen, die aber stickstoffhaltig ist, in diese Reihe, in welche gründliches Nachforschen nicht allein bei den Wir- bellosen, sondern auch bei den höheren Thieren und selbst dem Menschen noch dieses oder jenes neue Glied noch einreihen werden. Jedenfalls ist es, wie das Conchiolin erweist, nicht der abnehmende Stickstoflgehalt, mit dem die Schwerlöslichkeit in Kali in Proportion steht. Die nahe Verwandtschaft (in der Zusammensetzung) zwischen den Horngeweben und dem Conchiolin ist wohl auch den Histologen von Bedeutung, indem sie ein Grund weiter ist, die Muschelschalen als Epithelialbildungen auf- zufassen. Das Chitin der Arthropoden dagegen erklärt Leydig in einer neuesten ausgezeichneten Abhandlung (Müller’s Archiv 1855, S. 391) nicht für eine sol- che, sondern für eine Modification der von Reichert und Virchow aufgestellten grossen histologischen Fa- milie der Bindesubstanzen. Ich kann diese Bemerkungen nicht schliessen, ohne auf eine jüngste Mittheilung von Fremy (Ann. chim. phys. XLIII, p. 95) mit einigen Worten zu sprechen zu kommen. Derselbe hat, gewiss zu nicht geringer Ue- berraschung der Histologen wie der Chemiker, angege- ben, dass er das Chitin der Crustaceen, wie auch man- cher anderer Wirbellosen, völlig stickstofffrei erhal- ten habe. Er giebt an, dass es ein Kohlenhydrat sei, isomer der Cellulose, aber wesentlich von ihr unterschie- den, indem es, mit Säuren gekocht, keine Glycose, und mit NO5 keinen detonirenden Nitrokörper liefere. So wäre wieder der alte Odier’sche Standpunkt hergestellt (dieser, nicht Braconnot, wie Fremy sagt, hat an- gegeben, dass das Chitin stickstofffrei sei). Allein der Fremy’schen Angabe stehen die Untersuchungen von Lassaigne, Payen, Children und Daniell (Cy- clop. of anat. Vol. II, p. 882), besonders aber die ge- nauen Analysen von €. Schmidt gegenüber, die alle N darin gefunden haben, letzterer bei zahlreichen Analysen eines ganz reinen Chitins eine constante Zahl (6,5 pC.). Auch Lehmann hat diese Zahl bestätigt, Ich selbst stellte aus dem Panzer eines grossen Palinurus durch sorgfältigste Reinigung mit Wasser, verdünnter Säure, Alkohol und kochendem Kali ein schneeweisses, an man- ehen Stellen wundervoll irisirendes Chitinskelet dar, und fand darin 6,4 pC. N, also die Schmidt’schen Anga- ben durchaus bestätigt. Wie das Räthsel zu lösen, ob das Chitin zuweilen durch ein Kohlehydrat vertreten wer- den kann (was höchst merkwürdig wäre), muss die Zu- kunft entscheiden. An dem von mir bereiteten Crusta- ceen-Chitin bemerkte ich noch ein Verhalten, das bis- her, soviel ich weiss, nicht bekannt war. Ich bewahre es jetzt ein Jahr unter Wasser auf und finde nun zu meiner Ueberraschung, dass es allmälig, mit der Zunahme 300 der Zeit der Aufbewahrung zunehmend, sich erweicht und in eine schleimige Masse verwandelt, theilweise auch ge- löst hat: dabei entwickelt sich ein eigenthümlicher Ge- ruch, der aber ganz verschieden ist von dem anderer faulender Gewebesubstanzen (Eiweiss- oder Leimkörper). Offenbar schützen die massenhaften Kalkeinlagerungen in den Chitinpanzer denselben in ähnlicher Weise vor der Verwesung im Wasser, wie die Knochensalze den Kno- chenknorpel. (Annalen d. Chem. u. Phys. 98. Bd.) Ueber einen merkwürdigen Blitzschlag. Von Dr. Cohn (Breslau). Am 16. Juni 1855 verfing sich ein Gewitter in der engen Schlucht, die vom Mittelberg und den Gehängen des Lorbeer- und Sandberges bei Charlottenbrunn einge- fasst ist; der Blitz schlug in 2 Tannen (Pinus picea L.), welche nahe bei einander in der Gegend der sogenannten Wolfsgruben standen und einige Tage darauf von dem Herrn Dr. Beinert in Charlottenbrunn untersucht wur- den. Dem einen Baum, 105 Fuss hoch, 90 Jahre alt, war durch den Blitz der Gipfel in einer Länge von 8 Fuss abgeschlagen worden und beim Herabstürzen etwa 2 Fuss tief in den aus Porphyrtrümmern bestehenden Boden eingedrungen. Der stehengebliebene Stamm war an der Bruchstelle in hohem Grade zerschmettert, mitten durchgespalten, so dass lange Scheiter hervorstanden; unter derselben war auf der einen Seite aus dem Holz- körper ein 30 Fuss langes, bis in’s Mark reichendes Stück herausgeschlagen; darunter dagegen, sowie auf der andern Seite, war Rinde und Holz unversehrt geblieben; nur in der Mitte der Höhe fehlte eine ziemlich kreis- runde Rindenplatte. Am Boden zeigte sich wieder ge- waltsame Zerstörung; die Rinde war auf der einen Seite, in der Höhe von etwa 10 Fuss entfernt, am Stamm so zerspalten, dass ein langes Stück im Winkel aus ihm herausragte, und zwar war der am Gipfel des Stammes aus der Mitte herausgeschlagene Balken gerade zwischen jenen Splitter hineingefallen, ein deutlicher Beweis dafür, dass die Zerstörung des untern Stammes schon vollendet war, ehe noch das von oben herabstürzende Stück Zeit gehabt hatte, den Boden zu erreichen. Eine Wurzel war bis unter die Erde 8 Fuss lang am obern Theile ent- rindet, die bedeckende Erde aufgeworfen, der dichte da- rüber liegende Moosrasen umgedreht; doch liessen sich trotz genauer Nachforschung weder Blitzröhren noch Ver- glasung des Porphyr auffinden. Die zweite, benachbarte Tanne war in der Höhe von etwa 7 Fuss über der Erde völlig abgebrochen, der umgestürzte Stamm lag nebenan auf der Erde und war in einer Länge von etwa 13 Fuss entrindet, der übrige 85 Fuss lange Gipfel aber durchaus unversehrt; dagegen war der stehengebliebene Stumpf gewaltig zerschmettert, zersplittert und in die einzelnen Jahresringe aufgerollt. Ringsherum lagen die abgeschleuderten Rindenfelzen und : Zweige, und einzelne Splitter hingen selbst auf hohen Zweigen der benachbarten Bäume. Nach der Ansicht des Verfassers hatte der Blitz- strahl den ersten Baum etwas unter dem Gipfel getrof- fen und bei seinem Eintritt gewaltige Zerstörungen an- gerichtet; dann war die Elektricität im Stamm, nament- lich in der Cambiumschicht, herabgeleitet und hatte hier durch Erhitzung und Verdampfung des Saftes eine Ex- plosion veranlasst, die sich durch Abwerfen der Rinde und Zerspalten des Holzes äusserte; am Boden war der elektrische Strom wieder als Strahl ausgetreten und nach dem benachbarten Baume mit solcher Gewalt übergesprun- gen, dass derselbe wie mit einem Beile gefällt erschien. Spuren von Verbrennung durch den Blitz waren nicht aufzufinden, sondern das Holz und die Rinde weiss und trocken; doch war an einigen Stellen das Harz geschmol- zen und das Holz gebräunt, was immerhin ein Beweis pr für die mit dem Blitz verbundene Wärme - Entwickelung ist. Im Allgemeinen bestätigen diese Beobachtungen die Ansicht, welche der Verfasser bereits in der Jubelschrift der schlesischen Gesellschaft 1853 (s. Notizen 1856, Bd. I1. No. 12) über die Einwirkung des Blitzes auf Bäume entwickelt hat. (XXXIII. Jahresbericht d. schlesisch. Ge- sellschaft für vaterl. Kult. 1856.) Miscelle. Einen künstlichen Diabetes erzeugle Kühne bei Fröschen durch Verletzung einzelner Gehirnparlieen, na- inentlich der Medulla oblongata. 4 Stunden nach der Ver- letzung durch einen Nadelstich in das verlängerte Mark trat Diabetes ein, bei den Fröschen erst nach 4 Stunden, bei an- gare Thieren viel früher. (Kühne, Inaug.-Diss. Göttingen, 1856.) Heilkunde. Ueber Abhärtung durch Wasserkuren. Von Dr. C. A. W. Richter (Berlin) ®). Die Hydrotherapie hat sich im Laufe der Jahre mehr und mehr ausgebreitet , sie ist zu einem allgemein gebräuchlichen Heilmittel geworden, was eben dadurch wiederum seine Universalbedeutung aufgegeben oder ver- loren hat. Es ist Manches geschehen, dasselbe wie an- dere Heilmittel beurtheilen zu lernen und es ist auf diese Weise in die Reihe aller übrigen Mittel eingetreten. Das vorliegende Buch sucht diess Laien und Aerzten klar zu machen und ist namentlich zu einem resumirenden Ueber- blick zu empfehlen. Wir heben daraus die Abtheilung über die Reaction und daraus resultirende Abhärtung als den Zielpunkt der Wasserkuren hervor. „Einen Theil der hierher gehörigen Erscheinungen schon vorweg zu erwähnen, waren wir im Abschnitte von der Wirkung des kalten Wassers auf die organischen Theile genöthigt, weil diese und jene Gruppe so unmit- telbar aus einander hervorgeht und sich einander folgt, dass eine objective Trennung derselben nicht möglich ist, wenigstens die Anschauung des zu schildernden Proces- ses unvollständig machen würde. Was wir hier speciell unter Reactionserscheinungen zu verstehen haben, ist Folgendes. Es sind hier Temperaturgrade zunächst von 6 bis höchstens 9% C. im Vollbade gemeint. Das behagliche Gefühl der rückkehrenden Wärme *) DS” Das Wasserbuch oder Praktische Anweisung zum richtigen Gebrauche des Wassers als Heilmittel in ver- schiedenen Krankheiten von Dr. C. A. W. Richter, prakt. zu Berlin. 8 3458. S. A. Stutenrauch u. Co. in ist die erste Andeutung der erwachenden Reaction. Die- ses tritt oft, namentlich bei an kalte Bäder Gewöhnten, schon von 2 bis 3 Minuten noch im Bade selbst ein, mit ihm schwindet die Steifigkeit und Unbeweglichkeit der Muskeln, man bewegt sich frei und leicht und die Respiration ist tief und voll. Selbstbewegen und tüch- tiges Reiben und Frottiren durch Andere befördert den Eintritt dieses Zustandes. Die Haut verliert ihre bläu- liche Röthe und überzieht sich mit mehr oder weniger tiefem Purpur, wobei die Kälte des Wassers nicht mehr unangenehm empfunden, sondern sogar behaglich wird. Diesen Zustand darf man selten im Bade vorüber- gehen lassen, sondern muss dasselbe vor dem Eintritt des bald nachfolgenden sogenannten zweiten Frostes ver- lassen. Das längere oder kürzere Ausbleiben des zwei- ten Frostes hängt von der Lebensenergie des ganzen Organismus ab. Im Allgemeinen tritt er um so rascher ein, je leichter das Nervensystem überhaupt überreizt wird und je schwächer das eigentliche Blutleben, also der organische Stoffwechsel ist, daher um so leichter bei sogenannten nervösen, leukämischen und anämischen In- dividuen und bei Kindern, Weibern und älteren Perso- nen. Verlässt man aber vor dem Eintritte dieses soge- nannten zweiten Frostes, wie es in den meisten Fällen sehr gerathen ist, das Bad, dann bleiben die angeführ- ten Reactionserscheinungen, nur zuweilen von einem leich- ten durchfliegenden Frösteln kurz unterbrochen und wer- den durch stärkeres Reiben beim Abtrocknen und darauf folgende Bewegung, welche mit dem angenehmsten Ge- fühle der Leichtigkeit und Kraft ausgeführt wird, noch gesteigert und gehen allmälig in jene inneren, bereits geschilderten organischen Acte des Stoflumsatzes über, die nur durch den Andrang verschiedener Excretionsor- 203 gane, namentlich der Urinblase, in unser Bewussisein fallen. Wartet man dagegen den zweiten Frost im kalten Bade ab, dann tritt im Bade selbst nur sehr ausnahms- weise noch ein Mal die Reaction wieder ein, sondern es bleibt dann für die ganze fernere Dauer das Gefühl ver- letzend mit den Reflexfolgen dessen, Zittern und Zähne- klappern, blauröthlichem Incarnat, Steifigkeit der Mus- keln, Abstumpfung des Tastgefühls u. s. f. Das Beha- gen der rückkehrenden Erwärmung erfolgt erst durch anhaltende und rasche körperliche Bewegung und dieses selbst wird dann noch öfter durch zwischenfallende Frost- schauder unterbrochen. Die vollständig eingetretene Re- action giebt dann ein fast lästiges Gefühl von Hitze und Brennen in der Haut, man findet leicht Zimmer und Klei- dung zu warm, die Haut ist geröthet und straff, und dieser Zustand einer gewissen Aufregung dauert viel län- ger, als im ersten Falle, wo man das Bad vor dem Ein- tritte des zweiten Frostes verliess.. Die nothwendig ge- wordene Wiedererzeugung eines verlorenen sehr bedeu- tenden Wärmequantums steigert die organische Metamor- phose intensiver, die Excretionen sind gesättigter, der Körper verliert dadurch in gleicher Zeit ein bedeutendes Mehr an Gewicht als im normalen Zustande. Die Reaction setzt eine Steigerung der Inneryation der willkürlichen sowohl als unwillkürlichen Nerven, selbst der kleinsten Verzweigungen der letzteren um die Capil- largefässe voraus, denn gerade in deren Bereich, durch hauptsächliche Mitwirkung ihrer Thätigkeit wird die ver- lorene Wärme wieder erseizt. Es wird also durch diese Vorgänge sehr viel Nervenkraft verzehrt und um so mehr, je intensiver sie sind, z. B. bei der Reaction nach dem zweiten Froste, demgemäss ist aber auch der Stoflum- "satz darnach ein durchgreifenderer. Die Kunst des Arz- tes besteht nun darin, die nothwendige Wirkungsgrösse dieses letzteren Processes zur Heilung einer Krankheit in Einklang zu bringen mit der ausgiebigen Kraft des Ner- vensystems. Sehr leicht erliegt die Organisation und na- mentlich das Nervensystem solchen Versuchen, die Re- action sinkt dann mehr und mehr, wobei die Heilung keine Fortschritte, sondern Rückschritie macht, und hierfür hat die falsche hydriatrische Technik den Namen der Uebersättigung mit der Wasserkur erfunden. Sicherlich dürfen dieser Benutzung des Bades nur kräftige, vollsaflige, derbfaserige Subjeete mit resistenz- fähigen Nerven ausgesetzt werden; nöthig wird eine so eingreifende Kur nur bei tief gewurzellen dyserasischen Leiden. Larrey’s Bemerkung in den Feldzügen der Franzosen in Russland 1812 und Capitän Ross’s Wahr- nehmungen bei den Nordpolexpeditionen wird jeder Was- serarzt in seiner Erfahruig mehr oder weniger schon bestätigt gefunden haben. Exslerer sagt, dass die so- genannten braunen Subjecte von biliös-sanguinischem Tem- perament, obgleich meistens Südländer, der Einwirkung 204 der Kälte am kräftigsten widersianden hätten, während blonde und phlegmatische ihr leicht erlegen seien. Letz- terer behauptet, blasse, blonde Individuen mit nur spär- licher Blutbildung und wenig entwickelter Respiration er- trugen die Kälte nicht wohl. Diese Reactionserscheinungen wiederholen sich je nach der längeren und intensiveren Einwirkung mehr oder weniger niedriger Temperaturgrade des zu Wasch- ungen, Halbbädern, localen Bädern, zur Brause und Douche angewendeten Wassers mehr oder weniger in- tensiv und extensiv. Von ihrem früheren Eintritte und ihrer längeren Dauer hängt die gute Wirkung jeder Was- serprocedur ab, weshalb auf ihren Grad und ihre Art besonders zu achten ist. Priessnitz kannte diess wichtige Verhältniss schr wohl und widmete ihm in der ersten Zeit seiner Praxis grosse Aufmerksamkeit, und aus dieser Zeit stammen deshalb auch seine besten und glück- lichsten Kuren. Es ist ein grosser und unverzeihlicher Fehler vieler Wasserärzte, der Reaclion zu wenig Rücksicht zu schen- ken und namentlich ihre Patienten schon wieder neuen Einwirkungen des kalten Wassers auszusetzen, ehe sie noch die voraufgegangenen völlig durch die Reaction aus- geglichen haben. Das Gefühl des Kranken ist zur Bestimmung, ob die volle Reaction eingetreten und beendet sei, nicht im- mer ausreichend, denn oft fühlt sich dieser schon ganz erwärmt, während die Hand eines Dritten oder der Ther- mometer beweisen, dass die normale Wärme noch nicht zurückgekehrt ist. Doch auch selbst schwächlichen Subjecten kann man allmälig, wenn es ihr Krankheitszustand durchaus zur Heilung verlangt, diese exiremeren Temperaturen sehr wohl erträglich und selbst heilsam machen. Man muss hier die Haut zuvor kräftigen, d h. ihre Nerven zur leichteren Ueberlragung der Reflexe auf die Gefässnerven geschickt machen. Eine Haut, welche, wenn sie auch nur unbedeutendere Kältewirkungen trafen, leicht reagirt, warm und roth wird, ist auch in einem gesteigerten Er- nährungsprocesse begriffen. Die Kur wird zu dem Zwecke so eingerichtet, dass mit dieser kräftigeren Ernährung und Regeneration der Haut nicht die Neigung zu ausser- ordentlichen paihischen Abscheidungen und Geschwüren in ihr, den sogenannten Krisen eintritt, sondern nur das Gewebe derselben selbst derber und dichter wird. Ist diess erreicht, dann erträgt sie extremere Temperatur- grade und reagirt kräflig darauf. Auf dieser leichteren Wiederfüllung der Capillarien mit arteriellem Biute, wodurch die Haut kräftiger er- nährt, derber und fester wird, sich ein Feltpolster unter ihr ablagert, sie also weniger leicht den Einflüssen nie- derer Temperaturgrade der Luft und Feuchtigkeit zugäng- lich wird, oder noch während der Einwirkung derselben sofort die Reaction beginnt, beruhet zum Theil das, was 205 man Abhärtung nennt. Dies blosse Derber- und Resi- stenzfähigerwerden der Haut ist es nicht allein, was den wahren Wasserfreunden jene festere Constitution giebt, welche nicht leicht von äusseren Einflüssen, seien sie, welcher Art sie wollen, erschüttert und aus ihrem nor- malen Kreislaufe gebracht wird, sondern diese beruhet auf den sich tiefer im Organismus durch die Einwirkung der nassen Kälte abwickelnden Processen, auf der Kräf- tigung der Athmung und des Herzschlages, auf dem hier- durch bedingten Mehrverbrauch des Sauerstoffes der Luft, welcher die organischen Mauserstoffe völlig abtödtet und in Exeretionsproducte verwandelt, wodurch sich der Stofl- wechsel hebt, das Nahrungsbedürfniss steigert und die zur Anbildung im normalen Zustande stets im Blute be- reiten Ersatzsubstanzen den Organen eine kräftige, leicht von Statten gehende Thätigkeit möglich machen. Zwischen der Wirkung der äusseren und inneren Anwendung des Wassers ist nach diesen Auseinandersetz- ungen ein schr grosser Unterschied, bezüglich der Mittel- stufen, der Processe, welche den schliesslichen Erfolg herbeiführen, und dieser Unterschied muss um so mehr hervorgehoben und klar gemacht werden, als dadurch das eomplementäre, sich gegenseitig hebende und unter- stützende Verhältniss der beiden Anwendungsweisen er- sichtlich wird. Bei der Besprechung des Wassertrinkens in acuten Krankheiten ist schon nachgewiesen, wie der blos inner- liche Gebrauch des Wassers ohne Regelung und Unter- stülzung eines gleichzeitig äısserlichen, nicht allein nicht vortheilhaft,, sondern sogar sehr schädlich werden kann, und dafür sind an der betreffenden Stelle die das Ver- hältniss aufhellenden Gründe gegeben; hier soll das, was dort bezüglich des einzelnen Falles beigebracht wurde, allgemeiner gefasst werden. Beim innerlichen Gebrauche des Wassers kommt be- züglich seiner Wirkung auf den Organismus Alles das in Betracht, was wir Eingangs von den chemischen und physicalischen Eigenschaften desselben sagten. Als mit intensiven chemischen und physicalischen Kräften ausge- rüstete Masse gelangt es in den Nahrungskanal und von dort in die Blutbahn, von wo aus, den Gesetzen des Druckes und der Compression unterworfen und durch Capillaranziehung bestimmt, es in die Organe eintritt, sie constituirend, integrirend oder schmelzend und auf- lösend, durch den einen oder den anderen Act oder beide zugleich, deren Function hebend und kräftigend. Die organischen Processe, welche das innerlich eingeführte Wasser im Organismus „durch seine Eigenschaften ver- anlasst, hilft es als Massenfactor selbst vollenden, d. h. die Processe können ohne eine gewisse, dabei zur Ver- wendung kommende Quantität Wasser entweder gar nicht oder nur höchst mangelhaft vor sich gehen. Organische Processe, welche hierbei von besonderem Interesse und effectvoller Bedeutung werden, sind die grössere und ge- ringere Spannung der Nahrungsgefässe bei grösserem 206 oder geringerem Wasserinhalte, die dadurch begünstigte Capillaranziebung in die Organe und endlich die solcher Gestalt gestcigerten Wandelprocesse der organischen Ge- bilde, Anbildung, Rückbildung, Aufleben und Ableben der organischen Substanz, Steigerung und Mässigung organischer Funetionen, besonders soweit sie se- oder excretorischer Art sind. — Diesen ähnliche oder gleiche Processe veranlasst das aufgenommene Wasser in allen Organismen, seien es pflanzliche oder thierische, sie ge- hen also ohne besondere specifische Einwirkung der die Thiere hauptsächlich characterisirenden Organe, das Ner- vensystem, vor sich, wenigstens machen sie auf dieses keinen unmittelbar das Gefühl, eine hauptsächliche Fun- ction des Nervensystems, alterirenden Eindruck. In dieser Beziehung schon verhält es sich ganz an- ders mit der äusserlichen Anwendung des reinen Was- sers; hier kommt es als eine mit besonderen chemischen und physicalischen Kräften, die es im weiteren Verlaufe innerhalb des Organismus entfaltete und zur Geltung brächte, verschene Masse gar nicht in Betracht, denn die Absorption des Wassers beim Bade und bei Wasch- ungen, besonders in niederen Temperaturen desselben, ist, wie wir gesehen haben, physiologisch überhaupt sehr zweifelhaft, jeden Falles von so geringem Massenwerthe, dass wir die dadurch vielleicht eingeführte Menge bei einer steten Bewegung von etwa 30 Pfd. Wasser im Or- ganismus gleich O0 rechnen können. — Es scheint mir der Umstand, dass eine Blase, welche durch sogenann- tes Verbrennen oder durch ein Blasenpflaster entsteht und mit Wasser gefüllt ist, ihr enthaltenes Wasser nicht nach aussen abgiebt, ein ziemlich deutlicher Beweis für die Undurchdringlichkeit der hornartigen Oberhaut ge- gen Wasser zu sein. Freilich hat Magendie ge funden, dass die Verdunstung des Wassers ziemlich rasch vor sich geht, wenn man die Blase ablöst und das Wasser in - den durch ihre äussere Fläche gebildeten Sack giesst. — Die Eigenschaft des Was- sers, welche bei der äusseren Berührung desselben in Bad und Waschung mit dem Organismus von Bedeut- ung wird, ist die, unter gewissen eigenthümlichen Ver- hältnissen Träger einer verschiedenen Temperatur zu sein. Die Verschiedenheit und der Wechsel der Temperatur bringt aber der höhere Organismus durch das Nerven- system zum Bewusstsein, und schon dieses veranlasst refleetorisch willkürliche Acte, welche nicht entsprechende äussere Temperaturgrade abwehren und solche herbei- schaffen sollen, welche den Gefühlsnerven und mit diesen dem Organismus selbst mehr zusagen. Indessen die durch wechselnde und ausserordentliche Temperaturgrade erreg- ten Nerven haben nicht blos eine centripetale Leitung zum Gehirne zur Quelle des Bewusstseins, und veran- lassen dort reflectorisch Willensacte, welche nur auf äus- sere Erscheinungen und Zustände verändernd wirken, sondern sie haben auch noch ein anderes Erregungscen- trum, dessen Erregung zwar nicht unmittelbar in's Be- ä&. "or wusstsein tritt, aber reflectorisch andere Nerventhätig- keiten veranlasst, deren Folgen Aenderungen von Er- scheinungen und Zuständen im Organismus selbst sind, Mässigung oder Steigerung unwillkürlicher Functionen, dadurch bedingter, einerseits vermehrter oder verminder- ter Verbrauch organischer Bildungssubstanz , andrerseits Mehrung oder Minderung verbrauchter, lebensunfähig ge- wordener Mauserstoffe, organischer Schlacken und Aus- würfe. Jede Verletzung oder Erregung der Gefühlsner- ven durch eine plötzlich einwirkende, ausserordentliche Temperatur ruft also reflectorisch organische Functionen hervor, welche in die Zusammensetzung der organischen Substanz mehr oder weniger tief eingreifen und dieselbe abändern, bestehende Verbindungen lösend und neue zeugend. Diese Abänderung des organischen Processes im Stofflichen erkennen wir schliesslich durch Erscheinungen, welche sich an den äussersten Marken des Stoffwechsels kund geben, an der nothwendigen Mehreinfuhr verwend- barer Nahrungsmittel und an der Mehrausgabe verbrauch- ter Abwurfsstoffe mit den Excretionen. — Wollen wir alle diese Processe gemeinschaftlich charakterisiren, so müssen wir sie organische Abwehracte gegen die das Leben oder das Wohlsein beeinträchtigenden äusseren Temperaturen nennen, denn die constante und gleich- mässige Temperatur, welche die verschiedenen Organis- men nach ihrer Art zu behaupten streben (der Mensch, wie bekannt, circa 37° C.), beweiset, dass diese gleich- mässige Temperatur für ihr Wohlsein wesentliche Be- dingung und innerhalb gewisser Grenzen auch die ihres Lebens ist. Auf Erhaltung dieser gleichmässigen Tem- peratur zielen eine Menge, ja mittelbar fast alle orga- nische. Verrichtungen hin, wir sehen also, dass wir mit der Störung des normalen Temperaturgrades des Orga- nismus ein sehr mächtiges Mittel gewinnen, auf sehr viele, ja fast alle organische Verrichtungen in einer vor- herbestimmbaren Weise einwirken zu können, und dass dieses für den Arzt, der es ja stets mit einer Abänder- ung organischer Verrichtungen zu thun hat, von der höchsten Wichtigkeit sein muss. Der Austausch zwischen den Temperaturen des Or- ganismus und eines äusseren Körpers und damit die tie- fere oder oberflächlichere Impression, welche dieser Aus- tausch auf die Nerven des ersteren macht und deren in- tensivere Rückwirkung auf den ganzen organischen Haus- halt, hängt aber nicht blos von der nach Graden am Thermometer zu messenden Verschiedenheit ab, sondern ‘308 wird in viel höherem Maasse durch die physicalischen Eigenschaften des Wärme entziehenden Körpers, nämlich durch seine Wärmeleitungsfähigkeit und Wärmecapaeität bedingt. Je rascher ein Körper die Wärme leitet und je ge- ringer seine Wärmecapacität ist, desto schneller entzieht oder giebt er sie auch dem Organismus, desto eher setzt sich aber auch seine Temperatur mit der des Körpers in’s Gleichgewicht und verliert die Impression auf. die Nerven desselben. Darauf gründet sich die eben so schnell entstehende als vorübergehende Kälteempfindung bei der Berührung von kalten Metallen, die verschieden intensive Wirkung und die Leichtigkeit des Verbrennens durch verschiedenartige erhitzte Substanzen. Je grösser dagegen die Summe der Wärmeeinheiten ist, welche ein Körper im Verhältnisse zu seinem Ge- wichte bedarf, um einen bestimmten Temperaturgrad an- zunehmen, desto mehr entzieht oder giebt er an Wärme anderen wärmeren oder kälteren Körpern, desto inten- siver sind seine Wirkungen in dieser Beziehung. Auch diesem physicalischen Gesetze ist der Organismus unter- worfen. Bei der Berührung desselben mit Wasser wird seine Reaction gegen den Temperaturunterschied um so viel an Intensität gewinnen, als das Wasser bekanntlich ein sehr schlechter Wärmeleiter, aber von einer sehr be- deutenden Wärmecapacität ist, oder was dem gleich ist, es werden geringere Schwankungen in den Temperatur- graden des Wassers nachhaltigere und intensivere Re- actionen im Organismus hervorrufen, als dies eiwa grös- sere Temperaturunterschiede anderer Körper vermöchten. Miscellen. Einfluss der Pocken auf das Erblinden. Die Blindenslatistik lehrt, dass vor der Entdeckung Jenner’s unter 100 Fällen von Blindheit 35 von den Pocken herrühr- ten. Dr. Dumont, Arzt bei den Quinze-Vingts, weist nach, dass seit der Einführung der Schutzimpfung diese Folge der Pocken im raschen Abnehmen ist. Bei Blinden von mehr als 60 Jahren ist diese Blindheitsveranlassung 12mal unter 100 vorhanden, bei jüngeren Erwachsenen nur mal unter 100, bei Kindern nur 3mal unter 100. Die Bezeichnung der Sinnes-Täuschungen Ir- rer charaklerisirt Dr. Blount im Asylum Journ. folgender- maassen: Illusion ist irrige Auffassung wirklicher Sinnes- empfindungen, also eine irrige Beurtheilung. Hallucina- tion die Auffassung nicht vorhandener Gegenstände, also ge- täuschte Auffassung und Delusion das Product irriger Auf- fassung in Folge krankhafter Thätigkeit des Geistes. Bibliographische Neuigkeiten. WW. — H. Schwarz, Die Chemie und Industrie unserer Zeit. 5. Abth. gr. 8. Kern in Breslau geh. 22 Sgr. K. M. Diesing, 20 Arten von Cephalocyteleen. 4. Braumüller in Wien. 1 Thlr. 6 Sgr. ER K. Kreil, Erste Ergebnisse d. magnet. Beobachtungen in Wien. 4. Comm. b. Braumüller in Wien. 12 Sgr. Comm. b. Bi. — R. Froriep, Der ärztliche Hausfreund. Zur Förder- ung der Gesundheitspflege u. s. w. 2. Jahrgg. 1857. gr. 8. Enke in Erlangen. pr. eplt. 3 Thlr. 4 Sgr. Friedrich und Vogel, Medicinisch - chirurgische Monalshefte, Kritisches Sammeljournal f. prakt. Hikde. 12 Hefte. 1857. Lex.-8. Enke in Erlangen. pr. eplt. 424 Thlr. \ Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena. Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. I. Band No 14. Naturkunde. H. v. Rothkirch, Ueber den Ursprung der Zigeuner. — Miscelle. Kussmaul, Ueber den Einfluss des Blutlaufs auf die Bewegungen der Theile des Kopfs. — Heilkunde. W. Rau, Ueber die Hörmischinen. — Miscellen. de Calvi, Ueber die Schädliehkeit der Dünste des Terpentinöls. — Punum, Tod durch Eimbolie. — Guillot, Extrauterinschwangerschaft. — Bibliographie. Naturkunde. Ueber den Ursprung der Zigeuner, Von Hugo v. Rothkirch. Die ersten sicheren Nachrichten über das Erscheinen der Zigeuner finden sich in dem persischen Geschicht- schreiber Firdusi, welcher im Jahre 1000 lebte, und in einem Heldengedicht, Shah-nahmeh, erzählt, dass auf Verlangen von Bahram Gur, König von Persien, welcher 420 bis 440 regierte, Chankal, König von Kanodje, 10,000 Musiker an ihn schickte, weil Braham, welcher sich erkundigt, wie es in seinem Lande stehe, die Ar- men klagen hörte, dass sie die Musik bei ihren Mählern entbehren müssten, und desshalb um 10,000 Lautenspieler gebeten hatte. Er gab den Ankömmlingen Vieh und Getreide, forderte aber, dass sie spielen sollten, ohne Bezahlung von den Armen zu verlangen; er gab ihnen auch Woh- nungen, doch behielten sie diese nicht lange, sondern lebten bei dem Umherziehen von dem Gesange und dem Saitenspiel. So berichten Harriot, in einem Aufsatze über die Zigeuner, und Bataillard in seinen Unter- suchungen über das Erscheinen und die Zerstreuung der Zigeuner in Europa (1849 herausgegeben). Nach Angabe desselben Harriot erzählt Fateh Ali- Khän aus Teheran, welcher mit der persischen Geschichte sehr bekannt war, dasselbe, giebt aber nur 4000 an. Nach Bataillard und Pott findet sich diese Angabe auch im Tarykh Guzydeh, einem 1329 verfassten persi- schen Buche, und im Modjmel-al-Tevarykh, einem um 1126 geschriebenen persischen Werke, welches Mohl in dem asiatischen Journal nach und nach übersetzt abdruk- ken lassen will, und wovon ein Theil schon 1841 ge- druckt ist. In letzterem ist ein ähnlicher Bericht, nur eine andere Zahl, nämlich 12,000. Hamzah Ispahan, welcher um 940 in arabischer Sprache nach persischen Quellen schrieb, erzählt dieselbe Geschichte mit Angabe von 12,000, und theilt mit, dass nach Bahram Gur's Verordnung seine Leute die eine Hälfte des Tages arbei- ten, die andere dem Mahle, dem Tanz und der Musik widmen sollten. Als die Musik dadurch schr theuer wurde, liess er 12,000 Musiker kommen. Silvestre de Sacy erzählt in einer Uebersetzung der Geschichte der Sassaniden von Mirkhond, einem persischen Schrift- steller des 15. Jahrhunderts, welcher den Shah - nameh und Hamzah benutzte, dieselbe Geschichte. Die Musiker werden Khani oder Kheny, Plural Khenyian genannt. In manchen Handschriften steht Djatt (Plural Djat- tan), welches die Araber Zott aussprechen, und was eine Bezeichnung für Landstreicher ist, nach dem arabisch- französischen Wörterbuche von Ellious Bocthor. Die leicht mögliche Verwechselung zwischen Djatt und Khani beruht vermuthlich auf der sehr ähnlichen Bezeichnung durch die Schriftzeichen. Ferner ist im Indischen kein Zeichen für z, und es wird oft mit dj verwechselt, daher bei dem sehr gewöhn- lichen Schreiben ohne Vocale die Verwechselung zwischen Djatt und Zott um so leichter möglich war. Reinaud, welcher jene Leute in einem von Modj- mel gemachten Anszuge aus einer alten Sanskritschrift kennen gelernt hat, hat dort Nachrichten über dieselben aus Zeiten vor dem Anfange der Geschichte, und findet sie vom 7. Jahrhundert an in vielen Schriftstellern, ohne Hamzah und Mirkhond zu kennen. Nach seiner Angabe sind die ältesten Bewohner von Indien am unteren Indus die Djatt und Meyd oder Mend, welche sich nach langen Streitigkeiten einem Fürsten der Familie Hastinapura un- terwarfen. Im 7. Jahrhundert legten die Djatt Colonieen an der Küste Arabiens und Persiens an, 834 und 835 landeten sie an den Ufern des Tigris bei Bassora, und das Khalifat hatte Mühe, sie zu besiegen. Viele Ge- fangene wurden nach Anazarbus in Bir Tai an der 211 Grenze des griechischen Reiches, geschickt. Im 10. Jahr- hundert finden sich die Zadh, welche von Fischerei und Wasservögeln leben, an der Mündung des Indus zwischen Mansoura und Mekran. Im Anfange des 11. Jahrhun- derts fingen sie Krieg mit den Muhammedanern an, wur- den aber “geschlagen. Bei dem Eindringen Tamerlan’s war noch ein Stamm dieses Namens in Indien bei Delhi, welcher sich eine feste Stellung in der Stadt Bhartpour sicherte und seit dem Verfalle des Reiches des Grossmo- guls 1806 zu einem eigenen Reiche ausbildete. Später wurden sie nur mit grosser Mühe von der englischen Macht überwunden, und jetzt sind noch Djath im Indus- thale im. Staate Kabul und im Lande der Sikhs. Die in den meisten Büchern sich findende Angabe von Borrow, Münster (bei Harriot), Tetzner, Grellmann und Kindler über das erste Erscheinen derselben in Europa, und besonders in Deutschland, ist das Jahr 1417. Nach Brown kamen sie schon 1400, und bei Bataillard finden sich mehrere Angaben aus früherer Zeit. 1256 wird eine Urkunde unter Boleslaus V., König von Polen, genannt, in welcher Fremdlinge mit dem Na- men $zalassii vorkommen. Da szalasz im Polnischen Zelt heisst, glaubt er, es sei von Zigeunern die Rede. Be- stätigt wird die Sache dadurch, dass salassu im Walla- ehischen bereits 1370 in der Bedeutung: „eine Familie herumziehender Zigeuner‘ gebraucht wurde.‘ Prof. Da- nilowicz in Wilna, welcher die Sache untersuchte, hält die Szalassii für Ueberreste der Tartaren, und gab etwas 1820 oder 1825 darüber heraus. 1386 erneuerte der Woiwode Vlad II. und 1387 Mirzsca I. in der Wallachei eine Schenkung von 40 sa- laschi oder Zelten von Zigeunern, welche Wladislaus 1370 an das Kloster St. Anton gemacht hatte. 1332 sollen sie schon in Cypern gewesen sein. Sie kamen 1422 in die Schweiz und nach Italien, 1427 nach Frankreich und 1502 nach England. 1423 erhielten sie einen Freibrief vom Kaiser Sigismund. Da ein grosser Theil derselben sich mit Stehlen, Betteln, Wahrsagen und Gaunerei beschäftigte, wurden sie von vielen Regie- rungen verfolgt, doch mit besonderem Erfolge in Frank- reich, von wo sie bald nach Spanien gingen, wo sie jetzt in der Provinz Andalusien besonders zahlreich sind. In Frankreich sind sie jetzt nur noch in grösserer Menge im Elsass und Lothringen zu finden. Ueber das Erscheinen grosser Zigeunerschaaren in Schlesien findet sich eine Nachricht in Tiede’s denk- würdigsten Jahrestagen. Schlesiens, wo erzählt wird, dass 1571 ein Zug Zigeuner bei Brieg vorbeizog, einige Bür- ger sie sehen wollten, und diese von dem Superintenden- ten Thanholder lauge vom Gevatterstehen und Abendmahl ausgeschlossen wurden. Endlich wurde ‚ein. Convent in Brieg zusammengerufen, und die Vorwitzigen mussten vor dem ‚Consistorium Abbitte thun., In den Geschichtswerken von Becker und Schröckh 212 werden die Zigeuner gar nicht erwähnt, in dem von Pö- litz einmal als Nachkommen der indischen Parias. In Schmidt’s Geschichte der Deutschen in 22 Bänden wird nur erzählt, dass sie 1699 die Weisung erhielten, die fränkischen Lande zu verlassen. “ Ueber ihr Vorhandensein im preussischen Staate ha ich 3 Berichte in Händen gehabt, nämlich einen über die in Litthauen, besonders in den Kreisen Pilkallen und Stallupöhnen im Regierungsbezirk Gumbinnen, von Bie- ster, und 2 über die in Friedrichslohra bei Nordhau- sen, von denen Graffunder, welcher den Auftrag hatte, sie aus dem Lande zu verweisen, in der Einleitung zu seiner Grammatik erzählt, dass er den Kindern viele Wör- ter abgefragt hat, und über ‚welche der reformirte: Pre- diger Kindler in Nürnberg 1831 Nachrichten giebt. In diesem Berichte erzählt er von den Zigeunern selbst und von den zum Theil erfolgreichen Versuchen, ihnen Kennt- nisse überhaupt und Religion beizubringen. Der Name Zigeuner, welchen Einige von dem deut- schen „zieh, Gauner‘ herleiten wollen, ist nach Grell- mann entstanden aus Czigania, einer Provinz in Mala- bar. Hiermit zusammen hängen vermuthlich. folgende Namen: Tzingani in Russland, Chingona in der Türkei und Syrien, Cygani, Czygai oder Tzygani in Ungarn, Cygana in Portugal, Zingari in Italien, wo die Sprache Zingaresco heisst. Da sie nach Grellmann, welcher sie, wie Pölitz, aus der letzten indischen Kaste her- stammen lässt, auf ihrem Wege durch Aegypten kamen, und sogar von Vielen für Aegypter gehalten wurden, heissen sie in Ungarn Nepek Pharach (Volk Pharaos), in Frankreich Egyptiens, in Griechenland Alyvarıoı und yup9oı. Aus dem letzten Worte ist vermuthlich das eng- lische Gypsey und spanische Gitano entstanden. In Eng- land, wo sie auch Egyptians heissen, führen sie, wie in Frankreich, auch den Namen. Böhmen, weil sie dieses Land auf dem Wege nach Frankreich und England be- rührten. Im Hochlande von Schottland heissen sie Cairds oder Tinkler, was so viel bedeutet wie das englische Tin- ker (Klempner, Kesselflicker), und damit zusammenhängt, dass sie sich viel mit: Schmiedearbeit und Kesselflicken beschäftigen. In den Niederlanden heissen sie Heiden, in Dänemark Tartaren, in Schweden Spakaring (Wahr- sager). Sie haben an einigen Orten Namen, welche mit ihren Beschäftigungen zusammenhängen, z. B. in Grie- chenland Kar&ißsAos (Krämer), in. Persien Luri (Schmie- de),..in ‚Arabien Charami (Räuber). In Persien. heissen sie auch Kauli, was mit Kabuli (Bewohner von Kabul) zusammenhängt, und Karachi, was dunkel bedeutet. Sie selbst nennen sich Cales (die schwarzen Leute), der Plu- ral von Zincalo nach Borrow, Chai, was auch nach Borrow Männer aus Aegypten oder Söhne des Himmels in dem spanischen Dialekt heisst, weil die Zigeuner in Spanien Chal für Himmel und Aegypten brauchen. Eine sehr allgemein gebrauchte Bezeichnung ist Rom oder Rom- nitchel; Rom bedeutet Mann, Romni die Frau und Rom- nitchel Kind des Mannes. Nach. Zippel’s Grammatik nennen sie sich Romannitschave (Menschenkinder). Jeden Nichtzigeuner nennen sie Busno in Spanien, oder Gacho. Ueber ihre Beschäftigungen stimmen die meisten Angaben überein, dass sie gern betteln und stehlen, sich mit Pferdehandel und Schmiedearbeit beschäftigen, zu letz- terer die nöthigen Werkzeuge immer bei sich führen, sich Kohlen aus Wurzeln und Sträuchern von Haidekräulern brennen, mit schlechtem Handwerkszeuge ganz gute Ar- beiten liefern, und desswegen, wie wegen einer Aechn- lichkeit, die man in dem Namen finden will, als Nach- kommen der Sintier auf Lemnos betrachtet werden. Eine Aehnlichkeit mit den Bewohnern von Lemnos findet sich auch in ihren unmoralischen Handlungen, da sie nach Borrow Reisende oft anfallen, und sie gegen Ende des vorigen Jahrhunderts sogar welche verzehrt haben sollen. Herodot erzählt VI, 138, dass während der Perserkriege die Lemnier eine Menge Frauen und Kinder aus Athen getödtet halten und desshalb ihre Grausamkeit sprüch- wörtlich wurde. Sie ziehen viel herum, wohnen lieber in Zelten als in Häusern, halten das Wort Hausbewoh- ner nach Harriot sogar für eine ähnliche Bezeichnung wie die Römer Barbaren, beschäftigen sich viel mit Tanz Musik, worin sie ihre Kinder schon zeitig unterrich- ten, so dass diese schon mit 6 Jahren fertig spielen, nach Kogalnitchan. Borrow erzählt, dass Catalani einen Shawl, welchen sie vom Papst geschenkt erhalten halte, einer Zigeunerin in Russland schenkte, weil sie sehr gut singen konnte. In Ungarn, der Moldau und Wallachei waren mehrere ausgezeichnete Musiker, auch einige Komponisten. Einige ihrer von Kogalnitchan genannten Instrumente sind Violine, Tambourin, Casta- guelten und Syrin,. Am liebsten arbeiten sie gar nicht, ziehen viel herum, lieben den Branntwein und das Rau- chen sehr, essen gern gefallenes Vieh und behaupten, das von Gott geschlachtete, d. i. das gefallene Vich sei besser, als das von Menschen geschlachtete. Borrow ist der Einzige, welcher meint, dass sie dem Trunke nicht ergeben seien; sonst slimmen Mehrere: Tetzner, Grell- mann, Kogalnitchan, in der Angabe über ihr star- kes Trinken überein. Da sie weder lesen noch schreiben können, also an Literatur bei ihnen gar nicht zu denken , haben sie auch kein besonderes Alphabet. Ihre von orrow gesammelten Gedichte sind solche, welche sie gesungen haben, und welche die Zuhörer bald aufgeschrie- ben haben. Sie sind meistens neueren Ursprunges. Nach Borrow haben auch einige Spanier eine solche Fertig- keit in der Zigeunersprache erlangt, dass sie Gedichte darin gemacht und für Producte von Zigeunern ausgege- ben haben. Bei ihrem Herumzichen haben sie ihre wenigen Sa- chen, welche in Kochgerälh und dem schon erwähnten Schmiedewerkzeug bestehen, sowie ihre Kinder auf einem kleinen, aber hohen Wagen, um glücklich über die Was- ser zu kommen. Vor diesen Wagen ist ein Esel oder ein schlechtes Pferd gespannt, Die schlechten Pferde, sowie eine etwas nahe liegende Achnlichkeit des Namens 214 scheint die Veranlassung zu sein, dass man sie von den Sigynnern in Thracien an der Donau herstammen lässt. Herodot erzählt nämlich V, 9 und Strabo XI, 11 von denselben, dass sie kleine schwache Pferde haben, welche keinen Reiter tragen können. Da den verschiedenen Horden bei ihrem Herumzie- hen natürlich daran liegt, sich wieder zu treffen, haben sie nach Borrow folgende Mittel, um sich kenntlich zu machen. Sie streuen nämlich bei Kreuzwegen Gras auf den Weg, wo sie gegangen sind, oder machen ein Kreuz in den Sand, dessen längeres Ende ihren Weg anzeigt, oder stecken einen Stock an einer Hecke in den Boden, befestigen einen andern quer durch denselben und zeigen durch den längeren Arm ihren Weg an. Diess nennen sie Spur machen. Bei ihren Zügen stehlen sie oft Kinder, die Preciosa z.B. war ein von den Zigeunern gestohlenes Kind und lernte bei ihnen tanzen und singen. In dem Roman la Gitanilla von Cervantes wird die Geschichte der Pre- ciosa erzählt, ihr Reichthum an Liedern gerühmt. und eine Beschreibung der Zigeuner milgetheilt. Borrow erzählt, dass ein von den Zigeunern gestohlenes Kind später, ohne es zu wissen, im Kampfe seinen eigenen Vater gelödtet hat. Es war der Sohn eines Grafen Pepe. Eine Beschäftigung, mit welcher sich die Frauen be- sonders viel verdienen, ist des Wahrsagen, hauptsächlich aus den 5 Linien der Hand, von denen nach Borrow jede mit einem bestimmten Theile des Körpers in Verbin- dung steht. Bei Harriot wird angegeben, dass sie be- reits im 1. und 2. Jahrhundert nach Christi Geburt nach Europa kamen und wahrsagten. Er führt als Beweis eine Stelle aus Juvenalis an, 6. Satire, Vers 582: Divitibus responsa dabit Plıryx augur et Indus Conductus dabit astrorum mundique peritus. Weber erwähnt in der Erklärung dieser Stelle bei Gelegenheit der Indier die Zigeuner. Die kurz vorher- gehenden Worte: „frontemque manumque praebebit“* er- innern allerdings an sie. In der Umgegend von Moskau und in Moskau selbst wohnen sie in Häusern, verheirathen sich auch mit sol- chen, die nicht Zigeuner sind, da ein Graf Tolstoi und ein Fürst Gagarin Zigeunerinnen zu Frauen hatten. An anderen Orten, besonders in Spanien, vermeiden sie so die Verbindung mit Nichtzigeunern, dass nach Hnber’s Skizzen aus Spanien ein Zigenner seine Tochter nur dess- wegen erstäach, weil sie Einen heirathen wollte, welcher kein Zigeuner war. In Ungarn, der Moldau und Wallachei, wo sie be- sonders zahlreich sind, sind nicht Alle Landstreicher, sondern Einige beschäftigen sich auch mit Goldwaschen; welche Rudari oder Aurari heissen, Eine zweite Klasse, die Ursari (Bärenführer), beschäftigt sich besonders mit dem Einfangen und Zeigen von Bären. Die dritte Klasse, die Lingurari, macht allerlei Holzwaaren, sowie Schmie- dearbeit, ist am meisten gebildet und fängt an, sich Häu- ser zu bauen. Zur vierten Klasse er die Laiessi 1 “ 215 oder Landstreicher. Diese ziehen herum, belteln, steh- len, treiben Pferdehandel, arbeiten auch als Schmiede- knechte. Früher machten die Zigeuner auch Feuerge- wehre, Lanzen, Säbel und Kriegsrüstungen. Die Laiessi sind, wie alle herumziehenden Zigeuner, sehr unreinlich, meistens nur in Lumpen gehüllt, lieben aber ungeachtet dessen doch den Putz, besonders rothe und blaue Kleider und gelbe Stiefeln. Man trifft sie oft in rothen Gewändern und barfuss.. Ihre Kinder, welche sie in dem Alter von 3 Monaten schon auf dem Rücken bei ihren Zügen überall in jedem Wetter mitnehmen, ge- hen bis zu 10 Jahren ganz nackt. Eine Zigeunerin gab einem Kinde, welches fror, einen Strick als Erwärmungs- mittel zum Umbinden. Bei dieser Lebensart halten sie sehr viel aus, sind selten krank, werden bis 100 Jahre alt, auch älter; in einer Anmerkung zum Sterndeuter von Walter Scott wird ein Zigeuner genannt, welcher 120 Jahre alt geworden ist. Als einen Beweis, welchen geringen Einfluss die Kälte auf sie hat, erzählt Casca, der Uebersetzer von Kogalnitchan, dass ein nackter Zigewer und ein in viele Pelze gehüllter Fleischer auf dem Eise neben einander geschlafen haben, und man am andern Morgen den Zigeuner beschäftigt gefunden hat, dem erfrorenen Fleischer die Glieder aufzuthauen. Den Kindern lassen sie von Jugend an freien Wil- len, in Folge dessen sie zeitig anfangen zu betteln. Die Kinder werden auch schon in früher Jugend in. Musik und Tanzen unterrichtet. Wenn Eheleute Streit zusam- men haben, schlagen sie sich mit den Kindern, welche sie. bei den Füssen fassen. ‚In Folge dessen findet man viele Krüppelhafte unter ihnen, Viele bringen sich auch absichtlich offene Schäden am Körper bei, um bei dem Betteln mehr Erbarmen zu erregen. Einen Arzt brauchen sie bei Krankheiten nicht, sondern thun entweder gar nichts, oder lassen Blut ab, weil sie sehen, dass diess dem Vieh nützlich ist, da sie bei ihrem Pferdehandel auch Thierarzneikunst verstehen. Sie heilen krankes Vich, werden aber auch beschuldigt, ihm Gift zu geben, wel- ches nur auf das Gehirn wirkt, um es dann, wenn es gefallen ist, verzehren zu können, Als in der Stadt Lo- gronno in Spanien durch die Pest eine Menge Menschen getödtet wurde, warf man:den Zigeunern vor, die Brun- nen vergiftet zu haben, und diese Beschuldigung hat dess- halb etwas für sich, weil sie die Stadt bald nachher plün- dern und zerstören wollten. Nach Borrow’s Angabe hat ein Buchhändler auf das Vergiften der Brunnen durch Zigeuner aufmerksam gemacht. Als im 14. Jahrhundert die Pest (der schwarze Tod) in Europa so heftig wüthete, dass sie nach Tetzner’s Angabe gegen 25 Millionen Menschen hinraffte, schob man die Schuld auf die Juden und sagte, sie hätten die 216 Brunnen vergiftet. Hieraus entstand eine heftige Verfol- guug der Juden. Diese zogen sich, nachdem sich vor Angst: Viele selbst getödtet hatten, in Höhlen und Berge zurück, bildeten sich eine eigene, mit vielen hebräischen Wörtern versehene Sprache, das Rottwelsch, und wurden endlich, als sie die Menschen für etwas beruhigt hielten, wieder sichtbar, im Anfange des 15. Jahrhunderts. Da um dieselbe Zeit die Zigeuner ankamen, wurden sie von Vielen irrthümlich für versteckt gewesene Juden gehalten. Doch ihre Sprache ist von dem Rottwelschen verschieden, und ausserdem ist noch ein grosser Unterschied, dass die Juden eine Religion haben und die Vorschriften ihres Sittengesetzes streng beobachten, man aber bei den Zi- geunern gar keine Religion entdeckt hat, wiewohl: sie überall die Landesreligion scheindar annehmen, ohne wirk- lich daran zu glauben. Ihre Kinder lassen sie zum Theil wiederholt taufen, um recht viele Pathengeschenke zu bekommen, und halten nach Borrow viel auf ein Be- gräbniss auf einem Kirchhofe, wiewohl sie sonst sich nicht den christlichen Gebräuchen anschliessen , da sie in keine Kirche gehen, sich auch nicht von Geistlichen trauen lassen. i Man hat, besonders in früherer Zeit, auch wenige Versuche gemacht, sie zu bessern, da man sie theils ge- duldet, theils verfolgt, aber wenig für ihr Wohl gethan hatte, worin in neuerer Zeit Borrow in Spanien und die Lehrer und Geistlichen, welche in Friedrichslohra un- ter ihnen wirkten, ganz gute Erfolge gefunden haben. In Schottland ist sogar vor 2 Jahren ein Geistlicher ge- storben, welcher ursprünglich ein Zigeuner war. (XXXIM. Jahresber. d. schles. Gesellsch. f. vaterl. Kultur. 1855.) Miscelle. Ueber den Einfluss des Blutlaufs auf die Bewegungen der Theile des Kopfes hat Dr. Kussmaul an Kaninchen Versuche angestellt, welche inter- essante Resultate geliefert haben. Bei Abhaltung des arte- riellen Blutzuflusses mittels Drucks auf den Truncus anonymus erfolgte: Verengerung der Pupille, der Augenlidspalte, der Nasenlöcher, des Mundes und der Ohrmuschel, worauf indess in einem 2. Zeitraume Erweiterung derselben erfolgte. Die Wiederherstellung oder Vermehrung des arteriellen Blutzu- flusses bewirkt Erweiterung der Pupille, der. Augenlidspalte, der Ohrmuschel, selten des Mundes; die Nasenlöcher erleiden bald Erweiterung bald Verengerung. Bei Zurückhaltung des arceriellen Blutes ist der Augapfel nach oben und aussen, beim Wiedereinströmen nach innen und unten gerichtet; im 1. Falle tritt er zurück, im 2. vor. Zurückhaltung des ve- nösen Blutes verengt die Pupille, erweitert die Lidspalte, treibt die Augäpfel vor, und beim Wiederabfluss erfolgt das Entgegengesetzte. Die Pupille verengt sich bei Beugung des Kopfes und verengt sich bei Streckung. (Verh, d. ph.-med. Ges, zu ‚Würzbg. VI.) | 218 Heilkunde. Ueber die Hörmaschinen. Von Dr. W. Rau (Bern) *). In einem Anhange handelt der Verf. die Hörmaschi- nen in folgender Weise ab: „Die verschiedenen künstlichen Vorrichtungen, um bei unheilbarer Schwerhörigkeit eine Erleichterung zu be- wirken, bezwecken theils eine Verstärkung, theils eine bessere Leitung des Schalles in den äusseren Gehörgang, und zerfallen im Allgemeinen in hohle und compacte Lei- ter. Erstere sind auf die erleichterte Wahrnehmung der verstärkten und in den Gehörgang geleiteten Schallwellen, letztere auf die Fortpflanzung der durch sie erregten Vi- brationen der Schüdelknochen auf den Gehörnerven be- rechnet. Seit den ältesten Zeiten in Gebrauch, bald ganz empirisch, bald auf die sinnreichste Weise nach acusti- schen Gesetzen construirt, verändert und verbessert, ent- sprechen doch sämmtliche Hörmaschinen ihrer Aufgabe, eine wahre Verbesserung des Gehörs zu bewirken, nur unvollkommen, so dass wir bis jetzt kein Instrument be- sitzen, welches dem Ohre die gleichen Dienste zu leisten im Stande wäre, wie eine gut gewählte Brille dem Auge. Die Schwierigkeiten, ein solches herzustellen, sind so gross, dass sie zum Theil unüberwindlich zu sein schei- nen. Die erste Aufgabe, die Aufnahme der Schallwellen zu erleichtern, sie zu concentriren und verstärkt auf das Trommelfell einwirken zu lassen, ist bei vielen Appara- ten möglichst vollständig gelöst, bei keinem einzigen aber mit- der zweiten Aufgabe, eine gleichzeitige grössere Deut- lichkeit der Schalleindrücke zu bewirken, in gehörigen Einklang gebracht. Die blosse Verstärkung der Töne nützt bei rascher Aufeinanderfolge derselben am wenig- sten, wobei dieselben häufig in widriger Weise schwirren, in einander fliessen oder nachklingen, was in Bezug auf das Verstehen der Sprache von dem bedeutendsten Ein- Qlusse ist. In analoger Weise können sich manche Per- sonen mit lauter, durchdringender Stimme Schwerhören- den am wenigsten verständlich machen, "ein Uebelstand, der durch viele Hörmaschinen in weit auffallenderem Grade hervortritt. So lange das Problem, Verstärkung der Schall- 'eindrücke ohne Beeinträchtigung ihrer Deutlichkeit zu be- wirken, noch ungelöst ist, werden wir unter der grossen Menge von Hörmaschinen nur ausnahmsweise solche aus- zuwählen im Stande sein, welche dem Schwerhörenden einen wahren, bleibenden Nutzen gewähren. Vorüberge- hend wirken viele derselben höchst wohlthätig ein, wäh- rend sie bei längerem Gebrauche nicht nur ihren Dienst versagen, sondern leider sogar nicht selten eine grössere *), Ks” Ebene der Ohrenheilkunde für Aerzte und Bra: von Dr. W. Rau, Prof. zu Bern. Mit in den un Abb. 8. Berlin, bei H. Peters, 1856. Eine urch Sorgsamkeit und unparteiischen Sinn sich aus- zeichnende Behandlung der Ohrenheilkunde. Abstumpfung der Gehörnerven herbeiführen. Dies gilt besonders von solchen Instrumenten, welche theils in Folge der eigenthümlichen Construction, theils des Materials, eine zu starke Resonanz erzeugen. Auf eine vollständige Aufzählung der höchst zahlreichen, kaum zu überblicken- den Gehörmaschinen im Voraus Verzicht leistend, sollen in Folgendem bloss die wichtigsten derselben namhaft gemacht werden. 1. Die Ohrklemmen und Ohrkissen. Dazu bestimmt, durch Erhebung der zu flach anlie- genden Ohrmuschel einen günstigeren Einfallswinkel für die Schallwellen zu bewirken, haben die hierher gehöri- gen Vorrichtungen einen ziemlich beschränkten Nutzen. Sie leisten kaum mehr, als die Erhebung der Ohrmuschel durch die dahinter gehaltene Hand, wodurch sich Schwer- hörende instinetmässig einige Erleichterung verschaffen. Von einiger Bedeutung ist der von Lincke *) zuerst gewür- digte Umstand, dass sie die in eine mehr oder weniger schmale Ritze verwandelte Oeffinung des Gehörganges wie- der in eine rundliche Form bringen. Das bemerkenswer- theste Instrument der Art ist das von Webster in London herrührende, unter dem Namen Otaphone bekannt gewordene. Ein gewisser Robinson von London ver- kauft dasselbe auf dem Continent als angeblich von ihm erfunden. Es besteht aus einer silbernen, der hinteren Seite der Ohrmuschel angepassten, durch einen schnabel- förmigen Vorsprung "sich selbst haltenden Klemme, welche den Winkel zwischen Ohr und Kopf auf 459 vergrössert. Schon Buchanan empfahl, seiner früher schon erwähn- ten Theorie zu Folge, zu gleichem Zwecke ein mit Baum- wolle umwickeltes Korkkissen, statt dessen man sich auch eines nach einem Gypsabgusse leicht herzustellenden Kis- sens von Gutta-Percha bedienen kann. Die von den äl- teren Chirurgen erwähnten Ohrkissen hatten einen ande- ren als akustischen Zweck, indem sie zu Verbänden bei Wunden und den noch ziemlich problematischen Brüchen der Ohrmuschel benutzt wurden. 2. Die künstlichen Ohren. Wenn auch gewöhnlich nur zur Hebung der Entstel- lung nach dem Verluste der Ohrmuschel benutzt, wirken die künstlichen Ohren doch auch durch Beförderung der Schallleitung, um so mehr, da sie mittelst eines in den äusseren Gehörgang eingefügten Röhrchens befestigt wer- den. Um ihnen einen besseren Halt zu geben, werden sie meistens noch durch eine über den Kopf laufende Fe- der unterstützt. Dem äusseren Ohre genau nachgeahmt, werden sie theils aus Papier mache, gepresstem Leder oder Holz, theils aus getriebenem Metall verfertigt, mit Oelfarbe angestrichen oder emaillirt. ”) C. Chr. ee Encyklopädie der gesammten Me- diein. Leipz. 1842. 3 8.44. Art. Hörmaschinen, 219 3. Die Schallfänger oder Hörschalen. Den künstlichen Ohren sich zunächst anreihend, wer- den die Schallfänger theils hinter dem Ohre befestigt, theils über dasselbe gestülpt, um die Schallwellen gesam- melt in den Gehörgang zu leiten. Sie werden aus ver- schiedenem Material, gleich den künstlichen Ohren, an- gefertigt, am häufigsten aus Metall. Die silbernen ah- men öfters die natürlichen Windungen der von ihnen be- deckten Ohrmuschel nach, und sind so eingerichtet, dass sie sich an letztere anschliessen, ohne einer besonderen Befestigung zu bedürfen. Die muschelförmigen, hinter dem Ohre befestigten Schallfänger, z. B. die aus wirkli- chen Muscheln bestehenden spanischen Ohren, werden durch einen über den Kopf laufenden Bügel gehalten. Die eigentlichen Ohrkapseln, welche das ganze Ohr einschlies- sen, sind nach vorn mit einer zur Aufnahme des: Schal- les bestimmten Oefinung versehen. ' Letztere entsprechen am wenigsten ihrem Zwecke, indem die zwischen dem Instrumente und dem Ohre eingeschlossene Luftschicht ein beständiges Brausen vermittelt. Am besten sind die Schall- fänger, welche, zugleich als Otaphone wirkend, die Ohr- muschel heben und durch Vergrösserung derselben die Schallleitung erleichtern, wie die nach diesem Princip construirten Instrumente von Lincke und Schmalz. Werden die Schallfänger mit Röhrchen versehen, welche in den äusseren Gehörgang eingefügt werden, so nähern sie sich schon den eigentlichen Hörrohren, wie das In- strument von Fallon und das vielfach modificirte, soge- nannte Hörrohr von Amuel, welches vielen Schwerhö- renden eine grosse Erleichterung gewährt. Letzteres be- steht aus zwei muschelförmigen, mittelst einer Feder am Kopfe befestigten, nach vorn mit einer weiten Oeflnung versehenen Schallfängen von schwarzlackirtem Eisenblech, aus deren unterem Ende in den Gehörgang zu bringende Röhrchen hervorragen. Bei Frauenzimmern lässt sich das Instrument durch Locken und Hauben so gut verdecken, dass es kaum bemerkt wird. Erregt es Sausen, so kann dieses durch Ueberspannen der Schallöffnung mit Flor gemildert, manchmal ganz beseitigt werden. Fallon’s Instrument ist eine silberne, mit einem Röhrchen tief im Gehörgange befestigte Muschel. Die von Itard empfoh- lenen Metallmützen trifft der gleiche Vorwurf, wie die Ohrkapseln. Sie sind auch, gleich diesen, fast ganz aus- ser Gebrauch. 4. Die Hörrohre. Im Allgemeinen darin übereinstimmend, dass sie mit einem engen Ende, dem ‚Zuleitungsrohr, versehen sind, welches an das Ohr gehalten oder auch wohl in den Ge- hörgang geschoben wird, während in das entgegenge- setzte erweiterte Ende, den Schallfänger, gesprochen wer- den muss, bieten sie eine solche Menge von Formver- schiedenheiten dar, dass eine vollständige Aufzählung der- selben eine schwierige Aufgabe sein würde. Zu den be- liebtesten akustischen Hülfsmitteln 'gehörend, erfüllen üb- rigens die Hörrohre, auf welche eich die früheren Be- 220 merkungen vorzugsweise beziehen, nur selten ihren Zweck vollkommen. Dieser Umstand hat unstreitig dazu beige- tragen, die verschiedenartigsten Formen der Instrumente zu versuchen, welche jedoch keinen wesentlichen Einfluss zu zeigen vermochten. Aus Holz, Horn, Elfenbein, Kautschuk, Papier mache, bisweilen aus einer natürlichen Muschel, am häufigsten aus Metall verfertigt, bald ge- rade, schwach gekrümmt, ziegenhornartig, posthornför- mig , trompetenförmig oder schneckenartig gewunden, nach Art eines Theaterperspectivs zum Ausziehen eingerichtet, bald einfach, bald doppelt, mit einem gemeinschaftlichen Schallende über der Stirn versehen, bald mehrere, durch künstliche Trommelfelle getrennte Höhlungen einschlies- send, bald mit einem langen, biegsamen Ansatzrohre ver- sehen, haben die meisten hierher gehörenden Vorricht- ungen den Uebelstand, dass sie durch allzu grosse Ver- stärkung des Schalles den ‚Gehörnerven empfindlich aff- eiren, leicht überreizen und wenigstens eine momentane Verwirrung des Gehörs verursachen. Auf die Unterhalt- ung in unmittelbarer Nähe berechnet, stehen sie, den Schallfängern in Bezug auf die deutlichere Wahrnehmung entfernter Töne entschieden nach, gewähren aber im ge- selligen Verkehr mit einzelnen auch wiederum . grössere Vortheile. Ohne eine grössere Tonstärke zu bewirken, haben die stark gewundenen Hörrehre die unangenehme Eigenschaft, ein beständiges, Sausen zu erregen, indem die leisesten Luftschwingungen wie in einer Muschel hör- bar werden, sobald man das Zuleitungsrohr dem Ohre nähert. Am stärksten zeigt sich dieser Nachtheil bei den metallenen Instrumenten, welche darum nur bei grossem Torpor der Gehörnerven geeignet sind. Vor'einigen Jah- ren machte Ennemoser in der Allgemeinen Zeitung auf ein in England erfundenes, angeblich äusserst zweckmäs- siges Hörrohr aus Gutta-Percha aufmerksam, worüber er nähere Mittheilungen versprach, welche jedoch ‚meines Wissens nie erfolgt sind. Mässig gebogene, mit. einem engen Zuleitungsrohre versehene Instrumente aus Kaut- schuk sind für die meisten‘ Fälle die zweckmässigsten. Den unangenehmen gellenden Ton. und das durch ‚ze starke Resonanz bedingte Nachklingen: der ‚metallenen Hörrohre hat man auf verschiedene Weise zu mässigen gesucht, durch Bedecken mit einer siebartig durchlöcher- ten Platte, durch Ueberspannen mit Crepp oder ähnlichem porösen Zeuge, durch die künstlichen Trommelfelle aus Goldschlägerhaut und ‚durch Anstreichen der inneren Flä- che mit einem kleberigen Stoffe, sogar mit Ohrenschmalz, ohne diesen Uebelstand ganz beseitigen zu können. ‚Des- halb dürfte aber das von Beck als das beste Material empfohlene chinesische Klangmetall am allerwenigsten zu Hörrohren geeignet sein. Der grösseren ‚Bequemlichkeit wegen hat man den Schallfänger mit einem langen, bieg- samen Zuleitungsrohre versehen. Dahin gehören als die bekanntesten Apparate der holländische Hörkelch und das Sprachrohr von Duncker. Ersterer besteht aus einem becherarlig geformten Blechgefässe, mit Flor überspannt, innen mit einem umgestürzten, den ‘Boden nicht ganz berührenden, mit dem Zuleitungsrohre communicirenden Trichter verschen. Das Duncker’sche Hörrohr unter- scheidet sich nur dadurch von dem vorigen, dass es statt des Kelchs mit einem einfachen Horntrichter als Schall- fünger versehen ist. Bei beiden recht brauchbaren Ap- paraten ist übrigens das durch die Spiraldrahtwindungen des Rohres verursachte Schwirren der Töne manchen Personen höchst lästig. Den Hörrohren hinsichtlich der Form am nächsten stehend sind die Ohrtrichter, welche jedoch streng ge- nommen als blosse Schallfänger betrachtet werden könn- ten. Meistens in weit kleineren Dimensionen angefertigt, stellen sie möglichst genau in den Gehörgang gefügte, mit einer. trichterförmigen. Erweiterung versehene Röhr- chen dar, welche den Zweck haben, den Gehörgang zu erweitern, dessen Krümmung auszugleichen und die Schall- leitung zu befördern. Ersterer Aufgabe am besten ent- sprechend, helfen dieselben wegen zu geringer Weite des Trichterendes als Schallleiter verhältnissmässig so wenig, dass sie in dieser Beziehnng nur als eine nutzlose Spie- lerei. gelten können. Früher häufig elwas grösser gear- beitet, mitunter mit Spiralwindungen versehen, wie die Röhrchen von Bernstein, Desmonceaux u. A., werden dieselben in neuerer Zeit so zierlich gemacht, dass sich die schmale Trichtermündung in der Ohrmu- schel zwischen dem Tragus und Antitragus in fast un- merklicher Weise verbergen lässt, wie die Instrumente von Abraham und Frankenheim, welche mit Baum- wolle umwickelt, in den Gehörgang gebracht werden. Die von Silber oder Gold verfertigten, zu unverhältnissmässig hohen Preisen verkauften Röhrchen habe ich für mehrere Patienten in Elfenbein nachahmen lassen. Sie leisten, aus diesem Material gearbeitet, wenigstens die gleichen Dienste wie die kostspieligen Originalinstrumente, welche zu 3 bis 5 Thalern das Paar zu beziehen sind. Gleich dem Otaphone werden sie aber von den meisten Schwer- hörenden nach kurzer Zeit als ziemlich unbrauchbar be- seitigt. Bei Zerstörung des Trommelfells könnten sie, am engen Ende mit Goldschlägerhaut überspannt, zum Schutze des mittleren Ohres gegen atmosphärische Ein- llüsse, das Eindringen von fremden Körpern u. dgl. gleich den von Autenrieth empfohlenen künstlichen Trommel- fellen getragen werden. u 5. Die festen Schallleiter. Auf die Beobachtung gestützt, dass durch Vibratio- nen der Kopfknochen Schalleindrücke auf den Gehörner- ven fortgepflanzt werden können, bemühte man sich viel- fach, Schwerhörenden durch feste, :mit tönenden Körpern in Verbindung gesetzte Leiter eine Erleichterung zu ver- schaffen. Sämmtliche hierher. gehörige Vorrichtungen sind übrigens von sehr beschränktem Werthe, indem sich ihr Nutzen weit weniger auf die Wahrnehmung von arli- rten Lauten, als von musikalischen Tönen bezieht. durch einen zwischen den Zähnen gehaltenen und mit dem Resonanzboden eines Klaviers oder anderen Sai- teninstruments in Berührung gebrachten Holzstab oder eine ähnlich benutzte irdene Tabakspfeife u. dergl. die Musik von fast Tauben noch sehr gut vernommen wer- den kann, ist eine bekannte Thatsache, welche man schon lange auch zur Mittheilung von Sprachlauten auszubeu- ten versucht hat. Jorissen empfahl dazu einen laugen, dünnen Holzstab, welchen der Schwerhörende und Re- dende an den enigegengesetzten Enden an die Zähne hal- ten musste. Itard benutzte ein pyramidenförmiges, höl- zernes Sprachrohr mit einem nach Art eines Clarinetten- mundstücks geformten Ende, welches von dem Schwer- hörenden zwischen die Zähne genommen wird, während man in die pyramidenförmige Erweiterung spricht, ohne dieselbe mit dem Munde zu berühren. Das Instrument darf nicht mit; den Händen gehalten, sondern mnss durch einen an der Decke hängenden Faden oder eine hölzerne, auf dem Boden stehende Gabel unterstützt werden. Ohne manche andere, hierher gehörige complieirte Vorrichtun- gen näher zu ıberühren, sei noch bemerkt, dass Lecot') als neues Mittel, sich Schwerhörenden verständlich zu machen, ein gewöhnliches Hörrohr von Blech empfiehlt, welches er zwischen den Zähnen halten lässt und in die Mitte der Oeffnung desselben deutlich artieulirt, ohne An- strengung spricht. Diese angeblich neue Erfindung, de- ren Priorität Strauss-Dürkheim?) in Anspruch nimmt, ist übrigens schon von Jorissen®) und Büch- ner?) erwähnt, welche aber nur dann eine günsti Wirkung beobachten konnten, wenn der Redende den Rand der Oeflnung des Sprachrohrs mit seinen Zähnen berührte. Einen ähnlichen Fall führt Sachs?) an. Der künstliche Tensor tympani nach Er- hard°) scheint hier seine geeignete Stelle zu finden, indem er auf Wiederherstellung der unterbrochenen Schall- leitung im mittleren Ohre berechnet ist. Ein solche Un- terbrechung nimmt Erhard bei Schwerhörenden an, wenn sie den Schlag einer Cylinderuhr vom Processus mastoideus aus deutlich vernehmen, bei freier Tuba und Paukenhöhle während der Berührung des häufig perforir- ten, mit Granulalionen oder mit einer Pseudomembran bedeckten Trommelfells mit einem Pinsel u. dgl. augen- blicklich besser hören, nach Entfernung des berührenden Körpers aber sogleich wieder schwerhörend werden. Durch Einbringen eines mit Bleicerat bestrichenen Kügelchens von Watte verbesserte Erhard nicht nur sein eigenes Gehör, sondern will auch an Anderen gleich günstige 1) Gazette medicale de Paris 1854 N. 29 pag. 446. 2) Daselbst 1854 N. 36 pag. 556. 3) Diss. sistens novae wethodi, surdos reddendi audien- ups et wedicas raliones. al. 1757. ) A. E. Büchner’s Abhandlung von einer besonderen und leichten Art, Taube hörend zu machen. Halle, 1759, S. 45 $. 36. 5) Misc. natur. cur. Vol. I. ann. 1. Obs. 35. — Krit- ter und Lentin, a. a. ©. 8. 69. 6) De auditu quodam dificili nondum observato. Berolini 1849 pag. 24. — Der künstliche Tensor tympani, oder Taub- haut heilbar durch Druck. Deutsche Klinik 1858 No. 52 S. 581—682, 223 Wirkungen beobachtet haben. Ohne den von ihm später benutzten Tensor zu beschreiben, bemerkt er blos, dass derselbe in einem Winkel von 55° zu liegen kommen müsse, den die untere Fläche des Gehörganges mit dem Trommelfell bildet, so dass der obere Theil des letzte- ren, gleichviel, ob dasselbe durchbohrt sei oder nicht, mitschwingen könne. Wiewohl nach Erhard 4 Procent aller Schwerhörigen in obige Kategorie gehören sollen, so ist es mir bis jetzt noch nicht gelungen, einen ein- zigen Fall der Art aufzufinden, in welchem ein Druck auf das Trommelfell Verbesserung des Gehörs bewirkt hätte. Ohne darum mit Kramer!) den künstlichen Tensor tympani aus theoretischen Gründen unbedingt zu verwerfen, sollte man vielmehr die Aufmerksamkeit der Ohrenärzte auf denselben lenken und zur Mittheilung hier- her gehöriger Beobachtungen auffordern. Bedenkt man, dass das Einbringen von Baumwollekügelchen bei durch- bohrtem Trommelfell nach Yearsley, so wie die künst- lichen Trommelfelle nach Toynbee offenbar in ähnlicher Weise wirken mögen, so ist die Sache wichtig genug, um sie zum Gegenstand allgemeinerer Nachforschung zu machen. Jedenfalls dürfte es aber rathsam sein, bei Wiederholung der Versuche mit dem künstlichen Tensor tympani zuvor der angeblich in den dazu geeigneten Fäl- len nie fehlenden Otorrhöe nebst der unbezweifelt zu Grunde liegenden chronischen Trommelfellentzündung in geeigneter Weise zu begegnen. 4) Ueber Erhard’s künstlichen Tensor iympani. Deutsche "Klinik 1855 N. 6 S. 66. — Die Ohrenheilkunde in den Jah- ren 1851 bis 1855. Berlin, 1856. S. 107. Misceilen. Ueber die Schädlichkeit der Dünste des Ter- pentinöls. Bei frischem Oelanstrich werden die bisweilen dadurch veranlassten üblen Wirkungen gewöhnlich dem beige- mischten Bleiweiss zugeschrieben, und doch hat Hr. Mialhe durch Experimente nachgewiesen, dass das Bleioxyd in den Farben, in denen es sich befindet, fest ist. Die HH. Ade- lon, Chevallier und Tardieu haben gezeigt, dass die Zufälle, die bei frischem Oelanstrich vorkommen, lediglich dem Terpentingeist zugeschrieben werden müssen. Diese, für die öffentliche Hygiene so wichtige Frage ist von Hrn. Mar- chal de Calvi wieder aufgenommen worden; durch seine Nachforschungen ist er zu folgenden Resultaten gelangt: 1) das Bleiweiss ist fix in der Farbe, der es zur Basis dient; es wirkt bei den Zufällen, die beim Aufenthalt in einem Zim- 224 mer mit frischem Oelanstrich vorkommen können, gar nicht mit; 2) diese Zufälle rühren lediglich von den Dünsten des Terpentingeistes her; 3) die Gefahr des Aufenthalts in einem frisch angestrichenen Zimmer ist dieselbe, es mag zu der Farbe Bleiweiss oder Zinkweiss genommen worden sein, so wie die Farbe des Anstrichs Terpentinöl enthält; 4) die Dünste des Terpentinöls wirken auf das Cerebrospinalsystem, vielleicht auch auf den Darmkanal; 5) die Wirkung auf das Cerebrospinalsystem ist überreizend und kann so weit gehen, dass in kurzer Zeit der Tod erfolgt; 6) die Vergiftung durch Terpentingeistdämpfe erfordert eine erregende Behandlung, natürlich aber auch die Beseitigung der Gelegenheitsursache, also Veränderung des Aufenthaltes. (Un. med. 1856 p. 130.) Toddurch Embolie nennt Professor Panum die plötzlichen Todesfälle, welche erfolgen, weil Pfröpfe von Faserstoff oder atlıeromalöser Substanz in den Blutstrom ge- kommen sind und Arterien des Herzens oder der Lungen ver- stopfen; etwas langsamer erfolgt der Tod, wenn Embolie der Hirnaıterien stattfand. Die eigentliche Todesursache -in die- sen Fällen liegt darin, dass die Blulzufuhr zum Gehirn abge- schnitten, also Anämie des Gehirns erfolgt ist. Die erwähn- ten Pfröpfe sind häufig fibrinöser Art, als Producte von En- docardilis, die im linken Herz am häufigsten entstehen, also auch am häufigsten die Arterien verstopfen, welche ans der Aorta entspringen; ebenso ist es mit den atheromatösen Pfrö- pfen, welche am häufigsten an den Klappen der linken Herz- kammer, in der Aorla und in den grösseren Arterien sich bilden; lockere Coagula kommen aus den Aneurysmen; am häufigsten stammen Coagula aus Venen, in denen das Blut stockt. Auch Luftblasen sollen als Embolie wirken können. (Günsburg’s Zeitschr. 7. Bd. No. 6.) Guillot berichtet einen höchst interessanten Fall von Extrauterinschwangerschaft, welche nach 52 Jah- ren durch die Section bestätigt wurde. Der Fall betraf eine 75jährige, in der Salpeiriere zu Paris verstorbene Frau. Sie halte im Jahre 1804 alle Zeichen der Schwangerschaft gefühlt, und es war dieselbe bis zum siebenten Monate regelmässig fortgeschritten, als die heftige Explosion des Pulverthurmes von Grenelle, die ganz Paris erschütterte und bei sehr vielen Schwangeren eine Fehlgeburt hervorrief, auch sie heftig er- schreckte. Sie fühlte eine starke Kindesbewegung und eini- gen Schmerz, welche Erscheinungen sich aber bald legten. Im neunten Monate traten sehr heftige Schmerzen auf, die hartnäckig längere Zeit anhielten und endlich aufhörten; ein hinzugerufener Arzt fand bei der Untersuchung nichts, was eine nahe Entbindung erwarten liesse. Die Frau behauptete aber bis zu ihrem Tode, ein Kind im Bauche zu haben. Bei der Untersuchung während des Lebens fand man den Uterus nor- mal, aber im Bauche eine unbestimmbare Geschwulst. Die Section zeigte einen gesunden Ulerus, keine Spur von. Narbe an demselben. Die Eierstöcke normal. In der Bauchhöhle wenig seröse Flüssigkeit, ausserdem eine grosse Geschwulst, welche fast ganz frei war; dieselbe war in drei Säcke ge- theilt, von denen der eine eine coagulirte rothbraune Masse enthielt, der andere Haare, und ein dritter alle Knochen des Skelelts mit den Zähnen der ersten und zweilen Zahnperiode. (L’union med. No. 18, 1856.) Bibliographische Neuigkeiten. N. — A. Reslhuber , Untersuchungen über d. atmosphärische Ozon. 8. Comm. Braumüller in Wien. 1%, Thlr. Physikalische Abhandlungen d. kgl. Akademie d. Wis- senschaften zu Berlin. A. d. J. 1855. gr. 4 Commiss. Dümniler’s Verl.-Hdlg. in Berlin. 4 Thlr. G. Hartwig, Das Leben des Meeres. 2. Aufl. 1. Lfg. gr. 8. Meidinger, Sohn u. Co. Frankfurt a. M. 12 Sgr. HM. — NM. 4A. Chevalier’s Wörterbuch d. Verunreinigungen u. Verfälschungen der Nahrungsmittel, Arzneikörper und Han- delswaaren. Nach d. Franz. v. Westrumb. 2. Bd. 8. Vandenhöck u. Rupr. in Göttingen. 154% Thlr. €. A. Wunderlich, De actionibus quibusdam acidi nitrici cau- stiei in corpus humanum intromissi. 4. Dürr’sche Buchh. in Leipzig. 4114 Sgr. wi Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena, Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. E. Band hu 15. Naturkunde. B. Cotta, Ueber die Flötzformationen und ihr Alter. — Löwig, Ueber die Anwendung des Wassers als Nutzmaterial, indem man dasselbe durch glühende Kohle zersetzt. — J. Schlossberger, Vivianitbildung im Thier- körper. — Miscelle. Rebmann, Binnenmeer im Inneren Afrika’s. — Heilkunde. B. Breslau, Ueber Krebs der Vaginalportion. — Miscellen. Robert, Behandlung der Knieankylose. — Michea, Das Atropin-Valerianat bei Krampfleiden. — Bibliographie, Naturkunde. Ueber die Flötzformationen und ihr Alter. Von B. Cotta (Freiberg) *). Bei einer gedrängten Darstellung der Flötzformatio- nen hat der Verf. folgende leitende Principien befolgt: „1) Die Flötzformationen sind nicht allgemeine, son- dern in ungleichem Grade lokale Bildungen. 2) In jedem Zeitraume sind in verschiedenen Erd- gegenden etwas verschiedenartige Ablagerungen erfolgt. 3) Die Gesteinsnatur entscheidet nie sicher über das Formationsalter (obwohl sie zum Theil ein Resultat des- selben ist), denn in demselben Zeitraume sind in verschie- denen Wasserbecken oder Theilen eines Wasserbeckens ee Sedimente abgelagert worden, in ganz un- gleichen Zeiten dagegen zuweilen höchst ähnliche. 4) Der Unterschied, welcher allerdings gewöhnlich zwischen den Gesteinen älterer und neuerer Ablagerungen statt findet, ist in der Regel kein ursprünglicher, son- dern ein secundärer, bedingt durch Umwandlungen der ersten Ablagerungsproducte. Es ist deshalb kein ganz constanter oder ausnahmsloser und schon darum ist er für Altersbestimmungen unzuverlässig. 5) Sogar in ein und demselben Ablagerungsgebiet sind oft durch spätere lokale Vorgänge die ursprünglich [4 Sedimente ungleich stark verändert und deshalb jetzt sehr verschieden. Aus rein mechanischen Sedimen- ten sind örtlich selbst krystallinische Gesteine geworden, und krystallinische Schiefer können z. B. geologisch be- trachtet ursprünglich identisch sein mit versteinerungs- reichem Schieferthon, Sandstein u. dergl. 6) Ursprünglich entscheiden nur ungestörle Lager- - *) BüS” Die Lehre von den Flötzformationen, Bearb. v. B. Cotta, Prof. zu Freiberg. Mit Tafeln u. Holaschnitt. 8. 285 S. Freiberg, bei J. G. Engelhardt, 1856. ungsverhältnisse, oder die nachweisbare Auflösung ge- störter, über das relative Alter der Ablagerungen, da- raus aber ist erst durch Erfahrung das meist viel be- quemere Hülfsmittel der Bestimmung des Alters durch organische Reste (Versteinerungen) abgeleitet worden. 7) Auch die Organismen, deren Reste man verstei- nert findet, gehörten in keiner Periode über die ganze Erde hinweg ganz gleichen Arten an. 8) Unter diesen Umständen führt es nothwendig leicht zu Unklarheit, wenn man z. B. auf geologischen Karten Alterthumsunterschiede, solche der Flora und Fauna, und petrographische Unterschiede gleichzeitig darzustellen versucht; es ist das ein freilich schwer zu vermeidender Fehler vieler Karten. 9) Die Eintheilung in bestimmte Formationen oder Zeiträume ist mehr ein Hülfsmittel der Systematik, um die Uebersicht zu erleichtern, als ein treuer Ausdruck der Natur der Dinge. Die Grenzen solcher Formationen las- sen sich zwar lokal, aber nie allgemein scharf fest- stellen. 10) Irgend eine Formation als wirktich erste, als sogenannte Urformation zu bezeichnen, erscheint sehr be- denklich. Die krystallinischen Schiefer, die man zum Theil für die ältesten Gesteinsbildungen der Erde gehalten hat, sind grösstentheils Umwandelungsproducte, deren relatives Alter sich nicht genau bestimmen lässt.‘ In dem weiteren Verlaufe des Werkes sagt der Verf. über die Altersbestimmung der Formationen: „Die Versteinerungen als Hülfsmittel der Altersbestimmung. Das relative Alter der Ablager- ungen ist ursprünglich und wesentlich nur aus ihrem Uebereinanderliegen zu erkennen. Die hierdurch beding- ten Erfahrungen haben aber gelehrt, dass die in den Schichtgesteinen so häufig vorkommenden Versteinerun- gen (Reste oder Spuren von Organismen) je nach dem 15 227 Alter derselben sehr verschieden sind, der Art, dass sie nun in Folge dieser Erfahrungen benutzt werden kön- nen, um durch sie allein oft die gleichzeitige oder un- gleichzeitige Bildung, das grössere oder geringere Alter, auch selbst gänzlich von einander getrennt auftretender Ablagerungen zu bestimmen. Ja, in manchen Fällen hat diese Methode der Altersbestimmung nun umgekehrt dazu gedient, die aus gestörter Lagerung, z.B. Umkip- pung, entstandenen Irrthümer zu berichtigen. Die Ver- steinerungen sind auf diese Weise oft das bequemste, und für gewisse Fälle sogar das einzige Hülfsmittel zur Be- stimmung des relativen Alters der Ablagerungen gewor- den. Ohne ihre Hülfe wäre es z. B. ganz unmöglich gewesen, die Altersverhältnisse amerikanischer Schichten mit denen europäischer zu vergleichen, da ihre gegen- seitige Lagerung natürlich nirgends beobachtet werden kann, die Gesteinsbeschaffenheit aber auf solche Entfern- ung durchaus kein sicheres Anhalten zur Vergleichung darbietet. ‚ Werth und Bedeutung der Versteinerun- gen. Bei der grossen Wichtigkeit der organischen Reste dürfte es gut sein, die Art ihrer Bedeutung noch etwas näher zu besprechen. Vor allen Dingen ist aber noch- mals hervorzuheben, dass 1) die Ungleichheit der Versteinerungen in den Ab- lagerungen ungleichen Alters — der Art, dass jeder Bildungsperiode auch besondere Organismen angehören — kein theoretischer, sondern ein Erfahrungssatz ist. Die Erfahrung hat weiter gelehrt: 2) In den Ablagerungen gleichen Alters, wenn sie unter ähnlichen Umständen gebildet wurden, werden oft über sehr grosse Flächenräume hinweg dieselben Arten (Species) versteinert gefunden. Dieser zweite Satz ist indessen zuweilen als zu all- gemein güllig genommen worden. Allerdings scheint in vielen älteren Ablagerungszeiträumen die geographische Verbreitung der Species eine grössere gewesen zu sein, als jetzt, woraus man wohl schliessen darf, dass die klimatischen Unterschiede in den verschiedenen Erdregio- nen damals geringere waren als jetzt. Einzelne Arten fin- den sich sogar in den Grauwacken- und Kohlenbildungen ganz übereinstimmend in Europa, Nordamerika und Süd- afrika oder in Europa, Nordamerika und Neuholland. Aber gewisse lokale Unterschiede haben doch zu allen Zeiten in der Flora und Fauna statt gefunden. Nament- lich haben auch zu allen Zeiten die Unterschiede zwi- schen Land- und Meeresorganismen, zwischen Bewohnern der Küsten und des tiefen Meeres, der schlammigen, san- digen und felsigen Ufer statt gefunden, und dazu kommt noch der sogenannte brakische Zustand des mit viel Süsswasser gemischten Meerwassers in gewissen, sehr ab- geschlossenen Meerestheilen oder Landseeen (z. B. im caspischen), wodurch nothwendig gewisse Verschiedenhei- ten der fossilen Organismen gleichzeitiger Ablagerungen bedingt sind. 3) In der Altersreihe der über einander liegenden Ab- 228 lagerungen lässt sich eine Art von Entwickelungsreihe der organischen Formen verfolgen, der Art, dass in den ältesten Schichten vorzugsweise solche Organismen gefun- den werden, welche auf der Stufenleiter der Entwickelung ziemlich tief stehen, während erst nach und nach in den neueren Bildungen auch die Ueberreste immer höher ent- wickelter Organismen auftreten; Reste von Säugethieren z. B. erst in einem ziemlich neuen Stadium, Reste von Menschen sogar nur in den allerneuesten Ablagerungen. 4) Zugleich hat sich gezeigt, dass die Organismen der ältesten Zeiträume meist viel mehr von den jetzt lebenden abweichen, als die der neueren, so dass auch in dieser Beziehung eine reihenartige Entwickelung und Annäherung zur gegenwärligen organischen Schöpfung statt findet. Beide diese unter 3 und 4 angeführten Verhältnisse können aber selbst dann in gewissem Grade zur unge- fähren Abschätzung des relativen Alters benutzt werden, wenn auch gar keine specifische Uebereinstimmung nach- weisbar sein sollte. 5) Auch ganze natürliche Gruppen, Familien, Sip- pen oder Genera organischer Formen sind für gewisse Zeiträume bezeichnend, so dass man aus ihrem Auftre- ten oder aus ihrer Häufigkeit ebenfalls ohne specifische Uebereinstimmung ungefähr auf das relative Alter zu schliessen vermag. Solche nur auf verhältnissmässig kurze Zeiträume beschränkte, in diesen aber sehr ver- breitete, durch Zahl der Arten und Individuen sehr aus- gezeichnete natürliche Familien bilden z. B. die Trilobi- ten, Orthoceratiten, Ammoniten, Ceratiten, Goniatiten, Belemniten u. s. w. 6) Es ist ferner die Aehnlichkeit der organischen Formen gleicher Lebenselemente, die Zahl der identischen Arten, in den zunächst über einander folgenden Abtheil- ungen der Reihe stets grösser, als in den durch mäch- tige Zwischenlagerungen (und also grosse Zeiträume) von einander getrennten. Darauf gründet sich die häufig angewendete Methode der Vergleichung zweier räumlich von einander getrenn- ten Ablagerungen, welche darin besteht: die Zahl der in ihnen aufgefundenen, identischen und die der gänzlich von einander abweichenden Arten festzustellen und da- raus zu schliessen. Setzen wir z. B. den Fall, das re- lative Alter der Ablagerung x soll bestimmt und nament- lich mit dem der regelmässig über einander liegenden be- kannten drei Ablagerungen A, B und C verglichen wer- den. Die Untersuchung und Vergleichung ergiebt: In x fanden sich 30 bestimmbare Arten, davon sind überein- stimmend mit A 3 Arten, abweichend 27 »„ B15 „ ” 15 „06 ” ” 24 x ganz eigenthümlich, weder in A noch in B oder © vorhanden, sind 6 Arten, daraus ergiebt sich dann, dass x am meisten mit B übereinstimmt, dabei aber dem Alter nach wahrscheinlich € etwas näher kommt als A, und somit am meisten der unteren Abtheilung von B 229 oder einer Zwischenbildung zwischen B und C entspricht, Natürlich lassen sich aber auf diese Weise nur die Re- sultate analoger Vorgänge mit Erfolg unter einander ver- gleichen, nicht etwa eine Süsswasserbildung mit einer Meeresbildung oder eine Küstenbildung mit einer pelagi- schen. Auch muss bei einigermaassen grosser räumlicher Entfernung der mögliche Einfluss klimatischer Unter- schiede berücksichtigt werden, die allerdings erst in den neueren Zeiträumen deutlich und zonenartig hervortreten, aber doch auch schon in den ältesten Zeiten nicht gänz- lich gefehlt haben dürften. 7) Die geographische (horizontale) Verbreitung, wie die vertikale, d. i. die historische oder Lebensdauer der Arten ist und war stets eine sehr ungleiche, ein Um- stand, der natürlich von grossem Einfusse ist auf ihre Benutzung zur Bestimmung des relativen Alters. Einige Arten sind nur für einen sehr beschränkten, andere für einen sehr grossen Oberflächenraum, einige nur für eine kleine Zahl über einander liegender Schichten, andere für eine sehr grosse Reihenfolge derselben charakteristisch, und das Alles kann für dieselben Arten lokal verschieden sein. Man ist zu weit gegangen, wenn man meinte, gewisse Arten, die an dem einen Orte nur in einer sehr beschränkten Zahl von Schichten vorkommen, müss- ten nun auch überall genau auf dasselbe Niveau be- schränkt sein. 8) Als eine fehlerhafte theoretische Ansicht hat es sich ferner herausgestellt, dass man zuweilen annahm, die einzelnen natürlichen Abtheilungen der Ablagerungs- reihe, die Formationen, enthielten die Ueberreste von in sich abgeschlossenen Schöpfungsperioden, der Art, dass in jeder nur ganz eigenthümliche Species vorkümen, was vorausselzen lassen würde, dass von Zeit zu Zeit und zwar viele Male nach einander, alles organische Leben auf der ganzen Erdoberfläche plötzlich zerstört worden wäre, und dann wieder ein ganz neues, eine durchaus neue Schöpfung entstanden sei. Die Beobachtung lehrt, dass solche von einander scharf abgetrennte Schöpfungs- perioden durchaus nicht nachweisbar sind, und dass viel- mehr die einzelnen Arten ungefähr so einander ablösten, wie es die Individuen, z. B. des Menschengeschlechtes, noch jetzt ihun, d. h. allmälig und fast unmerkbar, ohne gewaltsame Sprünge, wenn auch nicht zu jeder Zeit gleichmässig. Vor 200 Jahren lebten auf der Erde sicher lauter andere Menschenindividuen als jetzt; ver- gleicht man zwei so weit oder noch weiter aus einander egene Zeitmomente unserer Geschichte, so werden alle lebende Individuen in beiden durchaus verschieden sein. Dazwischen aber liegt kein Moment plötzlicher Erneuer- ung der Individuen, sondern ein ganz allmäliger Process derselben. Vergleicht man Zeitmomente, die nur 100 Jahre aus einander liegen, so werden schon einzelne In- dividuen in beiden identisch sein, da einzelne Menschen über hundert Jahre alt werden. Bei nur 5Qjährigem Abstand wird die Zahl der gleichen Individuen schon viel 230 grösser sein und so fort; je kürzer der Zeitabstand der verglichenen Momente ist, um so grösser ist die Ueber- einstimmung der Individuen. Aehnlich, wenn auch nicht genau so, scheint der Wechsel der Arten (Species) nur in viel grösseren Zeitabschnitten erfolgt zu sein, und wenn örtlich einmal durch besondere physikalische Vor- gänge ein etwas schnellerer Wechsel als gewöhnlich ver- anlasst wurde, so lässt sich das ungefähr den lokalen Wirkungen eines Krieges, einer ansteckenden Krankheit oder dergl. vergleichen. 9) Gewisse Arten (Species), welche eine vorzugs- weise grosse horizontale oder eine vorzugsweise geringe vertikale Verbreitung besitzen, oder noch besser beides, und welche überdiess in ihrem Verbreitungsraume beson- ders häufig und zugleich leicht erkennbar (bestimm- bar) sind, eignen sich natürlich ganz vorzugsweise zur Bestimmung des relativen Alters der Ablagerungen. Es sind das für den Geognosten leitende Versteiner- ungen, und da solche am häufigsten unter den Con- chylien vorkommen, so pflegt man sie Leitmuscheln zu nennen, Andere Hülfsmittel zur Bestimmung des relativen Alters. Ausser der einfachen Ueberein- anderlagerung und den Versteinerungen können zuweilen auch noch andere Umstände zur Bestimmung des relativen Alters von Ablagerungen, namentlich im Vergleich mit benachbarten Eruptivgesteinen, benutzt werden. Ich werde die wichtigsten derselben hier in einige kurze Sätze zu- sammenfassen. 1) Schichtgesteine, welche von Eruptivgesteinen durchsetzt, weithin überlagert, in ihrer Lagerung gestört oder in ihrer Natur verändert sind, sind nothwendig äl- ter als diese. 2) Dagegen beweist die Ueberlagerung eruptiver Gesteine durch Schichtgesteine für sich allein noch nicht, dass die letzteren jünger sind, denn die eruptiven Ge- steine können gewaltsam, und doch ohne bemerkbare Stör- ung der Lagerung, zwischen sie eingedrungen sein. 3) Schichtgesteine, welche Bruchstücke, Geschiebe oder überhaupt erkennbare Theile von anderen Gesteinen (seien es nun eruptive oder sedimentäre) enthalten, sind nothwendig neuer als diese, und ebenso müssen Eruptiv- gesteine, welche Fragmente von andern, z. B. Schicht- gesteinen enthalten, auch nothwendig neuerer Entstehung sein, als die, von denen die Fragmente herrühren. 4) Selbst der Mangel von Geschieben gewisser in der Nachbarschaft vorhandener fester Gesteine in Con- glomeraten kann zuweilen als ein Umstand betrachtet werden, welcher es wahrscheinlich macht, dass das Con- glomerat älterer Entstehung sei, als das in ihm fehlende Gestein.‘* 15* 231 Ueber die Anwendung des Wassers als Nutz- material, indem man dasselbe durch glühende Kohle zersetzt. Von Prof. Dr. Löwig (Breslau). Es ist längst bekannt, dass, wenn man über stark glühende Kohle Wasserdämpfe leitet, das Wasser in der Art zersetzt wird, dass sich der Sauerstoff desselben mit der Kohle zu Kohlenoxydgas verbindet, während der Wasserstoff des Wassers in Freiheit gesetzt wird. Da nun sowohl bei der Verbindung der Kohle mit dem Sauer- stoff, als beim Verbrennen des Kohlenoxydgases und des Wasserstoffgases Wärme frei wird, so hat man schon öfter den Vorschlag gemacht, Wasser in der genannten Weise zu zersetzen und die erhaltenen Gase zu verbren- nen. Man raisonnirte einfach folgendermaassen: 1) Bei der Verbindung des Sauerstoffs des Wassers mit der Kohle muss Wärme frei werden; das Gleiche muss stattfinden, 2) bei dem Verbrennen des Kohlenoxydgases, und 3) bei dem des Wasserstoffgases, also eine dreifache Wärmequelle, während, wenn die Kohle allein verbrennt, nur eine gegeben ist. Es muss also bedeutend mehr Wärme gewonnen werden, wenn wir beim Verbrennen der Kohle gleichzeitig Wasserdampf mit derselben in Be- rührung bringen. — Es lässt sich aber zeigen, dass diese Annahme auf irrigen Voraussetzungen beruhe. Die Wärme- menge, welche bei der Bildung einer chemischen Verbin- dung frei wird, steht in genauem Verhältnisse zu der gegenseitigen Anziehung der Stoffe, welche sich chemisch vereinigen. Die Kraft, mit welcher die Stoffe in den chemischen Verbindungen vereinigt sind, ist proportional der im Moment der Verbindung frei gewordenen Wärme. Diese Wärme können wir in Kraft, z. B. in Arbeitskraft, ver- wandeln. Wie bekannt, können auch chemische Verbind- ungen durch Wärme aufgehoben werden; in diesem Falle wirkt die Wärme, welche diesen Effekt bewirkt, als tren- nende Kraft, woraus von selbst folgt, dass die Wärme- menge, welche nöthig ist, um die Verbindung aufzuhe- ben, mindestens eben so gross sein muss, als die, welche bei der Bildung der chemischen Verbindung in Freiheit ge- setzt wurde. Diese Wärme aber, welche als trennende Kraft wirkt, verschwindet in dem Momente, in dem sie diese Function verrichtet; diese Wärme kann nicht die Verwandtschaft aufheben und noch gleichzeitig als freie Wärme wirken; sie findet sich gleichsam latent wieder in den getrennten Körpern vor und kommt nur wieder zur Erscheinung in dem Moment, in dem sich diese ge- trennten Körper wieder chemisch verbinden; ebenso wie die festen Stoffe, wenn sie schmelzen, Wärme binden, welche den flüssigen Zustand zu erhalten hat nnd nicht noch gleichzeitig die flüssigen Körper erwärmen kann; sie kommt aber wieder zum Vorschein, wenn der flüssige Körper in den festen Zustand übergeht. Das Gleiche findet statt, wenn eine chemische Verbindung durch ei- nen einwirkenden Körper aufgehoben wird. Nehmen wir an, die Verwandtschaft einer Verbindung von A + B 232 entspreche 1000 Wärme-Einheiten, und der Körper A entwickele bei seiner Verbindung mit dem Körper € 1200 Wärme-Einheiten, so wird, wenn man auf die Verbind- ung AB den Körper (C einwirken lässt, sich A mit € verbinden unter Ausscheidung von B. Aber in diesem Falle kommen nur 1200 Wärme-Einheiten zur Erschein- ung, die übrigen 1000 verschwinden, weil sie zur Tren- nung von AB verwandt werden, oder sie gehen in tren- nende Kraft über. Nimmt man aber an, C entwickele bei seiner Verbindung mit A nur 800 Wärme-Einheiten, so wird derselbe nicht im Stande sein, die Trennung von AB zu bewirken, denn seine Verwandtschaft zu A ist geringer als die zwischen AB. Diesen Mangel an Ver- wandtschaft können wir aber durch Wärme, welche wir von Aussen einwirken lassen, ersetzen; es verschwindet aber von dieser Wärme so viel, als der Körper € noch nöthig hat, um die Verbindung AB aufzuheben. Daraus folgt allgemein, dass bei der Aufhebung einer chemischen Verbindung genau so viel Wärme latent wird, als sich Wärme entwickelt, wenn sich die getrennten Körper wie- der verbinden. Wenn wir daher Wasser durch glühende Kohlen zersetzen, verschwindet gerade so viel Wärme, welche in trennende Kraft übergeht, als bei der Verbren- nung des Kohlenoxydgases und des Wasserstofigases wie- der zum Vorschein kommt; es kann also von einem Ge- winn an Wärme nicht die Rede sein, die gleiche Wärme- menge muss auch frei werden, wenn man die Kohle allein verbrennt. Hieran knüpfte Lö wig noch einige all- gemeine Betrachtungen über die Aequivalenz der Natur- kräfte und zeigte den innigen Zusammenhang, der zwi- schen den mechanischen Kräften und dem Magnetismus, der Elektricität, chemischer Verwandtschaft und Wärme besteht. (Verh. d. schlesisch. Gesellsch. 1855. XXXIM. Jahresbericht.) Vivianitbildung im Thierkörper. Von J. Schlossberger. Zu einer Mittheilung über die Erzeugung von Blau- eisenerde im Thierorganismus ist Folgendes hinzuzufügen : Hr. Dr. Friedreich, der den interessanten Bericht über die spontane Erzeugung dieser Verbindung in den Lungen eines Menschen giebt, glaubt dadurch zuerst die Möglichkeit der Entstehung von an der Luft sich bläuenden Eisenverbindungen im Thierorganismus gemacht zu haben, und spricht weiter die Vermuthung aus, dass vielleicht manche pathologische Blaufärbungen im Thier- körper sich darauf zurückführen lassen. Die erste Beob- achtung einer Erzeugung von Vivianit (Blaueisenerz) inner- halb des Thierkörpers ist aber von mir gemacht und aus- führlich in Müll. Arch. 1847 S. 221 — 224 beschrieben worden. Sie betrifft die Entstehung ächter Vivianitkry- stalle im Magen eines Straussen, rund um einen ver- schluckten Nagel. Bereits damals suchte ich die Auf- merksamkeit darauf hinzulenken, dass wohl manche blaue Pigmentirungen im menschlichen Körper einer Erzeugung 233 von phosphorsaurem Eisenoxydul ihre Entstehung verdan- ken möchten (so möglicherweise manche Bläuungen des Eiters, der Milch, des Harns). Ausserdem, dass Herrn Friedreich’s Beobachtung meine Vermuthung in sehr erfreulicher Weise bestätigt, hat sie noch das besondere Interesse, dass sie beweist, wie unabhängig von dem von aussen eingeführten Eisen, aus dem im Thierkörper selbst vorhandenen Metall unter gewissen Umständen eine sol- che Eisenverbindung entstehen kann. Ich vermuthe immer mehr, dass alle blauen vom Eisen abhängenden Färbun- gen in pathischen Fällen, nicht wie früher geschehen, auf die Bildung von Berlinerblau, sondern von Vivianit bezogen werden müssen. Noch füge ich bei, dass eine Vivianiterzeugung im menschlichen Knochen (aber aus- serhalb des Thierkörpers) bald nach meiner oben er- wähnten Mittheilung von Haidinger beobachtet (Erdm. Journ. Bd. 46 $. 181) und wiederum in neuester Zeit von Prof. Nieklös in Nancy wiederholt gesehen worden ist (Compt. rendus. T. 41 1855 p. 1169) *). *) Im Jahre 1848 erhielt ich von Herrn Prof. Göppert 234 in Breslau mehrere Stücke eines durchsägten menschlichen Femur zum Geschenk, welche, soviel ich mich erinnere, aus einem Grabe in Oberschlesien slammten. Diese waren nicht bloss äusserlich an mehreren Stellen mit Blaueisenerde über- zogen, sondern enthielten auch innen, sowohl in der Mark- röhre, als in der spongiösen Substanz des Kopfes sehr grosse und schön he je Vivianitkrystalle, Virchow. Miscelle. Binnenmeer im Innern Afrika’. Der Missionär Rebmann hat eine Karte über das eigentliche Herz Afrika’s mitgetheilt, auf welcher Ukerewe, ein Meer ungefähr noch einmal so gross als das schwarze Meer, nämlich 13600 deut- sche Quadratmeilen, eingezeichnet ist; die Karte basirt sich indess nur auf die Mittheilungen der Kingebornen. Der See liegt nach der Karte zwischen dem "%° N. Br. und 131/,° 8. Br. und vom 21° bis 33% Oestl. L. von Paris. — So unveoll- kommen vor der Hand die Miltheilungen sind, so geht nach Petermann daraus doch hervor, dass es in Süd-Afrika nur ng grossen See giebt. (Petermann’s Mitthlgn. 1855 vıll.) Heilkunde. Ueber Krebs der Vaginalportion. Von Dr. B. Breslau (München) *). Die Vaginalportion des Uterus ist der für die Dia- ose der Gebärmutterkrankheiten wichtigste Theil des Oanis und an dieser soll namentlich am häufigsten die Frage, ob ein Krebs des Uterus vorhanden sei, ent- schieden werden. Der Verf. sagt in der nützlichen un- ten genannten Schrift in dieser Beziehung: „Vergrösserung der Vapinalportion wird endlich be- dingt durch Carcinom, mag dasselbe als Scirrhus, fungus medullaris, als epithelialis, oder, was äusserst selten ge- schieht, als colloides erscheinen. Die ersten Anfänge der krebsigen Infiltration verlaufen meist so latent, dass sie nur wenig zur Kenntniss des Arztes und zur Untersu- chung gelangen. Erst wenn sie einen gewissen Umfang erreicht hat, wenn Blutungen und Abgang von Eiter und Jauche und die nach verschiedenen Richtungen ausstrah- Rs Schmerzen die Kranken beunruhigen, erst dann ird gewöhnlich die manuelle Untersuchung gestattet. Nicht genug kann man in solchen Fällen zu einem vor- urtheilsfreien und exacten Untersuchen ermahnen. Vielen Aerzten genügt schon der Geruch der Jauche und ein Tumor in der Vagina, um ohne Weiteres einen Krebs zu diagnostieiren. Dupuytren, Montgomery, Simp- son, R. Lee u. A. berichten, dass sie häufig Kranke *) iS” Diagnostik des Tumoren dec Uterus ausserhalb der Schwangerschaft und des Wochenbettes vom klinischen he. in aus. Von Dr. B. Breslau. 8. 658. München aiser, von anderen Aerzten übernommen haben, welchen alle Hoffnung durch eine falsche, voreilige Diagnose geraubt war. Eines der lehrreichsten Beispiele ist das von Du- puytren in seinen lecons orales (T. IV, p. 286) er- zählte, welches ich in Kürze hier wiedergeben will. „Eine Dame, welcher einer der berühmtesten Chirurgen von Paris kaum 3 Monate Lebensfrist verheissen hatte, weil sie an einem Krebse des Uterus leide, consultirte Du- puytren. Nach einem wiederholten aufmerksamen Tou- chiren sprach er seine Meinung dahin aus, dass sie einen Polypen habe, und erregte hierdurch nicht wenig das Erstaunen des Gatten der Kranken, welcher auf deren unvermeidlich baldigen Tod gefasst war. Der Polyp wurde exstirpirt und schon nach 14 Tagen war die Kranke ge- nesen.‘* Wo also das Leben der Kranken und das Glück vieler Familien von Einem Ausspruche abhängt, von dem Namen: Krebs, der selbst dem gemeinen Manne als ein Todverkündender klingt, da müssen vor Allem die im Folgenden näher angegebenen anatomischen Charaktere des Uebels berücksichtigt werden. Bei Carcinom der Va- ginalportion findet man Eine oder beide Lippen von un- gleich harten, höckerigen, theils isolirt ste- henden und durch tiefe Furchen von einan- der getrennten, theils in einander überge- henden Tumoren von der Grösse eines Hir- sekorns bis zu der einer Haselnuss durch- setzt, zwischen welchen die exulcerirten Stellen als Substanzverluste mit hartem, grieslichem Grunde, geschwollenen, über- geschlagenen und scharf abgeschnitten:n 235 Rändern gefühlt werden. Durch adhäsive, in der Nähe der carcinomatösen Infiltration entstandene Entzün- dung ist in der grossen Mehrzahl der Fälle die freie Beweglichkeit des Uterus frühzeitig aufgehoben, indem er an die ihn umgebenden Organe fixirt wird. Die Farbe des nicht ulcerirten Carcinomes bietet durchaus nichts Charakteristisches, da es von einer mehr oder weniger blutreichen Schleimhaut überzogen ist. Die dem überziehenden Epithel sich nähernden Tumoren erscheinen gelblich, von Gefässen durchzogen, die ulcerirten Stellen gelblichgrau, und sind häufig von einem diphteriti- schen nicht lösbaren Exsudate durchsetzt oder von ei- nem croupösen abtrennbaren belegt. Nicht selten wuchern auf dem Geschwürsboden schwamm- oder, bes- ser gesagt, condylomartige, missfarbige Granulationen von verschiedener Grösse, welche bei Berührung mit dem Fin- ger und dem Speculum stark und nachhaltig bluten und dadurch das deutliche Sehen verhindern. Daher muss die Einführung des Speculums mit grosser Vorsicht gesche- hen, will man nicht den Zweck desselben in Folge der leicht eintretenden Blutung verfehlen und ausserdem noch heftige Schmerzen durch Dehnung des bei Carcinom häufig narbig contrahirten Grundes der Vagina verursachen. Ueber die Art des Krebses, ob Scirrhus, ob Medu- lar oder ein diesem verwandtes Carcinom, entscheidet das Gefühl. Jener fühlt sich hart, diese weich an. Wichtig ist diese Unterscheidung für die Prognose. Harte Krebse verlaufen langsam, bestehen viele Jahre, bis sie ulceri- ren, verheilen selbst stellenweise, sistiren momentan und urgiren keine Operation, weiche dagegen, einmal ulcerirt, verlaufen rapid und enden bisweilen schon nach wenigen Monaten mit dem Tode. Nach Lever betrug die durch- schnittliche Dauer in 120 Fällen 204 Monate, die kür- zeste 3 Monate, die längste 66 Monate. Was endlich die Unterscheidung der wahren Carcinome von den Pseu- docarcinomen, dem Virchow’schen Cancroid, dem Epi- thelialkrebse oder Epithelioma und der zusammengesetzten Papillargeschwulst betrifft, so ist dieselbe am Kranken- bette, wenn man aufrichtig sein und sich nicht in spitz- findigen Diagnosen verlieren will, nicht möglich. Die Beweglichkeit des Uterus vielleicht ausgenommen, welche beim wahren Krebs früher aufgehoben ist, wie bei den Pseudokrebsen, gibt es weder für das Gefühl, noch für das Auge irgend welche sichere Anhaltspunkte für die differentielle Diagnostik. Für die Therapie ist es im Gan- zen auch gleichgültig, denn alle Formen von Krebs ohne Ausnahme führen, wenn sie nicht frühzeitig er- kannt, zerstört oder exstirpirt werden, durch ihre örtliche Ausbreitung früher oder später zum Tode, und was die Prognose betriflt, welche sich allerdings bei den Pseudokrebsen günsliger gestaltet, wie bei den wahren, so kann sie erst nach einer vollständi- gen mikroskopischen Untersuchung des exstirpirten Tu- mors oder nach einer lange fortgesetzten Beobachtung mit approximativer Gewissheit gestellt werden. Die mikro- skopische Untersuchung spontan abgestossener oder mit 236 Willen abgetragener kleiner Stückchen des Tumors ist, den von vielen Seiten gehegten Erwartungen entgegen, nur von geringem praktischen Nutzen. Nur da, wo man die bekannten vielgestaltigen Krebszellen, welche trotz der mit Recht geläugneten Specifität dennoch dem Mikrogra- phen bei Untersuchung von Tumoren von dem allergröss- ten diagnostischen Werthe sind, in grösserer Menge frei oder eingebettet in ein netzförmiges Stroma findet, ist man durch diesen Befund berechtigt, die Geschwulst, von welcher die untersuchten Theile stammen, für eine kreb- sige zu halten. Findet man aber die Krebszellen nicht, so spricht das weder pro noch contra, denn seit man die zusammengesetzte Struktur der Geschwülste kennt, seitdem man weiss, dass die Elemente derselben durch innere und äussere Einflüsse in einer fortwährenden Um- wandlung begriffen sind und ihre Form verändern, geht es nicht mehr an, aus dem Fehler charakteristischer Bestandtheile in Einem Theile einen Schluss auf die Na- tur des Ganzen zu ziehen. Will man sicher gehen, so muss man eine Geschwulst in ihrer Totalität mikrosko- pisch untersuchen, und das kann man eben nur, wenn man sie ganz entfernt hat. Somit ist das Mikroskop, wenn es sich darum handelt, zu entscheiden, ob eine Geschwulst der Vaginalportion Krebs ist oder nicht, ob sie exstirpirt werden soll oder nicht, nur von einem re- lativ untergeordneten Werthe. — Das wesentlichste bei Carcinom der Vaginalportion für die Therapie zu beachtende Moment ist dessen Aus- dehnung. So lange sich die Infiltration mit dem Finger deutlich umgrenzen lässt, so lange sie sich über die In- sertionsstelle der Scheide nicht hinaus erstreckt, so lange die Vagina frei und der Uterus nicht bedeutend vergrös- sert ist, die Inguinaldrüsen nicht hart, schmerzhaft und unbeweglich sind und anderswo keine secundären Abla- gerungen sich finden, kann man, vorausgesetzt, dass es der Kräftezustand der Kranken erlaubt, eine Exstir- pation der Vaginalportion oder eine Zerstörung durch starke Aetzmittel und das Glüheisen in der guten Ab- sicht unternehmen, eine locale Ausbreitung zu verhin- dern, die Resorption des Krebsfermentes, der Zellen oder des Plasma vom primären Herde der Infection aus auf- zuhalten, um auf solche Weise das Leben wenigstens zu fristen, aber keineswegs in der sanguinischen Hoffnung, eine radicale Heilung hierdurch zu bewirken, da in aller Fälle Recidiven oder secundäre Ablagerungen folgen. Häufig genügt eine einzige manuelle Untersuchung, um die Diagnose und daraus den einzuschlagenden Gang für die Behandlung mit Sicherheit festzustellen, bisweilen aber ist eine fortgesetzte Beobachtung nöthig, daher zu einer richtigen Beurtheilung des Carcinoms auch noch die Kenntniss seines Verlaufes nothwendig erscheint. Der- selbe gestaltet sich als ein dreifacher: 1) neue Knötchen entstehen um die alten, die alten wachsen bis zu einer gewissen Grösse, erweichen und vernarben zum Theil, das Volumen des Tumor ändert sich in Folge der ab- wechselnden Neubildung und Zerstörung im Ganzen we- 237 nig; 2) die carcinomatösen Knoten erreichen eine enorme Entwickelung (häufig durch Apoplexieen in ihre weiche Masse), aus den ulcerirten Stellen wuchern neue, bis- weilen gestielle Krebse; 3) die carcinomatöse Infiltration, kaum entstanden, erweicht, ulcerirt und die Ulceration greift unverhältnissmässig um sich. Durch Wiederholung desselben Processes verschwindet allmälig der Tumor und der Substanzverlust, die Verminderung des krankhaften und normalen Gewebes werden immer bedeutender. Wahr- scheinlich ist das von den Brüdern Clarke beschriebene corroding ulcer, welches trichterförmig gegen den Cer- vix sich vergrössert, einen Theil des Uterus zerstört und selbst Blase und Rectum perforirt, kein Geschwäür sui generis, sondern das Resultat einer krebsigen In- filtration, welche in dem Maasse, als sie entstand, er- weicht ist und ein immer weiter sich ausbreitendes Ge- schwür hinterlassen hat, in dessen Grunde und Rändern keine deutlich krebsigen Massen mehr nachzuweisen sind, Vor wenigen Monaten habe ich mit den Herren Dr. Franque und Marr die Section einer Frau gemacht, bei welcher ich sechs Wochen vor dem Tode eine durch krebsige Knoten bedeutend vergrösserte Vaginalportion und krebsige Infiltration der ganzen Scheide gefühlt hatte. An der Leiche fanden wir nur noch unbedeutende Reste der Infiltration, aber dafür eine umfangreiche Zerstörung durch glattränderige Geschwüre, Perforation der Blase und des Mastdarms und einen fast vollständigen Verlust der Vaginalportion. Ich zweifle kaum daran, dass, wenn die Kranke noch länger am Leben geblieben, auch der geringe Rest krebsiger Infiltration geschwunden wäre, und dass dann Einer, welcher die Kranke früher nicht untersuchte, den ganzen Process für ein Specimen eines corrodirenden Geschwüres gehalten hätte, zumal sich auch in keinem anderen Organe secundäre Krebsablagerungen fanden. Blumenkohlgewächs. (Caulillower -excrescence.) Das von den Brüdern Clarke in die Frauenkrank- heiten eingeführte Blumenkohlgewächs der Vaginalportion hat, wie das corroding ulcer, zu mannigfachen Erörterun- en und Ansichten geführt. Während es Einige für ei- nen entschiedenen Krebs mit fungösen Wucherungen hal- ten, haben Andere es zu denjenigen Geschwülsten ge- rechnet, welche zwar durch ihre örtlichen Störungen dem Organismus schädlich und todbringend werden können, aber nie sich generalisiren und, einmal exstirpirt, nicht oder nur im Bereiche der ihnen durch locale Bedingungen zugewiesenen Stellen recidiviren. Weder die eine noch die andere Meinung scheint die richtige zu sein. Das Blumenkohlgewächs ist weder ein waärer, noch ein Schein- krebs. Man muss C. Clarke’s klare Beschreibung in seinen „diseases of females‘“ t. II. p- 62 lesen, um zu wissen, was er unter Blumenkohlgewächs verstanden hat und was man noch darunter zu verstehen hat. Clarke nennt es einen aus Blutgefässen zusammengesetzten Tu- 238 mor, vergleicht es mit einem arteriellen, blutrothen Nae- vus und an einer anderen Stelle mit einer Placenta und sagt: „Die Placenta besteht aus Blut in Blutgefässen und die Caulilower exerescence besteht auch aus Blut in Blut- gefässen.“ Er erzählt, wie er sich bestrebt habe, sei- nen Zuhörern ein frisches Exemplar aus der Leiche zu demonstriren, dass es ihm aber trotz seiner wiederholten Bemühungen dennoch nicht gelungen sei, denn alsbald nach dem Tode verlor der Tumor seine Festigkeit und Grösse, und war nichts mehr als eine lockere, unregel- mässig gestaltete, flockige Masse, welche in Wasser flot- tirte und erblasste. Ein einziges Präparat, welches sich zur Hälfte in des Autors Sammlung, zur Hälfte in dem Museum des royal College of physicians in London be- fand, wurde durch sofortige Erhärtung in Alkohol nach dessen Entfernung aus einer Kranken erhalten. Injection des Tumor gelang Clarke nie, die Gefässe waren so fein, dass selbst bei der grössten Vorsicht die Injections- masse dieselben zerriss und extravasirte. Wir müssen das Clarke’sche Blumenkohlgewächs als eine kolos- sale Gefässwucherung, Verlängerung der ur- sprünglich in den Papillen vorhandenen Ge- füssschlingen und als eine vermuthliche Neubildung von Capillaren betrachten, welche von einem mehr oder weniger dichten Bindegewebe begleitet, in Bündel geschieden und von einem dünnen, den Erhe- bungen und Vertiefungen folgenden Epithel überzogen sind. Sind die Gefässe während des Lebens von circu- lirendem Blute gefüllt, so erscheinen sie dem da- rüber gleitenden Finger als solide Körper, als schmale oder breitere von einander zu entfernende Hervorragun- gen, welche das Gefühl an die Oberfläche des Blumen- kohls oder Broccoligemüses erinnern. So bezeichnend die- ser Vergleich für die reine Gefässhypertrophie ist, so passt er gleichwohl in vieler Beziehung auch für Tumoren anderer, besonders krebsiger Natur, welche, wenn sie aus kleinen traubenartig an einander gereihten Knötchen bestehen oder mit fungösen Granulationen be- deckt sind, einen gleichen Gefühlseindruck erzeugen, wie das eigentliche Blumenkohlgewächs. So ist es denn ge- schehen, dass viele Gynäkologen, welche bloss die Ober- fläche des Tumors berücksichtigten, die Bezeichnung : Blumenkohlgewächs auf verschiedenartige Tumoren aus- dehnten, und so konnte es geschehen, dass zwei der her- vorragendsten, Simpson*) und Mayer **), Beschrei- bung und Abbildung von Blumenkohlgewächsen lieferten, welche aller Wahrscheinlichkeit nach Carcinome waren, weil sie eine infiltrirte, feste Grundsubstanz besassen, ein Moment, welches den Clarke’schen Tumoren vollkom- men fehlt. Will man den Namen: Blumenkohlgewächs nicht ganz aus der Terminologie verbannen, will man damit einen feststehenden Begriff verbinden, so thut man *) Edinburg medical and surgical journal, January 1841. **) Verhandlungen der Berliner geburtshülflichen Gesell- schaft, IV. Jahrg. 239 gut, denselben nicht weiter als auf den von Clarke be- schriebenen Tumor auszudehnen, auf einen Tumor bis zu Hühnereigrösse und darüber, von der Vaginalportion und besonders dem os uteri ausgehend, und mit einem mehr oder weniger dicken Stiele auf gesunder Basis aufsitzend, mit einer lappigen granulirten Oberfläche ver- sehen, von gleichmässig derber, aber nicht fe- ster Structur, von lebhaft rother Farbe und bei Berührung unschmerzhaft, aber leicht und heftig blutend. Die ganze Form des Tumors richtet sich hauptsächlich nach dem Widerstand der Scheide. Ist sie weit und nach- giebig, so wird die Form eine breitere, ist sie straff und eng, so wird jene eine längere. Das Wachsthum scheint bei Frauen, welche schon geboren haben, rapider zu sein, wie bei Jungfrauen. Das von dem Tumor nicht bedeckte Stück der Vaginalportion ist glatt und derb oder, wenn Ulcerationen darauf vorhanden, so haben sie einen gutartigen Charakter , ihr Grund ist nicht indurirt, Rän- der nicht übergeschlagen oder ausgefressen, ihre Farbe nicht grau oder speckartig. Das Alter der Kranken kann die Diagnose unter- stützen, indem das Blumenkohlgewächs vom 20. Jahre an vorkömmt, während Careinome vor dem 30. doch sehr selten sind. Beschäftigung, Lebensweise, Thätigkeit der Genitalien geben keinen Anhalt für die Diagnose. Bei Armen und bei Reichen, bei Jungfrauen und bei Müttern, entwickelt sich das Blumenkohlgewächs so gut wie das Carcinom. Das constanteste, wichtigste Symptom ist eine profuse Secretion einer fleischwasserähnli- chen, gewöhnlich nicht riechenden Flüssigkeit, begleitet und unterbrochen von geringen und sehr hefti- gen Blutungen, welche sich vorzüglich nach irgend wel- chen Anstrengungen oder nach dem Coitus oder dem Tou- chiren einstellen. Eine so anhaltende, profuse Entlee- rung seröser Flüssigkeit findet sich bei keiner ande- ren Krankheit des Uterus, während Blutungen, Schmer- zen in den äusseren Genitalien, im Kreuz und in der Hüftbeingegend , Mitleidenschaft der Blase, des Rectums und der Verdauungsorgane das Blumenkohlgewächs mit anderen Erkrankungen der Scheide, des Uterus und der Ovarien gemein hat. Die seröse Secretion nimmt den Charakter der Jauche an, wenn durch Mortificirung ein- zelner Theile der Geschwulst, welche bisweilen in klei- 240 neren und grösseren Partieen abgestossen werden, oder durch Mangel an Reinlichkeit ein Zersetzungsprocess ein- geleitet und unterhalten wird. Die abgestossenen Par- tieen gleichen der Decidua oder Theilen der Placenta, sind flockig, von Blutcoagulis durchsetzt und unter einan- der verfilzt, und können, mikroskopisch untersucht, die Diagnose erleichtern. — Endlich muss noch bemerkt wer- den, dass der Uterus während des ganzen Verlaufes in der Regel nicht wie Carcinom mit seiner Umgebung ver- wächst, sondern frei beweglich bleibt.“ Miscellen. Bezüglich der Behandlung der Knieankylose sagt Prof. Robert (Giessen), dass es falsch sei, Entzünd- ungen am Knie erst zu beseitigen und dann erst die Streck- ung vorzunehmen. Gerade die Streckung ist geeignet, den Verlauf der acuten Processe zu hemmen und ein Rückschrei- ten der Ankylosirung zu veranlassen. Durch diesen Grund- satz wird das Krankenlager dieser Leidenden sehr beträcht- lich abgekürzt. Als einleitende und Hülfsoperationen sind die Sehnendurchschneidungen und die gewaltsame Streckung zu betrachten; der allmäligen Streckung gebührt der Vorzug um so mehr, als durch dieselbe in gleicher Zeit gleiche, dabei jedoch meistens günstige, Resultate erzielt werden. Robert giebt dazu eine ihm eigenthümliche Extensionsmaschine an von grosser Einfachheit und Wohlfeilheit. Die Maschine ist in dem Werke des Verfs. ((ES” Unters. über die ankylo- tische Stellung des Unterschenkels im Kniegelenk und Er- fahrungen über die Streckung desselben. 8. Giessen, 1855) auf 2 Tafeln abgebildet. Das Atropin-Valerianat bei Krampfleiden. Früher hat man Belladonna und Valeriana bei Neurosen, be- sonders Epilepsie in Substanz gegeben. Hr. Michea gieng auf die wirkenden Hauptbestandtheile zurück. Valeriansäure lässt sich in der Praxis sehr gut statt der Valeriana anwen- den, ebenso das Atropin statt der Belladonna. Dieses letzte vegetabilische Alkaloid verliert durch Verbindang mit einer Säure den grössten Theil seiner giftigen Wirkungen und seine Verbindung mit der Valeriansäure erhöht seine therapeutische Wirksamkeit. Das saure valeriansaure Atropin wird in der ersten Woche täglich zu Y, Milligramm oder 14», Gran, in der 2. Woche zu !/0. Gran gegeben (in der Lucae’schen Apo- theke zu‘Berlin werden trochisei Atropini valerianieci von Yo Gran Gehalte bereitet). Nach der 2. Woche setzt man 2 Wochen aus, und fährt so alternirend %, Jahr fort. So ge- braucht ist das genannte Mittel das wichtigste anticonyulsivi- sche Mittel. (Union med. 1856 p. 126.) Bibliographische Neuigkeiten. N. — 0. Ule, Die Erscheinungen der Wellenbewegung und die Lehre vom Schall, Licht und Wärme. 8. Schmidts Verl. in Halle. 4 Thlr. Le General Renard, De Videntite de race des Gaulois et des Germains. Lettr. adr. ä l’Acad. roy. de Belgique. 8. Bru- xelles. 15 Sgr. : ; Ch. Houel, Manuel d’anatomie palhologique gen. et appliq. contenant la description du Mus&e Dupuytren. 12. 855 p. Paris, Germer Bailliere. 7 Fr. H. — Th. Wiltmaack, Die Hypochondrie in pathologischer und therapeutischer Beziehung. gr. 8. E. Schäfer in Lpz. geh. 1% Thir. D. J. Hauschka, Compendium der speciellen Pathol. u. The- rapie. 2 Thle. 8. Braumüller in Wien. 3 Thir. Fabriques des products chimiques. Rapport a Mr. le Ministre de Pinterieur par la commission d’enquete. 8. avec 7 planches. Bruxelles. 21%, Thlr. Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena. ’ Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. No 16. Jahrgang 1957. I. Band Naturkunde. J. G. Beer, Ueber die Ananas. — Burton, Tages- und Nachtzeit auf dem rothen Meere. — Miscelle. F. Hoppe, Ueber den Einfluss des Zuckers auf Verdauung und Ernährung. — Heilkunde. H. Friedberg, Ueber Muskelentzündung. — Th. Wittmaack, Ueber Hypochondrie. — Miscellen. C A.W. Richter, Die Cholera durch kaltes Wasser zu verhüten und zu heilen. — E. Johnson, „Nervosität ist keine Einbildung.* — de Lamarre, Das Verhältniss des idiopalhischen Blulhustens zum Blutlusten Schwindsüchtiger. Naturkunde. Ueber die Ananas. Von J. G. Beer (Wien). In einer interessanten Bearbeitung sämmtlicher Bro- meliaceen *) bespricht der Verf. ganz besonders die Ana- nassa sativa. Er sagt darüber: „Diejenigen Gewächse, welche reellen Nutzen schaf- fen, wurden am ehesten studirt und zu verbreiten ge- sucht. So haben die Formen der Cacteen, welche ge- niessbare Früchte tragen, oder deren Insekten, Holz und Faser dem Haushalte der Menschen Nutzen gewähren, eine grosse Verbreitung, selbst in den entferntesten Welt- theilen erlangt, obwohl diese seltsamen Gestalten nur auf einen bestimmt begränzten Verbreitungsbezirk, nämlich 40° südl. Breite und 40° nördl. Breite in Amerika an- gewiesen sind. Auffallend ist es, die Vanilla in Amerika im voll- kommen wilden Zustande zu finden, welche wahrschein- lich eine asiatische Pflanze ist. Die Ananassa wurde auch in alle Tropenländer der Erde getragen und ist jetzt in den ihr fremden Welttheilen wie wild wachsend zu betrachten. Wenn nun nachweisbar, dass die Ana- nassa nach Asien und Afrika gebracht wurde und da- selbst förmlich verwildert gefunden wird, — aber die einzige Bromeliacee ist, welche dort vor- kommt, — so liegt die Ansicht nicht sehr fern, dass jene Species der Vanilla, welche jetzt in Amerika sich wildwachsend findet und die einzige stammbildende Form der Orchideen-Familie ist, die Ame- rika bewohnt, — als Pflanzenformen zu betrachten *) 5” Die Familie der Bromeliaceen, mit be- sonderer Berücksichtigung der Ananassa von J. G. Beer. 8. 272 $S. Wien, bei Tendler u. Co., 1857. sind, welche in vorgeschichtlicher Zeit von Asien nach Amerika gebracht wurden. Alterthümer in Central- Amerika und in den süd- lichen Provinzen von Mejiko stehen nun in einsamen Wildnissen in Mitte mächtiger, fast unzugänglicher Ur- wälder — Wahrzeichen einer längst vergangenen Zeit, an denen man Spuren eines Zusammenhanges mit asia- tischer Einwanderung zu entdecken glaubte! — Wenn solche Hypothesen zu begründen wären, dann stände manche Vanilla noch an dem Platze, wo der Mensch sie gepflanzt, und umrankte jetzt die Ruinen jener Wunder- baue, deren Gartenzierde sie einst waren. Gewächse wie die Vanilla, welche in der Jugend nur wenig, im blühbaren Alter aber gar nicht ‚mehr im Boden wurzeln, sondern nur mit ihren zahlreichen, gleich- mässig am Stamme vertheilten Wurzeln an den Riesen- bäumen oder über Fels und Schutt hinankriechen, konn- ten auch, verlassen von der Cultur, ihre jetzigen Stand- orte selbst gewählt heben, indem die feinen Körnchen, welche den Samen darstellen, durch die Lüfte fortgetra- gen, die entferntesten Plätze an den Meeresküsten und in den Urwäldern zu erreichen vermochten, um hier — da sie sehr schnell wachsen — in kurzer Zeit vollkom- men eingebürgert, dem Suchenden die köstliche Vanilla- Frucht zu bieten, So lange eine Pflanze keine Veränderung durch die Cultur erlitt, bleibt immer die Wahrscheinlichkeit, dass unter gleichen Breitegraden eine weit hergebrachte Pflanze endlich auch in dem fremden Boden heimisch werden kann. — In den alten Schriften wird von den Bromeliaceen nur die Ananassa beschrieben, da sie als Nutzgewächs auch vor allen die Aufmerksamkeit auf sich zog.“ „Es ist nun die Frage: worin besteht die Ver- 16 243 änderung der Formen der Ananassa sativa, im Vergleiche mit der wilden Ananassa®“ Die wilde Ananassa hat sich in ihrer Gesammtform durch die Pflege des Menschen nicht viel verändert. Die Hauptveränderung dürfte aber bei der Fruchtbildung zu suchen sein, die durch Uebernährung in allen Theilen angeschwollen erscheint. Es ist ein erheblicher Umstand, dass die Ananassa sativa nur in höchst seltenen Fällen — trotz künstlicher Befruchtung — einzelne Samen bil- det, indem die mit Säften unnatürlich überfüllte Frucht oft zur Zeit der Genussreife schon aufspringt und der Saft auszufliessen beginnt; hierdurch aber wird der noch nicht vollständig reife Same gewöhnlich mit der schnell eintretenden Fäulniss der Frucht gänzlich zerstört, indem er nicht gehörig abzutrocknen vermag. Im kaiserlichen Museum zu Wien befindet sich eine gute Species der Ananassa, gesammelt von Poeppig am Amazonas in der Provinz Parä in Brasilien, mit Namen „Bromelia Ananas Linne.‘“ Mein verehrter Freund, Hr. Dr. Fenzl, hat mir diese seltene Pflanze zu untersu- chen gestattet, wofür ich ihm neuerdings zu grossem Danke verpflichtet wurde. Hier hatte ich Gelegenheit, nachzuforschen, in welchem Stadium der Entwickelung sich diese Pflanzenform bei Cultur zu verändern beginnt. Es finden sich zwei Exemplare der obigen Pflanze im kaiserlichen Museum: eines mit dem Blüthen- stande, das andere mit der Frucht. Die Gestalt der Pflanze ist sehr schlank, der Stengel stielrund, mit we- nigen langen, schmalen Laubblättern besetzt. Zunächst dem Blüthenstande finden sich die Blätter in sehr geringer Entfernung, so zwar, dass sie sich am Grunde decken. Sie sind aufrecht, abstehend, und über- ragen den Blüthenstand dergestalt, dass er wie zwischen diesen Blättern sitzend erscheint. Der Blüthenstand hat eine eiförmige runde Gestalt. Der Laubschopf ist noch unentwickelt. Die Deckblättchen stehen dachziegelförmig, aufrecht, sind scharf gezähnt, bedecken und überragen die Blüthen um Vieles. Es ist nach genauen Messungen in diesem Stadium der Entwickelung gar kein Unter- schied zwischen dem Blüthenstande der gu- ten wilden Sp. Ananassa und einer Ananassa sativa, welche nach weiteren Beobachtun- gen eine Frucht von zwei wiener Pfunden lieferte. Nun kommen wir aber zu Betrachtungen und Ver- gleichungen der Fruchtbildung der wilden Species mit jener der Ananassa sativa. Bei der wilden Ananassa ist der Laubschopf 14° hoch, die Blätter desselben sind 1 bis 14 lang und am Grunde 3 breit; die Frucht nur um ein Geringes länger als 1°; der Durchmesser der- selben ist an dem getrockneten Exemplar nicht genau anzugeben, dürfte aber kaum über 1‘ erreicht haben. Es finden sich vier Reihen Beeren. Die Beeren stehen, 244 ohne sich zu drängen. Sämmtliche Theile des Blüthen- standes scheinen wenig aufgetrieben gewesen zu sein. Gegen den Laubschopf stehen vier Reihen dicht über einander gelegter Deckblätter, welche verkümmernde Blüthen umschliessen; die Anlage ist daher auf acht Bee- renreihen vorhanden. Die Stammverdickung beginnt hier schon 1” unter der Frucht und scheint sich in derselben noch mehr aus- gedehnt zu haben. Alle Theile an der Frucht sind gleich- mässig eingetrocknet, was auf keine sehr saftreiche Be- schaffenheit der einzelnen Theile wie auch der ganzen Frucht schliessen lässt. Deckblätter und Kelchzipfel 34 lang, sämmtlich bis auf den Grund frei. Die Ovarien sind in die Spindel eingesenkt, wie diess überhaupt bei Ananassa der Fall ist. Wenn wir nun die hier beschriebene wilde Ananassa und die Früchte der Ananassa sativa zusammenhalten, so findet sich nur der Unterschied, dass bei Ana- nassa sativa alle Theile der Frucht sammt der Spindel übermässig anschwellen, und dass die ganze Frucht nur durch Eultur ge- zwungen wird, an Länge und Breite so auf- fallend zuzunehmen. Ich erlaube mir, die Wachsthumszustände der Ana- nassa sativa im cultivirten Zustande zu verfolgen. Ananassa sativa Lind. 1) Sämmtliche Fruchtknoten in die fleischig wer- dende Spindel eingesenkt, — nackt. 2) Deckblatt und Kelchzipfel zur Blüthezeit von unten auf durch Fleischigwerden erweitert, aber nach jener Entwickelung nicht mehr länger wer- dend. 3) Beim Vordrängen der Blüthenknospen sind die Deckblätter am Ende der Frucht und dieAn- lage zu den Laubblättern des Blattschopfes vollkommen gleich gestaltet. 4) Erst beim Beginnen des Anschwellens der gan- zen Beerenfrucht entwickeln sich die Laubblätter und bil- den die Blattkrone, aber auch diese verkümmert oft; die Frucht ist dann ganz ohne Laubkrone und bildet durch mehrere Reihen zusammengeneigter Deckblätter, die theil- weise verkümmernde Blüthen umschliessen, die Frucht am oberen Ende ganz rund. Diese Erscheinung ist aber nie bleibend, indem ein Schössling jener Pflanze, welche eine blattschopflose Frucht bildete, dann doch eine Frucht mit Blattschopf liefert. 5) Die Laubkrone zeigt gleich bei der Fruchtreife zwischen den unteren Blättern eine Menge kleiner Knospen die ebenso vertheilt sind, wie jene am Grunde des Hauptstammes. An dem Durchschnitte der Laub- krone zeigt sich die Wurzelbildung schon sehr entwickelt; aber diese Wurzeln haben die fleischige Schicht, welche das Stammende umgiebt, noch nicht durchbrochen. Der Laubschopf ist daher eine 0 vollständige Pflanze mit Knospen und Wur- zeln, welche letztere nur die dünne flei- schige Schicht zu durchbohren brauchen, um die Pflanze selbstständig zu ernähren. 6) Erst nachdem die Blüthenknospe sich zu ent- wickeln beginnt, wird das Deckblatt am Grunde faltig, um seinem eigenen, sowie dem Anschwellen der Knospe nicht hinderlich zu sein. 7) Die Entwickelung derAnzahl der Blü- thenknospen ist nicht durch die Anzahl der Deckblätter bedingt, indem die obersten Reihen der Deckblätter mehr oder minder zahlreich verkümmernde Blüthen umschliessen, hierdurch aber die Frucht mehr oder weniger Beeren bildet. 8) Deckblätter und Kelchzipfel werden endlich vom Grunde aus fleischig und durch das Anschwellen der Ovarien und der Spindel dergestalt vorgedrängt, dass die sichtbare Begrenzung der Basis der ersteren eine vier- eckige Form enthält; da aber auch, wie schon gesagt, die Deckblätter und Kelchzipfel am Grunde feischig wer- den, so erscheinen diese Organe wie verwachsen und rund vorstehend. Diess beruht aber nur auf Täuschung, in- dem nach Messungen in den verschiedenen Stadien der Entwickelung der Frucht sich erwiesen hat, dass die Länge der Organe sich ganz gleich bleibt und nur das unverhältnissmässige Anschwellen aller Theile die Frucht rund bildet. 9) Die Fruchtknoten sind schon beim ersten Vor- drängen des Blüthenstandes mit der Spindel scheinbar verwachsen, aber jeder derselben trägt seine gut be- grenzte Oberhaut. Bei behutsamer Untersuchung eines ausgeschnittenen Theiles dieser Frucht vermag man den Fruchtknoten ganz auszulösen. 10) Ananassa saliva trägt trotz künstlicher Befruch- tung nur äusserst selten keimfähigen Samen; bei ver- kümmernden Beeren finden sich manchmal in Mitte der Reihen einzelne Samenkörner. 11) Ueberreif — platzt die Frucht, geht in Gähr- ung über und fault schnell. Diess mag auch, wie schon frü- her bemerkt, die Ursache sein, dass so selten keimfähige Samen sich finden, indem der noch nicht ausgereifte Same gewöhnlich mit der Frucht verfault. 12) Jedes Laubblatt am Stamme zunächst der Frucht > in der Achsel eine, obwohl gewöhnlich nur sehr leine schopflose Beerenfrucht treiben; am häufigsten aber bilden sich hier nur Laubsprosse, welche am Grunde mehrere Reihen Niederblätter besitzen. Die Knospen in den Achseln der Laubblätter am unteren Ende des ver- kürzten Stammes sind auffallend zahlreich: ich habe 31 Stück gezählt. Je mehr diese Kuospen dem Lichte aus- gesetzt sind, desto derber und grüner wird ihre ganze Gestalt. - 13) Anan. sativa bildet manchmal drei, auch selbst fünf Blattkronen, auch ist hier zuweilen die gänzliche Verwachsung zweier Blattkrenen in eine zu beobachten. Bei dieser Umwandlung zeigt der Blattschopf eine ganz regelmässige, dicht spiralige Stellung der Blätter, welche in geordneten Reihen stehend eine auffallend zierliche Erscheinung bieten. Auch verwachsen die Laubblätter manchmal dergestalt unter einander, dass sie eine hah- nenkammähnliche Gestalt annehmen. 14) Zu den Seltenheiten gehört es, zwei gleich grosse, vollkommen und gleichzeitig reife Früchte an einem Stamme zu finden; aber hier steht eine Frucht immer etwas höher als die andere; diess ist erklärlich, indem die Blattknospe zunächst dem Blüthen- stande gleichzeitig mit demselben, statt in einen Laubspross, sich auch in einen Blü- thenstand verwandelt. Tages- und Nachtzeit auf dem rothen Meere. Von Lieut. Burton. Der Verf. der „Pilgrimage to El - Medinah and Meccah“ giebt folgende, auf seine Fahrt von Tur nach Yambo bezügliche Schilderung: „Am 11. Juli, als der Morgen eben dämmerte, verliessen wir Tur mit der un- erfreulichen Gewissheit, 36 Stunden lang den Boden nicht wieder zu betreten. Ich verbrachte die Zeit in Betracht- ung des Gewebes meines Sonnenschirmes und machte nebenbei folgende meteorologische Bemerkungen. Morgen. Die Luft ist mild und balsamisch, wie die eines italienischen Frühlings; dicke Nebelwolken wäl- zen sich die Thäler längs des Meeres hinunter und krö- nen die Vorgebirge wie Perlmutter. Die fernen Felsen zeigen dem Auge titanenhafte Mauern, hoch ragende Wartthürme, ungeheuere vorspringende Bastionen und Gräben voll tiefer Schatten. An ihrem Fusse fliesst ein Meer von Amethyst, und indem die ersten Strahlen des Lichtes auf die Erde fallen, vermischen sich die fast durchsichtigen Spitzen mit den Jaspistinten des Himmels. Man kann sich nichts Köstlicheres denken, als diese Stunde. Aber da — les plus belles choses ont le pire destin — so schwindet der Morgen bald dahin. Die Sonne taucht aus dem Ocean hervor, ein grimmiger Feind, ein übelwollendes Gestirn, das Alles zwingt, vor ihm zu kriechen. Sie färbt den Himmel orangegelb und das Meer, dessen violette Fläche sie mit ihren Strahlen be- fleckt, hoch-rosenroth und unbarmherzig jagt sie die Nebel und die kleinen achatfarbigen Wolkenmassen, die vorher an dem Firmament schwammen, in die Flucht; die Atmosphäre ist so klar, dass dann und wann ein Planet sichtbar ist. In den ersten beiden Stunden nach Sonnenaufgang sind die Strahlen erträglich, später wer- den sie zu einer Feuerprobe. Die Morgenstrahlen geben Einem das schwere Gefühl des Krankseins; ihr stätiges, vom Wasser reflectirtes Glühen blendet die Augen, macht Blasen auf der Haut, dörrt die Lippen; Monomanie be- fällt Einen, man thut nichts, als die Br rag Stunden 16* 247 zählen, welche Minute für Minute hinschwinden müssen, ehe man auf Erlösung hoffen kann. Mittag. Der von den glühenden Hügeln zurück- prallende Wind ist wie die Luftsäule eines Kalkofens. Alle Farbe schmilzt dahin mit dem Weiss von oben. Der Himmel ist glanzlos milchweiss und das spiegelähn- liche Meer reflectirt die Farbe in dem Grade, dass man die Linie des Horizonts kaum unterscheiden kann. Am Nachmittag schläft der Wind auf der dampfenden Küste, eine tiefe Stille herrscht, der einzige Laut, den man noch hört, ist das melancholische Rauschen in den schlaff herabhängenden Segeln. Die Menschen schlafen nicht sowohl, als dass sie besinnungslos sind; es ist ihnen zu Muthe. als ob einige Hitzegrade mehr der Tod wären. Sonnenuntergang. Der Feind sinkt in das tiefe bläuliche Meer, unter einem gigantischen Regen- bogen-Baldachin, der die Hälfte der Himmelsfläche über- spannt. Zunächst dem Horizont ist ein Bogen von dun- kelbrauner Orangenfarbe, darüber ein anderer von dem glänzendsten Gold und auf diesem ruht ein Halbkreis zarten Meergrüns, das in mehr als zwanzig Abstufungen in das Saphirblau des Himmels übergeht. Quer durch den Regenbogen wirft die Sonne ihre Strahlen in Gestalt von Speichen, die in schönes Blassroth getaucht sind. Der östliche Himmel ist mit einem Anflug von Purpur überdeckt, der sich den Formen der nebeligen Wüste und der scharfgeschnittenen Hügel mittheilt. Die Sprache ist zu kalt, zu arm, um die Harmonie und Majestät die- ser Stunde zu schildern, die aber freilich ebenso flüchtig wie lieblich ist. Mit reissender Schnelligkeit bricht die Nacht herein, und plötzlich stellt das Erscheinen des Zodiakallichtes (Lichtblitze, wie das Aufflammen der Au- rora borealis in pyramidalischer Form) die Schönheit des eben verschwundenen Schauspiels wieder her. Wie- der kleiden sich die grauen Hügel und die grimmen Fel- sen in Rosa und Gold, die Palmen in Grün, der Sand in Safran und das Meer bildet eine lilafarbige Fläche sich kräuselnder Wellen. Aber nach einer Viertelstunde schwindet nochmals Alles; die Klippen ragen nackt und gespensterhaft unter dem Monde, dessen Licht, wenn es Heilk Ueber Muskelentzündung. Von Dr. H. Friedberg (Berlin). Zu wiederholten Malen habe ich die Veränderungen untersucht, welche der durch verschiedene Veranlassungen hervorgerufene Entzündungsprocess in den Muskeln zu Wege brachte. Das Ergebniss meiner Beobachtungen er- laube ich mir hier übersichtlich mitzutheilen. Die bei der Muskelentzündung stattfindenden Vor- gänge machen sich theils in dem Exsudate, theils in dem 248 so auf diese Wildniss von Felsen und Zinnien fällt, höchst wunderbar, höchst geheimnissvoll ist. Nacht. Der Horizont ist vollkommen dunkel und das Meer reflectirt das weisse Antlitz des Mondes wie in einem Stahlspiegel. In der Luft sehen wir riesige Säulen’ bleichen Lichtes deutlich geschieden, die auf den indigofarbigen Wogen ruhen und sich mit den Häuptern in dem endlosen Raume verlieren. Die Sterne glitzern mit ungemeinem Glanze. Um diese Stunde, wo „Fluss und Hügel und Wald und all’ die zahllosen Geschäfte des Lebens .unhörbar sind, wie Träume,“ blicken die Plane- ten herab auf den Menschen mit dem Ausdruck lächeln- der Freunde. Man fühlt den „süssen Einfluss der Pleja- den; man ist durch das „Band des Orion“ gebunden. Hesperus bringt tausend Dinge mit sich. Im Verkehr mit ihnen gehen die Stunden rasch hin, bis der schwere Thau mahnt, das Gesicht zu bedecken und zu schlafen. Und mit Einem Blick auf einen gewissen kleinen Stern im Norden, unter dem Alles ruht, was das Leben wür- dig macht, durchlebt zu werden, — gewiss, es ist ein verzeihlicher Aberglaube, das Gesicht nach diesem Kiblah gerichtet einzuschlafen; — sinkt man in Selbstverges- senheit. (Petermann’s Mitthlg. 1856 II.) Miscelle. Ueber den Einfluss des Zuckers auf Verdau- ung und Ernährung hat Felix Hoppe (Virchow’s Archiv X.) Versuche an Hunden angestellt. Weder in Koth noch Urin konnte je eine Spur Zucker oder Milchsäure ent- deckt werden. Bei einem Hunde ergab sich: 1) das Gewicht des Hundes nalım allmälig zu, die Steigerung desselben war bei der Zuckerfütterung bedeutender als bei reiner Fleisch- nahrung ; 2) der Hund bedurfte bei Zuckerfülterung reich- licher Wasser als bei Fleischkost, und gab dann auch mehr Urin; 3) bei Zuckesstoff wurde weniger Harnstoff entieert als bei Fleischkost; 4) bei Zuckerfütterung weniger Kothaus- leerung; 5) bei ausschliesslicher Zuckerkost fiel die Harnstoff- ausscheidung schnell; 6) Körpertemperatur zeigte bei beiden keine Verschiedenheit, ebensowenig Puls- und Athemfrequenz. — Bei reiner Fleischkost giengen %, des aufgenommenen Stickstoffs als. Harnstoff ab, bei gleichviel Fleisch- und zu- sätzlicher Zuckernahrung wurde kaum !/, des Stickstofls durch den Harn ausgeschieden. Die Ausscheidung durch den Koth blieb gleich. unde. entzündeten Gewebe geltend. Das Exsudat wird die Bildungsstätte von Eiterkörperchen, Bindegewebe und Fett. Indem es die Muskelsubstanz durchdringt, erweicht es sie und bewirkt in ihr eine Lockerung und Entfügung der Molecüle. Theils auf diese Weise, theils in Folge der Alteration, welche die Entzündung in die Verhältnisse der Diffusion und des Stoffwechsels setzt, geht die Pri- mitivfaser eine zweifache Veränderung ein. Theils zerfällt sie nämlich in die sie constituirenden Gebilde, theils unterliegt sie der fettigen Degeneration. m Als Ausdruck des ersteren Vorganges finden wir die aus der fötalen Entwickelung der primitiven Muskelfaser bekannten länglichen Kerne, welche einfache oder proli- fere Kernkörper enthalten, gruppenweise oder reihenweise an der inneren Fläche des Sarcolemma liegen und bis- weilen durch Aufnahme von Farbstoff gelblich gefärbt erscheinen. Das Bindemittel, welches die primitive Mus- kelfaser aus diesen Kernen constituirt, zerfällt in feine Protein - Molecüle, welche sich in dem Sarcolemmaschlau- che ungleichmässig aufhäufen, so dass dieser bisweilen plötzlich mit einem stumpfen Ende abgesetzt erscheint. Als Ausdruck der fettigen Degeneration der Muskel- faser finden sich perlschnurarlig an einander gereihte, von dem Sarcolemma umschlossene Fettmassen, wie sie u. A. Quain in seinem Aufsatze über die fettige Ent- artung des Herzens beschrieben hat *). Diese beiden Processe, welche ührigens eine Ent- färbung und den Verlust der Querstreifung und später auch der Längsstreifung in dem Primitivbündel herbei- führen, gehen neben einander her. Der erstere mag wohl in denjenigen Fällen prävaliren, in denen die Entzündung sehr rasch verläuft, doch habe ich noch nicht die Ue- berzeugung gewinnen können, dass er jemals isolirt ohne den andern existire. Vielmehr findet man bei der Un- tersuchung des erkrankten Primitivbündels zuweilen Prä- parate, welche darauf hinweisen, dass die erwähnten Kerne selbst zum Theil fettig entarten. Nebenher provocirt der Entzündungsprocess, wie im- mer, eine Gewebsproduction, welche sich in dreifacher Weise äussert. Auf der einen Seite nämlich zeigt sich eine endogene Vermehrung in den erwähnten, aus dem Zerfallen der Muskelfaser hervorgehenden Kernen, welche ihren, mit Fettmolecülen vermischten Inhalt in den Sar- colemmaschlauch ausschütten, — also ein ähnlicher Vor- gang, wie ihn Goodsir*), Redfern**) und Pa- get ***) bei der Ernährungsstörung des Knorpels und Bowmann}) bei derjenigen der Hornhaut beschrieben haben. Auf der anderen Seite finden wir die Neubildung von Bindegewebe in den spindelförmigen, mit ihren Aus- läufern zu Fasern an einander gereihten, ovalen oder runden Kernen und Zellen, welche jedoch zum Theil eben- falls der fettigen Entartung unterliegen, Endlich findet noch eine Neubildung von kernhaltigen Fettzellen Statt, welche hier und da in dem Sarcolemmaschlauche zerstreut liegen. — Ob auch Eiter in dem letzteren sich bilde, hr ich nicht zu entscheiden; mehrmals fand ich Ge- bilde, welche die auffallendste Achnlichkeit mit Eiterkör- perchen hatten. u) Anatomical and pathological Researches. Edinburgh *”*) Anormal nuirition in the articular cartilages, with experimental Researches on the lower animals. London 1850. ”®*) Lectures on Inflammation. London 1850. +) Lectures on the parts concerned in the operations of the eye and on the structure of the relina. London 1849. 250 Weiterhin kann nun der Inhalt des Sarcolemma- schlauches moleculär zerfallen und resorbirt werden, oder in Folge einer Continuitätstrennung des erweichten und von zahlreichen Fettkörperchen durchsetzten Sarcolemma sich in die Interstitien der Primitivbündel ausschütten und mit den hier mittlerweile entstandenen Entzündungspro- ducten vermischen. In beiden Fällen atrophiren die Pri- mitivbündel, werden immer schmäler und können spurlos verschwinden. Die das erkrankte Primitivbündel umspinnenden Ge- fässe und Nerven können auch, wenn die Ernäh- rungsstörung nicht von ihnen ausgegangen ist, ihr wäh- rend der oben geschilderten Vorgänge unterliegen. Diese können in jenen gerade so wie in dem primitiven Mus- kelbündel verlaufen und moleculäres Zerfallen durch Er- weichung und fettige Entartung herbeiführen. Die Atro- phie kann auch hier bis zum völligen Untergange füh- ren. Die Gefässwandungen, weit mehr aber noch die Nerven, können indess unter Umständen lange Zeit wi- derstehen, bevor sie der Ernährungsstörung unterliegen. Diese kann in dem primiliven Muskelbündel weit vorge- schritten sein, während die Nerven noch keine histologi- sche Veränderung wahrnehmen lassen. Sind letztere aufgetreten, so finden wir, entsprechend ihrer Intensität an der Scheide und in dem interstitiellen Bindegewebe der intramuskulären Nerven Hyperämie, Er- weichung, fettige Entartung, Atrophie. Die Zahl der Nervenfasern nimmt ab, indem sie in schmale, meist zu- gespitzte Kerne zerfallen, welche, mit Fettkörnchen ver- mischt, die immer grösser werdenden Interstilien zwi- schen den noch vorhandenen Nervenfasern erfüllen. Die Ernährungsstörung, welche die Gefässe in dem entzündeten Muskel erfahren, begünstigt theils Eindickung des Blutes in dem Gefässrohre, theils Continuitätstren- nung der Gefässwand mit nachfolgenden Hämorrhagieen. Die Blutkörperchen treten hierbei in Reihen oder in Bal- len zusammen und erscheinen mehr oder weniger verun- staltet. Von ihnen rühren die Pigmentkörnchen und Pig- menthaufen, sowie die Hämatinkrystalle her, die sich in dem Muskelgewebe hier und da vorfinden. Von ihnen ist auch die Farbenveränderung des letzteren abzuleiten, zu der natürlich das Exsudat und die fettige Entartung we- sentlich beitragen. — Die Stauung und Eindickung des Blutes innerhalb des Gefässrohres kann zu dessen Obstruc- tion führen. Kleinere oder grössere Portionen der Mus- kelfasern, welche in Folge davon oder durch einen Sei- tens des Exsudates auf sie ausgeübten Druck ihrer Nah- rungszufuhr beraubt werden, können nekrotisiren. Das Bindegewebe des Muskels bringt die Folgen des Entzündungsprocesses durchaus in derselben Weise zur Anschauung wie in anderen Organen. Darum finden wir bei der Muskelentzündung Injection, Erweichung und Ver- dickung des Perimysiums, Abscesse, tuberkelartige Eiter- eindickung, zuweilen mit Deposition von Kalk- und Ma- gnesiasalzen, Schwielenbildung, fettige Entartung und je- 251 nachdem theils Brüchigkeit, theils Narbenzähigkeit‘ der welken und entfärbten Muskelsubstanz. Jenachdem die Ernährungsstörung zunächst in den Muskelbündeln oder in dem Perimysium auftritt, wird die eine oder andere Seite des eben geschilderten Befundes ausgeprägter sein. Sicherlich aber werden, wenn die Re- stitution der normalen Ernährungsverhältnisse nicht früh- zeitig genug eintritt, die Entzündungsvorgänge von dem Perimysium auf die Muskelfasern oder von diesen auf je- nes sich verbreiten. Die Erfahrung lehrt, dass der geschilderte Process in einzelnen Muskelbündeln alle seine Phasen durchmachen kann, während in anderen, demselben Muskel angehöri- gen Bündeln das normale Verhalten fortdauert und sich schon dem unbewaffneten Auge durch deren gesunde Farbe und Consistenz verräth. Häufiger aber kommt, während die durch die Entzündung ursprünglich gegebenen Vor- gänge ihren Verlauf nehmen, ein frisches, die Ernährung alterirendes Moment zur Geltung und bringt nicht nur eine Protraction, sondern auch eine Verbreitung des Krank- heitsprocesses mit sich (chronische Entzündung). Wenn nun gleichzeitig das Zerfallen der degenerirten Gewebe und die Resorption des Detritus fortschreitet, kann eine sehr ungleichmässige Vertheilung der Muskelatrophie sich zeigen. Die Muskelfasern können grösstentheils oder selbst gänzlich entartet sein, ohne dass der Muskel atrophisch erscheint. Ja man kann in solchen Fällen sogar eine Volumszunahme des Muskels antreffen, als Folge einer ergiebigen Neubildung von Fett oder Bindegewebe. Meinen Wahrnehmungen zufolge muss ich der Be- hauptung des Hrn. Hallett entgegentreten, nach wel- cher die fettige Degeneration stets an der Peripherie des Muskels beginnen und von hier nach dessen Centrum fortschreiten soll*). Ich habe nämlich einige Male das entgegengesetzte Verhalten wahrgenommen. Eine gleich- mässige Verbreitung innerhalb des Muskels beobachtet man allerdings ebenso wenig bei der feltigen Entartung wie bei dem Entzündungsprocesse, namentlich unterliegen ihr die primitiven Muskelbündel früher als das intersti- tielle Bindegewebe. Schon Lobstein hob diese That- sache hervor: „Dans le changement d’organisation des muscles en masse lardacee, les fibres charnues sont les premieres a s’alterer, les fibres aponeurotiques resistent plus long-temps, mais finissent pourtant a ceder a la cause desorganisatrice **).* Die Retraction des präexistirenden und neugebilde- ten interstitiellen Bindegewebes gibt dem Muskel ein ge- schrumpftes fibröses Ansehen, welches um so ausgepräg- ter erscheint, wenn hierbei Narbenbildung in Folge in- terstitieller Abscesse concurrirt. Die in ihrer Ernährung *) Edinburgh Medical and Surgical Journal. 1849. Pag. 267. **) Trail d’anatomie pathologique. Tome premier. A. Paris, chez Levrault. 1829. Pag. 393. 252 noch nicht gestörten Primitivbündel können in dieser Weise eine erhebliche Compression erleiden. Ich habe der pathologisch- anatomischen Schilderung der Muskelentzündung durchweg meine eigenen Untersu- chungen zu Grunde gelegt. In ihr glaube ich aber alle Einzelnheiten berührt zu haben, welche die sogenannte Atrophie musculaire progressive betreffen. Der bei dieser von verschiedenen Beobachtern beschriebene Leichenbefund enthält, so weit er sich auf die Veränderungen in den Muskeln bezieht, keine einzige Angabe, die man nach der obigen Schilderung nicht erwarten und verstehen könnte. Es leuchtet somit ein, dass dieses Leiden der Ausgang der Muskelentzündung sein könne. Wendet man dagegen ein, dass die Entwickelung der Atrophie muscu- laire nicht immer von demjenigen Processe eingeleitet werde, den man gewöhnlich mit dem Namen Entzündung belegt, so muss man doch bei der Uebereinstimmung, welche zwischen der ersteren und dem bezüglichen Aus- gange der letzteren sich in der Gewebsveränderung zeigt, jedenfalls zugeben, dass die Atrophie musculaire progressive immer nur die Folge eines Lei- dens sein kann, welches in derselben Art und Intensität die Ernährung des Muskels alte- rirt, wie die Entzündung es thut. Aus diesem Grunde kann man aber auch erwarten, dass die verschie- densten Veranlassungen die Atrophie musculaire progres- sive schliesslich herbeiführen können, wenn sie die Er- nährung der Muskeln in entsprechender Art stören. (Wo- chenblatt der Zeitschr. d. Gesellsch. d. Aerzte zu Wien. 1857 Nr. 5.) Ueber Hypochondrie. Von Dr. Wittmaack (Altona) *). Von je standen sich die Ansichten bezüglich der so- matischen oder psychischen Natur der Hypochondrie ge- genüber. Der Verf. hat diese Krankheitsform einer neuen Bearbeitung unterworfen und stellt sich mit der vorliegen- den empfehlenswerthen Schrift ganz auf die Seite de- rer, welche darunter eine psychische Krankheit verste- hen. Er spricht seine Ansicht in folgenden Sätzen aus: „1) Ueberall, wo Hypochondrie entstehen soll, muss in der Psyche eine Anlage dazu vorhanden sein. Ohne diese kann Trauer und grosse Depression entstehen, aber nie Hypochondrie. 2) Diese prädisponirende Anlage ruht in der Psyche als „‚bestimmte‘“ Entwickelungsartung. 3) Die Artung oder der Grad der geistigen Energie, der über Zulässigkeit hypochondrischer Stimmungen zu *) [ES” Die Hypochondrie (hyperaesthesia psychica. Romberg) in pathologischer und therapeutischer Beziehung, nebst einigen vorgängigen Bemerkungen über die Bedeutung der psychischen Heilmittel von Dr. med. Th. Wittmaack. 8%, 66 S. Leipzig, E. Schäffer. 1857. 253 h disponiren sich eignet, ist potentiell, wenn nicht direkt ein geringer, wenigstens nie einer der höheren. Die Hy- pochondrie ist zu Hause in den mittleren (oder gewöhn- lichen) und untermittlen Regionen der Geistigkeit. Hö- here Potenzen der intellectuellen Energie lassen nie hy- pochondrisch mit sich wirthschaften. Kein geistig bedeu- tender Mann wird hypochondrisch, so lange sein Geist keine absolute Depotenzirung erlitten, in Folge deren er einem „ursprünglich“ schwachen äqual sein würde. 4) Es ist dies erfahrungsmässige Thatsache und lässt sich apriorisch adumbriren; denn es liegt im Begriff der Intelligenz, in Anlass sinnlicher Wahrnehmungen sich nicht selbst täuschen zu können. „Aus sich“ ir- ren kann sie; aber die Sensibilität ist nicht im Stande, irrsam auf sie einzuwirken. Aus demselben Grunde fin- den „Glaube,“ „Aberglaube“ und „Visionen“ nur in „ur- sprünglich“‘ schwächeren Geistern ihre Heimath. 5) Aber der Geist kann aus verschiedenen Ursachen geschwächt werden. Diese Depotenzirung der Norm kommt gleich einer minderen Potenz, die bei Anderen Norm war, und in diesem Zustande ist die Bedingung zum Entste- hen des Hypochonders erfüllt. 6) Es würde gegen die vorigen Bemerkungen kein Einwurf sein, wollte man sagen, dass auch Gelehrte und Höherstehende, Gebildete u. s. w. häufig hypochondrisch würden. Dem wäre zu entgegnen: Gelehrsamkeit ist an sich kein Maassstab der Intelligenz, Wissen mit all sei- nem Nimbus ist bei grösserer Armuth an Geist möglich, und was das Hochstehen betrifft, so ist bekannt genug, wie oft die Bornirtheit nach oben gelangt. Die durch- schnittlich sogenannten Gebildeten sind Seelengebildete im allgemeinen Sinn. Die Zahl der wirklich Verstandeskul- tivirten ist eine homöopathische. 7) Die inkriminirten Leber-, Milz- und anderen Leiden sind per se und direkt niemals als Ursache der Hypochondrie zu betrachten; sondern es ist in allen chro- nischen, zumal den chronischen Unterleibskrankheiten, die bereits zu Strukturveränderungen fortgeschritten sind, all- gemein „die Vitalität herabgesetzt, selbstfolglich also auch jene des Geistesorganes, des Gehirnes, ‚namentlich bedingt durch die inzwischen eingetretene Depravation des Blutlebens. 8) So ist denn die Hypochondrie nicht Folge spe- eieller leiblicher Störungen, sondern ein bei der Aus- rangirung aus der Normalität der Lebensenergie über- haupt zu Stande kommendes Produkt. 9) Demnächst giebt es keine Arten der Hypochon- drie, charakteristisch als Abdrücke gewisser Arten von Körperzuständen, sondern die stets „identische“ Krank- heit kann die verschiedensten Körperzustände begleiten oder sie hervorrufen; die Hypochondrie bewahrt den Cha- rakter der Unitarität, 10) Dass ein (perennirend empfindender) Nerv un- seres Leibes empfunden habe, erfahren wir erst durch Mittheilung aus der intelligenten Sphäre, indem diese die 251 Empfindungen (in der Regel ganz ad libitum) in Vorstel- lungen umsetzt. 11) Diese Perceptionen sensibler Nerven behaupten, so lange diese „organisch“ gesund, d. h. nicht destruirt sind, ihre Identität, haben wir desshalb von den zu Vor- stellungen umgesetzten Empfindungen eine eben nicht kor- respondirende Vorstellung, so muss davon die Ursache in der Hirnsphäre liegen, in welcher das Em- pfundene nicht zur exacten Verwerthung gelangen konnte. Wir erfahren, dass während der Aether-Narkose der Nerv empfindet (Versuche belehren darüber, wenn man z. B. im Uebergangsstadium zum tieferen Unbewusstsein Reize einwirken lässt), aber es fehlt im Hirne die Fähigkeit, das Empfundene intellektuell umzusetzen. Bei einem Schlaf- trunkenen leitet der Hörnerv, wie er nicht anders kann, die Schallwellen einer Anrede zum Hirn, oder es kann der Optikus ganz deutlich percipiren — das Individuum zeigt in beiden Fällen Intention, raflt sich auf, z. B. aus dem Bett, reibt sich die Augen, als wolle es schärfer sehen u. s. w. — aber was fehlt, ist das sofortige Er- wachen der Hirnenergie, die Psyche ist für den Augen- blick noch befangen. 12) Wäre in der Hypochondrie die Nervenempfin- dung krank und die Energie des Hirnes gesund, so würde es keinen Hypochonder geben können, weil durchaus das Hirn nicht anders könnte, als die Empfindungsdaten in ganz entsprechende Vorstellungsgrössen umzusetzen, weil es sich also die richtige Vorstellung von der „pathologi- schen“ Empfindung verschaffen und je, wie sie wäre, darüber in's Klare kommen würde. 13) Daraus geht auf das Bestimmteste hervor, dass die Hypochondrie mehr ist als ein blosser Reflex von der Sensibilität hinein in die Intelligenz, dass sie endogen im Gehirn ihr Walten haben muss. 14) A posteriori. Sehr häufig erfolgt die Beseiti- gung der Hypochondrie auf Reisen und in Bädern, ledi- glich durch die psychische Einwirkung der veränderten, zur Klärung disponirenden Situation. Wäre nicht die Hypochondrie eine psychische Affektion, wie wäre es mög- lich, dass auf diese Weise ihre Heilung erfolgte? wie zumal, da nebenher z. B. chronische Unterleibsleiden im- mer noch fortbestehen können ? 15) Die zur Hypochondrie disponirende Depotenzi- rung der intellektuell psychischen Energie kann frei vor sich gehen, aus dem Innenleben des Hirnes selbst, und es kann sich das Individuum im Uebrigen der besten so- matischen Gesundheit erfreuen. (Beispiel ausser vielen anderen: epidemische Hypochondrie zur Zeit des Grassi- rens ansteckender Seuchen !) 16) Wir sind im Stande, uns angenehme Vorstel- lungen zu vergegenwärtigen, ohne dass eine von den Ner- ven vollführte Empfindungszuleitung stattgefunden hätte. So die von Romberg angeführten Beispiele der wollü- stigen Vorstellungen u. s. w. Ebenso können wir, ohne zu sehen, zu hören, zu schmecken oder zu riechen, alle 255 die angenehmen Vorstellungen citiren, die für gewöhn- lich Resultate von dem auf die resp. sensibeln Sinnesner- ven ausgeübten Eindrücke sind. 17) Dasselbe ist in umgekehrter Richtung möglich. Wir können uns den Schmerz und alle unangenehmen Empfindungen spontan durch Willensintention *) zu Vor- stellungen umsetzen, und geht dies sogar so weit, dass wir z. B. in der blossen Erinnerung an gefährliche äus- sere Lagen Anderer Vorstellungen auf die motorische Sphäre wirken lassen und Mitbewegungen , als Testate unserer bewussten Mitempfindungen, ausführen. 18) Dies auf die vorhandene Disposition angewandt, beweist sehr leicht, wie die Seele dazu kommen könne, aus ihrer eigenen Intention Empfindungsursachen sich zu schaffen, die sich auf das somatische Befinden beziehen. 49) Wollte man sagen, dass jene endogene Vorstel- lungsfähigkeit entstünde aus der öfteren Uebung und der Gewöhnung an die resp. Sensationen, sowie dass wir der Annehmlichkeit wegen gern uns in dieser Thätigkeit be- wegten, so ist zu enigegnen, dass wir gleichfalls von Jugend her uns die Idee des Schmerzes und überhaupt gegentheiliger Erregungen anlehren, und dabei die Be- dingung der Lust oder Unlust irrelevant ist, wo einmal die physische Disposition eine gegebene. » 20) Wie es „Ideen‘‘ gibt von rein innerer, spiri- tualistischer Abkunft, die fie werden können, z. B. die Idee, einen eminenten Verstand oder ein sonst hervor- ragendes seelisches Eigenthum zu besitzen, so giebt es gleichfalls Vorstellungen, die vom Organischen hergenom- men sind, ohne begründet zu sein, und zwar in beiden Richtungen, der Ueberhebung wie der Ueberschätzung, so dass es sich Jemand einbilden kann, er habe eine ausgezeichnet schöne Nase, schöne Augen u. s. W., wie dass sein Herz zu gross sei u. dgl. 24) So ist also der Hypochonder bei kränklicher Beschaffenheit des Organismus seinem Wesen nach kein anderer, als der bei gesunder Konstitution entstehende. 22) Hypochondrie ist der gelindeste Grad der Ent- äusserung des gesunden Bewusstseins, er beginnt und verläuft als Trübung der Intelligenz, sofern sie in per- verser Vorstellungsthätigkeit den eigenen Organismus be- trachtet, und entweder primär aus sich heraus abnorm agirt oder zugeleitete Empfindungen verkehrt auffasst. Ersteres geschieht in der Weise, dass der Geist seine Phantasmagorie objectivirt am Stoff, und wie er sich vorstellen kann, was sein würde, wenn an dem Stoff ir- gendwo ein Kitzel ausgeübt würde, so stellt er sich hier vor, dass an irgend einer Partie diese oder jene andere D *) Der Einfluss des Willens und der Intention, sagt Rom- berg sehr richtig, auf Produktion und Fixirung von Empfin- dungen ist für die Therapie noch nicht gehörig benutzt wor- den. Einige Andeutungen finden sich in Dr. Lebenheim’s Aufsatze: Ueber die psychische Behandlung somatischer Krank- heiten, in Wochenschrift für d. ges. Heilk. 1838, $. 489. — Romb. op. cit. Bd. I., Abtheil. 1., S. 215. 256 Empfindung einwirkt, z. B. Schmerz. Eben weil der Geist diese Sensation selbst erzengt, kann er sie hinverlegen, wohin er will, desshalb sticht es oder brennt, juckt und schmerzt es Hypochondrische kurz nach einander an allen Theilen des Leibes, auf die gerade die vorstellungs- thätige Aufmerksamkeit gerichtet ist. ht Sehr wahr sagt Romberg*): „Die Verleiblichung des Ideellen durch Sensation hat nichts voraus vor der Verleiblichung des Ideellen durch Bewegung — nur wird sie nicht geübt, als höchstens um die Wirbel eines sinn- lichen Genusses höher zu schrauben. An den Wirkungen der lüsternen Vorstellungen zwei- felt zwar Niemand, allein dass auch des Schmerzes Vor- stellung Schmerz zur Folge haben kann, findet Anstoss, obgleich die nicht auffallenden Folgen der Vorstellung des Ekels, des Schauders, des Kitzels, des Juckens nichts Anderes als abnorme Sensationen sind.“ . *) Op. cit. S. 214. Miscellen. (ES Die Cholera durch kaltes Wasser zu ver- hüten und zu heilen. Von Dr. C. A. W. Richter. 8. 44 S. Berlin, bei A. Stubenrauch u. Co., 1855. Aus dem Umstand, dass die Atmosphäre und ihre Aenderungen auf den Grad der Cholera-Epidemieen einen unverkennbaren Einfluss ausüben, leitet der Vf. die Indication her, zur Verhütung be- sonders das der Atmosphäre-Einwirkung dienende Organ ab- zuhärten, diess geschieht nach ihm am zweckmässigsten durch Anwendung einer Wasserkur, wozu die speciellen Vorschriften gegeben werden, die man während einer Choleraepidemie fort- während befolgen soll. Durch Herabsetzung des Pulses bei diesen Applicationen wird Haut- und Nierenfunction erregt und diess erklärt die Heilwirkung des Prophylacticums. (SS> „Nervosität ist keine Einbildung.“ Dieses Schrift- chen von Edw. Johnson ist im Verlage von A. Stuben- rauch zu Berlin ‘in Uebersetzung erschienen. Die Annonce ist allen Lesern aus allen Zeitungen bekannt. Die Schilder- ung des Zustandes, den der Verf. „Nervosität“ nennt und den man gewöhnlicher als Nervenschwäche zu bezeichnen pflegt, ist belehrend und wird auch in den Kreisen der Laien auf- klärend und dadurch nützlich wirken. Was nun die Behand- lung betrifft,. so sucht der Verf. zunächst den moralischen Widerstand der Patienten selbst zu wecken, hauptsächlich aber findet er die Hülfe in der Wasserkur, die denn auch für die Fälle von Nervosität empfohlen wird, in welchen das Leiden, den allgemeinen Charakter verlierend, mehr als neu- ralgisches Lokalleiden sich kund giebt. Das Verhältniss des idiopathischen Bluthu- stens zum Bluthusten Schwindsüchtiger stellte Louis = 1:2400. Hr. de Lamarre (Gaz. med. 1856. 49), der in der Untersuchung weit strenger zu Werke gieng und nur die Fälle für idiopathischen Blulhusten erklärte, in denen 45 Jahre lang nach dem Bluthustenanfall weder Husten, noch Abmagerung, noch sonst ein Symptom von Lungenleiden ein- getreten war, — Hr. de Lamarre stellt das Verhällniss — 1:66. — Bei Frauen kommt in Folge der Menstruationsstör- ungen der idiopathische Bluthuslen weit häufiger vor als bei Männern, während umgekehrt das Entgegengesetzte für Män- ner gelten soll, bei denen phthisischer Bluthusten weit häufi- ger vorkommen soll als bei Frauen. Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena, Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 185?. I. Band hy 17. Naturkunde. J. Moleschott, Ueber das Eindringen fester Körperchen in die Zellen der Darmschleimhaut. — Miscellen. Fluor im Blute. — Cochenillezucht in Spanien. — Nekrolog. — Heilkunde. Th. Wittmaack, Ueber die Behandlung der Neurosen. — Miscelle. Willigk, Statistik aus Seclionsergebnissen. — Bibliographie. Naturkunde. P Ueber das Eindringen fester Körperchen in die Zellen der Darmschleimhaut. Von J. Moleschott (Zürich) *). Nachdem der Verf. erwähnt, dass Donders Un- tersuchungen über die obige Frage ohne Erfolg geblie- ben seien und er frühere Versuche darüber wieder auf- genommen habe, bespricht er die seinen früheren Re- sultaten gemachten Einwürfe und fährt folgendermaas- sen fort: „Ich wiederhole indess nachdrücklich, dass in un- gezählten Fällen der ganze Versuch misslang, ohne dass ich im Stande bin, vom Grunde des Misslingens Rechenschaft zu geben. Die Zahl der von Donders, Gunning und Cnoop Coopmans angestellten Ver- suche ist zwar im Vergleiche zur Anzahl meiner eigenen fruchtlosen Bemühungen nichts weniger als gross. Aber auffallend bleibt es immer, dass sie nicht einmal die Körnchen in den kegelförmigen Zellen gefunden haben. Donders sagt von dem Uebergange der Blutkör- perchen des Hammels in die Blutbahn der Frösche, dass er für unsere Streilfrage zu viel und deshalb nichts be- weise, weil die zugespitzten Enden der kegelförmigen Zellen jedenfalls zu eng seien, um die Blutkörperchen hindurchzulassen. Wer in den feinsten Haargefässen der Netzhaut oder des Hirns, welche mit fünfprocentigem phosphorsaurem Natron behandelt waren, die in ihrer Farbe gehobenen, zu Stäbchen verlängerten Blutkörper- *) DS” Erneuter Beweis für das Eindringen von fe- sten Körperchen in die kegelförmigen Zellen der Darmschleim- haut, Von Jac. Moleschott. Aus d. Il. Bd. der Untersuch- ungen zur Naturlehre des Menschen und der Thiere beson- ders abgedruckt. Frankfurt a. M., Verl. v. Meidinger, Sohn u. Co,, 1857. 8. chen von Menschen oder Säugethieren gesehen hat, wird die Gültigkeit dieses Einwurfs nicht anerkennen. Solche stabförmig gewordene Blutbläschen könnten ganz füglich durch den dünnsten Theil der Zellen hindurch, und wenn das Zottengewebe in ähnlicher Weise durchdringlich wäre, wie nach meiner Ueberzeugung die sogenannte verdickte Wand der kegelförmigen Zellen es ist, dann brauchte man auch keine vorgebildeten Oeffnungen an der Ober- fläche der Zotten zu sehen. Allein diese Frage gewinnt erst Bedeutung, wenn man überhaupt weiss, dass Blutkörperchen von Säuge- thieren in die kegelförmigen Zellen der Darmschleimhaut eindringen. Das scheinen sie nun allerdings sehr selten zu thun, aber bisweilen thun sie es in der That. In Schleimhautzellen der Kaninchen habe ich zwar die ein- gespritzten Hammelblutkörperchen niemals angetroffen, dagegen fünf- oder sechsmal in einer Zelle von Fröschen. Obgleich das Versuchsverfahren in jeder Weise dem für die Pigmentkörnchen ausgeübten glich, — nur dass das geschlagene Hammelblut nicht erst mit phosphorsaurein Natron vermischt wurde — und obgleich ich mindestens 25 Frösche auf diese Weise behandelte, sind mir jene 5 bis 6 Zellen doch nur von 2 Fröschen geliefert wor- den. Ich fand bis zu drei Blutkörperchen in einer Zelle, in der grösseren Hälfte aber nur je eines. Einmal stack das Blutscheibchen stabförmig in dem hellen Saume der kegelförmigen Zelle, welche so lag, dass man auf die schmale Kante des Blutkörperchens sah, welches theil- weise über den äusseren Rand des Saums hervorragte. Wenn man bedenkt, wie oft Marfels und ich im Herzblute der Frösche, besonders in dem, wel- ches von der inneren Oberfläche der Herz- wand abgestreift wurde, die eingespritzien Hanı- melblutkörperchen gefunden haben, und damit das seltene Auftreten in den kegelförmigen Schleimhautzellen ver- 17 259 gleicht, dann wird es schwer, daran zu glauben, dass jene ersteren durch die Thore der letztgenannten Zellen hindurchgegangen seien. Das kann nun freilich — so wenig, wie die fruchtlosen Bemühungen von Donders — jenen bejahenden Befund nicht umstossen. Ich habe auch, ehrlich gestanden, die Hammelblutkörperchen zu oft, in zu grosser Anzahl, zu verschiedener Jahreszeit, unter mannigfaltigen Umständen in dem Froschblut ge- funden, als dass ich es für nöthig oder nur erlaubt hal- ten könnte, diese Versuche zu wiederholen. Ich kann hier zwischen den fruchtlosen Versuchen von Donders und meinen bestimmten Ergebnissen kein anderes Ver- hältniss sehen, als zwischen meinem verneinenden Befund für das Stärkemehl und den bejahenden Beobachtungen von Donders und Mensonides Donders äussert, wo er von seinen erfolglosen Bemühungen, fremde Kör- perchen in Chylusgefässen zu finden, spricht, die An- sicht, dass .„‚Niemand denselben eine grosse Bedeutung zuschreiben wird, wenn man bedenkt, wie lange die Untersuchung des Bluts innerhalb der Blut- gefässe fortgesetzt werden musste, bevor er mit Mensonides auch nur ein einziges posi- tives Resultat erhielt“!). Jene vorhergegangenen fruchtlosen Versuche machen Donders mit Recht nicht irre an den später erzielten Erfolgen und insofern ist es gewiss gerecht, wenn er es für „vermessen“ hält, die Richtigkeit meines Ausspruchs, dass in den Darm ein- gespritzte Hammelblutkörperchen, ebenso wie nach sei- nen Beobachtungen Stärkemehl und Kohle, in die Blut- bahn des Frosches eindringen können, zu bezweifeln ?). Ich will daher statt erneuter Versicherungen eine Beobachtung anreihen, die ich bisher nicht mitgetheilt habe. Noch in Heidelberg habe ich mit Hrn. Theodor Wagener von Berlin, um die Entwickelungsgeschichte der farblosen Blutzellen zu verfolgen, einer grossen An- zahl von Fröschen entfaserstofftes Hammelblut einge- spritzt und nachher zu wiederholten Malen in Frosch- blut 3, 4 und mehr Hammelblutkörperchen in Gerinnseln eingeschlossen gefunden, die auf den ersten Blick täu- schend blutkörperchenhaltigen Zellen ähnlich sahen, wie sie von Ecker, Gerlach, Schaffner und Kölli- ker aus der Milz beschrieben wurden. Mir war dieser Fund insofern wichtig, als ich bei der Untersuchung von mehr als hundert Froschmilzen, ebenso wie Remak, Berlin, Hlasek, niemals einer Zelle, die Blutkörper- chen enthielt, begegnet war, während diese Beobachtung eines geronnenen, eiweissarligen Körpers, der farbige Blutzellen einschloss, mit einer älteren von Remak°) 1) „Aan de negatieve uitkomstenf zoo gering in aantal, zal men toch wel geene groote beteekenis willen tockennen, wanneer men zich herinnert, hoe lang wij het onderzoek van het bloed moesten voortzetten, vöör wij een enkel posilief resultaat verkregen.“ Dondersa.a. 0. S. 162. ; 2) Vgl. S. 113 des Moleschott’schen Werkes. 3) Remak in Müller’s Archiv, Jahrgang 1852, S. 159, 160. 260 genau übereinstimmt. Durch Zusatz vor Wasser oder verdünnter Essigsäure gelang es durchaus nicht, eine eigene Zellhülle an jenen Gebilden darzustellen, und dass dieses Misslingen einer Unmöglichkeit gleich kam, zeigte sich, als es uns gelang, durch Druck auf das Deckgläs- chen jene Gerinnsel zu zerreissen, wo nichts ausfloss, die Bruchstücke vielmehr sich als feste Körper zu erken- nen gaben. Vielleicht erklärt sich durch das Entstehen solcher Gerinnsel um die fremden Blutkörperchen, dass Bischoff durch die Einspritzung von geschlagenem Säugethierblut seine Frösche regelmässig nach einigen Stunden zu Grunde gehen sah!). Auch wir verloren auffallend viel Frösche nach der Einspritzung von Ham- melblut in den Magen. Was die Verwechselung von verblassten Hammel- blutkörperchen mit anderen Gebilden im Froschblut an- belangt, so habe ich darüber bei einer früheren Gelegen- heit die nöthigen Andeutungen gegeben, und erlaube mir, darauf zu verweisen ?). ‚Da es mir aber, wie gesagt, darauf ankommt, wo möglich ein Verfahren zu finden, durch welches es jedes- mal oder wenigstens verhältnissmässig oft gelingt, mit Sicherheit erkennbare fremde Körperchen in die kegelför- migen Darmzellen einzuführen, so konnte ich mich auch nach jenen mit wiederholtem Erfolg gekrönten Beobacht- ungen der Mühe, die Versuche noch weiter abzuändern, nicht überheben. Ich habe desshalb auch Karminpulver vorgenommen, welches theils mit Oel vermischt, theils mit einer fünfprocentigen Auflösung von gewöhnlichem phosphorsaurem Natron, theils mit einer gesättigten Glau- bersalzlösung in den Magen unversehrter Frösche einge- spritzt wurde, ohne dass ich nachher die Bewegung des Darms durch galvanische Reize anzuregen suchte. Die starke Glaubersalzlösung war jedoch mit Rücksicht darauf gewählt, dass sie selbst eine hinlänglich starke Reizung der Schleimhaut bedingen würde, um ergiebige Zusam- menziehungen der Darmmuskeln zu veranlassen. In den bisherigen Versuchen hat sich die Mischung des Karmins mit Oel nicht als günstig herausgestellt, weil sich die Zellen dabei so mit Fett anfüllen, welches nach viel- stündiger Behandlung mit Salzlösungen in der Form sehr grosser Tropfen in ihnen enthalten ist, dass es sehr schwer wird, den Inhalt der Zellen mit dem Auge auf- zulösen. Nach der Vermischung mit Salzlösungen habe ich dagegen dreimal grössere und kleinere Karminkörn- chen im Innern der rollenden Zellen mit solcher Be- stimmtheit wahrgenommen, dass ich keinen dringenderen Wunsch hatte, als dass es mir vergönnt gewesen wäre, diese Beispiele Donders zu zeigen. Unter der Ein- wirkung des mit Aether versetzten Alkohols waren die 1) J. Müller, Lehrbuch der Physiologie, Bd. I. 4. Aufl. Ss. 124. 2) Vgl. Ferdinand Marfels und Jac.Moleschott, Ueber die Lebensdauer der Blutkörperchen, im ersten Bande dieser Zeitschrift S. 54. Zellen mehr oder weniger vollständig zu Kugeln aufge- quollen, und ich sah nun in verschiedenen Stellungen, welche sie beim Rollen annahmen, die Zellbülle schleier- arlig über die Karminkörnchen weggehen. Am glücklichsten war ich bisher nach dem Ein- spritzen von frisch gefälltem Berliner Blau. Die Körn- chen desselben sind noch feiner als die feinsten des Kar- mins, und die grünlichblaue Farbe, welche sie im ganz vereinzelten Zustande besitzen, macht nach geringer Ue- bung das Erkennen sehr sicher. Nicht bloss in einigen wenigen Zellen, sondern bei drei Fröschen in der Mehr- zahl derselben waren Theilchen des Berliner Blaus vor- handen, in Einer Zelle meistens 2 bis 4, oft genug aber auch mehrere. Die Ueberzeugung, dass die grünlich- blauen Körnchen im Inneren der Zellen waren, wurde nicht bloss während des Rollens, sondern namentlich auch an solchen zu Kugeln aufgequollenen Zellen gewon- nen, bei denen die Zellwand theilweise von dem körni- gen Inhalt sich abgelöst hatte. Die blauen Körnchen wurden wiederholt ganz deutlich als ein Theil dieses von der Zellwand entfernten Inhalts gesehen. Nach Allem diesen glaube ich mich zu der wieder- holten Versicherung berechtigt, dass feste Körnchen me- chanisch in die kegelförmigen Darmzellen hineingedrückt werden können, beschäftige mich aber noch fort und fort mit dem Aufsuchen der günstigsten Bedingungen, unter welchen diess geschieht. Bei den letzten Erörterungen dieser Verhältnisse ist, wie mir scheint, zu viel Nachdruck darauf gelegt worden, ob man den ziemlich breiten hellen Saum, welcher der Grundlage der kegelförmigen Zellen entspricht, als eine Wand bezeichnen müsse oder nicht. Dem äusseren An- sehen nach ist dieser Saum sowohl von den Seitenwän- den, als vom Zelleninhalt zu unterscheiden, und es scheint nicht unpassend, wieder einmal in das Gedächtniss der Handelnden, die bekanntlich nie Gewissen haben, zurück- zurufen, dass schon Henle's Beschreibung das, was man ohne Weiteres sehen kann, vollkommen getroffen hat. „Die Zellen des Cylinderepitheliums,“ sagt Henle!), „sind nur selten ganz hell, meistens finden sich kleine dunkele Pünktchen über die ganze ‚Oberfläche zerstreut, zuweilen auch ist auf eine auffallende Weise ein grosser Theil des oberen breiteren Endes der Zelle hell und die Körnchen fangen erst dicht über dem Kerne mit einer ziemlich scharfen Grenze an, so dass es den Anschein hat, als beginne die Zellenhöhle erst von dieser Grenze an und als sei der obere, helle Theil die verdickte Zel- lenwand.“ Wenn man den oberen Verschluss der Zellen als Wand bezeichnen will, so ist nichts dagegen zu sagen, da man ja auch von einer Wasserwand spricht. Es fragt sich dann nur, — da von einem Durchtritt allen ver- dauten Fettes in eigentlich gelöstem Zustande nun end- 1) Henle, Allgemeine Anatomie, S. 239. 262 lich wohl nicht mehr gesprochen werden kann — ob in jener hellen Wand oder, sagen wir lieber, in dem Saume, vorgebildete Kanälchen enthalten sind, oder ob sein Stofl im Ganzen bei geeignetem Druck für kleine feste Theil- chen durchdringlich ist. Ich entscheide mich für die letztere Auffassung, nicht bloss weil die Körnchen von Berliner Blau, Kar- min, Pigment und sogar kleine Blutkörperchen in die Zellen eindringen können, sondern noch aus folgenden Gründen. Erstlich trifft man nicht selten in dem hellen Saum Fetttröpfchen, die so gross sind, dass man unmöglich annehmen kann, sie hätten Platz in Kanälchen von der Feinheit, wie sie den von Funke und Kölliker beob- achteten Streifen entsprechen würde. Ja, was noch mehr ist, wenn man Fröschen Oel allein oder innig mit Ei- weiss gemengt einspritzt, dann findet man, nachdem das geöffnete Darmstück eine Zeit lang in der Salzlösung ge- legen hat, das Fett in grosse Tropfen verwandelt, mit denen die Mehrzahl der Zellen so prall angefüllt ist, dass sie eine maulbeerförmige Oberfläche haben. An den meisten Zellen dieser Art kann man allerdings oben den hellen Saum in schönster Deutlichkeit erkennen, an an- deren dagegen setzt er der Verbreitung der Fettiropfen keine Schranke, sondern diese reichen, wie ich es auch für Pigmentkörnchen gesehen habe, bis an den obersten Rand des hellen Saumes. Um zweitens die von Funke und Kölliker be- schriebene Streifung des hellen Saums als ein Zeichen vorgebildeter Fettstrassen anzusehen, müsste sie doch wohl beständiger sein, als sie es in der That ist. Gleich nach den ersten Mittheilungen der genannten Forscher hat sich Marfels in meiner Heidelberger Werkstatt an die Arbeit gemacht, und hat mir namentlich an Zellen des Kaninchens, des Kalbes, der Maus, des Huhnes, der Kröte (Bufo viridis) und des Salamanders Bilder ge- zeigt, welche mit deu Beschreibungen und Zeichnungen Funke’s und Kölliker’s sehr gut übereinstimimten. Seitdem habe ich das Gleiche noch besser beim Kanin- chen sehr oft und auch einige Male beim Frosch gese- hen, allein, selbst beim Kaninchen, unter denselben Um- ständen, an Zellen, die mit phosphorsaurem Natron 5 Proc. behandelt waren, auch sehr häufig vermisst. Drittens kommen von der Streifung bis zur Spalt- ung, von der Rauhigkeit bis zur Zerreissung, von der sügeförmigen Einkerbung bis zur rosenkranzförmigen Ab- schnürung, von der vollkommensten Glätte und Gleich- artigkeit bis zur unregelmässigsten Wellenlinie am hellen Saume alle möglichen Uebergänge vor, so dass mir der Gedanke viel näher liegt, es handle sich hier um ein zufälliges Erzeugniss nach dem Tode, als um einen rc- gelmässigen Bau, der den Fetttröpfchen bestimmte Wege vorzeichne. Kölliker hat seine Streifen beim Frosche weniger deutlich, ich viel weniger häufig, Donders gar nicht gefunden. Und dennoch, u oh als sich 7* 263 die Zellen mit Fett füllen bei Fröschen, denen man Oel, allein oder mit Eiweiss gemischt, in den Magen gespritzt hat, kann sie der ausgemachteste Fleischfresser nicht darbieten. Mit Marfels habe ich wiederholt Fettstrahlen ge- sehen, welche vom obersten Rande des hellen Saums durch diesen hindurch tief in das Innere der Zelle hin- einragten, und auch diese Fettstreifen waren so breit, dass sie unmöglich mit den Funke-Kölliker’schen Streifen in Einklang gebracht werden können, wenn diese als Kanälchen zu deuten wären. Gegen die Auffassung des hellen Saums als eine feste Wand, die sich nur durch grössere Dicke von den Seitenwänden unterscheiden sollte, spricht weiter ganz besonders das Verhalten in Salzlösungen. In der fünf- procentigen Lösung des phosphorsauren Natrons, und in der gesättigten Kochsalzlösung begegnet man nach 12- bis 24stündigem Einweichen sehr häufig Bildern, in wel- chen der helle Saum, der an frischen Zellen gleichmäs- sig in den Körper derselben übergeht, hut- oder kappen- förmig über die Seitenwände übergreift, so dass es allen Anschein hat, als sei eine weiche Masse über die Seiten- wände hervorgequollen. Neben diesen Bildern findet man andere — und zwar auch in beiden Salzlösungen — die sich dadurch auszeichnen, dass die Zelle, da wo der Saum von ihr abgeht, sich plötzlich verjüngt, gleichsam eingeschnürt ist, so dass der Saum wurstförmig über die Zelle hervorragt. In der gesättigten Kochsalzlösung sieht man viele Zellen, an deren Kopf eine unregelmässig zer- klüftete, ausgetretene Masse die einzige Spur jenes Saums darstellt. Daneben endlich Zellen, die oben becherför- mig geöffnet sind, deren Seitenwände deutlich nach oben über den Inhalt hinausragen, so dass hier geradezu ein Theil des Inhalts ausgetreten sein muss. Es drängt sich so natürlich auf, dass alle diese Bilder sich vortrefflich erklären, wenn man den hellen Saum mit Brücke als einen Schleimpfropf ansieht, dass eine weitere Ausführ- ung überflüssig wäre. Nimmt man hinzu, dass, wie Donders nachdrück- lich hervorhebt, gerade von dem hellen Saume der Zel- len durch Einwirkung von Wasser so leicht Schleimku- geln sich ablösen, dass hier förmliche Schleimcylinder hervortreten, die sich als Kugeln abschnüren; dass sich beim Aufquellen der Zellen in verdünnten Salzlösungen eine verdickte Stelle, die sich von der übrigen Wand unterscheidet, nicht lange erhält; dass es immer erst die Seitenwände sind, die sich in starker Wölbung vom Inhalt entfernen; dass bei der Verwandlung in Kugeln die Zellen nach und nach gewöhnlich kleiner werden, so dass nothwendiger Weise Inhalt austreten muss, wodurch 264 die aneinander stossenden Seitenwände ausreichen könn- ten um den Zelleninhalt zu umschliessen; — so treten lauter neue Züge hinzu, welche in beredter Weise für die von Brücke und mir vertheidigte Anschauung spre- chen. Wenn die Seitenwände sehr dehnbar sind, und zugleich ihre Verbindung mit dem aufquellenden Schleime fester ist als der Zusammenhang der Schleimtheilchen unter sich, dann wird offenbar beim Aufquellen in ver- dünnten Salzlösungen zunächst ein vergrössertes Bläs- chen entstehen, darauf aber immer mehr Schleim von den Zellen abtreten, was an den beiden Enden der Zel- len geschehen kann, und ich sehe demnach nicht, wie man mit Donders genöthigt ist, zwischen der Um- wandlung der Zellen in kugelige Bläschen und der Brücke’schen Anschauung einen unlösbaren Widerspruch zu finden. Im Gegentheil, um zu erweisen, dass meine Deutung keine leere Vermuthung ist, berufe ich mich darauf, dass nach Zusatz der öfters genannten Mischung von Alkohol und Aether, durch welche das Entstehen der kugeligen Bläschenform sehr befördert wird, die Zellen nach und nach immer kleiner werden, während das Sehfeld mit grösseren und kleineren Schleimkugeln sich erfüllt. Ich kann mich, gestützt auf alle diese Beobachtun- gen, mit deren Erweiterung ich eifrig beschäftigt bin, durch den Vorwurf der „Kühnheit“, den Donders Brücke gemacht hat, nicht abhalten lassen, die Vor- stellung des letztgenannten Forschers für die allein mög- liche zu erklären.“ Miscellen. Dass Fluor ein beständiger Bestandtheil des Blutes und nicht bloss ein zufälliger (nach Berzelius) sei, ist das Ergebniss der Untersuchungen des Hrn. Nickles, der diesen Bestandiheil im Blute des Menschen, mehrerer Säugethiere und Vögel, ferner in der Galle, im Eiweiss, im Speichel, im Harn und in den Haaren aufgefunden hat. (Gaz, med. 46.) Mit der Cochenillezucht sind in Spanien Versuche angestellt worden; nachdem sich 1820 Mejico von Spanien losgerissen hatle, ist zuerst der Versuch gemacht worden, die Opuntia coccionellifera, auf welcher die Cochenille-Schild- laus lebt, im Süden Spaniens zu akklimalisiren und dadurch die einträgliche Cochenille-Zucht nach Europa zu verpflanzen. Der Versuch ist vollkommen gelungen und die Cochenille- Zucht in Spanien eingebürgert. Um Malaga und Granada herum wird sie mit solchem Erfolg betrieben, dass im Jahre 1850 801,915 Pfund roher Cochenille nach England verkauft werden konnten, das Pfund zu 5!/, Rtlıilr., so dass diess eine Einnahme von 41/, Million Thaler gegeben hat. Nekrolog. Zu Frankfurt a. M. starb am 13. Decbr. 1856 Dr. H. Malten, Herausgeber der Neuen Weltkunde, und in Leipzig am 26. Dechr. Dr. G. A. Jahn, der Heraus- geber der astronomischen Nachrichten. Heilkunde. Die Behandlung der Neurosen. Von Dr. Wittmaack (Altona). Der Verf. der unten angezeigten interessanten und vielfach anregenden Schrift macht es der Medicin der neuen Zeit zum Vorwurf, dass sie in der theoretischen Richtung weiter vorgeschritten sei, als in der praktischen Heilkunst. Es wird darin Niemand etwas Auffallendes und Tadelnswerthes erkennen. Das Gegentheil möchte mehr Tadel verdienen; — es resultirt nun eben nur die Aufgabe, in der Praxis der besseren Erkenntniss nachzu- folgen, und der Vf. der vorliegenden Schrift sucht selbst dieser Aufgabe zu dienen. Wie diess geschehe, wird sich aus folgendem Abschnitt über die Neurosen ergeben. „1. Das sogenannte Wechselfieber. Febris intermittens. Keine Krankheit ist sicherer und leichter zu behan- deln als das Wechselfieber. Dass dennoch so oft gegen- theilige Fälle vorkommen, liegt lediglich in der unrich - tigen Art des therapeutischen Verfahrens. In jedem Wechselfieber ohne Ausnahme gebe ich zu- nächst, wenn nicht eine absolute Kontraindikation vor- handen ist, ein Emetikum. Ich thue dies nicht sowohl, um zu entleeren (was beiläufig manchmal auch nöthig), sondern hauptsächlich, um eine kräftige Umstimmung im Unterleibs - Nervensystem hervorzurufen. Ich habe ver- sucht, leichte Wechselfieberanfälle allein auf diese Weise zu behandeln, und es gelang vollkommen. Nachdem der Kranke sich vom Erbrechen einiger- maassen erholt hat, verordne ich, jenachdem ich es für zweckmässig erachte, entweder: R- Chin. sulfur. gr. jj. Morph. acet. gr. Elaeos. foenic. MP. M.D.t. Dos. No. VI. S. Alle 2 Stunden 1 Pulver zu nehmen. Oder: R- Chin. Sulf. gr. xij. Ac. sulf. guit. xxjv. Ag. foenic. ZVj. quib. adde Morph. acet. gr. jß (ant. in ac. acet. solut.) Syr. aur. cort, vj. M.S. Alle 2 Stunden 1 Essl. voll zu nehmen. Mit dieser Medikation wird, wie gesagt, gleich nach dem Erbrechen begonnen, ob Pyrexie oder Apyrexie zu erwarten, ist vollkommen gleichgültig. Die Anfälle blei- *) [&S” Beiträge zur rationellen Thogagie nebst Be- leuchtung der Prager und Wiener Schule. Für praktische Aerzte von Dr. Th. Wittmaack. Berlin, 1857. Verlag v. A. Hirschwald. ben in der Regel schon das nächste Mal aus oder sind wenigstens in hohem Grade gelinde. Kommt es vor, dass sich der Frost noch auszeichnet, so lasse ich in seinem Beginn zwei der obigen Pulver nehmen oder verordne gegen die Zeit, wo er wieder zu erwarten, separat (je nach dem Alter und sonstigen Verhältnissen) % bis 1} Gran Opium purum, Die Therapie ist voll von Vorurtheilen in Hinsicht auf die Behandlung der Wechselfieber. So wird z. B. geglaubt, dass man nicht gleich zur Bekämpfung des Uebels schreiten dürfe, sondern bevor man etwas unternehme, erst einige Paroxysmen vorüber- gehen lassen müsse. Ohne alle Ration. Die Meinung wurzelt in Ansichten jener zum Theil chemisch beirrten Zeit, wo man auf die Mysterien des Kochens und Gäh- rens der Materie Gewicht legte und gleichsam erst eine naturfertige Abkochung erwartete. Man erreicht in An- leitung dieser Ansicht nur, was man eben verhüten sollte, eine grössere Infixirung des Processes, und lässt ihm Zeit, die Organisation weiter und weiter zu alteriren, gastri- sche Katarrhe auszubilden und die Milzmetamorphose zu betreiben. Während des deutsch - dänischen Krieges habe ich unter Anderen nach meiner Methode nahezu 100 Land- wehrmänner des 18. preussischen Landwehr - Infanterie- Regiments an Wechselfieber behandelt. Es waren durch- gehends starke, kräftige Leute (Posener, Polen u. A.), die auf einem forcirten Marsche nach Holstein, bei nass- kalter Witterung, häufiger Lagerung im Freien und un- regelmässiger Diät befallen waren. Kein Einziger blieb länger als 8 Tage im Lazareth und die Meisten konnten schon am Tage nach ihrer Aufnahme das Bett wieder verlassen. Ich muss bier indess eine (auch sonst gültige) Be- merkung einschalten. Es war mir bekannt, dass die Leute an Spirituosen gewöhnt seien. Aus diesem Grunde liess ich ihnen zweimal am Tage ein mässiges Weinglas voll Branntwein verabreichen, und glaube dies mit Vor- theil gethan zu haben. Später nämlich versuchte ich dasselbe auch bei Holsteinern, besonders bei solchen, die aus Dithmarschen oder der holsteinischen Elbniederung gebürtig waren, und mit Bestimmtheit glaube ich, dass die rasche Genesung dieser Leute, die Branntwein be- kommen hatten, zum Theil mit vom Genuss des letzte- ren herrührte, denn Andere, denen kein Spirituosum ge- geben war, blieben häufig etwas länger, namentlich was den Appelit und die Verdauungsorgane betrifft, recon- valescent. In Gemässheit dieser Erfahrung pflege ich Wechsel- fieberkranken den Genuss eines guten Scherry zu em- pfehlen, und wo dieser nicht bemittelt werden kaun, dann und wann ein Gläschen Branntwein. Weiter aber dürfte daraus der Schluss zu ziehen 267 sein, dass man eine Darreichung ihres Gewohnheitsge- tränkes (Gewohnheitsreizes) niemals Säufern vorenthalten dürfe. Bekomme ich Säufer an Wechselfieber in Behand- lung, so versäume ich nie, ihnen 3- bis 4mal am Tage eine angemessene Quantität ihres Getränkes verabreichen zu lassen. (Ich erinnere hierbei an das bekannte Volksmittel gegen Intermittens: Pfeffer in Branntwein.) Eine andere unrichtige Ansicht besagt, dass man den besten Erfolg von grossen Dosen Chinin habe. Man kann damit allemal nur Schaden anrichten, zum Wenigsten werden gastrische Catarrhe hervorgerufen und die Verdauung gestört, was man von den kleinen Dosen nie zu fürchten hat; im Gegentheil können sie gleichzeitig leichte Indigestionen beseitigen. Je mehr die Verdauung durch grosse Chiningaben prosternirt wird, um so bes- sere Aussichten für immer bedeutendere Intu- mescenz der Milz. Ob man das Mitiel (zu 15 Gran) mit Schwefelsäure-Limonaden giebt, wie Hamernik, oder nicht, bleibt sich ziemlich gleich, bei längerem Ge- brauche bleibt die verdauungsstörende Wirkung nie aus. Wenn das Chinin sicher wirken soll, sagt Soldin, muss man es wenigstens 12 Stunden vor dem Anfall ge- ben, die Krankheit muss schon in dem Stadium sein, wo der intermittirende Typus deutlich aufgetreten ist und die Dosis muss einen Skrupel betragen. Nur Hypothesen, und nicht einmal rationell kalkulirte.e Warum 12 Stun- den vor dem Anfall? wodurch erwiesen? unerweisbar. Noch kurz vor dem Anfall kann die obgenannte Gabe Opium denselben vorüberführen, dabei bedarf es nur ganz kleiner Mengen Chinin. Bei Quotidianfieber, meint Soldin, könne man des- halb nicht mit Sicherheit darauf rechnen, den nächsten Anfall zu unterdrücken, weil die Intermission keine 12 Stunden dauere! Keine sonderlich be- gründete Meinung! Man erreicht seinen Zweck durch- gängig sehr leicht nach dem obgedachten Verfahren. Ich wiederhole nochmals, will man einen Anfall (aus irgend einer bestimmten Absicht) mit Sicherheit unter- drücken, so greife man zum Opium in grossen Dosen. Opium gehört neben dem Chinin zu den vorzüglichsten Mitteln gegen Wechselfieber. Chinin, Opium und Wein sind das wahre Trio antitypikum. Im Froststadium ist es gut, wie Hamernik will, den Kranken warm zu bedecken und ihm Wärmeflaschen beizulegen, aber ohne eine Vermehrung der nachfolgenden Hitze fürchten zu müssen, mildert man dasselbe noch besser durch etwas Opium. Eine nur wenig modificirte Behandlung verlangen die früher sehr gespenstigen Erscheinungen der larvirten, komitirten und sonst mannigfach irregulär genannten Wechselfieber. Man verfährt natürlich gegen einzelne abnorm auftauchende Symptome symptomatisch, lasse sich deshalb aber nie abhalten, frühzeitig das eigentliche Kur- verfahren zu entriren. Man schlägt damit manche Vision aus dem Felde. {3 268 Lebt der Kranke als non indigenus in einer Wech- selfiebergegend, so kann es, obwohl im Ganzen selten, nöthig werden, dass er die Gegend verlasse. Während der Krankheit werde der Patient auf spar- same Diät gesetzt. Später folge eine gut nährende, rei- zende Kost, etwas Wein (oder Branntwein) als Zugabe. . Die Behandlung der Folgezustände (Milzaffection u.8.w.) ist bereits erörtert worden. : 2. Der Keuchhusten. (Tussis convulsiya.) An einer wissenschaftlich rationellen Behandlung die- ser Krankheit fehlt es zur Zeit. Wenn die Hannonische tonisirende Fleisch- diätkur ein universelles Mittel wäre — warum igno- rirt man sie? Sie ist nach Soldin’s Mittheilung fol- gende: Der Kranke bekommt täglich am Morgen gebra- tenes Fleisch, trockenes oder geröstetes Brod und etwas Portwein oder Madeira, zu Mittag Zwieback mit eben solchen Weinen, um 4 oder 5 Uhr Nachmittags starke Fleischbrühe, gebratenes Fleisch, geröstetes Brod und Wein, am Abend keine Nahrung. Beim Niederlegen et- was Wein, in der Nacht höchstens kaltes Wasser. Milch, Gemüse, Suppen, Mehlspeisen, Arzneimittel sind ausge- schlossen. Dabei soll der Keuchhusten in der Regel zwischen 3 und 8 Tagen, spätestens binnen 14 Tagen verschwinden. Des Versuches halber habe ich dies Verfahren in 40 Fällen von Tussis angewandt. Der Erfolg indess, den ich im Voraus erwartete, war dieser, dass ich demselben später entsagte. Das Gute dabei ist, dass der Patient zweckmässig ernährt wird, besonders wenn er es bis da- hin nicht war, und ausserdem, dass der Ballast von Me- dikamenten umgangen wird, womit man gewöhnlich den Organismus beschwert. Meine Behandlung der Tussis ist folgende: Wenn der Keuchhusten noch nicht ausgebildet ist, verordne ich, wo nichts kontraindicirt, ein Emetikum, re- gulire die Diät (Weinsuppen, leichtes gebratenes Fleisch u. dgl.), lasse kalte Abwaschungen anstellen und Abends vor dem Niederlegen je nach dem Alter eine Dosis pulv. ipecac. opiat. geben. Auf diese Weise warte ich ab. Oft glückt es, die Ausbildung abzuschneiden. Erfolgt aber dieselbe doch, oder war sie bereits vor der Kur erfolgt, so beobachte ich zum Theil dieselbe Behandlung (emeticum, Diät, Kälte), mache aber inner- lich Gebrauch vom Silbernitrat oder Chinin in Verbindung mit Opium, und habe davon so gute Resultate gehabt, dass ich mich wohl nicht zu einem anderen Kurverfahren würde entschliessen können, wenn es nicht etwa rationell seinen gediegenen Vorzug darlegen könnte. Blutentziehungen wende ich nie an, zeigen sich aber Kopfkongestionen, so mache ich vom kalten Wasser Ge- brauch. Leiden junge Kinder am Keuchhusten, so sorge man wo möglich dafür, dass sie nicht auf dem Rücken liegen, weil dann Erstickung eintreten kann. Statt des Opium a u u 269 r in Substanz verwendet man hier am besten den Diako- dionssyrup. Man achte auf regelmässige Funktionirung des Darm- kanals. Als Abführmittel eignet sich Quecksilberchlorür. Als Getränk passt vorzüglich das Selterswasser mit Milch, und zwar während der ganzen Krankheit. Sind Komplikationen vorhanden (bronchitis, pneu- monie u.s.w.), so wird darnach natürlich die Behand- lung, so weit nöthig, modificirt. 3. Der sogenannte Veitstanz. (Chorea.) Der Veitstanz ist allemal, von seinen etwaigen Gelegenheitsursachen abgesehen, eine aus kon- stitutionellen Missstünden hervorgehende Krankheit, und thöricht ist die Idee, gegen ihn mit Medikamenten etwas ausrichten zu können, wenn nicht die oberste und erste Rücksicht dem Allgemeinbefinden zugewandt wird. In den bei Weitem meisten Fällen beobachten wir Veitstanz zur Zeit gewisser Entwickelungsvorgänge; er ist, will man überhaupt solche statuiren, eine der Ent- wickelungskrankheiten und bedarf therapeutisch als solche eines derartigen Eingreifens, welches zugleich der Ent- wickelung selbst zu dienen im Stande ist. Gegenwärtig habe ich einen grazil gewachsenen, schmächtig aufgeschossenen Knaben von 14 Jahren in Behandlung, bei dem die Ursache der Krankheit ganz allein in dem zu raschen Wachsthum bei durchaus nicht knapper, aber unpassender, grösstentheils vegetabilischer Nahrung lag. Besonders waren viele Süssigkeiten ge- nossen. Derselbe wurde zunächst auf's Land gebracht und be- kam ein beigegebener Diener die Weisung, täglich Fuss- touren mit ihm zu machen, so weit und so lange es je- desmal möglich, Ausserdem wurden einige Turnvorrich- tungen hergestellt und gleichfalls täglich werden gymna- stische Uebungen abgehalten. Auf den Modus dabei kommt wenig an, die Bewegung selbst ist die Haupt- sache. Dabei wird der Knabe (in Ermangelung der See- bäder) einmal den Tag mit kaltem Wasser 4 Stunde lang abgerieben und erhält zum Schluss eine Douche auf die Gegend des Kreuzes. Die -Kost besteht ausschliesslich aus Fleischspeisen, Eiern und Milch nebst zweimal täg- lich einem kleinen Weinglase des Porterbieres. Diese Behandlung hat etwas über 6 Wochen ge- währt, und ist jetzt der Patient so weit hergestellt, dass er mehrere Male nach einander leicht und gewandt über einen reichlich 4 Fuss breiten Graben springt, während er zu Anfang kaum über einen Rinnstein hinweg zu kom- men wusste, ohne vorher die sonderbarsten Experimente anzustellen. Ich hoffe, dass er in 8 Tagen seinen (dies wünschenden) Eltern zurückgegeben werden kann; doch werde ich darauf bestehen, dass er als Nachkur noch eine Zeitlang Seebäder gebraucht. Nach Analogie dieser Methode behandle ich alle Fälle von Veitstanz, auch bei jungen Mädchen, die gleichfalls eine Art gymnastischer Uebungen anstellen müssen. „kelrigor. 270 Innerlich habe ich bis dato noch kein Medikament verabreicht, ausgenommen in einigen Komplikationsfällen, wo eine symptomatische Assistenz nöthig werden kann. Ich glaube, dass man bei reiner Chorea ohne Arznei- stoffe auskommt. 4. Die Fallsucht. (Epilepsia.) Aus allen Kategorieen der Materia medica sind ge- gen die Epilepsie Mittel in Vorschlag und Anwendung gebracht. Sie kommen alle darin überein, dass sie ihrer Empfehlung nicht entsprechen, Es ist dies sehr begreif- lich, da es an einer bewussten Kenntniss vom Wesen der Krankheit noch fehlt. Nur in den einzelnen Fällen, wo epileptische Anfälle nach andern Alterationen zurückblei- ben, oder wo sie während ihrer Dauer entstehen, ist eine Heilung ziemlich konstant zu ermöglichen. Ausserdem ist der günstige Erfolg einer Kur um so wahrscheinlicher, je jünger und an sich gesünder das resp. Individuum ist. Inveterirte Epilepsie ist schwer zu beseitigen und hängt sie mit Strukturfehlern zusammen, so ist sie inkurabel. Bei einem Mädchen, welches an Epilepsie und Pso- riasis Jitt (in welchem etwaigen Nexus standen beide Zu- stände?), wendete Hamernik solutio arsenicalis an und beide verloren sich. Nur das Exanthem recidivirte nach einigen Monaten. Soldin führt ferner einen Fall aus der Rom- berg’schen Klinik an. Ein Knabe hatte zur Winterzeit seine Zunge so lange an einen kalten Gegenstand gehal- ten, bis sie daran festgefroren war. Dann riss er sie los. Einige Zeit später stellten sich epileptische Anfälle ein, die zwischen 2 und 3 Jahren andauerten. Rom- berg liess die Narbe kauterisiren und seitdem blieben die Anfälle aus. Auch mir ist ein ähnlicher Fall bekannt, wo eine Narbenkauterisation epileptische Zufälle beseitigte. Dessgleichen kenne ich ein Beispiel von der Arse- nikwirkung gegen Epilepsie. Ein Individuum in den zwanziger Jahren, welches von Aerzten lange vergeblich an Epilepsie behandelt wor- den war, wandte sich an einen Apothekergehülfen, der Medicin betrieben hatte und später noch das Studium fort- setzte. Dieser wandte in grossen Dosen die Tinctura Fowleri an. Nach einiger Zeit traten kumulative Wir- kungen, ein Grad von Arsenikvergiftung ein, besonders heftig waren ein Blutsturz aus der Nase und der Mus- Der angehende Aeskulapier nahm rasch seine Zuflucht zum Liquor ferri muriat. oxydat. hydr. In kauın 2 Stunden wurden vier Esslöffel voll davon ver- braucht. Dann wurden reizende Bäder und Waschungen (mit Zusatz von Tinct. cantharid. u. s. w.) und später sog. roborirende Mittel verordnet. Das Wagestück krönte sich insofern mit Erfolg, dass die Epilepsie geheilt war, je doch lange Kränklichkeit und Schwäche zurückblieb. Wie es scheint, ist Arsenik das wirksamste Mittel gegen Epilepsie, wenigstens wirksamer als die meisten specifisch gepriesenen, und mag er deshalb in Fällen, wo 271 Anderes ohne Erfolg versucht worden, vorsichtig in Ge- brauch gezogen werden. Ich glaube, dass man gut thut, ihn in Verbindung mit Opium zu geben und nebenher ein Aromatikum gebrauchen zu lassen. Von grösstem Nutzen ist unstreitig die Gesammt- kultur des organischen Haushaltes mittelst Anordnung ei- ner zweckmässigen Diät und Hygiene, in welcher letz- teren Beziehung Seebäder (kalte Waschungen), Aufent- halt in frischer Landluft und gymnastische Körperübungen obenan stehen. 5. Die Starrsucht. Gegen beide Zustände, insonderheit gegen den Te- tanus, ist Opium das sicherste innerliche Mittel, äusser- lich das warme Bad. Auch Frottirungen sind bei Teta- nischen zu empfehlen. Geht der Starrkrampf von ver- wundeten Körperstellen aus, so wende man hier örtlich die feuchte Wärme an. In Fällen kann ein Emetikum von Nutzen sein, oder Tart. stib. in nauseosen Gaben. Ich möchte glauben, dass (das Extractum nueis vo- micae spirituosum oder) das Strychnin bisweilen zu ver- suchen sei, weil es die ganz ähnlichen Zustände von Starrkrampf der Cholerakranken zu heben im Stande ist. (Imlach empfiehlt Einathmungen des Chloroforms gegen Tetanus der Neugeborenen. — Beim Tetanus traumaticus wollen Miller, 0’Saugh- nessy und O’Brien zehn Kranke von zwölfen durch stündliche Verabreichung von 60 bis 80 Tropfen der Tinct. cannab. indicae geheilt haben.)“ (Trismus. Tetanus.) Miscelle. Statistik aus Sectionsergebnissen. In der Prager Vierteljahrschr. 1856 bespricht Dr. Willigk die Masse von 5000 Sectionen die in dem prager Krankenhause gemacht worden sind; wir wollen einige Hauptkrankheiten einzeln durchgehen. — Tuberkulosis 1317mal (29 Procent aller vorgekommenen Todesfälle), dabei waren nur 62mal die Lun- gen ganz frei; unter den 1255 Lungentuberkeln waren 951 chronische, 65 akute Phthisen. Bei 309 Fällen fanden sich Narben geheilter Lungengeschwüre. Die Tuberkeln vertheil- ten sich auf folgende Organe: 653 Darm; 237 Gekrösdrüsen; 482 Kehlkopf, 123 Lymphdrüsen, 87 Bauchfell, 79 Milz, 74 Niere, 59 Brustfell, 53 Leber, 48 Luftröhre, 46 Knochen, 33 272 (11M., 22 W.) Genilalien, 30 Gehirn, 29 Hirühäute, 42 Harn- wege, 9 Herzbeutel, 5 Magen, 5 Mandeln, 4 Haut, 2 Mus- keln, 4 Rachen, 1 Speiseröhre; 1 Pankreas, 1 Herz. — Sy- philis. 218mal secundäre S. Unter 100 Fällen von secun- därer Syphilis waren erkrankt 56mal die Knochen, 48 Haut, 18 Gaumen, 15 Kellkopf, 10 Rachen, 4 Mastdarm, 3 Nasen- schleimhaut. Desgleichen unter 100 Fällen 32 Leberentzünd- ungen, 27 Milzanschwellung, 18 Morbus Brightii, 8 Leber- geschwulst. — Krebs kam 477mal (190 M., 287 W.) vor, daran litten 169 Magen, 146 Lymphdrüsen, 125 Leber, 114 Genitalien (6M., 108 W,), 65 Bauchfell, 58 Knochen, 58 Lungen, 46 Darm, 31 Brustfell, 30 Harnwege, 29 Pankreas, 27 Haut, 24 Gehirn, 24 Brustdrüse, 21 Nieren, 21 Milz, 14 Gallenblase, 14 Hirn- häute, 9 Herz, 9 Speicheldrüsen, 8 Muskeln, 7 Herzbeutel, 7 Speiseröhre, 5 Schilddrüse, 4 Venen, 3 Augapfel, 2 Schlund, 2 Zunge, 2 Nebenniere, 1 Kehlkopf, 1 Luftröhre. — Hirnkrank- heiten kamen unter 452 Fällen (in 14 Mon ) vor 35 Hirnent- zündung, 51 Hirnhautentzündung, 30 Hirnschlagfluss. Unter 5000 Sectionen dagegen waren 208 Hirnschlagflüsse, und zwar zeigte sich vom 10. Lebensjahre mit 1 Proc. Sterblichkeit eine Zunahme von 4—5 Proc. für jedes Decennium des Lebensalters bis zum 70. Jahre und von da eine Abnahme von 7 Proc. bis zum 100. Jahr. Heilung durch Narbenbildung oder Einkapselung war 97mal beobachtet worden. — Lungenkrankheiten. 1742mal (893 M., 849 W.), 484 Pneumonieen, 36 Lungen- brand, 28 Blutlungeninfaret, 18% Lungenödem, 335 Bron- chialkatarıh, 443 Lungenemphysem (9'/, Proc. aller Secirten), 201 Bronchialerweiterung, am häufigsten in den 70. Jahren. — Herzkrankheiten. 68 Endokardilis, 238 Klappen- krankheiten und zwar 164 am Oslium venosum sinistrum, 15 am Ostium ven. dextr., 102 am Ostium aorticum, 9am Oslium pulmonale, — 50 Myocarditis, 557 Herzhypertrophie, 50 Aor- tenaneurysma (17 an der A. ascendens, 15 am Arcus, 2 A. descend., 1 A. abdom.). — Unterleibsorgane. Magen- katarrh 327mal, hämorrhagische Erosionen 81mal, chronisches Magengeschwür 227mal (46 M., 179 W.), 37 offene Geschwüre, 5 perforirt jedesmal bei Weibern, chronisches Duodenalge- schwür 6mal, Darmkatarrh 620mal, darunter 97 mit Ausgang in Geschwürsbildung; Ruhr 232mal, als tödtliche Complication 64mal bei Tuberkulose, 27mal bei Krebs, 23mal bei Syphilis. Chroniche Leberentzündung 154mal, 71mal bei Syphilitischen, Milzinfarkt 207mal, Nierenentzündung in 14 Momaten 83mal, Bright’sche Krankheit 261mal am häufigsten im Frühling, die häufigsten Complikationen dabei 93 Milzanschwellungen, 66 Herzhypertrophieen, 62 Tuberkulosen, 43 Syphilis, 34 Klap- penfehler, meistens Verengung des Ostium venosum sin. — Krankheiten der weiblichen Geschlechtsorgane. Bei 630 Weibern kam vor 62mal Schleimfluss des Uterus und der Vagina, 17mal Apoplexie des Uterus, 49mal Fibroid des Uterus ({mal im 3., 6mal im 4., 10mal im 5., ömal im 6., 48mal im 7., imal im 8. und imal im 9. Decennium. Eier- stocksbalggeschwulst kam bei 2433 weiblichen Leichen 55- mal vor. Bibliographische Neuigkeiten. WW. — H. Kleike, Reise des Prinzen Adalbert von Preussen nach Brasilien im Jahre 1842, Berlin. 1, Thlr. A. Wagner, Geschichte d. Urwelt mit bes. Berücksichtigung d. Menschenrassen und des mosaischen Schöpfungsberichtes. 2. Aufl. 1. Thl. 8. Voss in Leipzig. 3'/ Thlr. Todd, Rbt. Beniley and Wm. Bowman, The physiological Anatomy and Physioloegy of Man. 2 Vols. 8. London, Parker. 40 Sh. 5. Lfg. 8. Hasselberg in H. — J. Z. Laurence, Wlustrations of the Pathology of Can- cer. 8. London, Richards. 4 Sh. 6.d. B. A. Morel, Traite des degenerescences physiques inlelle- etuelles et morales de l’espece humaine et des causes qui produisent ces varietes maladives. 8. Paris, Bailliere, avec un atlas de 12 pl. J. Hermann, Die Behandlung der Syphilis ohne Merkur. 2. Aufl. 8. Sallmayr u. Co., Wien. 24 Sgr, Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena. Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. I. Band No 18. Naturkunde. J. G. Beer, Gewinnung und Nutzen der Bastfaser aus den Blättern der Ananas. — L. Türck, Zur Er- mittelung der Haut - Sensibilitätsbezirke der einzelnen Rückenmarks - Nervenpaare. — Meilkunde. P. F. W. Vogt, Ueber Abortivbehandlung der Ruhr. — B. Breslau, Die Unterscheidung der Uterusfibroide von Eierstocksgeschwälsten, Miscellen. Plagge, Zur Behandlung der s. g. Choleraasphyxie. — Spielmann, Die Temperatur bei Febris typhosa und bei Typhus. — Kranichfeld, Ueber die Heilkräfte des Augentrostes. — Bibliographie. Naturkunde. Gewinnung und Nutzen der Bastfaser aus den Blättern der Ananas. Von J. G. Beer (Wien) *). Es ist bekannt, dass die Bastfaser der Blätter der Ananassa und wahrscheinlich aller langblätterigen Bro- melien, in Amerika schon lange durch künstliche Mittel nutzbringend gemacht wurde. Dass nach Europa hier- über wenig Bemerkenswerthes gelangt, darf nicht wun- dern da nutzbringende Vegetabilien in den Tropenlän- dern häufig sind und theilweise sehr sorgfältig gepflegt werden, von denen wir in Europa selten Kunde erhalten. Es bricht sich aber mancher Pflanzenstoff auffallend schnell die Bahn, wie z. B. bei Guttapercha es sich so auf- fallend zeigt. Hier ist es jedoch der europäische Specu- lationsgeist, welcher diesen Stoff gut erkannte und schnell zum Rivalen des Kautschuk machte. Die Manipula- tion bei Gewinnung dieser Pflanzensäfte ist ganz einfach, wesshalb auch die Ausbeute derselben keine Schwierig- keiten macht, bis endlich die Bestände der Bäume, wel- che diese Stoffe liefern, ausgerottet sein werden. Anders verhält es sich aber bei Gewinnung von Pflanzenfasern; hierbei ist schon ein mehr complicirtes Verfahren nöthig, auch will man gleich grosse Massen in den Handel bringen, um diesen Stoffen bei der Fabri- eation Eingang zu verschaffen. Um diess zu erreichen, sind jedoch grosse Culturen oder oft schwierige Samm- lungen der Gewächse nöthig, welche sich aber, wenn sie nutzbringend sein sollen, nur allmälig entwickeln dürfen. Die Bastfasern, welche die Blätter der Ananassa enthalten, näher kennen zu lernen, ist jedenfalls von grosser Wichtigkeit, indem es sich hier um einen edlen *) KS> Die Familie der Bromeliaceen mit besonderer Berücksichtigung der Ananassa. Von J. G. Beer. Wien, Tendler u. Co., 1857. Pflanzenstoff handelt, der bis jetzt nur sehr wenig ge- achtet wurde. Ich werde weiter unten auf die erstaunliche Menge von Ananassa-Blättern hinweisen, welche nur allein in Deutschland jährlich als ganz nutzlos weggeworfen wer- den, und die man nicht einmal gern als Compost ver- wendet, da die Blätter oft nach Jahren noch durch ihre scharf bewehrten Blattränder dem Arbeiter sich schmerz- lich fühlbar machen. Ich erlaube mir hier auf jene Versuche hinzuweisen, welche mit der Anzucht der Ananassa, — und zwar ohne besonderen Schutz — im Freien gemacht wurden. Im Jahre 1847 hat Herr Barnes zu Picton in England die Möglichkeit gezeigt, über Sommer im Freien Ananassa-Früchte zur Reife zu bringen. Lady Rolle hat dieses Verfahren in Gardener’s „Chronicle“ No. 29 pag. 467 genau beschrieben. Wenn man im Stande ist, in England im Freien Ananassa-Früchte zu ziehen, so liegt es gewiss nahe, dass man ähnliche Versuche, und zwar jedenfalls mit bedeutenden Vortheilen, durch höhere Wärmegrade u. s. w. unter dem heiteren Himmel von Dalmatien und andern ähnlichen Landstrichen der österreich. Monarchie machen könnte. Man darf aber nicht unberücksichtigt lassen, dass Barnes für die Zucht im Freien Pflanzen wählte, welche die Fruchtbildung schon zeigten ; dieses setzt aber schon ein geregeltes Verfahren voraus. Auf Gewinnung von Früchten müsste man da- her anfänglich in Dalmatien u. s. w. bei der Zucht im Freien verzichten; allein das scheint gewiss, dass ein kleiner Schössling von Ananassa sativa, im Frühjahre dort ausgepflanzt, bis Herbst vollkommen genügende Laub- blätter zur Gewinnung der Bastfaser in Menge getrieben haben würde, und dass an dem Stamme sich genug Schösslinge gebildet haben werden, um im nächsten Jahre einen zehnmal grösseren Raum damit zu bepflanzen. 275 Die Ueberwinterung der Schösslinge bedarf mır ei- nes warmen geschützten Ortes. Es würde sich wahr- scheinlich schon im dritten Jahre zeigen, dass die Schöss- linge, welche die Pflanze im Freien trieb, bei Weitem kräftiger und ausdauernder sind als jene, welche man zum ersten Versuche aus den gewöhnlichen Ananassa- Culturen entnahm. Den Standort im Freien betreffend, erlaube ich mir darauf hinzuweisen, dass in Brasilien u. s. w. die wilde Ananassa und deren Varietäten in Masse an freien Orten, und zwar in stark sandigem Bo- den gefunden werden; hier stehen die Gewächse gewöhn- lich ganz nahe beisammen und bedecken oft bedentende Strecken, die sie allein in Anspruch nehmen. Barnes stellte seine Ananassa- Pflanzen in einen Erdgraben, wo auf beiden Seiten die aufgehobene Erde einen Längswall bildete, damit die Hauptströmung der Winde durch die Wälle von den Pflanzen abgehalten werde. In Dalmatien u. s. w. würden einjährige Pflan- zen der Ananassa sativa ohne weitere besondere Surgfalt, und zwar in 14° Entfernung von einander, im Anfange des Monats Mai ausgepflanzt werden können. Die Ver- suche werden lehren, ob solche Pflanzungen bewässert werden müssen, wenn längere Zeit eine bedeutende Dürre des Bodens sich zeigt. Ich glaube jedoch, dass eine künstliche Bewässerung nicht erforderlich sein dürfte, in- dem die feuchten Luftzüge, welche von dem Meere das Land überströmen, der genügsamen Ananassa wahr- scheinlich zum Gedeihen hinreichend sind. Wenn auch bei diesen Versuchen die Spitzen der Laubblätter durch kalte Winde u. s. w. schwarz werden oder vertrocknen, so ist dieses von keiner störenden Bedeutung, indem die Blattenden ohnehin zur Bastgewinnung am wenigsten ge- eignet sind. Das Hauptverdienst besteht hier in gut ausgebildeten robusten Blättern; diese zu liefern würde aber eine in freier Luft gezogene Pflanze sich jedenfalls am geeignetsten erweisen. Die Beobachtungen an fremden Gewächsen, welche, endlich heimisch werdend, bei uns im Freien ohne Schutz zur Vollkommenheit gelangen, sind unsere besten Weg- weiser. Desshalb erlaube ich mir, die treflliche Arbeit des Herrn von Martius im Auszuge hier anzu- reihen. Herr von Martius berichtet in seinem „Beitrag zur N. und L. Geschichte der Agaveen, München 1855, Seite 49— 50. „In Dalmatien erscheint eine Agave americana nach den brieflichen Mittheilungen des Herrn de Vi- siani, südlich von der Insel Arbe, sowohl auf dem Festlande als auf den Inseln, ‘jedoch immer nur nahe an der Küste, im felsigen Grunde. Sie liebt südliche Expositionen, gedeiht aber auch an anderen, so nament- lich in den südlicheren Inseln Lesina, Lissa, Meleda, Calamotta, wo sie auch zur Blüthe kommt, was im nördlicheren Reviere nur äusserst selten der Fall ist.“ Diese Mittheilungen des Herrn von Martius sind ‚ 276 von Wichtigkeit, weil sie beweisen, dass das Klima von Dalmatien, indem die Agave americana hier ganz frei, ohne allen Schutz fortkommt, gewiss auch für die Cul- tur der Ananassa sich tauglich erweisen wird. Es war für mich sehr erfreulich, bei den Forschungen, welche ich in dieser Angelegenheit anstellte, zu finden, dass in Wien schon im Jahre 1836 Versuche gemacht wurden, die Bastfasern aus den Ananassa-Blättern gereinigt dar- zustellen. Herr Ritter von Kees machte im Jahre 1336 im Augarten in Wien, die Gewinnung der Bastfasern aus den Blättern der Ananassa betreffend, mehrere Versuche; diese wurden unter seiner Aufsicht durch den Hrn. Hof- gärtner Scheiermann, welcher noch jetzt dem Au- garten vorsteht, ausgeführt. Herr Scheiermann hatte die Güte, mir das Verfahren bei Gewinnung dieser Blatt- faser mitzutheilen. Die Blätter wurden nach der Frucht- reife von der Pflanze abgerissen und dann mit Holz- schlägeln auf einem Holzstocke so lange geschlagen, bis die Faser von der Blattsubstanz sich endlich trennte. In Zwischenzeiten wurden die geschlagenen Blätter in wei- chem Wasser ausgeschwemmt. Diese Behandlung wurde so lange fortgesetzt, bis die Faser von den andern Blattstoflen gereinigt war. Wenn die Faser durch Ueber- reste der Blaltsubstanz noch verunreinigt sich zeigte, dann wurde eine Auflösung von gewöhnlicher Seife an- gewendet, die Fasern unter beständigem Klopfen mit dem Holzschlägel bearbeitet und hierdurch endlich gänz- lich gereinigt; dann liess man die gewonnene gereinigte Faser einige Stunden im Wasser liegen und breitete sie zuletzt an einem geschützten schattigen Orte zum Ab- trocknen aus. Nach diesem Verfahren wurde die Faser aufbewahrt. Die Proben, welche im Cabinete des k. k. polytechnischen Instituts hier in Wien sich befinden, sind die Resultate der Bestrebungen des Herrn von Keesz sie bestehen aus einem Büschel gereinigter und aus ei- nem Büschel vollständig reiner Blattfasern. Die Industrie-Ausstellung, welche im Jahre 1853 zu Paris stattfand, zeigte mehrere Proben dieser Bast- faser aus den Blättern der Ananassa, welche die allge- meine Aufmerksamkeit der Kenner erregten, indem die- ser Faserstoff, vollkommen gereinigt und sorgsam prä- parirt, alle anderen Pflanzenfasern, selbst jene der Boeh- meria utilis, an Feinheit, Glanz, Haltbarkeit und Weisse bei Weitem übertrifft. In Brasilien werden hiervon Strümpfe für Damen verfertigt, welche die seidenen übertreffen, nebst diesen vorragenden Eigenschaften aber noch den Vorzug bieten, dass die Erzeugnisse dieser Pflanzenfaser die gewöhn- liche Wäsche sehr gut vertragen und hierdurch. weder spröde werden, noch an ihrem Glanze verlieren. Das Zusammenbringen der Laubblätter an "einem Orte, wo überhaupt mit Lein oder Hanf manipulirt wird, bietet gar keine Schwierigkeiten, indem das Blatt lange Zeit liegen kann, ohne zu verderben. Die Versendung . sr re er er ww 277 derselben an einen Sammelort bedarf ebenfalls gar kei- ner Sorgfalt, da die Blätter, in dichte Bündel zusam- mengebunden, ohne sonstigen Schutz verfrachtet werden können. August, September und October sind die Monate, in welchen die meisten Ananassa-Früchte geschnitten wer- den und desshalb auch zur Uebersendung der Blätter an einen Manipulationsort am geeignetsten; hierdurch wür- den grosse Massen dieser Blätter in kurzem Zeitraume anlangen und die Gewinnung der Fasern auf einmal be- werkstelligt werden können. Jene vereinzelten Fälle, wo diese Gewächse in den Wintermonaten Früchte tragen, sind nicht zu berücksichtigen, indem es Hauptsache ist, das ganze Verfahren des Sammelns und der Versendung dieser Blätter so einfach und wenig zeitraubend als mög- lich zu machen. Da diese Blätter bis jetzt ganz werth- los sind, so ist auch gewiss anzunehmen, dass sie un- ter schr billigen Bedingungen zu erlangen sein werden. Jedenfalls wird es förderlich sein, wenn man Ver- suche an verschiedenen Orten mit diesen Blättern anstellt und diese Proben dann an einem beliebigen Sammelorte zur Ansicht und Beurtheilung auflegt. Um über die Ge- winnung dieser Bastfaser wo möglich gewichtige Quellen aus Amerika aufzufinden, war ich durch die gesammte botanische Literatur, die sich auf die Familie der Bro- meliaceen bezieht und die ich zu diesem Zwecke benutzte, immer aufmerksam. Es erschien eine kleine Broschüre in Rio - Janeiro im Jahre 1830 von Arruda da Camara, welche aus- schliesslich nur jene Pflanzen behandelt, deren Bastfasern in Brasilien für feine Gewebe, Seilerarbeiten u. s. w. onnen werden. Diese seltene Schrift findet sich in den Bibliotheken Wiens nicht; ich erhielt es von Berlin aus der königlichen Bibliothek durch Herrn Dr. Pritzl. Diese wichtige Arbeit, welche auf Befehl des Prinz- Re- genten von Brasilien erschien, beschreibt sehr ausführlich das Verfahren bei Gewinnung der Bastfasern aus ver- schiedenen Pflanzen. Ich erlaube mir nun, das auf Ananassa u. s. w. Be- zügliche, aus der portugiesischen Sprache übersetzt, wört- lich mitzutheilen. Ob das hier mitgetheilte Verfahren bei Gewinnung der Bastfaser aus Ananassa-Blättern, wie es in Brasilien geschieht, auch bei uns gleiche und volle Anwendung finden kann, vermag ich nicht zu beurtheilen; jedenfalls bleibt es aber von hohem Interesse, genau zu wissen, auf welche einfache Weise man dort die Fasern von ver- schiedenen Gewächsen gewimt. CAROA'. Bromelia variegata Arruda. Die Blätter dieser Pflanze sind aus zwei Schichten zusammengesetzt, Die äussere ist convex, die innere eoncayz; jene ist dicker und rauher, diese zarter; zwi- schen der einen und der andern befinden sich längliche Bastfasern, welche beim Pressen der Blätter in saftiges 278 Fleisch gehüllt sind. Diese Bastfaser ist fest, und es werden daraus, indem man sie künstlich behandelt, aller- lei Strickwerk und grobes Tuch bereitet. Die Einwohner von Rio de St. Francisco verfertigen ihre feinsten Fischernetze von den Fäden dieser Fasern. Man gewinnt auf zweierlei Art die Bastfaser der Caroa’: 1) Man reisst die Blätter von dem Stamme, wozu nur wenig Kraft erforderlich ist, beschneidet die Blatt- ränder mit dem Messer und reisst mit Gewalt die Bast- fasern heraus; man nennt desshalb diese Art, die Bast- faser heranszuziehen, die „Coroa’.“ Die auf diese Weise gewonnene Bastfaser ist grün und man muss sie durch Waschen reinigen. 2) Man reisst die Blätter vom Stamme, bindet sie in Bündel und wirft sie in's Wasser, wo man dieselben vier oder fünf Tage hindurch einweichen muss; dann klopft man die Bündel, jedoch ohne die Faser mit dem Schlä- gel stark zu bearbeiten. Diese Operation ist aber noch nicht genügend, die Fasern von dem Fleische oder den fremdartigen Theilen zu trennen. Man muss sie neuer- dings in Bündel binden und 2 Tage hindurch einweichen lassen, wie auch die Operation des Klopfens wiederholen ; wenn nöthig, muss dieser Vorgang noch einmal wieder- holt werden, dann tritt gewöhnlich die reine Faser her- aus, welche man dann, damit sie sich nicht verwirre, zusammenflicht. In diesem Zustande wird die Bastfaser bündelweise in den Handel gebracht. Ich habe beobachtet, dass man die ganze Operation abkürzt, wenn man die noch frischen Blätter klopft, wo- durch sie vor der ersten Eimweichung schon zerquetscht werden. Faules oder stehendes Wasser ist hierzu besser geeignet als fiessendes und frisches, Wenn wir die auf die eine oder die andere Art gewonnene Faser verglei- chen, so finden wir, dass die auf die erste Art gewon- nene Bastfaser fester, aber auch kostspieliger ist. Bei der Erzeugung dieser Bastfaser sind sechs ver- schiedene Operationen zu beobachten: 4) die Blätter von dem Stamme zu reissen; 2) die Dornen von den Blatt- rändern zu entfernen; 3) die Bastfaser mit den Händen auszuziehen; 4) diese in einen Bach oder Brunnen zu legen; 5) die Fasern zu klopfen 6) dieselben in der Sonne zum Trocknen auszubreiten und zu sammeln. CRAUATA’ de Rede. Bromelia sagenaria Arruda, Man nennt diese Pflanze gewöhnlich „Crauatä de Rede“ (Netz), weil die Eingebornen aus der hiervon ge- wonnenen Faser ihre Netze stricken und ihre Mäntel we- ben. Die Bastfaser dieser Pflanze ist 3 bis 8° lang, je nach der Fruchtbarkeit des Bodens. Auf einem dürren trockenen Boden ist die Bastfaser kürzer. feiner und glatter; auf einem fruchtbaren Boden hingegen wird diese Faser bedeutend länger, ist aber auch gröber und rauh anzufühlen. Diese Faser erlangt schwer die Weisse durch ge- wöhnliche Waschungen, indem ihre Oberfläche mit einem 18* 279 natürlichen Firnisse bekleidet ist; aber gerade dieser Um- stand ist schuld, dass sie in Wasser und Luft sich sehr haltbar beweist. Stoffe, aus dieser Blattfaser gewebt, und ein Paar Strümpfe, welche man dem Ministerium sandte, zeigten zur Genüge, dass diese Faser bei einiger Verbesserung der Zubereitung jedenfalls zu den feinsten Geweben zu verwenden sei. Die Blätter dieser Pflanze sind genau so wie bei der Bromelia variegata, nur mit dem Unterschiede, dass sich hier die Bastfaser schwerer von der Blattsubstanz entfernen lässt; diess verursacht auch eine Aenderung in der Behandlung. Die Blätter werden 12 bis 15 Tage in Wasser eingeweicht; ob die Einweichung vollkommen gelungen sei, erkennt man, wenn sich die Hälfte der Blattsubstanz mit den Nägeln trennen lässt. Alsdann zieht man die Blätter, eines nach dem andern, aus dem Wasser und schaht das Blatt, bis sich die Bastfasern bloss- legen, und zieht dieselben behutsam heraus. Um sie gänzlich zu reinigen, flicht man sie zusammen und weicht sie noch- mals einen Tag in Wasser, dann klopft man sie mit Schlägeln auf einer Bank und wiederholt diese Einweich- ung und Klopfung so lange, bis die Faser ganz rein erscheint. ANANA’S Manso. Als ich mich im königlichen Auftrage mit der Er- forschung der Bastfasern aus einheimischen Pflanzen be- schäftigte, entdeckte ich im Jahre 1801 auch die Bast- fasern in den Blättern der Bromelia Ananas. Damals fand ich bei Vergleichung mit allen übrigen Pflanzenfasern, welche ich untersuchte, dass sie die festeste und feinste ist, welche irgend eine Pflanze liefert. Die erste Erfahrung, welche ich hierüber machte, war folgende: Ich nahm die Blätter von zwei Ananas- pflanzen, welche zusammen 14 Pfund wogen, klopfte sie mit Schlägeln, wusch die geklopften Theile und erreichte von diesen beiden Pflanzen ein wenig mehr als ein vier- tel Pfund Bastfasern. Was die berührte Qualität dieser Faser betrifft, wiederhole ich noch einmal, dass sie selbst feiner als der europäische Flachs ist und den grossen Vortheil bietet, dass die Fasern aus den Ananas - Blät- tern in einem Tage vollkommen gereinigt zubereitet wer- den können. Bromelia Ananas Linn. CAROATA’ ASSU’ ou PITEIRA. Agave vivipara Linne. Die Methode, aus dieser Pflanze die Faser zu ge- winnen, ist wie bei der Caroata’, mit dem einzigen Un- terschiede, dass man die Blätter vor der Einweichung klopfen muss; dann nach 10 Tagen klopft man sie aber- mals, flicht sie zusammen und lässt sie wieder 3 Tage weichen und wechselt so lange mit Klopfen und Einwei- Er 280 chen (jedoch immer geflochten, damit sie sich nicht ver- wirren), bis die Faser rein ist. ! COQUEIRO. Das Mittel, die Faser von der Cocos zu gewinnen, ist nur: klopfen und einweichen. Vor der Einweichung muss man sie klopfen, da die äussere Oberfläche sehr verstrickt und dicht ist, das Wasser aber hierdurch leich- ter eindringen kann; hierauf lässt man sie 2 bis 3 Tage im Wasser weichen, worauf man sie klopft und so ab- wechselnd fortfährt, bis sich die Faser gereinigt darstellt. An frisch abgezogener Rinde von Cocos ist die Blattfa- ser am leichtesten zu gewinnen. ANINGA. Arum liniferum Arruda. Die Substanz des Stammes dieser Pflanze ist schwam- mig, gesättigt mit einem herben Safte, der die Metalle angreift. Einige Landleute bedienen sich dieser Eigen- schaft, um ihre eisernen Geräthe damit zu putzen. Die Längsfasern dieser Pflanze in dem Fleische der- selben sind nicht sehr fest sitzend; es genügt daher das blosse Klopfen, wonach man sie auswäscht. Die Leichtigkeit der Bereitung der Bastfaser und die ausserordentliche Menge dieser Pflanzen geben ihr einen grossen Vorzug vor jeder andern Pflanzenfaser. (Arruda da Camara.) Ich erlaube mir, hier schliesslich auf die Mengen der Laubblätter der Ananassa sativa hinzuweisen, welche in Oesterreich und Preussen jährlich erzeugt werden, wie auch deren Nutzen in Zahlen darzustellen. Ein ausgebildetes Blatt der Ananassa sativa wiegt circa . . 2... Eine Pflanze hat nach der Fruchtreife gewöhnlich 23 Blätter; diese wie- gen zusammen. mann BE Eine Pflanze oder 23 Blätter liefern durchschnittlich . . . 2... 14 7,5, ganz gerinigte Bastfasern. In Oesterreich werden jährlich circa in Preussen ebenfalls jährlich circa 32,000 , gezogen, also zusammen circa . 47,000 Früchte. Diese Pflanzen liefern demnach . . 1175 Ctr. Blätter, welche bisher als ganz nutzlos entweder verbrannt oder ganz weggeworfen wurden. Sie enthalten vollkommen gereinigte Bastfasern 1838 Pfund. Wenn auch die hier angeführten Zahlenverhältnisse noch Manches zu wünschen übrig lassen ‚so dürften den- noch Versuche mit bedeutendeu Massen dieser Blätter recht bald den Beweis liefern, dass ein beachtenswerther Gewinn hierbei in Aussicht stehe, indem der Werth der gewonnenen Bastfasern in einem sehr günstigen Verhält- nisse zu dem bis jetzt werthlosen Rohproducte steht und zu einem neuen Zweige der Industrie Veranlassung geben kann.“ Cocos nucifera Linne. 33 Loth. 45,000 Früchte, ci 39 Zur. Zur Ermittelung der Haut- Sensibilitätsbe- zirke der einzelnen Rückenmarks - Nerven- paare. Von Med. Dr. Ludwig Türck (Wien) *). Die bisherigen, auf Präparation an der Leiche fus- senden Angaben über die Verbreitungsbezirke der Rücken- marksnerven in der Haut konnten der Natur der Sache ‘nach nur sehr mangelhaft, es konnte von einer genaue- ren Bestimmung der Bezirke der einzelnen Paare keine Rede sein; insbesondere war eine solche bei den zahlrei- chen in Geflechte eintretenden Spinalnervenpaaren schlech- terdings unmöglich. Ich suchte jene Bezirke durch das physiologische Ex- periment zu ermitteln, indem ich an Hunden im Zustande der Narkose die einzelnen Nervenpaare in der Nähe der Spinalganglien trennte, und hierauf die dadurch anästhe- tisch gewordenen Stellen der Haut bestimmte. Bei die- sen Versuchen gaben sich die einzelnen Bezirke nicht nur in sehr prägnanter Weise zu erkennen, sondern es zeigte sich auch eine höchst merkwürdige Gesetzmässigkeit in ihrer Anordnung. Indem ich mir vorbehalte, die genaue Beschreibung der so bestimmten Verbreitungsbezirke sammt den ent- sprechenden Abbildungen, sowie auch eine ausführliche Auseinandersetzung der eingehaltenen Methode des Ver- suches später in einer grösseren Abhandlung für die Denkschriften der kaiserlichen Akademie vorzulegen, er- laube ich mir, die hauptsächlichsten bis jetzt erlangten Ergebnisse im Nachfolgenden mitzutheilen. Das einzelne Spinalnervenpaar vermittelt in einem beträchtlichen Theile seines Hautbezirkes die Sensibilität ganz ausschliessend oder in einem so hohen Grade gegen die Nachbarpaare überwiegend, dass nach seiner Tren- nung daselbst die heftigsten mechanischen Eingriffe spur- los vorübergehen, während in der ganzen Umgebung leb- haft empfunden wird; ein Verhalten, welches ich bereits bei den allermeisten Paaren constatirt habe. Hinsichtlich jener Hautstellen, von denen sich nachweisen lässt, dass sie von je zwei benachbarten Paaren gemeinschaftlich ver- sorgt werden, sind meine Untersuchungen noch nicht ge- schlossen. Die Verbreitungsbezirke der einzelnen Paare stellen am Halse und Rumpfe bandähnliche Streifen dar, welche von den Dornfortsätzen bis zur vorderen Mittellinie in einer auf der Längenaxe des Körpers senkrechten oder beinahe senkrechten Richtung ringsum verlaufen. Die Verbreitungsbezirke der die Haut der Extremi- täten versorgenJen Spinalnervenpaare befolgen mit Modi- ficationen ganz die eben angegebene Norm jener der übri- gen Paare, jedoch springt diese Uebereinstimmung nur dann in die Augen, wenn die Extremitäten in eine ge- *) fS> Aus dem Sitzungsberichte d. math. -naturw. u der k. k. Academie d. Wissensch. abgedr. Braumüller in ien, 282 wisse Stellung zum Rumpf gebracht werden. Für die vorderen Extremitäten ist diese Stellung die seitliche, rechtwinklige gegen den Rumpf, mit vollkommener Strek- kung in allen Gelenken, bei etwas supinirter Hand; für die hinteren gleichfalls die der vollkommenen Streckung in allen einzelnen Abschnitten, wobei die gestreckten Ex- tremitäten in der Weise schief gestellt sind, dass sie mit dem Schwanz des Thieres Winkel von ungefähr 45° bil- den, und zugleich eine mässige Auswärtsrollung stattfin- det. Bei den im Nachfolgenden enthaltenen Angaben wurde diese Richtung der Extremitäten vorausgesetzt und, um den Vergleich mit dem Menschen zu erleichtern, das Thier in der Stellung des aufrechten Ganges gedacht. Die Uebereinstimmung der beiderlei Bezirke lässt sich durch die bildliche Vorstellung versinnlichen, dass sich die Bezirke der Extremitäten ungefähr so verhalten, als wären sie ursprünglich an den Seiten des Halses und Rumpfes gerade so wie alle anderen verlaufen und erst später durch die sich bildenden Extremitäten als Ueber- zug derselben seitlich hervorgestülpt worden. Dadurch seien nun einzelne Bezirke so weit seitlich gezogen wor- den, dass sie sich von der vorderen und hinteren Mittel- linie des Stammes ganz trennten; andere seien an den Mittellinien hängen geblieben, zwischen beiden aber ab- gerissen worden (2. Brustnerv); andere, an der Grenze gelegene, seien zwar in der Vollendung des Bogens um den Rumpf nicht verkürzt, jedoch am Rande von der sie im Austreten berührenden Extremität nachgezogen worden. Bei Allen dem hätten sie aber ihre ursprüngliche relative Lage unter sich selbst sowohl, als auch gegen den Rumpf beibehalten, so dass sie stets eine mehr weniger senk- rechte oder an den unteren Extremitäten successiv schief werdende Richtung gegen die Längenaxe des Rumpfes einhalten, und auch der ursprüngliche bogenförmige Ver- lauf bei mehreren noch deutlich zu erkennen bleibt. Der Bezirk des fünften Halsnerven bildet ein rings um die unterste Halsgegend verlaufendes Band, welches die Schulterblattgräthe und den obersten Theil des Ober- armgelenkes in sich fasst. Er grenzt nach unten an der vorderen und hinteren Mittellinie des Rumpfes unmittelbar an den Bezirk des zweiten Brustnerven. Zwischen beiden schalten sich die Bezirke des 6., 7., 8. Hals- und 1. Brustnerven ein. Der Bezirk des 6. Halsnerven liegt bei der oben angegebenen Stellung zuoberst an der Streck- seite des Schultergelenkes und verlängert sich spitz zum Ellenbogengelenk. Diese Spitze umgreift gabelförmig der Bezirk des 7. Halsnerven an der inneren und äusseren Seite des Oberarmes, und verlängert sich an der Radial- seite des letzteren nach der ersten Zehe. Unter ihm an der Rückseite des Vorderarmes über den Rücken der Hand und einiger Zehen verbreitet sich der Bezirk des 8. Hals- nerven. Der 1. Brustnerv versieht die (in der angegebenen Stellung) untere Fläche des Vorderarmes, die Volarfläche der Hand und der übrigen Zehen. Der Bezirk des 2. Brustnerven läuft von den Dornfortsätzen aus über den 283 Rücken auf die äussere Seite des (in der angegebenen Stellung) unteren Abschnittes des Oberarmes bis zum El- lenbogengelenk. Das Endstück vom Bezirke des vorderen Astes liegt als ein isolirter Fleck an der vorderen Mittel- linie des Rumpfes. Der 3. Brustnerv versieht die an den bogenförmig um den Rumpf lanfenden Theil seines Be- zirkes grenzende hintere (in der angegebenen Stellung untere) Fläche des Oberarmes. Die Bezirke der übrigen Brustnervenpaare verhalten sich nach der allgemeinen Norm. Die Bezirke der ersten drei Lendennerven verlaufen über die Bauchschenkelfalte nach der vorderen Mittellinie des Rumpfes, die sie jedoch nicht erreichen, indem sie nur bis zum Bezirk des 4. Lendennerven gelangen, wel- cher einen Theil des Darmbeines, der (in der angegebe- nen Stellung) äusseren vorderen und inneren Fläche des Oberschenkels umfasst und am Bauche bis zur Mittellinie zieht. Das Ende des letztgenannten Bezirkes auf diesem Wege bildet ein grosser Theil der an der Mittellinie des Bauches befestigten Haut des Penis mit Ausschluss der Vorhaut. Am Rücken erreicht der 4. Lendennerv nicht die Mittellinie des Kumpfes. Der Bezirk des 5. Lendennerven verläuft an der inneren und vorderen, der des 6. an der äusseren und vorderen Seite des Unterschenkels und eines Theiles der versieht den Rest des Fusses sammt Zehen. Der Bezirk des 1. Sacralneryen verläuft schief an der äusseren hinteren und inneren Fläche vom Oberschen- kel. Er erstreckt sich bis zur hinteren Mittellinie des Rumpfes, an welcher er an den Bezirk des dritten Len- dennerven grenzt, er reicht aber nicht bis zur vorderen Mittellinie. Am untersten Abschnitt des Rumpfes (in der ange- gebenen Stellung) bis zur Raphe liegen die Bezirke des 2. und 3. Sacralnerven, deren 1. das Scrotum, Praepu- tium, beim Weibchen die Schamlippen in sich fasst, und an der vorderen Mittellinie des Rumpfes an den Bezirk des 4. Lendennerven grenzt. Die hauptsächlichsten Be- zirke der unteren Extremitäten schalten sich somit nach vorn zwischen den Bezirk des 4. Lenden- und 2. Sa- cralnerven, nach rückwärts zwischen jenen des 3. Len- den und 1. Sacralnerven ein. Bei Trennung einzelner für die Extremitäten be- stimmter Nervenpaare bemerkte ich an jenen mitunter eine sehr auffallende vorübergehende Temperaturerhöhung; in wie weit dabei Fäden des Sympathicus verletzt worden waren, wurde nicht ermittelt. Heilkunde. Ueber Abortivbehandlung der Ruhr. Von Prof. Dr. P. F. W. Vogt (Bern) *). Der Verf. giebt hier seine 40jährigen klinischen Er- fahrungen über eine weit verbreitete und so häufig epi- demische Krankheitsform; dem vielen Belehrenden dieses aus der praktischen Erfahrung hervorgegangenen Buches entnehmen wir das, was über den eben so wichtigen als schwierigen Punkt der „Abschneidungskur“ gesagt ist. „Es wurden während der Vorboten und in den er- sten Tagen nach dem wirklichen Ausbruche der Ruhr, theils um die Krankheit damit abzuschneiden, theils um ihren künftigen Verlauf zu verbessern, drei Methoden angewandt: die emetische, die kathartische und die dia- phorelische. Zur Ausführung der ersten bediente man sich fast ausschliessend der Ipecacuanha. Man liess dabei zugleich die Diät und das Verhalten beobachten, was oben bei der Ruhr empfohlen wurde, und suchte durch Nachtrinken von indifferenten Theegetränken besonders noch die Haut- ausdünstung zu befördern. Es liegen viele Zeugnisse von älteren und neueren Aerzten vor, wonach dieses Verfah- ren die besten Dienste leistete und die Krankheit sofort *) D=S> Monographie der Ruhr von Dr. P. F. Wilh. Vogt, Prof. d. medic. Klinik zu Bern. 8. 2278. Giessen, Ricker’sche Buchhdlg. 1856. binnen wenigen Tagen sich beendigte *). Besonders be- liebt war es bei denen, welche der Ruhr überhaupt ei- nen sogenannten gastrischen oder biliösen Ursprung zu- schrieben, oder wenigstens in einzelnen Fällen denselben anerkanıten. Es hat sich aber in der Praxis durchaus nicht diese Ansicht bewährt, und man kam ziemlich all- gemein nach den Erfahrungen zum Ausspruch, dass in manchen Fällen allerdings “das Brechmittel allen Wün- schen entspreche, aber fast noch öfter die beabsichtigte Hülfe versage, ohne dass man von vornherein die Fälle irgendwie unterscheiden könne, wo am ersten der gute Erfolg zu erwarten wäre. Unsere Erfahrungen haben uns dasselbe Resultat ge- geben. Da indess dieses Verfahren durchaus keinen Nach- theil mit sich führt und zugleich die Brechmiltel bei an- deren croupösen Entzündungen, wie z. B. beim eigentli- chen Croup und bei der Lungenentzündung, sich heilsam zeigen, was man wohl der Entleerung von Galle und Darmsäften und der dadurch bewirkten Entfernung nach- theiliger Stoffe aus der Blutmasse grossen Theils zuschrei- ben muss, so wird es immerhin räthlich sein, von der Ipecacuanha in Erbrechen erregender Dose Gebrauch zu machen. Man befolge dabei aber die beim Croup und der Lungenentzündung als gültig anerkannte Regel, eine *) „Uno tantum emelico non raro jugulavi simplicem.et mi- tem dysenteriam, tempore viginli qualuor horarum.“* Schmidt- mann. 5 “ dem mittel unmittelbar vorausgehen n dieselbe zulässig oder räthlich er- Blute zu lassen, in scheint. Die Abführmittel, und zwar sowohl salinische, be- sonders die Tartrate, als vorzüglich die blanderen, wie Manna, Tamarinden, Ricinusöl, wurden von den älteren Aerzten empfohlen und von den neueren besonders mit den grossen Calomeldosen zu 5, 10 bis 20 Gran ver- tauscht. Seltener als durch das emetische Verfahren wurde damit die völlige Abschneidung erzielt, aber doch, wie man glaubte, der fernere Verlauf der Krankheit ver- bessert. Wir haben bei gewöhnlichen Ruhrfällen im An- fang, besonders wenn Cardialgie mit auffallender Nei- gung zum Erbrechen und wirkliches Erbrechen vorhanden waren, unsere bei solchen Magenleiden zu Anfang der Behandlung gewöhnliche Heilmethode angewendet, näm- lich nach einigen vorgängigen Gaben von Calomel zu Gran 2 bis 3 mit Magnesia, Ricinusöl gereicht, um der abführenden Wirkung des Calomels sicher zu sein. Es verschwanden dann diese einleitenden Magenbeoch au“ die Ruhrzufälle minderten sich und der ganze re Verlauf der Krankheit wurde milder. Die Verbindung der emetischen- und kathartischen Methode wurde auch schon in der älteren Zeit versucht und neuerdings wieder von Haspel ziemlich allgemein empfohlen. Er gab Calomel und Ipecacuanha zu 16 bis 32 Gran jedes, 2- bis 3mal, bis die stärkeren Wirkun- gen nach oben und unten eingetreten waren, und liess dann dieselben Mittel in gebrochener Gabe bis zur Min- derung der Ruhrzufälle fortsetzen. Sowohl bei den gut- artigen Frühlingsruhren, als auch bei den bösartigeren Herbstruhren in Algier soll sich diese Behandlung sehr bewährt haben. Das schweisstreibende Verfahren, und zwar nicht bloss in der gelinderen Weise, wie bei den Brechmitteln, sondern mit warmen Bädern, nachheriger starker Bedek- kung im erwärmten Bett und Anwendung diaphoretischer Mittel, selbst der erhitzenden, wie Punsch, warmem Wein, Camphor und dergleichen ausgeführt, wurde mehr in der vorgefassten Meinung, dass die Ruhr eine Erkältungs- eit sei, als in Folge beobachteter guter Erfolge angewendet, So heilsam es immer bei der Ruhr ist, wenn die Haut normal fungirt, so schädlich sind aber auch gewiss die profusen, auf diese Weise forgirten Schweisse, und man hat es nur günstigen Nebenumstän- den zu verdanken, wenn damit eine Ruhr abgeschnitten oder gebessert wird. on den bei Lungenentzündungen, Typhoidfiebern und acuten Rheumatismen bis jetzt erprobten Aborlivme- thoden zur gewaltsamen Zurückdrängung des eruptiven Fiebers durch starke Gaben von Digitalis, Veratrin und Chinin. sulphuricum hat man bis jetzt bei der Ruhr kei- nen Gebrauch gemacht. Die beiden ersteren sind wohl wegen ihrer starken Wirkung auf den Darmkanal hier nicht am Orte. Aber auch zu dem Chinin hatten wir bei der Ruhr kein Zutrauen, obschon es den Darm intact lässt und wir bei dem Typhoidfieber und dem acuten Rheumatismus so ausgezeichnete Erfolge davon beobach- teten. Das eruptive Fieber wird fast immer durch die grossen Gaben Chinin zurückgedrängt; allein die bereits vorhandenen Localaffeetionen gehen ungestört ihren Lauf fort, und auch das Fieber recrudescirt oft wieder wäh- rend ihrer Fortdaner. Bei der Ruhr ist nun aber das Localleiden die Hauptsache, und wir erwarteten darum von der Fieberabschneidung‘ durch Chinin keine belang- reichen Vortheile. Auch schreckte uns eine im Anfange der Ruhrepidemie gemachte Beobachtung von der Abschnei- dungskur durch Chinin ab. Ein kräftiger Mann von 40 Jahren litt an Quotidianfieber und wurde nach der Me- thode von Pfeufer durch Anwendung des Chinins im Nachlasse des Anfalls behandelt. 15 Gran Chinin be- wirkten das Ausbleiben des Anfalls am folgenden Tage. Es wurde zur ‚gewöhnlichen Zeit desselben, um 10 Uhr Morgens, wieder diese Dose gereicht. Im Laufe des Nach- mittags brach indess die Ruhr aus, und zwar in sehr heftigem Grade die stärkere diphtheritische Ruhr.‘ Die Unterscheidung der Uterusfibroide von Eierstocksgeschwälsten. Von Dr B. Breslau (München) *). Für die Therapie ist die differentielle Diagnose der Fibroide von Tumoren der Ovarien von grossem Werthe. Kaum finden in dem grossen Bereiche der Tumoren häu- figer Verwechselungen statt, als zwischen diesen beiden Tumoren, kaum gibt es aber welche, bei denen die Ver- wechselung zu gröberen Missgriffen Veranlassung geben kann. Ich will es versuchen, die wesentlichsten Punkte anzugeben, welche zur Vermeidung der Missgriffe in Be- tracht gezogen werden müssen. 1) Findet man mehr als zwei von einander ge- trennte und für sich bewegliche Tumoren, welche in ih- rer Consistenz einander gleich sind und mit dem Uterus zusammenhängen, so gehören die Tumoren den Ovarien nicht an. 2) Kann ein vom Uterus ausgehender Tumor nach mehreren Seiten hin untersucht werden, zeigt er überall eine gleiche, feste Beschaffenheit, fluctuirt er nirgends und gibt er dem Fingerdrucke nicht oder nur wenig nach, so ist derselbe kein degenerirtes Ovarium, sondern mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Fibroid. 3) Deutliche Fluctuation schliesst ein Fibroid aus. Selbst wenn sich in der Substanz der Fibroide Cysten finden, deren Inhalt immer ein dickflüssiger und deren Wandungen meist dick sind, wird höchstens ein undeut- liches Schwappen gefühlt. 4) Wenn die Resistenz des Tumors eine ungleiche ist, wenn einzelne Stellen härter, die anderen weicher *) RS Diagnostik der Tumoren des Uterus ausserhalb der Schwangerschaft und des Wochenbettes. Von Dr. B. Bres- lau. 8, 65 S. München, bei Chr. Kaiser, 1856. 287 sich anfühlen, so ist mit Wahrscheinlichkeit der Tumor ein Cystoid des Ovariums, und kein Fibroid, ob- wohl es auch bei diesen zuweilen neben den härteren auch erweichte Stellen gibt. 5) Wenn die Höhle des Uterus beträchtlich verlän- gert ist, und zumal, wenn sie hinter dem Tumor ver- läuft, so ist derselbe mit grosser Wahrscheinlichkeit ein Fibroid. Ovariengeschwülste liegen häufig hinter dem Uterus und verlängern ihn nur selten um mehr als einige Linien oder einen Zoll. Ebenso spricht eine beträchtliche Verkürzung des Uterus mehr für ein Fibroid wie für eine Ovariengeschwulst. 6) Findet sich ein etwas grösserer Tumor bei Frauen, von der Pubertätszeit angefangen bis über die Mitte der zwanziger Jahre, so darf man von vornherein das Fibroid ausschliessen, welches erst in den mittleren und vorge- rückteren Lebensjahren zu einer bedeutenderen Entwicke- lung kömmt. 7) Hört man in einer grossen und harten Geschwulst des Unterleibes ein blasendes Geräusch, wie man es ge- wöhnlich bei einem schwangeren ‚Uterus und besonders an der Placentarinsertion vernimmt, so wird hierdurch das Vorhandensein eines Fibroides sehr plausibel, hinge- gen das einer Ovariengeschwulst ausgeschlossen. 8) In manchen Fällen können. alle Zweifel nur durch einen Explorativ- Troicar gelöst werden. Wichtiger hier- bei ist die Art des Eindringens des Instrumentes wie die Entleerung eines Fluidums, welches so dickflüssig sein kann, dass es durch eine enge Canule nicht abfliesst. Das Eindringen in die Substanz eines Fibroids ist nicht oder nur mit Kraftanwendung möglich, während selbst die dicksten Cysten einen verhältnissmässig geringen Wi- derstand leisten. Die Cystenbildung im Inneren der Fi- broide ist so selten, dass sie kaum in Anschlag gebracht werden darf. — Von den abgesackten chronischen Peritonaeal- und Beckenexsudaten, welche nicht selten an dem Uterus ad- häriren, unterscheiden sich die periuterinen Fibroide durch ihre Schmerzlosigkeit und grössere Beweglichkeit und durch die Anamnese. Den chronischen Exsudaten gehen immer acute oder chronische Peritonitiden voraus, die Fi- broide entstehen ohne solche Entzündungserscheinungen, die Exsudate schrumpfen, verkleinern sich, wenn sie nicht in Eiterung übergehen, die Fibroide wachsen in der Re- gel viele Jahre hindurch langsam, aber gleichmässig fort, 288 oder bewahren unverändert ihr einmal erreichtes Volu- men.“ Miscellen. Zur 'Behandlung der s. g. Chulera-Asphyxie oder des höchsten Grades des Stadium algidum empfiehlt Dr. Plagge (Worms) die Sturzbäder; er berichtet Erfahr- ungen von Fraser, Seidlitz, Timfschenko, Sachs, Casper, Romberg und Heidenhain, um dadurch ge- gen das Vorurtheil zu wirken, das der Anwendung der kalten Begiessungen und Sturzbäder bei kalten pulslosen Cholera- kranken entgegensteht. (Journ. f. naturgem. Gesundheitspflege und Heilk., mit bes. Beziehung zur Wasserheilkunde von Dr. L. Fränkel. V. No. 2.) Die Temperatur bei Febris typhosa und bei Typhus ist nach Spielmann (Schmidt’s Jahrb. 1857 No. 4) charakteristisch verschieden. Bei Febris typhosa steigt. die Temperatur bis zum 5. Tage, bleibt 1—4 Wochen auf der Höhe mit täglich remitlirendem Typus, 32— 330 R. bei einem Puls von 92—120. Das Sinken der Temperatur tritt meistens am 17. Tage ein; Irilt der Tod auf der Höhe der Krankheit ein, so steigt die Temperatur 12 Stunden davor auf 34° R., bei Zunahme bis zu 160 — 180 Pulsschlägen schon einige Tage zuvor. Beim Typhus steigt die Temperatur vom 1. Tage an und erreicht nach einigen Tagen 3? —330R. Am Abend des 7. Tages sinkt die Temperatur oft, doch folgt ein neues Steigen. Zu Anfang der 3. Woche sinkt die Tempera- tur oft rasch, in einer Nacht um 1—30, so dass nach 36 — 48 Stunden die normale Temperalur erreicht ist; die rasche continuirliche Abnahme ist dem Typhus eigen und unterschei- det ihn von Febris typhosa, ES Ueber die Heilkräfte des Augentrostes (Euphrasia offieinalis) hat Prof. Dr. Kranichfeld (Berlin, Evangel. Buchhandlung 1857) eine Broschüre herausgegeben, welche mit dem Satze schliesst: „Eine wahre Beraubung des Arzneischatzes ist es, dass die in vielen, besonders in Alko- hol- und Tabak - Vergiftungen specifisch heilsame Euphrasia officinalis und die Zubereitungen aus ihr auf unsern Vor- schlag nicht in die neue Ausgabe der preussischen Pharma- copöe aufgenommen worden ist.“ Der früher hochgerühmte Augentrost soll durch die Mode aus dem Arzneischatz ver- drängt sein, und der Verf. stellt sich die Aufgabe, dieser Pflanze eine specifische Wirkung gegen alle catarrhalischen Affectionen zu vindieiren, indem er sagt: „Die Euphrasia ist besonders im 1. Stadium der catarrhalischen Leiden, wenn eine s. g. Erkältung stattgefunden hat, sehr heilsam und ver- mögend, die dadurch gesetzte Disharmonie bald auszugleichen ; sie hebt die gesunkene Gefäss- und mässigt so die krankhaft gesteigerte Nerventhätigkeit, — ein Zustand, der sich auch in das 2. Stadium der Erkältung hinüberzieht.‘‘ — Ausserdem ist dasselbe Mittel aber nach dem Verf. auch ein Specificum gegen alle Vergiftungsfolgen von Alkohol, Tabak und Vaccine (!), darüber verweisen wir auf die genannte Monographie. Bibliographische Neuigkeiten. N. — H. W. Dove, Ueber d. täglichen Veränderungen der Temperatur d. Almosphäre. gr. 4. In Comm. b. Dümmler in Berlin, 1856. 14 Sgr. 6. @. Ehrenberg, Ueber d. Grünsand u. seine Erläuterung d. organischen Lebens. gr. 4 In Comm. bei Dümmler in Berlin, 1856. 2'/, Thlr. H. — John Watson, The Medical Profession in ancient Ti- mes. An Anniversary discourse delivered before the New- York Academy of Med. Nov. 7. 1855. 8. London, 1857. 12 Sh. Mrs. Ellis, The educatiom of Character; with Hints on Moral training. 8. London, Murray. 7 Sh. Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena, EEE Zen Me »” - Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. E. Band No 19. Naturkunde. K. H. Baumgärtner, Ueber den Mechanismus der Herzthätigkeit. (Schluss folgt.) — Heilkunde. W. Rau, Erkrankung des Labyrinthes im Ohr. — Miscelle. Acussere Anwendung des Glycerins. — Bibliographie. Naturkunde. al er Ueber den Mechanismus der Herzthätigkeit. Von Prof. Dr. K. H. Baumgärtner (Freiburg). Der Verf. hat den 1. Theil seiner „Schöpfungs- gedanken“ *) einer populären Bearbeitung der Physio- logie des Menschen gewidmet, was er in der Vorrede begründet, indem er sagt: „Es entstand das vorliegende Werk zunächst aus meinen Untersuchungen über den Mechanismus der Herz- klappen. Ich fand diese Vorrichtungen so ausserordentlich schön, dass ich mir vorstellte, die Kenntniss hiervon dürfte einem Mechaniker vom Fache grosse Freude ge- währen, und ich erkannte dieselben aus dem Grunde als Gegenstand von allgemeinem Interesse, weil überall diese Einrichtungen in so hohem Grade dem Zwecke entspre- chen, und ihrer Betrachtung daher Ideen von höchster Wichtigkeit, beinahe von selbst, sich anschliessen. — Ich versuchte also eine, Allen fassliche, Darstellung des Herzbaues zu entwerfen. — Von diesem, wie ich glaube, mir geglückten Versuche ging ich zur Untersuchung an- derer mechanischen Einrichtungen und von ihnen selbst zu den, schwerer fasslichen, über Thierchemie und zu andern Theilen der Physiologie über. Auf diese Weise baute sich allmälig der erste Theil dieses Werkes auf und wurde zu einer, für die Gebil- deten geschriebenen Physiologie, welche, da sie überall die Zwecke des Vorhandenen zu verfolgen strebt (teleo- logische Methode), nicht allein die Untersuchung der ein- zelnen Körpereinrichtungen zu ihrem Gegenstande haben konnte, sondern nothwendig zugleich den Zweck des *) DS” Schöpfungsgedanken. Physiologische Studien für Gebildete. Erster Theil. Der Mensch. Von Dr. K. H. Baumgärtner. 8 3838. 2 Taf. Freiburg, Friedrich Wagner’sche Buchhandlg., 1856. Ganzen, die Bestimmung des Menschen selbst, zum Ziele der Forschung sich setzen musste. Die herrlichen Wahrnehmungen, welche ich auf die- sem Wege der Forschung zu sammeln Gelegenheit hatte, und die wichligen Schlüsse, welche sich aus ihnen ab- leiten liessen, veranlassten mich endlich, selbst über das meiner Arbeit gesteckte Ziel, die Physiologie des Men- schen, hinauszugehen, und die Natur, oder die Welt im Ganzen, zum Gegenstand der Betrachtung zu wählen. — Die hierauf Bezug habenden Untersuchungen werden den zweiten Theil des Werkes bilden. Ich gebe dem Gesammtwerke den Titel Schöpf- ungsgedanken, weil in demselben die Darstellung der Naturgegenstände nicht blos eine beschreibende wer- den soll, sondern zugleich die Entstehungsweise und der Zweck derselben, also der Gedanke, der in den Schöpf- ungswerken liegt, erforscht werden soll. — Gerade durch diese Art der Bearbeitung kann ein Werk über die Na- tur im höchsten Grade Interesse erregend für den Den- kenden werden, und einen grossen Einfluss auf den Gang der Ideen im Ganzen ausüben.“ Seine Untersuchungen über den Mechanismus der Herzklappen aber hat er in Folgendem zusammengestellt. „Dass das Herz eine Maschine (ein Druckwerk) ist, wird ganz leicht bei Versuchen an Thieren erkannt, in- dem man nach Oeffluung des Brustkastens sieht, dass, nachdem das Herz sich mit Blut gefüllt hat, sich das- selbe in bestimmter Richtung zusammenzieht, und auf diese Weise die in ihm enthaltene Flüssigkeit in zwei, in dasselbe mündende Kanäle treibt. — Manche Natur- forscher wollen in diesem Organe zugleich ein Saugwerk erkennen, so dass das Herz die Einrichtung eines Pump- brunnens hätte, indem es die Flüssigkeit durch eine Art Luftpumpeneinrichtung an sich ziehe. Diese, von gegen- wärtig lebenden Gelehrten ersten Ranges ausgesprochene f 291 Behauptung führt uns schon bei dem Beginne unserer Untersuchung zu einer lehrreichen Vergleichung zwischen dem Wirken der Natur und den Unternehmungen der Menschen. Würde diesem oder jenem Manne des Faches die Zustandebringung eines Blutkreislaufes übertragen worden sein, so würde er vielleicht ein Saug- und Druck- werk angebracht haben; der augenblickliche Tod sämmt- licher höheren Thiere wäre aber zu seinem Erstaunen erfolgt, sobald er die Maschine in Bewegung gesetzt hätte; denn die Erfahrung der Aerzte lehrt, dass ein Thier schnell stirbt, sobald Luft in die Wege des Blut- umlaufes gelangt. Luft müsste aber schon, ohne Ver- letzung der Gefässe, eintreten, wenn es wahr wäre, was einige Physiologen glauben, dass die Saugkraft des Her- zens selbst auf die Ernährungsstofle im Magen wirke, und dieselbe in die Gefässe hineinziehe; denn zunächst müsste die in dem Magen und den Gedärmen stets ent- haltene Luft dem Zuge dieser Lufipumpe folgen und das Thier also augenblicklich getödtet werden. Gewiss, vor einem solchen grellen Irrthume würden jene Physiologen, selbst wenn sie die Erfahrungen der Aerzte nicht be- rücksichtigen wollten, bewahrt worden sein, wenn sie zur Erkenntniss der unbestreitlbaren Wahrheit gelangt wären, dass die von der Natur getroffenen Einrichtungen in Beziehung der zu erreichenden Zwecke immer den höchsten Grad der Vollkommenheit darbieten; denn sie würden gefunden haben, dass die dünnen und weichen Häute der Blutadern und noch mehr die der Saugadern keinen Augenblick dem Luftdrucke widerstehen können, und also nicht anzunehmen ist, dass die Natur jene Theile zu Bestandlheilen eines mechanischen Saugwerkes (einer Luftpumpe) bestimmt habe. Wo durch Vergrös- serung des Raumes, also nach Art der Wirkung einer Luftpumpe, Gegenstände in den Raum hereingezogen werden sollen, wie z. B. die atmosphärische Luft in die Lungen, sind im Organismus auch in der That feste Röhren angebracht, wie dieses in Beziehung auf die Lun- gen die Luftröhre und der Kehlkopf sind, die dem auf den Körper wirkenden Druck der Atmosphäre zu wider- stehen vermögen. Wir dürfen im Gegentheil die weichen Gefässhäute der Blutadern und Lymphgefässe als ein Mit- tel betrachten, um bei den so häufig vorkommenden Kör- perverletzungen den Eintritt von Luft in die Gefässe zu verhindern; denn durch diese Einrichtung werden sie, wenn das Blut aus ihnen hinwegfliesst, durch den At- mosphärendruck zusammengedrückt und es wird der Ein- tritt von Luft in dieselben verhütet. Hätten diese Ge- fässe selbst nur die Stärke der Schlagadern, so wür- den sie für den Eintritt der Luft bei jeder Verletzung offen stehen. Das Herz der höheren Thiere ist also kein Saug- apparat, sondern nur ein Druckwerk; als solches aber zeigt es eine bewunderungswürdige Einrichtung. Es ist dasselbe eine Art Hohlkugel (jedoch in der Gestalt von der Kugelform etwas abweichend), deren Wand beinahe 292 ganz aus Muskelfasern (eigentlichem Fleisch) besteht. Diese Fasern gehören zu den quergestreiften Muskelfa- sern, welche, wie die Muskeln an den Gliedmassen, sich schnell zu bewegen vermögen und nicht, wie die glatten Muskelfasern (welche sich z. B. an der Harnblase vor- finden) sich nur langsam zusammenziehen. Wirkt also eine Ursache auf diese Hohlkugel oder eine Abtheilung derselben ein, welche sie zur Zusammenziehung veran- lassen kann, was namentlich ihre Vollfüllung mit Blut ist, so zieht sie sich rasch zusammen und spritzt die in ihr enthaltene Flüssigkeit mit grosser Gewalt in die Röhren, welche aus ihr in die einzelnen Körpertheile führen. Wenn das Herz nur ein ungetheilter hohler Behälter wäre, welcher sich abwechselnd zusammenzöge und er- weiterte, und wenn hierbei keine besonderen Vorrichtun- gen angebracht wären, um dem Laufe des Blutes eine bestimmte Richtung zu geben, so würde hierdurch nur ein Hin- und Herwogen der Flüssigkeit bewirkt werden und also die verbrauchten Stoffe stets von Neuem in die Gewebe zurückgetrieben werden. Ja, wenn selbst durch andere Einrichtungen eine Bewegung der Säfte in wech- selnder Richtung, also eine Kreisbewegung, hergerichtet wäre, so würde durch ein solches Herz und seine Be- wegung diese Säftebewegung unterbrochen werden, indem dem nach dem Herzen zurückfliessenden Blute vom Her- zen aus stets neue Blutwellen entgegengeworfen würden. Diesem Missstande ist bei den höheren Thieren dadurch abgeholfen worden, dass das Herz eine durchbrochene Querwandung mit Klappen erhalten hat, so dass das Blut auf der einen Seite einfliessen und auf der anderen abfliessen, aber nicht sich in entgegengesetzter Richtung bewegen kann. — Da die Hälfte dieser Hohlkugel (die Vorkammer) nur die Aufgabe hat, das Blut in die an- dere Hälfte (die Kammern) derselben hineinzutreiben und dadurch dieselbe auszudehnen, so bedarf sie nicht vieler Muskeln, und ist daher mehr hautartig, während die zweite Hälfte, welche für den Blutumlauf im ganzen Körper dienen muss, eine beträchtliche Fleischmasse darstellt. Dieses ist die Grundanlage des Herzens in den vier oberen Thierklassen. Da nun aber, wie späterhin näher dargelegt werden soll, die Kraft der Lebensprocesse von dem Maasse der Blutwirkung auf die Gewebe abhängt, so sind verschiedenartige Einrichtungen im Baue des Her- zens und der Anlage der Blutbahnen getroffen worden, um diese der Entwickelungsstufe, auf welcher ein Thier stehen soll, anzupassen. Schon die Raschheit der Blut- bewegung muss auf das Maass mancher Lebensvorgänge, z. B. der Bildung der thierischen Wärme, einen Einfluss ausüben. In dieser Beziehung stehen die Fische auf der niedersten Stufe unter den Thieren der vier höheren Klassen; denn das Blut wird bei ihnen nicht unmittelbar von dem Herzen zu den Geweben getrieben, sondern es fliesst zuerst durch die engen Kanäle der Kiemen, wo- g durch die Wirkung des Herzstosses, bis das Blut zu den Kanälchen gelangt, die durch die Gewebe führen, be- deutend gebrochen ist. Vorzüglich ist es aber die mehr oder weniger vollkommene Scheidung des schon darch seinen Lauf abrenutzten Blutes von dem durch den Ath- mungsprocess wieder erfrischten Blute, wodurch die Bau- anlage des Herzens und der Gefässe auf das Maass der Lebensprocesse einwirkt. Um das durch den Athmungsprocess erneute Biut (was wir arterielles Blut nennen *)) von dem schon in den Geweben abgenntzten Blute (was venöses Blut ge- nannt wird) getrennt zu halten, hat in der Thierreihe die Natar zweierlei Kinrichtungen getroffen : 1) Es wird das gesammte Blut, nachdem es durch das Atlımungsorgan seinen Lauf genommen hat, unmit- telbar, nämlich ohne in das Herz zurückzufliessen, in sümmtliche Gewebe des Körpers geführt und fliesst erst sodann zu dem Herzen zurück. Dieses ist die Einricht- ung des Gefässsystems bei den Fischen, bei welchen also nur die oben beschriebene einfache Einrichtung des Herzens vorhanden ist, da das Blut, welches aus den Geweben zurückfliesst, sich in der einfachen Vorkammer sammelt, von dieser in die einfache Kammer geführt wird, und von derselben sodann in die Kiemen getrieben wird, aus deren feinen Kanälchen es wieder in grössere Räume zusammenfliesst und sich aus diesen im Kör- per vertheilt, aus welchem es sich zum zweiten Male in Stämme sammelt, in welchen es zum Herzen zurück- kommt. Dass bei den Fischen übrigens, ungeachtet ‚das arterielle Blut unvermischt zu den Geweben fliesst, die Blutwirkung keine so grosse ist, als bei den warmblü- tigen Thieren, liegt zum Theil in dem oben schon er- wähnten Umstande, dass es nicht unmittelbar von dem Herzen zu den Geweben getrieben wird, und dass es also: langsamer fliesst, zum Theil aber in dem, in den Kiemen unvollkommener als in den Lungen von statten gehenden Atlımungsprocess, und der ungünstigeren Be- schaffenheit des Blutes überhaupt, so wie in der Be- schaffenheit der Theile, mit welchen das Blut in Berühr- ung und Wechselwirkung tritt, namentlich dem weniger vortheilhaft gebildeten Gehirn und Nervensystem. 2) Es ist in dem Herzen eine zweite Zwischenwand, der Länge nach, gezogen, so dass das aus den Geweben des Körpers zum Herzen zurückgelangte, abgenutzte, Blut in einer abgeschlossenen Bahn durch das Herz hin- durch sich zu den Lungen bewegt, und das in den Lun- gen erfrischte Blut ebenfalls in geschlossener Bahn durch das Herz hindurchgeht und also mit dem venösen Blute *) Anmerkung. Arterielles Blut wird das durch den Alh- inungsprocess erfrischte Blut aus dem Grunde genannt, weil es in den Gefässen, welche von dem Herzen zu den Geweben mern. enthalten ist, und diese Gefässe Arterien (Schlag- adern) genannt werden. Venöses Blut wird das aus den Ge- weben zurückfliessende Blut genannt, weil es in den Venen (Blutadern) enthalten ist. Im kleinen Kreislauf Niesst jedoch in den Arterien venöses und in den Venen arterielles Blut. nicht zu den Geweben gelangt. Diese Einrichtung findet sich in vollkommener Weise nur bei den warmblütigen Thieren, den Vögeln und den Säugethieren, durchgeführt und ist eine unvollkommene bei den Amphibien (Frö- schen, Schlangen, Krokodilen u. & w.); woher es kommt, dass bei den letzteren Thieren das arterielle Blut mehr oder weniger mit venösem gemischt wird, und also die Blutwirkung auf die Gewebe weniger kräftig ist. Indem wir hier das menschliche Herz, hinsichtlich seiner mechanischen Einrichtungen, einer etwas vollstän- digeren Untersuchung unterwerfen, haben wir vorerst uns vor Angen zu siellen, dass dasselbe ein vierkam- meriges Herz ist, und dass nur bei der unreifen Frucht durch eine Oeffnung in der Scheidewand beider Vorkam- mern (das eirunde Loch) und durch einen Verbindungs- kanal zwischen dem Stamme der Lungenschlagader und der grossen Körperschlagader (dem Botall’schen Gang) eine Mischung des venösen und des arteriellen Blutes bis zum Augenblicke der Geburt gestaltet ist. Es fliesst ohne alle Vermischung das aus den Geweben des Körpers zu- rückfliessende venöse, dunkle Blut in die rechte Vorkam- mer und zugleich das aus den Lungen zurückkehrende arterielle, hellrothe Blut in die linke Vorkammer ein. Nachdem die Vorkammern durch das Blut ihre höchste Ausdehnung erreicht haben, ziehen sie sich beide zugleich zusammen und treiben das Blut in die beiden, nach aus- sen als ein Körper erscheinende, Kammern ein, worauf diese sich zusammenziehen und von der rechten Kammer aus in die Lungenschlagader, und von der linken Kam- mer aus in die grosse Körperschlagader fliesst. Die Mechanik des Herzens, welche in diesen Kreis- lauf eingreift, zeichnet sich insbesondere durch die sin- nige Einrichtung aus, dass die in bestimmter Richtung gehende Blutströmung die nämlichen Klappen stets ab- wechselnd öffnet und schliesst. Die Klappeneinrichtung zwischen der Eingangsmündung von der linken Vorkam- mer in die linke Kammer ist eine andere, als die von der rechten Vorkammer in die rechte Kammer, und von beiden Einrichtungen zugleich verschieden ist die Klap- peneinrichtung an den Ausgangsmündungen beider Kam- mern in die Schlagadern. Wir werden finden, warum solche Verschiedenheiten bestehen. An der Eingangsmündung in die linke Kammer ist die Klappeneinrichtung folgende: Zwei, aus schnigen Fa- sern zusammengeselzte Hautstückchen, ungefähr in der Form von Zipfelkappen (woher ihr Name mützenförmige Klappen) sind in der Weise an der erwähnten Oeffnung angebracht, dass ihr breites Ende längs dem Rande der- selben angeheftet ist und das zugespitzte Ende in die Höhle der Herzkammer berabhängt. (Weil der ganze Klappenapparat demnach zwei Spitzen hat, werden diese Klappen auch die zweispitzigen Klappen genannt, obgleich nicht jede einzelne Klappe zwei Spitzen besitzt.) Es stehen beide Klappen einander gegenüber, so dass sie sich mit ihrer Fläche an einander zu legen im Stande sind, und sind in der Art eine der == angepasst, = 295 dass, wenn sie ausgebreitet werden und ihre Ränder sich berühren, sie die Oeflnung vollkommen zu schliessen ver- mögen. Die eine dieser Klappen ist um ein Beträcht- liches länger als die andere, und ist an dem Theile der Herzsubstanz angewachsen, welcher sich zwischen der Eingangsmündung in die Herzkammer und zwischen der Ausgangsmündung derselben in die grosse Körperschlag- ader befindet, so dass diese Klappe, wenn sie auf die Ausgangsmündung gelegt wird, welche sie gänzlich schliesst, die Eingangsmündung frei lässt, und wenn sie auf diese hingezogen wird, die Ausgangsmündung öffnet. (Da diese Einrichtung eine ähnliche ist, wie in manchen Schiffen die der Thüren, in welchen nur eine Thüre für zwei Ein- gänge angebracht ist, so dass der eine sich immer schliesst, während der andere geöffnet wird, will ich diese Klappe, zur näheren Bezeichnung, die Schiffsthürenklappe nennen.) Wenn diese Klappe die Ausgangsmündung bedeckt, liegt sie mit ihrem Rande auf der Scheidewand beider Herz- kammern auf, während die zweite mützenförmige Klappe, wenn sie von der Eingangsmündung zurückgedrängt wird, ganz an den der Scheidewand gegenüber befindlichen und also die Wand nach aussen bildenden Theil der Kam- merwand sich anlegt. Die Schiffsthürenklappe ist an ih- rem Rande, mit Ausnahme der Spitze, an eine Anzahl sehniger Fäden befestigt, welche an ihrem anderen Ende an zwei zapfenförmige Muskeln angeheftet sind, die der Ausgangsmündung gegenüber liegen und, nur einen klei- nen Zwischenraum von einander entfernt, aus der mus- kulösen Kammerwandung hervorragen. Die zweite mützen- förmige Klappe besitzt ebenfalls sehnige Fäden, welche an ihrem anderen Ende an zwei, unmittelbar auf der in- nern Seite der zapfenförmigen Muskeln der Schiffsthüren- klappe liegenden Muskeln, welche ebenfalls eine zapfen- förmige Gestalt haben, befestiget sind, so dass also die sehnigen Fäden dieser Klappe nicht wie die der Schifls- thürenklappe auf der entgegengesetzten, sondern auf der 296 nämlichen Innenfläche des Herzens, auf welcher die Klappe selbst an ihrem Grunde angewachsen ist, an Muskeln be- festiget sind. Dieser Mechanismus hat folgende Zwecke: Wenn die Schiffsthürenklappe auf der Ausgangsmündung der Herzkammer liegt, was in dem Augenblicke der Fall ist, wenn das durch die Eingangsmündung einströmende Blut die Klappe von der Eingangsmündung hinwegge- drängt und auf die Ausgangsmündung gelegt hat, so spannen sich ihre sehnigen Fäden und ziehen an der Klappe in dem Grade, als die Kammer vom einströmen- den ausgedehnt wird, indem die Anheftungspunkte jener Fäden gegenüber der Klappe liegen, und auch die beiden zapfenförmigen Muskeln seitwärts aus einander weichen. Es wird also die Klappe allmälig von der Ausgangsmün- dung hinweg und gegen die Eingangsmündung hingezo- gen und zugleich durch das seitliche Auseinanderweichen der Herzwandung mehr ausgespannt. Die sehnigen Fäden der zweiten mützenförmigen Klappe werden durch die Aus- dehnung der Herzkammer nicht gespannt, sondern im Gegentheil locker, da sie auf der nämlichen Seite des Herzens, auf welcher die Klappe liegt, befestiget ist, und also, wenn die Innenfläche des Herzens concav wird, an ihren Anheftungspunkten der Klappe genähert werden. Jedenfalls erhält das Blut durch das Concavwerden der Innenfläche des Herzens Gelegenheit, sich hinter der Klappe anzusammeln; es treibt durch seine Stauchung die Klappe gegen die Schiffsthürenklappe hin und spannt sie zugleich. Hierdurch werden beide Klappen immer einander genähert und legen sich im Augenblicke der höchsten Ausdehnung der Kammer vollends an einander, wodurch die Ausgangsmündung. vollkommen geschlossen wird. — Das einströmende Blut öffnet also die Eingangs- mündung und schliesst die Ausgangsmündung und öffnet allmälig diese wieder und schliesst die erstere. (Schluss folgt.) Heilkunde. Erkrankung des Labyrinthes im Ohr. Von Dr. W. Rau (Bern). Wenn auch die pathologische Anatomie bereits eine Menge von organischen Veränderungen im Labyrinth nach- gewiesen hat, deren Zusammenhang mit den Gehörstö- rungen nicht zu bezweifeln ist, so sind dieselben doch leider für den Ohrenarzt von untergeordnetem Werthe, weil sie wegen der verborgenen Lage im Leben gar nicht ermittelt werden können. Im mittleren Ohre lässt sich wenigstens die Anwesenheit organischer Veränderungen fast immer erkennen, wenn auch die Art derselben nur selten bestimmt werden kann, während es nur in Aus- nahmsfällen möglich ist, eine materielle Veränderung im Labyrinth diagnostisch von einer Functionsstörung zu trennen. Die wichtigsten Leiden des Gehörnerven, selbst dessen Mangel, die Abnormitäten in den halbzirkelförmi- gen Canälen, die krankhaften Ausschwitzungen, Verwach- sungen u. dergl. sind höchstens aus der Verbindung des Gehörleidens mit anderen, objectiv erkennbaren Verän- derungen, worüber die Anamnese bisweilen einigen Auf- schluss gibt, zu vermuthen, ohne dass die Diagnose je- mals auf völlige Sicherheit Anspruch machen kann. Ob- jeetiv lassen sich manche Abnormitäten des Labyrinths nur in einem einzigen Falle, bei gänzlicher Zerstörung des Trommellfells, und selbst hier selten mit grosser Ge- nauigkeit bestimmen. Wie bei der unmittelbaren Unter- suchung der Trommelhöhle, muss man vor Allem eine Reinigung von angehäuften, die Untersuchung hindern- den Secretis auf die schonendste Weise zu bewirken su- fe chen. Einspritzungen erfordern hier eine noch weit grös- sere Vorsicht, indem leicht krankhafte Communicationen mit dem Gehirn vorhanden sein könnten. Es ist deshalb im Allgemeinen rathsamer, die angesammelten Flüssig- keiten auf etwas mühsamere Weise durch behutsames Auf- tupfen mit einem zarten Charpiebäuschchen oder einem Schwämmchen, welches man mittelst einer gekrümmten Pincette einbringt, zu entfernen. Hierauf bediene man sich des Ohrspiegels, um eine möglichst deutliche An- schauung der inneren Partieen zu erhalten, welche dann mit grösster Vorsicht durch eine Sonde näher untersucht werden können. Nach solchen Zerstörungen des Trom- melfells hat man aber in der Regel kaum etwas Anderes zu erwarten, als Producte von Knochenleiden, Caries, Necrose, Abslossung einzelner Knochenpartieen, Erwei- chung, seltener schwammige Wucherungen, welche den Anblick der tieferen Gebilde entziehen, so dass die ob- jeclive Untersuchung des Labyrinths nur geeignet ist, den Arzt auf die Gränzen seiner Wirksumkeit hinzuweisen. Gleichzeitige feste Ablagerungen in der Trommelhöble, Wucherungen, Polypen u. dergl. vereiteln aber leider selbst bei gänzlich zerstörtem Trommelfell jede objective Unter- suchung des inneren Ohres. Grösstentheils auf die Ermittelung der subjectiven Symptome beschränkt, muss Jie Diagnose der krankhaf- ten Veränderungen im Labyrinth mit um so grösserer Umsicht gestellt werden, als hier niemals die Krankheit an sich, sondern nur deren Rückwirkung auf die Ver- richtungen der ergriffenen Theile zur Wahrnehmung ge- langt. Wie leicht aber hier Trugschlüsse möglich sind, beweist die Geschichte der Krankheitslehre des Gehöror- gans. Der pathologischen Anatomie ist es zum Theil ge- lungen, manche rein hypothetische Ansichten als ganz ‚unstatthaft auszumerzen, ohne dass sie jedoch im gege- benen Falle in Ermangelung bestimmter physikalischer Untersuchungsmittel vor Trugschlüssen zu bewahren im Stande ist, die nur selten und für den Kranken stets zu spät, berichtigt werden können. Da Krankheiten des La- byrinths immer auf die Hörfähigkeit störend einwirken, so bildet die Ermittelung und genaue Prüfung der letz- teren den Hauptgegenstand der Untersuchung. Gewöhn- lich beschränkt man sich aber hierbei nur auf die quan- titative Untersuchung, das Messen der Hörweite in Bezug auf einen bestimmten, möglichst identischen Ton, ohne die weit schwieriger zu würdigenden, übrigens nicht min- der wichtigen, qualitativen Abweichungen einer Prüfung zu unterwerfen. Da sich die Gehörstörungen zunächst durch das schwierigere Verstehen der menschlichen Stimme im Um- gange offenbaren, so lag der Gedanke nahe, diese selbst als Prüfungsmittel in diagnostischer Beziehung zu be- autzen. Pfingsten versuchte es, aus dem Alphabet einen Gehörmesser zu bilden, indem er die verschiedenen Sprachlaute nach dem Grade ihrer Stärke in drei Klassen eintheilte, um aus dem Verstehen derselben auf einen be- stimmten Grad von Gehörstörung schliessen zu können. 298 In die erste Klasse stellt er die Vocale a, ä, e, 0,6, i, ü, in die zweite Klasse die Consonanten r, j, I, w, m,n,g, in die dritte Klasse die Consonanten sch, s, z, 6, g, ch, f,v, k,q,p, b, t, d, h. So sehr auch die Aufstellung dieser Scala für die glückliche Beobach- tungsgabe Pfingsten’s spricht, so liefert doch die Be- nutzung derselben für den Ohrenarzt kaum ein bemer- kenswerthes Resultat, indem ein Hauptumstand, die gleich- mässige Stärke der Aussprache und Betonung, von dem Beobachter selbst nicht controlirt werden kann. Selbst wenn man mit Pfingsten die Vorsicht gebraucht, die Laute nicht direct gegen das Ohr und den Kopf des zu Untersuchenden auszusprechen, um die Wahrnehmung der Luftstösse durch das Gefühl unmöglich zu machen, wird man sich doch bald von der Unzulänglichkeit dieser Ver- suche überzeugen, welche überdies nur bei höheren Gra- den von Schwerhörigkeit am geeigneten Orte sein könn- ten. Lincke ertheilt den practischen, von den meisten Ohrenärzten auch ohne dessen Empfehlung befolgten Rath, dem Kranken die Augen zu verschliessen und sich von demselben einzelne, in verschiedener Stärke, Richtung und Entfernung vorgesprochene Redesätze wörtlich wie- derholen zu lassen. Auf diese Weise ergibt sich zugleich von selbst, welche Laute der Kranke am besten hört, in welcher Verbindung und unter welchen Umständen. Ich halte es für besonders rathsam, mit ganz gedämpfter Stimme zu beginnen und die Stärke derselben ganz all- mälig bis auf den Punkt zu steigern, wo nicht nur ein- zelne Laute, sondern ganze Sätze vollkommen richtig auf- gefasst werden. Bei umgekehrtem Verfahren ist das Er- gebniss minder sicher, weil die Anregung der Gehörner- ven ein augenblickliches Verstehen oder Errathen unter gewöhnlichen Verhältnissen kaum wahrnehmbarer Laute und Worte möglich macht. Wäre es möglich, ein Instrument ausfindig zu ma- chen, welches bei grösster Aehnlichkeit mit der mensch- lichen Stimme stets den gleichen Ton in ganz gleicher Stärke zu erzeugen vermöchte, so würde dieses den si chersten Maassstab für die Beurtheilung des Hörvermö- gens abgeben. Diese Aufgabe scheint aber nach dem Urtheile erfahrener Musiker kaum gelöst werden zu kön- nen, indem die Schwierigkeiten hinsichtlich der Erzeu- gung der gleichen Tonstärke bei Blasinstrumenten, wel- che sich hierzu allein eignen würden, als unüberwindlich zu betrachten sind. Die verschiedenen bisher benutzten Gehörmesser, Akuometer, entsprechen ihrem Zwecke nur unvollkommen, indem sie sämmtlich der menschlichen Stimme mehr oder weniger heterogene Töne erzeugen, deren Wahrnehmung, wie jeder Ohrenarzt weiss, durch- aus keinen sicheren Maassstab für das Verstehen der Sprache abgeben kann. Gleichwohl sind diese Instru- mente höchst unentbehrliche Hülfsmittel, wäre es auch nur, um einen Vergleichungspunkt für die Beurtheilung der Fortschritte oder Rückschritte der Gehörstörung zu gewinnen. Wolke benutzte als Akuomeler ein aufrecht stehendes Brett von Tannenholz, auf welches man einen 299 beweglich damit verbundenen Schlägel von Bichenholz un- ter einem durch einen Gradmesser genau zu bestimmen- den Winkel herabfallen ‘lässt. Ein auf ein ähnliches Prin- cip gegründeter Gehörmesser von Itard, welcher lange Zeit fast ausschliessend im Gebrauch war, besteht in ei- nem kupfernen Ringe, auf welchen ein an einem Pendel befestigtes Kügelchen anschlägt. Die Entfernung des Pen- dels zum Erzeugen eines bestimmten Tones wird durch einen Gradmesser bezeichnet, auf welchen das in Form einer Nadel verlängerte Pendelende als Zeiger weist. Schmalz bediente sich früher des in einem Kasten ein- geschlossenen Schlagwerkes einer Stutzuhr als Schallmes- messer. Dieses nur für die höchsten Grade der Schwer- hörigkeit anwendbare Instrument veränderte er später, in- dem er das Schlagwerk einer Taschenuhr, in eine durch- löcherte Messingkapsel gefasst, als Gehörmesser benutzte. Schon vor vielen Jahren habe ich mir einen ähnlichen Gehörmesser anfertigen lassen. Das in ein silbernes Ge- häuse in Form einer Taschenuhr gefasste, auf eine Glocke schlagende Uhrwerk wird durch Aufziehen eines Schiebers in Gang gesetzt, und kann augenblicklich, ganz unver- merkt, durch Zurückziehen desselben gesperrt werden. Eine mit acht Nummern bezeichnete kleine Drehscheibe an dem Handgriffe regulirt die Stärke des Tones, wäh- rend das Zeitmaass der Schläge durch Umdrehen einer Schraube beliebig abgeändert werden kann. Der schril- lende Ton der Metallglocke ist durch einen Firnissüber- zug der concaven Seite vollständig beseitigt. Bei dem Gebrauche wird die der Glocke entsprechende Seite der Schale geöfinet. Dieses etwas kostspielige Instrument, vom Uhrmacher Edler in Bern verfertigt, benutze ich mit bestem Erfolge bei höheren Graden von Schwerhö- rigkeit. Auf die gleiche Nummer gestellt, erzeugt es stets die gleiche Tonstärke, so dass man sich zu späte- ren Vergleichungen nur die Nummer nebst der nach dem Maasse bestimmten Entfernung vom Ohre zu notiren nö- thig hat. Blanchet empfiehlt eine in dem Deckel ei- nes Holzkastens festgestellte Stimmgabel, welche durch Streichen mit einem Bassgeigenbogen in Schwingung ver- setzt wird, als Gehörmesser. Yearsley endlich be- nutzt einen durch ein Uhrwerk in Bewegung verselzten, auf die innere Fläche eines Holzkastens in beliebig zu re- gulirendem Stärkegrade anschlagenden Hammer. Für geringere Grade von Schwerhörigkeit ist der bequemste Gehörmesser eine gewöhnliche Taschenuhr, de- ren Picken einen gleichmässigeren Ton abgibt, als der Itard’sche Akuometer. Eine Cylinderuhr eignet sich wegen des schwächeren Tones zu genaueren Messungen besser, als eine Spindeluhr, deren Picken in einem weit grösseren Abstande vernommen wird. Bei bedeutenderer Gehörschwäche kann man sich einer Repetiruhr bedienen, wenn man nicht das jedenfalls weit geeignetere Schlag- werk benutzen will. Bei jedem dieser Instrumente muss man aber die Entfernung kennen, in welcher dessen Ton von einem gesunden Ohre noch gehört wird, um die Hörweite des erkrankten vergleichungsweise zu bestim- 300 men. Als Hörweite. ist diejenige Entfernung des Akuo- meters von dem Ohre zu bezeichnen, in welcher dessen Schläge noch ohne Unterbrechung so deutlich wahrge- nommen werden, dass ‚sie gezählt werden können. Da sich die Patienten leicht selbst täuschen, indem sie sub- jeetive Empfindungen, namentlich Ohrenklingen, mit dem Tone des Instrumentes verwechseln, so gewährt eine Vor- richtung, durch welche das Schlagwerk plötzlich unver- merkt eingestellt werden kann, die zuverlässigste Con- trole. Immer muss die Hörweite an beiden Ohren ge- messen werden, wenn auch nur das eine zu leiden scheint, Um möglichst sichere Resultate zu erhalten, vermeide man es, die Uhr mit dem an das Ohr gehaltenen Maass- stabe in Berührung zu bringen. Am bequemsien ist als solcher ein in Centimeter abgetheiltes, in eine metallene Kapsel eingeschlossenes Band, welches beim Hervorzie- hen mittelst eines gezähnten Rades auf jeder beliebigen Nummer stehen bleibt und sich durch den Druck auf eine Feder von selbst aufrollt. Die Messung nehme man stets unter den gleichen Verhältnissen, bei abgewendetem Gesicht oder geschlossenen Augen des Kranken, in dem- selben Zimmer, sogar auf derselben Stelle und in dersel- ben gegenseitigen Stellung, bei Entfernung aller stören- den Geräusche, deshalb bei geschlossenen Fenstern und Thüren vor. Befolgt man diese höchst nolhwendigen Vorsichtsmaassregeln, so ist es nicht absolut erforder- lich, den Kranken auf einen Teppich oder ein Kissen zu stellen, wie Reinhold angibt, wenn nur die späteren Versuche genau unter denselben Bedingungen Statt fin- den. Selbst die Tageszeit ist nicht gleichgültig, indem bei Nacht wegen der grösseren Stille und der abweichen- den Dichtigkeit der tieferen Luftschichten (von Hum- boldt) das Gehör eine scheinbar grössere Schärfe be- sitzt. Das Anstellen der Hörversuche im Freien auf ei- nem weniger leitenden Boden ist nur ausnahmsweise mög- lich, und dürfte immer nur bei Windstille stattfinden. Bei schr hohen Graden von Schwerhörigkeit ist es oft nölhig, die Uhr fest auf das Ohr zu drücken. - Ge- nügt selbst dies nicht, um einen Ton des Schlagwerks wahrzunehmen, so bringe man das Instrument mit den stärker leitenden Kopfknochen, am besten mit dem War- zenfortsatze in Berührung. Andere geeignete Stellen sind die Zähne, sowie der harte Gaumen, von wo aus die Schallschwingungen am leichtesten zu den Gehörnerven fortgepllanzt werden. Statt einer Uhr kann man auch andere, stärker tönende Körper benntzen, indem man z. B. die erwähnten Stellen mittelst eines Holzstabes mit dem Resonanzboden eines Klaviers oder einer Violine in Verbindung setzt. In neuerer Zeit bedient man sich be- sonders der Stimmgabel, welche aber gleich allen ähnli- chen Vorrichtungen keine untrüglichen Resultate liefert, indem Taube, namentlich Taubstumme, die durch Schwin- gungen erzeugten Empfindungen nicht immer von der Wahrnehmung durch das Gehör zu unterscheiden vermögen, Andere stark tönende, nicht mit dem Ohre in mittelbare Berührung gesetzte Instrumente, eine Glocke, ein mit ei- nem Metallstabe angeschlagenes Glas, eine Pfeife oder Trommel, welche man bisweilen zu Hörproben benutzt hat, sind ganz unzuverlässig, letztere allenfalls dann zu versuchen, wenn der Kranke bei stärkerem Geräusche besser zu hören versichert. Wenn man das Unvermögen, articulirte Töne wahr- zunehmen, als Taubheit, die Schwierigkeit deren Unter- scheidung als Schwerhörigkeit bezeichnet, so kommt letztere in allen möglichen Abstufungen vor, welche so unmerklich in einander übergehen, dass sie nur willkür- lich in bestimmte Grade unterschieden werden können. Die bisherigen Classificationen der Schwerhörigkeit nach dem Grade geben dem Ohrrenarzte kaum einen genügen- den Anhaltepunkt, um im gegebenen Falle benutzt wer- den zu können. Da sie überdiess auf das Verständniss der menschlichen Stimme gegründet sind, so lassen sie sich mit der durch die Akuometer gefundenen Hörweite gar nicht in Einklang bringen. Dahin gehört die von Itard für die angeborene Taubheit aufgestellte, gewöhn- lich aber fälschlich ganz generell aufgefasste Eintheilung in fünf Grade, nämlich: 1. Das Hören der Rede, wenn diese langsamer, deutlicher und näher, als in gewöhnlicher Unterhaltung, unmittelbar an den Kranken gerichtet wird, wobei dieser auch noch wohllautende Töne, namentlich die Biegungen der menschlichen Stimme, um Verwunderung, Mitleid, Schmerz, Freude u. dergl. zu bezeichnen, wahrnimmt, 2. Das Hören der Stimme, wobei zwar noch die Vocale, aber nicht mehr die Consonanten genau un- terschieden werden können. 3. Das Hören der Töne, wobei die Consonan- ten gar nicht mehr gehört werden. : 4. Das Hören des Lärms, wobei nur noch ein starker Schall, der Donner, das Abfeuern eines Schiess- gewehres, das heftige Pochen an eine Thür u. dergl. gehört wird, ohne dass die menschliche Stimme zur Wahrnehmung gelangt. 5. Gänzliche Gehörlosigkeit, wobei höch- stens noch die durch heftigen Schall bewirkte Erschütter- ung der Luft oder des Bodens gefühlt, aber nicht mehr durch das Gehör wahrgenommen wird. Rosenthal nimmt drei Stufen an, nämlich 1. gänzliche Taubheit, wobei die Gehörempfindung für ar- tienlirte Töne gänzlich fehlt; 2. schweres Gehör, wobei die Gehörempfindung für articulirte Töne so geschwächt ist, dass sie nur mittelst künstlicher Verstärkung her- vorgebracht werden kann; 3. gestörtes oder vermindertes Gehör, wobei die Gehörempfindung für articulirte Töne auf dem natürlichen Wege durch Undeutlichkeit leidet. Schmalz unterscheidet 1. geringe Schwerhörig- keit, 2. Schwerhörigkeit, 3. geringe Taub- heit, 4. völlige Taubheit, und zwar in solcher Weise, dass nur die Extreme gehörig charakterisirt sind, ohne die so häufigen Mittelstufen hiernach objectiv genau ‘ren Erscheinungen. 302 bestimmen zu können. Ueber Pfingsten’s ebenfalls hierher gehörigen Versuch s. oben. Für die Ermittelung der qualitativ veränderten Stim- mungen des Gehörorgans sind alle erwähnten Proben ganz ohne Werth. Viele, welche den Schlag der auf das Ohr gedrückten Uhr kaum noch deutlich wahrneh- men, sind noch im Stande, mit Einzelnen sich ohne grosse Anstrengung zu unterhalten, so dass die Zunahme der Hörweite nach dem Akuometer kein unbedingt siche- res Zeichen einer dem Patienten im Umgange mit Ande- ren merklichen Besserung ist, und umgekehrt. In letz- terer Beziehung haben die mit dem Kranken in stetem Verkehr stehenden Personen ein unbedingt sichereres Ur- theil über die Ab- oder Zunahme der Schwerhörigkeit, als dieser selbst, welcher die Stärke der Stimme sich mit ihm Unterhaltenden nicht zu beurtheilen vermag. Manche, im geselligen Verkehr fast Taube, behalten oft lange Zeit die Fähigkeit, gewisse Gehöreindrücke ziem- lich ungestört aufzufassen, und zwar keineswegs immer gellende, durchdringende Laute, welche sogar, wie die zu starke Stimme Einzelner, die sich durch lautes Schreien verständlich machen wollen, oft nur unangenehme, ver- wirrende Eindrücke machen. Am häufigsten bleibt das Vermögen, die harmonischen Klänge der Musik aufzu- fassen, lange ungetrübt, so dass viele Schwerhörende noch mit vollem Gennsse einem Concerte zu folgen im Stande sind. Ist das musikalische Gehör noch nicht er- loschen, so können mit bestem Erfolge verschiedene Ton- instrumente zu dessen genauerer Prüfung in Anwendung gebracht werden, wobei selbst manche Idiosyncrasieen des Gehörsinnes, der unangenehme Eindruck gewisser Töne u. dergl. Berücksichtigung verdienen. Nächst den quantitativen und qualitativen Abweich- ungen in Bezug auf die Wahrnehmung wirklicher Töne oder Geräusche verdienen auch die subjectiven Empfind- ungen, die Täuschungen des Gehörsinnes, einige Auf- merksamkeit. Abnorme Sensationen, vermöge welcher der Kranke äusserlich nicht vorhandene Töne oder Ge- räusche wahrzunehmen glaubt, gehören zu den häufige- Am geeignetsten mit dem generellen Namen Öhrentönen, paracusis oder pseudacusis bezeichnet, hat man diese Gehörtäuschungen nach der Art der ver- schiedensten Namen belegt, als Ohrenpfeifen, sibilus, Ohrenklingen, tinnitus, Ohrenmurmeln, murmura, Ohren- rauschen oder Sausen, fremitus, susurrus, Ohrenrasseln, bombus, Ohrenhämmern, pulsatio, ototechnos u. dergl. Das Vernehmen von articulirten Tönen, Worten, Stim- men, wovon Geisteskranke öfters verfolgt werden, lässt sich kaum als blosse Hallucination der Gehörnerven wür- digen, und setzt ein Leiden des Gehirns voraus. Nach der Begründung unterschied man wahres und falsches Ohrentönen, jenachdem dasselbe von wirklichen Geräu- schen im Ohre oder dessen Umgebungen, dem Pulsiren erweiterter Arterien u. dergl., oder von einer abnormen Stimmung des Gehörnerven abhängig sein sollte. Die 303 zum Theil abenteuerlichen Ansichten über die Natur und Begründung dieser bis jetzt noch ganz unerforschten Er- scheinung hier mit Stillschweigen übergehend, sei nur bemerkt, dass dieselbe in der Regel nur symptomatisch, und, seltene Ausnahmsfälle abgerechnet, nie von dia- gnostischer oder prognostischer Bedeutung ist. Früher- hin fast allgemein als selbstständiger Krankheitsprocess in den Handbüchern aufgeführt, kann das Ohrentönen erfahrungsgemäss fast alle Krankheiten des Gehörorgans begleiten und wiederum unter übrigens ganz gleichen Verhältnissen fehlen. Weit lästiger als die gewöhnlich damit verbundene Schwerhörigkeit, Manche fast zur Ver- zweifelung bringend, selbst mit gänzlich erloschenem Ge- hör nicht immer verschwindend, wird das Ohrentönen von dem Kranken häufig als das Hauptübel betrachtet, während es doch nur äusserst selten für sich allein ohne Gehörstörung besteht. Bei genauen Messungen wird man dies fast immer bestätigt finden, ohne sich deshalb ver- leiten zu lassen, die Gehörstörung als Folge des Ohren- tönens zu betrachten, wie von den Kranken in der Re- gel geschieht. Nicht zu verkennen ist übrigens, dass bei vorübergehendem Ohrentönen im Anfalle mitunter eine auffallendere Beeinträchtigung des Gehörs erfolgt, wes- halb der Arzt diejenigen Bedingungen zu erforschen hat, welche die Anfälle hervorrufen oder steigern, was im Durchschnitt durch erregende Einflüsse der verschieden- sten Art geschieht. Eine andere diagnostische Bedeutung kommt dem Ohrentönen nicht zu, welches als Symptom bei den verschiedenen Grundkrankheiten später eine nähere Würdigung finden wird. Am wenigsten können aber die verschiedenen Arten des Ohrentönens als diagnostische Mittel zur Erkenntniss der wahren Natur mancher Krank- heiten der Hörorgane dienen, wie v. Walther glaubt. Nach möglichst genauer Feststellung des Thatbe- standes muss eine sorgfältige anamnestische Untersuchung eintreten, um dasjenige zu ergänzen und zu erläutern, was nicht an sich wahrnehmbar ist. Diese ist wegen der nicht immer zu vermeidenden gegenseitigen Missver- ständnisse oft mit fast unüberwindlichen Schwierigkeiten verbunden, vorzüglich bei Kindern und Ungebildeteu, welche nur selten befriedigenden Aufschluss zu geben im Stande sind. Man wende sich deshalb in solchen Fällen an die Angehörigen, durch deren Vermittelung es oft gelingt, die wichtigsten Aufschlüsse zu erhalten. Kön- 304 nen diese keine befriedigende Auskunft ertheilen. so be- queme man sich zum geduldigen Anhören der Kranken- geschichte, worauf man bestimmte Fragen, nöthigenfalls schriftlich stellt. Am schwierigsten ist simulirte Schwer- hörigkeit und Taubheit zu ermitteln. Liefert die objective Untersuchung kein Resultat, so ist oft nur durch län- gere Beobachtung, Ueberraschung, besonders durch Auf- wecken aus dem Schlafe mittelst eines Geräusches u. dgl. eine Entlarvung des Betrügers möglich. Selbst anästhe- tische Mittel, Schwefeläther oder Chloroform, könnten hierzu benutzt werden. Anreden mit starker Stimme, die man allmälig fallen lässt, so dass man zuletzt ganz leise spricht, genügt bei nicht sehr Raffinirten bisweilen zur Ueberführung des Betrugs. In anderen Fällen ge- lingt diess durch unvermerktes Fallenlassen eines Geld- stücks u. dergl., während man den Gesichtsausdruck ge- nau beobachtet. Manche haben es so weit gebracht, dass sie durch ein unvermuthet hinter ihrem Rücken ab- gefeuertes Schiessgewehr nicht überrascht zu werden scheinen, was immer verdächtig bleibt, da selbst Taub- stumme die Erschütterung fühlen. Wird bloss ein höhe- rer Grad von Schwerhörigkeit -vorgeschützt, so ist die Entdeckung bei consequentem Benehmen des Betrügers fast unmöglich. In solchen Fällen, die bei Militärpflich- tigen am häufigsten vorkommen, hüte man sich vor ei- nem übereilten Urtheil, nehme alle objectiv diagnosti- schen Mittel zu Hilfe, und suche wo möglich das Zeug- niss glaubwürdiger Personen, besonders Geistlicher und Lehrer, einzuholen. Miscelle. Aeussere Anwendung des Glycerins. Das Gly- cerin hat im Vergleich zu fettigen Verbandmitteln den Vor- zug der Syrupsconsistenz, der Löslichkeit in Wasser und des Nichtverdunstens. Diese letztere Eigenschaft verhütet alles Ankleben der Verbandstücke und alle Schmerzerregung beim Reinigen der Wunden, da keine Krusten sich angesetzt ha- ben und sich das Glycerin einfach mit dem Schwamme ab- wischen lässt. Es ist sehr hygrometrisch und erhält dadurch alle Theile weich, sofern es nämlich in reichlicher Quantität auf die Verbandstücke aufgetragen worden ist. Um über Wundflächen eine luftdichte Decke zu breiten, ist es ganz be- sonders geeignet und hält den normalen Wärmegrad in der- selben zusammen. Namentlich für Verbrennungen ist es sehr empfehlenswerth. (Gaz. med. d. Paris, 1856. 4.) Bibliographische Neuigkeiten. N. — J. Ch. @. Lucae, Zur Architectur des Menschenschä- dels nebst geometr. Originalzeichnungen von Schädeln nor- maler und abnormer Form. gr. Fol. Keller in Frankfurt a. M., 1857. 8 Thlr. G. Rose, Ueber d. heteromorphen Zustände der kolhlensauren Kalkerde. I. Abhdlg. gr. 4. In Comm. bei Dümmler in Berlin, 1855. 1'/, Thlr. HH. — C. G. Th. Rueie, Bildliche Darstellung der Krankh. d. menschl. Auges. 5. und 6. Lieferung. gr. Fol. Teub- ner in Leipzig. 12 Thlr. Museum anatomicum Holmiense, quod ed. Profl. reg. Scho- lae medico-chirurgicae. Sectio pathologica. Fasc. I. cont. casus X cum Xll Tabulis. Fol. 4 Tlılr. 15 Sgr. Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena, Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. I. Band No- 20. Naturkunde. K. H. Baumgärtner, Ueber den Mechanismus der Herzihätigkeit. (Schluss.) — Baron Fölk ersa hm, Die Kohlfliege. — Miscelle. Reynal, Tödtliche Wirkung des Benzins auf Insekten. — Heilkunde. Th. Witt- maack, Die Grundsätze der prager Schule in Anwendung auf chirurgische u — Mliscellen. B. Bell, Ueber die Zweckmässigkeit der verdünnten Formen der Arzneimittel. — Danyau und elaton, Zur Kur der Dammrisse. — Hayer Agnad, Heilung der Epilepsie durch Trepanation. — Chaissagnac, Zur Behandlung der Cancroide. — Bibliographie, Naturkunde. Ueber den Mechanismus der Herzthätigkeit. Von Prof. Dr. K. H. Baumgärtner (Freiburg). (Schluss.) Einer besonderen Betrachtung werlh ist die Art und Weise , in welcher die Grösse der Eingangsmündung fort- während der Grösse des Blutstromes angepasst wird. Im Augenblicke, in welchem die Vorkammern anfangen sich zusammenzuziehen, ist die in denselben enthaltene Blut- masse am grössten; die Kammern aber haben soeben ihre Zusammenziehung vollendet und die zwischen ihrer Sub- stanz befindliche Oeflnung ist am kleinsten und während die Zusammenziehung der Vorkammern ihrer Vollendung entgegengeht, wird die Blutmasse sehr gering, die Herz- kammern sind aber ausgedehnt und es ist also die Oef- nung am grössten. Es besteht demnach ein vollkomme- nes Missverhältniss zwischen der Blutmenge und der von der Herzsubstanz begrenzten Eingangsmündung. Dieses Missverhältniss auszugleichen ist offenbar ein zweiter Zweck der soeben beschriebenen Klappeneinrichtung. In dem Augenblicke nämlich, in welchem das Blut beginnt von der Vorkammer in die Kammer zu strömen, legen sich beide Klappen zurück, die Schiflsthürenklappe vor die Mündung der grossen Schlagader und die zweite Klappe an den gegenüberliegenden Theil der Herzwand- ung; es wird also die Bahn vollkommen für die ganze Blatmenge frei, welche durch die in der Herzsubstanz be- findliche Oeffnung einströmt. Je mehr nun aber die Blutmenge in der Vorkammer abnimmt, desto mehr rük- ken wiederum die beiden Klappen mit ihren Spitzen ge- gen einander und es bildet sich auf diese Weise ein der Eingangsmündung angehefteter und immer enger werden- der Trichter, so dass also zuletzt nur noch ein kleiner Blutstrahl in die Kammer einzufliessen vermag, obgleich in diesem Augenblicke durch die Ausdehnung der Kam- mer die zwischen der Herzsubstanz befindliche Oeffnung ihren grössten Durchmesser erreicht hat. Endlich mögen hier noch die Mittel eine Untersuch- ung finden, welche ergriffen sind, um den Blutstrom von der vorderen auf die hintere Fläche der Schiffsthüren- klappe zu leiten und von da in die Ausgangsmündung, zur grossen Schlagader zu führen. — Es ist klar, dass, wenn keine besondere Vorrichtungen zu diesem Zwecke getroffen worden wären, der Blutstrom, bei der Zu- sammenziehung des Herzens, leicht jene Klappe, wel- che weit in die Höhle der Kammer hereinragt, auf ihrer vorderen Fläche anfassen und vor die Ausgangsmündung legen könnte, was den augenblicklichen Tod zur Folge haben müsste. (Dieses Ereigniss kann bei verschiedenen Herzkrankheiten eintreten und ist ohne Zweifel eine Hauptursache an dem oft plötzlichen Tode der Herzkran- ken.) Indem die Schiffsthürenklappe bei der Ausdehnung der Kammern durch ihre sehnigen Fäden von der Aus- gangsmündung hinweg und gegen die Eingangsmündung hingezogen wird, bildet sie vor der letzteren eine schiefe Fläche. Auf diese stürzt das Blut bei seinem Einströmen in die Kammer und sein Strom wird hierdurch, in einem entsprechenden Winkel gebrochen, gegen die äussere Wandung der Kammer hingeworfen. An dieser Stelle prallt das Blut wiederum an und wird gegen die Spitze der Kammer und die Scheidewand beider Kammern ge- führt, von welcher aus dasselbe gegen die hintere Fläche der Schiffsthürenklappe strömt, wo es seine Richtung ge- gen die Ausgangsmündung der Kammer erhält. Durch diese Einrichtung allein schon ist gegen das erwähnte Ereigniss mit ziemlicher Sicherheit vorgesorgt, indem das Blut die Klappe gegen die Eingangsmündung hintreibt ; da jedoch bei der Zusammenziehung der Kammer die sch nigen Fäden für den kleiner werdenden Raum zu lang werden, so könnte, wenn keine, dieses Missverhältniss o 307 ausgleichende Vorrichtung getroffen wäre, der Blutstrom die erschlafften Fäden und den Rand der Klappe fassen und dieselbe selbst gegen die Ausgangsmündung hintrei- ben. Diesem unglücklichen Ereigniss ist dadurch vorge- baut, dass die sehnigen Fäden an langen, zapfen- oder vielmehr säulenförmigen Muskelbündeln befestigt sind, welche sich zugleich mit der ührigen Herzsubstanz zu- sammenziehen und dadurch die Länge der sehnigen Fä- den (mit Inbegriff der Länge der säulenförmigen Muskeln) um ein Bedeutendes verkürzen. Hierdurch wird bewirkt, dass die Schiffsthürenklappe fortdauernd gegen die äus- sere Kammerwandung hingezogen bleibt, und also auch ihre Bewegung gegen die Ausmündung hin so lange ver- hindert wird, als die Kammer sich zusammenzieht. Tritt der Zustand der Erschlaffung ein, so lässt auch die Zu- sammenziehung der säulenförmigen Muskel nach, die seh- nigen Fäden werden, mit Inbegriff der Länge der säulen- förmigen Muskeln, nunmehr sehr lang, und das durch die Eingangsmündung von Neuem einströmende Blut vermag jetzt die Schiffsthürenklappe von der Eingangsmündung zurückzudrängen und auf die Ausgangsmündung zu le- gen. — Folgende kleine Vorrichtung darf hier nicht übersehen werden: Gegen ihr oberes Ende hin sind jene säulenförmigen Muskelbündel durch querlaufende Bänder an die Wandung des Herzens befestigt. Dieser Mecha- nismus verhindert, dass bei der Ausdehnung des Herzens die säulenförmigen Muskeln von ihrem unteren Anheft- ungspunkte in der Diagonale, durch den Raum der Kam- mer, auf die Klappe wirken, was dieselbe zu sehr nach unten ziehen würde, und bewirkt, dass der Zug auf die Schiffsthürenklappe mehr in horizontaler Richtung erfolgt, wodurch die Schliessung der Eingangsmündung der Herz- kammer ermöglicht wird. Von dieser Klappeneinrichtung der Eingangsmündung der linken Kammer ist die der Eingangsmündung der rechten Kammer in einem wesentlichen Theile verschieden. Hier firdet sich nämlich keine, die Eingangs- und Aus- gangsmündung abwechselnd schliessende und öffnende Klappe vor, und die Ausgangsmündung wird während des Einströmens des Blutes von Innen nicht geschlossen. Statt der Schiffsthürenklappe, welche sich in der linken Kammer bei dem Beginne der Bluteinströmung in die- selbe vor die Ausgangsmündung legt, bildet in der rech- ten Kammer Eine der Klappen an ihrem einen befestigten Ende eine Art Leiste am obern Rande der Eingangs- mündung, zwischen dieser und der Ausgangsmündung, wodurch das Blut von der Ausgangsmündung hinweg, nach der äusseren Kammerwandung geleitet wird. Statt zwei Klappen sind hier drei vorhanden (woher auch ihr Name „dreispitzige Klappen“), welche im Allgemeinen die- selbe Einrichtung in der Anheftung ihrer sehnigen Fäden zeigen, wie die zweite Klappe der linken Kammer. Hier- durch werden bei der Ausdehnung der Kammer und der Stauchung des Blutes hinter den Klappen allmälig drei Klappen einander genähert und bei der Vollendung die- ser Bewegung legen sie sich so vollständig an einander, 308 dass der Rückfluss des Blutes aus der rechten Kammer in den rechten Vorhof vollkommen versperrt wird. Fragen wir nach dem Zwecke dieser Verschiedenheit der Klappeneinrichtung zwischen beiden Herzkammern, so werden wir. zu folgenden Betrachtungen geführt. Der Mangel einer nach aussen schliessenden Thür in der rech- len Kammer weist darauf hin, dass ein ununterbrochener Abiluss des Blutes aus dem Herzen aus irgend einem Grunde in dieser Richtung ermöglicht sein müsse. — In dieser Richtung führen die Blutbahnen in kurzem Wege nach den Lungen. Hier findet ein grosser Stoffwechsel statt, nämlich Abgabe von Kohlensäure und Wasser und Aufnahme von Sauerstoff, und grosse Ungleichheiten die- ses Stoffwechsels werden durch mancherlei Zufälligkeiten herbeigeführt. Es muss daher die Zufuhrgelegenheit des Materials zu diesem Stoffwechsel so eingerichtet sein, dass der Zufluss sich ganz nach dem so sehr wechselnden Bedürfniss zu richten vermöge. Würde nun aber eine Schiffsthürenklappe in dem rechten Herzen angebracht sein, wie in dem linken, so würden der Lunge in gleich- mässigem Zeitraume immer gleiche Mengen des Materials zugeführt werden, und die Ausgleichung wäre also un- möglich geworden. — Es ist ohne Zweifel zu diesem Zwecke bloss eine das Blut abweisende Leiste über der Ausgangsmündung der rechten Kammer angebracht, damit nicht mit jeder Zusammenziehung der rechten Vorkammer das Blut in die Lunge getrieben werde; dagegen ist unter- halb dieser Leiste die Ausgangsmündung durch eine nach Innen sich öffnende Thür nicht geschlossen, und die Lunge kann also das Blut nach Bedarf an sich ziehen. — Wenn demnach durch irgend einen Kraftverbrauch, z. B. durch rasche Körperbewegung, ein schnellerer Wie- derersatz der Kräfte in den Geweben nothwendig gemacht ist oder die Gewebe schneller sich verzehren, so dass ein rascherer Absatz von Kohlenstoff an das Blut geschieht, und also dasselbe rascher venös wird, ist eine schnellere Erfrischung des ohne Zweifel auch rascher aus den Ge- weben abfliessenden Blutes in den Lungen nothwendig, und dieselben müssen rascher das Blut durch die Lun- genschlagader an sich ziehen. — Da bei dem schnelle- ren Leerwerden der rechten Kammer die Ursache des Schlusses der dreispitzigen Klappen schneller zu wirken aufhört, nämlich der Druck des Blutes auf die hintere Seite dieser drei Klappen, so öffnet sich dem Blute in der rechten Vorkammer auch rascher der Weg in die Kammer, und die Vorkammer wird zu einer schneller be- ginnenden Zusammenziehung veranlasst. Auf der ande- ren Seite muss auch, bei dem rascheren Austausche der Stoffe in den Lungen das Blut rascher aus denselben in die linke Vorkammer abfliessen, diese wird daher schnel- ler ausgedehnt und muss sich in demselben Maasse auch schneller zusammenziehen. Auf diese Weise ist durch diese einfache Vorrichtung es ermöglicht, dass die Schnel- ligkeit der Herzbewegung sich ganz dem Grade der Raschheit des Stoflwechsels nicht allein in den Lungen, sondern auch in den Geweben des Körpers anpasse, — MM 309 In der linken Kommer ist diese Einrichtung nicht noth- wendig, weil für kleinere und mehr örtliche Verschieden- heiten in dem Stoffwechsel immer genug Material in den (langen) Blutbahnen vorhanden ist, und b«i grösseren Unterschieden, wie z. B. in heftigen Fiebern, auf die soeben beschriebene Weise das Herz zu schnellerer Be- wegung veranlasst wird, und daher das Blut den Gewe- ben rascher zufliesst. Ein zweiter Zweck, welcher durch die Verschieden- heit der Klappeneinrichtung in den zwei Herzkammern erreicht wird, ist folgender: Die linke Herzkamnıer hat die Aufgabe, durch die, oft sehr langen Schlagadern, durch die Haarkanälchen der sämmtlichen Gewebe des Körpers: und durch die rückführenden Gefässe das Blut zu treiben, oder hat wenigstens einen grossen Theil die- ser Aufgabe zu vollführen, und muss daher sehr kräftig wirken. Es ist nun zwar zu diesem Zwecke die Musku- latur der linken Kammer sehr stark; es würde aber die- selbe wahrscheinlich dennoch nicht die gehörige Wirkung äussern, wenn die Fleischfasern nicht vor ihrer Zusam- menziehung zu ihrer vollständigen Ausdehnung gebracht würden, und sie nicht auf eine grosse Blutmasse wirken könnten, um ihren Stoss in alle Gefässe fortzupflanzen. Es ist daher in der linken Kammer eine möglichst grosse Stauchung des Blutes nothwendig, und diese wird durch die Schiffsthürenklappe bewirkt. Im Augenblick nämlich, in welchem das Blut durch die Eingangsmündung mit grosser Gewalt in die linke Kammer strömt, legt sich diese Klappe vollkommen vor die Ausgangsmündung ; zur Zeit aber, wenn die Klappe von der Ausgangsmündung hinweggezogen wird, wird die Kraft des in die Kammer sich ergiessenden Blutstromes auch schon geringer und er Blutstrom erhält durch die Schiffsthürenklappe eine Richtung nach der äusseren Kammerwandung und vermag sich daher nicht wohl einen Weg in die grosse Schlag- ader zu öffnen. Sollte aber durch ein aussergewöhnliches Ereigniss, z. B. eine Verletzung einer Schlagader, das Blut in beträchtlicherer Menge durch die Schlagadern ab- fliessen, so dass “as Blut in der linken Herzkammer_ fol- gen müsste, se würde die Schiffsthürenklappe anf die Ausgangsmündung zurücksinken und dieselbe schliessen, so dass die Stauchung des Blutes in der linken Kammer von Neuem beginnen würde. — Die rechte Kammer hat bei Weilem keine so grosse Kraftanwendung nothwendig, als die linke Kammer, da die Blutbahn, auf welche sie berechnet ist, - viel kürzer ist, das Blut hier nicht, wie im grossen Kreislauf in den Gefässen des Unterleibes, zweimal durch Haargefüsse den Weg nehmen muss, und wahrscheinlich auch der Stoffwechsel hier einen grösseren Einfluss auf die Blutbewegung ausübt. Es hat die rechte Kammer auch eine viel schwächere Muskulatur als die linke Kammer, und es liegt hierin ein zweiter Grund für den Mangel der Schiffsthürenklappe in derselben, weil hier ein solcher Stauchungsapparat nicht nolhwendig ist. Sowohl an der Ausgangsmündung aus der linken Kammer in die grosse Körperschlagader, als an der rech- 310 ten Kammer in die Lungenschlagader sind drei Klappen angebracht, welche den Rückfluss des Blutes aus den Schlagadern in die Kammern unmöglich machen. Diese Klappen besitzen eine ganz andere Einrichtung, als die bisher beschriebene, indem sie nicht segelarlig, nämlich gleich Segeltächern, welche durch die an ihrem Rande angebrachten Stricke sich spannen und in bestimmten Richtungen sich bewegen lassen, sondern aus feinen Häu- ten bestehende Taschen sind, deren Mündungen nach der Zuglinie des abfliessenden Blutes gerichtet sind. Durch diese einfache Einrichtung wird bewirkt, dass das Blut, wenn es nach aufhörender Wirkung des Herzstosses auf dasselbe durch das in den Geweben und kleineren Schlag- adern langsamer als in den grossen Schlagadern fliessende Blnt und durch die elastischen Häute dieser Gefüsse ei- nen Rückstoss empfängt, nicht in das Herz zurückflies- sen kann, da es sich in den drei Taschen fängt, diese vollfüllt, an einander legt, und auf diese Weise das ganze Rohr der Schlagader verstopft, so dass dasselbe für das nach dem Herzen hin bewegte Blut vollkommen geschlos- sen ist, wobei aber dem Ausfluss des Blutes aus dem Herzen kein wesentliches Hinderniss in den Weg gelegt wird; denn sobald das Blut in der Richtung von dem Herzen nach den Lungen oder den Geweben bewegt wird, wird das in den Taschen enthaltene Blut aus denselben herausgedrängt, die leeren Taschen legen sich an die Wandung der Schlagader an, und das ganze Rohr des Gefässes ist nun für die Blutströmung frei. In gleicher Weise, wie wir die bisher besprochenen Theile des Herzens in Beziehung auf die Zwecke, welche durch sie erreicht werden, untersucht haben, könnten wir alle Einzeltheile des Herzens, namentlich die einzelnen Faserzüge der Muskeln, unserer Betrachtung unterwerfen, und würden erkennen, dass eine gleiche bewunderungs- würdige Planmässigkeit die Zusammensetzung dieser Theile beherrscht; ich beschränke mich jedoch, der Kleinheit des diesen Abhandlungen vergönnten Raumes wegen, nur noch zwei auffallende Bildungen am Herzen hier zu be- sprechen: die gitterarligen Fleischbalken, welche wir an der inneren Fläche der Kammern an mehreren Stellen antreffen, und die s. g. Herzohren. Die innere Fläche der Kammerwandungen stellt zum grossen Theile keine glatte Wand dar, sondern zeigt mehr oder weniger ein netzarliges Gefüge von Fleisch- fasern, welches an manchen Stellen, namentlich an der Herzspitze, in lange, balkenarlige Muskelbündel sich auf- löst, die die mehr oder weniger einander gegenüber lie- genden Stellen der Herzwandung mit einander verbinden. Durch diese Einrichtung wird offenbar bewirkt, dass die am meisten durch die Gewalt des einströmenden Blutes bedrohten Stellen der Kammerwandung, wie z. B. die ver- hältnissmässig dünne Wand der Spitze der linken Kam- mer, vor Zerreissung bewahrt werden; denn würde der Blutstrom auf die ungeschützte Seitenfläche der Fleisch- fasern sich stürzen, so könnte die Herzwandung leicht der Gewalt nachgeben; da aber die ig Verbin- st dungsbalken angebracht sind, so wirken starke Muskel- bündel mehr oder weniger in senkrechter Richtung der Gewalt des Stromes entgegen, wodurch die Widerstands- kraft der einzelnen Stelle ausserordentlich erhöht wird. Auch wird durch die verspringenden Muskelbalken der Blutstrom und seine Kraft einigermaassen gebrochen (wie das Wasser und das Treibeis eines Flusses durch die Strebepfeiler der Brücke), so dass er nicht in seiner gan- zen Gewalt an die Herzwandung anschlägt. Die beiden Herzohren (welche Theile der Wandung der beiden Vorkammern sind) beurkunden durch die starke Entwickelung der Muskulatur jedenfalls, dass ihnen bei der Fortbewegung des Blutes aus den Vorkammern in die Kammern eine wesentliche Rolle zugetheilt ist. Da ihr Rand gezackt ist und die einzelnen Zacken zum Theil zu ziemlich langen und schmalen muskulösen Schläuchen „sich verlängern, so vermögen die Herzohren bei Zusam- menziehung dieser kleinen Behälter die geringsten Por- tionen Blut von sich auszuspristzen. Da nun bei der Zusammenziehung der Vorkammern die Herzohren, wel- che bei der Erschlaflung und Ausdehnung der Vorkam- mern mehr zur Seite liegen, gegen den Mittelpunkt des Raumes hingezogen und mehr über die Eingangsmündung zur Kammer gestellt werden, so vermögen sie in den immer enger werdenden, durch die daselbst liegenden Klappen gebildeten Trichter noch ganz kleine Portionen Blut hineinzuspritzen nnd dadurch die Kammern bis zum letzten Tropfen Blutes, welchen sie zu fassen vermögen, voll zu füllen. Da hierdurch auch eine Erschütterung des in der Kammer angestauchten Blutes erfolgen muss, und der Rückprall des Blutes an die hintere Fläche der Klappen durch diesen letzten Stoss vollkommen wird, so haben die beiden Herzohren offenbar die Bestimmung, die Schliessung der Eingangsmündung in die linke und die in die rechte Herzkammer zur Vollendung zu bringen. So weit bis jetzt unsere Untersuchung vorgedrungen ist, haben wir schon eine solche Fülle herrlicher Einrich- tungen gefunden, dass wir einem Künstler, welcher ein solches Meisterwerk erdacht hätte, eine hohe Verehrung bezeugen müssten. Unsere Bewunderung muss sich aber noch steigern, wenn wir nach und nach uns überzeugen (was wohl bei der Untersuchung über die Entwickelungs- geschichte der Thiere der Fall sein wird), dass die Na- tur bei Hervorbringung ihrer Schöpfungen sich an ganz feste Gesetze bindet oder gebunden ist, so dass sie nie ein s. g. Wunder bewirkt, sondern zur Hervorbringung jeder einzelnen Erscheinung bestimmter Hülfsmittel sich bediente. — Zwar haben wir bis jetzt die Natur in ih- ren Schöpfungsarbeiten nur noch wenig verfolgt; das Be- obachtete möchte uns aber wohl zu dem soeben ausge- sprochenen Satze berechtigen, wenn uns auch noch das Meiste in der That wie ein eigentliches Wunder erscheint. — Haben wir aber die Ueberzeugung von der Bildung der Organe unter der Wirkung bestimmter Gesetze, so erscheint uns der Bau des Herzens noch in viel höherem Grade merkwürdig; denn jetzt fragen wir nicht allein 312 nach der Zweckmässigkeit der Einrichtungen, sondern auch nach den Mitteln, durch welche sie zu Stande ge- bracht wurden. Ich werde mehrmals Gelegenheit haben, interessante Beobachtungen über die der Natur zu Ge- bote stehenden Mittel zur Herstellung bestimmter Ein- richtungen mitzutheilen, z. B. über die interessante Weise, wie die unteren Gliedmaassen die richtige Stellung erhal- ten, und werde namentlich die Mittel darlegen, durch welche die Eintheilung des Herzens in vier Abtheilungen vollbracht wurde; ich gestehe aber, dass ich in Bezie- hung auf die Bewerkstelligung der Klappeneinrichtung des Herzens keine Aufschlüsse zu geben vermag.“ Die Kohlfliege. Von Baron Fölkersalhm (Moskau). Vielfach bilden sich an den Pflanzen der jungen Kohlarten, vorzugsweise aber bei Kohlrüben, eine Art Knollen oder Geschwülste, bei denen die Pflanzen ver- kümmern und endlich absterben. Die Veranlassung dazu giebt eine Fliegenlarve, welche sich als weisse glatte kegelförmige Made zeigt, und an dem dicken abgestumpf- ten Hinterende mit kurzen fleischigen Spitzchen besetzt ist. Sie rührt von der oben benannten Kohlfliege her, welche ihre Eier in den Stamm, besonders aber in den Wurzelknoten aller Kohlarten absetzt. Ich habe sie auch bei Sommerreps gefunden. Die sich vielfach besonders in den Kohlrüben vor- findenden Larven durchwühlen die Wurzel nach allen Richtungen, und verursachen durch den nach den schad- haften Stellen bedingten gesteigerten Säftezufluss knollen- artige Auswüchse nach aussen, die aber nicht mit jenen zu verwechseln sind, welche durch Kunst hervorgebracht werden können. Die Maden verwandeln sich zuletzt in rothbraune Tönnchen oder Puppen, aus denen sich im Laufe von drei Wochen die Fliegen entwickeln und aus- schlüpfen. Das einzig bewährte Mittel sie zu vertilgen und den Schaden zu vermindern, welchen dieses schäd- liche Insekt anrichtet, besteht darin: dass man den gan- zen Boden der Kohlpflanzungen mit Kohlenklein be- streue, und nur hin und wieder einzelne Flecken leer lasse. Die Fliege vermeidet jedenfalls alle Orte, wo der Bo- den mit Kohle bedeckt ist und lässt hier die Pflanzen in Ruhe. Desto stärker wendet sie sich aber nach den- jenigen Stellen, wo der Boden kohlenfrei ist, und hier fallen in vermehrter Menge über die Pflanzen ihre sie vernichtenden Gäste her. Bald fangen die Pflanzen zu welken an und müssen dann sogleich ausgezogen und verfültter werden. Diess ist das einzige erprobte Mittel, sich mit einem geringen Opfer eines kleinen Theiles seiner Erndte vor diesem Feinde zu schützen, was ich selbst aus eigener Er- fahrung zur Nutzanwendung Andern bestens empfehlen 313 kann. (Bulletin de la Societe imp. Moscou. 1855, 111.) Miscelle. Das Benzin, bisher hauptsächlich zum Ausmachen von Feitflecken verwendet, besilzt eine vorzügliche tödtliche Wirkung auf Insekten. Reynal hat damit Versuche angestellt, aus denen hervorgelit: 1) dass das Benzin ein sehr wirksames Mittel zur Tödtung von auf Hausthieren lebenden Parasiten ist; 2) dass es besser im Nüssigen als im dampf- förmigen Zustande angewendet wird, also direct einzureiben ist; 5) dass es dann unmittelbar Asphyxie der Epizoen be- wirkt, gleichviel ob diese auf der des Naturalisies de aut frei auf der Ober- 314 Näche sich befinden oder ob sie in geschlossenen Orten, au den Wänden oder Klüflen der Mauern und Bretter leben; 4) dass das Benzin im dampfförmigen Zustande die Parasiten nur bei geringer Entfernung, oder wenn sie in einem Gefäss mit engem Durchmesser sich befinden, zerstört; 5) dass es in um so wirksameres Mittel ist, als es keine Veränderung des Haulgewebes verursacht, indem es rasch verdunstet und die Thiere frei von den Gefahren lässt, welche andere Miltel, z. B. Terpentinöl und Quecksilbersalbe, herbeiführen; 6) in- nerlich in einer Dosis von 15 Grm. (5P) gegeben, bringt es sonderbare Vergiftungserscheinungen hervor; 7) bei 0 — 25 Grm., je nach Grösse der Thiere, tödtet es in einigen Minu- ten. (Aus d. Rep. d. Plıarm. in der Halle’schen Ztschr. (. d ges. Naturw. 1855, 1.) Heiikunde. Die Grundsätze der Prager Schule in An- wendung auf chirurgische Therapie. Von Dr. Wiltmaack (Altona) *). „Ich habe schon früher bemerkt, dass eine Methode, welche sich die erheblichsten Ausnahmen gefallen lassen muss, im Grunde nicht beanspruchen kann, Methode zu heissen, denn etwas Prineipielles vereinigt nothwendig mit sich den Charakter des Durchgehenden und allge- mein Anwendbaren, zum Wenigsten schliesst es die Mög- lichkeit aus, in zahlreichen und maassgebenden Fällen ‚seinem Gegentheil den fraglichen Werth und Nutzen ab- treten zu müssen. Auch in Bezug auf die chirurgische Therapie leidet Hamernik’s System (wonach bekanntlich jede schwä- chende Einwirkung zu vermeiden und durchgängig zu stär- ken und stark zu nähren ist) diesen Zwang. Diejenigen chirurgischen Krankheiten, die von allen _ am Ersten sich damit vertragen, sind die durch äussere Gewalt hervorgebrachten Trennungen des Zusammenhangs, die Frakturen, weil sie in der grösseren Mehrzahl bei Individuen, die bis dahin gesund waren, eintreten. Die Digestionsorgane, die Blutbildungsapparate sind normal qualificirt, wesshalb im Allgemeinen anzunehmen, dass nach Ueberwindung des ersten Eindrucks durch den plötz- lich sich inserirenden Unfall die Assimilation der Ingesta sich naturgemäss continuiren werde. Ein sonst gesunder Frakturirter bedarf unter Berücksichtigung seiner Indivi- -dualität im Ganzen einer leicht verdaulichen, aber gut nährenden Kost, und es ist nicht zu fürchten, dass Be- lästigungen dadurch herbeigeführt werden. Indess allein mit dieser Rücksichtnahme reicht man noch nicht aus; man hat stets zweierlei zu berücksichtigen, was beides ein Verfahren erheischt, dem Hamernik’s Therapie zu entsprechen wenig disponirt ist. Die beiden insonderheit der Erwägung sich dar- führenden Punkte sind: 1) dass bei sehr Vielen, die von Frakturen betrof- fen wurden, die erste Reaktion sich alsbald oder nach *) Beiträge z. ratienellen Therapie. 8. Berlin, 1857. einigen Tagen in Form eines schwächer oder stärker typirten Wundfiebers fortsetzt. Oft schien Anfangs nichts zu fürchten, 2, 3 Tage vergiengen, ohne dass überhaupt eine allgemeine Reaktion schien eintreten zu wollen, un- erwartet aber zeigt sie sich, sei es aus palpablen Grün- den oder, was nicht selten vorkommt, aus psychischen, indem der Betroffene sich durch verschiedenerlei depri- mirende Reflexion aufregt. In diesem Falle mit der ge- wohnten Diät fortfahren ist unthunlich, die beste Anti- phlogose, zugleich überhaupt die beste Therapie, welche befolgt werden kann, ist eine zweckmässige diätelische Entziehung , sie macht fast immer sowohl örtliche Mittel wie innerliche, ableitende überflüssig. Man lässt die Diät einige Tage hindurch eine knappe und milde sein und sorgt für refrigerirendes Getränk. Nicht anzurathen sind warme Getränke, wie Fleischbrühe, nicht anzura- then Weinsuppen, natürlich überhaupt kein Wein, dage- gen gelind nährende Mucilaginosa, nicht zu warm, dazu sogenanntes altes Weissbrod, ein wenig Kalbfleisch oder Geflügel, Wurzelgemüse, Spinat in Wasser gekocht und als Getränk die bekannten Refrigerantia. Mehr ist fast niemals nöthig. Anders gestaltet sich die Sache bei complicirten Frakturen. Die Reaktion ist hier meistens ziemlich stark, das Wundfieber intensiver und nicht gar selten tritt Ent- zündung hinzu mit sogenanntem entzündlichen Fieber. Es kann versucht werden, ob etwa die Anwendung von Kälte in Form kalter Ueberschläge Nutzen bringt. Ist die Entzündung eine nur lokal verharrende, so kann man oft Erfrenliches durch diess Mittel ausrichten, doch ist zugleich bekannt, dass sie sich im Entzündungsfieber meistens verallgemeinert und ist diess der Fall, so bleibt nichts übrig, als mit Umsicht antiphlogistisch, d. h. ent- ziehend zu verfahren. Immer zählt dahin die sogenannte antiphlogistische Diät, je nach der Constitution des Kran- ken und den sonstigen Verhältnissen bemessen, ausser- dem entweder örtliche oder allgemeine Blutentziehung. Die örtliche Blutentziehung ist an sich vorzuziehen, sie zeigt sich indess weder immer ausführbar, noch aus-. reichend, wo sie das Eine wie das Andere nicht ist, 315 muss zur Venäseclion geschritten werden. Es kommen Fälle vor, wo sogar nebst der anderweitigen Beobachtung der Antiphlogose ein starker Aderlass zu machen ist, wenn man nicht sich der Gefahr aussetzen will, dass, wie es so leicht geschieht bei Robusten, aus der ört- lichen Hyperämie eine Stase entstehe, die brandiges Ab- sterben der Weichtheile zur Folge hat. Eine Therapie nach den Grundsätzen Hamernik’s ist in dergleichen Lagen absolut unpraktikabel. Sie ist es ferner, wenn wir 2) berücksichtigen, was weiter durch möglicher Weise bedingt werden kann. In sicht kommt zweierlei in Betracht, nämlich a) dass in Folge der plötzlich inhibirten Gewohn- heit der Bewegung (besonders bei wohlgenährten, voll- saftigen Individuen), bedingt also durch die möglichst ruhige Bettlage, eine hartnäckige Leibesverstopf- ung eintreten kann. Macht es die Art der Verletzung, wie so häufig, unthunlich, Lavements anzuwenden, so müssen Abführmittel gegeben und zugleich die Diät so eingerichtet werden, dass sie Substanzen, die die Eröfl- nung begünstigten, enthalte. Man kann während der ganzen Beitlägerigkeit des Patienten genöthigt sein, mit der künstlichen Bethätigung des Darmkanals fortzufahren und kommen Fälle vor, dass selbst noch nach der gänz- lichen Herstellung die Neigung zur Obstipation beibleibt. Durchschnittlich ist es Kalomel, welches hier in mehr- facher Beziehung die besten Dienste leistet, allein oder in Verbindung mit Jalappe. Man kann indess mit Senna und dergleichen alterniren, wenn sich vielleicht gegen das Quecksilberpräparat constlitutionelle Empfindlichkeit zeigen sollte. Nur hat man zu fürchten, dass durch eine solche Behandlung, selbst wenn sie länger fortge- setzt werden muss, dem Kranken eine schädliche Ab- schwächung erwachse. Häufig verbindet sich mit dieser Obstipalion, ebenfalls der Hauptsache nach eine Folge der anhaltend strengen Ruhe, Minderung, mitunter selbst Verlust des Appelits. Dann ist nebenher eine gelind reizende, blande Diät indieirt, unterstützt etwa durch ein gleichfalls mildes In- citans, Absud der Pomeranzenschale u. s.w. Man ver- suche es in dieser Lage nie, aus Furcht vor Entkräftung, die Esslust irgendwie urgiren zu wollen. b) Eine gewisse Kategorie von Frakturen, jene hauptsächlich, wo die Verletzung unter bedeutender Er- schütterung des ganzen Skeletts eintrat, ist leicht gefolgt von paretischen Zuständen innerer Theile. Bei Lähm- ungszuständen der Blase sucht man sich durch mechani- sche Entleerung des Organs zu helfen. Prekärer ist in- dess die Situation, wenn der untere Theil des Darmka- nals parelisirt oder gar paralysirt wurde. Wie weit sich die Paralyse erstrecke, ist verschieden, mitunter höher hinauf, meistens jedoch, wie es scheint, nur über die untere Partie des Dickdarms. Immer aber pflegt die Folge eine überaus obstinate Leibesverhaltung zu sein, und wie man dann ohne anhaltenden Gebrauch von Lave- Frakturen dieser Hin- 316 ments und andern eröfinenden Mitteln nicht auskommen kann, sieht man sich andererseits nicht selten sogar ge- nöthigt, unter ihnen mit den energischer wirkenden zu wechseln und Dosen zu verordnen, die. im gesunden Zu- stande des Individuums aller Wahrscheinlichkeit nach Diarrhöen hervorrufen würden. Nach längst geheilter Fraktur bleibt oftmals noch die gedachte Komplikation ein längerer, hartnäckiger Ge- genstand der ärztlichen Fürsorge und man hat Mühe, die nebenher mehr und mehr eingetretene Patienz des Orga- nismus in Bezug auf die eröffnenden Mittel mit zu über- winden. Ein heilsames Aequivalent dagegen wird dann allerdings die wieder eintretende Bewegung und dadurch bedingte motorische Unterstützung der gesammten phy- siologischen Umtriebs- Aktionen, dennoch darf man in der Regel die evakuirenden Stoffe nicht sofort bei Seite setzen. Ungeachtet jedoch dieser nachhaltig entziehend wir- kenden Kur erholt sich der Kranke und mit den zuneh- menden Kräften schwindet im glücklichen Falle (oder durch geeignete therapeutisch örtliche Unterstützung) der lähmungsartige Zustand und es zeigt sich nicht im Ge- ringsten eine Depression der organischen Energie, zum abermaligen Beweise, wie wenig an sich die Furcht der Prager Schule vor abschwächender Wirkung der Evakuan- tien in Wirklichkeit begründet ist. Ungleich weniger noch als die erörterten Zustände können andere chirurgische Krankheiten der je nach Ver- hältniss entziehenden Kurmethode entbehren. Die meisten Anomalien, die ein Gegenstand vor- zugsweis chirurgischer Behandlung werden, bedürfen so- gar einer während gewisser Zeit innezuhaltenden Vorbe- reitungskur, deren hauptsächlicher Zweck auf dem Ent- ziehungswege realisirt wird, und kein denkender Chirurg möchte auf sie Verzicht leisten, weil Erfahrungen ihm lehren, einen wie wohlthätigen Einfluss sie auf den ganzen Verlauf zu unternehmenden Operation der ausüben. Wie- derum giebt es andere Krankheiten, die überhaupt ledig- lich nur mit Hülfe der Diätbeschränkung u. s. w. be- handelt werden können. Ich will die vornehmsten der hierher gehörigen Zu- stände namhaft machen. Einer mittelst Entzichung vorbereitenden Kur be- dürfen alle mächtig eingreifenden Operationen, insonder- heit wenn sie bei plethorischen Individuen angestellt wer- den sollen. Dahin gehören die Operationen des Steinschnittes vor allen Dingen, manche der wichtigeren Exstirpationen, Re- sektionen und Amputalionen, namentlich auch die Operation der Aneurysmen, so wie die meisten Augenoperalionen. Der Zweck dabei ist im Allgemeinen eine mässige Herabsetzung der Plastieität, um einer demnächstigen excessiven Reaktlions- Entzündung vorzubeugen. Die Kranken werden deshalb, wenn es nicht ausnahmsweis dekrepide, heruntergekom- mene Subjekte sind, auf ‚knappe Diät, viertel, halbe oder dreiviertel Kost gesetzt und man sorgt durch Eva- 317 kuantien für öftere ausreichende Entleerung. Desuner- achtet kann es während des Reaktionsstadiums nach der Operation geschehen, dass eine heflige örtliche Entzünd- ung folgt, begleitet von starkem Entzündungsfieber und die Erfahrung lehrt, dass oft allein ein Aderlass im Stande ist, die drohende Gefahr abzuwenden. Noch viel häufiger sieht man sich genöthigt, zu örtlichen Blutent- ziehungen seine Zuflucht zu nehmen. Was die Operationen der Katarakt oder anderer Ano- malien am Auge betrifft, so ist freilich anscheinend die Operation an sich keine so sehr eingreifende, doch weiss Jeder, wie enorme Entzündungen bis zu vollendeter Oph- thalmitis darnach erfolgen können, und eben so bekannt ist es, dass, was hier errette, in der anliphlogistischen Behandlung zu suchen. Bei der Ophthalmitis kann nicht allein ein, sondern sogar wiederholte Aderlässe nöthig werden. Die Apoplexieen am Auge, besonders das sogenannte Blutauge, wurden früher regelmässig mit Venäseklion be- handelt. Dieselben zeigten sich als kräftige Resorbentia. Spätere Beobachtung lehrte, dass auch spontan auf dem Naturwege durch Aufsaugung der resp. Bluterguss be- seitigt werden kann. Indess man sorge, dass nicht zu sehr der Naturwirkung vertraut werde. Es kommen Fälle vor, wo die Allektion sich spontan nur theilweis zurückbildet und später dann leicht anderweit unenge- nehme Zustände sich ausbilden. Der individuellen Be- urtheilungsgabe des Arztes muss es überlassen bleiben, zu entscheiden, wann eine Venäsektion indicirt sei, dass sie es ralionell sein könne, lehrt die Erfahrung. Ohne Entziehung direkter oder indirekter Art ist ferner eine Behandlung der meisten Arten von Amblyo- ie und Amaurose nicht möglich. Vor Allem gilt diess von den (überhaupt der Therapie noch am zugänglich- sten) Beginnstadien dieser Krankheiten, so wie denn in- sonderheit, wenn die Entstehungsursache in Störungen der Digestion und des Blutlebens prägnant begründet liegt. Hier wird es zur gänzlich unumgänglichen Noth- wendigkeit, jede, auch die geringste Kongestion zum Auge zu verhüten und die statthabende Neigung dazu rückgängig zu machen. In Anleitung dieser Aufgabe wird es nicht allein erforderlich, eine diätetische Entzieh- ungskur anzuordnen, beständig für reichliche Leibesöff- nung Sorge zu tragen, sondern in allen Fällen dring- licher Art eben so sehr, in rechlzeiligen örtlichen oder allgemeinen Blutentziehungen Hülfe zu suchen. Dass das ganze Verfahren je nach der gegebenen Individualität mo- dificirt sein wolle, ist selbstverständlich. Ich erwähne dieser Krankheit, obgleich sie nicht allein zu den in Rede stehenden chirurgischen Objekten, sondern gleichfalls zum Heilbereich des eigentlichen Me- dikers gehört, um im Zusammenhange das Hierherschlä- gige zu erörtern und bitte abermals, mich entschuldigen zu wollen, wenn ich mir noch eine Deviation erlaube und 318 die organischen Herzkrankheiten, als einer ähnlichen Kon- dition unterstehend,, nenne. Will Derjenige, der an einer ausgebildeten organi- schen Herzkrankheit leidet, nicht allein vor plötzlichen Gefahren sich möglichst sicher stellen, sondern überhaupt eines relativen Wohlseins sich erfreuen und den frequen- ten Beschwerden entgehen, die so konstante Begleiter des fraglichen Vebels sind, so hat er die difizile Aufgabe, mehr weniger ein perpeluirliches Abstinenz- oder Versag- ungsVerfahren zu beobachten. Er ist an eine strenge Diät verwiesen, hat unausgesetzt auf ausreichende Leibesöfl- nung zu achten und ist gehalten, in zeitweiligen örtlichen Blutentziehungen einen Vorbau zu suchen. Kommt es zu jenen tumultuarischen Auftritten, die bekanntlich so leicht dem Leben unmittelbar Gefahr drohen, so ist eine Venä- seklion die letzte Zuflucht. (Was insonderheit die örtlichen Blutentziehungen be- trifft, so werden wir im speciellen Theile sehen, dass sie gleichfalls unentbehrlich sind in der Lungen- und vor- zugsweis in der Kehlkopf-Schwindsucht.) Für Kranke, die an ausgebildeten organischen Herz- übeln leiden, entbehrt Hamernik's Therapie der wich- tigsten Hülfsmittel. Es ist bekannt, in welcher Weise man früher durch- schnittlich die Aneurysmen, wenn nicht operirt werden sollte oder konnte, zu behandeln pflegte. Man verfuhr palliativ, indem man die Reproduktion beschränkte. Dass dabei hin und wieder Missgriffe mögen vorgekommen sein, will ich nicht verneinen, vollkommen rationell darf man indess behaupten, dass eine vernünftige antiplastische The- rapie der innern Aneurysmen heute, wie ehedem, zu den unentbehrlichen Methoden der Behandlung zählt. Ich nenne noch eine Krankheit, die in Hinblick auf Hamernik’s Verfahren Beachtung verdient. Es ist die Analfıssur. Jeder praktische Arzt weiss, wie grosse Qualen die an sich, d.h. in Ansehung ihrer chirurgi- schen Intensität im Ganzen unbedeutenderen Verletzungen des Zusammenhanges an der genannten Partie hervorzu- rufen vermögen, so sehr selbst, dass die daran Leiden- den bei jedesmaliger Stuhlentleerung in eine enorme Angst und Aufregung gerathen, besonders dann, wenn die Konsistenz der Entleerungen höheren Grades ist. Harte Exkreta bedingen jedesmal einen starken Reiz an der kranken Stelle und unterhalten eine fortdauernde Hy- perämie, wodurch wesentlich die Verheilung behindert wird. Das Hauptsächlichste, was der Arzt, um sowohl Letzterem vorzubeugen, also möglichst die Heilung zu fördern, wie andererseits, um den Kranken enorme Schmer- zen zu ersparen, zu thun hat, besteht in einer konti- nuirlichen Sorge für allemal weiche, unmerkliche Bva- kuation, die zumal bei den zu Torpidilät des Darmkanals Disponirten nicht anders als durch fortgesetzten Gebranch (von Lavements und) von Abführmitteln zu erreichen ist. Dass dabei gleichzeitig auf die Qualität der zur Er- 319 nährung dienenden Stoffe die nöthige Aufmerksamkeit zu richten, ist begreiflich, Gleichsam der Vollständigkeit wegen möchte ich noch auf eine therapeutische Encheirese der Mäeutik (d. h. Geburts- hülfe. Red.) hinweisen, die nach der Analogie, wie man auch inneren Tumoren entgegen zu wirken sucht, aufkunstgemässe Eingrenzung der Nutrition sich stützt. Es ist diess die von bedeutenden Mäeutikern zur Ausführung gebrachte Anti- phlogistik in Betreff solcher Schwangeren, die wegen ab- soluter Beckenenge eine voll genährte Frucht nicht wür- den gebären können. Ohne mich auf die bezüglichen Kontroversen hier weiter einlassen zu können, muss ich bekennen, dass ich unter Umständen, wenn z. B. der Kaiserschnitt nicht gestattet wird oder unräthlich er- scheint, das gedachte Verfahren für durchaus rationell halte. Der physiologische Ernährungsprozess kann sehr wohl herabgesetzt werden, ohne darum pathologische oder die von Hamernik gefürchteten Folgen gefährlicher Ab- schwächung nach sich zu ziehen. Ich habe mich hier nur im Allgemeinen auf einige der hauptsächlichsten Vorkommnisse bezogen, die vom chirurgischen Standpunkte aus in Betracht kommen. Man- che nähere Erörterung wird in der speciellen Therapie noch Platz finden. Aber schon vorläufig dürfte so viel mit Sicherheit aus dem Gesagten resultiren, dass im Grossen mit dem Wesen pathologischer Zustände die Ex- klusivität, die sich in Hamernik’s Heilmethode aus- spricht, unvereinbar ist. Mag man auch häufig damit zum Ziel gelangen können, warum soll man es abso- lut und immer? warum, wenn sich bequemere, ge- mässere und von Naturbeobachtung angebahnte Wege er- öffnen? warum auch da, wo sich Hemmungen und Ge- fahren obruiren , die andern Methoden fern bleiben ?“ Miscellen. Zur Begründung der Zweckmässigkeit der ver- dünnten Formen der Arzneimittel bedient sich B. Bell des Beispiels des Eisens. Um Stoffe in das Blut über- zuführen, ist die mildeste Lösungsflüssigkeit das zweckmäs- sigste exhibens; denn je milder, desto rascher wird sie ab- sorbirt. Die Absorption richtet sich aber nach dem Bedarf 320 des Organismus an dem bezüglichen Stoffe; unorganische Stoffe werden daher nur in kleinen Mengen absorbirt, z. B. Eisen. Dieses ist ein Bestandtheil des Hämatins, von wel- chem 2 proMille im Blut enthalten ist, während das Häma- tin 6—8 Procent Eisen enthält. Rechnet man die Blutmenge des Körpers zu 25 Pfund, so ergiebt diess 30 Gran Eisen. Bei Anämie ist die Eisenmenge vermindert; es müssen aber schon einige Gran Eisen in geeigneter Verdünnung genügen, den mangelnden Bedarf zu decken. Deswegen genügen die Stahlquellen ebenso gut, wie grössere Gaben Eisen in Substanz. Pyrmont enthält 1 Gran Eisen in 1 Nösel Wasser. Dieser Gran wird mit dem Wasser leicht und rasch in die Blutmasse aufgenommen und erklärt die kräftige Wirkung des Wassers bei Chlorosen. (Edinb. med. Journ. 1856. Jan.) Zur Kur der Dammrisse jeder Ausdehnung verwirft Hr. Danyau wie Hr. Nelaton das frühere Verfahren der Anfrischung (oder Abtragung) der Wundränder. In allen, selbst älteren Fällen erfolgt die Vereinigung vom Wundwin- kel aus gegen die Aperlura vaginae hin, sowie man die Wundflächen nur unbeweglich in Berührung hält, entweder mittelst der Sutur oder nur durch die Lagerung. Wenn die alten Wundflächen nicht hinreichend kräftige Granulationen zeigen, so erregt man diese durch Betupfen mit Höllenstein, aber selbst in diesen Fällen ist in der Regel die Sutur nicht nöthig und man reicht mit sorgfältiger Unbeweglichkeit der Theile aus, wozu es zweckmässi ist, durch knappe Diät und öftere Gaben Opiums für einige Tage den Stuhlgang zu un- terdrücken. (Journ. de med. de Bordeaux Juillet. 1856.) Heilung der Epilepsie durch Trepanation. Mr. Hayer Agnad, am Spital zu Philadelphia, hat einen kräftigen jungen Mann von 24 Jahren operirt, welcher seit 41 Jahren an häufigen epileptischen Anfällen litt. Die Krank- heit hatte sich in Folge eines hefligen Schlages auf den Kopf entwickelt und die Anfälle waren nach und nach äusserst heflig geworden. Es fand sich am Kopfe eine merkliche De- pression. Auf diese wurde eine Trepankrone angesetzt. Die innere Knochenplatte zeigte die Spuren eines früheren stern- förmigen Bruches. Nach der Heilung der Wunde nahmen nun die Anfälle an Frequenz und Stärke täglich ab und die vollständige Heilung scheint nahe bevorzustehen. (The me- dical Examiner. Philadelphia. April 1856.) Zur Behandlung der Cancroide oder krebsähn- lichen, aber heilbaren Geschwülste empfiehlt Chassaignac die wiener Paste, die dick angemacht und in einem gefen- sterten Pflaster angewendet wird; nach 5 Minuten wird sie sorgfältig entfernt und die geätzte Stelle mit einer Scheibe Feuerschwamm bedeckt, wobei diese fest aufgedrückt wird, nach 3—4 Wochen fällt der trockne Schorf ab und es bleibt eine trockne Aetzfläche zurück. Bibliographische Neuigkeiten. N. — Verhandl. d. zoologisch- botanischen Vereins in Wien. 6. Bd. 1856. gr. 8. In Comm. bei Braumüller in Wien. 1 Thlr. 4 Sgr. Das Dasein einer freien Macht, eines Geistes, vom Stand- punkte der Naturwissenschaften. 8. Schmid in Querfurt, 1857. % Thlr. Memoires de la Societ& imperiale des sciences nalurelles de Cherbourg. 3 Vol. 8. Paris, J. B. Bailliere. 9 Fr. EI. — H. Haeser, Geschichte christlicher Krankenpflege und Pflegerschaften. 8. Berlin, Besser’sche Buchh, (Hertz), 1857. 34 Thlr. R. Finkenstein, Die Volkskrankheiten nebst einer Anleitung, wie man sich bei ihnen zu verhalten hat. gr, 8. Clar in Oppeln. 4 Thlr. Die Wasserversorgung Berlins und die neuen Wasserweıke in ihrer Bedeutung für Häuslichkeit u. Familienwohl. Decker’- sche G. 0.-Hofbuchdr. in Berlin, 1857. 1, Thlr. Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena. Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. I. Band Ne 21. Naturkunde. Miscelle. Bartlett, Untersuchung von Dronteknochen. Bibliographie. Gluge, Ueber die angebliche Gerinnung des Blutes nach Durchschneidung des Nerv. sympathicus. — — Heilkunde. W. Vogt, Aetiologie der Ruhr. — Naturkunde. Ueber die angebliche Gerinnung des Blutes nach Durchschneidung des N. sympathicus. Von Prof. Dr. Gluge (Brüssel). Die Physiologie hat wegen der zusammengesetzten Erscheinungen derselben mehr Zeit zu ihrer Ausbildung erfordert als andere Doctrinen, so z. B. ist die Geologie am Ende des vorigen Jahrhunderts erst entstanden. Ue- berdiess hat die Annahme specieller Lebenskräfte bei den organisirten Körpern durch die Unbestimmtheit des Begriffes derselben verhindert, dass man die in den Na- turwissenschaften sonst bräuchlichen Methoden auch auf die Physiologie angewendet hat. Magendie hat eine methodische Experimentirkunst eingeführt, später haben ausgezeichnete Chemiker auch die chemische Analyse zur Erklärung der Processe des Lebens angewendet, doch hat diess (Verwechselung der organischen Chemie und der Physiologie) auch zu ernsten Irrthümern (Annahme der Nahrhaftigkeit von Gallerte, welche Magendie wider- legt hat) geführt. Nach Schwann’s Entdeckung der Rolle, welche die Zelle bei der Entwickelung der Gewebe spielt, musste auf's Neue der Einfluss studirt werden, welchen die Organisation auf die chemischen und physi- schen Eigenschaften des Körpers übt. Es zeigt sich da- bei, dass häufig die Resultate ganz andere sind als die, welche man im Laboratorium erhält. Claude Bernard hat in Frankreich diese Richt- ung mit Glück verfolgt und die Akademie zu Brüssel hat darauf hin eine Preisaufgabe ausgeschrieben, welche ver- langt, durch neue Experimente den Einfluss des Sympathicus auf die Ernährung zu stu- diren. A Es ist darauf eine in lateinischer Sprache geschrie- bene Arbeit eingeschickt worden, welche sich hauptsäch- lich dadurch bemerklich macht, dass sie die Mittheilung der wichtigen Entdeckung enthält, dass die Durchschneid- ung des Sympathicus und Vagus am Halse eine raschere Gerinnung des vom Kopfe zurückfliessenden Blutes ver- anlasse, welches also durch diese Durchschneidung der Einwirkung des Nerv. sympathicus entzogen ist. Der Verf. hat 5 Experimente (an 2 Pferden und 3 Kälbern) gemacht, aber nur 3mal das erwähnte Resultat erlangt. Hr. Spring hat darauf aufmerksam gemacht, wie wichtig diese Entdeckung für die Pathologie sein würde, die Experimente mussten daher geprüft und constatirt werden. Hr. Schwann hat diess unternommen, aber nur negative Resultate erlangt. Da aber diese Experi- mente nur an kleinen Thieren angestellt worden sind, so schloss er daraus nicht unmittelbar gegen die Angabe der erwähnten Abhandlung, sondern verlangte nur neue und bestimmtere Proben. Dr. Gluge, als 3. Mitglied der Commission, hielt es daher für entsprechend, neue Ex- perimente ganz unter denselben Bedingungen, wie der Verf. der Abhandlung, anzustellen; diess geschah auf der Thierarzneischule in Brüssel. 1. Dec. 1856. An der Mitte des Halses linkerseits wurde der Sym- pathicus und Vagus um 10) Uhr durchschnitten. Vor der Operation hatte das Ohr eine Temperatur von + 33°,25, nach der Operation 34° und reichliche Transpi- ration auf der operirten Seite. — Darauf wurde die linke Drosselader an 2 Stellen mit Ligaturen umgeben. Die untere wurde zusammengezogen und um 10 Uhr 23 Min. ein Einstich gemacht und das Blut in einem Glas von + 16° C. aufgefangen; hierauf wurde die Blutung durch Schliessung der oberen Ligatur gehemmt. _ 21 1. Versuch an einem Pferde. 323 Um 10 Uhr 31 Min. wurde aus der rechten Dros- selader Blut gelassen und das Blut in einem Glas von gleicher Dimension und Temperatur aufgefangen. Das Blut der linken operirten Seite verdickt sich um 10 U. 33 M. rasch, so dass schon 2 M. nach der Operation der Fin- ger schwer in dasselbe ein- dringt. Um 10 U. 43 M. ist das Coagulum fest und hat die Gestalt des Glases angenom- men. Um 11 U. 26 M. ist das Coagulum von einer 15 Mil- lim. hohen Schicht Serum bedeckt. der rechten Seite fängt erst 10 U. 35 M. (also 4 M. nach der Operation) an sich zu verdicken. Um 10 U. 43 M. dringt der Finger noch mit Leich- tigkeit in das Blut ein, wel- ches noch keine zusammen- hängende Masse darstellt. Um 11 U. 26 M. von ei- ner Serumschicht von nur 5 Mm. bedeckt. Noch Tages darauf zeigt sich ein grosser Unter- schied in der Quantität des abgeschiedenen Serums. Of- fenbar war hier die Coagulation langsamer in dem aus der nicht operirten Seite des Körpers genommenen Blute. 2. Versuch an einem Pferde. Der N. sympathicus allein wurde auf der linken Seite an der Mitte des Halses durchschnitten, um 10 U. 49 M. Das Blut wurde aus der linken Drosselvene hier wie beim 1. und allen übrigen Versuchen ganz mit den- selben Vorsichtsmaassregeln um 10 U. 56 M. entnommen; ebenfalls um 10 U. 56 M. wurde ebenso Blut aus der rechten Drosselader abgelassen. Das Blut der linken operirten Seite der rechten Seite beginnt 10 U. 59 M. sich zu verdieken, und zeigt etwas mehr Resistenz als das Blut der linken Seite. beginnt sich zu verdicken 10 U. 59 M., zeigt aber bald danach etwas weniger Resi- stenz als das Blut der rech- ten Seite. Um 11 Uhr 2 Min. werden hierauf beide Gläser aus- geleert: das unvollständig coagulirte das coagulirte Blut bildet ei- Blut bildet noch keine zu- nen genauen Abguss des Ge- sammenhängende Masse. fässes. Hier hat also die Gerinnung bei beiden Arten des Blutes zugleich begonnen, aber sie ist bei dem Blute der nicht operirten Seite rascher vor sich gegangen. Während bei diesen beiden Versuchen die Pferde lagen, blieben sie bei den folgenden 4 Versuchen stehen. 3. Versuch an einem Pferde. 8. Dechr. Durchschneidung des Sympathicus und Vagus auf der linken Seite des Halses um 9 Uhr 48 Min. Merk- 324 liche Temperaturerhöhung selbst für das Gefühl der Hand, reichliche Transpiration auf derselben Seite des Kopfes. Blutentziehung auf derselben Seite 9 Uhr 59 Min. (jedesmal ein halbes Litre, wobei sich, wie gewöhnlich gleich der dunkle Theil des Blutes von der oben auflie- genden gelblichen Faserstofischicht schied), 10 U. 1 M. flüssig 10:.0426-M.. , 10 U.14M. ,„ 102U.2135M5 € 5, 10 U.24M. ,„ 10H ST. MIT % 10 U I. die Gerinnung beginnt mit einer dünnen Faserstoffhaut, worunter das Blut flüs- sig ist. 10 U. 47 M. die Gerinnung findet langsam statt. 11 U. 6 M. die Thermometerkugel dringt noch leicht ein. bildet das Blut einen noch weichen Klum- pen ohne abgeschiedenes Serum. Blutentziehung auf der anderen Seite 9 U. 52 M. 10 U. 1 M. flüssiges Blut. 100. 6M. 10 U. 10 M. 4m SAME ” ” Anfang der Gerinnung, das Blut hängt nicht mehr an dem Finger an. das Blut bildet einen zusammenhängenden Klumpen von der Gestalt des Gefässes und lässt sich nicht ausleeren. Die Abscheid- ung des Serums beginnt. Das Blut der nicht operirten Seite ist also rascher coagulirt als auf der operirten Seite, nämlich 18 Min. nach dem Aderlass, dagegen auf der operirten Seite erst 44 Min. nach dem Aderlass. 10 U. 43 M. 4. Versuch an einem Pferde. Durchschneidung des Sympathicus und Vagus auf der linken Seite um 10 Uhr. — Erhöhung der Tempe- ratur und Transpiration auf derselben Kopfseite. Aderlass auf der linken Seite 10 U. 11 M. 10 U. 17 M. flüssiges Blut. 10 U. 20 M. Bn 5 10 U. 27 M. die Gerinnung beginnt in der ganzen Masse. Aderlass auf der rechten Seite 10 U. 4 M. 10 U. 17 M. flüssiges Blut. 10 U. 20 M. R en 10 U. 27 M. die Gerinnung beginnt in der ganzen Masse, Die Gerinnung erfolgte also auf der operirten Seite um 7 M. früher. 5. Versuch an einem Pferde. Durchschneidung des Sympathicus und Vagus an der linken Seite des Halses 10 U. 9 M. — Erhöhung der Temperatur und Transpiralion an der entsprechenden Kopfseite. Aderlass um 10 U. 19 M. . 29 M. flüssiges Blut. . 32 M. „ ” 85) M. 5 4 . 37 M. Beginn der Gerinnung. . 55 M. weiches, wenig zusammenhängendes Ge- rinnsel. Aderlass auf der rechten Seite um 10 U. 14 M. Die Venenöffnung war kleiner als auf der entgegen- gesetzten Seite. Blutklumpen und Kruste haben sich nicht vollständig getrennt. Um 10 U. 46 M. hat sich der Klumpen gebildet und das Serum abgeschieden; es liess sich das (rascher coagulirte) Blut nicht mehr aus dem Gefässe ausschütten, die Coagulation war also auf der operirten Seite langsamer als auf der entgegengesetz- ten Seite. 6. Versuch an einem Pferde. Durchschneidung beider Nerven an der linken Seite des Halses um 10 Uhr 23 Min. Temperaturerhöhung und Transpiration an derselben Seite des Kopfes. Aderlass um 10 U. 27 Min. 10 U. 27 M. flüssiges Blut. 10 U. 32 M. = @ 10 U. 45 M. “ ie 10 U. 47 M. an a 10 U. 58 M. Beginn der Gerinnung. 41 U. 9 M. die Thermometerkugel dringt nicht mehr ein; kein Serum. 41 U. 40 M. das Coagulum treibt Serum aus. Aderlass auf der rechten Seite 10 U. 27 M. gleich- zeitig mit dem der anderen Seite. .40 U. 27 M. flüssiges Blut, 410U.32M. ,„ E 410 U. 42 M. die Gerinnung beginnt stark. 40 U. 45 M. die Gerinnung macht rasche Fortschritte. 40 U. 47 M. der Klumpen hat die Form des Glases. 41 U. 9 M. das Coagulum treibt Serum aus. Bei diesem Versuche gerann das Blut der operirten Seite langsamer; es fand eine Verzögerung von 16 Min. stalt. 3% 7. Versuch an einem Hunde. (Temperatur im Ohr: 32° C.) Durchschneidung des Sympathicus, welcher vom Vagus getrennt wurde, auf der rechten Seite um 11 U. 20 M., Temperatur im Ohr nach der Operation 350 C. Aderlass von 2 Unzen. 11 U. 23 M. — Es be- gann die Coagulation 11 U. 23, M. Aderlass auf der linken Seile 11 U. 28 M. Nach 5 M. begann die Gerinnung. Beide Arten des Blutes verhielten sich also gleich. 8. Versuch an einer Ziege. Durchschneidung des Sympathicus und Vagus am Hals rechterseits. 11 U. 35 M. Aderlass: 11 U. 45 M. 1 U. 47 M. die Gerinnung beginnt und kommt rasch zu Stande. Aderlass auf der linken Seite 11 U. 47 M. 11 U. 49 M. die Gerinnung beginnt und kommt rasch zu Stande. Es fand also keine Verschiedenheit in der Gerinnung beider Arten des Blutes statt. Bei dem 7. und 8. Ver- suche fehlte die Transpiration, bei dem 2. Versuche war darauf nicht geachtet worden. Fassen wir die Resultate dieser 8 Versuche zusam- men, so ergiebt sich, dass das Blut auf der operirten und nicht operirten Seite sich gleichzeitig coagulirt hat 3mal (1 Pferd, 1 Hund, 1 Ziege); dass die Gerinnung auf der operirten Seite rascher erfolgte 2mal (2 Pferde), und dass das Blut auf der nicht operirten Seite rascher gerann 3mal (3 Pferde). — Man kann daher bis jetzt nicht zugeben, dass der N. sympathicus einen Einfluss auf die Coagulation des Blutes übe. Miscelle. Eine Sammlung von Dronteknochen hat Bartlett nach (Ann. mag. nat, hist. in d. Halle’schen Zischr. f. d, ges. Nat. 1855, 1.) untersucht und darin 3 Arten ungeflügelter Vögel auf der Insel Rodriguez erkannt: 1) Didus ineptus; 2) den unter dem Namen Solitaire bekannten Vogel und 3) einen neuen viel grösseren. Heilkunde. Aetiologie der Ruhr. Yon Prof. Dr. W. Vogt (Bern). Wie kennen die Ruhr schon so lange, als etwas von medicinischer Wissenschaft besteht, können aber doch nicht so evident von bestimmten Ursachen sie ableiten, wie die Hiebwunde von dem Sübel. Es ist dies der gleiche Fall mit den meisten inneren spontanen Krankheiten. Wir können da nur aus vielfältiger Vergleichung der Verhält- nisse und Umstände, unter welchen die Krankheit beob- achtet wurde, diejenigen ausmilteln, welche gewöhnlich bei ihrer Entstehung obwalten, und auf diesem Wege bis zu einem gewissen Grade von Wahrscheinlichkeit bestimmte Einflüsse als Ursachen der Krankheit annehmen. Gehen wir diesen Weg bei der Ruhr und nehmen wir zuerst ihr Auftreten als Epidemie, so muss uns zunächst ihr I. Atmosphärischer Ursprung einleuchten. Obgleich sie fast auf allen Punkten der Erde vorkommt, wo ärztliche Forschungen ar a a sind, ” i* 327 sehen wir sie doch um so häufiger, je weiter wir von Norden gegen Süden gehen. Sie ist eine Geissel der Tropenländer, in welchem Welitheile sie auch liegen mö- gen, und die wärmeren Gegenden Europas werden eben- falls weit öfter von ihr heimgesucht, als die kälteren. In den gemässigten Zonen Europas erscheinen in gewis- sen Jahren die Ruhrepidemieen und verschwinden dann wieder auf kürzere oder längere Zeit. Fragen wir nach den Witterungsverhältnissen in solchen Ruhrjahren, so finden wir gewöhnlich, dass ein heisser Sommer war, an dessen Ende und im Herbste, im August, September und October, die Epidemieen anfingen und dann im Winter erloschen. So war es, um nur besondere Ruhrjahre die- ses Jahrhunderts zu erwähnen, im Jahre 1800, 1811, 1814, 1822, 1825, 1834 und 1855. Es kann darum wohl keinem Zweifel unterliegen, dass grössere Wärme der Atmosphäre, eine gewisse Zeit hindurch auf die Men- schen wirkend, zum Auftreten der Ruhr Veranlassung geben muss. Ob dabei gleichzeitig Feuchtigkeit der At- mosphäre mitwirke und ein nothwendiges Moment für die Ruhrerzeugung sei, oder nur sie begünstige, wie mehr- fach behauptet wurde, ist ganz unermittelt. Geradezu für unwahr muss ich aber den Ausspruch Naumann’s erklären, dass die Ruhr in kalten und nassen Sommern häufiger sei. In den Tropengegenden sehen wir weiter zwei be- merkenswerthe Umstände. Die Ruhr kommt gewöhnlich bei grellen Witterungswechseln und Temperatursprüngen vor, und nicht akklimatisirte Personen werden am häufigsten und stärksten von ihr ergriffen. Im gemässigten Europa war gewöhnlich in den Ruhrjahren der Frühling kalt, rauh und länger als gewöhnlich andauernd, worauf dann ein mehr plötzlicher Uebergang zur stärkeren Sommerhitze stattfand. So im Jahr 1800, 1815, zum Theil auch im Jahr 1834, besonders aber 1855. Ungewöhnliche und ungewohnte Hitze nach vorgängiger Gewöhnung an eine gewisse Kälte wirken also mit bei der Entstehung der Ruhr. In den Ländern mit regelmässiger Abwechselung der Temperatur von Sommer und Winter machen die Men- schen einen ganz analogen Process durch, wie die Aus- wanderer nach einem Orte mit anderem Klima. Es ist bekannt, dass der Südländer, wenn er nach Norden aus- wandert, viel weniger von einer Auswanderungskrankheit gefährdet ist, als umgekehrt der Nordländer, wenn er gen Süden zieht. In den gemässigten Gegenden Europas sehen wir den geringsten Krankenstand bei einer andauern- den gewissen Gleichförmigkeit der Temperatur, besonders in den schlechteren Sommern, wo die Hitze nicht hoch steigt, und in den feuchten Wintern, wo es nicht zu grosser Kälte kommt. Im Herbste mehren sich die Kran- ken, und zwar um so stärker, je mehr die Witterung wechselt. Im Frühling aber ist immer die Krankenzahl am grössten, zumal bei öfteren Wechseln. Immer kom- men Krankheiten überhaupt häufiger und hefliger, je plötz- licher der Auswanderer in ein anderes Klima kommt, je greller die Temperaturwechsel der Atmosphäre eintreten, 328 besonders wenn die Uebergänge von einer Temperaturpe- riode in die andere nicht allmälig, sondern schnell erfol- gen. Ruhren aber kommen überall am leichtesten, wenn zuerst der Uebergang von der Kälte zur Wärme mehr grell eintritt und dann nach einiger Dauer der grösseren Wärme wieder plötzliche Temperaturwechsel vorkommen. Man hat die Ruhr oft für eine Erkältungskrankheit gehalten, weil sie bei uns gewöhnlich eintritt in der Jah- reszeit, wo die Tage heiss, aber die Nächte bereits kühl sind, weil sie in den südlichen Gegenden auch auf Er- hebungen über die Meeresfläche von ziemlichem Belang vorkommt, wo ebenfalls ein grosser Temperaturunterschied zwischen Tag und Nacht obwaltet, und weil auch öfter gerade bei plötzlichen Temperaturschwankungen gerade die Epidemieen ausbrechen oder neuen Aufschwung ge- winnen. Man findet aber in den gemässigten Gegenden keine Ruhrepidemieen im Frühling, wo doch die meisten Erkältungskrankheiten vorkommen, und bei genauer Nach- forschung weiss selten ein Ruhrkranker anzugeben, dass er nach einer Erkältung befallen worden sei. Das oben Gesagte führt vielmehr zum Schlusse, dass Einwirkung von Hitze erst vorhergehen, erst die Anlage zur Ruhr begründen müsse, bevor allenfalls durch eine Erkältung sie hervorgerufen werden kann. Will man die Umstände, dass in Folge heisser Som- mer auch überall die Ruhr ausbrechen müsse, wenn die Hitze eine Ursache derselben wäre, und dass in der That mancher heisse Sommer doch ohne Nachfolge der Ruhr bleibt und endlich selbst auch die ausgebrochenen Epide- mieen niemals ganz allgemeine Verbreitung finden, son- dern gewöhnlich auf einzelne Orte und Gegenden sich be- schränken, etwa benutzen, um überhaupt den atmosphä- rischen Ursprung der Ruhr und Einwirkung der Hitze bei demselben zu läugnen, so wäre damit auch der at- mosphärische Ursprung aller Krankheiten negirt. Wir sehen nämlich bei allen Krankheiten atmosphärischen Ur- sprungs ganz die analogen Umstände, wie bei der Ruhr. Wir wissen, dass Pneumonieen im Frühling auftauchen bei hohem Barometerstand, rauhem Nordostwind u. s. w., und darum doch nicht an allen Orten vorkommen, wo dieselbe Witterung herrschte; — dass Epidemieen von Typhoidfiebern in kühler, regnichter Herbstzeit an Orten ausbrechen, wo sich keine andere Ursache als der Wit- terungseinfluss auffinden lässt und dagegen andere Orte verschont bleiben u. s. w. Es ist eben die Witterung grösserer Gegenden von gleichem Klima doch nicht an allen Orten die gleiche, es wirkt dieselbe Witterung nicht gleich auf alle Individuen, und es wirken zur Entstehung und Ausbreitung von Epidemieen immer auch noch an- dere Umstände mit, die nicht an allen Orten diesel- ben sind. Noch viel weniger stichhaltig wäre es aber, wenn man darum den atmosphärischen Ursprung der Ruhr läug- nen wollte, weil wir ihn nicht sattsam erklären können. Einige Thatsachen haben wir wohl dazu, aber wir müs- sen lieber anerkennen, dass diese bei Weitem nicht aus- reichen, als die Lücke unseres Wissens mit einer glän- zenden Hypothese vertünchen. Es ist nämlich thatsäch- lich, dass bei fortgesetzter gewohnter Ernährung und Lebensweise die Einwirkung anhaltender Hitze nach vor- gängiger Kälte den Verbrauch der kohlenstoffgen Sub- stanzen im Körper mindert und darum einen grösseren Vorratl, einen gewissen Ueberfluss derselben hervorbringt. Der Körper sucht auf verschiedenen Wegen, und beson- ders auch durch die Unterleibsorgane, durch die reichli- chere Gallenabsonderung und durch die Darmschleimhaut vermittelst der Diarrhöen, diesen Ueberschuss an Kohlenstoff zu entfernen. Polycholie und Darmkatarrhe sind bekanntlich die leichteren Krankheiten der Einwanderer in die Tropenge- genden und sind auch häufiger bei uns in warmen Sommern, als in anderen Jahreszeiten und in anderen Jahren. Bei den tropischen Ruhren sind die Leberaffectionen ungemein häufig (die Dysenteria hepatica der Autoren), und auch in den gemässigten Zonen finden sich sehr häufig im Anfange der Ruhr reichliche Gallenabgänge und bei den Sectionen solcher Fälle Anfüllungen der Gallenblase und Gallengänge mit saturirter Galle. Diarrhöen gehen sehr oft den Ruhren allwärts voraus, verbinden sich oft mit derselben, ersetzen sie, indem das eigentliche Ruhrleiden sich gar nicht ausbildet u. s. w., so dass die indischen Aerzte zur Behauptung kamen, Diarrhöe und Ruhr flös- sen dergestalt in einander, dass sie weder in symploma- tologischer, noch in anatomisch - pathologischer Beziehung sich trennen liessen. Bei den Einwanderern in die Tro- pengegenden macht sich die Einwirkung der ungewohnten Hitze ungleich mehr geltend, als bei uns, und das kirsch- rothe, wenig gerinnbare Blut, welches man bei densel- ben manchmal wahrgenommen hat, mag andeuten, dass man dort vielleicht eine chemisch nachweisbare Verän- ‘derung des Blutes in Folge der Hitze finden könnte. Bei uns aber ist diese Veränderung nicht so gross, dass man sie bis jetzt durch chemische Untersuchungen hätte con- staliren können. Indem wir Act nehmen von diesen bei- den Thatsachen, nämlich von einer wahrscheinlichen Blut- veränderung durch Kohlenstofanhäufung im Blute, welche ihren Beitrag liefert zur Entstehung der Ruhrdisposition, und von der Neigung der Organismen, durch Ausschei- dungen der Leber und der Darmschleimhauf die Kohlen- stoflmenge im Körper zu vermindern und dadurch die Lo- ealisation der Krankheitsprocesse auf diese Organe hinzu- lenken, müssen wir uns fürerst gegen die Meinung ver- wahren, als wollten wir daraus einen sogenannten gal- lichten oder gastrischen Ursprung der Ruhr ableiten. Wir werden bei den verschiedenen Arten derselben auf diese Ansicht zurückkommen und uns näher darüber ausspre- chen. Ebenso wenig lässt sich aus diesen Thatsachen schon die Ruhrdisposition selbst und ihre Entstehung hin- länglich erklären. Wir dürfen selbst nicht in der Wis- senschaft diejenigen Thatsachen fallen lassen, welche ge- rade nicht für den angegebenen atmosphärischen Ursprung der Ruhr sprechen, wie z. B. dass Ruhrepidemieen ver- misst wurden, wo ein schlechtes Frübjahr und heisser 330 Sommer sie vermuthen liessen, und wieder zum Vorschein kamen, wo die vorhergegangene Witterung nicht zu ihrer Erwartung berechtigte. Es kann dies nicht beweisen, dass die Sommerhitze keinen Antheil an der Entstehung der Ruhr habe, wohl aber darlhun, dass noch andere Momente dazu mitwirken und unter gewissen unbekann- ten Umständen auch schon von sich aus zur Ruhr füh- ren können. Noch mehr werden wir auf solche uns noch unbekannte Momente zur Ruhrbildung hingewiesen durch den Umstand, dass wir zur Zeit der Herrschaft einer Epidemie immer noch viele Individuen finden, die unter denselben Witterungs- und sonstigen Verhältnissen an anderen unzweifelhaften Witterungskrankheiten, wie z. B. an Brustkatarrhen, Rheumatismen u. s. w. leiden. Selbst bei der grossen, weitverbreiteten Epidemie der Ruhr von 1834 war dies in Würtemberg der Fall. Wenn einmal Kuhrepidemieen Wurzel gefasst und gehörige Ausbreitung gewonnen haben, so setzen sie sich gern in den nachfolgenden Jahren fort, seltener an dem- selben, als vielmehr an anderen Orten. Die zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts und die erste Hälfte des jetzi- gen, namentlich die Jahre 1762, 63, 68, 69, 70, 78, 79, 84, 85, 86, 92, 93, 94, 95 u.s.w., 1810, 11, 12, 13, 17, 18, 19 u.s.w. zeigen uns solche fortge- setzte Ruhrepidemieen an verschiedenen Orten und in ver- schiedenen Ländern. Bei diesen Fortsetzungen der Epi- demieen lässt sich keine miasmatische oder contagiöse erste Entstehung nachweisen. Nachdem die Epidemie an einem Orte im Winter ganz erloschen war, tauchte sie im fol- genden Herbst auf ganz gleiche Weise an einem anderen Orte auf, und zwar oft in so grosser Entfernung, dass an eine Fortsetzung durch irgend eine Infection nicht zu denken war. Die grosse Epidemie von 1834 herrschte auch an vielen Orten der Schweiz, besonders an den Ufern des Genfersees, aber in Bern kam sie erst im Jahre 1835 und 36 zur Entstehung und Ausbreitung. Nimmt man noch hinzu, dass auch primitive Ruhrepide- mieen bisweilen erst ein Jahr nach einem heissen Som- mer zum Ausbruch kamen, so führt dies uns zum Schlusse, dass nicht allein die einmal gepflanzte Disposition zur Ruhr nicht sofort bald wieder erlischt, sondern auch wohl eine gewisse Zeit schlummern kann, bis sie durch andere hinzutretende Momente erweckt wird. Wenn die Ruhr hauptsächlich durch atmosphärische Einflüsse entsteht und sich verbreitet, so geschieht dies oft auf eine Weise wie bei der Grippe. Nachdem erst vereinzelte Fälle sich zeigten, gewinnt sie plötzlich eine Ausbreitung an vielen Punkten des Ortes, ohne dass sich irgend eine Infection nachweisen oder auch nur denken lässt. Bei der Epidemie des Jahres 1855 in Bern, an diesem trocken und luftig gelegenen Orte, kamen zuerst im Anfang Juli vereinzelte Fälle bei Proletariern vor. Vom 9. bis 15. Juli aber entstand die Krankheit nun plötzlich an allen Punkten der Stadt, wohin unmöglich eine Uebertragung von den ersten einzelnen Fällen ge- langt sein konnte, bei Individuen des verschiedensten Al- 331 ters, der verschiedensten Constitution, der verschiedensten Lebensweise, die alle wieder verschiedene Gelegenheits- ursachen der Krankheit angeben. Bei solcher Verbreitung lässt sich nur an einen ‘atmosphärischen Einfluss denken, der eine allgemeine, jedoch bei den einzelnen Individuen ihrem Grade nach sehr ungleiche Disposition begründet hatte, welche sofort durch Gelegenheitsursachen zum Aus- bruch gebracht wurde. U. Der endemische, tellurische oder mias- matische Ursprung. Wir beschränken den Ausdruck Miasma auf diejeni- gen Hüchligen ‚Stoffe, welche von Boden- oder Sumpf- Ausdünstung der Luft mitgetheilt werden und Krankhei- ten erzeugen. Die sogenannte Malaria gehört in diese Kategorie. Untersuchungen über deren Natur und Ent- stehung gehören nicht hierher, sondern nur die Frage, ob und wie etwa aus den Beobachtungen eine Wirkung derselben auf Erzeugung der Ruhr sich ergiebt. Betrachten wir nun in dieser Beziehung die Mala- riagegenden verschiedener Himmelsstriche, so findet sich der Ausspruch Bamberger’s: „Auffallend und durch zahlreiche Beobachtungen sicher gestellt ist der Umstand, dass alle Gegenden, in denen auch das Wechselfieber en- demisch ist, von der Ruhr besonders heimgesucht wer- den, was wohl auf eine gewisse Gleichheit der ursächli- chen Momente schliessen lässt,‘ durchaus nicht bestäligt. Die Wechselfiebergegenden Mitteleuropas haben nur zu gewissen Zeiten und namentlich nach solchen Witte- rungsvorgängen, wie sie oben aus einander gesetzt wur- den, Ruhrepidemieen. Die Ruhr ist also daselbst durch- aus nicht eine so stationäre Krankheit, wie das Wech- selfieber. Die medicinische Geographie und Statistik ha- ben bis jetzt nicht herausgestellt, dass dort die Ruhrepi- demieen verhältnissmässig häufiger vorkommen, wie an andern von der Malaria ganz freien Orten. Man nehme nur Holland, dieses eigentliche Vaterland der Wechselfie- ber, zum Beispiel, und man wird finden, dass dort die Ruhrepidemieen nicht häufiger sind, als anderwärts. Sie treten hingegen schon öfter auf in den nördlichen Fie- berregionen, wo die Winter kalt, die Sommer sehr heiss sind, wie z. B. in Dorpat, am mehreren Orten Nord- amerikas u. s. w. Gehen wir in die Regionen der sogenannten Remil- tirfeber, in die wärmeren Gegenden Europas, wie na- mentlich in die Küstenländer des Mittelmeeres, Ungarn, Italien, südliches Frankreich, Spanien u. s. w., so kom- men hier allerdings schon viel häufiger Ruhren vor, als in allen nördlichen Gegenden, und gefährden daselbst am meisten die noch nicht akklimatisirten Einwanderer. Ganz gleich verhalten sich die nicht gerade tropischen Gegen- den Amerikas, Asiens und Afrikas, sowie alle wirkliche aussereuropäische Tropengegenden — nämlich je weiter südlich, desto mehr Ruhren. Aus dem Vorkommen der Ruhr in diesen Ländern schloss man hauptsächlich, dass die Malaria, wenn auch 332 nicht die alleinige, so doch die hauptsächlichste Ursache der Ruhr sei. Hirsch suchte dies in einer vortreffli- chen Abhandlung nachzuweisen, worin mit umfassender Belesenheit alle bis jetzt uns bekannt gewordenen Nach- richten über die endemische Verbreitung der Ruhr zu- sammengestellt sind *). Wenn wir denselben mit Auf- merksamkeit und ohne vorgefasste Meinung folgen, so ergiebt sich Folgendes: Nur durch europäische Aerzte, besonders durch eng- lische und französische Militärärzte, sind wir von den in jenen Gegenden herrschenden Krankheiten unterrichtet. Sie haben ihre Beobachtungen hauptsächlich in den Kü- siengegenden gemacht und nur die Minderzahl derselben drang in einzelnen Ländern tiefer in das Innere dersel- ben ein, so dass unsere Nachrichten immer dürftiger wer- den, je weiter man von den Küsten landeinwärts geht. Diese Küsten bestehen nun grossentheils aus sumpfigen Niederungen, wo die Malaria herrschend ist und die mei- sten fieberhaften Krankheiten erzeugt. Die Malariafieber iheilen dort die Herrschaft mit der Ruhr und verbinden sich mit derselben in ganz ähnlicher Weise, wie unsere Typhen und Wechselfieber, am häufigsten so, dass die Ruhr diesen Fiebern nachfolgt oder die davon Reconva- lescirenden befällt. Am häufigsten werden die nicht ak- klimatisirten Ankömmlinge aus nördlichen Ländern spo- radisch von ihr befallen, jedoch durchaus nicht ausschlies- send, indem auch immer einzelne Eingeborene daran lei- den. Grösstentheils ist die Ruhr bei den Nichtakklimati- sirten auch mehr bösartig, nämlich die von einzelnen Autoren speciell Malariaruhr genannte Art, im Gegensatz zu der sogenannten entzündlichen und weniger gefährli- chen Ruhr, die hauptsächlich bei den Eingeborenen und in den nicht von der Malaria beherrschten Gegenden vor- kommt. Wenn jedoch die Ruhr zur epidemischen Ver- breitung gelangt, trifft sie Einheimische und Fremde in. eben so verschiedenen Gradationen, wie sie auch bei un- seren Ruhrepidemieen stattfinden. Bleiben wir fürerst einmal bei diesen Thatsachen stehen, so ergiebb sich: a) Die Ruhr verhält sich dort nicht zu den Einhei- mischen und Fremden, wie die Malariafieber. Diese letz- teren befallen hauptsächlich nur die Fremden, und wenn sie auch in manchen Jahren in epidemischer Verbreitung auf die Einheimischen übergehen, werden sie bei densel- ben niemals so bösartig und gefährlich. Am deutlichsten zeigt sich dieses z. B. auf Cuba, wo Europäer und Nord- amerikaner fast’ immer von dem äusserst bösartigen gel- ben Fieber befallen werden, während die Einheimischen nur an leichten, sog. gallichten Remittirfiebern leiden **). b) Die häufigeren und bösarligeren Erkrankungen der Fremden erklären sich ohne die Hinzunahme der Ma- *) Die Ruhr nach ihrem endemischen und epidemischen Vorkommen vom äliologisch-palhologischen Standpunkte. Prag. Vierteljahrschrift, X. Jahrgg..1855, Bd. 11, S. 73. #5) Jörg, Ueber die Krankheiten der Tropenländer. laria aus zwei andern Umständen. Jeder nach dem Sü- den verselzte Nordländer kommt in dieselben Verhältnisse, wie unsere Bevölkerung durch einen heissen Sommer nach vorausgegangenem hartem Winter und rauhem Frühling, wo die Disposition zur Ruhr sich ausbildet. Die unge- wohnte und anhaltende Hitze in den südlichen Gegenden macht bei den dorthin gelangten und ihre sonst gewohnte Lebensweise beibehaltenden Fremden stets jene oben be- rührte Blutveränderung, welche neben der Disposition zur Ruhr auch durch die Tendenz zur Zersetzung zugleich noch die grössere Bösarligkeit der akuten Krankheiten überhaupt bedingt. Trifft dazu noch den Fremden die Einwirkung von fauligem Sumpfmiasma, so wird die Ten- denz zur Zersetzung der Blutmasse noch vermehrt und die aus anderen Ursachen auf solchem Boden erzeugte Ruhr um so bösartiger, c) Auf Jamaica und mehreren anderen Antillen fin- det sich die Ruhr gerade in Regionen, wo keine Fieber herrschen, und wo hingegen diese vorwalten, keine Ruhr, MeMullin kommt darum schon zur Bemerkung, dass die Sumpfausdünstungen Fieber erzeugten, häufige und starke Temperaturwechsel hingegen die Ruhr, weshalb diese an den malariafreien Orten sich vorfinde. d) Auch in anderen Tropengegenden beschränkt sich die Ruhr durchaus nicht auf den sogenannten Malariabo- den, sondern geht auch auf die sonst gesunden und trok- kenen Gegenden über, welches namentlich in Ostindien deutlich beobachtet worden ist. e) Abgesehen davon, dass schon viele Beobachter der Ruhr in Tropengegenden sie von grellen Tempera- turschwankungen ableiten, berichten doch beinahe alle anderen, die sie vom Einwirken der Malaria entstehen lassen, dass sie auch in den Sumpfgegenden hauptsäch- - lich nur beim Eintritt der kühleren Jahreszeit, bei küh- len Nächten nach sehr heissen Tagen und überhaupt nach bedeutenden Temperaturschwankungen aufzutreten pflege. f) Selbst an den verrufenen Westküsten von Afrika, in Senegambien, Sierra Leona u. s. w., wo fast alle Eu- ropäer an bösarliger Ruhr zu Grunde gehen, kommt die- selbe nur vor bei starken Schwankungen der Temperatur. Aus diesen Thatsachen geht also hervor, dass die Ruhr in wärmeren Gegenden zwar häufig neben und mit den Malariafiebern vorkommt, aber nicht von der Malaria, sondern von Wilterungseinfllüssen, besonders von grellen Veränderungen in der Temperatur der Atmosphäre erzeugt wird. Von einer eigentlichen Malariaruhr kann darum auch keine Rede sein und nach „genauer Prüfung der Beschreibungen, welche von der entzündlichen und der Malariaruhr als zwei verschiedenen Formen gegeben wer- den, kommt man zur Ueberzengung, dass die Natur sol- che scharf gesonderte Krankheitsbilder nicht aufstellt.“* Auch hat sich die Bemerkung von Bird durchaus nicht bestätigt, dass die Malariaruhr vorzüglich die Darmfolli- kel, die entzündliche Ruhr hingegen die Schleimhaut- fläche ergreife. Eine andere Frage ist es aber, ob die Ruhr mit den Krankheitszuständen sich verbinde, welche aus der Ein- wirkung der Malaria hervorgehen, und dadurch besondere Gestaltungen erleide? Bei der grossen Combinationsfä- higkeit derselben kann dieses keinem Zweifel unterliegen. Wir sehen sie in allen Malarisgegenden bei Individuen, auf welche die Sumpfausdünstung bereits in verschiede- nem Grade und in verschiedener Dauer eingewirkt und gewisse Veränderungen im Organismus, besonders in der Blutmasse gemacht hat. Die Beschaffenheit der Indivi- duen wird sich auch in der Gestaltung der Ruhr immer geltend machen. Man kann darum wohl als Malariaruhr jene Fälle bezeichnen, wo sich die Ruhr mit einer wirk- lichen Malariakrankheit auf irgend eine Weise verbindet oder im Individuum schon die Anlage zu einer solchen ausgebildet ist. Diese Malariaruhr ist aber niemals die gleiche, weil eben die Malariakrankheiten verschieden sind, jenachdem ein verschiedener Grad von Wärme dabei mit- wirkte, jenachdem mehr oder weniger faule Emanatio- nen des Bodens und des Wassers bei dem Miasma wa- ren, jenachdem dasselbe länger oder stärker eingewirkt hatte u. s. w. III. Mephitischer Ursprung. Vielfältig hat man in Kriegszeiten, besonders bei den grösseren Heeren und in den Lagern, ebenso in Ge- fängnissen, in Spitälern, Gebärhäusern, auf Schiffen u.s.w., kurz an solchen Orten, wo eine durch Anhäu- fung von Menschen in verhältnissmässig engem Raume und durch Unreinlichkeit aller Art verdorbene Luft herrscht, Ruhren beobachtet, die sich durch eine gewisse Gestal- tung von den andern unterschieden und gewöhnlich von der Mephitis hergeleitet wurden, Die marschirenden oder bivouakirenden Truppen sind zu viel an freier Luft, als dass sich bei ihnen eine Me- phitis bilden könnte. So lange sie nicht in ein viel wär- meres Klima kommen, findet sich bei ihnen die gewöhn- liche atmosphärische Ruhr von denselben Ursachen und Gestaltungen, wie bei anderen Menschen. Wirkt Kälte, Nässe, schlechte, unregelmässige und unvollständige Er- nährung längere Zeit bei ihnen ein, so ist bei ihnen öf- ter eine Diarrhöe fast epidemisch, die sich mit einigen Ruhrsymptomen gerne verbindet, Fieber, Abmagerung und Follikularverschwärung nach sich zieht und wegen ihrer Achnlichkeit mit der chronischen Ruhr dieser gleichge- stellt wird. Von dieser Art war die sogenannte Ruhr bei der grossen französischen Armee auf ihrem Rückzuge aus Russland und bei den gefangenen und zersprengten, von den Kosaken gehelzten Franzosen nach der Schlacht bei Leipzig. Wenn sich aber die Soldaten in Lagern, in den Ka- sematten belagerter Festungen, auf Schilfen, in überfüll- ten Quarlieren u. s. w. zusammendrängen und nicht für reine Luft und Reinlichkeit überhaupt gesorgt wird, dann athmen sie eine mephitische Luft und bekommen leicht 335 Ruhr auf mephitischem Boden. Das Aehnliche ist der Fall in überfüllten, überhaupt in nicht gut eingerichte- ten und gehaltenen Spitälern und Gebärhäusern, in den schlechten, überfüllten und unreinen Wohnungen der Ar- men und Proletarier, in engen Strassen grosser Städte u. s. w. Die Einathmung mephitischer Luft wirkt in doppelter Beziehung schädlich auf die Menschen. Sie enthält bekanntlich zu wenig Sauerstoff und zu viel Kohlensäure, so dass die normale Blutumwandlung in den Lungen, die Decarbonisation des Blutes, nicht ge- hörig vor sich geht, anderntheils aber enthält sie viele faulige Emanationen, welche aufgesaugt von den Lun- gen den Keim zu weiterer Verderbniss in’s Blut brin- gen. Die Folgerungen hieraus liegen auf der Hand. Es giebt eben auch auf diesem Wege in erster Linie eine An- häufung von Kohlenstoff im Blute, analog wie bei der Ein- wirkung der Hitze, und in zweiter Linie die Neigung zu fauliger Verderbniss in demselben , und somit die Dispo- tion zu fauliger Ruhr. Allein die Erfahrung rechtfertigt nicht ganz diese Schlussfolge. Das kirschrothe Blut der Tropenländer und das schwärzliche scorbutische des Nor- dens deuten schon einen Unterschied an, der noch nicht durch vergleichende chemische Untersuchungen nachgewie- sen ist, und es sind weit mehr die Typhen, besonders der exanthematische Typhus, welche auf diesem letzteren Bo- den aufsprossen, als die Ruhren. Das gleichzeitige Vor- kommen beider unter diesen Umständen, die häufige gegen- seitige Verbindung beider u. s. w. zeigen wohl, dass ihre ursächliche Begründung nahe an einander streift und ge- wiss nur kleinere Vorgänge den Ausschlag für die eine oder andere Krankheit geben. Wenn wir auf die Epi- demieen unserer Abdominaltyphoide den Blick werfen, begegven wir wieder ganz ähnlichen Thatsachen. Es haben viele Beobachter mit mir in einem Dorfe Ruhr- epidemie, im nahe gelegenen andern Typhoidepidemie wahrgenommen, ohne dass man im Stande gewesen wäre, die bestimmteren Ursachen für die eine oder für die an- dere zu ermitteln. Wir wollen sehen, ob nicht die bis jetzt vorliegenden Beobachtungen einiges Licht in diese Verhältnisse werfen. Sie zeigen uns fürerst, dass zur Entstehung der Typhoidepidemieen grösstentheils eine Mephitis, oder ein Contagium mitwirkt, was weiter auszu- führen hier nicht der Ort ist, die Ruhrepidemieen aber 336 häufiger ohne Mephitis aus der Wärmeeinwirkung her- vorgehen. Wir haben darum die Ruhr auf dem mephi- tischen Boden, wenn dieser an mehr südlich gelegenen Orten oder in heissen Sommern sich bildet, und auch nur nach wärmeren Sommern sehen wir das Abdominal- typhoid und Ruhr gleichzeitig. Obschon die Ruhr aus jeder Quelle unter gewissen Umständen contagiös werden kann, so geschieht diess doch am häufigsten bei den Ruhren auf mephitischem Boden, und die Epidemieen in Kasernen, Spitälern u. s. w. beginnen daher oft damit, dass einzelne Ruhrfälle hereinkommen, von welchen aus sich dann durch Infection die Krankheit weiter verbreitet. Beim Abdominaltyphoid auf dem Lande habe ich beob- achtet, dass Personen aus dem benachbarten Ruhrdorf in das Typhoiddorf die Krankheit herüber brachten, hier ihre Familie inficirten, die dann wieder ihren Nachbarn und Verwandten sie mittheilte. Dieser contagiösen Ver- breitung ist auch der Umstand beizumessen, dass die Epidemieen noch im Winter und Frühjahr sich fortsetzen, während die Epidemieen atmosphärischen Ursprungs im Winter aufhören. Endlich müssen aber bei der nahen Verwandtschaft der Grundursachen der Ruhr und der Typhoide kleine, noch unerforschte Dinge Veranlassung geben, dass sich bei der durch diese Grundursachen er- zeugten Disposition in einem Falle Ruhr, im andern Typhoid ausbildet. Ich habe auf dem Lande Epidemieen gesehen, wobei in dem einen Hause Ruhr, im andern Ab- dominaltyphoid war und sich durchaus nicht ermitteln liess, dass besondere Ursachen bei den Einen oder An- dern eingewirkt hätten. Vielleicht hatten die Ruhrkran- ken eine stärkere Empfänglichkeit für atmosphärische Eindrücke, oder wirkte etwas mehr Wärme auf sie, oder genossen sie Speisen und Getränke, die mehr auf den Dickdarm wirkten u. s. w. Mit der Gestaltung der Ruhr auf dem mephitischen oder Typhoidboden geht es übrigens ganz analog, wie mit derjenigen auf dem Malariaboden. Wenn eine wenig intensive, nicht bösartige Mephitis nicht lange auf sonst gesunde Constitutionen gewirkt hat und nun die Ruhr zum Ausbruch kommt, so unterscheidet sie sich gar nicht von der Ruhr atmosphärischen Ursprungs. (Monographie der Ruhr. Giessen, Rickersche Buchhdlg. 1856.) Bibliographische Neuigkeiten. W. — Montrouzier, Essai sur la faune de l’ile de Woadlark ou Moioa. 1851-1852. 8. Lyon. Bryologia danica eller de danske Bladmosser beskrevne al. Th. Jensen. m. 8 Taf. 8. (Ueber die dän. Moose.) ılr. Fe Wickström, Ars Berätlelzs om botaniska Arbeten och Upptäckter för Aar 1851. 8. 1 Thir. 18 Ser. » E. Hintze, Schauplatz der Natur. 14. Lig. 8. Barthol in Berlin. %, Thlr. H. — A. v. Ammon, Die ersten Mutterpflichten und die erste Kindespflege. 7. Aufl. 16. Hirzel in Leipzig. In engl. Einb. 11% Thlr. Mallat de Basillan, Guerison des douleurs et des para- lysies par une methode speciale externe, avec des obser- vations de icures obtenues 1% dans douleurs neyralgiques, rhumatismales, goutteuses, 2° dans les entorses, les fou- lures etc., 3° dans certaines paralysies ec affeclions de !a moelle £piniere etc. Paris, Germer Baillitre. Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena, Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. LI. Band No 22. Naturkunde. F. Hague und Th. von Siebold, Ueber die natürliche und künstliche Bildung der Perlen in China. — Miscelle. Flick, Ueber die Bewegung im Vas deferens. — Heilkunde. J. Snow, Verbreitungsweise der Cholera. — Miscelle. Holsbeck, Kolik neugeborner Kinder durch Darmvorfall. — Bibliographie. Naturkunde. Ueber die natürliche und künstliche Bildung der Perlen in China. Von F. Hague, britischem Consul zu Ningpo !) *). Die Menschheit hat wahrscheinlich die Benutzung der Austern zu einem Nahrungsmittel nicht sobald gefun- den, als die Perlen entdeckt wurden, und in keiner ihrer Perioden war sie so roh, um den Werth dieser schönen thierischen Edelsteine nicht zu schätzen; daher finden wir in den allerältesten Nachrichten, welche auf uns gekom- men sind, dieselben unter den kostbarsten Artikel aufge- zählt. In China wurden schon 22} Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung die Perlen als Gegenstände des Tri- buts oder der Steuer erwähnt und in einer spätern Pe- riode in dem Url-ja, dem ältesten Wörterbuche, welches mehr als 10 Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung ver- fasst wurde,‘als werthvolle Producte des westlichen Theils des Reichs aufgeführt, besonders als Schmucksachen, Amulete gegen Feuer u. s. w. Die Chinesen waren bei ihrer Theorie von den Kräf- ten des Teufels nie in Verlegenheit, die Natur irgend eines Gegenstandes zu erklären. Es genügt, zu bemerken, dass diese Kräfte als der weibliche Gegensatz des männ- lichen Princips galten. Uebrigens muss doch beigefügt werden, dass, während die westlichen Naturforscher, dem Plinius folgend, lehrten, die Auster erzeuge aus himm- lischem Thaue, mit dem sie sich nähre, die Perlen, ein chinesischer Autor ganz deutlich sich dahin ausspricht, 1) Dieser, obwohl flüchtig skizzirte Artikel, enthält so manches Interessante, dass die hier gegebene wortgetreue Uebersetzung desselben aus dem Journal of the Royal Asiatic Society of Great Britain and Ireland, Vol. XVI, London 1855, pag- , gerechtfertigt erscheint. €. Th. v. Siebold. *) Aus der Zeitschrift f. wissensch. Zoologie v. C. Th. vr. Siebold und Kölliker. VIM. Bd. 4. Hl. 1857. dass dieselben die Folge einer Excoriation in der Perl- muschel seien. Perlen von Süsswassermuscheln waren in China zu- erst in Gebrauch; allein als eine Verbindung mit dem Festlande des indischen Oceans hergestellt war, erhielt man sie zweifelsohne von dorther in weit grösserer Menge. In sehr früher Zeit schon fand diese oflicielle Verbindung statt. Der Kaiser Wuti (140 — 86 vor Chr.) schickte Leute zur See aus, um Perlen anzukaufen. Nachdem der Buddhismus eingeführt und der Verkehr mit Indien häufiger geworden war, findet man auch sehr oft in budd- histischen Schriften Hinweisungen auf Perlen als „Moni- perlen“ *). So soll eine dieser Moniperlen, angeblich das Erzeugniss eines Drachenhaares, hinreichendes Licht aus- strömen, um Reis zu kochen. Eine andere sonderbare, aber nicht unglaubliche Schilderung wird 806 nach Chr. von einer Perle gegeben, welche, von der Grösse einer Birne, ihr Wasser nur drei Jahre bewahrte, was sicher- lich in einer Molecularveränderung seine Ursache hatte. Unter den nennenswerthen Perlen ist eine aus Japan, so gross als ein Hühnerei, von ausserordentlichem Glanze bei Nacht; eine andere, welche an den Hof von China in der Mitte des 8. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung geschickt wurde, von ausserordentlichem Glanze, gleich dem des Mondes, und eine andere 375 im Umfange, welche mit mehreren anderen von der Provinz Fokien geschickt wurde und wahrscheinlich von Ceylon herkam. Eine seltsame Erzählung von einer Gesandtschaft des Königs von Chinlien**), im Jahre 1023 nach Chr., aus Shilöch’äyent’öh durch seinen Botschafter Püyäht’oli und Andere findet sich aufgezeichnet, nach welcher sie Ge- *) Das Wort Moni hat eine religiöse Bedeutung im Budd- hismus und bedeutet: Einsiedlerperlen. ®”) Chinlien, ein Reich in Indien. 339 schenke, bestehend in einer Mütze, einem Wamms und einer Anzahl ächter Perlen überbrachten. Um 30 oder 40 Jahre später kamen ‘wieder Tributträger von demsel- ben Hofe und baten, es möchte ihnen in der Audienz erlaubt werden, die Sitten ihres eigenen Landes zu be- folgen, was ihnen auch gnädig bewilligt wurde. An be- stimmten Tagen erschienen die Boten an der Thüre des Audienzsaales, knieten nieder und hielten eine goldne Schale empor, welche Perlen und goldene Figuren der Wasserlilie enthielt; indem sie sich dem Throne näher- ten, schüttelen sie den Inhalt der Schale vor dem Kaiser auf den Boden, die Höflinge beeilten sich, denselben aufzuraffen und unter sich zu vertheilen. Marco Polo*) gedenkt ebenfalls der Perlen in seinem Werke über China. In welcher Periode die Chinesen die Perllischerei begannen, kann nicht genau erforscht werden, ausgenom- men vielleicht durch Zurückweisung auf locale topogra- phische Werke, welche man nur schwer, wahrscheinlich gar nicht bekommen kann. Eine Nachricht meldet von Perlen, als würden sie gewöhnlich an der Meeresküste südlich von Canton gefunden. Besondere Facta werden aber keine angeführt, ausser von den Fischereien im Distriete Lien -tcheou -fou #*) im äussersten Süden des Reichs in der Provinz Canton, und da heisst es: Im Meere befindet sich eine Insel, worin ein Teich oder See liegt, welchen die Obrigkeiten des Gebietes jährlich besuchen, um den Tribut zu empfangen, indem sie persönlich die Operationen beaufsichtigen. Die Perlfischer tauchen in den See, um die Perlen zu holen; die alten Muscheln werden geöffnet, um in ihnen dieselben zu finden. Man setzt voraus, dass der See, welcher in seiner Mitte un- ergründbar ist, mit dem Meere in Verbindung steht; wahrscheinlich ist er der Krater eines erloschenen Vul- kans. Es wurden hier Perlen so gross wie Bohnen, manchmal 1‘ im Umfang gefunden. Die jungen Muscheln werden an einem Bambusstabe angereiht in der Sonne getrocknet, mit Cassia vermischt und dann mit irgend einem Medicinalstoffe geröstet. Sie enthalten Perlen so gross wie Hirsekörner. Nach einer andern Angabe werden die Perlfischereien in diesem Distriete Lien -tcheou-fou in folgender Weise vorgenommen. Im Meere, heisst es, liegt eine Insel mit einem See, in welchen die eingeborenen Barbaren nach Muscheln tauchen. In einigen Jahren sind sie reichlich, in anderen selten vorhanden. Unter den Fischern geht die Fabel von einer ummauerten Stadt auf dem Boden des Sees, welche von Ungeheuern gehütet wird und Per- len von grossem Glanze wie Umfange in sich birgt. Diese sind aber wegen der Hüter nicht zu bekommen, nur die kleineren, welche ausserhalb der Stadtmauer im Grase wachsen, sind zu erhalten. *) In viaggi di M. Polo Veneziano etc. p. 106, 163, 165, 396. **) 240 38° 54° nördlicher Breite und 70 29° 40‘ west- licher Länge von Peking. Venezia 1847, 340 Ein anderer Schriftsteller sagt: Südöstlich von der- selben Stadt gibt es einen ruhigen Fluss mit einem See, Yuen-mei genannt, welcher grosse Austern mit Perlen enthält. Beim Mondlicht steigen die Fischer in die Ge- wässer mit einem Korb, den sie um. ihre Lenden binden; können sie den, Athem nicht mehr länger halten, so ge- ben sie ein Zeichen, dass man sie wieder heraufziehe. Gefrässige Fische greifen manchmal die Taucher an, wenn der Strick aufwärts gezogen ist. Yong-tai-ki stellte, als er sich zu Canton befand, einen Perlinspector an. Die Fischer sammelten mehrere Körbe von Seepflanzen, der Weide etwas ähnlich, welche sie unterhalb der Strasse von Felsen abrissen, und brach- ten sie in’s Amt. Im der Mitte dieser Seepilanzen be- fanden sich perlhaltige Muscheln. Ein anderer Schriftsteller sagt: Die rohen Seeleute von Canton tauchen nach Perlmuscheln und lösen sie vom Grunde ab; sie verlassen ihre Meerfahrzeuge, in welchen sie leben, nehmen Boote in den See, werfen einen Stein als Anker für dieselben aus und steigen mit einem Strick um den Leib in’s Wasser; wenn sie zu alhmen bedürfen, geben sie ein Zeichen und werden zu Tage gebracht. Zwischen 1403—1425 sollen, nachdem so viele von den Tauchern vom Haifisch gefressen worden oder nichts als einige Glieder übrig geblieben waren, die Fischer eiserne Stangen angewendet, um Muscheln zu sammeln, ohne zu tauchen, aber nur wenige erhalten haben. Später be- dienten sie sich des Austernetzes, welches noch jetzt in Gebrauch ist: ein schaufelartiges Instrument zu beiden Seiten des Bootes, welches, während die Boote dahin segeln, die Muscheln aufsammelt. Diese obigen Bemerkungen sind von alten, einge- borenen Schriftstellern gesammelt; aber es ist nicht wahr- scheinlich, dass die Fischerei jetzt noch überhaupt in China existirt, indem die Plätze erschöpft sind, wie meh- rere andere anderswo. Würden sie noch exisliren, 50 würden sie kaum der Kunde von Fremden, welche sich in Canton aufhalten, entgangen sein. Hingegen waren die Chinesen, diese scharfsinnigen Leute, die ersten, Me- thoden zu ersinnen, um die Perlen künstlich nachzuahmen. Es gibt eine Nachricht, dass am Anfange des 7. Jahrhunderts Perlen von einer Composition oder einem Medicinalstoffe gemacht wurden. Die Kunst mag verlo- ren gegangen sein, oder ist dieselbe, wie man sie jetzt in Canton anwendet, wo sie auch entstanden ist und welche der von den Franzosen befolgten ähnlich zu sein scheint *). Da der Schreiber dieses ein grosses Interesse für die von den Chinesen befolgte Methode in Bezug auf die Anfertigung der „Muscle - Pearl“ hatte, schickte er im Winter 1851—52 (in Verbindung mit seinem Freunde, *) Nach einem chinesischen Wörterbuche werden ausser den in den Muscheln künstlich erzeugten solche }alsche Per- len aus Salpeter, gebrannter Ziegelerde, Blei und Elfenbein- pulver gemacht und mittelst der‘$chuppen des Matsifisches gefärbt. 341 Dr. Mc Gowan, einem amerikanischen, in Ningpo *) sich aufhaltenden Arzte, durch dessen Beistand er in den Stand gesetzt wurde, die vorigen Daten zusammenzustel- len), einen intelligenten Eingeborenen nach Hou-tcheou- fou, ungefähr drei Tagereisen von Ningpo, wo die Manu- factur von künstlichen Perlen u. s. w. mit Hülfe der Mu- scheln in grosser Ausdehnung betrieben wird, und es glückte ihm, Schalen, welche den Bildungsprocess in sei- nen verschiedenen Stadien zeiglen, so wie einige leben- dige Muschelthiere, die ersten, welche je ein Fremder gesehen hat, zu erhalten. Die Thiere werden im April oder Mai gesammelt und vorzüglich von Kindern geöffnet, welche ein kleines Stück Bambus in die Oeffnung stecken; die Erwachsenen legen alsdann hinein, was sie wollen. Die fremden Substanzen, welche man dazu anwendet, be- stehen entweder aus Kupfer, Knochen, runden Kieseln oder aus Schlammerde. Wird letztere gebraucht, so wird sie zuerst in feines Pulver wohl zerrieben, dann der Saft oder das Mark eines Baumes damit vermischt, um ihr Festigkeit zu geben. Diese Stoffe werden ohne beson- dere Auswahl in's Thier gelegt und man bedient sich kei- ner andern Vorrichtung, um sie an dem Orte zu halten, wohin sie gelegt wurden. In der That, es möchte schei- nen, als hätten die Thiere für sich selbst keine Kraft, irgend einen Körper, welcher in sie hineingelegt worden ist, auszustossen. Hat diese Operation. mit dem: Thiere stattgefunden, so bringt man drei Löffel voll von den. Schuppen eines Fisches, wohl gepulvert und mit Wasser vermischt, in die kleineren und fünf Löffel in die grösseren; dann wer- den die Bambusstücke herausgezogen und die. Thiere ‚sorg- fällig etliche Zoll von einander in den Teich gelegt. Ei- nige von den Teichen mögen, wenn sie klein sind, etwa 5000 Thiere enthalten, grössere in viel grösserer Anzahl. Das Wasser in den Teichen. braucht nicht tiefer als 3—5’ zu sein und in der trockenen Jahreszeit wird gelegentlich in sie Wasser aus Kanälen geleitet, welche die Gegend nach allen Richtungen zum Behufe der Bewässerung des Bodens durchschneiden. Vier- bis fünfmal im Jahre düngt man die Teiche mit Menschenkoth. Gewöhnlich nach 10 Monaten nimmt man die Thiere aus den Teichen, bleiben sie aber länger darin liegen, so erreichen die auf genannte Weise erzeugten Perlen eine grössere Vollkommenheit. Drei Jahre gelten als der längste Zeitpunkt. Mehrere Millionen dieser Muscheln werden alljährlich in Sou- tcheou-fou **) verkauft; der Preis variirt bedeutend; in- dem einige etwa einen Penny das Paar werth sind, slei- gen andere leicht bis auf acht Pence das Paar. Der grösste Theil der Schalen wird an die Krämer verkauft, gerade wie sie aus den Teichen genommen werden; doch verarbeiten die Leute von Hou-tcheou-fou einzelne Scha- *) 300 52° 48° nördlicher Breite und 39 27‘ 54° östl. Länge, vi Kress im Districte Tche-kiang. 25°‘ nördlicher Breite und 4° 0° 25% östli- cher Llre von Peking, in der Provinz Kiang-Nan. len selbst und der Preis einer jeden künstlichen Perle oder eines Bildes steigt von einem Farthing*) bis zu vier Pence. Die Schale wird so nahe als möglich an der Perle mit einer feinen Säge durchschnitten, das Stück- chen Muschelschale, welches an der Perle geheftet bleibt, entfernt, desgleichen das Kupfer, Bein oder was immer darin war, an dessen Stelle weisses Wachs eingelegt und an der angesägten Seite der Perle ein Stück von der Schale angesetzt, um dieselbe so vollkommen als möglich zu machen. Perlen von der besten Art gibt es nur sehr wenige, was ohne Zweifel von der Kürze der Zeit her- kommt, in welcher die Chinesen sie zu Markt zu brin- gen sich beeilen. Es ist schon mehrere Jahre, seitdem die Aufmerksamkeit der Fremden in Ningpo zuerst auf die „Muscle-Pearls“ gelenkt wurde, und vor dieser Ent- deckung glaubten sowohl ich, als Andere, dass die perl- ähnlichen Gegenstände, welche die reichen Eingebornen auf eine so in die Augen springende Weise auf ihren Mü- tzen trugen, ächte und werthvolle Kostbarkeiten wären. Die Production dieser künstlichen Perlen bildet eine Art von Gewerbe in der Nachbarschaft von Hou - teheou - fou, bei welchem ganze Dörfer beschäftigt sind. Man führt in der That an, dass einige 5000 Personen durch die- sen Betrieb ihren Lebensunterhalt finden. Die Verfahr- ungsart wurde zuerst entdeckt von Ye-jin-yang, einem Eingeborenen von Hou-tch&ou-fou im 13. Jahrhundert un- serer Zeitrechnung. Nach seinem Tode wurde ihm zum Gedächtniss ein Tempel an einem Orte Namens Seaou- Shang, ungefähr 26 englische Meilen von Hou-tcheou- fou errichtet. Dieser Tempel steht gegenwärtig noch und jährlich werden zu Ye-jin-yang’s Ehren Spiele ge- feiert. Ueber diesen interessanten Gegenstand sind aus- führliche Werke und Beschreibungen vorhanden, aber sie waren nicht zu kaufen. Man erwähnt auch diese Kunst in der topographischen Beschreibung des Districtes als einen bedentenden Handelsartikel. Das Gewerbe ist Mo- nopol, beschränkt auf eine gewisse Anzahl von Dörfern und Familien, und jedes andere Dorf oder jede andere Familie, welche dasselbe treiben will, ist verpflichtet, die Kosten für einige Spiele an Ye’s Tempel zu erlegen und ebenso sich anheischig zu machen, eine gewisse Summe zur Erhaltung des Tempels beizutragen. Die Chinesen im Süden von China (Canton) fabriei- ren ebenfalls künstliche Perlen, indem die beiden Pro- vinzen ihre Geheimnisse seit mehreren Jahren gegenseitig ausgetauscht haben. Doch gelingt den Leuten von Hou- tcheou-fon nicht besonders gut die Verfahrungsweise von Canton, und es muss eine sehr grosse Eigenthümlichkeit, liege sie im Klima oder im Thiere, vorhanden sein, da es nicht scheint, dass die Leute von Canton, welche we- gen ihrer Ausdauer in Allem, womit sie auch nur eine Kleinigkeit sich verdienen können, so berühmt sind, es jemals mit der Methode von Hou-tcheou-fou zu Etwas *) Der vierte Theil eines Penny, etwa ir Pfeunige. ” 343 haben bringen können. Nach dem Umstande, dass die Handelsschiffe der nördlichen wie südlichen Provinzen Alles aufkaufen, was sie in den Läden von Ningpo an- treffen, möchte es scheinen, dass Hou-tcheou-fou der ein- zige Platz in China ist, in welchem dieses Gewerbe ge- trieben wird. (Schluss folgt.) Miscelle. Ueber die Bewegung im Vas deferens macht Dr. 344 Fiick (Marburg) in Müller’s Archiv. 1856 Untersuchungen bekannt, wonach die Contraction des Samenganges vom Ho- den bis zu seiner Ausmündung an der Prostata dem Mechanis- mus der Arteriencontraction analog ist, doch werden Verschie- denheiten durch die Reizbarkeit der betreffenden Organe be- dingt, von welcher auch die Strömungsrichtung nach der Pro- stata hin abhängt und auch bedingt ist, dass die Kjaculation er- folge, indem die in Folge des Begattungsreizes directem Mus- keldrucke unterliegenden Theile der Harnröhre nach und nach von dem Samenwege aus angefüllt werden, worauf dieser In- halt stossweise enlleert werde. Heilkunde. Verbreitungsweise der Cholera. Von Dr. J. Snow (London) *). Krankheiten, welche von Person auf Person über- tragen werden, werden dnrch etwas Materielles herbeige- führt, das von dem Kranken zu dem Gesunden wandert und die Eigenthümlichkeit hat, in dem Organismus der von ihm ergriffenen Personen zuzunehmen und sich zu vervielfältigen. In der Syphilis, den Kinderpocken und Vaccine haben wir den physicalischen Beweis von dem Wachsthume des Krankheitsstoffe, und in anderen an- steckenden Krankheiten ist der für dieses Wachsthum aus dem Factum ihrer Ausbreitung gefolgerte Beweis gleich stichhaltig. Da die Cholera mit einer Affektion des Speisecanals beginnt, und da, wie wir gesehen ha- ben, das Blut in den ersten Stadien dieser Krankheit **) nicht unter dem Einflusse eines Giftes steht, so folgt, dass der Krankheitsstoff, welcher die Cholera hervorruft, in den Speisecanal eingeführt, in Wahrheit zufällig ver- schluckt sein muss, denn absichtlich wird das kein Mensch thun, und dass das Wachsthum des Krankheitsstoffes oder Choleragiftes im Innern des Magens und Darmcanals Platz greifen muss. Es will scheinen, dass das Choleragift, wenn es in hinlänglicher Quantität reproducirt ist, wie ein Irritans auf die Schleimhaut des Magens und Darm- rohrs wirkt, oder, was noch wahrscheinlicher ist, dass es dem in den Capillaren circulirenden Blute Flüssigkeit entzieht durch ein jenem analoges Vermögen, durch wel- ches die Epithelialzellen der verschiedenen Organe die ver- schiedenen Secretionen im gesunden Körper absondern. Da der Krankheitsstoff der Cholera die Fähigkeit besitzt, seine eigene Species zu reproduciren, so muss er noth- wendig eine Art Structur haben, am ähnlichsten der ei- ner Zelle. Es ist kein Einwand für diese Ansicht, dass *) DES” Ueber die Verbreitungsweise der Cholera von John Snow, M. Dr. (2. verm. Ausgabe. London, 1855.) A. d. Engl. von Dr. A. F. W. Assmann. 8. 150 S. Qued- linburg bei Huch, 1856. Eine über den belr. Gegenstand wesentlich Licht verbreitende Schrift. **) In dem sogenannten secundären Fieber besteht Toxi- cohämie, welche aus der unterdrückten Nierenexcretion her- vorgeht. die Structur des Choleragiftes nicht durch das Mikroskop erkannt werden könne, denn der Stoff der Kinderpocken und des Chankers kann auch nur durch seine Wirkungen erkannt werden, und. nicht durch seine physicalischen Eigenschaften. Der Zeitraum, welcher zwischen der Zeit, wo das Krankheitsgift in den Organismus eintritt, und dem Be- ginne der folgenden Krankheit vergeht, wird die Incu- bationsperiode genannt. In Wirklichkeit ist es eine Pe- riode der Reproduction in Rücksicht auf den Krankheits- stoff, und das Uebel ist das Ergebniss des aus der ge- ringen zuerst eingeführten Quantität des Giftes Geworde- nen und Erwachsenen. In der Cholera ist diese Periode der Incubation oder Reproduction viel kürzer, als in den meisten andern epidemischen oder ansteckenden Krank- heiten. Von den früher ausführlicher angeführten Fällen ist erwiesen, dass sie im Allgemeinen nur zwischen 24 bis 48 Stunden dauerte. Es rührt von dieser Kürze der Incubationsperiode und von der Quantität des in den Eva- cuationen ausgestossenen Krankheitsgiftes her, dass die Cholera sich manchmal mit einer bei anderen Krankhei- ten ungekannten Rapidität ausbreitet. Die Verbreitungsweise der Cholera könnte ganz die- selbe sein, selbst wenn sie eine Krankheit des Blutes wäre, denn es lässt sich mit grosser Wahrscheinlichkeit zeigen, dass die Pest, das typhöse und gelbe Fieber, Krankheiten, in denen das Blut afficirt ist, sich in der- selben Weise weiter verbreiten, wie die Cholera. Auch werden, wie ich glaube, die folgenden Blätter, ganz un- abhängig von der Pathologie der Krankheit, hinlänglich beweisen, dass die hier explieirte Verbreitungsweise der Cholera die richtige ist; aber es geschah in Rücksicht auf ihre Pathologie, dass die Verbreitungsweise zuerst auseinandergesetzt ward, und wenn die hier vorgetrage- nen Ansichten correct sind, so hatten wir, bevor die Cholera zwanzig Jahre in Europa gewesen war, eine correctere Kenntniss von derselben, als von den meisten der älteren Epidemieen; eine Kenntniss, welche sogar verspricht, Licht über die Ausbreitungsweise mancher Krankheiten zu verbreiten, die hier Jahrhunderte ge- herrscht haben. 315 Die Fälle, in denen geringe Quantitäten der Aus- und Absonderungen von Cholerapatienten verschluckt wer- den können, sind hinlänglich zahlreich, den Grund der Verbreitung der Krankheit erklärlich zu machen, und bei näherer Prüfung findet man, dass sie sich zumeist aus- breitet, wo die Möglichkeiten für diese Verbreitungsweise am grössten sind. Nichts hat sich als der Extension der Cholera förderlicher gezeigt, als Mangel an persön- licher Reinlichkeit, folge er nun aus übler Gewohnheit, oder aus Wassermangel, obgleich dieser Umstand bis kürzlich unerklärt blieb. Das Bettzeug wird fast stets von den Choleraevacuationen benetzt, und da dieselben der gewöhnlichen Farbe und des Geruches der Faeces ent- behren, so werden die Hände der den Patienten warten- den Personen davon besudelt, ohne dass sie es merken, und wenn diese Personen nicht an die sorgfältigste Rein- lichkeit gewöhnt sind und sich nicht ihre Hände waschen, bevor sie Nahrung zu sich nehmen, so müssen sie ge- legentlich etwas von der Excretion verschlucken, und et- was davon an der Speise sitzen lassen, welche sie berüh- ren oder zubereiten, und welche von der übrigen Familie gegessen werden soll, die unter den arbeitenden Classen vielfältig ihr Mahl in der Krankenstube einnehmen muss; daher die Tausende von Beispielen, in denen unter dieser Classe der Bevölkerung ein Cholerafall bei einem Fami- liengliede andere zur Folge hat, während die Aerzte und andere Personen, welche die Patienten blos besuchen, im Allgemeinen frei ausgehen. Die Inspection der Körper von Cholerakranken nach dem Tode hat meines Wissens kaum jemals die Krankheit verursacht, und zwar, weil das eine Obliegenheit ist, welcher nothwendig ein sorg- sames Waschen der Hände folgt, und es nicht die Ge- ‚wohnheit der Aerzte ist, bei solchen Gelegenheiten zu essen. Auf der andern Seite folgen den an dem Leich- nam vorgenommenen Verrichtungen, wie das Ausstellen desselben, wenn diese von Weibern der arbeitenden Classe verrichtet werden, welche diese Gelegenheit zu einer des Essens und Trinkens machen, oft Choleraanfälle, und Personen, welche nur der Bestattung beiwohnen und in keine Berührung mit dem Leichnam treten, bekommen oftmals die Krankheit, und zwar augenscheinlich in Folge dessen, weil sie von einer Nahrung zu sich genommen, die von denen zubereitet oder gehandhabt ward, welche bei dem Cholerakranken, oder mit seiner Wäsche und seinem Bettzeuge beschäftigt waren. Lichtmangel ist ein grosses Hinderniss für Rein- lichkeit, da er verhindert, den Schmutz zu sehen, und er die Besudelung der Speisen durch Choleraevacuationen sehr befördern muss. Nun ist aber der Lichtmangel in so manchen Wohnungen der Armen, in grossen Städten, einer von den Umständen, die so oftmals als die Gewalt der Cholera vermehrend genannt worden sind. Der unwillkärliche Abgang der Stühle in den mei- sten schlimmen Cholerafällen muss gleichfalls zur Aus- breitung der Krankheit beitragen. Herr Baker aus 346 Staines, welcher im Jahre 1849 hauptsächlich unter den Armen 260 an Cholera und Diarrhöe Erkrankte versah, berichtete mir in einem Briefe, mit welchem er mich im December desselben Jahres beehrte, dass, wenn die Pa- tienten ihre Stühle unwillkürlich verloren, die Krank- heit sich sichtlich ausbreitete. Unter den Armen, wo eine ganze Familie in einem einzigen und demselben Raume wohnt, schläft, kocht, isst und wäscht, hat man die Cholera, wenn sie einmal daselbst eingeführt war, sich ausbreiten sehen, und noch mehr in den sogenann- ten common lodginghouses, in denen verschiedene Fami- lien in einem einzigen Raume zusammengepfercht waren. In der Classe unstäter Umherstreicher, welche sich an solchem überfüllten Aufenthaltsorte befanden, war die Cholera im Jahre 1832 am bösartigsten. Aber die Parla- mentsacte über die Regulirung der common lodginghou- ses hat das Gute gehabt, dass die Krankheit unter die- sen Leuten in den späteren Epidemieen viel weniger bös- arlig war. Wenn auf der andern Seite die Cholera, wie es oft geschieht, in ein besseres Haus eingeführt wird auf Wegen, die später angegeben werden sollen, so ver- breitet sie sich kaum jemals von einem Familiengliede auf das andere. Der beständige Gebrauch des Wasch- beckens und Handtuches und der Umstand, dass die Räume zum Kochen und Essen von dem Krankenzim- mer getrennt liegen, sind die Ursachen hiervon. Die grosse Heftigkeit der Cholera in Instituten für arme Kinder und Irre, welche sie jedesmal zeigte, so- bald sie Eingang in diese Anstalten erlangte, findet eine hinlängliche Erklärung in den hier niedergelegten Prin- eipien. In dem Asyl für arme Kinder zu Tooting kamen unter 1000 Pileglingen 140 Todesfälle an der Cholera vor und die Krankheit hörte nicht eher auf, als bis die übrigen Kinder hinweggebracht worden waren. Die Kin- der lagen zu zweien oder dreien in einem Bette und vo- mirten, das eine über das andere hinweg, wenn sie die Cholera hatten. Unter diesen Umständen, und wenn man bedenkt, dass Kinder ihre Hände in Alles hineinstecken und beständig die Finger in den Mund führen, ist es kein Wunder, dass das Uebel sich in diesem Grade aus- breitete, obgleich ich glaube, dass eine so grosse Auf- merksamkeit auf Reinlichkeit verwandt wurde, wie in ei- ner von Kindern überfüllten Anstalt nur möglich. Arme Irre sind gewöhnlich ziemlich zusammengehäuft, beson- ders in ihren Schlafräumen, und da die grössere Zahl von ihnen sich in einem Zustande der Schwachsinnigkeit befindet, so sind sie nicht sorgfältiger im Gebrauche ih- rer Hände, als Kinder. Nur mit der grössten Schwie- rigkeit können sie einigermaassen rein gehalten werden. Wie in Uebereinstimmung mit den hier explicirten An- sichten erwartet werden kann, litten die Geisteskranken gewöhnlich in einem viel grösseren Verhältnisse, als die Aufseher und andere Wärter. Die Bergbaubevölkerung von Grossbritannien hat mehr von der Cholera gelitten, als Personen irgend eines 347 anderen Berufes; ein Umstand, der, wie ich glaube, nur durch die oben erörterte Verbreitungsweise des Uebels erklärt werden kann. Die Grubenarbeiter befinden sich in Verhältnissen, welche in vielen wichtigen, einzelnen Punkten von denen aller anderen Arbeiterelassen verschie- den sind. In den Kohlengruben giebt es keine Abtritte, noch, soviel ich glaube, in anderen Bergwerken. Die Arbeiter verbleiben so lange in den Gruben, dass sie ge- nöthigt sind, einen Vorrath von Nahrung mit sich hin- abzunehmen, welche sie beständig mit ungewaschenen Händen essen, sowie ohne Messer und Gabel. Folgende Antwort erhielt ich von einem meiner Verwandten, der mit einer Kohlengrube in der Nähe von Leeds in Verbindung steht, auf eine von mir an ihn gerichtete Anfrage: „Unsere Grubenarbeiter fahren mor- gens um 5 Uhr ein, um zu 6 Uhr für die Arbeit bereit zu sein, und verlassen die Grube in der Zeit von ein Uhr bis halb zwei. Die in dem Schachte zugebrachte Zeit beträgt im Durchschnitt 8 bis 9 Stunden. Die Gru- benarbeiter nehmen alle einen Vorrath von Nahrung mit sich hinab, welche aus Zwieback und in einigen Fällen etwas Fleisch dazu besteht, und ein jeder hat eine etwa ein Quart haltende Flasche voll Getränk mit sich, Ich fürchte, dass unsere Kohlengrubenarbeiter in Betreff der Reinlichkeit nicht besser sind, als andere. Die Grube ist ein ungeheurer Abtritt, und natürlich verzehren die Leute ihre Lebensmittel immer mit ungewaschenen Hän- den.“ Es ist sehr einleuchtend, dass, wenn ein Gruben- arbeiter während der Arbeit von der Cholera befallen wird, die Krankheit in dem Grade Gelegenheit hat, sich unter seinen Mitarbeitern auszubreiten, wie sie sich ihr bei einer andern Beschäftigung nicht darbietet. Dass die Leute gelegentlich während der Arbeit ergriffen wurden, weiss ich, da ich sie aus der einen und anderen Koh- lengrube von Northumberland im Winter 1831 bis 32 habe heraufbringen sehen, nachdem sie profuse Entlee- rungen des Magens und Darmcanals gehabt hatten und sich dem Zustande des Collapsus sehr nahe befanden. Dr. Baly, welcher mir die Ehre erwies, ein voll- ständiges und unparteiisches Referat über meine Ansich- ten in seinem „Berichte über die Cholera an das Colle- gium der Aerzte“ zu geben, erhebt gegen das, was ich über die Grubenarbeiter gesagt habe, den Einwand, dass die Weiber und Kinder von ihnen, die nicht in den Gru- ben arbeiten, in eben so grosser Zahl erkranken, wie die Männer. Ich glaube jedoch, dass dies in Folge der überfüllten Wohnungen der Grubenarbeiter ganz in der früher erklärten Weise geschehen musste. Die einzige Folge der Choleraverbreitung in den Gruben wird die sein, dass die Männer und Jungen einer Familie einen oder zwei Tage früher von der Cholera ergriffen werden, als die Weiber und Kinder, und wenn man eine specielle Nachfrage über diesen Punkt anstellte, so würde man dies wahrscheinlich bestätigt finden. Oftmals ist gesagt 348 worden, dass, wenn die Cholera eine ansteckende Krank- heit wäre, die Frauen in einer viel grösseren Zahl als die Männer von ihr zu leiden haben müssten, da sie mit der Pflege der Kranken beschäftigt seien. Mag dieser Einwurf sich mit dem des Dr. Baly zu vertragen suchen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass, wenn die Cholera unter Leuten ausbricht, welche mit der Bereitung oder dem Verkaufe von Lebensmitteln beschäftigt sind, die Krankheit auf diese Weise sich ausbreiten kann, obgleich es in der Natur der Sache liegt, dass eine Ermittelung der Thatsache karm zu erwarten ist. Die folgenden Fälle liefern vielleicht einen so entscheidenden Beweis von dieser Art der Verbreitung der Cholera, wie er nur immer erwartet werden kann. Zu Anfange des Jahres 1350 erschien in dem medicinischen und chirurgischen Provinzialjournal ein Brief des Herrn John C. Bloxam auf der Insel Wight als Antwort auf die Forschung über die Cholera von Herrn Hunt. Unter andern wichtigen Mittheilungen berichtete Herr Bloxam, dass die einzi- gen Cholerafälle, welche in dem Dorfe Carisbrook vor- kamen, sich an Personen zeigten, welche etwas von ver- dorbenen Kuhfüssen assen, die einem nach einem kurzen und heftigen Choleraanfalle zu Newport verstorbenen Manne gehört hatten. Herr Bloxam war so freund- lich, in Folge von Fragen, welche ich an ihn richtete, noch nachträglich persönliche Erkundigungen über diesen Fall anzustellen und das Folgende ist die Summe der in seinem Briefe enthaltenen Mittheilungen: Der Mann, aus dessen Hause die Kuhfüsse zum Verkauf geschickt wor- den, starb am Montage, den 20. August. Es war in dem Hause Gewohnheit, diesen Artikel Montags, Mitt- wochs und Freitags zu kochen, und die betreffenden fer- tig gekochten Kuhfüsse wurden am Dienstage, den 21., nach Carisbrook gebracht, das eine Meile von Newport liest. Im Ganzen betheiligten sich elf Personen an die- ser Nahrung, von denen sieben sie ohne ein abermaliges Kochen verzehrten. Sechs von diesen erkrankten inner- halb 24 Stunden, nachdem sie die Speise zu sich ge- nommen hatten, von denen fünf starben und eine genas. Das siebente Individuum, ein Kind, welches nur eine Kleinigkeit von den Kuhfüssen ass, wurde nicht davon afficirt. Vier Personen genossen die Nahrung, nachdem sie dieselbe abermals gekocht hatten. In einem Falle wurden die Kuhfüsse gebraten, und die Person, welche sie ass, erkrankte 24 Stunden darnach und starb. Eini- ges von dieser Nahrung ward zu einer Brühe verwandt, die warm von drei Personen gegessen wurde; zwei von ihnen blieben wohl, die dritte Person aber, welche am nächsten Tage auf’s Neue von der nun kalten Brühe ge- noss, erkrankte binnen 24 Stunden nach dieser letzten Mahlzeit an der Cholera und starb daran. Es ist zu er- wähnen, dass, obgleich es nichts Ungewöhnliches ist, dass in der heissen Jahreszeit Fleischnahrung in einem nicht ganz frischen Zustande genossen wird, doch einige von den Personen wahrnahmen, dass die Kuhfüsse, als sie gegessen werden sollten, nicht so frisch waren, als sie hälten sein sollen, und dass ein Theil derselben ei- nen oder zwei Tage darauf weggeworfen werden musste, weil sie ganz \putride geworden waren. Nicht unwahrscheinlich ist es, dass manche Cholera- fälle, welche ohne einen sichtbaren Zusammenhang mit voraufgegangenen Fällen auftreten, durch Nahrungsmittel mitgetheilt worden sind. Bei den armen Leuten, welche sich durch den Strassenverkauf von Obst und andern Ar- tikeln ernähren, ist es Brauch, ihren Vorrath in den enggedrängten Räumen aufzubewahren, in welchen sie wohnen, und als ich vor einigen Jahren die Stadtpatien- ten einer medicinischen milden Stiftung besuchte, sah ich oftmals Obstkörbe unter die Betten von Kranken ge- schoben und in nächster Nachbarschaft mit den Nacht- geschirren. Ich brauche kaum zu sagen, dass, wenn Krankheitsfülle auf diese Weise verbreitet werden, es ganz unmöglich sein möchte, ihre Spur zu verfolgen. Wenn die Cholera keine anderen Verbreitungsmittel hätte, als diejenigen, welche wir erwogen haben, so würde sie gezwungen sein, sich hauptsächlich auf die überfüllten Wohnungen der Armuth zu beschränken, und würde nach und nach an einem Orte aussterben müssen, wo ihr die Gelegenheit fehlte, neue Opfer zu erreichen. Oftmals aber eröffnet sich ihr ein Weg zur weiten Ver- breitung und Erreichung auch der wohlhabenden Classen der Gesellschaft. Ich meine mit demselben die Mischung der Choleraentleerungen mit dem Wasser, das zum Trinken und für die Küche verwandt wird, sei es, dass sie in den Erdboden eindringen und so in die Brunnen gelangen, oder indem sie die Canäle und Cloaken entlang in die Flüsse geführt werden, aus denen mitunter ganze Städte mit Wasser versorgt werden.“ Indem wir die einzelnen, von dem Verf. hiefür auf- gebrachten faclischen Beweise hier übergehen müssen, schliessen wir mit folgenden Resume: „Obgleich die in des Verfs. Tabellen gezeigten That- sachen mit sehr grosser Evidenz den mächtigen Einfluss zeigen, welchen das Trinken von Wasser, das durch die Jauche einer Stadt verunreinigt ist, auf die Ausbreitung der Cholera ausübt, sobald die Krankheit herrscht, so ist die Frage hiermit doch noch nicht erledigt > m die Vermischung der Wasserspeisung der Southwark- und Vauxhall-Gesellschaft mit der der Lambeth - Compagnie über einen weiten Theil Londons hin, lässt eine solche Prüfung des Gegenstandes zu, dass sich daraus der un- zweifelhafteste Beweis nach der einen oder anderen Seite hin ergiebt. In den von beiden Gesellschaften gespeisten Districten ist die Mischung der Wasserspeisung eine höchst innige. Die Röhren jeder der beiden Compagnieen lau- fen alle Strassen entlang und gehen in fast alle Höfe und Durchgünge. Einige Häuser werden von der einen und manche von der anderen Gesellschaft gespeist, je nach dem Entschlusse des Eigenthümers oder Bewohners 350 zu jener Zeit, wo die Wassergesellschaften sich thätig Concurrenz machten. In manchen Fällen hat ein einzel- nes Haus eine von dem Hause zu jeder Seite von ihm verschiedene Wasserversorgung. Jede beider Gesellschaf- ten speist sowohl Reiche, als Arme, sowohl grosse, als kleine Häuser; Personen jeglichen Ranges und Berufes erhalten ohne Unterschied ihr Wasser von den verschie- denen Gesellschaften. Es muss nun einleuchten, dass, wenn die Abnahme der Cholera in den theilweise mit dem besseren Wasser gespeisten Districten von dieser Wasser- zufuhr abhing, die dasselbe empfangenden Häuser dieje- igen sein mussten, welche sich der ganzen Wohlthat er Abnahme des Uebels erfreuten, während die von Bat- tersea Fields mit Wasser versorgten Häuser dieselbe Sterb- lichkeit erleiden mussten, wie sie sie gehabt haben wür- den, wenn die verbesserte Wasserspeisung gar nicht vor- handen gewesen wäre. Da kein Unterschied irgend wel- cher Art, weder in den Häusern, noch unter den Leuten besteht, welche das Wasser der zwei Gesellschaften em- pfangen, noch in irgend einem der sie umgebenden phy- sikalischen Umstände, so ist es klar, dass kein Experi- ment Jerdacht werden konnte, welches vollständiger den Einflüss der Wasserspeisung auf den Fortschritt der Cho- lera bestätigte, als das, welches dem Beobachter fertige Beweisumstände vorlegte. Ausserdem war dies ein Experiment in grösstem Maassstabe. Nicht weniger denn 300,000 Leute beider- lei Geschlechts, verschiedenen Alters und Berufs und je- den Ranges und Standes, vom Vornehmen hinunter bis zum Proletarier, wurden ohne ihre Wahl und in den mei- sten Fällen ohne ihr Wissen in zwei Gruppen getheilt, von denen die eine mit Wasser gespeist ward, welches die Jauche Londons, und in ihr das, was nur immer von Cholerakranken kommen konnte, enthielt, die andere Gruppe dagegen Wasser empfing, welches von solchen Verunrei- nigungen gänzlich frei war. Um durch dies grossartige Experiment zu einem Re- sultate zu gelangen, war weiter nichts erforderlich, als dass man die Wasserspeisung jedes einzelnen Hauses ken- nen lernte, wo ein böser Cholerafall etwa vorkäme. Ich bedaure, dass ich in den kurzen Tagen des Endes des vergangenen Jahres nicht Zeit gewinnen konnte, die Nach- forschung anzustellen, und freilich war ich zu der Zeit auch nicht vollkommen in Kenntniss gesetzt von der sehr innigen Mischung der Wasserspeisung beider Gesellschaf- ten und der daraus folgenden Wichtigkeit der wünschens- werthen Nachfrage. Als aber die Cholera im Juli des gegenwärtigen Jah- res nach London zurückkehrte, beschloss ich, keine Mü- hewaltung zu sparen, die nöthig werden könnte, die ge- naue Einwirkung der Wasserspeisung auf den Fortschritt der Epidemie festzustellen, in den Stadttheilen, wo alle die Umstände sich so glücklich für die Nachforschung darboten. Ich wünschte die Nachforschung selbst anzu- stellen, um den schlagendsten Beweis der Wahrheit oder des Irrthümlichen der Ansicht zu erlangen, welcher ich ‚351 fünf Jahre lang das Wort geredet hatte. nen Grund, an der Stichhaltigkeit meiner Schlüsse zu zweifeln, welche ich der grossen Zahl von Thatsachen entnommen, in deren Besitz ich bereits war, allein ich fühlte, dass der Umstand, dass das Choleragift die Ab- zugskanäle in einen grossen Fluss hinablaufen, durch meilenlange Röhren vertreiben und dennoch seine specifi- schen Wirkungen haben solle, eine Thatsache so er- schreckender Art und so ausserordentlicher Wichtigkeit für die Gesellschaft sei, dass man gar nicht sorgfältig genug in seiner Prüfung und Begründung sein könne. Demzufolge bat ich bei der Generalregistratur u die Vergünstigung, mich mit den Adressen der an der, Cholera sterbenden Personen aus jenen Distrieten verse- hen zu lassen, in denen die Wasserspeisung der zwei Gesellschaften in der von mir angegebenen Weise ge- mischt war. Mehrere dieser Adressen waren in den „Wo- chenberichten‘“ publicirt, und von anderen wurde mir be- reitwillig erlaubt, eine Abschrift zu nehmen. Ich begann meine Nachforschung gegen Mitte August mit zwei Sub- distrieten von Lambeth, welche Kennington I. Abtheilung und K. II. Abtheilung genannt werden. Es gab bis zum 12. August in diesen Subdistricten 44 Todesfälle, und ich fand, dass 38 von den Häusern, in denen diese To- desfälle vorgekommen, von der Southwark- und Vaux- hall- Gesellschaft, 4 von der Lambeth- Compagnie mit Wasser versorgt wurden, und 2 halten Pumpen auf ih- rem Grund und Boden und keine Wasserzufuhr von ei- ner der beiden Gesellschaften. Sobald als ich ‘diese Einzelnheiten festgestellt hatte, theilte ich sie dem Dr. Farr mit, der durch dies Re- sultat höchst betroffen war, und auf seine Anregung wurden alle Registratoren der Süddistricte Londons auf- gefordert, in Bezug auf alle Choleratodesfälle einen Be- richt über die Wasserspeisung des Hauses zu erstatten, in welchem der Anfall sich ereignete. Diese Anordnung sollte vom 26. August ab ausgeführt werden, und ich beschloss, meine Nachforschung bis zu diesem Tage fort- zuführen, damit die Thatsachen für die ganze Dauer der Epidemie festgestellt würden. Ich setzte meine Forschung über die verschiedenen anderen Subdistricte von Lambeth, Southwark und Newington fort, wo die Wasserspeisung Ich hatte kei-, 352 der beiden Gesellschaften gemischt ist. Das Resultati war, wie später gesehen werden wird, dem bereits gegebenen sehr ähnlich. In den Fällen, wo Personen, nachdem sie von einem Choleraanfalle betroffen, in ein Arbeitshaus oder an irgend einen anderen Ort gebracht worden wa- ren, erkundete ich die Wasserspeisung des Hauses, in welchem die Individuen zu der Zeit wohnten, als der Anfall eintrat. Es ist im höchsten Grade bemerkenswerth, dass, während nur 563 Choleratodesfälle in der ganzen Haupt- stadt vorkamen, in den mit dem 5. August endenden vier Wochen mehr als die Hälfte derselben sich unter den Abnehmern der Southwark- und Vauxhall-Compagnie er- eignet hatten, und ein grosser Theil der übrigen Todes- fälle betraf Seeleute und Personen, die bei der Schifffahrt auf der Themse beschäftigt waren, und die fast ohne Un- terschied ihr Trinkwasser direct aus dem Flusse nehmen. Es kann wohl zuversichtlich behauptet werden, dass, wenn die Southwark- und Vauxhall-Compagnie im Stande gewesen wäre, ihre neuen Werke ebenso rasch zu voll- enden, wie die Lambeth - Gesellschaft, und von der Jau- che der Abzugscanäle freies Wasser zu beziehen, die letzte Choleraepidemie in einem hohen Maasse auf Perso- nen beschränkt geblieben sein würde, welche bei der Schifffahrt beschäftigt waren, sowie auf arme Leute, wel- che sich ihr Wasser eimerweise direct aus der Themse oder aus Fluthgräben schöpften. (Schluss folgt.) Miscelle. Kolik neugeborner Kinder durch Darmvorfall. In der Presse med. 1856, 41 theilt Hr. Holsbeck die Beob- achtung mit, dass ein mehrere Tage altes Kind 3mal an einem Tage eine Ohnmacht bekam, die von selbst wieder nach eini- gen Minuten verschwand; jedesmal, wenn das Kind schrie, trat der Nabel beträchtlich hervor; die Geschwulst wurde un- ter leichtem Darmgeräusch zurückgebracht und mit einer Pe- lotte zurückgehalten, worauf keine Ohnmacht mehr eintrat. Es ist möglich, dass eine leichte Einklemmung des Darmes die Zufälle wie vielleicht in anderen Fällen selbst enteri- tische Folgen herbeiführen könne (Sch midt’s Jahrb. 1857, 11.) Bibliographische Neuigkeiten. C. A. J. 4. Oudemans, Memoire sur la structure morphologi- que et analomique du fruit et de la graine de l’arbre ä camphre de Sumatra. Mit 1 Kupfertaf. Baedeker in Rot- terdam. 12 Sgr. F. Bidder und ©. Kupffer, Untersuchungen über d. Textur d. Rückenmarks und die Entwickelung seiner Formelemente. 4. Breitkopf und Härtel in Leipzig, 1857. 2 Thlr. Dr. L. Leichardt, Eine biographische Skizze nach dem Tage- buche des Dr. Bunce von E. A. Zuchold. 8. Comm. v. Naundorf in Lpzg., 1856. 1", Thlr. 37. — Urtheil des Vereins hess. Aerzte über d. Exstirpation eines chron. Milztumors und die Resection eines 41, Zoll langen Stücks aus d. Diaphyse des Oberschenkelknochens. Zwei von Hrn. Dr. Küchler in Darmstadt ausgeführte Operationen. Ein offenes Schreiben von G. Simon. 8. Heyer’s Univ.-Buchh. in Giessen, 1855. 4 Sgr. E. Viz, Beiträge zur Kenntniss der angebornen multiplen Exostosen. 8. Comm. v. Heyer’s Uniy.-Buchh. In Giessen, 1856. 6 Sgr. Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena. Froriep’s Notizen R aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. E. Band No 23. Naturkunde. E. Th. v. Siebold, Ueber die Perlenbildungen chinesischer Süsswassermuscheln. Dazu Taf. I Fig. 1 und 2. — Miscelle. Kölliker, Ueber die Lebensbedeulung der Nervenröhren der Frösche. — Heilkunde. J. Snow, Verbreitungsweise der Cholera. (Schluss.) — Miscelle. Barth, Ueber Bronchiektasie. — Bibliographie. Naturkunde. Ueber die Perlenbildungen chinesischer Süss- wassermuscheln, als Zusatz zu Hague’s Aufsatze in No. 22 d. Bl. Von €. Th. v. Siebold®). Hierzu Taf. I. Dem Artikel von Hague in der vorigen Num- mer ist in dem erwähnten Hefte des Journal of the Royal Asiatic Society u. s. w. eine Tafel mit Abbild- ungen, aber ohne Kupfererklärung beigegeben. Der auf dieser Tafel dargestellte Gegenstand betrifft jene von Hague erwähnte Methode der Chinesen, sich durch den - Einfluss der lebendigen Muschelthiere ganz bestimmte Formen von Perlmuttergebilden zu verschaffen. Es sind nämlich zwei Muschelschalen auf jener Tafel dargestellt, von welchen die eine auf ihrer innern hohlen Fläche mehrere Reihen halbkugelförmiger Erhabenheiten in Ge- stalt von halbirten oder angewachsenen Perlen erkennen lässt, während sich auf der andern Muschelschale an der- ‚selben Stelle sieben ganz gleiche in drei Reihen geord- nete Reliefs eines Götzenbildes aus der Perlmuttermasse erheben. Neben diesen beiden Muschelhälften ist ein eben solches Götzenbildchen noch isolirt dargestellt. Mir wa- ren diese Abbildungen auf den ersten Blick bekannt, da ich kurz vorher durch die Güte des Hrn. Rienecker, welcher sich längere Zeit in Ostindien aufgehalten hatte, drei ganz ähnliche Muschelhälften im Original theils zur Ansicht, theils zum Geschenk erhalten hatte. Weil nun Hague in seinem Aufsatze selbst gesagt hat, dass der- gleichen von den Chiuesen auf eine so eigenthümliche Weise behandelte Muschelschalen noch nie ein Fremder gesehen habe, hielt ich es für interessant genug, statt *) Aus der Zeitschrift f, wissensch. Zoologie von C. Th. von Siebold und Kölliker. Vill. Bd. 4. Hft. 1857. jene Abbildung zu copiren, zwei von den mir vorliegen- den Muschelschalen nach einer Photographie hier darstel- len zu lassen. Vergl. Taf. I. Man muss bei dem Anblicke dieser Muschelschalen erstaunen, wie es den Chinesen auf eine so einfache Weise gelungen ist, die Muschelthiere zu zwingen, Perl- muttermassen in bestimmter Form und in gegebenen Um- rissen auszuschwitzen. Die Muschelschale auf Taf. 1. Fig. 1. lässt 15 angewachsene, in drei Reihen geordnete Perlen von halbkugelförmiger Gestalt erkennen; auf der von Hague abgebildeten Muschel lassen sich zwanzig solcher in drei Reihen geordneter Perlbildungen zählen; dergleichen Perlmuttergebilde müssen in der von Hague angegebenen Weise von der Schale abgesägt werden, um nachher als halbe Perlen zum Schmucke verwendet wer- den zu können. In welcher Art die Muschelthiere von den Chinesen veranlasst werden, diese halbkugelförmigen angewachsenen Perlen zu erzeugen, geht aus Hague’s Mittheilungen nicht deutlich hervor, dagegen findet sich in ‘den Abhandlungen der königlich schwedischen Aka- demie der Wissenschaften auf das Jahr 1772 (Bd. 34, S. 88) ein von Grill abgefasster Bericht, wie die Chi- nesen ächte Perlen nachmachen, aus welchem sich jene Perlenbildung vollkommen erklären lässt. Was Grill bei seinem Aufenthalte in Canton über diese Kunst er- fahren konnte, war nämlich Folgendes: „Wenn die Mu- scheln im Anfange des Sommers an die Oberfläche des Wassers heraufkriechen und geöffnet an der Sonne liegen, so hat man schon aufgezogene Schnuren von 5 oder Ü Perlmutterperlen zur Hand, die mit Knoten am Faden von einander gesondert sind, in jede Muschel legt man eine Schnur solcher Perlen. Mit diesem Fange senkt sich die Muschel in's Wasser. Das Jahr darauf werden die Muscheln heraufgeholt, wenn man sie öffnet, findet sich jede der eingelegten Perlenmutterperlen ar einer Deuen 359 Perlenhaut überzogen, die dem Ansehen nach völlig äch- ten Perlen gleicht.‘“ Dass auch in der mir vorliegenden Muschelschale über eingeschobene Perlschnüre die Perl- muttermasse sich ergossen hat, lassen die erhabenen dün- nen Perlmutterleisten errathen, welche auf dem Boden der Schale hier und dort von den einzelnen perlenartigen Erhabenheiten abgehen, und auf die Anwesenheit von Schnüren hinweisen, auf welche die in die Muschelschale eingeschobenen Perlen aufgereiht waren. Die Abbildung von Taf. I Fig. 2 stellt eine Muschel- schale dar mit elf in drei Reihen geordneten Reliefs des oben erwähnten Götzenbildes. Eine zweite mir vorlie- gende, in ähnlicher Weise künstlich behandelte Muschel- schale zeigt deutlich, dass auch hier die in die Muschel eingeschobenen Formen des Bildes gleich Perlen auf Schnü- ren befestigt gewesen sind, indem an einer Stelle von dem einen Bilde zu dem nächstfolgenden eine scharf ab- gegrenzte dünne Perlmutterleiste herüberläuft. Diese Reliefs stimmen vollständig mit denjenigen überein, welche von Hague abgebildet worden sind. Der- selbe erwähnt übrigens solchen Bildes in seinem Aufsatze nur ganz kurz. Gewiss werden auch diese Bilder aus den Muscheln herausgesägt und von den Chinesen als Schmuck oder Amulette getragen. Letzteres vermuthe ich deshalb, weil ein hiesiger, um die Bedeutung dieses Bildes befragter Sachkundiger sich in folgender Weise darüber aussprach: „Die bildlichen Abdrücke in den Mu- schelschalen tragen den buddhistischen Charakter und stellen vielleicht Buddha selbst oder einen Bodhi- satwa, etwa Awalokitöswärä, chinesisch: Kuan- jin Pussa, dar, wahrscheinlich das Sinnbild der schö- pferischen Kraft, die unter Buddha steht, eines De- miurgos.‘“ Da dieses Mittel von den Chinesen schon seit meh- reren Jahrhunderten angewendet wird, um von gewissen Muscheln bestimmt geformte Perlmutterbildungen zu er- zwingen, so ist es um so auffallender, dass über die Art und Weise, wie diese Methode ausgeübt wird, eine ganz bestimmte Mittheilung bis jetzt nicht nach Europa gekommen ist, obwohl die Gewinnsucht des Menschen überall, wo die bekannte Margaritana margariti- fera einheimisch ist, sowohl in Schottland, Schweden wie in Mitteldeutschland, sich stets dafür interessirt hat, diese Süsswasserperlmuschel durch erzwungene Perlbild- ungen auszubeuten. Weder Grill noch Hague spre- chen sich über das Verfahren genauer aus, wie das Ein- bringen fremder Körper, um welche sich der Perlmutter- überzug herumbilden soll, an den Muscheln vorgenominen wird. Auch Herr Rienecker machte mir über dieses Verfahren nur folgende kurze Mittheilung: „Das mir be- kannte Verfahren ist ganz einfach. es werden nämlich Blättchen von Zinn in die Muscheln gelegt, das‘ Thier darinnen gelassen, wieder in den See gesetzt und nach Verlauf einer gewissen Zeit wieder herausgenommen, in- dem sich alsdann der gewünschte Ueberzug gebildet hat.“ Nur aus einer Mittheilung Gray’s (On the Structure of 356 Pearls and on the Chinese Mode of producing them of a large Size and regular Form, in the Annals of Philo- sophy. New Series. Vol. IX, 1825, pag. 27) lässt sich das von den Chinesen hierbei angewendete Verfahren mit ziemlicher Sicherheit erschliessen.. Es dürfte daher pas- send sein, wenn ich hier eine Uebersetzung dieser Mit- theilung aus Geiger’s Magazin für Pharmacie (3. Jahrg., Bd. XI, 1825, S. 71) abdrucken lasse; sie lautet: „Bei der Untersuchung der Muscheln in dem britischen Mu- seum beobachtete ich ein Exemplar von Barbala pli- cata mit verschiedenen, sehr feinen, regelmässig gebil- deten halbkugeligen Perlen von meist schönem Wasser, und indem ich mich zu der vorzüglichen Sammlung von Perlen wandte, so bemerkte ich verschiedene Fragmente derselben mitähnlichen Perlen und bei genauer Untersuchung von einer, deren Muschel zerbrochen war, beobachtete ich, dass sie aus einer dicken Schale bestand, die aus concentri- schen Lagen gebildet war, welche ein planconvexes Stück- chen Perlmutter umgaben. Indem ich die übrigen Perlen untersuchte, so schienen sie alle auf dieselbe Art gebildet zu sein. In ein oder zwei Stellen, wo die Perlen zer- stört oder entfernt waren, blieb auf der innern Seite der Schale eine kreisförmige Vertiefung mit einem platten Stückchen von derselben Dicke oder etwas weniger als die Dicke der Schale, welche die Perle bedeckte, welches deutlich beweist, dass diese Stücke von Perlmutter hin- eingebracht sein mussten, als die Schale noch jünger und dünner war; und die einzige Art, wie sie in das Innere der Muschel gekommen sein konnten, ist, dass sie zwi- schen dem Lappen des Mantels und der innern Seite der Schale eingebracht sein mussten, denn sie konnten nicht durch die Scale selbst eingebract sein, weil man nicht das Geringste an der äussern Seite derselben in der Nähe der Perlen bemerkte, dass sie früher beschädigt gewesen sei.‘ Aus diesen Untersuchungen geht hervor, dass die Chinesen auf ganz einfache Weise den physiologischen Hergang der Schalenbildung bei den Muschelthieren be- nutzen, um durch sie bestimmte Formen von Perlmulter- gebilden erzeugen zu lassen*). An allen mit nackten Schalen und Gehäusen versehenen Mollusken ist es be- kanntlich nicht blos der freie Rand ihres Manlels, son- dern zugleich auch die ganze äussere Fläche desselben, von welchen die nöthige Substanz zu den Muschelschalen und Schneckengehäusen abgesondert wird. Es findet aber *) Nachträgliche Bemerkung. In einer mir jetzt erst zu ‚Gesicht gekommenen Schrift von Woodward (A Manual of the Mollusca. London 1851, p.274) finde ich noch die folgende kurze, auf künstliche Perlmuttererzeugung sich beziehende Notiz. Hier heisst es nämlich: „Es ist dies (Unio plicatus) die Art, in welcher die Chinesen künstliche Perlen durch Einführung von Schrot u. s. w. zwischen dem Mantel des Thieres und der Schale hervorbringen. Herr Gaskoin besitzt ein Exemplar, welches zwei Schnüre {mit Perlen ent- hält und ein anderes Exemplar im brilischen Museum hat eine Anzahl von kleinen, aus Glockenspeise gefertigten Knöpfchen in seinem Innern, die jelzt gänzlich mit Perlensubstanz über- zogen sind.‘ ; 357 o Secretion der Kalkerde und der mit dieser verbundenen thierischen (wahrscheinlich chitinartigen) Substanz in ver- hältnissmässig reichlicher Menge und oft in Verbindung mit verschiedenen Farbestoflfen vor sich geht, wodurch die Formen der Schalenränder, sowie die Beschaffenheit, Färbung und Zeichnung der äussern Oberfläche der Scha- len bedingt werden, während die äussere Fläche des Mantels nur geringe Mengen von meist ungefärbter Kalk- erde und thierischer Substanz absondert. Es werden auf diese Weise ungemein zarte und zugleich äusserst zahl- reiche Wachsthumsschichten in Lamellenform über einan- der gelöthet, wodurch der eigenthümliche Perlmulterglanz an der innern Fläche der Muschelschalen erzeugt wird. Ich bemerke hier ausdrücklich, dass die mir vorliegenden auf ihrer innern Fläche mit Perlbildungen besetzten Mu- schelhälften an ihrer äussern Fläche auch nicht im Ge- ringsten verändert oder missbildet waren. Es liegt so nahe, diese Eigenschaft des Mantels der Muschelthiere in der Weise, wie es von den Chinesen geschehen ist, zu künstlichen Perlmutterbildungen zu benutzen, dass man sich wundern muss, warum man nicht in Europa diese Methode angewendet hat, um sich von der Mar- garitana margaritifera dergleichen Perlmutterge- bilde zu verschaffen. Freilich werden durch die oben erwähnten Manipulationen nur engewachsene Perlenbild- ungen erzielt, was wohl nicht Jockend genug erschien, um sie auf unsere Perlmuschel anzuwenden. Vebrigens ist dieses Muschelthier in Europa aus Ge- winnsucht theils durch Verletzungen, theils durch An- bohrungen der Schalen schon oft genug misshandelt wor- den, um demselben isolirte Perlen abzugewinnen; da aber dergleichen den Schalen beigebrachte Verwundungen meist nur eine Callusbildung in Form von angewachsenen Per- ‚len zur Folge hatten, so wurde kein besonderer Werth auf diese künstliche Perlerzeugung gelegt, ohne dass aber der Gedanke an die Möglichkeit aufgegeben wurde, in der Perlmuschel künstlich einen Process hervorrufen zu können, durch den isolirte und vollkommen abgerundete Perlen sich bilden müssten. In neuester Zeit glaubt man durch das Studium der Muschelparasiten jenem Processe so weit auf die Spur gekommen zu sein, dass man sich der sanguinischen Hoffnung hingibt, den Perlmuscheln mit Sicherheit die Bildung werthvoller Perlen abzunöthi- gen. Wie weit dies möglich sein wird, will ich hier unberührt lassen, da Hr. Dr. v. Hessling eben im Be- grlle ist, die interessanten Resultate seiner Untersuch- ungen, welche derselbe auf Befehl Seiner Majestät des Königs Maximilian von Bayern an den Perlmuscheln des bayrischen Waldes angestellt hat, bekannt zu ma- chen *). e ®) Socben gibt v. Hessling einen vorläufigen kritischen Bericht über die Methode der künstlichen auf Einführung von 2 oder deren Brut in die Muschelthiere beruhen - u Perlenerzeugung, welche jedoch das nicht wird leisten können, was man von ihr hofll, da sie, wie Hessling rich- tig hervorgehoben hat, in vielfacher Beziehung mit den phy- 358 Die genauere Betrachtung jener oben erwähnten künstlichen chinesischen Perlbildungen leitete übrigens meine Aufmerksamkeit auf die verschiedenen, meistens aus Glas nachgemachten unächten Perlen, von denen die sogenannten Coques de Perles, welche bei den Ju- welieren unter dem Namen Perles coqs bekannt sind, mir ganz besonders auffielen. Da diese perlmutterartig glänzenden, bald mehr, bald weniger gewölbten, sehr dünnwandigen ovalen Schalen verschiedener Grösse (ich habe dergleichen von 4 bis 1} Zoll im Längendurch- messer vor mir), deren convexe Fläche nach gehöriger Fassung früher vielfach als Schmuck gedient hat, von den Juwelieren gegenwärtig für ganz werthlose Kunst- producte gehalten und in die Reihe der unächten Glas- perlen gestellt werden, so erstaunte ich nicht wenig, als ich bei näherer Untersuchung dieses missachteten Rococco- geschmeides- mich überzeugte, dass diese Schalen wirklich aus natürlicher Perlmuttermasse bestehen, und dass die- selben nicht etwa aus einer Muschel- oder Schnecken- schale künstlich herausgearbeitet sind; schon aus der ganzen Form der Perles coqs geht hervor, dass die spröde Masse der Perlmuttermuscheln sich nicht zu sol- chen dünnwandigen zerbrechlichen Schalen verarbeiten und aushöhlen lasse; ausserdem unterscheidet sich die con- vexe Oberfläche der Perles coqs durch ihren eigen- thümlichen seidenartigen und gleichmässigen Glanz auf den ersten Blick von der gewöhnlichen in abgerundeter Form verarbeiteten Perlmuttermasse, welche einen ganz andern unruhigen, wolkenarligen Glanz auf convexer Flä- che von sich gibt. Dass aber die Substanz der Perles coqs wirklich aus Perlmuttermasse besteht, davon habe ich mich sowohl durch chemische, wie durch mikrosko- pische Untersuchung überzeugt. Die Scherben zerbro- chener Perles coqs zeigten an ihren Bruchrändern schon mit der Loupe betrachtet eine blälterige Structur, noch deutlicher trat ihre feinlamellige Structur unter dem Mikroskope hervor; ich konnte in dieser Beziehung zwi- schen der Substanz von Perles coqs und anderen Perlmuttergegenständen keinen Unterschied wahrnehmen. Bruchstücke dieser Perles coqs lösten sich in Salz- säure unter Luftentwickelung auf und hinterliessen als Rückstand jene animalische häutige Substanz, welche auch bei der gewöhnlichen Perlmultermasse unter glei- cher chemischer Behandlung zurückbleibt. Es muss auf- fallen, dass kein Juwelier, den ich hier in München be- fragte, mir über den eigentlichen Ursprung dieser Per- les coqs Aufschluss geben konnte. Erinnert man sich an das, was Hague über das Verfahren berichtet hat, welches die Chinesen mit den auf künstlichem Wege ge- wonnenen Perlbildungen vornehmen, so liegt der Gedanke nahe, die Perles coqs für ähnliche, aus China stam- inende Muschelproducte zu halten. Hague meldet aus- siologischen und zoologischen Grundsätzen im Widerspruche steht, Vergl. die gelehrten Anzeigen der königl. bayer. Aka- demie der Wissenschaften, mathemat. - physikalische Classe, 1856, Nr. 13, 5. 126. 23 * 359 ‚drücklich, dass mit einer feinen Säge die Muschelschale so nahe als möglich an den Perlbildungen durchschnitten wird, dass sowohl das Stückchen Muschelschale, welches an der untern Fläche der Perlbildlungen geheftet bleibt, sowie der fremde körper, welcher als Kern zur Perl- bildung benutzt worden war, entfernt wird, während an dessen Stelle weisses Wachs in die Höhle der Perlen- schale eingelegt und an die angesägten Ränder derselben ein Stück Muschelschale befestigt wird. Alle von mir untersuchten Perles coqs haben die Form von ovalen Schälchen, deren Höhle mit Mastix ausgegossen und ge- gen deren scharf abgeschnittenen Ränder eine Platte von gewöhnlicher Perlmuttermasse befestigt ist. Höchst wahr- scheinlich gewinnen die Chinesen dergleichen ovale Schäl- chen von Perlsubstanz dadurch, dass sie irgend einen fremden Körper von halbovaler Form gewissen Süsswas- sermuscheln zwischen Mantel und Schale schieben und es den Thieren überlassen, um diese Formen herum das Secret ihres Mantels abzusondern. Die Dünnschaligkeit, sowie der geringe Werth der als Perles coqs im Handel vorkommenden Perlbildungen spricht ganz für meine Ver- muthung; da die Chinesen den Muscheln zu diesen Perl- bildungen nur wenig Zeit gönnen und sich beeilen, diese den Muscheln durch Kunst abgenöthigte Perlproducte zu Markte zu bringen, so erklärt sich hieraus, sowie aus der Sicherheit, mit der sie sich diese Perlbildungen ver- schaffen können, die von Hague ebenfalls erwähnte Wohlfeilheit und Häufigkeit dieses Handelsartikels. Obgleich das Interesse, welches man von jeher der Perlenerzeugung geschenkt hat, eine umfangreiche Lite- ratur über diesen Gegenstand hervorgerufen hat, so habe ich doch über Coques de Perles in älteren Schriften nur höchst dürftige Nolizen auffinden können. Man be- schränkte sich fast nur darauf, das zu wiederholen, was Beckmann (in seinen Beiträgen zur Geschichte der Erfindungen, Bd. II, 1788, S. 327) darüber ausgesagt hat. Derselbe erwähnte ganz kurz die Coques de Perles als ein von Menschenhänden gemachtes Kunst- produet, fügte aber hinzu, dass ihn eine Erklärung Pou- gel’s in dieser Beziehung zweifelhaft gemacht habe. Pou- get sagte nämlich in seinem Traite des pierres precieu- ses et de la maniere de les employer en parure, 1762, I, pag. 20, wie folgt: „La coque de perle ne se forme point dans une coquille de nacre comme la perle. Elle vient d’un limagon qui ne se trouve que dans les Indes orientales. Il y en a de plusieurs especes. On scie la coqnille de ce limagon, et on ne peut relirer qu’un e co- que de chaque. Les coques sont fort minces, et on est oblige de les remplir de larmes de maslic, pour leur donner du corps, et pouvoir Jes employer. Ce beau li- macon se trouve ordinairement dans Ja mer, et quelque fois sur le rivage.“ Ich muss es natürlich unentschieden lassen, was an diesen Mittheilungen, welche mit meinen Vermuthungen über die Herkunft der Coques de Perles sehr im Widerspruch stehen, Wahres und Unwahres sich herausstellen wird, jedenfalls dürfte es sich wohl der 360 Mühe lohnen, anderweitige directe Nachrichten über diese Coques de Perles, welche meiner Ueberzeugung nach Naturproducte sind, aus China einzuzichen. Es ist mir noch übrig, die zoologischen Charaktere jener Muscheln festzustellen, in denen sich die bespro- chenen Perlbildungen vorfinden. Alle drei mir vorliegen- den Muschelschalen sind rechte Seitenhälften und gehören einer und derselben Muschelart aus der Familie der Na- jaden an. Die mässige Dicke der Schalen und die Ein- fachheit des Schlosses gibt bei oberflächlicher Betracht- ung zu dem Glauben Veranlassung, man habe die Scha- len einer Anodonta vor sich, auch Grill, welcher (a. a. 0. 8.89) der schwed. Akademie eine solche mit Per- len besetzte Muschel aus China vorlegte, vergleicht die- selbe mit dem in Schweden vorkommenden Mytilus (Anodonta) cygneus. Dennoch unterscheiden sich aber diese Muscheln von der zahnlosen Anodonta durch die Anwesenheit einer neben dem Ligamente in einem sanften Bogen sich hinziehenden Leiste. Gray bezeich- nete (in den Annals of Philosophy a. a. 0. $. 28) diese Muscheln, in welchen derselbe ebenfalls dergleichen Perl- bildungen bemerkt hatte, als Barbata plicata*) und berief sich dabei auf Humphrey, welcher in dem Mu- seum Calonnianum (1797, 59, dieses Werk steht mir zur Vergleichung leider nicht zu Gebote) den Namen Bar- bata zuerst dieser neuen Najadenform beilegte. Dieselbe Muschel wurde von Leach (in the zoological Miscel- lany, Vol. I, 1814, pag. 119, Tab. 53) als Dipsas plicatus beschrieben und abgebildet; Leach gibt von dieser Muschel als. Gattungscharakter an: Testa fluviati- lis, bivalvis, aequivalvis, transversa, impressionibus mus- cularibus tribus; cardo in utraque valva externe lamelli- formis, und fügt als Speciescharakter hinzu: Testa viri- descente-lutea interne margaritacea iricolore, inaequaliter alata; ala majore longitudinaliter umboneque transversim plicatis. Obgleich Leach das Vaterland dieser Muschel nicht angeben konnte, erkenne ich in seiner Beschreib- ung und Abbildung dennoch die in Rede stehenden chi- nesischen Muscheln, dazu kommt noch, dass Leach von dieser Muschel noch besonders bemerkt: The speci- men from which the annexed figure was taken, has four- teen pearls adhering to it, and is preserved in the British Museum: it formed a part of the collection of Sir Hans Sloane; and is enumerated in {he catalogue as „a Bohe- mian river horse-mussel, with pearls sticking to the shell.‘* Auf der abgebildeten linken Schale dieser Muschel sind auch ein Paar dieser Perlen zu erkennen. Eine Copie die- ser Abbildung findet sich in Blainville’s Manuel de Malacologie (1825, pag. 538, Pl. 56, Fig. 2). Offenbar hatte Leach eine solche Muschelschale vor sich, welche künstlich hervorgerufene Perlbildungen enthielt. *) Wahrscheinlich durch einen Druckfehler ist dieser Name-in den Annals of Phylosophy als Barbala zu lesen und von da ebenso unrichtig’ auch in Geiger’s Magazü übergegangen. 4 wu em. [un [u vernsus 9