u Se FOR THE PEOPLE FOR EDVCATION FOR SCIENCE LIBRARY OF THE AMERICAN MUSEUM OF NATURAL HISTORY AN Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde, gesammelt und mitgetheilt von Dr. Robert Froriep, des rothen Adlerordens vierter Classe Ritter, ur Königl. Preuss. Geh. Medicinalrathe a. D. und praktischem Arzte in Weimar, Vicedirector der Königl. Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt, Mitgliede und Correspondenten der Academie imperiale de Medecine zu Paris, der Hufelandischen medieinisch-chirurgischen Gesellschaft, des Vereins für Heilkunde in Preussen, der Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Berlin, der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, der Svenska Läkare-Sällskap zu Stockholm, der Societas physieo-medica zu Moskwa, der K. K. Gesellschaft der Aerzte in Wien, des ärztlichen Vereins zu Hamburg, der Louisiana Society of Natural History and Sciences zu Neu-Orleans, des Deutschen Vereins für Heilwissen- schaft zu Berlin, der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur zu Breslau, der dv Admveıs laroınn Erargeix und des thüringischen historischen Vereins sowie der Grosshzgl. S. Gesellschaft f. Mineralogie und Geognosie zu Jena; Ehrenmit- gliede des Vereins Grossherzogl. Badischer Medicinalbeamten für die Beförderung der Staatsarzneikunde, des Apothekervereins im nördlichen Deutschland und des naturwissenschaftlichen Vereines des Harzes. i —— Jahrgang 1857. Dritter Band. VE EEE Jena, Druck und Verlag von Friedrich Mauke. 1857. AR rohe BR RED I aa ee Kan ee A RE uns lach Bun: ar le la DEIN B) In? er ; ve nr Yi4t, ie Ye TE MEER it al Es EN Iyn ne ER ARE UOTE a Br Ne Ara en RER HR hu ar ET ErE ss Pt ’ ri. EEE EEE Wi nn MR RER FEN We EN un = Ri j y Wa ha NAAR, Bianka Dry A: ET EIREE griige NIE 5 0 Hahn, Be ee ice, He RAIN un ea SER zeirat, 1r= 05 {W STR: SR N. HR a RT Ba Ar, u rare Burg EI DEI 0 ur ut Sal Me Se BR a Be ae Dr Rue Wh Ks Kalk ie ig IR: 1b. eh run. N 7 Amanda able Saar nn en gen BE ET; nt aa gie PRTPUTERREON | KON BBTENIEELENORG «ch ask sen Halsband tor werd As u ost u (M. bezeichnet die Miscellen; m. Abb. Achse des Schenkelbeinhalses, Richtung. M. 4. 56. Akustische Versuche. 12. 177. Amyloiddegeneration. M. 15. 239. Anästhetica, Gebrauch. 19. 299. Augenentzündung durch fremde Körper im Gehörgang. M. 9. 144. Ausstreuen der Samenkörner. M. 8.120. ne maltnng bei Pneumonie. M. 14. Badende Strausse. M. 7. 104. Berend, Lähmungen. 8. 121. —— Heilgymnastik bei innern Krank- heiten. 10. 151. Bindegewebe. 10. 145. 11. 161. Blutbach. M. 21. 326. Brüche, innere, ihr Verhalten zu den Ge- schlechtsdrüsen. 5. 77. 6. 87. Brüten des Secretärs. M. 5. 70. Carus, Jod gegen Woorara. 7. 410. Chemische Harmonika. M. 8. 119. Chloroform gegen Veitstanz der Kinder. M. 25. 400. Cloetta, Inosit u. Harnsäure. 22. 337, Coliusarten, ihr Hängen. M. 7. 104. Conchae praeparatae. 21. 335. Conservirung von Fischen u. s. w. M. 20. 314. Convexgläserkur gegen schwarzen Staar. 15. 235. 16. 247. Cramer, Bestandtheile der Pflanzen. 25. 385 et, Klapper der Klapperschlan- ge. 8. 113. „ PR Delirium tremens, Behandlung. 8. 119. Dieterici, Statistikd. Geburten. 11.164. Dusch, Schimmelbildung in der Lunge. 8. 127. Wcker, Geruchsschleimhaut. 9. 129. Einzelnhaft. 11. 170. 12. 183. —— Einwirkung aufdie Gesundheit. 12. 190. 13. 199. 14. 217. Bunert, Einschiebung der Gedärme. 2. 27 Be erium; Collodium dagegen. M. 19. Entwickelungshemmung, auflallende. M. 23. 364. j Enhaltsverzeichniss. mit Abbildungen; die 1. Ziffer die Nummer des Blattes, die 2. die Seitenzahl.) Erdbeben, rinzförmige Fortpflanzung. M. 1. 10. E'arbe von den Schwungfedern abzuwi- schen. M. 6. 88. Farbentheorie. 20. 305. 21. 321. Hasen Kolfger nun; Theorie. 5. 65. — — 1.6. 86. Feltablagerung durch Leberlhraneinreib- ung. M. 5. 80. Frei und Lebert, Krankheit der Sei- denraupe. 23. 358. Dalneer; Vaceinationslymphe, 9. 14 Fronmüller, 235. 16. 247. Froschlarven, künstliche Entwickelung. M. 14. 217. Convexgläserkur. 15. M. 16. 248. Gialvanoplastische Thiere. M. 19. 296. Gasquellen, Bohrungen. Geburten, ihre Statistik. 11. 164. Gedärme, Einschiebung. 2.27. 3. 43. Gehirnerweichung. 16. 251. 17. 263. Gehörorgan, Mechanismus. 12. 181. Geruchsschleimhaut. 9. 129. Grävell, Theorie der Farben. 21. 321. 20. 305. BHartlaub, Vögel Westafrika’. 4.49. Heilgymnastik bei inneren Krankheiten. 10. 151. Helfferich, Verhältniss des Thieres zur Pflanze. 1.1 Helft, Klimatische Kurorte. 1. 9. Hering, Oeffnen der Luftsäcke d. Pfer- dese a. 774: Hernia „getroperitonealis, Bildung. M. 14. 224. Hertzer, Witterungszeichen am Brok- ken. 24. 369. Dr Vertilgung durch Vögel. M en fettige Entartung. M. 15. Hönnicke, Molken und Alpenklima. 22 347. 23. 361. zolle: Zellenkörper d. Lebermoose. 6. 81. Horn, Luftelektricität und Cholera. 17. 133. Hnosit und Harnsäure im menschlichen Körper. 22. 337. Jod als Gegengift gegen Woorara. 7. 110. B&euchhusten, Lungengewebe dabei. M. 22. 353. Klapper der Klapperschlange. 8. 113. Klimatische Kurorte. 1. 9. Knorpel, ihre Verknöcherung. M. 6.86. Krystalle in der Rinde von Pflanzen. M. 10. 152. Kıystallisirbarkeit der Blutkörper, Be- standtheile. 16. 241. Kukuk in Westafrika. M. 5. 70 Kurzsichtigkeit, simulirte, zu erkennen. 23. 366. Zähmungen. 8. 121. Lebert, Krankheit der Seidenraupen. 23. 353. Lehmann, Krystallisirbare Blutkörper- bestandlheile. 16. 241. Leydig, Bindegewebe. 10. 145. 11. 161 Löss des St. Galler-Rheinthales. 19. 292. Luftelektrieität und Cholera. 9. 133. Luftsäcke des Pferdes, Oeffnen. 5. 71. Lorey, Heilungsprocess der Pneumonie. 20. 313. —— Kleine Typhusepidemie. 21. 327. NEagenschleimhaut, Hypertrophie. M. 15. 240. Magnetische Wirkung schwingender Sai- ten. M. 4. 56 Mangan in Eisenwassern. 11. 167. Marchand, Leuchten des Phosphors. 15. 193. Melancholia attonita, Behandlung. 7.107. Menke, Mangan in Eisenwassern. 11. 167. Mikroskopische Präparate, Tauschverkehr. 2. 17.3. 33. Milben, besonders Phytoptus. 7. 97. Mineralquellen, physiologische Prüfung. 4. 62. Mineralwasser bei Endocardilis. M. 4. 63 Molken und Alpenklima. 22. 347. 23. 361. Morbus Brightii, Behandeln. M. 5. 80. Mousson, Löss des Rheinthales. 19. 292. Mumienaugen. M. 17. 264. Muskeln, hängen von der Entstehung d. Nerven ab. M. 15. 199. Waturwissenschaften, Fortschritte. 17. 257. 18. 273. 19. 289. Nekrologe von Thenard. 6. 86. — Neumann. 15. 234. — Hüter. 16. 256. — Carl LucianBonaparte, Holman, Mitchell, Lichten- stein. 19. 297. Neurologie der Rana esculenta. M. 24. 374. Neurosen des Vagus. M. 6. 9%. ©ecdema glottidis. M. 6. 96. Parasiten, in der ärztlichen Praxis auf- zufinden. 6. 90. 7. 103. Perianth, Rolle bei der Befruchtung. M. 6. 85. Perlhuhn, sein Stammland. M. 6. 86. Perutz, Prüfung der Mineralquellen. 4. 62. Peyersche Drüsen. 12. 181. Pilanzenbestandtheile und Nahrungsmit- tel. 25. 385. Phosphor, sein Leuchten. 13. 193. Pneumonie, Heilungsprocess. 20. 313. Progressive Paralyse. M. 9. 144. M. 9. 133. ZRaumsinn. 16. 244. Reinhard, Parasiten. 6. 90. 7. 105. BR up onenibrue, eingeklemmter. 4. 57. Retzius, Peyersche Drüsen. 12.181. Ridge, Eingeklemmter Retroperitoneal- bruch. 4. 57 @uellen, warme. Schädeldurchmesser des Kindes, Einfluss der Mütter. 24. 375. 25. 397. Schaffgotsch, Akustische Versuche. 12. 177. Schimmelbildung in der Lunge. 8. 127. Schlager, Behandlung der Melancho- lia attonita. 7. 107. Schlossberger, Wurstgift. 10.155. —— Conchae praeparatae. 21. 335. Spöndli, Schädeldurchmesser. 24.375. 25. 397. Taback, Wirkung. M. 5. 80. Thier zur Pflanze, Verhältniss. 1.1. Tradescantia zebrina, Lebenszähigkeit. M. 12. 184. Treitz, Innere Brüche. 5. 77. 6.87. Typhusepidemie, kleine. 21. 327. Ullmann, Gehirnerweichung. 16. 251. 17. 263. ’ Waccinationslymphe. 9. 140. Veitstanz, Chloroform dagegen, =.19. 304. 25. 400. Virchow, Congenitale Nierenwasser- sucht. 17. 268. 18. 277. 19, 297. Vogel, der seine Beute hängt, M.5. 70. Vögel Westafrikas. 4. 49. ww Hr er, Menschliches Gehörorgan. 12, 181. Raumsinn. 16. 244. Willkürliche Unterbrechung d. Herz- schlags. 14. 209. 15. 225. Werber, Anästhetica. 19. 299. Witterungszeichen am Brocken. 24. 369. Wurstgift, Erklärung. 10. 155. Ziellenkörper der Lebermoose. 6. 81. Zimmermann, Faserstofigerinnung. 5. 65. Zucker gegen Zuckerharnruhr. M. 24, Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. EEE. Band Ne 1. Naturkunde. A. Helfferich, Verhältniss des Thieres zur Pflanze. — Miscelle. Clement, Nachweis. dass die Erdbeben in einer ringförigen Bahn sich fortpflanzen. — Heilkunde. Helfft, Die klimatischen Kurorte. Naturkunde. Verhältniss des Thieres zur Pflanze. Von Dr. A. Helfferich *). Die unten angeführte geistreiche Schrift ist eine ge- wichtige Stimme gegen den groben Materialismus, der sich in neuster Zeit geltend zu machen gesucht hat. Sie regt auf allen Seiten zu einer tiefergehenden Kritik an und verwendet ein reiches Material des Wissens zur Be- sprechung der wichtigsten naturwissenschaftlichen Fra- gen. Wir heben daraus einen Theil des Kapitels über Organismus und Teleologie aus: „Wie verhält sich das Thier zur Pflanze? Zur Beantwortung dieser Frage erscheint es zunächst unerlässlich, sich ein klares Verständniss darüber zu ver- schaffen, in welchem Verhältniss Pflanzenreich und Thierreich zu einander stehen. Dass beide parallel neben einander herlaufen, ist schon daran ersichtlich, dass sie sich gegenseitig bedingen und ergänzen. Die Pflanze athmet die Kohlensäure ein, welche das Thier ausathmet, und das Thier athmet den Sauerstoff ein, welchen die Pflanze ausathmet. Die Pflanze zersetzt die Kohlensäure und nimmt den festen Stoff, den Kohlenstoff, daraus an sich, um ihren Leib zu bauen; das Thier verbindet den Sauer- stoff mit Kohlenstoff des eigenen Leibes und giebt diese Verbindung in Gasgestalt von sich, um sich eines ver- brauchten Stoffes zu entledigen. So lebt jedes der beiden Reiche so zu sagen von Abfällen, den Excrementen oder Rückbildungsausscheid- ungen des anderen. Die Verwesung und der Athmungs- process, bemerkt Schleiden, lösen alle Pflanzen- und Thierstoffe, indem der Sauerstoff der Atmosphäre ver- mindert wird, in Kohlensäure, Ammoniak und Wasser *) [ES Die neuere Naturwissenschaft, ihre Ergebnisse nnd ihre Aussichten von Ad. Helfferich. 8. 471 8. Triest, Lit. art. Abth. d. österr. Lloyd, 1857. auf, welche sich in der Atmosphäre verbreiten. Dieser Stoffe bemächtigt sich die Pflanze und bildet daraus, un- ter beständiger Vermehrung des Sauerstoffes der Atmo- sphäre, kohlenstofl- und wassersloflreiche und stickstofffreie Bestandtheile: Stärke, Gummi, Zucker und Fettarten, endlich stickstoffreiche Bestandtheile: Eiweiss, Faserstoff und Käse- stoff. Diese Bestandtheile dienen dem Thiere, indem es aus letzteren seinen Körper baut und die ersteren im Respi- rationsprocesse zur Erhaltung der nöthigen Wärme ver- brennt. Das Leben selbst ist nur ein Verbrennungspro- cess, die Verwesung nur der letzte Abschluss desselben. Ganz wahr: aber die Antithese ist eben nur eine chemische, mit welcher dem Leben selbst nicht bei- zukommen ist. Man hat daher gut behaupten, Pflanzen- zelle und Thierzelle seien aus denselben Bestandtheilen zusammengesetzt, der Grund selbst, warum aus einer Zelle ein Thier und keine Pflanze entsteht, lässt sich mit den uns zu Gebote stehenden Hülfsmitteln eben so wenig angeben, als das immanente Gesetz, nach welchem aus einer Zelle immer nur ein Individuum einer bestimmten Art sich entwickelt. Dass im Thierreich eine ähnliche Stufenfolge stattfindet, wie im Pflanzenreich, zeigt die fossile Fauna. In der Steinkohlenperiode war das Meer bereits mit Haien, Triboliten, Enkriniten und Pentakri- niten bevölkert; in der Keuperformation finden sich Ple- siosauren und lchthyosauren, neben Gavialen, Leguanen und Schildkröten, Pterodaktylen neben Ammoniten und Nautilen. In den tertiären Bildungen durchziehen Wale, Walrosse und Robben die Meere und das Mammuth, durch wärmendes Wollhaar gegen die eindringende Kälte ge- schützt, zehrt von den Nadelhölzern des Nordens. Noch ein Schritt und die Thiere der Jetztwelt entstanden. Gleich- wohl versichern die Zoologen, die stufige Ableitung der zusammengesetzteren Thierleiber aus einfacheren stosse auf unüberwindliche Schwierigkeiten. So, um nur Eines anzuführen, gleichen die ersten krebsartigen Thiere (Tri- 3 boliten), die vor der Steinkohlenformation zugleich mit Polypen, Weichthieren und Fischen auftreten, nicht etwa den einfacher gebauten von unseren heutigen Krebsen, sie zeichnen sich vielmehr durch eine vollkommen ausge- prägte Gliederung ihres Körpers aus (0. Schmidt, im „deutschen Museum“, 1852). Um Vieles schwieriger dürfte eine befriedigende Antwort darauf zu ertheilen sein: ob sich eine feste und unverrückbare Grenzlinie zwischen Pflanzen und Thieren ziehen lässt. Bei den höher entwickelten Arten sind die unterscheidenden Kenn- zeichen fast handgreiflich. Alle höheren Thiere sind mit einem oder mit mehreren sehr entwickelten Circulations- systemen, aus vielfach verzweigten Röhren bestehend, versehen; in ihnen kreisen die ernährenden Flüssigkeiten, das Blut und die Lymphe. Der Pflanze fehlt jegliches Circulationssystem: selbst die s. g. Milchsaftgefässe hat Schacht mit grosser Bestimmtheit auf milchsaftführende Bastzellen zurückgeführt: In den Gefässen der Thiere werden Lymph- und Blutkügelchen durch den ganzen Or- ganismus geführt, arterielles und venöses Blut sind durch die zartesten Gefässzweige mit einander verbunden, das Gewebe nimmt durch Diffusion dem Blute, was es braucht. Die Gefässbündel der Pflanze führen nicht zu einem Cen- tralorgan zurück, sie verlieren sich entweder im fortbild- ungsfähigen Gewebe jeder Stamm- und Wurzelknospe, oder sie verschwinden in den Zähnen der Blätter. Wir kennen daher in der Pflanze mit Sicherheit keinen ab- wärts steigenden Saftstrom, vermuthen jedoch, dass ein solcher durch das Nahrungsgewebe, vielleicht auch durch die jungen Bastzellen der Gefässbündel erfolgt. Das Thier hat Verdauungsorgane: es nimmt die Speisen in diesel- ben auf, zerkleinert und zerlegt sie, zieht aus ihnen die löslichen Stoffe und giebt die nicht brauchbaren unbenutzt wieder ab. Die Pflanze hat keine solchen Organe, ihre Würzelchen entlehnen dem Boden in Wasser gelöste Sub- stanzen, ihre Blätter entziehen der Luft gas- und dunst- förmige Stoffe. Welch’ ein Abstand zwischen einer Eiche und einem Räderthierchen, einem mikroskopischen We- sen mit Verdauungsorganen, Circulations- und Nerven- system ! Und dennoch hat die Generationslehre diese Kluft erheblich verringert. So wahr ist es, dass allein die ge- netische Methode Recht behält. Das ,„omne vivum ex ovo* Harvey’s ist bereits nicht mehr stichhaltig; im Thierreich wie im Pflanzenreich giebt es eine Fortpflanz- ung durch Keimkörner oder Keimzellen, und durch Wachsthumsproducte, d. h. Knospen oder Theilstücke. Wohl aber ist die Fähigkeit geschlechtlicher Zeugung Ei- genthum aller Thierarten. Unter solchen Umständen konnte es kaum ausbleiben, dass zwischen Botanik und Zoologie Grenzstreitigkeiten entstanden, die bis zur Stunde noch nicht geschlichtet, jedoch um ein Erhebliches dem Endentscheid näher gerückt sind. In der Generations- lehre hahen die Samenthierchen eine grosse, fast übergrosse Rolle gespielt; man knüpfte an sie für den Hergang der Zeugung die abenteuerlichsten Conjecturen, 4 bis Kölliker ein für alle Mal die merkwürdigen be- weglichen Gebilde im Samen für blosse histologische Formelemente erklärte, die er Samenfäden nannte und ihre Entwickelung aus Zellen durch die ganze Thierreihe nachwies. Da mit einem Male entdeckte man die beweg- lichen Sporen (Schwärmsporen) der Algen, was lag da- her näher, als die Schwärmsporen mit den Samenfäden zu identifieiren und, wie Unger that, die Pflanze über dem Momente der Thierwerdung zu ertappen! Damit noch nicht zufrieden, machte Meyer (Supplemente zur Lehre von dem Kreislauf), im Hinblick auf die wahrge- nommene Molekularbewegung der Pflanzen, aus den klein- sten Körnchen des Zellinhalts thierisch belebte Individuen, welche die Pflanze als ihre Wohnung aufbauen, wie die Polypen die Koralleninseln. Der heftigste Streit ent- brannte um den winzigen Haematococcus pluvialis, dessen zweifelhafte Thier- oder Pflanzennatur aus einer Menge verwandter Erscheinungen herausgehoben zu werden ver- dient. Die glänzend rothen Bläschen des wunderlichen Geschöpfes verrathen Anfangs eine bloss pflanzliche Na- tur, verwandeln sie jedoch unter geeigneten Umständen scheinbar in eine Art Infusionsthierchen mit rüsselförmi- gem Fühler und allen Zeichen freiwilliger Bewegung. Nimmt man mit v. Siebold an, dass es Infusorien giebt, welche keinen Darm und After besitzen, ‚keine feste Nah- rung aufnehmen und bei denen der Mund, wenn nicht abgeleugnet, doch nur durch Analogie erschlossen wer- den kann; dass darum, unter Zustimmung Dujardin’s und Kölliker’s, Willkür und Contractilität allein als Merkmale der Thierheit angesehen werden kön- nen, so ist man in der That verlegen, wohin man den Haematococcus zu rechnen hat. Mit der Vermuthung Nägeli’s, der Process der Schwärmzellen sei eine En- dosmose am vordern und eine Exosmose am entgegenge- setzten Ende, ist auch nicht viel anzufangen, da die schraubenförmigen Bahnen der Zellen dadurch nicht er- klärt werden können und es dem Pflanzenleben wider- streitet, dass Ernährung und Stoffwechsel sich in bipo- laren Richtungen einer geradlinigen Achse äussern. Aus dieser Verlegenheit rettet wiederum die richtige Anwend- ung des Generationswechsels, was dem Scharf- sinn Cohn’s (Die Lehre vom Wachsthum der Pilanzen- zelle.. In den Verhandlungen der kaiserl. Leopoldinisch- Carolinischen Akademie der Naturforscher, 1850) nicht entging. Bei mehreren Algensporen geht aus einer un- bedingt pflanzlichen eine Form hervor, welche sich dem Bau und der Lebensweise nach einer andern organischen Familie, namentlich der mund- und darmlosen Infusorien, analog verhält und aus diesem thierischen Entwickelungs- stadium in das unzweifelhaft vegetabilische nach einiger Zeit wieder zurückkehrt. Die Entwickelungsgeschichte von Euglena würde das umgekehrte Verhältniss zeigen. Das Protoplasma der Botaniker und die contractile Sub- stanz und Sarkode der Zoologen müssen, wo nicht iden- tische, so doch in hohem Grade analoge Bildungen sein. Bei der Pflanze ist die contractile Substanz als Primor- 5 dialschlauch innerhalb einer starren Holzfasermembran eingeschlossen, welche ihr nur eine innere, vormals sich in den Phänomenen der Circnlation und Rotation aus- sprechende Beweglichkeit gestattet, bei den Thieren aber nicht. Das Protoplasma in der Form des Primordial- schlauches ist gleichsam das thierische Element in der Pflanze, das hier noch gebunden ist, und erst im Thier- reich frei wird. Mit anderen Worten: Die Energie der organischen Lebensthätigkeiten, welche sich in der Be- wegung realisirt, ist vorzugsweise an eine stickstoffhal- tige, contractile Substanz gebunden, aber bei den Pflan- zen noch durch eine starre, trägere Membran herabge- stimmt und gefesselt. Bei den Thieren, einzelne Ent- wickelungsstufen abgerechnet, fällt dieses Hinderniss weg. Die innere Beweglichkeit aber, welche Veränderung der äusseren Umrisse durch Contraction und Expansion, schlän- gelnde und ähnliche Bewegungsformen, zum Theil auch Ortsveränderung hervorruft, ist die wesentliche Fähigkeit, welche der Protoplasmazelle innewohnt, der Gellulo- senzelle aber fehlt. Im Moment ihrer Entstehung sind alle Primordialzellen ziemlich gleich gebildet, von regel- mässiger eiförmiger Gestalt und kehren mit dem Moment ihrer Ruhe wieder in die vollkommen regelmässige Kugel- gestalt zurück. Der Protococcus pluvialis hat echte Be- wegungsorgane, nämlich zwei von der Primordialzelle ausgehende, durch zwei Oeffnungen der Hüllzelle hindurch tretende und in das Wasser hineinragende, lange, fast den zweifachen Durchmesser der Hüllzelle erreichende Flimmerfäden. Die nackten Schwärmzellen sind echte Primordialzellen, ohne starre, feste Holzfasermembran, nur von einer veränderlichen Protoplasmaschicht einge- hüllt, mit farblosem, grünem und rothem, zum Theil in Körnchen und Tröpfchen organisirten Inhalt. Nach eini- ger Zeit hat sich um die Primordialzelle eine zarte dop- pelte Linie eingefunden, die erste Andeutung der neuen derben Holzfasermembran. An diesem Punkte hat neuer- dings Pringsheim die botanische Frage mit entschie- denem Erfolg aufgenommen und einen wesentlichen Schritt gethan zur definitiven Abgrenzung des ‚generativen Le- bens durch den Nachweis, dass das Geschlecht eine durchgreifende Eigenthümlichkeit aller Or- ganismen ist, welche bei den am höchsten organisir- ten Thieren wie bei den einfachsten Zellenpflanzen in wunderbarer Analogie sich offenbart. Die den Spermato- zoiden der Thiere entsprechenden Spermatozoiden in den Antheridien der Pflanzen sind selbst bei den klein- sten und einfachsten Algen mit der Funktion betraut, nicht etwa, wie man bisher allgemein annahm, in eine bereits fertige, mit einer Membran verschene Zelle, son- dern in die zu befruchtende, noch membranlose körnige Masse einzudringen, worauf erst diese sich mit einer die eingedrungenen Spermatozoiden gleichfalls einschliessenden Membran bekleidet und so die der unmittelbaren Entwik- kelung fähige Embryonalzelle der Pflanze darstellt. Je- denfalls kann die Existenz von Spiralfäden nicht mehr als der einzige morphologische Beweis der männlichen 6 Geschlechtsfunktion eines Organs angesehen werden, viel- mehr giebt es mehrere Formen selbstbeweglicher Körper, welche bei den Pflanzen die Funktion der Samenthiere ausüben, wobei übrigens bemerkt werden muss, dass bei den Algen neben der geschlechtlichen Zeugung noch eine ungeschlechtliche, knospenartige Vermehrung stattfindet (Pringsheim, Untersuchungen über den Bau und die Bildung der Pilanzenzelle, 1854. Derselbe, Ueber die Befruchtung der Algen; in den Monatsberichten der berl. Akademie, 1855). Weiter sich zu wagen, scheint nicht räthlich, weil man nicht mehr den sichern Boden der Beobachtung un- ter sich hat. Eine Zurechtweisung müsste vornehmlich jedem Versuch zu Theil werden, das Protoplasma der Pllanze und die contractile Substanz des Thieres als durchaus homogen zu betrachten. Es ist nur ein neuer Name für ein altes Kleid, eine andere Ausdrucksweise für die abgethane Generatio spontanea, wenn man in die Uranfänge des Organischen einen Indifferenzpunkt hineininterpretirt, aus welchem durch das Zusammentref- fen äusserer Umstände entweder ein Organismus A oder ein Organismus B entsteht. So verdienstlich es war, däss dem Missbrauch mit den Samenthierchen und ihren generativen Funktionen ein Riegel vorgeschoben wurde, so ist es ebenso wenig zu loben, wenn die Zeug- ung für weiter nichts als einen chemischen Vorgang er- klärt wird. Ein Name ist freilich gleich bei der Hand. Was Blumenbach nisus formationis, Wolff vis es- sentialis nannte, bezeichnen Neuere als eine „kataly- tische“ Kraftwirkung des Samens, Liebig, unter Be- nutzung der von Laplace und Berthollet ausgegan- genen Ideen, Contactwirkung, und es stimmt ganz damit, dass Leuckart (in Wagner’s Handwörterbuch der Physiologie) den Embryo ein Stadium geschlechtlicher Indifferenz_durchleben lässt. Einmal im Zuge, war der durch die “Zellenlehre voreingenommenen Beobachtung nichts natürlicher, als von der Botanik auch der Zoologie das Axiom anzueignen, dass keine einzelne feststehende Form, sondern nur die Entwickelungsreihen als Gegen- stand einer organischen Formenlehre angesehen werden. können. In dieser Richtung ist besonders v. Siebold thätig, die von Ehrenberg festgestellten Artunterschiede der niedersten Infusorien anzuzweifeln, Organe und Funk- tionen möglichst zu vereinfachen und durch die Vermit- telung der Zelle das Thier der Pflanze so nahe zu brin- gen, dass der Uebergang von dem einen Reich in das andere unmerklich wird. Hiernach ist ein mit eigenen Wandungen von dem übrigen Organismus vollständig ab- geschlossenes Gefässsystem bei den Protozo@n nicht vor- handen, wohl aber finden sich bei sehr vielen, jedoch nicht bei allen, hohle, rhythmisch contractile, gleichsam pulsirende Räume in mannigfaltiger Form, Zahl und An- ordnung vor, welche in den mehr festen, der äussern Körperbedeckung näher gelegenen Schichten des Paren- chyms angebracht sind, und welche während der Diastole sich durch eine wasserhelle, farblose Feuchtigkeit auf- ii * 4 blähen und bei der Systole vollständig verschwinden. Höchst wahrscheinlich ist die Flüssigkeit eine aus dem Parenchym hervorquellende Ernährungsflüssigkeit, welche bei der Systole wieder in das Parenchym zurückgetrieben wird. Es wäre diese Vorrichtung als die erste Anlage eines Circulationssystems und als der erste Versuch eines Kreislaufs der Ernährungssäfte zu betrachten. Der Ath- mungsprocess ist auf Hautrespiration zu beschränken, die Fortpflanzung geschieht ausschliesslich durch Theilung oder Knospen, niemals durch Eier, daher von eigent- lichen Geschlechtswerkzeugen nicht die Rede sein kann. Fast bei allen Infusorien kommt im Innern des Körpers eine Art Kern vor, welcher durch seine feste Beschaffen- heit von dem übrigen, ihn umgebenden weichen Paren- chym auffallend absticht und eine ganz besondere Auf- merksamkeit darum verdient, weil er nach dem Abster- ben des Thierchens nicht sogleich untergeht (v. Sie- bold, Lehrbuch der vergleichenden Anatomie der wir- bellosen Thiere, 1848). Mit dem Kernchen hat man natürlich auch die Zelle, und es steht nichts im Wege, von einzelligen Thieren zu reden, wie man einzellige Pflanzen unterscheidet (Ueber einzellige Pflanzen und Thiere. In v. Siebold’s Zeitschrift für wissenschaft- liche Zoologie, 1849). Indessen wenn es auch gewiss ist, dass die Infusorien keine gewundenen oder verzweig- ten Därme mit anhängenden Mägen besitzen, dass ihre contractilen Hohlräume keine Samenblasen sind u. s. w., so ist doch damit die Möglichkeit, dass diese Thiere ih- rer Zusammensetzung oder wenigstens ihrer Entwickelung nach mehrzellige seien, keineswegs ausgeschlossen. Dass dem aber in Wahrheit nicht so ist, erhellt aus der un- umstösslichen Beobachtung, dass die Hauptmasse des In- fusionskörpers aus einer structurlosen, höchstens granu- lirten Substanz besteht, so insbesondere die Amöben aus einer sehr weichen, nach allen Richtungen contractilen Substanz, welche von einer überall structurlosen Mem- bran umhüllt ist und immer einen Kern mit Kernkörper- chen eingebettet enthält (C. Auerbach, Ueber die Ein- zelligkeit der Amöben. Zeitschrift für Zoologie Bd. VN. S. 365 £.). Es liegt offenbar der ganzen Annahme die Voraus- setzung zu Grunde, dass die Natur aus den unorgani- schen Elementen nur die niedersten organischen Gebilde erzeugt und erst durch allmälige Umbildung des Niede- ren zum Höheren, durch grossartige, mit den Erdrevo- lutionen zusammenfallende Generationswechsel die am höch- sten entwickelten Thiere hervorgebracht habe. Da die Thiere aus den einfachen Elementen sich nicht ernähren können, so folgt, dass die Nahrungsmittel wenigstens nicht ausschliesslich durch die sie constituirenden Elemente wirken, sondern theilweise durch ihre Organisation; ins- besondere sind alle Proteinverbindungen einer bis zur Am- moniakbildung führenden Umlagerung ihrer chemischen Atome in dem Augenblicke ausgesetzt, in welchem die von der Pflanze oder dem Thiere auf sie wirkenden Ein- flüsse aufhören, und nimmt man hinzu, dass die Be- 8 dingungen zu einer solchen Umlagerung zur Zeit der Schöpfung vorhanden waren, so ist gewiss, dass die or- ganischen Substanzen sogleich unter dem Schutze des organischen Lebens sich befanden, die Organisation der Pilanzenzelle also das Erste war. Hinwiederum mussten die bei der Bildung der thierischen Körper mitwirkenden organischen Substanzen nothwendiger Weise unmittelbar unter den Schutz. der thierischen Organisation gesetzt werden, als der Schutz der pflanzlichen Organisation aul- hörte. Der pflanzliche Organismus wandelte sich in einen thierischen um, weil bis zur Entstehung der Thiere eine Organisation bestanden haben muss, durch welche die unmittelbar aus der Herrschaft des pflanzlichen Lebens in die Herrschaft des thierischen Lebens übergegangenen organischen Substanzen zusammengehalten wurden. Die wichtigste Organisationsmetamorphose war demnach ein Generationswechsel. Beispiele von Metamorphosen leben- der Thiere haben wir zwar bei den Insekten und bei den dem Generationswechsel unterworfenen 'Thieren; durch diesen können jedoch neue Thierarten nicht hervorge- bracht worden sein, weil nach Hervorbringung der Ge- schlechtsthiere der Cyklus der Metamorphosen stets von Neuem beginnt, so dass nichts Anderes übrig bleibt, als dass die höheren Thiere aus den Eiern der niederer ste- henden entsprangen. Man denke sich eine tropische Wärme, Feuchtigkeit, elektrische Strömungen, zitternde Bewegungen der Erde, sowie heftige Stösse, Schallwel- len und vielfache Lichterscheinungen; und in diese Lage bringe man organische Substanzen, welche zwar eine or- ganische Lagerung zeigen, aber noch beweglich sind und zur Bildung der niedersten Thiere hinreichendes Material darbieten, und man wird begreifen, wie eine derartige Umlagerung der Stoffe bewirkt werden konnte, dass die- ser Pflanzenkörper nun nicht die Ausbildung erreichte, in welche er ohne die Zuthat der äussern Umstände ver- fallen wäre, sondern in einer andern Richtung sich ent- wickelte und also ein Generationswechsel in ihm zu Stande gebracht wurde. Es sind vielleicht die Keime oder Samen künftiger Pflanzen, in welchen der Genera- tionswechsel vorzüglich von Statten ging, weil in ihnen zumeist die Proteinverbindungen, Kohlenhydrate und Oele, welche zur Bildung des Thieres nothwendig sind, ange- sammelt werden. Wahrscheinlich entwickelten sich in den organischen Substanzen der Pflanzen innerhalb der Hülsen, welche sie zuletzt gleich der Dotterkugel durch- brachen, höchst einfache Thiere, eine Brut von Ammen- thieren, welche sich vervielfältigte und erst durch allmä- lige Metamorphosen zu Geschlechtsthieren wurde. Jetzt erst konnte es Thiereier geben. So Baumgärtner (Lehrbuch der Physiologie; Derselbe, Nähere Begründung der Lehre von der Em- bryonalanlage durch Keimspaltungen, 1854). In der Art lässt sich construiren und der Generationswechsel bietet eine erwünschte Analogie: allein diese würde doch nur gerade bis zum entscheidenden Punkte vorhalten, käme nicht noch eine Entdeckung hinzu, die möglicher u 9 Weise über die Entwickelungsgeschichte des Thierreichs ein ganz neues Licht zu verbreiten berufen sein könnte. Was Physiologie und vergleichende Anatomie, zumal der niederen Thierarten, die meist im Meeresgrund liegen und kriechen, unserem grossen Johannes Müller zu danken haben, bedarf keines Nachweises ; jedenfalls unter Müller’s merkwürdigste Entdeckungen muss man die Erzeugung von Schnecken in Holothurien zählen (Bericht über die zur Bekanntmachung geeigneten Verhandlungen der berliner Akademie, 1851). Zuerst fand Müller bei einem Individuum der Synapta digitata einen von dem gewöhnlichen ganz abweichenden Genitalschlauch ; später zeigten sich bei einem andern Individuum in dem Schlau- che Blasen mit Dotter und bei einem dritten Individuum enthielten die Blasen junge Schnecken mit spiralen Scha- len. In jeder Blase, welche die Keimmasse enthält, ist die Dottermasse diffus mit den in ihr enthaltenen Keim- bläschen; die Entwickelung der Schnecke hat viel Aehn- lichkeit mit der Entwickelung anderer Schnecken; dass letztere, die sich nur in gewissen seltenen Exemplaren der Holothurie erzeugen, wieder zu Holothurien werden, ist schon darum unwahrscheinlich, weil die betreffenden Holothurien, statt der gewöhnlichen Geschlechtsorgane, ganz andere Generationswerkzeuge besitzen. Damit hätte die Wissenschaft die Einsicht in den Eintritt neuer Schöpfungsformen gewonnen und man wüsste fortan, wie Thiere getrennter Geschlechter erschaffen werden, da- durch, dass Eier und Samen dicht beisammen an dem- Heilk Die klimatischen Kurorte. Von Dr. Helfft (Berlin). Die vollständige Heilung eines chronischen Leidens oder einer krankhaften Diathese gelingt nicht immer allein durch eine mehrwöchentliche oder mehrmonatliche Brun- nen- oder Badekur, vielmehr ist erst ein längerer Auf- enthalt des Kranken in einem milden, gleichmässigen Klima, zumal während des Herbstes und Winters fern von der Heimat im Stande, die letzten Reste des Uebels zu beseitigen und Schutz vor Recidiven zu gewähren. Sehr oft aber beruht der glückliche Erfolg einer Kur allein auf der Veränderung des Klimas, wie diess sich hauptsächlich bei Krankheiten der Respirationsorgane, he- reditärer Anlage zur Tuberculose, aber auch bei rheu- matischen Affectionen durch die Erfahrung unleugbar her- ausgestellt hat. So lange nun die Herstellung eines künstlichen Kli- mas in unseren Breiten innerhalb grosser Räume zu den unausführbaren Unternehmungen gehört und die sehr weit gehenden Pläne Froriep’s keine Aussicht haben, reali- sirt zu werden, sind wir gezwungen, unsere Kranken in solche Gegenden zu versetzen, wo sie vor allen schäd- 10 selben Orte entstehen. Sie entstünden nicht in der Luft und nicht im Schlamm des Meeres, sondern in einem Or- gan ad hoc innerhalb eines schon vorhandenen Thieres, also durch einen schon vorhandenen organischen Werk- meister, der zwar in seinem eigenen Dienste Gleiches aus Gleichem erzeugt, aber auch im Dienste einer höheren Gesetzgebung in die Geschichte der Schöpfung nach Ge- setzen eingreift, die für jetzt noch unseren Blicken ent- zogen sind.“ Miscelle. Dass die Erdbeben in einer ringförmigen Bahn sich fortpflanzen weist Dr. Clement (Insel Friesland) durch sorgfältige Beachtung der einzelnen heimgesuchten Orte nach, wobei man Richlung und Zeit der Erschütterung be- achtet; er zeigt diess in einzelnen Beispielen, worüber Pe- termann entsprechende Skizzen beifügt, z. B. das Erdbe- ben in der pyrenäischen Halbinsel 1. Novbr. 1755 scheint, nachdem es in seinem Ring ganz Oporto, Coimbra, Lissabon, St. Ubes, Lagos, Silves, Faro, Tavira, Clyamonte und Cadix heimgesucht, in der Richtung des Guadalquivir hinaufgebogen zu sein; es erschütterte die 3 grossen Städte Lissabon, Cadix und Sevilla am stärksten, denn sie lagen im Strome der Bahn, Oporto und Coimbra aber, die nur von ihren Rändern berührt wurden, weit weniger; in noch geringerem Grade Madrid, dessen Abstand von der Bahn noch grösser gewesen sein muss. Der Erdbebenbogen an der Küste von Oporto bis Ca- dix zeigt eine Zeitdifferenz von 23 Minuten; es legte die 90 geogr. Meilen von Oporto bis Cadix von 9 U. 23 Min. bis 9 U. 53 Min. zurück. (Petermann’s Mittheilgn. 1857. III.) unde. lichen Einflüssen der Witterung geschützt sind» undeine milde und gleichmässige Temperatur vorwaltet. Die richtige Wahl eines klimatischen Kurortes ist aber von nicht minderer Wichtigkeit, als die eines Mi- neralwassers, bedarf vielleicht sogar einer noch sorgfäl- tigeren Erwägung von Seiten des Arztes, da hierbei stets die pekuniären und Familienverhältnisse des Patienten berücksichtigt werden müssen und sehr viele mit Auf- opferung einer vortheilhaften amtlichen Stellung oder in ihren zum Lebensberuf nothwendigen Studien gestört, ihren heimatlichen Boden verlassen. Um so mehr hat der Arzt die Verpflichtung, sich mit der klimatischen Be- schaffenheit seiner nächsten Umgebung vertraut zu ma- chen, um dort passende Orte auszuwählen, wenn grössere Reisen und eine zu lange Entfernung von der Heimat unstatthaft sind. Schon Peez hat mehrere Orte im Westen Deutsch- lands als Winteraufenthalt für Kranke und Sieche em- pfohlen, vorzugsweise Wiesbaden, Baden - Baden und Cannstatt, und vergleicht man die Temperaturverhältnisse des ganzen westlichen Striches von Deutschland mit dem der anderen Theile, so stellt sich unstreitig ein weitgün- stigeres Verhältniss für den ersteren heraus. 41 Die heilsame Einwirkung eines Klimas beruht näm- lich nicht, wie oft .irrthumlich geglaubt wird, auf der Höhe der mittleren Jahrestemperatur, sondern weit mehr auf der gleichmässigen Vertheilung der Temperatur unter die verschiedenen Jahreszeiten und zumal auf der Milde der Winter. Daher sind eben die tief im Süden gelege- nen Orte, besonders in der Nähe des Aequators vornehm- lich diejenigen, die in dieser Hinsicht ganz unseren An- forderungen entsprechen , obwohl bei sehr vielen wieder manche andere nachtheilige Eigenschaften eine Uebersie- delung dorthin nicht räthlich erscheinen lassen. 12 In Deutschland geniesst das Rheinthal vorzugs- weise eines sehr schönen Klimas, indem es sich durch seine Gleichförmigkeit der Wärmeverhältnisse auszeichnet, denn nicht allein hat es die höchste Jahrestemperatur, sondern auch milde Winter und nicht zu heisse Sommer und steht schon ganz unter dem Einflusse des Küsten- oder Seeklimas. Stellen wir die Temperatur (nach Celsius) einiger Orte zusammen, so ergiebt sich folgendes Resultat: Mittlere Temperatur des Ep R 5 re B = 2 0 £2 ge = E97 22 S 3 = Pe 5 25 E Fr = = 2 - B5 =2 ra ee = == E 7 EB = iz F. 50° 7° 360° + 9,6° + 1,6° + 9,70 + 18,4° + 9,8° 1° + 18,90 T. 49% 46° 480° 10° ‚9 109..,..17,8° 10° 0 18,7° M. 49° 29° 28% 103° 1,5% 10,4%. 49,5%. ...9,8°. 40,9 20,2% H. 49° 24° 300° 9,70 1,10 10%... 17,90 ...9,9% — 0,7 18,70 B. 479 34° 750° go hg UF DE 2 I A NB. F. Frankfurt a. M., T. Trier, M. Mannheim, H. Heidelberg, B. Basel. Vergleichen wir damit die Temperaturen im Osten Deutschlands, so stellt sich folgendes Resultat für die drei Hauptstädte Berlin, Wien und München heraus: B. 52° 31°” 120° + 905% 8,60 7 183° 4 90 — 2,40 1 1804 M. 48° 9° 1620 8,5° — 0,4° 17,40 9,10 9,190 4,50 180 W. 48° 137 180° 410,20 4 0,10 10,30 20,290 40,350 1,70 210 Während der Unterschied der Temperatur zwischen Sommer und Winter im Rheinthale nur 16,7° beträgt, steigt er im mittleren Deutschland auf 18° und längs des östlichen Grenzsaumes auf 19,7°. Die Winter sind im Rheinthale so mild, dass kein einziger Ort eine mittlere Temperatur besitzt, die unter den Gefrierpunkt hin- abgeht. Orte, wie Wiesbaden, Baden-Baden, Heidelberg sind also ganz geeignet zu einem Herbst- und Winteraufent- halt für Tuberculöse, zumal sie neben der herrlichen Lage, der Fülle von Naturschönheiten alle Annehmlich- keiten grosser Städte, das Zusammenleben mit gebildeten und in Kunst und Wissenschaft ausgezeichneten Personen gewähren und in den Fällen den Vorzug vor den abge- schlossenen, einsameren Punkten in den Gebirgsthälern verdienen, wo der psychischen Behandlung ein wesent- licher Antheil an dem glücklichen Erfolge der Kur zuge- schrieben werden muss. Kranke dagegen, die sich mit einem stillen, einfa- chen Leben begnügen, oder denen es gestattet ist, im Kreise ihrer Familie oder befreundeter Leute zu leben, ist Meran, Botzen in Südtyrol, Görz in Krain, und Reichenau im österreichisch - steierschen Gebirge zu em- pfehlen. Meran, welches sich in seinen klimatischen Ver- hältnissen am meisten den südlich gelegenen Städten Ita- liens nähert, ist besonders dann zu wählen, wenn die Kranken mit einer gewissen Vorliebe an deutschen Sitten und Gewohnheiten hängen und der italienischen Lebens- weise und Kost abgeneigt sind. Die mittlere Jahrestem- peratur beträgt + 12,5% C., die des Winters + 3,5°, die des Herbstes -—- 12°. Die Monate October, November, März, April und Mai zeichnen sich besonders durch milde Temperatur, überwiegende Zahl heiterer Tage, geringe Menge von Regentagen und endlich durch fast gänzlichen Mangel an Schnee aus. Wer nicht ganz nahe bei der Stadt wohnen will, findet in der nächsten Umgegend eine grosse Anzahl reizend gelegene Schlösser und Landhäuser 13 mit der herrlichsten Aussicht, die gut meublirt für einen nicht zu hohen Preis auf längere oder kürzere Zeit ver- miethet werden. In Obermais erhält man für 50 bis 60 Gulden monatlicher Miethe ein Landhaus mit fünf bis sechs vollständig eingerichteten Zimmern, allein in einem Garten gelegen. Das Schloss Grabfenberg bei Görz in Krain liegt 600° über dem adriatischen Meere, besitzt aber in Folge seiner geschützten Lage ein höchst mildes und heilsames Klima, wovon die ganz südliche Vegetation den augenscheinlichen Beweis liefert. Die mittlere Tempera- tur des Winters beträgt —- 3,9° C. Für eine grosse Menge gut eingerichteter Wohnungen ist Sorge getragen und auch die Kost eine rein deutsche. Die Nähe Vene- digs ist hier besonders in Anschlag zu bringen, da Kranke, für welche ein noch südlicherer Aufenthaltsort in den Monaten Januar und Februar erforderlich wäre, denselben leicht in einigen Tagen erreichen können. Was Reichenau anbelangt, so ist es nach Voll- endung der gloggnitzer Eisenbahn über den Semmering von Wien aus in 3 Stunden zu erreichen. Mitten im Hochgebirge, 712° über dem Meeresspiegel gelegen, be- sitzt es dennoch ein sehr mildes, gemässigtes Klima, in- dem das Thal nur gegen Osten geöffnet ist, die Ostwinde aber zu den am seltensten wehenden gehören. Beson- ders wird die Milch trefllich bereitet und daher kann man Milchkuren hier sehr wohl vornehmen lassen. Zahl- reiche, sehr schöne Wohnungen sowie grossartige Gast- häuser, in denen nach dem Urtheile der wiener Fein- schmecker sehr gut gespeist wird, erheben sich schon auf allen Punkten. Sehr zu empfehlen ist, zumal für Lungenkranke, der Aufenthalt an der nordöstlichen Spitze des genfer Sees, wo die Temperatur des Winters durchschnittlich —+ 3° R. beträgt. Durch die hohen Gebirgszüge, die bis zur Mitte des Sees, bis Vevay sich hinziehen, wer- den die scharfen Ost- und Nordostwinde und die einen schroffen Wechsel der Temperatur herbeiführenden West- winde abgehalten, so dass nur dem aus dem Rhonethale wehenden Südwinde der Zutritt offen bleibt. In den kleinen Ortschaften Clayens, Verner, Montreux, Veytaux fehlt es den Pensionen weder an den erforderlichen Be- quemlichkeiten, noch an der zur Unterhaltung und zu geistigen Genüssen nothwendigen Gesellschaft. Unter den klimatischen Kurorten in Oberitalien gebe ich Venedig vor allen anderen den Vorzug, zumal für Tubereulöse, indem die Temperatur nicht nur eine ge- mässigte ist, sondern sich durch langsame, allmä- lige Uebergänge auszeichnet. Sie bietet im Laufe des Tages und von einem Tage zum anderen nicht jene grellen Schwankungen und Unterschiede dar, die wir an so vielen anderen Orten, zumal in Pisa, Nizza, Rom, Neapel beobachten. Hierzu kömmt, dass ‘der den mei- 14 sten Kranken so lästige Staub ganz fehlt und zugleich die Seeluft, durch die Nähe des Meeres, ihren heilsamen Einfluss ausübt. Ferner bildet Venedig im Winter den Vereinigungspunkt zahlreicher Fremden aller Nationen der gebildeten Welt, so dass der an ein geselliges, vergnüg- liches Leben gewohnte oder dem Umgang mit gebilde- ten Leuten und geistige Thätigkeit nothwendiges Bedürf- niss ist, in jeder Hinsicht Befriedigung finden wird. — Wenn nun auch ein Aufenthalt in Rom und Neapel der Kunstschätze und der reizenden Umgebungen wegen von vielen Seiten dem venetianischen vorgezogen werden möchte, so sind doch dort die klimatischen Verhältnisse (denn diese müssen bei der Wahl eines Ortes stets den Aus- schlag geben) der Art, dass sie auf jeden kranken Or- ganismus und besonders auf Lungenaffektionen nur nach- theilig einwirken können. In Rom steigern nicht nur die häufigen Nordwinde, sondern auch der nicht minder lästige Scirocco die Lei- den der Kranken und werden weder von mit Bronchial - und Magenkatarrhen Behafteten noch an rheumatischen Affektionen Leidenden gut ertragen. In Neapel sind die Winde vorherrschend, und Schwankungen und Sprünge in der Temperatur etwas ganz Gewöhnliches: die Differenz zwischen der Wärme am Tage und am Abend beträgt oft 10° und darüber. Vor Allem belästigt aber der feine Staub. In entferntere Gegenden, wie nach Palermo, Ma- deira, Malaga und Cairo, Orte, wo sich Tuberculöse sehr wohl zu befinden pflegen, kann man nur solche Kranke senden, die längere Zeit von ihrer Heimät und ihren Angehörigen getrennt zu leben im Stande sind, hinreichendes Vermögen besitzen, um allen mit einer grösseren Reise verbundenen Unannehmlichkeiten , die Kranke besonders zu vermeiden haben, enigegentreten zu können, und entweder von Verwandten und Freunden umgeben sind oder die nöthige Dienerschaft zu ihrer Be- gleitung mitführen. Zur besseren Uebersicht stelle ich die Temperatur- verhältnisse aller für Tuberculöse zum Aufenthalt im Winter geeigneten Orte im Süden zusammen, indem ich hinsichtlich der einzelnen Details auf mein Handbuch der Balneotherapie verweise. 16 Mittlere Temperatur (in Graden der hunderttheiligen Scala) des ne ä zn: vg. 450 26° — + 13,70 4 3,30 4 12,6° 4 22,80 4 43,30 4 1,80 + 23,90 Pa. 430 51° — 15,80 780° 414,90 7 93,90 17,30 ” 40 24,60 Ca. 40° 427 — 46,70 °41,20° 17,30 20,3% © 47,40 \ 10,70 20,50 Po. 38° 7° 168° 17,90 11,40 15° 23,50 19° 10,70 24,60 A. 36° 17° — 17,8° 12,40 15,52 23,6 49:90 11,7 24,70 F. 320 39° — 18,724 246/39 17,50 20,0 aa 45,70 22,30 Va. 37° 11° — 20° 15° 18,1° 25,1% 21:82, 14,20 25,70 M. 360° 4% — 200 415,10 418,20 25,30 21,60 12,10 26,80 Co. 30° 27 — 22,40 744,70 21,99 29,20 93,60% 43,50 29,80 NB. Vg. Venedig, Pa. de Portimao, M. Malaga, Co. Cairo. Was nun die Reise selbst anbelangt, so muss sie in der guten Jahreszeit, z. B. von Kranken, die nach dem tieferen Süden zu gehen beabsichtigen, in den letz- ten Tagen des August oder den ersten des September angetreten werden, wo noch schöne warme Witterung zu herrschen pflegt und der Uebergang über die Alpen ohne Mühseligkeiten und nachtheilige Folgen für die Ge- sundheit bewerkstelligt werden kann. Vor Allem rathe man aber den Kranken, sich mit warmen Winterkleidern hinreichend zu versehen, weil ich nur zu häufig die Erfahrung gemacht habe, dass die meisten Reisenden sich in dem Wahne gefallen, am Südfusse der Alpen angelangt, umgebe sie ein ewiger Frühling. Ge- rade aber diese durch nichts gerechtfertigte Zuversicht und der ungenügende Schutz vor rasch eintretendem Tem- peraturwechsel sind in sehr vielen Fällen von den nach- theiligsten Folgen begleitet. Selbst in Venedig ist es nothwendig, in den Wohnungen für Oefen und dichte, festschliessende Fenster und Thüren Sorge zu tragen, weil in den Wintermonaten Morgens und Abends die Temperatur nie so hoch steigt, dass unser, an eine be- hagliche Zimmerwärme gewohnter Körper nicht unange- nehm afficirt würde, abgesehen davon, dass in einzelnen Jahren ausnahmsweise der Polarstrom längere Zeit das Uebergewicht behält. Von sehr hoher Wichtigkeit ist die Durchführung einer strengen Diät sowohl während der Reise als am Orte selbst; Kranke sollten, soweit es angeht, nie die Grenzen ihrer gewohnten Lebensweise überschreiten und müssen sich besonders vor Ueberladung des Magens hü- ten. Für tägliche Leibesöffnung ist zu sorgen und hier- zu eignet sich bei Stuhlverstopfung am besten die Appli- kation eines kalten Wasserclystirs mittelst einer Clyso- pompe am Morgen, die Jeder sehr bequem mit sich füh- ren kann. — Die fremdartige Kost verlangt schon von Pisa, Ca. Coimbra, Po. Palermo, A. Algier, F. Funchal auf Madeira, Va. Villanova einem gesunden Organismus ein kräftiges Vonstattenge- hen der Digestion, um wieviel mehr von Individuen, de- ren Verdauungsorgane geschwächt sind oder deren Con- stitution im Allgemeinen in hohem Grade gelitten hat. Uebermässiger Genuss rohen Obstes, wozu sich die mei- sten sehr leicht verleiten lassen, ist besonders zu unter- sagen, da häufig Diarrhöen eintreten, zu denen der nicht acclimatisirte Körper schon an und für sich sehr geneigt ist, und ein schnelles Sinken der Kräfte herbeiführen. Da auch im Süden gutes und kräftiges Fleisch zu erhal- ten ist, so muss die animalische Kost das Hauptnahr- ungsmittel der Kranken bilden, denn der Nordländer kann, wo er sich auch aufhalten mag, der gewohnten Fleischdiät nicht ohne nachtheilige Folgen ganz und gar entsagen. Durch einen Aufenthalt in südlichen Breiten kann aber nur dann ein nachhaltiger Erfolg erzielt werden, wenn derselbe sich auf einen längeren Zeitraum als einen Winter erstreckt. Selten sah ich andauernde Besserung eintreten, wenn die Kranken im nächsten Frühjahre wie- der in ihre Heimath zurückkehrten. Vielmehr müssen sie sich auf eine mehrjährige Abwesenheit von Hause vorbereiten, so dass sie im Sommer die höher gelegenen kühleren Gebirgsthäler aufsuchen und im Winter in die geschützteren Thäler sich zurückbegeben.. In Meran und Venedig ist in den Monaten Juni und Juli die Tempera- tur zu hoch, als dass der Kranke sich wohl befinden könnte, er wird daher im ersteren Falle sich in die so- genannten Sommerfrischen bei Botzen, nach Oberbotzen oder auf den Ritten begeben, im letzteren das in der Nähe befindliche Thal von Recoaro am Fusse der tyroler Alpen, mit einem höchst milden, gleichmässigen Klima zum Aufenthalt wählen, welches schon seit Jahrhunder- ten durch seine Eisensäuerlinge berühmt ist. Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena. Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. BEE. Band Ne 2, Naturkunde. Tauschverkehr mit mikroskopischen Präparaten. (Schluss folgt.) — Heilkunde. C. Emmert, Ein- schiebung der Gedärme, (Schluss folgt.) — Bibliographie, Raturkunde. Tauschverkehr mit mikroskopischen Prä- paraten. Der Verein für Mikroskopie in Giessen hat die ver- dienstliche Idee angeregt, einen Tauschverkehr mit mikro- skopischen Präparaten vorzuschlagen; die Idee hat allge- meinen Anklang gefunden und es sind von dem gedach- ten Verein mit Umsicht Vorschriften für Gleichheit der Präparate in Material und Form aufgestellt. Jetzt hat der Verein die Statuten für diesen Verkehr und sein er- stes Verzeichniss der Präparate veröffentlicht, und wir glauben der guten Sache zu dienen, indem wir zur all- gemeinen Verbreitung derselben beitragen, indem “wir diese Mittheilung in unser Blatt aufnehmen. Die Statuten des Tauschverkehres, mit den aus Obigem erwachsenen Abänderungen, sind fol- gende: $. 1. Jeder Theilnehmer übersendet dem Vereine bis zum 1. November jeden Jahres ein Verzeichniss sei- ner Doubletten mit Angabe der Zahl, in der die einzel- nen Präparate abgelassen werden können. $. 2. Durch Uebersendung dieser Doublettenliste erklärt derselbe seinen Beitritt zu dem Tauschvereine und seine Bereitwilligkeit, die Statuten desselben anzu- erkennen. $. 3. Aus den eingesendeten Doublettenverzeich- nissen stellt der Verein ein Generalverzeichniss aller Tauschobjeete zusammen, das den einzelnen Theilnehmern zur Bezeichnung ihrer Desiderate so bald als möglich :zu- gesendet wird. $. 4. Das Desideratenverzeichniss muss spätestens 4 Wochen nach Ausgabe des Generalverzeichnisses dem Vereine eingeschickt werden. $. 5. Der Verein bezeichnet auf Grund sämmtlicher Desideratenlisten die zum Umtausche gelangenden Präpa- rate der Doublettenverzeichnisse und erwartet die Ein- sendung dieser Präparate spätestens 4 Wochen nach Erlass seiner desfallsigen Einforderungszettel. $. 6. Um ein möglichst unbeschränktes Tauschver- hältniss herzustellen und für die einzusendenden Präpa- rate ein möglichst genügendes Aequivalent zu bieten, ist dem Doublettenverzeichnisse eine Werthangabe der einzeluen Präparate beizufügen. Die verehrlichen Theil- nehmer werden desshalb ersucht, ihre Präparate, je nach den Schwierigkeiten der Gewinnung oder Zubereituug, als Präparate I., II. oder III. Ranges zu bezeichnen, so dass den werthvollsten Präparaten der I. Rang zufällt. Bei dem Tausche können für ein Prä- parat I. Ranges zwei Präparate gefordert werden, welche das Generalverzeichniss als Präparate II. Ranges, drei Stück, welche es als Präparate III. Ranges bezeichnet. $. 7. Den Etiquetten der Präparate ist ausser der Bezeichnung ihres Inhaltes auch die Benennung des Con- servationsmiltels*) und der Name des Einsenders bei- zufügen. $. 8. Die eingesendeten Präparate müssen wohl verschlossen und mit einem Deckglase versehen sein, des- sen Dicke 4 Linie nicht überschreitet, so dass die stär- keren gebräuchlichen Vergrösserungen überall zulässig sind. Sie müssen, wenn irgend möglich, das von dem Vereine vorgeschlagene Format (48 : 28 Mm.) und zur Vermeidung von Druck die von ihm empfohlenen Glas- leistchen besitzen. Haben die Gläschen ein abweichendes *) Der Verein f. M. z. G. bedient sich folgender Ab- kürzungen: Al. = Alkohol, Aq. = wässerige Flüssigkeit, €. B. = Canadabalsam, €. C. Chlorealcium, Gel. = Gela- tine, Gi. = Gummi arab., Gl. = Glycerin, L. c. = Lig. conservatoire, Wg. — Wasserglas, Z. = Zuckerwasser, endlich 0 = in Luft liegend. 9 19 Format, so ist dessen Grösse bei Einsendung des Doub- lettenverzeichnisses anzugeben. $. 9. Wird ein Object in grösserer Anzahl gefor- dert, als dasselbe zum Tausche vorhanden ist, so erfolgt die Berücksichtigung der Desiderate nach dem Datum ih- rer Einsendung. $. 10. Jeder Theilnehmer wird ersucht, in seiner Desideratenliste eine etwas grössere Anzahl von Präpa- raten zu notiren, als er zum Tausche anbietet, damit der Verein, falls etwa das eine oder andere der ge- wünschten Präparate bereits vergriffen sein sollte, den- noch im Stande ist, demselben für seine Einsendung ein Aequivalent zu sichern. $. 11. Zur Deckung der dem Vereine in Sachen des Tauschverkehrs erwachsenden Druckkosten und ande- 20 ren Auslagen erhebt derselbe von jedem tauschenden Mit- gliede einen Jahresbeitrag, welcher bei 1 bis 10 zum Umtausche gelangenden Präparaten 1 fl. rheinisch, bei mehr als 10 Präparaten 1fl. 45 Kr. beträgt und wel- cher Beitrag mit den Präparaten (nicht etwa schon mit der Offertenliste) einzusenden ist. $. 12. Die Sendung von Präparaten hin und zurück geschieht auf Kosten der Theilnehmer; ebenso werden Briefe portofrei erbeten. $. 13. Von den eingesendeten Präparaten verblei- ben dem Vereine als Ersatz für seine Bemühungen 10 Procent. $. 14. Die Präparate werden nur im Tausche, nicht gegen Geld abgegeben. Verzeichniss der zum Präparatentausche bis jetzt angekündigten Präparate. I. Mineralogische und geologische Präparate. 8 ee Eee =3 & Einsender. = as der ä Präparate 1 | Kaolin aus Thonsteinporphyr, Chemnitz in Sachsen Weg. | MI | 5 | Knop. 2 | Schaumgyps, von Steigerthal Sr. 0 III | 12 | Phoebus. 3 | Im Probirröhrchen präcipitirter Gyps . 0 II | 1 | Phoebus. 4 | Aphrosiderit aus Weilburger Kalkspath 0 III | 10 | Phoebus. 5 | Aphrosiderit aus Königsberg bei Giessen Wg. | II 3 | Welcker. 6 | Erdige Kupferlasur von Kamsdorf . 0 III | 10 | Phoebus. 7 | Bergmilch aus der Schweiz . 0 III | 10 | Phoebus. 8 | Bergmilch vom Krater des Vesuv . : 0 III | 10 | Phoebus. 9 | Polirschiefer von Kutschlin . N 0 III | 10 | Phoebus. 10 | Erde von Samarang (Humboldt, Kosmeor) | 0 I | 10 | Phoebus. (Kieselguhre siehe unter 1, Nr. 105 und folgende.) II. Botanische Präparate. 11 | Amylum von Bryonia dioica We. || 6\ 12 3 „ Arum maculatum Weg. | II 6 13 > ‚„ Eranthis hyemalis We. |IL | 6 | 14 . „ Colchicum autumnale Wg. | II | 6 15 5, „ Hermodactyli Weg. | IH 6 \ 16 2 „ Iris florentina - We. ı II 6 Rossmann. 17 „ » Smilax sp. (Rad. Sarsaparillae) We. |OL| 6 18 > „ Alpinia sp. (Rad. sl a W. || 6 19 > „ Zingiber officinale Wg. „ II 6 20 “ » Gustavyia augusta Wg. | II 6 21 2 ;; Cephaölis Ipecacuanha | We. | I 6 *) Vergl. $. 7 der Statuten. **) Wo die Werthangabe des Präparates von Seiten des Einsenders unterlassen blieb, da wurde eine Rangnummer durch den Vereinsvorstand angesetzt. Der Vereinsvorstand erklärt sich hierbei ausser Stande, auf den blossen Namen der Präparate hin eine stets richtige Abschätzung vornehmen zu können und hat der Gesammtheit des Tauschpublicums gegenüber die Verpflichtung. etwaige Abschätzungsfehler nicht das Publicum, sondern den fraglichen Einsender treffen zu lassen. Vgl. $. 6 der Statuten. 21 5 e|z 5: | &|S Fe nen Einsender 5 der = Präparate « 22 | Amylum von Anacardium oceidentale We.) DI 26 23 A „ Alropa Belladonna We || 6 24 3, „ Pimpinella Saxifraga -Wg. | I 6 25 3 „ Cocceulus palmatus We. | MI 6 26 sr „ Orchis mascula wg. | II 6 27 5 „ Solanum tuberosum . wg. | MI 6 28 m » Phaseolus vulgaris Wg III 6 29 5 „ Vicia Faba We. | MI 6 30 55 „ Pisum sativum 2 Weg II 6 31 kn » Trigonella Foenum gräegum Weg II 6 32 3 » Tetragonolobus purpureus Wg II 6 33 hi » Hordeum vulgare wg II 6 34 de » Triticum vulgare . Wg. | II 6 35 2 » Secale cereale . wg II 6 36 a „ Avena sativa . We. || 6 37 e- » Oryza sativa we III 6 Rossmann, 38 5 „ Zea Mays . we. | II 6 39 » » Sorghum vulgare we. | MI 6 40 = » Chenopodium Quinosa ö wg III 6 41 ns » Maranta arundinacea (ex Be Gissens.) We: III 6 42 » Maranta arundinacea (Surinam) Wg II 6 43 de root des Handels (Maranta arundinacea) We. | 1 6 44 | Desgl. von Maranta india . » 2 2. Weg II 6 45 | Mandiocca Weg II 6 46 | Tapiocca . We. | II | 6 47 | Sago ostindieum Weg III 6 48 »„ germanicum . Weg II 6 49 | Revalenta arabica Wg II 6 50 | Spiralfaserzellen der Luftwurzeln (velamen radicum Schleid.) von Brassia verrucosa) . We. II 6 51 | Wurzelquerschnitt von Ononis repens C. B. | III | 10| Phoebus. 52 | Querschnitt von Rad. Senegae £ €. B. | III | 10 | Phoebus. 53 55 ' Rhermit Chrysophansäureund lee saurem Kalk - . | Terp. | III | 10) Phoebus. 54 | Querschnitt aus dem Stamme der Hoya carnosa Wg II 5! Pfeiffer. 55 | Quer-, Radial- und Tangentialschnitt aus dem Stamme 6) der Cissus hydrophora (Surinam) We. | I 6 56 | Desgl. von Hippopha@ rhamnoides . We. I 6 97 ” » Paulownia imperialis We. I 6 38 4 » Piper nigrum We. I 6 59 Mn » Euckea plantaginea Kth. Wg I 6 a 60 cn » Pineo (Taxus sp. aus Valdivia) We. I 6 61 » » Tino (Valdivia) vr We. | I 6 62 » » Alerze (Valdivia) Weg I 6 63 fossile Conifere (von Salzhausen) We. I 6 64 Querschnitt aus der Rad. ae We. | I 6 65 | Desgl. ! ee C. B. | III | 10) Phoebus. 66 „ aus dem "Stamme des Pandanns "graminifolius We. | I 6, Rossmann und 22 23 Querschnitt aus dem Stamme der Dracaena Draco . Quer-, Radial- und Tangentialschnitt aus dem Stamme der Bambusa arundinacea - . Desgl. von Saccharum oflicinar. 55 „» Cyperus alternifolius 5 Isolirte, verästelte Bastzellen von Abies Aeekinakes Baumwolle von Gossypium arboreum (Surinam) . Desgl. von Gossyp. barbadense form. maritima (aus Amerika n. Georgien) B Desgl. von Bombax Ceiba (Scrnam) : Au} Penehawar Djambi (vergl. Bot. .Ztg. 1857, 's. 223) Penghaw ar Djambi spurium von Batayia (vel. a. d. 0.) Querdurchschnitt durch die Blattknospe von Populus pyramidalis . Isolirter Embryosack von Helleborus yaridie mit KoBier Zellenbildung Schnitte aus dem Albumen Mer Blephantusia macrogakpn Desgl. der Chamaerops humilis excelsa Thnbg. ” br) er} » » Oenocarpus Bacaba (Surinam) >» » Astrocaryum Awara (Surinam) Bactris paraönsis (Surinam E) EL) Iriartea exorhiza (Surinam ” ” » „ EBlaeis guineensis (Surinam) » Maximiliana regia (Surinam) 5 Schnitte aus dem Epiepermium d. Elephantusia macrocarpa Keimende Sporen von Polypodium vulgare Sporen von Lycopodium clavatum annotinum complanatum ” ” ” Eh) ” ” Zarter Querschnitt durch ein Blatt der Catharinea undulata Durchschnitt durch eine s.g. Blülhe von Mnium pun- ctatum, Paraphysen und Antheridien zeigend Algenfäden mit Zellenbildung durch Theilung Cylindrospermum sp. EN Chlamydococeus pluvialis Gloeotila ferruginea Sarcine ventriculi Sareine ventrieuli - Campylodiscus costatus Sm. (Frankfurt) Campylodiscus spiralis Ktz. (Frankfurt) . Rhabdonema arcuatum Ktz. AufMytilus edulis von Ostende Schizonema floccosum Ktz.? Auf Mytilus edulis v. Ostende | Diatomeenerde der Lüneburger Heide (Schluss folgt.) Aufbewahrungs- medium = os E|= Es Sn __ der Präparate II 6 I 6 I 6 I 6 I: 10 I 6 II I | 10 I 6 11 6 11 6 ‚I 6 1 6 II 6 II 6 1I 6 II 6 II 6 u 6 I | 10 II | 10 11 | 10 II | 10 I | 10 II | 10 III | 10 II | 6 II | 6 11 6 II 1 I 6 T [12 I 42 II 6 al 6 III 6 27 | N Rossmann. J Einsender W Jene; Rossmann. Rossmann. Rossmann. Speerschneider. Rossmann. Speerschneider. Speerschneider. Speerschneider. Phoebus. Phoebus. Phoebus. Speerschneider. Speerschneider. Speerschneider. Rossmann. Rossmann. Rossmann. Zenker. Küchenmeister. 88: Mikr. V. 24 25 Diatomeenerde der lüneburger Heide Kieselguhr von Altenschlirf Franzensbad 5 - Altenschlirf (mit Galionella und Spongilla lacustris) Kieselguhr von Eger (mit Campylodisceus BlgEes) Kieselguhr von Franzensbad (Navicula viridis) vom See Lillhaggsjoen in Schweden ” ” » > distans ” Apothecium v. Abrothallus oxysp., Durchschnitt, Junges Apothecium von Peltigera scutata, Durchschn, Sehr zarter Querschnitt durch die Fruchtscheibe von Peltigera scutata . Mucor mellitophthorus mit Conidien und isolirten Sporen Oidium zu Mucor mellitophthorus . Spermophorienquasten von Agaricus conigenus Schnallenzellen von Hymenogaster Klotzschii Stachylidium diffusum Fr. Sporen von Geaster coliformis . Entomophthora (Empusa) muscae Cohn Entomophthora Grylli Fres. Rother Kleisterpilz Pilz aus der Lunge eines an Be hrasıc ee nen. Aspergillus fumigatus Fresen. (Hasse’s Klinik. Heidelberg, 1855) . Pilz aus der Lunge eines an Dane a Weibes von 69 Jahren Kane Tumigatus ?) Desgl. Soorpilze der anengehlichen Zunge - 5 Fayuspilz . i - . . Desgl. . II. Zoologische Präparate. Neststoff von Hirundo fuciphaga Neststoff mit Kitthaut von Apoica pallida . Gespinnst der Larve von Apis mellifica Larve von Pulex irritans Acarus scabiei, fem., 3 Exempl., Fheilweis mit Eiern Krätzmilbe des Pferdes Simonia folliculorum s Rhyncholophus rubescens,, Dugds; Frankfurt Uropoda vegetans ? de Geer, auf Chlorida festiva. Mexico Maxillarkämme von Cheyletus eruditus, Schranck 55 » Obisium cancroides, Herm. Eier von Pentastomum taenioides Pentastomum denticulatum (je 3—4 Exempl.) aus de: Leibeshöhle des Kaninchens 2 a un | &0 = = 5: | E|S os et Einsender. en = der Z Präparate —« 0 I | 10 | Phoebus. 0 III | 10 | Phoebus. ) III | 10 | Phoebus. C.B. | II 5 | Welcker. C.B. | II 5 | Welcker. C.B. | II 5 | Welcker. C.B. | UI 5 | Welcker. ? II 6 | Speerschneider. 5 II | 10 | Speerschneider. 2 III | 10 | Speerschneider. Gl. III | 12 | Leuckart. We. | II | 16 | H. Hofimann. Gi. III 1 | H. Hofimann. Gi. 11 1 | H. Hoflmann. Gi. III 3 | H. Hoffmann. Gi. III 5 | H. Hoffmann. Gl. II 3 | Frkfr. Mikr. V. Gel. | II 3 ! Frkfr. Mikr. V. M.n. | II 6 | Frkfr. Mikr. V. Gl. 1 2 | Welcker. Gl. II | 30 | Pagenstecher. Gl. II 4 | v. Dusch. Gl. III 2 | Welcker. Gl. III 8 | Mosler. ? III 6 | Welcker. Gl. IM 3 | Moebius. Gl. II 7 | Moebius Gl. II 6 | Moebius Gl. | II | 2 | Leuckart. C.B.| 1 1 | Welcker. c.B. | U 6 | Pfeiffer. . II 6 Pagenstecher. Gel. II 6 Frkfr. Mikr. V. Gel. | I | 6 | Frkfr. Mikr. V. Gel. | III 5 | Frkfr. Mikr. V. Gel. II 4 | Frkfr. Mikr. V, Gl. III 3 | Leuckart, Gl. I 12 | Leuckart. 28 Heilkunde. Einschiebung der Gedärme. Von Prof. Dr. €. Emmert (Bern) *). Das vorliegende Handbuch über die Hernien zeich- net sich durch einfach klare Darstellung verwickelter Ver- hältnisse, praktische Behandlung und reiche Kenntniss der Literatur aus. Wir heben aus dem Anhange den Ar- tikel über Invaginationen aus. „Einstülpung eines Darmstückes in ein anderes wird bei Leichen häufig gefunden als Folge unregelmäs- siger Darmbewegungen in den letzten Augenblicken des Lebens. Diese in der Agonie entstandenen Invaginalio- nen sind meist kurz, mehrzählig vorhanden, ohne alle Reactionserscheinungen, nur am Dünndarm vorfindig und zu unterscheiden von den während des Lebens als beson- deres höchst bedeutendes Leiden auftretenden Darmein- stülpungen, von welchen hier allein die Rede ist. — Diese findet man in den meisten Fällen nach abwärts (Invag. descendens), nur ausnahmsweise nach auf- wärts (Invag. ascendens) gerichtet und von sehr verschiedener Ausdehnung, denn es giebt Intussusceptio- nen von wenigen Zollen und solche von mehreren Fus- sen Länge. Die Stelle der Einstülpung findet sich bald am Dünndarm; der häufigste Ausgangspunkt derselben ist die Einmündungsstelle des Jejunum in das Colon, so dass jenes in dieses eingestülpt ist. — Die Invagination kann einfach und doppelt sein. Bei der einfachen steckt lediglich ein Darmrohr in dem andern, zwischen welchen das umgestülpte ist. Rokitansky nennt das äussere Darmrohr die Scheide, das Intussuscipiens, das innere das eintretende Rohr, das mittlere das austretende oder umgestülpte Rohr und beide letztere zusammen das Intussusceptum oder den Volvulus. Die Vergrösserung der Einstülpung geschieht immer auf Kosten des äusse- ren Darmrohres oder der Scheide. Aeusseres und mitt- leres Darmrohr sind mit ihren Schleimhautflächen, mitt- leres und inneres Rohr mit ihren serösen Flächen einander zugewandt. Zwischen dem mittleren und inneren Darm- rohr findet sich das Gekröse der eingeschobenen Darm- partie im Zustande der Spannung, welche natürlich an der entferntesten Stelle der Einstülpung, nämlich an der Umbiegung des ein- und austretenden Rohres am stärk- sten ist, und eine Krümmung des Volvulus, sowie eine Verziehung seiner Mündung zu einer Spalte zur Folge hat. — Stülpt sich das innere Rohr noch einmai ein, so entsteht die doppelte Invaginalion, bei welcher dann fünf Darmröhren in einander stecken, deren innerste die serösen Flächen einander zuwenden. )) GE Die Unterleibsbrüche, mit einem Anhange über d. Lageveränderungen der Eingeweide innerhalb der Bauch- höhle mit Holzschnitten von Dr. €. Emmert, Prof. a. d. Hochschule zu Bern. 8. (Separatabdruck aus dessen Lehrb. d. Chir.) Stutlgart, bei Rud. Dann, 1857. Die Bedingungen zur Entstehung einer Intussus- ception scheinen nicht häufig vorzukommen, wie aus der Seltenheit der letzteren sich ergiebt a), übrigens ist jedes Alter und Geschlecht der Darmeinstülpung unterworfen b). — In den meisten Fällen sind Diarrhoen, krankhafte oder durch Arzneimittel künstlich bewirkte, Coliken, Fla- tulenz u. s. w., überhaupt Zustände vorhergegangen, bei welchen eine gesteigerte, mehr oder weniger unregelmäs- sige Darmbewegung stattfand. In selteneren Fällen war Erbrechen Vorläufer der Krankheit, oder fehlten merk- bare Veranlassungen auch ganz, oder entdeckte man erst bei der Section in der Nähe der Intussusception, als mit ihr höchst wahrscheinlich in ursächlichem Zusammenhang stehend, Würmer, von aussen eingedrungene Körper, z. B. Fruchtsteine, polypöse Gewächse u. s. w. — Näch- ste mechanische Bedingungen zur Entstehung der Invagi- nalion sind, dass ein Darmstück im Zustande der Ver- engung also zusammengezogen, ein angrenzendes aber erweitert und zugleich mehr oder weniger fixirt ist, wäh- rend jenes gegen dieses durch den Motus peristaltieus hingedrängt wird. Es ist leicht einzusehen, dass oben erwähnte Krankheiten diese Bedingungen herbeiführen kön- nen, zumal bei reizbarem Darmkanal und etwas schlaffer Schleimhaut, welche dann an der zusammengezogenen Darmstelle in Form einer conischen Wulst vorgedrängt wird. Dass diese Darmeinstülpung am häufigsten in der Gegend des Blinddarms eintritt, erklärt sich aus der anatomischen Beschaffenheit dieser Darmstelle, welche in hohem Grade dem Eintritt obiger Bedingnisse günstig ist, da hier ein dünnerer Darm in einen dickeren über- geht und dieser zugleich fixirter als jener ist. Nach aufwärts steigende Intussusceptionen können sich wohl nur bei antiperistaltischen Darmbewegungen bilden, wie solche bei Erbrechen, bei Krampfkoliken u. s. w. vor- kommen. Ist einmal ein Darmstück invaginirt, so wird dieses als fremder Körper reizend auf das Inlussuseipiens wirken und dasselbe zu verstärkter peristaltischer Beweg- ung treiben, wodurch jenes trotz der entgegenwirkenden Spannung der Mesenterien sich immer mehr vergrössert. Man hat mehrfältig beobachtet, dass auf diese Weise das ganze Colon bis in den Mastdarm eingestülpt wurde !). a) Rokitansky hat den Volvulus als selbststän- dige Krankheit des Darmkanals seit einer Reihe von Jahren nur 7 Mal gesehen und doch jährlich 1000— 1200 Leichen seecirt. b) Nach Thomson kamen von 34 Fällen 20 beim männlichen und 14 beim weiblichen Geschlecht vor. 4) Cunningham, The London medical Gazette. 1838. Sept. Oct. — Hirsch, Wochenschrift für die ges. Heilkde. 1838 Nr. 40 S. 647. — Hachmann, Zeitschrift f. d. ges. Medic: Bd. XIV. Hft.3. — Delaharpe, Schweizer. Ztschr. 1851, 1 u. s. w. 2 Dem Alter der Individuen nach waren 14 Fälle unter 30 J. und 16 über 30 J. Die weiteren Folgen der gebildeten Intussusception sind: entzündliche Reizung der eingestülpten Darmpartie, zumal des mittleren Darmrohres, und Behinderung der Cireulation in den Gefässen des gespannten und compri- mirten Gekröses, in Folge dessen Anschwellung der ein- gestülpten Theile, blutige Absonderung von der Darm- schleimhaut, plastische Ausschwitzung auf den einander zugewandten serösen Flächen, und mechanische Verstopf- ung des innern Darmrohres, wozu sich häufig ringför- mige Einklemmung von Seiten des äussern Darmrohres meist an der Eintrittstelle des Volvulus gesellt. — Häufig wird diese Darmeinstülpung tödtlich durch die Folgen der Darmverstopfung, durch Verbreitung der Entzündung nach aufwärts auf den übrigen Theil der Gedärme und auf das Bauchfell, zumal wenn Einklemmung besteht, durch Verbrandung und Perforation der eingestülpten Par- tieen mit Kothergiessung in die Bauchhöhle u. s. w. In andern Fällen hat man einen günstigen Ausgang in der Weise beobachtet, dass jan der Eintrittsstelle des Volvu- lus Verwachsung des mittleren und inneren Rohres zu Stande kam und die unterhalb gelegenen Darmstücke ab- gestossen und durch den Mastdarm ausgeführt wurden a). Man hat auf diesem Wege Darmstücke von sehr verschie- dener Länge austreten gesehen. Bisweilen wird nur ein Theil des Volvulus abgestossen und ein grösserer oder kleinerer Theil desselben bleibt zurück oder unter Ab- nahme der Entzündungserscheinungen verbleibt der ganze Volvulus, indem das mittlere und innere Darmrohr fest mit einander verwachsen sind (Rokitansky). In bei- den Fällen bleibt die kranke Darmstelle für die Fort- leitung des Darminhaltes mehr oder weniger insufficient und es entwickelt sich weiterhin eine Darmstenose, oder eine consecutive Vergrösserung der Darmeinstülpung, oder wiederkehrende Entzündungsanfälle gewinnen an Ausbreit- ung und werden dadurch tödtlich u. s. w. a) Nach Thomson scheint unter 32 Fällen das abgegangene Darmstück 22 Mal vom Dünndarm , 3 Mal vom Dünn- und Dickdarm und 7 Mal vom Dickdarm allein hergekommen zu sein. In den meisten Fällen ging der Darmsequester in einem einzigen Stücke ab und betrug dessen Länge 6— 40”. Eine Zusammen- "stellung verschiedener Fälle, bei welchen Darmstücke abgegangen sind, finden sich auch bei Hallaguen?). Mag die mechanische Verschliessung des Darmkanals durch die eine oder andere der angeführten Lageverände- rungen herbeigeführt werden, die Zufälle sind im We- sentlichen dieselben, nämlich diejenigen des Ileus. Es tritt hartnäckige, durch keine pharmaceutischen Mittel zu überwindende Stuhlverstopfung ein, der oberhalb des Hindernisses befindliche Theil des Darmcanals wird von 4) Bullet. de l’acad. T. XX. 1855, 18 et 19. Septbr. Aoüt et 30 sich anhäufendem Darminhalt mehr oder weniger ausge- dehnt, die Darmbewegung wird antiperistaltisch und es stellt sich Erbrechen ein, wodurch nicht blos Magen-, sondern auch Darminhalt entleert wird. Uebrigens zei- gen sich nach Art und Sitz der Lageveränderung grosse Verschiedenheiten in dem Auftritte obiger Haupterschein- ungen und gesellen sich meistens noch manche andere Zufälle bei, wie sie bei nervösen und entzündlichen Darm- leiden höheren Grades überhaupt vorkommen. — Höchst schwierig ist es in der Mehrzahl der Fälle, Sitz und Art des mechanischen Hindernisses genau zu bestimmen, zumal da neben der Vielfältigkeit der Lageveränderungen auch noch krampfhafte Zustände des Darmrohres, mecha- nische Verstopfung desselben durch fremde Körper und organische Verengung einzelner Darmstellen die Zufälle des Ileus hervorbringen können, und doch ist es für das einzuschlagende Heilverfahren, namentlich wenn es sich um ein operalives handelt, von grösster Wichtigkeit, diese Verhältnisse näher zu kennen. Im Einzelfalle muss daher stets eine sehr genaue Untersuchung und die Be- rücksichtigung folgender diagnostischer Momente stattfinden. Was zuerst den Sitz des mechanischen Hindernis- ses betrifft, so giebt hierüber der Ausgangspunkt der Schmerzen, zumal im Beginn des Uebels, öfters Aus- kunft, sei es, dass der Kranke selbst in deutlicher Weise jenen Punkt anzugeben vermag, oder dass der Arzt den- selben durch Palpation des Unterleibes herausfindet. Alsdann ist gewöhnlich, wenn nicht die Ausdehnung der Gedärme bereits einen zu hohen Grad erreicht hat, an der schmerzhaften Stelle eine Geschwulst zu fühlen, wel- che entweder von den dislocirten Gedärmen selbst oder von der Ausdehnung derselben oberhalb des mechanischen Hindernisses herrührt. — Ferner ist zu berücksichtigen, dass bei tiefem Sitze des letztern im untern Theile des Dickdarmes das Hinderniss bisweilen mit dem Finger oder mit einer elastischen Sonde durch den Mastdarm gefühlt werden kann, dass Klystire entweder gar nicht oder nur in geringer Menge eindringen, dass bisweilen heftiger Stuhlzwang vorhanden ist, dass der Bauch gewöhnlich sehr bedeutend tympanitisch aufgetrieben wird und zwar zuerst nach dem Verlaufe des Colon, dass Erbrechen erst später eintritt, nachdem bereits der Bauch einen grossen Umfang erreicht hat, und dass durch das Erbrechen. wenn es mehrmals eingetreten ist, Kothmassen ausge- leert werden. — Hat das Hinderniss im Anfange des Colon oder noch höher oben im Dünndarm Sitz, so be- trifft die Auftreibung des Unterleibes hauptsächlich die Mitte desselben, während die seitlichen Gegenden, wo das Colon liegt, mehr eingesunken sind und ist überhaupt die tympanitische Auftreibung geringer ; ferner gehen die im Dickdarm enthaltenen Kothmassen und Gase bisweilen noch ab, während einzelne Erscheinungen des Ileus schon vorhanden sind; Klystire können in grösserer Menge noch beigebracht werden und längere Zeit verbleiben; das Er- 31 brechen tritt früher ein und nur der Inhalt von dünnen Gedärmen wird dadurch entleert. Bezüglich der Art des Hindernisses muss man zu- erst durch genaue Untersuchung des Bauches, Beckens und der Brust die Abwesenheit oder Anwesenheit eines Bruches constaliren und im letztern Falle, wie ich einen solchen beobachtet habe, sorgfältig erforschen, ob die Obstruction nicht im Bruche gelegen ist. Ueber allfällig vorhandene fremde Körper im Darmkanal geben die vor dem Eintritte des Hleus genossenen Nahrungsmittel oder allfällige Abgänge durch den Stuhl, auch eine Unter- suchung durch den Mastdarm mitunter Aufschluss. Der Obstruction durch Darmverengung sind meistens längere Zeit dieses Uebel characterisirende Erscheinungen vor- hergegangen. Gegen den spastischen Deus werden kaum je narcotische Mittel unwirksam bleiben. — Rücksichtlich der hier uns besonders interessirenden Lageveränderungen der Eingeweide innerhalb der Bauchhöhle als Ursache des Ileus ist Folgendes zur Diagnose in Erwägung zu bringen. — Eine Achsendrehung der Gedärme wird gewöhnlich nur bei älteren Personen, übrigens selten, beobachtet, kommt meistens an der S-Schlinge, über- haupt fast nur am Diekdarm vor a), setzt durchaus kei- nen entzündlichen Zustand voraus, wohl aber gingen meistens Obstructionsanfälle vorher, und trat der Hleus gewöhnlich nach Diätfehlern, zumal nach dem Genuss blähender Speisen oder nach Körpererschülterung ein. — Verschlingungen der Gedärme mit dem wurmför- migen Fortsatze haben stets ihren Sitz, normale Lange der Eingeweide vorausgesetzt, in der Regio iliaca dextra und betreffen meistens dünne Gedärme b); immer sind früher oder erst mit dem Eintritt des Ileus entzündliche Erscheinungen dieser Bauchgegend dagewesen und jedes Alter und Geschlecht ist dieser Verschlingung unterwor- fen. Umschlingungen durch Darmdiyertikel betreffen auch fast immer nur dünne Gedärme, kommen übrigens an verschiedenen Bauchstellen vor. Strangulationen durch Pseudoligamente oder Netzstränge finden sich am häufig- sten an den in der Beckengegend gelegenen Darmparlieen, sind öfters mit Brüchen verbunden und Netzstränge las- sen sich bisweilen durch die Bauchdecken fühlen. — Ei- ner Knickung der Gedärme sind immer mehr oder we- niger deutliche Erscheinungen von parlieller oder ausge- breiteter Bauchentzündung vorhergegangen und öfters stellt sich die Knickung und damit der Ileus erst ein, nachdem irgend eine auffällige Lageveränderung der Ge- därme, z. B. durch Entleerung eines Bauchabscesses oder durch Verkleinerung und Senkung der Gebärmutter in 32 Folge einer Geburt u. s. w. stattgefunden hat. Die Zu- sammenlegung der Gedärme kommt, absehend vom Zwölffingerdarme, gewöhnlich nur bei älteren Personen vor, zumal bei solchen, die mit voluminösen Brüchen der Leistengegend behaftet sind und kündigt sich durch wiederholte Obstructionen des Dickdarms an. — Die In- tussusceptionen beginnen meistens in der Blind- darmgegend, zeigen sich vorzüglich häufig bei Kindern im Verlaufe von Diarrhöen, bisweilen fühlt man eine feste wurstförmige Geschwulst in der Gegend des aufstei- genden Colon, mit Stuhlzwang geht schleimig blutige Flüssigkeit ab, hat sich der Volvulus bis in den Mast- darm erstreckt, so ist der Stuhlzwang sehr heftig und mit dem Finger kann man zuweilen die spaltförmige Oefl- nung des invaginirten Darmstückes fühlen, gehen Darm- stücke ab, so ist an der Gegenwart einer Intussusception nicht mehr zu zweifeln '). a) Eine Ausnahme beobachtete Koschny 2). Ein Kutscher, der wiederholt von einem Wagen herabgesprun- gen war, bekam heftige Kolikschmerzen und Stuhlver- stopfung. Aderlässe, Blutegel, Klystire aller Art, kalte und warme Umschläge, verschiedene Einreibungen, Bäder, Drastica u. s. w. wurden vergeblich angewandt, der Un- terleib blieb verstopft, schwoll tympanitisch auf und es kam zum Kothbrechen. 15 Tage nach dem Vorfall starb Patient. Bei der Section fand sich, dass, das Ileum da, wo es in das Coecum übergeht, eine Umdrehung um seine Axe erlitten hatte. Die Umdrehung war einfach, aber das Darmstück wie ein Strick festgewunden. Nach Entwickelung des Darmes zeigte sich derselbe vollkom- men durchgängig. Der ganze Dünndarm war leicht ge- röthet und von Luft ausserordentlich ausgedehnt, der Dickdarm hingegen zusammengefallen und von weisslicher Färbung. b) Den seltenen Fall einer Umschlingung des S ro- manum fand Blöt”) bei einem 15jährigen Mädchen, welches unter den Erscheinungen des Ileus gestorben war. Der Proc. vermiformis S war nach innen gegen die Bauch- höhle gekehrt und mit dem rechten Ovarium durch eine ältere Pseudomembran verwachsen. Zwischen diesen Theilen und der hintern Wand des Beckens hatte sich die S-Schlinge hinabgesenkt und war hier eingeklemmt worden. Zugleich hatte diese Dislocation eine Antrover- sio uteri bewirkt. (Schluss folgt.) 4) Vergl. Van Nes, MHannoy. Annal. Bd. VI. 1847, 2, 2) Casper’s Wochenschr. 1844. Nr. 4. 3) Bayer. ned. Corresp.-Bl. 1845, Nr. 6—9 und 12. Bibliographische Neuigkeiten. W. — James Thomson, Arch. entomolog. ou Recueil conte- nant des illustralions d’inseetes nouveaux el rares. 1 Livr. 8. 24p. 3 pl. Paris, J. B. Bailliere. Par livr. 4 Fr. Hugh Miller, The Testimony of the Rocks, or Geology in its Bearings on the two Theologies, natural and revealed. 8. Edinburgh und London, Hamilton. 7'/, Sh. Charles Garnier, Theorie pour V’amelioration de la culture de la vigne d’apres la meilleure pralique usilee dans le departement de la Cöte d’Or, avec une notice sur les mala- dies qui surviennent ä la vigne ainsi que des insectes qui lui sont nuisibles et la maniere de les detruire. 8. 196p. Lyon. . Druck und Verlag von Friedrich Mauke-in Jena. Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. EEE. Band N3. Naturkunde. Tauschverkehr mit mikroskopischen Präparaten. (Schluss) — Heilkunde. C. Emmert, Einschieb- ung der Gedärme. (Schluss.) Naturkunde. Tauschverkehr mit mikroskopischen Präparaten. (Schluss.) & lee | = = 6 BE FE er, | Einsender SE der = Präparate - 143 | Pentastomum denticulatum, aus der Leibeshöhle des Kaninchens : Gl. II 1 | Claus. 144 | Pentastomum denticulatum, aus de ech che Beber ? IH | 12 | Zenker. 145 | Cyclops coronatus, Claus x x 3 R ; Gl. II 1 146 „ tenuicornis, Claus $ Ä A & 5 Gl. III 2 | 147 » Gigas, Claus ; q R A . : Gl. II 1 148 „ Leuckarti, Claus EA a 149 » brevicornis, Claus 5 F ; . ; Gl. III 1 150 » serrulatus, Fisch. i ! ; 2 { Gl. II 2 Sid casa eg 152 | Ascaris vesicularis aus ARTE gallop., Pärchen Gl I 3 | Pagenstecher. 153 „ Weibchen . Gl. II 3 | Pagenstecher. 154 Strongylus trigonocephalus En Hund, Pärchen, in copula | Wg II 2 | Leuckart. 155 | Trichina spiralis, im menschlichen Muskel . .' Ag. | II | 6 | Reinhard. 156 ” » in der Cyste, mehrere Exemplare . | Gl. II | 4 | Leuckart. 157 » frei, mehrere Exemplare o Gl. I 1 | Leuckart. 158! Engystirte Nematoden aus dem serösen Ueberzuge der tract. intest. von Anas Boschas fera - 5 e Gl. I 3 158°) Dasselbe h Ä N 2 A 5 , 0 Gl u 9 | 1583| Dasselbe R R GG. | p) 159'| Echinorhynchen aus ‚'Anas Boschas fera, Pärchen GL I 3 /Pagenstecher. 159? x | = » Pärchen RC Be RTER | 1 159° n 615 3 » Männchen . | C.B. | II 2 159%] s Bl „a » Männchen .| Gl. 172 Einsender Pagenstecher. Leuckart. Leuckart. Leuckart. Leuckart. Leuckart. Küchenmeister. Leuckart. Leuckart. Küchenmeister. Küchenmeister. Küchenmeister. Küchenmeister. Reinhard. Küchenmeister. »Küchenmeister. Leuckart. Küchenmeister. Küchenmeister. Pagenstecher. Küchenmeister. Leuckart. Reinhard. Zenker. Leuckart. Moebius Moebius Moebius. Leuckart. Moebius Moebius Moebius Moebius Leuckart. Leuckart. Leuckart. Leuckart. a w | en = = Es &|s zu... E = der = Präparate Au HE FEN ZI UM FIERHE EBETWER IT AFEr Ka 159°| Echinorhynchen aus Anas Boschas fera, Männchen . | Gl. II 6\ 159° = Suche Pr » Weibchen CB ll ar 1597 = a R » Weibchen C. Bl IN 1598 > 55 3 2: » Weibchen Gl. II 4 [ 159° Mb tin man. Weihehiikdne. } > Ch > 1. DEE 6) 160 Diplezoon paradoxum til; u 2 161 | Distomum (? spinosum) aus Zeus fahr & Gl. I 2 162 | Hakenkranz von Cysticercus fasciolaris Gl. II 2 163 | Cysticercus pisiformis, ganzes Thier We. II 4 164 | Taenia serrala, 24 Stunden alt We. 11 3 465 | Kopf zu Taenia coenurus 5 } ® 11 6 166 | Cysticercus tenuicollis, Hakenkranz . 5 L ? 1II 1 167 | Hakenkranz von Cysticercus cellulosae - | Gl. I 4 168 | Taenia solium, Kopf mit Haken ? II 2 169 d5 2 » » Hakentaschen ? II 1 170 » mediocanellata, Kopf b ? I 1 171 = Proglottiden . ? uI| 3 172 Erde von Taenia mediocanellata, Küch. CB: HIT: 6 173 | Taenia intermedia . - ? u 2 174 » tenuicollis, aus Iltis, Kopf mit Haken B ? II 3 175 » tripunctata, aus Dachs, ohne Haken Gl. II 4 176 » * aus Talpa, Kopf mit Haken ? II 3 177 » 2 aus der Gans, mit 8 Haken ? 11 3 1781| Taenia lavvis? aus Anas Boschas fera Gl. I 4 178? ” „ „ „ E) „ D Gl. I 2 179! » thomboidea? aus Anas Boschas fera Gl. I = 179? ” ” ” ” ” ” Gl. u 9 1793 ” „ ” ” EL) „ C. B. Im 7 180!| Diverse Tänien Baal. > a CB AL 72 180° % 5 Ks ;. x Gl. II| 5 181 | Taenia ? aus der Schnepfe ? III 4 182 | Cysticercus limacis a. u 2 183 Echinococcusblasen, Ouerfehnitte B II | 6 184 | Echinococcus scolicipariens hom. ? 12 185 | Echinococcus aus der Dromedarleber, Haken G. || 6 186'| Perlschliff von Unio margaritifer CioBe KT 1 186? + N; ie { 6. B-7 1 187 n » Meleagrina margaritifera C. B. I 2 188 | Salpa mucronata, recens nata . Gl. I | 2 189 | Amphidotus cordatus, Schalschliff E GB. el b) 190 | Echinometra lucunter, Querschliff des Stachels ? I 6 191!| Echinus Ehrenbergii, Schalschliff CB | 1 3 191? R\ r n e.B. | UI 3 192 | Pluteus bimaculatus Gl u 2 193 | Auricularia, mit Kugeln Gl. I 2 194 | Kalkkörperchen von Sporadipus asper Gl. 1 2 195 | Haut von Synapta digitata, mit Ankern u. Kalkplättchen Gl. 1 2 196 | Corallium rubrum, Längsschiff . . ° C.B 11 1 Moebius. 37 En nl en Es e— Es: [@|S = = Sen Einsender. os der Z F Präparate « a EEE EEEEEEEEEEEEEEEEEEREREERIEEREEESIHEEEEEEEEEREREEEEEEEEETEEEEEEETEETTETTETTTETETETET Enmn 0 DS 197 | Rotalia Beccarü . BaRRE NT TETTTTHN” WRINBDRTERR 67 DDr SW DE BEINE, MEAN ES 198 | Gehäuse von Rotalia di spec. und Miliola, aus dem mittelländischen Meere a h 2 x ATI Ve Or OU BT | 4 | Leuckart. 199 | Sorites? aus dem rothen Meere l GahB. KOT 1 | Leuckart. 200 | Difilugia enchelys , Ehrbg., Frankfurt e si Ag: III 6 | Frkfr. Mikr. V. 201 | Cyphoderia margaritacea, Schlumberger, Frkft. Gel. I | 12 | Frkfe, Mikr. V. IV. Histologische Präparate. 202 | Epidermiszellen mit Porenkanälchen, von Amocoetes G. [DI | 6 | Leuckart. 203 | Ausführungsgänge der Schweissdrüsen, Mensch . ? II 5 | Welcker. 204 | Haut des Menschen, injieirtt . ‘ N C. B. | II | 10 | Gerlach. 205 | Menschliches Haupthaar, Onerachnitte We. | I 5 | Welcker. 206 ey Barthaar,, Querschnitte We. u 5 | Welcker. 207 | Geringeltes Haupthaar - 0 II | 6 | Welcker. 208 | Haare von Sorex vulgaris - > “ Gl. | HT | 1 | Moebius. 209 >» » Chrysochloris capensis, Desm, Gel. | II | 6 | Frkfr. Mikr. V. 210 » » Nyeticebus lasiurus, Schreb. s Gel. | II 6 | Frkfr. Mikr. V. 211 | Stachel von Hystrix prehensilis, Querschnitte .-. Wg u 5 | Welcker. 212 | Gehirn, Injeetionspräparat c.B.| I 10\ 213 | Rückenmark, Katze, Injet. . c.B. |! MI 10 214 Kaninchen, Inject. CB: |. Ill, 40 215 Birnhäute des Menschen, Inject. CB. | 1! 216 | Retina des Menschen , änjech, e 5 C. Bis}, I 5 217 | Retina des Schafes, Inject. c.B.| I 5 \ Gerlach. 218 | Chorioidea des Menschen, Inject. €. B. I 5 219 „ Hundes, Inject. GB | I 5 220 Augenlider des Menschen, Inject. €. B|ı1[/2 2321 | Muskeln des Menschen, Inject. C.B.|I1|10 222 | Muskelfasern eines Amonatl. Embryo Aq. II 4 | Reinhard. 223 | Froschmuskel, Querschnitt; „Kerne“ roth imbibirt We. | I 5 | Welcker. 224 | Muskel des Huhekl, Querschnitt, Imbibitionspräparat We. II 3 | Welcker. 23235 | Muskel des Menschen, Querschnitt, Imbibit. - | We. II 3 | Welcker. 226 » von Menobranchus, Sarkolemma und Fibrillen cl. u 3.| Welcker. 227 | Muskel von Proteus, Sarkolemma und Fibrillen Gl. II 3 | Welcker. 228 | Glatte Muskelfasern, vom Darme eines Insects Gl. II 3 | Pfeiffer. 229 | Bindegewebe eines 4monatlichen Embryo . . «| Ag. | II | 4 | Reinhard. 230 | Menschliche Fibula, Querschliff : We. | IE | 5 | Welcker. 231 2 Radiallängsschliff We. | U 5 | Welcker. 232 Feb des Hasen, „ 1) u 3) 233 en Flächenschliff 0 u 3 | 234 is Querschliff 0 11 3 \ e 235 |-Tarsns: deb Rindes, Flächenschliff 0 |. | 1) Reinhard. 236 IM TRR > Radiallängsschliff 0 II j 237 A Querschliff R N) II 1 238 Homfins 1m Rothkehlchens , Flächenschliff 0 u 2 39 Eh en | — SE r Einsender. B o — —— 2 = der 3 Präparate 239 | Kieferknochen von Perca lucioperca, Flächenschliff & II 3 | Reinhard. 240 | Menschlicher Zahn, a ae ei der Zahnröhrchen We. | I 3 | Welcker. 241 | Längsschliff eines cariösen Backzahns des Menschen 0 a 242 | Längsschliff eines ausgefallenen Milchzahns des Menschen | 0 EEE 243 | Längsschliff einer Zahnwurzel des Menschen 1) u 3 : 244 | Querschliff eines hinteren Backzahns des Menschen 0 I 2 Reinhard. 245 | Querschliff einer Zahnwurzel r 0 1I 3 246 | Längsschliff einer Zahnwurzel m. Hyporöstoskl, Gönieits g II 4 247!| Castor fiber, Vorderzahn, Querschliff Gl. I 2 | Moebius. 247? „ „ ” „ Gl. 11 3 Moebius. 248 | Querschliff des Zahnes des Sägefisches We. | I 3 | Welcker. 249 |. Längsschlif „ , We. | UI 3 | Welcker. 250 | Längsschliff des Zahnes von Perca Incioperca ? I | 3 | Reinhard. 251 | Hechtszahn, Längsschliff . a N % ? u 3 | Reinhard. 252 | Zunge, Injectionspräparat 2 e.B.| IT| 10 253 | Speicheldrüse des Kaninchens,, Inject. C.B.| II | 10 254 » Hundes, Inject, C.B.| IT | 10 255 Magen des Hundes, Inject. CHB. | Mr 10 256 „ der Katze, Inject. €. -B:)II4 | 10 257 | Darm des Hundes, Inject. C.B. | IT | 10 258 „ der Katze, Inject. c.B. | IT | 10 259 „ des Kaninchens, Inject. c.B. | II | 10 260 | Leber des Schweins, Inject. C.B. | II | 10 261 „ des Menschen, Inject. c.B.| 10 ( Gerlach. 262 » des Kaninchens, Inject. . x 2 .)&B.| I | 40 263 | Lymphdrüsen der Katze, Injet. . . ‚east 5 264 3 des Hundes, Inject. . „CB 5 265 „ Menschen, Inject. c.B.| I 5 266 | Milz des Schafes, Inject. c.B.| 1/10 267 | „» , Hundes, Inject. C.B. | IE | 10 268 | Thymusdrüse des Menschen , Inject. . c.B.| U | 10 269 | Schilddrüse der Katze, iiject..« C.B.| I 5 270 \ Capillarien des Gehirnes (Kuh), Kerne der intima und muscularis roth gefärbt C.B.| I 3 | Welcker. 271 | Venenschnitte, mit Salpetersäure behandelt‘ Ag. III 4 | Reinhard. 272 | Blutkörperchen von Elephas indicus 0 |! 10\ 273 8 vom Lama ' 0 II M 274 » von Proteus anguinus 0 II | 10 275 ” a 3, K\ G. || 5 276 N » nr Gi. | U a Welcker. Part -f » Emys europaea . 0 I 278 2 „ Petromyzon marinus 0 I | 279 » Amocoetes branchialis 0 II 3 280 | Teichmann’s Häminkrystalle, aus Hundeblut c. B. | II | 18) 40 4 281 | Blutkrystalle aus einer arepeen En ah des 282 283 284 285 286 287 288 289 290 291 292 293 294 295 296 297 298 299 300 301 302 303 304 305 306 307 308 309 310 311 312 313 314 315 316 317 318 319 320 menschlichen Gehirns . Menschliche Lunge, aufgeblasen getrocknet Tracheen aus Schmetterlingsraupen Stigmata von Insecten Niere des Pferdes, Injection » » Schafes, ” Hoden der Ratte, Inject. Uterus gravidus der Katze, Inject. Placenta der Katze 8 Spermatozoen des Kaninchens . " » JInuus . Pr „ Sperlings ” von Notonecta glauca . Ovulum humanum, ex ovario Micropyle von Salmo fario ” ” 22 „ 5 » Nepa grandis r, »; Naucoris cimicoides EN 3» Notonecta glauca ” » Limnobates ostagnrum 5 „ Phytocoris binotatus . 4 » Pentatoma ? 43 » Pediculus capitis - » Pulex irritans Mn » Musca vomitoria Ri ”. » Prionus coriaceus e s . . 53 „» Locusta varia = » Perla bicaudata en) » Bombyx vinula » » Sphinx populi ” „ Ligustri » » Parnassius Apollo V. Pathologisch - anatomische Präparate. Talgdrüsengeschwulst, aus der Kopfhaut des Hundes . Fibroplastische Geschwulst, aus der Higmorshöhle, Imbibitionspräparat . Fibroplastische Geschwulst, von der Tricepsschne, Bas bibitionspräparat Verknöcherte Pacchionische Drüsen, von der ee dea des Rückenmarks . Catarrhalischer Zungenbeleg Pigmentirtes Sputum Hämatoidinkrystalle aus einjähriger Hirneyste Hyaline Faserstoffeylinder aus d. Urine bei Morb. Brightüi (Entophyten und Entozoen siehe unter II u. II.) Aufbewahrungs- medium —— der Präparate III 3 1 8 11 6 1 6 I | 10 I | 10 1 | 10 II 10 I | 10 II 1 II 1 II 4 III 1 1 3 I | 25 III 5 I 4 I 2 u 1 u 3 II 4 u 4 11 4 11 6 III 6 I 2 II 2 1 3 u 6 11 6 II | 10 u| 2) II 5 10 3 II 1 2 II 6 III 6 u b) I 6 Einsender Welcker. Welcker. Pfeiffer. Pfeiffer. Gerlach. Gerlach. Gerlach. Gerlach. Gerlach. Welcker. Welcker. Welcker. Claus. Welcker. Leuckart. Wernher. Wernher. Wernher. Welcker. Mosler. Mosler. Mosler. Mosler. 43 44 ih | &0 == 33 tl Einsender SE der Ss Präparate. REN 17 7v |. \- OO VI. Chemische und pharmakologische Präparate. argdeun asian shell eine 321 | Hydrargyrum oxydat. rubr. n 7 0 III | 10 \ 322 | Dampfcalomel = . b 0 III | 10 323 | Wöhler’sches Calomel E ü 0 III | 10 324 | Calomel der Ph. Bor. ed. VI. 0 III | 10 325 er präcipitirt . . 0 III | 10 3 Möipkinde 4 06 m) 10,0, 327 | Strychnin, 0 II | 10 328 | Cinchonin, aus Alkohol krystallisirt 0 III | 10 329 | Kleesaurer Harnstoff . 0 III | 10 330 | Salpetersaurer Harnstoff . 0 II | 10 331 | Harnsäure in Fächerform (Euncke’s Atlas, X, » Aq. | IIL | 12 | Frkfr. Mikr. V 332 | Aloinkrystalle aus Alo& hepat. A ? 11 6 | Phoebus. VII. Test-Objects und Verwandtes. 333 | Schuppen von Lepisma saccharina ; 0 III|; 2 334 | Pleurosigma angulatum 0 II|ı 5 335 | Glasfaden, in Luft liegend u l,IIR | 2 336 5 ‚ Glycerin liegend 3 —. [|M| 2 337 "5 Wasserglas liegend } a 338 ss „ Canadabalsam liegend -1 — |I| 2 | 339 5 „ Anisöl liegend e — u 2 ) 340 | Glascapillare, mit Luft und Wasser gefüllt ne: Bad 2 Giessen, am 15. Mai 1857. Der Vorstand des Vereins für Mikroskopie in Giessen. Dr. R. Leuckart. Dr. H. Welcker. Heilkunde. Einschiebung der Gedärme. Von Prof. Dr. €. Emmert (Bern). (Schluss.) Was die operative Behandlung des Ileus anbe- trifft, so hat man nach fruchtloser Anwendung von Ab- führmitteln, Klystiren u. s. w., worüber wir die Medicin berichten lassen, den Bauchschnitt !) (Laparoto- mia) vorgeschlagen und auch wirklich mehrfältig aus- geführt, um damit entweder bei der Operation eines ein- geklemmten Bruches das Hinderniss zu beseitigen oder über demselben einen künstlichen After anzulegen; und 1) Pfeiffer, De laparotomia in volvulo necessaria. Marb. 4843. — Maisonneuv e, Archiv. gener. de Med. 1845 Oct. — Ulmer, Würtemb. Zeitschr. f. Chir. 1850. 3. — Bitot, Journal de Bord. 1850. Sept. — Crisp, Lond. med, Exami- ner. 1851. July. Hat 13 Fälle gesammelt, wovon die Opera- tion bei 7 einen tödllichen Ausgang, bei 6 einen guten Er- folg hatte, in der That lässt sich aus der hoffnungslosen Lage sol- cher Kranken, sowie aus der durch Sectionen ausser Zweifel gesetzten Möglichkeit, manche der erwähnten Lageveränderungen im Falle ihrer Auffindung beseitigen zu können, eine dringende Aufforderung zu operativer Hülfe herleiten. Allein trotz dieser Aufforderung stehen in den meisten Fällen einer gehörig begründeten Ueber- nahme solcher Operationen so viele Schwierigkeiten ent- gegen, dass die operative Hülfe meistens nur ein Pium desiderium bleiben muss, wie sich aus Folgendem erge- ben wird. Will man zur Beseitigung des mechanischen Hindernisses die Laparotomie vornehmen, so setzt diess vorerst eine genauere Kenntniss dieses Hindernisses nach Sitz und Art voraus, indem ersterer die Operationsstelle bezeichnet und letztere über Zulässigkeit und Nichtzu- lässigkeit der Operation entscheidet, da nur einzelne der angeführten Lageveränderungen und diese zum Theil nur 45 unter besonderen Bedingungen auf operativem Wege ent- fernbar sind, wohin gehören: Axendrehungen, ganz fri- sche Intussusceptionen, Strangulationen durch Darman- hänge, Pseudoligamente, Netzstränge, Gekrösspalten und durch Darmschlingen, vorausgesetzt, dass zwischen Darm und strangulirendem Gebilde keine unlösbaren Verwachs- ungen bestehen, was aber vor der Operation wohl nie bestimmbar ist. Aeltere Intussusceptionen lassen sich nicht mehr entwickeln, bei mit Verwachsungen verbunde- nen Strangulationen ist die Einklemmung kaum zu heben, ohne den Darm zu verletzen und dasselbe gilt von den meisten Knickungen. Man sieht hieraus, dass schon die pathologischen Zustände an und für sich der operaliven Hülfe enge Schranken setzen und diese Beschränkung wird vermehrt durch die Schwierigkeit der Erlangung einer nur einigermaassen den Ansprüchen einer rationellen Chirurgie genügenden Diagnose, wozu noch kommt, dass öfters, wenn alle übrigen Mittel nutzlos versucht sind und die Operation unternommen werden sollte, die enteritische und peritonitische Reizung bereits solchen Grad erreicht hat, dass sie eine Contraindication bildet. Aus Allem diesem erklärt sich hinreichend, warum der sachkundige und um- sichlige Arzt nur höchst selten diese Operation für zuläs- sig halten kann und warum dieselbe, in allzu grossem Vertrauen auf glücklichen Zufall unternommen, nur selten den gehegten Erwartungen entspricht '). Es hat die Er- fahrung gelehrt, dass man bald das Hinderniss gar nicht fand a), oder wenigstens nicht richtig erkannte, dass man das aufgefundene Hinderniss nicht beseitigen konnte b), oder unerwartet eine Verletzung der Gedärme herbei- führte c), dass der Kranke trotz Beseitigung des Hinder- nisses an den Folgen der Unterleibsentzündung zu Grunde ging d) u. s. w. — Zur Ausführung der Operation wird man an der Stelle, wo das Hinderniss zu vermuthen ist, durch einen verticalen oder schrägen, geraden oder bo- genförmigen Schnitt von 3— 5‘ Länge die Bauchhöhle eröffnen, dann die Finger in die Bauchhöhle führen, in vorsichtiger Weise die abnorm sich anfühlende Darmpar- tie wo möglich zu genauer Untersuchung hervorziehen, hierauf je nach der Art des mechanischen Hindernisses den abnormen Zustand heben, dann die Eingeweide wie- der reponiren und die Wunde schliessen. Würde man des Sitzes der Lageveränderung nicht ganz sicher sein und gleichwohl die Operation unternehmen, so wäre ein Schnitt in der weissen Linie wohl am geeignetsten. a) Pauli ?) machte bei einem 60jährigen Manne, der seit 25 Jahren einen äussern Leistenbruch hatte, der trotz bestehender Einklemmungssymptome zurückging, so dass eine innere Einklemmung angenommen werden musste, einen gegen 3° langen schrägen Einschnitt, 2° von der Spina il. ant. super. entfernt, nach innen und unten ge- gen den Leistenkanal hin, konnte aber das mechanische Hinderniss nicht auffinden. Die Section ergab als Ur- 4) Fuchsius, Hufeland’s Journal 1825. 2. — Reali, Fror. Notiz. 1849. Mai, Nr. 182. 2) Bayersch. Corresp.-Bl. 1849. N. 39. 46 sache der vorhanden gewesenen Strangulation einen mit der vordern Bauchwand verwachsenen Netzstrang. b) Nach Pirogoff !) wurde wegen einer Intussus- ception bei einem 16jährigen Knaben der Bauchschnitt gemacht. Die Krankheit hatte mit plötzlichem Schmerze in der Ileocoecalgegend begonnen. Am 2. Tage Stuhl- verstopfung, Uebelkeit und mässige Ausdehnung des Bau- ches, in der genannten Gegend eine empfindliche, harte, faustgrosse Geschwulst fühlbar. Die Bauchhöhle wurde durch einen 4° langen Schnitt geöffnet, das Coeeum war stark ausgedehnt, in demselben lag eine härtliche Ge- schwulst, gebildet durch das invaginirte, bereits mit den serösen Flächen verwachsene Ileum, welches sich nicht mehr entwickeln liess. Man öffnete die drei Wände des Volvulus und nähte die Ränder in die Bauchwunde ein. Der Kranke starb in Folge der Entzündung. Der inva- ginirte Theil war bereits brandig geworden. c) Jones ?) operirte bei einer 22jährigen Dienst- magd einen rechtseitigen Schenkelbruch und brachte den- selben zurück, gleichwohl dauerten die Einklemmungser- scheinungen fort. Es wurde nun 5 Tage nach der er- sten Operation die Laparotomie gemacht durch eine 5“ lange Incission zwischen Umbilicus und Pubes. Theile des Ileum und Jejunum lagen vor, das erstere mehr in- jieirt als das letztere. Man führte nun den Finger nach der untern Bauchwand und fand den Canalis femoralis ganz frei. Als man den Finger nach ab- und auswärts gegen die Crista ilei gleiten liess, schien es, als löste sich eine Adhäsion und es stürzte aus der Bauchwunde eine grosse Menge Fäcalmassen hervor. Schnell wischte man Alles auf, und vereinigte, einen plötzlichen Tod be- fürchtend, die Bauchwunde durch die unterbrochene Naht. Die Operirte starb erst am 8. Tage nach der Operation. Bei der Section fand sich im Ileum 2° von der Einmün- dung in das Coecum entfernt eine mit Granulationen be- deckte Oeffinung von der Grösse eines Frankenstückes. d) In operativer Hinsicht sehr bemerkenswerth sind folgende von Hilton?) gemachte Laporatomieen. 1) Ein 20 Jahre alter, hagerer, aber kräftiger Mann, der öfters einige Tage ohne Leibesöffnung gewesen war, hatte vor 3 Tagen ein leichtes Ziehen oder Ausweichen des Darms an einem Punkte 2 vom Nabel gegen das rechte Darm- bein hin bemerkt, und bald darauf Schmerz empfunden. Trotz Crotonöl, Calomel und Tabaksklystiren wurde in den folgenden Tagen Nichts ausgeleert. Seit 3 Tagen wurde alles Genossene schnell ausgebrochen nebst Inhalt des Dünndarms. Der Unterleib war nur an jenem Punkte schmerzhaft und nicht aufgetrieben. Coecum und Colon schienen leer, waren ohne Resonanz bei Percussion und an der schmerzhaften Stelle fühlte man eine einzelne Ge- schwulst. Im Alter von 3 Jahren hatte der Kranke an 1) A. 0. 2) Med. Times and Gaz. 1854. Aug. 3) Med.-chir. Transact. 1847. XI. und Assoc. Journ. Schmidt’s Jahrb. der in- und ausländ. ges. Med. Bd. 85. 1855. S. 333. 47 Mesenterialkrankheit, einige Jahre später wahrscheinlich an Peritonitis und vor 4 Jahren an einem ähnlichen Uebel gelitten. Bird, welcher den Kranken behandelte, dia- gnosticirte eine Darmeinklemmung durch eine Pseudomem- bran wenige Zolle oberhalb der Coecalklappe. Es wurden jeden Abend Klystire mit 5j Tinet. Opii verordnet und gegen 3 Pfund laufendes Quecksilber gegeben. Am 15. Tage der Krankheit verlangte der Kranke die Operation, welche von Hilton ausgeführt wurde. Die Zimmerwärme wurde auf 88$—90° F. (ca. 25° R.) gebracht und die Luft etwas feucht erhalten. Nach Entleerung der Harnblase machte H. in der weissen Linie einen Hautschnitt vom Nabel bis 1 von der Symphys. vss. pub. herab, trennte die Linea alba und das Bauchfell. Es floss etwas blutiges Serum aus. Mehrere Windungen des leicht gerötheten und ausgedehn- ten Dünndarms drängten sich hervor. H. ging mit der Hand in die Bauchhöhle, konnte aber weder links noch rechts etwas entdecken. Die sich vordrängenden Gedärme machten eine Erweiterung der Wunde von 13 links vom Nabel vorbei nothwendig. Auf der rechten Seite konnte man die Einklemmung nicht finden, aber links über dem S romanum fand sich ein Theil des Dünndarms mit einem andern durch ein altes zelliges Band verwachsen. Bei Trennung dieser Verwachsung musste eine kleine Arterie nach vergeblichen Torsionsversuchen unterbunden werden. Diese Verwachsung konnte aber nicht die Ursache der Einklemmung sein. Man untersuchte daher abermals rech- terseits, schob die ausgedehnten Darmtheile auf die Seite und fand endlich ein 6— 7° langes Stück Dünndarm we- niger beweglich und dunkler gefärbt. Darunter lag das leere Coecum mit gewundenem verklebtem Anhange und einem zusammengezogenen blassen Theil des Ileum. Jenes dunkle Darmstück war durch eine ringförmige Oeffnung getreten, welche ein Stück des Ileum und eine alte Pseudomembran bildeten, wodurch es über der Art. iliaca ext. mit dem Beckenrande zusammenhing. Durch sanfte Tractionen nach oben konnte das Darmstück von der Einklemmung befreit werden und das leere Stück des Ileum fing sogleich an sich zu füllen. Mit einiger Schwie- rigkeit wurden die Gedärme in die Bauchhöhle zurückge- bracht und die Wundränder durch eine fortlaufende Naht vereinigt. Die ganze Operation dauerte etwa 1 Stunde und der Kranke hatte wenig dabei gelitten. Nach eini- gen Stunden stellte sich Hitze und Spannung im Leibe ein und am folgenden Morgen starb der Operirte. Die Section zeigte, dass das mechanische Hinderniss gehoben und nirgends eine Beschädigung der Gedärme war. — 2) Ein 14jähriger Knabe wurde am 6. August plötzlich von einem heftigen Schmerze im Unterleibe befallen, wozu sich Erbrechen gesellte. Der Schmerz begann etwas un- terhalb und links vom Nabel und zog sich nach der rech- ten Seite. Die Untersuchung des Unterleibes liess nichts Abnormes entdecken. Am 8. Aug. Schmerz und Erbre- chen wie früher, Puls fadenförmig, Gesichtszüge verfal- len, Calomel ohne Erfolg, 3 Klystire blieben. Einem 48 4. Klystir am 9. August folgten einige übelriechende Aus- leerungen von unverdauten Massen. In der Nacht vom 10.— 11. Aug. entschloss man sich auf Drängen des Knaben zur Operation. Hilton machte in. der Mittel- linie des Bauches einen 3° langen Schnitt von etwas oberhalb des Nabels an der linken Seite desselben herab. Es erschien das Quercolon mit dem Netze. Das Colon war zusammengefallen, das Netz bedeckte gänzlich die dünnen Gedärme, zeigte strotzend gefüllte Blutgefässe und konnte nicht erhoben werden. Der unter den linken Rand des Netzes geführte Finger entdeckte einen Strang von Rabenfederkiel-Stärke, der vom Netze nach der Wir- belsäule mitten unter den zusammengezogenen Dünndär- men ging und sich an der linken Seite der Wurzel des Gekröses anheftete. Mit dem Fingernagel wurde der Strang getrennt, nirgends jedoch hatte derselbe Gedärme eingeschnürt und konnte daher nicht Ursache der Ein- klemmung sein. Man untersuchte nun die Foramina ob- turatoria, fand diese aber frei. Der Finger wurde nun nach aufwärts gegen den Anfang des Jejunum geführt und hier entdeckte man, dass ein Stück desselben gegen die rechte Seite des Unterleibes zu durch ein abnormes Loch des Mesenterium geschlüpft war und daselbst fest- gehalten wurde. Durch anhaltenden Zug befreite man diese Partie und führte sie nach aussen. Sie war 6—8” lang aufgetrieben, dunkel gefärbt, aber nicht gangränös. Das Loch im Mesenterium liess die Fingerspitze leicht passiren. Die Wunde wurde durch Suturen geschlossen. Schon am Nachmittag des folgenden Tages stellten sich Zeichen von Erschöpfung ein und Abends 10 Uhr starb der Operirte. Die Anlegung eines künstlichen Afters wird nur dann gerathen sein, wenn mit der Lageveränderung eines Darmstückes nicht zugleich Einklemmung verbunden ist, da diese durch jene nicht gehoben, daher fortbeste- hen und immerhin das Leben in hohem Grade gefährden wird, ein Umstand, dessen nothwendige Berücksichtigung allein schon diese Operation nur selten als indicirt er- scheinen lassen kann, wobei noch in Betracht kommt, dass, wenn das Hinderniss am Dünndarm seinen Sitz hat, die Anlegung eines künstlichen Afters hier, da letzterer mög- licher Weise fortbestehen muss, stets eine missliche Sa- che ist und zwar um so mehr, je höher oben am Darm- kanal die Eröffnung desselben nothwendig wäre. Mecha- nische Hindernisse in den dicken Gedärmen, die nicht mit Einklemmung verbunden sind, wohin besonders die Axendrehungen gehören a), möchten daher allein die künstliche Afterbildung als zulässig erscheinen lassen, wenn das Hinderniss durch die vorhin beschriebene Lapa- rotomie nicht zu heben wäre. a) Versuche, bei Intussusceptionen an dem Volvulus selbst einen künstlichen After zu etabliren, haben fast im- mer fehlgeschlagen !). 1) Ein Fall in Med. Annal. Bd. VIII. 1841. H.3. — Pirogoff, a. 0. Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena, Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. EEE. Band No 4, Naturkunde. G. Hartlaub, Die Vögel Westafrika’s. — Mliscellen. H. Reinsch, Magnetische Wirkung !der Schwingungen tönender Saiten. — Ch. Martius, Ueber die Richtung der Achse des Schenkelbeinhalses. — Heilkunde. Joh. Ridge, Eingeklemmter Retroperitonealbruch. — Perutz, PhysiologischejPrüfung der Mineralquellen. — Miscelle. Patissier, Mineralwasser bei rheumatischer Endocarditis. — Bibliographie, Naturkunde. Die Vögel Westafrika’s. Von Dr. G. Hartlaub (Bremen) *). Westafrika liefert unsern Sammlungen, sowie auch den Freunden lebender exotischer Vögel die Mehrzahl der schönsten und anmuthigsten Vögel, namentlich die vielen mannigfaltigen Arten der finkenartigen, höchst zierlichen Senegalisten, und der Reissvögel u. s. w. So wird dieses Buch Hartlaub’s, welches einen hohen Werth für die Männer von Fach besitzt, dennoch auch in weitere Kreise dringen. Den erstern genügt der Name des Vfs. zur Em- pfehlung des Werkes, den letzteren mögen einige Aus- züge die Lust erwecken, sich weiter damit zu beschäftigen. „Die Gegenden Westafrika’s, wo ornithologisch ge- sammelt und zum Theil auch beobachtet wurde, sind in ihrer natürlichen Reihenfolge von Norden nach Süden ab- wärts hauptsächlich folgende: Das Senegalgebiet (Goree, Galam, Podor, Casamanzefluss); Gambia ( Bathurst ); Bissao am Geba; Rio Nunez; Sierra Leone ; Liberia (Mon- rovia, St. Paulsfluss, St. Johnsfluss); Cap Palmas; Grand Bassam; Goldküste (Aguapim, Ashantee mit dem Rio Boutry und dem Negerdorfe Dabocrom, Cap Coast Castle, Elmina, Wineba, Accra, Anamaboe); Dahome (Widah, Abomey); Lagos; Nigergebiet (Nunfluss, Altcalabar, Bon- nyfluss); Fernando Po; Gabon (Moondafluss, Dendger- fluss); der Munifluss in seiner ganzen Ausdehnung und mit Einschluss der unfern seiner Mündung gelegenen Insel Corisco; der Cammafluss; Cap Lopez; Inseln St. Thome; do Principe und das Rollas; Congo (Zaire, Cacongo, Malemba), Benguela. Nur an wenigen der hier namhaft gemachten Lokalitäten erstreckte sich die Thätigkeit orni- > System der Ornilhologie Westafrika’s von Dr. G. Hartlaub. 8. 276 S. Bremen bei €. Schünemann, Paris bei Franck und London bei Williams und Norgate. thologischen Sammelns oder Beobachtens erheblich über die Grenzen des eigentlichen Küstengebietes hinaus in’s Innere; am weitesten landeinwärts auf dem Niger, Muni und Zaire. Dr. Baikie’s im Uebrigen so grossarlig erfolgreiche Beschiflung des Benue (Binju®) konnte, um diess gleich hier zu bemerken, nur acht bis zur Unkenntlich- keit entstellte Vögelhäute liefern. Das auf den Karten nicht vorgezeichnete Negerdorf Dabo-crom, wo Pel mit so vielem Glücke sammelte, liegt auf der Grenze zwischen Ashantee und Fanti. Werfen wir jetzt einen Blick auf den landschaft- lichen Charakter des so begrenzten Gebietes, so. zeigt sich uns dasselbe fast seiner ganzen Ausdehnung nach gebirgig und, mit geringen Unterbrechungen, in der reichsten Abwechselung und Fülle tropischer Scenerie. Zahlreiche grössere und kleinere Flüsse, längs der Ufer mit prachtvoll-riesiger Waldung besetzt, an den Mündun- gen von undurchdringlichem Mangrovedickicht umwuchert und gewöhnlich in Verbindung mit Sümpfen, vieler Orten Salz- oder Süsswassersee’n, Myriaden von Sumpf- und Schwimmvögeln willkommene Zuflucht gewährend; näher der Küste in manchen Gegenden wellenförmig - hügeliges Terrain, parkartig von üppigem Graswuchs überzogen, untermischt mit niedrigem Gebüsch und vereinzelten Grup- pen von Palmen und höheren Bäumen; in anderen selbst hohe Gebirge; etwas weiter im Inneren unermessliche Wäl- der (Bombax, Spondias, Elais, Adansonia, Ficus u. s. w.), die namentlich gegen den Aequator hin vielerwärts selbst die Meeresküste erreichen; — das sind einige Hauptzüge in der westafrikanischen Landschaft, wie sie uns Mollen, Hecquard, Bowdich, Dunkan, Gordon, Thom- son und Allen, Tuckey und Andere schildern. Besondere Erwähnung verdienen noch die Inseln. Fernando Po, ge- birgig mit 10,000 Fuss hohem Pik, in zoologischer Hin- sicht einer der reichsten und interessantesten Standorte ” 4 51 unseres Gebietes, wird zugleich als im lieblichsten Schmucke landschaftlich. malerischer Contraste prangend gepriesen. Zu unübertroffener tropischer Schönheit und pittoresker Erhabenheit steigert sich aber die natürliche Scenerie auf den äquatorialen Inseln St. Thome und do Principe, letz- tere bei neunmonatlicher Regenzeit und nach allen Richt- ungen hin durchströmt von zahlreichen Flüsschen und Bächen wohl mit Recht „the watery gem of the ocean“ genannt. Zoologisch undurchforscht blieb bis jetzt die kleine schöne Tropeninsel Annobon und die den Mündun- gen der Geba und Rio grande unfern liegende Gruppe der Bissagots. — Angebauten Landes ist in Westafrika verhältnissmässig noch wenig, aber nicht unerwähnt darf hier bleiben, dass vielarlige essbare Früchte, Orangen, Limonen, Anona, Bananen, Guaven und andere mehr mit Erfolg cultivirt werden, in deren Erndte sich mit der menschlichen die thierische Bevölkerung theilen mag. Zoologisch betrachtet entfaltet Westafrika eine so kraftvolle und reiche Originalität, als sich unter der Ein- wirkung so ungewöhnlich günstiger Verhältnisse nur ir- gend erwarten lässt. Gilt diess in etwas geringerem Maasse von Senegambien, so bewahrheitet es sich dage- gen um so glänzender in den heissesten Theilen Guinea’s. Hier ist es, wo die faunische Productivität und Selbst- ständigkeit Africa’s den Forscher immer wieder neue und ungeahnte Schätze entdecken lässt, wo des riesigen Go- rillaaffen Wohngebiet, wo die colossalsten unter den Schlangen hausen (Dunkan tödtete und maass deren eine von 31 Fuss Länge), wo die prachtvollsten Golia- thiden den mühevoll suchenden Entomologen lohnen, und wo unter den Vögeln die ächt afrikanischen Formen in grösster Mannigfaltigkeit und höchster Entwickelung der Art auftreten. Es scheinen sich hier, soweit diess bei unserer noch sehr unvollkommenen Bekanntschaft mit dem Inneren zu erkennen, zwei jüngst wieder von de Castelnau in Südamerika als richtig erkannte geogra- phisch-zoologische Gesetze zu bewähren, einmal, dass die Längen einen ungleich geringeren Einfluss auf die Ver- vielfältigung der Arten ausüben als die Breiten, und dann, dass die Mutabilität des organischen Typus in geradem Verhältniss zu der durchschnittlichen Wärme steht. Von den Westafrika eigenthümlichen Gattungen kommen nur sehr wenige zugleich auf dem Senegalgebiete vor; die überwiegend grosse Mehrzahl ist auf Guinea beschränkt. — Die intime Verwandtschaft, welche Pucheran bei den Sängethieren dieser Gegenden mit denen des indi- schen Festlandes als ausser Zweifel bestehend angenom- men wissen will, scheint sich in der ornithologischen Reihe wenigstens nicht völlig zu verläugnen. Das Auf- treten einer Pittaart, die neuentdeckte Gattung Erythro- cercus, nächstverwandt mit Pycnosphrys, eine allerdings von Cassin als aberrant bezeichnete Napotheraart, die stark an Hodgson’s Hemichelidon erinnernde Form Artomgias, zwei ächte Indicatorarten in Indien, in der Färbung afrikanischen zum Verwechseln ähnelnd, die merkwürdige, den indischen Gattungen Sasia und Vivia 52 nächstverwandte Zwergform Verreauxia, die neue, gleich- sam zwischen Numida und Gallophasis inmitten stehende, in der Färbung ganz indische Gattung Phasidus, der ge- meinschaftliche Besitz der Gattung Polica, die Wieder- holung der bis jetzt für exclusiv indisch gehaltenen Wach- telform Coturnix excalfactoria in der Coturnix Adansoni Ga- bon’s, endlich das besonders artenreiche Vorkommen ge- wisser Familien oder Gattungen, die auch in Indien zahl- reich und charakteristisch vertrelen sind, so z. B. der Bucconiden oder der Gattung Trichophorus, von welcher letzteren sogar manche indische Arten westafrikanischen bis zum Verwechseln ähneln, — das Alles ist wolıl ge- eignet, jene allerdings schwer erklärliche Affinität auch ornithologisch als wahr zu begründen. Und erinnern nicht wenigstens die prächtig roth und schwarzen Syco- bius-, Spermospiza- und Pyrenestesarten Guinea’s auf- fällig genug an so manche der schönen Loxiinen des Hi- malaja®? — Bemerkenswerth ist, dass die einzige und sehr weit verbreitete Trogonart Africa’s nicht asiatische, sondern amerikanische Färbung zeigt. Wir kennen bis jetzt an 758 Arten westafrikani- scher Vögel, also ungefähr so viele, als nach muthmaass- licher Schätzung die Zahl der bekannten Arten Südafri- ka’s und auch — Heuglin’s kürzlich veröffentlichter Uebersicht zufolge — die Nordostafrika’s beträgt. Jene 758 Arten vertheilen sich den Ordnungen nach wie folgt: Rapaces 56, Passeres 450, Scansores 69, Co- lumbae 17, Gallinae 19, Struthiones 1, Grallae 99, An- seres 42. Von diesen sind nicht weniger als 400 Arten bis jetzt nur in Westafrika gefunden worden. 150 zugleich in West- und Nordostafrika, 64 zugleich in West- und Südafrika und 140 zugleich in West-, Nordost- und Südafrika. Es gehen aus diesen einfachen Zahlenangaben, deren annähernde Richtigkeit wenigstens nicht zu bestrei- ten ist, zwei für uns wichtige Thatsachen hervor. Ein- mal erhellt daraus, dass die von Pucheran bei den Säugethieren nachgewiesene Verwandtschaft der westafrika- nischen Fauna zu der der nordöstlichen Provinzen, also Nubiens, Sennaar's, Kordofan’s und zum Theil auch Abys- siniens, in der Klasse der Vögel ihre vollste Bestätigung findet. Es ist jedoch, wie leicht erklärlich, vorzugsweise Senegambien, an dessen ornithologischer Fauna sich diese Verwandtschaft recht auffällig nachweisen lässt. Nach dem Aeqnator zu wird dieselbe in geringerem Grade be- merkbar, und südlich von demselben erscheinen vielmehr immer deutlicher erkennbare Spuren südafrikanischen Ge- präges (Coracias caudata, Spreo fulvipennis, Emberiza impetuani und tahapisi, Amadina eryihrocephala, Passer diffusus u. s. w.), Du Chaillu’s Durchforschung der wenig bekannten Länderstrecken und Flussgebiete südlich von Gabon hat uns mit den nördlichen Verbreitungsgren- zen verschiedener caspischer Arten bekannt gemacht. Neben dieser durch Zahlen nachgewiesenen verwandt- schaftlichen Beziehung der westafrikanischen Vögelfauna zu der Nordafrika’s tritt dann aber zweitens der selbst- 53 ständig-eigenthümliche Charakter der ersteren in höchst frappanter Weise zu Tage. Mehr als zwei Drittheile aller bekannten Arten unseres Gebietes sind bis jetzt nur allein auf diesem gefunden worden, wobei indessen nicht zu übersehen, dass viele derselben in Nordostafrika, andere in den capischen Gegenden und noch andere an beiden entgegengesetzten Punkten des Welttheils zugleich durch sehr nahe verwandte, oft kaum specifisch abzutrennende Arten vertreten sind. Dieselbe Form wiederholt sich stär- ker und schwächer variirt auf verschiedenen, meist weit von einander entfernten Gebieten desselben Welttheils. Wenn Pucheran weiter behauptet, der afrikanische Continent habe hinsichtlich seiner Quadrupeden keine Specialfauna, weil die grosse Majorität seiner genera Re- präsentanten in Asien oder Europa und zuweilen in bei- den zugleich zähle, so scheint sich diess bei den Vögeln doch anders zu verhalten. Die Mehrzahl der Vögelgatt- ungen Afrika’s findet sich allerdings auch ausserhalb die- ses Welttheils repräsentirt, aber die Zahl der specifisch- afrikanischen bleibt noch so gross und durch die Massen- haftigkeit ihres Auftretens so imposant, dass die An- nahme einer ornithologischen Specialfauna für Afrika ge- rechtfertigt erscheint. Sehr viele der westlichen Arten haben eine ausgedehnte geographische Verbreitung, aber es fehlt unter ihnen auch nicht an Beispielen vom Gegen- theil, wie beides die beigefügten Specialverzeichnisse ver- schiedener Districte des westafrikanischen Gebietes am besten erläutern werden. Besondere Erwähnung verdie- nen hier die grösseren Inseln. Fernando Po, St. Thome und do Principe besitzen jede eine kleine Anzahl ihnen ausschliesslich angehöriger Arten. Erstere, bei beschränk- tem Umfange merkwürdig genug im Besitze einer höchst ausgezeichneten Säugelhierfauna, zählt unter etwa 60 als dort lebend bekannten Vögel 10 ihr eigenthümliche, St. Thome unter etwa 30 deren 9, nämlich: Strix tihomensis, Scops leucopsis, Speirops lugubris, Turdus olivaceo-fuscus, Üriolus erassirostris, Hyphantornis grandis, Aplopelia sim- plex, Onychognathus fulgidus, Symplectes St. Thomae. Wir begegnen in Westafrika etwa 80 europäischen Arten, von welchen nicht ganz die Hälfte, nämlich 34, zu der Classe der grossentheils cosmopolitisch verbreiteten Grallae gehört. Unter den übrigen scheinen manche nur selten und zufällig dorthin zu geralhen , andere zu allen Jahreszeiten und selbst häufig angetroffen zu werden, am häufigsten Lanius rufus, Budytes Rayi und Hirundo ru- stica, welche drei Arten in Senegambien und Guinea in demselben Grade als bei uns in Europa heimisch genannt werden können. Von schr vereinzeltem Vorkommen in Westafrika ist dagegen z. B. Coracias garrula, Oriolus galbula, Cuculus canorus, Coturnix vulgaris. Das Sene- galgebiet ist ungleich reicher an europäischen Arten als Guinea, wie diess aus der etwas nördlicheren Lage des- selben, sowie aus der geringen Entfernung von den cap- verdischen Inseln erklärlich wird. Zwar lässt der Haupt- strom der im Herbste aus Europa einwandernden Vögel dasselbe unberührt, mag aber doch gelegentlich diesen 54 oder jenen verirrten Abschweifer so weit südwestlich ent- senden. Aquila Bonelli und pennata, Circaetos gallicus, Falco tinnunculus, Merops apiaster, Phyllopneuste Bo- nelli, Anthus campestris, Petrocincla saxatilis, Oriolus galbula, Lanius nubicus, Saxicola aurita und oenanthe, Pratincola rubicola und rubetra, Oxylophus glandarius, Columba livia, Coturnix vulgaris, Haematopus ostralegus, Spatula elypeata und Fulica atra wurden bisher nur in Senegambien beobachtet. v. Tschudi bemerkte Falco tinnunculoides auf dem Meere etwa 200 Meilen westlich von der Mündung des Senegal. Ueberraschend ist das wenn auch noch so vereinzelte Vorkommen einiger euro- päischer Arten im heissesten Guinea. Wer würde unsere bescheidene Gartengrasmücke (Sylvia hortensis) im Lande Aguapim, wer Calamoherpe turdoides in Gabon, wer un- seren Kukuk und unsere Mandelkrähe (Coracias garrula) auf der Tropeninsel St. Thome vermuthen ?“ „Unter der sehr geringen Anzahl westafrikanischer Vögel, welche, abgesehen von der Färbung, wesentliche geschlechtliche Differenz in der Structur des Gefieders aulzuweisen haben, steht die Gruppe der Viduinen mit sieben Arten obenan. Von der abenteuerlichen Federzier im Schweife des Männchens zeigt das meist auch sehr abweichend gefärbte Weibchen keine Spur. Noch weit anomaler, ja fast vereinzelt in der Reihe der Vögel, steht in dieser Hinsicht die merkwürdige Caprimulgidengattung Macrodipteryx da, mit enorm verlängerter, zwischen den Schwungfedern erster und zweiter Ordnung eingefügter, wahrscheinlich dem Hochzeitskleide des Männchens eigen- thümlicher Supplementarfeder. Auch die Muscicapiden- gattung Tchitrea darf hier nicht unerwähnt bleiben. Die meisten Arten derselben zeigen am männlichen Ge- schlechte eine ungleich stärkere Entwickelung der Steuer- federn. Nach vollendeter Wanderung beginnt auch bei’ den Vögeln Westafrika’s die Brützeit. Es fehlt an Beobacht- ungen darüber, ob diese, wie Prinz Max und Bur- meister für Brasilien, Schomburgk für Guiana an- nehmen zu müssen glauben, bei den kleinen und miltel- grossen Arten eine doppelte oder gar, wie bei Pipra und Trochilus, dreifache sei. Aber die Wahrscheinlichkeit spricht um so weniger dafür, als die Zahl der Eier, nicht wie bei der Mehrzahl der brasilischen Passeres zwei zu betragen, sondern vielmehr zwischen drei und fünf zu schwanken scheint; ein Verhältniss, welches mit der Ansicht de Castelnau’s, es sei die tropische Hitze zwar der Mulabilität des Typus und dem Wechsel der Form günstig, aber die Vermehrung der Individuen sei weit geringer als unter der gemässigten Zone, eben so wenig in genügenden Einklang zu bringen ist, als die Versicherung desselben Reisenden, er habe unter 3750 von ihm anatomisch untersuchten Vögeln nur 297 Weib- chen gefunden, durch analoge, auf der Westküste Afrika’s gewonnene Resultate Bestätigung findet. Allerdings ver- sichert mir Fraser, dass in den von ihm besuchten Gegenden Westafrika’s Vögel verhältnissmässig selten und A* 55 die Zahl der Individuen geringer als in England sei, aber unter den von ihm sexuell untersuchten kamen doch we- nigstens 101 Weibchen auf 197 Männchen, wobei Fra- ser wohl mit Recht als zum Grunde liegend hervorhebt, dass die 'ausgefärbten männlichen Vögel den Schützen im- mer weit eher auffallen und zu oft sehr beschwerlicher Ver- folgung mehr locken, als die meist düsterfarbigen Weibchen, deren Unscheinbarkeit ihr sicherster Schutz sei. Es müs- sen also bei jenem Mangel an Individuen in einzelnen Gegenden noch andere Momente in Betracht kommen. — Was wir von der Fortpflanzung der Vögel Westafrika’s wissen, ist jedenfalls sehr wenig, und von diesem Weni- gen mag noch Manches der Bestätigung oder doch Er- gänzung bedürftig sein. Fraser war während seines Aufenthaltes auf verschiedenen Punkten der Westküste vergebens bemüht, sich Eier zu verschaffen. Er scheint anzunehmen, dass das Brütgeschäft vieler Arten in die Regenzeit falle, wo dergleichen Nachforschungen aller- dings fast unmöglich sind.‘ „Die Vögel Westafrika’s stehen den unsrigen an Ge- schicklichkeit im Nestbau nicht nach. Wie bei uns, scheint auch dort ein höherer Grad von Kunstfertigkeit nur in der Classe der Passeres vorzukommen. Als Aus- nahme von dieser Regel möchten indessen gelten Balae- niceps rex, dessen gewaltigen, an 12 Fuss im Umfange haltenden, aus Vegetabilien und Lehm zusammengefügten Horst in den Sümpfen des Niebohr uns eine interessante neuerliche Mittheilung Jules Verreaux’s im 4. Bande des Edinburgh New Philosophical Journal kennen gelehrt hat, und in fast noch höherem Grade Scopus umbretta, dessen colossales, 5—6 Fuss im Durchmesser haltendes, domförmig überdachtes Nest Delegorgue beschreibt. Mehr Jäger als geübter Beobachter schildert er indessen nur die äussere Gestalt desselben; ihm entgingen eine Reihe merkwürdiger, mit diesem Neste in Verbindung ste- hender Thatsachen, zu deren Veröffentlichung uns eine ausführliche Mittheilung Jules Verreaux’s ermächtigt. Dieser ausgezeichnete Forscher hatte in Südafrika sehr häufig Gelegenheit, die Umbrette zu beobachten. Als das Merkwürdigste am Neste, dessen colossale Dimensionen er bestätigt, erschien ihm, dass dasselbe drei völlig ge- trennte Räume umfasst, ein Vorzimmer, den Salon und das Schlafgemach. Letzteres ist das geräumigste, liegt zu hinterst, und hier ist es, wo beide Geschlechter ab- wechselnd brüten. Auf weichem Polster von Schilf und verschiedenen vegetabilischen Trümmern liegen daselbst die beiden Eier. Scopus legt deren nie mehr als zwei. Der mittlere Raum des Nestes dient zur Niederlage der Jagdbeute, welche vorzugsweise in Fröschen und ihren Jungen, dann aber auch in Fischen, Crustaceen und selbst kleinen Reptilien besteht. Man kann hier zu allen Zeiten Knochen eingetrockneter oder halbverwester Thiere sehen, als Beweise überreichlicher Vorräthe. Das Vor- zimmer, das kleinste von den dreien, beherbergt aus- 56 schliesslich den Wachtposten. Dieser, immer auf der Lauer, alarmirt durch heiseres Geschrei den Gefährten, welcher alsobald geräuschlosen und raschen Flugs dem enteilenden nachfolgt. Verreaux bemerkte, dass die Schildwache fast immer auf dem Bauche lag und nur den Kopf heraussteckte, um die nahende Gefahr sogleich be- merken zu können. Das Nest steht auf Baumästen oder auf hohen Büschen, und ist aus Reisern und Lehm äus- serst kunstvoll gemauert. Diess gilt auch namentlich für die Abtheilungen des Innern, deren Eingänge eben nur den Vogel durchzulassen weit genug sind. Seine Stell- ung ist eine nach der Basis zu etwas geneigte, damit im Falle der Noth eingedrungenes Wasser abfliessen könne. Selbst starke Regengüsse thun ihm aber gewöhnlich kei- nen Schaden, und sollte diess dennoch der Fall sein, wird es von den Bewohnern rasch und geschickt ausge- bessert. Wie bei den Reihern dauert es sehr lange, bis die jungen Scopi das Nest verlassen. Vorher sind dann die Alten unermüdet beschäftigt, ihnen Nahrung zuzu- schleppen, und zwar zumeist nach Sonnenaufgang und kurz vor Sonnenuntergang. Die eben ausgekrochenen Jungen sind fast ganz nackt, und zeigen kaum hier und da Spuren eines graubraunen Flaums. Verreaux meint sich zu erinnern, dass die Farbe der Eier weissgrünlich sei mit spärlicher Fleckung, ist dessen aber nicht völlig gewiss.“ Miscellen. Magnetische Wirkung der Schwingungen tö- nender Saiten hat Hr. H. Reinsch nachgewiesen. Wird eine Metallsaite genau im magnetischen Meridian aufgespannt und eine Linie davon eine Magnetnadel aufgehängt und lässt man nun die Saite mittels eines Bogens tönen, so bleibt die Mag- netnadel in Ruhe. Nimmt man aber zu dem gleichen Expe- riment eine Darmsaite, so tritt mit dem ersten Ton, der durch den Bogen hervorgerufen wird, eine beträchtliche Abweichung hervor, die durch 5—6 rasch folgende Bogenstriche leicht bis auf 900 gesteigert werden kann. Je reiner der Ton, je straf- fer die Saite gespannt ist, um so beträchtlicher ist die Ab- weichung. Bemerkenswerth ist, dass die Abweichung der Richtung des Siriches entgegengesetzt ist, wenn man am nördlichen Ende der Saite streicht, während sie ihr folgt, wenn der Bogen am südlichen Ende der Saite einwirkt. (’In- stitut. 1221.) Ueber die Richtung der Achse des Schenkel- beinhalses u. s. w. bei Säugelhieren, Vögeln und Repti- lien hat Hr. Ch. Martius der Acad. d. Wiss. zu Paris seine Beobachtungen vorgelegt, woraus er zu folgenden Schlüssen könmt: „Die Betrachtung der Schulter und des Oberarmbeins eines Thieres genügt, dem Thiere seine Stelle im System an- zuweisen. Ist die Humerusgelenkrolle parallel der Achse des Knochens und der des Halses, so kann das Thier die Beweg- ungen der Circumduction ausführen und gehört in die Gruppe der anthropomorphen Thiere. Steht die Gelenkrolle perpen- dieulär auf den Humerus und auf das Schulterblatt, so ist das Thier ein Land- oder Wasserthier; ist sie endlich perpendi- culär auf den Humerus, aber parallel der Achse des Schulter- blaltes, so fliegt oder Kriecht das Thier, d. h. es ist ein Chei- roptere, ein Vogel oder ein Reptil. (l’Institut. 1221.) 57 58 Heilkunde. Eingeklemmier Retroperitonealbruch. Von Dr. Ridge (London) *). In dem belehrenden Buche von Treitz über Hernia retroperitonealis werden zum Beweis, dass solche Brüche auch zu Incarceralionen Veranlassung geben können, 4 Fälle angeführt; an diese reiht sich der folgende: „Unstreitig der interessanseste Fall von incarcerirter Retroperitonealhernie ist im August 1853 in Norwood bei London vorgekommen und von Ridge und Hilton beschrieben worden '). Seine Geschichte ist in Kürze folgende: E. N., ein 14jähriger Knabe von gutem Körperbau, soll immer kränklich gewesen sein und in den letzten Jahren häufig an Stuhlverstopfungen mit Kopf- und Un- terleibsschmerzen gelitten haben, was sich jedoch bis jetzt stets durch Ruhe und gänzliche Enthaltung von Speisen von selbst wieder gegeben hatte. Während seines Aufenthaltes in London wurde er am 6. August Abends plötzlich von einem sehr heftigen Schmerz im Unterleibe befallen, nachdem er sich am Vor- mittag durch Laufen stark erhitzt und dann abgekühlt hatte. Auch soll er schon einige Tage trägen Stuhlgang gehabt haben. In der Nacht vermehrte sich der Schmerz, liess aber nach Auflegen eines Senfteiges nach, so dass der Kranke einige Stunden schlafen konnnte. Am 7. August wurde der Schmerz heftiger und zwar begann er etwas unterhalb und links vom Nabel und zog sich von da nach der rechten Seite. Druck auf den Un- terleib schien den Schmerz zu mindern. — Das Erbre- chen, welches schon einigemal in der Nacht aufgetreten war, wurde häufiger, das Aussehen des Kranken ängst- lich, die Wangen geröthet. Grosse Unruhe, besonders in den Zwischenräumen der Brechanfälle. Das Erbrochene enthielt viel Galle, aber keine Fäcalmassen. Der Puls voll und kräftig. — Man gab Abführmittel und warme Umschläge auf den Unterleib. Am 8. blieb der Schmerz und das Erbrechen gleich. Grosse Hinfälligkeit, der Puls fadenförmig und schwach. — Es wurde Calomel gereicht und drei Klystire gegeben, die bei dem Kranken blieben. Am 9. wurden noch zwei Klystire gegeben, worauf einige reichliche Darmentleerungen von unverdaulichen Speiseresten erfolgten. Das Erbrechen liess nach, das *) Aus W. Treitz, Hernia retroperitonealis. Mit Abb. 8. Prag, 1857. F. A. Credner. 1) Case of strangulation of the jejunum released by ga- strotomy; with observations on the diagnosis and treatment of intestinal obstructions wilhin the abdomen. By Joseph Ridge M. D. — Read before the Hunterian Society, Ja- AuaEg a 1854. Reprinted from the Association Medical Journal. Aussehen des Kranken wurde etwas besser; doch blieb der Puls klein und intermittirend. In der Nacht wurde der Kranke so unruhig, dass er mit Gewalt im Bette zu- rückgehalten werden musste. Am 10. Morgens kehrte das Erbrechen wieder zu- rück. — Im Verlaufe des Tages wurde der Kranke nach Norwood zu seinen Eltern geschafft und überstand die Reise ohne einen Brechanfall. Doch bald nach seiner Ankunft trat plötzlich grosse Schwäche ein und die Zei- chen des Collapsus wurden deutlicher. — Exceitirende und verschiedene andere Mittel blieben erfolglos. — Um Mitternacht wurde Ridge gerufen und fand den Kranken sehr elend, verfallen und in verzweifelnder Unruhe. Die Extremitäten waren cyanotisch, kalt und feucht, die Zunge hochroth gefärbt, der Puls sehr klein, schwach und schnell. Der Unterleib war in seiner un- tern Hälfte bis zur Concavität eingesunken, keine Hernialvortreibung und keine Erhabenheit an ihm sichtbar; nur knapp über und etwas links vom Nabel, wo der Kranke auch sehr empfindlich war, machte sich eine gegen das Epigastrium sich ausbreitende Erhabenheit bemerkbar, die zwar nicht bedeutend war, zu der Ein- ziehung des übrigen Unterleibes aber abstach, so dass der Bauch hier wie getheilt erschien. Diese obere Partie zeigte bei der Percussion mässig starke Resonanz, wäh- rend sonst nirgends tympanitischer Ton zu treffen war. Die ausgebrochene sparsame Flüssigkeit war gallig ge- färbt, zeigte aber keine Spur von fäcaler Beimischung. Auch das unverändert abgegangene Klystir war frei von Fäcalgeruch. Die Harnsecretion ungemein sparsam. — In Erwägung dieser Symptome und des ganzen Ver- laufes der Krankheit einigte man sich über die Diagnose: Vollständige Unwegsamkeit eines Theils des Jejunum, bedingt durch eine ausser dem Darm liegende mechanische Ursache. — Alle therapeutische Mittel wurden in Anbetracht der grossen Erschöpfung des Kranken als unzulänglich bei Seite ge- setzt und die Gastrotomie als das einzige Rettungsmittel anempfohlen. Alsogleich wurde nach London um Hil- ton geschickt, der sich sowohl mit der Diagnose als der Indication einverstanden erklärte, und die Operation, um welche auch der Kranke dringend bat, am 11. um 2 Uhr Nachmittags, also am 6. Tage der Krankheit, ausführte. Hilton berichtet über den Gang der Operation Fol- gendes. — Nachdem das Zimmer gehörig durchwärmt und der Kranke auf den Rand seines Bettes gebracht worden war, wurde der Unterleib in der Mittellinie durch einen 3” langen Schnitt eröffnet, der etwas oberhalb und zur linken Seite des Nabels begann und nach abwärts sich erstreckte. Es kam das Quercolon mit dem grossen Netze zum Vorschein. Das Colon war zusammengefallen, das Netz frei von Fett und ganz über den Dünndarm ausge- spannt. Colon und Netz zeigten strotzend gefüllte Blut- 59 gefässe,. Im Netze waren Miliartuberkeln sichtbar, die später auch am Dünndarm gefunden wurden. Bei dem Versuche, das Netz nach oben zu ziehen, fühlte man ei- nen Widerstand. Der unter den linken Rand des Netzes eingeführte Finger fand einen rabenfederkieldicken Strang, der vom Netze mitten durch die zusammengezogenen Dünn- darmschlingen gegen die Wirbelsäule ging und an der linken Seite der Wurzel des Gekröses angeheftet war. Dieser Strang wurde mit dem Fingernagel nahe an sei- ner hintern Insertion vorsichtig getrennt und sein vorde- res Ende mit; dem Netze aus der Wunde gezogen. Es fand dabei keine Blutung statt. Da dieses Band nirgends den Dünndarm einschnürte, so konnte es auch nicht die Ursache der Darmeinklemmung abgegeben haben. Der Finger wurde daher nach abwärts geführt, um die Fora- mina obturatoria zu untersuchen. Da diese frei waren, wurde er nach aufwärts gerichtet, gegen den Anfang des Jejunum links von der Mittellinie. Hier zeigte sich, dass da, wo das Jejunum von der Wirbelsäule verhältnissmäs- sig frei wird und mit dem Duodenum zusammenhängt, ein Stück desselben gegen die rechte Seite des Unterlei- bes hin durch ein abnormes Loch im Mesenterium getre- ten und daselbst eingeklemmt war. Dieser Theil des Darmes wurde nun, durch Ziehen an demselben gegen die linke Seite, aus seiner Lage befreit und nach aussen gebracht. Er war 6—8“ lang, ausgedehnt, dunkel ge- färbt und bedeutend mit Blut überfüllt, aber nicht gan- gränös. In das Loch, durch welches der Darm getreten war, konnte man leicht mit der Fingerspitze eingehen. Die Wunde wurde nun durch eine Naht vereinigt und ein leinenes Kissen durch Pflaster quer über den Un- terleib befestigt. Bei der Operalivn ging sehr wenig Blut verloren. Auch hatte es keine Schwierigkeit, die Eingeweide zurückzuhalten, da alle Darmtheile unterhalb der nahe am Magen gelegenen Incarcerationstelle leer und zusammengezogen waren. Ihre Wandungen waren aber dunkel, mit Blut überfüllt und hatten in dieser Bezieh- ung ein ganz eigenthümliches und ungewöhnliches Aus- sehen. Dieses erklärte man sich aus dem Drucke, den die obere Gekrösvene, welche in der Wurzel des Dünn- darmgekröses gerade an der Stelle des abnormen Loches sich befand, durch die Spannung und Ausdehnung des Loches erlitten habe und wodurch eine Blutstauung in den kleinen Venenzweigen am Jejunum und leum ent- standen sein musste '). Unmittelbar nach der Operation erklärte sich der Kranke erleichtert, sah beruhigt aus und war frei von dem charakteristischen örtlichen und allgemeinen Unwohl- sein. Er genoss etwas Fleischthee mit Branntwein ohne Ekel und Uebelkeiten. Flüssige Nahrung wurde nun in geringen Mengen und in kurzen Pausen gegeben und gut vertragen, und so bildete seine Besserung einen sicht- !ichen Gegensatz zu dem Zustande vor der Operation. 1) Vergl. den Fall von Hesselbach, S. 9. 60 Aber schon am Nachmittag stellten sich plötzlich die Zei- chen allgemeiner Erschöpfung ein, der Kranke sank im- mer mehr zusammen und starb Abends um 10 Uhr. Die Section ist von der sonst sich dankbar bezei- genden Familie nicht verlangt worden. Dieser Fall, der gewiss schon an sich unser ganzes Interesse in Anspruch nimmt, ist für unsern speciellen Gegenstand von der allergrössten Wichtigkeit. — Es gilt nun, nachzuweisen, dass ihm eine Hernia retroperilonealis zu Grunde lag. Doch hoffe ich, dass Niemand glauben wird, die Oeflnung im Gekröse wäre ein teratologisches Räthsel oder blosse Zufälligkeit gewesen. Was mich be- trifft, so bin ich in Bezug auf diese Löcher, von denen man so Vieles zu hören bekommt, sehr ungläubig ge- worden, nachdem mir unter vielen tausend Leichen, die ich bis jetzt zu untersuchen Gelegenheit hatte, nur zwei Fälle von wirklichen Löchern im Gekröse vorgekommen sind ?). Doch zur Sache. — Nach der Angabe Hilton’s soll die Oeffnung im obersten Dünndarmmesenterium gesessen haben. Dieses erschloss der kühne Chirurg aus der Lage derselben an der Stelle, wo das Jejunum vom Duodenum abgeht. An dieser Stelle ist aber gerade kein Mesenterium, sondern dieses beginnt etwas tiefer mit einer stumpfen Spitze. Es hätte also die Oeffnung etwas tiefer von der bezeich- neten Stelle sein müssen. Gesetzt nun, sie wäre wirk- lich gerade in der obern Spitze des Gekröses gewesen — dann hätte jede andere Dünndarmpartie, nur nicht die oberste Jejunumschlinge hindurchtreten können, da die Oeffnung unterhalb dieses Darmstückes gelegen wäre und dieses ihren obern Rand begrenzt hätte. Ein Durchtre- ten dieser Schlinge durch eine so gelegene Oeffnung wäre nur bei einer Drehung der Schlinge um ihre Achse denk- bar, welcher Fall jedoch wegen der Fixation der Flexura duod. jej. wieder nicht möglich ist. Eine solche Dreh- ung hätte übrigens bei der Excarceration des Darmes be- merkt werden müssen. Auch hätte die incarcerirte Schlinge nicht 8° lang und auf keinen Fall ausgedehnt sein kön- nen, wenn sie in einem Loch ihres eigenen Mesenterium gelegen wäre. Es könnte auch behauptet werden, dass die Oefl- nung zwar in der obersten Spitze des Mesenterium ge- 1) In beiden Fällen sass das Loch in der Mitte des Me- socolon transv.; durch dasselbe war der grösste Theil des Je- junum, jedoch ohne Incarceration, in den Netzbeutel getreten und dadurch das Quercolon tief herabgerückt. In beiden Fäl- len war aber zugleich die hintere Magenwand in Folge eines tief greifenden chronischen Corrosionsgeschwürs unmillelbar über der Oeffnung mit dem Pankreas verwachsen. — In die- sen Fällen konnte über die Entstehung der abnormen Oefi- nung kein Zweifel obwalten. — Das Mesocolon transv. ist in ‚die Anwachsung mit hineingezogen, an der angewachse- nen Stelle durch den Zug des Quercolon verdünnt und endlich von den andringenden }Dünndarmschlingen durch- rissen worden. — Einen ganz ähnlichen Fall hat auch Löbl beschrieben. (Zeitschr. der k. k. Gesellsch. d. Aerzte zu Wien, I. Jahrg. 1. Bd. $. 151.) 61 sessen. dass aber eine tiefere Schlinge des Dünndarms darin incarcerirt war. — Abgesehen davon, dass diese Annahme mit dem Berichte Hilton’s im Widerspruch steht, ist sie auch noch aus dem Grunde nicht wahr- scheinlich, weil einerseits die Oeffuung sich nicht von ihrem Platze hätte entfernen können und andererseits die Berührung einer tieferen Schlinge mit der hoch und hin- ten gelegenen Oeflnung sehr gezwungen wäre I: Nach allseitiger Würdigung aller dieser Verhältnisse und auch des Umstandes, dass die Oeflnung gegen die rechte Seite gerichtet war, können wir nicht anders, als annehmen, dass die fragliche Oeffnung nicht im Gekröse des obersten Jejunum, sondern über diesem angebracht war — dass sie die Sackmündung einer kleineren Hernia retrop. vorgestellt habe. Zu diesen Schlüssen sind wir dem Berichte Hil- ton’s gegenüber jedenfalls berechtigt. Sollte das Jeju- num aber nicht von der Flexura duod. jej. an, sondern in einer tiefer gelegenen Strecke incarcerirt und an ihm zwei Incarcerationsrinnen nachweisbar gewesen sein, was aber aus dem Berichte nicht hervorgeht, dann wären wir allerdings genöthigt, unser Urtheil zurückzunehmen. Ein solcher Fall ist aber im Vorhinein mehr als unwahr- scheinlich, denn — es ist doch eine Consequenz und eine Logik darin, was im Organismus vorgeht, und dass Re- troperitonealhernien auch in England vorkommen, sind wir durch Cooper belehrt worden. Uebrigens ist kein Wunder, dass sich in die Schilderung dieses Falles eine Unklarheit eingeschlichen hat, da das Object nicht ge- sehen und nur sehr flüchtig durch den Tastsinn unter- sucht werden konnte. Dessenungeachtet liefert der Fall einen äusserst werthvollen Beitrag für das klinische Stu- dium dieser Krankheit, denn er zeigt, wie sich die Dia- gnose bis zum höchsten Grade von Wahrscheinlichkeit er- heben kann. Ausserdem enthält aber das Schriftchen auch noch sehr schätzbare Bemerkungen über die Be- gründung der Diagnose und beherzigenswerthe Worte über die Indication und den Werth der Laparotomie, deren- willen schon das Original zu empfehlen ist. — Auch kann ich nicht umhin, zu gestehen, dass den englischen Collegen die Präcision der Diagnose eben so zur grossen Ehre gereicht als das Vertrauen zu ihrem Urtheil und der Muth zur Operation. Leider ist ihr schönes Han- deln nicht mit dem Erfolge gekrönt worden, dessen es würdig war, was aber bei der weit gediehenen Peritoni- tis und der todenahen Erschöpfung des Kranken kaum anders möglich war. Es war zu spät.“ — 4) Ich las diesen Fall zuerst im Cannstatbt’schen Jah- resbericht (1854, III. Bd. S. 256), wo es heisst, dass die oberste Jejunumschlinge in einem Loch des Netzes incarcerirt war. Sogleich erkannte ich die reale Unmöglich- keit einer solchen Combination und sah mich nach dem Ori- ginal um. — In dem Berichte macht auch der Referent Dr. Martin die Bemerkung, warum die Oeffnung nicht auf ope- rativem Wege unschädlich gemacht worden ist. 62 Physiologische Prüfung der NMineraiquellen. Von Dr. Perutz (Teplitz). Welcher rationelle Arzt, und gehörte er auch der verschiedensten medicinischen Richtung an, wird es wohl in Abrede stellen wollen, dass die physiologische Prüf- ung der Arzneimittel, d. h. die Prüfung derselben am gesunden menschlichen Organismus von unbestreitba- rem Werthe sowohl für die Arzneimittellehre, als auch für die praktische Heilkunst selbst sein müsse? Es sind über diesen Gegenstand in der Neuzeit schon so viele und zum Theil gewichtige Stimmen laut geworden, dass sich unser Ohr diesen wiederholten Anforderungen nicht länger verschliessen darf und kann. Ist auch in der That bereits eine grosse Anzahl von Arzneikörpern in ihren physiologischen Eigenschaften er- forscht worden, so gilt diess doch keineswegs von jener Klasse von Heilmitteln, die von einer höheren Hand als der schwachen menschlichen gebildet und gemischt oft wunderbare Heilkräfte verrathen — ich meine die na- türlichen Heilquellen. Dass wir die eigentliche Wirkungsweise dieser Heilmittel noch bei Weitem nicht kennen, ist ein offenes Geständniss, das wir allenthalben ausgesprochen finden und dessen Wahrheit wir leider selbst zugestehen müssen. Weder die chemische Zergliederung der Heilwässer in ihre einzelnen Bestandtheile, noch die Erfahrungen, die man einzig und allein an kranken Men- schen gemacht, konnten uns die richtigen Aufschlüsse geben. „Wir müssen gestehen,“ sagt Dietl, „dass wir über die Wirksamkeit der meisten Quellen und über die speciellen Anzeigen für dieselben noch ziemlich im Dun- keln sin. Die Beobachtung an den Kurgä- sten reicht, so unerlässlich nothwendig und so unbe- streitbar sie die Grundlage der Balneotherapie sein muss, für sich allein nicht hin, um die. eigenthümliche Wirk- samkeit einer Quelle zu enthüllen und sichere scharf be- stimmte Indicationen für sich zu ermitteln. Die chemi- sche Untersuchung, das vorzüglichste und bisher wohl einzige objective Moment, nach dem man die ver- schiedenen Quellen klassifieirte und darauf ihre specifische Wirkung von vornherein bestimmte, genügt ebenso wenig zur vollständigen Begründung bestimmter Indicationen, weil uns die chemische Wirkung der meisten anorgani- schen Körper nicht hinlänglich bekannt ist. Wie wenig wissen wir z. B. von der chemischen Wirkung des un- serem Organismus einverleibten Eisens, Jodes, Schwefels u. s. w. Aber selbst die genaueste Kenntniss von der chemischen Wirksamkeit dieser Agentien würde uns zu keinem unbedingt gültigen Schlusse über die thera- peutische Wirksamkeit derselben berechtigen, da uns der andere Faktor der chemischen Wechselwirkung, der Krankheitsprocess in seinen organisch - chemischen Verhältnissen noch weniger klar ist.“ (Balneologische 63 Reiseskizzen von Prof. Dr. Jos. Dietl in Krakau. Wiener med. Wochenschr. 5. Jahrgg. No. 7.) In früherer Zeit hatte man, um sich so manche räthselhafte Wirkung einer Quelle zu erklären, einen all- zeit gefälligen Deus es machina, den Brunnengeist zur Hand; in unseren Tagen des prosaischen Materialis- mus und der sich an Alles wagenden Skepsis müsste ein solcher Geist eine sehr traurige oder auch lächerliche Rolle spielen. Der früher so beliebte Quellenmystieismus musste vor der zersetzenden Kritik unserer Tage längst in sein chaotisches Dunkel zurückweichen. Nur hin und wieder versucht es noch ein wunderlicher Nekromant, jene verschollene Erscheinung an’s helle Tageslicht zie- hen zu wollen. Es reichen mithin weder die Erkenntniss der chemischen Zusammensetzung, noch die allerdings schätzenswerthen Erfahrungen an kranken Menschen, am wenigsten aber die Spukgestalt jenes Brunnengeistes hin, uns die therapeutischen Kräfte der Mineralquellen kennen zu lehren. Nur das nüchterne Experiment am ge- sunden menschlichen Organismus vermag es. uns die wahren und unverfälschten Wir- kungen der Heilquellen erkennen zu lassen. Es werden sich da lange Reihen von Erscheinungen vor unseren Augen entwickeln, die uns Kunde geben werden, welche einzelne Organe oder ganze Organsysteme von der Einwirkung der Heilquelle getroffen werden; sie werden uns auch die Art und Weise der Einwirkung, nämlich das Wie derselben erkennen lassen. Daraus werden wir leicht folgern können, in welchen Krankheitsformen sich diese oder jene Quelle als wirkliche Heilquelle bewähren dürfte. Halten wir dann mit diesen Erfahrungen (den physiologischen Prüfungsresultaten) noch jene zusammen, die uns der usus in morbis geliefert, so werden wir ein sich gegenseitig completirendes Ganzes vor uns haben, wodurch es uns leicht gelingen dürfte, den Ariadnefaden zu finden, der uns aus den vielfachen Irrgängen des balneologischen Labyrinthes auf den gesuchten Weg zum Lichte führen könnte. (Balneolog. Zeitung. Bd. I. No. 13. 1855.) Miscelie. Mineralwasser bei rheumatischer Endocar- ditis. Palissier Irug in der Akademie der Medicin am 1%. November einen Bericht vor über die Behandlung der chronischen Endocarditis, die mit Rheumatismus verbunden ist. Dieser Bericht fusst auf 2 Ablandlungen, 1) von Ver- niere aus St. Nectaire, und 1) Dufresse-Chaissaigne aus Chaudes-Aigues. — Es geht aus diesen Berichten hervor, dass diese Wasser gegen chronischen Rheumaltismus i sind, und dass sie sich eignen zur Behandlung der schen Endocarditis, wenn diese durch die rheumatische Dia- ihese bedingt ist. Es hat dieses therapeutische Resultat nichts Ueberraschendes, denn wenn zwei patlıologische Erscheinungen derselben Natur sind, so kann auch ihre Behandlung nicht verschieden sein. — Aber unter welcher Form sollen diese Wässer in diesen Krankheitsformen angewandt werden? Je- derinann weiss, dass Thermen als Getränk, warme Bäder und Douchen für nützlich gehalten werden bei Rheumatismus, und dass eın reichlicher Schweiss zum Gelingen der Kur gehört. Dufresse-Chassaigne adoptirt diese Behandlungsweise auch für die Endocardilis; Verniere hingegen weist sie zurück und sagt, dass, wenn das Herz aflicirt ist, man sich einer moderirten Behandlung bedienen müsse, es genügen Bäder von 28—2% R., und die Douche sei fast nie anwend- bar und ihre Anwendung auf das Herz fast immer schädlich. — Patissier und Bouillaud als Berichterstatter treten der Ansicht Vernieöre’s bei, die sie klug und rationell nen- nen. Dr. Nicolas sagt (sur Putilit& des alkalies dans cer- taines aflections du coeur), dass die Aufregungen durch die Thermen beschwichtigt werden müssen durch gleichzeiliges Geben von Digitalis. Sind nun alle Thermen, die gegen Rheumatismus wirk- sam sind, es auch bei chronischer Endocarditis? Verniere und Nicolas sind der Meinung, dass, bei sonstiger Gleich- heit, die Quellen den Vorzug verdienen, wo das doppelt koh- lensaure Natron vorherrsche, wei: einestheils alkalische Bäder einen beruhigenden Einfluss auf die Herzbewegung haben und eine Verlangsamerung der Pulsschläge bewirken, und andern- theils weil die alkalischen Wasser wegen ihrer lösenden Ei- genschaften geeignet sind, die Resorption der fibrös- albumi- nösen Deposita auf die Herzklappen zu begünstigen. — Sei dem, wie ihm wolle; es resultirt daraus, dass man Hoffnung hat, bei einem in Folge von Rheumatismus an Herzaffection leidenden Individuum unter dem Einfluss der Bäder von St. Nectaire oder Chaades-Aigues die Herzaffeciion zu bessern, wenn die Störungen mehr functionell sind, wenn sie noch nicht lange bestanden haben, wenn die Herzhypertrophie noch nicht sehr beträchtlich ist, und das anomale Geräusch bloss in einem blasenden besteht. Ist aber Hydrops entwickell, entdeckt man bei der Auscultation Raspel- und Sägegeräusch, so ist eine Thermalkur gefährlich. Diese Betrachtungen können auch ihre Anwendung finden bei der Gieht mit Herzaffection, wie sie Petit angegeben hat. Uebrigens sind in diesen Beziehungen neue Versuche nöthig. (Balneolog. Zig. Bd. I. No. 12, 1855.) > Bibliographische Neuigkeiten. N. — Joseph Dropsy, Electrotherapie, ou application medi- cale pralique de l’electricile_basee sur des nouveaux pro- cedes. Avee 20 fig. 8. 175 p. Paris, J. B. Bailliere et fils. 34, Fr. a L. Saurel, Du Microscope au point de vue deises applications 3 la connaissance et au traitement des maladies chirurgica- les. 8. 148 p. Paris, J. B. Balliere et fils. H. C.L. Barkow, Syndesmologie d. Vögel. 1. Abth. Imp.-Fol. Hirt’s Verl. in Breslau. 2 Thir. H. — L. Fleckles, Zur Balneotkerapie chronischer Krankhei- ten. gr. 8. Fr. Fleischer in Leipzig. 8 Sgr. 3 W. W. Cazalet, Stammering; the Cause and Cure. London, Bosworth. 1 Sh. Henry Smith, On Sitricture of the Urethra. 8. London, Churchill. 7 Sh. 6d. Louis Peisse, La Medecine et les Medecius. Philosophie, doctrines, institutions, eritiques, moeurs et biographies me- dicales. 2 Voll. 18. 860 p. Paris, J. B. Bailliere et üb. Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena. Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. BaE. Band Ne5. Naturkunde. 6. Zimmermann, Gegen eine neue Theorie der Faserstoffgerinnung. — Miscellen. G. Hartlaub, Brüten des Sekretärs. — G. Hartlaub, Der Kukuk legt auch in Afrika seine Eier in fremde Nester. — G. Hartlaub, Vertilgung der Heuschrecken durch Vögel. — G. Hartlaub, Ein Vogel, der seine Beute hängt. — Heilkunde. E. Hering, Oeffnen der Luftsäcke des Pferdes. — W. Treitz, Innere Brüche in Bezug auf die Lage der Geschlechts- drüsen. (Schluss folgt.) — Miscellen. Hammond, Ueber die Wirkung des Tabaks._ — Neumann, Morbus Brightii. — Tyler Smith, Feltablagerungen durch Leberthraneinreibung. — Bibliographie. Naturkunde. Gegen eine neue Theorie der Faserstofl- gerinnung. Von Dr. G. Zimmermann (Hamm). Brieflich an J. Moleschott. (Untersuch, z. Naturl. II. Bd.) In Sachen Faserstoff muss ich noch einmal die Fe- der ergreifen, um mich gegen Vorwürfe, die Sie, geehr- ter Herr Professor, vielleicht im Stillen bereits gegen mich erhoben haben, zu vertheidigen. Ich darf nämlich wohl annehmen, dass Sie im Bri- tish Athenäum (1505) oder in Froriep’s Notizen (No. 1, IV.Bd. 1856) eine Hypothese über den nächsten Grund der Faserstoffgerinnung gelesen haben, die von der meinigen, der Sie einen Platz in ihren „Untersuch- ungen zur Physiologie“ einzuräumen die Güte hatten, total abweicht. Beide mögen zu gleicher Zeit publicirt worden sein, und ich könnte dem physiologischen Publi- cum die Wahl zwischen beiden in aller Ruhe überlassen, wenn ich nicht, wer weiss wie oft, die Erfahrung hätte machen müssen, dass die ausländischen Fabrikate bei uns noch immer für besser gehalten werden, als die eigenen, und dass Kritik gerade in Sachen „Blut“ so sehr man- gelhaft geübt wird. Das englische Organ, aus dem die Miscelle in Fro- riep's Notizen entlehnt ist, steht mir nicht zu Gebote, ich kann daher nur nach dieser referiren, dass Dr. B. W. Richardson die Entdeckung gemacht hat, dass jedes Blut flüchtiges Ammonium (Amm. carb.) enthält, dem das- selbe seinen flüssigen Zustand verdankt. Sowie jene Ver- bindung aus dem gelassenen Blute entwichen ist, gerinnt es; indem Richardson alle früheren Hypothesen über die Fibringerinnung mustert und die seinige mit allen diese betreffenden Phänomenen zusammenhält, gelangt er zu dem Schlusse, dass er den einzigen und wahren Grund der Blutcoagulation gefunden habe. Zum Glück trifft mich diese Hypothese nicht unvor- bereitet: denn mag Richardson die flüchtige Ammo- niakverbindung im Blute selbstständig gefunden haben oder nicht, und mag es sich ebenso mit dem Gedanken ver- halten, dass ihr Entweichen aus dem Blute die Gerinn- nung desselben bedingt, ich kann beweisen, dass ich be- reits im Jahre 1851 den Gehalt des gesunden und kran- ken Blutes an flüchtigem Ammoniak gekannt -und die Möglichkeit einer Beziehung desselben zur Gerinnung des Faserstoffs aufgestellt habe. Es war bei Gelegenheit einer mir von Vierordt aufgetragenen Recension des Frerichs’schen Buchs über die Bright’sche Krankheit, in specie dessen Urämiehypo- these, dass ich gesundes und krankes Aderlass- und Schröpfblut auf seinen Gehalt an „kohlensaurem Ammo- nium“ untersuchte: der halitus sanguinis ergab an einem mit Salzsäure befeuchteten Glasstabe stets so starke (Sal- miak?) Nebel, dass an der Existenz einer flüchtigen Am- moniakverbindung im circulirenden venösen Blute kein Zweifel sein konnte. Am Schlusse meiner Mittheilung hierüber, in No. 52 der medieinischen Zeitung des Ver- eins für Heilkunde in Preussen (1851), bemerkte ich ausdrücklich, dass ich untersuchen wolle, ob das Entweichen des Ammoniaks aus dem Blute die Ursache der Gerinnung sein könne. Im Verfolg dieser Untersuchungen überzeugte ich mich sehr bald, dass jener Gedanke, der jetzt von Ri- chardson als neu und eigenthümlich aufgestellt worden ist, Nichts für sich habe, und da ich bald eine Reihe unzweifelhafter Thatsachen fand, die mir den wahren Grund der Blutgerinnung zu enthalten schienen, so habe ich desselben in meiner Abhandlung über den Faserstofl (s. diese „Untersuchungen“, Band I. Heft 2) nicht ein- mal Erwähnung gethan. Es hätte diess sehr gut S. 102 geschehen können, wo ich der Scudamore’schen An- 5 67 sicht gedachte, dass die im Blute vorhandene Kohlen- säure die Ursache seines flüssigen Zustandes sei und de- ren Entweichen die Gerinnung des Fibrin bewirke, eine Ansicht, die noch etwas mehr für sich halte als die Ri- chardson’sche, da bewiesen ist, dass die Kohlensäure einen Einfluss auf die schnellere oder langsamere Coagu- lation des Faserstofis hat. Sollte ein exacter Beweis für jene Hypothese ange- treten werden, so müsste zunächst feststehen, welcher Natur jene flüchtige Ammoniakverbindung des Blutes ist, die im Halitus sangninis entweicht. Dass sie kohlensau- res Ammonium sei, ist durch die Nebel, die sich am Glasstabe, der mit Salzsäure befeuchtet ist, bilden, nicht bewiesen: rothes Reagenzpapier wird dadurch nicht ge- bläut, und der Geruch des Halitus sangninis, der so sehr verschieden ist, spricht ebenfalls nicht für ammon. carb., vielmehr für einen ammoniakhaltigen Riechstoff, ähnlich, wie ihn die Pflanzenblüthen entsenden. Ferner ist zu be- denken, dass diese flüchtige Ammoniakverbindung nicht unbedingt als der Blutflüssigkeit zugehörig zu betrachten ist, sie kann vielmehr in gewissen zelligen Elementen des Blutes enthalten sein und endlich, wäre sie im Plas- ma gelöst, so müsste doch erst durch exacte Versuche bewiesen sein, dass sie es ist, die den Faserstoff vor dem Gerinnen schützt, und dass ein Mehr oder Weniger von ihr die Coagulation desselben verzögert oder be- schleunigt. Richardson müsste diese flüchtige Am- moniakverbindung isolirt darstellen und in ihr Blut auf- fangen, um die Abänderung in den Gerinnungszeiten u. s. w. studiren zu können u. s. w. Diese Gewinnung von halitus sanguinis in grösserer Menge wird zwar ihre Schwierigkeiten haben, sie ist aber möglich; eine Destil- lation von Blut, wie sie schon von Türck u. A., die Salmiak darin gefunden zu haben glaubten, vorgenommen ist, dürfte jedoch kein reines Resultat liefern, weil die Bildung kohlensauren Ammoniaks während des Destilli- rens nicht von der Hand zu weisen ist. Denn vom theo- retischen Standpunkte aus muss man zugeben, dass das Blut, sobald es das Gefässsystem verlassen hat, der Fäul- niss verfällt, und dass deren erste Anfänge schon Am- moniak liefern, wodurch jedoch die Gerinnung des Blutes nicht verhindert wird. Um den flüssigen Zustand des Blutes, während es eireulirt, erklärlich zu finden, hat man wohl nicht nö- thig, das flüchtige Ammoniak des Blutes anzusprechen: die fixen Salze der Blutflüssigkeit genügen, den Faser- stoff flüssig zu erhalten, wenn derselbe nicht überhaupt wie das Casein in der Milch so lange gelöst bliebe, als ihn nicht ein Contactkörper trifft, der die Lagerung in seinen Atomen oder seine chemische Constitution so än- dert, dass er in den festen Zustand übergehen muss. Vor der Bildung dieses „geeigneten“ Fermentkörpers ist das Blut aber natürlicherweise so lange geschützt, als es eirculirt und seine Hämatlinzellen „leben“, und sie scheint um so langsamer vor sich zu gehen, je mehr das Blut 68 vor der directen Einwirkung der atmosphärischen Luft geschützt ist. Sollte das Entweichen der flüchtigen Ammoniakver- bindung der einzige Grund der Faserstoffgerinnung sein, so wäre nicht recht einzusehen, wie das Blut in unter- bundenen Gefässen, im Herzen, in Aneurysmen, in ent- zündeten Gefässen, wie in Exsudaten, die von der äus- seren Luft vollständig abgeschlossen sind, u. s. w. der Faserstofl! gerinnen kann. Wer möchte annehmen, dass das flüchtige Ammoniak aus dem Bluterguss bei Apoplexia sang. im Gehirn entweicht und dass dann erst Gerinnung eintritt, und wer vermöchte einzuschen, weshalb sich um Hollunderstückchen, die in ein grösseres Gefüss gebracht werden, eine Blutgerinnung bildet, da dem Entweichen von Ammoniak gar keine Möglichkeit gegeben ist? u. s. w. Der Richardson’schen Hypothese stehen aber vor- züglich meine Beobachtungen entgegen, die darthun, dass die Fäulniss fibrinhaltiger Flüssigkeiten deren Gerinnung beschleunigt; durch Salze flüssig erhaltene Blutflüssigkeit gerinnt von selbst, wenn sie faul geworden ist: dabei entwickelt sich stets kohlensaures Ammoniak und dieses, das zum Theil entweicht, vermag die Coagulation nicht zu verhindern. Faulende Flüssigkeiten, die ebenfalls Ammoniak enthalten, beschleunigen die Gerinnung auf- fallend, sie können in’s Blut gespritzt dieses gerinnen machen; in’s Gefässystem gespritzte Exsudate, die als in den ersten Anfängen beginnender Fäulniss begriffen zu betrachten sind, d. h. einer Zersetzung, wie sie im kran- ken Organismus möglich ist, wirken ähnlich wie putride Materien, und in den Capillaren „entzündeter‘‘ Theile scheint es unter dem Einfluss der abnormen und gestei- gerten Oxydationsprocesse ebenfalls zur Bildung von Fer- mentkörpern zu kommen, die die Gerinnung des Fibrin veranlassen können u. s. w. Sollte die Richardson’sche Hypothese anscheinend die langsamere Gerinnung des venösen Blutes im Gegen- satz zum arteriellen dadurch genügend erklären, dass man annimmt, jenes enthalte mehr flüchtiges Ammoniak, weil es beim Passiren der Lungencapillaren davon ver- liert, so wäre erstens zu beweisen, dass die Lungenex- halation kohlensaures Ammoniak enthält, was in ganz exacter Weise nicht recht geschehen kann, und dass das arterielle Blut ärmer daran ist, was die Versuche mit dem mit Salzsäure befeuchteten Glasstabe nicht stringent darthun, und zweitens sprechen gegen jene Erklärung die Versuche über die Differenzen der Gerinnungszeiten des arteriellen und venösen Blutes, wenn man es in Salz- lösungen aufgefangen hat. Ich habe in meiner Abhand- lung (s. Moleschott’s Unters., Band I. S. 146) sub 9 einen derartigen Versuch mitgetheilt, der beweist, dass selbst die serofibrinöse Flüssigkeit des arteriellen Blutes auf Zuguss gleicher Wassermengen schneller gerinnt als die des venösen: von einem Gehalt an flüchtigem Am- moniak kann in beiden nicht füglich mehr die Rede sein, wenn sie offen an der Luft 12— 24 Stunden gestanden 79 haben, es kann also durch ein Plus oder Minus davon die langsamere oder schnellere Gerinnung des Fibrin nicht erklärt werden. Aechnlich verhält es sich mit der Erklärung, wes- halb der Faserstoff der serofibrinösen Flüssigkeit auf Zu- guss von Wasser nicht plötzlich, sondern allmälig ge- rinnt, weshalb die Coagulalion auf Zugusss destillirten Wassers langsamer erfolgt als auf Zuguss von Brunnen- wasser u.s. w. Entwichen ist die flüchtige Ammoniak- verbindung überall, bevor das Wasser zugegossen wird, was hindert also das Fibrin zu gerinnen, sobald die Salze so verdünnt sind, dass sie ihre schützende Kraft verlo- ren haben? Richardson kannte, als er seine Hypothese auf- stellte, von den Thatsachen, die ich in Bezug auf die Gerinnung des Blutes gefunden, keine einzige; die alten mochten ihr keine grossen Hindernisse entgegenstellen, die nicht mit Hülfe einiger Sophistik und neuer Hypo- thesen zu beseitigen gewesen wären: ich habe mir die Mühe genommen, jene mit Hülfe der Richardson’- schen Annahme zu erklären, aber es war nicht möglich, auch nur eins der erwähnten Gerinnungsphänomene auf das Entweichen des hypothetischen kohlensauren Ammo- niaks zurückzuführen. Eine systematische Verfolgung des Gedankens, dass die ersten Fäulnissanfänge die Ursache der Blutgerinn- ung seien, wird, wenn die chemischen Hülfsmittel aus- reichen, gewiss ergeben, was für Stoffe sich dabei bil- den, und welche die Ursachen der Fibringerinnung sind. Diese Arbeit hat ihre grossen Schwierigkeiten, aber sie wird zu dauerhaften Resultaten führen, denn Alles spricht dafür, dass der Gedanke, von dem sie ausgeht, rich- tig ist. Hamm, 6. November 1856. P. S. Grosse Hoffnungen setze ich in dieser Be- ziehung auf die ferneren Untersuchungen von Schön- bein und His in Basel über das Verhalten des Häma- tin zum Sauerstoff, den dasselbe in den erregten, ozoni- sirten Zustand zu versetzen im Stande ist. Ich habe in meiner Abhandlung über den Faserstoff im ersten Bande dieser „Untersuchungen“ eine Reihe von Thatsachen bei- gebracht, die dafür sprechen, dass gerade durch Zer- setzung des Hämatin die Gerinnung des Faserstofls be- schleunigt wird, und S. 160 schon bemerkt, dass dem ozonisirten Sauerstoff ein ganz anderer Einfluss auf das abgestorbene Blut zukommen müsse, als auf das lebende. Es mag im Blute auch noch andere Materien geben, durch deren Zersetzung Stoffe entstehen, die das Fibrin gerin- nen machen; aber, wie ich schon $. 168 erwähnt, das zersetzte Hämatin scheint diess am schnellsten bewirken zu können. Hamm, 14. Februar 1857. {A 70 Miscellen. Brüten des Sekretärs. Das Fortpflanzungsgeschäft des Sekrelär’s (Gypogeranus serpentarius) beginnt, den Beob- achtungen Jules Verreaux’s zufolge, in Südafrika im Juni. Beide Geschlechter arteiten alsdann am Bau des Horstes, wel- cher fast immer in der Spilze eines hohen und dichten Busches, meist einer Mimose, stelit. Aus Reisern und Lehm ziemlich fest construirt, zeigt es die innere Höhlung mit Pflanzenwolle, Federn und anderen weichen Substanzen ausgefüllert. Man erkennt leicht das Alter des Nestes an den verschiedenen Schichten, deren jedes Jahr eine neue bringt. Es er- eignet sich nicht selten, dass die Zweige der äusseren Be- deckung neue Schüsse treiben, welche alsdann den ganzen Bau vollsländig umgeben und verstecken. In waldigen Ge- genden nistet der Sekretär wohl auf hohen Bäumen. Jeden Abend begibt sich das Paar zum Neste hin, um daselbst zu übernachten. Erst im August hat das Eierlegen statt. Die Zahl der Eier beträgt zwei, nur ausnahmsweise drei. Diese haben beinahe die Grösse eines Gänseei’s, sind aber runder und von Farbe rein weiss, olıne eine Spur von Flecken. Nach 6 Wochen kriechen die Jungen aus, bedeckt mit schnee- weissem Daun. Sie bleiben lange Zeit schwach auf den Bei- nen und verlassen aus diesem Grunde das Nest nicht vor Ablauf des 6. Monals. Auch der Kukuk Westafrika’s (Cuculus gabonensis) legt in die Nester anderer Vögel. Einer der Reisenden des Hau- ses Verreaux beobachtete, dass ein Individuum dieser Art drei Eier in die Nester dreier verschiedener Arten legte, näm- lich in die von Oriolus nigripennis, Xylobucco scolopaceus und Ixos ashanteus. Stundenlang lauert das Kukuksweibchen in der Nähe des von ihm gewählten Nestes auf den Augen- blick, wo das brütende Weibchen dasselbe verlässt. Rasch das darin befindliche Ei zertrümmernd und verschlingend, be- eilt es sich alsdann, das eigene Ei, welches oft schon einige Stunden lang in der Nähe gelegen, hineinzutragen. Die Ne- ster der Vögel, welchen ein Kukuksweibchen sein Ei unler- schiebt, liegen oft weit enlfernt von einander. Leider wird über die Farbe der Eier nichts mitgetheilt. (Hartlaub, Ornithologie Westafrika’s.) Vertilgung der Heuschrecken durch Vögel. Den Mantisarten stellen ausser gewissen Falken unter andern die kukuksartigen Formen, am meisten aber Glareola nach. In ungeheuren Schaaren sah Jules Verreaux in Südafrika Gl. pratincola den Heuschreckenschwärmen folgen; rasch, im Fluge verschlingt der Vogel das grosse Insekt, dessen Ver- dauung so wunderbar schnell erfolgt, dass nach höchstens 10 Minuten das beim Durchgang durch den engen Darmkanal gleichsam ausgepresste Thier als vollständige Epidermis durch den After abgeht. In kürzester Frist wird solchergestalt die Vertilgung zahlloser Massen des gefürchteten Insects möglich. (Hartlaub, Ornithologie Westafrika’s). Ein Vogel, der seine Beute hängt, ist nach Hartlaub ein Würger Afrika’s, Collurio Smithii. Dieser Vogel, dessen Haupinahrung Insecten bilden, verschmäht da- bei weder Amphibien noch kleinere Vögel, welche beide er häufig, nach«em sein Hunger gestillt ist, an einen dürren Ast aufzuhängen pflegt. Diess geschieht mit der kunstvollsten Ge- schicklichkeit. Der Schlingenknoten wird aus einem zarten elastischen Pflänzchen gebildet, dessen anderes Ende sie sehr fest an den zum Tragen der Beute bestimmten Ast zu befe- sligen wissen. Derselbe Instinkt ist Lanius collaris eigen, und Jules Verreaux hatle häufig Gelegenheit, den kunst- vollen Inslinkt dieser Art zu bewundern. Der „Fiscal‘‘ ver- steht es, kleinere Vögel und Replilien mittels eines Schlin- genknotens aufzuhängen und zwarallemal so, dass die Schlinge den Hals des Opfers zusammengeschnürt hält. 12 Heilkunde. Oeffnen der Luftisäcke des Pferdes. Von E. Hering (Stuttgart) *). Von dem unten genannten, schön ausgestatteten, sowie sorgsam gearbeiteten Handbuche ist soeben die 2te Ab- theilung erschienen, illustrirt mit vorlrefflichen Abbildun- gen. Interessant wird unseren Lesern der Abschnitt über Oefinung der Luftsäcke des Pferdes sein. „Die den Einhufern eigenthümliche, sackähnliche Er- weiterung der Eustachischen Röhre nimmt den Raum zwi- schen der hinteren Wand des Schlundkopfes und dem er- sten Halswirbel ein, sie reicht nach oben bis zum Ober- hauptsbein, nach unten bis zum Schlundkopf, in welchen sie mit einer spaltförmigen Oeffnung mündet; die nach der Paukenhöhle zu führende Spalte ist ausserordentlich eng und bloss für den Durchgang der Luft bestimmt. Das Innere der Luftsäcke wird durch eine Schleimhaut ausgekleidet, welche in der Mitte herab eine Verdoppelung oder Scheidewand bildet, so dass die beiden Luftsäcke nicht mit einander communiciren. Der Inhalt der Luft- säcke ist im gesunden Zustande Luft, im kranken Zu- stand aber, besonders bei chronisch gewordenen Katar- rhen, Druse und dergl., secernirt die Schleimhaut bald zähen, weisslichen Schleim, bald Eiter, der später zu käseähnlicher Consistenz sich verdickt, und selbst die Form und Härte von kastanienähnlichen Concrementen annimmt. Der Ausfluss des flüssigen Inhalts eines oder beider Luftsäcke findet vorzüglich statt, wenn das Thier den Kopf tief hält (z. B. beim Fressen vom Boden), oder wenn es stark hustet, wenn es mit dem Kopfe auf- und abwärts schnellt, oder endlich wenn auf die Gegend der Ohrdrüse von aussen gedrückt wird; die Entleerung ge- schieht meist von Zeit zu Zeit in der Art, dass auf ein- mal eine grössere Menge (ein halbes Trinkglas voll) des Schleimes oder Eiters in der Krippe oder auf dem Boden vor dem Pferde gefunden wird; Es gibt Fälle, in denen eine chronische Ansammlung von zähem Schleim viele Jahre lang fortdauert, ohne das Thier merklich zu be- lästigen, aber auch andere Fälle, in denen der Inhalt der Luftsäcke abartet, übelriechend und ätzend wird, und besonders bei einseitigem Leiden zu Rotzverdacht Anlass gibt. Eine grössere Ansammlung krankhafter Materie in dem Luftsacke lässt sich auch äusserlich durch eine ela- stische Anschwellung am unteren Theile der Ohrdrüse er- kennen, und es kann selbst der Luftsack durch seinen Inhalt so weit herab und nach aussen gedrängt werden, dass er fast bloss noch von der Haut bedeckt ist und zwischen dem Kehlkopf und der äusseren Kinnbackenvene gleich einem Abscesse geöffnet werden kann. (Es scheint, *) DS” Handb. d. thierärzllichen Operationslehre von Dr. E. Hering. 2. Abthlg. mit 51 Holzschn. und 4 Taf. Stuttgart. Ebner und Seubert, 1857. gr. 8. — Schluss als 3. Abthlg. im Herbste. dass einige Operateure blosse Abscesse im Zellgewebe un- ter oder in der Parotis für Krankheiten des Luftsackes gehalten und daher die Operation als sehr leicht zu ver- richten ausgesprochen haben.) 1. Günther’s Methode. Bei seinen zahlreichen Versuchen über den Pfeifer- dampf hatte G. auch die Luftsäcke gesunder Pferde mit (21 — 28 Unzen) Gypsmasse angefüllt, um zu ersehen, ob dadurch pfeifendes Athmen (und Störung des Hörens) hervorgebracht werde. (N. u. V. 1834. S. 402—411.) Hieran reiht sich die Beschreibung des folgenden Verfah- rens zur Entleerung der Luftsäcke: Das Instrument be- steht aus einer messingenen Röhre von 20 Zoll (rhein.), an der Spitze auf einen Zoll etwas gebogen, zugerundet und geschlossen, in der Nähe der Spitze mit 2 ovalen Seitenöffnungen,, 4 Zoll gross, versehen, das andere Ende der Röhre ist offen und wird mit einem 7 Zoll langen Griffe, der am hinteren Ende platt und etwas gebogen, am vorderen Ende aber einen Zapfen hat, welcher in die Röhre passt, verbunden, und mittelst einer Schraube in der Röhre so befestigt, dass die Biegung des Griffes der Biegung an der Röhrenspitze entspricht, um beim Ge- brauche des Instruments stets zu wissen, ndch welcher Richtung die obere Biegung der Röhre gestellt ist. Der Griff ist ferner längs der Mitte auf 4 Zoli gespalten und es läuft in der Spalte ein nach der Röhre hin gehender 6 Zoll langer Zeiger, der hoch oder niedrig geschoben und durch eine Schraube festgestellt werden kann. Um z. B. in den rechten Luftsack zu gelangen, wird das Pferd auf die linke Seite gelegt, mit der Röhre, an wel- cher der Griff angeschraubt ist, die Entfernung vom äus- seren Augenwinkel bis zum unteren Rande des platten Knorpels vom gleichseitigen Nasenflügel gemessen und der am Griff befindliche Zeiger an dieser Stelle durch die Schraube fixirt (daher der Abstand vom Augenwinkel bis Nasenknorpel gemessen). f Dieses Maass zeigt die Entfernung der Mündung der Eustachischen Röhre vom Rande des Nasenflügels an und dient zur Richtschnur bei der Operation. Jetzt führt man die Röhre, mit der gebogenen Spitze nach unten und innen gerichtet, in den hinteren (unteren) Luftgang der Nase so hoch hinauf, dass der Zeiger gegen den Nasenrand, bis wohin man zuvor gemessen hatte, tritt, macht dann mit dem Instrumente eine Dreiviertelwendung, indem man die Biegung des Griffs unten herum nach aussen richtet, dirigirt somit das gebogene Röhrenende gegen die äussere Wand der Nasenhöhle und schiebt, in- dem man den Handgriff der Röhre zugleich gegen die Nasenscheidewand, das obere Ende der Röhre aber an der äusseren Wand der Nasenhöhle hin dirigirt, die Spitze des Instruments in die Spalte der Eustachischen Röhre und somit in den Luftsack hinein. Hierauf schraubt man den Griff ganz ab; ist aber der Inhalt verdickt, so ver- 73 bindet man die Röhre mit einer Spritze und spült mit lauem Wasser den Luftsack aus, kann auch Arznei durch die Röhre in den Luftsack bringen. Das Zurückziehen der Röhre geschieht mit Rücksicht auf ihre Krümmung. Es ist hiebei zu beachten, dass man mit der Röhre in dem unteren Luftgange bleibt; ferner lagere man den Kopf abhängig und suche durch Druck von aussen (auf die Ohrdrüse) die Entleerung des Luftsackes zu begün- stigen. Bei Zweifel, ob das Instrument im Luftsacke ist, kann man Luft durch die Röhre einblasen und sich durch die Erschütterung an der Parotis überzeugen, dass die Röhre wirklich in den Luftsack geschoben ist. Es leuchtet ein, dass das Verfahren von Günther grosse Vortheile vor der blutigen Operation darbietet, da aber das Einmalige Entleeren des Luftsacks nicht hin- reicht, sondern dessen secernirende Fläche öfter mit Ein- spritzungen behandelt werden muss, um die krankhafte Secretion aufhören zu machen, so wäre es beschwerlich, das Thier jeden Tag dazu auf den Boden legen zu müs- sen. Es giebt indess Pferde, die sich die Einführung der Röhre ohne grosse Schwierigkeit stehend gefallen lassen. Aus demselben Grunde ist nicht viel damit gewon- nen, einen langen geraden Trokar durch den unteren Luftgang bis an die hintere Wand des Schlundkopfs zu führen, diese zu durchstechen und damit ohne Gefahr in den Luftsack zu dringen, dessen Inhalt durch die Tro- karröhre ausfliessen kann, wie schon 1810 in einem Cpt. r. v. Alf. vorgeschlagen ist. Girard gibt an (ebend. 1806), eine Methode ausfindig gemacht zu haben, um von der Nase aus in den Luftsack su dringen, und durch eine Gegenöffnung neben dem Kehlkopf herauszukommen, endlich ein Eiterband auf diesem Wege durchzuführen. 2%, Der Luftsack-Schnitt- oder Stich. Der Luftsack ist von aussen (seitlich) hauptsächlich durch die Ohrspeicheldrüse bedeckt, zwischen welcher grosse Aeste der Jugularvene, so wie innen die Verzwei- gungen der Kopfarterie (Carotis) laufen, auch verzwei- gen sich die Nerven des sehr wichtigen Rachengeflechts an der äusseren Wand des Luftsacks, die von dem Grif- felkiefermuskel schief herab verstärkt wird, während der grosse Ast des Zungenbeins in gleicher Richtung weiter innen liegt. Um von aussen in den Luftsack einzudringen, hat man zwei Methoden, nämlich 1) von oben und 2) von unten. Es ist vorläufig zu bemerken, dass die den Luft- sack auskleidende Schleimhaut sehr ausdehnbar ist und locker an den sie bedeckenden Muskeln, Drüsen u. s. w. anhängt; sie weicht daher, wenn der Luftsack leer ist, dem sondirenden Finger, selbst dem Messer aus, und ist schwer zu durchbohren; wenn dagegen der Luftsack mit Flüssigkeiten gefüllt ist, so bietet sie nicht allein mehr Widerstand und erleichtert dadurch das Eindringen des Instruments, sondern der Luftsack wird auch mehr nach aussen getrieben, und ist daher um so leichter zu errei- 74 chen, je stärker seine Ausfüllung ist. Es ergiebt sich hieraus, warum die an Versuchsthieren ausgeübte Opera- tion weit eher misslingt, als an wirklich kranken Thieren. Man hat im Allgemeinen angenommen, dass der Luftsackschnitt wegen der damit verbundenen Schwierig- keit nur am liegenden Thiere ausgeführt werden könne und selbst angerathen, vorher die Tracheotomie zu ma- chen, weil bei dem kranken Thiere Erstickungszufälle eintreten könnten. (Leblanc führt einen solchen Fall an und Brogniez meint, die Gefahr sei oft vorhan- den.) Es ist jedoch beides unbegründet; man kann bei Thieren, die nicht ganz besonders empfindlich oder aber bösartig sind, die Operation besser stehend als liegend vornehmen; und wenn je am liegenden Thiere Erstickungs- gefahr einträte, so ist die Tracheotomie so schnell ge- macht, dass es sehr überflüssig wäre, auf die blosse Ver- muthung hin, die Luftröhre im Voraus zu öffnen. So- wohl bei dem liegenden als stehenden Pferde muss der Kopf etwas (aber nicht zu sehr) gerade gestreckt wer- den, damit der Raum zwischen Hinterkiefer und dem er- sten Halswirbel erweitert und die inneren Theile durch die Spannung vor Verschiebung gesichert werden. 1. Luftsackschnitt von oben. Diese Methode ist von Chabert (1779) zuerst an- gegeben worden und wird besonders in Frankreich jetzt noch häufig ausgeübt. Da die Operation meist nicht drin- gend ist, so warte man damit, bis der kranke Luftsack gehörig angefüllt ist; der 2—3 Zoll lange Hautschnitt wird längs dem vorderen Rande des Flügels des ersten Halswirbels gemacht, in der Art, dass er noch 4—4 Zoll vor den hintersten Rand der daselbst befestigten Ohr- speicheldrüse zu liegen kommt; hiedurch vermeidet man den dicht am Flügelfortsatz hinlaufenden Ohrnerven vom zweiten Halsnerven. Man präparirt den hinteren Haut- lappen so weit zurück, dass der Rand der Ohrdrüse zum Vorschein kommt, löst diese von dem locker anheftenden Zellgewebe mit dem Scalpel los und dringt mit dem Fin- ger in das die innere Fläche der Drüse mit dem darun- ter liegenden Griffelmuskel des Hinterkiefers verbindende Gewebe. Der genannte Muskel soll nach Chabert’s Angabe mit einem zweischneidigen Messer in der Rich- tung seiner Fasern durchstochen und dabei das Heft des Messers gegen den Flügelfortsatz des Atlas geneigt, die Spitze aber in den von der inneren Kopfarterie und dem neunten und zehnten Hirnnerven gebildeten Winkel ge- führt werden. Da der Luftsack unmittelbar hinter dem Griffelkiefermuskel liegt, so wird er durch obigen Stich getroffen, sein flüssiger Inhalt wird hervordringen und diess soll nach Bedürfniss durch Einspritzen von lauem Wasser, Einführen des Fingers in die Oeflnung, Einle- gen einer Röhre (zum Offenhalten derselben) unterstützt werden. Man kann dieser Methode entgegenhalten, dass sie dem Ausfluss der Materie nicht günstig ist (weil die Oefl- nung oben in die Höhle eindringt), und dass besonders 75 bei unruhigen Thieren eine Verletzung der inneren Kopf- arterie oder der wichtigen Nerven des neunten und zehn- ten Paares leicht möglich ist, was eine sehr bedenkliche Blutung und eine Lähmung der Organe, in welchen sich jene Nerven verzweigen, zur Folge haben könnte. Lecog hat eine Verbesserung dieser Methode an- gegeben; die Membran des Luftsacks hängt fest an der inneren Fläche des Griffelmuskels des Zungenbeins (wel- che mit dem oberen Ende des Griffelkiefermuskels ver- bunden ist) und es liegt unter demselben kein Blutge- fäss, welches leicht verletzt werden könnte. Der Haut- schnitt wird an dem unteren Rande der gemeinschaftli- chen Sehne des milzförmigen und Rückenwarzenmuskels (M. splenius et transvers. cervieis), vor dem Flügelrande des ersten Halswirbels, 4—5 Centimeter lang gemacht, dieser erste Schnitt trifft bloss die Haut und einige apo- neurotische Fasern, die hintere Wundlippe wird zurück- gezogen, der Rand der Ohrdrüse etwas aufgehoben und die Aponeurose des gemeinschaftlichen Arm - Hals - Kopf- Muskels durchschnitten; man führt hierauf den Finger hinter und zwischen diese Aponeurose und den Seilen- Träger-Oberhaupts-Muskel (M. obliq. cap. inferior) und gelangt damit an den Griffel-Zungenbein-Muskel. Man fühlt nach hinten den Griffelfortsatz des Oberhauptbeins, nach vorn den Winkel des grossen Zungenbeinastes. Der Stich durch den genannten Muskel muss in der Mitte desselben, mit der Schneide gegen das Zungenbein (oder die Nasen- spitze des Thieres) gerichtet werden. Würde die Schneide gegen das Ohr gerichtet, so könnte der Angesichtsnerve oder die hintere Ohrarterie getroffen werden, nach rück- wärts würde die Schneide die innere Kopfarterie, nach abwärts den Zungennerven und selbst die äussere Kopf- arterie treffen; man muss daher den Griffel - Zungenbein- muskel in seiner Mitte, nicht am unteren Theile durch- stechen und das Messer schief von hinten nach vorn hal- ten; diese Richtung wird nicht allein durch die Lage der inneren Kopfarterie, sondern auch durch die schiefe Richtung des Weges zwischen der Ohrdrüse und dem Träger-Warzenmuskel nothwendig. Nach dem Durchste- chen des Griffel-Zungenbeinmuskels wird das Instrument zurückgezogen und die Oefinung mit dem Finger ver- grössert; bei grossem Widerstand des Luftsacks ist selbst der Muskel sammt der Haut des Sacks mit dem blossen Finger durchbohrt worden. Lecogq endigt sein Verfahren durch eine Gegenöfl- nung am tiefsten Theile des Luftsacks und Einziehen ei- nes Eiterbandes (wie bei der Methode von Dieterichs). Es ist klar, dass die Gefahr, Gefässe und Nerven bei dieser Operalionsmethode zu verletzen, fast ganz vermie- den wird, wenn man statt eines Messers (besonders ei- nes zweischneidigen) einen runden Trokar verwendet, der mit Leichtigkeit durch die Muskel und die Haut des Luftsacks durchzustossen ist. 2. Luftsackschnitt von unten. Viborg hat diese Methode angegeben in der Ab- 76 sicht, den Ausfluss des Inhalts der Luftsäcke zu erleich- tern: Der Kopf des liegenden Pferdes wird gestreckt, so dass die Schne des Brustbein-Kiefermuskels sich gespannt fühlen lässt, sie umschliesst mit dem krummen Rande des Hinterkieferasts und der äusseren Kinnbackenvene (die man durch Druck anschwellen lässt) einen dreieckigen Raum, in dessen Mitte man einen 2—3 Zoll langen Hautschnilt macht, der in der Richtung jener Sehne bis zum Hinterkieferrande reicht. Hierauf wird der Haut- muskel getrennt und mit dem Finger durch das Zellge- webe ein Weg bis zum Luftsacke gebahnt, dessen Haut mit einem auf dem Finger hinaufgeschobenen Trokar durchstochen und die gemachte Oeffuung, wenn es nölhig wäre, mit dem Finger erweitert wird. Der Ausfluss soll durch Einlegen eines Wergpfropfs unterhalten werden, so lange die krankhafte Section fortdauert. 3. Verbindung der Methoden von Chabert und Viborg nach der Angabe von Dieterichs. Nachdem das Pferd niedergelegt und der Kopf ge- hörig gestreckt worden, macht man den Hautschnitt vor dem Flügelrande des ersten Halswirbels, wie es früher angegeben wurde, präparirt den hinteren Rand der Ohr- drüse los und sucht mit dem Finger den Griffelkiefer- muskel auf; durch ‘das Zellgewebe werden einige dreiste Schnilte bis zu demselben geführt und mit dem Finger oder dem Scalpelhefte das Zellgewebe neben und hinter dem Muskel hinab bis zum Luftsack getrennt, man soll dann den Kopf des Thieres recht gerade strecken lassen, mit dem Zeigefinger nach den pulsirenden Gefässen füh- len, und den Winkel aufsuchen, welchen die fortlaufende äussere Kopfarterie (Carotis externa) mit der Oberhanpts- oder der inneren Kopfarterie macht. In diesem Winkel sticht man die Spilze des Scalpels bis in den Luftsack ein, wobei der Rücken des Messers gegen den Winkel, die Scheide gegen den Griffelkiefermuskel gerichtet ist; auch kann man die Klinge unterhalb der äusseren Kopf- arterie, mit dieser gleichlaufend, ansetzen. Hat man den Luftsack geöffnet und fliesst dessen Inhalt aus, so führe man die Hülse eines krummen Trokars in den Luftsack, nach dem Grunde desselben, unter die Sehne des Brust- beinkiefermuskels, schiebe das Stilet vor und .durchstosse die Haut von innen nach aussen, an der Stelle, wo Vi- borg einschneiden lässt. Nach dem Ausziehen des Sti- lets führe man mittelst einer Oehrsende ein Band durch die Röhre des Trokars, nachdem zuvor die untere Oefl- nung des Luftsacks erweitert worden ist. Das Band, welches auch durch eine englische Haarseilnadel oder eine gekrümmte Sonde, auf die man von aussen einschneidet, eingeführt werden kann, bindet man aussen zusammen, spritzt den Luftsack mit passenden Flüssigkeiten aus und fährt damit bis zur Heilung fort. Die Stelle, wo man von innen nach aussen den Luftsack öffnet, wird in der Regel und mit Recht tiefer angegeben, als nach Dieterichs, nämlich unter der äusseren Kinnbackenvene, d. h. zwischen dieser und dem 77 Kehlkopf, denn über dieser Vene geht die Oeffnung durch die Ohrdrüse hindurch. Die untere Oefinung ist besonders dann von gros- sem Werthe, wenn der Inhalt des kranken Luftsacks dick, käseartig oder gar hart (Conerement ähnlich) ist; man muss sodann die Oeffnung, ohne zu schneiden, z. B. mit dem Finger zu erweitern suchen, so dass nölhigen- falls der Inhalt mit einem kleinen Löffel oder einer Zange herausgenommen werden kann. Unter dem Namen Tympanite gutturale be- schrieben Gohier und Vatel eine solche Ansammlung von Luft in den Luftsäcken, dass man sie durch Opera- tion entleeren müsse (?). Innere Brüche in Bezug auf die Lage der Geschlechisdrüsen. Von Dr. W. Treitz (Prag) *). In einem früheren Kapitel des angeführten Werkes war von zwei selteneren Arten innerer Hernien Kenntniss genommen und ermittelt, dass sie sich aus zwei häuäg vorkommenden Bauchfelltaschen, der Fossa intersig- moidea und subcoecalis entwickeln. Im Interesse dieser Bildungen dürfte es hier nicht ganz am unrechten Platze sein, wenn wir das Thema von der Gestaltent- wickelung des Darmkanals noch etwas weiter verfolgen. Wie wir eben gesehen haben, gelangt der Blindsack durch seine Rechtswendung schon zu Anfang des 4. Mo- nats an das untere Ende der rechten Niere. Hier muss er längere Zeit stehen bleiben, denn die indessen zuneh- mende Verlängerung des Dickdarms auf dieser Seite wird ja zur Formirung des Colon asc. und transv. verwendet. Erst mit dem 5. Monat beginnt der Blindsack sich wie- der zu senken und allmälig an seinen definitiven Platz in die Fossa iliaca herabzurücken. Dieses Herabgleiten des- selben ist im Embryo natürlich nicht Folge seiner Schwere, vielmehr stellt sich heraus, dass es Hand in Hand geht mit der Verkürzung seines Gekröses und diese wieder mit der Senkung der Geschlechts- drüse. Es ist früher schon hervorgehoben worden, dass der als Colon asc. sich aufstellende Anfangstheil des Dick- darms an einem längeren, dem Dünndarmmesenterium gehörigen Gekröse hängt, und dass dieses allmälig sich verliert, indem das äussere Blatt desselben auf die äus- sere Bauchwand übergeht und das innere in die Fossa iliaca sich herabzieht. Was nun dieses innere Blatt betrifft, so mag seine Verschiebung immerhin auch Folge sein der in der zweiten Schwangerschaftshälfte viel ra- scheren Vergrösserung der Beckenraumes und des Hypo- gastrium; den grössten Antheil daran hat aber unstreitig der Descensus der Geschlechtsdrüse. *) Aus W. Treitz, Hernia retroperitonealis. Mit Abb. 8. Prag, F. A. Credner, 1857. 78 Bekanntlich bildet sich die Geschlechtsdrüse aus dem Wolff’sehen Körper heraus und liegt in dieser Zeit oben in der Bauchhöhle in der Höhe der Nieren. Mit dem 5. Monat beginnt sie sich zu senken und nach ihrem Be- stimmungsorte hinzurücken. Der Hode, den wir uns wegen seiner grösseren Ortsyeränderung zum Vorbilde nehmen wollen, ist in der Bauchhöhle, wie alle Organe intra peritoneum, von einer eigenen Bauchfellduplicatur eingeschlossen, die von Sei- ler Hodengekröse, Mesorchium genannt worden ist. Die breite Basis des dreieckigen Mesorchium steht an der hintern Bauchwand, sein unterer Rand birgt das Guber- naculum Hunteri. weshalb er unter vielen andern auch den Namen Plica gubernatrix erhalten hat. Der obere Rand des Mesorchium verliert sich in das Peritoneum der hintern Bauchwand und steht durch dasselbe mit den zu- nächst liegenden Gekrösen in Continuität. Während nun der Hode herabrückt, wird auch das Mesorchium herab- gezogen und mit ihm nothwendiger Weise auch das dar- über liegende Bauchfell. Man könnte freilich der An- sicht sein, dass in dem Maasse, als der Hode herab- rückt, sich das über ihm liegende Peritoneum ausdehnt und nachwächst. Dem ist jedoch nicht so. Das Bauch- fell ist zwar sehr dehnbar, aber in noch viel höherem Grade verschiebbar und wie früher dargethan worden ist, wächst es nicht in dem Grade, als es die Verschiebung der Bauchorgane erheischt !). — Es wird also auch hier das Bauchfell durch das Me- sorchium herabgezogen und von den zunächst liegenden Gekrösen requirirt. In Folge dessen verliert auf der rechten Seite das Coecum und Col. asc. das innere Blatt seines Gekröses und muss, wenn dieses verbraucht: ist, selbst herabrücken. Wie weit der Blindsack dem Hoden nachrückt, hängt offenbar von der Länge dieses Bauch- fellblattes ab; in der Regel bleibt er in der Fossa iliaca stehen. Dieser Hergang lässt sich an jedem Embryo aus den späteren Schwangerschaftsmonaten demonstriren, wobei man sich überzeugen kann, dass die genannten zwei Or- 4) Diese Vorstellung könnte manche Opposilion erfahren. Bischoff z. B. ermahnt, die mechanischen Vorstellungen, deren wir zur Beschreibung der Vorgänge bedürfen, so viel als möglich zu beseitigen und an ein Wachsen zu denken, wodurch alle Verhältnisse sich ändern können, ohne dass ein Theil sich um den andern schiebt, dreht, wendet und dergl. (Entwickelungsgeschichte S 306). Es ist allerdings richtig, dass die fölalen Lageveränderungen der Organe mit ihrem Wachsthum zusammenfallen, und dass der wesentlichste Grund dieser Bewegungen in dem ungleichförmigen Wachsen der Theile zu suchen ist. Ebenso richtig ist aber auch, dass sich die betreffenden Theile dennoch über einander schieben, wen- den und drehen müssen, denn wie wollte man durch blosses Wachsen der Hoden ihr Verschwinden in der Bauchhöhle und Erscheinen im Hodensack erklären? — Die Ortsveränderun- gen der Organe sind rein mechanische Vorgänge und können ihre nächsten Ursachen auch nur mechanischer Natur sein, und dass die Bauchorgane wirklich mechanische Verschiebun- gen erleiden, dafür sprechen schon die Ein- und Ausstülpun- gen des Bauchfells. 79 gane in allen Entwickelungsperioden eine relativ gleich grosse Distanz zwischen sich einhalten, und wobei man die gewaltsame Spannung des sie verbindenden Peritoneal- blattes deutlich wahrnehmen kann. Die Spannung dieses Blattes wird besonders in der letzten Schwangerschafts- periode, wo der Hode bekanntlich die grösste Ortsverän- derung durchmacht, so bedeutend, dass es sich zu einer niedrigen Falte erhebt, die durch Anziehen eines dieser Organe deutlicher hervortritt. Zugleich wird man be- merken, dass diese Falte nicht immer zum Coecum selbst, sondern am häufigsten zu der untersten Schlinge des Tleum geht, was jedoch nicht befremden wird, wenn man sich erinnert, dass das Mesocolon asc. ursprünglich dem Dünndarmgekröse und sein inneres Blatt zunächst dem untersten Ileum angehört. Diese Falte, welche wir ihrer vielfachen Wichtigkeit und des leichteren Verständnisses wegen Plica genito-enterica nennen können, ist dem Gesagten zu Folge bloss eine Fortsetzung oder Ver- längerung des obern Mesorchialrandes und hat für den Blindsack und das unterste Ileum die Be- deutung eines wahren Leitbandes, wenn man sich gerade nicht dahin aussprechen will, dass der De- scensus des Blindsackes vom Gubernaculum Hunt. mitge- leitet wird. — Derselbe Vorgang muss natürlich auch auf der lin- ken Seite stattfinden, wo aber das Colon desc. herabge- zogen wird. Dieses beweisen alle an diesem Darmstücke vor sich gehende Gestaltveränderungen. Bis zum 5. Mon. steht nämlich das ganze Mesocolon desc. senkrecht an der Wirbelsäule. Zur selben Zeit aber, als der Hode seinen Descensus antritt, beginnt es sich an einem über dem Nierenhilus liegenden Punkte nach abwärts zu krümmen und ebenfalls nach dem Becken zu wandern. Der De- scensus des Colon desc. ist in der Regel vollendet, wenn der bezeichnete Punkt am Darmbein angelangt ist, wel- cher Moment auch den Stillstand des Hodens bezeichnet. Es ist wohl nicht nöthig, zu erläutern, dass diesem Vorgange das Sigma romanum sein Dasein verdankt, und dass hier die Plica genito-enterica zum oberen äussern Schenkel der S-Schlinge hingeht. Beiderseits birgt die Plica genito-enterica die Arteria spermat. interna mit den ihr angehörenden Venen, deren Ursprungsstelle die primäre Bildungsstätte und deren Länge den zurückgelegten Weg der Geschlechtsdrüse be- zeichnet. 80 Beim weiblichen Geschlechte nimmt der Descensus der Ovarien natürlich denselben Einfluss auf die Stellung des Darms; nur ist da die Plica genito-enterica viel kür- zer und höher und ihre Spannung geringer). Diese Auffassungsweise muss man zu der seinigen machen, wenn man die hier besprochenen Verhältnisse in Leichen besonders männlicher Neugebornen einem genaue- ren Examen unterwirft. Beim Herabziehen eines Hodens rückt in gleichem Maasse das Coecum oder der obere Schenkel der S-Schlinge herab, sowie man durch einen Zug am Coecum oder Sigma rom. den Hoden hinauf und manchmal sogar aus dem Leistenringe wieder herauszie- hen kann, wobei die Spannung und Wirkung der Plica genito-enterica handgreiflich wird. (Schluss folgt.) 1) Dieser Umstand leitet auf die Vermuthung, dass das Ovarium ursprünglich etwas näher an der Wirbelsäule liegen dürfte als der Hode, was hier jedoch durchaus nicht behauptet werden will. Miscellen. Ueber die Wirkung des Tabacks hal Dr. Ham- mond Versuche an sich selbst angestellt, aus denen sich er- giebt, dass der Taback die Ausscheidung der Kohlensäure durch die Lungen nicht ändert, dagegen die ausgeathmete Wassermenge die Ausleerung des Urins und Kothes, den Harn- stoff und das Chlor vermindert, dagegen freie Harnsäure, Schwefelsäure und Phosphorsäure im Harn vermehrt. Nach der Beziehung zur Kohlensäureausscheidung ist anzunehmen, dass das Tabackrauchen den Fettverbrauch nicht hemmt. Wäh- rend nun die Minderung des Harnstofis und Chlors auf ver- minderte Umwandlung stickstoffhaltiger Gewebe schliessen lässt, so nöthigt doch die Steigung der Phosphorsäure in Schwefelsäure-Ausscheidung zu der Annahme, es habe eine Oxydation des Schwefels und Phosphors in der Gehirnsub- stanz stattgefunden, was auch aus anderen Erscheinungen wahr- scheinlich wird. (Amer. Journ. of med. Sc. Oct. 1856.) Morbus Brightii hat Prof. Neumann (Bonn) mit einer Mixtur Summit. Absinth. 5, Rad. Calam. arom., Rad. Gentianae, Rad. Imper. aq. 5jj, Baccar. juniperi 5%, Bacc. Laur. 5jjj, Sem. dauc. eret, 5jj mit Vin. gall. alb. q. s. 24 Stunden lang bis zu 5xxıy zu digeriren, 3mal täglich 2 Esslöffel, geheilt. Fettablagerungen durch Leberthraneinreib- ung behauptet Tyler Smith bei einer jungen Frau in den Bauchdecken in beträchtlichem Maasse entstehen gesehen zu haben, die nach Aussetzung der Einreibungen wieder ver- schwanden. (Assoc. med. Journ. Febr. 1856.) Bibliographische Neuigkeiten. WW. — Annalen des Charitekrankenhauses. 8. Jahrgg. 1. Hit. 8. Ch. Enslin in Berlin. 1 Thlr. Alex. Armstrong, A personal Narrative of the discovery of the Northwest Passage; with numerous Incidents of travel and adventure during five years’ Service in the Arctic Re- giones in Search of Sir John Franklin. 8. London, Hurst et B. 16 Sh. N. — A. v, Baumgärtner, Von d. Umgestaltung d. Wärme in Elektrieität. 8. Comm. b. Gerold’s Sohn in Wien. 4 Sgr. J. A. Böhm, Beiträge zur näheren Kenntniss d. Chlorophylis. 8. Comm. b. Gerold’s Sohn in Wien. 6 Sgr. Dionisius Cardner, Animal Physics; or the Body and its Fun- clions familiarly explained. 8. London, Walton. 12 Sh. 6.d Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena. Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. HEN. Band Ro 6 Naturkunde. y. Holle, Ueber den Zellenkörper der Lebermoose. — Miscellen. Fermond, Perianth, Befruchtung vieler Pflanzen durch dasselbe. — G. Hartlaub, Corythaix albocristatus. — Mündl, Die Verknöcherung der Knorpel. — G. Hartlaub, Stammland des Perlhuhns. — G. Zimmermann, Ueber die Gerinnung des Faserstoffs. — Nekro- log. — Heilkunde. W.Treitz, Innere Brüche inBezug auf die Lage der Geschlechtsdrüsen. (Schluss.) — H. Rein- hard, Das Auffinden der Parasiten in der ärztlichen Praxis. (Schluss folgt.) — Miscellen. Neurosen des Vagus. — Pitha, Oedema glottidis. — Bibliographie. Naturkunde. Ueber den Zellenkörper der Lebermoose. Von Dr. v. Holle (Heidelberg). Diese Mittheilungen betreffen ein den Lebermoossen eigenthümliches, in anatomischer und chemischer Hin- sicht noch wenig untersuchtes, von Gottsche „Zellen- körper‘ genanntes histologisches Element. Die Zellenkörper bilden einen Theil des festen, in den Zellen der Blätter, den peripherischen Stengeltheilen und in den Blüthenhüllen mancher, insbesondere der be- blätterten Arten der Lebermoose enthaltenen Contentums. Sie zeigen sich gewöhnlich in den meisten, seltner nur in einzelnen Zellen der genannten Theile. Nicht gar selten trifft man Individuen, in denen sich keine Spur der Körperchen entdecken lässt. Sie entwickeln sich in einer für die Zellen gleicher Grösse bei jeder Art constanten Durchschnittszahl: z. B. in den kleinen Blattzellen der Scapania nemorosa Nees. am Häufigsten zu 4, in den grössern meist zu 6. Färbung. — Die Farbe der Körperchen ist gelb- lich-weiss, auch heller oder dunkler braun. Bei den ein- zelnen Arten pflegt vorherrschend die eine oder die andere dieser Farben vorzukommen. Grösse. — Ihre Grösse im Verhältniss zur Zelle, in welcher sie sich befinden, ist, je nach den Arten, ungemein verschieden. Sehr grosse traf ich u. A. in den Blattzellen der Radula complanata Dumort., deren Lu- mina einzelne, sie fast zur Hälfte erfüllende Zellenkörper enthalten. Sehr kleine bemerkte ich bei Jungermannia bicuspidata L., Ptilidium ciliare N. ab E. u. s. w. Form. — Betreffend ihre Form, so erscheinen sie meist als circumscripte, längliche (seltner runde), biswei- len an zwei Seiten abgeflachte Massen. Structur. — In Wasser beobachtet, erscheinen manche structurlos; andere scheinen aus mehreren nach einer bestimmten Norm vereinigten, nur durch schatten- artige Streifen und seichte laterale Einkerbungen ge- trennten Stücken zu bestehen; bei noch andern bemerkt man einen gelblichen Inhalt, der, halb- oder ganzflüssig, von einer weissen, stellenweis sehr deutlichen Membran umschlossen wird (Mastigobryum trilobatum Nees); end- lich kommen auch körnige, manchmal in der Mitte mit einem oder mehreren Tropfen versehene Zellenkörper vor. Gequetscht, erhalten die Körper unter dem Mikro- skop das Ansehen ölartiger, vollkommen structurloser, halbflüssiger Massen, wovon nur die körnigen Zellenkör- per, welche sich in Körner auflösen, eine Ausnahme ma- chen. — Sowohl hieraus, wie aus dem mikroskopischen Bilde der unverletzten Körper, so wie endlich aus den Formen*) derselben ergibt sich die feste Beschaffenheit der äussern, die ganz- oder halbflüssige der inneren Theile der Zellenkörper, abgesehen von solchen, die canz aus einem körnigen Stoff bestehen. Im Alhohol scheinen die Körper rasch und vollstän- dig gelöst zu werden. Diess zeigte sich an etwa 30 in dieser Beziehung von mir geprüften Arten, welche der hiesigen Flora angehören. Es scheint hiernach, bei die- sen Arten wenigstens, der Zellenkörper ganz aus einem oder mehreren im Alkohol löslichen Stoffen zusammen- gesetzt zu sein. Doch glaubt man bisweilen, ausser die- sem Stoffe, noch eine im Spiritus nicht gelöste Membran, die erst nach der Reaction sichtbar geworden, zu bemer- ken. Diese Membran tritt um so häufiger auf, je ener- gischer der Alkohol auf die Zellen wirkt, wie sie denn besonders leicht in den Randzellen der Blätter, in wel- che der Spiritus von drei Seiten zugleich gelangt, wahr- *) Die länglichen eircumscripten Formen, die erst bei ziemlich starkem Druck verändert werden, setzen wohl eine feste Peripherie der Zellenkörper voraus. 6 83 genommen wird. Die Membran ist ein durchsichtiges, vollkommen farbloses Bläschen, oft von einer, manchmal auch von zwei Kontouren begrenzt, und etwa von dem 2—3fachen Volumen des betreflenden Körpers, an dessen Stelle sie erscheint. Gottsche blieb im Zweifel über diese Bläschen: er wusste nicht, ob er sie für einen Theil der Körper halten solle, oder nicht #). Neuere Unter- suchungen, diesen Punkt betreffend, fehlten bislang. — Mir scheint die erwähnte Membran nicht vorgebildet zu sein, sondern sich aus“ dem gummi- und proteinhaltigen Zellencontentum zu erzeugen, während die betreffenden Körper im Spiritus gelöst werden, und indem zugleich die erwähnten Stoffe im Alkohol gerinnen. Letztere con- densiren sich in Form einer Blase in der Umgebung des vorhin durch die ersteren ausgefüllten Raumes, der we- der Gummi noch Protein (oder doch nur kleine Mengen dieser Stoffe), sondern nur die im Alkohol gelöste Sub- stanz des Körpers enthalten kann. Für diese Ansicht sprechen: 1) die bräunlich-gelbe Färbung der Bläschen durch Jodtinetur. Sie färben sich durch dieses Reagens den proteinartigen Stoffen gleich; beständen sie aus Inulin, so müssten sie gelb gefärbt werden; 2) der Umstand, dass, wenn man das geronnene Pro- taplasma der Zelle durch die Einwirkung eines anderen Reagens abermals umgestaltet, die Bläschen diese Ver- wandlung theilen. Wenn man z. B. Jodlösung (wässe- rige) oder einfach Wasser dem durch Alkohol verdichte- ten Zelleninhalt zusetzt, so treten statt der früher er- blickten Körnchen, Ballen u. s. w. neue Verdichtungs- massen auf, während zugleich die Bläschen zertheilt und mit den neu entstandenen Concretionen verschmolzen wer- den**). — Wenn die Bläschen eine organisirte Membran wären, so würden sie bei Anwendung von Reagentien (ausgenommen etwa concentrirte Schwefelsäure, Kali und andere heftig wirkende Substanzen) in ihrer Form nicht sogleich wesentlich verändert, oder sie würden doch durch dieselben nicht ganz und gar zertheilt werden. Betref- fend die beiden vorhin erwähnten Reagentien, so werden die Bläschen durch dieselben nicht etwa bloss unsichtbar gemacht, denn letztere erscheinen nicht wieder, sobald man erstere entfernt und Alkohol von Neuem zusetzt (mit Ausnahme der in der Bemerkung erwähnten Bläs- chen). 3) die Thatsache, dass es nicht gelingt, die frag- liche Membran in einem andern Mittel darzustellen, als im Spiritus. So sieht man keine Spur derselben bei der Behandlung mit Schwefelsäure, Kali, Terpentin- und *) Vergl. Gottsche’s anatom. phys. Unters. über Ha- plomitrium Hoockeri etc. in N. A. V. XX. P. I. p. 288. **) Ausgenommen einzelne, welche sich hier und da er- halten. Sie sind im Wasser kaum zu sehen, erscheinen bei Zusatz von Alkohol deutlicher umgrenzt, und verschwinden endlich bei nochmaligem Einwirken zuerst von Wasser und dann von Alkohol. 84 Mandelöl, bei directer Anwendung von Jodlösung auf die Körper, beim Schmelzen der letzteren in Wasser u.s. w. Chemisches. — Die chemischen Eigenschaften der Zellkörper waren bisher noch in geringerem Grade, als die anatomischen, erkannt worden. Was mir über dieselben aus der Literatur bekannt geworden ist, be- schränkt sich auf Vermuthungen. Nach Gottsche (a. a. 0) sind die Körper ein Harz oder Wachs, da sie im Alkohol sich auflösen. Schacht dagegen *) meint, dass sie in ihrem allgemeinen Verhalten dem Inulin entspre- chen, zu welcher Ansicht er vielleicht durch die Reaction derselben gegen Jodtinctur veranlasst wurde. Erwägt man die Löslichkeit der Körper im Alkohol, die Erhaltung ihres Volumens im kochenden Kali, das Schmelzen derselben im gelind erwärmten Wasser, sowie den penetranten Geruch, den fast alle Lebermoose (im angefeuchteten Zustand) entwickeln, so darf man wohl vermuthen, dass Harz und ätherische Oele die constitui- renden Elemente der Zellenkörper sind. Nachtrag. Der in dem obigen Vortrage vorgekommene Aus- spruch: dass die an der Stelle der mit Alkohol behan- delten Zellenkörper sich zeigende Membran, die man ziemlich oft bemerke, nicht vorgebildet zu sein, son- dern durch das Gerinnen des Plasmas der Zelle sich zu bilden scheine — diese Ansicht widerlegt sich bei der Untersuchung der im Wasser faulenden Zellenkörper einer der kleinsten Jungermannienspecies. Diese Art, welche ich erst vor Kurzem kennen lernte (leider ist sie unbestimmbar, da ihr die Früchte fehlen), überzeugte mich von dem Vorhandensein einer dem Zellenkörper selbst angehörigen Membran. Schon früher hatte ich versucht, über das Vorkommen oder das Fehlen einer solchen Membran bestimmte Aufschlüsse mittelst des Fäul- nissprocesses zu erhalten; auch hatte ich an verschiedenen Arten der Lebermoose, welche ich absichtlich der Fäulniss unterwarf, keine Spur der erwähnten Haut bemerken können. Dass diese dennoch vorhanden ist, sah ich dagegen, wie gesagt, an faulenden Zellkörpern der später untersuchten Art. — Die Membran lässt sich an den betreffenden Kör- pern nicht nachweisen, so lange diese frisch sind; letz- tere scheinen vor der Zersetzung aus einem körnigen compacten harzähnlichen Stoffe zu bestehen. Wenn man dagegen das Moos, nachdem es einige Tage im Wasser gelegen, in Hinsicht auf die Zellenkörper untersucht, so erscheint die Substanz derselben aufgelockert, die Körn- chen haben sogar stellenweis ihren Zusammenhang ver- loren, und hier und da bemerkt man, wie sie mit leb- hafter Molecularbewegung im Lumen einer hyalinen, äus- serst zarten, ein wenig aufgequollenen Membran sich hin und her bewegen. Jodtinctur ertheilt der Membran eine *) Vgl. Schacht, Anat. und Phys. S. 60. 85 f bräunlichgelbe Färbung; Chlorzink-Jodlösung, Schwefel- säure und Kali machen sie verschwinden; dasselbe gilt von kochendem Wasser; dagegen erhält sie sich‘ im Al- kohol, der sie verdichtet und mit schärferen Contouren erscheinen lässt. Ich habe mich durch anhaltende Beobachtung von der Identität dieser Membran mit derjenigen, welche man bei der Behandlung frischer Körper mit Alkohol bemerkt, vollkommen überzeugt, und trage kein Bedenken, diese Membran nicht nur bei der erwähnten Art, sondern auch bei allen übrigen von mir beobachteten Lebermoosen, de- nen ein Zellenkörper zukommt, anzunehmen. Ist die Membran bei einer Art vorgebildet, so wird dasselbe bei den übrigen der Fall sein, da bei allen die Zellenkörper in ihrem Bau sich im Wesentlichen analog sind. Demnach bestehen die Zellenkörper nicht in ihrer ganzen Masse aus einer in Alkohol löslichen Substanz, sondern. sie enthalten diese nur in ihrem Lumen, woge- gen die Membran aus einem ganz andern Stoff, der sich im Alkohol condensirt, zusammengesetzt erscheint. Von welcher Art derselbe sei, kann durch mikroskopische Be- obachtungen nicht ermittelt werden, wenn auch die an- geführten Reactionen eine Verwandtschaft dieses Stoffes mit dem Inulin *) vermuthen lassen. *) Zwar wird das Inulin durch Jodlösung gelb, die Mem- bran gelbbräunlich gefärbt; doch ein so geringer Unterschied in der Färbung scheint mir wenig in Betracht zu kommen, seit ich kürzlich mit dem Amylum und Inulin ganz offenbar verwandten, durch Jodlösung gelbbraun gefärbten Körpern, die in den Blattzellen der Vallisneria spiralis vorkommen, be- kannt wurde. Miscellen. Das Perianth spielt nach Hrn. Fermond eine wichtige Rolle bei der Befruchtung vieler Pflan- zen, indem es den Samenstaub aufnimmt und ihn auf die Narbe aufträgt. Z. B. bei mehreren Trideen findet die Be- fruchlung erst beim Verwelken der Blüthe statt. Bei dieser Familie sind die Antheren extrorsi und können den Pollen nicht auf das Stigma bringen. Hier sind nun 3 der Blältchen der Blüthenhülle, die bei einigen Irideen mit Sammelhaaren besetzt sind, dazu da, Samenstaub aufzunehmen und durch eine Einwärtskehrung (inconvoluture) sich um die Mitte der Blülhe zusammenzulegen und dabei den Stengel und dessen Stigma genau zu umfassen, wodurch die Uebertragung des Samens leicht stattfindet. — Aehnlich ist es bei dem Pensee; bei dieser Blüthe ist der Stengel länger als die Staubfäden, so dass die Narbe weit über den Samenbeuteln steht und die Befruchtung unmöglich erscheint Untersucht man alsdann die Antheren, so findet man sie alle leer. Hier kommt die Fecundation vermittelst der Corolle zu Stande. Oeffnet man eine Blüthenknospe, so findet sich immer das Stigma über den Staubfäden, diese aber liegen in einer durch die Blüthen- blätter gebildeten Röhre, während das Stigma ausserhalb die- ser Röhre sich befindet; lange, ehe die Blüthe sich öffnet, platzen die Staubbeutel und der Pollen kommt in Berührung mit der Röhre der Corolle, von welcher drei petalae mit Sam- 86 melhaaren versehen den Samen zurückhalten; beim Oeffnen der Blüthe verlängert sich nun die Blüthenröhre, gleitet da- bei in dem Stengel in die Höhe und bringt so den Samen- staub auf die Narbe. — Im Ganzen bezeichnet Hr. F. 6 Ar- ten, auf welche die Blüthenhülle oder das Perianth die Be- fruchtung besorgt: 1) durch Einwärtswendung (inconvoluture) (Iris, Sisyrinchima, Morea u. s. w.); 2) durch Anlegen der verwelkenden Theile (Iris, Gladiolus, Tigridia u. s. w.); 3) durch Annäherung der noch frischen Blüthenhü!lblätter (Hi- biscus, Lavatera, Althaea u. s. w.); 4) durch Wachsen der Blüthenhülle (Viola, Funkia ovata u. s. w.); 5) durch Umstül- pen der Blume nach Emission des Pollens (Campanula ma- erantha, eriocarpa, latifolia u. s. w.); 6) durch Schliessung der ganzen Corolle (Calonyction speciosum, Adenophora Gme- lini, vulgaris u. s. w.) oder nur eines Theils derselben (Pa- pilionaceae). (L’Institut. 1225.) Die merkwürdige, zuerst in Chenu und Desmur’s „Encyclopedie d’histoire naturelle“ mitgetheilte Beobachtung J. Verreaux’s, dass sich beim lebenden Corythaix al- bocristatus das prachtvolle Purpurcarminroth der Schwung- federn, wenn diese durchnässt, mit dem Finger abwischen lasse, findet sicher bei den übrigen Arten dieser Gattung ihre Bestätigung. Der Fettgehalt des Gefieders ist bei derselben so gering, dass der Vogel bei starkem Regen völlig durch- nässt und zu fliegen unvermögend wird. Dasselbe gilt, wenn- gleich in geringerem Maasse, von den Coliusarten, (Hart- laub, Ornithol. Westafrika’s.) Die Verknöcherung der Knorpel erfolgt nach Mündl dadurch, dass die Knorpelzellen ganz verschwinden, und dass sich die Knochenkörperchen unabhängig von densel- ben entwickeln. Ein zelliges Gewebe macht einem faserigen Gewebe Platz, ohne jedoch dass dabei eine Umbildung statt- finde. Die Fasern bilden sich ohne Mitwirkung der Zellen. (L’Institut. 1221.) Bezüglich des Stammlandes des Perlhuhn’s, das in Westafrikazu Hause ist, sind Dr. Bolle’s Nachrichten über das Vorkommen und die Lebensweise dieser Art aufdenInseln desgrü- nen Vorgebirges von besonderem Interesse. In Westindien scheint Numida meleagrissehr baldnach der Einführung, also schon seit langer Zeit, völlig verwildert zu sein. Herzog Paul Wilhelm von Würtenberg beobachtete im Cibaogebirge des spanischen St. Domingo grosse Schaaren wilder Perlhühner, und Gosse’s Nachrichten zufolge gab es deren schon vor 150 Jahren in den Wäldern Jamaica’s. Der Umstand, dass man dieses Perlhuhn nicht ganz selten in Vögelsendungen von Sumatra und Malacca findet, lässt vermulhen, dass auch dort in einzelnen Gegenden eine Verwilderung desselben stattge- funden habe. (Hartlaub, Ornithol. Westafrika’s.) Ueber die Gerinnung des Faserstoffs hat Dr. G. Zimmermann (Hamm) Beobachtungen angestellt, aus de- nen er folgert, dass die Gerinnung des Faserstofls auf einem chemischen Vorgange, sei es auch nur auf einer Aenderung in der molekularen Anordnung der Atome desselben beruht, die durch Fäulniss gewisser, ihn umgebender organischer Ver- bindungen hervorgerufen wird. (Dabei ist zu bemerken, dass Blut, welches 5 Minuten nach dem Abfliessen aus der Vene gerinnt, allerdings noch nicht „faul“ ist, aber die ersten An- fänge der Fäulniss, zu deren Entdeckung unsere chemischen Hülfsmittel nicht ausreichen, können vom Iheoretischen Stand- punkte aus nicht in Abrede gestelli werden.) (Moleschott’s Untersuchungen zur Naturlehre des Menschen und der Thiere. Bi. I.) Nekrolog. Am 20. Juni ist zu Paris in hohem Alter der hochverdiente und berühmte Chemiker Thenard gestorben. 6* 87 88 Heilkunde. Innere Brüche in Bezug auf die Lage der Geschlechtsdrüsen. Von Dr. W. Treitz (Prag). (Schluss.) Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet erhält so manche sonst unerklärliche und scheinbar zufällig da stehende Erscheinung eine andere Deutung und Be- ziehung. So wird es begreiflich, dass, wenn die Ge- schlechtsdrüsen in ihrer ursprünglichen Lage vor den Nieren aus irgend einer Ursache verbleiben, auch der Darmkanal und die Gekröse zum Theil jene Gestaltung behalten müssen, die sie im 4. Schwangerschaftsmonat hatten. Nachste- hender Fall, das Präparat No. 2345 der prager patho- logisch-anatomischen Sammlung, dürfte diese Behauptung rechtfertigen. Fall. Die Leiche eines kräftigen und gut genähr- ten neugebornen Knaben mit doppelter Hasenscharte, Wolfsrachen und einem rudimentären sechsten Finger an jeder Hand, bietet folgende Lageabweichung der Bauch- eingeweide. Die Leber wegen bedeutender Grösse des linken Lappens sehr breit. Der Magen stark gekrümmt, so dass sein Pylorus bis zur Leberpforte reicht. Das Duodenum zeigt die gewöhnliche hufeisenföürmige Krümmung und ist horizontal gestellt. Allein sein absteigender und un- terer querer Theil ist nicht hinter dem Peritoneum, son- dern liegt, allenthalben vom Peritoneum bekleidet, unter und hinter dem Dünndarmgekröse, indem dieses mit sei- ner zusammengeschobenen Wurzel am Pankreas entspringt und über das untere Duodenalstück herabhängt. Das Coecum liegt am untern Ende der rechten Niere und hängt sammt dem Colon asc. an einem freien Gekröse, das sich als unmittelbare Fortsetzung des Dünndarmge- kröses herausstellt und am Coecum die bedeutende Länge von 5 Cm. erreicht. Dieses gemeinschaftliche Mesente- rium geht also von der Flexura duod. jej. nicht wie sonst nach rechts und unten in die Fossa iliaca dextra, sondern nach rechts und oben zur Flexura coli hepatica. Diese Flexur ist an ihrem gewöhnlichen Platz unter der Gal- lenblase, mit deren Hals sie durch straffes Peritoneum verbunden ist. Dabei hat sie ein sehr kurzes Mesocolon, da hier das gemeinschaftliche Mesenterium aufhört und das eigentliche Mesocolon erst beginnt. Das Colon transv. bildet im linken Hypochondrium vor der Flexura coli lie- nalis eine 4 Cm. lange herabhängende Schlinge. Die Milzflexur ist durch straffes, auf die seitliche Bauchwand übergehendes Peritoneum (Ligamentum pleuro -colicum) fixitt. Von da geht das Mesocolon, sich bedeutend er- hebend, schräg über die Niere nach innen und gelangt am untern Ende derselben zur Mittellinie. Die rechte Niere ist an ihrer vordern Fläche von dem gespannten Peritoneum der hintern Bauchwand überzogen und kommt ganz zum Vorschein, wenn man das Colon asc. in die Höhe hebt. Beide Hoden liegen oben in der Bauchhöhle unmit- telbar unter den Nieren. Der rechte berührt mit seinem Caput epididymidis das untere Nierenende und ist an ein 9 Mm. breites Mesorchinum geheftet, dessen oberer schar- fer Rand im Peritoneum über der Niere verstreicht und dessen unterer Rand (Plica gubernatrix) bis zum innern Leistenring 15 Mm. misst. Der linke Hode ist 5 Mm. vom untern Nierenrand entfernt und steht somit, da die linke Niere hier auch tiefer liegt, um 7 Mm. tiefer als der rechte; seine Plica gubernatrix ist deshalb auch um 4 Mm. kürzer. Am untern Ende dieser Plica ist das Peritoneum in den Leistenkanal trichterförmig eingezo- gen, während diese Einstülpung rechterseits vollständig mangelt. Der obere Rand des linken Mesorchium setzt sich als niedrige Falte (Plica genito-enterica) auf das Mesocolon desc. fort, welches an dieser Stelle etwas her- abgezogen erscheint. Nach innen von dieser Falte zeigt das unterste Blatt des Mesocolon eine seichte trichter- förmige Vertiefung, deren Spitze gegen den Nierenhilus gerichtet ist. Vom untern Ende beider Hoden geht noch eine zweite niedrige Bauchfellduplikatur ab, die gegen die Harnblase hinzieht und das Vas deferens birgt. Der Hodensack ist normal entwickelt, aber welk und leer. Der Penis klein, mit der normal geformten Urethralöff- nung versehen. In diesem Falle zeigen die Gedärme mit geringer Abweichung diejenigen Lageverhältnisse, die man an Em- bryonen aus dem 4. Monat kennt. Der Dickdarm hat zwar die Drehung gemacht, behielt aber sein langes dem Dünndarmmesepterium angehörendes Gekröse und das Coe- cum blieb in der Stellung, die im 4. Monate die normale ist — und diess Alles aus dem Grunde, weil der rechte Hode seinen ursprünglichen Platz nicht im Geringsten, geändert hat '). Am Colon desc. macht sich dagegen schon der beginnende Descensus bemerkbar, das Mesoco- lon erscheint leicht herabgezogen und die Plica genito- enterica ausgesprochen — eben weil der linke Hode sich auch bereits etwas von seiner Bildungsstätte entfernt hat, was an seiner tieferen Lage, seinem kürzern Guber- naculum und an der beginnenden Einstülpung des Peri- toneum in den Leistenkanal kenntlich ist 2). 1) Diesen Zustand des Mesocolon asc. mag Bednar un- ter „Mangel des aufsteigenden Theils des Grimmdarmgekrö- ses“ verstehen. (Lehrb. d. Kinderkrankheiten. 1856, S. 50.) 2) Diese Einstülpung, welche viel früher sich bildet, bevor noch der Hode am innern Leistenring angelangt ist, hat die Embryolegen und Herniologen eben aus diesem Grunde viel- fach beschäftigt. Sie kommt offenbar auf dieselbe Weise wie die Fossa duod. jej. zu Stande. Da das Peritoneum am gan- 89 Dass in diesem Falle einzelne Darmtheile, wie der Magen, Zwölffingerdarm und das Quercolon die normale Form und Lage erlangt haben, wird nicht auffallen, wenn man sich erinnert, dass dieses von den Wachsthumsver- hältnissen der Leber abhängt, welche hier in den nor- malen Grenzen geblieben sind. Warum übrigens in gegenwärtigem Falle der De- scensus der Hoden unterblieben ist, ist schwer anzuge- ben, und liegt die Erörterung dessen unserer Frage zu fern. Dass es nicht wegen abnormer Kürze der Plica genito-enterica geschehen ist, liegt auf der Hand. Es gibt nämlich auch Fälle, wo die Plica genito- enterica viel zu kurz ist, als dass die Senkung der Hoden ohne Störung vor sich gehen könnte. In einem solchem Falle wird entweder der Hode im Descensus auf- gehalten und eine Cryptorchie zurückbleiben oder ge- langt der Hode in den Hodensack und zieht das mit ihm verbundene Darmstück mit in den Processus vaginalis herab, und zwar auf der rechten Seite das Coecum oder unterste Ieum und auf der linken den äussern Schenkel ler S-Schlinge. Dass sich daraus eigenthümliche For- men von angebornen Leistenhernien ergeben, ist bekannt und für die praktische Chirurgie von hoher Wich- tigkeit. Derartige Hernien gehören nicht zu den Seltenheiten und zeichnen sich dadurch aus, dass der Hode mit einem der genannten drei Darmtheile ein gemeinschaftliches Ge- kröse hat, d.h. durch eine kurze Bauchfellfalte (Plica genito-enterica) verbunden ist. Es versteht sich dabei von selbst, dass man Hernien, wo der Hode mit der vorgefallenen Darmschlinge durch Adhäsionen verwachsen ist, von diesen Fällen fern halten muss. Dass die Senkung des Coecum und der S- Schlinge mit dem Descensus der Hoden im Nexus steht, musste besonders Chirurgen längst aufgefallen sein und haben Serres, J. Geoffroy Saint-Hilaire!), Petre- quin2), Roser?) u. A. ihre Vermuthung darüber aus- gesprochen. zen Gubernaculum fest adhärirt, wird es vom Gubernaculum, wenn dieses sich in den Leistenkanal zu ziehen: beginnt, mit herabgezogen, trichterförmig eingestülpt und geht auf diese Weise die Bildung des Processus vaginalis dem herabrücken- den Hoden voran. Dieser Umstand liefert auch den Beweis, dass der Hode in der That vom Gubernaculum herabgezogen wird und nicht umgekehrt, wie von Blumenbach, Rosen- merkel, Seiler u.A. behauptetwurde. — (Blumenbach, Instit. physiol. Ed. IV. 1821. — Rosenmerkel, Ueber die Radicalcur des in der Weiche liegenden Testikels u. s. w. Mün- chen, 1820. — Seiler, Scarpa’s neue Abhandlungen über die Schenkel- und Mittelfleischbrüche. 1822, S. 393.) 1) Histoire des anomalies de l’organisation. Paris, 1832. T. 1. p. 377. 2) Lehrb. d. med. chirurg. u. topograph, Anatomie. Ueber- setzg. Erlangen, 1845. S. 236. 3) Roser’s u. Wunderlich’s Arch. II.Bd. S. 438. — De Handbuch der anatom. Chirurgie. 2. Aufl. 1854, 90 Auch auf die Entwickelung der weiblichen Ge- schlechtstheile kann eine abnorme Kürze der Plica genito- enterica nicht ohne Einfluss bleiben. Ist diese Plica bei- derseits und gleichmässig verkürzt, dann können die Ova- rien nicht mit der gewünschten Leichtigkeit herabsteigen, die untern Theile der Müller’schen Gänge werden zu sehr aus einander gehalten und jene Hemmungsbildungen des Uterus sich daraus entwickeln, die als Uterus bi- partitus, bicornis und bilocularis bekannt sind. Bei einer unsymmetrischen Verkürzung der Plica werden sich ohne Zweifel dieselben, aber unsymmetrische Uterus- deformitäten herausstellen, und nur bei geringen Graden der Verkürzung wird eine Seitenneigung des Ute- rus entstehen. Das Auffinden der Parasiten in der ärztlichen Praxis. Von Dr. H. Reinhard (Bautzen) *). Das Mikroskop hat auch für die Praxis grosse Be- deutung gewonnen und es war Bedürfniss, dem prakti- schen Arzte für seine specielle Aufgabe Anleitung zu ge- ben, da man nicht jedem Arzt eine Ausbildung zu mikro- skopischen Untersuchungen im Allgemeinen zumuthen kann. Beale’s Werk gehört unter das Beste, was in dieser Be- ziehung geleistet worden ist, eine deutsche Bearbeitung ist jedenfalls als zeitgemäss zu begrüssen. Das vorlie- gende Werkchen enthält eine Fülle zweckmässig beleh- render Mittheilungen. Wir heben, um die Behandlung zu zeigen, den Artikel über die Parasiten des menschlichen Körpers (und zwar die für den Arzt wichtigsten) hier aus, wobei wir die guten Holzschnitte bei jedem Gegen- stande weglassen. „Von den pflanzlichen Parasiten des mensch- lichen Körpers sind die wichtigsten, hier zu erwähnen- den: der Hefenpilz (Alge), Cryptococcus cerevisiae, der sich im zuckerhaltigen Harn, und auf den Schleim- häuten des ganzen Darmtractus entwickelt, also auch im Erbrochenen und in diarrhöischen Stühlen gefunden wer- den kann. Er zeigt sich in der Form runder oder ova- ler Zellen, die manchmal einen oder zwei kleine kern- artige, glänzende Körperchen enthalten, durch Sprossung sich zu Reihen von drei bis fünf Zellen bilden, aber nie cylindrische Stämme entwickeln. Wo sie mit Eiter- oder Epithelialzellen vielfach gemischt, und von ihnen verdeckt sind, muss man letztere zuvor durch Natronzusatz ent- fernen, um die Cryptococeuszellen deutlicher zu sehen. *) Ka Das Mikroskop und sein Gebrauch für den Arzt von Dr. H. Reinhard, Med.-Rth. Mit Zugrundeleg- ung des Werkes von Beale the Microscope and its appli- cation to clinical medicine. Mit 54 eingedruckten Holzschnit- ten. 8. 170 S. Leipzig und Heidelberg, Winter’sche Verl. 1857. 91 Da Aetznatron überhaupt die pflanzlichen Gebilde fast ganz unverändert lässt, die thierischen aber mit wenigen Ausnahmen aufhellt oder verschwinden macht, so ist diess ein werthvolles Mittel, um die ersteren reiner zu erhalten. Die Sarcina ventriculi (Merismopoedia ventri- ceuli), findet sich bekanntlich am häufigsten im Magen, oder vielmehr im Erbrochenen, doch hat man sie auch in Stühlen und im Eiter von Lungenabscessen gefunden. Aus der erbrochenen Flüssigkeit sammelt man sie durch Stehenlassen und mit der Pipette, wie die Urinsedimente, Sie besteht aus kubischen Massen kleiner Zellen, welche gewöhnlich zu 8, 16 oder 64 zusammengruppirt sind. Da sie sich beim Trocknen kaum verändern, kann man sie, nachdem man durch Natron die übrigen Stoffe mög- lichst entfernt, und letzteres durch wiederholten Wasser- zusatz weggewaschen hat, einfach auf das Objectglas auf- trocknen lassen, und sie mit einem aufzuklebenden Deck- glase bedecken. Leptothrix buccalis ist die Alge, welche sich fast auf jeder Zunge, als Parasit auf deren Epithel und eben so zwischen den Zähnen wachsend findet; sie ist daher sehr leicht zu beobachten, namentlich, wenn man sich einige Tage die Zähne nicht gereinigt oder von der Zunge, namentlich deren hinterem Theile den Schleim abschabt. Es sind halbdurchsichtige, fein granulirte, gelbliche Massen, die mit starren, stabförmigen, geraden Filamenten besetzt sind. Trichophyton tonsurans, die Pilzbildung, welche Herpes tonsurans begleitet, findet man, wenn man auf dem kahlen Fleck der Kopfhaut die 2 bis 5 Mm. weit hervorstehenden Stummeln der abgebrochenen Haare mit der Pincette ausreisst, und mit Wasser oder Aetz- natron befeuchtet unter das Mikroskop bringt; das Stück des Haarschaftes und der Wurzel ist mit den rosenkranz- förmig geordneten, oder gegliederte Zweige treibenden Sporen dicht durchsetzt. Die Sporen sind sehr klein, nur 0,003 — 0,010 Mm. lang und 0,003 — 0,004 Mm. breit. Microsporon mentagrophytes entwickelt sich bei Mentagra in der Wurzelscheide des Haares und wächst an der Aussenfläche des Haarschaftes empor, bis wo der- selbe über die Epidermislläche heraustritt. Die massen- haft sich bildenden Sporen, sowie die innen granulirten Filamente und ihre gabelig getheilten Aeste sieht man, wenn man die Barihaare mit der Pincette nahe an der Wurzel fasst und auszieht, und mit Wasser oder Aetz- natron befeuchtet unter das Mikroskop bringt. Microsporon furfur, der der Pityriasis versi- color angehörende Pilz, besteht aus traubenartig gedräng- ten Haufen stark lichtbrechender Sporen, von denen ge- schlängelte, sich mannichfach verästelnde und verfilzende, durchsichtige Fäden entspringen. Zur Untersuchung schabt man entweder nur die bräunlichen, oberflächlich pulverigen Flecke der Haut der Brust oder des Rückens 92 ab, und bringt das Abgeschabte (Pilzsporen und Fäden, Epidermisschüppchen, molecularer Detritus), mit Wasser unter das Mikroskop; oder um die ganze Bildung in besserem Zusammenhange zu sehen, legt man ‚auf eine afficirte Hautstelle. ein Vesicator, entfernt so bald wie möglich die abgelöste Oberhaut, reinigt deren untere Fläche, und untersucht die Pilzschichten, sowie ihr Ver- halten zur Epidermis, den Mündungen der Schweissdrü- sen und Haarbälge; oder sucht wohl auch nur die Pilz- platten im Zusammenhange mit der Staarnadel abzu- schälen. Das Achorion Schönleini, den Favuspilz un- tersucht man, indem man mit der Staarnadel ein Stück Favusborke aus der Hautdepression heraushebt, und mit Wasser befeuchtet, auf dem Objectglase zerzupft. Aus- serdem macht man sich verticale Durchschnitte durch dieselben. Man unterscheidet daran zwei Schichten, von denen die dünnere, weissliche und bröckelige innere die Thallusfäden, die freie dickere und gelbliche die Spo- ren und Sporidien enthält. Die instructivsten Objecte soll man erhalten, wenn man die Haare kurz abschnei- det, die alten Borken mit Seifenwasser und einer wei- chen Bürste entfernt, und die nachher frisch entstehenden Borken ablöst und untersucht. Das Oidium albicans, den Aphthenpilz, . sieht man leicht, wenn man die als Schwämmchen bekannten weisslichen, käsigen Platten von der Mundschleimhaut, ihrem gewöhnlichen Sitze, mit dem Finger oder einem Leinwandläppchen abkratzt, oder auch die sich selbst ab- stossenden Fetzen benutzt, und sie unter Wasser zer- zupft, und mit dem Deckgläschen durch einen stärkeren Druck sehr dünn ausgebreitet, mikroskopisch untersucht. Man sieht das Gewirre der Pilzfäden und Sporidien meist mit zahlreichen Zellen des Mundepithels vermengt, welche letztere sich durch Aetznatron entfernen lassen. Ausser den genannten Parasiten sind bekanntlich noch eine grös- sere Anzahl anderer Formen an und im menschlichen Körper gefunden worden, wegen deren Beschreibung aber auf Küchenmeister’s Werk über die Parasiten des Menschen, II. Abth. zu verweisen ist. Zur Aufbewahrung bringt man diese pflanzlichen Gebilde in luftdicht zu verschliessende Zellen oder ganz einfach blos zwischen zwei Gläser, und benutzt als Auf- bewahrungsflüssigkeit sehr verdünnten Spiritus oder Goad- by’sche Flüssigkeit. Von den thierischen Parasiten des Menschen sind ebenfalls nur die wichtigsten zu erwähnen. Taenia solium. Hat man einem Kranken den Bandwurm vollständig abgetrieben, und den Kopf, der gewöhnlich noch mit einem kürzern oder längern Stücke des Halses in Verbindung bleibt, aufgefunden und durch Abspülen vorsichtig gereinigt, so braucht man ihn nur mit Wasser auf das Objectglas zu bringen, mit dem Deck- gläschen zu bedecken, und durch einigen Druck so weit in die Breite zu dehnen, dass er durchsichtiger wird. 93 Man wird dann die doppelte Hakenreihe, Pigment, Kalk- körperchen, Saugnäpfe und oft auch die Wassergefässe deutlich erkennen. Es genügen für diese Haken schon geringe Vergrösserungen; die Hakentaschen, in welchen die Haken mit ihren Stielen inserirt sind, sieht man be- sonders deutlich, wo das Pigment sich reichlich findet. Die Haken selbst wird man selten vollzählig finden; meist fehlen einige oder selbst die Mehrzahl, und eben wegen ihres leichten Ausfallens hat man bei den Mani- pulalionen mit dem Kopfe grosse Schonung anzuwenden, und ihn überhaupt nicht lange im Wasser liegen zu las- sen. Gewöhnlich legt sich der Kopf so auf dem Object- glase, dass man den Hakenkranz mehr oder weniger im Profil sieht; will man ihn kreisförmig ausgebreitet ha- ben, so hat man den Kopf ganz dicht unter den Saug- näpfen abzuschneiden , und ihn mit Nadeln vorsichlig so zu wenden, dass er auf die Schnittfläche zu liegen kommt, eben so vorsichtig das Deckgläschen aufzulegen und ihn etwas platt zu drücken. Zur Aufbewahrung von Bandwurmköpfen eignet sich am besten die Gelatine. Sie werden dadurch zwar anfangs etwas trüber, hellen sich aber bald wieder auf, und sind nach 2—3 Tagen ganz durchsichtig geworden. Auch hier ist beim Einlegen ei- niger Druck auf das Deckglas anzuwenden, und zwar so lange, bis die Gelatine wieder fest geworden ist, damit das Object dünn genug zur Untersuchung mittelst stär- kerer Vergrösserungen werde. Ausserdem kann man auch Glycerin mit grossem Vortheil oder Goadby’sche Flüssig- keit u. s. w. benutzen. — Die Bandwurmglieder, nament- lich die untersten mit reifen Eiern, sind ebenfalls inter- essante Untersuchungsobjecte. Die Form und Verästel- ung des Eibehälters ist da am besten zu sehen, wo er mit Eiern gefüllt ist; nach Küchenmeister liegt eben in der Form und Verästelung des Uterus das bequemste Mittel, die Taenia solium von seiner T. mediocanellata zu unterscheiden, da der Kopf der letzteren ungleich schwe- rer zu erlangen ist, als der von der gewöhnlichen Band- wurmart. Zur Untersuchung bedarf es nur schwacher Vergrösserungen; es genügt hier schon eine Lupe. Man legt ein, oder besser einige zusammenhängende mit Eiern gefüllte Bandwurmglieder auf das Objectglas, deckt ein zweites darauf und drückt die Glieder platt. Sie werden dadurch, mit Ausnahme des Eibehälters, durchsichtiger, und letzterer lässt sich sehr leicht nach seinen Verzweig- ungen erkennen. Um diese Glieder aufzubewahren, be- nutzt man entweder ebenfalls Gelatine, oder man lässt sie auf das Objectglas auftrocknen. Man hat sie dabei gut auf demselben auszubreiten, und besonders darauf zu achten, dass keine Luftblasen zwischen ihnen und der Glasfläche zurückbleiben; um sie vor Staub zu schützen, stellt man sie unter einer Glasglocke an die Sonne oder einen warmen Ort zum Trocknen, und überzieht sie dann entweder nur mit einem farblosen Firniss, z. B. ätheri- scher Kopallacklösung,, oder tränkt sie mit Canadabalsam und legt ein hinreichend grosses Deckglas auf. — Die 94 Eier selbst erhält man beim Zerzupfen und Ausdrücken reifer Bandwurmglieder sehr leicht, und untersucht sie in Wasser. Um die sechshakigen Embryonen zu sehen, muss die dicke und bei T. solium noch mehr als bei T. mediocanellata undurchsichtige Eischale entfernt werden. Es gelingt diess, wenn man den Eiern Aetznatron zu- setzt und sie mit dem Deckglase dann zerdrückt; die Ei- schale zerbricht leicht und der nahezu kugelige Embryo mit seinen sechs Häkchen tritt heraus. Um die Gestalt der Häkchen genau zu sehen, bedarf es allerdings star- ker Vergrösserung, eine solche von 250 reicht dabei nicht aus. Dagegen sieht mai sie an den Embryonen anderer Bandwürmer, wie z. B. des Staars, schon bei die- ser Vergrösserung recht gut. Zur Aufbewahrung solcher Bandwurmembryonen hat man das Natron, durch welches man sie frei gemacht, entweder durch wiederholten Was- serzusatz auszuwaschen, oder durch eine Säure, ver- dünnte Salz- oder Essigsäure, zu neutralisiren. Man setzt dann etwas Weingeist oder Goadby’sche Flüssigkeit zu und bringt sie damit unter luftdichten Verschluss. Der Cysticercus cellulosae, der zweite Ent- wickelungszustand der Taenia solium, kommt bekanntlich auch im Menschen vor, doch hat man im Schweinefleisch ungleich häufiger Gelegenheit, ihn zu untersuchen, na- mentlich wenn man einen Fleischer zur Abgabe solchen Fleisches, dessen Finnigsein sie meist sorgfältig zu ver- heimlichen suchen, zu überreden vermag. Hat man der- gleichen Finnen erlangt, so öffnet man ihre Cyste mit der Scheere vorsichtig, hebt den Blasenwurm heraus, und sucht durch Druck den Kopf, der gewöhnlich in die Schwanzblase eingestülpt ist, herauszukehren. Es ge- lingt diess gewöhnlich leicht, wenn man mit dem Daniel’- schen Löffelchen oder einem ähnlichen Instrumente, oder selbst den Fingern erst durch Druck auf die Blase ein Stück des Halses herausstülpt, und in dem Maasse, als dieser weiter hervorkommt, mit dem Drücken vorrückt, bis endlich auch der Kopf, der als ein graulich durch- scheinendes Knöpfchen sich von dem weisslich trüben Ge- webe des übrigen Finnenkörpers unterscheidet, heraustritt. Die Untersuchung des Kopfes und Hakenkranzes geschieht hier ganz wie beim Bandwurm, und wird man letzteren in der Regel bei nicht zu unvorsichtiger Behandlung voll- zählig finden. Da wenigstens bei der Schweinfinne das Pigment nur in den seltensten Fällen sich am Kopfe fin- det, so kann man die Hakentaschen nur sehen, wenn man allen Druck beim Auflegen des Deckgläschens ver- meidet. Bei der Finne, die sich im Zellgewebe u.a. 0. des menschlichen Körpers findet, scheint die Anwesenheit des Pigments dagegen Regel zu sein, wenigstens habe ich noch keine menschliche Finne ohne dasselbe ge- sehen. Von den Echinococcusblasen sind nach Kü- chenmeister’s Untersuchungen *) zwei Arten zu un- *) Die Parasiten des Menschen. I. S. 139. 95 terscheiden. Bei der ersteren, dem Echinococcus scoli- cipariens, welche die Grösse eines Apfels selten über- schreitet, sprossen die Finnen unmittelbar von der Cy- stenwand, lösen sich allmälig ab und schwimmen in der Flüssigkeit der Cyste; sie haben 23—36 Häkchen, von denen die der ersten Reihe 0,034 Mm., die der zweiten 0,021—0,028 Mm. lang sind. Diese Art kommt beim Menschen sehr selten vor. — Die zweite Art, Echinococ- cus altricipariens, hat vielleicht dieselbe Vermehrung der Scolices an der Innenseite der Muttercyste, ausser dieser aber entwickeln sich von ihr aus auch die Tochtercysten, welche wiederum im Innern Scolices oder Enkelcysten u. s. w. entwickeln. Die Haken dieser zweiten Art sind zahlreicher (46, 52 und darüber), und kleiner, 0,021 Mm. in der ersten Reihe, und 0,018 Mm. in der zwei- ten Reihe lang. Sie erreicht eine viel ansehnlichere Grösse, bis zu der eines Kinderkopfes und darüber, kommt beim Menschen häufiger vor, und ist in Island in dem Grade endemisch, dass nach dem Urtheile Thor- stensen’s der siebente Theil der Bevölkerung daran leidet. Wo die Entwickelung von Tochter- und Enkel- zellen immer fortgeht, ohne dass es zur Bildung von hakentragenden Scolices kommt, entstehen die sogenann- ten Acephalocysten-Säcke. Die Untersuchungsweise ist sehr einfach. Man bringt etwas von der Flüssigkeit des Sackes mit den darin schwimmenden oder von der Innenwand abgeschabten Echinocoecen auf das Object- glas, und untersucht sie unter dem Mikroskop. In ganz frischen Exemplaren sind die Köpfe der Thiere meist eingestülpt, und man findet daher die Häkchen im Innern des Körpers, oder sie sind noch nicht entwickelt und fehlen daher ganz. Um die Scolices zum Hervor- treiben des Kopfes zu bringen, gibt Küchenmeister den Rath, die Mutterblase aufgeschnitten 12—24 Stun- den lang in ihrer Flüssigkeit liegen zu lassen, ehe man die mit dem Skalpellstiel abzuschabenden Scolices unter- sucht. Die Structur der Echinococcusblase sieht man leicht, wenn man ein Stück derselben trocknet, dann feine Vertikalschnitte davon macht und sie im Wasser wieder aufweicht. Da Tochter- und Enkeleysten der 96 Echinocoecen bisweilen durch Erbrechen, Stuhlgang, Urin, Auswurf ausgeleert werden, und darin nicht immer Sco- lices oder deren Häkchen sich finden lassen, so ist die Untersuchung der Wände solcher abgegangener Blasen von diagnostischem Interesse. Ihre fein lamellöse Struk- tur ist so charakteristisch, dass sie sehr leicht wieder erkannt wird, wenn man sie einmal gesehen hat. Die Distomen kommen im Menschen zu selten vor, als dass hier näher auf dieselben einzugehen wäre. Das Distoma hepaticum ist in den Lebergängen der Schafe so häufig zu finden, dass man es sich leicht vom Flei- scher mit Eiern verschaffen und zur mikroskopischen Un- tersuchung benutzen kann. (Schluss folgt.) Miscellen. Neurosen des Vagus kündigen sich besonders da- durch an, dass die Mittheilungen, welche das Gehirn von dem Zustande des Magens durch den Vagus erhält, verändert sind. Hyperästhesie des Vagus ist begleitet von Reizung des Magens, stärkerem Athembedürfniss, Anästhesie dagegen von Fressgier und minderem Gefühl der Athemnothwendigkeit. Auf beide Zustände folgt veränderte Blutbildung, Schwindel, Ohrenbrausen, Taubheit, Schmerz, Dyspnöe, epileptische, ka- taleptische, asthmatische Krämpfe, Zucker im Urin; man ge- braucht Argentumnitricum zur Abstumpfung der Nervenempfind- lichkeit, Nervina, Chinin, Alkalien, in der Recdnyalescenz Leberthran. (Med. Times. Sept. 56.) Das Oedema glottidis besteht nach Pitha (Prag) in einer Infiltration der Schleimhaut des Kehlkopfs an der oberen Stimmritze; die Infiltration kann serös, eiterig oder fibrinös sein; die erste zeigt sich als durchscheinende, blasse, weiche Geschwulst, die letzte dagegen als eine feste, dunkel- rothe Anschwellung, welche den Kehldeckel zurückdrängt und die Stimmritze verdeckt; die eiterige Infiltration kommt am häufigsten nach Typhus, Scharlach, Blattern u.s. w. vor. Ge- legenheitsursachen sind meistens nasskalte Witterung. Dia- gnostische Zeichen sind plötzliche Aphonie, Zusammenschnü- ren, Erstickungsnoth und alle Zeichen der Asphyxie. Die Behandlung verlangt zuerst Brechmittel (Ipecacuanha), Caute- risiren der Fauces häufig wiederholt. Einathmen comprimir- ter Luft (nach Pravaz), endlich ohne Verzug die Laryngo- tomie. (Prager Vierteljahrsschrift 1857. 2. Bd.) Bibliographische Neuigkeiten. W. — J. F. C. Hyde, The chinese Sugar Cane; its history, mode of culture, Manufacture of the Sugar ete. with re- ports of its success in differunt Portions of the United St. and Letters from distinguished Men. 12. Lond. 1 Sh. 6.d. A. Boue, Parallele der Erdbeben, der Nordlichter und d. Erd- magnetismus. 8. Comm. b. Gerold’s Sohn in Wien. '/ Thlr. 4. Schmidt, Die Baradlahöhle bei Aggtelek und die Lednica- Eishöhle bei Szilitze im Gömörer Comitate Ungarns. 8. Comm. b. Gerold’s Sohn in Wien. 8 Sgr. J. Kudernatsch, Geologie d. Banater Gebirges. b. Gerold’s Sohn in Wien. 1, Thlr. 8. Comm. IH. — C. Friedinger, Die Kulıpockenimpfung. 8. Gerold’s Sohn in Wien. 2 Thlr. E. H. B. Ritscher, Allg. Pathologie und Therapie, besonders vom Standpunkte der Naturheilmethode aus entworfen. 8. Hoffmann und Campe in Hamburg. 1 Thlr. F. Brefeld, Zur Rinderpest. 4. Comm. Gohorsky in Breslau. 1 Thlr. €. L. Sigmund, Südliche klimatische Kurorte. ler in Wien. !%, Thlr. H. Haeser, De cura aegrotorum publica a christianis oriunda. Diss. 4. Comm. Koch in Greifswald. 12 Sgr. 8. Braumül- Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena. Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. HERE. Band No%, Naturkunde. H. A. Pagenstecher jun., Ueber Milben, besonders die Gattung Phytoptus. — Miscellen. G. Hart- laub, Die Colius-Arten. — G. Hartlaub, Badende Strausse.. — Heilkunde. H. Reinhard, Das Auffinden der Parasiten in der ärztlichen Praxis. (Schluss.) — L. Schlager, Behandlung der Melancholia attonila. — C. G. Carus, Jod ein Gegengift des Woorara- und Schlangengiftes.. — Bibliographie. Naturkunde. Ueber Milben, besonders die Gattung Phy- toptus. Von Dr. H. A. Pagenstecher jun. (Heidelberg). Das Verdienst, in sechsfüssigen Milben die Larven achtfüssiger erkannt zu haben, gebührt Duges und Burmeister, aber mit ihnen würde man zu weit ge- hen, zu sagen, dass alle erwachsenen Milben vier Fuss- paare besässen. Es hielt nämlich Duges speciell die vierfüssigen Milben, welche zuerst Reaumur, dann Turpin in besonderen Gallen der Lindenblätter, andere Forscher in den Gallen anderer Blätter fanden, für Lar- ven, vermuthlich eines Tetranychus. Und noch in diesem Jahre glaubt Scheuten!) zu solchen vermeintlichen Larven die erwachsenen Zustände gefunden zu haben. Die von Dujardin schon 1851 gebrachte Widerlegung dieser Ansicht scheint nicht für ausreichend erachtet wor- den zu sein, wie sie auch in der That keine breiten Grundlagen hat ?). Die yom Verf. in der Absicht, die Berechtigung der von Dujardin mit dem Namen Phy- toptus bezeichneten Gattung zu prüfen, vorgenommenen Untersuchungen, bestätigten die Ansicht jenes Forschers vollkommen. Die vierbeinigen Milben dieser Gattung wachsen nicht zu achtbeinigen heran, sie sind in sich abgeschlossen. Die Aufmerksamkeit musste richten : sich auf drei Punkte 4) Troschel’s Archiv 1857. 1. 2) Die Verhandlungen der schlesischen Gesellschaft, in welchen v. Siebold 1850 eine Mitiheilung sowohl über das sogenannte Erineum brachte, als auch über kleine Milben, welche er für die Ursache dieser Krankheit der Blätter hielt, standen dem Verf. nicht zu Gebote. Aus dem Berichte von Carus ersieht ınan nicht, ob diess vierbeinige Milben waren, 1. Auf die Erkrankungen der Blätter, an denen sich die Milben finden. Es müssen nämlich nicht allein die nagelförmigen Gallen der Linden, und ähnliche oder mehr rundliche Pappeln, Weiden, des Faulbaums, als Wohnsitz der Milben mit zwei Fusspaaren betrachtet werden, son- dern auch die Flecken an der Unterseite der Blätter, welche von verschiedenen Arten der Gattung Erineum, Persoon, gebildet werden. Solche Flecken kommen an Blättern vor, welche Gallen besitzen und auch an gallen- freien Blättern derselben Bäume, aber gleichfalls an Pflan- zen, welche nirgends solche Gallen haben, so am Wein- laub. Ausserdem finden sich die Milben mit 4 Fusspaa- ren, wie schon Scheuten nachwies, an den schwarzen Brandflecken kranker Birnblätter, vermuthlich aber auch unter andern ähnlichen Verhältnissen. Da an den letzt- genannten schwarzen Flecken das abgestorbene Gewebe mit zahlreichen Pilzsporen und Fäden bestreut ist, so würde es für die Verhältnisse, unter denen die Milben leben, eine schöne Analogie sein, wenn in der That die mit dem Namen Erineum bezeichneten Bildungen auch als Fungen betrachtet werden könnten. Betrachten wir jedoch diese Bildungen, meist ein byssusarliges Gewirr von Fäden, genauer und vergleichen wir sie mit den Haaren, welche auf Stielen und an Blät- tern derselben und anderer Pflanzen normal gefunden wer- den, so finden wir die grösste Achnlichkeit mit diesen, wir finden vielleicht keine Eigenschaft an kraukhaften Vegetationen, die sich nicht auch hier oder da an ge- sunden Haaren nachweisen liesse. Zum Vergleiche unter einander legte der Verf. Abbildungen normaler Haare von verschiedenen Pflanzen, sowie diejenigen der krankhaften Produktionen auf den Blättern der Linde, des Weinlaubs, des Faulbaums und der wahren Schimmelvegetationen von kranken Birnblättern vor, zeigte auch die Gallen und die sogenannten Erineumarten an den Blättern selbst. Die 7 99 Fäden von den kranken Flecken an der Unterseite der Lindenblätter sind identisch mit denen, welche die spi- tzen Gallen dieser Blätter auskleiden, durchaus ähnlich, vielleicht nur mehr in die Länge gezogen, im Vergleich mit denen, welche man gewöhnlich in den Gallen der Blälter des Faulbaums findet. Von einer Breite von 0,03 Mm. und mehr, und von sehr verschiedener Länge, bil- den die meisten Fäden einen hohen Cylinder mit schwa- cher Wand, ohne Scheidewände, sie enthalten oft bei Wasserzusatz Luftblasen., die ältern ertheilen durch eine röthliche Färbung zuweilen ganzen Abtheilungen des Flecks ein feuriges Ansehen. Die kleinern, jüngern wurzeln im- mer noch mit‘ breiter Basis auf den Blattzellen und ha- ben einen krümeligen Inhalt, eingeschlossen von dickeren Wandungen. Alle sind am freien Ende geschlossen, gröb- lich zugespitzt oder abgerundet. Nie findet sich eine Spur von Fruktifikation, überhaupt ist die Verwandtschaft mit den Haaren an den Blattrippenwinkeln der Linde nicht zu verkennen. Mehrere Abweichungen bei entschiedener Achnlich- keit im allgemeinen Verhalten zeigen die Vegetalionen, welche die schmutzig-weissen Flecken an der Unterseite des Weinlaubs zusammensetzen. Die Breite ist ähnlich, bewegt sich nur in weiteren Grenzen. Die Fäden bilden jedoch in Zwischenräumen von 0,3 — 0,4 Mm. Absätze, an welchen sie knospenförmige Hervorragungen treiben, oder nach kolbiger Anschwellung umbiegen. Mit gleichen Anschwellungen wurzeln die Fäden in den Blattzellen, vielleicht findet man einzelne, welche, ohne verletzt zu erscheinen, an diesem kolbigen Wurzelende ohne Zusam- menhang mit dem Blatte sind. Scheidewände sind in den Fäden nicht selten. Die jüngern haben auch hier einen blassen, feinkörnigen Inhalt, die ältern sind hohl und werden braun. Sie enthalten oft zahlreiche Krystalle von verschiedenen Formen, welche die Ursache des san- digen Anfühlens der Flecken sind. Man findet häufig Zellen mit scharfem Rande und Kernen in dem Inhalte junger Fäden eingebettet, man findet deren auch frei zwi- schen Fäden. Sie erscheinen oval, oder keulenförmig, haben einen doppelten Contour, die Kerne sind einfach oder mehrfach, glatt oder granulirt. Man findet welche, die mehr nach einer Richtung hin zu einem blassen Hofe, wie durch Abhebung der Zellenwand ausgewachsen er- scheinen. Die Weingärtner wollten diese Erkrankung des Weinlaubes weit zahlreicher dort gefunden haben, wo mit künstlichem Guano gedüngt worden war, was sich in- dessen nicht bestätigte. Die Vegetationen von der Unterseite der Blätter des Faulbaumes sind ursprünglich auch von cylindrischer Ge- stalt, etwas weiter und kurz, handschuhfingerartig und vorn abgerundet. Sie wachsen dann aber nicht in die Länge voran, sondern das freie Ende bläht sich auf, bil- det Blasen oder Höcker nach den verschiedensten Richt- ungen, die alle hohl sind und in oder an welchen zu- 100 weilen auch kleine ovale Körner liegen, Sporen vergleich- bar. Im Alter werden sie ebenfalls gelblichbraun. Während es zulässig erscheint, in diesen Vegetatio- nen nur krankhaft veränderte Zellen der Wohnpflanze selbst zu sehen, welche gleich den Haaren frei auswach- sen und die vorfindlichen Sporen, falls die erwähnten Körperchen deren in der That sein sollten, für eine zu- fällige Beimischung zu halten, sind die Sporen und her- anwachsenden Pilze das Wesentliche an den kranken Birnblättern. Auf den schwarzen Flecken, ebenfalls von der Unterseite dieser Blätter ausgehend, finden sich Vege- talionen, jenen Byssusfäden vergleichbar, durchaus nicht. Dagegen finden wir spindelförmige oder ovale Sporen in allen ‘Stadien des Auswachsens zu Pilzfäden. Die spitzen Gallen selbst münden sowohl an der Linde wie am Faulbaume mit einem engen Kanale auf der Unterseite des Blattes. Sie sind beim Faulbaum viel weicher als bei der Linde, und sitzen mehr mit einem Stiele, nicht mit breiter Basis auf. Die blasig aufgetrie- benen Vegetationen von den Flecken findet man seltner in den Gallen des Faulbaumes selbst. Neben den spitzen Gallen der Blätter finden sich bei der Linde rundliche Gallen oder Blüthenstiele, besetzt mit Cynips- Larven. Klein, rund und weich und von rother Farbe waren einige wenige Gallen, die sich an den Blättern einer Weidenart fanden, und auch Exemplare von Phytoptus bargen. — 2. Alle diese Gallen enthielten ausschliesslich Mil- ben mit zwei Fusspaaren und deren Brut. Dieselben fanden sich gleichfalls an allen erwähnten Flecken, auf welchen dann neben ihnen einzeln und vorübergehend sich auch andere Milben und Aphiden bewegten. Aus dem Safte der zarten jungen Fäden oder dem reichlichen De- tritus zwischen denselben können die Milben gut ihre Nahrung ziehen. Da die Zahl der Milben nicht mit dem Umfange der Erkrankung im Verhältniss stand, so muss man, falls der giftige Biss der Milben auch ursprünglich Veranlassung zur Erkrankung geben sollte, doch später ein selbstständiges Fortwuchern der pflanzlichen Vegeta- tion annehmen. Die charakteristischen Eigenschaften die- ser Milben, also der Gattung Phytoptus, sind folgende: Die erwachsenen Thiere messen 0,101—0,245 Mm. an Länge und 0,033 — 0,060 Mm. an grösster Breite. Sie verschmälern sich rascher nach vorn, langsamer nach hinten und sind fast so hoch als breit. Der Körper zeigt in der Epidermis über hundert querüberlaufende Ringe und lässt meist durch seine dunkle Färbung die innere Organisation nur mangelhaft erkennen. Die Mund- theile stehen über den Rand des Körpers vor, sie sind nach unten und vorn gerichtet, zu einem Kegel ver- schmolzen. Angedeutet sind seitlich die unbeweglichen Falces, vielleicht (möglicherweise nur bei den Männchen) an der Unterseite zwei feine Taster, welche aber die an- dern Theile nirgends überragen. Die Beine sind in den 101 obern Gliedern stärker, sie gehen aus von einem Pan- zerbruststück, das nach hinten beiderseits ausgebogen in der Mitte sich zu einem Spiesse (wenigstens bei dem Phytoptus Rhamni) verlängert. Die Segmentirung der Beine ist undeutlich, wahrscheinlich sind nur sechs Seg- mente vorhanden. Beide Fusspaare sind gleich. Das letzte Glied endet in eine fast gerade Kralle, neben wel- cher zwei einfache Borsten und wenigstens zuweilen eine gefiederte stehen. Das vorletzte Glied trägt eine längere Borste. Die Beine sitzen ganz vorn, nie findet sich, auch nicht etwa weiter nach hinten gerückt, eine Spur von unentwickelten oder verkümmerten hinteren Fusspaa- ren. Der Körper ist in grossen Abständen, besonders “dicht vor dem Hinterende, mit spärlichen langen Haaren besetzt, welche auf einem Knöpfchen aufsitzen. Das Hinterende verbreitert sich wieder, um dann mehr rund- lich oder gerade abgeschnitten zu enden. Indem hier die obere und die untere Fläche des Körpers in je eine Lippe auslaufen, entsteht eine horizontale Spalte, in welcher Darm und wohl auch Geschlechtsorgane münden. Der Verdauungsapparat beginnt mit einem ovalen oder halb- kugeligen Magen und besteht weiterhin aus einem leicht geschlängelten Darm. Feinkörnige, drüsenähnlich grup- pirte Massen umgeben dieses System. Was die ge- schlechtliche Organisation betrifft, so findet man aller- dings Thiere, welche in sehr geringer Zahl die ovalen Körper enthalten, in welchen schon Dujardin Eier er- kannte. Aber während in diesen ein weiterer Einblick gehindert ist, findet man in andern Exemplaren einen grossen ovalen, mit kernhaltigen Zellen gefüllten Körper, einen Eierstock, einen ausführenden, gewundenen Schlauch, den Eihälter, der in eine mit seitlicher Ausstülpung, der Samentasche, versehene Vagina übergeht. Eine Sa- mentasche erscheint allerdings um so nöthiger, als nur eine geringe Zahl von Eiern gleichzeitig reift und doch die grosse Anzahl von Eizellen und beträchtliche Menge von Eiern, die man in Reihen oder Haufen zusammen- findet, wie von einem Thier herrührend, auf eine grosse Produktivität schliessen lassen. Schlanker gebaute, heller gefärbte Thiere können wohl als Männchen gedeutet wer- den. In ihnen liegt ein gleichfalls unpaarer, kleinerer und runder Körper, der Hoden; aus ihm führt ein Aus- führungsgang, der nur durch eine Anschwellung eine Sa- menblase bildet. Das Tracheensystem ist höchstens in schwachen An- deutungen zu erkennen. Was die Lebensweise des Phytoptus betrifft, so be- nutzt er zunächst seine beiden Fusspaare fast gar nicht zur Bewegung des Körpers, sondern nur mit grossem Geschick zur Heranführung von Nahrung zum Munde. Dagegen bewegt sich der lange Leib mehr wurmarlig, er krümmt sich zuweilen so ein, dass das Hintertheil das Vordertheil berührt. Eine Begattung wurde nicht mit Sicherheit beobachtet, einmal hafteten zwei Thiere der Art an einander, dass der Vordertheil eines jeden an 102 dem hintern Ende des andern befestigt war. Sollte viel- leicht vorher an die Taster gebrachtes Sperma auf solche Weise eingeführt werden? Unter den Byssusfäden und an dieselben geheftet liegen nun in grosser Zahl die Eier von kreisförmigem Querschnitt und ovalem Längs- schnitt, 0,038 —0,05 Mm. lang, 0,034 —0,04 Mm. breit, selbst bei derselben Art etwas schwankend in der Grösse. In ihnen sieht man Anfangs, von doppelten Contour umschlossen, einen Haufen kleinster Zellen, von welchem dann ein grösserer Theil zum Cephalothorax, ein kleinerer zum Abdomen umgewandelt wird. An jenem bilden sich aus rundlichen Höckern Mundkegel und Füsse, an diesem erkennt man bald die Spalte am ıHinterende, während das Innere mit einem Haufen klarer Zellen ge- füllt erscheint. Das kleine Thierchen liegt zusammenge- rollt im Ei, es sprengt die Schale, indem es sich streckt, ist dann 0,067 Mm. lang und 0,02—0,027 Mm. breit und frisst zunächst die in den Eihüllen etwa enthaltenen Reste. Beide Fusspaare sind gebildet, aber kürzer und noch undeutlicher gegliedert als im erwachsenen Zustande. Schon bei einer Länge von 0,08 Mm. kommt die erste Häutung. Es scheint ausser der sichern zweiten noch einer dritten Häutung zur Erreichung der Geschlechts- reife zu bedürfen. Während der Häutung liegen die Thiere still, die Beinchen angezogen. Zunächst zieht sich der Hinterleib von der Oberhaut zurück, so dass diese wie ein heller Saum übersteht, dann verlassen die Beine die alten Hüllen. Sieht man die Thierchen so, so kann allerdings der verkürzte Leib und die Anwesen- heit der alten Hüllen der Beine neben den eben frei ge- wordenen Beinen selbst den Irrthum hervorrufen, dass nun eine in Form und Zahl der Beine den andern reifen Milben gleiche Entwickelungsstufe vorliege. Indem so das gleichzeitige Vorkommen aller Entwik- kelungsstufen des Phytoptus, der Einblick gewissermaas- sen in den ganzen Lebenslauf der Thiere es nicht länger zweifelhaft erscheinen lassen, dass die Gattung als sol- che feststeht, bleibt es noch zu untersuchen, ob und welche Artverschiedenheiten diese Gattung bietet. Schon das Vorkommen an so verschiedenen Gewächsen macht die Artverschiedenheit wahrscheinlich und es können in der That Differenzen nicht verkannt werden, wenn sie auch zum Theil minutiös sind und vielleicht noch von de- nen gereinigt werden müssen, welche die verschiedenen Lebensperioden und Geschlechtsverschiedenheiten derselben Art mit sich bringen. Der Phytoptus pyri, welchen Dr. Pagenste- cher fand, ist die seltenere Form von Scheuten, ausgezeichnet durch dunkle, schwärzliche Färbung und seine vor Allen am stärksten doppeltkonische Gestalt. Der Phytoptus pyri ist selbst der kleinste und hat die klein- sten Eier. Bei Phytoptus vitis stehen die Mundtheile be- trächtlich weiter vor. als bei allen andern Arten; er ist Tr 103 am wenigsten gefärbt, von mittlerer Grösse und hat am zweiten Fusspaare die Federborste am deutlichsten. Etwas grösSer ist der so häufige Phytoptus ti- liae, welcher den Untersuchungen am meisten unter- worfen wurde, er ist gelbgrünlich bis bräunlich, die letz- ten Fussglieder sind stelzenartig dünn. Der Phytoptus Rhamni ist am braunsten und der grösste. Seine Beine sind stark und lang, die letz- ten Glieder etwas breiter. Diese vier Arten, ihre Eier und ihre Entwickelung wurden durch Abbildungen veranschaulicht. 3. Es wurde endlich den auf den erwähnten Pflan- zen, besonders Linde, Birnbaum, Faulbaum frei schwär- menden, achtbeinigen Milben nachgeforscht, um zu sehen, wie bei diesen die Entwickelung verlaufe. Es wäre eine gar angenehme Hypothese und es würde manche Analo- gie in der Naturgeschichte der Milben finden, anzuneh- men, dass die jungen Milben, eingebettet in reichliche Nahrung und unter dem Schutze, sei es der dichtverfilz- ten Rasen von Fäden, weder um Speise zu suchen, noch um Feinden zu entgehen, leicht beweglicher, zahlreicher Füsse bedürften, und erst später diese Füsse, entwickel- tere Fress- und Fangwerkzeuge, vielleicht Augen bekä- men, um nun die Verbreitung der Art an neue Orte sicher zu stellen. Aber auch bei den Nachforschungen über Entwickelung jener achtbeinigen Milben fand diese Annahme keinen Halt. Von allen Milben, welche auf den erwähnten Blättern leben, sind die Eier grösser als jene, aus welchen ein junger Phytoptus ausschlüpft und dort, wo Embryonen in ihnen bemerkt wurden, hatten sie sechs Füsse. Bei der Milbe, welche Scheuten als Flexipalpus tiliae aufführt, und von der es bei der Man- gelhaftigkeit älterer Beschreibungen und Abbildungen nicht möglich ist, zu sagen, ob sie wirklich neu ist, sind oft die Eier, selbst bis zu 0,14 Mm. Länge und von ovaler Gestalt, in grosser Zahl im Leibe zu sehen. In einzelnen Eiern erkennt man dann bereits im Mutter- leibe die Mundtheile und sechs Füsse des nicht aufgerollt liegenden Embryo. Ausgekrochen, 0125 Mm. lang, ist dann das Junge der Mutter sehr ähnlich und gleich sehr rasch in seinen Bewegungen. Der Verf. konnte hier eine Vermuthung nicht ganz unterdrücken, zu deren Entschei- dung erst umfassendere Untersuchungen über die Ge- schlechtseigenthümlichkeiten der Milben zu machen sind. Milben, dem Typhlodromus pyri, Scheuten, gleich oder nur ähnlich, finden sich auf dem Birnbaum, der Linde, dem Faulbaum, der Haselnussstaude. Während die grösseren Flexipalpus, die sich auch auf diesen Höl- „ern fanden, alle voll Eier waren, enthielten die soge- nannten Typhlodromus nur einen oder zwei ovale, mit Zellen gefüllte grössere Körper, die, von hellem Rande umschlossen. recht wohl für unpaare Hoden mit oder 104 ohne Samenblase gehalten werden konnten und die mit einem kleinen, nach vorn gerichteten Kegel in Verbind- ung standen, der an der Bauchfläche des Thieres eine enge Spalte umschloss. Diesem Kegel entsprach bei Fle- xipalpus genau in der Lage ein langer Schlitz umgeben von Falten, rosettengleich geordnet, welcher wohl ge- eignet war, die grossen Eier durchzulassen. Weiter zu- rück lag bei beiden Thieren der After. Die Unterschiede beider Thiere sind nicht so gross, vorzugsweise sind die bei Typhlodromus stets mit Scheeren ausgerüsteten Falces bei Flexipalpus abgestumpft, verkümmert, die Taster hier statt in fünf nur in drei, aber längere Glieder getheilt, die Saugscheiben der Füsse ganz schwach, die Krallen stärker entwickelt, die bei Typhlodromus nur angedeutet sind. Bau der Glieder, Lebensweise, Farbe ist jedoch sehr ähnlich, und man findet die Thiere ganz unter einan- der gemischt. Obwohl der Verf. durchaus sich noch nicht berech- tigt hält, zu behaupten, Typhlodromus seien nur Männ- chen, wahrscheinlich zu Flexipalpus, und es kämen ver- schiedene Unterarten dieser Art vor, so zeigt er doch namentlich am Sarcoptes der Maus, welcher Anfangs in der Haut in Nestern, reif aber an den Haaren seines Wohnthieres lebt, wie verschieden junge und alte Indivi- duen, Männchen und Weibchen derselben Milbenart sein können. Nachdem die Jungen dieses Sarcoptes zuerst das vierte Fusspaar nachträglich erhalten haben, gestal- ten sich später beim Männchen die zwei hintern Fuss- paare zu starken Kletterfüssen um, während beim Weib- chen die vordersten Füsse zu ganz kurzen, mit schweren Krallen bewaffneten Grabfüssen werden. So bewegt sich jenes behende an den Haaren auf und nieder, dieses ver- mag die Eier in die Haut einzubetten. (Verhandl. des naturhist.-med. Ver. z. Heidelberg.) Miscellen. Die bekannte Gewohnheit der Colius-Arlen, sich von Baumästen herabhängen zu lassen und sich so eine zeitlang in der Schwebe zu halten, hat nach J. Verreaux’s Beob- achtung häufig dergestalt statt, dass sich ein Vogel mit einem Beine aufhängt, ein zweiter sich herabhängend an das andere anklammert, ein dritter an das noch freie Bein des zweiten u.$. w. Verreaux sah mitunter Ketten von sechs bis sie- ben Individuen von einem Aste herabhängen. (Hartlaub, Ornithol. Westafrika’s.) Badende Strausse. Sehr merkwürdig ist, was Heug- lin vom Baden der Strausse im Meere erzählt. In den abyssinischen Küstenländern sieht man oft an heissen Tagen grosse Truppe an Sandbänken und flachen Ufern weit vom Lande entfernt stundenlang bis um den Oberhals im Wasser stehen. (Hartlaub, Ornithologie Westafrika’s.) 105 106 EHeilkunde. Das Auffinden der Parasiten in der ärztlichen Praxis. H. Reinhard (Bautzen). (Schluss.) Die Trichina spiralis ist bekanntlich ein un- reifer Nematode, der eingekapselt in den willkürlichen Muskeln des Menschen gefunden wird. Da seine Cysten so klein sind, dass sie dem unbewaflneten Auge leicht entgehen, ad da man so selten Veranlassung hat, bei Sectionen die Muskeln genau zu untersuchen, wird er ge- wiss oft nicht aufgefunden, wo er vorhanden ist. Hat man ihn erhalten, so präparirt man zunächst die Cyste unter dem einfachen Mikroskop frei, schneidet mit dem Skalpell die eine Spitze derselben (sie ist oval oder birn- förmig) ab, und lässt dann durch Druck den Wurm aus- treten. Wie Küchenmeister, der diess Verfahren angibt, bemerkt, braucht man dabei eine Verletzung des Wurmes nicht zu fürchten, indem derselbe immer in der Mitte der Cyste eng zusammengeringelt ruhig liegt. Die frisch aus der Leiche entnommenen Trichinen sind fast alle noch lebendig, und besitzen auch, wie Luschka gezeigt hat, eine beträchtliche Lebenszähigkeit. Es las- sen sich daher auch die Bewegungen des Wurmes gut beobachten. Von Dr. Den Trichocephalus dispar, den Küchen- meister als aus Fortentwickelung der Trichina spiralis entstanden annimmt, findet man bekanntlich im Blind- darm und oberen Theile des Dickdarms. Er ist so durch- sichtig, dass es einer besondern Präparation kaum be- darf. Zur Aufbewahrung dieses Wurmes, sowie der Tri- chinen und Oxyuren, wenn man sie eben als mikrosko- pische Objecte aufbewahren will, benutzt man am besten Goadby’sche Flüssigkeit oder eine einfache Kochsalz- lösung. Die Oxyuris vermicularis, den Madenwurm, findet man bekanntlich am reichlichsten bei Kindern im Stuhl, doch sind diess fast ausschliesslich Weibchen; die Männchen, die bisher nur sehr selten gesehen worden waren, hat Prof. Zenker in Dresden finden gelehrt, indem man nur den Schleim der Mastdarmhaut an solchen Leichen, wo sich überhaupt Madenwürmer finden, mit dem Scalpell abzustreifen, und auf einem Objectglase ausgebreitet mit der Lupe zu untersuchen hat, um die Männchen in grosser Zahl zu finden. Sie sind nur etwa den vierten Theil so lang als die reifen Weibchen, und an beiden Enden stumpf. Bei der Untersuchung vermeide man Zusatz von Wasser, indem sie dabei oft unförmlich aufquellen, und selbst stellenweise aufplatzen; besser ist Serum, Eiweisslösung oder eine der schon genannten Auf- bewahrungsflüssigkeiten. Der Spulwurm, Ascaris lumbricoides ist zu gross, als dass er an sich Gegenstand der mikroskopischen Un- tersuchung sein könnte; in Betreff der Anatomie desselben muss ich auf Küchenmeister’s Werk über die Para- siten verweisen. Pentastoma ferox hat zuerst Prof. Zenker in Dresden öfters an der Oberfläche der Leber unter dem Bauchfellüberzuge eingekapselt und verkalkt gefunden. Wegen dieses Zustandes lässt es sich nur sehr schwer unverletzt aus seiner Cyste herausheben, gewöhnlich zer- bricht es in mehrere Stückchen. Behandelt man dieselben mit Salzsäure, so löst sich der Kalk unter Gasentwickel- ung, die Fragmente werden durchsichtig, und deutlich erkennt man die eigenthümliche Struktur der Haut, wel- che mit Reihen von Stacheln dicht besetzt ist; am Kopfe lässt sich auch der von den reiferen Ezemplaren der Lin- guatula ferox unsrer grasfressenden Haussäugethiere be- kanntere Hakenapparat, der nach Küchenmeister’s Beobachtung bei der Fortbewegung dient, deutlich er- kennen. Den Acarus folliculorum, die Haarsackmilbe, erhält man durch Ausdrücken der Comedonen und Talg- drüsen der Haut, besonders im Gesicht, am leichtesten bei fetten Personen. Das Ausgedrückte schabt man mit dem Messer ab, breitet es auf einem Objectglase unter Zusatz von Oel aus, und bringt es unter das Mikroskop. Findet man darin keine Milben, so gelingt es nach Kü- chenmeister bisweilen noch, wenn man die bereits ausgedrüchten Hautstellen nochmals drückt, und dann wie- der eben so, wie angegeben, verfährt. Auch im Ohren- schmalze lassen sie sich finden, wenn man es mit Oel verdünnt. Sie sind bekanntlich sehr häufig, treten in verschiedenen Grössen auf: und haben bald sechs, bald acht Füsse. Den Acarus scabiei, die Krätzmilbe, zu finden, sucht man sich mit dem blossen Auge oder der Lupe einen grösseren Gang aus, der entweder von einem Bläs- chen beginnend eine kleine Strecke weit fortgeht und mit einem weisslichen Punkte endigt, oder mit keinem Bläschen im Zusammenhange steht. Da, wo der weiss- liche Punkt durch die Epidermis durchschimmert, sticht man mit einer gewöhnlichen oder Staarnadel, einer Lan- cette u. s. w. vorsichtig von der Seite her ein, hebt die Decke vom Gange weg und die frei gelegte Milbe her- aus. Bringt man sie auf einem Objectglase unter das Mikroskop, so kann man ihre Bewegungen beobachten. Zur Aufbewahrung dienen Canadabalsam, Gelatine und wässerige Aufbewahrungsflüssigkeiten; doch darf, wenn man eine der letzteren wählt, die Zelle, in welcher die Milbe aufbewahrt werden soll, nicht gar zu flach sein. 107 damit sie durch das aufzukittende Deckgläschen nicht zer- drückt werde. — Zur Beobachtung der Entwickelungs- geschichte der Milben, hebt man die Haut, da, wo sich Milbengänge finden oder vermuthet werden, zu einer Falte auf und trägt von ihr, nach Eichstädt und Hebra, mit der kleinen, gekrümmten Scheere, oder nach Gudden mit raschem Zuge mittelst eines feinen, scharfen Messers die Epidermis nebst der oberflächlichen Schicht der Cutis ab, was freilich etwas, immer aber nicht so, wie das Abtragen mit der Scheere, schmerzt. Eichstädt rieb an der zum Ausschneiden gewählten Stelle Tags zuvor grüne Seife ein, um eine geringe Ent- zündung und Exsudation zu erzeugen, welche den Gang etwas emporhebt und das Ausschneiden erleichtert. Das so abgetragene Hautstückchen breitet man, die Cutisseite nach oben, auf einer Glasplatte aus, lässt das Präparat etwas trocknen, wendet es dann um, und legt es unter den bekannten Vorsichtsmaassregeln in Canadabalsam. Man findet dann im durchsichtig gewordenen Gange ne- ben den Kothbällchen die Eier in verschiedenen Entwik- kelungsstufen. Die Männchen kann man nur mit der Lupe finden; sie sind nach Worms immer in der Nach- barschaft der Gänge, und schimmern durch die Haut, die nur geringe Reactionsspuren zeigt, als bräunliche Pünkt- chen hindurch. Hier muss man die Methode der Ab- tragung durch das Messer wählen *). In Betreff der Untersuchung der Parasiten, der pflanzlichen sowohl, als der thierischen, muss ich über- haupt auf Küchenmeister’s treffliches Werk verwei- sen. Ich habe eine grosse Anzahl der Küchenmeister- schen Präparate gesehen, und mir selbst, zum Theil von dem mir von K. freundlichst mitgetheilten Material, de- ren viele angefertigt, und muss die Zweckmässigkeit der von Küchenmeister angegebenen Präparativnsmetho- den bestätigen.“ Behandlung der Melancholia attonita. Von Dr. Ludw. Schlager (Wien). Im Beginne und während der acuten Periode der In- nervalionsstörung wirken alle psychischen Einflüsse erre- gend und steigern den Reizungszustand des Gehirns. In dieser Periode nützt alles Zureden und soge- nanntes Moralisiren nichts; es wird hierdurch die Erreg- ung nur gesteigert und der Krankheitszustand verschlim- mert. Gegen diese Thatsache der Erfahrung wird so häufig verstossen, da die Umgebung solcher Kranken in ihrer befangenen Anschauung über die Natur derartiger abnor- mer Zustände in der bereits ausgesprochenen Störung so häufig nur die Erscheinungen moralischer Abirrungen sieht, *, S. Küchenmeister, Parasiten. I S, 385. 108 in dem Resultate der gestörten Innervation nur Bosheit Eigensinn,, Starrköpfigkeit, Launenhafligkeit u. s. w. er- kennt, und dagegen mit der ganzen Wucht moralischer Strafpredigten, stundenlangem Hofmeistern u. s. w. an- dringt und hiedurch weiter nichts bewirkt, als eine Ver- schlimmerung des Krankheitszustandes und mitunter das Hervorrufen einer Abneigung des Kranken gegen seine Umgebung, so dass es gerade bei diesen Kranken nicht zu den Seltenheiten gehört, dass sie gegen Personen, die sie früher lieb hatten, lediglich aus diesen Ursachen einen mitunter heftigen Groll fassten und dieser ihrer Abneig- ung selbst durch Thätlichkeiten Luft machten. Einfacher, ruhiger Ernst, eiserne Consequenz selbst bis in die unbedeutendsten Kleinigkeiten, beharrliche Durchführung der bei diesem Zustand als zweckentsprechend erkannten Maassregeln, Meiden aller unnöthigen Besuche und Discussionen schienen in dieser Richtung das ent- sprechendste Verhalten der Umgebung gegen solche Kranke. Dass in dieser gemessenen Haltung der Arzt dem Kranken gegenüber jederzeit durchblicken lasse, dass diese nur in Absicht und zum Zwecke seiner Wiedergenesung so nolhwendig sei und geschehen müsse, versteht sich wohl von selbst. Für den Beginn der psychischen Anregung galt in gleicher Weise der Zeitpunkt, in welchem die Anregung der Innervationsthätigkeit überhaupt angezeigt erscheint, und auch in dieser Hinsicht handelt es sich vor Allem um ein methodisches Vorgehen, und gerade bei den Kran- ken mit Melancholia attonita kann sich der Arzt der Auf- gabe nicht entledigen, selbstthätig den methodischen Gang der ersten psychischen Anregung einzuleiten. Wer es je einmal versucht hat, derartige Kranke allmälig wieder in ihr gesundes Gedankengeleise hinein- zubringen, der dürfte wohl zur Ueberzeugung gelangt sein, wie gerade Kranke mit dieser Form der Melancholie das Einwirken des Arztes in Anspruch nehmen. Der Gang, der sich bei der Mehrzahl dieser Kranken bei Wiederanregung der Innervationsthätigkeit als der geeignetste zeigte, war der, dass man von der einfachen passiven Bewegung einzelner Muskeln und Muskelpartieen zu den activen Bewegungen derselben, und von diesen zu den einfachsten Lautäusserungen überging, Aussprechen einzelner Laute, Zählen im weiteren Uebergange zum Nachsprechen bekannter Worte und Sätze, zum Lesen, zur Lösung Jeichterer Rechnungsaufgaben u. s. f. und schliesslich zum weiteren Unterricht, besonders durch die Methode der Anschauung. Gerade bei dieser Form der Melancholie ist in der Periode der Reconvalescenz die psychische Anregung vom Belange, gleichzeitig in Verbindung mit zweckentsprechen- der körperlicher Diätetik, hauptsächlich Bethätigung der motorischen Thätigkeit durch leichtere Turnübungen, Schwimmen, Singen, Declamiren, Excursionen u. s. w. Die hieher gehörige Frage; „Soll man überhaupt und wann Kranke mit den Erscheinungen der Melancho- 109 lia attonita zur Behandlung in eine Irrenanstalt über- setzen?“ dürfte sich, wie ich glaube, in nachstehender Weise erledigen lassen. So lange die Störung noch im Stadium der einfa- chen Inneryationsstörung ohne Aufregungszufälle vortritt, in den häuslichen Verhältnissen keine anlässlichen Mo- mente der vortretenden Störung bestehen und der Aufent- halt in der Familie die Bedingungen bietet, die eine dem Zustande entsprechende consequente Behandlung ermög- lichen, dürfte der Kranke zur ferneren Behandlung in der Familie zu belassen sein. Sind dagegen die Fa- milienverhältnisse solcher Art, dass dieselben Einfluss auf die Entwickelung der Störung übten, traten heftige Auf- regungszufälle und andererseits insbesondere das Symptom der Abstinenz hervor, bietet der Aufenthalt in der Fa- milie nicht die Bedingungen und Garantie für eine con- sequente Durchführung der nothwendigen Maassregeln, erscheint die Uebersetzung in eine Anstalt absolut an- gezeigt. Pharmaceutische Behandlung. Nur in zwei Fällen, wo die Erscheinungen hoch- gradiger Hirncongestionen vortraten, kamen topische Blut- entzicehungen durch Blutegel an der Schläfegegend in An- wendung, mit theilweiser Erleichterung der Erschein- ungen. Von den brechenerregenden Mitteln wurde nur Tar- tarus emeticus in voller Gabe in einigen Fällen während vorhandener Aufregungsperioden angewendet. In ein paar Fällen versuchte man die Verabreichung eines Emeticums lediglich in der Absicht, um durch den Brechact die dem Respirationsacte dienstbaren Muskeln in Thätigkeit zu versetzen. Meiner Beobachtung zufolge bedurften solche Kranke keineswegs grosser Dosen brechenerregender Stoffe und wofern auf gewöhnliche Gaben keine Wirkung erfolgte, blieben auch höhere Gaben erfolglos. Für die Anwendung des Tartarus stibiatus in ekel- erregender Gabe dürfte sich bei der ohndiess gewöhnlich gestörten Verdauungs- und Ernährungsfunktion keine recht- fertigbare Indication entdecken lassen. Die Abführmittel spielten bei diesen Kranken eine sehr beliebte Rolle, und insofern es auf die Bethätigung der Muskelfaser des Darms abgesehen ist, um lebhaftere peristaltische Bewegungen zu bewirken oder verlegene Massen weiter zu schaffen, erscheint wohl deren Anwen- dung gerechtfertigt, da eben träge, angehaltene, hart- näckige, mitunter selbst absichtlich zurückgehaltene Stuhl- verstopfung in verminderter peristaltischer Bewegung theil- weise Begründung fand. Wenn in der acuten Periode der Störung speciell hyperämische Zustände vortraten, fanden Ableitungen auf den Darmcanal, besonders lösende Mittelsalze und Mine- ralwässer eine vorragende Anwendung. 110 Bei anämischen Zuständen und in der Reconvales- cenz nach Erschöpfungszuständen wurde eine stärkende Behandlung anfänglich durch die sogenannten bitteren Mittel, Quassia u. s. w. eingeleitet, bei specieller Indica- tion die milderen Eisenpräparate und in weiterer Folge China in Anwendung gebracht. Diese stärkende Behand- lung erwies sich von entschieden günstigem Erfolg. Bei vortretenden Hirnhyperämieen in Folge sehr ge- steigerter und verstärkter Herzthätigkeit und hiedurch bedingtem Zustand von Apalhie mit sogenanntem völligen Stumpfsinn erwiesen sich mehrfach von gutem Erfolg: Infusum Digitalis mit gleichzeitiger Ableitung auf den Darınkanal, Jodkali, Mineralsäuren. Von Ableitungen auf die Haut durch Vesicanzen sah ich nur bei leichteren Graden der Verstimmung in der acuten Periode der Störung eine merkliche Besserung ; bei höhergradiger Verstimmung konnte ich nicht bemerken, dass die Kranken aus ihrer Apalthie durch solche und ähnliche Hautreize herausgehoben wurden; namentlich er- wies sich nach meinem Dafürhalten die äusserliche An- wendung des Tartarus stibiatus in den von mir beobach- teten Fällen von Melancholia attonita von keinem anf- munternden Erfolge. Gegen Schlaflosigkeit und nervöse Erregbarkeit lei- stete das Opium und Morphium ganz erspriessliche Dienste, besonders bei anämischen Zuständen in Verbindung mit Chinin. Uebermässig grosse Gaben von Narcoticis zeigten sich nicht als nothwendig. In der Mehrzahl der Fälle zeigte sich eine Nacheur von lösenden oder eisenhaltigen Mineralwässern von gün- stiger Wirkung. Sectionsergebnisse. In zwei Fällen fanden sich die Erscheinungen des typhösen Processes im Darmkanal bei hochgradiger Anä- mie, in zwei anderen Fällen erfolgte die Erschöpfung in Folge weit gediehener Tubereulose. In keinem dieser Fälle zeigte sich ausser Blutarmuth des Gehirns und serö- ser Durchfeuchtung desselben ein sonstiger palbabler Ge- hirnbefund. In drei dieser Fälle fand sich gleichzeitig fettige Entartung des Herzens. (Oesterr. Zeitschr. für prakt. Heilk. III. Jahrgg. 1857 No. 27.) Jod ein Gegengift des Woorara- und Schlangengiftes. In diesen Tagen wurden dem Unterzeichneten von der, unter dem Namen „Smitsonian Institution“ zu Wa- shington in den Vereinigten Staaten Amerika’s bereits vor einer Reihe von Jahren entstandenen Academie der Wis- senschaften der 8., 9. und 10. Band ihres jährlichen, dem Congress vorgelegten Berichts (annual Report of the Board of Regents) nebst mehreren interessanten und schön ausgestatteten paläontologischen Arbeiten aus Wa- 111 shington und Philadelphia zugesendet, und bei der nähe- ren Durchsicht dieser Sendung fand sich im 9. Bande jener Berichte (erschienen Washington 1855) eine Ab- handlung eines Dr. David Brainard aus Chicago in Ilinois „über Natur und Behandlung des Bis- ses giftiger Schlangen und vergifteter Pfeil- wunden“, welche mir einer schnelleren und allgemeine- ren Bekanntmachung deshalb werth scheint, weil sie viel- leicht auch für Behandlung des Tollen-Hunds-Bisses der- einst einige neue Gedanken darbieten könnte. Ein kur- zer gedrängter Auszug aus derselben sei daher sogleich hier mitgetheilt, um baldigst das Wichtigste davon zur Kenntniss vieler Aerzte zu bringen; es mögen dann bald geeignete Fälle benutzt werden, um weitere Erfahrungen und Versuche in dieser Beziehung anzustellen. — Dr. Brainard verbreitet sich aber in obiger Abhandlung zuerst über Gifte überhaupt, geht dann über auf das Gift der Klapperschlange und das amerikanische Pfeilgift (Woorara), von welchem er, gestützt auf Thatsachen, gegen A. v. Humboldt und Schomburgk behauptet, dass es ebenfalls mit Klapperschlangengift vermischt sei, und führt darüber mehrere Facta an, die zum Theil auch schon durch Rengger’s und Anderer Arbeiten bekannt waren. Was dagegen das Eigenthümliche seines Aufsatzes betrifft, so besteht es in den Resultaten einer Reihe von mehr als 100 Versuchen mit Wooraragift und ungefähr 60 mit Klapperschlangengift, welche an Tauben, Hunden, Katzen, Kaninchen und Guinea-Schweinen von ihm und Dr. Morfit angestellt worden sind, aus welchen sich eine sehr merkwürdige und bisher noch nicht gekannte Eigenschaft des Jod ergab, als ein entschiedenes Gegengift sowohl des Klapper- schlangen- als Wooraragiftes zu wirken. Die schnell tödtliche Wirkung des Klapperschlangen- giftes ist bekannt. Von dem Wooraragift fand Brai- nard ! Gran in Auflösung unter die Haut einer Taube eingespritzt, in 5 Minuten ebenfalls tödtlich. Bereitete er nun eine Lösung von 10 Gran Jodine und 30 Gran Jodkali in einer Unze destillirten Wassers und vermischte dann 20 Tropfen dieser Auflösung mit dem aufgelösten 4 Gran Woorara und spritzte nun diese Mischung unter die Haut einer Taube, so blieb das Thier völlig gesund. Dasselbe erfolgte, wenn er erst das Gift einspritzte, dann einen kleinen Schröpfkopf leicht aufsetzte und hier- 112 auf durch dieselben Kanüle etwas obiger Jodine-Lösung einspritzte. — Ferner: er machte einer Taube eine Liefe Muskelwunde und bedeckte hierauf diese Wunde mit einer Pasta von Woorara und Wasser, worauf in 5 Minuten das Thier starb; sodann wiederholte er dasselbe Experi- ment an einem andern Thiere, wusch aber die Wunde mit der Jodine-Lösung und keine üble Folge trat ein. Während also nach Fontana’s älteren Versuchen über das Viperngift weder Alkohol noch Oel, noch Mine- ralsäuren und Alkalien, noch Höllensteinlösung und Am- monium, wenn sie nicht in ätzender Form (so dass sie das organische Gewebe des verletzten Theiles zerstörten) mit dem Gift vermischt wurden, die tödtlichen Wirkungen des letztern schwächten und Brainard selbst sich über- zeugte, dass Klapperschlangengift durch Vermischung mit Alkohol, Terpentinöl, Höllensteinlösung und Ammonium durchaus nichts von seiner todbringenden Eigenschaft verlor, zeigte sich eine Lösung von Jodine und Jodkali stets als die Wirkung des Klapper- schlangengiftes sowohl, als des Woorara- giftes völlig neutralisirend, so dass es sich also nun als wichtigste Regel der Behandlung solcher Wun- den darstellt: 1) den verletzten Theil sofort mit jener Jodlösung zu waschen und Schröpfköpfe über die Wunde aufzusetzen und durch Unterbinden des Gliedes Aufsaug- ung möglichst zu hindern, 2) wenn die Wunde tief ist oder bereits Aufsaugung eingetreten ist, nahe bei dem aufgesetzten Schröpfkopfe jene Auflösung unter die Haut zu spritzen und durch Reiben sie daselbst möglichst zu vertheilen. So weit Dr. Brainard! Es wäre für uns daher gegenwärtig zuerst durch Impfversuche mit Wuthgift an Thieren die Probe anzustellen, ob Neutralisation desselben durch Jodine und Jodkali in ähn- licher Weise gelänge, wie bei Schlangen- gift? und dann weiter nachzuforschen, ob hieraus sonstige Anwendungen jener Erfah- rungen gegen die fürchterlichen, bisher so schwer zu besiegenden Folgen des Bisses wüthender Thiere entnommen werden könnten? Dresden, den 26. Juni 1857. Dr. C. G. Carus, Geh. Med.-Rath. Bibliographische Neuigkeiten. N. — F. W. Rocco, Die natürliche und künstliche Bewegung des Körpers. Comm. b. Brenner in Halle. %, Thir. J. €. Nott and @. R. Gliddon, Indigenous Races of the Earth or, New Chapters of ethnological Inquiry, Including mono- graphs ou special departments of Philology, Iconography, Cranioscopy, Palaeonthology, Pathology, Archaeology, Com- paraliveGeography and NaluralHistory contributed by Alfr. Maury, FrancisPulszky and J. Aitken Meigs MD. 4. With plates and Maps. Philadelpiia (London). 36 Sh. MH. — V. Stoeber, Nouvelle excursion medieale en Allemagne. Prague, Vienne; Reunion des naturalistes et medecins alle- mands en 1856 Trieste, Venise, Munich. Leitres adressees ä M. le prof. Tourdes. 8. 43 p. Strasbourg. A. Postl, Verzeichniss der anatomisch - pathologischen Präpa- rate des Museums der K. B. Thierarzneischule zu Mün- chen. 3. Aufl. 8. Comm. Litt.-Art. Anstalt zu München. 1/, Thlr. i Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena, Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. BEE Band N%8, Naturkunde. J. Czermak, Ueber die Klapper der Klapperschlange. — Miscellen. Schaffgotsch, Chemische Harmonika. — Beer, Ueber das Ausstreuen der Samenkörner der gestielten Orchideen. — Heilkunde. Nückel, Behandlung des Delirium tremens. — H. W. Berend, Ueber Lähmungen. — v. Dusch, Ueber Schimmelbildung in der menschlichen Lunge. — Bibliographie. Naturkunde. Ueber die Klapper der Klapperschlange.') Von Prof. J. Czermak (Krakau). Als Material zur vorliegenden Untersuchung dienten mir zwei wohlerhaltene (circa 3 wiener Fuss lange) Spi- riiusexemplare von Crotalus durissus L. aus Brasilien, welche ich im k. k. Universitätsmuseum in Graz vorfand, und das Endstück einer Schwanzwirbelsäule sammt Klap- per, welches mir der verstorbene Custos Dormitzer in Prag vor mehreren Jahren überlassen hatte. Alles, was ich in der Literatur. über den Gegen- stand meiner Untersuchung auffinden konnte, reducirt sich auf ein in’s Englische übersetztes Citat aus Lacepede’s Hist. nat. des Serpens?) in Todd’s Cyclopaedia (Part. XXXH, art. „Reptilia“ by R. Jones pag. 324), auf eine sehr mangelhafte Beschreibung von C. G. Carus (Erläuterungstafeln zur vergleichenden Anatomie, Heft II, 8. 11) und auf einige weder ausreichende, noch durch- gehends richtige Bemerkungen von Leuckart (siehe dessen Anatom.-physiolog. Uebersicht d. Thierreichs, 1855, S. 429). Ich glaube daher nicht, dass die folgenden Mitthei- lungen überflüssig oder unwillkommen sein werden. Das seltsame Instrument, vermittelst welches die Klapperschlangen jenes eigenthümliche, ihre gefährliche Ge- genwart schon von Weitem verrathende Geräusch hervor- bringen, ist bekanntlich ein aus mehreren hohlen, lose 4) Eine kurze vorläufige Nolizg über denselben Gegen- stand habe ich früher in der cechischen, von Purkynje ve- digirten Zeitschrift „Ziva“*, 1852, Jahrg. I, N.4, S. 29 ge- geben. x 2) Lacepede’s Original, sowie Vosmaer’s: „Be- schrijv. van eene Surinaamsche ratelslang‘, 1768, konnte ich mir nicht verschaffen. in einander gefügten Gliedern zusammengesetztes Epider- moidalgebilde, welches von der die Schwanzspitze über- kleidenden Haut abgesondert und durch die Muskulatur des Schwanzes mittelbar in Vibrationen versetzt wird. Ich werde der Reihe nach 1) die Schwanzwirbel- säule, 2) die Muskulatur derselben, 3) die Cutis, und endlich 4) die Klapper selbst betrachten, über deren Ent- wickelung sich aus den anatomischen Daten einige Schlüsse ergeben, die mir für Morphologen und Physiologen von gleich grossem Interesse zu sein scheinen. 1) Von der Schwanzwirbelsäule. Die Schwanzwirbel besitzen vorn eine sphärisch con- cave Pfanne, hinten einen kugeligen Gelenkskopf, ferner zwei vordere nach oben gerichtete und zwei hintere nach abwärts gekehrte Gelenkfortsätze. Seitlich tragen sie an- sehnliche Querfortsätze, welche ich an den fünf ersten Wirbeln jederseits doppelt, vom sechsten an, wiewohl an- fangs noch mit deutlichen Spuren der Verwachsung, ein- fach fand. In Bezug auf die Deutung dieser Fortsätze ist es bemerkenswerth, dass die letzte Rippe aus zwei über einander liegenden Stücken, einem längeren unteren und einem kürzeren oberen, wie zusammengewachsen erschien. Es ist übrigens bekannt, dass bei vielen Schlangen die letzte oder die letzten Rippen sogar gabelförmig gespal- ten vorkommen. Die oberen Bogenschenkel und Dornen sind, wie ge- wöhnlich, in der Richtung von vorn nach hinten etwas verbreitert. Die sogenannten unteren Dornen, welche an den übrigen Wirbeln einfach sind, spalten sich hier allmälig in zwei platte Fortsätze (ungeschlossene untere Bogen- schenkel), die bis zu ihrer völligen Trennung immer wei- ter aus einander rücken. Schon an den letzten Brust- be) 115 wirbeln erkannte ich deutlich die Spaltung. Die letzten Schwanzwirbel erscheinen zu einem conischen, von beiden Seiten zusammengedrückten, in zwei abgerundete, mehr oder weniger getrennte Spitzen — eine obere und eine untere — ausgezogenen Knochen- stück verschmolzen, welches ich den „‚Endkörper der Wirbelsäule“ nennen will. An diesem Endkörper, der beinahe wie eine einfache Exostose aussieht, bemerkt man doch noch so deutliche Spuren jeder einzelnen Wirbel, aus deren Verschmelzung er hervorgegangen ist, dass man die Zahl derselben mit ziemlicher Sicherheit ermitteln kann. Nach Leuckart besteht der Endkörper aus den drei letzten Schwanzwirbeln; ich zählte aber an meinen Exemplaren 7—8 verwachsene Elemente. Diese Diffe- renz, welche sehr auffallend ist, erklärt sich vielleicht ganz einfach aus der Verschiedenheit entweder des Alters oder der Species der von uns untersuchten Thiere. Der von den oberen Bogen gebildete Wirbelkanal für das Rückenmark setzt sich weit in den Endkörper hinein fort und lässt daselbst nach seiner Eröffnung von innen betrachtet Rudimente von Intervertebrallöchern deut- lich erkennen, so dass sich das Rückenmark ohne Zweifel bis in den Endkörper erstrecken wird. Unterhalb des Wirbelkanals findet man im Endkör- per einen zweiten Kanal, welcher durch die von unten her mit wuchernder- Knochenmasse geschlossenen (Quer- fortsätze und unteren Bogenschenkel der verschmolzenen Wirbel gebildet wird und wahrscheinlich zur Aufnahme von Blutgefässen bestimmt ist. Betrachtet man die nach vorn gerichtete Basis des Endkörpers, so sieht man in der Mitte eine kleine sphä- risch concave Gelenkfläche, über derselben die Oeflnung des Wirbelkanals, unter dersclben die des Gefässkanals (2). Nebst dem Endkörper zählte ich an einem Exemplar 25 freie Schwanzwirbel. 2) Von den Muskeln. Die Muskulatur des Schwanzes, welche aus drei in mehrere Züge und Schichten zerfallenden Hauptmassen — zwei seitlichen oberen, zwischen den Dorn- und Querfort- sätzen gelegenen, und einer unteren, den Raum zwischen den Querfortsätzen beider Seiten einnehmenden — be- steht, zeigt nichts Abweichendes in ihrer Faserung und Anordnung. Hervorzuheben ist nur, dass sie verhält- nissmässig sehr kräftig entwickelt erscheint, aber nicht weiter als bis an den Endkörper der Wirbelsäule, an wel- chen die Cutis unmittelbar festgewachsen ist, reicht. Die Muskeln versetzen daher eigentlich nur die Schwanz- wirbelsäule sammt dem Endkörper in überaus rasche zit- ternde Bewegungen; allein diese theilen sich der am End- körper befestigten Klapper mit, deren einzelne Glieder sich dann gegenseitig erschüttern und an einander reiben, wodurch ein ganz eigenthümliches Geräusch entsteht; und so bilden denn die Schwanzmuskeln den activen Theil Tendenz zu dieser 116 des Schall erzengenden Apparates, ohne doch mit dem pas- , siven Theil desselben, der Klapper, in unmiltelbarem Zu- sammenhange zu stehen. 3) Von der Cutis. Die Cutis, welche die Epidermis absondert, über- zieht die Muskulatur des Schwanzes und den Endkörper der Wirbelsäule. An letzterem wächst sie, wie erwähnt, unmittelbar fest, indem sie sich beträchtlich verdickt. Diesen verdickten Hautüberzug des Endkörpers müssen wir genauer betrachten, weil er die ganze Klapper trägt und die einzelnen lieder derselben absondert. Er ist kegelförmig und seitlich zusammengedrückt, wie der von ihm eingeschlossene Knochenkern. Ihn theilen zwei tiefe ringförmige Furchen in drei quere Anschwellungen, wel- che, von vorn nach hinten an Grösse abnehmend, durch seitliche Längsfurchen in je zwei unsymmetrische Hälften, eine obere und eine untere, zerfallen. Das etwas schwammige, aber doch ziemlich dichte Gewebe!) dieser Hautverdickung besteht einfach aus dün- nen verülzten Bindegewebslasern und erscheint auf dem Durchschnitte fast rein weiss, obschon die mikroskopische Untersuchung einzelne ramifieirte Pigmentzellen überall nachweist, die sich freilich erst gegen die Oberfläche hin so sehr anhäufen und mit compacten rundlichen Zellen- formen untermischen, dass die äusserste Schicht der Cu- tis ganz dunkel gefärbt wird. Ausser den Pigmentzellen habe ich daselbst in dem Stroma der Bindegewebsfasern noch recht zahlreiche mikroskopische Nerven- und Gefäss- stämmchen eingebettet gefunden; elastische Elemente wur- den dagegen gänzlich vermisst. Noch bemerke ich, dass die Cutis, ehe sie sich zum Ueberzug des Endkörpers verdickt, einen tiefen Falz bil- det, der von den letzten Hautschuppen überragt und be- deckt wird. 4) Von der Klapper. Leuckart hat offenbar Recht, wenn er sagt: „Den neugeborenen Individuen wird die Klapper ohne Zweifel fehlen. Statt der Klapper besitzen diese am hin- teren Schwanzende gewiss nur einen einfachen hornigen Ueberzug, der nach vorn unmittelbar in die Schuppen- haut übergeht, selbst aber der Schuppen entbehrt und wie eine tubenförmige Kappe die Spitze des Schwanzes bekleidet.“ Bei ausgebildeten Thieren besteht jedoch die Klap- per aus mehreren (bis 20 ja 40 [2]) hohlen, hornigen 4) Carus sagt (a. a. O.): „Anstatt nämlich, dass an den übrigen Theilen des Rumpfes die Hornringe des Haut- skelets auf gewöhnliche Weise um das mit Muskelfleisch um- gebene Nervenskelet und «die von ihm umschlossenen Einge- weide entstehen, findet sich um den letzten Schwanzwirbel (?) blos eine Anhäufung einer wallrathähnlichen (2?!) weiss- lichen Masse, und diese, in ihrer Mitte eingekerbte Substanz ist nun gleichsam der Kern, um welchen die Schale des Haut- skelets dergestalt sich bildet, dass .....* Pu} 417 Gliedern, welche auf eine eigenthümliche Weise lose, aber sicher an einander hängen, — und hat eine pyramidale, von beiden Seiten zusammengedrückte Gestalt, so dass man an ihr eine rechte und eine linke, je mit einer Längsfurche versehene Seitenfläche; einen obern, dem Rücken des Thieres, und einen untern, dem Bauche des Thieres entsprechenden Rand, eine nach hinten gerich- tete Spitze und eine nach vorn gekehrte, über das Schwanz- ende gestülpte Basis unterscheiden kann. Die einzelnen Glieder nehmen gegen die Spitze der Klapper an Grösse ab und sind im Allgemeinen dünn- wandige, aus einer trocknen, scheinbar homogenen, manch- mal von natürlichen Lücken durchbrochenen Hornmasse bestehende Stücke von seitlich abgeplatteter, conisch- mützenförmiger Gestalt und verengter Basalöffnung,, wel- che als genaue Abdrücke der jeweiligen Form der Haut- verdickung des Endkörpers durch zwei quere ringförmige Einschnürungen — eine obere (hintere), breitere, und eine untere (vordere), schmalere — in drei Ausbuchtun- gen zerfallen, die nach oben (hinten) an Grösse abneh- men und durch eine auf jeder der beiden Seitenflächen befindliche Längsfurche in je zwei nicht ganz congruente Hälften getheilt werden. Diese Asymmetrie der Hälften, auf deren Folgen ich noch zurückkomme, ist jedoch we- niger durch die Lage der Längsfurchen, als vielmehr durch die Form der Ausbuchtungen selbst bedingt, indem dieselben an der, dem Dorsalrande der Klapper entspre- chenden schmalen Seite der Glieder näher an einander rücken und niedriger sind, als an der entgegengesetzten. Die beschriebenen Glieder sind nun so in einander gefügt, dass jedes folgende Glied die mitllere und die obere (hintere) Ausbuchtung des vorhergehenden Gliedes in seine untere (vordere) und mittlere Ausbuchtung auf- nimmt, und dass somit an der unverletzten Klapper nur die untersten (vordersten) Ausbuchtungen der Glieder frei zu Tage liegen !). Oeflnet man daher an einer Klapper eine der frei zu Tage liegenden Ausbuchtungen, so findet man darin die zweite oder mittlere Ausbuchtung des vorhergehenden Gliedes eingeschlossen, und öffnet man diese, so sieht man die dritte oder Endausbuchtung des zweilnächsten Gliedes hereinragen. Trotz dieser dreifachen Ineinanderschachtelung be- halten aber die verbundenen Glieder Spielraum genug, um sich innerhalb gewisser Grenzen nach allen Richtun- gen gegen einander zu verschieben; auch kann eine Flüs- sigkeit leicht zwischen und in die Glieder eindringen, wo- durch dann natürlich die Vibrationen derselben so behin- dert sind, dass die Schlangen fast gar kein Geräusch mehr hervorbringen können und bei feuchter Witterung besonders gefährlich sein werden. 4) Beiläufig bemerke ich, dass die unbedeckten Theile der Glieder an den von mir untersuchten Klappern eine glalte glänzende Oberfläche halten, während die bedeckten meist wie mattgeschliffenes Glas aussahen. Erstere waren zugleich an einem Exemplare weit dunkler gefärbt als letztere. 118 Dass die verbundenen Glieder nicht aus einander fallen können, liegt hauptsächlich an ihrer verengten Ba- salöffnung, deren etwas aufgebogener Rand tief in die kreisförmige Einschnürung zwischen der ersten und zwei- ten Ausbuchtung des vorhergehenden Gliedes eingreift und vorspringt. Fasst man eine Klapper an ihrer Basis und hält sie horizontal, indem man zuerst einen und dann den andern schmalen Rand nach oben kehrt, so macht sich eine auffallende Verschiedenheit des Grades der Verschiebbarkeit der Glieder bemerkbar, welche, von jener oben erwähnten Asymmetrie der Ausbuchtungen herrührend,, leicht dazu benutzt werden kann, zu bestim- men, welcher der dorsale, welcher der ventrale Rand ei- ner vom Thiere abgelösten Klapper sei (obwohl man diess auch schon an jedem einzelnen Gliede leicht erken- nen kann). Kehrt man nämlich den Dorsalrand nach oben, so ist die Axe der Klapper nahezu eine gerade Linie, sieht aber der Ventralrand nach oben, dann krümmt sich die Axe beträchtlich nach abwärts, weil eben die Glieder an diesem Rande aus den angegebenen Gründen in ihrer Ver- schiebbarkeit weniger limitirt sind. Alle von mir untersuchten Klappern liessen deutlich erkennen, dass ihre eigentlichen Endglieder verloren ge- gangen waren — bis auf eine, die mit einem Gliede endete, welches nur eine, und zwar seichte quere Ring- furche zeigte. Ich glaube dieses für ein richtiges End- glied halten zu dürfen, weil es eine durchaus glatte glän- zende Oberfläche und dunklere Färbung hat, wie die zu Tage liegenden Theile der übrigen Glieder, welche Be- schaffenheit die zufällig entblösten versteckten Theile der- selben wohl niemals erhalten mögen, und weil es so ge- staltet ist, dass es scheint, als ob es immer untauglich gewesen sein müsste, einem weiteren Gliede sichern Halt zu gewähren. Damit soll aber nicht etwa gesagt sein, dass ich jenes Glied für den embryonalen, aus dem Ei mitgebrachten Ueberzug der Schwanzspitze halte, denn es ist recht gut möglich und sogar wahrscheinlich, dass die Hautverdiekung des Endkörpers ihren epidermoidalen Ueberzug erst einige Mal (wie die übrige Haut durchs ganze Leben) spurlos verliert, ehe es zur Bildung von eigentlichen, sitzenbleibenden Klappergliedern kommt. Hinsichtlich der Bildungsweise der Klapper kann man nun aus den mitgelheilten anatomischen Thatsachen Folgendes zum Theil mit Sicherheit, zum Theil mit Wahr- scheinlichkeit schliessen: 1) Jedes einzelne Glied bildet sich als härterer, epi- dermoidaler Ueberzug auf der Hautverdickung des End- körpers und trennt sich später, gleich der übrigen Epi- dermis, von der secernirenden Unterlage ab. Es ist klar, dass, da jedes Glied der genaue Abdruck der Form jener Hautverdickung sein muss, aus der Form und Grösse der Glieder auf die verschiedenen Gestalten, welche diese letztere, während des Wachsihums des Thieres und der g* 119 N Bildung der Klapper, successive angenommen hat, zu- rückgeschlossen werden darf. Dieser successive Gestalt- und Grössenwechsel der Hautverdickung kann nun offenbar nicht bloss darin be- stehen, dass nach vollendeter Absonderung eines Gliedes die ihm entsprechenden drei Anschwellungen der Haut- verdickung einfach jene Formen annehmen, welche dem neu abzusondernden Gliede entsprechen, denn dann müss- ten die jüngeren, grösseren Glieder die älteren, kleineren zersprengen, und würde es niemals zur Herstellung einer Reihe in der Art an einander hängender mützenförmiger Stücke kommen, wie wir sie an der Klapper wirklich ge- sehen haben. 2) Es ist daher vielmehr anzunehmen, dass der suc- cessive Gestalt- und Grössenwechsel der Hautverdickung in der Weise vor sich geht, dass die erste (vorderste) Anschwellung derselben, welche die erste Ausbuchtung des eben fertig gewordenen Gliedes absonderte, in jene Form und Grösse sich hineinbildet, welche der Form und Grösse der zweiten (mittlern) Ausbuchtung des neuabzu- sondernden, nächst jüngern Gliedes entspricht, während die zweite (mittlere) Anschwellung, welche die zweite (mittlere) Ausbuchtung des eben vollendeten Gliedes ab- sonderte, jene Form- und Grössenverhältnisse erhält, die der dritten oder Endausbuchtung des neuanzusetzenden Gliedes entsprechen. 3) Allein auch diess würde begreiflicher Weise noch nicht ganz zum Ziele führen; und wir sind — so selt- sam der einer fortschreitenden Wellenbewegung vergleich- bare Vorgang auch erscheinen mag — gezwungen, als ein weiteres Postulat hinzuzusetzen, dass während der sub 2 angedeuteten Veränderungen die zweite Anschwel- lung der Hautverdickung zugleich allmälig an die Stelle der dritten (hintersten), die erste hingegen an die Stelle der zweiten rücken müsse, und dass sich in dem oben erwähnten, von den letzten Hautschuppen verdeckten Falz eine neue Anschwellung erheben müsse, welche die erste Ausbuchtung des neuen Gliedes absondern wird. 120 Fassen wir dabei nun auch die zwischen den An- schwellungen des Hautüberzuges des Endkörpers befind- lichen queren Einschnürungen in’s Auge, so werden sie offenbar den Thälern zu vergleichen sein, welche die fortschreitenden Wellenberge (hier Hautanschwellun- gen) trennen! Hiermit glaube ich die Bildungsweise der Klapper von Crotalus im Allgemeinen richtig skizzirt und einen ebenso neuen als interessanten Entwickelungsvorgang auf- gedeckt zu haben. Schliesslich bemerke ich nur noch, dass die Auffin- dung und genauere Ermittelung der einzelnen angedeute- ten Stadien der Bildungsgeschichte der Klapper von (ro- talus — (namentlich hinsichtlich des Verhornungsproces- ses) —, sowie die Entscheidung der Frage, ob bei jeder Häutung immer ein neues Glied angesetzt wird, späteren, ausgedehinteren Untersuchungen überlassen bleibt, denn beide von mir untersuchten Thiere befanden sich gerade in der Periode, wo das jüngste oder Basalglied der Klap- per, eben erst vollständig entwickelt, noch als genau anliegender, kappenförmiger Ueberzug auf der Haut- verdickung des Endkörpers der Wirbelsäule aufsitzt. (Ach- ter Bericht üb. das gymnast.-orthopäd. Institut zu Berlin.) Miscellen. Chemische Harmonika nennt Gf. Schaffgotsch einen Apparat, der eine Röhre enthält, dessen Luftsäule tönt, wenn eine Flamme sie erwärmt. Diese Flamme nun flackert beträchtlich und verlöscht sogar, wenn man in ihrer Nähe denselben Ton oder dessen höhere Octave angibt. Das Ausstreuen der Samenkörner der gestielten Orchideen hat Hr. Beer an der Stanhopea violacea unter- sucht und gefunden, dass es von einfachen langen und sehr hygroskopischen Filamenten abhänge, welche von der innern Fläche der Frucht entspringen und sich zur Zeit der Reife ablösen. (L’Institut. 1225.) Heilkunde. Behandlung des Delirium tremens. Es scheint mir nicht unwichtig, neuerdings die Auf- merksamkeit der Aerzte, und besonders der Spitalärzte, auf die folgende Behandlungsart des sogenannten Delirium tremens, obgleich dieselbe schon früher angerathen wor- den ist, zu lenken. — Ich habe nämlich angefangen, gegen diese Krankheit laue Wasserbäder von langer Dauer (4 bis 10 Stunden), gleichzeitig mit kalten Umschlägen oder Uebergiessungen anzuwenden und zwar in 6 Fällen mit so auffallendem Erfolge, dass ich nicht anstehe, die- sem Mittel gegenwärtig schon einen Platz als mächtiges Adjuvans einzuräumen. In der Mehrzahl der Fälle wurde zwar das Bad nicht rein für sich allein angewen- det, sondern noch nebenbei einige wenige Gaben Opium oder Brechweinstein zu Hülfe genommen, aber ich habe Grund, zu vermuthen, dass man diese entbehren kann, denn mitunter schliefen die Kranken schon im Bade ein, und in einem Falle, wo das Bad ohne alle Nebenmittel angewendet wurde, schlief der heftige Delirant nach ei- nem 10 Stunden langen Bade sofort ein und hätte am folgenden Tage das Spital geheilt verlassen können, wenn man denselben nicht der näheren Beobachtung we- gen bis zum 4. Tage zurückbehalten hätte. — In ein Paar Fällen musste das Bad wiederholt werden. — Sollte sich das Mittel, wie ich glaube, durch fer- 121 nere Erfahrungen bewähren, so wäre dessen Werth nicht gering anzuschlagen, denn 1) könnte dadurch der nutzlose und häufig unzei- tige.Gebrauch des Mohnsaftes, welcher gewiss bei dem eigenthümlichen Zustande des Gehirns nicht immer gefahr- los ist, vermieden werden; 2) wird dadurch die Dauer der Krankheit bedeutend abgekürzt, indem keine schlimmen Nachwirkungen vor- kommen können und der Kranke sich, nachdem er aus- geschlafen, munter und gesund fühlt, und 3) sind diese höchst unruhigen Kranken viel leich- ter zu handhaben, indem in der Regel zwei Wärter hin- reichen, dieselben durch einen Druck auf die Schultern im Bade zu halten; denn, wie bekannt, dürfen Zwangs- mittel durchaus nicht angewendet werden, da durch die gewaltsamen Anstrengungen gegen den Zwang leicht der Tod durch Erschöpfung herbeigeführt werden kann. Die Temperatur des Bades muss auf 26 Gr. R. er- halten und die Uebergiessungen müssen kräftig gemacht werden. Bei zwei derartigen Kranken, der eine gleichzeitig mit Lungenschwindsucht im letzten Stadium und der an- dere mit Lungenentzündung behaftet, habe ich das Bad nicht in Gebrauch gezogen. — Beide starben. — Die Complication des Delirium tremens mit Endzündung edler Organe endet in der Regel tödtlich. Cöln, 17. Juli 1857. Dr. Nückel, Oberarzt am Bürgerspital. Ueber Lähmungen. Vom Sanitäts-Rath Dr. Berend (Berlin). In seinem 8. Berichte über das gymnastisch - ortho- pädische Institut zu Berlin theilt der Verf. einige Fälle und Bemerkungen über die Behandlung von Lähmungen mit, welche hier eine Stelle finden mögen. „Nachdem wir schon in der statistischen Uebersicht die Paralysen nach ihrem Sitze rubrieirt haben, theilen wir über ihre Natur und ihr ursächliches Verhalten noch Folgendes mit. Bei 4 Paralysen Erwachsener liess sich eine centrale Ursache (2mal apoplexia cerebralis und 2- mal spinalis) nachweisen. Bine Paraplegie war ent- schieden traumatischer Natur (Erschütterung des Rückens durch Fall). Paralysis et atrophia musculorum progre- diens, und die isolirte Paralyse des m. supra- und infra- spinatus kam imal zur Beobachtung. Für die Kinder- paralysen liess sich 5mal eine causa rheumatica nach- weisen. — In Bezug auf den Sitz dieser Kinderlähmun- gen waren unter ihnen 12 an einer untern Extremität; imal wurde eine Paraplegia ex meningitide traumalica, imal Hemiplegie nach selbstständig auftretender Menin- gitis mit Amaurose des Auges im Gefolge des Scharlachs beobachtet. Angeboren war eine Paraplegie mit pes va- rus und valgus paralyticus, eine Paraplegie mit Kyphose, 122 Anchylose der Schulterblätter, Knie-Contractur und Hak- kenfüssen, eine mit Hand- und Knie -Contraeturen und Klumpfüssen. — Bei den übrigen Fällen von Lähmungen blieb die Veranlassung unbekannt. Ihre weitere Natur vom anatomischen Standpunkte zu ermitteln, ist mir in den letzten 2 Jahren nicht vergönnt gewesen, und ich muss in dieser Beziehung auf die von mir im 7. Berichte (S. 30) gegebenen Sectionsberichte verweisen, aus denen hervorgeht, dass die von Duchenne aufgestellte Be- hauptung,, es sei bei Kinderparalysen überall fetlige Mus- keldegeneration vorhanden, keineswegs unerschütterlich feststeht. Im Uebrigen kann ich aus schon früher be- kannten Thatsachen bestätigen, dass mit geringen Aus- nahmen Kinderparalysen stets nur die motorische Nerven- sphäre ergreifen, während die sensible entweder intact, oder nur in geringem Maasse perturbirt ist. Dass die localisirte Electricität, nach Duchenne’s Methode, als diagnostisches Kriterium diene, um bei vorhandener elek- trischer Reizbarkeit und Contractilität die cerebralen von den spinalen Lähmungen zn unterscheiden, kann ich nur mit Einschränkungen als richtig anerkennen. Bei Kinder- paralysen zumal, denen oft gar keine nachweisbare Ur- sache, am wenigsten aber eine entschieden cerebrale zu Grunde liegt, finden wir meist die vorgerückten atrophi- schen Zustände mit einer durchaus mangelhaften oder selbst aufgehobenen Empfindlichkeit für die Einwirkung der Elektricität verbunden. Dass willkürliche Bewegung und elektrische Contractilität sehr verschiedene Dinge sind, und dass jene bestehen könne, ohne dass von letzterer eine Spur vorhanden ist, lehren besonders die merkwür- digen Beispiele eines geheilten Hackenfusses und pes va- rus. — In prognostischer Beziehung möchte die Elektri- cität in sofern freilich von Werth sein, als da, wo Ver- lust der willkürlichen Bewegungen, Mangel an elektri- scher Contractilitätt und atrophische Musculatur vorhan- den, gewiss die Hoffnung auf Besserung oder gar auf restitutio ad integrum sehr gering ist. Unter allen Um- ständen leistet die Elektricität bei Kinderlähmungen nur unter sehr lange fortgesetzter Anwendung etwas erspriess- liches und frische rheumatische Fälle ohne centrales Lei- den bilden allein bisweilen hiervon eine Ausnahme. Diess an und für sich schätzbare Hülfsmittel macht eben so wenig die übrigen Excitantia, Bäder, Einreibungen, Heil- gymnastik und den in der letzten Zeit vielleicht etwas zu sehr vernachlässigten Gebrauch der Nux vomica und des in endermatischer Form zu applieirenden Strychnins überflüssig. 1. Isolirte rheumatische Lähmung des Muse. supra- und infraspinatus, bestätigt durch die heilgymnastische Diagnose. Beseitigung durch Heilgymnastik. Ein 22jähriger Oeconom aus der Altmark ward zu- erst im Frühjahr 13855 von einem mässig schmerzhaften rheumatischen Schulterleiden befallen, welches eine von dem Kranken selbst nicht klar definirbare Schwäche bei 123 den von einem knarrenden Geräusche begleiteten Beweg- ungen des rechten Oberarms hinterliess, die bis zu seiner Aufnahme fortdauernd, es ihm unmöglich machte, den Arm bis zur senkrechten Stellung aufzuheben. Bei gewalt- samer Anstrengung für diese Zwecke trat jedesmal ein leises Zittern ein. Die Temperatur des Oberarms normal, sämmtliche Muskeln der rechten obern Extremität mit Ein- schluss des M. deltoideus intact; jedoch der M. supra- und infraspinatus atrophirt und die fossa supra- und in- fraspinata der rechten Seite im Vergleich zur entgegen- gesetzten abgeflacht, fast vertieft. In sehr treifender Weise wurde die Diagnose dieser isolirten Muskellähmung durch die gymnastische Untersuchung bestätigt, da die Aufhebung des Arms bis zur senkrechten Stellung, sowie die Auswärtswendung in derselben Position, Bewegungen, die gerade vorzugsweise durch den M. supra- und infra- spinatus vermittelt werden, in der Form des Widerstandes wie in activer mit entschieden geringerer Energie als an der gesunden obern Extremität procedirten, — Gymnastik allein (Oberarmerhebung, Auswärtsdrehung des senkrecht erhobenen Armes u. s. w.) brachte innerhalb 6 Wochen völlige Heilung, so dass die betreffenden Muskelpartieen ihr normales Volumen und hiermit ihre functionelle Ener- gie wieder erlangten. — 2. Lähmung des linken Unterschenkels. —Pes varus paralyticus 3. Grades. — Heilung durch Tenotomie. Die 12jährige Tochter eines Kaufmannes in Posen, seit der ersten Kindheit paralysirt, war schon früher an einem hiermit in Verbindung stehenden Klumpfuss mit- telst Durchschneidung der Achillessehne operirt worden. Ohne Veranlassung fühlte Patientin jetzt seit 1 Jahre eine auffallende Schwäche im rechten Unterschenkel; von Neuem trat die frühere Klumpfuss-Verbildung ein; den Fuss vermochte Patientin weder activ, noch unter Wider- stand zu strecken und zu beugen und nur unvollkommen zu abduciren, während Beugung und Streckung der Ze- hen, sowie alle sonstigen Bewegungen der betreffenden Extremität normal geblieben. Temperatur des Ober- und Unterschenkels dieser Seite geringer, Ernährung schwä- cher, Sensibilität normal. Gang des deformen Fusses beim ersten Auftreten mittelst der Spitze, sodann bei Ap- plication der Sohle auf den Boden Umknicken des äussern Fussrandes. — Die operativ-orthopädische Kur mittelst Durchschneid- ung der Achillessehne erzielte Wiederherstellung der nor- malen Form, — ganz besonders aber die aller früher gestörten Bewegungen, und nur bei Flexion (Ex- tension einiger Anatomen) verblieb eine geringe Neigung zur Adduction, trotzdem die elektrische Contractilität der betreffenden Extremität fehlte, Hier scheint also in der That der Sehnenschnitt zur Belebung wesentlich beige- tragen zu haben. (8. von Bräuning, Wiederbeleb- ung gelähmter Gliedmaassen durch den Sehnenschnitt, Wien, 1841.) 124 3. Hemiplegia lateris sinistri; contractura cubiti, antibrachii, manus; pes valgus para- lyticus; Scoliosis dorsalis sinistra. Heilung. Eine 14jährige Dame aus Schlesien war wahrschein- lich durch Meningitis infantilis hemiplectisch geworden. Linke obere Extremität magerer, kälter und im Ganzen um 1° kürzer als die rechte, mit intacter Sensibilitätz das Ellenbogengelenk im stumpfen Winkel contrahirtz Vorderarm pronirt, Handgelenk flectirt und nur bei star- ker Abduction streck-, doch gar nicht adductionsfähig, Fingerbewegungen sämmilich ausführbar, doch ohne Ener- gie. Die linke untere Extremität atrophisch, um 1 kür- zer, der Fuss stellte einen Pes valgus dar mit entspre- chender Retraction der Gastrocnemii; das Schultergelenk der Sitz periodischer Schmerzen. — Elektrische Contra- etilität sämmtlicher Muskeln unversehrt. Die orthopädische Kur der Arm- und Fuss-Contractur (letztere mit Hülfe der Achillessehnen - Durchschneidung), Heilgymnastik und localisirte Elektricität ergaben in einem Jahre folgendes Resultat: Scoliosis verschwunden, Deformität des Ellen- bogen- und Handgelenkes geheilt und beide im Besitze aller Mobilitätsverrichtungen ; während Patientin mit den Händen früher kaum etwas anfassen und festhalten konnte, verrichtete sie bei ihrem Austritt aus dem Institut jede Arbeit mit Ausdauer. "Temperatur der Extremitäten nor- mal und nur die pronirte Stellung des Vorderarms und die unvollständige Supination, sowie eine leise Spur von Abductionsstellung der Hand erinnerten an die frühere Deformität. Der Plattfuss gebessert, nicht ganz gehoben, aber doch der Gang bei Weitem besser und vor Allem gegen früher viel ausdauernder. Die Kraftzunahme in der Muskulatur zeigte sich besonders bei den gymnasti- schen Uebungen, wiewohl die Ernährung noch nicht ganz normalisirt. Auffallend war es, dass der Tibialis anticus in der letzten Woche vor der Entlassung der Patientin sich gegen die stärkste Faradisation unempfindlich zeigte, während er seine activen Bewegungen völlig normal vollzog. — 4. Hemiplegia sinistra; anchylosis humeri; positive bedeutende Verkürzung des Ober- und Vorderarms und des Oberschenkels lin- kerseits durch Wachsthumshemmung; bedeu- tende Scoliosis dorsalis mit der Convexität nach rechts; genu valgum. Verbesserung durch mechanische und heilgymnastische Mittel. W. R., 10 Jahre alt, seit dem Alter von 3 Mona- ten hemiplectisch, erhielt zwar die Motilitätsfunctionen vollständig wieder, ohne dass jedoch der Eintritt der An- chylose und die Wachsthumshemmung in der oben be- zeichneten Weise ausblieb. Zuerst Anlegung eines Stie- fels mit hoher Sohle, um die Schenkelverkürzung auszu- gleichen, wodurch zugleich die Wiederherstellung der 125 normalen Rumpfrichtung gegeben wurde. Die Heilgym- nastik (Armrollung, Drehmaschine, Gewichtziehen u. s. w.) verliehen dem anchylosirten Schultergelenk eine verbes- serte Beweglichkeit. Das Genu valgum wich einer einfa- chen orthopädischen Behandlung. 5. Hemiplegia rheumatica; Pes varus para- Iyticus; Heilung des letzteren auf rein ortho- pädischem Wege ohne Tenotomie. Durch Hrn. Dr. Grandidier in Cassel wurde mir das sonst sehr wohlgebildete Kind einer vornehmen Fa- nilie übergeben, das nach einem mit Zahnreiz in Ver- bindung stehenden, vielleicht auch zugleich durch Erkält- ung hervorgernfenen Fieber im 18. Lebensmonate linker- seits gelähmt worden. Nach mannigfachen Kuren und insbesondere nach den Thermen zu Wildbad und Nenn- dorf erlangte der Arm seine volle Beweglichkeit wieder, aber die untere Extremität blieb schlaff, magerte ab, und der Fuss deformirte sich trolz vielfach angewendeter or- thopädischer Hülfsmittel zu einem Pes varus höheren Grades. Im Frühjahr 1855 bei der Aufnahme in das Institut war der Gang der Kleinen überaus hülflos und nur durch Unterstützung einer zweiten Person einigermaassen mühsam zu bewerkstelligen. Lähmung der Unterschenkel- strecker, der Adductoren und Extensoren des Fusses, Con- tractur der Achillessehne. Heilgymnastik (active und Wider- standsbewegungen in der Richtung der Adduction, Abduction, Flexion und Extension des Unterschenkels und Fusses, Hüft-, Knie- und Fussrollungen u. s. w.), Faradisation der atrophischen Partieen und die Anwendung meiner Klumpfussmaschine hoben die Fussverbildung, und be- wirkten zugleich innerhalb eines einmonatlichen Kurzeit- raums eine wesentliche Verbesserung der Paralyse, wenn- gleich den Adductoren des Fusses nicht die volle Energie restituirt werden konnte. Das Kind gewann mit Hülfe eines orthopädischen Stützapparates eine befriedigende Geh- fähigkeit. 6. Paraplegiatraumatica, Spondylitis lumba- lis, Pedesvariparalytici, Anchylosis genuum cum extensione. Heilung. Der 27jährige Seemann Johann Karmoset aus Jahsnitz bei Stettin hatte auf einer Reise nach England das Unglück, vom hohen Schiffsmaste herabzufallen und sofort am Unterschenkel fracturirt, ausserdem aber para- plectisch zu werden. — In Dublin von seinem Beinbru- che geheilt, kehrte er nach seiner Heimath zurück, und ward, 8 Monate nach Beginn des Leidens, am 6. Juli 1856 durch Empfehlung des Herrn Dr. Bahr in Stettin, und mittelst Unterstützung der dortigen Rhederei in fol- gendem Zustande hierher in mein Institut gebracht. Die Spinalfortsätze des 3. und 4. Lendenwirbels schwach her- vorstehend und die Wirbel selbst beim Druck etwas em- pfindlich. Der Patient ist unfähig, sich aufzurichten, zu stehen und zu gehen. Sämmtliche Bewegungen beider untern Extremitäten, mit Ausnahme der Zehen, sind er- 126 loschen. Dasselbe gilt von der Sensibilität. Beide Knie- gelenke anchylotisch gestreckt, beide Füsse zu Ped. varis consecutivis umgebildet. Die Hülflosigkeit des sonst so kräftigen Mannes flösste Allen, die ihn sahen, das grösste Mitleid ein. — Mit Rücksicht anf die noch nicht ganz erloschene Wirbelentzündung, mit der sich zugleich alle Folgeleiden einer Rückenmarkserschütterung verbanden, ver- ordnete ich Bauchlage, Fontanellen, Soolbäder. Nach 4 Monaten, als jede Empfindlichkeit an der afficirten Rük- kenstelle gewichen und die prominirenden Spinalfortsätze zurückgetreten waren, Einstreuung von Strychnin in die eiternden Fontanellen, innerlich Extr. nucis vomicae. Bald stellte sich die erste Belebung der Muskeln des Rumpfes und der linken Extremität ein. Patient lernte sich auf- richten und den linken Schenkel erheben. Vorsichtige orthopädische Behandlung der Klumpfüsse ohne Operation mittelst der Stromeyer’schen Maschine, Mobilisation der Kniegelenke durch den Bonnet’schen Apparat. Im 7. Monate der Kur Heilgymnastik, im 8. localisirte Elek- trieität. | Das in der klinisch-chirurg. Conferenz am 31. März 1356 (s. Centralzeitg. 1856 S. 240) durch Vorstellung des Reconvalescenten dargethane merkwürdige Heilre- sultat, das während des ganzen Kurverlaufs auch von vielen Collegen, und insbesondere von Dr. Noes aus Phi- ladelphia mit grossem Interesse verfolgt wurde, war fol- gendes: Heilung der Paraplegie, so dass der Patient an einem Stocke gut zu gehen vermochte, Beseitigung der Knieanchylosen und Fussverkrümmungen, Wiederherstel- lung der erloschenen Sensibilität in den afficirten Theilen. 7. Atrophia muscularis progrediens. Ein 46jähriger Landmann verspürte vor 12 Jahren im Jahre 1544 zuerst in Folge einer Anstrengung beim Mähen eine Schwäche in der einen Hand. Allmälig (noch in demselben Jahre) erlahmten beide Arme und der Un- glückliche ward arbeitsunfähig. Erst 11 Jahre später er- krankten auch die untern Extremitäten, das Gehen ward schwieriger, das Treppensteigen unmöglich. In mein Institut am 10. Juli 1856 aufgenommen, zeigte der für sein Alter decrepid aussehende Mann eine nach vorwärts gebeugte Kopfhaltung. Das Stehen war möglich, wollte aber Pa- tient vom Stuhle sich aufrichten, so musste er sich mit beiden Armen auf die Seitenlehnen stützen. Aufheben beider Arme bis zur horizontalen Ebene unausführbar; Adduction und Rückführung vollständig. Beugung der Vorderarme nur bis zum rechten Winkel möglich. Pro- und Supination des Vorderarms mehr durch Werfen, als durch präcise Muskelaction vollzogen; die Strecker der Hand und der Finger der rechten Seite vollständig un- thätig; ebenso die Interossei höchst schwach. Etwas kräftiger die Fingerbeuger und Strecker der linken Hand, und auch die Anterossei fungirten hier wenigstens in schwacher Weise. Die Abmagerung der beiden obern Ex- tremitäten gleichmässig auf beiden Seiten, ebenso die der Schultermuskeln. In ruhiger Lage hingen die Schulter- 127 blätter nach vorn und konnten nicht ganz nach der Wir- belsäule adducirt werden. Die Wirbelsäule übrigens ge- rade. Die Schultergelenke nicht luxirt, wohl aber fühlte man zwischen Acromion und Oberarmkopf eine kleine Lücke. Die Brust- und Intercostalmuskeln etwas abgema- gert. Die untern Extremitäten waren von normaler Fülle, bildeten somit einen Gegensatz gegen die obern. Vor- wärts- und Seitwärtsaufhebungen der Schenkel willkürlich vollständig, doch mit verminderter Energie, ebenso Beug- ung und Streckung des Knies. Fuss- und Zehenbeweg- ungen zum Theil normal; die Beugung des Fusses viel schwächer als die Streckung, und nur bis zum rechten Winkel möglich. Die Sensibilität in den obern und un- tern Extremitäten nicht vermindert, dagegen die Tempe- ratur in den Vorderarmen bedeutend geringer. Die beiden Vorderarme bis zu den Handgelenken mit unzähligen livi- den Flecken bedeckt; der Gang normal mit vorwärts ge- neigtem Rumpfe, doch können nur kurze Strecken zurück- gelegt werden. Die willkürliche Rückbeugung des Kopfes und Rumpfes vollständig. Der Puls bot nichts Abwei- chendes. Geschlechts- und Digestionsverrichtungen un- gestört. — Vom Beginn der Krankheit an weitverbreitete fibrilläre Muskelzuckungen, besonders des Kopfnickers, pectoralis, biceps, sartorius und der Beuger des Unter- schenkels. Die electrische Untersuchung bestätigte die Diagnose. Die active Bewegungsfähigkeit entsprach genau der elektrischen Contractilität. — Die freilich nur 4 Wo- chen im Institute ‘eingeleitete Behandlung durch Schwefel- bäder, Elektrieität und Gymnastik zeigte keine Verbes- Dann kehrte Patient, serung des Krankheitszustandes. in die Heimath durch äussere Verhältnisse veranlasst, zurück.“ Ueber einen Fall von Schimmelbildung in der menschlichen Lunge. Von Prof. v. Dusch (Heidelberg). Es reiht sich dieser Fall an die von Sluyter, Hasse, Welcker, Virchow und Friedreich be- schriebenen von Aspergillus-Bildung in der Lunge an. In einem umschriebenen, oberflächlich gelegenen Brand- heerde einer Tuberkulose des Uro-Genitalapparates und 128 der Lungen verstorbenen Frau von 69 Jahren fand sich an einer mehr trocknen Stelle die Verschimmelung schon äusserlich für das Auge erkennbar. Die von Dr. Pa- genstecher und dem Verf. vorgenommene Untersuch- ung bestätigt im Allgemeinen die von Virchow (Arch, Bd. IX.) gelieferte Beschreibung vollständig. Der Pilz bildet schon an feuchteren Stellen ein Gewirre, welches aus dem Mycelium (Wurzellager) besteht; an den trock- nern Orten erheben sich lange Fruchtstiele, welche die Köpfchen, Receptacula, tragen, mit den dicht gedrängt aufsitzenden Basidien und Sporenkörnern. Die gehäuften Fruchtstiele und Köpfchen bilden hier die grau-grünlichen Rasen. Hervorzuheben ist, dass die beiden Untersuchenden die von Andern beschriebenen Scheidewände an dem Halse des Köpfchens nur für Knickungsfalten, besonders an etwas welken Stielen erklären müssen, durch welche über- haupt mancherlei eigenthümliche Figuren scheinbar im Innern von oben gesehener Köpfchen erscheinen. Die - Basidien stehen mit einer sechseckigen Basis auf dem Receptaculum auf, was aus der Untersuchung mit Heb- ung und Senkung des Focus und bei starker Vergrösser- ung klar wird. Im Allgemeinen zeigt dieser Fall eine grosse Ueber- einstimmung mit den früheren. Beobachtungen, da, mit Ausnahme eines einzigen Falles von Virchow, in wel- chem der Pilz in den Bronchien sass, die Schimmelbild- ung sich in circumskripten, oberflächlichen Brandheer- den entwickelte, welche aus hämorrhagischen Infarkten entstanden waren. Für eine solche Entstehungsweise der Brandheerde spricht in diesem Falle die neben dem Brand- heerde in einem andern Theile desselben Lungenlappens vorgefundene frische sekundäre Thrombose in Folge eines Embolus. Für die Bedingungen, unter welchen sich die- ser immer noch seltene Pilz entwickelt, mag hervorge- hoben werden, dass die Entwickelung von Brandgasen dem Pilze schädlich zu sein scheint, indem er bisher nur in Fällen von geruchlosem Brande gefunden wurde. Auch war eine Weiterentwickelung desselben auf dem aufbe- wahrten, faulenden Lungenstückchen nicht zu bemerken. Ist diess der Fall, so würde hieraus sich die Seltenheit des Vorkommens erklären. (Verhandl. des naturhist.-med. Ver. z. Heidelberg 1.) Bibliographische Neuigkeiten. W. — Memoirs of Ihe Geological Survey of India. Published by ordre of the Governor General of India in Council. Vol. 1. Part. 1. With a large coloured Map of {he Talcheer Coalfield and other plates. 8. Lond. William u. Norgate. 4 Sh. Prinz M. v. Wied, Ueber die Selbstständigkeit der Species d. Ursus ferox Desm. 4. Comm. b. Henry und Cohen in Bonn. 1!/ Thir. 31. — H. Baur, Des frictions d’huile comme methode hygie- nique et curative. 8. L. F. Fues in Tübingen. Y, Thlr. E. Hering, Handb: d. thierärztlichen Operationslehre. 2. Abth. 4. Ebner u. Seubert in Stuttgart. 1 Thlr. 6 Sgr. L. Kramer, Handbuch der gerichtlichen Medicin. 2. Aufl. 8. Schwetzschke u. S. in Braunschweig. 2, Thlr. A. F. Danzel, Chirurgische Erfahrungen. 1. Hft. 8. Wigand in Göltingen. %3 Thlr. Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jenas Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. EaE. Band N9. Naturkunde. A. Ecker, Geruchsschleimhaut. — Miscelle. Degen, Ueber warme Quellen. — Heilkunde. H. Horn, Luftelektrieität und Cholera. — Friedinger, Ueber ursprüngliche und erneuerte Vaccinationslymphe. — Miscellen. Progressive Paralyse durch Vaccine zu heilen. — Augenentzündung von Verstopfung der äusseren Gehör- gänge. — Bibliographie. Naturkunde. Geruchsschleimhaut. Von Prof. Alex. Ecker (Freiburg). Vor Kurzem halte ich abermals Gelegenheit, das Geruchsorgan an der Leiche eines Hingerichteten zu un- tersuchen. Die Beobachtungen, die ich hierbei machte, berichtigen theils, theils vervollständigen sie meine frü- heren Mittheilungen ') über diesen Gegenstand, wesshalb ich nicht zögern will, dieselben zu veröffentlichen, wenn gleich ich auch jetzt noch nicht im Stande bin, den be- stimmten Nachweis des Zusammenhangs der Olfactorius- fasern mit den Epitheliumzellen zu liefern. Am 25. April wurde Xaver Rub von Breisbach da- hier mit dem Schwert hingerichtet. Etwa eine Stunde nach dem Tode begann ich die Untersuchung, welche in diesem Falle namentlich auf eine genaue Erforschung des Epithelium und seiner Verbreitung gerichtet war. Ich betrachte zuerst : I. Die Scheidewand. Die succulente, gefässreiche Schneider’sche Haut war von der dünnern, gefässärmern, blassern Schleim- haut des obersten Theils des Septum, auf welchem sich der Nervus olfactorius verbreitet, durch eine verwaschene Grenze getrennt. Diese sogenannte Regio olfactoria er- streckte sich von der Decke der Nasenhöhle ungefähr 9° weit abwärts; die horizontale Ausbreitung derselben von vorn nach hinten betrug ungefähr 14” Die gesammte Schleimhaut dieser Gegend war, wie schon angegeben, dünner, blutärmer als die übrige Nasenschleimhaut und von schwach röthlichgelber Farbe. Eine Stelle derselben, 1) Siehe „Berichte über die Verhandlungen der Gesell- schaft für Beförderung der Naturwissenschaften zu Freiburg i. B.“ No. 12, Novbr. 1855. nämlich die am meisten nach hinten und oben gelegene, war aber durch eine saturirt gelbe Farbe und eine un- durchsichtigere Beschaffenheit vor dem Rest ausgezeich- net. Diese Stelle, welche, wie ich glaube, allein und ausschliesslich den Namen Regio olfa.ctoria verdient, und welche ich einstweilen mit dem unbedenklichen Na- men des Locus luteus bezeichnen will, hatte einen Durchmesser von ungefähr 7’ und war etwas vertieft. Das Epithelium der Schleimhaut der Scheidewand verhält sich nach meinen Beobachtungen folgendermaassen: 1) Der unterste und vorderste Theil der Nasen- scheidewand-Schleimhaut ist mit Pflasterepithelium bedeckt. 2) Das Flimmerepithelium, nach vorherge- gangenen Uebergangsformen zwischen Pflasterepithel und cylindrischem, eilientragenden, beginnt an einer Grenze, welche, wie schon Henle angegeben, sich ungefähr vom vordern freien Rand der Nasenbeine zum vorderen Nasen- stachel des Oberkiefers hinzieht. Von da an flimmert die gesammte Schleimhaut des Septum mit einziger Aus- nahme des Locus luteus!). Eine bestimmte Richt- ung der Flimmerbewegung konnte nicht beobachtet wer- den. Das Epithelium der flimmernden Nasenschleimhaut zeigt ebenfalls zweierlei Zellen; die einen sind die Flim- merzellen von circa 0,090 Mm. Länge, mit ziemlich langen, sehr deutlichen Cilien, Kern und langem, jedoch nicht getheiltem Stiel. Dazwischen finden sich andere 4) Hiervon habe ich mich in der vergangenen Woche abermals überzeugt und hierbei zugleich eine ungewöhnlich lange Dauer der Flimmerbewegung beobachtet. In der Lei- che einer Dienstag Abend an Phthisis verstorbenen Frau wa- ren am Sonntag Morgen (nach 112 Stunden) die Cilien allent- halten noch in vollkommen lebhafter Bewegung. Das Epilhe- lium des Locus luteus war dagegen schon fasl völlig un- kenntlich. ) 131 Zellen, von denen ich bis jetzt nicht sagen hann, ob sie in einer Beziehung und in welcher zu den Flimmerzellen stehen. Dieselben sind zwischen diesen letzteren gela- gert und im Allgemeinen von gleicher Länge wie diese, jedoch meist breiter, oft sogar bauchig aufgetrieben. Das freie Ende trägt niemals Flimmerhaare, verhält sich im Uebrigen aber verschieden. Bald ist dasselbe ver- schmälert und scheint geschlossen, bald scheint es geöff- net, die Zelle einem Becher ähnlich. Im letztern Falle sieht man die Begrenzung der Zelle nach oben aufhören und bisweilen sogar körnige Masse des Inhalts im Aus- tritt begriffen. Ein deutlich begrenzter Kern ist meist nicht vorhanden. Die Ansicht, dass diese Zellen Ersatz- zellen sind, die sich allmälig zu wirklichen Flimmerzellen entwickeln, ist wohl diejenige, welche sich am natür- lichsten darbietet. Das Ansehen derselben ist jedoch an- dererseits wieder so eigenthümlich, und eine, dieses etwa erklärende, schon eingetretene Alteration so wenig wahr- scheinlich, dass ich für jetzt die Frage nach der Bedeut- ung dieser Zellen noch nicht zu entscheiden wage. 3) Ganz verschieden von den bisher beschriebenen sind die Zellen des Locus luteus. Auf diese passt im All- gemeinen die von mir in den oben citirten Berichten gegebene Beschreibung der Zellen der ganzen Regio olfactoria. Die- selben sind sehr langgestreckt und gehen unterhalb des elliptischen, hellen, mit deutlichem Nucleolus versehenen Kerns in einen langen Faden über, der meist stellenweise etwas angeschwollen, knotig ist und nicht selten Ausbiegungen macht, in welchen die sogenannten Ersatzzellen (s. die genannten Berichte) Platz finden. Diese Zellen, die sehr vergänglich und in der Leiche meist zerstört angetroffen worden sind, sind namentlich durch Folgendes ausgezeichnet: a) Das freie Ende der Zelle ist ohne Flim- merhaare. Hiervon habe ich mich in diesem Falle auf das Entschiedenste überzeugt und muss hiernach meine früheren Angaben berichtigen. b) Der obere Theil der Zelle ist mit zahlreichen gelben Pigmentkörnchen, welche sich insbeson- dere gegen das freie Ende hin anhäufen, gefüllt, so dass sie oft ganz vollgepfropft damit erscheinen. Diese Pig- mentkörnchen (deren Färbung ich früher auf Rechnung der angewandten Chromsäure und des chromsauren Kali geschrieben hatte) sind es, welche die gelbe Farbe des Locus luteus hervorbringen, der wohl ganz vollkommen der ebenfalls pigmentirten Regio olfactoria der Säuge- thiere entspricht !). 1) Diese Thatsache, sowie die Wimperlosigkeit einzelner Zellen hat auch Max Schultze beobachtet. In einem Briefe vom 21. März schreibt er: „Ich finde bei drei auf der Ana- tomie untersuchten, freilich nicht mehr ganz frischen Leichen in der Regio olfactoria neben den schönsterhaltenen Wimper- zellen Gruppen von wimperlosen, die sich von den wimpern- den durch ihre tief gelbbräunliche Pigmentirung u.s. w. unter- scheiden. 132 c) Das Ende des fadenförmigen Fortsatzes theilt sich, wie ich schon früher angegeben, in mehrere feine Fäden. An der Theilungsstelle findet sich gewöhnlich eine feinkörnige Anschwellung. Die Theilung ist eine dichotomische und wiederholt sich mehrfach. Die End- fäden sind ausserordentlich fein. Im Verlauf der Fäden finden sich hin und wieder knotige Anschwellungen; zwi- schen diesen Zellen, die ich Riechzellen nennen will, liegen andere eingebettet, die offenbar nur zum Ersatze dieser dienen (Ersatzzellen). Zu unterst, unmittel- bar auf der Schleimhaut, liegt endlich eine Schicht von theils rundlichen, theils mehr unregelmässigen, theilweise auch mit Fortsätzen versehenen Zellen, zwischen welche sich die Wurzelfäden der Riechzellen einsenken. Was nunmehr I. Die Seitenwand der Nase betrifft, so ist 1) auch hier der unterste und vorderste Theil der Nasenwandschleimhaut mit Pflasterepithelium ver- sehen; 2) die Linie, an welcher das Flimmerepithelium be- ginnt, scheint mit der des Septum nicht ganz parallel zw laufen, sondern vom vordern freien Rand der Nasenbeine ausgehend, sich einige Linien hinter dem vordern Nasen- stachel des Oberkiefers auf den Boden der Nasenhöhle einzusenken; das vordere Ende der untern Muschel, so- wie der vordere Theil des untern Nasenganges sind noch mit Pflasterepithelium versehen. Die Schleimhaut der un- tern Muschel war in unserem Falle blauroth gefärbt, dick und succulent. Die mehr hellroth gefärbte, dünnere Schleimhaut der mittlern Muschel flimmerte allenthalben ; 3) die Schleimhaut der obersten Muschel flimmerte nur zum Theil. Der nicht flimmernde Theil erstreckte sich von der Decke der Nasenhöhle etwa 4 weit ab- wärts und war von der übrigen Schleimhaut schon durch die Farbe, die ganz der des Docus luteus entsprach, unterschieden. Hier allein fanden sich die oben beschrie- benen Riechzellen. Diesen obersten Theil der obern Mu- schel werden wir daher ebenfalls als Locus luteus oder als Regio olfactoria im engern Sinne zu bezeich- nen haben. Die charakteristischen Zellen der Riechschleimhaut, der Riechzellen, die bei Säugethieren eine beträcht- liche Partie der Nasenschleimhaut, nämlich die ganze nicht flimmernde, pigmentirte Regio olfactoria bedecken, nehmen somit beim Menschen nur einen ganz kleinen Theil derselben, nämlich den allerhintersten und ober- sten ein. Nur diesen kann man nach Analogie der Ver- hältnisse bei den Säugethieren Regio olfactoria nen- nen. Die Olfactoriusfasern verbreiten sich aber nicht nur beim Menschen, sondern auch bei Säugelhieren über die Grenzen dieser Gegend hinaus. Nach dieser Regio ol- factoria hin werden wohl die Geruchsobjecte, deren Na- tur wir freilich leider noch durchaus nicht kennen, ge- 133 langen müssen. Eine bestimmte, etwa dahin zielende Richtung der Flimmerbewegung konnte ich aber bis jetzt nicht beobachten. (Ztschr. f. wissensch. Zool. VIII. 2.) Miscelle. Ueber die warmen Quellen giebt Hr. Degen in ei- ner kleinen Broschüre eine ihm eigenthümliche Theorie, wel- che der bisherigen Ansicht, dass die warmen Quellen ihre Wärme von den tieferen Schichten der festen Erdrinde, durch welche sie hierdurch gegangen seien, erhalten haben, wider- spricht. Er sucht den Grund der Erwärmung der Wasser in der Eigenschaft desselben, durch Zusammenpressung eine hö- here Temperatur anzunehmen, eine Eigenschaft, die er aus der Analogie des pneumatischen Feuerzeugs und aus den Er- 134 zählungen einiger Leute schliesst, wonach das Wasser einer hydraulischen Presse sich eıwärmte, wenn es eine beträchtliche Zusammenpressung erlitten hatte. Die Beweise des Vf. wer- den durch das von ihm dabei häufig angewendete Wörtchen „vielleicht“ sehr geschwächt, und wird er sich nichl wun- dern können, wenn seine Lehre nicht allgemeinen Anklang findet und man seine Vorschläge, wodurch die Gefahren der Erdbeben verhindert werden sollen, nicht sofort in Ausführ- ung bringt. (&E Ueber die warmen Quellen. Beitrag z. Eıforschung der wahren Ursachen, wodurch die erhöhete Tem- peratur des Wassers der warmen Quellen bewirkt wird, und der in Folge dieser Untersuchungen sich ergebenden, höchst wahrscheinlichen Ursachen der Erdbeben und der Möglich- keit, solche weniger schädlich zu machen oder gar zu ver- hindern. Von J. F. F.Degen. 8. Nordhausen, Comm. bei Alb. Fick, 1857.) Heiikunde. -—-—— Luftelektrieität und Cholera. Von Dr. H. Horn (Wien) *). Der Verf. hat schon Mehreres geschrieben, um die Abhängigkeit der Cholera von der Luftelektricität zu be- weisen. Die Luftelektrieität wird häufig zur Erklärung räthselhafter Erscheinungen bezüglich der Entstehung der Krankheiten herangezogen. Die Bestrebungen sind aller- seits bis jetzt sehr wenig erfolgreich gewesen und — werden es auch wohl noch lange bleiben. Der Verf. geht von dem Satze aus, dass gleichartig thierische magnetische Ströme gegenüberstehend, einen polaren Dualismus offenbaren, wenn sie so gegenüberge- stellt werden, dass der eine senkrecht dem anderen ho- rizontal, der eine abwärtssteigend dem andern aufwärts- steigend gegenübersteht. In beiden Fällen wird der er- stere süd-, der letztere nordpolar-magnelisch. Durch Experimente, bei denen eine in der Lehre von der Elektrieität unerlässliche Strenge vermisst wird, kommt der Verf. zu folgenden Schlusssätzen: a) Die atmosphärische Luft ist gewöhnlich positiv- elektrisch. b) Vor Gewittern, wenn sie sehr intensiv drohend in der Nähe und in einiger Ferne stehen, ist die Luft negativ-elektrisch. Jedoch fand ich auch zweimal diese positiv - elektrisch. Beide verliefen aber mit geringen elektrischen Entladungen und mit wenig Regen. c) Mit den Entladungen des Gewitters und nach den- selben wird die Luft, wenn sie vorher negativ war, wie- der positiv. d) Auch bei den stärksten Hitzegraden, welche bis *) & Ueber den wichtigen Einfluss der Elektricität der atmosphärischen Luft auf die lebenden Organismen, sowie über die Elektricitätserscheinungen, wie sie bei dem Ver- dunsten verschiedener Flüssigkeiten und Riechstoffe physika- lisch darstellbar werden, mit steter Rücksichtsnahme ihres an zur Cholera. 3. Heft. 8. Deschler in München, daher eintraten, war gewöhnlich positive Elektrieität wahr- zunehmen. e) Manchmal und nur für einige Stunden fand sich die Luft negativ, ohne dass hienach in Bälde ein Ge- witter sich entlud. f) Die negative Luftelektricität wechselt gewöhnlich durch Veränderung der Luftströmung. Bei ihrem Herr- schen war die Luft stets äusserst ruhig. g) War die Luft feucht und kühl, so erschien sie gewöhnlich positiv. h) Ueber feuchten warmen Plätzen, welche einer raschen Verdunstung günstig sind, wobei durchaus kein Zug der Luft stattfand, ladet sich der angegebene Appa- rat negativ-elektrisch — demnach ist über solchen Plätzen die Luft negativ-elektrisch. i) Hing ich meinen Ballon über die Oefinung meines Abtrittes, so lud er sich bei verschlossener Thüre und Fenstern, bei einem starken ammoniakalischen Geruche stets positiv; öffnete ich aber Thüre und Fenster, so dass ein starker Luftstrom den Abtrittsschlauch durchzog, so lud sich mein Ballon stets negativ. k) In wohlbesetzten Pferdeställen ist die Luft ge- wöhnlich positiv- elektrisch, namentlich wenn dieselbe sehr ammoniakalisch ist. Demnach werden nach dem Ge- setze der elektrischen Vertheilung Wohnungen in der Nähe von solchen Ställen sehr ungesund sein, da die Luft hie- durch mehr negativ-elektrisch wird. I) Ueber fliessendem Wasser ist die Luft positiv- elektrisch. Verf. machte einigemale den Versuch auf einem Flosse in der Isar, indem er die Glocke und Magnetnadel seines Apparates auf einen Flossbalken unmittelbar aufsetzte. — Die atmosphärische Luft war an andern Plätzen auch positiv. Den Uebergang zu der Bedeutung der Luftelektri- cität als krankheitserzeugendes Agens gewinnt der Verf. durch folgende Bemerkung über die Einwirkung auf den Körper überhaupt: 9* 135 Es ist auffallend, wie mit der positiven und nega- tiven Luftelektrieität die körperliche Stimmung sich ver- ändert. Bei positiver Luft befindet man sich wohl, man ath- met leicht, die Luft erfrischt, die äussere Haut erscheint angenehm turgescirend und wohlthätig kühl u. s. w. Bei negativer Luft aber, welche ich während der erwähnten Zeit nur selten und nur einige Stunden die Atmosphäre schwängernd wahrnahm, herrschte eine eigen- thümliche Ruhe und Windstille in der Atmosphäre, sie erschien eigenthümlich mit Dünsten erfüllt, die bei durch- fallendem Lichte einen staubigen, röthlich -gelben Ton derselben gaben. Man fühlte sich mit widriger Läue hie- bei erfüllt, die Luft athmete sich schwer, sie sättigte gleichsam das Athmungsbedürfniss nicht, man fand sich beklommen und fühlte Congestiverscheinungen des Blutes nach dem Gehirn, dem Herzen oder der Leber. Dabei konnte man eine gewisse Gereiztheit und Aufregung im Nervensysteme wahrnehmen. Die äussere Haut erschien mehr welk, zu Schweissen geneigt und deutete auf einen gewissen Grad von Erschlaffung der Capillargefässe in derselben. Ueberhaupt empfand ich hiebei Gefühle, wie ich sie im verflossenen Jahre während der Dauer der Cholera in hiesiger Stadt wahrnahm, namentlich als sie in ihrer Blüthe stand, in der zweiten Hälfte des Augusts und im ersten Dritttheile des Septembers. Diese Gefühle kann man sich auch künstlich dar- stellen : Ladet man: zwei Gläser mit Wasser, das eine mit negativer Elektricität, indem man einen Draht einsenkt, den man mit dem Reibkissen einer Elektrisirmaschine in Verbindung bringt, das andere mit positiver, durch Ver- bindung des Conductors mit dem Wasser mittels eines Drahtes, und zwar recht stark, dass die Elektricität frei von dem Wasser ausströmt, so nimmt man bei länge- rem Beriechen derselben verschiedene Gefühle wahr. Im Allgemeinen fühlt man bei dem Einathmen von positiver Elektrieität ein leichteres Athmen und ein gewisses kör- perliches Wohlsein, eine gewisse Erleichterung. Athmet man durch Beriechen aber längere Zeit ne- gative elektrische Luft ein, so hat man Gefühle gerade wie zur Cholerazeit. Sie macht Beklemmung auf der Brust, eine gewisse Benommenheit des Kopfes, Schwindel, ein eigenthümliches zusammenziehendes Gefühl auf der Zunge, ein Speicheln im Munde und sogar Brechreiz. Be- sonders auffallend treten diese Gefühle bei sensiblen und mehr venösen Individuen hervor. Alle fühlen die einen oder andern unangenehmen Gefühle nach dem Beriechen der negativen Blektrieität. Merkwürdig ist, dass Alle aussagten, ähnliche, ja dieselben Gefühle während der Cholerazeit gehabt zu haben. Man kann sich manchmal durch öfteres Beriechen derselben für den ganzen Tag sogar krank machen. Ich fühlte hienach gewöhnlich eine gewisse Mattigkeit, bekam eine schleimig belegte Zunge und Durchfälle. Dasselbe beobachtete auch Herr Mecha- 136 niker Dietsche. Das Beriechen positiver Blektrieität hienach pflegt den nachtheiligen Eindruck der negativen auf die Gesundheit bald aufzuheben. Der Grund hievon ergibt sich aus Folgendem: Die äussere Haut, wie die innere der Luft zugekehrte Schleimhautfläche der Athmungsorgane sind positiv-elek- trisch oder südpolar-magnetisch. Ein wesentlicher Grund dieses Verhaltens liegt in der Verdunstung von Wasser auf diesen Hautflächen. Im Verlaufe wird man erwiesen finden, dass bei Abdunstung von Flüssigkeiten der scheidende Dunst negativ- und die ab- dunstende Fläche positiv-elektrisch wird. — Da nun die beiden erwähnten Hautflächen stets ab- dunstende Flächen sind, so müssen sie von diesem Ge- sichtspunkte aus positiv-elektrisch sein. Durch diese po- sitive elektrische oder südpolare Spannung dieser Haut- flächen muss das negativ-elektrische oder nordpolare Blut zu diesen Haulflächen hingezogen und gleichheitlich auf denselben vertheilt werden. Die Blutmasse wird so zweck- mässig mit der atmosphärischen Luft in Berührung ge- bracht, nimmt Sauerstoff hieraus und entlässt Kohlen- säure, wodurch das Blut hellroth wird und eine höhere negative elektrische oder nordpolar-magnetische Spannung erlangt. Es wird hiedurch kurz gesagt arterieller. Dem- gemäss tritt das Blut in ein wohlthätiges antipolares Verhältniss zu dem positiven oder südpolaren Nerven- systeme, und die Muskeln, welche gleichartig polar mit dem Blute sind (mordpolar - magnetisch — negativ - elek- trisch), gewinnen eine höhere gleichartige polare Span- nung, welche sie durch höhere Energie in den Beweg- ungserscheinungen und eine gesteigerte Thätigkeit in den Contractions- und Expansionserscheinungen des Gefäss- systemes offenbaren. Tritt durch gewisse Verhältnisse eine Steigerung der positiven Elektrieität (magnetischen Südpolarität) auf der einen oder der andern Hautfläche oder auf beiden ein, so wird das Blut in höherem Grade auf dieselbe hingezogen und es erscheinen hierauf Blutcongestiv- oder entzünd- liche Erscheinungen. Dass das nordpolar-magnetische (oder negativ - elek- trische) Blut von den Hautflächen wirklich angezogen wird, diess beweist ja die Anziehungserscheinung der Magnetnadel zu dem entgegengesetzten magnetischen oder elektrischen Pol. Wird nun durch gewisse Einflüsse die positive elek- trische Spannung oder magnetische Südpolarität in den Hautflächen mehr oder minder neutralisirt, z. B. durch einwirkende negative Elektricität in der Luft, oder wird diese zu stark abgeleitet, z. B. durch feuchte Luft, so wird das Blut in geringerem Grade zu den Hautflächen hingezogen und mit der atmosphärischen Luft in Berühr- ung gebracht; daher wird es weniger mit Sauerstoff ge- schwängert und bleibt reicher an Kohlensäure, desshalb erscheint es mehr dunkelroth oder schwärzlich (venös). Das Blut erhält hiedurch eine mehr positiv- 137 elektrische oder südmagnetische Spannung, daher wird seine Spannung gleichartig mit dem Nervensysteme, und muss in diesem desshalb ein gewisses Unwohlsein und eine gewisse Aufregung hervorrufen. Da aber eine fort- gesetzte Aufregung des Nervensystems Schwäche, erhöhte Empfindlichkeit oder überhaupt erhöhte Erregbarkeit in demselben hervorruft, so begreift man leicht, wie ge- tinge äussere Erregungen oft die intensivsten Reactionen in einem derartig gestimmten Nervensysteme bewirken können *). Indem der Verf. nun in ähnlicher Weise die Ein- wirkungen des Magneten auf das. Wasser und dadurch auf den Organismus betrachtet, kommt er endlich zu dem Einfluss der Elektrieität als Krankheit erzeugendes Mittel, worüber wir auch noch den Verf. selbst hören wollen : „Welchen bedeutenden Einfluss die Elektricität hat, aamentlich wie schädlich die negative Elektrieität wirkt, kann sich jeder aufmerksame Arzt überzeugen, wenn er auf die Krankheitsformen Rücksicht nimmt, wie sie vor- kommen, wenn nur für einige Stunden, während einiger Tage die Luftelektrieität negativ wird, namentlich bei intensiverer Einwirkung. Es werden unter diesem Ver- hältnisse, wenn namentlich noch andere Umstände, z. B. starke Hitze hiezu einwirken, sogar sporadische Cholera- formen vorkommen, welcher Umschlag der Elektrieität ge- wöhnlich aus der Luft selbst geschehen mag, indem die oberen Luftschichten sich stärker positiv spannen, die der Erde zugekehrten mehr negativ laden. Demhin ergeben sich hieraus wieder neue Gründe, dass die Entstehung der Cholera ihren Grund in einer längere Zeit dauernden Umkehrung der normalen positi- ven Luftelektricität in negative und der normalen nega- tiven Erdelektricität in posive habe, welchem Uebergange natürlich eine Abnahme der normalen negativen Erd- und positiven Luftelektrieität (demnach auch eine Abnahme ‚des Ozons) vorgehen muss. Dass der Einfluss der Einwirkung der negativen Elektrieität und ihrer Produete je nach der Intensität der elektrischen Ladung (Spannung) nach der Individualität, und je nach der fortgesetzten und wiederholten Dauer derselben stärker oder schwächer hervortreten wird, ist wohl begreiflich. *) So fand ich denn auch während der Cholera im ver- tlossenen Jahre, namentlich auf ihrem Höhepunkte, das Ner- vensystem ausserordentlich empfindlich. Bei einzelnen Indi- viduen, welche über einen beständigen Druck und eine stete Beklommenheit in der Präcordialgegend, in der Gegend über der Lage des Plexus solaris klagten, machte in der Nacht selbst der Eindruck des Kerzenlichtes Brechreiz. Daher war es aber auch sehr nothwendig bei Cholerakranken, alle psy- chischen Aufregungen, selbst den Eindruck der Freude fern zu halten, denn ich nalım einigemal wahr, dass, nachdem bei solchen Kranken Erbrechen und Diarrhöe gestillt, und der Kranke entschieden auf dem Wege der Besserung war, durch einen Gemüthsaffekt diese sich wieder steigerten und beinahe eine grössere Vehemenz erreichten, wie vorher. 138 Es erschliesst sich auch hieraus, dass alle Epide- mieen vom Typhus an bis zu den heftigsten Pestformen nur ein gesteigertes Continuum bilden (an einer Schnur hängen). Wenn daher noch Umstände hinzutreten, welche die während der Cholera herrschenden alienirten allgemeinen Elektricitätsverhältnisse noch lokal mehr steigern, so wird natürlich da in höherem Grade eine Schädlichkeit auftre- ten, und leichter hiemit die Cholera. Ich habe nachgewiesen, dass die Abtritte bei Luft- zug nach Oben einen negativ - elektrischen Strom ge- ben. Summirt sich dieser daher mit der vorhandenen mehr herrschenden negativen (schädlichen) Luftelektrici- tät, so ist begreiflich, wie unter der hiedurch entste- henden höhern Intensität derselben leicht die Cholera zur Entwickelung und Entstehung kommen kann. Die Cholera wird aber, namentlich wenn sie bös- artig lokal auftritt, ihren Grund mehr in der Erde ha- ben, und zwar in der Umänderung der normalen nega- tiven Erdelektricität durch Einströmen positiver Elektrici- tät aus dem Innern der Erde nach dem Gesetze der Um- polarisirtung. Aber selbst bei dem Herrschen der fürch- terlichsten Choleraepidemie scheint dieser nachtheilige Ein- fluss nicht für längere Zeit permanent zu sein. Mehrere Stunden täglich, wenn die Luft in gewisser Intensität negativ, die Erde positiv ist, mögen hinreichen, heftige Epidemieen zu erzeugen. Eine länger anhaltende Dauer der Umänderung der normalen Elektricitätsverhältnisse der Luft und der Erde in hohem Intensitätsgrade wäre gewiss hinreichend, alles Lebende, was diesem Einflusse unterstellt wäre, zu tödten. Hierin hat die Natur aber auch ein Vertilgungsmittel für alle ihre lebenden organi- schen Geschöpfe. Hiefür spricht besonders Folgendes: Ich machte während der Cholerazeit in hiesiger Stadt öfters die Beobachtung, worauf mich übrigens auch An- dere aufmerksam machten, dass das Brunnenwasser matter und staubiger erschien, wie sonst, und leicht Diarrhöen erzeugte. Es verhielt sich ähnlich dem künstlich dargestellten positiv-elektrischen Wasser. Demnach möchte man nach dem Angegebenen vermuthen, dass während dieser Zeit die Erde (die im Normalzustande negativ ist) mehr po- sitiv war, wonach die Luft, welche im Normalzustande positiv ist, mehr negativ werden musste, und zwar in den der Erde unmittelbar zugekehrten Schichten. Hiefür sprach auch die eigenthümliche staubige, mit gelbröthlichen Dünsten erfüllte Atmosphäre, welche un- sere Stadt während der Cholerazeit einhüllte. War die Erde und das Wasser mehr positiv, die Luft mehr ne- gativ, so wurde die Verdunstung dieses veränderten Wassers von der Erde aus begünstigt, da Wasser unter positiver Elektricitätsspannung, wie oben angegeben wurde, leichter verdunstet, als unter negativer. Da aber die Luft mehr negativ war, so wurde hierin die Verdunst- 139 mehr gehemmt. Daher musste die Atmosphäre mehr mit Dunst erfüllt werden. Ueberhaupt hat man, lässt man positiv - elektrisches oder südpolar-magnetisches Wasser längere Zeit dem Elek- trieitätseinflusse ausgesetzt stehen, in der eigenthüm- lichen Veränderung desselben ein Bild der Cholera-At- mosphäre. Bemerkenswerth ist es hier auch, dass solche Orte und Städte, welche auf Kalkboden liegen und von Kalk- hügeln. umgürtet sind, dabei zweckmässig einen guten Luftzug haben, von der Cholera verschont bleiben. Der Grund mag darin liegen, dass der Kalk stark negativ-elektrisch ist, namentlich bei Erwärmung, was man durch die erwähnte Magnetnadel leicht nachweisen kann. Demnach, wenn unter gewissen Verhältnissen, z. B. durch Eintreten eines positiv - elektrischen Erdstro- mes die Erde mehr positiv wird, so wird der Kalkerde- boden noch neutral (indifferent) sein, während andere Erdflächen, wo der positive Erdstrom nicht neutralisirt wird, positiv erscheinen — und demhin wird die atmo- sphärische Luft nach dem Gesetze der elektrischen Ver- theilung hiebei negativ (mithin schädlich) werden. Daher müssen auch die Häuser am gesundesten zu bewohnen sein, welche aus kohlensaurem Kalk aufgebaut sind, ein Material, woraus die Natur selbst die Häuser für die Thiere zu bauen pflegt (Eierschalen, Muscheln u. Ss. w.)*). Nun drängt sich aber auch noch eine weitere Frage zur Beantwortung auf, ob unter diesem veränderten Ein- flusse nicht bestimmte Zeugungen entstehen, welche als fixe giftige Stoffe, wenn. sie von dem menschlichen Or- ganismus aufgenommen werden, namentlich unter Be- günstigung der angegebenen Luftbeschaffenheit, die Cho- lera hervorbringen können; ob nämlich die Cholera nicht auch miasmatisch ist, oder wenn die Cholera einmal un- *) Die Anforderungen für ein Haus, wenn es gesund zu bewohnen sein soll, sind im Wesentlichen folgende: 1) Es sei aus kohlensaurem Kalk gebaut. 2) Es sei mit negativen Stoffen bedeckt, durchaus nicht mit Metallen, z. B. Zink, Kupfer, Eisen; diese werden beim Erwärmen positiv-elektrisch, wirken daher in einer gewissen Entfernung durch elektrische Vertheilung negaliv. (Die nach- theilige Luft des Industriepalastes liefert hiefür einen Beleg.) 3) Die Abtritte seien so konstruirt, dass in den Schläu- chen der Luftzug abwärts geht, oder dass in ihnen an ihrem untern Theile eine seitliche Lufidureliströnung stalthaben kann. 4) Die Lokalitäten seien nicht feucht, wohl mit Luft durchzogen und wo möglich mit Kohlensaurem Kalk an den Fussböden geplaltet — besonders wegen des Aufwaschens. 5) Pferdeställe müssen aus den Häusern entfernt bleiben. 6) Metalle und überhaupt die Elektricität gut leitende Körper halte man auch aus den Wänden entfernt. 7) Röhrenheizungen mit Wasserdampf führe man nicht ein; sie machen die umgebende Luft negativ-elektrisch u.s. w. Am besten erbaut man seine Oefen aus Platten von kohlen- saurem Kalk, oder überhaupt einem Materiale, welches beim Erwärmen negativ-elektrisch wird, mithin durch elektrische Vertheilung die Umgebung (die Luft) mehr positiv macht, 140 ter den angegebenen äussern Verhältnissen in einem In- dividuum sich entwickelt hat, nicht in den Grenzen des Organismus einen Stofl erzeugen kann, welcher als Sa- menkorn Andern übertragen dieselbe Krankheit hervor- bringt, wodurch nämlich die Cholera contagiös wird; — diese Uebertragung wird wohl leichter geschehen bei Ein- wirkung einer gesteigerten Alienation und längerer Dauer der öfter angegebenen Elektricitätsverhältnisse der Luft und der Erde, wobei die Choleraformen selbst hiemit in- tensiver (bösartiger) hervortreten müssen (die genuine asiatische Cholera). Ueber ursprüngliche und erneuerte Vaccina- tionslymphe. Von Dr. Friedinger (Wien). In der Wiener k. k. Impfanstalt wird noch mit der ursprünglich aus London bezogenen Kuhpockenlymphe ge- impft, doch sind auch Erneuerungsversuche gemacht, wor- über der Verf. im Wochenblatt der Gesellsch. der Aerzte in Wien berichtet. Er geht dabei sehr auf Einzelnheiten ein, die weniger interessiren können, sodann fährt er fort: „Aus dem Gesagten ist ersichtlich, dass das Impf- institut niemals in der Nothwendigkeit sich be- fand, originäre Lymphe aufzunehmen. Doch wurde von Dr. Zöhrer die alte Lymphe aus London theilweise und mehrmals erneuert. Es geschah diess stets nur mit der Kuhpockenlymphe der einen Reihe von Impflingen, wäh- rend eine zweite Reihe von Impflingen stets nur mittelst der alten fortgepflanzten Lymphe aus London geimpft wurde. Die eine Reihe der Impflinge war im 1. Stock, die andere im 2. Stock der Findelanstalt. Eine dauer- hafte Erneuerung der alten Lymphe im 1. Stock wurde 14 Mal durch Rückimpfung und 1 Mal durch originäre Lymphe veranlasst. Die Rückimpfung auf eine Kuh ge- schah am 13. April 1842 in Bisamberg. Der Erfolg war ein entsprechender. Die Uebertragung auf Menschen war gleichfalls von gutem Erfolge begleitet. Diese retrovac- cinirte Lymphe wurde von Dr. Zöhrer und auch nach seinem Tode fortgepflanzt. In diese Reihe der Impflinge wurde am 21. Juni 1850 die originäre Lymphe aus Brei- tensee aufgenommen. Auch diese wurde neben der Lym- phe aus Bisamberg bis nach Zöhrer’s Tod fortge- pflanzt. Die originäre Lymphe aus Breitensee haftete ur- sprünglich nicht in der unmittelbaren Uebertragung von der Kuh auf ein Kind. Sie haftete erst mittelst des er- weichten und auf die Einschniltsstelle aufgebundenen Schor- fes der originären Kuhpocke. Es gab daher im Jahre 1850 dreierlei Kuhpockenlymphe in dem Vacein -Haupt- institut, und zwar: 1. Die alte Lymphe aus London, fortgepflanzt im 2, Stock der Findelanstalt. 2. Die retrovaceinirte Lymphe aus Bisamberg, und 141 3. die originäre Lymphe aus Breitensee; beide im 1. Stock. Im Jahre 1853 aber war die Impfung im 1. Stock in’s Stocken gerathen. Die Lymphen aus Bisamberg und Breitensee gingen verloren. Es wurde von auswärligen Impflingen. welche mit Lymphe des Instituts geimpft wur- den, Lymphe aufgenommen und fortgepflanzt. Die Ab- stammung dieser neuen Lymphe war mit Genauigkeit nicht ermittelbar. Als kurz darauf das Geschäft der Kuhpockenimpfung mir als prov. Hauswundarzt übergeben wurde, war die Haftung der Lymphe im 1. Stock bisweilen eine sehr mangelhafte. Mit Erlaubniss der löbl. Direction verpflanzte ich die gut haftende alte Lymphe in der zweiten Reihe der Impflinge im 2. Stock in die eine Reihe der Impf- linge im 1. Stock. Von dieser Zeit an war die Impfung im 4. Stock nicht mehr in’s Stocken geralhen. Vorüber- gehende Störungen veranlassten bisweilen eine weniger allgemein gute Haftung. Sie sind in dem Jahresbericht der k. k. Findelanstalt im Jahre 1854 und im Jahre 1855 angeführt. Niemals aber konnte der Lymphe eine continuirliche Abnahme ihrer Eigen- schaften zugeschrieben werden. Es wurde da- her seit dem Jahre 1853 nur Eine Lymphe im Institut fortgepflanzt. Es ist diess die vom Regierungsrath Dr. Ferro zuerst angewandte, von Dr. de Carro fortge- pflanzte Lymphe aus London. Seit der Gründung des Vaccin-Institutes im Jahre 1801 wurde aber ausser den angeführten Lymphearten oft- mals originäre und retrovaccinirte Kuhpockenlymphe ver- sucht. Die meisten Versuche waren misslungen. Waren sie aber gelungen, so waren sie doch in ihrer Fortsetzung verschiedener ungünstiger Ereignisse wegen meist nicht entsprechend. Die Lymphe wurde daher nicht fortge- pflanzt. Zahlreiche zufällige Erkrankungen der Impflinge waren der Fortpflanzung der Lymphe gleichfalls nicht günstig. Ebenso geschah es einmal vor Einführung der Lymphe aus Bisamberg und Breitensee, dass die Pocken aller Impflinge im 1. Stock in grosse Blasen entartet wa- ren, so dass keine Weiterimpfung möglich war. Dr. Zöh- rer war dadurch zu einem neuen Anbau mittelst alter Lymphe genöthigt. Gelungen war ein Versuch mit originärer Lymphe, welche im Jahre 1842 von der k. k. Landwirthschafts- Gesellschaft an drei Beinlanzetten eingeschickt worden war. Nur eine einzige Pocke wurde aus sechs Impfstichen er- zeugt. Diese Pocke unterschied sich in nichts von der älteren Genitur. Die Lymphe dieser Pocke wurde nicht fortgepflanzt. Gelungen war auch ein Versuch mit originärer Lym- phe, welche vom k. k. Bezirksarzt Dr. Schiffner am 30. November 1843 auf Beinlanzetten eingeschickt wor- den war. Unter vier geimpften Kindern erhielt Eines eine einzige kleine Pocke. Alle übrigen erfolglos geimpften Kinder wurden nachher von dieser einen Pocke aus noch- 142 mals, diessmal aber mit vollständigem Erfolg geimpft. Diese Lymphe wurde nach einigen Generationen fallen ge- lassen, weil der Erfolg häufig wechselte, und die retro- vaccinirte Lymphe aus Bisamberg an ihre Stelle kam. — Seit dem Jahre 1853 wurde zweimal originäre Lymphe auf Beinlanzetten eingeschickt. Die Versuche aber waren misslungen, sowohl an Menschen, als auch an Kühen. Ebenso war misslungen jene Abimpfung von originären Pocken, welche im Jahre 1855 in der Vorstadt Wieden beobachtet wurden. Immer wurde originäre Lymphe im Schutzpocken - Hauptinstitut entsprechend verwendet, wenn auch selten mit entsprechendem Erfolg. So wie die Haftung der originären Kuhpockenlym- phe, eben so unsicher war die Haftung der retroyaceinir- ten Lymphe. Ausgenommen ist die Rückimpfungs - Lym- phe aus Bisamberg, und einmal aus Florian in Steier- mark. Ein Versuch mittelst directer Uebertragung geschah im Jahre 1854 im k. k. Thierarznei-Institut in Wien in Gegenwart von mehreren Kunstverständigen. Ein zweiter ähnlicher Versuch geschah im Jahre 1855 auf der Wind- mühle. Beide Versuche waren fruchtlos. Ueberall wurde Haftung an den Kühen, aber nirgends Haftung an Men- schen erzeugt. Eben so erging es dem Dr. Zöhrer mit einer eingesandten retrovaccinirten Lymphe aus Flo- rian in Steiermark. Sie haftete nicht. Immer also war das Institut entsprechend thätig, auch die retro- vaccinirte Lymphe zu verwerthen. Erst in neuester Zeit war es wieder gelungen, neben der alten Kuhpocken- lymphe aus London auch originäre Kuhpockenlymphe aus Oesterreich in das Institut einzuführen. Originäre Kuh- pocken wurden im Monat Juli in der fürstl. Salm’schen Zuckerfabrik in Absdorf, obrigkeitlicher Bezirk Zisters- dorf, an vier Kühen aufgefunden und ämtlich bestätiget. Der k. k. Bezirksarzt Dr. Komoraus in Feldsperg überschickte an die k. k. Statthalterei zehn Doppel-Bein- lanzetten, mit originärer Lymphe imprägnirt. Mittelst hohen Statthalterei-Decrets T. 33299 wurden die Lan- zeiten am 25. Juli der löbl. k. k. Findelhaus - Direction zur Verwendung übergeben. Am 27. Juli wurden drei, später noch zwei Säuglinge miltelst dieser trockenen Lym- phe geimpft. Die Lymphe wurde theils mittelst kaltem Wasser, theils mittelst Speichel aufgeweicht. An jedem Kinde wurden sechs Impfstiche gemacht. Nur an einem und zwar gut genährten Ammenkinde wurden zwei Pok- ken erzeugt. Bei den übrigen Kindern blieb die Impf- ung ohne Erfolg. Ihre wiederholte Impfung aber theils mit alter Lymphe des Instituts, theils mit neuer, huma- nisirter Lymphe war von vollkommenem Erfolg. Die Pocken der originären Lymphe unterschieden sich nicht wesentlich von den Pocken der alten Lymphe. Sie waren nur verlangsamt in ihrem Verlauf und erreichten ihre stärkste Entwickelung erst am zehnten Tage. Doch wa- ren beide Pocken schon am fünften Tage in Gestalt zahl- reicher, in Gruppen stehender, kleiner, mit einem Umbe 143 versehener Bläschen sichtbar. Am 9. Tage umgaben sich die Pocken mit einem dunkelrothen Hof in der Aus- dehnung eines Kupfergroschens. Am 10. Tage begann die Schorfbildung, welche wie gewöhnlich verlief und in der 3. Woche beendigt war. Das Fieber war mässig und jenem der übrigen Impflinge gleich. Diese originäre Lymphe wird im 2. Stock der k. k. Findelanstalt in einer eigenen Reihe von Impflingen, ge- genwärtig die 13., fortgepflanzt. Die alte Lymphe aber aus London verbleibt in einer 2. Reihe von Impflingen im 1. Stock. Bei Gelegenheit der Einführung der originären Kuh- pockenlymphe wurde durch die Erfahrung dargethan, dass die Nichthaftung der originären Lymphe in Einigen (diess- mal in vier Kindern) keineswegs ein Beweis für unechte Beschaffenheit der Lymphe sei, dass daher aus dem ne- gativen Resultat überhaupt kein Schluss zu ziehen sei. Andererseits wurde dargethan, dass die originäre Lym- phe, in ihrer ersten Uebertragung unsicher haftend, an Sicherheit erst gewinne, sobald sie einmal mit Erfolg übertragen worden war, wie diess die Erfahrungen des Dr. Zöhrer mehrfach bestätigen, und wie diess her- vorgeht aus einer Schrift des Operateurs Dr. Unger aus Florian in Steiermark. Durch jene Schrift, vom 1. September 1846, enthaltend die Theorie über Regene- rirung der Kuhpockenlymphe, gibt Dr. Unger selbst kund, dass die retrovacinirte Lymphe, wie sie in den ihm anvertrauten Rückimpfungs-Institut, eingerichtet von Sr. kais. Hoheit dem durchlauchtigsten Herrn Erzherzog Johann, bisher gewonnen wird, durch den Kuhorga- nismus in ihrer Haftung und Reaction geschwächt, von etwa adhärirenden Krankheitsstoffen nach seiner Meinung aber gereiniget und mit erhöhter Schutzkraft versehen werde. Auf die Widerlegung dieser willkürlichen, un- nachweisbaren Annahme im 2. und 3. Satz einzugehen, kann nicht Aufgabe dieses Aufsatzes sein, und ich ver- weise in dieser Beziehung auf das neueste Werk von Dr. 144 Barthez und Rilliet S. 132 über Vaccine, auf jene von Dr. Eimer und Dr. Zöhrer, sowie auf die von mir selbst angestellten Vaccin-Impfversuche in syphiliti- schen Individuen, bekannt gemacht im Jahre 1855 in dem Journal der k. k. Ges. d. Aerzte in Wien. Man hat jene nachtheiligen Folgen der Vacein-Impfung, wie sie auch im Verlaufe der Variola vera beobachtet werden, mit Unrecht nur allein der schlechten Qualität der Vac- cinlymphe zugeschrieben, und dabei vergessen, dass man auch in der Kuhpocke nichts Anderes vor sich habe, als ein Blattercontagium, wenn auch ein Blattercontagium der mildesten Art. Man hat gegenwärtig den Schrecken der Blatterepidemieen überhaupt vergessen und ist so häufig bemüht, die Wohlthat der Kuhpockenimpfung zu verdächtigen, anstatt sie entsprechend zu würdigen. Bleibt die Kuhpocke wohl eine Blatterkrankheit, welche dem Menschen absichtlich eingeimpft wird, so ist sie aber doch in keine Parallele zu stellen mit jener gefährlichen Blatterkrankheit, welche zur Zeit der Einführung der Kuhpockenimpfung fast unvermeidlich war, und welche eben nur durch die Kuhpockenimpfung in ihrer Häufig- keit und Gefährlichkeit so sehr vermindert ist.“ Miscellen. Ueber Heilung der allgemeinen progressiven Paralyse durch Impfung hatHr.Köstl (Prag) im Irren- haus zu Prag Beobachtungen angestellt, die interessante Resul- tate versprechen. Er hatte beobachtet, dass solche Fälle wäh- rend der Variolen sich sehr gebessert hatlen und hat danach re a dagegen versucht. (Psychiatr. Corresp.-Bl. 19. .) 2 Augenentzündungabhängig vonfremdenKör- pern im äusseren Gehörgange. Dr. Buschaert hat zu Algier eine Augenentzündung beobachtet, welche jeder Be- handlung widerstand, bis durch Extraction von 2 grossen Pfröpfen von Cerumen aus den Ohren die Augenentzündung wie durch Zauber schwand. Bibliographische Neuigkeiten. N. — F. Antoine, Die Cupressineengattungen: Arcenthos, Juniperus und Sabina. 1. Hft. Fol. Comm. Beck’s Univ - Buchh. in Wien. 2 Thlr. 6 Sgr. Mayer, Zur Anatomie des Orang-Utang und des Chimpanse. 8 Ser. —— Ueber d. Eindringen der Spermatozoiden in d. Ei. 8. Comm. b. Henry u. Cohen in Bonn. 12 Sgr. J. Henle und @. Meissner, Bericht über d. Fortschritte der Anat. und Physiologie i. J. 1856. 1. Hlfte. 8. Wintersch. Verl. in Lpzg. 1/, Thlr. C. Davaine, Rech. sur l’anguillate du ble nielle, considerde au point de vue de l’histoire naturelle et de V’agriculture (Mem. couronne par VInstitut). 8. 85 p. 3 pl. Paris, J. B. Bailliere. MH. — H. Eulenberg, Zur Heilung d. Gebärmuttervorfalls, nebst Beschreibung eines neuen Hysterophors. 8. Ratlı- geber in Wetzlar. !/, Thlr. F. Oesterlen, Handb. der Hygiene, der privaten und öffent- lichen. 2. Aufl. 8. Laupp in Tübingen. 4%, Thlr. G. Hirsch, Klinische Fragmente. I. Abth. 8. Gebr. Born- träger in Königsberg. 1 Thlr. 3 Sgr. B. M. Lersch, Einleitung in die Mineralquellenlehre. 6. Lfg. gr. 8. Enke’s Verl. in Erlangen. gratis. E. Blasius, Neue Beiträge zur praktischen Chirurgie. Nebst einem Berichte üb. d. chir. Klinik zu Halle. 8. Förstner’s Buchh. in Leipzig. 2%, Thlr. F. W. Beneke, Morbilitätsnachrichten a. d. J. 1855. 8. Van- denhöck und Ruprecht’s Verl. in Göttingen. Y/, Thlr. Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena, Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. EEE. Band X 10. Naturkunde. F. Leydig, Das Bindegewebe. (Schluss folgt.) — Miscelle. Sacco, Kıystallinische Niederschläge in der Rinde dicotyler Holzgewächse.,. — Heilkunde. H. W. Berend, Ueber Heilgymnasiik bei inneren Krankheiten. — J. Schlossberger, Ueber die neueren Versuche zur Aufklärung des Wurstgiftes. — Bibliographie. Naturkunde. Das Bindegewebe. Von Prof. Dr. Franz Leydig (Würzburg) *). In dem unten angeführten, sehr schön ausgestatteten und reichhaltigen Werke ist der Versuch gemacht, eine vergleichende Histologie zu geben, welchen Versuch zwar der Verf. als zu früh angestellt bezeichnet, der aber aus- ser der Masse des erlangten kritisch-gesichteten Materials für Alle, die sich mit der wissenschaftlichen Anatomie in Bekanntschaft erhalten wollen, das grosse Verdienst hat, dass dadurch in einer Zeit, wo ausserordentlich viel ge- arbeitet wird, zusammenfassende Uebersichten gegeben sind, welche der nicht selbstthätig das Feld mit Bearbei- tende nothwendig gebraucht, will er nur im Stande sein, dem Gang der Wissenschaft zu folgen. So wird die Aus- hebung des Artikels über das Bindegewebe (freilich ohne die vortrefllichen Abbildungen) gewiss Viele veranlassen, das Buch selbst zu studiren. „Wer eine Anzahl von Thierformen, sei es auch nur oberflächlich, in’s Auge fasst, wird von vornherein die Ansicht aussprechen, dass die Bindesubstanz nach ihren physikalischen und wohl auch chemischen Ei- genschaften sehr abändern müsse, da ja doch im Körper einer weichen gallertigen Qualle, z. B. das gestaltgebende und stützende Gewebe nicht wenig verschieden sein muss von dem Gewebe, welches z.B. bei einer Schildkröte oder bei einem Krebs den starren Panzer bildet! Auch dringt sich uns dieser Gedanken nicht bloss auf bei der Durchmusterung ganzer Thierreihen, sondern ebenso leb- 4*) BEE Lehrbuch der Histologie des Menschen und der Thiere. Von Dr. Franz Leydig, Prof. zu Würzburg. Mit 272 eingedruckten (sehr schönen) Holzschnitten. 8. 551 S. EN a. M., Verlag von Meidinger, Sohn und Comp., 091, haft, wenn wir die Organisation eines einzelnen höheren, z. B. Wirbelthieres blicken. Nehmen wir der Veran- schaulichung halber zwei Extreme! Ein Knochen und der Glaskörper im Auge werden beide zu den Geweben der Bindesubstanz gestellt, die Funktion beider ist auch, abgesehen von Nebenbeziehungen, das Stützen, der eine als Tragbalken eines Körpergliedes dienend, der andere als Mittel, die Form des Augapfels durch Ausspannen der Augenhäute zu wahren. Und welch’ grosser Unter- schied ist dabei zwischen dem festen, harten Knochen und dem wässerigen, leicht zerfliessenden Glaskörper ! Das Vorbemerkte kann genügen, um die Ueberzeug- ung zu schöpfen, dass die Gewebe der Bindesubstanz in ihren physikalischen Eigenschaften alle Grade der Cohä- sion repräsentiren müssen, und dass sie eine förmliche Stufenleiter vom Halbflüssigen bis zum ganz Festen und Starren zu durchlaufen haben. Den morphologischen Charakter oder die wesentlichen Merkmale des in Rede stehenden Gewebes kann man so ausdrücken: in der Mehrzahl ihrer Formen besteht die Bindesubstanz aus Zellen und homoge- ner Zwischenmaterie, wobei das Mengenverhältniss, in dem das eine Constlituens zum andern tritt, in der Art wechselt, dass entweder beide in gleichem Maasse sich an der Zusammensetzung betheiligen oder dass sich ein Uebergewicht auf die eine oder die andere Seite neigt, bald demnach die Zellen vorherrschen und die Zwischen- substanz zurückgedrängt wird, ja sogar auf ein Minimum reducirt sein kann, oder umgekehrt, die Zwischensubstanz waltet vor oder ist so massenhaft geworden, dass die Zellen nur noch in Resten zugegen sind, auch wohl gänz- lich verdrängt werden können. Mancherlei Wechsel offenbart sich auch in der Form und dem Inhalt der Zellen, sowie in der Beschaf- fenheit des Intercellularstoffes. Die Zellen können rund 147 sein und von da durch zahlreiche Uebergänge zu strahli- gen Gebilden werden, die selbst wieder netzartig unter einander in Verbindung treten, ein andermal wachsen sie zu langen, feinen, verästelten Kanälen aus (Zahnkanäl- chen z. B.). Der Zelleninhalt erscheint bald von mehr indifferenter Natur, oder er zeigt sich als Fett, Pigment, Kalk, Luft, zum Theil, wie mir dünkt, selbst als con- tractile Materie. Der Intercellularstoif ändert sich ab von halbflüssiger Substanz zu Gallerte, Schleim, Leim, Cellu- lose, er kann chitinisiren, er kann verkalken. Je nachdem Zellen und Zwischensubstanz in ange- deuteter Weise gewisse Eigenschaften einhalten, sonderb man die Bindesubstanz in folgende Arten. 1. Das Gallertgewebe. Solches ist in den Embryonen der Wirbelthiere (sub- cutanes Gewebe, Whartonische Sulze u. s. w.) stark ver- breitet, doch auch im fertigen Körper kommt es vor. Ich zähle hieher nicht bloss den Glaskörper aller Wirbel- thiere, sondern auch z. B. die weiche Substanz, welche bei Vögeln den Sinus rhomboidalis des Rückenmarkes ausfüllt; in bedeutenderer Anhäufung trefien wir das Gal- lertgewebe bei vielen Fischen unter der äusseren Haut an und in den wirklichen und pseudo-elektrischen Orga- nen, sowie in der Umgebung der sogenannten Schleim- kanäle. Manche Autoren (Virchow) nennen diese Form der Bindesubstanz Schleimgewebe. Die Zellen bilden gewöhnlich hier durch strahliges Auswachsen und Anastomosiren ein Fachwerk, in dessen Maschen ein sulziger Stoff liegt, der beim Kochen nicht Leim giebt, sondern Eiweis und einen dem Schleimstoff ähnlichen Körper enthält. Der Kern der Zellen markirt sich häufig noch in den Knotenpunkten des Gerüstes, in andern Fällen, wie z. B. im ausgebildeten Glaskörper, sind nicht einmal mehr Zellenrudimente nachzuweisen, da die homogene Zwischenmaterie allein übrig geblieben ist. Bei vielen Wirbellosen spielt besagtes Gewebe eine grössere Rolle, namentlich bei den Quallen und Mol- lusken (zahlreichen Gasteropoden, Heteropoden, Cephalo- poden, Tunikaten), auch bei Krebsen an gewissen Körper- stellen wird es gefunden. Die Zellennetze sind anfangs dichter und, wie Gegenbaur an jungen Rippenquallen sah, es erscheinen die Zellenausläufer als deutliche Röhr- chen; später mit dem Wachsthum des Thieres und der Zunahme der hyalinen Zwischensubstanz werden sie zu solid aussehenden Fasern. Die Intercellularmasse giebt nach Schultze weder Leim noch enthält sie Schleim. Sehr isolirt steht bis jetzt die Thatsache, dass sie bei den Tunikaten cellulosehaltig ist (Schacht, Müll. Arch. 1851). Von Interesse, und wie mir dünkt auch wichtig für die Entstehung der elastischen Fasern sind die Mittheilun- gen, welche Virchow (Arch. f. path. Anat. 1855 8. 558) und Schultze (Müll. Arch. 1856) über Fasern 148 in der Gallertsubstanz der Medusen gegeben haben. Sie stehen mit den Ausläufern der Zellen nirgends in Ver- bindung, sondern bilden ein ganz selbstständiges Faser- system, sie sind verschieden breit, homogen, glashell, verlaufen gestreckt in allen Richtungen, theilen sich häufig und verbinden sich unter einander unter allen möglichen Winkeln, oft verschmelzen mehrere Fasern zu breiteren Platten. Sie verleihen der Gallertmasse Festigkeit und Elastieität. f Ich kann nicht umhin, hier anzumerken, dass viel- leicht in den lokalen Beziehungen des Gallertstofles zu den Zellen nicht bei allen Wirbellosen Alles mit dem oben aufgestellten Schema slimmt. Frühere Aufzeichnun- gen von mir über das gallertige Bindegewebe von The- tys, von der Haut der Cephalopoden, auch vom Fett- körper einiger Insekten (z. B. von Larven der Acshna, wo mir die Gallerte sogar in eigenen Bläschen der Zel- len enthalten zu sein bedünkte) lassen vermuthen, als ob die Gallerte hier Zelleninhalt und nicht Intercellularsub- stanz wäre, das Gewebe nimmt sich aus, wie wenn es von verschieden grossen, mit hyaliner weicher Masse ge- füllten Blasen zusammengesetzt wäre. Doch sind er- neute Untersuchungen abzuwarten, um zu sehen, was da- ran Wahres ist. 2. Das gewöhnliche Bindegewebe. Es wird, obschon nicht recht passend, das fibril- läre Bindegewebe genannt, früher hiess es zumeist Zell- gewebe und tritt uns im Körper der Wirbelthiere bald in festerer Gestalt entgegen, z. B. in den Sehnen, Bän- dern, als Grundlage von mancherlei Häuten, oder wir sehen es von mehr weicher, lockerer Art, und dann fungirt es als interstitielles Bindegewebe. Die Grund- oder Intercellularsubstanz fin- den wir beim gewöhnlichen Bindegewebe als eine festere oder auch nachgiebige Materie, die leimhaltig ist und sehr allgemein eine Schichtung aus zarten Lamellen auf- weist, wodurch sie eine streifige Zeichnung erhält, die früher gemeinhin auf eine Zusammensetzung aus Fäser- chen bezogen wurde, woher auch die Benennung „fibril- läres Bindegewebe‘ stammt. Die zelligen Elemente, Bindesubstanzzellen (Bindegewebskörperchen Virchow) bleiben entweder mehr rundlich oder sie sind strahlig ausgewachsen, verzweigt und hängen untereinander zusammen. Durch die Art und Weise, wie die verzweigten Bindegewebskörper die homogene, geschichtete Grundsubstanz durchsetzen, gren- zen sie letztere zu cylindrischen, bänderarligen Strängen, den sogenannten Bindegewebsbündeln ab. Der Inhalt der Bindegewebskörper kann sehr va- riiren, die Zelle, rundlich geblieben, füllt sich mit Fett und man wendet jetzt für diese Form der Bindesubstanz den Ausdruck Fettgewebe an, ein andermal führen die Zellen des Bindegewebes körniges Pigment und wer- den dann in den histologischen Schriften unter dem Na- 149 men „verzweigte oder sternförmige Pigment- zellen‘ aufgeführt. Oben, als von den Zellen der Bindesubstanz ganz im Generellen die Rede war, habe ich unter dem möglichen Inhalte der Zellen auch die contraclile Substanz aufgeführt, wobei ich eben die ver- ästelten Pigmentfiguren in der Lederhaut der Amphibien im Sinne hatte, denn es scheint mir, dass es jener, die Pigmentkörnchen zusammenhaltende hyaline Inhalt der Zellen wäre, welcher die Contractionserscheinungen be- wirkt. — Bezüglich der Art, wie die Zellen mit Fett gefüllt sind, fällt mir auf, dass bei manchen Fischen (Stör z. B.) und Vögeln (z. B. bei der Taube unter der Zunge) die Feltzelien ein maulbeerförmiges Aussehen ha- ben, indem nur einzelne dichtgedrängte Fettklümpchen in der Zelle liegen, die so selbstständiger Natur sind, dass selbst ein starker Druck nicht vermag, sie aus dieser Form zu verdrängen und etwa zum Zusammenfliessen zu bringen. — Die Farbe des Fettes wechselt, ausser weis- sem Fett sieht man gelbes, rothes, blaues, namentlich bei Wirbellosen. — Die Fettzellen beim Menschen und den Säugern zeigen nach dem Tode, beim Erkalten häufig Fett- (Margarin) Krystalle, sternförmig gruppirt, oder auch wohl die Zelle grossentheils erfüllend. Die unten erwähnte Beobachtung am Fettkörper des Coccus spricht dafür, dass auch bei Wirbellosen Aehnliches vorkomme. Ganz besonders muss hervorgekehrt werden, dass die verzweigten Zellen der Bindesubstanz sich unmittelbar zu den Capillaren der Blut- und Lymphgefässe fortzubilden vermögen, und es kann im concreten Falle (wozu die Folge Bei- spiele geben wird) lediglich von der individuellen Be- trachtungsweise abhängen, ob man die verzweigten und anastomosirenden Hohlgänge in der Bindesubstanz Capil- largefässe oder netizförmig zusammenhängende Bindege- webskörper nennen will. Ein allgemeiner wichtiger Charakter des gewöhnlichen Bindegewebes, der recht gewürdigt zum Ausgleichen ei- niger Streilfragen dienen könnte, äussert, sich darin, dass die Intercellularmasse eigerthümliche Härt- ung und Verdichtung erfährt entweder bloss an den Grenzschichten oder auch wohl in Streifen mitten durch das Ganze. Auf solche Art umgewandelte Grundsubstanz des Bindegewebes trägt den Namen elastisches Ge- webe, da es sich durch grosse RBlastieität auszeichnet. Bezieht sich die Härtung bloss auf die Grenzlagen, so entstehen dadurch die sogenannten Membranae propriae, die Glashäute der Autoren, die Basement membrane eng- lischer Histologen. Durch diesen Vorgang der Härtung und Verdichtung gewinnt das Corium der äusseren Haut, der serösen und Schleimhäute einen hellen Grenzsaum oder Rinde, und in den Drüseneinstülpungen wird die Schieht zu den Membranae propriae. Verdichtet sich hingegen die Grundsubstanz in netzförmigen Zügen, so entstehen, wie ich mit Henle und Reichert behaup- ten muss, die elastischen Fasern und Platten. Aber auch 150 von den sogenannten Spiralfasern lässt sich nach- weisen, dass sie (obschon Kunstprodukte) aus den ela- stisch verdickten Grenzsäumen der sogenannten Bindege- websbündel hervorgehen. — In gedachter Art metamor- phosirte Grundsubstanz des Bindegewebes ist schr resis- tent, bricht das Licht stark und beim Kochen verwandelt sie sich nicht in Leim, wie der übrige Intercellularstoff. Von dem Grade der Härtung, welchem die Grundsubstanz unterliegt, hängt wahrscheinlich auch ab, ob die Contu- ren des elastischen Gewebes dunkler oder heller sind. Die Tunicae propriae der Drüsen z. B. sind nicht so stark schattirt, als z. B. die elastischen Fasern der Säu- ger, wobei ich anfügen will, dass bei niederen Wirbel- thieren (den Fischen und Reptilien) das elastische Gewebe mir immer blasser zu sein scheint als bei den höheren. Die oben beim Schleimgewebe erwähnten Fa- sern der Intercellularsubstanz, welche in der Gallert- scheibe der Medusen nach Virchow und Schultze sich finden und nicht mit den Zellen zusammenhängen, halte ich nach Genese, Form und Funktion für analog dem elastischen Gewebe der Wirbelthiere. Mit dem ela- stischen Gewebe verwandt nehme ich auch die Fasern der Zonula Zinnii, des Ligamentum ciliare bei Fischen, die Fasern, welche in den Pacini’schen Körpern der Vö- gel den Nervenkolben umspinnen. Das Bindegewebe der Wirbellosen verhält sich, obschon seltner, in seinen morphologischen Merkmalen wie das der Wirbelthiere. An gewissen Körpergegenden der Hirudineen, bei Cephalopoden, bei Echi- nodermen (Bänder des Kaugerüstes, Gekröse des Dar- mes von Echinus) hat die Intercellularsubstanz die glei- che lockige oder wellige Streifung, meist nur etwas stei- fer gehalten, und Aetzkali bringt Bindegewebskörper zum Vorschein. Häufiger allerdings bilden bei Wirbellosen rundliche, entwickelte Zellen das Hauptconstituens des Bindegewebes und die homogene Zwischensubstanz tritt in den Hintergrund (z. B. in der Lederhaut der Pte- ropoden, vieler Gasteropoden, Arthropoden). Die Zellen des Bindegewebes können sich mit Fett oder fettähnlichen Stoffen füllen, was z. B. in grosser Aus- dehnung am sogenannten Fettkörper der Insekten, in der sogenannten Leber der Hirudineen geschieht, in anderen Fällen erzeugt sich Kalk in diesen Zellen (bei Paludina vivipara z. B.), sehr häufig Pigment, auch die leuchtende Materie bei Lampyris liegt in den Zellen des Fettkörpers. Auch das Bindegewebe der Evertebraten kann sich in eigenthümlicher Weise erhärten, was man kurzweg mit dem Ausdrucke bezeichnen mag, es chitinisirt (von yırav Panzer, weil man zuerst an den Hautbedeck- ungen der Käfer und Krebse auf diese Härtungsprodukte aufmerksam wurde). Die Aehnlichkeit im histolegischen Verhalten zwischen dem „Chitingewebe‘“ der Arthropoden und dem Bindegewebe der Wirbelthiere springt so recht in die Augen, wenn man vergleichungsweise einen senk- 10 * 151 rechten und mit Kalilauge behandelten Hautschnitt etwa eines Frosches und einen in Kali gelegenen senkrechten Schnitt der Flügeldecke eines grösseren Käfers neben ein- ander betrachtet: hier wie dort hat man sehr regelmäs- sig geschichtete homogene Massen, die durchsetzt sind von Hohlräumen, und die Lücken der in Kalilauge ma- cerirten Chitinhaut zeigen mitunter in der Art ihrer Be- grenzung eine lebhafte Uebereinstimmung mit den Binde- gewebskörpern der Wirbelthiere. Durch ihre zarten ver- ästelten Ausläufer wird die homogene Grundsubstanz eben- so in cylindrische Massen abgesetzt, wie im Bindege- webe der Wirbelthiere die sogenannten Bindegewebsbündel auf gleiche Weise entstehen. In anderen Fällen haben die Lücken der Chitinhaut ganz das Aussehen von Zahn- röhrchen, die, wie angegeben, auch nichts Anderes als in bestimmter Richtung ausgewachsene Bindegewebskör- per vorstellen. Früher wusste man nur von dem Chitin der Arthropoden, gegenwärtig aber hat man es durch alle Klassen der Wirbellosen bis zu den Infusorien herab wenigstens in Andeutungen gefunden. Die Chitinfrage erwartet noch von Seiten der Chemiker mancherlei Auf- klärungen, denn das Verhalten zu Aetzkali und den con- centrirten Mineralsäuren ist bei den Chitinsubstanzen der verschiedenen Wirbellosen ein wechselndes; sie legen zwar im Allgemeinen eine grosse Widerstandsfähig- keit gegen Kalilauge an den Tag, aber es giebt doch mancherlei, ich möchte sagen, jüngere Zustände, wobei sie selbst in kalter Kalilauge nicht unversehrt bleiben. Bei der gegenwärtig noch herrschenden Unsi- cherheit über die chemische Natur des Chitins mag da- ran erinnert sein, dass 0. Schmidt (Z. vergl. Phys. wirb. Thiere 1845) beweist, die Chitinsubstanz werde hauptsächlich auf Kosten verzehrten Pflanzengewebes ge- wonnen, sowie dass Fremy das Chitin mit der Cellu- 152 lose auf eine Linie gestellt hat. Uebrigens kann nicht bloss Bindegewebe chitinisiren, sondern auch Muskeln, wovon ich Beispiele anführen werde, und sehr häufig an- dere Zellenausscheidungen. Mich führen meine histologi- schen Untersuchungen zu der Annahme, dass das chiti- nisirte Bindegewebe der Wirbellosen, insbesondere der Arthropoden mit dem elastischen Gewebe der Wirbelthiere parallelisirt werden muss, es scheint mir wenigstens die Verwandtschaft zwischen beiden eine unverkennbare. Ich empfehle in dieser Hinsicht z. B. die aus „elastischem Gewebe‘ bestehenden kleinen Sehnen vom Hautmuskel- netz der Vögel mit dem Aussehen der chitinisirten Seh- nen der Arthropoden zu vergleichen und man wird die vollständige Uebereinstimmung beider in dem morphologi- schen und chemischen Verhalten nicht in Abrede stellen können. Ein anderes Beispiel von „chitinisirter‘‘ Binde- substanz bei Wirbelthieren sind die „Hornfäden“, wel- che die Flossen in der Haut der Selachier und anderer Fische steif erhalten ! (Schluss folgt.) Miscelie. Krystallinische Niederschläge in der Rinde dicotyler Holzgewächse hat Hr. Sacco (Berlin) auf- gefunden und untersucht. In den Zellen der Baumrinde einer grossen Anzahl von Gewächsen hat der Verf. rhomboedrische Krystalle gefunden, welche aus oxalsaurem Kalk bestehen. Bei einigen Pflanzen ist die Ablagerung nicht krystallisirt, sondern pulverförmig. Er betrachtet diese Niederschläge als todte Auswurfsstoffe, welche sich bei den zahlreichen Zer- setzungen in der Pflanze bilden und in den Zellen der pri- mären oder secundären Rinde aufgespeichert und schadlos ge- macht werden. Die Zellen sind absolut todt, nie wird in ihı- nen der oxalsaure Kalk wieder in Lösung gebracht. (Monats- bericht der berlin. Akad. April 1857.) Heilkunde. Ueber Heilgymnastik bei inneren Krankheiten. Vom Sanitäts-Rath Dr. Berend (Berlin). Der Verf. sagt darüber in dem 8. Berichte über seine Anstalt: „Eine verständige kritische Sichtung hat der Heil- gymnastik in dem Bereiche der inneren Krankheiten im- mer mehr und mehr eine gewisse Begrenzung zuerkannt und die eine Zeit lang auf dem Markte der Wissenschaft zur Schau getragenen Extravaganzen in die gebührenden Schranken verwiesen. Tripper, Cholera, Amaurose u. dgl. wagen nur noch die enragirtesten Heilgymnastiker als ihre Domaine zu betrachten, und das Inhaltsverzeichniss der ausschliesslich durch schwedische Bewegungen zu be- kämpfenden Uebel beschränkt sich in den öffentlichen professionellen Kundgebungen schon auf einige Linien. Die Zeit wird auch hier noch Mancherlei auszumerzen haben. 1) Unterleibskrankheiten. Die in meinen früheren Schriften ausgesprochene Ansicht, dass die aus der Ling’schen Gymnastik uns überkommenen Bewegungsformen für die Kur der auf sogenannten Stockungen — man verzeihe mir diesen Aus- druck — beruhenden Abdominalbeschwerden durchaus keine anderen, am wenigsten aber specifische Eigenschaf- ten haben, als die sonst in der Turnkunst schon längst bekannten (activen), ist seit jener Zeit von den zuver- lässigsten Beobachtern so vielfach bestätigt worden, dass ich Nichts hinzuzufügen weiss. Ich wiederhole nur noch, dass in vielen Fällen auch die beste Gymnastik eine me- dicamentöse oder balneotherapeutische Kur nicht überflüs- 153 sig macht, und dass ich es schon für einen Missbrauch ansehen muss, wenn man durch Gymnastik die Leibes- öffnung unter allen Umständen erzwingen will, während ein Paar eröffnende Pillen für den gleichen Zweck hin- reichend sind oder wenigstens als Unterstützungsmittel zur Hülfe genommen werden müssten. Im Uebrigen sind von den gymnastischen Uebungen die einfachsten wohl die zweckmässigsten und die längst bekannten Freiübungen, für jedes Alter und Geschlecht passend, können nicht genug empfohlen werden, zumal sie in jedem Zimmer ohne Vorkehrungen und ohne wei- tere Umständlichkeit zur Ausführung zu bringen sind. Was die hierher gehörigen theoretischen Irrthümer und die hypothetischen gänzlich unbegründeten Interpre- tationen anbetrifft, mit denen die Nachbeter der Ling’- schen Gymnastik in Deutschland debütirt haben, so ist es nicht der Mühe werth, weiter auf dieselben einzuge- hen. Wenn noch neuerdings einer der grössten deut- schen Kliniker, der eklektischen Schule angehörig, Op- polzer (s. dessen Arbeit über die „Therapie der Magen- krankheiten“ Zeitschrift der Gesellschaft der Aerzte zu Wien, Juni 1857 S. 1), ein Arzt, der eben so durch Scharfsinn in der Naturbeobachtung, wie durch einfache, ungeschminkte Darstellungsweise als Muster gelten kann, ohne Scheu ausspricht: dass die Funktionsstörungen des Magens nach unserem gegenwärtigen Standpunkte des ärztlichen Wissens nicht immer auf materielle Veränder- ungen zurückgeführt werden können, dass wir uns weder über die Innervationsstörungen, noch über die feineren Blutveränderungen der organischen Muskelfasern Rechen- schaft geben können, so dürfte es wohl überflüssig sein, solche Phantasiegeburten einer Widerlegung für würdig zu halten, wie sie uns neulich unter dem Scheinprunke wissenschaftlicher Darstellung allen Ernstes in einer spe- eifisch schwedisch-gymnastischen Schrift aufstiessen, dass nämlich mangelhafte Inneryation der Tunica muscularis des Magens und Darmkanals als die Ursache eines Unter- leibsleidens betrachtet und demgemäss durch specifische (2) Bewegungen behandelt werden müsse. (Athenaeum für rationelle Gymnastik 1856, Bd. IV. Heft 2. S. 185.) 2) Brustaffectionen. Für die Wirksamkeit der Gymnastik zur Kräftigung der den Thorax constituirenden Muskeln, wodurch der letztere in seinen Dimensionen erweitert und eine grös- sere Freiheit der Lungenfunktionen mit allen hieraus ent- springenden Consequenzen erzeugt wird, haben auch die letzten 2 Jahre wieder viele erfreuliche Beweise geliefert. Eine ‚vernünftigerweise von allen übergrossen Anstreng- ungen sich fern haltende Heilgymnastik gehört daher wohl auch unbestritten zu den wirksamsten Potenzen zur möglichen Tilgung einer Dispositio tuberculosa. Wo aber letztere schon entwickelt ist, habe ich keine Erfolge von diesem Mittel zu rühmen, warne vielmehr dringend da- 154 vor, da mir traurige Beispiele schlimmster Hämopto& u. s. w. durch einen Missbrauch jenes nur als Präserva- tiv geltenden subsidii bekannt geworden sind. Eine gleiche Vorsicht muss ich wiederholentlich bei Herzkrankheiten allen den Aerzten zur Pflicht machen, welche ihre Auf- gabe darin suchen, die Heilgymnastik nicht als Univer- salmittel zu stempeln und sie dadurch in Misscredit zu bringen, sondern sie nach vernünftigen Principien zu handhaben. So weiss ich auch Nichts von dem ander- weitig gepriesenen grossen Erfolg der Heilgymnastik bei Emphysem zu rühmen, und kann nicht umhin, auf einen soeben in der wiener med. Zeitung 1857 Nr. 16 ge- thanen Ausspruch des hier doch gewiss competenten Skoda aufmerksam zu machen, welcher unter Anderem sagt, dass man beim vesiculären Lungenemphysem sich vor körper- lichen Anstrengungen frei halten solle. 3) Schreibekrampf. Ein 40jähriger, seit langer Zeit mit angestrengtem Schreiben beschäftigter, sonst keineswegs schwächlicher Beamter bemerkte seit 3 Jahren beim Schreiben eine Schwere im rechten Handgelenk, so dass dasselbe nur mit Mühe auf dem Papier fortgeleitet werden konnte und namentlich die technisch nothwendigen freien Bewegungen der 3 ersten Finger und der Hand jetzt zur Unmöglich- keit wurden. Das Handgelenk sank auf’s Papier herab, die Hand nahm eine nach vorwärts geneigte Stellung an, der Zeigefinger sprang oft von der Feder ab, der dritte Finger erhielt dabei eine unbehülfliche Steifigkeit, die Finger pressten sich unwillkürlich an die Feder und der Ellenbogen hob sich in die Höhe. Auch vermochte der Patient nicht einmal leichtere Sachen, wie Papier, Fe- dern u. s. w., lange festzuhalten, da sich dann bald ein Zittern in der Extremität einstellte; dabei fühlte er eine Spannung im Vorder- und Oberarm, die sich bis zur Schulter und zum Rücken erstreckte, und zuletzt mit Kopfschmerzen und Angstschweiss endete. Beim Stehen und wenn der Arm herunterhing, konnten einige Worte leichter und rascher geschrieben werden; — es trat aber sofort eine grössere Beschwerde ein, wenn der Arm in die zum Schreiben erforderliche Lage gebracht ward. Ausser dem Schreiben waren alle andern Bewegungen völlig normal ausführbar und Patient mit Ausnahme eines leichten fortwährenden Schmerzes im Handgelenk frei von andern Beschwerden. Vom günstigsten Heilerfolge zeigte sich hier die Heilgymnastik zur Beseitigung dieses sonst wohl unheilbaren, eingewurzelten Uebels. Die ange- wandten Bewegungsformen waren: Finger- und Hand- beugung und Streckung, Vorderarm- Vor- und Rück- drehung, Armerhebung, Vor- und Rückführung, Hantel- übungen u. s. w.“ 155 Ueber die neueren Versuche zur Aufklärung des Wurstgiftes. Von J. Schlossberger (Tübingen). 1. Die organischen Basen inihrer Beziehung zu den thierischen Nahrungsgiften. Die jüngsten epochemachenden Entdeckungen in der Familie der organischen Basen, das heisst die Auffindung mannigfacher und trefllicher Methoden zur künstlichen Er- zeugung von solchen, sei es durch reine Synthese (Sub- stitution), sei es durch Herbeiführung von Entmischun- gen, wo das aus stickstofligen Körpern austretende Am- moniak von seinen organischen Homologen begleitet er- scheint, sind für die Mediein von grösstem Belang. Ich fasse die nächstliegenden Hofinungen, welche für die Theorie wie Praxis der Mediein daraus erwachsen, in die nachstehenden 3 Sätze zusammen: a. Der altgehegte Lieblingsgedanke, auch die arz- neilich wichtigen Pflanzenalkaloide im La- boratorium erzeugen zu lernen, erscheint jetzt mehr als je seiner Verwirklichung entgegenzugehen. Be- sonders die neuen Aufschlüsse über die Constitution vie- ler Basen und deren willkürliche Complieirung durch die sogenannte Subslitution organischer Radicale lassen eine solche Erwartung, so wenig sie bis jetzt erfüllt ist, nichts weniger als chimärisch erscheinen. b. Die Reihe der künstlich zusammengesetzten, sowie der Entmischungsbasen ist schon heutigen Tages beinahe unabsehbar und wächst mit jedem Monat. Wir begegnen darin Körpern von sehr weit auseinandergehen- den physikalischen und chemischen Qualitäten. Ihre Wir- kungen auf den Thierkörper sind so gut wie nirgends erforscht. Wer zweifelt aber, dass auch ihre physiologischen Eigenschaften die mannigfaltigsten sein werden? Wir werden unter ihnen total unschäd- lichen Stoflen begegnen; andererseits solchen von hervor- ragenden Heilkräften (so sind viele der künstlichen Basen überaus bitter, vielleicht demnach energische To- nica; andere scharf, wie Ammoniak u. s. w.). In den Apotheken künftiger Jahrzehnte wird so neben vom Che- miker zusammengesetztem Chinin auch manche Base, die nie im Pflanzenreich auftritt, sondern ausschliess- liches Kunstprodukt ist, eine vorzügliche Stelle behaupten. c. Sicher begegnen wir aber unter den künstlichen oder Entmischungsbasen auch eigentlichen Giften, phy- siologischen Analogen des Nicotins oder des Strychnins. Die Materien, welche beim Giftigwerden thierischer Nah- rungsmittel höchst verderbliche und im ganzen Sympto- mencomplex ganz eigenthümliche Wirkungen auf den menschlichen Organismus hervorbringen, sind bis jetzt unerforscht. Alle früher versuchten Erklärungen von Kerner’s Fettgift bis auf Liebig’s Umsetzungsgift 156 sind, wie ich ausführlich gezeigt habe, mit der Gesammt- heit der über Wurstvergiftung vorliegenden Thatsachen nicht vereinbar. So habe ich mich vor einigen Jah- ren zur Aufstellung einer neuen Erklärung für berechtigt gehalten. die dahin lautet: dass bei gewissen eigenthüm- lichen, von der echten Fäulniss scharf zu unterscheiden- den Entmischungen stickstoflreicher Alimente giftige Basen ihre Entstehung nehmen. Der Nachweis von Ammoniak in einer als giftig erprobten Wurst, und zwar eines Ammoniaks, das von einem eigenthümlich widrig riechenden Körper begleitet war (Arch. f. phys. Heilkde. 1852, S. 719) schien mir dieser Theorie einigen positi- ven Halt zu geben, um so mehr als keine Thatsache in der Wurstgiftkasuistik sich dem Bereiche meiner Theorie entzog, viele derselben durch sie eine wesentliche Auf- klärung zu gewinnen schienen. Dagegen habe ich nicht gewagt, eine be- stimmte Basis, also eine der heutigen Tages bekann- ten, als Substrat des Wurstgiftes zu bezeichnen. Ich komme zu dieser Verwahrung durch eine dorpater Dis- sertalion „de Trimethylamino aliisque ejusdem generis corporibus sceripsit Edwinus Buchheim“, welche mir Herr Staatsrath Dr. Buchheim, der verdienstvolle Phar- makologe, bei seinem Besuche in Tübingen übergab. Der junge Verfasser der Dissertation hat den allein Erfolg versprechenden Weg des Experiments eingeschla- gen, und dabei constalirt, dass weder das Trimethylamin, noch das Aethyl- und Amyl-amin auf Menschen oder Thiere als Gift wirken. Von den Alkoholbasen hat, wie ich höre, der jüngere Orfila Aechnliches gefunden, und dass das Anilin (Phenylamin) nicht giftig ist, wissen wir bereits länger durch Woehler. Es leuchtet ein, dass meiner Theorie in ihrer wohl- bewussten weil nothwendigen Allgemeinheit dieses Ergeb- niss keinen Eintrag thut; sie behält ihre volle Geltung und nur ein Paar früher möglicherweise für sie verwend- bare Einzelfälle gestatten jetzt diese Beziehung nicht mehr. Gesetzten Falls, man wäre bei dem Aufsuchen der nar- kotischen Stoffe des Opiums nicht sogleich auf das Mor- phin, sondern zuerst nur auf Merk’s unschädliches Pa- paverin gestossen, wie irrig wäre die Schlussfolgerung gewesen, dass die narkotischen Eigenschaften des Opiums überhaupt nicht von Alkaloiden abhängen! Die Prämisse der Buchheim’schen Thesis: Opinio Schlossbergeri ve- nenum in sareiminibus corruptis esse trimethylaminum non est recta, muss ich entschieden zurückweisen. Ich habe nie das Trimethylamin als identisch mit Wurstgift angesprochen. Des Trimethylamins erwähnte ich nur deshalb, weil es einen vorzüglichen Beleg dafür abgab, dass in der That ohne eigentliche Fäulniss bei gewis- sen Entmischungen thierischer Nahrungsmittel flüchtige Basen nachgewiesen werden können, so speciell jene Ba- sis in der Salzlake marinirter Heringe.e Da auch bei letzteren zuweilen giftige Wirkungen erprobt sind, sage, 157 ich in meiner Abhandlung, gewiss so vorsichtig als mög- lich: „das Experiment hat nun zu zeigen, ob vielleicht eine reichliche Entwickelung dieser Base die Giftigkeit erkläre, oder ob dabei andere Basen in’s Spiel kom- men.‘ Ich möchte den Verfasser auffordern, am besten un- ter der Aegide seines Bruders, den begonnenen Weg der pharmakologischen Studien über die künstlich zusammen- seizbaren und die Entmischungsbasen fortzuwandeln und recht weit zu verfolgen. Er wird dann auch auf gif- tige Glieder dieser merkwürdigen Familie stossen. Ja, ich vermag ihm bereils ein künstliches Alkaloid zu nennen, von welchem nach Bacchetti schon 3 Gran einen Hund unter heftigen Convulsionen töd- ten, nämlich das Amarin (vergl. die 4. Aufl. meines Lehrb. der org. Ch. 8.604). Schon früher wurde von mir darauf hingewiesen, dass Coniin und Nicolin unter allen be- kannten Giften noch am ehesten in den Wirkungen Achn- lichkeit mit dem Wurstgilt erkennen lassen. Durch den Fund einer Entmischungsbase von wirk- lich gleicher Giftigkeit mit den thierischen Nahrungsgif- ten würde Buchheim meinem Untersuchungsplan auf bestem Wege entgegenkommen. Ich gehe nämlich nicht von den bis jetzt bekannten künstlichen Basen aus, son- dern versuche, aus den als giftig konstatirten Alimenten nach den Regeln der Chemie Basen abzuscheiden, und habe (übrigens nur vorläufig) zunächst flüchtige Basen (Begleiter des nachgewiesenen NH?) im Sinne. Sollte mir die Isolirung von solchen gelingen, so werde ich dann sie auf ihre Wirkungen am lebenden Organismus zu prüfen haben. Hier aber freilich stehe ich vor Schwie- rigkeiten, die mir im Augenblicke fast verzweifelt er- scheinen! Nicht allein, dass solche giftige Nahrungs- mittel selten zur chemischen Untersuchung gelangen, in- dem das Corpus delieti gewöhnlich vollständig aufgespeist oder sonst beseiligt ist, ehe Arzt oder Polizei ihm nach- spüren. Nein, der schlimmste Punkt ist die von mir festgestellte Erfahrung, dass Thiere (wenigstens Hunde und Katzen) von dem Wurstgift nicht afficirt werden. Ein neuester, in unseren öffentlichen Blättern berichteter Fall (aus Herrenberg) bestätigt diesen Satz auf das Neue. Welche lebende Organismen sollen da zur Prüfung etwa aus den giftigen Würsten abgeschiedener Basen benutzt werden? Versuche, das Wurstgift durch schlechte Füllung und zur Verderbniss disponirende Aufbewahrung will- kürlich zu produciren, haben mich zumeist aus letzterem Grunde (dem Mangel an einem lebendigen Rea- gens, denn so Jange meine vergleichende Thierchemie nicht fertig ist, gebe ich mich nicht zu Proben am eigenen Kör- per her!) im Stich gelassen. Ueberdiess ist es mir auch nicht geglückt, eine verdorbene Wurst von ganz über- einstimmender Qualität mit derjenigen, die ich nach ei- nem am Menschen erprobten Prachtemplar beschrieb, auf die angedeutete Weise zu erzielen. 158 2) Einige eigene neuere Erfahrüngen. Von mehreren würtembergischen HH. Oberamtsärz- ten sind mir neben genauen ärztlichen Berichten auf Ver- anlassung unserer Regierung Zusendungen von confiseir- ten Blut- und Leberwürsten in den letzten Jahren ge- macht worden. Aus den Berichten hebe ich diessmal nur hervor, dass wiederum gekochte Würste Vergift- ungen veranlasst haben, wodurch mein Haupteinwurf ge- gen die Annahme eines Liebig’schen Umsetzungsgiftes hier neue Bekräftigung gewinnt; denn der Siedhilze wi- dersteht kein Ferment. Leider war unter den übersandien Exemplaren kein einziges ein Ueberbleibsel einer Wurst, deren theilweise Verspeisung Vergiftung hervorgebracht hätte. Sie sind also bloss verdächtig. Zudem boten die allermeisten ein so völlig normales Verhalten sowohl der Füllmasse als des Darmes dar, dass ich sie für unschädlich halten musste. Nur in ein Paar Fällen fanden sich sulzige Er- weichungen in der sonst compacten Füllmasse, daneben ein eigenthümlicher (nicht fanler) Geruch und saure Re- action. Aus ihnen wurde diesmal mit siedendem Al- kohol ein Auszug bereitet; derselbe heiss Siltrirt trübte sich beim Erkalten (Fett), war braun, schwach sauer. Beim Destilliren mit verdünntem Kali entwickelte auch er (vergl. S. 719 meiner ersten Abhandlung) eine Menge von Ammoniakdämpfen, denen wieder ein wide- riger Riechstoff beigemengt war. Die Dämpfe wurden in reiner Chlorwasserstoffsäure aufgenommen, diese dann auf dem Wasserbad eingedampft, wobei eine nur wenig gefärbte, scharf schmeckende Salzmasse hinterblieb. Die- selbe wurde in Wasser gelöst und mit Platinchlorid ge- fällt. Der helle Niederschlag, nachdem er mit Aether gewaschen worden, wurde vorsichtig geglüht. Die so ge- wonnene Menge Platinschvamm entsprach nicht genau derjenigen, welche reines Platinsalmiak liefert; doch war die Abweichung wenig bedeutend, so dass die Menge der fremden Einmengung (Platindoppelsalz einer organischen Base?) nur gering erschien. Durch Hrn. Oberamtsarzt Dr. Müller in Calw kam mir nach Beendigung obigen Versuchs der kleine Rest einer Blutwurst zu, die bei einer Person eine entschie- dene, wenn auch nicht tödtliche Wurstvergiftung erzeugt hatte. Die Beschaffenheit des Ueberbleibsels war sehr ähnlich derjenigen des in meinem ersten Artikel beschrie- benen Exemplars. Der alkoholische Auszug gab mit Kali- lösung starke Ammoniaknebel von auffallend widrigem Geruch. Doch war auch hier im Destillate das Ammo- niak so überwiegend, dass sein Begleiter nur durch den Geruch wahrgenommen werden konnte. Aus der alko- holischen Abkochung von ganz normalen Blutwürsten konnte mit Kali das übelriechende Destillat nicht erhal- ten werden. Ich gebe zwar zu, es ist dieses ein sehr kleiner Schritt vorwärts in meiner Aufgabe; auch würde ich da- 159 von noch gar nicht öffentlich haben reden mögen, wenn nicht die oben erwähnte Dissertation, namentlich aber ein Memoire von Dr. van den Corput in Brüssel mich dazu veranlasst hätten. Gerade gegen die naheliegende Idee, dass das Ammoniak und etwaige organische Be- gleiter in meinen ersten Versuchen Produkte und nicht Edukte der angewandten Methode gewesen sein dürften, schien es mir gerathen, bloss den alkoholischen Auszug der Einwirkung des wässerigen Kalis zu unterwerfen. Doch gebe ich gern zu, dass auch damit der unwider- legliche Beweis für die Präexistenz jener Basen noch.nicht hergestellt ist. — Die saure Reaction, welche ich in den giftigen Würsten constatirte, beweist nicht, wie van den Corput meint, gegen die Anwesenheit der Basen. Ich denke mir durchaus keine eigentliche Fäulniss der Mate- rialien dabei, keine alkalische Putrescenz; im Gegentheil, mit derselben scheint das specifische Wurstgift ganz zu verschwinden. Es versteht sich von selbst, dass, wenn die Basen neben Säuren entstehen, sich Salze bilden; die Milchsäure übrigens stammt, wie ich glaube, von der Milch ab, welche unsere Landleute nicht so selten unter die Wurstmasse mischen, während ich die Ba- sen natürlich aus den stickstofligen Theilen des Blutes ableite. 3. Die Cryptogamentheorie. In einem ausführlichen M&moire (Du poison qui se developpe dans les viandes et les boudins fumes. Bruxelles 1855) suchte van den Corput die Hypothese zu be- gründen, dass das Giftigwerden der Alimente von der Entwickelung niederer Vegetabilien herrühre. Die Säure- bildung, die Häufigkeit der Wurstvergiftungen in Schwa- ben und im Monat April, lauter Punkte, die, wie ich glaube, von mir ungezwungen gedeutet worden sind, müs- sen auch als Argumente zu Gunsten dieser Hypothese herhalten; in einer Weise, die schon beim oberflächlichen Lesen als überaus forcirt sich darstellt. Ja, der fatale Cryptogame, den aber noch Niemand gesehen (!), wird 160 im Voraus getauft: Sarcina botulina. Die Botaniker mögen sich dafür bedanken! Selbst die Leuchterscheinungen, die man bereits mehrmals an verdorbenen Würsten wahrgenommen hat (Brücke, Fenzl, Pockorny u. A.), und welche nach Heller gleichfalls von einer Sarcina (nocti- luca?) herrühren sollen, werden von dem brüsseler Arzt zu Gunsten seiner Vermuthung gepresst, obgleich an den giftigen Würsten nie ein Leuchten und an den leuchten- den nie eine Vergiftung constatirt worden ist. Unser Autor wird offenbar noch von den jetzt ganz antiquirten Vorstellungen über die Sarcina ventriculi als Krankheitsursache beherrscht. Er scheint nichts davon zu wissen, dass ich selbst schon 1847 (Arch. f. phys. Heilk. S. 764) ihre Beziehung zu Krankheiten in Zweifel gezogen, dass Virchow sie häufig bei Sectionen ange- troffen, wo während des Lebens kein Symptom auf‘ sie hinwies, dass endlich Frerichs (Wagner’s Hand- wörterb. Bd. III. S. 871) an Hunden mit Magenfisteln dargelegt hat, dass die Sarcinen im Magen auch nicht die geringste Störung hervorbringen. Die Annahme gif- tiger Eigenschaften bei mikroskopischen Cryptogamen harrt überhaupt noch überall des Beweise. Nehmen wir end- lich trotz alledem eine giftige Sarcina botulina für einen Augenblick als erwiesen an, so bliebe selbst dann noch die Frage übrig, welcher chemische Bestandtheil dieser Pflanzen ist eigentlich das Gift? Dass ich auch in den giftigen Pilzen organische Basen vermuthe, habe ich be- reits an einem anderen Orte angedeutet. Erfreulich ist mir an van den Corput’s Me- moire das Zugeständniss, dass alle früheren Theorieen, die der meinigen vorhergingen, nicht haltbar seien; sowie ich in Buchheim’s Abhandlung mit Befriedigung das Bekenntniss gelesen habe (S. 33), dass die Annahme von organischen Basen als der Ursachen der Giftigkeit die Wahrscheinlichkeit für sich habe. (Virchow, Arch. f. pathol. Anat. XI. 6.) Bibliographische Neuigkeiten. N. — J. F. F. Degen, Ueber d. warmen Quellen. 8. Comm. Eick in Nordhausen. }/ Thlr. G. Schurff, Die Sonne im Mittelpunkt d. Planetenbahnen. 2. Aufl. 4. Comm. Evangelische Buchh. in Berlin. 16 Sgr. W. Peters, Ueber die Chiropterengaltungen Mormops u. Phyl- lostoma. 4. Comm. Dümmler’s Verl., Berlin. %3 Thlr. F. Klotzsch, Philipp Schönlein’s botanischer Nachlass auf Cap Palmas. 4. Commiss. Dümmler’s Verlag in Berlin. 24 Sgr. A. Lichtenstein, Ueber einige nordamerikanische Hirscharten. 4. Comm. Dümmler’s Verl. in Berlin. 16 Sgr. E. Desor, Synopsis des Echinides fossiles. 4. Livr. 4. Krei- del u. Niedner in Wiesbaden. 2 Thlr. Bf. — K. W. Ideler, Lehrbuch d. gerichtlichen Psychologie. 8. Haynin Berlin. 2 Thlr. Dürr, Ueber die häufigeren Verkrümmungen am menschlichen Körper und ihre Behandlung. Dissert. 8. Bach in Stult- gart. Y, Thlr. F. W. Viol, Was hat man zu thun, um die Augen d. neuge- gebornen Kindes vor Erblindung zu bewahren? Comm, bei Korn in Breslau. 4 Sgr. J. J. Knolz, Das Stottern und d. Mittel zu dessen Heilung vom med. u. med.-polizeilichen Standpunkte betrachtet. 8. Comm. b. Lechner’s Univ.-Buchh. in Wien. Y, Thlr. Th. Witlmaack, Die Hysterie in pathol. u. therapeutischer Be- ziehung. 8. E. Schäfer in Leipzig. /, Thlr, —_00 0 Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena. Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 185%. BIE. Band N 11. Naturkunde. F. Leydig, Das Bindegewebe. (Schluss). — Dieterici, Die Statistik der Geburten. — Heilkunde K. Th. Menke, Ueber das Mangan in Eisenwassern. — Einzelnhaft. — Bibliographie, Naturkunde. Das Bindegewebe. Von Prof, Dr. Franz Leydig (Würzburg). (Schluss.) Seit längerer Zeit spinnt sich ein unerquicklicher Streit durch die histologischen Schriften darüber fort, ob die Streifung in der Grundsubstanz des gewöhnlichen Bindegewebes von präformirten Fibrillen oder nur von feinen Faltenzügen oder Schichten herrühre. Die letz- tere Ansicht, welche durch Reichert eingeführt wurde, kommt gegenwärtig immer mehr und mit Recht in Auf- nahme. Der Einwurf, dass an Querschnitten getrockne- ter Sehnen die sichtbaren Pünktchen gar nicht weiter zu bezweifelnde Beweise für die präformirten Fibrillen abge- ben, ist von keinem Belang. Reichert hat schon da- ran erinnert, dass wenn die Lamellen so fein und die Fältchen so klein sind, dass sie sich bei der Flächenan- sicht und der stärksten Vergrösserung nur als dunkle Streifen markiren, so dürfe man nicht verlangen, dass die Fältchen der Lamellen auf Querschnitten als Kurven hervortreten; sie können sich eben nur als punktförmige Schatten zu erkennen geben. Die oben angeführte Darstellung bezüglich der Binde- gewebskörper erscheint vielleicht Manchem etwas zu dog- matisch gehalten und obschon ich sie vertreten zu kön- nen glaube, so sei doch nicht verhehlt, dass andere For- scher die Sache anders ansehen. Henle erklärt die „Bindegewebskörper“ für eine „sehr gemischte Gesell- schaft‘, in welcher sowohl verzweigte Spalten im Binde- gewebe, als auch Zellen, in solchen Lücken eingeschlos- sen, unterlaufen. Ihm schliesst sich Bruch an. Wenn ich nun auch gern zugebe, dass die der Zellen erman- gelnden verzweigten Räume (,,Spältchen‘‘) vielleicht eben so häufig sind, als jene, welche Zellen einschliessen, so scheint mir das dem obigen Schema keinen Eintrag zu thun, denn mir däucht eben, dass um die Zellen des Bindegewebes die Intercellularsubstanz sich in ähnlicher Art verdichtet, wie die gleiche Materie um die Knorpel- zellen herum die „‚Knorpelkapseln‘“ bildet. Schwindet im Verlaufe die ursprüngliche Zelle, so wird das „Bindege- webskörperchen“ allerdings bloss von den verdichteten Conturen der Intercellularsubstanz umrissen, aber man kann doch kaum desswegen letztere für wesentlich ver- schieden halten von jenen, die ursprüngliche Zelle noch aufweisenden ! Dass die Fettzellen nicht für eine besondere Bildung gelten dürfen, sondern lediglich auf die Bedeut- ung von fetthaltigen Bindegewebskörpern zurückzuführen . sind, wird klar durch die Betrachtung solcher Stellen, wo Knorpelzellen in Zellen des Bindegewebes übergehen und sich allmälig mit Fett füllen. Sehr günstig der auf- gestellten Ansicht sind auch die Mittheilungen und Ab- bildungen, welche Kölliker in seiner grossen mikrosk. Anat. S. 19 und 20 über die Veränderung, welche die Fettzellen bei Hautwassersucht erfahren, gibt, ohne dass freilich dieser Autor sie in dem gemeinten Sinne deutet. Aber es ist unverkennbar, dass die fettarmen oder fett- losen spindelförmigen oder sternarlig ausgezogenen Zellen echte Bindegewebskörper sind, die nach dem Schwund des Fettes ihre ursprüngliche Gestalt wieder angenom- men haben. Auch die Auffassung der „verzweigten Pig- mentzellen‘ als pigmenthaltige strahlige Bindegewebs- körper ist leicht zu rechtfertigen, z. B. durch die Be- trachtung des gefärbten Hornhautrandes vom Rinde oder der Lederhaut der Fische und Reptilien, Was die sogenannten Spiralfasern betrifit, wel- che der gang und gäben Beschreibung nach unter der Form feiner, elastischer Fasern die Bindegewebsbündel umspinnen sollen, so müssen dieselben künftighin für 11 163 für Kunstprodukte erklärt werden. Sie existiren durch- aus nicht als eigentliche Fasern, sondern sie sind Theile der elastisch-verdichteten Rindenschicht der sogenannten Bindegewebsbündel. Lässt man nämlich letztere durch Essigsäure aufquellen, so reisst die hautarlige Rinden- schicht stellenweise ein, zieht sich zusammen und stellt jetzt die reifähnlichen (spiraligen) Fasern um die Binde- gewebsbündel vor. Eine ganz entsprechende Beobachtung hat schon vor mehreren Jahren Luschka am Binde- gewebe des Omentum majus gemacht und auch Rei- chert hatte bereits damals die Spiralfasern den Täusch- ungen überwiesen. Nimmt man (mit Henle) die Binde- gewebskörper für spaltförmige Lücken zwischen den Bindegewebsbündeln (in denen zwar nach dem Zuge- ständniss desselben Autors noch Zellen eingeschlossen sein können), so müssen die Membranen, welche zu „‚Spiral- fasern‘* zerreissen, lediglich als die elastisch-verdichteten Grenzschichten der homogenen Bindegewebsbündel gelten, sieht man hingegen die Bindegewebskörper als sternför- mige und mit den Ausläufern anastomosirende. Zellen im Bindegewebe an, welche die Intercellularmasse zu ceylin- drischen, bänderartigen Strängen absondern, so kann man der elastischen Haut, welche zu „‚Spiralfasern“ zu zerklüften vermag, die Bedeutung einer festgewordenen Zellenmembran beilegen. Mit der von mir oben ausge- sprochenen Vermuthung, dass ähnlich wie am Knorpel die Zwischensubstanz um die zelligen Theile herum zu den „‚Knorpelkapseln“ verdichtet, so auch hier am Binde- gewebe derselbe Hergang zu statuiren wäre, liessen sich wohl die beiderlei Ansichten mit einander ver- schmelzen. - An manchen Orten des menschlichen und thierischen Körpers haben sich die Bindegewebskörper so vergrös- sert, dass sie die Grundsubstanz dazwischen an Ausdehn- ung überwiegen, was ganz besonders der Fall ist an der Arachnoidea des Gehirns und Rückenmarkes, auch im Bindegewebe des Kniegelenkes u. a. 0., und im Zusam- menhang damit werden auch gerade solche Stellen ge- wöhnlich empfohlen, wenn es darum zu thun ist, die „Spiralfasern‘‘ mit Sicherheit zu demonstriren. Auf das eben Bemerkte werden unten noch einige specielle An- wendungen, namentlich vom Gesichtspunkte der capillaren Lymphräume aus gemacht werden, wesshalb es nothwen- dig sein dürfte, hier nochmals hervorzuheben, dass ich die grossen Räume z. B. in der Arachnoidea nach Ge- nese und Bedeutung ganz gleich setze mit den Binde- gewebskörpern oder kleinen spaltförmigen Räumen des Bindegewebes. Zur weiteren Begründung der soeben bezüglich der Spiralfasern aufgestellten Meinung dient auch, dass man die Muskelprimitivbündel von ganz gleichen scheinbaren Spiralfasern umsponnen sehen kann. Es fiel mir diess lebhaft auf in der quergestreiften Muskulatur des Schlun- des von Torpedo marmorata, die Primitivbündel sind schmal und das Sarcolemma, sich in engen Touren ein- 164 schnürend, erzeugt dasselbe Bild der Spiralfaser wie am Bindegewebe. Aehnliches gewahrt man auch an den Remak’schen Nerven und dem Nervus olfactorius der Wirbelthiere. Mitunter beobachtet man auch eine eigenthüm- liche Querstreifung der Bindegewebsbündel nach Anwendung von Essigsäure, so dass sie an Muskeln er- innern. Und diese Erscheinung rührt, wie ich mich an der Haut des Polypterus überzeugte, von den Bindege- webskörpern her, indem die queren Ausläufer sehr dicht sich folgen. Man hatte bisher das „Chitingewebe“ der Ar- thropoden beim Horngewebe oder den Epithelialgebilden untergebracht, indem man sich bei der geringen Kennt- niss des Baues besonders daran hielt, dass das Chitin- gewebe häufig die äusserste Begrenzung des Thierkörpers ausmache. Ich musste nach meinen hierüber angestellten Untersuchungen es der Bindesubstanz einreihen, vergl. Müll. Arch. 1855 (z. feineren Bau d. Arthrop.). Auch in der Schrift von Dr. Morawitz (Quaedam ad anat. Blattae germ. pertinentia 1853), scheint bereits auf die histologische Verwandtschaft der beiden bezeichneten Sub- stanzen hingewiesen zu sein (s. Reichert’s Jahresbe- richt 1854). Ueber das Chitin in chemischer Beziehung vergl. Schlossberger: Zur näheren Kenntniss der Muschel- schalen, des Byssus und der Chitinfrage in den Ann. der Chem. u. Pharm. XCVIII. Bd. 1.Hift. (s. auch Notiz. 1856.) Ueber die Statistik der Geburten. Von Dieterici (Berlin). Als Süssmilch zuerst in Deutschland vor nun- mehr einhundert Jahren statistische Fragen in mehr wis- senschaftlicher Auffassung behandelte, und den aphoristi- schen ähnlichen Untersuchungen der Engländer Graunt, Petty, King und anderer Gelehrten, wie Kerse- boom, Struyk, Departieux, Short und War- gentin, die ihm vorangegangen waren oder gleichzei- tig mit ihm forschten, Zusammenhang gab, sie erwei- terte, in ein System zu bringen suchte, nannte er sein berühmtes und immer noch sehr brauchbares Werk: die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts, aus der Geburt, dem "Tode und der Fort- pflanzung desselben erwiesen. Er legte also auf die Zahl der Geburten einen sehr grossen Werth, und wenn er allerdings auch, wie seine Vorgänger, die Todesfälle be- achtete, da der Fortschritt einer Bevölkerung wesentlich dadurch herbeigeführt wird, dass mehr geboren werden als sterben, so waren ihm die Geburten doch so wichtig, dass er sie selbst im Titel seines Buches voranstellte, und der Inhalt seiner Schriften ganz wesentlich auf die Geburten sich bezieht. Ja, als noch gar keine regel- mässige Volkszählungen von den Regierungen angeord- 165 net, und nur von einzelnen Gemeinden die Bevölkerun- gen nach wirklicher Aufnahme derselben bekannt waren, verglich man die Bevölkerungszahl gegen die Anzahl der Geburten, welche man aus den Kirchenbüchern ziem- lich sicher erfahren konnte. Man verglich allerdings ebenso die Zahl der Gestorbenen, obgleich diese aus den Kirchenbüchern nicht ganz so sicher festzustellen war, als die Zahl der Gebornen, gegen die Bevölkerung; und berechnete, ganz besonders aus dem Verhältniss der Ge- bornen gegen die gleichzeitig Lebenden, die Bevölkerung ganzer Länder. — Wenn so die Geschichte der Wissen- schaft darthut, dass die Statistiker von Anfang an grosse Beachtung den Geburten gewährt haben, so tritt diess mit dem Fortschritt der Wissenschaft in neuerer Zeit in noch viel höherem Grade hervor. In allen ofliciellen sta- tistischen Tabellen, die in Frankreich, England, Belgien, den Niederlanden, den meisten deutschen und vielen italie- nischen Staaten, in Dänemark und Schweden, in Nord- amerika, meist in Folio- und (uartbänden in grosser Ausführlichkeit gedruckt erscheinen, in allen wichtigeren statistischen Schriften, den Anmuaires, Jahrbüchern, wis- senschaftlichen Abhandlungen werden die Betrachtungen, nach Angabe der Resultate der Volkszählungen, mit den Geburten begonnen, und viele Bogen und Seiten mit Zusammenstellungen aus den Geburtslisten gefüllt. Ich selbst habe in zwei Abhandlungen, die ich am 1. und 12. December 1853 in der königlichen Akademie gelesen habe, die Geburten, und diese allein, zum Gegenstande meines Vortrages erwählt, und mich zu zeigen bemüht, wie ausserordentlich verschieden das Verhältniss der Ge- burten zu den gleichzeitig Lebenden, in den verschiede- nen Ländern Europa’s, in den verschiedenen Provinzen desselben Staates, nach Zeitabschnitten und einzelnen Jah- ren ist. Alle von den Staatsbehörden bekannt gemachten Ta- bellen und statistischen Werke, und alle grösseren sta- tistischen Schriften, wenn sie nur einigen wissenschaft- lichen Werth haben, beginnen die meisten Untersuchun- gen gerade mit der Zahl der Geburten, Der Satz, dass nach Hungerjahren und nach Jahren der Noth, in denen wenige Geburten vorkommen, Jahre mit vielen Geburten eintreten, ist längst bekannt, und in den verschiedenen statistischen Schriften oft und wie- derholt ausgesprochen. Ich führe Beispielsweise nur Hoffmann an, der in seiner Uebersicht der Geburten, Trauungen und Todesfälle (Sammlung kleiner Schriften 1843) hervorhebt, dass im preussischen Staate 1825 und 1826 die Geburten die frühere Durchschniltszahl um fast 3000 übersteigen, weil in den Jahren 1824 und 1825 reichliche Erndten stattfanden, und der Preis des Getreides unter die Hälfte der gewohnten Miltelpreise ge- sunken war. — Die Statistiker neuerer Zeit haben aber die Beweise verhältnissmässig vieler oder weniger Geburten immer nur aus der positiven Zahl der gebornen Kinder genommen , auf 166 die fecunditas nicht etwa aus der Anzahl der Zwillinge, Drillinge, Vierlinge, oder gar Fünflinge (wie 1850 im preussischen Staate ein solcher Fall in dem Dorfe Alt- Rehfeld, Kreis Crossen, vorkam) geschlossen. Es finden sich solche Ideen eigentlich nur bei den Alten. Plinius sagt in der Historia naturalis Buch 7 Cap. 3 (Ausg. von Sillig Bd. 2. S. 11): Tergeminos nasci certum est Ho- ratiorum Curiatiorumque exemplo ; super inter ostenta di- citur praeterguam in Aegypto, ubi fetifer potu Nilus amnis. Auch Seneca schreibt naturales quaestiones Buch 3 Cap. 25: Quorundam caussa non potest reddi, quae aqua Nilotica fecundiores feminas faciat, adeo ut qua- rumdam viscera longa sterilitate praeclusa, ad conceptum relaxaverit. Also das Nilwasser macht fruchtbar, und diess kann man — nach Plinius an den Drillingen se- hen, die in Aegypten nichts Wunderbares sind. Zahlen zum Beweise der angegebenen 'Thalsachen finden sich bei den Alten nicht. Unter den Neueren hat Moser „die Geselze der Lebensdauer“ den Zwillingen besondere Auf- merksamkeit zugewandt ($S. 217 und folgende); er be- nutzt die Angaben zu Betrachtungen über die Geschlechts- verschiedenheit bei den Zwillingsgeburten, macht aber keine Schlüsse daraus über die Fruchtbarkeit eines Jah- res, und sagt keinesweges, dass man etwa aus vielen Zwillingsgeburten auf Fruchtbarkeit des Jahres schliessen könne. Mitgetheilt wird die Zahl der Zwillinge mehr- fach, von England (Ninth Annual Report of the Regi- strar-General of Births, Deaths and Marriages in Eng- land 1848, S. XVIII), ferner von mehreren deutschen Staaten, Sachsen, Würtemberg; ganz vollständig werden die Mehrgeburten im preussischen Staate angegeben. — Nach einer Zusammenstellung sind in 31 Jahren die Zwil- lingsgeburten durchschnittlich etwa 1 Proc. der einfachen Geburten, weshalb die Statistiker wohl Recht haben, wenn sie die Fruchtbarkeit eines Jahres nach der Anzahl der Kinder überhaupt, die geboren werden, und nicht nach den Zwillingsgeburten berechnen. Hunderte geben bessere Vergleichung als Einer; und in der Statistik kann man zu allgemeineren Schlüssen nur durch grössere Zah- len gelangen. Ja, es ist der Statistik wesentlich, die Gründe oder Ursachen der Erscheinungen nur aus grös- seren Zahlenverhältnissen zu entnehmen, welche statistisch wichtige Vergleichungen zulassen. Wenn daher physische Erscheinungen erfahrungsmässig einzeln stehen, oder nur in kleineren Zahlen hervortreten, so gehören sie in der Regel in andere wissenschaftliche Gebiete, als in das der Statistik, für welche sie dann noch nicht geeignet sind. Wäre es übrigens wahr, dass aus vielen Zwillingsgebur- ten auf die Fruchtbarkeit eines Jahres geschlossen wer- den könnte, so müssten in denjenigen Jahren, in wel- chen viel Kinder geboren werden, auch viel Zwillingsge- burten vorkommen und umgekehrt. In sehr vielen Jah- ren ist aber gerade das Gegentheil der Fall. Im Jahre 1825 wurden verhältnissmässig viel Kinder geboren: 523653 (während später im Jahre 1827 490675 und Ill 167 ähnliche Zahlen 1830, 1831 mit wenigen Kindern vor- kommen), 1825 aber waren wenig Zwillingsgeburten. 1845 zeigt ebenso viel Geburten und wenig Zwillings- geburten, und umgekehrt sind nach einer Zusammenstell- ung der Verhältnisszahlen die Jahre 1832, 1834, 1850, 1855 diejenigen, welche auf je 100000 Geburten die allermeisten Zwillingsgeburten hatten, aber namentlich die Jahre 1832 (wegen der vorhergegangenen Cholera), 1850 168 und besonders 1855 (wegen der theuren Getreidepreise) zeigen im Allgemeinen wenig Geburten. Der Grund einer allgemeinen Fruchtbarkeit scheint auf Mehrgeburten nicht von Einfluss; ob Zwillinge, Drillinge, Vierlinge zur Welt kommen, dürfte von andern Naturgesetzen herzu- leiten sein, als dem allgemeinen Grund einer besonderen Fruchtbarkeit im Lande überhaupt. (Monatsber. d. berl. Acad. März 1857.) Heilkunde. Ueber das Mangan in Eisenwassern. Von Dr. K. Th. Menke (Pyrmont) *). Bei den neuen Untersuchungen von Wiggers über die pyrmonter Eisenwasser ist auch die geringe Quanti- tät des Manganoxyduls in denselben festgestellt worden, über dieses sagt Menke ‘in dem Vorwort zu dem unten angezeigten Schriftchen : „Dieses kohlensaure Manganoxydul, dessen der Neubrunnen, der Wiggers’schen Analyse zufolge, drei- mal mehr enthält, als der Brodelbrunnen und überhaupt mehr als in irgend einem Mineralwasser bisher nachge- wiesen worden ist, verdient gewiss eine besondere Auf- merksamkeit. Es verleihet dem Wasser unzweifelhaft ei- nen eigenthümlichen pharmakodynamischen Charakter und daher auch wohl ohne Zweifel eine eigenthümliche thera- peutische Wirkung. Wenn dieser Bestandtheil bei den Mineralwässern überhaupt bisher nicht gehörig in An- schlag gebracht ward, so beruhet das theils in der Ge- ringfügigkeit der in solchen bisher nachgewiesenen Men- gen desselben, theils darin, dass seine physiologisch - che- mische Bedeutung für die thierische Oekonomie erst in letzter Zeit ermittelt und in nähere Erwägung gezogen worden ist. Dass sich Spuren dieses Metalles in mehreren unse- rer gebräuchlichsten vegetabilischen, ohne Zweifsi auch animalischen Nahrungsmittel vorfinden, und dass dasselbe auch den Bestandtheilen unseres Blutes angehört, ist eine Entdeckung des laufenden Jahrzehends, die als Thatsache feststeht. Bei der grossen Verbreitung dieses Metalls über den Erdboden, da dasselbe das Eisen, sowohl als Bestandtheil amorpher Gebirgsgesteinsarten, als mineralogisch einfacher Fossilien, in mehrfachen Verbindungen sehr häufig be- gleitet, kann es nicht auffallen, dass dasselbe sich auch den Mineralwässern und insbesondere den Eisensäuerlingen beimischt. Es bedarf wohl nicht erst der Behauptung, dass diese Beimischung auch bei der Bildung unserer Ei- *) [55° Chemische Untersuchung der pyrmonter Eisen- säuerlinge durch Prof. Dr. H. A. L. Wiggers. M. e. Vor- wort v. K. Th. Menke. 8. Hannover. Hahn’sche Hofbuclıh, 1857. sensäuerlinge statt hat und von jeher statt hatte, dass also das Mangan nicht etwa erst seit der letzten Analyse, als neuer Bestandtheil hinzugekommen, sondern nur erst durch die Fortschritte der analytischen Chemie in dem Mineralwasser entdeckt worden ist. Das Mangan ist ein Bestandtheil unseres Buntsandsteines, der Geburtsstätte unserer Mineralquellen; es findet sich bei uns ausserdem auch noch als dichter Schwarzbraunstein auf den Abson- derungsflächen des Buntsandsteines kleintraubig und nie- renförmig aufgewachsen vor; auch als erdiger Schwarz- braunstein, und auch als Wad (Manganschaum) hie und da, als Anflug oder Ueberzug des Buntsandsteins ebenso wohl, als stellenweise des oberhalb unserer Eisensäuer- linge anstehenden Kalktuffs. Die Erklärung des Hinzu- trittes des Mangans zu unseren Eisensäuerlingen liegt nahe, wenn man bei Anwendung der Auflösungstheorie auf die Entstehung der Mineralquellen die Nähe dieser oxydischen Erze in Anschlag bringt. Das Vorhandensein des Mangans in unseren Eisen- säuerlingen war der Beobachtung Westrumb’s gänz- lich entgangen; ich muthmaasste dasselbe; Brandes und Krüger wiesen in einem Pfunde des Trinkbrunnens nur 0,0200 Gran einfach (— 0,276414 zweifach) kohlensau- res Manganoxydul, Struve, bald hernach, 0,0485 ein- fach (— 0,0674304 zweifach) kohlensaures Manganoxy- dul, Wiggers weist in demselben eine fast gleiche Menge nach, während im Brodelbrunnen und im Neu- brunnen, welcher letztere nach Wiggers ungleich mehr als der Trinkbrunnen enthält, Brandes und Krüger nur Spuren dieses Metalls aufzufinden vermocht hatien. In den chemisch verwandten fremden Eisensäuer- lingen ist Mangangehalt ebenfalls längst nachgewiesen worden; im Driburger durch Du Menil, im Godelhei- mer durch F. K. Himly, in dem zu Hofgeismar durch Wiggers; im Imnauer durch L. Gmelin, im Schwal- bacher durch Fresenius. Vielleicht werden einzelne derselben, und namentlich die Driburger, künftighin bei weiterer Nachforschung ebenfalls reicher als bisher an Mangangehalt befunden werden. Als ein in nur so geringer Menge in unseren Eisen- säuerlingen nachgewiesener Bestandtheil war bei Beur- theilung derselben das Mangan bisher fast gar nicht in Anschlag gebracht. Gegenwärtig, da dasselbe in der che- 169 mischen Physiologie eine Rolle spielt und auch schon Versuche in nicht geringer Anzahl über die Wirkungen des dargereichten Mangans angestellt worden und thera- peutische Erfolge erfahren sind, gebührt ihm schon cine grössere Rücksicht. Es wird ihm nothwendig ein Theil der Wirksamkeit unserer Eisensäuerlinge beizumessen sein. Aber welcher? Diese Frage ist noch keineswegs zur Genüge erledigt. Man hat das kohlensaure Manganoxydul in neuester Zeit, zumal in Verbindung mit Eisen, insbesondere gegen Chlo- rose, angeblich selbst in Fällen, die dem Gebrauche al- leiniger Eisenmittel widerstanden, mit Erfolg angewendet (Hannon). In Anämieen, die durch die Kachexie der Phthise, der Scrofulose, des Krebses und der Syphilis begründet sind, fand es sich vorzugsweise angezeigt (Pe&- trequin). Eisen und Mangan sollen im Blute der Chlo- rotischen in gleichen Verhältnissen abnehmen und müssen daher beide gleichmässig Ersatz finden. Das Hyperoxyd des Mangans gab man mit Nutzen gegen Chlorose mit Amenorrhoe. Odier empfiehlt das- selbe gegen Dyspepsie mit erhöhter Reizbarkeit des Ma- gens, und sah ausgezeichneten Nutzen davon in hartnäk- kigen Fällen von Wadenkrampf. Gegen Hypochondrie und Hysterie, im Scorbut, in der Syphilis, gegen syphi- litische Geschwüre, syphilitische und andere chronische Hautkrankheiten, Flechten, Krätze, Kopfgrind ist dasselbe ebenfalls, je nach Umständen, innerlich und äusserlich, mit Nutzen gebraucht worden. Das Chlormangan hat, wie das Chloreisen, gegen Hämorrhagieen (Osborn), Chlorose mit Amenorrhoe, das schwefelsaure Manganoxydul ebenfalls gegen Chlorose mit Amenorrhoe und wachsfarbener Haut, in Verhindung mit Eisenmitteln (Hannon), und gegen Icterus mit man- gelhafter Gallenabsonderung sich heilsam erwiesen. Auch das apfelsaure, das weinsaure, essigsaure, phosphorsaure Mangan und das Jodmangan eignen sich zu therapeuti- scher Anwendung. Die den obigen Empfehlungen zu Grunde liegenden Erfahrungen dürften hinreichen, die therapeutische Bedeu- tung des Mangans hervorzuheben. Im Allgemeinen scheint dasselbe viel Analogie mit dem Eisen zu haben. Odier führt das Manganhyperoxyd, mit China, Baldrian und Zinkoxyd in einer Reihe, als cin krampfstillendes toni- sches Mittel auf. In meiner Schrift über die Heilkräfte des Pyrmonter Wassers schrieb ich dem Mangan eine per- manent reizende Wirkung zu und wies, seinem pharmako- dynamischen und therapeutischen Charakter zufolge, ihm eine Stelle zwischen den Eisen- und Spiessglanzmitteln an, und diese Stelle scheint ihm in der That zuzustehen. Von dem Eisen hat es die Beziehungen zum Blute, von dem Spiessglanze Beziehungen zur Haut. Jene sind be- reits oben näher erörtert, in diesen ist seine therapeuti- sche Wirkung zuerst erkannt worden, da es zuerst in chronischen Hautausschlägen Anwendung gefunden hat.“ 170 Einzelnhaft. Eine der wichtigsten Fragen der Medicina publica in neuester Zeit ist die Frage über die zweckmässigste Ein- richtung des Gefängnisswesens. Die Uebelstände des al- ten Gefängnisswesens und ihr verschlechternder Einfluss sind hinreichend oft besprochen und bekannt. In England waren die Uebelstände am grellsten, von da begannen auch die Reformen, energischer wurden die Reformen in Nordamerika, namentlich in Pennsylvanien, angegriffen, und hier bildeten sich bald zwei einander gegenüberste- hende Systeme aus, das Auburnsche und das Penn- sylvanische. Das erste bestand für den Tag in ge- meinsamen Arbeits- und Speisesälen mit dem Gebote des Schweigens, für die Nacht in Einzelnzellen; das zweite führte die Isolirung consequenter durch mittelst unausge- setzter Trennung der Gefangenen von einander. Das Auburn’sche System scheitert an der Unmög- lichkeit, das verlangte Schweigen der Gefangenen unter einander wirklich zu erreichen; wo es scheinbar am be- sten ausgeführt wurde, da war doch jeder Gefangene von Allem durch seine Genossen unterrichtet, was er nicht er- fahren sollte, und diess ist selbst in den amerikanischen Gefängnissen nach dem Auburnsystem der Fall, wo die Peitsche unbarmherzig jeden Bruch des Schweigens auf der Stelle straft, auch haben sich die Rückfälle bei die- sem System vermehrt, zum Beweis, dass dasselbe seinem Zweck nicht entspricht. Ueberall hat man daher das Auburn’sche System wieder aufgegeben. Durch eine Modification desselben, das s.g. Genfer System, wo- bei durch Klassification der Gefangenen und die Tren- nung nach diesen Klassen schon manche Nachtheile um- gangen werden, sind etwas bessere Erfolge erzielt. Den- noch hat man auch hier als ein schärferes Strafmittel mehrmonatliche Einzelnhaft hinzunehmen müssen und da- von bessere Resultate gewonnen. Ueber das Pennsylvanische System oder die reine Einzelnhaft spricht sich ein Ausschuss- bericht an die gesetzgebende Versammlung zu Frank- furt a. M., den Gefängnissneubau betreffend, nun 1856 folgendermaassen aus: „Wir haben uns nun mit der in dem Senatsvortrage als allgemeine Regel vorgeschlagenen Haftweise zu be- schäftigen, mit der Einzelhaft, Zellenhaft, Ver- einzelung der Gefangenen oder, wie man sie auch ge- vannt hat, mit dem Pennsylvanischen oder Phila- delphischen System. Der Gedanke, neben der Bestrafung auch die Bes- serung der Gefangenen zu erzielen, und zwar durch Tren- nung, durch Arbeit und durch religiösen, elementären und gewerblichen Unterricht, findet sich schon in Howard’s Schriften, sowie in dem, hauptsächlich auf dessen Antrieb erlassenen englischen Besserungshausgesetze von 1779 und in dem Gesetze für Arbeitshäuser von 1782 entwickelt *). *) Vergl. Julius, Nordamerikas sittliche Zustände, Bd. 2, 8.1311: 171 Im Jahre 1790 wurden die ersten Zellengefängnisse in Gloucester und in Philadelphia erbaut. Diese Fortschritte blieben aber ziemlich vereinzelt und dauerten nicht, so dass man die erste consequente Durchführung dieses Sy- stems mit Recht von dem im October 1829 eröffneten, seit seiner Vollendung 586 Zellen zählenden Strafhause bei Philadelphia datirt. Der milde, fromme Sinn William Penn’s und die religiösen Ansichten seiner Nachfolger, der Quäker, waren für diese ganze Entwickelung vom grössten Einfluss. Auch die Mangelhaftigkeit und Einsei- tigkeit der ersten Durchführungsweise findet hierin ihre nothwendige Erklärung. Die ursprünglichen Bestrebungen waren darauf gerichtet, den Gefangenen möglichst sorg- fältig von der Aussenwelt, namentlich von allen verderb- lichen Einflüssen derselben abzuschliessen, ihn in der durch Besuche rechtschaffener Menschen erst später unterbroche- nen Einsamkeit auf sich selbst zurückzuführen, ihn seiner Lasterhaftigkeit gegenüber zu stellen, Reue und Zerknir- schung hervorzurufen, nur auf diesem Wege und auf die Bibel gestützt ihn zur Versöhnung zu leiten, und zum Theil dann erst Arbeit zu gewähren. Man irrte darin, dass nicht nur Vereinzelung des Gefangenen, sondern grossentheils wirkliche Einsamkeit angewandt ward, und dass man Vereinzelung nicht sowohl für eine nothwen- dige negative Vorkehrung, als vielmehr für das richtige positive Mittel ansah. Einseitig war diese Ansicht ferner desswegen, weil in der Regel nur ein Mensch mit gebil- detem Verstande und mit wenigstens einem guten Reste sittlichen Gefühles im Stande ist, sich auf diesem Wege. aus sich selbst wieder zu erheben, während der Unge- bildete und Rohe dabei Gefahr läuft, in stumpfsinniger Gleichgültigkeit oder im Hinbrüten zu Grunde zu gehen. Dies ward übrigens bald erkannt und allmälig hat man auch in Amerika von der Nothwendigkeit der Arbeit, des Unterrichts und des Verkehrs mit rechtschaffenen Men- schen sich überzeugt und mehr und mehr, wenn freilich auch jetzt noch nicht hinreichend, dafür gesorgt. Die Engländer, Franzosen und Deutschen, welche die ameri- kanischen Gefängnisse durch eigenen Augenschein kennen lernten, Crawford, Tocqueville, Beaumont, De- metz und Julius, fassten diese Frage von vorn herein richtiger auf, verbreiteten ihre geläuterten Ansichten in Europa und brachten sie zu praktischer Durchführung in sehr übereinstimmender Weise. Es muss demnach vor Allem festgehalten werden, dass unter getrennter oder Einzelhaft oder pennsylvani- schem System heut zu Tage keineswegs Einsamkeit, son- dern nur Trennung der Gefangenen von einander nebst möglichst vielem Verkehr mit anderen rechtschaffenen Menschen verstanden wird. So sprechen sich auch die offiziellen Regierungsorgane aller «derjenigen enropäischen Länder aus, wo man an Einführung dieses Systems ge- dacht hat. So sagte z. B. der französische Minister Duchatel 472 in der den Gesetzentwurf vom 25. Januar 1847 beglei- tenden Begründung *): „Bei der von uns vorgeschlagenen Einrichtung soll der Gefangene Tag und Nacht in einer hinreichend ge- räumigen, gelüfteten und gesunden Zelle eingesperrt sein und in derselben wenigstens einmal jede Woche von dem Arzt und dem Lehrer besucht werden. Der Gefängnissgeistliche oder sonstige Geistliche der ver- schiedenen anerkannten Glaubensbekenntnisse sollen Zu- tritt zu ihm haben, desgleichen die Mitglieder der Auf- sichts-Commissionen. Ferner soll er Besuche empfan- gen dürfen von seinen Verwandten, von Mitgliedern der Hülfs- und Schutzgesellschaften, von den Werk- führern und endlich von jeder andern Person, welche vom Präfecten des Departements Erlaubniss dazu er- halten hat. Wenigstens zwei Stunden täglich sollen für diese Besuche, für die Schule und für Lesen vor- behalten bleiben. Die Entziehung von Arbeit und Le- sen, dieser zwei kräftigen Erheiterungsmittel in der Einsamkeit soll nur als zeitweilige Strafe stattfinden dürfen. Endlich soll jedem Gefangenen verstaltet sein, sich wenigstens eine Stunde täglich in freier Luft zu ergehen.‘ Und die den Gesetzentwurf (den Strafvollzug im neuen Männerzuchthause bei Bruchsal betreffend) beglei- tenden Molive**) sprechen sich folgendermaassen aus: „Das Trennungssystem sucht beide Bedürfnisse, das der Gesellschaft und das der Mittheilung, zu befriedi- gen; es versagt zwar eine fortwährende Verei- nigung des Sträflings mit anderen Menschen, allein es verpflichtet die höheren und niederen Beamten des Hau- ses zum abwechselnden Umgang mit allen Gefangenen in der Weise, dass Besprechungen über religiöse, mo- ralische und gemeinnützige Gegenstände sowohl, als über den Lebenslauf des Sträflings, seine Gesundheit, Familienverhältnisse und Wünsche jeder Art mehr- mals im Tage stattfinden. Daneben wird ihm eine, seinem Berufe und seinen Fähigkeiten entsprechende Beschäftigung mit einem kleinen Taglohnsantheil angewiesen, und wenn er sich auf keine versteht, er- hält er geeigneten Unterricht. Für die Ruhestunden werden ihm Lesebücher belehrenden Inhalts zuge- stellt; dem Gottesdienst wohnt er gemeinschaftlich mit den Hausgenossen bei, und wenn hier auch die Einrichtung getroffen wird, dass Keiner den Andern sehen kann, so haben sie doch das Gefühl, einer Kirchengemeinde anzugehören.“ Berechtigung der Vereinzelung. Man hat, um radical die Vereinzelung der Gefangenen zu beseiti- gen, gesagt: „Der Verbrecher mag strafbar sein, immer- hin bleiben ihm aber gewisse Rechte; man darf ihn nicht gänzlich aus der menschlichen Gesellschaft ausstossen, der *) Vergl. auch Jahrb. a. Gefängnisskunde, Bd. 10, S. 26. **) 4, 2.0. $. 166. 173 Mensch ist für die Gesellschaft geboren.“ Gut, sagen wir, aber hat denn der Verbrecher das Recht, nicht etwa überhaupt mit Mitmenschen, sondern gerade mit denjeni- gen seiner Mitmenschen zusammen zu leben, die, wie er, Verbrechen begangen haben, wie er, der bürgerlichen Gesellschaft als ein Makel und als eine Gefahr bezeichnet sind? Welches göttliche oder menschliche Gesetz verbürgt ein solches Recht? Im Gegentheil, die bürgerliche Ge- sellschaft hat das Recht, und darf es sich nicht läugnen lassen, die Verbrecher zu hindern, zusammen zu leben, sich zu verderben und aus der Staatsanstalt, dem Gefäng- niss, verdorbener und zu neuen Verbrechen geschickter als vor ihrem Eintritt herauszugehen. Der Einzelne wird für das begangene Vergehen auch einzeln bestraft. Wäre in dem Gefängniss kein anderer Sträfling, wahrlich, man würde doch nicht einen zweiten verurtheilen, nur um dem ersten Gesellschaft zu leisten. Wenn es nicht gut ist, dass der Mensch allein lebe, so ist es auch nicht gut, dass er in Gemeinschaft der Gedanken oder gar der Hand- lungen mit andern Verbrechern lebe. Das ist nicht der richtige menschliche Umgang, dieser ist vielmehr im Ver- kehr mit rechtschaffenen Menschen zu suchen, und die Gewohnheit solchen Verkehrs ist dem Verbrecher anzuer- ziehen, nicht aber die eines Verkehrs mit gegen Sitte und Recht, gegen Ordnung und Staat Verschworenen. — Kann man es übrigens mit Recht einen menschlichen Um- gang nennen, wenn man, wie bei dem Auburn’schen Sy- stem, allerdings eine Anzahl Menschen gleich einem Hau- fen Automaten neben einander aufstellt, ihnen aber alles das, was menschlichen Umgang und Austausch kennzeich- net, untersagt, wenn man von ihnen verlangt, dass sie für die übrigen Gefangenen geradezu taub, stumm und blind sein sollen? Nein, eine solche Gesellschaft ist ein Unding, ein ungehinderter Verkehr aber ist eine Laster- schule; das eine soll, das andere darf der Staat nicht dulden. Zerreissen soll er die Bande des Verbrecher- thums und einleiten soll er natürlichen ungehinderten Verkehr mit rechtschaffenen Menschen. Beides ist nur bei der Einzelhaft möglich, nur hier kann, wie wir weiter unten näher entwickeln werden, ein Verkehr des Gefangenen mit den Beamten, und nament- lich mit seinen Verwandten stattfinden, wie er eines Men- schen, an dessen Besserung ınan noch glaubt, würdig ist. Es ist nun zu prüfen, ob die also aufgefasste Ein- zelhaft überhaupt und namentlich, ob sie besser als das Schweigsystem den oben entwickelten Strafzwecken ent- spricht. Einen ersten, wir möchten sagen vorläufigen Zweck erfüllt die Einzelhaft gewiss sicherer als andere Haftar- ten, den Zweck nämlich, den Schuldigen während seiner Gefangenschaft ausser Stand zu setzen, zu schaden. Die Hausordnung aufrecht zu erhalten, ist leicht; die einfachen, gleichförmigen Vorschriften sind leicht durch- zuführen. Wenn die Gefangenen durch Mauern von ein- ander getrennt sind, können sie begreiflicher Weise weder Widerstand leisten, noch Unordnungen anzetteln. Ver- 174 abredungen sind unmöglich, die Wahrscheinlichkeit einer Entweichung ist unendlich gemindert; die Ursache und Gelegenheit zu den bei gemeinschaftlicher Haft so häufi- gen schmutzigen, unsittlichen Handlungen ist beseitigt: die Beamten sind vor Gewaltthätigkeiten und rohen An- griffen, denen sie in den jetzigen Gefängnissen so häufig ausgesetzt sind, sicher *). Jede Gefängnissstrafe ist eine empfindliche Strafe; denn der Verlust der Freiheit ist eine Pein, die lebhaft und dauernd empfunden wird; ganz besonders ist dies in vieler Beziehung bei der getrennten Gefangen- schaft der Fall. Der. Verbrecher, der in der freien Ge- sellschaft den grössten Genuss und die sicherste Abwehr vor etwaigen Gewissensbissen, Zweifeln oder sonstigen schmerzlichen Gedanken im Umgang mit Gleichgesinnten oder Verbrechensgenossen gefunden hatte und ebenso un- ter ähnlichen Verhältnissen auch im Gefängnisse, wenn gleich mannigfach beschränkt, finden wird, ist durch die Einzelhaft plötzlich aus dem leichtsinnigen oder verderb- ten Kreise seines Umganges herausgerissen und, jeder anderen Zerstreuung entzogen, sich selbst gegenüber ge- stellt. Gleich die erste Zeit der Einzelhaft macht einen ausserordentlichen Eindruck. Der Gefangene, seiner be- täubenden, unruhigen, aufregenden Lebensweise entrissen, in die grösste Stille und Ruhe versetzt, erwacht wie aus einem Traume oder Rausche. Er findet nichts, was ihn abzieht von sich selbst, von der Erinnerung an seinen ganzen Lebenswandel und seine einzelnen Thaten, von den ersten lebhafteren Regungen seines Gewissens. Es treten Momente seines Lebens vor sein Gedächtniss, die ihm längst völlig verschwunden waren. Die blosse Er- bitterung, den Händen der Gerechtigkeit verfallen zu sein, kann nicht dauern, es kommt eine ganze Reihe schmerzhafter Empfindungen und Gedanken, welche er durchleben muss. Die Regungen des Gewissens sind wahr- lich keine schmerzlosen; sie sind oft selbst äusserst hef- tig, und die Reue (wenngleich noch nicht einmal eine tief wurzelnde, durchgreifende) kann eine so gewaltige Erschülterung des Vereinzelten bedingen, dass alsbald eine versöhnende, aufrichtende Kraft ihm zur Seite tre- ten muss. Bei aller Heftigkeit dieser wechselnden Ge- müthsbewegungen bricht sich jedoch fast immer sehr bald die Empfindung Bahn, dass diese Haft zwar hart, enorm hart sei, aber nicht als Rache, nicht als eine rohe, ver- letzende Strafe wird sie empfunden. Die Erinnerung an das vergangene Leben, die, wenn auch nur mit Wider- streben und Kampf auftauchende Reue, dieses ewig sich selbst gegenübergestellt werden, macht die Einzelhaft ge- rade für den schwereren Verbrecher viel härter als für den leichteren, welcher letztere umgekehrt die zwangs- weise unmittelbare Nähe moralisch verderbterer Gefange- nen schmerzlich empfindet und diesen Verkehr, sowie die *) Rapport de la commission de la Chambre des deputes de France, 1844. S. 39. — Memoire a P’appui du projet de loi, Brux. 1845. S. 115. 175 in der späteren Freiheit nicht mehr abzuleugnende Zucht- hausbekanntschaft als eine harte Busse, als eine wesent- liche Verschärfung seiner Freiheitsstrafe erkennt. Wie dagegen in der Gemeinsamkeit der Haft der vollendete Verbrecher eine wesentliche Erleichterung findet, indem Kameradschaft, Zerstreuung, Unterhaltung, ja eine ge- wisse Achtung oder Unterwürfigkeit ihm nicht fehlen, wie er solchergestalt seinem Gewissen sich entzieht, ist be- reits häufig geschildert. Die angegebenen Gründe tragen begreiflicherweise auch dazu bei, dass die Einzelhaft eine verhältnissmässig stärkere abschreckende Wirkung auf die freie Bevöl- kerung übt, als die gemeinsame Haft. Bis jetzt wenig- stens fühlen Alle, welche sich über die genauere Art und Weise der Einzelhaft nicht unterrichtet haben, sich zu- nächst von der Isolirung betroffen, betrachten diese meist nicht nur als eine Isolirung von anderen Gefangenen, sondern indem sie den ihnen gewährten Verkehr, Unter- richt und Gottesdienst übersehen, überhaupt als eine Iso- lirung von aller menschlichen Gesellschaft. Die wesentlichsten Vorzüge aber offenbart dieses Sy- stem vor den anderen in Bezug auf moralische Besse- rung und Verhütung weiterer Vers chlechterung. Der Staat ist es sich selbst wegen seiner höheren sittlichen Aufgabe wie zu seiner äusseren Sicherheit und ist es dem von ihm ergriffenen Gefangenen schuldig, die- sen durch die ihm zugefügte Freiheitsberaubung nicht noch weiter zu verschlechtern, als er ihn schon über- kommen hat. Sehr richtig sagen die Motive zu dem ba- dischen Gesetzentwurfe *): „Wenn nun aus diesen Gründen (zum Schutz des Staates und zur Bestrafung des Verbrechers) geboten ist, einen Menschen aus der Mitte der gesetzmässig lebenden Staatsbürger eine Zeit lang auszuscheiden, so kann die Aufgabe wohl nur darin bestehen, dass man ihm einen Aufenthalt anweist, welcher ihn von jedem andern Umgang als dem mit redlichen, auf sein Wohl bedachten Personen ausschliesst: denn die bes- sere Gesellschaft will von ihm ferner nicht beunruhigt sein, und durch Versetzung in schlimme Gesellschaft kann die gefährliche Willensstimmung nicht be- siegt, sondern nur cher noch gesteigert werden. Aus der Zufälligkeit, dass man viele Verbrecher in das näm- liche Gebäude einsperrt, wird wohl Niemand eine Noth- *) A. a. 0. S. 166. 176 wendigkeit dafür ableiten wollen, dass solche unter sich in gesellige Verbindung zu treten haben; denn nur zur Vereinfachung der Administration geschieht Jenes, und es wird gewiss kein Gericht einen Verbrecher in der Intention zum Zuchthaus verurtheilen, dass er in die- ser Anstalt in Gemeinschaft mit gleichmässig ver- dorbenen Menschen komme. Der Sträfling selbst muss, soweit er nur einigermaassen zur Besinnung kommt, mit Dank erkennen, wenn er während seiner Haft in die Lage versetzt wird, sich zum nützlichen Staats- glied auszubilden und wieder der Achtung seiner Mit- bürger würdig zu machen.‘ Unmöglich kann die Absicht des Gesetzgebers dahin gegangen sein, denjenigen, der einmal einen Fehltritt be- gangen hat, bis zur äussersten Grenze der Schlechtigkeit hinzuführen und so das Zuchthaus in einen Ort der Ver- derbniss umzuwandeln. Wie es eine Unsittlichkeit, eine Grausamkeit ist, den vielleicht wegen eines ersten Ver- gehens Bestraften der Wahrscheinlichkeit weiterer Ver- derbniss und somit weiterer Verbrechen auszusetzen, für welche er abermals von der bürgerlichen Gerechtigkeit bestraft werden wird, — eben so sehr gefährdet die Ge- sellschaft durch ein solches Verfahren sich selbst. Gibt es etwas Widersinnigeres im Interesse des Staates, als einen Menschen, der theilweise zum Behuf der Sicherheit und der Erhaltung der Gesammtheit von der bürgerlichen Gesellschaft abgesperrt worden ist, durch den Verkehr mit noch Verderbteren oder mindestens mit Gleichverderb- ten noch tiefer in das Verbrechen einzuweihen, seine Er- ziehung darin zu vollenden, ihm die nöthigen Bekannt- schaften zu verschaffen, um nach seiner Entlassung mit grösseren Hülfsmitteln und mit mehr Verbrechensgenos- sen weitere Verbrechen zu begehen? Wird seine Kraft, dem Staat zu schaden, dadurch nicht unendlich verviel- facht? Die beste Haftweise ist nach unserer Ansicht un- bedingt nicht diejenige sowohl, welche behauptet, die meisten Bekehrungen zu machen, als vielmehr diejenige, welche neben einer gerechten Strenge die grösste Sicher- heit bietet, weitere Verschlechterung der Gefangenen zu verhüten. Dem System, welches hierauf den begründet- sten Anspruch machen kann, muss der Vorzug gegeben werden, angenommen selbst, dass es in Einzelnheiten oder Nebenpunkten noch so mangelhaft wäre. In diesem Falle müsste eben die richtige Grundlage festgehalten werden und alles Bestreben und aller Eifer darauf gerichtet sein, jene Unvollkommenheiten zu verbessern. (Schluss folgt.) Bibliographische Neuigkeiten. N. — W. Wicke, Anleitung zur chemischen Analyse nebst Beispielen. 8. Schwetschke und Sohn in Braunschweig. 2 Thlr. R. Clausius, Ueb. d. Wesen d. Wärme, vergl. mit Licht und Schall. 8. Meier u. Zeller in Zürich. 8 Sgr. Charles L. Flint, A practical Treatise on Grasses and Forage Plants; comprising their Natural History, comparative nutri- tive value, methods of cultivating, cutting and curing; and the Management of Grass Lands. 8. With one plate and 4109 woodeuts. London. 7 Sh. 6.d. Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena, Froriep’s Notizen ausdem Gebiete der Natur- Jahrgang 1857. und Heilkunde. EEE. Band No12. Naturkunde. v. Schaffgotsch, Akustische Versuche. — Retzius, Ueber Müller’s Papillen an den Peyer’schen Drü- sen der Katze. — E. Weber, Ueber den Mechanismus des menschlichen Gehörorgans.. — Miscelle. Erdmann, Ueber Lebenszähigkeit der Tradescantia zebrina. — Meilkunde. Einzelhaft. (Schluss.) — Einwirkung der Einzelhaft auf Gesundheit und Sterblichkeit der Gefangenen. (Forts. folgt.) — Bibliographie. Naturkunde. Akustische Versuche. Vom Grafen v. Schaffgotsch. Ein an beiden Enden offenes Glasrohr giebt beim einfachen Anblasen mit dem Munde schwach, aber deut- lich seinen Grundton, d.h. den ihm als offner Orgel- pfeife zukommenden tiefsten Ton. Beim Aufschlagen der flachen Hand auf eine der Mündungen und raschem Zu- rückziehen gibt das Rohr zwei Töne nach einander, zu- erst den Grundton der gedeckten, darauf den schon er- wähnten eine Octave höheren der offnen Pfeife. Durch Erwärmung werden diese Grundtöne, von denen hier, nur der höhere in Betracht kommen soll, bekanntlich erhöht, wie man beim Anblasen eines von aussen her oder durch eine im Inneren brennende Gasflamme erhitzten Rohres sogleich bemerkt. Es gibt z. B. ein 242 Mm. langes und 20 Mm. weites Rohr, seiner ganzen Länge nach er- hitzt, beim Anblasen noch vor Eintritt der Rothgluth einen um eine grosse Terz erhöhten Ton, nämlich zwei- gestrichen gis statt zweigestrichen e. Brennt eine Gas- Damme von 14 Mm. Länge und 1 Mm. unterer Breite im Rohr, so steigt sein Ton auf zweigestrichen fis. Die- selbe Gasflamme erhöht den Ton eines 273 Mm. langen und 21 Mm. weiten Glasrohres vom zweigestrichnen d auf zweigestrichnes e. Diese beiden Rohre, hinfort kurz. als e-Rohr und d-Rohr bezeichnet, haben zu allen folgenden Versuchen gedient, welche Versuche keinen andern Zweck hatten, als eine bekannte und nichts weniger als auffallende That- sache in auffallender Weise zu veranschaulichen, nämlich die Thatsache, dass die Luftsäule eines Rohres in Schwin- gungen geräth, wenn ausserhalb des Rohres sein Grund- ton oder ein nahe verwandter Ton, z. B. eine Oktave angestimmt wird. Das Vorhandensein der Luftschwing- ungen wurde durch eine Rauchsäule, durch einen Gas- strom und eine Gasflamme erkennbar gemacht. 1) Ein glimmendes Räucherkerzchen steht dicht un- ter dem senkrecht gehaltenen e-Rohr und der Rauch zieht als gleichförmiger Faden durch das Rohr hindurch. Es wird 1,, m. davon entfernt eingestrichen e gesungen. Der Rauch kräuselt sich und es sieht so aus, als würde ein Theil desselben zur oberen, der andere zur unteren Oefl- nung des Rohres hinausgeschleudert. 2) Zwei Gasbrenner, 1 Mm. im Lichten, sind nahe bei einander auf demselben Leitungsrohr angebracht. Aus beiden strömt Leuchtgas; der eine ragt von unten unge- fähr bis zum fünften Theil der Länge des d-Rohres in dieses hinein, auf dem andern brennt ein Gasflämmchen von 3 Mm. Höhe. 1,, m. davon wird eingestrichen d gesungen; das Flämmchen nimmt augenblicklich an Dicke und Höhe, folglich überhaupt an Umfang um das Vier- fache zu, es strömt also aus dem äussern Brenner vor- übergehend eine grössere Gasmenge, was sich nur aus einer Hemmung des Gasstroms im inneren, d. h. in dem vom Glasrohr umschlossenen Brenner erklären lässt. 3) Eine Brennerspitze, 1 Mm. im Lichten, ragt in das d-Rohr etwa 80 Mm. weit von unten hinein und trägt eine 14 Mm. lange Gasflamme. 5,, Meter davon a eingestrichen e gesungen; die Flamme verlischt augenblicklich. Dasselbe geschieht auf eine Entfernung von 7 Metern, wenn die Flamme nur 10 Mm. hoch ist und eingestrichen dis gesungen wird. 4) In der Nähe löscht auch der Ton gis die letzt- gedachte Flamme aus. Geräusche, wie Händeklatscheın, Rücken eines Stuhles, Zuklappen eines Buches haben diese Wirkung nicht. 5) Eine Brennerspitze, 0,, Mm. im Lichten, ragt 60 Mm. weit von unten in das d-Rohr hinein und trägt ein kugelförmiges Gasflämmchen von 3 Mm. bis 3,, Mm 12 179 Durchmesser. Durch allmäliges Schliessen eines Hahnes wird die Gaszufuhr mehr nnd mehr beschränkt. Die Flamme wird plötzlich um Vieles länger, aber dafür auch schmäler, sie wird annähernd cylindrisch, färbt sich durch- weg bläulich und aus dem Rohre erschallt ein durchdrin- gendes zweigestrichenes d, das seit 80 Jahren bekannte Phänomen der sogenannten chemischen Harmonika ist ein- getreten. Der Hahn wird noch mehr geschlossen, der Ton wird noch stärker, die Flamme noch länger und schmäler, fast spindelförmig, sie verlischt. Ganz ähnlich nun, wie das Abschneiden des Gases, wirkt ein gesungenes oder von Instrumenten angegebenes d oder eingestrichenes d u. s. w. auf die kleine Gas- flamme; wobei zu bemerken, dass die Flamme im Allge- meinen um so empfindlicher wird, je kleiner sie ist und je tiefer die Brennerspitze in das Glasrohr hineinragt. 6) Die Flamme im d-Rohr ist zwei bis drei Milli- meter lang; 16,, M. (über 51° Rh.) von ihr wird ein- gestrichen d gesungen. Die Flamme nimmt sogleich die ungewöhnliche Gestalt an und das zweigestrichene d er- klingt aus dem Rohre und fährt fort zu klingen. 7) Das zweigestrichene d des vorigen Versuches er- tönt. In der Nähe wird mit Kraft eingestrichen d ge- sungen, die Flamme verlängert sich übermässig und ver- lischt. 8) Die Flamme ist nur 1,, Mm. lang; eingestrichen d wird gesungen. Die Flamme lässt nur einen Augen- blick zweigestrichen d (vielleicht auch bisweilen ein hö- heres d) erklingen und erlischt. Auf die Flamme wirken auch verschiedene d einer stellbaren Labialpfeife, das Contra D, D, d, eingestrichen d und zweigestrichen d eines Harmoniums (von Trayser in Stuttgart), aber kein einziges cis oder dis dieses mächtigen Tonwerkzenges. Es wirkt auch, aber nur ganz in der Nähe, das drei- gestrichene d einer sogenannten Kinderklarinette. Der ge- sungene Ton wirkt auch, wenn er durch Einathmen ent- steht (in diesem Falle zweigestrichen d) oder wenn der Mund von der Flamme abgewendet ist. 9) In der Nähe wirkt auch der gesungene Ton g. Geräusche haben gleichfalls Einfluss, aber nicht alle, oft auch die stärksten und nächsten nicht, offenbar weil der erregende Ton in ihnen nicht enthalten ist. 10) Die Flamme brennt innerhalb des d-Rohres im Zustande der Ruhe etwa 2,, Mm. lang. Im Nebenzim- mer, dessen Thür geöffnet ist, wird ein Stuhl mit sei- nen vier Füssen gleichzeitig auf den hölzernen Fussboden gestampft. Sogleich tritt das Phänomen der chemischen Harmonika ein. Eine ganz kleine Flamme wird natürlich durch das Stuhlgeräusch nach augenblicklichem Tönen ausgelöscht. Ein angeschlagenes Tamtam wirkt biswei- len, gewöhnlich aber nicht. 11) Das Flämmehen brennt im erregten, tongeben- den Zustande innerhalb des d-Rohres; dieses wird lang- sam so weit in die Höhe geschoben, als sich, ohne dass die Flamme in den gewöhnlichen Zustand zurückfällt, P 180 thun lässt. Der Ton: eingestrichen d wird auf 1,, M. Entfernung stark und kurz abgebrochen gesungen. Der Harmonikaton hört auf, die Flamme befindet sich im Ruhezustand, öhne zu verlöschen. 12) Dasselbe geschieht mittelst Einwirkung auf den Luftzug im Rohre durch eine fächelnde Bewegung der flachen Hand nahe über der oberen Kohrmündung. 13) Im d-Rohre befinden sich zwei Brenner dicht neben einander; der eine, von 0,,. Mm. Durchmesser im Lichten, mündet 5 Mm. unter dem andern, dessen Durch- messer 1 Mm. oder mehr beträgt. Aus beiden fliessen Gasströme, welche von einander unabhängig sind, und zwar aus dem engeren ein ganz schwacher Strom, wel- cher angezündet mit einer etwa 1,, Mm. langen, am Tage fast unsichtbaren Flamme brennt; eingestrichen d wird in 3 Meter Entfernung gesungen. Augenblicklich entlammt sich der starke Gasstrom, weil das unter ihm befindliche Flämmchen bei seiner Verlängerung in ihn hineinzüngelt. Bei starker Einwirkung des Tones ver- lischt die kleine Flamme selbst, so dass eine wirkliche Uebertragung der Flamme von einem Brenner auf den andern stattfindet. Bald darauf pflegt sich der schwache Gasstrom wieder an der grossen Flamme zu entzünden und wenn man die letztere nun allein auslöscht, so ist Alles zur Wiederholung” des Versuches bereit. 14) Dasselbe Ergebniss liefert Aufstampfen mit dem Stuhle u. dgl. Es leuchtet ein, duss man auf diese Art durch Ton und Geräusch Gasflammen von beliebiger Grösse erzeugen und jede beliebige mechanische Wirkung hervorbringen kann, wenn man einen durch Gewichte gespannten Fa- den so durch das Glasrohr hindurchzieht, dass ihn die auflodernde Flamme anbrennen muss. 15) Blickt man die Flamme der chemischen Har- monika starr an und gibt dabei dem Kopfe eine rasch abwechselnde Bewegung nach rechts und links, so sieht man nicht einen ununterbrochenen Feuerstreifen, wie ihn sonst jeder leuchtende Körper gibt, sondern eine Reihe neben einander stehender Flammen, oft auch zahnförmige und wellenförmige Bilder, vorzüglich, wenn meterlange Rohre und centimeterlange Flammen benutzt werden. Dieser Versuch gelingt auch ganz leicht ohne Be- wegung der Augen, wenn man die Flamme durch einen Operngucker betrachtet, dessen Objectiv rasch hin und her oder im Kreise bewegt wird, ebenso, wenn man das Flammenbild in einem schüttelnd bewegten Handspiegel beobachtet. Er ist übrigens nur eine Abänderung des vor längerer Zeit von Wheatstone angegebenen und erklärten Versuches, zu welchem ein durch Uhrwerk ro- tirender Spiegel gedient hat. (Monatsber. der berl. Acad. April 1857.) 181 Ueber Müller's Papillen an den Peyer’schen Drüsen der Katze. Von Retzius (Stockholm), Prof. Joh. Müller hat in seinem im Jahre 1830 ausgegebenen grossen Werke, über den feineren Bau der Drüsen, bemerkt, dass an der Darmschleimhaut der Katze, zwischen den Zotten an den Peyer’schen Drüsenflächen, einige Papillen sich befinden. Hr. Retzius hat densel- ben Papillen eine besondere Aufmerksamkeit zugewandt und hat dabei gefunden, dass sie einer auffallenden Um- wandlung unterworfen sind und in einem eigenen Ver- hältniss zu den Peyer’schen Bläschen stehen. Wo eine Papille anwesend ist, da sitzt sie immer über einem Bläs- chen. Jede Papille ist conisch und reicht gewöhnlich bis an die Mitte der Zotten; sie ist mit einem eigenthüm- lichen, dünnen Epithel überzogen und ist nicht von Lie- berkühn’schen Drüsen bedeckt. Bisweilen sieht man die Grundfläche der kegelförmigen Papille auf dem hellen Brücke’schen submucosen Muskelstratum stehen und unter diesem liegt das Peyer’sche Bläschen. Zwischen der Pa- pille und dem Bläschen liegt also in vielen Fällen die genannte Muskelschicht, oder mit anderen Worten, die Papille und das Bläschen sind von einander ‚auf das Be- stimmteste getrennt. In-anderen Fällen nähern sich beide einander; die zwischenliegende Muskelschicht verschwin- det, die Papille schmilzt mit dem Bläschen zusammen; die Papille scheint hohl zu werden, der Inhalt des einen und anderen geht in einander über, und beide zusammen bilden eine gemeinschaftliche Höhle. In manchen Fällen findet man beinahe alle Papillen und Bläschen zusammen- geschmolzen; in diesem Falle scheinen die Papillen ver- längert zu sein, in anderen Fällen findet man viele Bläs- chen, die keine entsprechenden Papillen haben. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die weitere Verfolgung die- ser Veränderungen in verschiedenen Zuständen der Darm- verdauung zu wichtigen Erklärungen über die Bestimmung der Peyer'schen Bläschen leiten mögen. (Monatsber. der berl. Acad. Juni 1857.) Ueber den Mechanismus des menschlichen Gehörorgans. Von Ed. Weber (Leipzig). Der Verf. zeigt, dass die Schallwellen der Luft nicht auf die Weise durch das äussere Ohr, das Trommelfell und die Gehörknöchelchen zu den im Wasser des Laby- rinths an Membranen ansgespannten Gehörnerven kom- men, dass die Verdichtungs- und Verdünnungswellen un- mittelbar dahin fortgeleitet werden, sondern dass für die- sen Zweck folgender Mechanismus existirt, dessen Ein- richtung und Wirkungsart bis jetzt noch nicht erkannt worden war. Mit dem Trommelfelle steht ein aus dem Hammer und Ambos gebildeter Winkelhebel in Verbind- ung, dessen Drehungsachse durch die Befestigungspunkte 182 des Processus Folianus und Processus brevis incudis geht. Beide Gehörknöchelchen sind zwar durch ein Gelenk ver- bunden, welches aber so gebildet ist, dass es denselben in der auf die Achse senkrechten Drehungsebene keine Bewegung gegen einander gestattet, so dass sie sich also nur gemeinschaftlich in derselben bewegen können, wie es der Fall sein würde, wenn sie gar kein Gelenk hät- ten und nur ein einziges Knochenstück wären. Durch eine besondere Einrichtung der Befestigung des Processus Folianus federt dieser Winkelhebel einwärts, wodurch das Trommelfell theils die nöthige Spannung erhält, theils verhindert wird, sich unabhängig von dem Winkelhebel zu bewegen. Die transversalen Schwingungen des Trom- melfells, in welche dasselbe durch die schwingenden Theilchen der Luft versetzt wird, theilen sich daher dem Winkelhebel und mittelst desselben dem am andern Schen- kel des Winkelhebels (Processus longus incudis) befestig- ten Steigbügel mit, der mit seiner Basis in der das ovale Fenster verschliessenden Membran befestigt ist und sich daher den transversalen Schwingungen des Trommel- fells entsprechend in ihr heraus und herein bewegt. Eine solche Bewegung des Steigbügels würde aber unmöglich sein, wenn das das knöcherne Labyrinth erfüllende in- compressible Wasser nicht ausweichen könnte. Zu diesem Zwecke befindet sich daher eine 2. Oeffnung am Laby- rinth, das runde Fenster, welches durch eine feine Membran verschlossen ist, die entsprechend der Beweg- ung des Steigbügels durch den Druck des Wassers her- aus und herein bewegt wird. Die Bewegung der erwähn- ten Membran kann man, wenn man den Steigbügel mit der Hand in dem ovalen Fenster bewegt, sogar mit un- bewaffneten Augen wahrnehmen, An der Stempelbeweg- ung des Steigbügels, welche vom ovalen zum runden Fenster fortgepflanzt wird, nimmt nothwendig das ganze Labyrintihwasser Antheil. Die durch dieselbe dem Laby- rinthwasser mitgetheilten Schwingungen bewegen dem- nach auch die in demselben schwebenden nervenreichen Theile des hänligen Labyrinths und ausserdem vermöge besonderer Einrichtung den häutigen Theil der Lamina spiralis und die in ihm aasgebreiteten Nerven. Die La- mina spiralis der Schnecke ist nämlich zwischen dem ova- len und runden Fenster im Labyrinthwasser ausgespannt, und die von jenem zu diesem fortschreitenden Schwing- ungen müssen daher, um zum runden Fenster zu gelan- gen, aus dem Vestibulum in die Scala vestibuli der Schnecke, und von hier durch die Membran der Lamina spiralis hindurch in die Scala tympani gehen und kreuzen demnach den in dieser Membran endigenden Schnecken- nerven. Derselbe wies ferner aus Versuchen nach, dass der Trommelfellapparat auch beim Hören durch die Kopfkno- chen mitwirkt, wenn die Schallschwingungen nicht durch den äusseren Gehörgang eingehen, sondern den Kopf- knochen, z. B. von einem festen Körper oder vom Was- ser, die sie berühren, mitgetheilt werden, dass man aber durch Erfüllung der Gehörgänge mit Wasser denselben 12'* 183 völlig ausser Wirksamkeit setzen kann. Taucht man da- her so im Wasser unter, dass die Luft in den Gehör- gängen zurückbleibt, so wirkt das Trommelfell auch beim Hören unter dem Wasser mit; taucht man aber unter, nachdem die Gehörgänge sorgfältig mit Wasser gefüllt worden sind, so hört man daselbst ohne die Mitwirkung des Trommelfellapparats. Beiderlei Hören zeigt wesent- liche Verschiedenheiten. Ist das Trommelfell von Luft umgeben und daher, während wir uns unter dem Wasser befinden, noch wirksam, so empfinden wir den Schall als einen von aussen kommenden Eindruck und unterscheiden deutlich, ob er von rechts oder von links kommt. Ist das Trommelfell aber durch Erfüllung der Gehörgänge mit Wasser ausser Wirksamkeit gesetzt, so nehmen wir denselben Schall nur als eine Empfindung im Innern des Kopfes wahr und können nicht unterscheiden, ob er von rechts oder links kommt. Der Grund, warum wir die Gehöreindrücke, ob von aussen kommend, wahrnehmen und unterscheiden können, dass sie von rechts oder links kommen, liegt demnach nicht in der Empfindung der Ge- hörnerven, sondern in der des äusserst nervenreichen Trommelfell.. Wenn wir im Wasser untertauchen und unsere Gehörgänge mit Luft erfüllt sind, können wir nur rechts und links unterscheiden: in der Luft dagegen unterscheiden wir auch, ob der Schall von vorn oder hin- ten, von oben oder von unten kommt. Diese letztere Fähigkeit verdanken wir dem äusseren Ohre, welches im Wasser unwirksam ist, denn schon dadurch, dass man die Ohren platt drückt und mit den Händen vor den Ge- hörgängen einen die Stelle des Ohrs vertretenden Schirm bildet, wird bewirkt, dass der Schall von der entgegen- gesetzten Seite her zu kommen scheint, als wo er wirk- 184 lich her kommt, so dass bei verschlossenen Augen ein von vorn kommender Schall von hinten, ein von unten kommender Schall von oben zu kommen scheint und um- gekehrt. Von dieser Umkehrung der Wirkung des äus- seren Ohres, so wie von der Existenz des anfänglich er- wähnten Hebel- und Stempelapparates zum Zwecke der Fortpflanzung der Schwingungen des Trommelfells zum Labyrinthwasser haben sich mehrere Mitglieder der Ge- sellschaft durch eigene Versuche und Anschauung über- zeugt. (Berichte üb. d. Verhandl. d. königl. sächs. Ge- sellsch. d. Wissensch. z. Leipzig. Jahrgg. 1851.) Miscelie. Lebenszähigkeit der Tradescanlia zebrina, darüber bemerkt Erdmann in den Berichten.der leipz. Ge- sellsch. d. Wissensch. 1857: „Diese Pflanze scheint sich vor- zugsweise zu Anstellung gewisser pflanzenphysiologischer Un- tersuchungen zu eignen, da sie von einer beispiellosen Zähig- keit des Lebens ist. Ein abgeschnittener Zweig der Pflanze, welcher mit etwas Wasser in einen Glascylinder mit luftdicht aufgekitteter Deckplatte vor 8 Monaten gesetzt worden war, vegetirte an seinem oberen Theile fort, während die unteren Blätter abstarben. Ihre Zersetzungsproducte liefern die Nalır- ung für die fortwachsenden Theile. Die Pflanze bildet unter solchen Umständen zahlreiche Luftwurzeln, welche sie ausser- dem nicht zeigt. Bei einem früheren Versuche vegelirte ein Zweig mit etwas Wasser in eine weite Glasröhre eingeschmol- zen 13 Monate fort. Der Verf. legte Blätter und Zweige der Pflanze vor, welche vor einem Jahre zerschnitten in einer Porzellanschale mit Papier bedeckt in einen Glasschrank zum Abtrocknen gesetzt worden waren. An mehreren Stellen zeig- ten die zerschnittenen Zweige noch frische Triebe mit grünen Blättern.“ BHeilk Einzelhaft. (Schluss.) Dass aber vollständige Trennung der Gefan- genen von einander bei möglichst häufigem Verkehr mit rechtschaffenen Menschen, bei elementärem, gewerblichem und religiösem Unterricht grössere Sicherheit gegen wei- tere Verderbniss bietet, als alle Arten eines mehr oder minder beschränkten Verkehrs der Sträflinge unter einan- der, ist zu einleuchtend, als dass wir einen weiteren Be- weis hierfür versuchen wollten. Nur darauf glauben wir noch einmal zurückkommen zu sollen, dass ein etwaiges Aussuchen und Vereinigen von Gefangenen nach einem gewissen Grade von Moralität erfahrungsgemäss völlig un- möglich ist, indem einerseits die Erkenntniss dieses Gra- des gleich beim Antritt der Strafhaft, wo es ja gerade auf diese richtige Schätzung ankäme, unendlich schwierig, ja bei der Schlauheit und Verstellungskunst so vieler Ver- brecher oft selbst nach langer Beobachtung kaum mög- und oe. lich ist, und indem andererseits sehr häufig die wegen unbedeutender Vergehen (z. B. wegen kleinen Diebstahls) zu kurzer Haft Verurtheilten moralisch viel, viel verderb- ter sind, als die wegen (z. B. in der Leidenschaft be- gangener) schwerer Verbrechen zu langwieriger Haft Ver- urtheilten. Nur in der Trennung liegt Sicherheit gegen geistige wie körperliche Ansteckung. Dieser Grund ist es denn auch vor allen anderen, der uns bestimmt, Ihnen die An- nahme der Einzelhaft als allgemeine Regel anzuempfehlen. An diese Verhütung der Verschlechterung im Ge- fängnisse reiht sich die Verhütung der Umstriekung und Verderbniss nach der Entlassung. Die im Gefängniss gemachte Bekanntschaft wirkt in zweierlei Richtung nach- theilig; sind beide Bekannte ungebessert entlassen wor- den, so werden sie sich auch in der Freiheit nur um so mehr an einander anschliessen und in neuen Verbrechen gegenseitig unterstützen; ist aber der eine auf einen bes- seren Weg gelenkt worden, so wird ihm doch immerhin 185 meistentheils sowohl die innere Kraft als die äussere Un- abhängigkeit abgehen, um sich mit Erfolg den Fallstrik- ken seines früheren Zuchthausgenossen zu entziehen. Die- ser wird ihn zunächst zu verführen suchen; gelingt dies nicht, so geht es an ein Ausbeuten, an ein Drohen, das frühere Vergehen und die erstandene Strafe zu veröffent- lichen, dadurch die jetzige Stellung zu vernichten, bis endlich verführt oder in einem Anfall von Verzweiflung der Unglückliche dem dämonischen Einflusse seines Drän- gers sich hingibt und auf’s Neue zum Verbrecher oder zum Selbstmörder wird. Urawfort, Beaumont und Tocqueville, Julius, Diodati, auch Mooser und eine Menge amerikanischer Schriftchen über Gefängniss- wesen erzählen uns ausführlich und genau viele derartige Fälle, wo nach jahrelangem ehrlichem, rechtschaffenem Leben gebessert Entlassene zuletzt doch wieder den Ver- suchungen ihrer früheren Genossen unterlagen und ein wahrhaft romanhaftes schauriges Ende nahmen. In un- serer eigenen Stadt haben wir ähnliche traurige Erfah- rungen gemacht. Von den in den Gefängnissen selbst schon gesponnenen und bald nach der Entlassung ausge- führten Complotten liefern die französischen, englischen und amerikanischen Gerichtszeitungen hinreichende Bei- spiele. Der französische Ausschussbericht an die Abge- ordnetenkammer (1844) sagt: „Man muss sich erinnern, dass es gegenwärtig mit- ten unter uns eine wohlorganisirte Verbrechergesell- schaft gibt. Alle Glieder dieser Gesellschaft verstehen sich unter einander; der eine stützt sich auf den an- dern; alltäglich verbinden sie sich, die öffentliche Ruhe zu stören. Sie bilden im Schoosse einer grossen Nation eine kleine. Fast alle diese Menschen haben sich in den Gefängnissen gekannt oder finden sich daselbst wieder. Es handelt sich darum, die Glieder dieser Ge- sellschaft zu zerstreuen, den Verbrechern die Wohl- that der Association zu nehmen und, wenn möglich, je- den allein und isolirt den rechttchaffenen, zur Auf- rechthaltung der Ordnung im Staate verbundenen Glie- dern gegenüber zu stellen. Das einzige Mittel hierzu ist, jeden Verurtheilten allein einzusperren, so dass er nicht neue Mitschuldige bekomme, und dass er dieje- nigen, die er draussen verlassen hat, ganz aus den Augen verliere.‘ Ueber die Einwirkungsart solcher Bekanntschaft spricht aus Erfahrung der Hofgerichtsrath Aylies*) sehr wahr: „Viel häufiger, als man gewöhnlich glaubt, ist das Zusammentreffen von Entlassenen die Ursache von Rück- fällen; man stellt sich auch nicht hinreichend den Reiz und die schwindelnde Anziehungskraft vor, welche ein solches Zusammentreffen mit einem alten Mitschuldigen auf jeden dieser Unglücklichen hervorbringt; es ist wie eine ganze Welt von Erinnerungen, lärmenden Freu- *) Aylits, Du systeme p£nitentiaire et de ses conditions fondamentales. Paris. 1837. S. 49. 186 den, gemeinschaftlichen Gefahren, betrogenen oder zu lang zurückgehaltenen Hoffnungen, welche sich plötz- lich seinen Blicken zeigen, sein ohnehin noch schwan- kendes und zweifelndes Gewissen wiederum unterjochen und in Elend und neue Gefahren stürzen. Preiswür- dig ist das System, welches selbst den Keim zu sol- chen Verführungen ausschliesst.‘“* Es ist ein wesentlicher Vorzug der Einzelhaft, dass sie diese schauerliche Einwirkung, diese alleinige Ursache so sehr vieler Rückfälle, vollständig beseitigt. Auch für die eigentliche moralische Besserung bietet keine andere Haftweise solche Wahrscheinlichkeit, als die Einzelhaft. Wie sie mehr als irgend eine andere durch Abschneiden übler Einflüsse negativ wirkt, so auch positiv; denn nur dies System gestattet eine je nach Cha- rakter, Bildungsstufe und Lebensgang des Gefangenen berechnete positive Einwirkung. „Keine äussere Aufreizung, keine Eifersucht, kein Kampf, fast keine Bestrafung. Auch der Rebellischste beugt sich unter dem Gewicht der Nothwendigkeit. Die Strafe erfasst jeden Verurtheilten individuell; mit sei- nem Gewissen allein, unkundig dessen, was ihn um- giebt, fühlt auch der Kühnste bald seine Schwäche und der Leichtsinnigste wird zum Nachdenken geführt. Er nimmt die Arbeit zu Hülfe; statt einer Aufgabe ist sie ihm eine Erleichterung. Er ist begierig, ein Wort aus dem Munde eines Menschen zu hören, dies wird ihm nicht versagt; obgleich getrennt von den Bösen, ist er es nicht von den Guten. Verständige, unter- richtete und wohlwollende Männer besuchen ihn in sei- ner Einsamkeit. Der Priester kommt zuerst und der Gefangene wendet sich nicht bei seinem Anblick ab, sondern empfängt ihn als Freund und Wohlthäter, hört ihm zu und merkt auf seine Worte *).‘ Ganz anders ist es bei der gemeinschaftlichen Haft. Das’ Bedürfniss des Gefangenen, 'rechtschaffenen Menschen sein Herz zu erschliessen, ist hier nicht entfernt so gross, da er ja mit seinen Mitgefangenen fortwährend in Ver- kehr steht. Wir läugnen keineswegs die Möglichkeit gün- stiger Einwirkung bei der gemeinsamen Haft. Aber wie sehr ist sie nicht erschwert! Man nehme den Gottesdienst. Der Verbrecher, der wohl seit langen Jahren kein Gotteshaus mehr betre- ten, keine Bibel, kein Erbauungsbuch mehr angesehen, jeden ernsteren religiösen Gedanken gewaltsam zurückge- drängt hat, wohnt im Gefängniss zum ersten Male wie- der einer gemeinsamen Gottesverehrung bei. Viele Male bleibt sein Herz wohl kalt oder gleichgültig, endlich aber trifft ein verständiger Prediger die gute Saite seines Her- zens, die noch in eine segensreichen Erfolg verheissende Schwingung zu versetzen ist; oder ein altes Kirchenlied dringt zu seinen Ohren, welches längst verdrängte Erin- *) De la Seigliere, Discours de rentree a la cour royale de Bordeaux. 187 nerungen an die Zeit seiner Kindheit und Unschuld, an die Zeit seines Verkehrs mit Eltern und anderen recht- schaffenen Menschen wach ruft, Er fühlt sich erschüt- tert, bewegt, seine Bewegung gibt sich selbst äusserlich kund, eine Thräne entquillt seinem Auge, nach langen Jahren der erste Tropfen göttlichen Thaues auf diesem dürren Boden eines verhärteten Herzens. Aber wehe ihm! Seine verderbteren Genossen, die alten abgehärteten Zucht- hausbrüder haben es bemerkt. Bei der Rückkehr in den Arbeits- oder Esssaal, in den Spazierhof beginnt die Ver- höhnung des „sentimentalen Schwachkopfs,“* der mürbe zu Kreuze kriechen will, es folgt der Spott über den wohlbezahlten Pfaffen, welcher recht schön, nachdem er sich den Bauch gefüllt, fromme fade Floskeln loslassen kann u. s. w. Ist es wahrscheinlich, dass unter solchen Disteln und Dornen das Samenkorn, das vielleicht ein- mal zu rechter Zeit auf guten Boden fiel, aufgehe und wachse? Wie anders ist dies Alles in der Einzelhaft! Der Sträfling des Zellengefängnisses kommt ebenfalls nach langen Jahren zum ersten Mal wieder in eine Kirche. Freilich sieht er seine Mitgefangenen nicht, aber er weiss sich doch von ihnen umgeben, er hört ihre Stimme sich mit der seinen zum Gesang verbinden, er sieht wenigstens die mancherlei Beamten. Trifft auch ihn der erwähnte Augenblick der Rührung, der Erwek- kung, wie ungestört kann er nicht, in seine Zelle zu- rückgekehrt, die heiteren Bilder aus vergangener Zeit der Unschuld, die Gestalten seiner Eltern vor seinen Augen auftauchen lassen, in den neuen Gedankengang sich ver- tiefen und die Möglichkeit ahnen, auch einmal wieder zu- frieden, ruhig und leidenschafllos in seinem Innern zu werden. Sein Herz ist weich, er bedarf, er verlangt Trost, Beruhigung, Verheissung. Er bittet um den Be- such des Geistlichen in seiner Zelle. Ohne alle Schwie- rigkeit kann ihm dieser* gewährt werden, und der ver- ständige Geistliche kann nun das einmal wurzelfassende Samenkorn hegen und pflegen durch häufigeren oder selt- neren, längeren oder kürzeren Besuch, durch Fortent- wickelung der Gedanken seiner Predigt, durch deren Nulz- anwendung auf die Individualität des Gefangenen, durch Zuweisung geeigneter Lektüre. Seine Arbeit ist verhält- nissmässig leicht, wenigstens tritt nicht Spott und Hohn, schlechtes Beispiel und verführerische Rede hemmend ent- gegen. Bei gemeinschaftlicher Haft ist dagegen der Geistli- che, wie jeder andere Beamte, in seinem persönlichen Verkehr mit den Gefangenen sehr gehemmt. Denn wenn er selbst einen einzelnen Gefangenen, so weit dies geht, im Arbeitssaal sprechen oder aus diesem weg in die Schlaf- zelle rufen will, so muss hierin mit grosser Vorsicht ver- fahren werden, weil sonst allzu leicht die Idee von Be- günstigung, von Ungerechligkeit unter den andern Ge- fangenen sich Bahn bricht, welche Idee wiederum die Wirksamkeit der Beamten wesentlich mindert. In der Einzelhaft aber kaun der Geistliche während beliebiger 188 Dauer seine Zeit und Aufmerksamkeit vorzugsweise ein- zelnen Gefangenen widmen und später wieder anderen, ganz wie es ihm gut dünkt; er kann den einen trösten und aufrichten, dem andern ernst in’s Gewissen reden, ohne durch Dritte darin gestört zu werden. Alles dies Gesagte bezieht sich übrigens, wenn auch zunächst auf die Besuche und Unterredungen des Geistlichen, doch ebenso- wohl auf diejenigen der übrigen Beamten, der Werkmei- ster, der Mitglieder von Aufsichtsbehörden und Schutz- vereinen, und ganz besonders auch auf die derjenigen Freunde und Verwandten des Gefangenen, von welchen ein günstiger Einiluss erwartet werden darf. Die etwa erlaubten Besuche von Verwandten kön- nen der nöthigen Vorsicht halber bei gemeinsamer Haft kaum anders gestattet werden, als es in den meisten al- ten Gefängnissen jetzt der Fall ist. Hier sieht nämlich der Gefangene seinen Freund in einer Entfernung von etwa sechs Fussen; zwischen ihnen läuft ein zu beiden Seiten mit Drahtgitter versehener Gang her, in welchem ein Aufseher postirt ist, um Gespräche und Geberden zu beobachten. Bei der Einzelhaft hingegen können diese Besuche, sobald der moralische Zustand des Gefangenen und seiner Besucher die nöthige Sicherheit bietet, in der Zelle gestattet werden; hier können vertraute Gespräche stattfinden, welche trösten und stärken. Die durch die verhängte Strafe getrennten Gatten können sich wenig- stens zeitweise in Vertraulichkeit wiederfinden, der Vater kann sein Kind umarmen. Solche Besuche können, ver- ständig angewandt, schon an sich sehr vortheilhaft auf den Gefangenen wirken, sehr wichlig sind sie besonders bei langwierigen Haften, um zu verhüten, dass das ein- gesperrte Familienglied sich seiner Familie nicht gänzlich eutfremde, wodurch die Schwierigkeit seiner Stellung nach der Entlassung wesentlich erschwert würde. Wir glauben, man kann nicht umhin, einzugeste- hen, dass die gemeinsame Haft (sei es Auburn’sches oder Klassifications- System) nicht entfernt ähnliche mächtige posilive Hülfsmittel zur moralischen Besserung der Ge- fangenen zu bieten vermag, dass somit die Einzelhaft nicht nur als eine empfindlichere Strafe empfunden wird, nicht nur gegenseitige Verderbniss entschiedener aus- schliesst, sondern auch viel grössere Wahrscheinlichkeit moralischer Besserung bietet, als irgend ein anderes System. Die im Gefängniss erzielte Besserung verspricht übri- gens bei der Einzelhaft auch grössere Dauer. Nicht nur. dass sie durch schlechte Bekanntschaften weniger gefährdet ist, so können auch die Schutzyereine weit bes- ser ihre Thätigkeit beginnen. Wesentlich hierfür ist, dass der Schutzpatron mit seinem Pfilegling schon wäh- rend dessen Aufenthalt im Gefängnisse in Berührung komme. Geschieht dies erst nach der Entlassung, so ist gar mancher Gefangene sehr geneigt, in ihm mehr einen Aufpasser als einen rathenden, schützenden Freund zu erkennen; anders ist es, wenn beide sich schon im Ge- fängniss haben kennen lernen, wo des Pflegers Besuch 189 viel grössere Wahrscheinlichkeit hat, von vornherein will- kommen zu sein. Sehr lehrreich sind in dieser, wie in mancher anderen Beziehung die Berichte des pariser Schutzvereines, um so mehr, als das Gefängniss la Ro- quette, dessen Insassen zunächst die Pilegebefohlenen des Vereines sind, anfangs nach dem Auburn’schen, nun aber, seit etwa fünfzehn Jahren, nach dem Philadelphi- schen Systeme verwaltet wird. Man wird fragen, entspricht die Erfahrung in Zel- lengefängnissen diesen Ansichten? werden dort wirklich mehr Gefangene gebessert? betragen sie sich während der Haft besser und wandeln sie auch nach ihrer Entlassung auf gutem- Wege? — Wer eine grössere Zahl von Zel- lengefängnissen gesehen, wer mit vielen vereinzelten Ge- fangenen und mit vielen Beamten solcher Gefängnisse sich unterhalten hat, wird mit Entschiedenheit diese Frage be- jahen können. Ein handgreillicher Beweis aber ist schwe- rer zu liefern, als man glauben möchte. Das ordnungs- mässige, ruhige Betragen der Sträflinge in der Anstalt gibt keinerlei Anhalt zu einer bestimmten Meinung in die- ser Beziehung, da gerade die Verderbtesten, die Rück- fälligen, die Gewohnheitsdiebe u. dergl. aus verständiger Berechnung sich der Hausordnung am fügsamsten unter- werfen: daher spricht auch die geringere Zahl der ver- hängten Disciplinarstrafen keineswegs für eine wirkliche moralische Besserung der Gefangenen. In dieser letzte- ren Beziehung überragt übrigens die Einzelhaft alle an- deren Haftweisen in hohem Grade. Zur Beurtheilung der aufgestellten Fragen bleiben sonach folgende Momente: 1) die Erfahrung der Beam- ten, namentlich der Geistlichen und der Vorsteher, wie sie dieselben aus ihrer täglichen Beobachtung der ver- schiedenartigsten Verbrecher geschöpft haben; 2) die Min- derung der Rückfälle und 3) die Minderung der gericht- lichen Verurtheilungen. Das Urtheil jener Beamten ist aber so gleichlautend aus Amerika, England, Belgien, Frankreich u.s.w., dass wir jeder beispielsweisen Anführung uns enthalten zu sol- len glauben. Es ist uns kein Widerspruch hiergegen bekannt, höchstens bei einigen wenigen ein Anzweifeln, ob nicht bei theilweiser Gemeinsamkeit vielleicht ähnliche Erfolge zu erzielen sein dürften.“ Sowohl in Bezug auf Rückfälle, als in Bezug auf Minderung der Verbrechen überhaupt und in Bezug auf Minderung der Disciplinarstrafen in der Anstalt sprechen die statistischen Ermittelungen (die in dem Ausschussbe- richt zusammengestellt sind) entschieden für die Einzelhaft. Wichtig ist die Behauptung, dass die Einzelhaft Ge- sundheit und Leben gefährde; dieser Punkt ist in dem Ausschussbericht besonders besprochen und wollen wir ihn danach hier mittheilen. 190 Einwirkung der Einzelhaft auf Gesundheit und Sterblichkeit der Gefangenen. Die Behauptung, dass die Einzelhaft die körperliche Gesundheit der Gefangenen mehr erschüttere und eine grössere Sterblichkeit bedinge als gemeinschaftliche Haft, ist sehr häufig aufgestellt worden, und zwar fast aus- schliesslich von Nichtärzten. Fast ohne Ausnahme mach- ten sich diese Gegner der Einzelhaft ihren Angriff sehr bequem; sie nahmen die Zahl der Todesfälle einiger Zel- lengefängnisse aus besonders ungünstigen Jahren und stellten sie neben günstige Ausnahmsjahre älterer Anstal- ten, ohne auf Klima, Nationalität, Farbe u. s. w. irgend Rücksicht zu nehmen. So machten es von bekannteren Schriftstellern namentlich Lucas, Faucher, Ober- maier, Temme. Dieser Kampf dauerte mit grosser Lebhafligkeit bis zur Zeit der Verhandlungen der franzö- sischen Abgeordnetenkammer über die Einführung der Einzelhaft. Ausführliche Entgegnungen, auf Massen ofi-" cieller Zahlen gestützt (so namentlich die Arbeiten von Moreau-Christophe, Ducpetiaux, Diez u. A.), die Verhandlungen der beiden internationalen Pöniten- tiarcongresse und die längeren günstigen Erfahrungen der Zellengefängnisse in Frankreich, England und Nordame- rika wiesen die Irrthümlichkeit oder Einseitigkeit der vorgebrachten Zahlen nach und brachten diesen Einwurf so ziemlich zur Ruhe, so dass er in den letzten Jahren in der früheren Weise nicht mehr aufzutauchen wagte, und dass nur von England aus, worauf wir zurückkom- men werden, noch Bedenken geltend gemacht werden. Um übrigens der Versammlung ein eigenes Urtheil zu erleichtern, haben wir uns bemüht, die vorliegenden Thatsachen, soweit diess kurz und auch für den Nicht- arzt verständlich möglich ist, tabellarisch zusammenzu- stellen, woran wir sodann unsere Bemerkungen reihen werden. Strafanstalten ohne eigentliches System. Sterblichkeit im Verhältniss z. tägl. durehschnittl. Bevölkerung. (1814-54) . 3.45% (1844—54) . 5.2 DE re Bruchsalleenas.ı 2a 22} München . ..,... 1272. 772.7,2@4832—41) 15.g8 2 a SAD An) Mean Kurkeime,. man.) : (1839—47) . 12.3 Waldheim N ei: (1853—55) - ss Marienschloss (1838—42) . 2.59 = . reihenand “rm (LELI— 46), > 2 Brünn NE ET - - 5 Sspielbergigen zu Aaauıı zeune yyr 5 Ras Linz & dh 4 Zürich Bern n (1841—44) (1831—42) 191 Sterblichkeit im Verhältniss z. tägl durchschnitt]. Bevölkerung. Bern (1847—49)*) 2.95 Gent (18230 43) „2m . (1840—50) . 3.90 Vilvorde (1823—43) . 3.00 St. Bernard Alost 82643) . Sämmitliche belgische Zuchthäuser (1823—30) . 3.53 (1831—36) . 31 „ 2 „ » » » (1837—43) . 2.96 ” (1850—51) . 2.0 36 engl. Grafschafts- Corrections- gefängnisse (1838 —42) . 1.96 Alle englischen Gefängnisse mit Ausnahme von Pentonville, Millbank und Parkhurst Coldbathfields und Westminster- bridewell . EUR, (1827-50) %, 1% (1825—39) . 2.o Millbank . (1825—42) . 2.43 Die englischen Gefangenenschiffe (1825 —39) 4.1 Die schwedischen Corrections- und Zuchthäuser Die französischen Zuchthäuser (B3B-2:30)7 ar, (1822—37)Männ. 5.5; (1822—37) Weib. 3.,, san nn er} br} b} Galeerenhöfe Sämmtl. französ. Departementalge- fängnisse, welche nicht Zellen- gefängnisse sind] (394 Todesf.) (1852) . . - 4.9 Strafanstalten nach dem Schweigsystem. Namur . (1840—43, 50—51) 3:00 Genfer ne (1826—41) : Zen Br 55 (1842—45) £ 2.20 Lausanne (1827—34) - 4.95 St. Gallen (1840—47) % 9.4 % (1848—55) . 5.2 sulft Ss (1840—55) i Ze Frankford (1837—40) . 1.91 Auburn (1827—40) . 2.02 Charleston (1829— 39) > 2.05 Wethersfield . (1830—39, 42—44) 2,0 Batonrouge (1827—39) . Dgr Columbus (1835 — 39) 5 3.50 Baltimore (1830—40 u. 43) 3.96 Singsing (1831—40) > 4. Nashville (1834—37) 10.,; *) Nur 36 Proc. Strafzeit aus, 56 Proc. wurden begnadigt. der Entlassenen traten nach Ablauf der 192 Sterblichkeit im Verhältniss z, tägl. durchschnitt. Bevölkerung, (1840—43) Männer 8.39 (1840—43) Weiber 6.27 (1852 M. u. W.) 6239 Sämmtliche franz. Zuchth. „ „ Ei) EL} ’ EL} Anstalten nach Trennungssystem. Philadelphia . (1829—54) - 333 Ei : ' (1829—54) Weise 1.1 “ A 5 (1820—54) Schwarze 6.gg N } N (1829—45) ; 3.92 Er) n 5 (1829—45) Weisse 2.01 ” > : (1829—45) Schwarze 7:21 eo : : (1846—54) ; 2.30 s ; - (1846—54) Weisse 1.39 ; (1846—54) Schwarze 5.33 Pittsburg (1826—54)*) . 23 Chester (1840—45) . 1.00 Trenton n (1836— 39) s 1.73 Genfer Haftgefänguie (1842—45) : 2.25 Pentonville (1843—54) - 0.55 Glasgow (1824—43) C 1.22 Perth (1842—45) : 1.41 Christiania (1851—55) s 0.8 12 schwed. Zellengefängn. (1853—54) - 3.10 33 (ohne Cholera) . 2.00 Aläsierdanı : (1850—54) . 0.50 Brüssel (Weiber) (1850—53) i 1.90 Brügge (1851—53) 2 0.82 Bruchsal (1850—55) . 2:54 42 französ. Zellen- Departe- mental-Gefängnisse (1852) 38 Todesfälle 1. Aus der vorstehenden Zusammenstellung von Zahlen erhellen folgende Sätze: Die englischen Gefängnisse liefern ( grösstentheils weil sie fast ausschliesslich kurzzeitige Gefangene haben) **) eine elwas geringere Sterblichkeit als die belgischen Zucht- häuser und diese eine etwas geringere als die französi- schen Zuchthäuser. — Die Sterblichkeit der letzteren nimmt nach der Einführung der strengeren Zucht (Schweig- system, Mai 1839) in ausserordentlichem Maasse zu. (Forts. folgt.) *) In Pittsburg ist für Bewegung der Gefangenen im Freien so gut wie nicht gesorgt; manche Gefangenen haben während Jahren ihre Zelle nicht verlassen. **) Von 166,942 im Jahre 1849 Verurtheilten waren 80,680 zu weniger als 2 Monaten, 86,262 zu 2 Monaten und mehr verurtheilt. Bibliographische Neuigkeiten. NW. —Lebert, Skizzen aus d. Leben der Seidenraupe und der Gesch. 6 Sgr. ihrer Verbreitung. 8. Meyer u. Zeller in Zürich. H. — Claude Bernard, Lecons sur les eflels des subslances toxiques et medicamenteuses. 8. 488 p.: 32 fig. B. Bailliere et fils. 7 Fr. Paris, J. Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena. Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. EEE. Band -X 13. Naturkunde. Marchand, Leuchten des Phosphors.. — Miscelle. E. H. Weber, Abhängigkeit der Entstehung der animalischen Muskeln von der der animalischen Nerven. — Heilkunde. Einwirkung der Einzelhaft auf die Gesundheit und Sterblichkeit der Gefangenen. (Schluss folgt.) — Bibliographie. Naturkunde. Leuchten des Phosphors. Von Marchand. Ueber die Ursache des Leuchtens des Phosphors herrschen zwei enschieden gegenüberstehende Ansichten : man schreibt die Erscheinung entweder einer Oxydation es Phosphors oder des Dampfes desselben zu, oder man erklärt sie als eine Folge der Verdampfung und einer dadurch bewirkten Molecularveränderung. Diese Ansicht ist es, welche Berzelius ausgesprochen hat!), und der ein grosser Theil der Chemiker sich anschliesst. Die erstere, dass das Leuchten nur Folge der Oxy- dation sei, wird dagegen gleichfalls von einer nicht geringen Anzahl von Gelehrten gehegt; vorzugsweise ist es Fischer in Breslau, welcher zuletzt Versuche ange- stellt hat, die ihn zu dem Schlusse führten, dass die Ursache des Leuchtens stets durch Einwirkung von Sauer- stoff, also eine geringe Verbrennung herbeigeführt werde ?). Fischer fand namentlich, dass der Phosphor im Torricelli’schen Vacuum nicht leuchte, selbst nicht, wenn er darin bis zum Kochen erhitzt werde, dass er in Was- serstofl, Stickstoff, Kohlenoxyd, Kohlensäure, Stickoxy- dul und Cyangas leuchte, wogegen schwefelige Säuren und Stickoxyd das Leuchten verhindern. Dieses Leuchten verschwand, wenigstens in Wasserstoflgas, wenn in die- sem einige Kaliumkugeln, sorgfältig von Steinöl befreit, aufbewahrt worden waren, so dass jede Spur von einge- mengtem Sauerstoff fortgenommen sein musste. Fischer meint daher, wenn andere Gasarten als solche, die freien Sauerstoff eingemengt enthalten, das Leuchten hervorgebracht haben sollen, dies nur in Folge 4) Lehrbuch, 5. Aufl. Bd. 1. 195 ff. 2) Erdmann und Marchand, Journ. für prakt. Che- mie. XXXV. 342. XXXIX. 48. einer Ungenauigkeit des Experimentators der Fall gewesen sein konnte. Die Versuche, welche ich hierüber angestellt habe, führten mich zu dem entgegengesetzten Resul- tate, erklärten aber zugleich dasjenige, zu dem Fi- scher und die Chemiker gelangten, welche seine Ansicht theilen. Ich habe gefunden, dass der Phosphor in allen Gas- arten leuchtet; eben so in den Dämpfen, und dass dies nur dann nicht zu Stande kommt, wenn es durch die etwa entstehende Verbindung des Phosphors mit den Be- standtheilen der Atmosphäre, in der das Leuchten statt- findet, verhindert wird. In manchen Gasen und Dämpfen kann die Temperatur sehr niedrig sein, in anderen muss sie den Siedepunkt des Phosphors übersteigen. Das Leuchten entsteht durch die Verdampfung des Phosphors und einer wahrscheinlich dabei stattfindenden oder vorangehenden Molecularveränderung; es ist verschie- den von dem Leuchten bei der Oxydation, und beide kön- nen getrennt von einander hervorgerufen werden. Das Leuchten dauert so lange, als der Phosphor noch in ge- ringster Menge verdampfen kann, und bei so niedriger Temperatur, bis er alle Tension verloren hat. Diess ist noch nicht bei — 15° C. der Fall. Ich habe keinen Stoff gefunden, welcher diese Erscheinung in völliger Analogie mit dem Phosphor zeigte. Von den Versuchen, welche ich angestellt habe, und durch die ich zu den oben an- geführten Schlüssen gelangt bin, will ich nur die vor- züglichsten hier anführen. Aus einem Wasserstoffentwickelungsapparat, der die Einrichtung einer kolossalen Döbereiner’schen Feuerma- schine hat, wurde einige Wochen lang Wasserstoflgas entwickelt, um sicher zu sein, dass alle atmosphärische Luft daraus verdrängt sei; über Quecksilber aufgefan- gen und mit Voltaischem Knallgas gemischt, zeigte es 195 bei der Detonation nicht die geringste Raumverminderung. Das Gas wurde, der Vorsicht wegen, um jeden zufällig eingetretenen Sauerstoff abzuschliessen, durch eine lange, mit Platinschwamm gefüllte, an einer Stelle bis zum Glühen erhitzte Glasröhre, sodann durch eine mit ge- schmolzenem Chlorcaleium gefüllte Röhre geleitet; dieses so ausströmende trockne, sauerstoffreie Gas wurde zu allen Wasserstoffversuchen benutzt. Es wurde durch eine Glasröhre, die an der vorderen Seite in eine feine Spitze ausgezogen war, und in der sich ein trockenes Stück Phosphor befand, geleitet. Im Dunkeln leuchtete das Stück Phosphor nicht allein an seiner Oberfläche, sondern es entwickelte auch eine leuchtende Atmosphäre, welche von dem Wasserstoffstrome fortgeführt wurde. Der Versuch, welcher über acht Tage ununterbrochen fortge- setzt wurde, erlitt während dieser Zeit nicht die gering- ste Veränderung. Das Phosphorstück vor dem Lichte ge- schützt, behielt während dieser Zeit seine helle, glasar- tige Beschaffenheit vollkommen bei. Als der Strom plötzlich sehr verstärkt wurde, ver- mehrte sich der Glanz an dem Stück Phosphor; sogleich wurde aber auch die leuchtende Dampfwolke fortgeweht; sie durchstrich die ganze Glasröhre und trat sichtbar aus der Spitze hervor, während das Innere der Röhre so lange dunkel blieb, bis der Gasstrom wieder geschwächt wurde. Diese Erscheinung ist sehr schwer zu erklären und sie beruht wahrscheinlich darauf, dass zum Eintreten des Leuchtens eine gewisse Anhäufung des Dampfes erfordert wird; man könnte vermuthen, dass der starke Gasstrom vielleicht den Phosphor so abkühle, indem er die Ver- damfung an der Oberfläche steigerte, dass dadurch das Leuchten in Folge der niedrigeren Temperatur aufhöre; indessen fand ich, dass eine ganz ausserordentlich tiefe Temperatur noch nicht im Stande war, das Leuchten zu verhindern. Der Phosphor wurde auf den Boden einer -Uförmigen Röhre gelegt und diese in eine Kältemischung von Eis und Kochsalz getaucht. Die Temperatur sank bis auf — 22° C.; dabei war kein Leuchten mehr zu bemerken und wurde erst wieder wahrgenommen, als die Temperatur auf — 15° C. gestiegen war; jetzt leuchtete der Phosphor ganz deutlich Stunden lang im Wasserstofl- strome, obwohl mit geringer Intensität und ohne eine Dampfwolke zu bilden, die wenigstens so deutlich hätte wahrgenommen werden können, wie vorher. Wurde der Strom verstärkt, so wurde der wärmere, aus der Kälte- mischung herausragende Theil der Glasröhre leuchtend, der Phosphor selbst erlosch, und zwar bei einer gerin- geren Stromstärke, als bei dem vorigen Versuche, bei etwa 4 15 bis + 18° C. Wurde die ausströmende Spitze verschlossen, so sank das Leuchten hinab und das Stück selbst leuchtete von Neuem. Wahrscheinlich kann die Temperatur noch tiefer sinken, ohne dass das Leuch- ten aufhört. Ganz dieselben Erscheinungen bietet ein Strom von 196 Kohlensäure dar, wenn derselbe vollkommen frei von Sauerstoff ist. Man muss die Entwickelung, ehe man den Versuch beginnt, so lange fortgesetzt haben, bis etwa 500 C. C. des Gases von ausgekochter Kalilauge ohne den geringsten Rückstand absorbirt werden. Es ist klar, dass in diesen Fällen keine Oxydation stattfinden konnte. Ein Stückchen Lackmuspapier in den vorderen Theil der Röhre gelegt, durch den der Was- serstoff über den Phosphor strich, blieb vollkommen un- verändert. Diese Versuche sind so leicht anzustellen und sind so überzeugend, dass diejenigen, welche zu anderen Re- sultaten geführt haben, entweder fehlerhaft angestellt waren, oder durch andere Umstände ein anderes Ergeb- niss liefern mussten. Die meisten Chemiker, unter diesen auch Fischer, fanden, dass das Leuchten im Wasserstoff einige Zeit dauerte, worauf das Licht verlosch; sie schoben es auf eine kleine Menge zurückgebliebenen Sauerstoffs, indem sie glaubten, dass erst, wenn dieser verzehrt sei, das Leuchten aufhöre. Die Ursache des Erlöschens liegt in- dessen nur darin, dass der abgeschlossene, mit Wasser- stoffgas gefüllte Raum sehr bald mit Phosphordampf ge- sättigt ist, worauf natürlich die Verdampfung aufhört und mit ihr das Licht. Daher leuchtet der Phosphor wirk- lich im Vacuum eine sehr kurze Zeit, und das Leuchten beginnt von Neuem, so wie das Vacuum, z. B. durch Herausziehen der Barometerröhre aus dem (uecksilber, vergrössert wird *). Fischer glaubte durch Kalium dem Wasserstoff den noch beigemischten Sauerstoff entzogen zu haben und fand, dass jetzt kein Leuchten mehr eintrat; hierbei wirkte jedoch ohne Zweifel das Steinöl mit, welches auch bei der sorgfältigsten Behandlung nicht vollkommen von dem Metall, welches darin aufbewahrt wird, getrennt werden kann. Das Steinöl gehört mit zu den Körpern, welche das Leuchten des Phosphors verhindern, wenn ihr Dampf der Atmosphäre beigemengt ist, in der er sich befindet. Diese Stoffe, welche sich sämmtlich durch grosse Flüchtigkeit auszeichnen, verhindern offenbar die Ver- dampfung des Phosphors durch ihre eigene Tension. Man kann daher diese Erscheinung aufheben, indem man die Tension des Phosphors vermehrt. Bringt man an das Ende der Röhre, welches dem Wasserstoffapparate zugewendet ist, etwas Baumwolle, benetzt mit Aether, Steinöl, Terpentinöl, Schwefelkohlen- stoff u. s. w., und lässt den Strom jetzt über den Phos- phor streichen, so leuchtet er nicht im Mindesten mehr. Diese verlöschende Kraft des Aetherdampfs lässt sich am einfachsten zeigen, indem man ein offenes Glas, in dem *) Dies ist auch die Ursache des stärkeren Leuchtens und endlich der leichteren Entzündung des Phosphors im Vacuum, namentlich wenn poröse Stoffe zugegen sind, auf denen der feine vertheilte Dampf sich dann condensirt und sich leicht oxydirt. Vgl. Bache, Poggend. Annal. XXIII. 151. 197 sich leuchtende Phosphorstücke finden, unter ein Uhrglas, in dem sich Aether hefindet, hält; der schwere Aether- dampf sinkt in das Glas und augenblicklich ist das Licht verschwunden. Erhitzt man nun den Phosphor in dem mit Aetherdampf beladenen Wasserstoflstrome, so beginnt er noch lange unter seinem Siedepunkte zu leuchten und die ganze Röhre erfüllt sich mit einem hellen Dampfe, der bläulich flammend aus dem Rohr hervorbricht und bei starker Phosphordampfung sich oft von selbst ent- zündet. Mit Schwefelkohlenstoff wird die Erscheinung um so schöner, indem langleuchtende Wolken sich fuss- hoch über der Ausströmungsöffnung erheben und sich in grosser Entfernung anzünden lassen. Alle jene hindern- den Stoffe werden also dadurch neutralisirt , dass der Phos- phor eine stärkere Tension erhält. Man kann sogar den Phosphor in reinem Aether- dampfe leuchten lassen. Eine zwei Fuss lange, hinten geschlossene Röhre wird sechs Zoll lang am Ende mit Aether voll gegossen und darauf Baumwolle gekocht, die sich völlig damit durchtränkt. Einige Zoll davon bringt man ein Stück Phosphor und verschliesst die Röhre mit einem Kork mit Ableitungsröhren. Das hintere Ende wird mit heissem Wasser umgeben, welches den Aether in lebhaftes Sieden versetzt. Hat der Aetherdampf alle atmosphärische Luft hinausgetrieben, so mässigt man das Kochen so weit, dass der angezündele ausströmende Ae- therdampf eine drei Linien lange Flamme bildet. Sodann erhitzt man den Phosphor sehr schnell zum Kochen und sieht, nach Entfernung der Lampe, ein deutliches, doch schnell vorübergehendes Leuchten des Phosphors. In einer abgeschlossenen Atmosphäre ‘von Wasser- stoff hört das Leuchten in der That sehr bald auf. Ein Stück Phosphor, eingeschmolzen in einer mit reinem Was- serstoff gefüllten Röhre, erlosch bereits nach wenigen Minuten, und das Licht konnte weder wieder hervorge- rufen werden durch Abkühlen des einen Endes bis auf — 20° €., auch nicht, indem der Phosphor einer hohen Temperatur ausgesetzt wurde”). Auch als das eine Ende der Röhre ausgezogen und in Quecksilber getaucht wurde, dass die Gase sich nicht spannen sollten, konnte bei der Erhitzung des Phosphors bis zum Kochen kein Leuchten wahrgenommen werden; er verwandelte sich dabei sehr schnell zum Theil in die rothe Modification, die unbe- greiflicher Weise so lange den Chemikern entgangen ist. Eben so sieht man auch bei der gewöhnlichen Destilla- tion des Phosphors in der Retorte kein Leuchten; nur wenn die gebildeten Tropfen in die abgekühlte, keinen oder sehr wenig Phosphordampf enthaltende Vorlage fal- len, verbreiten sie auch in einer ganz sauerstoflfreien Atmosphäre ein deutliches Licht. *) Zuweilen leuchten Flaschen, in denen Phosphor in Wasser aufbewahrt wird, in ihrem oberen leeren Raume scheinbar ohne alle Ursache, indem sich ein heller vorüber- gehender Lichtschimmer zeigt. Ich habe dies nie in zugebla- senen Flaschen gesehen und es ist ohne Zweifel einem Ein- dringen von Luft zwischen Flasche und Stöpsel zuzuschreiben. 198 Von diesem Leuchten ist durchaus verschieden das, welches in der Luft stattfindet. Der Glanz des Phos- phorstückes ist ein ganz anderer; das Leuchten in der Luft ist, wenigstens bei gewöhnlicher Temperatur, mit einem wirklichen Verbrennen verbunden; dies tritt auch ein, wenn die Gasart, die über dem Phosphor fort- streicht, in die Luft tritt. Dann leuchtet dies Gas noch ein Mal; der Phosphor scheint also zwei Mal zu leuch- ten. Das erste Mal ist er es wirklich selbst, das zweite Mal ist es sein Dampf, der jetzt mit Flamme, freilich einer sehr schwachen, verbrennt. Hält man in das aus- strömende Gas ein Stückchen Lackmuspapier, so wird es schwach roth; es ist eine phosphorhaltige Säure gebil- det. Hier erzeugt sich dann auch das Ozon, indem die Reaction zwischen Phosphor und Sauerstoff sich auf den benachbarten Sauerstoff überträgt und ihn in denselben merkwürdigen Zustand versetzt, in den er durch die Ein- wirkung der Elektricität geräth. Da, wie Schönbein ganz mit Recht anführt, die Reaction des Phosphordampfs auf Arsenikflecke dem Ozon zukommt, so kann man sie in einem mit Phosphordampf beladenen Wasserstoffstrome nicht verschwinden lassen; es ist die Intervention von Sauerstoff dazu nöthig. Diese doppelte Reaction, die des Vergasens und die der Oxydation, modificirt die Erscheinung in Sauerstoff und Sauerstoff haltenden Gasen. In einem trockenen Sauerstoff leuchtet der Phosphor nicht lange, indem sich eine Kruste von oxydirtem Phosphor bildet, welche die Verdampfung hindert. Im Strom von Sauerstoff geht das Leuchten länger fort, selbst bei sehr niedriger Temperatur, und ist der Strom sehr stark, so kann es noch bei — 12° C. stattfinden. Hier wirkt auch die Gegenwart von Aether- dampf und ähnlichen Stoffen hemmend; ein starker Strom überwindet jedoch dies Hinderniss; der Phosphor wird dann in diesem leuchtend. Hier, bei dem Sauerstoff, ist das Hinderniss, die Bildung der oxydirten Schicht, auf- gehoben durch die stärkere Reaction, die eintreten kann, wenn der Gasstrom das gebildete Oxydationsproduct fort- führt, daher bei + 20° der Phosphor im Sauerstoffstrom fast jedes Mal anfängt zu brennen; bei der atmosphäri- schen Luft ist das Hinderniss vorherrschend, daher der Phosphor auch in einem Strom derselben sehr bald er- lischt, wenn die Temperatur unter — 3° sinkt. Leuchtet der Phosphor bei niedriger Temperatur in der Luft, so ist dies nicht Folge einer Oxydation; der Sauerstoff wird nicht aufgenommen; Phosphordampf mengt sich damit und leuchtet bei seiner Ausdehnung im Va- cuum oder durch Zutritt von anderen Gasen, Wasser- stoff oder Stickstoff. Die Stoffe, welche dem Phosphor verwandt oder ähnlich sind, zeigen keine Erscheinung, welche seinem Leuchten ganz identisch wäre. Zwar zei- gen sie eine schwache hohe Flamme, welche nicht heiss ist und scheinbar keine Oxydationsprodukte bildet; dennoch scheint diese schwache Flamme eine oxydirte zu sein. 13 * 199 Sie kommt nur zu Stande in Luft oder Sauerstoff. Schwe- fel, Arsenik, Selen, Antimon zeigen sie; sie bilden da- bei sämmtlich Ozon, ein Zeichen der chemischen Rea- ctionz; bei keiner dieser Substanzen habe ich ein Leuch- ten in Kohlensäure oder Wasserstoflstrom gesehen ; mög- lich dass die Temperatur dabei hätte so hoch sein müs- sen, dass das Rothglühen der Glasröhre das schwache Licht jener so schwer zu verlüchtigenden Stofle ver- dekte. (Verhandl. d. königl. sächs. Gesellsch. d. Wissen- schaft. zu Leipz. Jahgg. 1849.) Miscelle. Ueber die Abhängigkeitder Entstehung derani- malischen Muskeln von der der animalischen Nerven hat Dr. E. H. Weber aus der Untersuchung von 3 Missgeburten folgende Schlüsse gezogen: „Es war in allen diesen Fällen 1) die Entstehung eines Stücks des Rücken- marks verhindert worden; 2) es mangelten diejenigen Nerven, die von jenem Stücke, wenn es dagewesen wäre, ihren Ur- sprung genommen haben würden, und zwar nicht bloss in der nächsten Umgegend des Ortes, wo dieses Stück des Rücken- marks gebildet werden sollte, sondern ganz und gar, so dass ein Theil der Wände des Rumpfs und die Hinterbeine der ani- malischen Nerven beraubt waren; 3) es war in den der ani- malischen Nerven beraubten Theilen keine Spur von ani- malischen Muskelfasern vorhanden, während doch bei ihnen die Haut mit ihren Hautwärzchen, Haaren und Hufen (nach unseren Untersuchungen ausserdem sogar mit ihren Hautsalbe- drüsen und Schweissdrüsen), ferner die Blutgefässe (nach uns auch die Lymphgefässe), Zellgewebe, Knorpel, Knochen, Sy- novialhäute und Aponeurosen (nach uns ausserdem die Seh- nen vieler Muskeln) entwickelt waren; 4) es fehlten die Wir- bel, welche die Kapsel jenes Stücks des Rückenmarks gebil- det haben würden, wenn es dagewesen wäre, so wie auch die dura Mater und die pia Mater desselben. Nur in der Nähe des Endes des Rückenmarks kamen noch einige unregelmäs- sige Knochen vor, die man für Rudimente von Wirbeln hal- ten konnte; 5) in allen Fällen schien der Mangel dieses Stücks des Rückenmarks keinen nachtheiligen Einfluss auf die Ent- wickelung der Brust- und Unterleibseingeweide ausgeübt zu haben, mit alleiniger Ausnahme der Geschlechtsorgane, die nach unserer Beobachtung vermisst wurden, bei Alessan- 200 drini’s Schweine nicht erwähnt sind, aber auf der Abbild- ung fehlen, bei Alessandrini’s Kalbe aber wenigstens missgestaltet waren; 6) an den Brust- und Unterleibseinge- weiden waren der sympathische Nerv und die Muskelfasern wahrzunehmen; 7) nach Alessandrini fehlten die Grenz- stränge des sympathischen Nerven an den Gegenden, wo die Rük- kenmarks.ervensich nicht entwickelt hatten; die Nervi splanch- nici aber und die Geflechte und Ganglien, welche an der Aorta und den Zweigen derselben liegen, waren auf eine auf- fallende Weise sehr entwickelt; 8) einige Rippen der rechten und linken Seite und der rechte und linke Beckenknochen waren in der Mittellinie des Rückens unter einander durch Knochen oder Knorpel verwachsen, und dadurch war einiger- maassen die Verbindung ersetzt, in der sie unter einander im normalen Zustande dadurch gestanden haben würden, dass sie beiderseits mit der Wirbelsäule verbunden gewesen wären. In unserem Falle, wo das Rückenmark schon am ersten Brust- wirbel endigte, waren auch die unteren Enden der Schulter- blätter auf diese Weise unter einander durch Knorpel ver- wachsen; 9) die Gelenke, durch welche die Hinterbeine mit dem Becken und die verschiedenen Abtheilungen der Beine unter einander verbunden sind, waren unbeweglich; 410) bei dem von Alessandrini beobachteten Schweine, wo das Rückenmark dicht unter dem 13. Spinalnerven endigle, war ein aus Wirbeln bestehender, mit Muskeln versehener Schwanz vorhanden, aber auch in grosser Entfernung von dem Ende des Rückenmarks ein zweites Stück Rückenmark, das in den vier ersten Schwanzwirbeln lag. Hieraus sieht man, dass sich verschiedene Abtheilungen des Rückenmarks bilden können, auch wenn sie nicht mit einander in Zusammenhang stehen, und dass da, wo sie dieses Stück Rückenmark gebildet hatte, auch Nerven und Muskeln mit entstanden waren; 41) aus diesen Abänderungen der Bildung eines Säugethiers, welche dann wahrgenommen werden, wenn ein Theil des Rücken- marks nicht hat entstehen können, kann man schliessen, dass die Entstehung der Rückenmarksnerven von der Entstehung des Rückenmarks, dass ferner die Entstehung der animali- schen Muskeln von der Entstehung der zu ihnen gehörenden Rückenmarksnerven abhängig ist, dass aber die Bildung der Haut und der zu ihr gehörenden Organe, der Knochen, Knor- pel, Sehnen, der Blut- und Lymphgefässe nicht von der Bild- ung der Rückenmarksnerven abhängig ist, und dass eben so wenig die Entstehung der Rippen, der Beckenknochen und der Knochen der Hinterbeine abhängig ist von der Entstehung der Wirbelsäule.“ (Verhandl.d. kgl. sächs. Gesellsch. d. Wissen- schaft. zu Leipz. Jahrgg. 1849.) Heilkunde. Einwirkung der Einzelhaft auf Gesundheit und Sterblichkeit der Gefangenen. (Fortsetzung.) Einzelne der älteren Gefängnisse zeigen eine enorme Sterblichkeit, so namentlich Kaishaim und München (die Anstalt unter Leitung des Herrn R. R. Obermaier). Die Zellengefängnisse bieten im Allgemeinen in allen Ländern eine geringere Sterblichkeit als die nach dem Schweig- oder Klassensystem geleiteten und als diejenigen ohne eigentliches System. Die französischen Arrest- und Justizhäuser, 448 an der Zahl, auch Departementalgefängnisse genannt, mit einem Durchschnittsstand von 23,185 Gefangenen (wo- runter 3895 Weiber) bestehen theils noch in alter Sy- stemlosigkeit, theils sind sie durch Zellengefängnisse er- setzt. Die ersteren hatten im Jahre 1852 auf einen durchschnittlichen Stand von 20,832 Gefangenen 394 Todesfälle, die letzteren auf 2417 Gefangene 38 Todes- fälle; erstere somit eine Sterblichkeit von 1.39 Proc., letz- tere von 1.,; Proc. Das Zellengefängniss in Bruchsal hat eine Sterblich- keit von 2.,, Proc., die Correctionshäuser (ohne Einzel- haft) in Freiburg und Bruchsal dagegen von 3.4; und 5. Das östliche pennsylvanische Staatsgefängniss in Phi- ladelphia hat ein Sterblichkeitsverhältniss von 3.33 Proc.5 201 das westliche in Pittsburg 2.,3 Proc. und das Grafschafts- gefängniss in Chester 1.99 Proc. Hiernach scheint Philadelphia gegen etwa Hälfte der erwähnten Auburnischen Anstalten Nordamerika’s zurück- zustehen. Eine genauere Prüfung belehrt uns jedoch eines Anderen. Vor Allem ist die Verhältnisszahl der Farbigen zu den Weissen in den amerikanischeu Anstal- ten wohl in’s Auge zu fassen. Es befanden sich unter 100 Gefangenen in den Auburnischen Anstalten in Auburn (New-York) 4—11 Farbige. „ Charleston (Massachusetts) 8.5 e „ Columbus (Ohio) 510.4 Br » Sing-Sing (New-York) . Sn: » Wethersfield (Connectieut) . . . 23 a „ Baltimore (Maryland) . » .» » in den philadelphischen Anstalten von Pittsburg (Pennsylvanien) 16. hs » Trenton (New-Jersey) . 34 = » Philadelphia (Pennsylvanien).. . 39.7 3, Die Zahl der Farbigen ist sonach in Philadelphia grösser als in allen Auburn’schen Anstalten, mit Aus- nahme von Baltimore, dessen Klima übrigens von den Farbigen schon besser vertragen wird. Welchen Einfluss die Rage auf die Sterblichkeit in den Strafanstalten hat, erhellt aus nachstehenden Angaben. In den Jahren 1821 —30 betrug nach Griscom die Sterblichkeit der Weissen in der Grafschaft Philadelphia 2.455 Proc. „ Farbigen „ 5 UMS 752.» » Weissen , "o New-York 1.410 » „» Farbigen „ ” „ a» In den Gefängnissen ist dieser Unterschied der Ragen noch grösser, da die Farbigen in den Vereinten Staaten im Allgemeinen ärmer, verkommener, elender und ver- brecherischer sind als die Weissen. In der Stadt Neu- in Auburn 1817—1837 1269 — 49., Proe. a) nach Ablauf der Strafzeit b) gestorben . » 184 = begnadigt Io — e in andere Gefängnisse versetzt 165 — ENLwWIChengn. ee as 2b, — sonst entlassen . 2 . . HN 2552 Es springt von selbst in die Augen, von welchem Einfluss die mehr oder minder grosse Zahl der Begnadi- gungen auch auf die Sterblichkeit ist. Indem wir schliesslich erwähnen, dass die Sterblich- keit der Weissen in dem früheren Strafhause in der Wall- nussstrasse in Philadelphia in den Jahren 1829—34 sich auf 4.35 Proc., in dem Zellengefängniss daselbst aber in derselben Zeit auf 1.;, Proc. belief, glauben wir hinrei- chend bewiesen zu haben, dass ceteris paribus keine Au- burnsche Anstalt in Nord- Amerika eine geringere Sterb- 202 York bilden die Farbigen 1/,,, im Gefängniss Sing-Sing 1/, der Bevölkerung; im Staate Pennsylvanien Yzg, im Strafhaus zu Philadelphia 1/,. Es ist demnach klar, dass man die Sterblichkeit der weissen und der farbigen Bevölkerung getrennt behan- deln muss. Leider finden sich bei fast keiner Auburn’schen An- stalt die Todesfälle der Farbigen von den Weissen ge- schieden angegeben; nur von Wethersfield (der besten Auburn’schen Anstalt in Nordamerika) können wir mit- theilen, dass in den Jahren 1842—1844 die Sterblichkeit der weissen Sträflinge 2.35 Proc. „ farbigen „ 10.06 » betrug. Bei den meisten Auburn’schen Anstalten kommt dies übrigens weniger in Betracht, da die Zahl ihrer farbigen Insassen gering ist. Wenn man aber auch die Sterblichkeit dieser Gefängnisse vollkommen dem entspre- chend herabsetzen will, so zeigt doch kein einziges eine so geringe Sterblichkeit der weissen Bevölkerung als Phi- ladelphia. Wir haben die Angaben über Philadelphia in zwei Perioden getheilt, weil in der zweiten neben einer etwas kürzeren Haftdauer und etwas mehr Begnadigungen noch andere Momente allmälig zutraten, welche auf die Ge- sundheit nothwendig einen guten Einfluss üben mussten, wie warme Bäder, wärmere Bekleidung, geeignetere an- regendere Arbeit, mehr Bücher, mehr Wechsel in der Kost, Verbesserung der Ventilation, Möbel und Fussböden. Noch ein Grund lässt die Sterblichkeit in den Au- burn’schen Anstalten vergleichungsweise geringer erschei- nen, als er ist, nämlich die Zahl der Begnadigungen vor Ablauf der Strafzeit. Wir finden, dass in Philadel- phia 9 Proc. der Entlassenen begnadigt wurden, in Sing- Sing 16, in Auburn und Frankford 35, in Columbus 38. Es traten aus in Philadelphia 1829—1843 1134 = 79., Proc. Zn 1210, 33) 135 rm .4\ N le 1= — [%s DD le ee 1419 lichkeit als Philadelphia hat, und dass in Philadelphia selbst die Einführung der Einzelhaft die Sterblichkeit um mehr als die Hälfte vermindert hat. Aus Pentonville sind seit seiner Eröffnung im Jahre 1843 bis Ende 1854 im Ganzen 5297 Gefangene ausgetreten, und darunter 49 durch den Tod und 237, welche aus irgend ärztlichen Gründen entfernt, begnadigt oder in ein Irrenhaus oder dergl. geschickt wurden. Man- che Gegner der Einzelhaft haben hierauf ein zu grosses Gewicht gelegt. Pentonville hat in den 12 Jahren sei- 203 nes Bestehens eine Sterblichkeit von 0.3, gehabt; rech- net man sogar den vierten Theil der aus ärztlichen Grün- den Entlassenen, als am Tage ihrer Entlassung gestor- ben, den Todten noch zu, ohne eine grössere Gefange- nenzahl in Anschlag zu bringen, so behält immer noch Pentonville eine geringere Sterblichkeit, als durchschnitt- ich die oben angeführten Grafschaftsgefängnisse, unter welchen übrigens bei einigen die Sterblichkeit bis zu 4 Proc. (Reading) und 41/, Proc. (York) steigt. Beachtet man noch, dass die Grafschaftsgefängnisse ihre Gefange- nen viel kürzer in Haft behalten, so wird man zugeben, dass Pentonville wahrlich kein grösseres Sterblichkeitsver- hältniss bietet, als jene Gefängnisse. Da wir von Pentonville reden, scheint uns hier der geeignete Platz, hervorzuheben, dass gerade in England und eigentlich nur hier noch manche mit dem Gefäng- nisswesen wohl vertraute und verständige Männer, unter welchen vor Allem der oberste Beamte für das englische Gefängnisswesen (der hochverdiente Obrist Jebb), wie auch Dr. W. Baly, der Arzt des höchst ungesund gele- genen und höchst mangelhaft gebauten kolossalen Mill- bankgefängnisses zu nennen sind, von einer strengen und lange Jahre fortgesetzten Isolirung der Gefangenen fort- während Besorgnisse für deren körperliche und geistige Gesundheit hegen. Es hat dies seinen Grund darin, dass diese Männer allzusehr von einzelnen Erfahrungen in eng- lischen Anstalten, namentlich in Pentonville, betroffen waren und nur diese ins Auge fassten, und wenn we- nigstens Dr. Baly auch andere Anstalten anführt, so hat er doch den Einfluss längerer Haftdauer bei Gemeinsam- keit nicht hinlänglich gewürdigt, um die richtigen Schluss- folgerungen zu ziehen. So hoch wir übrigens die Auto- rität dieser beiden Männer zu schätzen verstehen, so scheint sie uns doch aufgewogen dadurch, dass die ärzt- lichen Mitglieder des Oberaufsichtsrathes (Brodie, R. Fergusson und H. Greene), namentlich aber der be- handelnde Arzt (Dr. Owen Rees), der langjährige Di- rektor (Hosking) und der jetzt nach Birmingham ver- setzte Assistenz - Geistliche (Burt) des Pentonville - Ge- fängnisses entgegengesetzter Ansicht sind und solche Be- denken nach ihrer direkten Erfahrung keineswegs theilen. Wir glauben, dass genaue Prüfung der mit englischer Weitläufigkeit erstatteten offiziellen Berichte über alle ein- zelne Fälle (viele hunderte Folio-Druckseiten umfassend) und eigene Besichtigung des Pentonville-Gefängnisses und seiner Bewohner zu der der Durchführung der Einzelhaft günstigen Ansicht, welche von den nun verstorbenen Ge- neral-Inspectoren Crawfort und Russell und von den Beamten von Pentonville getheilt wird, führen muss!). Zu derselben Ansicht bekennen sich übrigens gegenwärtig fast sämmtliche Aerzte und Beamten aller Zellengefäng- nisse in Deutschland, Belgien, Holland, Frankreich, Dä- 4) Ausser den Originalberichten vergl. man über Pen- onville die Jahrbücher der Gefängnisskunde, Bd. 5, $S. 40— 53: Bd. 7, S. 117—137, und besonders Bd. 11, S. 300 — 338. 204 nemark, Norwegen und Schweden, ebenso wie fast alle Aerzte, die sich irgend wie mit dem Gegenstande beschäf- tigt haben. Wie die Sterblichkeit, welche Zeugniss ablegt von der Bedeutung der Krankheiten, so ist auch die Häufig- keit und Art der Krankheiten zu beachten. Die Aufstellungen hierüber in den einzelnen Gefäng- nissen sind jedoch zu verschieden, um in Tabellenform einander gegenüber gestellt werden zu können. Denn hier finden wir nur die schweren Krankheitsfälle, dort alle diejenigen, welche ärztliche Behandlung verlangten, an einem dritten Orte alle Klagen über Unwohlsein auf- geführt. Genaue Angaben sind überhaupt fast nur von Zellengefängnissen geliefert worden. Als feststehend ist zu betrachten, dass in den Zellengefängnissen nicht mehr und nicht gefährlichere Krankheiten vorkommen, als in den gemeinschaftlichen Gefängnissen, vielmehr der grös- seren Sorgfalt halber weniger. Dies erhellt aus den jähr- lichen Anstaltsberichten und aus den Berichten einzelner Sachkundigen. In den Jahren 1843—47 kamen in Pen- tonville auf einen Durchschnittsstand von 422 Gefange- nen 15 schwere Erkrankungen oder 3.,3; auf 100; in sämmtlichen englischen Gefängnissen in den Jahren 1847 —49 auf einen Stand von 16,312 Gefangenen 6616 Hospital- Erkrankungen oder 40.,g, auf 100; in Port- land (1850) 52., und in den Gefangenenschiffen 93.5 auf 100. Von allen Krankheiten kamen jährlich in Pen- tonville 2.199, in den anderen englischen Gefängnissen 3..g2 auf den Gefangenen !); in Glasgow z.B. fand Mo- reau-Christophe bei seinem Besuche unter 320 Ge- fangenen 6 Kranke; Ducpetiaux ebendaselbst einige Jahre später keinen einzigen 2); Lelut, von seiner Re- gierung zur Untersuchung der Gefängnisse abgeordnet. fand 1846 in den Zellengefängnissen Frankreichs überall eher weniger Kranke, als in den anderen %). Den Zel- lengefängnissen eigenthümliche Krankheiten gibt es nicht, dagegen treten gewisse Krankheiten daselbst wesentlich seltener auf, wie diejenigen in Folge der Onanie und sonstiger widernatürlicher Laster (indem auch die Onanie nach den sorgfältigen Beobachtungen von La KRoquette begreiflicherweise in der Isolirung seltener ist) und die ansteckenden Krankheiten. La Roquette, die amerikani- schen und viele europäische Anstalten haben gezeigt, dass, während Epidemieen von Cholera, Blattern u.s. w. in Städten herrschten, die darin gelegenen Zellengefängnisse davon verschont blieben, oder wenn einzelne Fälle da- selbst eindrangen, sie leicht abgesperrt und an weiterer Verbreitung verhindert wurden. 4) Burt, Results of the system of separate confinement as adıministrered at the Pentonville prison. London, Long- man, 1854. S. 150. 2) Mömoire ä l’appui du projet de loi. S. 238. 3) L&lut, Memoire sur la deportation suivi de conside- rations sur l’emprisonement cellulaire. Paris, Durand, 1853. 8. S. 40. 205 Wenn man aber auch zugibt, dass die Zellengefäng- nisse keine grössere Sterblichkeit und keine grössere Zahl von Erkrankungen als andere Gefängnisse liefern, so könnte man doch behaupten und hat auch zum Theil be- hauptet, dass die Gefangenen durch die Zellenhaft, wenn auch nicht gerade viel erkrankten, doch schwach und kraftlos würden, so dass es nach ihrer Entlassung ihnen * schwer fiele, ihre gewohnte Arbeit hinreichend zu betrei- ben. Auch diese Behauptung ist unwahr. Im Allgemei- nen freilich ist es ganz richtig, dass die Einsperrung, namentlich wenn sie sich auf lange Jahre erstreckt, der Gesundheit nicht förderlich sein kann, denn bei dem be- sten Willen, die geeigneten Vorrichtungen für Bewegung in freier Luft, geeignete Arbeit, Verkehr mit Menschen u.s. w. zu treffen, lässt es sich mit der Rücksicht auf Strafe, Sicherheit, Arbeit u. s. w. nicht vereinen, diese Verhältnisse ganz ebenso günstig darzustellen, wie sie sich der freie Mensch gewähren kann. Dagegen aber leuchtet, wenn man die Menschenklasse beachtet, welche die unendliche Mehrzahl der Gefängnissbevölkerung liefert, 206 auch ein, dass durch die Entfernung aus dunkler, feuch- ter Wohnstätte, aus Schmutz und Elend, durch das Ab- schneiden der Völlerei und sonstiger Liederlichkeit die Nachtheile der Freiheitsberaubung wenigstens für die Mehr- zahl aufgehoben werden. Es wird demnach in Wirklich- keit in guten Zellengefängnissen durch den dortigen Auf- enthalt in gesunder, gut durchlüfteter und gehörig er- wärmter Zelle, durch gute Kleidung und Kost, durch Reinlichkeit, durch Arbeit, durch Bewegung in freier Luft und durch geeignete Beschäftigung des Geistes, durch die Dämpfung der Leidenschaften und die Aneignung gu- ter Gewohnheit eine nicht unansehnliche Menge verkom- mener Gefangener gestärkt und gekräftigt, so dass sie das Gefängniss in besserem Gesundheitszustande verlas- sen, als sie es betraten. Wir glaubten, auch diesen Satz am klarsten durch Zahlen und in Tabellenform darzule- gen, und haben zu diesem Ende aus den Jahresberichten des philadelphischen Strafhauses folgende Tabelle über die vom Jahre 1829 bis 1845 entlassenen weissen Ge- fangenen zusammengestellt. A. In guter Gesundheit aufgenommene weisse Gefangene: Jahre, die sie | Zahl der : : Gesund Krank ausge- Gefangenen. a ausgetreten. US, Geralen 504 Ve 129 61 LA 83., Proc. | 12., Proc. | 2., Proc. 229 2—)5 168 93 8 73.3 Proc. | 23., Proc. | 3., Proc 27 5 u. mehr 19 6 2 70., Proc 22., Proc 7.4 Proc | 760 616 120 24 81., Proc 15., Proc. | 3., Proc B. In schlechter Gesundheit aufgenommene weisse Gefangene: Zahl der en har en Gebessert | Krank ausge- Gestorh Gefangenen. are ausgetreten. treten. EBNOTDEN. 397 1—2 241 131 25 60., Proc. | 33., Proc. | 6., Proc. 198 2—5 114 77 7 57.; Proc. | 38., Proc. | 3., Proc. 12 9 u. mehr ri J > 58., Proc. | 41., Proc 607 362 213 32 59.g Proc. | 35.9 Proc 5.2 Proc Die Ergebnisse in Betreff der Farbigen sind ähnlich, doch etwas ungünstiger 1). ’ Wir glauben nicht, dass man von einem Gefängniss mehr verlangen kann, als was aus obiger Tabelle erhellt. Aus anderen Zellengefängnissen wird ganz Aehnliches be- richtet; von Glasgow z. B. sagt der Generalinspector Hill, dass die Gefangenen in der Regel gesünder aus- treten als eintreten. 6) Geistige Gesundheit. Eine ebenfalls von vielen Laien und von wenigen Aerzten aufgestellte Be- hauptung ist die, dass bei der Einzelhaft mehr Wahnsinn vorkäme, als in anderer Haftweise. Diese Behauptung ist ganz einfach daraus entsprungen, dass, ehe man Zellen- gefängnisse hatte und in diesen etwas Höheres und Bes- seres als äussere Zucht und Ordnung und einen guten Arbeitsertrag erzielte, man auf Fragen, wie die körper- liche und geistige Gesundheit der Gefangenen, verhält- nissmässig sehr wenig Rücksicht nahm und auch wirklich sehr wenig davon wusste. Genaue Register und Kran- kengeschichten wurden nicht geführt, Jahresberichte we- der veröffentlicht, noch erstattet; regelmässige ärztliche Besuche, ausser in ganz grossen Anstalten, sind meistens kaum länger als einige Jahrzehnte vorgeschrieben. Da trat nach einigen unnachhaltigen Vorläufern das östliche Staatsgefängniss von Pennsylvanien auf und ver- kündete und befolgte neue Grundsätze der Gefangenenbe- handlung. Lobenswerthe und nicht lobenswerthe Momente zogen dieser Anstalt und ihrem System zahlreiche An- griffe zu, die endlich eine förmliche Literatur bildeten. Die verschiedensten Angriflswaffen wurden hervorgesucht, als eine der natürlichsten musste die ansehnliche Zahl der Geisteskranken in den Zellengefängnissen erscheinen. Es ward so viel darüber geschrieben und übertrieben, dass selbst Aerzte vorübergehend irre gemacht werden konn- ten, was wirklich bei einem Arzt des philadelphischen Strafhauses der Fall war. Der Lärm halte aber den gros- sen Vortheil, dass nun überhaupt der Frage des Wahn- sinnes in den Gefängnissen mehr Aufmerksamkeit zuge- wendet wurde. Auch in anderen Anstalten forschte man nach, wodurch freilich sehr unerwartete Thatsachen zu Tage gefördert wurden; auch Aerzte, namentlich Irren- und Strafanstaltsärzte, gaben ihren Urtheilsspruch ab, und es ist anzunehmen, dass die zur Zeit der ersten Verhand- lungen in der französischen Kammer noch hochgehende Fluth von Besorgnissen über die übermässige Anzahl von Geisteskrankheiten nunmehr so ziemlich abgelaufen ist. Wir haben dies in Kurzem näher zu begründen. 4) Jahrb. der Gefängnisskunde, Bd. 9, S. 151. 208 Von Eröffnung des philadelphischen Strafhauses (1829) bis zum Schluss des Jahres 1836, während Dr. Frank- lin Bache Arzt der Anstalt war, waren unter 697 auf- genommenen Gefangenen 16 Wahnsinnsfälle beobachtet worden, von welchen es bei 10 nachgewiesen werden konnte, dass sie schon vor dem Eintritt in die Strafan- stalt bestanden hatten. Mit dem Jahre 1837 trat ein neuer Arzi, Dr. Darrach, ein, und ohne dass in der Gefängnisszucht irgend eine Veränderung erfolgte (der Lärm über die vielen Geisteskrankheiten war schon im Entstehen), beobachtete dieser Arzt in den nächsten Jah- ren alljährlich mehr Geisteskranke, als der frühere Arzt während seiner ganzen Amtsthäligkeit. Merkwürdiger- weise aber sah er im Jahr 1837 nur Fälle von dementia, 1838 meist solche neben einigen Fällen von Sinnestäu- schungen, 1839 gleich viele beider Arten, 1840 nur Sin- nestäuschungen und 1841 nur erotische Eneryation. Und noch merkwürdigererweise wurden 78 Proc. jener Fälle geheilt, 13 Proc. gebessert, 3 Proc. begnadigt und 5 Proc. dauerten am Schluss des Jahres 1840 noch fort, keiner starb; — sämmtliche Fälle des Jahres 1840 dauer- ten nicht länger als 2—16 Tage; von 13 weissen Gei- steskranken im Jahr 1839 blieben 10, höchstens 10 Tage krank, von 10 schwarzen Geisteskranken im Jahre 1838 unterbrach keiner seine Arbeit ausser einem in 16 Tagen hergestellten. Jeder Arzt, welcher Geisteskrankheit und Geisteskranke kennt, wird zugestehen, dass derartige vor- übergehende geistige Aufregungen oder Depressionen in der Regel nicht als Geisteskrankheiten bezeichnet werden. Eigentliche Geisteskrankheiten dauern weder so kurze Zeit, noch bieten sie eine solche Heilbarkeit. Zwischen 40 und 56 Proc. schwankt nach Angabe verschiedener Irrenärzte die höchste Zahl der heilbaren Fälle; 15—20 Proc. sterben ?). Im philadelphischen Zuchthause aber wurden 78 Proc. geheilt und 13 Proc. gebessert, keiner starb! Wer alle jene Fälle für wirkliche Wahnsinnsfälle halten, ihre Entstehung überhaupt oder doch grossen- theils der Einzelhaft zuschreiben und desshalb diesem Sy- stem Gefangene ferner nicht unterwerfen wollte, müsste folgerichtig, obgleich in einem Zuchthause die wichtig- sten Heilmittel für Geisteskrankheiten fehlen, sämmtliche Geisteskranke hierher zur Heilung schicken; denn nir- gends in der ganzen Welt wird nur entfernt eine ähn- liche Zahl von Heilungen erzielt. (Schluss folgt.) 4) Unsere Irrenanstalt in Frankfurt verliessen in den letzten 45 Jahren 311 Personen und zwar 31 Proc. geheilt, 47 Proc. gebessert, 7 Proc. ungeheilt und 44 Proc. durch den Tod. Bibliographische Neuigkeiten. J. D. Hookers, Himalayan Journals. Tagebuch auf einer Reise in Bengalen. A. d. Engl. 8. Dyck’sche Buchh. in Lpzg. 2 Thlr. 27 Sgr. J. B. Lorey, Jahresber. über d. med. Abthlg. des frankfurter Senkenbergischen Bürgerhospitals. II. 1853—56. 8. Sauer- länder’s Verl. in Frankf. a.M. 23 Thlr. Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena. Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 185%. ZSIE Band No 14. Naturkunde. E. F. Weber, Ueber willkürliche Unterbrechung des Herzschlages. (Schluss folgt.) — Miseelle. Schaaf- hausen, Künstliche Entwickelung von Froschlarven. — Meilkunde. Einwirkung der Einzelhaft auf Gesundheit und Sterblichkeit der Gefangenen. (Schluss) — Miscellen. W. Treit z, Bildung der Hernia retroperitonealis. — Gubler, Rölhung der Backen bei Pneumonie. Naturkunde. Ueber willkürliche Unterbrechung des Herz- schlages. Von E. Fr. Weber (Leipzig). Vor mehreren Jahren habe ich durch Versuche, die ich an mir selbst machte, gefunden und meinen wissen- schaftlichen Freunden gezeigt, dass ich willkürlich be- wirken kann, dass der Herz- und Pulsschlag fast augen- blicklich verschwinden, wenn ich der Luft den Austritt aus der Brusthöhle verschliesse und die Brust zugleich com- primire, und dass sie nicht eher wieder zurückkehren, bis die Zusammendrückung der Brust aufgehört hat. Folgendes sind die Resultate einer weiteren Ausführung dieser Ver- suche, die ich unter dem Beistande meines Bruders Ernst Heinrich, der den Versuch wiederholt und bestätigt hat, und mit Unterstützung der Herren Professoren Günther, Lehmann und Hankel angestellt habe. So wie der Herzschlag, so hören auch alle mit den Bewegungen des Herzens verbundenen Geräusche, das Geräusch der Vorkammern sowohl, als das der Herzkam- mern, der Ton der Aorta, wie der der Arteria pulmona- lis, sie mögen nun durch das Stethoskop oder durch das unmittelbar an die Brust gelegte Ohr untersucht werden, augenblicklich auf; dagegen fühlt man noch 3 bis 5 sehr schwache Pulsschläge. Der Puls bleibt dann mit einem deutlichen Schlage aus und wird also nicht allmälig un- fühlbar. Statt der gewöhnlichen Herzgeräusche wurde mit dem Stethoskope ein gleichförmiges Nonnengeräusch wahrge- nommen, welches so lange anhielt, als die Compression der Brust fortgesetzt wurde, aber wohl nicht vom Her- zen und den grossen Blutgefässen ausging, da es nicht nur in der Gegend dieser Theile, sondern auch allent- halben hörbar war, wo die Lungen liegen. Das Herz setzt also zwar bei dem auf die Organe in der Brust- höhle ausgeübten Drucke seine Funktion kurze Zeit noch fort, aber so schwach, dass sich seine Thätigkeit nicht mehr durch den Herzschlag und durch die Herzgeräusche, sondern nur noch durch den Pulsschlag wahrnehmen lässt, der demnach in dieser Hinsicht ein feineres Mittel, die Herzthätigkeit zu beobachten, zu sein scheint, als der Herzschlag und die Herzgeräusche. Die mitgetheilten Versuche unterliegen keinem Zwei- fel; der Erfolg ist so sicher, dass ich nicht nur zu jeder Zeit im Stande bin, die Erscheinung zu zeigen, sondern dass sie auch ein Jeder hervorbringen kann, wenn er weiss, worauf es hierbei ankommt. Gleichwohl ist die Thatsache, so wie ich sie hier ausgesprochen habe, un- bekannt. Es geschieht ihrer in den grösseren Werken über Physiologie und in den speciellern Schriften über das Herz und den Kreislauf keine Erwähnung. Es wird zwar von einigen neueren Physiologen die irrige Be- hauplung ausgesprochen, dass man durch das Anhalten des Athems den Puls unterdrücken könne; aber dieser Behauptung wird von Andern mit Recht widersprochen, denn wie ich bald zeigen werde, kann man durch das Anhalten des Athems die von mir beschriebene Erschein- ung nur dann herbeiführen, wenn man zugleich einen Druck auf die Brust ausübt. Vermeidet man dieses, so dauert der Puls auch bei einer ziemlich langen Fortsetz- ung des Versuchs fort. Einige wunderbare Erzählungen aus älteren Zeiten, die von den meisten neueren Physiologen nicht für glaub- würdig gehalten und als Curiosa betrachtet worden sind, verdienen aber erwähnt zu werden, weil sie vielleicht in Zukunft durch die von mir mitgetheilte Thatsache eine Bestätigung erhalten können. Galen*) sagt: „Dass aber das ganze Werk der *) Galen, Ueber dieBewegung der ee Buch II, Cap. 6. 211 Respiration willkürlich und nur von der Seele ausgeführt werde, zeigte ein von auswärts stammender Sklave, wel- cher, nachdem er im heftigen Zorne sich umzubringen beschlossen hatte, dadurch, dass er ausgestreckt auf dem Boden den Athem anhielt, umkam, nachdem er längere Zeit bewegungslos dagelegen und darauf sich etwas her- umgeworfen hatte.“ . . Von einem ähnlichen Falle erzählt Valerius Ma- ximus!): „Es gibt auch merkwürdige Todesfälle, wel- che auswärts vorgekommen sind. Hierher gehört vorzüg- lich der des Coma, welcher der Bruder des Räuberhaupt- manns Cleon gewesen sein soll. Als dieser nämlich nach Enna, welches die Räuber inne gehabt hatten, von den Unsrigen aber genommen worden war, vor den Consul Rupilius gebracht und über die Macht und die Absichten der Flüchtigen befragt wurde, nahm er sich Zeit, um sich zu sammeln, verhüllte das Haupt, und indem er sich auf seine Knie stützte und den Athem unterdrückte verschied er sorgen- frei unter den Händen der Wächter und vor den Augen des Machthabers. Mögen sich die Elenden quälen, denen nützlicher ist zu sterben, als fortzuleben, mit ängstlichen Vorsätzen, wie sie aus dem Leben gehen sollen, mögen sie das Schwert schärfen, Gift mischen, zum Strange greifen, von ungeheueren Höhen herunter schauen, als ob es grosser Vorrichtungen und tiefen Nachdenkens bedürfe, um das schwache Band zwischen Leib und Seele zu tren- nen. Coma brauchte von alledem nichts, sondern fand dadurch, dass er den. Athem in der Brust verschloss, seinen Tod.‘ Ferner erzählt Appianus ?) vom jüngeren Cato, dass er, als man ihm sein Schwert versteckt hatte, um ihn am Selbstmorde zu verhindern, gesagt habe: „Ich kann mich ja ohne Schwert tödten, ich darf nur den Athem eine kurze Zeit anhalten,“ .. und von einem Aruspex, welcher gesagt habe: „Alle werden Sklaven, nur ich nicht,“ und sich darauf auf diese Weise er- stickt habe. Eine solche Erzählung aus neuerer Zeit theilt George Cheyne °) sehr ausführlich von einem Oberst Townshend mit, welcher an einem Nierenleiden, das von fortwähren- dem Erbrechen begleitet war, litt. Da seine Krankheit zu- und seine Kräfte abnahmen, kam er von Bristol in einer Sänfte nach Bath. Dr. Cheyne sagt wörtlich: „Dr. Baynard und ich wurden zu ihm gerufen, wir besuchten ihn ohngefähr 1 Woche lang täglich 2mal; aber da sein Erbrechen unaufhörlich fortdauerte und allen Mit- teln widerstand, so verzweifelten wir an seinem Auf- kommen. Während er sich in diesem Zustande befand, schickte er eines Morgens früh zu uns. Wir besuchten ihn mit 1) Valerii Maximi Memorabilia Lib. IX, cap. XII. 2) Appianus, De bell. civil. IV. 3) George Cheyne, The English Malady. 1733, S. 307. London 212 Mr. Skrine, seinem Apotheker, und fanden seine Sinne klar und seinen Geist ruhig. Seine Wärterin und meh- rere Diener waren um ihn. Er hatte sein Testament ge- macht und seine Angelegenheiten geordnet. Er sagte aus, er habe zu uns geschickt, um ihm eine Aufklärung über ein seltsames Gefühl (Sensation) zu geben, welches er einige Zeit lang beobachtet und an sich wahrgenommen habe, nämlich dass er, wenn er sich fasse, sterben und den Geist aufgeben könne, sobald es ihm beliebe, und dennoch durch eine Anstrengung oder irgend wie wieder ins Leben zurückkommen könne, welches er mehrmals versucht zu haben schien, ehe er nach uns geschickt hatte. Wir hörten dies mit Erstaunen, aber da es nach den jezt gewöhnlichen Principien unerklärlich war, so konnten wir die Thatsache kaum, so wie er sie erzählte, glauben, viel weniger eine Erklärung davon geben, wenn ihm nicht gefiele, den Versuch selbst vor uns auszufüh- ren, was wir nicht wünschten, dass er thun solle, da- mit er ihm nicht in seinem schwachen Zustande schäd- lich werde. Er fuhr fort, deutlich und vernehmlich län- ger als eine Viertelstunde über dieses ihm erstaunliche Gefühl zu sprechen und bestand so sehr darauf, die Probe vor unseren Augen zu machen, dass wir zuletzt zuzuge- ben genöthigt waren. Wir fühlten zunächst alle drei an seinen Puls: er war deutlich, wenn auch klein und faden- förmig, und sein Herz hatte seinen gewöhnlichen Schlag. Er legte sich auf den Rücken zurecht und lag so eine Zeit lang, ohne sich zu rühren. Während ich seine rechte Hand hielt, legte Dr. Baynard seine Hand auf sein Herz und Mr. Skrine hielt einen blanken Spiegel an seinen Mund. Ich fand, dass sein Puls allmälig sank, bis ich ihn zuletzt auch durch die genaueste und feinste Berührung nicht mehr fühlen konnte. Dr. Baynard konnte an seinem Herzen nicht die geringste Bewegung wahrnehmen und eben so wenig Mr. Skrine den ge- geringsten Hauch auf dem polirten Spiegel, den er an seinen Mund hielt. Darauf untersuchte jeder von uns wechselsweise seinen Arm, Herz und Athem, konnte aber bei der feinsten Untersuchnng auch nicht das geringste Lebenszeichen an ihm entdecken. Wir sprachen lange, so gut wir konnten, über diese seltsame Erscheinung, und da wir sie alle für unerklärlich und räthselhaft er- klärten und fanden, dass er immer noch in dem Zu- stande verharrte, so fingen wir an zu muthmassen, dass er in der That den Versuch zu weit getrieben habe, und zuletzt waren wir überzeugt, dass er wirklich todt sei, und waren eben bereit, ihn zu verlassen. Dies dauerte ohngefähr eine halbe Stunde bis 9 Uhr Morgens im Herbste. Als wir weggehen wollten, bemerkten wir ei- nige Bewegungen an dem Körper, und bei der Unter- suchung fanden wir, dass sein Puls und die Bewegung seines Herzens allmälig zurückkehrten. Er begann sanft zu athmen und leise zu sprechen: wir waren im höch- sten Grade über diesen unerwarteten Wechsel erstaunt, und nach einigen weiteren Unterhaltungen mit ihm und 213 unter uns selbst gingen wir fort, völlig von allen Ein- zelheiten dieser Thatsache überzeugt, aber bestürzt und verlegen und unfähig, uns eine Vorstellung zu ihrer Er- klärung zu machen. Er liess später den Anwalt zu sich rufen, fügte ein Codicill zu seinem Testamente, setzte für seine Diener Legate aus, nahm das Sacrament und starb ruhig und gefasst um 5. oder 6 Uhr Abends.‘ Bei der Section fanden sich alle Organe der Brust- und Bauchhöhle, mit alleiniger Ausnahme der rechten Niere, in völlig normalem Zustande. „Die rechte Niere,“ sagt Cheyne, „war ohngefähr 4 Mal so dick, als die linke, ausgedehnt wie eine aufgeblasene Blase und nachgiebig, als ob sie voll Brei wäre. Er hatte oft während der Krankheit nach dem Urin eine molkenartige Flüssigkeit abgehen lassen. Als wir diese Niere öffneten, fanden wir sie voll einer weissen, kalkartigen Materie, und die ganze fleischige Substanz derselben durch das, was ich einen Nierenkrebs nannte, aufgelöst und zerstört.“ Dr. Cheyne erzählt, wie man sieht, nur was er ge- sehen, ohne auch nur eine Vermuthung darüber zu äussern, wie Townshend sich in jenen Zustand versetzt habe. Es bleibt daher Jedem überlassen, ob er diesen Fall gleich- falls hierher rechnen wolle. Viele Physiologen schreiben, wie oben bemerkt wor- den ist, der Unterbrechung der Athembewegungen einen sehr störenden Einfluss auf den Kreislauf des Blutes zu, und manche von ihnen haben sogar jene Erzählungen, wenn man denselben überhaupt Glauben schenken dürfe, dadurch zu erklären gesucht. Andere Physiologen wider- sprechen ihnen und meine eigenen Versuche beweisen, dass das Anhalten des Athems in kurzer Zeit und auf mechanische Weise den Puls- und Herzschlag nicht abändert, wobei jedoch von mir nicht geleugnet wird, dass eine längere Unterbrechung des chemischen Pro- cesses der Respiration auf den Kreislauf des Blutes eine secundäre Einwirkung habe und haben müsse. Indessen erfolgt diese Einwirkung. so spät, dass sie bei der Er- klärung der von mir mitgetheilten Erscheinungen noch nicht in Betracht kommt. Ich will hier die einander sehr widersprechenden Ansichten der verschiedenen Physiologen über den Einfluss des Athemholens auf den Kreislauf des Blutes zusammenstellen. Die älteren Physiologen, Swammerdamm, Se- nac, Haller, behaupten, dass die wechselnde Beweg- ung des Aus- und Einathmens nothwendig sei, damit das Blut ungehindert durch die Haargefässe der Lungen hin- durchgehe, woraus von selbst folgen würde, dass, da alles Blut bei seiner Kreisbewegung durch die Lungen hindurchgehen muss, diese durch die Unterbrechung der Athembewegungen wesentlich gestört werden müsse. So sagt Swvammerdam!): „Nisi dilatatum fuerit pectus atque ab aere propulso appulsove expandantur pul- 1) Tractatus de respiratione, Sect. 4. cap. IM. 8.1. 214 mones eorumque vasa sanguis in ac per eosdem haud moveri possit.‘* Ferner sagt Senac'): „Le coeur est une espece de pendule; il est agite par les oscillations alternatives; linspiration ni lexspiration ne suffiraient pas separe- ment pour soutenir la circulation et pour animer le coeur, est en se succedant un l’autre qu’elles portent le sang dans le ventricule gauche.“ Haller ?), welcher alle früheren Beobachtungen sehr vollständig zusammengestellt hat, sagt: ,, Praeterea in vivo animale, cujus cor contrahitur, et in arterias pulmonales sanguinem data vi emittit, omnino nunc san- guis in eas arterias facilius atque adeo celerius irrum- pit, postquam deletis retardatricibus plieis rectae nunc sunt: sed inprimis postquam totus pulmo undique. di- latatus est et plurimus nunce aer vasculoso undique reti circumfunditur, maxima vis pressionis de arte- riis aufertur, qua ante inspirationem wurgebantur. Cum enim ‚in angusto pectore pulmo a parietibus suae caveae undique premeretur, inque compactam 'viciniam vasa ad vasa membranaeque vasorum ad membranas pellerentur, nunc contra, nata inter vicina vasa et circa vasorum pe- ripheriam levissimi elementi copia, parietum pectoris pres- sio vasorumque vieinorum sibi ineumbentium pondus au- fertur et nihil est porro, praeter aerem, quod in eadem vasa gravitet. . . . Ergo sanguis, per leges de aere descriptas, in spa- tium aereum irruit, tamquam paene nullam resistentiam inveniret, facilitate summa et celeritate. ...... Hinc ab inspiratione summa facilitas nascitur sanguini de corde dextro exeunti, adeoque ex ordine sanguini idem ad cor redituro, adeoque vena cava utraque se celeriter deplet et sanguis de cerebro deque totius corporis venis ad cor rapitur et cerebrum et omnes eae venae subsident. Hinc immeabilis pulmo, quando collapsus et non inspiranti si- milis, meabilis redditur, quoties aere inflatur. Facilius ergo per inflatum pulmonem transit injectus quicunque liquor:: facilius transit sanguis ipse de corde expulsus. Hinc de inciso pulmone sanguis per inspiralionem cele- rius projieitur. Hinc inspiranti homini pulsus celerior: et suspirium pulsum accelerat. Hinc aere in pulmones impulso, in animale languido, saltus de apertis vasis augetur, celeriorque fit aut vicissim tardior, uti fortius aer impellitur aut remissius. Hinc sanguinis majori co- pia de corde expulsa respirationes majores fiunt et fre- quentiores, et contra rariores et minores, si sanguinis copia minor fuerit. Hinc sanguinis quantitas major ex corde pulsa cognoscitur ex respiratione aucta, estque fere in ratione pulsuum. Hinc altero latere pectoris aperto 4) Trail& de la structure du coeur, Tome JI. libre III chap. VIII. pag. 238. 2) Elementa Physiologiae, Tom. IM. lib. VIII. Sect. IV. $. 11. Edit. Lausannae 1759 pag. 245. 14* 215 aut respiratione a vapore suffocante, aut alio modo laesa pulsus parvus fit et celer. Hinc suppressa respiratione sanguinis per pulmonem circuilus sufflaminatur et animo linqguimur et reddito aere vicissim anima redit. Hinc san- guine elluso et pulmonem premente aeger animam agit idemque refocillatur eo sanguine educto. Hinc illud ce- lebre experimentum, quod Hookio tribuitur, cum dudum ante Cl. Virum factum sit. Nempe deleto pectore, pul- mone aeri exposito et callapso, hinc impervio, quando animam bestia agit, et nunc morli proxima videtur, in- flato pulmone vita fugitiva revocatur.‘“ Und S. 13, S. 252, weiter: „Paradoxum videri possit, ab inspiratione sanguinis in pulmonem commeatum expediri: inflato eliam aere, quod genus est magnae inspirationis, animalia moribunda revi- viscere et sanguinis per pulmones iter revocari: et tamen hanc eamdem, adeo faventem sanguinis per pulmonem motui inspiralionem sola paulo diuturniori continuatione anxietatem primo incredibilem facere; deinde si vel vo- luntatis violento imperio tamen aer in pulmone retineatur vel ab alia causa intra pulmonem copiosior servetur, de- nique sanissimum et fortissimum hominem subito interire. Haec enim mors fuit latronis ad Augustum ducti et servi barbari, de quo Galenus scripsit, hoc mancipiorum an- golensium artificium. Haec eadem mors olim alteri et maximo tetraonum generi pervicaciter spiritum relinenti familiaris fuisse legitur. Haec demum infantibus aut ex ira aut alio ex infortunio aerem retinentibus pernicies. Deinde par omnino mors est hominum aut anima- lium, quando in aere compresso et validiore exstinguun- tur, in quibus pulmones inflati et distenti reperiuntur, omnino quales per inspirationem facti sunt cum nimium aeris pondus exspirationem inhibeat. Hujus nunc anxietatis et suffocationis et denique mortis causam non est arduum invenire. Adparet enim, ab inspiratione diutius continuata sanguinem in pulmonem quidem advenire et congeri, exitum vero ex pulmone non invenire. Nixus enim est ipsa dinturnior inspiralio: sed in nixu collum et facies turget, et distenditur, ut etiam ve- nas ruperit contentas vinculo, et vasa in pulmonibus cre- puerint, atque sanguis funesto eventu exudaverit. Ruptae ex nixu venae. Sub membranam pulmonis sanguinis ef- fusi copia, qui sub clavicula protuberaret. Deinde cum venae se deplere nequeant, etiam in ar- teriis sanguis stat congestus, easque dilatat. Nihil fre- quentius aneurysmate ex nixu nato. In equis pontes con- scendentibus, dum graves currus trahunt, frequentia aneu- rysmata. Ab eadem causa vasa denique passim rumpun- tur, ut in rene sanguis in vias urinae transeat, inque cutis vascula, et in cellulosa spatia varia, aut de labiis effundatur. Ex ipsis arteriis incisis sanguis nitenti altius salit. Retento spiritu pro lubitu juvenis ex vulnere pedis san- guinem expellebat, et vicissim suppressa respiratione san- 216 guis de vulnere saltum sistebat. in femore et mors subita. Haec in modica hactenus in- spiratione constanter fiunt. Nam eadem diutius protracha demum sanguis ad sinistrum cor redeuntis penus sub- primitur, et cruoris adeo copia corpori universo debita diminuitur et cordis vires labascunt, et pulsus parvus fit et lentus et vertigo obrepit et denique pulsus omnino eva- neseit: quo quidem celebrem illam tribuni militaris histo- riam refero, qui ex arbitrio ut amico spectaculum prae- beret, morlis speciem induere noverat. Ab eo statu ad mortem breve iter est.“ Gegen die von Swvammerdam, Senac und na- mentlich Haller aufgestellte und vertheidigte, in der Physiologie allgemein angenommene Lehre, dass das Blut die Lungen, durch die es in seinem Kreislaufe hindurch- gehen muss, nur passiren könne, wenn dieselben wie bei der Athembewegung wechselsweise sich ausdehnen und zusammenziehen, und dass daher durch Unterbrechung der Athembewegung der Durchgang des Bluts durch die Lungen und somit der ganze Kreislauf gestört werde, ist Emmert") aufgetreten, indem er sich auf direcle Be- obachtungen theils bei Vivisectionen, theils am lebenden Menschen stülzte. Er zeigte nämlich, dass, wenn er bei Kaninchen die Luftröhre zuband, nachdem er die Lun- gen möglichst mittelst eines Blasebalgs aufgeblasen, oder auch sie durch gewaltsame Compression der Brust mög- lichst von Luft entleert hatte, der Kreislauf ungestört eine Zeit lang fortging, ungeachtet das Athmen vollkom- men unterbrochen und die Lungen dabei über das natür- lich mögliche Maass entweder ausgedehnt oder zusammen- gedrückt worden waren. Auch durch Versuche, die er an sich selbst machte, wies er nach, dass, wenn er das Athmen, sowohl während des Inspirirens, als während des Exspirirens, eine Minute und auf längere Zeit an- hielt, die Speichenarterie fortpulsire und nur die Zahl ihrer Schläge sich um 5 bis 6 auf die Minute verlang- same, während umgekehrt durch häufiges Athmen der Puls häufiger werde. Arteria insignis rupta Emmert folgerte aus diesen Beobachtungen: 4) dass der grosse Kreislauf bei der Hemmung des Athems in der Inspiration oder Exspiration fortdauere, 2) dass er sich sogar bei einer stärkeren Zusammenpres- sung der Lungen, als während des Lebens je vor- kommt, noch zeige, und dass folglich der kleine Kreis- lauf ohne die abwechselnde Ausdehnung und Zusam- menziehung der Lungen stattfinden könne und er also auch nicht nothwendig von dem Athmen abhänge. Diese Versuche von Emmert sind meines Wissens nicht widerlegt noch bestritten worden. Demohngeachtet sagt Valentin 2): „Durch tiefes und lange Zeit einge- 4) Emmert, Ueber die Unabhängigkeit des kleinen Kreislaufs vom Athmen. Reil’s Arch. 1802, Bd.5. S. 401. 2) Lehrbuch der Physiologie, 1844 1. Bd. S. 496. 217 haltenes Athmen können wir den Pulsschlag der Arterien so sehr schwächen, dass man ihn an der Radialarterie gar nicht mehr fühlt.“ (Schluss folgt.) Miscelle. Künstliche Entwickelung von Froschlarven. Here Professor Schaafhausen legte in d. N.-Rh. G. f. N.- u. H. lebende Froschlarven mit entwickelten äus- seren Kiemen vor, welche neben Hülhnereiern bei einer Wär- me von etwa 28 Gr. R. über der Brütlamp e ausge- brütel worden waren. Jm Sitzungsberichte heisst es dar- über: „Bemerkenswerth ist die äusserst rasche Entwickelung 218 derselben, indem die Veränderungen, welche die Eier des braunen Frosches gewöhnlich erst in vier bis fünf Wochen, von Hälfte März bis Ende April, erleiden, in zwei bis drei Tagen vollendet waren“. Wahrscheinlich ist unter „braunem Frosch‘ der Gras- oder Brachfrosch, Rana tempo- raria gemeint. Diese halten sich zwar ausser Paarungs- und Laichzeit immer entfernt vom Wasser in Gärten und Feldern auf, gesen aber in diesen stels in Sümpfe und Teiche, wo ihr Laich in einem Klumpen zu Boden fällt, bald aber auf- schwillt und nach eirca acht Stunden an die Oberfläche des Wassers tritt. Die Natur wies dazu die Thiere an, folglich erscheint Wasser als nöthig zur Entwickelung der Larve aus dem Eie. Um so wunderbarer ist es, dass die Brütlampe ne- ben Hülinereiern, folglich ohne Wasser, das Auskriechen dieser Froschlarven bewerkstelligen konnte. (Allg. deutsche naturhist. Ztg. No. XII. 1856.) Heilkunde. Einwirkung der Einzelhaft auf Gesundheit und Sterblichkeit der Gefangenen, (Schluss.) Dass übrigens in Philadelphia, wie in manchen an- deren amerikanischen Gefängnissen, wirklich eine verhält- nissmässig grosse Anzahl Wahnsinniger vorkommt, hat seinen Grund auch darin, dass viele Staaten keine Irren- häuser besitzen, in welchen arme Geisteskranke aufge- nommen werden. Es verurtheilen daher die Gerichtshöfe Verbrecher, obgleich deren geisteskranker Zustand aner- kannt ist, dennoch in die Zuchthäuser, um die Gesell- schaft vor ihnen sicher zu stellen. Für Pennsylvanien ist erst seit 1852 die Möglichkeit gegeben, Verbrecher, welche nach dem Ausspruch eines von der Regierung ein- gesetzten sachverständigen Ausschusses geisteskrank sind, in das nun errichtete Staatsirrenhaus versetzen zu kön- nen. Im Oktober 1852 befanden sich 18 Geisteskranke im Philadelphischen Strafhause, welche diesem Ausschuss vorgeführt wurden; 3 unter ihnen waren nicht einmal eines Vergehens halber, sondern nur zur Sicherheit in das Zuchthaus verbracht worden und hatten daselbst 23, 34 und 7 Jahre verlebt, von den übrigen 15’ waren 11 vor ihrer Aufnahme mehr oder weniger geisteskrank, 2 erkrankten wenige Monate, 1 ein Jahr und 1 vier Jahre nach seiner Aufnahme !). Auch in Pentonville ist eine grosse Anzahl von Geistesstörungen oder Aufregungen, meist mit Sinnes- täuschungen verbunden, beobachtet worden. Man ist daselbst in höchst lobenswerther sorgfäl- tiger Beobachtung und ängstlicher Fürsorge für das Wohl der Gefangenen dahin gekommen, zum Theil vorüberge- hende Zustände als Geisteskrankheiten oder damit nahe verwandt aufzuzählen, deren Abnormität in gewöhnlicher 4) Twenty-fourth report of the inspectors of the eastern slate penitentiary of Pennsylvania. p. 8. gemeinschaftlicher Haft nicht beachtet wird, ja zum Theil nicht beachtet werden kann. Ein Gefangener nämlich, auch wenn er von Haus aus etwas sonderbar und ver- kehrt und ungeschickt ist, wird in gemeinschaftlicher Haft nicht unschwer dahin abgerichtet, dass er sein Arbeits- pensum regelmässig und mechanisch verrichtet, beim Gänse- marsch den ordnungsmässigen Schritt einhält, das Still- schweigen nicht bricht, Nachts keine Störungen verur- sacht, kurz den Beamten keinerlei Unbequemlichkeit macht. Man versetze einen solchen Menschen in die Einzelhaft; der Wärter stellt ihn nicht an seine Arbeit, sondern er unterhält sich mit ihm, der Geistliche und andere Beam- ten besuchen ihn, er fängt an, seine Empfindungen dar- zulegen, Urtheile auszusprechen ; die ersteren sind exal- tirt, die letzteren theilweise verkehrt, wie sie es immer waren. Dazu kommt, dass dieser Mensch, aus seiner gewohnten Lebensweise gerissen, dem immerhin nieder- drückenden Einfluss jeder Gefangenschaft hingegeben, der nöthigen gewohnten Anregungen und Ausgleichungsmittel entbehrt, auf sich hingewiesen ist und im Grübeln sich verliert, in der Vereinzelung ganz ebenso wie in der stillschweigenden Gemeinschaft; möglich, dass das Grü- beln, wenn er in der Einzelzelle sehr verlassen sitzt und zu wenig besucht wird, eher zunimmt als bei der still- schweigenden Gemeinschaft, wo wenigstens sein Auge ihm einige Zerstreuung gewährt, sicher aber auch, dass die Neckereien, spöttischen Mienen der Anderen, selbst der Widerwille gegen einen Nachbarn und ähnliche un- bedeutende Anlässe zu Stimmungen und Verstimmungen mindestens eben so schädlich auf ihn einwirken, wie selbst zu grosse Einsamkeit. In jedem Gefängniss fällt es schwer, solche Individuen richtig, und so wie es ih- nen am vortheilhaftesten ist, zu behandeln, man muss sich ziemlich viel mit ihnen befassen, ihnen Wechsel und Beschäftigung u. s. w., kurz mancherlei Anregung ge- währen. In der Vereinzelung werden solche Zustände sogleich erkannt, sie sind nicht schwer vollständig zu 219 würdigen und sie können richtig behandelt werden; in der gemeinsamen Haft, mit und ohne Stillschweigen, bleibt die Mehrzahl dieser Zustände unbeachtet, so sehr verdeckt sie die strenge äusserliche Zucht und Ordnung. Solcher Zustände nun (unter der Rubrik delusions oder fe & e % % rs > 7 7 3 = or [-7} -ı Wahnsinn 3 _ 1 1 1 delusions 5 = 2 5 1 Selbstmord _ — — — — Aufgenommen 525 240 283 243 360 Entlassen 24 408 132 386 200 Durchschnittszahl 332 456 445 423. 457 Zunächst muss man die Wahnsinnsfälle mit der Ge- schichte der Anstalt vereint betrachten. Im ersten Jahre kamen 3 Fälle vor (1 geisteskrank aufgenommen, der 2. war fortwährend ausser seiner Zelle mit Beendigung von Bauarbeiten beschäftiget). In den folgenden 4 Jah- ren nur 3 Fälle, worunter ein furchtbarer Verbrecher und 1, der zur Zeit seiner Einschiffung erkrankte, dann aber im Gefängniss bald genas. Im Jahre 1848 ward die strenge Vereinzelung insofern gemildert, dass sie von 18 auf 15 Monate, im Jahre 1849, dass sie auf 12 Monate, in den letzten Paar Jahren sogar auf 9 Monate zurückgeführt ward; einige andere Erleichterungen traten hinzu, und von 1852 an war es gestattet, einzelne Ge- fangene, für deren körperliche oder geistige Gesundheit es nützlich schien, in Gemeinschaft im Freien arbeiten zu lassen. Es erhellt aus obiger Tabelle auf das Deut- lichste, dass (wenn das Jahr 1843, wie es sich gehört, als Einführungs- und Probejahr betrachtet wird) in kei- nem Zeitabschnitt die Wahnsinnsfälle und die delusions nur annähernd so selten waren, als in den Jahren 1842 bis 1847, wo die Gefangenen am strengsten und am längsten der Einzelhaft unterworfen waren'), in dersel- ben Zeit kam kein Selbstmord vor. Man hat behaupten wollen, der Grund dieses Unterschiedes liege darin, dass die Gefangenen dieser Jahre am sorgfältigsten ausgesucht worden seien in Bezug auf ihre körperliche und geistige Fähigkeit, die Einzelhaft zu ertragen. Es kann dies, obgleich ein gewisses Aussuchen allerdings siattgehabt hat, jedoch nicht zugegeben werden, denn unter den 469 ersten und nicht ausgesuchten Gefangenen fanden sich 17, und unter den darauf folgenden 1031 Gefangenen (in Summe 1500) fanden sich 36, welche geisteskranke Ver- wandten hatten; das Verhältniss ist demnach für beide Gruppen gleich. 1) Die 1640 Gefangenen dieses Zeitraums waren durch- schnittlich 396 Tage im Gefängniss, die 2387 der Jahre 1848 —1850 nur 224 Tage. (Burt a. a. 0. $. 111.) 220 weak of mind vorkommend) sind auch in Pentonville eine ziemliche Anzahl beobachtet worden. Die hierher gehörigen leichteren Fälle, ‚unter der Rubrik delusions oder weak of mind verzeichnet, sowie die Fälle eigentlicher Geisteskrankheit haben wir aus den Jahresberichten folgendermaassen zusammengetragen. & = & es 3 © 2 Land Da) or or or or ou = = S ir; < => = Summe 5 4 zi 2 4 4 133 2 1 11 3 1 5) ı De 7 1 1 1 — —_ 1 u) 599 777 675 717 460 436 621 696 641 757 493 387 486 499 599 550 496 523 Die übrigen englischen Zellengefängnisse liefern eine viel geringere Zahl von Geisteskrankheiten. So war in Glasgow von 1824 bis 1844 kein Fall in der Anstalt entstanden, überhaupt waren nur 3 Fälle vorgekommen und diese sämmtlich in der Anstalt geheilt worden !); aus Preston (wo übrigens in Kirche, Schule und Spa- zierhof die Gefangenen nicht getrennt sind) berichtet der Geistliche, dass von 1843 bis jetzt noch kein Wahnsinns- fall sich ereignet hat?). In dem Zellengefängniss des Grossherzogthums Ba- den, in Bruchsal, sind in den 5 Jahren 1850 — 54 bei einem jährlichen durchschnittlichen Gesammtstand von 607 Gefangenen 18 Geisteskranke, also 5., auf 1000 Gefan- gene beobachtet worden. Die Hälfte davon ward nach Illenau versetzt; geheilt wurden 8, gebessert 3, unge- heilt geblieben 4, gestorben 3. Ausserdem kamen vor 21 leichtere Fälle von Geistesaflection oder Hallucinatio- nen; binnen kurzer Zeit wurden geheilt 11, gebessert 5, noch in Behandlung sind 5. Eine Krankengeschichte je- den einzelnen Falles findet sich beigefügt ®). Wir haben nun einen Augenblick auch bei dem Vor- kommen von Geisteskrankheiten in gemeinschaftlichen Ge- fängnissen zu verweilen. Da steht denn nun, wie ge- sagt, als erster Erfahrungssatz fest, dass man in diesen Gefängnissen sich eben früherhin nirgends darum geküm- mert hat und auch jetzt noch im Allgemeinen sehr we- nig genau ist. Als in Frankreich das Ministerium die Einführung der Einzelhaft vorbereitete, wurde in Betracht der angeblichen Häufigkeit des Wahnsinns in den Zellen- gefängnissen verordnet, an einem und demselben Tag in allen Centralhäusern Frankreichs die Zahl der Geistes- kranken aufzunehmen, und siehe da, es fanden sich am 1) Privatmittheilung des Direktor Brebner; s. de Vem- prisonnement individuel sous le rapport sanitaire. p. 42. 2) Chaplain’s thirtielh and thirty-first reports on the county-house of correction at Preston. 1855. p. 75. 3) Füesslin, Die Einzeihaft. S. 259—316. 221 1. Mai 1839 unter 18000 Insassen der Centralhäuser 359 Geisteskranke, d. h. 1 auf 50 Gefangene, in Mont- pellier gar 19 auf 483, in Fontevrault 46 auf 496 und in Vannes 31 auf 296 Gefangene !), — ein Verhältniss, wovon bis dahin kein Mensch in ganz Frankreich eine Ahnung gehabt hatte. Selbst im depöt des condamnes in Paris, wo die Gefangenen gewöhnlich nur wenige Tage bleiben und wahrlich nicht genau beobachtet wer- den, finden sich, nach Lelut, unter einem Stand von etwa 430 Gefangenen immer 4, 5 bis 7 Irre?). — Aus Belgien, wo derartige Verhältnisse im Ganzen so gründ- lich erforscht werden, liegt keine genaue Zahl vor; Ducpetiaux sagt nur, an Lelut’s Angabe sich an- schliessend ®), dass in Belgien die Zahl der Geisteskran- ken in den alten Gefängnissen etwa dieselbe sei. — In den gewöhnlichen Gefängnissen von England und Wales fanden sich unter einem Stande von 14,689 Gefangenen durchschnittlich 89., Geisteskranke oder 6., auf 1000 °). — Aus Baden berichtet Füesslin °): „In einem Verzeichniss der Gefangenen einer badi- schen Strafanstalt, welches uns zur Auswahl der zur Transferirung in unser Haus Tauglichen zugestellt wor- den war, befanden sich auf 300 Gefangene neun, wel- che als „halber Simpel, spricht hie und da verkehrtes Zeug, nicht ganz bei Verstand“ bezeichnet waren; ähnliche Ergebnisse wird genaue Prüfung der geistigen Gesundheitsverhältnisse der Gefangenen in allen Straf- anstalten liefern. Diese badische alte Anstalt hat also ein Verhältniss von 30 Geistesschwachen auf 1000 Gefangene. Wenn wir aus diesen Ländern einige summarische Zahlen haben liefern können, so weiss man doch gar nichts Genaueres über Form, Dauer, Ausgang u. s. w. dieser Fälle. Nur die schweizer Anstalten, wo man all- mälig mehr zur Vereinzelung übergegangen, berichten Ge- naueres. In Lausanne sind von 1834—41 bei einem Durchschnittsstand von 95 Gefangenen 23 Wahnsinnsfälle vorgekommen, unter welchen 13 vor ihrer Aufnahme ent- schieden wahnsinnig waren, 2 galten im Publikum zuvor für irr, 2 zeigten sogleich nach der Aufnahme Spuren von Wahnsinn; von den übrigbleibenden 6 waren 2 iso- lirt gewesen, 4 nicht®). — In Genf endlich, der Mu- 4) Documents communiques par Mr. le ministre de l’In- terieur. Discours de Mr. de Tocqueville ä la seance de la chambre des deputes du 26 avril 1844. 2) L&lut, De l’influence de l’emprissonnement cellulaire sur la raison des detenus. M&moire lu a l’academie des scien- ces morales et politiques. S. auch Moreau-Christophe, Defense, Appendice. p. 18. 3) Memoire ä l’appui de projet du loi. p. 255. 4) Burt, a. a. ©. p. 99. 5) Füesslin, Die Einzelhaft u. s. w. S. 387. 6) Man vergleiche Rapports du docteur Pellis et de Mr. Denis, inspecteur. — De l’emprisonnement individuel sous le rapport sanitaire. p. 4— 60. — Jahrb. der Gefäng- nisskunde Bd. 4, S. 80 ff. — Auch die Schriften von Würth 222 steranstalt des Classificationssystems, kamen von 1826— 1841 unter 431 anfgenommenen Gefangenen und bei ei- nem Durchschnitisstand von 60 Gefangenen 28 Fälle von Wahnsinn vor (wahrscheinlich sind in den ersten Jahren, wo noch nicht so viel Aufmerksamkeit darauf verwendet ward, noch einige weitere übersehen), und zwar von 1826—34 12 Fälle oder 1 auf 43 Gefangene, und seit strenger Durchführung des Schweigsystems von 1835 —1841 16 oder 1 auf 30 Gefangene. Nur von 23 ist der Erfolg der Heilung bekannt: 7 geheilt, 2 ge- bessert, 7 ungceheilt, 7 gestorben (3 davon in der Irren- anstalt). Also Geheilt Gebessert Ungeheilt Gestorben Philadelphia 78 Proc. 13 Proc. 8 Proc. —_ Gent „na 130 #,, Sinh,; 43:4 17 Proc, Aus allen Auburnschen Anstalten Amerika’s wird von Geisteskranken berichtet, aber so dürftig und un- gleichmässig, dass sich keine klare Zahlenaufstellung an- fertigen lässt. Wir wollen statt deren folgende Stelle eines Ausschussberichtes an die gesetzgebende Versamm- lung von Newyork in Betreff des Zustandes der Gefäng- nisse in diesem Staate anführen: „Im Verlauf seiner Untersuchung war der Ausschuss betroffen über die grosse Zahl von Geisteskrankheiten unter den Sträflingen. Mehr oder weniger geistes- krank ist eine viel grössere Zahl der Insassen unserer Gefängnisse, als das. Publikum glaubt oder als selbst die Beamten des Gefängnisses zu wissen scheinen. Wahrlich, es ist zu bezweifeln, ob irgend Jemand mit einem erträglich gesunden Geist das Gefängniss ver- lässt, nachdem er eine Strafzeit von sechs oder mehr Jahren überstanden hat“ !). Wahrlich man kann, wenn man die nahe Verwandt- schaft zwischen Verbrechen und Wahnsinn ins Auge fasst, sich nicht über die grosse Zahl von Wahnsinnigen unter den eingesperrten Verbrechern wundern, wohl aber da- rüber, wie lange diese Thatsache übersehen worden ist. Verbrechen und Wahnsinn sind nahe verwandt, sie be- ruhen auf derselben Grundlage, auf Mangel an Harmo- nie zwischen den intellektuellen Fähigkeiten und dem Em- pfindungs- und Begehrvermögen. Betrachten wir die Masse unserer Verbrecherbevölkerung, so finden wir sie im Ganzen geistig viel weniger entwickelt, als man all- gemein annimmt; Verschmitztheit muss vielfach die Stelle des klaren Verstandes vertreten. In der Regel sind sie sehr mässig unterrichtet und noch viel weniger irgend- wie durchgebildet, weder geistig noch moralisch. Zu grossentheils erblicher Anlage tritt von frühester Jugend und Moreau-Christophe, welche die Anstalt sorgfältig untersucht haben; — endlich Verdeil, De la reclusion dans le canton de Vaud, und Gosse, Analyse raisonnee etc. dans la bibliothöque universelle de Geneve. 4) Twenty-third report of the inspectors of the eastern state penitentiary of Pennsylvania. 1852. p. 8. 223 an Verwahrlosung jeder Art, Elend, Schmutz, Unord- nung, schlechte Erziehung, Rohheit und Verweichlichung, schlechtes Beispiel. Während so die intellektuelle und moralische Ausbildung zurückbleibt, wird die Sinnlichkeit sammt allen schmutzigen Leidenschaften um so mehr cul- tivirt. Starke Anlage dazu ist vorhanden, ein Gegenge- wicht fehlt. So toben denn in dem Individuum, das Ar- beitslust, Ernst und Freudigkeit, Tugend und Glauben nicht hat, die Begierden auf und ab. Mitten in einem solchen Leben des inneren Unfriedens und der äusseren Aufregungen wird der Verbrecher vom Arm der Gerech- tigkeit ergriffen; nach der Spannung während der Unter- suchungshaft folgt der Niederdruck des Urtheils, der Strafe, der Gefangenschaft. Ist es da zu verwundern, dass am Schlusse des beschriebenen Weges gar manches schwache Gehirn zusammenbricht, dass Wahnsinn auf- tritt? Bedarf es da noch einer besonderen Haftart dazu ? Der tüchtige Auburnist Mooser sagt am Schluss einer interessanten Würdigung der (2) in St. Gallen und der anderwärts vorgekommenen Wahnsinnsfälle und ihrer Ur- sachen '): „Gewiss ist, dass der Wahnsinn in den Pöniten- tiaranstalten nach beiden Systemen in verschiedenen Gestalten und Graden vorkommt, und dass seine Heil- ung eine höchst schwierige sei. Die Grundursachen zur Erzeugung des Wahnsinns liegen nicht in der Iso- lirung und nicht in dem Stillschweigen — welche beide nur Nebenursachen sind — sondern im Mangel einer vernünftigen Geistesthätigkeit (durch Arbeit)“. Nicht in der Isolirung liegt die Ursache, nicht im Zusammensein das Heilmittel, sondern in verständiger körperlicher und geistiger Beschäftigung, in Arbeit, Spa- ziergang, Unterricht, in Besuchen, in moralischer und religiöser Aufrichtung. — Sehen wir uns nun nach dem Urtheil der Irren- und der Gefängnissärzte über diese Frage um, so tritt eine höchst auffallende Einstimmigkeit der Ansichten auf. Die Arbeiten der Herren Verdeil und Gosse sind, denken wir, gerichtet 2), auch hört ‘man neuerlich nichts mehr davon. Herrn Pellis steht allerdings Coindet gegenüber. In Frankreich haben die grossen Hygienisten Villerme und Marc, haben Män- ner wie Pariset und Louis, hat der verstorbene Ir- renarzt Esquirol, dem sich später Ferrus und Be- noiston de Chateauneuf anschlossen, haben die lebenden Irrenärzte Lelut und Baillarger sich ent- schieden dafür ausgesprochen, dass in einer verständigen Vereinzelung der Gefangenen keine Ursache zu Wahn- sinn zu suchen sei. Wie entschieden ist nicht Owen Rees? In Deutschland haben Julius, Kieser und 4) Mooser, Die Pönitentiaranstalt St. Jakob, S. 114. 2) S. de l’emprisonnement individuel und Jahrb. der Ge- fängnisskunde, Bd. 1 u. 2, 224 Klose, Flemming und Damerow, Basting, Füesslin u. A. ihr bestimmtes Urtheil abgegeben. Welch’ treffliche Arbeiten hat nicht Diez geliefert? Wie schwer wiegen nicht die Worte von Holst und Faye aus Norwegen? Und wer steht diesen Stimmen gegen- über? Kann man bessere Gewährsmänner verlangen? (Ausschussber. an die gesetzgebende Versammlung, Ge- fängnissneubau betr. Berichterstatter: Dr. Varrentrapp.) Miscellen. Bildung der Hernia retroperitonealis. Aus Untersuchungen über die Bildung des Darmkanals geht nach Treitz (Hernia retroperitoneaus) Folgendes hervor: 1) „Während der Lageentwickelung des Darmkanals im Embryo findet eine fortwährende Verkleinerung der Leber statt. — Diese Verkleinerung ist jedoch nur relativ zu ver- stehen, denn absolut wird die Leber doch immer grösser, aber sie wächst nicht in dem Verhältniss als die übrigen Bauch- organe und als sich der ganze Bauchraum erweitert. 2) Die Verkleinerung der Leber ist die unmittelbare Ur- sache von der Querstellung des Magens, des Zwölffingerdarms, sowie von der Entwickelung des queren und aufsteigenden Colon. 3) Die parietale Lamelle des Bauchfells wächst nicht in gleichem Verhältniss zur Ausdelinung der Bauchhöhle. Diess gilt wegen der bereits erwälınten Grössenverhältnisse der Le- ber besonders von der miltlern und untern Zone des Bauch- raums und die Folge davon ist, dass zur Auskleidung der Bauchwände das Periloneum von den Gekrösen requirirt wird und das Colon ascendens und descendens ihre langen Gekröse einbüssen. 4) Das Colon transv. behält sein ursprüngliches Mesen- terium und macht sammt diesem und mit dem grossen Netze eine Bewegung von links nach rechts. 5) Die Flexura duod. jej. bewegt sich in Folge der Quer- stellung des ganzen Duodenum nach rechts und unten. — Diese Verschiebung des Mesocolon transversalis und die gleichzeitige Bewegung der Flexura duod. jej. sind es nun, welche die Fossa und Plica duodeno-jejunalis (in welche sich der Bruchinhalt der Hernia relroperitonealis einschiebt) unter gewissen Umständen in’s Dasein rufen.“ RöthungderBackenbei Pneumonie istnachGub- ler nichtzufällig, sondern abhängig von der Störung der Respira- tion und dem Grad des Fiebers, die begleitende Temperatur- erhöbung bezeichnet sie als active Congestion; der Seite nach entspricht sie der afficirten Lunge; am stärksten ist sie bei Entzündung der Lungenspitzen, daher so häufig bei Schwind- süchligen. Die Röthe begünstigt entzündliche Processe auf der ergriffenen Gesichtshälfte, z. B. Erysipelas. Der Verf. betrachtet sie als Reflex von den Lungennerven auf die des Gesichts und stellt sie in Vergleich mit dem Delirium bei Pneumonie der Lungenspitze, betrachtet sie also als ein Bei- spiel em sympathischer Nerventhätigkeit. (l’Union, 1857. No. 53.) Berichtigung: In No. 8 dieses Bandes darf es S. 121 Z.3 von oben nicht heissen „der nutzlose‘“ sondern „der maasslose.“, Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena. Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. BE. Band N°15. Naturkunde. E. F. Weber, Ueber willkürliche Unterbrechung des Herzschlages. (Schluss.) — Miscelle. Nekrolog. — Heilkunde. Fronmüller, Ueber Convexgläserkur gegen schwarzen Staar. (Schluss folgt.) — Miscellen. Die Amyloiddegeneration oder Cellulosebildung Virchow’s. — Moosherr, Die fettige Entartung der Hirngefässe. — Hand- field Jones, Hypertrophie der Magenschleimhaut der Greise. — Bibliographie. Naturkunde. Ueber willkürliche Unterbrechung des Herz- schlages. Von E. Fr. Weber (Leipzig). (Schluss.) Auch Kürschner*) schreibt dem Anhalten des Athmens einen beträchtlich störenden Einfluss auf die Blutbewegung zu; denn wenn er auch 8. 84 sagt: „Wir können nicht willkürlich das Herz in seiner Thätigkeit unterbrechen, obgleich behauptet wurde, dass es Men- schen mit dieser Fähigkeit gegeben habe,“ so fügt er doch eine halbe Seite weiter hinzu: „Es kann in einzel- nen Fällen durch die Respiration, namentlich durch tiefes Inspiriren, der Herzschlag für eine sehr kurze Zeit ganz unfühlbar werden, und daher mag die Behauptung ge- kommen sein, dass es Menschen gebe, welche den Herz- schlag willkürlich aussetzen lassen könnten.“ Die neuesten Beobachtungen über diesen Gegenstand sind die von Frei?), der, wie es scheint, Gelegenheit gehabt hat, die Fähigkeit, den Puls willkürlich ausblei- ben zu machen, bei einzelnen Individuen zu beobachten. Er sagt: „Ich glaube nicht, dass sich bei manchen Individuen, sowohl bei willkürlich verlängerter Ex- als Inspiration, eintretende Pulslosigkeit aus mechanischen Gründen erklären lässt, weil dabei die Herzaction nicht fortdauert, sondern erkläre mir diese Erscheinung aus der gleichzeitig nachlassenden Herzaction, besonders da bei manchen Individuen durch diese willkürliche Anstrengung bloss die Frequenz des Pulses beeinträchtigt wird, halte also diese Erscheinung für durch Nerveneinfluss ver- mittelt.‘* 4) Wagner’s Wörterbuch der Physiologie, 1844. Artikel: Herzthätigkeit. 2) Müller’s Archiv, 1845, Versuch einer Theorie der Wellenbewegung des Blutes, S. 220. Zu dieser Aeusserung von Frei machte Joh. Mül- ler folgende Anmerkung unter dem Texte: „Bei mir bleibt der Herzschlag mit anhaltender tiefer Inspiration, während der Pulsschlag der Radialis verschwindet. Die Fortpflanzung der Wellen durch die Subelavia wird durch das Heben der ersten Rippe geschwächt.“ Müller über- zeugte sich daher durch Versuche an sich selber, dass durch Anhalten des Athems im Zustande tiefer Inspira- tion weder der Herzschlag noch der Pulsschlag im All- gemeinen, sondern nur an der Arteria radialis ausbleibe, weil durch einen Druck der sich hebenden Rippe auf die Arteria subelavia nur der Blutlauf in dieser und in ihren Verzweigungen gestört werde. Aus den hier zusammengestellten Erfahrungen ande- rer Physiologen ergibt sich, dass zwar bei Gelegenheit der über den Einfluss des Athemholens auf die Beförder- ung des Kreislaufs des Blutes gemachten Versuchen von Einigen beobachtet worden sei, dass bei dem Anhalten des Athems das Ausbleiben des Pulses entstehen, und dass dasselbe daher wohl sogar willkürlich hervorge- bracht werden könne, dass aber gegen diese Versuche von andern Physiologen Widerspruch erhoben worden sei. Dieser Widerspruch liess sich nicht beseitigen, weil man die wahre Ursache der wahrgenommenen Erscheinung nicht kannte und sie irriger Weise im Anhalten des Athems suchte. Aus meinen sehr zahlreichen Versuchen ergibt sich, dass man den Alhem längere Zeit anhalten könne, ohne dass der Puls ausbleibt, und sogar, ohne dass er an Grösse und Frequenz eine merkliche Abänderung erleidet. Es kommt bei diesen Versuchen Alles darauf an, den Athem anzuhalten, ohne dass die Brust und die in ihr gelegenen Organe comprimirt werden, Da dieses sehr schwer gelingt, wenn man dabei die Stimmritze ver- schliesst, so liess ich dieselbe offen und hielt den Athem 15 227 nur dadurch an, dass ich das Zwergfell und die übrigen Wände der Brust in der Lage der Inspiration, der Ex- spiration, oder in einer mittleren Lage, in die ich sie gebracht hatte, erhielt, so dass durch die vuffene Stimm- ritze Luft weder in die Brusthöhle eintrat, noch aus ihr austrat. _Der Athem wurde stets nur ohngefähr 4 Mi- ıute, nämlich während der Dauer von 30 Pulsschlägen, angehalten, weil bei längerer Unterbrechung des Athmens die durch die Athembeschwerden entstehenden krampfhaf- ten Muskelthätigkeiten die Beobachtungen sehr gestört haben würden, und weil diese Zeit vollkommen genügt, jede Einwirkung zu beobachten, die das Anhalten des Athems unmittelbar aus mechanischen Gründen auf den Kreislauf ausübt. Die Versuche wurden in horizontaler Lage des Körpers gemacht, weil dann der Kreislauf un- gestörter und der Puls gleichmässiger ist. Das Anhalten des Athems geschah bei den verschiedensten Graden der Erfüllung der Lungen mit Luft, und also: 1) im Zustande der gewöhnlichen Inspiration , 2) im Zustande der gewöhnlichen Exspiration , 3) im Zustande der tiefsten Inspiration und 4) im Zustande der tiefsten Exspiration. Bei jeder dieser vier Reihen von Versuchen wurden hinter einander von dem einen Beobachter, meinem Bru- der, 90 Pulsschläge beobachtet und heimlich gezählt und bei jedem 10. Pulsschlage ein Zeichen gegeben. Die er- sten 30 Pulsschläge erfolgten bei ruhiger Respiration vor dem Anhalten des Athmens, die zweiten 30 Pulsschläge während des Anhaltens des Athmens und die letzten 30 Pulsschläge nach dem Anhalten des Athmens und nach wieder hergestellter ruhiger Respiration. Der andere Beobachter, Professor Hankel, notirte bei jedem 10. Pulsschlage die von ihm an einem Secun- den schlagenden Chronometer beobachtete Zeit. Ich selbst führte die Athemversuche aus. Bei sämmtlichen Versuchen wurde während der Ar- retirung des Athems durchaus keine Veränderung der Grösse und Fülle des Pulses wahrgenommen. I. Der Athem wurde im Zustande der ge- wöhnlichen Ispiration angehalten. Ablesungen der Uhr Pulsschl. 1.Vers. 2.Vers. 3. Vers. 16 15,0 220, TR 20 25,0 31,5 14,0 der Athem angehalten 30 34,0 41,0 25,0 40 44,0 51,0 35,0 50 53557 14035 46,0 der Alhem freigelassen 60 1’ 2,0 10,5 57,0 70 13,0 20,3 2x 850 30 .:23,5 30,5 18,0 90 34,0 41,0 28,0 228 Hieraus ergibt sich die Dauer von 10 Pulsschlägen vor.d. Sistirung d. Athmens 1.Vers. 2.Vers. 3. Vers. i. Mittel vom 0.— 10. Pulsschlage 9,0 10,0 11,0 10,0 „10. — 20. 'B 10,5 95 10,0 9,8 » 20.— 30. = 9,0 95 ,. 11,0 9,8 während d. Sistirung d. Athmens vom 0.— 10. Pulsschlage 10,0 10,”0 10,5 10,2 „ 10.—20. H 9,5 9,5 9,5 9,8 » 20.— 40. bg 85 10,0 "71150 9,8 nach der Sistirung des Athmens vom 0.—10.Pulsschlage 11,0 10,0 1411,”0 10,7 „ 10.—20. ” 10;5- 710,07. 10,070 » 20.— 30. ” 10,5 10,55 ° 10,0 103 Demnach betrug die Dauer von 30 Pulsschlägen 2.Vers. 3.Vers. Mittel. 29,20 "329, 297287 29,5 .. 32,0 29,83 30,5 31,0 30,16 im 1.Vers. vor d.Sistirung d. Athmens 28,0 während .d.Sistirg.d. Athm. 28,0 nach d. Sistirungd. Athmens 32,0 Da aus dieser ersten Versuchsreihe die Methode der Beobachtung vollkommen einleuchtet, so lasse ich bei den folgenden Reihen die unmittelbaren Ablesungen der Zeit weg und gebe hier nur die Reihenfolgen der daraus be- rechneten Zeiträume von 10 zu 10 Pulsschlägen und die von 30 zu 30 Pulsschlägen. U. Der Athem im Zustande der gewöhnlichen Exspiration angehalten. Dauer von 10 Pulsschlägen vor der Sistirung d. Athmens 1.Vers. 2.Vers. 3.Vers. Mittel vom 0.—10.Pulsschlage 8,5 9,0 10,”0 9,4 „ 10.— 20. a 9,0 10,0 11,0 10,0 » 20.—30. X 9.0 10,0 10,0 9,0 während d. Sistirung d. Athmens vom 0.—10.Pulsschlage 10,0 10,0 11,0 10,3 „ 10.— 20. an 8,5 9,5 11,0 ,.-9% ».20.— 30. % 10,0 9,5 11,0 10,2 nach d. Sistirung d. Athmens vom 0.—10.Pulsschlage 9,0 10,0 10,0 9,7 „ 10.—20. en 10,0 10,0 10,0 10,3 » 20.— 30. 4 10,0 10,0 11,0 10,3 Dauer von 30 Pulsschlägen 1.Vers. 2.Vers. 3.Vers. Mittel vord.Sistirung d. Athmens 26,5 29,” 31,0 28,8 während d. Sistirg. d. Athm. 28,5 29,0. 33,0. 30,2 nach d. Sistirung d. Athm. 29,9 31,0 31.0 30,0 229 230 II. Der Athem im Zustande der tiefsten Inspiration angehalten. Dauer von 10 Pulsschlägen vor der Sistirung des Athmens 1.Vers. 2.Vers. 3.Vers. 4.Vers. 5.Vers. Mittel vom 0.— 10. Pulsschlage 9,0 10,0 10,0 110 10,5 10,41 » 10.— 20. 4 8,0 10,5 10,0 11,5 10,5 10,1 ».20.— 30. 53 9,0 9,5 10,5 10,5 10,0 10,1 während der Sistirung des Athmens vom 0.— 10. Pulsschlage 9,0 11,0 10,0 11,0 10,5 10.3 „ 10.— 20. 5 9,0 12,0 10,5 11,0 11,5 10,8 ».20.— 30. BR 9,5 10,5 11,0 10,0 11,0 10,4 nach der Sistirung des Athmens vom 0.— 10. Pulsschlage 9,5 9,5 9,0 10,5 10,0 9,6 „10.— 20. er 9,0 9,5 10,0 10,5 11,0 10,0 29. — 30. „ 9.0 9,5 10,0 10,0 11,0 9,9 Dauer von 30 Pulsschlägen 1.Vers. 2.Vers. 3.Vers. 4.Vers. 5.Vers. Mittel vor der Sistirung des Athmens 26,2002.,80,77077,305.:5073352010932,20.9730:43 während der Sistirung des Athmens 27,5 33 31,5 32,0 33,0 31,5 nach der Sistirung des Athmens 27,5 28,5 29,0 31,0 32,0 29,5 IV. Der Athem im Zustande der tiefsten Ex- spiration angehalten. Dauer von 10 Pulsschlägen vor d. Sistirung d. Athmens 1.Vers. 2.Vers. 3.Vers. Mittel vom 0.—10.Pulsschlage 9,5 10,”0 11,”0 10,17 „ 10.—20. N 95 100 11,5 10,33 » 20.— 30. $ 90 105 10,5 10,0 während d. Sistirung d. Athmens vom 0.—10.Pulsschlage 9,0 10,5 11,0 10,17 „» 10.—20. h3 9,0 ;..10,0 .11,0 10,0 20.30. 5 9.0, 10,0557710,.057579567 nach d. Sistirung. d. Athmens vom 0.—10.Pulsschlage 8,0 10,5 10,5 9,67 „ 10.—20. en 10,0 10,0 10,5 10,33 20.30. . 10,0 10,0 10,0 10,0 Dauer von 30 Pulsschlägen 1.Vers. 2.Vers. 3.Vers. Mittel vor d. Sistirung d. Athmens 28,5 30,5 33,0 30,5 während d.Sistirg. d. Athm. 27,0 30,5 32,0 29,8 nach d.Sistirungd. Athmens 28,0 31,0 31,0 30,0 Stellen wir nun das mittlere Resultat von allen vier Beobachtungsreihen zusammen, so ergibt sich: die Dauer von 30 Pulsschlägen im Mittel aller Versuche vor während nach d. Arretirung d. Athm. im Zustande der gewöhnl. Inspiration 29,7 29,8 3,2 2m n » Exspiration 28,8 30,2 30,0 Bohn „ tiefsten Inspiration 30,5 31,5 29,5 mo» » 3» Exspiration 30,5 29,8 30,0 Aus diesem Endresultate ergibt sich, wenn man die Zeit vor und während der Sistirung des Athmens ver- gleicht, dass die Frequenz des Pulses, wenn der Athem im Zustande der gewöhnlichen Inspiration und in dem der grössten Exspiration angehalten worden war, dadurch gar nicht geändert wurde. Beim Anhalten des Athmens im Zustande der gewöhnlichen Exspiration sowohl als bei tiefster Inspiration hat sich zwar eine geringe Verlang- samung desselben, um 1 Sec. auf 30 Pulsschläge, im Mittel herausgestellt, die aber, auch abgesehen von ihrer Geringfügigkeit, nur von zufälligen Nebeneinflüssen her- zurühren scheint, denn beim Anhalten des Athmens im Zustande der gewöhnlichen Exspiration hatte sich zufolge anderer Versuchsreihen gar keine Verlangsamung heraus- gestellt; beim Anhalten des Athmens im Zustande tief- ster Inspiration aber differiren die Resultate der einzel- nen Versuche stets so sehr, indem sie bald eine geringe Verlangsamung ergeben, bald nicht, dass sich schon da- durch die Mitwirkung zufälliger Nebeneinflüsse verräth. In diesem Zustande ist nämlich das Bestreben auszuath- men so gross, dass es fast unmöglich ist, mit Sicherheit und in allen Versuchen den Brustkasten von der compri- mirenden Einwirkung der Muskeln vollkommen frei zu halten. Es ergibt sich sonach aus diesen Versuchen, dass das Anhalten des Athmens, bei welcher Füllung der Lun- gen mit Luft sie auch geschehe, während der ersten hal- ben Minute keine merkliche Einwirkung auf den Kreis- lauf, so weit sich derselbe durch den Puls beobachten lässt, äussere. Ob die Unterbrechung des Athmens nach längerer Zeit secundär durch den allmälig eintretenden 15* 231 Mangel des Sauerstoffes im Blute einen störenden Einfluss auf den Kreislauf ausübe, ist eine andere Frage: keines- falls kann aber derselbe, da er sich während der ersten halben Minute noch gar nicht kundgibt, in der kurzen Zeit, während welcher man den Athem willkürlich anzuhalten vermag, sehr beträchtlich werden. Wenn nun viele frühere Beobachter zu dem entge- gengesetzten Resultate geführt worden sind, so erklärt sich dieses aus der zu Anfang milgetheilten Thatsache, dass zwar nicht durch das blosse Anhalten des Athmens, wohl aber durch Compression der Brusthöhle bei ver- schlossenen Luftwegen der Kreislauf gestört und sogar ganz unterbrochen wird. Man hat nämlich bei den frü- heren Versuchen in der Regel die Wirkung der Unter- brechung der Athembewegung nicht rein für sich beob- achtet, sondern unwillkürlich zugleich bald mehr bald weniger die Brust comprimirt und hat, da man auf die- sen Einfluss nicht aufmerksam gewesen ist, die Wirkung des letzteren auf Rechnung des angehaltenen Athems ge- setzt. Es ist dies sehr erklärlich, weil, wenn die Luft- wege verschlossen sind, in der That schon das geringste Zusammendrücken der Brusthöhle ausreicht, auf den Puls und die Herzbewegungen einen sehr beträchtlichen Ein- fluss auszuüben, so dass schon ein mässiges Bestreben zum Ausathmen bei verschlossener Stimmritze sogleich Herzschlag und Herztöne verschwinden, den Puls aber wenigstens klein und seltener macht. Der ursächliche Zusammenhang nun, warum gerade die Zusammendrückung der Brust, wenn auch nur durch ihre eigenen Exspirationsmuskeln, auf das Herz und die ganze Blutbewegung einen so mächtigen Einfluss ausübt, ist folgender: Wird die Brusthöhle nach Verschliessung des Kehlkopfes durch die Exspiralionsmuskeln verengert, so wird die in den Lungen und Bronchien enthaltene Luft, da sie nicht entweichen kann, auf einen kleineren Raum zusammengedrückt und übt ihrerseits, vermöge ihrer Ela- stieität wieder einen gleichförmigen Druck auf alle in der Brusthöhle gelegenen Theile, also nicht nur auf das Lun- gengewebe selbst, sondern auch auf das Herz und die grossen Gefässstäimme aus. Da nun das Blut aus den Körpervenen nur vermöge des Druckes, unter dem es sich in denselben befindet, nach dem entleerten und wie- der erschlaflten Herzen hinströmt, so muss, wenn auf das Herz und die Hohlvenen ein Gegendruck ausgeübt wird, wie bei der Compression der Luft in der Brust- höhle der Fall ist, die Kraft des Stroms sich vermin- dern. Wird der Druck auf das Herz aber so gross, dass er dem Drucke des Blutes in den Venen am Halse und im Unterleibe das Gleichgewicht hält, oder sogar noch grösser als dieser, so kann gar kein Blut in das Herz und die in der Brusthöhle gelegenen Hohlvenen mehr einströmen. Die geringe Menge Blutes, welche sich in- nerhalb der Brusthöhle in den Hohlvenen im Herzen, in den Venen und Arterien der Lunge befindet, wird durch die zunächst folgenden Zusammenziehungen des Herzens vollends in die Aorta getrieben, worauf dann auch kein 232 Blut mehr aus dem Herzen in die Aorta ausströmen kann. Bei einer sehr starken Compression der Brusthöhle wird daher, weil der Zufluss des Blutes durch die Hohl- venen zum Herzen abgeschnitten ist, der Puls augen- blicklich sehr klein, dauert aber so lange, als das in der Brusthöhle befindliche Blut durch das Herz in die Aorta entleert ist, noch fort. Wenn dies meist nach 3 bis 5 Schlägen, die immer schwächer und seltener werden, ge- schehen ist, bleibt, weil aus dem nun leeren Herzen kein Blut mehr in die Aorta gelangt, der Puls ganz aus und kehrt erst wieder, wenn die Compression der Brust- höhle aufgehört oder nachgelassen hat. Das Herz, durch welches jetzt kein Blut mehr hin- durchgeht, ist sonach als Pumpwerk des Kreislaufs gänz- lich ausser Wirksamkeit gesetzt, und da ausser dem Puls auch der Herzschlag und die Herzgeräusche verschwinden, so fehlen jegliche Zeichen, durch welche sich . Bewegun- gen des Herzens nach aussen manifestirten, so dass die Frage entsteht, ob nicht das Herz wirklich völlig still- stehe. Das Ausbleiben jener äusseren Zeichen der Herz- bewegungen ist aber kein Beweis für den völligen Still- stand des Herzens, denn der Pulsschlag muss unabhän- gig von den Bewegungen des Herzens verschwinden, wie wir sahen, schon bei einer solchen Schwächung des Blut- stroms, bei welcher sich die Thätigkeit des Herzens noch durch den Pulsschlag verräth, woraus hervorgeht, dass sie nicht von der letzteren allein, sondern zugleich von der Masse des durch das Herz hindurchgehenden Blutes abhängen; die Muskelkraft des Herzens wirkt nämlich unmittelbar nur nach innen und kann daher, wenn ihr hier die Blutmasse keinen Widerstand entgegengesetzt, der ihr eine andere Richtung ertheilt, auch keine Wirk- ung nach aussen ausüben. Die sich zusammenziehenden Muskelbündel können daher zwar die inneren Wände des Herzens gegen einander drücken und verschieben, was aber keine Einwirkung nach aussen durch die Brustwände hindurch äussert. Aus anderen Gründen, als den vorliegenden, ist die Frage, ob das Herz, wenn es, wie in unserem Versuche der Fall ist, von Blut entleert ist, stille stehe, früher von Haller angeregt worden. Er glaubte, dass beim Herzen der Anlass zur Zusammenziehung seiner Muskel- fasern vom Blute unmittelbar und ohne Vermittelung der Nerven ausgehe, deshalb periodisch wie dessen Füllung mit Blut erfolge und ganz aufhöre, wenn kein Blut in das Herz gelange. Er glaubte diesen Satz durch einen Versuch bewiesen zu haben, den er für einen Fundamen- talversuch seiner Irritabilitätslehre hielt. Er. beobachtete nämlich, dass, wenn der Zufluss des Blutes zur rechten Herzhälfte dadurch verhindert wird, dass man beide Hohl- venen unterbindet, die ganze Herzhälfte fortfährt zu pul- siren, sobald nur in ihren Höhlen Blut enthalten ist. Entfernt man aber vor der Unterbindung jener Ve- nen aus ihnen und aus der Herzhälfte das Blut so voll- ständig, als man kann, und hindert dann den Eintritt neuen Bluts in diese Theile, so fällt, wie Haller sich 233 ausdrückt, das rechte Atrium wie vom Blitze getroffen zusammen und zeigt keine Spur von Bewegung mehr. Der rechte Ventrikel, fügt er hinzu, wird zwar nicht so ganz bewegungslos. Es scheint dieses indessen daher zu rühren, dass es nicht so leicht gelingt, ihn ganz vom Blute zu entleeren. Auch zieht ihn der fortpulsirende linke Ventrikel in eine Gemeinschaft der Bewegung. Die Versuche von Haller sind aber wegen ihres unvollkommenen Resultates nicht entscheidend; denn er sagt selbst, dass nicht die ganze rechte Herzhälfte, un- geachtet sie von Blut entleert war, sondern nur das rechte Atrium wirklich bewegungslos geworden sei. Da nun zugleich ausserdem die linke Herzhälfte ungestört fortschlug und seine Bewegungen der anderen Herzhälfte mittheilte, so war es sehr schwer, zu beurtheilen, ob das rechte Herz, zumal da es bewegt war, nur durch das linke oder auch durch seine eigenen Fasern bewegt werde. Ich habe daher bei Fröschen, bei deren einfachem Her- zen dieser Uebelstand wegfällt, und bei denen auch die Beobachtung länger fortgesetzt werden kann, den Haller’- schen Versuch wiederholt, das Herz stand aber nicht still, ungeachtet seine Venen zugebunden worden waren. Auch ist es ja bekannt, dass das Froschherz nicht allein blutleer, sondern sogar herausgeschnilten sehr lange Zeit zu schlagen noch fortfährt. Aber nicht bloss das Herz ist ausser Wirksamkeit gesetzt, sondern auch der Kreislauf des Blutes ist längs einem beträchtlichen Theile der Gefässsysteme, näm- lich vom Eintritte der beiden Venae cavae in die Brust- höhle bis zur Aorta hin, völlig unterbrochen und zum Stillstande gebracht. Da nun diese Unterbrechung das Gefässsystem in seinem ganzen Querschnitte trifit, so müsste das Blut des Gefässsystems in den Arterien, Haar- gefässen und Venen des Körpers, so wie auch in dem übrigen Theile des Gefässsystems stillstehen, wenn nicht von früher her die Blutmasse ungleich vertheilt wäre und daher in den Arterien unter einem beträchtlich höheren Drucke, als in den Venen, stände. Vermöge dieses Druckes strömt das Blut auch ferner noch, bis es sich ausgeglichen hat, aus den Arterien durch das Haarge- fässnetz in die Venen hinüber, häuft sich in diesen an und dehnt sie beträchtlich aus. Hat der Druck des Blu- tes in den Arterien so weit ab-, in den Venen so weit zugenommen, dass er in beiden sich gleich geworden ist, so muss das Blut auch hier völlig still stehen. Es möchte aber nicht gerathen sein, den Versuch bis dahin zu trei- ben, weil dann sehr leicht der Kreislauf gar nicht zu- rückkehren möchte. Schon nach sehr kurzer Frist tre- ten sehr bedenkliche Erscheinungen als Wirkung der Un- terbrechung des Kreislaufes ein; denn als ich einmal die Zusammendrückung der Brust unabsichtlich etwas länger als gewöhnlich, gewiss aber noch keine Minute fortge- setzt hatte, wurde ich ohnmächtig. Während dieses be- wusstlosen Zustandes waren von den Umstehenden in meinem Gesichte schwache convulsivische Bewegungen be- merkt worden, und als mir die Besinnung zurückkehrte, 234 war das Gedächtniss des Vorgefallenen so gänzlich ver- schwunden, dass ich, ungeachtet mein Puls wieder wie vorher laut gezählt wurde, mich in den ersten Augen- blicken nicht erinnern konnte, wo ich war und was um mich vorging. Da ich bei diesem Versuche, wie ich mich später erinnerte, die Compression der Brust gleich aufhob, als ich die ersten Spuren dieser Wirkungen wahrnahm, so ist es wahrscheinlich, dass bei noch län- gerer Fortsetzung der Zusammendrückung noch schlim- mere Folgen eintreten würden, die vielleicht selbst das Leben bedrohen könnten, und es ist daher auch zu ver- muthen, dass, wenn überhaupt den anfänglich mitge- theilten Erzählungen Glauben beizumessen ist, das Mittel, wodurch jene Personen den Tod herbeigeführt haben, nicht das blosse Anhalten des Athems, sondern die Zu- sammendrückung der Organe in der Brusthöhle gewe- sen sei. Die mitgetheilten Thatsachen haben auch manches In- teresse für die praktische Medicin, indem sich daraus der ursächliche Zusammenhang mancher Krankheitserschein- ungen erklären lässt. Da bei der Ohnmacht die Herzthätigkeit so vermin- dert ist, dass der Puls kaum gefühlt wird und bei sehr tiefer Ohnmacht vielleicht ganz verschwindet, und da um- gekehrt durch die auf obige Weise willkürlich erzeugte Unterbrechung der Herzfunktion selbst beim kräftigsten Menschen gleich Ohnmacht herbeigeführt wird, so darf man wohl schliessen, dass im ersteren wie im letzteren Falle die Erscheinungen der Ohnmacht zunächst von der verminderten Herzthätigkeit abhängen. Die Zusammendrückung der Luft in der Brusthöhle durch die Exspirationsmuskeln und die sogenannte Bauch- presse kommt aber auch selbst bei vielen Verrichtungen des Körpers, z. B. beim Brechen, Husten, Niesen, bei der Darmausleerung und bei der Geburt in Anwendung, bei ersteren zwar mit häufigen Unterbrechungen, bei letzteren dagegen oft längere Zeit ohne alle Unterbrech- ung. Auch nimmt man sehr leicht bei gewaltsamem Pres- sen auf den Mastdarm die Abnahme und selbst das völ- lige Ausbleiben des Pulses wahr. Man darf sich daher nicht wundern, wenn sich unter diesen Verhältnissen Wirkungen der Unterbrechung des Blutkreislaufes zeigen. Auch die Congestionen, die durch heftiges Brechen und Würgen, durch langdauernden Husten, besonders beim Keuchhusten, nach dem Kopfe entstehen, finden in den häufig auf einander folgenden Zusammendrückungen der Brust und der dadurch entstehenden Hemmung des Kreis- laufes, bei welcher das Blut in den Venen zurückstauet, ihre Erklärung. (Verhandl. d. königl. sächs. Gesellsch. d. Wissenschaft. zu Leipz. Jahrgg. 1849.) Miscelle. Nekrolog. Am 15. August starb in Ziebigk bei Köthen der verdiente Ornitholog Professor Dr. Johann Friedrich Naumann, geboren daselbst am 14. Februar 1780. 236 Heilkunde. Die Convexgläserkur gegen schwarzen Staar. Von Dr. Fronmüller (Fürth) *). Die Kur besteht in der Auswahl des Convexglases, in den systematischen Leseübungen und in einer angemes- senen Nachkur. a) Zuerst wird die äusserste Grenze des leidenden Sehvermögens aufgesucht und danach die zuvörderst an- zuwendende Convexglas - Nummer bestimmt. Als Regel gilt es, dass dasjenige Glas gewählt wird, mit dessen Hülfe Patient noch zur Noth grosse Druckschrift zu ent- ziffern vermag. Zu diesem Behufe muss man, wie zur ganzen Kur überhaupt, die. Suite der gebräuchlichen Kon- vexgläser, von der stärksten Wölbung Nr. 1 bis zum Planglase Nr. 100 bereit halten. Zum speciellen Ge- brauche setzt man die Gläser, die zur gehörigen Licht- aufnahme gross, rund und rein, aus bestem Krownglas gearbeitet sein müssen, in ein Brillengestell, dessen zur Aufnahme des Glases bestimmter, mit einem Falze ver- sehener Augentheil nach Umständen geöffnet und geschlos- sen werden kann, so dass man die Gläser nach Belieben sofort wechseln kann. Ist, wie gewöhnlich, nur das eine Auge leidend, so verbindet man das gesunde Auge; sind, was selten vorkommt, beide Augen gleich schwach, so werden auch die Sehversuche mit beiden Augen gleich- zeitig gemacht. Sind beide Augen leidend, aber von ver- schiedener Sehweite, so hängt von individuellen Verhält- nissen, namentlich von dem Grade der Reizbarkeit des einzelnen Auges, die Bestimmung ab, mit welchem Auge die Kur zuerst unternommen werden soll. — Die Brenn- weite des erst anzuwendenden Glases variirt natürlich sehr. So begann ich die Kur bei den im Anhange aufgeführten speciellen Beobachtungen im ersten Falle mit Nr. 8 kon- vex **), im zweiten mit Nr. 3, im dritten mit Nr. 14, im vierten mit Nr. 11, im fünften mit Nr. 2, im sechsten mit Nr. 2 oder 3, im siebenten mit Nr. 30, im achten mit Nr. 10, im neunten mit Nr. 4, im zehnten mit Nr. 1. ist das passende Glas aufgefunden, so beginnen b) die systematischen Leseübungen, bei denen als Grundsatz gilt, dass der Zunahme der Retinalthätigkeit und des Anpassungsvermögens entsprechend von den stär- keren Nummern der Konvexgläser zu den schwächeren übergegangen und so das Auge zu dem normalen Sach- verhältnisse hingeleitet wird. Diese Uebungen, die öfters zuerst mit den grössten Lettern begonnen werden müs- a) == Die Convexgläserkur zur Heilung gewisser For- men des schwarzen Staares von Dr. Fronmülter. 8. Nürn- berg, J. L. Schmid, 1857. **, Zur Bestimmung der Brennweite der Gläser ist im Allgemeinen das französische Zollmaass zu Grunde gelegt. Die stärkste Konvexnummer ist Nr. 1 mit einem Zoll Brenn- weite, die zweite Nr. 1%, m.t 1Y/, Zoll Brennweite und so fort. Nummer 90 repräsentirt das schwächste gangbare Konvexglas; Nr. 100 ist gleich 0 und repräsentirt das Planglas. sen, sollen zweimal täglich, anfangs 5 Minuten lang, nach und nach immer länger angestellt werden. In der ersten Zeit muss hierzu eine möglichst gute Beleuchtung gewählt werden. Eine allgemein gültige Regel kann hie- für natürlich nicht angegeben werden, da die Kur nach den individuellen Verhältnissen des Kranken, namentlich nach dem Grade der Retinal- Reizbarkeit seiner Augen modificirt werden muss. Treten entzündliche Symptome, drückende oder stechende Augenschmerzen, 'Thränenlaufen ein (einmal sah ich jedesmal nach den Uebungen des amaurotischen Auges Schmerzen im gesunden Auge ent- stehen), so werden kalte Umschläge gemacht, ableitende Mittel gegeben, die Kur Tage oder Wochen lang ausge- setzt. Gewöhnlich wurde die Kur sehr gut vertragen. Die Dauer der Kur ist sehr verschieden. Im Allgemei- nen ist anzunehmen, dass dieselbe um so länger währt, je konvexer das Glas war, womit begonnen werden musste. So war die Dauer einer Kur von 35 konvex an bis zur Lektüre mit blossem Auge 19 Tage, von Nr. 30 konvex bis zum normalen Sehen 73 Tage, während von Nr. 3 konvex bis zur Norm 116 Tage verwendet werden muss- ten. Die meiste Zeit nahmen besonders die Uebungen mit den ganz scharfen Linsengläsern weg; es gehört mo- ralische Kraft und Ausdauer von Seiten des Patienten dazu, um die ersten Schwierigkeiten der Kur zu über- winden, Buchstaben für Buchstaben zu entziffern und gleich einem kleinen Kinde die Sylben zusammenzusetzen. Fängt aber einmal das Lesen an geläufiger zu werden, wächst von Tag zu Tag die Helle des Auges, dann wächst auch der Muth des Kranken, sein verdoppelter Eifer für die Augen-Exercitien muss eher gezügelt als be- fördert werden. Diess Alles ist höchst individuell. Wäh- rend z. B. ein Kranker 19 Tage brauchte, um von Nr. 3 zu Nr. 4 zu gelangen, so konnte ein anderer bereits nach 2 Tagen von Nr. 9 zu Nr. 24 übergehen. Während der eine 7 Tage nöthig hatte von Nr. 11 bis 24, brauchte der andere 20 Tage von Nr. 10 bis 16. Eigenthümlich sind auch die Kapricen des kranken Sehvermögens selbst; wenn es mitunter wochenlang von einer Nummer nicht weiter kann, so macht es bald darauf Sprünge über 2® und mehr Nummern hinaus, um sich wieder längere Zeit bei einer andern Nummer aufzuhalten. Bei dem ungleich- mässigen Vorrücken der Augenkraft darf es nicht auffal- len, dass es oft nicht nöthig ist, von der einzelnen Num- mer zur nächsten zu rücken, sondern dass häufig 10 und mehr Nummern übersprungen werden können. Ge- wöhnlich erfolgt das Vorrücken in den Reihen der schwä- cheren Nummern rasch und sprungweise, wie auch über- haupt von Nr. 50 konvex an nur Nr. 50, 60, 70, 80 und 90 in den Brillen -Etuis vorräthig gehalten werden. c) Hat man mit den Leseübungen das erwünschte Ziel erreicht, ist die Sehkraft auf dem leidenden Auge wieder so weit hergestellt, dass der Kranke nun gewöhn- 237 liche Druckschrift ohne Brille zu lesen vermag, oder ist er bei einer Nummer angekommen, über welche er nicht mehr hinaus kann, dann ist eine entsprechende Nachkur noch für längere Zeit zu instituiren. Sie hat einen dop- pelten Zweck. Sie soll das gewonnene Resultat für die Zukunft sichern, indem sonst manchmal das Auge, wenn auch nicht in seinen alten Zustand zurückversinken, doch wieder schwächer werden könnte; es sind deshalb noch lange Zeit die Uebungen ohne Brille oder mit der Num- mer fortzusetzen, bei der man mit der Kur stehen blei- ben musste. Ein weiterer Zweck der Nachkur ist es, die Harmonie des Sehens für beide Augen zu ermitteln. Das gesunde und erst geheilte Auge muss zusammengewöhnt wer- den, damit beide Augen das Sehgeschäft nun gemeinschaftlich ausüben. Zu diesem Behufe kann man zuerst ein stark tingirtes blaues Glas vor das gesunde Auge bei den Ue- bungen in die Brille befestigen. Nach und nach kann man eine immer hellere Färbung wählen, bis die Augen gleichmässig zusammenfungiren. Man erzielt hiemit, dass das gute Auge beim Sehen nicht zu sehr präponderirt, ohne deshalb zu gänzlicher Unthätigkeit verurtheilt zu sein. Pharmaceutische Mittel sind im Allgemeinen von dieser Kur ausgeschlossen ; doch können besondere Fälle von grosser Torpidität der Retina eine Mitwirkung bele- bender Mittel in Salben- und Dunstform, nach Umständen die Augendouche wünschenswerth machen. Einen fast sicheren Erfolg verspricht die Convex- gläserkur 1) zunächst bei der torpiden Amblyopie oder Amau- rose (mehr oder weniger vollständige Aufhebung des Ge- sichtes in Folge von theilweiser Retinalparalyse mit Ab- wesenheit aller Reaktionserscheinungen), wenn nur noch so viel Sehkraft vorhanden ist, dass der Kranke Buch- staben grössten Kalibers zu entziffern im Stande ist. Diese Formen der Amblyopie bestehen ihrem Umfange nach; a) aus solchen, die sich als Folge des Schielens *) des einen Auges herausstellen. Das schielende Auge ist wegen seiner excentrischen Richtung bei dem Sehgeschälte entweder gar nicht betheiligt oder es erzeugt störende Doppelbilder. Während das gesunde Auge seiner Arbeit vorsteht, schweift ersteres theilnamslos und unthätig zur Seite, obschon die dioptrischen Bedingungen zum Sehen für dasselbe gegeben sind. Es bedarf hier der gehörigen Axenrichtung und des specifischen Reizes zur Anregung *) Das Schielen nach aussen ist gewöhnlich mit tieferen Relinalstörungen verbunden, als das nach innen. Nach Ruete (in Wagner’s Handwörterbuch der Physiologie, Band. 3. 8. 260) scheint hier der Umstand von Wichtigkeit zu sein, dass der äussere gerade Muskel mit zwei Köpfen entspringt, die sich in einem concaven Bogen vereinigen und eine Oeflnung umgeben, durch welche in einem Bündel der N. oculomot., trochlearis, abducens, ramus ophth. trigemini und einige Zweige des Sympathieus in die Orbita übergehen. Der Druck dieses widernafürlich angespannten Muskels auf diese Nerven mag hier eine besondere Rolle spielen. 238 der Thätigkeit. Beides vermittelt die Convexgläserkur theils durch Verbindung des gesunden Auges theils durch die den Umständen angemessene Lichtzuleitung. Hier kann nicht allein die Sehkraft des leidenden Auges, es kann auch die normale Richtung des Augapfels eine Cor- rektion in der Neigung der Sehaxen, hergestellt werden, vorausgesetzt, dass nicht eine förmliche Lähmung der betreffenden Augenmuskeln besteht; b) gehören hierher diejenigen Amblyopieen, welche sich in Folge von mehr oder minder bedentenden Horn- hauttrübungen gebildet haben, die ihre Entstehung wie- der Ophthalmia neonatorum, der variolösen oder trauma- tischen oder skrofulösen Augenentzündung verdanken. Wegen Hemmung des nöthigen Lichteintrittes wird der optische Augenapparat zur Unthätigkeit verurtheilt, die manchmal auch dann, wenigstens theilweise, zurückbleibt, wenn die ursächliche Trübung der Hornhaut durch Ver- mittelung von Natur oder Kunst ganz oder zum Theil verschwunden ist. Da bedarf es nun einer kräftigen An- regung, um die Retinalthätigkeit wieder ins Geleise zu bringen und hiezu ist die Convexgläserkur von unschätz- barem Werthe. Ein leichter Nebelfleck der Hornhaut genirt nicht; es kann sogar, wenn das aflieirte Auge in normale Thätigkeit versetzt wird, seine Resorption hie- durch sehr erleichtert werden. — Auch bei den Compli- cationen von leichten Hornhanttrübungen mit - Auswärts- schielen, die auf derselben Grundursache beruhen, ist die Kur indieirt; c) bei Personen, welche lange Zeit im Dunkeln le- ben mussten, bleibt ebenfalls öfters eine Amblyopia ex anopsia (Retinalanästhesie mehrerer Schriftsteller) zurück; bei Individuen, die theils in Folge ihres Berufes, theils aus Angewöhnung überhaupt, theils wegen Ungleichheit der Sehweite ihrer Augen, immer nur die Kraft des einen Auges in Anspruch nehmen, tritt das gleiche Uebel im vernachlässigten Auge auf. Bei diesen Formen, wo ein materielles Krankheitssubstrat nicht gegeben ist, bietet die Convexgläserkur den sichersten und wohl auch rasche- sten Erfolg dar. Ein anderes Mittel wird es nie zu er- setzen vermögen. 2) Geeignet ist die Kur ferner für die idiopathische Form der Mydriasis, nämlich bei derjenigen krankhaften Erweiterung und mehr oder minder stark entwickelten Bewegungslosigkeit der Pupille, wobei weder Sehnerv noch Retina materiell ergriffen sind, und welche von ei- nem chronischen lähmungsartigen Zustande des Nervus oculomotorius abzuhängen scheint. Von der Integrität der Nervenhaut überzeugt man sich am besten theils durch den Augenspiegel, theils indem man mittelst eines Kartenblaitloches eine künstliche Pupille vor dem Auge bildet und der Kranke durch dasselbe sieht. 3) Eine günstige Wirkung ist weiter zu erwarten in den leichteren Fällen der sogenannten Cataracta spuria, wo nach exudativer Iritis das Sehgeschäft durch leichte. ganz dünne Exudatschichten behindert wird, welche sich vom Uvealrande zur vorderen Kapselwand hinziehen. Na- 239 türlich muss alle entzündliche Disposition erloschen sein. Durch die Anregung des leidenden Auges zu seiner spe- cifischen Thätigkeit scheint eine theilweise oder gänzliche Resorption der Regenbogenhautausschwitzungen vermittelt werden zu können. 4) Es kommen mitunter Fälle von beginnender Lin- sentrübung vor, wo die Nervenhaut alsbald in einen tor- piden lähmungsartigen Zustand verfällt, wo die Störung des Sehvermögens viel bedeutender ist, als die materielle Trübung der Linse es bedingt. Auch da kann unter be- günstigenden Nebenumständen die Brillengläserkur nicht allein das Gesicht bessern, sondern vielleicht auch durch Hebung des Nervenlebens im Auge überhaupt die Re- sorption der kataraktösen Trübung befördern. Dies ist jedoch noch eine Vermuthung, welche ihre Bestätigung durch die Erfahrung erwartet. Contraindicirt ist die Kur durch Gefässerethismus im Allgemeinen, insbesondere durch Augen- und Kopfeon- gestionen, durch entzündliche Processe im Innern des Auges, mögen sie akuter oder chronischer Natur sein. Aeusserliche Augenentzündungen, an den Lidern vorkom- mend, bilden nur dann Gegenanzeige, wenn mit ihnen ein Reizungszustand des inneren Auges verbunden ist. — Ergibt endlich die Untersuchung mit dem Augenspiegel, dass der Beschränkung des Sehvermögens bedeutendere organische Veränderungen in der Tiefe des Auges zu Grunde liegen, dann ist natürlich an die Kur nicht zu denken. (Schluss folgt.) Miscellen. Die Amyloiddegeneration oder Cellulose- bildung Virchow’s ist eine Umwandlung der organischen Gewebe des menschlichen Körpers zu einer hinsichtlich ihrer chemischen Eigenschaften der Pfanzencellulose sehr verwand- ten Substanz, die Virchow u. A. in der Leber, Milz, Nie- 240 ren, Knorpeln, Lumbaldrüsen, hauptsächlich in Verbindung mit Knochenleiden, besonders aber im Nervensystem, im Exandyme der Ventrikel an zahlreichen Punkten der atrophi- renden Nervensubstanz des Gehirns und Rückenmarks geflun- den haben und die sich, nach Virchow, von der Cholestea- rine (Meckel) hauptsächlich durch die Jod- und Schwefel- säurereaction unterscheidet. Während nämlich die cellulose- ähnliche oder amyloide Substanz überall schon durch Jod ohne weitern Zusatz eine bläuliche oder gelbrothe Fär- bung annimmt, entsteht diese Färbung bei der Cholestearine erst durch Zusatz von Schwefelsäure. Während letztere die Corpora amylacea olıne Farbenveränderung zerstört, werden die Cholestearinekrystalle durch dieselbe in braune Tropfen verwandelt. Die eigentliche Bedeutung dieser Körperchen ist noch räthselhaft. (Virchow’s Archiv VILL.) Die fettige Entartung der Hirngefässe hat Dr. Moosherr nach seiner Inaug.-Dissert. (Ueber d. patholog. Verhalten d. kleineren Hirngefässe. Würzburg, 1854) in 28 Fällen bei jedem Alter und verschiedensten Krankheilszustande angetroffen. Anfangs sieht man glänzende, unregelmässig ver- theilte Fettpünktchen, die sich gruppenweis häufen und end- lich das Gewebe zerstören. Bei leltiger Degeneration treten die verschiedenen Gewebslagen mit ihren Kernen durchEssig- säure nicht mehr deutlich hervor und es leidet nun die Form des Gelässes; dasselbe bekömmt Erweiterungen und Ausbucht- ungen. Die fellige Degeneration beginnt in der Tunica me- dia, selten in der intima und adventitia und hier immer un- vollständig. Die Gefässe der Marksubstanz leiden häufiger als die der grauen Substanz. Hypertrophie der Magenschleimhaut der Greise besteht nach Handfield Jones in einer Wucher- ung der solitären und lenticulären Drüsen, die sich unter pa- thologischen Verhältnissen in weit beträchtlicherer Zahl und Grösse im normalen Zustande vorfinden und dann einen der Sclerose, der Lungencirrhose, der Bright’schen Krankheit und der Lebercirrhose analogen Zustand im Magen darstellen. Sie sollen alsdann durch Druck eine Verödung der Labdrüsen darstellen und können bei grösserer Ausbildung dieses Zu- standes zu einer gänzlichen Destruction der drüsigen Struk- tur der Schleimhaut führen. Nach dem Verf. zeigt sich der Zustand meist unler der Form einer Degenerationsatrophie, ähnlich den Rückbildungen an den Eierstöcken, der Linse, der Epidermis im Greisenalter. Bibliographische Neuigkeiten. Unter- Comm. bei W. — L. v. Heufler, Asplenii species europaeae. suchungen über die Milzfarne Europa’s. 8. Braumüller in Wien. 28 Sgr. ©, F. Ph. Martius, Flora Brasiliensis sive Enumeralio plan- tarum in Brasilia. Fasc. 18. Pars 1. gr. Fol. Comm. Fr. Fleischer in Lpzg. 25 Tlilr. Abhandlungen d. naturforschenden Gesellsch. zu Halle. Ori- ginalaulsätze aus d. Gebiete der gesammten Nalurwissen- schaften. 4. Bd. 1. Hit. 4. Sclmidt’s Verlag in Halle. 2 Tulr. Th. Billharz, D. elektr. Organ d. Zitterwelses, anatomisch beschr. Fol. Engelmann in Leipzig. 3 Thlr. M. J. Schleiden, Handb. d. botan. Pharmacognosie f. Aerzte, Apotheker und Botaniker. 8. Engelmann in Leipzig. 22,3 Thlr. BE. — M. Bernhard, Das Buch d. Gesundh. E. populäre Dia- tetik f. d. Gebildelen aller Stände. 3. Lfg. 8. Hollstein in Berlin. 1%, Thlr. M. Durand Fardel, Handb. d. Krankheiten des Greisenalters. A. d. Franz. von D. Ullmann. 1. Lig. 8. Stahel’sche Buchh. in Würzburg. 4 Thlr. 21 Sgr. J. Demme, Ueber die Veränderungen d. Gewebe durch Brand. 8. Meidinger, Sohn und Co. in Frankf. a. M. 2 Thlr. G. A. Spiess, Pathologische Physiologie. Grundzüge der ges. Krankheitslehre. 3. Abth. 8. Meidinger, Sohn u. Co. in Frankfurt a. M. 2 Thir. Ulma, Die antik-moderne Heilkunde und ihre Nothwendigkeit. 8. Enke’s Verl. in Erlangen. !/ Thlr. J. Neudörfer, Der hydrostatische Apparat in d. Chir. 8. Comm. b. Gerold’s Sohn in Wien. 16 Sgr. Druck und Verlag yon Friedrich Mauke in Jena, Froriep’s Nofizen aus dem Gebiete der Natur- und SIEH Jahrgang 1857. EEE. Band Ne 16. Naturkunde. Lehmann, Ueber die Kıystallisivbarkeit eines der Hauptbestandtheile der Blutkörperchen. — E. H. We- ber, Ueber den Raumsinn. — Miscelle. Weyhe, Galvanoplastiik. — Meilkunde. Fronmüller, Die Convex- glaserkur gegen schwarzen Staar. (Schluss). — D. Ullmann, Zur Gehirnerweichung. (Schluss folgt.) — Mliscelle. Nekrolog. Naturkunde. Ueber die Krystallisirbarkeit eines der Haupt- bestandtheile der Blutkörperchen. Von Prof. Lehmann (Jena). Da ich mich nie davon überzeugen konnte, dass die eiweissartigen Stoffe zur Krystallisation absolut unfähig seien, habe ich mich namentlich in der Hoffnung, da- durch den Weg zu einer genauern Kenntniss jener che- misch noch so räthselhaften Stoffe zu bahnen, seit län- gerer Zeit mit Versuchen über diesen Gegenstand be- schäftigt; trotz zahlloser vergeblicher Experimente bin ich damit doch nicht unglücklich gewesen und hoffe da- rüber nächstens ausführlichere Mittheilung zu machen. Für heute erlaube ich mir, nur über einige von mir und einigen meiner Schüler am Blute gemachten Be- obachtungen zu referiren. Dr. Funke machte zu- erst bei Gelegenheit der Untersuchung des Milzyenen- blutes vom Pferde die Erfahrung, dass dieses Blut unter dem Deckplättchen beim allmäligen Eintrocknen während der mikroskopischen Beobachtung sich fast vollständig in prismatische Krystalle verwandle; später wurde auch ge- funden, dass das Blut vieler Süsswasserfische krystalli- sationsfähig se. Funke hat hierüber seine Beobacht- ungen in Henle’s und Pfeuffer’s Zeitschrift für rat. Med. publicirt. Ich überzeugte mich, dass auch das Pfortaderblut der Pferde ganz ähnliche prismatische Kry- stalle liefert, wie das Milzvenenblut. Dr. Zänker in Dresden fand, dass in einem Falle von Leuchämie (Leu- ceithämie) bei enorm vergrösserter Milz das Gesammtblut ganz in derselben Weise krystallisirvar war, wie sonst nur das Milzvenen- und Pfortaderblut. Dr. Kunde aus Berlin sah das Gesammtblut kranker so wie gesunder Hunde ebenfalls prismatisch krystallisiren. Die bekannte Entdeckung Reichert’s (Müller’s Arch.), wornach auf der Decidua trächliger Meerschwein- chen tetraedrische Proteinkrystalle vorkommen sollen, lei- tete mich auf den Gedanken, dass diese Krystalle mit unsern Blutkrystallen nahe verwandt sein möchten, und in der That fand ich auf der Decidua solcher Thiere te- traedrische Krystalle, wie sie auch Kunde aus dem Ge- sammtblute der Meerschweinchen erhielt; andre als diese Bluttedraeder habe ich auf der Decidua jener Thiere nicht gefunden. Ich fand auch das Blut der Mäuse und Kunde das der Ratten in Tetraedern krystallisirend; Letzterer entdeckte aber die eleganteste Krystallisation im Blute der Eichhörnchen ; dasselbe liefert nämlich die schönsten und grössten sechsseitigen Tafeln (dem hexagonalen Sy- steme nicht angehörend); zuweilen sah ich auch wohl ausgebildete, sechsseitige, rechtwinkelig abgestumpfte Säulen. Es war glaublich, dass vielleicht das Pfortader- und Milzvenenblut dieser Thiere in Prismen krystallisirte, allein immer fand ich, dass das Pfordaderblut derjenigen Thiere, deren Gesammtblut krystallisirbar war, auch dieselben Formen wie das letztere zeigte. Das Pfortaderblut ist aber durchschnittlich minder geneigt zur Krystallisation, als das Blut aus andern Venen, sauerstoflreiches (künst- lich mit Sauerstoff imprägnirtes) dazu geneigter, als koh- lensäurereiches. Blut von Vögeln habe ich mehrfach mo- dificirter Versuche ungeachtet nicht zur Krystallisation disponiren können, und zwar ebensowenig, als das Ge- sammtblut des Menschen, Pferdes, Rindes, Kalbs u, s. w. So interessant diese Beobachtungen an sich schei- nen mögen, so war damit doch eigentlich nicht viel ge- wonnen, da man eben nur unter, dem Deckblättchen jene Krystallisation erzeugen konnte. Es war leicht ersicht- lich, dass zur Erlangung solcher Krystalle eine höchst allmälige Verdunstung einzuleiten sei. Ich construirte daher verschiedene Apparate, durch welche man die Leit- ung der Verdunstung in seine Gewalt bekam; dabei ist 243 aber ein wesentliches Beförderungsmittel der Krystalli- sation die Zerstörung der Blutkörperchen; denn dass de- ren Inhalt das Krystallgebende ist, davon überzeugt man sich schon durch die mikroskopische Beobachtung sehr leicht (das Serum krystallisirt niemals, selbst wenn es eine nicht unerhebliche Menge Blutzellen enthält). Wenn aber auch die Blutkörperchen nicht vollkommen zerstört zu werden brauchen, so müssen doch zur Herstellung je- ner Krystalle lebhafte endosmotische Strömungen zwischen Blutzelleninhalt und umgebender Flüssigkeit eingeleitet werden. Letztere bewerkstelligt man durch Wasser, bes- ser noch durch etwas Aether oder Spiritus, am besten aber durch Wasser und Aether. So gemischtes Blut oder Blutkuchenflüssigkeit wurde in einen Glaseylinder ge- bracht, der auf der einen Seite mit Kaoutchouk, auf der andern mit Blase verschlossen war; durch das Kaout- chouk liess ich aus wässerigem Spiritus so lange von demselben zutreten, bis das Blut sich zu trüben anfıng; dann wurde der Apparat einer Temperatur von 15 bis 20° €. ausgesetzt; während nun Wasser durch die Blase und Alkohol durch das Kaoutchoukplättchen abdunstete, bildeten sich die schönsten Krystalle (beim Meerschwein- chenblute bis zu 3 Durchmesser). Indessen bedarf es oft nur einer auf einer Seite mit Blase verschlossenen Endosmometerröhre, deren andere Oeffnung mit einem von einer Capillarröhre durchbohrten Kork versehen ist. Mit Wasser ausgelaugter Blutkuchen liefert selbst nach der zweiten und dritten Auslaugung noch schöne Krystalle. Die tetraedrischen Krystalle des Meerschweinchen- blutes sind in Wasser sehr schwerlöslich; trotz dieser Eigenschaft bildet das Reindarstellen des krystallisirbaren Stoffs mancherlei Schwierigkeiten. Bis jetzt habe ich folgende als die zweckmässigste Methode befunden: die gesammelten Krystalle werden mit Wasser wiederholt ge- schlämmt, wodurch ein grosser Theil der Hüllen der Blutkörperchen und anderer neben den Hüllen ausgeschie- dener Molecüle entfernt wird: allein die klebrigen Hüllen der Blutzellen haften nicht blos an den Krystallen, son- dern sind auch von diesen eingeschlossen; daher sind die Krystalle in Wasser von 35 bis 50° zu lösen und zu filtriren; bei dieser Temperatur geht die Flüssigkeit sehr leicht durch das Filter; selbst ziemlich concentrirte Blutkörperchenlösung wird auf diese Weise leicht filtrir- bar und von jenen Hüllenmembranen befreit. Das Um- krystallisiren geht übrigens nicht so leicht von Statten, als man vielleicht erwarten könnte; das Fehlen der Blut- körperchenhüllen, die der Krystallisation als Ansatzpunkte dienen, mag daran schuld sein. Obgleich ich bereits mit den reineren Krystallen ei- nige analytische Versuche angestellt habe, so ziehe ich doch vor, deren Mittheilung auf eine spätere Zeit zu ver- schieben, wo ich mit grösseren Mengen und reinerem Material gearbeitet haben werde. Für jetzt nur so viel, dass die Krystalle eine sehr grosse Menge Hydratwasser enthalten und an der Luft sehr schnell verwittern; das 244 Verwittern geschieht aber nicht, indem die Krystalle undurchsichtig werden und zu Pulver zerfallen, sondern indem sie rissig werden und dann unregelmässige, horn- artig erscheinende Stückchen von muscheligem Bruch bil- den. Ihre Lösung gerinnt zwischen 62 und 69° € nicht durch Essigsäure, wohl aber durch Alkohol, Mine- ralsäuren und alle andern Agentien, durch welche lösliche Proteinkörper sonst präcipitirt zu werden pflegen. Die Krystalle bestehen aus einem eiweissartigen Stoffe, welcher getrocknet im Mittel dreier Bestimmungen 0,788 Proc. eisenhaltiger Asche gibt. (Ber. üb. d. Vhdl. d. kö- nigl. er Gesellsch. d. Wissensch. z. Leipzig. Jahrgg. 1851. Ueber den Raumsinn. Von E. H. Weber (Leipzig). 1) Der Raumsinn bedarf keiner eigenthümlichen Werkzeuge, durch welche eine besondere, von andern Sinnesempfindungen qualitativ verschiedene Empfindung vermittelt wird. 2) Die Lichtempfindungen, ferner die Druck- und Temperaturempfindungen, werden daher zugleich benutzt, uns Eindrücke, die von verschiedenen Raumpunkten aus- gehen, zu verschaffen. 3) Aber deswegen sind der Lichtsinn, Druck- und Temperatursinn nicht für identisch zu halten mit dem Raumsinne des Auges und der Haut. 4) Vielmehr lehrt die Erfahrung, dass der Raum- sinn des Auges sehr vollkommen sein kann, während der Licht- oder Farbensinn sehr unvollkommen ist, und dass der Raumsinn an Theilen des Unterarms, Oberarms, auf dem Rücken und auf mehreren andern Theilen 18- bis 25mal stumpfer ist, als an den Fingerspitzen, und 36- bis 50mal stumpfer ist, als auf der Zungenspitze, und dass dennoch hinsichtlich der Feinheit des Drucksinns und Temperatursinns in diesen Theilen nur eine sehr ge- ringe Verschiedenheit beobachtet wird. 5) Hieraus muss man schliessen, dass die für den Raumsinn getroffenen besonderen Einrichtungen von den Einrichtungen, die für den Lichtsinn, Temperatursinn und Farbensinn existiren, verschieden sind. 6) Die besonderen Einrichtungen für den Raumsinn haben den Zweck, zu bewirken, 1) dass Bewegungen in der Natur, die von bestimmten Punkten des Raumes aus- gehen, auf bestimmte Punkte des Sinnorgans, die in ei- ner ähnlichen Ordnung neben einander liegen, unter- scheidbare Eindrücke machen können, oder mit andern Worten, dass sich jene Raumpunkte auf unsern Sinn- organen abbilden und Empfindungen hervorrufen, die sich von einander unterscheiden lassen, weil die Orte, wo jene Bilder der Punkte entstehen, durch separate Nervenfäden mit dem Gehirne zusammenhängen; 2) dass die dem Raumsinn dienenden Sinnorgane mit Feinheit und Sicher- 245 heit in bestimmten Richtungen bewegt werden können, so dass wir seibst dadurch einen von unserer willkür- lichen Bewegung abhängenden Wechsel der Emfindungen herbeiführen und uns dadurch unserer Bewegung bewusst werden, dieselbe absichtlich auszuführen lernen und uns durch Schlüsse eine Vorstellung von dem Orte verschaffen, von wo auf unser Sinnorgan eingewirkt wird. 7) Je grösser die Zahl der Punkte in einem gege- benen Raume ist, welche sich auf unserm Sinnorgane ab- bilden und separate Empfindungen erwecken, und je fei- ner und sicherer die absichtliche Bewegung unserer Sinn- organe, desto feiner ist caeteris paribus der Raumsinn. 8) Hieraus erklärt sich, wodurch der Raumsinn im Auge unter günstigen Umständen ungefähr 840mal feiner sein kann, als an den Fingerspitzen, und 420mal feiner, als an der Zungenspitze, dem feinsten Tastorgane, un dass er bei minder scharfen Augen 400- bis 600mal fei- ner angenommen werden darf, als an den Fingerspit- zen, und 200- bis 300mal feiner, als an der Zungen- spitze. 9) Die Fähigkeit, die Sinneneindrücke, wie man zu sagen pflegt, in einen ausserhalb unseres Körpers be- findlichen Raum zu projiciren, haben wir nicht nur im Auge, sondern auch in der Haut; wir führen diese Pro- jection bei beiden Organen so aus, dass wir allererst vermöge der absichtlichen Bewegung unseres Sinnorgans und des dadurch herbeigeführten bestimmten Wechsels der Empfindungen unser Sinnorgan als ein Bewegtes von den Objecten als ruhenden Gegenständen unter- scheiden. 10) Der Umstand, dass die mit unserer bewegten Hand befühlten Gegenstände der Bewegung derselben Wi- derstand leisten und uns nöthigen, wenn wir sie zugleich fortwährend fühlen wollen, die Richtung, in der wir die Hand bewegen, ihrer Gestalt gemäss abzuändern, veran- lasst uns zu der Annahme, dass sie unsern fühlenden Theilen dicht gegenüber liegen. Dass aber auch hierbei eine Projection der Sinneseindrücke nach aussen Statt finde, ergibt sich nicht nur daraus, dass wir unsere Hand als ein Bewegtes, von den Objecten als ruhenden Gegenständen unterscheiden, sondern dasselbe be- weist auch der Versuch, wo wir mit über einander ge- schlagenen Fingern unsere Nasenspitze doppelt und jede der beiden Nasenspitzen anders wohin gerichtet fühlen, vermöge der irrthümlichen Annahme, dass die die Nase berührenden Seiten der Fingerspitzen von einander abge- kehrt seien. 11) Diese Projection der in unserer Haut entstehen- den Sinneseindrücke nach aussen und die Regeln, wor- nach dieselbe geschieht, erkennt man, wenn man sich genaue Rechenschaft gibt über das, was bei dem Fühlen durch Sonden bei verschlossenen Augen vor sich geht. Wenn man ein auf einen ruhenden Körper aufgestemmtes Stäbchen mit der Hand, die das obere freie Ende des- 216 selben berührt, an den ruhenden Körper andrückt und um sein unteres Ende dreht, wobei sich die Hand in ei- nem Kreisbogen um dasselbe bewegt, so hat man in je- dem Augenblicke gleichzeilig zwei Empfindungen, die eine, wodurch'man den Druck des Fingers auf das Stäb- chen, die zweite, wodurch man den Druck des Stäbchens auf dem Körper wahrnimmt. Beide Empfindungen befin- den sich in einem gewissen Abstande von einander, so dass man in jedem Augenblicke die Richtung einer die Orte beider Empfindungen verbindenden ‚Linie angeben kann und durch diese Richtungen sogar die Entfernung bestimmt, in welcher sich der mit dem Stäbchen berührte Körper von der Hand befindet, nämlich im Mittelpunkte des Kreisbogens, welchen die Hand beschreibt. Von die- sem Kreisbogen erlangt man auch dann eine Vorstell- ung, wenn man die Länge des Stäbchens vorher nicht kannte. Die Empfindung des Drucks des Stähchens ge- gen den ruhenden Körper ist keine wirkliche, sondern eine projieirte Empfindung, d. h. ein Urtheil über den Druck, den das Stäbchen auf jenen Körper ausübt, und über die Richtung und Entfernung des Orts, wo es die- sen Druck ausübt. Diese projieirte Empfindung hört so- gleich auf, sobald das untere Ende des Stäbchens un- beweglich mit dem ruhenden Körper verbunden wird. Auch die Empfindung des Drucks des Fingers auf das Stäbchen ist gleichfalls keine wirkliche, sondern eine projieirte Empfindung, denn dieselbe hört sogleich auf, sobald das obere Ende des Stäbchens mit dem empfind- lichen Theile des Körpers unbeweglich verbunden ist. Dieses ist bei den Zähnen der Fall, welche als kurze Stäbchen betrachtet werden können. Die Empfindung, welche entsteht, wenn wir einen zwischen die Zähne der beiden Kinnladen gebrachten Körper drücken, hat nicht ihren Ort in der empfindlichen Haut, die die Zahnzelle auskleidet, sondern an der Oberfläche des unempfind- lichen Zahns, welcher sich an dem zu fühlenden Kör- per bewegt.. Diese projieirte Empfindung beruht auf einem Gefühle des Drucks, den die Zähne auf die Haut der Zahnzelle ausüben, und auf einem Urtheile über die Richtung und Entfernung des Orts, von. wo der Wider- stand ausgeht, und dieses Urtheil gründet sich auf die Wahrnehmung der Bewegung, die die Zähne auf. dem Körper, den sie berühren, machen. 12) So wie wir also die Einwirkung des Lichts gar nicht auf der Retina fühlen, sondern die Empfindung da zu haben glauben, wohin wir sie projieiren, so empfin- den wir den Druck, den die bewegte Kinnlade durch die Zähne gegen den berührten Körper ausübt, gar nicht an der empfindlichen Haut der Zahnwurzeln, sondern da, wo die nnempfindliche Oberfläche der Zähne den Körper be- rührt, und wo die wirkliche Empfindung gar nicht ihren Sitz haben kann. Aus dem Gösagten und aus manchen andern Betrachtungen geht hervor, dass wir ursprüng- lich über den Ort, wo eine. Empfindung entsteht, gar nichts wissen, sondern dass wir uns erst durch Urtheile 16* 247 eine Vorstellung über diesen Ort bilden und dann die Em- pfindung an diesem Orte zu haben glauben. 13) Dass wir, durch die gesetzmässige Veränderung der Gesichtsempfindungen, die dadurch entsteht, dass wir uns selbst im Raume fortbewegen, dass wir beide Augen sammt dem Kopfe um die senkrechte Axe des die beiden obersten Wirbel verbindenden Gelenks horizontal drehen, dass wir beide Augen sammt dem Kopfe um die hori- zontale Axe des Gelenks, welches den Kopf und den At- las verbindet, senkrecht drehen, dass wir die Augäpfel um ihre Mittelpunkte drehen, und endlich unsere Hände vor unsern Augen bewegen, hinreichende Gelegenheit ha- ben, uns über die Richtung der sichtbaren Objecte ein Urtheil zu bilden und unsere Empfindung in dieser Rich- tung zu projieiren, leuchtet von selbst ein, und es lässt sich nachweisen, dass auch die Blindgebornen und später 248 durch eine Operation sehend Gewordenen schon vor der Operation hinreichende Gelegenheit gehabt haben, dieses Projieiren zu erlernen. (Verhandl. d. königl. sächs. Ge- sellsch. d. Wissenschaft. zu Leipz. Jahrgg. 1852.) -Miscelle. Galvanoplastik. Wie der L.- Oekon -Rath Weyhe in Bonn mittheilt, ist es gelungen, Thiere auf galvanopla- slischem Wege nachzubilden. Die Körper dieser Thiere wer- den erst von einem melallischen Ueberzuge eingeschlossen, ist, dies vollendet, zu Asche verbrannt und als solche entfernt. — Wahrscheinlich gelingt dieses Verfahren wohl nur bei Thie- ren, deren Aeusseres durch hornige oder kalkige Umhüllun- gen eine gewisse Härte erlangte? (Allg. deutsche naturhist. Zig. No. XII. 1856.) Heilik Die Convexgläserkur gegen schwarzen Staar. Von Dr. Fronmüller (Fürth). (Schluss.) Fragt man nach der physiologischen Bedeutung der Kur, so könnte man den gegenwärtig herrschenden An- sichten gemäss wohl zunächst auf den Gedanken kommen, die schönen und überraschenden Erfolge auf Rechnung einer günstigen Anregung des Anpassungsvermögens zu bringen. Es ist seit der Einführung der Strabotomie mit den öfters vorgekommenen plötzlichen Gesichtsverbesserun- gen, besonders aber seit Entdeckung der inneren Aug- apfelmuskeln, des Erweiterers und Verengerers der Pu- pille, des Spanners der Aderhaut und in neuester Zeit des ringförmigen Ziliarmuskels, Mode auf dem Gebiete der Ophthalmologie geworden, eine Reihe von Augen- krankheiten, die vorzugsweise auf Missverhältnissen des optischen Augenapparates beruhen, einer Anomalie des Akkommodationsvermögens und dem entsprechend ihre Be- seiligung einer günstigen Umslimmung des letzteren zu- zuschreiben. Man darf nur die Artikel Myopie, Presbyo- pie, Hyperpresbyopie u. s. w. in den neuesten Lehrbü- chern der Augenheilkunde nachlesen und man wird fin- den, dass der Begriff der Akkomodation so weit ausge- dehnt worden ist, dass man mit demselben nicht blos die Summe der halbwillkürlichen Bewegungen bezeichnet, wo- durch das Auge in Stand gesetzt wird, die aus der Nähe und Ferne einfallenden Lichtstrahlen an der rechten Stelle der Stäbchenschicht der Retina zu vereinigen, sondern dass man auch ungeeigneter Weise das specielle Verhal- ten des dioptrischen Apparates in seinem fixen anatomi- schen Ausdrucke hier mit beizieht. Man sagt z. B., in der Myopie ist das Auge für die Nähe, in der Presbyo- pie für die Ferne akkommodirt, obschon das Anpassungs- vermögen in seiner aktiven Bedeutung hiebei- häufig in um de. keinen Betracht kommt, sondern eine Anomalie des Re- fraktionszustandes, wie eine zu schwache oder zu starke Krümmung der Hornhaut- oder der Linsenflächen, ano- male Brechungsverhältnisse der einzelnen Schichten der- selben, eine unregelmässige Axenlänge des Glaskörpers, die nach Arlt!’s und Zehender’s Angaben besonders relevant ist, oder ein vermehrter oder verminderter Le- bensturgor u. s. w. Es ist dies eine Begriffserweiterung zu Gunsten einer Modetheorie, die selbst noch zum Theil auf ziemlich schwachen Füssen steht. Bis jetzt ist noch keine der vielen Akkommodationstheorieen — so viel es deren auch gibt, da fast jeder namhafte Physiolog eine eigene aufstelt — zu einer allgemeinen Anerkennung gelangt. Weder die Kontraktion der äusseren Augen- muskeln, der geraden und der schiefen (während die Ei- nen die Längenachse des Bulbus durch Zurückziehung sich verkürzen lassen, lassen sie die Andern durch seit- liche Compression verlängert werden) noch die der inne- ren Augenmuskeln, noch die der inneren und äusseren zugleich, noch die sekundären Veränderungen in der Hornhautkrümmung, die Form - und Lage - Veränder- ungen der ‚Linse, die Vor- und Rückwärts - Beweg- ung des Netzhautbeckens, reichen zur Erklärung hin, so geistreich zum Theil auch die aufgestellten Ansich- ten sind. Sie haben alle wieder ihre gewichtigen Geg- ner gefunden. Während Autoritäten in den Wissen- schaften beim Nahesehen eine Vermehrung der Convexität der Kornea, andere eine kuppelartige Vortreibung der Iris beobachten wollen, sahen wieder andere durch com- plicirte Apparate, wie durch den Cramer’schen Augen- spiegel die Purkinje-Sanson’schen Lichtbildchen eine sol- che Stellung annehmen, dass sie daraus auf eine Zu- nahme der Krümmung der vordern Kapselwand schlies- sen zu können glaubten. Betrachtet man jedoch den festen kugelartigen compakten menschlichen Augapfel ge- 219 nau, so muss man bald zugeben, dass er zu nur etwas bedeutenden Längenachsenverlängerungen nicht sehr ge- eignet erscheint. Andererseits macht die polygonale Be- schaffenheit der Linse, die von Senff und Engel be- sonders gründlich erörtert wurde, wodurch dieselbe so- wohl für die Ferne als für die Nähe das nöthige Brech- ungsvermögen besitzt, und die von Sturm und Volk- mann nachgewiesene Thatsache, dass die auf die Retina auffallenden Strahlenbüschel zur Erzeugung eines richti- gen Bildes nicht blos mit ihrer äussersten Spitze, son- dern überhaupt mit ihren Endabschnitten aufzufallen brau- chen (wodurch der Sehakt ebenfalls wesentlich erleichtert wird) die Annahme der Akkommodation nur bis zu einem relativ geringen Grade nöthig. Für diese beschränkte Sphäre des Anpassungsvermögens dürfte das von den neueren Anatomen und Physiologen im Innern des Bul- bus entdeckte Muskelsystem, wenn einmal seine Funktion unzweifelhaft festgestellt sein wird, eine wichtige Rolle zu spielen berufen sein. Namentlich dürfte der von Prof. H. Müller in Würzburg dargestellte ringförmige Ziliar- muskel, dessen deutliche Muskelbündel ich im Querdurch- schnitte erst vor Kurzem bei demselben sah, durch den Druck, welchen er auf die peripherischen Partieen der Linse ausübt, und durch die sodann bewirkte vermehrte Wölbung der vordern Linsenwand'), wobei nach Helm- holtz das Kammerwasser mit der Peripherie der Iris nach hinten zurückgedrängt wird, zur Bildung einer der plausibelsten Theorieen dienen. — Dem sei wie ihm wolle; Decennien werden erst diesen schwierigen Punkt der Ophthalmo-Physiologie aufklären. So viel steht fest, dass die Akkommodationstheorie auf bescheidene Grenzen zu- rückgeführt werden muss. Die Convexgläserkur gibt wenigstens einen speciellen Beweis da- für ab, dass das Anpassungsvermögen bei den wichtigen Umwandlungen, die dabei im Auge hervorgerufen werden, nur eine se- kundäre Rolle spielt). Hier ist zunächst etwas ganz Anderes im Spiele, eine directe Einwirkung auf die torpide Nervenhaut durch das stärkste Belebungsmittel des Auges, den specifischen Reiz desselben — das Licht. Die Endpartieen des mittels der Convexgläser auf eine Stelle der Stäbchenschicht der Retina geleiteten Strahlen- 4) Für die sich auch J. Pilz ausspricht (Lehrb. d. Au- genheilkunde. Prag 1856. S. 111). 2) Folgendes Phänomen dürfte hier Anknüpfungspunkte bieten. Befindet man sich einer Fernsicht gegenüber und beugt den Kopf tief nach seitwärts, dass ein Auge gerade über das andere zu stehen kommt, so tritt eine merkwürdige Veränderung im Sehen ein. Die Landschaft tritt wie in weite Ferne zurück und gewinnt dadurch ein frisches, magisch-zau- berhaftes Ansehen. Dieser ganz unwillkürliche Vorgang ist eine Folge des Umstands, dass hier die Retinalbilder auf un- gewöhnliche Stellen der Netzhaut geworfen werden, wo sie als neue Reize wirken. Es tritt hier Fernsehen ein durch eine besondere Anregung der Retina wohl ohne Mitwirkung der Akkommodation, 250 kegel sind es, welche dieselbe zur Thätigkeit anspornen, die zugleich einen heilsamen Blutandrang bewirken, der den schwachen Nerv belebt; rasch pflanzt sich der un- gewohnte Eindruck durch die Sehnerven in die ‚Central- gebilde des Sehorganes fort und reflektirt von da wieder auf die Hülfsorgane des Auges; die Regulirung der Pupille und der in dem erwähnten beschränkten Sinne anzuneh- menden Akkommodation werden durch Reflexthätigkeit der betreffenden Nerven allmälig eingeleitet. Das leidende Auge erlangt einen gewissen Grad von Selbstständigkeit, wird nach und nach zur gemeinschaftlichen Arbeit mit seinem gesunden Nachbarn befähigt; eine bessere Har- monie in Bezug auf die Neigung der Sehaxen stellt sich her. So gewinnt von Tag zu Tag das Scehgeschäft an Kraft. Bald genügt eine mindere Concentrirung der Lichtstrahlen auf die Netzhaut, um die Thätigkeit der- selben fortzuentwickeln. Je nach dem höheren oder nie- drigeren Sensibilitätsgrade dieser Membran erklärt sich der raschere und langsamere Fortschritt zu den weniger gekrümmten Glasflächen !), wobei noch in Berechnung zu ziehen ist, dass diese systematische Leseübungen nicht allein auf das Schorgan einwirken, sondern auch auf an- dere Gehirnpartieen und somit gewissermaassen eine Be- geistigung des Sehgeschäftes hervorrufen, welche der Kur nur förderlich sein kann. — Derartige Resultate können mit Concavgläsern, welche die Eigenschaft, die Licht- strahlen nach Einem Punkte zu einigen, nicht erzielt wer- den, sondern nur mit Gläsern, welche dieselben gegentheils nach bestimmten Verhältnissen zu zerstreuen bestimmt sind. Gelingt es einmal einem Kurzsichtigen, nach Monate und Jahre langer Anstrengung, mit seinen scharfen Concavgläsern um ein Paar Nummern herabzu- gehen, so hat er diesen Erfolg nicht seiner Brille zu verdanken, sondern seine Augen bessern sich trotz seiner Brille. Hier kommen ganz andere Momente in’s Spiel, passende Augendiät, Verminderung von Kopfkongestionen, Abflachung der Hornhautkrümmung durch die Jahre u. s. w., dann besonders eine Gewöhnung des Alkommo- dationsvermögens (im obigen beschränkten Sinne) zum Sehen in weitere Entfernung, wie bei der Anwendung des Myopodiorthotikon. Von einem systematischen Heil- verfahren mit Concavgläsern kann keine Rede sein, wes- halb ich mit allem Recht der Kur den Namen Convex- gläserkur zu vindiciren glaube. Was schliesslich die Heilung der Mydriasis durch die Kur betrifft, so möchte 4) Ich will hiebei die Möglichkeit nicht in Abrede stel- len, dass manchmal schon lange fortgeselzte Uebungen auf dem erstgewählten Convexglase hinreichen können, um ohne Zwischenanwendung successiv schwächerer Gläser ein genü- gendes Sehresultat zu erzielen. Es gehören hiezu jedoch ganz besonders günstige Vorausbedingungen und es ist dies ein viel langsamerer und mülhsamerer Weg, als wenn man die dem jedesmaligen Sensibilitätsgrade der Retina anpassenden Gläser benützt. Mit untergelegten Relaispferden reist man sicherer und schneller, als keuchend zu Fuss. 251 sie noch in dem Umstande ihre Erklärung finden, dass die Retinalreizung sich auf das Gehirn erstreckt und von da auf den Nervus oculomotorius reflektirt, der hiedurch befähigt wird, die pupillenerweiternden Eigenschaften des sympathischen Nerven zu neutralisiren. Zur Gehirnerweichung. Von Dr. D. Ullmann (Würzburg). In seiner Bearbeitung des Werkes von Durand- Fardel'), welche er wesentlich bereichert und nament- lich mit den Resultaten der neusten Forschungen in Deutschland vermehrt hat, gibt der Bearbeiter folgenden Anhang zu der ausführlichen Bearbeitung der akuten und chronischen Gehirnerweichung. „Obgleich dieses Kapitel bereits eine ziemliche, viel- leicht etwas zu grosse Ausdehnung gewonnen hat, so hoffen wir doch dem Leser nicht beschwerlich zu fallen, wenn wir es schliesslich noch versuchen, die zur Zeit in Deutschland herrschenden Ansichten über die Gehirner- weichung hieran anzureihen. Wir beginnen mit Rokitansky, dem Vater der deutschen pathologischen Anatomie. Rokitansky un- terscheidet 3 verschiedene Formen ?): Die weisse, rothe und gelbe Erweichung. Hievon ist nur die rothe ent- schieden entzündlicher Natur, die weisse kommt bald ohne alle Entzündung zu Stande, bald hat sie, wie die im Gefolge des akuten Hydrocephalus auftretende, einen ent- zündlichen Ursprung. Gänzlich verschieden hievon ist die gelbe Erweichung mit ihren verschiedenen Farbennüancen vom Schwefelgelben bis ins Blassgelbe, für welche Ro- kitansky eine Entzündungstheorie für unzulässig hält und, gestützt auf die saure Reaction der Flüssigkeit im Erweichungsherde, die Vermuthung ausspricht, dass sie in einem pathologisch-chemischen Processe, in einem Frei- werden der Phosphorsäure und einer oder mehrerer Fett- säuren begründet sei. Rokitansky unterscheidet fer- ner die Färbung dieser gelben Erweichung von jener rost-, hefen- und ockergelben, welche die Gehirnmasse im hämorrhagischen Herde, im Entzündungsherde dar- bietet und die ganz bestimmt von Blutroth herrühre. Bei den verschiedenen, besonders von Virchow nach- gewiesenen Uebergängen und Umstaltungsstufen des Pig- ments, das, wie Rokitansky neuerdings ausspricht®), „in so vielen und mannigfach gearteten Fällen aus dem Blutfarbestoffe hervorgeht, dass es höchst wahr- * 4) DS” Handbuch d. Krankheiten des Greisenalrers v- Dr. NM. Durand Fardel. A. d. Franz. übertr. u. mit Zu- sätzen versehen von Dr. D. Ullmann, k. baier. Militärarzt. 1. Hälfte. 8. 408 S. Würzburg, Stahel’sche Buchhandlg., 1857. 2) Path Anat. Bd. II. 1844 S. 822. 3) Path. Anat. I. Bd. IH. Aufl. S. 211. 252 scheinlich ist, es liege dieser dem Pigment auch dort zu Grunde, wo man ihn nachzuweisen nicht im Stande ist“, während „es anderseits unbekannt ist, ob das Pigment in irgend einer seiner Nüancen auch aus ungefärbten Substanzen durch chemische Veränderungen derselben zu Stande komme“, bei den mannigfachen Modificalionen, die der Blutfarbestoff selbst in den verschiedenen Geweben und Organen des Körpers je nach den verschiedenen Bestand- theilen, welche er in denselben vorfindet, erleidet, bei dem sehr häufigen gleichzeitigen Vorkommen dieser ver- schiedenen Farbennüancen in mehrfachen neben einander vor- handenen oder auch sogar in einem und demselben Erweich- ungsherde') müssen wir mit Leubuscher die Farbe als einen nicht vollkommen motivirten Eintheilungsgrund der Gehirnerweichung betrachten, und bezweifeln auch jenem oben citirten Ausspruche Rokitansky’s zufolge, ob wir denselben Ansichten und besonders auch jener vor der Hand hypothetischen Theorie über das Wesen der gelben Erweichung in der neuen Bearbeitung der Gehirn- erweichung von Rokitansky noch begegnen werden 2). Auch in Deutschland sehen wir von jetzt an die Ansichten über die Natur der Gehirnerweichung nach je- nen zwei vom Verf. angeführten Hauptrichtungen diver- giren, wonach die Einen sie in einem hyperämischen und exsudativen, die Anderen in einem nekrotischen Processe für begründet halten. Zu letzteren gehört Hasse, des- sen beider Fälle bereits vom Verf. gedacht worden ist. Nach ihm hat Günsburg°) den Einfluss der Atherose der Gefässe auf die Entwickelung der Gehirnerweichung weiter auseinandergesetzt und 4 Arten von Gehirner- weichung: eine hämorrhagische, hydrocephalische, eiterige und eine von Obliteration der Gefässe abhängige ange- nommen. — Die Ansicht von der nekrotischen Natur der Gehirnerweichung schien besonders durch Virchow’s Untersuchungen über die Arteritis eine Stütze gewonnen zu haben. Jedenfalls haben diese Untersuchungen auch die Aetiologie der Erweichung mit einer neuen, ebenso überraschenden als unwiderleglichen Erfahrung berei- 1) Vgl. Beob. 1, 5, 12, 18, und als besonders instructiv Virchow: Ueber die akute Entzündung der Arterien in dessen gesammelten Abhandlungen, S. 433, Fall 10, in wel- chem die Entstehung der gelben Färbung aus der rosenrolhen hervorgeht. Ebenso treffen wir die gelbe Farbe der Windun- gen. neben älteren und bereits auf dem Wege der Resorption begriffenen hämerrhagischen Ergüssen der Pia mater (vgl. das betreffende Kapilel der Beob.), olıne dass die Consistenz der Gehirnsubstanz dürfte in solchen Fällen unter die sogenannte diffuse Pigmenlirung zu subsummiren sein, die dadurclı entstanden ist, dass die Blutkörperchen ihren Farbestoff fah- ren liessen, der nun die benachbarten Theile durchdrun- gen hat, 2) Als uns die 3. Auflage der betreffenden Lieferung R o- kitansky’s pathol. Anatomie zukam, waren obige Zeilen schon im Manuseripte abgegeben. Die gelbe Erweichung wird nunmehr von Rok. als ein durch die Aufnahme von sehr di- luirtem Blutrothi gefärbtes, die Hirntextur zertrümmerndes und macerirendes Oedem angesehen. 3) Verhandl. der schlesischen Gesellsch. 1846. 253 chert!), dass es nämlich Fälle gibt, in welchen die Hirn- erweichung offenbar in einer Obturation der Gehirnarte- rien begründet ist, eine Obturation, die nicht nur, was bereits durch Hasse und Günsburg bekannt war, durch eine in loco im Innern des Arterienrohrs entstan- dene Gerinnung (Thrombose) sich entwickelt haben konnte, sondern bei welcher, was wohl häufiger der Fall ist, ein von der Ferne, in der Regel von einer Klappe des arte- tiellen Herzens fortgeschwemmter Pfropf (Embolus) sich in einer der Gehirnarterien, meistens der Arteria fossae Sylvii und dieser zunächst der Carotis cerebralis, einge- keilt und hier zu einer mehr oder weniger vollständigen und ausgedehnten Obstruction der Arterien und sogar auch der Capillaren Veranlassung gegeben hat. Seitdem haben sich die Fälle von Embolie der Gehirnarterien und bedingter Erweichung bedeutend gemehrt und die Beob- achtungen von Kirkes, Rühle, Traube, Leubu- scher, Burrows, Bierck, Tufnell, Cohn, Simpson, Schützenberger, haben die Entdeckung Virchow’s bestätigt. Unter 16 Fällen *), deren Zu- sammenstellung uns möglich war, war 3mal die Caro- tis interna allein (Imal rechts, 2mal links), 1mal die Carotis cerebr. sinistra mit der ophthalmica, corporis cal- losi und communicans anterior, 1mal die Carotis interna dextra gemeinschaftlich mit den Art. foss. Sylv., cerebr. anter. und communic. post. derselben Seite, 10mal die Art. foss. Sylv. (6mal links, Amal rechts), 1mal 2 Aeste der rechten Art. foss. Sylv., ohne dass letztere selbst ob- turirt war, obstruirt. Rühle?°) ist wohl der Ansicht, dass die Verstopf- ung der Arterien mit der Gehirnerweichung in ursäch- lichem Zusammenhange stehe, bezweifelt jedoch, dass die Absperrung der Blutzufuhr die Ursache sei, indem der Collateralkreislauf genüge, diese Unterbrechung des Blut- stroms von einer Seite wieder auszugleichen. Henle®) unterscheidet die apoplectische und die entzündliche von der durch Obstruction der Gehirnarte- rien bedingten Encephalomalacie. Er theilt in Bezug auf 41) Wenn van Swieten (Gaz. hebd. 1856, 20, S. 338 und 350), Francois (Canst. Jahresb. 1853. III. S. 59) und Legroux (Gaz. hebd. 1. c.) bereits früher für die Möglich- keit der Wanderung der Blutpfröpfe und der dadurch beding- ten Obstruction der Arterien sich ausgesprochen haben, so wird dadurch das Verdienst Virchow’s, der, wie nicht zu zweifeln ist, unabhängig von jenen die Lehre von der Em- bolie eigentlich erst vollständig ausgebildet und in ihren De- tails nachgewiesen hat, nicht im Geringsten geschmälert. Die durch Embolie bedingte Gehirnerweichung speciell aber scheint jenen unbekannt gewesen zu sein. 2) Virchow 4, Rühle 2, Kirkes 1, Traube 1, Ge- sellschaft der schwedischen Aerzte in Stockliolm (Prager Vier- teljahrschr. 1856. 2. Liter. Anzeiger S. 24) 4, Leubuscher 1, Schützenberger 2 (Gaz. hebd. 1856. 20), Schützen- berger und Bierck 1, Strohl und Bierck 1, Bur- rows41, Cohn 1. 3) Virchow’s Arch. Bd. V. S. 189 u. s. £. 4) Rationelle Pathologie, II. Bd. 1. Abth. S. 640. 254 letztere die Ansicht Hasse’s, dass sie nämlich ihren Grund in Behinderung der Zufuhr des arteriellen Blutes habe and als ein der Gangraena senilis analoger Process zu betrachten sei, und beruft sich hiebei auf den mikro- skopischen Befund Hasse’s, „der in den ersten Tagen nach Unterbrechung der Circulation noch keine Tendenz zur Bildung von Eiterkörperchen oder ähnlichen Elemen- ten ergab, und folglich jeden Organisalionsprocess aus- schliessen lässt, durch welchen sonst stockendes Plasma und Blut einen Rest lebendiger 'Thätigkeit bekunden.“ Am entschiedensten ist diese Ansicht in der neuesten Zeit von Traube verfochten worden!). Der Necrotisi- rungsprocess, der nach Traube jeder selbstständigen, nicht durch eine andere Gehirnkrankheit bedingten Er- weichung zu Grunde liegt, wird durch die Unterbrech- ung des Stoffwechsels in der Hirnsubstanz, durch abnorme Widerstände hervorgerufen, die sich der Cireulation in den Arterien oder Venen oder Capillaren der leidenden Gehirntheile entgegensetzen, und dadurch eine vollkom- mene Stauung des Blutstroms bewirken. Der endliche Ausgang einer derartigen Unterbrechung der Cireulation ist das Zerfallen der Nervenfasern und Ganglienkugeln in einen feinkörnigen, zahlreiche feine Oeltröpfchen enthal- tenden, je nach seinem Gehalte an Hämatin und freiem Fett verschieden gefärbten, geruchlosen Brei. Die Ob- struction der Arterien aber betrachtet er nach dem Vor- gange Virchow’s als entweder durch Thrombose oder durch Embolie hervorgerufen. Die durch Venenobstruk- tion (Faserstoffgerinnsel in den Sinus der Dura mater) veranlasste Hirnerweichung, von welcher Traube nur 2 Beispiele bekannt sind, gewinnt dadurch ein eigenthüm- liches Ansehen, dass es gleichzeitig zur Bildung zahlrei- cher kleiner Blutextravasate innerhalb der erweichten Hirnsubstanz kommt. Die Obstruktion der Capillaren, welche zur Hirn- nekrose führt, ist entweder durch Anhäufung von gros- sen Oeltröpfchen in dem Lumen derselben?) verursacht, oder sie erfolgt im Verlaufe einer Encephalitis, noch be- vor es zu einer erheblichen Exsudation in das Hirnge- webe gekommen ist, durch eine zur Stase gesteigerte entzündliche Hyperämie. Traube beschreibt 5 Formen der durch Embolie bedingten Gehirnerweichung, wovon 3 am häufigsten vor- kommen: Die erste gehört der rothen, die zweite und dritte der gelben Erweichung an. Bei der ersten und zweiten finden sich neben zahlreichen normalen Nerven- röhren noch Fetikörnchenconglomerate, welche letztere in der ersten Form auch fehlen können. Bei der dritten 1) Deutsche Klinik, 1854. 44. 2) Diese Erfüllung der Capillaren mit Oeltröpfchen ist jedoch nach Moosherr’s Untersuchungen ein keineswegs der Gehirnerweichung ausschliesslich zukommender Befund, sondern kommt bei den mannigfachsten Zuständen vor und ist auf eine Fettentartung der Capillaren zurückzuführen. [54] 5 Form, in welcher die erkrankte Partie nur mehr noch die Consistenz eines grauweissen oder gelblichen, biswei- len bräunlichen Breies darbietet, ist von den Elementen des Gehirns keine Spur mehr vorhanden, . sondern die ganze erkrankte Gehirnsubstanz in einem feinkörnigen, zahlreiche feine Oeltröpfchen einschliessenden Detritus un- iergegangen. Diese Erweichungsformen sind allein in dem suspendirten Arterienzuflusse begründet, den das Ge- hirn nicht so lange als andere Gewebe des Körpers zu ertragen vermag, und die Möglichkeit der Heilung be- ruht auf dem frühzeitigen Eintritte eines vollständigen Collateralkreislaufes. Nach Leubuscher!) kann die Lockerung der Hirnmasse 1) durch äussere Einflüsse — Blutextravasation und Maceration durch Serum, 2) durch Exsudation in die Hirnmasse selbst mit ihren Ausgängen, 3) durch Ernährungsalterationen (Erweichungssphären um andere Herde und Mortificationsprocesse) bedingt sein. Diese Kategorieen sind aber in der Wirklichkeit nicht streng zu scheiden. Die capilläre Apoplexie ist oft ein Entwickelungsstadium der aus Hyperämie hervorge- henden Exsudation oder sie ist secundär; ähnlich beim Serum. In nächster ursächlicher Beziehung stehen Stö- rungen in der Cireulation. Sie sind unmittelbar oder mittelbar. Die Gefässe werden mechanisch lädirt; sie sind, ohne selbst krank zu sein, Leiter von benachbarten Pro- cessen, oder sie sind selbst krank, ihr Lumen verengt und die Blutzufuhr dadurch vermindert oder ganz aufge- hoben. Von besonderer Wichtigkeit ist die Atherose. Die Obturation der Gefässe durch Embolie bringt aber verschiedene Processe hervor: unter Umständen Erweich- ung, und zwar rothe, weisse breiige und gelbe, Apo- plexie und Atrophie, letztere besonders dann, wenn die Nahrungszufuhr allmälig abgeschnitten wird , und durch gleichzeitigen Druck die Resorption relativ zur Nahrungs- zufuhr vermehrt ist; Extravasation, wenn die ein- treibende Kraft des Blutstroms über den Widerstand der Gefässwandung überwiegt. So wichtig die Lehre der Em- bolie für die Genese dieser Zustände ist, so sehr sie ge- eignet ist, eine Reihe von Fällen eines plötzlichen Todes zu erklären, so einseilig ist es nach Leubuscher, sie für die alleinige Ursache zu halten, und man muss in vielen Fällen auf eine Alteration der Blutmasse wieder zurückkommen, wobei die Gefässverstopfung nur etwa die localisirende Gelegenheitsursache abgibt (Typhus, Pyämie, Brand des Gehirns nach Decubilus, nach Lungengangrän) oder ganz auszuschliessen ist. 4) Deutsche Klinik 1855. 10. — Leubuscher, Patho- logie der Gehirnkrankheiten S. 292 — 330. 256 Hinsichtlich des Verhältnisses der Entzündung zur Erweichung lassen sich nach L. vom anatomischen Stand- punkte aus etwa folgende Sätze aufstellen: 1) Die Entzündung ist gewöhnlich in ihrem Verlaufe entweder sogleich im Anfange oder später mit Erweich- ung verbunden; 2) die Erweichung entsteht durch Imbibition, durch capilläre Apoplexie oder durch selbstständige, verschieden- artig bedingte Ernährungsalteralionen ; 3) es gibt also mit Ausnahme weniger Fälle der schnellen Gerinnung des Exsudates keine Entzündung ohne Erweichung; wohl aber, wenn man den Begriff der Entzündung auf die Existenz von Hyperämie und den Austritt plastischen Exsudates beschränkt, Erweichung ohne Entzündung. Eisenmann hat schon vor einer Reihe von Jah- ren die Ansicht ausgesprochen, dass überall, wo Stasen im Gehirne sich finden, auch eine Erweichung zu Stande kommen könne. Dieser Ansicht ist er getreu geblieben und verwirft auch jetzt entschieden die Necrotisirungs- theorie '). Auch die Embolie bewirkt nach Eisenmann nur dadurch Exsudation und Erweichung, dass sie ver- mehrten Blutandrang zu den noch freien benachbarten Gefässen, sowie zu den in das Stromgebiet des verstopf- ten Gefässes gehörigen und von Seite der Collateralen mit Blut versorgten Aesten hervorruft. Er beruft sich hiebei auf das von ihm seit Jahren zur Erklärung der Hyperämie und Stase angewandte hydraulische Gesetz, dass nämlich, wenn von einem Röhrensysteme, durch welches eine Flüssigkeit mit einer gewissen Kraft getrie- ben wird, eine oder die andere Röhre ausfällt, die trei- bende Kraft aber gleich bleibt, in diesem Falle die Pro- pulsivkraft, die an den ausfallenden (verstopften) Röhren erspart wird, auf die anderen wegsam gebliebenen Röh- ren übergeht, wobei dann je nach dem Zustande der Röhrenwandungen und dem Widerstande, den sie dem Blutstrome zu bieten vermögen, entweder blos Beschleu- nigung der Circulation oder Ausdehnung der Wandungen, oder, wenn dieselben nicht mehr hinreichend elastisch sind, Berstung derselben die Folge ist. (Schluss folgt.) 4) Canst. Jahresber. 1853. Bd. III. S. 60. Miscelle. Nekrolog. Am 18. Aug. starb in Marburg Professor Hüter, Director des Hebanımeninstituts und der Entbind- ungsanslalt. Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena. Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. EIER. Band 17. Naturkunde. Büchele, Fortschritte der Naturwissenschaften im Jahre 1856. (Forts. folgt.) — Miscelle. Trebu- chet, Augen von Mumien. — Heilkunde. D. Ullmann, Zur Gehirnerweichung. (Schluss.) — R. Virchow, Ue- ber congenitale Nierenwassersucht. (Schluss folgt.) — Bibliographie, Naturkunde. Fortschritte der Naturwissenschaften im Jahr 1856. Von Dr. Büchele *). 1) Betrachtungen über die niedern Ge- schöpfe. Wir werfen zuerst einen Blick auf die Menge der- jenigen Wesen, welche überall im Wasser, in der Luft, in den Schichten des Erdballs und selbst im Innern un- serer Organe zu existiren scheinen. Diese Wesen sind nicht nur an Zahl unberechenbar, sondern stehen sehr oft den vollkommensten Geschöpfen weder im Detail ihrer Organisation, noch in Feinheit des Instinkts nach. Die einen bezeichnet man mit dem Na- men Infusorien; sie entwickeln sich, sobald man Pflanzenreste oder organische Stoffe im Wasser erweicht; die andern werden Räderthierchen genannt, man findet sie auf dem Moos von Dächern; andere endlich leben als Parasiten in den Organen der verschiedenen Thiere; die Naturforscher bezeichnen sie als Helmin- then. In Deutschland sind diese kleinen Wesen am häufig- sten und erfolgreichsten studirt worden; Professor Eh- renberg hat beinahe sein ganzes Leben der Erforsch- ung der lebenden urd fossilen Infusorien geweiht. Wie- ner Gelehrte haben Jahre lang tausend Thiere geöffnet, um die Parasiten darin zu entdecken, und so eine reiche Sammlung von Eingeweidewürmern gebildet; andere Na- turforscher, wie Dujardin in Frankreich und Diesing in Deutschland, haben gedultig Kataloge aller Würmer entworfen und die Zahl aller Arten, die sie zur Kennt- niss gebracht haben, ist unendlich. *) Nach der Revue contemporaine 1857, 3 Jedes Jahr entdeckt, beschreibt, classificirt man eine Menge neuer Infusorien und noch unbekannter. Helmin- then. Man war eine Zeit lang der Meinung, diese We- sen seien mit einem sehr einfachen Organismus begabt und nichts als eine Art lebendiger Gallerte; allein eine genauere Beobachtung hat diesen Irrthum zerstreut und den Anatomen gezeigt, dass sie weit davon entfernt wa- ren, sich von jenen seltsamen Geschöpfen eine richtige Idee zu machen. Wir finden in den Studien des vergangenen Jahres Entdeckungen, welche diese Ansicht rechtfertigen. Lie- berkühn hat in einem mikroskopischen Infusorium, der Bursaria flava, mehr als 30 Gefässe, welche von einem zusammenziehbaren, die Stelle des Herzes vertretenden Bläschen ausgehen, beschrieben, und an den Seiten des Kopfes der Ophryoglena flavicans ein Sinnesorgan ent- deckt. Das Studium der Helminthen hat die Anatomen noch mehr in Anspruch genommen. Dr. G. Walther entdeckte in dem Körper der Oxyuris ornata, eines klei- nen, parasitischen Wurms in den Eingeweiden des Was- sermolchs, nicht blos Magen und Eingeweide, sondern auch Gefässe, welche das Blut hin und her führen, dicke Muskeln, Gehirn und Nerven, welche das Leben regie- ren, ja er konnte sogar diese so feinen Nervenfäden ver- folgen und ihren innigen Zusammenhang an der Ober- fläche der Haut verfolgen. Das Nervensystem der Asca- riden (parasitischer Würmer, gewöhnlich in den Einge- weiden der Kinder) war kaum bekannt. Dr. Wed] hat eine genaue Beschreibung davon gegeben. Derselbe Ana- tom hat einige unbekannte Arten von Parasiten beschrie- ben; so die Oxyuris spirotheca, welche in den Einge- weiden eines Insekts (Hydrophilus picaeus) wohnt; die Filaria clava, welche in dem das Luftgefäss der Taube umgebenden Zellengewebe lebt; die Filaria flexuosa, wel- che man unter der Haut des Hirsches trifft. 17 259 Es könnte Personen, die mit der Naturgeschichte wenig vertraut sind, auffallen, dass gewisse Arten von Parasiten in den Eingeweiden eines Insekts, in den Luft- gefässen eines Vogels, in den Muskeln eines Säugethie- res wohnen können. Es gibt in der Wissenschaft noch viel unerklärlichere Dinge. Warum haben gewisse Para- siten selbst wieder ihre Parasiten® Wie kommt es, dass jede Region des Körpers eines und desselben Thieres ihre eigenthümlichen Würmer hat, wie jeder Theil des Erd- balls seine zoologischen und botanischen Arten. Man kennt zu Hunderten die Parasiten der Vögel, Reptilien, Fische; man findet deren eine grosse Anzahl bei den Mollusken und Crustaceen; einige derselben leben nahe am Magen der Blutegel, selbst in den Reproduclionsorganen des Erdwurms und in den Fühlfäden gewisser Schalen- schnecken: Alles ist Leben und Thätigkeit. Eine sehr unerwartete und an unsern Gegenstand anknüpfende Entdeckung wurde in diesem Jahre durch Philippi und Küchenmeister gemacht. Bei der Untersuchung der Perlen der Kla@- und Teichmuscheln fand Prof. Philippi zu Turin in der Mitte von jeder derselben einen kleinen parasitischen Wurm aus der Gruppe der Trematoden; dieser Wurm ist es, welcher die Bildung der Perle bestimmt. Er dringt in die Schale der Mollusken in dem Augenblicke ein, wo dieser sie offen hält; er übt bald einen gewissen Reiz auf denselben aus, welchem sich dieser zu entziehen sucht. Um sich von ihrem gefährlichen und unversöhnlichen Feinde zu be- freien, umschlingt die Muschel ihn endlich mit einer dich- ten Hülle, welche von der Ausscheidung des Mantels ent- steht: diess ist der Ursprung der Perle. Philippi glaubt, dass die Perlen der Meleagrinen auf keine andere Art gebildet werden. Küchenmeister theilt nicht ganz dessen Ansicht; er gibt wohl zu, dass jede Perle stets in ihrem Mittelpunkte einen Parasiten hat, aber nimmt nach seinen Untersuchungen denselben für die Larve eines Insektes, nämlich der Atax ypsilophora. Er wollte hiervon sogleich die Anwendung machen und fragte sich selbst, ob es bei Einbringung ähnlicher Larven unter die Schale lebendiger Klaffmuscheln nicht möglich wäre, die Bildung der Perlen zu bestimmen; jedoch ist über die hiebei gewonnenen Resultate noch nichts bekannt ge- worden. Wenn schon die unberechenbare Zahl der Parasiten unser Erstaunen erregt, wie viel mehr ihre Kleinheit und wunderbare Organisation, die Sorgfalt, welche die Natur für deren Erhaltung verwendet! Spallanzani, Leu- wenhoek, Needham haben im vorigen Jahrhundert die Beobachtung gemacht, dass gewisse Thiere Monate lang einem Austrocknungsprocess unterworfen werden kön- nen, ohne desshalb ihre Lebenskraft zu verlieren. Sie leben wieder auf, sobald man sie mit einem Tropfen Wasser befeuchtet. Man wollte die Sache nicht recht glauben und legte ihr keine sonderliche Wichtigkeit bei; doch wurden die Untersuchungen vor etwa 50 Jahren durch Doy&re und erst kürzlich durch den Zoologen 260 Dr. Davaine wieder aufgenommen, und ihnen zufolge zeigen mehrere Infusorien, 8 Arlen der im Moose der Dächer wohnenden Würmer, und mehrere niedrige Pfllan- zen die sellsamen Erscheinungen des latenten Lebens, Dasselbe ist nur ein Erbtheil von einer Familie oder ei- ner ganzen Gruppe, aber knüpft sich an gewisse Be- dingungen der Fortpflanzung und des Wohnorts. So geht, während die Zitterwürmer der Moose nach langer Ver- teocknung ihre Beweglichkeit wieder annehmen können, den im Wasser lebenden Zitterwürmern diese Eigenschaft ab. Gewisse Larven, welche geraume Zeit in Körnern ihren Sitz haben, sind dieses latenten Lebens theilhaftig, aber die vollkommenen Insecten, welche aus diesen Lar- ven hervorkriechen, entbehren dieses wunderbaren Mittels, der Zerstörung zu entgehen. Jeder Landmann weiss, dass in Regenjahren das Getreide einer unter dem Namen Russ oder Brand be- kannten Krankheit unterworfen ist. Diese kommt von kleinen Fadenwürmern her, welche sich an die Aehre hängen und den Kern vernichten. Untersucht man bei der Reife die kranke Aehre, so findet man nichts als ge- haltlosen Staub; aber dieser Staub belebt sich, sobald man einige Tropfen Wasser darauf giesst, und nach kur- zer Zeit erscheint eine ungeheuere Menge langer, Aelchen genannter Würmer. Setzt man ein gesundes Samenkorn neben ein krankes, so keimt das erste, während das an- dere aufschwillt und verfault. Angeregt durch die Feuch- tigkeit, erlangen die parasitischen Aelchen wieder das Leben, welches einen Augenblick durch die Trockenheit des Sommers unterbrochen war; man sieht sie gewisser- maassen wieder erwachen, und dieser lebendige Staub be- wegt, dehnt sich aus, erreicht bald das gesunde Getreide. Die Aelchen hängen sich an den jungen Halm, verbergen sich unter den Blättern und warten, bis die Reife der Aehre ihnen reichliche Nahrung bietet. In diesem Zeit- punkte entwickeln sich die Larven, wachsen, die Ge- schlechter scheiden sich, und das Weibchen säumt nicht, Eier zu legen; diese öffnen sich, die Larven dieser 2. Generation schlüpfen aus und leben in derselben Höhlung eingeschlossen, wie die Eltern. Die Achre, welche der parasitischen Familie zum Asyl dient, ist bald vertrock- net; die alten Aelchen sterben und in der Hülse bleibt nichts übrig, als die dürren Larven, einem sehr feinen Staube gleichend. In dieser Gestalt erhalten sie sich, bis das Korn gesäet wird, welches nun, durch die Feuchtigkeit des Bodens befruchtet, diesem latenten Leben ein Ziel setzt und neue Phasen der Existenz beginnt. Durch Be- obachtung hat sich Davaine überzeugt, dass nur die Larven der Aelchen dieses Privilegium latenten Lebens haben; nie zeigt sich die Erscheinung bei den vollständig entwickelten Individuen. Die Lebensfähigkeit ist nicht dieselbe bei den Lar- ven der Aelchen und bei den vollkommenen 'Thieren. Die Erfahrung hat diess dargethan. Jene leben 2 Monate im Wasser, diese nur 36 Stunden; jene leben 2 Stun- den in einer Auflösung von 130 Schwefelsäure, wider- 261 stehen 6 Stunden in einer Mischung von 3 Theilen Was- ser, 1 Theil Alkohol, halten 5 Stunden eine Temperatur von weniger als 20 Grad aus, dauern mehrere Monate im Glycerin und mehrere Jahre im Zustande der Ver- trocknung, ohne das Leben zu verlieren; diese dagegen sterben schnell unter denselben Umständen weg. Bemerken wir mit Erstaunen bei diesen untergeord- neten Wesen und kaum erkennbaren Geschöpfen zusam- mengesetzte Organe, vielfache Funktionen, so darf es uns auch nicht befremden, Instinkten hier zu begegnen, welche dieselben den höchsten Wesen der Schöpfung nahe bringen. Diese kleinen Creaturen besitzen in der That nicht nur diese blinden Antriebe, welche sie veranlassen, sich zu erhalten und ihre Art forzupflanzen; die Natur hat noch mehr für sie getlhanz sie hat dieselben gesell- schaftlich gebildet, hat ihnen tausend verschiedene Mittel der Erhaltung gegeben, hat ihnen selbst sociale Instinkte eingellösst. Jedermann weiss, dass die Insekten Gesellschaften bilden, dass diese Gesellschaften Oberhäupter, Soldaten, Arbeiter, dass sie alle ihre Rollen, Gewohnheiten und ihren Charakter haben. Unter den Insekten gibt es in dieser Hinsicht für den Philosophen nichts Unerklärliche- res, als die Termiten oder weissen Ameisen. Seit den Untersuchungen von Smeathman (1781) kennt man deren Geschichte ziemlich gut; wir würden desshalb nicht davon reden, wenn wir dieselbe nicht durch eben ver- öffentlichte, sehr interessante Details zu ergänzen hätten. Man kennt dermalen wenigstens 21 Arten von Ter- miten; 9 gehören Afrika, 9 Amerika, 2 Asien und 2 oder 3 Europa, oder vielmehr Frankreich an, wo sie zu Rochelle, Rochefort und bis in die Gegend von Bordeaux so grosse Verwüstungen anrichten. Es scheint ziemlich ausgemacht, dass sie sich erst ums Jahr 1780 zu Ro- chelle gezeigt haben und in Waarenballots von St. Domi- nique eingeführt worden sind. Die Termiten der heissen Landstriche gleichen, we- nigstens ihren Wohnungen und Gewohnheiten nach kei- neswegs denen Frankreichs, und namentlich nicht der licht- scheuen Termile von Bordeaux. In Afrika sind die Ter- miten wesentlich Baumeister; sie errichten Wohnungen von 3—4 Meter Höhe, mit Vorrathshäusern, Gemächern für die Larven, Brütöfen für die Eier, Zellen für die Soldaten, nebst einer geräumigen Centralloge für das könig- liche Paar. Die Termiten aus den Oandes oder Haiden von Bordeaux bauen einfacher; sie bemächligen sich eines alten Fichtenstumpens, legen darin ihre Gallerieen an und vertheilen die Zellen. Ueberall in Afrika, wie in Frankreich, machen sich die Termiten durch den Zerstörungstrieb bemerklich, von dem Linne eine richtige Vorstellung gibt, wenn er sie die Geissel beider Indien, Termes utriusque Indiae cala- mitas summa, nennt. Sie schlüpfen in die Wohnungen und Magazine, zernagen das Holz, greifen Planken und Dächer an. „Man sah,“ sagt Quatrefages, der sie zu La Rochelle beobachtete, „wie sie in einer einzigen 262 Nacht in den Fuss eines Tisches eindrangen, ihn von unten nach oben durchbohrten, den darauf stehenden Reisekoffer eines Ingenieurs erreichten und dessen Inhalt so vollständig verzehrten, dass am andern Morgen nicht ein Zoll von Kleidungsstücken sich fand, der nicht wie ein Sieb durchlöchert war. Man versichert, dass sie in einer Nacht ein Negerdorf von Grund aus zerstören kön- nen. Zu Rochelle überfielen sie die Präfectur und re- spectirten nicht einmal das Departement-Archiv. Die Termiten von Bordeaux richten weniger Ver- wüstung an. Ihre Anatomie und Lebensweise hat Lespes zum Gegenstand seiner Beobachtungen gemacht. Diesem Naturforscher zufolge besteht eine Gesellschaft Termiten 1) aus einem fruchtbaren Paar, dem König und der Kö- nigin iu den grossen Gesellschaften, und in einem oder zwei halbfruchtbaren Paaren, den kleinen Königen und Königinnen in den jungen Colonieen; 2) aus einer gros- sen Anzahl Geschlechtsloser, welche als Arbeiterinnen und als Soldaten auftreten; 3) aus jungen Individuen, Larven oder Nymphen in verschiedenen Zuständen der Entwickelung. Bei der zweiten Classe ist das zur Fort- planzung dienende Werkzeug geschwunden. Sie haben weder Flügel noch Augen. Mit allen Sorgen für das Ge- meinwesen belastet, sind sie es, welche dasselbe verthei- digen, die Gallerieen graben, die Nester bauen und die Jungen aufziehen. Die Arbeiterinnen sind 3—4 Milli- meter lang; man erkennt sie an dem gerundeten, mit schwachen Kinnladen verschenen Kopfe. Die Soldaten unterscheiden sieh durch ihren länglichen Kopf und die mächligen Kinnladen. Sie bewachen die Nester; sie eilen herbei, sobald von einem Insect oder der Hand des Men- schen ihrer Wohnung die geringste Gefahr droht. Sie schlagen sich unerschrocken, während die Truppen der Arbeiterinnen die Breschen repariren. Ist Alles wieder in Ordnung gebracht, fahren die Arbeiterinnen mit ihrem Werke unter der Direction eines Soldaten fort. An der im Bau begriffenen Mauer aufgestellt, schlägt die Wache jede Minute mit ihren Zangen an das Gewölbe, gleich- sam um das Signal zu geben. Man antwortet jedes Mal mit einem Pfeifen, das aus allen Theilen des Gebäudes erfolgt. Diese Soldaten sind nolhwendig, denn die Ter- miten haben ihre Feinde. Mehrere Vögel greifen sie an: die Ameisen liefern ihnen furchtbare Schlachten. Lespes hat diese mehrmals siegreich mit Larven und Eiern, wel- che sie aus den Wohnungen der Termiten geraubt hatten, in ihre Gallerieen zurückkehren sehen. Aber wehe den Ameisen, welche unter die mächtigen Kiefern der Solda- ten fallen! Die Arbeiterinnen bauen das Nest, welches in Betracht ihrer Grösse sich gigantisch zeigt. Es ist eilfmal höher, als nach Verhältniss der menschlichen Gestalt das höchste unserer Monumente. Sie sind es, welche für die Königin sorgen und die Bier in die für deren Aufnahme bestimmten Zellen bringen. Sie reini- gen dieselben vorsichtig durch Belecken und nähren sie mit einem von ihnen zubereiteten Safte, den sie in deren Mund bringen. ls 263 Bei tieferem Eindringen in das Nest trifft man da- selbst Insekten, welche an Gestalt von den Arbeiterinnen und Soldaten ganz verschieden sind. Das sind die Lar- ven, von denen die einen die geschlechtlosen werden; sie sind durch die Abwesenheit der Flügel kennbar, und man findet sie in grosser Anzahl Winters und Frühlings. Die andern, aus welchen die Geschlecht- begabten Insekten entstehen, zeigen zwei verschiedene Formen. Die Larven der ersten Classe haben lange Flügeldecken, machen ihre zweite Verwandlung im May durch und werden dann kleine Könige und Königinnen; sie wandern in der Folge aus und pflanzen sich in andern Wohnungen fort. Die Larven der zweiten Classe erhalten erst Flügel im Au- gust und ihre zweite Wandlung erfolgt im Herbst. Aus diesen Larven entstehen Könige und Königinnen, welche nicht auswandern und in der königlichen Zelle einge- schlossen leben. Die Königin ist merkwürdig durch ihre Grösse, zusammengesetzte Organisation und die unbere- chenbare Zahl der Eier, welche sie legt. Bei den indi- schen Termiten ist nach Smeathman die Königin so schwer als 30,000 Arbeiterinnen; sie kann 60 Eier in der Minute legen, was täglich 80,000 ausmacht, und diess geht das ganze Jahr mit derselben Fruchtbar- keit fort. Lesp£s hat jedes Individuum, aus welchen die Ge- sellschaft der Termiden besteht, einer vollständigen Ana- tomie unterworfen; stand aber dabei nicht still, sondern fand noch mehrere parasitische Thiere bei den Termiten und insbesondere einen Fadenwurm und verschiedene In- fusorien. Merkwürdiger Weise schliessen in der brasi- lischen Provinz Minas Geraes die Termiten noch Insekten ein, welche nach Art der Hausthiere bei ihnen wohnen. Nach den Akten der Akademie von Kopenhagen sind es die Raubkäfer, und diese gebären, ein Ausnahmsfall unter den Insekten, lebendige Junge. Wir schliessen unsern Bericht über die Lebensweise der Insekten mit einigen Bemerkungen von Favon über die Blumenwespen. Diese Insekten graben sich horizon- tale Gallerieen, in welchen sie ihre Eier niederlegen und bringen die für die jungen Larven nothwendige Nahrung dahin. Diese besteht hauptsächlich in einem Insekt, wel- ches der Gruppe der Kornwürmer angehört, dem Cleonus ophthalmicus. Die Blumenwespe legt dasselbe auf den Rücken, sticht es zwischen dem ersten und zweiten Fuss- paar und in der Gegend, wo die vereinigten Brustnerven- Heilk Zur Gehirnerweichung. Von Dr. D. Ullmann (Würzburg). (Schluss.) Ist nun keine Möglichkeit eines Collateralkreislaufes vorhanden, wie bei Verstopfung der Lungenarterie, so 264 knoten vereinigt sind; um diese Knoten führt sie eine kaustische Flüssigkeit ein und der Cleonus ist todt. Das Schauspiel der Instinete und der Organisation der Thiere ist so anziehend, dass man sich gern dem Vergnügen, es im Detail zu betrachten, hingibt. Alle diese kleinen Wesen, welche unter Gras und Kraut wim- meln, verbergen ohne Zweifel noch viele andere Wunder, Aber unsere Sinne sind so grob, unsere feinsten Instru- mente so unvollkommen, dass wir trotz aller Anstreng- ungen nur in die Mitte der Dinge einzublicken vermögen, niemals, wie Pascal sagt, den Anfang oder das Ende zu ergründen im Stande sind. Bedenken wir wenigstens beim Anblick so vieler Wunder, dass jedes Atom dieses ungeheuren Universums der Schauplatz der stillschweigen- den Offenbarung einer Macht ist, ohne welche es für uns nichts Verständliches gibt! (Fortsetzung folgt.) Miscelle. Herr Capitän Trebuchet hat Augen von Mumien aus Peru der Academie zu Paris (C. R. T. XL1lI. 707) vor- gelegt, welche zahlreich in einem Hügel bei Arica gefunden worden waren. Gegen das Ende der Herrschaft der Incas hatten sich sehr viele Individuen, wie es auch in anderen Gegenden von Peru häufig geschehen war, im Hügel bei Arica nach dem Ableben eines Königs oder einer anderen hervorra- genden Persönlichkeit lebendig begraben lassen. Man findet diese Begrabenen in einer und derselben Stellung: kauernd, die Arme an den Körper angelegt und mit den Händen die Schultern berührend. Sie sind zum Theil merkwürdig gut erhalten, natürliche Mumien, mit dünnen Ueberresten einer braunen ausgetrockneten Fleischsubstanz. Am meisten aber erregten ihre erhärteten glänzenden und fast transparenten Augen, welche an Volumen den verschiedenen Lebensaltern der Begrabenen zu entsprechen schienen, die Bewunderung. Herr Jobert hat diese Augen untersucht und erklärt, dass ihnen die Elemente der natürlichen Organisation fehlen, und dass dieselben daher künstlich erzeugt seien. Herr Payen fand durch chemische und mikroskopische Behandlung, dass die Augen aus 6 oder 7 polirten. dünnen, durchsichtigen, ku- gelförmigen Kapseln von weissgelbem oder röthlichem Horn bestehen, welche ganz genau in einander passen, und durch dazwischen liegende dünne Gelatinenschichten verbunden sind. Das Ganze war mit einem-äusserst dünnen, zähen und an den Rändern der Kapseln festhaftenden Blätichen bedeckt. — Es scheinen in Peru die Augen ein Gegenstand der Vergölterung gewesen zu sein; die glänzenden Augen gewisser Vögel wur- den verehrt und die Nachteule selbst „wegen der Schönheit ihrer Augen“ angebetet. (Allg. deutsche naturhist. Ztg. N. 12. 1856.) unde. entsteht nach Eisenmann selbstverständlich Collapsus im Gebiete der verstopften und apoplektischen Herde im Gebiete der benachbarten Zweige; ist aber ein Collateral- kreislauf vorhanden, wie im Gehirn, so kann eine der- artige Verstopfung nicht blos Hyperämie, sondern auch Stase, 265 mit ihren Produkten im combinirten Stromgebiete der wegsamen und verstopften Arterien zur Folge haben. Die von Hasse und Kölliker beobachteten bla- senförmigen Auftreibungen (wahren Aneurysmen) der Ca- pillaren und kleinen Venen, sowie die von Pestalozzi beschriebenen Aneurysmata spuria der kleineren Gehirn- gefässe scheinen nur insofern für die Aetiologie der Er- weichung von Bedeutung zu sein, als sie sowohl zu Sta- sen in der Gehirneireulation überhaupt, wie besonders auch zu den immer in Begleitung frischer Erweichun- gen auftretenden capillären Hämorrhagieen Veranlassung geben. Wir sehen also, dass auch in Deutschland der Haupt- sache nach dieselben Ansichten wie in Frankreich sich gegenüberstehen, indem die Einen die Erweichung über- haupt oder doch einzelne Arten derselben auf einen Ex- sudativprocess, die Anderen auf eine durch Absperrung der Blutzufuhr bedingte Necrose der Hirnsubstanz zurück- führen. Wenn nun auch die Auffindung eines autochthonen oder embolischen Pfropfes in vielen Fällen sehr schwie- rig sein mag und man wohl annehmen darf, dass beide Erscheinungen, besonders aber die Embolie gewiss einer grösseren Anzahl von Erweichungsfällen, besonders sol- cher, die apoplexieähnlich auftreten, zu Grunde liegen, so findet diese Verschliessung der Gefässe doch immerhin nur in einer beschränkten Anzahl von Fällen statt und auch von diesen müssen wir wieder eine gewisse Zahl ausscheiden, nämlich diejenigen, in welchen die Obstruk- tion erst secundär durch die vorausgegangene Erweichung in der Umgebung bedingt wurde. Wir sind aus den bereits vom Verf. ausführlich aus- einandergesetzten Gründen nicht berechtigt, anzunehmen, dass ein durch Absperrung des arteriellen Blutzuflusses bedingter nekrotischer Process auch da stattgefunden habe, wo nur eine atheromatöse Degeneration, nicht aber die gänzliche Verschliessung des Lumens einer Arterie nach- zuweisen ist. Wir müssen ferner selbst für die nekrotische Ent- stehung der embolischen Erweichung vor Allem den Ver- gleich mit der Gangraena senilis als unzulässig beseitigen, da, wie Gendrin, Emmert und Virchow!) nach- gewiesen haben, gerade der senile Brand am wenigsten auf einer primären Verstopfung der Arterien beruht und die bei ihm hie und da, jedoch keineswegs regelmässig vorkommende Obstruktion der Gefässe meist eine secun- däre und durch die bereits vorhandene Gangrän in der Umgebung bedingte ist, während die Embolie vielmehr zu dem mehr trocknen, mumificirenden Brand der soge- nannten Gangraena spontanea Veranlassung gibt. Anderseits lässt es sich wohl kaum bestreiten, dass im Gehirne auch durch keine absolute Obstruktion der 1) Spec. Pathol. I. S.178 und 288. — Gesammelte Ab- handlungen S. 257 und 448. 266. Gefässe hervorgerufene Exsudativprocesse vorkommen, die zur Erweichung und zur völligen Destruktion der Gehirn- substanz führen. Bei der hydrocephalischen Erweichung, beim Gehirnödem des Kindesalters denkt an und für sich Niemand an ein derartiges ursächliches Moment; die acu- ten Hydrocephalieen treten mit dem Jünglings- und Man- nesalter in den Hintergrund, aber es kommen auch hier noch Exsudativprocesse im Gehirne vor, welche nicht zur Eiterbildung, sondern zur Erweichung und zum moleku- lären Zerfall der Gehirnsubstanz führen. Wir erinnern blos an jene zahlreichen Fälle von Meningitis und gleich- zeiliger peripherischer Encephalitis, welcher hier der ent- zündliche Ursprung wohl nicht abgesprochen werden kann, sowie von Zellenerweichungen im Marklager der Hemi- sphären, bei welchen ein gänzlich zerstörtes und in De- tritus aufgelöstes Gewebe noch von zahlreichen injieirten Blutgefässen durchströmt wird '). Wenn nun im Allgemeinen die Hyperämie und Ex- sudation jedenfalls mit unter die der Erweichung zu Grunde liegenden pathologischen Vorgänge aufgenommen werden müssen, so fragt es sich anderseits, ob wir die embo- lische Erweichung ebenfalls als durch eine Stase, oder durch einen Nekrotisirungsprocess, d.i. durch vollständige Aufhebung der Ernährung hervorgerufene zu betrachten haben. Wir werden behufs der Beantwortung dieser Frage uns vor Allem nach eigenthümlichen anatomischen Charakteren umzusehen haben, welche die entzündliche ?) und die embolische Erweichung von einander unterschei- den lassen. Die Farbe der erweichten Partie ist wenig geeignet, eine differentielle anatomische Diagnose zu be- gründen. Wir finden die rothe Farbe der Erweichung, bedingt durch Capillarhämorrhagie oder durch Imbibition der Hirnsubstanz mit einem von dem Hämatin der Blut- körperchen gefärbten Exsudate constant als Anfangssta- dium der entzündlichen Erweichung, wie z. B. in einem von Burrows°), von Traube) und von Bierck°) beschriebenen Falle, besonders aber in einer Beobacht- ung Virchow’s ©), welche uns eine roihe und eine gelbe Erweichung neben einander vorführt, und es sehr wahrscheinlich macht, dass auch die gelbe Farbe der embolischen Erweichung aus der rothen hervorgegangen und daher nur als eine andere Stufe der Pigmentbildung zu betrachten ist. Wir treffen ebenso die gelbe Erweich- ung theils für sich theils neben rother und weisser Er- weichung in Fällen, in welchen keine Abnormität des 1) Vergl. Beob. 16 und Durand-Fardel, Traite du ramollissement etc. Beob. 48. 2) Wenn wir von Entzündung und entzündlicher Erweich- ung sprechen, so müssen wir hier für jene den allgemeinen Begriff einer ihren Ausgang in Exsudation nehmenden Hyper- ämie in Anspruch nehmen. 3) Canst. Jahresb. 1853. Bd. II. S. 60. 4) Leubuscher, a. a. 0. S. 309. 5) Ebend. 1854. Bd. IV. II. S. 66. 6) Gesammelte Abhandl. S. 434. 267 Herzens oder sogar ausdrücklich die Integrität der Herz- klappen angemerkt ist, während nach den bisherigen Erfahrungen, nur mit Ausnahme eines in dieser Bezieh- ung zweifelhaften Falles von Schützenberger, die Embolie der Gehirnarterien constant durch Klappenfehler bedingt wird. Wir sind daher nicht berechtigt, die gelbe Farbe als Privilegium der embolischen Gehirnerweichung zu be- trachten. In mikroskopischer Beziehung kann dem Vor- handensein von Körnchenzellen und Fettaggregatkugeln, auf welche besonders Bennet und Gluge grosses Ge- wicht legten und welche sie als Zeichen entzündlicher Erweichung betrachteten, schon deswegen keine specielle Bedeutung für die embolische Gehirnerweichung, bei der sie gleichfalls vorkommt, beigelegt werden. Auch haben Türck’s Untersuchungen!) dargethan, dass die Bildung von Körnchenzellen nur die Bedeutung einer regressiven Metamorphose der Nervensubstanz involvirt, unter welche Kategorie, wie wir früher bemerkt haben, auch die vom Verfasser unter der Bezeichnung der chronischen Erweich- ung, gelbe Platten, Zelleninfiltration u. s. w. zu subsu- miren sind. — Dass aber die Erweichung, wenn sie zur Heilung gelangt, zuletzt in ein vollständiges Verschwin- den der Nervenfasern und Ganglienzellen und einen voll- kommenen Detritus endigt, kann nach unserer Ansicht keineswegs als vollgültiger Beweis eines nekrotischen Processes betrachtet werden; es dürfte dies vielmehr als natürliche Folge einer längeren Maceration der Nerven- substanz durch exsudirtes und nicht zur Resorption ge- langendes Serum zu betrachten sein). Im Uebrigen sind wohl auch ausser der embolischen Erweichung we- nige Exsudativprocesse, die im Greisenalter zur Gehirn- erweichung führen, als genuine Entzündungen zu be- trachten; es sind vielmehr in der Regel Stasen, die durch die dem Greisenalter eigenthümlichen Degenerationen der Gefässe oder andere Involutionsprocesse des Gehirns her- vorgerufen sind und schon an und für sich ein weniger plastisches Exsudat setzen °). Im Gegensatz zu der Erweichung, welche die Folge des suspendirten arteriellen Blutzuflusses sein soll, treffen wir ferner bei hohen Graden von Anämie des Gehirns, nach bedeutenden Blutverlusten, beim sogenannten Hydro- cephaloid der Kinder u. s. w. die Gehirnsubstanz nicht, — 00. 1) Ueber die secundäre Erkrankung einzelner Rücken- markstränge und ihrer Fortsetzungen zum Gehirn. Zeitschr. der ges. Wiener Aerzte 1852 December und 1853 Octbr. und Novbr. und Froriep’s Notizen 1857. Bd. II. 2) Vgl. Rokitansky, Pathol, Anatomie I. Bd. II. Aufl. S. 116. 3) Vergl. Virchow, Specielle Pathol. I. $. 136: „Die Stockung an sich bedingt keine bedeutenden positiven Krank- heitsvorgänge, sondern mehr negalive Zustände“ und 8. 137: „Die Ernährungsslörungen, welche die Stockung hervorbringt, sind wesentlich negativer Art und bewegen sich daher haupl- sächlich im Gebiet der regressiven und nekrolisirenden Vor- gänge.* 268 wie man nach jener Theorie es erwarten sollte, weich und feucht, sondern trocken und zähe an. In einem von Rühle beobachteten Falle von em- bolischer Verstopfung der linken Carotis cerebralis ist allerdings Grund vorhanden, den Tod auf Rechnung der durch eine bedeutende Stenose des linken Ostium venosum in hohem Grade begünstigten Suspension. des arteriellen Blutzuflusses zu schreiben. Es trat in diesem Falle Läh- mung und nach. 7 Stunden der Tod ein; aber gerade hier war keine abnorme Beschaffenheit und besonders keine Veränderung der Consistenz der im Stromgebiet der verstopflen Arterie gelegenen Hirnsubstanz wahrzu- nehmen. Ebenso war bei dem von Virchow!) vorge- nommenen Experimente an einem grossen Treiberhunde, dem derselbe in die Arteria laryngea sinistra in der Rich- tung gegen die Carotis Quecksilber injieirte, bei der Section keine Veränderung der Hirnsubstanz sichtbar. Beide Beobachtungen wollen wir keineswegs als vollgül- tige Beweise gegen das nekrotische Zustandekommen der Erweichung anführen, weil möglicherweise die kurze bis zum Tode verflossene Zeit die Bildung einer Hirnnekrose nicht gestattet haben konnte, aber sie dürften wenigstens geeignet sein, uns gegen die unbedingte Annahme jener Theorie vorsichtig zu machen. Endlich glauben wir mit dem Verf., dass das con- stante gleichzeitige Vorkommen der capillären Hämorrha- gieen bei frischen und auch häufig bei älteren Erweich- ungen in der Aetiologie derselben eine sehr wichtige und keineswegs immer eine Nebenrolle spielt: wie in vielen Fällen die capilläre Hämorrhagie blos die Begleiterin der Erweichung ist, so mag sie auch zu letzterer häufig erst den Anstoss gegeben haben, wenn auch ihre Spuren in der Leiche nur noch ‘in geringem Grade oder selbst gar nicht mehr wahrzunehmen sind. Alle diese vorausgegangenen Erwägungen führten uns im Wesentlichen zu der Ansicht Eisenmann’s zurück, dass die Annahme einer Hirnnekrose zur Zeit noch eines sicheren Anhaltspunktes entbehrt, und dass vor der Hand die Stase auch als Grundprocess der embolischen Erweich- ung, wenn auch nicht erwiesen, doch jedenfalls viel wahr- scheinlicher erscheinen dürfte.‘ Ueber congenitale Nierenwassersucht. Von Virchow (Berlin) *). Während ich noch auf einer Ferienreise abwesend war, wurde in der pathologisch-anatomischen Anstalt die Leiche eines neugebornen Kindes abzeliefert, um deren genauere Untersuchung die mit der Legalseclion dessel- 4) Specielle Pathol. I. S. 174. *) (53° Aus Virchow’s gesammelten Abhandlungen z. Ho Mediein. 8, Frankfurt a. M. Meidinger, Sohn u. Co. 1856, : 269 ben in Urspringen am 18. Octbr. beauftragt gewesene Commission mich ersuchte, da sich während der Section interessante Störungen der Unterleibsorgane gefunden hat- ten. Der fungirende Assistent hatte die Leiche sofort in Spiritus gesetzt und ich fand dieselbe unversehrt vor, nur dass die von der Commission gewünschte chemische Untersuchung nach einer solchen Einwirkung unterbleiben musste. Nach dem begleitenden Berichte des Hrn. Dr. Her- terich von Rothenfells wollte die Mutter des’ Kindes, Gertraud Endres, ledige Dienstmagd von Rohrbach, 42 Jahre alt, ihr etwa 8 Monate altes Kind im einsamen Walde todt geboren haben; sie nabelte die Frucht ab, ohne jedoch zu unterbinden, legte aber eine Binde um den Nabel, welche nebst einem umgeschlagenen Tuche, durch etwa 2—3 Unzen Blut gelränkt, noch vorgefun- den wurde. Nach einem späteren, auf meine Anfrage erstatteten Berichte des Herrn Gerichtsarztes Dr. Spegg hatte die Person ihre beiden Eltern frühzeitig verloren, angeb- lich die Mutter an Abzehrung, den Vater an Magen- verhärtung. Sie selbst, nie krank gewesen, kräftig, in jeder Beziehung normal gebaut, besitzt zwei verheirathete Schwestern, von denen die eine drei, die andere vier (noch lebende) vollkommen gesunde Kinder geboren hat. Vor 4 Jahren wurde sie nach regelmässiger Schwanger- schaft von einem schwächlichen Knaben ohne Kunsthülfe entbunden, der am 5. Tage gestorben sein soll. Die Menstruation war nachher stets rechtzeilig und die neue Schwangerschaft verlief ganz normal bis auf eine kurz vorübergehende Blutung, welche etwa um die 20. Wo- che, zur Zeit, wo auch die ersten Kindsbewegungen ge- fühlt wurden, eintrat. Der Leib ist jedoch nach der Aussage der Person verhältnissmässig wenig umfangreich gewesen; auch bei der Geburt selbst, die um Mittag er- folgte, soll erst nach der Ausschliessung der Frucht Was- ser und Blut abgeflossen sein; die Kindsbewegungen hät- ten jedoch schon vom Morgen des Tages an nachgelas- san. Die Geburt selbst erfolgte rasch, jedoch nicht stürmisch. Es mag hier sogleich bemerkt werden, dass auch das Wochenbett durchaus günstig verlief. Es lenkte sich natürlich der Verdacht des Kindes- mordes auf die Endres und es wurde eine Legalsection angeordnet. Dabei fand man das Kind gut entwickelt, ohne sichtbare Verletzung. Auch die Brusteingeweide waren normal, nur die zweilappige 'Thymusdrüse unge- wöhnlich gross. Nach der Lungenprobe hatte das Kind nicht geathmet. Dagegen fiel bei der Eröffnung der Bauchhöhle sogleich auf, dass noch alles Meconium in den Gedärmen war, während keine Spur von Harnblase sichtbar wurde; dafür prominirten aus beiden Nierenge- genden blasige, fluctuirende Geschwülste. Dieser Befund war die Veranlassung, dass man mir die weitere Unter- suchung anvertraute. Ich erhielt den eröffneten Rumpf, an dem sich noch 270 die Oberschenkel befanden, während die vordere Thorax- wand und die Brusteingeweide entfernt waren. An dem Thorax war zunächst die grosse Weite sei- nes oberen Theiles, sowie der hohe Stand des Diaphrag- mas auffällig, — beides Erscheinungen, welche sich durch die Vergrösserung der Bauchhöhle erklärten. Die Dila- talion war namentlich von der 6. Rippe nach abwärts sehr beträchtlich und rechts etwas stärker als links, wie denn auch das Zwerchfell an seinem vorderen und rech- ten Theil besonders hoch heraufgedrängt war. Es ist diess die Folge der nach oben, links und vorn geschehe- nen Dislocation der Leber, welche besonders der Ent- wickelung der rechten Niere nach oben hin zugeschrieben werden muss und welche so beträchtlich ist, dass die vordere Fläche der Leber fast zu einer oberen geworden ist. Jedenfalls muss dadurch weiterhin auch eine sehr beträchtliche Verschiebung des Herzens nach oben hin stattgefunden haben. In der sehr erweiterten Bauchhöhle tritt unter der Leber zunächst das sehr weite und mit dunklem Meco- nium erfüllte Colon hervor, während der Magen ganz im Hintergrunde verdeckt liegt. Die Ausdehnung durch Meconium erstreckt sich von dem Coecum bis zum After, der jedoch vollkommen permeabel ist. Das Colon ad- scendens und descendens sind stark nach innen gedrängt, so dass sie sich in der Mittellinie des Bauches fast be- gegnen und die dünnen Därme sind dadurch wiederum in einen engen, hinter dem Nabel gelegenen Knäuel zu- sammengeschoben. Beiderseits ragen dann die grossen Nieren hervor, deren blasige Oberfläche nach der Ein- wirkung des Spiritus etwas collabirt ist. Ihre Länge beträgt 7— 3 Cent., ihr Querdurchmesser 4,5, ihre Dicke etwa 3,5, im frischen Zustande wahrscheinlich in allen Richt- ungen etwas mehr. Uebrigens sind auch die Leber, na- mentlich aber die Milz und die Nebennieren verhältniss- mässig gross. In der Unterbauchgegend sieht man zunächst den durch die sehr dilatirte Flexura sigmoides etwas ante- flektirten Uterus, der in allen seinen Theilen und An- hängen normal erscheint. Die Harnblase ist dadurch ganz verdeckt, was um so leichter möglich ist, als sie einen ausserordentlich kleinen Umfang besitzt. Denn ihre ganze Länge vom Scheitel bis zum Halse beträgt nur 1 Cent., während die Urethra 1,5 Cent. misst. (Da die Blase schon eröffnet war, so kann ich nicht genau sa- gen, ob nicht vielleicht ein Stück derselben abgeschnitten ist, was nach dem Folgenden nicht ganz unmöglich ist.) Die Schleimhaut der Harnblase hat überall ein unge- wöhnlich weisses, derbes Aussehen und auch die äusseren Häute sind relativ dick. Die Mündungen der Ureteren sind vollständig offen. Der Theil oberhalb des Trigonum ist sehr klein und besonders ausgezeichnet durch zwei kleine Hervorragungen, welche auf den ersten Blick um so mehr an Ureterenmündungen erinnern, als die rechte, etwa hanfkorngrosse, in der Mitte eine kleine Vertiefung besitzt, die jedoch blind endigt. Zwischen diesen Höcker- 271 chen spannen sich beim Anziehen einige niedrige Falten, so dass die ganze Stelle einen leicht narbigen Charakter annimmt. Was nun speciell die Nieren betrifft, so ergoss sich beim Einschneiden aus den Cysten eine reichliche Menge von Flüssigkeit, in der grosse Klumpen von ge- ronnenem Eiweiss und ausserdem zahlreiche Epithelfetzen schwammen. Letztere. bestanden mikroskopisch aus ziem- lich gut erhaltenen, granulirten Kernzellen. Mit der Flüssigkeit liess sich nicht mehr viel vornehmen; kry- stallinische oder sonst erkennbare Abscheidungen von Harnbestandtheilen waren darin nicht wahrzunehmen. Nach dem Ausflusse des Inhaltes fielen die Nieren schlaf zusammen, denn die vielen grossen und kleinen Cysten nahmen wenigstens 3 des ganzen Volumens dieser Or- gane ein. Im Ganzen waren jedoch kleine Cysten selte- ner, und nur in der Gegend des Hilus schien beim er- sten Anblick eine gewisse Zahl derselben zu liegen. Al- lein bei weiterem Nachforschen ergaben sich diese als Querschnitte längerer, gewundener Kanäle von meist 2, 3—4 Mill. Querdurchmesser, die sich unter einander in der Tiefe verbanden und nach aussen bis gegen die grös- seren, meist über 1 Cent. im Durchmesser haltenden Cy- sten aufstiegen, welche in regelmässiger Aneinanderlager- ung die ganze Randschichte des Organs erfüllten und auch nach aussen als promirende Blasen hervortraten. Von eigentlichem Nierenparenchym war mit blossem Auge fast gar nichts wahrzunehmen. Die Zwischenräume der sehr dickwandigen peripherischen Cysten betrugen an sich meistentheils nur 4 bis 2 Mill. und bestanden aus einem sehr dicht und gleichmässig aussehenden Bindegewebe. Nur nach innen, namentlich im Umfange der Enden je- ner gewundenen Kanäle lag ein reichlicheres , weiches, grauröthliches Parenchym, das einige Aehnlichkeit mit Nierensubstanz darbot. Die weitere Untersuchung lenkte sich zunächst auf die Frage nach dem Zusammenhang der einzelnen gefun- denen Theile. Allein so wenig als sich ein solcher zwi- schen den grossen Cysten und den gewundenen Kanälen auffinden liess, so wenig war es möglich, diese letzteren in continuirlicher Fortsetzung zu den Ureteren zu verfol- gen. Vielmehr waren die Ureteren beiderseits nur bis 272 gegen die Höhe des unteren Nierenrandes oflen; hier ver- engerten sie sich immer mehr, und während endlich das Lumen ganz aufhörte, löste sich auch die Wand in das Bindegewebe, welches die Gegend des Hilus renalis er- füllt, vollständig auf. Ganz sicher war also auf beiden Seiten eine Atresie des Nierenbeckens. Die übrigen Bestandtheile sind jedoch nicht so leicht zu deuten. An wenigen Stellen gelang es mir, in dem früher erwähnten, röthlichen Parenchym vereinzelte Nie- renparlikeln zu sehen, insbesondere einzelne gewundene und mit Epithel erfüllte Harnkanälchen , Arterien und hie und da einen Malpighi’schen Knäuel; das Meiste war je- doch ein ziemlich dichtes Bindegewebe. Ueber die feinere Struktur der Theile war es schwer, ins Klare zu kom- men. Die Arterien waren sehr weit, dickwandig und mit sehr reichlichen Ringfaser-Elementen versehen; die Malpighi’schen Knäuel von derben, concentrischen Binde- gewebslagen umgeben, aus denen sich noch eine helle, strukturlose Tunica propria isoliren liess, während der eigentliche Knäuel undeutlich, trüb und dicht erschien. Die Wand der grossen Randcysten war fast lederartig fest, bis 0,5 Mill. dick, innen glatt; bei der mikrosko- pischen Untersuchung fand sich innen ein schönes Pfla- sterepithel, unter dem eine sehr dicke, feste, mit zahl- reichen feinen elastischen Fasern durchsetzte Bindege- webslage von fast ganz homogener Beschaffenheit, nach aussen ein mehr lockeres, gleichfalls von elastischen Ele- menten zahlreich durchsetztes Gewebe folgte. Die Wand der gewundenen Kanäle in der Gegend des Hilus war sehr ähnlich zusammengesetzt, nur stark roth gefärbt, gleichwie auch der Inhalt mehr röthlich erschien. Da- durch erhielten diese Kanäle um so mehr eine grosse Aehnlichkeit mit dilatirten und verdickten Blutgefässen, als sie an ihrem peripherischen Ende nicht einfach in Blindsäcke endigten, sondern mehrfach noch in feinere Kanäle sich verlängerten, die in das früher beschriebene lockere Gewebe ausliefen. Indess konnte ich nirgends deutliche Gefässstruktur an ihnen erkennen, noch einen Zusammenhang mit den Renalgefässen constatiren; auch hatten letztere ausserhalb der Nieren keine ungewöhn- liche Weite. (Schluss folgt.) Bibliographische Neuigkeiten. W. — F. A. Bietz, Fauna d. Wirbelthiere Siebenbürgens. 8. Comm. b. Filtsch in Hermanstadt. 1 Thlr. C. Martius, Versuch einer Monographie der Sennesblälter. Habilitationsschrift. 8. Voss in Leipzig. 24 Sgr. E. Reichardt, De plantarum partibus anorganieis. Diss. che- mica. 8. Comm. b. Döbereiner in Jena. 1, Thlr. E. Reichardt, Die Theorie d. Wärme, ein Versuch zur Er- klärung der Erscheinungen von Wärme, Licht und Elektri- eität. 8. Jena, Döbereiner. Y, Thlr. Gajer v. Ehrenberg, Erschöpfung und Ersatz beim Pflanzen- bau. 8. Tempsky in Prag. 2 Thlr. H. — J. Praslow, Der Staat Californien in med.-geograph. Hinsicht. 8. van den Höck und Ruprecht’s Verl. in Göt- tingen. 1/ Thlr. F. Weldon Fell, A treatise on Cancer and its treatment. 8. London, Churchill. 5 Sh. F. H. Johnson, A Winters Sketches in the South of France and the Pyrenees; with Remarks upon the Use of the Cli- mate and Mineral-Waters in the Cure of disease. 8. Lon- don, Chapham et Co. 8 Sh. 6 d. Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena. Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. EHER. Band RNo- 18. Naturkunde. Büchele, Fortschritte der Naturwissenschaften im Jahre 1856. (Fortsetzung folgt.) — Heilkunde. R. Virchow, Ueber congenitale Nierenwassersucht. (Schluss folgt.) — Bibliographie. Naturkunde. Fortschritte der Naturwissenschaften im Jahr 1856. Von Dr. Büchele. (Fortsetzung.) 2) Fortschritte der Experimentalphysiologie. Jedermann weiss heutzutage, dass die Leber Zucker erzeugt. Dafür hat Schiff neue Beweise vorgebracht. Er machte Frösche harnflüssig, indem er sie in das Rük- kenmark stach, und fand sofort, dass der Urin Zucker in bemerkenswerther Quantität enthilt.e Um sich zu überzeugen, ob der Zucker wirklich aus der Leber kom- me, unterband er bei zwölf harnflüssig gemachten Frö- schen die Gefässe am Eingang und Ausgang der Leber: die Folge war das Verschwinden des Zuckers; als er den Verband abnahm, stellte sich sogleich der Zucker im Urin wieder ein. Ore& von Bordeaux verstopfte die Pfort- ader bei mehreren Hunden, verhinderte somit den Durch- gang der im Magen verdauten Stoffe durch die Leber, und doch ergab sich in der Ausscheidung des Zuckers keine Veränderung; es folgt also offenbar, dass die Er- zeugung des Zuckerstoffs von der Ernährung unabhängig ist. Bernard hatte die Behauptung aufgestellt, dass die glykogenische Funktion der Leber eine normale und für die Erhaltung des Lebens nothwendige Funktion sei; Blot hat diese Resultate bestätigt. Er untersuchte den Urin bei einer grossen Anzahl schwangerer, entbundener Frauen und Säugammen und fand regelmässig und constant Zuk- ker. Die Erzeugung desselben steht mit der Milchaus- scheidung in Rapport; sie beginnt, dauert fort und ver- schwindet mit derselben. Die Quantität des Zuckers ist reichlich und beträgt auf 1000 Theile Urin 2—1? Grammen. Bei allen in diesem Zustand verstorbenen Frauen war eine beträchtliche Entwickelung der Leber zu bemerken. Als Bernard entdeckte, dass die Leber die Eigen- schaft besitze, die stickstoffhaltige Materie in Zucker zu verwandeln, dachte er, dass die chemischen Verwandlun- gen von einer gewissen Erhöhung der Temperatur be- gleitet und das Blut beim Ausgang aus der Leber heis- ser als beim Eintritt sein müsse. Die Erfahrung hat seine Vermuthungen bestätigt; er erkannte nicht nur, dass die Leber ein Erwärmungs - Centrum für das durchziehende Blut, sondern auch, dass die Tempera- tur des Blutes beim Austritt aus der Leber höher als in jedem andern Theile des Körpers sei. Er ging wei- ter, suchte zu erforschen, welche Organe zur Abkühlung des Blutes dienen und welche dessen Temperatur erhö- hen und gelangte zu folgenden Resultaten. Die Eingeweide und besonders die Leber erhöhen die Temperatur des Blutes: das Venenblut, das aus der Leber durch die hepatischen Venen abgeht, kann von 36 oder 37° (hundertthlg. Gr.) bis 40 und 41,6% gestiegen sein. Die Leber ist demnach einer der vornehmsten Herde animalischer Wärme; wenn das Blut in der Lunge ankommt, ist es bereits langsam abgekühlt, aber seine Temperatur sinkt noch mehr, wenn es beim Heraustre- ten aus der Lunge, welche es durchzogen hat, in die linke Herzhälfte zurückkehrt. Das Blut der rechten Herz- kammer, welches sich in die Lunge ergiesst, ist beharr- lich wärmer, als das Blut der linken Herzkammer, wel- ches von dort zurückkehrt. Es folgt daraus, dass beim Durchzug durch die Lunge sich das Blut abkühlt: dem- nach erzeugt die Lunge, weit entfernt, ein Herd der animalischen Wärme zu sein, wie Lavoisier meinte, in der Blutmasse eine Abnahme der Temperatur. An den isolirten Muskeln des Froschkörpers hat Matteucci gleichfalls merkwürdige Entdeckungen ge- macht; diese Muskeln respiriren wie die Lunge; wie die Lunge absorbiren sie Sauerstoff und entwickeln Kohlen- 18 275 säure: zieht man sie zusammen, beschleunigt sich die Respiration, ein Uebermaass von Sauerstoff wird absor- birt, ein Uebermaass von Kohlensäure verdunstet; ent- zieht man den Muskeln die Kohlensäure gänzlich, in- dem man sie unter die Luftpumpe oder Wasserstoffgas bringt, so dünsten sie fortwährend Kohlensäure aus, selbst in Abwesenheit von Sauerstoff. Der Sauerstoff, welcher sich mit dem Kohlenstoff vereinigt, kommt also nicht von der Luft, sondern von den Muskeln selbst. Wenn ein Muskel im Zustande der Zusammenzieh- ung der Sitz chemischer Erscheinungen ist, muss er auch die Quelle einer Temperaturerhöhung und elektrischer Strömungen sein. Eine sehr einfache Erfahrung hat Matteucci den Beweis dafür geliefert. Man schneidet den rechten Fuss eines lebenden und abgehäuteten Fro- sches ab, präparirt den linken Fuss, indem man Sorge trägt, einen Nerv von einer gewissen Länge an einem Ende unberührt zu lassen: bringt man nun diesen Ner- ven auf den ersten Fuss im Zustande der Zusammen- ziehung, so sieht man in demselben Augenblicke die Mus- keln des linken Fusses ihrerseits sich zusammenziehen. Auf andere Weise hat Kölliker dieselbe Erfahrung ge- . macht: er bringt den Nerven am linken Beine auf das Herz eines lebendigen Frosches und alsbald gerathen vor jeder Zusammenziehung des Herzens die Muskeln des Bei- nes in convulsivische Bewegung. Man hatte schon vor mehreren Jahren die Behaupt- ung aufgestellt, dass die Nieren nicht in allen Stücken den mit dem Namen Harnstoff bezeichneten Körper er- zeugen. Indem man die Nieren der Thiere herausnahm, sah man im Blute eine beträchtliche Quantität Harnstoffs sich anhäufen; daraus wurde geschlossen, dass nicht die Nieren denselben erzeugen, sondern dass er sich ganz im Blute bildet, von wo die Nieren ihn ausscheiden. Der Beweis war nicht vollständig; man musste den Stoff im normalen Blute suchen und dessen Quantität bestimmen. Diess geschah durch Picard. Er fand, dass das Blut der Nierenarterie auf 100 Theile 0,0365°, das Blut der Vene 0,0186 Harnstoff, das heisst, die Hälfte weniger enthalte; dass bei dem Menschen das in die Nieren ein- tretende Blut dessen mehr als das austretende mit sich führe. Er ist ein Produkt der Ausscheidung und Zer- setzung; aber woher kommt dieses Produkt? Wird es durch Zersetzung der stickstoffhaltigen Materien gebildet, welche einen Augenblick zur Zusammensetzung der Ge- webe gedient haben? Vor Bechamp war das eine blosse Vermuthung, er hat es zur Gewissheit erhoben, indem er es direct mit Hülfe eiweisshaltiger Stoffe darstellte. Am obern Rande der Nieren findet sich eine aus Läppchen bestehende Masse von braungelber Farbe, sehr reich an Gefässen und Nerven. Es herrschte eine grosse Ungewissheit über die Funktionen dieses Organs Brown- Sequard stellte Versuche darüber an. Er nahm sorg- fältig bei einer Anzahl Thiere bald die beiden Nebennie- ren, bald nur eine hinweg. Was war das Resultat? Die Nebennieren scheinen für das Leben wesentliche Or- 276 gane zu sein; ihre Entfernung ist immer in sehr kurzer Zeit von dem Tode begleitet und zwar tritt derselbe un- ter Convulsionen, Delirium und Schlafsucht ein. Kaum hatte Brown dieses Ergebniss bekannt gemacht, so wur- den von andern Seiten die Experimente wiederholt. Gra- tiolet fand aber, dass die Thiere auch ohne die Neben- nieren dennoch am Leben blieben, Philippeaux konnte weisse Ratten 25 Tage nach Wegnahme der einen Neben- niere und 7 Tage nach Wegnahme der andern erhalten. Also ganz widersprechende Resultate, die sich mit dem Fortschritte der Wissenschaft aufklären und berichtigen werden. Auch die Anatomie und Physiologie des Auges ist weiter gefördert worden. Rouget hat uns gezeigt, durch welche anatomische Dispositionen das Auge sich den verschiedenen Distanzen anbequemt; Müller hat in der so dünnen Nervenmembran, wo das Licht die Gegen- stände malt, 5 verschiedene Schichten nachgewiesen; Waller liess uns die Circulation der unzähligen Gefässe eines lebenden Auges erkennen. Auch über die Gifte haben wir zum Theil neue Aufklärungen erhalten. An der Veterinärschule zu Al- fort erhob sich die Frage, ob die Salzlake giftige Ei- genschaften besitze und woher dieselben kommen. Ray- nal stellte nach einer Reihe von Experimenten fest, dass diese Lake, in einer gewissen Dosis gereicht, eine gif- tige Wirkung habe, ohne jedoch die letztere dem dort enthaltenen Seesalz zuzuschreiben. Goubeaux behaup- tet dagegen, wenn die Lake vergifte, so rühre diess ein- zig von dem Seesalz her. In der That nimmt dieses über eine gewisse Dosis hinaus die Natur eines Giftes an; eine Dosis davon, gleich 745 des Gewichts eines Hundes, und gleich „35 des Gewichts eines Pferdes, reicht hin, diese Thiere in 12 Stunden zu tödten. Das Curare oder Worara ist eins der wirk- samsten Gifte, das man in den Wäldern der neuen Welt findet: obwohl LaCondamine, Humboldt, Schom- burgk, Alvaro Reynoso uns nach einander kostbare Details über die Bereitung dieses Giftes gegeben haben, besitzen wir doch noch keine positiven Nachweise über die Stoffe, welche von den Wilden angewandt werden. Der Indianer nimmt die jungen Triebe verschiedener, meist in die Familie der Strychneen gehörige Pflanzen und lässt sie unter Hinzuthat sehr gifliger Ameisen und der Hackenzähne von Schlangen 48 Stunden kochen. Hernach wird diese Mischung an dem trockensten Ort der Hütte aufbewahrt und dient zur Vergiftung der Pfeile. Im Jahre 1844 erhielt Bernard etwas von diesem Stoff, mit dessen giftigen Eigenschaften er gänzlich unbekannt war. Er wies daran nach, dass das Curare nur tödt- lich ist, wenn es unmittelbar mit dem Blute in Verbind- ung tritt und man es ungestraft verschlucken, demnach auch dermaassen vergiftetes Fleisch gebrauchen kann. Diese Eigenschaft war schon an den Ufern des Orinoko bekannt, wo man nur Wildpret, das mittelst eines ver- 277 gifteten Pfeiles erlegt worden ist, geniesst; und, ein Missionär in Humboldt’s Gefolge, der Pater Zea, hatte eine auffallende Vorliebe für solche, durch das Cu- rare vergiftete Thiere. Ein Thier kann dieses Gift ver- schlucken, ohne tödtlichen Folgen sich auszusetzen und doch verliert es in dessen Magen nichts von seinen wirk- samen Eigenschaften. Bringt man eine Dosis davon ei- nem Hunde bei, dem eine Magenfistel gemacht worden ist, so nimmt er davon keinen Schaden. Zieht man aber nach einiger Zeit aus dem Magen des Hundes einen Tropfen Saftes und lässt ihn in die offene Wunde eines Vogels oder Hasen dringen, so tritt bei diesen Thieren augenblicklicher Tod ein. Diese ausserordentliche Erfah- rung wiederholt sich mit denselben Resultaten bei allen animalischen Giften und dient zum Beweise, dass diesel- ben nur wirken, wenn sie durch die Gefässe absorbirt werden. Das Curare besitzt eine noch bemerkenswerthere Eigenschaft: es wirkt auf das Nervensystem und beson- ders auf die Fühlnerven, wie Bernard und nach ihm Kölliker gezeigt haben. Bringt man unter die Haut eines Frosches ein wenig Gift, legt den nach einem der Füsse sich erstreckenden Nerven blos und lässt die Elek- trieität auf ihn wirken, so offenbaren sich in dem Fusse nicht die gewöhnlichen Zusammenziehungen; wird aber der Reiz auf den Muskel geleitet, so zieht er sich als- bald heftig zurück. Das Curare hat also die Nervenkraft getödtet, während es die Muskelkraft erhielt, und nicht allein erhielt, sondern noch erhöhte. Damit ist zugleich eine Bestätigung der grossen physiologischen Wahrheit geliefert: Die Nervenkraft ist verschieden von der Muskel- kraft. Man setzte aber die Experimente noch weiter fort und fand, dass jenes Gift nur auf die Bewegungsnerven agirt, auf die Fühlnerven keinen Einfluss ausübt. Das Verfahren war folgendes: Man unterbindet alle Gefässe des Hinterbugs eines Frosches, nachdem die Lendenner- ven isolirt worden sind; so steht die vordere Hälfte des Frosches in keiner Communication mit der hintern. Man kann nun abgesondert die erste Hälfte vergiften, ohne dass das Gift in die Füsse dringt. Wird diese partielle Vergiftung mit dem Curare vollzogen, so bleiben Kopf und Brust unbeweglich. Kneipt man jedoch die Haut dieser Theile, so erfolgt in den nicht vergifteten Hinter- füssen eine wirkliche Zusammenziehung. Um aber diese Bewegung zu erzeugen, müssen die Nerven, welche den Eindruck auf die Haut nach dem Marke führen, ausser Berührung geblieben sein. Ein anderer Gelehrter, Vulpian, hat seine Aufmerk- samkeit den Giften zugewandt, welche die Natur in so grosser Quantität den Thieren von der Classe der Repti- lien zugetheilt hat. Die Haut des Wassermolchs (Sala- mandra cristata) ist mit einer Menge Bläschen bedeckt, welche eine giftige Substanz einschliessen. - Man gewinnt sie entweder durch Druck oder Einschnitt, und sie zeigt sich milchig, ziemlich dicht, von unangenehmem Geruch und mengbar mit Wasser. Bringt man nun in die Wunde 278 eines Hundes das von mehreren Molchen gesammelte Gift, so fühlt das Thier anfangs einen heftigen Schmerz, die Respiration nimmt ab, der Herzschlag vermindert sich und es stirbt nach einem Zwischenraum von ?—3 Stun- den. Inoculirtt man das Gift desselben Thiers einem Frosche, so hört er nach 6—10 Stunden zu leben auf. Dasselbe wirkt hauptsächlich durch Zerstörung der Reiz- barkeit des Herzens. Das Krötengift ist weniger kräftig. Es hindert gleichfalls die Zusammenziehung des Her- zens und erzeugt oft Convulsionen und Erbrechen. — Das Gift der Sumpfeidexe (Salamandra lacerta) tödtet wie das der Kröte und des Molchs, aber unter verschiedenen Symptomen. Es agirt nicht mehr auf das Herz, sondern auf die Nervencentren, und fast immer sterben die ver- gifteten Thiere unter heftigen Convulsionen. Die Gifte dieser 3 Thierarten besitzen verschiedene Eigenschaften, haben unerwarteter Weise das gemeinschaftlich, dass sie auf das Thier der eigenen Art nicht einwirken. So ver- giftet das Krötengift keine Kröte. Ebenso ist es mit den andern: aber das Krötengift tödtet den Molch, wie das Molchgift die Kröte. Diese Thatsachen bestätigen zur Ge- nüge die Beobachtung Fontana’s, dass Viperngift für die Vipern nicht tödtlich ist. Eine so seltsame Eigen- schaft der Thiere, welche mit ihrem eigenen Gift sich nicht tödten, erscheint zwar sehr natürlich und ist nichts- destoweniger unerklärlich. Besser begreift man, warum sie Gilt erzeugen. Es sind Waffen, welche ihnen die Natur zur Vertheidigung gegeben hat. Die Herrschaft der Mode drängt sich in die Wissen- schaft wie in die Industrie ein, und die Richtungen wechseln mit den Zeiträumen. In Buffon’s Tagen stu- dirte man die Natur einzig, um einen glänzenden Katalog aller ihrer Reichthümer zu fertigen. Darauf kam Cuvier an die Reihe: man legte sich auf vergleichende Anatomie und auf Forschungen über die fossilen Thiere. Heutzu- tage befragt man seit Magendie, Bell, Flourens, Bernard u. A. die lebende Natur, man geht gerade auf die Quellen des Lebens los und sucht dessen Geheimnisse zu entdecken. Diese Bewegung nach der Physiologie hin ist nicht exelusiver Art; sie hemmt nicht die Fortschritte der beschreibenden Naturgeschichte, sondern strebt nur darnach, der Anthropologie einen neuen Aufschwung zu geben. Stammen wir von denselben Eltern ab, oder gehö- ren wir ursprünglich verschiedenen Arten an? Diese Frage ist nur mittelst der genauesten Untersuchung der gemein- samen oder verschiedenen Merkmale oder Bewohner des Erdballs zu entscheiden. Zwei dieser Merkmale scheinen einen tiefen Unterschied zwischen den Menschenracen, z. B. zwischen dem Aethiopier und dem civilisirten Eu- ropäer, zwischen dem Chinesen und Neuholländer, zu be- gründen, nämlich die Hautfarbe und Schädelbildung. Bei dem Neger tritt das Gesicht vor und der Hirnschädel zurück. Bei dem Europäer springt die Stirne vor und die Kinnladen stehen weniger heraus. Camper hatte zuerst die Idee, die verschiedenen Gesichtsbildungen mit 18= 279 Bezugnahme auf den Hirnschädel zu vergleichen. Er zog zu diesem Zwecke zwei fingirte Linien über den Schädel: die eine mehr oder weniger schief, berührt den Nasen- und den Stirnknochen: die andere horizontale geht über die Nase und wendet sich nach der Oeffnung des Ohres. Diese beiden Linien schliessen einen Winkel ein. Geht die Stirne mehr rückwärts und die Kinnlade vor, so wird der Winkel spitziger; dagegen nähert er sich mehr einem rechten, wenn die Stirne vorspringt und das Gesicht ein- wärts geht. Darnach fallen sämmtliche Menschenracen, jede nach einem bestimmten Gesichtswinkel charakterisirt, zwischen 88° und 77°. Ueber 88° nimmt die Physiognomie jene übermenschliche Form an, welche die Griechen ihren Götterstatuen gegeben haben; unter 77° hat man nichts mehr als das in die Länge gezogene Gesicht eines gemeinen Affen oder eines andern Säugethieres. Der von Camper erdachte Gesichtswinkel behauptete lang seine Geltung in der Wis- senschaft, ob man auch allmählig dessen Mängel erkannte. Cuvier, Geoffroy St. Hilaire in Frankreich, Mor- ton in Amerika nahmen zu andern Mitteln ihre Zuflucht; endlich fand im vorigen Jahre Dr. Jacquard am Jar- din des Plantes ein Instrument, das durch seine äusserste Genauigkeit jene seiner Vorgänger weit übertriflt. Nach seiner Methode wird der Gesichtswinkel durch 2 Flächen gemessen; die eine, horizontal, unbeweglich, ist an den Oeffnungen der Gehörgänge und am Zahnladenrand des Oberkiefers befestigt, die andere, vertikal und beweglich, senkt sich der Art, dass sie sich auf die Mitte des Stirn- knochens stützt. Man findet nun die Winkel mittelst eines die Grade angebenden Cirkels, der zwischen den beiden Rahmen angebracht ist. Die Resultate, welche Jacquard mit diesem seinem Goniometer erhalten hat, weichen von denen Camper’s sehr ab. So ergibt sich zwischen der weissen Race angehörigen Individuen eine Differenz von 20 Graden, während Camper zwischen dem Europäer und Neger nur eine Differenz von 11 Gr. zuliess. Der bekannte afrikanische Reisende v. Müller aus Stuttgart veröffentlichte kürzlich eine Broschüre über die Ursachen der Hautfärbung und die Verschiedenheit der Schädelbildung mit Rücksicht auf die Einheit des Men- schengeschlechts. Hier erklärt derselbe die wesentlichen Bacenverschiedenheiten aus der Thätigkeit fortwirkender Ursachen. Die klimatischen Verhältnisse bestimmen die Färbung der Haut, die Entwicklung der Intelligenz, die Formen des Kopfes. Seit Flourens weiss man, dass die Färbung der Haut nicht von einer wesentlich ver- schiedenen Structur der Haut, sondern von verschieden gefärbten Körnchen herkommt, die in den Zellen einer der Hautschichten angehäuft sind. Man hat diese Körn- chen Pigment genannt. Welches ist nun der Ursprung desselben und warum ist es verschieden gefärbt? Müller erklärt diess also: der Athmungsprocess be- steht in einer Absorbirung von Stickstoff aus der Luft 280 und Ausstossung von Kohlensäure, die sich im Innern aller unserer Organe durch Verbrennung der Kohle und des Stickstofls erzeugt. Wie jede chemische Thätigkeit eine Erhöhung der Temperatur zur .Folge hat, so leistet die fortdauernde Bildung von Kohlensäure dieser Erhöh- ung Vorschub. Daher eine (Quelle thierischer Wärme. Diese Erscheinungen treten bei dem Neger, wie bei dem Bewohner des Nordens ein, aber vollziehen sich nicht mit derselben Kraft. Der Neger bedarf inmitten seiner brennenden Atmosphäre der Erzeugung von Kälte, um jener zu widerstehen. Der Lappländer und Esquimo muss, um die eisige Temperatur der Polargegenden zu ertragen, viel Wärme erzeugen. Demnach wird der Bewohner des Nordens, indem er in derselben Zeit eben so viel Luft einathmet, wie der Bewohner der heissen Zone, mehr Stickstoff absorbiren. Zu Ustjauk in Sibirien consumirt bei einer mittlern Temperatur von — 16° C. ein Mensch in 24 St. 5,150 Grammen Stickstoff, welche der Ver- brennung von 2,096 Kohlenstoff entsprechen. Zu Kobbe in Darfur absorbirt bei einer mittleren Temperatur von 26° €. ein Neger nur 4,694 Grammen, welche 1,7959 Grammen Kohlenstoff entsprechen. So ergibt sich also für die Bewohner der beiden entgegengesetzten Land- schaften eine Differenz des verbrannten Kohlenstoffs von 1,301 Gr. Es bleibt also für den Neger eine gewisse Quantität Kohlenstoffs zurück, welcher nicht unter der Form von Kohlensäure verschwindet, und dieser schlägt sich beharrlich unter der Haut nieder. Daher das Pigment und die schwarze Farbe der äthiopischen Race. Diese Erklärung Müller’s bestätigt die Ansichten Blumen- bach’s und stützt sich auf normale und pathologische Thatsachen. Man weiss, dass bei dem Menschen und den Thieren gewisse Affectionen eintreten, in welchen die Gewebe einem beträchtlichern Absatz von Pigment zufolge sich färben. Die oft beschriebenen Melanosen, die Schwärze der Zunge, die sogenannte Bronzehaut (braused skin) sind Krankheits-Symptome, die wohl zum Beweise dienen können, dass die Pigmentbildung und Färbung aceidentelle Erscheinungen sind. Ausserdem führt man noch dafür an, dass Negerkinder weiss geboren wer- den und, in kalte Länder gebracht, nur sehr langsam sich färben. Anderer Einwürfe nicht zu gedenken, be- merkt aber namentlich letzterer Behauptung gegenüber Dr. Larcher, dass bei Negerkindern schon im Mutterleibe gewisse Regionen eine dunklere Färbung zeigen und das Pigment sich zum Beispiel um die Nabelschnur anhäuft. Kaum 3 Tage nach der Geburt beginnt die Stirngegend sich zu bräunen, ünd zwei schwarze Bänder zeichnen sich zwischen den Nasenflügeln und dem Anfang der Lip- pen. Diese frühzeitige Färbung ist also doch wohl nicht eine blosse Wirkung des Klimas, sondern muss angeboren sein. Adhuc sub judice lis est. (Schluss folgt.) aııı mumA Ir. 78 L Heilkunde. Ueber congenitale Nierenwassersucht. Von Virchow (Berlin) *). (Fertsetzung.) Nach dieser Beschreibung kann es nicht zweifelhaft bleiben, dass es sich in diesem Falle um eine eystoide Degeneration der Nieren bei vollständiger Atresie des Nierenbeckens und der Papillen handelt, eine Form der Störung, welche unter den ge- gebenen Verhältnissen gewiss ein genügendes Erklärungs- moment für den Tod des Kindes bei der Geburt abgibt. Da indess diese Degeneration trotz ihrer grossen Wich- tigkeit für die forensische Mediein und die Geburtshülfe immer noch nicht genügend bekannt ist, so scheint es mir um so mehr gerathen, dabei etwas länger zu ver- weilen, als ich das besondere Glück gehabt habe, mehr Fälle davon untersuchen zu können, als irgend einer der früheren Beobachter. Den ersten Fall, der mir vorkam, habe ich schon mitgetheilt. Für die Geschichte der congenitalen Aflectio- nen war diess gewiss eine schr wichtige Beobachtung, indem sie bei einer Reihe von Kindern derselben Mutter dieselbe Localstörung aufweist, ohne dass doch ein here- ditäres Verhältniss in dem gewöhnlichen Sinne vorhanden war. Man kann daher kaum umhin, in dem mütterlichen Organismus die Ursache dieser Störungen zu suchen, und es lässt sich nicht leugnen, dass die Aufgaben des Arz- tes in solchen Fällen schon lange vor der Geburt begin- nen sollten. Allein andererseits ist es auch kein Zweifel, dass kaum irgend eine Forschung schwierigere Wege tref- fen kann. Vor einigen Jahren habe ich der Gesellschaft ein kleines Mädchen vorgestellt, das an jeder Hand nur einen Finger und an jedem Fusse nur eine Zehe hat und dem ausserdem die entsprechenden Mittelhand- und Mittel- fussknochen fehlen. Die Mutter dieser Unglücklichen, eine starke, gut ausgebildete Person, gibt an, dass sie schon früher ein Kind gehabt habe, dessen Hände und Füsse in gleicher Art mangelhaft gebildet waren. Vor Kurzem ist sie aber zum dritten Male entbunden worden und hat nun, noch dazu von einem anderen Vater, ein Kind zur Welt gebracht, das ich selbst untersuchte, und das weder irgend einen Finger, noch eine Zehe, sondern nur statt der Hände und Füsse Klumpen hat, in welchen man Hand- und Fusswurzelknochen durchfühlt. Inwieweit eine ähnliche Auffassung, wie die, welche ich in meinem früheren Vortrage aussprach, auf andere Fälle cystoider Nierendegeneration von Neugebornen An- wendung finde, liess sich nachträglich schwer entschei- den; indess musste ich nach den in der Literatur vor- liegenden Angaben schon damals eine ganze Klasse ab- scheiden, nämlich diejenigen, wo eine Verschliessung der grösseren Harnwege, namentlich der Ureteren stattgefunden hatte. Meine späteren Erfahr- ungen haben nun in der That ergeben, dass die gewöhn- lichere Ursache der congenitalen cystoiden Degeneration nicht sowohl im Laufe der Harnkanälchen, sondern an der Uebergangssielle derselben in die Nierenkelche oder noch tiefer zu finden sei. Die nächsten Fälle boten sich mir noch in Berlin dar (vgl. Verh. der Gesellsch. f. Geburtsh. Bd. II S. XXIN). Der erste betraf das nicht völlig ausgetragene, hydrocephalische Kind einer sonst gesunden Primipara, welche von Dr. Wegscheider entbunden war; hier fehlte die Verbindung zwischen dem harnleitenden und dem harnbildenden Apparat; es war eine vollständige Atresie der Papillen vorhanden. Ganz ähnlich verhielt es sich mit einem todtgebornen und nicht völlig ausge- tragenen Kinde aus der Praxis des Dr. Krieger, wel- ches gleichfalls eine fast kindskopfgrosse,, zweilappige, mit Wasser gefüllte Geschwulst am Schädel trug. Auch der erste Fall, der mir in Würzburg zur Un- tersuchung kam, schliesst sich diesen genau an. Ich theile ihn etwas weitläufiger mit, weil er ebenfalls zur forensischen Cognition gelangte. Herr Gerichtsarzt Dr. Henke in Hassfurt über- sandte mir unter dem 23. März 1853 die Hinterhaupts- knochen und Nieren eines Smonatlichen, todtgebornen Kin- des einer ledigen Person, die am 18. desselben Monats auf der Reise nach Würzburg in’s Gebärhaus, in ihrem Nachtquartier Wehen bekam, stark winselte und desshalb. Nachts 1 Uhr aus dem Hause geworfen wurde. Als sie sich ein anderes Quartier gesucht und Aufnahme gefun- den hatte, trat sie in’s Zimmer, hielt sich am Ofen und bekam neue Wehen; der Wassersprung erfolgte und un- mittelbar darauf fiel ein weibliches Kind auf den Boden, nachdem die Nabelschnur 6 Zoll von ihrem Ansatzpunkte an dem Nabel abgerissen war. Da keine Hebamme zu- gegen war und die Geburt stattfand, ehe noch Licht ge- bracht werden konnte, so wurde eine gerichtliche Section veranstaltet. Es fand sich dabei am Hinterkopfe des Kindes ein lockerer, der Grösse und Gestalt nach einem Ei entsprechender Sack, durch welchen schon bei einer genauen äusserlichen Untersuchung ein Loch am Hinter- hauptsbein gefühlt werden konnte. Nach der Eröffnung entleerte sich aus demselben etwa eine Unze schwarzes, flüssiges Blut und es zeigte sich, dass der Sack durch das erwähnte, in der Mittellinie sich zwischen die Seiten- wandbeine hineinschiebende Loch mit der grösstentheils sehr festen und äusserst gefässreichen Dura mater in Verbindung stand. Nach der Eröffnung des Schädels ent- leerte sich etwa 4 Maas Wasser; das Gehirn selbst fiel zusammen, war aber so weich, dass es nicht untersucht werden konnte. (Nach dieser Beschreibung und nach der Beschaffenheit der mir übersandten Knochen konnte kein Zweifel bleiben, dass man es hier mit einer Hydrencepha- locele posterior zu thun hatte.) > Tr 233 Bei der Eröffnung des Rumpfes fand sich, dass durch die enorme Ausdehnung des Unterleibes, nament- lich durch die colossale Vergrösserung der Nieren das Zwerchfell hoch in den Thorax hineingetrieben und letz- terer dadurch sehr verengert war. Die Lungen hatten nieht geathmet, waren vielmehr mit schwarzen Flecken von dem Umfange eines Dreikreuzerstücks und darunter besetzt. Die Nieren wogen } Pfd. bayrisch; Leber und Milz, namentlich erstere, waren gleichfalls sehr gross. Jede der mir übersendeten Nieren war 7 Cent. lang, 4,5 dick, 4 breit; ihre Gestalt erschien milzähnlich, in- dem der äussere Rand zu einer breiteren Fläche entwik- kelt war, das ganze Organ eine länglich-rundliche Form angenommen hatte. Der Hilus, in den sowohl arterielle, als venöse Gefässe, beide von mässigem Durchmesser, deutlich zu verfolgen waren, hatte einen relativ sehr klei- nen Umfang. Die Kapsel, dick und fettreich, liess sich stellenweisse sehr schwer trennen, indem Fortsetzungen derselben sich im Umfange der einzelnen Renculi, hie und da auch in kleinen Zwischenräumen in das Nieren- parenchym einsenkten. Im Ganzen erschien jedoch die Oberfläche nach Ablösung der Kapsel vollkommen glatt, etwas gelblich, ziemlich homogen, namentlich frei von Cysten. Auf einem Längsdurchschnitt fand sich ein klei- nes Nierenbecken mit Kelchen, die im Durchschnitt nicht über 3 Mill. Durchmesser hatten, nach allen Richtungen blind endigten und durch ihr diekwandiges Aussehen fast Arterien glichen. Im eigentlichen Nierenparenchym konnte man noch die einzelnen Reneuli unterscheiden, nur dass sich an der Stelle der Papillen überall ein lockeres Binde- gewebe vorfand und eine Verbindung mit den Kelchen nirgends klar wurde. An der Stelle der Pyramiden fand sich eine längsstreifige, stellenweise fast fibrös aussehende Substanz , in welche zahlreiche, sehr diekwandige, bis 1 Mill. grosse Höhlungen eingesenkt lagen. Die Cortikal- substanz dagegen, welche relativ breit erschien, hatte fast ganz das Aussehen eines schwammigen oder caver- nösen Gewebes, indem eine Masse kleiner, meist nur 0,25 bis 0,5 Mill. grosser Cysten dicht zusammenge- drängt lagen, zwischen denen das noch restirende Gewebe ein dichtes Maschennetz bildete. Gegen die Peripherie hin wurden die Cysten immer kleiner , das Zwischenge- webe reichlicher, so dass an der eigentlichen Grenzschieht mit blossem Auge keine Höhlungen mehr wahrgenommen werden konnten. Bei der mikroskopischen Untersuchung fand sich in den zuletzt erwähnten Theilen auch ein ziemlich norma- les Gefüge. In einem ziemlich reichlichen interstitiellen Bindegewebe lagen zahlreiche, zum Theil normal weite, meist jedoch etwas dilatirte Harnkanälchen, die sich hie und da vollständig isoliren und sowohl die Tunica pro- pria als eine feine, homogene, strukturlose Haut, als auch das Epithel als ein sehr regelmässiges, polygones, kernhaltiges Zellenlager erkennen liessen. Dazwischen verliefen zahlreiche, mit schöner Ringfaserhaut versehene, nicht dilatirte Arterien. Die Malpighi'schen Knäule wa- 284 ren relativ klein und zart, sonst aber sehr deutlich; in ihrem Umfange war das interstitielle Gewebe nicht selten zu concentrischen Lagen verdickt. — Tiefer herunter in dem schwammigen Gewebe liess sich nicht nur an den Cysten dieselbe Tunica propria mit polygonem Epithel wahrnehmen, wie an den Harnkanälchen der Peripherie, sondern es zeigten sich auch dazwischen noch zahlreiche, kleinere Harnkanälchen, von denen stellenweise durch im- mer zunehmende varicöse Anschwellungen ein Uebergang zu den grossen Höhlen verfolgt werden konnte. In der Pyramidalsubstanz dagegen war das interstitielle Gewebe überwiegend; nur fanden sich darin ungewöhnlich weite und diekwandige Gefässe, namentlich venöse. Harnkanäl- chen waren spärlicher und dann meist sehr dilatirt. — Ausserdem finden sich in unserer Sammlung noch zwei sehr merkwürdige, hierher gehörige ältere Prä- parate. Das eine, No. 1122, Abth. X. (Zuwachs von 1837 —38 No. 47) stammt von dem verstorbenen Gerichtsarzte Dr. Reuss in Kitzingen. Es ist das in Spiritus, je- doch ohne Kopf aufbewahrte Cadaver eines männlichen, sonst gutgebildeten Neugebornen, dessen Unterleib enorm auf- und dessen Zwerchfell ganz hoch hinaufgetrieben ist in Folge einer cystoiden Vergrösserung beider Nieren, welche das Extrem aller von mir gesehenen Fälle -bildet. Die eine noch unversehrte Niere ist 10 Cent. lang, 5 dick und 8 breit. An ihrer Oberfläche liegt eine Reihe grosser Blasen von 1—4 Cent. Durchmesser, welche eine klare Flüssigkeit und eine geringe Masse albuminöser Ge- rinnsel enthalten, überall eine glatte, sehr dicke, weisse, fast sehnenartige Haut besitzen und vollkommen geschlos- sen erscheinen. An manchen Stellen berühren sie sich unmittelbar; an den meisten jedoch schiebt sich ein reich- liches Zwischengewebe ein, das an manchen Punkten ganz weisslich, gleichmässig und dicht ist, an anderen dage- gen Abtheilungen einer feinspongiösen Substanz einschliesst, deren Höhlungen selten über 0,5 Mill. gross sind. An diesen Stellen zeigt das Mikroskop ausser vielem Binde- gewebe sehr schöne Arterien mit Malpighi’schen Knäueln, sowie Harnkanälchen, deren Tunica propria häufig in blasige Ektasie übergeht. Das Epithel ist ein schönes, re- gelmässig eckiges und kernhaltiges Pflasterepithel. — Am übrigen Körper finde ich keine bemerkenswerthe Ver- änderung. Das zweite Präparat ist die vollständige Leiche eines Neugebornen, bei dem die eystoide Degeneration der Nie- ren mit der bekannten Verwachsungsform derselben (Huf- eisenniere) combinirt ist. Die quer vor der Wirbelsäule ziemlich hoch gelagerte Niere ist mit einer grossen Zahl bis kirschen- und wallnussgrosser Cysten besetzt, die die jedoch ungefähr der Zahl der Renculi zu entsprechen scheinen. In den Cysten findet sich ein rothes Coagu- lum; zwischen denselben dichtes Bindegewebe. Die Ure- teren sind erweitert, scheinen jedoch bis zu dem Hilus permeabel. Dagegen ist die Harnblase, ganz ähnlich wie 285 in dem zuerst geschilderten Falle, ganz klein und wie verschrumpft, ihre Wandungen sehr dick, fast narbig aussehend und mit einer Zahl kleiner Divertikel besetzt. Aus diesen Fällen lässt sich die Geschichte dieser Degeneration ziemlich übersehen. In jedem Falle findet sich der erste Ausgangspunkt der Cystenbil- dung in einer Ektasie der Harnkanälchen oder der Malpighi’schen Kapseln und es zeigt sich zunächst immer noch eine Verbindung der Ektasieen mit den Harnkanälchen. In manchen Fällen, z. B. in dem, wo zugleich der Harnsäure-Infarkt stattfand, scheint diese Verbindung auch bis zuletzt fortbestanden zu ha- ben; in den meisten anderen dagegen schliessen sich im Fortgange des Processes, insbesondere bei Vergrösserung der ektatischen Blasen, die Oefinungen und während die Wand sich immer mehr verdickt, verliert sich zuletzt jede Spur der alten Verbindung. Man kann in dieser Beziehung die feincystoide und grobcystoide Form von einander trennen, wobei jedoch die Frage noch offen bleibt, ob nicht die letztere aus der ersteren auch auf die Weise hervorgeht, welche ich zuerst bei dem Kropfe und dem Eierstocks-Colloid beschrieben habe, dass nämlich bei der zunehmenden Ektasie der Cysten die Wände allmälig atrophiren und so eine progressive Con- fluenz entsteht. Förster (Spec. path. Anat. S. 357. Atlas der mikr. path. Anat. Taf. XVII. S. 3), der recht vollständige Beobachtungen über die allmälige Ektasie der Harnkanälchen gemacht hat, nimmt die spätere Confluenz geradezu an. Jedenfalls ändert sich der Charakter der Säcke später in ähnlicher Weise, wie bei dem Hydrops eystidis felleae, proc. vermiformis und anderen ähnlichen Bildungen: während ursprünglich der Harn das Mittel der Erweiterung bildet, gestaltet sich später eine mehr seröse, albuminöse Absonderung und man ist dann allen- falls berechtigt, den alten Namen des Hydrops renalis anzuwenden. Ich fand wenigstens den Inhalt der grös- seren Säcke stets eiweisshaltig. Der Grund der primären Harnretention ist wohl jedesmal ein mechanischer. Was die Verstopfung durch harnraure Salze betrifft, die ich zuerst fand, so ist sie nur noch von einem anderen Beobachter beschrieben und ebenso gedeutet worden. L. Lehmann (Nederl. Weckbl. 1853 No. 12) sucht nämlich eine von ihm beobachtete cystoide Degeneration bei dem Kinde einer 21jährigen Primipara auf diese Weise zu erklären. Leider ist ge- rade in diesem Falle die Sache um so zweifelhafter, als zugleich in der Glans penis die Urethra fehlte und das Orificium vesicae nicht vorhanden war, während die Harnblase die Grösse einer Mannsfaust, hypertrophische und partiell dilatirte Wände besass und 5—6 Unzen Harn enthielt. Die Ureteren waren bis zur Weite von Dickdärmen entwickelt, stark gewunden und stellen- weise mit unvollkommenen @Querscheidewänden versehen. Hier ist also ein ganz abweichendes Verhalten und wenn sich sowohl in dem Harn der Harnblase, als in den Nie- 286 ren harnsaure Niederschläge fanden, so geht doch aus der Schilderung nicht hervor, dass sie so reichlich wa- ren, um die Retention zu erklären. Gerade die Anwe- senheit von viel Harn in Blase und Ureteren scheint da- rauf hinzudeuten, dass hier noch bis zuletzt Harnab- scheidung stattfand, und der Umstand, dass dieser Harn kein Eiweis enthielt, spricht dafür, dass es sich nicht um ein sehr altes Retentionsverhältniss handelte, Als Regel muss jedenfalls betrachtet werden, dass in irgend einem Theile der Harnwege eine Atresie vorhanden ist und für gewöhnlich findet sich diese an den Papillen, sei es für sich, sei es gleich- zeitig mit einer Atresie .der Anfangsstelle der Ureteren, der Harnblase oder der Harnröhre. Fehlen die Papillen, so kann der Harn natürlich nicht aus der Niere in die Harnwege und in die Harnblase gelangen. Letztere wird dann entweder, wie in einigen der von mir beschriebenen Fälle, verschrumpft und missbildet, oder wenigstens leer sein. Letzteres erwähnen ausdrücklich Sch upmann (Organ für die ges. Heilk. Bonn, 1842, Bd. II. Heft 1. Schmidt’s Jahrb. 1843 Bd. 38 S. 68) und Ed. von Siebold (Monatsschrift für Geburtsk. 1854. Sept. IV. 3). Hier entsteht dann die Hauptfrage, auf welche Weise jene Atresie zu Stande kommt. In dieser Beziehung ist es nicht unwichtig, darauf aufmerksam zu machen, dass die cystoide Degeneration der Nieren nicht selten mit anderweitigen Bild- ungsfehlern complicirt ist, In den von mir un- tersuchten Fällen fand sich 1mal Hydrocephalus, 2mal Hydrencephalocele, 2mal eine verschrumpfte und verbildete Harnblase, 1mal Hufeisenniere, Schupmann erwähnt, dass das von ihm beobachtete Mädchen das dritte miss- bildete Kind gesunder Eltern war; bei der Autopsie fand er Duplicität der Scheide und des Uterus. In dem Falle von Siebold bestand beginnender Wasserkopff. Heu- singer hat in seinen Zusätzen zu Willis (Die Krank- heiten d. Harnsystems. Eisenach, 1841. S. 455, 460) einen eigenen und eine Reihe fremder Fälle zusammen- getragen. Bei einer Missgeburt mit Mangel der rechten Unterextremität und der rechten Hälfte der weiblichen Genitalien fand sich rechts cystoide Degeneration, links normale Nieren und Nebennieren. Meckel sah zweimal doppelseitige Degeneration bei neugeborenen Kindern mit missgebildetem Kopfe und Extremitäten. Höring be- schreibt sie von einer Missgeburt mit Klumpfüssen. Schon Bartholin erwähnt eine einseitige Degeneration der Niere bei einem Kinde mit Wolfsrachen *). Auch in dem oben erwähnten Falle von Lehmann werden Klump- füsse aufgeführt, während zugleich eine Atresie der Harn- röhre vorhanden war. *) Die zwei Beschreibungen, welche Heusinger aus Bartholin beibringt, beziehen sich offenbar auf denselben Fall. 287 Auf der anderen Seite wissen viele andere Beobach- ter von solchen complicirenden Fehlern nichts, z. B. Osiander (Gemeinsame deutsche Zeitschr. für Geburtsk. Weimar, 1827. Bd. I. S. 167), Carus (Ebend. 1828. Bd. II. S. 142). Genetisch am wichtigsten erscheinen wohl die an den Harnwegen selbst, namentlich an der Harnblase und Harnröhre vorkommenden Strikturen und Atresieen, insofern sie jedenfalls auf ein ganz analoges Moment zurückgeführt werden müssen ; nächstdem die Störungen in der Bildung der Genitalien. Andererseits sind von erheblicher Wichtigkeit der cerebralen Abweich- ungen, die sich hauptsächlich als hydrocephalische Af- fectionen darstellen. Denn ausser dem einfachen Hydro- cephalus und der Hydrencephalocele sind auch die Ver- krümmungen der unteren Extremitäten hierher zu zählen, die ja so überwiegend häufig, wo sie congenital sind, auf Hydrocephalie zurückzuführen sind. Freilich ergibt sich hier die schwierige Frage, ob die Hydrocephalie als coordinirte oder als consecutive Erscheinung aufzufassen ist, und ob namentlich die Störung der Harnabscheidung durch Urämie eine entzündliche Reizung der Hirnhäute herbeiführen könne. Wir sind für den Adgenblick aus- ser Stande, diese Fragen zu erledigen; hoffentlich wer- den spätere Beobachter sie im Auge behalten. Die Atresie der Papillen aber glaube ich nicht wohl anders deuten zu können, als durch eine fötale Ent- zündung dieser Theile. Bei einer anderen Gelegenheit werde ich auf die Häufigkeit der fötalen Entzündungen zurückkommen; hier möge es genügen, darauf hinzuwei- sen, dass der ganze Habitus der atretischen Stellen den Verwachsungen entspricht, welche wir in späteren Zeiten des Lebens in Folge von Reizungen auftreten sehen. Eine solche Annahme gestattet auch am leichtesten eine Deutung, welche zugleich auf die Zustände des Mutter- körpers Rücksicht nimmt. Die Mehrzahl der Fälle, wel- che ich durchmustert habe, gehörten Primipari’s an und es lässt sich daher aus ihnen wenig schliessen. Allein der weitläufig von mir geschilderte Fall, wo dieselbe Frau viermal Kinder mit dieser Degeneration gebar, so- wie der von Schupmann, wo gleichfalls die Mutter 3 missgebildete Kinder zur Welt brachte, zeigen mit Bestimmtheit, dass die erregende Ursache hier in dem Mutterkörper gelegen sein musste. Was soll man aber hier anders annehmen, als den Uebergang reizender Stoffe von der Mutter, zumal wenn an der Mutter selbst keine auffällige Anomalie bestand und ein eigentliches Erb- schaftsverhältniss nirgends bekannt ist? Ist nun die 288 Verstopfung wirklich bedingt durch reichliche harnsaure Niederschläge, so müssen wohl die von der Mutter über- gehenden Säfte schon in einer gewissen Weise anomal gedacht werden, wenn man auch desshalb noch nicht genöthigt wird, geradezu eine harnsaure Diathese bei der Mutter zu vermuthen. Für die praktische Auffassung bleiben uns noch ei- nige wichtige Fragen zu besprechen. Zunächst die cy- stoide Degeneration der Nieren als Geburtshinderniss. Schon aus den von mir mitgetheilten Fällen ergibt sich deutlich, dass keineswegs immer, selbst bei sehr ausge- dehntem Bauche, ein wesentliches Hinderniss gesetzt wird, dass sogar die Geburt trotzdem schnell and leicht vor sich gehen kann. Indess andere Mal wird die Entwickel- ung des Kindeskörpers aus den Geburtswegen dadurch auf das Aeusserste gehindert und gerade von diesem Ge- sichtspunkte aus ist der Gegenstand zuerst von Osian- der und noch neuerlichst von Siebold zur Sprache gebracht worden *). In der That braucht man nur ein- mal den ausserordentlich grossen Umfang, den der Bauch eines solchen Kindes erreichen kann, in’s Auge gefasst zu ha- ben, um zu begreifen, welche Schwierigkeiten der Durch- tritt desselben durch die Geburtswege unter Umständen finden kann. Siebold citirt Fälle von Mansa (Sie- bold’s Journal für Geburtsh. 1836. Bd. XV. S. 683) und von Höring (Württ. med. Corresp.-Blatt Bd. VII. S. 126), wo den Kindern der Kopf und die Arme ab- gerissen, oder gar Kopf und Brust abgetragen wurde, ohne dass die Entfernung des übrigen Leibes ohne neue Zerstückelungen möglich war. Es kommt dabei natürlich wesentlich auf die Grösse des Kindeskörpers im Ganzen an, und es ist gewiss ein glücklicher Umstand, dass in der Mehrzahl der bekannten Beobachtungen die Ausstossung des Kindes vor völligem Ab- lauf der Schwangerschaft stattfand. So ver- hielt es sich auch in den früher erwähnten forensischen Fällen von Rothenfels und Hassfurt. (Schluss folgt.) 4) Solche Fälle kommen auch bei Thieren vor. So fin- det sich ein von La Notte (Gurlt und Hertwig, Maga- zin für d. ges. Thierheilkunde. 1836. II. S. 224) eingeliefer- tes Präparat vom Pferde in der berliner Thierarzneischule. Die Nieren mit den Harnleitern, der Harnblase, den Neben- nieren und Hoden wogen 24 Pfund. Das Thier war sogleich nach der Geburt gestorben. Bibliographische Neuigkeiten. w. — A. W. Habershem, The North Pacific Surveying and Exploring Expedition, or my Last Cruise, Where we went and What we saw, being an Account of Visits to the Malay and Loo Choo Islands, the coasts of China, Formosa, Japan, Kamschatka, Siberia and the Mouth of the Amoor River. 8. London. 12 Sh. W. — H. Barth, Travels in North and Central-Africa ; being a Journ. of an Expedilion undertaken 1849 — 55. 5. Vols. Vol. 4, 2, et 3. 8. London, Longman. 63 Sh. H. Barth, Reisen und Entdeckungen in Nord- und Central- Afrika in den Jahren 1849 — 1855. Prachtausgabe. 1. Bd. hoch 4. In engl. Einb. J. Perthes in Gotha. 42 Thir. ESEL "WRER ER" _ Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena. Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. BEE. Band Ne 19. Naturkunde. Büchele, Fortschritte der Naturwissenschaften im Jahre 1856. (Schluss.) — A. Mousson, Ueber den Löss des St. Galler-Rheinthalee. — Riscellen. R. Ludwig, Bohrungen auf gasige Quellen. — Nekrologe.. — Heilkunde. Virchow, Ueber congenitale Nierenwassersucht. (Schluss.) — A. Werber, Ueber den Gebrauch der Anästhetika. — Miscellen. Gery, Chloroformdämpfe gegen Veitstanz. — Stöber, Collodium gegen Entropieen. — Bibliographie. Naturkunde, Fortschritte der Naturwissenschaften im Jahr 1856. Von Dr. Büchele. (Schluss.) 3) Einige Anwendungen der Hülfswissen- schaften auf die Medicin. Das von den einfachsten Wesen zu den zusammen- gesetztesten aufsteigende Studium der Physiologie, die Kenntniss von den Krankheiten der Thiere in Zusammen- stellung mit denen der Menschen, die Vervollkommnung der moralischen Gesundheitslehre, der medicinischen Phy- sik und Chemie sind die wahren wissenschaftlichen Grund- lagen der Heilkunde. Wenn die Medicin sich daran hält, wenn sie alle Entdeckungen der Physik und Chemie in ihren Bereich zieht, gewinnt sie den Charakter der Sicherheit, der sie über die Schwankungen des Empiris- mus und der therapeutischen Systeme erhebt. Wir haben bereits der Arbeiten von B&champ und Picard erwähnt: wir wissen, dass ihnen zufolge den Nieren die Bestimmung angewiesen ist, den Harnstoff, welcher sich gänzlich im Blut erzeugt, auszuscheiden. In gewissen Fällen vermögen die Nieren bei einer Des- organisation der Ausscheide- Kanäle diese Aufgabe nicht zu erfüllen; jener Stoff bleibt alsdann im Blute zurück und hat auf die Oekonomie des Körpers die Wirkung einer giftigen, die Nerven aflieirenden Substanz; daher die Convulsionen, welche sich bei Wöchnerinnen, kleinen Kindern und in gewissen Erscheinungen der Cholera zei- gen; zu gleicher Zeit setzt im Harn Eistoff an. Dr. Addison hat die Bemerkung gemacht, dass bei gewissen, einer langsamen, stufenweisen Entkräftung unterliegenden Personen die Haut eine dunklere Färbung annahm, welche sich sehr schnell über verschiedene Kör- pertheile ausdehnte. Wenn es mit den Kranken zu Ende gegangen war, ergab sich immer eine Veränderung der Nebennieren; das Zusammentreffen dieser beiden Um- stände erregte die Aufmerksamkeit Addison’s und er gelangte zur Entdeckung dieser neuen nach ihm benann- ten Krankheitsform. Im vorigen Jahre fand nun Brown- Sequard weiter, dass das Blut von Thieren, bei. wel- chen er die Nebennieren entfernte, eine weit grössere Quantität von Pigment oder Färbestoff in sich schloss, und folgerte daraus mit Grund, dass wahrscheinlich die Nebennieren zur Zerstörung des Hautpigments dienen. So hat die Experimental-Physiologie bereits theilweise die ärztlichen Beobachtungen erklärt und bestätigt. Ein einziger Blutstropfen enthält eine Menge so kleiner Kügelchen, dass allein das Mikroskop uns diesel- ben kennen lehrt, und man berechnet dieselben auf nicht weniger als 44 Millionen mit einem Durchmesser der ein- zelnen von etwa 7950 eines Millimeters. Dieser Kügel- chen gibt es 2 Arten; die einen roth, kleiner, die an- dern weiss oder vielmehr farblos und von grösserem Um- fang. Diese letztern finden sich im Verhältniss zu den andern in sehr geringer Anzahl; sie erzeugen sich in der Milz und den Wasserknoten und verwandeln sich bei ih- rem Durchgange durch Lunge und Leber in rothe Kügel- chen. Virchow wies nun nach, dass unter gewissen Umständen die Zahl der weissen Kügelchen das gewöhn- liche Verhältniss weit übersteigt; das Blut. nimmt damit eine milchige Farbe an und es entsteht die mit dem Na- men Leucämie (Weissplut) bezeichnete Krankheit. Nach den weitern Beobachtungen unterliegen die Kranken bald hefligem Fieber, bald Blutabgängen. Das Blut ist bei denselben in Folge ungeheurer Anhäufung weisser Kügel- chen milchig geworden; die Wasserknoten sind ange- schwollen, Milz und Leber an Umfang sehr vergrössert. So fällt demnach die Entwickelung der Leber und Was- 19 291 serknoten mit der Erzeugung einer grössern Menge Weiss- kügelchen zusammen. Diess wird ohne Zweifel einen Ausgangspunkt für neue Untersuchungen abgeben. Sonst hatten die Aerzte nur eine beschränkte An- zahl von Hülfsmitteln zur Erforschung der kranken Or- gane. Eine genaue Uhr, um die Pulsschläge zu zählen, eine Stethoskop, um das Klopfen in der Brusthöhle zu beobachten, bildeten so ziemlich die Operationswerkzeuge abgerechnet, ihren ganzen Apparat; heut zu Tage sind sie reicher daran und verdanken diess theilweise den Fort- schritten der Physik und Chemie. Vierordt in Braun- schweig hat ein Instrument, Sphygometer, erdacht, wel- ches auf einem Blatt Papier die Pulsschläge bezeichnet. Eine Kupferplanchette wird nämlich auf die Arierie ge- legt, hebt sich mit jedem Pulsschlag und theilt ihre ab- wechselnde Bewegung einem Hebel mit, an dessen Ende sich ein Pinsel befindet; vor dem Pinsel bewegt sich gleichmässig ein Blatt Papier, auf welchem die krummen Linien der Pulsschläge graphisch dargestellt sind. Auf diese Weise kann man Häufigkeit, Dauer, Umfang und Stärke des Pulses studiren und erhält nach dem Gesund- heitsstande gleiche oder ungleiche, regelmässige oder ge- wundene, ähnliche oder unähnliche Linien. Ein ähnliches Instrument für dieselben Zwecke hat Scott-Alison kürzlich der königl. Gesellschaft zu London vorgelegt. Schon vor einigen Jahren verfertigte der englische Arzt Hutchinson einen sogenannten Spirometer, um die Capacität der Lungen, d. h. die Luftquantität zu mes- sen, welche ein gesunder Mensch während der Dauer ei- nes vollständigen Athemzugs von sich geben kann. Zwi- schen 15—25 Jahren beträgt das Maximum der Lungen- Ausathmung für eine Person von kleinem Wuchse 3, bei mittlerem Wuchse 31, bei hohem 4 Liter. Ein Mensch über 25 Jahre verliert jährlich ungefähr 3 Millimeter oder ein Centiliter in 3 Jahren. Dr. Bonnet von Lyon hat kürzlich die Erfahrungen Hutchinson’s wieder aufge- nommen und dessen complicirtem Instrumente einen ein- fachen Gasmesser substituirt. Damit wies er nach, dass jeder Erwachsene, der nur 4, 14 oder 2 Liter Luft aus- athmet, bezüglich der Athmungsfunktionen zu grossen Besorgnissen Anlass gibt, und schuf zugleich die Mög- lichkeit, eine Brustkrankheit zu erkennen, wenn dieselbe erst im Entstehen, somit durch die Kunst noch zu be- seitigen ist. Guillet und Schnepf legten nach Bon- net der Akademie der Wissenschaften 2 neue Spirome- ter vor, welche sich für praktische Aerzte noch mehr eignen. Ein anderes kleines Instrument, Ophthalmoskop ge- nannt, dient dazu, den Grund des Auges zu erforschen. Es besteht in einem Spiegel und einer Linse, welche die Lichtstrahlen auf dem Grunde des Auges reflectiren und ein lebhaftes Licht werfen. Dieser Grund ist mit einer zarten, an gewissen Punkten gefalteten und mit kleinen zahlreichen Gefässen bedeckten Membrane bekleidet. Mit Hülfe des Instruments lassen sich nicht blos alle die nor- malen Details unterscheiden, sondern auch die geringsten 292 Modifikationen, welche dem Gesichte Schaden bringen könnten, beurtheilen. Man sieht die Blutergiessungen, die Gefässerweiterungen, die Wirkungen krankhafter Pro- cesse, und unterscheidet selbst die Parasiten, welche zu- weilen in diesen so zarten und tiefen Regionen leben. Die Operateure sind oft genöthigt, tief in den Or- ganen und an Punkten, welche dem Auge unzugänglich sind, das glühende Eisen anzuwenden; sie sind bei aller Geschicklichkeit in Gefahr, die gesunden Theile zu zer- stören und die kranken unvollständig zu cauterisiren. Diess lässt sich jetzt, wie Middeldorpf gezeigt, durch Anwendung der Wärmekraft einer elektrischen Säule vermeiden. Man befestigt an leitende Fäden Instrumente, welche der Chirurg nach Belieben lenken und in welchen er den Strom fortpflanzen oder unterbrechen kann. Man führt das Brennmittel kalt auf die Theile ein, um deren Zerstörung es sich handelt, lässt eine Feder spielen, der elektrische Strom beginnt, bringt das Brennmittel zum Glühen und die Sache ist geschehen. Der Strom wird darauf gehemmt, das Instrument kühlt sich ab und man zieht es nun ohne Gefahr zurück. (Revue contempor. 1857. 3.) Ueber den Löss des St. Galler - Rheinthales. Von Dr. A. Mousson (Zürich) *). Verfolgt man von dem jetzigen Hochgebirge thal- niederwärts die bekannten Gletscherspuren, die Ritzen, welche die Reibung der fortgeschobenen Trümmer auf Felsen und Geröllen zurückgelassen, die eckigen Formen der auf dem Eise fortgetragenen Blöcke, endlich die ungeschichteten Morainenanhäufungen, so gelangt man ohne Unterbrechung in die Niederungen der circumalpini- schen Länder, in die Mitte der merkwürdigen erratischen Erscheinungen. Man überzeugt sich von dem einstmali- gen Dasein einer früheren Eiszeit, in welcher die gegen- wärtig auf die Hochthäler beschränkten Gletscher eine riesenmässige Mächtigkeit hatten, die Schranken des Ge- birges weit überschritten und ihre Trümmer bis in die badischen und bayerischen Niederungen und an den Jura hinauf vorschoben. Auch der nüchternste Geologe kann der Evidenz der vorliegenden Thatsachen nicht widerste- hen, so sehr ihm die Annahme einer früheren Eiszeit als eine auffallende Anomalie in der Geschichte der Erde, welche einen langsam fortschreitenden Abkühlungsprocess darstellt, erscheinen mag. Wo heutigen Tages die reich- sten Saaten sich ausbreiten, Wallnuss und Kastanie rei- fen und die Rebe üppig gedeiht, starrte einst ewiges Eis und die Temperatur sollte seitdem, im Widerspruch mit allen physicalischen Verhältnissen der Erde, bis zu der Jetztzeit um 8 und 10 Grade gestiegen sein, und zwar in einer Epoche, da das gegenwärtige Relief des Bodens *) Vierteljahrschrift d. naturforsch. Gesellsch. in Zürich. I. 3. Zürich, 1856. 293 bereits bestand, die grössern geologischen Umwälzungen ihr Ende erreicht, der Gang der jetzigen Schöpfung. be- reits begonnen hatte! Diese Anomalie verliert indess von ihrer Schärfe, wenn nachgewiesen wird, dass es sich nicht um Tempe- raturveränderungen wie die vorgenannten handelt, nicht um ein Clima, das gar so bedeutend von dem des heu- tigen Tages abweicht. Der Gletscher ist nicht ein Produkt der climateri- schen Verhältnisse der Oertlichkeit, wo er auftritt, son- dern ein Ueberrest der Schnee- und Eismassen höherer Gegenden, welche so lange niederwärts rücken, bis Wär- me und Witterung sie vollständig aufgezehrt haben. Als das natürliche Abflussmittel für die sonst in’s Maasslose wachsende Schneelast der Hochgegenden reicht derselbe um so weiter hinaus als die ihn speisenden Firngegenden ausgedehnter, die festen Niederschläge reichlicher, die mit der Gletschergrösse wachsenden Bewegungen stärker sind. Die Beobachtung der heutigen Gletscher lehrt, dass das Vorrücken nicht allein von einer Verminderung der Gesammtwärme des Jahres, welche von dem einen zum andern nicht bedeutend abweicht, sondern ebenso sehr von einer andern Vertheilung derselben abhängt. Milde und Schneereichthum des Winters, Kühle und Bewölkung des Sommers tragen das Meiste zum Fortbestand der Eismassen bei. Eine Reihe schlechter Jahre bewirkt eine Bewegung und ein Wachsen der Gletscher, welches beim Anblick des scheinbar starren unveränderlichen Eises un- begreiflich erscheint und so lange fortschreitet, bis Jahre entgegengesetzten Charakters wieder Halt gebieten, da- durch, dass die Abschmelzung das Vorrücken übersteigt. Wie weit ein solches Wachsen reichen könnte, wenn der Charakter unserer jetzigen schlechten Jahre, Feuchtigkeit und bewölkter Himmel, Jahrhunderte und Jahrtausende anhielte, dafür giebt der Umfang unserer jetzigen Glet- scher keinen Maassstab; man darf aber mit Hrn. von Charpentier dreist behaupten, dass unsere sämmt- lichen Alpenthäler bis hinab sich mit Gletschern füllen und das Land sich bedeutend dem Znstande nähern würde, den die Eiszeit voraussetzt, obgleich Höhen und Ab- hänge, wie jetzt im Gebiete der Gletscherausläufer, von Pflanzen und Bäumen bedeckt sein möchten. Man muss allerdings die Entwickelungsfähigkeit der Gletscher in der Nähe beobachtet haben, um solchen Aus- sprüchen Glauben zu schenken, sie nicht in das weite Reich geologischer Träumereien zu verweisen. Darum wäre es wichtig, andere Thatsachen aufzufinden, welche, weil bedingt von den climaterischen Verhältnissen jener räthselhaften Epoche, die Aehnlichkeit oder Abweichung derselben von der Gegenwart auf anderem Wege fest- zustellen vermöchten. Viele, beinahe alle Aufschlüsse über die Zustände vorhistorischer Zeiten hat die Geologie aus dem Studium der organischen Reste gezogen, namentlich verdankt ihm die Schweiz, nach den Untersuchungen drs Hrn. Prof. 294 Heer, eine Kenntniss der Tertiärzeit, welche derjenigen mancher gutbekannter Theile der gegenwärtigen Erdober- fläche wenig nachsteht, Leider zeigt sich in dieser Be- ziehung begreiflicherweise keine Epoche ärmer und trost- loser als eben die Eiszeit. Im Umfange der das tiefere Land überspannenden Eisdecke scheint dem organischen Leben kein Fleck zur freien ruhigen Entfaltung gelassen worden zu sein; die ausgedehnten Trümmeranhäufungen, die ihrer Gestalt und Zusammensetzung zufolge als End-, Seiten- und Grundmorainen zu deuten sind, ermangeln, gleich wie an unsern heutigen Gletschern, weil sie ein Pro- dukt der durchgreifendsten Zerarbeitung sind, aller erhalte- nen organischen Ueberreste; in den Gegenden jenseits der äusseren Gletschergränze fehlt es hinwieder an Mitteln, das Alter der gefundenen Reste, mit Rücksicht auf die Eiszeit, zu bestimmen. Unter solchen Umständen verdient ein Gebilde, des- sen Ursprung mit Grund an die Existenz ausgedehnter Gletscher geknüpft wird, eine besondere Beachtung. Wir meinen jene sandiglehmigen, zugleich kalkführenden, durch Schwere und Wasser abgelagerten Massen, welche an der Gränze des erratischen Gebietes und in den Aus- läufern desselben oft mit ziemlicher Mächtigkeit, Wände und Grund der Thäler bekleiden und Löss genannt wor- den sind. Durch ihre ganze Beschaffenheit erinnern sie ungemein an den durch die Reibung unter den Gletschern erzeugten sandigen Schlamm, der in ungeheurer Menge von den Gletscherabflüssen fortgeführt wird und mit grös- seren Trümmern vermengt die Morainen zusammensetzt. In grösster Ausdehnung kömmt diese Bildung, zuerst als Berglöss des Hrn. Walchner durch das ganze Rhein- thal von Basel bis Mainz vor, dann, als Thallöss, auf vielen Punkten von Baden und Würtemberg, wo er Sand und Geröllmassen und so auch der bekannten Canstatter Tuffbildung aufgelagert scheint. Auf vielen dieser Punkte wurden, neben einzelnen Wirbelthieren, zahlreiche Schnek- ken gefunden, die bereits auch von den HH. Al. Braun, Walchner u. A. genau bestimmt worden sind. Die Arten gehören zwar ohne Ausnahme der mitteleuropäi- schen Fauna der Jetztzeit an, die vorwaltenden sind je- doch andere, als gegenwärtig in den gleichen Gegenden dominiren; einige muss man heutigen Tages in ziemlich entfernten Ländern östlich oder westlich aufsuchen; hin- wieder fehlen eine Reihe Arten ganz, welche gegenwär- tig eine Hauptrolle spielen, diejenigen besonders, welche man an warmen, trocknen, sonnigen Standorten zu sehen gewohnt ist. Zur Verallgemeinung und festern Begründung. der Folgerungen über jene Zeit wäre es wichtig, solche Da- ten in grösserer Zahl, von noch mehreren Punkten, be- sonders von solchen, welche dem Gletschergebiete näher und innerhalb desselben liegen, zu erhalten. Ueberlingen im Bodenseebecken scheint auf der Nordseite der Alpen der südlichste Punkt zu sein, für welchen bisher eine dem Löss analoge Bildung genannt worden ist (Walch- Rz 295 ner, Handbuch 710), obgleich manche der mächtigen Sand- und Geröllablagerungen der Schweiz in eine glei- che Zeit fallen mögen. Darum ist es von hohem Inter- esse, dass Hr. Escher v. d. Linth weit südlicher, im St. Gallischen Rheinthal und ganz am Eingang in’s Hoch- gebirge eine zahlreiche Schnecken führende Bildung ent- deckt hat, welche nach Beschaffenheit und Lagerung grosse Aehnlichkeit mit dem wahren Lösse hat, und viel- leicht direkt mit den lössartigen Massen von Ueberlingen zusammenhängt. Ueber diese Bildung theilt Herr Escher weitere Untersuchungen mit und bestimmt die darin vorkom- menden Schnecken, wodurch er zu folgenden Schlüs- sen kommt: 1) Alle Arten, ohne Ausnahme, finden sich jetzt noch in der östlichen Schweiz, — beinahe alle im Thalboden des Rheines selbst oder am Fuss der nächsten Berghänge; einzig fehlen gegenwärtig die sehr häufige Helix ruderata St., die wenig charakteristische H. sericea var. glabella Stud. und die in der Gegend noch nicht ge- fundene, aber in Graubünden bekannte Pupa bigranata Rssm. Die jetzige eigenthümliche Varietät von H. stri- gella lebte schon damals. 2) H. ruderata und sericea Var. glabella Stud. ge- hören gegenwärtig dem Gebirge an, namentlich betrach- tet man H. ruderata als charakteristische Art desselben. Die übrigen Arten alle sind entweder Waldschnecken, aus der Region der Laubhölzer, oder Bewohner von wenig ausgesetzten Grasabhängen, oder leben endlich unter den mannigfachsten Temperaturverhältnissen an feuchten moo- sigen Stellen. H. arbustorum hat ganz vorherrschend den Thalcharakter, und zwar den feuchter, schaltiger Stellen, nicht einmal denjenigen der mittleren Alpen. Von den Bewohnern trockner, sonniger Lokalitäten (H. ericetorum, candidula, Pupa frumentum etc.) sind bisher keine gefunden worden; ebenso fehlen bis jelzt eigentliche Wasserschnecken. 3) Von der Lössbildung und dem unterliegenden Sande finden sich einige wesentliche Abweichungen. Es fehlen durchgehends die eigenthümlichen, gegenwärtig aus den Rheingegenden verschwundenen Arten (Suceinea elongata Braun, Helix bidentata, sylvatica, costulata, solaria, Pupa columella, parcedentata etc.); hingegen scheinen H. ruderata, nitidosa, nitens. rotundata, seri- cea, strigella, Bul. montanus, Pupa dolium dem Löss zu fehlen, bis an zwei hingegen im tiefern Sande vorzukom- men. Die Analogie mit dem untern Sande ist insofern grösser als mit dem Löss; doch wäre ein Parallelisiren beider, wegen der noch grössern Analogie mit der Jetzt- zeit gewiss voreilig. 4) Auch der Zustand der Schnecken, an denen oft Färbung und Glanz noch schwach erkennbar, eine ge- wisse Durchscheinbarkeit erhalten ist, deutet auf ein jün- geres Alter, als die meist stark verkalkten, von organi- 296 scher Substanz mehr befreiten Schnecken des Lösses zu haben scheinen. Nach diesen Thatsachen und den in der Notiz des Herrn Escher erläuterten Beziehungen zu den eigent- lichen erratischen Massen scheint die Sandbildung des St. Galler Rheinthales, wenn auch ähnlichen Ursprunges, nicht ganz gleichen, sondern etwas jüngern Alters, als der wahre Löss unterhalb Basel. Wenn dieser aus der Zeit der grössten Ausdehnung der Gletscher und ihres ersten Rückganges stammt, so hatte sich das Eis be- reits, vielleicht nach Verlauf von Jahrhunderten, hinter die Gegend von Sewelen und Sargans zurückgezogen, als die Sandbildung sich auf dem verlassenen Kletscherboden und am Fusse der Thalwände absetzte. Die Schnecken- fauna scheint theils ein Erbtheil der dominirenden Arten einer früheren, etwas kälteren Zeit, theils der eben vor- handenen, deren Clima nur wenig von dem der unteren und mittleren Berghänge der Jetztschweiz abweichen konnte, nur dass Feuchtigkeit und Bewaldung eine grös- sere Rolle als gegenwärtig gespielt haben müssen. Die vorwaltende Aehnlichkeit der Molluskenfauna der untern Bildung des Lösses und der Bildung des St. Galler-Rheinthales unter sich und mit der Jetztzeit scheint darauf hinzudeuten, dass die climaterische Schwankung, deren die Eiszeit ihre Entwickelung verdankt, nicht um viele Grade von dem heutigen Clima verschieden war, ob- gleich die Erkältung zunächst den Eismassen allerdings eine etwas stärkere sein mochte. So wird man auf die Frage gedrängt, ob nicht die Eiszeit lediglich die am längsten dauernde und daher grösste der climaterischen und glacialen Oseillationen war, von welchen jede Reihe schlechter Jahre uns heute noch auffallende Beispiele auf- weist, und von denen noch weit auffallendere traditionell im Munde des Volkes leben? Wir stellen die Fragen hin, ohne hinlängliche Thatsachen zur entscheidenden Be- antwortung derselben zu haben. Miscellen. Bohrungen auf gasige Quellen. Wahrhaft über- raschende Ergebnisse sind in Nauheim, in Kissingen durch rationelle Anlage von Bohrlöchern erzielt worden. Man hat die Wassermasse der Quellen da gefasst, wo sie durch den höheren Druck comprimirte, an das Wasser gebundene Koh- lensäure noch in liquider Gestalt enthält. Die aimosphärische Pressung nimmt im Bohrloche ab, die Kohlensäure steigt in der Wassermasse auf und reisst die Quelle mit sich fort, der Sprudel ist gebildet und springt in Nauheim bis zu 56° Höhe mit 31% R. Temperatur, in Kissingen zu 90‘ Höhe mit 150 R. Temperatur. Dies ist des kurfürstlich hes- sischen Salineninspeelors und Badeverwalters zu Naulıeim, Heırn Rudolph Ludwig durch die schlagendsten Thatsachen nachgewiesene Theorie. Hydrostatischer Druck hebt Quellen, aber die Kohlensäure, durch höhere Temperatur gasförmig geworden, bringt das Wasser selbst über das hy- drostalische Niveau zum Ueberströmen und zur Sprudelbild- ung. Wo die Wassermasse nicht aus tiefen Kanälen, sondern durch Gerölle, Spalten u. s. w. an den Tag tritt, nimmt der 297 atmosphärische Druck so allmählig ab, dass die Quellen und die Kohlensäure gesondert erscheinen, weil die Triebkraft der letztern sich an den vielen Hindernissen zersplittert. (Allgem. deutsche nalurhist. Ztg. I. Bd. No. 12. 1856 ) Nekrologe. Karl Lucian Bonaparte, Prinz von Musignano, ausgezeichnet als Zoolog und Ornitholog, ist am 29. Juli zu Paris gestorben. Ebenso der bekannte Reisende Lint. James Holman, Heilk Ueber congenitale Nierenwassersucht. Von Virchow (Berlin). (Schluss.) Ungleich wichtiger ist dagegen die Degeneration der Nieren als Lebenshinderniss des Kindes. Nach der Auffassung von Förster (Spec. palh. Anat. Leipz. 1854. S. 356) würde der Tod durch Aufhebung der Nierenfunktion eintreten. Wäre diess richtig, so müssten die meisten dieser Kinder schon im Mutterleibe absterben. Allein die Erfahrung zeigt vielmehr, dass die grosse Mehrzahl bis zur Geburt leben, dass sie sogar noch le- bend geboren werden, aber dann nach einigen vergeb- lichen Respirationsversuchen sterben. Hier kann es wohl kaum zweifelhaft sein, dass der Tod, wie es auch die meisten Beobachter geschlossen haben, durch die me- chanische Unmöglichkeit der Respiration zu Stande kommt. Der Brusikorb wird durch das Herauf- drängen des Zwerchfells so verengert, dass keine eigent- liche Respirationsbewegung geschehen kann und die Kin- der asphyktisch zu Grunde gehen. Freilich ist es mög- lich, dass in einzelnen Fällen die Vergrösserung der Nieren nicht so beträchtlich ist, um diese unmittelbare Asphyxie herbeizuführen. So lebte das eine Kind in der von Scheibel behandelten Familie zwei Stunden (Adam- kiewicz ]. c. p. 30) und Förster (l. c. S. 357) erwähnt ein Spirituspräparat der Art aus der Göttinger Sammlung, welches von einem Kinde herstammt, das zwei Wochen alt geworden sein soll. Man könnte sogar daran denken, ob nicht manche von den Fällen cystoider Vergrösserung der Nieren, die man bei Erwachsenen fin- det, schon aus dem fütalen Leben stammen. Ich habe wiederholt Gelegenheit gehabt, solche Nie- ren aus den Leichen Erwachsener herauszunehmen, bei denen gar keine Vermulhung einer solchen Störung bei Lebzeiten bestanden halte. Diese Art von Cysten hat auch das Eigenthümliche, wodurch sie sich von den ge- wöhnlichen cystoiden Degenerationen nach Granular-Atro- phie und anderen Erkrankungen des späteren Lebens un- terscheidet, dass sie ausser albuminösen Bestandtheilen sehr häufig krystallinische Harnbestandtheile führen. Ich habe grosse Massen von Harnsäure, colossale Krystalle von oxalsaurem Kalk, sogar Hippursäure und Cystin da- rin gefunden, so dass also hier allerdings eine Retention 298 welcher, obwohl blind, die ganze Welt durchreist und davon vortreflliche Beschreibungen veröffentlicht hat. In Nordamerika ist der ausgezeichnete Geognost Mit- chell am 9. Juli in einem Strome verunglückt. In den ersten Tagen des Sept. slarb zu Kiel der ver- diente Zoolog, geh. Medieinalrath Prof. Dr. Martin Karl Heinrich Lichtenstein in Berlin, geb. 10. Jan. 1780 in Hamburg. umnde. von Harnbestandtheilen stattfindet. Dabei sind die nor- malen Nierentheile zuweilen so vollständig geschwunden, dass man kaum begreift, wie noch eine Harnabscheidung geschehen kann, und doch ist diess der Fall. In einer der letzten meiner Beobachtungen fanden sich nur hie und da noch kleine Reste von Pyramidalsubstanz und doch war in der Harnblase Harn, der nach einer von Hrn. G. Siegmund vorgenommenen Titrirung noch 0.166 pCt. Harnstoff enthielt. Wie diese Art der cystoiden Degeneration entsteht, weiss ich nicht; dech halte ich es nicht für unbedenklich, sie ohne Weiteres auf einen congenitalen Ursprung zurückzuführen. Bevor ich schliesse, will ich die Aufmerksamkeit noch einen Augenblick für die verwandte Form der congeni- talen Hydronephrose in Anspruch nehmen. Be- kanntlich bezeichnet man seit Rayer als Hydronephrose die Ektasie der Harnwege, namentlich der Harnblase, Nierenbecken und Ureteren, welche in der Mehrzahl der Fälle mit Atrophie der Nierensubstanz einhergeht. Solche Fälle sind keineswegs selten. Billard (Traite des ma- lad. des enfans p. 434, 436), Vrolik (Tabulae ad il- lustr. embryogenesin Tab. XXX. pag. 3) u. A. haben Schilderungen davon geliefert. Ich selbst habe Fälle dieser Art wiederholt gesehen, und in der würzburger Sammlung finden sich 3 Präparate davon. Das eine (Zuwachs von 1853, No. 305) stammt von der forensischen Sektion eines 6—7 Monate alten Fötus mit ausserordentlich en- ger Urethra, bei dem der rechte Ureter zu einer mehr als gänseeigrossen Geschwulst entwickelt war, die den grössten Theil des Unterleibes füllte und sich bis zu den fast ganz ausgezogenen und abgeflachten Nierenkelchen erstreckte; die Nierensubstanz war zu einer einige Li- nien dicken Lage zusammengeschrumpft. Ein ähnliches, nur noch grösseres Präparat von Ektasie der Harnwege ist unter No. 1675, Abth. XVI. Jahrgang 1834 aufbe- wahrt; es stammt von einem 6 Wochen alten Kinde und die Harnwege sollen ganz voll von Eiter gewesen sein. Das dritte endlich fand ich bei einer Section mit Dr. Ro- senthal bei einem Neugebornen, das an Trismus ge- storben war (No. 1776, Jahrg. 1851); hier ist die Hy- dronephrose wiederum einseitig und die Ektasie erstreckt sich genau bis zur Einmündung des Ureters in die Harn- blase, gleichsam als ob hier das Hinderniss gelegen hätte. An sich haben diese Fälle eine geringere Bedeutung, 239 insofern die Affection häufig nur einseitig und dann mit dem Fortbestande des Lebens nicht ganz unverträglich ist. Indess scheint doch auch hier der Tod meist in nicht zu langer Zeit, wahrscheinlich durch Hemmung der Nierensekretion, zu erfolgen. Ueber den Gebrauch der Anästhetika. Von Prof. Dr. A. Werber (Freiburg) *). Aus einer grösseren Abhandlung im Vorwort des unten genannten Buches geben wir hier den Schluss. „Die Chirurgie bedient sich der Anästhetica bei Her- nia incarcerata, bei Luxationen, bei Knochenbrüchen, um durch Relaxation der Muskeln die Reposition theils schmerzloser, theils sicherer und bequemer machen zu können. Bei Operationen wird der Operateur die Regeln von Bouisson berücksichtigen, welcher anempfiehlt, die Nar- kose zu unterlassen, wenn die Operation kurz und nicht sehr schmerzhaft ist; wenn der Kranke bei der Operation Antheil nehmen muss; wenn die Empfindungen des Kran- ken zur Leitung des Operateurs wichtig erscheinen; wenn der Operateur den Schmerz des Kranken wünschenswerth findet; wenn zu Anästhesie und Paralyse schon Ursachen vorliegen. Seit Guersant «Kinder glücklich anästhesirte, so fürchtet man diess im Allgemeinen nicht mehr. In der Veterinärkunde ist die anästhetische Methode mit bestem Erfolge ausgeführt worden. Sedillot hat sehr gute Winke, welche bei Ope- rationen alle Beachtung verdienen, gegeben; man soll niemals bis zur Aufhebung der Empfindung narkotisiren, sondern blos bis zur Muskel-Erschlaffung; niemals einen im Geiste und Gemüthe unruhigen Menschen; die Narko- lisirung soll progressiv geschehen; stets mit atmosphäri- scher Luft den Aether in Verbindung setzen; Intermis- sionen in der Chloroformirung eintreten lassen, wenn die Operation sehr lange dauert. Man muss sich überhaupt beim Narkotisiren vor- sichtig benehmen; Menschen mit vollem Magen oder bei sehr grosser Nüchternheit wird man nicht anästhesiren. Leidenschaftliche und aflectvolle Menschen entschieden ent- weder gar nicht oder mit grosser Vorsicht und Behut- samkeit. Durch Sauferei und lüderliches Leben heruhter- gekommene Menschen mit grosser Vorsicht — Menschen, die von einer wahnsinnigen Familie abstammen und ge- störtes Gleichgewicht der Geistes- und Gemüthskräfte zei- gen oder schon Seelenstörungen gelitten haben, einer *) (53° Ueber die Anwendung der Narkose in d. Zahn- heilkunde von Dr. Brunn. Mit Vorwort und einer Ablıdle. über d. wichtigsten Anästhetica von Dr. A. Werber. Mit 2 Abb. 8. Freiburg i. Br., Wangler, 1857. 300 anästhetischen Behandlung zu unterwerfen, ist nicht ohne Gefahr, wie auch eine magnetische Behandlung derselben der grössten Besonnenheit bedarf. Menschen mit orga- nischen Lungen- und besonders Herzkrankheiten wird man nur nach besonnener Untersuchung möglicherweise der Inhalation unterziehen können. Hirnkranke Personen bedürfen der sorgfältigsten Erforschung, ob und ehe sie zur Inhalation zugelassen werden, denn Hirn, Herz und Lunge sind ja die drei Brennpunkte der ätherischen Ein- griffe, so wie sie auch die wichtigsten Träger, Erreger und Beweger des physischen und geistigen Lebens sind und nur ein frevelhaftes Wagen kann leichtsinnig mit dem unersetzlichen Lebensgute spielen. Man achte stets auf die Bewegungen der Lunge und des Herzens und begnüge sich mit dem Schlafe des Patienten in den mei- sten Fällen. Die Geburtshülfe bedient sich mit Recht der ätherischen Inhalationen zur Beseitigung der Furcht und der Schmerzen der Gebärenden, sowie zur Erleichterung und Beförderung der Geburtsarbeit und zur Verhütung unangenehmer Nebenzufälle und Nachkrankheiten, wie eine Reihe der tüchtigsten Geburtshelfer bezeugen. Man hat sich durch Versuche an Thieren und an Menschen überzeugt, dass der Geburtsakt durch Inhala- tionen der Aethere nicht unterbrochen wird, dass die Ge- bärmutter ihre Contractionen unabhängig vom Bewusst- sein und der Willensthätigkeit des Hirns dennoch voll- führt, dass ihre stürmischen und heftigen Contractionen nur gemässigt werden durch vollkommene Narkose, dass sie aber natürlich dann cessiren, und selbst ganz aufge- hoben werden, wenn die Narkose den Nerveneinfluss des Rückenmarks und des Gangliensystems auf die Gehär- mutter unterdrückt, was aber vor oder mit dem Tode eintritt. Man hat beobachtet, dass die erste Periode der Inhalation, welche bekanntlich mit einer Aufreizung des Gefäss- und Nervensystems einhergeht, die spinale Thä- tigkeit erhöhen und dadurch der spinale Einfluss auf die Bewegungen der Gebärmutter sich verstärken kann; man weiss, dass die Hirn-Verrichtungen zuerst sinken, wäh- rend das Rückenmark sogar noch erhöhte Reactionen auf peripherische Reize (wie bei manchen andern narkoti- schen Substanzen bemerkbar) zeigen kann, und dass zu- letzt die sympathischen und gangliösen Nervenwirkungen erlöschen, was aber der Tod ist. Diesen experimentalen Erfahrungen gemäss wird der Geburtshelfer der Inhalation sich bedienen können bei natürlichen Geburten, wenn die Gebärenden besonders empfindlich und reizbar sind, wenn sie an allgemeinen krampfhaften Nervenverstimmungen leiden; bei krampf- haften Strikturen am Muttermunde oder an irgend einem andern Theile der Gebärmutter; bei Gefahr eines Damm- risses in Folge starker Rigidität der Geburtstheile u. s. w. bei künstlichen Geburten bei jeder Wendung, bei der nöthigen Extraclion an den Füssen; bei Einlegen der 301 Zangenlöffel, bei Kaiserschnitt, Bauchschnitten, Enthirnung oder Zerstückelung des Foetus und ähnlichen grossen Operationen, bei allen Nachgeburtsoperationen. Manche Geburtshelfer fürchten für die Kinder und Frauen schlimme Folgen bei Anwendung der Inhalatio- nen. Es haben aber in Bezug auf die Kinder keine schlimmen Folgen sich ergeben; Murphy hat unter 540 Geburten kein todtes Kind und unter 58 schweren Ge- burtsfällen nur 8 todte Kinder; nur Dubois will den Herzschlag des Fölus unter der Narkose der Mutter be- schleunigt beobachtet und Snow will gefunden haben, dass die Kinder weniger empfindlich gegen den Eindruck der äusseren Luft sind; bekanntlich hat man das Chlo- roform im Blute des Fötus gefunden. Was die Frauen betrifft, so hat man bei Vorsicht keinen Vorfall zu beklagen, sondern im Gegentheil nur Wohlthätiges und Günsliges zu rihmen — so weiss man, dass die Qualen der Krampfwehen während der ersten und zweiten Geburtsperiode bei Erstgebärenden oder nach langer Unterbrechung nach der ersten Geburt am sicher- sten durch Inhalation beseitigt werden; ebenso wird die Gefahr der Ruptur der Gebärmutter bei tetanischem Krampf derselben am sichersten verhütet; nicht minder der Abortus und Frühgeburten; manche die Schwangern sonst quälenden Neuralgieen und Spasmen, wie Erbrechen, Zahnschmerzen, Kopfschmerzen, werden sehr gut in den meisten Fällen gehoben. Eklampsieen heben die Inhala- tionen meist besser als Blut-Einziehungen und Narcotica, Puerperal-Krankheiten folgen nicht häufiger als bei an- dern Behandlungsarten oder gewöhnlichen Geburtsläufen ; man kennt kein sichereres Mittel als die Inhalationen, wenn die Gebärmutter den Fötus krampfhaft umschliesst wie mit einer ehernen Kette, oder wenn furchtbare Angst und Schmerz bei fibröser Verwachsung des Mutterkuchens mit partieller Striktur die Mutter quälen. Nur starke Blutungen können als eine wichtige Gegenanzeige er- scheinen. “ Bis jetzt bedient man sich hauptsächlich des Schwe- feläthers (Aetheris sulfurici, Aethyloxyd) und des Chloro- forms (Formylchloryd) und am sichersten beider in Misch- ung zu einigen Theilen des ersteren mit 1 Theile des letzteren zu Inhalationen und zu örtlichen Zwecken. Man hat aber noch ein anderes Präparat hauptsächlich zu lo- caler Anästhesie in neuerer Zeit zu benützen ange- fangen. Das Claylchlorür von Berzelius, der Aether anaesthicus Wiggeri, welcher alle Beachtung ver- dient. Es ist eine farblose, aromatisch riechende und süsslich etwas stechend schmeckende Flüssigkeit von 1,6 spec. Gew., in Alkohol leicht, im Wasser minder leicht löslich, ist nach Wiggers nicht einfach. Für locale Phlogosen und Neurosen wurde dieser Aether von Aran, Wuzer, Clemens, Posner u. s. w. und von mir mit sehr gutem Erfolge benutzt. Von Bibra und Heyfel- 302 der rühmen ihn auch zu Inhalationen. Man wendet ihn mit Fett oder auf Watt getröpfelt bei phlogistischen oder neuralgischen Zuständen der Muskeln, der Gelenke, der serösen und serofibrösen Hüllen der Bauch - und Brusteinge- weide an u. s. w., ich habe diesen neuen Aether durch eine Mischung von Schwefeläther und Chloroform meist ersetzt und diese bei den heftigsten Gelenksentzündungen und Geschwülsten mit ausgezeichnetem Erfolge angewen- det. Der ätherische Dunst ist bei localer Anwendung offenbar ein vorzügliches antiphlogistisches und anästhe- tisches Mittel und verdient häufig statt der gewöhnlichen Antiphlogose den Vorzug; ebenso ist es mit den reinen narkotischen Mitteln, besonders Morphium der Fall, wel- ches in grössern und in consequent angewendeten Gaben ein herrliches Antiphlogisticum und Sedativum ist. In neuester Zeit wird viel von Anwendung des Amylens als Anästheticum gesprochen. (Ballard (oder Cahoves?) entdeckte es 1844; es wird dargestellt durch Deshydro- genisationsstoffe, besonders gut durch Schwefelsäure oder concentrirte Chlorzinklösung auf Fuselöl (Amylalkohol) und besteht aus (.!0 H.!0, J. Snow entdeckte seine anästhetischen Eigenschaften. Derselbe, sowie Fergu- son und J. Smith prüften dieses Präparat und wende- ten es an zu chirurgischen und geburtshülflichen Zwek- ken. Es erzeugt nach ihnen auch Anfangs eine Beweg- ung der respiratorischen und circulatorischen Thätigkei- ten, sowie des Nervensystems, doch letzteres geringer, namentlich sind convulsive Krämpfe, Muskelstarre, Er- stickungszustände höchst selten, auf die Digestionsorgane wirkt es nicht unangenehm, dagegen ist die Empfindlich- keit der Nerven in hohem Grade aufgehalten bei leich- term Schlafe, so dass das Erwachen sehr leicht geschieht. In Frankreich haben hauptsächlich Girald&s, Luton, Rigaud, Tourdes Versuche mit diesem Mittel ange- stellt und sie sprachen sämmtlich dafür, dass bei gerin- gerer Narkose die Anästhesie vollkommen und weniger gefährlich als Chloroform und Schwefeläther sei. Wenn die Inhalationen bis zum Tode fortgesetzt werden, so findet man Hyperämie, einzelne Blutextravasate in der Lunge, das rechte Herz ausgedehnt; durch ein bis in die grossen Gefässe gehendes Blutgerinnsel, in die Arterien eingespritzt, erzeugt es nicht wie Chloroform Muskel- starre, also ähnlich dem Schwefeläther, in die Venen ein- gespritzt erzeugt es Convulsionen und raschen Tod, die ausgeathmete Luft ist entzündbar. Man braucht % bis 6 Unzen zur Anästhesie und diese wird in 2— 6 Minu- ten vollbracht. Die wenigen Versuche, welche ich mit Amylen an Thieren und Menschen machte, scheinen mich zu folgendem Urtheile zu berechtigen: 1) bewirkt es Anästhesie der sensiblen peripherischen Nerven; 2) ruft es Reaction in den motorischen Nerven des Gefäss- und Muskelsystems hervor, indem es das Herz zu sehr fre- quenten Contractionen und die Muskeln zu klonischen und tonischen Krämpfen veranlasst; 3) das Hirn versetzt es 303 in eine Art von Coma vigil, in Schlaf-Wachen wie bei Anwendung von animalischm Magnetismus, wo auch Anästhesie der peripherischen Nerven mit Wachsein ver- bunden sein kann. Ich habe vor einigen Jahren eine kleine Epidemie von spontanem Somnambulismus, in der Gemeinde Ober- eggenen im Amte Müllheim, beobachtet. Mädchen von 7 bis 12 Jahren fielen nach einigen krampfhaften Zufäl- len wie Gähnen, Blinzeln u. s. w., an jedem Orte, wo sie sich gerade befanden, in der Kirche, Schule, auf der Strasse, meistens aber zu Hause, um, kamen in einen ekstatischen Zustand, in welchem sie sangen, predigten, prophezeiten. Der Inhalt war meistens aus den evange- lischen Gesangbüchern genommen und der prosaische Text war hauptsächlich den Lehren aus den christlichen Vor- trägen entlehnt. Waren Mehrere beisammen, so ergriff eine nach der Andern der somnambule Zustand. — Sie gaben Antwort auf Fragen, wodurch das Bewusstsein völlig bestätigt war — aber ihr peripherisches Sinnen- system war mit Ausnahme des Gehörs völlig unempfind- lich (anästhetisch), nicht nur schmerzlos (analgesisch). — Ich stach mit Nadeln, ritzte mit spitzem Messer, brannte mit Licht in die Haut an den verschiedensten Orten, weder Schmerz noch Empfindung wurde wahrge- nommen. Die Bindehaut des Auges, die Schleimhaut des Mundes und der Nase zeigten sich gleich unempfindlich. — Ich liess die Mädchen, welche, wenn sie zu Hause vom Anfall ergriffen wurden, das Bett suchten, von dem- selben herunter hängen, den Kopf zu unterst, so dass sie dem Herabstürzen nahe waren, es machte nicht den geringsten Eindruck auf sie, ebenso auf dem Tische. Ich überzeugte mich von einer völligen Anästhesie ihres gan- zen peripherischen Sinnensystems, wie schon gesagt, mit Ausnahme des Gehörs, indem sie die Fragen beantwor- teten. Dieser Zustand wurde verschieden beurtheilt; man erklärte ihn für Täuschung und Betrug; andere für eine teuflische Besessenheit; wieder andere für göttliche In- 304 spiration. Ich erklärte ihn für einen spontanen Somnam- bulismus, eine Art hysterischer Ekstase, wie er ähnlich in Schweden und andern Orten als Prediger - Manie aui- gefasst wurde, wie er in mittelalterlichen Zeiten öfters erschienen. Monate lang dauerte diese Erscheinung, lei- der nicht gehörig beachtet. — Der animalische Magne- tismus anästhesirt ähnlich das peripherische Sinnensystem bei wachem Hirn und Gehör, wie ich oft beobachtete; eine Mischung von Eis und Kochsalz anästhesirt local nach Velpeau, Arnott. Jodoform verdient noch als locales Anästheti- cum Erwähnung; schon früher haben Eimer und Palm das Jod und Jodkali in Mischung bei dysenterischen Mast- darmkrämpfen gerühmt; eine grössere Wirkung erzeugt nun Jodoform gegen Tenesmus als ausgezeichnetes Anä- stheticum gegen Darmkrämpfe mittelst Injeetionen und ver- dient alle Beachtung nach meinen Beobachtungen. Ue- ber die übrigen Anästhetica verweise ich auf mein Werk.“ Miscellen. Chloroformdämpfe gegen Veitstanz hat auch Hr. Gery seit einiger Zeit als einziges Heilmittel gegen die- ses Leiden angewendet. Der Erfolg war ein günstiger. Täg- lich ein bis 2mal eine Chloroformeinathmung bis zur Anä- sthesie haben sich bei den hefligsten Formen sehr hülfreich erwiesen, indem die stärksten Convulsionen nach wenigen Tagen nachliessen. Für diese Fälle allein empfiehlt er aber auch diese Behandlungsmethode, nicht für die leichteren. (Gaz. hebd. 1857. 6.) Collodium gegen Entropium. Dieses Klebmittel hat sich auch dem Prof. Stöber sehr nützlich erwiesen, na- mentlich rühmt er es bei den Entropieen, die bei alten Leu- ten nach der Staaroperalion so häufig entstehen. Das Ver- fahren besteht darin, dass man das Collodium parallel dem Wimperrand des Augenlides mit einem Pinzel in der ganzen Länge des Lides aufstreicht. (Gaz. med. d. Paris.) Bibliographische Neuigkeiten. NW. — H. Karsten, Organographische Betrachtung der Zamia muricata Willd. Ein Beitrag z. Kenntniss der Organisa- tionsverhältnisse d. Cycadeen. 4. Comm. b. Dümmler, Ber- lin. 24 Sgr. Verhandlungen d. Vereins f. Naturkunde zu Presburg von G. A. Kornhuber. 1. Jahrg. 1856. 8. Comm. bei Wigand in Pressburg. 4 Thlr. Th. Kjerulf, Ueber d. Geologie d. südlichen Norwegens. Mit Beiträgen von Tellef Dahll. 8 Comm. b. Lorck in Leipzig. 21 Thlr, Jolly, Ueber d. Plıysik der Molekularkräfte. 4. Comm. bei Franz in München. 6%, Sgr. BE. — E. Bouchut, Nouveaux elements de pathologie gene- rale et de semeiologie. llustr. de fig. d’analomie patho- logique generale intercaldes dans le texte. 8. Paris, Bail- liere et fils. 11 Fr. Coursme, Art hippiatrique. Medecine theorique et pratique veterinaire reduite A sa plus simple ‘expression, ou veri- table maniöre de bien connaitre et de bien lraiter les ma- ladies des animaux domestiques. 8. 575 p. et 4 pl. Troyes, Cafle. 10 Fr. Debeney, Cure radicale des retr&cissements du canal de P’ure- tre. Critique des doctrines contemporaines. 8 4127 p. Paris, Chamerot. Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena. Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. BEER. Band RN20. Naturkunde. F. Grävell, Die Theorie der Farben. (Schluss folgt.) — Mliscelle. Hellmann, Conservirung von Fischen, Reptilien u.s.w. — Heilkunde. J. B. Lorey, Ueber den Heilungsproeess der Pneumonie. Naturkunde. Die Theorie der Farben. Von F. Grävell*). Eine merkwürdige Erscheinung ist es, dass unser grösster und klarster Geist (Göthe) in Bezug auf einen einzigen Gegenstand (Farbenlehre) unklar und befangen gewesen sein sollte. Hier ist eine Schrift, welche nach- weist, wie irrig diese Beschuldigung ist. Die streitigen Punkte giebt der Verf. selbst wie folgt, an: „Der wesentliche Unterschied zwischen der Göthe’- schen und Newton’schen Farbenlehre besteht darin, dass nach Göthe die Farbe aus der Wechselwirkung zweier einander entgegenwirkenden Kräfte, des Lichts und einer diesem entgegenwirkenden Hemmung hervor- geht, während sie von Newton als eine schon ur- sprünglich vorhandene besondere Lichtart hingestellt wird, welche sich durch ein eigenthümliches Verhalten bei der Brechung und Spiegelung aus dem farblosen Lichte ausscheidet. Bei Göthe ist also die Farbe. das Product zweier Factoren, bei Newton ist sie etwas für sich allein Bestehendes.. Indem Göthe die Farbe ‚von dem Lichte und von dem, was sich ihm entgegenstellt,“* ableitet, bezeichnet er die gegen dasselbe sich äussernde Gegenwirkung theils als die Finsterniss, theils als ein Schattiges oder Trübes, oder im Allgemeinen als eine der Verbreitung oder Macht des Lichts entgegenwirkende Schranke. Die Farben gelten ihm hiernach als eine Mit- *) [535” Göthe im Recht gegen Newton von F. Grävell, Mit 4 Taf. 8. 190 S. Berlin, Herbig, 1857. 1) Göthe’e Farbenlehre 1.2. S. 12. — Die angeführ- ten Seitenzahlen beziehen sich auf eine ältere Ausgabe der Farbenlehre vom Jahre 1812, die bezüglichen Stellen werden jedoch hiernach auch ohne Schwierigkeit in den neueren Aus- gaben aufzufinden sein. telstufe zwischen Licht und Schatten, als „Halblichter‘ oder „Halbschatten“, als etwas Schattiges, ein geschwäch- tes Licht, eine Abstufung oder „Abklingung‘‘ des vollen farblosen Lichts). Ganz anders verhält es sich bei New- ton. Nach ihm wird das farblose Licht aus sieben be- sonderen Farbenlichtern zusammengesetzt, die ursprüng- lich schon, aber verborgen, in jenem vorhanden waren, so nämlich, dass sie sich gegenseitig zur Erscheinung des farblosen Lichts neutralisiren. Aus dem letztern sollen die besonderen Farbenlichter dadurch zum Vorschein kom- men, dass ihre Brechbarkeit und Spiegelung nicht unter gleichen, sondern unter verschiedenen Winkeln stattfinde, so dass unter solchen Umständen, d.h. durch den Ein- fluss der Brechung und Spiegelung, das farblose Ge- sammtbündel der sieben farbigen Lichter nunmehr in seine einzelnen Strahlen, gleich den Sprossen eines Rades, auseinanderweiche. Bei Göthe sind also die Farben ein Product aus dem farblosen Lichte, bei Newton ist um- gekehrt das letztere ein Product der sieben Farben. Newton gerieth auf die Behandlung dieses Gegen- standes, indem er eine Verbesserung der Fernröhre durch eine andere Gestalt ihrer Gläser zu erzielen bedacht war. Er beobachtete, indem er bei dieser Gelegenheit die bei den Gläsern eintretenden Farbenerscheinungen untersuchte, das durch die Sonnenstrahlen mittelst eines Prismas her- vorgerufene Farbenbild, das sogenannte Spectrum, und glaubte hier ein Conterfei der Tonleiter, eine Farben- staffel, vor sich zu haben, in welcher die Farben, eine stetige Reihe der Unterordnung, wie die Töne bildend, nach bestimmten Gesetzen abgelenkt und ordnungsmässig auseinandergebreitet wären. Einen Beweis, welche Rolle die gesuchte Aehnlichkeit mit den Tönen hierbei gespielt 4) Ebendas. I. 4. S. XNXVI. XXXVU. 27. 37. 20 307 hat, gibt der Umstand, dass, offenbar der Gleichstellung mit den sieben Tönen zu Gefallen, aus den sechs Regen- bogenfarben: Roth, Orange, Gelb, Grün, Blau, Violet, sieben gemacht wurden, indem zwischen dem Blau und Violet noch das Dunkelblau als besondere Farbe einge- schaltet wurde, für welche, da die Sprache gar keinen besonderen Namen für diese Farbenart besass, das Indigo den Namen hergeben musste. Wie es scheint, hatte sich bei Newton aus der länglichen Form des durch das Prisma erzeugten Farben- bildes der Sonne die Vorstellung erzeugt, dass die Ent- stehung desselben aus einer innern Eigenschaft des Lichts abzuleiten sei. Er suchte daher zunächst die Bedeutsam- keit aller äusseren Bedingungen für die Entstehung die- ser Erscheinung , welche bisher für berücksichtigungswerth gegolten hatten, zu widerlegen. Zu diesem Behufe legte er sich die folgenden sechs Fragen vor, welche er schliess- lich sämmtlich verneinend beantwortete, nämlich: 1) Trägt die verschiedene Dicke des Glases zur Farbenerscheinung bei? 2) In wiefern tragen grössere oder kleinere Oefl- nungen im Fensterladen zur Gestalt der Erscheinung, be- sonders zum Verhältniss ihrer Länge zur Breite, bei? 3) Tragen die Gränzen des Hellen und Dunklen etwas zur Erscheinung bei? 4) Sind vielleicht Ungleichheiten und Fehler des Glases Schuld an der Erscheinung? 5) Hat das verschiedene Einfallen der Strahlen, welche von verschiedenen Theilen der Sonne herabkommen, Schuld an der farbigen Abweichung? 6) Ob vielleicht die Strah- len nach der Refraction sich in krummen Linien fort- pflanzen und dadurch das so seltsam verlängerte Bild her- vorbringen® — Ich denke, dass es den Lesern nicht unwillkommen sein wird, wenn ich ihnen die hier anzu- führenden Stellen so vorführe, wie dieselben bei Göthe zu finden sind, da dessen Werke wenigstens für die deutschen Leser am Ehesten zur Hand sein werden. Newton findet alle diese Beziehungen für die Form des prismatischen Spectrums ohne wesentlichen Einfluss, wobei er zum Theil mit den Beweisen wunderbar leicht fertig wird. Die erste der vorgelegten Fragen bezog sich auf die Ansichten einiger Vorgänger. Antonius de Dominis, Kircher u. A. glaubten die Ursache der prismatischen Farbenordnung darin gefunden zu ha- ben, dass der hellere gelbe Farbensaum zunächst an der brechenden Kante des Prismas, also an der dünneren Stelle desselben, der dunklere blaue Saum, an dem ent- gegengesetzten, dem dickern Theil des Prismas, durch- gehe. Newton hält es jedoch durch die Beobachtung, dass sich an jeder Stelle des Prismas das Spectrum er- zeugen lasse, für ausgemacht, nicht nur dass die ver- schiedene Stärke, sondern dass überhaupt keine Form des Glases — ich bitte die Leser diesen kühnen Sprung in der Schlussfolgerung zu beachten — von Einfluss auf die Entstehung desselben sei. Die dritte Frage, ob die Grenzen des Hellen und Dunklen etwas zur Erscheinung beitragen, hält Newton dadurch für erledigt, dass die 308 Farben ebenso sichtbar blieben, wenn er das Prisma vor die kleine Oeffnung in der dunklen Kammer, deren er sich bei seinen Versuchen immer bediente, als wie, wenn er dasselbe hinter jene Oeflnung” hielt, wiewohl augen- scheinlich durch die wechselnde Stellung des Prismas für die Begrenzung des Lichts keine wesentliche Veränderung veranlasst und mithin durch diesen Versuch Newton’s über die Beziehungen des Hellen und Dunklen überhaupt gar nichts ermittelt war'). Newton glaubt gleichwohl mit diesen und ähn- lichen Beweisführungen alle Einflüsse äusserer Umstände für die Entstehung der Farben gründlich beseitigt zu ha- ben, und ist num mit dem Schluss fertig, dass die Farbe dem Licht eingeboren, die einzelnen Farben in ihren be- sonderen Zuständen schon als ursprüngliche, separate Lichter im Lichte erhalten wären, welche, nur durch die Brechung und ähnliche Bedingungen zum Vorschein kommend, sich in ihrer Uranfänglichkeit und Unveränder- lichkeit darstellten. Durch weitere Versuche, indem er bei der An- wendung eines zweiten Prismas aus einer Farbe vom Spectrum des ersten Prismas keine andere Farbe erhielt, und indem er durch ein Uebereinanderfallen einzelner Theile zweier Spectren weisses Licht veranzulassen ver- mochte, hält er sowohl die Unveränderlichkeit der Far- benlichter, wie die Zusammensetzung des weissen Lichts aus der Summe der Farbenlichter, für erwiesen. Er folgert aus Allem dem, dass eine Verbesserung der dioptrischen Fernröhre nicht zu erzielen sei, dass man sich desshalb nur an die katoptrischen halten müsse, zu denen er eine neue Vorrichtung angab. Die aus dem Lichte zum Vorschein kommenden Far- benlichter, bei denen er zwischen den sieben Hauptfarben unzählige Zwischenstufen annimmt, nennt Newton die homogenen, die gleich bleibenden, unveränderlichen Lich- ter, im Gegensatze zum farblosen Lichte, welches er als das heterogene, das nicht gleichartige, veränderliche be- zeichnet, da aus diesem die Farben hervorbrechen kön- nen. Die farbigen Lichter sollen aber nicht als in ihrer besonderen Erscheinung im weissen Lichte schon fertig gedacht werden, sondern nur als farbenfähig, farben- machend, colorific, wie Newton es nennt, indem ihnen im Grunde weiter nichts inwohnt, als eine gewisse „Dis- position“ zur Farbenerzeugung, für deren Eintritt New- ton indessen einen bestimmten Anhalt nicht zu geben vermag. Vielmehr lässt er das Zustandekommen ihrer Erscheinung, ausser der Behauptung ihres Auftretens un- ter verschiedenen Brechungswinkeln, im Uebrigen ganz unbestimmt, so dass dasselbe noch von einer besonderen Neigung der Farbenlichter abhängig erscheint, welche die weitere Bedingung dafür abgibt, dass sie, unter gleichen Umständen, bald erscheinen und bald nicht erscheinen. 4) Ebendas. II. 2. S. 37. 309 Diese nicht näher festgestellte eigenthümliche Erschein- ungsweise bezeichnet Newton mit dem durch seine un- bestimmte Weite diesen Umständen sehr entsprechenden Namen der „Anwandlungen“ der farbigen Lichter. New- ton bestimmt schliesslich mit malhematischer Genauigkeit die verschiedenen Ablenkungswinkel der homogenen Far- ben, indem er die Sinuslängen derselben berechnet. Er stellt hierbei die Farben ausdrücklich mit den Tönen zu- sammen, wobei er auf einmal eine früher geleugnete strenge Begrenzung der einzelnen Farben annimmt. Es würde, wie ich glaube, mit Unrecht in Abrede gestellt werden, dass die Newton ’sche Farbenlehre durch die Art ihrer Einführung — denn mit welchem Pathos der strengsten, unfehlbarsten Mathematik ist sie nicht von Newton vorgetragen! — vermöge des Nimbus ei- ner ausserordentlichen Schärfe und Genauigkeit, welche Newton über sie zu verbreiten gewusst hat, sehr wohl geeignet war, einen imponirenden Eindruck zu machen. Der Gedanke, welcher sich bei der ersten Betrachtung derselben aufdrängt, dass es dem grossen Manne gelun- gen war, nicht nur den Lichtstrahl in sieben und noch unzählige andere Lichtstrahlen zu zerspalten, sondern auch die verschiedenen Wege jedes einzelnen dieser Strah- len haarscharf, mit mathematischer Bestimmtheit, anzu- geben, hat etwas Bestechliches und zur Bewunderung Anregendes. Die Versuchung war nahe gelegt, sich selbst für einen Tölpel zu halten, wenn man diesen aus- serordentlich zarten Farbenlichtern nicht hätte Beifall spenden, wenn man diese bestaccreditirten Kinder nicht gut hätte aufnehmen und die Unschicklichkeit hätte be- gehen wollen, sie, die Attaches der souveränen Mathe- malik, erst noch nach ihrem Pass zu fragen. Musste es nicht vermessen erscheinen, etwas von dem in Zweifel ziehen zu wollen, was der grosse Methematiker mit so ausserordentlicher Genauigkeit schon bis ins kleinste De- tail berechnet und festgestellt hatte? Musste es nicht als thöricht gelten, in solchen genauen Bestimmungen einen Fehler annehmen oder es besser berechnen zu wol- len, wie er, der grosse Meister, es berechnet hatte ? Diese Eindrücke waren es, welche der erste Anblick der Newton’schen Theorie sehr wohl hervorbringen konnte, und unter denen aller Streit dagegen, wie Göthe rich- tig hervorhebt!), „als verwegen, frech, ja als lächerlich und abgeschmackt weggewiesen und unterdrückt“ wurde. Am bezeichnendsten ist dieser imponirende Eindruck, welchen Newton’s Farbenlehre hervorgebracht hatte, in der Lobrede abgespiegelt, welche Herr de Fonienelle in der pariser Akademie der Newton’schen Optik ge- halten hat. Es verdient daher ein Stück dieser Rede un- serer Actensammlung um so mehr einverleibt zu werden, da dieselbe durch die später anzuführenden Thatsachen eine ganz eigenthümliche Beleuchtung erhalten wird. Herr de Fontenelle äusserte sich in dieser Rede folgender- maassen: 1) Ebendas. 1.2. S. 6. 310 „Der Gegenstand dieser Optik ist durchaus die Ana- tomie des Lichts. Dieser Ausdruck ist nicht zu kühn, es ist die Sache selbst. Ein sehr kleiner Lichtstrahl, den man in eine vollkommen dunkle Kammer hereinlässt, der aber niemals so klein sein kann, dass er nicht noch eine unendliche Menge von Strahlen enthielte, wird ge- theilt, zerschnitten, so dass man nun die Elementar- strahlen hat, aus welchen er vorher zusammengesetzt war, die nun aber von einander getrennt sind, jeder von einer andern Farbe gefärbt, die nach dieser Trennung nicht mehr verändert werden können. Das Weisse also war der gesammte Strahl vor seiner Trennung, und ent- stand aus dem Gemisch aller dieser besondern Farben, der primitiven Lichtstrahlen. Die Trennung dieser Strah- len war so schwer, dass Herr Mariotte, als er auf das erste Gerücht von Hrn. Newton’s Erfahrungen diese Versuche unternahm, sie verfehlte, er, der so viel Genie für die Erfahrung hatte und dem es bei andern Gegenständen so sehr geglückt ist. Noch ein anderer Nutzen dieses Werks der Optik, so gross vielleicht als der, den man aus der grossen Anzahl neuer Kenntnisse nehmen kann, womit man es angefüllt findet, ist, dass es ein vortreflliches Muster liefert, der Kunst sich in der Experimentalphilosophie zu benehmen. Will man die Na- tur durch Erfahrungen und Beobachtungen fragen, so muss man sie fragen, wie Herr Newton, auf eine so gewandte und dringende Weise. Sachen, die sich fast der Untersuchung entziehen, weil sie zu subtil sind, ver- steht er dem Calcul zu unterwerfen, der nicht allein das Wissen guter Geometer verlangt, sondern, was mehr ist, eine besondere Geschicklichkeit. Die Anwendung, die er von seiner Geometrie macht, ist so fein, als seine Geo- metrie erhaben ist 1).“* Hat man sich aber von dem ersten überraschenden Eindruck, welchen die Newton’sche Farbentheorie her- vorzubringen geeignet ist, etwas erholt, und geht mit nüchternen Blicken an eine nähere Prüfung derselben, so wird man Manches an derseiben verdächtig finden. Es machen sich grelle Widersprüche in derselben bemerklich, welche die ängstlichen Verklausulirungen, welche New- ton überall einzuschalten für gut gefunden hat, wohl etwas vertuschen, aber nicht vollständig beseitigen kön- nen. Abgesehen davon, dass eine Uebereinstimmung sei- ner Aufstellungen mit den Erscheinungen in der Wirk- lichkeit ausbleibt, bemerkt man auch, dass seine ver- meintlichen Beweise derselben nur captivirt, aber keines- wegs wirklich geführt sind, wovon wir schon das eine sprechende Beispiel kennen gelernt haben, auf wie ober- flächliche Weise er den Einfluss der Begrenzung zwischen Hellem und Dunklem für die prismatischen Farbenerschei- nungen als einen durchaus unwesentlichen beseitigt zu haben glaubte. Nicht nur, dass seine Farbentheorie Vie- les ganz unerklärt lässt, so ist das, was er darin er- 4) Ebendas. II. 2. S. 117, 202 311 klärt zu haben meint, auch nur eine Erklärung durch unbekannte Grössen, deren Existenz er von vornherein mit einem Complex von obligaten Eigenschaften creirt, ohne nur erst diese ihre Existenz erwiesen zu haben. Wir werden später einige Belege dieser captivirenden Aufstellungsart in unserer Actensammlung beibringen. Hinter der pomphaften, auf hohen mathematischen Stelzen einherschreitenden Declamation tritt ein Beige- schmack von Sophistik in ziemlich starken Dosen hervor, und ein prüfender Blick hinter die Coulissen zeigt, dass die glänzende Hülle der Genauigkeit im Grunde nur als Deckmantel für die Lücken an innerer Naturwahrheit dient, statt welcher ganz oberflächliche, aber imponirende Paraden dargeboten werden. So schrumpft nach und nach vor den nüchternen Blicken das glänzende Phäno- men des angestaunten mathematischen Scharfsinns schliess- lich zu einem inhaltslosen Phantasiegewebe zusammen, welches mit einem Märchen von verzauberten oder „‚ver- wunschenen“ Princessinnen eine überraschende Aehnlich- keit verräth. Aber freilich war es ein mathematisch zu- gestutztes Mährchen! Wie weiland in der antiken My- thologie für jede Naturkraft eine besondere Gottheit auf- gestellt war, so weiss auch Newton die Farben auf die leichteste Weise zu erklären, indem er ohne Weite- teres in seinen homogenen Lichtern besondere Elementar- geister für dieselben creirt. Diese zarten Elfenkinder, von denen jedes an die Bewegung unter einem besonde- ren Winkel gebannt ist, vermögen sich den Sterblichen nur zu zeigen, wenn sie mit Glas oder andern das Licht brechenden oder spiegelnden Körpern in Berührung kom- men. Aber sie haben das Privilegium, unter solchen Um- ständen nicht zur Erscheinung genöthigt zu sein, son- dern dazu bedarf es noch ihrer zustimmenden Neigung. Erscheinen sie daher unter gleichen Umständen, wo sie einmal erscheinen, ein anderes Mal nicht, so lag es da- ran, dass sie eigensinnig ihre Zustimmung zum Erschei- nen verweigerten. Fürwahr mehr Götter ex machina, wie Newton in den wunderbaren Grössen der gewissen „Disposition“ und der unbestimmten „Anwandlungen‘“ sei- nen homogenen Elementargeistern noch fürsorglich beige- klauselt hatte, konnte man unmöglich zur Erklärung ei- ner Naturerscheinung zu Hülfe rufen. Es ist eine ganz ähnliche Geschichte, wie mit dem Gott Phlogiston, der weiland als Erklärer des Verbrennungsprocesses in der Chemie sein Wesen trieb, bis ihm Lavoisier mit der Darstellung der Wirkungen des Sauerstofls den Lauf- pass gab. Gleichwohl haben die Physiker für diese eigenthüm- liche Lehre einen überraschenden Glauben bewiesen, sie, die sich bei jeder Gelegenheit ihrer Schwergläubigkeit rühmen. Aber freilich darf man dabei nicht übersehen, dass es bei Allem dem immer ein seltenes Meisterstück war, was nicht Jeder zu Stande gebracht hätte, eine Mythologie der Farben in Euklidischen Formeln abzufas- gen. Dieser Umstand ist einigermaassen zur Entschuldig- ung der Physiker in Anrechnung zu bringen. Denn eben 312 der Ton dieser Euklidischen Formeln war es, der Sire- nen gleich auf sie wirkte. Wäre doch vielleicht Gott Helios selbst, vom Himmel kommend, verblüfft gewesen, wenn er erfahren hätte, mit welcher Bestimmtheit New- ton davon unterrichtet war, dass das Licht des Helios, welches er selbst, wie die Sterblichen, bisher für ein einiges gehalten, aus sieben verschiedenen Lichtern zu- sammengesetzt sei, welche zwar in der Entfernung von brechenden oder spiegelnden Körpern in gemüthlicher Ein- tracht mit einander reisen, sobald sie aber Glas oder ähnliche brechende oder spiegelnde Stoffe wittern, anf ein- mal in verschiedenen Winkeln, wie die Speichen eines Rades, auseinanderstieben. — Wiewohl schon lange vor Göthe erhebliche Ein- wendungen gegen die Newton’sche Farbenlehre erhoben worden waren, so bleibt doch Göthe das sehr bedeu- tende Verdienst, dass er durch eine ausführliche Zer- gliederung der Newton’schen Versuche die Fadenschei- nigkeit der hinter der mathematischen Declamation her- vorguckenden Sophistik so deutlich ans Tageslicht gezo- gen hat, dass man, ohne in die Kraftausdrücke zu ver- fallen, welche Hegel bei der Behandlung dieses Gegen- standes gebraucht hat, Denjenigen, die dadurch noch nicht sehend geworden waren, wenigstens mit Hamlet ein: „Habt Ihr Augen?“ zuzurufen geneigt sein möchte. Die Ausführlichkeit, in welcher diese Beleuchtung der Newton’schen Versuche bei Göthe vorliegt, macht es überflüssig, hier dieselbe in ähnlicher Weise zu wie- derholen. Doch zur Vollständigkeit unserer Acten gehört es, dass wir wenigstens ein Paar Belege von der eigen- thümlichen Deductionsweise Newton’s in dieselben auf- nehmen. Sehr bezeichnend ist z. B., wie Göthe mit Recht hervorhebt, der erste Satz, mit welchem Newton seine Optik beginnt: „Lichter, welche an Farbe verschie- den sind, dieselben sind auch an Refrangibilität verschie- den und zwar gradweise“. Hier werden diese besonde- ren Farbenlichter, wie die echten Götter ex machina, ohne Weiteres als auf festen Füssen stehend eingeführt, deren Existenz überhaupt erst zu beweisen war. Also das Object des Beweises ist in aller Geschwindigkeit als feststehendes Princip eingeschmuggelt. Da haben wir gleich ein Muster davon, nicht „‚wie man die Natur fra- gen soll“, sondern wie man sich das Beweisen sehr leicht machen kann. Von den in der Newton’schen Optik enthaltenen Widersprüchen mögen die folgenden hier Erwähnung fin- den. Im fünften Versuche des ersten Buchs der Optik ist von unzähligen sich unbestimmt an einander reihen- den Farbenkreisen die Rede, in der Zusammenstellung über die zehn ersten Versuche dagegen wird gesagt, dass die verschiedenen Strahlen „von einander getrennt und sortirt“ werden können, und im ersten Problem der drit- 4) Dove, Darstellung der Farbenlehre. Berlin, 1853. Müller. 8. S. 123. 313 ten Proposition (2. Theil der Optik) werden sie sogar nach genauen Grenzen gemessen. Im achten Versuche wird das Misslingen desselben einer „unregelmässigen Zersplitterung durch die Ungleichheiten in der Politur des Glases“ Schuld gegeben, in der Zusammenstellung über die zehn ersten Versuche dagegen wird die Entsteh- ung der Strahlen durch Zersplitterung als nicht annehm- bar erachtet und ebenso im vierten Theorem, fünfte Pro- position, eine „Spaltung oder Zerstrenuung der Strahlen‘ bei der Refraction verneint. Nach dem fünften Versuche der zweiten Proposition (2. Theil der Optik) sind die „homogenen“ Lichter doch wieder „nicht absolut homo- Benn. Die wortgetreue Anführung einiger Stellen aus der Newton’schen Optik wird am besten geeignet sein, die pathetische Darstellungsweise Newton’s, und namentlich auch jene eigenthümlichen Verwahrungen und Verklausu- lirungen, zu denen er sich so oft genöthigt sieht, zur Anschauung zu bringen. Nach dem zweiten Satze des ersten Theils der Optik, welcher lautet: „Das Licht der Sonne besteht aus Strah- len von verschiedener Refrangibilität“, spricht sich N ew- ton bei der Darstellung des fünften der von ihm vorge- tragenen Versuche bestimmt über die „‚gradweise Refran- gibilität“, also darüber aus, dass das Spectrum eine nach derselben Richtung fortlaufende stetige Farbenreihe bildet. Diess ist hier besonders hervorzuheben, weil von Göthe die Farbenreihe des Spectrums in ganz anderer Weise er- klärt wird. Die erwähnte Stelle lautet bei Newton fol- gendermaassen: „Aber dass man den Sinn dieses Experiments desto deutlicher einsehe, muss man bedenken, dass die Strah- len, welche von gleicher Brechbarkeit sind, auf einen Cirkel fallen, der der Sonnenscheibe entspricht, wie es im dritten Experiment bewiesen worden. Unter einem Cirkel verstehe ich hier nicht einen vollkommen geome- trischen Cirkel, sondern irgend eine Kreisfigur, deren Länge der Breite gleich ist, und die den Sinnen eben- 314 falls wie ein Cirkel vorkommen könnte. Man lasse also den obern Kreis für die. brechbarsten Strahlen gelten, welche von der ganzen Scheibe der Sonne herabkommen und auf der entgegengesetzten Wand sich also erleuch- tend abmalen würden, wenn sie allein wären. Der un- terste Kreis bestehe aus den wenigst brechbaren Strahlen, wie er sich, wenn er allein wäre, gleichfalls erleuchtend abbilden würde. Die Zwischenkreise mögen sodann die- jenigen sein, deren Brechbarkeit zwischen die beiden äus- sern hineinfällt und die sich gleichfalls an der Wand ein- zeln zeigen würden, wenn sie einzeln von der Sonne kä- men und auf einander folgen könnten, indem man die übrigen auffinge. Nun stelle man sich vor, dass es noch andere Zwischeneirkel ohne Zahl gebe, die vermöge un- zähliger Zwischenarten der Strahlen sich nach und nach auf der Wand zeigen würden, wenn die Sonne nach und nach jede besondere Art herunterschickte. Da nun aber die Sonne sie alle zusammen von sich sendet, so müssen sie zusammen als unzählige gleiche Cirkel sich auf der Wand erleuchtend abbilden, aus welchen, indem sie nach den verschiedenen Graden der Refrangibilität ordnungs- mässig in einer zusammenhängenden Reihenfolge ihren Platz einnehmen, jene längliche Erscheinung zusammen- gesetzt ist, die ich in dem dritten Versuche beschrieben habe“ !). Hier haben wir also die vollständige Farben- staffel nach Art der Tonleiter ! (Schluss folgt.) 4) Göthe’s Farbenl. 1.2. S. 47. Miscelle. Zur Conservirung von Fischen, Reptilien u. s. w. wendet Herr Professor Dr. Hellmann in Gotha fol- gendes Verfahren an. Er setzt sie in eine Auflösung von salzsaurem Zinkoxyd in Wasser. Diese Auflösung ist nicht nur viel geeigneter zur Erhaltung der Farben der in ihr aufbewahrten Thiere als der Alkohol, sondern sie verursacht auch unverhältnissmässig geringere Kosten. (Allg. deutsche naturhist. Zig. No. 12. 1856.) Heilkunde. Ueber den Heilungsprocess der Pneumonie, Von Dr. J. B. Lorey (Frankfurt a. M.)*). In den unten angezeigten interessanten Berichten giebt der Verf. Beiträge zur Naturgeschichte der Krank- heit, wie sie die Hospitalpraxis mehr bietet als die Pri- vatpraxis. Er sagt über die Lungenentzündung : „Pneumonien sind. uns im Laufe des Jahres 1853 ) BE3> Jahresberichte üb. d. med. Abth.- des frankfur- ter Senckenbergischen Bürgerhospitals von Dr. J. B. Lorey. 11. 1853—56. 8. Frankfurt, Sauerländer, 1857. 15 vorgekommen. &4 bei Männern, welche ein Alter von 46, 61, 67 und 69 Jahren hatten, und 11 bei weib- lichen Kranken, wovon 1 43, 1 46, 1 49, 1 50, 1 56, 2 64, 1 65, 1 68, 1 77 und 1 83 Jahre alt war. In 8 Fällen war die rechte, in 5 die linke und in 2 die rechte und linke Lunge zugleich der Sitz der Entzün- dung. Von den männlichen Kranken sind 3, von den weiblichen 5 gestorben. Fünf von ihnen gehörten unter die Rubrik „sterbend überbracht“. Unter den Männern, welche mit Tod abgegangen sind, war bei einem die Pneumonie mit Hirn- und Rückenmarkserweichung com- plicirt. Bei keinem der Patienten war eine Aderlässe in- 315 dieirt; alle befanden sich in einem solchen Zustande, dass von irgend einer sehr eingreifenden Behandlung nicht die Rede sein konnte; bei 7 von ihnen wurde zu mehr oder weniger Erleichterung der Beschwerden das Chloroformaufriechen angewendet. Eine der als an Pneu- monie gestorben oben aufgeführten Patientinnen gehört genau genommen nicht dahin, wie aus dem Folgenden erhellen wird. Eine 64jährige Frau kam am 28. Fe- bruar mit doppelseitiger Pneumonie in das Hospital, de- ren Sitz der untere Lappen beider Lungen war. Den physikalischen Zeichen nach war auf der rechten Seite der ganze Lappen, auf der linken nur ein Theil dessel- ben von Entzündung ergriffen. Das Kranksein bestand seit 8 Tagen, ärztliche Behandlung hatte erst seit 4 Tagen stattgefunden und in dem Ansetzen von Schröpf- köpfen nebst dem innerlichen Gebrauch von Nitrum be- standen. Nach genauer Untersuchung musste man an- nehmen, dass die Entzündung schon angefangen habe, sich zurückzubilden. Diese Rückbildung schritt denn auch in den folgenden Tagen fort, so dass schon am 2. März in den kranken Lungenpartien kein Bronchialblasen mehr zu hören war, sondern vesiculäres Athmen mit vielen Rasselgeräuschen, auch der Percussionston weiter herun- ter sonor geworden, und Bronchophonie nur noch in ge- ringem Grade sich bemerklich machte; das Fieber hatte sehr nachgelassen. Der Husten war jetzt unbedeutend, Auswurf fehlte gänzlich. Am folgenden Tage bemerkten wir, dass die linke Parotis, welche schon bei dem Ein- tritt der Kranken etwas geschwollen war, noch dicker, hart und schmerzend wurde; es entwickelte sich ohne Frostanfälle mit dieser Parotitis ein neues Fieber mit sehr ausgeprägtem adynamischen Charakter, welches, wäh- rend die Lösung der rechtseitigen Pneumonie ihren Gang ungestört fortsetzte, in wenigen Tagen dem Leben ein Ende machte. Wir hatten also hier Gelegenheit, eine Lunge zu sehen, deren Entzündung in der Heilung be- griffen war und der vollständigen Lösung ziemlich nahe, Ich kann den Befund nicht besser beschreiben, als wenn ich mich hierzu der Worte Rokitansky’s bediene: „Auch aus dem zweiten Stadium, dem der Hepatisation, kann die Lunge ohne eitrige Liquescenz des Exsudates zur Norm zurückkehren. Dieser Process ist ohne Zwei- fel eine der schwierigeren Aufgaben, die die heilende Natur löst, denn er geht immer ziemlich langsam von Statten und zwar unstreitig desto langsamer, je plasti- scher das Produkt einerseits und je grösser die auf sei- nen Erguss folgende spontane oder durch Eingriffe der Kunst bedingte Erschöpfung anderseits gewesen. Die Granulationen werden hierbei sammt dem Gewebe allmä- lig blässer, und, indem sich eine Secretion seroser Flüs- sigkeit in der Zelle etablirt, von dieser, wie es scheint, schichtenweise, nach und nach geschmolzen. Das Ge- webe behält hierbei fortan die körnige Textur, allein die Körnung wird immer feiner, die blassroth oder röthlich- grau gewordene Granulation wird von einer serosen, mit ziemlich consistenten blassröthlichen oder weisslichen 316 Flocken untermischten Flüssigkeit umspült, letztere nach und nach von eintretender Luft schaumig. Sind die Granulationen auf diese Weise endlich geschmolzen, so bleibt auch hier das Parenchym für einige Zeit noch seros infiltrirt, aber zugleich meist röther, etwas derber und resistenter zurück, was vielleicht wohl von einem noch bestehenden Infaretus der Wandungen der Lungen- zellen und des interstitialen Gewebes herrührt. Nicht überall geht dieses Rückschreiten gleichmässig vor sich, und man findet insbesondere zum Nachweise der Diagnose hier und da noch hepatisirte Stellen inmitten eines mehr oder weniger zum Normale zurückgeschrittenen Gewebes.“ In dieser naturgetreuen Schilderung ist nur Ein Aus- druck, an welchem ich einigermassen Anstoss zu nehmen mich veranlasst finde. Rokitansky nennt nämlich den Uebergang der Pneumonie aus dem zweiten Stadium in den Normalzustand der Lunge eine schwierigere Aufgabe der Natur. Die Bezeichnung schwierig kann doch wohl hier nicht in dem gewöhnlichen Sinne des Worts genommen werden, indem von der Schwierigkeit eines Naturhergangs nicht füglich die Rede sein kann. Ein solcher erfolgt, wenn die Bedingungen dazu vorhanden sind, mit Nothwendigkeit und desswegen mit gleicher Leichtigkeit, ob es sich um die Entfaltung eines Blüthen- knöspchens oder um die Zertrimmerung eines Erdballs handelt. Es kann desshalb das Wort schwierig nur bedeuten sollen, dass die Bedingungen zu dem in Rede stehenden Verlaufe der Pneumonie weniger häufig vor- handen seien, dass eine entzündlich hepatisirte Lunge vielmehr gewöhnlicher mittelst eitriger Zerfliessung heile. Hierin kann ich nun aber Rokitansky nicht beistim- men und muss der Ansicht Dietl’s beitreten, dass die Vereiterung des pneumonischen Exsudats wenigstens sei- nem grösseren Umfange nach bei ungestörtem Verlaufe der Pneumonie selten erfolge, und die Heilung dieser Krankheit, d. h. die Fortschafung des pneumonischen Exsudats aus dem Lungenparenchym in den meisten Fäl- len durch Resorption desselben bewirkt werde. Für diese Ansicht sprechen 1) Leichenöffnungen sol- cher Pneumonischen, die, während die Entzündung der Lunge in der Lösung begriffen war, an einer andern Krankheit gestorben sind. Es versteht sich von selbst, dass der Sectionsbefund für sich allein nicht hinreicht, sondern dass eine hinreichend genaue klinische Beobach- tung des Patienten vorher stattgefunden haben muss. Die Fälle, in welchen diese Bedingungen sich zusammen- finden, sind nicht so sehr häufig, und darum dürfte es nicht überflüssig sein, einen zweiten der Art, der uns im April 1854 vorgekommen ist, kurz aufzuführen. Ein 76jähriger Mann, der seiner Angabe nach seit 5 Tagen erkrankt war, kam am 15. April mit einer Entzündung des unteren Lappens der rechten Lunge in das Hospital. Am 18, April sprachen Symptome und physikalische Zei- chen dafür, dass die Lösung der Hepatisation begonnen habe, Am folgenden Tage Abends hatte das Bronchial- atmen einem vesiculären Athmen mit vielen Rasselge- 317 räuschen Platz gemacht und der Percussionston war et- was sonorer geworden; der Husten war lose und von Auswurf gering röthlichen geballten zähen Schleims be- gleitet; das Fieber unbedeutend. In der Nacht auf den 20. April starb der Patient plötzlich und unerwartet, wie die Section nachwies, an einem acuten Oedem der oberen Lappen beider Lungen. Der entzündete untere Lappen der rechten Lunge fand sich in seiner unteren Hälfte noch roth hepatisirt, — auch kleine Stückchen sanken im Wasser unter, — während die obere Hälfte theilweise in der Lösung begriffen war, so dass selbst kleine Stückchen dieser Partie auf dem Wasser schwam- men; von eitiger Zerlliessung keine Spur. Man sollte aber auch 2) denken, dass der kurze Zeitraum, dessen in sehr vielen Fällen eine Pneumonie zu ihrer Heilung bedarf, zu Umwandlung des pneumoni- schen Exsudats in Eiter und Entfernung des letzteren auf irgend einem Wege nicht ausreiche. Der um die Naturgeschichte der Pneumonie so hochverdiente Dietl beobachtete, dass in den meisten Fällen sich selbst über- lassener Pneumonien die Dauer der Resorption des Exsu- dats der Dauer des febrilen Stadiums gleichkomme, d. h. 3 bis 9 Tage betrage. Dass auch bei mässig antiphlo- gistischer Behandlung ein ähnliches Verhältniss stattfinde, hat man vielfach zu erfahren Gelegenheit; als Beleg mö- gen hier zwei Fälle aus meiner Privatpraxis eine Stelle finden. Ein 18jähriger Schlosserlehrling von Iymphati- scher Constitution erkältete sich am 25. März 1854, fühlte sich darauf am folgenden Tage unwohl, wurde aber erst am 27. März von Frost und Fieber, wozu dann in der Nacht noch stechende Schmerzen in der lin- ken Brusthälfte kamen, befallen. Als ich den Kranken am 29. März zum ersten Male sah, liess mich die phy- sikalische Untersuchung nichts Entscheidendes entdecken. Der Husten war gering, Auswurf fehlte gänzlich. Es wurden Schröpfköpfe gesetzt und eine Nitrum-Mixtur ver- ordnet, welche sodann während des ganzen Krankseins fortgegeben wurde. Da der Schmerz am 31. März noch nicht ganz gewichen war, so wurden 10 Blutegel ange- setzt. Am 1. April hatte das Bruststechen vollkommen nachgelassen, der Puls schlug 104 in der Minute, in demselben Zeitraum 20 Athemzüge; der Percussionston war linkerseits vorn und hinten nach unten etwas ge- dämpft, das Athmen auf dieser Seite schwach und an der Spitze des Schulterblattes Bronchialathmen zu hören. In der nun folgenden Nacht war der Kranke mitunter etwas irre. Am 2. April Morgens fand ich die Hitze nicht übermässig, doch die Haut noch nicht feucht, wohl aber die Zunge, den Urin jumentos, Puls 96, Athem 34, den Husten mässig mit nicht bedeutendem Auswurf zähen, etwas blutigen Schleims, den Percussionston der untern Hälfte des Thorax der kranken Seite entschieden ge- dämpft, wenn der Kranke sprach, vibrirte der Thorax und unter der Spitze des Schulterblatts war dann Aego- phonie bemerklich. Das Athmen in den untern Theilen der leidenden Brusthälfte sehr schwach, kaum hörbar, am 318 Schulterblatt mehr nach unten starkes Bronchialblasen. In der folgenden Nacht war der Kranke bis 4 Uhr Mor- gens irre und schlaflos, dann verfiel er in Schlaf und Schweiss. Am 3. April Morgens war der Puls 80, der Athem 24, im oberen Theil der linken Brusthälfte von vorn und hinten das Athmen deutlicher geworden, das Bronchialblasen am Schulterblatt hatle an Stärke abge- nommen. Vom 4. April sagt mein Tagebuch von dem Kranken: viel geschlafen und geschwitzt, Puls 72, Athem 20 bis 24, und vom 5. April: Puls 64, Athem 20, un- bedeutender Husten, kein Bronchialathmen mehr, überall vesiculäres Athmen, linkerseits hinten nach unten an ei- ner Stelle tympanilischer Percussionston. Am 7. April konnte der Bursche als geheilt angesehen werden; die Arznei war einige Tage früher ausgesetzt worden. Der zweite Fall betrifft einen 72jährigen magern, blassen, doch noch sehr rüstigen ehemaligen Schlosser- meister. Dieser hatte sich, während er an Katarrh litt, am 24. April 1854 längere Zeit einer scharfen Nord- ostluft ausgesetzt, worauf am 26. Morgens ein Schüttel- frost mit darauf folgendem Fieber eintrat. Als ich den Kranken bald darauf untersuchte, konnte ich weder bei Auscultation, noch bei Percussion etwas Abnormes an seinem Brustkasten entdecken; er hustete nicht häufig und warf mit einer Art Würgen einen nicht blutigen Schleim in nicht grosser Menge aus; der Kopf war ein- genommen, in der Minute 116 Pulsschläge und 32 Athem- züge. Ich verordnete ein dec. altheae c. nitr. et spir. Mind., welches auch von diesem Kranken ohne Verände- rung bis zum Ende der Krankheit fortgenommen wurde. Der Kranke schwitzte und schlief viel und fühlte sich am folgenden Tage (27. April) freier im Kopfe, hatte auch kein Würgen mehr, dagegen machte sich nun bei Tiefathmen etwas Stechen in der rechten Seite der Brust fühlbar. Obgleich auch jetzt durch die Untersuchung nichts Abweichendes herauszufinden war, liess ich doch 8 Schröpfköpfe in die leidende Seite setzen. Die folgende Nacht wurde von dem Kranken wieder unter Schlafen und Schwitzen verbracht; gehustet wurde nicht viel und dabei in geringer Quantität ein sehr wenig bräunlicher anklebender Schleim entleert. Am 28. Morgens fand ich den Puls 100, den Athem 28; bei ruhigem Liegen auf dem Rücken empfand der Patient keine Schmerzen, wenn er aber hustete und sich bewegte, fühlte er Schmerzen nach dem rechten Hypochondrium hin. Bei der Unter- suchung konnte ich rechterseits vorn nichts Abnormes entdecken, hinten war dagegen von unten bis gegen das Schulterblatt hin der Percussionston gedämpft, an dieser Stelle beim gewöhnlichen Athmen wenig zu hören, bei Husten und freiwilligem Tiefathmen jedoch schwaches Bronchialblasen. Abends fand ich den Kranken in einem warmen, über den ganzen Körper verbreiteten Schweisse liegen, den Puls 112, bei 32 Athemzügen in der Mi- nute, das Befinden gut. Beim Auscultiren konnte ich im Bereich des hepatisirten Lungenlappens gar nichts hören, gleich als ob dieser Theil ausser aller Thätigkeit 319 gewesen wäre. Nach einer sehr guten Nacht war am 30. April der Puls 72, Athem 24, dem Gefühle nach die Brust fast ganz frei, das Tiefathmen kaum mehr schmerzerregend; jetzt hörte man rechterseits hinten un- ten viele feine Rasselgeräusche. Der Schweiss dauerte fort, der Urin machte eine Wolke; unbedeutender Husten mit Auswurf wie bisher. An diesem Tage mochte der Kranke beim Wechseln der Leibwäsche sich ein wenig erkältet haben: in der nun ‚folgenden Nacht hustete er wieder mehr, er bekam von Neuem etwas mehr Schmerz beim Tiefathmen und fühlte sich weniger frei auf der Brust. Ich fand am 1. Mai Morgens den Patienten so fieberfrei wie am Tage vorher, bei der Untersuchung der Brust aber war auf der rechten Seite ein sehr bemerk- liches Reibungsgeräusch zu hören, welches die Rasselge- räusche ganz verdeckte. Es wurde sogleich eine Blase an die leidende Stelle gesetzt. Hierauf war schon am folgenden Tage das Reibungsgeräusch geringer geworden, die reichlichen feinen Rasselgeräusche wieder vollkommen hervorgetreten. Der Percussionston sogar etwas sonorer, die Brust auch dem Gefühle des Kranken nach bedeutend freier. Von jetzt an verlor der geringe zähe anklebende Auswurf die bräunliche Färbung gänzlich. Am 8. Mai verliess der Patient zum ersten Male das Bett. Am 9. fand ich rechterseits hinten den Percussionston ganz gut, und dabei war nur noch unbedeutendes Rasseln zu hö- ren. Am 5. war das dec. altheae c. nitro et spirit. Mind. ausgesetzt worden. Ganz ähnlich wie bei diesen zwei Kranken ist der Verlauf sehr vieler Pneumonien. Dass in solchen Fällen der Heilungsprocess durch eitrige Zerfliessung des pneu- monischen Produktes ermittelt werde, ist aber auch um desswillen nicht wahrscheinlich, weil man 3) nicht be- greift, wie bei diesem Verlaufe der Krankheit der Eiter, der doch ein Auswurfsstofl ist, aus der erkrankten Lunge und dem Körper überhaupt entfernt werde. Dass diess durch Expectoration geschehe, ist nicht gut möglich, in- dem in den in Rede stehenden Fällen der Auswurf im- mer sehr gering ist, ja zuweilen ganz fehlt, und jeden- falls nicht wie Eiter aussieht. Bei den ungestört verlau- fenden Pneumonien — und dahin sind sowohl die diä- tetisch, wie die ausschliesslich mit Chloroform und die gelind antiphlogistisch behandelten zu rechnen — kom- men, wie bekannt, die sogenannten sputa cocta fast gar nicht vor; wenn sich in diesen Fällen Auswurf einfindet, so besteht er gewöhnlich in kleinen Schleimklumpen, wel- che mit schaumigem Serum umgeben sind. Untersucht man diesen Auswurf in dem Stadium der Hepatisation unter dem Mikroskope, so findet man, dass er aus Schleim- körperchen besteht, die in Schleimsaft suspendirt sind, dabei wenig Körnchen und wenig Epithelialzellen; in dem Zeitraume der Lösung dagegen sind die Körnchen 320 und die Epithelien sehr vermehrt, während der Schleim- saft mit den Schleimkörperchen ungefähr in demselben Verhältnisse geblieben ist; elwas, was als Eiterbestand- theil angesehen werden musste, habe ich auch unter dem Mikroskope nicht entdecken können. Man müsste somit annehmen, der in den Lungen gebildete Eiter werde wie- der in die Blutmasse aufgenommen. Dies ist jedoch dess- wegen sehr unwahrscheinlich, weil bei den in Rede ste- henden Pneumonien die Lösung ohne alle Reactionssym- ptome vor sich geht, vielmehr in dieser Periode der Krankheit das Fieber gewöhnlich merklich nachlässt, wie wir von den mitgetheilten Beispielen gesehen haben. Die angeführten Gründe scheinen mir mit hinreichender Stärke dafür zu sprechen, dass bei den ungestört verlaufenden Pneumonien, — und deren ist doch, wir wollen es zur Ehre der Mediecin annehmen, die Mehrzahl, —- also bei den meisten Pneumonien die Heilung ohne Eiterbildung durch einfache Resorption des pneumonischen Produktes erfolge. Die Prüfung des Urins der an Pneumonie Erkrank- ten auf seinen Gehalt an Chlorverbindungen habe ich fortgesetzt, und habe dabei in der letzten Zeit die Vor- sicht gebraucht, den Urin jedesmal vorher von seinen phosphorsauren Verbindungen durch einen Zusatz von salpetersaurem Baryt und Barythydrat zu befreien. Thut man dies nicht, und setzt zu dem Urin, wie er ist, das Reagens aus salpetersaurem Silber, so erfolgt, wenn der- selbe auch kein Kochsalz enthält, dennoch ein Nieder- schlag von phosphorsaurem Silber, der sich wie alle Sil- bersalze am Lichte schwärzt und also zu einer Täu- schung Veranlassung geben kann. Ich habe nun bei 25 Kranken den Urin untersucht und bei 21 von ihnen im Verlaufe ihrer Pneumonien beim Eintreten der Hepatisa- tion kein Verschwinden der Chlorverbindungen beobachtet; nur bei 4 habe ich im Urin sehr wenig von diesen Sal- zen gefunden. Drei dieser letzteren hatten um die Zeit, als ihr Urin so sehr wenig Chloride enthielt, mehrere Tage fast gar keine Nahrung zu sich genommen, wie es sich mit dem vierten in dieser Beziehung verhalten hat, kann ich jetzt nicht mehr angeben. Es scheint mir daher mehr als wahrscheinlich, dass die in Rede ste- hende Veränderung des Urins, wenn sie in der Pneumo- nie vorkommt, mit der Pneumonie und ihren Stadien in keinem ursachlichen Zusammenhange stehe. Dagegen lässt sich eine natürliche Erklärung dafür darin finden, dass Kranke, welche keine Nahrung zu sich nehmen, also auch kein Kochsalz in ihren Körper einführen, wahr- scheinlich keins durch den Urin auszuscheiden haben. Bei einer Halsschwindsüchtigen habe ich in ihren letzten Lebenstagen, als sie fast gar nichts mehr schlucken konnte, den Urin eben so arm an Chloriden gefunden, wie bei den obigen vier Kranken. Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena. Froriep’s Notizen aus dem Fehiere der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. HER Band Re 21. Naturkunde. — Heilkunde. praeparatae — Bibliographie. F. Grävell, Die Theorie der Farben. (Schluss) — Miscelle. M. J. Rossignon, Der Blutbach. J. B. Lorey, Eine kleine Typhusepidemie, — J. Schlossberger, Ein Wort über Conchae Naturkunde. Die Theorie der Farben. Von F. Grävell, (Schluss.) Im fünften Versuche der zweiten Proposition (1. Buch 2. Theil der Optik), welche dahin lautet, das alles homogene Licht seine eigene Farbe habe, die seinem Grade der Refrangibilität entspreche, und dass disse Farbe we- der durch Reflexionen noch Refractionen verändert wer- den könne, äussert sich Newton folgendermaassen: „Bei den Versuchen zu der vierten Proposition des ersten Theils dieses ersten Buchs, als ich die heteroge- nen Strahlen von einander geschieden hatte, erschien das Spectrum pt, welches durch die geschiedenen Strahlen hervorgebracht war, im Fortschritt von dem Ende p, wo- hin die refrangibelsten Strahlen fielen, bis zu dem andern Ende t, wohin die wenigst refrangiblen Strahlen anlang- ten, gefärbt mit den Reihen von Farben, Violet, Dunkel- und Hellblau, Grün, Gelb, Orange und Roth zugleich mit allen ihren Zwischenstufen in einer beständigen Folge, die immer abwechselte, dergestalt, dass sie als ebenso viele Stufen von Farben erschienen, als es Arten von Strahlen gibt, die an Refrangibilität verschieden sind. Diese Farben also konnten durch Refraction nicht weiter verändert werden. Ich erkannte das, als ich durch ein Prisma einen kleinen Theil bald dieser bald jener Lichter wieder der Brechung unterwarf: denn durch eine solche Brechung war die Farbe des Lichtes niemals im minde- sten verändert: Hinterher kommt aber die Verwahrung: „Ich spreche hier von einer merklichen Veränderung der Farbe; denn das Licht, das ich homogen nenne, ist nicht absolut homogen, und es könnte denn doch von seiner Heterogenität eine kleine Veränderung der Farbe entspringen. Desswegen bei Experimenten, wo die Sinne Richter sind, jene allenfalls übrige Heterogenität für gar nichts gerechnet werden darf“ !). In der Zusammenstellung der Schlussfolgerungen aus den 10 Versuchen des ersten Theils der Optik verwahrt sich Newton ausdrücklich gegen die Vorstellung, dass die Entstehung der Farben aus einer Ausweitung des Lichts oder aus irgend einer Zersplitterung abzuleiten wäre, in folgender Stelle: „Findet man, sage ich, bei allen diesen Experimen- ten immer Strahlen, welche bei gleichen Incidenzen auf dasselbe Mittel ungleiche Brechungen erleiden, und .das nicht etwa durch Zersplitterung oder Erweiterung der einzelnen Strahlen, noch durch irgend eine zufällige Un- gleichheit der Refraction (Exper. 5 und 6); findet man ferner, dass die an Brechbarkeit verschiedenen Strahlen von einander getrennt und sortirt werden können, und zwar sowohl durch Refraction (Exp. 3), als durch Re- flexion (Exp. 10)“ — —, „so ist offenbar, dass das Sonnenlicht eine heterogene Mischung von Strahlen ist, deren einige beständig mehr refrangibel sind als andere; welches zu erweisen war‘ ?). Ein Gleiches behauptet er daselbst in der fünften Proposition, viertes Theorem: Das homogene Licht wird regelmässig, ohne Er- weiterung, Spaltung oder Zerstreuung der Strahlen, re- frangirt, und die verworrene Ansicht der Gegenstände, die man durch brechende Mittel im heterogenen Lichte betrachtet, kommt von der verschiedenen Refrangibilität mehrerer Arten von Strahlen °), Im achten Versuche des ersten Buches der Optik 4) Göthe’s Farbenl. I. 2. S. 194. 2) Ebendas. I. 2. S. 135. 3) Ebendas. I. 2. S. 141. 323 will Newton die verschiedene Brechbarkeit der Farben- lichter dadurch beweisen, dass er ein prismalisches Bild auf ein gedrucktes Blatt, und sodann diese farbige er- leuchtete Schrift auf eine weisse Tafel fallen lässt. Das nicht gelungene Ergebniss nöthigt ihn aber schliesslich zur folgenden Aeusserung: „Das gefärbte Licht des Prismas war aber doch noch sehr zusammengesetzt, weil die Kreise, die ich in der. zweiten Figur des fünften Experiments beschrieben habe, sich in einander schoben, und auch das Licht von glänzenden Wolken, zunächst bei der Sonne, sich mit diesen Farben vermischte; ferner weil das Licht durch die Ungleichheiten in der Politur des Prismas unregel- mässig zersplittert wurde. Um aller dieser Nebenum- stände willen war das farbige Licht, wie ich sagte, noch so mannigfallig zusammengesetzt, dass der Schein von jenen schwachen und dunklen Farben, dem Blauen und Violetten, der auf das Papier fiel, nicht so viel Deut- lichkeit gewährte, um eine gute Beobachtung zuzulas- sen 1). Hier war also einer von jenen Fällen, wo die eigen- sinnigen Elfenkinder die Einwilligung wenigstens zu ih- rem vollständigen Erscheinen versagten, wofür die Ent- schuldigung, nicht an den Haaren herbeigezogen, son- dern von den Wolken herabgeholt wird, und von der zersplitternden Wirkung Ungleichheiten in der Politur des Glases, welcher Newton an andern Stellen jeden Ein- Nuss auf die prismatische Farbenerscheinung ausdrücklich abgesprochen hat. Es war Göthe, nach jenen sich bei Newton so oft wiederholenden Verwahrungen und sich gegenseitig im Schach haltenden Klauseln, nicht zu verargen, wenn er sich durch dieses Verhalten zur Erinnerung an jenen theatralischen Kosackenhetmann veranlasst sieht, welcher bemerkt, dass, wenn er etwas sage, er eigentlich immer das Gegentheil davon meine, und der daher auch, wie Newton, mit Behaglichkeit hätte ausrufen können: „Wenn ich Zirkel sage, so mein’ ich eben, was nicht rund ist; sage ich gleichartig, so heisst das immer noch zusammengesetzt; und sag’ ich weiss, so kann es für- wahr nichts Anderes heissen als schmutzig‘ ?). Ich kann nicht umhin, bei dieser Gelegenheit eines Vorwurfs zu gedenken, welchen Dove gegen Göthe und Andere, welche an die von Newton bei seinen Versu- chen stets wiederholte enge Lichtspalte nicht ohne Spott erinnert haben, erhebt, weil ihnen das Bewusstsein der Nothwendigkeit derartiger Einschränkungen für physika- lische Untersuchungen abgegangen wäre. Dove sagt nämlich ®):: „Die eben besprochenen vorläufigen Brechungs -, Beugungs- oder Absorptionsversuche, welche jeder ge- 4) Ebend. I. 2. S. 99. 2) Ebend. I. 2. S. 105. 3) Dove, a.a. O0. S. 37. 39. 138, 142. 324 nauern optischen Untersuchung vorangehen, sind es nun aber vorzugsweise, welche als Taschenspielerstückchen, als unnöthige Complicationen der Erscheinung, verdäghtig gemacht worden sind. Dass man, wenn man den Ton eines musikalischen Instrumentes beurtheilen will, sich nicht in den Lärm der Strasse begibt, wird Jeder natür- lich finden: ist es denn so schwer, zu begreifen, dass, soll ein Schwachleuchtendes beurtheilt werden, man in ein dunkles Zimmer tritt, um das volle Tageslicht abzu- wehren. Will einer Gegenstände aus einander legen, so wird er, ist nur ein geringer Raum vorhanden, sie schmal nehmen müssen, sollen sie nicht über einander greifen. Braucht man nun wohl ein Mathematiker zu sein, um den Grund einzusehen, warum bei prismatischen Versuchen die Spalte, durch welche das Licht einfällt, keine grosse Breite haben darf?“ Dieser Vorwurf Dove’s ist, meiner Ansicht nach, nicht ganz richtig angebracht, weil jener Spott gegen etwas ganz Anderes gerichtet war, als was Dove durch Gründe zu rechtferligen bemüht ist. Nicht der engen Spalte an und für sich galt derselbe, sondern vielmehr der ausschliesslichen Wiederholung jener Spalte, d.h. der Versäumniss eines Vergleichs der bei der Anwendung einer solchen Beschränkung erhaltenen Ergebnisse mit den ausserhalb derselben erhaltenen. Wenn es sich nun in der Folge zeigen wird, dass eben in Folge dieser Versäumniss sowohl Newton, wie den ihm in der Far- benlehre bis heutigen Tages so treu gefolgten Physikern, das Unglück begegnet war, dass sie vor lauter Bäumen den Wald nicht gesehen hatten, so wird es auch nicht in. Abrede zu stellen sein, dass hier der Spott sich keineswegs an einer unberechtigten Stelle befand. Es hiesse die Welt zur Langweiligkeit verurtheilen und die gelehrte Uebersichtigkeit zu einem Ideal erheben, wenn die letztere gegen ein Lächeln geschützt bleiben sollte, zumal da, wo sie durch ein unzeiliges Sichspreizen dem eigenen Urtheile selbst das empfindlichste Dementi bereitet. Da wir später auf demselben Wege, auf welchem die Newton’sche Farbenlehre auf den Schauplatz ge- bracht worden war, ihr, mit dem Nachweis ihrer Illegi- timität, auch wieder das Scheiden ermöglichen werden, nämlich auf dem Wege der Mathematik, so beschränken wir uns hier vorläufig auf die Hindeutung, dass der einfach- ste Blick in die Natur die Nichtübereinstimmung dersel- ben mit der Wirklichkeit nachweist. Wäre Newton’s Theorie richtig, so müssten, da die farbigen Lichter nach ihm ebenso verschieden reflexibel, wie refrangibel sind, alle Fische. mindestens in einem etwas tieferen Wasser, in Regenbogenfarben erscheinen, und wir wür- den ebenso auch unser eigenes Conterfei, wenigstens durch einen entfernteren Spiegel, nicht ohne Regenbogenfarben erblicken können. Denn wenn die Brechung und Spiegel- ung das Befreiungsmittel für die gebannten Farbengeister ausmachte, so sollte man meinen, dass, wie fürsorglich 325 auch immer Newton hierzu noch die unbestimmten „An- wandlungen‘ derselben hinzugeklauselt hat, die homoge- nen Lichter, selbst wenn sie an Keuschheit Dianen gli- chen, wenigstens bei respectablen Entfernungen Gelegen- heit genug haben müssten, ihre etwaige Schüchternheit vor der Enthüllung ihrer Farbennatur zu überwinden. Wir müssten überhaupt, da wir überall von brechenden und spiegelnden Substanzen umringt sind, wenn die New- ton’sche Theorie richtig wäre, so ziemlich Alles in Re- genhogenfarben erblicken. So ansserordentlich freigebig ist denn doch die Natur, wie Jeder mit gesunden Augen sehen kann, mit diesen Farben nicht umgegangen. Newton’s Behauptung, dass eine Verbesserung der dioptrischen Fernröhre nicht möglich sei, fand be- kanntlich ziemlich bald eine thatsächliche Widerlegung durch Dollond’s Erfindung der Achromasie, d. h. der farbenfreien Herstellung optischer Gläser, welche er durch eine Zusammenselzung derselben aus zwei verschiedenen Glasarten, dem sogenannten Crown- und Flintglase er- zielte.e So gross war aber der Glaube der Physiker an Newton’s Unfehlbarkeit, dass, statt durch diese That- sache auf den Gedanken gebracht zu werden, der grosse Mann könnte sich bei den seiner Farbenlehre zu Grunde gelegten Annahmen doch geirrt haben, man vielmehr Newton’s Lehre von der verschiedenen Brechbarkeit der Farben, durch die Annahme einer der Brechbarkeit nicht ganz parallelen, sondern etwas verschiedenen Zerstreu- barkeit der Farben, eine weitere Stütze geben zu müssen meinte. Gegenüber der romantischen Höhe, welche wir die Farbenlehre des Mathemalikers Newton einnehmen se- ben, hält sich die Farbenlehre des Dichters Göthe nur in einer nüchternen Stellung. Göthe stellt für die pris- matischen Farben, welche den wesentlichen Angelpunkt dieser Streitfrage bilden, die folgenden Ansichten auf: erstens, dass, als oberste Bedingung derselben, eine Verrückung oder Verschiebung des durch das Prisma tre- tenden Lichtkörpers stattfinde, wodurch in den von dem Lichte gebildeten Projectionen Doppelbilder entständen; zweitens, dass die Farben nur an der Begränzung des Hellen und Dunklen auftreten, wonach er den von New- ton als ganz unwesentlich bezeichneten Einfluss dieser Begränzung für einen durchaus wesentlichen erklärt; drittens, dass die Farben nicht, wie Newton behaup- tet, als eine stelige Reihe, sondern aus einer weissen Mitte als zwei nach entgegengesetzter Richtung verlau- fende Reihen hervortreten, indem auf der einen Seite ein Uebergang aus dem Weissen zum Gelb, Orange und Roth, auf der andern Seite zum Blau und Violet statt- finde; viertens, dass daher ein vollständiges prismatisches Spectrum mit allen sechs Farben, ohne weisse Mitte, nur dann zu Stande komme, wenn die von den dunklen Gränzen ausgehenden Farbensäume durch die Form der Lichtprojection an und theilweise über einander treten, indem nur dann, durch das theilweise Uebereinandergrei- 326 fen des gelben und blauen Farbensaums das Grün zur Erscheinung komme, dessen Ausbleiben, wo die letztere Bedingung fehlt, als ein sicherer Beweis anzusehen sei, dass das prismatische Spectrum nicht durch separate, schon als solche im Licht ursprünglich vorhandene Far- benstrahlen entstehe. Fünftens endlich sucht Göthe, seinem Hauptgrundsatze entsprechend, dass die Farbe durch die Wechselwirkung zweier einander entgegenwir- kenden Kräfte entstehe, und zwar, wie er es näher be- stimmt, durch die Wechselwirkung des Lichts und einer ihm entgegenwirkenden Schranke, eines Hellen und eines Trüben, die Verschiedenheit der beiden entgegengesetzten Farbensäume des prismalischen Spectrums durch die ver- schiedene Lage und Richtung zum Hellen und Dunklen zu erklären ‚-indem er den gelben Saum als den bezeich- net, gegen welchen die Richtung des Lichts vorherrscht, den blauen als den, bei dem das Licht gegen die Trüb- ung zurücksteht!). Er bezieht sich hierbei auf ähnliche Bedingungen der Farbenerscheinungen in der freien Na- tur, wo z. B. die helle Sonne, durch Dünste getrübt, gelb oder roth erscheint, die dunklen Berge der Ferne, durch den beleuchteten Vordergrund gesehen, blau er- scheinen. Die hier erwähnten Punkte waren der Mehrzahl nach schon vor Göthe gegen Newton geltend gemacht wor- den. Göthe weist daher auch ausdrücklich den An- spruch des Verdienstes zurück, etwas Neues aufgestellt zu haben”). Es verbleibt ihm dabei jedoch das wesent- liche Verdienst, dass er die Newton’sche Farbenlehre gründlicher und nachdrücklicher, als irgend einer seiner Vorgänger bekämpft und dadurch vorzugsweise zu ihrem Sturze beigetragen hat, der unvermeidlich ist. Schon Castel°) hatte darauf aufmerksam gemacht, dass es für das Newton’sche Spectrum ebenso gefährlich sei, wenn man es ohne Grün, als einer hübschen Frau, wenn man sie ohne Roth ertappe.“ 41) Göthe’s Farben. I. 1. S. XXXVI. 83. 115. Eıklär. zur 11. Taf. d. Abbild. S. 19. 2) Ebendas. 1. 2. S. 10. 3) Ebendas. I. 2. S. 142. Miscelle. Der Blutbach (Rio de Sangre) rieselt aus einer Grotte von Trachytsteinen nahe bei Choluleca in Centralamerika. (C. R. T. XL1ll. 680.) Im Moment der Entstehung ist die Flüs- sigkeit wirklich blutroth, geruchlos, fast ohne Geschmack und an Dichte 2,;;. Einige Schritte vor der Grotte beginnt in Folge des heissen Klima die Flüssigkeit sich zu zersetzen, riecht nach angegangenem Fleisch und entbindet ein Gas, in welchem Kohlensäure vorherrscht. Hier versammeln sich die Geier (Cathart. Viell.) und die fleischfressenden Thiere und verzehren die Flüssigkeit in grossen Quantitäten. Die Flüs- sigkeit gerinnt durch Säuren und löst sich wieder auf in Al- kalien. Durch Verdampfung beginnt sie bei 80° C. zu gerin- nen, dann schwillt sie auf und bildet eine schwammartige, 21% 327 schwärzlichrothe Masse. Bei der Destillation im abgeschlos- senen Gefässe verhält sie sich wie die animalischen Substan- zen, sie lässt eine poröse, zerreibliche, stickstoffhaltige Kohle zurück, und erzeugt ein empyreumalisches, übelriechendes 328 Oel. Die Beobachtungen von Hrn. M. J. Rossignon füh- ren auf die Annalıme, dass diese Flüssigkeit ihre Färbung und übrigen Eigenschaften durch massenlafte Infusorienthier- chen erhalte. (Allg. deutsche naturhist. Ztg. No. Xl. 1856.) Heilkunde. Eine kleine Typhusepidemie. Von Dr. J. B. Lorey (Frankfurt a. M.) *). Kranke mit Typhus haben wir im Jahre 1853 16 zu behandeln gehabt, 9 männliche und 7 weibliche. Von den letzteren waren 3 unter 20 Jahren, 3 zwischen 20 und 30 und 1 51 Jahre alt. Unter den männlichen Kranken waren 2 unter 20, 3 zwischen 20 und 30, 2 zwischen 30 und 40, 1 40 und 1 73 Jahre alt. Ge- storben sind von den Typhuskranken 1 männlicher und 2 weibliche. Der eine Todesfall betraf ein Mädchen von 13 Jahren, welches am 9. Tage ihres Krankseins unter schlimmen Erscheinungen in das Hospital gebracht wurde. Die Krankheit hatte sich als Typhus abdominalis mit be- deutendem Ergriffensein des Sensoriums gestaltet. Um den 14. Tag der Hospitalbehandlung war die Oeffnung normal geworden. Das Fieber mit den typhosen Sym- ptomen wollte aber nicht nachlassen, und zugleich bil- deten sich auf dem Rücken der Patientin viele pemphy- gusarlige Blasen, die sich mit Eiter füllten. Nachdem die Stuhlentleerungen 5—6 Tage normal geblieben wa- ren, trat von Neuem Durchfall ein, damit rasch eine auffallende Zunahme des typhosen Fiebers, Decubitus, und am 25. Tage des Hospitalaufenthaltes der Tod. Bei der Leichenöffnung fanden wir im Endstücke des Ileum Reste weniger Typhusgeschwüre, zum Theil sich als schieferfarbige Narben darstellend; das Colon dagegen war vom Mastdarm bis zur Flexura sigmoidea dicht besetzt mit ziemlich frischen Typhusexsudatknötchen von Erbsen - grösse, die nur an ihrer Spitze etwas geröthet und theil- weise im Ausfallen begriffen waren; die Schleimhaut des Colon, worin diese Drüseninfiltrationen sassen, war übri- gens blass. Die Kranke ist also dem Colotyphus erlegen. Der beiden anderen Todesfälle wird später Erwähnung geschehen. Auffallenderweise hatten wir von den Ty- phuskranken im September nicht weniger als 7 zu glei- cher Zeit in dem Hospitale. Diese kleine Epidemie bot noch das Interessante, dass durch sie sehr verschiedene Formen der Typhuskrankheit repräsentirt wurden, wie aus dem Folgenden erhellen wird. Als Enterotyphus ge- staltete sich die Krankheit bei 2 weiblichen Patienten. Die eine derselben, eine 23jährige Unverheirathete, wurde uns am 16. Tage ihres Krankseins in einem so bedenk- lichen Zustande gebracht, — ich brauche nur zu erwäh- *) (> Jahresberichte üb. d. med. Abth. des frankfur- ter Senckenbergischen Bürgerhospitals von Dr. J. B. Lorey. 11. 1853—56. 8. Frankfurt, Sauerländer, 1857. nen, dass sie einen Puls von 160 in der Minute und Petechien hatte, — dass man an ihrem Aufkommen ver- zweifeln musste. Sie starb 2 Tage nach der Aufnahme. Im Ende des Ileum fanden sich viele zum Theil ausge- fallene und einzelne noch verschorfte Typhusgeschwüre, im Coecum und in den letzten Partieen des Dünndarms viel ergossenes Blut. Die zweite Kranke war ein Mäd- chen von 16 Jahren, deren Abdominaltyphus mittlerer Heftigkeit innerhalb 3 Wochen regelmässig verlief, so dass die Patientin am Ende der vierten Woche zum er- sten Male auf längere Zeit das Bett verlassen konnte. Vierzehn Tage später, als sie so weit hergestellt war, dass sie demnächst entlassen werden sollte, bekam sie in Folge einer Erkältung eine Pleuritis der rechten Seite mit Erguss. Es wurde geschröpft, Blutegel und eine Blase gesetzt, und 2 Tage lang Nitrum gegeben. Das Mädchen wurde 59 Tage nach der Aufnahme geheilt ent- lassen. Zwei Schwestern, beide seit 6 Tagen krank, als sie zu uns kamen, gaben das Bild eines Cerebraltyphus. Beide litten während des Krankseins an Verstopfung, so dass mit Klystieren und oleum rieini nachgeholfen wer- den musste. Bei der älteren, 21jährigen, etwas vollblü- tigen Schwester hielt sich das Fieber in gemässigtem Grade, und verlief ungefähr innerhalb 3 Wochen. Die Hauptklage der Kranken war über Sausen im Kopfe und Kopfschmerz. Es wurden ziemlich anhaltend kalte Kopf- aufschläge angewendet, zum innerlichen Gebrauch ein dec. altheae cum aqua oxymurialtica. Die jüngere Schwester, 19 Jahre alt, ein zartes Mädchen mit sehr feinen Ge- sichtszügen, hatte schon vor ihrer jetzigen Erkrankung öfter an katalepsieartigen Anfällen gelitten, die sie denn auch jetzt während des Verlaufs des Typhus zu wieder- holten Malen befielen. Bei ihr war das Fieber heftiger, das Sensorium bedeutender ergriffen, Schlaflosigkeit und heftiges Phantasiren mit Betäubung und Schlummersucht abwechselnd. Am 14. Tage entschied sich das Fieber durch starke Schweisse und einen 36stündigen anhalten- den Schlaf, aus dem die Kranke mit aller Mühe kaum auf Augenblicke zu erwecken war. Die Behandlung war wie bei der älteren Schwester, nur mussten hier die kal- ten Aufschläge auf den Kopf noch länger und anhalten- der in Anwendung gezogen werden. Beide Mädchen sind jede 5 Wochen im Hospitale gewesen. Der Vater dieser 2 Patientinnen, ein 73jähriger Schuhmachermeister, kam 6 Tage nach seinen Töchtern in unsere Behandlung. Er hatte diese, solange sie zu Hause krank gelegen, und kurz vorher seine Frau, welche ebenfalls den Typhus durchgemacht, mit übermässiger Anstrengung verpflegt. 329 Sein Fieber war mässig, die Entkräftung gross, der Schlaf fehlte, der Kopf war eingenommen und anhaltend schwindelig, zuweilen war der Kranke irre, er hatte al- len Appetit verloren, seine Zunge war dick schmierig belegt, und die Oeflnung musste meist künstlich bewirkt werden. Bei der Untersuchung des Leibes fühlte man die Milz deutlich über den Rand der falschen Rippen hervorragen. Später fand sich auch etwas Husten mit schleimigem Auswurf ein. Dieser kranke Zustand, den man vielleicht nicht unpassend einen Gastrotyphus nen- nen könnte, bedurfte zu seiner Heilung etwa 5 Wochen. Die ärztlichen Verordnungen waren Anfangs eine Mixtur mit Spir. Mind., dann ein dec. graminis c. tart. tartaris.; später tinct. rhei aquos. c. aqua foeniculi, dann aqua foenieuli c. liquore kali acet., hierauf ein dec. alth. c. sal. ammon. et extr. cardui bened. und zuletzt ein dec. polygalae amarae. Der dicke Zungenbeleg widerstand hartnäckig der Behandlung und verschwand erst in der fünften Woche. Der Kranke war indessen kaum in die Reconvalescenz eingetreten, als ihn ein neues recht schmerzhaftes Nachübel befiel. Er war nämlich schon seit Langem mit Blasenkatarrh behaftet, wahrscheinlich im Zusammenhang ıit einer Vergrösserung des dritten Prostatalappens. Der Kranke wurde nun ohne weitere Vorboten von sehr peinlicher Strangurie und Blutharnen befallen. Der Katheter ging ohne ein Hinderniss in die Blase; bei der Untersuchung durch den Mastdarm fühlte man die Prostata geschwollen und gegen Druck schr empfindlich. Es wurden zweimal Blutegel an das Mit- tellleisch gesetzt, Quecksilbersalbe mit Opium eingerieben, Leinsamenmehl-Kataplasmen angewendet und warme Bä- der, worauf sich die Anschwellung und Schmerzhaftigkeit der Prostata verlor, auch der Urin, der Anfangs täglich mehrere Male mit dem Katheter entleert werden musste, zur normalen Ausleerung kam. Der Blasenkatarrh dage- gen, der durch diesen Zwischenfall sehr vermehrt worden war, dauerte noch längere Zeit in verstärktem Maasse fort. Gegen dieses Uebel that eine Emulsion mit Lyco- podium entschieden gut, so dass, als der Kranke 93 Tage nach seiner Aufnahme und 66 Tage nach dem Auftreten der Prostataentzündung entlassen wurde, der Urin fast gar keinen Schleim mehr enthielt und ohne son- derliche Beschwerde willkürlich entleert werden konnte. Unser sechster Kranker, ein 30jähriger Schuhmacher- meister, hatte bereits seit 5 Tagen das Bett gehütet, als er in das Hospital gebracht wurde. Er hatte lebhaftes Fieber mit trockener, brennend heisser Haut, starker Kopfeingenommenheit, Schwindel und Ohrensausen, Appe- titlosigkeit und schmierig belegter Zunge. Er fühlte sich sehr matt, hatte an diesem Tage eine dünne Stuhlent- leerung gehabt und hatte einen Puls von 128 Schlägen in der Minute. Die Milz- und Ileo- Coecalgegend war gegen Druck empfindlich; auf beiden Knieen und Füssen befanden sich rothe Fleckchen, die in grossen Gruppen beisammenstanden. Die Verordnung bestand in einem Altheedecoct mit natrum nitricum. In der nun folgen- 330 den Nacht schlief der Kranke etwas und hatte zweimai gelbe flüssige Oefflnung. Wir fanden bei der Morgenvi- site seinen Kopf freier, seine Haut und Zunge feucht, die Hitze mässiger. Puls 128. Am Abend dieses Tags war die Scene etwas verändert. Der Puls war nämlich so klein und unrhythmisch geworden, dass es sehr schwer hielt, ihn an der Arteria radialis zu zählen; er schlug etwa 136mal in der Minute: die Haut war mit einem kühlen Schweisse bedeckt, die Flecken an den Knieen und Füssen waren blässer geworden, seit dem Morgen war zweimal gelbe flüssige Oeflnung erfolgt. Uebrigens konnte der Kranke sich mit Leichtigkeit im Bette auf- setzen und frei sitzen, er sprach kräftig und ohne Hin- derniss, ja er hatte eine gewisse haslige Geschwätzigkeit, wie man sie wohl bei Trinkern findet, er beklagte sich über die knappe Kost u. s. w. Der Kranke soll, wie wir später erfahren haben, kein Trinker gewesen sein. Wir verordneten ein infus. valerianae und gaben zum Getränk Wein mit Wasser. In der folgenden Nacht stand der Kranke sogar auf, kleidete sich an und wollte weggehen; auch erfolgte in dieser Nacht wieder mehrere Male dünne Oefinung. Bei der Morgenvisite (des 3. Ta- ges des Hospitalaufenthaltes) war der Kranke nicht irre, seine Haut war weniger kühl und feucht, die Zunge feucht, weniger belegt, das Erythem an den Beinen li- vide, der Leib mässig gespannt, empfindlich, der Urin trübe, sauer reagirend; auf Geheiss setzte sich der Kranke auf und sagte uns, dass er nur Morgens frühe etwas Schwindel habe, verlangte nach etwas mehr Essen, wor- auf ihm zu seiner Kost ein Brödchen zugelegt wurde. Der Puls war aber jetzt so klein, dass man ihn an den Radialarterien nicht mehr zählen konnte: die Herzau- scultation ergab 148 regelmässige Contractionen in der Minute. Wir verstärkten das Valerianainfusum und setz- ten ihm einen Scrupel Salzsäure zu. Als auch in der folgenden Nacht durchaus kein Schlaf, überhaupt keine Veränderung eingetreten war, ausser dass der Kranke nun anhaltender phantasirte, und zwar in der Art der- jenigen, die an delirium tremens leiden, so gaben wir ihm 2 Abende hinter einander jedesmal einige halbgrä- | nige Dosen Opium. Diese machten zwar den Kranken etwas ruhiger, verschaflten ihm aber keinen Schlaf. Nur ein Zeichen von Besserung trat ein, nämlich der Puls wurde wieder entwickelter, so dass man ihn zählen konnte, er hatte seine Unregelmässigkeit verloren und war sel- tener, er hatte am 6. Tage der Hospitalbehandlung nur 116 Schläge in der Minute. An diesem Tage war aus- serdem die Haut nicht mehr kühl, sondern mässig warm und weich, das Gesicht etwas blass, die Flecken an den Beinen beinahe verschwunden; der Kranke war aber schwächer, so dass er sich ohne Unterstützung nicht im Bett aufsetzen konnte. Wegen mehrlägiger Verstopfung wurde etwas electuarium lenitivum gegeben. Am Abend war der Puls wieder auf 132 gestiegen, auch der Athem frequent geworden, das Bewusstsein auffallend getrübt. Von der Morgenvisite des folgenden Tages heisst es in 331 der Krankengeschichte: seit gestern Abend schluckt der Patient nicht mehr und ist ganz somnolent, den Urin hat er in das Bett gehen lassen, Oeflnung ist trotz eini- gen Klystieren nicht erfolgt, warmer. Schweiss über den ganzen Körper, Puls 132, aussetzend. Es wurde noch eine Blase auf den Kopf gesetzt und 5 Gran Castoreum in einem Klystier gegeben. Bald nach dem Klystier er- folgte der Tod. Die 29 Stunden nach dem Tode vor- genommene Leichenöflnung ergab Folgendes: Der Körper war unbedeutend abgemagert, halte Todtenflecken und war noch starr; das Blut in der Leiche war dunkelfarbig und dünnflüssig. Der Lumbaltheil des Rückenmarks et- was weich, die Hirnhäute mit Blut überfüllt; unter den weichen Hirnhänten viel Wasser, in den Seitenventrikeln wenig Flüssigkeit; die Hirnsubstanz ziemlich wässerig, doch aber von guter Consistenz. Der untere Lappen der linken Lunge war mit vielen frischen bandartigen Adhä- sionen an die Brustwand angeheftet, er fühlte sich in seinen oberen zwei Dritttheilen fest an, war sehr blut- reich, auf dem Schnitt etwas glänzend, brüchig, luftieer, so dass kleine Stückchen im Wasser untersanken, dabei enthielt er unzählige kleine gelbe Abscesschen. Der obere Lappen der rechten Lunge war stark üödematös, der untere Lappen derselben sehr blutreich, auch etwas fest und auf dem Schnitte glänzend, doch nicht so luft- leer, daher kleine Stückchen auf dem Wasser schwam- men. Das Herz gross, enthielt in seiner linken Hälfte dunkles Blutgerinnsel, im rechten Ventrikel schmieriges Blut, im rechten Vorhof ein ordentliches Faserstoffgerinn- sel, in der Pulmonararterie Blutgerinnsel. Die Leber war blass und etwas fettglänzend, die Milz gross und von guter Consistenz; die Nieren gesund. Im Ileum nahe an der Klappe fanden sich zwei geschwollene Peyer’sche Drüsenhaufen ohne stärkere Infiltration; im Blindende des Coecum geschwollene Solitärdrüsen. Nicht unerwähnt darf ich lassen, dass dieser Kranke, so lange er im Ho- spital gewesen ist, nicht gehustet hat, auch bis zur Agonie keine Symptome an ihm zu bemerken gewesen sind, welche auf ein Lungenleiden gedeutet hätten. Ich habe ihn ganz im Anfange am Rücken beklopft und be- hört, und da ich bei dieser Gelegenheit nichts Auffal- lendes gefunden habe, eine weitere Untersuchung, soviel ich mich erinnere, nicht vorgenommen. Die Epikrise an- langend, so dürfte man wohl annehmen, dass bei diesem Patienten wegen unzulänglicher Localisation des Typhus- processes auf der Darmschleimhaut die Lunge vorzugs- weise ergriffen worden, das in dieselbe abgesetzte Pro- dukt aber gegen die gewöhnliche Artung eines solchen Produktes in eiterige Schmelzung übergegangen sei. Ro- kitansky nennt diese Abart des Typhus: secundären Pneumotyphus in degenerirter Form (s. dessen Handbuch der pathologischen Anatomie B. IH. S. 105). Bei dem siebenten Gliede unserer kleinen Epidemie endlich trat die Bronchialaffectation so sehr in den Vor- dergrund, dass man den Fall füglich einen Bronchoty- phus nennen kann. Die Patientin, eine SSjährige Frau, 332 welche seit einem halben Jahr nicht menstruirt war und seit 2 Jahren sich öfter unwohl gefühlt, an Müdigkeit, häufigem Kopfweh, nicht selten an Husten gelitten hatte, war seit 8 Tagen krank, als sie in das Hospital aufge- nommen wurde. Sie war sehr malt, fieberte, halte bei schlechtem Geschmack und belegter Zunge gar keinen Appelit, viel Durst, einen sehr eingenommenen Kopf, war schlaflos, hustete wenig und klagte gar nicht über die Brust. Die Fieberhitze war. mässig, der Puls schlug etwa 100 in der Minute. Die Untersuchung der Brust liess nirgends eine Abweichung des normalen Percus- sionstons entdecken, dagegen hörte man durch die ganze Brust zahlreiche trockene Rhonchi und Bronchialtöne. Die Kranke bekam am ersten Tage der Behandlung ein Altheedecoect mit nitrum, am zweiten mit natrum nitri- cum, am vierten mit Salmiak. Als bis zum siebenten Tage des Hospitalaufenthalts, dem vierzehnten des Krank- seins, hin letzteres entschiedener den Charakters eines typhosen Fiebers annahm, wurde ein dec. altheae cum aqua oxymurialica verordnet. Die 'Stuhlentleerungen blie- ben mässig, der Athem wurde nun ein wenig schwer, und am 16. Tage der Krankheit hustete die Kranke sogar etwas Blut. Die Zunge blieb jetzt anhaltender trocken, auf den Hinterbacken bildeten sich viele mit einem rothen Hof umgebene Pocken, welche der Patientin viele Schmer- zen machten und den Schlaf gänzlich raubten. Der Hu- sten war in dieser Zeit mässig, dagegen die Verschlei- mung des Mundes, Halses und des obern Theils der Athemwege sehr stark. Am 20. Tage war der Puls bis auf 120 gestiegen, das Irrsein anhaltender geworden, die Haut brennend heiss, der Kopf wärmer. Die Stuhlent- leerungen flüssig, aber nicht häufig. Es wurden nun ausser den bisherigen Mitteln noch täglich einige Essig- abwaschungen des ganzen Körpers und kalte Aufschläge auf den Kopf angewendet. Die beiden letztgenannten Mittel konnten nach einigen Tagen wieder entbehrt wer- den, dagegen wurde am 22. Tage des Krankseins in Betracht des sehr merklichen Daniederliegens der Kräfte und der andauernden Schleimhautaffection der Bronchien und des Darmkanals anstatt des Chlorwassers ein infus. angelicae c. syr. altheae verordnet, und am 24. Tage dieser Arznei etwas tinct. rhei aquosa zugesetzt, weil um diese Zeit des Krankseins die Stuhlentleerungen träge und mangelhaft waren. Am 26. Tage wurde, da, wenn auch der allgemeine Zustand etwas besser geworden war, die Patientin immer Morgens noch hustete, ohne auszu- werfen, obgleich der Husten selbst sehr lose lautete, eine Blase auf die Brust gesetzt und ein dec. senegae cum syr. altheae gegeben. Am 32. Tage wurde diese Arznei mit einem dec. polygalae amarae vertauscht. Um den 35. Tag wurde die Zunge feucht und der bisher träge gewesene Stuhlgang regelte sich, der Husten liess entschieden nach, der Athem verlor seine Frequenz, der Schlaf kehrte wieder und der Appetit fing an sich zu zeigen. Die Haut blieb anhaltender feucht, das Irrsein blieb nun ganz weg, die Arznei konnte am 38. Tage 333 ausgesetzt werden. Am 49. Tage zeigte sich bei einer Untersuchung, dass die bronchitische Affection vollständig beseitigt war. Mit der Reconvalescenz ging es nicht rasch; die Kranke, welche am 2. September in das Ho- spital aufgenommen worden war, wurde am 2. November entlassen. Nicht unpassend reiht sich an die Beschreibung die- ser kleinen Epidemie die Mittheilung eines Falles an, der theilweise einige Aehnlichkeit mit einem Typhus hatte, es in Wirklichkeit aber nicht war. Der Palient, ein 25jähriger Schneidergeselle, war schon seit 8 Tagen un- wohl, als er am 20. November 1852 in das Hospital kam. In den ersten 8 Tagen seines Hospitalaufenthalts hatten wir an ihm nur einen fieberlosen Gastricismus zu beobachten, den wir mit Pillen aus rheum, tartar. tar- taris. und extr. taraxaci behandelten. Als sich am 30. November mit diesem Zustande Fieber verband, verord- neten wir ein dec. graminis ce. liq. Kali acet. Anstalt der Verstopfung kam nun Abweichen, auch einmal Er- brechen; Schwäche und schlechtes Aussehen nahmen sehr rasch zu, der Puls stieg in seiner Frequenz bis auf 112 Schläge in der Minute, die Zunge wurde etwas trocken, die Temperatur der Haut nicht sehr erhöht. Zu diesen Erscheinungen gesellte sich eine sehr auffallende Sprach- behinderung des Kranken, von der es aber schwer war zu sagen, ob sie in einer Trübung des Bewusstseins oder vielmehr nur in einem Mangel an Herrschaft über die Sprachwerkzeuge ihren Grund habe. Der Kranke gab auf Fragen langsam und zögernd Antwort, er konnte nicht mehr aufsitzen, sein Kopf war etwas heiss, über Kopfschmerz keine Klage. Die Behandlung bestand in dieser Zeit des Krankseins in der innerlichen Anwendung eines Altheedecocts mit aqua oxymurialica und wieder- holtem Auflegen von Senfteigen auf die Waden und kal- ten Kopfaufschlägen; einige Male musste der Urin mit- telst des Katheters entleert werden, weil er nicht von selbst abging. Die Gefährlichkeit des Zustandes schien noch zunehmen zu wollen, indem sich mit demselben bronchitische Reizung und eine etwas stärkere Stase in der linken Lunge verbanden. Am schlimmsten war der Krankheitszustand am 5. December, also 13 Tage nach der Aufnahme, oder 6 Tage, nachdem das Fieber sich entwickelt hatte. Der Kranke lag ruhig da, gab auf Fragen sehr leise, unverständlich und unvollständig Ant- wort, mühte sich auf Geheiss, die Zunge herauszu- strecken, vergebens ab, dies zu thun, brachte es aber nicht fertig, das Schlucken ging nur sehr schwer von Statten, Puls 100, Athem 24—26, die Pupillen normal, Hitze mässig, Haut weich, zuweilen feucht, Bauch nicht aufgetrieben, mehrtägige Verstopfung. Wegen letzterer wurden mehrere Klystiere gegeben, auf den kahl ge- schorenen Scheitel eine Blase gesetzt. Am folgenden Tage war der Kranke ein wenig besinnlicher, sein Puls schlug nur 76mal in der Minute, er liess am Tage mehr- mals einen jumentosen Urin und schluckte am Abend wieder besser. Zwei Tage später war der Puls auf 86 334 gestiegen, der Kranke war nun bei sich, sprach aber noch etwas unbeholfen und mitunter etwas wunderlich, wie Jemand, dessen Sensorium kürzlich umnebelt gewesen ist. Während so das Kopfleiden und das Allgemeinbe- finden sich besserten, wurde der Puls noch frequenter, so dass am 11. December 108 Pulsschläge in der Mi- nuse gezählt wurden. Vom 10. bis 13. November nahm der Kranke noch einmal das dec. altheae c. aqua oxym. Dies wurde am letztern Tage mit einer Auflösung von extr. quassiae in aqua petroselini vertauscht. Es erfolg- ten hierbei solche Fortschritte in der Besserung, dass der Patient am 20. December zum ersten Mal ein Paar Stunden im Sessel sitzen konnte. Als nun aber am 28. December der sehr abgemagerte Kranke die ersten Geh- versuche machen wollte, waren diese unmöglich, und es zeigte sich sehr deutlich, dass die Gehunfähigkeit nicht Folge der noch vorhandenen Schwäche war, sondern der Kranke war nicht Herr seiner Beine, genau so, wie diess bei Gelähmten der Fall ist. Es wurde ein dec. chinae und dabei tinct. arnicae zu 20 Tropfen viermal täglich verordnet, und in den Rücken Morgens und Abends eine Einreibung von einer Salbe aus phosphori, fl. sulph. ana gr.jv, axung. porci 3j j gemacht. Da die Oeflnung im- mer noch mit sehr vielen Beschwerden erfolgte, so wurden ausserdem noch Morgens und Abends je 4 Tro- pfen Coloquintentinctur gegeben. Die Besserung erfolgte ziemlich rasch; am 6. December konnte der Patient schon ohne Stock gehen, am 29. December wurde er vollkom- men geheilt entlassen. In diesem Fall sind zu einem Anfangs fieberfreien, später aber fieberhaften gastrischen Zustand solche Er- scheinungen hinzugetreten, welche eine Beeinträchtigung von Gehirn- und Rückenmarksfunktionen andeuteten. Diese Störungen von einer Einwirkung des kranken Bluts auf die Nervencentren abzuleiten, ist desswegen nicht zu- lässig, weil das ganze Kranksein nicht der Art gewesen ist, dass man irgend eine Blutkrase als dessen Grund- ursache ansehen konnte, und weil auf der anderen Seite die in Rede stehenden Erscheinungen schneller ver- schwunden sind, als diess in der Regel mit solchen Sym- ptomen der Fall zu sein pflegt, welche von den nur all- mählig sich ändernden Blutdyskrasien abhängig sind. Wenn somit die Lähmungserscheinungen in dem vorlie- genden Falle mit einiger Wahrscheinlichkeit eine mehr selbstständige Erkrankung im Bereich der Nervencentren voraussetzen lassen, so fragt es sich nun, von welcher Art diese Erkrankung gewesen sei. Da Lähmungszufälle sehr’ häufig durch einen anhaltenden Druck auf Nerven- centra hervorgebracht werden, so liegt es nahe, anzu- nehmen, dass auch in unserm Falle ein solcher Druck Statt gefunden habe. Dieser kann nun recht gut durch ein Exsudat, welches sich im oder am Hirn und Rücken- mark gebildet hatte, hervorgebracht worden sein. Dass die Hirnventrikel der Sitz der Ergiessung gewesen seien, ist um desswillen nicht wahrscheinlich, weil die Pupillen gänzlich unberührt geblieben sind. Viel wahrscheinlicher 335 ist es, dass ein Exsudat in den äussern Sack der Arach- noidea sich gebildet, und von aussen her Gehirn und Rückenmark comprimirt hatte. Ich habe desswegen kei- nen Anstand genommen, den Krankheitsfall Hydrocepha- lus et Hydrorrhachis „‚externus, oder Hydrops meningum zu überschreiben. ‘* Ein Wort über Conchae praeparatae. Von J. Schlossberger. Als ich im vorigen Jahre eine ausführliche Arbeit über die Muschelschalen vollendete (s. Liebig’s Annalen Bd. XCVIlI. S. 99—120), hatte ich nicht erwarten kön- nen, dass die dabei gewonnenen Erfahrungen mir so bald hernach zur Aufklärung einer Beobachtung in der Kinder- praxis behülflich sein würden. Ich halte den betreffen- den Fall der Beschreibung für würdig, erstens weil er sicher auch anderen Aerzten schon vorgekommen ist, leicht aber falsch interpretirt werden könnte; zweitens und vornehmlich aber weil er mir geeignet scheint, zur Entfernung eines unzweckmässigen Mittels aus der Phar- macopöe beizutragen. Unser trefllicher Arzt, Hr. Dr. Gärtner übergab mir vor wenigen Tagen eine kleine Menge auf Papier eingetrock- neter, geruchloser, graugelber Darmexcremente eines an hef- tiger Diarrhöe leidenden Säuglings. Dieselben waren ihm wegen zahlreicher glitzernder Partikelchen aufgefallen, die in ihnen aufgeschwemmt und auch nach dem Eintrocknen auf den Windeln noch erkennbar waren. Unsere beider- seitige Vermulhung, dass wir es hier mit Krystallen (etwa von Cholesterin oder Tripelphosphaten) zu thun haben, widerlegte alsbald ein Blick durch das Mikroskop. Die perlmutterglänzenden Flitterchen von grosser Fein- heit erschienen hier als prächtig irisirende, bei einem gewissen Einfallen des Lichts, besonders in Blau und Grün schillernde Fragmente von durchaus unregelmässigen Umrissen und sehr verschiedener Grösse. Wasser, Alko- hol, Aether, Alkalien liessen sie durchaus unversehrt. Dagegen quollen bei Zusatz von Säuren zahlreiche Luft- bläschen (Kohlensäure) überall, besonders aus den Rän- 336 dern der Stückchen hervor und es hinterblieb ein Gerüste, welches selbst starker Essigsäure und concentrirter Kali- lauge widerstand. Bei Zusatz von Schwefelsäure schos- sen die schönsten Gypsnadeln auf dem Objektträger an. Der Nachweis von kohlensaurem Kalk, von einem in Essigsäure und Alkali unlöslichen, also nicht protein- stoffigen, organischen Bindemittel (Conchiolin) zusammen mit dem Irisiren der Flitterchen liess keinen Zweifel über deren Natur mehr übrig — es waren Reste von Muschel- schalen. Als ich diesen Erfund Hrn. Dr. Gärtner mit- theilte, bestätigte mir derselbe, dass er in der That Conchae praeparatae ordinirt hatte. Zum Ueberfluss un- tersuchte ich letzteres Präparat aus einer hiesigen Apo- theke und erkannte in dem im Allgemeinen sehr feinen Pulver beim Schlemmen mit Wasser durchaus analoge Parlikelchen. Warum nun, frage ich am Schlusse dieser Notiz, stehen noch heutigen Tages die Conchae praeparatae in den deutschen Pharmakopöen? Wollte man für den koh- lensauren Kalk, um welchen es sich hier doch ganz allein handeln kann, eine recht unzweckmässige Form wählen, eine Form, in welcher derselbe durch Einlagerung in ein überaus zähes Conchiolingewebe der feinen Ab- reibung den grössten Widerstand leistet, in welcher er schwachen Säuren, also der Assimilation, im Darm thun- lichst unzugänglich ist, in welcher er aus den beiden eben genannten Ursachen in Form scharfer Splitterchen fast in der Art von Glaspulver eine kranke Darmschleim- haut am ehesten reizen kann — dann musste man zu den Conchae greifen. Will man aber das Gegentheil, so wird man eine reine weiche Kreide wählen, oder am allerbesten den künstlich gefällten, wohl ausgewaschenen kohlensauren Kalk. Pharmakopöen sind pharmaceutische Gesetzbücher, in denen auch kleine Ungereimtheiten mög- lichst zu eliminiren sind. Mit Vergnügen sehe ich, dass auch F. Mohr, in Sachen der Pharmacie gewiss einer der kompetentesten Richter, die präparirten Austerschalen durch die weit tauglichere Kreide zu ersetzen anräth (Commentar zur preuss. Pharmak. 1847 S. 312). [Med. Corresp.-Bl. d. würtemb. ärztl. Ver. 1857. 29.] Bibliographische Neuigkeiten. W. — H. Barth, Reisen und Entdeckungen in Nord- und Centralafrika 1849—1855. I. Bd. 8. J. Perthes in Gotha. 6 Thlr. A. v. Baumgartner, Ueber Gewitter überhaupt, Hagelwetter insbesondere. 8. Comm. b. Gerold’s Sohn in Wien. 4 Sgr. J. A. Böhm, Physiologische Untersuchungen über blaue Passi- florabeeren. 8. Comm. b. Gerold’s Sohn in Wien. 6 Sgr. J. Breilauer und L. Steinach, Untersuch. üb. d. Cylinderepi- thelium der Darmzotten und seine Beziehungen zur Felt- resorption. 8. Comm. b. Gerold’s Sohn in Wien. 1 Thlr. 38. — Max. Durand-Fardel, Traite therapeutigue des eaux minerales de France et de l’etranger et de leur emploi dans les maladies chroniques, telles que les scrofules, les mala- dies de la peau, les affections calarrhales, la phthisies, le rheumatisme, la goulte etc. 8. 758 p. et une carte col. Paris, Germer Bailliere. 8 Fr. Villelte de Terze, La Vaccine. Ses consequences funestes de- montrees par les faits, les observations, l’anatomie patho- logique et Paritlimelique. Reponse au Questionnaire anglais relatif ä la vaccine, adresse aux academies par la chambre des communes d’Angleterre. 8. 164 p. Paris, Germer Bailliere. 3 Fr. Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena, Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. EEE. Band N 32%, Naturkunde. A. Cloetta, Inosit und Harnsäure in dem thierischen Körper. — Heilkunde. J. A. Hönnicke, Die Wirkung der Molken und des Alpenklima’s. Keuchhusten. — Bibliographie. (Sehluss folgt.) — Miscellen. Hewitt, Das Lungengewebe beim Naturkunde. Inosit und Harnsäure in dem thierischen Körper. Von Dr. A. Cloetta (Zürich) *). Die Darstellung der Zersetzungsprodukte, welche in den Geweben des thierischen Körpers vorkommen, hat seit einiger Zeit die Thätigkeit verschiedener Forscher in Anspruch genommen, denn die Ergründung dieser Körper ist durchaus nothwendig, um eine Einsicht in die Details des physiologischen und pathologischen Stoffwech- sels zu bekommen. In diesem Gebiete der Forschung ist es unsere Aufgabe, zu ermitteln, ob und welche Ueber- einstimmung besteht zwischen den künstlichen Zersetz- ungsprodukten, welche wir aus den thierischen Stoffen erhalten, und denjenigen, welche die unter dem Namen Ernährung zusammengefassten Processe liefern. Es ist ferner von Interesse, zu wissen, ob der Stoffwechsel in einzelnen Geweben Zersetzungsprodukte liefert, welche denselben eigenthümlich sind, oder ob die einzelnen Pro- dukte sich in allen oder den meisten Geweben wieder- finden. Diese beiden Fragen hängen so innig zusammen, dass die eine mit der andern gelöst werden muss; man darf sich gegenwärtig nicht mehr damit begnügen, einen Stoff aus einem Gewebe dargestellt zu haben, sondern man muss auch zu ermitteln suchen, welche Verbreitung er im Körper hat. Von dieser Ansicht ausgehend, habe ich eine Reihe von Geweben in Untersuchung genommen und dabei eine Methode in Anwendung gezogen, welche einerseits bei der Untersuchnng der einzelnen Gewebe nicht zu lange aufhält, und anderseits den Einwurf, als habe man mittelst chemischer Agentien Zersetzungspro- *) Vierteljahrsschrift d. naturforsch. Gesellsch. in Zürich. I. 3. Zürich, 1856. dukte dargestellt, abweist. gende: Die frischen gehackten Gewebe wurden 12 —18 Stunden lang bei kühler Temperatur mit destillirtem Was- ser in Berührung gelassen und häufig umgerührt. Die Flüssigkeit wurde dann abgepresst und zur Coagulation des Eiweisses und Blutfarbestoffs, unter Zusatz einiger Tropfen Essigsäure, erhitzt. Die durch ein einfaches Colatorium geseihte Flüssigkeit wurde auf dem Wasser- bade auf 7% ihres Volums abgedampft, mit Bleizucker- lösung gefällt und filtrirt. Dieser Niederschlag wurde gewöhnlich nicht weiter untersucht. In dem klaren, gelb- gefärbten Filtrat entstand auf Zusatz von basisch - essig- saurem Bleioxyd ein Niederschlag, welcher Inosit, Harn- säure, Cystin u. s. w. enthielt; dieser Niederschlag !) wurde einige Mal gewaschen und mittelst Schwefelwas- serstoff zerlegt. Aus der vom Schwefelblei abfiltrirten Flüssigkeit gewann man die genannten Stoffe nach einem unten näher angegebenen Verfahren. Die durch basisch-essigsaures Bleioxyd gefällten Flüssigkeiten enthielten in einzelnen Fällen noch Taurin und Leuein. Ich lasse nun die Untersuchung der einzelnen Ge- webe und Flüssigkeiten und ihre Resultate folgen. Sie ist im Allgemeinen fol- 1. Die Lunge. Zur Untersuchung dieses Gewebes wurden 50 Pfund Ochsenlungen verwendet. Aus dem Safte derselben wur- den Inosit, Harnsäure, Taurin und Leucin gewonnen. Die Harnsäure schied sich aus der vom Schwefel- 1) Wenn später der Kürze wegen der Ausdruck „Blei- niederschlag“ gebraucht wird, so ist darunter immer der durch basisch-essigsaures Bleioxyd entstandene gemeint, 2 339 blei abfiltrirten Flüssigkeit im Verlauf von 24 Stunden als zahlreiche weisse, krystallinische Körnchen ab, welche unter dem Mikroskop die Formen der Harnsäure zeigten und sich als solche durch ihr Verhalten gegen Säuren, Ammoniak, fixe Alkalien und durch die Murexidprobe un- zweifelhaft zu erkennen gaben. Um den Inosit zu gewinnen, wurde die von der Harnsäure abfiltrirte Flüssigkeit auf dem Wasserbade so weit verdampft, bis eine Probe derselben mit Alkohol ver- mischt sich bleibend trübte; darauf wurde die ganze Flüssigkeit mit dem gleichen Volumen Alkohol vermischt und bis zum Verschwinden der Trübung erwärmt, Nach 1—2 Tagen setzte sich dann eine krystallinische Masse ab, die durch mehrmaliges Umkrystallisiren rein erhalten werden konnte. Die aus heissgesättigter wässeriger Lö- sung angeschossenen Krystalle sind rhombische Prismen, deren stumpfer Winkel 138° 52° misst. Sie bedürfen zur Lösung 6,5 Wasser bei 24° C.; in Aether und kal- tem Weingeist sind sie unlöslich, sie lösen sich dagegen in kochendem verdünntem Weingeist und scheiden sich beim Erkalten in perlmutterglänzenden Blättchen wieder ab. Die Krystalle haben einen rein süssen Geschmack, an der Luft werden sie bald durch Verwittern weiss und undurchsichtig; bei 100° entweicht das Krystallwasser vollständig. Beim vorsichtigen Erhitzen auf dem Platin- blech schmelzen sie, ohne sich zu färben, und beim ra- schen Erkalten erstarrt die Masse krystallinisch; stärker erhitzt, verbrennen sie ohne einen Rückstand zurückzu- lassen. Concentrirte Schwefelsäure schwärzt die Krystalle beim Erwärmen, verdünnte Säuren und Alkalien sind selbst bei der Siedhitze ohne Einwirkung; mit einer Lö- sung von weinsaurem Kupferoxyd und Kali erhitzt, ent- steht eine grüne Lösung, aus der sich nach einiger Zeit ein lockerer grünlicher Niederschlag abscheidet, während die darüber stehende Flüssigkeit wieder blau wird; filtrirt man diese ab und kocht sie wieder auf, so bemerkt man denselben Farbenwechsel. Die bei 100° getrocknete Substanz wurde mit gra- nulirtem Kupferoxyd und zuletzt im Sauerstoflstrome ver- brannt. 0,270 Grm. gaben 0,396 Grm. Kohlensäure und 0,163 Wasser. Die Verbindung enthält demzufolge Kohlenstoff, Was- serstoff und Sauerstoff zu gleichen Aequivalenten; nimmt man darin 12 Aeq. Kohlenstoff an, so gelangt man zu der Formel C,5 H,, O,,. Versuch und Rechnung stim- men sehr genau überein. Berechnet. 12 Aegq. Kohlenstoff m2 40,00 40,00 12 ,, Wasserstoff 12 6,67 6,71 12 ,, Sauerstoff 96 53,33 53,29 183 100,00 100,00 1,4545 Grm. farbloser durchsichtiger Krystalle ver- loren ferner bei 100° 0,075 Grm. an Gewicht — 16,5 340 Procent. Die Zusammensetzung der lufttrocknen Verbin- dung wird demnach jr die Formel 62H), 01,2 + 4 aq ausgedrückt; der berechnete Wassergehalt beträgt 16,7 Procent, der von dem gefundenen wenig abweicht. Aus der Analyse und den allgemeinen Eigenschaften dieses Körpers geht klar hervor, dass es derselbe ist, den Scherer!) zuerst in den Muskeln aufgefunden und Ino- sit genannt hat; auch das Verhalten gegen Salpetersäure, Ammoniak und Chlorcalcium stimmte genau mit Sche- rer’s Angaben überein. Durch diese Reaktion und durch den Farbenwechsel, den man beim Kochen mit alkalischer Kupferlösung beobachtet, wird sich der Inosit immer leicht erkennen lassen. Bisher aber war eine sehr wich- tige Eigenschaft des Inosits, nämlich seine Verbindbar- keit mit Bleioxyd, übersehen worden; die Auffindung und Abscheidung desselben aus thierischen Flüssigkeiten wird durch dieses Verhalten auf sehr einfache und rasche Weise ermöglicht. Neutrales essigsaures Bleioxyd lässt die Inositlösung ungetrübt; auf Zusatz von Bleiessig entsteht dagegen eine durchsichtige Galierte, die wenige Augenblicke dar- auf weiss wird und ganz das Ansehen von Kleister be- kömmt. Ich habe versucht, die Zusammensetzung dieser Verbindung auszumitteln. Der Niederschlag wurde so- gleich auf ein Filtrum gesammelt und in einem eigens konstruirten Apparate in einer Atmosphäre von Wasser- stoffgas zuerst mit kohlensäurefreiem Wasser, dann mit verdünntem Weingeist vollständig ausgewaschen. Im luft- leeren Raume über Schwefelsäure getrocknet, stellte die Verbindung eine gelbliche, leicht pulverisirbare Masse dar. Sie wurde mit verdünnter Schwefelsäure zersetzt, das schwefelsaure Bleioxyd mit schwachem Weingeist anhal- tend gewaschen und aus dem Gewicht des bei 100% ge- trockneten Bleisulfates die Zusammensetzung der Inosit- verbindung berechnet. Die Analyse führte annähernd zu dem Verhältniss C,. H,3 0,2 + 5 Pb 0: gefunden: berechnet: Inosit 235 24,4 Bleioxyd 76,5 75,6 100,0 100,0 Es ist dieses Verhältniss ein ganz ungewöhniiches; ich halte es desshalb für wahrscheinlich, dass bei der Fällung der Inositlösung mit basisch-essigsaurem Bleioxyd zunächst eine weniger basische Verbindung entsteht, und dass derselben während des Waschens, das wegen der Beschaffenheit des Niederschlags sehr lange fortgesetzt werden muss, ein Theil des Inosits entzogen wird. Der durch basisch- essigsaures Bleioxyd gefällte Lun- gensaft enthält, wie ich bereits angeführt habe, noch Taurin und Leuein. Um diese Körper daraus abzuschei- den, wurde zunächst das überschüssig zugesetzte Blei 1) Annalen der Chemie und Pharmacie 73, 322; 81, 375. durch Hineinleiten von Schwefelwasserstoff entfernt und das Filtrat auf dem Wasserbade zur Syrupkonsistenz ver- dampft. Der Rückstand war sehr reich an essigsauren Alkalien; zur Entfernung derselben wurde deren Auflös- ung in schwachem kaltem Weingeist mit verdünnter Schwe- felsäure gefällt, ein kleiner Ueberschuss der letzteren aus der von den schwefelsauren Alkalien abfiltrirten Flüssig- keit durch vorsichtigen Zusatz von Barytwasser entfernt, und die klare Lösung so weit eingedampft, bis ein glei- ches Volumen absoluten Alkohols eine bleibende Trübung darin hervorbrachte. Es wurde dann die ganze Flüssig- keit mit Alkohol in dem angegebenen Verhältniss ver- mischt und erwärmt, worauf die Trübung verschwand. Nach einigen Tagen hatten sich an der Wand des Ge- fässes concentrisch gruppirte Nadeln abgeschieden, die durch Umkrystallisiren gereinigt wurden. Beim langsa- men Verdunsten der wässerigen Lösung krystallisirt die- ser Körper in ziemlich grossen, glasglänzenden Prismen; beim Vermischen der kaltgesättigten wässerigen. Lösung mit Weingeist schied er sich in zarten, einigen Millime- ters langen Nadeln aus. Die Krystalle waren luftbestän- dig, geruch- und geschmacklos, sie lösten sich ziemlich leicht in Wasser, wenig in heissem Weingeist, nicht in absolutem Alkohol und Aether. Die wässerige Lösung zeigte keine merkliche Reaktion; auf befeuchtetem Lak- muspapier erzeugten dagegen die zerriebenen Krystalle eine vorübergehende Röthung. Auf Platinblech verbrann- ten sie vollständig; bei 100° veränderten sie ihr Ge- wicht nicht; im Glasrohr erhitzt, dekrepitirten sie etwas, schmolzen dann unter Schäumung und Schwärzung und Entwickelung von Schwefelwasserstoff, zugleich nach ver- brennendem Haar riechend; dabei bildete sich ein schwe- felgelbes Sublimat und darüber farblose ölförmige Tro- pfen. Durch Kochen der Krystalle mit. concentrirter Kalilauge, der ein Tropfen essigsaures Bleioxyd zuge- setzt war, liess sich der Schwefelgehalt nicht nachweisen. Concentrirte Schwefelsäure löste die Krystalle mit Leich- tigkeit, die farblose Lösung konnte bis nahe zum Siede- punkte der Säure erhitzt werden, ehe eine schwache Bräunung eintrat. Mehrere Versuche, die ich zur Dar- stellung einer Silberverbindung anstellte, blieben fruchtlos. Die Form der Krystalle und alle Eigenschaften stim- men vollkommen mit denen des Taurins überein; denn auch das aus der Ochsengalle dargestellte Taurin röthet, wie ich gefunden habe, das angefeuchtete Lakmuspapier. Um aber jeden Zweifel über die Identität der von mir aus der Lungenflüssigkeit erhaltenen Krystalle mit Tau- rin zu beseitigen, habe ich es für nöthig gehalten, den Stickstoff und Schwefelgehalt derselben zu bestimmen. Folgendes sind die von mir erhaltenen analytischen Re- sultate: 0,202 Grm. über Schwefelsäure getrockneter Kry- stalle wurden mit einer Mischung von reinem Aetzkalk und Salpeter in einem Glasrohr verbrannt, der Inhalt in Wasser und Salzsäure gelöst und die Schwefelsäure mit 3ay Chlorbaryum gefällt. Der gesammelte schwefelsaure Ba- ryt wog 0,388 Grm. 0,213 Grm. derselben Krystalle gaben bei der Verbrennung mit Natronkalk 0,379 Grm. Ammonium- platinchlorid. Die Verhältnisse führen zu der Formel des Tau- rins C, H, NS, 0,, wie die folgende Zusammenstellung zeigt: berechnet: gefunden : 4 Aeq. Kohlenstoff 24 19,2 — 7 „Wasserstoff 7 5,6 — 1 „Stickstoff 14 11,2 11,2 2 ,„ Schwefel 32 25,6 26,4 6 ,„ Sauerstoff 48 38,4 — 125 100,00 — Ich habe bei meiner Untersuchung ganz besondere Rücksicht auf die schwefel- und stickstoffhaltige Säure genommen, die nach Verdeil!) im Lungenparenchym vorkommen soll, und die man in neueren chemischen Werken unter dem Namen Lungensäure aufgenommen findet. Die Isolirung oder Nachweisung derselben ist mir indess bei wiederholten Versuchen in keiner Weise ge- glückt, und ich habe die Ueberzeugung gewonnen, dass eine schwefel- und stickstoffhaltige Lungensäure nicht exi- stitt. Aus dem Mitgetheilten geht deutlich hervor, dass Verdeil das Taurin dafür gehalten hat, und er liess sich ohne Zweifel zunächst durch das Verhalten gegen angefeuchtetes Lakmuspapier bestimmen, auf eine wirk- liche Säure zu schliessen. Dass es ihm gelungen sei, krystallisirbare Salze damit darzustellen, muss ich um so mehr bezweifeln, da weder in der vor vier Jahren er- schienenen Mittheilung Verdeil’s noch später irgend etwas Näheres darüber angegeben ist; es scheinen somit Vermuthungen für Thatsachen gesetzt worden zu sein, was hier um so weniger zu entschuldigen sein dürfte, da Verdeil seiner hypothetischen Lungensäure, wegen ihrer grossen Neigung, sich mit Basen zu verbinden und die Kohlensäure aus kohlensauren Salzen auszutreiben, eine besonders wichtige Rolle bei der Respiration zuschreibt. Das Glyein steht jedenfalls in naher Beziehung zum Taurin; ich vermuthete daher, dass es das letztere im Lungensafte begleiten möchte, und suchte dieses auf fol- gende Weise zu ermitteln: Die weingeistige Lösung, aus der sich das Taurin abgeschieden hatte, wurde im Was- serbade verdampft, der Rückstand mit Bleioxydhydrat gekocht und das Filtrat mit Schwefelwasserstoff vom auf- genommenen Blei befreit und zur Syrupkonsistenz ver- dampft. Der Syrup hatte aber keinen süssen Geschmack und ich konnte mit Hülfe des Mikroskops selbst nach län- gerer Zeit keine Krystalle, die dem Glycin ähnlich wa- ren, darin entdecken. Dagegen zeigten sich zahlreiche, 1) Comptes rendus XXXII, 604. Erdm. Journ. LV, 186. Annalen der Chemie und Pharmacie LXXXI, 334. 22* 313 concentrisch schattirte Kugeln, wie sie Frerichs und Städeler als charakteristisch für das Leucin beschrie- ben haben. Büschel- oder garbenförmige Tyrosinkry- stalle waren nicht vorhanden. Um das Leuein zu isoliren, wurde der Syrup mög- lichst weit abgedampft und mit absolutem Alkohol aus- gekocht. Die klare Lösung wurde verdampft und der Rückstand, nachdem das Leucin angeschossen war, wie- derholt zwischen befeuchtetem Filtrirpapier gepresst, um beigemengte amorphe Materie zu entfernen. Das zurück- bleibende, schwach gelbliche Leucin wurde durch Um- krystallisiren leicht rein erhalten und gab sich dann durch das wollige Sublimat, das beim Erhitzen im offe- nen Glasrohr entstand, unzweifelhaft als solches zu er- kennen. Zu einer Analyse reichte das gewonnene Leuein nicht hin, sie schien mir auch im vorliegenden Falle ganz überflüssig. Da sich der Lungensaft rascher, wie irgend eine andere Flüssigkeit zu zersetzen scheint, und von dem Beginn meiner Arbeit bis zur Krystallisation des Leucins eine geraume Zeit verstrichen war, ausserdem auch von Frerichs und Städeler in dem Lungensafte einer apoplektischen Frau kein Leuein nachgewiesen werden konnte, so war es möglich, dass das von mir in der Ochsenlunge durch einen Zersetzungsprocess entstanden war. Auf den Wunsch von Hrn. Prof. Städeler habe ich daher noch einmal eine Ochsenlunge in Arbeit ge- nommen und die Untersuchung möglichst beschleunigt, wobei ich zugleich auf alle übrigen, bereits erwähnten krystallinischen Körper Rücksicht nahm. Auch jetzt wur- den Harnsäure, Inosit, Taurin und Leucin nachgewiesen, und ich halte daher die Präexistenz dieser Körper im Lungenparenchym für ganz unzweifelhaft. Dass das Leu- cin in der Lunge einer apoplektischen Frau nicht aufge- funden wurde, könnte seinen Grund darin haben, dass es bei gewissen Krankheiten nicht darin vorkommt; wahr- scheinlicher möchte es aber sein, dass der Saft aus einer menschlichen Lunge nicht zur sichern Nachweisung des- selben ausreicht, denn wie es aus dem Mitgetheilten her- vorgeht, findet es sich auch im Lungensafte des Ochsen keineswegs in erheblicher Menge. 2. Niere. Dieses Gewebe zeichnet sich durch seinen bedeuten- den Inositgehalt aus; aus 13 Pfund Ochsennieren konnte ich 5 bis 6 Grm. Inosit darstellen. In verhältnissmässig gleicher Menge ist der Inosit in der normalen Menschen- niere enthalten, wie ich mich bei der Untersuchung der Nieren eines Ertrunkenen zu überzeugen Gelegenheit hatte. Er wurde als solcher erkannt an seiner Krystallform, sei- nem süssen Geschmack, seinem Verhalten gegen wein- saures Kupferoxyd und Kali und durch die Reaktion mit Salpetersäure, Ammoniak und Chlorcalcium. Harnsäure konnte ich in den Ochsennieren nicht fin- den, dagegen hatte sich neben Inosit bei der ersten Par- 344 tie Nieren, welche ich untersuchte, ein bräunlicher pul- verförmiger Niederschlag gebildet, welcher sich als ein Gemenge von Cystin und einem andern stickstoffhaltigen organischen Körper herausstellte. Einige Versuche, die ich damit anstellte, ergaben sehr bald, dass dieser Nie- derschlag in Wasser kaum löslich, dagegen leicht löslich in Alkalien war. Ich löste desshalb das Gemenge in verdünnter Kalilauge auf und leitete durch die filtrirte Lösung während längerer Zeit einen Strom Kohlensäure. Die Flüssigkeit wurde bald trübe und es setzte sich ein Niederschlag ab, der bei der mikroskopischen Untersuch- ung theils schöne durchsichtige, sechsseitige Tafeln, wie sie für das Cystin beschrieben werden, theils eine aus kleinen Kugeln bestehende Substanz zeigte. Ein Theil der krystallinischen Substanz war noch in der Lösung enthalten, denn als dieselbe mit Essigsäure stark sauer gemacht wurde, schied sich noch der Rest in derselben Form aus. Um die krystallinische Substanz nun voll- kommen von dem andern Körper zu trennen, wurde der Niederschlag mit einfach kohlensaurem Natron digerirt, welches die Krystalle vollkommen löste, während die amorphe Substanz zurückblieb. Durch Ansäuren der. fil- trirten Lösung mittelst Essigsäure erhielt man einen Nie- derschlag, der bloss aus den sechsseitigen Tafeln bestand. Dieser Körper zeigte ausser der erwähnten Form folgende Eigenschaften : Er ist unlöslich in Wasser, Alkohol, Essigsäure und kohlensaurem Ammoniak; leicht löslich dagegen in kaustischem Kali und Ammoniak; von einfach kohlen- sauren fixen Alkalien wird er ebenfalls aufgelöst und lässt sich durch Essigsäure wieder daraus abscheiden. Mine- ralsäuren lösen ihn auf. Auf dem Platinblech verbrennt er vollständig; erhitzt man die trockne Substanz in einem Glasröhrchen, so verkohlt sie unter Entwickelung von Schwefelwasserstoff; kocht man die Krystalle mit con- centrirter Kalilauge, der ein Tropfen essigsaures Bleioxyd zugesetzt war, so erhält man einen Niederschlag von Schwefelblei. Die Form der Krystalle und alle Eigenschaften stim- men vollkommen mit denen des Cystin’s überein, und ich nehme um so weniger Anstand, sie dafür zu erklären, da es mir ermöglicht wurde, die Eigenschaften mit rei- nem Cystin, das Hr. Prof. Städeler aus 'seiner Samm- lung mir zu überlassen die Güte hatte, Schritt für Schritt zu vergleichen. Für eine Analyse war nicht genug Ma- terial vorhanden. Was den andern amorphen Körper betrifft, so zeigte derselbe folgende Eigenschaften : In Wasser und Alkohol ist er kaum löslich, leicht löslich dagegen in kaustischem Kali und Ammoniak. Aus der kalischen Lösung wird er durch Kohlensäure als weisses Pulver gefällt, das getrocknet harte Stücke bil- det, die beim Reiben glänzend werden. Beim Verdun- sten der ammoniakalischen Lösung bleibt er als eine glän- zende blätterige Masse zurück, die auf dem Platinblech 345 vollständig verbrennt, und beim Erhitzen im Glasrohr einen starken Cyangeruch entwickelt. Er ist unlöslich in kohlensauren Alkalien, ebenso in Salzsäure. In Sal- petersäure löst er sich beim Erwärmen auf und lässt beim Verdunsten einen gelben Fleck zurück, der durch Zusatz von Ammoniak intensiv gelb, durch Kali aber roth gefärbt wird. Nach dem Angeführten kann dieser Körper ebenso gut Xanthin als Hypoxanthin sein, denn beide haben ganz ähnliche Eigenschaften, und nur die Analyse kann entscheiden, ob das eine oder andere vorhanden ist. Die Stickstoffbestimmung, die ich zu diesem Zweck unter- nahm, führte zu einem geringeren Stickstoffgehalt, wie ihn die Formel des Xanthins und des Hypoxanthins for- dert; ich konnte indess nur eine kleine Menge der Sub- stanz dazu verwenden, und da bei dem amorphen Zu- stande jener Körper kein sicheres Kriterium für ihre Reinheit vorhanden ist, ausserdem auch beim Auswaschen leicht ein kleiner Gehalt an Alkali zurückbleiben kann, so unterlasse ich es für jetzt, die analytischen Resultate mitzutheilen, gedenke aber dieselben nach Beendigung der Untersuchung, die mich im Laufe des Sommers be- schäftigen wird, nachzuliefern. Als ich eine zweite Partie Nieren in Untersuchung nahm, fand sich dieser Körper wieder vor, dagegen ver- suchte ich vergebens, das Cystin aus dem Bleinieder- schlage darzustellen; statt dessen konnte ich aus dem Filtrat des Bleiniederschlags das Taurin nach der schon angegebenen Weise erhalten; es wurde dasselbe als sol- ches an seiner Krystallform und übrigen Eigenschaften, wie sie bei dem aus der Lunge dargestellten aufgezählt wurden, erkannt. Es scheint demnach, dass das Cystin im Nierensafte nicht constant vorkömmt, und dass es in diesen Fällen durch das Taurin ersetzt wird, was bei der Aehnlichkeit beider Körper in Bezug auf elementare Zusammensetzung nicht unwahrscheinlich ist. 3. Harn. Bei dem Vorkommen genannter Substanzen im Nie- rensafte lag die Vermuthung, nach den bestehenden An- sichten über die Harnsekretion, sehr nahe, dass sich die- selben auch im normalen Harn vorfinden werden. Die Untersuchungen, die ich mit dieser Flüssigkeit angestellt habe, führten aber zu einem negativen Resultate, indem es mir unmöglich war, dieselben im Kuhharn und Men- schenharn nachzuweisen. Der Kuhharn bietet durch sei- nen grossen Gehalt an doppeltkohlensaurem Alkali der Untersuchung ziemlich viel Schwierigkeit. Beim ersten Versuch concentrirte ich 10 Pfund Kuhharn auf dem Wasserbade und neutralisirte hernach die Flüssigkeit, die stark alkalisch geworden war, mit Salpetersäure. Es bil- dete sich dadurch eine grosse Quantität salpetersaures Alkali, welches das Aufsuchen des Inosits u. s. w. un- möglich machte. Ich schlug desshalb einen andern Weg ein und setzte zu einer zweiten Portion frischen Kuh- 346 harns, ohne ihn vorher einzudampfen, so viel einer heiss gesättigten Barytlösung, bis kein Niederschlag mehr er- folgte. Die stark alkalisch gewordene Flüssigkeit wurde mit neutralem essigsaurem Bleioxyd gefällt; allein auch auf diese Weise war es mir unmöglich, irgend einen der genannten Stoffe aufzufinden. Mit ebenso negativem Resultate habe ich 4 Pfund normalen Menschenharn untersucht , obwohl derselbe sich für derartige Untersuchungen besser eignet als der Kuhharn. Im Harn eines an Morb. Brightii Jeidenden Indivi- duums dagegen konnte ich mit aller Sicherheit den Ino- sit nachweisen, obwohl die zur Untersuchung verwendete Quantität bedeutend geringer war, als die zur Unter- suchung des normalen Harns verbrauchte. Das Indivi- duum, von dem der Harn herrührte, kam mit ganz aus- gesprochenen Symptomen von Morb. Br. in’s hiesige Krankenhaus. In Folge von drastischen Abführmitteln hatte bei demselben sehr bald das Oedem der Haut und der Eiweissgehalt des Urins abgenommen, so dass der letztere beim Erwärmen nur noch eine leichte Trübung zeigte, dagegen waren noch die sogenannten urämischen Symptome vorhanden. In diesem Stadium nahm ich die Untersuchung des Harnes vor. Durch verschiedene Um- stände bin ich verhindert worden, diese Thatsache weiter zu verfolgen, behalte mir aber vor, so bald wie möglich die Nachträge dazu zu liefern, indem es sich jetzt darum handelt, zu bestimmen, ob der Inositgehalt des Harns in einem Verhältniss zum Eiweissgehalt des- selben steht, ferner, wie sich das Nierengewebe, das Blut u. s. w. in dieser Beziehung verhält. Die Beantwortung dieser Fragen wird jedenfalls zur Vervollständigung des pathologisch-chemischen Krankheitsbildes von Morb. Brigh- tii beitragen. Es wird übrigens auch von physiologischer Bedeut- ung sein, zu bestimmen, ob bei einem Mehrgehalt des Nierenblutes an Inosit derselbe in die Harnkanälchen fil- trirt oder ob die Gegenwart gewisser Stoffe den Durch- tritt desselben hindern oder fördern u. s. w. 4. Milz. Aus dem Bleiniederschlage einer in Untersuchung genommenen Ochsenmilz konnte eine ziemliche Quantität Inosit gewonnen werden, so dass in diesem Gewebe ver- hältnissmässig eben so viel Inosit vorkömmt als im Lun- gengewebe. In dem Bleiniederschlage waren ferner Harnsäure und zwei andere Körper enthalten, die ich noch nicht hinreichend genau untersucht habe. Das Vorkommen der Harnsäure im Milzsafte wurde schon von Scherer!) beobachte. Um dieselbe von andern Beimengungen zu 1) Annalen der Chemie und Pharmacie 73, S. 328. 347 isoliren, befolgte ich die Methode, welche von Scherer a. a. 0. vorgeschlagen wurde. Der Niederschlag, der sich aus der zur Syrupkon- sistenz abgedampften Flüssigkeit abgesetzt hatte, wurde in verdünnter Kalilauge gelöst und mittelst Salmiak die Harnsäure als harnsaures Ammoniak gefällt; nach 24 Stunden schied sich aus dem Filtrate ein gallertartiger Körper aus, der seiner geringen Menge wegen nicht wei- ter untersucht werden konnte. Als das Filtrat endlich bei mässiger Wärme der Verdunstung überlassen wurde, setzten sich auf der Oberfläche gelbe glänzende Blättchen ab, welche die Eigenschaften des von Scherer in der Milz entdeckten Hypoxanthins besassen, aber auch mit jenem Körper, den ich im Nierensafte aufgefunden habe, in den Reaktionen auf’s Vollständigste übereinstimmte. Es wird kaum bezweifelt werden können, dass der aus der Milz abgeschiedene Körper wirklich Hypoxanthin war, dagegen kann ich gegenwärtig nicht annehmen, dass der aus der Niere gewonnene damit identisch sei, denn meine Analyse spricht dagegen, und die Reaktionen sind auch die des Xanthins. In dem Filtrate des Bleiniederschlags liess sich das Leucin nachweisen, wie diess von Frerichs und Stä- deler!) beobachtet worden ist. Die Existenzfrage des von Scherer in der Milz aufgefundenen Lienins übergehe ich. Durch die Entdeck- ung des Inosits im Milzsaft ist Material zur Entscheid- 1) Verhandlungen der naturforschenden Gesellschaft in Zürich Bd. IV, Juli 1856. 348 ung der Frage geliefert worden und Frerichs und Städeler ?) haben bereits darüber verhandelt. 5. Leber. Im Lebergewebe des Ochsen kommen ebensowohl Inosit als Harnsäure vor. Die letztere ist in verhältniss- mässig grösseren (Quantitäten vorhanden als der erstere, doch lässt sich auch der Inosit mit aller Sicherheit im Lebersafte erkennen°). 6. Blut. Bis jetzt habe ich blos das Halsvenenblut des Och- sen einmal untersucht und darin weder Harnsäure noch Inosit gefunden. «(Vierteljahrschr. d. naturf. Gesellsch. in Zürich. 1. Jahrg. 3. Hft. 1856.) 2) Deutsche Klinik, 1856, Nr. 8. 3) In der Typhusleber wurde von Hrn. stud. med. Meyer aus Oldenburg ebenfalls jener dem Xanthin oder Hypoxanthin ähnliche Körper neben Harnsäure, Leuein, Tyrosin und einem eigenthümlichen, in Kugeln anschiessenden Körper, der sich nicht in Weingeist, aber reichlich in heissem Wasser löste, aufgefunden. Auch in den geschwollenen Mesenterialdrüsen zeigten sich dieselben Körper, doch konnten Harnsäure und Tyrosin nicht mit der gleichen Schärfe nachgewiesen werden. Die Milz enthielt Leucin und Tyrosin, aber weniger Harn- säure wie die Leber. Inosit fand sich selbst in-den Nieren nur in sehr kleiner Menge und war in mehreren Fällen gar nicht mit einiger Sicherheit nachzuweisen. Eben so wenig wurde von Herrn stud. med. Müller aus Jewer Inosit in den sehr umfangreichen Nieren eines an Choleratyphoid ver- storbenen siebenjährigen Knaben aufgefunden, obwohl es in der Milz vorhanden war. Es scheinen somit in Betreff des Inositgehaltes der Organe wesentliche Abweichungen im ge- sunden und kranken Zustande vorzukommen. Heilkunde. Die Wirkung der Molken und des Alpen- klima’s. Von Dr. Hönnicke*). Bei Tabes nervosa, wo noch das Fieber fehlt und die Krankheit mehr unter dem Bilde einer Abschwächung, Ausmergelung des Körpers besteht, stehen Reinerz und Salzbrunn mit Recht oben an, bei ausgeprägtem Zehr- fieber aber ist man nur auf den Gebrauch von Milch und Molke beschränkt. In Bezug auf die letzteren dürfte es hier am geeigneten Orte sein, diesen beiden unschätz- baren Mitteln seine specielle Aufmerksamkeit zu schenken. Es besitzt die Milch vorherrschende restaurirende Eigen- schaften; als ein dem thierischen Körper verwandtester *) DS” Die Mineralquellen der Provinz Schlesien in physikalisch-chemischer, geognostischer und medic..-prakt. Be- ziehung von Dr. J. A. Hönnicke. 163 S. Wohlau, Leuckart, 1857. Nahrungsstoff ist sie vorzugsweise geeignet, da ange- wendet zu werden, wo die Schwäche der animalen In- nervation die Aufnahme von Nahrungsstoffen erschwert, welche einen grössern Widerstand in Darbietung nähren- der Bestandtheile leisten. Die Molke, deren Bestand- theile weniger concentrirt erscheinen, besitzt zwar eben- falls nährende Stoffe, ja das ihre milchsauren Salze be- gleitende Osmazom ist als das feinste Extract thierischer Nahrungsmaterie, als der wesentliche Inhalt des anima- len Stoffes überhaupt anzusehen. Wenn aber auf dieser Eigenthümlichkeit in vielen Fällen derjenige Grad der Restauration beruht, den wir bei tiefgesunkenen Verdau- ungskräften und einem auf sein Minimum reducirten Er- nährungsleben oft so wohlthätig hervortreten sehen, so scheint dieser Antheil an Nahrungsexiract in den Fällen nervöser Ueberfüllung des Darmkanals mehr wie ein der Natur der Nahrungsgefässe am meisten entsprechender Reiz aufzutreten, dem nur eine gesteigerte Beweglichkeit im Darmkanal folgt. Da wir eine ausgezeichnete Wirk- 349 ung der Molke, besonders in denjenigen Krankheiten mit erhöhter Venosität wahrnehmen, welche mit reichlicher Schleimerzeugung verbunden sind, so wäre es nach Vet- ter angemessen, durch genauere physiologisch-chemische Versuche zu ermitteln, welchen Einfluss die milchsauren Salze auf das Mischungsverhältniss des Darmschleims ha- ben. Gewiss ist, dass der Gebrauch der Molken die ma- terielle Befreiung des Unterleibes von schleimigen Stoffen auf eine sehr gelinde Weise bewerkstelligt, dass die Ver- dauung sich unter ihrer Anwendung oft mit auffallender Schnelligkeit bessert, der Appetit wiederkehrt, die Secre- tionen regelmässig werden und der ganze Habitus des Kranken sich kräftiger und voller darstellt. Die Verbin- dung mit einer Natrokrene ist nur geeignet, diese Wirk- samkeit zu steigern. Wie bekannt, sind die chemisch- constitutionellen Unterschiede zwischen der Milchsäure, der Essig- und Kohlensäure keineswegs bedeutend; wir müssen annehmen, dass jene im Organismus vorzugs- weise aus dieser hervorgebildet werden, und dass die alkalischen Verbindungen dieser Säuren in einem sehr nahen Verwandtschaftsverhältnisse zu einander stehen. Wenn dieser Umstand einerseits die Natrokrenen zu sol- chen Mitteln umschafft, von denen wir den offenbarsten Einfluss auf die höhere Potenzirung eines auf niedern Stufen der Animalisation herabgesunkenen Ernährungs- lebens zu erwarten haben, so erklärt er am einfachsten die Thatsache, warum Molken und Natrokrenen in ihren Wirkungen so innig verwandt sind und sich so lebhaft gegenseitig unterstützen. Halten wir nun jene, von der Molke ausgehende, gelinde Reizung des Darmkanals im Auge, welche in so vielen Fällen directer oder indirecter Schwächung fast ausschliesslich geeignet ist, das nieder- gedrückte Darmleben zu den normalen Excretionsbeweg- ungen zu bestimmen, ohne die allgemeine Schwäche oder die örtliche Reizung zu steigern, so erklären sich hier wohl die meisten der wohlthätigen Wirkungen dieses Mit- tels, sowohl bei Brust- als bei Unterleibskranken. Dort dient es als ein gelindes Erregungsmittel für jene eigen- thümliche Dyspepsie, ‘welche der Tuberculosis eigen ist und später, bei der Beeinträchtigung des Athmungspro- cesses durch Tuberkelbildungen noch in einem gewissen Causalnexus — einem Zurücksinken des Individuums von den höheren Formen des Lungenathmens auf die niedere des Haut- und Darmathmens bedingt wird; hier relaxirt das Mittel gelind, löst den Schleim auf und befördert die Beweglichkeit des stockenden Blutes in den überfüllten Gefässen. Hieraus folgt die hohe unschätzbare Wirksam- keit von Reinerz und Salzbrunn. In Krankheiten der Respirationsorgane, wobei bemerkt werden muss, dass die Molken auch nir- gends von so vorzüglicher Güte sind als hier, da die Weide für die Ziegen in Reinerz 2145 F., in Salz- brunn 1700 F. beträgt. Ueberdiess werden am erst- genannten Orte die Molken*), wie diess nirgendwo der *) Dr. Schayer, Die neueste chemische Untersuchung der Mineralquellen zu Reinerz. Berlin, 1856 S. 5. 350 Fall, in drei, durch die Menge des noch zurückgebliebe- nen Caseins sich unterscheidenden Arten, verabreicht; eine Einrichtung, die von ausserordentlichem thera- peutischen Nutzen ist und in andern Molkenanstalten nicht angetroffen werden soll. So ist die einfach ge- schiedene Molke mehr eine geläuterte Milch, und in Fäl- len, wo diese wegen ihres zu reichlichen Fett- und Käse- stoffigehalts bei schwachen Verdauungswerkzeugen nicht gut vertragen werden würde, von vorzüglichem Erfolge. Die sogenannte, doppelt geklärte Molke unterscheidet sich von andern ähnlichen Präparaten, die den Namen einer guten Molke verdienen, in nichts, während die mehr- fach geschiedene fast von allem Casein befreit ist, und ein ganz klares, weinhelles Getränk darstellt. Ab- gesehen davon, dass jede dieser Sorten in Rücksicht auf die Individualität des Kranken, wie wegen zu erzielender besonderer Heilzwecke ihre bestimmte Indication haben kann, werden sehr oft lästige, die Kur beeinträchtigende Erscheinungen im Bereiche der Digestion durch tempo- räres Wechseln mit diesen Kurmitteln sehr schnell be- seitigt, ohne dass man nöthig hat, zu Medikamenten seine Zuflucht zu nehmen. Namentlich gilt diess in Be- zug auf die Darm- und Harnausscheidungen. In Reinerz gewinnt sogar die Molkenkur eine noch höhere Bedeutung, gleich den ähnlichen Anstalten Bayerns und der Schweiz durch seine hohe Lage, wo- durch diesem Kurorte noch wesentlich die Vorzüge eines Alpenklima’s zu Gute kommen. Dadurch allein schon würde sich Reinerz bei noch nicht zu weit vorgeschritte- ner Lungentubereulosis und bei demjenigen die- selbe begleitenden Erethismus empfehlen, der mehr auf Schwäche und Empfindlichkeit der respiratorischen Ner- ven, als auf einem gesteigerten Irritabilitätsverhältnisse beruht, Fälle, welche wohl von dem Charakter der Flo- ridität zu unterscheiden sind. Wir sehen, welchen wohl- thätigen Einfluss in den hierher gehörigen Fällen die Al- penquellen in Kreuth in Oberbayern ausüben, welche so- gar über 1000 Fuss höher liegen. Es dürfte daher hier gleichfalls am Orte sein, auch über die Wirkung .des Alpenklima’s Mehreres zu sagen, zu welchem Behufe wir die Schilderung desselben in Bezug auf Kreuth von Vetter hier mit aufnehmen. „Wenn auch ein Theil der guten Wirkung eines Kurortes der allgemeinen Veränderung und Vertauschung des Stadt- und Geschäftslebens mit der Stille und Ruhe, welche an ersteren herrscht, zugeschrieben werden muss, so wird doch das Wesentlichste der Umstimmung in den organischen Verrichtungen durch das Verhältniss des Luft- drucks und die daher rührende Steigerung des N. vagus und seiner Zweige bedingt. Eine unter geringerer Wirk- ung der Schwere expandirte, leichtere Luft tritt in die Lungenzellen ein. Da das Bedürfniss des Blutes, sich seines Kohlenstoffes zu entledigen, keineswegs aus diesem Grunde vermindert sein kann, so entsteht im Gegentheile die Nothwendigkeit eines häufigeren, tieferen, kräftigeren Einathmens. Nun ist es bekannt und erhellt aus den 351 Verbindungen willkürlicher und unwillkürlicher Nerven- fasern zu den respiratorischen Bewegungen, dass eine dem Bedürfniss entsprechende Steigerung des Athmungs- lebens nur zum Theile der animalischen, grösstentheils der Sphäre organischer, unbewusster Thätigkeit angehört. Die Muskelbewegung, deren Nothwendigkeit durch ein physiologisches Luftbedürfniss erzeugt ist, wirkt als ein peripherischer Reiz auf den Centralstamm des grossen In- nervationsleiters zu allen halb willkürlichen Funktionen des Vagus zurück. Später angeregt, verbreitet dieser seine erhöhte Thätigkeit nun über diejenigen Gebilde, welche mit ihm in Verbindung stehen. So wird durch Steigerung des Athmungsprocesses der Magen, das Ver- dauungssystem erregt. Auch hierbei bleiben die Folgen einer beschleunigten Respiration nicht stehen. Das Blut dringt leichter und rascher in den Lungengefässen vor- wärts, eine beschleunigte Bewegung des Herzens ist die Folge davon. Von diesen Centralgebilden aus pflanzen $ich nun die Veränderungen immer weiter fort, nach je- nem allgemeinen Gesetze, kraft dessen die gesteigerte pe- ripherische Thätigkeit auf das Centralsystem als ein Reiz zu stärkerer Innervation wirkt und das gereizte Central- organ die Reflexe seiner erhöhten Levensthätigkeit in allen Radien seiner Wirkungssphäre verbreitet. Während so einige dieser allgemeinen Folgen vom Centralorgane ver- mittelt werden, beruhen andere auf der unmittelbaren or- ganischen Continuitätz; denn ein kräftiger bewegter Theil zwingt schon durch den mechanischen Impuls die benach- barten, continuirlichen Theile zur gleichmässigen Mitbe- wegung, und dieses mechanische Moment wird erst wie- - der zum dynamischen Reize für die Innervation des an- geregten Organs erhoben. So pflanzen sich die von einem gesteigerten Ath- mungsbedingnisse erregten Bewegungen über die ganze Sphäre der vegetativen und vitalen Thätigkeit fort. Frü- her glaubte man wohl, es sei eine Veränderung in der chemischen Constitution der Luft, aus der diese deut- lichen Umstimmungen hervorgehen. Man nannte die Ge- birgsluft reiner, sauerstoffreicher und verglich sie in die- ser Beziehung insbesondere demjenigen, was man bei der 352 Einathmung der Lebensluft wahrgenommen hatte. Seit- dem aber das überall gleichmässige Verhältniss der Meng- ungsbestandtheile der atmosphärischen Luft in höchsten und tiefsten Schichten, sowohl von bergsteigenden als luftschiffenden Physikern, überall erwiesen worden ist, — also seit beiläufig über 40 Jahren — können die bei medicinischen Schriftstellern in dieser Beziehung hin und wieder stets noch auftauchenden Meinungen und Aeusser- ungen sich nicht mehr mit einer Unvollkommenheit unse- rer Kenntniss dieses Gegenstandes entschuldigen. Es ist nicht der Ueberfluss an oxydirendem Gase, welcher jene erregende Wirkung primär in der Respiration, demnächst aber in allen vitalen Gebilden äussert; es ist vielmehr die bei der geringeren Menge des unter schwächerem Drucke in die Lungenzellen tretenden Gases entstehende Nothwendigkeit des tieferen Einathmens, der stärkeren Erweiterung des Brustkorbes, um einem gleichen Bedürf- nisse an Sauerstoffgas zu genügen !). Dieser Umstand wird zur hauptsächlichsten, obwohl nicht zur einzigen Ursache des Gefühls von Leichtigkeit und Wohlbehagen, welches innerhalb der mässigen Höhenwechsel fast alle Organi- sationen empfinden. (Schluss folgt.) 1) Hier wäre ein Nachweis durch den Spirometer wohl zu erlangen, aber auch zu verlangen. Miscelle. Das Lungengewebe zeigt beim Keuchhusten nach Hewitt den Zustand der Atelectasis, ohne Exsudation, also deutlich unterschieden von jedem Grad der Hepatisation. Damit verbunden finden sich jedoch bisweilen an der Ober- fläche kleine Blasen, die einen mit Luft gemischten Eiter enthalten, unter sich verschmolzene katarrhalisch entzündete Luftzellen, ohne Erweiterung der Bronchialverästelung. Ueb- rigens fand sich häufig die Bronchialschleimhaut katarrhalisch entzündet. Hat sich die Atelectasis, welche Folge verhinder- ten Luftzutritts ist, sehr ausgebreitet, so droht der Tod durch mangelhafte Oxydation des Blutes. (Hewitt on hooping cough.) Bibliographische Neuigkeiten. W. — E. Rektorzik, Ueber d. Vorkommen einer den s. Sg. pacchionischen Drüsen analogen Bindegewebsformation an d. allg. Scheidenhaut des Hodens und Samenstrangs. 8. Comm. b. Gerold’s Sohn in Wien. 4 Sgr. ’ Y F. Unger, Botanische Streifzüge auf d. Gebiete der Cultur- geschichte. 1. Nahrungspflanzen der Menschen. 8. Comm. b. Gerold’s Sohn in Wien. %, Thlr. ©. F. W. Dieterici, Ueb. d. Verhältniss d. neu geschlossenen Ehen zu der Anzahl d. gleichzeitig Lebenden. 4. Comm. b. Dümmler’s Verl. in Berlin. 24 Sgr. , J. Kauss, Beiträge zur näheren Kenntniss d. urweltlichen 4 N 3 Heft. 4. Leske in Darmstadt. 5 Thlr. BI. — Willemin, De l’emploi des eaux de Vichy dans les affections chroniques de l’uterus. 8. 248 p. Paris, Ger- mer Bailliere. Archiv f. d. holländischen Beiträge zur Natur- und Heilkunde. Herausgeg. von F. €. Donders und W. Berlin. Bd. 1. Heft 1 und 2. 8. Utrecht, Kemink und Zoon. 1 Fr.65 c. Szymamowski, Der Gypsverband mit besonderer Berücksich- tigung d. Militärchirurgie. 8. St. Petersburg. Hartmann in Leipzig. 11% Thlr. Der Volksarzt. Populäre Zeitschr. f. Heil-, Natur- und Menschenkunde von A. F. Dittmann. 1.Bd. 1. Heft. 8. Schleswig. Mentzel in Altona. Vierteljährl. 24 Sgr. Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena. Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. EEE. Band N 23. Naturkunde. H. Frey und H. Lebert, Die Krankheit der Seidenraupe im Mailändischen. — Mliscelle. Bayar- ger, Auffallende physische und intellectuelle Entwickelungshemmung. — Heilkunde. )J. A. Hönnicke, Die Wirk- ung der Molken und des Alpenklima’s. (Schluss.) — Sicheres Erkennungsmittel der simulirten Kurzsichtigkeit. — Bibliographie. Naturkunde. Die Krankheit der Seidenraupe im Mailän- dischen. Von H. Frey und H. Lebert (Zürich) *). Da wir nur nach aus der Lombardei übersendeten Materialien unsere Untersuchungen angestellt haben, konn- ten wir natürlich weniger die bei den lebenden Insekten eintretenden krankhaften Erscheinungen beobachten, als eine Reihe anatomischer und mikroskopischer Forschun- gen vornehmen, um uns von dem Wesen und der Ver- breitungsart dieser fürchterlichen Seuche, welche bereits der Seidenzucht in verschiedenen Ländern sehr gefährlich geworden ist, einigermaassen eine Vorstellung zu ma- chen. Wir haben eine Reihe mehr äusserlicher Veränderun- gen einerseits, sowie aber auch andererseits tiefere inner- liche Modifikationen und Fremdbildungen in der Säfte- masse und in den Organen gesehen. Wir fangen mit der uns bis jetzt am wesentlichsten erscheinenden an. Am konstantesten findet man eine zahllose Menge kleiner einzelliger pflanzlicher Elemente im Innern die- ser Thiere, sowie auch auf verschiedenen Punkten ihrer Oberfläche. Diese kleinen Körper bieten stets folgende Charak- tere dar: ihre Form ist oval, im Mittleren etwa zweimal so lang als .breit, die Endtheile sind vollkommen abge- rundet. verhältnissmässig etwas breit, also nicht eine feine ab- gränzende Linie, sondern ein auf eine gewisse Dicke hin- deutender schwarzer Rand, welcher ungefähr ein Viertel *) Vierteljahrsschrift d. naturforsch. Gesellsch. in Zürich. 1.4. Zürich, Höhr, 1856. Die Konturen sind sehr deutlich, scharf und der ganzen Breite dieser Körper einzunehmen scheint. Ihre Grösse ist in der Raupe, sowie in der Puppe und dem ausgewachsenen Schmetterlinge eine ziemlich gleichmäs- sige. Nach unseren wiederholt angestellten Messungen beträgt die Länge im Mittleren 0,004 Mm. bis 0,005 Mm., ausnahmsweise 0,006 Mm.; die Breite hat ziem- lich regelmässig 0,0025 Mm., im Minimum 0,002 Mm. und erreicht aber nur ausnahmsweise 0,003 Mm. Befin- det sich die Flüssigkeit, in welcher man diese Körper- chen beobachtet, im Zustande der Ruhe, oder fehlt we- nigstens in ihr eine Strömung, so zeigen diese Körperchen nur eine drehende, oscillirende Bewegung, welche bald in der ebenen Fläche, bald in einer mehr schiefen Richt- ung stattfindet, sowie auch mitunter in der vertikalen, wo alsdann die Körperchen, statt in der Richtung ihrer Axe sich zu befinden, auf einem der Pole aufzustehen scheinen. Nie haben wir irgend eine Progressionsbeweg- ung gesehen und gleicht die beobachtete überhaupt der Molekularbewegung. Das Innere dieser Körperchen zeigt, selbst mit den stärksten Vergrösserungen (bis zur tausendfachen), bei den Insekten des Bombyx mori keine besondere innere Struktur; nur einmal haben wir einen inneren Hohlraum bemerkt. Der Inhalt ist homogen, durchsichtig, von leicht weissgelblicher Färbung und zeigt weder Flecken, noch Körnchen, noch Spuren einer Kernbildung. — Hohl- räume haben wir, ausser einmal beim Bombyx mori, fast konstant bei einem ähnlichen einzelligen, pflanzlichen Ge- bilde, welches wir in einem Käfer, Emus olens, gefun- den haben, bestimmt beobachtet, worauf wir später noch zurückkommen werden. — Ist nun aber auch der Inhalt unserer Körperchen des Bombyx mori ein gleichmässiger, so fehlt ihm doch schon auf den ersten Anblick der Fett- glanz, sowie die eigenthümliche Lichtrefraction des Fet- tes. — Wir werden gleich schen, dass auch die chemi- 23 355 schen Charaktere nicht die des Fetles, sowie auch keines- wegs die der gewöhnlichen Moleküle und Körnchen der Proteinsubstanzen sind. In chemischer Beziehung haben wir nämlich Folgen- des beobachtet: Weder das Wasser noch die verschiede- nen Medien des Thierkörpers, wie Blut, Darminhalt, Flüs- sigkeit im Innern des Auges, in den Eileitern u. s. w., modifieiren in irgend einer Art diese Körperchen. Behan- delt man sie mit Essigsäure in. den verschiedensten Con- centrationsgraden, so tritt auch nicht die geringste Ver- änderung, selbst nach stundenlanger Einwirkung auf. Concentrirte Mineralsäuren, namentlich Schwefelsäure, be- wirken tiefe Veränderungen. Zuerst erbleichen die äusse- ren Umrisse ein wenig, dann quillt das ganze Körper- chen auf und erreicht so fast eine doppelte Breite, wobei es oft eine mehr rundliche, sphäroide Form annimmt; alsdann sieht man, wie ein feines Wölkchen an einer Stelle des Umfangs, als wenn der Körper geplatzt wäre, und nun erblasst das Körperchen immer vollständiger, lässt zuerst noch einen bleichen, zarten Fleck zurück, schwindet aber allmälig ganz. Dabei geht entschieden keine wahrnehmbare Farbenveränderung vor. Behandelt man die gleichen Körperchen mit der stär- kern oder schwächern Lösung eines Alkalis, mit der von causlischem Kali oder Natron, so bleiben diesel- ben, selbst nach langer Einwirkung, durchaus unver- ändert. Alkohol und Aether verändern sie ebenfalls nicht. Lässt man Jodwasser hinzutreten, so färbt sich der In- halt bei unveränderten Konturen gelbbraun und selbst dunkelbraun, was vergleichsweise noch deutlicher bei den ähnlichen Körpern aus Emus olens zu sehen ist, welche grösser sind. Bringt man nun nach der Jodeinwirkung Schwefel- säure hinzu, so erhält man keine blaue Färbung des Randes, was überhaupt bei so kleinen Elementen nicht wohl beobachtet wird; später löst sich dann das Körper- chen auf. Fassen wir alle diese Reaktionen zusammen und bringen wir die ovoide Form der Körperchen in Anschlag, so geht daraus hervor, dass es sich nicht um fetthaltige oder albuminoide, thierische Moleküle, sondern um eine sehr kleine, einzellige Alge handle. Dieses Urtheil hat auch der in dieser Frage so sehr kompetente Pflanzen- physiolog, Professor Nägeli, bestätigt, welcher die Güte gehabt hat, diese Körperchen sehr genau zu unter- suchen. Dieser so wichtige Punkt wird noch durch zwei Thatsachen vergewissert. Unläugbar haben wir nämlich Theilung der Alge in allen möglichen Zwischenstufen vom innigen Zusammenhange bis zur vollständigen Ab- schnürung oder Trennung gesehen; einmal haben wir ein Exemplar von einer dreieckigen Gestalt mit leicht con- caven Rändern bemerkt. Ausserdem haben wir im In- nern mehrerer Exemplare des Emus olens ganz ähnliche, nur etwas grössere ovoide Körper gefunden, welche bis 356 auf 0,006— 0,007 Mm. Länge und 0,0025 — 0,004 Mm. Breite besitzend, leichter die gleichen chemischen Reak- tionen gezeigt haben und in ihrem Innern 1 bis 3 kleine, in der Richtung der Längsachse gelegene Hohlräume dar- boten, wie man sie bei einzelligen Algen nicht selten trifft. Auch diese Beobachtung hat Herr Prof. Nägeli durchaus bestätigt. Botanisch können diese Arten einst- weilen noch nicht genau bestimmt werden; hiezu sind noch weitere Studien nöthig. Wir werden später auf die Verbreitung und Mengen- verhältnisse dieser Körper zurückkommen. So viel ist also einstweilen ausgemacht, dass in der jetzt im Mai- ländischen herrschenden Krankheit der Seideninsekten eine sehr grosse Zahl ganz kleiner pflanzlicher Parasiten vor- kommen, welche durchaus von den bis jetzt bei Insekten- krankheiten bekannten verschieden sind. Nun aber kommen zwei Fragen natürlich in Anreg- ung. Die erste ist, ob diese Elemente mit der Krank- heit in innigem Zusammenhange stehen und die zweite, welches ihre Beziehung zu derselben. Vor Allem sind wir der Wahrheit schuldig, zuzu- geben, dass höchst wahrscheinlich diese Gebilde, wie- wohl in verhältnissmässig sehr geringer Menge in Exem- plaren vorkommen, welche nicht von der lombardischen Krankheit, wenigstens nicht in erheblichem Grade, befal- len sind. Diess beweist schon unser Auffinden einer ähn- lichen Pflanze im Emus olens. Andrerseits gibt Cor- nalia*) in seinem grossen Werke über den Bombyx mori an, dass im Blute der Seidenraupe kleine oscilli- rende Körnchen (granuli o corpusculi oscillanti) vorkom- men, von sphärischer oder oblonger Form. Höchst wich- tig ist indessen die Bemerkung Cornalia’s, dass die- selben im gesunden und kräftigen Seidenwurm nur in sehr geringer Zahl und wahrscheinlich zufällig auftreten, sowie dass sie eine rückgängige Metamorphose der Ge- webe andeuten und daher zahlreich in durch Krankheit oder Hunger geschwächten Raupen, sowie auch in den ihrem Lebensende nahen Schmetterlingen erscheinen. Es sind diess also wahrscheinlich die gleichen, wie die von uns beschriebenen Körperchen, welche aber bei gesunden Thieren als selten und zufällig angegeben wer- den, und von denen die für ihre Bedeutung so wichtige vegetabilisch-parasitische Natur von uns zuerst erkannt worden ist. Werfen wir nun einen Blick auf die verschiedenen Entwickelungsstufen des Bombyx mori, in denen wir diese vegetabilischen Zellen gefunden haben, so geben wir einerseits zu, dass wir sie in sehr geringer Menge in angeblich gesunden Raupen, Puppen und Schmetter- lingen gesehen haben. Da indessen alle dieselben aus Oberitalien kamen, wo die Krankheit bereits seit mehreren Jahren eine zunehmende Ausbreitung zeigt, so haben schon deshalb unsere Beobachtungen an gesunden Thieren eine *) Monografia del Bombice del Gelso. Milano 1856 p. 139. 357 geringe Bedeutung. Man müsste, um hier zu genügen- den Schlüssen zu gelangen, Thiere aus Gegenden unter- suchen, in welchen bis jelzt noch keine Spur jener Krankheit vorgekommen ist, und welche auch nicht aus den infieirten Gegenden Oberitaliens, Südfrankreichs und Spaniens als Eier bezogen worden sind. Im Innern der Eihülle haben wir diese Körperchen bisher nie finden können, trotzdem dass wir sie in den Eileitern und an der Oberfläche der Eier gesehen haben. Die andern Charaktere kranker Eier, ihre dunklere Färbung, ihre mehr concave Aushöhlung, ihr dickliche- rer Inhalt, welche man allerdings zu beobachten Gele- genheit hat, haben einen nicht grossen Werth. Bei dem Vergleiche gesunder und kranker Eier haben wir die Pigmentmenge und die sternartigen Figuren derselben sehr schwankend gefunden. Ebensowenig hat auch der gleich- mässige Druck mit dem Compressorium genügende Resul- tate geliefert. Endlich schen die unbefruchteten Eier ge- sunder und kranker Schmetterlinge einander durchaus ähnlich. In der Menge derselben im Innern der Schmet- terlinge haben wir auch keine treflenden Unterschiede finden können. Nun fehlt uns ein sehr wichtiges Mittelglied unserer Untersuchungen, nämlich sehr kleine, dem Auskriechen nahe und dann in den früheren Häutungsperioden sich befindende kranke Räupchen, sowie wir auch andrerseits bedauern, dass wir noch nicht aus ganz gesunden Ge- genden kommende Raupen u. s. w. mit den norditaliäni- schen haben vergleichen können. Die ausgewachsenen und die dem Verpuppen nahen Raupen bieten schon auf den ersten Anblick ein schwäch- liches, krankes Ansehen dar, was sich auch in allen ih- ren trägen Bewegungen, sowie in dem später öfters wei- chen und noch häufiger verhältnissmässig kleinern Cocon kund gibt, in welchem dann so manche Raupen gar nicht zur Verpuppung kommen, Die Farbe der Raupen ist eine sehr schmutzig-gelbe und zeigt die Oberfläche zahlreiche schwarze Flecke, wel- che vom Gelbbraunen bis zum Dunkelschwarzen schwan- ken. Auch sieht man stellenweise eine mehr, graubranne oder diffuse schwärzliche Färbung, während an andern Stellen die Flecken umschrieben und zahlreich sind, und zwischen der Grösse eines mikroskopischen Punktes und der einer Linie und drüber schwanken. Auch am Kopfe und an den Füssen sieht man mitunter eine diflusere schwärzliche Färbung und trifft auch wohl die Füsse zum Theil, sowie das Horn verschrumpft. Bei manchen Rau- pen wird dann auch die Grundfarbe der Haut fast ocker- gelb. Mit dem Mikroskop findet man nun viel zahlrei- reichere schwarze Flecken bis zu der Kleinheit von 0,02 Mm. und drunter, sowie man sich auch bestimmt bei sorgfältiger Untersuchung überzeugen kann, dass diese Flecken sich ebensowohl in der Chitinsubstanz selbst zer- streut finden, als auf der epidermoidalen Oberfläche. Oft findet man diese Flecken gruppenförmig, von ungleicher Grösse beisammen. Eine mehr ringförmige Anordnung 358 um einzelne Theile ist zufällig. Mit dem Mikroskop entdeckt man in den schwarzen Flecken nichts Erhebliches, nur ein feines homogenes Pigment. Ueber die Natur dieses Pig- ments haben wir vorläufig nichts herausbringen können, als dass es in Wasser, schwachen Säuren und Alkalien unlöslich ist. Ebenso ist uns der Causalnexus der Algen und dieser Pigmentirung unbekannt geblieben. Untersucht man die verschiedenen Theile der Raupe, so findet man verhältnissmässig wenig histologische Ver- änderungen, wohl aber im Darmkanal, in den Spinnge- fässen, im Blute und im Feitkörper eine zahllose Menge der kleinen vvoiden Pilanzenzellen, welche wir aber we- der in den Stigmaten noch in den Tracheen gesehen ha- ben, Das allgemeine Vorkommen der kleinen Körperchen also uud die Veränderungen in der Ernährung , sowie in der Hautfarbe mit ihren dunklen Stellen und schwarzen Flecken beurkunden ein tiefes Erkranken der Raupen, und es wird sich wahrscheinlich bei weiteren Forschungen er- geben, dass schon sehr junge Raupen krank werden. Wichtig aber ist, was wir durch alle Perioden hindurch verfolgen können, dass kein Organ speciell ergriffen zu sein scheint und besonders sich weder Zerstörungen in den Theilen, noch irgend welche krankhafte Exsudate zeigen. Einen entschiedenen Contrast bildet dieser Be- fund mit der Pilzkrankheit der Fliegen und der Muskar- dine der Seidenraupen, bei welchen die inneren Organe tiefe Veränderungen erleiden und grösstentheils zerstört werden. Betrachten wir nun die Puppen, so haben wir vorn- weg zu bemerken, dass viele ausgewachsene Raupen nicht zur Verpuppung gelangen, sowie schon die Eier ein un- genügendes Resultat liefern und von den ausgekrochenen Raupen auch nur ein Theil alle Häutungsperioden über- stehen soll. Die Cocons sind durchschnittlich kleiner. In einer höchst interessanten Sendung, welche Hr. Prof. Cor- nalia uns zu machen die Güte hatte und in welcher ein Theil gesunder und ein Theil kranker Puppen sich befanden, waren viele der erkrankten um 4 bis 4 kleiner als die gesunden; bei manchen war auch das Gespinnst weniger resistent und an Farbe scheinen uns viele etwas gelber; indessen ist auf diese äusseren Charaktere allein kein grosser Werth zu legen. Die Puppen selbst sind auch verhältnissmässig kleiner und dunkler gefärbt, be- sonders stellenweise. Die braunen Flecken , abgerechnet leichten Flüssigkeitsaustritt durch den Transport, sind theils auf die Gegend der Fühler, theils auf die der Flü- gel vertheilt. Meist dunkler ist der Theil zwischen den Flügeln vorn und auch die Rückenfläche; dass man aber auch äusserlich scheinbar ganz normale Cocons und Pup- pen finde, ist nicht zu bezweifeln, Was nun ihren Bau betrifft, so sind auch alle Theile von uns sorgfältig durchmustert worden und zeigten sich ebenfalls keine bestimmten Organveränderungen, sondern auch überall eine sehr grosse Menge der kleinen Vege- tabilien und diese sogar auch bei fast reifen Puppen an 23 * 359 der Oberfläche der schon vollständig ausgebildeten Flügel und auf der Innenseite der Puppenhülle, so dass nicht daran zu zweifeln ist, dass beim Auskriechen eine ge- wisse Menge derselben an der Oberfläche des Körpers sitzen bleiben, auf welcher wir sie denn auch aufge- trocknet in leicht bröcklicher, feinkörniger Masse wirklich gefunden haben. Wir kommen nun an die Beschreibung der Krank- heit des Schmetterlings und hier berufen wir uns vor Allem auf die vortreffliche Beschreibung Cornalia’s*), welcher das Uebel als ‚idropisia della farfalla“ bezeich- net. Er unterscheidet drei Stadien; in einem ersten wird der Leib des Insekts sehr gross; es ist schwach, begat- tet sich noch und das Weibchen liefert eine mehr oder weniger gute Brut; im zweiten Stadium begattet sich das Weibchen, aber gibt keine Brut; im dritten findet die Begattung gar nicht mehr statt. Das Weibchen scheint namentlich oft krank zu sein. Der Schmetterling kriecht nur schwer aus. Der Leib ist bei seinem grossen Um- fange in den Ringen besonders aufgetrieben, was wir je- doch auf die Krüppelhaftigkeit des Insekts schieben. Blut oder Ernährungsflüssigkeit sind in grosser Menge vor- handen. Die Flügel entwickeln sich nur höchst unvoll- kommen; man sieht auf ihnen variköse Anschwellungen der Adern, aus denen man leicht Blut ausdrücken kann; dieses trocknet und hinterlässt dunklere Flecke. Das Blut ist reich an vibrirenden Körpern und wird oft beim Eintrocknen dunkler. Das Männchen allein hat noch ei- nige Lebhaftigkeit, das Weibchen gestattet aber die Co- pulation gewöhnlich nicht mehr. Legt das Weibchen noch Eier, so geschieht diess langsam und in geringer Zahl. An diesen Auszug der Cornalia’schen Beobacht- ungen knüpfen wir unsere eigenen, wobei wir dem Hrn. Professor Cornalia, den Herren Bertschinger in Mailand und Martin Bodmer in Zürich unsern wärm- sten Dank für die Güte ausdrücken, mit welcher sie un- sere Studien unterstützt haben und uns noch in später Jahreszeit Eier, lebende Raupen, Puppen und Schmetter- linge zu verschaffen im Stande waren. Auf der äusseren Oberfläche haben wir allerdings auch die rostfarbenen und schwarzen Flecke gefunden und um sie herum viele der kleinen Körperchen, welche stel- lenweise die Schuppen bedeckten; auch die varikösen Er- weiterungen an den Flügelrippen haben wir gesehen, so- wie zuweilen die mehr weissgraue Grundfarbe der meist verkrüppelten, sehr dickleibigen und schwerfälligen Insek- ten. Stachen wir den Leib eines Insekts an, so quoll gewöhnlich eine grosse Menge dunkler gelbbrauner, leicht trüber Flüssigkeit aus, welche neutral reagirte und so- wohl dunkler als auch trüber war, als das normale Blut des Schmetterlings. Ausserordentlich arm zeigte sie sich an Blutzellen, während sie grosse Mengen der kleinen *) Op. eit. p. 361. 360 einzelligen Pflanzen enthielt; krystalloide Bestandtheile fanden wir in demselben nicht. Eine tiefe Veränderung des Blutes ist also unläugbar. Es wurden nun alle Organe des Schmetterlings an einer Reihe von Exemplaren untersucht und überall fan- den wir die gleichen Körperchen in zahlloser Menge. Verhältnissmässig am meisten zeigten sie sich im Fett- körper, dessen Fettmoleküle oft zum grössten Theile ver- schwunden waren; ferner in den Malpighischen Gefässen, viele im Magen und Darmkanal, im Innern des Auges zwischen den Krystallkegeln, im Innern quergestreifter Muskeln der Beine, aber keine in den Stigmaten und im Hohlraum der Tracheen, während zwischen der äusseren Haut und dem Spiralfaden dieser Röhren sie mehrfach beobachtet wurden. Ueberhaupt fiel uns ihr Vorkommen in den scheinbar bestgeschlossenen Räumen auf. In den Eileitern fanden wir stets auch eine verhältnissmässig grosse Menge, so dass gewiss viele an den Eiern kleben bleiben. In den Hoden haben wir diese Körperchen in ziemlich grosser Menge in den Zwischenräumen der Sper- matophoren, im Innern dieser aber durchaus nicht ge- sehen. Auf der andern Seite fanden sich sonst in den Organen und Geweben des Schmetterlings keine tiefen organischen Veränderungen und namentlich fehlten die Produkte einer eigentlichen pathologischen Ausschwitzung. Die folgende Tabelle gibt über die Menge einen gu- ten Ueberblick. Die einfachen Querstriche bedeuten, dass die betreffenden Organe nicht untersucht worden sind. Ein Blick auf die Tafel zeigt übrigens die höchst un- gleichmässige Vertheilung der Körperchen in den verschie- densten Organen, wobei die grössere Massenhaftigkeit im Blute durchaus nicht vorherrscht. Suchen wir uns nun über die Natur der Krankheit nach den bisherigen Ergebnissen einen Begriff zu bilden, so müssen wir vor allen Dingen das Unzureichende und Lückenhafte unserer Kenntnisse mit wahrem Bedauern zu- gestehen. So viel aber ergibt sich, dass die Krankheit durch alle Metamorphosen, von der Raupe an hindurch- geht, dass wenige Organ- und Gewebsveränderungen, und diese überhaupt von unerheblicher Natur, bestehen, dass hingegen das Blut in seinen physikalischen und mi- kroskopischen Charakteren sich verändert zeigt, und dass in allen Geweben und Organen eine grosse Menge kleiner, einzelliger Pflänzchen (Algen) sich vorfinden. ‘Wo aber bilden diese sich und welchen Antheil haben sie an der Krankheit ? Hier sehen wir vor Allem, dass nicht das Blut, sondern alle Gewebe, selbst die abgeschlossensten, die Alge enthalten. Wenn auch die zum Theil von Blutex- travasaten herrührenden Flecken die Erklärung erlauben, dass die in ihrer Umgebung befindlichen Pflänzchen mit dem Blute ausgetreten sind, so wäre diess um so schwe- rer für den Fettkörper, das Innere des Auges, der Mus- keln u. s. w. zu beweisen, als in diesen die gelbliche Färbung gefehlt hat, welche das dunkelgefärbte Blut wahrscheinlich durch Imbibition hätte erzeugen müssen, 362 361 auıay “Zur ua1ogdogeu alaıa 1[193 [ala ayas 0 e ce dis Sıssem laperaıyas) uesıeds 0 _ ayara Srrdın R nayun “17 -SBUI U3PO Lit -ueay SIssem "IITA = 0 ajata ajaıa sojjyuz sopyez Jjoupzun| — En afara ne sprang ajaıa duo aujozura sofyez sorgez ajaıa aduo | "Pueitem uoa Aug uap ne aJata 0 pt adısseuu Er IM m = Pr adıssew | -PWINDg 1SJurıy "JA 4 en 0 ajpTa afplaA Jaufazue af Imoraaggez| — sop[gez afata en ne usddnyag -uagngp uop uajdnjgossny A a uaypsımz anu Zıssew Sıssew See Jıssew Zsseu | — qraıgez |aufazurs puaurapsur ‘ yueay uop jue afaıa 0 1 4gdıu “[lassng “enpeg ; uoA addng au "AI ujzura sopjyez u1a} ‘pue[ _ 3qana9) ur anu — _ —_ soj[gez sogez | soyyez | -unwı “Sıuom | apıa | -tepy ‘A adney assoıd 0 afay,L unogo un “ayueıy our III 2 ‘pugjlepy uoA addny 0 *, = 0 0 0 S7 0 0 apunsad auy I "NueIN Jyolu IsU0S Joge ‘ *; 0 0 as = aufozupo 0 h aufozura ydunıysıaa senp aWaepyDLg wuL 0 “pugjepy sne odney auasypeAIa Aug °T ee ee A EA ER RE A | RE er | "ZULNaUDS mad 13po addng “adney ung "oany asseyar) “sad | -uasnıp ‘eıedde ne "uaoyouly, ualfenuag a9p wneapjo aysıyaıde |-1o1ya | -uurds | -sSunnepaoA 363 wenn diese Theile, statt vom Blutstrome einfach umspült zu sein, in irgend einer Art eine parenchymatöse Ge- websdurchtränkung von demselben erlitten hätten. Somit kämen wir also einer spontanen Entwickelung in vielen Theilen zugleich nahe, ohne dieselbe jedoch als nachge- wiesen anzunehmen. Erzeugt nun eine Veränderung des Insektenkörpers die reichliche Bildung jener Körperchen, oder findet das umgekehrte Verhältniss statt? Auch hier halten wir mit unserem Urtheile noch zurück, bemerken jedoch, dass das Fehlen selbst mit dem Mikroskop wahrnehmbarer Gewebs- veränderungen der Thiere in den verschiedenen Metamor- phosen es eher wahrscheinlich mache, dass die reichliche Bildung jener pflanzlichen Körperchen, welche wohl in kleiner Menge unschädlich sein möchten, allmählig und wahrscheinlich durch mehrere Generationen hindurch die Insekten immer kranker und zuletzt zeugungsunfähig macht, wofür auch die mehrjährige Dauer der Krank- heit, bevor sie zu vollkommener Entwickelung kommt, spricht. Fragen wir uns nun endlich, wie die Alge auf die Verbreitung des Uebels wirke, so möchten wir auch mit der Erklärung der Art der Ansteckung vorsichtig sein. In der Menge vieler Milliarden existirend, nicht bloss aus dem Leibe sich zersetzender Insekten, sondern auch aus den Exkretionen lebender in grosser Menge in die Luft gelangend, in welcher sie vermöge ihrer Kleinheit schwebend erhalten werden, könnten sie allerdings den Keim der Krankheit weiter verbreiten — und zwar auf eine doppelte Art, einmal sich später durch Theilung und Sprossung weiter entwickelnd, sowie sie auch anderer- seits, aus den inficirten Körpern kommend, als Träger 364 eines an ihnen haftenden Krankheitsstoffes von Neuem in- fieirend wirken könnten. Indessen dürfte doch auch die- ser kleine vegetabilische Organismus nach unserer Beob- achlung in von Aussen abgeschlossenen Räumen entste- hen können. So wäre denn auch diese so unendlich wichtige Frage nur erst diskussionsfähig gemacht, aber von einer definitiven Lösung weit entfernt. Von gröss- ter Bedeutung wäre aber hier vor Allem eine Reihe von Untersuchungen der frühesten Stadien, vom befruchteten Eie bis zur weiter entwickelten Raupe, durch die ersten Altersperioden hindurch. Wir haben übrigens alle An- stalten getroffen, um diese Studien später möglichst voll- ständig machen zu können. Dass übrigens, wie für ähn- liche Erkrankungen der Thiere und Pflanzen, auch hier allgemeinere klimatische Ursachen und Perturbationen mit im Spiele seien und der Parasitismus eben nur ein Ele- ment der Krankheit ausmacht, ist wahrscheinlich. Miscelle. Auffallende physische und inltellectuelle Ent- wickelungshemmung. Hr. Bayarger hat vor Kur- zem der pariser Academie ein zwanzigjähriges Mädchen vor- geführt, dem man in jeder Beziehung höchstens ein Alter von zwei Jahren zuschreiben konnte. Die Grösse ist 80 Cen- timeter (21%, Fuss). Erst im 17. Jahre fing sie an etwas zu lallen und selbst jetzt vermag sie nur die letzten Sylben vor- gesprochener Worte zu wiederholen; erst mit 3%, J. machte sie einige wenige Schritte und selbst jetzt ist sie erst mit der ersten Zahnung zu Ende, Ein Pubertätszeichen ist nicht vor- handen. Sie leidet an einem Nabelbruch; der Nabel steht dem Schaambogen sehr nahe. Es beginnt eine leichte Rück- gralsverkrümmung. (L’Institut. 1229.) Heilkunde. Die Wirkung der Molken und des Alpen- klima’s. Von Dr. Hönnicke. (Schluss.) Wie nun der kranke Organismus mehr als der ge- sunde geeignet ist, den Einfluss gewisser Reize in seinen eigenen Zuständen abzuspiegeln, so thut sich diess auch in Beziehung auf das Alpenleben kund. Brustkranke, de- nen der stärkere atmosphärische Druck ein Gefühl von Beklommenheit und des Drucks erregt, verlieren es auf diesen Höhen; sie glauben tiefer und leichter einzuath- men und die Absonderungen der aufgelockerten oder ve- nös überfüllten Respirationsschleimhaut vermindern sich, wie auch Krämer angibt, oft schon in den ersten Ta- gen eines Gebirgsaufenthalts bedeutend. Derselbe erwähnt einige Fälle, wo sogleich nach dem ersten Tage des Aufenthalts Monate lang bestehende Nachtschweisse auf- hörten, und einer Kranken, bei welcher, nachdem sie fast zwei Jahre lang bei grosser allgemeiner Schwäche, an profuser Menstruation und Neigung zur Abzehrung einen dicken, molkenartigen Urin abgesondert hatte, schon am 4. Tage des Aufenthalts in Kreuth, wo sie kaum die Molkenkur begonnen hatte, der Urin regelmässig wurde und es später blieb. Dr. Eble, welcher die Einflüsse dieser alpinischen Veränderungen läugnet, erfuhr doch ihr Vermögen auf eine Weise, die dasselbe in nicht ge- ringem Grade bestätigt. Da er nämlich, an erhöhter Venosität leidend, die sich in unvollkommen hämorrhoi- dalischen Bewegungen und einer für jene mit genauem Typus vicariirenden Hämoptöe aussprach, Gastein ver- schiedene Male gebrauchte, entstand das eine Mal der so lange vergebens erstrebte Hämorrhoidalfluss nach dem dritten Bade — ein anderes Mal aber enileerten sich die stockenden Gefässe der Respirationsschleimhaut mit dem- selben Augenblicke, wo der Patient in die höheren Re- gionen von Gastein eintrat, und auf einen mehrstündigen Bluthusten folgte eine dauernde Befreiung des Lungenge- 365 “webes von diesen Blutüberfüllungen. Junod hat mit Compressionspumpen an einzelnen organischen Theilen Versuche angestellt, welche gleichfalls beweisen, wie ein verminderter Luftdruck das peripherische Leben steigere, ein erhöhter dagegen die Centralorgane überfülle. So erklären sich auch die Wahrnehmungen über ge- wisse Nachtheile, welche den Aufenthalt auf den Höhen begleiten. Krämer drückt sich ganz richtig so aus, dass manche Brustkranke in den ersten Tagen ihrer An- wesenheit zu Kreuth eine Art von Beschwerde im Ath- men spürlen, dass es ihnen sei, als ob sie nicht genug Athem bekämen. So ist es in der That, und es kann dieser Zustand zu Blutungen und erethischen Entzündun- gen des Lungengewebes Veranlassung geben; aber er enthält zugleich eins der wichtigsten Heilmomente bei noch nieht zu weit vorgeschrittener Tuberculosis der Lun- gen. Denn wie der in das Parenchym abgelagerte Tu- berkelstoff die Lungenzellen zusammendrückt, und die der Luft zugängliche innere Oberfläche einengt und beschränkt, so ist es auch eine für die Heilung solcher Kranken höchst beachtenswerthe Erfahrung, dass eine gelinde und angemessene Steigerung der Respirationsbewegungen, wel- che ein tieferes Einalhmen bedingt, nicht allein die Ela- stieiläb und Ausdehnbarkeit der Zellen gegen die compri- mirende Tendenz der Aftergebilde zu sichern, sondern selbst die fernere Ablagerung von Tuberkelstoff, bei sonst angemessener Behandlung wohl ganz und gar zu verhin- dern im Stande ist, ein Umstand, worauf der ganze Werth der in jüngster Zeit so prahlerisch angekündigten Ramadge’schen Methode zur Behandlung der Phthisis be- ruht. Wird nun bei der Dünnheit der Luft das Bedürf- niss der Aufnahme, die Respirationsbewegung stärker und sind die Zellen noch der entsprechenden Erweiterung fä- hig, so verschwinden nicht allein die Zufälle der Be- klemmung und Beängstigung, sondern es tritt auch an ihre Stelle ein höher entwickelter, kräftigerer Athemzug, welcher die Tendenz des Tuberkels zum Vorrücken (ab- gesehen von den dynamischen und Mischungsveränderun- gen) selbst mechanisch gerade so verringert, wie sich die Lippen dem Vortreiben der Zähne durch die Zunge entgegenstellen, oder wie wir überhaupt die Fortbildung einer Geschwulst, selbst eines Aftergewebes, welches nicht seirrhös ist, durch mechanischen Druck beschrän- ken. Ist dagegen die Ausbreitung der Tuberculosis so bedeutend, dass eine Erweiterung der Athmungsfläche nicht wohl möglich ist, vielmehr die nöthige Blutverän- derung nur durch die Beschleunigung des Ein- und Aus- athmens erreicht werden kann, so machen die wohlthäti- gen Einflüsse des physikalischen Moments anderen, nach- theiligen Platz und die Lebenskraft reibt sich am Locus affectus nur um so rascher auf. Daher gibt es hier die feinsten Gränzen, welche der vorsichtige Praktiker zu beobachten, zum Theil wohl durch das Stethoskop und durch Versuche über die noch obwaltende Athmungsfähig- keit zu prüfen, besonders aber an Ort und Stelle den 366 Umständen gemäss zu reguliren hat. Wird z. B. die bereits so sehr verdünnte Luft noch durch hohe Wärme- grade ausgedehnt, ist sie zugleich (wie dies auf höhe- ren Bergen so häufig der Fall ist) sehr trocken, so be- sitzt der Arzt kaum ein anderes Mittel, um die hieraus entstehenden lästigen und nachtheiligen Empfindungen zu beschränken, als die Verhinderung jener stärkeren Ge- fässaufregung durch möglichste Ruhe, sparsame und küh- lende Diät und ein mässiges, öfters wiederholtes Einath- men von lauen Wasserdämpfen. Unter solchem Verhal- ten kann dann das fortdauernde Bedürfniss tieferer Ein- athmungen allmälig doch eine kräftigere Innervation in den organischen Bewegungen der Respirationsmuskeln und eine Erweiterung der Lungenzellchen erzeugen, welche wiederum höhere Grade der Entkohlung des Blutes, so- mit Verbesserung der allgemeinen Ernährungsfllüssigkeit und des Gesammtbefindens und Aussicht auf längere Er- haltung, ja wohl im einzelnen Falle auf Heilung des Kranken aus solchen Verhältnissen unmittelbar herlei- ten lässt. Aus dem Gesagten erhellet hinreichend, wie nun auch Kranke, welche im Wesentlichen an venösen Ueberfüllun- gen der Unterleibsorgane leiden, an diesen Vortheilen und an gesteigertem Respirationsleben Theil nehmen. Denn theils pflanzt sich, wie bemerkt, die Erregung des Vagus auf den Digestionsapparat und die Muskel- und Schleim- haut des Magens fort, theils werden, durch eine kräfti- gere Zuleitung des Blutes nach den Lungen, die Unter- leibsorgane ihres Uebermaasses entlastet, die Beweglich- keit in den Gefässen vermag sich herzustellen, es können Entleerungen Statt finden, wo früher nur Stockungen ob- walteten, und so kann schon aus diesem Einflusse allein eine Reihe von Heilungen hervorgehen. Fügt man hierzu noch die schon im Früheren be- sprochene stärkere Anregung der unmerklichen Exhalation, die Einströmung des Blutes in die Hautoberfläche, worauf z. B. der Nachlass atonischer, aus Mangel an Wech- selwirkung zwischen Blut und Substanz herrührender Schweisse beruht, und alle diejenigen Befreiungen des Lebens, welche auf solche Weise herbeigeführt werden können, so vereinigt man hierin alle Momente, die, als Heilwirkungen alpinischer Gegenden betrachtet, aus der Verminderung des Luftdrucks hervorgehen.‘ Sicheres Erkennungsmittel der simulirten Kurzsichtigkeit. Die Kurzsichtigkeit gehört zu den nicht seltenen si- mulirten Gebrechen Behufs der Befreiung vom Militär- stande, und man hatte ausser einer längeren Beobachtung kein sicheres Mittel, sich von der Wirklichkeit dieses phy- sischen Gebrechens zu überzeugen. Der gewöhnliche Pro- birstein bei Militärcommissionen ist der Versuch mit ei- 367 ner scharfen Brille und einem nahe an das Auge gehal- tenen Buche. Sieht der Betreffende durch diese Brille deutlich, so gilt er als kurzsichtig. Allein dieser Schluss ist nicht immer richtig, denn es kann Jemand durch ein stark concaves Glas in mässiger Nähe deutlich sehen und in einem nahe vor das Auge gehaltenen Bu- che lesen, ohne wirklich kurzsichtig zu sein, weil ein sehr scharfes, in der Nähe und Ferne gut sehendes Auge von selbst auf kurze Zeit eine so starke Accomodation für die Nähe zu Stande zu bringen vermag, dass es in der nächsten Nähe lesen und durch eine scharfe Brille sehen kann; eine Accomodation, welche militärpflichtige Personen durch wochenlange Uebungen vor dem Unter- suchungstermine nicht selten zur grossen Virtuosität zu bringen vermögen, so dass sie anstandslos durch scharfe Brillen sehen und in einem dicht vor die Augen gehalte- nen Buche lesen. Beweist daher Jemand, dass er in der nächsten Nähe noch lesen und durch eine scharfe Brille selbst auf geringe Distanzen einen Gegenstand deutlich erkennen kann, so ist damit nicht Kurzsichtigkeit, sondern nur grosse Accomodationsfähigkeit für die Nähe nachgewiesen. Kurzsichtig ist hingegen dasjenige Auge, welches sich nicht für die Ferne accomodiren kann. Dieses Unvermögen kann aber nur mittelst des Augen- spiegels mit objectiver Gewissheit ausgemittelt werden. Wenn man ein Auge mittelst des Augenspiegels betrachtet, und es ist für die Nähe accomodirt, so fal- len die eingeworfenen Lichtstrahlen vor der Retina zu- sammen, man sieht den Augenhintergrund zwar roth schimmern, aber nicht in seinen Einzelnheiten deutlich und nicht bis zu seinem höchsten glänzenden rasch er- leuchtet; das Bild bleibt ein etwas trübes und verschwom- menes, die Papilla nervi optici, wie die Centralgefässe der Markhaut, sind nicht sichtbar. Lässt man aber das beobachtete Auge einen fernen Gegenstand fixiren, so treffen die Lichtstrahlen auf der Retina zusammen, be- leuchten sie glänzend und hell und lassen die Eintritts- stelle des Sehnerven als weisse Scheibe, die Arteria cen- 368 tralis retinae als dunkler scharf conturirte Aeste und Zweige der hellrothen Fläche erscheinen. Wo also das Auge bei der Untersuchung mit dem Augenspiegel an und für sich trübe und undeutlich ist, bei Betrachtung mit concaven Gläsern aber hell wird, da ist jedwelcher Zweifel beseitigt, dass Mangel an Accomodationsfähig- keit für die Ferne und somit Kurzsichtigkeit vor- handen ist. Zu dieser wichtigen und einfachen Beweisführung ist es aber unumgänglich nothwendig, dass der superarbitri- rende Arzt im Besitze eines zweckmässig construirten In- strumentes sich befinde und im Gebrauche desselben ge- übt sei, und in dieser Beziehung verdient der von Dr. Heyfelder zu Erlangen *) construirte möglichst einfache und zweckmässige die vollste Anerkennung. Ein kleiner Hohlspiegel von der Grösse eines Gulden befindet sich beweglich auf einem schwarzen Holzstiele. In seiner Mitte ist der Beleg in Form eines kleinen con- centrischen Kreises von 2’ Durchmesser entfernt, das Glas selbst aber nicht durchbrochen, die concaven und convexen Linsen, durch welche das beobachtete Auge be- trachtet werden soll, sind in einen beweglichen schwar- zen Ring einfassbar und können entweder auf einem zwei- ten Holzgriff aufgesetzt und in der freien Hand gehal- ten, oder besser durch einen kleinen Querast von Mes- sing am Hohlspiegel selbst und zwar in einer Distanz von 4— 2’ vor oder hinter denselben angebracht wer- den. Im letzteren Falle kann man das ganze Instrument mit einer Hand halten und anwenden und hat die zweite frei, um den Kopf des Kranken zu bewegen oder zu fixiren, ihm Gegenstände vorzuhalten, die er fixiren soll u.s.w. Im Uebrigen ist die Anwendung wie bei den andern Instrumenten. (Oesterr. Zeitschr. f. prakt. Heilk, III. Jahrgg. No. 37.) *) Deutsche Zeitschrift für die Staatsarzneikunde. Folge. 6. Bd. 1.H. S. 127. Neue Bibliographische Neuigkeiten. NW. — J. Müller, Ueber neue Echinodermen d. eifeler Kalkes. 4. Comm. b. Dümmler’s Verl. in Berliu. 1 Thlr. G. Hartlaub, System d. Ornithologie Westafrika’s. 8. Schüne- mann in Bremen. 2 Thlr. J. F. Schedler, Der Mensch nach s. Bau u. s. Verrichtungen. 8. Lig. 8. Hollstein in Berlin. Ys Thlr. @. Jägel, Das Os humero-scapulare der Vögel. Vergleichend anatomisch untersucht. 8. Comm. bei Gerold’s Sohn in Wien. 2 Thlr. 0. Schmidt, Zur Kenntniss der Turbellaria rhebdocoela und einiger anderer Würmer des Mittelmeeres. 2. Beitr. 8. Comm. b. Gerold’s Sohn in Wien. 16 Sgr. MH. — 6. C. Wittstein, Anleitung zur Darstellung und Prüf- ung pharmaceutischer und chemischer Präparate. 3. Aufl. 8. Palm’s Hofbuchh. in München. 4 Thlr. F. W. Beneke, Mittheilungen und Vorschläge betr. die An- bahnung einer wissenschaftl. Morbilitäts- und Mortalitäts- Statistik für Deutschland. 8. Schmidt in Oldenburg. 24Sgr. F. W. Böcker, Lehrb. d. gerichtl. Medicin mit Berücksichtig- ung d. gesammten deutschen und rhein. Gesetzgebung. 2. Aufl. 8. Bädeker in Iserlohn. 21/, Thlr. F. W. Böcker, Die Vergiftungen in forensischer und klini- scher Beziehung. 8. Bädeker in Iserlohn. 1 Thlr. Drei Briefe über den Werth d. Hausmittel von einem prakt. Arzte. 8. Vincent’s Buchh. in Prenzlau. 1! Thlr. Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena. Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. JEE. Band N: 24. Naturkunde. H. W. Hertzer, Witterungszeichen am Brocken. — Spöndli, Einfluss der Mütter auf die Schädeldurchmesser des Kindes. — der Rana Esculenta. — Heilkunde. Miscelle. H. Schiess, Specielle Neurologie Miscelle. Piorry, Zucker bei Zuckerharnruhr. — Bibliographie. Naturkunde. Witterungszeichen am Brocken. Von H. W. Hertzer (Wernigerode) *). Der Vf. der kleinen Gelegenheitsschrift, welche unten angezeigt ist, hat mit Benutzung ziemlich umfangreicher Rei- hen meteorologischer Aufzeichnungen lokale Wetterregeln zusammenzustellen gesucht. Diess ist bei allem Eifer, mit welchem jetzt Meteorologie überhaupt bearbeitet wird, bis jetzt noch wenig geschehen und doch scheinen auch solche lokale Anwendungen ihren eigenen Werth zu ha- ben, wir geben einen Theil der Bemerkungen über den Brocken als Wetterprophet. „Die bis in die ersten Nachmittagsstunden zuneh- mende und diesen Stunden die höchste Temperatur ver- leihende Wirkung der Insolation, so wie der damit ver- bundene aufsteigende Strom erwärmter Luft bilden offen- bar die Ursache, wesshalb der Brockengipfel am häufig- sten in der Zeit von 11 Uhr bis 4 Uhr (im Winter von | BES Naturwissenschaftl. Beiträge z. Kenntniss des Harzgebirges von H. W. Hertzer. 4. Mit 1 Ansicht. 44 S. Wernigerode, Angerstein. Monat I 142 bis 3 Uhr) Nachmittags ganz ohne Wolken gesehen wird. Und da eben diese Ursachen auch auf den Abend ihren Einfluss immer noch stärker äussern, als auf den Morgen, der vielmehr von der nächtlichen Ausstrahlung in entgegengesetztem Sinne beherrscht wird, so kann es nicht anders sein, als dass der Berg auch am Abend weit seltener als am Morgen bedeckt erscheint. Die Er- fahrung lehrt, dass dies sowohl für die jährliche Pe- riode, als auch für jede Jahreszeit, und selbst für mo- natliche Abschnitte gilt. Nur der November scheint in- sofern eine Ausnahme zu machen, als in diesem Monat der Brocken Abends etwas seltener, als Morgens, frei zu sein pflegt; wir werden jedoch später sehen, dass diese Ausnahme nur eine Bestätigung der Regel enthält. Die Tage, an welchen der Brocken irgend einmal von Wolken bedeckt war, sind solche, die wir in der Ebene Nebeltage nennen. Zur Vergleichung der Ebene mit dem Brocken will ich die Zahl der Tage, an wel- chen der Berg sich irgend einmal in den Wolken befand, und die Zahl der Nebeltage in Wernigerode für denselben vierjährigen (im Winter dreijährigen) Zeitraum nach den Durchschnitten zusammenstellen. TE NE DER VI IE RE RT | Xu Brocken 27,00 | 25,07 | 23,25 | 21,00 | 19,00 | 23,50 | 17,00 | 22,75 | 18,25 | 25,50 | 26,00 | 26,33 Wernigerode 6,33 | 5,66 | 4,50 | 4,50 | 4.25 | 5,00. | 1,25 | 3,50. |. 5,25 | 3,50 | 1,25 | 4,50 Frühling | Sommer | Herbst | Winter | Jahr Brocken 63,25 63.25 69,75 | 79,00 Br Wernigerode 13,50 9,75 20,00 16,50 59,75 Differenz 49,75 | 53,50 | 49,75 | 62,50 | 215,50 Das sind die 215 Nebeltage, welche in Schröder's Akhandlung vom Brocken so viel Grausen verbreiten. Uebrigens hat nach obiger Tafel der Fuss des Gebirgs die meisten Nebel im Herbst, besonders im November, 24 371 der Brocken dagegen die meisten im Winter, beson- ders im Januar. Wegen der Differenzen muss ich be- merken, dass für Wernigerode nur solche Tage |als Nebeltage gerechnet sind, wo die Stadt, wenn auch nur kürzere Zeit, in wirklichen, dichten Nebel eingehüllt war, nicht aber auch jene, an welchen sich (meist bei nörd- lichem oder östlichem Winde) nur hier und da ein leich- ter, trockner Nebel in der Ebene umhertrieb, bei dem vielleicht auch viel Sonnenschein herrschte und selbst der Brocken bis zur Spitze sichtbar war; und ebensowenig solche Tage, wo der Nebel, wenn auch der Stadt nahe kommend, sich doch entschieden auf das Gebirge be- schränkte. In München sollen jährlich 47,1, auf dem St. Gotthard 270,5 Nebeltage vorkommen; wenn aber der Brocken es dem St. Gotthard gleich zu thun scheint, so ist erst noch zu fragen, wie bei letzterem die Nebel- tage gemeint sind. Um nun meine Untersuchung über das Verhalten des Brockens zu den Wolken in Beziehung zu der Frage zu bringen, ob dieser Berg ein Wetterprophet sei, muss ich namentlich auf folgende Punkte hinweisen. Es hat sich gefunden, dass durch das ganze Jahr hindurch der Brocken Abends weit häufiger frei ist, als Morgens. Sogar wenn der Berg Morgens bedeckt ist, ereignet es sich jährlich in einem Viertel, im Sommer aber in der Hälfte aller Fälle, dass er auf den Abend dennoch frei wird. Ganz besonders aber berechtigt uns theils die Theorie, theils das Resultat der mitgetheilten Beobachtungen zu der Behauptung: dass, wenn der Brocken schon Morgens völlig frei erscheint, er es der Regel nach auch Abends sein müsse. Es sind jährlich nur ein Fünftel, im Sommer nur ein Siebentel aller Fälle, wo dieser Satz eine Ausnahme er- leidet.. Zufolge meiner Anfangs dargelegten Argumenta- tion in Betreff der in den Brockenphasen vorkommenden Störungen erhalten wir mithin die Witterungsregel: Wenn der Brocken Morgens heiter und unbewölkt dastand — vielleicht schon seit mehreren Tagen — sich aber ge- gen Abend bezieht (| _, |), so folgt zuverlässig schlechtes Wetter. Morgens blau, Abends grau, Ist des Brockens Regenschau. Die Luft wird unruhig, trübe, regnerisch. Wieviel Zoll es regnen wird, kann man freilich nicht sagen, aber vorzüglich im Sommer, wo ja die Regel am Besten be- gründet erscheint, kommt es meist zu stärkeren Regen- güssen, und die Trübung erstreckt sich gewöhnlich auf mehrere Tage. Nicht selten überbietet der dritte Tag durch Trübheit und Niederschläge den zweiten. Ich darf sagen, dass, wenn man nur diese eine Regel gekannt und immer benutzt hätte, manches Fuder 372 Heu und Korn gerettet, und manche reisende Liedertafel nicht in Gefahr gekommen wäre, die Stimme zu verlie- ren. Diese Regel hat mich mehr als ein Mal in den Stand gesetzt, auf eine Frage nach dem Wetter etwas Besseres als das immer passende „veränderlich“ antwor- ten zu können. Wer an dem dieser Phase folgenden Tage den Bro- cken besuchen will, hat dabei Vorsicht nöthig, denn noch mehr als für die Ebene gilt natürlich jenes Welterzeichen für den Brocken selbst. Ich könnte die Regel durch einige Zusätze noch feiner ausbauen, enthalte mich aber dessen, weil ich fürchte, sie möchte dann für Manchen nicht mehr so leicht zu handhaben sein, als jetzt wohl der Fall ist. Es liesse sich noch von der Form der am Abend sich einstellenden Wolken, von ihrem Zuge, von der gleich- zeitig herrschenden Windrichtung, dem Barometerstande u. s. w. reden: allein, wer selbst beobachtet, wird mit der Zeit auf alle diese Dinge selbst kommen und sie dann am richtigsten würdigen. Wolken, welche unten scharf abgeschnitten sind, enthalten den Wasserdampf in mehr verdichtetem Zustande, als dunstig aussehende u. s. w. Tritt jene Phase mit sinkendem Barometer ein, so muss man sich auf Sturm gefasst halten, zumal wenn der Luftdruck schon bei seiner mittleren Grösse ange- langt ist. Zuweilen kündigt der Hochsommer, der heiterste und wärmste Theil des Juli, durch die in Rede stehende Erscheinung seinen ernstlich gemeinten Abschied an. So im Jahre 1852. Wie der damalige heisse Sommer in den bayerischen Alpen, nach Sendtners Mittheilung „die gewaltigen Schneemassen, welche in einer mehr als halbstündigen Strecke den bequemen und sichern Ueber- gang für Menschen und Heerden durch die Sperrbachs- schlucht nach der Alp Obermädele bildeten, zum Ver- schwinden brachte,‘ so veranlasste er im Harze die wohl auch nicht so bald wiederkehrende Erscheinung, dass der Brocken im Juli an 15 auf einander folgenden Tagen, vom 3. bis 18., nicht mit den Wolken in Verkehr trat, bis der die Heiterkeit erzeugende Ostwind endlich vom Südwinde abgelöst wurde, und ein lebhafterer Wechsel zwischen dem nördlichen und südlichen Luftstrome ein- trat. Es bildeten sich am 18. Gewitter aus, die am 19. eine ununterbrochene Bewölkung des Brockens zur Folge hatten, und nach einem heiteren Tage, wie er nicht selten aus einer nur durch Gewitter bewirkten Trübung hervorgeht, zeigte sich dann am 21. bei Nordwestwind und stark abnehmender Temperatur der fragliche Vorbote von mehreren regnerischen Tagen. Am häufigsten verliert der Brocken seine Wolken- decke am hohen Tage, im Frühling und Sommer zwi- schen 11 und 4 Uhr, im Herbst und Winter zwischen 12 und 3 Uhr; und wenn die Wolken auch nicht völlig verschwinden, so sollen sie doch wenigstens gegen den Mittag hin der Regel nach abnehmen. Diese Abnahme 373 findet in der Weise statt, dass das Gewölk immer mehr am Gebirge hinaufsteigt (oder zu steigen scheint), immer mehr vom Gebirge sichtbar werden lässt, endlich nur noch die Kuppe des Brockens umschwebt und dort sich theils auflöst, theils vom Winde hinweggeführt wird. Es ist mithin auch das ein sicheres Vorzeichen schlech- ten, zu Niederschlägen hinneigenden Wetters, wenn der Brocken Morgens nicht tief, vielleicht nur bis zur Hein- richshöhe von Wolken umlagert erscheint, diese aber im Laufe des Vormittags an Masse zunehmen und, anstatt sich zu erheben, vielmehr in entgegengesetzter Richtung sich immer tiefer am Gebirge herabsenken. Wenn der Brockengipfel am Morgen jeder Bewölk- ung entbehrt, dagegen während des Tags, also zu einer Zeit, wo bei normalem Zustande der Atmosphäre das Gegentheil stattfinden müsste, sich vorübergehend mit Wolken belegt, so wird man bei Betrachtung des herrschenden Wetters, der Wolkenform, der Temperatur u. s. w. eine gewitterhafte Anlage derselben erkennen. Oft bilden sich jene zuerst am Brocken erscheinenden Wolken auch wirklich in den nächsten Stunden zu einem Gewitter aus, oder es geschieht diess an einem der näch- sten Tage. Die Abweichung des Brockens von seinem regelmässigen Verhalten zur Atmosphäre deutet auch hier eine starke Störung des Gleichgewichts in der letzteren an, die allgemeiner als eine Windkrisis, verbunden mit einem gewissen Stande der Feuchtigkeit, Wärme und Electricität der Luft, zu bezeichnen sein wird, die aber, aus mehr lokalen Bedingungen entspringend, schnell zum Austrage kommt und im Allgemeinen nicht von so nach- haltiger Wirkung ist, als die zuerst betrachteten. Morgens ist der Brocken bei Weitem häufiger be- deckt als frei, selbst im Sommer. Ganz besonders aber pflegt diess der Fall zu sein, wenn er am vorhergehen- den Abend nicht hell war. Im Jahre 1853 folgte wäh- rend der fünf Monate, Mai bis September, auf 56 Abende mit bedecktem Brocken nur neunmal ein Tag, bei dessen Anbruch der Gipfel des Berges nicht umwölkt war, und 1854 in derselben Zeit auf 58 solcher Abende nur 11 Tage mit solchem Morgen. Aus diesen Gründen thun Reisende, denen es darauf ankommt, vom Brocken aus einen Auf- oder Untergang der Sonne zu betrachten, gewiss wohl, wenn sie sich zunächst auf den Sonnen- untergang einrichten. Für unseren Zweck aber ergibt sich, dass man im Allgemeinen auf einen heiteren Tag rechnen kann, wenn man den Brocken schon in der Frühe ohne alle Wolken erblickt, oder wenn er nur Wolken trägt, die sich nicht am Himmel fortsetzen und sich schon in den ersten Morgenstunden auflösen. Er- folgt seine Aufhellung in der Nacht durch einen Süd- wind, der nicht aus O., sondern durch Rückgang aus NW. entstanden ist, so darf man nicht viel auf den Schein der Heiterkeit geben: ein solcher Südwind wird 374 leicht in wenigen Stunden wieder SW. oder NW., über- flösst den Brocken von Neuem mit Wolken und führt vollständige Trübung herbei. Anders ist es, wenn die fragliche Aufhellung nach einem normalen Durchgange des Windes durch N. und bei Ostwind vor sich geht, während das Barometer sich mehrere Linien über das Mittel erhebt und entweder fortfährt zu steigen, oder constant wird, oder auch wohl eben eine Tendenz zum Fallen wahrnehmen lässt. Die unter solchen 'Umständen erfolgende Aufheiterung des Brockens und des Himmels erreicht ihren Höhenpunkt oft gerade an dem Tage, wo der Luftdruck sich eben wieder zu vermindern beginnt. Dass wir andauernd heiteres Wetter nur dem Ostwinde und seiner, von aller Einmischung anderer Winde sich frei erhaltenden Herrschaft zu danken haben, davon lie- ferte der Juli 1852 ein hervorstechendes Beispiel. Uebrigens sind alle auf gutes Wetter lautende Vor- zeichen nicht so zuverlässig, als die entgegengesetzten, aus dem einfachen Grunde, weil in unseren Breiten das trübe Wetter beständiger und mehr an der Tagesordnung ist, als das heitere. Da auch andere Berge, z. B. der Zobten in Schle- sien, in ähnlicher Art, wie der Brocken, sich als Wet- terpropheten erweisen sollen, so wäre zu wünschen, dass man auch an ihnen einmal besonders die erste der von mir gegebenen Regeln erprobte. Wir bemerkten, dass der Brocken im November Abends seltener frei ist, als Morgens, im Widerstreit mit allen übrigen Monaten. Diess Ergebniss beruht den- noch wahrscheinlich nicht auf Beobachtungsfehlern oder einer zu kurzen Beobachtungsreihe. Der November bil- det den Eingang zum wahren Winter. Es ereignen sich in ihm die ersten stärkeren Fröste, die ersten Schnee- fälle, und die Witterung wird, wie schon die grosse Zahl der Nebel zeigt, rauh und trübe. Damit steht ganz im Einklange, dass der Brocken, wie die Tabellen es behaupten, im November häufiger als in den benachbar- ten Monaten sich Abends bewölkt, obgleich er Morgens frei war, und dass die am Morgen vorhandene Bewölk- ung sich selbst den Abend hin seltener verliert, woraus dann wieder nothwendig ein Zurückbleiben der freien Abende gegen die freien Morgen resultirt.‘* Miscelle. DS Specielle Neurologie der Rana Escu- lenta von Dr. H. Schiess. (St. Gallen und Bern. Huber u. Co., 1857.) Eine auch für die so vielfältig in Gebrauch gezogenen Vivisectionen an Fröschen gewiss noch häufig recht förderliche Beschreibung und Abbildung des Nerven- systems dieses Thieres, in welchernamentlich der Sympathicus und zwar nach eigenen Untersuchungen bearbeitet ist. — 0000 24* 375 376 Heilkunde. Einfluss der Mütter auf die Schädeldurchmes- ser des Kindes. Von Dr. Spöndli (Zürich) *). ‘ Einer interessanten kleinen Schrift entnehmen wir folgende Ermittelung über die Beziehung der Mütter zu der Kopfbildung der Kinder. 1. Welchen Einfluss äussert das Alter der Mutter auf die kindlichen Schädeldurch- messer? Diese Frage hat eine doppelte Seite; denn es kann unmöglich gleichgültig sein, ob eine junge oder alte 230—23 Jahre: No. e Zoll. Pfd. 22* vl 3 nA 58 25 20 34 44 5 6% sit 23 34 4 44 54 37 21 3 4 3 6 AB 4222. 3 a 5 6 SA® ...22.. 34 4 54.64 57 22 34 4 44 6 59 2004 3% 4 53 6 90 23 33.445 64 91 23 34 44 5 64 107* 22 34 43 54 63 110 22 ud Ar, 5% EN ER 4 54 7 114 202.85, Ar. 5 116% 21 3 Al SE, 134*,. 20 1,2%. ..04,,,6 139% 23 3) 44 5 5 143 20 34 4 5 64 Auch mit der oben bezeichneten Vorsicht werden wir keinen ganz sichern Schluss zu ziehen im Stande sein; denn indem wir mit Beseitigung der Mehrgebären- den zwar der Klippe ausweichen, welche die allgemein geglaubte,, häufig geringere Entwickelung der nachgebornen Kinder uns gestellt hätte, laufen wir immer noch Ge- fahr, einzelne Durchmesser, die, wie wir bald sehen werden, gerade bei Erstgebärenden durch den Mechanismus Ver- änderungen erleiden, allzuhoch in Anschlag zu bringen. Dazu kommen noch der Einfluss der väterlichen und müt- terlichen Entwickelung, welche man in Gebäranstalten um so weniger zu würdigen befähigt ist, als man in der Regel den Vater nicht kennt. Ich habe darum absicht- lich das Gewicht jedesmal hinzugesetzt, um wenigstens eine durchschnittliche Controle zu besitzen, so dass wir *) [ES Die Schädeldurchmesser des Neugebornen von H. Spöndli (Docenten der Geburtshülfe zu Zürich). 8. 41 S. Zürich, 1857. Fr. Schulthess. Mutter, die erst- oder mehrgebärend sein können, ins Auge gefasst werde, oder ob man nur von Erstgebären- den spreche. Im ersteren Falle würden wir ein sehr ge- mischtes Resultat erhalten, nur im letzteren ein reines. Wir können also, wenn wir genau sein wollen, nur un- sere 38 Erstgebärenden der Untersuchung zu Grunde legen. Das Alter derselben bewegt sich zwischen 20 und 38 Jahren; 18 befinden sich zwischen dem 20. und 23., 20 zwischen dem 24. und 38. Lebensjahre. Neh- men wir von den letztern zwei weg, und zwar nicht ge- rade die ältesten, so verbleiben auf jeder Seite 18, aller- dings keine bedeutende Zahl. 24— 38 Jahre: No. A. Zoll. Pid. 33% >80:%.:34> 4 si ET ar er ae 0 7 Mrı25 83h Ab c5h 508-230. 3 na tin Eye ra 60%.13% 39:25 62.43 425 3 Alma Mi 727 36 330 Bl 73%. 25:00 dar Ara BL 3 A Bu. u ee 89% 24 310.41 A. 5} a2 034 Ab 4 054 100.04 25 1- 3 1.0 a5hume 105%,.,38 3.0.4} nah 108.4.:25 Arnd ta 136%; 45 27 44 3b, ir AA 1374. 4281534: AL a schliesslich auf ein mehr allgemeines Resultat stossen werden. Das Geschlecht der Kinder, das kann ich im Vopbeigehen bemerken, kommt hier gar nicht in Frage; denn der gewöhnlichen Annahme entgegen, dass Erstgebärende vorzugsweise Mädchen zur Welt bringen sollen, finden wir in jeder Altersstufe gerade so viel Kna- ben als Mädchen, wie die das männliche Geschlecht be- deutenden Sternchen hinter den Nummern angeben; diess Verhältniss ist so constant, dass sogar die beiden nicht angeführten Fälle aus der zweiten Zahlenreihe sich in die Geschlechter theilen und folglich die Rechnung nicht trü- ben können. Was nun erstens das Gewicht unserer 36 Erst- geborenen betrifft, so erhält man auf beiden Seiten eine fast gleichlautende Gesammtsumme mit verschwindend kleiner Differenz, 113} Pfd. und 1124 Pfd. Das Durch- schnittsgewicht jedes einzelnen Kindes würde somit 63 Pfd. betragen, nach dem Stein’schen Baromakrometer. Es ist diess kein auffallend grosses Gewicht für Erstgeborene 377 und ich hätte fast Lust zu-behaupten, dass die Differenz desselben bei ersten und wiederholten Geburten viel un- bedeutender sei, als man gewöhnlich annimmt, und dass man Erstgeborne vielleicht nur desshalb schwerer ‚taxirt, weil sie schwieriger zur Welt kommen 1). Ich will in- dessen gerne zugeben, dass weder die Zahl von 100 Ge- burten, noch insbesondere die in Gebäranstalten vorfal- lenden Niederkünfte als maassgebend betrachtet werden können. Freilich könnte man hierauf repliciren, das wohl die meisten Uebertreibungen und Irrthümer aus der Pri- vatpraxis herrühren, wo man in der Regel gar nicht misst, oder bald pariser-, bald neuschweizer-, bald ap- penzeller Pfunde zu Grunde legt. Schliesslich darf ich nicht vergessen, darauf hinzuweisen, dass in der ersten Reihe die Gewichtsgrössen viel gleichmässiger vertheilt sind als in der zweiten, wo leichte und schwere Kinder häufiger wechseln und gerade die bejahrtesten Mütter durch auffallend schwere Sprösslinge sich auszeichnen. Der Bildungstrieb scheint mit zunehmendem Alter in’s Schwanken zu gerathen, so dass atrophische und hyper- trophische Kinder bei bejahrten Erstgebärenden und viel- leicht Gebärenden überhaupt häufiger angetroffen werden als bei jugendlichen Personen. Ueber das Verhältniss der Schädeldurchmes- ser zum Alter der Mütter bin ich wenig mehr zu sagen im Stande, als dass dieselben Schwankungen, welche das Gewicht aufweist, auch hier in der zweiten Reihe häufi- ger getroffen werden. Die Durchschnittszahlen für den Querdurchmesser sind bei jungen Erstgebärenden 375 Zoll, bei älteren 37% Zoll, für den geraden Durchmesser dem entsprechend 44 Zoll beiderseits, für den diagonalen Durchmesser endlich 54 und 5 Zoll. Das heist in Worten ausgedrückt, die queren und dia- gonalen Durchmesser sind bei jugendlichen Müttern durchschnittlich um 7/45 und }; Zoll länger, als bei im Altern vorgerücktern, oder noch einfacher: die Schädel der Erstgebornen von jungen Müt- ter sind unmerklich grösser, als diejenigen von ältern. Diese Wahrnehmung aber ist nicht bloss geeignet, wenn man die Gewichtsmengen mit in Anschlag bringt, die Furcht vor der ersten Niederkunft mit Hin- sicht auf das Volum des Kindes zu depotenziren, sondern sie leitet uns zugleich, wie von selbst, zur Beantwort- ung der letzten Frage, die wir uns aufgeworfen haben, wobei es sich vielleicht ergeben wird, dass Volum und Widerstand des Schädels nicht ganz identisch sind. 2. Hat die Zahl der Geburten Einfluss auf die kindlichen Schädeldurchmesser? Man kann diese Frage in zweierlei Sinn auffassen, je nachdem man die absolute oder die relative Grösse der Durchmesser im Auge hat. Was die absolute betrifft, 1) Die unter Nr. 1 angeführten Gewichtsverhältnisse be- weisen diesen Satz zur Genüge. 378 d. h. das Volum des Schädels im Ganzen, so hatten wir bereits unter Nr. 1. zu schliessen Gelegenheit, dass das- selbe bei Weitem nicht um so viel das Volum des Schä- dels von Nachgebornen übertreffe, wie man gewöhnlich glaubt. Die weitere Bestätigung des Gesagten wird sich aber aus der folgenden Zusammenstellung ergeben. Die relative Grösse der Schädeldurchmesser dagegen ist et- was ganz anderes. Wir haben uns bis jetzt wenig mit dieser Frage beschäftigt, weil wir wenig Gelegenheit dazu finden konnten; denn abgesehen von den ursprünglich verschiedenen Schädelformen, der ovalen, elliptischen und runden, haben weder Gewicht, Länge und Geschlecht des Kindes, noch die Art der Schädellage, noch endlich das Alter der Mutter wesentlichen Einfluss auf diesen Punkt. Da nun dessen ungeachtet zahlreiche Variationen beob- achtet werden, und zwar sogar bei normalen Schädel- lagen mit regelmässigem Geburtsverlauf, so liegt die Frage sehr nahe, ob diese Variationen nicht grössten- theils von der Zahl der vorausgehenden Gebur- ten bedingt seien, mit andern Worten ausgedrückt, ob nicht der bei Erst- und Mehrgebärenden unzweifelhaft von verschiedengradigen Schwierigkeiten begleitete Ge- burtsmechanismus einzelne Schädeldurchmesser entspre- chend abzuändern und gegenseitig zu compensiren ver- möge. Diese Abänderung und Compensation aber, von welcher die gleich nach der Geburt erhobene Messung ein annähernd getreues Bild zu liefern im Stande ist, wird, wenn sie sich bewahrheiten sollte, unsern früher ausgesprochenen Ansichten gemäss zugleich den Index abgeben. wie viel die Natur, wenn man sie nur walten lässt, zu thun vermag, um einen nach dem ursprüng- lichen Verhältniss vorausgesetzten Geburtsverlauf zum nor- malen-umzugestalten. Wir werden demnach nicht mehr behaupten, in diesem oder jenem Falle habe die an sich unbedeutende Enge der mütterlichen Theile eine schwie- rige, schmerzhafte Niederkunft, oder gar eine künstliche Entbindung zur Folge gehabt, sondern wir werden sagen, der kindliche Schädel habe nicht das nöthige Accommo- dationsvermögen besessen, um diese Schwierigkeiten zu überwinden. Wir werden ferner in einem andern Falle nicht sagen, ein ursprünglich für schwierig erachteter Geburtsverlauf sei trotz bedeutender Beckenenge oder Re- sistenz der weichen mütterlichen Theile ermöglicht wor- den, sondern es habe entweder die absolut geringe Ent- wickelung oder das auffallend günstige Accommodations- vermögen des Schädels diesen unverhofften Ausgang her- beigeführt. Bei dieser Betrachtungsweise verbleibt den Durchdrehungsorganen und deren Messung ihr unbestrit- tenes Recht, aber auch die Wichtigkeit der durchzudre- henden Theile erscheint in bedeutsamerem Lichte. Der Mechanismus wird nicht einseitig, sondern beidseitig, der Schädel erhält eben so viel oder noch mehr Rechte als die mütterlichen Theile, und namentlich die so zahlreichen, obschon unerwarteten glücklichen Geburtsfälle bei vorlie- gendem Schädel werden wir zum guten Theile dem letzt- 379 genannten Factor zuschreiben lernen. Sehen wir nun, indem wir die Schädel von erst- und nachgebornen Kin- dern nebeneinanderstellen, ob es uns gelingen wird, die Belege für das Gesagte zu liefern. Erstgebärende: Mehrgebärende: Zoll Pfd. Zoll Pfd. 34 45 5} 8 3, 41 54 6} 3: 45 5 6% 34 43 51 ) 34 44 45 5% 33 41 5 6% 31 4, 4 5 444 5 5 34 45 5 73 31 415 6, 3, 44 4% 6% 3, 44 55 7% 31 45 54 b) 3, 44 51 64 34 35 5% 63 33 4, 5 A 31 4% 54 64 3, 4b 5% 64 3 45 7 3, 44 5 5 34 45 5 43% 32 4, 51 54 34 44 4 6 3, 445 73 34 44 54 6 3, 41 43 7 34 44 51 5% 3} 44 5 6% 33 455 64 35 44 44 64 34 44 5 6 37 44 44 6% 33 4,55 6 ; 44 4% 63 34 5 5 3, 415 73 3, 4, 43% 54 35 415 6% 3 443 5 64 34 44,5 64 33 445 61 34 4% 54 7 3 4 3% 5+ 34 415 7% 31 44 5t 7 3, 41 43 6} 33 47 51 z/ sl 4, 54 74 3} 45 51 64 st 41 4% 6 33 445 55 3, 415 7 34 43 5} 7 4 41043 6} a2 uA1 #5 5 3 44 44 7 Bra 5 7 3 41 5 6 3l ar 23 5 33 43 54 6 34 15 51 64 ı 4% 54 8 3, 44 48 54 33 44 5 7 34 44 44 51 31 41 5 6 3 44 5 64 4445 4 Aus vorstchender Tabelle nun, welche beiderseits 34 Messungen umfasst, ergeben sich folgende Thatsachen, wenn wir kleine Bruchtheile, die nicht von Gewicht sein können, unberücksichtigt lassen: der Querdurchmesser des Schädels bei Erstgebornen beträgt im Durchschnitt 34 Zoll, der gerade 41 Zoll, der diagonale 57}; Zoll. Hinwieder betragen dieselben Durchmesser bei Nachge- bornen 34, 44 und 5 Zoll. Hieraus geht, wenn wir die unmittelbar nach der Niederkunft vorgenommene Mes- sung als annähernd getreuen Reflex der Conformations- verhältnisse des kindlichen Schädels betrachten dürfen, unzweifelhaft hervor, dass der Querdurchme'sser bei Erstgebornen durchschnittlich um 4 Zoll kleiner ist, als bei Nachgebornen, d. h. in unsere Sprache übersetzt, 380 dass derselbe unter dem Einflusse des Geburtsmechanis- mus 4 Zoll einbüsst; denn wir dürfen wohl die Länge von 3% Zoll, wie sie bei Mehrgebärenden sich zeigt, übereinstimmend mit der allgemeinen Annahme als Norm betrachten. Der gerade Durchmesser dagegen beträgt in beiden Klassen 4% Zoll; hierbei ist ersichtlich, dass die mütterlichen Durchtrittstheile keinerlei Einfluss äus- sern, denselben weder verlängern noch verkürzen. Der diagonale Durchmesser endlich beträgt bei Erstgebor- nen 531; Zoll, bei Nachgebornen 5 Zoll. Diese Differenz wäre vielleicht noch etwas grösser ausgefallen, wenn ich nicht in der ersten Reihe absichtlich einige wenige auf- fallend grosse Kinder, welche theilweise Operationen be- nöthigten, weggelassen hätte. Indessen wäre auch durch deren Berücksichtigung keine wesentliche Aenderung an dem Hauptresultat erfolgt, welches darin besteht, dass zwar allerdings der diagonale Durchmesser bei Erstge- bornen eine etwelche Vergrösserung erfährt, im Durch- schnitt von Z/; Zoll. Diese Vergrösserung aber steht in keinem Verhältniss zu der Verkleinerung des Querdurch- messers, welche, wie gesagt, 4 Zoll erreicht. Es kann folglich von einer Compensation zwischen den verschiede- nen Durchmessern um so weniger die Rede sein, als der gerade constant dieselbe Grösse behält. Man kann nun die Frage aufwerfen, wo diese Compensation liege; denn dass eine solche existiren müsse, ist wohl kaum zu be- zweifeln. Hierauf kann ich, da mir die betreffenden Messungen bis zur Stunde abgehen, nur mit einer Hy- pothese antworten; ich vermuthe nämlich, dass die noth- wendige Ausgleichung auf dem kleinen Querdurch- messer des Schädels gesucht werden müsse, der be- kanntlich von der Wurzel des Jochfortsatzes einerseits zu demjenigen andererseits geht. Ich knüpfe hieran die weitere Hypothese, dass die durchschniltliche Länge von 3 Zoll, welche für denselben gilt, um gerade so viel er- höht werde, als der grosse Querdurchmesser verloren, nämlich um 4 Zoll!). Wer also in der Ansicht stände, der Querdurchmesser werde bei seiner Verkleinerung durch den geraden, oder den diagonalen, oder durch beide zu- sammen compensirt, würde irre gehen. Man spricht zwar von Zuspitzen und Längerwerden des Schädels; aber ist es nicht begreiflich, dass derselbe durch die Verkürz- ung des Querdurchmessers und die seitlich von der klei- nen Fontanelle sitzende Kopfgeschwulst in der That eine solche Gestalt annehmen kann, ohne dass um desswillen der gerade und diagonale Durchmesser sich verlängern ? Man könnte indessen, so plausibel diese Verlängerung scheint, dieselbe nicht einmal a priori zugeben, wenig- stens nicht für den geraden Diameter, welcher auf nicht mindere Hindernisse bei der Durchtreibung stösst, als der quere. Es ist diese Beobachtung eigentlich nicht neu; 1) Oder um Y, Zoll, wo der grosse Querdurchmesser um 1/, Zoll abnimmt, 381 bei der bekannten Streitfrage, ob die Kopfzange durch Zug oder Druck wirke, ward schon längst festgestellt, dass die mit dem queren, sich kreuzenden Durchmesser, auch bei wirklich nicht zu läugnendem Drucke, durchaus nicht so viel gewinnen, als der erstere verliert, ja zu- weilen ebenfalls verlieren. Wenn nun diess unter dem Einflusse eingreifender Operationen sich als wahr erweist, warum nicht in noch höherem Grade bei normalen Ge- burten? Was sollte überhaupt die relative Leichtigkeit des Geburtsmechanismus bei einer solchen Compensation gewinnen? Ist nicht die durch Druck und Compensation wirkende Kephalotripsie gerade aus diesem Grunde auf ernste Hindernisse in der ursprünglich gehofften Allge- meinen Ausführung gestossen? Dagegen ist es oder klingt es wenigstens, ich will mich in Ermangelung genauerer That- sachen zu diesem Ausdrucke bescheiden, sehr wahrscheinlich, dass bei der Compensation jene Schädeldurchmesser in An- spruch genommen werden, welche ihrer relativen Kürze wegen die Becken- und Vaginalwände nicht vollkommen berühren, und unter diesen scheint keiner geeigneter zu sein, als der kleine Querdurchmesser, welcher mit dem grossen nicht nur hinsichtlich seiner Richt- ung, sondern auch der angrenzenden Schädelknochen correspondirt. Es bleibt nun noch die Frage zu erörtern, wodurch die Verkleinerung des grossen Querdurchmessers bei Erstgebornen bedingt werde? Derselbe ist jedenfalls von Anfang bis zu Ende der Geburt; comprimirenden Ein- flüssen in höherem Grade ausgesetzt, als irgend ein an- derer, weil er die kleinen Beckendurchmesser u. s. w. zu passiren hat. Die Natur hat aber diese Compression un- gemein erleichtert durch die Pfeilnath, in welcher die an- grenzenden Knochen sich besser verschieben lassen, als an- derswo, und durch die Verlängerung der Pfeilnath mittelst bei- der Fontanellen. Die Verkleinerung des grossen Querdurch- messers ist also schliesslich das Resultat der Knochen- verschiebung, und je leichter letztere von Statten gehen kann, desto grösser wird durchschnittlich erstere ausfallen. Da aber ferner jene Verkleinerung in vielen Fällen von Erstgeburten nothwendig ist, so habe ich ge- wiss nicht Unrecht zu behaupten, die Länge des Quer- durchmessers, oder vielmehr die erreichbare Kürze desselben bilde den Index der Naturkräfte, und wir werden demnach in zahlreichen Fällen bei gleich- gestalteten Durchtrittsorganen die Meinung aussprechen dürfen, die mehr oder weniger günstigen Conformations- verhältnisse des Schädels haben einen mehr oder weniger günstigen Geburtsverlauf zur Folge gehabt. Wir werden ferner sagen dürfen, im Durchschnitte sei die Verkleiner- ung des Querdurchmessers sehr wünschenswerth und eine normale rasche Niederkunft bei relativer Uebergrösse des- selben nur dann möglich, wenn ein auffallend weites Becken und sehr wirksame Geburtskräfte gegeben seien. Würde wohl die Natur den Querdurchmesser in vielen Fällen verkleinern, wenn es nicht nothwendig wäre? Ist 382 man also nicht verpflichtet, die Natur innerhalb rationel- ler Schranken walten zu lassen und dem Schädel die wünschbare Conformation zu gestatten? Dass aber diese bei vielen Geburten stattfindet, und vielleicht nur hie- durch den normalen Geburtsverlauf ermöglicht, geht auch aus der Einzelstatistik unserer zwei Geburtsreihen her- vor, indem unter 34 Erstgebornen 18 einen Querdurch- messer von 3} Zoll besitzen, unter 34 Nachgebornen dagegen nur 7. Man sieht, dass die Compressibilität manchmal nicht bloss & Zoll beträgt, denn diess ist eine Durchschnittszahl, sondern 4 Zoll und mehr. Diess kann aber die Bedeutung des Gesagten nur erhöhen. Wir wollen nun, bevor wir zu Weiterem überge- hen, die gewonnenen Resultate, welche wir auf die Sta- tistik von 100 Schädellagen gestützt in der Beantwort- ung von 6 Fragen zu erhalten suchten, nochmals kurz resümmiren: 1. Es gibt ovale, elliptische und runde Schädelformen. Die ovale ist die häufigste und für den Geburtsmechanismus günstigste. Es gibt ferner zu kleine und zu grosse Schädel. 2. Bei der ovalen Schädelform beträgt die durch- schnittliche Länge der Durchmesser 34 Zoll für den queren. 4% Zoll für den geraden, und 5 Zoll für den diagonalen. Doch gibt es zahlreicheVariationen in dieser Relativität. 3. Der Querdurchmesser kann bei normalem Geburtsverlauf und ausgetragenen Früchten zwischen 3 und 4 Zoll schwanken; auch der gerade und diagonale zeigen Differenzen von 1 Zoll. 4. Gewicht und Länge der Kinder stehen in keinem constanten Verhältniss zu den Schädeldurchmes- sern. -Kinder unter 5 Pfd. besitzen gewöhnlich entspre- chend kleine Diameter; darüber hinaus gibt es schwere Kinder mit kleinen und leichte Kinder mit grossen Schädeln. 5. Das Geschlecht der Kinder hat keinen Ein- fluss auf die Grösse der Schädeldurchmesser. 6. Zur zweiten Schädellage besitzen die Mäd- chen mehr Disposition, als die Knaben. Die zweite Schädellage begünstigt die Vergrösserung des diagonalen Durchmessers. 7. Der quere und diagonale Durchmesser sind bei jugendlichen Erstgebärenden unmerklich grösser als bei bejahrten. Bei den letzteren zeigen sich grössere Schwankungen in den Schädeldimensionen. 8. Die Schädeldimensionen im Ganzen sind bei Erstgebornen nicht grösser als bei Nachge- bornen. 9. Die Durchschnittslänge der einzelnen Schädeldurchmesser beträgt bei Erstgebornen 31 Zoll für den queren, 44 Zoll für den geraden und 55"; Zoll für den diagonalen, bei Nachgebornen da- gegen 34, 44 und 5 Zoll. 10. Der Querdurchmesser wird bei Erstge- 383 bornen um }—4 Zoll verkleinert, der diagonale um 37 vergrössert, der gerade bleibt unverändert. Es findet so viel als keine Compensation unter diesen drei Diametern statt, dieselbe muss anderswo liegen. 11. Die Verkleinerung des Querdurch- messers bei Erstgebornen ist die Folge von com- primirenden Einflüssen der Durchtrittstheile. 12. Die Verkleinerungsziffer des Quer- durchmessers bildet den Index der Naturkräfte und ermöglicht die normale Niederkunft bei vielen Erstge- gebärenden. Indem wir hiemit die Aufgabe, welche wir uns bei der Statistik der 100 Schädellagen gestellt haben, in den Hauptpunkten als geschlossen betrachten können, reiht sich hieran füglich die kurze Besichtigung einzelner Fälle, die ich mit Sternchen bezeichnet, und die hin und wieder eine Bestätigung des Gesagten bieten werden. Nro. 37. E. W. v. B., 21 Jahre alt, erstgeschwän- gert, von kleiner Statur und zartem, infantilem Ausse- hen. Obschon das Promontorium, wegen niedrigen Bek- kens mehr, als Kürze der Conjugata, zu erreichen war, kam dieselbe den 4. Juni halb 8 Uhr Morgens mit einem Mädchen in zweiter Schädellage ganz leicht nieder, nach- dem der Blasensprung eine Stunde zuvor erfolgt war. Länge 18 Zoll, Gewicht 63 Pfd., Kopfdurchmesser 3}, 44 und 4% Zoll. Schädelknochen leicht verschiebbar und die grosse Fontanelle sehr ausgedehnt. Hier scheint die runde Schädelform nebst der Verschiebbarkeit der Knochen den glücklichen Verlauf begünstigt zu haben. Nro. 49. V. D. v. 0., 28 Jahre alt, drittge- schwängert, kam den 10. Mai 5 Uhr Abends, mit einem Mädchen in erster Schädellage nieder, Länge 15 Zoll, Gewicht 44 Pfd., Kopfdurchmesser 3, 34 und 4 Zoll. Die Mutter war syphilitisch, die nicht völlig ausgetragene Frucht starb den 12. Mai. Nro. 60. M. L. v. E., 37 Jahre alt, zum ersten Male schwanger, ward den 30. Mai, halb 3 Uhr Nach- mittags, mittelst der Zange von einem lebenden Knaben in erster Schädellage entbunden, der auf dem rechten 384 Scheitelbeine eine schr bedeutende Kopfgeschwulst besass. Der Wassersprung war schon den 29. Mai 9 Uhr Abends erfolgt, der Kopf drang unter heftigen Wehen auf den Beckenboden vor, blieb aber daselbst seit dem 30. Mor- gens 10 Uhr stehen. Es wirkten grosse Schädeldi ni sionen und relative Enge der Genitalien zu künstliche Entbindung nothwendig zu machen. Länge 20 Zoll, Gewicht 94 Pfd., Kopfdurchmesser 3%, 5 und 6 Zoll. Hier scheint in der That eine Compensalion zwischen den genannten Durchmessern stattgefunden zu haben. Die Frucht war die schwerste von allen 1856 in der ea gebornen. ro. 62. U. S. v. S., 25 Jahre alt, erstgeschwän- gert, ward den 11. Juli 124 Mittags mittelst der Zange ziemlich schwierig von einem Mädchen in zweiter Schä- dellage entbunden. Der Wassersprung war um halb 10 Uhr Vormittags erfolgt, der Kopf drang hierauf bis auf den Beckenboden vor, aber zur relativen Enge der Ge- nitalien trat anhaltende Wehenschwäche, welche die Ent- bindung benöthigte. Die Frucht war 18 Zoll lang, 5% Pfd. schwer und zeigte eine einfache Umschlingung des Nabelstranges um den Hals. Der Kopf besass auf dem linken Scheitelbein eine nicht unbedeutende Geschwulst. Die Durchmesser betrugen 34, 4% und 51 Zoll. Hier scheint der gestörte Dynamismus vorgewaltet zu haben, doch mag die elliptische Schädelform mit im Spiele ge- wesen sein. (Schluss folgt.) Miscelle. Zucker bei der Zuckerharnruhr empfiehlt Piorry (Gaz. hebd. No. 6. 1857) den bisherigen Ansichten wider- ‚sprechend, indem er die Ansicht aufstellt, der Zucker sei ein für den Organismus unentbehrlicher Stoff und darauf beruhe die Gefahr einer Krankheit, durch welche der Zucker entzo- gen werde; der Zucker müsse daher ersetzt werden, und es dürfe nicht durch Entziehung des Stärkemehls die Möglich- keit dieses Ersatzes genommen werden. Seine Behandlung besteht in Beschränkung flüssiger Nahrung und alles Getränks und Darreichung von viel Kandiszucker und Fleisch. Bibliographische Neuigkeiten. N. — K.v. Sonklar, Der neuerliche Ausbruch des suldner Gletschers in Tirol. 8. Comm. b. Gerold’s Sohn in Wien. 1 Thilr. F. Grävell, Göthe im Recht gegen Newton. Berlin. 1!/, Tkir. F. W. J. Bädeker, Die Eier d. europ. Vögel. Bädeker in Iserlohn. 4 Thilr. A. Braun, Ueber Parthenogenesis bei Pflanzen. bei Dümmler in Berlin. 26 Sgr. P. Wirtgen, Rheinische Reise-Flora. 32. Coblenz. 4 Tlilr. 6 Sgr. 8. Herling in 2. Lfrg. Fol. 4. Comm. Hölschers Verl. in H. — J. F. Baumann, Das alte und neue Heilverfahren mit Medicin. 8. Besenfelder in Memmingen. 2/5 Thlr. L. Lehmann , Das Sooldunstbad zu Bad Oeynhauten und das gewöhnl. Wasserdampfbad. I. Das Sooldunstbad. 8. Van- denhöck u. Ruprecht’s Verl. in Götlingen. 8 Sgr. E. Baierlacher , Die Inductionselektricität in physiol.-thera- peut. Beziehung. W. Schmid in Nürnberg. 2 Thlr. A. Maihysen, Der Gypsverband und seine Anwendung bei Knochenbrüchen. Nach d. Franz. bearb. von J. Neu- mann. 8 Comm.: Funke’sche Buchhandlg. in Crefeld. 1/, Thlr. Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena, Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Jahrgang 1857. EHE. Band Ro 25. Naturkunde. €. Cramer, Die Bestandtheile und Nahrungsmittel der Pflanzen. — Heilkunde. Spöndli, Einfluss der Mütter auf die Schädeldurchmesser. (Schluss.) — Miscelle. Gery, Chloroform gegen Veitstanz der Kinder. Schluss des dritten Bandes. Naturkunde. Die Bestandtheile und Nahrungsmittel der Pflanzen. Von Dr. €. Cramer (Zürich) *). Die naturforschende Gesellschaft zu Zürich, die schon so viel Gutes geleistet hat, beginnt mit diesem Jahre eine neue Publicationsreihe ihrer Arbeiten. Wir heben aus den ersten Heften eine Habilitationsarbeit des Dr. Cramer aus: „Die Leistungen der reinen Botanik, im Gegensatze zu der angewandten, lassen 3—4 verschiedene Richtun- gen erkennen, die sich in der Geschichte dieser Wis- senschaft zwar nur undeutlich von einander geschieden haben, ja zum Theil noch jetzt einander bald durchkreu- zen, bald neben einander fortlaufen, obwohl sie ihrem Wesen nach im Verhältnisse der Aufeinanderfolge zu ein- ander stehen. — Die frühesten Bestrebungen der reinen Botanik waren auf die Kenntniss der Pflanzen im aus- gewachsenen Zustande gerichtet und noch jetzt bildet dies den Hauptinhalt der sogenannten systematischen Bo- tanik. — Weniger das häufig fühlbare Bedürfniss neuer Unterscheidungsmerkmale, als die Erfindung des Mikro- skopes lenkte später die Thätigkeit der Forscher auf ein ganz neues Gebiet. Wie ein jeder, der sich plötzlich im Besitze dieses Instrumentes sieht, so hatte indessen auch die Wissenschaft zuerst eine Periode planloser Tän- deleien durchzumachen, das Vergrösserungsglas wurde viel- fach zum Kaleidoskop herabgewürdigt und nur langsam gestalteten sich die Fragen nach dem inneren Baue der Gewächse und der Entstehung der Pflanzen aus Elemen- tarorganen. — Bald zwei Jahrhunderte sind verflossen seit jener hochwichtigen Erfindung; kein Wunder also, wenn sich die Pfllanzenanatomie und die ihr verschwisterte Lehre *) Vierteljahrsschrift d. naturforsch. Gesellsch. in Zürich. I. 1. u. 2. Zürich, Höhr, 1856. von der Entwickelungsgeschichte der Pflanzen, wie die äl- tere Systemkunde, bereits einer hohen Blüthe rühmen können, während man fast in Verlegenheit kommt, soll man jenen zarten Liebling der Gegenwart, der sich er- kühnt, die Lebenskraft in ihre Factoren zu zerlegen, auch nur mit einem Namen bezeichnen. Beobachtungen über pflanzenphysiologische Erscheinungen und Hypothe- sen über die Ursache derselben sind nichts Neues, aber eine erspriesslichere Bearbeitung dieser Fragen musste erst durch eine lange Reihe neuer Entdeckungen auf dem Gebiete der Chemie und Physik angebahnt werden. So kommt es, dass der bleibenden Errungenschaften für die- sen ebenso interessanten, als schwierigen Zweig der Bo- tanik bis jetzt nur wenige sind. Zu um so grösseren Hoffnungen berechligt dagegen der stets wachsende Auf- schwung der jungen Wissenschaft. Gestatten Sie mir, aus dem umfangreichen Gebiete der Pflanzenphysiologie die näheren Bestandtheile und die Nahrungsmittel der Pflanzen zu einer kurzen Betrachtung herauszugreifen. Wir kennen aus der organischen Chemie zwei Grup- pen von Stoffen, welche, neben dem Wasser und einigen mineralischen Körpern, für das ganze Gewächsreich die grösste Bedeutung haben; es sind: die stickstofffreien, indifferenten Pflanzenstoffe und die Eiweiss- oder Pro- teinkörper. Unter den ersteren interessirt uns vorzüglich die Cellulose, unter den letzteren das lösliche Pflanzeneiweiss, sowie jene halbllüssige Modification, aus welcher der Pri- mordialschlauch, der Zellkern und zum Theil das Proto- plasma bestehen. Die Cellulose besitzt die Eigenthümlichkeit, unter Umständen Blasenform anzunehmen, in ausgezeichnetem Grade, und diese Eigenschaft, im Wesen der Cellulose ebenso sehr begründet, wie das Krystallisationsvermögen 387 in der Substanz des Kalkspathes, sie ist in der Pflanzen- welt zur wirksamsten Anwendung gekommen. Alle Pflan- zen bestehen aus Zellen und deren Membran aus Cellu- lose. Sie verleiht ihnen die nöthige Festigkeit und wie wenig zu diesem Zwecke oft hinreicht, lehrt die Apri- kose, deren zartes Fleisch kaum 41%), davon enthält. Zwar darf nicht vergessen werden, dass wo nicht Bei- mengungen, besonders mineralischer Körper, den Zell- stoff in der Ausübung genannter Function unterstützen, dass da bei einer andern Art der Verwendung dieses all- gemeinen Baumaterials der Pflanzen der Erfolg ein weit geringerer wäre. Im Mittelmeere wächst eine grosse, mehrere Zoll lange, einzellige Alge, Caulerpa nennt sie der Botaniker; sie würde der Gewalt des Wellenschlages erliegen, wäre nicht ein dichtes Geflecht verzweigter Zell- stofffasern in ihrem Inneren ausgespannt, welches den dün- nen Wandungen der Stengel und Blätter zur Stütze dient; und die Aprikose würde schon bei geringen Verletzungen der Haut all ihren süssen Saft verlieren, wäre jenes Pro- cent Zellstoff nicht auf die Membranen vieler Zellen ver- theilt, sondern zur Bildung einer einzigen grossen Blase verwendet. Man hat die Zellbildung vielfach mit der Kry- stallisation verglichen. Beide Erscheinungen haben das Gemeinsame, dass ein flüssiger Körper in festen Zustand übergeht und dass sich dabei eine gewisse Beziehung der Molecüle des erstarrten Körpers, dort auf ein Centrum, hier auf ein Axensystem, kundgibt. Zelle und Krystall unterscheiden sich aber wesentlich durch die Art ihres Wachsthums: der Krystall vergrössert sich durch Appo- sition, die Zelle, wie das Stärkekorn, durch Intus- susception. Mit der Art des Wachsthums im innigsten Zusam- menhang steht die Bedeutung der Cellulose als Regulator der Diffusionserscheinungen bei Pflanzen. Schon mit rei- nem Wasser in Berührung gebracht zeigt sie, je nach ihren physikalischen Eigenschaften, ein ganz verschiede- nes Quellungsvermögen. Dasselbe wechselt bei Anwen- dung anderer Flüssigkeiten oder von Lösungen fester Stoffe und man darf annehmen, dass auch diese äusse- ren Medien, mindestens in ihrer Mischung, sich unter dem Einflusse der Cellulose verändern, indem die ver- schiedenen Lösungsbestandtheile in verschiedener Menge imbibirt werden. In gleicher Weise hängt bekanntlich der Austausch zweier Flüssigkeiten, die durch eile Cel- lulosenmembran von einander getrennt sind, abgesehen von der chemischen und physikalischen Natur der diffun- direnden Substanzen, der Temperatur, dem Druck, wesent- lich von der Art und Beschaffenheit der Scheidewand ab. Nicht nur ist die todte Zellenmembran in ihrer Wirkung auf den Durchgang von Flüssigkeiten total verschieden von derjenigen einer lebenskräftigen Zelle, sondern die Membranen vegelirender Zellen zeigen unter sich die man- nichfalligsten Verhältnisse hierin. Ja, es ist überhaupt kaum eine Zelle denkbar, deren Membran sich durchweg dios- motisch gleich verhielte; begreiflich, da fast jeder Fuunct derselben eigenthümlichen, von aussen und innen wirken- 388 den Einflüssen ausgesetzt ist und jede noch so geringe locale Verschiedenheit der Umgebung eine äquivalente Rückwirkung auf die Natur der Membran ausüben muss. Die Ursache mancher der Qualität und Intensität nach veränderter chemischer Processe in Pflanzen und Pflan- zentheilen ist in letzter Linie in der Diosmose zu su- chen. — Durch den zelligen Bau der Pflanzen werden ferner die Stoffe, welche sie verarbeiten, in eine Menge kleiner Parlieen getheilt und isolirt. Die Pflanze ist nicht der Ausdruck heftiger, sondern im Gegentheil man- nichfach gebundener und gelähmter Affinitäten, und ge- rade jene Absonderung der Säfte in geschlossenen Kam- mern dürfte das geeignetste Miltel sein, um die rohen Naturkräfte in Schranken zu halten und zur Darstellung edlerer Verbindungen zu benuizen. Von mancher Seite wurden, im Hinblick auf gewisse, im Laboratorium gemachte Erfahrungen, als die Quelle der Lebensthätigkeit im Pflanzenreiche die Protein- körper bezeichnet. Viele Erscheinungen unterstützen diese Vermuthung. Ueberall, wo ein reges Spiel der chemischen Ver- wandtschaft stattfindet oder sich andere intensive Lebens- erscheinungen kund geben, kommen Proteinverbindungen in reichlicher Menge vor oder sind sichtlich betheiligt. In abgestorbenen Zellen fehlen dieselben ganz oder sind in einer nicht mehr verwendbaren Form abgelagert. Die langsam wachsenden Flechten sind arm daran, die Pilze dagegen, von welchen einzelne in wenigen Stunden ei- nen Durchmesser von 1—2 Fuss erlangen, reich. Bei der freien Zellbildung im Embryosack der Phanerogamen, in den Sporenschläuchen der Flechten und Pilze, bei den Algen sind es stets eiweisshaltige Körper, welche sich zuerst, mit oder ohne Beihülfe eines Kernes, blasenför- mig gestalten, dann auf ihrer Aussenfläche Cellulose ab- sondern. Vermehrt sich die junge Zelle durch Theilung, so beginnt der Primordialschlauch, jene erstgeborene Ei- weissblase sich einzuschnüren und füllt die Trennungs- furche mit Zellstoff aus. Strömungen im Zellsafte gehen bald von dem eiweissreichen Kerne aus und kehren zu ihm zurück, bald verbreiten sie sich, in sich selbst zu- rückfliessend, über den Primordialschlauch. Die strö- mende Flüssigkeit selbst ist stickstoffhaltliges Protoplas- ma. — Verlängerungen des Primordialschlauches bilden die flimmernden Wimperhaare der Schwärmsporen und die beweglichen Samenfäden, welche den Befruchtungsact bei vielen kryptogamischen Gewächsen vollziehen, sind meta- morphosirte Proteinbläschen. Leider bleiben aber die mei- sten dieser Erfahrungen vorläufig blosse Thatsachen und es kann an einen dynamischen Einfluss der Proteinkörper nur in denjenigen Fällen gedacht werden, wo es sich um rein chemische Wirkungen handelt. Aber auch hier dürfte man zu weit gehen, wollte man ihnen jetzt schon einen wesentlichen Einfluss auf den Assimilationsprocess zuschrei- ben. Allerdings gewinnt der Chemiker aus Stärke un- ter dem Einfluss von Diastase: Dextrin, später Zucker, dessen wässerige Lösung mit Hefe versetzt Weingeist und‘ 389 Kohlensäure liefert. Eiweisshaltige Fette zersetzen sich leicht unter Bildung fetter Säuren. Cellulose, Pectin und viele andere Körper erleiden durch ähnliche Fermente mannichfaltige Umsetzungen. Die Proteinkörper in den Pflanzen mögen daher häufig da, wo verwandte, degra- dirende Processe einzuleiten sind, eine Rolle spielen und für die Dislocation fester Pflanzenstoffe von grossem Nutzen sein; ob sie aber auch zu Vorgängen in umgekehrter Richtung den Anstoss geben, z. B. zur Verwandlung von Zucker in Dextrin, von Dextrin in Cellulose, oder gar zur Verwandlung der rohen Pflanzennahrung in Zucker, das wird bis jetzt durch keine Thatsache unterstützt. — Dagegen sprechen verschiedene Verhältnisse für einen in- neren Zusammenhang der Proteinstoffe mit den stickstoff- freien indifferenten Pflanzenstoffen, sei es nun, dass jene Zucker als Paarling enthalten, oder dass sie wenigstens eine Constitution besitzen, welche die Entstehung der Zer- setzungsproducte des Zuckers aus den Proteinstoffen eben- sowohl möglich macht, als die Bildung von Körpern aus der Formyl- und Benzoylreihe. Schon für das Thier- reich wurde die Ansicht ausgesprochen, es möchten die Proteinstoffe unter Umständen zur Erzeugung von Zucker dienen. In der Pflanzenwelt sind grosse Vorräthe von Eiweisskörpern in solchen Pflanzentheilen keine Selten- heit, deren Organisation für die Aufnahme und Verarbei- tung roher Nahrung nicht eingerichtet ist, die aber be- stimmt sind, in der Folge ein selbstständiges Leben zu führen. Solche Organismen werden daher von der Mut- terpflanze mit allerhand Reservenahrung, als: Stärke, quellbare Cellulose, Inulin, Oel ausgestaltet. Die Sa- men, welche in den ersten Stadien ihrer Entwickelung von ihrem eigenen Leibe zehren, den beim Keimen ab- sorbirten Sanerstoff, an Kohlenstoff gebunden, als Koh- lensäure aushauchen und daher, trotz der Vergrösserung ihres Volumens, nach Abzug des Wassers oft beträcht- lich leichter werden, die Samen enthalten als Reserve bald vorzugsweise Stärkemehl, bald Oel oder beides. Nicht selten ist nun der eine oder andere dieser Stoffe. zum Theil durch Eiweisskörper vertreten und zwar so, dass das Verhältniss der stickstofflhalligen Stoffe zu den stick- stoflfreien in den proteinreichen Samen der Hülsenfrüchte im Mittel sich verhält wie 1 zu 2, während dasselbe bei den Getreidekörnern 1 zu 6,7 beträgt. Das Verhält- niss würde sich für den Eiweissgehalt der Leguminosen- samen noch günstiger gestalten, erlaubten die vorliegen- den Thatsachen diejenige Menge stickstofffreier Bestand- theile, welche auf die Zellwandungen der Samen fällt, in Rechnung zu bringen. Vom Stärkemehl und Oel steht es nun fest, dass sie zur Bildung von Zellstoff verwen- det werden; die Bildung des Leichenfeltes aus Fleisch ist bekannt und Versuche an Thieren haben den Ueber- gang von Proteinverbindungen in Fett unter gewissen Be- dingungen nachgewiesen. Sollten unter solchen Verhält- nissen die Proteinstoffe im Pflanzenkörper auf keine Weise zur Cellulosebildung beitragen können ? Ich kann die Proteinstoffe nicht verlassen, ohne 390 noch ihre Bedeutung für die Diosmose mit wenigen Wor- ten angedeutet zu haben. Es geht aus früher Gesagtem hervor, dass die Cellulosenmembran im Inneren von einer zweiten stickstoffhaltigen Haut, welche man Primordial- schlauch nennt, ausgekleidet ist. Pringsheim hat zwar neulich gezeigt, dass derselbe häufig vom formlosen Pro- toplasmen nicht verschieden ist, in vielen: anderen Fällen ist er dagegen als die wohl differenzirte änsserste Schicht erhärteten Protoplasmas leicht nachzuweisen und kann dann, ähnlich wie die Zellstoffmembran, aber in eigen- thümlicher, durch seine chemische und physikalische Beschaffenheit bedingter Weise den Saftaustausch benach- barter Zellen modificiren. Alles organische Leben ist an die Existenz von Was- ser gebunden. Zwar gab es Leute, die nicht nur die be- flügelten Mondsbewohner, sondern selbst die Gemüse, welche sie essen, daselbst gesehen haben wollten; der Naturkun- dige aber weiss, dass auf dem Monde weder Thiere noch Pilanzen leben, da er kein Wasser besitzt, welches un- ter allen Flüssigkeiten in grösster Zahl und Menge Kör- per jeder Aggregatsform löst und deren gegenseitige Re- action ermöglicht. Man lege das tausendjährige ägypti- sche Weizenkorn in feuchte Erde, dass es aufquillt, und die embryonale Pflanze erwacht aus ihrem Schlaf, treibt Wurzeln in die Tiefe, entfaltet Blätter in üppiger Fülle; und fällt ein Regen, der die fruchtbringenden Bestand- theile des Bodens löst, so saugt sie ihn begierig ein, eignet sich davon an, was und wie viel sie zu ihrem Wachsthum braucht, und athmet mit dem Beistand des überschüssigen Wassers schwerverdauliche Speise und un- nütze Zerselzungsproducte in Gasform aus. So ist denn das Wasser nicht nur ein wesentlicher Bestandtheil der Pflanzen, sondern zugleich das Vehikel, dessen sie sich bedient bei der Aufnahme von Nahrung und der Abgabe von Secrelionsproducten. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Pflanzen, ausser der Cellulose, den Proteinstoffen und dem Was- ser, auch einer Anzahl unorganischer Basen und Säuren bedürfen. In einzelnen Fällen ist das Vorkommen dieser oder jener Mineralsubstanz constant, so zeichnet sich die Membran der Diatomaceen, einer Gruppe niedlicher, ein- zelliger Algen, durch den ausnahmslosen Reichthum an Kieselerle aus, die Schachtelhalme verdanken ihre An- wendun, zum Poliren reichlich infiltrirter Kieselerde; bei den Gräsern fehlt sie ebenfalls nicht und bildet im Inne- ren von Bambusa arundinacea oft steinharte Massen (Ta- baschir). Ausserdem haben die Cerealien zum Reifen ih- rer Samen eine beträchtliche Menge phosphorsaurer Al- kalien nöthig. In anderen Fällen scheint sich nur der Sauerstoffgehalt sämmtlicher Basen gleich zu bleiben, was zu der Ansicht geführt hat, dass sich die Basen, unab- hängig von ihrer Natur, ersetzen können. Leider geben aber unsere Aschenanalysen über den Gehalt an orga- nischen Basen und an Ammoniak keinen Aufschluss; wir kennen somit die wahre Grösse des Sauerstoffgehal- tes aller Basen einer Pflanze auch nicht in einem einzi- 25 * 391 gen Falle. Ueberhanpt ist unser Wissen über die Be- deutung der unorganischen Pflanzenbestandtheile noch sehr beschränkt. Es mögen die Basen häufig zur Sät- tigung schädlicher Säuren dienen, andererseits die Bildung von Säuren durch prädisponirende Verwandtschaftskraft veranlassen. Die Alkalien und deren Verbindungen mit Phosphorsäure dürften zur Lösung geronnener Eiweiss- körper beitragen, während fettsaure Alkalien oder Seifen die Zellmembran für Fette permeabel machen. Schwefel- saure und phosphorsaure Salze versehen die Pflanzen mit der nöthigen Menge Schwefel und Phosphor. Ich habe soeben die wichtigsten Pflanzenstoffe be- trachtet, die sich als solche entweder dadurch bewähren, dass sie unmittelbaren Antheil an dem Aufbau der Ge- wächse nehmen, oder belebende Triebkraft liefern, den Stoffwechsel modificiren oder den Weg darstellen, auf welchem, im Gegensatz zur künstlichen Maschine, die durch die Lebensweise der Pflanze nölhig gewordene Er- neuerung der Organe — der Pflanze selber möglich ge- macht wird. Eine Menge von Stundenzeigern steht an diesem Wege, aber ihre Schrift ist unleserlich. Wir ken- nen zahllose Zwischenproducte zwischen der rohen Pflan- zennahrung und den assimilirten Stoffen, aber ihre Be- ziehung zu einander nur wenig. Dass der Zucker, das Dextrin und die Stärke unter die letzten Stufen vor der Cellulose gehören, ist gewiss; dass jene merkwürdigen Stoffe, welche man Glucosegenide nennt und deren An- zahl sich einst noch sehr vermehren dürfte, also: Amyg- dalin, Salicin, Gerbsäure u. s. w., dass diese Verbindun- gen für die Ernährung der Zellmembran von Wichtigkeit sind, ist nicht unwahrscheinlich. Eine andere Frage be- steht darin, ob dieselben die Präexistenz des Zuckers nö- thig machen oder nicht. Die fetten Oele, zu den verbreitetsten Pflanzenbe- standtheilen gehörend, helfen ebenfalls Zellstoff bilden. Die Bedeutung der Pectinstoffe ist noch sehr problema- tisch. Einige organische Säuren scheinen in gewissen Beziehungen die ersten Producte der Assimilalion zu sein, aber die Früchte, die zwar in der Jugend sauer, in der Reife süss schmecken, zeigen, im Gegensatz mit jener Vermuthung, nicht nur keine der Zunahme des Zuckers entsprechende Verminderung des Säuregehaltes, sondern eine Vermehrung desselben. Fast ganz im Dunkel liegt endlich die Bedeutung der organischen Basen, der äthe- rischen Oele und Harze und der Farbstoffe. Die Pflanzen leben zu einem grossen Theile auf der festen Erdrinde, schicken ihre Wurzeln in den Boden, die Aeste und Blätter in die Luft, eine nicht geringere Zahl hält sich im Wasser unserer Flüsse und Seen oder im Meere auf. Schon die ältere Wissenschaft hat daher Erde, Wasser und Luft als die Quellen des vegetabili- schen Daseins bezeichnet. Aber diese drei Medien sind in ihrer Beschaffenheit nicht immer so einfach, und schon die oberflächliche Untersuchung lehrt, dass davon das Gedeihen der Pflanzen abhängt. Kein frisches Grün be- deckt die starren Felswände unserer Alpenstöcke, das 392 todte Meer, dessen Salzgehalt beinahe 25°/, beträgt, er- nährt kein lebendes Wesen und in dem berühmten Gift- thal auf Java findet man zwar Leichen von Menschen und Thieren, aber kein Pflanzenteppich bereitet ihnen ein wei- ches Grab. Es ist daher die Frage über die Nahrungs- mittel der Pflanzen noch genauer zu untersuchen. Noch sind keine 25 Jahre verflossen, seit ein ge- achteter Bolaniker die Behauptung aufstellen konnte: Die Pilanzen scheinen unter Umständen Erdarten und Metalle zu erzeugen, selbst wenn ihnen dieselben in der Nahrung nicht dargeboten werden. Die Meinung war irrig, alle Mineralbeständtheile der Pflanzen stammen aus der Erde und es ist jetzt nicht unmöglich, aus der Zusammen- selzung und Menge der Pflanzenaschen die Qualität und Quantilät der mineralischen Düngstoffe zu bestimmen, die dem Ackerboden jährlich zugeführt werden müssen, damit seine Ertragsfähigkeit für dieses oder jenes Culturgewächs in einer gewissen Reihe von Jahren nicht abnehme. Vom Regen durchnässt, vom Frost erweicht, bedeckt sich der rohe Fels mit seinen Trümmern, Bäche schwem- men sie in das Thal hinab und in dem angehäuflen Schutt gehen Pflanzen auf, ihr kümmerliches Dasein zu fristen. Aber der Zahn der Zeit wird nicht stumpf, Wasser und Kohlensäure schliessen das Trümmergestein auf, setzen fruchtbare Bestandtheile in Freiheit und füh- ren sie in gelöster Form früher oder später den Wurzeln von Pflanzen zu. Nur in solcher Gestalt sind sie ja den Pilanzen zugänglich, da diese weder einen Mund besitzen, noch das Vermögen, feste Körper durch ihre Substanz in’s Innere zu pressen. Welche ungeheure Quantität von Mineralstoffen der Einwirkung jener unscheinbaren Kraft beständig erliegt, erkennt man aus der einzigen That- sache, dass nur der Rhein bei Bonn täglich über 50,000 englische Cubikfuss gelöste Stoffe vorbeiführt, nicht zu gedenken der Menge, deren sich schon vorher Pflanzen bemächtigen. Es ist nicht unwichtig für den Landwirth, die geologischen Verhältnisse seiner Gegend zu kennen, weil darin der Schlüssel zur Erklärung vieler misslicher Erscheinungen und das Mittel zu deren Abhülfe verbor- gen liegt. Mancher Ackerboden ist zu mergelig, weil in der Nähe nur Kalkgebirge vorkommen, ein anderer aus entsprechenden Gründen zu sandig oder lehmig. Wir wissen, dass zwar viele Planzen einzelne unorganische Basen oder Säuren bevorzugen; diese liebt Kalk, jene Thon- oder Kieselerde, aber keine begnügt sich mit ei- nem einzigen Mineralstoff; das Aufbringen der einer Ak- kererde fehlenden Stoffe in geeigneter Form wird daher häufig einen schlechten Boden für eine grosse Anzahl von Nutzpflanzen brauchbar machen. — Ich habe bisher des wichtigen Einflusses nicht gedacht, den die Pflanzen- welt selbst auf die Ackerkrume ausübt. Die Pflanzen sprossen in die Höhe, blühen und sterben ab, ihre Reste werden der Erde einverleibt, neue Generationen erheben sich über ihnen, neue Generationen zerfallen zu Moder. Auf diese Weise erhält der Boden allmählig organische Beimengungen und wo dem Wasser undurchdringliches 393 Gestein den Abzug nicht vermehrt, bildet sich die frucht- bare Humuserde. Lange Zeit drehte sich um die Bedeu- tung der Humuskörper ein hartnäckiger wissenschaftlicher Streit. Nach der Meinung der einen Forscher sollten dieselben unumgänglich nothwendig zum Gedeihen der Pflanzen sein und das Hauptmaterial zur Bildung der Cellulose, der Proteinkörper, kurz der organischen Pflan- zensubstanzen liefern. Die andere Partei erklärte dage- gen den Humus für unwesentlich, sehr entbehrlich, nannte seine Wirkung mittelbar, durch seine Zersetzungsproducte H0, NH, und unorganische Salze veranlasst und suchte daher, gestützt auf das allgemeine Vorkommen der Koh- lensäure und des Ammoniaks in der Natur, den organi- schen oder Stalldünger durch sogenannten Mineraldünger zu ersetzen. Für die erste Theorie trat insbesondere Mulder in die Schranken, die zweite, von Ingen- housz begründet, fand ihren eifrigsten Verfechter und Verbreiter an Liebig. An vermittelnden Stimmen konnte es um so weniger fehlen, als in der That die Wahrheit weder ganz auf Seite der einen noch der anderen Partei zu liegen scheint. Man hat gegen den Nahrungswerth der Humuskör- per eingewendet: sie seien entweder gar nicht oder nur schwer löslich und daher die wässerigen Niederschläge jedenfalls zu gering, um die nöthige Menge davon zu lösen. Allerdings erfordert der humussaure Kalk 2500 Theile Wasser zu seiner Lösung; aber die meisten Hu- mussubstanzen lösen sich leicht in Alkalien, und die es nicht thun, werden unter dem Einfluss des Sauerstoffs der Luft darin löslich. Ueberdiess bilden ihre alkalischen Salze mit den alkalischen Erden und den schweren Me- talloxyden öfters lösliche Doppelverbindungen. Auf die- sem Wege ist also der Humustheorie wohl nicht beizu- kommen. Die Menge fixer Basen, welche der jährliche Holzertrag eines Joches Wald enthält, wurde dazu be- nutzt, die Quantität Huminsäure zu berechnen, welche von jenen Basen in die Pflanzen konnte begleitet worden sein, und man glaubte, daraus einen Schluss ziehen zu können auf die ganze Quantität Kohlenstoff, welche sich die Pflanzen durch Humus anzueignen im Stande seien. Die berechnete Kohlenstoffmenge beträgt nur etwa 9 Proc. der beobachteten. Gesetzt aber, der Stickstoff des Holzes sei in der Form von huminsaurem Ammoniak mit 4 Ato- men basischen Wassers aufgenommen worden, so kommen zu jenen 9 Proc. noch weitere 33 Proc., summa 42 Proc. Ausserdem sind einzelne Humuskörper ohne Weiteres lös- lich. Wir sehen daraus, dass die Quantität Kohlenstoff, welche der Humus unter den günsligsten Voranssetzun- gen liefern könnte, zwar nicht ganz unbeträchtlich ist, dass aber die Wirklichkeit doch kaum zur Hälfte er- reicht wird. Unermessliche Mengen organischer Substanz entzie- hen wir jährlich unsern Wäldern in der Gestalt von Brenn- und Bauholz, ohne ihnen einen Ersatz dafür zu bieten. Die Alpen, eben nicht das beste Beispiel für rationelle Landwirthschaft, versorgen uns noch immer wenigstens nicht nothwendig ist. 391 mit Fleisch, Butter und Käse. Seit Jahrhunderten ern- tet man in Ungarn auf demselben Felde Weizen und Ta- bak, ohne organischen Dünger aufzufahren. Ueber 300,000 Centner Palmöl werden jährlich in England eingeführt, die Pflanzen aber, die dasselbe liefern, die schöne Cocos- palme und die Oelpalme wachsen auf humusfreiem Mee- ressande. Eine grosse Zahl anderer Culturgewächse, wie: Reis, Mais, Caffee, Cacao, Baumwolle, die Indigopflanze erhalten mindestens keine erhebliche Menge organischer Düngstoffe von aussen, eben so wenig die ausgedehnten Zuckerplantagen. 18,000,000 Centner Kohlenstoff ent- hält der jährlich verbrauchte Rohrzucker, 13,000,000 die ausgepressten Rückstände, welche verbrannt werden. Die Maiscultur in Mexico gibt seit uralten Zeiten 200- bis 600fältige Erndten ohne Dünger, bei uns mit Dünger nur 12—15fache, und die Banane, die zuweilen auf Ei- nem Baume 70 — 80 Pfund Früchte trägt, erzeugt auf dem gleichen Raume ohne Düngung 9mal so viel trockne Substanz, als unsere Kartoffel, und 34mal so viel, als der Weizen. Drei Viertheile aller Culturen werden nach Schleiden ohne Anwendung von organischem Dünger vorgenommen. Aus alle dem geht hervor, dass die Zufuhr orga- nischer Düngstoffe für die Pflanzen in schr vielen Fällen Indessen lässt sich auch beweisen, dass dieselbe, wenn sie Statt findet, nicht ausreicht, um die producirte Kohlen- und Stickstoffmenge zu erklären. Boussingault hat berechnet, dass sich der Kohlenstoff der Erndten zu dem des zugeführten Dün- gers im Mittel verhält wie 2,88 : 1 und der Stickstoff wie 2 : 1. Dazu kömmt, dass ein nicht kleiner Theil des Düngers verloren geht, bald durch den Regen weg- gespült wird oder bei der Zersetzung in Gasform ent- weicht. Endlich ist es Thatsache, dass sich die Humusbe- standtheile der Erde im Lauf der Zeit vermehren. So wachsen die Torfmoore, worauf das blassfarbige Torf- moos wuchert, und deren Wachsthum kann in 30— 40 Jahren schon 1° betragen. Wälder, denen durch Laub- brechen, Holzfällen u. dgl. nichts entzogen wird, bedek- ken die Erde alljährlich mit einer neuen Schicht vermo- dernder Abfälle. 50— 100° tiefer Humus bildet die Grundlage der üppigen Urwälder Amerikas. So wichtig diese Thatsachen sind, so geht daraus doch nicht hervor, dass keine Pflanze an organische Nahrung gebunden oder überhaupt die Aufnahme und Assimilation organischer Substanzen eine Unmöglichkeit sei. Wir wissen im Gegentheil, dass sämmtliche Pilze eine organische Grundlage voraussetzen, bestehe nun diese in einem Thier, einer Pflanze oder deren verwesenden Ueberresten, bestehe sie in einer gährungsfähigen Flüs- sigkeit. Ebenso beziehen die Schmarotzervflanzen im en- gern Sinne des Wortes aus der Wurzel oder dem Stamme der Pflanze, worauf sie leben, organische Nahrung und sind, damit in Uebereinstimmung, entweder ohne Assi- 935 milationsorgane oder mit ganz abweichend gebauten ver- sehen. Dass aber auch selbstständige Pflanzen Humus- körper aufnehmen können, haben die zahlreichen Versuche, solche Pflanzen in Lösungen natürlicher und künstlich dargestellter Humusstofle zu cultiviren, bewiesen, indem die Pflanzen ihren Kohlengehalt auf Kosten der Lösung vermehrten. Fassen wir nun Alles mit Rücksicht auf die Pflan- zen über den Nährwerth organischer, insbesondere hu- musartiger Stoffe bis jetzt Gesagte zusammen, so ergibt sich als: Resultat: Ein der Zahl der Arten und Gattun- gen nach beträchtlicher, hinsichtlich der Masse ver- schwindender Theil der Gewächse ist auf organische Nah- rung angewiesen; den übrigen Pflanzen lässt sich zwar das Vermögen, Humusyerbindungen aufzunehmen, nicht unbedingt absprechen, sie sind aber zu deren Aufnahme nicht gezwungen. Der Stickstoff und die Kohle des per Jahr angewendeten, organischen Düngers reichen in den meisten Fällen nicht aus, um den Bedarf der Pflanzen an diesen Elementen zu decken. Die Pflanzen erzeugen mehr Humus als sie verzehren. Kurz: die organischen Bodenbestandtheile spielen als Nahrungsmittel der Ge- wächse eine sehr untergeordnete Rolle. Es muss daher noch eine andere Quelle des Kohlenstoffs und Stickstofls geben. Diese ist die Kohlensäure und das Ammoniak der atmosphärischen Luft. Die Aufnahme der Kohlensäure ist vielfach beobach- tet worden. Pflanzen, bei welchen die einzelnen Lebens- funktionen noch nicht verschiedenen Organen übertragen sind, saugen dieselbe mit ihrer ganzen Oberfläche auf, so insbesondere die meist im Wasser lebenden Algen. Bei den höheren Pflanzen hingegen, welche eine Wurzel haben, ist diese gleichsam das Hauptportal für die Koh- lensäure. Pfanzen, die man in ausgeglühtem Quarzsand cultivirte, vermehrten den Kohlenstoff, wenn der Sand nur mit kohlensäurehaltigem Wasser begossen wurde und die nöthigen mineralischen Stoffe enthielt. Indessen sind auch die Blätter, überhaupt alle grünen Pflanzentheile geeignet, Kohlensäure zu absorbiren, so bald sie von der Sonne beschienen werden. Ein beblätterter Zweig, wel- cher mit der Mutterpflanze in Verbindung in einem von der Sonne beleuchteten Glascylinder luftdicht eingeschlos- sen wird, entzieht der durchgeleiteten atmosphärischen Luft alle Kohlensäure. Nur ein Uebermaass von Kohlen- säure ist den Pflanzen wie den Thieren nachtheilig, schon in einem Gemenge von 2 Volumen Kohlensäure auf 1 Volumen atmosphärische Luft verwelken die Blätter. Das Giftthal auf Java, ein kleiner Bergkessel, ist darum eine Wüste, weil die Kohlensäure, welche dort massenhaft aus der Erde dringt, in Ermangelung eines seitlichen Ausweges, wie der Alp auf dem Boden lasten bleibt. Theilweise mag auch die Abwesenheit des Sauerstoffs da- ran Schuld sein. Es ist eine auffallende Erscheinung, dass das Gedeihen der Pflanzen an die Absorption von 396 Sauerstoff gebunden ist, obwohl sie eine viel grüssere Menge dieses Gases ausscheiden, und man könnte sich die Thatsache kaum erklären, fänden beide Processe gleichzeilig in denselben Pflanzentheilen statt. Es sind aber nur die nicht grün gefärbten Pflanzentheile, welche beständig, also auch im hellen Sonnenscheine, Sauerstoff aufnehmen, während die grün gefärbten Blätter und Sten- gel nur in der Finsterniss und im zersetzten Licht etwas Sauerstoff verzehren. Dort finden also, wie es scheint, ununterbrochen Oxydationsprocesse statt, hier abwechselnd mit diesen Desoxydationsprocesse. Wie schon gesagt, haucht die Pflanze viel mehr Sauerstoff aus, als sie verbraucht; ihr Leben ist daher im Allgemeinen, im Gegensatz zu demjenigen der Thiere, ein Desoxydationsprocess: Ein neues Kriterium zur Prüf- ung der einen und andern Ernährungstheorie ! Der verbreitetste organische Pflanzenstofl, die Cellu- lose, besteht aus wenig mehr als 44 Proc. Kohlenstoff, fast 50 Proc. Sauerstoff und circa 6 Proc. Wasserstoff. Weitaus die meisten übrigen Pflanzenstoffe enthalten mehr Kohle als Sauerstoff und mehr Sauerstoff als Wasserstoff. Man kann annehmen, dass die getrocknete Pflanzensub- stanz fast zur Hälfte aus Kohlenstoff besteht. Ihm am nächsten kommt der Sauerstoff, während Wasserstoff und Stickstoff, besonders aber Schwefel und Phosphor, der Masse nach sehr zurücktreten. — Die Humussubstanzen enthalten mehr als die Hälfte (57 bis 69 Proc.) Kohle, nur in der Quellsäure überwiegt der Sauerstoff um kaum 3 Proc. über den Kohlenstoff. Eine Pflanze, die ihren Kohlengehalt vorzugsweise aus den Humusbestandtheilen oder andern relativ sauerstoflarmen organischen Substan- zen bezieht, muss folglich mehr Sauerstoff aufnehmen als abgeben. Diess finden wir in der That bei den Pil- zen. Die Pflanzen hingegen, welche der atmosphärischen Luft die constante Zusammensetzung erhalten, müssen eine sauerstoffreiche Nahrung verarbeiten, und diese kann nichts Anderes sein, als die Kohlensäure, welche auf bloss 28 Proc. Kohle 72 Proc. Sauerstoff enthält. Schwieriger ist es, über die wahre Abstammung des Stickstoffs der Pflanzen etwas Positives zu sagen, da sich die Resultate der neuesten Untersuchungen dieses Gegen- standes direct widersprechen. Doch dürften die genauen Versuche von Boussingault, welcher verschiedene Pflanzen in ammoniakfreien Räumen aus Samen zog, und dabei nicht nur keine erhebliche Zunahme, sondern im Gegentheil eine auffallende Verminderung des Stickstofls der Keimlinge beobachtete, die Bedeutung des Ammoniaks für die Ernährung in ein klareres Licht gesetzt und be- wiesen haben, dass Stickgas, so oft es auch in gelöster Form von Pflanzen verschluckt werden mag, der Assi- milation nicht fähig ist, sondern nebst dem kleinen An- theil, der allenfalls in Folge des Lebensprocesses aus der Pflanze frei wird, unter den gasförmigen Ausscheidungs- producten wieder erscheinen muss. Weniger sicher ist es, in welcher Form und zumal bei höheren Pilahzen, 397 durch welches Organ das Ammoniak aufgenomnten wird, ob als unorganisches Salz oder in Verbindung mit Hu- musstoffen, ob ausschliesslich durch die Wurzeln oder auch durch die Blätter. Endlich bleibt uns noch zu erörtern übrig: Sind Kohlensäure und Ammoniak in hinreichender Menge frei auf der Erde, um die gesammte Pflanzenwelt mit jähr- lichem Bedarf an Kohlenstoff und Stickstofl versorgen zu können, und gelangen sie in dieser Menge in das Innere der Pflanzen ? Wir dürfen beide Fragen zum Voraus bejahen. Es ist bekannt, dass die atmosphärische Luft ausser Stick- gas und Sauerstoffgas, ihren Haupibestandtheilen, einer schwankenden Menge Wasserdampf und untergeordneten, zufälligen Beimischungen stets eine gewisse Quantität Kohlensäure und Ammoniak enthält. So klein diese Menge erscheint, verglichen mit einem bestimmten Volu- men Luft, so beträgt sie für die Kohlensäure im Ganzen doch mehrere Billionen Centner, für das Ammoniak 4 so viel Pfunde und würde genügen, selbst ohne Erneuerung, die gesammte Vegetation der Erde eine Reihe von Jah- ren hindurch zu erhalten. Dazu kömmt noch, dass un- zählige, chemische Vorgänge die Abnahme genannter Kör- per verhindern. Menschen und Thiere athmen beständig Kohlensäure aus; eine wenig geringere Menge liefern Verbrennungsprocesse, Feuerung jeder Art, Wald- und Steppenbrände, ferner die Exhalationen der Vulkane und des vulkanischen Bodens, die mannigfachen Fäulniss- und Verwesungsprocesse in und auf der Erde, bei welchen Kohlensäure und Ammoniak in reichlicher Menge entwei- chen, um durch die Blätter verdichtet, oder im Regen und Thau den Wurzeln zugeführt zu werden. Es ist Unger’s Verdienst, durch Experimente nach- gewiesen zu haben, dass wenigstens bei höheren Pflan- zen die durch die Blätter absorbirte Kohlensäuremenge viel zu klein ist, um die während einer gewissen Zeit wirklich produeirte Kohle zu liefern. Ihm verdanken wir auch das wichlige Gesetz, dass die Pflanzen selbst bei erhöhtem Bedürfniss aus der Atmosphäre kein Wasser durch die Blätter empfangen. Die Hauptmasse der Koh- lensäure geht also mit dem, später theils in der Pflanze gebundenen, theils von ihr wieder ausgeschiedenen Was- ser durch die Wurzel in die Pflanze. Nun ist zwar das Absorptionsvermögen des Wassers schon für Kohlensäure beträchtlich; allein, da nicht das Gewicht, sondern das Volumen des absorbirten Gases constant ist, ferner 398 das in der Maasseinheit enthaltene Gewicht Gas wech- selt nach Druck und Temperatur, da endlich die Dichtig- keit der Kohlensäure in der Luft eine sehr geringe ist, so wäre die von der Pflanze während der ganzen Vege- tationszeit ausgehauchte Wassermenge —- die gebundene, trotz ihrer Grösse, nicht im Stande, viel mehr als ein Minimum der nöthigen Kohle zu liefern, hätte dieses Wasser nicht Gelegenheit eine weit grössere Quantität Kohlensäure zu absorbiren, als dasselbe auf seinem Durch- gang durch die Luft absorbiren kann. Geht man weiter- hin von der wahrscheinlicheren Annahme aus, dass die Pflanzen auch das Ammoniak vorherrschend durch die Wurzeln empfangen, so ist der Gehalt des Regenwassers an Ammoniak ebenfalls viel zu unbedeutend, um den pro- ducirten Stickstoff zu erklären, das Regenwasser muss daher vor seinem Eintritt in die Wurzeln von Neuem Am- moniak auflösen. Neuere Untersuchungen haben gelehrt, dass die Luft in den Zwischenräumen der Ackererde viel reicher an Kohlensäure ist, als die Atmosphäre. Luft aus einem seit zwölf Monaten nicht gedüngten Boden enthielt bis 23, Luft aus einem frisch gedüngten bis 245mal mehr Kohlensäure. Die Ursache dieser Erschein- ung liegt darin, dass einerseits der Sauerstof! der einge- drungenen, atmosphärischen Luft von den verwesenden organischen Beimengungen der Erde yerbraucht wird, an- derseits, dass die Ackerkrume das Entweichen der in Folge von Verwesungsprocessen entslandenen Kohlensäure mechanisch verlangsamt. Aus denselben Gründen muss die Luft des Bodens auch mehr Ammoniak enthalten, als die atmosphärische Luft. Wir haben hier eine reicher fliessende Quelle des Kohlenstoffs und Stickstoffs; aber auch diese ist unzureichend. Dagegen gibt es eine An- zahl fester Körper, welche in hohem Grade die Eigen- schaft bezitzen, Gase auf ihrer Oberfläche zu verdichten. Unter diese gehören von den verbreiletsten Bodenbestand- theilen in erster Linie die Humuskörper und der Thon. Wo auch nur einer dieser Stoffe in geeigneter Qualität und Quantität der Erde beigemengt ist, da wird nicht nur ein grosser Theil der endlichen Zersetzungsproducte organischer Bodenbestandtheile mechanisch gebunden und zurückgehalten, sondern es wird beständig aus der At- mosphäre: Kohlensäure, Ammoniak und Wasserdampf reichlich angezogen, verdichtet und den Pflanzen zugäng- lich gemacht; da freut sich der Landmann gesegneter Erndten.“ Heilkunde. Einfluss der Mütter auf die Schädeldurchmes- ser des Kindes. Von Dr. Spöndli (Zürich). (Schluss.) Nro. 85. B. S. v. 0., 34 Jahre alt und zum vier- ‘ten Mal in gesegneten Umständen, kam mit einem pleu- ritischen Exsudat auf der rechten Thoraxhälfte in die Anstalt. Während ihres Aufenthaltes daselbst besserte sich ihr Zustand zwar wesentlich, doch hatten den 17. August, 17 Tage nach dem Eintritt, die Kräfte noch { »» 399 ’ nicht den Grad erreicht, um die Geburt spontan‘ zu be- endigen. ‘Morgens halb’ 9 Uhr sprang die Blase, der Kopf rückte auf den Beckenboden hinunter, blieb. aber daselbst stehen aus Wehenschwäche. Die leichte Ent- bindung miltelst der Zavge, welche um halb 12 Uhr Mittags stalt hatte, förderte einen Knaben zu Tage, 6 Pfd. schwer und 17 Zoll lang. Die Kopfdurchmesser be- trugen 33, 43 und 5} Zoll, und wäre namentlich der quere nicht so gross gewesen, so hätte vielleicht die Natur dennoch ausgereicht. Eine Stunde später musste die Placenta wegen fast compleler, zäher Adhäsion an der vordern Uterinwand mit darunter befindlicher enger Incarcerationsstelle künstlich gelöst werden. Den 15. September trat die Wöchnerin gesund aus. Nro. 108. B. W. v. R., 25 Jahre alt und erstge- bärend, kam den 19. October 4 Uhr Morgens mit einem Mädchen in erster Schädellage glücklich nieder, nachdem der Blasensprung 5 Stunden zuvor erfolgt war. Länge 19 Zoll, Gewicht 6! Pfd. Kopfdurchmesser 4, 5 und 54 Zoll. Diese schr bedeutenden Dimensionen mussten die normale Geburt unmöglich machen, wenn nicht das Becken eine ungewöhnliche Weite und die Genitalien eine bedeutende Nachgiebigkeit besassen. Nro. 110. M. M. v. B., erstgeschwängert und 22 Jahre alt, gebar den 21. October halb 9 Uhr Morgens ein Mädchen, von den Eihäuten vollkommen bedeckt’ Länge 18 Zoll, Gewicht 5% Pfd. Es ist um so auffal- lender, dass bei dieser Erstgebärenden die Blase nicht früher gesprungen, da der quere Durchmesser von 3% Zoll Länge einige Zögerung im Heruntertreten des Schä- dels erwarten liess. Der gerade Durchmesser betrug 45 und der diagonale 5 Zoll. Nro. 118. B. A. v. R., 32 Jahre alt und zum fünf- ten Mal schwanger, verlor das Fruchtwasser den 4. No- vember 6 Uhr Abends. Bald nachdem diess geschehen, bemerkte die Hebamme, dass der Nabelstrang vorgefallen sei. Als ich um 8 Uhr untersuchte, fand ich eine grosse Schlinge in die Vagina hinunterragend, den Puls inner- halb derselben langsam, das Orificium 1 Zoll breit ge- öffnet, den Kopf noch über dem Beckeneingang befind- lich, die Reposition unmöglich. Ich stand nicht an, die Prognose für die Frucht schlecht zu stellen, und war desshalb um so mehr erstaunt, als die Sache einen ganz günstigen Verlauf nahm. Um 10 Uhr nämlich begann der Muttermund langsam und von 11 Uhr an sehr rasch sich zu erweitern. Kräftige Wehen brachten das Her- unter- und Austreten des Kopfes in weniger als 5 Mi- nuten zu Stande. Der Nabelstrang erschien in der rech- ten Beckenhälfte vor dem Kopfe, also in einer relativ ungünsligen Stellung. Der Puls verschwand momentan, die Frucht, männlichen Geschlechts, ward scheintodt ge- boren, indessen durch Aufspritzen kalten Wassers so- gleich wieder belebt. Der Strang war 3 Fuss lang, dünn, wenig gewunden, central inserirt und mit zahl- Pr 400 reichen Varicosiläten versehen. Die Placenta, besass eine rundliche Gestalt und musste tief gesessen haben, da die Eihäute nahe an deren Rande sich durchbohrt zeigten. Der Knabe war 19 Zoll lang, 6 Pfd. schwer, und des- sen Kopfdurchmesser betrugen 37, 44 und 5 Zoll. Geht man wohl irre, wenn man, unbeschadet den günstigen dynamischen Bedingungen dieses Falles, auch die letztern und namentlich die Kleinheit des Querdurchmessers bei dem glücklichen Resultate mit in Rechnung bringt? Nro. 125. M. M.v. D., 33 Jahre alt und zum vierten Male in andern Umständen, ward bei ihrer ersten und zweiten Geburt schwierig miltelst der Zange entbun- den. Das dritte Mal kam sie normal nieder und ebenso das gegenwärlige. Der Wassersprung erfolgte den 5. November 2 Uhr Nachmittags. Die Geburt schritt bei nicht besonders energischen Wehen sehr langsam vor- wärts, der Kopf stellte sich in zweiter Schädellage und um 11 Uhr Abends erfolgte, es lässt sich nicht bestim- men, aus welcher Ursache, der Vorfall des Nabelstranges an der hintern Beckenwand bei noch nicht hinreichend geöffnetem Muttermund. 27 Stunden später erfolgte die Geburt eines lebenden Mädchens, 17 Zoll lang und 7+ Pid. schwer. Die Kopfdurchmesser betrugen 34, 44 und 5} Zoll. Nach einer weitern Viertelstunde erschien die Placenta, auf welche sammt dem eine Umschlingung um den Hals der Frucht bildenden Nabelstrang die bei der vorigen Geburt gegebene Beschreibung in allen Punkten passt. Ich möchte auch hier die oben geäusserte Meinung mit Beziehung auf die Schädeldurchmesser aussprechen. Nro. 130. M. K. v. E., eine kleine 28jährige anä- mische, zum ersten Mal Schwangere, bei der das Pro- montorium zwar nicht erreicht ward, die Beckenräum- lichkeit aber jedenfalls keine bedeutende zu nennen war. Den 12. December halb 8 Uhr Abends erfolgte der Bla- sensprung und schon um 8 Uhr die Geburt eines leben- den Mädchens in erster Schädellage, 17 Zoll lang und 64 Pfd, schwer. Die Kopfdurchmesser betrugen 34, 45 und 55 Zoll. Es herrscht hier ein ähnliches, obschon nicht identisches günstiges Verhältniss wie bei Nro. 37. Nro. 133. E. H. v. E., 27 Jahre alt und zweitge- schwängert, kam den 16. November Abends 9 Uhr mit einem todtgebornen macerirten Mädchen in zweiter Schä- dellage nieder; dessen Durchmesser betrugen 33, 44 und 4! Zoll, trotzdem das Gewicht nur 4 Pid., die Länge nur 16 Zoll erreichten. Die Grösse des Querdurchmes- sers bei der geringen Entwickelung der Frucht im Ganzen ist der einzige Grund, warum ich diesen Fall citire.““ Miscelle. Chloroform gegen Veitstanz der Kinder. In der Gaz. hebdom. 1857. No. 5. empfiehlt Dr. Gery auf das Dringendste die Chloroformeinalhmungen gegen leichte und schwere Fälle von Chorea der Kinder. Die schwersten Fälle werden wenigstens in den Anfällen beschränkt und gemildert. Druck und Verlag von Friedrich Mauke in Jena, der Natur... . Ware 5 (2% ZU a N N » = 4 ig n. x Co t u ae Ban. DE 22 7 2 ; Bd