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)OHN KEAT3

GEDICHTE

ÜBERTRAGEN VON GISELA ETZEL

IM INSEL-VERLAG ZU LEIPZIG

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ICH SAH VON HUGELHÖH INS LAND HINEIN . . .

ICH sah von Hügelhöh ins Land hinein. So slille lag die Lufi im Sonnenschein, Da6 volle Knospen, die in sanfiem 5ogen Die leichien schwanken SIengel seilwärls zogen, Noch glänzten in dem bunten Siernenprangen, Mit dem der Morgen schluchzend sie behangen. Die Wolken waren weiB und rein wie Schafe, Die nach der Schur und nadi geruhigem Schlafe Im Bache badeten; sie lagen matt Im blauen Himmelsfeld; und 51att um 51att Schien nur ein leiser Atem zu bewegen. Das Schweigen nur schien seufzend sich zu regen; Denn jeder Schatten, der ins Grüne fiel. Lag steif und starr und wu^le nichts von Spiel. Die Landschaft ruhte still und weit und frei Und lud den Blick zu trunkner Schwelgerei: Des Horizonts kryslallnen Glanz zu sehen Und seinen zarten Linien nachzugehen. Auch jenem Feldweg, der sich seltsam windet. Durch Wälder krümmt und fern, ganz fern verschwindet; Und an bebuschten Streifen zu erkennen. Wo unter Schatten kühle Wasser rennen. Idi schaute, und mir war so wohl und klar, Als fächle sanft des Hermes' Flügelpaar Die Füfee mir. Mein Herz war leicht und frei, Den Geist entzüd<ten Freuden mancherlei. Nach buntem Strauß begann ich mich zu bücken. Mir wei&e, blaue, goldne Lusl zu pflüd<en:

Ein 5usch Maiglöckchen, daran Bienen hängen,

Die wühlend tief in sü^e Kelche drängen;

Ein Gufe Goldregen soll darüber fliegen.

Und langes Gras soll meinen Strauß umschlie&en.

Ihn feucht und kühl erhallen und in Schallen Die Veilchen hülen, dafe sie nichl ermallen.

Hier grünt ein Haselstrauch, um den mit sdilanken Sdimiegsamen Armen wilde Rosen ranken, Und dunkles Geißblatt, das zu lichten Höhen Die schwanke Winde hebt. Daneben stehen Und wiegen ihre süfeen Frühlingslräume In kleiner Reihe schlanke junge 5äume, Aus wunderlichen Wurzeln aufgeschossen. Das alte moosige Fleditwerk wird umgössen Von klarem, frischem, sprudelfrohem Quell; Im Vorwärtshasten plaudert er nodi schnell Von seiner Töchter blauer Lieblichkeit- Von Glod<enbIumen. Ach, er ahnt die Zeü, Da wohl gedankenlose Kinderhand Die zarten pflüd<t und wirft in Sonnenbrand.

O Ringelblume, goldner, goldner Glanz!

Entzünde deinen Kranz!

Wisch ab den Tau, der dir vom Aug sich stiehlt.

Denn Gott Apoll befiehlt,

In diesen Tagen soll nur eine Weise

Die Harfen rühren: nur zu deinem Preise!

Und wenn er morgen deine Augen küfel,

Sag ihm, da| du in meinen Wonnen bist;

Und streif ich dann in fernem Tal- vielleidil

Da& seine Stimme meine Stirn umstreidit.

Plallerbsen stehen flugbereit auf Zehen Und lassen rot und wei|e Flügel wehen; Ihr spifeer Finger hascht nach allen Dingen, Sie fest mit winzigen Ringen zu umschlingen.

Sieh hier das Bächlein, niedrig überbrüd<I

Von sdiwanken Planken; weile hier enlzüd<l

Und lausche, wie Natur so sanft sich rührt,

Die süfeer noch als Taubenruf verführt;

Wie still das Wasser um die biegung zieht:

Kein Flüstern, das hinauf ins Grüne flieht.

Kein Grufe den Weiden. Gras und Halme kommen

Durdi wirre Schatten langsam hergesdiwommen.

So langsam— könntest du nicht zwei Sonette

Gelesen haben, eh im trägen Bette

Dies Gras dorthintreibt, wo die Strudel kreisen

Und Holz und Halm im Tanzen unterweisen

Und so gesdiwäfeig mit den Kieseln lärmen?

Elrifeen stehen dort in ganzen Schwärmen

Und stemmen sidi dem kräftigen Strom entgegen.

Genießen so den vollen Sonnensegen

Im kühlen Wasser. Wie sie immer ringen

Um diese süfee Lust! Und glifeernd schlingen

Sie flink den Silberleib durch Kieselsand.

Erhebe nur ein wenig deine Hand,

Im selben Augenblick sind alle fort

Und senkst du sie, sind alle wieder dort.

Sieh, wie die kleinen Wellchen Freude fühlen.

Sich zwischen Kressenlocken abzukühlen.

Sie nehmen Kühlung und sie geben Feuchte

Dem krausen Grün, damit es frisdier leudite.

Gleich guten Menschen, die in Redlichkeit

Zu wechselseitigem Geben gern bereit.

Von niedern Zweigen schwingt sich hin und wieder

Ein Häuflein bunter Distelfinken nieder:

Nur kurze Zeit, nur nippen und geschwind

Die Federn feuchten, die voll Sonne sind.

Dann plöblich fort, wie's muntre Laune will.

Doch manchmal hält ihr gelbes Sdiwirren still

Und zeigt die glänzend schwarz und goldnen Schwingen.

War idi wie sie beslimml zu solchen Dingen - Ach, war ich sie, ich würde beien mögen, Dafe meine Lust in grünenden Gehegen Nur süBres störe, nur ein Mäddienkteid, Das nahe rauscht und voll Behendigkeit Vom Löwenzahn die Samenfäden fegt- Als eines Mädchens Fu&, der nah sich regt Und der im Spiel beim schnellen Vorwärtsgehen Den Sauerampfer schaukelt mit den Zehen. Wie würde sie erschredct zusammenfahren, Weil man ihr liebes kindliches Gebahren Entdeckt. Oh, übers Wasser sie zu leiten, Das halbe Lächeln sehn, das Niedergleiten Der scheuen Blicke, ihre tiand zu fassen - Von ihrem Atem mich berühren lassen! Und wenn sie von mir geht- da| sie sich wende. Den schönen Blid< durch braune Lod<en sende!

Was weiter? Primeln hier ein voller Strauß! O schaue, Seele, träume, ruhe aus Und sinke schlummernd hin; dodi immer wed<e Dich sanft das Piafeen einer Knospended<e, Dich irgend eines Falters trunkne fiasl, Der ruhlos weilerfliegt von Rast zu Rast, Und Luna wed<e dich, wenn sie die Schale Nun aus dem Wogen schimmernder Opale, Aus milchigen Wolkenmeeren, silbern hebt Und sacht empor in Himmelsbläue schwebt. O Göttin du der Dichter, liebe Lust Der schönen Welt und jeder edlen Brust! Du Heiligenschein, der alle Wasser schmüd<l, Du süBer Kufe, der uns mit Tau beglückt. Du milde Hand, die schöne Augen schliefet Und sdiönen Traum in stillen Schlummer giefet.

Du Freundin von Gebet und Sdiwärmerei,

Von Einsamkeit und Liebegrübelei!

Didi preise idi vor allen andern Dingen,

Die tief beglückend uns zum Dichten zwingen.

Du Paradiesesglanz, du ewiges Licht,

Du bist die Seele, die der Dichter spricht.

Du nahst- und irgend eine dunkle Linie

Wird ihm zum Umri^ würdevoller Pinie;

Dein Lächeln, das zur dunklen Erde sdiwebt.

Gibt Silberfäden, draus er Märchen webt.

Und ist solch Märchen köstlich aufgebaut.

So atmen wir den Duft von Sommerkraut

Und gleiten hin auf üppigen Wollustschwingen,

Die uns in himmlische Regionen bringen:

Taufeuchte Rosen slreidieln unsre Wangen,

Wir sehen Lorbeer reich in 51ülen prangen.

Zu liäupten gleiBl Jasmin in voller Laube,

Und lächelnd blüht aus grünem Kleid die Traube,

Ein Bächlein hüpft, mit sanflem Sang zu rühren

Und alles Leid ins Weite zu entführen.

Wir fühlen uns befreit von Not und Welt

Und hoch aufweise Wolken hingestellt.

So fühlte er wohl, der zuerst erzählt.

Wie Amor seine Psyche sich erwählt:

Was sie gefühlt, als erster Ku| ihr glühte.

Und wie sein Seufzen ihr entgegenblühte.

Und wie sie beide bebten und Verlangen

In Küssen zitterte auf Mund und Wangen;

Die Silberlampe— und der Gott im Sdilafe—

Dann Dunkel- Einsamkeit- und schwere Strafe-

Der Elug zum Himmel- Ende aller Leiden-

Und ewige Vereinigung der beiden.—

So fühlte er wohl, der die Zweige bog

Und unsern Blid< in weite Waldung zog,

Um Faune und Dryaden zu belausdien,

Wie sie so sorglos durch die Büsche rauschen

Und sich mit süfeen wilden Blumen kränzen

Und Freude finden in verzüd<ten Tänzen;

Wie Syrinx flieh! in namenlosem Schrecken

Und angslvoll such!, vor Pan sich zu verslecken.

O armer Pani Verloren war die Spur

Am schilfigen Slrom, und Windesseufzen nur

Erlauschiesl du, nur schwermulvollen liaudi,

Der leise hingliil über Schilf und Slrauch.-

Dem war Nalur wohl lief ins Herz gedrungen. Der einsl Narzissus' Liebespein besungen. Er schrill vielleichl durch dunklen Wald und fand Sich plöfelich an umbuschlen Teiches Rand, Der still und glall und ungewöhnlich klar Dem Himmelsblau ein Ireuer Spiegel war, Das hie und da durchs dichle Laubdadi blickte Und heilern Grufe in müde Schwermut schid^le. Am Ufer stand ein einsam Blümelein, Sah sanft und traurig in den Teich hinein. In dem es seine bleiche Sdiönheit sah- So unerreichbar- und so greifbar nah I Taub war die Blume für des Zephirs Werben, Nur schauen mochte sie, nur glühn und sterben. Der Dichter stand und träumte lange dort, Und seine Seele nahm dies Bild mit fort, Und bald darauf, da war der Sang geschrieben Von jung Narziß und seinem kranken Lieben.

In weldies Wunderreidi war Er gedrungen. Der uns den süßesten, den ewig jungen. Den anmutvollen reinen Sang gesdienkl. Der Seligkeiten senkt ins Herz des Mondsdieinwandrers, ihm enthüllt

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Die unsiditbaren Götter, itin errüllt

Mi! Sphärenl\lang, der hoch aus Himmeln tönt,

Wo Nactit und Glanz sidi friedevoil versötint?

O sicher! Dieser wufete nictits von Banden,

Er wandelte in wundersamen Landen,

Der Fesseln ledig schwebte er davon,

Um dich zu sudien, o Endymioni

Ein Dichter war er, ein Verliebter auch.

Der hodi auf Latmos stand, als sü|er Haudi

Vom heiligen Myrlhental sich aufwärts schwang

Zugleich mit feierlichem, frommem Sang,

Dem Hymnus, den man zu Diana schid<le,

Die hell aus dunklen Himmeln niederblid<te.

Doch ob sie audi sich huldvoll lächelnd neigte,

Ein Antlife klar wie Kinderaugen zeigte-

Der Diditer weinte, sie so sdiön zu sehn.

So einsam durdi die Ewigkeiten gehn:

Hell sang die Leier, die sein Hymnus sdiwellte.

Der Cynthia den Endymion zugesellte.

Du Königin, du lieblichstes Gesicht!

Du köstlich reiner Glanz, du mehr als Licht!

Gleich wie dein Lädieln alles überragt.

So jenes Lied, das deine Schönheit sagt.

O gib mir Worte, die wie Honig fliegen.

Ein Wunder deiner Brautnacht zu erschließen:

Wo ferne Sdiiffe wie im Äther hängen. Hielt Phoebus seiner Räder mächtiges Drängen Für kurz zurüd< und lächelte dich an. Eh weiter stob sein feuriges Gespann. Der Abend war so mild und leuchtend klar. Daß, wer gesund war, auch voll Frohsinn war Und ausschritt wie Homer beim Hörnersdiall, Wie jung Apollo auf dem Piedestal;

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Und Frauen waren schön und warm belebt, Wie Venus, die entzückt die Wimper hebt. Die Luft war lind und wehte frisch und rein, Schlich in verhängte Krankenstuben ein Und kühlte sanft den Fieberschlaf der Kranken, Die bald in liefen festen Schlummer sanken. Sie wachten auf— und atmeten gesund, Klar war ihr Auge und erfrischt ihr Mund, Und Schmerz und Fieberhifee war vergangen; Und wie sie nun erguickt vom Lager sprangen. Da sahn sie rings geliebte Freunde stehn. Die staunend kaum begriffen, was geschehn. Die sie umarmten und mit inniglichen Gebärden ihre stille Stirne strichen.— Und Jünglinge und Mäddien sahn betroffen Einander an und glühten in Erhoffen, Denn aller Äugen waren lichterfüllt. Und alles Sehnen lag so schlicht enthüllt— Sie staunten, lächelten— bis Poesie All ihrer Sehnsucht schöne Worte lieh; In süfeen Reimen wufete man zu werben, Und kein Verliebter brauchte mehr zu sterben. O Cynthia, als dein lieber Hirt dich kü^te— Wer ist, der alle Seligkeiten wü&te. Die da erblühend sich herniedersenkten. Vielleicht der Erde einen Dichter schenkten?— Doch Seele, sieh, du schweiftest weit genug, Zurüd<, zurück vom allzuhohen Flugl

12

M

ODE AN EINE NACHTIGALL

EIN Herz lul weh, und schläfriges Erlahmen, Als hall ich Gifl gelrunken, quäll mich sehr. Beläuble micl? ein Trank aus gifligen Samen? Mich hülll Vergessenheil, ich weife nichts mehr. Dodi isl's nichl Neid auf dein so glüd<lich Los— Nur füUl so schwer mil Glüd< dein Glüd< mich an: Dafe du, des Walds beflügelle Dryade,

In lieblich kühlem Scho|, Im Sdiallen, den das Buchengrün dir spann. Der Freiheil jubeln kannsl, der Sommergnade.

O Wein lefel! Jungen Wein, den Erde kühlle. Den dunkelkühl ein langes Jahr gereifl. Der sonngebräunlen Frohsinn lanzen fühlte. Und der des Proven9alen Lied begreift; O einen Becher warmen Südens jefetl O Hippokrene, die zum Rande sdiäuml Und gern und gut Begeisterung bereitet

Mit Lippen rot benefet, Didi will ich trinken, dafe ich ungesäumt Zum Wald entschweben kann, von dir geleitet.

Entsdiweben, ganz vergehn— und ganz vergessen.

Was du in deinem Walde nie gekannt:

Die Menschennot, die Mühen unermessen.

Das Sorgenfieber, das die Herzen bannt;

Du weifet nidit, wie gelähmtes Alter stöhnt.

Wie Denken immer nur Sich-härmen heifet.

Wie Jugend bleicht und schleicht und siecht und schwindet,

Und wie Verzweiflung höhnt. Wo Schönheit, wenn ihr Blick das Leben preist. Um Liebe weinen. lernt und bald erblindet.

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Hinweg! Zu dir! Doch soll nichl 5acchus Wagen Mif Paniherkraft midi ziehn, nein! Poesie Soll mich auf unsichtbaren Schwingen tragen, Drüd<t auch dies Hirn noch müde Apathie. Schon bin ich bei dir! Milde ist die Nacht, Und Luna thront mit lächelndem Gesicht Und überblid<t ihr Sternenvolk voll Gnade,

Doch hat sie hier nicht Macht: Nur mandimal bläst ein Windhauch etwas Lidit Durdi grüne Dämmernis auf moosige Pfade.

Idi sehe nicht, was blüht zu meinen Fü&en, Welch sü&er Balsam rings an Zweigen hängt; Dodi auch im Dunkel ahn ich, was an süfeen Duftwellen atmend in die Mainacht drängt Aus wildem Beerenbaum und Gras und Strauch: Idi atme Wei^dornduft und Rosenblühn Und Veilchen, die in Blätterbetten sterben.

Und Moschusrosen auch. In denen morgens bunte Tropfen glühn Und abends Sommerfliegen sich umwerben.

Im Dunkel lausche ich; und wie Verlangen Mich oft schon fafele nach dem stillen Grab, Wie ich dem Tod, mich herzlich zu umfangen, Sdion oft in Liedern liebe Namen gab. So sdieint mir Sterben jefet besonders sdiön. Ach, sdimerzlos mich zu lösen in die Nadit, Indefe dein Sang in heiligen Ekslasen

Beschüllel Tal und Höhn Und dodi mein Herz nidit höher schlagen madil. Das nur als Duft noch sdiwingt im blumigen Rasen.

Du Vöglein wurdest nidit zum Tod geboren! Nein, didi zertritt kein hungerndes Geschlecht.

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Was diese Nach! mir lönl, sang in die Ohren Dem ersten König schon, dem ersten Knecht, Und ist vietleicht derselbe Sang, der lief Der heimwehkranken Ruth zum Herzen klang. Als sie in Tränen schritt durch fremde Gassen,

Derselbe Sang, der tief Bezaubernd sich um Märchenschlösser sdiwang Und Feenreiche, die nun längst verlassen.

Verlassen! Ach, dies Wort ist wie das Klingen Trostloser Glocken, das zu mir mich mahnt! Audi Phantasie kann nicht Erlösung bringen. Wenn ihr nidit Hoffnung einen Weg gebahnt. Lebwohl 1 I^ebwohl! Dein Schmerzgesang enlsdiwebt Zum Wiesengrund aus Waldes hohem Dom, Ins Tal hinab und sdiweigt am dunklen Badie.

Ward mir ein Traum belebt? Betrog die wachen Sinne ein Phantom? Wer sagt mir, ob idi sdilafe oder wadie!

15

L

ODE AUF EINE GRIECHISCHE URNE

lEBKEUSCHE Braui der sielen Sülle du,

Du Pflegekind von Tag und Tag und Schweigen!

Welch blumiges Waldgeschichichen schildersi du—

Und sagsi es sü|er als ein Reimereigen?

Weldi blaltumrankie Mär umslreichi dein Rund

Von Göllern oder Menschen oder beiden

In Tempe oder in Arkadiens Hängen?

Wer sind sie, die an Mädchenangsl sich weiden?

Was jagl so loll? Was ring! und flieht so buni?

Welch Flölenlied? Welch lusiberauschles Drängen?

Gehörtes Lied isi sü|, doch sü|er ist Ein ungehörtes: sanfte Flöte, weiter! O wie du, klanglos, mehr als köstlidi bist. Du geisterhaft-lautlosen Lieds Begleiter! Nie kannst du, Jugend, lassen von dem Sang, Wie nie die Bäume hier ihr Laub verlieren; Du ked< Verliebter, nie, nie kannst du küssen. So nah du auch dem Ziel— doch sei nicht bang: Nie welkt siel Wirst du auch entbehren müssen, Wird Liebe didi und Schönheit sie stets zieren.

Glücklicher Baum in ewiger Frühlingszeit, Nie sinken deiner Zweige Blätter nieder. Glücklicher Sänger, ohne Müdigkeit Für immer flötend immer neue Lieder! Und Liebe, Liebe, voll von größerem Glück: Für immer hei& und der Erfüllung harrend. Du immer jagende, du immer junge! Wie steht vor dir lebendige Gier zurüd<. Die Herzen satt madit, im Genu| erstarrend. Die Hirn erhifet und dürr versengt die Zunge!

16

Und wer sind diese mit dem Priester hier

Und jener Färse? Welcher Gottheit dQnl<en

im Grünen sie mit schönstem Opfertier,

Dem Kränze blühen um die seidnen Flant<en?

Welch kleine Stadt an Flug, in ßergeshain,

An Seeslrand, Stadt mit 5urg zu Wehr und Frieden,

Steht diesen frommen Tag mit leeren Gassen?

Du kleine Stadt wirst ewig stumm nun sein,

Denn keinem wird die Heimkehr je beschieden.

Dir kundzutun, warum du so verlassen.

O attische Form, so schön wie nie erschaut.

Um die sich marmorn Mann und Mädchen ranken.

Mit vollen Zweigen und zertretnem Kraut,

Schweigende Form I du rufst in uns Gedanken,

Wie Ewigkeit es tut : kalt Schäferspiel !

Sind wir mit unserm Leid dahin, so findest

Du andres Leid und wirst in Kümmernissen

Den Menschen trösten, dem du dies verkündest:

„Schönheit ist Wahrheit, Wahr ist Schön!"- Nicht viel.

Nur dies weiBt du- und brauchst nicht mehr zu wissen.'

17

o

ODE AN PSYCHE

Göliin! lausche diesem armen Lied, Das lieb Erinnern, sü&er Zwang geboren, Verzeih, das dein Geheimnis es erriel Und wiederkündet deinen eignen Ohren: Ich Iräumle heul— denn sollle wacher Sinn Wohl je die lichlbeschwingle Psyche schauen ?- In lichtem Walde schrill ich für mich hin, Da plöfelich fafele mich ehrfürchlig Grauen: Eng Seil an Seile lag ein schönes Paar Ins Gras gebellet, über ihnen spann Das Laub ein flüsternd Dach, ein Bächlein rann Durchs Grün, l<aum wahrnehmbar.

Auf blumiger Au, die bunl und silberklar Und kühl und duftend in die Stille sann, Sanflalmend lagen sie, die Flügel bogen Sich aneinander und die Arme auch. Die Lippen trennte nur ein Atemhauch, Als habe Schlummer Mund von Mund gezogen, Als würden jungerwachle Liebeswogen Zu neuem seligen Küssen sie beglücken.

Den Knaben kannte ich; Du Taube doch, du lieblichstes Enlzüd<en,

Warst Psydie sidierlichl

O lefetgebornes lieblichstes Gesicht

Hoch über des Olymps verbleichter Pracht!

O schöner du als erstes Sternenlicht,

Das wie ein Glühwurm in den Abend wadil.

ja sdiöner du! Obgleich nicht ein Altar

Noch Opfer dir geschichtet Und nächtens keine sü|e Mädchenschar

Zu dir Gesänge ridilel:

Kein Wort, kein Flöienspiel, kein frommer Rauch, Der sanft aus schwingenden Gefäßen wellte, Kein Schrein, kein Hain, nicht ein inbrünstiger Hauch, Der eines bleichen Priesters Träumen schwellte.

O Strahlendste! Zu spät für jene Zeit, Zu spät, zu spät auch für leichtgläubige Leier, Die heilig sprach des Waldes Einsamkeit, Heilig die Luft, das Wasser und das Feuer. Doch selbst in unsern Tagen, die so ferne Von froher Frömmigkeit, erglänzt dein Flug, Der über stürzenden Olymp dich trug, Nun meinen Augen, und ich bete gerne. So la| mich sein die sü|e Mädchenschar,

Die betet am Altar, Dein Wort, dein Flötenspiel, dein frommer Rauch, Den dir ein schwingend Weihgefä^ entsendet. Dein Schrein, dein Hain und dein inbrünstiger Hauch, Den eines bleichen Priesters Traum dir spendet.

Ich will, dein Priester, dir den Tempel richten

In meiner Seele unbegangnem Hain:

Verschlungene Gedanken sind die Fichten,

Die flüsternd schüren deinen heiligen Stein,

In dunklen Gruppen sollen all die bäume

Die steilen Bergesklüfte dicht befiedern.

Und schlummernde Dryaden wiegt in Träume

Der Wind, der Strom, der Wald mit seinen Liedern.

Und in der Mitte dieser weiten Stille

Baut dir ein rosiges Heiligtum mein Wille

Mit allem, was inbrünstiges Hirn ersinnt.

Umrankten Gittern, seltnen Blütenglocken.

Im Blumenhain, den Phantasie dir spinnt,

Ist alles Blühen ewiges Frohlod<en,

19

Und dort ist dein allsü&e Seligkeit,

So weit wie Träume fassen,

Und Fackel nadits und Fenster, das bereit. Die Liebe einzulassen.

20

D

ODE AUF DIE MELANCHOLIE

U sollst nicht Lethe suchen, sollst nicht Wein

Aus harter giftiger Wolfsmiichwurzel klopfen,

Noch soll Proserpinas blutrote Pein,

Nachtschattentraube, deine Stirn umtropfen.

Dein Rosenkranz sei nicht aus Taxusperlen,

Dein Gram soll nicht zum flaumigen Kauz sich retten,

Im schwarzen Faller ein Symbol erblid<en

Und klagend wandeln unter Trauererlen,

Sonst wird nur schläfernd Dunkel dich umbetten

Und deiner Seele wache Qual ersticken.

Doch wenn Melancholie herniederdrängt. Gleich wie vom Frühlingshimmel Wolkenweinen Um grüne Höhn sein graues Bahrtuch hängt Und volle Nahrung gibt den müden kleinen Kopfhängerischen Blumen,— oh, so drücke Dein Leid in frühen Rosenkelch und schmücke Päonienblühn mit dunklen Gramgeschmeiden; Und ist die Herzensherrin trüb, verdrossen— Halt ihre Hand in Händen sanft verschlossen Und la& den Blid< in ihren Augen weiden.

Sie lebt, wo Schönheit ist, die sterben muS, Wo Freude ist, die stets, die Hand am Munde, Zum Gehn bereit— bei schmerzendem Genu^, Der Gifte braut aus jeder seligen Stunde. Ja selbst im Tempel aller hohen Wonnen Besifet Melancholie Altar und Stätte- Wenngleich nur der sie sieht, der Mut gewonnen, Der Freudenbeere allzusanfte Glätte Mit durstiger Zunge aufzutun: er findet Die Schwermut ihrer Macht, die ewig bindet.

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ODE AUF DIE INDOLENZ

IN Morgen war, da sah idi drei Gestalfen, Das Haupl gesenkt und Hand in Hand geschmiegl, .Und wie sie feierlich vorüber walllen Mil sanfiem Schrill, von wei&em Kleid umwiegt, Wars so, als würde marmornes Gefä& Rundum gedreht, den 5ildsdimud< zu besehen, Bis dafe des Reigens Anfang wiederl<ehrt; So l<amen sie, dem Urnenbitd gemäfe. Und wie wir fremd vor mancher Urne stehen. So war auch hier Verstehen mir verwehrt.

Wie kams, da& ich eudi Schatten nidit erkannte?

Wars Absicht, dafe wie starres Maskenbild,

Den 51id< verhüllt, sich keine näher wandte.

Damit nun Trägheit meine Tage füllt?

Ihr stahlt euch fort; die Stunde trug so sdiwer:

Wie Wolkenschwall kam Indolenz geschwommen.

In Sommerseligkeil erlrank mein 51id<,

Und Leid und Freude sdimolz im sonnigen Meer.

Was mu&tet ihr so mahnend wiederkommen?

Entschwebt, und lafet mir nichts als nichts zurüd<!

Sie nahten sich zum drittenmal und wandten Den Blidc nach mir— und wandelten vorbei; Idi wollte folgen, meine Pulse brannten. Euch nadi! so riefs in mir, idi kenn euch drei! Du bist die Liebe, erste— schönste Maid! Du zweite: Ehrsucht mit den bleichen Wangen Und müden Augen,— ach, sie schlummert nie! Du lefete, viel geschmäht in Ha& und Streit, Von mir geliebt in schmerzlich süfeem Bangen, Du bist mein Dämon— du bist Poesie!

22

Sie sdiwanden— und ich sehnte midi nadi Schwingen.

O Torheil!— Liebe? Wem erblühl sie je?—

Und Ehrsuchl? Was kann arme Ehrsucht bringen?

Was ist sie mehr als eine Wahnidee!

Und Poesie? Nein, so beglüd<t sie nie—

Mich sicher nie— wie süfee Sommerstunden,

In die des Nichtstuns goldner Honig taut.

O hinter Mauern seliger Lethargie

Ein Leben leben, fern von Qual und Wunden,

Von Tag und Nacht und hastigem Menschenlaut!

Noch einmal nahten sie wie stumme Frage. Weshalb? Mit Träumen war mein Schlaf bestickt, Die Seele lag gleich buntdurchblühtem Hage, Von Sonnenglanz und Schattenspiel durchblickt; Der Morgen war bewölkt, sein Auge schwer Von Tränen, doch sie flössen nicht hernieder; Durchs offne Fenster lugte junger Wein, Drang Knospenglut und klangen Drossellieder— O Schatten! Geht und naht euch nun nicht mehr, Idi hatte keine Tränen euch zu weihn.

Ihr könnt mein Haupt nicht heben, das im Grase, Im buntdurchblühten, kühl in Ruhe sank; Mich lüstet nicht nach Ruhm, nach Lobesphrase, Nicht Held zu sein in bürgerlichem Schwank. Verweht vor meinem Blick, seid noch einmal Wie alter Urne fremde Traumfiguren. Lebt ewig wohl! Noch hab ich für die Nacht, Noch für den Tag Visionen ohne Zahl. Phantome ihr, entschwebt in Wolkenfluren, Mein Geist ruht aus, ihr habt ihn nicht in Macht 1

23

D

AN DIE HER5STZEIT

U Zeil der Feuchle und der Fruchtbarkeil, Freundin des Sonnengolis, der Reife sendet, Mit itim vereinigt, da^ zur Sü6igt<eit Des Rankenweins betaute Traube endet, Dafe Apfellast die moosigen Bäume biegt, Da| aller Früctile tierz von Saft durchguolten, Da6 Kürbis sdiwillt und iede Nu& sicti füllt Mit würzigem Kern, und weictier gelber Pollen In vielen späten Blumen wartend liegt, Und jede Biene sdiwer zur Zelle fliegt. Draus Sommers Segen schäumend überguillt.

Wer sah nicht oft in deiner Pracht dich stehn?

Sucht einer draußen, mag er wohl dich finden

Mit Lächeln über weite Speicher gehn.

Die Haare sanft bewegt von Fächelwinden,

Oder auf halbgemähtem Ad<erreich

Im Mohnduft schlafen: vor den nächsten Sdiwaden

Voll Blumen hält die Sense noch zurüdk.

Und manchmal gehst du, Ährenlesern gleich.

Quer übern Bach, den hohen Kopf beladen,

Oder du läfel den ernsten Hüterblick

Im gelben Flu| der Obstweinkelter baden.

Wo ist, ach wo, des Frühlings Finkenschlag?

O still! Musik— auch dir ist sie verliehen—

Wenn wolkenbunt verblüht der sanfte Tag

Und Rosenschallen über Stoppeln ziehen:

Dann klagt in Uferweiden das Gewimmel

Der winzigen Mücken— lebt der Wind empor,

Hebt sidi der Sciileier, stirbt er, sinkt der Flor-

Erwachsne Lämmer blöken laul am Bach,

Und Grillen zirpen; nun entzückt das Ohr

Rotbrüstchens Flötensang vom Laubendach,

Und Schwalben sammeln zwitschernd sich im Himmel.

24

¥

AN DIE HOFFNUNG

ENN ich in meinem Zimmer einsam bin Und häßliche Gedanken mich umdunkeln, Wenn keine Traumlusi schmeichelt meinem Sinn, Aus kahlem Leben keine Blülen funkeln. Dann, sü&e Hoffnung, schenke Balsam du, Mil Silberschwingen fächle mich in Ruh.

Und wenn ich wandre zu Beginn der Nachl Durch Did<ichle, die keinen Mondglanz kennen. Und wenn Verzagiheil mich bekümmert macht Und gut versteht, von Frohsinn mich zu trennen. Dann lug durchs Laubendach als lichter Stern Und halt den Teufel Kleinmut von mir fern.

Und sollt Verdruß, der Verzweiflung liebt.

Für sie nach meinem jungen Herzen krallen,

Die durch die Luft gleich schwarzer Wolke schiebt

Und immer lauert, auf mich herzufallen.

Dann, süfee Hoffnung, strahle deine Pracht

Und scheuche ihn, wie Morgen scheucht die Nadit !

Spricht je das Schid<5al jener, die mir nah, Zu meinem Herzen von betrübten Sorgen, O Hoffnung, heiliges Auge, lächle da, Lafe deine sü^en Tröstungen mich borgen, Himmlisches Leuchten, Hoffnung, schenke du. Mit Silberschwingen fächle mich in Ruh !

Wenn je unglücklich Lieben an mir zehrt Zu einer grausam unbarmherzigen Schönen, So la| mich denken, da| es doch von Wert, Sonette in die Mitternacht zu stöhnen! O sü&e Hoffnung, schenke Balsam du. Mit Silberschwingen fächle mich in Ruh!

25

Im langen Lauf der Jahre, die da gehn, Gib mir, da| unser Land der Ehre diene, Und la& midi wieder seine Seele sehn: Die Freiheit— nichl nur freiheilliche Miene. Besondern Glanz, o Hoffnung, schenke du— Und gib mir unier kühlen Sdiwingen Ruh!

Die grofee Freiheil, wei^ und ungeschmückl, Um deren Reinheit Patrioten sterben, LaB midi nicht sehn, wie sie der Purpur drückt Und sie sidi beugt und bietet dem Verderben; Doch la| mich deine Silbersdiwingen sehn, Die glifeernd breit in dunklen Himmeln stehn.

Und wie wohl eines Sternes kleines Licht Verheißungsvoll in schwarzen Höhen funkelt Und milden Strahls durch finstre Wolken bricht, So, süße Hoffnung, wenn mein Sinn umdunkelt Von trübem Ahnen, dann erscheine du. Mit Silbersdiwingen fädile midi in Ruh!

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L

AUF DIE PHANTASIE

ASS die Phantasie nur sdiweifen, Freude will zuhaus nicht reifen; Denk, dein kleines GIiid< zerflie&t: Regen, der aufs Pflaster gie&t. Drum lal Phantasie nur streifen. Weiter als Gedanken schweifen, Riegle auf des Geistes Tor— Lichtwärts segelt sie empor. Sü&e Phantasie la^ frei, Sommers Freude flieht vorbei, Und des Lenzes liebe Lust Welkt wie all sein Blütenblust; Herbstes rote Früchte auch— Rot von Tau und Nebelraudi— Sind dir Uberdrug. Was nun? Still am Herde sollst du ruhn, Wenn die Glut zu Glanz entfadit Geister! durch die Winternacht. Wenn die Erde stumm und kalt Und der Schnee sich klebrig ballt Um des Bauern plumpen Schuh, Nacht sich dehnt der Mittnacht zu Und aus ihrem Dunkelland Altes Wirkliche verbannt, Ruhe dann und lag von hinnen— Ehrfurcht leite dies Beginnen— Phantasie zu hohem Flug! Genien dienen ihr genug. Winter weife nur Frost zu weben— Sie wird Schönheit wiedergeben. Alles bringt sie wieder dar: Sommer, der dir glühend war. All des Maimonds Blülenlasl,

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Tauigen Stiel und dornigen Ast;

All des Herbstes reifen Segen,

Frudit und Duft und sanften Regen,

Misctit sie dir zu seligem Trank—

Scfilürfe itin und sag itir Dank.

Sctilürfe itin— und zu dir zietit,

Fernelier ein Erntelied;

Reife Halme tiörst du fallen.

Hörst den Sang der Naditigallen,

Lerdienlust, die im April

Nie den Jubel enden will;

Hörst den rautien Ruf der Krätien,

Die nadi Halm und Reisig spätien.

Und du sietist im ersten Grün

Enzian und Primeln bliihn,

Lilien in wei|er Practit,

Rose, die zur Sonne lactit.

Und das mailichie Frohlod<en

Blauer Hyazinttienglocken,

Zweige, Blätter, Blütentasctien,

Die der Regen blank gewasclien.

Sietist die Feldmaus, die erwactit

Lugt aus itirem Wintersdiacht,

Sctilange, die vom Schlafen mager,

Lauert im durclisonnten Lager;

Sietist den Dornbuscti Nestctien wiegen.

Drin gefleckte Eier liegen.

Und im moosigen Bett versteckt

Feldtiutin, das die Flügel stredct.

Hörst die Bienen, die im Grün

Summend hin und wieder ziehn,

Eicheln, die zu Boden schlagen.

Und des Herbstwinds Sang und Klagen.

Sü^e Phantasie, la^ frei 1

Alles wird zum Einerlei,

Selbst der Liebsten rosige Wangen

Scheinen nidit wie einst zu prangen.

Wo ist wollt der reife Mund,

Der dir neu zu jeder Stund?

Wo ein Anllife, noch so hold.

Dem man stets begegnen wollt?

Wo die Stimme, noch so lieb.

Die uns stets ein Wohlklang blieb?

Denk dein kleines Glüd< zerf liefet:

Regen, der aufs Pflaster gie|l.

Drum lafe Phantasie sich schwingen,

Sie wird dir ein Traumbild bringen,

Süfe, wie einst Proserpina,

Eh der Gott der Qual sie sah,

Weife von Leib und weife von Lenden,

So wie Hebe, als in Händen

Sie den Bedier hob und klirrend,

Jupiter den Sinn verwirrend,

Dafe sein Blid< sidi Sehnsucht trank,

Gürtel ihr und Kleid entsank.

Auf das Nefe! Gib frei die Zügel 1

Sdion hebt Phantasie die Flügel.

Tore auf! Sie will entschweben.

Um dir all dies Olück zu geben.

Lafe die Phantasie nur sdiweifen, Freude will zuhaus nidit reifen.

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SCHLAF UND POESIE

¥

ÄS ist noch sanfter als ein Sommerwind?

Ats Bienensummen, das so still gelind

Von Keldi zu Kelch die Blütenstrafee schwingt

Und milden Frieden in die Seele bringt?

Was ist geruhiger als im Inselgrün

Der Moschusrose unbemerktes Blühn?

Heilsamer als des Talwalds Blätterschwall?

Geheimer als das Nest der Nachtigall?

Stillheitrer ats Cordelias Angesicht?

Traumvoller als erhabenstes Gedicht?—

Nur du, o Schlaf, der zart die Augen schlie|t,

Ein zärtlich Lied in müde Seelen gie&t,

Der unser frohes Lager leicht umschreitet,

Um Trauerweiden Mohngewinde breitet.

Der Mädchenlocken schweigend wirrt und wendet.

Nur du, dem jeder Morgen Hymnen sendet.

Weil deine Kräfte hell und froh beglücken

Die Augen, die zum Sonnenaufgang blicken.

Doch was ist höher noch als altes Träumen?

Was frischer noch als Frudit von Höhenbäumen?

Was wundervoller, sanfter, königlicher

Als Schwanenschwingen oder feierlicher

Als ferner Adlerflug?— Mit nichts vergleichen

Läfet sich dies eine und von nichts erreichen 1

Daran zu denken, hei|t sich zu versenken.

Sich heiliger Andacht liebend hinzuschenken.

Es übersdiauert uns mit Ungewittern,

Es rüttelt uns wie unterirdisches Zittern,

Und manchmal weht's wie Flüstern von den vielen

Geheimnissen, die in den Lüften spielen—

Von irgend einem Wunder um uns her.

Da blicken wir entzückt und spähen sehr

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Nach fernem Glanz, nach fremden Luflgebilden,

Nadi einem Ton aus himmlischen Gefilden

Und nadi dem Lorbeer, der das Haupl uns schmüd<l,

Wenn unser Fu& die Erde nichl mehr drüd<i.

Und manchmal kommt es voller Glanz und Glocken,

Und aus dem Herzen brausen, oh Frohlodkenl

Erhabne Worle, die sich goliwärls schwingen,

5is Traum und Glul in Flüslern still verklingen.

Ein jeder, der die lichte Sonne sah Und alle Wolken, und der rein und nah Des ewigen Schöpfers Gegenwarl empfand, Mu& fühlen, was idi meine, und in Brand Mu& jefet sein Innres lohn, da ich ihm bringe So tief empfundne heimatliche Dinge.

O Poesie! Dir beten meine Worte,

Dafe einmal du mir auftun magst die Pforte

Zu deinen Himmeln— oder sollt ich knien

Auf Bergeshöhen und die Harmonien,

Die deinem Mund entfliehn und mich umschweben.

Als dein getreues Edio wiedergeben?

O Poesie! Dir klagen meine Worte,

Da& einmal du mir auftun magst die Pforte

Zu deinen Himmeln! Möge meinem Flehen

Ein Lüftchen nur aus diesen Himmeln wehen.

Das— Lorbeerblüten eine luftige Wiege—

Mir trunkne Wollust bringt, der ich erliege.

Dann steigt vielleicht mein Geist am Sonnenlicht

Empor und schaut Apoll ins Angesicht;

Und kann ich höchste Seligkeit ertragen.

So werd ich bis ins Heiligste mich wagen.

Da wird dann moosige laubverborgne Stelle

Mir zum Elysium— zur ewigen Quelle,

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Zum Buch, drin viel Entzückendes zu lesen

Von Blall und Blume und von Spiel und Wesen

Der Wald- und Wassernymphen und von Zweigen,

Die eines Mädchens Schlummer kühl umschweigen.

Und mancher Vers von sellsam fremder Art,

Der wie aus andrer Well sich offenbar!.

Auch Phantasien werden mich umschweben.

Mir feierschöne Traumvisionen geben;

In frohem Schweigen will ich sie durchziehn,

So wie durch Schluchieneinsamkeii und Grün

Der Flu& Mäander seine Schleifen zieht.

Und komm ich in verwunschenes Gebiet,

In Zaubergrotte, in erhabnen Schatten,

Auf himmelferne grüne Bergesmatten,

Die strahlend stehn im bunten Blumenkleid,

Verschämt in ihrer eignen Lieblichkeit—

Dann schreib ich das, was Menschensinn versteht,

Auf meine Tafeln, dal es nicht vergeht.

Und werde dieser Welten Vielgestalten

Mit Riesenkräften greifen, fühlen, halten

Und meinen Geist mit Sporn und Ehrgeiz plagen.

Bis an den Schultern ihm die Schwingen ragen,

Die jedes Hemmnis freudig überwinden,

Ihn aufwärts ziehn, Unsterblichkeit zu finden 1

Doch halt, bedenk! Ein einziger Tag ist Leben- Tautropfen, der aus Wipfellaub soeben Herniederrinnl- des Wüden Schlaf im Kahn, Den Wirbelslrude! rife in Todesbahn. Warum so schmerzliche Vergleiche geben? Blühsehnsuch! einer Rose is! das Leben, Ein Buch, darin viel Abenleuer sind. Ein übermüüges Mädchenluch im Wind, Ein Vogel, der durdi Sommersonne gleüet.

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Ein Knabe, der auf Ulmenästen reitet

Und tiimmelfern von Sorge, Gram und Denken.

O nur zelin Jatire, tief micli zu versenken In Poesiel da^ ich das Ziel erfülle. Das von mir selbst verlangt mein eigner Wille; DaB ich durch diese Lande, die ich sehe. Mit unermüdlich wachen Augen gehel Des alten Pan und Floras üppiges Reich Durchstreife ich zunächst; im Gras am Teich Geh ich zur Ruh und pflücke reife beeren Und darf, was Phantasie nur sieht, begehren: Im Waldversteck die wei&en Nymphen fangen. Der Sträubenden viel Küsse abverlangen. Auf zarte Schultern liebevoll vermessen Inbrünstig diese kleine Wunde pressen. Die sie erschauern macht, bis voll Erbarmen Die Spröde mich umfängt mit Weibesarmen. Und andre ruft mit anmutvollem Lächeln Ein Taubenpaar, mir Kühlung zuzufächeln. Und andre tanzt und schwingt mit flüchtiger Hand Rund um den Kopf ihr grünendes Gewand Und tanzt und tanzt mit wohlgefälligem Fug Und lächelt 5aum und Blumen ihren Grufe. Und andre lockt und winkt und lockt und winkt Mich durch den Hain, der hell in Blüten blinkt, Bis tief in seine Blällereinsamkeil; Dort liegen wir in solcher Traulichkeil Verkettet und verschlungen, wie beisammen Im stillen Muschelhaus zwei Perlen flammen.

Und kann ich diese Freuden je verlassen? Ich muB es wohl, um Edleres zu fassen. Ein Leben, das mich alle Leiden lehrt: Was Menschenherz erkämpft, erträgt, begehrt.

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Denn oh: von dort, wo Sergesklüfte blauen,

Gleiiel ein Wagen tier aus Woll<enauen,

Den Mähnenrosse ziehn; der Lenker blickt

Aus in den Wind, ehrfürchtig und beglückt.

Und jefel ersdiauert leise das Gespann

Am Wolkenrand; doch munter kommt sodann.

Vom Sonnenauge rings umstrahlt mit Gold,

In Fröhlichkeit das Rad herabgerollt.

Und immer tiefer wirbeln seine Speidien,

Bis sie den grünen Hügelhang erreichen;

Dort bleibt der Wagen zwischen Gräsern stehn.

Der Lenker spricht— wie seltsam anzusehn—

Zu 5erg und Bäumen, und alsbald erscheinen

Gestalten, die da jubeln, staunen, weinen;

Sie wandern her auf grausig düstern Wegen,

Wo mächtige Eichen dräun— und rastlos regen

Sie müden Fu|, als wollten sie ein Lied

Erjagen, das mit flüchtigen Winden flieht.

Horcht wie sie murmeln, lächeln, lachen, weinen.

Mit herbem Mund, erhobner Hand die einen,

Und andre haben tief in ihren Armen

Den Kopf begraben; manche gehn im warmen

Und hellen Glanz der lugend durch das Grau,

Zurück sehn diese, jene hoch ins Blau.

Von lausenden hat jeder seine Weise,

Und tausend ziehn vorbei. Im Schwesterkreise

Kommt tanzend eine Mädchenschar geschwirrt.

Das lange Haar in Lod<en aufgewirrt.

Nun breite Schwingen, lener dort im Wagen

Beugt weit sich vor, und seine Blid<e fragen.

Er scheint zu lauschen, seine Wangen brennen.

Er sdireibt— oh dürft idi dies Geschriebne kennen!

Die Bilder sind entflohn— Gespann und Wagen

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Entflohn ins Himmellichf; midi aber plagen Nun doppell schwer die ganz realen Dinge. Es isl, als ob die Seele unierginge In Iriibem Slrom, im Nichls. Doch idi will sehr Mich gegen Zweifel wehren: wach und hehr Sei mir der Wagen und die sellne Fahrl, Die er gemachl.

Hai denn die Gegenwart Nichl Raum genug, da| Phantasie sich hebe Und wie in allen Zeilen hoch entschwebe, Die Rosse schirre, lichtwärts sie zu tragen, Um sonderbare Taten dort zu wagen In Wotl<enfernen? Zeigte sie uns nicht Das Atemhaudien des Vergißmeinnicht So gut wie hoch des Äthers reines Wehen? Läßt sie uns nicht den tiefen Sinn verstehen Von lupiters weitschweifigen Äugenbrauen— Und lä|l uns doch die kleinen Wiesen schauen Im zarten Frühtingsgrün? Ihr Altar ragte Auch hier auf dieser Insel; wer wohl wagte Den Chor zu übertönen, der ihr scholl. In Harmonien brausend aufwärts schwoll. Bis er im Weltenraum sich selbst verdichtet Und maditvoll l<reisend Klang auf Klang gesdiidilel Zu riesigem Planet, der ewig rollt Und ewig tönend durch Äonen lolli? Ach, damals waren sie nodi sehr geehrt. Die edlen Musen, und man hielt sie wert. Und l<eine Sorge l<onnte sie bedrüd<en. Als nur zu singen, singend zu beglücken.

Könnt alt dies der Vergessenheit verfallen? ja. Streit und Trug und Barbarei vor allen

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War sdiuld, da& sich Apoll errölend wandle. Der galt bei Menschen weise, der nichl kannle Apollos iierrlidikeil; ach, sie regierlen Ein hölzern Schaukelpferd und Iriumphierien Und hiefeen's Pegasus. O Geistesnadil! Das Wellmeer rolUe seine Wogenpradit, Die liimmelswinde bliesen, und das Blau Enlblö^le seine ewige 5rusl; der Tau Beperlle hell das Kleid des Sdimellerlings Und sdimüd<le alles: Schönheil wachle rings! Was warel ihr nichl wach? Doch ihr warl blind Für das, was fremd euch war— ein Labyrinth Kleinlidier Regeln, elender Gesefee Hiell euch gefangen, und in diesem Nefee Lieft ihr einher und fingl eudi Verse ein— Die wu&iet ihr in Ordnung aufzureihn Und zuzuslufeen. Leidil war das Geschäft, Handwerker ihr, die lüstern nachgeäfft Der Poesiel O, wie ihr gottlos wartl Ihr lästertet des Gottes Gegenwart Und wu&let's nidit— o nein! Ihr gingt einher Und sdiwenktel eure arme Fahne sehr. Die schales Motto trug, darunter grofe Ein Wort: Boileau!

O die ihr körperlos Und ewig unsre grünen Höhn umschwebt, O ihr, vor denen meine Seele bebt In so viel Ehrfurcht, dafe sie wahrlich nidit Die heiligen, verehrten Namen spridit Vor so unheiligem Volk.— Hat euch die Sdiande All derer nidit entsefel? Hat eudi am Strande Der Themse das Geiammer wohl ergöfet? Hat euer Weinen nie das Land genetjl

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Am sdiönen Avon, niemals dorl geklagi? O nein, ihr habt wohl ganz lebwohl gesagt Der Gegend, die den Lorbeer nicht mehr kannte, Und nur gezögert noch, um euch verwandte Einsame Seelen liebend zu umfangen. Die schon in lugend sich zu Tode sangen?— Doch ich will nicht der schweren Zeiten denken, Es brachen sdiönre an, denn mit Geschenken, Mit frischen Kränzen habt ihr uns beglückt. Und an so manchem Ort hört man entzüd<t Viel sü&esle Musik: bald ist's ein Sdiwan, Des sdiwarzer Schnabel auf kryslallner 5ahn Das Wasser weckte— und des Wassers Singen; Bald tropft ein melandiolisch Flötenklingen Aus Dornendickidil, traut im Tal verschlossen; Die Erde ist von zartem Laut umflossen: 5eglüd<t seid ihr und froh!

Gewi^l Doch dröhnte Oft donnergrollend der Gesang und höhnte Die edle sü&e Majestät der Kunst: Das Plumpe, Bärenhafte kam in Gunst, Und Polypheme, die sich Dichter nannten Und als Zerstörer gegen Throne rannten. Begannen roh durchs gro&e Meer zu wühlen. Dodi Poesie ist anders, ist zu fühlen Als breiter ewiger Strom des Lichts,— ist Madil, Die niemals schläft, doch stets nur milde wadit: Sie ruht, und mit dem Sdiwung der Augenlider Zwingt sie sidi Tausende gehorsam nieder. Und Güte ist ihr Szepter; Kraft allein, Auch Musenkraft, kann nur ein Engel sein. Der fiel und Freude hat an Nadit und Dornen, An Grab und Leichentuch und an verworrnen Und aufgewühlten Dingen und vergibt.

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Da6 aller Dichtung Ziel die Liebe isi,

Die freundlidi Irösiel und den Sinn erhebt.

Doch ich frohlod<e, denn aus billrem Kraut Hebt— schöner als ihn Paphos je erschaut— Ein Myrthenbaum die vollbeladnen Äste Und feiert seine immergrünen Feste Mit all den Vögeln, die voll Fröhlichl<eit In seinem Schüfe zu Scherz und Spiel bereit, Und die den bluten ihre Lieder singen. So la^t uns durch das Dickicht zu ihm dringen Und um ihn her die Dornenbrut vernichten. Dann finden einst die jungen Rehe dichten Und blumigen Rasen hier— nichts störe sie Als eines Liebenden gebeugtes Knie, Nichts andres teile ihre Einsamkeit Als eines Träumenden Gelassenheit) Heil euch, ihr lieben, hoffnungsvollen Träume! Nun bahnt sich Phantasie durch enge Räume Den Weg zu allem Lieblichen und Schönen, Und die wird man zu Dichlerkönigen krönen. Die herzensfrohe, schlichte Dinge geben. O dürft ich diese Freuden noch erleben 1

Wird man nidit sagen, meine Rede sei Gar sehr verwegen, solche Schwärmerei Verstumme lieber und verberge sich. Denn unklug sei es sehr, so wissentlich Sich abzuwenden von den breiten Pfaden, Den Donnerkeil auf sich herabzuladen? Nein! Flüchte ich, so sei es nur zur Sdiwelle Der Poesie, in ihre Tempelhelle! Und fall ich hier, so wird man mich bestatten In tiefem feierstummen Pappelschatten: Geschornes sanftes Gras wird mich beded<en

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Und ein Gedenkworl die Erinnrung wed<en. Doch fori, Verzweiflung! Elendes Verderben! Dich solllen die nichi kennen, die da werben Um edles Ende, denen ewig dürstet! Obgleich kein breites Wissen mich gefürstet Und ich nicht weife, wie sich die Winde drehen. Die hier- und dorthin auseinander wehen, Was Menschen tief ersannen, und obgleidi Nicht helle Einsicht aus dem dunklen Reich Der Seele kommt, besiegend jede Schranke, Rollt doch vor mir ein Stern, ein Weltgedanke, Der mich durdistrahlt und der mich frei gemadit, SodaB in mir ein klares Bild erwacht Von Zweck und Ziel der Poesie; so klar Ist mir dies Wissen wie: dafe jedes Jahr Vier Zeiten hat— so hell und fest gegründet Wie auf dem Dom das Kreuz; und so verkündet O welch ein Feigling war ich, wenn ich zagte Mein Mund getrost, was ich zu denken wagte. Ach, lieber lafet mich wandeln blind und toll Am Rand des schwarzen Abgrunds, lieber soll Mein Schwingenpaar an Sonnenglut zergehen, Dafe ich kopfüber stürze!— Still, lafe sehen! Mein Innres mahnt zu mehr Bedachtsamkeit: Ein dunkles Meer dehnt unermeßlich weit. Besternt mit Inseln, seine breiten Wellen. Weldi rastlos Mühn! Welch ungeheures Schwellen! Wie könnt ich je dies ganze Meer durchziehen! Vermessenheit! Nun müßt ich auf den Knieen Das widerrufen, was .... Unmöglich! Nein)

So will idi ruhig und besdieiden sein. Mag dieser stürmende Versuch, der zart Begann, verebben auf gleich sanfte Art,

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Und Friede seil Und herzlich sei gedacht

Der Freundschafl, die so hilfreich sanfier mach!

Den rauhen Pfad zum Ruhm, der Brudergüte,

Die gern ihn schmückt mit mancher lieben Blüte,—

Des innigen Händedrucks, der Herzen bindet.

In Herzen tiefe Freudigkeit entzündet,

DaB unbew u&t wohl ein Sonett entsteht

Und uns wie Traumwort von den Lippen weht,

Begeistrung weckt und andachtvolles Schweigen.

Ein ähnliches Empfinden mag sich zeigen,

Wenn wir mit kindlich ehrfurchtsvoller Hand

Aus seinem stillen Plafe im Bücherstand

Ein sehr geliebtes Buch geholt und nun

Uns freun, den ersten Blick hineinzutun.

Kaum kann ich weitersdireiben, denn es heben

Sich Melodien, die Erinnern geben

An manches, was mich damals tief beglückte.

Als es zuerst die Seele mir entzückte:

Und es erscheinen mutige Gestalten,

Die sichern Griffs den heilen Renner halten—

Und Finger seh ich prächtige Locken teilen—

Und Bacchus wild zu Ariadne eilen.

Und vieles zieht aus flüchtigem Wort herauf.

Schlag idi versonnen ein Portfolio auf.

Derartige Dinge sinds, die eine Fülle Von Büdern wecken: durch die Abendslille Im Binsenwald des Schwans geruhiger Zug, Im Dorngeheg des Hänflings hastiger Flug, Ein durstiger Falter, der zur Rose fliegt Und lustdurchbebt die goldnen Flügel wiegt, Und manches Schöne mehr wei& ich zu finden; Vor allem ihn mit seinen Mohngewinden, Den stillen Schlaf, denn was an diesem Sang

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Zu schaben, dank ich ihm zumeist: der Klang Geliebter Stimmen hatte Plafe gemacht Dem gleich geliebten Wort der stillen Nacht, Und in die Kissen lehnt ich mich zuriicl< Und sann dem Tage nach und seinem Glück. Es war in eines Dichters Haus; da haben Geweihte Ställen alle Freudengaben. Rings von den Wänden lächelten der alten Und gro|en Barden ewige Gestalten In 5ild und Büste still einander an. Wohl dem, der auf die Zukunft hoffen kann Für seinen Liebling Ruhm!— Dann sah ich hier Der Faune und der Satyrn wilde Gier Im duftigen Weinlaub wühlen und mit ked<en Gebärden braune haarige Hände red<en Nach eines Apfelbaumes reifer Frucht; Dann ragte eines Tempels Marmorflucht, Zu dem ein Mädchenzug sich hinbewegte, Auf grünem Teppich schöne Fü&e regte: Die Lieblichste hielt hoch die wei^e Hand Dem Glanz des Sonnenaufgangs zugewandt; Dann zweier Schwestern freundliche Gestalten, Die sich bedächtig an den Händen halten. Und zwischen ihnen tappt ein kleines Kind; Und andre siehn und lausdien in den Wind, Der tauiges Flötenspiel herüberbringt.— Ein ander Bild: Diana nah umringt Von kecker Nymphenschar im kühlen Bade! Dort wo das Wasser schaukelt ans Gestade, Ist es von Wasserlinsen ganz verhangen Mit grünem Schleier, der in tiefen, langen, Rhythmischen Atemzügen steigt und fällt. Ganz wie der Wasserspiegel ebbt und schwellt. Auch Sappho stand mit halbem Lächeln dort,

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Der sanften Stirne herber Ernst war fort, Und milden Blid<s und lieitren Angesidifs Sati sie lierab und lädielle ins Nichts.

Und Alfreds Bild hing hier und blickte traurig, Als lausche er beständig auf das schaurig Hilflose Stöhnen der geguälten Welt; Und jener andre leidensstarl<e Held, Kosciusko, groB und einsam und verlassen.

Petrarcas Herzerschrecken und Erblassen Beim Anblick Lauras, und sein Blid<, der nicht Von ihrem Antlife lä6t! O hier ist Licht Und höchstes Glüd<, denn über ihnen waltet Der Glanz der Poesie, und frei entfaltet Sie ihre Schwingen und erschaut im Kreis Viel Dinge, die ich nidit zu nennen wei|.—

Schon das Bewu|tsein, wo idi war, genügte Den Schlummer fern zu halten, doch es fügte Sich überdies Gedanke an Gedanke Und bannte mich, so da| des Morgens sdiwanke Liditpfeile mich nodi immer wachend fanden. Da bin ich frisch und fröhlich aufgestanden, Um auszuführen, was ich mir ersann: Dies Bildgewebe, das ich schlaflos spann. Mir festzuhalten. Ist's nidit gut, so wi^t. Mir ist es lieb, weil es mein Odem ist.

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1SA5ELLA ODER DER BASILIKUMTOPF

SCHÖN Isabell wie eine Lilie rein! Lorenzo einem jungen Palmbaum glich! Des atemlosen Sehnens slarre Pein, Wenn sie einander sahn, sie jäh beschlich; Doch durften sie einander nahe sein, So war's als ob ein Alp von ihnen wich; Und einsam, nachts, wenn sie einander fern, Verband sie eines Traumes heller Stern.

Mit jedem Tag ward zärtlicher ihr Herz Und zärtlicher und liefer jede Nacht. In Haus und Feld litt er der Liebe Schmerz, bis klar vor seinem Blick ihr Bild erwacht. Und slifeer schien sein Wort ihr als der Scherz Des Windes, der in Blättern spielt und lacht; Die Laute sang ihr seinen Namen nach. Den ihre Nadel in die Seide stach.

Er wu|te gut, wenn ihre zarte Hand, Noch eh sie selbst erschien, die Tür berührt; An ihrem Fenster hing sein Blick gebannt. Bis er zu ihm ihr schönes Bild entführt; Er sah zum Sternenhimmel unverwandt. Weil er in ihm ihr Nachlgebel verspürt; In banger Qual verbrachte er die Nacht, Bis auf der Treppe hell ihr Schritt erwachl.—

Es war ein langer unruhvoller Mai,

Er grämte ihre jungen Wangen bleich.

„Ich schwöre mir, dafe es nun morgen sei.

Ja, morgen fleh ich um mein Königreich!"

„O wann, Lorenzo, wird dein Sehnen frei

Und spricht ein Wort, ein Wort, das himmelgleich?'

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So Iräumien sie in Nachi und Einsamkeii— Der Tag fand ihn zu reden nidil bereit.

Und als der Rosen frohe Pradit erblühl, Ward Isabellens Wange fahl und schmal. Wie einer Muller Wange, die verblühl Bei ihres Kindes Fieberkampf und Qual. „Wie krank sie isl," sprach er, „o mein Gemüt, Nun sdiweige,— nein, bekenne deine Wahl: Die Tränen, ihre Tränen sind ja dein, Und deinem Leiden wohl gilt ihre Pein."

So spradi er zu sidi selbst. Den ganzen Tag

War seines Herzens Schlag wie Hammerklang,

Weil seine Seele in Inbrünsten lag

Und betete um Mut und fiel und rang.

Der Hochflut seines Blutes unterlag

Der Stimme Kraft und seiner Sehnsucht Zwang;

Sie wurde sanft, demütig wie ein Kind:

Ja, sanft und dennodi wild, wie Kinder sind.

So war es beinah wiederum geschehn, Da& trüb die Nacht sein Liebesleid umsdilol. Hält Isabella nicht den Blid< gesehn, Der hingegeben ihr sein Herz ergofe; Und seine Slirne sah sie bleidi vergehn Und wieder jäh sich röten; adi, da flo^ Von ihren Lippen zag der süfee Laut: „Lorenzo!"— ihr aus Träumen so vertraut.

„O Isabella I Ist es mehr als Traum, Dafe ich dir sagen darf von meinem Weh? O Gütige! Gib der Verzeihung CJaum, Da ich so kühn, so hoffend vor dir steh! Sieh, meine Seele bebt und atmet kaum. Weil idi in deinem Aug ihr Sdiid^sal seh—

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Doch keine Nachl soll mehr in Qual vergehn, Nein, frei will ich mein Hoffen dir geslehn!

Liebe 1 Du wecklest midi aus kaller Nachl! Herrin! Du führesl mich in Sommerglull Dem Ku& des Sonnenmorgens sind erwach! Alltausend Blüten, die im Lenz geruht!" Die Seligkeil von seinem Antlib lacht, Und seine scheuen Lippen finden Mut. O, ihre Wonne wuchs so licht empor. Wie in den Morgen rings der Blumenflor.

Und scheidend schwebten sie so leichtbeschwingt Wie Zwillingsrosen, die ein Zephir wiegt Und trennl und inniger zusammenbringt, Da& Duft in Duft und Glut in Glut sich schmiegt. Sie schritt und sang: „In meinem Herzen singt Ein Vöglein, das der Liebeslust erliegt . . ." Und er stieg einen Hügel schnell hinan Und belele die Abendsonne an.

Und eh die Dämmerung den Schleier hob Vom Sternenlicht, war eins dem andern nah. Und eh die Dämmerung den Schleier hob. War jeden Abend eins dem andern nah. In stiller Laube, die Muskat umwob, Wo keiner je sie hörte oder sah— Ach, gut und sü& war die Verborgenheil, So fern den Menschen und so fern dem Leid.

Doch als das Leiden kam, traf es sie sehr?- O nein! zu tief ist unser Mitgefühl, Die Tränen bittrer Wehmut sind zu schwer. Die Mitleid weint an ihrem lefeten Pfühl, Und Liebende, die leiden, gibt es mehr. Die wohl am beslen ruhten still und kühl;

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Nur Theseus, adi, fand selbsi im Tod nidit Ruh: jenseiis des Meers nicki sein Gemahl ihm zu.

Doch pflegt es in der Liebe so zu sein, DaB ihr ein sü|er Augenbhck aufwiegt Ein vollgeriittelt Mafe von Gram und Pein. Obgleich schön Isabell vom Harm besiegt Und auf Lorenzos Grab kein Marmorslein Sich glei&end spreizt— ja dennodi, dennodi liegt In Bitternis selbst Lust, das wei& gar gut Die Biene, die am Giftkelch saugend ruht.

Mit zweien Brüdern lebte Isabell; Sie trieben Handel nach ererbtem Braudi. Es plagte sich für sie manch jung Gesell In dumpfer Gruben faulem Dunst und Reudi; Manch krafigestraffte Lende siechte schnell An Wunden, die die Peitsdie hieb, und auch Im Glanzgeflirr des Flusses mandier stand, Der Erzgewinnung opfernd Aug und Hand.

Es stieg der Taucher zu des Haifischs Gier Hinab in Indiens Meere nur für sie. Die Robbe sdirie, ein pfeilgespid^tes Tier, Auf wei&er Eisprairie, sterbend für sie. Und Leidgeschlagne gab es tausend schier, Die Tag und Nacht sidi schindeten für sie; Wie mahlte doch der Geldgier blinde Sudit Für diese Armen gar so bittre Frucht]

Woher ihr Stolz? Weil der Fontänen Strahl Viel stolzer strömt, als müdes Elend weint?— Woher ihr Stolz? Weil sanfter sidi zu Tal Orangenhügel stufen, als versteint Die Stufen abwärts führen vom Spital?— Woher ihr Stolz, dem Milde nicht vereini?

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Woher ihr Siolz, den gar kein Leiden schmolz? Woher in Teufels Namen all ihr Slolz?

Es schlössen diese Florenliner so In blinder Gier sidh ab von aller Well Wie zwei Hebräer, die, verfilzt und roh. Von Ha& verfolgt, ganz nur auf sich gestellt. Maulesel waren sie, die Gold und Stroh In Speicher schleppten, brüderlich gesellt Dem Lug und Trug und nimmersatten Geiz, Denn nur Gewinn, Gewinn bot ihnen Reiz.

Ach, wie erspähten diese Blinden nur Sdiön-Isabell im heimlich stillen Nest? Und in Lorenzos Blid< die sli&e Spur Vom Liebesfest?— O ganz Egyptens Pest In ihren Argwohn, der dies Glüd< erfuhr! Wie t<annten diese Blinden Ost und West? Doch wer zu ihnen kam, arglos und mild. Der wurde bald ein müdgehefetes Wild.—

O vielberedter, vielberühmter Mann, Boccacc', idi flehe um Vergebung dich; Die Düfte deiner Myrthen fleh ich an Und deine Lilien, deren Rot verblich. Seit deiner Laute Lefelakkord verrann, Und deine Rosen, die dem Monde sich Verlobt— vergebt der schrillen Dissonanz In dieses Liedes schlichtem Blütenkranz.

Vergib mir, Diditerl Und es wird mein Sang

Fortschreiten nun in schid<lich ernstem Stil.

Welch toller Einfall war es, der mich zwang

Um alte Kunde neuer Reime Spiel

Zu ziehnl Doch ist's geschehn (und wenn's mi|lang)

Zu deinem Preis, denn sieh, es war mein Ziel,

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Die Blüle, die dem Süden sü| entsprang,

Zu wed<en in des Nordwinds wildem Klang.—

Die Brüder also halten bald entdeckt, Wie's um Lorenz und Isabell beslellt. Wie wurde da itir böser Zorn gewed<t. Da nun ein langgehegler Plan zerschellt! Sie sahen sich von ihm, der sich erkeckt, Zu ihrer Schwester aufzusehn, geprellt. Denn ihre Habsucht traf schon längst die Wahl: Ein reidier Grundherr nur sei ihr Gemahl.

Und ha&erfüllt berieten nun die zwei. Und jeder grübelte für sich allein. Bis sie sich einig, was das Beste sei. Von jenem Lästigen sich zu befrein. Und endlich war erdacht die Teufelei, Und endlich kamen beide überein: An irgend einem fernverborgnen Ort Mord zu begehen— schauerlichen Mord.

Und so, als einst im frühen Morgenlidit

Auf dem Altan Lorenzo sich erging

Und glücklich war in lieber Zuversidit,

Und bunt der Tau an Blatt und Blüten hing.

Da riefen sie mit freundlichem Gesicht

Zu ihm hinauf: „Lorenzo, komm und schwing

Didi schnell aufs Rofe, zu reiten durdi den Hag,

Noch ist es kühl, dodi wird's ein heiler Tag.

Wir wollen audi . . . vielmehr es scheint uns gut Kurz— mitzureiten plagt uns ein Gelüst; Drum, bitte, komm, eh noch der Sonne Glut Den Hagebuttenrosenkranz gekü&t." Und höflich grüßte er die Sdilangenbrut Und eilte dann, betört von so viel List,

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betört audi von des Sommermorgens Pradit, Sclinetl anzutegen I<nappe Weidmannstradil.

Dann sdiritt er durch des Hofes Säulengang Und blieb oft stehn und iausdite oft empor, Ob nictil etwa der Herrin Morgensang Herab zu seiner Setinsudit sicti vertor— Ganz hingegeben seiner Liebe Zwang. Da schlug ein siifees Lachen an sein Ohr; Er blid<te auf und sah so zart und licht Am Gitterfenster lächeln ihr Gesicht.

„Heil, Isabelll" rief er. „Gebenedeit, DaB ich dich grii&en durfte, eh ich ritt! Drei arme Stunden nur Abwesenheit— Und schon hängt Sorge sich an meinen Schritt. Doch, was der Liebe dieser Tag entleiht, Bringt überreich der traute Abend mit. Lebwohl, du Liebste, dul" „Lebwohl auch du!" Und munter singend grüßte sie ilim zu.

Durchs lieblidie Florenz ging nun der Ritt Der drei Gefährten zu des Arno Strand, Wo sich die Strömung mit den Strudeln stritt Und an den Ufern tanzend Band bei Band Das sdiarfe Schilf die schnelle F^lut zerschnitt. Die Brüder bleich, Lorenzo liebdurchbrannt, Durchguerten sie den seichten Strom, und bald Umbrauste sie ein grausig düstrer Wald.

Dort ward Lorenz erschlagen und verscharrt. Doch seine Seele, die so hei| geloht. Die auf der Liebe höchstes Glüd< geharrt, Sie ädizte nun in unerhörter Not, Ihr warmer Lebensstrom war jäh erstarrt. In Eisesfrost gebannt durch blulgen Tod.—

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Die Mörder wusdien ihre Sdiwerier rein Und jagien wieder nadi Florenz hinein.

Der Schwester sagien sie: nadi fernem Land, Mil dringenden Geschäflen reich belraul, Sei heui zu Schiff l.orenzo abgesandt.— Nun nimm den Witwenschleier, junge braut. Leg an der Witwen trauerndes Gewandt O, Fluch der Hoffnung, der du süfe verfrauti Du wirst ihn heut nicht sehn und morgen nidit. Und niemals mehr grüfet dich sein Ängesidit.

Sie weint um Freuden, die nun nidit mehr sind,

Sie weinte bitterlich bis in die Nadit.

Wie schien ihr sonst der Abend lieb und lind,

Weil überreiche Wonnen er gebracht—

Jebt sah ihr Auge sich im Dunkel blind.

Bis in den Schatten ihr sein Bild erwacht.

Und immer wieder ihrem Mund entfloh

Der Sdimerzenslaut: „Lorenzo! Wo, oh wo?"

Doch Selbstsucht hielt nicht lang in ihrer Brust Der Schmerzen wilden Nachlbrand angesdiürt; Wohl bangte sie nach all der sü^en Lust, Die mit so flüchtgem Ku& sie erst berührt— Nicht lange doch— denn bald hob sich bewu|t Die Trauer, die nichts Kleinliches mehr spürt, Und Sorge, da& der Reise Unrast gar Für ihre junge Liebe voll Gefahr.—

Aus Nordlands Höhlen weht wie Todes Haudi

Zur Herbstzeit schon des Winters Atem schwer

Aufs Laub und wirft es welk von Baum und Strauch,

Der kranke West tanzt mit dem toten Heer

Den Totentanz im bleichen Nebelrauch;

Und liegt das Land ergraut und stumm und leer.

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Dann stürmt der Winter ein. O Isabell,

Audi deiner Sdiönheit lierbst t<am allzuschnell.

Denn kein Lorenzo kam. Und welk und bleich Ward ihre Wange von so herbem Gram. Sie fragte oft die Brüder, welch ein Reidi Nun für so lange schon ihn von ihr nahm? Da logen sie von Mal zu Mal. Ihr Streidi Wie Raudi vom Tale liinnom auf sie kam; Sie konnten keine Nacht dem Alp entgehn, Die Schwester tot im Totenhemd zu sehn.

Sie würde audi in Leid gestorben sein, Doch da war etwas, das noch finstrer war Als Tod; es kam in plöfelich bittrer Pein, So wie im Todeskampf oft wunderbar Noch einmal glüht des Lebens Widersdiein; Es kam wie Lanzenstich, der grausam klar Den Wilden wed<t im raudidurchbeizten Zelt, Da| schreiend er aus hefstem Schlafe schnellt.

Es war ein visionäres Bild:— In Nacht, In träger Mitternacht Lorenzo stand An ihres Lagers Rand und weinte sadil: Erloschen war in Grabes feuchtem Sand Des goldnen Haares sonnenwarme Pracht, Erloschen seiner Lippen roter Brand, Der Stimme Wohllaut tot, und gramestief Am Ohr vorbei die Tränenrinne lieL

O grausig klang es, wenn der Schatten sprach;

Denn seine arme Zunge mühte sich

Zu sprechen, wie sie einst auf Erden spradi.

Und Isabella lauschte bitterlidi:

Wie seine Stimme oft sich zitternd brach.

Als wenn ein Wind gelähmte Harfen strich;

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Als wenn ein heisrer Wind durch Dornen sföhnt, So war von Ädizen jedes Wort durchtönl.

Und seilsam— das Phanlom enlsefeie nichl Das arme Weib; sein Blid< war mild und gro|, Von Gram verwirrl und dodi von Liebe lichl; Es redete: es spradi vom Todesslofe, Vom Mord im liefen Wald, und wie so dichl Sein Grab bewadisen sei mil Kraul und Moos, Wie schwarze Fichlen hielten Totenwadil, Dorl wo die Mörder ihre Tal vollbradil.

Und Weiler sprach es: „Süfee Liebste du! Waldbeeren reifen über meinem Mund, Ein sdiwerer Stein ded<l meine FüBe zu. Die hohen Buchen stehen blätterbunt Und werfen Frucht herab; die Waldesruh Durchirrt ein ferner Ruf von Hirt und Hund; Das Heidekraul ist rot; o komme bald. Komm bald und weine bei dem Grab im Wald.

Ich bin ein Schatten nun, der das Gebiet

Des Lebens von den Grenzen nur erschaut;

Ich singe nun allein das heiige Lied

Zum Ruf der Glod<en, der mir so vertraut;

Und wenn das Kraut ein Bienenschwarm durdiziehl,

Wie lauscht mein Ohr des Lebens süfeem Laut,

Des Lebens— darin meine Liebe lebt.

Dem ferner, ferner stets mein Geisl entschwebt.

Ich wei&, was war, ich fühle tief, was ist. Und würde rasen, könnte das ein Geist! Dafe du um midi so bleidi, so leidend bist. Durchglüht mein Grab, als würde es umglei&t Von einem Glanz, der überirdisdi ist; Ach, ich vergaß, was Erdenwonne heiSl:

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Dodi heiliger die Liebe midi durdidringl, Seit deine bleiche Seele um midi ringl."

Der Geisl entsdiwand, nadidem er dies gesagt. In leisen Wellen wogle rings die Nadit, So wie das Dunkel lanzt, wenn wir verzagt Im Bett des Tages harte Müh bedadit Und von der slürmenden Gedankenjagd Verfolgt, gehest, kein Auge zugemadil. Und Isabella fuhr verwirrl empor Und starrte in den leeren Nebelflor.

„So gibt es," rief sie, „sdilimmeres als Qual? So kannte idi des Sdiid<sals Fluch noch nidit. Da ich gemeint, nur dieses sei die Wahl: Glüd<— oder Tod, wem es an Glück gebridit; Dodi hier ist Sdiuld— des Bruders blutiger Stahl O Dank, Geliebter! Dank für den Bericht 1 Ja, morgen grüfet didi meiner Liebe Kufe, Und wenn idi dich im Himmel suchen mufe!"

Und als der Morgen kam, da war gefafel

Ihr Plan, zu prüfen, was der Geist verriet.

Dem Liebsten, den die Brüder so geha|t.

Den lefeten Grufe, das lefele Liebeslied

Zu weihn. Kaum war der Sterne Licht verblaSf,

So eilte sie ins ferne Waldgebiet,

Und dafe nidit Argwohn folge ihrem Sdirill,

Nahm sie die alte treue Amme mit.

Sieh nur! Sie eilen hin am Uferrain,

Und Isabella spricht von ihrem Gram,

Vom fieidekraut und von dem schweren Slein

Und zeigt ein Messer, das sie sich nahm.

„O Kind, wie leidest du so harte Peinl

Wann wirst du wieder froh?"— Der Abend kam.

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Da hatlen sie Lorenzos Grab entded<l.

In Moos und Kraui und Beeren lief verslecki.—

Wer je das grüne Gräberfeld durchschriil, Der wiihlle wohl im Geisl in Lehm und Sand, Bis er von allen, die die Sense schnill. Die hohlen Schädel und die Knochen fand. Und schauderte, wie sehr wohl jeder litl, Als würgend ihn erfa&l des Todes Hand . . . Ach, qualvoll mochle wohl sein Mitleid sein— Qualvoller noch war Isabellas Pein.

Ihr Blick durchdrang der Grube dunklen Schlund, Doch sah er Tod und Wurm und Moder nicht: Sah wie aus klaren Quells kryslallnem Mund Lorenzos Leib, Lorenzos Angesicht. Wie eine Lilie, die in Grabes Grund Die Wurzel schlug, so stand sie ernst und lichl; Dann sank sie hin und grub so fiebernd hei&. Wie nur der Schmerz sich einzugraben wei|.

Bald lag ein Handschuh aufgewühlt, von ihr Einst selbst mit bunter Stickerei geschmückt— Wie kü&t sie nun die fast verblaute Ziert An ihrer sü&en Brust, die nie beglüdkt Sich füllen sollte für des Säuglings Gier, Verbirgt sie ihn, und seine Kälte drüd<l Wie Todeshand ihr Herz. Sie sprach kein Wort, Strich nur das Haar zurück— und suchte fort.

Betroffen stand die alle Magd dabei. Bis mit der Armen Mitleid sie empfand. Und sie begriff, wie schwer die Arbeit sei Für Isabellas ungeübte Hand; Sie kniete hin und stand der Herrin bei. Drei Stunden gruben sie so unverwandt;

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Da endlidi war's geschehn— und ernst und licht Blieb Isabell und schrie und raste nicht.—

Was öffne ich des Grabes Moderschacht,

Da6 schwarz sein schaudervoller Rachen gähnt?—

Ach, ob des allen Liedes süfeer Pracht,

Des Liedes, dem die Sage ich entlehnt]

O Leser, der für solcher Liebe Macht

Noch liefres Wort, noch reinem Klang ersehnt,

Lies die Romanze, lies den alten Sang,

Der machtvoll alle Herzen einst bezwang I—

Wohl war viel stumpfer als des Perseus Schwert

Der Stahl, der jefel ein Haupt vom Rumpfe schnitt.

Doch war's ein Haupt, so schön und liebenswert,

Da| selbst im Tode nicht sein Zauber litt.

Die Liebe höret nimmer auf 1 So lehrt

Ein altes Wort. O wie in Liebe stritt

Jung Isabella um Lorenzos Haupt-

In Liebe, die kein Grabeshauch beraubt!

Und Isabella nahm den Kopf mit fori Und kämmte seines Haars verblafelen Schein Und pflegte sorglich ihren heiligen Hort: Um seiner Augen hohle Kämmerlein, In denen Licht und Liebe jäh verdorrt, Flocht Locken sie und weinte still hinein Und wusch den Schafe mit Tränen kühl und klar ^JfX: Und kü|te ihn und kämmte neu sein Haar.

Sie nahm ein Tuch, dem seltne Spezerein Gar auserlesnen Wohlgeruch verliehn. Und tauchte es in einen Saft hinein Von Blumen, die nur in Arabien blühn; Das sollte nun des Kopfes Bahrtuch sein. ^^^ Sie barg ihn gut darin und legte ihn

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In einen Topf und pflanzte sü&es Kraut, Basilikum, darauf und weinte taut.

Und sie vergaß das Mond- und Sfernenlidit, Und sie vergaß den blauen Sonnenlag, Und sie vergaß, was Wind und Welle sprictit. Und sie vergaß den bunten Herbst im Hag; Und wenn der Tag erstarb, sie sah es nidif, Und sati den neuen Morgen nictit: sie lag Nur immer weinend bei dem lieben Kraut, Das bis ins Herz mit Tränen sie betaut.

Und so getränkt wie nie ein Kraut zuvor Erhob es sich in grüner Üppigkeit Und duftete wie nie ein Kraut zuvor Auf Florentiner Beeten weit und breit. Wann spro& audi je Basilikum empor Auf einem Boden, so voll Fruchtbarkeit Wie Menschenleid, wie Herzensnot und Tod! Wann war's ein Menschenkopf, der Dünger bot!

Verbirg, o Muse, trauernd dein Gesidit Und raste stumm, wo dumpf Verzweiflung stöhnt Wie eine Stimme, die aus Grüften bricht Und höht in dunklen Tiefen wiedertönt. Hier lafe den Tod sich freuen, der verspridit, Da& sich in ihm der tiefste Gram versöhnt; Er sefet ein mildes Licht auf alle Pein: Im Totenhof den bleichen Marmorstein.

Ihr trauertiefen Töne sdiludizt und bebt!

O weint, ihr Saiten meiner Leier, weint,

Dafe wild aus euch des Schmerzes Sturm sidi hebt

Und mit des Windes Klage sich vereint!

Wann hätte je ein Weib wie sie gelebt.

Dem so das Schicksal alles Glück verneint!

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Der Palme gleich, die man des Safts beslahl, So slirbi sie hin in langsam biltrer Qual.

O siört ihr sanftes Sterben nicht! O quält Sie nicht noch roh ins nahe Grab hinein 1 Doch ach, die Brüder, deren Herz verstähll Von Gier und Geiz, sie konnten nicht verzeihn. Dal ihre Schwester sich dem Gram vermählt. Statt eines reichen Grundherrn Braut zu sein; Und auch Verwandte forschten oft und viel, Warum sie mied der Jugend Tanz und Spiel.

Die Brüder hatten staunend bald entdeckt, Dafe dem Basilikum ihr Weinen galt: Das blühte wunderprächtig, wie erweckt Durch Zauberwortes wirkende Gewalt; Doch welcher Wert lag denn darin versteckt, Da& Isabell dem Kraut zuliebe kalt Für alle Freuden war und wahnbestrickt Selbst den vergaß— den weü man fortgeschickt!

Sie harrten lange auf Gelegenheit

Dem Rätsel heimlich auf den Grund zu sehn,

Doch nie entfernte Isabell sich weit

Und wollte kaum zum Beichtgang sich verstehn.

Und wie's den Vogel treibt zur Brütezeit

Ins teure Nest zurück mit Windeswehn,

So flog sie unruhvoll zum Hort zurück

Und weinte dort bei dem begrabnen Glück.

Und dennoch stahlen sie das Kraut ihr fort. Durchwühlten es bis auf der Wurzeln Grund: Ein Totenkopf, Lorenzos Kopf lag dort- Wie schnell erkannten sie den grausen Fundl So rächte furditbar sich der frevle Mord. Enlsefet entflohen sie zur selben Stund—

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Fori von Florenz und fori von Hab und Gul, Verbannl, verdamml durdi feig vergossnes Blul!

Verbirg, o Muse, Irauernd dein Gesichil

O weinl, ihr Sailen meiner Leier, weinl

Wie eine Summe, die aus Gräbern brichl

Und mil des Windes Klage sich vereinl!

Adi, Isabell erirug dies Lefele nichl.

Zu lief sdion hal ihr billres Leid geweinl:

Vom Harm verwirrl, neigl einsam sie das Haupl,

Des lehlen Trosls, der Tränen selbsl beraubl!

Wie blid<le Milleid billend sie umher

Und sprach die loten Dinge zärllich an

Und fragte sie, wo ihr Basiltopf war.

Und kam des Wegs vorbei ein Wandersmann,

Sie hielt ihn an und bat und flehte sehr.

Und wenn er ratlos schwieg— wie klagte dann

In stumpfen Sdimerz sie stets das gleidie Wort:

„Was nahmt ihr mein Basilikum mir fort!"

So starb sie einsam hin in müdem Gram, Nach dem Basiltopf fragend bis zum Tod. Da war es ganz Florenz, das Anteil nahm Und soldiem Liebesleid sein Mitleid bot— Bis dal ein Lied von Mund zu Munde kam. Ein traurig Lied von Isabellas Not; Und heut noch singt das alte Volkslied dort: „Was nahmt ihr mein Basilikum mir forti"

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SANKT AGNES ABEND

ANKT Agnes Abend— oh, wie fror die Well! Kalt sa| der Kauz Irofe did<em Federkleide, Der Hase hinkte matt durchs eisige Feld, Wollpelzige Schafe bebten in der Heide. In starren Fingern hing der Rosenkranz Des Beters, dessen Atem dampfend jagte Wie gollgefälligen Weihrauchs frommer Tanz Und um der Jungfrau Bild, das strahlend ragte. Wie Wolke wehte, während er Gebete sagte.

Demütig betet er, der heilige Mann,

Bis er sein Lidit ergreift, um aufzustehen

Und bleich und barfuß sachten Schrittes dann

Durch der Kapelle Chorgang fortzugehen.

Die Totenstatuen geben ihm Geleit,

Die hinter schwarzen Fegefeuergittern

Gefangen beten voll Beredsamkeit:

Er geht vorbei an Damen und an Rittern

Und denkt der Qual, in der wohl deren Seelen zittern.

Er wendet nordwärts sich durdi enges Tor,

Da plöblidi singt Musik mit goldnen Zungen—

In Tränen lauscht der arme Greis empor.

Doch nein— ilim hat sein Glöckchen schon geklungen:

All seines Lebens Freuden sind verhallt.

Ihn will Sankt Agnes Abend büßend sehen!

Fort eilt er, sifel in rauher Asche bald.

Um nachtdurchwachend Gnade zu erflehen.

Um Sünders Lohn durch Leid und Reue zu entgehen.

Ein sanft Präludium hatte er erlauscht; Und das kam so: auf standen Tür und Schranken Für eiligen Dienst. Bald kam herabgerauschl Der silbernen Trompeten helles Zanken.

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Die ebnen Hallen harrlen voller Slolz

Und glühlen, lausend Gäsle zu empfangen;

Geschnifete Engel spählen slarr vom Holz,

Das rückgewehle Haar umfa|l von Spangen,

Die Flügel kreuzweis unler kindlidi runden Wangen.

Dann brach herein die laule Luslbarkeii Mil Feder, Tiara und mil bunlem Glänze, Zahlreidi, wie Schallen zahlreich sind im Leid, Und so voll Prunk wie höfisdie Romanze— Die alle denk! euch fori, und wollt euch still Und andachtsvoll zu einem Fräulein kehren. Die heul Sankt Agnes' Huld erflehen will. Um liefen sii&en Liebeslraum zu mehren, Gut eingedenk der alten Frauen weisen Lehren.

Sie sagten, dafe den lungfraun Agnes' Nacht

Entzüd^ende Visionen oft bereite,

DaB in der honigticiien Millernadit

Der Liebste huldigend ans Lager gleite,

Falls sie nur recht erfüllten das Geheiß:

Sie mü|ien ohne Nachtmahl sdilafen gehen.

Sich rüd<lings bellen und um keinen Preis

Zur Rechten oder Linken um sidi sehen.

Nur mit erhobnem Blid< um Wunschgewährung flehen.

Und Magdalen sann diesem Märchen nadi.

Empfand nicht der Musik verzücktes Tönen,

Die wie mit Göttermund in Seufzern sprach;

Ihr Mädchenblid<, gesenkt, sah mandier Schönen

Prunkschleppe gleiten— doch sie achtet's nidil.

Mandi Kavalier, der zarten Gru& ihr sagte.

Trat still zurüd<— sie aber blid<te nidil.

Da ihre Seele nach ganz andrem fragte.

Um Agnes' Traum, den sü&eslen des Jahres, zagle.

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Mii fernverlornem Blid< schrill sie daher,

Ihr Alem flog, die Lippen beblen Irunken,

Die heilige Frisl war nah. Sie seufzte sdiwer,

Inmiilen all des Lärmens traumversunken.

Und Flüstern, Lachen, Spott und Liebessdiwur

Und Trommelbraus und 51ick voll Dank und Strafe

Schien Traum zu sein: sie dachte wadiend nur

An Agnes, ihre ungesdiornen Schafe

Und was an Seligkeil sie finden sollt im Sdilafe.

Sie sehnte sidi, nun bald allein zu sein—

Und blieb doch nodi. Indes war über Moore

Jung Porphyro, geguält von Liebespein

Um Magdalen herbeigeeilt. Am Tore,

Im Pfeilerschatlen harrt er und beschwört

Die Heiligen, sein Warten zu entgelten

Mit günstigem Augenblid<, der ihm gehört:

Nur schaun, nur knien vor ihren seligen Welten!

Und sprechen— fühlen— küssenl— Tat man dies so selten?

Er schleidit hinein. O schlummre nun, Verrat,

Kein Auge spähe) Sonst, sein Herz zu morden,

Sein liebefiebernd Herz, war wild genaht

Ein Heer von Schwertern, denn barbarisdie Horden,

Zornheifee Feindesbrut enthielt dies Schloß;

Die Hunde würden selbst mit rauher Kehle

Ihm Flüdie heulen, ihm und seinem Tro&.

Ein Weib nur trohte diesem Hafebefehle,

Ein altes Mütterchen, das siech an Leib und Seele.

Ah, Zufallsglüd<l Das alte Weibchen kam Am Krüd<stod< hinkend langsam hergeschlidien. Und da sie ihre Sdiritte dorthin nahm, Wo er, der Fad<el und den feierlichen Gesängen fern, im Säulensdiatten stand, Sdirak sie zurück mit angstverwirrlem Lallen.

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Doch sie erkannte ihn, nahm seine Hand: „Oh Porphyro! Hinweg aus diesen Hallen, Die ganze Sippe wird dich wütend überfallen!

Hinweg] Hinweg! Hier ist dir alles feind!

Zwerg Hildebrand verfluchte dich im Fieber,

Und selten war ein Fluch so ernst gemeint.

Und auch Held Morife sah dich wahrlich lieber

Tot als lebendig!— Weh, oh weh mir! Flieh!"

„Adi, Freundin! Niemand wird uns hier entdecken.

Nimm Plafe auf dieser Bank und sag mir, wie—"

„Ihr Heiligen! Man wird dich niederstrecken!

Komm, folge mir! Sonst wird dein 51ut den Boden fled<en.

Durch niedre Bogengänge folgte er,

Die hohe Feder grau von Spinngeweben.

Mit Weh und Seufzen schlich die Alte her—

Dann sah er sich von kleinem Raum umgeben.

Der kühl und schweigend voller Mondschein sdiwamm.

„Sag, wo ist Magdalen?" sprach er; „ich flehe

Bei Agnes' Webstuhl, der so wundersam

Nur heiliger Schar erlaubt, da& sie ihn sehe.

Nur heiligerSdiwesternschar, da& sie den Faden drehe."

„Sankt Agnes! Ah, es ist Sankt Agnes Nacht! Dodi Menschen morden audi an heiligen Tagen. Du hast wohl über Feen und Elfen Madit Und kannst in Hexensieben Wasser tragen, Dafe du so kühn bist? Wahrlidi, Porphyro, Du wunderst mich!— Sankt Agnes Abend heute! Die junge Herrin wartet glaubensfroh, DaB Agnes ihr zukünftige Freuden deute. Ach, lachen mu| idi über solche jungen Leute!"

Sie kidierte im matten Mondenschein, Und Porphyro betrachtet sie mit Staunen,

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Wie wohl ein Kind ein altes Miillerlein,

Das ihm von Wichleln spridii und von Alraunen.

Bald aber leuchlele sein Auge auf,

Als seiner Dame Absichl sie berichlel,

Sehnsüchiige Tranen sliegen in ihm auf:

O junge Seele, die sich gläubig ridifel

Nach all dem Spuk, den kalles Aller ihr erdidilell

Da kam ihm ein Gedanke, der wie Blühn

Von roler Rose ihm die Slirn belaule

Und Aufruhr warf ins Herz; der Plan war kühn.

Den er dem armen Weiblein nun verlraute.

„Ohl" rief sie, „wie du schlecht und gottlos bistl

Willst du der Herrin kindlidi frommes Wallen,

Gebet und Traum mit unverschämter List

Und frevlerisdiem Tun zum Narren halten?

Geh, geh 1 Du bist nicht der, für den ich dich gehalten I"

„Bei Gott) Idi sdiwör's, ihr soll kein Leid gesdiehn!"

Spradi Porphyro. „O mögen keine Gnaden

Dereinst an meinem Sterbebette stehn.

Kam nur ein Haar auf ihrem Haupt zu Schaden

Und sah ich roh in Leidenschaft sie an.

Sieh, diese Tränen sind ein Wahrheitszeidienl

Dodi willst du. Treuste, mir nidit glauben, dann

Ruf ich jefet selbst dem Feind und seinen Streichen,

Mag diese Meute audi den wilden Wölfen gleidien."

„Adi! Was erschred<st du eine Seele so.

Die sdiwadi, gelähmt, dem Grabe sdion verfallen.

Die nur noch eines kann, mein Porphyro:

Von früh bis spät für didi Gebete lallen."—

Ihr Klagen rührte ihn, und er begann

Sein stürmend Herz in sanftres Wort zu zwingen,

Sodafe sein Leid ihr Mitgefühl gewann

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Und sie versprach, in diesen Liebesdingen

Ihm beizusiehen— soll! es ihr auch Unheil bringen.

Sein Wunsdi war der: in aller Heimlichkeil

Soll sie in Magdalens Gemach ihn führen,

Versled<l dort will er die gelieble Maid

Nur sehn, nur seiner Dame Nähe spüren,

Nur lauschen, was den Feen sie verlraul.

Die bleicher Zauber ihr ums Lager malle—

Vielleichl, vielleichl gewinnen eine Braut!

Niemals Verliebten soldie Nadit erstrahlte,

Seil Merlin seinem Dämon höchste Schuld bezahlte.

„So sei es, wie du wünsdisl," sprach Angela, „Idi will dorthin die Festgeschenke bringen, Wie's alter Brauch; das Lautenspiel lehnt nah Bei ihrem Nähplafe. Soll der Plan gelingen. So mu6 idi eilen— ach, die Zeil vergeht. Mein alter Kopf ist schwadi und angstbeklommen 1 Nun warte, Sohn, und kniee im Gebet- Wohl, wohl— du sollst zur Ehe sie bekommen, Idi helfe dir— und wär's auch nicht zu unserm Frommen.

Und eilig, furditsam humpelte sie fori.

Wie dehnten sidi die sehnenden Minuten.

Sie kam zurüd< mit heisrem Flüsterwort:

„Komm mit!" Ihr Blid< schien Späher zu vermuten.

So ängstlidi irrte er von Stein zu Stein.

Manch dunklen Gang mu& Porphyro durchsdireiten.

Dann sah er sich in keuschem Raum allein

Und barg sidi gut in Schattendunkelheiten

Und fühlte dieses Zimmers reine Seligkeiten.

Die Alle ging und griff mit sdiwadier Hand Im Dunkel nach der Treppenbalustrade, Als plöfelich wie ein Engel vor ihr stand

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Jung Magdalen, die heut in Agnes' Gnade.

Mit hellem Kerzenlicht und Sorgsamkeil

Half sie dem Mütterchen zur Halle nieder.

Nun Porphyro, nun halte dich bereit,

Blick hin zum Bett, schon kehrt die Taube wieder:

Wie ist ihr Blick so mild, so strahlend ihr Gefieder!

Das Licht erlosch, als sie ins Zimmer lief.

Im Mondschein glitt sein kleiner Rauch von dannen.

Sie schlol die Tür, sie atmete so tief.

Nun waren Geister nah und nicht zu bannen.

Kein Laut jefet— Wehe war sein Widerhall!

Doch hob ihr Herz die Brust in schweren Wellen,

Als würde zungenlose Nachtigall

Vergeblich ihren Hals zum Singen schwellen

Und herzerstickt hinsterben bei des Tales Quellen.

Dreibogiges Fenster war in diesem Raum, Üppig umkränzt von Eichenschnifeereien Mit Blüte, Blatt und Frucht vom Rosenbaum, Und Scheiben leuchteten in farbigen Reihen Wie Diamant und bunter Schmetterling. Und zwischen Heiligen in seligem Sinnen Und Waffenzier und Kriegstrophäen hing An Dämmerwand ein Wappenschild darinnen, Mit Blut befleckt von Königen und Königinnen.

Hier sah der volle Wintermond herein.

Der Magdalen mit rotem Glühen schmückte.

Auf Brust und Hände fiel's wie Rosenschein,

Als sie nun knieend sich herniederbückte;

Ihr silbern Halskreuz war wie Amethyst,

Ihr Haar von mildem Heüigenschein umgeben:

Ein Engel, dem der Himmel offen ist!

So fühlte Porphyro in tiefem Beben.

Sie schien, in Unschuld betend, erdenfern zu schweben.

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Wie tiefe Ohnmacht hielt es ihn in bann, Als sie vom Perlenkranz ihr Haar entblö&te, Den warmen Schmud< vom Halse nahm und dann Des Kleides angeschmiegte Bänder löste. Leis knisternd sinkt das Kleid. Ein wacher Traum Lä&t sie in ihrem Bett Sankt Agnes sehen, Dodi voll zurLid<zuschauen wagt sie kaum. Sonst würde all das Zauberwerk vergehen Und all ersehntes Träumen bliebe ungesdiehen.

Bald bebte sie im weichen kühlen Nest

Und lag von wacher Ohnmacht ganz benommen.

Bis sie der mohnbekränzte Schlummer fest

So Leib wie Seele— in den Arm genommen.

Weit floh die Seele nun ins Dunkel fort

Und ruhte fern von Schmerz und Lust, versdilossen.

So wie ein Me&budi an unheiligem Ort,

Wie Rosenkelch, wenn Regenfluten gössen.

Wie keusdie Knospen oder erste Frühlingssprossen.

Und Porphyro sah hin aufs leere Kleid

Und fühlte seiner Pulse wildes Rennen

Und stand und harrte voller Bangigkeit,

Des Schlummers ruhiges Atmen zu erkennen.

Dann kam er zage aus dem Winkel vor,

Geräuschlos wie wohl eines Mäddiens Bangen,

Wenn es in dunkler Wildnis sich verlor;

Zum Lager trat er hin mit heifeen Wangen

Und hob den Vorhang— o wie lag sie schlafumfangen!

Als sidi der Mond verbarg und silberbleich

Ein Zwielicht spann, schob er an Bettes Seite

Leis einen Tisch, warf halb in Angst ein reidi

Gewand darauf, drin Rot, Gold, Schwarz sich reihte.

O jefet ein schläfernd Morpheus-Amulet,

Da plöfelich sdirill die Festtrompeten werben,

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Die Kesselpauke und die Klarinett!

Die Saaliür fälll zurück— ein jäh Ersterben,

So wie Krystall, das schrill zersprang, verslummt inScherben.

Doch hielt azurlidriger Schlaf sie fest

In bleidien, duftigen Lavendelkissen;

Indessen er aus wohlversted<lem Nest

Kandirtes Obst und andre Led<erbis5en,

Gelees, die linder sind als sü&er Rahm,

Und seltne Frucht aus südlichen Geländen,

Die fern von Fez mit Handelssdiiffen kam.

Und Spezerein von Syriens Felsenwänden

Gesdiwind zum Tische trug mit fieberheißen Händen.

Dies altes häufte er in goldne Pracht

Getriebner Schalen und auf Silberplalten,

Und alles duftete in kühle Nacht

Und glei&le seltsam hell aus tiefem Schatten.—

„Und nun, mein Lieb, mein Engel du, wach auf!

Du bist wie über mir des Himmels blauen,

Und ich, dein 5eter, hoffe zu dir auf.

O laß mich deine blauen Augen schauen.

Sonst wird hier neben dir mein Sdimerz in Tränen lauen."

Und kraftlos sank ins Kissen auf ihr Haar

Sein warmer Arm. Umsonst sein leises Spredien.

Des Traumes 5ann, der Mittnachtzauber, war

Unmöglich wie vereister Strom zu brechen.

Der Teller Glanz erstrahlt im Mondenlicht,

Dem Schmud< und Fransen hundert Spiegel liehen.

Doch hinter dunklen Vorhang leuchtet's nicht.

Nichts kann die Herrin ihrem Traum entziehen.

Der Nacht so tief verstrid^ten Wunderphantasieen.

Er griff zur Laute. Zarte Melodie Entlockte er in sdimeidielnden Akkorden:

67

Provencer Lied „La belle dame sans mercY,"

Ein altes Lied, das längst sdion stumm geworden.

Er schlug das Spiel in ihrer warmen Näh.

Sie stöhnte klagend, wie von Sdimerz betroffen.

Er hörte auf— sie keuchte schnell— und jäh

Standen erschred<t die blauen Augen offen.

Er sank auf seine Kniee, bleich in Angst und Hoffen.

Sie blid<te offen, und trofedem sie wach,

Hat ihren Traum sie immer fortgesponnen.

Der aber war verändert, sdieuchte, adi.

Des Schlaftraums tiefe und so reine Wonnen,

Was ihr die Tränen aus den Augen trieb

Und banges Weh aus liebendem Gemüte;

Auf ihn jedoch ihr 51ick geheftet blieb.

Auf Porphyro, der betend vor ihr kniete.

Reglos und stumm, als sei sie eines Traumes Blüte.

„Ach Porphyro 1" spradi sie, „wie war doch nur

SÜ& zitternd eben nodi in meinen Ohren

Dein lieber Klang, des Herzens siifeer Schwur.

Und wie ist jefet dein 51id< so leidverloren.

Wie bist du anders: traurig, bleich und kalt!

Du sollst mir alle Wonnen wiedergeben.

Mit deiner Augen himmlischer Gewalt

Empor aus diesem Höllenweh mich heben.

Denn wenn du stirbst, mein Lieb, wei& ich nidit wo zu leben.

In Liebe über Sterbliche erhöhl Durch solche Laute, hat er sich erhoben: Ein herzbewegter Stern, der flimmernd steht In liditer Ruh saphirner Himmel droben. In ihren Traum schmolz er hinein, wie Duft Der Rose sidi mit Veildienduft verbindet, SÜ6 aufgelöst. Es bläst die Winterlufl

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Der Liebe Ruf, die Fenster sind erblindet

Durch sdiarfen Hagelschlag; Sankt Agnes' Mond verschwindet.

's ist dunkell Windgepeitschter Hagel schlägt. „Dies ist kein Traum, o Magdalen, du Meine!" 's ist dunkel; Sturmwind slöfet und Hagel schlägt. „Kein Traum ach, ach! Und Weh ist all das Meine! Porphyro läfel mich hier in Harm und Schmerz. O welch ein Frevel, dich hierher zu bringen! In deins verloren ist mein ganzes Herz. Ich fluche nicht dem grausamen Gelingen: Verlassne Taube ich mit kranken iungen Schwingen!"

„Mein Magdalen? O Traum, o Himmelsbild!

Darf dein Vasall ich ewig sein— gesegnet?

Ich deiner Schönheit herzgeformter Schild?

Vor dir, Altar, ruht aus, wer dir begegnet!

Dem müden Pilger soll ein Wunder licht

Die krankzerquälte Seele nun erneuen.

Ich fand dein Nest, berauben will ich's nicht—

Nur um dein sü&es Selbst, wenn ohn Bereuen

Schön Magdalen vertraun will— keinem Ungetreuen.

Horch! 's ist ein Elfensturm aus Feenland,

Sehr teuflisch polternd, doch für uns voll Gnade:

Steh auf— steh auf! Schon glüht der Morgenbrand;

Die vollen Zecher sehn nicht unsre Pfade!

So la6 uns eilig fliehn und froh, du Mein!

Denn keiner hört, kein Fufe vermag zu stehen,—

Betrunken sind sie all von Met und Wein:

Wach auf! Steh auf! Und la& uns furchtlos gehen.

Und hinterm Moor sollst du bei mir die Heimat sehen."

Sie eilt bei seinen Worten— angstbedrücki.

Denn schlafend rings viel gierige Draclien liegen,—

Hellwach vielleicht, den Todesspeer gezückt.

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Sie hastelen hinab die Dämmersliegen.

Im ganzen Hause ist kein Menschenlaul,

Nur Fad<eln flad<ern wild in Eisenringen;

Und über lose Slofftapefen haul

Der Slurnri ein Wogenspiel von Geistersdiwingen,

Die lobend durch die hohe zugige Halle dringen.

Die beiden gleiien wie Phantome fori,

Durdi weilen Gang zum eisernen Porlale,

Berauschl und sdinardiend lag der Wächter dort,

In seinen Fingern nodi die nasse Sdiale.

Der Bluthund hebt sidi, sdiiiltell Fell und Strick,

Doch sieht und wittert er den Hausgenossen.

Und Bolz und Riegel gleiien leicht zurück,

Der Schlüssel dreht— das Tor ist aufgesdilossen

Und öffnet sich in ächzenden Scharnierkolossen.

Und sie sind fort. Vor langen Jahren flohn

Die Liebenden hinaus ins Ungewitter.

In jener Nachtzeit träumte der Baron

Von manchem Feind, auch waren seine Ritter

Schwer alpbedrüd<t von Hexe, Wurm und Widit

Und Höllenspuk und eklen Grabgestalten.

Die Alte starb mit grä&lidiem Gesicht.—

Der Beter schlief nadi langem Händefallen

In seiner kalten Asdie, stets für fremd gehalten.

70

CALIDOR (Ein Fragment)

JUNG Calidor durchquert im Boot den See. Sein Geist ist wacti, ist voti vom sctiönen Weil, In das der Abend sicti so liebend kleidet, Weil er nur ungern von der Erde sctieidet. Nocti zögert rings ein lefetes warmes Lictit. Zum blauen Himmel hebt er das Gesicht Und lächelt lang hinauf in t<lare I^unde, 5is er im Herzen fühlt die Sehnsuchtswunde; Da wendet er den 51id< zum sanften Bogen Der Uferböschung und ins Blätterwogen Der Bäume, die sich schattend niederneigen Und sich im See die zarten Blüten zeigen. Sein froh begeistert Auge folgl dem Schwung Der flinken Schwalbe durch die Dämmerung, Wie sie so launisch auf und nieder schwebt. Bald tief zum Wasser stöfet, bald hoch sich hebt, Jefet mit der Brust die kühle Nässe streift, lefet unsichtbar in blauen Höhen schweift.

Nun hebt sich seines Bootes scharfer Kiel Und gleitet leicht durch krauses Wellenspiel Hinein in breites Wasserlilienbeet: Wie wei^ ein jeder Blütenbecher steht Und Tau erhoffend auf zum Himmel schaut. Ganz nahe hier liegt voll von Busch und Kraut Ein Inselchen: von dort genie&t man gut. Wie schön der See in seinem Ufer ruht. Das sich zum Fu& der blauen Berge dehnt; Doch keiner, der mit warmem Herzen sehnt Und klaren Auges sieht, was die Natur An Schönheit zeigt auf beider Ufer Flur, Geht leicht vorbei; sie grüßte Calidor Heul sanfter noch als alle Zeil zuvor.

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Seilwärls die Wipfel, reich in Gold gekleidet, Die frohe Sonne sdienkl es, eh sie scheidet— Draus ab und zu der Eichelhäher sdiie&t Und bunte Schönheil in die goldne gie|t.

Ein alter Turm mit sturmzerslörten Mauern, Zu stolz, um einstige GröSe zu betrauern; Sdiwarz wacht beim grauen Grab die starre Fichte Und wirft zu Boden ihre harten Früchte.

Das Fischerkirdilein, dicht vom Epheulaube Umkränzt bis hoch zum Kreuz; die wei|e Taube, Die auf dem Fenster glättet ihr Gefieder, So licht, als käme sie vom Himmel nieder.

Grünbuschige Inseln legen linden Sdiatten Quer übern See. Durchs Zwielicht lugen Mallen Mit breiten Ampferblättern und Ranunkeln, Mit wilder Kafeen glühem Augenfunkeln, Mit zarten silberigen 5irkenbäumen, Mit hohen Gräsern, die all dies umsäumen. Und Abendlau erguickte alles Schöne, Als Calidor beglüd<t die Silbertöne Einer Trompete hörte. Ach, es nahen Viel Freuden ihm! Des Wäditers Augen sahen Durdis Tal herauf der Schimmel Mähnen wehen; Bald wird er seine liebsten Freunde sehen! Er stö&t sein Boot voran mit heitrem Sinn, Nun streicht er einsam übers Wasser hin. Blind für den Schwan und taub für Philomele So sehr voraus eilt drängend seine Seele.

Nun wendet er mit kräftigem Ruderstofe

In lefete Bucht, und düster ist und gro|

Das Schlol, noch fern, vor seinem Blick erschienen.

Fast sdineller, als die eifrigste der Bienen

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Zwei Pfirsiche umsummen kann, erreichien

Des leichten 5ooies Rippen jene feudilen

Marmornen Stufen, die ins Wasser führen.

Und aufwärts eilt er, dann durch Flügeltüren,

Durch eidiene Hallen und durch Corridore.

Köstliche Töne! Nie klang seinem Ohre

Und seinem Herz ein Vogellied so traut,

Als jefet der Rossehufe Klapperlaut.

Zwei edle Hengste und ein Zelterpaar

Ward er beim Eintritt in den Hof gewahr:

In lockern Zügeln warfen sie die Nad<en

Zurseite, während sie auf Prachtschabrad<en

Glückliche Bürden trugen durch das Tor.

Welch sanften Ku& und Drud< gab Calidor

Den Händen jeder Dame! Wie entzückt

Umspannt er feine Knödiell Süfe entrüd<t

War seine Seele, während Flüstergrü&e

Ihn zögern liefen, ihre zarten Fü§e

Herab zu lassen auf die harte Erde.

Wie süS dies Sdimiegen, als sie sich vom Pferde

Hin über seinen Nacken sinken liefen!

Und ob da leise Sehnsuchtstränen fliegen,

Oder ob ihre Locken Tau gefangen:

Er fühlte eine Feuchte auf den Wangen—

Und segnete mit Lippen, die erbeben,

Mit Augen, die sich leuchtend aufwärts heben,

All diese Wonne, die so weich und warm

Und innig sich gesdimiegl in seinen Arm.

Auf seiner Sdiulter hing die Grübdienhand

Sdiön wie ein Wunder aus dem Feenland,

Wie weifee Cassiablüte, die der Regen

Der Sommernacht erfrischt— o reidier Segen!

Er koste sie mit seiner frohen Wange,

Als ob er alle Seligkeit empfange.

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Da schlug Sir Clerimonds freundliches Grüben Ans Ohr ihm. Sanft zog er aus ihrer süfeen Knech!schafl den Arm, den neuer Dienst begehrt, Votl Danl<, da& ihm so viele Lust bescheert. Indes er an die Stirne eine Hand Herzinnig pre&te, die ein Gott gesandt, bedrängten gut zu helfen: eine Hand, Die aus den kalten Klippen dieser Welt Jung Calidor erheben wird zum Held.

Zwischen den Pagen und den Fackeln stand Bei seinem Ro& ein Ritler, elegant Und stolz gewachsen; seine Federn wären Im Wind so hoch wie wilde Eschenbeeren Oder wie Hermes' Flügelkappe ragt. Und sicher hätte nie ein Mensch gewagt Den Panzer, den er trug und der so fein Geflochten war, für Stahl zu halten, nein. Man hielt ihn eher für ein Prunkgewand, In dem wohl gar ein hoher Engel stand. Der sich verkappt den Gästen zugesellt. „Sir Gondibert, der weit berühmte Held," So stellte Clerimont ihn munter vor. Der junge Krieger kam zu Calidor Anmutigen Schritts voll Herzlichkeit heran Und bot gepanzert eine Hand ihm an, Bereit zu grüben den erglühten Knaben; Der schaut, als dürfe er die Augen laben An hohem Wunder. Während er voll Glück Die Damen führte, sah er oft zurück. Im Licht der Lampen, die vom Dach der Halle Herniederhingen und die Wehrmetalle In überirdischem Glanz erstrahlen machten. Die ritterlichen Brauen zu betrachten,

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Die unter feingeschwungenem Visier Sidi wölblen über Augen von Saphir.

Bald sifeen sie in angenehmem Raum. Die Damen mit den Lippen sü& wie Traum begrüßten all die grünen Ranken schon, Die rund um Fensler klimmen und 5alkon, Um ihre purpurslernigen 51ülenlod<en Zu zeigen und die zarlen Bernsleinglocken. Sir Gondiberl lal ab sein slählern Kleid, Und er genie&l nun voll Behaglichkeil Den leichten Manlel über Brusl und Rücken. Und während Clerimond mil milden Blid<en Sich umschaut, brennt jung Calidor danach, Von Rittertat zu hören: wie man Sdimadi Zurüd<wies, wie man stark mit tapfrer liand Von werter Fraue Sdirecken abgewandt; Und übervoll hiervon gab jeder Hand Der Damen er so warmen Ku& und blickte So feurig drein, da& es sie halb entzückte Und halb erstaunte, bis sich herzbewegt Ein Lädieln über ihre Mienen legt. So süB wie sonnenselig Himmelsblauen Hodi über zauberhafte Inselauen.

Sanft kamen Lüfte aus des Waldes Herzen, Sanft bliesen seitwärts sie das Licht der Kerzen, Klar war der Sang der Nachtigallenkehle, Lieblich der Duft der Lindenblütenseele, Verlockend wild der ferne Hörnerklang, Reizend der Mond auf seinem stillen Gang. SÜ& auch die Unterhaltung dieser Freunde Wie guter Geister fröhlidie Gemeinde, Wie sanftes Summen, das wir rundum hören. Wenn Hesperus ersdieint mit Sternenchören. SÜ& sei ihr Schlaf

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DEDIKATION AN LEIGH HUNT

LIEBREIZ und Glaube sind dahingesdiwunden, Denn ziehn wir jefel aufs freie Feld hinaus, Grü^I kein AHar, drauf Kranz und Blumenstrauß Als frommes Opfer frohen Tod gefunden.

Und keine Mäddien ziehn in ersten Stunden Des Tags auf Floras weites Land heraus. Mit Rosen, Veildien, Korn und Blattgekraus Dem Mai den Dank der Jugend zu bekunden.

Dodi andre Lust— und grö|re— bleibt zu pflücken Und wird auf meinen Weg mir Blumen streuen: Vermag audi heut kein Pan mehr zu entzüd<en.

So wird dodi liefre Freude mich erneuen, Wüßt' ich mit dieser Gabe zu beglücken Und einen Mann wie du bist zu erfreuen.

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¥

AN MEINEN BRUDER GEORG

IE viele Wunder hab ich heul gesehn! Den heilen KuB, mit dem das SonnenHchl Des Morgens Träne Irank, —im Abendlicht Lang tote Helden über Wolken gehn—

Des Ozeans urewiges Phänomen:

Das Meer, das Hoffnung trägt und Hoffnung bridil

Und wilde urweltliche Sprache spricht

Und grollt und seufzt von Werden und Vergehn.

Und jefet, Georg, da ich dir dieses schreibe. Lugt Cynthia bleich aus wei|en Wolkenbänken, Ein wenig nur, als sei heut Hochzeitnacht

Und lade sie zu beferem Zeitvertreibe.

Dodi hält' ich nicht dies treue Deingedenken,

Was war des Meers und was des Himmels Pracht!

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¥

ÄR ich von rillerlidiem Wudis, vielleidit War meinem Weh ein Widerhall erwadit Und hälie wohl dein Herz in Glut enlfachf, Da6 es mir selbsi die Waffen überreidii.

Doch ach, ich bin kein Held, dem alles weichl, Und meine 5rusl sdiirmt keine Panzerpradit; Kein Schäfer bin ich, dem ein Mädchen lachi. Und dessen Mund erzitterl und erbleich!.

Und mu& dich dennodi lieben— süB didi nennen. Viel süfeer noch als Hybla's Rosenbecher, Wenn sie von Tau gefüllt fast überrinnen.

Äh, dieser Tau 1 Idi will, idi mu& ihn kennen! Erscheine Mond! Madi midi zum seligen Zecher! Mit Sprudi und Zauber mu& ich ihn gewinnen!

¥

IE viele Sänger schrillen durch die Zeil Und gaben meiner Seele ein Enlzüd<en, Denn jede Schönheil suchle ich zu pflücken, So Erdenklang wie Sang der Ewigkeil!

Und ofl, wenn mich der Muse Kufe geweiht, Sdiwillt dieses Tönemeer, midi zu beglücken. Dodi suchl kein Klang den andern zu erdrüd<en, Da ist kein roher Lärm, kein wilder Streil.

Es ist wie Sang, den uns der Abend bringt: Das Quellenrieseln und der Glod<enklang, Das Vogellied, der 51äller eiliges Spredien—

Wie alles dies im Chor zusammenklingt Und tönend formt des Tages Schlufegesang, Und keins vermag die Einheit zu durchbredien.

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N

AN G. A. W.

YMPHE des Lächelns mii gesenkten Blicken, In welchen glanzverklärlen Tagesstunden Sei deiner Lieblichkeit der Kranz gewunden: Wenn sü&e wirre Reden dich verstricken—

Wenn du in himmelheiterem Verzücken Gedanken lebst— wenn du so ungebunden Hintanzest durch des Gartens Sonnenstunden Und hundert 5tumen dir Willkommen nid<en?

Oder wenn du gebannt in sü&em Lausdien Die Rosenlippen teilst?— Wie darf ich fragenl Ein Scbiönstes gegen Schönstes umzutauschen,

War Torheit nur. Ich könnte dann auch sagen. Welche der Grazien in Apolls Geleit Die erste sei an holder Lieblichkeit.

ÖO

E

INSAMKEIT! Wohl mu& mil dir ich wohnen; Doch sei es nidii in diesem finsterkalten ^Gewirr von Häusern; hoch auf Felsgesfallen— Sternwarten der Natur— da la& uns thronenl

Wo tief das Tal mit Flu& und Wälderkronen Nur fußlang scheint. Lafe uns Vigilien halten, Dort wo das Reh aus grünen Hinterhallen Die Biene schred<t von Ginst und Anemonen.

Wohl möcht ich gern mit dir dies alles schauen!

Doch süfere Freude meine Seele kennt,

Und das ist Höchstes, was mir Sehnsudit nennt:

Mit Wahlverwandlem fliehn zu deinen Gauen, Mit ihm, in dem die reine Flamme brennt Und Worte weife, ihr Wesen zu vertrauen.

öl

D

IE lefeien Blälier, die an 5üschen hängen, Zerrauft ein Wind mit monotonem Wort, Die Sterne stetien kalt am Himmel dort, Und vor mir liegt ein Weg von Meileslängen.

Dodi kann midi Kampf und Kälte nictit bedrängen; Auf loten Blättern sdireit idi heiter fort, Obsdion sehr fern der heimatlidie Ort Und kalt herab die Silberlampen hängen.

Denn übervoll bin ich der Freundlichkeit, Die heut in kleiner Hütte zu mir kam. Von Miltons Klage, Lycidas geweiht.

Als Sdiid<salshärte diesen Freund ihm nahm; Von Laura, die Petrarca so entzüd<te, Da& ihn die Krone aller Kronen schmückte.

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N

GRASHUPFER UND HEIMCHEN

lEMALS ist iol der Erde Poesie: Wenn Vögel müde sind von heilen Sonnen, Dann nimmt die Führung in den Sommerwonnen Grashüpfers Stimme, und sie rastet nie.

Von Hed< zu Hed<e rennt die Metodie Und hält die frischgemähte Trift umsponnen; Madit Lust ihn matt, so ruht er sü& versonnen Bei grünstem Halme, der für ihn gedieh.

Nie endet sie, die Poesie der Erde.

Am stillen Winterabend, wenn der grimme

Nachtfrost ein Schweigen breüet, sdirillt vom Herde

Des Heimchens Sang dem Träumer in die Ohren, Als habe sich Grashüpfers Sommerstimme Aus grüner Trift in seinen Traum verloren.

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GLUCKLICH ist England! SolH' ich nicht zufrieden Bei seiner Wiesen frischem Grün verweilen. Mein Leid in seinen hohen Wäldern heilen. Die grüne Panzer um die Seele schmieden?

Doch mandimal träum! mein Herz vom blauen Frieden Italischer Himmel und verlangt bisweilen Nach erdenfernen kahlen Felsensteilen, Nach einem Thron auf Alpenpyramiden.

Glücklich is! England! Seine Töchler haben Ein arglos Herz und schlichte Lieblichkeil. Genügen sollten mir so sdiöne Gaben!

Doch oft erfa&t mich tiefe Bangigkeit Nach heitern Frauen, deren 5Ü|e Stimmen Hell neben mir auf Sommerwassern schwimmen.

84

¥

IE lieb idi das: wenn slill aus goldnen Krügen Der Sommerabend fliegt und die gelinden Wei&wölkchen ruhn auf duftgeschwelllen Winden, Von Irübem Denken mich hinwegzulügen;

Befreil vom Kleinlichen, in vollen Zügen Den Glanz zu Irinken, ein Versleck zu finden, Wo Schönheil und Naiur sich Kränze winden, Und dorl mein Herz zur Freude zu beirügen;

Ans heimatlich Erhabne mich zu drängen.

Dem Sdiid<sal Millon's, Sidney's nachzuhängen,

Bis beide ernsl vor meiner Seele leuchlen—

Vielleidil im Liede mich hinaufzusdiwingen.

Bis Melodieen mir die Äugen feuchlen

Und Lust und Leid in Tränen sanfl verklingen.

Ö5

D

IE Glod<en läuten Trübsinn in die Weli.

Lau! mahnt itir Ruf zu anderen Gebeten;

Mit wilden Zungen, fürctiterlidi beredten,

Von Grauen, Setimerz und Sctired< itir Toben getlt.

Und maditvolt ist itir Ruf, der zürnend beltt, Denn Mensclien folgen itim, ftietin angstbetreten Vom stillen Herd, wo edelste Poeten Mit Wort und Werken ihren Geist erhellt.

Nodi— nodi ihr Läuten! Und wie Grabesschauer Würd' mich Verzweiflung fassen, wü&t' ich nicht, Da| dieses Heulen nicht von langer Dauer.

Ich aber weil, wie einer Lampe Lidit Einmal erlischt, so stirbt auch dieser Sdirei,— Und edle Freudigkeiten blühen neu.

Ö6

N

ACH langer Zeil, da dichie Nebelded<en Das Land bedrüd<ten, wachl mil sanfter Schwüle Ein Tag auf von des Südens sonnigem Pfühle Und fegi vom kranken Himmel alle Fled<en.

Fröhlich erlös! aus trübem Winterschred^en Frohlod<t die Zeit in mailichem Gefühle; Die Lider spielen mit der sanften Kühle, Wie Rosenblätter Sonnentropfen lecken;

Uns überkommen friedliche Gedanken:

Von Knospenkraft— Fruchlreife— Herbslessonnen,

Die still auf Halme lädheln und auf Ranken—

Von Sapphos Wange— Schlummerkindleins Rot— Von Sand, der sanft durchs Stundenglas geronnen- Vom 5ach im Wald— von eines Didilers Tod.

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AUF EIN BILD DES LEANDER

IHR siiisam sü&en Mädchen, kommt gegangen, Senk! unter Wimpern blasser Augenlider Demüiig keuschen Blick zur Erde nieder Und haltet milde Hand von Hand umfangen.

Als könntet ihr bestürzt nur und mit Bangen Ein Opfer eurer Schönheil sehn, das nieder In nasse Nacht sinkt: niemals löst ihn wieder Die junge Liebe aus den Wogensdilangen.

Leander ist's, der sich zu Tode müht. Ohnmächtig lädieln nodi die matten Lippen Den lefeten Ku^, den Sturm zu Hero trug.

O schred<lichl Seht, wie seine Kraft versprüht. Sein Leib löscht aus wie Leuchten zwischen Klippen, Aufperlt der Liebe legier Atemzug.

öö

F

AUF DAS MEER

S flüslerl rings zum Strand in Ewigkeit, Füllt flutend zwanzigtausend Grotten an, Bis itinen Hel<ate mit Zauberbann Wieder den alten dunl<len Klang verleitit.

Oft ist es von so sanfter Heiterkeit, Da& allerkleinste Musdiel rutien kann. Wo sie dem lauten Wogenbraus entrann Nacli lefetem wildentbranntem Wetterstreit.

Itir, deren Augen brennend oder matt, Ergöfet sie wieder auf der weiten Flutl Itir, deren Otiren taub vom rotien Spotte

Oder von Melodieen übersatt,

Sifet nati dem Meer und tiört in Traumesglut

Den Sang des Nymptienctiors aus alter Grotte!

69

¥

ENN Furcht mich fa|t, mein Dasein könne enden, Noch eh' die Feder, was mein Hirn erdachte, In Sdirift, in Büdiern wu|te zu vollenden. Das reife Korn in volle Speicher brachte

Wenn wolkengleidi tief seltsame Legenden Der Nadit besterntes Äntlife überflie|en. Und ich es wei&, dafe nie mit Zufallshänden Das Glüd< mir hilft, ihr Bild in Form zu gießen—

Und wenn idi fühle. Schönste du von allen, Da& nur die flüchtige Stunde uns umfängt, Da| nie mein Herz in jenen Zauberfallen

Gedankenloser Liebe träumend hängt— Dann steh idi einsam vor den Ewigkeiten, Bis Ruhm und Liebe in ein Nichts entgleiten.

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F

AN EINE DAME (flüdiiig gesehen in Vauxhall)

UNF jähre ebb! das träge Meer der Zeit, Und langsam rann der feine Stundensand, Seit du den Handschuh zogst von weiter Hand Und idi midi fing in deiner Lieblichl<eit.

Und dennodi: sdiau idi auf zum Sternenlicht, So zeigt Erinnrung deiner Augen Glanz, Und seh ich rosiger Rosen zarten Kranz, Denkt meine Seele nur an dein Gesicht.

Kein Knospenschwellen kann mein Auge sehen, Ohn' da& mein töricht Ohr sich neigt und lauscht. Um deines Mundes Worte zu verstehen.

So wird in jedes Olück dies Deingedenken Wie tiefre Lust, die inniger berauscht— Den süßen Stachel seiner Schmerzen senken.

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ICH lachte heut— warum? Wer sagt es mir? Kein Gott, l<ein Dämon ist, der Antwort sagt. Der mir aus Himmel, Hölle Antwort wagt! Nur Schweigen,— Herz, so wend ich mich zu dir:

Herz! Du und idi sind traurig und allein; Ich frage: weshalb lachte ich?— Nun? Nun?— O Dunkel, Dunkell Und ich kann nicht ruhn. Und Himmel, Hölle, Herz höhnt meine Pein!

Ich lachte heut— warum?— Kurz ist das Leben, Sein Seligstes genofe beschwingt mein Geist- Doch würd' ich heute gern dem Tod midi geben.

Der unsre bunten Fahnen schrill zerrei|l:

Lied, Ruhm und Schönheit türmen nur den Thron

Für König Tod - des Lebens höchsten Lohn.

92

o

AN DEN SCHLAF

sanfter Dufi der siillen Miilernacht, Der zart und sorgsam unsre Augen schlie|t Und schallend vor dem Lichle sie bewacht. In Seelen göttliches Vergessen gie|t,

O sanfter Sdilaf I Sdilie| mir die willigen Lider, Eh dieses Hymnus' lefeles Wort verklingt. Nein, hör das Amen erst, eh sdiläfernd nieder Dein Mohn die sü^en Gnadengaben bringt.

Dann hüte mich, sonst gie|t der Tag sein Licht, Vielfachen Jammer brütend, auf mein Kissen, Behüte mich, denn adi, es sdilummert nicht

Das wie ein Maulwurf wühlende Gewissen; Dreh flink den Sdilüssel in geölten Riegeln, Die meiner Seele Springbrunn sanft versiegeln.

93

AN FANNY

ICH schreie: hab Erbarmen!— Mitleid!— Liebe! Liebe, die sich erbarmt und die nicht quält, Beständige, arglose, offene Liebe, Die, makellos, sich keine Maske wählt.

O gib dich ganz! Sei mein— sei meinem Flehen! Gestalt und Antlib— sü&er kleiner Mund- Himmlische Augen, Hände, die verstehen. Der warmen Brüste freudevolles Rund,—

Gib deine Seele— gib dein ganzes All,

Halt nidits zurüd<, nidits— nidits! Idi würde sterben!

Und lebte idi, dein elender Vasall,

Idi würde dodi an meinem Sdimerz verderben! Idi könnte meines Daseins Sinn nicht finden, Mein Geist, mein Ehrgeiz würden stumpf erblinden!

94

5

DES DICHTERS LETZTES SONETT

TRÄHl.STERN! könnt ich gleidi dir besländig sein! Nidil einsam prangend in der nächtigen Herde, Nidii offnen Lides wandern im Verein Mit dem geduldigen Eremit der Erde,

Dem Strom des Wassers, der mit Priesterhand Der Menschen Lande wäscht in ewigem Wadien, Nicht starrend auf der Berge Sdineegewand Und dunkler Moore grün verschlossne Rachen- Nein— dodi beständig: immerdar gebettet Auf der Getiebten reifend wache Brust, Wie Schwellen sich mit Sinken zart verkettet.

Sanft fühlend, sü|er Unruh stets bewu&t, Nodi hörend, nodi, des Atems lindes Wehen- So ewig leben— oder tot vergehen!

1Ö20

95

LA BELLE DAME SANS MERCI

¥i

'ÄS fehlt dir doch, du armer Wichi, Was schweifsi du einsam bleich umher? Das Schilf ist längst schon welk, es singt Kein Vöglein mehr.

Was fehlt dir doch, du armer Wicht; Was bist du so verhärmt und krank? Des Eichhorns Speicher ist gefüllt, Die Ähre sank.

Eine Lilie blüht auf deiner Stirn, Betaut von Fieber, Not und Qual, Die Rosen deiner Wangen sind Verwelkt und fahl.

„Ein Fräulein traf im Hag ich an, War schön, wie nur ein Feenbild, Ihr Haar war lang, ihr Schritt war leicht, Ihr Blid< war wild.

„Ich hob sie auf mein schreitend Ro^, Und seitwärts lehnte sie und sang; Nun sah ich nichts als sie im Tag— Viel Stunden lang.

„Ich flocht ihr einen Kranz aufs Haupt Und duftigen Kranz um Brust und Arm, Sie dankte mir mit Blick und Wort So sü| und warm.

„Sie suchte saftiges Wurzelwerk, Wildhonig, Manna-Tau für midi Und sagte mir in fremdem Laut: Ich liebe dich.

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„Sie nahm midi in ihr Grottensdilo| Und sah mich an und seufzle lief. Ich kü&ie ihr die Augen zu, Sie lag und schhef.

„Dort schlief audi ich im Moose ein. Da träumte mir ein Traum so bang. Der lefete Traum, den ich geträumt Am Hügethang.

„Sah Könige, Fürsten, Ritter stehn— So bteidi, wie Tod nur bleidi sein l<ann- Sie schrien: La belle dame sans merci Hat dich im Bannt

„Aus t<taffend offnem Totenmund Der schauertidie Warnruf drang, ich wachte auf und fand mich hier Am Hügethang.

„Und darum irr ich einsam hier Und bteidi im welken Sdiilf umher, Obgleidi ich weife, es singt schon längst Kein Vöglein mehr."

97

1

AUF DEN TOD

ST Tod wohl Schlaf, da dodi nur Traum das Leben Und Freuden wie Visionen uns enlsdiwinden, Da Seligkeiten geisiergleich enlsdiweben Und wir das Sierben doch als Schmerz empfinden?

Wie sonderbar! Du mu|l durdi Leiden gehen Und darfsl nichl einen Schrill vom Wege madien, Vom finslern Pfad, darfsl nie dein Schid<sal sehen. Das doch nichls weiler isl als ein Erwachen.

ZEILEN AN FANNY

¥i

AS kann ich tun, um meinen Augen Erinnrung zu eniziehn? Warsi du doch nah; Erst eine Siunde ging, seil ich dich sah, Mil durstigem Blid< dein Bildnis aufzusaugen. Berührung hat Gedächtnis 1 Lieb, o sage. Wie l<ann ich das ertöten? Wie rett ich mich aus diesen tiefen Nöten, Da& ich in alter Freiheit wieder rage? Wenn jeder Schönen, die ich sah, mein Fang Geschid<t gelang.

So ri| doch bald die schlechlgewebte Schlinge, Und ich entsprang! Ob dürftige, ob farbenbunte Dinge- Ich fühlte meiner Muse Flügel, Ich hielt die Zügel! Und stets war ihre Kraft bereit Sich meinem Wunsch zu schenken. Der ohne naclizudenken Doch thronte in erhabner Göttlichkeit. In Göttlichkeit!— Der Vogel, den sein Flug Hintanzend über Meeresrauschen trug. Wird er im heitren Steigen, Neigen, Senken— Ein Philosoph— an Ziel und Absicht denken?

Wie soll ich tun.

Von neuem nun

Verlorne Federn wiederzuempfangen.

Empor, empor,

Bis drunten Amors Flattern sich verlor,

In ewigreinen Äther zu gelangen?—

Berausche dich in Wein!—

Das ist gemein,

Ist Sünde, Kefeerei,

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Die das Gesefe der Liebe schmählich schändet.

Nein,— nur den Frohen macht das Trinl<en frei,

Doch mir ist Leid gesendet!

Wie soll idi wissen, wo mein Friede sei?

Und wie mich stählen, jenem grausigen Lande,

Dem Kerker meiner Freude, fern zu bleiben:

Dem eklen Strande,

An dem sie scheiterten und haltlos treiben;

Der fürchterlichen Welt, wo trübe Flüsse

Die schmufeigen Wellen an die Ufer spülen

Und nie die Nähe heitrer Götter fühlen

Wo rauher Wind beeiste Ruten schwingt

Und Gei^elhiebe bringt

Und wilden Schmerz als einzige Genüsse—

Wo blind und sdiwarz erfrorne Wälder ragen,

Dryaden schred<end— , wo verdorrtes Gras,

Des dürren Ochsen widerlicher Frafe,

Die Wiesen ded<t, die keine Blumen tragen

Wo niemals lod<l ein lieber Vogelruf:

Dem Land, das die Natur im Zorn ersdhuf 1

O da| ein Wunder käme!

Da& Sonne diese Höllenschatten nähme)

Sie müssen fort!— Bei Tages Dämmerschein

Ist meine Dame mein!

O meiner Seele Lust:

Noch einmal ruhn auf dieser süfeen Brust!

Noch einmal meine Arme fühlen lassen,

Da6 sie als Kerkermeister dich umfassen!

Noch einmal mich an deinen Atem drängen,

Da| seine Düfte in mein Haar sich hängen!

Du tiefe Sü|e soldier Qual

O kü& mich noch einmal!

Genug! genug! Es ist genug für midi:

Find idi im Traume didi!

100

s

AN-

USSES, denk nicht dran, la& ruhn;

Weine nichl, sei still. Seufze nur, doch la| es ruhn,

Lafe es gehn wie's will.

Sü|es Lieb, blick nicht so trüb, Nichl so trüb und matt.

Einen Tropfen Träne ^ib,

Der den Tod schon hat.

Nodi so bleich? So wein dich aus!

Und idi sammle dann Alle Tränen, da& daraus

Segen perlen kann.

Klarer als ein Bächlein rinnt,

Dir's vom Auge go&, Linder noch als Wellchen sind.

Dein Geflüster flo&.—

Um ein Glück, das von ihm schied. Klagt wohl jedermann—

Gut nur, da& solch Klagelied Man auch küssen kann.

101

¥

DAS MILCHMÄDCHEN

O gehst du nur hin, du Mäddien, sag? Und was trägst du im Körbchen so sittig? Du sauberes Kind, eil nicht so geschwind, Reich mir einen Trunk, ich bitt dich!

Idi mag deinen Anger, ich mag deinen Klee,

Und Milch naschen mag ich unendlich;

Dodi lieber mir's ist, wenn dein Mündchen mich kü|t.

Das ist ia so selbstverständlich.

Idi mag deine Hügel, deine Täler so sehr. Und idi mag deine blökenden Sdiafe— Doch ach, mich ins Heu zur Seite dir treu Zu betten zum Liebesschlafe!

Dein Körbchen, das stell ich recht sorgsam beiseit, Deinen Sdial häng ich auf an der Weide, Und dann seufzen wir matt in Blumen und Blall Und küssen und küssen uns beide.

102

o

STANZEN AN MISS WYLIE

komm, Georgiana! Die Rosen sdiau an,

Den blumigen Teppidi, den Flora rings spann;

Die Lufl isl voll Süfee, das Wasser voll Glanz,

Der West sdiwebt mil funkelndster Sonne zum Tanz.

O komml La& uns ziehn ins erfrischende Grün, Durch Sdiatten und Matten, die duften und sprühn. Zur Waldlichtung hin, wo die Feen sidi drehn Und Sylphen wie liditester Sonnenglanz gehn.

Und bist du dann müde, so bell idi didi sadit Auf Moos und auf 51umen mit liebem Bedadit; Dort lieg ich, Georgiana, zu Fügen dir nah. Mein Märdien von Liebe erzähl ich dir da.

Und atme so zärtlich und seufze so lind. Als seufze von Liebe der Frühsommerwind; Dein sciiönes Knie pre& ich und atme so tief— Da fühlst du, dag idi's war, der seufzend didi rief.

Warum, liebstes Mäddien, entbehren dies Glück?

Ein Narr nur weist soviel Beglüd<ung zurüd<:

So lächle Gewährung und gib deine Hand

Und ein zärtliches Wort, das dein Herz für midi fand.

103

V

LAMIA

ÖRZEITEN, ehe nodi die Feenbrul

Satyrn und Nymphen irieb aus Waldeshul,

Eh König Oberon mit Krongeschmeide

Und Szepler und beiaulem Blüienkleide

Die Faune und Dryaden ganz vertrieb,

Da6 ihnen nidit ein binsensaal mehr blieb.

Kein Dornendid<icht und kein lichter Hain,

Kein Wiesengrund mit gelben Blümelein,

Floh Hermes, neu entbrannt, den goldnen Thron

Und stahl sidi fort um sü&er Liebe Lohn.

Den Wolken Jupiters nahm er das Licht

Zur Erdenseite fort, damit ihn nicht

Sein hoher Mahner auf der Fludit entdecke.

Und flog dann hin zu dunkler Waldesstred<e

Auf Kretas Inselufer, denn hier war

Ein Nymphlein, dem die ganze Satyrsdiar

Ergeben kniete; sehnende Tritonen

Versuchten ihre Schönheit zu belohnen

Mit Perlen, die sie ihr zu Fii&en legten.

Ganz nah den Ouellenbädien, grün umhegten.

Die Bad ihr gaben, und auf jenen Matten,

Die oft s(±on ihren Schritt getragen hatten.

War mandie reiche Gabe ausgestreut.

Den Musen fremd— doch Phantasie gebeut.

Aus ihrem reichen Born nur auszuwählen.

Adi, so viel Liebe lä|t sidi garnidit zählen!

So dadite Hermes, und ein himmlisch Glühn

Durchflog von den besdiwingten Sohlen ihn

Bis aufwärts zu den Ohren— sonst so wei^

Wie klare Lilien, jefet wie Rosen helfe,

Um die sich didü die goldnen Locken ballten.

Und ringelnd tief auf nackte Sdiultern wallten.

104

Er flog von Tal zu Tal, von Wald zu Wald Und gönnle keinen Alemzug sich Hall, Kaum da| die Blumen sein Erglühen fühlten. An Elüssen hin, die ihre Ufer kühllen. Flog er, der Nymphe Lager zu erspähn: Doch nirgends konnle er die Süfee sehn. So hielt er an verlassner Stelle Rast, Gedankenvoll, von Eifersucht erfa|t Auf ieden Waldgott, ja auf jeden Baum. Da hört er eine Stimme wie aus Traum; So sanfte Stimme, die wohl mildem Herzen All Leiden forlnimmt, bis auf Mitleidschmerzen. „Wann werd ich diesem Ringelgrab entsteigen. Wann mich in sü^em Leib dem Leben zeigen. Der Liebe und der Lust und rotem Streit Von Herz und Mund? O Arme ich in Leid!" Der taubenfügige Gott glitt schweigend fort Um Busch und Baum, sacht streifte hier und dort Sein Fu6 das Gras und voll erblühte Kraut, Bis er im Dickicht eine Schlange schaut, Die, kreisgerollt, wie Glanz im Düster bebt. Gordischer Knoten, blendend und belebt.

Zinnober, golden, grün und blau gefled<t,

Mit Kreisen wie ein Leopard beded^t.

Mit Zebrastreifen und mit Pfauenaugen

Und Silbermonden, die beim Atemsaugen

Zerflossen oder strahlender erglänzten,

Mit sanftem Schein den buntem Schmuck umkränzten.

So regenbogenstrahlend lag sie dort.

Wie schmachverflucht durch Zorn und Zauberwort,

Nein, selber schien ein Dämon sie zu sein.

Ihr Haupt umgab ein bleicher Feuerschein,

Von Slernglanz hell, Ariadnes Tiara gleich.

105

Ihr Haupt war Schlange, dodi— wie wunderreidi Und bitier süfe!— sie haue Weibesmund Mii schimmerschönem vollem Perlenrund. Und ihre Augen! Konnlen solche Augen Zu andrem als zu heilem Weinen laugen, Weil sie, so schön, für solchen Leib beslimml? Klagl doch Proserpina noch heut ergrimmt Um ihr Sizilien und um seine Pracht. Ihr Hals war Schlangenhals, doch lind und sadit Wie Honig flössen ihre Worte hin, Und Liebessehnen schenkte ihnen Sinn. Und Hermes lag, die Schwingen vorgeneigl. Dem Falken gleich, wenn sich die beute zeigt.

„O schöner Hermes, holder Himmelsglanz, Umragt, bekrönt von lichtem Schwingenkranz, Ich träumte diese lebte Nadit von dir: Auf goldnem Throne sah idi didi vor mir, Hoch im Olymp, im frohen Götterkreise. Nur du warst traurig, taub der sanften Weise Des Lautenspiels der Musen, taub sogar Apollos Sang, so 5Ü| und weh er war. Mir träumt', ich sah dich funkenübersprüht Durch Wolken bredien, hell wie Morgen glüht. Und dann verliebl wie Phöbus' Pfeil so schnell Nadi Kreta eilen— und du bist zur Stell! Zu sanfter Hermes, fandest du die Maid?" Da gab der Stern der Lethe so Bescheid: „Du Schlange mit dem sü|en Frauenmund, Himmlischer Weisheit bist du sicher kund! Du präditiger Kranz mit schwermutvollem 51ick, Dein sei das allerseligste Geschick, Nur sage mir, wo meine Nymphe ruht, Wohin sie floh?" „O Gott, du redest gut,"

106

Die Schlange sprach, „doch gib des Schwures Siegel !

„Idi schwöre," sagte Hermes, „bei dem Spiegel,

Der deine Augen sind, bei deinem Glanz,

Bei meinem Stab und seinem Schlangenkranz!"

Die ernsten Worte flohn ihm leichl vom Munde

Und glitlen sanft in blülenbunte Runde.

Und wieder drauf das sdiöne Weib und Tier:

„Zu schwach dein Herz! Denn höre nun von mir:

Die Nymphe gleitet unsichtbar wie Luft

Hier durch die Wildnis, frei wie zarter Duft

Genie|t sie ungesehen ihre Tage,

Kaum dafe ihr flüchtiger Fu& das Gras im Hage

Und zarte Blumen streift. Von schweren Zweigen,

Gebognen Ranken, die sich lastvoll neigen,

Pflüd<t sie ganz ungesehn die sü&e Frudit,

Sie badet ungesehn in Bach und Bucht,

Und meine Macht ist's, die die Schöne hütet.

Dal dreiste Gier umsonst in Blid^en wütet.

Und Faune und triefäugiger Silen

Umsonst zu ihr in tiefen Seufzern flehn.

Bleich wurde die Unsterbliche vor Leid,

Um aller dieser Wilden Dreistigkeit;

Da gab ich ihr aus Mitgefühl den Rat,

Ihr Haar zu tauchen in ein Zauberbad,

Dann könne sie in Freiheit ungesehn

Und unbehelligt rings durchs Grüne gehn.

Du sollst sie schauen, Hermes, du allein,

Willst du, dem Schwur getreu, mir dankbar sein."

Da sdiwur der Gott, verzückt, noch einen Eid.

Die Schlange fühlte tiefe Seligkeit,

Als warm und bebend seine Worte klangen.

So voll von Glut und Liebe und Verlangen.

Sie hob ihr Kirke-Haupt beglüd<t empor

Und hauchte selig nah dem Gott ins Ohr:

107

„Idi war ein Weib,— lag midi nodi einmal haben

Die Weibgeslalt und Weibes Reiz und Gaben.

Idi liebe einen Jüngling aus Korinlh,

Mach mich zum Weib und führ midi sdinell wie Wind

Hin wo er weill— nun, Hermes, beug didi nieder.

Ich handle— und du siehsi die Nymphe wieder."

Er schloß die Sdiwingen halb und neigte sich.

Und über seiner Brauen Bogenslridi

Ging leis ihr Alem, und sogleich erschien

Die Nymphe beiden sichlbar nah im Grün.

Es war kein Traum— doch sagt so, wenn ihr wollt;

Der Götter Traum ist Wirklichkeil, und hold

Entrollt wie ewiger Traum ihr ewiges Leben.

Ein Augenblid< gab Glühen und Erbeben:

Der Nymphe Schönheit warf den Gott fast nieder;

Nun trat er hin ins Grün und blid<te wieder

Zur bleichen Schlange her und regte sadit

Den Arm und übte seines Zaubers Macht.

Dann sdiid<te er den 51id< zur Nymphe hin,

Verehrung stand in Tränensdirift darin.

Und schritt zu ihr. Wie Mond erbleicht und sinkt.

Wenn hell im Ost der neue Morgen blinkt.

Verging sie vor dem Golt, versleckte sidi

Und sdiluchzte auf und seufzte billerlich.

Wie Blume war sie, die sidi fest verschlie|t.

Wenn Abend seine kühlen Sdiatten giefet.

Doch sanft nahm er die kalt ersdired<te Hand,

Bis still an seiner Glut ihr Zagen schwand;

Da hob sie ihrer Augenlider Elor,

Und wie die Blüte in den Tag hervor.

Wenn Morgen seinen Bienensdiwarm ergie|t.

Den sü&en honigvollen Kelch erschlie|l.

So bot sie selig ihren Honig dar.

In grünste Waldesliefen floh das Paar

lOÖ

Und schien nichl irdisch Liebenden zu gleidien. Die, krank in Sehnsudil, welken und erbleichen.

Allein gelassen fing die Schlange an

Sich zu verwandeln; durch den Körper rann

Ihr Blul wie loll, und Schaum troff ihr vom Mund

Und madile Gras und Kräuter welk und wund;

Die Augen starrten schwer in Angst und Qual

Und glänzten auf wie iiberhifeter Stahl

Und gluteten in grellem Phosphorschein,

Und keine Träne kühlte ihre Pein.

Die Farben ihres Leibes schössen Flammen

Und krampflen sich in Purpursdimerz zusammen;

Und tiefes sattes Gelb verwischte ganz

Der anmutvollen Silbermonde Glanz;

Wie Lava eine bunte Wiese leckt.

So war ihr Kleid von Düster überded<t.

Die Streifen, Fled<e, Monde, Sterne blichen.

Und schon nach wenig Augenblid^en widien

Die blauen, grünen, amethystnen Ringe;

Und all die silber-roten Schmetterlinge,

Die sie geziert, verblichen Stück für Stück,

Nidits blieb als Schmerz und Hä|lichkeil zurüd<.

Nodi glomm die Krone, doch auch sie entglitt.

Und da verschwand sie selber ptöfelich mit.

Und durch die Lüfte läutete ihr Wort:

„O Lycius, lieber Lycius!" Schwebte fori

Mit hellen Nebeln, die um Höhen flogen—

Sie war aus Kretas Wäldern fortgezogen.

Wohin floh Lamia, eine Schönheit nun. Wo wird ihr lichter Weibesleib jefet ruhn? Sie floh in jenes Tal, das der betritt. Der von Kenchreas' Ufern lenkt den Schritt Hin nach Korinth, und hielt erst rastend an.

109

Als sie das wilde Hügelland gewann, Wo Bäche sich durch rauhe Schluchlen drücken. Und jenen andern Gral mit zackigem Rücken, Den Nebeldunsl und Wolkenwulsl bedeckl Und der südwesl sich bis Kleone slrecki. Sie stand, wie junges Vöglein flalleri, schön. Auf grünem Hang der moosbewachsnen Höhn Vor eines klaren Bächleins Spiegel da, Enlzückl, daB sie ihr Bildnis also sah, Enlronnen jener schred^ensvoUen Zeil. Narzissen kühlen sanfl ihr Mädchenkleid.

Glück, Lycius, dir! denn schöner war wohl nie Ein Zöpfe flechlend Mädchen, ach, als sie. Ein schämig Mädchen, das mii Seufzern bang Durch blumige Wiesen schrüt beim Vogelsang. O Jungfrau, der, so schuldlos auch ihr Mund, Doch alle liefsle Liebesweisheil kund, Nichl eine Stunde alt, doch voll Verslehen, Da& Lust und Leiden nah zusammengehen. Und klug, die zarten Grenzen zu erkennen Und eins vom andern immer wohl zu trennen, Als habe dich Kupido selbst betehrt. Wie man mit List und Schlichen sich bewehrt— Und du, die lieblich lässige Schülerin, Du hieltst voll Sehnsucht alles wohl im Sinn!

Weshalb das schöne Wesen es erwählt Am Weg zu warten, sei euch bald erzählt; Erst aber sei gesagt, wie sie versonnen So manchen wundersamen Traum gesponnen. Als sie in Sdilangenleib gefangen war. Ihr Geist war frei und sah und hörte klar. Was sie nur hören oder sehen wollte: Wie dort, wo grüne Wogenlocke rollte.

110

Die Nereide über Perlensiiegen

Hinglitt, in Ttietis' Sdiattensaal zu liegen,

Wie Bacchus, seligen Becher in der Hand,

Traumfreudig unter harziger Pinie stand.

Und wie die Gärten Plutos Schönheit tragen,

Wo Mulcibers metallne Säulen ragen.

Und in die Städte glitt ihr Träumen audi.

Um mitzutun bei frohem Festesbraudi.

Und so, als einst ihr Traum bei Menschen weilte.

Da sah sie Lycius, der vorübereilte

Auf schwankem Wagen und zum Ziele jagte.

Wie junger Jupiter, so blühend ragte

Der lüngling mit geruhigem Angesicht—

Da traf die Liebe sie mit Erzgewicht.

Nun wu&te sie, daB heut, wenn Dämmrung kam,

Er diesen Weg vom Strande heimwärts nahm.

Hin nadi Korinth, denn Ostwind blies daher.

Und eben jefet schob sich sein Sdiifflein schwer

Mit erznem Schnabel an der Mauer fort.

Um in Kenchreas wohlgeschüfelem Port

Zu ankern; von Äginas Inselland,

Wo hodi für Jupiter ein Tempel stand.

Kam Lycius nun zurüd<, vom Gott erhört.

Der, was er wünschte, gnädig ihm gewährt.

Denn irgend eine Laune fügt' es so,

DaB er die Nähe der Gefährten floh,

Ermüdet wohl von zu geschwäfeigem Wort,

Und einsam ging er gen Korinth hin fort.

Gedankenlos zunächst, doch als zur Nachl

Am Himmelsdom der Abendstern erwadit.

Verstieg sein Träumen sich zu fernen Matten

Im sanften Dämmerlicht platonisdier Sdiatten.

Ihn konnte Lamia näher, näher sehen.

In trübem Gleichmut dicht vorübergehen—

111

Sein sanfter Sdiritl durdifegte Moos und Grün—

Er sah sie nidhi, sah nichl ihr Auge sprühn;

Er ging vorbei, geheimnisvolles Bild,

Sein Geist gleich ihm in Mantel eingehüllt.

Sie wandte fürstlidi wei§ den Hals ihm nach,

Bis sie „o hehrer Lyciusl" bittend spradi,

„Du lä&l mich auf dem Hügel hier allein?

O blicke Mitleid mir ins Herz hinein!"

Er tats, verwundert nichl und nidit voll Weh,

Er sah wie Orpheus auf Eurydice;

So SÜ& die Worte, die sie liebend sang.

Ihm war, er liebte sie sdion sommerlang.

Sein Auge trank die Schönheit auf voll Glüd<,

Liefe keinen Tropfen in dem Keldi zurüd<,

Doch blieb verwirrend voll der Kelch— indessen

Er bang, die schuldige Ehrung zu vergessen.

Bevor sie schwände, Anbetung begann.

Sdieu sah ihr Blid< ihn ganz in ihrem Bann.

„Allein dich lassen! Göttin, sieh mich hier.

Wie könnt' mein Aug sich wenden je von dir!

Aus Mitleid trüge nidit dies trübe Herz—

O bleib! Entschwebst du, brichts in Todessdimerz.

Ob du Najade auch aus fernen Elüssen,

Dir werden sie auch fern gehorchen müssen!

O bleib! Und wären grünste Wälder dein.

Den Regen trinken können sie allein!

Und wenn Plejaden deine Sdiwestern wären.

Wird ihrer keine leiten deine Sphären?

An deinersiatt harmonisch silbern scheinen?

Dein süfeer Grufe, er kam so süfe zu meinen

Entzüd<ten Ohren,— schwändest du mir nun.

Das Deingedenken liefee nie midi ruhn.

Zu einem Schatten blidie ich dahin—

Aus Mitleid, steh!"- „Und hätte ich im Sinn,"

112

Spradi Lamia, „länger hier im Lehm zu siehn,

Mil wundem Schrill durdi Siachelkraul zu gehn,

Was lälesl du, das soviel Reize halle,

Da| ich darum vergaß die Heimalslälle?

Soll idi mil dir durch Tal und Höhen slreifen.

Wo Tod und Trauer isl, vorüberschweifen?

Lycius, du bisl gelehrl, und wei|l du nichl.

Dal eure Erdenlufl zu sdiwer und didil

Für zarlre Seelen isl?— Ach, armer Knabe,

Welch reinere Lufl bringsl du als Schmeichelgabe

Verführend dar? Welch lichlere Paläsle,

Für alle meine Sinne Freudenfesle,

Da hunderl Wünsche dann erfülll sich sehen?

Es kann nichl sein— lebwohl!"— Und hoch auf Zehen

Red<t sie sich auf, die Arme weil gebreilel;

Er, krank vor Ängslen, da& sie ihm enlgleilel.

Sank hin in Ohnmachl, bleidi in Liebesschmerz.

Sie zeigle für sein Weh kein liebend Herz,

Dodi ihre Augen, die so slrahlen konnlen.

Noch slrahlender an seinem Bild sich sonnlen,

Ihr neuer Mund an seinen Lippen hing.

Das Leben, das in ihrem Nefe sidi fing.

Ihm neu zurückzugeben; doch erwachl.

Umfing ihn wiederum nur Angsl und Nachl.

Da hub sie, die in Glück und Liebe so

Und Glanz und Schönheil überirdisch froh.

Ein Liebeslied zu singen an, so sü^,

Da& jeder Siern sein flimmernd Almen lie^

Und selig lauschle ihrem Himmelssang.

Dann wieder sprach sie Flüslerworl so bang

Und innig, wie nur die einander sagen.

Die sidi allein nach vielen Trennungslagen

Beisammensehn und mehr denn Blid<e geben;

Sie bal ihn sachl, das liebe Haupl zu heben.

113

Den Zweifel abzuiun: sie sei ein Weib,

Und Blui durchpulse ihren Menschenleib,

Ihr schwaches Herz sei ganz dem seinen gleidi,

An Liebesseligkeil und -Schmerzen reidi.

Dann sprach sie ihr Verwundern aus, da& er

Sie nie gesehen in Korinth bisher.

Wo, sagle sie, ihr Leben heiler flie|e.

So sdiön, als es mit Gold sich leben lie|e;

Zwar ohne Liebe, doch in slillem Frieden,

Bis ihn zu sehn ihr eines Tags beschieden.

Beim Venuslempel im Vorübergehn;

Da sah sie ihn an einer Säule slehn.

Tief in Gedanken; rings im Kreise slanden

Viel Körbe voll von Blumen und Guirlanden,

Wars doch der Abend vor Adonis' Fesl.

O wie sie da die Augen zugepre&l,

Sein Bild zu hallen, und wie Tränen kamen

Und ihres Herzens sü|en Frieden nahmen.

Und Lycius wadile auf, und slaunend sah

Die Wundersame er nodi immer nah

Und hörie ihren herzlich lieben Sang.

Da wich Bestürzung, und Enlzüd<en rang

Sidi ihm durdis Herz, als er ihr Worl vernahm.

Das so aus tiefster Weibesliebe kam.

Und iedes ihrer Worte lod<le sadil.

Bis er zu vollstem Glüd<sgefühl erwadit.

ja, mögen Didhter nodi so gerne singen,

DaS Feen nur und Peris Freude bringen,—

Sie alle, die in Grotte, See und Flui

Sich bergen, schenken niemals den Genug,

Wie edites Weib, dem alle Ahnen kamen

Aus Pyrrhas Kieseln oder Adams Samen.

Audi Lamia hatte listig jebt erkannt,

Da& Lycius ihr, in Ehrfurcht festgebannt,

114

Nicht Liebe schenken könne; also He& Die Göilin sie beiseite und verhieß Ihm gröBre Lust, indem sie Mensdi sidi nannte Und ihn atlein durch Mädchenschönheil bannte, Die, wo sie niederwirft, auch Hoffnung spendet, Da& atle Sehnsucht in Erfüllung endei. beredte Antwort gab ihr Lycius dann. Der iedes Wort mit Seufzern hei| umspann; Und nach Korinth hinzeigend fragte er, Ob ihrem zarten Fu& der Weg zu sdiwer. Wie kurz war der, da Lamias Zauber wachte. Der Schrille nur aus langen Meilen machte. Doch Lycius merkte dieses Wunder nicht: Blind machte ihn ihr strahlend Angesicht. Durchs Stadttor schritten sie so sacht und leis— Er ging wie einer, der von Traum nur weife.

Und wie des Träumers wirres Worietasten, So murmelte Korinth mit all dem Hasten Belebter Stra|en, rühriger Paläste, Durchwogter Tempel und verruditer Feste: Wie Sturmwind nähersummt aus weiten Fernen, So sprach Korinth hinauf zu Nadil und Sternen. Denn Mann und Weib und Arm und Reich belebte, Sobald der kühle Abend niederschwebte, Die weisen Strafen, und erst jefet erwachte Die Plauderlust; und aus dem Dunkel sachte Glomm Licht um Licht und warf bewegte Schalten, Die seltsam tanzten über Marmorplatten, In Tempelwinkel sich zusammenduckten Und geisterhaft um Säulenschäfte zud<ten.

Er barg das Antlife tief in Mantelfalten,

Um ungesehn zu sein; und doch, wie krallten

115

Sich seine Finger fest um ihre Hand,

Als unerwartel Einer nahe stand

Und näher schlürfte über den Granit,

Den seine Tracht als Philosoph verriet:

Mit scharfen Augen, grauem Lockenbart,

Das mächtige Greisenhaupt fast unbehaart.

Lycius verbarg sidi tiefer, als er kam;

Es war, als ob ihm Angst den Atem nahm;

Und Lamia bebte; flüsternd fragte er:

„Geliebte, sag, was schauderst du so sehr?

Weshalb schmilzt deine Hand in Furcht dahin?"

Und Lamia sagte: „Weil ich müde bin.

Doch sage mir, wer ist der alte Mann,

Auf den ich mich nicht recht besinnen kann?

Weshalb verbargst du dich, als er uns sah?"

„'s ist Apolonius," sagte Lycius da,

„Mein weiser Lehrer; heute Nacht doch scheint

Er wie ein Geist, der reines Glüd< verneint."

Nodi sprach er so, da kamen beide vor

Gedeckter Säulenhalle hohes Tor,

Wo einer Silberampel Phosphorschein

Auf Stufen schwamm von reinstem Marmorstein

Wie mild ein Stern im Wasser; denn die Farbe

Des Steines war so ohne Fleck und Narbe,

Und wie durdi Wasser rannen dunkle Adern

Durdi den krystallnen Schliff der Marmorguadern:

Für Götlerful gefügt 1 Aus Angeln klangen

Äolische Töne, als die Flügel sprangen

Und Raum enthüllten, den noch keiner fand—

Auf Zeitlang diesen beiden nur bekannt

Und einer fremden persischen Dienerschar:

Man sah sie auf den Märkten jenes Jahr;

Wo wohnten sie? Die Neugier ward betrogen,

116

Die ihren Spuren heimlich nadigezogen. Der fledermausbesdiwingle Vers allein Mu&— selbsl im spälern Leid— wahrhaftig sein, Wenngleich es manchem Herz wohl mehr gefiel. Man lieS die rohe Well hier aus dem Spiel.

LAMIA. ZWEITER TEIL

Asdie und Slaub ist— Liebe, o vergib-

In karger Siedlerhülte alle Lieb',

Im Schlosse mag sie wohl nodi schwerer lasten—

Qualvoller noch als Eremitenfasfen.

Dies ist ein Stüd<chen aus dem Märchenland,

Unfaßbar für gewöhnlichen Verstand.

Hält Lycius selbst erzählt, was er erlebt.

Stirnrunzelnd hätte die Moral gebebt;

Zu kurz doch war ihr Glück, um Niedertracht

Zu brüten, die die Stimme zischen macht;

Auch rauschte schred<haft nachts mit Feuerflügel

Die Liebe wachend um der Türe Riegel,

Voll Eifersucht auf so vollkommnes Paar,

Das mehr als alle ihrer würdig war.

Dies alles mu&te enden. Seit' an Seit' Auf liebem Lager um die Abendzeit, Dem Vorhang nah, der luftig leicht gewebt Von goldner Schnur herab ins Zimmer schwebt Und halb geöffnet Sommerhimmelpracht Zwischen zwei Säulen leuchtend sichtbar macht— So ruhten sie, wie oft, in Glüd< und Hoffen, Die Lider zu— doch schmalen Spalt noch offen. Durch den die Liebe, immerwährend nah. Bis in den Traum hinein den andern sah : Da tönt vom Wall der Vorstadt plöfelich schrill

117

Trompeienschall— die Schwalben schweigen still

Lycius fährt auf— die Klänge sind verrauscht.

Doch tönt es in ihm fort— er sinnt und lauscht:

Zum erstenmal, seit er im Schlosse thront.

Wo süBe Sünde Tag und Nacht ihn lohnt.

Entfloh sein Geist, den keine Grenze hält,

Hinweg in fast verge&ne laute Welt.

Doch sie, die immer sorgend wachsam war.

Sah dies mit Schmerz; sie ahnte die Gefahr,

Da| eine Macht, der ihren überlegen.

Ihn rufe— fort aus ihren Lustgehegen.

Und sie begann zu seufzen und zu klagen.

Sie wu|te, leicht ist Liebe zu verjagen,

Ist oft so kurz wie einer Glocke Schlag.

„Was seufzest du?" sprach er, der bei ihr lag.

„Was grübelst du?" gab zärtlich sie zurück;

„Du nahmst mich fort aus meinem stillen Glück—

Wo bin ich nun? In deinem Herzen nicht.

Da Trauer deine Braue düster flicht.

Nein, neinl Du bist mir fern, und ich entgleite

Von deiner Brust in heimatlose Weite."

Er beugte sich zu ihren Augen nieder,

Sie spiegelten sein Bild getreulich wider:

„Mein Silberstern von Abend und von Morgen,

Was brütest du so kummervolle Sorgen,

Da idi um dich versuche, meinem Herzen

Aus tiefrer Glut zu wecken tiefre Schmerzen,

Um deine Seele enger noch zu binden,

Mit innigerer Fessel zu umwinden

Und sie in Labyrinthe einzuspinnen

Wie Duft in Rosenknospe— ohn' Entrinnenl

Ah, küsse michl— Du siehst, dein Leid hat Macht.

Doch du willst wissen, was ich jefet gedacht?

So hörel Welcher Mann tat solchen Fang,

llö

Der andre neidisch machte, wirr und bang,

Und führle nicht mit Stolz die edte 5eute

Zuweiten triumphierend vor die Leute?

Wie würde der Triumph midi dodi begtücken.

Mit deiner jungen Schönheit midi zu sdimüd^en

Und Freunde jubeln, Feinde ftudien tassen.

Wenn durch Korinths durdilärmte heisere Gassen

Dein 5rautgefährt die btinl<en Speidien dreht."—

Wie wird ihr Antlife bteidi, ats sie versteht)

Sie bebt, erhebt sich, wanl<t und sint<t ins Knie

Und sagt l<ein Wort— doch ach, wie weinte sie!

Bis ihre Angst dann endtich Sprache fand

Und sie besdiwörend preßte seine Hand,

Ihn umzustimmen; doch nur mehr und mehr

Verstärt<t ihr scheues Bangen sein Begehr.

Und überdies— trob Liebe— fand sein Herz

Ein settsam Wohtgefüh! an ihrem Schmerz,

An dieses Weibes demutvotlem Bild;

Und seine Leidenschaft ward heiS und wild.

Blutdürstig fast— soweit dies ihm gegeben.

Dem Wut und Raserei noch fern im Leben.

Wie sdiön war sein verhaltnes Zürnen, gleidi

Apollos Glut, bevor sein nerviger Streich

Die Sdilange sdilug.— Die Schlange! Ah, sie war

Nicht Schlange mehr— nein, aller Listen bar

Gab sie in Demut nach, den Tag zu wählen.

Sich dem Geliebten bräutlidi zu vermählen.

In Mittnaditstille flüstert er ihr zu:

„Welch sü&en Namen, sage, führest du?

Idi frug nodi nie, denn meinem Herzen ist.

Als ob du nidit von irdisdien Eltern bist.

Nein, Himmelstochterl Sag, wie nennt man dich?

Hast du auf Erden Eltern, Freunde— spridi.

Zu teilen unser hochzeitliches Fest?"—

119

„Nichl einen Freund," sagl Lamia da gepre|l;

„Korinlh, das gro&e, wei& von mir wohl kaum.

Der EHern Staub fülli nur noch kleinsten Raum

In dunkler Urne, und kein Opferrauch

Verehrt den Ort nadi liebevollem brauch.

Da ihr Geschlecht verstorben bis auf mich.

Und ich vergafe die heilige Pflicht— um dich.

So bitte deine Freunde denn zu Gast—

Doch wenn du irgend Liebe für midi hast,

So halt den alten Apollonius fern.

Vor seinen Blicken hüte meinen Stern."

Lycius, von solchem kühnen Wort betroffen,

Frug nadi dem Grund; vergebens doch sein Hoffen,

Sie täuschte Sdilummer vor, bis bald die Schalten

Des Schlafs ihn selber eingefangen hatten.

Die Sitte forderte, da| man die Braut,

Wenn sanfte Abendröte niederschaut.

Mit präditigem Wagen ihrem Heim entführte;

Und viel Gepränge solchem Zug gebührte,

Wie Fad<ellidit und Liedes Süßigkeit-

Dies fremde Weib doch hatte kein Geleit.

So harrte sie, indessen Lycius eilte.

Den Kreis zu sammeln, der die Freude teilte.

Und da sie wu^le, da^ wohl nimmermehr

Sein töridit Herz entsagte dem Begehr,

Die Hochzeit laut und pomphaft zu begehen,

So wollte denn auch sie das Fest versehen

Mit allem, was ihr zu Gebote stand.

Doch was für Kräfte sie dazu verwandt.

Woher sie kamen, die ihr Hilfe braditen

Und Tagesarbeit in Minuten maditen—

Das weife man nidit. Es war, als rauschten Sdiwingen

Durdi Tor und Hallen, alles zu vollbringen.

120

Der Fesisaal schimmerle in lidiier Pracht,

Und Feslmusik durchiönle lind und sachl

Das weile Haus mil sellnem Weh und Klagen,

Als habe sie das Zauberdach zu Iragen

Und fürchle, alles könne plöblidi sdiwinden.

Und slolze Zedern, die von Laubgewinden

Viel Schnifewerk irugen, slelllen Feigenbaum

Und Palme dar und reihlen durdi den Raum

Sich aneinander bis zu jener Slelle,

Wo hoch der 5raulsife stand in Sirahlenhelle;

Denn reihenweis durchflog ein breiler Strom

Von Lampenlicht des Saals gewaltigen Dom.

So überwölbt lag reich ein wartend Mahl

Und schickte dampfend Düfte in den Saal;

Und Lamia schritt in fürstlichem Gewand—

Und wie sie sdiweigend ging und stille stand

In blasser Ruh, die ihre Unruh deckte.

Trieb sie die Geisterschar, die wohl versted^te.

Zu immer neuem Uberschwange an.

Bis jeden Winkel Pracht und Prunk umspann.

Die Wände waren breite Marmorplatten,

Die Jaspistäfelung zum Schmud<e hatten.

Und hingemaltes zartes 5aumgerank

Stand zwischen breilen Zedern licht und schlank.

Sie sah zufrieden hin; dann glitt sie fort,

Entsdhwebte und verschloß den Feierorl,

Der fertig und bereit zum wilden Feste

Der ihr so unwillkommnen lauten Gäste.

Die Stunde kam. O unbedaditer Mann, Was zogst du diesen rohen Schwärm heran! Was muBtest du dein süB verschwiegnes Fest, Der Liebeslunden warm gebettet Nest, Der andachtlosen Neugier so entdecken!

121

Die Menge nahie, und mil Hälserecken Bestaunten sie das Tor und traten nätier. O Wunder, Wunder hier für jeden Spalier! Von Kind auf liallen sie den Ort gekannt, Auf dem jefet plöblich solctie Pforte stand Zu stattticti hotiem, fürsllidi stolzem Haus. Da eilte Neugier jedem Schritt voraus Und trieb sie an und machte alle kühn. Nur einer war, der ernst und düster schien Und würdig und gedankenvoll sich nahte. Ihm war, als ob er ein Problem errate. Als löse sich ein Rätsel, das schon sehr Den Geist ihm fesselte, nun mehr und mehr Und schwinde hin und werde sonnenklar— Wie listig klug doch Apollonius war!

Im Vorraum bei den Gästen Iraf er bald

Den jungen Schüler. „Lycius," sprach er kalt,

„Verzeih, da& in dem Schwärm der Jüngern Gäste

Ich ungebeten nahe deinem Feste,

Und dennoch mufe ich dieses Unrecht lun."

Lycius ward rot vor Scham und führte nun

Den Alten durch weitoffne innre Pforten.

Er war verwirrt und suchte sehr nach Worten,

Um mit geziemender Ergebenheit

Zu mildern des Gelehrten Dreisligkeit.

Der Festsaal war von reichem Prunk erfüllt, In grellen Glanz und schweren Duft gehüllt; Vor jedem Lager licht ein Bed<en stand, Myrrhen und Würzholz füllten's bis zum Rand, Von schlank geschweiftem Dreifu| hochgehalten Hob jedes sich aus weichen Teppichfalten: Aus fünfzig Räucherbecken wob ein Flor

122

Von fünfzig Raudigewinden sachi empor,

Und rings in Spiegelwänden sah man Reigen

Von Zwillingswölkchen mil zum Dache sleigen.

Zwölf hohe runde Tische hoben sich

Auf Leopardenlafeen wunderlidi

Und trugen sdiwer, wie Ernlefeld an Korn,

Das Goldgeräl und Frudil aus Ceres' Hörn,

Ein Slrom von Wein stand dort zum Trunk bereit,

Aus düstrer Tonne jefet ans Lidit befreit.

Und jeden Tisches Gold und Mahl und Wein

Sdilol mitten eines Gottes 5itdnis ein.

Nadidem ein jeder Gast den Schwamm gefühlt. Mit dem ihm Sklaven Hand und Fu& gekühlt. Und jedes Haupt nach feierlicher Art Mit duftigen ölen Übergossen ward, Betraten sie in wei&em Kleid den Saal Und legten sich zum auserlesnen Mahl Aufs seidne Lager, und mit leisem fJaunen Gab Ausdrud< man dem übermäßigen Staunen.

Sanft goß Musik die lieblichleisen Wellen,

Sanft war der Griechensprache klangvoll Sdiwellen,

Solang der Wein noch nicht in Strömen rauschte

Und man befangen Frag' und Antwort tauschte.

Doch als der frohe Saft das Hirn erwärmte.

Ward kühner man und jubelte und lärmte

Zum mächtigeren Freudeschalt der Töne.

Die prächtigen Stoffe, Farben— all das Schöne:

Des hodigespannten Saales stolzer CJaum,

Die edlen Sklaven— Lamia schön wie Traum—

Dies altes sdiien nidit mehr so wunderbar.

Nun man vom süßen Weine trunken war;

Denn nicht zu schön und nidit zu göttlich dünkt

123

Dem das Elysium, der begeistert trinkt. Bald stellt Gott Bacctius leuctitend im Zenitti, Und jede Wange, jedes Äuge glütit. Man bractite Kränze von jedwedem Grün, Drein jeder slifee Duft geftoditen sctiien Beraubter Täler, Hötin und sanfter tiänge. Aus breiten Körben quoll die bunte Menge, Um goldne Henkel selbst hing grüne Last, Da& nacti Gesctimad< sicli kröne jeder Gast, Das Haupt bekränze mit erwätiltem Grün, Das seinem Wesen anzustellen schien.

Für Lamia weldien Kranz? Für Lycius dann? Und welcher steht dem Apollonius an? Des Weibes wehe Stirne sei umschlungen Von schlankem Weidenzweig und Natterzungen, Und für den lüngling soll die Rebe sein, Da& seiner Augen allzuwadier Schein Hintauche in Vergessen; und des Alten Gehässige Stirn soll Speergras scharf umfallen Und kriegerische Distel stediend drüd<en; Denn flieht nicht aller Zauber vor den Tüd^en Nüchterner Denkungsart? Da war einmal Ein Regenbogen hehr am Himmelssaal: Jefet kennt man sein Gewebe, seinen Bau, Die Wissensdiaft erklärte ihn genau Und rubrizierte ihn wie andre Dinge. Philosophie wirft ihre ked<e Sdilinge Um Engetssdiwingen und um Zauberpradil In Luft und Bergessdio| und Meeresnacht, Zerreibt die Wunder, wie sie auch erzwang Der zarten Lamia Not und Untergang.

Wie ragend sie bei ihrem Lycius saB, Der alles andre tief verzüd<t vergaB,

124

Bis er gewaltsam sidi dem Traum entwand. Den Becher natim, der perlend vor ihm stand, Und weit den hei&en Blid< hinüber5chid<te— Ob nicht sein aller Lehrer freundlich blid<le. Der Philosoph und Kahlkopf aber starrte Zur sdiönen Braut, die regungslos verharrte. Mit Brauenrunzeln blid<te er sie an. Zwang ihren sü&en Stolz in seinen Bann. Lycius nahm ihre Hand und hielt sie fest. Die lag so bleich aufs Lager hingepre|t Und war so kalt, da& es sein eigen Blut Durdischauerte,— dann wieder so voll Glut, Dag heiBe Woge ihm zum Herzen scho&, Darein sie Angst und tiefes Grauen go&. „Lamia, was soll das? Sag, was ficht didi an? O gib mir Antwort: Kennst du jenen Mann?" Arm Lamia sagte nichts. Er spähte tief Ins Auge ihr, ob nicht ein Blid< ihn rief. Dodi nichts verriet ein GrüSen und Erkennen— Umsonst sein Blidk, sein sehnendes Entbrennen! „Lamia!" so sdhrie er auL Doch sie blieb stumm, Und stumm ward auch die Gästesdiar ringsum. Das laudizen der Musik verstummte ganz. Und Myrthe welkte in jedwedem Kranz, Und Stimme, Elöte und Vergnügen schwand. Bis Totenstille schwer im Saale stand; Gespenstisch schien sie, wild und wahrnehmbar Und sebte Schredten jedem Mann ins Haar. „Lamia!" so kreischte er, und nur sein Ruf Im toten Schweigen sich ein Edio schuL „Hinweg, du Traum!" so schrie er angstvoll laut Und spähte neu ins Antlib seiner Braut, Wo keine blaue Ader mehr belebte Die edle Schläfe, und kein Rot erbebte

125

Auf zarter Wange; keine Leidenschaft

Verlieti dem fernen Blick Gefütil und Kraft:

Und nidil metir sdiön und jung und liebereidi

Safe Lamia da— erstarrt und lotenbleidi.

„SdilieB, sdiliel die Augen, unbarmtierziger Mann)

Blick fort, du Unliotd! Sonst soll dich der Bann

Der Götter treffen, deren Zorn entsiegelt

Sidi sdiattenhaft in diesen Bildern spiegelt;

Dein Auge soll ihr sdiarfer Zorn durdistechen,

Den fredienBlici< in Schmerz und Blindheit bredien,

Da| du in Zittern und in ewigem Bangen

In Reue und Gewissensnot gefangen

Vor ihnen fliehst, die du so schwer verlefet.

Da du didi frevelnd über sie gesefet.

Korinther! Seht ihr den graubärligen Wicht

Und die Besessenheit, die aus ihm spridit

Und seine wimperlosen Lider weitet

Und wie ein Dämon seine Blicke reitet?

Korinther, seht, wie meiner sü&en Braut

So namenlos vor seinen Blid<en graut!"

„Narr!" sagte der Sophist in leisem Ton.

Die Stimme bebte in zufriednem Hohn.—

Von Lycius nur ein banger Seufzer kam.

Der seinen legten Lebensatem nahm.

Er stürzte nieder mit gebrochnem Herzen,

An seiner Seite kämpften Lamias Schmerzen.

„Narr, Narr!" rief jener, während seine Augen

Noch immer reglos an den ihren saugen,

„Vor allem Übel schüfet' ich dich bis heute

Und liefee einer Sdilange dich zur Beute?"

Da atmet Lamia Tod; der bVick des Weisen

Durdibohrte grausam sie wie sdiarfes Eisen.

Sie bat ihn, still zu sein, so gut die Hand

Noch sdiwach die Bitte kundzutun verstand.

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Umsonsl; er blid<le, blickte wieder—: nein! Und nochmals: „Einer Sdilange!"— Gelles Schrei'n- Und sie verschwand, und niemand sah sie mehr. Und Lycius' Arm war von Entzüd<en leer, Leer wie sein Leib von Leben. Slumm und kühl Lag vor den Freunden er auf hohem Pfühl, Sein Puls sland slill, es ging kein Atemzug Tot war der Leib, der Hodizeilskleider trug.

127

HYPERION. ERSTES BUCH

IN liefen Tales schaliigem Trauerdunkel, Versunken vor des Morgens frischem Haudi, Des Miliags Glul, des Abends einem Stern, Sa&, grau im Haar, Saturn, so still wie Stein, Still wie das Sctiweigen um sein Lager rings. Rund um sein Haupt hing bergend Forst bei Forst, Wie Wolke über Wolkenbank. Die Luft War stiller noch wie je an Sommertag, Da sie dem Gras den leichten Samen nahm; Und welkes Blatt blieb liegen, wo es fiel. Ein Flu& zog stumm vorbei, verstummter nodi Im düstern Sdiatten des gefallnen Gottes. Im Sdiilfversted< schloß bebend die Najade Den kalten Finger fester auf die Lippen.

Fu&stapfen gingen breit im Ufersand,

Nicht weiter, als sein Fufe gekommen war.

Und schliefen dann. Auf moorig feuchtem Boden

Lag kraftlos, reglos seine Rechte, tot

Und szepterlos. Sein Auge war geschlossen.

Das Herrscherauge, das kein Reich mehr bannte.

Gebeugtes Haupt schien seiner Mutter Erde,

Uralter Mutter, Trostwort zu erbitten.

Es schien, als könne keine Macht ihn wed<en. Doch eine kam, die seine breiten Schultern Mit trauter Hand berührte, da der Stille Nidil sah, wie sie zum Gru& sich tief verneigte, Sie, eine Göttin der noch jungen Weltl So gro| war sie, da| selbst die Amazone, Die hochgewachsne, zwerghaft neben ihr. Sie hätte leicht Achill beim Schopf gepad<t, Den Nacken ihm gebeugt, und hielte leicht

12Ö

Ixions Rad mit einem Finger an. Ihr Antlib war so breii wie memphischer Sphinx Verschwiegnes Angesicht, in das Gelehrte Um Kunde von Egypten prüfend blickten. Doch oh, wie wenig marmorn dies Gesicht! Wie schön, wenn nicht der Kummer es verstände. Noch schöner als selbsl Schönheit auszusehn! Ein angstvoll Lauschen lag in ihrem Blick, Als habe Unheil eben erst begonnen; Als hätten erste Wolken böser Tage Ihr Übel ausgespien und jefet ergrolle, Schwer voll von Donner, neues Leidgeschick. Die eine Hand lag fest auf jener Stelle, Wo Menschenherz in Schmerz zu schlagen pflegt. Als fühle dort auch sie die herbste Pein, Sie, die unsterblich doch und göttlich war; Die andre um Saturns gebeugten Nacken Geschmiegt, so bog sie sich zu seinem Ohr Und sprach mit ernster voller Orgelsiimme Die Trauerworte, die in unsrer Sprache Wie kraftlos, ach, verglichen mit den Lauten Der frühen Götter 1— dies bedeutet hätten:

„Saturn, blick aufl- Wozu jedoch, du Armer? Ich habe keinen Trost für dich, nicht einen! Ich kann nicht sagen: o, was schläfst du doch? Denn Himmel ist von dir getrennt, und Erde Kann dich Gebeugten nicht als Gott erkennen; Und Ozean mit seinem Wogenbrausen Entwand sich deinem Szepter, und die Luft Ist leer von deiner greisen Majestät. Dein Donner, neuer Herrschaft Untertan, Umdröhnt nur zögernd dein gestürztes Haus. Dein scharfer 51ife in ungeübten Händen

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Zerstört das einst so selig tieitere Reich. O Sdimerz! O Augenblid<e gro& wie Jatirel ihr rollt vorbei und scliwelll die ungeheure Grausame Wahrheit aus und prefet sie schwer Auf unsern müden Gram, da| Selbstbetrug Nicht einen Atemzug mehr wagen kann.— Saturn, schlaf fortl— O wie gedankenlos Verlebt' ich Schlummer dir und Einsamkeit. Warum den schwermutvollen Blick dir öffnen? Saturn, schlaf fort! Ich weine dir zu Fü&en."

Wie wenn in tief entrückter Sommernacht

Die grünberockten Ratsherrn mächtiger Wälder,

Die hohen Eichen, von den ernsten Sternen

In Bann gezaubert, träumen und die Nacht,

Die ganze Nacht so reglos weiter träumen.

Nur dann und wann von Windstoß wachgeschaukelt.

Der sachte in das Schweigen stö&t und stirbt.

Als ebbe hoch in Luft nur eine Woge,

So kamen, gingen diese Tränenworte.

Sie bog die sdiöne breite Stirn zu Boden,

So da| ihr Haar, ein sanfter seidner Teppich,

Saturn zu Fü&en ausgebreitet lag.—

Ein Mond war mählich wechselnd hingegangen.

Und reglos ruhten immer noch die beiden.

Wie Steingebild in domgewölbter Grotte:

Der Gott erstarrt am kalten Boden kauernd.

Die Göttin tränenvoll zu seinen Fü^en-

Bis nun Saturn den welken Blid< erhob

Und sah, sein Königreich war fort, und sah

Das Dunkel und die Trauer dieses Ortes

Und jene schöne Göttin knien und sprach.

Indem sein Bart wie Espenlaub erbebte.

Mit schwerer, wie von Gram gelähmter Zunge:

130

„O Thea, sanft Gemahl Hyperions, Ich fühl didi mehr, als ich dein Antlib sehe; Blick auf und la§ mich unser Schid<sal lesen, 51ick auf und sprich, ob dieser sdiwadie Leib Salurn noch isl, ob diese leere Stimme Saturn nodi ist, ob diese Runzelstirne, So nad<t und ihres Diadems beraubt, Saturnens Stirne gleidit? Wer hatte Madit, Midi arm zu machen? Woher kam die Kraft, Wer nährte sie zu so gewaltgem Sturm, Da Sdiid<sal doch in meiner sehnigen Faust Gefesselt sdiien? Doch ach, es ist gesdiehen. Ich bin gestürzt und grabesfern dem Wirken Der Göttlichkeit, der gütigen Gewalt Auf bleiche Sterne und auf Wind und Meer, Dem sanften Segen über Saat und Ernte Und allem Tun, darein erhabne Gottheit Ihr Herz voll Liebe giefel.— Dem eignen 5usen Bin ich entflohn und lie& mein wahres Selbst, Mein bessres Idi wohl irgendwo am Thron Und hier am Boden liegen. Thea such! Tu auf den ewigen Blid< und schick ihn rund In alle Weilen, weit in Sternenraum, Der lichtverlassen, weit in leere Luft Und weit in Feuerschlund und Höllengähnen.— Sudi, Thea, such! Und sag mir, ob du nicht Ein seltsam schattenhaftes Wesen schaust. Das hoch auf Flügeln oder Feuerwagen Sidh Wege bahnt, um Himmel zu erobern. Die unlängst es verlor: es mu&, es mu| Ans Ziel hinauf— Salurn mu& König seinl ja, kommen mu& ein herrlich goldner Sieg; Gestürzte Götter und Trompetenblasen, Triumphgetön und helle Festgesänge

131

Auf goldnen Wolken hodi in Herrsdierhöhn, Verkündungsruf und silbersanffes Rühren Von Sailenspiel; und vielfadi schöne Dinge Will neu idi sdiaffen: Lusl den Himmelskindern Und Uberrasdiungl Auf) Befehlen will ich! O Thea! Theai Sag, wo isi Salurn?"

Dies Feuer rife ihn auf. Er sland und drohle

Mit Fäuslen in die Lufl. Aus Götlerlocken,

Die flogen, Iroff der Sdiwei^; in seinen Augen

Lag Fieberglul, und seine Stimme brach.

Er sland und hörte Theas Seufzen nidil.

Nur kurze Zeit, und dann entstürmte neu

Sein Zornesworl:— „Kann ich nicht Schöpfer sein?

Kann ich nicht formen? Eine zweite Welt,

Ein ander Universum auferwed<en,

Das dieses stürzt und ganz zu nichts zermalmt?

Wo ist ein andres Chaos?— Wo?" Dies Wort

Schwang aufwärts zum Olymp und lie& erbeben

Die drei Rebellen.— Thea sprang empor.

Und Hoffnung sdiien ihr Wesen zu beleben.

Als sie nun schnell, dodi ehrfurchtsvoll, begann:

„Dies bringt den Unsern Mull Komm zu den Freunden, Saturn] Komm fort und sprich den Armen Trost. Ich kenne ihr Versted<, ich kam von dort." Nur dies. Beschwörend brannten ihre 51id<e, Indem sie rüd<wärts fort ins Dunkel schritt. Er folgte, und sie wandte sidi voran Durdi altes Dickicht, das wie Nebel wich. Wenn Adler ihn, vom Horsie fliegend, teilen.

In andern Reidien flössen währenddessen Noch sdimerzlicher die sdiweren Leidenstränen,

132

Und Gram war gröfeer, als des Mensdien Worl, Als Sprudi und Feder wiedergeben können. Tilanen, die in Sdimadi und Fessel lagen, Verlangten nadi der allen Lehnspflichl heim Und lauschien leidvoll, ob Salurn nichl rufe. Nur einer aus der Mammulhbrul bewahrle Nodi Überlegenheit und Zudil und Grö^e. Hyperion, der Lodernde, saB noch Auf seiner Feuerkugel, lief umduflel Vom Weihrauch, den zum Sonnengott empor Die Mensdien schid<ten,— Unruh dodi im Herzen. Denn wie uns Erdenvolk ein düstres Omen Verwirrt und schred^t, so sdiauderte audi er— Nidit über Hundelaut und Eulenschrei, Nodi über Spuk beim Klang des Totenglöckdiens, Noch über Lampenlied um Mitternacht— Viel stärker ist das Graun, das Riesen schred<t Und das Hyperion erbeben machte. Sein strahlender Palast, von Pyramiden Durchglühten Golds umwogt und mild beschattet Von bronznen Obelisken, glomm wie Blut Durdi all die tausend Höfe, Bogen, Hallen, Und jeder Vorhang morgenroter Wolken Erglühte bös, und breite Adlersdiwingen, Wie Götter nidit noch Menschen je sie sahn, Verdunkelten den Ort; und Rossewiehern, Wie Götter nicht nodi Mensdien je gehört. Ertönte, und die würzigen Weihrauchwellen, Die heilige Hügel aufwärtsdampften, schmeckten Des Gottes weitem Gaumen garnicht süfe. So beizend scharf vielmehr wie giftiges Erz. So kam es, da& der Gott, wenn schläfrig müde Im Westen er nadi klaren Tages Sdilufe Zu sanfter Ruh in Armen von Musik

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Auf hodigehäuften Kissen Zuflucht nahm,

Die Stunden, die ihm Schlummer bringen sollten.

Mit riesigem Schritt von Saal zu Saal durchwadile;

Indefe in tiefen Winkeln weiter Hallen

In dichten Gruppen seine Treuen standen,

Ersdired<te, angstverwirrte Flügelgeister,—

Gleich Menschen, die zu atemlosen Haufen

Zusammenrennen, wenn die Erde bebt

Und Turm und Häuser durdieinanderrüttelt.

Jefet, als Saturn, aus eisiger Starrsudil wadi.

Mit Thea Schritt für Sdiritt durch Wälder nahte.

Kam sdiräg herab auf Westens goldne Schwelle

Hyperion, das Zwielicht hinter sidi.

Wie stets, so flog nun des Palastes Tor

In sanftem Schweigen auf, nur Feierflöten,

Die Zephir bliesen, gaben heilig sü6

Und hingehaudit gemessne Melodien.

Und rosengleich in Farbe, Form und Duft,

Das Auge kühlend, stand in Pracht erschlossen.

Dem Golle Einlaß bietend, dieses Tor

Zu aller hehren Himmelsherrlichkeit.

Er überschritt die Sdiwelle, dodi in Zorn: Sein Kleid go& Flammen hinter seinen Füfeen Und gab ein Brausen, wie von Feuersbrunst, DaB all die ätherzarten Stunden flohn. Erschreckt wie Taubenflug. Und weiter flammte Von hohem Säulengang zu Saal und Saal, Durch Bogenhallen voll verhülltem Glanz Und lange lidite Diamant-Arkaden Der Gott bis hin zur ungeheuren Kuppel. Dort stand er feurig still und stampfte auf, Da& tief vom Fundament zu hödisten Türmen Sein goldnes Reidi erbebte; und bevor

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Das Donnerrollen nodi geendet halle, Brach, götllidier Beherrschung miid, sein Schmerz In diesem Ruf: O Träume Tag und Nadil! O Graungestallen, Bilder ihr von Leidl Gesdiäflige Geister durch die kalte Nacht! Langohrige Gespenster schwarzer Sümpfe! Was kenn ich euch? Was sah ich euch? Warum Ist so zerstört mein ewiges Dasein, da§ Idi neu und immer neu die Schred<en sehe? Saturn sank hin, soll dies audi mir gesdiehn? Soll ich den Hafen meiner Ruh verlassen. Die Wiege meiner Pracht, dies sanfte Reidi, Den stillen Glanz des segensvollen Lichtes, Krystallne Pavillons und reine Tempel All meiner Herrscherherrlichkeit? Nun liegt Mein Zufluchtsort vereinsamt, leer und tot; Die Helle, Freudigkeit und Symmetrie- Ich seh sie nicht— nur Dunkel, Tod und Dunkel. Selbst hier ins Tiefste meiner Sdilummerhallen Sind düstre Visionen eingedrungen. Um meine Macht zu kränken und zu stürzen.— Zu stürzen?— Nein, bei Tellus' salzigem Kleid! Hervor aus Feuergrenzen meines Reichs Will furchtbar dräuend rechten Arm ich redken Und den Rebellen Jupiter vernichten, Den knabenhaften Donnrer, und Saturn, Den Greis, von neuem auf den Thron erheben." Er sprach, verstummte; denn noch schlimmres Drohn Würgt' ihn im Hals, doch wagte sidi nidit vor. Denn wie ein Lärm, ie mehr man Ruhe fordert, Sich durchs Theater weiterpflanzt, so regten Beim Wort Hyperions sich die bleichen Schatten Wohl dreifach grauenvoll und dreifach kalt. Und von der Spiegelfläche, wo er stand,

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stieg Nebel auf wie Schaum von glatiem Sumpf. Da kroch ein wilder Sdimerz durdi seinen Leib, Von Fu| zu Kopf, wie muskelslarke Schlange, Die sich gesdimeidig windel, Kopf und Nacken In Krampf erslarrl. Erlösl enlfloh er dann Zum Tor des Oslens; und sedis volle Stunden Eh Dämmrung ein Erröten schuldig war, Blies an versdilafnes Tor sein hei|er Atem, Blies schwere Dünste fort und warf sie weit Auf Meeres eisige Strömungen hinaus. Die Feuerkugel, die ihn jeden Tag Von Ost nadi West durdi alle Himmel trug. Flog wirbelnd hinter sdiwarzen Wolkenschleiern; Doch darum nidit verschleiert und verborgen, Denn oft erglommen Kreise und Koluren Und flochten in das milde Dunkel Blifee Tief vom Nadir bis aufwärts zum Zenith— Uralte Hieroglyphen, die die weisen Sterndeuter jener Erdenzeiten lasen Und durch Jahrhunderte erobert hatten— Verloren nun, bis auf die wenigen Zeichen Auf alten Steinen oder Marmortafeln, Ihr Sinn nicht fa&bar, ihre Weisheit fort.— Zwei breite Silberschwingen trug die Kugel, Zwei Flügel ihrer Pracht und Herrlichkeit, Die bei des Gottes Nahn verzückt erbebten, jefet spreiteten sich vor aus Dämmerdunkel Die riesigen Federn, eine nach der andern. Bis alle flugbereit gebreitet lagen. Noch immer aber sdiwamm der Ball in Dunkel, Hyperions Befehl entgegenbebend. Gern hätte er befohlen, gern den Thron Bestiegen und den Tag beginnen lassen— Er durfte nicht— er, der Urgötler einer—

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Weh dem, der heiligen Zeitenlauf verrückll

So hielt das Morgenweben zögernd inne

Und harrle, wie es hier beschrieben slehl.

Die Silberschwingen schwammen schweslerlich,

Des Flügelschlags begierig. Hohe Tore

Enlhüllten offen weile Nachibereiche.

Und der Tilan, in Weh und Wahnsinn bebend,

Dem Beugen ungewohnt, er beugte nun

Den Sorgen dieser Zeil die starre Seele.

Und weit entlang auf grausen Wolkenrücken,

An schmalem Grenzgebiet von Nacht und Tag,

Streckt er in Gram und matten Glanz sich hin.

Als so er lag, sah Himmel mit den Sternen

Mitleidig nieder, und aus Wellallräumen

Drang Coelus' Stimme leis und ernst zu ihm:

„O hellstes meiner lieben Kinder du.

Den Himmel zeugte, Erde mir gebar,

Sohn von Geheimnissen, selbst denen dunkel,

Die dich geschaffen: seltsam sü&e Freuden

Und Herzgefühle, die mir Wunder waren.

Mich, Coelus, wunderten, woher sie kamen.

Und Wunder waren dieser Freuden Früchte,

Klar sichtbare und göttliche Symbole,

Wie Offenbarung jenes schönsten Lebens,

Das ungesehn durch ewige Weilen strömt:

Von diesen Neugeschaffnen bist auch du.

Sind jene Göttinnen und deine Brüder!

Doch wehe! Streit ist unter euch, Empörung

Des Sohnes gegen seinen Herrn. Ich sah.

Sah meinen Ältesten vom Throne sinken!

Zu mir reckt' er die Arme, sandte Rufe

Hervor aus Donnerslurm, der ihn umtost.

Erbleichend barg ich mein Gesichl in Wolken.

Drohl solch Geschick auch dir? Dies ängstel mich,

137

Denn wenig gölllidi seh idi meine Söhne.

Als Gölter wurde! ihr erscliaffen; gölllidi,

In Würde, himmelhehr und ungeslörl

Gleicli hohen Göllern lebtel, herrschiel ihr.

jefel seh ich Furchl in euch und Leid und Hoffen,

Und Wul und Leidenschafl durchloben euch.

Als wärl ihr nichls denn niedre Slaubgeborne

Und Todessöhne.— Dies isl Leid, o Sohn)

Verfall und Angsl und Slurzl Doch ringe du.

Der du, ein wahrer Goll, dich regen kannsl

Und jeder bösen Slunde Körperkrafl

Und Wesenheit enlgegensefeen kannsl.

Ich selbst bin nichts als Stimme, und mein Leben

Isl Leben nur von Strömungen und Stille,

Nur Strömungen und Stille dienen mir.—

Du aber kannstl— So sei ein kühner Kämpfer,

la, hall des Feindes Pfeile auf, bevor

Die straffe Sehne summt.- Hinab zur Erdel

Dort hndest du Saturn und seine Klagen.

Ich will indessen deine helle Sonne

Und deiner Zeilen rechten Lauf behüten."-

Eh halb dies Weltgeflüster niederkam.

War auf Hyperion; die gebogenen Lider

Zu Sternen hochgeridilel, horchte er,

Bis Stille ward. Und schaute immer noch

Und nodi hinauf in feierlidie Sterne.

Dann, wie der Taucher taucht in Perlenmeere,

Bog sachte er die breite Brust nach vorn

Und stie& von luftiger Küste weil hinab

Und tauchte lautlos unter in die Nacht.

HYPERION. ZWEITES BUCH

Derselbe Flügelschlag der Zeit, der sachte

Hyperion durch bewegte Lüfte trug,

13Ö

Lie| Thea mii Saturn den Ort erreichen,

Wo Cybele und die Tiianen murrien.

Kein Lichfschein konnte ilire Tränen treffen

In jener Hölile, wo sein eignes Grollen

Ein jeder fiitilte, dodi nicht hören t<onnte;

Denn donnernd brüllten nahe Wasserstürze

Und gössen ewig neue Mengen aus.

51ock griff empor zu Blod<, und Felsen schienen

Wie aufgeschreckt aus langem fernem Schlaf

Eng Stirn an Stirn und Hörn an Hörn zu pressen

Und sdiufen so in tausend Traumgebilden

Dem Klagenest ein seltsam düstres Dach.

Sie sagen nicht auf Thronen; harter Kiesel

Und zottiger Stein und spifeer Schiefergrat,

Den Eisen härtete, gab ihnen Lager.

Nidit alle waren da, denn mandie rangen

In Kettenbanden, mandie schweiften weit.

Coeus und Gyges und Briareus,

Typhon und Dolor und Porphyrion

Und viele mehr, die Sehnigsten im Kampfe,

Sie waren eingepferdit zu Not und Mühn,

In dunkle Elemente eingekerkert.

Wo sidi verbissner Mund nicht öffnen durfte

Und festgeschlossne Glieder reglos drohten.

Gepreßt, gekrampft, wie Adern von Metall.

Nur ihre großen Herzen keuchten Qual

Und pulsten fiebernd auf in blutiger Not.

Es schweifte Mnemosyne durdi die Welt

Und Phoebe weilte ihrem Monde fern.

Und viele andre waren frei zu wandern—

Die meisten aber suchten hier den Schüfe.

Wie leblos lagen sie: Druidenblöcke,

Die auf verlassnem Moor in Runde stehn

Wenn Abend dunkelt und der kühle Regen,

139

Novemberregen fällt in ihre Grufi,

Der Himmel selbst in Nacht erblindet ist.

Verschlossen lag ein jeder, gab dem Nächsten

Nicht Wort noch Blick, noch Zeichen der Verzweiflung.

Creus war einer; mäditiger Eisenhammer

Lag neben ihm, und ein zersprungner Fels

Gab 5ild von seiner Wut, eh da& er sank.

läpetus ein andrer. Seine Faust

Umspannte schleimigen Schlangenhals; gespalten

Quoll aus der Gurgel gierig lange Zunge,

Und steif und lot lag sie und nicht gerollt

Und konnte dem Erobrer Jupiter

Nun nicht ihr Gift ins kecke Auge sprifeen.

Dann Cotlus, auf der Erde das Gesicht,

Kinn aufgeredet als wie in Sdimerz, denn nodi

Schlug er den Schädel wütend an den Stein

Mit offnem Mund und furchtbar wilden Blicken.

Nächst ihm Asia. Caf, die ungeheure.

Gebar sie, die, ein Weib, der Mutter Tellus

Mehr Weh gemacht als einer ihrer Söhne.

Nicht Leid,— Verträumtheit lag in ihrem Blick,

Denn Ruhm und Ehre ahnte sie voraus.

Vor ihren weilen Seheraugen standen

Palmschattige Tempel, ragende Altäre,

Am Oxus und auf heiligen Gangesinseln.

Wie Hoffnung sich auf ihren Anker stufet.

Doch nicht so sdiön, so lehnte sie am Stoßzahn,

Der ihrem grö&ten Elefant genommen.

Auf zad<igem Klippenrande über ihr.

Den Arm gestüfet und lang am Boden liegend.

Düstrer Enceladus; einst zahm und mild,

Wie friedlich grasend Rind auf grüner Wiese,

jefet ligerwild und löwenlauernd, plante

Und raste er und warf Felsblödke auf

140

In jenen Kampf, da& scheu die jungen Göller

In Tiergeslali sich zu verbergen suchten.

Nicht ferne Atlas; neben ihn gestreckt

Lag Phorkus, der Gorgonen Herr. Und enge

Beisammen Thetis und Oceanus.

In Thetis Scho& gebettet tag Ctymene

Und sdituchzte ruhtos in ihr schönes Haar.

Inmitten aller Themis, eng zu Fii&en

Von Ops, der Königin, die ganz umwölkt,

Den Blicken unsichtbar— noch mehr, als wenn

Aus Wolken und aus Fichtenwipfeln Nacht

Ein Ganzes macht- und viele andre noch.

Ihr Name sei verschwiegen, denn wenn Muse

Die Schwingen hebt, wer hindert ihren Flug?

Und von Saturn und seiner Fiihrerin

MuB nun sie singen, die mit nassem Fu&

Aus Tiefen kamen, die noch grauenvoller.

Ob düstern Felsen ragte beider Haupt,

Und die Gestalten wuchsen, bis ihr Schritt

Auf ebnem Boden endlich Ruhe fand.

Da reckte Thea bebend ihre Arme

Hin über dieses Nest des gro&en Leids

Und seitwärts sah sie in Saturns Gesicht:

Hier flammte harter Kampf. Der grofee Gott

Rang schwer mit Gram und Schwäche, Furcht und Wui,

Besorgnis, Mitleid, Reue und Verzweiflung.

Vergeblidi slritt er gegen diese Plagen,

Denn Schicksal hatte tödlich schwächend Gifi

Ihm übers Haupt gegossen, so da6 Thea

Erschreckt zur Seite wich und ihn als ersten

Eintreten lie& zu der gefallnen Horde.

Wie Sterblichen das schwerbeladne Herz

Noch mehr in bangem Druck und Qualen fiebert.

Wenn es dem trauervollen Haus sich nähert.

141

Wo andre Herzen gleicher Sdimerz gebrochen, 5efiel Salurn, der zu den andern Irai, Ein Ohnmaditweh, das fasi ihn niederwarf. Da aber iraf sein BHck Enceladus, Des Auge machivoll, doch in Ehrfurcht flammte Und alle Kräfte hob; und laut erscholl Sein Wort: „Titanen, blid^t auf euren Gott!" Da grollten manche Antwort, manche sprangen Erwacht empor, und manche schrien laut. Und manche weinten, andre klagten schwer, Und alle neigten sich in Ehrerbietung. Und Ops hob ihren schwarzen Schleier auf, Liefe bleiche Wangen, müde Stirne sehn, Schwarzdünne Augenbraun und hohle Augen.— Ein Raunen weht durch kalte Fichlenstämme, Wenn Winter seine Stimme hebt; ein Raunen Durcheilt die Ewigen, wenn ein Gott den Finger Verwarnend hebt, zum Zeichen, dafe ihm nun Die volle Wucht urmächtiger Gedanken Mit Donner und Musik vom Munde komme. Solch Raunen ist wie Rauschen kalter Fichten, Dem, wenn es in der 5ergeswelt verstummt. Kein andrer Laut mehr folgt. Doch hier bei diesen Gefallnen hob Saturnens Wort sich nun Wie Orgel, die ihr Tönen neu beginnt. Wenn andre Harmonien, sdinell verstummt. Die Luft in Schwingungen zurüd<gelassen. So hob es an:— „Nicht in der eignen Brust, Die selbst ihr Richter und Erforscher ist. Find ich den Grund, weshalb ihr also seid; Nicht in Legenden von urerstem Tage Aus jenem Buch, drin Weisheit jedes Blatt, Das sterniger Uranus mit hellem Finger

142

Vom Meeressirand der Finsternis gereuet. Da Ebbewogen es in Dunl<el bargen, Aus jenem Buch, das immer, wie ihr wi^t, Als sichre Fu&bank mir gedient:— wahrhaftig. Nicht dort und nicht in Zeichen nodh Symbol, Noch Warnungsbild in Erde, Wasser, Luft Und Feuer, Krieg und Frieden oder Streit Des einen Elementes gegen andres, Nodi auch im Streit von dreien oder allen, Nodi audi wenn eines gegen dreie steht, Wenn Luft und Feuer miteinander zanken. Wenn Regen sie in Wasserflut ertränkt Und beide ans Gesidit der Erde pre§t, Wo, Schwefel findend, vierfadi Ungestüm Das arme Wellall aus den Angeln hebt; In jenem Kampfe nidit, aus dem ich Kunde Seltsamer Weisheit tief verstehend lese. Find ich den Grund, weshalb ihr also seid. Enträtseln kann ich nicht— wie sehr idi sudie Im ungeheuren Buche der Natur, Bis Schwindel mich erfa^l— weshalb ihr Götter, Ihr Erstgebornen von Geslall und Form, Euch beugen solltet unter eine Macht, Die, euch verglichen, nur erbärmlich ist. Da seid ihr dennoch! Überwunden, siech. Verachtet und geschlagen seid ihr hierl Titanen! soll ich sagen: Auf!— Ihr grollt. Ich sage: Nieder!- Ah, ihr grollt!- Was also? O weiter Himmel, lieber ferner Vater! Was kann ich? Sagt mir, all ihr hehren Brüder, Wie kämpfen wir, wie formen wir die Schlacht? O sprecht jefel Rat! Salurnens Ohr verlangt Nach euerm Wort. Oceanus, nun rede.

143

Du grübelst tief, und staunend sietit mein Auge In deinem Antlife jenen sanften Ernst, Den klares Denken breitet. Gib uns Hilfe!"

So endete Saturn. Der Gott der Meere, Sophist und Weiser, zwar nicht von Athen, Vielmehr ein Denker tief in Wassergrotlen, Stand auf, mit trod<nen Locken, und begann In schweren Lauten, die wie Brandung brausten: „O ihr, die Wut verzehrt, die Leid zermartert! Die ihr Vernichtung flirditend Kummer pflegt! Verschlie|t die Sinne, sdilie|et eure Ohren, Mein Wort ist nicht wie Blasebalg für Zorn. Doch die ihr wollt, hört zu, wie idi beweise, Da| ihr zu beugen eudi gezwungen seid. Und viel an Tröstung bietet mein Beweis, Wenn wir des Trostes Wahrheit ganz erfassen. Naturgeseb ist Ursach unsres Sturzes, Nicht Jupiter und auch nicht Donnerkraft. Saturn, erhabner Gott, wohl forschtest du In jede Einzelheil dem Weltall nach, Dodi weil du König bist, warst du auch blind Aus Überlegenheit, und eine Strafe War deinem Blid< verborgen, eine Slra|e, Auf der idi selbst zur ewigen Wahrheit kam. Und höre erstens: wie du nicht die erste Der Mächte warst, bist du audi nicht die lefete; Du bist der Anfang nidit und nicht das Ende. Aus Dunkelheit und Chaos kam das Lidit, Aus jenen Früchten innerlidien Aufruhrs, Der finslern Gärung, die zu fernen Zielen Hinreifle. Und die reife Stunde kam. Und mit ihr Licht und Liclit, das mit dem eignen Erzeuger weiter zeugte und fortan

144

Ins Leben rief unendliche Materie.

Seii jener Stunde ward es offenbar,

Da& Erd und Himmel nati Verwandte sind.

Denn du, der Erstgeborene, und wir, die Riesen,

Regierten neue sdiöne Reiche nun.

Jefet kommt der Wahrheit Schmerz— wenn's Schmerz bedeutet.

O Narrheit! Denn die nad<te Wahrheit tragen

Und dem Ereignis still ins Antlib sehn.

Das ist die höchste Hoheit. Merket wohl!

Wie Erd und Himmel viel, viel sdiöner sind.

Als Dunkelheit und Chaos, und wie wir

Dem Himmel und der Erde weit entragen,

In Wuchs und in Gestaltung fest und schön.

In Willen, Tun und Kameradschaft frei,

Und tausend andern Zeichen reinen Lebens,

So folgt Vollkommneres uns auf dem Fu^e,

In Schönheit stärker und von uns geboren.

Bestimmt, emporzuwachsen über uns,

Wie wir das alte Dunkel überragen.

Und mehr nicht sind von ihnen wir besiegt.

Als einst durch uns das formenlose Chaos.

Sagt, streitet denn die träge Erde mit

Den stolzen Wäldern, die sie großgefüttert

Und heut nodi füttert— besser als sich selbst?

Kann sie die Hoheit grüner Haine leugnen?

Und soll der Baum die Taube wohl beneiden,

Weil sie mil weißen Schwingen wandern kann,

Wohin sie will, und gurren kann in Lust?

Wir sind so Waldesbäume. Unsre Knospen,

Sie sprangen auf; doch keine bleidien Tauben,

Nein, goldne Adler braditen sie zur Welt,

Die über uns in heller Schönheit schweben

Und darum herrsdien müssen; denn Geseß

Ist dieses: Schönstem sei die Macht! Wahrhaftig!

145

Durdi dies Gesefe mag späteres Gesdiledit Die Sieger über uns in Nöle bringen. Hab! ihr den jungen Meeresgott geseiin? Ihn, der mich stürzte? Saht ihr sein Gesicht? Den Wagen, den durdi Schaum und Wogen zogen Besdiwingte Wesen, die er selbst sidi schuf? Idi sah ihn durch die sanften Wasser gleiten, Mit solchem Schönheitsglanz in seinen Augen, DaB ich von meinem Reiche Absdiied nahm. In Trauer schied und hierher l<am, zu sehen. Wie Schmerzgeschick euch drückte und wie Trost Idi fände für dies furditbar gro|e Weh. Nehmt hin die Wahrheit, la&t sie Balsam sein."

Ob sie, als nun Oceanus geendet.

Das Sdiweigen wahrten aus Ergriffenheit,

Aus Hochmut, kann kein tiefstes Denken wissen.

Doch war es so: nicht einer schenkte Antwort;

Nur sie, die Unbeaditetste, Clymene.

Doch kein Eintgegnen war's, nur sanfte Klage

Mit Fiebermund und tränenmildem Blid<,

Die schüchtern in der andern Grimm sich wagte:

„O Vater, idi bin hier die sdiwädiste Stimme,

Und all mein Wissen ist, da| Lust entfloh

Und dieses Leid in unsre Herzen krodi.

Für immer dort zu bleiben, wie ich fürchte.

Ich würde nicht von Unglück prophezeihn,

Dädit' ich, ein arm Geschöpf wie ich vermödile

Die Hufe abzuwenden, die nach Redit

Uns kommen sollte von den höchsten Göttern.

Doch laB mich meinen Kummer sagen,— sagen.

Wovon ich hörte, was mich weinen machte.

Mir Wissen gab, da& alle Hoffnung fern.

Ich stand an einem anmutvollen Ufer,

146

Wo süfeer Atem einer Gegend wehle. Die Duft und Rutie, Baum und Blumen liatte, Voll stiller Freude war, wie ich voll Leid,— Zu voll von Lust und selig sanfter Wärme, SodaB mein Herz Verlangen trug zu sctielten Und jene Einsamkeit mit Klageliedern, Mit Sang von unsren Sdimerzen tief zu sdimätin. Idi sefete micti und nahm gel<laffte Muschel Und spradi hinein und machte Melodie O Melodie nie mehr! Denn als ich sang Und wenig kunstvoll in die Lüfte blies Der dumpfen Muschel Echo, kam von drüben, Von grünbebuschtem Inselland im Meer, Ein Zauber mit den Winden hergetrieben, Der midi betäubte und doch wach erhielt. Id\ warf die Musdiel fort in Sand, und Flut Verschlang sie, wie mein Sinn versdilungen ward Von jener neuen goldnen Melodie. Lebendiger Tod erfüllte diese Klänge Und jeden Ton und wonnigen Akkord, Der eilig lief, in neuen Klang verschmolz. Wie Perlentropfen, die von Fäden fallen. Und immer wieder folgten andre Töne— Wie Tauben, die den ölbaumzweig verlassen, Musik statt Federn in den leichten Schwingen- Midi zu umflattern und mich krank zu machen Mit Lust und Leid in einem Atemzug! Leid überwog. Ich hielt die Ohren zu, Doch trofe des Sdiufees angstverwirrter Hände Kam adi wie sü&e Stimme zu mir her. Viel sü&er noch als Sang erklang's: „Apollo! Apollo, jung und morgenhell und jung!" O Vater und o Brüder, hättet ihr Gefühlt, was ich da litt, hälfst du's, Saturn,

147

Gefühli, ihr würdet den demüiigen Mund Nicht schelten, da& er such!, gehört zu werden."

So flo| ihr Wort dahin wie sdiüditern Bächlein,

Das sadite sich durch Kieselufer sdilängelt

Und die Begegnung mit dem Meere fürchtet.

Dodi Meer-Begegnung t<am und lie& es sdiaudern:

Gewaltig hob Enceladus die Stimme

Und schlang es ein in Wut. Die Silben rollten

Gleich dumpfen Wogen in durchspülten Höhlen

Der Klippenfelsen tosend ihm vom Mund,

Indes er lässig aufgestüfet in Trofe

Noch immer lang auf Felsenplatte lag:

„Wem schenken wir Gehör— dem überweisen.

Dem überdummen dieser Riesen, Götter?

Nicht Donnersdilag auf Donnerschlag, bis jener

Rebell sein Waffenzeug verschleudert hätte.

Nicht Welt um Welt auf meinen Sdiultern könnte

Mich bittrer peinigen als Kinderworte

In Not und Jammer dieses Schreckensturzes.

So sprecht doch, brüllt, ihr schläfrigen Titanen 1

Vergalt die Schläge ihr, den fredien StoS?

Hat nicht ein Jünglingsarm euch umgeworfen?

Vergilt du, Herr der Wogen, deinen Sturm?—

Hai Hab ich mit so wenig schlichten Worten

Schon euern Groll gewed<t? O Freude, Freude!

je|t seh ich, da| ihr nicht verloren seid.

Jefet seh ich tausend Äugen Rache glühenl"

Als er das sagte, stand er ragend auf.

Und ungehindert fuhr er also fort:

„Je|t, da ihr Flamme seid, will idi euch lehren.

Der Feinde Äther gründlidi durchzuläutern.

Des Feuers Zackenstachel recht zu lenken

Und Jupiters Gewölke wegzusengen.

14Ö

Den Schwadien in sein Zell zurüd<zusdieudien.

O laBl ihn fühlen, was er Übles lall

Veradil' ich gleich Oceanus' Gerede,

Trag ich doch Leid um mehr als nur Verlust

Von Reichen. Fort ist Friede, fori die Ruhe

Slillsanfler Tage, denen Kämpfe fremd,

Da jede sdiöne Wesenheit des Himmels

Mit offnen Augen nahte, um zu lauschen.

Das war, eh unsre Stirn das Runzeln lernte.

Eh unsre Lippen andre Laufe kannten

Als feierlichen Klang; war, eh wir wußten.

Dal Sieg, dies Flügelding, verloren gehn.

Gewonnen werden könne. Und bedenkt,

Hyperion, strahlendster von unsern Brüdern,

Er ist noch ungekränkt— Hyperion, oh!

Sein Strahl, sein Glanz und Strahl ist hier bei uns!"

Sie blid<ten alle auf Enceladus

Und sahn, indes von seinen Lippen nodi

Hyperions Name an die Felsen hallte.

Ein blasses Leuchten auf den strengen Zügen,

Die nicht mehr wild; sah er dodh mandien Gott

Gleidi ihm in Glut. Er blickte auf sie alle

Und fand in jedem Antlife hell ein Lidit;

Und leuchtender als alle stand Saturn,

Die greisen Locken schimmerten wie Schaum

Um blanken Kiel, der nachts den Hafen sudit.

In silberblassem Schweigen harrten sie.

Bis morgenhellster Glanz die steilen Hänge,

Die dunklen Klüfte der Vergessenheit

Und jede Sdilucht und jede Felsenspalte

Und jede Höhe und ersdired<te Tiefe,

Durch die mit heiserm Sdhrei sidi Ströme guälten.

Und all die ewigwilden Katarakte

149

Und nah und fern die kopflos fiasligen Bäche,

Zuvor in schweren Sdiatien eingedunkell,

Mii grauenhafter HeUigkeii durchdrang.

Es war Hyperion.— Ein graniiner Gipfel

Bot seinen hellen Elisen Plafe zur Ruhe.

Da siand er und beschaule Noi und Jammer

Und Graun und Schauder, die sein Glanz enlhülll,-

Sein Haar wie Gold, numidisdi kurze Lod<en,

Von königlicher Hoheit die Gestalt,

Die, riesiger Sdiailen, stand im eignen Licht

Wie Memnons Leib bei Sonnenuntergang,

Wenn ihm aus dunklem Ost ein Wandrer naht.

Auch Seufzer, trauervoll wie Memnons Klage,

Entflogen ihm; er preßte beide Hände

In Leid zusammen, mitten in dem Schweigen.

Verzagtheit fa^te wiederum die Götter,

Als sie den Herrn des Tags so mullos sahn,

Und viele wandten ihren Blick vom Lidil.

Enceladus, der Eeurige, doch sandle

Das glühe Auge zu den Brüdern hin.

Auf stand läpetus und Creus auch

Und Phorcus, und zusammen sdiritten sie

Zum Eelsen hin, wo jener turmgleidi ragte.

Dort riefen laut die vier Saturn bei Namen:

Hyperion rief vom Gipfel hell: „SaturnI"

Saturn sa^ nahe bei der Göttermutter,

In deren Antlife keine Ereude war,

Obgleich die Götter all aus dumpfen Kehlen

„Saturn!" und wieder diesen Namen riefen.

HYPERION. DRITTES BUCH

So tobten die Titanen bald in Aufruhr,

Bald sanken sie in stiller Trauer hin.

150

O 1q& sie, Musel La6 sie ihrem Leid.

Zu zari bist du, solch Toben zu besingen.

Ein einsam Weh heg! deinen Lippen besser

Und sdiöner singst du Gram des Einzelnen.

O la& sie, Musel Oft noch wirst an Ufern,

In Wildnis du gefallne Gölter finden.

Die rastlos die verlornen f^eiche suchen.

Doch rühre sanft die delphisch sü&e Harfe,

Und Himmelshauch nur darf das liebe Zwitschern

Dorischer Flöte lieblich Unterstufen,

Denn sieh, dem Herrn der Dichtung gilt dein Lied.

Erröte alles, was die Röte kennt)

Du Rose, glühe Wärme in die Luft,

Du Abendrot, ihr morgenroten Wolken,

Umflie&t in wonnigem Gelock die Höhn!

Der rote Wein im kühlen Silberbecher

Er brause auf, wie junger Sprudelguell;

Zarllippige Muscheln tief in Meereswogen

Und hoch am Strand, sie mögen Röte fühlen

Durdr alle Gänge ihres Labyrinths,

Und Mädchen mögen glühen, wie geküßt I

O Delos, erste Insel der Cycladen,

O Freude deinen grünenden Oliven

Und Pappeln, Palmen über Wiesengründen

Und Buchen, deren Lied der Zephir wiegt.

Und Haselstauden, die in Schatten stehen)

Apoll ist wieder unser goldnes Thema!

Wo war er, als der Sonnenriese leuchtend

Das Leid der andern Götter überstrahlte?

Die schöne Mutter und die Zwillingsschwester

Liefe er in Schlaf im Laubengrund zurück

Und schritt im Morgenzwielicht durch die Weiden.

Maiglöd<dien blühten hell um seinen Fufe

Am Bache hin. Die Nachtigall war stille,

151

Und lefete Sierne zögerien am Himmel.

Die Drossel sang gelassen. Weit und breit

Trug diese Insel Dickicht nictit nocti Grotte,

Durcli die nictit Murmellaut von Wasser rausdite.

Er lauschte, weinte, und die hellen Tränen

Durchtropften blifeend seine goldne Leier.

Er stand, die feuchten Augen halb geschlossen,

Da nahte unter niedern Zweigen her

Mit feierlidien Schritten eine Göttin,

Und sinnvoll lag auf ihm ihr tiefer 51id<,

Den er befangen zu enträtseln suchte.

Indem er sanft und klingend zu ihr spradi:

„Wie kamst du über unwegbare Meere,

Doch war es möglich, da| in diesen Hainen

Du seltsam Wesen unsichtbar gehaust?

Ja sicherlicii, ich hörte diese Kleider,

Wenn ich allein in kühlen Wäldern lag.

Durch welke Blätter rauschen. Ja, ich fühlte

Der faltigen Gewänder sanfte Bogen

Durcii Wiesen gleiten, sah die Blumen alle

Die Köpfe heben, als ihr Flüstern kam.

O Göttin! Dieser Augen ewige Ruhe,

Idi sah sie sdion, sah dieses Antlih schon—

Es sei denn, dafe idi träumte." „Ja," sprach sie.

Die Himmlisdie, „du hast von mir geträumt

Und wachtest auf und sahst an deiner Seite

Die Leier ruhn, die ganz aus Golde war.

Mit Saiten, denen, wenn du sie berührtest.

Das ungeheure nimmermüde Ohr

Des ganzen Weltalls schmerzbeseligt lauschte,

DaB solch ein Tönewunder möglich war.

Wie sonderbar, da& du nun weinen solltest.

Der so begnadet ist) Erzähle, Jüngling,

Welch Sorgen fühlst du? Denn ich bin in Trauer

152

Um jede Träne, die du weinsl: enihülle Den Kummer einer, die auf dieser Insel Die Stunden deines Schlafs und deiner Freude Bewachte, von dem jungen Tage an. Da deine Kinderhand gedankenlos Die zarten 51umen pflückte, bis dein Arm Für alle Zeil den Bogen spannen konnte. Zeig einer allehrwürdigen Macht dein tierz, Die heiligen Thronen nur um didi entsagte, Der neugebornen Lieblidikeit zum Heil." Apollo dann, mit klaren Augen forschend, Gab Antwort, und die liederreiche Kehle Erbebte, als er sprach: „O Mnemosyne! Dein Name kommt mir, wei& ich auch nicht wie. Mu| idi dir sagen, was so gut du siehst? Mu& idi zu zeigen suchen, was dein Mund Enträtseln kann? Vergessenheit drückt dunkel Und leidvoll auf mein Auge ihre Siegel. Ich forsdie nadi, weshalb ich traurig bin. Bis Sdiwermut alle meine Glieder lähmt. Im Grase lieg idi dann und seufze tief Wie einer, der einsl Sdiwingen trug.— Warum Fühl ich mich so erniedrigt, da die Luft Dodi meinen Sdiritten fügsam ist. Warum Ist meinem Fufe verha&t der grüne Rasen? O selige Göttin! Zeige Unbekanntes: Gibt's keinen andern Ort als diese Insel? Was sind die Sterne? Und da ist die Sonne, Die Sonnet Und des Monds geduldiger Glanz! Und Tausende von Sternen! Zeig den Weg Zu irgend einem einzig schönen Stern, Und mit der Leier will idi in ihn flüchten, Da| seine Silberpracht vor Wonne bebe. Idi hörte wolkigen Donner. Wo ist Macht?

153

Wes Hand, wes Art, o welche Göltlichkeit Schafft diesen Aufruhr in den Etementen, Indes ich tattos hier an Ufern lausche. Unwissend, furchtlos, dennoch schmerzbewegt? Einsame Göttin, sprich, bei deiner fiarfe, Die jeden Morgen, jeden Abend klagt, Weshalb durchirr ich fassungslos die Haine? Stumm bleibst du— stumml Doch kann aus deinem Blick, So stumm er ist, seltsame Lehr ich lesen. Unendlich Wissen weckt in mir den Gott. Namen, Ereignisse, Legenden, Taten, Rebellen, Herrscher, Götterstimmen, Kampf, Erweckung und Zerstörung, alles dies Stürzt in die weiten Höhlen meines Hirns, Macht einen Gott aus mir, als hält' ich Wein, Hält' Trank getrunken, der unsterblich macht." So sprach der Gott, und seine Augen strahlten Ihr zitternd Licht auf Mnemosyne hin. Bald falte ihn ein Beben, und Erröten Durchglühte seinen himmlisch schönen Leib. Es schien wie Kampf am schweren Tor des Todes, Nein, mehr noch, als ob einer Abschied nehme Von ewigem Tod und mit lebendigem Schmerz- So heil, wie Todesschmerzen eisig sind— In wildem Krampf ins Leben sterbe. So Durchbebte jung Apollo heile Qual. Sein Haar, die so berühmten goldnen Locken, Umwogten seinen ungestümen Hals. Und über seinen Kampf hielt Mnemosyne Die Arme aufgered<t wie Seherin. Da schrie Apollo auf— und seht, von seinen Himmlischen Gliedern

(Fragment.)

154

ALS NEUNTES 5UCH DER ERNST LUDWIG PRESSE

ZU DARMSTADT IM JAHRE 1910 GEDRUCKT. AUSSER

DER GEWÖHNLICHEN AUSGABE WURDEN FÜNFZIG

EXEMPLARE AUF JAPAN ABGEZOGEN

INHALT

„Idi sah von Hügelhöh ..." 5

Ode an eine Nachligal 13

Ode auf eine griediische Urne 16

Ode an Psydie 16

Ode auf die Melancholie 21

Ode auf die Indolenz 22

An die Herbslzeil 24

An die Hoffnung 25

Auf die Phanlasie 27

Sdhlaf und Poesie 30

Isabella oder der Basilikumlopf 43

Sankl Agnes Abend 59

Calidor. (Ein Fragmenl) 71

Sonelte:

Dedikalion an Leigh Hunl 76

An meinen Bruder Georg 77

An-

„Wie viele Sänger ..." 79

An G.A.W 80

„Einsamkeil ..." öl

„Die lehlen Bläller ..." 82

Grashüpfer und Heimdien 83

„Glücklich isl England ..." 84

„Wie lieb ich das . . ." 85

„Die Glod<en läulen ..." 86

„Nach langer Zeil ..." 87

Auf ein Bild des Leander 88

Auf das Meer 89

„Wenn Furchf mich fa&l . . ." 90

An eine Dame 91

„Ich lächle heul ..." 92

An den Schlaf 93

An Fanny 94

Des Dichlers lefetes Sonetl 95

La belle dame sans merci 96

Auf den Tod 98

Zeilen an Fanny 99

An- 101

Das Milchmäddien 102

Stanzen an Mi| Wylie 103

Lamia 104

Hyperion. (Ein Fragment) 12ö

PR Keats, John

4833 Gedichte

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