Google

This is a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before it was carefully scanned by Google as part of a project to make the world’s books discoverable online.

It has survived long enough for the copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject to copyright or whose legal copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books are our gateways to {he past, representing a wealth of history, culture and knowledge that’s often difficult to discover.

Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear in this file - a reminder of this book’s long journey from the publisher to a library and finally to you.

Usage guidelines Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the

public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken steps to prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying.

‘We also ask that you:

+ Make non-commercial use of the files We designed Google Book Search for use by individual personal, non-commercial purposes.

and we request that you use these files for

+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google’s system: If you are conducting research on machine translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text is helpful, please contact us. We encourage the use of public domain materials for these purposes and may be able to help.

+ Maintain attribution The Google “watermark” you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find additional materials through Google Book Search. Please do not remove it.

+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other countries. Whether a book is still in copyright varies from country to country, and we can’t offer guidance on whether any specific use of any specific book is allowed. Please do not assume that a book’s appearance in Google Book Search means it can be used in any manner anywhere in the world. Copyright infringement liability can be quite severe.

About Google Book Search

Google’s mission is to organize the world’s information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers discover the world’s books while helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the full text of this book on the web alkttp: /7sooks. google. com/]

600020877 V

*

Geheime Gelchichten

und

Näthſelhafte Menſchen.

Geheime Geſchichten

und

Nätbielbafte Menſchen.

——

Sammlung

verborgener oder vergeſſener Merkwürdigkeiten.

Herausgegeben

von

Sriedrich Bülau.

e

Erſter Band.

ö— —— Leipzig: F. A. Brockhaus. 1850.

223 Hu. Y5.

Geheime Geſchichten

und

NRäthſelhafte Menſchen.

Sammlung

verborgener oder vergeſſener Merkwärdigkeiten.

Herausgegeben

von

Friedrich Bülan.

Erſter Band.

Leipzig: F. U. Brockhaus. 1850.

E2ES HM. gyS.

Vorwort.

» oft ich zeither im Felde der Geſchichte auf— ten bin, geſchah es faſt durchgängig in Ent. lung von Hauptbegebenheiten und der großen ‚meinen Züge gefchichtlicher Zuftände, in denen die Geſetze des Staatslebens und der Stan- yelt offenbaren. Ich habe aber jederzeit ein aftes Intereſſe für jene Einzelheiten gefühlt, an m ſich das eigentliche Sein und Leben der iſchen und Zeiten oft fo treffend darlegt. All⸗ ein ferner ift das Intereſſe, was man für felvolle, oder gebeimnißreiche Borgänge, für felhafte, oder für merkwürdige und doch wenig ante Perfönlichkeiten empfindet. Seit Jahren : ih mir, bei Gelegenheit vielfacher anderer

VI Vorwort.

Arbeiten, Vieles geſammelt und notirt, und fuͤr ein Werk, wie das mit vorliegendem Bande be— gonnene, vorbereitet. Schätzbare Verbindungen und günſtige Fügungen haben mir mancherlei Verbor— genes in die Hände geführt. Auch an ſich bekannte, aber doch ihrer Ratur nach urſprünglich mit Ge— heimniſſen umringte, jedenfalls anfangs nur wenig Perſonen in allen näheren Umſtänden vertraute Begebenheiten ſind ſehr oft, unter den Händen von Memoirenſchreibern u. dergl., in ſehr abweis hender, incorreeter Weife berichtet worden, und eine Revifion, welche herausftellt, was darüber noch für das Beglaubigtfte gelten kann, wird nicht ohne allen Nugen fein, Im jept vergeffenen Sournalen, Sammelwerken, Biographien, welche jetzt nur noch der Quellenforfcher von Zeit zu Zeit Durchmuftert, findet fi) Manches, was feiner Zeit vielleicht große Aufmerkfamkeit erregte und auch jegt noch diefelbe zu erweden geeignet ift, was aber, ohne derartige Auffrifhung, dem jegigen Publicum gänzlich ver- loren fein würde. Mancher feiner Zeit fehr be- deutende. Mann, ein echter Nepräfentant feiner

——-

Vorwort. vo

Tage, ift dem großen Publicum der Jeptzeit wenig, oder gar nicht bekannt. Biele Heine Züge, die der Gefchichtfchreiber meift übergeht, find doc fehr tauglih, das Sittengemälde verflofiener Zeiten recht lebensvoll aufzuhellen. Auch hoffe ich, wie ih fhon das Gluͤck hatte, in vorliegendem Bande einige wichtige Beiträge zur Gefchichte vorlegen zu koͤnnen, die zeither in Portefeuilles ftaatsmänni- iher Veteranen verborgen waren, und Aehnliches auch für die Kortfegung fchon bereit liegt, noch manchen Schap von Solden herworzuloden, die dergleichen bereitwillig fpenden werden, wenn fie discreten und forgfamen Gebrauchs gewiß find. Unter Zufiherung Solches wird andurch zu freund- lihen Mittheilungen noch ausdrüdlich eingeladen.

Billige Lefer werden nicht verlangen, daß jedes Stüd der Sammlung allen auf dem Titel bezeich- neten Prädicaten gleichmäßig entfpreche. Wenn fie nur alle dem einen Prädicate entfprechen, daß fie Merkwürdigkeiten‘ find, und zwar nicht allzu befaunte. Unter „geheimen Gefchichten‘ verftehe ich nicht blos Solche, die es jest noch find, fon-

VIII Vorwort.

dern auch Solche, die es urſprunglich waren, und an denen noch jest nicht alles klar und ficher herausgeftellt ift.

Die beiden erften Denkichriften, über ruſſiſche Nevolutionen, verdanke ich Einer verehrten Hand. Die erfte war aber fichtbar ungenügend, und ich habe fie nach anderen Quellen ergänzt. Dagegen irre ih wol nicht, wenn ich in dem Memoire über den Tod Kaifer Pauls ein höchft werthvolles gefchichtliches Actenftüc erkenne, was diejen merk⸗ würdigen Vorgang fo ſehr aufs Reine bringt, als es möglich fein mag. Die Auffätze über die Or- fini, Alberoni und Ripperda fchöpfen nicht aus verborgenen Quellen, dürften aber doch als aus den beften Quellen mit Sorgfalt bearbeitet erfannt werden. Auch der fünfte Auffag wird Manchen Neues bringen, zumal noc eine vor zwei Jahren erichienene Monographie über jene Zeit den Ritter d'Eon für ein Weib hielt. Die Auffchlüffe über den Obrift Agdolo find ganz neu, oder es ift doch der Inhalt derfelben erit am Schluffe des vorigen

Jahres in meiner Fortfegung von Gretſchel's fäch-

Borwort. X

fiſcher Geſchichte zuerft veröffentlicht worden. Die Scenen aus den fächfifchen Bauernunruhen find aus einem Werke entlehnt, welches die fächtifchen Gefchichtfchreiber wol citirt, aber doch gerade die mir befonderd bezeichnend erfcheinenden Züge nicht benupt haben, und was, außer Gefchichtfchreibern, Riemand mehr lieit. Das Leben v. Nüßlers ift aus einer einft viel gelefenen, jept vergefienen, ſehr weitfchichtigen Schrift ertrahirt, und fcheint mir denn doc, manchen fchähbaren Beitrag zur Gefchichte der Zuſtände jener Zeit zu enthalten. Was von Kauderbadh gejagt wird, flammt aus einer naheliegenden Quelle, und doch war es felbit dem gelehrten Ebert entgangen. Die Aufläbe. X— XIX und XXII ftehen in einem inneren Zu- ſammenhange, der in der Einleitung zu No. X dargelegt iſt. Ein Theil der Auffüge sub XII und XI, fo wie dad Meifte in den Auffägen sub XVO und XVII, ift aus den Denkwürdigkeiten des Barond von Gleichen überfegt, einer Schrift, welhe nur in wenig über 100 Gremplaren abge- zogen worden, wovon kaum die Hälfte in den

X Borwort.

Buchhandel gekommen if. Bei XXI bin ich de Rheiniſchen Antiquarius gefolgt, einer zu wen gefannten Zundgrube folher Dinge. Durch zah reihe Anmerkungen habe ich überall das Nähe feftzuftellen gefucht, und auch darin, wie ich hofl manches Intereffante niedergelegt. Für den zwe ten Band iſt das Material fchon beifammen ur wird dem Inhalte des Erſten an Intereffe miı deſtens nicht nachitehen.

Schließlich bitte ich, Die Nachträge, fowie d Berbefferungen am Ende dieſes Bandes nicht ; überfehen. |

Leipzig, 11. März 1850.

Aricdrich Jülan.

Inhalt. Seite Die ruffifge Thronrevolution von 1762. .......... 1 Die ruffifde Thronrevolution von 1801........... 58 Die Prinzeffin Orfini ......................... 95

Die Gellamareverfhwörungz; Alberoni und Ripperda. 132 Die geheime Diplomatie Ludwig’ XV. und der Ritter

d'Eon.................................. 177 Der Obriſt Agdolo.................... ....... 196 Scenen aus den ſächfiſchen Bauernunruhen im Jahre

1790 .................................. 218

Karl Gottlob v. Rüßler. Ein Beitrag zur Sittenge⸗ ſchichte des deutſchen Hofe und Beamtenweſens. 238

Kauderbach. Ein Pendant dazu................. Wo Der Aberglaube des achtzehnten Jahrhunderts; die Gräfin Coſel ............................ 201 Caglioſtro................................... 310 Duchanteau und Clavidres ...................... 331 Der Graf von St. Germain ................... 340 Drei Herren von Hund und Altın-Grotfau ....... 350 Johann Georg Schrepfer....................... 369 Jakob Hermann Oberreit ..................... 383 Madame de la Groix.......................... 393 Gondamine und die Convulfionäͤre................ 402 Gazotte ........ ............................. 411 Graf Bonneval, ein Repraͤſentant der Frivolität des achtzehnten Jahrhunderts ..... ............. 422 Lord Lovat .................................. 338

Spukgeſchichten am kurtrieriſchen Hofe ....... ..... 449

Xu Inhalt.

Miscellen.

1. Nitfhe und Rusca ............................... 2. Keßler und Mylius .............................. 3. Heinrich Gottlob v. Debſchütz. ...................... 4. Abenteurerleben .................................. 5. Kriegeriſche Zeiten................................ 6. Ehriſtoph Springer ............................... 7. Prieſter⸗ und Weiberliſt........................... 8. Ein engliſcher Schiffscapitän ........... ............. Nachträge .......... ................................

I. Die ruffifche Thronrevolution von 1762.

Die Entthronung des Kaiferd Peter II. ift ziemlich oft und ausführlich behandelt worden, wobei jedoch von fehr entgegengefeßten Gefichtspunften ausgegangen wurde und auch im Einzelnen in den verfichiedenen Berichten sahfreiche Abweichungen bemerkbar werden. Bei der folgenden Darftelung wird ein zeither ungedrudter Auf: fa zum Grunde gelegt, worin ein Gefandter, der von 1765 1768, alſo fehr bald nach der Kataſtrophe, am petersburger Hofe refidirte und ein genauer Freund Des Grafen Panin war, die Notizen zufammengeftellt bat, die ihm über jene Thronrevolution wol hauptſächlich aus Diefer Duelle zugefommen waren. Wir werden eine kurze gefchichtliche Einleitung vorausfchiden und dad Memoire felbft mit den, durch die anderweiten Be: richte an die Hand gegebenen Anmerkungen begleiten. Herzog Karl: Friedrich) von Holftein- Gottorp reifte 1721 nah Rußland, um in feinen Beziehungen zu Dänemark und Schweden den Schuß Peter’ I. zu er- wirfen. Er wurde ziemlich günftig aufgenommen, wußte fich in die oft fehr beichwerlichen Kaunen und Wunder- lichfeiten des großen Zaren ganz gut zu fehiden, und wenn auch Diefer nicht eben Zeit oder Luſt hatte, ſich in die holfteinifchen Angelegenheiten einzulaflen, fo that I. 1

2 Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762.

fi) doch dem bei Kaifer und Kaiferin perfönlich belich- ten Herzog eine andere Hoffnung auf, deren Verwirk—⸗ fihung auch feinem Hauptziele förderlich fein mußte. Peter der Große hatte von Katharinen zwei reizende Töchter: Anna und Elifabeth, und der Herzog machte ihnen, befonders der Aelteften, auf das Eifrigfte und Ausdauerndfte die Cour. Seine Bewerbungen wurden von Anfang an nicht ungünftig aufgenommen, wenn er auch vier Iahre lang dem Faiferlihen Hoflager auf defien Zügen folgen und viele Befchwerden, Langeweile und Kopfichmerzen ertragen mußte‘), bevor es (1724) zur Verlobung mit der Großfürftin Anna kan.

Nach dem Tode Peter's J. (28. Januar 1725) feßte ſich bekanntlich eine Frau von dunkler Herkunft, ſeine Witwe, als Katharina J. auf den Thron der Zaren. Sie war dem Herzog, deſſen Intereſſe ihr ihr Gemahl noch auf ſeinem letzten Krankenlager empfohlen haben ſoll, perſönlich gewogen; er und ſein Baſſewitz hatten auch um ihre Thronbeſteigung Verdienſte, und wenn ſie ihm auch nicht das Herzogthum Liefland überließ, wozu ihm Hoffnung gemacht war, fo ließ fie Doch 1725 die Vermählung vollziehen, gab der Großfürſtin einen gro:

—— ne

1) Einen großen Theil dieſer beſchwerlichen Brautfahrt beſchreibt Tag für Tag bis ind Einzelne ein Tagebuch eines Hofcavaliers des Herzogs, Zriedrid Wilhelm's von Bergholz, weldes in den legten Bänden von Büſching's Magazin abgedrudt ift und durch zahlreiche Beiträge zur Sittengefhidhte fowel des damaligen Rußlands, als des holfteinifchen Hofes für die Mühe der wenig anfpredenden 2ec- ture belohnt. Da der Berf. der zu Tübingen 1808— 9 in zwei. Bänden erfhienenen Biograpbie Peter's III., des beiten Werks, was wir über diefe Begebenheiten befigen, dieſes Tagebuch gelefen hat, fo hätte er eigentlih nicht fagen follen, der Herzog babe erft einige Sage vor feiner Verlobung erfahren, daß ihm die ältefte Prinzeffin zugedadt fei. Uns ift aus dem Tagebuch Plar geworden, daß er ed fon Jahre vorher gemußt oder doch gehofft hat.

Die ruſſiſche Thronrevolution von 1162. 3

Ben Hofflaat, einen Brautihat von 150,000 Ducaten und Eoftbaren Iumwelen, fchentte dem jungen Ehepaare ein großes ausmeublirted Haus’), wies ihm für Die Dauer feined Aufenthalt in Rusland die Einkünfte der Infel Defel an, ernannte ihn zum Obriftlieutenant der Preobragichendfoy: Garde und zum erften Geheimen Rath, empfahl ihn den Furländifchen Ständen zur Fünf: tigen Herzogswahl, wirkte in feinem Intereſſe in Schwe: den, verfchaffte ihm den Titel Königliche Hoheit, er: wirkte in ihrem Vertrage mit Defterreich einen geheimen Artikel zu Gunften der Wiedererlangung von Schledwig für den Herzog, ja traf ſchon Rüftungen zum Kriege gegen Dänemark’). Der Tod der Kaiferin, der am 17. Mai 1727 erfolgte’), vereitelte die Ausführung.

1) &5 jtand auf dem Plage des nachherigen Winterpalais, war zwar nur von Holz, aber das größte Haus in Petersburg, war einige Jahre die Paiferlide Wohnung gewefen und hatte zulegt dem Admiral Aprarin gehört, von dem es die Kaiferin kaufte. S. die angeführte Biographie Peter’s III., I, 15.

2) Bid zum Sturze Karl's XII. hatte Schweden vie herzogliche Linie von Holftein gegen vie Föniglihe in Däncmarf befhüst und eben aus Schwedens Erliegen floffen tie Bedrängniſſe Holſteins. Jetzzt trat Rußland an die Stelle Schwerende und gegenwärtig fiehen Rußland und Schweden auf Seiten Dänemarks!

3) Katharina war nad Einigen die Toter eines lithauiſchen Bauers, Samuel, nad Andern die eines ſchwediſchen Quartiermei⸗ fterd Johann Rabe und der Eliſabeth Morig, einer Liefländerin, und als Martha Rabe 1682 in Germunarer in Schweden geboren, 1684 aber mit. ihrer Mutter, nad) dem Tode des Baterd, nad Liefland zurüdgekehrt, wo fie 1685 noch die Mutter verlor und erft vcn einem Küfter, dann von einem Geiftlihen angenommen ward, Sie beirathete 1701 einen ſchwediſchen Dragoner und Fam 1702, bei der Einnahme von Maricnburg, als Gefangene in die Hände tes General Bauer, der fie, als er ihrer müde war, der Fürftin Mentſchikow ſchenkte. Hier lernte fie der Kaifer Fennen, mit dem fie 1711 heimlich vermählt und 1712 öffentli zu feiner Gemahlin erflärt wurde. Bon ihren Geſchwiſtern, oder wol eher von denen ihrer Mutter follen die Grafen Skawronski, die Grafen Henrikow und die von Jefimowski ftammen.

1*

4 Die ruffifche Thronrevolution von 1762.

Zunächſt freilich hatte dieſelbe in ihren letztwilligen Ver⸗ ordnungen ihr Wohlwollen für das holfteinifche Ehe⸗ paar nochmals beurfundet. Sie follten VBormünder des jungen Kaiferd Peter II. fein, die Großfürftin Anna, wie ihre Schweſter Elifabeth, follten eine Million Rubel und die Hälfte aller nicht der Krone gehörigen Ju: welen der Mutter, ferner noch 300,000 Rubel zum Heirathsgut und 100,000 Rubel zum jährlichen Unter halt erhalten, auch dem Herzog dabei das früher Em- pfangene nicht angerechnet werden. Zugleich beftätigte fie nochmald alle Verträge mit Karl Friedrich. Jedoch Fürſt Mentichilow ') verdrängte den Herzog und die Großfürftin von der Vormundfchaft und chicanirte fie fo, daß fie no im Auguſt 1727, von einer durd) Admiral Aprarin geführten Flotte geleitet, Rußland verließen. Am 26. Auguft bielten fie ihren feierlichen Einzug in Kiel. Zwar fchrieb ihnen ihr Neffe, der Kai fer Peter II, fehr bald, daß der „unfelige und vermeflene Fürſt Mentſchikow, wegen Mangel an Deferenz gegen die Faiferlichen Prinzeffinnen und damit fein unrechtmä- Big erworbener Reichthum in den Faiferlichen Schag, Daraus er ihn entwendet, wieder zurüdfließen möge‘, für feine Perfon feiner Ehrentitel beraubt worden fei (Sept. 1727). Indeß eine Einladung zur Rückkehr war nicht beigefügt, und die Dolgorudys, welche an die Stelle des von ihnen geftürzten Mentſchikow getreten waren, wünfchten auch eine folche nicht. Zudem war die Groß-

1) Alexiew Fürſt Mentſchikow, geb. 1670, ein Bauersfohn, Günft- ling Peter's des Großen, Staatsminifter und Generalfeldmarfchall, Herzog von Ingermanland, ein höchſt talentooller, aber ſchamlos habs ger Mann, die Seele dreier Regierungen, bid er, auf dem Puntte, isgeroater des Kaiſers zu werden, geftürzt und nad Bereſow ver⸗ ward, wo er in tiefer Schwermuth im Rovember 1729 ftarb.

Die ruſſiſche Thronrevolution von 1162. 5

fürftin fhwanger und gebar am 21. Februar 1728 einen Sohn: Karl Peter Ulrich, dem ed, neben dem bol- fteinifchen Herzogshute, beflimmt war, Dereinft unter der ruſſiſchen Kaiferfrone zu erliegen, nachdem er vorber die ſchwediſche Königskrone ausgefchlagen. Ueble Vor: zeichen knüpften fih ſchon an feine Wiege Bei den Feſten zur Keier feiner Taufe (29. Februar) flog ein Pulverkaften in die Luft. Schlimmer, daß fich feine Mutter bei denfelben Feftlichkeiten erfältete und 10 Zage darauf ſtarb. Sie war eine ungemein fchöne, fanfte, gebildete, etwas zur Schwermuth geneigte Zrau. Ihre Leiche wurde nach Peteröburg geihidt und in der Fe⸗ ſtungskirche beigefebt.

Der junge Prinz Peter blieb bis 1735 in den Han- den der Zrauen, die ihm etwas Franzöſiſch beibrachten. Dann wurde er den Herren von Adlerfeld, von Wolf und von Brömfen übergeben, und der Recor Fuhl in Kiel gab ihm in fehr pedantifcher Weile Iateinifchen Unterricht.” Da man aber eine leiſe Hoffnung auf Ruß- land nicht aufgegeben hatte, fo behielt man in Kiel die griechifche Kapelle bei und ließ den Prinzen etwas Ruf- ich Iernen, machte ihn auch frühzeitig mit der griedji- hen Religion bekannt. Daneben fog er von feinem Bater eine Neigung, nicht zur Kriegskunft, fondern zur Soldatenfpielerei ein. Der Herzog Karl Friedrich flarb 1739 und fein Sohn kam unter die Vormundfchaft ei- ned Vetters, des Bifchofs von Kübel, Adolph Friedrich, welcher fpäter König von Schweden wurde. Er wurde nun Den Herren von Brömmer und von Bergholz zur Erziehung übergeben, von denen der Xebtere fich jehr paſſiv, der Erftere aber mit taftlofer Strenge ver- halten zu haben Scheint. Man fchicdte einen Herrn von Bredahl nah Rußland, der aber mit folcher Kälte

6 Die ruffifche Thronrenolntion von 1762,

empfangen wurde und fo ungünftige Nachrichten mit- brachte, daß man die Hoffnung auf Rußland aufgab und feine Pläne auf Schweden richtete. Nun mußte der Prinz, ſtatt Ruſſiſch, Schwedilch Ternen und ward, ftatt in der griechifchen, in der Iutherifchen Kirchenlehre unterrichtet.

In Rußland war auf die Kaiferin Katharina ber Enfel Peter’d ded Großen, von feinem unglüdlichen Sohne erfter Ehe Aeriew, Peter II. gefolgt. Nah deſſen unerwartetem, an den Blattern erfolgtem Zode (1730) ging man auf die Nachfommen Iwan’d IL, des ältern Bruderd Peter's des Großen, zurüd, wahlte aber nicht die ältefle Tochter deflelben, die Herzogin von Medlenburg: Schwerin, fondern die Jüngere, Anna, verwitwete Herzogin von Kurland, die große Gönnerin Biron's). Unter des Lebtern Einfluffe berief die Kaiferin Anna ihre Nichte, die Prinzeffin Anne von Mecklenburg, vermählte fie (3. Juli 1739) mit dem Herzog Anton Ulrich von Braunfchweig - Wolfen- büttel, und ernannte den Sprößling diefer Ehe, Iwan (geb. 12. Auguft 1740), zu ihrem Nachfolger (5. Deto⸗ ber), der auch nach ihrem Tode (17. Dctober 1740) den Kaifernamen erhielt, während die Regentfchaft erft dur) Biron, dann dur die Herzogin Anne, unter Münnich's) Keitung, geführt ward.

1) Ernſt Johann von Büren, geb. in Kurland 1687 und ſchon dort Stullmeifter Anna's, Günftling der SKaiferin, 1737 Herzog von Kurland, 1740 vom 28. Dct. bis 19. Nov. Negent von Ruß: land, dann aber durch Münnich geftärzt und nad Pelim in Sibirien verwiefen, 1741 zurüdberufen und in die mildere Haft nach Jarosd⸗ law gefhidt, während Münnid in fein Gefängniß fam, 1762 in völlige Freiheit gefegt, 1763 in feinem Herzogthum hergeftellt, refi⸗ anirt 1769, + 28. Dec. 1772.

2) Burkhart Chriftopb Graf von Münnid, geb. zu Reuenbun-

Die ruſſiſche Tprowrevolution von 1762. 7

Aber noch lebte Elifabetb, die jüngfte Tochter Peter's des Großen, in üppiger, einflußlofer und un⸗ zufriedener Einſamkeit. Ihr warb Leflocg ’) eine Partei und in der Naht vom 24. zum 25. November 1741 ward Münnich geflürzt und wurden feine Puppen, der junge Kaifer und defien Aeltern, gefangen und in Haft und Eril gebracht. Eliſabeth war Kaiferin. Ent- Ihloffen, fih nicht zu vermählen, beftimmte fie den Sohn ihrer Schwefter, den jungen Herzog Peter von Holftein, zu ihrem dereinftigen Nachfolger, und fdyidte, furz nach ihrer Thronbefteigung, den Major Nikolaus Friedrich von Korf und defien Bruder, den Gefandten in Dänemark, nah Kiel, um ihren Entihluß zu erfla- ren, den Prinzen zu ſich zu nehmen und bei fich erzie ben zu laſſen. Er reifte in der That im größten Ge- heimniß, unter dem Namen eined Grafen von Düder ab, von dem Hofmarfchall von Brömmer, dem Kam- merheren von Bergholz und dem Sammerintendanten Cramer begleitet. Im Januar 1742 kamen fie in Petersburg an, wo fie außerft feftlich empfangen wur-

torf im Oldenburgiſchen 1683, in heffifhen, fähfifhen, ſchwediſchen und ruffifhen Dienften, zulegt Generalfeldmarfhall und Präſident des Neihöcollegiums, 1741 nad Sibirien verwiefen, 1762 zurüd: terufen, + 1767.

1) Zohann Hermann Leſtocq, geb. 1692 zu Celle, Sohn eines Barbierd, Chirurg bei Peter I. und ſchon bei dieſem beiichbt, aber auch von ihm nah Kaſan verwiefen, von Katharina zurüdberufen und der Elifabeth beigegeben, die er fhon bei dem Tode Peter's II. auf den Thron fegen wollte, wo fie es ausſchlug, weil fie wol von Anna zur Nahfolgerin ernannt zu werben hoffte, 1741 Geheimer Rath umd erfter Zeibarzt, Graf, 1748 in Haft und Exil geftürzt, 1762 zurüdberufen, + 1767. Uebrigens war Leſtocq mehr Werf- zeug als Leiter. Schr thätig bei der Sadhe war der franzöfifche Geſandte, Marquis de la Chetardie, die eigentlihe Stüge aber war die nationalruffifhe Partei und das militairifhe Werfzeug das preo⸗ bratzſchenskiſche Gardercgiment.

8 Die ruſſiſche Zpronrenolntion von 1762.

den. Die Kaiferin fchenkte ihm ihr Wohlwollen, unge- achtet fie weder mit ſeinem phyfiſchen, noch mit feinem geiftigen Zuftande zufrieden war und er auch fpäter wenig Tleiftete, ihren Erwartungen befler zu genügen. Bei feinem erften Auftreten zeigte er fih ald ein äu- Berft blaffer Knabe, von krankem Ausfehen und offenbar höchft Ichwächlicher Gefundheit. Dazu trug er Die blon⸗ den Haare, nach fogenannter fpanifcher Art, lang herun⸗ tergefammt und flarf gepudert.. Er begleitete Die Kaiferin damals zur Krönung nah Moskau und ward bei diefer Gelegenheit zum Obriftlieutenant der Preo⸗ bragfchensfoy-Garde und zum Obriften des Leibküraſſier⸗ regiments ernannt, deſſen Viceobrifter der Generalfeld- marſchall Ladcy ’) war. Nachdem man in Betreff feines Unterrichts eine Menge Lehrpläne hatte entwerfen lafien, genehmigte man den ded Prof. Stählin ’) und übertrug diefem auch felbft die Ausführung. Bei der Prüfung fand der neue Lehrer, zur größten Ver⸗ wunderung der Kaiferin, den Prinzen in allen Theilen der Wiffenfchaften unglaublich unwiſſend. Am beften ging es noch im Franzöfifchen. Stahlin fcheint bei fei- nem Unterrichte fehr zweckmäßig verfahren zu fein; glän- zende Refultate fonnte er, bei mangelndem Sinn des Prinzen für ernfte Befchäftigung und Anftrengung, bei den fteten abziehenden Zerftreuungen und da der Eifer der Kaiferin für die Sache auch bald nachließ, er alfo nirgend rechte Unterflügung fand, nicht liefern. Im

1) Peter Graf von Lascy, geb. zu Limerik 1678, in franzöfis ſchen, oͤſterreichiſchen, polnifhen, ruffifgen Dienften, Eroberer von Finnland, + 1751 zu Riga. Er war der Bater des berühmten Öfterreihifhen Feldherrn.

2) Er ftammte aus Memmingen, Fam auf Brühl’s Empfehlung 1735 nad Petersburg und ftarb 1785. Peter bezeigte fidy ſtets ſehr danfbar gegen ihn.

Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762, 9

Ruſſiſchen und in der griechiſchen Religion ward der Prinz von einem Mönch, Theodorsky, unterrichtet, welher 1758 als Erzbiihof von Pleskow geftorben if. Den meiften Sinn zeigte Peter noch für Alles, was zum Militairwefen gehörte.

Da gegen Ende ded Jahres 1742 befannt wurde, dag man in Schweden die Thronfolge reguliren wolle und dabei dad Abfehen auf den Prinzen Peter gerichtet habe, fo mußte man jegt mit dem ruffiichen Plane vor: treten. Am 18. November trat der junge Herzog zur griechifchen Kirche über und hieß nun Peter Zeodoro- witſch. Die Fefte dauerten acht Zage, worauf ein Mani- feft erichien, was die ruſſiſche Nation anwies, dem nun- mehrigen Großfürften und Zhronfolger den Eid der Treue zu leiſten. Dennoch boten ihm die Schweden, die ihn zwei Tage vor feiner ruffifchen Ernennung zum Thronfolger gewählt hatten, ihre Krone noch an, bie er aber ausichlug.

Der mit Sorgfalt fortgefeßte und namentlich auch auf die Kenntniß der ruffiihen Staatsfachen ausge⸗ dehnte Unterricht begann doch einige Frucht zu zeigen. Da unterbrach ihn 1743 eine fehr gefährliche Krankheit des Prinzen. Nach feiner Genefung dachte man an feine Verheirathung. Man wandte fih zuerft an den dresdner Hof, in Betreff der Prinzeffin Maria Anna '), flieg aber auf unüberwindliche Religionsſcrupel. Frie⸗ drih II, bei dem man in Bezug auf Prinzeffin Ama⸗ lia) anklopfte, fand auch den ruffiichen Thron zu un-

1) Maria Anna Sophia, Tochter des Königd von Polen und Kurfürften von Sachſen Friedrich Auguft II., geb. am 20. Aug. 1738, am 20. Zuni 1747 mit Maximilian Joſeph Kurfürften von Baiern vermäblt, am 30. Dec. 1777 Witwe, + 17. Zebr. 1797.

3) Anna Amalie, jüngfte Tochter des Königs Friedrich Wilhelm I.

1**

10 Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762.

ruhig und legte durch ſeine desfallſigen Aeußerungen vielleicht den erſten Grund zu dem Haſſe der Kaiſerin, der ihm ſpäter ſo theuer zu ſtehen kam. Indeß ging ſie doch auf den Vorſchlag ein, den er damals machte, und der ihre Aufmerkſamkeit auf die Prinzeſſin Sophie Auguſte Friederike von Anhalt-Zerbſt (geb. zu Stet- tin 25. April 1729) lenkte. Zudem war dieje Die Tochter einer bolfteinifchen Prinzeffin ’) und die Nichte jenes Prinzen von Holftein, welcher Elifabeth felbft in ihren jungen Iahren zum Gemahl zugedadht war, aber furz vor der Vermählung farb. Man ließ fie mit ihrer Mutter im Februar 1744 nach Rußland fommen ’); fie gefiel, ward in der griechifhen Religion unterwiefen, trat am 9. Juli ald Katharina Alexiewna über und ward am 10. mit dem Großfürften verlobt. Die Ver: mählung ward noch um ein Jahr aufgeichoben, damit der Unterricht ded Bräutigams vollendet werden Fünne, woraus aber, bei natürlich noch mehr geſchwundener Luft dazu und öftern Krankheiten des Großfürften, nicht viel wurde. 1745 ward der Großfürft, mittels von dem Kurfürften von Sachfen, ald Damaligem Reiche: vicar, erlangter venia aetatis, für volljährig erflärt, was am 17. Iuni feierlich befannt gemacht wurde. Die Statthalterfchaft feiner deutfchen Lande übertrug er dem Bruder feiner Schwiegermutter, dem Prinzen Frie⸗ drich Auguft von Holſtein, welcher 1750 Biſchof von

von Preußen, geb. 9. Nov. 1723, blieb unvermählt und ward Aeb⸗ tiffin von Quedlinburg.

1) Johanna Eliſabeth, Tochter Chriſtian Auguft’s, Biſchofs von Lübeck, geb. 24. Oct. 1712, verm. mit Fürſt Ghriftian Auguft von Anbalt=3erbft 8. Nov. 1727, + zu Paris 30. Mai 1760.

2) Sie verliefen Zerbft heimlich, da ver Water, ein eifriger Lutheraner, durchaus nicht in diefe ruſſiſche Speculation willigen wollte,

Die ruſſiſche Thromrenolution von 1762. 11

Lüheld wurde. Am 1. September 1745 ward die Ver: mäblung des großfürfllihen Paares unter Zeftlichkeiten begangen, die erft am 11. ihre Endfchaft erreichten. Dem jungen Ehepaar ward ein prachtiger Hofftaat eingerichtet, aber meift mit Ruflen beſetzt, während der Großfürſt fo unflug war, überall den Holfteinern ficht: bar den Vorzug zu geben. Im Anfang vertrugen ſich die jungen Eheleute gut und fpielten miteinander wie Kinder. Die Großfürftin, eine Frau, welcher Niemand große Geiftesfraft abiprechen Tann, mußte mit ihren Gemahl Schildwache ſtehen und ererciren. Sie meinte fpäter einmal: «il me semble, que j’etais bonne pour autre chose.» Vor der Hand verichaffte ihr Diele Fügfamkeit einen unumfchranften Einfluß auf ihren Ge⸗ mahl, und ed wäre gut für Beide geweſen, wenn diefer Einfluß nie geſchwächt worden wäre. Er bedurfte im- mer einer Elugen Zeitung und Damald vor Allem, wo es den Einflüfterungen des antipreußifchen Großfanzlers Beftuchew ') gelungen war, die mit dem zunehmenden Alter Tchwächer werdende Kaiferin gegen den Großfür: ften und deflen Gemahlin mistrauifch zu machen. Auch blieb ein Anlaß nicht aus, wo der Großfanzler dem Großfürften eine Kränkung bereiten Fonnte. Dänemark bot dem Letztern die Grafſchaften Oldenburg und Del: menborft an, wenn er feinen Anfprüchen auf Schleswig

1) Aleriew Graf Beſtuchew, geb. zu Moskau 1. Juni 1693, in Deutſchland erzogen, Sohn eins Mannes, der ſchon am Furlänti- fhen Hofe eine große Rolle gefpielt, aber durch Biron geftürzt worden war, Furbraunfdhmweigifger Kammerjunfer und (1714) Ge- fandter in Peteröburg, 1718 DOberfammerjunfer bei der Herzogin von Kurland, 1720 ruffifher Gefandter in Kopenhagen, unter Anna Gabinetöminifter, unter Elifabetb Graf und Kanzler, 1758 entfegt und auf feine Güter verwiefen, 1762 zurüdberufen, zum Zeltmar: ſchall ernannt, aber nit mehr gebraudt, + 1766.

12 Die ruffifche Thronrevolution von 1762.

entfagen wollte. . Beſtuchew rieth zur Annahme dieſes Anerbietend, aber der Großfürft, theild Durch eigenen Willen, theild durch den Rath feiner Gemahlin ’) und feiner holſteiniſchen Umgebungen beftimmt, verlangte eine höhere Entfchädigung und darüber zerichlug ſich damald die Sache. Die Kaiferin befahl nun Ende April 1747, dag der Oberjägermeifter von Bredahl, der Kammerhert von Düder, der Kammerintendant Cramer und der Hofcommiſſar Schriever Rußland verlaffen ſoll⸗ ten. Auch Prinz Auguft von Holftein ward, wenn auch in fehr anftändigen Formen, zur Rückkehr veranlaßt. Man ließ nur die Holfteiner da, die fih dem Grof- fanzler fügfam bezeigten. In Stodholm ward um jene Zeit ein englifcher Arzt, Bladwell, verhaftet, und der Ichwedifche Gefandte, Graf von Bard, fagte der Kaiſe⸗ rin felbft in einer Audienz, daB man in defien Papieren Briefe gefunden habe, die den Intereflen des Großfür- ften nachtheilig wären. Man behauptete aber vielfach, Blackwell ware ein Emifjair des danifchen Hofes und Beſtuchew's gewelen’). Auch entdedte der Großfürſt

Y) Sie vergaß ed dem dänifhhen Hofe nie, daß dieſer feinem Ge⸗ fandten empfohlen hatte, fie genau zu beobadten, da: «sous la di- rection de sa mere elle promet de devenir la Princesse la plus fausse de Europe.» Sie machte diefes Wort zunähft wahr, indem fie dem Grafen Rochus Lynar am Abend bevor er erfuhr, daß eine von ibm für Dänemark geführte Unterhandlung völlig geſcheitert fei, wos von fie die Haupturſache war, zu deren Beendigung Glüd wünſchte und binzufegte, daß fie fih glüdlih ſchaͤze, ihm fagen zu koͤnnen, daß fie dazu beigetragen habe.

2) Der Blackwell'ſche Proceß war allerdings ein ſchwediſcher Par⸗ teihandel und ift in Feiner Weiſe unparteiifh geführt worden. Alex⸗ ander Bladwell war ver Sohn eines fehottifhen Geiftliden gleiches Namens, hatte eine fehr gute Erziehung genoffen und ihr ebenfo durch gute Anlagen, wie längere Zeit dur großen Fleiß entfproden. In feinem ſechzehnten Jahre Fam er auf die Univerfität Edinburgh, verließ fie aber nad einiger Zeit heimlih, von jenem magnetifhen

Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762. 13

im April 1748, daß einer feiner Kammerdiener in Be ſtuchew's Solde fand und ihn belauerfe, ja feine Pas

Zuge nad London getrieben, welden englifhe Schriftjteller fo le⸗ bensvoll dargeftellt haben und welder fo mandem begabten jungen Manne den Untergang, Cinzelnen einen dornenvollen Ruhm, We⸗ nigen ein dauerhaftes Slüd bereitet bat. Nachdem er fein fpärlis ches Geld verzehrt, ohne feine Hoffnungen erfüllt gefehen zu haben, mußte er frob fein, eine Gorrectorftelle in der Wilkins'ſchen Dru⸗ derei zu erhalten. Hier Tnüpfte er literarifhe Bekanntſchaften an und bier gelang es ihm aud, dad Herz und die Hand eines tugend⸗ haften und wohlhabenden Mädchens zu gewinnen. Kaum aber fah er ih in Beſitz von anfehnlihen Gelvmitteln, als fein unruhbiger Seift wieder erwachte. Er bradte drei Jahre auf zwedlofen Reifen in Frankreich, Holland und Deutfhland zu. Dann ging er nad London zurüd und erridtete eine Buchdruckerei. Da aber traten die Iondoner Buchdrucker gegen ihn auf und fragten nad feinen Lehr⸗ jahren. Er gewann den Proceß in erſter Inftanz, verlor ihn aber in zweiter, gerieth in Schulden, machte endlih (1734) Bankerott und Fam ind Schuldgefängniß. Hier rettete ihn die Treue und Ges (diklihFeit feiner Gattin. Sie war fehr fertig im Zeichnen und Malen, fiel darauf, Pflanzen nad der Natur zu malen, zeigte die Proben dem berühmten John Sioane, dem Dr. Mead und dem deut⸗ (hen Arzte Dr. Andres, erbielt isren Beifall, ward durch den Aufs feher des Lateinifhen Gartens, Mr. Raad, unterftüpt, und gab nun, ipäter unter Beihilfe ihres Gatten, ein großes, von ihr felbft ge⸗ zeihnetes, geſtochenes und illuminirtes Kräuterwerk (Curious herbal, London 1727—1739, 2 Bde., Zol.) heraus, was auch nad Deutſch⸗ land übergetragen worden ift (von Eifenberger, lateiniſch und deutſch, als Herbarium Blackwellianum, Nürnberg 1750—1773, 6 Bde., Zol.) und womit fie fo viel Geld verdiente, daß fie ihren Mann aus dem Gefängniß befreien konnte. Lesterer beſchäftigte fih nun haupts fählih mit Naturwiſſenſchaften, fhrieb ein Werk über Anbau un⸗ frudtbarer Felder (Lonnon 1741) und ward Oberaufſeher der Güter des Marquis von Chandos. Ein Exemplar jener Schrift fiel dem ſchwediſchen Gefandten in die Hände, der ed nah Stodholm fandte und den Auftrag erhielt, den Berfaffer für Schweden zu gewinnen. Bladwel nahm den Antrag an und ward fehr günftig aufgenommen. Zufälig ward der König gefährlich Frank, ließ fich bereden, fih von ibm behandeln zu laffen, und genad. Nun ward Bladwell königli⸗ her LZeibarzt und wollte eben Frau und Kind nachkommen laffen, als er am 21. März 1747 verbaftet und in einen großen Staats- proceß verwidelt ward, in welchen aud der Kaufmann Springer und der Zabrifant Hedmann verflodhten waren. Er follte ein Werf- zeug der in Schweren bei allen Parteien graffirenden Beftehung im

14 Die ruffifche Thronrevolution von 1762.

piere wegftehlen mußte. Im Uebrigen ward die Kaife: rin nie fo weit gebracht, den Thronfolger ganz fallen zu laffen. Mit ihrem eigentlichen Liebling, dem fie aber, um feiner Gefundheit willen, keinen Einfluß auf die Geſchäfte geftattete, dem Grafen Raſumowski, fand fich, Deter gut. In dem Landhaufe des Bruders des Letz⸗ tern zu Softifig wären der Großfürft und feine Gemah- fin am 6. Suni 1748 beinahe ums Leben gefommen. Das Haus, worin fie fchliefen, ftürzte ein, kurz nad: dem fie ed, durch eine Schildwache gewarnt, verlaflen hatten. Am 19. Nov. 1749 wurde Peter feierlich in den Senat eingeführt. Aber die veränderte Stimmung der Kaiferin gab fih doch in dem mistrauifchen Kund- fchafterfnftem, mit dem fie ihren Neffen und ihre Nichte umgab, und in ihren öftern Einmifchungen und Bevor- mundungen fund.

Leider fand fich zu letztern mehr und mehr verfchul- Deter Anlaß. Peter ward mürriſch und verftimmt und ließ feinen Unmuth an feiner Gemahlin aus, die er mit fihtbarer Kälte behandelte, ihr zunahft zum Vorwurf machend, daß fie ihm noch Feinen Erben gebracht habe. Katharina möchte eine treffliche Gattin geworden fein, wenn fie einen Gemahl erhielt, der ihre Liebe und Ach— fung zu gewinnen wußte. Sie möchte eine pflichtgetreue rau geblieben fein, wenn ihr Gatte ihr Feinen Anlaß zur Beichwerde bot, fie wenigftens nicht auf empfind-

SIntereffe ausmwärtiger Mächte geweſen fein und fiel allerdings als dad Opfer einer Verderbniß, bei welder auf feiner Seite leicht dic geringfte Schuld gelegen haben dürfte, die größte auf Derer, die fih wider die Intereffen ihres Baterlands beftehen lichen, und denen nichts geihah. Er ward im Auguft 1747 hingerichtet. Es wurde damals behauptet, die franzöfifhe Partei babe ihn erſt zu unvor- ſichtigen Schritten verführt und dann felbft angeklagt und für ein Werkzeug des englifhen Minifteriumd ausgegeben.

u \

_ De ruififge Throxrevolution von 1162. 15

liche Weiſe kränkte. Den Gebrechen und Schwachheiten ſeines Geiſtes und Charakters und den umgebenden Ver⸗ hältniſſen war es zuzuſchreiben, wenn ſich bald ein är⸗ gerlicher Zwiſt unter dem jungen Paare entſpann, wenn ihr bis dahin unbekannte Leidenſchaften allmalig in ihr erwachten, wenn fie zule&t die gefährlichfte Feindin ihres Gemahls und in all den fchlimmen Künften Meifterin ward, Deren ed in dem damaligen Rußland beburfte, ſich zur Gewalt zu helfen und darin zu halten. Bei einer im Sabre 1750 erneuerten dänifch -holfteinifchen Unterhand⸗ lung, der der geldbedürftige Großfürft nicht abgeneigt war, genügte ein Zuratben von ihrer Seite, um ihn von der Sache abzubringen. Sein Soldatenfpielen und feine Bauten in dem, einft dem Fürften Mentſchikow zugehörigen Drantenbaum fofteten ihm große Summen und er war ſtets in Schulden. Zuweilen flieg feine Finanznoth auf Das Aeußerſte, und er bat in feiner Bedrangniß von Höfen Geld angenommen, gegen deren Interefien er fo vorher ald nachher handelte. _ So von Deſterreich und Sachen. Sein Verfahren in der dani- [hen Angelegenheit war der Kaiferin und Beſtuchew fehr unangenehm. Bei dem ode ded Königs von Schweden (1751) ſprach er offen feinen Unmuth dar« über aus, Daß er dur Rußland um die Regierung eined gefitteten Volkes gebracht worden feis Aeußerun- gen, die natürlich den Nationalflolz, den die Ruſſen in fehr hohem Grade befiten, bitter verlegten, Bei einem bolfteinifchen Offizier, den man in Kronftadt verhaftete, fand man Briefe der Großfürftin mit bittern Klagen über ihre und ihres Gemahls Lage. Bei einer Art Soldatenaufftand, der im September 1751 zu Dranien- baum flattfand und Peter's Namen misbraudyte, benahm er fich zwar fehr Hug und compromittirte ſich nicht im

16 Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762.

geringften. Ja, fein Damaliged Benehmen gab nur nod) um fo beffere Bürgfchaft, wenn man es nicht aus fei- ner Klugheit, deren er nicht viel befaß, fondern aus feiner Rechtſchaffenheit ableitete, die ihm nicht abzu⸗ fprechen ift. Dennoch verftärfte der Vorgang das Mis- trauen der Kaiſerin.

Segen Ende des Jahres 1753 erfolgte auf Veran- laflung der Kaiferin eine für den Großfürften fehr ge- fahrdrohende Ausfühnung zwifchen der Großfürftin und dem Großkanzler. In diefelbe Zeit feßt die Scandalchronit ihre angeblich anfangs vom Hofe begünftigte Freund⸗ Ihaft zu dem Grafen Sergius Soltifow, welcher jedoch bald darauf ald Gefandter nah Stodholm gefchickt ward und in Schweden geftorben iſt. Das Ereigniß, wovon die Sroßfürftin am meiften eine Beflerung ihrer Lage, ihrem Gemahl und dem Hofe gegenüber, erwar⸗ ten mochte, daß fie am 1. October 1754 in Petersburg einen Thronfolger, den nachherigen Kaiſer Paul, gebar, der feinem Vater fowol in feinem Yaunifchen Starr finn, als in feinen Schickſalen fo ähnlich ward, hatte nicht die erwarteten Wirkungen, und die Stimmung ber im ihren Anſprüchen fo vielfach getäufchten Großfürftin ward immer mehr verbittert.

Die Gatten trennten ſich auch Außerlich immer mehr. Der Großfürft beichäftigte ſich mit Soldatenfpiel, mit dem Bau einer kleinen Feſtung in Dranienbaum, welche auch nur ein Spiel war, und mit Zrinfgelagen in Ge ſellſchaft Holfteinifcher Offiziere. Das Trinken jedoch, was ihm bei feiner Dffenherzigkeit auch politifch nachtheilig war, gewöhnte er fich fpäter wieder ab. 1755 begann fein Briefwechfel mit Friedrich II., für den er eine be geifterte Verehrung empfand, die ihm Ehre macht, aber auch mit zu feinem Unglüd beigetragen hat. Friedrich

Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762. 17

gab ihm übrigens gute Rathſchläge und Peter befolgte fie freilich nur fo gut er konnte und auch das nicht immer. Die Großfürftin hatte ſich inzwifchen in Dra- nienbaum ein Heined Palais mit Garten angelegt und eingerichtet, wo fie ihren eigenen Neigungen nachhing. Einen willkommenen Gefellfchafter in diefer Einfamteit erhielt fie zuerft 1755 in dem Grafen Stanislaus Auguft Poniatowsky (geb. 17. Ian. 1732), den fie für feine frühe Freundfchaft ſpäter mit der polnifchen Königs: frone belohnen konnte, und der ihr von dem englifchen Sefandten Sir Charles Hanbury Williams empfohlen worden, in deflen Gefolge er nach Petersburg gefommen war. Poniatowsky fland übrigens längere Zeit auch bei dem Großfürften fehr gut. Als er nah Warfchau ger (hit ward, brachten der Großfürft und die Großfür⸗ ftin Beſtuchew dahin, daß er den Dresdener Hof be flimmte, den jungen Polen zu feinem Gefandten in Pe⸗ teröburg zu ernennen. Aber. auch Peter batte eine Freundin, die fanfte und anſpruchsloſe Elifabetb Gräfin Moronzow, Tochter des Geheimenraths Grafen Roman Woronzow, Nichte des Vicekanzlers Grafen Michael Woronzow, Schwefter der in fpäterer Zeit fo ausgezeich- neten Grafen Alerander und Simon Woronzow, der fhönen Gräfin Butturlin und jener fühnen Fürſtin Daſchkow, die Katharinen ihre ganze Familie nachfehte. Die Geburt der Großfürſtin Anna im December 1757 änderte in dieſen Verhältniſſen nichts.

Der Krieg gegen Preußen. fonnte, wie den Wün- hen, fo den Verhältniflen des Großfürften nur ungün- fig fein, da man wol wußte, wie vollfommen er mit feinem bewunderten Friedrich ſympathiſirte. Faſt wäre er in Verdacht gekommen, durch geheime Befehle den Rückzug des Grafen Aprarin nad der Schlacht bei

18 Die ruffiihe Thronrevolution von 1762.

Großjägerndorf (30. Aug. 1757) veranlaßt zu haben, über den er fich fichtlich erfreute In Wahrheit aber rührte dieſer Rückzug von feinen Zeinden her und floß aus ihm feindlicher Abficht. Beſtuchew, der Feldmar⸗ {hal Aprarin und der Generalmajor von Weymarn bat- ten den Plan gefaßt, Peter durch die Kaiferin von der Thronfolge ausschließen und diefelbe auf den Großfürften Paul, unter Vormundichaft feiner Mutter, übertragen zu laſſen. Gerade um jene Zeit wurde nun die Kaiferin gefährlich Frank, und Beſtuchew veranlaßte Aprarin, fein Heer nad) Rußland zurücdzuführen, um ed im Falle ihred Todes zur Hand zu haben. Ein Untergebener des Kanzlerd, Wolkow, errieth den Plan und theilte ihn dem Vicefanzler Grafen Michael Woronzow mit, durd) den ihn der Großfürft erfuhr. Letzterer entdedte der wieder genefenen Kaiferin Die Sache und Beſtuchew flürzte (25. Februar 1758) '). Aprarin entging durd) den Zod (31. Auguft 1758) feiner. Strafe. Weymarn ward ver- abfchiedet, ift aber unter Katharina wieder gebraucht worden, namentlich wol auch gegen den unglücklichen Iwan IL. Die Großfürftin, deren Mitwiffen wahr: ſcheinlich, wenn auch nicht erwiefenift, gegen die fich aber Peter mit Großmuth benahm, kam mit einem zwei: monatlichen Verbote ded Hofes davon. Er bat felbft um Verzeihung für fie bei der Kaiferin, und im April 1758 ward eine fruchtlofe Verfühnungsfcene gefeiert, die zunächſt Durch Die bevorftehende Ankunft des Prinzen Karl von Sachlen ?) veranlaßt wurde, deren Wirkung

1) Auch die franzöfifche Geſandtſchaft hatte mit an feinem Sturze gearbeitet, wie gleichzeitig die franzöfifhe Partei in Schweden den Blackwell unterminirt zu haben ſcheint.

2) Peter und Katharina haben es dieſen Prinzen fpäter empfin⸗ den laffen, daß er fi in diefen Wirren zu der Kaiferin hielt, daß

Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762. 19

aber nicht einmal fo lange aushielt. Die Kaiferin bes trieb die Zurückberufung Poniatowsky's und zwei mal fuchte die Großfürftin, indem fie die Verwendung ihres Gemahls, ferbft Durch deſſen Geliebte, in Anfpruch nahm, das ſchon Beichloffene wieder rückgängig zu machen. Allein Furz nach der Abreife des Prinzen Karl ward Poniatowsky im Garten der Großfürftin verkleidet be troffen und verhaftet). Er mußte nun am 15. Auguft Rußland verlafien. Die Großfürſtin follte in ein Klo: ſter geichict werden, aber auch Died mal wußte fie ihren Gemahl durch feine geliebte Woronzow zu verjühnen, und er ging noch an demielben Abende vor die verrie- gelte Thüre ihres Schlafzimmers, ihr Vergebung zuzu« fagen. Sie machte auf, warf fih ihm zu Füßen und verficherte innigfle Dankbarkeit und Neue. Mit Mühe drang er Died mal bei der Katferin durch und fie fagte warnend: „Du und Elifabeth Romanowna MWoronzow werden ed bereuen, denn ich kenne Katharinen.‘ Deter’d Lage aber ward durch dad alles in feiner Weile gebeflrt. Die Gatten konnten Fein Vertrauen wieder zueinander faflen. Seine Zinanznoth bedrängte ihn auf das Peinlichfte, ſodaß er felbft alte Anfprüche an den fpanifchen Hof wieder vorfuchte und durch fäch- fifche Wermittelung geftend machen wollte”). Die Un-

ihn die Kaiferin dem Großfürſten zum Mufter vorhielt, und daß er. die Abreife Poniatowsky's nit verhindern Fonnte.

1) Rad Rulhiere wäre er auf die Hauptwache gebracht worden. Nach von Salvdern führte man ihn vor den Großfürften, der ihn nah einigen fpöttifden Nerven entließ. Nah der Biographie Pe— ter’8 III. ftellte ihn der Großfürft feiner Gefelfhaft vor und Bra⸗ nicki fegte ihn durch einen infultirenden Geftus in Freibeit.

3) Sie ſchrieben fih nod aus den Jahren 1556 und 1572 ber und waren von flandrifhen SKricgsdienften entftanden. Am 29. Auguft 1727 war in der That zwifchen Defterreih und Spanien eine Convention zu Gunften Holfteins geſchloſſen worden, worin

20 Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762,

fälle der Preußen, an denen die ruffiihen Truppen fo vornehmlichen Antheil hatten, kränkten ihn auch tief, und er fol ſelbſt den geſchickten Grafen Fermor ') ber ſtimmt haben, feine Entlaffung zu nehmen. Der Un: muth des Großfürften ftieg fo hoch, daß er der Kaiſerin 1759 durch den Strafen Alerander Schuwalow eröffnen ließ, er wolle feiner glänzenden Beftimmung in Rußland für jeßt und auf immer entfagen, und bitte um Die Erlaubniß, fih nach Holftein begeben zu dürfen. Die Katferin ließ ihn ermahnen, fich nicht kleinmüthig zu zeigen; wolle er aber bei feinem Entfchlufle bebarren, fo möge er ihn fchriftlich anzeigen. Sie behandelte ihn darauf mit einer fo nahe an Verachtung grenzenden Kälte, DaB er es nicht wagte, weitere Schritte zu thun.

Im October 1761 erloſch das Haus Holftein-Plön, ein jüngerer Zweig der Föniglichen Linie. Peter hatte feinen Anſpruch auf die Verlafienfchaft, die überdem ungeheuer verfchuldet war. Dennoch erhob er Anfprüche und verband fte mit andern, ſodaß er das halbe Schles⸗ wig foderte. Das wäre eine Thorheit gewelen, über welche Danemarf lächeln Fonnte. Aber am 25. Decem- ber 1762 ftarb die Kaiferin Elifabeth, erft 52 Jahre alt, und der Herzog von Holftein war jebt Kaifer Pe- ter II.

Ungeachtet er nichts gethan hatte, fich eine Partei

Spanien der herzoglichen Linie von Holftein gegen Berziht auf obige Zoderungen, jaͤhrlich bis zur ſchleswigſchen Neftitution 100,000 Gulden zu zahlen verfprad. Es war aber nichts bezahlt worden, und man beredinete nun die rüdftändigen Subfivien auf 1,700,000 Thaler. An Kurſachſen wendete man fich, weil die damalige Königin von Spanien eine fähfifhe Prinzeffin war. Daß die Verwendung frudtlos war, trug Peter Sachſen noch ald Kaifer nad.

ı) Wilhelm Graf von Zermor, geb. zu Plestom 1704, + zu Kietau 1771.

Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762. 21

im Reiche zu bilden, ward doc feine Thronbefteigung nicht blos mit ungetrübter Ruhe vollzogen, fondern jetbft von einer firhtbaren Befriedigung des Volks bes gleitet, das fich freute, endlich wieder einmal einen Kai⸗ fer an feiner Spige zu fehen. Wäre nur der Kaifer auch wahrhaft ein Mann geweien. Gute Abfichten find ihm nicht abzufprechen und an guten Rathgebern fehlte ed ihm auch nicht. In manchem andern Lande möchte er eine glücliche und gefegnete Regierung geführt ba- ben. Aber Rußland verftand er nicht, wußte feine Re formen nicht dem ruffifchen Weſen anzupaflen, fiel auch zum Theil in die Fehler, an denen fpater Joſeph U. ſcheiterte. Hauptſächlich er verftand ed nicht, wie man in dem damaligen Rußland berrfchen und fich in Der Gewalt behaupten mußte, was denn doch die Vorbe⸗ dingung ift, bevor man an dad Wie ded Regierens, des Gebrauchs der Gewalt denken Tann. Eliſabeth fand fittlich gewiß unter Peter und war auch Feine geiftige Größe. Aber fie, wie ſchon früher die Kaiferin Anna, waren weit bejier dazu gemacht, in Rußland zu regieren, oder vielmehr, fi) auf dem Thron zu halten. Es muß- ten da ft und Kraft gepaart fein; man mußte es ver- fiehen, durch äußerſte Strenge gegen Einzelne Furcht und Schreden um die höchſte Gewalt zu verbreiten, da⸗ gegen unbedingt Ergebene durch ausfchweifende Beloh: nungen und nachſichtsvolles Ueberfehen der aus Habſucht oder Sinnlichfeit begangenen Vergehen zu felleln, ja in ihren eigenen entdedten Verbrechen ein Pfand ihrer fer: nern linterwürfigfeit zu finden, dad Volk im Ganzen aber durch ein volfsthümliches Gepräge und den Schein eines theatralifch = patriarchalifchen Segend zu gewinnen, ohne die Bedrückungen zu mildern, durch welche die höhern Claſſen fih an den Niedern für ihre eigene po:

22 Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762.

litifche Knechtſchaft ſchadlos Hielten. Man mußte end- lih Selbftherrfcher fein, d. b. während man die Staats- männer in Vielem nach Gutdünfen ſchalten und walten ließ, Doch fie immer bewachen, Einen gegen den Andern gebrauchen, das Heft nie ganz aus den Händen geben, - den Gedanken erhalten, daß man in jedem Augenblide einzugreifen bereit fei. »Auch Katharina II., wie Elifa- beth nicht ohne Wohlwollen und ihren Vorgangerinnen an Zeitbildung weit überlegen, lernte die Kunft gar gut, fih in ihrem Rußland zu halten, und Manches in die: fen Mitteln ift in der That der weiblichen Natur nicht fo fremd, wie der höhern Weiblichkeit. Peter verftand nicht8 von dieſen Dingen. Er war dafür viel zu fehr von deutfchem Rechtsglauben durchdrungen; er war bie- der, gewillenhaft, hartnädig, ohne Schmiegfamteit, en- thuftaftiich, vol vorgefaßter Meinungen, ohne Beobach⸗ tungsgabe, pedantifch, voller unnationeller Sonderbar: keiten, ohne Sinn für Rußland, ohne Begriff für feine Zage. Meberhaupt, einzelne Deutiche von kosmopoliti⸗ [her Natur mögen wol in Rußland ihren Boden fin- den, das echte deutſche Weſen paßt eben nur für Deutfche und bat weder den Slawen, noch den SItalienern, noch den Griechen behagen wollen. Es war fihon bei Peter 1. ein Misgriff, daß er Rußland nicht aus dem ruffifchen Weſen felbft heraus entwidelte, fondern ihm eine er- borgte Cultur aufzmang. Aber Peter I. wählte wenig: ftend die allgemeine Gultur und befaß eine ungeheuere Despotenfraft. Peter DIE. war einer befondern Schatti- rung der Cultur ergeben und war nicht Despot genug, durch die Mittel des Ahnberrn die viel fchwerere Auf- gabe zu betreiben.

Peter bezeichnete die erften Tage feiner Regierung mit einem großen Gnadenacte. Mit wenigen Ausnab-

Die ruffiche Thronrevolution von 1762. 23

men, worunter die des übrigens nur auf feine Güter verwiefenen Beſtuchew die wichtigfle, wurden alle Eri- lirte zurüdberufen und größtentheild in ihre Ehren wiedereingefeßt. Darunter Biron, Münnich und Leſtocq. Münnich befonderd vergalt dem Kaifer die Wohlthat durch flandhafte Treue und Fuge Rathichläge, die nur nicht befolgt wurden. Nach und nach famen über 20,000 zurüd, die ein Opfer der Verfolgung früherer Regierungen geworden waren ').. Auch die Quelle fol- her Willfür zu verftopfen, verfügte er die Aufhebung der Geheimen Kanzlei (21. Febr. 1762), einer fchlimmern Sternfammer Rußlands, die aber ſchon unter der nad: fien Regierung im Wefen wiederhergeftelt und unter Paul ganz befonderd eifrig war. Zugleih ward die Anwendung der Zortur verboten. Der Gerichtögang follte beichleunigt werden. Der Plan eines bürgerlichen Geſetzbuchs ward gefaßt, nahm aber freilich den gehäfligen Anfchein einer Uebertragung preußifcher Gefeße an. Peter bezahlte die Schulden feiner Gemahlin, ohne nach deren Urſachen zu fragen, erhöhte ihr Einfommen und machte ihe an feinem Geburtstage ein großes Gefchen? in Do- meinen. Er wollte auch ihren Bruder nah Rußland fommen laſſen, der es aber mit dem bekannten Waid⸗ ipruche des Götz von Berlichingen ausfhlug’). Den Adel entband er (21. Zebr.) von jedem Dienflzwang und gab ihm die Freiheit, zu reifen und in fremde Dienfte zu treten, traf auch in Betreff des Unterrichts

1) Elifabeth, die zu mild war, ein Todesurtheil zu unterzeichnen, fo 80,000 Perſonen nad Sibirien geſchickt haben!

2) Das alles fpriht gegen die Behauptung, als fei Katharina ihrem Gemahl nur zuvorgefommen und als hätte diefer einen An⸗ ſchlag gegen fie gehabt. Auch unfer Memoire, was nidt in freund- hen Sinn für Peter gefaßt ift, fagt nichts von einer folden

fit.

24 Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762.

feiner Söhne Vorforge. Die fhädlichen Gewerbs- und Handelömonopolien bob er auf und gab auch fonft viel Theilnahme zur Förderung ded Handels, der Induftrie und des Landbaued zu erkennen. Zu Gunften des letz⸗ tern ward eine Greditbanf errichtet. Der Salzpreis ward um 20 Kopeken erniedrigt. Diefe Reformen famen fo unerwartet und erfchienen fo großartig, daß der Senat den Kaifer durch eine Deputation um die Erlaubniß bat, ihm eine goldne Bildſäule fegen zu dürfen. Und vier Monate fpäter! Der SKaifer lehnte das Erbieten ab. Die Dankbarkeit aber für jene Wohl: thaten ift weniger wirffam und nachhaltig gewefen, als der gefährliche Groll, welchen misliebige Maßregeln und Pläne erwedten. Der Kaifer beabfichtigte die Einzie bung der Kloftergüter. Er wollte die Faſten umd Die Deiligenbilder aus den Kirchen entfernen. (Daß er fi jedoch auch an den Bärten der ruffiichen Geifllichkeit babe vergreifen wollen, fol ungegründet fein.) ') Der Erzbiihof von Nomwgorod, Sertihin, machte Gegenvor- ftellungen, erhielt aber Befehl, nie wieder vor dem Kaifer zu erfcheinen, was jedoch fchon nach acht Zagen, mit Rüdfiht auf die allgemeine Verehrung, in welcher jener Mann bei dem Volke ftand, widerrufen ward. Schlimm war ed auch, daß er die Klöfter durch erhöhte Abgaben der Bauern entichädigen wollte Es entſtan⸗ den Unruhen daraus, und jedenfalld entfremdete es ihm das niedere Landvolk. Für die Sicherheitöpolizei traf

1) Bergl. Ruſſiſche Anekdoten, oder Briefe eines teutſchen Offi⸗ ziers an einen Liefländifhen Gyelmann, worinnen die vornehmften Lebens⸗Umſtände des ruffifhen Kayſers Peters III. nebft dem um gluͤcklichen Ende dieſes Monarden enthalten find (Wandsbeck 1765), e 61 fg. Hiernach berubte jenes Gerücht auf einer Myſti⸗ tation.

N

Die ruffifche Thronrevolution von 1762. 25

er firenge, aber gute Anftalten. Ein Hauptfehler aber war das Unterlaffen oder Aufichieben der Krönung. Die hauptfächlichften Freunde und Rathgeber des Kaiferd waren die Prinzen Georg und Peter Auguft von Holitein '), der Graf von Münnih, der Graf: Michael Woronzow, der Generalfeldmarſchall Fürft Trubetzkoy, der wieder zurückberufene von Bredahl, der gediegene Staatsrath Wolkow, der Generallieutenant von Korf, jetzt Generalpolizeimeiſter in St. Petersburg, der Generalprocurator Alexander Glebow, die General- adjutanten Gudowitſch und Fürſt Iwan Galizin. An die Stelle des Cabinets trat eine Commiſſion, in welche nach und nach die Prinzen von Holftein, Münnich, Mi- hack Woronzow, Fürſt Trubetzkoy, Wolkonsky, der Generalfeldzeugmeiſter Villebois, der Generallieutenant Melgunow und Wolkow traten. Die Meiſten dieſer Männer waren verſtändig und rechtſchaffen, und ihre Wahl macht im Ganzen dem Kaiſer Ehre. Aber waren ſie ihm die Nützlichſten in dem Rußland von 1762? Würde nicht vielleicht ein Beſtuchew ihm beſſere Dienfte geleiftet haben? Waren fie in der Lage, ihr Schiefal mit dem feinigen zu identificiren? Und ließ er nicht auch ihren Rath in den wichtigften Dingen oftmals unbefolgt? Außer feinem gefährlichen Angriffe auf die Intereflen der Geiftlichkeit haben ihm befonders feine Mititairrefor- men und feine auswärtige Politif gefchadet. Seine Mi- litairreformen betrafen zunächft Formen und Uniformen. Er verabjchiedete die mit großen Vorrechten ausgeftattete

1) Georg Ludwig von Holftein=Gottorp, geb. -16. März 1719 + 7. Auguft 1763, Stammoater ver Großherzoge von Dldenburg. Heter Auguft Friedrich von Holftein- Bed, geb. T. Dec. 1697, + als rufiifher Generalfeldmarfhall und Gouverneur von Efthland im März 1775.

I. 2

N -

26 Die ruffiiche Thronrevolution von 1762.

Leibeompagnie, diefelbe Compagnie der Preobratzſchens⸗ foy- Garde '), welche Leflocg, Schwart ”) und Grünftein für Efifabeth erfauft und diefer dadurch auf den Thron verholfen hatten, erhob aber was fehr unpolitiſch war ein holfteinifches Küraffierregiment zur Faiferli- chen Xeibgarde zu Pferde. Er verwandelte die Garde uniformen in Furze preußifche Röcke mit goldnen Schlei- fen, worüber die Soldaten fehr murrten. Er faßte fo gar den Plan, die Garden aufzuheben und in Zeldre gimenter zu vertheilen und Tieß fie durch den General Bauer in dem preußifchen Erercitiun unterweifen. Die Regimenter erhielten verfchiedene Uniformen ’) und wur: den nad) den Namen ihrer Chef benannt. 24 Gene: räle wurden entlafien. Die Sinute wurde beim Militair abgefchafft, aber Stod und Fuchtel dafür eingeführt. Den holfteinifchen Truppen wurden Neid erregende Aus: zeichnungen verliehen, und zu Dranienbaum eine luthe⸗ rifhe Kirche für fie erbaut. Auch die Marine fuchte Peter eifrigft zu heben, und in allen diefen Dingen that er in der That in’ der kurzen Zeit viel, zu viel für die kurze Zeit. (Es foll übrigens in der lebten Zeit fein

1) Diefes berühmte Gorps bat feinen Namen daher, daß ed aus der Gompagnie entftanden war, die fi Peter I. in feinen Knaben: jahren zuerft aus den Zaltenjungen und Stallknechten bei dem Bogel- und Falkenhof in Preobragfhenst gebildet hatte. Cine andere folde Gompagnie lag In dem nahen Dorfe Sſemenowsk. Daher das für menowſche Garderegiment. '

2) Diefer Schwarg war aus Sachſen gebürtia, hatte als Mufl- kus in den Dienften der Prinzeffin Elifabeth geftanden, dann eine Karawane nah China begleitet und war darauf bei dem geographi⸗ fhen Departement der Akademie mit einer Fleinen Penflon angeftellt worden.

3) Daß er in der ganzen Armee preußifhe Uniformen und na= mentlih das preußifhe Blau, ftatt des ruffifgen Grün, eingeführt dtt A af ungegründet. Vergl. „Ruſſiſche Anekdoten 20.” &. 118 fe.

Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762. 27

Eifer für die Staatögefchäfte bereits fehr abgenommen gehabt habenz namentlich von der Beziehung des Win: terpalais an.) Tiefer greifend war aber Die Verände- rung, die er in der auswärfigen Politif herworbrachte. Rußland war mit Preußen im Krieg, aber der neue Kaifer war der eifrigfte Verehrer Des Königs von Preu- gen, und ſchickte noch am Abend des Todes der Kai—⸗ ferin Elifabeth feinen Generaladjutanten Gudowitfch mit einem eigenhandigen Schreiben an Friedrich. Bald ſchloß er nicht-nur Frieden mit Preußen, fondern auch Bündniß (5. Mai) und ftellte feine Truppen in die Reihen des zeitherigen Feindes gegen die zeifherigen Alli⸗ irten. Er ließ ſich ein preußifches Negiment verleihen und frug faft fäglich die preußifche Uniform. In allen faiferlichen Zimmern waren Bildniffe Friedrich's. Selbſt mit Geld, fo rar das in Rußland war, follte Friedrich unterflügt werden. Durch das alles machte der Kaifer fi natürlich die Gegner Preußens zu Feinden und die Vertreter derfelben waren meift einflußreicher in Ruß⸗ land und fannten den Boden viel befler, als die des preußifchen Cabinets, deflen Stärke die Diplomatie nie: mald geweſen ift, und unter Friedrih am weniaften '). Auch Durch farkaftifche Aeußerungen erbitterte er, und die Sefandten Defterreichd und Frankreich, Graf Mercy und Baron Breteuil, vergalten ihm Gleiches mit Gleichem. Am Erbittertiten ſprach fi) Peter aber gegen Sachſen und den Grafen Brühl aus. Um fo weniger fand der ſächſiſche Ge- - Ihäftsträger, Legationsrath Praſſe, mit feinen Anträgen, Leipzig zum Sit eined Friedenscongrefjes zu wählen, Sad): fen in den Waffenftiliftand einzufchließen ꝛc., Gehör.

1) Zür die Perſon des Kaiferd war übrigens die Wahl des preu⸗ ßiſchen Geſandten, Zreiherrn v. d. Golz, ganz gut berechnet. 2%

28 Die ruffifhe Thronrevolution von 1762.

Peter's Hauptgedanfe war, fih und fein Haus an Dänemark zu rächen. Ein um fo unverftändigerer Krieg, da ihm fein neuer Verbündeter, Preußen, nicht beiftehen wollte, noch wollen konnte. In der That aber beftimmte Peter ein Corps von 40,000 Mann zum Zuge gegen Dänemark und wollte ſich felbft an deflen Spiße ftellen. Der Tag, den er zu feiner Abreije zur Armee angeſett hatte, wurde ſein Todestag!

Einen noch weiteren Plan für allgemeine Arrange⸗ ments in Deutſchland, der manches Gute, aber auch manches Unausführbare enthielt, hatte der Staatsrath Wolkow, nach Peter's allgemeinen Andeutungen, entwor⸗ fen und Friedrich, wol in der ſichern Erwartung, es

werde nichts daraus werden, gebilligt. Peter theilte ſich

darin das ganze Schleswig, und nach dem (erſt 15 Jahre ſpäter erfolgten) Tode des Kurfürſten Max Jo— ſeph Baiern zu, womit er den Katholiken in Deutſch⸗ land das Gegengewicht halten wollte. Preußen ſollte das polniſche Preußen erhalten, aber von Schlefien Glatz und Croſſen, ſowie, wenn der Herzog von Med: fenburg- Schwerin erblos fterben follte '), ganz Schlefien gegen Medlenburg abtreten. Schlefien follte in diefen Falle an Defterreich zurückkommen. Bon Sachen follte Polen getrennt werden, Sachſen aber die preußifchen Enclaven in der Niederlaufig, ſowie Croffen, Mansfeld und eine neue Stinme auf dem Reichstag, auch für

. den Prinzen Clemens die Exſpectanz auf das zunächft

d

erledigte geiſtliche Kurfürſtenthum erhalten’). König

1) Der Herzog Friedrich (geb. 9. November 1717) iſt in der That ohne Kinder verftorben, wenn aud erſt am 24. April 1788, wo fein Neffe, der nachherige Großherzog Zriedrid Franz, ihm folgte.

2) Er wurde in der That 1768 Kurfürft von Trier.

Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762. 29

von Polen follte Prinz Heinrich von Preußen werden‘), ein Theil aber an Preußen, ein Stüd von Litthauen an Kurland fallen. Stürbe Heinrih, wie zu erwarten war, erblos, jo fam ganz Polen an Preußen. Kurland folte ein Großherzogthum für den Prinzen Georg Lud⸗ wig von Holftein werden. Dänemark follte für Schles⸗ wig duch Oſtfriesland entſchädigt, Osnabrück fäculari: firt und, fowie Bremen und Verden, mit Hannover vereinigt werden. Für Ferdinand von Braunfchweig ward ein Herzogthum Hildesheim beftimmt. Die med- Ienburgifchen Prinzen waren am Rheine zu entfchädigen.

Diefer Plan wäre auch ohne die Thronrevolution ſchwer⸗ ich in volftändige Ausführung gefommen, aber man- her auf Einzelned davon hindeufende Schritt würde ftattgefunden haben, wenn nicht die Thronrevolufion von 1762 dem ganzen Wirken Peter’ ein Ende ge: macht hätte. Ueber diefe Revolution wollen wir nun im Folgenden das Eingangs erwähnte Memoire in deut: fcher Webertragung mittheilen und mit den Bemerkungen begleiten, welche abweichende Berichte an die Hand geben, oder die fich fonft zur Milderung des Einflufjeg, welchen Graf Panin fichtbar auf die Anfchauungen jenes Memoired gehabt bat, empfehlen.

Die Unzufriedenheit gegen Peter III. war allgemein. Man beweinte die Kaiferin Elifabeth, bevor fie verfchied; man beweinte fie nad) ihrem Tode fo ehr, daß, wenn man fich auch nur anblidte, die Thränen aller Welt aus den Augen rollten.

Diefe Prinzeffin hatte von Natur viel Geifl, der aber fo wenig ausgebildet worden war, daß fie jelbft

1) Merkwürdig dabei, melden wichtigen Antbeil diefer Prinz fpäterbin an der Theilung von Polen hatte.

30 Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762.

unter den Frauen für unwiſſend galt. Sie beſaß viel religiöſen Sinn, Redlichkeit und Humanität. Sie wollte das Beſte aller Welt. Sie that ſoviel Gutes, als ihre Indolenz und der geringe Antheil, den ihre Günſtlinge ſie an den Geſchäften nehmen ließen, ihr verſtatteten. Sie war in Folge davon geliebt, und es war nicht zu verwundern, Daß dad Publicum, das in Peter II. einen Menichen ohne Sitten), der, wenn auch nicht aus Neigung, aber weil er glaubte, ein Soldat müfle hart fein, inhuman?) war, einen Poltron, verdrehten Kopf, Lügner, Schwelger erfannte, mit Kummer eine Fürftin von Eliſabeth's Güte fterben und einen Fürften auf ihren Thron fleigen fah, der fo wenig würdig war, den: felben zu befteigen, wie Peter III).

Die Unzufriedenheit gegen ihn wuchs von Zage zu Zage. Er mishandelte thatlich und wörtlich Leute, die ed am wenigften verdienten. Er fagte öffentlich, daß Die und Die (Leute, die im Cabinet der Elifabeth an: geftellt geweien) ihm geholfen hätten, den König von Preußen von den geheimften Vorgängen in Kenntniß zu fegen, während jene niemals daran gedacht hatten, ſich eines ſolchen Verraths fchuldig zu machen‘) und die er-

1) Es ift etwas eigen, Peter gerade in dicfer Beziehung der Eli- fabeth entgegengeftellt zu fehben. Und wenn man fih nun vollends an die Gelage Peter’s I. erinnert!

2) Er mag aud dem angegebenen Grunde etwas Barſches in den Formen angenommen haben. Inhuman war er nit, wie feine Ges fege, fein Berfabren gegen frühere Gegner, fein wahrhaft theilnehs mendes Berhalten gegen den unglüdliden Iwan und deffen Zamilie beweifen. Verſchiedene Beiden fpreden dafür, daß er für weiche Nührungen empfänglid war.

3) Die oben angeführten „Ruſſiſchen Anekdoten““, welde von einem nüdternen Beobadter berzurühren ſcheinen, ftellen den erften Eindrud des Regierungswechſels anders dar.

4) Daß fie es fpäter abgeleugnet, wäre viel erflärlicher, als eine

Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762, 3

gebenften Anhänger des entgegengeſetzten Syſtems waren. Er machte fi) auch an den Grafen Panin'), damals Oberhofmeifter des jungen Großfürften, nachherigen Kaifers Paul”), und zwar in folgender Art. Kaum 24 Stunden vor dem Tode Elifabeth’s, die bereits ohne Bewußtſein im Zodesfampfe Tag, traf fih Peter an der Seite ihred Bettes mit ihrem Leibarzt und mit Herrn von Panin, der fi) den Zutritt zu ihr vorbehalten hatte. Peter fagte zu dem Arzte: „wenn diefe gufe Fürſtin nur die Augen geichloffen bat, fo follen Sie ſehen, wie ich die Danen heimfchicden werde; ich werde dem Herrn von St. Germain ’) feinen Mann ftellen; er wird mir den Krieg auf franzöfifhe Art und ich werde ihn ihm auf preußifche Art machen” u. f. w. Nachdem er dieſe an den Arzt gerichtete Rede beendet, wendete ee fich zu Heren v. Panin und fagte ihm: „was denkſt du von dem, was ich eben geſagt habe?” Herr von Panin erwiderte: „Monfeigneur, ich habe nicht verftan- den, wovon die Rede war; ich war in Gedanken verlo- ren, die mir der befrübende Zuftand der Kaiferin ein- flößte.” „O! DI, warte ein wenig”, verſetzte Peter, auf die flerbende Kaiferin zeigend; „bald werde ich Dir die Ohren aufmachen, um dich befler hören zu lehren.”

Deter ermüdete und plagte den Soldaten. An jedem Grercirtage fah man Soldaten vor Schwäche umfallen

fo ganz zwedlofe Lüge von Seiten Peter’5 fein würde, Unbefonnen aber wäre feine Plauderei unter allen Umftänden gewejen.

1) Ueber ihn fiebe am Scluſſe diefes Auffages Näheres.

2) Ueber diejen fagte Peter: „Es fol fhon ein guter Junge aus ihm werden. Er mag fürd erfte noch unter feiner alten Aufs fit bleiben; bald aber werde ich eine andere Einrihtung für ihn machen und für feine beffere militairifhe Erziehung ſorgen, anftatt der bisherigen weibiſchen.“

3) Der damals an der Spige des däniſchen Kriegsweſens ftand.

32 Die ruffifhe Thronrevolution von 1762.

und hörte Peter fagen: „Ichaffe man fie fort und bringe Andere an ihre Stelle.”

Seine Günftlinge waren Thoren oder VBerräther '). Er ergab ſich mit ihnen der fehwelgerifchften Ausfchwei- fung im Punkte des Trinfend. Seine Maitrefle, Fräu⸗ lein von Woronzow, war häßlich, dumm, langweilig, unangenehm ?). Peter glaubte, ed gehöre zum guten Zon, eine Maitreffe zu haben. Er ſprach nur deutich und wollte, daB ale Welt diefe Sprache verftehen folte ). Ruſſiſch ſprach "er nur felten und immer ſchlecht. Er wollte alles ändern, alled umgießen. Wie. Mein auch Holftein im Vergleich zu dem weiten ruffi- ſchen Reiche ift, ihm erfchien ed größer, reicher, feiner Anhänglichfeit würdiger. Wer daher nicht ebenfo ge funfen war, wie Peter, entfernte fih von ihm; Niemand war mit dieſem Prinzen zufrieden; er war faum Souve rain geworden, ald man einen Anderen wünfchte Die Unzufriedenheit hatte vorzüglich die Soldaten ergriffen. Die Sarden fprachen laut gegen ihn. Herr von Panin war einige Wochen vor der Revolution genöthigt, zu

1) Das obige Verzeichniß beftätigt dies nicht. _

2, Sie erhielt gleih bei Peter's Negierungsantritt den Titel Kammerfräulein. Sie wohnte im Faiferlihen Palafte, und damit fie es mit Anftand (!) Fönne, beftürmte der Kaifer feine Gemahlin, ihren Einzug in denfelben zu bef&leunigen. Die Kaiferin that ed, unges achtet fie Frank war und durch den Ueberzug aus Orlow's Nähe Fam. Die Kaiferin und ihre Partei nannten übrigens dad Kammerfräulein nur die dide Gräfin. Ihr Einfluß auf Peter war fehr groß; doch bat fie ihn nicht eben zu ihrer Berciherung benugt und nur ein un bedeutendes Landgut, einige Diamanten und (für kurze Zeit) das Schepelow’fhe Haus neben dem Winterpalais davongetragen. Sie fon fanfter und anfprudslofer Gemüthsart gemefen fein.

3) Er gab nur der deutfhen Sprade die Stelle, die vorher die franzöfifcye eingenommen. Eine Berordnung, daß alle Eingaben nur in ruffifger oder deutſcher Sprache gefaßt werden follten, erregte großes Misfallen bei den Zranzofen.

Die ruffifhe Thronrevolution von 1762. 33

hnen zu fprechen und ihnen eine Aenderung zuzufagen, damit fie nur nicht fchon damals ihrer Erbitterung den Zügel fchießen Tießen.

Mochte nun Peter diefe Stimmung kennen, oder nicht, er fuhr in feinen Verfahren unverändert fort, und dies ließ Hrn. von Panin vier Wochen vor der Revolution den Gedanken fallen, die Krone, ohne Blut- vergießen und ohne das Unglück vieler Menſchen, auf ein anderes Haupf übergehen zu machen.

Bei näherer Erwägung dieſes Plans fühlte cr die NRothwendigkeit, zwei Perfonen dabei zu betheiligen, nämlich den Hetman Grafen NRafumomwsly ') und den General Fürften Wolkonsky. Der Erftere war be- fandig um Peter, Chef eines Garderegiments und ein entfchloffener Mann. Der Andere hatte Anfehen in der Armee, war brav und Flug.

Herr von Panin wollte den Streich ausführen, wenn Peter zur Stadt Fame, um dem Abmarſch der Sarden beizumohnen, die aus Peteröburg audrüden folten, um zur Armee zu ftoßen. Die Zeit dieſes Ab- marfched war auf das Ende des Juli beftimmt. Man mußte daher den Hetman rechtzeitig von dem Plane unterrichten, Damit er Peter bei dem Gedanken, fich bei dem Ausrüden der Garden in Peteröburg einzufinden, fefthielte. Panin fürchtete, Peter möchte in jeine Feig— heit verfallen ”) und nicht erfcheinen.

——

1) Kyrilla Graf Raſumowsky, Bruder des Guͤnſtlings ter Kai— ferin Elifabeth.

2) Peter bat, nad allen andern Zengniffen, wenn aud phyſi⸗ (her Muth allerdings nicht feine Stärke gewefen zu fein fheint, doch in Betreff feiner Hauptgefahr nicht zu viel, fondern zu wenig Furcht gezeigt. Umfonft warnte ihn Friedrich I. Er antwortete ihm mit der fefteften Zuverfiht auf feine Sicherheit: die Soldaten nennten ihn Baterz er gehe allein in den Straßen von St. Petersburg um⸗

ur

34 Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762,

Am Mittwoch alfo (7. Juli), zwei Tage vor der Revolution, eröffnete er fi) dem Hetman und dem Für- ften Wolkonsky '); beide fchloflen fih an und die Aus- führung des gefaßten Planed wurde auf. die Zeit des Ausrücdend der Garden verfchoben. Vier Gardehaupt- leute waren ſchon im Geheimniß; ja ſogar die vier von ihnen befehligten Compagnien waren es. Es waren daß die felben Soldaten, die fi) einige. Wochen vorher lauf gegen Peter ausgefprochen hatten. Einer von Diefen Haupfleuten, Paſſek“)), wurde auf Peter’d Befehl am

ber; er thue Gutes und verlaffe fih auf die Obhut Gottes. Der DObrift von Budberg war durch einen Verſchworenen fondirt worden und unterrichtete den Kaiſer davon, der aber nur über feine Leicht: gläubigfeit lächelte und ihm verfiderte, es fei an Peine Verſchwoͤrung zu denken. Erſt ganz zulegt, als die Anzeigen fih häuften, fand ih der Kaifer veranlaßt, den Orlows feinen Adjutanten Perfiliow als Kundſchafter zuzufhiden. Aber Perfiliom ward durchſchaut und feine Neigung zu Zröhligfeit und Spiel benugt, ihn und durd ihn den Kaifer in völlige Sicherheit einzumiegen.

1) Xeltere Theilnehmer der Berfhwödrung waren hauptfählid: die Kaiferin, die Zäürftin Daſchkow, Panin, die vier Gebrüder Or low (Gregor, Iwan, Alexander und Fedor), der Piemontefe Dpart, (geheimer Secretair der Kaiferin, welder hauptfählih aus Geldgier gehandelt haben fol, fpäter nah Nizza ging und 1772 oder 1773 vom Blitze erſchlagen worden fein fol), ein unterer Hofbeamter Teplow, Iwan Schumalom (ber letzte Günftling Eliſabeth's, mel hen Peter fehr gütig behandelte), der Artilerichauptmann Bibikow, der Hauptmann Paſſek, der Generalprocurator Glebow (diefer aller: dings ein Berräther aud der Umgebung Peter’), der Obrift Alſu⸗ fiew, der das Negiment des Prinzen von Holftein befehligte, v. Reh⸗ binder, welder Budberg fondirte u. A. Der franzöfifhe Geſandte unterftügte die Sache mit Geld, reifte aber am 25. Juni nad Wars fhau ab. Die Verſchworenen trafen ſich meift des Rachts auf der grünen Brücke.

2) Er hatte ſich wiederholt erboten, den Kaiſer zu ermorden. Am 7. Zuli hatte er im Rauſche von der Revolution geſprochen und war durch einen von ihm gezüchtigten Soldaten angegeben worden. Gleichzeitig kam eine verwandte Anzeige von dem Sardehauptmann Ismailow ein. Darauf verfügte der Kaifer die Berbaftung Paſſek's, verfhob aber die Unterfuhung bis nah dem Peter »Pauldfchte.

Die ruſſiſche Ipronrevolution von 1762. 35

Abend des Donnerstags, alfo den Zag nachdem Panin fi Raſumowsky und Wolkonsky eröffnet hatte, verhaf: tet. Panin ward durch Gregor Drlow'), der in dem: felben Garderegimente Offizier war, davon unterrichtet, als er fich eben bei der Zürftin Dafchlow ?) befand, und Drlow felbft beftätigte ihm noch an demſelben Abend das Factum, mit der Bemerkung, daB Jener wegen des Murrensd, das ed unter den Soldaten feiner Compagnie gegeben habe, verhaftet worden fei. Die Beflürzung war groß; das Geheimniß fchien verrathen, oder im Begriffe, es zu werden, fobald man Paflek der Zortur unterwarf. Man mußte demnach die Sache beichleunigen, oder: ſich den größten Gefahren ausſetzen.

Herr von Panin hatte eine ſechsſpännige Miethfutiche nach Peterhof, wo die Kaiferin war, abgehen laffen, weil ihre Abfahrt von da, wenn fie in einer Hofequt- page erfolgte, zu viel Aufiehen gemacht hätte Er’)

Paſſek erhielt noch im legten Negicrungsjahre Katharinens das Blaue Band.

DD Gregor Zürft Orlow, Enkel eines Strelisen, Sohn eines Generals, geb. 1734, Günſtling Katharinens nah Poniatowsky's Abreiſe, 1762 Seneralfeldgeugmeifter und Graf, 1772 durd Kaifer Joſeph U. deutſcher Neihöfürft, nur durch Panin und Tſchernitſchew verhindert, Gemahl Katharinens zu werden, 1771 von der Kaiferin entfernt, 1772 verfehnt, fpäter durch Potemkin verprängt, + im April 1783 im Wahnfinn,

7) Katharina Nomanowna, geborene Gräfin Woronzom, gib. 1744, ſchon im 18. Jahre Witwe von einem Gemahl, den fie wider feinen Willen gefreit und nie mit ihm gelebt haben fol, geiftvoll und ehrgeizig, ein Mannmweib, bald von der Kaiferin entfernt und län« gere Zeit auf Reifen, 1782 an die Spige der Akademie der Wiſſen⸗ ſchaften geftelt, + zu Mosfau 1810. .

3) Andere Berichte laffen Panin Alles auf ven nädhften Tag vers fhieben wollen, während die Daſchkow das augenblidlihe Los⸗ bredgen verlangt und durchgeſetzt babe. Inne bringt unfer Me: moire weiterhin Umftände, aus denen diefe Berfion entflanden fein mag.

36 Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762.

ließ den Gardeoffizier Alerander Drlow ’), der auch in das Geheimniß eingeweiht war, kommen und hieß ihn, die vier für Katharina gewonnenen Capitaine feines Re gimentsd anweifen, fih für den nächften Morgen mit ihren Xeuten bereit zu halten, falld es Lärm gäbe. Nach Beforgung diefed Geſchäfts eilte er fo fchnell als mög- ih nach Peterhof, um die Kaiferin von dem, was Paſſek begegnet war, zu unterrichten und ihr zu fagen, daß fie fogleih von Peterhof in der Carroſſe, die ihre KRammerfrau und Vertraute, Madame Zfehudin, ihr ge ſchickt, abreifen fole. Bei ihrer Ankunft folle fie ſich in die Kafernen jened Garderegiments begeben, um dei: fen Zreufhwur zu empfangen. Bon da folle fie zu demfelben Zwecke in die Kaferne der Negimenter Js⸗ mailoff, Preobragichensfoy und Sſemenowskoy geben und an der Spige diefer vier Negimenter folle fie an das neue Schloß rüden, vorher aber bei der SKafanfchen Kirche anhalten, um den Großfürften zu erwarten, den Herr v. Panin dorthin bringen werde, fobald er ihre Anfunft und ihre Anerkennung von Seiten der Gar den erfahren.

Gleichzeitig ließ er Raſumowsky und Wolkonsky von dem Vorgehenden unterrichten und zog fich endlich won der Fürftin Daſchkow zu dem Großfürften in das Som- merpalaid zurüd. Er legte ſich fogar in fein Bett an der Seite des Prinzen nieder, um der Dienerfchaft kei⸗ nen Verdacht zu geben, zumal Herr von Panin ſtets einen Flügeladjutanten des Kaiferd bei fih hatte, der ihn ohne Zweifel beobachten follte ?). Er befahl aber feinem

1) Alexander Orlow, 1768 Generaladmiral, 1770 Sieger bei Tſchesme, + zu Moskau 1809.

2) Daß er das nicht. zu Panin's Rachtheil gethan, wird dadurch wahrſcheinlich, daß er fpäter bei dem Großfürften angeftellt wurde.

Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762. 37

Kammerdiener, ihn zu weden, fobald ihn Iemand zu ſprechen wünſche. Nach feiner Berechnung mußte Aler- ander Orlow um 4 Uhr in Peterhof eingetroffen fein md Die Kaiferin nad 5 uhr Morgens in St. Peters⸗ burg ankommen.

Alle Augenblicke waren koſtbar und alle waren be⸗ rechnet. Herr v. Panin hatte ſich zwar niedergelegt, als wenn nichts vor wäre, war aber voll Unruhe; jeder Augenblick mußte entſcheiden, ob man zum Ziele kam, oder in das äußerſte Unglück ſtürzte. Es ſchlug 5 Uhr und er hatte noch keine Nachricht, und es ſchlug 6, als es ihm noch daran fehlte. Alexander Orlow hatte den Muth verloren; ſtatt ſofort nach Peterhof abzureiſen, kam er noch um 4 Uhr des Morgens zur Fürſtin Daſch⸗ kow, um zu fragen, ob man etwa ſeine Entſchließung geändert habe, und reiſte erſt ab, als dieſe Dame ihm ſagte, er ſolle ſich augenblicklich auf den Weg machen, um die Kaiſerin zu benachrichtigen.

Ihre Majeſtät kam nach 6 Uhr in die Stadt '), be folgte die Richtſchnur, die ihr Herr von Panin angegeben, empfing den Eid der Treue von den Garden’) und fand fi gegen 8 Uhr Morgens bei der Kafanfchen Kirche, von vier ganz bewaffneten, aber kaum halb gefleideten Regimentern gefolgt ?). Herr von Panin brachte den Groß⸗ fürften in einer Carroſſe, die man auf der Straße ge

1) Bei ihr mar ihre Kammerfrau Katharina Iwanowna Tſchere⸗ kowsky und hintenauf ftand der Kammerbediente und nachherige Ges heimerath Schkurin. Orlow machte den Kutſcher und Bibikow ritt nebenher.

H Sie hatte fie ſchon früher zu gewinnen gefucht und haran⸗ guirte fie jegt. Die Negimentöpopen halfen auch mit und bald cilten die Verſchworenen herbei.

3) Sie hatten die Montirungen Peter’s aus Wuth zerriffen. Untermegd ward Paſſek befreit.

38 Die ruſſiſche Thronrevolntion von 1762.

funden hatte, dahin, und Ihre Majeftät begab fih nun in das neue Palais. Man fchrieb dort das erfte Mani: feft; man verfammelte um diefed Palais die vier Regi⸗ menter und man ließ fie nun den fürmlichen Eid able: gen. Hierauf ließ die Kaiferin die Synode und den Senat in dem hölzernen Palais ') verfammeln, wohin fie fi) mit dem Großfürften begab und in defien Ka pelle der Senat, die Synode und alle anweienden Gro⸗ Ben ihr huldigten.

Nach WVerrichtung dieſer Ceremonie traf man die nöthigen Anordnungen, un die Revolution ficher zu ſtellen. Dan fchiefte Poften auf die Wege, Die nad St. Peteröburg führen. Man benachrichtigte und ge wann den Gouverneur von Narwa. Man verftärkte die Garniſon dieſes Platzes mit einem der vier Feldregimen: ter, die in der Nähe der Stadt auf dem Marfche waren, um zur Armee zu rüden. Man ließ diefe NRegimenter ſchwören; man lud alle Großen in das hölzerne Palais; man nahm ihnen den Eid ab; man ernannte fie zu Se natoren ?); man hielt fie fortwährend, unter dem Vor⸗ wande, Daß fie die zu erlaffenden Publicationen und . Anordnungen unterzeichnen müßten, in diefem Palais; man gab ihnen Herrn von Nepluyef zum Chef; man brachte den Großfürften neben den Zimmer unter, wo der Senat und die Großen verfammelt waren; aber ed war ſchon fpat, ald man daran dachte, daB man fid) Kronftadts verfichern müfle, welchen Platz Peter zum Zufluchtsort wählen konnte und auch in der That wählte.

1) Ein Fleines, altes Gebäude, das auf denfelben Platz ſah, auf weldem eben das Winterpalais erbaut worden, dad aber von allen vier Sciten bewacht werden konnte.

2) Daher die große Zahl der Mitglieder, die fi fpäter in dem Senate befanden.

Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762. 39

Man ſchickte gegen Nachmittag den Admiral Talyzin bin, um fich, unter dem Vorwande, daß er in Auftrag der Admiralität komme, dieſes Plabes zu bemächtigen. Er ſchickte feinen Wojutanten voraus, der im Augen: blid feiner Landung zu dem General Divierd geführt wurde, welchen Peter III. in derfelben Abficht, aus wel- her die Kaiferin Zalyzin abgefendet, nad) Kronftadt gefchickt hatte. Divierd ließ dieſen Adjutanten kommen und fragte ihn, in welcher Abficht er käme, aus wel: chem Grunde fein Admiral Eommen werde, was in Pe: tersburg vorginge, ob ed dort eine Emeute gebe ıc. Die zuverfichtliche Miene des Offiziers täufchte ihn. Er glaubte, Daß bei deflen Abreife aus St. Peteröburg alles noch ruhig geweien fei, und daß diefer Offizier, ebenfo wie fein Admiral, von nichtd wüßte; indeß ließ er ihn verhaften. Zalyzin Fam in ein paar Stunden darauf in einer Schaluppes er landete im Hafen, wo, dem Ge: braudy gemäß, der Hafencommandant und die Matro- fen fich eingefunden hatten, um ihm die Honneurs zu machen. Er erfuhr fogleih die Ankunft des General Divierd und was mit feinem Adjutanten vorgegangen war, und während er fi) mit dem Commandanten (Nummers) darüber unterhielt, fah er Divierd von wei: tem auf ihn zufommen. Er hatte dafielbe Schickfal zu befürchten, das fein Adjutant erfahren hatte, wenn er feine Partie nicht auf der Stelle ergriff. Er that es, zeigte dem Commandanten die Ordre der Kaiferin, und befahl ihm in deren Namen, Divierd in dem Augen- blide, wo er bei ihnen fein würde, zu verhaften. Die Sache ging ohne Widerftand ab; die Garnifon erfannte Katharinen an, und als endlih um 2 Uhr des Nachts Peter fich in einer Ruderſchaluppe vor Kronftadt zeigte, erhielt er das Kompliment, daß man feinen andern Sou⸗

40 Die ruffiiche Thronrevolution won 1762.

verain kenne, ald die Kaiferin, und daB man Feuer auf die Schaluppe geben werde, wenn fie fih nicht fofort entferne.

Maährend dies in Kronftadt vorging, ſchickte Peter ') den Kanzler Grafen Woronzow mit dem Befehl nad St. Peteröburg, der Kaiferin fein Erftaunen über das Vorgehende zu bezeigen, und fie zu fich felbft und zu dem Gehorfam gegen den Kaifer zurüdzuführen. Der Kanzler fand den Platz vor dem Schloffe von Truppen erfüllt, welche Katharinen bereitd anerkannt hatten. Er entledigte fich feines Auftrages würdig und gut, erhielt aber abjchlägige Antwort. Man wollte ihm nicht erfau: ben, nach Peterhof zurüdzußehren, und er verlangte und erhielt Erlaubniß, an Peter zu fchreiben, um ihm von dem geringen Erfolge feines Auftrages Nechenfhaft zu geben. Er zeigte feinen Brief, welcher guf gefchrieben war und mit den Worten ſchloß: dag, nachdem er der- geftalt feiner Pflicht gegen feinen Gebieter Genüge ge: leiftet,, er fih dem Willen des Volkes ergebe, indem er der Souverainin huldige, die fih thatfächlich auf dem ruſſiſchen Throne befinde.

Erft nad Erpedirung dieſes Schreibend ging der Straf Woronzow in die Kapelle, um Katharinen Treue

1) Die erfte Nachricht von den Vorgängen in Petersburg fendete ihm der Staatsrath Breffan, in einigen franzöfifhen Zeilen, mit denen er einen als finnifher Bauer verfleideten Bedienten abſchickte. Shen vor dem Empfang diefes Billets hatte die Nachricht, daß Pie Kaijerin vermißt werde, Verdacht ermedt. Außer Worongom gingen auch Trubegfoy und Schuwalow nah St. Petersburg, um nidt wiederzufehren. Für Breſſan hatte die Sache fpäter Feine nachthei⸗ ligen Zolgen, als dic Entziehung eines Ordens. Schumalow erhielt von Katharinen die Weilung, St. Petersburg zu verlaffen, und den alten, mürrifhen Mohren des Kaifers Peter II. zum Geſchenk. Breſſan ftammte aus Monaco und war als Frijeur nad &t. Peters⸗ burg gefommen, durch Peter aber zu Ehren und Wuͤrden befoͤrdert worden.

Die ruffifche Thronrenolution von 1762. al

zu ſchwören. Alles ging gut; aber man mußte ſich der Derfon Peter's verfihern. Es fchien zu gefährlich, ihn in Freiheit zu laſſen; er hatte taufend Mittel zum Ent- fommen und jeder andere Menſch, der nicht fo ſchwach gewefen wäre, wie er, würde fich derfelben bedient haben.

Alle diefe Anordnungen befchäftigten die Kaiferin den Freitag und den Sonnabendmorgen. Endlih am Nach⸗ mittag des Sonnabends ftelte fie ſich an die Spike aller der Zruppen, von denen fie ſich hatte anerkennen laflen und zu denen unterweges die NRegimenter fließen, die auf Befehl des Kaiferd auf dem Marfch waren, und verließ St. Peteröburg, um nach Peterhof zu gehen. Herr von Panin follte fie begleiten. Dan ließ daher den Sroßfürften in den Händen ded Senats und fpeciell in denen Des Hrn. von Nepluyef, und befahl ihm, alle halbe Stunden einen Courier nach Peterhof abgehen zu laſſen, um alles, was in der Hauptfladt vorging, anzuzeigen. Jeder Senator war genöthigt, diefen Bericht zu unter: zeichnen. Dadurch hielt man fie beiſammen und bethei⸗ ligte Jeden befonderd bei der Sache SKatharinens.

Auf der Straße von St. Petersburg nach Peterhof traf man oft bolfteinifche Hufaren '), welche Peter aus: gefendet hatte, um den Marſch der Kaiferin, von dem er Nachricht erhalten, zu recognofeiren. Man nahm fie alle gefangen und verficherte ſich zugleich aller Perfonen, die bei Peter gewelen waren?) und die ihn während der Nacht auf feiner Reife nad) Kronftadt verlaflen hatten.

1) Die holfteinifhen Offiziere in Petersburg hatten natürlih den Eid verweigert. Prinz Georg Ludwig von Holftein hatte zum Kai⸗ fer eilen wollen, ward aber verhaftet. Treu blicben noch der Flü⸗ geladiutant Naifer, der Generalmajor v. Tott, der Obrift v. Bud⸗ berg und die Gardecapitains Schepelow und Woyckow. Alle blichen bis zum Austrag der Sade in Haft.

3) Es war eine glänzende Gefellfhaft beim Kaifer geweſen, bes

42 Die ruffifche Thronrevolution von 1762,

Unter ihnen befand fich der Wicefanzler Fürſt Gali- zin, der von Peter mit einem Briefe abgeichicdt war, worin er ſich der Kaiferin Katharina unterwarf (?), und der im offenen Lager den Eid des Gehorſams an Ka- tharina ') ablegte. Auf der Hälfte diefed Weges, auf weldhem man mehrmals hatte Halt machen müflen, um den Truppen einige Raft zu gönnen, brachte ein Cou⸗ rier von Peter Katharinen die Nachricht, daB er nad Kronftadt gegangen fi. Man wußte noch nichts von dem Stande der Unternehmung Zalyzin’s, fürchtete aber, Daß Peter, wenn er Kronftadt verfchloffen gefunden, auf den Gedanken kommen möchte, zu Wafler nah Et. Peteröburg zu geben, um fih dem Wolfe zu zeigen. Diefer Verdacht führte zu dem Entichluß, daß Herr von Panin, von einer Escorte von 24 berittenen Garden begleitet, zu Pferde in die Hauptftadt zurückkehren und dabei den linken Ufer der Newa folgen möge, um jedes vorbeifommende Zahrzeug zu beobachten. Er bemerkte eined nicht fern von der Stadt, das fich immer am entgegengefegten Ufer hielt. Man ließ ihm zurufen, daß es fich dem andern Ufer nähern möge. Ein Mann, der das Anjehen eines Offizierd hatte, erhob fih und antwortete, DaB er ed nicht wage, beranzufommen. fonderd an vornehmen Damen zablreihd. Am 7. Zuli war au die Kaiferin in Dranienbaum und wurde mit großen Ehrenbezeigungen empfangen. Am 8. Juli faben ſich Kaifer und Kaiſerin zum legten Male, in Goftiliz, bei einem Zefte, was der Generalfeldmarfchall en Raſumowsky gab. Diefen ließ Peter hierauf als Geis " 1) Katharina trug die Uniform der Garde zu Zuß, und zwar die des Grafen Strogonow, den Andreadorden, auf dem Hut einen Eichenzweig, die Haare fliegend, mit einer einfahen Schleife, und ritt einen weißgrauen Tigerhengſt. So ließ fie fih aud malen. Unter ihr commanpirten Wolkonsky und Billebois. Neben ihr ritten

der Hetman Raſumowsky und Iwan Schumalsw. Sie hatte 15,000 Mann und die Daſchkow.

Die ruſſiſche Thronrevolution non 1762. 43

Das vermehrte den Verdacht; aber als diefer Dann fich etwas deutlicher gezeigt hatte, bemerkte man, daß es der Adjutant Zalyzin’d war, der die Nachricht brachte, Pe ter habe in jenen Platz (Krenftadt) einzuziehen verfucht, fei aber nicht angenonmen und fein General Diviers fei gefangen genommen worden.

Herr von Panin ging nichtödefloweniger in die Stadt (St. Peteröburg), wo alles ruhig war. Katharina war inzwifchen in Peterhof angelangt, von wo der Brief, den Peter durch den Vicefanzler Galizin geſchickt hatte '), beantwortet ward. Katharina verlangte von ihm eine eigenhändige fürmliche Entfagungsurfunde, deren Faſſung fie ihm vorfchrieb. Peter fchrieb alles mit eigener Hand und wurde mit feiner Maitreſſe Woronzow und zwei andern Serfonen ?) in einer Garroffe von Dranienbaum nach Peterhof gefchafft.

Herr von Panin kam noch vor Peter dafelbft wie⸗ der an. Der Soldat war fo aufgebracht gegen den Kaifer und die Maitreffe, dag Herr von Panin felbft 300 Mann einzeln auswählen mußte, um ein Quarre an dem Pavillon zu bilden, an welchem Peter ausfteigen

1) In diefem Schreiben bot er der Kaiferin Theilung der Ges walt an. Muͤnnich und Gudowitſch tadelten ihn entjchieden, da jegt nichts mehr dadurch zu gewinnen fei. Da nicht fofort eine Antwort erfolgte, fo ſchrieb er einen dritten Brief, worin er nur um eine Penfion und freien Abzug nad Holftein bat. Diefen Überfhidte er durch Michagel Ismailow, der darauf gewonnen ward, ihn zu den Schritten zu überreden, die die Partei der Kaiferin wünſchte. Pe⸗ ter hatte inzwifhen eine vollftändige Entwaffnung vorgenommen, während Muͤnnich ibm rieth, wenigſtens ald Kaifer zu fterben, wenn er nit als Kaifer zu leben wife. Mit Ismailow gingen Galizin und Gregor Drlow nad Dranienbaum. Jsmailow brachte ihn halb tur Berfprehungen, halb durch Drohungen zur Unterzeichnung der Abdankungsurkunde.

2) Gudowitſch und Ismailow. Unter den Gardereitern, die den Wagen ald Wache begleiteten, war auch Potemkin.

44 Die ruſſiſche Throurevolution von 1762.

folte. Es bedurfte dieſer Vorkehrung, um zu verbin- dern, daß nicht der betruntene und ermüdete Soldat . fi) an ihm vergreife ’).

Peter, der bereits der Krone entjagt hatte, verlangte als einzige Gnade, Daß man ihm die Gräfin Woronzow lafle._ Here von Panin war genöthigt, ihn in Dielen Momenten zu fehen. Er fagte mir wörtlich: „Ich rechne es zu den Unglücksfällen meines Lebens, Daß ich gend: thigt gewefen bin, ihn zu fehen. Ich fand ihn Thränen vergießend, und während Peter meine Hand zu ergreifen fuchte, um fie zu küſſen, warf ſich feine Maitreffe auf die Kniee, um die Gnade zu erbitten, bei ihm bleiben zu dürfen. Er verlangte nichts, ald das, nicht einmal, die Kaiferin zu ſehen“ ”).

Herr von Panin fuchte, ihm ſobald als möglich aus dem Geficht zu Fommen. Er verfprach ihm?) eine Ant- wort von Katharinen, ließ fie ihm aber durch Iemand anders zuftellen. Diefe Antwort war verneinend. Pe: ter wurde mit zwei Offizieren in eine Garroffe gethan, um nad Ropſcha)) gebracht zu werden.

1) Wenn der Berfaffer der Biographie Peters III. Recht hat, fo Fönnte es doch noch einen andern Grund zu dieſer Mafregel ge⸗ geben haben. Hiernach hätten namentlih die Kofafen Mitleid mit dem Kaifer gehabt, wie fie ihn als Gefangenen faben, hätten wies derholt laut gerufen: „wird er e5 leiden?’ und erft als er Teinerlei Antwort gab, binzugefegt: ‚laßt ihn gehen, er ift es nit werth!“ Als er auögeftiegen war, wurde ibm der Andreasorden abgeriffen und ihm geheißen, ſich zu entkleiven, worauf er, da nit ſogleich für andere Kleider aeforgt war, im Hemde und barfuß daftand. In feis nen Zafhen fand man einige Rollen Gold und koſtbare Juwelen.

2) Nah der angeführten Schrift hätte er von Panin allerdings eine Unterredung mit der SKaiferin verlangt; fie hätte es ihm aber abgefchlagen und nur Gnade für Gudowitſch und die Woronzow zu⸗ gefagt.

3) Nach derfelben Quelle fol er ihm nod die Ausſicht eröffnet baben, fpäter doch nad Holftein geſchickt zu werden.

4) Ein Faiferlihes Landgut in der Nähe von Petersburg.

Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762. 45

Seine Maitreffe wurde in einen Schlafmagen ge bracht, wo fie Niemand fehen fonnte, und nad Mos⸗ fau geführt. Sie ift fpater an den Brigadier Poljansfi verheirathet worden.

ge

Soweit dad Memoire. Während Die Kaiferin ſich ruhig in den vollen Beſitz der Regierungsgewalt ſetzte, war Peter auf die Gefellfchaft von aus den Freunden der Orlows gewählten Offizierd und Sergeanten der Sarde beſchränkt. Er bat um eine Bibel, eine Violine, einige Romane, feinen Mohren ') und einen Lieblings⸗ hund. Auch dies fchlug man ihm mit ſpöttiſchen Be: merfungen ab. Seinen Zod wollten zunächſt die Dr: lows, tbeild ihrer Sicherheit halber, theild weil Gregor Drlow den Plan einer Vermählung mit der Kaiferin hegte. Man fuchte auch in der Kaiferin wenigftend den Gedanken zu nähren, daß es befjer fein würde, wenn er ſtürbe. In Holftein fände er eine ruffiiche Armee, deren Stimmung man noch nicht kenne. Dort fländen ihm die Rathichläge des Königs von Preußen zur Seite. Auch ward die Stimmung im Lande, nachdem der cerfte Zaumel verflogen war, bedenflih. Dies fol auch auf Panin Eindrud gemacht haben. Ob aber das Gerücht, daß Diefer über den Ermordungsplan zu Rathe gezogen worden fei und ihn gebilligt babe, gegründet ift, laſſen wir Dahingeftellt fein ?).

1) Den fpäter Schumalew erhielt.

3) Die Behauptung des ohnedies höchſt unzuverläffigen v. Sal- dern (Biographie Peters 111.), als hätte Panin fi laut und be» ftändig dagegen erklärt, mögen wir jedoch, nad dem obigen Mer moire und den Angaben anderer Schriften, auch nicht verbürgen.

44 Die ruffifche Thronrevolution von 1162.

folte. Es bedurfte Diefer Vorkehrung, um zu verhin⸗ bern, daß nicht der betruntene und ermüdete Soldat . fih an ihm vergreife ’).

Peter, der bereitö der Krone entfagt hatte, verlangte als einzige Gnade, daß man ihm die Gräfin Woronzow laſſe. Herr von Panin war genöthigt, ihn in Diefen Momenten zu fehen. Er fagte mir wörtlich: „Ich rechne es zu den Unglüdsfällen meines Lebens, Daß ich genö- thigt gewefen bin, ihn zu ſehen. Ich fand ihn Thranen vergießend, und während Peter meine Hand zu ergreifen fuchte, um fie zu küſſen, warf fich feine Maitrefle auf die Kniee, um die Gnade zu erbitten, bei ihm bleiben zu dürfen. Er verlangte nichts, ald das, nicht einmal, die Kaiferin zu fehen‘‘ ”).

Herr von Panin fuchte, ihm ſobald als möglich aus dem Geficht zu kommen. Er verſprach ihm?) eine Ant: wort von Katharinen, ließ fie ihm aber durch Iemand anders zuftellen. Diefe Antwort war verneinend. Pe ter wurde mit zwei Offizieren in eine Carroſſe gethan, um nach Ropfcha ’) gebracht zu werden.

1) Wenn der Berfaffer der Biographie Peter’s II. Recht hat, fo Fönnte es doch noch einen andern Grund zu diefer Mafregel ges geben haben. Hiernach hätten namentlid die Kofafen Mitleid mit dem Kaifer gehabt, mie fie ihn als Gefangenen faben, hätten wie derholt laut gerufen: „wird er e5 leiden?’ und erft ale er keinerlei Antwort gab, binzugefegt: ‚laßt ihn gehen, er ift es nit werth!“ AS er auögeftiegen mar, wurde ihm der Andreasorden abgertffen und ihm geheißen, ſich zu entfleiven, worauf er, da nicht ſogleich für andere Kleider aeforgt war, im Hemde und barfuß daftand. In feis nen Zafhen fand man einige Rollen Gold und koſtbare Juwelen.

2) Nach der angeführten Schrift hätte er von Panin allerdings eine Unterredung mit der SKaiferin verlangt; fie hätte es ihm aber abgeſchlagen und nur Gnade für Gudowitſch und die Woronzom zu⸗ gefagt.

3) Nach derfelben Quelle fol er ihm nod die Ausſicht eröffnet haben, fpäter doch nach Holftein gefchickt zu werden.

4) Ein Faiferliches Landgut in der Nähe von Petersburg.

Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762. 45

Seine Maitreffe wurde in einen Schlafwagen ge- bracht, wo fie Niemand fehen fonnte, und nah Mos⸗ kau geführt. Sie ift ſpäter an den Brigadier Poljanski verheirathet worden.

Soweit das Memoire. Während die Kaiferin fich ruhig in den vollen Befig der Negierungsgewalt febte, war Peter auf die Gefelfchaft von aus den Freunden der Orlows gewählten Offizierd und Sergeanten der Garde beſchränkt. Er bat um eine Bibel, eine Violine, anige Romane, feinen Mohren ') und einen Lieblings⸗ hund. Auch dies fchlug man ihm mit fpöttifchen Be: merfungen ab. Seinen Zod wollten zunächſt die Dr: lows, theils ihrer Sicherheit halber, theild weil Gregor Orlow den Plan einer Vermählung mit der Kaiferin beste. Man fuchte auch in der Kaiferin wenigftend den Gedanken zu nähren, daß es befler fein würde, wenn er ſtürbe. In Holftein fande er eine ruffifche Armee, deren Stimmung man noch nicht kenne. Dort fländen ihm die Rathfchläge des Königs von Preußen zur Seite. Auch ward die Stimmung im Lande, nachdem der cerfte Zaumel verflogen war, bedenflih. Dies fol auch auf Panin Eindrud gemacht haben. Ob aber das Gerücht, daß Diefer über den Ermordungsplan zu Rathe gezogen worden fei und ihn gebilligt habe, gegründet ift, laſſen wir dahingeſtellt fein ?).

1) Den fpäter Schuwalew erhielt.

3) Die Behauptung des ohnedies höchſt unzuverläffigen v. Sal⸗ dern (Biographie Peter's III.), als hätte Panin fi laut und be⸗ ftändig dagegen erklärt, mögen wir jedoch, nad dem obigen Mer meire und den Angaben anderer Schriften, auch nit verbürgen.

46 Die ruffifche Thronrevolution von 1762.

Peter wurde Frank und die Kaiferin ſchickte ihm fo- fort einen geſchickten deutſchen Wundarzt, Namens Lü— derd. Died muß in ehrlicher Abficht gefchehen fein, Denn man wendete fi) an einen andern Leibarzt, um fich von diefem vergiftefen Burgunder beforgen zu laflen, mit welchem Alerander Orlow am 17. Juli nah Ropfcha ritt. Ihn begleiteten Gregor Drlow, der jüngfte Fürft Borjatinsky, Teplow, der Schaufpieler Wolkow und ein Gabinetscourier. In Ropſcha wurden noch der ältere Fürft Borjatinsky, der Sergeant Engelhardt und zwei Sardefoldaten eingeweiht. Teplow und Alerander Dr: low gingen zuerft zu Peter, der unangekleidet am Zifche faß und den Plan einer Feſtung zeichnete. Sie fündig: ten ihm an, daß er bald in Freiheit gefegt werden würde, und baten um Erlaubniß, mit dem andern Dr low und dem jüngern Borjatinsky bei ihm zu fpeifen. Er bewilligte ed mit Vergnügen und verlangte felbft - Burgunder. Kaum hatte er ein Glas getrunken, als er die Vergiftung merkte und in bittere Klagen aut: brach. Er verlangte Milch, die man ihm aud) gab und die ein heftiges Erbrechen erzeugte. Die Mörder gin- gen hinaus und hielten einen Blutrath. Dann traten fie Alle herein und Alerander Orlow padte Peter am Halfe. Als diefer aber auffprang, ihm ind Geficht fragte und zu ihm fagte: „was habe ich dir gethan?“ ließ ihn Orlow los und lief in rathlofer Verwirrung umber. Endlich griff man zu, warf Peter aufd Bette und wollte ihn mit einem Kiffen erftiden. Dann warf man ihn auf einen Xehnftuhl, dann auf die Erde. Sein Geſchrei fol entfeglich geweien fein. Endlich machte der ältere Borjatindfy aus einer Serviette eine Schlinge und warf fie ihm um den Hald. Die Mörder hatten ihn unter fi, hielten ihm Hände und Füße, traten und

Die ruffifche Thronrenolntion von 1762. 47

fnieten ihm auf Bruft und Leib herum und Engel- bardt ') zog endlich die Schlinge zu! Teplom ’), der jüngere Borjatinsfy und Gregor Orlow follen bei der Srauenfcene nur Zufchauer gewelen fein. Nun rief man den Chirurgud Lüders, der ſchon vorher ins Zim⸗ mer getreten, aber von den Soldaten ’) berausgeftoßen worden war. Man fagte ihm, der Kaifer, den er todt fand, habe einen Blutſturz befommen.

Alerander Orlow ritt fogleih nah St. Peteröburg und ließ Die Kaiferin, welche Geſellſchaft bei ſich hatte, berausrufen. Sie erichrat heftig, als fie ihn fah, wor: auf er ihr in zweideufigen Ausdrüden fagte, Peter fei eined natürlichen Todes geftorben. Sie beklagte, daß dies in folcher Zeit gefchehen fei, die dem Verdacht fo viel Raum gebe, und ließ Panin rufen. Panin rieth, die Sache jegt zu ignoriren und erft den andern Tag zu veröffentlichen, worauf Katharina zur Geſellſchaft zu- rückging und ruhig die Gefchichte, in deren Erzahlung fie begriffen war, fortiegte. Am andern Zage dagegen legte fie den größten Kummer an den Zag. ALS fie die Art des Todes erfuhr, war fie unwillig über den un- bedachten Eifer, der ihr einen fo böfen Verdacht berei- tete. Man erließ ein Manifeft, worin man den Tod

1) Er ftarb als General und Gouverneur von Wiborg.

2) Er war der Berfaffer der Manifefte und ftarb als Geheime⸗ rath und Senater. Der jüngere Borjatinsky ward fpäter Gefand- ter, der Ältere Dberhofmarſchall. Gleichzeitige Gerüchte (de Flas- san, Hist. de la diplomatie francaise, V, 338) bezeichnen gerade Driow und Teplow ald Die, welde fi zuerſt auf Peter geworfen, und dann Borjatinsty und Potemkin zu Hülfe gerufen hätten. Potemkin's Theilnahme Tann aber mit ziemlicher Beftimmtheit in Ab- rede geftellt werden.

3) Die beiden Gardeſoldaten follen DOffizieröftelen und Geld er: halten haben, aber bald darauf getödtet worden fein, weil man ihre Plauderhaftigkeit fürdhtete.

48 Die ruffifche Thronrevolution von 1762.

des gewefenen Kaiferd einer Hämorrhoidalkolik zufchrieb. Ein Leibarzt mußte in einem Berichte fagen, Peter habe einen Polppen im Leibe gehabt. Es Hatte aber gar Feine Deffnung flattgefunden und der Arzt fol, ale ihm die Leiche gezeigt werden follte, ganz troden ge fagt haben: „Sch habe den Kaifer lange genug gefannt, um zu wiflen, baß er nicht länger leben konnte.“ Die Zeichen des gewaltfamen Todes waren nicht zu verken⸗ nen, und namentlich die am Halfe Fonnte man nur durch eine ungewöhnlich ſtarke Haldbinde verbergen. In der Nacht vom 18. zum 19. Juli wurde der Leichnam in das Alexander⸗Newsky-Kloſter gebracht und vom 19. an Sedermann der Zutritt geftattet. Ungeachtet Die Aus: flattung unmwürdig farg war, fand doch ein ungeheurer Zulauf des Volkes ftatt, das dem Gefchiedenen nad) ruffifcher Sitte die Hand küßte. Der alte Feldmarfchall Fürſt Trubetzkoi rief ganz treuberzig: „ach, Peter Fedoro⸗ witſch, was haben fie dir für eine dicke Halsbinde um⸗ gebunden; fo feſt haft du fie ja nie getragen“, und wollte fie ihm abreißen, woran ihn aber die Wachen verhinderten. Am 21. Juli wurde die Leiche, die im Geſicht ganz ſchwarz geworden war, von vier Hofbe dienten in die Gruft getragen. Die Seelenmeflen ver: gaß man, worauf fräter die Pjeudopeters die Behaup⸗ tung flügten, daß Peter gar nicht todt fei.

Eine eigentlihe Verfolgung der Anhänger Peters fand nicht ftatt. Gudowitfch ward auf feine Güter ver- wiefen. Obriſt Budberg nahm feinen Abfchied. Die Vebrigen machten ihren Frieden mit der Regierung. Prinz Georg Kudwig erhielt die Statthalterfchaft von Hol ftein. Die holfteinifchen Soldaten wurden nach) Haufe it, ertranfen aber meiftens in der Nähe von

adt.

Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762. 49

Sieben Pfeudopeters ') verfuchten es nach und nach,

unter Dem Namen des gemordeten Kaifers zur Gewalt zu gelangen. 34 Jahre nach feinem Tode, anı 19. No⸗ venber 1796, ließ der Sohn des Gemordeten, der Kai: fer Paul, den Sarg feined Vaters öffnen; daranf Frönte er die Leiche feierlich im Sarg. Nach noch mehrern Zeierlichkeiten ließ er am 18. December Peter’d Sarg neben dem der Kaiferin Katharina in der Feftungskirche beifegen. und bei dieſen Ceremonien mußten Alerander Orlow und der ältere Fürft Borjatindfy mitwirken. Der treue Adjutant des Kaiferd Peter III, Baron Ungern- Sternberg, ward zum General ernannt und Kaifer Paul umarmte ihn und hing ihm den Alexander⸗Newsky-⸗Or⸗ den um. . Als Zriedrih H. durch den General Zfchernitfchew die Entthronung Peter’d erfuhr, fagte er’): „Ich bin gewiß, Daß dieſer Fürft nicht mehr lebt; er ift mit dem Schwert in der Hand geftorben.”

Noch lebte ein Zhronprätendent in Rußland, der unglüdfiche Iwan IH., der, am 23. Yuguft 1740 ge boren, am 28. Dctober 1740 auf den Thron erhoben, am 5. December 1741 von demfelben geflürzt und erft

1) Zuerſt 1767 ein Schuhmader ans Woroncfh, der glei ge= töntet ward. Dann cin von Mönchen geleiteter Bauersfohn Tſcher⸗ nitſchew von einem Gute diefer Zamilie, der 1770 cinen Aufruhr in der Nähe der Krim erregte, aber von einem DObriften gefangen und entbauptet wurde. 1771 ein Arzt, Stephan, im Ardipelagus, gegen deſſen Anhänger die Türken felbjt auftraten und der entfloben und verſchollen iſt. 1772 ein Bauer von den Gütern der Worons zows, der unter der Sinute ftarb; cin Bauer aus den uralifdhen Gebirgen, dem die Flucht glücktez ein aus Irkuzk entfprungener Bers breder, der zu Tode geknutet ward; endlich der berufene Pugat- ihew, der nad großen Erfolgen am 24. Zanuar 1774 zu Meskau hingerichtet ward.

2) &o erzählte Graf Panin dem Berfaffer obigen Memoirce.

1. 3

50 Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762.

zu Iwanogrod bei Narwa, fpäter zu Schlüffelburg, dann furze Zeit zu Kerholm, dann wieder zu Schlüffelburg gefangen gehalten wurde. Peter III hatte ihn, im April 1762, von Gudowitſch, Ungern-Sternberg, Leo Nariſch⸗ fin, v. Korf und Wolkow begleitet, in Schlüffelburg befucht, und zwar nicht ohne natürliche Befähigung, aber als ein Opfer gänzlicher Vernachläffigung gefunden. Der Unglückliche klagte, daß nur ein einziger Offizier unter allen, die ihn bewacht, ihn menſchlich behandelt habe. Nach den Namen befragt, nannte er Korf, der darüber in helle Zähren ausbrach. Auch Peter weinte und drüdte die Hand des braven Korf. Er ließ Ungern-&ternberg . zurüd, um den Prinzen, der nur um reinliche Kleider und den ihm graufan entzogenen Genuß des Tage fichtd bat, näher zu prüfen. Das Refultat war, daß Deter beichloß, Iman noch ferner gefangen zu halten, aber ihn in Schlüffelburg möglichft frei und gut zu ſtel⸗ len, weshalb er den Bau eines Haufes für den Prinzen beginnen ließ, welches unvollendet geblieben if. Nach Peter's Tode erihien Iwan der Katharina, die gar Fein Recht zum Throne befaß, weit gefährlicher, als er Pe ter erfcheinen Fonnte. Ein Lieutenant Mirowitich, aus der Ukraine, machte am 5. December 1764 einen Ver⸗ fu), ihn zu befreien, und auf Anlaß diefes Verſuches ward der Prinz von den übrigen Offizieren, in Kraft eines Altern, für einen folhen Fall gegebenen Befehls der Kaiferin Elifabeth, ermordet. Mirowitfch wurde hingerichtet; die Soldaten, die ihm gefolgt waren, wur- den nad) Sibirien geſchickt. Man hat oft geglaubt, daß Mirowitfch zu feinem Unternehmen von der Hofpartei feldft, unter Misbrauch feiner Unerfahrenheit und Leicht⸗ gläubigfeit, angeftiftet worden fe. Dem Water des Unglüdlichen,. dem Prinzen Anton Ulrich von Braun-

Die ruſſiſche Ihroncevolation von 1762. 51

fhweig (geb. 28. Yuguft 1714), der zuleßt mit den Seinigen in Scholmogory im Gouvernement Archangel gelebt hatte und erblindet war, bot Katharina jest die Freiheit an; er fol fie aber ausgefchlagen haben und farb 1780, nah Andern ſchon am 16. Mai 1774, nach noch Andern 1775, in der Gefangenfchaft. ') Seine Gemahlin, die Regentin Anna von Mecklenburg, war ihm ſchon am 18. März 1746 im Zode vorausgegangen. Sie hatten in der Sefangenfchaft noch vier Kinder er- zeugt, Die nun ganz verwaift, einfam, in einem fernen Winfel des Reiche lebten und in Feiner Weiſe für die größere Welt gebildet waren, übrigens aber eine fanfte, demüthige und Tiebevolle Familie bildeten. Es waren bied: Katharina, die noch im Schooße bes äußeren Glückes, in St. Peteröburg, am 26. Juli 1741 gebo- ren war und alle ihre Gejchwifter überlebt hat, aber in früher Kindheit das Gehör verlor und auch mit der Sprache fehr behindert war. Clifabeth, in Dünamünde am 16. November 1743 geboren, Die Fähigfle von Alen und die Wortführerin und liebevolle Leiterin ihrer Gefchwifter. Peter, 1745, und Alexis, 1746 in Schol: mogory geboren. Die Geburt des Letztern Foftete ſei⸗ nee Mutter das Leben.) 1780 entihloß fich die Kai- ferin Katharina IL, den Verwaiſten ein freundlicheres

1) Wir finden in guten Quellen alle diefe Angaben. Die genea⸗ logifhen Handbücher jener Zeit führen den Prinzen bis 1780 noch eld lebend auf. Dies könnte aus Unbefanntfhaft mit feinem Tode erflärt werden. Indeß bat das Jahr 1780 darin etwas für fi, daß eben in diefem Jahre die Kaiferin die erften Schritte that, die Kinder aus Rußland zu entfernen. -

2) Rad andern NRachrichten wäre fie aus Schwermuth geftorben, weil man fie, um ihrer ferneren Fruchtbarkeit vorzubeugen, von ihrem Gemahi getrennt und in dem Klofter Solomli untergebradt gehabt hätte.

3%

52 Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762.

und freieres ’) Aſyl zu gewähren, und fie wendete fid deshalb an die Schwefter des Waters derfelben, die ver- witwete Königin von Dänemark, Juliane Maria, bie aus den Struenfeeihen Handeln nicht vortheilhaft be kannt ift, mit dem Antrage, die betreffende Familie, auf ruffifche Koften, in Norwegen unterzubringen. Der di nifhe Hof nahm den Antrag mit Dank an, brachte aber, ftatt Norwegens, Jütland und zwar die Heine Stadt Horlens in Vorfchlag, worauf man auch einging. Die Weberfiedelung ward hauptſächlich durch den Gehei⸗ menrath Melgunow geleitet, der auch über die Familie felbft und. feinen Verkehr mit ihr intereffante Berichte gegeben hat, die fi) in den Acten der Faiferlich ruſſi⸗ fehen Akademie befinden. Die Kaiferin fegte den Ge fchwiftern einen Iahrgehalt von 32,000 Rubeln aus, der fich auch bei dem Abfterben Einzelner nicht vermin- derte und zulegt ganz der Prinzeffin Katharina zu Theil ward, gab auch 40,000 Rubel zur erften Einrichtung ber. In Bergen übergab ihnen der ruffiiche Beauftragte 2000 Holländische Ducaten ald Taſchengeld, wogegen fie 3000 Rubel an Gefchenken vertheilten. Sie kamen am 10. September, auf der ruffifchen Fregatte Polarftern, in Bergen an, wo fie das danifche Kriegsihiff Mars erwartete und fie am 5. October in Aalburg and Land fegte, von wo fie am 17. Detober in Horſens eintrafen.

1) In Schoimogory durften fie, jedenfalls um in feine Beruͤh⸗ rung mit dem Bolke zu fommen, Haus und Garten nicht verlaffen und baten rührend um Erlaubniß, aufder Wiefe herumgehen zu dürfen, weil fie gehört hatten, Daß es dort Blumen gäbe, die fi in ihrem Gars ten nicht fünden. Weiter baten fie um den Befuh der Offliziers⸗ frauen, um einen Schneider, um Jemanden, der ihnen fagen Fönnc, wie fie die ihnen von Petersburg zugefendeten Hauben und Muͤtzen aufzufegen hätten, und um erhöhten Lohn und freien Ausgang für ihre Diener.

Die rufſiſche Ihrenrennintion von 1762. 53

Auf Der Reife hatten fie der Commandant von Schlüf- felburg, Obriſt Ziegler, und die Witwe Lilienfeld mit deren beiden Töchtern begleitet. Schmerzlidy aber war e8 für fie, daß nun alle Rufien, mit Ausnahme der Kirchendiener, nad) Rußland zurüdkehrten. Sie waren in einer ihnen fremden Welt, wie Verichlagene auf frem- dem Boden, und diefe Lage ward peinlicher, wie ihr Kreis fich verengerte. Elifabeth, die Leiterin der Ge- fhwifter, flarb zuerft, ſchon am 20. October 1782. Ihr folgte der jüngfte Prinz Alexis am 22. Detober 1787. Der ältere Prinz Peter lebte bid zum 30. Sanuar 1798 und Katharina, Die Zaube, deren Sprache faft nur ihre Gechwifter verftanden, "die faft nur mit Ddiefen, mit ihnen aber fehr gut, fich unterreden Eonnte, fland nun allein, unter, wie es fcheint, egoiftifchen und theilnahms- ofen Umgebungen. Sie wünſchte fid) nah Rußland zurück und Nonne zu werden. Bor ihrem ode fchrieb fie noch an den Katfer Alerander und bat um Penſio⸗ nen für ihre Diener, was auch gewährt und noch auf die Witwen derfelben ausgedehnt ward. Ihr Vermögen vermachte fie dem damaligen Erbprinzen, nachherigen König Friedrih VI. von Dänemarf und flarb am 9. April 1807.

Die Kaiferin Katharina U. hätte auch ihren Sohn fürchten können, deflen Recht fie zunächft verle&t hatte und den fie in der That auch, wenigftend fpäter, mit viel Mistrauen und Eiferfucht bewachte. Panin ') aber hatte ihn ermahnt, aus dem Geifte des ruſſiſchen Volks die Idee zu verdrängen, Daß die Krone des ruffiichen

1) Sehr irrig läßt v. Saldern Panin die Urſache fein, daß Paul angeblih nicht für die Lebzeit feiner Mutter auf den Thron habe verzichten wollen, und will fogar Panin's Tod, gegen deffen Natür- lichkeit ſonſt keine Zeugniſſe ſprechen, damit in Verbindung bringen.

54 Die ruſſiſche Thronrevolution ven 1762.

Reichs der Preis einer Nacht des Aufruhrs und Blut vergießens fe. Wenn er auch fpat, wenn er aud) nie auf den Thron gelange, jo würde doch, bei ſolchem Ver: halten, der Thron feiner Nachkommen um fo ficherer fein, und er würde ihnen allen den größten Dienft ge leiftet haben. Der Eindrud diefer Ermahnungen fcheint Paul, der überhaupt Peter IH. auch in feiner ſtrengen Rechtlichkeit, wie in feiner Begeifterungsfähigkeit, wie aber auch in feinem launiſchen Starrfinn und feinem bizarren Weſen glich, auch nah Panin’d Tode begleitet zu haben.

Nikita von Panin flammte aus einer italienifchen Fa⸗ milie und wurde feinem Water, der unter Peter I. Ge nerallieutenant war, im Jahre 1718 geboren. Er trat fehr jung bei der Garde der Kaiferin Elifabeth ein, wurde Kammerherr, 1747 Geſandter erft in Kopen⸗ bagen, dann in Stodholm und im Februar 1760 zum Oberhofmeifter des damals fechsiährigen Großfürften Paul ernannt. Nach der Revolution von 1762 über nahm er, erſt factiih, dann auch formell die Leitung des auswärtigen Minifteriums, welche der Reichskanzler Graf von Woronzow nur dem Namen nad) bie 1763 noch fortführte. Zur Theilnahme an jener Nenolution fol ihn zunächſt eine Neigung zur Daſchkow beftimmt haben. Indeg mag er ihren Hauptzwed unter allen Umftänden ald eine Nothwendigkeit erkannt haben, wenn er aud) mit vielem Einzelnen in ihrer Ausführung nicht einver⸗ ftanden geweſen. Konnte er auch den Uebeln ber Zeit und der Stellung nicht ganz entgehen, fo ift ihm dod nicht abzufprechen, daß er ein begabter, gediegener und patriotifcher Staatsmann und in feinem Srivatleben human und rechtfchaffen war. ine gewifle Indolenz und Trägheit wird ihm zum Vorwurf gemacht, und

Die ruſſiſche Thronrevolution von 1162. 55

mag nur zum Theil aus Grundfag '), zum Theil aus feinem Temperament, zum Theil aus fehwächlicher Ges fundheit gefloffen fein. Es beugte ihn tief, daB er im Mat 1768 feine Braut, die Gräfin Anna Petrowna Scheremetow, durch den Zod an den Poden verlor. Seinem ganzen Charakter nah war er nicht zu der Role eines dauernden Günftlings befähigt. Er Fonnte der weife und treue Rathgeber feined Monarchen fein, aber nicht das gefügige Werkzeug jeder Laune. Er Ihüßte auch die Kaiferin gegen ihre eigenen Schwächen, den Orlows, den Potemfind gegenüber, und wenn fie ihm das auch nachher im Herzen gedankt haben mag, fo ift es Doch nicht ohne Groll abgegangen und jeden- falld erwedte es ihm gefährliche Feinde. Seine Stel⸗ lung zum Großfürſten Paul, deflen Leiter er war und blieb, war eine weitere Duelle von mancherlei Mis⸗ trauen und Unmuth. Unter folchen Umftänden ift es jedenfalld ein Zeugniß des großen Anfehene, das er ge⸗ noß, daß. er bis an feinen Tod wenigftend im nomi⸗ nellen Befig feiner Aemter und Würden, lange Zeit auch im Vollbeſitz feines Einfluffes blieb, und wenn er auch in der lebten Zeit diefen nicht mehr befaß und nur noch den Namen bergab, died doch feinen Hauptgrund in der überhaupt veränderten Politik des ruſſiſchen Staat gefunden haben mag. Denn allerdings war er von Anbeginn an auf diefelbe Allianz mit Preußen ge

1) Irren wir nicht, fo war ed Panin, welder äußerte, es fe fein Grundfag, nie ctwas heute zu tbun, was er auf morgen ver- fhieben koͤnne, während Münnid dagegen ald feinen Grundfag ans gab, nie etwas auf morgen zu verfchieben, was er heute thun koͤnne. Beide ſchrieben der Zefthaltung diefer Grundfäge ihre Erfolge zu und mochten, Iener als Diplomat, Diefer als Feldherr, fo Unrecht . nicht haben, obwol aud diefe Grundfäge cum grano salis Zu ver fteben find und der wahre Grundſat das: Alles zur reiten Zeit! ift.

56 Die ruffifche Thronrevolution von 1762. |

ftellt, an welcher Peter IIL geflürzt war, Die aber Panin freilich weit vworfichtiger und bemeflener pflegte. Ruß⸗ land aber neigte fih almalig zu Deflerreih, und Ka tharina wurde felbftändiger, feit fie.fich ficherer und mächtiger fühlte.

Als jedoch Graf Panin, nach der erften Vermählung des Großfürften im Herbft 1773, feine Stelle ald Ober hofmeifter niederlegte, beeiferte fich die Kaiferin, Die ihn fhon 1767 in den Grafenftand erhoben hatte, ihm ihre Dankbarkeit für das gelungene Erziehungswerk glänzend darzulegen. Da er Die Kanzlerwürde ablehnte, fo wurde er doch mit den dieſer Würde eigenen Auszeichnungen und Vorrechten belieben und zum wirklichen Geheimen- rathe ernannt, erhielt auch eine Schenftung von 100,000 Silberrubeln baar und Grundbefigungen von 9500 Bauern, deren Ertrag man auf 28—29,000 Rubel jährlich fchagte, ferner eine Gehaltözulage von 30,000 Rubeln jährlih zu den 14,000, die er bis dahin hatte, endlich 20,000 Rubel zu Anfchaffung von Silbergeſchirr und ein ausmeublirted und auf ein Jahr mit allen Wirthichaftsbedürfnifien verfehenes Hotel in St. Peterd- burg.

Unter den 9500 Bauern, die ihm damals zugewieſen wurden, befanden fich 4000, die den neuen Erwerbun- gen in Polen angehörten. Diefe fchenkte er feinen brei vornehmften Bureaubeamten: Bafunin, Dubril und Vauloifin, und zwar that er Died deshalb, weil er ein Gegner der Zheilung Polens war.

Kurz vorber hatte ihn der durch ihn felbft gefür- derte, wenn auch fchon vorher durch Peter IH. gehobene Geheimerath Kafpar von Saldern, über weldhen wir und Näheres für eine fpätere Zeit vorbehalten, ſtürzen wollen, indem er ihn erft mit dem Großfürften zu verzwiften,

Die ruſſiſche Thronrevolution von 1762, 57

denn aber, zu der Partei der Orlows übergehend, Die Kaiferin mistrauifch zu machen ſuchte. Indeß hatte Saldern feine Intriguen fo bunt verfchürzt und nad) fo vielen Seiten hin unruhige Ränfe gefponnen, daß die Aufdelung, welche Panin nur aus Großmuth ver: zögerte, nicht fchwer war und fchon 1774 Panin an Saldern fchreiben konnte, daß er feinen Abfchied nehmen und fi) aus dem Dienfte zurüdziehen möge.

Noch am 30. März 1783 hatte Graf Panin Gefellichaft bei fich gehabt, ſich, wie gewöhnlich, um Mitternacht zurücdgezogen und in feinem Schlafzimmer zum Leſen gefebt. Um 4 Uhr des Morgens (31. März) fchellt er feinem Bedienten, läßt ſich ausfleiden, nähert ſich dem Bette und fallt bewußtlos in daflelbe, in diefem Iethar- gifchen Zuftande verbleibend, bis er um 11 Uhr des Morgens verichied. Sein Neffe, der nachherige Mint: fie Graf Panin der Jüngere (f. d. folg. Aufſatz), fhrieb die Schuld dieſes Unfalls einem Mittel zu, das dee Hausarzt feines Oheims, Droft, verfchrieben ge: habt habe, um ihm Kräfte zurüdzuverfchaffen, die das herannabende Alter bei ihm gefchwächt hatte, und be= trachtete diefen Mann fletd mit Abfcheu. Der Groß- fürft Paul eilte ſogleich zu feinem erkrankten Lehrer, blieb bis zu deſſen Zode bei ihm und Füßte die Leiche mit thränenden Augen').

1) Bergl. die Denkwürdigkeiten Freihern Achatz Ferdinand von der Aſſeburg (Berlin 1842) S. 410 fe.

3* *

Il. Die ruſſiſche Thronrevolution von 1801,

Die Denkichrift über die Revolution vom 12/24. Marz 1801, die uns in Folgendem mitzutheilen vergönnt wird, ift im December 1504 von einem Staatsmanne verfaßt worden, der während eined mehr als dreijährigen Auf enthaltes an dem ruffiihen Hofe die zuverläffigften Nachrichten, die er fich über das fragliche Ereigniß ver fchaffen Fonnte, gefammelt hatte. Diefe Denkſchrift ruhte lange Zeit in feinem Portefeuille, ald ein glück⸗ liches Ungefähr ihm neue Materialien verfchaffte, durch die er feine Darftellung bereichern, weiter ausführen und beftätigen fonnte. Diefe Materialien beftanden 1) in der Abfchrift eines Berichts, den der in Rußland fun: girende Gefandfe einer großen Macht im Juni 1801 an feine Regierung gerichtet hatte und der hauptſächlich aus Mittheilungen gefchöpft war, die dem gedachten Gefandten von dem General Bennigfen gemacht worden waren. 2) In gewillen Aufzeichnungen, die Iemand, gegen dad Ende des Lebens des Generald Bennigfen, in Folge von vertraulichen Uinterredungen mit dieſem gemacht bat, als der General, zu einem hohen Alter gelangt, mehr ald 20 Iahre nach dem Ereigniß, fid nach Deutſchland zurüdgezogen hatte, wo er feine Tage befchloffen bat. Diefe beiden Schriften gewährten dem

Die ruffifche Thronrevolution von 1801. 59

Verfaſſer der Denkichrift die Genugthuung, daß fie in nichts Mefentlichen feiner früheren eigenen Aufzeihnung viderfprachen. Die Denkichrift felbft geben wir in fol- jender Uebertragung aus dem franzöfiich gefaßten Dri: zinal. |

„Die Kataftrophe, welche die Regierung und das deben des Kaiſers Paul I. beendigt hat, ift von fo wmßerordentlichen Umftänden begleitet und es find meh: ere, noch heute (1804) im Amt befindliche Individuen o ſchwer in diefelbe verwidelt, daß ein gewifler Wider: ville, fich mit den Einzelheiten eines anfcheinenden Ver: wechend zu befchäftigen, und die Beforgniß, bei mädhti- ven Männern anzufloßen, bisher faft nur ungenaue und mzufammenhängende Nachrichten über dieſes Creigniß ms Rußland herausdringen Tießen. Der Werfafler der jegenwärtigen Dentichrift, welcher ſich mehrere Jahre n jenem Lande aufgehalten hat, kann fich nicht fehmei- bein, alle der Aufzeichnung würdige Facta gefammelt u haben; aber er getraut fich, zu verfichern, Daß unter nen, die er erlangt, fich Feines befindet, was nicht Der Bahrheit entipräche, und er hat bei diefer Darftellung ie ganze Unterfcheidungsfraft und Kritif angewendet, eren er fähig ift.

Paul 1.') verdankte der Natur eine fehr ausgezeich- ete Begabung, und wie fehr fih auch die Verhältnifje wifchen feiner Mutter und ihm in der Folge verrüdten, mp man der Kaiferin Katharina II. doch die Gerech⸗ igkeit widerfahren laſſen, anzuerkennen, daß fie Fein Rittel verabfaumte, feine Talente durch eine forgfältige Friehung zu entwideln. Der Grof Nikita Panin ’)

1) Geboren am 1. Detober 1745. - 3), Siehe S. 34 fo. '

60 Die ruffifche Thronrevolution von 1801.

war noch unter der Regierung der Kaiferin Elifabeth auserlefen worden, der Erziehung des jungen Großfür- ften als Oberhofmeifter vorzuftehen. Diefer allgemein geachtete Miniſter konnte fich fehmeicheln, daß ihm fein Merk gelungen fei; ein Glück, was die Erzieher von Thronerben nicht zu haufig genießen.

Als die Ausbildung des Großfüriten vollendet war, fand man in ihm einen liebenswürdigen, geiftreichen Prinzen, an glücklichen Witzfunken reich, unterrichtet, vol feinen Gefühls, großmüthig, wie jeder Souverain es fein follte, bereit, Das Unrecht gut zu machen, was ein hitziges Temperament ihn zuweilen begehen ließ, und ebenfo bereit, dad Unrecht Anderer zu vergeflen. Er war bis zu feiner Thronbeſteigung ein zartlicher Gatte und ein liebevoller Vater. Welche Vereinigung bewun- dernswerther Eigenfchaften! und welche in Erflaunen feßende Umwandlung brachte der Gebrauch und Mid brauch der höchſten Gewalt bei diefem Monarchen hervor 9!

Man hatte jedoch feit feiner Jugend zwei Fehler an ihm bemerkt, welche ſich mit dem Alter in fleigendem Verhältniffe vergrößert hatten. Der eine war die

1) Der preufifhe Gefandte am ruffiihen Hofe, Grafvon Solms, drüdte fi in einem zur Zeit der erften Bermählung des Großfürften abgefaßten Schreiben über ihn folgendergeftalt aus: „Der Großfuͤrſt ift nicht von großer Statur, aber von ſchoͤnen Zügen, vollkommen wohl gebaut, angenehm in der Gonverfation und in feinen Manies ren, fanft, ungemein feingebildet, zuvorkommend und von heiterer Laune. In diefem fchönen Körper wohnt die ſchoͤnſte, die redlichſte, die menfhlidhfte, die großmüthbigfte und zu gleiher Zeit die reinfte und unſchuldigſte Seele, die das Böfe nur von der ſchlechten Seite fennt, die es nur foweit kennt, als zu dem Entfchluffe nöthig ift, ed felbft zu vermeiden und an Andern zu tadeln. Kurz, man Fönnte nit Gutes genug von diefem Prinzen fagen, und möge ihn Gott in den Gefinnungen erhalten, die er jetzt heat. Wenn id) mehr fagte, fo würde ich mic felbft im Verdacht der Schmeicdelei halten.‘

Die ruffiſche Throurebolution von 1801. 61

höchſte Unbeftändigkeit in feinem Geſchmack und feinen Reägungen; der andere das vollftändigfte Mistrauen gegen die Menfchen. Die Xebhaftigkeit feined Geiftes war vielleicht die Urfache des erften Uebels; das andere war wahrfcheinlich Durch die Erfahrungen beſtärkt wor: den, welche feine erhabene Stellung häufiger darbot, als jede andere. Es fcheint auch, daß das Aufhören des guten Einverftandniffes zwilchen dem Kaifer Paul als Sroßfürft und der Kaiferin Katharina, das fein Ober: bofmeifter, Graf Panin, der fich die Freundſchaft feines Zöglings verdient und zugleich das Vertrauen der Mut: ter Deflelben bewahrt hatte, zu erhalten gewußt, auf feinen Charakter von Einfluß war. Es fcheint, daß der Großfürſt, feit dem Tode dieſes Minifters ), fi in gereiftem Alter fühlend, feine Abhängigfeit ſchmerz⸗ lich beklagte, daß ihm feine Bedeutungslofigfeit in Be: treff der öffentlichen Angelegenheiten peinlicher wurde, und Daß er über den überwiegenden Einfluß, den ſich die Kaiferin auf die Erziehung feiner Kinder und fpäter auch auf deren weitere Einrichtung anmaßte, einen Kum⸗ mer empfand, der fich zu bittrem Unmuth verichlimmerte und endlih feinem Charakter eine ſcharfe Gereiztheit verlieh. Beſtändig von den Agenten feiner Mutter überwacht, hatte der Großfürft Freunde gefucht und nur Angeber gefunden; er war endlich dahin gekommen, die tieffle Verachtung für die Nation zu fallen, die zu regieren er beflimmt war’). Diefe Verachtung, in Ver:

1) Er ftarb nad Obigem am 31. März 1783.

3) &o fagte er, als er fih 1782 zu Benedig mit der verftorbes nen Gräfin von Roſenberg unterbielt, die er mit feiner Freundſchaft beehrte, die merkwürdigen Worte zu ihr: „Ich weiß nicht, ob ic zum Throne gelangen werde; aber wenn mid dad Schidfal darauf hebt, fo erftaunen Sie nit über das, was Sie dann fehen werten, daß ih darauf thue. Sie Pennen mein Herz, aber Sie kennen diefe

62 Die ruſſiſche Thronrevolution von 1801.

bindung mit feiner natürlichen Neigung zur Verände⸗ rung, hatte ed bewirkt, daß man aus der großen An- zahl von Perfonen, denen er nad) und nach den leben⸗ digften Antheil gewidmet hafte, von da an nur den Kürften Alerander Kurafin ') und feinen Kammerdiener Paul Petrowitſch, fpateren Grafen Kutaizow, als Sol⸗ he anführte, die fein Vertrauen bewahrt hätten ?). Der Zwed und die Grenzen, die man fich bei Ab» faflung diefer Denkfchrift vorgeſteckt hat, erlauben eine Verbreitung über die Geſchichte Paul's I. von 1796 1801 nicht. Die Wechſelwirkung der zwei feinem Cha- rafter eigenen Fehler, feiner Unbeftändigfeit und feines Mistrauens, Fünnen vielleicht die außerordentlichen Er: fheinungen zum Xheil erklären, die er in innerer und äußerer Politit hervorgerufen hat’). Man hat in 4)

Menſchen nicht (die Nuffen meinend), und ih weiß, wie man fie führen muß.’

1) Geboren 1752, mit Paul erzogen und fein Begleiter auf deffen Neifen, Bicefanzler des Reichs unter den Kaifern Paul I. und Alexander I. bis 1802, 1807 ruffifder Berollmädtigter beim Frieden von Zilfit, 1808 1812 Botſchafter in Paris, dann in Wien, ftarb 1818 auf einer Neife in Weimar.

2) Diefe beiden Perfonen, die man übrigens in Betreff ihrer weiteren Eigenſchaften nit vergleihen kann, find die Einzigen von den alten Dienern des unglüdliden Monarden, die ihm bis zu ſei⸗ nem Tode die gleihe Anhaͤnglichkeit unverlegt bewahrt haben.

3) Wir haben an einer anderen Stelle (Geſchichte des europdis then Staatenfyftems Th. II., &. 222 fg.) vom Kaiſer Paul ges fagt: „Auch er hatte Tugenden, die ibm felbft gehörten, mährend ferne Zehler feinem Schidfal, feiner Erziehung und feinen Berhält- niffen zur Laſt fallen. Gewiſſenhaftigkeit und ritterlier Edelmuth find ihm nit abzufprehen. Er ging unter, weil er feine Politif mehr nad feinen eignen, wenn auch wohlgemeinten, Ideen und Meis nungen, als nad den Flar crfannten und weife beurtheilten Inter⸗ effen feines Reichs beftimmte, die Ruhe, Befonnenheit und Stätig« feit nit fand, womit die Angelegenheiten, wie jedes Staats, fo befonders Rußlands, geleitet fein wollen, in dem Gefühl feiner Macht und feiner unumſchraͤnkten Gemwaltberehtigung dad Studium

Die rufſiſche Thronrevolution von 1801. 63

Jahren den ruffiihen Hof mit falt allen europäilchen Mächten Bündniſſe abſchließen und fich wieder in Kriegs⸗ ftand mit ihnen befinden ſehen; die Leitung der aus: wärtigen Angelegenheiten wechlelte vier Mal in diefem Zeitraume, und man fah nach einander fünf General» procureurs, oder Mintfter ded Innern.

Die Tängfte Regierung bat feinen größeren Wechſel der Syfteme und der höheren Beamten dargeboten, ald die Pauls J. Auch hatte dieſes Verfahren in dem Auslande alles Vertrauen und in jedem rechtfchaffenen Manne den Wunfch nach einer Anftellung erftidt. Die fleigende Entwidelung der Fehler Pauls ging feit fei- ner Thronbeſteigung in erfchredender Schnelligkeit vor fih. Jede Erfahrung von der Schlechtigfeit der Men- fhen vermehrte feine Strenge. Statt das Laſter zu verfolgen, fing er an, die Lafterhaften zu verfolgen. Seine Umgebungen, die fi) jeder Abfegung freuten, die zur Beförderung eines ihrer Günftlinge diente, beförder⸗ ten die Ausbrüche der bizarren Laune des Kaiferd. In der That ware man längft geneigt gewefen, an eine Geiſteskrankheit des Monarchen zu glauben, wenn nicht Zwifchenzeiten, wo er ausgezeichneten Geift entfaltete und zur Billigfeit und Gerechtigkeit zurückkehrte, für das Gegentheil geiprochen hätten. Im lebten Regie: rungsjahre des Kaiferd wurden die guten Augenblide feltener; er überließ ſich Handlungen der Strenge, Die bis dahin nicht in feiner Gewohnheit gelegen hatten. Er war ausschließlich von einigen Perfonen umgeben, die Fein anderes Gefeb ald das ihres eigenen Interefles

der Berhältniffe verabfäumte, fi in Dinge miſchte, die nicht feines Amts waren, das in Rußland zu Rußlands Glücke fo wide tige voltsthümlihe Element nicht zu treffen wußte, und, tie man Öfters findet, zu viel Miöstrauen und zu wenig Vorficht hatte.’

64 Die ruffifhe Thronrevolution von 1801.

kannten, und der wohlthätige Einfluß der Kaiferin mar auf Nu reducirt. Der Graf Roftopfehin ’) ftand an der Spige der äußeren Politit und athmete nur Den maßlofeften Egoismus. Abalyanow war Generalprocu reur, und ihn haben feine Käuflichfeit und Habgier in die äußerſte Verachtung felbft in einem Rande fallen Iaflen, wo das Zartgefühl bei der Wahl der Mittel nicht immer allgemein gewürdigt wird. Der Graf Kutaizow, der vom Barbier ded Kaiferd Oberftallmei- ſter und Inhaber ded blauen Bandes geworden war, theilte fich mit dem Oberhofmarfchall Alerander Nariſch⸗ fin in die Sorge für die Vergnügungen des Monarchen und Beide trugen vielleicht durch den Misbrauch feiner Kräfte, zu dem fie ihn anregten, dazu bei, Die Ruhe feines Geiftes noch mehr zu flören.

Died war die Zeit, wo ed dem Grafen Pahlen ’) gelang, Einfluß in den Gefchäften zu erhalten. Nom Generalinfpector der Cavalerie zum Militairgouverneur von Petersburg erhoben, erlangte er mehr und mehr das Vertrauen Pauls, ohne die Eiferfucht der andern Sünftlinge deflelben zu erweden. Diefer gewandte Menſch, der unter den Formen eines freimüthigen Pol- tererd den verfchlagenften Geift verbarg, wußte fich nütz⸗

—h

1) Fedor Graf Roſtopſchin, geb. 1760, vom Kaiſer Paul raſch binter einander zum General, Hofmarfhall und Minifter der aus⸗ wärtigen Angelegenheiten ernannt und 1799 in den Srafenftand cr» boben, 1812 Gouverneur von Modfau, von 1814— 1825 im Aus⸗ lande, ftarb 1826. Weber den Brand von Mosfau, an den fid fein Name fnüpft, vwielleiht Fünftig einmal.

2) Peter Ludwig Graf von Pahlen, aus dem lieflaͤndiſchen Zweige, geb. 1746, 1790 Sefandter in Stodholm, 1793 Gouverneur von Liefland, 1796 Generalgouverneur von Liefland, 1799 Graf, 1801 Gouverneur von Petersburg, nahm 1804 den Abſchied und ftarb 1826 in Kurland.

Die ruſſiſche Thronrevolution von 1801. 65

lich und felbft nothwendig zu machen, ohne daß irgend Jemand Midtrauen in ihn geſetzt hätte.

Die finnlihen und felbftfüchtigen Menfchen, welche die Angelegenheiten leiteten, bedurften zu ihrer Beſor⸗ gung Der Zalente eines thatigen und entichlofienen Mannes. Als der Graf NRoftopfchin den Grafen Par nin ?) befeitigt hatte, trat Herr von Pahlen ald Mitglieb ded Departements der auswärtigen Angelegenheiten ein, und als Hr. v. Roftopfchin bald darauf als ein Opfer feiner Schlechtigfeiten fiel, erhielt Graf Pahlen die Lei⸗ tung Diefed Departements. Der Kaifer verband damit einige Zeit Darauf Die Oberleitung des Poſtweſens, ein Geſchäft, das in allen Ländern ein wichtiges, von der höchſten Bedeutung aber in denen ift, wo man die-hödh- fie Gewalt durch Ueberwachung und Spionerie zu fichern glaubt. Zuletzt vereinigte Pahlen in jener Zeit die Stel: len des Generalgouverneurs und des Infpecteurd der Mili- teirdivifionen von St. Petersburg, fowie Die des General: gouverneurs von Ingermanland und Liefland mit denen bed leitenden Minifterd des Departements der auswärtigen Angelegenheiten und des Generaldirectord der Poften.

Niemals hatte in Rußland ein Unterthan geſetzlich einen audgedehnteren Machtkreis, ald den, welchen Pah⸗ Im während der legten Monate, welche vor der Regie- rungöveränderung vorhergingen, innehatte. Da man nicht umhin Fann, ihn ald das Haupt der Verſchwö⸗ rung zu betrachten, durch welche Paul den Thron mit dem Leben verlor, fo wirb ed am Drte fein, feine Her kunft und den Gang feines Schickſals anzugeben.

Pahlen ftammte aus einem alten und edeln Tieflän-

1) Neffe des frühern Oberhofmeiſters und Minifters der auswaͤr⸗ tigen Angelegenheiten.

66 Die ruffiiche Thronrevolution von 1801.

difchen Haufe und fam fehr jung ald Gefreiter in bie Keitergarde ’), von wo er ald Major in ein Cavalerie regiment überging. Er rüdte in ber Linie, während der zwei Zürfenfriege, bi zum Grade eined General majord auf. Er galt für einen tapfern, thätigen und entfchlofienen Offizier, aber für fehr verſchwenderiſch. Seine Paffion fürd Spiel und höchſt anfehnliche Gewinne erweckten fpater Zweifel an jeiner Reblichfeit ’). Pahlen würde niemald daran gedacht haben, zu einem Regie

1) Man wählte aus den Gefreiten der Garde die Sicherften und Kräftigften, um fie ald Gouriere zu gebrauden, und der arme Adel betrachtete dieſe Reifen al5 ein Mittel, auf SKoften des Hofes das Ausland zu fehen. Während der Miſſton des Grafen Oftermann in Schweden ließ man eines Tages Pahlen kommen, vertraute ihm wichtige Depefhen, um fie al& Courier nad Stodholm zu fchaffen, und zahlte ibm das Neifegeld aus. Pahlen fpielte die ganze Racht, verlor die zu feiner Neife beftimmte Summe, erſchoͤpfte feinen ges ringen Credit und mußte fi ald verloren betrachten. Gr ging am Hafen umber, über die Zolgen feiner Unbefonnenheit nachdenkend, als er einen Schiffspatron erblidte, der ihm befaunt war. Er vertraute ihm feine Verlegenheit. Der Zufall wollte, daß das Schiff augen blicklich nah Schweden abfegeln ſollte. Pahlen ſchiffte ſich darauf ein, indem er es darauf ankommen ließ, ob er in 4 Tagen, oder in einem Monate ankommen werde. Er kam nach Stockholm in dem fürzeften Beitraume, ſodaß Graf Oſtermann vermuthete, es müſſe ein Irrthum in dem Datum der Depeſchen fein. Die Schnelligkeit feiner Reife wurde einem äußeriten Grade des Eiferd und der Thä⸗ tigkeit zugefohrieben und trug dazu bei, ihn bei der Kaiferin und dem Minifterium in guten Gredit zu fegen. Das war der erfte aus ferordentlihe Glücksfall, der ihm zu Theil ward.

2) Der Berfaffer obiger Denkſchrift fegte, nad Abfaffung derſel⸗ ben, aber noch im Jahre 1804, zu der Charakteriftif des Grafen Pahlen noch hinzu: Der Graf von Pahlen hat von Haus aus einen anmaßenden Gharafter und ift an die grenzenlofe Gewalt gewöhnt, die er während der vorigen Regierung ausübte, und da fein herrſch⸗ ſüchtiger Geift fi in einer für den neuen Souverain verlegenden Weife zeigt, fo kann fein Rüdtritt als fchr nahe betrachtet werden und wird nur von gewiffen militairifhen Arrangements abhängen, die dem großen Einfluffe, den er auf die Truppen der Sarnifon ausübt, entgegenzuwirken beftimmt find. Man ficht, daß er gut unterritet war. Denn in der That trat Graf Pahlen noch 1804 ab.

Die ruffifche Thronrevolution von 1801. 67

sungswechjel beizutragen, wenn nicht die Unbeſtaͤndigkeit ded Souveraind, an den er gefellelt war, zu oft er- probt worden wäre, ald er fich hätte fchmeicheln können, nicht früher oder fpäter einen um fo tieferen Sturz zu erfahren, je höher ihn die Poften, die er bekleidete, er hoben hatten, und wenn er fich nicht in der Lage be funden hätte, mehr als jeder Andere zu bemerken, daß der Kaiſer Anfälle von Wuth hatte, welche nicht daran zweifeln ließen, daB feine Vernunft zeitweilig irreging. Man Tann ald gewiß verfichern, daß Er, der Admiral Rivas, der Graf Panin, Neffe des alten Minifterd und damals Vicefanzler ded Reichs, und der Senerallieutenant Talizin, Commandeur der Preo⸗ bratzſchenskoy⸗Garde, feit Dem Herbfte 1800 den Plan gefaßt hatten, den Kaifer zu entthronen und ihm den Sroßfürften Alexander zum Nachfolger zu geben. Es handelte fih darum, diefen für das Gelingen ded Pla» ned zu intereffiren. Wir glauben, verfichern zu können, daß der Graf Panin mit diefer Unterhandlung beauf: tragt ward und daß fie ihm gelang.

Der Charakter des jungen Prinzen und des Mini- ſters (Panin) verftatten feinen Zweifel, daB niemals davon Die Rede war, Paul I. Dad Leben zu nehmen. Der Graf Panin wurde bei der Unternehmung von ei⸗ nem reinen und uneigennüßigen Patriotismus geleitet, der bei einer längeren Dauer der Regierung Paul's I. den Untergang Rußlands beforgte und unter der Alex⸗ ander's das Glück diefes Reiches weiſſagte. Er Tieß die Entfeßung des Vaters nur zu, um den Sohn zu feönen ').

1) Man muß überhaupt, heißt ed in einem zwei Monate fpäter abgegangenen gefandtfhaftlihen Berichte, zur Entihuldigung des

68 Die ruſſiſche Thronrevolution von 1801.

Die Eigenſchaften, welche Wlerander ’) ſeit feinem Regierungdantritte entfaltet bat, beweilen, Daß er fi nur ungern in eine fo wagnißvolle Unternehmung ein ließ. Auch ift es gewiß, Daß man ihn nur durch die Hoffnung für dad Gemeinwohl und durch die Furcht vor Gewaltthätigfeiten feines Waters beſtimmte, Daran Antheil zu nehmen. Seine unverftelte Verzweiflung bei der Nachricht von dem Zode Pauls I., die Abs nahme feiner Förperlihen Gefundheit, der man ihn, auf Anlaß jener Kataftrophe, welche vielleicht im ganzen Reiche Niemand Thranen Eoftete, ale ihm, für längere Zeit ausgeſetzt fah, find unbezweifelbare Zeugniffe, DaB ee dem lebten blutigen Acte dieſer Tage fremd war.

Die Ungnade ded Grafen Panin verzögerte Die Ausführung des noch nicht hinlänglich gereiften Planes. Diefer Minifler wurde aus Gründen, die Diefer Frage fremd waren, auf feine Güter verwiefen. Die andern Häupter glaubten fich wahrfcheinlich nicht im Stande, für fih alein etwas zu unternehmen, und der Ver: fafler diefer Denkſchrift Hat dieſes Projects nur gedacht, um die wichtige Trage nicht im Zweifel zu laſſen, ob

größten Theiles Derer, die fih in diefe Unternehmung einlichen, und namentlid diefes Individuums (Bennigfen’s) fagen, daß bie Kata ftropde, die fie beſchloß, ihrerſeits weder im Plane lag, noch vors bergefehen war. Denn es ift ganz beftimmt wahr, daß ihre Abſich⸗ ten fih nit Über die Mafregeln hinaus erftredten, die den Kaiſer Paul infoweit einem Zwange unterworfen hätten, als crforderlid war, um die Regierung, oder vielmehr die Ausübung bdiefer aus feinen Händen in die feines Rachfolgers und eines Regentſchafts⸗ rathes übergeben zu maden. Diefe Mafßregel war aber durch bie bereits vorhandenen Uebel, und durd alle die, deren man ſich von Seiten einer launifhen und wilden Tyrannei noch verfah, unbedingt nothwendig geworben.

1) Geboren am 23. December 1777, + 1. December 1835.

Die ruſſiſche Thronrenolution von 1801. 69

der Kaifer Alerander von den gegen feinen Vater gerich: teten Plänen Kenntniß gehabt bat’).

Als der Plan, von welchem chen geiprochen worden, geicheitert war, bedurfte es der Vereinigung einiger an- deren Umftände, um die Wiederaufnahme der Verſchwö⸗ rung berbeizuführen.

Der Kaifer verfügte zu Ende ded Jahres 1800, daß es allen verabfchiedeten und verwiefenen Beamten, von Militair und Civil, erlaubt fein folle, fih nah St. PYetersburg zu begeben, um ihren Wiedereintritt in den Dienft nachzufuchen. Die von dem Souverain, im ganzen Laufe feiner Regierung, ſchwer gemishandelte Familie Zoubow war unter diefer Zahl und wurde wie: der in die Hauptſtadt gelaflen.

Ihre Rückkehr fcheint der Zeitpunkt, von wo man von Neuem an das dachte, was jeit dem Rücktritt des Grafen Panin aufgegeben worden war. Gin männli- her und fefter Charakter, wie der dieſes Minifters, fehlte in der Partei, die den Verſchwörungsplan hegte. Man glaubte mit Grund, einen Solchen in dem Gra-

1) Zu diefer Zeit, die man auf den Monat Rovember 1800 zu⸗ rädführen muß, hatte Graf Panin häufig geheime Unterredungen mit dem Großfürften Alerander. Um fie in das tieffte Geheimniß zu büllen, kamen fic des Nachts in den Berbindungögalerien der Gous terraind des Winterpalaftes zufammen. ines Abende, ald der Graf Panin allein und zu Zuße aus feinem Hotel berausfam, glaubte er einen Spion ihn beobachten und ihm folgen zu fehen. Um dieſem zu entgehen, madte er mehrere Gänge durd die Stadt und ſchlüpfte endlich in einen der Eingänge der gedachten Souterraind. Gr beeilte feinen Weg zu dem von dem Lichte einiger Lampen ſchwach erbellten Punkte des Rendezvous, mit unfiherm Schritte, ald er feine Schuls ter von einer fremden Hand berührt fühlte. Schon glaubte er im Begriffe zu fein, verhaftet zu werden, ald cr den Großfürjten Alex⸗ ander erfannte, der ihn ſchon feit einiger Zeit erwartete.

Diefe Details find dem Berfaffer diefer Dentfhrift von dem, zu Anfange des Jahres 1837 verftorbenen Grafen Panin felbft erzählt worden.

70 Die ruffifche Thronrevolution von 1801.

fen Valerian Zoubow gefunden zu haben, der unter drei Brüdern, dem Fürften Platon, dem Grafen Niko: laus und ihm felbft, der Einzige war, der ein fehr ge fundes Urtheil mit den Eigenfchaften der Kraft und de Unternehmungsgeiftes vereinigte. Auch war er ein aus⸗ gezeichneter Offizier, Mann von Geift und Charakter und fehr geliebt in der Armee. Der Fürft Platon be ſaß wenig Befähigung, übte aber einen beträchtlichen Einfluß theild durch fein Vermögen, theild deshalb aus, weil er während der lebten Regierungsjahre Der Kaife rin Katharina der offizielle Favorit gewelen war, was er benußt hatte, um Hof und Armee mit feinen Crea⸗ turen zu füllen. Die Schwefter der Zoubow, Madame Scherebzow, erhielt die Erlaubniß, im Auslande zu reifen. Sie begab ſich nach Berlin, wie man bebaup tet, mit fehr beträchtlichen Geldfummen und Koſtbar⸗ feiten verfehen, um ihren Brüdern für den Fall, daß das Project fehlfchlüge und es ihnen gelänge, fich zu retten, Hilfsquellen zu fichern ').

H Die Zamilie Zoubow, auch Subow geſchrieben, war in der Hauptſache doch durd ihr älteftes und geiftig ſchwäͤchſtes Mitglied, den Zürften Platon geftiegen. Diefer war 1758 oder 1759 geboren und hatte ald Gardelieutenant dic Gunft der Kaiferin Katharina ges wonnen, die ihn zum Zürften und Chef der Artillerie ernannte. Gr wurde nad ihrem Tode verbannt und reifte im Ausland, bis er die Erlaubniß zur Rückkehr erhielt. Unter Alexander iſt er nit be Thäftigt worden und 1817 geftorben. Balerian mar 1760 geboren und kämpfte fon 1794 als Generallieutenant in Polen, fein ſchnelles Avancement zwar mol der Gunſt feines Bruders bei der Kaiferin verdantend, ed aber durch Tapferkeit rechtfertigend. In Polen ver lor er ein Bein durh eine Kanonenfugel. Er erhielt dann en Oberbefehl gegen Perfien, eroberte (1796) Derbent, bemädtigte fih der ganzen Weſtküſte des kaſpiſchen Meeres, ging über ver Arares und nahm feine Winterquartiere in ver berühmten Ghowal⸗ Moganebene, von wo ganz Aderbidſchan feinem Einfalle bloßlag, waͤhrend ſein Rücken durch die Truppen in Georgien gedeckt und von Aſtrakan ein Corps gekommen war, die linke Flanke zu fichern.

Die ruſſiſche Thronrevolution von 1801. 71

Der General Bennigfen ') fchloß ſich dem Project an. Diefer braunfchweigiihe Edelmann war nad) Ruß: land gefommen, um Dienfte zu fuchen, und dem Ober: bofmeifter Srafen Panin von einem feiner vertrauten Freunde empfohlen worden. Nachdem er mit Auszeich- nung in den zwei vorhergehenden Türkenkriegen gedient, hatte er in Perfien eine Divifion unter dem Grafen Va⸗ lerian Zoubow befehligt. Der General Bennigien hatte fo eben ein Commando in einer Provinzialftadt erhal ten; eine Art Exils, wozu ihn der Kaifer verdammt

Zum Glück für Perſien ftarb Katharina und Paul I. beeilte fid, dad Heer zurüdzuberufen. Da dies durch Befehl an dic einzelnen Kegimentscommandanten, ohne eine Zeile an den Oberbefehls— baber, erfolgte, fo lag die Bermuthung nahe, daB Haß gegen die Zonbows im Spiele gewefen. In Perfien hinterließ Zoubow durd die ftrenge Mannszucht, die er beobachtet hatte, fehr günftige Eindrüde. Balerian nahm feinen Abſchied und ging auf feine Güter. Er ftarb in St. Petersburg 1804. Nikolaus Zoubow, der jüngfte Bruder, ward von der Kaiferin Katharina zum General und Oberftallmeifter ernannt und fam natürli bei Paul in Ungnate. Aud er zog fi nad ber Revolution auf feine Güter zurüd und ftarb dort, gleihfall& in dem für mehrere Theilnehmer dieſer Sache verhängnißvollen Jahre 1804.

1) Levin Auguft Sheopbilus v. Bennigfen, geb. zu Braunfchmeig om 10. Zebr. 1745, Sohn eines braunſchweigiſchen Obriſten, war anfangs Page, Fähndrich und Lieutenant in hannöveriſchen Dien- ftien, nahm fpäter feinen Abſchied, zog auf fein väterliches Gut, Banteln im Hamoͤveriſchen, und heirathete. Der Berfall feines Bermögens und der 1773 erfolgte Tod feiner Frau bewogen ihn, in ruffifde Dienfte zu treten, und es gelang ihm, vorher von der bannöverifhen Regierung zum DObriftlieutenant ernannt zu werden. Gr tämpfte gegen die Türken, gegen Pugatfhew, in Polen und Derfien und zeichnete‘ fi namentlih bei dem Sturme auf Dczakow, bei Wilna, bei Dlita, bei der Eroberung von Derbent aus. 1798 wurde er Generallieutenant, unter Alexander Generalgouverneur von Lithauen und General, war 1806 Oberbefehlshaber bei Yultus und 1807 bei &ylau, ging dann auf feine Güter, *ämpfte aber 1812 wieder an der Moskwa und bei Woronowna, 1813 bei Leipzig, wo er in den Grafenftand erhoben wurde, commandirte fpäter in Beſſa⸗ rabien, dis er 1818 auf fein Gut in Hannover zurüdtehrte, wo er, gänzlih erblindet, am 3. Detober 1826 geftorben if.

72 Die raffiihe Throntenolution von 1801. |

batte, weil er ihn, der früher in Hannover gelebt, in Verdacht hatte, den Intereflen Englands, mit welchem der Kaifer eben gebrochen, geneigt zu fein.

Der General Pahlen ſchickte ihm einen Courier, mit dem Befehle, nad) St. Peteröburg zu kommen, und id, bevor er mit irgend Iemand gefprochen, bei ihm einzu finden. Bennigfen wurde von feinem alten Freunde und Kameraden, dem Grafen Pahlen, mit offenen Armen empfangen und von ihm in das Geheimniß ded Com⸗ plots eingeweiht, an welchem man ihn theilzunehmen beredete. Es ward befchloffen, daB er das Commando desjenigen Detachementd übernehmen folle, was beftimmt war, das Innere des Palaid anzugreifen, ein Auftrag, dem fi) der Graf von Pahlen felbft hatte unterziehen wollen, binfichtlich deſſen er fich aber freute, ihn einem Mann überlafien zu können, deflen Befähigung, Kalt: blütigkeit und Muth fo anerkannt und dem die Garden fo ergeben waren, während Pahlen’s eigene Dienfte nütz⸗ licher zu dem Commando eines beträchtlichen Infanterie: corps angewendet werden konnten, welches das Palais zu dem doppelten Zwede cerniren follte, die Flucht des Kaiferd zu verhindern und jede Bewegung zu feinen Gunften von Seiten ded Gardereiterregiments zu bin- dern, deilen größter Theil allen Verführungsverfuchen widerftanden hatte. Bennigſen hielt fich, drei oder vier Zage lang, bis zum Augenblicke der Ausführung des Projects in St. Peteröburg verborgen.

Die Zahl der Perfonen, die man als die Seele der Verſchwörung bildend betrachten kann, reducirt fich da⸗ ber auf den Grafen Pahlen, den General Zalizin, die drei Brüder Zoubow und den General Bennigfen. Der Admiral Rivad war wenige Wochen, bevor Diefes Pro: ject zu feiner Reife gediehen war, geflorben. In Be:

Die ruſſiſche Throurevolation von 1801. 13

treff Der perfönlichen Eigenfchaften der Verſchwotenen konnte man nicht in Abrede ftellen, daß fie, mit Aus- nahme des Zürften Platon Zoubow, aus den entfchlof- fenften Männern in Rußland beftanden und ſich unter einander gut genug Fannten, um mit gegenfeitigem Ver⸗ trauen handeln zu können.

Es kam nunmehr darauf an, eine Partei unter den bei den Garden und dem Elitencorps angeftellten Offizierd zu werben. Jeder der Hauptleiter fuchte un- tee der Zahl feiner Freunde Gehilfen des Planes zu finden. In diefe Elaffe muß man Zatarinow und Tſchit⸗ ſcherin, zwei verabfchiedete Generale, reihen; ferner Manfurow, Obriften bei dem Garderegiment Ismailow, den Artillerieobriſt VYeſchwel, Zalbanow, der ein Ba- teillon der Preobratzſchenskoy-Garde befehligte, einen Keutenant defjelben Corps, Namens Marin, endlich ein funfzig Perfonen,. von denen nur Die genannt werden, die bei einigen befonderen Umftänden in der Entwide:. lung der Verſchwörung hervortreten.

Der nachherige Kaifer Alerander war, nach ficheren Angaben, noch von dem Plane unterrichtet. Die Brü- der Platon und Valerian Zoubow waren, an der Stelle des Grafen Panin, die Vertrauten des Großfürften ge⸗ worden. Indeſſen war man noch weit davon entfernt, die ganze Verſchwörung organifirt zu haben, als perſön⸗ liche Dispofitionen Paul’ 1. deren Ausbruch befchleu- nigten.

Das Mistrauen des Kaiferd verſtärkte fich täglich. Bar ed Vorausfiht, war es Ahnung, er träumte von nichts als Comploten gegen fein Leben und feine Per- fon. Bloßer Verdacht reichte hin, um Verbannungen und Einkerferungen zu motiviren. Gleichwol fchwanfte

I. 4

74 Die ruffifche Ihronrenolution von 1801.

fein Sohn nod), und ohne deſſen Einwilligung wagten die Verfchworenen nichtE zu unternehmen. Um den Großfürſten Alerander dazu zu beflimmen, griff Pahlen zu folgendem Mittel.

Er fchürte den Verdacht, den der Kaiſer gegen feine Söhne hegte, an und trieb ihn foweit, dag der Monard ihm, ald Militairgouverneur, die fchriftliche Vollmacht vertraute, die Großfürften zur Sicherung feiner gehei- ligten Perfon zu verhaften. Pahlen zeigte dem Grof- fürften dieſen Befehl und entrig ihm Dadurch feine Einwilligung ').

Man verfihert, DaB der Kaifer auch die Kaiferin einzuferfern, feinen dritten Sohn, den Großfürften Ri- kolaus (geb. 7. Juli 1796), zu feinem Nachfolger zu erflären und deflen Erziehung felbft zu leiten beabfid: figte. So drängte fich diefer unglückliche Fürſt zu fei- nem Untergange hin, indem er fich Durch feine menfchen-

1) Der Großfürft Alerander wurde auch noch von ciner anderen Seite her von dem Schickſale, weldes Paul ihm vorbehicht, unter: rihtet. Der Generallieutenant Uwarow, welcher nod jett (1804) Chef des Garbereiterregiments ift, war der Geliebte der Zürftin Lapuchin, der Mutter der Zürftin Gagarin, welche Letztere damals Maitreffe des Kaiſers war. Der Monarch Fam eines Abends fehr verprießlich zu ihr, fagte ihr, daß er von nichts ald Feinden ums» geben fei, daß fogar feine Söhne fi gegen ihn verfhmwörten, und erzählte ihr, gegen das Verſprechen des Geheimniſſes, daß er ent: ſchloſſen ſei, fie in feften Gewahrfam bringen zu laffen. Die Für⸗ ftin Gagarin theilte diefes gefährliche Gcheimniß ihrer Mutter, viele theilte es Uwarow mit, der es Pahlen binterbradte. Pahlen rieth ihm, den Großfürſten Alexander unmittelbar davon zu unterrichten, und als nun dieſer Prinz mit dem Generalgouverneur davon ſprach, ſo gab dieſer zu, daß der fragliche Befehl in ſeinen Händen ſei, und beſtand nun darauf, daß der Großfürſt auf die Entſetzung des Kai⸗ ſers einging.

Die ruſſiſche Thronrevolution von 1801. 75

feindliche Laune der Zuneigung feiner Kinder und feiner Gemahlin beraubte.

Alles vereinigte fi, eine Kataftrophe zu befchleuni- gen. Der Kaifer trug in die Maßregeln der äußeren Politik Diefelbe Heftigkeit, daſſelbe Aufbraufen über, was er in Der inneren Verwaltung zeigte. Er war im Krieg mit England; gegen Preußen und Dänemark follten feindliche Manifefte gefchleudert werden, und feine Ge- fandten in Berlin und Kopenhagen hatten Befehl, Diefe beiden Höfe zu verlaffen. Das ruffiihe Reich, mit ei- nem in reißender Schnelle fintenden Credit, mit einem vernichteten Handel, der Quellen feines Wohlſtandes beraubt '), ſollte in Krieg mit friedlihen Nachbarn tre- tm, ohne einen einzigen Allürten in Europa zu be— fiten ), und dabei hatte es fein Motiv, feinen Vor— wand zum Kriege, und der Kaifer felbft würde fich feine vernünftige Rechenfchaft darüber haben geben fönnen, was zu folhem Ergebniß geführt habe. Nach allen menfchlichen Wahrfcheinlichfeitsberechnungen hätte der Staat in Kurzem zufammenftürzen müffen, wenn nicht ein ſcheinbar zufälliger Umſtand die Kriſis befchleu- nigt hätte.

Der Kaifer hatte (früher) als Generalgouverneur feiner Refidenz einen Artilleriegeneral Namens Araktſche⸗ jew ?) gebraucht und hatte ihn wegen der Härte feines

1) Dies alles dur den Brud mit England.

2) Gegen England hatte er allerdings Frankreich als Theilneh⸗ mer des Kampfes; aber mit Preußen und Däncmarf war Zranfreid im Zrieden. u

3) Er wurde 1802 Kriegsminifter, im Frühjahr 1803 Chef des in St. Petersburg garnifonirenden Artilleriecorps und hat ſeitdem,

4 *

16 Die ruſſiſche Throntevolution don 1801.

Charakters verabfchiedet.. Er hielt in jenem Augen bfide diefen Mann für geeignet, feinen Abfichten zu dienen, und fei es, Daß er, wie Einige vermuthen, Ver: dacht gegen Pahlen hatte‘), oder daß er, wie Andere annehmen, Araktichejew für geeigneter ald jeden Andern hielt, die firengen Maßregeln auszuführen, die er gegen feine Familie vorhatte, er ließ einen Courier an ihn ab-

bis zum Ende der Regierung des Kaiferd Alerander, cine große Rolle gefpielt. Namentlih rührte von ihm die Errichtung der Mi- litatrcolonien ber, deren Chef er wurde. 1825 erhielt er den Ab⸗ fhied, weil er durch feine Strenge der Gegenftand des größten Haf- ſes der Soldaten geworden war, und ftarb am 21. April 1834 auf feinem Gute Grufino am Wolchowfluſſe. In Betreff dieſes Gute deftimmte er in feinem Zeftamente, daß der Kaifer Nifolaus einen Erben für daffelbe bezeichnen fole. Der Kaifer Nikolaus widmete ed dem Nomgoroder Cadettencorps.

1) Der Kaifer fragte Pahlen, wenige age vor der Revolution, in brüsfer Weife: ob er fih des Todes Peter’s III. erinnere, und als Pahlen bejahend antwortete, fragte der Kaifer weiter: ob er die Umftände deffelben kenne. Pahlen verneinte das. Darauf fagte ibm der Kaifer: „Ich weiß, daß man mir an das Leben will, und daB man daran denkt, mir den Tod meines Baters zu bereiten.’ Pahlen behandelte dieſe Beforgniffe, ohne in Bermirrung zu kommen, als chimäriſche, und bemerkte: man würde über feinen Leib gehen müffen, bevor man zu dem Monarden gelangen Tönne.

In der Zeit, mo man bie erfte Unterneßmung, deren wir gedadt haben, im Sinne trug, trat Pahlen eines Tages in das Zimmer des Kaiſers. Als diefer ihn, in einer Aufmallung der Zuneigung, ums armte, hörte er ein Papier in Pahlen's Taſche rafheln. Er ver- langte den Inhalt dieſes Blattes zu willen. Pahlen gab es für einen unbedeutenden militairifhen Beriht aus, während ed in ber That ein Plan zur Abfegung ded Kaifers war. Die Gefahr, in welcher Pahlen in diefem Augenblide geſchwebt hatte, wirkte gleich⸗ wol fo ſtark auf ihn ein, daß ſich fein Ausfchen verwandelte. Der Kaifer Hielt ihn für unpaß und bot ihm diefen Vorwand, fi zu entfernen. Wir haben diefe beiden merkwürdigen Anekdoten, die den Charakterſchlag des Hauptes der Berfhwörung bezeichnen, aus der fiherften Quelle (vom Grafen Panin).

Die ruſſiſche Thronrevolution von 1801. 77

ſchicken, um ihn zurückkommen zu laſſen. Pahlen be- gann mit Aufhaltung des Couriers, der dieſen Befehl zu beſorgen hatte, und ließ ihn nicht eher abgehen, als wie er gewiß war, Daß man, auch wenn man die Er- ägniffe noch fo wenig beeilte,. Arafticheiew zu fpät an- fommen fehen würde. Erft jebt theilte er den Häuptern der Verfchwörung Die Nachrichten mit, die er über Die Afichten des Kaifers, ihm den Poften als Generalgou- verneur der Refidenz zu entziehen, erhalten hatte Gr ftellte ihnen vor, daß feine Entlafjung nicht blos das Project fcheitern machen, fondern wahrſcheinlich auch zu deflen Entdedung führen würde. Endlich machte er ihnen begreiflich, daß die Ankunft Araktfcheiew’s ihnen weder die Wahl, die Unternehmung aufzufchieben, noch die, fie aufzugeben, laſſe, und in gemeinfchaftlichem Einverftändniß ward die Nacht vom 23/11. zum 24/12. März zu Ausführung des Planes beftimmt. . Bevor wir die Schilderung der Kataftrophe beginnen, welche die Krifis, in der fi) Rußland befand, beendigte, wird es nöthig fein, die Dertlichfeit diefer Tragödie und die Lage des von dem Kaifer bewohnten Schlofles Een- nen zu lehren.

Paul I. hatte in den erften Monaten feiner Regie: rung angefangen, ein neues Palais zu errichten, das er zu feiner Wohnung beftimmte. Sei ed, daß dieſer Monarch der Erbauung dieſes Gebäudes auch einen re- ligiöfen Beweggrund unterlegen und Dadurch feine Ent- ftehung heiligen wollte, oder daß er ernfllich an Die Vi⸗ fion glaubte, welche eine in den Umgebungen des Gar- tens aufgeftellte Schldwahe während des Sommers von 1797 gehabt zu haben verficherte, jedenfalls ift es gewiß, Daß der Kaifer in derfelben Stunde den Befehl

*

78 Die rufſiſche Thronrevolution von 1801.

ertbeilte, an diefem Plabe den Grund einer St. Mi hael geweihten Kapelle zu legen, und daß er damit den Plan eines ald St. Michaelöpalaft bezeichneten Schloſſes verband. |

Dort, im Hintergrunde des Sommergartend auf dem rechten Ufer des Zontandafanald, an derfelben Selle, wo ſich ehedem das alte, von der Kaiferin Eliſabeth bewohnte Sommerpalais befand, wurde in weniger ald 3. Jahren dies riefige Gebäude errichtet. Ein audge mauerter Graben und leichte, mit Geſchütz beſetzte Be feftigungen ftellten der Annäherung einige Hinderniffe ent- gegen; aber der Winter, der die Gräben mit Eis be deckte, machte die Wirkſamkeit der Zugbrüden, auf wel- he die Haupfzugänge des Schloſſes ausliefen, zunichte.

Die Yacade des St. Michaelpalais war von der lichteothen Farbe der Handfchuhe, welche die Maitrefle des Kaiferd, Die Fürſtin Gagarin, an dem Tage trug, wo man über die Wahl der Farbe des Schloſſes ſprach.

Das Innere war überaus reich und übertraf in der verfchwenderifchen Fülle des Marmors und der Bronze Alles, wad man von Pracht in Rußland geſehen hatte.

So hatte Diefer bizarre Fürft in dieſem Palais das Heilige und dad Weltliche vereinigt, daB ed einem Hei⸗ figen geweiht war, während ed die Farbe feiner Mai⸗ treffe trug, und daß, während das Aeußere den Anfchein einer Feſtung hatte, dad Innere allen Luxus und alles Erlefene einer Faiferlichen Wohnung einfchloß.

Paul I. bezog dieſes Palaid gegen Ende des Jahres 1800 mit feiner ganzen Familie. Der Monarch zeigte die größte Begier, dad Gebäude zu bewohnen, welche fein Grab werden follte und der Zukunft gewiflermaßen ald fein Maufoleum und ald ein Denkmal der an Er:

Die ruſſiſche Thronrevolution von 1801. 19

fravaganzen reichen Regierung und des tragifchen Endes diefes Souveraind dienen wird.

Die Verſchworenen fpeiften am Abend des 25/11. Marz bei einigen ihrer Führer, wobei die ftarfen Ge: tränke, zur Auffriihung des Muthes einiger Perfo- nen, nicht gefpart wurden. Alle kamen fpäter bei dem Generallieutenant Zalizin zufammen, wo Pahlen zulegt erfchien und einige Worte vol Kraft und Ueberzeugung an feine Genofjen richtete, worauf man fich trennte, un der Verabredung gemäß zu handeln.

Der General Zalizin begab ſich in die Kafernen der Hreobragfchensfoy-Garde, und befahl hier, unter dem Borwande von Unruhen in der Stadt, einem von Zal- banow befehligten Bataillone unter Waffen zu treten. Das Bataillon rückte geräufchlos auf der Nordfeite des Marsfeldes hervor und über die dem Hotel Rivas ge: genüberliegende Brüde in den Sommergarten, Dur den es durchmarfchirte, um den St. Michaelöpalaft ein- zufchließen. Hier aber fann man erfennen, wie Die un- bedeutendften Umſtände zuweilen das Geſchick von Rei: chen enticheiden fünnen. Die alten Linden des Son: mergartend dienen während der Nacht Zaufenden von Krähen zur Zufluchtöftätte. Als zu diefer ungewohnten Stunde eine Truppe heranrüdte, wachten diefe unheil⸗ verfündenden Vögel auf und erfüllten die Luft mit ihrem Geſchrei. Der Lärm ward fo groß, daß die Offiziere, welche die Truppen führten, von der Beforgniß beun— ruhigt wurden, der Kaifer möge darüber aufmachen. Das Project wäre verfehlt geweſen, wenn es ihm ge glückt wäre, feine Perfon in Sicherheit zu bringen, und - die Krähen ded Sommergartend hätten in der Gefchichte die Berühmtheit der Gänſe des Capitold erlangt. Pah—

80 Die ruſſiſche Thronrevolution von 1801.

len hatte inzwifchen feine Verfügungen in Betreff der Zugänge des Palais von der Seite der Perfpective aus getroffen; er ließ dort Reiterdetachements marfchiren, die fich Dafelbft mit Dem erwähnten Bataillon der Preo⸗ bratzſchenskoy⸗Garde vereinigten. Er felbft Fam nit in das Palais, als bis alles vorüber war. Die andern Verfchworenen befchuldigten ihn fpäter, gefliffent: lich gezögert zu haben, um, wenn die Sache gelang, den Augenblid zu nüßen, wenn fie aber fehlfchlug, als der Befreier Paul's I. zu erfcheinen ’).

Das Palais war an diefem Tage von einem Ba- taillon der Sſemenowskoy⸗Garde bewacht, was die Au- Bentheile und die große Wache befeht hielt, während Die Bewachung ded Inneren und der Perfon Er. Majeſtät einem Detachement der Preobratzſchenskoy-Garde, Das ein Lieutenant Namens Marin?) befehligte, anvertraut war. AS das Bataillon des Zalbanow ind Angeficht des Palais kam, redete diefer Offizier feine Truppe an und fragte fie, ob fte ihn auf einer gefährlichen Erpe dition begleiten wolle, die er zur Rettung des Reicht und der Nation unternähme. Sie antwortete ohne Zö— gern bejahend. Man überfchritt darauf die Gräben auf dem Eiſe, entwaffnete die äußern Schildwachen des Ba- taillond der Sſemenowskoy, ohne daß fie Widerftand geleiftet hätten, und die Truppe, welche in die Zimmer

I) Wie Bennigfen erzählte, war man übereingefommen, daß der General Pahlen, begleitet vom General Uwarow, an der Spigte eines Gardebataillons über die große Treppe des Palaid in das Zimmer des Kaiſers rüden ſolle. Pahlen marſchirte fo langfam, daß Umarom ihn drängen mußte, feinen Mari zu befäplennigen; ein Umftand, der zur Unterftügung obiger Annahme dient.

2) Er gehörte, wie oben angeführt worden, zu den Verſchwo⸗ renen.

N

Die ruſſiſche Tpronrenolntion von 1801. 81

3 Kaiferd zu dringen beſtimmt war, ging in feine mmächer über die Feine Wendeltreppe a’), bie ihren

2) Bolgender Plan eines Theiles der Beletage des St. Midael- offes ift nad dem zehnten Stüd der 14 Blätter copirt, welde

‚82 Die ruſſiſche Thronrevolution von 1801. |

Eingang auf der Façade hat, welche gegen den, gemei- niglicy dritter Garten genannten Garten gerichtet ift ').

Diefe Abtheilung beftand aus den drei Brüdern Zoubow, dem General Bennigfen, dem General Tſchit⸗ fcherin und einer Menge unbefannter Menſchen, wie bie Manfurow, Zatarinow, Veichwel, die ſich im Laufe die fer graufigen Nacht durch ihre Muth bemerfbar machten.

Der Fürft Platon Zoubow und der General Bennig- fen begaben ſich auf das Schlafzimmer des Kaifers zu, ohne bei dem Durchſchreiten des Vorzimmers, das ſich zwifchen der Wendeltreppe und Diefem Zimmer be fand, ein Hinderniß zu treffen. Das, was der Kaifer innehatte, hatte Feinen andern Ausgang, ald den auf

der Architekt Brenna 1800 veröffentlihte. Die drei mit Rr. 6 be zeichneten Piecen waren innere Gemäder Sr. Majeftät des Kaifers. Rr. 5 gehörte zu den Appartements Ihrer Majeftät der Kaiferin. Nr. T war eine Fleine Küche, die dem Kaifer gehörte.

1) Es wird am Drte fein, bier zu erzählen, daß der Kaifer feit mehreren Monaten in der Furcht ſchwebte, er könne vergiftet werden, und daß er deshalb einen feit langen Jahren in St. Petersburg etablirten Kaufmann hatte angehen laffen, ihm eine gute bürgerliche englifhe Köchin zu empfehlen und zu verfhaffen. Diefes rauen» zimmer bereitete ihm fein Diner in der mit Nr. 7 bezeihneten, an feine Gemächer ftoßenden Pleinen Küche. Sie erſchrak über. den Lärm, den die Verſchworenen madten, entfloh während der Verwirrung und Fam inter Nadt, allein und zu Fuß, bei ihrem alten Herrn an.

In einem, zwei Monate nad dem Greigniß abgegangenen ges ſandtſchaftlichen Berichte heißt ed: „Die Verſchworenen Pünvdigten fich als eine Truppe an, die zur Ablöſung der Wache im Innern des Palaſtes beſtimmt ſei, und gelangten, indem ſie die Parole an⸗ gaben, ohne Schwierigkeit bei den verſchiedenen Poſten vorbei und uͤber die Zugbrücken. Sie drangen durch eine Seitenpforte am Fuße einer geheimen Treppe, die in die Zimmer des Kaiſers führte, an deren Außerftem Ende (?) fi fein Schlafzimmer befand, in das Palais. Sie durdfäritten die Zimmer ohne Hinderniß, bis zu dem, was an das Schlafzimmer ſtieß. Hier erfuhren fie einen ftarfen Widerſtand von Seiten eines Leibhufaren des Kaifers, und bevor dieſer Mann hatte überwältigt und entwaffnet werten Fönnen, hatten fein Geſchrei und feine Anftrengungen den Kaifer erwedt und aufmerkfam gemadt.”

-

Die ruſſiſche Thronrevolution von 1801. 83

dem beigefügteri Plane mit b bezeichneten. Der Archi⸗ teft Brenna, der das St. Michaelöpalais erbaut hatte, batte in dem Schlafzimmer des Kaiferd eine Verbin- dungsthüre zu den mit c bezeichneten Appartements Ihrer Majeftät der Kaiferin eingefenft. Zu Diefer Zeit war die Kälte ded Kaiferd gegen feine Gemahlin auf ihrem Gipfel; er befahl daher Brenna, dieſe Thüre zu: mauern zu laflen, und da Brenna die Befolgung diefes Befehls verzögert hatte, fo ließ ihn der Kaifer einige Stunden in Xrreft bringen, um ihn für feine Nachläf- figfeit zu ftrafen.

Am Eingange ded Schlafzimmers, wo auf der Schwelle der Zhüre felbft, auf dem mit b bezeichneten Plage, ein Kammerhufar des Kaiferd fchlief, war es, wo dieſer treue Diener fich entgegenftellte und einigen Widerſtand Ieiftete. Er mußte der Gewalt weichen und lief, mit einigen Beulen bebedt, um Hilfe zu rufen ').

1) Die Kaiferin Mutter hat dieſen Hufaren als Kammerdiener an ihre Perſon gefeffelt. Als “er mit blutendem Kopfe in dem Saale anfam, wo fi das von Marin befchligte Detachement ver Preobratz ſchenskoy⸗Garde befand, und Hilfe zur Nettung des Kai: fers forderte, war dad Detahement bereitd durd einen Dfenbeizer allarmirt worden, ver daffelbe Ereigniß angezeigt hatte, aber von Marin ald Narr und betrunfen behandelt und fortgeſchickt worden war. Rad diefer zweiten Nachricht aber wurde dic Bewegung in der Truppe ernftbaft und allgemein und ein Soldat verlangte, im Namen Aller, zum Kaifer geführt zu werden. Marin feste ihm ven Degen auf die Bruft, indem er ihn zu tödten drohte, wenn er noch ein Wort vorbringe, und befahl dem Detachement, unter Waffen zu treten. Diefe militairifhde Stellung verpflichtet in Rußland zum vollfommenften Stilfchweigen. Die Truppe gehorchte und blich in diefer Stellung, bis man erfuhr, daß Alles beendigt fei. Dann er: Härte man den Soldaten, daß Paul wahnfinnig geworden und ab- gefegt fei, und fie erkannten einftimmig Alexander I. an.

Diefe Anckvote bezeugt ebenfo die feltene Geiftesgegenwart Ma⸗ als die ganze Macht der Subordination bei den ruſſiſchen

ruppen.

84 Die ruſſiſche Throntenolution von 1801

Ein Flügeladjutant des Kaiſers, deflen Namen wir nicht kennen, war der Führer der Eindringenden und trat in ihrem Gefolge in dad Schlafzimmer. Der Fürft Zoubow und der General Bennigfen waren in großer Uniform, den Hut auf dem Kopfe, den Degen in ber Hand. Sie ftelten fih vor das Bett des Kaifers und fagten ihm: „Sire, Sie find verhaftet.” Der Kaifer feßte fih auf und fragte ganz beftürzt, was fie wollten, worauf fie die frühere Rede wiederholten und ihm er Färten, daß er die Krone niederlegen müfle und daß er fih ruhig zu verhalten habe. Der Zürft Zoubow und der Flügeladiutant gingen zur Thüre, um die an- dern Verfchworenen herzuzurufen, und Bennigfen war eine gute Weile allein bei dem Kaifer, der fich ſchwei⸗ gend verhielt und vor Zorn bfaß und roth ward. Ben nigfen fagte ihm: „Site, ed handelt ſich um Ihr Leben; Sie müfjen ſich Darein fügen, eine Abdanktungsurkunde zu unterzeichnen’). In diefem Augenblide drangen mehrere Offiziere in das Zimmer. Bennigfen fagte ib nen, fie follten den Kaifer im Auge behalten, und wen- dete fich nach der Thüre, um fie zuzufchließen. Paul benugte diefen Augenblid, um aus dem Bette zu fprin- gen. Einer der Offiziere. faßte ihn bei der Kehle; der Kaifer machte fich los, fprang hinter einen großen Ofen⸗ fhirm und fiel. Bennigfen rief ihm zum Ießten Male zu: „Sire, thun Sie nichts, es handelt fi um Ihr Leben.“ Aber der Kaifer erhob fich wieder und wendete .

1) So beißt es auch in dem angeführten Geſandtſchaftsbericht: ‚Der Kaifer wurde von dem General Bennigfen verhaftet, der ſich zwifhen ihn und eine gegenüber befindliche Thüre ftellte und ihm auf franzöfifh fagte: Sire, Sie find verhaftet. in Augenblid der Ungemwißbeit trat ein und der General Bennigfen ift überzeugt, daß, wenn der Kaifer fih damals ergeben hätte, man nit zu an dern Gewaltmaßregein geſchritten fein würde.‘

Die ruſſiſche Thronrevolution von 1801. 85

fi) einem Tiſch zu, auf welchem er mehrere geladene Piſtolen hatte.

In dem Augenblide, wo die Mafle der Verſchwo—⸗ renen ſich auf ihn flürzte, hörte man Geräuſch am der Thüre. Es war ein Offizier mit einem Detachement, der die Befehle Bennigfen’s einholen wollte und von diefem die Weifung empfing, den Eingang zu bewachen und zu vertheidigen. Mittlerweile ward der Kaifer von den Verſchworenen, die ihre ruchlofen Hände an ihren Souverain zu legen wagten, zu Boden geworfen. Man verfichert, daß ein gewifler Yeſchwel, ein geborener Zartar, ber: Erfle war, der mit feinem königsmörderi⸗ fhen Arme den Monarchen traf, der dann unverzüglich, nach einem ziemlich Eräftigen Widerftande, zu Boden geworfen und mit der Militairfchärpe eines Offiziers vom Regiment der Sſemenowskoy⸗Garde, Namens Sca- tiatin, der die Wachmannſchaft des St. Michaelöpa- laſtes commandirte, erdrofjelt ward. Die Schärpe hatte urfprünglich, wie man behauptet, dazu dienen follen, dem Kaifer die Füße zu binden ’).

1) Es ſcheint, daß der Kaifer auf dem mit P bezeichneten Platze ftarb. Während des kurzen Kampfes, ver nicht länger als zehn Minuten dauerte, hörte man den Kaifer fragen: mas man von ihm wolle. Ein Offizier ermiverte ibm: „man bätte ed ſchon lange mit Ahnen ausmahen follen.’ Die meiften Berfchworenen waren wein⸗ trunfen. Es ſcheint außer Zweifel, daß der Oberftallmeifter Riko⸗ laus Zoubow den Kaifer mit eignen Händen erproffeltee Er war ein hochgewachſener Mann mit ziemlich ſchoͤnen Zügen, die aber doch einen wilden Ausdrud hatten. Er ftarb ziemlih jung im Amte und mon muß annehmen, daß weder der Kaifer Aleranvder, noch die Kai⸗ ferin Mutter jemals erfahren haben, welden unmittelbaren Antheil der Graf Nikolaus an der Ermordung genommen.

An dem mehrfadh erwähnten geſandtſchaftlichen Berichte heißt es: „Es ift nur zu gewiß, daß dieſer legte Act der Barbarei von einer Heron (Nikolaus Zoubow) verübt ward, die an demfelben Abend in demfelben Zimmer mit dem Kgifer gefpeift Hatte.’ (Ganz wie

56 Die ruſſiſche Thronrevolution von 1801.

So ftarb Paul I. in feinem 46. Jahre; ein mer: würdiges Beifpiel eines Souveraind, der, mit allen Talenten geboren, mit allen Zugenden begabt und fie bis zu einem Alter übend, wo man gemeiniglich glaubt, daß die Menfchen gegen den Einfluß der Leidenfchaften gefichert find, in fo vorgerüdter Lebenszeit Gewohnhei⸗ ten, Sitten und Charakter änderte und zum graufamen und ausfchweifenden Zyrannen ausartete.

Es ift Schwer, die Namen allee Mörder richtig an zugeben und der Verwünichung der Eommenden Jahr⸗ hunderte das Andenken aller Derer zu überliefern, die ihre ruchlofen Hande in das Blut ihred Souveraind tauchten. Die Zahl der Verfchworenen war groß und, wie man zur Schande der Zeit befennen muß, die Wir fung des Hafjes gegen jenen Fürften und die Ruchlo—⸗ figfeit feiner Zeinde war fo arg, daß man noch 1801 eine Menge Offiziere fand, die fi) rühmten, bei jenem Meuchelmorde mitgewirkt zu haben, ohne daß fie dod in der That daran theilgenommen hätten.

Die Namen ded Oberſtallmeiſters Grafen Nikolaus Zoubow, ded Generald Tfchitfcherin, dann der Man: furom, Tatarinow und Vefchwel gehen indeß als die der Haupfthäter in dieſer Kataftrophe auf Die Nachwelt über. Man kann mit Beftimmtheit verfichern, Daß der Graf Pahlen, der Fürft Zoubow, der Graf Valerian Zoubow, Die Generale Bennigfen und Zalizin feinen perfünlichen Antheil daran haften, und vielleicht ift man es jeßt dem Andenken des 1804 verftorbenen Grafen Valerian Zoubow fchuldig, zu fagen, daß feine Thränen

bei Peter TIL, deffen Mörder fih auch erft bei ihm zu Gafte Iuden! Uebrigens ſoll, nach andern Berichten, Valerian Zoubow Abends beim Kaiſer geſpeiſt haben.)

Die ruſſiſche Thronrevolution von 1801. 87

über diefen tragifchen und unerwarteten ') Ausgang fich in die des Sohnes Paul's I. mifchten.

Alerander erwartete, in feiner Wohnung eingeichlof- fen, dad Ergebniß der Unternehmung. Der General Umwarow ?) und der Obrift Nikolaus Borosdin waren bei ihm geblieben, um ihn im Falle der Noth zu ver: fheidigen und fo mit ihm die Gefahren des Fehlſchlagens zu theilen. Der Graf Valerian Zoubow begab fich zu dem Großfürften Alerander und hatte einige Mühe, zu ihm zu gelangen. Er traf ihn, mit feiner Uniform be- kleidet, auf einem Ruhebette ausgeſtreckt, und kündigte ihm die Abſetzung feined Vaters, den Beginn feiner Regierung und den Zod Paul’d I. an. Man weiß, daß diefe Veßtere Nachricht ihn in die heftigfte Verzweiflung flürzte. Er erfannte erft jet die unfeligen Folgen des Abſetzungsplanes und beffagte zu ſpät und fruchtlos die Verbindung einer wilden und zügellofen Jugend, die eine vielleicht für die Rettung des Staats unerläßliche Unternehmung mit einer Miflethat befledt hatte’).

1) Aus dem wiederholten Zurufe Bennigfen’s an den Kaifer, fid rubig zu halten, da es fi um fein Leben handele, ergibt fi doc, daß Jener von Anfang an vorausſah, es Tönne nur zu leiht zum Aeußerften Tommen. Auch gebörte nicht viel Menſchenkenntniß dazu.

2) Diefer Umftand ift dem Berfafler von dem Obriften Nifolaus Borosdin felbft, damals Faiferlihem Zlügelapiutanten, fpäter als Generallieutenant geftorben, verfihert worden, fteht aber einigerma- fen in Widerſpruch mit dem, was weiter oben gejagt worden ift: dep Uwarow bei dem General Pablen an der Spige eines Gardeba- taillond gewefen fei. Vielleicht ließen fi beide Angaben mit einan⸗ der vereinigen, wenn man annähme, daß Umarom den Großfürften Alerander einige Zeit lang verlaffen hätte.

3) In jenem gefandtfhaftlihen Berichte heißt ed: „Die beiden Brüder’! (Alerander und Konftantin) „waren beifammen und zeig- ten fih, wie man fi leicht denken Tann, von Schauder ergriffen und lebhaft bewegt. Aber der neue Souverain, der die Nothwendig⸗ teit erkannte, fi) allem zu fügen, was man von ihm verlangte, und dem man nafürlih von den gemaltfamen Mitteln, die dem Leben

88 Die ruſſiſche Thronrevolution von 1801.

Die Kaiſerin Marie’) hatte Lärm im Schloſſe ge: hört und war benachrichtigt worden, baß eine Bewe⸗

des vorigen Kaifers ein Ziel gefept, nichts gefagt hatte, wurde end: li dabin gebracht, cine Proclamation zu fanctioniren, melde bes fogte: daß jener Souverain im Laufe der Naht an einem Schlag: anfall verfterben fei. Diefe Rachricht wurde, bei Trommelſchlag, zeitig am Morgen des 24. März in den Straßen von St. Peters: burg verkündet, und im Laufe des Vormittags empfing der Kalfer Alexander, der nad dieſen Vorgängen in den Winterpalaft überges zogen war, den Puldigungseid und die Glückwünſche des Genats, des Adels 2c. und den Eid der Treue von der Garnifon, das Garde: reiterregiment mit eingeſchloſſen. Als er ſich dem Volke auf einem Ballon zeigte, wurde er mit den Ichhafteften Zreuderufen be grüßt... ..’

1) Es war dies die zweite Gemahlin Kaifer Paul's, ver in er ftir Ehe, am 10. Detober 1773, mit der Prinzeffin Wilhelmine von Heffen» Darmftadnt (geb. 25. Suni 1755), der Großfürftin Ras talia Alexiewna, vermählt gewefen war, die er feurig liebte und an deren am 26. April 1776 im Kindbette erfolgten Tod ſich auch jene unbeimlichen Gerüchte knüpfen, welche in Rußland fi um alle un- erwarteten und bedeutfamen Zodeöfälle zu breiten pflegen, natürlich aber nicht immer begründet ſind. Aus dieſer Ehe lebte fein Kint. Die zweite Gemahlin Kaiſer Paul’s war die Prinzeffin Sophie Dos rothea Augufte Luiſe von Württemberg (geb. 25. October 1759), ältefte Tochter des Prinzen, und feit 1795 Herzogs Friedrich Eugen von Württemberg und der Prinzefiin Zriederife von Brandenburg: Schwedt. Sic führte als Großfürftin und Kaiferin den Namen Marie Feodorowna, ward mit Paul am 18. October 1776 ver: mählt und ftarb am 5. November 1828. Ihr ältefter Bruder wer der nahherige erfte König von Württemberg, Zriedrih, der Bater des jegigen Königs, welcher Lettere in zweiter Che mit einer Tode ter dicfer feiner Lante vermählt ward, während fein Sohn, ver Kronprinz, bekanntlich eine Enkelin derfelben und Tochter des jeti⸗ gen Kalfers von Rußland, die Großfürftin Olga, geheirathet hat. Der Kaiſer Paul hatte in diefer She vier Söhne und fehs Töchter erzeugt: 1) den nahherigen Kaifer Alcrander J.z 2) den Großfär⸗ ften SKonftantin, geb. 9. Mai 1779, welder 1822 und 1825 auf die Thronfolge Verzicht Leiftete, von feiner cerften Gemahlin, ver Prinzeffin Juliane von Sachſen⸗-Koburg (Großfürftin Anna, geb. 23. Sept. 1781, verm. 26. Zchr. 1796) am 0. März 1820 ge⸗ ſchieden ward, am 24. Mai 1320 eine morganatifhe Ehe mit der Fürſtin von Lowicz, Gräfin Johanna Grudzunsfi (geb. 20. Sept. 17099 + 29. Rov. 1831) einging und am 27. Juni 1831 ftarbz; 3) die Großfürftin Alcrandrine, geb. 9. Auguft 1783, vermählt am 30.

X

Die ruſſiſche Thronrevolution non 1801. &

gung gegen den Kaifer, ihren Gemahl, ftattfinde. Sie verfuchte, zu ihm zu gelangen, aber man hatte bereite auf allen Verbindungsgängen Poften mit der Ordre aus: geftellt, ihre mit gefreuzten Waffen den Zugang zu ver: wehren. Ein Offizier, an den fich die Kaiferin wendete, ſchickte zu dem General Bennigfen, um neue Drdre zu erholen; dieſer verbot ihm aber, bei feinem Leben, die Kaiferin nicht aus ihren Gemächern herauszulaflen. Ein Verſuch, den fie machte, auf einer andern Seite zu den Sroßfürften Alerander und Konftantin zu dringen, war gleichfalls fruchtloß.

Nachdem der Großfürft Alexander von den Garden zum SKaifer ausgerufen worden war, verließen die Zou⸗ bows und der General Pahlen das Palais, um ihre

Dctober 1799 mit dem Palatin von Ungarn, Erzherzog Joſeph von Drfterreih, dem fie nur eine am Tage der Geburt verftorbene Toch⸗ ter geboren hat, und in Zolge diefer Entbindung am 16. März 1801 geitorben iſtz 4) die Großfürftin Helene, geb. 24. Dec. 1784, am 23. Dct. 1799 mit dem Erbpringen Friedrich Ludwig von Medlcn- burg- Schwerin vermäplt, Mutter des vorigen, Großmutter des jehi- gen Großherzogs von Medienburg- Schwerin, und der jepigen Her⸗ zogin von Sachſen⸗Altenburg, + 24. Sept. 18035 5) die Groß: färftin Marie, jesige Großherzogin von Sahfen- Weimar (geb. 16. Zebr. 1786, verm. 3. Auguft 1804); 6) die Großfürftin Katha⸗ rina, geb. 21. Mai 1788, vermählt a) 3. Auguft 1809 mit dem zen Georg von Oldenburg (+ 27. Dec. 1812) und durd ihn tammmutter einer Seitenlinie dicfes Haufes, b) 24. Ian. 1816 mit dem jegigen König von Württemberg, dem fie die Gräfin Marie Neip- perg und die jetzige Königin der Niederlande gebar und am 9. Jan. 1819 ftarb; 7) die am 22. Juli 1792 geborene und am 26. Ian. 1705 geftorbene Großfürftin Olgaz 8) die Großfürftin Anna, geb. 18. Ian. 1705, verm. am 21. Zebr. 1816 mit dem damaligen Prinzen von Dranien, nahherigem König Wilhelm II. der Nieders lande, Witwe feit dem 17. März 18495 9) den jegigen Kaifer Ni- kolaus; 10) den Großfürften Michael, geb. 8. Zebr. 1798, + 9. Sept. 1849, deſſen Gemahlin, die Großfürftin Helene (früher Prin⸗ zeffin Gharlotte) gleichfalls eine Großnichte der Kaiſerin Marie und Toter des Prinzen Paul von Württemberg ift.

90 Die ruffifhe Thronrenolntion von 1801.

Anftalten in der Stadt zu treffen. Bennigfen blieb im St. Michaelspalais und hatte für deflen Bewachung

und für die Faiferliche Familie zu ſtehen. Er erhielt :

(wahrſcheinlich vom Kaiſer Alerander) den Auftrag, zu der Kaiferin zu gehen und fie zu bitten, ſich ruhig zu halten. Als er vor ihr erſchien, fragte fie ihn, ob fie jet ihre Zreiheit hätte. _ Der General antwortete mit Kein, verfchloß die Thür und ftedte den Schlüſſel in

die Zafche. Darauf befahl ihm die Kaiferin, aufzume - hen und die Anordnung zu geben, Daß man fie überal- :

bin, wohin fie wolle, frei gehen laſſe. Er antwortete, daß er dazu nicht ermächtigt fei, und ſetzte fogleich Hinzu: „der Kaifer Alexander“ bier hob fie die Hände zum Himmel und rief: „Alerander wer hat ihn zum Kar fer gemacht?” „Die Nation, Madame; die Garden haben ihn ausgerufen.” „Aber wer bat die Verſchwö—⸗ rung gebildet?” „Ed waren von Allem dabei, vom Militair, vom Civil, vom Hofe” „Laſſen Sie mid zum Kaifer Alerander gehen.” ‚Nein, Madame, das ift mir verboten; Sie werden nicht von hier fortgehen.” „Ah, General, ich werde Sie das bereuen machen.” Auf die wiederholten Foderungen der Kaiferin, fich zu ihrem Sohne begeben zu dürfen, ſagte ihr Bennigfen: „Ih will es unter zwei Bedingungen thun: daß Sie fi unterweged nicht aufhalten und dag Sie mit Nie mandem fprechen.” „Ich veripreche Ihnen das.“

Bennigfen befeßte nun alle Gänge mit Poften, in dem er befahl, daB Niemand, wer ed auch fei, fich der Kaiferin nähere und daß Niemand ihr antworte. So gelangte fie zu dem Kaifer Alexander, der ihr entgegen: ging, fie umarnıte und bei dem fie noch eine große Zahl der Hauptverfchworenen traf.

Die Kaiferin fam zu ihrem Gemahl erft, nachdem

Die ruſſiſche Thronrevolution von 1801. 9

nan ihn bereits in feine Uniform gekleidet und in dem immer, in dem er verfchieden war, auf ein Zeldbette jelegt hatte. Aber indem fie ihn erblidte, täuſchte fie ich keinesweges über Die Todesart, die er erfahren hatte, md ward von einem fo heftigen Schmerze befallen, daß nan file nur mit Gewalt entfernen konnte).

Wenn man dad rafche und leichte Gelingen vieler Revolution mit den ernften Schwierigkeiten vergleicht, ie ſich ihr entgegenzufegen ſchienen, fo ift man ver: ucht, zu glauben, daß ein unbefiegbares Verhängniß zas Ziel der Zage des unglücklichen Souveraind bezeich- net hatte. Unter mehreren Umfländen, die die Entdedung der Verſchwörung hatten bewirken müffen, führt man Zweie an, welche zu merkwürdig find, ald daß wir he mit Stillihweigen übergehen Fünnten. Am Morgen bed Zages, der fich mit der Revolution fchloß, näherte ch ein Mann aus dem Wolke dem ausreitenden Kaifer, um ihm ein verichloffenes Billet zu überreichen. Der Kaiſer gab ed dem Grafen Kutaizow, feinen Oberflall- meifter, der ihn begleitete, und dieſer behielt es, ohne ed eher zu Öffnen, ald am folgenden Morgen. Es fand fih da, daß dieſes Schreiben die Denunciation der Ver: ſchwörung und die Namen der Verfchworenen enthielt. Der General Zalizin hatte fi) an demfelben Lage für unpäßlich ausgegeben, um die verfchiedenen Vorkehrun⸗ gen, die man noch zu freffen hatte, beſſer beforgen zu innen. Der Kaifer fchickte feinen Arzt, den Dr. Grive,

1) Die Kaiferin lich wenige Tage nad dem Ereigniß ihre beiden älteften Soͤhne kommen und fie in der Kapelle des St. Michaelspa⸗ laiß ſchwoͤren, daß fie den Plan, ein Attentat auf das Leben Peul's I. zu machen, nicht gekannt hätten. Erft nachdem die Kai⸗ ferin diefe Gewißheit erlangt hatte, ftellte ſich die Eintracht und das Bertrauen zwiſchen ihr und ihren Schnen wieder ber.

92 Die ruſſiſche Thronrevolution von 1801. einen gebornen Engländer, und noch jegt (1804) Arzt

Des Kaiferd Alerander, und diefer drang, auf Bei

ded Souveraind, zu Zalizin, während ein Gomite be Verfchworenen bei diefem berathichlagte. Ihre erfte Ab fiht war, Grive zu tödten, um jede Anzeige zu bin dern. Der General Zalizin nahm ed aber auf fich, ihn zur WVerfchwiegenheit zu beflimmen, und er wurde bie wenigen Stunden hindurch, die noch bi8 zur Ausfüh—⸗ rung blieben, überwacht.

Sobald der Tod des Kaiſers Paul befannt war, fohrieen die Truppen, die das Palais umgaben, ik Hurrah und riefen den Kaifer Alexander aus. Man far dete Adjutanten in die Kafernen der verfchiedenen Corps, um diefe dem neuen Souverain ſchwören zu laſſen. Di Faiferliche Familie 309 vor Tagesanbruch in das alte Winterpalais über '). Zwifchen 8 und 9 Uhr des Mor gend hatte der Kaiſer die Huldigung der ganzen Gar nifon, feines Hofes und der vornehmften Civilbeamten empfangen.

ar "ne —⸗

Zwei Bemerkungen drängen ſich unwillkürlich auf,

welche dieſer Revolution einen von den meiſten andern Militairrevolutionen verſchiedenen Charakter geben. Er ſtens: daß fie mit der mäßigen Macht von höchſtens zwei Bataillonen und weniger Reiterei ausgeführt wurde, Daß diefe Truppe in vollftändiger Unkenntniß ihrer Be flimmung war, und daß ein Hundert Offiziere, die im Geheimniß waren, die Revolution für ſich allein ange

1) Der berühmte Baron von Armfeld befand fih damals zu St. Deteröburg, und der Kaifer Paul batte ihm für denfelben Tag um 6 Uhr Morgens eine Audienz beftimmt. Als er im &t. Michaeeli⸗ palais antam, wo Alles ſchon rubig war, verlangte er, zum Kalfer geführt zu werden. Man fagte ihm, dieſer fei im Winterpalaſte. Er konnte einige Augenblide lang dieſe Ueberfledelung nicht begrei⸗ fen, bis man ihn von dem Greigniß unterrichtete,

Die ruſſiſche Thronrevolution non 1801. 93

ponnen und -Durchgeführt hatten. Aus diefem Grunde wärde Das Entrinnen des Kaiferd alles haben fehlfchla- jen machen, und würde der Monarch bei denfelben Truppen, Die zu feiner Entthronung mitwirften, Hilfe jefunden haben.

Die andere Bemerkung bezieht fich darauf, daß, mit einiger Ausnahme des erlauchten Opfers, der plöß- iche Wechſel der höchften Gewalt, nach einer Regierung, 90 die Autorität dieſe Macht fo fehr gemisbraucht und n fo willfürlicher Weife regiert hatte, Feine Rachehand⸗ ungen, Feine Verfolgungen mit fich geführt hat).

Möge der philofophifche Gefchichtfchreiber über diefe Bemerkungen nachdenken; es wird ihm nicht fchwer fal- Im, uns zu erflären, warum die Revolutionen bei den aufgeflärten Nationen fo viel Uebel nad) fich ziehen, und warum fie bei einem Wolke, deſſen Eivilifation erſt ein Jahrhundert alt ift, einen fo verfchiedenen Charakter darlegen ?). |

D Eine dritte Bemerkung kann man maden: daß dieſe Revolus tion, in ihren unmittelbaren Wirfungen wenigſtens denn ohne mittelbaren Nachtheil bleibt Peine Revolution, weil jede einen nad theiligen Einfluß auf Sittlicfeit und Rechtsſtand Äußere ſich auf den Hof befhränkte, während in den Staatseinrihtungen Beine Ummälzung cintrat, die Gefege nicht einen Augenblid ihre Kraft verloren, das ganze Land bei dem Greigniffe nidhte anderes empfand, aid es empfunden baben würde, wenn Kaifer Paul wirklich an einem Schlaganfall geftorben wäre. Aud find die Mörder nit zur Herr⸗ Heft gelangt, und es hat fi Feine neue Partei durd das Verbre⸗ Gen zur Gewalt gefhwungen.

2) Geiftig und fittlih wahrhaft tüchtige, politiſch wahrhaft ge⸗ biidete Nationen machen feine NRevolutionen, oder wenn fie dergleis den maden, fo geben fie ſehr unſchaͤdlich und mild vorüber, mie dad Beifpiel von England 1689 beweift. Die Ausfhmweifungen und Sräuel der Nevolutionen fließen aus der geiftigen und politifchen Helpbilvung, der fittlihen Haltungdlofigkeit, dem Mangel an Glau⸗ pl en fittligder Kraft, an Pflihtgefühl, an wahrer Ghre und

anität.

94 Die ruffifhe Thronrenolntion von 1801.

Paul I. wurde den zweiten Tag nad) feinem Tode auf einem prächtigen Katafalf ausgeftelt.e Sein Kopf war durch einen großen Militairhut bededt; feine rechte Hand, die dur Säbelhiebe verflümmelt worden, war, gegen die Sitte des Landes, mit einem Handſchuh ver fehen. Sein Geſicht war nicht fehr entftellt; aber der Chirurg Wylie war von Stunde zu Stunde befchäftigt, ihn zu ſchminken und nachzuhelfen, um die Spuren eine gewaltfamen Zodes, Die fi) immer wieder erneuerten, verfchwinden zu machen.

Am Fuße diefes Katafalts ſah man einen tief be fümmerfen Sohn, der den Vater beweinte, deflen Ver: luſt er verurſacht, und der durch aufrichtige Thränen dad Verbrechen feiner neuen Unterthanen zu fühnm verfuchte.

I ABER nn

Die Beftattung des Kaifers fand am 28. Min | (9. April) mit Pomp flat. Er wurde in der Talfalı :

chen Gruft in der St. Petersburger Feſtungskirche ber

gefeßt, und die Reſte Paul's I. ruhen dort an der Seitt der Aſche Peter’s I.

I. Die PBrinzeffin Drfini.

Fine ber merbwürdigften Srauen der Uebergangsperiode om 17. zum 18. Jahrhunderte, der prägnantefte Aus: wu eines Eugen, verftändigen, überaus gewandten md einflußreichen Waltend von Frauen in Hof: und Staatsfachen, mit fpecifiich franzöfifcher Färbung, ſtellt ih in der Witwe des Herzogs von Bracciano, Flavius wi Orfini dar, die am Belannteften unter dem Namen veg Prinzeſſin Urfini oder des Urfins ift.

Anna Maria de la Zremouille war die Tochter Lud⸗ wig's de la ZTremouille, Herzogs von Noirmantier (geb. 25. Dec. 1612 + 12. Det. 1666), der fich feinen Herzogstitel durch Friegerifche Tapferkeit verdient hatte, und der Renata Julie Aubery (verm. Nov. 1640 + 2. März 1679). Ihr Geburtsjahr ift nicht genau be- kannt). Man weiß nur, daß fie zwifchen ihren zwei Brüdern geboren war, und die Geburt ihres älteften Bruders, ded Herzogs Ludwig Alerander, in das Jahr 1642, die ihres jüngeren Bruders, ded Cardinals de la Zremouille, in dad Jahr 1652 fat, fie felbft aber 1659 zum erſten Male verheirathbet ward. Ihre Schwefter,

1) Die Herzogin von Orleans ſchreibt unter dem 17. Dec. 1719 vn ihr, daß fic 77 Zahr alt fei. Indeß 1642 Fann fie nit ge- beren fein. Biclleiht aber 1643.

94 Die raffifhe Thronrevolution von 1801.

Paul I. wurde den zweiten Tag nach feinem Tode auf einem prächtigen Katafalk ausgeſtellt. Sein Kopf war durch einen großen Militairhut bededt; feine rechte Hand, die durch Säbelhiebe verflümmelt worden, wat, gegen die Sitte des Landes, mit einem Handfchuh ver fehben. Sein Gefiht war nicht fehr entftellt; aber de Chirurg Wylie war von Stunde zu Stunde befchäftigt,

ihn zu ſchminken und nachzuhelfen, um die Spuren eine .

gewaltfamen Zodes, die fi) immer wieder erneuert, verichwinden zu machen. Am Fuße diefes Katafalks fah man einen tief be

fümmerten Sohn, der den Water beweinte, deffen Be: .

luft er verurſacht, und der durch aufrichtige Thränca das Verbrechen feiner neuen Unterthanen zu fühnm verfuchte.

Die Beftattung des Kaifers fand am 28. Miy (9. Aprif) mit Pomp flatt. Er wurde in der Talfali- hen Gruft in der St. Petersburger Feftungskirche ber gefeßt, und die Reſte Paul's I. ruhen dort an der Sa der Aſche Peter’s IH.

I. Die Prinzeffin Drfini.

Fine der merfwürdigften Srauen der Uebergangsperiode om 17. zum 18. Jahrhunderte, der prägnantefte Aus- ud eines Eugen, verftändigen, überaus gemandten md einflußreihen Waltend von Frauen in Hof: und Staatsfachen, mit fpecifiich franzöſiſcher Färbung, ftellt Ach in der Witwe ded Herzogs von Bracciano, Flavius dei Drfini dar, die am Bekannteſten unter dem Namen dee Prinzeffin Urfini oder des Urſins ift.

Anna Maria de la Zremouille war die Tochter Lud⸗ wig's de la Zremouille, Herzogs von Noirmantier (geb. 25. Dec. 1612 + 12. Det. 1666), der ſich feinen Herzogstitel Durch Priegerifhe Tapferkeit verdient hatte, und der Renata Julie Aubery (verm. Rov. 1640 + D. März 1679). Ihr Geburtsjahr ift nicht genau be- fannt ). Man weiß nur, daß fie zwifchen ihren zwei Brüdern geboren war, und die Geburt ihres älteften Bruders, des Herzogs Ludwig Alerander, in das Jahr 1642, die ihres jüngeren Bruders, des Cardinals de la Ztemouille, in das Sahr 1652 fällt, fie felbft aber 1659 um erften Male verheirathet ward. Ihre Schwelter,

)) Die Herzogin von Orleans ſchreibt unter dem 17. Dec. 1719 von ihr, daß fie 77 Jahr alt fei. Indeß 1642 kann fie nidht ge- deren fein. Vielleicht aber 1643.

96 Die Prinzeſſin Orfni.

Aloiſia Angelica, heirathete Anton Lanti, Prinzen von Belmar in Rom und ward gemeiniglid Die Herzogin von Lanti genannt. Anna Maria heirathete zuerft den Adrian Blaſius de Talleyrand, Prinzen von Chalois, von dem fie 1670 Witwe wurde. Er hatte fih, in Xolge feiner Theilnahme an der Le Fort'ſchen Duellfache, flüd- ten müflen und ging zunächft nach Spanien, bei wel- cher Gelegenheit feine Gemahlin, die ihm gefolgt war, zuerft mit einem Lande befannt wurde, in dem fie vide Jahre Später eine fo bedeutende Rolle "fpielen follte, Später gingen fie nach Italien, und während er im venetianifchen Gebiete eine Zufludt fand, begab fie fi nah Rom, um den Schuß der beiden franzöfifchen Cardinäle Bouillon und d'Eſtrées nachzufuchen '). Bald darauf flarb ihr Gemahl in fo mislichen Vermögensum⸗ ftänden, daB fie weientlich auf Die Kreigebigkeit ihrer Gönner angewielen blieb. Diefe vermittelten denn auch 1675, unter Zuftimmung des franzöftichen Hofes, eine Vermählung derjelben mit Flavius dei Orfini, Herzog von Bracciano, Fürft von Vicovaro, Grand von pa

nn .

A nn U A a m nn.

nien und römilhem Baron, welcher feit 1674 Witwer

war. Er erhielt durch diefe Verbindung den beiligen Beiftorden, Unfrieden im Haufe und einen, hauptfäd: lich durch die franzöfiichen Bekanntichaften feiner Ge mahlin verurfachten Aufwand, der ihn nöthigte, 169% Vicovaro an den Grafen Bolognetto, 1693 Anguillaria an den genuefiichen Patrizier Grili, 1696 Albano an die papftlihe Kammer, endlich felbft Bracciano an Li⸗ vius Odescalchi zu verfaufen, während ihm der heilige

1) Gore läßt fie fhon damals aud von Portocarrero, der als jpanifher Gefandter in Rom gewefen fei, befhügt werden. Aber Jortocarrero kam erſt 1676 und als Geſandter gar erft 1678 nad

cm.

Die Prinzeſſin Orfini. 97

Geiftorden wegen feiner Zwiftigfeiten mit feiner Frau wieder abgenommen ward. Seine Gemahlin flüchtete fd, um feinen Vorwürfen zu entgehen, öfters nad Frankreich, und blieb einmal fünf Jahre auf einem fol- hen Beſuche. Bei Ddiefer Gelegenheit entwidelte fie eine frühere Befanntfchaft mit der Maintenon zur innig- fien Vertraulichkeit und begründete fih überhaupt un- gemeined Anſehen bei Hofe. Im Jahre 1695 verfühnte fie der Cardinal Portocarrero '), der ihrem Palafte ge

1) Der Gardinal Portocarrero ftammte eigentlid nur weiblicher Seits aus dem fpanifhen Geſchlechte dieſes Namens, männlider Seits, dagegen von den genueſiſchen Boccanegras. Aegidius Boccane⸗ gra, ein vornehmer Genueſe und Bruder des damaligen Dogen von Genna, bekam 1342 von dem Roͤnige Alphons XI. von Gaftilien das Gebiet von Palma in Spanien gefhentt. Sein Enkel Micer Aegidius beirathete Francisca Portccarrero und deſſen Rachkommen nahmen nun den lehteren Namen an. Bu ihnen gehörte der Lud⸗ wig Portocarrero, welder 1527 zum Grafen von Palma erhoben werd. Der Urenkel diefes erften Grafen von Palma und der jüngere Bruder des 1649 verftorbenen Grafen Zerdinand Ludwig von Palma wer Ludwig Emanuel Ferdinand Portocarrero, der nachherige Gars dinal“). Er wurde 1635 geboren, trat ſehr jung in den geiftliden Stand, ward Dedant zu Toledo und bereits am 29. Nov. 1669 kur) Papſt Clemens XI., auf Anſuchen der verwitweten Königin von Spanien, Cardinal. 1675 bei dem Aufftande in Meffina ging cr als Bicckönig nad Sicilien und bewirkte die Ruhe der übrigen In» fi. 1676 war er beim Gonclave und brachte, ungeadhtet feiner Zwi⸗

mit dem ordentlihen Geſandten Spaniens, dem Gardinal Reidhart, duch Bermittelung des Cardinals Golonna eine den ſpa⸗ riſchen Intereffen zuſagende Wahl zu Stande. 1678 war er außer- ordentliher fpanifher Gefandter in Rom, nahdem er fon Jahres vorher zum Erzbiſchof von Toledo und Primas von Spanien erho⸗ ben worden. Er trat in den Staatörath, ward Mitglied der ober- ken Staatsbehoͤrden und Generallieutenant der Marine. Seine Ein: Minfte waren außerorventlih groß und das Erzbistum allein brachte Im jährlid 360,000 Thaler. Gr war ed vorzüglih, der den

%) 9. Imhoff, Recherches historiques et genealogiques des Grands d’Espagne, ©. 2313 fg. Genealogise XX illustrium in Hispe- ıia familierum, ©. 254 fg.

I. 5

as Die Prinzeſſin Orſini.

genüber gewohnt und zu dem ſie in ihren häuslichen Nöthen immer ihre Zuflucht genommen hatte, wieder mit ihrem Gemahl, worauf fie nach Rom zurückging und bis zu den am 5. April 1698, im 66ten Alters jahre, erfolgten Zode des Herzogs bei ihm blieb. Die Güter, die ihm noch geblieben waren, Zori, Roccan⸗ tica, Caftiglione und Selci, zog die päpftliche Kammer ein‘). Der Wihve blieb ein meublirter Palaft in Rom zur Bewohnung und ein nicht glänzender Witwengehalt. Sie nahm jegt den Namen Orſini an, weil der Neffe des Papfted Innocenz XII., der das Herzogthum Brac- ciano gekauft hatte, fich auch den Zitel Davon zuzueig: nen wünfchte.

As die Wahl der Gemahlin des jungen Königs Philipp V.“) von Spanien zu Gunften einer Prinzeſ⸗ fin von Savoyen entfchieden war, ergriff fie mit Eifer den Gedanken, an diefem Hofe eine glänzende und ein flußreiche Stellung zu erlangen. Sie wendete fih an die Maintenon und die mit Ddiefer innig verbundenen

König Karl II. zur Unterzeihnung des Teftamentes bewog, worin er Philipp V. zum Erben ver fpanifhen Monarchie ernannte. Er beftimmte den neuen König, vie verwitwete Königin fofort vom Hofe zu entfernen. Er war ed, der die Prinzefiin Drfini zur Game vera mayor der jungen Königin empfahl. Gr ftand an der Spige der neuen Regierung, die allerding5 durd feine Unverträglichfeit und feinen Eigenfinn erfhmwert ward. Nah der Ankunft tes Gar dinals d'Eſtrees aber und wie die franzöfifhde Einmiſchung immer deutlicher hervortrat, aud die Abberufung jenes Gardinals Feine me jentliche Aenderung bewirkte, zog er fih vom Hofe zurück und ging nah Toledo. Er und die verwitwete Königin waren die Urfade, daß ſich Toledo für Karl Il. erklärte. Kurz vor feinem Tode aber, und wie Philipp V. ald der Ausdruck des rein fpanifchen Intereſſes erfaßt wurde, trat er wieder für diefelbe Sadhe auf und auf Phi⸗ lipp’5 Seite. In gänzlider Zurüdgezogenheit von den Gefhäften ftarb er am 14. Sept. 1709 zu Toledo.

1) Mercure historique, Mai 1693, &. 484.

2) Geboren 19. Dec. 1683, + 9. Juli 1746.

Die Prinzeffin Orfini. 90

Roailles '), indem fie ihre Eigenſchaft als Witwe eines Sranden, ihre Freundfchaft mit dem Cardinal Porto: arrero, ihre Bekanntſchaft mit Sprache und Bitten der Spanier geltend machte, übrigens nur um die Erlaub: aiß bat, die junge Königin nad) Madrid begleiten und dort fo lange verweilen zu dürfen, ald cd dem Könige gefallen würde. Auch Portocarrero verwendete feinen Eimfluß zu ihren Gunften. Der franzöfifche Hof ent- ſchied fih, ihr den wichtigen Poften einer Camarera napor bei der jungen Königin zu vertrauen, und bald vord ihr (1701) durch den fpanifchen Gefandten in Rom, Herzog von Uceda, die deöfallfige officielle Df: ierte gemacht. Sie begleitete ihre neue Gebieterin auf ver Saleere, welche diefelbe nach Spanien brachte.

St. Simon’) fohildert fie in folgender Weife: „Sie var von mehr ald mittlerer Größe, brünett, mit aus- ucksvollen blauen Augen, und Ihr Gefiht, zwar ohne Anſprüche auf Schönheit, ungemein anziehend. Sie vefaß eine fchöne Figur, eine majeftätifche und würde: le, mehr anziehende, als einfchüchternde, und felbit n Kleinigkeiten mit fo zahllofen Reizen gepaarte Miene, ya ich ihreögleichen in Geftalt und Weſen niemald ge: ehen habe. Schmeichelnd, einnehmend und discret, eifrig, u gefallen, um des Gefallens willen, und unwiberfteh- ich, wenn fie zu überzeugen oder zu verfühnen wünfchte, efaß fie einen angenehmen Ton in Stimme und Hal: ung und einen unerfchöpflihen Fond der Unterhaltung, ne fie Durch Berichte über die verfchiedenen Länder, Die ie befucht hatte, und durch Anekdoten von den merk:

1) U. A. hatte der Graf von Ayen, Sohn des Herzogs von Roailles, vor kurzem eine Nichte der Maintenen geheirathet, und beffeidete eine angefchene Stellung im Hofftaate König Philipp’s.

2) Mcmoires III, 175 fg. Bergl. auch V, 249.

5 *

100 Die Prinzeſſin Orfini.

würdigen Perſonen belebte, die ſie gekannt, mit denen ſie in Verkehr geſtanden hatte. Sie war an die beſte Geſellſchaft gewöhnt, ungemein fein und leutſelig gegen alle, befonders einnehmend aber für die, die fie auszu⸗ zeichnen wünfchte, und ebenfo geſchickt, ihre eignen Reize und Gaben zu entfalten. Sie war wie für die Sphäre der Höfe geichaffen und von ihrem fangen Aufenthalte in Rom her in allen Intriguen der Cabinete bewanderf. Sie war eitel auf ihr Aeußered und freute fi, wenn fie bewundert ward; Schwächen, die fie nie verlaffen haben, weshalb fie ſich auch, in jeder Periode ihres Le⸗ bend, für ihr Alter zu jung und zuweilen felbft lächer⸗ lich kleidete)y. Sie befaß eine einfache und natürliche Beredtſamkeit, welche ſtets nur das fagte, was fie wollte und wie fie es wollte, und weiter nichts. Sie war verfchwiegen in Betreff ihrer felbft, dem Vertrauen An: derer treu, mit dem äußeren, nein mit dem inneren Mefen einer Heiterkeit und guten Laune und einem Gleichmaß des Temperaments begabt, die fie zu allen Zeiten und unter allen Umftänden zur vollfommenen Herrin ihrer felbft machten. Niemals beſaß ein Weib mehr Lift, ohne den Anfchein folcher; niemals gab es einen Kopf vol foviel Anfchläge, eine größere Kennt: niß des menfchlichen Herzens und der Mittel, es zu lenken. Sie war allerdings ftolz und hochfahrend, ohne Scrupel über die Mittel gerade auf ihren Zwed drin: gend, aber immer, wo möglich, gab fie ihrem Verfah⸗ ren einen milden und gefälligen Anſtrich. Nichts war fte halb: eiferfüchtig und gebieterifch in ihrer Zuneigung, ein eifriger, troß Zeit und Zrennung unmandelbarer Freund und ein höchſt unverföhnlicher und bartnadiger OD Erinnern wir und en tin Zug bei der cigenthümlichen Serne ir endlichen Grtlaffung.

Die Prinzeffin Orſini. 101

Zeind. Ihre Liebe zum Leben war nicht größer, als ihre Liebe zur Macht; aber ihr Ehrgeiz war von jener bochfliegenden Art, wie rauen felten empfinden, und ſelbſt höher, al& der gewöhnliche Sinn des Mannes“ ').

Ihr Weſen, ihre Laune, die Verhältniffe, unter de⸗ nen fie die erſten Grundfteine ihres Einfluffes am fpa- nifchen Hofe legte, ftellen ſich am Iebendigften in ihren dgenen Worten dar, die fie (11. Dec. 1701) an die Herzogin von Noailles fchrieb: „Guter Gott, in was für ein Geſchäft haben Sie mich gebraht! Ich habe nicht die geringfte Ruhe, nicht einmal Zeit, mit meinem Secretair zu ſprechen. Mic nah dem Mittagsmahl zur Ruhe zu legen, oder zu eflen, wenn mich hungert, daran iſt gar nicht zu denken. Ich bin überglüdtich, wenn ich im Umbherlaufen ein kümmerliches Mahl auf- raffen Tann, und es ift felten, dag ich nicht in den Au- genblicke abgerufen werde, wo ich mich zu Tiſche fegen wi. Gewiß, Frau von Maintenon würde lachen, wenn fie die Einzelheiten meined Amtes kennte. Sagen Sie ihr, ich bitte, daß ich es bin, die die Ehre hat, den Schlafrod des Königs von Spanien in Empfang zu nehmen, wenn er fi zur Ruhe begibt und ihm denfel- felben, ‚nebft den Pantoffeln, zu reichen, wenn er auf: ſteht. So weit würde ich ed noch aushalten; aber daß mich der Graf von Benevent jede Nacht, wenn Der König in dem Zimmer der Königin zu Bette geht, mit dem Schwerte Sr. Majeftät, einem Nachtgefchirr und ner Lampe, die ich regelmäßig auf meine Kleider

1) Die Herzogin von Orleans, die der Drfini gram mar, weil fie ihrem Sohne geſchadet, rühmte ihr doch den Vorzug vor der an- dern „alten Zotte““, der Maintenon, nad: „daß fie unfern Herr gott nicht Ins fpiel Miſcht undt die devotte nicht fpielt.” (Bricf an die Raugräfin Louiſe, &. 343.)

102 Die Prinzeſſin Orfini.

ſchütte, beladet, iſt doch zu grotesk. Der König würde nicht aus dem Bette ſteigen, wenn ich nicht die Vor—⸗ hänge wegzöge, und ed würde ein Sacrilegium fein, wenn irgend eine andere Perfon in das Zimmer der Kö- nigin träte, wenn fie im Bette find. Neulich ging die Lampe aus, weil ich das halbe Del verfchüttet hatte. Ich wußte nicht, wo die Fenfter waren, weil es Nacht war, als wir an den Pag kamen; ich hätte mir bald die Nafe an der Wand eingerannt, und ich und der König liefen in unfern Verſuchen, die Fenſter zu finden, eine Viertelftunde lang wider einander. Se. Majeftät findet mich fo brauchbar, daß er manchmal die Güte bat, zwei Stunden früher nach mir zu verlangen, ale ich aufzuftehen Luft habe. Die Königin nimmt an die fen Scherzen Theil, aber ich babe dad Vertrauen nod nicht gewonnen, was fie in ihre piemontefifchen Beglei⸗ ter feßte. Ich wundere mich darüber, da ich fie befler bediene, als jene, und ich bin gewiß, Daß fie fie nicht fo geſchickt entffeideten und ihr die Füße wufchen, wie ich."

Der König Philipp V. hatte fich zu Figueras mit feiner Braut getroffen und ihre Vermählung war am 3. Nov. 1701 durch den Patriarch von Indien geweiht worden. Marie Luiſe) hatte Faum ihr 14. Jahr ange treten und ſchien bei ihrer Fleinen Statur noch jünger, aber ihr Geift und Sinn bewährte die frühe Reife ihre Heimatlandes und fie verband mit ungemeiner Schön: beit der Geftalt und Züge die einnehmendften Manieren und die anmuthigfte Haltung. Ihr Kieblingsfprud: „Ich babe keinen Willen, der meiner Pflicht entgegen wäre”, war in ihren Munde Feine Phrafe. Der fran:

1) Marie Luife Gabriele, geboren 17. Sept. 1688, vermäßlt il. Scpt./3. Nov. 1701, + 18. Febr. 1714.

Die Prinzeſſin Orſini 103

zöſiſche Hof traute aber den ſchlauen Piemonteſen nicht und hatte Befehl gegeben, ihre landsmänniſchen Beglei⸗ ter an der fpanifchen Grenze zurüdzufchiden und fic lediglich unter die Obhut der Prinzeffin Orfini zu fie: In. Died betrübte fie tief und fie brach in fo bittere Hagen aus, daß man anfangs einen tiefeen Grund für diefen Kummer argwöhnte, ald die natürlihe Empfin- dung eines fo jungen Mädchens, das fich auf einmal von allen Bekannten getrennt und unter lauter ganz fremde Umgebungen verfeßt fieht. Indeß man tiber- zeugte fich bald von der wahren Sachlage und zollte dem ebenfo verftändigen, ald gemüthvollen Weſen der jungen Königin dann um fo größere Achtung. ES be: weift aber dad gemwinnende Wefen der DOrfini, Daß fic diefen erften ungünftigen Eindrud, Der noch im obigen Briefe nachklingt, Doch fo bald verwifchte und einen ſo ungemeinen Einfluß auf die Königin gewann.

In der Erfüllung Feiner häuslicher Pflichten, ſagt Core, entfaltete die Prinzeffin all ihre Talente, Grazic und Gewandtheit, und ward bald die vertraute Günft: lingin und Leiterin der Königin, welche, inmitten der büftern Etikette dieſes feierlichen Hofes, ſich glüclich Ihäßte, fich ihrer liebenswürdigen Camarera mayor hin- geben zu fünnen. Gine Hauptaufgabe. der Prinzelfin, die ihre auch allmälig gelang, war darauf gerichtet, eben die Schranfen der nationalen Etikette zu lüften und die panifchen Großen an einen vertrauteren Verkehr mit ihren Souverainen und mit den franzöfifchen Agenten zu gewöhnen. Aber bald ward fie auch für höhere Zwecke immer wichtiger. Sie beherrfchte die Königin und dieſe den König Man Fann aber nicht anders fagen, als daB fie dad wahre Intereffe Spaniens im Auge hatte, daſſelbe zwar, mie das unter den damali-

104 Die Prinzeſſn Orfizi.

gen Umftänden, von ihrem Standpunfte aus, nicht an- ders fein Fonnte, in inniger Verbindung mit dem fran- zöfifchen auffaßte, den nachherigen Uebergriffen und Mis⸗ griffen Frankreichs aber entgegentrat und die fpanifchen Verhältniſſe richtiger beurtbeilte und bei ihrer Behand: ung mehr Takt, Verfland, Unbefangenheit und guten Willen bewies, ald vielleicht irgend ein fpanifcher und franzöfiiher Staatsmann jener Tage, der in diefen Din gen beichäftigt worden. Die Sachen gingen bis zum Jahre 1703 ganz leib- ich. Die Verwaltung Spaniens, das noch nicht vom Kriege berührt worden, war in fpanifchen Händen, haupt fählih in denen des Cardinal Portocarrero, und man hatte ed nur mit der Indolenz, dem Schlendrian, den innern Misbräuchen, Grillen und Reibungen der ſpani⸗ ſchen Beamten und der Unverträglichkeit Portocarrero’s zu thun; Unbequentlichkeiten, über welche die Drfini hin auskam und die mehr ärgerlich, als in weitern Kreifen nachtheilig waren. Jetzt aber trat eine neue Perfon auf Die Scene: der Sardinal d’Eftreed. Ludwig XIV. wähnte, Spanien beherrfchen zu können, wie fein Sranfreich, und war, wie die Sranzofen immer, geneigt, fich für dieſe Mühe auch noch auf Koften Spaniens bezahlen zu Taf: fen. Der Herzog von Harcourt ') hatte fih am beften in Spanien gefunden und ebendeshalb auch am meiften gewirkt. Der Graf Marfin ’) zog ſich ſchon die Um

1) Heinrih, geb. 1654, Adjutant Turenne's, fpäter wiederholt Gorpsführer, 1697 Gefandter in Madrid, 1700, zum Lohne dafür, daß er die Sinfegung Philipp’5 von Anjou zum Erben der ſpaniſchen Monarchie vermittelt, Herzog, 1703 Marfhall, + 9. Det. 1718.

3) Anton, ward nachher Marfhall von Zranfreig, 1706 in der Schlacht von Turin verwundet und gefangen und ftarb Tags daranf (8. &ept.), wie man fagt, von einer neben feinem Zimmer ftattfin- denden Pulvererplofion erſtickt.

Die Prinzeſſin Orſini. 105

gunſt der Spanier zu, weil er dem ſpaniſchen Etaate- rathe als Mitglied aufgedrängt wurde. Indeß war cr weife genug, Ludwig XIV. von feinem Plane, eine Ab- tretung ber fpanifchen Niederlande zu verlangen, abzu- rathen. 1703 aber fchidte Ludwig den Gardinal D’Eftrdes, einen hochgeftellten, durch Gelehrſamkeit, Rechtſchaffenheit und Geift ausgezeichneten, in Diploma tiſchen Geſchäften vielbemwährten Prälaten '), deſſen ftol- zes Selbfigefühl aber für Spanien zu ſtark hervortrat und der mit dem Gedanken nach Spanien kam, deſſen unumfchränfter Regent zu werden. Ihn begleitete fein Neffe, der Abbe D’Eftrees ’), der mit demfelben Stolze größere Rücfichtölofigfeit und ein ränkevolleres Weſen verband, und gar nicht abgeneigt war, felbft auf Koften feines Oheims zu fleigen. An fie fchloß fich Louville, ein Vertrauter Philipp’ und im Beſitz einer der höch⸗ fin Stellen in feinem Hofftaat. Er war ein wißiger, fatirifher, eitler Franzoſe, der über alles Nichtfrango- fiiche fpottete, und ein perfünlicher Feind der Drfini, der er durch feine Fauftifchen Geheimberichte nach Paris am meiften gefchadet bat’). Dazu Fanı noch der Beicht⸗

1) SGaͤſar, Biſchof von Laon, geb. zu Paris 9. Febr. 1625, t auf feiner Abtei St. Germain des Pres 18. Dec. 1714.

3) Johann V’Eftrees, Abt der Klöfter Evreu, Gondes un Et. Glaude, geb. zu Paris 1666, 1692 Gefandter in Portugal. Aud neh feiner verunglädten Miffion in Spanien blieb er in Gunft, war der erfte Geiftlihe, ter, ohne Prälat zu fein, den heiligen Geiftorden erhielt, und follte Fenelon's Nachfolger im Erzbisthum Gambrai werden, ftarb aber vor der Genfecration am 3. März 1718.

3) Karl Auguft d'Allonville, Marquis von Louville, war 1668 in Louville aeboren und ward frübzeitig im Hofſtaate des Herzogs von Anjou, nachherigen Königs von Spanien angeftellt, an deffen Grziehung er Antheil hatte. Er begleitete ihn denn aud ald Kam⸗ merherr und Chef des franzöfifhen Hofſtaates nah Spanien. Außer Mefer und einer weit fpäteren, im folgenden Artikel zu ermwähnenden Sendung nah Madrid, lebte er meift zurüdigezogen, heirathete 1708

5 * *

—C %r: Fre Dre

‘:’7 > unem >r AÄnez Tüusemon, weldber gleid- - zz Im Forir re Irma neibiid mar.

Dr gem: me con Sinch: in MWadrid, ale ſchon _.> vor mm zur 8 sg eine Boehrheit in > merope Berimm mar Du Drfini an de men = Scale immer „Es ti mein cmftlide mr Te Damnm um Situdigung findet, di

mn Do} - . @ - emdım Zi meer If = uns gelingt, Die ein⸗

ameemim Son Mm Irmem au heilen, da um zershmtr esetsmbe mt crienchterer Geifl

LLYS TG “a - m—n\ rL Srone sL gewinnen, als

ve Berne, x zermm Ver um fra au fpre z 2. zu nor fr imer Erinig eben; Dem

Jaır rar Worin werd es als

Ph Bee BE a Ran on vn

sy Jan I2 Frmınsunaseng Aszamten, Dad Frank: a2 ma I7 zuden V De Wer tote, nicht t. a3 ram mà. ar zen, und Diele Mof- 2 rn l etaien 3 fehl mis 3 2; ır dumie Aacer der ich nicht ven Sa wm zn Sanur Mus} mer ter lieberscugung = Zum uerntr SF iter Norien liche“

—X

az 22 Ser Ne wir u zus Wefingung, unter zeu2n . Exenien zu bceherr⸗ "am Nm za ar mn.

Dr Catan Yet cs PRerzscarrere durch

F3 die este. NE Some Erssmiongcegenbeit mehr an Delen Deut, amder Sin nur im Cabinctsrathe

las gränae 222 Kzımn. Ta Son: 2 Franken in Konflan una, zuder 195 22 She Simsrtrez Zit lem Grofecjier gehabt karte, Her5 1731. Gr? Scuise scan Riur sat 4818 zu Paris in 2 Benzin: «Memoires secrets sur letahlissement de la de Bourbon en Espazoe, estraits de la Correspondesce f de Louvilles herszsgigihn.,

Die Prinzeſſin Orſini. 107

verhandelt werde, worauf Portocarrero ſich weigerte, an irgend einer Verhandlung des Cabinets theilzunehmen, bei der der Geſandte zugegen wäre). Er verlangte, daß der Prafident von Caſtilien ihm den erſten Beſuch mache, und da died nicht geſchah, fo lehnte er jeden Verkehr mit diefem ab. Er begehrte für ſich und fei- nen Reffen freien Zutritt zu den königlichen Gemächern, auch wenn der König mit der Königin und deren Da: men allein war. Die Gegenvorftellungen der Prinzeifin wurden ald Beweiſe ihrer Oppofition gegen den fran- zöſiſchen Einfluß gefchildert und alle Parteien legten ihre Beichwerden in Verfaillese vor. An Einem Zage gingen vier Couriere nach Berfailled ab: Einer vom König, Einer von dem Cardinal Portocarrero, Einer von dem Gardinal dD’Eftrees, Einer von der Prinzelfin Drfini. Ludwig fah wohl ein, daß er dem Garbinal Vorſicht empfehlen müfle, und fuchte die Unzufriedenen zu beſchwichtigen. Das Unmögliche ded Endzweckes, den der Cardinal verfolgte, erkannte er nicht, glaubte, derfelbe habe nur zu haſtig gehandelt, und wurde mis- trauifch gegen die Drfint, von der er wohl fah, daß fie die ganze Sache miöbillige. Die Vorwürfe, die er fei- nem Enkel machte, dem er feine Abhängigkeit von Wei- bereinfluß vorrüdte, ohne an fein eigenes Verhältniß zur Maintenon zu denken, kränkten den König und bie Königin tief und fie machten ernfte Gegenvorftellungen, die zugleich lebhafte Vertheidigungen der Orſini waren. Aber, wie es zu gefcheben pflegt, wenn man Seman-

1) Bald gab aud der Herzog von Medina Geli feine Aemter auf und bielt mit dem Grafen von Aguilar, den Perzogen von In» fantado und von Beragues, dem Gonnetable von Gaftilien, dem Gra⸗ fen von Montejo und dem Patriarchen von Indien geheime Gonfe- renzen.

106 Die Pringefin Orfini.

vater ded Königs, der Jeſuit D’Aubenton, welcher gleich falls auf den Einfluß der Prinzeffin neldifch war.

Der Cardinal war Feine Woche in Madrid, als ſchon alles wider einander flürmte Es lag eine Wahrheit in den fronifchen Bemerkungen, welche die Drfini an bie Herzogin von Noailles fchrieb: „Es ift mein ernftliche Wunſch, daß Se. Eminenz die Befriedigung findet, die er verdient und erwartet, Daß ed und gelingt, Die ein gewurzelten Schäden diefer Monarchie zu heilen, daß fein umfaflender, hochfliegender und erleuchteter Geiſt mehr angewendet wird, die Spanier zu gewinnen, als ihre Bewunderung zu erwerben. Aber um frei zu fpre hen, ich will ihm nicht für feinen Erfolg ſtehen; denn ich fürchte, eine von Natur flolze Nation wird es als ein Zeichen der Geringichägung betrachten, daß Frank⸗ veich eines der größten Genies in der Welt fchickt, nicht fie zu berathen, fondern fie zu regieren, und diefe Maß— regel wird ihren Widerwillen verflärfen. Ich ſelbſt muß es ald ein Wunder betrachten, daß ich nicht ver abjcheut werde, und kann died nur der Weberzeugung der Spanier zufchreiben, daB ich ihre Nation Liebe.” In der That, dad war die einzige Bedingung, unter welcher ein Fremder hoffen konnte, Spanien zu beberr- fchen, ohne gehaßt zu werden.

Der Cardinal d'Eſtrées beleidigte Portocarrero durch die Forderung, daß Feinerlei Staatdangelegenheit mehr in deſſen Haufe, fondern alles nur im Cabinetsrathe

das Fräulein von Nointel, die Tochter des Gefandten in Konſtan⸗ tinopel, welder 1676 den großen Sophaftreit mit dem Großvezier gehabt hatte, und ftarb 1731. Graf Scipion von Roure bat 1818 zu Paris in 2 Bänden: «Memoires secrets aur l’etahlissement de la maison de Bourbon en Espagne, extraits de la Correspondence du marquis de Louville» herauögegeben.

Die Prinzeffin Orfiai. 107

verhandelt werde, worauf Portocarrero fich weigerte, an irgend einer Verhandlung des Cabinets theilzunehmen, bei der der Gefandte zugegen wäre’). Er verlangte, daß der Prafident von Caſtilien ihm den erften Beſuch mache, und da Dies nicht geſchah, fo lehnte er jeden Verkehr mit diefem ab. Er begehrte für fih und fei- nen Reifen freien Zutritt au den königlichen Gemächern, auch wenn der König mit der Königin und deren Da: men allein war. Die Gegenvorftellungen der Prinzeffin wurden ald Beweiſe ihrer Oppofition gegen den fran- zöfifchen Einfluß gefchildert und ale Parteien legten ihre Beſchwerden in Verfailles vor. An Einem Tage gingen vier Couriere nach Verſailles ab: Einer vom König, Einer von dem Gardinal Portocarrero, Einer von dem Kardinal d’Eftrees, Einer von der Prinzelfin Drfini. Ludwig ſah wohl ein, daB er dem Gardinal VBorficht empfehlen müfle, und fuchte die Unzufriedenen zu beſchwichtigen. Das Unmögliche des Endzwedes, den der Cardinal verfolgte, erkannte er nicht, glaubte, derfelbe habe nur zu haſtig gehandelt, und wurde mis- trauifch gegen die Drfint, von der er wohl ſah, Daß fie die ganze Sache misbillige. Die Vorwürfe, die er fei- nem Enkel machte, dem er feine Abhängigkeit von Wei- bereinfluß vorrüdte, obne an fein eigenes Verhältniß zur Maintenon zu denken, kränkten den König und bie Königin tief und fie machten ernfte Gegenvorftellungen, die zugleich lebhafte Vertheidigungen der Drfini waren. Aber, wie es zu gefcheben pflegt, wenn man Jeman-

1) Bald gab aud der Herzog von Medina Geli feine Aemter auf und hielt mit dem Grafen von Aguilar, den Herzogen von In⸗ fantado und von Beragues, dem Gonnetable von Gaftilien, dem Gra⸗ fen von Monteio und dem Patriarhen von Indien geheime Confe⸗ renzen.

108 Die Fringeffn Orfini.

dem, gegen den man ſich einnehmen laſſen, Unrecht thut, eben dieſe Vertheidigungen, ſowie eine Fräftige Denkſchrift, in welcher die Prinzeſſin ſelbſt ihre Sache führte, vermehrten nur Ludwig's Verſtimmung gegen ſie, denn ſie enthielten einen indirecten Tadel ſeiner eignen Schritte und Abſichten. Da ſie in jener Denk⸗ ſchrift um Erlaubniß gebeten hatte, ſich aus ihrer Stel⸗ lung zurüdguziehen, fo beeilte fi Ludwig, dieſes An- erbieten anzunehmen.

Der Gardinal begnügte ſich aber auch damit nod nicht, fondern betrieb nun die Entlaffung des Fähigften unter den fpanifchen Miniftern, Orri, der fih um die Finanzen wefentliche Verdienfte erworben hatte und in der That der Einzige war, der die fpanifchen Hülfs⸗ quellen einigermaßen flüffig zu machen verftand. Den König und die Königin behandelte er wie unmündige Kinder, befeßte viele Aemter, ohne fie zu fragen, und fchob überall den Willen Ludwig’s vor. Dur) d’Au: benton fuchte er den König gegen die Königin und die Prinzeffin einzunehmen. Aber Philipp biieb feſt und verlangte unaudgefeßt dad Werbleiben der Orfini, wäh rend die Königin von der Beforgniß, ihre Vertraute möchte von ihr entfernt werden, fo angegriffen war, daß ihre Gefundheit litt. Aber auch fonft zeigte ſich bei jeder Maßregel, die der Cardinal verfuchte, daß er die Spanier nicht zu behandeln verfland und dem Wi⸗ derwillen derfelben nicht gemachlen war. Ludwig fing an, zu fühlen, daß er die Prinzeffin nicht, oder noch nicht entbehren fünne, und fo mußte Torci) eine Art

1) Golbert, Marquis de Torci, Sohn und Nachfolger des am W. Juli 1696 verftorbenen Miniſters Eroiffy, war zu Paris am 14. Sept. 1665 geboren, ward fhon 1685 zu einer Ehrengefandtfhaft nad Liffaben verwendet, 1685 zu gleihem Zwecke nad Kopenhagen, 1687

Die Prinzeſſin Orfini. 109

Entfhufdigungsfchreiben an die Prinzeffin erlaflen, worin man fortfuhr, ihr Verfahren zu tadeln, zugleich aber den Wunſch ausfprach, daß fie in Madrid bleiben möge. Auch an den König fchrieb Kudwig, erklärte ihm, daß er ihm die Orſini Iaffen wolle, verlangte aber dafür gutes Einverftändnig mit feinen Gefandten. Die Prin- zeffin war aber nicht fo leichten Kaufed zu gewinnen. Sie erwiderte den Tadel Torci's mit Befchwerden über die Härte, mit der er fie behandelt habe, forderte Genug: thuung für die erfahrenen Beleidigungen und erklärte: Da fie von Könige von Frankreich den Befehl erhalten babe, fich zurückzuziehen, fo werde fie auch nicht ohne einen ebenfo beftimmten Befehl auf ihrem Poften verbleiben. Zugleich Iprach fie fich entichieden gegen das Verfahren ihree Gegner aus. Daneben fchürte fie den Unmuth des ſpaniſchen Königspaares dergeftalt an, daB Ludwig endlich erfannte, nur die Vermittelung der Prinzeffin fönne das herzliche Einvernehmen der beiden Höfe er halten. Gr befahl daher feinem Gefandten, den erften Schritt zur Ausföhnung mit der Prinzeffin zu thun, was von Seiten des Cardinals freilich mit fchlechter Grazie geſchah. Aber noch gab fich die Orfini nicht, und fo mußte ſich Ludwig entichließen, eigenhändig an fie zu Schreiben und fie zum Verbleiben auf ihrem Poften und zu gutem Vernehmen mit dem Cardinal zu er mahnen.

In der That gingen nun auf einmal eine Menge

cbenſo nad London, begleitete 1680 die franzoͤſiſchen Cardinäle zum Gonclave, heirathete die Tochter des Minifters Pomponne (+ 20. Set. 1699), ward nad dem Tode feines Baterd Staats ſecretair der auswärtigen Angelegenbeiten, trat 1716 aus dem Minifterium und bis 1718 in den Regentſchaftsrath und + 1746. Er wear cin befähigter, gründlicher und rechtſchaffener Mann.

110 Die Prinzeſſin Orfiai.

Dinge, die der Cardinal nicht hatte vorwärts bringen können, und felbft das von Ludwig befriebene Veripre : chen einer bereinfligen Abtretung der Niederlande an den Kurfürften von Baiern ward durch die Prinzen = erwirkt.

Jetzt aber fiel ſie ſelbſt in eine Falle. Sie ließ ſich, wenn nicht von Louville, den fie als ihren Gegne = kannte und von dem fie felbft an Torci gefchrieben hatte, : fie betrachte ihn als einen für die Rache ded Himmels = auserfehenen Menfchen, aber doc von dem Abee d' Eſtreeb = täufchen, und fchenfte diefem ihr Vertrauen, befördert & feine und Louville's Pläne, die auf Entfernung de Gardinald und Erfegung deflelben durch den Abbe ge! richtet waren, und ließ Louville und Orri in einer auf = Betreibung dieſes Planes berechneten Miffion nach Ver 'E failed geben. Da nun überdem der Cardinal fortfuhr, w fich gereizt und taktlo8 zu benehmen, fo kam es in ber Wi That zu feiner Abberufung (Sept. 1703) und fein Neffe ı- trat an feine Stelle, während um diefelbe Zeit auch im Portocarrero, der ewigen Händel mit den Franzoſen i müde und über die Abnahme feines Einfluffes grollend, m feinen Abichied eingab.

Die Prinzeffin aber fuhr mit dem Abbe eher nos fhlechter, ald mit dem Cardinal. Im Anfange heuchelten. er die größte Ergebenheit gegen fie, fuchte fie auf jeden Weiſe zu einer directen Theilnahme an den Gefchäftenıg zu verleiten und brachte fie endlich einmal zu dem takt⸗ (ofen Schritte, in Gemeinschaft mit ihm und Orri, eine auf Finanzreformen bezügliche Depeche an das Gabineı, von Verfailled zu unterzeichnen. Ein firenger Verweiß von Torci brachte fie fogleih zum Gefühl ihrer Unvor \_ fichtigfeit und fie warf nun ale Schuld auf den Ge x: fandten, gegen den fie um fo erbitterter war, als fie *

„i

Die Prinzeffin Orſini. 111

durch den Gardinal, der fih an feinem Neffen ı wollte, erfuhr, wie fie in der That in dem Abbe entichiedenen Feind habe, der fie in feinen Privat- ı ebenfo fchmähe, wie er fie in feinen öffentlichen chen mit Lob überhäufe.. Sie fand das beftätigt, e vom Könige einen Befehl ausgewirft hatte, Die Ipondenz des Gefandten auffangen zu Taffen. Hier fie die achtungswidrigfte Sprache gegen König Königin, die bitterften Vorwürfe gegen das ganze rungsſyſtem, die eifrigfte Ermunterung der von kämpften franzöfifchen Politik, vor Allen aber Die ten Ausfälle gegen fie felbft, und zwar nicht blos ihre öffentliche Wirkſamkeit, fondern auch gegen yeivatleben und befonderd ihre WVerbindung mit Vertrauten und Secretair D’Aubigny. Der Kö⸗ ind fich durch das Erfahrene zu einer würdevollen ellung an feinen Großvater veranlaßt. Die Prin- aber ließ ſich durch ihren Aerger ſoweit hinreißen, fie eine mit den bitterften Randglofjen verjebene eift der Depeſche, durch Vermittelung ihres Bru- des Herzogs von Noirmoutierd, nach Verſailles jen ließ‘), Ludwig drohte, alle Franzoſen von id abzuberufen, und verlangte von Philipp einen n Bericht über die wirkliche Lage feines Hofes, un in der That das ganze Intriguengewebe ent- Zouville ward darauf in Ungnade zurüdgerufen. verfprach dem fpanifchen Hofe, daß auch der Abbe ufen werden ſolle. D’Aubenton beugte feiner Ent: g bei Philipp nur dadurch vor, daß er ein voll. ges Bekenntniß ablegte und fi ald durch den

In Betreff der Anſchuldigung, daß fie mit dD’Aubigny in ge Berftänpniffen lebe und diefe gu einer heimlichen Ehe gewor⸗ en, ſchrieb fie an den Rand; «pour maride, non,»

112 Die Prinzeſſin Orſini.

Abbe und Louville verleitet darſtellte, bei Ludwig durch die Vermittelung des Pater de la Chaiſe. Gegen die Orſini aber blieb der franzöfifche Hof, durch die per- fönlichen Mittheilungen bes fehr gnädig aufgenommenen Cardinals d'Eſtrées erhigt, fo eingenommen, wie vor ber und behielt fi) vor, fie bei erſter Gelegenheit. zu flürzen.

Während man fie durch fhmeichelnde Ausdrüde in Sicherheit wiegte, benußte man den jebt von Portugal “aus au) das fpanifche Gebiet bebrohenden Krieg, den König aus dem Bereich ihrer perfünlichen Einflüffe zu. entfernen. Man fchiefte ihn zur Armee und verbot der Königin, ihn zu begleiten. Nun erhielt der Abbe Be fehl, in Gemeinfchaft mit dem Herzog von Berwid und dem Marquis von Rivad, den König von der Nothwendigkeit zu überzeugen, daß die Prinzeffin enf- fernt werde. Dem König warb dafür Die Gegenver⸗ günftigung, daB auch der Abbe abgerufen wurde Er fowol als die Königin verbielten ſich, wenn auch tief betrübt, doch ruhiger, als man erwartet hatte. Mög ih, daß die Prinzeffin, welche die Nachricht gleichfalls mit Würde und GStandhaftigfeit empfing, Die Wendung doch ſchon vorausgefehen, auf Die Zukunft gebaut und ihren Gebietern Faſſung und Geduld empfohlen bat. Sie nahm einen perfönlichen Abfchied von der Königin, fondern empfahl ihre nur ſchriftlich Fügſamkeit, verließ Madrid (12. Aprit 1704), reifte aber in größter Lang⸗ famfeit durch Spanien, bielt ſich Tange zu Alcala auf und fam erft am 28. Mai in Vittoria an, wo fie den neuen Gefandten, den Herzog von Gramont traf.

Ihre Langſamkeit hatte keinesweges darin ihren Grund, daß fie erwartete, fie werde nad) Madrid zu- rüdberufen werden, fondern in dem Wunſche, die Stim⸗

Die Prinzeſſin Orfini. 113

mung in Verſailles ſich allmälig durch die Berichte und Darftellungen aus Spanien und durch die Bemühungen ihrer Freunde am Hofe ändern zu fehen. Sie täufchte ſich nicht in ihren Berechnungen; wol aber Hatte fich Ludwig gröblich getäufcht, wenn er ſich eingebildet hatte, die Orfini fei Die einzige Urfache, warum feine Pläne in Betreff Spaniens nicht vorwärts wollten‘), wenn er dem Herzog von Gramont verficherte, er werbe einen Hof ohne Parteiungen und ein Land ohne Misftimmung finden. Gramont war ein feiner und fefter Mann, aber, wie Flaſſan) fagt: „zu franzöſiſch, d. h. zu ge: neigt zu jener Rafchheit des Urtheild, welche der Prü⸗ fung vorauseilt und dem Irrthum ausfebt.” Als er die Grenze überfchritt, fchrieb er: „Sch bin völlig über- zeugt, Daß es um des Königs von Spanien willen noth- wendig ift, DaB unfer Souverain despotifch herricht. Aber die Spanier dürfen ed nicht merken, und das wird keine fchwierige Aufgabe fein”). Dan konnte fich nicht geöblicher täufhen. Er glaubte, den König ohne Die Königin beberrichen zu können, der man ihre ſtets er- neuerten Bitten um die Rüdfehr der Prinzeffin ſtand⸗ baft abfchlug, und erzwang die Entlaflung Orri's. Jetzt follte auch defien Anhänger, der Staatsfecretair Cana⸗ led, entlafien und wieder durch den fügfamen Rivas erſetzt werden. Aber der König blieb Diesmal feſt. Gra⸗ mont fah ſich genöthigt, doch zur Königin feine Zuflucht zu nehmen und erfuhr von ihr die ironifche, auf frühere Aeußerungen gegen fie bezüglihe Antwort: „wie fann

1) Sie war gar nicht die Urſache davon, aber fie war dasjenige Glied des franzöfifhen Volks, was die wahren Urfahen am klar⸗ ften erkannte und am treueften danach handelte.

3 IV., . 3) M&m. de Nosilles, III, 201.

114 Die Prinzeſſin Orfini.

ein junges Weib von 15 Jahren, ohne Erfahrung und ohne Talente, ſich herausnehmen, Staatsangelegenheiten zu leiten?” In Gemeinſchaft mit den Miniſtern hin⸗ derte fie jeden Schritt, den der Gefandte empfahl, und wenn auch das Cabinet in eine Maßregel gewilligt hatte, fo erfolgten in den Departements geheime Gegenbefehle Dies allerdings in einer Zeit, wo das thätigfte und in- nigfte Zufammenwirken erfoderlih war. In der That ging über diefen Machinationen das, trog wiederholter Vorftelungen Gramont's, gänzlich vernachläffigte Gi⸗ braltar verloren. Jetzt Fonnte die Königin Canales doch nicht langer halten. Rivas trat an feine Stelle und es ward eine Regierungsjunta, nach der Empfehlung und unter den Aufpicien des franzöfifchen Gefandten, errich⸗ tet. Die Königin fuhr aber fort, felbft und durch ihren Gemahl, den franzöftifhen Hof mit Vorftellungen zu quälen, welche wenigftens die Zolge haften, daß ber auch ihr unangenehme Portocarrero und dei Fresne von der neuen Verwaltung ausgefchloffen blieben. Canales ward zum Staatdrath und Kammerherrn ernannt und erhielt eine Penfion von 12,000 Ducaten. : Auch dem Vertrauten der Orfini, D’Aubigny, warf man eine Par fion von. 2000 Ducaten aus. Die neue Regierungs: junta ward auf jedem Schritte durch die geheimen Ge- genbefehle des mit der Königin einverflandenen Mor tellano, des Präfidenten ded Raths von Eaftilien, ge hindert. Umfonft machte Zudwig die ernfteften Gegen⸗ vorflelungen. Die Königin fchien entfchloffen, Tieber das Königreich flürzen und ihre Krone verloren zu ſehen, ald das Ziel ihrer glühenden Wünfche zu verfeh- In’). In jedem Widerflande gegen Frankreich hatte fie

1) Memoires de Tesae, II, 157.

Die Prinzeſſin Orfini. 115

die Sympathien der Spanier für ſich. Gramont fonnte fih nicht Tänger verbergen, DaB nur der Einfluß der Drfini die Dafchine im Gang halten und einem gänz- lichen Bruce vorbeugen Fünne.

Auf feine Vorftelungen zog Ludwig mildere Saiten af. Es ward der Prinzeffin verfprochen, dag ihrem Bruder, dem Abbe de Ia Zremouille, die Cardinals- würde verfhafft und der Gefandtenpoften in Rom er: theilt werden folle, was auch beides in Erfüllung ging, und man verftaftete ihr, in Zouloufe zu bleiben, wäh- trend fie früher angewiefen worden war, nad) Rom zu gehen. Sofort gab fie der Königin die nöthigen Winfe _ und diefe wurde freundlich gegen Gramont. Alles ging auf einmal glatt und Gramont's Depefchen waren voll Hoffnung, Lob der Königin und Anerkennung der Berdienfte der verbannten Favoritin. Da die Königin wußte, daß Sramont auf Berwid eiferfüchtig war, wel: her Letzterer ihr felbit nicht zufagte '), fo vermochte fie Gramont, zu Berwid’s Abberufung mitzuwirken, machte ihm zugleich Hoffnung, daB die Wahl auf einen ihm befreundeten General fallen werde, lenkte die Wahl aber, durch Wermittelung ihrer Schwefter, der Herzogin von Burgund ’) und der Maintenon, auf Zefle’), von dem fie wußte, Daß er der Herzogin befreundet ſei. Endlich fand fie die Umflände reif dazu, fi) an Ludwig XIV.

1) Sie fagte von ihm: «C'est un grand diable d’Anglois see, qui va toujours droit devant luiv, (Me&m. de Berwick, I, 274).

2) Maria Adelheid, + 1712.

3) Johann Baptift René de Zroulai, Graf von Teffe, geb. in der Maine 1650, 1692 Genecrallieutenant und Gencralobrift der Dragoner, kämpft in Italien, wird Marſchall, befehligt 1704—7 in Spanien, dann in Toulon, fpäter Sefandter in Madrid, erwirkte den Sturz Alberoni's, kehrte am 7. März 1720 aus Spanien zu⸗ rüd, begab ſich in das Gamaldulenferflofter zu Grobois und ftarb daſelbſt am 30. Mat 1720.

116 Die Prinzeſſin Orfini.

mit der Bitte zu wenden, daB der Prinzeffin perſonli⸗ | ches Gehör zu ihrer Vertheidigung gefchenkt werde Diefe geſchickte Wendung bahnte dem König eine Brüde zu anftändigem Rüdzug und die Prinzeffin erhielt in gnädigſter Weiſe die Erlaubnig, nach Verſailles zu Tom: men. Damit war ihr Triumph entfchieden.

Auf Tefle geftüst, Fonnte die Königin wieder frei handeln. Sie ernannte Montellano zum Herzog und Sranden zweiter Claſſe. Rivas ward wieder entfernt und fein Poften zwifchen Don Peter del Campo, Mar: quis von Mejerada ald Staatsfecretair, und Don I ſeph Marquis von Grimaldo, als Minifter der Finan⸗ zen und des Krieges, einem perfönlichen Günftling des Königs und der Königin, getheilt, der jekt feine Tange, noch über Alberoni und Ripperda binausreichende poli« tifche Laufbahn begann... Gramont erkannte, DaB er getäufcht war, begann jetzt, feine Depefchen mit Vor⸗ würfen gegen die Prinzeffin und die Königin zu füllen, und benußte den Beichtvater des Königs, diefen ſelbſt zu einem Gefühle der Unwürdigkeit feiner Abhängigkeit von zwei Frauen zu bringen. Aber ed war zu fpät. Ludwig hatte den Charakter feines Neffen erkannt, und ſah befier, als dieſer, daß deflen jetzige Stimmung nit von Dauer fein werde. Er hielt dafür, daß Die Köni⸗ gin immer die Beherricherin ihres Gemahls fein werde, und Daß ed das SHügfte fei, fich dieſes Verhältniſſes zu bedienen, ſtatt den fruchtlofen Verſuch zu machen, ed aufzuheben. In der That nahm Philipp V. fchon am 10. März 1705 die am Schluffe des vorhergehen⸗ den Jahres gethanen Yeußerungen fürmlih zurüd und verlangte einen andern Beichtvater.

Die Prinzeffin Drfini ward in Verfailles auf das Slänzendfte empfangen. Der fpanifche Gefandte, Her⸗

Die Prinzeſſin Orfini. 117

zog von Alba, und andere vornehme Standesperſonen fuhren ihr entgegen; Mitglieder der königlichen Familie beehrten ſie mit ihren Beſuchen; in ihrer Wohnung drangte fi) eine Menge, wie bei Föniglichen Levers, und der entichiebenfte Gegner ihrer Rückkehr, der Minifter Zorei, mußte ihr, auf ausdrüdlichen Befehl des Kö- nigs, feine Aufwartung machen. Sie hatte häufige vertrauliche Unterredungen mit dem Könige und der Maintenon und erfuhr von Ludwig die außerordentlich fin Beweife von Gunſt und Herablaſſung. Sie be nahm fich in diefem Glüde mit Zaft und Würde, ge fiel ſich aber doch fo fehr darin, dag fie mit ihrer Rück⸗ kehr nach Madrid auffallend genug zügerte, um zuletzt felbft eine mistrauifche Eiferfucht in der Maintenon zu erweden. Man beeiferte ſich nun, fie durch Erfüllung aller ihrer Wün- Ihe zur Rückkehr zu beitimmen. Der König verdoppelte ihre Penſion, ſodaß fie nun 20,000 Livres betrug, machte ihr reiche Geſchenke, Tieß ihr 12,000 Reichstha⸗ ler Reifegelder auszahlen, gab ihrem Bruder, dem Her: zog von Noirmoutier, eine reiche Grunddotation. Drri erhielt feine frühere Stelle wieder. Gramont ward ab» berufen ’) und die Wahl feined Nachfolgerd der Prin- zeſſin überlaflen. Sie fiel auf Amelot de Gournai?), den geeignetften Gefandten, welchen Frankreich feit dem Her: 309 von Harcourt in Spanien gehabt, einen Mann, defien Klugheit und Milde den Weg zu finden verfprach,

1) Gr ſchrieb vor feinem Abgangce an Torti: ‚Wenn alle Ihre Geſandtſchaften dieſer gleiben, fo erfläre ih Ihnen, daß ih in meinem Leben von Peiner wieder hören will”, nahm aud nit das geringite Geſchenk von dem fpanifhen Hofe an, ſondern empfahl, das Geld Lieber auf die Vedürfniffe der Truppen zu wenden.

3) Gr war 1 geboren, Gefandter in Benedig, Portugal und der Schweiz geweien, damald Präfident des parifer Parlaments, verließ Spanien 1709, ward 1712 nah Nom gefendet und + 1724.

118 Die Sringeffin Orfiet.

dem Vernünftigen und Nöthigen felbft durch die fpani- ſchen Borurtheile Eingang zu verfchaffen. Die Aufgabe war aber freilich jetzt fehwieriger, als je; denn der Geift des Widerſpruchs war, unter den vorhergehenden Sn: triguen, tief in die Verwaltung gedrungen und Monte: ano operirte jest felbft gegen die Rückkehr der Prin- zeffin.

Indeß endlid, erichien dDiefe und zog (5. Auguſt 1705) wie im Zriumphe in Madrid ein. Zwei Meilen weit famen ihr König und Königin entgegen und In den fie, nad) einer zärtlihen Umarmung ein, in bem föniglihen Wagen Plag zu nehmen. Sie war jedod zu taktvoll, die firengen Regeln der fpanifchen Etikette durch Annahme einer Ehre zu verlegen, zu welcher Fein Unterthan berechtigt war. Sie übernahm ihre Stellung ald Camarera mayor, nachdem ihre Nachfolgerin, die Her- z0gin von Bejar, reftgnirt hatte, wieder und alled Ichien ind Gleiche gebracht. Indeß begangene Misgriffe find Teichter zurüdzunehmen, als ihre Folgen wieder gutzumaden. Die Widerfeglichfeit der fpanifchen Gro- Ben ermüdete felbft die Geduld der Prinzeffin und die öffentlichen Unfälle nahmen raftlos zu. Auch die Ent- laffung Montellano's, an deflen Stelle der Corregidor von Madrid, Ronquillo, trat, half nur wenig.

Als jedoch die ernftefte Prüfung kam und der bour bonifhe Hof vor den fiegreichen Waffen des Gegenkö⸗ nigs Madrid zum erften Male verlaffen mußte (Juni 1706), ergab ſich doch, daß der Oppofitiondgeift mehr nur ein frondirender gewejen war, und vor dem Pflicht: gefühl der Treue für den anerfannten König der fpani- fhen Nation wih. Die meiften Großen folgten dem flüchtenden Hofe nach Burgos und Madrid empfing Die Sieger in düflrem Schweigen. Unter den Wenigen,

Die Prinzeſſin Orfini. 119

die ſich dem Könige Karl III. anfchloffen, befand fich derfelbe Marquis von Rivad, den man bie dahin ale dad fügfamfle Werkzeug der Franzoſen gekannt hatte. Es war der Drfini beſchieden, daß jede Abweichung von wahrhaft richtiger Politif zu Gunften perfönlicher Stimmungen fih an ihr rächen follte. Der Herzog von Berwick, der den Spaniern wieder zu Hilfe gefchict war, hatte Durch die Schlacht von Almanza die Sachen Philipp's wieder günftig geftellt, ward aber, auf Betrieb der Prinzeifin, abberufen und Durch den Herzog von Orleans erſetzt. Im diefem erhielt Die Prinzeffin einen neuen Feind, und das follte in einer viel fpäteren Zeit ihr noch Nachtheil bringen. Wohl aber macht ed, wenn man die wahre Stellung diefer Perfonen zu einander und Die folgenden Vorgänge kennt, einen eigenen Ein- ud, daß bei der prächtigen Taufe des Prinzen von Aturien (1717) der Herzog von Orleans, die Prinzef- fm Orfini und der Cardinal Portocarrero ſich als Die Haupthandelnden vereinigt fanden’). Wenn übrigens die Prinzeffin bald ald Gegnerin des Herzogs auftrat, ſo handelte fie hierin nicht aus perfünlichen Beweg⸗ gründen, fondern in Treue gegen ihre Wohlthäter. Der - Herzog Hatte namlich ſelbſt Abfichten auf den fpanifchen Thron und rechnete auf den Fall, wo den Verbündeten die Conceſſion eines Rüdtritts Philipp's V. gemacht wer: den müſſe. In dieſer Abficht ſchürte er die Unzufrieden- heit der ſpaniſchen Großen und überhaupt der Arago-

I) Der Herzog vertrat die Stelle des Königs von Frankreich, Me Drfini die der Herzogin von Burgund und der Gardinal verrid- tete die Taufe und fol dabei die Worte gefprohen haben: „Herr, nun läffeftt Du Deinen Diener in Zrieden fahren, denn meine Augen vaben Deinen Heiland geſehen.“ Die Prinzeffin ward Gouvernante des jungen Prinzen.

1230 Die Prinzeſſin Orfini.

neſen, Valencianer und Catalanen, deren Vorrechte dem Uniformirungsgeiſte Caſtiliens zum Opfer gebracht wor⸗ den, und machte fi) zum Organ ihrer Beſchwerden. Auch nach feiner Zurüdberufung feßte er, nicht ohne geheime Gonnivenz Ludwig's, feine Verbindungen mit Spanien durch feinen Secretair, Deslandes von Reg— nauft und Durch einen anderen Agenten, Flotte, fort. Aber die Prinzeffin entdeckte diefe Umtriebe und erwirkte die Verhaftung der beiden Agenten, die auch erfl nad dem Sturze der Prinzeffin in Freiheit gefommen find’). Es fcheint fogar, ald habe der Herzog mit den Englan dern unterhandelt und ſich wenigftens einen Theil der fpanifchen Monarchie fichern wollen ?).

Diefe Pläne, in Verbindung mit den allgemeinen Verhandlungen der Mächte, bei denen überall von ſpa⸗ nifchen Abtretungen die Rede war, benußte der Hof, auf Anleitung der Prinzefiin’), einen neuen Aufſchwung des fpanifchen Nationalgeiftes hervorzurufen. Der A nig berief feine Miniſter zu einem feierlichen Rathe (Aprit 1709), legte ihnen die Bedrängniffe des Staat und die Unficherheit ferneren Beiftandes von Frankreich vor, fündigte aber zugleich feinen Entſchluß an, Tieber zu flerben, als feine Krone aufzugeben, und appellitte an den Eifer und die Anhänglichkeit feiner Unterthanen. Der TAjährige Portocarrero, der aus feiner Zurückgezo⸗ genheit zu dieſer wichtigen Berathung geeilt war, gab dem Nationalgefühl den erften Ausdrud und fühnte de

1) Sie wurden erſt nad Segovia, dann nad St. Sebaſtian, dann in die Eitadele von Pampelona gebracht. In ihre Sache wurden auch zwei Spanier, Don Bonifacio Manrique Lara und Don In ton de Billarcal, beite Generallieutenants, verwidelt.

2) Gore, Gap. 106.

3) Mem. de Noailles, IV, 50 fg.

Die Prinzeffin Orfini. 121

mit feinen früheren Abfall. Sein Beifpiel und feine Ermahnungen riefen einen einftimmigen Ausbruch des Enthufiasmus hervor. Zugleich aber ward dem König die unverzügliche Verabichiedung aller Franzoſen empfoh: fen und von ihm genehmigt. Nur die Prinzefiin Dr: fint ward, auf Vermittelung der Königin, ausdrücklich ausgenommen. Der Herzog von Medina Celi Fam, als Minifter der auswärtigen Angelegenheiten, an die Spige und der Marquis von Bebmar ward Kriegsminifter. Zum erflen Male feit dem Beginn des Krieges war der Oberbefehl der fpanifchen Heere einem Spanier, dem Grafen von Aguilar, anvertraut. Geld und Mann: Ihaften flrömten in Maſſe herbei. Indeß waren die Hifsquellen zu erichöpft, die Verwaltungszweige zu jehr in Verfall und die neuen Minifter haften das Zu: trauen des Königs zu wenig, ald daß große Dinge zu verrichten geweſen wären, oder alle Misftimmungen ſich gdegt hätten. Man mußte froh fein, daß der fpanifche Krieg auch von Seiten der Feinde ald Nebenfache be: trachtet und nachlaͤſſig geführt wurde. Die Prinzeſſin erbot fih, um das Murten der Spanier zu beichwidh- tigen, ihre Abberufung zu verlangen, ließ ſich aber zum Bleiben bereden. Doch fehte fie den Abgang Amelot’s durch, Den der König fo lange ald möglich zu verzögern gefucht hatte, ungeachtet auch Amelot den eiferfüchtigen Spaniern zulegt ein Dorn im Auge gewelen war. Gei- nem Nachfolger follte die Theilnahme an den Cabinets- verhandlungen nicht länger geftattet werden.

Im April 1710 wurde der Herzog von Medina Celi, unter ſehr geheimnißvollen Umftänden '), geftürzt und

1) Man fprengte aus, feine Berhaftung babe in Folge eines Shreibens ftattgefunden, was der Marquis von Aftorgas von feis nem Sterbebette aus an den König gerichtet.

T ß

122 Die Prinzeſſin Orſini.

nach Segovia, ſpäter nach Pampelona geſetzt, wo er am 26. Jan. 1711 ſtarb. Man ſuchte den Glauben zu erwecken, daß er den Verbündeten die geheimen Ver bandlungen zwifchen Frankreich und Spanien verrathen babe. Andre‘) haben gemeint, fein Sturz babe eben nur einen Minifterwechlel und die Einfchüchterung der Granden zum Zwede gehabt. Wenn ed aber richtig il, daß fich der Kaifer feiner annahm ”), fo würde das doch für eine tiefere Schuld des Herzogs fprechen. Ronquillo ward fein Nachfolger, und bald darauf zum Grafen von Gramedo ernannt.

1711 war der Herzog von Noailles ’) erſt ald Ge neral, dann als diplomatifcher Agent, ohne den äufße ren Charakter eines folchen, in Spanien. Obwol ein alter genauer Freund der Orſini, waren feine Berichte diefer Doch auch ungünftig. Er unterlag dem Schickſal, was die meiften Sranzofen befiel, fobald fie über Die Py⸗ renden famen: er wollte Spanien regieren und zwar auf franzöftfche Art. Er konnte fich nicht darein finden, daß dieſer König, der nur durch franzöfiihe Waffen auf den Thron gehoben und gehalten worden, irgend⸗ welche Schwierigkeiten machen könne, foviel von ben ſpaniſchen Reihen zur Dispofition Frankreichs zu ftellen, als nur irgend das franzöfifche Friedensbedürfniß erfor dern möchte, und auch noch jeden beliebigen Handelt: vertrag zu unterfchreiben. Er meinte, wenn Philipp

1) Namentlid Gore.

2) Clef du Cabinet, Aoùt 1710, &. 69.

3) Adrian Morig, geb. 1678, 1711 fpanifher Grand, unter der Regentſchaft bis 1718 Zinanzminifter, bis 1733 im Privatftent, dann bei der Rheinarmee, Marfhall, 1743 bei Dettingen geſchla⸗ gen, im Staatörath, bei Zontenoi freiwilliger Adjutant des Mar: Ihals von Sachſen, 1746 Sefandter in Madrid, fett 1755 ven den Gefhäften zurüdgezogen, + 24. Zuni 1766.

Die Prinzeſſin Orſini. 123

ur Spanien und die Indien behielte, ſo müſſe er ſich nmer noch glücklich ſchätzen; das ſei doch wahrlich eine höne Apanage für einen jüngeren Bruder. Es ſei im genen Interefle Frankreichs, daß Spanien etwas ver: ere; denn da die Spanier ſich ſchon jetzt nicht fügten, vad babe man von ihnen zu erwarten, wenn fie erft in frieden und Sicherheit wären? Er ſchob die Schuld es vermeintlichen thörichten Uebermuthes der Spanier uf die Königin und die Drfini, und fam auf den un- eſonnenen Gedanken, dem König zu rathen, ſich wegen er Keänklichkeit der Königin von ihrem Bette zu tren- on und, wie bie alten Patriarchen, auf Die er fich aus⸗ rüdlich berief, eine Magd an feine Seite zu nehmen. Reſer Antrag erregte den Abfcheu des treuen Gatten seinem ſolchen Grade, Daß er ihn unverzüglich der Kö- igin und der Prinzeffin vertraute. Die Königin fchrieb n ihre Schwefter, die Herzogin von Burgund, die Orſini n die Maintenon, und Noailles, der folches Aergerniß egeben, ward fofort zurüdgerufen. Mit diefer Wen⸗ ung bing auch der Sturz des Grafen Aguilar, der mit taailles verbunden geweien, zufammen ').

Dem Noailles folgte der Marquis von Bonnac, ale wBerordentlicher Gefandter, deſſen Inftruckionen immer sc von dem Gedanken ausgehen, daß Spanien fich in Bed. fügen müfle, was Frankreich von ihm verlange. Sie erfennen das Bedürfniß des Königs Philipp, gelei- et zu werden, den großen Einfluß der Prinzeffin Dr- mi und Deren redlichen Eifer, die Einigfeit der beiden Rronen zu befördern, an, laſſen aber dahingeftellt fein, ſb fie nicht über die Mittel irre. Das Wahre war, fie

1) St. Simon, V, 510; Noailles, IV, 230, 237, V, 1433 ft, Philippe, II, 8. 6*

124 Die Srinzefin Orfini.

wollte das ſpaniſche Interefie nicht unbedingt dem franzöfifchen opfern; fie glaubte nicht, daß folches Opfer fo nöthig und fo durchführbar fei, wie man in Verſail⸗ les wähnte. Den auch von ihr ald nöthig und möglich Erkannten wiberftrebte fie nicht, und Bonnac erwirkte von Philipp V. die Ermächtigung, den Engländern die Abtretung von Gibraltar und Minorca und den Afliento anzubieten.

Als ed endfich zu dem ufrechter Congreß kam, er bob namentlih der neue Finanzminifter, Graf von Bergheif, früher Vicegouverneur der Niederlande, for: melle Schwierigkeiten, welche nur durch den Einfluß der immer mächtiger werdenden Prinzefiin zu befiegen waren. Sie feßte aber einen Preis auf ihre Mitwir: fung, der die Höhe ihres Chrgeized bezeugt. Schon als fie vor längeren Iahren den König vermocht batte, in eine Dereinftige Abtretung der Niederlande an den Kurfürften von Batern zu willigen, hatte er ein kleines Territorium mit einem Ertrag von jährlich 30,000 Kro- nen vorbehalten. Jetzt fam er darauf zurüd und nannte die bis dahin unbekannte Beftimmung deflelben: es follte eine unabhängige Souverainetät für die Drfini begrün- den. In ihren Iahren und da fie Feine Kinder befaß, ein doppelt jeltfamer Wunjh'). Indeß Ludwig madhte feine Schwierigkeit und fie empfing bereit die Glüd- wünfche des Hofes und den Titel Hoheit. Es war das

1) Uebrigens hatte fie die Abfiht, jenes Beſitzthum gegen cin franzöfifches zu vertaufhen, mas nad ihrem Tode an die Krone fallen follte. Sie ließ zu dem Ende durch d'Aubigny einen prädtis gen Palaft zu Ehanteloupe aufführen, überließ aber denfelben, nad ihrem Sturze, lediglich dv’Aubigny zur Bewohnung. Später hielt fih Lord Bolingbrofe in Ghanteloupe auf; dann mar ed ber Lich» lingsfig des Herzogs von Ghoifeul und in unferm Jahrhunderte be wohnte es der Graf Chaptal.

Die Prinzeſſin Orfni. 13

Herzogthum Limburg, was man zu Diefen Zwecke be flimmte, und die betreffende Clauſel ward wirklich in den Vertrag zwifchen Spanien und England und in den utrechter Frieden gebracht. Aber die ganze Beſtim⸗ mung der Niederlande ward eine andre und drehte fich jo, daB die Einwilligung des Kaifers und der General: ftaaten notbwendig ward, welche nicht zu erlangen war. Die englifche Regierung gab fich natürlich nicht viele Mühe für die Sache und Ludwig fand zulegt auch den Punkt zu unbedeutend, als daß er deshalb den Welt: frieden hätte verzögern mögen.

In Diefer Zeit flarb die Königin von Spanien in Folge einer Drüfenkrankheit, an der fie lange gelitten, im 26. Jahre ihres Alters (14. Zebr. 1714). Außer fi) vor Schmerz, überlieg Philipp die Regierungsge: Ihäfte dem Cardinal dei Giudice'), einem neapolitani- ſchen Prälaten, welcher vor kurzem Großinquififor ge- worden war, und zog fich mit der Prinzeffin, ale Gou— vernante des Prinzen von Afturien, in dad Hotel des Herzogs von Medina Celi zurüd. Da diefed jedoch nicht geräumig genug war, fo richtete fich die Prinzeffin in einem benachbarten Karuzinerflofter ein, deſſen Inſaſſen äinftweilen in einem anderen Kloſter untergebracht wur: den, und Heß eine offene Gallerie, welche beide Gebäude verband, verdeden, um den königlichen Witwer zu jeder Zeit unbeobachtet befuchen zu können. Jetzt ward fie alleinige und unumfchränkte Herricherin. Sie entfernte, nach nur Dreitägiger Verwaltung, den Cardinal dei Giu- dice wieder und brachte den ihr unbedingt ergebenen Drri an die Spike. Grimaldo ward auf Das Departe-

1) Kit mit einem andern Giudice zu verwechſeln, welder 1712 Minifter ward: dem Prinzen von Gellamare. (S. den folgenden Auffag.)

126 Die Prinzeſſn Orfit.

ment des Krieged und der Indien beichränft. Un die Stelle Mejorada’d trat Don Manuel Vedello, und die Zeitung des Rathes von Caſtilien ward unter fünf Per fonen vertheilt. Bergheik, der die Finanzen mit Orri theilen follte, vertrug fich nicht mit Diefem und ging nach Flandern zurüd. Orri traf wichtige, durchgrei⸗ fende und nützliche Reformen im Gebiete der Finanz⸗ verwaltung. Als er aber, unterflügt von dem Beicht⸗ vater Robinet und dem Generalfitcal von Gaftikien, Don Melchior Mecanaz, auch die Firchlichen Immmi- täten antaften wollte, erhob fich ein fo gewaltiger, won der Inquifition ausgehender und auch von weltlichen Behörden unterftügter Widerftand, daB man den Ge⸗ danken aufgeben mußte.

Gefährlicher für die Prinzeſſin waren auch jetzt ihre Differenzen mit Frankreich. Sie beharrte in ihrem Ent⸗ ſchluſſe, den Frieden von der Erfüllung ihres Souve⸗ rainetätsgelüſtes abhängig zu machen. Ludwig befahl dem Herzoge von Berwick, ſich nach Madrid zu begeben, um dem König zu condoliren, zugleich aber und haupt: fachlich feinen Beitritt zum Frieden zu erwirken. Die Prinzeffin verhinderte diefen Beſuch und Tieß ſich hin⸗ reißen, dem König die Bemerkung in Die Feder zu ge ben: das Erfcheinen Berwid’s mit einer Armee vor Barcelona würde feinem Intereſſe vortheilhafter fein, ald ein Condolenzcompliment. Ludwig erwiderte gereist, DaB weder Truppen noch Schiffe nach Barcelona gefchidt werden würden, bevor nicht der Friede mit Holland unterzeichnet fei. Die Prinzefjin ſchickte Drri nach Ca⸗ talonien, um zu fehen, ob nicht die eigenen Kräfte Spa- niend hinreichend fein würden, die widerfpenflige Provinz zu unterwerfen, und auch ald fie fi von dem Gegen: theil überzeugt hatte, begnügte fie fich, den franzöftichen

Die Prinzeifin Orfiei 127

Hof von neuem um Hilfe zu drängen, ohne ihrerfeits irgendwie nachzugeben, haderte vielmehr fortwährend mit dem franzöfiihen Gefandten. Erft ald Ludwig cine Erklärung verbreiten ließ, daß er gefonnen fei, einen Separatfrieden zu fchließen und Spanien ſich felbft zu überlafjen, und alle ihre Vorftellungen fruchtlos waren, gab fie nach und der Zwift fchien beendigt.

Da kam aber wieder die neue Vermählung ded Kö- nigs ind Spiel. Daß diefer nicht ohne Frau fein könne, war entihieden. Es beftand für ihn in diefer Bezic- bung das entichiedenfte, faft ald Krankheit zu betrach⸗ tende phyſiſche und ebenfo ein moraliſches Bedürfniß. (Aberoni pflegte von ihm zu fagen: er braucht nichts, als ein Weib und ein Gebetbud.) Ludwig empfahl eine Prinzeffin von Portugal, Baiern, oder eine Conde. Die Prinzeffin feheint aber zunächſt an fich ſelbſt gedacht zu haben. Ob das Gerücht, was fie in diefer Zeit all- zuverfrauten Umgangesd mit dem Könige beichuldigt, be- gründet geweien, muß dahingeftellt bleiben. Sie war allerdings mindeftens fchon dicht am Rande der Eiebzig, aber immer noch einnehmend, und bei einem Manne von Philipp's Dispofition war in diefen Punkte alles möglich. Mit größerer Beftimmtheit kann, nach den Verficherungen Alberoni's und der nachherigen Königin Elifabetb und den eigenen Geftändniffen des Königs felbfE, angenommen werden, daß fie ernftlich den Plan begte, ſich an feine Seite zu ſchwingen. Es Scheint, daß ein Reft von Scham, den der Beichtwater durch rechtzeitig angebrachte Sarkasmen in dem Sinne des Königs nährte'), ihn von einem Schritte zurüdgehal:

1) Einmal fragte der König feinen Beichtvater, was es Neues in Paris gebe. „Sire,“ erwiederte NRobinet, „man fagt dort, Em. Majeftät würden die Frau ded Urfins heirathen.“ „O, was Das

128 Die Prinzeſſin Orſini.

ten hat, der ihn in den Augen der Spanier jedenfalls ſehr herabgeſetzt haben würde. Sobald der König aber ihr Verlangen nicht zu erfüllen entſchloſſen war, mußte aus der Thatſache dieſes Verlangens, dem Bewußtſein, wie nahe es an ſeiner Erfüllung geweſen und der Nicht⸗ erfüllung deſſelben eine Stellung und Stimmung dei’ Königs gegen die Prinzeſſin erwachſen, bei welcher der Wunſch einer völligen Trennung von ihr kaum auf bleiben Tonnte.

Es wäre Zeit für fie gewefen, fich in würdiger Weile zur Ruhe zu fegen. Spanien bedurfte ihrer nicht mehr. Aber fie beging jegt einen Misgriff auf den andern. Sie fuchte nach der unbedeutendften, unbedingt von ihr zu beherrfchenden Braut, ohne fich zu erinnern, daß bie verftorbene Königin nicht unbedeutend geweien und doch ihrem Rathe gefolgt war, weil er gut war. Hier ließ fie fi) nun von dem fehlauen Alberoni überliften und gerade auf die Perfon lenken, die ihr die gefährlichfte war: Eliſabeth Zarnefe, Prinzeffin von Parma ). Die Wahl betrieb fie in höchftem Geheimniß, hinter Lud—⸗ wig's Rüden, dem fie wohl die allgemeine Einwilli⸗ gung zu einer Wiedervermählung des Königs abgewann, der aber den Gegenſtand erft erfuhr, ald alled ſchon zum Abſchluß reif war, und dann fich über die Heimlichkeit und Eile, mit welcher alles betrieben worden, ärgerte?). Endlich verdarb 9 Die Prinzeffin das Verhältniß zu

betrifft, nein!’ ſegte der König trocken und ging fert. (Duclos, Memoires secrets, I, 74.

1) S. ven folgenden Aufſatz.

2) Nach einer Aeußerung der Herzogin von Orleans zu ſchließen (Briefe an die Raugraͤfin Luiſe, S. 180), hätte die Prinzeffin auch in Paris gewiffen Perfonen Hoffnung gemadht, daß der König eine von deren Töchtern beiratben werde. Vielleicht bezieht fih das auf tie Condés.

Die Prinzeſſin Orkai. 129

der neuen Königin vollends noch Dadurch, daß fie, noch im Testen Augenblicke ihre Zäufchung über den Charaf- ter der Prinzeffin von Parma erfahrend, den vergebli- hen Verſuch machte, alles wieder rüdgängig zu machen.

Der König, der fi) ungemein auf feine neue, junge Gemahlin freute, ging ihr mit glänzendem Gefolge bis Suabalarara entgegen. Zu Ulcala ſchickte er die Orſini voraus und Diefe nahm eben einige Erfrifehungen in Zadreca, einem Peinen, vier Meilen über Guadalarara gelegenen Dorfe ein, als die Königin Elifabeth dafelbft eintraf. Augenblicklich verließ fie die Tafel, ging der Königin bis an den Fuß der Treppe entgegen und küßte ihr Pnieend die Hand. Anfcheinend gnädig empfangen, führte fie ihre Pönigliche Gebieterin in ihr Zimmer. Wie erftaunte fie aber, als die Königin bier ihre Compli- mente plöglih mit bitteren Vorwürfen unterbrach und fih ftellte, ald erichienen ihr der Anzug '), wie das Be: nehmen der Prinzeffin als ehrfurchtswidrig. Eine milde Entfchuldigung rief nur neuen Zorn hervor. Die Köni- gin hieß fie ſchweigen und rief zur Wache: „ſchafft dies tolle Weib hinaus, die ed gewagt hat, mich zu beleidi⸗ gen!” Half fogar felbft, fie aus dem Zimmer zu dran- gen. Die Königin rief nun den die Wache befehligen- den Offizier, Generallieutenant Grafen Amezaga, und befahl ihm, Die Prinzeffin zu verhaften und an die Grenze zu führen. Erſtaunt ftellte der Offizier vor, daß der König allein die Macht habe, einen foldhen Befehl zu ertheilen. Sie rief unwillig aus: „Haben

I») Man erinnere fich der oben angeführten Aeußerung St. Si⸗ mon’d. Die Herzogin von Orleans (a. a. D. &. 197) erzaͤhlt die Geſchichte übrigens gerade umgekehrt, und hätte hiernad dic Drinzeffin den Anzug der Königin und ihr langfames Meifen geta⸗ delt. Diefe Berflon ift aber falſch. 62 *

128 Die Prinzeſſin Orfii.

ten hat, der ihm in ben Augen der Spanier jebei fehr herabgefegt haben würde. Sobald der König ihr Verlangen nicht zu erfüllen entfchloflen war, x aus der Thatfache diefes Verlangens, dem Bewuf wie nahe ed an feiner Erfüllung gewefen und ber $ ung deſſelben cine Stellung und Stimmung Königs gegen die Prinzeffin erwachfen, bei welche Wunſch einer völligen Trennung von ihr kaum bleiben konnte.

Es wäre Zeit für fie gewefen, fi) in würbiger | zur Ruhe zu fegen. Spanien bedurfte ihrer nicht : Aber fie beging jetzt einen Misgriff auf den as Cie fuchte nach ber unbebeutendften, unbedingt ve zu beherrfchenden Braut, ohne ſich zu erinnern, Di verftorbene Königin nicht unbebeutend gewefen unb ihrem Rathe gefolgt war, weil er gut war. Hi fie fi) nun von dem fchlauen Alberoni überliſte gerade auf die Perfon lenken, die ihr die gefäh war: Glifabeth Farneſe, Prinzeffin von Parma F Wahl betrieb fie in höchftem Geheimnig, binte wig's Rüden, dem fie wohl die allgemeine @ gung zu einer Wiedervermählung des Königs abı der aber den Gegenftand erft erfuhr, ald alles fd Abſchluß reif war, und dann ſich über die Hd und Eile, mit welcher alles Endiich verdarb fi u die

etift, nein” füßte Memoires secrets, I, 7, 1) &. ven for 2) Rad einer

Briefe an die auch in Paris cine von deren auf die Gen'

130 Die Prinzeſſin Orfiet,

Sie nicht den Befehl Sr. Majeftät, mir unbedingt zu gehorchen?“ Als er das bejaht, fprach fie ungebuldig: ‚mun, fo gehorchen Sie mir.” Da er auf einer ſchrift⸗ lichen Ermächtigung befland, fo rief fie nach Feder und Dinte und fchrieb den Befehl auf ihrem Knie.

Die Prinzeffin ward fogleih, ohne fi umkleiden ‚zu bürfen, in eine Kutfche gefeßt und mit nur eine weiblichen Begleiterin und zwei Offizieren, unter Geleit von 50 Dragonern, die ganze Nacht hindurch, eine falte, finftee Winternacht, gefahren. Anfangs war fie vor Erftaunen ganz betäubt; dann fühlte fie Unwillen und Verzweiflung; dann begann fie auf den König und ihre zahlreichen Anhänger Hoffnungen zu fegen. Als man am Morgen anbielt, um die Pferde zu füttern, brach fie ihr Schweigen, drückte ihren Gefährten, welche ſelbſt im höchſten Grade betroffen waren und fie zu tröften fuchten, ihre Verwunderung über das Norge gangene aus und erzählte ihnen deſſen nähere Umſtände. Als aber bei fortgefeßter Reife Feine Nachricht vom Ko⸗ nig eintraf, wurde ihre Hoffnung fchwächer, empfand fie die zahlreichen Entbehrungen und Befchwerden, de nen fie bei fo unvorbereiteter Reife, in folcher Jahres⸗ zeit und in dem ungaftlihen Spanien ausgefeht war, bitterer und brach fie öfterer in heftigen Unmuth aus. Sie war ganz von Geld entblößt, mußte von ihren Begleitern borgen und erft fpat holte fie ein Bote mit 1000 Piftolen ein. Am dritten Tage ihrer Reife trafen fie ihre beiden Neffen, der Graf von Chalois und ber Prinz von Lanti '), Die ihr nachgeeilt waren. Sie ſah aus deren Berichten deutlich, daß fie vom Hofe

1) Alerander Lanti, ihrer Schwefter Sohn, ver fi kurz vorher mit der Tochter des Grafen von Plicgo vermählt hatte.

Die Pringeffin Orfini. 131

feine Aenderung ihres Schickſals zu erwarten hatte. Ihr ſabſt brachten fie nur ein kaltes Schreiben, worin ihr erlaubt ward, an dem Plate zu bleiben, wo fie fie ein: holen würden, and worin man ihr die richtige Fortzah⸗ lung ihrer Penfion verfprah. Nun fie fah, daß alles entihieden war, wurde fie ruhig und gefaßt, ertrug jede Beihwerbe und erwarb fich Durch Geduld und Stand- haftigkeit die Bewunderung ihrer Begleiter.

Nah einer Reife von 23 Tagen kam fie nach Et. Yan de Luz, wo fie fich ſelbſt überlaffen ward. Sie ſuchte eine Audienz bei ber verwitweten Königin von Spanien nach, was ihr aber abgefchlagen ward. Dann Ihrieb fie an die Maintenon, an Ludwig und an bie Niniter. Nach einigem Verzuge warb ihr erlaubt, nad) Paris zu kommen, wo fie im Haufe ihres Bruders, des Herzogs von Noirmoutierd, abflieg und viele Befuche Reugieriger empfing. Auch zu Verfailles freundlich auf: genommen und mit 40,000 Fred. Penfton verfehen, nahm fie ihre natürliche Heiterkeit wieder an. Da aber näherte fich der fpanifche Hof dem Herzog von Orleans, hob die Schuld ihres Zwiefpaltd auf die Prinzeffin und bewog ihn, bei Hofe Schritte gegen dieſelbe zu thun, welche zu einem Verbote an fie führten, irgend» wo zu ericheinen, wo fich ein Mitglied der Familie Dr- land befände.

Eine Zeit lang blieb fie nody in der Nahe des Ho- fes. Als aber der König auf fein Sterbelager fant, fürchtete fie Die Rache ded Herzogd von Drleand und verließ Paris. Holland verweigerte ihr die Aufnahme, und fie ging erft nad) Avignon, dann nad) Genua. So lange Papft Clemens XI. lebte (+ 18. März; 1721), durfte fie auch nicht nach Rom. Unter Innocenz XII erhielt fie Diefe Erlaubniß, kehrte fomit auf den Schau-

132. Die Prinzeſſin Orſini.

platz zurück, der die Wiege ihrer Größe geweſen war und an den ſich für fie fo merfwürdige Erinnerungen fnüpfen mußten, und tröftete fich mit einem Schatten ihrer zeitherigen Wirkſamkeit, indem fie im Haufe des Prätendenten die Honneurd machte... Sie farb abe fon 1722.

Man ift überzeugt, daß die Königin in Folge eine geheimen Befehls gehandelt, den fie von ihrem Gemahl erhalten, und die Gelegenheit vom Zaune gebrochen, fih fofort von der Prinzeffin loszumachen. Mit der Orfini ftürzten auch Orri und feine Anhänger. Orri zog fid nach Frankreich zurüd. An die Stelle des Beichtvaterd Robinet, der es jeßt bereuen mochte, daß auch er der Prinzeffin entgegengewirkt, trat wieder D’Aubenton und auch Grimaldo trat in feine alte, noch erweiterte Wir: ſamkeit.

VW. Die Sellamareverfhwörung; Alberoni und Mipperda.

Die Zeit zwifchen dem Schlufle des fpanifchen und dem Beginne des öfterreichifchen Erbfolgefrieges war Die ruchtbarſte Zeit für politifche Projectmacher, Intriguan- en und Abenteurer, die es vielleicht jemald gegeben hat, md auch Männer, die zu andern Zeiten ald Staats- nänner gehandelt haben würden, handelten jetzt wie ene. Im jenen großen Kriegen galt ed Nothwendig- eiten des europäilchen Staatenſyſtems. In der Zwi—⸗ henzeit handelte es fi nur um Fragen, deren Rege: ung willkürlich war und wo der Stand des Augenblicks nticheiden, folglich Dinge gebären konnte, die ein an- jerd geftellter Moment wieder umfchuf. Dennoch haben wich bier die Geſetze des Staatenſyſtems, unter taufend Berwirrungen und Sreuzfprüngen, ihre Herrichaft be auptet.

Im Einzelnen trieben Ländergier und Intrigue ihr Spiel. Es waren ſo viele Beiſpiele von phantaſtiſchen Plänen, ſeltſamen Combinationen, unerwartet gefnüpf: ten und wieder aufgelöſten Bündniſſen, Wechſel und Tauſch der Länder, wobei die Völker ſich willenlos in Jegliches fügten, gegeben worden, daß eine Secte aben- tenerlicher Diplomaten fich bildete, die, wie im vorigen

134 Die Eelamarederfgmwörung; Alberoni und Bipperbe.

Jahrhunderte die Alchymiften die Geldgier, fo die Län- bergier ihrer Herren durch wunderbare Projecte zu kirren wußten und in vielfachft verſchlungenen Intriguen gleich. zeitig alle Länder, alle Höfe in Bewegung ſetzten, um in dem bunten Treiben für ihren Hof, oder doch für fih felbft, einen Vortheil zu erhafchen. Der Utrechter Friede, in der Hauptſache dad Nothwendige begrün dend, hatte einige Rebenfachen unzwedmäßig georbiet. Das Fonnte geändert werden, und das Wie der Aende rung unterlag feinem Gefehe der Nothwendigkeit. Auch deshalb Hatten die Projectmacher Teichtered Spiel, weil in mehreren Staaten damals friebliebende, nicht ener⸗ giſche Staatsmäanner an die Spige kamen, welche man: hem Andrange nachgaben, um nur andauernden Krieg, zu vermeiden.

So nur konnte cd fommen, Daß gerade von Ep nien aus, welches feit dem Tode Philipp’s IL. bis zum Ausfterben der fpanifchen Linie des Haufed Habsburg faft nur durch feine Schwäche die Aufmerkſamkeit Eu ropas beichäftigt hatte, welches, wie fich feit den Zeiten Kara V. und Philipp’d IL. die Verhältniſſe geftaltet hatten, jelbft wenn e8 die Kraft der früheren Zeiten wieder erlangt gehabt hätte, doch feinen beflimmenden Einfluß auf das europäiſche Staatenfyften mehr bean ſpruchen fonnte, und welches weit entfernt Davon wat, neugefräftigt zu fein, gleichwol die anftoßenden Ein flüffe ausgingen und daß feine Strebungen und bie in feinem Namen geltend gemachten Intereflen in die An gelegenbeiten vieler anderen Staaten beſtimmend ein griffen. |

Hier tritt nun zuerft ein Bann in den Vorgrund, der zu anderer Zeit und an anderem Orte ein große Staatömann geworden fen dürfte, ber aber umter den

Die Gelamareverihwörung; Albereni und Ripperba. 135

Umfltänden, unter denen er wirkte, dazu geführt ward, mit den Mitteln politifcher Abenteurer für willkürliche zwecke zu arbeiten.

Zulius Alberoni wurde einem armen Gärtner, Na⸗ mend Johann Maria Alberoni, in einer Vorſtadt von Piacenza), am 31. Mai 1664 von deffen Frau, Laura, geboren, wuchs ohne Unterricht auf, mußte feinem Va⸗ tee bei deſſen Arbeiten ’), ohne viel Luft dazu zu bezei⸗ gen, beiftehen, gab aber frühe Beweife von Begabung und brennender. Wißbegierde. Etwa 12 Jahr alt, wurde er zu Dienftleiftungen bei den Küftern zweier Pfarrkir⸗ hen zugelallen. In diefer Stellung zog er die Auf: merkſamkeit eines Beiftlichen auf fich, der ihn leſen und ſchreiben lehrte. Später erlernte er bei den Carmeliten bella Garifa die Anfangsgründe des Lateinifchen und kam endlich in Die Jeſuitenſchule. Damalige Arbeiten von ihm find noch Tange Zeit aufbewahrt worben ’). Eine Zeit lang fol er Glöckner in der Stiftskirche ge⸗ weien fein. Durch Talent, Wißbegier und gewinnendes Weſen erwarb er fich viele Freunde und Gönner und befonderd nahm ſich ein Mitglied des Criminalgerichts- hofed von Piacenza, Ignaz Gardini, feiner fo warm an, Daß Alberoni, ald Gardini in Ungnade fiel’) und in feine Vaterfladt Ravenna zurückkehrte, ihm dorthin folgte. In Ravenna ward er dem Vicelegat Grafen

1) Rad Andern in Zirenzuola, einem Marftfleden im Herzog⸗ tum Parma. Die im Zerte gegebene Berfion beruht auf befferen Quellen, und gewiß ift jedenfalls, daß er in Piacenza aufwuchs.

2) Der alte Alberoni befaß keinen eignen Garten, fondern arbeis tete als Tagelöͤhner. Gr wohnte bei der Kirche St. Lazari und Gelfi, wo fein Sohn aud getauft worden fein fol.

3) Gore Memoirs of Spaia, Gap. 23, nah Poggiali's Me- morie istoriche di Piacenza.

4) Als Grund werden, von Gegnern Alberoni’s, freilich fhmusige Geſchichten angeführt, bei denen Alberoni ald Kuppler gedient habe.

136 Die Cellamareverſchwoͤrung; Albereni und Sipperbe.

Georg Barni befannt, der ihn, als er dad Bisthum Pia- cenza erhalten, zu feinem Hausmeifter machte. Doch diefe Stellung bebagte ihm nicht ); er ließ fih 1690 ordk niren und befam eine Peine Pfarre, fowie durch den Einfluß feined Gönners eine Dompfründe. Gpäter be gleitete er den Neffen des Biſchofs, den jungen Gra fen Sohann Baptifta Barni, nah Rom, wo ihm neue Duellen der Kenntniß und Bildung aufgingen, wo e namentlich auch dad Franzöſiſche Ternte und wo er, um ter andern Bekanntſchaften, auch die des Neifebegleiters des Erbprinzen von Parma, des Grafen Alerander Ron conieri, ſpätern Bilhofs zu Borgo St. Donino machte. Das follte für fein ganzes Leben folgenreich werden. Er war nah Piacenza zurüdgefehrt. Der Herzog von Vendome ’) lag mit franzöfifhen Truppen im Herzog: tbum Parma und die Unterhandlung mit ihm übe Contributionen und Verpflegung war vom Herzog dem Biihof von St. Donino übertragen, welcher wieber, der franzöfifchen Sprache unkundig, Alberoni als Dol: meticher gebrauchte ). Dem Alberoni nun, der jebt

——

1) Die Gegner Alberoni's ſprechen auch hier, daß ein Kaſſende⸗ fect im Spiele geweſen. Damit ftimmt aber die Gunſt nicht, die ihm der Biſchof aud weiter bewies.

2) Ludwig Joſeph Derzog von Bendome, der, wie fein jüngere Bruder, der Großprior, uns vielleiht Fünftig einmal zu einer nähe ren Betradtung Anlaß geben wird, war ein Enkel eines natürliden Sohnes Heinrich's IV. und 1654 geboren. Er befaß mandye Gaben und viele Schwädhen feines großen Ahnberen und ftarb, nachdem a den Sieg der franzöfifhden Sache in Spanien entſchieden, am 11. Quli 1712.

3) So erzählt Core nah den fihherften Quellen ten Hergang. Romantifher nahm ji folgende Berfion aus, wie fie in älteren Werken, 3. B. in der Vie du Duc de Ripperda, fpufte. Piernad wäre in der Zeit, mo Alberoni noch auf feiner kleinen Pfarre lebte, der Dichter Gapiftron auf einer Heife in Italien von Räubern aus⸗ geplündert, ven XAlberoni aber fehr greßmüthig unterftügt wor

Die Eehamarenerfhwörung; Alberoni und Ripperbe. 137

fine ganzen gefelligen Zalente, bis zur Rolle eines reinen ufligmaders, in Bewegung ſetzte, ja mit eigner Hand ikante italienifche Gerichte für den abgeftumpften Gau⸗ ıen des alten Epikuräers bereitete, gelang es, ſich die anze Gunſt des franzöfiichen Feldherrn zu erwerben, sorauf auch der Herzog von Parma, auf den Vor: chlag des Bifchofs, ihm die ganze Unterhandlung über- mg, einen Gehalt dafür ausſetzte, ein Canonicat in Narma verlieh, ia ihm ein Haus in der Hauptſtadt um Empfang feiner militairifchen Säfte einrichtete. Ein feichzeitiger Berichterftatter fagt von ihm: „Den fran- oſiſchen Offizieren gefällt fein fröhlicher Humor; fie rgögen den Herzog von Vendome mit Wiederholung er Scherze, witigen Antworten und Einfälle Albero⸗ ws, deſſen Perfon fo Fomifch ift, wie feine Unterhal- ung; denn er bat einen unförmlich großen Kopf, eine wäunliche Befichtöfarbe, einen fehr Furzen Hals, breite Schultern und ift von ganz kleiner Statur“ ').

Er trat in fo innige Verbindung mit Wendome, aß, als derjelbe 1706 aus Italien abgerufen wurde, ım in den Niederlanden zu befehligen, Alberoni fein Baterland verließ und feinem franzöfiihen Gönner auf yeflen ferneren Zügen, ald Geheimfecretair und Vertrau⸗ er, folgte”). Won demielben auch Ludwig XIV. vor: jeftellt und empfohlen, erhielt er eine Penfion von 1600

en. Gapiftron fei fpäter im Gefolge Bendome’5 geweſen und da dicfer Yemand geſucht, der ihm angeben koͤnne, wo die Lebensmittel ver: orgen würden, fo habe er Alberoni empfohlen.

1) Außerdem wird fein ſcharfer, durddringender Blid und feine yiegfame und wohlklingende Stimme erwähnt.

2), Auch hier erzählt die ältere Sage, daß er den Zranzofen habe folgen müffen, weil er rich durd die ihnen geleifteten Dienfte in einem Baterlande unmoͤglich gemacht. Etwas Wahres fann daran fein.

138 Die Cellamareverfchwörung; Albereni und Nipperba.

Livres). Als Vendome, nad) zweijähriger Unthätig- keit, 1710 nad) Spanien geſchickt wurde, um die Sache Philipp's V. aus tiefftem Verfall zu retten, begleitete ihn Alberoni auch dorthin und ward von feinem Göw ner fowol dem franzöfifchen, als dem fpanifchen Hofe wiederholt auf das Nachdrücklichſte empfohlen.

Philipp V. bedurfte, aus Mangel nicht an Bee bung, aber an Thatkraft und Freudigkeit, fortwährend eines leitenden Anftoßes, und ed war ihm am liebſten, wenn Died ein weiblicher war. Dazu diente ihm de mals feine geiftoolle Gemahlin, Marie Luiſe von Gr voyen, und deren Camarera mayor, die Prinzelfin Or

fini ?), die eigentliche Xeiterin des Hofes. Vendome be

nutzte Alberoni zu feinem Agenten bei der Prinzeffin und auch bier gelang ed dem fchlauen Italiener, fih Vertrauen und Gunft zu erwerben. Sie verfchaffte ihm ald Handgeld eine fpanifche Penfion. Als Vendome in feinen Armen geflorben war, eilte er zunächſt als Be wahrer feiner Geheimniffe nach Verſailles, um dort die erforderlichen Berichte zu erflatten, holte fih neue Be lobungen und Empfehlungen für Madrid, und da er feinen Einfluß an dem fpanifchen Hofe bei einer Dife renz mit dem Herzog von Parma zu Gunften feine alten Landesherrn erfolgreich angewendet hatte, fo wurde er auch zum Refidenten von Parma, an die Stelle bed Marchefe Cafeli, ernannt.

Nach dem von Philipp ebenfo wie von den Spaniern fchmerzlih beklagten Zode der Königin Marie Luiſe

—n

1) Bendome fell ihm aud die Pfarre zu Anet angeboten haben. Sie fei aber für Alberoni zu unbedeutend gewefen, und fo habe die fer aus der Noth eine Tugend gemacht und erflärt, er koͤnne fid von feinem Gönner nit trennen.

2) ©, ten vorhergehenden Auffag.

- Die Gelamareverfihwärung;; Alberoni uud Ripperda. 139

fand der König unter dem unbedingten Einfluffe der Drfini, und ald diefe filh Darein fügen mußte, daß bal- digſt eine neue Gemahlin für ihn gefucht werde und Die Wahl nicht auf fie ſelbſt fallen könne, fo bebielt fie fidh wenigftend die Entfcheibung über Die zu Wählende vor. Sie fuchte eine Prinzeffin eines Heinen Hofes, welche mit fanfter Gemütbsart und mäßigen Zalenten perfön- liche Reize verbände und ſich von ihr leiten ließe. Sie forach mit Alberoni darüber, während das Leichenbe⸗ gängniB der verftorbenen Königin vorüberzog, und nannte ihm mehrere. Er hatte gegen jede etwas ein- zuwenden, ging dann raſch die fürftlichen Familien durch, um die es fich handeln konnte, Fam wie Durch Zufall auf Eliſabeth Farnefe '), die Tochter Odoardo II., Herzogs von Parma und Nichte des damals regieren- den Herzogs Franz, und fagte in gleichgiltigem Zone: „Te iſt ein gutes lombardiſches Mädchen, mit piacenzer Butter und Käfe aufgefüttert, an dem Beinen Hofe des Herzogs Franz, in der Waſchkammer, erzogen und von nichts als von ihrem Nadelwerk und ihrer Stiderei zu bören gewohnt.” Er deutete auch an, daß fich allerlei in Stalien brauchbare Anfprüche an fie fnüpfen ließen. Wir geftehen, daB uns dieſes ganze Manoeuvre Albero- nies, was allerdings von vollftändigem Erfolge gefrönt ward, als ein fehr gewagtes und unbefonnenes erfcheint, und daß wir das Wagniß un fo unbejonnener finden, je gewifler er auf eine Zortdauer feines Glückes und Einfluffes rechnen konnte, wenn er die Orſini ehrlich bediente. Er wußte, daß fein Bericht falfch, daß Eli: ſabeth Farneſe eine begabte und ehrgeizige Perſon war, und er war verloren, wenn die Drfini dies rechtzeitig

2») Geb. 25. Dct. 1692 + 11. Juli 1766.

140 Die Cellamareverſchwoͤrung; Alberoni und Nipperba.

entdeckte. Einigermaßen fam ed ihm vielleicht zu flaften, daß die Orfini, um franzöſiſche Einmiſchung und öſter reichifches Gegenwirken zu vermeiden, die ‚ganze Sache im größten Geheimniß behandelte, die Unterhandlungen mit Parma felbft aber durch Alberoni betrieb ’). Aber ed dauerte drei Monate, bevor fie ſich überhaupt enf-

fchloß, in eine Wiedervermählung des Königs zu will -

gen, und dann war auch noch die päpftliche Dispenſa⸗ tion zu erwirfen. Indeß alle war geordnet, nah Erledigung jeded Anftandes auch an Frankreich die nd thige Anzeige gemacht und deflen etwas ungnädige Ein willigung erlangt, die Sache zum Abſchluß reif, und erft jeßt erfuhr die Orfini, daB fie über den Charakter der fünftigen Königin gröblich gefäufcht worden fei und

m. “wWE_ un. A.

gar Feine Hoffnung habe, auf diefelbe einen gebietenden '

Einfluß zu erlangen. Sofort ging ein Courier mit dem gemeflenften Befehl nach) Parma ab, den Abſchluß der Verbindung auszufegen. Der Courier fam am Morgen des Tages’) an, wo die Che per procurationem ab: geichloffen werden follte. Man vermuthete aber den In- halt feiner Depefchen, hielt ihn am Eingange der Stadt an und beflimmte ihn’), feine Ankunft um 24 Stun⸗ den zu verfchieben, während die Geremonie durch den Biſchof von Imola, Ulyſſes Joſeph Gozzalini, volle gen ward (16. Sept. 1714), wobei der Herzog als

. 1) Diefer ging uber keinesweges felbft nah Parma, wie in der Vie du Duc de Ripperda und ähnlichen Werfen fteht.

2) Nach Andern am Borabenr.

3) Man fol ihm die Wahl zwifchen Leben und od geftellt has ben. Er folle leben und eine gute Belohnung erhalten, wenn er fi dazu verftehe, erft nad 24 Stunden anzutommen. Andern Yalls müffe er fterben. Der Mann lieh fi einfhüchtern und verſchwand. u hredt aber wird dem Alberoni auch dieſes Manoeuvre zuge⸗ ſchrieben.

heronianb Mlpebe: 141

fini mußte ihren Aer⸗ ſelbſt die größte Freude

zu Seſtri ein, Iandete ch, brachte zwei Tage

1 Gefolge vertaufchend, und eroni, dem fie dad Grafen ng zum parmefanifchen Ges

‚chte. Auf der langfamen u Brief von ihrem Gemahl inwies, die Orſini zu entlaſſen, guen Klugheit überließ und nur npfahl;; denn wenn fie fih nur BP ringeffin unterhalte, fo werbe en werben. Alberoni war feined« er dabei, wie man oft gefagt hat;

fetbft fehr willfommenen Auftrags ent« Schilderung der Prinzeffin Drfini be»

einzeffin ſtürzte auch das Cabinet, was ‚Die Reitung der auswärtigen Angelegen- auf Alberoni’d Vorſchlag, der Cardinal der jeßt auch zum Gouverneur. des (fturien ernannt wurde, - m. bie Königin bei von mittelmaßiger

142 Die Cellamareverſchwoͤrnug; Alberoni und Skipperba

lem Charakter, zum Beichtvater. Ihr fleter Rathgeber, Günftling und Vertrauter blieb Alberoni und fügte fid gern darein, noch einige Zeit Andern den Schein ber Macht zu lafien, deren Weſen er doch befaß. Er wußte den König zu behandeln und er hatte dad ganze Ohr der Königin. Diefe aber beherrfchte den König vollſtän⸗ dig. Sie beherrrichte ihn, wie alle Eugen Weiber ihre Männer beberrichen, ohne e8 ihn merken zu laſſen. ie war unermüdlich in ihren Aufmerkſamkeiten, widerfprad ihm niemals, lobte, was ihm gefiel, und verwarf, wei ihm nicht behagte, bewachte liſtig und geſpannt jede Regung feines Gemüths und wußte ihn ſtets nach ihren Abfichten zu lenken. Sie beftärfte feinen Widerwillen gegen Geſellſchaft; fie theilte fein einziged und geliebte Vergnügen: die Jagd; fie beftand ein fortwährende

Tete-à-Tete mit einem trübfinnigen und ungefelign Gatten, ohne Weberdruß oder Ermüdung zu verrafhen, und belebte Die Langeweile des Zwanges, der Einfam

feit und der Etikette mit einem unerfchöpflichen Fond von Heiterkeit und guter Laune. So erwarb und be fefligte fie eine Gewalt, welche Feine Zeit und kein Schickſal erfchüttern Ponnte, und war bis zur lebten Stunde feiner Regierung der wahre Souverain von Spanien ').

Xeider war der leitende Gedanke ihres politifchen Strebend Fein auf die wahren Intereffen Spaniens ge richteter, wenn er auch theilweife mit fpanifchen Vorur⸗ theilen zufammenhing. Won der erſten Gemahlin Ph Iipp’8 lebten zwei Söhne, Ludwig und Ferdinand, de nen zunächſt die ſpaniſche Krone beftimmt ſchien ?). Ei

N) Core a. a. D

2) Lubwig (ged. 25. Auguſt 1707) übernahm die Regierung bei Lebzeiten feines Baterd am 15. Ian. 1724, + aber fon em

—..

Die Cellamareperſchwoͤrnug; Alberoni unb Bippertı 143

fabeth felbft aber ward am 20. San. 1716 von einem Prinzen, Karl, entbunden und hoffte mit Grund noch af eine zahlreiche weitere Nachkommenſchaft. Diefer ch eine Verforgung in Land und Leuten zu verfchaf- fm, warb nun das unausgefebte Ziel ihres Strebens, und ed bot fich ihr dafür theild eine fernere Ausficht: die Rückkehr ihres Gemahls zur franzöfiichen Succeffion, von der ihn, feit das franzöfifche Königshaus durch den od fo unerwartet gelichtet worden, nur ein ſchwächli⸗ her Knabe und feine Verzichtleiftung trennte, welche man franzöfifcher Seits ſtets als ungiltig betrachtet Hatte; theild eine nähere: ihre eventuellen Anfprüche auf Parma, Pia- cenza und Zoßfana, deren Thronen Erledigung bevor: ſtand; endlich eine mögliche in der Thatfache, daß die bis vor kurzem mit Spanien vereinigten Länder Neapel und Sicilien vielleicht den Händen Defterreihd und Savoyens wieder entwunden werden könnten. In dem erften Ge- banken traf fie mit den geheimen Wünfchen ihres Ge: mahls zufammen, deifen Zrübfinn doch einen legten Srund in dem Vorzuge hatte, den er Frankreich vor ©panien gab.

Zuerft ergriff Alberoni die Partie, eine Ausfühnung und Annäherung zwifchen Spanien und den Seemädhten, in deren Händen fo vielfach die Enticheidung lag, zu vermitteln, und bald erfuhren die Geſandten Englands und Hollands, denen das franzöfifch gefinnte Minifte- rum nichts ald Schwierigkeiten entgegengeftellt hatte, durch Vermittelung Alberoni's, der fich ihnen, ohne amtliche Stellung, als der eigentliche Vertraute des Monarchen kundthat, die erwünfchtefte Förderung bei

6. &ept. veffelben Jahres, worauf Philipp V. die Regierung felbft wies der antrat. Ferdinand, geb. 233. Sept. 1713, fuccedirte feinem Va⸗ ter am 9. Zuli 1746 umd ftarb erblos am 10. Auguſt 1759.

144 Die Cellamareverſchwoͤrnng; Alberoni und Bipperba.

ihren Unterhandlungen über Handelsverträge. Während man bis dahin die Sache des Prätendenten unterflügf hatte, ließ man ihn jetzt gänzlich fallen, verpflichfete fih fogar in einem fürmlichen Staatövertrage, ihm und feinen Anhängern Feinerlei Beiftand zu leiſten, und frug durch Veröffentlichung diefer Urkunde weſentlich zur De creditirung der ganzen Sache bei. Die ganze Verband fung ward dem Alberoni noch dadurch erleichtert, daß der englifche Gefandte, Stanhope, ihm von der Zei ber befannt war, wo derfelbe ald Gefangener in Sara

gofla geweien war, während Alberoni noch im Gefolge Vendome's Iebte, und daß der holländifche Geſandte,

Baron von Ripperda, wie wir weiterhin fehen werden, ſchon damald damit umging, fih in Spanien feſten Fuß zu Schaffen. Der Cardinal dei Giudice verlor fein Portefeuille und ging mismuthig nad) Rom, und Albe roni wartete nur noch auf den Cardinalshut, um felsft an die Spige ded Minifteriums zu treten. Ein franzd- fifcher Agent, welcher chedem viel Einfluß auf Philipp gehabt, aber durch die Orfini verdrängt worden wat, Louville), ward, ald der Regent ihn an den König ichiete, nicht angenommen.

——

1) Der ordentliche Geſandte Frankreichs war der Herzog von St. Aignan. Louville erſchien aber mit Privatbeglaubigungsſchreiben an den König und zugleich mit Empfehlungsbriefen an Alberoni. Sowie er ankam, erhielt er von dem Staatöfecretair Grimaldo ein Schreiben, worin ihm das Miödfallen und Erftaunen des Königd auögedrüdt wurde, daß cr fi herausnehme, an einen Hof zuräd- zufchren, von dem er verwieſen worden, und feine fofortige Wieder⸗ abreife verlangt ward. Während cr Über diefe unerwartete Botſchaft betroffen war, beſuchte ihn Alberoni felbft, überfhüttete ihn mit Beileidsbezeigungen, beklagte feinen cignen Mangel an hinreichen⸗ dem Einfluß und wendete alle feine Geſchicklichkeit an, feine Anftrucs tionen zu erfunden. Als Louville feine Bollmadten zeigte und eine Audienz begehrte, ſchritt der heuchleriſche Italiener, ſcheinbar in hoͤch⸗ fter Bewegung, dur das Zimmer mit dem Ausrufe: „Das ift ein

wi. dal

Die Gehamareverihwörung; Alberoni und Ripperba. 145

Defienungeachtet mußten Philipp und Alberoni bald die bittre Erfahrung machen, daß die Seemächte fi feineöweges zu Werkzeugen fpanifcher Vergrößerung her⸗ geben, daß fie Feinen europäifchen Krieg risfiren woll- ten, daB ihnen an dem guten Einvernehmen mit Frank⸗ reich und Deflerreich mehr gelegen war, ald an allem, was ihnen Spanien in Ausficht ftellen konnte. Auf die erſten Vorzeichen, daB die fpanifchen Pläne einen Krieg in Stalien erzeugen könnten, näherten ſich England und Sranfreich und beſchloſſen eine Allianz, der auch Hol: land beitreten follte und die auf beflimmte Ausglei- hungsvorfchläge bafırt war, deren Annahme man von Defterreich und Spanien verlangen wollte. Den Be mübungen des fpanifchen Gefandten im Haag, Beretfi Landi, gelang ed nur bis zu Anfang des Jahres 1717 den Beitritt Hollands zu der Tripleallianz zu verzögern. Die Anerbietungen, die man Spanien machte, Daß man namlich dem SInfanten Don Carlos die Erbfolge in Toskana, Parma und Piacenza zufichern wolle, genüg⸗ tm dem Könige nicht und fo fah Alberoni, daß alle fine Bemühungen, den Ausbruch des Krieges zu ver- hüten, fruchtlos feien und daß er ihn ohne Allürten werde führen müflen.

Sobald ihm dies Far war, wirkte er wenigftensd mit ganzem Eifer für füchtige Rüftungen. Einen Vorwand zu dieſen, fowie zugleich das Verſprechen eines Cardi-

fuchtbarer Hof! dic Leute glauben, daß ih Macht habe, aber ih babe keine!“ Alle Borftellungen waren umfonftz man zwang zwar Leuville nicht zur Abreife, aber er erhielt Peine Audienz und man that ſolche Schritte in Paris, daß feine Zurüdberufung unvermeid- id war. So leiht und unbedingt Philipp V. fih fremden Ein: fläffen unterwarf, fo Leiht ſcheint er ſich auch von feinen Günft- getrennt und den einmal Entfernten für immer aufgegeben zu haben.

J. 7

146 Die Gehamareverfchmörung; Alberonl und Bipperbs;

naldhutes, hatte er fih ſchon feit einiger Zeit durch Unterftügung ber Venetianer bei ihrem Kampfe gegen die Türken erkauft. Daß ihm der verfprochene Cardi⸗ nalshut wirklich zu Theil werde '), erzwang er dadurth, daß er dem papfllichen Nuntiug, der nach Tanger Span⸗ nung zwifchen Spanien und dem heiligen Stuhle jetzt

wieder das katholiſche Königreich beglüden follte und |

bereitö bis Perpignan gelangt war, ein Halt! zufendete und in Rom bedeuten ließ, die Zulaffung des Nuntius Pönne erft erfolgen, wenn Alberoni Cardinal fei; man rüfte übrigens nicht gegen den Kaifer und werde den Krieg gegen die Ungläubigen fortfegen. Jetzt gab der Papſt nach; Alberoni ward Cardinal und die ſpaniſche Erpedition ging von Barcelona ab und überfiel Sardi nien, wo der Marquis von Leede am 22. Aug. ITU landete, was in kurzer Zeit unterworfen ward und von wo man nach Sicilien überging.

Zum Schuge diefer Unternehmungen feßte nun U beroni halb Europa in Bewegung, vereinigte Die wider fprechendften Entwürfe, verband ſich mit allen Projec- machern, fuchte überall Gährungen, Zwieſpalt, unbe flimmte Hoffnungen zu entzünden, furz allgemeine Ver: wirrung anzuftiften. Er ftelte den Savoyern die Er werbung von Mailand in Ausficht, wofür fie gern Si⸗ cifien aufgaben, was ihnen der utrechter Friede zuge fprochen hatte. Er beförderte die jafobitifchen Complott und foderte Karl XIL, zwilchen dem und feinem vid-

1) Zange Beit hielt ihn der Papft damit hin und er ließ deshalb in Rem dad Diftihon anfhlagen: Promittis, promissa negas, deflesque negata. Te, tribus his junctis, quis neget esse Petrum?

(Du verfprichft, dad Verſprochne verläugneft Du, weinft ob dd

Laͤugnens3 Niemand, da all dies ſich eint, laͤugnet, daß Petrus Dun bliſt.)

Wi

Die Gelinmareverfhwärung; Alberoni und Ripperda. 147

jährigen Feinde Peter I. er durch den Grafen Görtz eine Berföhnung bewerfftelligt hatte, auf, mit ſchwediſchen md ruſſiſchen Truppen in England zu landen. Er Khürte den Kampf der Türfen gegen Defterreih und Venedig an und ſchickte Rakotzy) nach Konſtantinopel, um vielleicht neue Gährungen in Ungarn zu entzünden. In Frankreich wiegelte er auf der einen Seite die Hu- genotten auf, während er auf der andern fich mit der Jefuitenpartei zu einer Verfchwörung gegen den Regen- tn verband. Dabei war ihm weder an dem Haufe Hannover, noh an dem Haufe Stuart, weder an Schweden, noch an Dänemark, an Ungarn, oder der Horte, an Hugenotten oder Sefuiten etwas gelegen, fondern er wollte hauptjächlich Unruhe und Verwirrung erregen, um unter deren Schuß vielleicht etwas Großes, vielleicht Vieles, im unglüdlichften Falle wenigftens etwas, gleichviel was, zu erlangen. Freilich ſetzte er fih in Gefahr, gar nichts, oder Doch viel weniger zu erwirken, als er erreicht haben würde, hätte er dieſelbe Kraft auf einen und zwar einen natürlichen und richti⸗ gen Punkt gewendet.

Daß er ihm überlegene Kräfte herausgefobert, mußte er zunächſt an England erfahren. Defterreich hatte ſich den Vorfchlägen der Seemächte und Frankreichs ange: ſchloſſen, während Spanien fi zu weigern fortfuhr. Da fegelte eine englifche Flotte, unter Admiral Byng, nach dem Mittelmeer ab, und als fie auf der Höhe des Gap St. Vincent war, ließ der Admiral dem britifchen Sefandten feine Ankunft zu wiffen thun und erfuchte Ihn, Se. katholiſche Majeftät zu benachrichtigen, daß

1) Goͤrtz und Rakotzy behalten wir und für Fünftige Darſtellun⸗ am vor. 7%*

148 Die Cellamareverſchwoͤrung; Alberoni und Bkipperba.

er beauftragt fei, alle Maßregeln zu unterflügen, Die zu einer Ausgleichung der Differenzen zwijchen dem König von Spanien und dem SKaifer führen könnten, daß er aber, falld Se. katholiſche Majeftät die Wermittelung nicht annähme, Befehl habe, die Neutralität Italiens aufrecht zu erhalten und die Gebiete des Kaiferd zu ver theidigen. Im einer Unterredung mit dem Gardinal U beroni brachte der britifche Geſandte, nachdem er Fraffige Vorftellungen für den Frieden gemacht, zur nachdrück lichen Unterftügung derfelben dad Schreiben des Admi- rald vor. Alberoni antwortete unwillig: „Mein Gebie ter wird allen Gefahren Trotz bieten, und fich lieber aus Spanien vertreiben laflen, ald feine Truppen zurüdtu fen, oder in einen Waffenftilftand willigen. Die Spa nier laſſen ſich nicht einfchüchtern, und ich babe zuvid Vertrauen zu der Tapferfeit unfrer Flotte, ald daß ich, für den Fall, dag Ihr Admiral fie anzugreifen für gut finden follte, über den Ausgang in Sorge fein würde“ Der Gefandte antwortete hierauf lediglich durch Vorle⸗ gung einer Xifte der britifchen Flotte, die er mit der der fpanifchen zu vergleichen bat. Die kränkende Kälte, womit Diefe Notiz gegeben ward, erregte den Zorn de Cardinals. Er raffte die Lifte an ih, riß fie in Stüden und trat ſie mit Füßen. Auf alle weitere Vorftellungen antwortete er mürrifch: „Ich werde Ihre Botſchaft dem Könige mittheilen und Sie in zwei Tagen von der Ent ſchließung Sr. Majeftät benachrichtigen.” Indeß, weh: ſcheinlich um der fpanifchen Flotte Zeit zu gewinnen, die fie benugen fonnte, eine Zufluht in Malta zu fur hen, verzögerte er die Erfüllung feines Verfprechens um neun Tage, worauf er das Schreiben des Admirals mit folgendem kurzen Poftfeript zurüdfchidte: „Se. katho⸗ liſche Majeſtät bat mir die Ehre erzeigt, mir zu fagen,

Die Ceſlamareverſchwoͤrung; Alberoni und Mipperda. 149

daß der Ritter Byng die Befehle ausführen möge, Die ee von dem Könige, feinem Gebieter, erhalten hat.‘ Dies war vom 15. Juli Datirt und am 11. Auguft (1718) ereilte Admiral Byng die ſpaniſche Flotte am Cap Paf- ſaro und ſchlug fie jo gänzlich, daß nur vier Kinienfchiffe und ſechs Fregatten enttamen, die übrigen theild genom- men, theils zerflört wurden, theils fcheiterten '). Der fpanifche Admiral Caſtanietta ward felbft, nach verzwei⸗ feltem Widerftande und gefährlicher Verwundung, ge- fangen genommen.

Noch empfindlicher follte fi an Alberoni die Art und Weile rächen, wie er die franzöfifche Regierung burch die Sellamareverfchwörung herausgefodert hatte.

Zudwig XIV. hatte zwei Dauphins, feinen alteften Sohn und Enkel, vor fih in das Grab fleigen fehen, und bei feinem Zode (1. Sept. 1715) beftand feine eheliche männliche Nachtommenfchaft nur in feinem fünf: jährigen Urenkel Ludwig (geb. 15. Zebr. 1710) und in deſſen Dheim, feinem Enfel, Philipp V. von Spanien, der auf alle franzöſiſche Succeffion verzichtet hatte. Auch die Mutter des nunmehrigen Thronerben war bereits geftorben und fo vereinigte ſich alles dafür, die Regent: fchaft des Reichs während der Minderjährigkeit Lud⸗ wig’d AV. dem nächften volljährigen Agnaten, dem Herzoge von Drleand, zuzufprechen. Philipp II., Herzog

1) Georg Byng (geb. 1663 + 28. Ian. 1730) ward zum Lohne 1721 Peer (Biscount Zorrington) und crfter Cord der Aomiralität. Es war fein nit minder tüdtiger Sohn, John Byng, welder 1757 durch einen üngerehten Tod die Midgriffe des Minifteriums büßte. Es hatte übrigens ein Project beftanden, den Altern Byng und feine Untergebenen zu beſtechen, daß fie fih mit der ſpaniſchen Flotte vereinigten und für den Prätendenten erklärten. Der Träger diefes Planes war Cammock, mahrfheinlih derfelbe, der in jener

Seeſchlacht die einzige Abtbeilung ver fpanifhen Zlotte befchligte, die davonkam.

150 Die Cellamareverſchwoͤrung; Alberoni nub Bipperbe.

von Orleand (geb. 4. Auguft 1674, + 2. Dec. 1723), der Brudersfohn Ludwig's XIV., der Sohn Philipp's J von Drleand und jener braven, gefcheiten und kräfti⸗ gen Elifabeth Charlotte von der Pfalz (geb. zu Heide berg 27. Mai 1652, + zu St. Cloud 8. Dec. 1722), war ein fehr begabter Menſch, tapfer und Mug und von mildem, edelmüthigem Weſen, aber durch die Un thätigfeit, zu der ihn Ludwig XIV. fpäter verurtheilte, und durch fchlechte Umgebungen zu wüſtem Leben ver leitet worden. Ludwig XIV. ließ ſich in der Schwäche des hoben Alters durch die Maintenon und die Jeſuiten⸗ partei beflimmen, feinen Baftarden, namentlich dem Herzog von Maine und dem Grafen von Zouloufe, welche beide Söhne der Monteipan waren, die wen tuele Thronfolgefähigkeit zuzufprechen, dem Herzog von Drleans aber in feinem Zeftamente nur den Vorſitz im

Regentfchaftsrathe zugutheilen, während der Herzog von ' Maine die Vormundſchaft über das königliche Kind und -

dad Commando der Haustruppen erhalten follte. Für diefes Arrangenıent waren die Greaturen des Hofes und die unfromme, frömmelnde Iefuitenpartei. Gegen dad felbe war der ſtolze Adel des Reihe, waren die beften Stügen des Landes im Heere, in der Verwaltung und der Gerichtsrobe, war Die mit vernünffigem Zreifinn das Bedürfniß tieferer Religiofität und einen rechtlichen Sinn verbindende Ianfeniftenpartei, war im Allgeme nen die öffentliche Meinung des Volks. Am Tage nah Ludwig's Tode ward Das Zeflament im Parlamente um geftoßen und dem Herzog von Orleans die unumfchränfte Staatdgewalt als Regenten im Namen ded Königs Lud⸗ wig XV. und während der Minderjährigkeit deſſelben zugefprochen.

Die erften Maßregeln der Regentſchaft waren fre-

Die Ceſlamareverſchwoͤrung; Alberoni and Ripperda. 151

finnig und populair und es trat ein ſchon lange vorbe: reiteter, aber Lünftlich niedergehaltener Umſchwung in dem ganzen franzöfiihen Leben überrajchend hervor. Indeß trat Doch nichts weniger ald ein Regiment bee Zugend und Weidheit ein; namentlich in der inne ren Verwaltung ward eine Politik des Augenblicks befolgt, Die auch manchen gewagten Schritt that; Regierung und Volk geriethen in mancherlei Ertreme; und der er- ſteren fehlte die Stüge moralifcher Achtung, die ihr weder Charakter und Mandel des Regenten, noch fein feiler und Tiederlicher Rathgeber, der Gardinal Dubois ')

1) WBühelm Dubols, Sohn eines Apothelerd, geb. 1656 zu Brive⸗ la⸗Gaillarde in der Auvergne, Echrer des Regenten, fpäter bei der Geſandtſchaft in London, dann im Rathe der Orleans, 1715 Staatsrath, anterhanbelt 1716 17 vie Zripleallienz in London und im Haag, 24. Sept. 1718 Minifter der auswärtigen Angeles genbeiten, 1720 Erzbiſchof von Gambrai, 1721 Garvinal, 22. Aug.

7323 Premierminifter, + 10. Aug. 1723. Bei feinen auswärtigen —— ſchickte er ſtets doppelte Depeſchen, die eine für das Des partement, die andere für den Regenten. Leptere enthielt den wah⸗ ren Stand der Sache und war in Chiffren, zu denen nur Dubeis’ Beuder den Schlüffel hatte. Als der Negent ihn zum Premiermini- fier ernannt hatte, fragte cr bei einem vertrauten Souper: „was fagt man dazu, daß ih Dubois gleichzeitig zum Cardinal und zum Premierminifter gemacht babe?’ Alles ſchwieg; endlich fagte der Graf ve Rock: „Paris wundert ſich keinesweges darübers man zweifelt aud gar nicht, daß Sie ihn zum Papft maden Fünnten, wenn Sie darauf ausgingenz aber trog Ihrer Macht weitet gauz Frankreich gegen Ste, daß Sie ihn nicht zum chrliden Manne ma-

ben koͤnnen.“ Der Prinz lachte, aber des anderen Tages ließ der 5 einen Befehl ausfertigen, der den Grafen de Nocé, den Zührer der Nouds, Ins Eril fhidte. Der Negent felbft mochte der Ehrlichkeit feines Minifters nicht viel zutrauen. Denn als ibn Du⸗ beis, in Rachahmung Mazarin’s, zum Univerfalerben feines unge: beuren Bermögene ernannt hatte, ſchlug er es aus und nahm nur ein Goldfervice aus der Berlaffenfhaft an. Geſchickt war Dubois und wußte aud das wahre Verdienſt feiner Unterbeamten zu benugen und zu ehren. &o namentlid an dem treffliden Pecquet (geb. 1662 + 1733). Xber er war ganz ohne Sinn für Ehre und Sittlichkeit. Bergl. Zlaffen, Th. IV.

152 Die Cellamareverſchwoͤrung; Alberoni unb Binperbe.

erwerben konnte). Dies veranlaßte manche Unzufrie denheiten, welche zwar den urfprünglichen Gegnern ber Regierung nicht zum Mittel des Umſturzes derfelben werden Tonnten, aber ihnen wenigftend Anlaß zu einem Verfuche dazu wurden. Die Zeit war nicht zu eine Revolution, zur Noth aber Doch zu einer Verſchwörung reif. | An der Spise der Unzufriedenen fland der Herzog und die Herzogin von Maine. Der von der Mainte non erzogene Ludwig Auguſt de Bourbon, Herzog von Maine (geb. 30. März 1670 + 14. Mai 1736), war 1673 Tegitimirt und 1692 mit der Enkelin ded großen Tonde, Anna Luiſe Benedicte von Bourbon-Eonde, ver- mählt worden. Beide kränkte ed vorzüglich, daB nach einem langen, auch in Schriften vielfach verhandelten Streite zwilchen den legitimen und den legitimirten Prinzen die Erftern, durch Enticheidung des Negenten, den Sieg davontrugen. Selbſt die Gemahlin des Re genten, obgleich dem erften Prinzen von Töntglichem Geblüte verbunden, legte mehr Werth auf ihre Eigen ſchaft als legitimirte Tochter Ludwig's XIV.’). Ganz befonderd aber nahm fich die Herzogin von Maine der Sache an und fnüpfte in ihrer Erbitterung Verbindun⸗ gen mit der Königin von Spanien an. Hier begegnete fie theild den geheimen Wünſchen Philipp's V. nad der franzöfifchen Regentfchaft, theild dem Ingrimm der Königin über dad Bündniß Frankreich mit England. Von Seiten ded unzufriedenen Adels war ed befonders

1) Lemontey, Histoire de la regence; Paris, 1832, 2 Bde.

2) E5 war died Maria Zrancisca de Bloid, aud eine sogte der Montefpan, geb. 9. Mai 1677, verm. 18. Zebr. 1692, +1. Zebr. 1749. Der Graf von Zouloufe, der aud von dem Ef ſehr rüdfihtsnol behandelt wurde, ließ fid in nichts ein.

Die Cellamareverſchwbrung; Alberoni unb Mpperba. 153

ber Graf von Laval), der fih den Maines anſchloß, auf deren Schloffe zu Sceaur die geheimen Zufammen- fünfte Der Umtreiber gehalten wurden. War die Her- zogin in Paris, jo wohnte fie im Arſenal und bierhin ward ber fpanifche Gefandte, Prinz von Cellamare, oft mald des Nachts dur den Grafen Laval gefahren. (Der Prinz war fehr di und fchlecht zu Zuße.) Der Sarbinal von Polignac gehörte gleichfalld der Verbin⸗ dung an und durch ihn wurde Zournamine, ein ehr angeſehener Iefuit, mit feinem Anhange herbeigezogen. Aus Anhänglichfeit an den alten Hof trat der Marquis von Pompadour bei und zog feinen Schwiegerfohn, den Marquis von Courcillon, mit in die Sache. Von Literaten zog man namentlich den Abbe Brigaut, den man zum Öecrefair und Archivar des Bundes machte, feinen Freund Dumesnil, dann den Kanzler des dem Herzog von Maine gehörigen Fürſtenthums Dombes, Matezieur, mit hinein. Berner gewann Laval nicht we: niger ald 22 Stabsoffiziere. In Spanien waren viele franzöfifche Abenteurer und entlaflene Offiziere ange: worben ?) und theilweiſe heimlich nach Frankreich ſpe⸗ Dirt worden.

Dennoch fühlte man und damit war eigentlich Das ganze linternehmen gerichtet, daß man ohne ausmwär- tige Verbindungen gar nichts hoffen könne. Waren es Die alten Traditionen der Fronde, oder weiter zurüd der Ligue, war es dad Gefühl des gänzlichen eigenen Unvermögens, man erwartete Antrieb, Leitung und Mit- tel von Spanien, und Alberoni und Gellamare lenkten

1) Der Negent hatte den Lavals ein altes Privilegiaum abgeſpre⸗ den, vermöge deffen fie bei gewiffen feierlihen Gelegenheiten den Borrang vor den Herzögen und Großbeamten der Kronc behaupteten,

3 Darunter findet man auch den berühmten Zolard.

7* 4

154 Die Cellamareverſchwoͤrung; Alberoni und Bipperbe,

diefe Verſchwörung. Nun war ed aber gleich ein Haupt: unglüd, „daß Gellamare ein Mann ohne Fähigkeit, Um⸗ fiht und Thatkraft war. (Wäre er freilich ein wahr baft tüchtiger Mann geweien, fo würde ee auch nur das Unmögliche der ganzen Sache eingejehen haben.) Man hatte den Plan, fi) der Perfon des Herzogs von Orleans zu bemächtigen und denfelben nach Spanien abzuführen. Es follte dies, mittelft 300 in Gardes du Corps verfleideter Perfonen, am Vorabende des Weib nachtöfeftes (1718), wahrend der Mitternachtömefle ge fheben ). Dann follte Philipp V. zum Regenten er⸗ klärt, es follte ein Reichstag einberufen und ein Reicht rath beftellt werden.

Mährend man fi) mit diefen Fühnen Plänen um bertrug, beichäftigte man fich auch mit Ausarbeitung der Erlaffe, die fie rechtfertigen follten, und der Prinz von Gellamare ließ zahlreiche Abfchriften Davon machen, die zur WVertheilung an die Häupter der Verfchwörung beftimmt waren. Er hätte beffer gethan, fie in der ge heimen Druderei druden zu laflen, die der Graf von Laval in einem unterirdifchen Gewölbe feines Kaufe hielt. Jedenfalls hätte er fichre Abfchreiber gebrauchen folen, wahrend er fih an unbekannte Lohnſchreiber wendete. Einer davon, Namens Buvat, zeigte bie Sache dem Dubois an und erhielt von ihm den Aufr trag, fih ihr weiter zu widmen, ihn von Allen zu wis terrichten, was er erfahre, und wo möglich eine Life

1) Rad Soulavie’s Memoiren des Herzogs von Richelien Hätte man ſchon vorher den Herzog im Gehölz von Boulogne aufgreifen wollen, fi aber in der Perfon geirrt, worauf die bei dieſem Streide betbeiligten Verſchworenen ſich gerftreut hätten und theilweiſe entflo⸗ ben wären. Aber aud nachher nod habe man dem Herzog brei Mo⸗ nate lang dur Wildfhäsen im Walde von St. Germain auflauern laffen.

Die Cellamareverſchwoͤrung; Alberoni und Ripperda. 155

der Verfchworenen zu entwerfen. Buvat that, was er fonnte, und brachte endlich eines Abends die Nachricht, daß er jet den ganzen aus 50 Actenſtücken beftehenden Verſchwörungsplan copirt habe, und daß derſelbe durch den Abbé Porkocarrero nach Madrid gebracht werden folle. Hierauf Tieß Dubois den Abbé zu Poitierd am 2. Dec. 1718 verbaften und feine Papiere in Beſchlag nehmen ’).

Der Prinz von Gellamare ?) begab ſich auf Diele Rachricht,; die er zeitig genug erhielt, um die gefähr- lichſten Papiere vernichten zu Tönnen, zu dem Kriegs⸗ minifter Le Blanc, um zu hören, wie die Sache flände. Hier aber erflärte ihm der Minifter mit dürren Wor⸗ ten, daB er Auftrag babe, fein Hotel in Gegenwart des Abbe Dubois und mehrerer Beamten durchfuchen zu laſſen. Umfonft berief er fi) auf die gefandtichaft- lichen Vorrechte. Man erklärte ihm, daß er fich deren unwerfh gemacht habe Er mußte der Durchſuchung und Verſiegelung feiner Papiere zufehen (8. Dec.), wo⸗ bei er erſt dann in Wuth gerieth und fich in Sarfas-

1) Die Vie du Dac de Ripperda hat eine andere, aber irrige Berfion, wonach Portocarrero ſich felbft durch den Eifer verdächtig gemacht, womit er fein Gepäck zu retten geſucht, als fein Wagen bei Poitiers umgemorfen worden ſei. Zerner tft auch erzaͤhlt worden, der ſpaniſche Gefandtfhaftsfecretair habe bei einem Freudenmaͤdchen, oder der Stallmeiſter des ſpaniſchen Geſandten habe bei einer Bor⸗ dellwirthin St. Elme, der Witwe Baron's, Aeuferungen gethan, die von diefen Perfonen binterbradgt worden. Das kann alles mög» lich fein, ohne ‚der im Texte gemachten Angabe Eintrag zu thun. Unbeftimmte Rachrichten von dem Gomplot hatte man auch durd den Geſandten in Madrid und durd den englifhen Hof erhalten.

8) Anton Giudice Herzog von Giovenozzo, Prinz von Gellamare, geb. zu Reapel 1657, aus einer genucfifden Familie ftammend, trat ms Militatr, kaͤmpfte 1702 tapfer bei Luzara, ward 1707 bei Gaeta gefangen und zu Mailand bis 1712 gefangen gehalten, dann ſpaniſcher Sabinetsminifter, 1715 Gefandter in BYaris, + ald Gene: ralcapitain von Altcaftilien zu Sevilla am 16. Mai 1733.

156 Die Sehamarenerfhwärung; Alberoni and Sipperbe.

men gegen Dubois ergoß, den er einen Kuppler nannte, ald man an eine Caſſette mit Billetödour Fam. Er warb darauf in feinem Haufe dur eine Abtheilung Moufquetaired bewacht, zwei Tage darauf aber, nachdem er an das diplomatifche Corps einen Proteſt erlaflen, nad) Blois gebracht, wo er bis zum 6. März 1719 blieb. Am 9. Dec. wurden die Marquis von Pompadour, von St. Geneß und von Courcillon in die Baftille gebracht. Am 11. entfloben der Graf d'Adie und der Graf von Magny und Famen glüdlic nach Spanien. Der Abbe Brigaut hatte fich, als Frauenzimmer verkleidet, aud auf Die Flucht gemacht, wurde aber erkannt und in die Baftille geſetzt. Seine Caſſette mit den wichtigften Pa pieren bafte er einem feiner Sreunde, dem Chevalier Dumesnil, zuftellen laſſen, der die Driginalaufläge über die Verſchwörung verbrannte und deshalb auch in bie Baftile Fam. Am 15. wurden der Brigadier der Rei⸗ terei Sandrasky und der Hufarenobrift Serret, nebſt anderen Offizieren, und am 16. wurden zwei Deutfche, worunter ein Schlieben ’), verhafte. Am 29. ließ man die Herzogin von Maine durch den Herzog von Be thune, fowie zu Sceaur ihren Gemahl verhaften. Ihre Söhne wurden nah Eu und ihre Töchter in ein Klo⸗ fier zu Chaillot gebracht. Berner verhaftete man den Herzog von Richelieu ’), den Kanzler Malezieur und defien Sohn, welcher Generallieutenant der Artillerie war, den Chevalier von Gavandun, die Gräfin und den Abbe Le Camus, den Marquis von Boisdavis, die

1) Die Herzogin von Orleans nennt ihn aud einmal Graf Schlie⸗ ben und theilt ein Gedicht mit, was cr auf die verwitwete Königin von Spanien gemadt.

3) Den wir und zu Fünftiger ausführliher Beſprechung vorbes halten.

Die Cellamareverſchwoͤrung; Alberoni und Minperbe. 157

Gräfin von Noyon, Die Fräulein von Montauban, die Delaunay, den Grafen von Laval, die Advocaten Bars zeton und Davilard, den Marquis von St. Genie; und zulegt noch die Marquife von Yompadour und ihre Tochter, die Gourcilion. Der Cardinal Polignac wurde nach feiner Abtei zu Anchin verwiefen. Der Prinz von Sonti follte auch verhaftet werden, verfchanzte fich aber n feinem Haufe und drohte, fich aufd Aeußerſte zu ver heidigen, worauf man ihn in Ruhe ließ. Im Uebri⸗ im geichah allen ‚diefen Verſchworenen weiter nichts, As daß man fie einige Monate in der Baftille ') hielt, ns fie nach und nach alle geftanden hatten und nament- ih die Herzogin von Maine dahin gebracht worden var, Durch ein vollftändiged Geftändnig in einem nur ar den Regenten beftimmten Auflage ihre und ihrer Mitverfchworenen Freiheit zu erfaufen. Dan wußte, daß dieſe Frondeurs nicht gefährlich waren. Strenger hehandelte man eine gleichzeitige, weit weniger erwieſene Bewegung in der Bretagne. Hier fielen vier Häupter und wurden auch fonft fehr firenge Maßregeln getroffen, weil es galt, Die Regungen eined männlichen und für alte, echte Freiheit glühenden Volkes niederzuhalten. Bevor noch der Cardinal Alberoni die Verhaftung Bellamare’8 erfahren, hatte er dem franzöfifchen Geſand⸗ ten, Herzog von St. Yignan ?), die Weifung zufommen, laffen, Madrid binnen 24 Stunden zu verlafien, wäh- rend er gleichzeifig ein Billet an Cellamare fchrieb, wo⸗ rin er ihn anmwies, feft auf feinem Poften zu beharren, wenn er aber abreifen müfle, vorher „das Feuer an alle

2 @er Herzog von Maine faß auf dem Schloffe Dourland, feine Gemaplin erft in Dijon, dann in Ghalons. 2 Se. 1684, + 1776. Er war von 1729—1741 Gefandter

158 Die Cellamareverſchwoͤrnng; Wiberent und Mpperba.

Minen zu legen.” Als die Nachricht von der Verhaf⸗ tung des Gellamare eintraf, ſchickte der Cardinal bem Sefandten Leute nach, ‚die ihn zurüdbringen follten. St. Aignan vermuthete aber fo etwas und hatte daher, fogleich nachdem er die Grenzen Navarras erreicht hatte, mit feiner Gemahlin Maulthiere beftiegen und war auf St. Jean: Pied :de-Port zugeritten, während er in fe. ner Carroſſe einen Kammerdiener und eine Kammerfrau fieß, welche angewiefen waren, fich für den Geſandten und deſſen Gattin auszugeben. Die Equipage wurde richtig eingeholt, ihre Infaflen wurden, unter ben df rigften Proteftationen über verletztes Völkerrecht, nah Madrid gebracht und Alberoni ärgerte fich äußerſt, als er fich getäufcht fand. St. Yignan fam ohne Um fall nach Frankreich. Die über alle diefe Händel zw fihen den Höfen von Madrid und Verſailles gewechſel⸗ ten Streitfchriften Fann man u. U. in den Causes of- lebres du droit des gens bed Baron Karl von- Mar tens leſen ’). | '

Die Ihlimmfte Folge des mislungenen Attentat war, Daß nun Frankreich den Krieg erflärte und den Herzog von Berwid?) mit einer Armee nach Spanien

2) (Zeipzig und Parts, 1827, 2 Bde.) Th. 1. S. 139 fe. Am Schluſſe findet ſich auch eine plante Mittheilung über die Ber bindung der parifer Polizei mit den Freudenmädcen.

2) Billard hatte dad Gommando abgelehnt, weil cr die in Frauk⸗ reich fehr verbreitete, aber falfye Abneigung gegen die auswärtige Politik der Regentſchaft, vie gerade ihre befte Seite war, theilte. Merkwürdig aber, daß Berwid, der natürlihe Sohn des Königb Jakob II., gegen die Macht ftritt, welde fi) der jakobitiſchen Sache noch am Eifrigften annahm. Jakob Fitz⸗James, Herzog von Ber: wid, geb. 1670 von der Arabella Ghurchill, der Schwefter Mariber rough's, wanderte 1683 mit feinem Bater aus, ward 1706 Mer (hal von Frankreich, war durch Philipp V., um deſſen Thronbe⸗ fteigung er dur den Sieg bei Almanza fi verdient gemacht, zum

Die Gelamarenerichwärung; Miberoni unb Ripperba. 159

ſchickte, welche die entichiedenften Erfolge errang. Um YKefelbe Zeit fill Kari XI. von Schweden, ward bie a Cadiz ausgerüftete, unter den Befehlen des Herzogs on Drmond ') abfegelnde jakobitifche Erpedition durch en Sturm zerftreut, eroberten die Defterreicher, unter em Grafen von Mercy’), faft das ganze Sicilien wie er, ward der parmelanifche Agent, Marquis Scotti, selchen Alberont nach dem Haag beftimmt hatte, um ine Vermittelung der Generalftaaten zu erwirken, in haris zurüdgehalten, und traten die Vereinigten Nie: erlande vollftändig in die Politif der Quadrupelallianz in. Umſonſt verfuchte Alberoni, in der Ießten Stunde meh Nachgeben und Unterhandlungen den Sturm zu eſchwören. Es war zu fpät. Die Mächte verlangten en Sturz Alberoni’s. Philipp V. war fchon etwas Hirt gegen ihn, weil er ihn abgehalten, perfünlich den Berfuch eines Entſatzes von Fuenterabia zu machen. zetzt warb noch der Beichtvater des Könige, B’Auben- on, um fo leichter gewonnen, als derfelbe auf Albe⸗ ont, der ihn durch einen feiner italieniſchen Anhänger, ven Pater di Caſtro, hatte erfegen wollen, grolite. Zwei icilianiſche Webte, welche bei Philipp ſehr in Anfehen landen, Platania und Caraccioli, unterflüßten feine Borftellungen. Ebenfo Ripperda ’). Endlich gelang eb meh noch dem Korb Peterborough ‘), den Herzog von

er308 von Liria und Xeria ernannt worden, ui einen Sobn in

penifden Dienften und fiel 1734 bei Philippsb

Pr Jakob Butler Herzog von Drmend, geb. pi 1 Dublia 30. Aprü

a Avignon 1747. 6, ins Florimund, Graf von Mercy, cin Lothringer, geb. 1 29. Juni 1734 bei Groifette. ie Vie du Duc de Ripperda ſtellt dad in Abrede.

3 2 merkwuürdigen Mann wir uns zu rünftiger Darftels

ung vorbehalten.

160 Die Cellamareverſchwoͤrung; Alberoni und Aipperba.

Parma dahin zu beftimmen, Daß er feinen Einfluß auf feine Nichte verfuche, welche allein den Alberoni nod hielt und ihn allen feinen Gegnern zum Trotz gehalten haben dürfte. Derfelbe Marquis Stotti, weichen Al⸗ beroni nach dem Haag beftimmt. hatte, erfchien jetzt in Madrid, mit Inftructionen vom Herzog, vom Re

genten und von der englifchen Regierung und erhielt zur Belebung feines Eiferd 50,000 Kronen. Lama :

Pescatori, einft die Amme der Königin und jebt ihre erfte Kammerfrau, in demfelben Kirchipiele mit Alberoni geboren und ihn mit Heid und Misgunſt verfolgend, verschaffte dem Scotti eine geheime Unterrebung mit der Königin, und bier ward Alberoni's Sturz befiegelt. Am Abend des 4. Decembers 1719 arbeitete Albe⸗ roni mit dem König und hielt eine lange Konferenz mit Seotti. Am folgenden Morgen ging der König nad dem Pardo und hinterließ ein, dem Cardinal Durch den Staats ſecretair Marquis Toloſa zu übergebendes De cref, wodurch er aller feiner Aemter enthoben und am gewiefen wurde, Madrid in acht Zagen, das ſpaniſche Gebiet in drei Wochen zu verlaflen. Umſonſt verlangte er eine Audienz beim Könige. Ein Schreiben an ben-

u. OT en 2 u FE

felben, das man ihm endlich verftattete, blieb fruchtlos.

Nur Eine Genugthuung warb ihm. Während die Spa⸗ nier ihn, fo lange er in der Gewalt war, gebaßt und gefchmäht hatten, trat fofort mit feinem Sturze din gänzlicher Umfchwung der Meinung ein. Man erkannte auf einmal, wie viel Großes er für Spanien gewollt

und welche Dort fo feltene Thatkraft er dafür entfaltet

hatte’). Sein letztes Lever zeigte ein größeres Gebränge

1) Er hatte au in Staatöwirtbfhaft und Finanzweſen, in Mis Me um earine manche Verbeſſerungen bewerkſteligt, mehr noch eabſichtig

Die Geliamarenerihwörung; Alberoni und Ripperba. 161

von Beſuchenden, als in den Zagen feiner höchften Decht, und die Regierung ward fo unruhig darüber, daß man ihn noch einen Zag früher abreifen Tieß, als wiprünglich beflimmt war.

. Er verlieh Madrid am 12. December und reifte auf Bartelonı. Zu Lerida ward er von einem Beamten eingeholt, der ihm noch einige Papiere abnahm '). Vor Barcelona ward er von einer Bande Miqueletö ange: lien, einer feiner Diener und ein Soldat feiner Es⸗ arte getöbtet, fein Gepäd geplündert; mit Mühe ent- am er felbft, zu Fuß und verkleidet, nad) Gerona. Er ing nun durch das füdliche Frankreich, ſtreng bewacht und von dem Chevalier de Maffieu geleitet, der ihn wskundſchaften follte, aber natürlich nur erfuhr, was ver fchlaue Italiener ihn willen laſſen wollte. Zu An- übes fchiffte er fich auf einer ihm von Genua gefchid- ten Galeere ein und landete zu Seftri di Levante, in ver Adficht, nach Rom zu gehen. Aber er erhielt bier in Schreiben von dem päpftlichen Staatsfecretair, Car⸗ Anal Paulucci, worin ihm bei Strafe der Gefangen: ſchung unterjagt ward, den Kirchenflaat zu betreten, und bald darauf Fam ein zweites, was ihn mit den lirchlichen Cenſuren bedrohte, wenn er die Einfebung in feinen bifchöflichen Stuhl begehre. Die Zeit der päpſt⸗ lichen Rache war gefommen. Auch das ſpaniſche Kö⸗ rRigepaar bewies Füniglichen Undank, klagte ihn fürmlich bei dem Papfte an und nahm auch den englifchen Ein- Ruß zu feiner Verfolgung in Anſpruch. Der päpftliche Befandte in Genua, Cardinal Imperiali, wirkte vom Benate feine vorläufige Verhaftung aus und brachte drei Klagepunkte gegen ihn vor: daB er namlich das

H Die wichtigſten will er doch gerettet haben.

162 Die Celamareverſchwoͤrung; Alberoni und Biyperbe.

aus den Eruzadas und andern Firchlichen Abgaben ge: wonnene Geld zum Kriege gegen Fatholifche Fürſten verwendet babe; daß er, zum großen Nachtheil für Ita lien und Europa, den Kaifer in einem Yugenblide be friegt habe, wo derfelbe in einen Kampf mit den Zür- fen verwidelt geweſen; daß er aus ſelbſtſüchtigen Grüm den die Spanier verhindert babe, für die von Papfe verlicehenen Pfründen Bullen nachzufuchen. Der Senat von Genua befaß jedoch foviel Rechtsgefühl, fich nicht zum Werkzeug fremder Rache berzugeben, feßte Alberoni in Zreiheit und begnügte fich, ihn aus dem genuefiſchen Gebiete zu verweilen. Während feines kurzen Aufent⸗ halts darin hatte er mehrere Schreiben und Actenftüde veröffentlicht, Die zu feiner Wertheidigung dienen fell ten’). Dies erbitterte den fpanifchen Hof nur noch nıehr und man drang auf feine Abfeßung von der Cardinals⸗ würde, wogegen jedoch die Cardinäle felbft in richfigem Corporationsgeifte auftraten und fi) begnügten, eine Commiſſion von vier Cardinälen niederzufegen, welche die Anklagen gegen ihn prüfen ſollte. Er fuchte jet eine Zuflucht in Parma, erhielt aber keine Antwort. Mit befferem Glück wendete er fih an die Schweiz. Er fegelte von Seftri auf einer Felufe nach Spezzia und fchlug von bier, wie man aus feinen Randbemerfungen auf einem in der herzoglichen Bibliothek zu Parma er⸗ baltenen Eremplar ded Thomas a Kempis, was ihn auf diefer Reife begleitete, fehen Eann, den Weg über die Apenninen nach dem Modenefifhen ein. Dann tauchte er wieder in Lucarno, einer eidgenöffifchen Vogtei, auf, und da auch bier ein Verſuch gemacht ward, fich feiner

1) &. La storia del Cardinal Alberoni. Tradotto dallo Spa-

gnuolo. All’ Haya, 1720, 4. Geſchichte des Gardinals Kulins Al beroni, bis auf deffen Abfterben. Halle, 1753. 8. Gore a. a. O.

nn FE ——— u —⏑⏑— Pe A = A —— EEE ET U meiihe 5

Die Celamarenerfhwörnug; Alberoni und Mipperbe. 163

erfon zu bemächtigen, fo ward er in ein fichered Al⸗ uſchloß verfeßt.

Nur ein Jahr dauerte fein Eril; dann gab ihm der od feines erbitterten Zeindes, des Papftes Clemens XI. - 18. März 1721), die Sreiheit wieder. Der madrider of verfuchte umfonft, ihn vom Conclave auszufchlier w. Man ertheilte ihm ein freies Geleit und fchlug se Einladung zum Conclave an der Kathedrale von enua und ber Kirche von Seftri an. Ein genuefiicher bier, der Abbe Vielato, gab ihm rechtzeitige Kunde; verließ fein Aſyl im tiefften Geheimnig und erfchien f einmal im Haufe eines Freundes bei Bologna. Won r begab er fih nah Rom, wo fein Erfcheinen das Ößte Aufichen erregte und das Vol? ihn mit Beifalld- zeigungen umdrängte. Kalter waren die meiften Car- näle; Doch gewann er fie allmälig durch fein einneh- endes Weſen und der neue Papft, Innocenz XIL, ar ihm gewogen. Die Commilfton mußte freilich, auf nbrängen Spaniens und Frankreichs, in ihrem Ver: hren gegen ihn fortfahren, was einen neuen Schrif- nwechfel veranlaßte. Sie begnügte ſich aber, ihn zu nem dreijährigen Aufenthalt in einem SKlofter zu ver- theilen, und der Papft feßte dieſe Zeit auf ein Jahr tab. Endlich ward er völlig freigefprochen und feier: $ mit dem Yurpur beffeidet. Nach Innocenz’ Tode uf er Benedict XII. ’) wählen, der ihn dafür zum Michof von Malaga weihte und ihm die gewöhnlidhe enfion der Cardinäle anwied. Der Cardinal Polignac ’),

1) Diefer Papft war ein Orfini, welde Familie ſomit glühende ohlen auf Alberoni’s Haupt häufte.

3) Melchior von Polignac, geb. zu Puy⸗en⸗Velay 11. Det. 1661, 03 Geſandter in Warfhau, 1706 in Rom, 1713 in Utrecht, Gar: sat, 1726 Erzbifhof von Auh, + 20. Nov. 1741.

164 Die Cellamareverſchwoͤrung; Alberoni und Mipperbe.

einft fein Genoſſe in der Cellamareverfhwörung und von 1725—1732 franzöfifcher Geſandter in Rom, ver fchaffte ihm von der franzöfiihen Regierung erft ein Geſchenk von 10,000 Kronen, dann eine Penflon von 12,000 Livres, fuchte ihm auch, nad dem Tode dei Cardinal Aquaviva, den fpantichen Gefandtfchaftspoften in Rom und Die damit verbundenen jährlichen 14,000 Kronen ald eine Entfchädigung dafür zu verichaffen, daß ihm fein Einfommen aus dem Bisthum Malaga, trot wiederholter päpftlicher Verwendung, entzogen blieb. Aber theild der englifche Einfluß, theild Der fortbauernde Groll des fpanifchen Hofes gegen Alberoni, dem bie ihm einft fo gewogene Königin jet noch feine finanzielle Sparſamkeit vorwarf, vereitelten auf diefer Seite alle Ausſicht.

Als jedoch der Infant Don Carlos ') die Herzog thümer Parma und Piacenza in Befig genommen hatte, empfing er (1732) Alberoni gnädig und verftattete ihm, fi in feiner Vaterfladt Piacenza niederzulaffen, wo er ein Seminar gründete. 1735 wurde er zum Vicelega⸗ ten der Romagna ernannt, wo er die Moore von Ra venna austrodnete, die Flüſſe Ronco und Moncone in ihre Betten fchloß und eine Menge Ableitungscanäle baute. Verfehlt Dagegen in jeder Beziehung war fein Verſuch (1739), die Fleine Republif San Marino ihrer Freiheit zu berauben. Bei der Belagerung von Pia cenza (1746) fchildert ein franzöftfcher Offizier Den mehr als 80jährigen Greis ald immer noch Außerft munter, raſtlos und geiftesfräftig, und erwähnt zugleich bie tiefe Verehrung, die ihm die fpanifchen Truppen bewiefen.

ı) 1734 König von Neapel und Sicilien, 1759 ald Karl I. König von Spanien.

Die Eellamereverimwöruug; Alberoni und Ripperda. 165

Er farb zu Rom am 26. Juni 1752 und bat fonad) Philipp V. noch um faft ſechs Jahre überlebt. Sein Baupterbe wurde ein Vetter, Cäſar Alberont.

Doch kehren wir zu Spanien und feiner Politif zu- rüd. Am 5. December 1719 flürzte AUlberoni und am 26. Januar 1720 trat Spanien den Vorſchlägen der Duabdrupelallianz bei. Hiernach follten fih Karl VI. und Philipp V. gegenfeitig in ihren Würden und Be- figungen anerkennen. Sicilien follte an Defterreih, Sar- dinien an Savoyen fommen, dem Don Carlos die Erb- folge in Toskana, Parma und Piacenza zugefichert wer: den. Indeß noch hatten Defterreih und Spanien man- cherlei Zwifte über Zitel, Hormalitäten und Ehrenpunfte; Zwifte, Die nicht Gründe, fondern Vorwand des Strei- ted waren. Ebenfo war mancherlei Zwiefpalt über Parma und Piacenza, über welche fowol das Reich, a8 der Papft die lehensherrlichen Rechte in Anſpruch nahmen. Spanien wollte Mantua, Mirandola, Mont- ferrat und Sabionefta den rechtmäßigen Herren zurüd- gegeben willen. Die Seemächte proteflirten gegen Die oftindifche Handelögefellichaft in DOftende, mit deren Er- richtung Karl VI umging. Diefer aber mühte fih um die Anerkennung feiner pragmatifchen Sanction. Das alles follte auf dem Songreffe zu Cambrai verhan- beit werden, der lange angekündigt, endlih im April 1724 eröffnet wurde. Er wurde von Defterreih, Trank: reich, Spanien, England, Sardinien, dem Papft, Ve: nedig, Toskana, Genua, Lothringen, Parma beichidt, brachte aber in länger ald Iahresfrift auch gar nichts zu Stande, da die vermittelnden Mächte ed feinem Xheile recht machten und die Dinge, welche die Streitenden hatten beichwichtigen mögen, gar nicht zur Sprache famen.

166 Die Cellamareverſchwoͤrnug; Alberoni unb Sipyerhe,

Da fand der Baron von Ripperda einen Fürzeren und fchnelleren Weg. Johann Wilhelm Baron von Ripperda flanımte aus einem alten in Dflfriesiand ), dem Stift Minden und den nördlichen Niederlanden be güterten Gefchlechte, war 1680 geboren und anfangs bei den Iefuiten in Köln, nad) Andern in Brabant, erzogen worden. Er trat aber zur reformirten Kirche über. Gründe und Hergang diefes Uebertritts werben verfchieden angegeben. Gewöhnlich heißt es, es fei ge ſchehen, um ein proteftantifches Fräulein heirafhen zu Finnen. Nach Andern war fchon fein Vater, nachdem er die Herrſchaft Roolgeeft in der Provinz Gröningen gekauft, reformirt worden und hatte feine Familie mit binübergeführt. Wieder Andere wollen, daß er ſelbſt erft übergetreten fei, um in den ftändifchen Angelegen- heiten und fonft eine Rolle fpielen zu künnen. War das der Grund, fo wurde er allerdings erreicht. Rip perda ward Obriſt in Hollandifchen Dienften, in welche Gigenfchaft er im Laufe des fpanifchen Erbfolgefrieged auch dem Prinzen Eugen befannt ward, nahm an ben Verhandlungen der Stände der Provinz Gröningen einen einflußreichen Antheil, und ſetzte ſich auch bei den Ge neralftaaten in fo gutes Anſehen, daß dieſe ihn nad dem ufrechter Frieden mit Unterhandlung eines Ham delsvertrages mit Spanien beauftragten. Der ſpaniſche Boden fagte ihm aber viel befler zu, ald der hollin difehe. In den nüchternen, gemeflenen, mit taufend Schranken und Gegengewichten durchzogenen und ſchon damals die Vorficht zur oberften Richtfchnur ihrer Pe litik nehmenden bataviichen Niederlanden war für einen Mann von feinem brennenden Ehrgeiz, feinem eiteln

1) Hier befaßen fie bis 1680 das Städtchen Pattkum.

Die Celemareverſchwoͤrnug; Alberoni und Ripperda. 167

Bohfgefallen an Glanz, Aufwand und hohen Verbin: ungen, feinem Sinn für Intriguen und abenteuerliche Intwürfe weit weniger zu machen, als in Spanien. zs gelang ihm, fich ſowol bei dem Cardinal dei Gin: ice, fo lange diefer Dlinifter war, als bei dem mädh- igeren Alberoni in guten Crebit zu feßen, und als er ft Geneigtheit gezeigt hatte, fich wieder zu feiner alten Religion zurückbekehren zu laſſen, erlangte er auch ge- eimen Zufritt zur Königin und die Gewogenheit bes dönigs. Als er nach Holland zurüdkeifte, um von fei- er Sendung NRechenfchaft zu geben, ward es nicht blos n Spanien, fondern in Holland ſelbſt Schon vermuthet, daß T damit umgehe, fich nach Spanien überzufiedeln, und ad nachdem er nach Madrid zurüdgelehrt war, trat r in der That zum katholiſchen Glauben wieder zurüd mb fixirte fich in Spanien. Längere Zeit ſchien es je och nicht, als wenn er fich Durch diefen Schritt eine efonders glänzende Stellung gefichert hätte. Er wurde on Alberoni zu mancherlei Arbeiten, bejonders im na- tonalöfonomifchen und finanziellen Sache, benußt; man ibertrug ihm Die Anlegung einer großen Füniglichen Succhmanufactur und er machte Reifen nach Frankreich md Holland, um Arbeiter dafür anzumerben; aber auf ne großen politifchen Fragen erlangte er Feinen Einfluß mb Alberoni fcheint ihn, auch bei höflichen Formen mb einer Scheinvertrautheit, immer mit Miötrauen bes rachtet zu haben, wenn auch die Angabe, die man öf: ers findet, Alberoni habe ihn erft in den fpanifchen Dienft gezogen und dann aus Eiferfucht geflürzt, nach yeiden Seiten bin incorreet ifl. Gerade erft nach Albe⸗ roni's Sturze 308 er ſich auf fein Landgut bei Sego: via zurück und erfchien nur felten bei Hofe.

Indeß der misliche Gang der Verhandlungen Des

168 Die Cellamareverſchwoͤrung; Alberoni und Mpperbda.

Congreſſes gab ihm doch Gelegenheit, einen Gedanken geltend zu machen, der ihn auf einmal auf die höchſte Stufe des Glanzes und der Macht bob. Wir flimmen ber gewöhnlichen Annahme bei, daß der Gedanke von ihm aus an den fpanifchen Hof gebracht worden fe | und nicht, wie von feinen Freunden verfichert worden ift ), von dem Hofe felbflandig erfaßt worden fe und ihn felbft überrafcht habe. Iedenfalld mag er den Ge danken Durch Fühne Hoffnungen, die er in der Königin nährte, in jeder Weife gefördert haben. Wenn er übri gend die Penfion, die er vom wiener Hofe bezogen hat ?), ſchon vor feiner Miffion erhalten hätte, ſo möchte der erfle Urfprung des Gedankens gar nicht in Spanien, fondern in Wien zu fuchen fein. Der Ge danfe felbft aber war der der Verfühnung Oeſterreichs und Spaniens, der wirklichen, durch gegenfeitige eigne Verftändigung bewirften, nicht von fremden Vermitt⸗ lern aufgedrungenen Verfühnung. Der Gedanke wat natürlich, denn Defterreich und Spanien haben an ſich feine collidirenden, wohl aber manche gemeinfame In terefien, und wenn auch in damaliger Zeit, wo Spa— nien noch Einfluß und Beſitz in Italien erſtrebte, ein Colifion denkbar war, jo ließ fich Diefe Doch befeitigen, wenn man fi) darein fügte, fich, wie in früherer Zeit, in Ddiefen Einfluß zu theilen, und gemeinfam die Fran zofen von Italien ausfchloß. Indeß mancherlei alter, perſönlicher Groll ftand noch entgegen.

Sm November 1724 wurde Ripperda im tiefiten Geheimniß nach Wien entfendet, wo er unter dem Ne men eines Barons von Pfaffenberg auftrat und ein

1) La Vie du Duc de Ripperda, I, 212. 2) Graf Mailath, Gefhihte des oſterreichiſchen Kaiſerſtaates, IV, 597.

Die Cellamareverſchwoͤrung; Alberoni und Ripperda. 169

beſcheidene Wohnung in einer Vorſtadt bezog. Lange Zeit unterhandelte er nur mit dem Kaiſer perfönlich, zu dem er durch Hinterthüren und Geheimtreppen im flreng- ſten Incognito eingeführt wurde, und mit zwei Ver: trauten deflelben, dem Marquis Realp und dem Grafen Sinzendorf), ohne dag die Kaiferin und die übrigen Minifter eine Ahnung von dem Vorgehenden gehabt haften. Spaniſcher Seitd hatte man hauptfächlich eine Vermählung des Infanten Don Carlos mit der älteften Karoliniichen Erzberzogin und damit eine Ausficht auf die. dereinflige Wiederherftellung des Verhältniffes, wo zwei Linien deſſelben Hauſes in Defterreih und Spa: nien regierten, im Sinne. Dafür war man große Con- ceffionen zu machen geneigt. Nichts Fonnte Karl VI. gelegener fein, ald daB ihm Spanien hier durch einen für feine Idee erglühenden Abenteurer mit Hoffnungen entgegenfam, gegen welche man reelle Vortheile eintau- [chen Fonnte.e Man glaubt, daB der Kaifer in Diefer ganzen Sache Spanien nur dupirt bat und niemals ernſtlich daran dachte, die erweckten Hoffnungen zu rea⸗ lifiren. Weber die wichtigften Punkte, foweit fie die Er- füllung der fpanifchen Wünfche betrafen, bat Ripperda in der That nichts Schriftliches erlangen können. Breilich mußte fich der Kaifer fagen, daB dann auch Spanien das Verfprochene nicht erfüllen werde. Aber es war ihm fchon ein großer Vortheil, ed vollends von Frankreich und den Seemächten zu trennen und zu un- mittelbarem Abichluffe mit ihm zu bringen.

Ein Ereignig Fam ihm dabei ungemein zu Statten. Nach der unglüdlichen Cellamaregefchichte war eine Ver:

1) Philipp Ludwig, geb. 1671, 1697 Gefandter in Paris, 1712

Gefandter beim Gongreß zu Utreht, nah Eugen’ Tode Premiermi- nifter, + 1742. I. - 8

dd

170 Die Cellamareverſchwörung; Alberoni und Myperbda.

föhnung zwifchen den bourbonifchen Höfen Dadurch ver⸗ mittelt und befiegelt worden, daß man Die ältefte Toch⸗ ter Philipp's V. und der Elifabeth, Maria Anna Vic toria de Bourbon (geb. 31. März 1718), mit dem jun⸗ gen Könige Ludwig XV. verlobte (27. Rov. 1721) md nach Franfreih brachte, um bier für den franzoͤſiſchen Thron erzogen zu werden. Indeß fie war jetzt erſt Jahre alt und der junge König war 15. Die Nation wünfchte dringend, die Thronfolge gefichert zu fehen. Es fol auch. eine perfönlihe Neigung Ludwig's im Spiele gewefen fein. Kurz, man entfchloß fi, bie Infantin ihren Eltern zurüdzufchiden ') (5. April) und Zudwig XV. mit Maria Lescinska“), der Tochter dei ehemaligen Königs von Polen, zu verbeirathen (16. Au: guſt/ 5. Sept.). Der franzöfiihe Gefandte in Madrid, Abbe de Liori ’), erhielt Auftrag, dem Könige von Spa⸗ nien einen diefen Entſchluß verkündenden Brief zu über reihen, den dad im voraus unterrichtete Königspaar

zu leſen verweigerte. Der fpanifche Hof war in außer fter Entrüfltung. Der Gefandte erhielt Befehl, binnen

24 Stunden Madrid zu verlaffen. Die franzöftichen Confuln mußten das fpanifche Gebiet räumen. Die Tochter des verftorbenen Herzogs von Orleans, Made moifelle de Beaujolais *), welche den Infanten Don Carlos heirathen follte und deshalb in Spanien erz0 gen ward, ward nach Frankreich zurüdigeführt, während die Herzogin von Tallard die Infantin an die ſpaniſche

1) Sie heirathete fpäter (31. März 1732) den König Zeofepd 1. von portugal und ftarb am 7. Ian. 1780

2) Geb. 23. Juni 1703 + 24. Juni 1768.

3) Sanguin de Livri, früher Gefandter in Polen, 1724 in Liffabon, + zu Paris 1729.

4) Philippine Elifabeth, geb. 18. Dec. 1714, verlobt 11. Aug. 1722, 1725 zurüdgefhidt, + 21. Mai 1734.

Die Cellamareberſchwoͤrung; Alberoni und Sipperbe. 171

Grenze geleitete. Der Congreß ward aufgelöft (Suni). Nipperba erhielt Befehl, um jeden Preis abzufchließen.

Die Kalferin und die nun erft von der Sache un- terrichteten DMinifter machten viele Einwände; aber der Kaiſer flimmte fie um. Ripperda ließ es auch nicht an Geld fehlen und wendete 400,000 Gulden für Gefchente auf. Am 30. April 1725 ward ein Vertrag unterzeich- net, worin die Beflimmungen der Duadrupelallianz in Beug auf Anerkennung und Verzichtleiftung wiederholt wurden. Die Titel follten beiderfeitd beibehalten, die während des Krieges verliehenen Würden beftätigt werden. Spanien erkannte die pragmatifhe Sanc⸗ tion an. In einem zweiten Vertrage, vom 2. Mai, wurden ben Unterfhanen des Kaiſers die Ipanifchen Häfen geöffnet, die Handelscompagnie von Dftende beftätigt und den Hanfeftädten gleiche Rechte mit England und Holland in Spanien gewährt. Ein dritter Vertrag vom gleichen Datum beftimmte eine Defenftvallianz, und Daß namentlich Defterreich fich bemühen werde, Spanien Gi⸗ braltar zurüdzuverfchaffen. Ein vierter vom 7. Juni erneuerte befonders die wegen der italifhen Staaten getroffenen Stipulationen. Mündlich verabredete man die Wermählung beider Erzberzoginnen an zwei Infan- ten und die Eroberung Gibraltar, ja Die ewentuelle Reſtauration der Stuarte.

Wie diefe Dinge allmälig befannt wurden, entſtand in ganz Europa die größte Aufregung und bie Diplo: maten mühten fi) in Bündniffen und Gegenbündnifien ab, welche nach Langen Weiterungen endlich in dem wiener Vergleich vom 16. März 1731 ihre friedliche fung fanden.

Ripperda war es nicht befchieden, dieſe als Mini: fer zu fehen. Er reifte am 29. Nov. 1725 von Wien

8 *

172 Die Cellamareverſchwoͤrung; Alberoni unb Ripperba.

ab, ſchiffte fi in Genua nad) Barcelona ein, brachte dem König die Nachricht von den Verträgen felbft und in Reifefleidern und ward zum Minifter des Kriegs, der Marine und der Finanzen, zum Herzog und Gran-

den dritter Claffe ernannt. Sein Sohn ward Gefand-

ter in Wien. Aber feine Verfprechungen gingen nicht in Erfüllung; er felbft konnte fein Glück nicht erfragen und beleidigte fowol die fpanifchen Großen, als den öfterreihifchen Gefandten, Grafen Königsegg ), von welchem die Königin aud für ihre Zwecke immerhin mehr erwartete, ald von dem ald Prahler und Charla⸗ tan erfannten Ripperda, hatte durch eine verfehlte Geld: operation dad Murten des Volks, durch Reductionen den Haß der Höflinge und Beamten erregt, und fo ward er ſchon im Mai 1726 entlaflen, wobei man ihm jedoch eine Penfion von 3000 Piſtolen ausſetzte. Diefer Glückswechſel fcheint ihm ganz die Flare Be finnung geraubt zu haben. Ohne daB etwas vorläge, woraus fih ein Grund zu ernfleren Beforgniffen für ihn ableiten ließe, beichloß er, fi) unter den Schutz eined fremden Gefandten zu flellen, und wählte dazu

gerade die Mächte, denen er am Empfindlichften entge

gengewirkt hatte’). Möglich, daß fein Benehmen durch

feine große Erbitterung gegen den fpanifchen Hof zu

erklären ift, und daß er den Schuß der Seemächte burd Enthüllung der gegen dieſelben gefponnenen Pläne zu erfaufen dachte. Er wendete fich zuerft an den bolan-

1) Lothar Zofeph Georg, geb. zu Wien 1673, Militair, 1714 Gouverneur der Niederlande, feit 1717 Gefandter in London, Paris, Warfhau und Madrid, 1734 Befehlöhaber in Italien, 1736 Prö fident des Hoffriegsratbs, 1745 Gonferenzminifter, + 1751.

2) Seine Gegner fagten freilich, er babe nah feiner Rüuͤckkehr von Wien feine Politif geändert und fi den Seemächten in anti öfterreihifhem Sinne genähert. Thatſachen aber liegen nicht vor.

a ii I * A Es = en ee A 2.

Die Cellamareverſchwoͤrung; Alberoni und Ripperba. 173

difhen Gefandten Wan der Meer und bat diefen um ein Afyl’). Diefer lehnte ed ab, rieth ihm aber, ſich zu dem englifchen Gefandten Stanhope (Ipäter Lord Harrington) zu flüchten und fuhr ihn felbft in feiner Garrofle dahin, lieh ihm auch feine Maulthiere, um feine Foftbarften Effecten dahin zu ſchaffen. Stanhope war in Aranjuez und war fehr erflaunt, als er, bei feiner Rückkehr am Abend des 15., das Vorgegangene erfuhr. Doch ed wird fih nicht ermitteln laflen, wie weit die in dem amtlichen Schriftenwechlel, der fid) über diefe Angelegenheit entfpann, enthaltene Darftel- lung der Sache: daß der Gefandte ihn nur aufgenom- men, nachdem Ripperda verfichert, er fei nicht mehr in fpanifchen Dienften, werde aber auch nicht wegen eines Verbrechens oder fonft von der Regierung verfolgt und fürchte nur den madrider Pöbel, die ganze Wahrheit enthalt, oder ob fie eben nur die officiele Darftellung iſt ). Stanhope erwirkte fi) eine Audienz beim Kü- nige und zeigte felbft an, was gefchehen fei und was er gethan babe. Sein Verfahren ſchien Billigung zu finden. Bald aber fam man bei Hofe doch auf den Gedanken, daB das Zufammenfein des erbitterten Rip: yerda mit dem englifchen Gefandten fein fehr Bedenk⸗ liches babe, ließ die Zugänge zum Hotel des Gefandten mit Wachen bejegen, ließ ſich, als gütliche Wege nicht zum Ziele führten, durch den Rath von Caſtilien ein Decret geben, wonach es für mit dem Völkerrecht ver- einbar erflärt wurde, den Herzog von Ripperda, „den Ge. Majeſtät aus ihrem Dienfte entlafien und der ſich

rn ——

1) Rah Andern erſuchte er ihn bios, ihn zum engliſchen Ge⸗ ſendtenn zu fahren.

2) Die Actenftüde dieſer une in völferrehtliher Beziehung |. bei de Martens a. a. ©. S. 174 fg.

174 Die Cellamareverſchwoͤrung; Alberoni und Ripperda.

zu dem großbritanifchen Gefandten geflüchtet habe”, aus des Letzteren Wohnung wegzuführen, ſchickte einen Al⸗ calden und einen Stabsoffizier mit 60 Mann in das Hotel des Gefandten und ließ diefem ein Requifitionk

fchreiben überreichen, worauf Mr. Stanhope, nach eink

gen Weigerungen, der Gewalt wid.

Nipperda ward in das Schloß von Segovia ge |

bracht und Dafelbft in Teidlicher Haft gehalten. Gen Sohn ward nad) einiger Zeit auch aus Wien abberufen und Fam bei diefer Gelegenheit auch noch um eine vor nehme Partie '). Ripperda unterhielt fi mit Rade plänen und Liebeshändeln, und eine zärtliche Werbim dung, die er mit einer ſchönen Caſtilianerin angefnüpft, ward dad Mittel feiner Befreiung, indem ed ihm haupt fahlih mit Hilfe feiner Geliebten 1728 gelang, au Segovia zu entfliehen und über Portugal nad Holland zu gelangen. Hier machte er die Bekanntſchaft eines maroffanifchen Großen, Namens Perez, welchen der

Kaifer von Maroffo vor einiger Zeit nad) dem Haag

gefendet, und die Unterredungen mit diefem Mann fcheinen in Ripperda zuerft den Gedanken erwedt zu haben, auf der Nordfüfte Afrifas einen Boden zu fir chen, von wo er an Spanien Rache nehmen Fünme.

Erft wollte er ed jedoch auf einem naheren und fichrere.

Punkte verfuchen und ging deshalb nach England. & wurde bier anfangs vom Publicum fehr freundfich auf genommen und erzwang fich durch feine Zudringlichtet

1) Wir wiſſen nidt, worauf fi die Nachricht gründet, daß Kip yerda feine hollaͤndiſche Gemahlin frühzeitig dur den Tod verlens und ſich mit einer vornehmen Gaftilianerin vermählt habe. Ras . unfern Quellen überlebte die Holänverin feinen Sturz und bid fortwährend ihrer Religion getreu, folgte aber ihrem Manne @ fo weniger ind Eril, als fie mußte, daß feine Geliebte ihn beglelt

- AM Man

nandı._ nn me.

Die Gelamareverihwörung; Alberoni und Ripperda. 175

eine Audienz bei Georg J., der jedoch jo wenig Zutrauen m dem Manne und feinen Entwürfen bezeigte, daß die Erbitterung Ripperda’d gegen England kaum geringer ward, ald die gegen Spanien. Auch vericherzte er durch weideutige Lebensweiſe und chlechte Gefellfchaft feinen Credit und ſah endlich ein, daß ihm in Europa Fein derartiger Wirkungsfreis mehr blieb, wie er ihn immer noch ſuchte. So ging er nach Holland zurüd, ließ fich von Perez Empfehlungsichreiben mitgeben und fchiffte fh, mit feiner caftiliichen Geliebten, die ihm fpäter mehrere Kinder gebar und bis zum ode treu blieb, und feinem treuen Kammerdiener St. Martin, nad) Zanger An, von wo er nad Mequinez ging und von dem Keller ſehr gnädig empfangen ward. Er gewann bald welen Einfluß, Eonnte aber erft Dann eine wirkliche An- Melung erlangen, als er fich zum fürmlichen Webertritte sam Islam, wovon ihn weniger religiöfe Scrupel, als Die Furcht vor der Befchneidung längere Zeit abgehal- ten zu haben fcheint '), entichloflen haftee Der nun: wehrige Osman Paſcha ward durch ein fpanifches De: ae (1732) feiner Würden ald Herzog und Grand ent: hoben, machte aber große Rüftungen gegen die fpani: Men Befigungen in Afrika. Indeß bald erfchien ein Manifches Heer, was, unter den Befehlen des Grafen on Montemar und fpäter des Marquis de Villada- 6, die undisciplinirten maroffanifchen Truppen wie: berhoit aufs Haupt ſchlug. „Hierauf verfuchte er, Ceuta ech Gewalt oder Kift in die Hände der Maroffaner M bringen, und brachte auch der Befakung bei einem Nusfall eine Niederlage bei. Allein dem kurzen Glüde Olgten neue Unfälle; auch fein St. Martin, den er zu

1) Er ließ deshalb feinen St. Martin erft die Probe madıen.

176 Die Cellamareverſchwoͤrung; Alberoni und Hipperbe.

einem Beftechungsverfuche nad) Ceuta gefendet, ward entdedt und nad) Spanien abgeführt, und nach einem glüdlichen Meberfall von Seiten der Spanier mußte er die Belagerung aufheben. Er ward in Mequinez nım ſehr kalt empfangen und bald nach feiner Rückkehr in

Haft gebraht. Doch gelang ed ihm, durch gewandte

Vertheidigung und Einflüffe im Serail, fih auch aus dieſer Gefahr zu retten, worauf er fich mit dem Plane einer Verfchmelzung der jüdifchen und mahomedaniſchen Religion befchäftigt haben fol. Indeß innere Unruhen, bei denen ihn Die Unzufriedenen wol mehr zum Vor: wand nahmen, während fie eigentlich gegen den Kaiſer ſelbſt gerichtet waren und Die auch zuleßt einen Thronwech⸗

fel herbeiführten, veranlaßten ihn (1734), fi unter den

Schuß des ihm befreundeten Paſcha von Tetuan zu rüdzuziehen, mit dem er nun ein ruhiges, epifuräifches, nur durch immer häufigere Gichtanfälle, an denen er Ihon in Spanien gelitten hatte, geſtörtes Leben führte und ganz zuleßt, auf Antrieb der Caſtilianerin und dur) Vermittelung eined Pater Zacharias, der in Me quinez in einem von Frankreich unterhaltenen Zrinita- rierflofter Tebte, feinen Frieden mit der Kirche gemacht haben fol. In den Teßten Iahren foll er noch den be fannten König von Corfifa, Theodor von Neuboff'), den er wahrfcheinfich ſchon in Spanien gekannt hat, mit einigem Gelde zu feiner Unternehmung unterflügt haben. Er ftarb am 17. October 1737 und warb in mahomedaniſcher Weiſe beerdigt.

1) Den wir uns zu künftiger Beſprechung vorbehalten.

V. Die geheime Diplomatie Ludwig's XV. und der Ritter d’Eon.

Ludwig XV, von Frankreich hatte ein geheimes diplo⸗ matiſches Cabinet errichtet, deffen Operationen dem Mi- nifter der auswärtigen Angelegenheiten nicht blos unbe- kannt waren, fondern felbft zuweilen den Plänen defiel- ben entgegenwirkten. &o lange der Gardinal Fleury ') lebte, dem der König mit vollem Vertrauen die Leitung der Geſchäfte überließ, beſtand dieſe Einrichtung nicht. Aber von dem Jahre 1743 an begann der Prinz von Sonti ?’), ein geiftuoller Mann, ohne Vorwiſſen der an» dern Minifter mit dem König zu arbeiten. Zu Anfange des Jahres 1745 kamen polnifche Herren nah Paris, die von einer Anzahl ihrer Landsleute beauftragt waren, dem Prinzen von Conti ihre Stimme zu feiner dereinfti-

1) Andreas Hercules de Fleury, geb. zu Lodeve in Languedec 1653, im SIefuitencollegium gebildet, Almoſenier crft der Königin, dann des Königs (Ludwig's XIV.), 1698 Bifhof von Frejus und Erzieher Ludwig's XV., 1726 Gardinal und Premicrminifter, fried⸗ lebend, mild, aber Flug und, mo er fihern Erfolg zu fehen glaubte, entſchloſſen, + 20. San. 1743.

2) Ludwig Zranz, geb. 13. Aug. 1717, + 2. Aug. 1776. Sein Großvater, Zranz Ludwig, follte König von Polen werden, unter: lag aber dem Friedrich Auguft von Sachſen. Unſer Gonti flel fpäter ia Ungnade bei Ludwig XV., oder brad vielmehr, aus im Texte anzuführenden Gründen, felbft mit dem Hefe.

8* *

178 Die geheime Diplomatie Ludwigs XV.

gen Wahl auf den polnifchen Thron anzubieten, und der König ermächtigte ihn, Die entfprechenden Diöpo- fitionen zu treffen, was denn zu einem befondern poli- tifchen Syſtem des Cabinets und zu einer ‚geheimen Diplomatie Anlaß gab, deren Leitung der Prinz von Conti hatte, und die ſich befonderd in den nordifchen Ländern bethätigt zu haben fcheint. Der Zweck dieſes Syſtems beftand in folgenden Punkten. Man wollte das durch den weftfälifchen Zrieden begründete Syſtem, mit den daraus für die Franzofen hervorgehenden Ein miſchungsvorwänden, aufrecht halten und die von Frank reich garantirten fogenannten deutſchen Freiheiten be fhüten. Man wollte ferner die Pforte, Polen, Schwe den und Preußen, unter WVermittelung und Beitritt Frankreichs, zu einem ewigen Bündniß vereinigen, und durch diefe Mächte Dad Aneinanderfchliegen Defterreihe und Rußlands verhindern. Zum Zwede diefed Planes flug der Prinz von Conti dem Könige eine geheime Correfpondenz für die auswärtigen Angelegenheiten vor, ‚und bewirkte Veränderungen bei den verjchiedenen Ge fandtichaften, indem er die Sendung ded Grafen Des⸗ alleurd nah Konftantinopel, des Marquis d'Havrin⸗ court nach Stodholm, des Chevalierd de la Touche nad Berlin und des Heren des Iſſarts an den polniſch⸗ fächfifchen Hof vermittelte Ald der Graf von Bra glie‘) im Mai 1752 zum Botfchafter in Warſchau er nannt wurde, erhielt er durd den Prinzen von Conti

1) Sharlcd Francois Sraf von Broglic, geb. 20. Aug. 1719, + 1781, Sohn ded Marfhald Herzog Franz Marie von Broglie, Bruder des Marfhalls und nachherigen Kriegsminiſters Herzog Bictor Franz von Broglie und des Grafen Glaude Bictor vor Broglie, der ſich der Revolution anſchloß und unter der Guillotine ftarb, deffen Sohn aber der neuere Staatsmann, Herzog Bictor von Broglie, der Schwiegerfohn der Stack ift.

and der Bitter b’Eon. 1798

einen eigenhändigen Befehl Ludwig's XV., wonach er eine geheime Gorrefpondenz mit dem Könige führen und dad, was der König ihm durch den Prinzen zukommen lafien werde, dem vorziehen follte, was ihm unmittelbar son den Miniflern zugehen würde. Zwölf Jahre lang leitete der Prinz von Conti in diefer verdedten Weile bie Unterhbandlungen an den Höfen von Konftantinopel, Barfhau, Stodholm und Berlin, und es war in der hat gelungen, durch diefelben den ruffiihen Einfluß In Polen wefentlich zu ſchwächen und eine Gonfüdere- tion zu Gunften der Königswahl des Prinzen von Conti anzubahnen, ald das Ehoifeufiche Bündniß Frankreichs mit Defterreich den ganzen Plan ded Prinzen von Conti vereitelte und in der Coalition gegen Preußen zugleich eine Annäherung an Rußland anbahnte.e Zwar wirkte der König durch feine geheime Diplomatie auch ferner auf eine Mäßigung jened Syſtems; aber eine entichie- dene Stellung gegen Rußland war nicht mehr möglich. Der Prinz von Eonti verlangte nun, um fich über Diele Vereitelung feiner Strebungen zu tröften, einen Ober: befeht in Deutichland; aber er gehörte nicht zu den Sünftlingen der Frau von Pompadour und fo ward fein Geſuch abgefchlagen. Im Unmuth darüber entfagte ee den Geſchäften gänzlich und übergab, dem Willen des Königs gemäß, alle Papiere und Chiffren feiner Sorrefpondenz dem Herrn Zercier'), erftem Commis im auswärtigen Amte.

2) Iohann Peter Zercier, geb. zu Paris 7. Det. 1704, Sohn eines Schweizerd aus dem Gauton Zreiburg, heirathete eine Enkelin Des angefehenen Advokaten Baize, dur den er dem Marquis von Monti empfohlen ward. Diefer nahm ihn 1728 als Geſandtſchaftsſecretair wit nad Warſchau, wo er ſich fchr bei der Wicdereinfegung bed Königs Stanislaus betheiligte. Gr verbarg ihn mehrere Tage auf. feinem Zimmer, begleitete ibn auf der Flucht nah Danzig, warb

180 Die geheime Diplomatie Ludwig's XV.

Gegen Ende deſſelben Jahres 1756 kam der Graf von Broglie aus Polen nach Frankreich zurüd und ihm übertrug nun der König die Leitung der geheimen Di- plomatie. Der Poftintendant d'Ogny ftellte Ludwig XV. die Briefe der in die geheime Correfpondenz aufgenom- menen diplomatifchen Agenten zu, und der König fchidte diefe Briefe an den Grafen von Broglie, oder an Herrn Tercier, durch deren Hände er auch das nöthige Geld für die geheime Correfpondenz an feine Agenten gelan- gen ließ. Die Dedhiffrirung dieſer Depefchen beforgte der Secretair ded Grafen Broglie, Duboid Martin, ihre Beantwortung der Graf von Broglie ſelbſt, oder und zwar am öfterfien Herr Tercier. Der König ließ fich die Antworten vorlegen, beflimmte die vorzu- nehmenden Aenderungen und feßte dann fein „Geneh— migt” darunter. As Herr Tercier flarb (1767) und nun dem Grafen Broglie die geheime Correfpondenz allein oblag, fchlug diefer Ludwig XV. vor, dem Her zog von Choifeul die Theilnahme an derfelben zu eröff- nen, worin aber allerdings eine gänzliche Verkennung des Zwedes Diejer geheimen Correfpondenz lag, und was der König auch entichieden abfchlug. Ob der Vor⸗ gang mit dem Grafen St. Germain (f. d. Auff.) mit diefer geheimen Diplomatie zufammenhing, laſſen wir dahingeftellt fein. Gewiß aber ift ed, daß die Thäaͤtig⸗

von Münnid verhaftet und faß, mit Monti, 18 Monate lang in einem feuchten Kerfer in Thorn, woran Monti 2 Jahre fpäter ftarb. 1736 kam er nad Frankreich zurüd, wo er durch Geld und Ghren entfädigt wurde. Später war er mit beim Gongreß zu Aachen und erhielt dann die Stelle ald erftier Gommis beim auswärtigen Amte, fowie die als Fönigliher Genfor. In letterer Eigenſchaft ließ er die Schrift des Helvetius De l’esprit paffiren, was ibn beide Stellen Foftete. Doc fepte der König anfehnlihe Penfionen für ihn und feine Hinterlaffenen um fo mehr aus, ald er auch ferner bei der geheimen Gorrefpondenz befhäftigt blieb.

and der Bitter bEon. 181

fit der geheimen Agenten den Sefandten im Auslande, foweit Diefe nicht felbft Die Theilnehmer diefer geheimen Gorrefpondenz mit dem Könige, hinter dem Rüden des Ninifteriums, waren, oft Verlegenheiten bereitete und daß die Abfichten des Königs zuweilen die feines Mi- nifteriums Durchfreusten. Doc war dies nicht immer an Widerſpruch und ein Uebel. Wenn 3. B. der Ge- findte in St. Peteröburg, Baron Breteuil, unter dem 27. Sept. 1760 an den König u. U. fchrieb: er fände in feinen geheimen Inftructionen, Se. Majeftät habe es vicht gemisbilligt, daß deflen Botfchafter das Syſtem des Minifteriums nicht befolgt habe, jo wird das Doch im weiteren Verlaufe dahin erläutert, daß eine unbe: dingte Befolgung des minifteriellen Syſtems Rußland an zu großes Uebergewicht verfchafft haben würde und daß der Geſandte, im Auftrag des Königs, befliffen war, den ruffifchen Webermuth einigermaßen herabzu: fimmen. Baron Breteuil fchickte übrigens dem Könige Me Schreiben, die er von dem Herzog von Choifeul erhielt, und fuchte auch, im Auftrag ded Königs, in feinen Berichten an den Minifter diefen im Sinne des Königs zu leiten, 3. B. ihn günfligere Gefinnungen in Bezug auf Polen einzuflößen.

Doch gelang ed nicht, Den gebietenden Einfluß Ruß⸗ lands in Polen zu brechen, und dies hatte 1764, wie die Königswahl Poniatowski's, fo die Abreife erft des franzöſiſchen Gefandten, Marquis de Paulmy, dann dee Refidenten Hennin zur nächften Folge. Won da an bie 1787 correfpondirte ein dem franzöfifchen Intereſſe er- gebener Pole, Jackabowski, mit dem franzöfiihen Mini- flerium, wozu dann feit 1766 noch ein Herr Gerault fam, fpäter auch die Herren Bonneau, General Monnet und Aubert, welche alle, ohne anerfannte diplomatiſche

182 Die geheime Diplomatie Labwig's XV.

Qualität, mit dem Minifler der auswärtigen Angele genheiten, oder den franzöfiichen Gefandten an den nordifhen Höfen über die polnifchen Angelegenheiten correfpondirten. Erſt 1787 erhielt Frankreich wieder einen Refidenten in Warſchau, den Herrn Vincent. Choiſeul hatte die geheime Diplomatie gewiß ge Fannt, mag fie aber, als in den meiften Fällen unfchäb- lich, in einzelnen nüglich und im Kalle der Noth durch feine überlegene Kraft zu neutralifiren, ignorirt haben. Sein Nachfolger im Amte, aber nicht im ſtaatsmänni⸗ fchen Berufe, der Herzog von Aiguillon '), erftaunte fehr, als er zuerft von dem Baron de Bon, dem Gefandten in Brüffel, und dann durch die Beichlagnahme der Papiere Du mouriez’ in Hamburg auf die Spur eines folchen Verkeh⸗ red fam. Er ließ Dumouriez ?), ſowie Bavier ’), Segur und Drouet, einen ehemaligen Secretair des Grafen Broglie, verhaften, abnte aber noch nicht, daß der König felbft der Veranftalter dDiefes geheimen Verkehrs ſei. Der Kb« nig ließ alles zu, damit fein Geheimniß verhüllt bleibe, beruhigte jene Männer aber über die Zufunft und entichädigte fie durch Geſchenke. Der Minifter erfuhr den ganzen Zufammenhang der Sache erft durch die Dubarri, die ihm einen darauf bezüglichen Brief, Den fie im Cabinete des Königs gefunden, mittheilte. In⸗ deß ward Graf Broglie nicht deswegen erllirt, ſondern

1) Armand Bignerot Zupleſſis Richelien, Herzog von Kiguilen, geb. 1720 + 1783 im Gil.

2) Der befannte Feldherr der Revolutionszeit. Gr war damals zu geheimen Unterhandlungen in Betreff Schwedens gebraudt worden.

3) An Toulouſe geboren, Secretair der Stände von Languebor, wegen zügellofen Lebens entlaffen, im auswärtigen Amte angeftellt und auf Miffionen befpäftigt, eine Beit lang aud Agent des Gras a a on, dann beim geheimen Sabinet gebraußt. Wegner

oiſenl's

und ber Ritter b’Eon, 183

weil er im Sept. 1773 an d'Aiguillon, ber ihm eine Miſſion nah Turin verweigert, einen beleidigenden Brief gefchrieben hatte, den der Letztere im Minifter- rathe vorlas und die Beiflimmung feiner Collegen für die Nothwendigkeit einer Genugthuung erhielt. Der Graf von Broglie warb nach Ruffec verwiefen, blieb aber auch) da an der Spitze der geheimen Gorrefpon- denz, Die jedoch nicht lange mehr dauerte, da Lud⸗ wig XV. am 10. Mai 1774 ftarb.

Ueber das innere Getriebe diefed Verkehrs geben ober u. U. folgende Fönigliche Schreiben guten Auf: ſchluß. Der Baron von Breteuil ') vertaufchte 1760 den Sefandtichaftspoften zu Köln mit dem ungleich wichtigeren zu St. Peteröburg. Unter dem 26. Febr. 1760 fchrieb ihm nun der König:

„Here Baron von Breteuil, auf die vortheilhaften Berichte bin, die mir über Sie erftattet worden find, babe ich mich entfchloffen, Sie zu meinem bevollmäd)- figten Minifter in Rußland zu ernennen und Sie zu einer geheimen Correfpondenz mit mir zuzulaflen, Die ich niemals babe durch meine Miniſter der auswärti« gen Angelegenheiten geben laſſen wollen. Der Graf von Broglie, der Ihnen dieſes Schreiben überreichen wird, und der Herr Tercier haben die alleinige Leitung derfelben, und Sie werden dem, was fie Ihnen von meinetwegen fagen werden, Glauben beimefien. Sie werben denfelben die Inftructionen überfchidlen, die Sie vom Herzog von Choifeul bereitd erhalten haben, oder

1) Ludwig Auguft le Zonnelier, Baron von Breteuil, geb. zu Preully 1733, Dffizier, feit 1758 m Köln, dann Gefandter im St. Petersburg, Stockholm, dem Haag, Neapel, Wien, 1783 Minifter des Töniglichen Haufes bis 1787, 1789 cmigrirt, 1902 zurüdgefehrt, + 1807.

184 Die geheime Diplomatie Ludwig’d XV.

vor Ihrer Abreife noch erhalten werden, und Ste wer den denfelben alles mittheilen, was Sie von ihm muͤnd⸗ lich über die Ihnen obliegenden Aufträge erfahren wer den, damit fie, nach Vorwiſſen Diefer Umftände, bie be fonderen und geheimen Inftructionen über das entwer: fen, was fie von meinem Willen in Betreff der Ange legenheiten Rußlands und Polens wiſſen. Sobald id diefe Inftructionen geprüft babe, werden fie Ihnen die felben fo fchnell ald möglich zukommen laſſen. Bis da bin befehle ich Ihnen, Ihre Abreife unter leicht zu fin- denden Vorwänden fo lange zu verfchieben, bis Sie diefelben erhalten haben, und empfehle Ihnen, bei ſchwer⸗ fter Strafe, Geheimniß gegen Jedermann, außer dem Grafen von Broglie und dem Herrn Xercier, und rechne auf Ihre Treue und Folgſamkeit.

Ludwig.”

Am 10. März 1760 fchrieb der König an den Herrn D’Eon, Gelandtichaftsfecretair in Rußland:

„Herr d’Eon, befondere Gründe, im Verein mit dem Zufrauen, was ich in den Dienfteifer und die Gaben des Barond von Breteuil, meined bevollmächtigten Mi- nifterd bei der Kaiferin von Rußland ſetze, haben mi veranlaßt, ihn von den unmittelbaren Correfpondenzen willen zu laflen, Die ich zeither in Rußland gehabt habe, ohne daß fie meinem Minifter der auswärtigen Angee genheiten und meinem Botfchafter befannt geweſen wä—⸗ ren. Er iſt auch davon in Kenntniß gefeßt worden, daß "Sie, theild um mir die Correfpondenz zu erleichtern, theild um mir auf geradem Wege die befonderen Ange: ben zufommen zu laflen, von denen Sie meinen, daß fie mir vorzulegen feien, in dieſes Geheimniß eingeweiht find.

und der Ritter d’Eon. 185

„Ihre bei Erfüllung diefer Pflicht, ſoviel Ihre Stel: lung und die Entfernung der Drte zuließ, bewielene Pünktlichkeit bürgt mir dafür, daß Sie mir während des Aufenthalts des Barons von Breteuil an dem Hofe von Peteröburg neue Beweife Ihres Eifers geben wer: den. Ich babe ihn willen laſſen, es fei meine Abficht, daß Sie, in der Eigenfchaft eined Secretairs, bei ihm bleiben, um unter feinen Befehlen lediglich an .dieler geheimen Correipondenz zu arbeiten. Sie haben vom Ninifterium der auswärtigen Angelegenheiten 3000 Riored Beſoldung; ich werde Ihnen jährlih, von die fen Sahre an, 200 Ducaten zufommen laſſen, die ih zu Ihrer ordentlichen Befoldung zulege, um Ihnen zu beweilen, daß ich mit den Dienften, die Sie mir gelei- fit Haben und auf deren Fortſetzung ich rechne, zufrie- den bin.

„Ste werden dem Baron von Breteuil, mit möglich: ſter Genauigkeit und unter Vermeidung der Parteilich- fit ebenfo wie der Befangenheit, alle Notizen mitthei- in, die Sie über den Charakter der Kaiferin von Ruß⸗ land, ihrer Miniſter und der bei den Staatögefchäften Berwendeten erlangt haben. Sie werden Ihre Bemer- tungen über das feit Beginn des Krieges bis hierher äingefchlagene Verfahren, über das, was Sie glauben, daB es für den Erfolg der Abfichten der gemeinfamen Sache zu thun gewefen wäre, und über Die möglichen Urfachen feiner Verzögerung beifügen. Sie werden das Banze in ein Memoire zufammenfaflen, was Sie ihm übergeben und wovon Sie mir durch Die erfte fichere Gelegenheit eine chiffrirte Abfchrift einfchicken werden. Sie werden ihm endlich) alles zufommen laflen, wodon Sie glauben, daß es, fei ed in Betreff der Vergangen- beit, fei es in Betreff der Zukunft, zum Beſten meines

186 Die geheime Diplomatie Ludwig d XV.

Dienftes nüglich if. Sie werden indeß warten, bis er Ihnen feine geheimen Inftructionen mittbeilt, um davon Abfchrift zu nehmen und ihm in Folge davon zu fagen, wad Sie über die geeignetften Mittel, ihnen mit Erfolg nachzugehen, denken. Sie müllen Ihre Richtſchnur für Alles bilden, was Sie ſowohl über das zeither Gethane, ald über das Vorzunehmende jagen - werden.

„Diefed Zeichen des Zutrauend, dad ich dent Baron von Breteuil gebe, iſt ein. Beweis meiner Ueberzeugung, daß er meine Befehle mit ebenfo viel Eifer, ald Befa bigung ausführen wird. Trotz der Redlichkeit feiner Abfichten, woran ich keinesweges zweifle, Tann ed je doch vorfommen, dag er fich über die Wahl der Mitte, das Ziel meiner geheimen SInflructionen zu- erreichen, täufcht; wenn Sie es für dienlich erachten, werden Sie ihm mit Befcheidenheit Ihre Anfiht auseinander: feßen ꝛc. Senehmigt den 7. Marz 1760.”

Man fieht, wie großes Vertrauen der König und feine geheimen Rathgeber d'Eon fchenften; D’Eon, einem durch fein ganzes Leben, Weſen und Schiefal fo räth- felhaften Menfchen, daB man erft 1810 mit Beſtimmt⸗ heit erfuhr, ob er Mann oder Weib gewefen. -Er war am 9. Detober 1728 zu Zonnerre in Burgund geboren worden und hatte die Namen Charlotte ') Genoveve Zouife Augufte Andreas Zimotheus d'Eon de Beau mont erhalten. Sein Vater war ein Gerichtörath und erzog das in SKnabentracht aufwachfende Kind für das Studium der Rechte Er machte feine Studien

4 Es ift gewiß, daß in dem Kirchenbuche, was allerdings fehr incorrect gewefen fein fol, Charlotte und nicht Charles geftanden bat. Ob auch Louiſe und nit Louis, ift mir nit gewiß, unt Augufte ift im Sranzöflihen doppeldeutig.

mbd ber Blitter d'Eon. 187

m Collegium Mazarin zu Paris, ward nach und nad) doctor beider Rechte und Parlamentsadvocat und machte ih Durch einige politifche Schriften dem Prinzen von Sonti befannt, der ihn dem Könige zu dem Zwecke em- fahl, den Bitter Douglas ald Secretair zu begleiten, inen ſchottiſchen Flüchtling, den man 1757 zur Ver nittelung einer Annäherung an Rußland nah St. Pe ersburg ſchickte. Es gelang, fich zunachft mit dem Bieefanzler Grafen Woronzow zu verftändigen, worauf ine vertrauliche Correfpondenz zwifchen dem König Lud⸗ Big XV. und der Kaiferin Elifabeth angelnüpft wurde, ren Wermiftler der Graf Woronzow und D’Eon war m. Als die Kaiferin am 5. November 1757 der öfter eichiſch⸗ franzöſiſch⸗ſchwediſchen Allianz beigetreten war, iberbrachte d'Eon diefe Nachricht nach Verſailles und rhielt zum Lohne eine reiche Zabatiere, in welcher eine Inweifung auf den Schab lag, und ein Brevet ale ragonerlieutenant. Er kehrte darauf nach St. Peterd- arg zurüd, wo inzwifchen der Marquis d’Hopital, haul Galluccio, vorher Gefandter in Neapel, ald fran- bfiſcher Botichafter aufgetreten war. Hier arbeiteten Beide mit Erfolg an dem Sturze Beſtuchew's, in deſſen Japieren man auch ein Memoire feines Secretaird über ie Perfonen, deren man fich als verdächtig entledigen üfle, gefunden haben fol, worunter auch der Ritter Youglad und d'Eon als ſolche bezeichnet worden wä⸗ m. 1758 kehrte er nach Frankreich zurüd und machte en Feldzug von 1761 ald Dragonercapitain und Ad» atant des Marfchalls Broglie mit. Im Gefechte von Utrop wurde er im Kopf und Schenkel verwundet. Bei Merwid griff er ein preußifches Bataillon fo kräftig n, daß es die Waffen ftredkte.

Nach dem Frieden begleitete er den Herzog von Ni:

188 Die geheime Diplomatie Lubdwig's XV.

vernais ') ald Gefandtfchaftsfecretair nach London, ſetzte auch von hier feine geheime Correfpondenz mit dem Bi: niglihen Privatconfeil fort und war die Seele der Ge fandtfchaft, deren nominelles Haupt ihn mit einer, nad Walpole's Urtheil, übertriebenen, and Xächerliche fire: fenden Freundlichkeit und Vertraulichkeit behandelte, ihm auch, bei der baldigen MWiederabreife ded Gefandten, auswirkte, dag er einftweilen als Reſident die Gchchäfte fortführte, ja da fich die Ankunft des neuen Gefandten verzögerte, zum bevollmächtigten Minifter ernannt wurde. Vorher noch überbrachte er den Friedensvertrag nad Frankreich zur Ratification, bei welcher Gelegenheit er das Ludwigskreuz erhielt. Dieſes Glück foll den jungen Mann fchwindelnd gemacht haben, fodaß er, deſſen Ta⸗ lente, Verdienft und Literarifche Bildung ſelbſt Walpole anerkennt, in Sprache und Lebensweiſe die zeither beob: achtete Mäßigung und Anfpruchslofigfeit überfchritt. Nun traten obendrein Rüdfchläge ein. Der GSefandte, Graf von Guerchy), kam endlich an. Walpole bezeich⸗ net ihn ald einen liebenswürdigen Soldaten, der gerade feine vorragenden Gaben, aber doch ziemliche Weltkennt⸗ niß, raftlofen Dienfteifer, viel Befonnenheit, ungezwun⸗ gene, anfpruchslofe, gefällige und verträgliche Manieren . bejeffen, und zwar unter der Herrfchaft feiner Frau ge

1) Ludwig Julius Barbon Mancini Mazarini, Herzog von Ri⸗ vernais, geb. zu Paris 16. Dec. 1716, Sohn des Philipp Aulins Franz Mancini und der Maria Anna Spinola, durch feine erfte Gemahlin Schwager des Grafen Maurepas, anfangs Militair, 1148 GSefandter in Rom, 1756 in Berlin, 1762 in London, Schriftftelle, in der Revolution verhaftet, + 25. Zebr. 1798.

2) Claudius Franz Ludwig Negnier Graf von Guerdy, aus einer alten burgundiſchen Zamilie, geb. 1715, unfangs Millteir, fämpft ruhmvoll bei Fontenoy und im fiebenjährigen Kriege, 1763 Suhakter in London, nimmt 1767 feinen Abſchied und + felben

abre.

| und der Bitter d’Eon. 189

fanden, an ihr aber eine, allerdings häßliche und Enide- tige, aber im Uebrigen fehr verftändige und treue Gat- tin befeflem babe. Er war durchaus nicht geneigt, dem d'Eon den Einfluß zu geftatten, welchen diefer auf fei- nen Vorgänger geübt, und hatte: gleich bei feiner An⸗ tunft Gelegenheit, Ienem feine Abhängigkeit recht em⸗ pfindfich fühlen zu laſſen. D’Eon hatte feine Befoldung nicht richtig und rechtzeitig erhalten, während für feine Vorgeſetzten bereitd Gelder angefommen waren. Er batte fich Diefer bedient, um den gefandtichaftlichen Auf- wand zu beftreiten, den er für nöthig hielt, und befam darüber einen kränkenden Verweis von Herrn de Guerchy. Diefer Trittelte dabei felbft um Kleinigkeiten, 3. B. daß zuviel auf Zeitungen gewendet worden, welcher Aufwand eine Guinee monatlich betrug! Allerdingd aber hatte d'Eon von jenen Geldern in 3 Monaten faft 50,000 Francs verbraudt. Er felbft wähnte aber, feine Stel- lung als bevollmächtigter Minifler dauere fort, auch nach⸗ dem der Gefandte angefommen, und wollte nicht in die Stellung eines bloßen Geſandtſchaftsſecretairs zurückkeh⸗ ren. Alle diefe Umftände feheinen den ehrgeisigen Mann in eine wahre Geiftesflörung verfeßt zu haben. Es kam um dieſe Zeit ein Abenteurer, Namens Treyſſac de Vergy, nah London und d’Eon bildete fih ein, derſelbe fei bingeichict, ihn zu ermorden. Bei einem Mittagsmahle bei Lord Halifar verftand er eine Aeußerung deflelben, aus unvolllommener Bekanntichaft mit der engfifchen Sprache, falſch, glaubte, Lord SHalifar habe gedroht, den Frieden, deflen Weberbringer D’Eon geweien, wieder brechen zu wollen, und fuhr darauf jo wüthend auf den Sefandten los, daß man einen Friedensrichter holen und D’Eon -verhaften laflen mußte, während ihn auch Treyſſac de Vergy wegen Friedensbruched anflagte. Der

190 Die geheime Diplomatie Lubwig's KV.

franzöfifche Hof rief d'Eon zurüd'); er weigerte fid aber, zurücdzufehren, worauf der englifchen Regierung erflärt ward, daß er fih nicht mehr in amtlicher Eigen [haft in London befinde. Nun ward ihm der Hof ven boten. Außer fich gebracht und von Eitelkeit und Rad. fucht getrieben, ließ er einen flarfen Quartband unte dem Zitel: «Lettres, Memoires et Negotiations par- ticulieres du Chevalier d’Eon», die Geſchichte feine amtlichen Wirkſamkeit und feiner Streitigkeiten mit dem Srafen Guerchy, feine Schreiben an den Minifter de auswärtigen Angelegenheiten, Herzog von Prastin’), die freundfchaftlichen Briefe des Herzogs von Niver nais an ihn felbft, ferner höchft indiscreter Weile bie Briefe feines Freundes St. Foix, eined Beamten in de Kanzlei des franzöfifchen Miniſteriums der auswärtigen Angelegenheiten, Briefe, welche manchen freimütbigen Tadel der Vorgeſetzten enthielten ’), endlich Die vertrau⸗ ten Briefe zwifchen den Herzögen von Rivernals und Praslin druden, worin von D’Eon mit Wohlwollen und Lob, von Guerchy mit mitleidiger Geringſchätzung ge

1) Man fieht aus diefem ganzen Berlauf, daß Herr Kurd vor Schlozer irrt, wenn cr (Ghoifeul und feine Zeit, Berlin, 1848) S. 123 fagt: „So ſah man lange Zeit auf dem Gefandtfchafte- poften zu London neben dem Grafen Guerchy den vielfach bes rüdtigten Ritter Zouife von Eon fungiren, melde bier ihre zwelden⸗ tige Stellung wie ihr Geflecht mit gleihem Geſchick zu verheimli⸗ chen verſtand.“

3) Gaͤſar Gabriel Choiſeul, Herzog von Praslin, geb. zu Paris 15. Augnft 1712, folgt feinem berühmten Better 1758 auf dem Ges fandtfchaftspoften zu Wien, wird 1760 Staatsminifter der auswaͤr⸗ tigen Angelegenheiten und Graf Choifeul, dann Herzog von Prass In, dann Marineminifter, als welder er fi große Bervienfte um bie „gr nzenfäe Seemacht erwarb, ging 1770 ab und + 15. Dt.

3) Es war ein edler Zug von Praölin, daß er dem St. Foü nie eine Empfindlichkeit merken ließ, ihn vielmehr beförverte.

und ber Ritter d’Eon. 191

fprochen und doch Dabei zugeflanden wurde, daß ber „rme“ Guerchy immer noch der gefchictefte Mann fei, über den man verfügen Fünne Das Buch machte un: geheures Aufſehen und weder die Verfuche, es zu un: terbrüden, noch eine Gegenfchrift: «Examen des let- tres etc. du Chevalier d’Eon, dans une Lettre à M. N.» halfen. Die Gollegen Guerchy's in London nahmen fich feiner an und verlangten Genugthuung, worauf auch Der Generalfiscal Befehl erhielt, eine Klage wegen Libells zu erheben ). In Frankreich dachte man deran, ihn von London entführen und in die Baftille feßen zu lafien. Aber Ludwig XV. fol ihn fofort felbft von Der ihn bedsohenden Gefahr haben benachrichtigen und zur Vorſicht auffordern laflen. Als d'Eon nun vollends, in feiner Verzweiflung, mit einer Veröffeut- lichung feiner ganzen geheimen Correfpondenz mit dem König drohte, bewilligte Ludwig XV. ihm eine Penfton von 12,000 Livres und in der ganz von der eignen Hand des Königs gefchriebenen Urkunde darüber hieß es: „Auf Anlaß der Dienfte, welche der Sieur d'Eon mir fowol in Rußland als in unferen Armeen geleiftet bat, und der andern Aufträge, die ich ihm ertheilt habe, wii ich ihm eine jährliche Unterhaftsfumme von 12,000 Avres zufichern, die ich ihm pünktlich alle 6 Monate, in welchem Lande es immer fei (nur nicht in Kriegszei⸗ ten bei meinen Feinden), auszahlen laſſen werde, und dies, bis ich für gut finden werde, ihm irgend einen Poſten zu geben, deflen Einkünfte beträchtlicher wären,

1) Der Proceß ward am 10. Zuli verhandelt. D’Eon hatte um längere Zrift zur Herbeifgaffung von Bengen gebeten. Als ihm dies verweigert wurde, verzichtete er auf cine Bertheibigimg und ward abweſend verurtbeilt. Es ift aber dem Urtheil Beine Folge gegeben worden.

192 Die geheime Diplomatie Labwig's XV.

ald jene Unterhaltsfumme. Zu Verſailles, den 1. April 1766. Ludwig.”

Zu Anfang der fiebziger Jahre verbreitete fich nad) und nad) dad Gerücht, daß d’Eon ein Weib fe. Es fand nur fehr allmälig, im Laufe mehrerer Jahre, dann aber um fo feiteren Glauben. Unrichtig ift es, daB ein Befehl des franzöfiihen Hofes, er ſolle die weibliche Kleidung annehmen, dieſes Gerücht begründet hätte; vielmehr ift jener Befehl erft durch das fchon beftehende Gerücht veranlaßt worden und dad letztere bat Jahre lang beftanden, bevor D’Eon Weibertracht anlegte. Mög lich daß die Zaufnamen d’Eon’d, möglich DaB ein zu fälliges Urtheil über feinen, manche Züge des weibl: chen enthaltenden Charakter den erften Anlaß gab, daß es ſich erhielt, weil Geſicht, Figur und Lebensweiſe nicht zu entichieden widerfprachen, und daß die vielen Feinde, Die fih d'Eon gemacht Hatte, daſſelbe unter ſtützten. Dunkel bleibt es immer, was den franzöfiichen Hof zuerft vermochte, d'Eon die weibliche Tracht zu Vorfchrift zu machen, und ebenfo, was d'Eon beftimmte, fih dieſer Vorfchrift zu unterwerfen. Kann man auf annehmen, daß Ludwig XV. in diefer Moftification das befte Mittel erkannt habe, etwanige Indiscrefionen d'Eon's zu entkräften, dag d’Eon felbft in feiner weib⸗ lichen Rolle einen Schuß gegen manche Zeindfchaft, ei⸗ nen Freibrief zu mancher Freiheit fuchte, jo kann man doch faum umhin, zu vermuthen, ed müfle noch irgend eine ganz fpeciele Urfache beftanden haben, die eb nöthig machte, D’Eon dem weiblichen Gefchlechte zuzu- theilen und damit irgend einen Verdacht zu verhüten, Der nur bei diefer Vorausſetzung nicht aufkommen Eonnte. Unbedingten Glauben fand die Sache zwar nicht, aber Die Anzahl Derer, welche d'Eon für ein Weib hielten,

und der Ritter d’Eon. 193

war Die entfchteden überwiegende und in feinen letzten Jahren werden nur fehr Wenige an feiner Weiblichkeit gezweifelt haben. In der erften Zeit hatten viele Wet: ten über die Streitfrage flaftgefunden, wobei e8 bemer- kenswerth ift, daß meiſtens Franzoſen für das weibliche Geſchlecht dD’Eon’s, Engländer für Das männliche wette⸗ ten. Aus diefen Wetten entflanden mehrfache Proceſſe. Zur gerichtlichen Enticheidung Fam im Jahre 1777 die von dem Wundarzt Hayes gegen den Bäder Jaques ehobene Klage. Jaques hatte 15 Guineen erhalten, unter der Bedingung, 100 zurüdzugeben, wenn das weibliche Geſchlecht D’Eon’8 bewiefen werde Die Ge— Ihworenen fanden die Beweife, daß d’Eon ein Weib fi, fo flark, Daß fie zu Gunften des Hayes entfchieden. Die übrigen Proceffe wurden dur die Erflärung des Gerichtshofes befeitigt, daß folche Welten ungeſetzlich fein, und es hieß damals, daß durch diefe Enticheidung dem Lande nicht weniger als 75,000 Pfund erhalten worden feien, welche außerdem nach Paris gegangen wären. D’Eon erffärte, daß er an den über fein Ge⸗ flecht erhobenen Streitigkeiten durchaus einen Antheil babe, verließ aber England und ging nach Frankreich, wohin ihn der Graf von Vergennes.') eingeladen hatte.

1) Charles Gravier Graf von Bergennes, geb. zu Dijon 28. Der. 1719, erft bei der Gefandtfhaft in Liffabon, dann (1750) Geſand⸗ ter in Trier; ſpäter in Konftantinopel, 1768 verabfhiedet, 1771 Geſandter in Stodholm, 1774 Minifter der auswärtigen Angelegen- keiten, + 13. Gebr. 1787. Seine Entlaffung 1768 war eine Ueber⸗ dlung Choifeul’d. Der Gourier, der ihn abrief, weil er Feine Kriegs⸗ erklaͤrung der Pforte gegen Rußland zu Stande gebracht, Freuzte fi mit dem, worin er das Gelingen diefes Planes meldete. Ghoifen! ſtellte fi aber nun, als habe er ihn abberufen, weil er in Konftan- tinopel die Witwe eines Ghirurgen geheirathet. Vergennes war ein befonnener, maßvoller, rechtſchaffener Mann, der ed wohl verdiente, daß ed ihm erfpart ward, die Revolution zu erleben. Es ift

I

9

194 Die geheime Diplomatie Ludwig's XV.

Er erfchien in Manneötracht, ward günflig aufgenom: men, erhielt aber von Ludwig XVI. den Befehl, die weibliche Kleidung wieder anzulegen; ein Befehl, den Ludwig XVI., bei feinen ftrengen Begriffen von Sitt lichkeit und Anftand, fchwerlich ertheilt haben würde, wenn er d’Eon nicht wirklich für ein Weib gehalten hätte. Anfangs weigerte er fich, fügte ſich aber nad einiger Zeit und erfchien, ald Ritterin D’Eon, in wei licher Tracht, mit dem Ludwigskreuze. Das Verhält⸗ niß fette ihn aber, befonderd da ein Zweifel über bie Wahrheit defielben Doch noch fortgewirkt zu haben fcheint, Nedereien und Herausforderungen aus, denen die Re gierung ihn anfangs dadurch zu entziehen fuchte, daß fie ihn eine Zeit lang nad) Dijon auf die Eitadelle ſetzte. Doc zog er ed 1783 vor, wieder nach England zu gehen, und fcheint von hier mit dem Baron von Bre teuil, welcher damals Minifter des FTüniglichen Han fed wurde, correfpondirt zu haben. Nach Ausbruch der Revolution richtete er 1791 eine Petition an die Natie nalverfammlung, worin er feinen Rang in der Arme wieder einzunehmen verlangte, indem er erflärte: fein Herz empöre fich gegen feine Haube und feine Weiber: röde. Seine Dienfte wurden aber nicht angenommen; er blieb in England, verlor ald Emigrant feine Par fion und mußte aus Noth feine Bibliothek und Koſt⸗ barfeiten verkaufen. Ja, er fam dahin, dag er die ihm aufgeswungene Sonderbarkeit als Erwerbsmittel be nugen mußte, indem er 1795 in weiblicher Tracht ale

übrigens behauptet worden, daß fein Tod kein natürlicher gemefen ſei. Er war der einzige Minifter, der den König zum Handeln bringen Fonnte, und nah feinem Tode kam alles wicher in Stocken. Pr wg Man nur, daß er an einem zurüdgetretenen Podagte geftorben ift.

und der Bitter d'Eon. 195

Zechtmeifter auftrat und Fechtftunden gab. So mag ihn zulegt feine Dürftigkeit felbft, auch nachdem wahr: ſcheinlich die ihn früher bindenden Rüdfichten geſchwun⸗ den waren, abgehalten haben, den Schleier zu lüften. Als nun Alter und Krankfichfeit über ihn Famen, ward ee nur noch Durch Die Unterflügung einiger Freunde fümmerlich erhalten. Aber noch 1809 glaubte felbft der in Die Seheimnifje der franzöftfchen Diplomatie tief ein- geweihte de Flaſſan, dag dD’Eon ein Weib fei. Am 21. Mai 1810 ftarb er. Aus der Zodtenfchau, welche Th. Gopeland, in Gegenwart der Herren Adair, Wilfon und des Bere Elifee, erften Chirurgen Ludwig's XVII, vor: nahm '), ergab fih, daß d'Eon vollftändig ein Mann gewefen. In dem von ihm, allerdings fchon 1775, wo er noch alle Rüdfichten zu nehmen hatte, und zu Paris in 13 Bänden herausgegebenen, meift Politi⸗ ſches und Gefchichtliches enthaltenden «Loisirs du Chevalier d’Eon» findet fich nicht die mindefle Hin: deutung auf den Grund feiner Doppelrolle. Die unter feinem Namen erjchienenen Memoiren find unecht?).

1) ©. das Gentiemen’s Magazine, Bd. 80 &. 588. Vergl. de an’; Histoire de la diplomatie frangaise, Th. V, Walpole und andere Memoiren. V lieber die geheime Diplomatie, welche zur Beit bed franzöft- Kaiſerthums, zumeilen doppelt und dreifach beftand, aber eigent⸗ einen ganz andern Zweck und Charakter hatte, vielleicht Fünftig al.

VI. Der Obriſt Agdolo.

Um 16. September 1776 wurde zu Dresden der dort lebende Dbrift Agdolo, unter fehr myſteriöſen und Auf ſehen erregenden Umſtänden, verhaftet, folgenden Tage auf den Königftein gebracht und dort, nach einem kur⸗ zen Zwifchenaufenthalte in Pirna, bis an fein Ende, is den erften Jahren unter großen Vorſichtsmaßregeln, ver wahre. In der ganzen Sache war lediglich nach den perfünlihen Befehlen des Kurfürften Friedrich Augufl, in deflen erfte Regierungsiahre diefe Vorgänge fallen '), gehandelt worden, und er fol fid, über die legten Gründe feines Verfahrens felbft gegen feine vertrauteften Mint fter nicht ausgefprochen haben. Es geht eine Sage, über deren Grund oder Ungrund wir nichts haben er fahren Fönnen, daß die _auf diefe Angelegenheit bezüg: lihen Schriften in einem Wandſchrank in des Kurfür- ften, nachherigen Königs eigenem Zimmer verwahrt ge weien, nad) feinem Zode aber vernichtet worden feien. Dieſer ganze Vorgang hat feiner Zeit viel Gerede ver

urfacht, und es hat fich eine Sage über feinen Zuſam⸗

1) Derfelbe war am 23. December 1750 geboren, folgte feinem Bater am 17. December 1763, übernahm die bis dahin von feinem Dheim, dem Prinzen Xaver, geführte Regierung am 15. September 1768 felbft, und ftarb als erfter König von Sachſen am 5. Mat 1877.

Der Obrift Agdolo. 197

ienhang gebildet, welche bald nach jener Zeit von Mi- ıbeau ') veröffentlicht worden und theilweife felbft in iefchichtöwerke übergegangen ift. Man glaubte, Agdolo ibe der Kurfürflin Witwe bei einer Intrigue zum Werk: ug gedient, deren lebted Ziel fogar die Entthronung 3 Kurfürften geweien fe. Diefed Gerücht ift weiter: n mit mandhen, rein aus der Luft gegriffenen Zuthe- n ausgefhmüdt worden, wie z. B. daß die Kurfürftin h Durch Agdolo an die Reichsbehörden gewendet, oder 8 fie den Papſt ins Verfländnig gezogen habe, daß pfomatifche Agenten Friedrich's II. die Intrigue zu tegensburg, oder zu Rom entdedt hätten und diefer önig Den Kurfürften durch einen Courier davon habe enachrichtigen laſſen, worauf fofort die Verhaftung [gdolo’8 verfügt worden feiu.f.w. So unmwahrfchein- ih das ganze Gerücht bei einiger Fälteren Betrachtung nb genaueren Erwägung aller vorhergehenden und nach⸗ olgenden Umſtände erfcheinen mußte, fo war ed doch n feiner Entftehung fo unnatürlich nicht, da es dem hublikum nicht wohl entgehen fonnte, DaB die Angele- ſenheit Agdolo's mit der Kurfürftin Mutter zufammen- ing, und daß zwilchen ihr und dem Kurfürften eine Risftimmung beftand. Die nachfolgenden, nach Mit: heilungen aus fehr unterrichteter Duelle gefloffenen An- jaben, wenn fie auch den letzten Grund des fpeciell ge- zen Agdolo beobachteten Verfahrend nicht vollftändig wifbecken, werden wenigftend zeigen, daß die Sache und 398 Zerwürfniß zwiſchen der verwitweten Kurfürftin und hrem Sohne weniger in Gründen der höheren Politik wurzelte, als die Sage annimmt, und daß die letztere,

1) De la monarchie prussienne (T.ondres, 1788). I, 128.

198 Der Obrift Agdolo.

wie in vielen Nebenumftänden, fo auch in dem Haupt: punfte gänzlich geirrt hat.

Agdolo nannte ſich Aloyſius Pierre Marchefe D’Ag: dolo '), war der Sohn eines Furfächfifchen Refidenten bei der Republif Venedig, welcher dort Handeldgefchäfte trieb, und gab vor, aus einer perfiihen Familie abzu flammen. Während des fiebenjährigen Krieges trat er in ein Uhlanenregiment ein, welched der damalige Obriſt von Schiebell befehfigte; derſelbe, der ſpäter, als Gene ral, den Auftrag erhielt, Agdolo zu verhaften. Agdolo ward im Kriege verwundet und bielt fi, feiner Her ftelung wegen, einige Zeit in Dresden auf. Damals erfchien eine anonyme Schmähfchrift gegen die vornehm ſten Damen des Hofes und der Stadt. Es mag den Credit, in den fi) Agdolo geſetzt hatte, bezeichnen, daß er in den Verdacht fiel, der Verfafler derfelben zu fein. In jener Schrift war die Gräfin Luiſe Amalie Rutowska ganz befonderd arg mitgenommen worden. (Sie. war am 3. März 1722 geboren, eine Zochter des Fürſten Jakob Alerander Rubomirsfi?), war am 4. Sunt 1739 mit Graf Friedrich Auguft Rutowskiꝰ) vermählt worden, wurde am 16. März 1764 Witwe und flarb am 27. Juli

1) Man findet ihn auch Agdalo, Agdallo und Agdollo gefchrieben. Im kurſächſiſchen Staatöfalender von 1780 findet fih auch ein Zitu larhofrath Gregor Agdolo.

D Ihre Mutter Zriederife Charlotte (+ 4. Zebr. 1755) war ein geborene Gräfin Bistyum und Tochter des Gabinetöminifters und Dberfammerheren Grafen Friedrich Vitzthum von Eckſtädt, deſſen wir fpäter nod bei der Gräfin Gofel gedenken.

3) Er war am 19. Iuni 1702 geboren, ein natürlider Sohn Auguſt's des Starfen von der Türkin Zatime, fpäteren Frau von Spiegel. Er ftarb als Generalfeldmarfhal,. Sein einziger Sohn, Auguft Zofeph (geb. 3. Aug. 1741), war fhon vor ibm (17. Jan. 1755) als 13 Jahre alter Major und Schüler des Garolinums in Braunſchweig geftorben.

Der Obriſt Ugdole. 149

1778.) Sie war von Agdolo's Autorſchaft fo feit über: zeugt, DaB fie geäußert haben fol: wenn Agdolo bei ihr erfcheine, werde fie ihn durch ihre Leute Die Treppe hinunterwerfen laſſen. Als ihm dies binterbracht wurde, fagte er: das ſoll ihr theuer zu ftehen fommen. Es kam ihr auch in der That theuer zu ſtehen; denn nach dem Tode ihred Gemahls gab fie Agdolo ihre Hand, wenn auch nur in heimlicher Verbindung. Eine öffent: liche Erklärung der Wiedervermählung unterblicb wahr- ſcheinlich, weil fie ihrem Rang bei Hofe nicht aufgeben wollte. Die Trauung felbft aber fand unter dem Schuge der Kurfürftin Witwe und in deren Kapelle ftatt. Vorher aber und nachdem Agdolo von feiner Wunde genefen war, begab er fich zu der frangöfiichen Armee und Fam in die Umgebung des Prinzen Xaver). Er fand bald Mittel, fi dem Prinzen angenehm zu ma- hen, und als Derfelbe, nach dem Tode feines Bruders, des Kurfürften Friedrich Chriftien, Adminiſtrator des Landes während der Minderjährigkeit feines Neffen wurde, erhielt Agdolo eine Offiziersftelle mit Majordrang bei dem Schweizerregimente. Später (1768) gelang es ihm, um Obrifllieutenant und Generaladjutanten des Prin⸗ zen ernannt zu werden. Doch fland er an Einfluß dem andern Generaladjutanten, von Senffert, bei weitem

1) Kaver Auguft, Sohn des Königs Auguft III., geb. 2%. Aus. 1730, von 1763 1768 Adminiftrator von Kurſachſen, gina 1769, unter dem Namen eines Grafen ven der Laufig, nah Frankreich, wo er Inhaber eines Hufarenregimentes war, kehrte bei Ausbruch ter franzöfifhen Revolution nah Sachſen zurüd und + 21. Juni 1306. Gr hatte fih am 22. März 1767 in morganatifher Ehe mit der Gräfin Clara Maria Roſa Spinucci (geb. 29. Aug. 1741 + 22. Rov. 1792) vermäält. Daraus ftammten die Herzogin von be clignae, die Herzogin von Riario, die Prinzeffin Altieri, der Che⸗ er Joſeph de Saxe, die Marquiſe Patrizi und dic Maranife

aſſimi.

200 Der Obrift Agdolo.

nach, ward aber zu geheimen Sendungen ind Yusland verwendet, über deren Zweck nichts befannt worden. (Vielleicht fanden fie einige Iahre früher flatt und hin- gen mit den leifen Wünfchen des Prinzen nach der pol nifchen Krone zufammen.) Als die Adminiftration be endigt war und der Prinz fich nad) Frankreich wendete, blieb Agdolo in Dresden und lebte von einer jährlichen Denfion von 600 Zhlen., wozu ihm auch wol feine Frau, mit der er übrigens nicht zufammenlebte, einen Zufchuß gegeben haben mag. Er hielt ſich fortwährend in den böchften Kreifen und ließ Feine Gelegenheit vor: übergeben, mo er Verbindungen anknüpfen fonnte, welde feinem Ehrgeize eine Ausſicht verfprachen. So ftand er namentlich in fehr vertrautem Verhältniß mit dem Haufe des intelligenten und aufftrebenden Zriedrih Wilhelm Gerber '), was diefem begabten Beamten, ungeachtet der- felbe viel zu gediegen und vorfichfig war, um fich ernft- lich mit einem leeren Intriguanten von Agdolo's Schlage einzulaffen, ſpäter Doch für einige Zeit ein Mistrauen des Kurfürften zuzog. In dem Rufe galanter Verbin dungen ſtand Agdolo beftändig und u. U. hatte er gleid) zeitig, neben feiner bochgeftellten Gemahlin, ein offen Fundiged Verhaltniß mit der älteften Tochter eines vor: nehmen Hofbeamten und nebenbei eine Dpernfängerin zur Geliebten. Die Sorge für ein Kind der Leßteren verftand er aber geſchickt von fich abzulehnen, indem er feinen Schwiegervater, den 70jährigen Fürften Zube:

1) Im Jahre ITTL war diefer Geheimer Kammers, auch Kam mers und Bergratb, wurde 1777 in den Adels und 1789 in den Zreiberrnftand erhoben und + 1801 als Geheimrath und Director eines Departements im Geheimen Zinanzcollegium. Die Yamilie Zerber, in verfchiedenen Linien und Generationen, ift von jener Zeit an bid etwa 1815 für Sadfen eine wichtige geweſen.

Der Obriſt Agdolo. 201

mirski), zu bereden wußte, es für das ſeinige zu halten. Agdolo beſaß natürlichen Verſtand und raſche Auffaf- ſungsgabe, vereinigte aber auch mit der höchſten Mei- ſterſchaft in jener Tächelnden Medifance, die die Peft der vornehmen Welt feiner Zeit war, das dreifte und rüd: fihtölofe Abfprechen über Alles, was eigentlich zu den Vorſchritten und Errungenfchaften einer viel fpäteren deit gehört.

Während des Faſchings 1776 hatte fi) das Gerücht verbreitet, ald flanden Agdolo, Zerber und der Kammer: herr und Neferendar von Burgsdorf?) an der Spiße ner Cabale, welche den Sturz der Cabinetsminifter Freiherr von Ende und Graf Saden bezweden follte. Agdolo, von diefem Gerede in Kenntniß gelegt und da⸗ durch wahricheinlih um fo mehr beunruhigt, als ihm gerade in jener Zeit, wegen der Angelegenheiten der Königin Mutter, an der Geneigtheit jener Minifter ges legen fein mochte, fuchte den Urheber des Gerüchts zu entdecken, und vermuthete ihn in dem Grafen Bolza ’).

1) Zürft Zatob Alexander, General der Infanteric, Comman⸗ dant der Leibgarde, Schwiegervater des franzoͤſiſchen Gefandten in Warſchau und SKonftantinopel Grafen des Alleurs, des kurſächfiſchen Gabinetminifters Grafen Flemming und des Grafen Rutowski, war am 11. Mai 1695 geboren und + am 16. Nov. 1772.

3) Der talentvolle Zriedrih Adolph von Burgsdorf, fpäterhin Kanzler, ftarb 1. März 1790. Nicht zu verwechfeln mit dem wärs digen Lehrer des Kurfürften, Ghriſtoph Gottlob von Burgddorf, da« mals Dberauffeher der Grafſchaft Mannöfeld, 1788 Präfident des Oberconfiftoriums, 1793 Gonferenzminifter.

3) Joſeph Graf von Bolza, deffen Bater gleihes Namend aus dem Mailändiſchen ftammte und der jüdiſchen Urſprungs geweſen fein ſoll, war am 31. Juli 1719 geboren und erheirathete am 7. Ian. 1759 mit Johanna Nepomucena Philippina Gräfin von Martinig die Herrſchaften Kosmanos, Arnau und Reuſchloß. Ohne eigentlid ein beftimmtes Staatsamt zu bekleiden er war zwar „wirklicher“ Geheimrath, aber ohne Sig und Stimme ſpielte er doch während dreier Megierungen eine wichtige Role in den u Finanz⸗ und

q* *

200 Der Obriſt Agdolo.

nach, ward aber zu geheimen Sendungen ins Ausland verwendet, über deren Zweck nichts bekannt worden. (Vielleicht fanden fie einige Jahre früher ſtatt und hin gen mit den leifen Wünfchen des Prinzen nach der pob : nifchen Krone zufammen.) Als die Adminiftration be endigt war und der Prinz fich nad) Frankreich wendete, blieb Agdolo in Dresden und lebte von «iner jährlihen | Denfion von 600 Zhlen., wozu ihm auch wol jene | Frau, mit der er übrigens nicht zufammenlebte, einen Zufhuß gegeben haben mag. Er hielt fich fortwährend in den höchſten Kreifen und ließ Feine Gelegenheit vor übergehen, wo er Verbindungen anknüpfen fonnte, welche feinem Ehrgeize eine Ausficht verſprachen. So ſtand er namentlich in fehr vertrauten Verhältniß mit dem Haufe des intelligenten und aufftrebenden Zriedrih Wilhelm Gerber’), was diefem begabten Beamten, ungeachtet der felbe viel zu gediegen und vorfichfig war, um fich ernſt⸗ lich mit einem leeren Intriguanten von Agdolo’d Schlag einzulaffen, fpater Doch für einige Zeit ein Mistrauen ded Kurfürften zuzog. In dem Rufe galanter Verbin dungen fand Agdolo beftändig und u. U. hatte er gleich⸗ zeitig, neben feiner hochgeftellten Gemahlin, ein offer kundiges Verhältniß mit der älteflen Tochter eines vor nehmen Hofbeamten und nebenbei eine Dpernfängerin zur Geliebten. Die Sorge für ein Kind der Letzteren verſtand er aber geſchickt von fich abzulehnen, indem er feinen Schwiegervater, den 7Ojährigen Fürften Lubo⸗

1) Im Zahre 1771 war dieſer Geheimer Kammers, auch Kam mers und Bergrath, wurde 1777 in den Adels⸗ und 1789 in den Zreiherrnftand erhoben und + 1801 als Gebeimrath und Director eines Departemenss im Geheimen Zinanzcollegium. Die Familie Zerber, in verſchiedenen Linien und Generationen, ift von jemt Zeit an bis ctwa 1815 für Sachſen eine wichtige gemefen.

Der Obrift Agdolo. . 91

miröfi '), zu bereben wußte, es für das feinige zu halten. Agdolo beſaß natürlichen Verftand und rafche Auffaf- fungegabe, vereinigte aber auch mit der höchften Mei: ſterſchaft in jener lächelnden Medifance, die die Peft der vornehmen Welt feiner Zeit war, das dreifte und rück⸗ ſichtsloſe Abfprechen über Alles, was eigentlich zu den Borfchritten und Errungenfchaften einer viel fpäteren Zeit gehört.

Während des Faſchings 1776 Hatte ſich das Gerücht verbreitet, als fländen Agdolo, Ferber und der Kammer: jerr und Heferendar von Burgsdorf?) an der Spiße einer Gabale, welche den Sturz der Cabinetsminifter Steiherr von Ende und Graf Saden bezweden follte. Agdolo, von diefem Gerede in Kenntniß geſetzt und da⸗ durch wahricheinlih um fo mehr beunruhigt, als ihm gerade in jener Zeit, wegen der Angelegenheiten Der Königin Mutter, an der Geneigtheit jener Minifter ge- legen fein mochte, fuchte den Urheber des Gerüchts zu entdecken, und vermuthete ihn in dem Grafen Bolza °’).

1) Zürft Jakob Alexander, General der Infanterie, Gomman- dant der Leibgarde, Schwiegervater des franzöfifhen Geſandten in Berihau und Konftantinopel Grafen des Alleurs, des Purfähfifhen Sabtnetöminiftere Grafen Flemming und des Grafen Rutowski, war m 11. Mai 1695 geboren und + am 16. Nov. 1772.

3) Der talentvolle Zriedrih Adolph von Burgsdorf, fpäterhin Kanzler, ftarb 1. März 1790. Nicht zu verwechfeln mit dem wir: digen Lehrer des Kurfürften, Ghrijtoph Gottlob von Vurgsdorf, da« mals DOberauffeber der Grafihaft Mannsfeld, 1788 Präfident des Pberconfiſtoriums, 1793 Gonferenzminifter.

3) Joſeph Graf von Bolza, deffen Bater gleihes Namens aus dem Mailändifchen ftammte und der jüdifhen Urfprungs gewefen fein ſol, war am 31. Juli 1719 geboren und erheirathete am 7. Jan. 1759 mit Johanna Nepomucena Philippina Gräfin von Martinig die Herrfhaften Kosmanos, Arnau und Reuſchloß. Ohne eigentlich ein beftimmtes Staatsamt zu befleiven er war zwar ‚wirklicher‘ Geheimrath, aber ohne Sig und Stimme fpielte er doch während dreier Regierungen eine wichtige Rolle in den a Zinanzs und

* *

202 Der Obrift Agdolo.

Heftig wie ee war, ergoß er ſich nun in den gewalt: famften Drohungen, ſprach von Stockſchlägen, Ohren: abfchneiden u. dergl. m. Der Graf Saden, welde dabei betheiligt war und wünfchen mußte, DaB die Sadı nicht zu weit geben möge, Bolza, dem bei jenen Re densarten nicht wohl zu Muthe ward, und endlich auf Kerber, den es fehr beunruhigte, in eine fo unpaſſenbe Geſchichte mit verwidelt werden zu können, gaben ſich nunmehr alle erdenklihe Mühe, den Streit gütlich bei zulegen. Sie zogen den General, ſpäteren Cabinets⸗ minifter von Gersdorf und den Generalmajor von Ber nigfen in ihr Interefje, und diefe gaben fich bei Ferber ein Rendezwous mit den zwei Gegnern, um eine Aus fühnung zu vermitteln. Gersdorf hielt zuerft eine An rede, in welcher er fagte, daß er von dem Zerwürfniß gehört habe, Ddiefed aber gewiß nur auf einem Misver ftändnig beruhen fünne Hierauf ergriff Bolza dat ort und bemerkte: es fei ihm zu Ohren gekommen, dag man ihn gewiller Aeußerungen befchuldige, die nie von ihm gethan worden fein. Als nun Agdolo ihm etwas entgegnen wollte, fiel ihm Gersdorf fogleich mit den Worten in die Rede: er könne mit Bolza's Erklä⸗ rung zufrieden fein, und damit endigte die ganze Sache, von welcher Agdolo vorher viel Aufhebens gemacht und dadurch wenigftens erreicht hatte, daß fie bei Hofe und in der. Stadt vielfach befprochen worden war.

Died alles follte nur zur vorläufigen Charafterifi rung des Mannes dienen, zu deilen Kataſtrophe wir nunmehr gelangen.

Die verwitwete Kurfürſtin, Maria Antonia (geb.

·

Handelsſachen, und ſcheint dabei klug, einfichtsvoll und ehrlich ver⸗ fahren zu fein. Er ſtarb am 15. Auguſt 1782.

—— on

Der Obrift Agdolo. 203

am 18. Juli 1724 + am 23. April 1780), Die ältefte Tochter des Kaiſers Karl VI. aus dem Haufe Kur- baiern, hatte nach dem Tode ihres Gemahls, außer einem bedeutenden Gapitalwerthe in Diamanten, die baare Summe von 500,000 Thlr. erhalten und bezog ein jährliches Witthum von anfangs 60,000, feit 1769 aber 130,000 Thlen.') Sie war eine geiftreiche, Funft- und prachtliebende Dame’), deren immer offene Hand doch auch vielfach gemisbraucht worden fein mag. MWäh- rend der kurzen Regierung ihres Gemahld und während der Adminiftration hatte fie vielen Antheil an Regie- rungsgefchäften genommen. Ihr Sohn verftattete Fei- nem Weibe Einflug. Es Famen andere, ernflere Män- ner am Hofe und in den Gefchäften auf, und die Zei- ten der polnifchen Auguſte waren vollftändig vorüber. Es gefiel ihr nicht mehr in Dresden und fie hätte gern ihren Aufenthalt in Stafien genommen. Der Wunſch,

1) Rach den Ehepacten Fonnte fie nur 60,000 Thlr. beanfpruden. Der Kurfürft erhöhte dieſe Summe, nad feinem Regierungsantritte, auf 130,000 hir.

2) Sir Charles Hanbury Williams, 1747 1750, dann wieder 1751 1753 und 1754— 1755 Gefandter in Dresden und ein fehr medifanter Mann fagt über fie u. A.: „Die Kurprinzeffin ift nichts weniger als ſchoͤn oder wohlgeftaltetz allein fie bat ein äußerſt arti- ged Benehmen und iſt fehr wohlerzogen. Sie fpridht viel und ift reiht unterhaltend. Bevor fle hierder Fam, glaubte man, daß fle fi viel um Politik befümmere und fih zu Frankreich neige. Sie ſelbſt Läugnet dies, und erklärt, daß ſich Zrauen nicht in Staatsan- gelegenpeiten miſchen ſollen; ich wage jedod zu prophezeien, daß fie, wenn der Kurprinz feinen Bater überlebt, diejes Land unumſchraͤnkt beberrfchen wird. Bis jest genießt fie in hohem Grade die Zunei⸗ gung und Bewunderung Aller, die ihr nahe kommen; denn ihre Manieren find äußerft gewinnend.“ Wie fehr fie eine gefhmad- volle, großmüthige und wohlmollende, eine echte Freundin der Kunft war, darüber wird namentlih in Meißner’s intereffanten ‚Bruce fläden zur Biographie Johann Bottlich Raumann's“ (Prag, 1803 fa., 2 Bde.) Vieles berichtet.

204 Der Obriſt Agbolo.

ihr Einkommen zu vermehren, in Verbindung mit einer Vorliebe für induſtrielle Vorſchritte ), verleitete fie zu unglücklichen Speculationen und dieſe, mit ihrer Prachtliebe und Freigebigkeit zuſammenwirkend, brach⸗ ten ſie bald dahin, daß nicht blos das Capital von 500,000 Thlrn. aufgezehrt ward, ſondern auch bie Diamanten in Genua verfegt wurden. Auf eine Reife, welche fie 1775 nach Italien machte, Töfte fie zwar den Schmud wieder ein, aber nur um ihn in Rom, wenn auch zu niedrigeren Zinfen, abermals zu verpfänden. Bald Fam ed nun dahin, daß die von ihren Gläubigern immer mehr bedrängte Fürſtin ſich wiederholt mit der Bitte an den Kurfürften wenden mußte, daß er ihre Schulden übernehmen möchte. Allan dieſes Geſuch ward mit Entichiedenheit abgefchlagen. Agdolo gab nun den Rath, dem Kurfürften fowol eine Abtretung des Schmuded ald Aequivalent anzu bieten, ald auch von der Erledigung dieſer Angelegen⸗ beit die Abtretung der Anſprüche der Kurfürftin Mut ter an den dereinftigen, nad) dem Ausſterben bes kur baierifchen Haufes zu erwartenden Allodialnachlaß ab bangig zu machen. Diefe Unterhbandfungen wurden in Dreöden wahrend der Abweſenheit der verwitweten Kurfürftin geführt, weldhe im Ianuar 1776 zu ihre Sochter, der Herzogin von Zweibrüden, gereift war, deren Niederfunft erwartet wurde und am 2. März ein trat. Agdolo war inzwifchen überaus thätig. Er brachte es dahin, daß, nachdem die Kurfürſtin Mutter ihre Anſpruͤche an jenen Nachlaß am 1. Mai dem Kur

H So Lich fie 1767 eine Kattunfabrit bei Großenhain anlegen (die nachher Bodemer'ſche), die fle fhon 1774 wieder verkaufte. Anh ‚ngenanake baierifhe Brauhaus in Dredden fchreibt fi von ihr ber.

Der Obrift Agdolo. | 205

eften abgetreten hatte, der Kurfürft ſich dazu verftand, nächft 800,000 Thlr. zur Auslöfung des Schmudes d Tilgung der fonftigen Schulden berzugeben, woge: n ihm der Schmud überlaflen werden ſollte. Ueber » weitere Entichädigung der Kurfürftin für die aller: ng8 auf eine enorme Summe berechneten Anfprüche yeint die Unterhandlung noch fortgegangen und die Sfallfige Uebereinkunft erft am 6. October zu Stande bracht worden zu fein’). Weber die ganze Sache foll sch Das Geheime Conftlium zu Rathe gezogen worden in und ein beifälliges Gutachten erftattet haben. Die urfürftin ließ übrigens bei diefer Gelegenheit dem Brafen Saden und dem Baron Ende jedem eine mit Yamanten beſetzte goldene Doſe überreichen. Ferber net auch eine goldene, mit Louisdors gefüllte Taba⸗

Er den erften Zagen des Septembers 1776 fol nun ie Kurfürftin Mutter dem Kurfürften gefchrieben haben, um ihn zu erfuchen, einen vertrauten Abgefandten nach Rünchen zu ſchicken, welcher dafelbft ihre aus Nom zu: üderhaltenen Diamanten in Empfang nehmen follte. Jedenfalls fchichte der Kurfürft den Geheimenrath Frei⸗ beren Adolph Alerander von Zehmen’) nad) München ab, Weber diefe Miffion wird nun Folgendes verfichert.

1) Die Anfprühe der Kurfürftin wurden fpäter ſaͤchfiſcherſeits ef 47 Millionen Thlr. berednet.

V Er war katholiſch und aus dem Salzburgiſchen gebürtig. Diefe katholiſche Linie der Zchmen, aus welder aub ein Erzbiſchof hervorgegangen, ift jegt erlofhen. Jener Zchmen gene? hohes Zu⸗ treuen bei dem Kurfuͤrſten, hatte vie Dberauffiht Über deſſen Gha- teulle und fol ein Mann von großem Berdienfte gewefen fein. Der- filbe ging aud 1778, nad dem Eintritte des Erbfalles, in einer eliihen Miffion nad Münden. in eignes Zufammentreffen ift

6, daß feine Srnennung zum Geheimenrath gleichzeitig mit der des Agpolo zum Dpriftlieutenant befannt gemacht worden war.

206 Der Obriſt Agdolo.

Kaum in München angelangt, habe Zehmen ſogleich der Kurfürſtin ſeine Aufwartung gemacht, welche ihn ſehr freundlich empfing und ihm ſagte: er werde gewiß bald nach Dresden zurückwollen und möge ſich deshalb au genblidlicdy mit ihrem Secretair Hewald befprechen. Sie flingelte und gab einer eintretenden SKammerfrau den Befehl, Hewald fogleich rufen zu laſſen. Die Kammer frau machte hierauf eine lächelnde Miene und, von der Kurfürftin um die Urfache befragt, gab fie zur Antwort: die Frau Kurfürflin entfinne ſich wahrſcheinlich nicht, daß Hewald feit einigen Zagen abweſend fei. Nun fagte die Kurfürflin: es ift wahr, ich hatte ganz ver geilen, daß er Urlaub genommen; da ed aber fo ift, fo müflen Sie Sich in Hewald’d Wohnung begeben und, wenn er fie verfchloffen hat, die Thüre aufbrechen laſ⸗ fen. Herr von Zehmen vollzog augenblidlich diefen Be fehl; allein Die Diamanten waren verfehmunden. Die Kurfürftin brach darauf in den heftigften Zorn gegen Hewald, den fie ald den Räuber bezeichnete, und gegen Agdolo aus, der fiherlich in den Handel verwiddt fei. Zehmen möge auf der Stelle nach Dresden zurüd- eilen und den SKurfürften bewegen, Agdolo arretiren zu laffen, und ihr die bei ihm vorgefundenen Papiere überfenden, damit die ganze Sache ind Klare komme. Man fieht alfo, die Kurfürftin hatte nicht zu fürchten, daß Agdolo etwas ausfagen werde, was fie compromit- tiren könne. Am 7. Sept. langte Zehmen in Dresden wieder an und am felbigen Zage kam der Kurfürft aus Pilnig in die Stadt, um einen Tag dafelbft zu verwer en. Auf feinen Befehl ward Agdolo, ohne fofort ver haftet zu werden, von der Sache unterrichtet und reichte darauf, am 15., eine zu feiner Rechtfertigung verfaßte Schrift ein. Es wird verfihert, daß Zehmen

Der Obrift Agdolo. 207

hn ‚dringend von der Uebergabe diefer Schrift, welche fo wenigftend Zehmen auch gelefen haben muß, abge- athen habe, und nur auf wiederhofted infländiges An- rängen fic) bewegen ließ, fie dem Kurfürften zu über- ichen. Am 15. war der Kurfürft wieder in Dresden, ing aber, nachdem er den Aufſatz erhalten hatte, Ibends nad) Pillnig zurüd und Zages darauf wur: en Abends um 7 Uhr der Geheimeratb Baron Zehnten nd der Generalmajor und dienftthuende Generaladiu- ant von Schiebell ') von Pillnig nach Dresden gefen- et, mit dem Befehl, Agdolo zu verhaften, fich aller einer Papiere zu bemächtigen und diefelben verfiegelt en Kurfürften zu überbringen, fobald Agdolo in fiche: en Verwahrſam gebracht fei.

Run ward zunächft in Agdolo's Wohnung geichidt, vo man erfuhr, daß er bei Zerbers fei. Dorthin, wo z eben bei einer Spielpartie aß, wurde ihm die Wei⸗ ung gegeben, er möge ſich zu Zehmen verfügen, wel- her nothwendig mit ihm zu fprechen habe. Er ftellte ih wirfiich ein. Gleich bei feinem Eintritt ward ihm ver Befehl zu feiner Verhaftung befannt gemacht und rt dem im Nebenzimmer wartenden Platzmajor überge- ven”). Als diefer fich anfchicte, ihn nach feiner Woh- nung zu bringen, fol er die Ausflucht verfucht haben, er Fönne ſich ohne Degen nicht auf der Straße fehen laſſen; ein Einwand, der natürlih Feine Beachtung

1) Adam Burkhardt Ghriftoph von Schiebel war von Geburt ein Pole und hatte fih als Obriſter eines Ublanenregimentes in ven fräheren Kriegen auögezeihnet. So namentlid ſchon bei dem Ueber- fale ver preußifhen Dragonerregimenter dur den General vun Sy⸗ bilsty im Mordgrunde bei Dresden, am 13. Dec. 1745. Er ftarb als General der Gavalerie und Gabinetösminifter 1799.

2) Aus dem ganzen Berfahren fieht man, daß Fein fo gefährlis- ches Staatbacheimnig im Spiele war, wie die Sage will.

208 Der Obrift Agdolo.

fand. In feiner Wohnung angelangt, fand er berät

einen Offizier, zwei Corporale und ſechs Barbiften. Der Offizier hatte Befehl, ihn nicht aus den Augen zu laſ⸗ fen. Die beiden Commifjare legten nun auf die Pa piere Beichlag, fiegelten fie ein und nahmen fie mit nah Pillnig, wo fie, obgleich es % 12 Uhr war, doch noch zu dem Kurfürften gelaflen wurden, Der die Pr piere in Empfang nahm, um fie des anderen Zuge durchzufehen. In diefen Papieren, wo nicht ſchon in jener Eingabe, mögen fich berabwürdigende Aeußerun⸗ gen über den Kurfürften gefunden haben, deflen ſehr gerechtfertigte Weigerung, den maßlofen Anfprücen de die verwitwete Kurfürftin umgebenden Coterie zu ent fprechen, als unfindliche Kargheit ausgelegt und in Ag dolo’fcher Weile befprochen worden fein mag Wahr fheinlich enthielten fie aber auch fonft Auffchlüfle übe die Verwickelung Agdolo’d in die Unordnungen im Haus—⸗ balte der Kurfürftin, vieleicht Rathſchläge, wie dem Kurfürften mehr Geld abzupreffen fei u. f. w. Ob übrigens der Schmud, oder die zu Deflen Auslöſung beftimmte Summe von Hewald, welchen der Hauptge währemann diefer Mittheilungen für unbetheiligt halt, Agdolo, oder andern Agenten der Kurfürftin Mutter unterfchlagen worden, ob ihn Agdolo etwa für Die pre jectirte Weberfiedelung feiner Gönnerin nach Stalien zu rüdbehalten wollte, wa mit dem Schmude oder Gebe geworden, wiſſen wir nicht. Agdolo aber ward am fol genden Zage, ald dem 17., Abends 10 Uhr, unter flar- fer Bedeckung, nach dem Königftein gebracht. Einige Zage fpäter wurden die beiden Commiffarien mit Auf trägen an den Gefangenen dorthin gefchict, die jedoch nur in der Webergabe eines verfiegelten kurfürſtlichen Schreibens und in der Entgegennahme einer gleichfalls

Der Obriſt Agdole. 209

verfiegelten Erwiederung Agdolo’d beftanden. Nachdem Agdolo einige Wochen auf dem Königftein zugebracht, fleigerte fich Durch den Einfluß der dortigen rauen Berg: luft ein bei ihm fchon vorhandenes Bruftleiden zu einem gefährlichen Bluthuften. In Folge deflen ward er nad Pirna transportirt und blieb dafelbft bis zum 21. April 1777, von einem Offizier, zwei Eorporalen und ſechs Artilleriefoldaten bewacht.

Unterdeß blieb die verwitwete Kurfürflin in Mün⸗ hen. Bon Zeit zu Zeit wurde ihre Ankunft in Dresden angefagt, Dann wieder aufs Unbeflimmte verfchoben, bis endlich Niemand mehr daran glaubte. Da Fam kurz vor dem 21. December 1776 die Nachricht, dag fie an diefem Tage eintreffen würde. Ernſtes Andringen des mit Innehaltung ihres Witthums drohenden Kurfürften, verbunden jedoch mit beruhigenden Zuficherungen in Be⸗ treff ihrer Stellung in Dreöden, foll vorhergegangen fein. Die Gräfin Rutowska, eben jene geheime Gemah⸗ lin Agdolo's, welcher allerdingd daran Tiegen mochte, ihn ald ein Opfer für die Kurfürftin darzuftellen '), ver: fiherte, fie felbft habe einen an Agdolo gerichteten (je: denfalls Alteren) Brief diefer Fürftin gelefen, welcher die Worte enthalten habe: fie hoffe, ihr Haus in Padua bald vollendet zu ſehen; dann wolle fie für immer von dem ihr verhaßten Sachſen und von ihrem Sohne Ab- ſchied nehmen, den fie auch nicht Tiebe.

Der Kurfürft Hatte ſich über die Gefangenfegung Agdolo's mit feinem feiner Minifter beratben, ja fie nicht einmal davon in Kenntniß gelebt. Seine Cabi- netöminifter waren nur von ihm beibehalten, nicht ge

1) Der Gedanke liegt nit zu fern, daß in diefer Polin die Duelle mander über die Sache verbreiteter falfher Gerüchte zu ſu⸗ Hm tft.

210 Der Obriſt Agdolo.

wählt, und ſcheinen nicht fein volles Vertrauen genoſſen

zu haben. Ueber jene Verſchweigung aber waren die Herren von Ende und Graf Saden '), welche fo eifrig die vorhergehende Unterhandlung mit der Kurfürftin Mutter geleitet hatten, denn doch nicht wenig betroffen. Ende nahm die Sache zwar mit jenem Phlegma bin, das er ſchon bei manchen früheren Gelegenheiten und namentlicy da bewiefen hatte, als ihm in den Jahren 1769, 1770, 1771 der Kurfürft zu wiederholten Malen Referipte zur Unterzeichnung überfchichte, ohne fich vor ber über deren Inhalt mit ihm verfländigt zu haben. Ihm war weniger an der mit feinem Poften verbunde nen Wirffamfeit und Ehre, ald an den materiellen Vor . theilen deffelben gelegen. Aber Fonnte ibm nicht die Beſorgniß erwachſen, daß auch diefe gefährdet feien? Der Graf Saden dagegen wußte gar nicht, wie er die erlittene Kränfung genugfam an den Zag legen folk. Zuerft fol er an feiner eigenen Tafel, in Gegenwart von 24 Gäſten, erflärt Haben, Agdolo fei fein Freund und werde es ftet8 bleiben. Dann verfuchte er Vorſtel⸗ lungen böchften Orts, die aber fruchtlos blieben. Man fagt, der Kurfürft habe ihm Hoffnung gemacht, daß er die Gründe feines Verfahrens noch erfahren Tolle, die nähere Erflärung fei aber ausgeblieben. Nun ging Saden darauf aus, die Mitglieder des Geheimen Com

1) Leopold Nikolaus Freiherr von Ende auf Alt» Xeffnis, fet 1766 Gabinetöminifter und Staatöfeeretair für die inneren Angele genbeiten, geb. 6. December 1715 + 14. April 1792. Kal Reichsgraf von der Oſten genannt Saden, Staroft zu Pilten, feit Juli 1768 Gabinetsminifter und Staatöfecretair für die auswärtigen Angelegenheiten, geb. 13. Oct. 1725, am 15. Det. 1786 von dem König mr von Preußen! in den Fürftenftand erhoben, + zu Berlin 3l.

ec

Der Obriſt Agdolo. g11

iums aufzubegen. Allein Herr von Wurmb '), gegen Achen er geäußert hatte, es ſei Doch befremdend, daß r Kurfürft jenen Schritt ohne Zuziehung irgend eines iniſters befchloflen habe, entgegnete ihm: fo fei es nz in der Ordnung; Agdolo habe ald Militair unter nee Eivilbehörde geftanden; auch hätten die Cabinets⸗ inifter über fo Manches entichieden, ohne Das Geheime mfilium zu befragen, daß ed ganz billig erfcheine, mn der Kurfürft einmal einen Belhluß ohne Vor⸗ ſſen des Gabinets gefaßt habe. Nicht wenig betroffen igte fich begreiflicher Weile auch Ferber in der erften it. Am 22. September, dem nächflen Sonntag nad r Kataſtrophe, fah ihn unfer Hauptgemährdmann aus n Burfürftlichen Zimmern, wo er eine wöchentliche echnungsüberficht überreicht Hatte, mit dem Ausdrud ser Niedergefchlagenheit kommen, die er nie zuvor an m wahrgenommen. In der That ſchien um jene Zeit 8 Vertrauen des Kurfürften zu ihm in Abnahme zu n; allein diefe Misftimmung glich fich bald wieder 6, was denn flark dafür fpricht, daß fich in Agdolo’d apieren nichts gefunden, was. Ferber ernftlich hatte mpromittiren fünnen.

Nach Hewald, jenem Secretair der Kurfürftin, wur: n nun auch Nachforſchungen angeftellt, und ed ward Id ermittelt, daß er fich in Frankfurt a. M. befinde. in vom Kurfürften dorthin abgefchidter Dffizier der chweizergarde, Namens Nickelwitz, brachte ihn auf n Königftein. Seine Frau, welche ſchon vor der Ehe nge mit ihm gelebt hatte, wurde ebenfals verhaftet

1) Seit 1768 Gonferenzminifter, Verfaſſer debs „Grabmal des vnidas, + 1801.

212 Der Obrift Agdolo.

und mit dent Befehl, fie mit Niemand fprechen zu laſ⸗ fen, auf der Stadtoogtei gefangen gehalten, nach ein ' gen Mochen aber ohne weiteres entlaflen. Weber. He wald's fpätered Schieffal haben wir nichts erfahren Fin nen, und fcheint überhaupt feine Verhaftung zu jene Zeit gar nicht bekannt worden zu fein, oder keinerle Aufſehen erregt zu haben.

Bevor Agdolo wieder auf den Königſtein gebrach wurde, ſoll der Kurfürſt den ganzen Fall, unter Ver⸗ ſchweigung der Namen und Einſchärfung tiefſten Ge heimniſſes, einer auswärtigen Juriftenfacultät vorgelegt haben. Wir haben Grund, zu glauben, daB das Göt: tingen und Pütter der Neferent geweſen ifl. Die Ent fheidung ſei dahin ausgefallen, daB der Gefangene Todesſtrafe verdient habe. Erſt hierauf fei Agdolo zu lebenswieriger Haft auf die Feſtung gebracht worden (21. Aprit 1777), indem der Kurfürft geäußert habe, diefe Beftrafung bei feinem Gewiſſen verantworten zu fonnen. Agdolo ift übrigens auf dem Königftein mit Schonung behandelt worden, und hat vor feinem am 27. Auguft 1800, alfo erft nach 23 Sahren! erfolgten Zode, dem Kurfürften ausdrücklich feinen Dank bezeugt.

Im Uebrigen fcheint der ganze Vorgang die Folge gehabt zu haben, daß ein vom Kurfürften wahrſchein⸗ lich fchon früher gewünfchter Minifterwechfel befchleunigt ward. Der Graf Saden gab noch zum Ueberfluß ver fehiedentlihen Anlaß zu erhöhtem Misfalen. Er für digte die Miethe des von ihm bewohnten, dem Kur fürften gehörigen Brühl’fchen Palais, bezog vorläufig den Garten des verftorbenen Chevalier de Sare, beftellte Hunderte von Kiften zum Einpaden feines Mobiliars, und feine Dienerichaft fprach laut und öffentlich von der nahen Abreife ihres Herrn. Schwerlich Tag es in feiner

“Der Obrift Agdolo. 213

Abficht, zu refigniren; das ganze Benehmen hatte aber dem Kurfürften gegenüber den Anfchein des Trotzes. Am 23. December erfolgte, zur allgemeinen Weber: raſchung, aber auch zur Freude des Publifums, Die Ernennung des Generald von Gerödorf ') zum Cabinets- minifter und Staatsfecretair für das Militairdepartement. Diefed Departement hatte Saden mit der größten Si- herheit als ihm felbft zugedacht betrachtet, ungeachtet fine wiederholten Gefuche, ſchon bei Xebzeiten des Che- valier de Sare (+ 1774) und auf deflen Betrieb, abge: Iehnt worden waren’). Er mochte nur in dem Cheva- fee die Urlache des Fehlſchlagens gefucht haben, und die nunmehrige Ernennung traf ihn daher um fo em: Hindlicher. Dan erwartete feinen augenblidlichen Rüd- tritt. Indeß diefer erfolgte nicht, und nur die Gerüchte von feiner auf den Sommer feitgefegten Abreife wurden immer lauter. Da er den Abichied nicht nahm, fo er- bieft er ihn. Am 26. März 1777, der Mittwoch in der Charwoche, Tieß der Kurfürft vor der Tafel den Sabinetöminifter von Gersdorf zu fi) rufen und er- theilte ihm den Befehl, ſich nach dem Eflen zu den bei- den andern Gabinetsminiftern zu verfügen, jedoch zu dem Grafen Saden zuerft, und ihnen anzuzeigen, daß fie ihrer Stellen enthoben wären und ihre Portefeuilles abzugeben hätten. Würden fie nach der Urfache ihrer plöglichen Entlaffung fragen, fo folle er ihnen erwibdern: der Kurfürft könne Fein Vertrauen mehr in fie feßen.

1) Karl Auguft von Gerödorf, geb. 14. März 1705, 1757 Ges nerallieutenant, 2. Dec. 1776 General der Infanterie, + 11. Zebr.

V Es war feit dem am 8. Zebr. 1769 erfolgten Tode des Ge⸗ ra Grafen Johann von Bellegarde (geb. 1708) unbefegt ge⸗ blieben.

214 Der Obriß Ugbele

Geretorf begab ñch darauf gegen 5 Uhr zu dem Grafen Sacken, geflimſentlich Die inate Stunde wählend, da der Miniiter an dieſem Zuge deu fremden Geſandten ein Diner gegeben batte. Gerötorf warb zuerft von der Grafin Exden ') emrfangen, und nad) einer kurzen Un⸗ terhaltung mit dieler verlangte er, ben Grafen zu ſpre⸗ hen, weder ibn in ſein Arbeitszimmer kommen lid und feinen Auftrag erfuhr. Der Graf nahm die Rad- ruht ganz ruhig auf und ſchickte noch denſelben Abend folgendes Schraäben an den Kurfürften:

P. P.

„Ge it meine nächſte Eorge, Em. :c. ten Ausdruck meiner chr: furätörclien Dankbarktit für ven von Heochdenſelben gefaßten Ent ſchluß zu Züßen zu legen, welden mir Gw. ıc. durch Hochdero &r binetöminifter ven Gersdorf kundzuthun geraht haben. MBährenn 32 Jahren babe ih Gm. zc. und Gw. ıc. Dohem Haufe treu gerica und bin mir in einer fc langen Reihe von ehren keine Auge blides bewußt, wo ih nidt willig für Em. ꝛc. unt für das Wohl Hochdero Staaten jeded Opfer gebracht hätte. Die erprobte Anhöng lichkeit, welde mid für Ew. :c., fewie für Hochdero Herrn Bat und Grefvater ftets befeelt, fowie eine daraus hervorgehende Rkd fiht de& Zartgefühls konnten mid allein abhalten, ſchon vor Jahres die mir anvertrauten Stellen, die von mir weder geſucht, noch erde ten worden find, Hochdenſelben zu Füßen zu Icgen. Die ehrenden Beweiſe der Zufriedenheit und des Wohlwollens, mit denen Hochdero Borfahren meine treuen Dienfte anzuerkennen geruhten, werben mit immer unendlich ſchaͤhbar bleiben. Auf das Zemgniß eines vorwurke- freien Gewiſſens geftügt, Tann id allerdings nicht dafür einftehen, daß meine Einfiht überall ausreihend gewefen ift, und bin nur der reinften Abfihten und der unbefholtenften Gefinnungen vollkommen gewiß. Em. 21. Befehlen Zolge zu leiften, werde ich die Schriften

1) Der zweiten Gemahlin des Grafen, einer gebornen von Die kau und verwitweten Gräfin Hoym. Seine erfte Gemahlin wer eint Brühl und Nichte des befannten Minifters.

- m nn nu

Der Obriſt Agdolo. 215

und Acten, die ich nod bei mir babe, übergeben; außerdem lag eb in meinen Gewohnheiten, viefelben pünftlid und ohne Verzug auf tum Gabinet in Verwahrung zu geben.”

Gleichzeitig richtete Saden an die Gefandten ber auswärtigen Höfe ein Gircular, in welchem er ihnen unter den gewöhnlichen Formen feine Entlaffung mit: teilte, dabei aber die Phrafe einflocht: der Kurfürft ſei finem eigenen Wunfche dadurch entgegengefommen. Er fieß fich übrigens an jenem Abende, wo er ein Souper gab, nicht das Geringfte merken; ebenſo wenig feine Gemahlin, welcher er die Sache fogleich nad) Gersdorf's Veggange mitgetheilt hatte.

Den zweiten Auftrag diefer Art, bei dem Baron Ende, vollzog Gersdorf ebenfalld an diefem Abende. Er ſelbſt ward nun interimiftifch mit der Leitung des auswärfigen Departements beauftragt, bi8 Herr von Stutterheim ), von feinem Gefandtenpoften in Berlin zurückberufen, definitiv zum auswärtigen Staatsſecre⸗ tair ernannt wurde.

In der Zwifchenzeit, ald Gersdorf ald alleiniger Ca⸗ binetöminifter fungirte, warb von ber Frau eines Ar- tillerteoffizierd eined Sonntags, wie fie mit ihrem Manne in ber katholiſchen Hoffirche war, ein Zettel gefunden, auf weichem die Worte ftanden: der Kurfürft mag auf feiner Hut fein, denn ed wird ihm nad) dem Leben ge ftanden. Der Zettel warb von dem Offizier zu von

1) Der Generalmajor Heinrih Gottlich von Stutterheim trat im April 1777 an und behielt feinen Poften bis 1790, wo Graf Loß dad Auswärtige und Baron Gutfhmid das Innere übernahm und fomit die Sombination eintrat, die dem Kurfürſten wol die er» wünfchtefte war. Derfelde Graf Johann Adolph vom Loß (geb. 1. Zebr. 1731 + 15. März 1811) Hatte die inneren Angelegenheiten am 9. Det. 1777 übernommen und beforgte die auswärtigen von 1790 bis 1806, wo die veränderte Politik neue Männer bedingte.

216 Der Obrift Agbolo.

Gersdorf gebracht und von diefem dem Kurfürften mit dem Bemerken überreicht, er fei zwar unbeforgt, habe den Vorfall aber Doch anzeigen wollen. Des Kurfürften Antwort war: „Sollte ed wirklich fo böswillige Men fchen geben, welche diefe Drohung auszuführen fähig wären, fo kann mein Leben nur auf zweierlei Weiſe ges führdet werden. Entweder durch offene Gewalt, und gegen diefe werde ich mich zu vertheidigen wiſſen, oder durch Gift; gegen das letztere mich zu fchügen, gibt es feine Möglichkeit. Ich muß daher mein Schidjal und mein Leben Gott anbeimflellen, der allein über mid wachen kann.” Wie der Kurfürft diefe Worte fprad), malte fih in feinen Zügen die ungetrübtefle Ruhe. Als die abgefretenen Minifter, nach dem abgeichlof fenen Vergleich wegen der Diamanten der Kurfürflin, von diefer mit werthvollen Dofen befchenkt worden we: ren, hatten fie fih auf diefe Auszeichnung nicht wenig zu Gute gethan. Allein nach Agdolo's Verhaftung ward der Graf Saden anderen Sinnes und geriethb auf den Gedanken, diefes fürftliche Gefchen? wieder zurüdzu- fhiden. Seine Gemahlin ward beauftragt, mit der Dberhofmeifterin der verwitweten Kurfürftin, der Frau von Rollingen '), über diefen zarten Punkt zu unter bandeln. Die Oberhofmeifterin weigerte fich jedoch, die Dofe in Empfang zu nehmen, rieth der Gräfin, auf deren wiederholte Anträge, fie verfiegelt einflweilen in ihrer eigenen Verwahrung zu behalten, und verfprad, der damald noch abwefenden Kurfürfiin Mutter die Sache zu berichten. Wie zu erwarten fland, lautete bie Antwort: die Kurfürflin nehme ihre Geſchenke nit

1) Maria Thereſia Zreifrau von Rollingen, geb. von Knebel zu Kapenellenbogen.

Der Obrift Agbolo. 217

wrüd, und fo mußte denn ber Graf Saden die Dofe behalten.

Der Kurfürft war dem Grafen Saden wol nie recht ſewogen gewefen, wie denn derſelbe eine unruhige Ge- nüthsart und keinesweges ausgezeichnete Gefchäftstalente eieflen, auch eine lächerliche Manie gehabt haben fol, en Grafen Panin nachzuahmen. Auch hatte er den Brafen Marcolini'), welchem der Kurfürft ungemein ewogen war, auf das Empfindlichfte beleidigt. Als Rarcolini namlich den Wunſch äußerte, den Andreas: reden zu erhalten, wurde Saden beauftragt, Died zu efreiben, gab aber heimlich dem fächfiichen Geſandten begeninftructionen. &o kam ed, daß bei der Anweſen⸗ eit des Grafen Drlow in Dresden, im Januar 1776, Rarcolini von Diefem erfuhr, fein Geſuch fei in Pe: ersburg niemald angebracht worden. Später wurden He nähern Umftände diefer Intrigue noch Durch den herrn von Brinden, welcher der ſächſiſchen Geſandt⸗ haft in Peteröburg beigegeben geweien war, befannt.

1) Graf Camillo Marcolini war ein italienifher Edelmann aus fano in ber Romagna, und erbte erft fpät die bedeutenden, in dor⸗ iger Gegend gelegenen Güter feines älteren Bruders. Er ift ſchon a dem Hoffalender von 1747 als Page aufgeführt, war 1766 Kam⸗ verpage, 1768 Kammerberr und ward 1769 zum Kämmerer ernannt. ke fol ſich in den legten Jahren des Tjährigen Krieges durch ver⸗ raute Sendungen, bei welchen er ungemeine Geſchicklichkeit bewiefen, Berdienfte um die regierende Familie erworben haben. Er hatte die Ängeren Mitglicder derfelben nad) Münden begleitet, und fi ſchon ort dem nachherigen Kurfürften werth gemacht, deſſen Bertrauen bis an feinen Tod (1814) bewahrte. Befonderen Dank war diefer hm dafür fhuldig, daß er feine durch ängftlihe Berzärtelung von Seiten fruͤherer Pfleger geſchwaͤchte Geſundheit Fräftigte, indem er ihn für koͤrperliche Uebungen und Bewegung in freier Euft gewann. '

VI. Scenen aus den fächfiihen Bauern- unruben im Iahre 1790,

Mer die Nachwirkungen der franzöfiichen Revolutionen von 1830 und 1848 auf Deutfchland erlebt hat, kann «6 befremdend finden, daß die franzöfiihe Revolution von 1789, wie mächtig fie auch eine Zeit lang die öffent lihe Meinung bewegte und an fich riß, doch in Feiner Meile diefelben unmittelbaren Folgen erzeugte, wie jene neueren Erjchütterungen, daB fo wenig Volksbewegungen ftattfanden, daß nirgend eine Revolution von unten die beftehenden Drdnungen änderte, und daß nur als mit⸗ telbare Wirkung, weniger der Revolution, ald der aus ihr entftehenden Kriege, größere Umgeſtaltungen nad) und nad einfraten, welche ganz und gar von oben herab bewirkt wurden und zwar im Sinne der rafio- naliftifchen Zeitrichtung gefaßt waren und von ihr dem Volkswohle entfprechend gehalten wurden, aber meiftens mehr dem Abfolutismus der Regierungsmacht günflig waren, ald daß fie irgend einen demofratifchen Charakter getragen hätten. Und doch gab ed damals ber wahrhaf- ten, materiellen Beichwerden ungleich mehr und flärkere, als fpäterhin; war die Regierungsweife in vielen Staaten voller und kaum begreiflicher Misbräuche; war die Re gierungdgewalt, zwar weniger durch Gefeße, aber befto

Scenen aus den ſächſiſchen Banernunrnhen im I. 1790. 218

ehr Durch erworbene Rechte und hergebrachte Ordnun⸗ na gebunden, zwar in vielen Rändern willkürlich, aber wach und vieler Mittel, die fich Tpäter in Polizei und Nitair entwidelt haben, ermangelnd; war die Theil- ihme am Politifchen, weil etwas Neues, faum minder bhaft als jetzt; war die politifche Bildung noch gerin- r, ald gegenwärtig; waren die Erfahrungen noch nicht macht worden, die fich feitdem an fo viele Revolutio⸗ n gefnüpft haben und eigentlich nur abſchreckend wir- n Fönnen. Es fcheint doch, die innere Drganifation 8 deutichen Staats: und Volksweſens, wie viel man KB über Deren Veraltet- und Erftorbenfein nicht ohne und gejagt haben möge, war doch noch zu tiefgewur- K, Doch noch von einem zu Fräftigen Glauben gefra- fü, als daß fie dem franzüftichen Wefen eine Empfäng- hkeit hatte widmen können; einem Weſen, welches ſchtungen mit dem Namen der Zreiheit ſchmückte, Ache nur die oberflächlichfte Anichauung mit der Frei⸗ NM des alten Sermanenthums in Zufammenhang brin- a Tann, während fie mit der deutfchen Freiheitd: und ihtsanficht durch alle Jahrhunderte des Mittelalters 5 feiner Ausgänge im direrteften Widerfpruch flehen. F mußte erſt dieſe alte Organiſation, an welcher man on über ein Jahrhundert lang genagt hatte, von oben sb gründlich zertrümmert und aller Glaube an fie ichtet werben, bevor fich der durch das an Die hr Geſetzte nicht befriedigte Volksgeiſt auch. won ken herauf an das Zerflörungswert machen konnte.

ine der wenigen Ausnahmen von der Erſcheinung, e wir zum Ausgangspunkt nehmen, kam gerade in sem der noch am beften, am gewiflenhafteflen regierten tagten, im damaligen Kurfürftentbum Sachſen vor, ar aber allerdings nicht eigentlich der höheren Politik

10 *

220 Stenen aus den ſächſiſchen WBanernunruben

zugewendet, ſondern aus der in der That Damals ſehr befehwerten Lage des dortigen Bauernſtandes hervorge⸗ gangen. Diefer Bauernfland war zwar in den Er landen nicht Leibeigen, unterlag aber ſchweren Frohnen, Zinfen und Kieferungen, drüdenden Weideſervituten, trug die Hauptlaft der Steuern und Rekrutirung, und ward auch von den Gutöherren und ihren Patrimonialrichtern öfters willfürlich behandelt. Indeß ift es bemerken werth, daB die Bewegung fowol die in Den beregten Beziehungen gedrüdteften Theile des Landes, nament lich die Zaufigen, wo noch die Xeibeigenfchaft unter dem Namen der Erbunterthänigkeit fortbeftand, ald die arm fin Bezirke, wie das obere Erzgebirge, dad Voigtland den Kurfreis nicht berührte, überhaupt ſich nur in & nem begrenzten Kreife, und gerade in den fruchtbarften und wohlhabendften Gegenden bes Landes, namenflid in der Gegend von Lommasich, Meißen, Noffen, Penig, Wechſelburg Fundthat. Auch blieb der Aufftand firemg auf den Bauernfland beichrankt, fand weder in den Bürgerftande '), noch bei den Proletariern NachHang, und nahm auch in feinem weiteren Verlaufe nicht mek. politifchen Charakter an, ald er von Haus aus an ſich trug. Dabei wurde er fchnell und mit verhältnißmäßi geringen Mitteln unterdrüdt.

Sein erfler Anfang, oder vielmehr fein erſtes Vor zeichen’), hatte aber allerdings fein Myſteriöſes und fünnte wol auf den Gedanken einer erperimentirendenr Anftiftung führen. Es ward nämlich im Sommer 17 von einem Unbekannten ein gefchriebened Promemoris

1) Nur die Bürger von Burgſtaͤdtel wurden von den rodäbnrge Bauern zur Theilnahme gesmungen. , 3) Eines andren werden wir am Schluffe dieſes Auffages gr en.

im Jahre 1790. 221

nach Ditteröbach bei Pirna gebracht, worin eine Auf: forderung an das damals gräflih Bünau’fche Vafallen- Rädtchen Zauenflein enthalten war, ſich auf eine Revo: Iution gefaßt zu machen, und an die 16 bis 18,000 Bann anzufchließen, weiche mit fliegenden Bahnen und Mingmdem Spiele Üüber Dresden nach Pillnis ziehen und den Kurfürften in ihre Mitte nehmen würden, um ihn m Triumphe in Dresden einzuführen . Dem Kur fürften follten folgende Punkte vorgelegt werden: 1) Ab: ſetung Aller, welche Sachſen bisher „unglüdlih” ge macht Hätten, und nach Befinden Confiscation ihrer Güter; 2) Errichtung einer Nationalgarde zu Fuß und zu Pferde; 3) Veränderung des Accisweſens; 4) Be ſchränkung der Nittergutöbefiger, „damit fig Sachſen wicht zu einer Wüfte und Einöde der Gerechtigkeit ma- Gen”; 5) Aufhebung des Wildhegens; 6) Abſchaffung aller Juris Practici, die nicht wirkliche Gerichtsbeſtal⸗ lungen hätten; 7) Verfaffungsregeln für das geiflliche Minifterium; 8) Erinnerungen wegen der Fleiſch⸗ und Zrankſteuer. Jeder folle fih auf einige Zage mit Pro- wiont verfehen. Welcher Ort fich nicht anfchließe, Tolle geplündert werden. Sammelpläte ſeien Dohna nnd Aebſtadt. Man entdedte fehr bald den Weberbringer der Schrift in einem gewiffen Geißler aus Liebfladt, verhaftete ihn zu Pirna und brachte ihn (13. Juli) vor das Juſtizamt Dresben. Er hatte einen guten Leumund md der zu feiner Erploration berufene Arzt erklärte, daß er in einer firen Idee gehandelt habe. Go ward er als Irrer behandelt und nad) Torgau in Verwah⸗ rung gebracdht, von wo er 1809 entlaffen worden ift,

p Rachahmung des Zuges Ludwig's XVI. von Verſailles nad aris.

222 Sceuen and den ſächſiſchen Banernnuruhen

da man zu feiner langeren Zurüdhaltung gar feinen Grund fand. | |

Ende Auguft ded Iahres 1790 traten nun, zunadft in der Lommatzſcher Gegend '), compacte Widerſetzlich⸗ keiten der Bauern gegen Frohnen und Hutungsgerecht⸗

fame auf. Die Bauern erffärten, fie wollten die fur |

fürftlihen Abgaben gern bezahlen, nicht aber die gut berrlihen. Die leßteren feien, behaupteten fie, dem Adel auf 300 Jahre mitteld eined Privilegiums ertheilt worden, welches nun fchon feit 60 Jahren abgelaufen fi. Auch beriefen fie fi auf den herrſchenden Zutte: mangel ’).. Die Dorfichaften hielten eng zuſammen, ftanden in lebhaften Briefwechlel und hatten eine ge regelte Drganifation und Difeiplin eingeführt. Gewöhn⸗ lichen Diebftahl duldeten fie nicht, machten ſich abe fein Bedenken, die Gutsherren zum fchriftlichen Erlof

der Frohnen ’), fowie ihre eigenen Standeögenoflen zur :

Zheilnahme an ber Ungefeglichfeit zu zwingen. Uebr'⸗ . gend behaupteten fie, ed gefchehe Alles mit Vorwiſſen

m Asıd

ded Kurfürften, und die Langmuth, mit der die Regie rung dem XZreiben anfangs zufahb, mag diefe Meinung -

unterftüßt haben. Endlich aber kam die Sache bis zur Mishandlung Lurfürftlicher Beamten‘), zur Entwaff nung eines Beinen Militairpoftens (in Peſchwitz) um

1) Zuerft auf den Gütern eines Edelmannes, der mit feine Bauern in vielen Proceffen, namentlid aber in einem fehr alten und weitläufigen Hutungsproceffe lag, einftweilen aber im Pod der ftreitigen Gerechtſame war.

2) Schon 1789 war die Ernte gering geweſen. 1790 trat gaͤnz⸗ her Waffermangel ein. Nur Thüringen hatte eine ausgezeichnet

rnte.

3) Nach und nah auch zu weiteren Conceſſionen, welche bewci⸗

fen, daß der Communismus nichts Neues iſt, 3. B. zur Abtretung

von Feldern und Wieſen. 4) Namentlich des oſchaher Amtmanns in Pinnewitz.

im Jahre 1790. 223

ir Sreimahung Verhafteter durch Deputationen von aufenden. Nun fchritt die Regierung ein, beauftragte ne, aus dem WVicefanzler, nachherigem Kanzler, Fried⸗ ch Adolph von Burgsdorf, und den Hof- und Juſti⸗ mräathen Karl Friedrich von Brand und Friedrich Bern: vwd von Watzdorf beftehende Commiffion mit Herſtel⸗ ng der Drdnung und ftellte ihr ein vom Generalma⸗ er Heinrich Adolph von Boblick befehligtes, aus 8 eiterfchwadronen, 5 Bataillonen Fußvolk und 200 renadieren beftehendes Zruppencorps zur Verfügung, 38 fein Hauptquartier erft zu Meißen, dann zu Lom⸗ atzſch hatte, feine Abtheilungen aber bis an Die Ge- nden von Freiberg ’), Torgau und Leipzig entſendete. ft am 26. Auguft ward ein fcharfes Zumultmandat laflen und fhon am 5. Sept. Eonnte die Commiſſion n Aufftand für im Wefentlihen gedämpft und die ruppen, Die einen eigentlichen Kampf nicht zu beftehen habt hatten’), für größtentheild entbehrlich erklären, ie denn auch der größte Theil diefer Truppen fchon n 12. Sept. zurüdgezogen, die Commilfion aber am I. November wieder aufgelöft wurde. Es waren an OD Perſonen verhaftet worden, von denen 34 auf den

1) Hier wurden auch dic Bergleute rebelliſch, ungeachtet ihre mptbeſchwerde aus dem Waſſermangel floß. Die Bewegung der :Sdorfer Bauern flug der General von Hiller lediglich durd ein iftiges Schreiben nieder.

3) Bei Pinnewig Fam es zu cinem Verſuche einiges Widerftandes, » aber mit flachen Säbelhicben und unter großer Beluftigung der daten abgemadht wurde. Nur 8 Perfonen find auf offnem Felde fangen genommen worden. Der Anführer, ein alter 68jähriger inöler, der in der That feiner Zeit voraus geweſen zu fein eint, fagte aber auch: „Einmal für die Bärenhäuter etwas ge⸗ gt, und nit wieder!” Bei Burgftäptel trieben 30 Küraffiere, ter dem Lieutenant von Lichtenhain, über 1200 Bauern und Bürs F, die fie mit Steinen und Sinitteln empfingen, mit Piftolen““"" ı und Säbeln auseinander. Das mar ver beftigfte Kampf.

231 Scenen ans ben ſachſiſchen Banernunrufen

Königftein kamen, aber bis zum letzten Detober 1781 Alle wieder in Zreiheit gelegt wurden. Die 40 50 Bauern, welche, troß gegen fie geübter Gewalt, alle Theilnahme am Aufftande verweigert hatten, erhielten Belohnungen in Medaillen und Gelb.

Aus den wenig erheblichen Begebenheiten dieſer un- blutigen Infurrection ift und Doc eine Scene bezeich⸗ nend erfchienen, die fich in Hirfchftein bei Meißen, einem Gute des damaligen Gabinetsminifterd Grafen Loß (f S. 215), zutrug. Die zu diefem Gute gehörigen Bar- ern hatten gleichfalls die Abficht gehabt, ihrem Gerichti⸗ berrn die allgemeinen Forderungen vorzulegen und ihn zur Gewährung derfelben zu zwingen. Er hatte abe in feinen Geſchäften einen guten Grund, fih auch in dDiefer Zeit nicht auf feinem Gute einzufinden, und in Dresden hätte man nur mit demüthigen Bitten, nicht mit gewaltfamen Forderungen an ihn kommen Fünnen. Sie mußten ihn felbft in ihrer Mitte haben. Sie fie Ben ihm deshalb einen offenen Zettel zufommen, wort fie ihn aufforderten, zum 28. Auguft ſich in Hirfchftein einzufinden, widrigenfalld er „ſehen werde, wie es feinem Bute ergehen würde.” Statt feiner erichien an dem bezeichneten Tage von der einen Seite eine hohe Com miffion, aus dem BVicefanzler von Burgsdorf, dem Hof rath von Watzdorf und dem Kreisamtmann zu Meißen, Hofrath von Welck beftehend, von der andern ein Com mando von SO Dragonern, 200 Mann Infanterie und einem Feldflüd. Das Commando hatte die Drdre zum Aufbruch in der Nacht in Meißen durch Eftafette erhal ten und war um 2 Uhr ded Morgens durch General marſch aufgeboten worden. Bet dem erften Trommel. ſchlage hörte man in der Gegend einen flarfen Schuß, wahrfcheinlich aus einem MWeinbergsböller, den man für

im Jahre 1790. 225

nen Signalſchuß der Bauern hielt. Kurz vor Hirfch- kin fah man einen Trupp Menfchen, welche ſich plög- ch nach allen Richtungen zerftreuten. Man nahm an, diefelben zu den verfchiedenen Gemeinden geeilt ien, um fie zu warnen, nicht zu dem verabrebeten ufammentreffen zu ericheinen.

In der That zeigte fich Fein einziger der Bauern uf dem Schloſſe. Nun aber wurden fie geladen, fich afelbft einzufinden, und zwar fendete man an jede &e- weinde einige Dragoner ab, die ihnen ein möglichft zahl- eiches Erſcheinen anzuempfehlen hatten, weil der Vice⸗ inzler ihnen im Namen ihres Landesheren etwas be- annt zu machen und außerdem den Auftrag habe, im tamen ihrer Gerichtsherrſchaft über gewifle Dinge mit men zu fprechen. Die Bauern fanden fich bei alle dem ur langſam und fpärlich ein. Der Vicefanzler wartete, is fich eine hinlängliche Anzahl zufammengefunden habe, ad unterhielt fich einftweilen freundlich mit den bereits Inwefenden. Auf feine Frage: wie fie fo auf einmal uf folhe wunderlihe Dinge hätten verfallen Tonnen, agte ein alter Mann: „Das willen wir felber nicht jo anz reht. Es muß doch Gottes Wille fein, daß Die Bauern auch einmal frei werben follen; fonft wäre «8 pol nicht fo gefhwind und fo einftimmig ‚sugegangen, 18 wenn ed längſt verabredet geweien wäre.” Der Beefanzler erwiderte ihm, daß Gott niemals zu wider- echtlichen Handlungen feinen Segen gebe, und verfi- yerte ihm, daß es anders kommen werde, als fie daͤch⸗ en; worin er auch Recht gehabt bat, während Gott 5 doch fo gefügt bat, daß die Bauern 42 Jahre fpäter ie Freiheit erhielten, fih auf rechtliche Weiſe ihrer aſten zu entledigen.

Nachdem endlih von jeber Gemeinde wenigftenä

10 *

7 | i | H

n et

meinden auf. Als fie in den Schloßhof hineingezogen wurden, wurde der äußere Eingang zu dieſem mit # Mann Soldaten befekt. Einige Drdonanzdragoner hie ten Im Schloßhofe, der Befehle des Wicefanzlerd ge

Bei dem Erſcheinen des Vicekanzlers auf dem U tane zogen die Bauern ihre Müten und Hüte ab und es trat tiefed Schweigen ein. Er hielt nun eine Tange

im Sabre 1790. 227

Anrede an fie, in deren Eingange er unter Anderm agte: ‚Kinder! wenn ihr bedacht hättet, wie viel Mühe ich euer gnädiger Landesfürſt gegeben hat, euch, die er vie feine Kinder liebt, den goldenen Frieden zu erhal- en, fo würdet ihr gewiß nie auf Dinge verfallen fein, velche fein gegen euch väterlich gefinntes Herz fo fehr betrüben. Ihre würdet ihn nie in Die unangenehme Rothwendigkeit gefeßt haben, feine eigenen Truppen, die nur gegen auswärtige Feinde zu fechten beftimmt find, zegen euch felbft zu gebrauchen, um euch mit Gewalt zu denjenigen Pflichten wieder anzubalten, welche euch doch von euern Voreltern angeerbt '), durch Landesver⸗ faſſung und Geſetze beftätigt und unabänderlich ’) ge- macht worden find. Ihr würdet euch nicht zu jener ſtrafbaren und thörichten Seibfthilfe durch fo geringe ’) Urſachen baben verleiten laffen, und würdet nie Die glückliche Ruhe, welche Diefes Land unter der weifen Regierung eines jo gütigen Kurfürften eine lange Reihe von Jahren bereitd genofjen hat, durch euern Ungehor⸗ fam und muthwillige Ausichweifungen geftört haben.

1) Diefer Troft mit fo ſchlimmer Erbſchaft wird ſchwerlich ver⸗ fangen haben. Beſſer vielleiht, wenn ihnen audeinandergefegt wor⸗ den wäre, daß ihnen bei Ankauf oder fonftiger Uebernahme ihrer Gäter die darauf ruhenden Laſten angerechnet worden wären und flc wm derfelben willen die Güter zu mwohlfeilerem Preiſe erhalten hät⸗ tr. Auch hätte man fie an den allbefannten, aber täglich vergeffe- wen Spruch erinnern mögen: „Was du nicht wilft, Daß man dir te’, das füg’ auch keinem Andern zu.’

J) Das wäre denn eben dad Uebel geweſen. Es war übrigens felbft damals nit einmal wahr. Im Wege freier Uebereinkunft unten aud damals dieſe Laften abgelöft und befeitigt werden. Kine ſolche Ablöſung gelang am 26. Dct. 1793 in dem zum Ritter: gut Krausnig im Amte Großenhain gehörigen Dorfe Kaundorf, def: fm Befiger der Hauptmann. von Süßmilch war. Diefe Beifpicle waren freilich fehr felten.

3) Das war 1790 freilich nit fo wahr, wie 1848.

228 Scenen aus den ſächſiſchen Beretnuuruhen

Aber ihr ſeid verblendet, verfuͤhrt und bethört worden.” Er ging nun ind Gingefne ein und ftellte den Leuten die unftreitige Unbilligfeit und Ungereimtheit ihrer For⸗ derungen fo lebhaft vor Augen, daß Viele bis zu Thrä⸗

nen gerührt worden fein follen und man, nach der Ver -

fiherung eined Augenzeugen, auf allen Gefichtern Ye berzeugung, Reue und Scham bemerken Eonnte. Hier: auf. machte er ihnen die Beflimmung und die auögebehnte Vollmacht der Commilfion bekannt, welche, nad Be

finden der Umftände, ohne weitere Anfrage felbft am : Leben ftrafen könne, und ließ dann durch den Kreisamt:

mann dad gegen die Zumultuanten ergangene gehar nifchte Patent vom 26. Auguft verlefen. Er fuhr nun folgender Weife fort: „Kehrt nun wieder zu euern 0% rigen Pflichten zurüd, lieben Leute! Gelobet mir durd einen Handſchlag an, daß ihr von morgen an eure Dienfte, wie ihr fie vorher geleiftet habt, wieder erfül len und eurer vorgejegten Obrigkeit in allem wieder voll fommenen Gehorjam leiften wolle. Setzt mich nicht in die unangenehme Nothwendigfeit, von der mir von un fern Landesheren übertragenen Gewalt Gebrauch zu machen. Seht, Kinder! ihr feid die erfte Gemeinde, zu welcher ich gefommen bin. Ich habe euch gewählt, wei ih euch für die vernünftigflen gehalten habe '), So verdient nun auch dieſes Zutrauen, und macht unferm gnädigften Kurfürften, eurer Gerichtsherrſchaft und mir, eurem Zreunde, das Vergnügen, euch felbft aber di Ehre, daß ihr auch die erfle Gemeinde feid, welche ohne

1) Hier erlaubte fih der Herr Bicefanzler doch wel eine licentis oratorica. Abgefehen davon, Daß es ihm ſchwer gefallen fein dürfte, anzugeben, warum er gerade die Hirfchfteiner Bauern für die ver nünftigften halte, Pam er doch wol zu Ihnen zuerft, meil fie ihren Gerichtsherrn, unter Drohungen, auf diefen Tag vorgeladen hatten und wol aud, weil diefer Gerichtsherr Minifter war.

im Sabre 1790. | 229

Zwangsmittel wieder zu ihren vorigen Pflichten zurüd- ehrt. Gebt den übrigen verblendeten und verirrten Un⸗ ertbanen ein gutes Beiſpiel. Iſt dies euer ernfllicher reier Wille, jo antwortet mit einem lauten Ja.” Dies es erfolgte einftimmig, jedoch nicht eben allzu laut, mag lo doch wol den guten Xeuten, die fich nicht gedacht hatten, daß ihre fanguinifhen Zraume ſich als fo gänz- ich eitel ergeben würden, etwas fauer angekommen fein. Run flieg Mann für Mann die eine Treppe hinan, gab dem Vicekanzler den verlangten Handfchlag und ging u der andern Zreppe wieder hinunter.

Bis Hierher ging alfo alles ganz glatt und hatte auch der Herr Vicefanzler noch gar nicht auf einen Un- terfchieb unter den vor ihm Verſammelten hingedeutet. Jetzt aber flellte er ein Verlangen, was den ehrlichen Bauern doch nicht in den Sinn wollte und was zu: gleich zeigte, daß er fie keinesweges alle für gute Kin- der hielt und keinesweges alles vergeben und vergefjen wollte. Er fprach zu ihnen: „Ihr habt mir, meine Kinder, jebt eine große Freude gemacht; ich danke euch dafür und verfichere, daB ich mich euch bei jeder Gele: . genheit gefällig zeigen werde. Eurer künftigen Rube md Glückſeligkeit wegen ift es aber nüthig, daß dieje- nigen böfen Menſchen, die euch durch ihren übeln Rath zu folchen unbilligen und ungereimten Handlungen ver- leitet Haben, von euch entfernt werden. Ich bitte euch daher, um eurer eignen Wohlfahrt und künftigen Rube willen, zeigt mir dieſe unruhigen, übeldentenden Men: den an.” Er machte eine erwartungsvolle Paufe, aber ed ſchwieg. „Nun will Niemand reden? Ich fordere Diefes als die erfte Probe eures mir fo eben von neuem angelobten Gehorſams. Noch immer alles file? Wer waren denn Diejenigen, welche euch zu⸗

230 Scenen and ben ſächſiſchen Bauernunruhen

erft aufammenberiefen, in ihren Häufern heimliche Ju: fammenkünfte hielten, euch zu bereden fuchten, eure Guts⸗ und Gerichtsherrſchaft alle Dienfte und allen Ge borfam förmlich aufzufagen? Wer unter euch bat bie deswegen gemachten Schriften zuerft abgefaßt? So habt euch Doch felbft Tieb, Tieben Leute! Wenn man fih aus dem Grunde curiren will, jo muß man di böfen Säfte und Unreinigkeiten aud dem Körper ſchaf fen, welche die Veranlaffungen zu gefährlichen Krank beiten gegeben hatten. Ebenfo ift es mit euch. Ihr

—_....-

werdet nie ganz ruhig, nie ganz glüdlich werden, fe : lange ihr die böfen, ſchädlichen Menichen unter ud : duldet“). Indeß Fein Bauer wollte zum Angeber fe

ner Nachbarn werden, was man fi) um fo mehr vor

ausfagen Fonnte, ald ein ſolches Angeben offen vor "

allen Xeuten erfolgen follte. Nach einiger Paufe fuht der Vicefanzler fort: „Nun, wenn ihr euch das Ver

dienft, die böjen Menſchen felbft angegeben zu haben, .

nicht felbft erwerben wollt, wozu ich euch bie fchönft Gelegenheit gab, fo will ich fie euch felbft nennen und euch überführen, daß und alles befannt ift, was unte euch vorgegangen, und nichts unbekannt bleiben wird, was ihr etwa in Zufunft vornehmen werdet.“

Er nannte nun zuerft den Richter zu Bahre mit Vor: und Zunamen. Als diefer mit zitternder Stimmt fih meldete, hieß es: „Ihr feid arretirt; Drage ner, nehmt ihn einftweilen in Werwahrung.” Gin Unteroffizier führte ihn zwifchen zwei Dragoner, die ihre Säbel blanf zogen. Nun kam großer Schreden übe bie Bauern, von denen Keiner ficher fein mochte, ob

| I) Und do hatten dieſe böfen, ſchädlichen Menſchen auch ihren Handfälag gegeben und waren als liebe Kinder belobt und verbanft worden!

im Jahre 17, al

sucht Die Reihe auch an ihn fommen werte, da in der Chat in diefer Sache von eigentlichen Verführern und Räbelsführern wol fchwerlich die Rede fein konnte. Der Bicefanzler nannte noch einen Zweiten, der fich zwar nicht zu erkennen geben wollte, aber bald entdedt und wm dem bereits Verhafteten geftellt ward. Ein Dritter war in der That nicht zugegen, wurde aber fofort durch einige Dragoner geholt. Er wollte gleich die Treppe binaufgeben und den Vicekanzler um Gnade bitten; aber diefer wies ihn mit folgenden Worten ab: Ihr hieltet's vorhin nicht für nöthig, mit mir zu ſpre⸗ den, da ich euer Erfcheinen befohlen hatte; nun habe ich auch Feine Zeit, mit euch zu fprechen.”

Die Herzen der übrigen, noch ängſtlich barrenden Bauern erleichterte der Vicekanzler barauf durch folgende Eklärung: „Dit diefen Dreien mag es genug fein. Ihr ſeid zwar Alle ftrafbar, und ich könnte noch Manchen zu einer befonderen Züchtigung und zu einem warnen» den Beifpiele für die Andern auswählen; aber ich will Keinen von euch weiter unglüclich machen. Erwartet an in ruhiger Gelafienbeit, was die Gnade des Kur⸗ fürften und eine weiſe Landesregierung zu eurem Beften md zum Wohle des ganzen Landes weiter verfügen wird '). Habt ihr in der That gegründete Befchwerben, ſo laßt fie durch einen geſchickten Rechtsgelehrten ordent⸗ lih aufſetzen und bringt fie am gehörigen Orte an. Der Gedanke ftrafbarer Selbfthilfe fei von nun an auf ewig

1) Auf eine wahrhaft weife Anordnung zu ihrem und des Landes mußten fie freilih noh 42 Jahre warten. Bor der Hand Wurden nur die Behoͤrden zu möglihfter Beſchleunigung ber zwiſchen „wbrigkeiten und Unterthanen“ anbängigen Proceffe und „moͤglichſt irzliher, den Rechten und der Billigfeit gemäßer Grörterung und end der fi fofort gegründet darftellenden Beſchwerden“ ans ewieſen.

232 Scenen and den ſächſiſchen Bauernunruhen

aus euern Herzen verbannt; laßt der Gerechtigkeit ihren Lauf und beobachtet pünktlich die einmal angenommenen Sefete und Gebräuche. Ihr feht in mir den Wicefany fer der Landesregierung, welches hohe Collegium auf die Wohlfahrt des Bauernflandes jederzeit Die größte Rückſicht genommen bat’) und auch in der Zukunft nehmen wird.”

Er fragte hierauf: „Habt ihr wider euren Gericht herrn Beichwerden anzubringen?” Die allgemeine Ant wort war: „Nein, wir können uns in feinem Stücke über unfern gnädigen Herrn beflagen; aber über ben Pachter haben wir allerdings verfchiedene Klagen zu führen.” Nun erhoben ſich auf einmal fo viele Stim men, daß man feine vor der andern verftehen konnte. Auch wider den Gerichtöhalter brachten Einige etwas an; aber man Eonnte nicht8 Deutliches vernehmen. Der Vicefanzler aber fagte: „Kinder, bie Zeit iſt jegt zu kurz, und ich Fann das nicht alles im Gedächtniß be halten. Laßt alles ordentlich auflegen und ſchickt es ber Landesregierung, wo alled gehörig unterfucht werden wird. Nur müßt ihr Geduld haben; denn auf einmal kann nicht gleich Allen geholfen werden.”

Er fagte nun noch: „Ich habe nun noch eine Frage an euch zu thun, und ich bitte euch, mir biefelbe mit Aufrichtigkeit zu beantworten. Wer unter euch hat die fen unverfchämten Zettel, welchen ihr an euren Gerichti⸗ beren geſchickt und ihn ordentlich wie einen Verbrecher

1) Dies war infofern wahr, als vie Landesregierung in MI That darauf hielt, daß von den Bauern nit mehr gefordert wurd, als ihnen rechtlich oblag. Aber es lag nicht in der Sphäre dieſch Gollegiums, fi über ‘den Stanppunft des erworbenen Kteqhto iM einer rechtlichen Audgleihung und Befeitigung des ganzen niffes zu erheben. Die Beſchwerden, um die es ſich handelte, hebe das Collegium noch überlebt.

im Jahre 1790. 233

orgeladen habt, gefchrieben? Sagt mir das. Euer gü- ger Gerichtöherr verzeiht dem unbefonnenen Schreiber iefe grobe Unverfchämtheit. Ich verfpreche euch daher, daß em Menfchen nichts zu Leide geſchehen foll; aber für die weunft ift es doch nöthig, DaB man ihn jeht Fennen ent und vor weiteren Xhorheiten warnt.” Anfangs pollte Niemand mit der Sprache heraus; endlich, auf yeitered Bitten und Anhalten, fagte eine Stimme: Der Schulmeifter hat diefen Zettel gefchrieben.” Heut: utage würde das dem Vicekanzler nicht fehr befrembdend rigienen fein. Die damaligen Schulmeifter aber waren jöchftend Schreiber, felten Rathgeber, viel weniger Ver: yeßer ihrer Bauern, und fo fagte er: „Ei ei, ich kann nie nicht vorftellen, daB der Kinderlehrer folche Dinge von freien Stüden unternommen haben follte. Ihr werdet ihn wol genöthigt haben, den Zettel zu fchrei- ben; wenigftend werdet ihr ihm vordictirt haben. Wer iſt das geweſen? Das werdet ihr wol gewefen fein‘ bier nannte er einen der verhafteten Bauern „ihr habt gewiß dem Schulmeifter dieſen unfinnigen Zettel dittirt.“ Der Bauer entgegnete trogig: „Ich kann nicht dictiren, denn ich habe es nicht gelernt.“

Endlich ſchloß der Vicefanzler, den Punkt mit dem Zettel auf weitere Unterfuchung verweifend, mit den Borten: „Nun, Kinder, geht wieder in eure Wohnun- gen zurück, und fucht von morgen an durch den puünkt⸗ lichſten Gehorſam gegen eure vorgefeßte Obrigkeit und durch die genauefte Erfüllung eurer Pflichten eure ge machten Fehler wieder gutzumaden, in die Vergeſſen⸗ beit zu bringen und euch der Tandesväterlihen Gnade md Huld des vortrefflichften Kurfürften wieder ganz würdig zu machen.” Die Bauern wurden nun entlaf- fen, die drei Verhafteten aber auf die Wache gebracht.

234 Scenen aus ben ſächſiſchen Bauernunruhen

Die Richter (Schultheißen) erhielten. jeder ein Eremplar bed ergangenen Patents, um es öffentlich anzufchlagen, wurden auch noch mündlich inftruirt, wie fie fich ferner bin zu verhalten hatten. Auf Anordnung des Comman danten hatte ein Offizier den vor dem Schloßthore la gernden Soldaten, damit fie Die fortgehenden Bauen nicht etwa infultirten, den Hergang der .Sache erzählt,

- worauf fie in ein Freudengeichrei ausbrachen. Als nu

vollends einige Tonnen Bier gebracht wurden, trank fie fröhlich auf die Gefundheit des Vicekanzlers und kamen auch den fich fchüchtern fortfchleichenden Bauer mit vollen Feldflafchendedeln entgegen, worauf fich denn bald alles in Friede, Freundſchaft und Fröhlichkeit unter Soldaten und Bauern auflöfte. Noch am Nachmittag deſſelben Tages kehrte Dad Commando wieder in feine Standquartiere zurüd und nahm feine Arreftanten mit

—— ——

Außer Zuſammenhang mit jenen Bewegungen in der meißen-lommabfcher Gegend ſtand ein anderer Ad bauerlicher Selbfthilfe, der fich Furz vor diefen Vorgän- gen in dem in der fogenannten fachfifchen Schweiz ge legenen Amte. Hohenftein zutrug und zu welchem de Sagdbeifhwerden Anlaß gaben. Diefe hatten in Sachſen freilich lange nicht mehr den Charakter em früheren Zeit, und wenn auch der damalige Kurfürk perfünlich ein Sreund der Jagd war, fo ging er bed diefem Vergnügen meift nur in beftimmten Gegenden nach, welche von ihrer Auswahl dazu anderweit großen Nugen zogen, bielt übrigens Feine Parforcejagden, wi

noch der gleichwol allgeliebte Water Franz von Deſſau und fparte Fein Geld, den auf Anlaß feiner Riehhabern

im Jahre 1790. 235

etwa entflandenen Schaden jo reichlich zu vergüten, daß Güter, die ſolchem Turfürftlichen Wildfchaden ausgeſetzt weren, oft gerade beshalb höher im Preiſe fanden. Hörte er aud anderen Gegenden Klagen über zu großen Wildſtand, fo flellte er zu deflen Verminderung große Jagden an, fand aber dann öfters, daß die Befchwer- den fehr übertrieben gewefen '). Richtig aber war es, daß bei den damaligen Zorftleuten, im Gegenfabe zu der ſpäteren Zeit, Die Jagd noch über der Waldcultur ſtand, das Wild ihre Liebhaberei war und ihr Stand fh als ein vom Kurfürften begünftigter fühlte. In der hohenſteiner Gegend hatte nun in jenem Jahre ein Bauer ein Stüd Feld umzäunt, um ed gegen Das Wild zu Ihügen. Dazu war er volllommen berechtigt; nur durfte die Umzäunung nicht aus fpigigen Pfählen be- fithen, oder mußte eine beftimmte Höhe haben, damit das Wild das Ueberfegen gar nicht wagen, oder wenn ed gleichwol darüber febte, fich nicht ſpießen könne. Sei es nun, Daß er diefe Vorfchriften nicht beachtet, oder daß Chicane und Feindichaft im Spiele gewefen, ber Bauer fand eined Tages jene Umzäunung eingeriffen md das Wild Hatte Died zum Schaden feines Zeldes benußt. Er gab dem ihm feindlichen Forftbeamten die Schuld und ward durch feine bittern Beſchwerden gar Urfache, daß 14 Dorfihaften im Amte Hohenftein

IJ) Möglich freilih, daß es ihm gegangen ift, mie dem Herzog Jeſeph von Altenburg, welcher, auf oͤftere Beſchwerden aus den wettihen Gegenden feines Landes über zu großen Wilpftand, dic enfteften Befehle ergehen und endlich durch einen erfahrenen und dvöig unparteiifchen Zorftmann aus dem Auslande die Sache unter: fagen lich, aber zu feiner Berwunderung erfahren mußte, daß die deſchwerden gänzlih ungegründet feien und der Wildſtand über: taſchend niedrig wäre. Weder der Herzog, nod jener Ausländer Baßten, daß immer die Naht, bevor der Letztere in ein Revier Pam, daß Wild in ein andres getrieben worden mar!

236 Scenen aus den ſäachſiſchen Banuernunrnhen

fi) zu dem Entſchluſſe vereinigten, an Einem Ta Wild von ihren Fluren wegzujagen. Aus jedem ward ein Dann dazu aufgeboten und die Sache That, allen Abmahnungen der Obrigfeiten und der beamten zum Trotze, ausgeführt. Gegen einige % amte kamen Ercefle vor. Das Wild warb von ben Verfchworenen blos verjagt, aber nicht erlegt. Na aber hielten ſich nun die Beftger derjenigen Flure welche ed gejagt worden, auch berechtigt, ed wei fheuchen, und fo verpflanzte ſich dieſe Wildvertr aus einer Gegend zur andern, wobei ed denn auch zu mehr als bloßem Verjagen des Wildes 1 Die Sache machte viel Aufſehen. Manche St verlangten gänzliche Ausrottung des Wildes, ſtrengſte Aufrechthaltung der Jagdgeſetze und $ fung des gegen fie begangenen Frevels. Der K ließ zuvörderſt die Beſchwerden gründlich unter und als er erfuhr, daB fie zwar fehr übertrieben doch nicht völlig grundlos feien, fo ordnete er | allgemeine große Zreiben und Jagden an, bei alles Wild ohne Rüdficht niedergefchoflen werder Es ward zur Anzeige‘ aller Wildſchäden aufgef Alles eigenmächtige Iagen, Treiben und Schießen ernftlih und bei Strafe unterfagt. Wenn die Laı ein ſchädliches ausgetretenes Stück Wild bemerkt ſollten ſie es dem Jäger ſogleich anzeigen, damit wegſchieße. Die Forſtbedienten erhielten die gem Anweiſung, zu feiner gegründeten Beſchwerde! zu geben. Bei den Jagden, welche lange vor | wöhnlichen Sagdzeit gehalten wurden, durften die leute jelbft mit helfen und thaten dies mit großem Doh mußte man, weil im Anfange einige Str ten zwifchen den Bauern und den Forftbeamten

im Sabre 1790. 237

fallen waren, fpäter zu jeder Jagd ein Detachement Reiter beigeben. Uebrigens fand man auch dies mal bei weitem richt fowiel Wild, ald man erwartet hatte Beſtraft wurde aber Niemand; vielmehr begnadigte der Kurfürft die dem Geſetze nach allerdings ftrafbaren Anftifter und Theilnehmer jener Selbfthilfe gänzlich ').

1) &. von Liebenroth, Zragmente aus meinem Tagebuche (Dresden und Leipzig, 1791) I, 120 fg., Il, 228 fo.

VI. Karl Gottlob von Nüßler 9.

Ein Beitrag zur Sittengefhichte des bentfchen Hof⸗ und Beamtenwefend.

Der Sohn eines in der Schlacht auf dem weißen Berge, oder in Folge derfelben umgekommenen böhmifchen Obri- ften war nach Schlefien und der Oberlauft geflüchtet und hatte dafelbft feinen czechiichen Namen mit dem deutfchen Nüßler von Nüßler vertaufcht. Sein Ente, Johann Gottlob, war Dr. der Medicin, Eaiferlicher Pfalz graf, Rath, Leib- und Hofarzt des Fürften Ferdinand Auguft Leopold von Lobfowig ’), Phyficus zu Sagan und Mitglied der Leopoldinifchen Akademie. Sein Tod fol durd) den zweiten Sohn ’) diefes Fürften bewirkt worden fein. Diefer war wider feinen Wunfch zum geiftlichen Stande beftimmt worden. Nun follen die Jeſuiten, welche bereitö vergeblich verfucht hätten, Nüß-

1) Erläuterter Auszug aus Büſching's Leben dieſes Mannes.

2) Geb. 7. Scyt. 1655, kaiſerl. wirklider Geheimerrath und Principals Gommiffarius auf dem Reichsſtage zu Negendburg, T 3. Oct. 1715.

3) Wird Georg Chriftian, Sohn des Dbigen und der Prinzeſſin Maria Anna Wilhelmine von Baden, gemwefen fein. Geb. 10. Au guft 1686, + er als Ritter des goldenen Vließes, k. k. wirklider Fa Generalfeldmarfhall und Gommandirenver in Ungam

ct. 175

Karl Gottlob von Rüßler. 389

vergiften, dem Prinzen vorgefpiegelt haben, Nüß- ber Urheber jened dem Prinzen fo unangenehmen end. Der Prinz vermochte den großen Eugen avoyen, fich für ihn bei dem Fürſten zu verwen- id Nüßler unterftüßte das Gefuch, aber der Fürft fl. Nun gab Eugen dem Prinzen ohne weiteres mpagnie Dragoner und half ihm auch fpater zu Resimente. Der Vater konnte das nicht hindern, er dem Prinzen Fein Geld und auch davon wurde yuld auf Nüßler gefhoben. 1711 fand der Prinz nem Negimente bei Grünberg und ließ Nüßler en Befuch bitten, da er nicht wohl fei. Nüßler ch fogleich, in Begleitung ſeines zweiten, da⸗ bjährigen Sohnes Friedrih, zu ihm. Er ward rundlich empfangen, fand aber den Prinzen wohl uhr von ihm, daß er ihn nur babe fehen und egiment zeigen wollen. Died rüdte am andern a8 und der Prinz fragte Nüßler, ob er mit ihm volle. Diefe Einladung nahm Nüßler, der ein Reiter zu fein glaubte, mit Vergnügen an. Jetzt a. nun der Stallmeifter des Prinzen, ein vertrau: und des fefuitifchen Beichtvaters, ein Pferd zu: haben, das den Koller gehabt und bereitd einem dab Leben gefoftet. Dies ging denn, fobald das ‘anfing, richtig mit ihm durch und warf ihn der⸗ ab, daß er für todt aufgehoben wurde und einige m darauf, am 16. Auguſt, verfchieb, nachdem er ulten, Die ihm Die letzte Delung reichen wollten, Zeichen abgewieſen. Der Prinz ließ das tolle todtſchießen. An der Sache ift jedenfalls wahr, e Dr. von Nüßler an den Folgen ded Sturzes vom wilden Pferde geſtorben ift und möglich ift ß dabei von Seiten bed Prinzen eine Neckerei

240 Karl Gottlob von RMler.

beabfichtigt wurde; unmwahrfcheinfich Dagegen, daß Nüf- ler's Tod in der Abficht des Prinzen, oder auch nur der Iefuiten gelegen. Wäre das Pferd als ein fo völ⸗ fig unreitbares, feinem Reiter einen unfehlbaren Tod drohendes bekannt geweien, fo hätte der Prinz es wol längſt befeitigen Laflen. Der Verunglüdte ward in be evangelifchen Kirche zu Sagan begraben, wo ihm ein fteinerned Denkmal mit feinem Bildniß und Wappen errichtet ift. Er hinterließ eine Witwe, Johanna He- wig, geborene von Myngen, und vier Söhne: 1) Jo⸗ hann Marimilian, damals bei dem Rector Hoffmann in Görlitz in Penfion, fpäter fächfifcher Offizier und al Hauptmann bei den Klingenbergifchen Dragonern 17% an einer Wunde geftorben, die er bei einem Ausfall aus Krakau erhalten '); 2) Johann. Friedrich, 1759 ald hollaͤndiſcher Obriftlieutenant im Haag verftorben; 3) Karl Gottlob; 4) Erdmann Ferdinand, welcher 1734 als Hauptmann bei der fächfiichen EChevaliergarde mit Tore abging. Die Mutter verließ, aus Furcht, daB man eine katholiſche Erziehung ihrer Kinder erzwingen möchte, Sagan in einer Gewitternacht heimlich und ging nad der Niederlaufiß, wo fie Capitalien ftehen hatte und ik weiteres Leben verbracht bat.

Karl Gottlob von Nüßler, ihr dritter Sohn, war am 8. Mai 1697 zu Sagan geboren und in ber katholiſchen Auguftinerfirche getauft worden. Der Vater, vielfad auswärts, felbft in Wien beichäftigt, überließ die Sorge für die Kinder gänzlich der Mutter. Dem verfiebten Charakter feiner Amme hat Nüßler feine ſpätere entipre chende Neigung zugeichrieben. Die Kinder hatten ven 1) Gr war mit Zohanna von Gerddorf verheirathet, die er Aid, wie wir fehen werden, erfämpfen mußte, und brachte durch fie ober⸗ laufigifhe Güter an tie Familie.

Karl Gottlob von Rüßler. 241

ſchiedene Haußlehrer, worunter Iohann Georg Heinfius, nachher Profeſſor erft zu Iena, dann zu Reval (+ 1733), dee Tüchtigſte. Karl ftand im Alter von 10—12 Jahren, ds er einmal auf den Einfall gerieth., ohne Vorwiſſen fäner Familie nach Breslau zu gehen, was er auch mit wenigen Thalern ausführte, feinen Weg über Liegnig nahm und fi) unterweges alles beſah und auffchrieb. Ws er in Breslau die Sefuitenkirche befah, Fam ein kai⸗ ſerlicher Offizier auf ihn zu, küßte ihn und gab fich ale nen ehemaligen Bedienten des Nüßler'ſchen Haufes zu erkennen, den der Vater an das Robkowigifche Regiment empfohlen und der durch feine Gefchichlichfeit im Schrei- ben bis zum Adjutanten geftiegen ſei. Ein hinzufom- menber Iejuit, dem der Name des Knaben genannt wurde, fagte gleich, daB der Pater Rector des Cole zu Sagan bereitd gefchrieben habe, ed werde ein

Knd dieſes Namens vermißt. Der Knabe machte fo: die Lüge: er fei von feinen Eltern hierher auf evangeliihe Magdalenengymnafium zu dem Rector Granz geſchickt worden; vielleicht aber fei ihm fein jüng⸗ fer Bruder, der ihn fehr liebe, nachgegangen. Dem Offizier geftand er aber nachher, auf freundliche An⸗ ſprache, den wahren Sachverhalt, worauf ihm diefer zwar einen erbetenen Ducaten lieh, ihm aber ehr ver- minftig erflärte, daß er ihn nicht allein zurüdkeifen laſ⸗ fm könne. Da aber eine Einladung von dem Pater Rec- ter der Sefuiten dem Knaben Furcht machte, fo entfloh er, mit Zurüdlaflung feines Manteld, und blieb die Nacht bei einem evangelifchen Schufmeifter am Zuße des Zobten- berges, bei dem er fich für einen evangeliſchen Schüler aus Breslau audgab, der auf die hirfchberger Schule sole. Er beſah ſich andern Tages den Zobtenberg md dann die Merkwürdigkeiten von Hirfchberg. Hier

J. | 11

242 Karl Gottlob von Nüßler.

war die Wirthin eines Weinhändlerd Tochter aus Sa gan und wollte in einigen Tagen dorthin reifen. Er erbot ſich zum Reifegefährten und machte einflweilen in Geſellſchaft eines alten Mannes einen Ausflug nad dem birfchberger Bade und der Schneekoppe. Als er ſich Sagan näherte, kam erft die Angſt; indeß be Freude feiner Mutter und feines Lehrers Heinfius über feine Rückkehr erfparte ihm die Strafe.

1718 bezog er die Univerfität Iena, wo er, wie fein früher dahin abgegangener Bruder Friedrich, unter der Aufficht ihres alten Lehrers Heinfius fand, de eben mit Zriedrich nach Iena gefommen war. Nachher wollte fich Friedrich dieſer Aufficht entziehen und lebte in der wilden Weife der damaligen Ienenfer, weshalb ihn feine Mutter, auf Heinfius’ Weranlaffung, nad Holland fchiete, dem jüngern Nuͤßler aber ein frommer Zheolog zum Stubengefellen gegeben ward, deſſen pl ficher Tod ihn tief ergriff. Später ging er nach Leipyz, wo er nur '; Iahr blieb und dann nah Wittendeg, wo damald, außer dem nachher fo berühmten Grafen Zingendorf, auch der junge Graf Morig Karl zu Lynn ftubirte, defien Diutter der feinigen befreundet war. Er vertheidigte bier, unter Weidler's Beiſtand, eine Differ tation de recursu cometarum. Be einem Ausflug nah Halle, wohin er den Stallmeifter Gebauer zum Einfauf von Pferden für das in Dresden, zur Vermaͤh⸗ lungsfeier des Kurprinzen (Sept. 1719), zu haftende Garroufel begleitete, befuchte er Wolf, Zhomafius, ir dewig, der fpäter fein Schwiegervater ward, Gunbiing, Böhmer und Franke. Dann begleitete er Gebauer ch nach Dresden, wo ihm der Oberftallmeifter Graf ver Sternberg die Theilnahme an den damaligen Feftikh feiten erleichterte. Diefe Reife hatte aber fo vie GM

L D

Karl Gottlob don Rüßler. 243

gekoftet, daB er nur noch 7. Jahr in Wittenberg bfieb und ohne die beabfichtigten Disputationen im juriſti⸗ ſchen und mathematifchen Fache abging.

Bein Wunſch war nun zunädft, an einem Hofe Bavalier oder Stallmeifter zu werden, und er befuchte deshalb namentlich die anhaltifhen Höfe, am längſten Bernburg. Seine Mutter meinte aber, fie hätte das stele Geld, was feine Studien gekoftet, nicht angewen⸗ vet, um ihn in einem Pferdeitalle angeſetzt zu fehen. Wie es zu gehen pflegt, bat fie ihn fpäter Doch ſelbſt in eine Function gebracht, zu der er weder Jurispru⸗ benz, noch Mathematik brauchte. Vorher aber lebte er ſeit 1720 bei feiner Mutter, fah zu, wie fie nach und nach feine wittenberger Rechnungen bezahlte, und ging uf die Entenfagd. Hier wäre er einmal beinahe von nem tollen Menfchen erfchoffen worden. Ein Herr von Sehlieben, dem das Städtchen Vetzſchau gehörte, wohnte, mit feinen drei Söhnen, in dem Dorfe Strado '), wo ſich auch die Kamilie Nüßler aufhielt. Der jüngfte Cohn, Eberhard, hatte auch in Wittenberg ftudirt und ſuchte Hoſdienſte; er war eiferfüchtig auf Nußler und Mitt fich viel mit ihm. Eines Tages fagte ihm fein Bater, den er um Geld baf, er habe Feines und fei der ſeau von Nüßler und dem von Nofliß zu Vetzſchau Anſen ſchuldig, von Letzterem auch gemahnt worden. Eberhard fuchte jetzt unfern Nüßler mit einer geladenen Flinte auf der Jagd auf und ald er ihn nicht fand, ging er zu Roftig, defien freundliche Einladung er damit ver: geit, daß er ihn auf der Stelle niederfchoß, worauf er fh in ein Kornfeld verbarg. Er ward gefangen, aber

Strado und Betzſchau teres ein ganz wendiſcher Drt ‘pn Dem calancr A ‚ie ganz diſcher 9% 11*

244 Karl Gottlob von Rüßler.

für wahnfinnig erflärt. Sein Vater verfaufte Das ı Jahr Vetzſchau an bie Witwe des Herzogs Friebrid MWeißenfeld : Dahme, Aemilia Agnes (f. unten) 60,000 Thlr. In dem neu gebauten Schloffe Eberhard, zu deilen Suftentation die Zinfen von Thlrn. zurüdbehaltenen Kaufgeldes beflimmt w ein Gefängniß, in welches ihm die Speifen Durd Deffnung gereicht wurden und in dem er noch 30 gelebt hat.

Nüßler erhielt von feiner Mutter Erlaubniß zu Reife nach Holland. Hier führte ihn der Umftant in feinem Gafthofe englifche Pferde flanden, zu Bekanntſchaft mit dem Könige Friedrih Wilhelm ] ihm eine DOffizierftelle anbot. . Seine Mutter abe kurz vorher ein Schäferfnecht weggenommen und die Soldaten gefteckt worden war, ſchlug nicht nu fondern auch die Reife nad) Holland ab. Jetzt & aber in Strado die Poden aus. und nun trieb fie Sohn Karl, der diefe Krankheit übrigens nie beko bat, in das birfchberger Bad, auf welcher Reife muskauer Pofthaufe in eine Stube Fam, wo vier ! an den Poden lagen. Später ward ihm eine $ nantöftelle in ſächſiſchen Dienften angetragen. Mutter aber verfchaffte ihm 1722 einen Poften al cavalier bei der auf dem Schloffe Drehna ') wohn feit 1715 verwitweten Herzogin Aemilia Agnes ?

1) Drehna ift eine nicderlaufigifhe Standesherrſchaft, zu 2 Nittergüter und 13 Dörfer gehören, und ift jest im U Zürften Zynar. '

2) Sie war die Tochter Heinrich's I. Grafen Reuß zu war am 11. Auguft 1662 geboren, am 11. Auguft 1682 m Balthafar Erdmann von Promnig (geb. 9. Ian. 1659) ve ward am 3. Mai 1703 von ihm Witwe, heiratete am 13 1711 den Herzog Zrievrih von Sadfen= Weißenfeld » Dahme

Karl Gottlob von. Rüßler. 245

Baden » Weigenfeld - Dahme, geborenen Gräfin von Reuß⸗Schleiz. Diele Fürſtin war früher mit dem Gra⸗ fen .Balthafar Erdmann von Promnitz zu Sorau ver heirathet geweien und kannte die Frau von Nüßler feit diefer Zeit. Sie erzog ihren Enkel, den Grafen Bal- thafar Friedrich von Promniß '), deſſen Hofmeifter ein Sranzofe Le Fevre war. Ihre Gefellfchafterin war eine Srafin von Rindsmaul; ihr Dberhofmeifter ein Baron son Schulenburg. Noch hatte fie zwei Hofdamen, einen Kammerjunker (von Eaprevi), noch einen SHofcavalier (von Minfwig), einen Hofprediger (Schmidt) und eine Hofnärrin, die Kathrin Liefe, mit deren Sohn Karl bei fih. (Xebtere fcheint die einflußreichfte Perſon in der Umgebung der Herzogin geweien zu fein.) An Die em Beinen Hofe lebte nun unfer Nüßler ald zweiter Hofcavalier, arbeitete auch in der Kanzlei und diente der Herzogin in Procefien.

Einen folhen Hatte fie mit dem Lbriftlicutenant Johann Friedrich von Flemming auf Weiffig, welcher ei Bücher: „der Soldat” und „der Jäger” geichrieben bet”) und ein wunderlicher Kauz war. Won feinen fünf Bedienten fpielte Einer einen Dudelfad in Form eines BWolfes mit gläfernen Augen, die Uebrigen Violinen und Baldhörner. Durch fie gab er der Herzogin Eoncerte und ließ zu den Zänzen des Hofes aufipielen. Er hatte

an 16. April 1715 aud von diefem Witwe und ftarb am 25. Octo⸗ ber 1720.

1) Ueber die merkwürdigen Vorgänge in diefer Familie behalten Sr uns Näheres für die Zukunft vor. 2) Der volllommene teutſche Jäger erſchien 1719— 23 zu Leipzig ia 2 Foliobaͤnden; der vollkommene teutſche Soldat ebendafelbft 1726. ing war in feiner Jugend in Frankreich, England, Holland und Deutfähland gereift und hatte erft in fähflihen, dann in pals niſchen Dienften geftanden.

in einer. Lache. Flemming behauptete, daB bie ihm gehöre, und forderte Auslieferung des Hirſche Beftrafung des Jägers. Die Herzogin beſtand au Gegentheil und befahl, zum Zeichen ihres Beſitze einige Bäume in der Lache fällen und auf ihr bringen zu laſſen. Jetzt rüdte Flemming mit Truppen und 2 Kanonen an, befebte alle Zugäs dem Bruche und erflärte den Ammann der Her Schulz, für feinen Gefangenen. Diefer glaubte an die Sache jei Spaß, ward aber nachträglich grob rauf ihn Flemming in Ketten fchlagen, nach der & bringen, Standrecht halten und ihn verurtheilen drei Tage nach einander auf dem hölzernen Ef reiten, welches Urtheil auch fofort vollzogen warb. Herzogin ließ durch ihren Hofrat an Flemming ben, woran er fich aber nicht kehrte. Sie ſchickte Nüßler zu ihm und da ward der Auftritt fo heftig feine Gemahlin in höchſte Angft gerieth und ben mann [osließ. Die Herzogin zeigte den Vorga der Oberamtörenierung au Lübben an und bat um |

Karl Gottlob von Rüßler. 247

en. Bald darauf reifte der Feldmarſchall von Flem⸗ ming ') durch Diefe Gegend nach Polen, nahm eine Ein-

ledung feines Vetters an, ließ fich feine Bauern, jedoh ohne Uniform, vorftellen, fuchte fi) 6 davon für fein Regiment aus, verbot den übrigen bei Feſtungsſtrafe alles fernere Soldatenfpiel, ließ Die Kanonen nach Luckau bringen, gab dem Bieutenant Schulz einen fcharfen Ver⸗ weis, zugleich aber eine Empfehlung, die ihm einen Poſten auf der Feſtung Königftein verfchaffte, und Tieß der Herzogin, die ihn durch Nüßler becomplimentiren ließ, fagen: er habe feinen Wetter wieder in Drbnung gebracht und der Herzogin Genugthuung verſchafft; fie möge nun ihm zu Gefallen demfelben, der ihr demüthige Abbitte thun und fich Fünftig ehrerbietiger betragen werde, vergeben. Die Herzogin wollte aber Flemming noch immer nicht fehen, felbft dann nicht, ale der am meiften beleidigte Amtmann, den er durch perfünlichen Beluch und die Bitte um Vergebung und Fürfprache vollfom- men befriedigt hatte, fih für ihn verwendete. Der Amt: mann rieth ihm endlich, fich fchriftlih an Nüßler zu wenden, und diefer ſchloß mit ihm einen fchriftlichen Bergleih, in welchem ſich Flemming aller Anſprüche af die Lache und den Bruch begab, fein Verfahren für recht erffärte und die Koften (an 200 Thlr.) über- nahm. Nun erfchien er mit feiner Gemahlin bei der

1) Es ift dies Jakob Heinrih von Zlemming gemwefen. sDerfelbe wer am 5. März 1667 geboren, machte erſt Univerfitätsftudfen, reiſte nach England, wohnte ven Feldzügen von 1689 93 in ver- fHledenen Armeen als Volontair bei, ward dann kurſächſiſcher Ge⸗ neraladjutant und Obriſter, viel in militairifhen und diplomatiſchen Tunctionen gebraudt, Haupthebel der Koͤnigswahl Auguft’s von Polen und Sachſen, 1698 Generalmajor und Generalpoftmeifter von Sachſen, 1700 Großſtallmeiſter von Litthauen, 1705 General, 1712 Generalfeldmarſchall und Gabinetöminifter, + 30. April 1728. Er war erft mit einer Sapieha, dann mit einer Radzivil verbeirathet.

248 Karl Gottlob von Rkßler.

Herzogin, bei welcher viel benachbarter Adel war, und redete fie mit den Worten an: „Ew. Durchlaucht wer: den dem tollen Flemming vergeben, er fol es nidt mehr thun“, worauf fie antwortete: „Sa wol recht tol; doch es ift alled vergeben, der Herr Feldmarſchall hat alles wieder gut gemacht.” Da er nun auch der Kath: rin Liefe einen fetten Hammel mitgebracht hatte, fo war alles wieder gut.

Außer folhen Intermezzos tröftete unfern Nüßler in diefer Hofmwüfte der Umgang mit einer Dame dei Hofes, der er die neueften Schriften mittheifte und zur Unterredung darüber freilich Feine andere Zeit und Staͤtte finden konnte, ald die Abendftunden nach der Tafel von 10 12 Uhr und das Zimmer der Dame. Died war der Herzogin in gehäffiger Weile hinterbracht worden und fie belaufchte ihn einft felbft, ald er in einer Som mernacht erft um Ys 1 Uhr die Dame verließ und übe den großen Saal vor der Herzogin Zimmer zu feine Stube im dritten Stod ging. Am nächften Tage mußte er mit der Herzogin ausfahren, wo fie ihn denn gleich mit folgenden Worten anredete: „Höre Er nut, ich bin darüber fehr unzufrieden mit Ihm, dag Er ſich mit der fo familiair macht und bis des Morgens um 1 oder 2 Uhr bei ihre in der Schlaffammer fißel. Laſſe Er das bleiben, oder wir werden Unfreunde und ich gebe von Seiner Aufführung Seiner Mutter No richt." Nüßler ftellte die Sache im unverfänglid: ften Lichte dar, wobei er Aeußerungen that, aus denn fih auf hohen Stand der Dame fchließen läßt; es blieb aber bei dem Verbot.

1722 begleitete Nüßler die Herzogin in Promnikt hen Angelegenheiten nach Breslau und mußte auf noch einige Zeit nach ihrer Rückreiſe dort verbleiben.

Karl Gottlob von Rüßler. 249

dann wohnte er der Hochzeit feines älteften Bruders Rarimilian mit dem Fräulein Sohanna von Gersdorf ei, welche die Güter Weichsdorf und Neugersdorf be und diefe ihrem Bräutigam verkaufte und auf defien damen eintragen ließ. Er mußte fich das freilich durch eſondere Faͤhrlichkeiten erfaufen, indem die Familie der Zraut Die Güter ungern in fremde Hände gehen fah. fe hatte zwei Duelle deshalb zu beftehen, deren eines och am Zage der Hochzeit, in ſpäter Nacht, mit Pi⸗ tofen und Degen ausgefochten werden mußte.

Die Herzogin hatte mehrere Proceſſe vor der Ober: miöregierung, die kein Ende nehmen wollten, und da amals die höchfte Inftanz in Merfeburg war, fo rieth be von Nüßler, den fie am 1. Mai 1724 zum Kam- aerjunker ernannt hatte, den merjeburger Hof etwas efler zu cafoliren. Dies hatte zur Folge, daß fie Nüß⸗ e zu Michaelis 1725 mit einem Glückwünſchungsſchrei⸗ ven zum Geburtstag der regierenden Herzogin nad) Mer- burg, wo vorher darüber angefragt worden war, ab- endete. Er ward der Herzogin ') durch ihren Hofmei- ker von Bünau vorgeftellt, gnädig aufgenommen und Web nun einige Zeit am Hofe. Die Herzogin war eine verftändige Dame; der Herzog?) beichäftigte ſich mit Kichts, als mit Eſſen, Trinken, Spielen, Spatzieren, Echlafen und Baßgeige fpielen; die Geſchäfte beforgte im Geheimerath von Zeh. Beim Lhombre ward Nüß- ee mit einem Fräulein von einigen 30 Jahren bekannt, welche eine Favorite der Herzogin und eine artige und Inge Perfon war. Nun hatte Nüßler, welcher die Büter Göritz und Duberau bei Calau gefauft, aber

29, genritte Charlotte, geborene Prinzeffin von Naffau: Ipftein,

8) Merig Wilbelm, geb. 5. Febr. 1688 + 21. April 1731. 11 * *d

30 Karl Gottlob von Rüßier. |

Schulden darauf hatte, ſich ſchon einige Zeit mit dem Wunſche getragen, Oberamtsrath zu Lübben mit 800 Thlrn. Schalt zu werden und eine Frau zu beirathen, die ihm einige Zaufende zur Zilgung jener Schulden brächte. Das erwähnte Fräulein konnte ihm bie Stelle verfchaffen und befaß einige Zaufende, fowie einen fchb nen Schmud von hohem Werthe, aus Geſchenken ber Herzogin beftehend. Er gewann den Geheimen Sec tele Hofrath Koch als Mitteldmann und das Fräulein nahm den Antrag an. Es ward ausgemacht, daß von Nüßler, der die Proceßfrage in erwünfchter Weiſe be endigt hatte und nun an die Rückreiſe dachte, um Neu jahr 1726 nach Merſeburg zurückkommen und bei der Herzogin um dad Fräulein anhalten folle, worauf Ver Iobung und Hochzeit zu gleicher Zeit fein follten. Nor ber aber wäre er bald bei der Herzogin von Merfehurg in. Ungnade gefallen. Eines Tages fragten ihn Die vie Kammerjunfer, ob es wol gewöhnlich fei, daß die Kam merjunfer yereidet würden. Er antwortete: Nein, fon dern man fei mit ihrer Cavalierparole zufrieden. Gt batte freilich den Zufammenhang nicht gewußt. (8 war den Kammerjunkern bei ihrer Annahme ernftilh eingefchärft worden, daß, wer von ihnen den Dienfl bei dem - Herzog bötte, Ddenfelben nie verlaſſen bärfe und ihn überallhin begleiten müſſe. Denn der Gen ging viel in der Stadt umber, und wenn er allein wer, fo machten fi die Bettler und Gaſſenjungen an ihn und nahmen ihm alles ab, was er bei ſich hatte, fogar Perüde, Hut, Handſchuh und Kleid, ſodaß er ſchon ganz ausgezogen aufs Schloß zurüdgelommen wer. Da Died auch neuerdings vorgefommen war, fo ergab fih, daß die Kammerjunker ihre Amt nicht pünktlich ver ſahen. Nun hatte man fie eidlich verpflichten wollen,

u‘

Karl Gottlob von Nüßler, 361

md da weigerten fie fi), indem fie fih auf Nüßler beriefen.. Durch fein Fräulein und Koch zeitig genug benachrichtigt, gelang es ihm, fich zu erculpiren. Die Kammerjunker aber, denen der verlangte Dienft fatal war, erbaten und erhielten ihren Abſchied. Einer ward fäter, auf feine Bitte, wieder angenommen und auch Nuͤßler ward eine folche Stelle angefragen, der fie aber uf gute Weile ablehnte.

Im November 1725 kam er nad Drehna zurüd, wo Alles mit feinen Verrihtungen und Plänen zufrie den war. Doch fiel er bald wieder bei der Herzogin in Verdacht. Cine ſchöne Hofdame, die Vorleferin der Herzogin, fing an zu fchwellen und zwei Aerzte erflär- ten fie für waſſerſüchtig. Die Herzogin aber faßte nach und nach die Meinung, daß fie von Nüßler ſchwanger fi, und ließ ihm durch den Hofprediger dad Gewiſſen ſchärfen. Es ergab fich jedoch bald, daß zwar die Schwan- gerfchaft richtig, aber ein anderer Hofmann der Vater

In der Neujahrsmeſſe reifte er nach Leipzig und ſchrieb an Hofrath Koch, daß er zum 16, Ianuar in Merfeburg einzutreffen gedenke. Die Hofräthin Fam ſelbſt nach Leipzig und brachte ihm einen Brief von feiner Braut. Die Herzogin hatte ihre Einwilligung gegeben, Eoftbare Geſchenke beftimmt, die Dberamts- rathsſtelle war bewilligt; 20 Wagen waren für den Breutihap beftellt. Nuüßler kaufte Geſchenke an Stof⸗ fen, Uhren, dresdner Schuhen ꝛc. ein. Am Tage feiner Abreiſe hielt er ſich bei guten Freunden fo lange auf, daß es 8 Uhr Abends wurde, bevor er bei ſtarkem Schneewetter fortfuhr. Er ſchlief bald ein und wachte erſt um 1 Uhr auf, als die Kutſche ſtillſtand. Der Poſtillon hatte den Weg verloren. Nüßler ließ ſeine

262 Karl Gottlob von Rüßler.

beiden Bedienten abfteigen und einen Weg fuchen, der denn auch endlich gefunden und mit vieler Beſchwerde und Gefahr erreicht ward. Er führte fie nah Oßmünde im Saalkreife. Sie hielten vor dem erſten Bauerhaufe, und da Niemand hören wollte, ſchlug Nüßler ein Yen fter ein. Nun ließ er fich auf die Pfarre bringen, wo er bei dem Paftor Srashof fehr gaftliche Aufnahme und ein Nachtlager in deſſen Studirftube fand. Anderen Morgens fand ſich die Mutter des Paftors bei ihm ein, fuchte den Zweck feiner Reife zu erforfchen, entdedte die Frauenzimmerfachen, errieth deren Abfiht und ward nun neugierig auf die Braut. Nüßler wich zwar aus; fie forfchte und plauderte aber weiter, kam auch af . die merfeburger Hofdamen und rüdte nun, vielleicht ſchon durch die Bedienten von der Sachlage unterrid- tet, heraus, daß im Dorfe bei einer Bauerfrau feit 6 Jahren ein Knabe erzogen werde, der in Merfeburg zu Haufe fei ꝛc. Der Paftor Fam hinzu, beflätigte Al und ſprach auch von Herrſchſucht, Ichlechtent Betragen gegen die Herzogin und daß dieſe das Fräulein nur lot zufein wünfche. Nüßler gerietb in die größte Verlegen: beit, aber die Alte rieth ihm, fich die Sache zu über legen, die Poftpferde zurüd und nach Merfeburg einen Boten mit der Nachricht zu ſchicken, daß er fich verirrt und den Wagen zerbrochen habe, krank geworben fü, nicht zur beflimmten Zeit fommen könne. Die Wk hatte aber auch gleich eine andere Partie vorzufchlagen Das in Oßmünde eingepfarrte Gut Benndorf gehörte dem Kanzler von Ludewig ') in Halle und diefer hatte

1) Johann Peter von Zudewig, geb. 15. Aug. 1670 auf dem Schloſſe Hohendard bei Shwäblfh= Hall, 1695 Profeffor in Hall, 1718 Geheimerath, 1719 geadelt, 1720 Kanzler der Untverfität, + 7. Sept. 1749.

Karl Gottlob von Rüßler. 253

mei mannbare Töchter. Er hatte felbft einmal zu dem daſtor gelagt: er folle ihm einen gelehrten Schwieger- john verfchaffen. Nun ward der Paſtor nach Halle ge- ſchickt, den Kanzler zu fondiren und zu einer Zuſammen⸗ unft in Benndorf zu veranlaflen. Das LXebtere lehnte er Kanzler wegen des vielen Schneed ab, meinte aber, der fragliche Herr möge nad) Halle fommen und ihn inter dem Borwande einer rechtlichen Confultation be- uchen. Dies geſchah und Nüßler hielt, nachdem. ihn er Kanzler drei Stunden lang mit hifloriichen und po⸗ itiſchen Gefprächen unterhalten, um eine von feinen Löchtern, die er noch gar nicht gefehen bafte, an. Der Ranzier lud ihn für den Abend des nächften Tages in ein Haus. Die ältefte Tochter zeigte fich fittiam und mgenehm, Die zweite flüchtig, feurig und hübſch. Nüß- er durfte das Haus auch ferner befuchen, aber erft zu ichtmeſſe erklärte der Kanzler durch den Univerfitäts- yndicus Knorr, daß er dem Herrn von Nüßler feine stefle Tochter Sophie geben wolle, wenn er fich ent- ließe, zu Berlin in preußische Dienfte zu gehen. Er erde ihn demnächſt auf feinen Gütern befuchen. Die weite Zochter, Chriftiane, fei Thon fo ziemlich verfpro- ben an den Kriegsrath von Krug '). Nüßlern hatte igentlich das zweite Fräulein befler gefallen, aber Knorr, ver ihm eingeflanden, daß er, wenn er darauf beftehe, wech Diele erlangen könne, rieth ihm doch ernftlich, So- „bien den Vorzug zu geben, denn Chriftiane fei fehr lüchtig und voller Leidenſchaften. Nüßler fand das, ei nochmaliger Prüfung, gegründet und bat fih So—⸗ bien aus. Der Kanzler Tieß bierauf eine Eheftiftung

1) Den nahherigen Geheimenrath Philipp Friedrich Krug von Kidda. Sie war am 13. Sept. 1706 geboren.

254 Karl Gottlob von Rüßler.

aufleben, die jedoch dadurch bedingt war, daß es fidh mit dem freien und unverfchuldeten Befige der NRüßle: ſchen, für 20,000 Thlr. erfauften Güter, wie angegeben, verhalte '). Nüßler ſetzte ein LXeibgeding von 6000 Thlr. Capital aus, der Kanzler aber erbot ſich zu einer De tation von 6000 Thlr. Capital, oder 300 Thlr. jährl - cher Zinfen, wovon 100 Thlr. der Frau ald Handgeld bleiben follten. SHinterließe fie feine Kinder, fo follten 3000 Thlr. zurüdfallen. Alle Kinder und deren De feendenten follten Ludwig oder Louiſe getauft merden. Der Kanzler ſchenkte Nüßlern zwei goldene Medaillen, jede von 50 Ducaten, und diefer brachte bei feiner Braut die fhönen Sachen an, die er für das mierfeburge Fraͤulein gekauft hafte. Von Merfeburg war inzwijchen die Hofrathin Koch zur Erfundigung nach Halle gekom⸗ men und war fehr unzufrieden über feine Exrflärunge, bedrohte ihn auch wegen feiner niederlaufigifchen Lehr güterr. Auch feine Mutter und die Herzogin gingen nur mit einiger Schwierigkeit in die neue Wendung ein und trauten Derfelben nicht reiht. In der That Fam der Kanzler weder, wie er veriprochen, zu Oſtern, noch zu Pfingften, und als er endlich nach Johannis in Lüb⸗ ben eintraf, fchrieb der Oberamtsrath Zifcher, bei dem er wohnte, an Nüßler, daß der Kanzler fehr unluflig fei, weil er auf der Poſt zu Luckau unangenehme Dinge gehört babe. Er hatte namlich erfahren, daB Nüß ler's Güter nicht ohne Schulblaft ferien. Zum Glück wer gerade Bruder Friedrich, der holländifche Dbrif wachtmelfter,. zum Beſuch da und fo reiften fie zuſam⸗ men nach Lübben und begütigten den alten Herrn bei 1) Daß nämlih weder Nüpler’s Mutter, noch feine drei Brüder

daraus das Geringftc zu fordern hätten, ihm aud freiftehe, feine Gemahlin darauf zu verleibbingen.

Karl Gottlob von Rüßler. 355

einem Glaſe Wein, fo daß er mit nad) Strado reifte und

;

|

die Güter beſah, wo ihm alles ganz wohl gefil. Gr nahm nun Nüßler mit nach Berlin, ftellte ihn den Yuftizminiftern von Plotho und von Katſch und Dem Kammergerichtspräſidenten von Cocceji vor und ver: ſchaffte ihm in der Zhat eine Stelle ald Hof- und Rammergerichtörath auf ber gelehrten Bank. Die Hoch⸗ «it ward aber immer noch nicht beflimmt und Nüßler fonnte erft zu Michaelis Urlaub erhalten. Er fchrieb nach Halle, daß er in der Zahlwoche nad) Keipzig kom⸗ men und von da über Benndorf nach Halle gehen werde, bekam aber Feine Antwort. Dennoch reifte er ab, nahm eine ſchöne neue Kutſche und außer feinen Bedienten auch einen Fleinen franzöfifchen Laufer mit und Faufte in Leipzig vier Kutichpferde. So kam er nah Benn- dorf und fuhr den Kanzler nach Halle. Alles war mit im zufrieden, aber von ber. Hochzeit war Feine Rebe. Der Kanzler fchidte Ihn nach Benndorf, um die Wirth: ſchaft in Ordnung zu bringen. Auch als ein Freund den Kanzler vermocht hatte, die Hochzeit noch vor Beihnachten zu beflinmen, und der Dispens wegen der Adventszeit in Magdeburg erwirft war, kamen neue Ausflüchte, weil die Ausftattung noch nicht fertig fei. Endlich zeigte es fih, daß eben in Iebterer und dem Geige des Kanzler das Hinderniß liege, und als ſich Nüßler der Austattung begab, fand die Trauung am MD. December 1726 flat. Zu Anfang des folgenden Jahres ftellte er feine Frau der Mutter und der Her- ein vor und fie fand Beifall. Ihre Ehe war, was das perſönliche Verhältniß anlangt, eine glüdliche und liebenolle; in äußerer Beziehung bedauerte Nüßler ſpä⸗ ter oft, daß er nicht bei feinem erften Amts: und Hei⸗ rathsplan geblieben fei, und gedachte wol bei fpäteren

256 Karl Gottlob von Näßler,

Widerwärtigkeiten, daß er fie an den merfeburger Fräu⸗ fein verfchuldet habe. Seine Aemter waren arbeitövoll, aber nicht einträglich. Der Kanzler bezahlte in den erften Iahren Zinfen, dann aber nicht mehr, und Nüf- ler mußte fchweigen, um nicht enterbt zu werden. Da feine Söhne bald wieder flarben, fo nöthigte ihn fen Schwiegervater, die Faufigifchen Güter, welche Mann chen waren, zu unvortheilbaftem reife zu verkaufen. Indeflen ftarb um diefe Zeit (1730) fein altefter Bru⸗ der und deflen oberlaufigifche Güter: Weichsdorf, Ne: gersdorf und Mazdorf, fielen an die Mutter, die auf mit ihrem kränklich gewordenen jüngften Sohne Ferdi: nand (+ 1734) dahin 309, wo fie am 12. Auguft 1745 ſtarb. Nach dem Tode des zweiten Bruders (1759) erbte unfer Nüßler diefe Güter allein.

Die Vorgeſetzten Nüßler's in feiner neuen Amti⸗ ſtellung als Hof- und Kammergerichtsrath waren: de Juſtizminiſter Ludwig Otto von Plotho '), Präſident des Tribunald, des Geheimen Juſtizraths und des ra⸗ vensbergifchen Appellationdgerichted, ein gelehrter und . fleißiger Mann; der Juſtizminiſter Chriftoph von Katſch, welcher die Militairjuftiz und alle Eriminalfachen zu be forgen hatte; endlich der Hof» und Kammergerichtöpre: fident von Cocceji ?), gelehrt, reformatorifch, aber recht⸗ bhaberifch und ehrgeizig, deshalb auf Plotho fehr eifer

1) Seh. 18. Nov. 1663 + 18. Aug. 1731.

2) Samuel, Sohn des berühmten Heinrich Gocceji, geb. zu Her deiberg 1679, 1703 Drofeffor zu Frankfurt a. d. O., 1704 Begie rungsrath und 1710 NMegicrungsdirector zu Balberftadt, 1711 m der Bifitation des Reichskammergerichts berufen, auch kurze Zuit Geſandter in Wien, vom Kaifer in den Zreiherrnftand erhoben, 1723 Präfident des Kammergerichts, 17237 Staats⸗ und Kriegsminifter, 1730 Ghef aller geiftlihden Sachen und Gurator aller Univerfitäten, 1731 Präfident des heran one 1738 erfter Chef dır Suftiz, 1746 Großkanzler, + 22. Oct. 1

N [

Karl Gottlob von Näßler. 257

ſüchtig. Es war ihm fehr unangenehm, wenn auswäre fige Difäfterien die Urtheile des Kammergerichts refor- mirten, und er dachte daher frühzeitig an ein Verbot der Actenverfenbung, überhaupt an die Abfcheidung ei- ned preußifchen Rechts aus der deutichen Gemeinfchaft. Nuͤßler ſtand bei Plotho fehr gut, anfangs aber aud) mit Cocceji in freundlichem Vernehmen. Lebterer fagte ihm. jedoch gleich: „Herr von Nüßler, Sie werden bier a8 ein Fremder fchwer fortkommen, viele Arbeit und viele Widerfacher haben.” An Arbeit fehlte es zunächſt richt, da ihm Plotho viele außerordentliche Arbeiten auf: trug, ihn auch bald zu der Stelle eined Tribunals⸗, und tavensbergifchen Appellationsgerichts⸗ und Geheimen Juſtizraths beförderte und die Collegen in Tribunal alt waren. Der Geheimerathb von Riffelmann fagte gleich anfangs zu ihm: er wolle ihn zum Erben ein- fegen, ſchickte ihm aber die Erbichaft gleich ind Haus, indem fie in 18 Actenpadeten beftand, die er aufarbei« ten ſollte. Gehalt war aber mit allen diefen Aemtern nicht verbunden, fondern nur Sporteln und gelegent: lihe Diäten, ebenfo aber auch gelegentliche Auslagen, die nicht immer genügend erſetzt wurden.

Im December 1730 erhielt er einen unmittelbaren königlichen Befehl, fogleich nach Hannover zu gehen und Dafelbft die Erbichaftsfachen und ſonſtigen Angele- genheiten der Königin in Ordnung zu bringen. Es handelte ſich nämlich um die Erbfchaft der 1728 zu Ahlden, wo fie fo lange gefangen gefeflen, verftorbenen Mutter des Könige Georg I. von Großbritannien und der Königin Sophia Dorothea von Preußen. Es war ftreitig, was zum Allodium und was zum Lehen gehöre; auch ward dem Sohn des verftorbenen Grafen von Bar ein ihm ausgeſetztes Legat beftritten. Dieler Graf

2358 Karl Gottlob von Näßler.

Bar ſollte auch in Frankfurt a. M. durch einen bin abgefendeten hannöverfchen Lieutenant mit 13° arretirt werden, hatte ſich aber durch ein fichres vom Reichshofrath gedeckt. Yür Preußen war | der nachherige Geheimerath anngießer in Har geweien, der fich jedoch theils Dort durch feine Hefi theils bei der Königin durch feine Rechnungen, in er fogar Puder und Schuhwachs aufführte, unang gemacht hatte. Nüßler Fam an feine Stelle, erhiel auch nur 3 Thlr. Diäten, nahm feine ganze Famil und borgte fich zu der Erpedition 500 Thlr. voı Banquier Splittgerber. Er zeigte fich weit ſple als fein Vorgänger und fuchte ſich möglichft beit machen.

- Die bannöverfchen Commiffarien in der Sache die Hofräthe Scheiter und Banny. Minifter warı Kammerpräfident von dem Buſch, von Münchhaufe von Alvensleben. Bon dem Bufch war ein unve: theter und fo reicher Mann, daß er einmal, zur U dung einer beforgten Ungnade, der Königin 10 nenkuxe, deren jährlicher Ertrag auf 20,000 Thl fhagt wurde, zum Geſchenk machte. Er war Munderlichfeiten. Kleider von gewiflen Zarben ! er. nicht leiden. inftmals fpeifte der Bergrath meifter bei ihm. Sobald ihn der Minifter fah, : den Kammerdiener und lief davon. Der Kammaı erflärte nun Butemeiftern, Excellenz Fünnten feine zug nicht leiden, und er möchte ſich in deflen A fammer ein anderes Kleid fuchen. Das nahm fid ich um fo drolliger aus, als Butemeifter Furz unl der Geheimerath aber lang und hager war; der $ aber war fehr zufrieden, daß er feinen Willen er und zeichnete Butemeifter bei der Tafel befondent

Karl Gottlob von Rußler. 359

Er erft um 3 Uhr, was zu jener Zeit äußerſt ſpät var, und behielt den Hut auf, lud auch feine Säfte ein, in Gleiches zu thun, von welcher Erlaubniß aber Nie nand Gebrauch zu machen pflegte, ald der Kriegszahl⸗ neifter Heiliger, der fein Freund war und ſich nicht vor hm genirte. Einft fpeifte ein Graf von Oynhauſen bei ihm und kam etwas weit von dem Minifter zu figen. Als das zweite Eſſen herumgegeben wurde, fagte ber Minifter zu ihm: „Herr Straf, Sie figen da nicht gut, ſehen Sie Sich rechter Hand bei dem Hofrath Banny.“ Er that ed. Nach einer halben Stunde fagte der Mi- xifter wieder: „Herr Graf Oynhauſen, Sie fiten da auch nicht recht gut, ſetzen Sie Sich weiter herauf bei dem Hofrath Scheiter.” Darauf verfebte der Graf: „Einmal babe ich mich nach Ew. Ercellenz Eigenfinn gerichtet, aber zum zweiten Male werde ich es nicht hun. Wenn Sie nicht die garftige Gewohnheit hätten, ſo ſpät zu eflen, fo würde ich aufftehen, in die London⸗ fhenfe gehen und mir dafelbft Eſſen geben laſſen; nun aber, da es zu ſpät ift, werde ich mich bier fatt efien und Fünftig auf Ew. Ercellenz Einladung nicht erfchei« nen.” Der Dinifter mußte das fchweigend hinnehmen. An feiner Zafel fand man Waſſer aus allen berühmten Brunnen, fogar fpanifches und italienifches. Alle Vier- teljahre wurde der Reft Davon, mit ebenfovielen Slafchen Ben, an die Prediger vertheilt, damit fie nichts dar⸗ über fagten, daß der Geheimerath, weil er Feine Drgel hören könne, niemals die Kirche beſuchte. Da die Erb- ſchaftsſache in das Departement des verftändigen Münch⸗ haufen ') gehörte, fo hatte Nüßler keine große Schwie⸗

1) Gerlach Adolph, Freißerr von Mündhaufen, berühmt als Chöpfer und Pfleger der Univerfität Göttingen, .geb. 14. Det. 1688, 1714 kurſächſiſcher Appellationsrath, 1715 ODberappellations⸗

260 Karl Gottlob von NRüßler.

tigkeit. Schon nach zwei Monaten ließ ihm Münd- haufen 40,000 Thlr. in lauter neuen Andreasthalern auf zahlen, welches Geld er, auf königlichen Befehl, ſelbſt nah Berlin bringen und fi Dabei von einem Lieute nant mit 30 Mann escortiren laſſen mußte. In Bar lin konnte er erft gar nicht erfahren, wo er das Gel binbringen folle, und ed ward zwei Mal deshalb beim Könige angefragt. Dad zweite Mal fand fich ein’ gro Bed Kreuz neben die Anfrage gefegt und der Cabinett⸗ minifter von Thulemeier erklärte died dahin, daß des Geld an den Staatsminifter von Creuß zu liefern fe Die Königin bat ſpäter für das Geld dem Prinzen Fer dinand Güter im Halberftädtifchen gefauft. 1731 farb auch der Herzog Auguft Wilhelm von Braunfchweg, welchem Sophie Dorothea 40,000 Thlr. geliehen hatte, und unfer Nüßler mußte nach Braunichweig, um die Hälfte der Königin zu heben und nach Halberftadt an den Regierungspraftdenten von Dften zu liefern. Mahrend feines Aufenthaltd in Hannover ward et von Preußen wegen Halberfladt und von Hannover wegen Zauenburg zum Aſſeſſor des Reichskammergerichts präfentirt, was hannöverifcher Seits wirklich guter Wille für ihn war, wahrend in Berlin die Abficht, ihn von da zu entfernen, mitgewirkt haben fol. Er reifte im Drtober 1731, wo er dem König von Schweden vor geftellt und zur königlichen Tafel gezogen wurde, nah Weblar. Am zehnten Tage nad) feiner Ankunft daſelbſt erſchien der Geheimerath Moſer, mit einer Präfentation vom Bisthum Hildesheim und nun ward ein Streit erhoben und die Sache an den Reichstag gebracht. Man

rath in Zelle, 1726 Gefandter in Regensburg, 1728 Geheimerath in Hannover, 1765 erſter Minifter, + 26. Nov. 1770.

Karl Gottlob von Rüßler. 361

würde fich für Nüßler entichieden haben, wenn die bei- den Höfe dem Bisthum Hildesheim ein Mitpraäfenta- fisndrecht eingeräumt hätten. Died aber wollten bie Höfe nicht und fo mußten beide Prätendenten wieder abziehen. Moſer ward aber wenigftens vom Stifte für ſeinen Aufwand entſchädigt. Nüßler ging nun wieder nah Hannover, ſchloß den Erbfchaftsreceß ab und em- fing noch 10,000 Thlr., die er unter Bedeckung nad) Berlin brachte. Er erhielt als Abſchiedsgeſchenk von Sannover Medaillen, zufammen 200 Ducaten an Werth. Sein König. ertheilte ihm eine ehrenvolle Decharche, aber für die 2000 Thlr., Die er in Hannover zugefeßt hatte und größtentheild noch fchuldig war, erhielt er Nichts ud nur mit Mühe .und zum Theil erft nach 30 Jah⸗ un einige Hundert Thaler gemachter kaarer Verläge er: ſtattet. Ja, zum Dante für feine Dienfte ward eine 4m bereit8 ertheilte Anwartichaft auf einen Gehalt im, als der Kal bei feiner Rückkehr eintrat, nicht ge: balten!

Dafür ward er weiter befchäftigt, die Procefle wider den Grafen von Bar, im Namen der Königin und Han⸗ novers, zu führen. Der Graf ward bei der Regierung m Dönabrüd, in deren Bezirke er Güter beſaß, bei der Suftizfanzlei zu Celle, wo fein Vater Schloßhauptmann geweſen war, bei dem Reich&hofrath zu Wien und fpa- tee auch bei dem Reichövicariat verflagt. Zufällig er- Heat Nüßler zu Diefer Zeit im Tribunal Acten zur Re Iation, welche denfelben Grafen von Bar betrafen. Die: fen hatte nämlich der Obrift von Katte zu Dresden auf nem SKaffeehaufe Fennen gelernt und ihm geklagt, daß er Geld brauche und keins habe, ungeachtet er noch jung, nahe daran fei, ein Regiment zu befommen und in feinen anfehnlichen Lehngütern wol 30—40,000 Thlr.

2362 Karl Gottlob von Ripler.

Allod habe Der Graf von Bar rieth ihm ni beirathen, und erbot fih, ihm unter diefer Web 12,000 hir. zu leihen. Er verpflichtete fih ſchriftlich, dem von Katte binnen acht Tagen bie Thlr., bei Wechfelhaft, zu liefern, wogegen diefe zinfung und Tilgung des Capitals verfprah. dern Tages reute dem Grafen der Handel und « nah Danzig. Aber der Obrift eilte ihm nach, I in Danzig verbaften und zwang ihn dadurch zu lung. Rachher aber machte Katte Feine Anflı Harath und nahm obendrein feinen Abſchied. N fangte der Graf, daß er ihm Sicherheit in ba dialgütern beftelle, und darin gab ihm ſowol die burgiiche Regierung, ald dad Tribunal Ned. aber jeßte fih Nüßler, im Namen der Königin, Strafen Stelle und legte auf Katte's Einfünfte o Gütern Beſchlag. Katte Fam felbft nach Berk bat um Vergleih, welchen Nüßler dahin vern daß Katte das Capital, was ihm das Armendira vorfchoß, an die Königin bezahlte, wogegen ih die Zinfen erließ. Nun ließ man die Bar'ſche liegen. Nüßler erwirkte auch die Auszahlung ein der Herzogin in Ahlden den pfalzneuburgifchen den geliehbenen Gapitald von 6000 Thlr. Abt dies verichaffte ihm Peine Beſoldung. Ueberden fein Gönner, von Plotho, geftorben und Coccej er nicht traufe, an deilen Stelle getreten.

Nun follte er auch noch ein Haus in der Fri ftapt bauen. Diele Sache ftand unter dem Obrifl Derihau, welcher dem König die Perfonen beze denen er die Mitt zum Hausbau zufrante, ud der König dad Verzeichniß unterfchrieben, {6 ı die darin enthaltenen Perſonen bauen, fie mochte

Karl Gottlob von Rüßler. 263

len, oder nicht. Der Minifter von Marſchall zankte fich einmal mit Derichau über dieſe Maßregel und das nächfte Berzeichniß enthielt Tauter Anhänger und Verwandte Barfchall’d. Acht Perſonen ward ein tiefer Sumpf an- zewieſen, darein fie bauen mußten. Nüßler ging felbft w Derſchau und ftellte fein Unvermögen vor, worauf ihn aber der Obrift jauf feinen Schwiegervater, den Ranzler von Ludewig, verwies, auch einen Böniglichen Befehl an diefen anbot, einige Zaufende zum Hausbau perzugeben. Darauf konnte aber Nüßler auch nicht ein- sehen, weil er fich fonft die Feindfchaft Ludewig's zuge: sogen bätte. Er wendete fih nun an die Königin, aber auch deren Verwendung war fruchtlos. Der König, den er Ichriftlich anging, hielt fi auch daran, Daß er einen reichen Schwiegervater habe, und refolvirte am 1. Fe bruar 1733, daß er ‚Sonder Raifonnement, auf der ihm angewielenen Stelle auf der Friedrichsſtadt ein Haus bauen, oder aber Sr. koͤnigl. Majeſtät allerhöchite Un⸗ guade gewärtigen folle.” Diefe Stelle war ein Filch- teich, in welchem noch während des Sommers große Karpfen gefangen wurden. Endlich gab fein Schwie- gervater 1500 Thlr. von der Mitgift ber; feine Mutter verſprach, foviel fie fünne, zu ſchicken, und eine vornehme Dame, deren Curator er war, ſchenkte ihm eine beträdht- lihe Summe. Der bloße Roft zu dem Haufe Foftete an A000 Thlr., dad ganze Haus, was etwa 2000 Thlr. werth war, Eoftete an 12,000 Thlr. Neben ihm hatte ber Geheimerath Klinggräf ein ebenfo großes Haus ge: baut, was Nüßler, damit es nicht an einen Seifenfie- der und Bierfchenken Fame, für 800 Thlr. Faufte. Im Juni 1734 bezog er fein Haus und bewohnte es bis 1748, dann fland es viele Jahre leer.

Im Januar 1739 erhielt er den Auftrag, nad) Def

264 Karl Gottlob von Rüßler.

fau zu reifen und die Ehepacten zwilchen dem Prinzen Heinrich ') und der Prinzeffin Xeopoldine Marie von Anhalt-Deflau, der zweiten Tochter des berühmten „alten Deſſauers“, des Fürſten Xeopold, zu entwerfen. In einem darauf bezüglichen Befehl fchloß aber der König gan kurz: „Sch gebe aber zu der ganzen Vermählung nichte.” Nüsler fam am 5. Februar ın Deflau an, ward vom Poſthauſe durch den Oberftallmeifter von Maſchkow in einem Staatöwagen in das Schloß abgeholt, beim Auk- fteigen von dem Stallmeifter des Erbprinzen Leopold, einem von Gerber, im erften Stod von dem Hofmer fter der Fürſtin, auch einem von Gerber, im zweiten

Stod vom Hofmarfchal empfangen, der ihm fan

Wohnzimmer anwies, in welches auch bald darauf der Erbprinz ) eintrat. Der Oberftallmeifter leiſtete ihm Gefelfchaft bis zum Beginn des Schaufpield, wo er ihn ind Theater führte und ihn daſelbſt der Erbprin⸗ zeſſin“), der älteſten und jüngften Prinzeffin und den Prinzen Eugen und Dietrich ’) vorftelte Es waren

1) Dem Markgrafen Heinrid Friedrich von Brandenburg-Schweht.

2) Leopold Marimilien, geb. 25. Sept. 1700, Erbprinz ef jeit dem 16. Dec. 1737, wo fein Bruder Wilhelm Guftao +3 6. April 1747 Herzog, + 16. Dec. 1751. Aus der heimlichen Ehe dei früheren Erbprinzen Wilhelm Guftav mit der Tochter des Brauer Herre, Johanna Sophie, ftammten die Grafen von Anhalt. Kon demfelben Prinzen und der Tochter des Superintendenten Ghardins die Herren von Anhalt. j

3) Gifela Agnes, Tochter des Fürften Leopold von Anhalt: At then, geb. 21. Scyt. 1722, verm. 25. Mat 1737, + 20. Ag. 1751.

4) Anna Wilhelmine ftiftete das Fräuleinftift zu Mofigkau und + 1780 zu Deffau unverdeirathet. Henriette Amalic, Goadjutorin zu Hervorden, gründete die Amalicnjtiftung zu Deffeu und + 17% unverheirathet. Dietrich ward von Zriedrih IL zum Generalfe- marſchall ernannt, nahm 1750 feinen Abfchied und lebte zu Deffen, führte aud von 1751 1758 die vormundſchaftliche Negierung und + 1759. Friedrich Heinrich Eugen verließ 1743 dem preufifäen

Karl Gottlob von Räßler. 265

wch der Oberftallmeifter von Fuchs aus Zerbft und der Beheimerath won Hülfeberg, in Dienften der Marfgräfin Milipp, gegenwärtig, um im Namen ihrer Höfe Glück a wünfchen. Nach dem Theater brachte ihn der Ober- ballmeifter in das Schloß zurüd und ftellte ihn der Braut und dem Bräutigam vor. Abends fpeifte er mit ver fürftlichen Familie und hatte den Prinzen Dietrich md die DOberhofmeifterin Stenih zu Nachbarn. Der Dberftallmeifter führte ihn auf fein Zimmer. Andern Laged hatte er ‚Audienz beim Yürften, der ihn fehr gnä⸗ Hg empfing, in der Sache aber an den Erbpringen verwies. Bei Diefem fand er den Präfidenten von Raus mer und den Hofrat) Herrmann, und man fchritt nun um Geſchäft. Der deflauer Hof wünfchte die Eheftif: mg der Markgräfin Philipp ), Mutter des Bräuti⸗ gams und Schwefter des alten Fürſten, zu Grunde ge- legt; von Nüßler erklärte aber, daß er in die Eheftif: ung im Namen des Könige nicht von Witthum und on Apanage für die Defcendenten bringen fünne. Man 08 fih zwar auf den gerailchen Vertrag’), nad) deſ⸗ en Inhalt alle Prinzen des Hauſes Brandenburg eine Ipanage erhalten ſollten; von Nüßler rieth aber, dieſes ucht beliebten’) Vertrages nicht zu gedenken, und gab me zu, Daß alle aus der neuen Ehe entflehende Prin- en und Prinzeffinnen, nad) Anleitung der Hausverträge,

Yenft und focht unter Karl von Bothringen, trat dann in ſaͤchſiſche Yienfte, ward Zeldmarfhall und + 1782.

H Johanna Charlotte, Witwe des Marfgrafen io Wilhelm tt 1711, geb. 6. April 1682, verm. 15. Ian. 1600, + 31. März IND.

3) 1508 zwiſchen Kurfürft Johann Zricvrid und Markgraf Georg jriedrich abgeſchloſſen.

3) Wol weil er die Trennung der fraͤnkiſchen Markgrafthümer on dem Kurftaate von Nenem begründete.

I. 12

266 Karl Gottlob von Mäßler.

der Gnade des Königs empfohlen würden. Zum Wit: thum beflimmte man in einer befondern Schrift die 8000 Thlr., welche die verwitwete Fürſtin von Rabji vil, die Schwefter der Fürftin Leopold, von dem König in Anfehung der oranifchen Erbfchaft erhielt. Man ar beitete den ganzen Zag und am folgenden erpedirt Nüßler eine Eftaffette an den König, ward der Fir ftin') und der Eunftfinnigen Fürſtin Radzivil ?) vorge

ftelt und nahm an den Unterhaltungen des Hof -

Theil. Am 8. Februar war auch der alte Fürſt, in

einer grünfeidenen Contouche, mit einem Nachthut auf |

dem Kopfe, mit zur Tafel. In der Familie dei Oberftallmeifters von Maſchkow gefiel Nüßler deſſen, damals 14jährige Tochter fehr und er ahnte wol er daß fie beftimmt fei, daflelbe Band zu zerreißen, be

deflen Knüpfung er jebt mit befchäftigt war. Dem diejes Fräulein ward fpäter Hofdame bei der Prinzeſſin Leopoldine und gab zu deren Scheidung von dem Marl: grafen Veranlaſſung, ftarb übrigens etwa ein Jahr nad:

mu...

ber, im hirſchberger Bade, in den Händen eines katho⸗ liſchen Prälaten und ward in einem dortigen Kloſter

begraben. Das „rothe Zimmer” intereffirte Nüßlet auch. Es war mit rothem Damaſt beſchlagen, hatte 12 Wandleuchter von der Größe eines ſtattlichen Man⸗ nes, in der Mitte eine ſilberne Krone, einen großen ſilbernen Schirm vor dem Ofen und einen großen Spie gel mit filbernem Rahmen, welcher von der Dede ber unfer bi8 an einen 3 Mann hoben (?) und 2 Mam breiten filbernen Zifch ging, an deſſen Seiten je ai

1) Anna Zuife Fähſe, Tochter eines Apotheker: in Deffau, geb.

22. März 1677, verm. 1699, zur Reihsfürftin erBlärt 29. De.

1701, + 5. Zebr. 178. 2) Marie Eleonore, vermählt mit Zürft Georg von KRadzivil.

Karl Gottlob von Rüßler. 267

filberner, 1% Dann bober Gueridon fland. Kerner das Fahnenbuch, ein Foliant, worin die Geſchichte eines je- den preußifchen Regiments, mit Abbildungen der Mon- taren und Fahnen, beichrieben war. Am 9. Februar fam Die Antwort von Potsdam. Der König hatte die Eheſtiftung ausfertigen laſſen und unterfchrieben, aber Die zu Gunſten der zu erwartenden Defcendenten ein- gefügten Worte waren ausgelaflen. Das war dem alten Fürften freilich unangenehm, indeß fügte man fich in aled und mag darauf vertraut haben, daß eintretenden Falles doch geichehen werde, was man wünfche, befon- derd wenn man fih dem Willen des Königs in allen Stücken unterworfen. Nüßler'n jedenfalls ließ man ben Berdruß nicht empfinden, fondern überhäufte ihn mit Höflichleiten und Ergögungen. Auch Prinz Morik ') fam aud Halle am 12. Februar an und an diefem Tage fand, nach der Abendtafel, die Trauung ſtatt. Die fürft- fihe Familie, nebft den Herren von Nüßler und von Hülfeberg, begab fih in das Zimmer der Fürſtin, in weichem der Superintendent fchon war und die Trauung vor dem großen Bette der Fürftin vornahm. Als die Glückwünſche vorüber waren, fagte der alte Fürft, der Markgraf und die Prinzeffin möchten nun nad) ihrer Kammer gehen und fich zur Ruhe begeben. Das Brautbett ftand unter einer Art von Tempel, von blau und: gold. Die Brinzeffin ward in Gegenwart Der Fürſtin, der Markgraf in einem Nebenzimmer von den Prinzen entkleidet, wobei der Erbprinz Leopold dem von Nüßler das Hemd mit den Worten zuwarf: „der. König muß auch etwas dabei thun“, und nun Nüßler

1) Al Staatsrath und General in preußifhen Dienften ausge⸗ zeichnet, preußifcher Generalfeldmarſchall, bei Hochkirchen verwundet und gefangen, + zu Deffau 1760.

12 *

268 Karl Gottlob von Rüßler.

dem Markgrafen das Hemd und den Schlafrod anzog. Hierauf ward der Bräutigam zur Braut gebracht. Am andern Morgen Fam der Erbprinz zu Nüßler und brachte ihm, mit dem Danke des Fürften, eine goldene Dofe mit 100 neuen kremnitzer Dufaten. Der Fürft wünfchte, dag Nüßler fogleich nach Potsdam gehen, dem König die erſte Nachricht von der vollzogenen Bermählung bringen und ihm verfichern möchte, daß er fi) in allen Stüden der Willensmeinung des Königs fubmittirt hätte. Er erhielt auch ein Handfchreiben des FZürften an den König, mußte aber noch bei ihm fpd- fen und hatte nur eher abzufahren, als die orbinäre Hoft von Deffau abging. Ueber Tafel fagte der alte Fürſt zu der Markgräfin: „Habet Ihr in voriger Nacht befler geichlafen, als fonft? Was habet Ihr denn vor Herrlichkeit erfahren?” Als fie roth ward, fuhr er fort: „Ihr braucht nicht roth zu werden, Ihr habet es mit Recht.” Dem König mußte Nüßler alles erzählen und befchreiben und es freute Denfelben befonders, daß Niemand von der Vermählung etwas erfahren, bevor fie vollzogen worden. Die Ehe ward übrigens, wie fehon angedeutet worden, feine glüdliche, oder doch in fpäterer Zeit getrubt und gefrennt. Es erwuchfen nur zwei Töchter daraus: die 1745 geborne Prinzeffin Frie⸗ derife Charlotte Xeopoldine Ruife, welche unverheirathet blieb und 1755 Coadiutorin, 1764 Aebtiffin zu Herfor: den wurde, und die 1750 geborne Prinzeffin Luife Hen- riette Wilhelmine, welche am 25. Yuli 1767 ihren Cou⸗ fin, den regierenden Fürften, nachher Herzog Leopold Friedrich Franz von Anhalt: Deflau, den edein „Water Franz”, Sohn des Prinzen, der bei der Vermählung ihrer Mutter Erbprinz war, heirathete und am 11. Dec. 1811 ftarb. Die Markgräfin ſtarb 1782.

Karl Gottlob von Rüßler. 369

Rah dem Tode ded Königs Friedrih Wilhelm 1. und dem Ausbruch des erften fchleftfchen Krieges ward von Nüßler, nächſt dem Grafen Schwerin '), beauf- tragt, die Grenzregulirung zwifchen dem preußifchen Antheil von Schlefien und demjenigen, welcher in dem frankfurter Vertrag vom 1. November 1741 Kurfachien zugedacht worden, preußifcher Seits zu vermitteln. Er ging am 20. Dec. 1741 von Berlin ab und Fam am 25. nach Neiffe, wo er Schwerin nicht anfraf, der in Olmütz war, übrigens die Sache gar nicht eilig fand. Der kurſächſiſcher Seits beftimmte Commiffarius, Con- ferenzminifter von Bülow, war in Berlin und wollte mit feinen Mitcommifjarien zum 29. Ianuar in Neiffe eintreffen. Inzwifchen bereifte Nüßler einen heil der Grenze und berichtete darüber. Bei Steinau fah er das verwüflete Schloß der Gräfin von Callenberg und ließ fih von ihrem Treiben und Scidfalen erzählen. Ein Einbrehen mit dem Wagen in Faltem Eiswaſſer zog ihm auf feine folgende Lebenszeit die Gicht zu. Die ſächſiſchen Commiffarien kamen nicht nach Neifle, weil fie wußten, daß Schwerin noch in Olmüß war, blieben vielmehr in Breslau. Schwerin hielt fie gefliſ⸗ fentlih bin und trug Nüßler eintretenden Falls auf, fi) in die Hauptfache nicht einzulaflen. Es fei nö— tbig, abzuwarten, wie die befchloffenen Kriegs— unternehmungen ablaufen würden. Er verftat- tete fogar Nüßler'n, nach vorheriger Befprechung niit

1) Dem berühmten Generalfeldmarfhall Kurt Ghriftopb, geb. 1684, erft in bolländifhen, dann in mecklenburgiſchen Dienften, 1711 in Benver bei Karl XII., 1719 Sieger über das kaiſerliche Gommiffionsbeer, fpäter preußifher Gefandter in Warſchau, 1739 macal, 1740 Generalfeldmarfhal, gefallen bei Prag am 5. Mai

270 Karl Gottlob von Rüßler.

dem Gabinetöminifter Grafen Podewild, auf einige Zeit nach Berlin zu geben, jedoch ohne vorgangige Anfrage beim Könige und unter fteter Bereitfchaft zur Rückkehr. Die Diäten (3 Thlr.) follten fortgehen. Am 3. April 1742 befahl der König, die Grenzſache ohne Aufſchub vor zubereiten, wobei, wenn der Geſundheitszuſtand Schwe rin’3 ihm die Theilnahme nicht verftatte, der General lieutenant von Marwis ') deſſen Stelle vertreten ſollte. Nüßler traf auch Mitte April wieder in Neiffe ein, er krankte aber fehr gefährlih an einem Fleckfieber.

In Neiffe fand damals auch der General von Wal- rawe, welchen Nüßler jchon in Deflau getroffen. De alte Deffauer konnte ihn aber nicht leiden ?) und fehraubte ihn ſtets. Theils mochte ein Inftinet ded ehrlichen Man ned an dieſer Antipathie Theil haben, theils hatte fie ihren bejonderen Grund darin, dag auf Walrawe's An zeige der Haupfmann Matner, den Xeopold als einen gu⸗ ten Ingenieur ſehr fchäßte, nach Spandau gekommen war. Von Neiſſe aus fuchte Walrawe den Grafen von Schwerin, der ihm nicht zur Commandantichaft verhe- fen wollte, wegen eines demfelben von den oberfchlefr fhen Ständen angebli angebotenen Geſchenkes zu ver dächtigen, was Feine Folge hatte, als daß die Stände, denen ein folched Anerbieten, nah Schwerin’d Verſiche⸗ rung, nicht beigelommen war, den Betrag defjelben,

1) Es war dies Heinrih Karl von der Marwis aus dem Haft Sellin, Sohn des Generallicutenants Kurt Pildebrand von der Marwig und der Beate Luiſe Freiin von Derfflinger, Enkel de großen Zeldmarfhall Derfflinger, geb. 1680, 1737 Generallieute nant, im Xuguft 1741 Gouverneur von Breslau, 1742 General, + 22. Dec. 1744.

2) Und doch hatte er ihn felbft, nachdem er ihn im ſpaniſchen ErLfolgeßriege kennen gelernt, in preußiſche Dienfte gezogen. Ger⸗ bard Cornelius von Walrame war von Geburt ein Niederländer.

Karl Gottlob von Rüßler. 271

30,000 Thlr., zu dem neiffifchen Feſtungsbaue geben mußten. Der alte Deflauer war auch einige Zage in Neiſſe und fpeiöte bei Walrawe, der auf al fein Sil- ber hatte Raben ftechen Iafien. Da fagte der Fürſt: „Walrawe, Ihr machet Euch mit den Raben zum vor: aus bekannt, damit fie Euch Fünftig nicht fremde vor- fommen.” In Walrawe's Schlaffammer fland ein Eru- ciſir auf einem Pleinen Altar, das er dem Papfte durch die Drohung, außerdem abtrünnig zu werden, abge- zwungen haben ſollte. In der Mitte der Kammer fand ſein Bette, rechts das feiner Gemahlin, links das feiner Maitrefie, der Frau feines Regimentöquartiermeifters, dem er den Hofratbötitel ausgewirft und von dem Ko: nig auf den Grund bin erlangt hatte: „weil es billig, dag Die Maitresse eincd Generals mit einem fo an- ſchnlichen Titul beehrt werde.” Diefelbe Maitreffe ver- tieth ihn ſpäter, als er gewille, ihm zum Schein an- vertraute Seheimniffe nach Wien verrathen wollte, an dm Grafen Hake, worauf er (1748) nad) Magdeburg in die Sternfchanze und in diefelben Gefängniffe ge: bracht wurde, die er felbft für Staatögefangene ange legt hatte’).

In der Grenzſache fchrieb Nüßler an den König, ob er noch in Neifje bleiben folle. Der König wundert ich in feiner Antwort über diefe Frage. Freilich müſſe t bleiben. Doch ſetzte er hinzu: „Sollten die Sachſen hres Orts trainiren, fo habet ihr folche deshalb zu er: nnern, und es ift alddenn Unfere Schuld nicht, wenn ie Sache nicht ausgemacht wird, und Ich das uti ossidetis erercire” ?). Die Sachfen, die jebt Doch ge

1) Er fol aud der Unterſchlagung von mehr ald 40,000 hir.

eftungöbaugelder überführt worden fein. 2) So fhhrieb er von Grudino 9. Mai 1742.

272 Karl Gottlob von Rüßler.

merkt haben mochten, daß fie Böhmen nicht bekommen würden, thaten ihm den Gefallen, zu „trainiren‘ ; ihr zweiter Commifjarius, der Geheime Kriegsrath von Vorkel, war ſchon im April nach Dreöden zurüdgereift . und neu nicht erfeßt worden, und ald Nüßler am 16. Juni eine nochmalige Erinnerung bei dem Conferenz; minifter von Bülow anbradıte, war bereitd am 11. der breslauer Praliminarfriede unterzeichnet worden. Am 18. erhielt Nüßler Befehl, Togleich nach Berlin zurüd- zureifen, jedoch nicht über Bredlau zu gehen und vor- zugeben, daß feine gewöhnlichen Amtögefchäfte ihn dorthin zurüdriefen, daß er aber, wenn ed nöthig fein werde, nach Neiſſe zurüdfommen wolle: Bald darauf ging auch Bülow auf feinen Sefandtfchaftspoften nah Berlin zurüd.

Am 6. Januar 1742 trug Cocceji Nüßler'n bie zweite Prafidentenftelle bei der Dberamtöregierung zu Bredlau mit 800 Thlen. Gehalt .und etwa 400 Zhlm. Sporteln an, die er aber ausfchlug und dafür feinen Freund den Geheimen Tribunalsrath von Benckendorf in Vorfchlag brachte, der fie auch erhielt und nach und nach eine Befoldung von nahe an 3000 Tchlen. bekam, fpäter aber Amt und Vermögen verlor. Dagegen ward Nüßler'n die Grenzregulirung zwifchen Preußen und Defterreich in Schlefien aufgetragen, welches Geſchäft er, dem öfterreichifhen Bevollmächtigten, Oberamtsrath Johann Wolfgang von Dorſch, gegenüber, mit wider Geſchicklichkeit und Activität beforgt zu haben ſcheint. Nüßler befam 3, Dorfch 30 Thlr. Diäten. Am 27. San. 1743 traf er wieder in Berlin ein. Der König antwortete ihm ehr gnädig und der Graf Podemils )),

1) Heinrich Graf von Podewils, geb. zu Suckow 1005, Geſand⸗

Karl Gottlob von Rüßler. 973

vie der ‚Geheime Cabinetsrath Eichel, überhäuften ihn nit Lob; aber .ald er bald darauf um eine erledigte Rathöftelle im Generaldirectorium anbielt, erfuhr er, a „Darüber ſchon vorher difponiret”, und ward er- wahnt, „auf. eine andere Gelegenheit zu warten und ndeflen mit der Ießterhaltenen Zulage vergnügt zu fein. Er hatte nämlich feit Iahr und Tag ald Director des Briminalcollegiumd 200 Thlr. und jeßt auch ald Gehei: ner Tribunalsrath ebenfoviel Befoldung erhalten. ‚Am 7. Sept. 1743 ftarb fein Schwiegervater, der Ranzler von Ludewig, und zwei Zage darauf fein Schwa⸗ ver, der Geheimerath von Krug. Die Erben Ludewig’s soren die Frau von Nüßler (Anna Sophie), die ver- witwete von Krug (Helene Chriftiane) ’) und Juliane, sermählte Domherrin von Zaubenbeim. Dieje Drei heilten fich, unter Nüßler’d Anleitung, mitteld einer Yuction, in welcher der Frau von Zaubenheim das Freigut Benndorf, der Frau von Krug dad Rittergut Batterftädt zugeichlagen ward und an Nüßler das baare Bed kam. Man fand nämlich in einem Heinen eifer- nen Kaften 40,000 Thlr. in lauter Ducaten. Eigentlich hatte Nüßler noch an 8000 Thlr. an rüdftändigen Ehe: zeldern und Zinfen zu fordern; allein während er in Schlefien war, batte der alte Zudewig die Frau von Müßler nach Halle fommen und fie über Ehegelder und Binfen quittiren laſſen. An Nüßler fchrieb er jedoch, be Quittung folle Nichts hindern, und wenn er feine Buittung (auf die erften Abfchlagszahlungen), Die ex ter in Kopenhagen und Stockholm, 1730 Miniſter des Aeußeren, + l Bergl. über ihn: Ranke, rem Bücher preußiſcher Ge⸗ ſaidte (Berlin 1848, 3 Thle.), Th. II., 1 fg,

1) Sie heirathete am 21. März is den Nittmeifter Grafen bite Wilhelm von Truchſeß (geb. 1714), vom dem fie aber ſchen a am

23. Juni deffelben Jahres wieder zur Witwe wurde. -

12 * *

274 Karl Gottlob von Rüßler.

verlegt babe, finden werde, folle nicht mehr, als er wirffich erhalten habe, berechnet werden. Die Schweftern waren bereit, die Yorderung anzuerkennen, aber de alte Kanzler erichien der Frau von Nüßler im Zraume, zeigte ihr Nüßler's Quittung und fragte fie, ob das nicht ihres Mannes Hand fei, worauf fie mit Ja ge antwortet. Diefer Traum hatte fie jo gerührt, daß fie ‚beichloffen hatte, weiter feine Forderung wegen der Ehe gelder zu machen, worein auch ihr Mann willigte. Er that das Geld erſt zu Splittgerber und kaufte dann von dem Rittmeifter von Kitge, für 20,000 Thlr., das Nit- tergut Weifienfee bei Berlin. Es diente feiner rettungs 108 an der durd Hämorrhoiden entflandenen Auszc- rung erfranften Gattin zur letzten Erquidung, und fie ftarb am erften Advent 1745. Sie hatte ihrem Gemahl 3 Söhne und 8 Töchter geboren, aber nur 3 Züchter überlebten fi. Won diefen ift die älteſte, Luiſe Emi lie, am 24. Februar 1752 unverheirathet geftorben. Die zweite, Yugufte Chriftiane Ruife, hatte den Major von Schenkendorf geheirathet und farb am 2. Ian. 1752, mit Hinferlaffung eined Sohnes, des Iohann Marimi- kan Karl von Schenfendorf. Die dritte, Chriftiane Luiſe, heirathete 1764 den Obriften von Lehmann und fpäter einen Herrn von Berg.

Ein .andered Unglüd, wenn ed unter feinen Verhält⸗ niffen ein folched zu nennen war, traf ihn 1748, wo er, bei Gelegenheit der großen Cocceji'ſchen Suflizreform, aus feinen Aemtern entlaflen wurde. Cocceji hatte ſchon unter Friedrih Wilhelm I. an eine Umgeftaltung der Juſtizverfaſſung gedacht, aber der Bericht, den der Kr nig von den Miniftern von Marſchall) und von Ar

1) Johann Auguft Marfhall von Biberftein, früher Gefandter in London und bei rem Gongreß zu Utrecht, + 18. Juli 1736.

Karl Gottlob von Rüßler. 375

rim ') und ben Geheimenräthen Mylius und Weinreich über feinen Plan erforderte und den Nüßler redigirt haben fol, war ungünflig und die Sache unterblieb. 1746 wurde Cocceji Großkanzler und der Minifter Ar⸗ nim Präfident des Tribunals und ded Geheimen Juſtiz⸗ raths. Weide waren fich feindlih. Cocceji ſoll, nad Nüßler's Anficht, feinen Plan hauptſächlich dadurch durchgeſetzt haben, daß er der Gönner des damaligen Hofraths, nachherigen Großfanzlerd von Jarriges war, biefer aber von dem Geheimen Eabinetdrath Eichel, wel- ber Iarriged und deflen Sohn auch zu. Erben feines zeoßen Vermögens einfehte, ungemein begünftigt ward. Die Hauptfache war aber wol, daß Cocceji's auf große Thätigkeit, aber auch auf große Machtvollkommenheit der Richter berechneter und eine recht fehnelle und ſtrack⸗ liche Juſtiz verheißender Plan ganz und gar im Sinne bed Königd und der Militaird war. Arnim nahm fei- nen Abfchied und feine Anhänger erhielten ihn. Dieſes Schickſal traf auch Nüßler, der e8 nad dem Benehmen des Großkanzlers gegen ihn nicht erwartet hatte, jebt aber erft vom Zribunal entlaflen wurde und ein halbes Jahr fpater, als der Geheime Juſtizrath, eine kurmär⸗ Kiche Behörde, welche die Streitigkeiten zwilchen den Bniglichen Aemtern und dem Adel und ihren beiderfet- iigen Dörfern zu entfcheiden hatte, und unter welchem uch die Frankfurter Univerfität fand, mit dem Kam: wergerichte vereinigt wurde, aus aller Activität traf. Die Sache ward für Die dadurch Betroffenen allerdings yaburch verbittert, daß fie fo lange mit feinem, oder yanz geringem Gehalte und auf Hoffnung gedient haften

·

* Georg Detlev von Arnim, geb. zu Bolzenburg 7. Sept. 1679, 5.

276 Karl Gottlob von Rüßler.

und nunmehr fahen, wie ihre Nachfolger gleich mit weit anfebnlicheren Befoldungen angeſetzt wurden. Nüß—⸗ ler vächte fich durch einen vorwurfsvollen Brief an Cor ceii, auf den auch dann feine Antwort erfolgte, als die verwitwete Königin und Graf Podewild darauf drangen. Auch der König fchlug fein Geſuch um Fortbezug feines Gehalts von 400 Thlen. ab, wollte aber „ſehen, wie ihm gelegentlich .auf andere Art Diesfalld geholfen wer den möge.” Mebrigens fol Eocceji fpäter durch Den von ihm begünftigten Iarriged vielfach umgangen und ge kränkt worden fein, fodaß er deflen Undanf für einem Nagel zu feinem Sarge erflärt babe. Auch änderfe Jarriges, als er Cocceji's Nachfolger geworden, die coccejanifche Juſtiz ſchon vielfach, bis fie 1781 gänzlich umgeftaltet wurde.

Müßler lebte auf feinem Gute Weiſſenſee, mußte aber, wiewol ohne Gehalt und Penſion gelafien, doch dem König ftets zur Verfügung flehen, bei Reifen Ur laub einholen ꝛc. 1749 trug ihm der König das Com mifleriat zur Vollziehung eined Reichstagsbeſchluſſes in Betreff der, zwiſchen den katholiſchen und evangelifchen Ständen des Bisthums Hildesheim ‚beftandenen foge nannten wiejenhaverfchen Streitigkeiten. auf, was et auch zu allfeitiger Zufriedenheit ausführte. Bei diefer Gelegenheit brachte er auch einige vergebliche Moden zu Hannover in der gräflih Bar'ſchen Angelegenheit zu. Der Minifter von Münchhaufen bot ihm eine Rath ftelle in dem Dberappellationsgericht zu Zelle an, die et aber ausſchlug.

Er follte.aber doch wieder in den Öffentlichen Dienft treten. Der Minifter von Arnim war, auf den Wunſch des Königs, der das fplendide Haus gern wieder in Berlin haben wollte, zum Landfchaftsdirector gewählt

Karl Gottlob von Rüßler. 277

md darauf. vom König zum Yinanzminifter ernannt sorden. Auf feinen und des Miniſters Podewild Be⸗ rieb ward nun Nüßler Landrath des Niederbarnimfchen treifed. Die Stimmen waren zur Hälfte für ihn, zur hälfte für einen Andern gefallen und der König ent- chied für Nüßler. Er gab fich in diefem Amte, was Berdingd mehr nur gelegentliche Anläfle zu umfaflende- en Arbeiten mit fich brachte und Dies meift in Dingen, ie zwar gar einflußreich auf Wohl und Wehe der Be- heiligten, aber nicht von der Art waren, die in ber amaligen (und jetzigen) Welt befonders wichtig gebal: m wird, viele Mühe, batte aber auch im fiebenjähri- en Kriege große Gefahren, Bedrängniffe und Verluſte u beſtehen. Sein Haus und Hof zu Weiflenfee, ia eibft fein Haus in Berlin ward, auf Anlaß einer nicht efchafften Mehllieferung, rein ausgeplündert.

: Die Gräfin von Hohberg, mit der er von 1720 1726 zu Drehna an dem Hofe der Herzogin zugebracht atte vielleicht diefelbe, der er in nächtlicher Einſam⸗ eit vorlad war immer feine Freundin geblieben, hatte Ye legten vier- Jahre ihres Lebens zu Berlin zugebracht, n feinem Haufe gewohnt und flarb darin 1757. Sie ieß fih in feinem Erbbegräbniß zu Weiſſenſee beiſetzen md vermachte dazu 300 Thlr. Er hatte fich nicht wies ver verheirathen wollen und war mehreren, ihm nad) em Tode feiner Frau vorgefchlagenen Partien ausge⸗ vichen. Aber am 12. Nov. 1761 ließ er fich doch wie- der mit einer, allerdings fchon an der Waflerfucht. er- krankten Witwe trauen, die auch am 4. Mai 1762 karb. Sie war die Tochter eined ehemaligen braun- ſchweigiſchen Obriftlieutenants von Hoffmann und die Schwefter jened preußifchen Obriften von Hoffmann, der bei der Uebergabe von Dresden, am 5. Sept. 1759,

278 Karl Gottlob von Rußler.

von den preußifchen Soldaten felbft, die er in der Trun⸗ kenheit infultirte, erfchoflen ward. Ste war die Witwe

des Amtsraths Duerling. 1763 hielt der türfifche Ge⸗

fandte von Weiflenfee aus feinen Einzug in Berlin, was Nüßler'n an 1000 Thlr. Schaden gemacht haben fol. 1764 und 1766, zulest bei der Rückkehr von Karlsbad und Töplitz, befuchte er feine Güter in der Oberlaufif und nahm 1766 von feinen dortigen Unterthanen einen feierlichen, von einer Predigt des Paftors Fiebiger be gleiteten Abichied.

Nach dem Tode ded Kanzlerd von Ludewig hatten feine Erben ein Verzeichniß der von ihm binterlaffenen Bücher und Manuferipte druden laflen, um fie öffent lich zu verkaufen. Das Minifterium erflärte, daB & denjenigen Theil der Manuferipte und Urkunden‘, "ber das Fünigliche Haus und deflen Rande betreffe, für das Geheime Archiv anfaufen wolle, mochte aber den Koͤ— nig ‚nicht gern um baares Geld dafür angehen. Nun

mn nn on

ſchlug Nüßler vor, ihm für jene Papiere das Recht, für den Schenffrug in Weiſſenſee Bier brauen und Branntwein brennen zu dürfen, fowie die mittlere und |

Feine Jagd auf der Feldmarf feines Dorfes zu verleihen. Die Brauergilde von Berlin kam aber dagegen ein und

die Sache blieb, nach mehrjährigen Verhandlungen, fe |

gen; ebenſo aber auch die Papiere des verftorbenen Kanzlerd, zu Berlin und Halle, in Kiſten eingepadt und verfiegelt. Am 15. San. 1774 kam aber auf ein mal ein Minifterialrefcript an Nüßler: feines feligen Schwiegervaters, des "Kanzlerd von Ludewig, Manu feripte, in das Archiv zu liefern, oder widrigenfalls zu erwarten, daß er wegen derfelben werde fiscalifch be langt und zur Auslieferung gezwungen werden. Nüß ler antwortete, unter bem 20. Februar: „daß, weil

Karl Gottlob von Rüßler. 279

diefe Manufcripte gegen das Vermögen, weldhes er feit einem halben ISahrhunderte in des Kö— rigs Dienfte zugeſetzet habe, eine Kleinigkeit wären, er fich lieber feines etwa daran habenden Eigen: thums unentgeltlich begeben wolle. Dan möge ſie von dem Geheimenrathbe Carrady zu Halle und von dem Kriegsrathe von Krug, an den fie von deilen verftorbe- nem Bruder, feinem Schwager, gefommen, abfordern, im Webrigen aber die in diefer Sache etwa noch nöfhig wer: yenden Referipte nicht an ihn, fondern an feine Schwa- jerin, die Gräfin von Zruchfeß, und an feinen Schwa- jer, den Geheimenrath und Domheren von Zaubenheim, zlaflen. Nun ließ man ihn in Ruhe und ed war Died Ke letzte Kränkung, Durch welche feine Erfahrungen iber den Staatödienft bereichert wurden. Freilich lebte w auch nicht mehr lange, fondern flarb am 31. März 1776 nach längeren Gichtleiden. Sen Gut Weiflenfee hielt feine Zochter, die Damals verwitwete Frau von dehmann als Fideicommiß und nad ihr fein Enfel, der Beutenant von Schentendorf. Wenn diefer, oder feine Söhne und Enkel ohne männliche Erben abgingen, fo follte ed, nach dem Zeftamente vom 24. Sanuar 1774, dme Stiftung für junge märkiſche ftudirende Edelleute werden.

IX. Kaubderbach.

Johann Heinrich Kauderbach ward am 20. Juli 1107 zu Meißen geboren. Sein Vater war M. Sigismund Heinrich Kauderbach, Collega IV. und Director. Chori, alfo Kantor bei der Kürftenfchule zu Meißen, in md chem Amte er fein 5Ojähriges Jubilãum gefeiert. Seine Mutter, Johanna Salome, war eine Tochter des feine Zeit fehr angefehenen Rectors diefer Schule, Joh. Jalob Stübel. Die erften Elemente und den erften Religiont: unterricht erhielt er bi8 in fein fünftes Jahr in der Mädchenichule in Meißen; dann unterrichtete ihn feine Mutter in den Anfangsgründen der lateiniſchen Sprache, fowie im Schreiben und Rechnen. Hierauf ward ei

(2 wuu.2

7 VessE GE I rrerr

nebft den Eöhnen des Superintendenten Dr. Wilke und . des Obriften von Stlingenberg, von welchen letzteren einer Später ald Obrifter, der andere ald Generallieute

nant verftorben, einem M. Zfcheufert und nach deflen Beförderung einem M. Reichel zum Unterricht überge ben, der denn aud) fo gut bei ihm anfchlug, daß et fhon in feinem elften Jahre zur Aufnahme in die Für⸗ ftenfchule reif gefunden wurde. Vorher brachte ihn fein Vater, um ihn für die Strapagen des beginnenden Schullebend mit der nöthigen Freudigkeit auszurüften, auf einen Monat zu einem Freunde nach Dresden, damit

Kanderbach. 281

er dort die Feierlichkeiten ded Beilagerd des Kurprinzen mit der Erzherzogin Maria Joſepha, was im Jahre 1719 gehalten wurde, bewundere. Er beftand dann feine ſiihs Jahre auf der Fürftenfchule, unter dem Nectorate eft feines Großvaters, dann des Nector Martius, der ihm befonderd gewogen war, und valedicirte 1725. Er fand im fpatern Xeben ein Vorzeichen feiner Fünftigen Schikfale darin, dag feine Waledictionsrede de causis pereuntium rerum publicarum handelte, fowie daß, Ratt der fonft gewöhnlichen Motette, das Lied: In allen meinen Thaten ıc. gefungen wurde, wo er denn fowol den Vers, der ſich anfängt: „Zieh ich in ferne Lande“, bedeutungsvoll fand, als auch in feinem fpätern Leben die Erfüllung der Schlußworte eined andern Verſes zu erkennen glaubte: „So werd’ ich Gott noch preifen, In manchen ſchönen Weifen Daheim in meiner Ruh.‘

Zu Michaelis 1726 bezog er Die Univerfität Leipzig, um Die Rechte zu ftudiren, wobei er befonderd Gribner und Dietze gehört zu haben fcheint. Bei Dr. Rüdiger, deſſen philofophifche Vorleſungen er befuchte, hatte ihm fein Vater den Tiſch bedungen. Nach drei Jahren ver- ließ er aber Leipzig, ohne fich der juriftifchen Praris, zu der er feine Neigung empfand, zu widmen; ging vielmehr, mit feines Vaters Einwilligung und Segen, von einer ſchon durch Martius aufgemunterten Neigung, zu reifen, getrieben, über Zranffurt, Mainz und Köln nah Holland und zwar gerade nad) dem Haag.

Hier fuchte er zuwörderft mit den Gelehrten bekannt zu werden, und erlangte die Gunft des durch feine Streitichriften mit dem großen Philologen Bentley be: kannten Cunningham und eines lector linguarum orien- talium in Leyden, de la Faye. Sein Vater, der nod) fünf andere Kinder zu verforgen hatte, Fonnte ihm nicht

282 Kauderbadh.

viel mitgeben und er mußte fich einige Zeit fehr einſchrän⸗ fen. Doch verfchaffte ihm de la Faye Gelegenheit, eini- gen jungen Leuten von gufer Familie Unterricht im La teinifhen und in der Geographie zu geben. Dann machte er mit dem Abbe Prevot '), einem bekannten franzöfifhen Bücherfabrifanten, Bekanntſchaft, der eben damals, durch den Greffier Fagel veranlaßt und unter ſtützt, an einer franzöftfchen Ueberſetzung des Thuanus arbeitete. Prevot bot ihm Haus und Tiſch an und ger brauchte ihn zur Verfertigung der Noten zu feine Meberfeßung. Bald darauf aber ging Prevot bei Nacht und Nebel dur) und nad) England. Es gelang um ferm Kauderbach, Die Bücher, welcher der Greffier Fa gel dem Prevot geliehen, durch zeitige Anzeige aus dem Schiffbruche zu retten, was ihm denn diefen angefche nen und einflußreihen Mann noch gewogener machte Hierauf überfeßte er für den bekannten Miſſi de Rouf ſet die einfchlagenden Stellen aus Schweder’d Theatrum praetensionum, welche den größten heil desjenigen Werkes bilden, was Rouffet unter dem XZitel: Interets des Princes in 2 Quartanten herausgab. Brachte ihm auch Diefe Arbeit zunächft nicht viel mehr en, ald den Tiſch, fo hatte doch Rouſſet feiner in der Vor: rede gedacht, und Died verfchaffte ihm die Correfpondenz

1) Anton Zranz Prevot d'Exiles, geb zu Hesdin I. April 1697, erft Sefuit, dann Benchictiner und Mitarbeiter der Gallia christiana; ging nad Holland und fhrieb dic Memoires d’un homme de qua- lité qui s’est retir& du monde; fpäter die Histoire generale des vo- yages, mehrere Romane, überfegte den Richardſon und + 23. Nov. 1763, indem ein Ghirurg den Scheintodten bereits geöffnet hatte, ald er zu ſpät erwadte. Seine ausgewählten Werke erſchienen in 39 Bänden. Am befannteften ift fein Dedant von Killerine, der in der That einige gute Einblide in die damaligen Zuſtände Irlands und feine Beziehungen zu Frankreich bietet.

Kanderbadh. 283

t dem polniſch-ſächſiſchen Sonferenzminifter Grafen n Bünau, die er auch bis an deflen Tod fortiegte d dafür „ein ehrliched Salarium” zog. Er beforgte chrere Ueberſetzungen, fland vornehmen Perfonen bei ren literariſchen Arbeiten bei und fchrieb ein Journal tee dem Titel: Etat politique de l’Europe, wovon Bände erfchienen und was in das Englifche, Spa: Ihe und Italienifche überjegt ward. Das alles mußte 3 boch gut genug nähren, daß er es fchon 1735 wa: a Eonnte, ſich mit der Tochter eines Dffizierd von der chweizergarde des Prinzen von Oranien, Maria Martha cher, zu verheirathen.

Seine Lage verbeſſerte fich aber noch vorzüglich durch genden Umftand. Der Graf Stanislaus Poniatowsky, oiwode von Mazovien und fpäter Saftellan zu Kra⸗ 1), Vater des nachherigen Königs von Polen, Groß: ter des bei Leipzig gefallenen franzöfiichen Marichalls, achte nämlich feinen Alteften Sohn Eaftmir nach dem sag und fuchte einen Lehrer in Politif und Gefchichte e ibn. Er hatte gehofft, fein alter Freund, der ſchwe⸗ he Gefandte von Preiß, würde ihn in fein Haus fnehmen und in den Gefchäften üben. Dies war aber m GSefandten unmöglich, da er angewielen war, nur borene Schweden, oder Perfonen, zu deren Aufnahme vom Könige autorifirt worden, an die Gefandtichaft zufchließen. Er empfahl feinem Freunde aber unfern auderbach, der feine Anmerkungen zu Voltaire'd Leben arl's XI. unter dem Titel: Remarques d’un gen- homme polonais, redigirt und herausgegeben hatte. er junge Poniatowsky zog zu Kauderbach ind Haus,

1) Geb. 1678, Anhänger und Begleiter Karl’s XI, und Sta⸗ Haus Ledzcinsfy’s, + 1762.

284 Kanderbach.

der für Tiſch, Logis und Unterricht monatlich 50 Du⸗ caten und beim Abzug ein anfehnliches Präſent erhielt. Sein Zögling ging fpäter in heſſen-kaſſeliſche Dienſte, ward dann in den Fürftenftand erhoben und Großkän— merer von Polen und ift erft 1800 geftorben '). Die Eltern waren mit Kauderbach's Leitung fo zufrieden, daß fie ihm auch den zweiten Sohn Alexander, begleitet von einem polnifchen Edelmann Ogerdsky, zufchicten und ein ganzes Jahr bei ihm unterhielten. Diefer Alerander Poniatowsky ift fpater in franzöftfche Dienfte gegangen

und bei Erftürmung von Ypern, an der Spike ſeiner Grenadiere, von dieſen felbft unverfehens erjchoflen wor .

den. Kauderbach behauptete, DaB das Portrait deffelben, was er ihm hinterlaſſen, in derfelben Minute, in der et gefallen, ohne irgend eine erdenfbare Urfache herabge⸗ flürzt und zerfrümmert fei. Später nahmen auch der Abbe Franz Poniatowsky und der nachherige König Stanislaus Auguft feine Gaftfreundfchaft, wenn auf nur als Neifende, in Anſpruch und namentlich den Lech fern ſah er fowol in Aachen, während des Congreſſes, ald im Haag in feinem Haufe.

Die Empfehlungen des Vaters diefer jungen Cave liere, der bei dem König Auguſt von Polen, ungeachtet er ſich zwei Mal auf die Seite Leszcinsky's gefchlagen, in böchftem Anſehen fland, ſcheinen wirffamer am drei dener Hofe geweſen zu fein, als die früheren des Gr« fen Bünau, und er ward ganz unerwartet zum polnild fächfifchen Legationsrath ernannt, wobei er den Auftrag erhielt, direct mit dem Hofe zu correfpondiren. Gen Berichte müſſen intereffant gewefen fein; denn fein an fanglih nur auf 400 Thlr. beftimmter Gehalt wurd:

1) Er war am 15. Sept. 1721 geboren.

u.) 0u ua engen - rg - et pt et Oo Du u u nn

Kanderbach. 285

bon nad einigen Monaten auf 800 Thlr. vermehrt. Der Gefandte, Generallieutenant de Debroffe, fah aber ſchr Scheel auf diefen Concurrenten. 1748 erhielt er Gelegenheit, dem Hofe einen befondern Dienft zu er: weiſen, der mit den damaligen Yriedensverhandlungen m Verbindung geftanden zu haben fcheint. Als Charge dAffaires, mit beträchtlich vermehrtem Gehalte, wohnte we dem anfangs zu Breda verfuchten, dann nad) Aachen verlegten Congreſſe bei und hatte bier mit dem Grafen Raunig und dem franzöfifchen Gefandten, Grafen St. Severin, mehrfache wichtige Verhandlungen. Nach Dresden berufen und vom öfterreihifchen Hofe mit inem belobenden Zeugniß verfehen, follte er jegt fach: cher Refident in Wien werden, wo der zeitherige Re- ident Lautenſack geflorben war. Da er aber Feine Luft yatte, ſich in die fchwerfälligen Reichsgeſchäfte hineinzu⸗ Inbiren, auch wegen feiner Kinder lieber im Vaterlande Heiben vwollte, fo beprecirte er diefe Stelle und empfahl yafür den Geheimen Legationsrath Iohann Sigmund Pezold, damals Refident in Petersburg, deſſen Vater, An Prediger zu Wiedemar bei Delitfh, auf der Uni- verfität ein intimer Freund feines Vaters geweien war und der Die Stelle alddann auch über 30 Jahre beglei- tet hat und 1783 in Wien geftorben ift').

Kauderbach wurde nun zum Oberbibliothefar, mit dem Charafter ald wirklicher Kriegsrath und 1200 Ihlr. Beſoldung, ernannt und behauptete, fich während dee kurzen Zeit, daß er diefen Poften befeflen, nämlich von 1749— 50, viele Mühe gegeben zu haben, bie in der größten Unordnung vorgefundene Bibliothel in

1) Er ſtarb im 80ſten Lebensjahre, ward nobilitirt und war der Bruder der Mutter des Philoſophen Grufins.

286 Kanderbach.

Ordnung zu bringen und katalogiſiren zu laflen ). Er wurde aber auch noch in andern Commilfionen, ſowol im Lande als in Holland, gebrauht und ſchon 1750, nachdem Debrofle geftorben, zum Refidenten im Haag ernannt. Hier fiel er, in Folge der vielen Aergerniß und Arbeit, die er im fiebenjährigen Kriege zu beftehen gehabt, in Betreff deffen er über 30 Schriften und Me moires verfaßt und der dresdner Bibliothek gefchenkt bat, 1758 in eine langwierige und Tebensgefährlice Krankheit von 11 Monaten. Kaum bergeftellt, folte er die Grafen von Rer?) und Flemming’) ald Gehe: mer Legationdrath zu dem damald beabfichtigten Eon greß zu Augsburg begleiten. Da aber Diefer nicht zu Stande Fam, fo erhielt er Erlaubniß, zu Beſſerung fe: ner Gefundheit eine Reife nach Italien zu machen. Diefe Reife, auf der er fih in dem gefegneten Klima von Neapel vollkommen wiebderherftellte, fcheint auf fonft den Glanzpunft feiner Erinnerungen zu bilden, de ihm überall viel Ehre widerfuhr. Er hielt fich zwei gamt Jahre in Italien auf. In Zurin erzählte ihm der Mar quis de Botta mandherlei Geheimes von feinen Gefandt- Tchaften in Petersburg und Berlin. In Rom ward a dem Papft Clemens XIIL vorgeftellt, erhielt deſſen Or gen, einen Nofenfranz nebft agnus dei und bie ſchme helhafte Werficherung, daß er ihn längft aus feine

1) Seinem Nachfolger, dem berühmten Ebert, war dagegen fein ganze Beziehung zur Bibliothek ein Näthfel.

2) Karl Auguft von Rex, geb. 23. März 1701, kurſaͤchfiſche Eaninete: und Gonferenzminifter, 1742 Reichsgraf, + 15. Set

3) Karl Georg Friedrich Graf von Flemming aus der Zoifder Linie, geb. 17. Nov. 1705, kurſaͤchſiſcher Gabinetsminifter um Staatsfecretair der auswärtigen Angelegenheiten, General der Ir

. N U oO m u (m VD HD | | CE Mu iu BL,

fanterie, polniſcher Generallienteneant, Staroft zu Meme, + 1. :

Aug. 1767. Er war mit einer Lubomirska vermäßlt.

Kanderbadh. 287

Schriften Fenne. Der Gefandte feines Hofes, Graf Lagnasco, flellte ihn vor.

In Neapel wurde er, nebft dem Grafen Heinrich Brühl’) und feinem eignen Sohne, dem Könige durch) den kaiſerlichen Gefandten Grafen Neipperg vorgeftellt und erhielt die Damals nicht fo leicht zu erlangende Er- laubniß, die in Herculanum audgegrabenen Antiquitä- im in Portici zu befehen. Er behauptete, daß Winkel: nann, Der zu Neapel fuspect und ein unangenehmer Saft geweien, nur durch ihn, der ihn mitgenommen md freigehalten, zur Anficht Ddiefer Dinge gekommen & Sn Caſerta ward er auf Eöniglichen Befehl, laute mo lautissime fractirt. In Lucca bewillfommnete ihn ie Signoria durch eine folenne Deputation und über: ndete ihm, in einer großen Menge filberner Schüfleln, in Ehrenpräfent an Wein, Chofolade, MWachslichtern, Schinfen und geräucherten Zungen. Er hatte aber Un: lück damit, indem, in Folge eined Verſehens feiner Zedienten, die Zollbeamten in Florenz den ganzen Vor: ath conftscirten. Dagegen war Parma der Gipfelpunkt eines Glückes. Denn der Herzog von Parma, der In: ant Don Philipp ?), dem er durch den franzöfiichen Befandten, Grafen Rochechouart vorgeftelt worden, and ganz befonderes Gefallen an ihm. Er logirte ihn n feinem Luftfchloffe zu Colorno neben feinem Schlaf:

1) Albert Ghriftian Heinrich, geb. 12. Quli 1743, 1748 Lieutes nant, 1749 DOberlieutenant, 1750 Gapitain, 1758 Major, 1762 Döriftlientenant, 1763 Obriſt, + 30. März 1792 als preußiſcher Befandter in Münden.

2) Ein Sohn Philipp’ V. von Spanien und ter Elifabeth Zar: nefe, geb. 15. März 1720, 1748 Herzog von Parma, Piacenza and Guaftalla, 26. Ang./25. Det. mit der Prinzeffin Luiſe Eliſa⸗ beth von Frankreich (geb. 14. Aug. 1727 + 6. Dec. 1759) ver⸗ mäslt, + 18. Zuli 17655 Stammovater des noch jegt in Parma regierenden Zweiges der Bourbons.

288 Kaubderbach.

zimmer ein und behielt ihn 2 Monate bei ſich. Nach dem Abendeſſen ſpielte der Infant gewöhnlich mit der Marquiſe de Malaſpina, dem Grafen Heinrich Brühl und unſerm Kauderbach Triſett. Nach dem Frühſtück ging er meiſtens mit ihm im Garten ſpatzieren und erzählte ihm merkwürdige Anekdoten. Als Kauderbach ſpäter in Mailand war, ließ er ihn durch einen ſeiner Cavaliere nochmals einladen und auf der Villa bei Co lorno mit einer fröhlichen Mahlzeit bewirtben. In Zu: rin ward er dem König, in Genua dem Dogen vorge ftelt, wäre aber dann bei der Ueberfahrt nach Zoulen beinahe durch die Kugeln einer Fleinen genuefiichen For tereffe zu Schaden gefommen, da der Feluquier nicht fchnel genug feine modenefifche Flagge aufzog. In Toulon traf er in dem Intendanten der Provence einen alten Freund, den Marquis Fenelon, Sohn des ehema⸗ ligen franzöfiichen Gefandten im Haag. In Bordeau fuchte er einen Erbanfpruch feiner Frau zu reguliren, bat auch fpäter den darauf gerichteten Proceß gewon⸗ nen. Er blieb dann einige Zeit in Lyon und reifte von da, mit Umgehung von Paris, was er nie gefehen zu haben fcheint, über Dijon, Strasburg, Stuttgart, Mün chen nad) Wien, wo er dem Kaifer Franz und dem Ery herzog Joſeph, fowie der damaliger Gemahlin bes Letz teren, einer Zochter feined parmefanifchen Gönners ') vorgeftelt ward, und von da über Krafau nad) War ſchau.

Hier logirte er im Palais des Grafen Brühl und ward an der königlichen Marſchallstafel geſpeiſt, haupt fachlich aber von den Poniatowskys ungemein honorirt.

1) Maria Ifabella, geb. 31. Dec. 1741, verm. 7. Sept. / b. Det 1760, + 27. Nov. 1763. Joſeph liebte fle fehr.

Kanberbach. 2389

on Da ging er, nach einigen Wochen, nad) Dresden, o er abermals im Palais bed Miniflerd logirte und nach fen Rückkehr an deſſen Tafel ſpeiſte. Es fcheint da- w, daß er fih des Sohnes des Grafen in Italien be- mberd angenommen haben mag, und vielleicht hat ihm 38 die ganze Reife verſchafft. Er blieb drei Monate ı Dresden, während welcher er fich auch wieder auf der zibliothek fehen ließ.

Kaum war er wieder ald Minifterrefident im Haag ngelangt, als er die Nachricht von dem Zode feines Souveraind und bald auch die von dem Tode bes Gra⸗ a Brühl erhielt. Er war jeßt in einigen Sorgen we: m feines Poſtens, für den fi) mehrere Bewerber ge- eldet haben follen. Der Kurfürft Friedrich Chriftian eftätigte ihn aber wieder. 1766 jedoch ward er zu- keeberufen, weil man für gut fand, einen bloßen Ge— Häftsträger im Haag zu erhalten. Er ward aber in inem Rappelfchreiben ald Envoye bezeichnet, was ihm en von Seiten ber Generalſtaaten das bei den En- eyes übliche Ehrengefchent verfchaffte, welches in einer 00 Ducaten an Werth betragenden doppelten goldenen dette und Medaille beitand, während die Refidenten ur eine Kette zu 500 Fl. an Werth erhielten.

- Bald nach feiner Rückkehr hatte er das Unglüd, fei« en zum Legationdfecretair in Augsburg beflimmten ein» gen Sohn und feine jüngfte Tochter, welche fich in holland verlobt hatte, an den Blattern zu verlieren. Rur die ältefte Tochter ward gerettet. Er befam eine Benfion von 1200 Thlrn., welche aber in dem Theue⸗ ungsjahre 1771 auf 1000 Thlr. rebucirt wurde, und ebte anfangs in Weißenfels, wo er fich ein Haus baute. Rach dem Tode feiner Frau, welcher die fächfilche „Feine ft niemals befommen und die am witlihen Heimweh I. 1

1) &. feinen NRefrolog in (Eck's) Leipziger gelehrtem F

—— 22N

. Der Aberglaube des achtzehnten Iahr- hunderts; die Gräfin Coſel.

Kan nennt das 18, Sahrhundert das der Philofophie, er Doch der Aufklärung, und gewiß ift ed, daß in nem Verlaufe die gewaltige Geiftesfraft eines Leibnig, off, Rewton, Montesquieu, Friedrich I., Kant, Leffing d Anderer eine Reihe von Bahnen eröffnet hat, welche n ganzen geiftigen und materiellen Leben der europäi- en Menfchheit neue Richtungen gaben, und wodurch allen Gebieten des Willens eine vorher ungefannte arbeit und Sicherheit erreicht ward, taufend Lücken Bgefüllt, taufend Irrthümer befeitigt wurden, wenn ch das lebte Räthſel nirgends gelöft worden ift. Mit n erfchütterten, oder gebrochenen Glauben an die Un- iglichkeit aller der Lehrſätze, bei denen fich die Vor⸗ en beruhigt hatten, und unterſtützt von mächtig ge igerter geiftiger Regfamfeit und ungemeiner Verfeine- ng und Vervielfältigung der Genußmittel verbreitete y, befonders in den höheren Ständen, eine rivolität, Iche alles Glaubens fpottete, fi von jedem Bande, 8 ihr ald Vorurtheil erfchien, freimachte und zuletzt es auf einen jeder höheren fittlichen Idee ermangeln- n Materialismus zurückführte. Man gab das Alte a fo williger auf, wenn es der berrfchenden Sinnlich- 13 *

292 Der Aberglaube bed achtzehnten Jahrhunderts;

feit und Seldftfucht läftig und unbequem war, wen i man durch feine Aufgabe eine bedrüdende Mahnung y des Gewiflens loswurde. Eine tiefere Anfchauung ward ı nicht gewonnen; Dberflächlichkeit und Gedankenlofigkeit blieben nachher wie vorher; das Vorurtheil vertauſchte blos feinen Gegenfland. Wenn man vorher an Dinge |; geglaubt hatte, die ſchon dem erften Nachdenken und den Anfangsgründen des Wiſſens ald unmöglich und wibderfinnig erfcheinen mußten, jo verwarf man ich | ) auch ernfte und ewige Wahrheiten mit nicht wenige | feichten und oberflächlichen Gründen: Man glaubte | nicht mehr an Gefpenfter, aber man glaubte auch nicht an den unfterblichen Geiſt. Man glaubte nicht mehr ] an den Teufel, aber man glaubte auch nicht mehr an den ewigen Gott. Man erkannte dad Nichtige mandeb | von Menfchen erfonnenen Formenwerks, aber man blieb der Sklave anderer, nicht weniger nichtiger und wil⸗ kürlicher und vielleicht weniger nützlicher Formen, und man gab auch den Glauben an die Tugend, bie Ehe , furcht vor der fittlihen Pflicht auf, und führte alle \ auf die Berechnungen ded Nutzens, der Luft und ana ı conventionellen Ehre hinaus. Aber wie dem aud fü, ı die feine Gejelichaft des damaligen Europa feßte ihr j Stolz darein, nichtd zu glauben, was fich nicht mathe i matifch beweifen, oder mit den Fingern begreifen fie, | glaubte, einen gewaltigen geifligen Vorfchritt gethan ' haben, wenn fie die überfinnliche Welt und das zufünf tige Leben als entweder gar nicht vorhanden, ober doch für die Menfchen gleichgiltig betrachtete, und gefiel fih in einem gegen faft alles zeither Geglaubte gerichteten, durch mehr oder minder geiftreihen MWig, mehr ode minder feharffinnige Dialektif getragenen Skepticismus. Um fo auffälliger Fönnten bei folcher Richtung ge

die Gräfin Coſel. 293

ville Gegenſätze in denſelben Kreifen derfelben Zeit er- heinen. Wir denfen dabei nicht daran, daß jener Skep⸗ icismus von manchen Dingen, die er theoretifch vermarf, leichwol fortfuhr, praktifch fehr ausgedehnten Gebrauch u machen, wie Dad namentlich in politifchen und kirch⸗ ichen Sachen der Fall war. Hier war der Egoismus er beftimmende und leicht erfennbare Grund. Die vor: ehme Sefellichaft glaubte an die Wahrheit und Berech⸗ gung vieler Dinge nicht, Die fie Doch ald ganz nüglich nfab, um die niedern Stände im Zaum zu halten. Wir enken ferner nicht an diejenigen Minoritäten derfelben Rreife, welche in jene Richtung gar nicht eingingen, fon- ern fich einer ganz entgegengefeßten ergaben und na⸗ nentlich für das Bedürfniß religiöfer Innigkeit eine Be: riebigung in Strebungen und Kreifen fuchten, wie man te ald möüftifchspietiftiiche zu bezeichnen pflegt. So na⸗ nentlich in der proteftantifchen Kirche die Herrnhuter md die Anhänger Spener’d, in der Katholifchen die Jünger von Port Royal und die Martiniften. Man ann nicht eigentlich jagen, daß diefe Richtungen Durch Ne Erfteren ald Gegenfat hervorgerufen worden waren; vielmehr waren beide ein Gegenfat gegen die Sterilität des Buchftabenglaubend, der blos Außerlichen Werke und des Formenweſens der alten Kirchen; ein Gegen: fat, ber nur auf verfchiedenen Wegen fich abzweigte. Endlich legen wir den, wie überall, wo Worurtheil im Spiele, fich zeigenden Inconfequenzen in den Einzelcha- tafteren Feine Bedeutung bei, wo zuweilen ein Gottes⸗ leugner fih vor Gefpenftern fürchtet, oder ein Sfepti- fer vom reinften Wafler Doch fich gläubig Die Karte von einer alten Frau Schlagen laßt, oder irgend einen lächer- lichen Aberglauben anwendet, um eine glüdliche Xotterie- nummer zu erfahren. Aber Das ift die eigenthümliche

204 Der Aberglaube des achtzehnten Jahrhunderts;

Erſcheinung, um die es ſich bier für uns Handelt, daß diefelben Kreife, Die fich auf der einen Seite von allem alten Glauben losſagten und von der Aufflärung, dem Skepticismus, dem fogenannten Reiche der reinen Ver⸗ nunft fait machten, doch auf der andern Seite für die allerunfinnigften Schwärmereien und Vorfpiegelungen, wenn fie fi) ihnen nur in neuer Form zeigten, Em pfänglichfeit genug befaßen, um die feine Geſelſſchaft faft aller europäifchen Staaten wiederholt eine Beute von Betrügern oder Schwärmern werden zu fehen, de

ren Blendwerke zu entdeden ed weit weniger Scharf finnes bedurft hätte, ald den man zur Bekämpfung des alten Syſtems angewendet. Dad Jahrhundert de

Voltaire und Diderot fah auch die Caglioſtro, Gaßner, Schrepfer, ließ fich Geifter citiren, fuchte nach bem Stein der Weiſen, gefiel fi) in phantaftifchen Verbin dungen, die von einem Grade zun andern durch Ver heißung der Entdedung wichtiger Geheimniffe Lodten,

welche ewig ausblieben, ergriff bald das, bald ind

mit Ddemfelben jchwärmerifchen Eifer und demſelben Mangel an Kritif und Befonnenheit, der zu fovid

Wunderglauben des Mittelalters geführt hatte Zaw fende von Parifern, welche nichtd von den Wunden : und Reliquien der Kirchenheiligen willen wollten, from

ten doc zu dem Grabe des Franz von Paris, oder zu

den durch Erde davon geweihten Verfammlungen, wii _ es der Heilige der Ianfeniften, weil ed ein neuer, ein

oppofitioneller Heiliger war.

Die Srfcheinung ift unleugbar und hat auf den m ften Anblid ihr Befremdendes, läßt fih aber do me : ſchwer erflären. Es war eine Uebergangszeit, in wid

cher das Alte zerfiel, dad Neue aber noch nicht aufge baut war. Die große Mafle der fogenannten gebildeten

u‘

.-.

bie Gräfin Coſel. 295

Belt hatte von der neuen Wiſſenſchaft den allgemeinen Iweifel an ben zeitherigen Autoritäten und ein unbeſtimm⸗ es DVorgefühl großer bevorftchender Entdedungen und lkriumphe des menfchlichen Geiftes angenommen, aber ür beides keine fihern und erfchöpfenden Gründe. Sie atte den alten Myſterien entjagt, aber ihre Phantafie erlangte nach neuen. Ihre Genußfucht konnte durch ichts fo ſtark geködert werden, wie durch die Ausficht uf unerfchöpfliche, willkürlich vermehrbare Schäße, und a Die nationalökonomiſchen Zweifelögründe dachte man natürlich am wenigften. Leugnete man auch ein zufünf- ges Leben, oder entichlug ſich wenigftens jeder Rüd: ht Darauf, fo Eonnte man doch das Alter und den sod nicht Teugnen, und hätte fich glüdlich gepriefen, venn ein Mittel gegen beide zu finden gewelen ware. ind wie auf den Pfaden des alten Glaubens nur zu Bee fi) mit gewiſſen Gebeten und Ceremonien, mit derrichtung gewiller Handlungen abgefunden zu haben’ Jaubten, obne Dies alles mit dem wahrhaft religiöfen Sinne zu durchdringen, der allein diefen Dingen den Berth und die Kraft gibt, fo wollten auch die neueren langer der Weisheit und Tugend diefelben ſich in faß- her Weile, in furzen Sprüchen und Sätzen, die man it Leichtigkeit auswendig lernen könne, gelehrt wiflen, > glaubten auch fie durch allerlei Seremonien und urch den Richterfpruch anderer Menfchen auf eine bö- exe geiftige und fittliche Stufe gelangen zu können, be ſelbſt etwas dafür zu thun, ohne irgend geiflig nd fittlich gehoben zu fein. Die erft beginnenden, eine Male Ummandlung anbahnenden Entdedungen im Ge- tete der Phyſik und Chemie ſpannten theild die Erwar- ingen des Publifums aufs höchfte, theild gaben fie speculanten zu mancher Muftification Gelegenheit, bei

296 Der Aberglaube des achtzehnten Jahrhunderts;

welcher die Unbelanntichaft des Publikums mit Dielen neuen Worfchritten in Rechnung gebradht war. Auch aus dem vorhergehenden Jahrhunderte fanden ſich noch mancherlet Züge derartigen Zreibend in da8-neue ber über, erhielten fich in Geheimfreifen, nahmen neue For men an und lernten neue Mittel gebrauchen. Dahin gehörte unter manchem Andern die Sucht, den Urfprung neuer Geheimweisheit auf Die ägyptiſchen Pyramiden und ihre vermeintlichen Prieſter zurüdzuführen, fowie die fich mehrfach wiederholende Annahme, daB man Jude fein müfle, um in der Kabbala Großes zu er reichen.

Diefer letztere Umſtand veranlaßt und, der Graf Cofel, die man nur als verfchwenderifche Maitrefle eined prachtliebenden Zürften zu betrachten gewohnt ift, bier zu gedenfen, und zwar führen wir fie zuerft auf, theils

weil fie unter unfern Beifpielen und am weiteften in das Jahrhundert zurüdführt, theils weil ihre Sa - weniger in Zufammenhang mit den übrigen fteht, ad _

dieſe ſelbſt unter fich.

Anna Conftantia von Broddorf war die Tochter

eines däniſchen Obriften und holfteinifchen Edelmannd, des Joachim von Broddorf auf Deppenau und am 11. Dctober 1680 geboren. Sie war Hofdame der Prin zeifin Sophia Amalia von Holftein') gewefen, die an den Erbprinzen von Braunfchweig vermählt wurde, und beirathete 1699 den Grafen Adolph Magnus von Hoym?). Diefer genoß aber ihren Befig nicht Tange.

1) Tochter des Herzogs Ghriftian Albrecht, geb. 19. Jan. 1670, am 7. Juli 1696 mit dem Prinzen, nadherigen Herzog Augeft Wilhelm von Braunſchweig vermäßlt, + 27. Zebr. 1710.

2, Richt zu verwechſeln mit dem Grafen Karl Hrinrid von Hoym,

die Gräfin Eofel. 297

Die Hoflage verfichert, er habe fie anfangs auf feinem Bute verborgen und fi) vorgenommen gehabt, fie den üfternen Augen des Hofes nicht preiögeben zu wollen. fitelkeit jedoch babe ihn verleitet, wenigftens ihre Schön- eit und Liebenswürdigkeit bei Hofe zu rühmen, und dann ei er von dem Fürſten Egon von Fürftenberg zu einer Bette gereist worden, die nur durch Anweſenheit der Bräfin am Hofe entichieden werden konnte. Sie er- bien, Fürftenberg zahlte feine 1000 Ducaten, und doym verlor feine Gemahlin, die fofort der Gegen: tand der dringendften Bewerbungen des Königs Au- zuſt II. wurde. Sie fühlte an fich Fein Bedenken, fich von ihrem Gemahl zu trennen und dem König zu er: eben; aber fie erfannte, daß die Keidenfchaft des Kö⸗ aigs fie ermächtige, einen fehr hoben Preis zu fordern, mb ihre bochfahrender Sinn, ihre Herrfchfucht und ihr Eigennuß zeigten fi fchon damals, in den Bedingun- gen, die fie dem König ftellte.e Er mußte verfprechen, der Fürſtin von Teſchen für immer zu entfagen, Die Scheidung ‘von ihrem Manne zu bewirken, ihr eine jährliche Penfion von 100,000 Thlrn. auszufegen, und ihr ein eigenhandiges fchriftliches ewentuelles Ehegelöb- niß, für den Fall des Todes der Königin, zu geben. Alles ward eingeräumt, die Scheidung (1700) bewirkt und der fpäter (1706) mit dem Zitel einer Gräfin von Gofel bedachten Maitreffe ein prächtiger, mit dem kur⸗ fürftlichen Schloffe durch eine bedeckte Galerie verbun-

welcher 1724 Gabinetsminiſter, 1731 geſtürzt und auf den König⸗ fein geſeht ward und fich dort 1736 ſelbſt entleibte. Es war dies der jüngfte Bruder des Adolph Magnus, welcher Leptere auch Cabi⸗ wetöminifter war und 1724 ftarb. Adolph Magnus heirathete fpäter eine Tochter des Grafen Heinrih Frieſen, hinterließ aber auch von Ihr keine Kinder.

13 **

298 Der Aberglaube des adtzehnten Jahrhunberts;

dener Palaft '), fowie ein ebenfo prächtiges Sommer: palais eingerichtet’). Sie hat den König vielleicht mehr beherrſcht, ald irgend eine andre feiner zahlreichen Mai- treffen. Stand fie auch der Königdmarf an Geift und wahrer Xiebenswürdigfeit nach, fo verband fie Doch mit geoßer Schönheit einen ftarren, herrfcherifchen Sinn, durch den fie Auguft und Jedermann imponirte. Die verfchwenderifchfte Maitrefle, wie man nah manden Anekdoten glauben könnte, war fie nicht, ward vid- mehr darin von der Gräfin Dönhoff⸗Bielinska bei wer tem übertroffen. Wol aber wußte fie ihre Stellung gegen unbedachte Angriffe zu fichern, indem fie den Sturz des Grafen von Beichling’) mit beförderte, ber fih über die an fie fließenden Summen beflagt hatte Die Hofherren fagten nun nichts mehr wider fie. Die lutherischen Prediger aber, damals die öffentliche Stimme vertretend, Die gegen die Gofel, um ihres anmaßenden, berzlofen und eigenfinnigen Weſens willen, ganz beſon ders gerüftet war, fchonten fie nicht und in der dre# dener Kreuzfirche fogar ward fie nicht undeutlich mit der Bathſeba verglichen. Sie verlangte vom Könige Beftrafung diefes Geiftlihen; allein Auguſt, der ſehr wohl wußte, wie weit er geben könne und wo er dm halten müfle, erklärte ihr, dag die Prediger alle Woche

7) Die Ausmeublirung des cofelfhen Palais fol 200,000 Zt. gekoftet haben.

2) 1705 ſchenkte ihr der König Pillnig, was der Kurfürft Io bann Georg IV. 1693 oder 1694 von denen von Bünau gegen dei nad dem Audfterben der Harrad an die Krone gefallene Lihtenmaltt eingetauſcht und feiner geliebten Reidſchuͤzg, der Gräfin von Rodlit, gefihentt hatte. Ahr ward es wieder abgenommen, eine kurze Belt den Einfiedel überlaffen, wieder für den Monarchen erworben, te Gofel, dann dem Grafen Rutowski verlichen und dann wieder Hank

gut. 3) Darüber vielleicht Fünftig einmal.

die Graͤſin Eofel. 2399

äne Stunde frei hätten, wo fie an einem beflimmten Drte alles jagen könnten, was ihnen beliebe. Würde an Prediger einmal außer der Kirche ein ungeziemendes Wort gegen die Gräfn fallen Iafien, fo würde er ſo⸗ gleich feftgenommen werden; bie Iutherifhe Kanzel aber fei für den Papft zu hoch; wie nun vollends für ihn, ber nur ein Weltkind ſei!

. Eiferfüchtig wachte die Cofel gegen jede Mitbewer: berin und der König mußte, befonderd in der eriten Jet, manche Liſt gebrauhen, um feine Nebenintriguen vor ihr zu verbergen. Als er in Folge des ſchwediſchen Krieges nad) Polen ging, wollte er die Coſel zurüdiaf- im, um in Warſchau die Fürftin Zeichen ') wieder an ſich ziehen zu können, die ihm wegen ihrer Verwandt: khaft mit dem: Primas politifch wichtig war. Indeß die Coſel Fam doch nach Warfchau nach und während ſie nur auf die ältere Nebenbuhlerin blickte, pflegte Der König inzwiſchen ein Verftändnig mit der Renard und erzeugte mit ihr die nachherige Gräfin Drzeldfa ’). Aer⸗ gerlicher noch, als er fpater die Zänzerin Duparc, die win Brüflel gewonnen, nach Dresden nachbringen ließ, wit Geſchenken überhäufte und die meiften Abende in

"DD uUrſula Katbarina von Boufom, Tochter des Stolnid von

‚, Nichte des Gardinals Primas Radzeijowski, ward am

* Rov. 1680 geboren, heirathete den Fürſten Georg Dominic

omirdfi, ward geſchieden und zur Reichsfürſtin von Teſchen er:

ben, war die Mutter des Chevalier de Sare, verm. ſich am 22.

det. 17233 mit Prinz Zriedrih Ludwig von Württemberg und + B Witwe 4. Mai 1743.

V Die Renard war eines franzöfifhen Weinhändlers Tochter. Die Anna Karolina Gräfin DOrzelsta ward am 23. Nov. 1707 ger sten, fol erwachſen die befondere Gunft ihres Pöniglihen Baters enoffen haben, heirathete am 10. Auguft 1730 den Prinzen Karl wuwig von Holftein-Beet, ruffifhen Generalfeldmarſchall, ward 733 gef&ieden und + 27. Sept. 1709 zu Grenoble.

300 Der Aberglaube bed achtzehnten Jahrhunderts;

ihrer und anderer Tänzerinnen Geſellſchaft zubrachte. Dennoch ließ er die Cofel wenigſtens in der Stellung einer Chrenfavoritfultanin, behandelte fie mit größter Auszeichnung und hielt fie im Wefentlichen wie feine Gemahlin, zumal ja feine wirkliche Gemahlin, Die edle Chriftine Eberhardine von Brandenburg - Kulmbadı '), von ihm getrennt in Pretich lebte. Bei der Anweſen⸗ heit des Königs und der Königin von Dänemark in Dresden hatte die Königin fi) das Erfcheinen der Grä—⸗ fin in ihrer Gegenwart verbeten. Sie kam aber doch einmal bei öffentlicher Zafel ald Zufchauerin, alles durch ihren Schmud überftrahlend; der König von Dänemark führte fie auf einen Platz an feiner Seite und nun er ſchien fie ungefcheut bei allen Zeften. Die Königin 305 fih zurüd und beide Könige wetteiferten in Galanterie gegen die Coſel.

Sie gebar dem König drei Kinder, für die er auf nach feinen Bruche mit der Mutter derſelben glänzend forgte. Es waren dies: 1) Auguſte Conflantia, geb. 24. Febr. 1708, am 3. Juni 1725 mit dem reichen Grafen Heinrich Zriedrich von Zriefen (+ bei Montpel⸗ lier 8. Dec. 1739), Cabinetöminifter, General und Grow verneur von Dresden, vermählt, und am 3. Febr. 1728 geftorben.. 2) Friederika Wierandrine, geb. 27. Di. 1708, am 18. Zebr. 1730 mit dem Krongroßſchatzmei fter von Polen, Brafen Anton Moſczinski vermählt, am 14. Sept. 1737 Witwe, + in Dresden am 16. Dec. 1787. 3) Friedrich Auguft Graf von Cofel auf Sabor in Niederfchlefien und auf Deppenau, dem miliengute feiner Mutter, in Holflein, geb. 17. Okt.

BER Geb. 19. Dec. 1671, verm. 10. Ian. 1603, + 5. Sept.

die Gräfin Coſel. 301

1712, General und Chef der Garde du Corps und Ritter des weißen Adlerordens, + 15. Oct. 1770. Er hatte am 1. Juni 1749 Friederifa Chriflina, die Toch⸗ te des SOberconfiftorialpräfidenten Grafen Chriftian Gottlieb von Holßendorf '), welche erft an Kafpar von Schönberg auf Gelenau vermählt geweien, aber von ihm geichieden worden war, geheirathet. Sie ftarb als Witwe am 22. Sanuar 1793. Won ihren Kindern wurde Conſtantia Wlerandrine mit dem danifchen Gra⸗ fen Johann Heinrih von Knuth zu Güldenflein ver- mählt; Charlotte Luife Marianna blieb unvermählt. Dee jüngfte Sohn, Sigismund, farb ald Gardelieute nant am 30. Juni 1786 und der altefle Sohn, Guſtav Ernft, erft in preußifchen, dann in fachfifhen Militair- dienften, flarb gleichfalls unvermählt am 29. Dct. 1789. Mit ihm erlofch der Mannsftamm der Eofel.

Die Unftetigkeit in den Neigungen des Königs würde die Goſel ſchwerlich geflürzt haben. Aber fie fiel als Dpfer politifcher und Hofintriguen und idres Die Sai- ten überfpannenden Starrfinnd. Die Schlacht bei Pul- tawa eröffnete für ihren königlichen Geliebten von neuem das verhängnißvolle Polen. Es fchien wichtig, Alles zu benugen, was die dortigen Verbindungen verflärfen konnte, und die Yürflin von Zeichen bemühte fich eifrig für den König, in der Hoffnung vielleicht, fich dadurch neue Anſprüche auf feine Gunft zu erwerben. Die Um⸗ gebungen des Könige, Ylemming’) namentlich und Vitz⸗ tum ’), wünfchten eine Maitrefle, die von ihnen abhan-

1) Wir werden fpäter feben, daß die Anführung dieſer Berwandts ſchaft für den Zortgang unfrer Erzählung nicht unwidtig ift,

3) &. S. 247, Anm.

3) Friedrich Bihthum von Eckſtaͤdt, geb. 10. Ian. 1675, 1711 Reihögraf, Gabinetsminifter und Dberfämmerer, nicht in Staatd«,

302 Der Aberglaube des achtzehuten Jahrhunderts;

gig fei. Sie flellten dem Könige vor, daß ed Flug fei, neben der fächfiihen Maitrefle auch eine polniſche zu haben, empfahlen ihm aber, zur Anfnüpfung neuer Ver: bindungen, die Tochter des Großmarſchalls Kafimir Ludwig Grafen Bielinsfi, damals‘ Gräfin Dönhoff ), für die er perfönlich Feine entichiedene Neigung gehabt zu haben fcheint, während es. ihm auch fonft Bedenken machte, der furchtdaren Cofel mit einer neuen erflärten Maitrefie entgegenzutreten. Endlich ließ er fich über reden. Kaum erfuhr die Eofel davon, als fte fich auf den Weg nad Warfhau machte. Der König, den fie davon zu benacdhrichfigen unflug genug geweſen wat, fchiete ihr einen Lieutenant mit fechd Garde du Corpt entgegen und ließ fie, mit aller Höflichkeit, aber aud mit entichiedener Unbedingtheit, nah Dresden zurück bringen.

Inzwilhen war ed der Dönhoff gelungen, wenn nicht die Liebe des Königs, Doch die Herrichaft übe fein ſchwaches Gemüth zu erringen. Sei es, daß fie ihm für den Yugenblid unentbehrlich geworben war, fa ed, daß er fich gegen die Coſel auf fie zu ſtützen, daß er die Gelegenheit zu benutzen wünſchte, das Joch der Letzteren abzuſchütteln, genug, er ſelbſt beſtand darauf, daß ihn die Dönhoff, die anfangs nur für Warfchau beftimmt gewefen, aud nach Dresden begleite. Die Dönhoff willigte nur unter der Bedingung ein, daß bie Gofel Dresden vor ihrer Ankunft verlafle. Sofort er

aber in Hofe und Herzensfaden leitend, biieb am 13. Aprit 17% bei Warſchau im Zweikampf mit dem Grafen St. Gile.

1) Sie war mit dem Grafen Bogislaus Ernft von Doͤnhoff ver mäplt, ließ fi nun von ihm ſcheiden und lebte mit Auguft, heira⸗ thete aber 1719 den Zürften Georg gen Lubomirsti, ſaͤchſtſchen General, und fterb am 20. April 1

..die Graͤſin Coſel. 203

ing Befehl an-den Fürſten von Fürſtenberg, für Er⸗ lung dieſer Bedingung Sorge zu tragen, und Fürften- erg, ein alter Gegner der Gofel, befolgte diefen Befehl ut Freuden. Die Sache ging aber ſchwierig. Der beneralabiutant des Königs, von Thünen, der an die Beafın geſchickt wurde, ließ fich durch ihre Schmeichel- orte, Thränen und Gefchenke ') bewegen, fie umter em Vorwande, daß fie Trank fei, von der Abreife zu spenfiren. Der König aber blieb feft und fie mußte, Me gewaltiamen Maßregeln bedroht, Dresden verlaflen, ing aber zunächſt nur nach Pillnitz. Nun follte fie das Iheveriprechen herausgeben, weigerte ſich aber auf das charrlichſte und entfloh endlich, da fie Haft und Ge lt fürchtefe, nach Berlin. Hier bedeutete man fie, e möchte fich Tieber nach Halle begeben, was fie uch that. Ä

Herr von Loen erzählt ’): „Die Gräfin Eofel jah ich B Student in Halle, wo fie ald eine vom Hofe ver: eiene Liebhaberin des Königs fich Hingeflüchtet hatte; e hielt fich daſelbſt ganz verborgen in einer abgelege- en Straße bei. einem Bürger unweit dem Ballhaufe uf. Ich ging faft täglich zu einem guten Freunde, ber eich nebenbei wohnte. Das Gerücht breitete ſich aus, fich dafelbft eine fremde Schönheit aufbalte, die anz geheim lebe. Das Studentenvolk ift vorwitzig. h ſah fie etliche Male mit gen Himmel aufgefchlage: em Augen in tiefen: Gedanken binter dem Fenſter ſte⸗ m; ſobald fie aber gewahr wurde, daß man fie ber nfche, trat fie erichroden zurüd. Außer den Leuten, ie ihr das Effen über die Straße brachten, fah man

1) Si „en ibm, ald er anfing, erweicht zu werden, einen Brils zblrm. an Serth gegeben haben. 7) Reine Shriften,.T, 193.

304 Der Aberglaube bes achtzehnten Jahrhunderts;

Niemand, als einen wohlgefleideten Menfchen bei ihr aus» und eingehen, den man für ihren Liebhaber hielt. Man konnte Feine fchönere und erhabenere Bildung fe ben. Der Kummer, der fie verzehrte, hatte ihr Ange fiht blaß gemacht; fie gehörte unter die fchmachtenden, braunen Schönen, fie hatte große, ſchwarze, lebhafte Augen, ein weißes Zell (sic), einen fhönen Mund und eine feingefchnigte Nafe. Ihre ganze Geftalt war ein | nehmend und zeigte etwas Großes und Erhabenes.“ Auch in Halle blieb fie nicht lange. Der preußiſche Hof war fo gefällig, fie in die Hände der fächftichen Regierung zu liefern. Ein Offizier des Regiments An halt meldete fich bei ihr, mit dem Auftrage, fie über die Grenze zu bringen. In Sachen angelangt, ward - fie auf das Schloß der Bergveſte Stulpen gebracht, wo fie am 21. December 1716 ankam und was nun für mehr ald vierzig Jahre ihr erft geswungener, Dann freiwilliger Wohnſitz ward ). Stolpen war und if ein ehr Feiner, wenn auch anmuthig gelegener und für ein bürgerliche Gemüth ganz freundlicher Ort; ed war Thon damals ald Feſtung felbft invalid und nur von Invaliden bewacht. Für eine Coſel muß der Abftand zwifchen dieſen 45 Jahren und den 16— 20 vorherge benden gewaltig geweien fein. 1708 war fie mit dem König daſelbſt geweſen und hatte im Thiergarten gejagt. Das Schloß war ehedem zuweilen von den Biſchoͤ— fen von Meißen, denen Stolpen gehört hatte, bewohnt worden. Der Gräfin wurden die beften Zimmer in einem Thurme eingerichtet, der noch jetzt der Coſelthurm heißt,

) Daß fie, nie man mehrfach lieft, auf den Gütern ihre Schwiegerfohnes, des Grafen riefen, gelebt habe, ift falſch. Webris gend ward diefer Graf aub erft 1735 ihr Schwiegerfohn, und ihre an ihn verbeirathete Tochter ftarb fon 1728.

bie Gräfin Coſel. 305

ad fie bfieb mit anfländigen Einkünften verfehen. Im nfang überließ fie fi den Außerften Zornausbrüchen gen den ungetreuen königlichen Geliebten. Dann ſchlug r Zorn wieder in die glühendſte Schnfucht nach ihm m und fie machte taufend Verfuche, eine Annäherung nd Ausfühnung zu erwirten Alles umfonfl. Man erfolgte und unterdrüdte fie nicht; aber fie begegnete ner unerfchütterlichen Kälte und Unerbittlichkeit. All⸗ dig ſchlug fie wieder um, gewann ihre Einfamteit cb, entfagte der Welt, warf fich aber nicht der Reli- en, fondern dem Gelde und der Kabbala in die Arme. lie warb geizig und fpeculativ und fie fuchte nach ge imen Kenntniſſen und Kräften. In beiden Beziehun- m verkehrte fie mit Juden. Es ift behauptet worden, 6 fie wirklich zum Judenthum übergetreten fei, oder ) wenigftend beabfichtigt und deshalb eine Reife nach jolland vorgehabt habe. Das wollen wir um fo we iger glauben, da ihr Verkehr mit dem Judenthum un- w ben Yufpicien eines Lutherifchen Oberconfiftorialpra- denten vor ſich ging. Daß aber eine innige Befreun: wg mit dem Judenthum flattfand und daß fie ihre arfchungen in jüdiſcher Theologie nicht aus chriftlich- kologifchen Abfichten trieb, dafür finden wir eine über: chende Beſtätigung in den Erinnerungen eined Grei- 4, welche der Vergeſſenheit zu entreißen ein anderer hreis ſich das Werdienft erworben bat.

».Der brave, verbienftoolle Apotheker Martius in Er- gen erzählt nämlich in dem ehr intereflanten und grreihen Buche: „Erinnerungen aus meinem neunzig⸗ ihrigen Leben” (Leipzig, 1847, 8.) u. U. folgendes. te hatte 1788 die Adminiftration einer Heinen Apo⸗ jeke in dem fränkifchen Städtchen Baiersdorf zu be- wgen. Hier machte er u. U. die Bekanntſchaft des

306 Der Aberglaube bes actzehnten Jahrhunderts;

alten würdigen Superintendenten Bodenſchatz, eines zu feiner Zeit vielgeſchätzten Drientaliften, welcher ſich na⸗ mentlich viel mit jüdifchen Alterthümern und rabbins ſcher Literatur abgegeben und mehrfache Modelle der Stiftshütte und des falomonifchen Tempels gebaut hatte, welche von Xiebhabern won Curioſitäten angefauft wor den find. Martius befuchte ihn öfters des Abends, rauchte ein Pfeifchen mit ihm und ließ fih von ihm erzählen. Eines Abends kamen fie auch auf die Sri fin Eofel, von welcher ihm der Alte erft die gewöhn lichen, nicht in allen Punkten correcten Mittheilungen machte, wie fie feit dem „Salanten Sachen‘ durch bie Literatur gegangen find. Daran knüpfte er folgend Erzählung. Als Bodenſchatz noch Pfarrer in Utten reuth war, erhielt er einen Brief mit: 20 Reichöthalern, worin ihm ein angebliher Borromaus Lobgeſang in

Bifchofswerda ') auftrug, ihm die Pirfe Aboth au

dem Rabbinifchen ind Deutfche zu überfegen. Er be forgte das in wenig Tagen, worauf er mit vielem Danke 6 Ducaten Honorar befam. Es wurden ihm noch ar dere hebräifche Traktate zu gleihem Zwecke überfende und der Bogen mit 1 Xouisdor honorirt. Er mußt die Briefe an den Poftmeifter zu Dresden abreffira und erfuhr von ihm auf Anfrage, daß ein Bote au Schmiedefeld die Briefe hole und bringe, nad) Weiteren zu forjchen aber nicht räthlich fei. Endlich ward er eiw geladen, felbft nach Dresden zu kommen, wo er feinen Sorrefpondenten finden werde. Dad Reiſegeld wer ihm, wie auch geſchah, dort erftattet werben. Wir aber erftaunte er, ald ihm der unbekannte Brieffteller im vollen Anzuge eines jüdifchen Hohenprieſters aus

1) Diefes Städtchen liegt in der Nähe von Stolpen.

bie Gräfin Coſel. 307

em alten Teſtamente entgegentrat, und noch mehr, ale et unter der Mitra das Geficht einer Dame entdedte! He empfing ihn öfters, erwies ihm alle mögliche Aus- ihnung und ſuchte von ihm genaue Aufichlüffe über almudftellen, züdifche Gebetbücher und andere rabbi- ſſche Dinge zu erhalten. Sie und der Schwiegervater ves Sohnes, der Dberconfiftorialpräfident Graf von oltzendorf), ſprachen fogar davon, ihm die Stadt: arrerftele zu Stolpen ’) zu verfchaffen, wobei ihm äter eine der beften Ephorien in Ausficht geftellt wurde. Der Graf zeigte ihm fogar, noch ehe er ſich Märt hatte, Die Vocation’). Er wendete fi) jedoch ſt an feinen Landesfürften, den Markgrafen Friedrich, id erhielt von dieſem den Befehl, ind Vaterland zu⸗ ickzukehren, und die Verficherung, daß ihm eine gute förderung zu heil werden fol. So mag ihm icht die gute Gräfin Coſel, ftatt einer fächfiichen, eine änkiſche Superintendentur verfchafft haben. Webrigens ard er auch etwas ungehalten auf fie, weil fie, wäh: nd er ihr rabbinifche Schriften verdeutfchte und fie fich küber unterhielten, „allerlei Dinge aufs Tapet brachte, b gegen die Lehre Chrifti und feine heilige Perfon ge- Stet waren, ſodaß er entrüftet beichloß, fich von ihr eadyuniehen. Ueberdies fing auch feine gute Frau, der

Irrthümlich nennt Bodenfhag ihn ihren Schwicgerfohn. Es x x Göriftion Gottlieb von Holgendorf auf Bärenftein und Strass Ihchen, geb. 22. April 1696, 1745 meiden, wirfliher Geheimes 9 und Dberconfiftorialpräfivent, + 6. Nor. 1755. 8) Herr Bodenſchatz fheint Feine Ahnung davon gehabt zu haben, zum er gerade nah Stolpen, was er Stolye nennt, follte. 9) Da Bodenfhag die Gräfin in Drespen fah, fo muß ed nad 83 gemwefen fein, von wo an fie Freiheit zu reifen hatte. Da cr ı Grafen Holtzendorf ſprach, fo muß ed vor 1755 gewefen fein, d da diefer erft 1749 mit ihr verwandt ward, fo muß es nad 49, alfo zwifhen 1749 und 1755 geweſen fein.

308 Der Aberglaube des achtzehuten Jahrhunderts;

er das Räthſel von dem unbefannten Correfpondenten mitgetheilt”, das der guten Frau Pfarrerin zu litten reuth vorher viel Kopfbrechend verurfacht haben mag, „an, eine fo gefährlihe Perfon ') mit eiferfüchtigen Au gen zu betrachten. Sie fürchtefe, daß die Dame auf den Pfarrheren von Uttenreuth verführen Fünnte Und fo war er denn froh, endlich der vornehmen Hohenprie fterin Valet jagen und reichlich beſchenkt in fein ftilles Dorf zurüdkehren zu künnen.” ?).

Der Gräfin fol nach dem Tode ihres königlichen Geliebten’) die Freiheit angeboten, von ihr aber auf geichlagen worden fein. Dabei fol fie nur den Wunſch ausgefprochen haben, dem Thurme gegenüber, in dem fie nun ſchon über 16 Jahre gelebt, dereinft begraben

1) Die gute Zrau Pfarrerin hat wol nicht bedacht, daß die Er fel damals mindeftens fchon ſtark in die Schzig war. Oper hat fe an die Ninon de l'Enclos gedacht?

2) Martius a. a. 2. ©. 102 fe.

3) Bekanntlih ftarb Auguft IT. am 1. Febr. 1733 an einem Schaden am Zuß, zu dem der Brand Fam. Schon 1727 war ı an diefem Körpertheile, dem linken Schenkel, gefährlich erkrankt und nur durch Amputation der aroßen Zehe gerettet worden. Diet Amputation erfolgte aber nit, wie man allerwärts lieft, durd den von Paris berufenen Ghirurgus Petit, fondern durch den deutſchen Ehirurgus Weiß, von welchem noch jett Nachkommen leben, melde dem Adelsfiande angehören. Und zwar ging die Sade fo zu. Weil wußte längft, daß die Zehe abgefchnitten werden müffez die Leibaͤrzte wollten aber nicht daran. Endlich beſchloſſen fie, Petit die God vorzulegen und .ihn zugleih nah Dresden zu berufen. Weiß mer aber überzeugt, daß der König die Ankunft Petit’s nicht erleben könne, benugte alfo einen, vielleiht durd ein Dpiat bewirkten Schlaf deffelben, ihm die Zehe brevi manu abzufchneiden, worauf er ihm einen Fußfall that und feinen Kopf zum Pfande fepte, va die Sache nöthig geweien. Der König berubigte ihn und verfprad vor der Hand Geheimniß. Bald aber erfuhr man, zur Befchämuns der Herren Leibärzte, daß Petit, nachdem er den Krankenberidt gelefen, erklärt habe: „wenn die Zeche nicht abgefchnitten werde, ſo fei der König todt, bevor er nah Dresden kommen koͤnne.

-ulrn.a Alchh

bie Gräfin Coſei. 309

zu werden. Sie blieb daher in ihrem Verhältniß, was br durch Gewohnheit lieb geworden, mag aber natür- ih nunmehr in Reifen zu ihren Verwandten und fonft hcht behindert worden fein. Sie war ja nur noch eine reiwillige Gefangene. Im Lande war fie vergeflen. m Stolpen erzählte man aber nod) lange nach ihrem, m 31. März 1761 erfolgten Tode, allerlei Geſchich— en von ihren Wunderlichkeiten, auch von Schägen, Die ie in den unterirdifchen Gängen des feitdem ziemlich erfallenen Schloffes ') vergraben haben follte.

1) Die Preußen hatten es 1756 eingenemmen und es fiel bier er erfte Schuß und das erfte obendrein unnöthige Opfer des fieben- übrigen Krieges.

X. Caglioſtro.

Die eigenthümliche Richtung, in welcher das 18. Zahr: hundert feine Xeichtgläubigkeit Fundthat, ift von Keinem in fo großem Style und im Ganzen mit fo geringen Mitteln höherer Geiftesfraft und Bildung ausgebeute worden, ald von Joſeph Balfamo, der fi) Caglioftre

nannte. Die parifer Polizei, die römiſche Inquifttion | und Fiterarifche Bemühungen, an denen fich felbft eiin Goethe betheiligte, haben den äußern Lebensgang dei |

Mannes fo ziemlich feftgeftelt, aber keinesweges nod alle Räthſel gelöft und ſchwerlich Alles in das rechte Licht bringen Fünnen.

Die Gefchichten freilich, die er felbft von feiner Her funft erzahlte, contraftiren gar flarf mit den. amtlichen Grmittelungen, und doch zeigt ſich auch bei jenen, daß der Abenteurer nur den nüchternen Kern der Wahrheit in feinen Zweden entiprechender Weife ausſchmückte und mit Iuftigen, phantaftifchen Hüllen umgab. Er behaup tete, daß feine früheften Erinnerungen ihn in den Orient führten. In Medina habe ihn der weile Althatas in fürftlicher Pracht erzogen; zahlreiche Sklaven hätten ihm zu Dienften geftanden und felbft der Muftt Habe ihn

beſucht. Im 12. Jahre fei er, mit Lehrer und Die

nach Mekka gezogen und babe hier drei Jahre bei

Caglioſtro. 311

rem ihm verwandten Sheriff gelebt, der endlich den ‚unglüdlihen Sohn der Natur” zu weiteren Reifen ntlafien babe. In Aegypten babe er die Weisheit jener deiefter gelernt, welche die Phantafie fremder Völker fo inge fchon in dad Innere der Pyramiden verfeßte und ort fich an der Weberlieferung einer urfprünglichen, der brigen Menfchheit verloren gegangenen geheimnißvollen Beiöheit erfreuen ließ. 1766 endlich fei er in Malta ngelangt und von dem Großmeifter mit glänzenden fhren empfangen worden. Hier habe er aus Dunkeln Inbeutungen des Großmeifters zu entdeden geglaubt, eine Prinzeffin von Trapezunt feine Mutter fei. Sein Führer Althatas fei in Malta als Chrift und Priefter geftorben, und nun habe fid) Caglioſtro, mit wm ihm vom Großmeifter ald Begleiter zugetheilten Shevalier D’Aquino, nad) Neapel begeben, von wo an eine Laufbahn öffentlich wurde. Später wollte er auch Rumal feinen Stammbaum. auf Karl Martell zurüd:

en.

Die Wirklichkeit nimmt fih nun allerdings weniger Hänzend und romantiich aus; Doch fieht man wol, welche Knhaltepunfte fie der Erfindungsgabe des Balfamo ge: jeten hat. Gleich die Abflammung von Karl Martell word ihm Dadurch an die Hand gegeben, daß fein müt- licher Urgroßvater Matthäus Martelo hieß, er aber iberhaupt veranlaßt war, fich mehr auf feinen mütter- ichen, ald auf feinen väterlichen Stammbaum zu flügen, a der Teßtere wahrfcheinlich auf Juden zurüdführte. hener Matthäus Martello hatte zwei Züchter. Die Yangere, Vincenza, beirathete einen Joſeph Caglioſtro ms La Noava, und war die Pathe unſers Abenteu: ers, der auch feinen Zaufnamen nach ihrem Manne rhielt und fich endlich defien ganzen Namen, unter

312 Caglioſtro.

Beifügung des Grafentitels, beilegte, weil er ihm wahr⸗ ſcheinlich einen impoſanteren Klang zu haben ſchien, ale fein wahrer Name, überhaupt ein Namenwechſel zur Ver fchleierung feiner Herkunft diente. Die ältere Tochter

des Martello heirathete einen Joſeph Bracconeri, dem fie .

drei Kinder, Felicitas, Matthäus und Antonia, gebar. Felicitas nun, deren perfönliche Befanntichaft Goethe in Palermo gemacht bat, ward an Peter Balfamo verhei⸗ rathet, den Sohn eined Bandhändlerd in Palermo, An tonio Balfamo, der aus jüdifhem Gefchlechte geweſen fein fol. Peter Balfamo zeugte mit der Felicitas den Joſeph, der fpater Soviel Auflehen in der Welt machte, und die Johanna Joſeph Maria, die an Johann Bapı tifta Capitummino verheirathet und von dieſem als Witwe mit drei Kindern zurüdgelaflen ward, Per Balfamo machte Bankerott und ftarb im Adften Jahre. Seiner Witwe Felicitas fiel die Sorge für die Familie zu.

Joſeph Balfamo ward am 8. Yuni 1743 zu Pe lermo geboren, erhielt den erſten Unterricht im Gem nar von St. Noch zu Palermo, von wo er im IZten

Lebensjahre in den Convent der barmberzigen Brüder

zu Gartagirone Fam. Hier gewann er die Gunft dei Bruders Apotheker und fcheint diefem die Grundlagen der medicinifchen Kenntniſſe verdankt zu haben, die e befaß und fpater fehr gut für feine Zwede zu gebraw hen wußte. Jedenfalls fcheint er für Chemie und Be tanit Sinn gehabt zu haben. Seine Aufführung fol die fchlechtefte gewelen fein und er den guten Brüdern viele Noth gemacht haben. Am meiften Eräntte fie, baf er beim Vorlefen der Martyrologien während der Abend tafel den Namen der Heiligen die von Räubern und

Courtiſanen unterfchob. Nach Einigen fol er fi den . Züchtigungen, die ihm dergleichen Streiche immer öfter .

Caglioſtro. 313

d nachdrücklicher zuzogen, Durch die Flucht entzogen ben, nach Andern fortgeſchickt worden ſein. Genug, kehrte nach Palermo zurück und ſcheint von nun an f eigne Hand gelebt zu haben. Zunächſt entwickelte Geſchicklichkeit im Fechten und Zeichnen. Die erſtere maft verleitete ihn zu vielfachen Raufhändeln mit wil⸗ a @efellen und mit der Polizei. Das Zeichnen führte ihn neöweges in Die hoben Regionen der Kunft, wol aber einer fehr gefährlichen Kertigkeit in Nachahmung frem- 1: Hände, überhaupt in Fälfchungen. Und in der That laer in diefer frühen Zeit fchon hauptfächlich von Be⸗ wg und Gpeculationen auf die Xeichtgläubigkeit der _ enſchen gelebt haben. Magifche Schwindeleien, Schatz⸗ aben, Nachmachung von Zheaterbilletd und geiftlichen Hpeniationsfcheinen, nebft gelegentlichem Kuppeln, das Ken Die Mittel geweſen fein, durch weiche er ſich Jahre ng in Palermo erhielt. Mit feinen Betrügereien fcheint B.immer zugleich ein gewifler Uebermuth und eine Art w Humor verbunden zu haben. So hatte-er einem elbarbeiter Murano 60 Unzen Gold abgelodt und ihn Für auf einen, in einer Höhle am Meereöufer zu fin- mben Schatz verwielen. Den armen Murano empfin- m in jener Höhle verfleidete Teufel, die ihn tüchfig at Prügeln zudedten.. Er trat gegen Balfamo als läger auf. Ein weiter greifender Verfuch, von feiner üffcherfunft Gebrauch zu machen, ward erſt etwas ſpä⸗ rentdeckt. Er hatte zu Gunſten eines Marcheſe Maus gi ein falſches Teſtament gefertigt, wodurch eine fromme iftung um einige Güter gebracht werden follte, und e Vertreter der Stiftung kamen dem Betrug auf Die pur. Balfamo fah jedenfalls, daB er befler thue, er Juſtiz von Palermo und der Privatrache der Ver⸗ sten einige Zeit aus dem Wege zu gehen. Er ging I.

314 Caglioſtro.

zunächſt nach Meſſina und ſchloß ſich Hier einem gewiſ fen Altotas an dem weiſen Althatas ſeines Romans von dem man nicht weiß, ob er ein Spanier oder ein Grieche geweſen, der ſich aber viel im Orient herumge⸗ trieben hatte und ein gewandter Taſchenſpieler geweſen ſein mag. Mit ihm ſcheint Balſamo allerdings Reiſen im Archipel, nach dem Orient und Aegypten gemacht und ihm ſeine Künſte abgelernt zu haben. Auf dieſen Reiſen und in dem Umgange mit Altotas eignete er fih auch einige Kenntniß orientalifcher Sprachen an, durd die er fpäter feinem Publicum imponirte In Malte war er allerdings mit dem Großmeifter Pinto in Be:

kehr, aber nicht ald Sohn einer Prinzeffin von Zrape :

zunt, fondern ald einer der Vielen, welche die aldi- miſtiſchen Paffionen des Großmeifterd benugten. E wußte fich aber bei demfelben in fo gutem Credit zu

erhalten, daß er von ihm die wirffamften Empfehlen . gen nah Ron und Neapel erhielt. In Rom namen

fich führte ihn der maltefifche Gefandte, Baron Bree ville, in Die erften Häufer ein, und er will dafelbft die befondere Gunft Clemens' XIII. und des Cardinals ven York genofien haben. Im Jahre 1770 verheirathete er

fih mit einem Dienſtmädchen, Lorenza Feligiani, be -

Tochter eined Gürtlerd, die fi ihm durch ungemant Schönheit empfahl und die er für. ein calabreftiche

Fräulein Seraphina Felichiani ausgab. Ob er fie bie

aus gewinnfüchtiger Speculation auf ihre Reize gemählt babe, ob er bier blos Kuppler gewefen fei, Iaflen wir dahingeſtellt fein. Gewiß ift, daß er ſich Tpäter zu ihr zahlreichen und einträglichen Verbindungen mit andern Männern gleichgiltig verhielt, fie felbft ihn aber bis zu feiner letzten Kataftrophe begleitet hat und faft immer das willigfte Werkzeug feiner Speculationen war.

Ai ME m _ mi

Caglioſtro. 315

Er fol nun, in Verbindung mit zwei Landsleuten, Agliata und Nicaftro, welcher Letztere fpäter gehängt wurbe, falfche Wechſel gemacht haben. Nicaftro ver: rieth ihn und er entfloh mit Agliata, dem er auf diefer Reiſe feine Frau Überlaflen und fich dafür des jungen GSerretaird deſſelben bedient haben fol, nach Bergamo. Hier gab er fich für einen preußifchen Obriften aus mb zeigte ein felbft gefertigtes Patent vor. Aber bie Polizei wollte dieſes nicht anerfennen und Agliata raubte finen Gefährten ihre ganzen Habfeligkeiten und ließ fie in gänzlichem Mangel zurüd. Balſamo und feine Frau legten nun Pilgerfieider an und Tündigten eine Wall⸗ fahrt nach San Jago di Eompoftela an. Ein von Wenteuern und GSchwindeleien erfüllted Umherziehen achte fie 1771 nach London. Hier mußten wie der die Reize der Frau die Unterhaltsmittel hergeben, uud ſelbſt ein reicher Quäker ging in Die Nebe Loren- ws, aus denen er ſich nur mit 100 Pfd. loskaufen Isurte.- Balfamo felbft ſoll aber während dieſes erften Wufenthaltes in England zehn und mehr Mal wegen Baumereien verhaftet geweſen fein. Seine unfreiwillige Entfernung aus England wird dem Umftande beige neflen, daß er einem Engländer, der ihn aus Mit- ed zum Ausmalen eines Landhaufes gebrauchte, eine Lochter verführte.

Balſamo ging nun nach Paris, wo ihm aber die Medicinalbehörde das Practiciren unterfagte Selbſt borenza verfuchte es hier, von ihm abzufallen, wofür w. fie Sängere Zeit in St. Pelagie einiperren ließ. Dann

er einen Ausflug nach den Niederlanden und Deutfchland und erfchien auf einmal wieder in Palermo, wo er ald Marcheſe Bellegrini auftrat. Die Polizei bätte ihn vielleicht vergeflen; aber vie Z chſucht des

316 Cagliofre.

geprügelten Goldarbeiterd Murano vergaß ihn nid. Gr wurde verhaftet. Doch auch bier half ihm feine Frau und feine ehemannliche Zoleranz heraus. Lorenze wußte die Sunft eines mächtigen ſicilianiſchen Prinzen zu gewinnen, welcher Durch Gewaltthätigkeiten, die fo weit gingen, daß er den Anwalt des Klägers im Bor: zimmer des Gerichts mishandelte, die Gegner fo ein fchüchterte, daB Balfamo wieder in Freiheit gelebt wurde. Um das Geld zu feiner Abreiſe zu bekommen, mußte er Sachen verfeßen, auf deren Einlöfung feine Schwefter 14 Unzen verwendete, die fie nie zurüderhalten hat und die ihr zu erftatten Goethe in flarker Verſuchung war.

Er ging nun über Malta, Neapel und Marſeille nach Spanien, wo er namentlich Barcelona, WBalende und Gadir befuchte, übrigens meift in preußifcher Uni form und unter dem Nanıen eines Dr. Tischio reift. Die Unterhaltömittel fchaffte ihm theils feine Frau, theils verkaufte er ein Schönheitöwafler, machte aus Hanf Seide, aus Duedfilber Gold, ſchmolz Eleine Brillanten und Perlen zu großen zufammen, oder berechnete, für Andere, die Xottogewinne Eabbaliftifh, was er gemiß für fich felbft gethan haben würde, wenn er felbft daran geglaubt hatte.

Von Neuem nach London gelommen, ward er in eine Freimaurerloge aufgenommen, und von da an datirt die Macht, die er eine Zeit lang befaß, das europäiſche Aufichen, das er machte. Won nun an bewegte er fih faft nur in höhern und höchſten Kreifen, machte einen fürftlihen Aufwand und gab feinem ganzen Xreiben einen neuen und glänzenderen Charakter. Den Yargon der trodnen Phantaften und Geheimnißtändler wußte er meilterhaft zu handhaben und fich eine unglaublice Gewalt über die Gemüther, befonders der Weiber und

Caglioſtro 817

weiberähnlichen Männer zu verſchaffen. Man trug fein und feiner Lorenza Portrait auf Fächern, Ringen und Mebaillond, fertigte Marmorbüften mit der Unterfchrift: Divo Cagliostro u. |. w. Denn den Ießteren Namen führte er nun ausſchließlich. Nirgends hielt er ſich lange an einem Orte auf, damit der Reiz der Neuheit nicht verfliege und der Prüfung Feine Zeit bleibe. Wurde feinen Jüngern gleichwol die Zeit zu Yang, bevor der verfprochene Erfolg der magifchen Operationen eintrat, fo verwies fie Caglioſtro darauf, daß diefer Erfolg von ihrer moralifchen Reinheit bedingt ſei. Kam eine eigne Ausſchweifung Caglioſtro's ans Licht, fo erfuhr der Entdeder, daß ein zu wahrer geiftiger Höhe gelangter Menſch gar nicht mehr mit feinem Körper fündigen konne.

Selbſt die nüchternen Holländer wurden vom Schwin⸗ del ergriffen; im Haag erkannten alle Logen Caglioſtro als Viſitator an und empfingen ihn mit den glänzend⸗ ken Feſten. Man ließ ihm bier feine Ruhe, bis er eine Damenloge, unter dem Vorfitze feiner Zrau, der «6 wahrhaftig nicht an der Wiege gefungen worden war, daB fie zu fo hoben Dingen beftimmt fei, errichtete. Er erfand ein eigned maurerifches Syſtem, das er als dad der ägyptiſchen Maurerei bezeichnete und mit deſſen Husbreitung er ſich nun raftlos beichäftigte, wiewol er erft im October 1784 dahin gelangte, es durch Errich- tung der großen Mutterloge zur triumphirenden Weis⸗ Het zu Lyon zum Abſchluß zu bringen. Er foll Die Hauptidee dazu in London aus einem Manufcripte eines gewiflen Georg Copfton gefchöpft haben, leitete aber feinerfeitö das Syſtem von Enoch und Elias her, von denen ed an die ägyptiſchen Prieſter gekommen fei, Die es ihn in den Pyramiden gelehrt hätten. Anfange

318 Caglioſtro. ſtellte er ſich nur als einen Sendboten des Elias oder

Groß⸗Kophta dar; fpäter aber rückte er ſelbſt zu det

Würde eines Groß-Kofi oder Groß⸗Kophta auf. Er wollte nun aus der Liebe eined Engeld zu einem Weibe abftammen, den Engeln gebieten können und zu dem Zwede entiendet fein, die Gläubigen durch phufiice und moralifche Wiedergeburt zu hoher Vollkommenheit zu Jeiten. Mit der phyſiſchen Wiedergeburt befchäftigte man fich aber viel eifriger und gab viel fpeciellere, wenn auch wahnfinnige Mittel dafür an, als für die ſittliche. Oder vielmehr, man faßte auch Die letztere in einer gang äußerlichen, materiellen Weiſe auf, und wollte fie durch äußerliche, materielle Mittel bewirken. Durch das rothe Pulver, die materia prima, oder den Stein der Wer fen follten die Gläubigen eine nicht mehr vom Körper, fondern allein von der Gnade Gottes abhängige LXeben dauer erhalten (ald wenn nicht ſchon jeßt ihre LXebent- dauer von der Gnade Gottes abhinge), und Durch das große Pentagon follten fie die durch die Erbfünde ver forene Unſchuld zurüderhalten. Für den Iehtern Zwed mußte man auf einem hoben Gebirge, dem der Name

Sinai beizulegen war, ein Haus von 3 Geftoden er : richten. In das mittelfle Stodwerk, welches Ararat

zu nennen war, hatten 13 Altmeiſter zu ziehen und fid darin 40 Tage Iang täglich 18 Stunden mit Gebet und Betrachtungen und Bereitung des Sungfernpergamented zu beichäftigen, wozu man entweder das mit Seide ge reinigte Fell eined abortirten Lammes, oder Die Nachge burt eined Judenknaben anzuwenden hatte. War man damit zu Stande, fo traten die 13 Meifter mit den 7 erfterfchaffenen Engeln in Verbindung und diefe drüd ten nun auf ein Stüd jenes Iungfernpergamentes ihr Siegel, womit das große Pentagon gewonnen war.

Caglioſtro. 319

Die glüdlihen Dreizehn wurden nun Meifter und Haup- tee des Dienſtes, rein und unfchuldig, unbegrenzt in Einfiht und Macht, nur nad) der Ruhe der Unfterb- lichkeit firebend. Nur ein Solcher konnte von ſich fa- gen: Sch bin, der ich bin. (In Ddiefer Weiſe antwor- tete Caglioſtro felbft auf jede Trage nach feiner Her: Punft; zuweilen zeichnete er auch, ſtatt der Antwort, fine Schlange, die einen Apfel im Munde hatte und deren Schwanz in einen Pfeil auslief.) Jeder Wieder- zeborne erhielt auch noch fieben Extrapentagone für Beeunde und Freundinnen. - Caglioſtro ließ in der That mf einer Höhe bei Bafel einen dreiftödigen Pavillon bauen, den er für dieſen Verſuch berechnet zu haben

Schwieriger war die phyſiſche Wiedergeburt zu er: langen und das Schlimmfte war bier, daß das ver- beießliche Experiment alle 50 Jahre wiederholt werden mußte. Man hatte fich mit einem vertrauten Freunde af das Land zurüdzuziehen und fich 32 Tage einer inßerft magern Diät zu unterwerfen, wozu am 17. und 9, Tage ein gelinder Aderlaß und am 32. auch 6 Trop⸗ fen einer weißen Mirtur kamen, die man dann täglich) bis zum Ende der Sur und zwar jeden Tag 2 Tropfen mehr zu nehmen hatte. Mit dem 32. Zage legte man WG zu Bett und erhielt den erften Gran der materia wima, der aber peinliche Folgen, nämlich eine drei: köndige Ohnmacht mit Convulfionen nach fich zog. Im 33. Zage befam man den zweiten Gran, worauf ich Fieber, Delirium und der Verluft von Haaren, Zäh— un und Haut einftellte.e Am 36. Zage erhielt man kn dritten Gran und fiel darauf in einen langen Schlaf, in welchem alles Verlorene wieder wuchs. Am 9. Tage nahm man ein Bad und fchlürfte in einem

320 Caglioſtro.

Glaſe Wein 10 Tropfen vom Balſam des Groß⸗Kophta, worauf man am 40. Tage vollkommen geſund und auf 50 Jahre verjüngt feine Straße ziehen konnte. Man konnte das Experiment alle 50 Jahre wiederholen, bis man ein Alter von 5557 Jahren erreicht hatte’).

In den Logen war die Arbeit vorzüglich darauf ge richtet, mit den Engeln und den Propheten des Alten Zeftamentes ?) in Verkehr zu treten, und dies ward in folgender Weife ‚vermittelt. Man ließ ein Kind, gleid- viel ob Knabe oder Mädchen, kommen, und zwar fol Caglioſtro, wenigftend auf .Reilen, das erfte befte von der Straße heraufgeholte dazu gewählt haben. Diele Kind hieß die Taube. Der Groß-Kophta, oder wen er die Kraft durch Anhauchen übertragen Hatte, legte dem Kinde die Hand auf das Haupt, hauchte es an und rieb ihm Kopf und Hand mit dem „Dele de Weisheit“ ein. Hierauf ward es in einen Verſchlag, der dad Zabernafel hieß, gebracht und angewiefen, in die Hand, oder in eine Schüffel voll Waſſer zu bliden. Die ganze Verfammlung betete lange Zeit und dann ward Das Kind gefragt, was ed ſehe. Wo Caglioſtro felbft war, ſah das Kind immer einen Engel oder Pro⸗ pheten und ed fand nun eine lange Unterredung zii hen dem Kinde und der Erfcheinung flatt, welche nad den Referaten des Kindes forgfältig protocollirt wurde Den Delegaten Caglioſtro's glüdte die Operation nicht

1) Wir merden weiter unten zwei andere Methoden, zu demſtl⸗ ben 3iele zu gelangen, aufführen, von denen die eine der obigen fchr verwandt und wirklich verſucht worden ft.

3) Mit dem Neuen madhte fi diefe Schule, wie alle Ggoiften und Liebedleeren, wenig zu tbun. Zwar erklärte Gaglioftro Mofed, Elias und Ghriftus für die drei vollfommenften Freimaurer, fel aber doch von dem Lesteren öfters geringfhäsig geſprochen hab und huldigte jedenfalls der Kirchenlehre über ihn nicht.

Caglioſtro. 321

er, und in London erfchienen einmal ftatt Engel er Affen. Doc zuweilen kamen auch bier Engel Propheten; zuweilen ſah das Kind auch den ab- nden Caglioſtro und deflen Frau, beide verflärt. einzelnen Fällen weiß man, daß die Kinder vorher richtet wurden. In anderen Fällen weiß man das :, iſt es vielmehr unwahrfcheinlich. aglioftro bat feinem letzten Proceſſe, vor der Inquiſition, feine ten Betrügereien eingeftanden, ja vielleicht mehr be- t, als er verfchuldet hatte; aber in Betreff dieſes tes behauptete er ftandhaft, daß hier eine befondere Gott verliehene Kraft zu Grunde. liege; behauptete ungeachtet der Inquifition gegenüber ihm diefe Be⸗ tung mehr fchaden mußte, als das Eingeftehen einer Ihung. Auch feine Frau verficherte, daß ihr Mann, fie fonft zur Mitwifferin al feiner Künfte gemacht, eſer Beziehung ſtets erklärt habe, fie fei zu ſchwach, dieſes Geheimniß faffen zu können. Auch kann man : annehmen, daB alle Kogenmeifter, die mit Kindern sten, Betrüger geweien fein. &o mag man wol en, daß bier. in der That eine befondere piychifche virkung, vielleicht dem Räthſelgebiete der ſogenann⸗ nagnetifchen Kraft angehörig, im Spiele geweſen fei. Die Anhänger Eaglioftro’8 beteten ihn förmlich an. ndben lang lagen fie zu feinen Füßen und glaubten, ) die geringfte Berührung von ihm gebeiligt zu en. Bei der Pfalmftelle: «Memento Domine id et omnis mansuetudinis ejus» ward in Den n, ftatt David, Cagliostro .. gefungn. Im igen behielt er viele Einrichtungen und Zeichen der Wnlichen Freimaurerei bei und vermehrte nur dic ‚der Grade, öffnete auch die Logen allen Religionen namentlich auch den Juden, die er für das redfichfte 14 * *

*

324 Caglioſtro.

in die Baſtille geſetzt worden, nachdem man ihn vorher fruchtlos veranlaßt hatte, die Flucht zu ergreifen, und im Endurtel vom 8. Mai 1786 wurde er aus Frank⸗ reich verbannt. Während des Proceſſes reichten feine Anhänger eine prachtvoll gedrudte und mit dem Bil: niß Caglioſtro's ausgeftattete Vertheidigungsſchrift bei dem Parlamente ein, an welcher fogar d'Espremenil) Antheil gehabt haben fol, und in Diefer dem parifer Parlament von 1786 durch Männer der höhern Stände überreichten Eingabe wurde verfihert: „Caglioſtro fe der Sohn eined Großmeifterd des Malteferordend und zu Mekka und Medina geheimnißvoll erzogen. Bon zartefter Tugend an auf Reifen, babe er fih in de ägyptifchen Pyramiden die geheimen Wiflenfchaften dei . Drientd angeeignet. Sein Erzieher, der weile Althatat, dem er al dieſes Wiflen verdanfe, fei Chrift und Mat teferritter gewefen, habe aber die Gewohnheit gehabt, fih und feinen Zögling in mufelmännifche Tracht zu hüllen. Nachdem er die volle Reife feiner Vernunft und feines Genied erlangt, babe er Europa bereiſt Arzt und Prophet, mit der Macht, die Geifter herauf:

zubefchwören, begabt, babe er fich überall als de .

Freund der Menſchen verfündigt; das fei der Ber name, den ihm die Dankbarkeit verliehen.” Als er enf- laflen ward, beleuchteten feine Anhänger ihre Wohnun gen und feierten feine Befreiung durch Feſte. Ride angefehene Männer begleiteten ihn nach Paſſy und Et.

1) Jean Jacques Duval dV’Espremenil, geb. zu Pondichery 1746, Parlamentsrath zu Paris und bartnädigfter Widerſacher des Hofes in deffen Streitigkeiten mit dem Parlamente, fpäter aber, als De putirter von Paris bei der Nationalverfammlung, eifrigfter Verthei⸗ diger des Koͤnigthums worin Feine Inconfequenz, fondern gerad rechte Gonfequenz lag 1791 aud der Berfammlung ausgetreten, 1794 guillotinirt.

Caglioſtro. 325

Denis, wohin er fi zunächſt begab, und ald er ſich m Boulogne einfchiffte, flanden Zaufende am Strande und flebten um feinen Segen.

Er ging nah England und ließ fofort eine Schrift eeicheinen, worin er den Gouverneur der Baftille, Mar: quis Launay '), und den Chevalier Chenon befchuldigte, ihm feine Pretiofen entwendet zu haben. Zum Glüd tönnten fie den Ungrund diefer Belchuldigung unwider- legbar erweifen. Berner veröffentlichte er ein vom 20. Februar 1786 datirted Sendichreiben an das franzdfifche Bolf, worin die jehr natürlichen Wünſche eined eben aus der Baſtille Entlaffenen: Zerftörung der Baftille, Abſchaffung der Lettres de cachet u. f. w. in Form einer Prophezeiung vorgetragen wurden. Diefed Schrei- ben gab ihm ſpäter noch einen Vorwand, fid) von Rom aus an die Nationalverfammlung zu wenden und, da er fich große Verdienſte um die Freiheit des franzöfi- fihen Volks erworben habe, um die Erlaubniß zur Rück⸗ kehr zu bitten. Während feines damaligen Aufent- Baltes in London foll er auch mit einem Schwärmer ganz anderer Art, mit dem Lord Georg Gordon ?) in

. 2) Bernard René Zourdan, Marquis de Launay, war mit fei- sem ganzen Geſchick an die Baftille gekettet. Er war in ihr gebo- ten (1740), wurde Gouverneur derfelben, ald welder er fih human md mild benahm, und wurde bei ihrer Erftürmung (1789) vom Höbel crmorket.

- 3) Lord Georg Gordon, geb. 19. Dec. 1750, aus einer uralten, normaͤnniſchen, fpäter nad Schottland verpflanzten Familie, melde ob nad) der Bertreibung der Stuarts lange Zeit jafobitifh und romiſch katholiſch blieb. Cr war ein Sohn des dritten Herzogs Georg Sosmus und warf fih ebenfo zum Bertheidiger der bigottes ken ſchottiſchen Presbyterianer und namentlih zum Bertreter ihres Katholitenhaffes, wie zum Paladin der Fatholifhden Iren auf, ver- Mehr aber dabei, zwar nicht ohne alle Schlaubeit des Wahnfinnes umd mit höchſter Maftlofigkeit, aber obne höheren Geift und Plan. Sr benuste eine 1778 von dem edeln Sir Georg Saville einges

324 Caglioſtro.

in die Baſtille geſetzt worden, nachdem man ihn vorher fruchtlos veranlaßt hatte, die Flucht zu ergreifen, und im Endurtel vom 8. Mai 1786 wurde er aus Frank⸗ reich verbannt. Während des Procefies reichten feine Anhänger eine prachtvoll gedrudte und mit dem Bil: niß Caglioſtro's ausgeftattete Wertheidigungsfchrift bei dem Parlamente ein, an welcher fogar D’Edpremenil ') Antheil gehabt haben fol, und in diefer dem para - Parlament von 1786 durch Männer der höhern Stände überreichten Eingabe wurde verfichert: „Caglioſtro fe der Sohn eined Großmeifterd des Malteferordend und zu Mekka und Medina geheimnißvoll erzogen. Von zartefter Tugend an auf Reifen, babe er fich in den ägyptiſchen Pyramiden die geheimen Wiflenfchaften dei . Drientd angeeignet. Sein Erzieher, der weife Althatas, dem er al dieſes Willen verdante, fei Chrift und Mal teferritter gewelen, habe aber die Gewohnheit gehabt, fih und feinen Zögling in mufelmäannifche Tracht zu hüllen. Nachdem er die volle Reife feiner Vernunft und feines Genied erlangt, babe er Europa beraifl. Arzt und Prophet, mit der Macht, die Geifter herauf: zubefchwören, begabt, babe er fich überall als ba Freund der Menfchen verfündigt; das fei der Be name, den ihm die Dankbarkeit verliehen.” Als er ent laſſen ward, beleuchteten feine Anhänger ihre Wohnun⸗ gen und feierten feine Befreiung durch Feſte. Ride angefehene Männer begleiteten ihn nach Paſſy und Et.

1) Zean Jacques Duval d’Espremenil, geb. zu Pondichery 174, Parlamentsrath zu Paris und bartnädigfter Widerſacher des Hofes in deffen Streitigkeiten mit dem Parlamente, fpäter aber, ald De fi putirter von Parid bei der Nationalverfammlung, eifrigfter MBerther diger des Königthums worin Peine Inconfequenz, fondern gerek hi rechte Gonfeguenz lag 1791 aus der Berfammlung audgetretm, 1794 guillotinirt.

Caglioſtro. 325

Denis, wohin er fich zunächft begab, und als er fich zu Boulogne einichiffte, flanden Zaufende am Strande und flehten um feinen Segen.

Er ging nach England und fieß fofort eine Schrift eeicheinen, worin er den Gouverneur der Baftille, Mar- quis Launay ’), und den Chevalier Chenon befchuldigte, ihm feine Pretioſen entwendet zu haben... Zum Glück fonnten fie den Ungrund diefer Beihuldigung unwider⸗ legbar erweifen. Berner veröffentlichte er ein vom 20. Februar 1786 datirtes Sendfchreiben an das franzöftiche Volk, worin die jehr natürlichen Wünfche eined eben aus der Baſtille Entlafienen: Zerſtörung der Baftille, Abfchaffung der Lettres de cachet u. |. w. in Form einer Prophezeiung vorgefragen wurden. Diefed Schrei- ben gab ihm ſpäter noch einen Vorwand, fi) von Rom aus an die Nationalverfammlung zu wenden und, da er fich große Verdienfte um die Freiheit des franzöfi- hen Volks erworben habe, um die Erfaubniß zur Rüd- kehr zu bitten. Während feines damaligen Aufent- haltes in London fol er auch mit einem Schwärmer ganz anderer Art, mit dem Lord Georg Gordon?) in

I) Bernard Nend Jourdan, Marquis de Launay, war mit ſei⸗ nem ganzen Geſchick an die Baftille gefettet. Er war in ihr gebo- ten (1740), wurde Gouverneur derfelben, ald welder er ſich human md mild benahm, und wurde bei ihrer Erftürmung (1789) vom Poͤbel ermorket.

3) Lord Georg Gordon, geb. 19. Dec. 1750, aus einer uralten, kormännifdyen, fpäter nad Schottland verpflanzten Familie, melde och nad der Bertreibung der Stuartd lange Zeit jakobitiſch und rmiſch katholiſch blieb. Er war ein Sohn des dritten Herzogs Georg Gosmus und warf ſich ebenfo zum Vertheidiger der bigottes Ren ſchottiſchen Presbnterianer und namentlid zum Bertreter ihres

Katbolitenhaffes, wie zum Paladin der katholiſchen Iren auf, ver- fuhr aber dabei, zwar nicht ohne ale Schlauheit des Wahnſinnes und mit bödfter Maftiofigkeit, aber ohne höheren Geiſt und Plan. Gr benuste eine 1778 von dem edeln Sir Georg Saville einges

328 Caglioſtro.

feine religiöſen Meinungen gerichtet. Er bekannte end— lich gänzliche Irreligiofität und Keberei und ward zum Zode verurtheilt. Pius VI. verwandelte (7. April 1791) die Todesſtrafe in lebenslängliche Haft. Bei vollfom- mener Neue follten auch die geiftlichen Cenſuren und Bußen erlaffen werden. Xorenza ward in ein Straf kloſter gebracht. Daß Caglioſtro feinen Beichtvater zu erwürgen verſucht habe, um in deſſen Kleidern zu ent⸗ fliehen, und daß man ihn 1797, bei Annäherung der Franzoſen, todt in ſeinem Kerker gefunden habe, ein Opfer der Inquiſition, ſcheint Fabel. Seine Zeit war vorüber und politiſche Bedeutfamkeit hatte er nie; am wenigſten ſeit die Politik aus den Händen der Intri⸗ guanten in die der Revolutionairs und Gewaltmenſchen gekommen war. Uebrigens ſoll Caglioſtro bereits 17% im Fort San Leo geſtorben ſein.

Die äußere Erſcheinung Caglioſtro's wird von Eins gen ald widrig und abfloßend gefchildert, während Anbere günftiger geurtheilt haben. Klein war er und, als & cifianer, von brauner Farbe, fol auch fpäter fehr fett geworden fein und gefchielt haben. Doc babe er einen fehr fchönen Kopf gehabt, der zum Modell eines bege fterten Dichters hatte dienen können. Seine Ausſprache war nicht frei vom ficilianifchen Dialekt; fein Ton, feine Geften und Manieren waren die eined prablerifchen, am maßenden und zudringlichen Charlatans, was aber am Ende feine Verhältniffe mit fich brachten. In gewöhn licher EConverfation im vertrauten Eirfel fol er ange nehm geweien fein. Won feinen Reden, Die er fe mit einem Degen in der Hand bielt, bat feine Yra geurtheilt, daß fie nur ein weitihweifiger Galtmathlad bochklingender Worte und endlofer Ziraden geweſen ſeien Möglich freilich, daB fie eben nichts Davon verſtanden

Caglioſtto. 399

bat; auch fah fie ſpäter überhaupt in Herabſetzung ihres Mannes ein Mittel, fi) weißzubrennen.

Die Geldmittel, die ihm zu Gebote fFanden, oder die er effectio verbraucht hat, find zu manchen Zeiten fo außerordentlich gewefen, daß fie durch alle befannten Mittel, durch die er fich Geld zu verfchaffen wußte, nicht erflärt werden können. Auf feinen Reifen brauchte er ſtets 6 Ertrapoftchaifen. Nach der gewöhnlichen Poli- tie mebdicinifcher Charlatand machte er feinen Patienten feine Rechnung und verlangte Feine Bezahlung, nahm aber wol Geſchenke und Darlehen von ihrer Dankbarkeit an. Es wird gerühmt, daß er bei feiner ärztlichen Hilfe feine Mühe und Belchwerde fcheute, und man erzählt in der That einige außerordentliche Euren, die er be- wirft babe, neben denen aber auch manche unglüdliche berichtet werden. Die Medicamente vertheilte er um: fonft, und nur feine Pillen verkaufte ein ihm attachir- ter Apotheker zu mäßigen Preifen. Sein fogenannter ägyptifcher Wein foll nur ein ſtark gewürztes, flimuli- rendes Getränk, fein erfrifchendes Pulver aus Salat und ähnlichen Blättern bereitet gewefen fein. Er be- diente fi) aber auch des giftigen arum maculatum und wendete äußerlich den Bleizucker in ftarfen Do- fen an.

Vergl.: Compendio della vita e delle geste di Giuseppe Balsamo, denominato il Conte Caglios- tro; Rom, 1791. Deutih unter dem Titel: Leben und Zhaten ded Joſeph Balfamo, fog. Grafen Ca- glioftro; aus den Acten der römifchen Inquifition; Zü- rich, 1791. Goethe, Italienifche Reife. Elifa

330 Caglioſtro.

von der Rede, Nachricht über des berüchtigten glioftro Aufenthalt in Mitau 1777; Berlin und tin, 1787. Ueber den Abenteurer Biufeppe Bal befannt ald Graf Eaglioftro, in den Neuen Sahrbi der Geſchichte und Politik, Jahrgang 1845, Bd. 1 37 fg. Denktwürdigfeiten des Barond Karl He von Gleichen; Keipzig 1847, ©. 123 fo.

XU. Duchanteau und Clavieres.

ıchanteau, der Mitte des 18. Jahrhunderts angeho- ‚war ein fchöner, geiftreicher, Tiebenswürdiger, be- er Mann, den geheimen Wiflenichaften leidenſchaft⸗ ergeben. Nachdem er fich lange mit dem Hebräi: n und befonderd mit den Kabbaliften befchäftigt, er fich zu Amfterdam befchneiden, da er fich in den f gefeßt hatte, man müfle Jude fein, um von den zbinen in ale Mofterien der Kabbala eingeweiht zu ben. Da aber diefe Kabbala ihm noch nicht in ge: fchter Weiſe über die Schranken des menfchlichen ſſens binausgeholfen hatte, fo warf er fich auf daß ıdium der Alchimie und erfand fich eine eigene Me: ve, den Stein der Weifen zu finden, die in ebenfo reicher, als eigenthümlicher Weife den Hauptftellen alchimiftifchen Schriften zu entfprechen und ihre zten Räthfel zu löſen ſuchte. Alle namlich kommen n überein, dag man unabläffig das Untere mit dem en zu vereinigen fuchen, und daß das euer, das äß und der Urftoff fich in demfelben Subjecte finden ten. Nun fagte Duchanteau: „Dieſes geheimniß- e Subject bin ich felbft, und jeder Mann, welcher geſunde Conftitution bat, ift vom 20. bis zum Jahre im Stande, den Stein der Weiſen zu berei-

332 Duchantean und Clavieres.

ten, ohne irgend- etwas außer ſich zu brauchen. Man lafle mich) ganz nadend in ein Zimmer gehen; man ſchließe mich darin ein, oder bewache mich, ohne miı das Geringfte zu eflen, oder zu trinken zu geben, unl ih will nach Verlauf von 40 Tagen mit dem Ste der Weifen daraus hervorgehen.” Er unternahm diefa Beweis in der Loge der vereinigten Freunde zu Paris Sein Geheimniß war ein ziemlich undelicated: .er tram fortwährend feinen eigenen Urin und meinte: „Sehe da die Verfchmelzung des Untern mit dem Obern; mei Urin ift der Urfloff, mein Körper ift das Gefäß um meine Warme ift dad Feuer; fo finden fich die die Grunddinge in einem Träger vereinigt.”

Man ließ den Duchanfeau nadend in ein Zimmer ge ben, und gab ihm dann Kleider hinein. So hatte mm die Gewißheit, daB er feine verborgenen Nahrungsmit tel mitgebracht hatte. Die Brüder bewachten ihn weh felöweife. In den erflen Tagen litt er heftig an Hu ger und brennendem Durft; nach und nach aber reinigt und verdicte fich fein Urin und von da an mindet fich feine Pein. Dagegen erhöhten fi feine geiftige Kräfte, oder wurden aufgeregter; er wurde täglich ba terer, geiftreicher, beredter; das Erftaunlichfte aber wär wenn fich, wie verfichert wird, auch feine Körperfraf auffallend vermehrt hätte Doc könnte dies vielleich auch dadurch erklärt werden, daß feinen Zuftand & immer zunehmendes, zuleßt gefährlich erfcheinendes Zi ber begleitete. Dieſes Fieber machte den Logenrath Den doch beforgt. Er fragte fi: was es für Folgen habe dürfte, wenn diefer Menfch über feiner Operation, m die die Brüder gewußt und zu der fie mitgewirkt hai ten, fterben ſollte. So befchloß man, ihn zum Aufg ben feines Werfuches zu nöthigen. Er hatte ihn bi

Duchantean und Clavieres. 333

zum 26. Tage ausgehalten und dieſe 26 Tage in der That nichts genoſſen, als feinen Urin, Der ſich zuletzt bis zum Inhalt einer halben Taſſe verringert hatte. Der Urin fol zulebt von einem außerft dunfeln Roth, Die und Pebrig gewefen fein und ungemein ſchön und baffamifch gerochen haben. Man bat ihn forgfältig in den Archiven der Loge aufbewahrt; aber die Revolution bat mit fo vielen andern koſtbaren Schägen auch diefen verfchleudert und Niemand weiß, wo er bingefommen ift'). As Duchanteau am 26. Tage fein Unternehmen auf geben mußte, entichadigte er fich für das lange Kaften, indem er noch an demfelben Abend fo viel und trank, wie feine ſechs Zifchgenoflen zufammen, und dad Merk⸗ würdigfte war, Daß diefe Unenthaltfamkeit ihm nicht im Geringften fchadete. In feinem Unmuth darüber, daß er fein Ziel, deſſen Erreichung er fchon fo nahe gewe- ſen, verfehlt hatte, wollte er das Erperiment durchaus wiederholen, konnte es aber diesmal nur bis zum 16. Tage aushalten, wo ihn die Kräfte mit einem Male verließen, und da er bald darauf ſtarb, fo fcheint es, daß Diefer zweite Verſuch ihm das Leben gekoftet hat. Noch gedenken wir eines andern Verfahrens für den: ſelben Zweck, deflen Geheimniß in den Händen Clavie⸗ ee’ war. Gtienne Clavieres, geb. zu Genf am 27. Ja⸗ nuar 1735 und Banquier dafelbft, ftand an der Spitze der Ungufriedenen feiner Vaterftadt, deren Schritte 1782 u einer gewaffneten Einmiſchung der Garant Der genfer Verfaſſung, Frankreih, Sardinien und Bern führten, einem der früheften Beilpiele der Interventio- nen im neueren und neueften Sinne. Aber auch die damalige genfer Infurrection felbft war einer der frühe

1) Dentwürdigkeiten des Varons von Gleichen. S. 165 fg.

334 Duchantean und Clavieres.

ften Vorläufer neuerer Revolutionen und gab zunächſt ein Vorfpiel mancher Züge der franzöfifchen Revolution, an welcher Die vertriebenen genfer Demokraten großen Antheil hatten. Der Aufftand war gegen ein Verfah⸗ ren gerichtet, wobei die Behörden ihre verfaſſungsmä⸗ Bigen Rechte keinesweges überjchritten hatten. Er war eigentlich gegen eine Ausübung des Veto gerichtet, wei bald auch die Partei der Regierung die der negatiks hieß, während die der Oppofition parti representant genannt wurde. Sicherheitsausfchüfle und Clubs ſetz ten fi) an die Stelle der verfaflungsmäßigen Regie rung. Die Syndicd wurden verhaftet. Eine Schredent berrfchaft durchzog die Stadt und fuchte den Schein eines übereinftimmenden Volkswillens für die Zwede der Revolutionsgmänner, deren Eriftenz auf dem Spiele ftand, zu erzwingen. Man füllte die Kathedrale und die von den „Ariftofraten” bewohnten Stadttheile mit Pulver, entweder, wie die Einen fagten, um die Stadt im äußerften Falle in Die Luft zu fprengen '), oder, wie Andere wollten, um die der Revolution abgeneigten Claſſen durch Furcht zur Theilnahme zu nöthigen. In deß troß Ddiefer verzweifelten Vorbereitungen ward der Interventionsarmee fo gut wie fein Widerftand geler ftet *) und 25 Hauptdemofraten wurden theild verbannt, theils flüchteten fie fich freiwillig. Unter ihnen Clavieres. Sie gingen zunächſt nach England, bei dem fie ſchon

1) Möglid jedch, daß diefe Anlage auch aus einem ganz ent gegengefegten Borgange entſtand. Als nämlidy ein von dem Befehl haber der Franzoſen, General Marquis Jaucourt, abgefenveter Parlementair drohte, man werde die Stadt in Brand fteden, mem fie fi nicht ergebe, fo fchilte der Gommandant der Genfer, Wo⸗ merat, dem Marquis Iaucourt cin Padet Schwefelhölzden.

2) Es ftanden 4000 Mann auf den Waͤllen; aber fie gaben fid, ſobald tie Sturmleitern angelegt wurden.

Dechantean und Elapiered. 335

vorher Schuß gegen Frankreich gefucht hatten. Die Berbannten ernannten, zur Fortführung ihrer Unter- handlung mit England, fechd Commiflare: D’Ypernois, Blavieres, Grenus, Ringler, Duroveray, Gasc, und es ift eine Gapitulation Großbritaniend mit den genfer Berbannten gefchloffen worden, worin die englifche Re- zierung ihnen, unter dem 4. April 1783, 50,000 Pf. St., theils für ihre Bedürfnifle, theild um ein Genf a Irland zu errichten, bewilligte; Died auch ein Vor⸗ Aufer neuerer verwandter Subventionen. Die Verwal- ung bed Geldes wurde 8 Mitgliedern des Geheimen Raths, A Mitgliedern des Unterhaujes und den genann- tm G genfer Flüchtlingen vertraut. Ihr Hauptpatron war Lord Temple, Marquis von Budingham ') und dieſer namentlich verfchaffte ihnen die Subvention. Lord Mahon bot ihnen Xändereien zum Aufbau ihrer Nie- berlaffungen an. Vor den Genannten waren ſchon an dere Genfer derfelben Partei nach England gegangen, z. B. Siardet, La Rohe. Deluc’) war fchon feit 1773 Vorleſer der Königin. Der wadre Delolme’), gleichfalls ſchon früher nah) England geflüchtet, febte änen edlen Stolz darein, feinen Unterhalt im fremden Bande nur feiner Feder zu verdanken, und vergalt den Schub, den ihm England gewährte, durch ein gefeier- tes Merk über deſſen Verfaſſung. Er hat fih aud) ſpäter nicht wieder in das NRewolutiondtreiben gemiſcht;

1) Iſt es nit eigen, daß Palmerſton aud zu ven Temple⸗ Budinghamd gehört?

3) Der bekannte Geolog und Meteorolog Jean Andre Deluc, eb. zu Senf 1727, 1768 von feiner Partei nad Paris gefendet, [773 in England angeftelt, 1798 Srofeffer in Göttingen, welde Stelle cr niemals antrat, + zu Windfor 8. Kor. 1817.

3) Dean Louis Deloime, geb. zu Genf 1740, Advccat, + in Scwen in der italienifhen Schweiz 16. Auli 1806.

336 Dacantean und Clavieres.

denn er hatte, wie Keiner feiner Genoflen, in England eine Einfiht in dad wahre Weſen der Freiheit und der Staatdordnung gewonnen. Später folgten ihnen Du mont, Chauvet, Marat'), Melly. Sobald aber in Frankreich Neder zur Gewalt gelangt war, erichien zu nächſt D'Yvernois in Paris und bald famen auch Cla⸗ . viered und Andere. Sie fchlofien fi) befonders an Mirabeau an, welcher Duroveray ?) feinen Lehrer im Revolutionsweien und Clavieres feinen Lehrer im F- nanzwefen genannt haben fol, und fein Sournal: Le Courrier de Provence den Genfern Duroveray, Cla viered, Dumont und Reybas überließ. Nah Mir beau's Tode fchloflen fih die Genfer, und namentlid Glavieres, an die Girondiften, und ald ed durch die Drohung einer Anklage gegen die Königin gelungen war, den Hof zur Annahme eined girondiftifchen Mi⸗ nifteriumd zu beflimmen, ward Clavitres, Durch den Einfluß feined vieljährigen Freundes Briffot, Finanz⸗ minifter (24. März 1792), gehörte aber auch in dieſem Minifterium zu der heftigeren Fraction und ward fchon am 12. Juni, mit Servan und Roland, wieder entlaf- fen. Parteiroyalifter befhuldigen ihn, Darauf die Volke: bewegung vom 20. Zuni veranlaßt zu haben, und die felbe Partei, Die es Tiebt, nur außerliche Umtriebe als Urfachen der franzöfifchen Revolution und ihres Gange zu erfennen und fie bald England, bald Defterreid, bald dem Herzog von Orleans, bald dem Grafen von der Provence. zur Laſt legt, wirft ihm vor, daß er bier, wie überall, als englifcher Agent gehandelt habe. Am

1) Marat war fein Genfer, fondern aus dem Yürftentbum Neuenburg, gehörte aber damals zu derfelben Goterie.

2) Duroveran war übrigens ſchon 1794 bei der royaliſtiſchen Emigration.

Duchantean und Clabiereb. 337

14, Juli und am 10. Auguſt hatten aber die Giron⸗ Yiten jedenfall das Heft nicht mehr in den Händen md auch aus der Fremdencoterie trat jetzt die heftigfte fraction hervor: Marat. Doch fuchten die Girondiſten senigftend der Bewegung nachzukommen und Clavitres rat, mit Roland, Servan und andern Gleichgefinnten, ieder ind Minifterium; vom Hofe jeßt unabhängig, ber deſto abhängiger von den Jakobinern, Denen diefe Rinifter geborchen mußten, während fie ſich Doch beide emd waren, mithin Der Gehorfam ihnen und ihrer Sache nichts helfen konnte. Nach waderenm Wider: ande gegen Danton, Marat und Robeöpierre ward lavieres am 2. Juni 1793 mit den andern Girondiften erhaftet, am 5. Sept. vor das Revolutionstribunal ver: ieſen und tödtete fi) am 8. Dec. in der Conciergerie, nden er fich ein Mefler in die Bruſt ſtieß. Seine frau nahm Gift und flarb zwei Tage fpäter. Bevor r fih erſtach, fol er die Verfe aus der Waife aus hing recitirt haben:

«Les criminels tremblans sont traines au supplice, Les mortels g&nereux disposent de leur sort.»

Ein genfer IUuminat, aber ein ehrlicher Mann, was ange nicht alle Illuminaten aller Zeiten geweſen find, in Notar Chenaud, fol jährlich der franzöfifchen Re⸗ Herung gefchrieben und ihr vorausgefagt haben, mas He genfer Coterie in Frankreich zunächft betreiben werde, oll aber namentlich die abenteuerlichen und blutigen Schiefiale des Clavieres im Voraus verfündigt haben. NMavitres ſelbſt verlangte, noch vor feinem Sturze, daß kan unter fein Portrait folgende Verſe feße:

«On tombe, on se rel&ve, on terrasse, on detruit, On recule, on avance, on s’arrete, on poursuit. »

338 Dadpantean und Eleviereh.

Bevor übrigens Clavieres zu fo hoben Stellungen in Frankreich gelangte, war er froh, eine geringe Sub alternftelle bei dem Finanzweien zu befommen, und in dDiefer Zeit verkaufte er der Loge der Vereinigten Fremde ein Manuſcript, was er wol der Periode feiner genfe Geheimverbindungen verdankte und worin ein fralid fehr umſtändliches und fchauerliched Verfahren befchrie ben war, den Stein der Weifen zu bereiten. Man brauchte dazu zuwörderft einen reinen Junggeſellen und eine reine Iungfrau. Beide mußten unter einer befon- deren Sonftellation verheirathet werden. Ihr erſtes Kind mußte ein Knabe fein und gleich bei der Geburt in ei⸗ nen gläfernen Recipienten eintreten, der fofort in eine Retorte zu bringen war, worauf man das arme Kind am Feuer zu calciniren hatte. Nach einem ſehr ausge dehnten Procefle, deſſen Einzelheiten unfer Berichte: ftatter vergeflen hatte, follte fich das Kind in einen Stoff verwandeln, welcher zugleich Univerfalmebicin und Stein der Weifen fein würde und deflen Kraft fich bei jedem wiederholten Procefje verzehnfachen ſollte. Das Manufeript, worin dieſes wahnfinnige und graufame Verfahren dargelegt war, erging fich zugleich in mit den Erperiment in Verbindung gefeßten Erläuterungen der Mythologie und namentlih der 12 Arbeiten de Hercules, die ed auf Die alchimiftifchen Aufgaben bezog. Später fol ein Genoffe des Claviered das Manufeript ind Ausland (nah ©....... ) gebracht haben, wo eine nad) Schägen gierige Prinzeffin und ein fehr wenig te figiöfer Minifter ernſtlich daran gedacht hätten, dieſes große Werk zu unternehmen, indeß doch durch die Un: ficherheit des Erfolgs und die große Zahl der Schwir: rigfeiten abgeſchreckt worden feien.

Der Furfächfifche Gefandte in Madrid, Graf Johann,

Duchantean und Clapieres. 339

Joſeph Hyacinth von Kolowrat-Krakowsky (geb. 11. Sept. 1692 + im Det. 1766) zeigte zwei ſpaniſche Kup: feermünzen, von denen die eine, dergleichen niemals in Biber geichlagen worden, ihm und jeinen Freunden ganz zu Silber geworden zu fein fhien. Die andere hatte nur in der Mitte einen Silberftreifen, und wenn man fie zerichnitt, fah man deutlich, Daß derfelbe durch⸗ Bing"). Kolowrat verficherte, daB die Verwandlung in feiner Gegenwart vorgegangen fe. Iedenfalld waren die Münzen vorbereitet und in feiner Gegenwart durch nen Zafchenfpielerftreich untergefchoben worden.

1) Denkwürdigkeiten des Barons von Gleihen a. a. D.

15 *

XI. Der Graf von St. Germain,

Als eine Art praftifhen Beweifed der Möglichkeit, ſchon bienieden zur phyſiſchen Unfterblichkeit und ewigen Ju⸗ gend zu gelangen, oder doch die Grenzen der Kraft um des Lebens weit über Das gewöhnliche Maß auszudeh⸗ nen, ftellte fich ein Abenteurer dar, welcher ſeit 17, zuerft ald Marquis von Montferrat, in Venedig alt Graf de Bellamare, in Piſa ald Chevalier Schöning, in Mailand als Chevalier Welldone, in Genua als Graf Soltifow '), in Schwabach ald Graf Tzarogy (NRagoky), in FSranfreih ald Graf von St. Germain ?) auftrat, welchen letztern Namen er dann bis an fein Ende ber behielt. Seine eigentliche Herkunft ift niemals entdedt worden, auch fein Vaterland nicht. Selbft Friedrich.

bezeichnet ihn al& einen Mann, den man niemals habe

enträthfeln können. Wenn er, wie er es liebte, von

| |

1) Ein Mitglied dieſer Familie in jener Zeit war in maurerifd: myſtiſchen Verbindungen, wie wir, das Nähere einer fpätern det vorbehaltend, aud in den Miscellen, unter der Rubrik: Nitſche und Ruſca, anführen werden.

2) Nicht zu verwechfeln mit Graf Robert St. Germain, geb. zu Lons⸗le-Saulier 1708, erft Icfuit, dann Militair in franzöfifgen, pfälziſchen, Öfterreihifhen, preußifhen Dienften, dann, zu Struen⸗ ſee's Zeit, däniſcher Kriegsminifter, zu Anfang der Regierung Lu wig's XVI. aud franzöfifher Kriegsminifter, + 1778.

Der Graf von St. Germain. 341

feiner Kindheit fprach, malte er fich umgeben von zahl- richem Gefolge, wie er fich auf prächtigen Zerraflen in einem Föftlichen Klima erging, als wäre er der Kron- min; eined Königs von Granada in der Zeit der Mauren gavefen. Ein alter Baron von Stoſch wollte unter der Regentichaft (1715— 1723) einen Marquis von Mont: ferrat gekannt haben, der für einen natürlihen Sohn der in Bayonne refidirenden Witwe des Königs Karl II son Spanien ') und eined madrider Banquierd gegolten habe. Einige haben St. Germain für einen portugie- ſiſchen Marquis von Betmar, Andere für einen fpani- ſchen Iefuiten Aymar, Andere für einen elfafier Juden Simon Wolff’), noch Andere für den Sohn eines Gteuereinnehmerd zu St. Sermano in Savoyen, Na: mend Rotondo, gehalten. Der Herzog von Choifeul erflärte ihn einmal, jedoch in zorniger Stimmung, für den Sohn eined portugiefiihen Juden, was übrigens mit der Geſchichte des Baron Stoſch ſich wohl vertra- gen Eönnte. Er ſprach fehr gut deutſch und engliſch, vortrefflich italienifh, das Franzöſiſche mit einen pie montefiichen Accent, dad Spanifche und Portugiefiiche m vollfommenfter Reinheit.

Der Herzog von Choifeul war aufgebracht auf St. Germain, weil er bei einer Diplomatifchen Intrigue, die der König, oder vielmehr der Marichall de Belleisle ‘) hinter Choiſeul's Rücken gefpielt, zum Werkzeug gedient

1) Maria Anna von PfalzsReuburg, geb. 28. Oct. 1667, verm. 16. Mai 1689, Witwe 1. Nov. 1700, feit dem Dec. 1700 in Toledo, feit 1706 in Bayonne wohnend, von wo fic crft 1738 nach Suadalarara überzog und am 16. Zuli 1740 }.

2) ©. die Memoiren der Marguife von Grequi.

3) Karl Ludwig Auguft Zouquet Graf von Belleidle, geb. zu Billefranche 23. Sept. 1684 + 26. Zan. 1761. Er war feit 1749 franzoͤfiſcher Kriegsminiſter.

342 Der Graf von St. Germain.

hatte. Bekanntlich beftand Choiſeul's Lieblingsplan und gewiffermaßen der Stolz feiner ſtaatsmänniſchen Lauf⸗ bahn in der von ihm bewirkten Ausfühnung und Ver bündung zwifchen Frankreich und Oeſterreich. Belleisle, der alte Gegner Oefterreihd aus dem öfterreichifchen Erbfolgefriege her, widerſtrebte dieſer Politik aufs Ei frigſte. Ludwig XV. und die Marquife Pompabeur waren jedenfalld des Krieges müde, der nicht ging, wit er follte. Auch Choifeul wollte den Frieden; aber men zweifelte, ob er fo eifrig Dafür wirke, wie ed im Ginw der andern Partei war. St. Germain gehörte zu den Sünftlingen Belleisle's und gab ihm mancherlei feltiame Rathſchläge. Jetzt zunächft verficherte er ihm, daß er mit dem eben im Haag befindlichen Prinzen Ludwig von Braunfchweig vertraut fei und durch Ddiefen am leichteften eine Unterhandlung anknüpfen könne. De König und Kriegdminifter fchieften denn in der That den St. Germain nad) dem Haag’). Allein der dor tige franzöfifche Gefandte Graf d'Affry?) entdeckte das Geheimniß diefer Sendung und fehidte fogleich einm

| | ! 1 ) |

1) Dies ſcheint 1760 gefhehen zu fein. 1761 fand übrigens

eine Unterhandlung im Haag ftatt, melde wirflih an cine Eroͤff⸗ nung ded Prinzen von Braunſchweig antnüpfte, aber durch dAffry und den englifhen Gefandten Mord geführt wurde und erfolgles blieb. ©. Zlaffan, V, 378.

2) Ludwig Auguft Auguftin D’Affry, aus einem alten Gefdlehte des Gantons Freiburg, Sohn des franzöfifden Generallieutenants Franz d'Affry, ward zu Berfailles 1713 geboren, foht in der Schlacht bei Guaftalla, wo fein Bater fiel (1734), ftieg bis zum Maredhal de Camp, ward dann 1755 Gefandter im Daag, ging 1762 als Senerallicutenant wieder zur Armee, ward 1780 Obriſt ter Schweizer, am 10. Auguft 1792 verhaftet, + 1793 auf feinem Schloſſe St. Barthelemy im Waadt. Ein Sohn von ihm war an jenem 10. Auguft gefallen. Ein andrer Sohn, Ludwig Auguftin Philipp, geb. zu Freiburg 1743, mar franzöfifher Generallieute⸗ nant, ging in die Schweiz zurück, mard der erfte Landamman der Schweiz unter der Mediationdacte und + 26. Juni 1810.

Der Graf von St. Germain, 343

ourier an Choiſeul, mit bitteren Beſchwerden, daß er, me fein Mitwilen, unter feinen Augen, durch einen ibefannten Fremden den Zrieden unterhandeln lafle. joiſeul fchiefte den Courier ſogleich mit einer Anwei⸗ ng an den Grafen d'Affry zurüd, wonach dieſer mit Balichflem Nachdrud von den Generalitaaten die Aus⸗ ferung St. Germain’d verlangen und ihn dann ge zaden in die Baftille fchiden folte Am folgenden age brachte Ehoifeul im Eonfeil die Depefche des Gra⸗ a D’Affry vor, verlad darauf die Antwort, die er er- eilt Hatte, ließ feine Blicke mit Stolz auf feinen Col⸗ yen berumgehen, richtete fie dann abwechfelnd auf den hnig und Herrn de Belleiöle und fagte endlich: „Wenn mwmir nicht Die Zeit genommen habe, die Befehle des hnigs einzuholen, fo beruht dad nur auf meiner Ueber: wgung, daß Niemand bier gewagt haben würde, einen sieben ohne Vorwiſſen des Minifterd der auswärtigen ngelegenheiten Ew. Majeftät zu unterhandeln. Der önig fchlug die Augen nieder wie ein Schuldiger; der tinifter wagte kein Wort zu fprechen und der Schrift 8 Herzogs von Choifeul ward genehmigt. St. Ger⸗ ain entkam ihm aber doch. Die Generalftaaten bezeig: w fich zwar willfährig, welche Gefälligkeit fie auch br geltend zu machen wußten, und fchidten cine zahl: iche Wache ab, ihn zu verhaften; er war aber vorher ı ber Stille von der Sache in Kenntniß gelegt wor: m und entflohb nad) England). Won bier ging er

1) Man bat die Gefhihte irrthümlih umgekehrt berichtet und e Unterhandlung in Gngland gepflogen werden, die Flucht aber ich dem Feſtland geſchehen laffen. Daß Choiſeul auch von Eng⸗

nd die Auslieferung St. Germain's verlangt hätte, iſt bei dem aligen Kriegsſtande hoͤchſt unwahrſcheinlich. Den Borgang mit boifen! im Gonfeil erzählt leihen a. a. D. S. 118 fe.

344 Der Graf von St. Germais,

bald nach Petersburg und fol bier bei der Revolution von 1762 eine Rolle gefpielt haben, von der man je Doch nichts Näheres weiß ')., Jedenfalls war er auch nachher mit den Orlows fehr befreundet. Als er 1770 in ruffticher Generalduniform und unter einem ruffifchen Namen in Livorno erfchien, ward er von dem Grafen Alexis Orlow mit einer Rüdficht behandelt, welche die fer ſtolze Mann gegen Niemand zeigte, und Gregor Drfow, der ihn 1772 mit dem Markgrafen von Yn fpach zu Nürnberg auf der Durchreife ſah, nannte ihn feinen caro padre, fol ihm 20,000 venetianifche Zechi⸗ nen geichen?t haben und fagte über ihn zu dem Mark⸗ grafen: «Voila un homme qui a joue un grand röle dans notre revolution.» Von Petersburg ging er nach Berlin und zog dann in Deutichland und Ja lien umber. Längere Zeit lebte er in Schwabach und bei dem Markgrafen von Anſpach, den er auch nad Stalten begleitete. Zuletzt hielt er fih in Eckernförde bei dem Landgrafen Karl?) von Heſſen, bekanntlich « nem großen Gönner geheimer Wiflenfchaften und einer Beute zahlreicher Charlatane, auf und flarb bei ihm le bensmüde im Jahre 1780. Während des legten Jah res feines Lebens Tieß er fi) nur von Frauenzimmern bedienen, die ihn wie einen zweiten Salomon pflegten und hatfchelten, und in deren Armen er ftarb, nachdem

1) In den zahlreihen Berichten über jene Revolution wird Gt. Germain nie erwähnt, wol aber ein Piemontefe Odard, der abe, nad dem, was Rulhiere über deffen Schidfal anführt, nit Drew tiſch mit St. Germain fein Fann.

2) Landaraf Karl von Heffen=Kaffel, geb. 19. Dec. 1744, um 30. Aug. 1766 mit Zuife Prinzeffin von Dänemark (geb. 30. Ian. 1750 + 12. Ian 1831) vermählt, dänifher Feldmarſchall ws) Statthalter der Herzogthümer Schleswig und Holftein, Vater der verwitweten Königin von Dänemark, Bruder des erften Kurfürſten von Heffen, ftarb am 17. Auguſt 1836.

Dee Graf von St. Germain. 345

er allmälig feine Kräfte verloren. Seine Papiere kamen in die Hände des Landgrafen, dem man aber niemals ne Auskunft über die Räthſel, weiche St. Germain kinen Zeitgenofien aufgegeben, hat abgewinnen können, ee aber auch nicht der Mann dazu war, bei Beurthei- ung ſolcher Männer Kritik anzumenden.

Im Allgemeinen fcheint St. Germain unter den Sharlatans des 1Sten Jahrhunderts einer der Unfchäd- Iheren geweſen zu fein, und mit feinen Schwindeleien ucht eben mehr bezweckt zu haben, als ſich in der vor- shmen Welt und deren Genüffen zu behaupten, auf Koften reicher Großen ein behagliches Xeben zu führen md fi an dem Staunen zu ergößen, was feine Be: ſinderheiten erregtn. Zu dem allen benußte er das Geheimniß, was feine Herkunft umringte, den Beſitz Aniger chemifchen Geheimnifie und die, vielleicht auch durch letztere unterflüßte Iangjährige Behauptung eines riſtigen und fich gleichbleibenden Ausſehens. Auf fei- nen befländigen Umzügen batte der durch feine Rück— Ihten gebundene Mann vielleicht dann und wann in iner Intrigue mitgeholfen, was ihm dann auch weiter a Statten fam. Irgend einen nachhaltigen Einfluß 8 äußern, fcheint er nie erflrebt zu haben und in fei- en‘ Anſprüchen ziemlich mäßig geweſen zu fein.

Er war von mittlerer Größe, fehr robuft und be= ahrte fein rüftiges Ausſehen in der That wunderbar mge. Rameau und eine alte Verwandte eined fran- Jfiſchen Sefandten zu Wenedig wollten ihn 1710 als sen Mann gekannt haben, der etwa 50 Jahre alt zu in fchien. 1759 fchien er 60 Jahre zu haben und der inifche Legationsfecretair Morin, der ihn 1735 auf ner Reife nach) Holland kennen gelernt hatte, verficherte

15 * *

%

346 Der Graf von St. Germain.

25 Jahre fpäter, er fchiene ihm wicht um ein Jahr gealtert zu fein. In Schledwig foll er bis in bie letzte Zeit das Ausfehen eines gut confersirten Sechziger gehabt haben. Wenn fi) das alled wirklich fo ver halten hat, fo ift ed Glück und vielleicht etwas Geſchic. Möglich aber auch, daß der St. Germain von 1710 doch ein Anderer war, wo dann die Sache gar nichts Abſonderliches mehr haben würde.

Er ſelbſt fuchte allerdings den Glauben an ein um gewöhnliche Alter zu erweden und bediente fich dazu mancherlei Kunftgriffe, ohne gerade Jedermann eine be ſtimmte desfallſige Verficherung zu ertheilen. Indeß ift er nie fo weit gegangen, wie man ihm nachgefagt bat, ſich für einen Zeitgenofien des Heilanded auszugeben und der Dienfte zu rühmen, die er ihm bei Pilatus geleiftet, oder der Bemühungen, die er zu Gunften de Canonifation der heiligen Anna auf dem nicäifchen Em eit gehabt. Dieſe Gefchichten rühren vielmehr von eine Moftification ber, die durch einen wißigen Parifer ver mittelt ward, welcher eine befondere Gabe befaß, bie Leute nachzuahmen, und weil er Died befonders af Engländer anmwendete, den Beinamen Mylord Gower führte. Diefer ward in Kreife geführt, in welche St. Germain nicht kam, dort für Diefen ausgegeben und oufrirfe nun feine Rolle, ohne deshalb weniger Glauben zu finden. Indeß ein Paar Sahrhunderte ſchrieb ſich St. Germain doch zu. Sprach er mit einem Dumm kopf von einem Vorgange aus der Zeit Karl's V., fo vertraute er ihm ganz unummunden, daß er Dabei ge weſen fei; fprach er dagegen mit einem weniger Lädt. gläubigen, fo begnügte er fi, die Meinften Umſtände, die Mienen und Geften der Sprechenden, bis auf dab

Der Graf von St. Germaik. 347

Zimmer und den Platz, den fie eingenommien, mit einem Detail und einer Lebendigkeit auszumalen, die den Ein- druck machten, ald höre man einen Menfchen, welcher wirklich zugegen geweſen.

Zuweilen, wenn er ein Geſpräch Franz' J. oder Hein⸗ hs VIII. referirte, ſtellte er ſich zerſtreut und fagte: ‚Der König wendete ſich zu mir” verfchludte aber afch Das „mir“ und fuhr mit der Haft eined Mannes, ver fich vergeflen bat, fort: „zu dem Herzog fo und o.“ Er war mit dem Detail der Geſchichte fehr ver: yaut und hatte fi) jo natürlich entworfene Zableaur mb Scenen zufammengefeßt, daB niemals ein Augen: guge einen neuen Vorgang fo lebensvoll gefchildert hat, sie er die Ereignifle vergangener Jahrhunderte. „Diefe dummköpfe von Parifern”, fagte ex eined Tages zu dem Baron von Gleichen '), ‚glauben, ich fei 500 Jahre alt und ich beftärke fie in dieſer Idee, da ich ehe, daß fie ihnen foviel Vergnügen macht; nicht daß nicht wirklich unendlich älter wäre, ald ich aus che.“

Er beſaß mancherlei chemiſche Geheimmittel, nament⸗ ich zu Schminken, Schönheitsmitteln, Färbeſtoffen; sch zu einer äußerſt ſchönen Compofition von Kupfer

) Kerl Heiarih von Bleiben, geb. 1733 zu Remerödorf im eireuthi hen, ftudirte in Leipzig, wo ihn Gellert werth hielt, ging n in baireuthiſche Hofdienfte, reifte mit Cronegk nad Paris, wo im Krelfe ver ran von Graffigny lebte, begleitete 1755 feinen of nah Italien, reifte 1756 wieder dahin, für die Markgräfin, te Schwefter Friedrich's II., Kunſtſachen zu Paufen, ging 1758 als nach Paris, wie der Herzog von Eholfeul, der ihn ſehr Ste, ſelbſt gewünfdt hatte, ward 1760 daͤniſcher Geſandter in ‚17163 in Paris, 1770 in Neapel, trat dann in Ruheſtand u lebte von 1779, öftere Reiſen abgerechnet, in Regensburg, ® er am 5. April 1807 ſtarb.

348 Der Graf von St. Germain.

und Zink; wahrfcheinlich auch zu nachgemachten Ede: fteinen. Dem Baron Gleichen zeigte er, außer eine Fleinen Sammlung vortrefflicher Gemälde, worunte eine heilige Zamilie von Murilos, eine Mafle von fo glänzenden und großen Eddfteinen, daß Gleichen die Schätze der Wunderlampe zu erbliden glaubte, und denen fich die wahrfcheinliche Unechtheit wenigftens nicht anfehen ließ. Aber er behauptete weder, eine Univer⸗ falmedicin, oder gar den Stein der Weilen zu befiten, noch rühmte er fich überhaupt übernafürlicher Kennt- niffe. Er lebte fehr mäßig, trank nie beim Eſſen und purgirte fi) mit von ihm felbft zubereiteten Senesblit- tern. Etwas Anderes rieth er auch feinen Freunden nicht, wenn fie ihn fragten, was man thun müffe, um lange zu leben. Wol aber fprach er oft mit myfteis fer Emphafe über die Ziefen der Natur, und öffne: der Phantafie einen weiten Spielraum in Betreff feine Wiſſens, feiner Schäge und feiner erlauchten Abkunft. Den Regierungen bot er nicht, wie die Charlatand eine früheren Zeit, das Geheimniß der directen Goldmader: funft an, fondern, der vorgefchrittenen Zeit gemäß, eine indirecte Bereicherung durch. allerlei induftrielle Recepte und Unternehmungen. Während er fo den Anfchan eined Mannes hatte, der nad) Geld jagt, ward er einft in einer Beinen piemontefifchen Stadt wegen eines Wech⸗ feld verhaftet, brachte aber fogleich mehr als 100,000 Thlr. in guten Papieren hervor, bezahlte auf der Stel, feste fi) gegen den Gouverneur der Stadt gewaltig aufs hohe Pferd und wurde auf das Ehrerbietigfte ent laſſen. Den Markgrafen von Anfpach behandelte er fehr rückſichtslos, als einen jungen Menfchen, der noch nicht von hohen Dingen verfiche. Um fein Anfehen

Der Graf von St. Germain. 349

an diefem Eleinen Hofe zu erhöhen, zeigte er von Zeit zu Zeit Briefe des großen Zriedrih. „Kennen Sie diefe dand und dieſes Siegel?” ſagte er zum Markgrafen, ndem er ihm den Brief im Gouvert zeigte. „Ja, das ſt das Beine Siegel des Königs.” „Nun wohl, Bie len doch nicht erfahren, was darin iſt“, und damit deckte er den Brief wieder in die Taſche.

XIV. Drei Berren von Hund und Alten Grotkau.

Die Herren von Hund und Alten-Grotkau find ein altes ſchleſiſches Gefchlecht, deilen Zufammenhang mit andern Familien ded Namend von Hund, wenn er je beftanden, nicht mehr nachzumeifen ift, ſowie überhaupt die beglaubigten Nachrichten von dem ſchleſiſchen Stamme nicht über Heinrich) von Hund auf Alten: Grotfau hin ausgehen, welcher 1480 lebte und defien Sohn gleiche Namens 1518 Burggraf von Glatz gewefen ift '). Dei Lebteren Enkel war Hildebrand von Hund auf Raufe im Fürſtenthum Liegnig, fürftlich Tiegnigifcher und brie gifcher Rath. Won feiner Gemahlin, Anna von Roth ftein (oder Rothkirch?), erhielt er zwei Söhne, und Nach⸗ fommen Beider haben fich fpater in die Lauſitz gewendet und dort neue Linien ihres Hauſes geftiftet. Die von dem jüngeren Sohne, Chriftoph, abflammende, deren fpäter gedacht werden foll, bfühte zu Ebersbach, jedoch nur furze Zeit. Weber ein Sahrhundert jedoch beftand die Linie des älteren Sohnes, Wenzel’d, und aus ihr find namentlich zwei Männer hervorzuheben, deren Leben

1) Dod kommen fon 1300 Johann und Chriſtoph von Hund in Urkunden vor, feinen aber niht auf Alten-Grotkau gefeffen 3% haben.

Drei Herren von Hund und Alten-Grotln 351

einen merkwürdigen, zugleich die verfchiedenen Zeiten bezeichnenden Gegenfab bildet ').

Wenzel ward fürftlich liegnitziſcher Rath, Hofrichter und Landesältefter des Fürſtenthums Liegnig. Er beſaß die Rittergüter Rauße bei Neumark, Wilfchkau und Petichkendorf bei Lüben in Schiefien, und erbeirathete nit feiner erften Gemahlin, Margaretha von Noftig, das Rittergut Unwürde in der Oberlaufit. Seine zweite Gemahlin war Urfula von Köckritz aus dem Haufe Fe: finberg im Zürftenthum Deld. In den Drangfalen des dreißigiährigen Krieges zog er mit den Seinigen erft nach Kiegnig, wo er den Ständen, zur Bezahlung einer Kriegs: feuer an den fchwedifchen Obriften Reichwald, fein Sil⸗ berzeug im Werthe zu 500 Thlrn. lieh. Als die Peft in Biegnit zu wüthen begann und feinen eigenen Jäger ergriff, ging er nad) Petichkendorf. Won da reifte er mit den Seinigen und einer aus Mann, Frau und zwei Löchtern beftehenden Familie von Landskron, welche letz⸗ tere aber auf der Reife ſämmtlich an der Peſt ftarben, nach Hrauftadt, wo er blieb, bis Krieg und Peſt fich verzogen. Nach Liegnit zurückgekehrt, fand er fein Haus völlig außgeftorben und die Thüre zugenagelt. Im Haufe jelbft waren feine zurückgelaſſenen Mobilien ſämmtlich unverfehrt erhalten. Gin ehrlicher Bürger, welcher wahr: genommen, daß alle Bewohner des Hauſes theild ges flüchtet, theild an der Peft geitorben feien, hatte beim Magiſtrat Anzeige gemacht, worauf die Thüre vernagelt worben war. Er ging nun nach Rauße, um feine ver: wüfteten Güter wieder aufzubauen, mußte aber, ben Sreueln des Krieges zu entgehen, bald wieder flüchten

1) Wir fhöpfen dabei befonderd aus einem XAuffage in der gör⸗ ligiſchen Neuen Laufitiſchen Monatsihrift von 1807, ergänzen ihn aber für unfern Zweck aus andern Quellen.

352 Drei Herren von Dund und Alten: Grotlan.

und zog erft nach Breslau, dann weiter an die polmifihe Grenze, zu einem Herm Wilhelm von Malzahn. Nah längerer Zeit kehrte er auf feine Güter zurüd, Die er gänzlich verwüſtet antraf. Er entichloß fich nun, fir, was ihm auch begegnen möge, nicht wieder zu verlaflen, da er daran verzweifelte, irgendwo wahre Ruhe und Sicherheit zu finden und des Umherziehend müde war. Diefen Entſchluß hielt er auch bis an feinen Zod, un geachtet er viel von Marodeurs und Kriegsfteuern zu leiden hatte, nach ihm gefchoflen, fein ganzes Vieh weg: genommen wurde und derglL mehr. Gram und Gorge warfen ihn endlich aufs Kranfenbett und er ftarb am 19. Januar 1637, mit Hinterlaffung von vier Söhnen und drei Zöchtern.

Der ältefte Sohn, Andreas, ward, nebft Herrn Otto Friedrih von Hund, zum Wormund der unmünbigen Geſchwiſter beftelt und half feiner Mutter, eine Paufe des Krieged zu benugen, um zunächft die Güter Rauße und Petfchfendorf wieder in den nothdürftigften Stand zu fegen, worauf er ſich nach der Oberlaufig begab, um das, wie ed jcheint, ihm allein zugefallene Unwürde zu bewirthichaften. Die Witwe mußte aber bald wieder flüchten; einmal ind Glogauifche zu ihrem Schwager Hans von Saliſch; dann nach Koblin in Polen zu Herm Siegmund von Ködrig, welcher feine ſchleſiſchen Güter verlaflen und Güter in Polen gepachtet hatte. Ihre Güter blieben nun wüfte und unbewohnt Tiegen und die Kühe warfen im Baumgarten Junge. Die Witwe 309 in Polen, wohin ſich immer mehr fchlefifche Adelige geflüchtet hatten, bei ihren Freunden und Verwandten umher, und feheint vor Ende des Krieges geftorben zu fein. Ihr zweiter Sohn, Wolf Kafpar, hat fpäter bie ſchleſiſche Linie fortgefegt und intereffirt uns nicht weite.

Drei Deren von Hund und Alten Grottn. 353

Der dritte Sohn, Hans Siegmund, ging in Krieg: Dienfte, ward Standartenträger des Obriften Schen- ringe, und blieb bei Pardubig in Böhmen vor dem Beinde. Die Töchter haben in der Folge geheirathet. Der jüngfte Sohn, Heinrich Wenzel, ift ed nun umächft, deſſen Schickſale Interefle bieten. Er war m 9. September 1625 zu Rauße geboren worden und yatte, der Kriegdunruben halber, nur eine fehr unvoll- omniene und oft unferbrochene Schule genoffen, obwol eine Eltern jede Ruhepaufe benußten, ihn bald zu einem Marrer, bald in die Obhut eined Hauslehrerd, bald zu inem Gchulmeifter zu thun. Vom 14. bis 16. Lebens: abre war er bei Heren von Köckritz in Polen, der ihn isweilen auf feine fchlefiichen Güter verfendete, oder nitnahm. 1642 fchrieb der ald Verfaſſer einiger asce⸗ iſchen Schriften befannte David von Schweinig '), der sach Preußen geflüchtet war und dort ein verwüftetes But im Kreife Morungen von der verwitweten Kurfür: tin gepachtet und mit feinen fchlefifhen Unterthanen befeßt Hatte, an die Witwe von Hund und trug ihr in, daß. fie ihren jüngften Sohn zu ihm ſchicken möchte; m wolle ihn ald Page beim Kurfürften anzubringen fu: den. Mutter und Sohn griffen freudig zu und Die Butter Ichaffte Rath, dem Sohne wenigftend 6 oder

1) - David von Schweinig auf Seifersdorf und Peterödorf, geb. B. Mai 1600, ftndirte in Heidelberg und Gröningen, reifte in Ingland, trat dann in fürftlid Licgnigifhe Hof» und Staatsdienſte, ing, nachdem feine Güter vermwüftet worden, nad Preußen, von „er 1650, von 170 zu ihm geflüchteten Unterthanen begleis et, zu rte, ward 1651 Hofrichter zu Liegnig, + 27. März 667. Beine religisfen Schriften gehören der Spener’fhen Rich⸗ ung an und Spener bat mehrere Borreden dazu gefhrieben. Da- eben gab David von Schmeinisg aber and eine Genealogie Derer on Schweinitz heraus.

354 Drei Herren von Hund und Alten» Grotlam.

7 Ducaten mitzugeben.- Won Polnifch-fla aus ging er mit Fuhrleufen nach Thorn, wo er einige Zage bi einem fchlefifchen Schneider blieb, Der früher bei einem Herrn von Seidlitz VBedienter geweien war und von da ber noch eine gewifle Deferenz für fchleftfche Ed leute hatte. Von da reifte er zu einem Herrn von Reichenbach, der bei Eylau fchöne Güter gepachtet hatte

und ihm viel Gutes erwied. Bei Schweinig erfuhr e, daß er zu fpät gekommen, indem der Hof bereits nah Berlin zurüdgekehrt fei, fand auch einen Concurrenten aus Schweinigend eigner Familie, der, wie er in feine Selbftbiographie fagt, älter und größer, „auch etwas gröber“ ald er war. Ein Obriſt Wallrad wollte ihn wol ald Page nehmen; er meinte aber: ein Paar Schuhe putzen könnte er ſchon; wenn er daher fonf nicht8 zu fehen und zu lernen befäme, fo könnte ihm der Dienft nichts nügen. Nach einem balben Jahre entfchloffen fich unfer Hund und der junge Schweinif zur Rückkehr, kauften für 10 Thlr. ein Pferd, auf dem fie abwechfelnd ritten, und famen mit diefem glüdlid in Koblin bei der Frau von Hund an. - Der junge Mann fcheint aber doch durch dieſen Verfuch in feinem Wunfche, ſich auf eigne Füße zu flellen und in be Welt zu verfuchen, beftärkt worden zu fein. Er be ſchloß, in den Niederlanden Kriegsdienfte zu fuchen, und auch der Herr von Ködrig gab feinen älteften Sohn, Wolf Leuthold, dazu mit. Heinrich) Wenzel's Bruder auf Unmwürde ſchickte 50 Thlr. zu den Reale koſten, und fo fuhren fie 1644 mit der ordinairen Poſt na) Danzig ab, wo fie fi) nad einigen Zagen, in Geſellſchaft andrer junger ſchleſiſchen Edelleute, die zum Theil in Kriegsdienfte, zum Theil mit Hofmeiftern auf Reifen gingen, auf einem holländifchen Kauffahrer ein

Drei Herren von Hund nnd Alten⸗Grotkan. 355

ſchifften. Nach allerlei Befchwerden und Zährlichkeiten men fie nach 4 Wochen glüdlih in Amſterdam an und eilten, von da nad) Gent zu fommen, wo fie in die Leibcompagnie des Feldmarfchalld Johann Wolfard Grafen von Brederode einrollirt wurden. Won befon- deren Kriegsthaten des jungen Mannes, der nur über geringe Beloldung Fagt und 1645 „endlich“ wieder 50 Thlr. von feinem Bruder Andreas erhielt, wird nichts berichtet. Diefer Bruder farb am 24. Auguft 1647, eft 33 Jahre alt, ohne Nachkommenſchaft zu binterlaf- fen, und jeßt mag Heinrich Wenzel die Kriegsdienfte verlafien und Das Taufiger Gut übernommen haben.

In der Lauſitz finden wir ihn 1651, wo er fih am 21. Februar mit Anna Maria, der nachgelaflenen jüng- ſten Zochter des Joachim von Ziegler und Klipphaufen auf Cunewalde vermahlt. Sie war am 29. Juli 1629 geboren und mag ihm, ungeachtet fie noch 5 Geſchwi—⸗ ſter hatte, einiged Vermögen zugebracht haben; er felbft aber muß in der Schule des Mangels und der Trübfal en fehr guter Wirth geworden fein. Denn 1677 Faufte er die Güter Mönau, Rauden, Merbdorf und Beerwalde und hatte fie bis 1682 volftändig bezahlt. Dann Faufte ee 1687 Obergebelzig und Klein-Förftchen, 1689 eine Mühle bei Gröditz und 1690 Jerchwitz. Er flarb am 6. Juni 1697 und feine Gemahlin folgte ihm am 9. Mat 1722.

Auch fein Sohn, Joachim Hildebrand (geb. 18. Nov. 1651, + 16. Dec. 1722), kurfächfiiher Rath und Landesälteſter des Bubiffinifchen Kreifes, folgte dem Beiſpiel des Vaters und vermehrte den Güterbefig durch den Ankauf von Kittlik, Groß: Schweinig und Zoblig. Seine erfte Gemahlin hatte ihm 4 Söhne und 7 Töch⸗ ter geboren. Bon den Söhnen ftarb der Aeltefte zu

356 Drei Herren von Hunb und Ulten⸗Grotkan.

Leipzig als Student an den Blattern, der Dritte auf dem Gymnaftum zu Görlitz, der Iüngfte in gleichem Alter zu Brandenburg. Die Güter erbte der zweite Sohn, Joachim Hildebrand (+ 21. März 1731), tur fächfifcher Kammerherr, und kaufte noch Ließka und Nieder» Gebelzig dazu.

Auch ihn überlebte von vier Söhnen nur ein Gin- ziger, der Iüngfte, dem Vater, Groß» und Urgroßva⸗ ter diefe gewaltige Gütermaſſe gefammelt hatten, der in viel weitere Kreife eingriff, als fie, ganz andere Zeit⸗

richtungen vertrat, der aber fein Ausichreiten aus dem.

einfachen, aber fichern Wirkungskreiſe durch innere und äußere Zerrüttung gebüßt hat.

Karl Sotthelf von Hund, geboren zu Mönau am 11. September 1722, folglich bei dem Tode feines Va⸗ terd noch unmündig, ftanb unter der Vormundſchaft feiner Mutter und des Landesälteften Kafpar Heinrid von NRodewig. Um den einzigen Sprößling zu erhal ten '), ward alles Mögliche aufgewende. So hielten ihm feine Eltern bis in das neunte Jahr eine Amme und feine Mutter ließ ihn auch fpäter noch, wenn ſich eine gefunde Perfon dazu im Dorfe fand, diefes Stär— fungsmittel gebrauhen. Auch für feinen Unterricht ward in anftändiger Weife durch tüchtige Hauslehrer geforgt. 1737 bezog er bie Univerfität Leipzig und 1739 ging er in Begleitung des Obriften Karl Fried rich von Schönberg auf Reifen. Er foll die jüngfte Tochter feined Vormundes geliebt haben und durch ihren od, der wol über fein ganzes Geſchick entfchieden hat, zu dem Entichluffe gebracht worben fein, nie zu heira⸗

1) Seine drei älteren Brüder waren in ven Zahren 1712, 1716 und 1722 geitorben.

Drei Herren von Hund und Alten⸗Grotkat. 357

then. 1741 reifte er nach Paris, wo er durch eine vor⸗ nehme Dame, zu der er in ein Verhältniß getreten war, was jedoch nur 2 Jahre anbielt, der katholiſchen Relis gion gewonnen ward. Doch hielt er feinen Webertritt noch lange Jahre geheim. 1742 wohnte er der Krö- nung Kaiſer Karl's VII zu Frankfurt a. M. bei und ward kurkölniſcher Kammerherr. Baron, wie er ge wöhnlich in Schriften genannt wurde und fi) wol auch ſelbſt nannte, ift er nie geweien. In Frankfurt trat er auch, am 20. März 1742, dem Maurerorben bei, in welchen er bald eine fo große Rolle fpielen ſollte, und war gerieth er in eine Xoge, welche dem Elermont’fchen Syſteme angehörte. Diefes Syſtem, das feinen Namen von dem Palais Elermont in Paris erhielt, wo die ver- triebenen Stuartö wohnten, war von Haus aus für ja- tobitifche und jefuitiiche Zwecke erfunden worden, und nachdem die politiichen Zwede hoffnungslos geworben waren und Die Kirche, deren verfaflungsmäßige Vor: eher im 18. Jahrhunderte immer mehr in Gegenfat gegen den Iefuitismus traten, die Geiftlihen aus dem Drden abgerufen hatte, geriethen dieſe abenteuerlichen Logen, die ſich für eine Fortſetzung des Tempelherren⸗ ordens ausgaben, gänzlich in die Hände von Betrü— gern und Betrogenen.

Zu den Letzteren gehörte Hund, den man wol be: fonderd durch feine Eitelkeit und feinen unbeftimmten, von einem einfach = praftifchen Xeben nicht befriedigten und Doc zu einer wahrhaft großartigen höheren Wirk: ſamkeit nicht berufenen Thätigkeitstrieb geködert hat. Er war ſchon 1743 zum Tempelherrn befördert, dem Srätendenten vorgeftellt und in Maftriht zum Heer: meifter der Provinz Niederdeutfchland ernannt worden. Hund gewann auch Heinrich Wilhelm von Marfchall,

358 Drei Herren non Hund and Mlten«Grotfan,

den Provinzialgroßmeifter von DOberfachien '), für das Glermontfche Syftem umd bildete nun einen Logenbund, der den Namen der ftricten Obfervanz nicht deshalb er: hielt, weil ex die echten Ordensregeln fireng beobachte hätte, fondern weil feine Mitglieder firengen Gehorſam (an unbefannte Obere’), anfangs wahrfcheinlich Jefuiten) geloben mußten. Hund ftiftete viele folche Logen und ge wann felbft die Mutterloge zu den drei Weltkugeln dafür. Die ſächſiſchen Logen hatten ſchon von ihrer Stiftung he einige Empfänglichkeit für das franzöftfche Syſtem, wenn

|

| ) )

gleich nur zu flüchfiger Aufnahme, nicht zu Dauerndem Fefthalten ded dem Nationalgeifte Widerftrebenden. Die .

erfte fächfiiche Loge, die zu den drei weißen Adlern, hatte nämlich 1738 der Graf Rutowski, der zu War fhau 1735 in den Orden aufgenommen worden, zu Dresden gefliftet und es war dabei der franzöfiiche Le⸗ gationsrath D’Ecombes fehr thätig geweien. Sein Groß meiftertbum ward auch von den in Wittenberg und (1741) Xeipzig geftifteten Logen anerfannt. Durch Hund und Marſchall wurden nun auch andere Xogen, die fih nach und nach in Dresden, Keipzig, Altenburg ’), Sad: fenfeld °), Naumburg °) bildeten, derjelben Richtung ge

1) Er hatte das Patent eines folden von dem Großmeifter von England, Lord Darniey, erhalten. Ein Aufenthalt in Paris fol ihn zuerft für das Elermontſche Syſtem empfänglid gemadyt haben.

3) Der hödfte Obere hieß Eques a penna ruhra.

3) Archimedes zu den drei Reifbretern. Sie bat fih als ifolirte Loge gehalten und hatte viele Berdienfte um die nachherige Reini⸗ gung des Ordens. Sie ward 1742 von Marfchall geftiftet.

4) Zu den drei Rofen, 1743 geftifte. Ihr Stifter war ber wadre Graf Zriedrid Ludwig von Solms auf Sadfenfeld, kurſaͤch⸗ fiſcher wirklicher Geheimerath und Kreishauptmann, ein wegen fe ner Wohlthätigkeit und Biederkeit feiner Zeit im oberen Grzgebirge ungemein verchrter Mann, geb. 2. Scpt. 1708 + 27. Auguft 1789. Die Loge ward fpäter nad Rußdorf verlegt und erloſch dafelbft.

5) Zu den drei Pammern. Marſchall hatte fie ſchon früher ge

Drei Serum von Hund und Alten⸗Grotkan. 359

wonnen. Sie hatten nicht zahlreiche, aber meiſtens vor- nehme und einflußreiche Mitglieder.

An Hund's Händen war die Sache eine ziemlich un: gefährliche Spielerei. Er felbft hatte Feine Zwede und trieb fih mit Namen und Formen umber, und für die Zwecke, welche Die geheimen Leiter haben mochten, war in Deutſchland nicht viel zu thun. Doch bahnte die Sache einzelnen Abdenteurern und Betrügern zu gele gentlichem Misbrauche vermögender Mitglieder den Weg. Auch ftellten fich frühzeitig allerkei Abzweigungen und noch weiter gehende Auswüchle ein. So das Roſaiſche Syſtem, das ein früherer anhaltinifcher Superintendent Rofa in den Jahren 1755 61 in Deutfchland und Schweden verbreitete, und das fich mit Alchimie, Theo- ' fopbie, Kosmofophte und Mechanik zu beichäftigen vor: gab. Berner die afritaniichen Bauherren, welche von Kippen 1756 in Berlin ſtiftete, und die fich mit der Gefchichte der Geheimgeſellſchaften beichäftigten, aber nur bis 1787 beftanden haben’). Die bekannten Illu⸗ minaten, über die wir uns vielleicht fpater einmal ver: breiten. Die neuen Roſenkreuzer, zu denen Schrepfer und von Wöllner gehört haben follen. Die mit ihnen verwandten, ganz befonders zahlreichen VBetrügereien ausgefehten, 1780 in Defterreich entftandenen afiatiichen Brüder, deren Hauptvertreter der Freiherr Eder von Eckhofen und der Hoffecretair Bohemann zu Stodholm waren’). Einer von aufrichfigerer und wärmerer Fröm⸗

ftiftet3 fie war aber wieder eingegangen, und Hund ftellte fic 1754 wieder ber.

1) Bergl: Der entdeckte Orden der afrifanifhen Bauherren; GSonftantinopel (Berlin), 1806.

2) Bergl.: Die Brüder St. Johannis des Eoangeliften aus Afienz Berlin, 1830.

308 Zen Seren sen Surb uud Mlten-Grotlan.

mafrs teidern Red acherten die 1777 in Schleſien see zur beit wieder erſeſchenen Kreuzbrũder; Fr rer Het zeberten Die Martiniften an, ie Km memeer ren Lonis Claude de ©. Rz .:r2. 175 + 1303), eder von beflen Lehre, Wire Deiszzi:. baden. Im Frankreich waren die Yizidk mer : B. Die ron Gaglioftro geftiftee ssrpäts: Wizrere, Die Elu-Coens, die bermetifche Fre zizer. De Dinisiaden geberten, nicht minder zahlreich. Air gerede sen Kranfreib aus drangen im fiebenjähri- sen Krise. mir den franzefiiben Armeen, auch Diele Werrirungen nah Douridlant.

Hict Kick aber aub eine heilſame Reaction nicht ‚ange aus. Hund, Der ñch im Orden Eques ab ense nannte, batte ñch Dur einen Umtreiber, Ramens Becker oder Leucht, welcher wegen Kaflendefecten flüchtig war, fih aber Ichnien a Fünen nannte und von den gehei⸗ nen Oberen in Echortland als Großprior zur NReformi- rung Der Deutichen Maurerei abgefchidt fein wollte, be reden falten, 1764 cinen Congreß nad) Altenberge bei Kabla zu berufen, der auch fehr zahlreich befucht ward. Man trieb hier vielerlei Spielereien. Sohnfon behaup- tete, der König von Preußen verfolge ihn und wolle ihn auf dem Gongreile verhaften Iaffen. Deshalb ftellte er geharniichte Templer als Vorpoften aus und Fieß fie Patrouillen reiten. Endlich aber entfloh er mit der Kafle °), und nun wurden die verfammelten Brüder auch gegen Hund mistrauifh, und drangen heftig in

1) Bergl.: Barnhagen von Enfe, Denfwürvigfeiten und Ber milde: Schriften (Leipzig, 2te Auflage, 1843, 6 Bre.), Br. IV. . fg.

2) Er mwurte in Magdeburg eingeholt und wegen früherer Be m auf dic Wartburg gefept, wo er 1775 geitorben ift.

Drei Herren non Hund und Alten⸗Grotkan. 3601

ihm, endlich mit feinen höheren Geheimniſſen herauszu- treten. Er verficherte auf fein Ehrenwort und feinen Degen, der Wahrheit gemäß, daß er wirklich zu Maſt⸗ richt zum Heermeiſter der Tten Provinz ') ernannt wor: den fei und bis vor Kurzem mit unbekannten Oberen zu DId : Überdeen correfpondirt habe. Die Mehrzahl berubigte ſich noch Dabei. Eine Minderzahl aber, unter Führung des Generalftabsarztes Ellermann, adop- tirten von Zinnendorf, trennte ſich und der Letztere grün⸗ dete 1766, unter ſchwediſchen Formen, ein fehr ftrenges Syſtem, was er aber Die lare Obfervanz nannte, und nach welchem noch gegenwärtig viele Logen in Preußen und Mecklenburg arbeiten. Aber auch dig ftricte Obſer⸗ vanz begann eine Reform auf dem Convent zu Kobfo, wo fi Hund nochmald durch WVerficherung auf feine Ehre und feinen Degen legitimirte, aber der Herzog Karl von Braunichweig (+ 26. März 1780) zum Groß: meifter ernannt wurde und Hund nur noch Heermeiſter in. Ober⸗ und Niederfachien blieb. Dennoch fand bald darauf ein Abenteurer, Gugumos, der fi) eques a cygno triumphante nannte und für einen Abgefandten des Heiligen Stuhles in Cypern ausgab, Glauben und veranlaßte den Congreß zu Wiesbaden, wo er entlarst wurde. Schubart ?), der eques a struthione, ber ſich

1) Das SElermontſche Syftım hatte 9 Previnzen, welde anfangs Iragonien, Auvergne, Languedec, Leon, Burgund, Britannien, Kiederdeutfchland (zugleich Polen, Liefland und Kurland umfaflend), Italien und Griechenland, fpäter aber Niederdeutihland, Auvergne, anguedec, Italien, Grichenland, Defterreih, die Lombardei, Rußland und Schweden waren.

3) Johann Chriſtian Schubart, geb. zu Zeit am 24. Zebr. 1734, war erft Leineweber, dann Gopift, fpäter Secretair bei preußifchen Generaͤlen, Kriegs: und Marſchcommiſſar, NRittergutsbefiger, durch Beifpiel und Schriften um landwirthſchaftliche Berbefferungen hoch⸗ verdient, 1784 als Edler von Kleefeld in ten Reichsadel erhoben

1 14

362 Drei Herren von Hund und Alten⸗Grotken.

in diefen Bewegungen aus niederem Stande zu hohen Verbindungen emporgearbeitet hatte und wahrhaft für Menſchenwohl und echten Vorfchritt begeiftert war, er kannte die Zäufchungen ded Syſtems und legte ſeinen Hammer in der Loge zu den drei Weltfugeln nieder. Die Convente zu Braunfchmeig (1775) und Wolfen: büttel (1773) fahen immer heller. Die Schrepfer'ſche Angelegenheit, der wir eine befondere Darftellung wit: men, öffnete Vielen die Augen. Der Dberhofprediger Stark!) zu Darmſtadt, der eques ab aquila fulva, befämpfte das Clermontſche Syſtem, feit ed ihm nit gelungen war, für das von ihm gefliftete klerikaliſche Syſtem Anklang zu erlangen. Dies zunächft veranlafte den Herzog Karl Wilhelm Ferdinand von Braunfchweig’), welcher 1783 feinem Vater ald Großmeifter gefolgt war, einen Convent nad) Wilhelmsbad zu berufen (1783), auf welchem man das Tempelherrenweſen fallen ließ und das Wilhelmsbader oder rectificirte Syſtem begründete, nad welchem nod) jet eine große Anzahl deutſcher Logen arbeitet.

Diele den Schwärmergeiſt austreibende Reform wurd: vielleicht auch dadurch etwas erleichtert, daB Hund in zwifchen geftorben war, während der zu Zurin erwählte Heermeifter Vernez in Deutichland feinen Gehorfam fant.

Hund war 1753 kurſächſiſcher Kammerherr und 1755 Zandesältefter des budiffinifchen Kreifes geworden, erhielt auch den ruffiihen Annenorden. Im ftebenjäührigen und Eoburgifher Geheimerath, + 23. April 1787. Vergl.: Chr bart Erler von Klecfeld; Dresden, 2te Auflage, 1846.

1) Diefen merkwürdigen Mann behalten wir und zu ciner fünf tigen Darftelung vor.

2) Der bekannte Feldherr, der am 10. Nov. 1806 an den Zee ° gen ver bei Auerftärt erhaltenen Wunden ftarb. \

Dei Herren von Hund und Alten⸗Grotlan. 363

Kriege nahm er auf das Entichiedenfte Partei gegen Preußen und für Defterreih und hatte ſtets öfterrei- chiſche Hufaren zur Bedeckung um fich, mußte auch oft nach Böhmen flüchten. Vor dem Ueberfalle von Hoch: kirch hatte der Feldmarſchall Daun fein Hauptquartier auf dem Gute Hund's zu Kittlik. 1762 ward er Ge: heimerath und nad) dem Frieden erhielt er den Auftrag, die unter den Freimebern in Lauban ausgebrochenen Unruhen und die Irrungen mit dem daſigen Klofter bei- zulegen, was er auch mit Umficht und Geſchick beforgt baben fol. Schon während des fiebenjährigen Krieges batte er ſtets einen Kapuziner aus dem Klofter Rom: burg ald Beichtwater bei fih. Bald nach dem Frieden legte er feine ZLandesälteftenftelle nieder und befannte fich num Öffentlich zur Latholifchen Religion, der er geheim ſchon Länger ald 20 Jahre angehört hatte Im Orden fheint ihm Diefe Entdedung zunächſt feinen Schaden gebracht zu haben, wie denn die Zeit überhaupt in die⸗ fer Beziehung damals forglofer und toleranter war, als ipäter.

Gewöhnliche LXiederlichfeit und Ausfchweifung wird ihm nicht Schuld gegeben. Aber freilich hatte er man⸗ cherlei Eoftipielige Neigungen und Gewohnheiten. Seine Drdensumtriebe follen ihm, auch ohne daß der Aufwand feiner beftändig in Anſpruch genommenen Gaftfreund- ſchaft angefchlagen würde, an 50,000 Thlr. gefoftet haben. Auch wendete er viel auf fchöne Pferde, die er malen und ihre Bildniffe, mit beigefügten Namen, über den Ständen derfelben anbringen ließ. Er baute meh tere Kirchen auf feinen Gütern von Grund aus neu, wobei er fumbolifche Beziehungen auf den Orden an- bringen, auch Nachrichten darüber in die Grundfleine einmauern ließ. Er ward viel gemisbraucht, und

1R%

364 Drei Herrn non Hund und Alten⸗Grotkan.

da er nicht verheirathet war, fo war auch in feinem Hausweſen Feine wirthliche Auffiht. Durch das alle fam er endlich dahin, ein Gut nad) dem andern zu ver: faufen. Zuerft das nach Unwürde gehörige Gut Delgo: wis an die Unterthanen dafelbft; dann die Güter Kitt: fie, Unwürde, diefen Stammſitz feines Geſchlechts in der Lauſitz, und Gebelzig an die verwitwete Grafin Sal mour; dann wiederholt ihm gehörige Waldungen. End» (ich 1773 trat er die Güter Mönau, Rauden, Ließka, Merzdorf und Beerwalde an Mathäus Lange auf Klein: Händen gegen einen Keibrentencontract ab, wobei er fich freie Wohnung im Herrenhaufe zu Mönau, deflen Tapeten voller Sinnbilder und. beziehungsreicher In⸗ ſchriften waren, und einen flarfen Auszug vorbehidt. Von Mönau 308 er zulebt nach dem einzigen ihm nod gebliebenen, und zwar von ihm ſelbſt erfauften Gute | Lipßa bei Ruhland. Doc auch Died wollte er dem Grafen Röder auf Königdbrüd gegen Keibrente abtreten

Vorher aber reifte er, bereits kränklich, 1776 in Dr dendangelegenheiten nach Meiningen und bier warf ih feine Krankheit aufd Sterbelager. Auf diefem Tieß a | fih von einem Trupp Muſikanten vorfpielen und flark, nachdem er die Sacramente feiner Kirche empfangen, I am 8. November 1776. Sein Leichnam wurde nad Melrichftadt, einem 3 Stunden von Meiningen entfar ten, damals bifchöflich würzburgifchen Städtchen gr fhafft, wo er, in vollem Zempelherrenornate, vor da & Hochaltare in dortiger Pfarrkirche begraben wurde‘) |y Nach feinem Tode brach Concurd zu feinem Nadhlak |,

r

1) Vergl. auch: (von Kepler), Anti-Saint-Nicaise; Leipiid v 1786. Ueber diefen Keßler bringen mir in den Miscellen & ff niges.

Drei Herren von Hund und Alten⸗Grotkan. 365

ws; feine Mobilien wurden öffentlich verfleigert, und dn lebte But, Linea, Fam an den Grafen Röder.

—— ——

Wir erwähnten oben, daß auch eine zweite, von hriftoph von Hund abſtammende Linie derer von Hund mb Alten⸗-Grotkau Furze Zeit in der Laufig anfällig eweſen jet, und auch an dieſes Verhältnig Tnüpft fich im bezeichnendes Zeitbild. Ein Enkel jenes Chriftoph, Ramend Hand Ludwig, war im Dreißigjährigen Kriege, er für feine Vettern die oben gefchilderten Bedräng- iſſe berbeiführte, Faiferlicher Rittmeifter und ftarb 1645, BB er eben beim Regimente ald Obriftwachtmeifter vor: eſtellt werden follte, die Nacht vorher vom Schlage etroffen. Der Krieg batte ihn nach Erfurt geführt nd er hatte dafelbft, am 16. Juli 1639, ein Fräulein on Eberftein, aus dem Haufe Gehofen, die Schwefter es nachherigen fächfifchen Generalfeldmarfchalld Ernft recht von Eherftein, geheirathet. Dadurch kamen ine Nachkommen zunächft nach Thüringen und Sad: n, deflen Milttairadel fie vermehrten. Zu ihrem An- jeil an dem fchlefiichen Familiengute Voitmannsdorf, ar den fie fih Mühe gaben, konnten fie nicht gelan- en, weil die fchlefifchen Vettern fich durch Webertritt ar Fatholifchen Kirche in Vortheil gefeßt hatten. Der ingſte Sohn des Genannten war noch nicht geboren, 8 fein Water ſtarb. Die fchwangere Witwe reifte lends nach Thüringen, um bei ihrer Mutter niederzu- smimen; aber Die Wehen übereilten fie unterweged; fie mßte auf dem Gute ihres Bruders, Reinsdorf bei Ar: sen, Halt machen und gebar dort Ludwig Dietrich, velcher in Thüringen aufwuchs und &tallmeifter des

366 Drei Herren von Hund und Alten⸗Grotkan.

Grafen von Stolberg wurde, fpäter aber in bolländifche Kriegsdienfte ging und als Rittmeiſter flarb. Von fe ner erften Gemahlin, einer geborenen von Zanthier, er hielt er einen Sohn, Friedrich Ludwig, welcher von früh an zu einem unfteten, vielbewegten und Drangvol: len Leben beftimmt war.

Friedrich Ludwig von Hund ward zu Stolberg am 14. Febr. 1670 geboren. Schon in früher Jugend ward er viel umbergeaworfen. Den erften Unterricht erhielt er zu Stolberg, dann zu Naumburg bei dem Stallmeifter von Pappenheim, dann (1679) kam er nach Penig ald GSefpiele junger Herren von Schönburg, wo er jedoch nur ein Jahr blieb und 1680 nach Halberftadt auf bie Schule gebracht wurde. Won da verfrieb ihn eine aus: brechende -Contagion und er Fam nach Klofter-Roßleben. Aber auch auf diefer Schule war, ohne feine Schuld, feines Bleibend nicht; denn fie brannte 1686 ab, wor auf er nach Halle ging. Diefer Unftern, der feine Stu dien verfolgte, fcheint ihn zu dem Entſchluſſe gebracht zu haben, dem Schickſal, das ihn zu Feiner ruhigen Lebensbahn zu beftimmen fchien, nicht länger Zrog zu bieten. Schon am 22. November 1686 trat er als Gefreiter bei den Sachen ein, und diente mehrere Jahre ald Unteroffizier. Erſt 1689, bei der Belagerung von Mainz, wurde er Fähndrich und war 1694 Regi- mentöquartiermeifter. In Diefem Sabre wohnte er dem Feldzuge in Brabant, ald Volontair, in der Suite eine Vetterd, des Obriften von Hund, der ein ſpaniſches Reiterregiment befehligte, bei. 1695 ging eg mit den Sachen nach Ungarn, erhielt 1696 eine Compagnie, zog 1699 als Gardecapitatn mit nach Polen und rüdte damald nach Danzig und Polangen. 1700 war e bei der Erflürmung von Dünamünde und warb 1702

Drei Herren von Hund und Alten⸗Grotkat. 367

Major, 1703 Obriftlieutenant. Doc, folte ihn auch daſſelbe Jahr die Kehrfeite des Kriegsglückes kennen Ich» tn. Bei der Belagerung von Thorn ward ihm Der rechte Arm zerichoflen und er gerieth in ſchwediſche Ge⸗ fangenſchaft. Die Ueberfahrt nach Schweden, in der ſtrengſten Winterfälte und unter furchtbaren Stürmen, dauerte drei Wochen; feine Wunde brach wieder auf, heftiges Wundfieber fchüttelte ihn und ärztliche Hilfe war in Feiner Weile zu haben. Im December langte er in Kalmar an und erhielt zu Karlöfrona vom Gene: al Wachtmeifter die Erlaubniß, fih den Ort feiner Ge: fangenfchaft im Lande felbft zu wählen, worauf er denn erft nach Gothenburg, dann nach Stodholm zug. An letzterem Orte erwielen ihm, wie andern gefangenen Sachſen, die weiblichen Glieder der ſchwediſchen Königs: familie viele Güte. 1705 warb er ausgewechfelt und trat wieder ald Obriftlieutenant in die Garde ein. Yon Neuem in Polen Fämpfend, verlor er in der Schlacht bei Frauſtadt (1706) feine Equipage und wäre beinahe wieber von den Schweden gefangen genommen worden. .1707 Fam er zum Regiment Königin, was er durch BWerbungen in der Oberlauſitz complettirte und damals wahrfcheinlich die Merbebefanntfchaft machte, die ihm die Ausfiht auf einen ruhigen Lebensabend eröffnete. Zunächft aber ging es wieder in den Krieg. Diesmal aber nicht in das fraurige Polen, fondern in Die geleg: neten Niederlande, wo Zeldherren wie Marlborough und Eugen befehfigten. 1709 nahm er an dem Sturme von Zournay einen fo rühmlichen Antheil, daß er die Aus⸗ zeichnung genoß, bei dem Einzuge in den eroberten Platz zuerft in Die Feftung einmarfchieren zu dürfen. 1710 wear er bei der Belagerung von St. Venant und ward 1711 Obrift. Der fpanifche Erbfolgefrieg hatte inzwi-

368 Drei Herren von Hunb und Alten» Grotkan.

fchen eine andere, wenig Xorbeeren verfprechende Wen⸗ dung genommen und die deutſchen Hilfstruppen rüdten meift nad) Haufe. Auch unfer Held kam ind Vaterland zurück und erhielt feine Garnifon zu Zittau, wo er noch in demfelben Jahre die Witwe des reichen SKaufmannd Loofe, Anna Martha geb. von Keßler genannt Sprengt: eifen aus einem dortigen Patriziergefchlechte '), heirathete und darauf feinen Abfchied nahm, den er am 11. Mars 1712 in fehr ehrenvoller Weile erhielt. So rubte a in den Armen einer reihen Witwe von den Mühſelig feiten feiner Kämpfe in Ungarn, Polen und Flandern aus. 1717 kaufte er die Rittergüter Ebersbach und Siebenhufen und zwar von den Gläubigern einer Bale, einer Frau von Vechtrig, geb. von Hund aus Unwürde. Allein er genoß Ruhe und Wohlftand nicht lange, fon dern farb fhon am 19. Ian. 1719, und, zwar ohne Nachkommen zu hinterlaffen. Die Witwe aber trat ſchon 1722 wieder in die dritte Ehe niit einem Herrn von Ein fiedel auf Hopfgarten, wo fie am. 6.. December 1732 ftarb. Die genannten Güter hinterließ fie ihrem Sohne erfter Ehe, Johann Chriftian, der fchon 1718 von den Erben des Landkammerraths Schmeiß von Ehrenpreiß Noſtitz gekauft und ſich als Edler von Loſſa Hatte in den Adelftand erheben laſſen. Diefer ftarb 1754 um durch feine Tochter famen die Güter an die Familie von Broizem..

1) Es wird in den Miöcellen nohmals erwähnt werden.

Be —— 4 ur BE u —— PH

XV. Iohann Georg Schrepfer.

Johann Georg Schrepfer, 1730 geboren, war anfangs Kellner in einem leipziger Gaſthauſe) und ſchon als olcher unter die dienenden Brüder einer dortigen Frei: naurerloge aufgenommen worden. Später hatte er eine Beau mit einigem Vermögen geheirathet und hielt feit- em eine eigne Schenkwirthichaft in der Kloftergafle. Ir war nicht ohne Fähigkeit, aber von jeher Hiederlich md frech. Wahrſcheinlich in Folge ded damals von frankreich aus in den Logen, befonderd in denen ber yicten Obfervanz, eingeriffenen Schwindelgeiftes, war e auf den Gedanken gekommen, auszufprengen, Daß e bie Babe ber Geifterbefhwörung und auch fonftige bernatürliche Fähigkeiten befige, wobei er, um Diele Serficherungen glaubhafter zu machen, Nichteingeweih⸗ m vorgefpiegelt hatte, daß er dies bei den Zreimaurern Hernt babe. Dies ward ruchtbar und die Loge verbot ym, unter firenger Bedrohung, feine Gaukeleien fort uſetzen. Er antwortete: die leipziger Loge habe ihm ichts zu befehlen; er ftehe unter einer höheren Loge nd ſei zu Allem, was er gethan, von dem Herzog

1) Red Ginigen fol er in feiner Jugend Hufar gewefen fein. 16. * *

370 | Johann Georg Schrepfer.

von Kurland ') auforifirt worden. Der Herzog, bi dem man Erfundigung einzog, erflärte, DaB ihm Schrep fer’d Treiben vollig fremd ſei. Hierüber aufgebradt, ſchrieb Schrepfer ein Pasquill auf den Herzog, was den Letzteren wieder zu dem Entfchluffe brachte, Schrepfer züchtigen zu laflen. Zu dem Ende ging der Adjutant des Chevalierd de Sare’), Obriftlieutenant von Sybow’), mit einigen Unteroffizieren des Regiments Kurfürftin nach Leipzig und ließ von diefen den Pasauillanten abfangen und in eine Wachſtube bringen, wo er nad empfangener Züchtigung noch gezwungen ward, fchrift: lich Darüber zu quittiren. Später hat Schrepfer behaup- tet, die Prügel feien ihm nicht wirklich ertheilt, fondern gegen die audgeftellte Duittung erlaffen worden. m:

1) Ehriſtian Joſeph Karl, Sohn des Königs von Polen und Kurfürſten von Sachſen Friedrich Auguſt IL, geb. 13. Juli 1733, + 16. Juli 1796.

3) Johann Georg Chevalier de Saxe, ein natürlicher Sohn te Königs von Polen und Kurfürſten von Sacſen Friedrich Auguſtl. von der Zürftin von Teſchen (S. 209). Sr war 1705 geboren um ftarb als kurſaͤchſiſcher Generalfeldmarfchall, Ehef des Geheimen Kriegs⸗ ratböcollegium3 und Gouverneur ven Dresden am 25. Zebr. 1714. Ein neuerer Chevalier de Sare war Joſeph, der Sohn des Prinzen Xaver aus deffen morganatifcher Ehe mit der Gräfin Spinucei. Die fer fiel im Duell mit Fürft Tſcherbatow am 26. Juni 1802.

3) Zrüher in preußiſchen Dienften und bei Friedrich IT. in Gunf, um vie er durd folgenden Borfall kam. Er befehligte bei der Leber gabe von Dresden am 5. Sept. 1759, damals Hauptmann, dit Hauptwache im Schloſſe und ſollte durd öfterreihifhe Truppen ab aelöft werden. Da erfheint der preußifhe Thrift von Hoffmann zu Pferde, in völlig betrunfenem Zuſtande, und verbietet ihm, der re baltenen Ordre nachzukommen, wirft ihm Zeigheit ver 2c. Spaten heißt ihm, ſich zu entfernen und bedroht ihn mit den ftrengfien Mor regeln. Als aber Hoffmann zu fhhimpfen fertfährt, läßt Sydow drei Solvaten vortreten und Feuer geben, was den Obriften augenblid. lich todt zu Boden ſtreckt. Das Kriegsgeriht ſprach Surom frei; aber Friedrich II. meinte doch, er hätte fi umfihtiger benchmen koͤnnen, ſchickte ihn ein Jahr nah Magdeburg und gab ihm dann den Abſchied.

EM iO U De nei

Johann Georg Schrepfer. 371

deß im unmittelbaren Eindrude des Gefchebenen be⸗ ſchwerte er fich bei dem leipziger Stadtrathe über die afahrene Mishandlung und Diefer verfprach, dem Kur: fürften Anzeige thun zu wollen. Dem Herzog von Kurland, der jeßt fühlen mochte, daß die polnifche Re⸗ minifcenz, in der er gehandelt, in Sachen und unter Friebrich Auguft III. nicht angebracht fet und der zwar hitzig und derb, aber von Herzen gut und nicht nach⸗ tragend war, und dem Minifter von Gutfchmid ') ge⸗ lang es, bei perfünlicher Anweſenheit in Leipzig, in der Michaelismefle 1773, die Sache nach allen Seiten Hin beizulegen. Als bald darauf ein Artikel in der hambur⸗ ger Zeitung den Vorfall berichtete, ließ Schrepfer eine Widerlegung einrüden, worin er verficherte, daß er die wahren Freimaurer hochfchäße, allein von Solchen, welche, ‘wie Die leipziger, den Templerorden wiederher- fielen wollten, nichtö wiflen wolle und fich losſage. Es fi nicht wahr, daß er Schläge erhalten, und ber Prinz, deſſen Namen man dabei genannt habe, einer folchen Handlung nicht fähig. Bier trat Schrepfer alfo, fchein- bar im Intereffe der reinen Maurerei, gegen dad Gler- montfche Syſtem auf, während. diefes doch gerade einem Treiben, wie das Seinige, günftiger war.

Mochte nun Schrepfer den Wunſch gefaßt haben, fi an dem Herzog und deffen Umgebungen zu rächen, oder wollte er nur die bei Gelegenheit der Ausfühnung angefnüpften Verbindungen benugen, um Eitelfeit und Geldbedürfniß zu befriedigen, genug, er fing fehr bald feine Schwindeleien in größerem Style an. Er verließ Leipzig auf einige Zeit, Fam aber nach der Oftermefle

1) Gutſchmid (geb. 1721, + 30. Dec. 1798) war früher Bür⸗ germeifter in Leipzig geweſen.

372 Johann Georg Schrepfer.

1774, unter dem angenommenen Namen eines franzof: fhen Obriften, Barond von Steinbach, wieder dahin zurüd, und begann feine Geilterbefhmwörungen von Neuem. Das Wunderbarfte, was er verrichtete, war unftreitig, daB er in Leipzig, wo man Doch feinen Stand, feine Herkunft, den ganzen Menichen fo wohl fannte, für die von ihm angenommene Rolle Glauben zu finden wußte. Er machte vielen Aufwand, wozu wahrfcheinlich feine Anhanger und Gläubiger die Mittel hergeben mußten; wenigftens bezahlte er feine älteren Gläubiger nicht. Seine Geifterbefhwörungen muß er mit einigem Gefchid eingerichtet haben. Range nachdem Schrepfer's Rolle ausgefpielt war, vertheidigte noch der Conferenzminifter Peter Friedrich Graf von Hobenthal'), mit fomifchem Eifer, Die Wirklichkeit jener Erfcheinungen. Uebrigens ließ Schrepfer allerdings Perfonen, denen er eine befondere Ruhe und Schärfe der Prüfung und ent⸗ ſchloſſene Geiſtesgegenwart zutraute, bei feinen Phantas⸗ magorieen nicht zu. So erhielten 3. B. in Dresden die Generalmajore Bennigien und Dettingen, der Obriſt Agdolo und der geheime Finanzrath Zerber, auf ihren ausgefprochenen Wunſch, den magilhen Dperationen beizumwohnen, abfchlägige Antwort. Auch fol Schrep⸗ fer den Anweſenden vorher geiftige Getränke haben rei⸗ hen und das Zimmer ſtark Durchräuchern laſſen, wos denn die Zufchauer in eine eraltirte Stimmung veriet

1) Er war damals Freiherr und (feit 1774) Geheimerath, ward

1779 Gomitialgefandter in Negensburg, 179 Neihögraf, 1799 Gen: ferenzminifter und Mitglied des Geheimen Gonfiliums und ftarb 1818.

Er ift nit mit dem auch als Schriftfteller befannten, gelchrten, frommen und mwohlthätigen Grafen Peter Karl Wilhelm von Hohen thal, welder 1825 gleihfals als Eonferenzminifter ftarb, nod mit N“ Bater, dem edlen Grafen Peter von Hohenthal zu verwechſeln.

Johann Georg Schrepfer. 373

haben mag. Der Kammerherr von Heynig '), der wäh: rend der Mefle einem ſolchen Schaufpiele beigewohnt hatte, wurde Davon fo ergriffen, daß man für feinen Verftand fürchten mußte. Nachdem ſich Schrepfer dem- nah auch in höheren Kreifen in ein myſteriöſes Anfe- ben geſetzt hatte, ging. er zu Ausführung eined umfaf- jenderen Planes über. Zu feinem nächſten Werkzeuge wählte ex fich den reichen Seidenwuarenhändler du Bose, einen Halbbruder der Gemahlin?) des geheimen Finanz- rathes Ferber und eifrigen Freimaurer. Diefem ift der Handel am theuerften zu ftehen gefommen. Schrepfer eröffnete ihm, er fei mit einer Vollmacht des Herzogs von Braunfchweig ’), ald Großmeifter, verfeben, zeigte auch ein von ihm felbft geichmiedeted Eremplar einer folhen vor und verficherte, er habe den Auftrag, eine Verichmelzung des Freimaurerordend mit dem aufgehobe- nen Sefuitenorden zu bewirken; ein Vorhaben, für wel- ches man alſo damals auf Anhänger rechnen konnte! Er ſtehe in diefer Angelegenheit mit dem Herzog von Orleans '), von welchem er nachgemachte Briefe vorwies,

1) Diefer fehr achtbare Mann war der jüngere Bruder des treff⸗ liegen Freiherrn Frienrih Anton von Heynit (geb. 1725 + 1809), welcher erſt Furfächfifher General Bergcommiffarius wer, um jene Zeit aber preußifher Minifter wurde. Der Sohn ded. Erftgenannten ging in baierifche Dienfte und ift, wenn wir nit irren, das aus den neueren Landtagen befannte Mitglied der bis 1848 beftannenen I. Kammer.

3, Luiſe Elifabeth du Bosc, Tochter des frankfurter Kaufmanns " Bel und der Marianne de Rapin, geb. 1747, + 19. Iuni 3) Rad Anderen des Prinzen Ferdinand von Sraunſchweig.

4) Ludwig Philipp, + 18. Nor. 1785. In der That war ders felbe, damals nod Herzog von Ghartres, 1771 ald Großmeiſter an die Spige aller Großlogen aller Sufteme in Frankreich gekommen, wodurch die Yreimaurerei wieder Aulaffung in Frankreich erhielt. 1772 wurde er zum Souverain grand maitre de tous les consells,

374 Johann Georg Schrepfer.

in Verbindung, und durch deflen Protection babe er den Rang eines franzöfifchen Obriften erhalten. Den Ramen: Baron von Steinbach habe er im Interelle der Sache, um ſich mehr Anfehen und Zutritt in höhere Kreife zu verfchaffen, angenommen. Die Iefuiten hätten unermeßlihe Schäße in Sicherheit gebracht und einen Theil davon in feine Verwahrung gegeben, was denn freilich Fein Zug der gerühmten Jeſuitenklugheit gewefen fein würde. Seine Abficht fei, dieſe Gelder zum Beſten feined Waterlanded zu verwenden und ne mentlich feinen Verfolgern Wohlthaten zufließen zu laf fen, um fie zu befchämen. (Damit wollte er wahrſchein⸗ lich feine Annäherung an den Herzog von Kurland mo: tiviren.) Wer aber an diefen Gaben Theil haben wolle, müffe zuvor feinen Lebenswandel beflern, eine getreu Beichte aller jemald begangenen Vergehen ablegen und die von ihm Beleidigten um Verzeihung bitten. (Auch darin liegen wol Fingerzeige auf Schrepfer’s Abſichten und Beweggründe.) Sei dies geſchehen, fo wolle er nicht nur fchriftliche Beweiſe feiner Angaben vorlegen, fondern auch die Wahrheit derfelben durch Geifter: erfcheinungen befräftigen. (Ein beflerer Beweis ware die Beibringung der Schäge geweien.) Jedoch müſſe er bemerfen, daß er nicht jeden abgefchiedenen Geift überall und ohne Unterfchied heraufbeſchwören Fönne. Gr fei an die Drte gebunden, die von denfelben wäh vend ihrer Xebzeit bewohnt geweſen, und babe über fe lige Geiſter gar Feine Macht). Wie plump auch die

chapitres et loges ecossaises de France cerflärt und wirkte, mit dem aus Deputicten aller Legen beitchenden Grand Orient de France, im Sinne der Reform.

1) Diefe Lehren würten mit ven Theoricen Quftinus Kerner's wohl barmeniren.

N

Johann Georg Schrepfer. 375

ganze Falle war, fo ging du Bosc doch hinein und gab Schrepfern Empfehlungsbriefe nach Dresden an feinen Schwager Zerber und an den KConferenzminifter von Wurmb '). . Kerber war zu Hug und zu gründlich gebildet, um fich irgendwie auf die Sache einzulaflen, und auch Schrepfer merkte gleich, DaB Ferber fein Mann für ihn ſei, DaB er fich vielmehr vor demfelben in Acht nehmen müſſe. Wurmb aber ließ fich verleiten, auf die Sache einzugehen, wenn auch zunächſt in der Ab: fit, ihr auf den Grund zu kommen. Nachdem er fi einmal darauf eingelaflen, zog fich auch über ihn das berüdende Netz zufammen. Endlich ließ fih auch der Herzog von Kurland die Patente und Briefe vorlegen, an denen Niemand eine Fälſchung entdedte. In Bes treff des Schatzes erflärte Schrepfer, er beftände aus mehreren Millionen Steuerfcheinen ’) und fei in Frank: furt a. M. bei den Gebrüdern Bethmann niedergelegt. Man fihrieb an dieſes Haus und erhielt zur Antwort, daß Dafelbft wirklich ein wohl eingepadtes und verfie- gelte Bade, dem AUnfcheine nach Papiere enthaltend, gegen Quittung deponirt und dazu die Weifung ertheilt worden fei, ed nur gegen Rüdgabe der Quittung und gegen ein eigenhändiges Schreiben des Dbriften Stein- bach auszuantworten.

Einftweilen begann Schrepfer feinen Geifterbeweis. Zum Theater wurde dad Palaid ded Herzogs von Kur- land gewählt, was nad deflen Tode zum Zeughaufe

1) Zriedrigd Ludwig von Wurmb (+ 1801), cin ſehr begabter und kenntnißreicher, aber au zu manden Schroffheiten und Green» tricitäten geneigter Mann, dem der Kurfürft deshalb nicmald cine eigentlich leitente Stellung bat vertrauen wollen.

V Wie die Jeſuiten gerade auf fähfifhe Steuerſcheine gefollen fein mögen!

3:6 Johan Georg Särepfer.

geihlagen werden ift. In dieſem Palais hatte der Che valier de Eare gewohnt und deſſen Geift ließ man u. A. ericheinen. Dieler abgeichiedene Geiſt Toll ſich aber fehr ungern zurückbemüht, und Die fchredlichften Verwün⸗ ihungen gegen die Störer feiner Ruhe audgefprocen baten. Das Local, was man vorgerichtet, hatte die Term eined Theaters und die Zufchauer faßen in einem Halbkreiſe, den in keinem Falle während der Vorſtel⸗ lung au verlaften, ihnen unter Androhung ber unglüd- lichiten Folgen eingeſchärft war; fie follten die Künfte und Apparate nicht unterfuchen dürfen, durch welche die Geiſter beraufbeihweoren wurden. In diefer Geſellſchaft befanden fi der Herzog von Kurland, der Minifter von Wurmb, der Baron Hobenthal, der Kanmerherr von Siſchofe werder ), der Kammerherr und geheime Kriegsrath Chriftian Friedrich von Hopfgarten und der Adiutant ded Herzogs, Dbrift von Fröden ). Die meiften diefer Perfonen pflogen vertrauten Umgang mit Schrepfer und befuchten ihn in feiner Wohnung im Hotel de Pologne. Man bat behauptet, dag Schrep⸗ fer, felbft wenn der Herzog bei ihm eintrat, nicht von

1) Achann Rudolph von Bifhefswerder (+ 1303) trat fpäter in preußiſche Dienſte, ward Günftling des Königs Friedrich Wilhelm IL, General und Miniſter, Gefandter in Paris 2c. und war eine Haupt: perſon in dem mopftifhen reiben an dem damaligen berliner Hofe. In cinem am Fuße der Terraſſe von Sansfouci ftichenden, zu der föniglipen Gebaͤuden gehörigen Daufe, das cr bewohnte, ließ er vor dem König, WBöllner und Anderen Geifter erſcheinen, woraus man fliehen muß, daß er aufgehört hatte, blos Betrogener zu fein.

?) Karl Friedrich Benjamin von Zröden, geb. 232. Ian. 17%, ftarb als Generalmajer am 15. Rovember 1793. Er gründete 1706 die Artillerieſchule. Von tem Hofſtaate des Herzogs hielt fi mur der Kammerherr von Brüggen von dem Ehrepfer’fhen Treiben fern, dem es der Herzog aber auch durch eine auffallende Kälte entgelten ließ.

————

Johann Georg. Schrerfer. 377

finem Blake aufgeltanden fei, fondern ihm nur mit einem leichten Kopfniden einen Stuhl an feiner Seite angewielen babe; wobei er wol im Stillen ein Gefühl des Triumphs gefrönter Rache empfunden haben mag. Bifchofswerber machte Brüderfhaft mit ihm und fchloß fid, mit Hopfgarten, am engften an ihn an. Seine An» haͤnger hatten dabei fammtlich einen firengeren Lebens⸗ wandel und den äußeren Schein der Frömmigkeit ange- nommen. Der Minifter Wurmb, der übrigens bis an feinen Tod eine Hauptflüge,. nicht ſowol des Pietismus, als der fächfifchen Orthodoxie blieb, hatte feine Gemah⸗ fin, wie fte ſelbſt wiederholt erklärt hat, wegen der Be leibigungen und Krankungen, die er ihr zugefügt haben möge, feierlih um Verzeihung gebeten. Died jedenfalls zur Erfüllung der Bedingungen, unter denen zu dem Schatze zu gelangen. war. -.

Nah diefem Schatze hatte nun Schrepfer freilich ſchreiben müſſen und derſelbe, nämlich das bei Beth- manns niedergelegte Packet, kam auch richtig an. Es handelte ſich nun um deſſen Eröffnung, welche Schrep⸗ fer aber, unter allerlei Ausreden, von einem Tage zum andern verſchob. Inzwiſchen hatte ſich auch der franzö⸗ fiſche Geſchäftsträger Marbois geregt und von Schrep⸗ fer die Vorzeigung ſeines franzöſiſchen Obriſtenpatentes verlangt, widrigenfalls er ihn für einen Betrüger halten und auf feine Verhaftung antragen müſſe. Dieb ver⸗ urfachte folche Verlegenheit, daß der Herzog von Kur⸗ land bereits entichloffen war, den Schuß bed Kurfür- fien, für Schrepfer nachzufuhen und nur mit Mühe durch den Srafen Marcolini von diefem Schritte abge balten wurde.

Endlich Tonnte ed Schrepfer nicht länger vermeiden, den Zag der Entfiegelung des geheimnißvollen Padets zu

378 Johann Georg Schrepfer.

beftimmen, und an dieſem, kurz vor der leipziger Mi- chaelismeſſe angelegten Zage fanden fich die Auserwähl⸗ ten bei dem Minifter von Wurmb verfammelt. Das Packet war da; aber Schrepfer felbft hatte Poftpferde genommen und war, unter dem Vorwande eined Ge ſchäfts von höchſter Wichtigkeit, nad) Leipzig gereiſt. So viel Verdacht Died auch erwecken mußte, fo wagte man doch an diefem Zage noch nicht, dad Pade in Schrepfer's Abweſenheit zu eröffnen. Ob diefe Eröff: nung in der nächften Zeit in Dresden, oder ob fie erft in Leipzig, Durch welches Wurmb reifte, ald er fich auf fein Gut Großen⸗Furra in Thüringen begab, gefchehen fei, können wir nicht beftimmen. Eröffnet ward es und enthielt weißes Papier und mehrere Zettel, in weichen wieder auf andre Papiere verwielen war. Dies fcheint zunahft nur Wurmb und du Bosc befannt worden zu fein, und Diefe hielten die Sache noch geheim; fei e®, daß fie ſich ſchämten, oder daß fie immer noch eine leiſe Hoffnung auf den Schat hatten. Bilchofswerder und Hopfgarten kamen während der Meſſe nad) Leipzig und gingen auf das Vertrauteſte mit Schrepfer um. Dod fein Gewebe war zu roh; er konnte ed nicht Tänger halten.

An einem der lebten Meßtage, am 7. Det. 1774, als die Frift herannahte, auf welche Schrepfer feine Gläubiger mit ihrer Zahlung vertröftet hatte, lud e Bifchofswerder und Hopfgarten, nebft noch zwei ande ren feiner Bekannten, zum Abendeſſen zu fich ein. Als fie beifammen waren, fagte er: „Diefe Nacht legen wir und nicht zu Bette, denn morgen mit dem Früheſten, noch vor Sonnenaufgang, follen Sie ein ganz neue Schaufpiel zu fehen befommen. Bis jebt habe ich Ih nen Verftorbene gezeigt, die ind Leben zurückgerufen

Johann Georg Schrepfer. 379

wurden; morgen aber ſollen Sie einen Lebenden ſehen, den Sie für todt halten werden.” Nach dieſen Wor⸗ ten legte er ſich auf das Sopha und ſchlief mehrere Stunden fo feſt, daß feine Säfte ihn ſchnarchen hörten. Als gegen 5 Uhr der Zag anbrach, fland er auf, mit den Worten: „Nun, meine Herren, ift es Zeit, DaB wir gehen”, und Alle begaben fich nach dem Roſen⸗ thale. Schrepfer, der auf dem Wege die vollkommenſte Gemůthsruhe zeigte, wies feinen Begleitern, als fie dort angelangt waren, ihre Plätze an, indem er zu ihnen fagte: „Rühren Sie Sich nicht von der Stelle, bie ich Sie rufen werbe; ich gehe jetzt in dieſes Gebüſch, wo Sie bald eine wunderbare Erſcheinung fehen follen.” Er entfernt fich, und bald darauf fällt ein Schuß, den Die Herren, in der Meinung, es fei ein Jäger in der Näbe, zuerſt nur wenig beachten. Allein nach langem Warten verlieren fie zulebt die Geduld, gehen in das Didicht hinein und fehen ihren Propheten todt auf den Bo⸗ ben geftredt. Er hatte ſich mit einer Taſchenpiſtole ent- feibt. Sie zeigten den Vorfall augenblicklich bei dem Stabtrath an, welcher fofort in Schrepfer's Wohnung, in der ſich mancherlei phyſikaliſche Inftrumente und Apparate gefunden haben follen, Alles verfiegeln ließ. Es fand fi auch ein Zettel an feinen Bruder, worin er dieſem fchrieb: „WB. und D. find bie Urheber meines Unglüds; nimm Dich meiner Frau und Kinder an.” (Er felbft war freilich der Urheber feines Unglüds und Wurmb und du Bosc waren höchftens die mindeft Ger duldigen feiner Opfer.) Den du Bosc, dem diefer Han- dei an 4—5000 Thlr. gefoftet haben fol, tröftete übri⸗ gend ein zweiter Zettel mit der natürlich nie in Erfül- lung gegangenen Verficherung: feine Forderungen wür⸗ den zur Neujahrsmeſſe 1775 getilgt werben.

380 Johann Georg Schrepfer.

Während diefed in Leipzig vorging, reifte der Mi: nifter Wurmb nad) Dresden zurüd, aber ohne ſich in Leipzig aufzuhalten. In Meißen erreichte ihn eine Staf- fette, welche der Dr. Zeller, ein Winkeladvocat und Anhänger Schrepfer's, ihm nachſchickte, um ihn von der unerwarteten Wendung der Dinge in Kenntniß zu feben. Der Minifter fchrieb fogleih an Zeller zurüd: er folle fih um jeden Preis der Hinterlaffenen Papiere Schrepfer's zu bemächtigen ſuchen und ihm biefelben nachſchicken, und Zeller hatte auf diefen Befehl Die Ked- beit, die Siegel zu erbrehen. Er wurde zwar zur Ver: antwortung gezogen, aber der Zwed war erreicht ').

Ueber das Verfahren, was in jener Zeit bei dem Geiftereitiren angewendet wurde, mag vielleicht ‚Folgen des einigen Auffchluß bieten, was dem Baron von Steihen von der Marfgräfin Wilhelmine von Bran⸗ denburg-Baireuth ), Schweſter Friedrich's II., erzählt wurde °). Hiernah war auf der Univerfität Halle, wahrjcheinlih in den vierziger oder funfziger Jahren des 18ten Jahrhunderts, ein Profeſſor gewefen, wel cher Geifter erfcheinen ließ. Friedrich IL, dem von Off zieren, deren Muth und Geift er Fannte, erzählt wor: den, daß fie dergleichen wirffich gefehen, ließ den Pro-

1) Der aus verbürgten Privatquellen gefloffene Anhalt diefes Auf füges ift, in anderer Zaffung, bereits in den Neuen Jahrbuͤchern der Gefhihte und Politif, Jahrgang 1548, Br. J. &. 97 fa. mitgetheilt worden.

2) Zriederifa Sophia Wilhelmine, geb. 3. Auli 1709, verm. W. Nov. 1731 mit dem Markgrafen Zrievrid von Baireuth, + 14. Dct. 1758.

3) Denfwürdigfeiten, S. 207 fe.

Johann Georg Schrepfer. 381

feffor nad) Berlin kommen und bat ihn, ihm einige Hefer wunderbaren Ericheinungen zu zeigen. Der Pro« feſſor ermwiederte: „Da ich nicht ganz: ficher bin, daß mein Geheimniß nicht einigen nachtheiligen Einfluß auf das Gehirn üben könne, weshalb ih ed nur unter Sicherungdmaßregeln für meine eigne Gefundheit ans wende, ſo bewahre mich Gott, davon in Bezug auf Ew. Majeſtät Gebrauch zu machen; aber ih will mehr thun, ich will ed Ihnen erflären. Es befteht in einem Räucherwert, was man in einem dunfeln Zimmer verbreitet, in. dad man ſchauluſtige Menfchen eintreten läßt. Diele Räucherwerk, wovon bier das Recept ift, hat zwei Eigenfchaften: 1) den Patienten in einen Halbſchlaf zu verfeßen, welcher Teicht genug ift, ihn alled verftehen zu laſſen, was man ihm fagt, und tief genug, ihn am Nachdenken zu hindern; 2) ihm das Gehirn dergeftalt zu erhigen, daß feine Einbildungskraft ihm lebhaft das Bild der Worte, die er hört, abmalt und bie Vorftellung beifügt, Die Dazu dient, das Ziel feined Strebens zu verfolgen und zu erreichen; er ift in dem Zuſtande eined Menfchen, der nach den leichten Gindrüden, die er im Schlafe empfängt, einen Zraum zuſammenſetzt. Nachdem ich in der Unterredung mit meinem Neugierigen möglichft viele Einzelheiten über die Perſon, die ihn erfcheinen fol, kennen gelernt und ihn nach der Form und den Kleidern gefragt habe, in denen er fie ſehen will, laſſe ich ihn in das dunkle Zim⸗ mer treten. Wenn ich glaube, daB das Räucherwerk zu wirken begonnen bat, folge ich ihm, indem ich mich ge- gen den Eindrud des Räucherwerks durch einen Schwamm fhüße, der in den Liquor getaucht ift, den ich bier habe. Dann fpreche ich zu ihm: Sie fehen den und den, fo und fo geftaltet und gekleidet, worauf fi) fofort feiner

382 Jeham Georg Särepfer.

erregten Phantaſie die Geſtalt abmalt; hierauf frage ich ihn mit rauer Stimme: Was willſt Du? Er iſt über⸗ zeugt, daß der Geiſt zu ihm ſpricht; er antwortet; ich erwiedere, und wenn er Muth bat, fo ſetzt ſich die Un⸗ terredung fort und fchließt mit einer Ohnmacht. Dide lebte Wirkung des Räucherwerks wirft einen myſteriöſen Schleier über dad, was er zu fehen und zu hören ge glaubt hat, verwilcht die Beinen Mängel, deren er ſich erinnern könnte, und binterläßt ihm bei feinem Erwa- chen eine aus Furcht und Achtung gemifchte Ueberzeu: gung, gegen die ihm Fein Zweifel mehr bleibt.”

Der König prüfte die Richtigkeit diefer Dperation und legte dann dad Recept und die YAusführungsvor: Schrift, unter verfchloflenem Umfchlag, in feine Hand: fchriftenfammlung. Gleichen's Vermuthung, dag Bir fhofswerder und Genofien das Geheimniß Dort, oder in Halle, gefunden und bei den Geiftercitationen, durch die fie Friedrich Wilhelm IL myſtificirt und unterjocht haben follen, angewendet haben, laſſen wir dabinge ftelit fein. Schwerlich ift jener hallefche Profeflor der einzige Inhaber des Geheimnifles, fchwerlich ift fein Weg der einzig anmwendbare gewefen, und Bifchofd: werder dürfte Doch wohl complicirtere Mittel angewen⸗ det haben. _

XVI. Jakob Sermann Obereit.

Ludwig Oberreit ') aus Arbon hatte fi der Handlung gewidmet und theild in feiner Vaterftadt, theild in Lyon conbitionirt. Won den gewöhnlichen Verirrungen ber Sinnlichkeit junger Menfchen ohne fefte Grundſätze oder edlere Zielpunfte zog ihn das Gebet eines frommen Ka⸗ meraden und Die Lectüre einiger Schriften, namentlich des Hermann Kranke und des Bruder Laurent ab, und er gerieth allmälig ganz in einen myſtiſch-pietiſtiſchen ©eparatiömus, nahm eine wahlverwandte Sattin, trat mit den angeſehenſten Myſtikern feiner Zeit in Verbin⸗ dung, fchrieb mancherlei in diefer Richtung und erzog auch feine Kinder im gleichen Sinne. Jakob Hermann war fein Erfigeborener und trat am 2. December 1725 zu Arbon, wo fein Vater dDamald Buchhalter war, in die Welt. 1732 309 der Vater nach Lindau am Bo: denfee, wo er Rentamtöbuchhalter wurde. Unſer Obe⸗ reit war von früh an ungemein fleißig, wendete feine ganze Zeit der Lectüre zu, lad aber freilich, ohne fichere Anleitung, alles was ihm unter Die Hand fam und am liebften myſtiſche Schriften. Die Bibliothek feines Va⸗

——

1) So ſchrieb fih die Familie. Unſer Held ließ aber das zweite r weg.

384 Jakob Hermann Obereit.

terd enthielt meift theologiſche und gefchichtliche, fowie aus der Erbichaft eined Bruderd medicinifche Werke, was denn auch alles verfchlungen ward. Doc auch Plutarch, Nepos und Valerius Marimus zogen dad junge Gemüth an. Wie fein Vater, der äußern Kirche abhold und einem feparatiftifchen Herzensglauben erge: ben, gab er feine frühere Abfiht, Theolog zu werden, auf und entichied ſich für Die Heilfunde. Er kam 1740 zu einem Wundarzte in Arbon in die Lehre, und fein Principal fonnte ihm ſchon nah den erften Wochen einige Patienten überlaflen. Im October 1743 wurde er in St. Gallen freigefprochen und ging nun im De: ceniber auf die Manderfchaft, wo er Y Jahr in Mün- hen, 1 Iahr in Augsburg, Jahr in Rürnberg und Y Zahr in Erlangen zubrachte. Hier trat er im Juni 1746 in die Dienfte eined nach Italien reifenden könig⸗ ih polniſchen Architekten, veruneinigte fich aber unter: weges mit ihm und ging nad) Wien, wo er vergebens eine Condition ald Barbiergefelle ſuchte. Er fchrieb an feinen Vater um Geld und äußerte dabei den Wunſch, einige Zeit eine Univerfität zu befuchen. In der That bewilligte ihm der Magiftrat zu Lindau ein anfehnliches Stipendium zu einem dreijährigen afademifchen Curſus, wogegen er fich verpflichten mußte, feine Dienfte der einft der Stadt Lindau widmen zu wollen. Er ging nun nad) Halle und im Herbft 1747 nach Berlin, wo er 2); Iahre blieb, und fich außer mit feinem Brot: fache mit PHilofophie, neueren Sprachen und ſchönen Wiffenfchaften befchäftigte. Weber dieſe Befchäftigung

mit „vorwißigen Unterfuchungen‘ gab ihm der Herr von |

Merſay in Godelöheim, ein unter den Separatiften jener Zage ſehr angefehener Mann, den er auf der Rüd: reife, im Mai 1750, dem Befehl feines Waters gemäß,

! \

Jakob Hermann Obereit. 385

auf ein Paar Wochen beſuchte, eine ernſte Zurecht⸗ weiſung.

Im Juni 1750 kam er nach Lindau zurück und trat als praktiſcher Arzt und Operateur auf, wurde auch 1752 zum Geburtshelfer beſtellt und ſchrieb manches Nützliche in dieſem Fache, fand aber viel Widerſtand bei den Anhängern des alten Schlendrians. Zuletzt verlor ee faſt alle Kunden, blieb nur bei feinen nächften Wer: wandten Hausarzt und überließ fih nun immer mehr feiner Reigung zur Philoſophie, Theoſophie, Poeterei und Chemie, welche letztere er fchon in Berlin bei Pott mit befonderem Eifer betrieben. Wie er fie auffaßte, ergibt fich unter andern daraus, daß er „einige Metalle unter göttlichem Beiftand und Hilfe zu verbeilern und zu veredein verſuchte.“ 1763 ftarb feine Mutter nach langer fchmerzlicher Krankheit, wobei er ihr treuen und geſchickten Beifland leiſtete. Durch feine 1767 zu Karls⸗ ruhe gedrudte Disquisitio .de universali methodo medendi confortativa erwarb er fich die Aufnahme zum Mitgliede der baierifchen Akademie der Willenichaf- ten. Er unterhielt Verbindungen mit Wieland '), Bod- mer, Lavater, Pfenninger, Zobler, Stolz, Heß und andern Schweizern und trug fich viel mit Gedichtöplänen im Sinne der Bodmerifchen und früheften Wielandifchen Richtung. Doch hatte er keinen Beruf zur Poeſie, wie ihm fein jüngerer Bruder, Ludwig, welcher Finanz: Oberbuchhalter in Dresden geworden war und durch den die Familie nah Sachfen gekommen ift, auch offen fagte. Während der Vater Oberreit fich ganz der reinen Myſtik ergab, Jakob Hermann diefelbe mit allen mög:

1) Diefer creirte ihn auch 1769, als Kanzler der freien Reichs⸗ ftadt Biberach und kaiſerlicher Pfalzgraf, zum Doctor der Philoſophie. I. 17

386 Jakob Hermann Obereit.

fihen andern Wiffenichaften amalgamtirte und verdoctri- nirte, verband Zudwig mit derſelben Yamilienrichtung Weltkenntniß, Geſchmack und praktifchen Sinn. 1769 traf die Familie ein ſchweres Unglüd. Der alte Buchhalter hatte die ihm anverfraute Kafle wol oft auf dem Papier überfchlagen, niemald aber wirklich überzählt. Nun fand fich auf einmal ein Defect von mehreren Zaufend Gulden. Seiner Unfchuld bewußt, hoffte er mit den Seinigen auf ein Wunder. Sie bete ten darum und gingen zwei Mal auf dad Rentamt, da felbft die fehlende Summe zu finden. Als endlich bie Bürgermeifter kamen und das Geld begehrten, antwor- tete ihnen der alte Buchhalter getroft: weil ed Gott ge- fallen, daß die Herren Bürgermeifter felbft Augenzeuge fein follten von der göttlichen Hilfe, auf die er gehofft, fo möchten fie nur in dad Nebenzimmer gehen, wo die Kifte ſei. Wie heftig aber erfchrat er, als er fehen mußte, daß alles leer war. Als der eine Bürgermei⸗ fter ihm Vorwürfe machte, daß er ihn fo angeführt babe, bat er um Verzeihung: er habe Gottes Stimme nicht richtig verftanden. Er mußte den ganzen Defet erfegen, wozu fein Vermögen kaum zur Hälfte aus: reichte. Das Meifte zu dem Fehlenden gab fein Sohn in Dresden und auch ein braver Bürger in Lindau trug mit bei. Oberreit wurde feined Amtes entlaflen, erhielt jedoch eine Penfion von 200 Fl., wozu dann ber Sohn in Dreöden auch noch jährlich einige Hundert Fl. und ſpäter noch mehr hinzulegte. Doch Fam die Fa⸗ milie nie wieder zum früheren forglofen Wohlſtand.

Iafob Hermann griff zwar wieder zur ärztlichen ' Praris, verdiente aber auch nicht viel, und kam bann -

wieder auf alchymiſtiſche Thorheiten, die weder feiner Kaffe, noch feiner Gefundheit zuträglich waren. Im

|

Jakob Hermann Obereit. 387

Auguft 1771 wurde ihm fein Schmelzofen von Obrig- feitöwegen abgebrochen und feine Zeuerarbeit verboten. Das wäre eine Wohlthat für ihn geweſen; aber er er: wirkte Durch eine Vorftelung, daß ihm die nur zu fei- nem Ruin gereichende Arbeit wieder geftattet wurde.

' Auch fein Dresdner Bruder warnte lange umfonft und

mußte endlich einen Stillſtand der hermetifchen Arbeiten durch Die Drohung, feine Hand fonft abzuziehen, er- zwingeñ. Aber fchon 1775 fchreibt der Vater in fei- nem Tagebuche: fein Sohn habe „in Veredlung und Verbeſſerung der Metalle durch göttliche Gnade endlich genugfame Erfahrung und hinlängliches Licht erhalten.” 1776 ſtarb der alte Vater.

Vorder entipann fich eine Literarifche Fehde. 1773 hatte Zimmermann in KHannover ein Fragment über bie Einſamkeit herausgegeben, was unferm bereit höchlich misfiel und wogegen er eine Schrift ausarbeitete, deren Handſchrift er Zimmermann felbft zuſchickte und ihn in wiederholten Briefen beſchwor, fie druden zu laſſen. Zimmermann that dies in der That und gab die Schrift unter dem Zitel: Vertheidigung der Myſtik und des Ginfiedlerlebens (Frankfurt a. M., 1775) heraus. Daran knũpfte fich fpäter noch Weiteres.

Sct 18 Jahren war Jakob Hermann in einem Herzensbündniß mit einem frommen, fchwärmerifchen Mädchen gevefen, der Tochter eined armen Pofamen- tirerd Rietmeier in Lindau, bei welchem Obereit Haus: arzt war. Er bat das Mädchen und fein Verhältniß zu ihr unter dem Titel: „Theanthis und ihr Schweizer: Philoſoph. Eine pſychologiſche Geſchichte“ gefchildert ').

1) Magazin zur Grfabrungs = Scelenfunde, Br. 9, St. 2, 8 fe .

17 *

388 Jakob Hermann Obereit.

Ihrer Verbindung ftellte fich diefe ganze Zeit der Wider:

ftand der Eltern ded Mädchens und Obereit's Armuth entgegen. Sein eigner Vater Fannte und billigte dad Verhältniß. Er entfernte fie aus dem Haufe der El⸗ teen und brachte fie unter den Schuß feiner Freunde

und ſonſt. Endlich 1777 verband er ſich mit ihr, er

51, fie 42 Jahre alt, zu einer Ehe, von der er fagt, fie fei ‚weder platonifch noch epikuräifch gewefen, mehr als Freundfchaft, Doch ohne gemeine Vermifchung”, und die nur wenige felige Wochen dauerte, nach deren Ver: fluß fie an hektiſchen Leiden ftarb.

Dbereit theilte nun feine Zeit in Studien, Schrift⸗ ftellerei und hermetifche Arbeiten. Ein Apotheker zu Winterthur nahm ihn in fein Laboratorium und naher auch in fein Haus auf. Da aber der Stein der Wei⸗ fen nicht erfcheinen wollte, fo 309 fi) der Apotheker zurüd und Obereit fegte die Arbeiten auf eigne Koften fort, bis fein Hauswirth ihn nicht länger bei fich zu behalten drohte, wenn er fortfähre, feine wenige Baar: ſchaft durch den Schornftein zu jagen. Dann Iud ihn

wieder ein Freund der Alchymie, Hauptmann Burcks

im Canton Bern, zu fi ein. Er follte aber zugleich deffen Kinder unterrichten, und ed mag wol fein Gt: fühl der Untauglichkeit zu diefem Poften gewefen fein, was ihn fchon nad) ſechs Wochen beftimmte, das Ver— baltni wieder aufzugeben. Er ging darauf nad Zu:

rich und brachte ein forgenfreied, angenehmes Jahr in :

a

se 44

dem Laboratorium des Bruders von Lavater zu, we: -

her Arzt, Chemiker und eifriger Maurer war. In

diefer Zeit fchrieb er ein zweites, ausführlicheres Werl

gegen Zimmermann. 8 ift das zugleich die aud in formeller Beziehung lesbarſte Schrift Obereit's gewor: den, weil er die Handfchrift feinem Freunde Kleu—

Jakob Hermann Obereit. 389

fer ') zur Revifion gab, der dem reichhaltigen Werke ein fehr geſchmackvolles Gewand verlieh und eigne Anmer- tungen binzufügte. Es erfchien unter dem Zitel: „Die Einfamkeit der Weltüberwinder nach innern Gründen erwogen von einem lakoniſchen Philanthropen. Mit Anmerkungen des Herausgebers. Xeipzig, 1781.” Der Verfaſſer ftellte das Mohlthätige eines, auch mitten in bee Gefellichaft ftilen, eingezogenen, einfamen und in fich gekehrten Lebens dem zerftreuten, nach außen ge richteten, geräufchvollen und eitlen Xeben der Weltlinge entgegen. Das Buch hat viele Xefer gefunden und ver- fchaffte Dbereit feiner Zeit wahre Celebrität. Es ift auch der Anlaß zu Zimmermann’s großem Werke über die Einfamfeit worden.

1781 ging Obereit zu feinem Bruder nach) Dresden, wo er geraume Zeit blieb, mancherlei fchrieb und mit der Stiftung eines Privatvereind von Chrifluöverehrern zur gemeinfchaftlichen Arbeit am Tempel Chrifti um- ging. Ueberhaupt fcheint er gewillen myſtiſchen und bermetifchen Drdensverbindungen ?) angehört, jedenfalls

1) Johann Zriedrih Kleufer, geb. zu Dfterode 27. Det. 1749, fiudirte in Göttingen, ward, auf Herder's Empfehlung, 1775 Pro: rector in Lemgo, bearbeitete den Zend⸗Aveſta, ging 1778 ald Rec⸗ tor nad Dönabrüd, gab 1784 das aus den Schriften St. Martin’s zufammengeftellte ‚‚Mayudv oder das geheime Syſtem einer Gefell- ſchaft unbekannter Philoſophen“ heraus, ſchrieb viel Theologiſches, ward 1798 Profeſſor in Kiel, ſtand in lebhafter Verbindung mit Hamann, Jacobi, Lavater, de Luc, den Stolbergs, der Fürſtin Galizin u. A., + 1. Juni 1827. Bergl.: Ratjen, Johann Fried⸗ rich Kleuker und Briefe ſeiner Freunde. Goͤttingen, 1842

3) Die bekannteſten damaligen Verbrüderungen waren, außer den Zrelmaurern und den Zefuiten, die Illuminaten, die deutſche Union oder die Verbindung der XXI, die Geſellſchaft der deutſchen Kette, die Roſenkreuzer, der Drden der Ritter und Brüder Eingeweihten aus Aſien, die afritanifhen Brüder, der Ierufalemdorden, der Dr⸗ den der hoͤchſten Borfehung oder ded heiligen Joachim's, die Ber- brüberung des Kreuzes, die Berbrüberung zum Herzen Jeſu, Pic

30 Jakob Hermann Obereit.

in dieſen Kreiſen viel Anſehen gehabt zu haben. Im Auguſt und September 1782 hielt er ſich in Hannover bei einem Goldarbeiter auf, der ihn aus ſeiner „Einſam⸗ keit der Weltüberwinder“ liebgewonnen hatte. Hier be ſuchte ihn auch Kleuker und hier lernte er Zimmermann perſönlich kennen, lebte in freundſchaftlichem Verkehr mit ihm und gab ihm die Eigenheiten zum Beſten, welche Zimmermann ſpäter zu feiner Verſpottung aus⸗ beutete, ungeachtet er ſelbſt nicht umhin Fonnte, ihn für einen „äußerſt ungewöhnlichen und gar nicht ge meinen Menfchen, mit freier, erhabener Stirn, ehrli⸗ chem Geſicht, hellen, kecken Augen”, für einen „kraft⸗ vollen, grundfeften, kernhaften und in mancher firengen Tugend geübten Mann, welcher Wahrheit tief herauf und mit eiferner Beharrlichkeit fuche und inmwenbige Theologie mit Eifer betreibe”, zu erklären. Dann lebte er zwei Iahre bei dem Hofrath Nitſche) in Mer gelödorf, den er einen «Pansophe en abrege» nannte. Im Sommer 1784 Fam er nad) Leipzig und ging von da zu Wieland nad) Weimar, der in Verbin dung mit andern Freunden für fein Unterfommen forgte, fo disparat auch fonft ihre damaligen Richtungen we ren. Gegen Zimmermann’s großes Werk über die Ein- famkeit, in dem er nicht gefchont worden, fchrieb er eine wenig gelungene Satire, die er feiner und Zim- mermann’d Freundin, der NRegierungsrathin von Döring geb. Strube in Ratzeburg, widmete.

Nah einem halbjährigen Aufenthalt in Weimar Nitter zur Andaht des heiligen Grabed, die Martiniften, die Med merianer, die chevaliers bienfaisants de la cité sainte, die Verbin⸗ dung zur Wiedervereinigung der hriftlihen Parteien, die deutſche Zegenſcaft zur Befoͤrderung der reinen Lehre und wahren Gottſe⸗

1) Ueber ihn in den Miscellen.

Jakob Hermann Obereit. 301

ſchlug er 1785 feine Wohnung in einem dunklen Dach⸗ ftübchen Hinter der Stadtkirche in Jena auf, noch fer: ner durch Wieland und andere barmberzige Seelen noth- dürftig unterflügt, und gab ſich nun, nicht recht zur Freude feiner myſtiſchen und theofophifchen Freunde, ganz der Philofophie und zwar dem Studium der neue: ren Zeitphilofophie bin, Die er jeboch auch mit feinen alten Richtungen in wunderbare Verbindung zu bringen wußte.

Bei einem Beluche in Iena hörte der Herzog von Meiningen ’) von Obereit, befuchte ihn, fand Geſchmack an dem originellen alten Denker und lud ihn bald dar⸗ auf fchriftlich ein, nach Meiningen zu kommen, wo er ihm freie Wohnung, Holz, Licht und Koft anbot. Er ging auch fofort darauf ein, befand fich Tängere Zeit recht wohl dafelbft, gefiel fi) und Andern, beichäftigte fi mit Errichtung eines arfadifhen Damenordend und gab mancherlei, größtentheild durch die Kantifche Phio- fopbie veranlaßte Schriften heraus. Für die franzöſi⸗ [he Revolution intereffirte er fi) anfangs fehr, ward aber auch ihr ebenfo entjchiedener Gegner, als fie ihre ſchreckliche Kehrfeite hervorftreckte.

Im Zrühjahre 1795 309 er mit Genehmigung des Herzogs, der ihm auch eine Feine Penfion auswarf, wieder nach Iena, wo er auch von dem Prinzen, nad)

1) Georg Friedrich Karl, Herzog von Sadfen » Meiningen, geb. 4. Febr. 1761, feit 28. Yan. 1763 Mitregent feines Bruders unter, feit 4. Febr. 1781 ohne Vormundſchaft, feit 21. Juni 1782 allei- niger Regent, + 24. Dec. 1803. Seine Gemahlin war Zuife Eleo⸗ nore, Prinzeffin von Hohenlohe-Langenburg (geb. 11. Aug. 1768, verm. 27. Nov. 1762, + 29. April 1837). Er war der Water der verwitweten Königin von Großbritannien, Adelheid, der Herzogin Ida von Sachſen⸗Weimar und des jept regierenden Herzogs Berne hard Erich Freund ven Sadıfen - Meiningen.

392 Jakob Hermann Obereit.

herigen Herzog Auguft von Sachfen: Gotha, von Wie: land, Bode und andern Freunden unterflügt ward, fi) nothdürftig Durchbrachte, und durch Reinhold ganz für Die Kantifche Philofophie gewonnen ward, die er aber Doch wol ſchwerlich in Kant's Sinn auffaßte und anmwendete. Er ging jetzt fogar mit einem Heirathspro⸗ jecte um, das fich aber ebenfo zerfchlug, wie die Hoff nung, durch Zimmermann, mit dem er fih, auf deflen Entgegentommen, verfühnt hatte, Hofphiloſoph, LXitera- turfeeretair, oder Bibliothekar der Kaiferin Katharina zu werden.

Im Frühling 1793 309 er zu feinem Bruder nach Dresden, um deſſen drei fafl erwachlene Söhne zu den Studien der Menfchheit zu leiten. Indeß mag er dazu Doch nicht recht gepaßt haben, und zog ſchon zu Pfing: fien 1794 wieder nach Iena, befchäftigte ſich noch fehr eifrig mit der Fichte’fchen Wiſſenſchaftslehre, kehrte aber zulegt zur „Popularphilofophie Des Herzens” zurüd. Die Iebten Jahre feined Lebens trübte ein fehr ſchmerz⸗ liches Uebel, an dem er am 2. Februar 1798 endlich

ſtarb. Er Hatte eine Selbftbiographie für den -

Schlichtegrol’fchen Nefrolog ') verfaßt, und von dem

Hauptmann von Blankenburg?) in Leipzig ſtyliſtiſch

audfeilen laffen, fie auch drudfertig zurücerhalten. Das Manuſcript ift aber fpurlos verloren gegangen.

1) Aus deffen neuntem Jahrgange (Br. IL, S. 1 fg.) wir de Obige auszogen. 2) Chriſtian Zriedrih von Blankenburg, geb. bei Kolberg U.

San. 1744, Verwandter Kleift’s, Fämpfte im fiebenjährigen Krieg | als Adjutant eines Dragonerregimentd, ging 1777 als Hanptmam :

ab, Iebte in Leipzig und Konnewig, in innigem Berfehr mit Weiße und Zollikofer, und ftarb in Leipzig 4. Mai 1796. Die Durdfidt jener Obereit’fhen Biographie mag feine legte Arbeit geweſen fein. Er mar feiner Zeit als Aefthetifer und Weberfeger gefchägt.

VI. Madame de la Croix.

Präulein von Sarente, Tochter ded Marquis von Senas und Nichte eined unter der Pompadour und Choifeul jehr einflußreichen Biſchofs von Orleans, hatte fehr jung den Marquis de la Croix geheirathet, einen geachteten General in fpanifchen Dienften. Eine Zeitlang lebte fie von ihrem Manne getrennt in Avignon und beherrfchte das Comitat durch den Vicelegat Aquaviva, welcher aufs außerfle in fie verliebt war. Als ihr Gatte Vicefönig von Gallicien wurde, ging fie wieder zu ihm und ver- fuchte nun das Negiment in einer fpanifchen Provinz. Nach feinem Tode erfuhr fie mancherlei Kränfungen und Ungererhtigfeiten und kam ſehr mittello8 nad) Lyon, wo fie in eine gefährlihe Krankheit verfiel, während derſel⸗ ben Rifionen hatte und nun von der vollftändigften Ungläubigfeit zu grenzenlofer Gfaubensfähigfeit über: ging. Die Schriften St. Martin’s, befonderd die Schrift des Erreurs de la Verite, zogen fie vornehmlich an; fie ſuchte den Verfafler zu Paris auf, ſah ihn oft bei ſich, ſtritt fich viel mit ihm und feßte fich endlich ein eigned theofophifches Syſtem zufammen, was u. X. eine Viereinigkeit enthielt, worin ber Sohn vom Water, der heilige Geift vom Sohne und Melchifedec von heiligen Geiſte erzeugt ward. Ihre Stärke Sag aber weniger in 17 * *

394 Madame de la Croir.

der Theorie als in der Praxis. Ihr Hauptgeſchäft war, den Teufel auszutreiben und dadurch Kranke zu heilen, indem fie den Teufel für die Urfache der meiften Kranf- beiten bielt, welche ihre Quelle in irgend einer Sünde hätten, die den leidenden Theil den Einflüffen des bofen Weſens unterworfen habe. Eine Anficht, Die nicht ohne ihre MWahres fein mag, fobald fie bildlich) und cum grano salis verftanden wird. Sie operirte durch Gebete und durch die Auflegung ihrer mit geweihten Waller und Del benegten Hande. Am meiften aber glaubte fie fi auf ihrem Plage, wenn fie einen Beleflenen traf, aus welchem fie den Teufel auszutreiben ſich mühete. Sie unterfchied die Beſeſſenen, von denen fie annahm, daß fie einen Pact mit dem Zeufel gemacht und dieſen dadurd) in fich hineingezogen hätten, von den blos Befallenen, die den Zeufel nur auf fich oder un fich haben follten. Mit den Lebteren Fam fie leicht zu Stande. Sa, es war ihr fogar möglich, den Teufel vor feinem Abzuge der Gefelichaft in irgend einer Form, die Niemand er- ſchrecken konnte, zu zeigen. So erzählte fie dem Baron von leihen über ein Zeufelhen, von dem fie einen franzöftfchen Conſul befreit haben wollte, der im Uebri⸗ gen zu den Literaten des Enchklopädiftenkreifes gehörte, Folgendes: „Als der böfe Geift aus feinem Leibe ge fahren war, befahl ich demfelben, uns in der Geftalt einer Eleinen chineftfchen Pagode zu erfcheinen. Er war fo artig, eine wahrhaft köſtliche Geſtalt anzunehmen; er war in Feuerfarben und Gold gekleidet; fein Geficht war fehr lieblich, er bewegte die Eleinen Hände mit vie ler Grazie und flüchtete fich unter jenen Vorhang von grünem Zaffet, hüllte ſich darein und fchnitt von da aus alle Arten von Grimaffen auf feinen alten Wirth zu. Der Lestere blieb jedoch, da er ohne Zweifel neu

Madame de la Eroir. 395

rehler begangen hatte, von ihm heimgefucht; denn als r eines Abende nach Haufe Fam, fand er die Heine dagode auf feinem Bureau, und ich war genüthigt, dich zu ihm zu begeben, um den Zeufel aus dem Zim- ser zu verjagen.” Das Merkwürdigfte war, daß Frau e la Croix den Eonful nöthigte, die Wahrheit diefer Irzahlung in Gegenwart des Baron Gleichen, mit dem er fich bis dahin in ganz anderen SKreifen getroffen, an- erkennen.

Doh Gleichen traf noch andere Perfonen bei ihr, eren Verbindung mit ihr und daß fie ſich von ihr den ‚eufel auöfreiben ließen, ihm noch verwunderlicher war, [8 der Fall mit jenem Conful; 3. B. den Marchall fichelieu, den Ritter de Monbarrey, den Marquis, Die Rarquife und den Ritter de Coſſe. Frau de la Groir ebauptete, daß fehr viele Perfonen und auch folche aus em Kreife feiner Belanntichaft vom Teufel heimgelucht raren und Erfcheinungen hätten, aber nicht davon zu yeechen wagten, weil fie fich lächerlich zu machen be- weten. Sie nannte ihm namentlich den Grafen Schom: erg, der eine vorragende Stelle unter den Anhängern er ungläubigen Philofophie einnahm und der zu den ewöhnlichen Gäften ded Baron Holbach gehörte. Glei⸗ ven erichien diefe Anführung denn doch im höchſten zrade unmahrfcheinlih. Indeß erhielt er nach Jahres⸗ ft eine Beftätigung jener Aeußerung, als er fich bei Radame Neder in Geſellſchaft befand. Diefe Dame rachte nämlich einen Brief Buffon's vor, worin er w über gewifle Vifionen fchrieb, die in der Provinz zurgund graffirten und wobei ed immer alte Weiber yaren, die erichienen. Einige Literaten, welche Buffon icht geneigt waren, weil er ihnen zu religiös war, achten einige fchlechte Wiße über feine Neigung, Uns

396 Madame de la Croix.

glaubliches zu glauben. Da aber fagte der Graf von Schomberg: „Sie kennen mich hinlänglich, meine Herren, um überzeugt zu fein, daß ich nicht an Gefpenfter glaube; aber das hindert nicht, daß ich feit langer Zeit und faft jede Woche und jetzt noch die Geftalten dreier alter Wei⸗ ber ehe, die fih am Fuße meined Bettes erheben und mir, indem fie ſich gegen mich verbeugen, abſcheuliche Grimaſſen fchneiden.”

So fah auch ein gewiller Zieman, der zu Glei— chen's Freunden gehörte, und zwar von der Paffion für die fogenannten geheimen Wiflenfchaften angeftedkt, aber ein fehr wahrheitöliebender und fi vor Zäufchungen hütender Mann war, faft an jeder Stelle, die er einige Minuten lang feſt anfah, einen’ Kopf, deffen Augen und Züge fo ausdrudsvoll waren, daß fie zu leben fehienen. Auf der Blutfpur, die man in dem Zimmer des Schloſ— ſes zu Edinburgh zeigt, wo David Rizzio ermordet wurde, wollte er einen Kopf geſehen haben, auf dem fid) in erfchredender Weife die Krampfe eines Sterben: den zeigten. Er kehrte wiederholt zu derſelben Stelle zurück und fah immer diefen Kopf und immer furdt: barer wieder. Die Sache ift durch dad Spiel de Phantafie, verbunden vielleicht mit einer eigenthünli: hen Beichaffenheit des Auges, unfchwer zu erflären : und namentlich die ftete Wiederkehr des einmal ergriffe nen Bildes hat gar nichts Befremdliches. |

Frau de la Eroir war in ihrer Jugend eine beifpie: (08 vollkommene römische Schönheit gewefen. Bol | Grazie und Ausdrud, mit durchdringendem Auge, ein - Adlernafe, einem hoch getragenen Haupt, einer prädfi- gen Haltung, war fie das Ideal einer fchönen Kaiferin. Von fo viel Reizen blieb ihr im Alter ein geiftvole und belebted Geficht, eine wohlgebaute Taille, ein ſchoͤ

Mabame de la Ersir. 397

ner Zuß, eine gebieteriiche Miene und viel Fluß der Rede. Diele imponirenden und ungewöhnlichen Reſte flimmten trefflich zu der Rolle, die fie fpielte, wenn fie zum Zeufel fprah. Ihre drohende Geberde und der Ton ihrer Stimme machten zittern, und in ihrer Haltung lag foviel Adel, in ihrer Inbrunft foviel Erhabenheit, in ihrem ganzen Weſen ein fo hoher Ausdrud des Glau⸗ bend und der Zuverficht, daß man eine Heilige zu fehen glaubte, die ein Wunder zu thun im Begriff war. Herr von Gleichen war jedoch, ungeachtet er manche Zage bei ihr zubrachte, um abzuwarten, daB der Zeufel aus dem Leibe eined Befeflenen herausfahre, nie fo glücklich, diefen Augenblid zu treffen. Nur Kopf= und Zahn: ſchmerzen, Koliken und rheumatifche Uebel ſah er heilen.

Frau de la Eroir erzählte mit einer ihr eignen Nai⸗ vetät, Srazie und malerifchen Kunft die Einzelheiten der Befuche, die fie, wenn fie allein war, von den böfen Geiſtern empfing. Man fah alles, was fie fagte, fo lebhaft und natürlich waren ihre VBefchreibungen. So oft Gleichen fie befuchte, erzähltes ſie ihm Neues von ihrer dämoniſchen Geſellſchaft. Bald waren es höchft drollige Poflen, Die man getrieben hatte; bald hatte fie erſchreckliche Verfolgungen erfahren.

Dft kamen ganze Broceffionen von Büßenden, in großen rofenfarbenen Gewändern, oder häßlich riechende Kapuziner, in Himmelblau gefleidet, oder andere Lächer: lich ausflaffirte graßliche Perfonen, die des Nachts zu ihr famen und über ihr Bett wegfchritten, indem Die Kapuziner ihr Küffe zumarfen und die Büßenden ihre Deden geißelten. Zuweilen gab man ihr einen Ball, wo fie die feltfamften Trachten und die Moden aller Jahrhunderte ſah. Ein anderes Mal zeigte man ihr ein herrliches Zeuerwert, Pyramiden von Diemanten

308 Madame de la Croir.

und Koftbarkeiten, prächtige Illuminationen, oder be zauberte Palaͤſte. Sie Ichilderte das alled fo lebendig, mit foviel Geſchmack, Heiterkeit und Beredtſamkeit, daß ihre Erzählungen größeren Werth hatten, ald Die mei: ſten Beichreibungen eines Feſtes oder der glänzendften Aſſemblee.

Eines Tages erzaͤhlte ſie von einer theologiſchen Disputation, die fie mit einem ihrer vertrauteſten Gei⸗ fter gehabt Hatte, der als Doctor der Sorbonne ven fleidet war, fie als Keßerin behandelte und die Mei: nungen der römischen Kirche in der orthodoreften Weile verfocht. „Als er aber zulegt Blasphemieen einmifchte", fagte fie, „Ichloß ich ihm den Mund mit einem Vorlege ſchloß, das er bis zum Zage des Gerichtd tragen wird.“ „Und woher nahmen Sie diefed Vorlegeſchloß?“ fragte Gleichen. „Ach, mein lieber Baron”, erwiederte fir, „wie wenig kennen Sie den Unterſchied zwiſchen der geiftigen und der materiellen Wirklichkeit; es ift ein völlig wahrhaftes Vorlegeſchloß, was ich ihm angelegt babe; Die unfrigen® haben nur das Ausſehen eines Solchen.“

Manche Leute waren boshaft genug, ſie zum Beſten zu haben, und luden ſie in Häuſer ein, hinſichtlich deren ihr vorgeſpiegelt ward, daß es darin ſpuke. Dieſe Streiche wurden ſelbſt ſo grob getrieben, daß fie den Spott bemerkte; aber ſie legte dieſe Demüthigungen an den Fuß des Kreuzes nieder, und ſagte zu Gleichen mit großer Offenheit und Verſtändigkeit: „Sie, die Sie mich fo eiferſüchtig auf meinen Ruhm und meine Ueberlegen⸗ heit gefannt haben, die Ste willen, daß ich mich des geringften Leberfluffes beraube, um ihn den Armen zu geben, die Sie fehen, daß das Geichaft, was ich treibe, mir nichts ald Schande und Verachtung in einem Lande

Madame de la Ersir. 399

einbringt, wo ich vermöge meines Ranges und meiner Verwandtfchaft eine ganz andere Rolle fpielen könnte, fühlen Sie nicht, daß eine viel höhere Macht mir das Werk, das ich verrichte, auflegen muß? Sagen Sie mir freimüthig, ob mein Geift gelitten hat? ob Sie finden, daß ich wahnfinnig geworden bin?’ Gleichen fand es um fo fchwieriger, auf dieſe Fragen zu ant- worten, je mehr ihm ihr Geift glängender ald jemals erfchien. Er fagte ihr die nöthigen Höflichkeiten, dachte aber im Stillen, Daß eine fire Idee fich recht wohl mit im Vebrigen richtigen Anfichten vertragen, und daß auch ein fonft vernünftiger Menſch feinen Winkel der Narr: beit haben könne. Uebrigens erflärte er, dag Frau de la Eroir, die er zum lebten Male im Sabre 1791 zu Perry in der Champagne bei Eazotte ’) ſah, welcher auch zu ihren Anhängern gehörte, nachdem er früher Martinift geweien war, eine fo thäatige Menfchenliebe, - eine fo erbauliche Frömmigkeit, eine fo rührende See- fengüte, foviel Salbung, Geift und Adel ded Charaf- ters befeflen babe, daß ed unmögikh geweien fei, fie nicht zu lieben und zu achten.

Die Revolution bielt fie für ein Werk des Zeu- feld und rühmte fih, als eines Zuges befonderer Bra- vour, daß fie einen Talisman von Lapis Lazuli zeritört babe, den der Herzog von Drleand in England von dem berühmten jüdifchen Oberrabbiner Falk Scheck erhal- ten. Sie verfiherte: „Dieſer Talisman, der den Prin- zen auf den Thron bringen follte, wurde, durch Die Kraft meiner Gebete, auf feiner Bruft in dem merf- würdigen Augenblide zerbrocdhen, wo er inmitten der Nationalverfammlung in Ohnmacht fiel.‘

1) Ueber ihn befonders.

400 Mabame de la Greiz.

Herr von Gleichen fchließt feinen Bericht über dieſe merfwürdige Frau mit der Schilderung einer Scene, von der er fagt, Daß er fie nie habe vergeflen, noch ſich erflären können. Frau de la Groir Hatte einen Befeflenen, der von feinem Nachbar, einem Müller, verleitet worden war, ohne fein Wiſſen einen Pact mit dem Zeufel einzugehen. Da der Pact unbewußt einge gangen worden, fo konnte der Beſeſſene befreit werden. So oft er zu ihr Fam, warf er ſich auf Die Kniee und berichtete, unter Schluchzen, die ſchrecklichen Qualen, die er unabläffig erdulde. Frau de la Croix legte ihn auf ein Kanapee, entblößte ihm den Xeib und wendete Reliquien und Weihwafler darauf an. Dann hörte man ein widerwärfiged Knurren im Leibe und der Pa tient flieg erſchreckende Schreie aus; aber der Zeufel hielt feft und die Hoffnungen, ihn ausfahren zu fehen, wurden immer gefäufcht. Eines Tages wurbe diefer Befeflene wüthend, fprang vom Sanapee herab und drohte, ſich auf die Gefellichaft zu flürzen. Frau de a Croix ftellte ſich zwilchen ihn und die Uebrigen und brachte ihn mit drohender Miene wieder an feinen Plak. Jetzt aber Fnirfchte er mit den Zähnen mit folcher Kraft, dag die Vorbeigehenden auf der Straße es hätten hören können, und ftieß wuthſchäumend fo fehredliche und un: erhörte Läſterungen aus, daB den Zuhörern die Haare zu Kopfe fliegen. Hierauf ging er zu den beftigften Schmähungen gegen Frau de la Groir über, und fchlo$ mit der ärgerlichften Aufzählung allee Sünden, welde dDiefe arme Dame in ihrem ganzen Xeben begangen ba ben fonnte, unter Anführung von Detaild, won denen viele geeignet waren, fie vor Beſchämung fterben zu machen. Sie hörte aber das alled mit zum Himmel gewendeten Augen und auf der Bruft gekreuzten Han

Madame de la Eroir. 401

den, unter bitterlichem Weinen an; die Jugend abge: rechnet, einer heiligen Magdalene gleihend. Als der Hatient feine Rede beendigt hatte, kniete fie nieder und fagte zu den Anwefenden: „Meine Herren, fehen Sie bier eine von Gott meiner Reue bewilligte gerechte Strafe meiner Sünden. Ich verdiene diefe Demütbigungen, die ich vor Ihnen erfahren habe, und ich würde mich denfelben vor ganz Paris unterwerfen, wenn ich da⸗ durch all meine Fehler zu fühnen vermöchte ’).

1) Dentwürvigkeiten des Varons ven Gleihen, &. 149 fo.

XVII. Condamine und die Convulflondre,

Die janfeniftifche Bewegung hatte ihre reine und hohe Seite, die in dem großen Pascal ihren erhabenften ge fligen Ausdrud, in den milden Frauen von Fort Royal!) ihre edelfte fittlihe Verklärung fand. Sie war bier aus dem Bedürfnig nach religiöfer Innigkeit und Ziefe gefloffen; ein Proteft, nicht gegen die Yun damente der römifchen Kirche, wie der Proteftantismus, aber gegen das, was menfchliche Lift und Berechnung aus ihr gemacht hatte, gegen DOberflächlichfeit, Heuche⸗ lei und Formenwerk. Ald aber Verfolgung der Sadı in größeren Kreifen Theilnahme ſchuf, ſchloß fich auch die Schwache und Thorheit der Zeit ihr an, und dann blieben auch hier die Entftelungen und Verzerrungen nicht aus. Auch die Ianfeniften, wie fie zum Schwarme geworden waren, wollten ihren eignen Heiligen und Wunderthäter haben und fanden ihn in ihrem 1727 geftorbenen und auf dem Kirchhof des heiligen Medar dus zu Paris begrabenen Genoffen, Franz von Parit. Hier wurden große Verfammlungen gehalten, bei benen

1) Bergl.: Reuchlin, Gefhihte von Port Royalz Hamburg und Gotha, 1839 fg., 4 Bde.

Derfelle, Pascal's Leben und der Geift feiner Schriften; Stutt- gart und Tübingen, 1840.

L— 40 Yes

Gonbamine und die Eonpulkonäre. 403

von überfpannten Gebeten und Reden der Uebergang zu Weiflagungen und Wundern bald gefunden ward. Die Eraltation führte zunächft, wie ja noch heute bei den Verſammlungen mancher amerifanifcher Secten⸗ ſchwärmer, zu Krämpfen, Zudungen und fogenannten übernatürlichen Zuftänden, und bald wurden dieſe in eine Art Syftem gebradht, wo fi dann nicht mehr feicht unterfcheiben ließ, welchen Antheil das unbewußte Wirken der Einbildungsfraft und fonftiger geheimer Sedenkräfte und welchen die berechnete Verftellung daran habe. Unzüchtige Entblößungen, bei welchen man doch behauptete, daß fie eben nur aus Erhaben- beit über die Sinnlichkeit flöflen und denen man aller band muflifche Deutungen unterlegte, und freiwillig auf genommene Martern, gegen deren Schmerz, wo nicht Zöufhung unterlief, die höchftgefteigerte Erregung ab: flumpfte, bildeten die Haupttheile dieſer Schauftellun- gen, welche namentlich 1731 unglaubliche, Durch die verfchiedenften Beweggründe angelodte Menſchenmengen berbeizogen. Das Unweſen erreichte einen Grad, bei wel- chem, auch von allen Parteitendenzen abgefehen, ein Ein- fhreiten der Regierung, wie ed 1752 erfolgte und den Zugang zu dem Grabe verhinderte, ganz natürlich war. Indeß feßten die Schwärmer ihre Uebungen noch längere Zeit in immer geheimer werdenden Zufammenfünften fort, indem fie fi) Erde von dem Grabe ihres Heil» gen zu verihaffen und dann an jedem beliebigen Orte die vermeintlichen Wunder zu erneuern wußten. Die Lächerlichkeiten und Ercefle Diefer Vorgänge waren es aber hauptfächlih, woran der Ianfenismus, der fich außen dem wenigftend ald Richtung einer achtbaren Minorität wol bätte erhalten mögen, zu Grunde ging.

Auch über diefe Scenen theilt der Herr von Glei⸗

404 Gonbamine und die Eoxuulkienäre.

chen ') einige eigne Erfahrungen mit, die und charakte riftiih genug ericheinen, um fie aus dem Franzöfiſchen feines feltenen Werkes hierher zu übertragen.

Der bekannte Gelehrte de la Condamine ?’) wurde von einer unbezähmbaren, follen wir fagen Neugier oder Wißbegier, beberrfcht, mit welcher feine Taubheit in fatalem Widerſpruch fland. Wenn er zwei Perfonen fi) mit einander vertraulich unterreden ſah, fo näherte er fich ihnen nicht nur auf die indiscrefefte Weiſe, fon: dern man ſah ihn auch fein Hörrohr herausnehmen. Hand er einen Brief auf dem Zifche, fo konnte er fid nicht enthalten, ihn zu Öffnen und zu leſen. Wie Her von Choifeul Gefandter zu Rom war, fand er einmal Condamine, wie er im Cabinete diefed Geſandten, mit dem er in der größten Vertraulichkeit lebte, Die Papiere durchflöberte und überflog. Herr von Choiſeul kündigte ihm mit der ernfleften Miene und einem höchſt tragi« fhen Zone an, daß feine Pflicht ihn nöthige, ihn ver haften zu laſſen und in die Baftille zu ſchicken, indem in diefem Augenblide ein fo wichtiges Staatsgeheimnif in Verhandlung wäre, daß fchon die Möglichkeit, davon Kenntnig zu haben, binreiche, ihn fo lange einschließen zu machen, bis das Geheimniß zur Deffentlichkeit gelangt fei. Umfonft verficherte er, daß er nichtd gelefen habe, daß er von gar nichts wille: man befahl, Die Wache

1) Denkwürdigkeiten, S. 159.

2) Karl Maria de la Gondamine, geb. zu Paris 28. Ian. 1701, trat in Militairdienfte, machte dann große Reifen in der Levante, an den afrifanifhen Küften, in Südamerifa, namentlid zum Imede don Erdmeſſungen, madıte fih um die Blatterimpfung verdient und +4. Zebr. 1764 an den Folgen einer neuen Operationsmethode, die er an fi felbft anwenden ließ, um der Afademie darüber berichten zu können, alfo zulegt an einem Auöfluffe des im Terte mehrfad cr: wähnten Charafterzuges.

Sondbamine und die Convulfionaͤre. 405

zu bolen, eine Poſtchaiſe bereit machen zu laſſen und jagte ihm eine ſolche Furcht ein, daß die Zeugen der fomifhen Scene ihr höchſtes Ergötzen daran hatten. Man fagt Condamine nach, daß er zu Konftantinopel einen Beinen Diebftahl begangen babe, um die Bafton- nade auf die Fußſohlen zu erleiden und fich einen Be⸗ griff von dem Eindrud diefer Strafe machen zu Fönnen. Als Damiend ') hingerichtet wurde, trieb ihn die Neu⸗ gier nicht blos, durch die Menge der Zufchauer und die innere Schranke der Wachen zu dringen, fondern er ge: langte auch an den Kreis, welchen alle Scharfrichter der Umgebungen von Paris, die durch das für fie fo intereflante Schaufpiel angelodt worden waren, um das Schaffot gebildet hatten, und wurde unter dem Schuße des parifer Scharfrichterd, des Herrn Charlot, zugelaf- fen, welcher, nachdem er ihn erfannt hatte, ausrief: „Meine Herren, mahen Sie Platz für Herrn de la Condamine; er ift ein Liebhaber” ?).

Natürlich, daß diefer wißbegierige Beobachter ſich auch für die Convulſionäre höchlich intereffirt. Auch gab er fich alle erforderliche Mühe, um zu ihren, da= mald von der Polizei fehr genirten Myfterien zugelaflen zu werden. Er verſprach Verſchwiegenheit und daß er fi wie ein Proſelyt verhalten wolle, der fich bei ihnen

1) Robert Zranz Damiend, geb. zu Tieulloy bei Arras 1714, politifher Zanatifer, am 28. März 1757, wegen eines am 4. Jan. gegen Ludwig XV. verübten Attentats, nad furdtbaren Martern geviertheilt.

3) Eine andere Anekdote von ihm it, dap er bei einer Reife in Italien in einem am Meere liegenden Dorfe in der Kirche eine brens nende Kerze traf, auf Befragen erfuhr, es Fnüpfe fih an dieſelbe der Glaube, daß, ſowie fie erlöfhe, das Dorf von den Fluthen weggerafft werten würde, und nun fofort die Kerze ergriff und ansläfhte, worauf er nur mit Mühe vor der Wuth der erbitterten Landleute gerettet werden konnte.

406 Gondamine und bie Connulfsnäre.

zu erbauen und fi) von der Wahrheit ihrer Wunder zu überzeugen beabfichtige. Nachdem er aber ein fehr bübfches junges Mädchen hatte and Kreuz fchlagen je ben, näherte er fich ihr, als fie wieder abgenommen worden, und fagte ihr, mit der den Schwerhörigen ge wöhnlichen lauten Stimme, ind Ohr: „Mademoifelle, Sie treiben bier ein fehr fchlechtes Handwerk; gefchieht ed, um Geld zu gewinnen, fo will ich Ihnen ein ande red zuweifen, was Ihnen ficherlich fehr viel mehr Veir⸗ gnügen bereiten wird.” Diefe von der ganzen Verſamm⸗ lung vernommene Aeußerung verurfachte einen fo gro Ben Scandal, daß Herr de la Condamine glaubte, es fei fein Letztes, ſchimpflich hinausgejagt wurde und, troß aller feiner Bitten, niemald wieder Zutritt in eined der Häufer erlangen Fonnte, wo dieſe Fanatiker fich ver fammelten.

Eines Tages in der Charwoche befand fidy Gleichen in einer Gefelichaft, wo man von einem fehr merkwür⸗ digen Schaufpiele ſprach, das am Charfreitag in einer gewiflen Werfammlung der Convulfionäre zu erwarten ſei. Man werde da eine junge Perfon, mit dem Kopf nach unten und den Füßen nach oben, freuzigen. Da er einige Luſt bezeigte, dahin zu gehen, fo gab ihm eine Dame ein Billet an einen ihr befreundeten Advocaten, der mit den Convulfionären fehr lürt war und den fie darin bat, ihn einzuführen. Am Vorabend des Char: freitags traf er Condamine in einem Haufe, wo man fi) von der feltfamen Scene unterhielt, welcher Glei⸗ hen am folgenden Tage beiwohnen ſollte. Condamine jammerte über feine Augfchließung und Gleichen Fonnte fih nicht enthalten, ihm fein Billet zu zeigen und fi über ihn luſtig zu machen. Sobald aber Condamine erfuhr, daß der Advocat, an welden Gleichen gewieſen

u‘

Conbamine und die Gonpulfionäre. 407

war, dieſen nicht Fenne, kam ihm der Gedanke in den Sinn, fih für Gleichen auszugeben und an deſſen Stelle zu treten. Fußfällig bat ee nun Gleichen, ihm das Billet abzutreten, indem er verficherte, fich vernünftig betragen zu wollen, und ewige Dankbarkeit zufagte. Glei⸗ hen ließ fich bereden und Condamine ließ ſich bei dem Advocaten unter Gleichen's Namen anmelden. Der Ad- vocat empfing ihn ungemein freundlich, führte ihn in feine Bibliothek, zeigte ihm die Werke mehrerer deutſcher Gelehrten und erkundigte ſich bei ihm nach diefen. Con⸗ damine antwortete jo gut er nur Tonnte, fagte, er habe bei dem Einen das Recht, bei dem Andern die Philo- fopbie fludirt und fpielte die Rolle eines leidlich unter: richteten deutichen Reifenden fo vollfommen, daß der Advocat nicht aus feiner Zaufhung Fam. Unterweges unterrichtete er feinen Fremden über die Vorfiht, mit der er fich benehmen, und über die fromme Gläubigkeit, die er zur Schau fragen müſſe. Aber das linglüd wollte, daß das Haus, wohin fie gingen, gerade daſſelbe war, aus weldhem Herr de la Condamine fo ſchimpflich geftoßen worden war. Die Erfcheinung des Teufels hätte einen fchredlicheren Eindrud bervorbringen Fon: nen, als der Anblid Condamine's. Alle flürzten fi auf ihn und überfchütteten den Advocaten mit den ſchneidendſten Vorwürfen, daß er ihnen ihren grauſam⸗ ten Feind hereinführe, einen Ruchlofen, der die Heilig- feit ihrer Myſterien mit den anftößigften Abfichten ent: weiht habe. Der arme Advocat verftand kein Wort von dem allen und erfchöpfte fich in NWerficherungen, daß fie fih irrten und daß diefer Herr ein ihm ehr empfohlener Deuticher von Diftinction fe. Als fie ihm aber erklärten, Daß ed Herr de la Condamine fei, den er eingeführt habe, vereinigte er fich mit der ganzen

408 Gondamine und die Convulſionare.

Geſellſchaft, ihn zur Thüre hinauszuwerfen, indem er ihn mit Verwünfchungen und Schmähungen, zuglad für die Dame und den deutjchen Herrn, belud. Verfchiedene Jahre fpater ward Gleichen von dem Marquis de Nesle zu den Convulfionären geführt, welche damals ihre Myfterien in großer Verborgenheit feierten, weniger wegen der Strenge der Polizei, ald weil man gefchidt genug geweſen war, fie zum Gegenflande des Spottes werden zu laflen, weile genug, fie nicht mehr zu verfolgen, fondern mit Geringſchätzung zu behandeln. Marquis de Nesle führte Gleichen zu einem alten Par: lamentsrath im Infelviertl. Er fand bier in einem fhönen, mit karmoiſinrothem Damaſt ausmeublir ten Zimmer den alten Rath, feinen Neffen, einen Parlamentsadvocaten, eine alte Verwandte und eine dem Marquis bekannte Spigenwälcherin, welche gefteu zigt werden follte.e Da man nicht mehr wagte, Kreuze im Haufe zu haben, fo hatte man, flatt eines folchen, ein großes Bret auf dem Fußboden angebradt. Man ließ zuerft vier große Nägel unterfuchen, und nachdem man die Patientin auf dad Bret gelegt hatte, trieb der Advocat ihr die Nagel mit großen Hammerſchlägen durh Hande und Füße. Wahrend nıan Gebete an ftimmte, jammerte fie ganz leife und ließ ein ſchwaches Wimmern hören, wobei fie die Stimme eined Wickel finded nachahmte, die fie auch beibehielt, folange fie auf dem Brete befeftigt war. Plötzlich fing fie an zu rufen: „Papa Elias, wo bift Du nur? Du fagft, ich fei ein böfes Feines Mädchen; Du haft Recht, mein Heiner Papa; aber ich werde verftändiger werden; fage mir nur, wad ih thun muß, ich unterwerfe mid allem.” Nah Verlauf einiger Minuten ftredte fie die Zunge heraus. „Sie will, daB man fie ihr löſe',

Gonbamine und die Conbulſionaͤre. 409

fagte der Advocat. Er nahm ein Rafirmefler, legte ein Zub unter die Zunge des Mädchend und brachte Drei freuzweife Schnitte darauf an, welche fehr bluteten. Nach den erſten Schnitten hatte die Patientin die Zunge zurüdgezogen und nur die Spite fehen Iaflen. Der Advocat fagte: „Nur vorwärts, fein Sie nicht fin- diſch.“ „Ach mein,” erwiederte fie, „es geichieht nur, weil Sie mir zu gut thun,” und präfentirte darauf die Zunge mit der beftmöglichften Grazie. Nachdem die drei Kreuzſchnitte bewirkt worden, fing fie an, mit ihrer KHeinkinderflimme in Einem Zuge zu prophezeien und der Rath nahm alle die Thorheiten, die fie von fich gab, zu Protofol. Man zeigte den Gäften mehrere Bände voll folher Weiffagungen, welche unverftänd: fiher waren, als die ded Noftradamud. Nachdem fie eine gute halbe Stunde prophezeit hatte, brach fie auf einmal ab und verlangte, erquidt zu werden. Diefe fanfte Erquidung (soulagement) beftand darin, daß man ihr die Arme mit ftarfen Spidnadeln durchſtach, und fie mit großen Holzicheiten auf Kopf und Bruft in ebenfo barbarifcher, wie bei der geringen Beſchwerde, die ed ihr verurfachte, wunderbarer Weile ſchlug. Man hätte denken follen, dieſe Schläge müßten fie umbringen, aber fie bat, fie noch ſtärker zu fchlagen, und fing dann von Neuem an, auf dad Schönfte zu prophezeien. Die ganze Ceremonie dauerte eine gute Stunde. Ald man die Nägel wieder berausgezogen, blutefe nur der eine Fuß, und die andern Wunden fchienen in Begriff, ſich zu fchließen. Sie zog ihre Strümpfe und Schuhe wie- der an, und ohne dad Geringfte von den Fremden an: sunehmen, frabte fie über das Pflafter mit fo leichtem Schritt, ald wenn fie nur ein Zußbad genommen hätte. J. 18

410 Conbemine und bie Gonunlfionäre.

(Diefe Scene berubte fiherlich auf einer reinen Ta⸗ fchenfpielerei, bei der ſich der junge Parlamentsadvorat und die hübfche Spitzenwäſcherin verftanden haben mö: gen, während der gute alte Parlamentsrath ganz glau: big und gewiflenhaft das Protokoll führte.)

XIX. Gazotte.

Jakob Cazotte war im Jahre 1720 in Dijon geboren, wo ſein Vater Kanzleiſchreiber war, und ward in dem dortigen Jeſuitencollegium erzogen. Ein älterer Bruder, der in Paris eine gute Stellung gefunden, nahm ihn zu ſich und er vollendete feine Studien in Paris. Später ward er in der Marineverwaltung angeftellt und kam 1747 als Controleur nad) Martinique, wo er zum Ge- neralcommiffär aufrüdte.. In Martinique lebte er in angefehener und einträglicher Stellung, verbeirathete fich mit Elifabeth Roignon, deren Vater der oberfle Richter der Infel war, und erwarb ſich dadurch befondere Ver—⸗ Dienfte und Auszeichnung, daß hauptfächlich durch feinen thatkräftigen Eifer der Angriff der Engländer auf das Hort St. Pierre (1759) abgefchlagen ward. Er hatte fi) eigned Vermögen in Martinique erworben und fein finderlos fterbender Bruder hinterließ ihm feinen be- trächtlihen Belit. Da nun das Stlima der Antillen feiner Geſundheit nicht zufagte, fo entſchloß er fich, feinen Abfchied; zu nehmen und mit feiner Kamilie nad) Frankreich zurückzukehren. Er überließ fein in Marti⸗ nique erworbened Vermögen, was fi) auf gegen 50,000 Thlr. belaufen haben foll, dem dortigen Superior der Sefuitenmiffion, feinem alten Lehrer, Pater Lavalette, 18 *

412 Jakob Cazotte.

gegen Wechfel auf die Iefuiten in Frankreich, hatte aber den Verdruß, daß dieſe proteflirt wurden und er fchlüß- fih um fein Geld kam.) Eine Sache, welche zu einer Reihe ähnlicher Proceſſe und in ihren weiteren Folgen zu der Aufhebung des Ordens in Frankreich und ander: wärts Veranlaſſung gab. Indeß blieb Cazotte in dem Vermögen feined Bruders noch genug, ein forgenfreies Leben theild in Paris, theild auf dem ererbten Landſitze in Pierry bei Epernay zu führen und feine ganze Zeit der Wiffenfchaft, den Künften und dem gefelligen Leben zu widmen.

Diefe Muße wurde auch eine productive Schon als er das erfle Mal in Paris Iebte, war er in dem Haule feines Landsmannes Raucourt mit Freunden und Me gern der Literatur in Verkehr geweien und hatte eine frühe Neigung zur Poefie auch in eignen Verſuchen be tbätigt, welche, als ein Zufall fie ſpäter befanntmachte, Beifall fanden. In Martinique benugte er manche Mu Beftunde, eine heroifche Dichtung in Profa „Olivier“ audzuarbeiten, und jest (1763) Tießen feine Freunde dieſes

1) Lavalette hatte zu St. Peter auf Martinique ein ausge: dehntes Handelögefhäft begründet. Der Drden midbilligte dies an: fangs und rief ihn zurück. Da fi aber die große Ginträglikeit der Unternehmung zeigte, fo ward der Drden anderes Sinnes, 1: nannte ihn zum Generalfuperior auf allen Infeln unter dem Winde und unterftüste ihn mit Geld und Gredit. Wie aber der Seefrieg, welder 1756 ausbrach, die Unternehmungen Lavalette's durch⸗ kreuzte und die Berlufte an die Stelle der Gewinne traten, ließ der Orden ihn fallen, und bot den Gläubigern, ftatt Geldes, Geelen: meffen an! Daraus entftand eine Maffe- Banferotte und Proceſſe. Die letzteren wurden zulegt alle, auf Betrieb der Iefuiten, durd einen Gabinetöbefehl vom Auguft 1760 an die große Kammer de parifer Parlaments verwiefen. Aber aud bier wurde der Ordensge⸗ neral zur Zahlung verurtheilt. Diefe fcheint er nit, oder nur theilweife geleiftet zu haben. Es Enüpfte fi aber eine Unterfuhung der Wirffamfeit des Drdend an die Sade, die zuletzt mit feiner Aufhebung endigte.

Jakob Cazotte. 413

Werk, eigentlich ohne ſein Wiſſen und Willen, aber mit günſtigem Erfolge drucken. Die freundliche Aufnahme, die es fand, ermunterte ihn, auch zwei Novellen, die er gleichfalls zu Martinique geſchrieben: „Der verliebte Teufel“ und „Der Lord aus dem Stegreif“ in den Jahren 1771 und 1772 herauszugeben. In Frankreich fanden diefe drei Erzeugnifle feiner Feder, denen feine Gedichte und kleineren Novellen jedenfalls nachftehen, vielen Beifall und am meiften der Dlivier. Nach deut- ſchem Geſchmacke ift letzterer nicht, da er manierirt ift und für den Mangel einfacher Naturwahrheit nicht durch Zieffinn entſchädigt. Dagegen vercinigen fich in den genannten beiden Novellen Fünftlerifhe Anlage, reiche Phantafie und anmuthige Darftelung. Die No: velle: „Der verliebte Teufel” hat übrigend auch noch einen zweiten Theil gehabt, welchen Cazotte unterdrüdte, weit er fürchtete, er möchte dem Publicum zu ernſt werden.

Dieſelbe Novelle ſollte aber noch einen ganz befon- dern Einfluß auf Cazotte's inneres Seelenieben haben. Er hatte darin feinen Helden dämoniſchen Verfuchungen ausgefebt und war dabei den Xehren der damaligen Dämonologie, wie er fie befonders aus Bodin ') und Bekker) geichöpft zu haben fcheint, fo treu geweſen,

1) Der berühmte Publicift Johann Bodin (geb. zu Angers 1520 oder 1530 + zu Zaon 1596), der Bater der franzöfiihen Staats⸗ wiſſenſchaft, der, außer feinen politifhden Schriften, aud eine den Geift der Zeit athmende Demonomanie (Paris, 1579, 4.), cin Thea- trum naturae universae (2yon, 1596) und das Heptaplomeres de abditis reram sublimium arcanis, welches legtere niemals vollftändig im Drude erfhienen, verfaßt hat.

3) Balthafur Bekker, geb. zu Meglawier in Friesland 20. März 1634, ward Prediger in DOfterlittend, Loenen, Werft, Zraneder und (1679) Amfterdam, aber wegen feiner trefflihen, aud ins Deutſche

überfegten Schrift: Die bezauberte Welt, worin er mit den Waffe

414 Jalob Cajotte.

daß die Anhänger dieſer Lehren die Meinung faßten, er fei ein Gläubiger derfelben und befige ganz befondere Kenntnifie in dem Fache. Im dieſer Anficht fuchte ihn ein Zünger ded Martinez Pafquali auf und hoffte, durch ihn weitere Aufichlüffe in den geheimen Wiflenfchaften zu erhalten, erflaunte aber fehr, zu erfahren, daß es fi bei jener Novelle nur um ein Spiel der Phantaſie ge bandelt habe. Das feltfame Begegniß regte jedoch Ca⸗ zotte's Wißbegier auf und er benutzte die gefchlofjene Bekanntfchaft, um fich in die Geheimniffe der Martini- ften einweihen zu laffen. Was er da erfuhr, hat ihn zwar nicht zum Kabbaliften gemacht, wohl aber die bereits in ihm vorhandene und vieleicht durch die Abgeſchiedenheit feines Lebens in Martinique genährte Richtung zu reli⸗ giöfer Innerlichkeit und feine Empfänglichfeit für die Anerfennung einer überfinnlichen Welt befeftigt und ent- widelt. Er feßte feine Verbindungen mit den Philofo- phen und Schöngeiftern der Zeit fort, blieb aber ihrem Materialismus und ihrer Gemüthlofigkeit fremd. Webri- gend gab er noch, mit Hilfe eined arabifchen Mönches, Dom Chavis, eine Ueberſetzung arabifher Mährchen auch mit eignen Dichtungen verwebt heraus, welde eine Fortfekung der Zaufend und eine Nacht bilden und im 37. 40. Bande des Cabinet des fees ftehen. Die Dper: Les Sabots feßte er, in Gemeinfchaft mit Rameau (dem Neffen), nach einem aufgegebenen Thema, in einer Nacht zuſammen. Seine gefammten Werke find 1816 zu Paris von Baſtien in vier Banden her- ausgegeben worden.

Bei feiner Gefinnung konnte er fich auch dem Gange,

der geſunden Vernunft und chriſtlichen Liebe gegen den grauſamen Hexenglauben zu Felde zog, 1692 abgeſezt. Sr + 1698.

Jakob Cazotte. 415

den die franzöſiſche Revolution nahm, in Feiner Weiſe anſchließen, und fürchtete frühzeitig, daB fie moralifche Uebel in ihrem Gefolge haben werde, welche alle mate⸗ tiellen Vortheile, die fie in Ausficht fielen möge und die fie auch nur durch gewaltige materielle Opfer erfau- fen werde, überwiegen dürften. Ex fühlte das öffentliche Unglüd eines Unwetters, welches dad ganze alte Ge bäude der Geſellſchaft, ſtatt es zu reinigen, zerflörte, fo tief, daB er ſelbſt mit feiner Schwachen Kraft ſich ihm entgegenzumwerfen für Pflicht hielt. Der desfalls ange: tnüpfte Briefwechfel mit dem Secretair der Givillifte, Ponteau, ward entdedt und hatte feine Verhaftung zur Folge. Als in den Septembertagen die Mörder über ihn berfallen wollten, warf ſich feine fiebzehnjährige Zochter Elifabeth, die ihn in den Kerker begleitet hatte, zwilchen ihn und die Banditen und rief: „Ihr follt das Herz meines Vaters nicht treffen, bevor Ihr das meine durchbohrt habt.” Der Eindrud diefer ſchönen Aufwallung Eindliher Liebe auf das umftehende Volk war fo groß, daß die Mörder ihr Blutwerf nicht zu vollenden wagten, ja Cazotte mit feiner Tochter in Frei- beit geießt ward. Aber das Ungethüm der Revolution ließ fih ein Opfer, an deflen Blute es einmal geledt, nicht leicht entgehen, und ſchon nach wenigen Zagen ward Cazotte, hauptfächlich auf Pethion’d Betrieb, aber: mals verhaftet und vor jened Mördertribunal geftellt, wad man mit dem entweihten Namen eined Gerichts befleidet hatte. Selbft diefe Revolutionsrichter konnten dem Manne, deflen Leben fleckenlos und eine Kette der Liebe und Zugend gewefen, ihre Achtung nicht verfagen und felbft der öffentliche Ankläger zollte ihm in der Aeußerung: „warum muß ich Sie nach 72 Jahren tus gendhaften Lebens fchuldig finden? es genügt nicht, ein

416 Jakob Eazotte.

guter Gatte, guter Vater, guter Menſch zu ſein, man muß auch wiſſen, ein guter Bürger zu ſein,“) eine Art beuchlerifcher Anerkennung. Auch der Richter fagte: „Blide dem Tode ohne Furcht ind Angeſicht; denke, daß er nicht das Recht hat, Dich zu erfchreden; einem Men- [hen wie Du darf ein folcher Augenbli nicht bange machen.” Seine Verurtbeilung war natürlich entſchie⸗ den. Als er am 25. Sept. 1792 dad Blutgerüft be flieg, nachdem er Frau und Kindern fchriftlich das letzte Lebewohl gefagt, wobei er fie ermahnte: „meine Frau, meine Kinder, beweint mich nicht,. tröftet mich nicht, aber denfet daran, vor Allem niemald gegen Gott zu fehlen!‘ und nachdem er für feine Zochter Eliſabeth eine Locke abgefchnitten, rief er mit fefter Stimme: „Ich fierbe, wie ich gelebt babe, Gott und meinem Könige treu.” Dann rollte fein mit langen weißen Locken be decktes Haupt herunter und feine Haren ausdrucksvollen Augen erlofchen. Seine Heiterkeit und fein Glaube hatten ihn auch in feinen lebten Lebenstagen nicht ver- laflen und hatten auch auf feine Mitgefangenen tröftend gewirkt. Doc ftrafte er auch den Unglauben diefer und fuchte ihnen aus der Gefchichte Kain’d und Abel's zu beweifen, daß die Gefangenen glüdlicher ſeien als die Freien, wollte auch ihr jekiges Schickſal fchon in der Offenbarung St. Johannis begründet finden. ?) Veberhaupt kann es ihm nicht unerwartet gefommen fein, wenn die merfwürdige Weiffagung begründet ifl, welche Kaharpe °) von ihm erzählt hat. Laharpe namlid

1) Was würden diefe Leute angefangen haben, wenn man den Sap umgedreht und gefagt hätte: zum guten Bürger gehöre vor Allem, daß man guter Sohn, Satte, Bater, Nachbar, Zreund, Menſch, Chriſt fei, und das dann gegen fie geltend gemadt hätte?

2) St. Meard, Agonie de 38 heures.

3) Nicht der Erzieher des Kaifer Alerander, fondern Johann

Jakob Eozotte. 417

will im Jahre 1788 mit Cazotte und anderen gefeierten Literaten und Notablen jener Zeit bei der Herzogin von Gramont ') einem glänzenden Mahle beigewohnt haben. Neben Laharpe ſaß Lamoignon-Maleöherbes, neben diefem Champfort, dann folgte Sylvan Bailly, dann Vicque d'Azyr, Nicolai und viele Andere, Herren und Damen, die Elite der parifer Geſellſchaft. Cazotte ſaß fchmweigend an einer Ede der Tafel und flarrte in dumpfem Brüten auf fein halbgeleertes Glas, nur durch die fich Drängenden Zoafte, bei denen er mechaniſch an- fließ, von Zeit zu Zeit aus feiner Lethargie geweckt. Als endlich die Gefellichaft, vom Weine erhikt, fih in immer feurigeren Lobreden auf die Philofophie und deren Sieg über den religiöfen Aberglauben ergoß, erhob ſich auf einmal Cazotte und ſprach in dem ernfthafteften Zone und mit geifterhaften Anſehen: „Meine Herren, freuen Sie Sich, denn Sie alle werden Zeugen jener geoßen und erhabenen Revolution fein, die Sie fo fehr wünfchen. Sie willen, daß ich mich ein Wenig auf das

Zranz de Labarpe, Berfaffer des Warwick, der Melanie, des Mens» zitof und anderer Dramen, des Lycée, der Correspondence litteraire u. f. w., geb. zu Paris am 20. Rov. 1739, von feinen Eltern aus⸗ gefegt, + 11. Zebr. 18233. Er war erft wüthendfter Anhänger der Revolution, ward aber durch fünfmonatlihe Verhaftung im Luxem⸗ burg zu ihrem erbittertften Zeind.

1) Beatrix de Ghoifeul- Stainville, geb. zu Luneville 1730, erft Stiftödame zu Nemiremont, 1759 mit dem Herzog von Gramont vermählt, Schweſter des Herzogs v. Choifeul, am 17. April 1794 zugleich mit der Herzogin von Ghaftelet guillotinirt. In Bezug auf diefe ſprach fie vor dem Tribunal: „Daß mein Tod befchloffen ift, wundert mich nichts ich habe in gemiffer Maße die Aufmerffamfeit des Publicums befhäftigt, und wenn ich mich feit Beginn der Re volution in nichts gemiſcht habe, fo find doch meine Grundfäge und meine Art zu denken befanntz aber diefer Engel, worin bat er Euch beleidigt, der niemald irgendwem Unrecht gethan, deſſen ganzes Le⸗ ben nur cin Gemälde der Tugend und Wohlthätigkeit darbietet?“

18 **

418 Jakob Gazette.

Prophezeien verftehe. Sie, Herr Eondorcet, werden aus⸗ geftredt auf dem Boden eines unterirdifchen Gefäng- niſſes den Geift aufgeben. Sie, Herr N., werden an Gift fterben, Sie, Herr N., auf der Blutbühne dur den Henker umkommen.“ Man rief ihm entgegen: „Ber Zeufel hat Ihnen denn das Gefängniß, das Gift und den Henker eingegeben? Was hat denn das alles mit der Philofophie und der Herrfchaft der Vernunft ge mein, weldyer wir entgegenfehen und zu der Sie und erſt Glück wünfchten?” „Das ift ed eben, was id fage,” verfeßte Cazotte, „im. Namen der Philofophie, der Vernunft, der Menfchheit und der Freiheit wird das alles gefchehen, was ich Ihnen angefündigt, ed wird gerade dann geichehen, wenn die Vernunft allein her: fhen und ihre Tempel haben wird.” „Wahrlich,“ ent gegnete Champfort, „Sie werben feiner von den Prie ftern diefer Zempel fein.” „Ich wohl nicht,” antwor: tete diefer, „aber Sie, Herr v. Champfort, der Sie einer derfelben fein werden und zu fein verdienen, Sie werden Sich mit dem Raſirmeſſer 22 Einfchnitte in die Adern machen und dann erft einige Monate nach diefer verzweifelten Operation flerben. Sie, Herr Bicque d'Azyr, werden Sich zwar, vom Chiragra gehindert, die Adern nicht felbft öffnen, aber Sie werden Sich die: felben von einem Andern in einem Tage fechs Mal Öffnen laſſen und in der Nacht darauf flerben. Sie, Herr Nicolai, werden auf dem Blutgerüfte fterben, Sie auch, Herr Bailly, und aud Sie, Herr Malesherbes.“ „Sott ſei gedankt!” rief Herr Richer,” es fcheint, Herr Cazotte hat ed nur mit der Akademie zu thun.“ Aber Gazotte rief ihm fogleich zu: „Auch Sie, Herr Rider, werden auf dem Blutgerüſt fterben, und Die, welde Solches gegen Sie und Ihreögleihen verhängen, werden

Jakob Cazotte. 419

insgeſammt nicht minder Philofophen fein.” „Und wann fol das alled geichehen?” fragten einige Anwelende. „Von heute an binnen längftens ſechs Jahren,“ war die Antwort. Laharpe ergriff nun das Wort und fragte: „Und von mir fagen Sie nichts, Herr Cazotte.“ Diefer erwiederte: „Mit Ihnen, mein Herr, wird ein großes Wunder gefchehen: Sie werden Sich befehren und ein guter Chrift werden.” Das löfte denn doch die Unbehaglichfeit der Geſellſchaft und Alles brach in früh: liches Lächeln aus. Nun faßte auch die Herzogin v Gramont Muth und fagte: „Da find wir Frauen doch befler daran, ald die Männer, denn wir werden bei Re volutionen nicht berüdfichtigt.” „Ihr Gefchlecht, meine Damen,” verjegte Cazotte, „wird Sie diesmal nicht fhügen, und wenn Sie Sich noch fo fehr vor jeder Einmifchung hüten, wird man Sie doch gerade fo wie die Männer behandeln. Auch Sie, Frau Herzogin, wie noch viele Damen vor und nach Ihnen, werden das Blutgerüfte befteigen müflen, und zwar wird man fie auf dem Henkerfarren, mit auf den Rüden gebundenen Händen, dahin abführen.” Lächelnd fagte die Herzogin, die das alles für Scherz balten mochte: „un, ich denfe doch, ich werde in folchem Falle eine ſchwarz ausge⸗ fchlagene Kutiche haben.” ‚Rein, Nein!” verſetzte Ca⸗ zotte, „der Henkerfarren wird Ihr letztes Fuhrwerk; noch vornehmere Damen, ald Sie, werden auf folche Weile zur Hinrichtung abgeführt werden.” „Doch nicht Prinzeffinnen vom Geblüte?” fragte die Herzogin. „Noch Vornehmere,“ antwortete Cazotte. „Aber man wird und doch wol einen Beichtvater nicht verfagen?” fuhr fie fort. „Doch!“ erwiederte er, „nur der Vornehmſte aller Hingerichteten wird einen Solchen erhalten.” „Aber was fol denn mit Ihnen felbft werden, Herr Ca⸗

4400 Jalob Cajette.

zotte?“ fragten die Zuhörer, denen die Sache zuletzt doch etwas ernſt und unheimlich werden mochte. „Es wird mir ergehen,“ antwortete er, „wie es dem Manne erging, der in der letzten Belagerung das Wehe! über Jeruſalem und endlich auch über ſich ſelbſt ausrief, indem ein feindlicher Steinwurf ihn tödtete.“ Mit dieſen Worten verbeugte er ſich und verließ die Geſellſchaft.

Laharpe hat dieſe Geſchichte allerdings erſt nach Erfüllung der darin enthaltenen Vorherſagungen und nach feiner eigenen Belehrung erzählt). Es iſt auch wenigſtens nicht ohne alles Auffällige, daB eine fo merk⸗ würdige Scene nicht zur Zeit ihres Vorkommens zu einiger Deffentlichfeit gelangte. Man bat daher das Ganze für eine Fiction Laharpe's ausgeben wollen und fein Zeftamentsvoliftreder, Herr Boulars, bat Dies in anfcheinend glaubwürdiger Weile beflätigt”). Auf der andern Seite hätte eine Fiction, welche ihre Scene in fo neue Zeit und in *eine fo zahlreiche und glänzende Geſellſchaft verfegt hätte, auch ihr Unmwahrfcheinli- ches, und der Englander Wilhelm Burt, welcher gleich: fald ein Zeuge derſelben geweſen fein wollte, beftä- tigte die Gefchichte in feinem nachgelaffenen Werke: „Observations on the curiosities of nature“ aus: drücklich.

Das Wahrſcheinlichſte iſt wol, daß Cazotte nur eine allgemeine unheilverkündende Vorherſagung über

1) In Deutſchland machte Jung-Stilling in ſeiner Theorie der Geiſterkunde (Nuͤrnberg, 1808) dieſe Geſchichte zuerſt bekannt. Vergl. auch Waſſermann, Der Magnetismus und die allgemeine Weltſprache. Creveld, 1822. Steinbeck, Der Dichter ein Seher. Leipzig, 1836

2) S. die Encyclopedie des gens du monde.

Jakob Cazotte. 421

en Bang der heranziehenden Revolution erhob '), Die Einzelheiten aber fpätere Ausſchmückung waren.

1) Eine ſolche gab ein Schriftfteler ganz anderen Schlages, der Paul de Kod feiner Zeit, und den Adeen der Revolution, befonders brer Zrivolität jehr wahlverwandt, Netif de la Bretonne, fhon in en fiebziger Jahren, in der Novelle Les Allies, die ſich in feinen ‚Contemporaines‘“ findet.

II. Graf Bonneval.

Aud ein entfchiedener Repräfentant des 18ten Jahr⸗ hunderts, aber ohne einen Zug der myſtiſchen oder phantaftifchen Beimiſchung, ftellte Graf Bonneval die ganze Frivolität, den gänzlihen Mangel an fittlichem Halte, welche die Zeit bezeichneten, ebenfo ftark hervor, wie er in den Gaben und Gefchidlichkeiten der Zeit ein Meifter war und auch von dem, was den fchlimmften Zügen der Zeit doch noch einen Reiz, eine Liebenswür⸗ digkeit beimifchte, Manches in feinem Weſen hatte. Vaterland und Religion waren ihm nicht nur gleichail- tig, feiner Eigenluft gegenüber, er fpottete auch die Mahnungen des Gewiſſens mit einem fchneidenden Witze hinweg, dem nichts heilig war und hüllte ſich in einen fih auf Alles erftredenden Skepticismus und Epiku⸗ räismus. Nur dem Princip der Ehre, in der Auffal- fung feiner Zeit, fonnte auch er fich nicht entziehen, und war tapfer, gewandt, überfprudelnden Eſprits und nidt ohne Gutmüthigkeit. Daß ihn übrigens feine Philofo: phie und feine Laufbahn nicht vollftändig zu befriedigen vermochten, leſen wir zwifchen den Zeilen eined Briefes, durch den er gerade den Beweis dafür führen wollte, daß er fich glücklich fühle, der und aber doch nur Zrö- zu enthalten fcheint, die darauf hinweiſen, daß

| |

Graf Bonneval. 433

der Urheber bes Troſtes bedurfte. Der wahrhaft Glüd: liche gibt fich nicht fo viel Mühe, fi und Andern zu beweifen, Daß er es fei. |

Claude Alerander Graf v. Bonneval wurde am 14. Juli 1675 zu Couſſac im Limoufin (nach Andern 1672 zu Paris) geboren und flammte aus einem alten, ſelbſt mit den Bourbond verwandten Haufe Er ward erft bei den Iefuiten erzogen, die ihn aber nicht zu zügeln vermochten, und trat dann in das königliche Marine corps, wo er fich auszeichnete und bald befördert wurde. As der Marineminifter, Marquis de Seignelay, einmal die gardes marins infpicirte und den Bonneval wegen zu großer Jugend zurüdweifen wollte, fagte der Knabe: „einen Dann meined Namens caffırt man nicht,” worauf der Minifter ihn zwar doch caffirte, aber fogleih zum Schiffsfähndrich ernannte. Sein ganzes Xeben möchte in Diefer Laufbahn, die feinen Gaben entiprochen, feinen abenteuerlichen Sinn befriedigt und feine Fehler verdedt haben würde, eine andere und günftigere Wendung ge- nommen haben. Aber er ließ fich durch einige Zreunde beflimmen, in die Garde überzutreten, und kam damit in alle die galanten Abenteuer und Ausſchweifungen pa⸗ rifee Gardeoffiziers. Als jedoch der fpanifche Erbfolge. frieg ausbrach, 309 es ihn ins Feld, er trat in dad Re giment Latour ein und focht unter Catinat und Ven⸗ dome in Stalien, unter Boufflerd in den Niederlanden, überall fi) den Ruhm eines kühnen Parteigängersd er: werbend. Sein nichts fchonender Wit und feine ganze Lebensweiſe zogen ihm aber auch viele und gefährliche Beindichaften zu. Die Maintenon zürnte dem zügellojen Religionsfpötter und er ward 1704 bei der Beförderung übergangen, wobei man Erprefiungen, die er verübt ha⸗ ben follte, zum Vorwand nahm. Er reichte nun ein

434 Graf Bomeval.

Abſchiedsgeſuch ein, welches die ungemeſſenſten Beleidi⸗ gungen gegen den Kriegsminiſter Chamillard enthielt '), fodag er ſelbſt für gut gefunden hatte, den Beſcheid nicht abzuwarten, fondern nad) Deutfchland zu flüchten. Es ward ein Kriegdgericht niedergefeßt, Bonneval caf- firt und fein Vermögen confiscirt.

Auf Empfehlung des Prinzen Eugen, der ihn auch ald Gegner achten gelernt hatte, kam er in öfterreichifche Dienfte und focht ald Generalmajor mit Eifer gegen fein Vaterland, nicht blos in Italien, wo er namentlich den Papft (1708) zur Nachgiebigkeit zwang, und in den Niederlanden, fondern auch auf dem eignen Boden Frankreichs, bei den Einfällen der Verbündeten in die Dauphind und Provence. Bei dem Frieden ward ihm vom Prinzen Eugen die Niederfchlagung feines Pro: ceffed und die Rückgabe feiner eingezogenen Güter aus— gewirft. In den Befiß der letzteren war jedoch fein Bruder getreten, und er bat ihn nicht Daraus verdrän: gen fünnen, oder wollen, Icheint übrigens nicht in Un: frieden mit ihm gelebt zu haben. Er blieb in öfterrei hifchen Dienften, ward Feldmarfchall-Lieutenant und Mitglied des Hofkriegsrathes, und nahm in dem ruhm: vollen Zürkenkriege des Prinzen Eugen an der Schlacht von Peterwardein (5. Auguft 1716) einen glänzenden Antheil, ward aber fchwer verwundet. Von feiner Wunde ftellte er fih in Wien her und wagte jeßt, von neuem Ruhme getragen, auch einen Ausflug nad Paris, wo

1) Uebrigens ſprach jih auch in dieſem Schreiben fein Stande ftol; aus. Er fagte dem Minifter darin: wenn er nicht binnen 3 Monaten für die ihm widerfahrene Beleidigung Genugthuung erbielte, fo werde er in die Dienfte Defterreihs treten, wo ale Minifter Männer von Stande wären und ihres Gleihen gebührend zu be handeln wüßten.

Graf Bonnenal. 435

: mit großen Ehren empfangen ward und ed gänzlich wgeflen ſchien, daß er als Franzoſe gegen Frankreich ckaͤmpft hatte. Nach dem Frieden lebte er wieder in Bien, bei dem Hofkriegsrath befchäftigt. Prinz Eugen febte aber im Frieden nicht jo Erfreuliched an feinem Schüglinge, wie im Kriege. Nicht blos, daß der An- oß, den Bonneval’d zügellofe Xebensweife und feine nfähigkeit, feine Zunge im Zaume zu halten, auch dem zönner manchen Verdruß bereitete, er fchonte auch iefen Gönner felbft nicht und machte ſich ihm nament⸗ ch durch ein zudringliches Einmiſchen in feine häusli⸗ ven Angelegenheiten läſtig. Eugen fand ed daher für ut, ihn ald Generalfeldzeugmeifter in die Niederlande s ſchicken. Bonneval jcheint fih von nun auch der lchtung und Pietät für feinen großen Beichüger, deflen yiten Abftand von ihm er überhaupt wol niemale eahnet, fondern Eugen für einen militärifchen Aben⸗ rer, wie er felbft war, gehalten haben mag, für ent⸗ oben erachtet zu haben. Wenn er in Brüffel mit dem Jouverneur Marquis de Pride, deflen Gemahlin und ‚ochter ſich über die Königin von Spanien, die ihnen ie Etikette nicht fireng genug beobachtet, aufgehalten atten, in den ärgerlichflen Zwift gerieth, fo haben Ranche gemeint, Bonneval habe fich geflifientlih an emfelben gerieben, weil de Pride ein Günſtling Eugen’s ar. Sei ed nun, daß de Prie diefen Zuſammenhang mnte, oder daß er feine Stellung und fich felbft zu och hielt, um fich durch einen Mann von Bonneval’s Schlage ftören zu laſſen, er brachte durch die floifche tube, mit der er Bonneval's mündliche und fehriftliche Infälle aufnahm, dieſen fo in Harnifh, daß er ihm adlich eine Herausforderung zufchidte. Er ward nun erhaftet und nach Wien gefordert. Er ſelbſt behauptet

426 Graf Bomeval.

übrigens in einem 1741 an feinen Bruder gefchriebenen Briefe, daß fein Sturz nicht durch feine Handel mit dem Marquis de Price, fondern durch die Heransforde rung eined Höheren veranlaßt worden je. Er fagt: „mein ganzes Verbrechen beftand blos darin, dag ich den Prinzen von (Savoyen?) zum Duell her audgefordert '), weil er die Bande unſerer achtzehnjähri- gen engen Freundichaft zuerft brach und eine Erdid- tung gegen mich behauptete, die die Ehre einer tugend- baften Königin beleidigte, und das alled aus einer an gebornen Zeindichaft, welche er fein ganzes Xeben hin durch gegen Frankreich hegte und welche ich zur Zeit unferd vertrauten Umgangs taufend Mal ald eine un paflende Schwachheit an ihm getadelt habe.” Daß Bonneval nicht der Mann war, in deflen Weſen « lag, oder dem ed zugefommen wäre, in einer fallen Behauptung gegen die Ehre einer tugendhaften Königin den Bruch einer achtzehnjährigen engen Breundfchaft zu erkennen, verſteht fich, und mag daher diefer Streityunft ihm nur zum Vorwand gedient haben, einem aus an derweiten. Gründen vielleicht ſchon lange gefammelten, nicht unmwahrjcheinlich in Neid wurzelnden Grolle Luft zu machen. Doc wollen wir die Wahrheit des letzten Anführend nicht ganz in Abrede ftellen, und es al einen befleren Zug in Bonneval’s Charakter betrachten, daß er zwar gegen Frankreich Fämpfte, aber doch nod Franzoſe genug blieb, um Frankreich von feinem Dritten anfeinden hören zu eönnen, ohne fich darüber zu ärgern’).

1) An Eugen hatte er allerdings, erſt vom Haag aus, ein Schrei⸗ ben gerichtet, was ein Andrer als Eugen als Herausforderung bes trachtet haben würde. Aber ſo wenig es Eugen beifiel, ihm ſolche Folge zu geben, fo wenig hätte es in deſſen Sinne gelegen, es zu räden.

2) Während des utrechter Gongreffes Hat er ſich mit einem Fran

Graf Bommenel. “497

Statt von Brüffel direct nach Wien zu eilen, wie er angewiefen war, ging er erft nach dem Haag, bielt fih dort faft einen Monat auf und erregte durch häu⸗ figen Verkehr mit den Geſandten Frankreichs und Spa⸗ niend Verdacht. Auf der Weiterreife nach Wien ward er verhaftet, auf den Spielberg gebracht und vom Hofs⸗ kriegsrath zum Tode verurtheilt. Der Kaifer mil« berte dieſes Urtheil in einjährige Haft auf den Spiel- berg und Verbannung. Nach Ueberſtehung feiner Haft wurde er, mit der Bedeutung, den deutichen Boden niemald wieder zu betreten, über die tiroler Grenze ge: bracht, und war fomit feine Laufbahn auch in Defter- reich geichloflen.

Er ging zunächſt nach Venedig und foll Hier geſucht haben, in den Dienſt dieſer Republik zu kommen, für die er aber allerdings kein Mann war und wo ihn leicht eine baldige Bekanntſchaft mit den Bleikammern hätte erwarten können. Ste brauchte ernfle und vorfichtige Männer. Auch um ruffiiche Dienfte fol er fich bemüht haben, und würde er wol, wenn ibm Died gelungen wäre, manche Verwirrung angeftiftet, fchwerlich aber fein Leben jo ruhig und behaglich geendigt haben, wie in dem Dienfte der Pforte. Gewiß aber hat er um fo lieber gegen Rußland gefochten, wenn feine Dienfte erft von dieſem verfhmaht worden waren. Sein Hauptbaß war aber gegen Defterreidh.

Von Venedig ging er nach Bosnien und warb zu Serrai, auf Verlangen eines dortigen üfterreichifchen Beamten, angehalten. Hier follen nun, wie wenigftens Bonneval in dem angeführten Briefe ſelbſt verfichert,

zofen geſchlagen, weil diefer ed übel nahm, daß Bonneval geäußert, Ludwig XIV. ftrebe nad der Univerfalmonardie, aber glei darauf en mit einem Preußen, der vaffelbe geäußert.

438 Graf Bonneval.

„die Deutfchen große Summen geboten haben, um ihn, als einen Deutfchen, in ihre Hände zu befommen.“ Man kann fi wol denken, daß Deſterreich den Bon- neoal ungern in türkifche Dienfte geben ſah, fieht aber durchaus nicht ab, wie ed den aus feinem Gebiete Ber: bannten als feinen Angehörigen reclamiren Tonnte'). Er erzählt nun weiter, daß er 15 Monate lang in Haft gehalten worden fei und ſich vergebens an Den franzö- ſiſchen Gefandten, Herrn de Villeneuve, gewendet habe. Er ift überzeugt, daB eine Reclamation von dieſer Seite augenblicklich feine Freiheit erwirkt haben würde. Wille neuve aber babe fi) geweigert. Bonneval fagt in ber ihn bezeichnenden Weile: „Ich babe Feine Urfache für Diefe Weigerung finden können; Villeneuve müßte benn, weil er der Urenfel eines Juden aus einer Fleinen Stadt bei Avignon, aber zu fpat zur Welt gekommen war, um den Meſſias kreuzigen zu helfen, ein Vergnügen darin gefunden haben, einen Chriften verkaufen zu Fonnen.“ Denn er behauptet, DaB er nur deshalb zum Jslam übergetreten fei, weil er außerdem feine Freiheit ?) nicht zurüderhalten, ja zu beforgen gehabt hätte, feinen Fein- den ausgeliefert zu werden. Lieber hätte er fich für den Zeufel audgegeben, fchreibt er. Er wolle lieber fein, wo und wie er jest fei, als fich ald guter Chrift in Deutid land lebendig bangen zu laſſen. Möglich aber aud, dag er die Gefahr übertrieb, um feinen Uebertritt ferne Gamilie gegenüber, für die er dieſe Mittheilung be flimmte, beffer zu motiviren ?), daB es ihm aber nur

1) Bonneval verfihert, daß es fi auf einen Artikel des paſſare wiger Zriedens berufen babe, wonad man fi Die auögetretenen Uw tertbanen ven beiden Seiten ausliefern wollte.

2) Diefe wird dabei freilich in ihrem allerengften Sinne, in rem

einer Befreiung von eigentlider Haft, genommen. 3) So fagte er aud, er fei aus ganz anderen umd den beſter

Graf Bonneval. 429

m Anftellung im türkifchen Dienfte zu thun war, die er hne Erfüllung jener Bedingung nicht erlangen konnte. Denn daß er den Islam nicht deshalb angenommen, vie er Später fagte, um feine Zage in Nachtmütze und Zchlafrock hinbringen zu können, lehrte die Folge.

Er trat 1730 zum Islam über, erhielt den Namen Ahmed und ward bald darauf zum Paſcha von drei Rößfchweifen und Chef des Bombardircorps ernannt. Er gab fi) nun, von einigen geſchickten Sranzofen und ſtalienern unterftügt, viele Mühe, eine Reform des ürkiſchen Militärweſens zu bewirken und fand bei dem Sultan Mahmud I. Beiftand. Defto mehr binderten er Neid der türkifchen Großen, die Ränke europäiicher Mächte, der Widerwille des türkifchen Volks gegen jeg- iche Neuerung. Einzelnes ift gebeflert, das Heerweien ſt wenigftend in etwas beflern Stand durch ihn geho- en worden und ed hat fich das auch fehr bald in den Erfolgen belohnt; aber troß der günftigen, den Werth eines Werkes bewährenden Erfolge konnte er Doch etwas Bründliched nicht durchführen. Auch fein politifcher Hinflug war feinen Wünfchen nicht entiprechend, woran ber zum Theil fein eigner ränkevoller und von perfün- ihen Stimmungen beherrichter Sinn die Schuld trug. fr wollte die Pforte vor allen Dingen gegen Defter- ech richten, deml er jetzt die Gaſtfreiheit, die ed dem a6 feinem Vaterlande Verbannten geſchenkt, dadurch ergalt, Daß er es zum Gegenftande feines glühendften daſſes machte. Er rieth beftändig, fich mit Rußland

rfahen zu der Neife in die Levante beftimmt, und nur durch be⸗ ondere Fügung auf die ganz andere Laufbahn gebradt worden; er ürfe aber die wahren Urſachen nicht angeben, weil es fi dabei um Jerfonen von hohem Range handele, die er obne ihre Einwilligung icht verratben dürfe. Das feinen nur Winpbeutelcien.

430 Graf Bonneval.

zu verſtändigen und alle Kräfte gegen Deſterreich zu wenden. In gleichem Sinne wirkte der ungariſche Flüchtling Joſeph Rakoczy; aber Rakoczy und Bonne val vertrugen ſich nicht, und Erſterer war hauptſächlich darüber erbittert, daß Bonneval ſeinem Verlangen nach dem Titel des Fürſten von Siebenbürgen entgegentrat '). Außerdem fanden Rakoczy's Stallmeifter, Ilosway, und Bonneval's Secretair, Bon, im Solde des öfterreidi- chen Refidenten Zalmann, dem fie jedes mündliche oder fhriftlihe Anbringen, was ihre Gebieter an die Pforte richteten, fofort hinterbrachten. Auch fonft vertheibigt: Defterreich feine Intereffen erfolgreich mit der Wafft, mit der man in Konftantinopel, wo die politifchen In: tereffen fehr niedrig, die Geldvortheile fehr hoch ange: fchlagen wurden, fo viel ausrichten Fonnte: mit Gelb. Bonneval hatte den Plan entworfen, daß, während cin gegen Belgrad marfchirendes Heer die Aufmerkſamkeit der Defterreicher in diefer Richtung befchäftigte, ein an: dered nad) Bosnien rüden und in Steiermark einfallen follte. Zalmann vertheilte 1000 Ducaten an die rechten Stellen und der Plan fiel in den Bosporus. Indeg was Bonneval’d Antreiben nicht bewirken konnte, das brachten die Feinde des osmanischen Reiche ſelbſt zuwege. Rußland hielt eine Zeit, wo die Zürfen mit den Perjern im Kriege waren und wo ed außerdem auf Defterreihd Mitwirkung rechnen Fonnte, für gele— gen, einige Schritte weiter in feiner natürlichen Auf: gabe, einer Erweiterung feined Gebietd gegen dad Schwarze Meer zu, zu machen. Defterreich vergaß die Großmuth, mit welcher die Pforte ed in feinen Be

nn mn

1) Rakoczy trug hier zuletzt noch den Sieg davon, aber freilich ohne bleibende Frucht.

—XR

Graf Bonneval. 431

brängniffen geſchont und den zahfreihen Aufreizungen wiberftanden hatte, und trat, in der trügerifchen Hoff: nung, fih an der Pforte für das in Italien Verlorene zu entichädigen, ald hauptkriegführende Macht gegen die Türken auf, flatt fi) zu begnügen, Rußland bie flipu: lirte Hilfe zu leiften. Go waren die Türken gleichzeitig in Krieg mit Perfien, Rußland und Defterreich verwidelt. Auch war die Pforte felbft zum Kriege geneigter, feit ber weile Großvezier Ai Paſcha, hauptſächlich durch Die franzöfiihe Partei, feines Amtes enthoben und nad Griechenland entfernt worden war. Denn Ali Paſcha batte, theild aus der natürlichen Vorficht und Mäßigung feines Charakters, theils mit Rückſicht auf die Leere des Schates und die unzufriedene Stimmung ded Volks '), immer den Krieg mit europälfchen Mächten zu vermei-

1) So heißt es in dem Tagebuche des Grafen v. Münnich über ven Feldzug von 1735 (Herrmann, Beiträge zur Geſchichte des ruſſiſchen Reiches, Leipzig, 1843, &. 117 ff): „Die barten Fol: gen derer bei Peterwardein und Belgrad in Ungarn in den Jah⸗ ren 1716 und 1717 erlittenen biutigen Niederlagen vrüdten die forte noch beftänvig, alle Schaggewoͤlber des vorigen Sultans wa⸗ ren audgeleert und der Schag Selims bis über die Hälfte heimlich angegriffen. Das Midvergnügen eines ftarfen Theils des Volks über vie vor wenig Jahren unternommene Regierungdveränderung war noch nit verglommen, und mußten die Glieder des Divand fi nod Immer unter befonderen Bedeckungen verfammeln. Das Bolf wollte den detbronifirten Shönen Sultan Achmed, der feinen hohen Stand fo wohl vorgeftellt, nicht vergeffen, und noch weniger feine Neigung defielben Better, dem neuen Sultan Mabmud, zuwenden, der ein Meiner übelgeftalteter blöder Herr und dabei miögeboren tft, indem ihm das männlide Glied aufwärts gegen den Nabel feſt gewadfen. Der über 20 Jahr entlegen geführte Perſiſche Krieg, die verſchiede⸗ nen Aufftände des Poͤbels zu Konftantinopel und die Griffe der Re sierung, den widerfinnigen Geift der Janitſcharen zu tilgen, hatten den Kern derfelben und der anderen Mannfchaft aufgerieben, und ZTachmas⸗Chan (Radir⸗Schah) gab in Perfien foviel zu fchaffen, daß obne Höhft empfindlichen Rachtheil zum Frieden dafelbft nicht zu ge- langen war” ©. a. a. 2. S. 130 ff.

432 Graf Bomeval.

den gefucht, in welcher Politik ihn der Rath der Ser mächte ') beftärkte. Jetzt aber trat der rafche und un erfahrene Ismael Paſcha, ein früherer Janitſcharenaga an feine Stelle und die Kriegspartei triumphirte. Mit vieler Mühe brachten die Seemächte einen Vermitte— lungscongreß zu Niemirow zu Stande, welcher währen des Krieges gehalten wurde und fruchtlos blieb.

Dei alledem kam Bonneval nicht in eigentliche ha: tigkeit und erhielt nach keiner Seite bin eine Leitung des Feldzugs. Nur die Vertheidigung Azow's hätte man ihm wohl gern anvertraut und er ward in diefer Angelegenheit, „wider Gewohnheit,” in den Divan ge rufen ?). ber er erflärte offen: „er könne in Anfchlag des Hafles, den Die Ianitfcharen wegen feiner dem Sul- tan präfentirten Bataillond auf regulärem Fuß auf ihn geworfen, und wegen feiner Unerfahrenheit in der türkr ſchen Art, Krieg zu führen, weder das Commando in Azow noch ein anderes annehmen.” Nicht Bon neval, wie Manche geglaubt zu haben fcheinen, war jener Ahmed Paſcha, der ald Paſcha von Bagdad den nidt zum Vollzug gekommenen Frieden zwifchen der Pforte

1) Darüber fagt Münnid) (a. a. O. &. 159): „Die Engländer und Holländer, die mit ihren Tüchern und andern Waaren eine der confide rabelften Branden ihrer Handlung nad der Levante treiben, Fönnten nit gerne fchen, daß man die Pforte fo herunter bringe. Denn wenn 3. E. die Türken, welche wie alle orientalifche Volker in der Bielheit der langen Kleider ihre Magnificenz ſuchten, ruinirt würden, fe müßten viele Zaufend Tuchmacher, fonderli in England, den Stuhl verkaufen. Dieſes fei die Urfahe, warum fi) die Secpüffancen, wenn es mit Nußland oder dem Röm. Kaiſer gegen die Pforte zum Kriege komme, fo eifrig um Mediation beftrebten, weil fie den Zrie: den alödann gemeiniglih nad ihrem Intereſſe abwägen, befondere aber fih vor einem ruffiihden Sommercio auf dem ſchwarzen Meere nah dem mittelländifhen, als wohin die ruſſiſchen Waaren größten: theils durch ihre Hände stugen, 1 fürqhten möchten.“

2) Münnich a. a. O. S.

Graf Bonneval. 433

und dem perfifhen Schah Zamafp vermittelte Nicht Bonnewal, fondern Topal Osman fehlug den Nadir Shah '), um nur zu bald, wie fein Nachfolger Abdul: lab Paſcha, von ihm gefchlagen zu werden, worauf Die Pforte den Frieden durch große Abtretungen erfaufen mußte. Bonneval Eonnte in der Hauptfache nur durch Rathſchläge helfen, die zuweilen befolgt wurden, zuweilen nicht, im Ganzen aber gut geweien zu fein ſcheinen. So rieth er bei dem Einfalle der Ruſſen in Die Krimm, ſich vor jeder Schlacht mit ihnen zu hüten, wohl aber ihnen foviel als möglich die Xebensmittel ab- zuſchneiden“). Hauptlächlich aber drangte er immer zu einem Separatfrieden mit Rußland und daß man die Hauptmacht gegen Defterreih wende. Dad Erflere ger lang nicht, Das Letztere aber gefihah und war auch in der damaligen Zeit ganz richtig. Auf der ruffifchen Seite kämpfte das Land felbft noch für die Türken und mochten fie in befleren Zeiten das etwa Verlorene wie⸗ der holen. Noch waren die Pofitionen, in denen Ruß⸗ land begründete Macht befaß, zu fern von den Lebens⸗ punkten der Pforte, ald daB auch ein weiteres Leber- fihreiten der Grenzen eine bleibende Gefahr hätte drohen folen. Dan wendete fich daher mit Kraft gegen Defter- reich, ald gegen den Feind, auf den man am meiften erzürnt und Der zur Zeit der gefährlichte war.

Diefer Krieg gegen Defterreich ging mit einem Glüde von Statten, wie ed die Waffen der Pforte ſchon lange vorher nicht und niemald nachher begleitet hat. Dieſes Glück kam auch Bonneval zu gute, deſſen Rathfchläge und feine Verdienfte um Organifation und Kriegszucht

1) rüber als Samofp, Kuli Aban befannt. 2) Münnich a. a. DO. &. 143

1. 19

434 Graf Bonneval.

der türkiſchen Armee) man jetzt ſchätzen lernte. Bon⸗ neval ward zum Statthalter von Chios ernannt. In deß theild feine unvertilgbare Unvorfichtigfeit, theils die fteten Ränke feiner Neider brachten ihn bald wieder um Einfluß und Gunfl. Doc ift er niemals eigentlich ge flürzt worden. Er blieb Chef der Artillerie und ver taufchte nur die Statthalterihaft von Chios mit der von Karamanien. Won diefer Zeit an fcheint er fid ganz der Meppigfeit der Ruhe ergeben zu haben und fuchte fih und Andern wenigſtens einzureden, daß er dabei glücklich ſei. Daß aber feine Zufriedenheit feine ungemifchte war, blickte Doch durch. So ſchreibt er in dem angeführten Briefe: „Ich bin der Meinung, daf Gott nichts befchloffen bat, was nicht gut und heilſam wäre, und daß folglich der Tod bloß ein eingebildetes Uebel tft und weit mehr für ein wirkliches Gut gehalten werden follte, da er in der allgemeinen Ordnung ber Dinge begriffen ift, die der Schöpfer für alle Weſen eingeführt bat. Stolz auf diefe unleugbare Wahrheit, genieße ich freilich mein Leben, das wie ein Blig ver: geht und mir von meinem Schöpfer bloß zu meinem Glücke gegeben ift. Oft wiederhole ich die zwei legten Zeilen aus der Dde Malberbes’ auf den Tod: «Vouloir ce que Dieu veut, est l’unique ressource, Qui nous met en repos.»

Vebrigend befinde ich mich vollfommen wohl. Sch habe weder dad Podagra noch den Schnupfen. Ich Fan noch reifen, als wenn ich erft 20 Jahre alt wäre, umd bin auch noch ein füchtiger Fußgänger. Nur derjenige

1) Er hätte vieleiht noch mehr für dicfe leiſten können, wenn nit Rußland dic italienifhen und franzöſiſchen Offiziere, welche Bonneval zur Seite ſtanden, zum nedertritt in ruſſiſche Dienſte zu beſtimmen gewußt hätte.

Graf Bonneval. 435

Zeufel, der den heiligen Paulum quälte und ihm fogar Maulfchellen gab, hat mich verlaflen, und zwar zu mei- nem großen Verdruffe.”

Doch ſchrieb er auch: „Meine alte Neigung zum Kriege wacht zumellen wieder auf, da ich noch Kräfte genug habe, noch manche Keldzüge mitzumachen.” Oder weiterhin: „Es iſt zwar wahr, DaB das allzu ruhige Leben, welches ich führe, einem Manne, der wie ich von feiner Jugend an in dem Getümmel der Heere und dem Geräufche der großen Welt gelebt hat, zumweilen auffänt, und Daß ich, wenn ich nicht eine gute Anzahl Bücher befüße, wenig meinem Gefchmade zufagendes Vergnügen haben würde.” Indeß er tröftet fich mit Benſerade's Worten über Hiob und feine Keiden:

«Il s’en plaignit, il en parla, J’en connais de plus miserables.»

Er fagt: „Hier thue ich, was ich will. Ich Iebe nach meinem Gefallen; mir geht nichts ab, ja ich kann fogar meine Reigung zur Verfchwendung befriedigen, Die man immer an mir getadelt hat. Bei allen Verfolgun- gen, die man gegen mich angeftiftet hat, habe ich weder meinen Appetit, noch meine Munterfeit verloren. Glück⸗ lich find Diejenigen, die ihre Philofophie im Blute ha- ben.” In demfelben Tone fchließt er: „Uebrigens, mein Bruder, lebet wohl, und erinnert Euch, daß es hienie⸗ den nichts als Narrheiten gibt, die man in Iuftige, eenfthafte, Eriegerifche, politifche, juriſtiſche, kirchliche, ge⸗ lehrte, traurige u. |. mw. eintheilen kann, daß aber nur die erften, nebſt einer fteten Deffnung des Unterleibes, uns ein vergnügtes und Ianges Leben verichaffen kön⸗ nen.” Ganz hatte er fich jedoch nicht von Europa los⸗ gemacht. Denn er fehrieb, nachdem er vorher bemerft hatte: „Ich habe mich zuleßt, mit einem vier Pfund

19 *

436 Graf Bonneval.

fchweren Zurban auf dem Kopfe, einem langen Bartı und langer Kleidung, in der Türkei niedergelaflen, und hätte anfangs vor Lachen berften mögen, wenn ich an Die Urfache diefer Maskerade dachte, die mich eigent- lich nicht in dieſen Abgrund hätte ſtürzen follen,” er fei gleichwohl feinem ganzen Haufe feine Vertheidi- gung ſchuldig.

Sin Einkommen belief fi noch zulegt auf 45,000 hol. Fl. jährlich und neben demfelben foll er auch von europätfchen Höfen, bejonderd wol von Frankreich, An- fehnliches bezogen haben. Er hielt die befte Zafel in Konftantinopel und fümmerte fi) um die Speifeverbote des Alkoran nicht, während er, wol nicht um Des Alto: rand willen, die Wohlthätigkeit, welche diefer fo befon- ders einfchärft, allerdings in reichem Maße übte. Sei ner Neigung zu gefchlechtlicher Ausfchweifung Fonnte er fi) als Mufelmann, bis ihn das Alter binderte, mit doppelter Freiheit bingeben. Er fol zuletzt aber doch von einer Rüdfehr nach Europa gefprochen haben; aber die Boten des Todes meldeten fi) und er erkannte fie. „Die alte Mafchine,” fagte er, „geht zu Ende. Ih weiß, daß ich Diefen Weg ziehen muß, und er Fünmert mich wenig, ob ed heute oder morgen: gefchieht.‘

Er farb am 22. März 1747. Seine hriftliche Ge mahlin, Judith Charlotte Prinzeffin ’) von Biron, mit der er fi 1717 vermählt hatte und die in Frankreich geblieben war, war ihm fchon 1741 vorausgegangen und er hatte Feine Kinder von ihr. Einen jungen Mailän: der hatte er an Kindesftatt angenommen und bieder erbte nicht nur fein Vermögen, fondern aud) feine Stelle

1) Diefe Birons wurden allerdings erft 1723 in den Fürften | ftand erhoben.

Graf Bonnenal. 437

ale Chef des Bombardircorps '). Der junge Mann war auch zum Islam übergetreten und hieß Soliman Aga?). Der Sultan ließ Bonneval ein prachtiges Denk⸗ mal in Pera feßen, worauf folgende Infchrift kam:

„Hier ruhet Bonneval Achmed Pafcha, den Die ganze Welt Fannte. Er verließ fein Vaterland und Erbtheil, um den Glauben der Moslemin anzunehmen. Bei den Seinigen erwarb er fi) in der Welt Ehre; aber durch feinen Uebergang zu den Rechtgläubigen ge- wann er Ruhm in der Ewigkeit. Er war ein Weiſer unfrer Zeiten und hatte ſowol ihre Größe und Hoheit, als ihre Widerwärtigfeiten erfahren. Weil er Dad Gute und das Böſe an fich felbft erprobt hatte, jo wußte er das Schöne von dem Häßlichen zu unterfcheiden. Voll⸗ fommen überzeugt von der Eitelkeit aller menfchlichen Dinge, ergriff er ‚den glücklichen Augenblid, in Die Ewigkeit überzugehen, und tranf diefen Kelch in der Freitagsnacht, der Geburtönacht des Herrlichſten unter den Propheten. Died war die glüdliche Stunde, Die er fih erwählte, fich in die Hände der Barmherzigkeit zu geben. Das Paradies fei der Aufenthalt des Bonneval Ahmed Paſcha!“ Auf der tanderen Seite ded Grab: mals lad man: „Betet um Gottes Willen die Worrede des Alkoran für die Seele des Achmed Paſcha, des Dauptes der Bombardirer.”

1) Mercure hist. Th. 123, &. 139. Bergl. Ebend. Th. 122, S. 490. (Ranft) Geneal. hift. Nachr. Th. 112, S. 299. Die ihm zugefhriebenen Memoiren find uncht, und wie die bei feinem Leben erfihienenen Biographieen Bonneval's voller Unrichtigkeiten.

2) Einige geben ibn für einen Grafen de la Tour, zugleich aber, was wahrſcheinlich, für cinen uncheliden Sohn Bonneval's aus.

XXl. Lord Lovat.

In Lord Lovat begegnen wir einem Charakter, welcher von allen fo philoſophiſchen als myſtiſchen Vorurtheilen und Schwächen des 18ten Jahrhunderts frei war, aber auch der edleren Segnungen des Menſchenherzens er: mangelt zu haben und ein vollendeter grober Egoiſt ge⸗ weſen zu ſein ſcheint. Statt der abenteuerlichen, wenn auch mit, den einzelnen Fall geſchickt behandelnder Ge wandtheit gepaarten Unbeſonnenheit eines Bonneval, entfaltete er die raffinirteſte Klugheit, die doch nichts we⸗ niger als echte Weisheit war. Mit dem 18ten Jahr⸗ hunderte hatte er die finnliche Luſt, die ironifche Welt: verachtung, den Proteft gegen Die älteren moraliſchen Bindemittel und die nackte Selbſtſucht gemein, flellte dies alles aber in der eifernen Kraft einer früheren Zeit und in der befonderen Schärfe des fchottifchen Cha- rafters dar.

Simon Frafer Lord Lovat, ein jchottifcher Peer, noch in den 70er Jahren des 17ten Jahrhunderts geboren, batte 1710, wegen einer groben geichlechtlichen Aus- fhweifung, fein Vaterland verlaffen müflen, war an den Hof von St. Germain, wo fih alle Unzufriedenen der britifhen Infeln fammelten, und der in ihrer Auf:

BG nicht wählerifch fein fonnte, gegangen und ba

Lord Leyet. 439

ſelbſt zur römiſch⸗katholiſchen Kirche übergetreten. Da er aber Fein Herz für die jakobitiſche Sache hatte wie überhaupt für Feine vielmehr berechnete, DaB ihm Verdienfte um die in England berrichende Partei grö⸗ Bere Vortheile bringen Fönnten, fo hatte er Ränke ge: fponnen, welche entdedt wurden und ihn in die Baftille brachten. Wieder freigelaflen, trat er in den geiftlichen Stand und benahm fich äußerlich fo beuchleriich, Daß er fih in den beften Ruf eremplarifcher Frömmigkeit feßte, während er, ein wahrer Zartuffe, gleichzeitig in zahl: reiche Liebeshändel verwidelt war. Eben waren diefe in Begriff, ruchtbar zu werden und ihn an weiterer Sortfegung feiner Heiligenrolle zu verhindern, alö der Zod der Königin Unna (1. Auguft 1714) und das Belangen des Haufes Hannover zu dem britifhen Throne feinen Berechnungen eine neue Unterlage und ein neues Ziel bot. Er calculirte jebt, DaB die neue Dynaftie An⸗ hänger in Schottland brauchen, daß ſich Gelegenheit bieten werde, fich Verdienfte um fie zu erwerben, und daß er dadurch die Kolgen früherer Anftöße austilgen könne. Er war aber auch bereit, fich die gleichen Ver⸗ bienfle um die vertriebene Dynaftie zu erwerben, wenn ee fände, Daß deren Actien beffer ftänden, als die Han⸗ noverd. Er verließ den geiftlichen Stand und ging nach Schottland zurüd, wo er denn bald fand, daß die jafo- bitifche Sache zur Zeit Feine Ausfichten habe, und ſich Daher mit ganzer Kraft und Gefchidlichkeit dem unbe: fonnenen Unternehmen von 1715 entgegenſetzte. Dadurch fegßte er fich in fo guten Credit bei der Regierung, daß er nicht nur eine Amneftie für feine früheren Vergeben, fondern auch die durch ihren Befiger verwirften Güter der Lovats erhielt. Er ftand nun an der Spike dee mächtigen Clans der Fraſer, heirathete auch erſt eine

440 Lord Lovat.

Grant, die Tochter eines der bedeutendſten Häuptlinge, dann, nach deren Tode, eine Verwandte des Herzogs von Argyle, die ſich jedoch bald wieder von ihm ſcheiden ließ. So erweiterten ſich ſeine Verbindungen und ſein Einfluß nad) allen Seiten. Von der engliſchen Regie: rung zog er bedeutende Jahrgelder, und ward auch mit fonftigen Gunftbezeigungen derfelben überhäuft. Dan wußte in London fehr gut, daB man ihn bezahlen müfle, um ihn zu haben, und hatte den beften Willen und Stauden, ihn fehr gut zu bezahlen. Indeß das alles war ihm noch nicht genug, und hauptfächlich er wollte ſich von beiden Seiten bezahlen laſſen und nach beiden Seiten hin eine Thüre offen halten. Schon feit 1736 ließ er fi) in die jafobitifchen Umtriebe ein, und als im Jahre 1739 der fpanifche Krieg erklärt ward, trat er, mit anderen fchottifchen Ebdelleuten, in Verbindung mit Frankreich, gegen welches man fich erbot, falls es ein Heer nad) Schottland bringe, 20,000 Mann dazu ftoßen zu laſſen. Der Cardinal Fleury fcheint Dem Unterneh men nicht ganz abgeneigt gewefen zu fein. Nach feinem Tode behandelten ed Die Franzofen nur als eine Art Popanz, da fie wohl willen mochten, daß die Sache der Stuartd auf immer in England verloren fei, und daß Englands innere Kraft zu gediegen fei, un Durch ſolche Verſuche mehr als vorübergehend erfchüttert zu werden. Der Pratendent aber, Karl Eduard '), faßte fehr erflär- lihe Hoffnungen, ging nad Paris, Tieß fi) von den Franzofen zu ihren Blendwerken gebrauchen, und als er endlih fah, daB man ihn immer nur hinhielt, ohne etwas Größered an feine Sache wagen zu wollen, fo war ed wohl erflärlich, daß er Den verzweifelten Ent:

17%, + 31. Ian. 1788, beides zu Rom.

Lord Lovat. 441

ſchluß faßte, die Sache auf eigne Hand durchzuführen. Er vertraute dem wahren Enthuſiasmus eines begeiſte⸗ rungsfähigen, treuen und ritterlichen Volks und berech— nete nicht, Daß dieſe treuen Seelen wol das Heer bil- den und im Falle des Midlingend die Opfer wer« den, Daß aber die Enticheidung von den Führern und von dem Stande der Kräfte abhängt.

Den fchottiichen Verſchwornen und namentlich Lovat fam die Unternehmung des Prinzen höchſt ungelegen. Die Aufrichtigen unter ihnen hätten wol zu einer von Frankreich mit ganzer Kraft geführten Erpedition Ver— trauen gehabt und, wenn nicht den Sturz der Dynaftie in England, doch das Miedererringen einer ftaatlichen Selbftändigkeit Schottlands von ihr gehofft, aber fie fannten die Verhaltniffe zu gut, um zu glauben, daß auch nur dad von den bloßen eignen Kräften des in fih gefpaltenen Schottlands zu erwarten fei. Frankreich aber gab nichts, als ein wenig Geld, Waffen und die Erfaubniß für die in feinen Dienften ftehenden fchotti- {hen und irifchen Offiziere, dad Abenteuer mitzumachen. Lovat wäre wahrſcheinlich auch an einer franzöfiichen Erpedition nichts gelegen, fondern das Liebſte geweſen, wenn er auch ferner von Frankreich und dein Präten- denten durch Nahrung ihrer Hoffnungen Geld ziehen, durch Theilnahme an der Verfchwörung auf die Iafo- biten Einfluß üben, und zugleich von der Regierung ſich für den Verrat und die Vereitelung dieſer Plane be zahlen laſſen konnte.

Indeß als Karl Eduard nach Schottland kam (1745) und im Anfang glänzende Erfolge hatte, mußte er ſich doch erklären, konnte er wenigſtens nicht gänzlich un⸗ thätig bleiben. Im Anfang zwar hielt er ſich zur Re⸗ gierung und begnügte ſich, ſeine Leute zu rüſten und be⸗

19 **

42 Lord Lovat.

reit zu halten, indem er beide Theile hoffen ließ, daß er zu ihnen ſtoßen werde. Als aber bei Preſton Pans am 1. October 1745 der wilde Muth der erhitzten Berg— fehotten über eine die Gegner unflug veradhtende Min: derzahl der Regierungstruppen gefiegt und damit die Hoffnungen der Aufftändifchen auf ſchwindelnde Höhe getrieben hatte, ließ Frafer feinen Sohn, der zu dem ganzen Unternehmen Feine Luſt gehabt haben fol, mit 500 Clandleuten zu dem Heere de Prinzen ftoßen. Hier hatte der alte Fuchs nicht richtig calculirt. Jener Sieg war ein Zufall, ein Erzeugniß ded Augenblicks und darum nur auf den Augenblid wirkend; die Niederlage bei Sulloden, 27. April 1746, war der Ausdruck de wahren Standes der Verhältniſſe und darum ent feheidend.

Lord Lovat felbft mußte in Die Gebirge flüchten und ward in einem hohlen Baume ergriffen. Jetzt begann er die Rolle, in der der adhtzigfährige Greis noch zum legten Mal all feine Heucheffünfte entfaltete, um fid wo möglih aus den Schlingen feiner Feinde zu be freien, fei ed durch die Gunft der Großen, fei ed durch den Einflyß der öffentlichen Meinung, im ungünftigften Galle aber fih doch noch an feinen Gegnern durch das Ddium, das er ihnen zuzog, zu rächen und mit einem beſſeren Ruhme aus der Welt zu gehen, ald den er im Leben genoffen und verdient haftee CE muß in den alten Zeiten öfters folche zähe und aalgleiche, proteus: artige Charakter gegeben haben, und die deutſche Poefic des Mittelalters hat einen folchen in einem der größten Kunftwerke der Welt gefeiert; in Neinede dem Fuchs, dDefjen treues Abbild Lord Lovat war.

Zunächft verfuchte er ed, ob er nicht die Sieger be- ſchwatzen fünne, und fchrieb 22. Juni / 3. Juli an den

Lord Lovat. 443

Herzog von Eumberland Folgendes: „Durch dieſes un- terthänige Schreiben wendet fi) an Ew. königliche Ho- heit der unglüdliche Lord Simon Frafer von Lovat. Ich würde mich nicht unterftehen, Em. königliche Hoheit um die geringfte Gnade zu bitten, wenn nicht der größte Theil der der Regierung zugethanen Einwohner des Landes, wie der Lord Prafident und Die damaligen An- hänger des Hofes, fich noch erinnern müßten, daB ich 1715 zur Unterdrüdung der Rebellion, mit Gefahr mei- ned Lebens und Verluft meines einzigen Bruders, Em. königlichen Hoheit Familie mehr wefentliche Dienfte ge: feiftet, ald irgend eine einzige Perfon meines Standes in ganz Schottland. Ich wurde bei diefer Gelegenheit, im Namen des Königs, meined Herrn, durch den Gra- fen von Stanhope, damaligen Staatsfecretair, mit drei Schreiben beehrt, worin Se Majeftät mir ganz bejon- dere Beweile ihrer Gnade gaben, die das ganze Vater: land zu einer unverbrüdhlichen Zreue hätten bewegen follen. Ihre Majeftät ließen es auch nicht bei bloßen Worten bewenden. Als ich bei Hofe anlangte und Sr. Majeftät durch den verflorbenen Herzog von Argyle vorgeftellt ward, erlangte ich von Stufe zu Stufe einen fo hohen Grad königlicher Huld, wie man noch an kei⸗ nem einzigen Schotten wahrgenommen, und hafte zum Öftern Die Ehre, in den Parks von Senfingfon und Hamptoncourf Ew. Eönigliche Hoheit auf den Armen zu haben, um Sie St. föniglihen Majeftat, welche für Solche, fowie für die Föniglichen Prinzeffinnen, befon- dere Zärtlichkeit zeigten, zu einer großväterlichen Umar- mung darzureichen. '). Ich beichwöre Sie Daher, mein

1) Man kann über den alten Fuchs, der folde Grinnerungen anzieht, ärgerlid werden und feine Untreue doppelt ftrafbar fin-

444 Korb Lovat.

Herr, ſich von den betrübten Umſtänden, worin ich mich befinde, rühren zu laflen und mir Merkmale Ihrer Güte und Großmuth zu geben. Sollte ich die Ehre haben, bei Ew. Föniglichen Hoheit zum Handkuß gelafien zu werden, fo würde ed mir nicht ſchwer fallen, Sie zu überzeugen, daB ich Dem König und der Regie: rung noch ſolche wesentliche Dienfte zu leiften im Stande fei, wie man fi von dem Elend neunund: fiebzigjähriger Greife, wie ich bin, der ich noch dazu allen Gebrauch meiner Hände und Füße bereits verloren, wol nimmermehr vorftellen ſollte. Ihr königlicher Herr Vater, mein allergnädigfter Herr, war im Sabre 1715, in Vergleich mit und, noch fehr jung, ald ich Demiel: ben eine Fürbitte für den Lord Macintofh knieend zu überreichen und Seinen Schuß für denfelben zu erbit- ten, die Ehre hatte. Ihro Majeſtät geftanden felbigen zu und gaben die Begnadigung Dero Kammerherrn, Karl Katheart, mit Befehl, fie in meine eignen Hände zu liefern, Damit ich foldhe gedachtem Lord zuftellen fünne. Es ift Diefes unter fo vielen. Zeichen der Güte nur Eines, womit Se. Majeftät '), während der Abwe: fenheit des Königs in Hannover, mic) zu begnadigen beliebt haben, und ich zweifle nicht, daB das Blut, welches in den Adern Ew. Föniglihen Hoheit wallt, eben fo großmüthig und mitleidig fei.‘

Es half aber nichts. Lovat ſaß erft im Fort Wil: beim, dann im Hort Auguft und ward im Auguſt nad London gefchafft, worauf im November das Unterhaus

den. Aber e5 ift allerdings eine fhwere Aufgabe, einen Mann, der folhe Beziehungen anführen Fann, köpfen zu laffen.

1) Hier ift der 1745 regierende König Georg IT., Vater des Ders zogs von Gumberland, Großvater Georgs III. Sohn des 1715 re gierenden Königs Georgs I. gemeint.

Lord Lovat. | 445

ihn bei dem Oberhauſe wegen Hochverraths belangte. Bei diefem Prozeſſe fuchte er nun alle Chicanen hervor, ihn fo lange ald möglich hinauszuziehen, fo daß er der Krone an 10,000 Pf. St. gefoftet haben fol. Als end- lich alles nichts Half, ſpeculirte er nur noch auf die öf- fentliche Meinung, welche über die, fobald man nidht an die Zeiten der Stuartd dachte, zahlreihen Bluturtheile allmälig unmuthig ward. Bei der Schlußverhandlung vor den Schranken des Oberhaufes zeigte er fich demü- thig und ergeben und machte nur fein Alter, feine Ge- brechlichkeit, feine Hilflofe age, die Erbitterung feiner Feinde, feine Zaubheit, Die Schwäche feiner Stimme in fo weitem Raume und vor fo großer Verfammlung, endlih das Anftrengende und Ermüdende des ganzen Verfahrens geltend. So fand der argliftige Mann mehr Theilnahme im Wolfe als viel Beſſere. Der Prozeß zog fi) Iange hinaus. Dennoch ward er Ende März 1747 vom Dberhaufe des Hochverraths fchuldig erflärt und zum &ode verurtheilt. Wie gewöhnlich ward, ftatt der barbarifchen Strafe des Hochverraths), im Wege der Strafverwandlung die Enthauptung mittelft Beiled ver: bängt. Nach Anhörung des Urtheild hielt der Lord eine kurze Rede an das Gericht, die voll beißenden Spottes war. Seine Freunde bemühten fi, ihm Begnadigung, oder doch Aufihub der Vollziehung des Urtheild auf fünf Jahre, während welcher fie feinen natürlichen Tod erwarteten, zu erwirfen, und da der Wunfch, einen recht fchlechten Menfchen recht hart beftraft zu fehen, zwar natürlich, aber Doc auch falih und unvernünftig, und

1) Die Strafe des Hochverräthers war eigentlich, daß er erſt ge⸗ hängt, halb todt wieder abgeſchnitten, die Eingeweide aus ſeinem Leibe geriſſen und verbrannt, fein Kopf abgeſchnitten und ver Leib geviertheilt wurde.

446 Lord Lovat.

eigentlich ſchon ein Zug von Rachſucht und Haͤrte iſt, vielmehr bei dem Anblick eines recht ſchlechten Menſchen nur der Wunſch ſeiner recht gründlichen Beſſerung in uns erwachen ſollte, wir auch gar nicht wiſſen können, ob die ſogenannte Todesſtrafe wirklich eine Strafe iſt, fo hätte man ihnen die Erfüllung ihres Verlangens wol gönnen mögen. Ein feltiamer Umſtand war es Dabei, daß ein Menich, von dem wir nicht wiflen, baf er irgend einen Zufammenbang mit Lovat gehabt, den auch Feine Theilnahme für denfelben geleitet zu haben ſcheint, durchaus ftatt Lovat's zu flerben begehrte. Es war dies ein gewifler John Painter aus dem St. Johns: collegium zu Oxford. Er richtete Schreiben an den K: nig, an den Grafen Chefterfield ') und an Mr. Pelham?). Daß er für Lowat feine Theilnahme fühlte, ergab fih aus diefen Schreiben ſelbſt. Dem König fchrieb er, er möge. den unwürdigen Verräther, der um das Leben bitte, mit dem Xeben ftrafen, ihn aber fterben laſſen. „Laſſen Sie mich,” fchrieb er, „dad Haupt auf den Block legen und furchtlos jenen Streich empfangen, von welchem ich wahrhaftig glaube, Daß er die Sede vom Leibe trennen und damit von al ihrem Elende be freien werde.” An Lord Chefterfield ſchrieb er: er bitte um weiter nichts, ald daß Lovat und feine Familie, wegen des großen Verbrechens der Rebellion, deflen dDiefer Lord überführt worden und weshalb diefer Ber: räther ganz rechtmäßiger Weile zum Zode verurtheilt

1) Der berühmte Berfaffer der Letters to his son, Philipp Dor: mer Stanbope, Graf v. Shefterficld, geb. 22. Sept. 1694, + 24. März 1773.

2) Henry Pelham, Bruder des Herzogs von Newcaftle, lange Mitglied des Minifteriums Walpole, dann zur Sppofition überge treten und 1743 Nachfolger Walpole’s, + 1754.

Korb Lovat. 447

worden, begnadigt werden und daß man ihm dagegen, zu völliger Genugthuung für die Schuld dieſes Lords, den Kopf abfchlagen möge. Dabei war diefem Wahn- finne Humor beigemifcht. Der gleichfalld wegen des fchottifchen Aufſtandes bingerichtete Lord Kilmarnod batte bei Befteigung des Schaffotted gefagt: „Herr, das ift erſchrecklich“ In Bezug darauf fchrieb Painter an Lord Chefterfield: „Mylord, ich Tann ungefcheut die Verficherung geben, daß ich in Betreff der Gnade, um die ih Sie anfpreche, Ihnen durh Mangel an liner- fchrodenheit bei dem Anblicke des Todes Feine Schande machen werde, und DaB alle Zeufel des Milton, mit allen Geiftern der bei Eulloden erfchlagenen Schotten, wenn fie befehworen werden könnten, zur Stelle zu kom⸗ men, mich nimmermehr bewegen follten, bei Befteigung des Schaffotd zu fagen: Herr, Das ift erfchredtich.” In dem Schreiben an Mr. Pelbam bob er befonders hervor, daß er eine Gefälligfeit beanfpruche, binfichtlich deren er gar fehr zweifle, ob noch fonft Semand ſich mit ihm darum Mühe geben werde, wo er vielmehr glaube, daß Fein einziger Menjch weiter in der ganzen Nation Sei, der fie annehmen möchte. Dad aber fcheint der Keim dieſes Wahnſinns geweſen zu fein, daß Pain- ter beweiſen wollte, er fürchte den Tod nicht, und ſich viel darauf einbifdete.

Lovat erhielt Feine Gnade. Die Nachricht, daß der Tag feiner Hinrichtung beftimmt fei, trübte feine Hei⸗ terfeit keinen Augenblid und er beobachtete vielmehr von nun an die Haltung eines yphilofophifchen Spöüttere. As fein Wörter ihn einige Zage vor feinem Zode fragte, ob er weißen oder rothen Wein wolle, antwor- tete er: „feinen weißen, wenn ihr nicht wollt, daß ich mit einem Larirmittel im Leibe vor dem Blod er:

448 arı Saat

eme Gi der Min des Zewer ibn fragte, was = za. meer ee: ‚We Gute, denn ich be erz mi zz men Tr, we fc leicht fan: Majors au ’or ren Gemriiizuernants bingchen.“ Cr übte ah fırmi:h en, Ye Rees on der Tragẽdie mir An- Sin? 'stior Am Tage ver kinem Tede ſprach cr ac zum Sa Serhenter Areunde uber die ins Par—⸗ limmr zehrsähte Bl wezm Aufhebung der ſchottiſchen Ersmisritcfen a ſagte: er wände, daß all Harzer, die für dieſeibe Kummm würden, den Durdfall kerzmeı misten Gr erlangte, daß fein Leichnam nach Schettland gebracht und in ſeiner Familiengruft in ter Kirche zu Kirkhill beigeſezt werden ſolle. Cr habe zwar früher in ſeinem Teſtamente verordnet, daß die Pftijer und Rufikanten von Edinburgh vor feinem Sarge ber friden fehlten; das werde jekt freilich nicht wohl angchen, indeB vertraue cr doch, daß die guten alten Weber in feinem Lande ihm zu Ehren cin Kla— gelied anſtimmen wurden Dos Schaffot beflieg er am 20. April 1744 mit volliger Heiterkeit, fprach feinen Freunden Muth und Zroft zu, erinnerte an das dulce et decorum est pro patria mori und legte, nachdem er noch die Worte des Dvid recitirt:

» Nam genus et proavos et quae non fecimus ipsi

Vix ea nostra voco« !) fein altes graues Haupt auf den Blod, wo ed der Scharf: richter mit einem einzigen Streiche vom Körper trennte?).

1) Denn den Stamm und die Ahnen und was wir nit felber

vollbrachten, Nenn' ich das Unſrige kaum.

2) Memoirs of the Life of Lord Lovat; London, 1746. Mere.

hist, Th. 122, S. 440 und 545. (Ranft) Gencal. Hiſt. Nad:

x 118, &. 889, Th. 119, 6. 1016, 3. 1%0, ©. 1073.

XXI. Spufgeihichten am Eurtrierifchen ofe,

Der Hof zu Ehrenbreitftein war noch im 18ten Jahr: hunderte mehrfach Die Scene von Spukgeſchichten. Dft wenn 3. B. der Kurfürft Iohann Philipp ') am fpäten Abend, in fein Brevier vertieft, durch die Gemächer fehritt und zulegt in Das äußere Vorzimmer gelangte, fah der wachthabende Gardift durch die Glasthüre einen Herrn in grauem Rod zur Seite ded Kurfürften, der fih, troß feines ernften Weſens, auffällige Freiheiten mit dem Fürften herausnahm. inftmald bemerkte der Gardiſt fogar, daß der verdächtige Fremde einige Schritte hinter dem Kurfürften zurüdblieb und ihm Schnippchen ſchlug und Nafen drehte. Da Fonnte fich der ehrliche Soldat nicht enthalten, Die Thüre aufzureißen, um den frechen Spötter zu faflen, erftarrte aber zur Bildfäule und flarrte offnen Mundes, ald er den Kurfürften ganz allein fah und Diefer, fi) herumdrehend, nach der Ur: fache des ungebührlichen, ungeſtümen Eintretend fragte. „Ich babe mich fo erfchredt um Ew. Kurfürftliche Gna⸗ den,“ ftanımelte der Gardift, „der frevelhafte graue

1) Zohann Philipp, Freiherr v. Walderdorf, geb. 24. Mai 1702,

Goadjutor zu Trier 11. Juli 1754, Sturfürft 18. Ian. 1756, Bi⸗ fhof zu Worms 20. Juli 1763, + 12. Ian. 1768.

450 Spukgeſchichten am Eurtrierifhen Hofe.

Rod” „So, ift der wieder da gewelen? das ift ein alter Bekannter,” entgegnete der Kurfürft, und hieß den Soldaten auf feinen Poften zurüdgehen.

Bedeutfamer war eine andere Vifton, deren Gewährs- mann der alte Obriftlieutenant Alerander Friedrich v. Zrautenberg war. Diefer hatte ald Leibpage Die Auf- wartung bei dem Kurfürften, ald der Gardeobrift v. Eh renfeld eine befremdliche Ausfage des Gardiften rappor: tirte, der in der vorhergehenden Nacht in der Außerften Antichamber auf Poften geftanden hatte. Diefer Gar- dift ſah namlich gleich nach Mitternacht einen Mann, den er für den Kurfürften hielt, von mehreren Gavalie ren begleitet, unter Vorantritt zweier Pagen, Deren Je der eine Girandole. trug, den Haupfgang berabfommen und raſch an ihm vorübergehen. Anfangs Dachte er nichts Arges, fpater aber fiel es ihm bei, Daß er von den vielen Perfonen auch nicht einen Tritt gehört, und daß der Kurfürft ungemein bla und mager auögefehen habe. Der Kurfürft gab hierauf, nach augenblidlichem Schwei: gen, Befehl, daß in der nächſten Nacht derfelbe Mann Denjelben Poften einnehmen, genau auf Alles merken und zumal Darauf achten jolle, wohin ſich die Geſellſchaft wenden würde. Gr folte einen Kameraden zu fich neh men, was er aber ablehnte‘). Wie das vorige Mal, famen zuerft zwei leuchtende Pagen, dann ein Kurfürft mit langem weißen Bart, in einen prächtigen Zalar

1) Das kann ein Beweis des Muthes fein, Fönnte aber aud auf den Verdacht führen, daß der Hatſchier ein Windbentel geweſen fei. Möglich aber au, daß er den Kurfürften auf cinem Geheim⸗ gange belauſcht hatte, und daß das Weitere eine Myftification war, durch welche man ihn in dem Gedanken beftärken wollte, er habe Geifter gefehen. Doch woher wäre dazu die Räumlichkeit gekommen, von der wir hören werden?

Spukgeſchichten am kurtrieriſchen Hefe. 451

gekleidet, bierauf fein Gefolge. Die Thüren des Vor⸗ simmerd, in Das fie eintraten, blieben offen und der Hatfchier folgte ihnen nah. ALS fie im dritten Zimmer angefommen waren, wendeten fie ſich rechtd und bier zeigte fich an der vergoldeten Zapetenwand eine fonft nicht Dafelbft zu bemerkende Thüre. Die Pagen mach⸗ ten Spalier, der Kurfürft fchritt hindurch, die übrigen Herren und zulegt die Pagen folgten. Auch der Hat- ſchier fchlüpft endlich durch die Thüre und tritt auf einen Balken, von den er in den weiten Raum einer von Menichen erfüllten Kirche fchaut. Im Chore niet, dem Grabftein den Rüden zuwendend, ein in lange Sewänder gehüllter Dann, über deflen Haupt drei Bi- ſchöfe eine Krone halten. Da erfcheint auf der entge⸗ gengefegten Seite die Wache; der Hatfchier fchlüpft zur Zhüre heraus ') und Thüre und Alles ift verichwunden. Der Kurfürft fragte den Gardiften, ob er fich erinnere, den ihm erfchienenen Kurfürften fchon fonft geſehen zu haben. Der Gardift glaubte das, und als ihn nun der Kurfürft nach dem Speifefaal führen ließ, wo die Bild⸗ nifle der alten Kurfürften hingen, erkannte der Gardiſt feine Ericheinung in dem Bilde des Kurfürften Philipp Chriſtoph. Bald darauf kam die Nachricht, daß Kaifer Sranz I. am 18. Auguſt 1765 geftorben fei und die Krönung Joſephs II. bevorfiche. Das hatte denn die Bifion bedeutet.

Im Herbfi 1767 wurde eifrig an einer Umgeſtal⸗ tung der Purfürftlihen Winterwohnung gearbeitet. Jo⸗ hann Phuipp betrieb die Arbeiten felbft und befuchte täglich in den Mittagsftunden den dabei befchäftigten Zapezier. Eines Tages fand er ihn am Zuße der Lei⸗

I) Warum?

452 Spulgeſchichten cm kurtrieriſchen Hofe.

ter wie todt liegen. Er fchaffte ſchleunigſt Hilfe herbei, aber ed währte lange, bevor er ein Lebenszeichen gab, und erft am andern Morgen Ponnte er erzählen, was ihm begegnet fei. Da berichtete er denn: es ſei ein Herr in rotbdamaftenem GSchlafrode hereingefommen, den er für einen Hofcavalier gehalten und eine ſtumme Reverenz gemacht babe. Diefer aber habe ihn gar grie⸗ felig angeblickt und mit einem boshaften Lächeln gefagt: „Du machſt Dir da viel vergebliche Arbeit; ein andäch⸗ tig Vaterunſer zu beten, follte Dir und ihm wol die- licher fein. Wille, daB Derjenige, für den Du dide Zimmer fchmüdeft, fie nicht beziehen wird.” Erfchroden babe er ein Kreuz gefchlagen und das Vaterunſer be ginnen wollen. Da fei die Geftalt in Rauch zerfloflen, ein fchallendes Gelächter ertönt und er bewußtlos von der Leiter gefallen. Das geſchah am 16. November 1767; am 25. erkrankte der Kurfürft und flarb am 12. Januar 1768.

Am berufenften aber war die Silberkammer im nörd: lichen Flügel des Schloſſes. Hier ſah man zahlreiche Verfammlungen, unheimliche Geftalten, bald einzeln, bald in Zügen herausfommen, hörte feltfame Töne und fremde Sprachen, fah die Fenſter beleuchtet, fand Die verfchlof fene Thüre offen, fur; Spuf über Spuk. Es hatte aber auch in diefen Räumen 1631 und 1632 der M. Felir Wendrownikius gewohnt, deflen oftenfibelftes Gewerbe die Goldmacherei war, während ihn Manche für einen Agenten Bethlen Gabor’d hielten. Dies nahm die Hofleute, welche die Praktiken ihres Herren mit den Franzoſen und deren Verbündeten nicht billigten, gegen ihn mächtig ein und fein befonderer Feind war der fonft bei dem Kurfürften überaus einflußreiche Geheime Käm⸗ merer Michael Wiedmann. Man muß dahingeftellt fein

N

Spalgeſchichten am kurtrieriſchen Hofe, 453

laflen, wieviel Antheil fein Grol, oder politiihe Zen- denz an folgender Erzählung hat, oder wie weit er jelbft getäufcht geweien. Am 2. Juni (1632?) hätte er gern gefehen, wenn der Kurfürft zeitig zur Ruhe gegangen wäre, denn fein Schwiegervater, der Zöllner von Bop- pard, aus dem edlen Geſchlechte von Nettesheim, war zum Beſuch gefommen. Aber gerade diefen Abend blieb der Herr über Gewohnheit Tange beim Abendefien, und ald er ihm dann zur Ruhe leuchten wollte, erfuhr er, dag er ihn erft noch zu dem Ungar zu begleiten babe, defien Arbeit ſich der Kurfürft erft noch anfehen wolle. Der Ungar erwartete fie bereits. Er hatte in die Mitte des Gemachs einen großen Schragentifch gezogen, worauf ein Zeller und auf diefem ein Becher fand. Im Dfen brannte ein flarfed Feuer. Sie bewunderten die ſchöne Arbeit des Bechers und Tellers, an welchem legteren „Heidenköpfe,“ wahrfcheinlich antife Münzen, angebracht waren. Dann aber verlangte der Kurfürft: daB das Weitere vorgenommen werde. Der Ungar bat fußfällig, feiner Schwachheit zu fchonen, erhob fich aber, als der Kurfürft zornig auf feinem Sinne beharrte, und ver- fiherte, daß nicht Furcht ihn abhalten folle, den Willen Sr. Furfürftlichen Gnaden zu thun. Dad Werk fei aber für ihn mit der höchften Gefahr des Leibes und der Seelen verknüpft und fo müfle er einige Vorſchriften zur Befolgung empfehlen. Er fchob nun einen altfran- tifchen Armfeffel herbei und Iud den Kurfürften ein, ſich darauf niederzulaffen, unter Teinerlei Umftänden aber davon. zu erheben, oder auch nur ein einziged Wörtlein zu fprechen. Sonft fehe er, der Ungar, feinen gewiſſen Zod vor Augen. Der Kämmerer ward hinter den Stuhl poftirt und gewarnt, weder von dannen zu weichen, noch einen Laut vernehmen zu laffen. Der lingar legte nun

Ba Gpuigefiäten am kurtrieriſchen Hofe.

um den Becher mit den Heidenföpfen einen mit dem andern Ende an dem Schmelzofen befeftigten Draht, 309 demnächft, unter beftändigem leiſen Gebet, drei Kreife um feine Säfte und führte endlich von dem äußerften Kreife einen geraden Strich nad dem Schmelzofen. Nachdem er auch noch die brennenden Lichter, in Ge ftalt eined Zriangulums, um den Zeller gefebt, kniete er vor den Dfen nieder, wo er fortfuhr, leiſe zu beten, auch von Zeit zu Zeit aus der neben ihm ſtehenden Büchfe eine Species in die Flamme warf, worauf dann jedesmal ein gewaltiges Prafleln im Dfen entfland und worüber die Gluth aufs Heußerfte zunahm. Das modte eine Stunde gewährt haben, und der Kämmerer fah, wie der vom Dfen zum Becher gehende Draht erglühte, auf dem Becher dicke Tropfen ftanden, inwendig aber es in den fchönften Farben blitzte und fpielte, wie er cd oftmals auf der Silberhütte geſehen. Allmälig gewahrte er ein Dehnen und Reden an dem Becher, der ausein⸗ anderging und an Höhe zunahm, wie auch die Heiden föpfe fichtfich zu wachfen ſchienen. Immer eifriger mur⸗ melte der Ungar und immer höher ſchwoll der Becher, bis er beinahe mit den Rändern an die Dede fließ. Da erfholl ein Donnernder Knall und heraus fprangen die Heidenföpfe, ald Männer mit Bärten und langen Män- teln, gar fchauerlich anzufehben. Sie fchloffen einen Kreis um den Kurfürften und der letzte fiel vor der dieſem zunächft ftehenden Geftalt auf die Knie, zeigte auf den Kurfürften und fagte: „Das iſt derjenige, welcher das römische Reich den Galliern zu überliefern begehrt.” Darauf ſteckten fie die Köpfe zufammen, ald gingen fie zu Rathe, und wie das Flüftern zu Ende, brachte der am entfernteften Stehende ein breites Schwert unter dem Mantel hervor, rief: „das fchidt Das Gefeb dem

u

Spulgeſchichten am kurtrieriſchen Hofe. 455

Verräther’)I” und that einige Schritte vorwärts, ale wollte er auf den Kurfürften einhauen. „Helf, helf, Michel!” rief diefer mit erflidter Stimme, und fofort war alled verſchwunden. Der Kurfürft lag in Ohnmacht; auch der Ungar war wie leblos auögeftredt auf dem Boden und mit Mühe gelang ed dem Kämmerer, den Kurfürften wieder zur Befinnung zu bringen, worauf auch der Ungar fich todtenbleih erhob und den Kurfür- ften in deflen Schlaffammer bringen half. Als der Un⸗ gar fortging, fagte er dem Kämmerer noch: „Ich weiß, daß Ihr mir von Herzen gram, und follt Ihr bald des Ueberdruſſes an mir entlebigt fein. Doch will ich nicht von Euch fcheiden, ohne eine Warnung zu binterlaffen. Sorget, daß der goldne Becher mit den Heidenköpfen alsbald zerbrochen werde, oder daß wenigftend Se. Kur⸗ fürftlihen Gnaden niemald einen Trunk daraus thun. Er müßte anfonften des jählingen Todes fein, gleich- wie ein Jeder, der aus dem gebannten Pokal trinken würde.” Der Kämmerer mußte am Bette ded Kur: fürften bleiben, der gewohnt war, nur von ihm feine Arznei für alle plößliche Alteration: Krebsaugen in Waſ⸗ fer gerührt, zu nehmen. Eben war er ein wenig auf feinem Stuhle eingefchlafen, als ein fürchterlicher Don⸗ nerfchlag, dem nach einander mehrere, immer einer hef: tiger, ald der amdere, folgten, ihn wedte. „Das muß eingefchlagen haben, und ganz in der Nähe,” fagte der Kurfürft, und indem ließ fih in der That ein Feuerlärm vernehmen. „Es brennt im Laboratorium,‘ riefen meh⸗

D Die ganze Scene würde wenigftend nit zu der Annahme ftimmen, als fei der Ungar ein Agent Bethlen Gabor’ und Berfüh- rer des Kurfürſten gewefen.

456 Spukgeſchichten am kurtrieriſchen Hofe,

rere Stimmen und der Kämmerer eilte der Stelle zu, von der ein Dichter Rauch emporftieg. Sie hatten bereits die Thüre des Laboratoriumd eingefchlagen und ber Kämnterer drang mit den Erften in die Stube ein. Da ftedte der Ungar mit dem Kopfe zwilchen den Stäben des Gitterfenfters, das Geficht blieblau zum Naden ge dreht, Die Zunge weit berausgetreten. Der Kurfürft börte den Bericht ded Kämmerers mit jo großer Bewe gung an, daß derfelbe ſich ermuthigt fand, den Herrn fußfällig und flehendlich zu bitten: er wolle doch an diefer erfchredlichen Befchichte ein Erempel nehmen und von dem gefährlichen Verkehr mit unbefannten Perfonen und den viel gefährlicheren Praktiken ablaffen. » Jacta est alea!« war die Antwort; der Kämmerer wagte nichtd weiter zu fagen, und am 9. zogen die Franzoſen in die Feſtung ein.

Sie kamen ald Verbündete ded Kurfürften, aber dod ward ed ihm bald zuwider, mit dem franzöfifchen Gou- verneur de Bufiy-Lameth unter Einem Dacdhe zu leben, und er zog nad) Trier in die St. Peterd Burg. Hier geichah ed am 12. März 1635, ald alles im Palaſte ſich Thon zur Ruhe begeben und der Kammerer dem Kur: fürften das fünfte Gapitel des Evangeliums Matthäi vor: lad, daß fich auf einmal ein fürchterliched Poltern die Treppe herauf vernehmen Tief. Man hörte ein Pferde getrappel im Vorzimmer, die wohlverriegelte Slügelthüre fprang auf und ein Reiter, in welchem der Kurfürft fogleih den Ungar erkannte, trieb fein Pferd bis zu denn Seflel des Kurfürften hin und fprady mit rauer Stinme: „gib wohl Acht auf das, was ich Dir zu berichten gefendet bin. Deine Zeinde haben fich gegen Did zufammen verfchworen und ihre Stunde ift ge fonımen. Sie werden Dich zur Gefangenfchaft abführen

IN

Spulgeſchichten am kurtrieriſchen Hofe. 457

ı fremde Lande '), und wird das der Dir bevorftehen- en Zrübfale Geringftes fein, wo Du Dich nicht ent- chließeſt, auf der Stelle mir zu folgen. Denn ich habe ie Macht, Dich in Sicherheit zu bringen.” Der Kur: ürft erhob fich aber mit ungewöhnlicher Sefchwindigfeit on feinem Sige, fchlug ein Kreuz und rief den Namen fefu an, worauf der Ungar mit feinem höllifchen Klep⸗ er im Kamine verfchwand. Man fieht, der treue Yiener, der die Politik feines Zürften entichieden mis⸗ Wigte, der Perfon aber liebende Anhänglichfeit bewahrte, ielt fi) an den Gedanken, daß diefelbe in einer Ver⸗ übrung durch böfe Geifter wurzele, der Kurfürft aber och dem Aeußerften widerftanden habe. Oder foll man n ber ganzen Sache ein Complott wittern, bei dem der tämmerer jelbft im Spiel geweien und Das den Kur- ürften mit Lift in die Hände Tiefern follte, in die er ald darauf durch Sturm und Ueberfall fam? In der daft zu Linz entließ der Kurfürft den Kämmerer, feinen inzigen Vertrauten, wenn auch mit thränenden Augen, veil er ihn zu gut Paiferlich fand.

Zriedlicher und mehr dem rein perfönlichen Gebiete mgehörend war die Viſion, welche der Kurfürft Johann hugo feinem Weihbiſchof Verhorft erzählte. Es waren m 6. Januar 1701 die primae vesperae solennes jehalten, zu Ehren der heiligen Drei Könige Kreide, Weihrauch und Wafler geweiht und demnächſt von den Hof» und Schloß-Sacellanen die Gemächer benedicirt, vorauf dann um A Uhr Nachmittags die AQflündige Andacht ihren Anfang nahm. Es war Gebrauch des

1) Es geſchah dies am 25. März 1635. Wir behalten und über en Kurfürften Philipp Ehriſtoph (Einen v. Sötern) und feine Um⸗ riebe und Schickſale weitere Mittbeilungen vor.

I.

458 Spulgeſchichten am kurtrieriſchen Hefe.

Kurfürften, jedesmal der erften und lebten diefer Bet: ftunden beizumohnen. Diesmal aber binderten ihn von Wien eingetroffene, fofort zu beantwortende Depefchen. Unter mandyerlei Störung verzog ed bis zu Mitternacht, wo er endlich fein Brevier unter den Arm nehmen und den Handleuchter ergreifen konnte, um aus der Vorſtube feines Schlafelofets in das Dratorium binabzugehen. Hell brannten da unten auf dem Hochaltar die Kerzen, die ganze Kirche war heil beleuchtet, der Betſtuhl fland vor dem Altar, aber der Kaplan fehlte noch. Indem ging die Thüre der Sacriftei auf und ed traten drei Hriefter nach einander heraus, welche Feine Chorhemben, fondern Eoftbare Pontificalien trugen, nur daß ihnen bie Infuln fehlten. Sie machten vor dem Altar ihre Knie beugungen und festen fi) dann auf den Stufen nieder. -Sie fahen den Kurfürften an, er ſah fie an, und endlich rief er ihnen in ungeduldigem Zone zu: fie follten doch anfangen. „Wir warten noch auf Einen!” erwiederte der in der Mitte. Dem Kurfürften kam es wunderlid vor, daß in feiner Gegenwart noch auf Iemand gemar: tet werde; indeß erregte doc, dad Fremdartige der ganzen Scene feine Neugier '), und er entfchloß fich, in die Sa: eriftei hinabzugehen, um die Scene näher zu unterfuchen. Die Thüre, welche aus dem Oratorium auf Die Wende. treppe führte, fand er, wie gewöhnlich, unverfchloffen. Auf der Treppe aber bemerkte er eine Helle, und als er herabſah, erblickte er eine Figur von genau feiner Größe und Geftalt, ganz ebenfo angethan, ein Buch unter dem Iinfen Arm, in der rechten Hand einen filbernen Hand leuchter tragend, welche etwa zehn Stufen unter ihm

1) Daß er auch jept noch wol etwas Ungewoͤhnliches, aber nichts unbeimli Webernatürliges fpürte, würde dafür fpreden, daß er ge

N Im Traume befremdet nichts.

Spukgeſchichten am kurtrieriſchen Hofe. 459

ging und faft ſchon an die Thüre der Sacriftei gelangt war. Noch immer befremdete e8 ihn nur, hier Ieman- dem zu begegnen, der auf die Sacriftei zuging, zu der er den Schlüfjel in der Zafche hatte’), und er eilte dem Vordermann nach. Diefer wendete fih und zeigte ihm fein eigned Bid wie in einem Spiegel. Er fland re gungslos; die Geftalt drehte fi) wieder um, machte bie Thüre auf, ald wäre fie unverfchloffen gewefen, und warf fie hinter ſich zu, daB die Fenſter klirrten“). Der Kur: fürft fand Die Thüre verfchloffen und der Schlüffel wollte nicht greifen. Da überlief es ihn Falt und warm, und heftiger, al& er berabgefommen, trieb es ihn die Treppe hinauf. Ja, ed fiheint, er wollte fich jeßt auch im Dra⸗ torium nicht langer aufhalten, fondern in feine Zimmer eilen’).. Da aber fand er an der Thüre, die aus dem Dratorium dahin führte, zwei wachhabende Zrabanten, die erft vor ihm präfentirten, dann aber die Wehren freuzten und auf fein VBefragen flumm blieben. Er wendete fih nach der Baluftrade und fah hier mit Ent: fegen die Kirche dicht vol Menfchen, unter denen er allmälig manchen längſt verflorbenen Bekannten ent: dedte. Auf dem Betftuhle kniete die Geftalt, die er auf der Treppe gejehen, in vollem Drnafe, von zwei Aſſi⸗ fienten umgeben. Gleich diefen mit der Inful bekleidet, faß ein dritter Prälat als Celebrant vor dem Altare. Jetzt erkannte er die drei Bifchöfe, die ihn vor 25 Jah

1) Aber die GSeiftlihden follten ja aus der Sacriftei gefommen fein und warteten noch auf Einen, von dem er annehmen mußte, daß er noch unten fei.

9) Dos ift eigentlich nicht Geifterfittes wel aber machen es cilig flüchtende Menfden.

3) Wäre er bei wahrer Befinnung gemeien, fo würde er fi nah den Geiftlihen umgeſehen und diefe nad dem Vorgang befragt haben.

20 *

460 Spalgeſchichten am kurtrieriſchen Hofe.

ren geweiht hatten und bdaflelbe jekt an feinem Ebenbild thaten. Als die GSeremonie zu Ende war, wurbe dab Gedränge dichter, bis fich in der Mitte eine Gaſſe bil: dete. Durch dieſe Famen der Kammerportier und der Hoffourier, dann der vorige Hofmarſchall, dann, „ſchoͤner wie der fchönfte Sommertag, leuchtend ald von Milie: nen Diamanten,” ein Mädchen von höchftens 15 Jahren, in der er feine Schwefter Eva erkannte. Sie frug eine Brautkerze und eine folche trug auch in der einen, in der andern Hand aber einen Palmenzweig fein Bruder Damian Adolph ). Auch diefer war herrlich anzufehen; um den bloßen Hals, welcher wie ein Kryſtall durd- fichtig war, trug er ein ſchmales rothes Bändchen’) und fein Ordenskreuz blinfte wie ein Sonnenftrahl. Das Brautpaar, welchem Beide die Kerzen vortrugen, waren des Kurfürften Vater und Mutter. Ihnen folgten die übrigen Kinder, die Verflorbenen ſowohl, wie die noch Lebenden, wie die Keflelftadt, mit der er eben zu Nacht gegefien hatte, und die Quad’). Die Lebenden fahen fehr ernfthaft, die Verftorbenen aber vol unvergleichli⸗ hen Entzüdens aus. Das Braufpaar wurde zum Bet: ftuhl geführt; die Kerzenträger knieten zu beiden Seiten nieder und der Biſchof, in dem er fein Ebenbild er fannte, Tas eine ftille Meſſe. Wie das Ite, missa est

1) Der jüngfte Bruder, geb. 8. Juni 1639, Ritter des deutſchen

Ordens und Gomtbur zu Trier, Purbaierifher Obriftlientenant, am

%Y5 Mai 1664, bei der Belagerung von Kanifa, durch eine türkiſche tüdtugel getödtet.

2) Wol feine Bunde bezeichnend.

3) Auch die übrigen Brüder, Damian Emmerid (geb. den 7. Det. 1632, + ald Domprobft zu Trier und Speier 15. Auguft 1682) und Johann Friedrid (geb. 13. Zuli 1636, + als Zreiherr, Pf. und Feldmarſchalllieutenant und kurtrieriſcher Gcheimerath 1696). Es dat aud noch, außer den drei Genannten,

gegeben, die wol auch ſchon todt waren.

Spulgeſchichten am kurtrieriſchen Hofe. 461

gefprochen, trat der Dfficiant an dad Brautpaar, faßte der Mutter Hand, nahm ihr den Ring vom Finger und umfchlang fie, wie den Bräutigam, mit der Stola. Fest aber veränderte ſich auf einmal, ohne daß er be- merkte, wie es zuging, die ganze Scene‘). Gelbe Ker: zen brannten auf dem Altar, ſchwarz ausgeichlagen waren die Wände, ernft und feierlich tünte das Dies Irae, ed war ein Zraueramt. lm den Sarg drängten fih die Miniftranten; als es endlich eine Lücke gab, fah er ich felbft im Sarge, mit der Inful und den übrigen bifchöflichen Infignien angethban. Er fah, wie der Sarg erhoben, in die auf der Epiftelfeite geöffnete Gruft ber: abgelaffen, ein zerbrochenede Wappenfchild ihm nachges worfen wurde. SIebt erft glaubte er, das Bewußtſein zu verlieren. Als er endlich aus feiner Betäubung er: wachte, fand er fi) von Stille und Einfamkfeit umge: ben’) und fchleppte fi) mühſam nach feinem Schlaf: zimmer, wo er eine ehr unruhige Nacht verbrachte. Spät am Morgen fchellte er dem Kammerdiener. Als Diefer dem Bette zufchritt, ftrauchelte er, bückte fich und ergriff einen Ring, den er dem Kurfürften überreichte. Es war der Trauring feiner Mutter, den er feit 20 Jahren ſchmerzlich vermißte”). Der Kur: fürft ſtarb übrigens erft zehn Jahre, aber genau zehn Sabre, nach jener Nacht.

1) Ganz dem Traume gemäß.

2) Aber war wirklid im Dratorium Fein Gotteödienft geweſen? Dder wäre der Kurfürft während deffelben eingefhlafen? Hat er fid da nidht bei den Geijtlihen befragt? War etwa irgend eine Nach—⸗ Iäffigfeit im Spiele, zu deren Berdedung man den Traum des Kur⸗ fürften benugte, feine Berwirrung vielleicht noch verftärfte?

3) Dies jcdenfalld der merfwürdigfte Umftand in der Gefchichte, der cin Polizeigenie zu Verdacht gegen ten Sammerdiener veran⸗ laffen koͤnnte.

482 Spatgeihihten am kurtrieriſchen Hefe.

Diefer Kurfürft war der zweite Sohn des kaiſerl. Dbriftlieutenants Wilhelm v. Orsbeck zu Vernich, aus defien Ehe mit Maria Katharina v. d. Leyen, einer Schwe- fter des Kurfürften von Zrier, und ein fehr tüchtiger, treff- licher Fürſt. Er war am 13. Ian. 1634 geboren, fu: dirte in Köln und Mainz und im Collegium germa- nicum zu Rom, von wo der Ieluitengeneral P. Diva Ihon damals fchrieb: „Es wird diefer Iüngling, zu reiferen Jahren gelangt, nicht viele feines Gleichen in Deutichland finden, und möchte er wol Sr. Eminenz (dem Kurfürften Karl Kafpar) zum Nachfolger beftimmt fein.” 1655 verließ er Rom, ftudirte noch in Paris und Pont⸗a⸗-Mouſſon, fam 1657 in das fpeierfche, 1658 in das frierifche Domcapitel, ward 1660 Domdechant zu Speier, am 7. Ian. 1672 zum Coadjutor feines Oheims, am 16. Juli 1675 zum Bifhof von Speier gewählt und trat Die Regierung des durch den Krieg auf dad furchtbarfte verwüfteten Kurſtaats am 9. Juni 1676 an. Er ftellte den Wohlftand des Landes durch zweckmäßige Mafregeln her und begründete die Verwaltungsorgani: fation, welche bis 1794 im Wefentlichen unverändert ge: blieben if. Seiner anerfannten Rechtserfahrenheit ver: danfte er den Ruf zum Amte eines Faiferlichen Kam: merrichterd (1677) und bewährte fie auch durch 66 treffliche Verordnungen, durch die er die Gefeßgebung des Kurftaates regelte. Der franzöfiihe Refugie Blain- ville fagt von ihm in feiner Reifebefchreibung (I, 124): „Johann Hugo, aus dem Haufe der Freiherren v. Ors⸗ bed, ift der Xebte feines Stammes und beinahe fchon 72 Jahre alt, von guter Geftalt und von einer Leutſe⸗ ligfeit, welche ihn von Jedermann angebetet macht, ein barer Feind aller Ungerechtigkeit und Unterdrücdung, n herzliches Mitleiden mit feinen Untertbanen bat,

Sputgeſchichten am Iurtrieriiken Hefe. 468.

die unter den Bedrängniffen des Krieges feufzen, und fi) lieber mit mäßigen Einfünften begnügt, ald daß ee fie mit fchweren Abgaben bedrüden ſollte. Er ift, mit einem Worte, ein wahrer Vater feines Landes. Sen Hof, der feinem Vorbilde folgt, ift unwiderſprech⸗ fih einer von den geregeltften in Deutfchland. Er be- ftehbt aus wahrhaftig weifen Männern, welche Ehre und Redlichkeit allen anderen Dingen vorziehen. Hier wird Die Gerechtigkeit unparteiifch verwaltet, und man fiehet hier nichts von dem Stolz und der Verachtung der Tugend, noch von den Gottlofigfeiten, mit denen der größte Theil Diefer braufenden Höfe fo großthut.”

Er ftarb am 6. Januar 1711 in der Burg zu Co- blenz. Das Gedächtniß der zehn Jahre vorher verleb- ten Dreikönigsnacht hatte fi fo tief in das Gemüth des Kurfürften eingeprägt, DaB er von da an für Die heiligen drei Könige ſtets eine befondere Andacht bezeigte, ihnen zu Ehren einen Altar in der Domfirche erbaute und fich feine Begrabnißftätte zu deſſen Füßen erwählte. Da er der Lebte feined Stammes war, fo wurde, wie ihm der Zraum vorhergezeigt, wie er aber auch fchon damald vorherwußte, fein Wappenfhild ') zerbrochen und mit ihm in dad Grab gefenft.

Mebrigens follen die Spufgefchichten der Philipps burg zu Ehrenbreitflein ’) eine Hauptveranlaffung ge:

I) Das Wappenfhild der Dröbede, deren gleihnamiges Stamm- baus in der Nähe von Sittard und Gangelt lag, enthielt im golde- nen Felde cin rothes Andreasfreuz und in jedem der vier Winkel befand fih, wie höflihe Herolde fagten, ein grünes Blatt der Waſ⸗ ferlilie. Unhöfliche Herolde aber fanden in diefen angeblihen DBlät- tern ein ganz anderes, durch die harlemer Wirthin und Götz von Berlihingen berühmt gewordenes Bild, deffen Namen fie aud in dem Ramen des Geſchlechts erkennen wollten, und würde fonad das Wap⸗ pen ein Spredendes geweſen fein.

3) Siehe den Rheiniſchen Antiquarius (Goblenz, 1845), cin hödft

MA Scoecgeſchichten am lartrieriſchen Hefe.

geben haben, daß der letzte Kurfürft von Zrier, Clemens Wencedlaus ’), feine Refidenz erft nach dem Dikafterial- bau, dann in das zu Coblenz neuerbaute Schloß verlegte.

merfwürtiges, für Liebhaber von Guriofitäten äuferft anzichentes Bud, worin fid, allertingd unter mandem Zrodenen und in ctwas wunderlider Form unt Berkettung, cin Reichthum von intereffanten und anmuthigen Geſchichten aus dortigen Gegenden findet.

1) Bekanntlich ein Prinz aus dem Kurhauſe Sachſen, geb. 28. Set. 1739, 1763 FZürftbifhof zu Zreifing und Regensburg, 1768 Kurfürft zu Zrier, refignirt 1303, + 237. Juli 1812.

Miscellen.

20 **

1. Nitſche und Rusca.

Andreas Nitfhe (f. ©. 390) ward am 17. November 1731 auf der Iandvoigteilichen Seidau bei Budiſſin gebo- ren. Sein Bater war ein dafiger Einwohner gleihen Na⸗ mens, feine Mutter Anna Nitfche geborene Miethe. Den erften Unterricht genoß er bei dem dortigen Schullehrer Karl, Fam dann in die gräflich Gersdorf’fche Schulanftalt zu Uhyſt und 2 Jahre fpäter auf das Gymnafium zu Bu- diſſin. Er ſtudirte zwei Jahre zu Wittenberg und dann in Leipzig. Won Leipzig ging er nach Kopenhagen und von da nah Mosfau, wo er eine philofophifche Profeffur an der Univerfität erhielt, die er jedoch fihon nach Jahresfrift wieder aufgab und mit einem ruſſiſchen Cavalier nad) Wien teifte. Won da ging er nad) der Schweiz und blieb einige Zeit auf der Akademie zu Genf. Dann ging er nad England und befuchte die Univerfitäten Oxford und Cam⸗ bridge. Dann über Holland und. Lübel nad Rußland zu- rück, wo er feinen Aufenthalt abermals in Moskau nahnı. AU diefen Reifen ſcheinen maurerifche Arbeiten zum Grunde gelegen zu haben und wol diefelben Verbindungen vermit- telten feine vertraute Verbindung mit dem Haufe des Ge- heimenraths und Senators Grafen Michael Soltitow, beffen dritte Tochter, die Gräfin Marie Soltikow, er 1779 heira- thete. Aber fchon 1776 Hatte er das Niktergut Mengels- dorf und Löbensmüh gekauft und bezog ed von 1780 an. Er führte den Titel als kurſächſiſcher Hofrath. Seine Ehe war finderlos, aber glücklich. Er + am 18. Juli 1795 am Nervenfieber. Im Beſitze ausgebreiteter Verbindungen

468 Miscellen.

und Correfpondenzen, lebte er doch in Mengelsdorf gan; zurüdgezogen und einfam. Er fehrieb viel, ließ aber, ein Gedicht auf den Tod feines ehemaligen Lehrers der Chemie in Leipzig, des Prof. Rüdiger, ausgenommen, nie etwas druden. Er verftand die drei vornehmften alten und bie meiften neueren Sprachen. Sein Teſtament fing fi fol genderweife an:

„Beftelle dein Haus, denn du mußt fterben! So ruft den Sterblihen Vernunft und Erfahrung fo ruft dem Manne die Religion zu, der Chriftum als das ewige Wort des Vaters zu finden das Glück gehabt hat. Heilig fei alfo auch mir diefe Stimme, damit mein Haus beftellt fei, wenn fie erfhallen wird. Mein geiftiges Alles über- gebe ich in die Hände meines barmherzigen Vaters dei Daters der Liebe, von dem ich folches erhielt, denn es ift fein; feine Güte gebrauche ed in fünftigen Ewigkeiten, nach feinem gnädigen Wohlgefallen. Für meine förper- liche Hülle werben meine zurüdgebliebenen Freunde forgen: daß fie in aller Stille in die bloße Erbe begraben, und um einer ruhigen Verweſung zu genießen, mit einem Öteine bedeckt werde, auf den ich Sie beigelegte Grabfchrift zu fegen bitte.

Epitaphium.

Reifender! Suche meinen wahren Namen nicht auf diefem Steine, denn meine Mitpilger hatten die Vaterfprache vergeffen und nannten mid) in ihrem Mutterlande

Andreas Nitfche.

Ih trat den 17. Nov. 1731 auf der Seidau bei Bubiffin in ihre Gefellfchaft, veifete lange, wie fie, in dem finnlichen Kreife herum, und Fam nicht eher zur Ruhe, als bis id auf die gerade Linie der Ewigkeit Fam, das verlorne Wort wiederfand und in ihm die unverfiegende Duelle des Seins, Lebens und Bewegen erblidte. Geringe ift die Anzahl der Tage, die ich burchlebte; aber fehr groß iſt die Menge des Guten, das der Vater der Menfchen im

Mistellen. | 469

Leiblihen und Geiftigen an mir that. Durch feine Liebe geleitet, fand ich in einem fremden Lande eine zärtliche Ehe⸗ gattin und Freunde. Der Tod entriß mich den

ihren Armen; mein Geift hielt ſich beim Scheiden an bie väterliche Hand des Vaters der Geifter, der ihn mit Un- fterblichkeit bezeichnet hatte, und der Tod behielt nichts als das Gehäufe, darinnen ich Fahre wohnte. Verweſung ift allmälige Auflöfung des Sterblichen in feinen Urſtoff, und biefes glückliche Loos wird hier der Hülle zu Theil, die unter biefem Steine die allgemeine Veredelung erwartet!”

Sein Leichnam ward am 22. Zuli nach Bubiffin ab» geführt und dafelbft am 23. zum Taucher beerdigt.

Zur felben Zeit lebte auch ein anderer Laufiger, ein’ Wende, Namens Rusca, der fich gleichfalls im Soltikow⸗ fhen Haufe längere Zeit, als Hauslehrer und fonft, aufge halten und große Reifen im Dienfte der theofophifchen Maurerei gemacht hatte.

2. Keßler und Mylius.

Chriftian Friedrich Keßler mar der Sohn eines faal- feld’fchen Cabinetsſecretairs, ber früher bei dem ilmenauer Bergbau angeftellt gemwefen mar, und einer Franzofın und wurde 1723 oder 1729 in Saalfeld geboren. Später ward fein Vater Syndicus der Brüdergemeinde in Ebersdorf und ftarb bdafelbft um 1757. Die Witwe farb menige Jahre fpäter. Der junge Keßler wohnte feit 1748 im Brüber- baufe zu Ebersborf und ſcheint fich frühzeitig mit Zeichnen und Feldmeßkunſt befchäftigt zu haben. 1752 308 er nad Herenhut, wo auch fein? Schwefter 1760 oder 1761 ge- ftorben iſt. Er vervolllommmnete fih im Beldmeffen bei einem zunftmäßigen Feldmeſſer, Reuter, melcher fpäter in Nordamerika geftorben ift, und nahm mehrere oberlaufigifche Büter auf. Bei diefer Gelegenheit ward er mit dem Ges heimenrath v. Hund auf Unwürde (f. ©. 356 ff.) bekannt.

410 Miscelen.

Später gab er feine Verbindung mit den Derrnhutern auf, ging unter die fchlefifhen Bolontaire, welche der k. k. Ge⸗ neral Freiherr v. Bed errichtete, warb Lieutenant und kam in die Suite bed genannten Generals. In Oftrig lernte er einen emeritirten öfterreichifchen Lieutenant v. Keßler ge- nannte Sprengseiſen kennen. Diefer, deffen Water Elias Hauptmann der Herrfchaft Friedland geweſen und in Oftris geftorben war, ſtammte aus einer katholifchen Linie eine jit- tauer Patriziergefchlechtes (&. 368) und war ber Lepte feines Stammes. Er übertrug Abel und Wappen auf ben Lieute nant Keßler, welcher fpäter zu dem Infanterieregiment Arem- berg fam, 1763 Major war, zulegt aber in Thüringen gelebt "und eine Topographie bed Meiningenfhen Oberlandes ge fihrieben hat. Er fol auch der Verfaffer des Anti-Saint- Nicaise fein.

Johann Wilhelm Mylius, Premierlieutenant der tur fächfifchen Ingenieure, kam zu Anfang bes fiebenjährigen Krieges nach Leippa, um einen Bau zu leiten, und blieb dann bis an fein Ende dafelbfl. Er war ein geſchickter In⸗ genieur und philofophifcher Kopf. Einige Zeit vor feinem Ende erklärte er dem Prediger feines Kirchfpield, daß fein philofophifches Syftem zu feiner Beruhigung doch nicht ausreihe. Er erfuchte ihn, ihm zu einer noch zu beftim- menden Zeit das heilige Abendmahl zu reichen und fich vorher mit ihm darüber fo zu unterreden, wie er es mit dem Einfältigften feiner Kirchkinder zu thun pflege. Einige Zeit barauf ward er vom Schlag gerührt, ließ den Prediger rufen, genoß das heilige Abendmahl und flarb am 3. Dt. 1791, im 6lften Jahre feines Alters.

3. Heinrich Gottlob von Debfchüg.

Heinrih Gottlob von Debfhüg, der Sohn Heinrich Sigmunde v. Debfehüg auf Oberlichtenau, Turfächfiichen Raths und Landesälteften des Fürftenthums Goörlig, und

N

Miscehen. 471

der Anna Sidonia v. Eberhardt auf Oberlichtenau, hatte fhon bei Xebzeiten feines Vaters die Güter Langenau und Flachenfeifen in der Oberlaufig, wie es fcheint, durch Ver⸗ heirathung mit Magdalene Tugendreich, verwitweten v. Keft, geborenen v. Reibnig erlangt, mit der er in finderlofer Ehe lebte. Er war am I. Sept. 1656 geboren, war erft durch Hauslehrer, dann ein Jahr lang in Dresden unterrichtet worden und hatte 1676 1679, nach dem Beifpiele feines Vaters, größere Neifen durch Defterreih, Stalien, Frank reich, die Schweiz gemacht. Am 24. Februar 1692 warb ee ermordet. Ueber die Umftänbe, unter welchen biefes ge- fchehen, gibt es zwei von einander etwas abweichende Be⸗ richte, welche aber beide noch Manches dunkel laſſen. Nach dem einen, der blos auf mimdlichen Erzählungen beruht, wohnte er einer adeligen Hochzeit zu Armenruhe in Schleften bei. Bei Tifche kam er einem Freiheren v. Braun gegen- über zu figen, ben er früher nie gefehen haben foll, bei deffen unerwartetem Anblid er aber fo erblaßte und beklom⸗ men ward, daß es feinem Nachbar auffiel, dem er, auf Bes fragen, endlich geftand, daß er eine außerorbentlide Furcht und heftige Abneigung vor jenem Braun empfinde, unge achtet er ihn zum erften Male fehe. Seine Angft flieg fo, daß er vom Zifche aufftand, fich in feine Kammer zurückzog und zu Bette legte. Die Gefellfehaft war fchon fo fröhlich geworden, dag man feine Abweſenheit anfangs nicht bes merkte. Als man ihn fpäter doch vermißte, plauberte fein Nachbar die Urfache aus und als auch Braun fie erfuhr, ftürzte er in der MWeinhige hinaus, ließ fich das Zimmer Debſchützens zeigen, erzwang duch Drohungen die Deff- nung ber verfchloffenen Thüre und flach den Entkleideten und Wehrlofen in den Leib, daß er nieberftürzte und bald darauf verfchied. Nach dem andern Bericht, ber mit gewiffen Worten feiner Grabfchrift beffer übereinſtimmt und aus fei- nen zu Zittau 1693 in Folio erfchienenen Funeralien entlehnt ift, hatte er an jenem Tage, dem Sonntage Invocavit, erft feine Gemahlin nach Papſthain in die Kirche begleitet und dann feinerfeit® dem GBottesdienfte in Harpersdorf beigewohnt.

472 Mibtellen.

Hierauf begab er ſich mit dem Landesälteſten des goldber⸗ giſchen Weichbildes, Carl Siegmund v. Mauſchwitz, mit welchem er als Curator ſeiner Frauen zu ſprechen hatte, in deſſen Wohnung zu Armenruh. Sie begleiteten Kaspar Konrad v. Spiller, der v. Braun auf Bertelsdorf und deſſen Vetter, der v. Braun auf Merzdorf. Zu Mittag ſpeiſten ſie ſehr vertraulich zuſammen. v. Debſchütz geht aber vor dem Abendeſſen zu Bette, weil er des andern Morgens zeitig nach Jauer in Rechtsangelegenheiten reiſen wollte. Gleich darauf kommt ihm v. Braun auf Merzdorf nach, fegt fih zu ihm aufs Bette und macht ihm vielfäl- tige Gareffen, herzet und Lüffet ihn. Die andre Geſellſchaft fommt nach und fucht ihn fortzubringen, allein er läßt nicht ab und wirft mit ehrenrührigen Neben um fich, bis endlich v. Debfchüg, um nicht im Bette überfallen zu werben, auf- fteht. Und obgleich er an fich hielt, auch dem v. Braun, den er vorher noch nie gefehen, kein Wort fagte, fo fuchte dieſer es doch durch beifende Worte dahin zu bringen, daf beide zum Degen griffen. Die Anmefenden brachten fie zwar auseinander, aber während fie mit Debfchüg rebeten, ftieß v. Braun unverfehens zwifchen ihnen durch, verlegte Debfhüg fo, daf er eine halbe Stunde darauf ftarb, und fprang auf und davon. Der Leihnam warb in Lichtenau beigefegt, wo ihm fein Water neben dem Altar ein Dent- mal fegen ließ, ein hoͤlzernes Schnigwert mit fombolifchen Verzierungen und einer Tafel in Form eines gefalteten Zu ches oder Vorhanges, mit folgender Inſchrift:

„Mein Kefer! Du wirft fallen, Du weißt aber nicht, wenn, wo und wie? Drum lerne die Kunſt wohl zu ftehen, So fannft du plöglich, und doch felig, fallen. Alfo ftand und fiel der wohlgeborne Ritter und Herr, Herr Heinrih Gottlob v. Debſchütz, Auf Langenau und Flachen Seiffen, Erb⸗Herr auf Lichtenau. Diefer trat in das Xeben Anno 1656. den 1. September.

Miscehen. 413

Und lernte die Kunftwohl zu ftehen, jet Gott in Gnaben durch Fucht, Liebe und Vertrauen: Bei denen Menſchen in Liebe durch Tugenden. Denn ſein Fleiß blieb niemals ſtehen, r zierte ſeine Jugend mit Adelichen Exercitiis und Sprachen, Und erbauete ſeinen Verſtand durch vernünftiges Reiſen, eſahe ganz Italien, Frankreich und andere Orte mit Nutzen, nd ruhete endlich in der Liebe einer frommen Lebens⸗Freundin, er wohlgebornen Frauen, Frauen Magdalenen Tugendreich v. Leſt, gebornen von Reibnitz. Witwen und Frauen auf Langenau und Flachen Seiffen, tit der er eine zwar unfruchtbare, doch aber ſehr vergnügte Ehe geführt. fo ftand er 35% Jahre und 13 Wochen i im Leben rühmlich, nd fiel 1692 den 24. Febr. zur Armen⸗Ruh in Schleſien urch einen unverhofften Degenftoß eines verftellten Freundes. Doch weil er mit Jeſu im Leben geftanben, So konnte er auch ohne diefen im Tode nicht fallen. arum fället der Gerechte, fo wird ex doch nicht weggeworfen, Denn ber Herr erhält ihn, Palm 37, 24."

uf einer kleineren, darunter befindlichen Schrifttafel ift der 1. und 35. Vers aus dem Iten Capitel bes 2ten Buches amuelis ausgefchrieben :

„Deine Hände find nicht gebunden, deine Füße find nicht in Feſſel gefeget: bu bift gefallen, wie man vor böfen Buben fälle. Da bemweinete ihn alles Volk noch mehr.

Da nun alles Volt hinein kam mit David zu effen, da es noch hoch Tag war, ſchwur David, und ſprach: Gott thue mir dies und das, mo ich Brod oder etwas Lofte, ehe die Sonne untergebet.”

n einem von dem Gefchichtfchreiber des Debfchügifchen Ge⸗ Hechts, George Wende, verfaßten wortreichen Entmwurfe ser Grabſchrift finden ſich als Beziehungen auf bie To⸗ Sart folgende Stellen:

474 Mibtellen.

„Das klaͤglichſte leider! iſt, daß er nicht, als ein Kriegemann vor feinem Feinde im Felbde, fondern ganz unfchuldig vor feinem vermeinten Freunde in ber Kammer, erblaffen müſſen“

„Er ftand wieder auf, um einem Unglüd zu entgehen, . geriet, aber dadurch allererft in das größte Unglück.“

Als in den achtziger Jahren bed 18ten Jahrhunderts bie Gruft geöffnet wurde, um einen Heren v. Löben, denen da⸗ mals Lichtenau gehörte, dort zu beftatten, fand man ben Leichnam jenes Ermordeten noch ganz unverfehrt. Die Finger fühlten fih wie Leder an und es war unmöglich, den goldnen Ring davon abzuziehen. Ebenfo unverweslic lag ber Leichnam eines Heinrich v. Debfhüg von 1672 bis 1712, wo er durch eine große Ueberſchwemmung fortgeführt wurde, in der Kirche zu Reutomnig.

4. AÜbentenrerleben.

| Bei der fruchtlofen Belagerung von Coblenz durch die

Sranzofen im Jahre 1688 entdedte man, daß die Schüffe des beiten Gonftablers auf dem Ehrenbreitftein ohne Effect über das franzöftfche Lager hinausgingen. Dan nahm ihn in Haft und entdedite ein Einverſtaͤndniß beffelben mit den Feinden.

Der Mann, von welchem, mol feiner „unfehnlichen Sreundfchaft” halber, der Nheinifche Antiquarius (S. 613 ff.) nur den Vornamen Hugo anführt, war eines Gerichts⸗ fchreiberd Sohn!) und die nahen Beziehungen feines Va—⸗ ters zu dem kaiſerlichen Generallieutenant Melchior v. Hag- feld ?) verfchafften ihm eine Fahne in deffen Regiment, mit

1) Wir glauben, in oder bei Andernady. 2) Geb. 1593, 1641 Reichsgraf, + 1658.

Mistellen. | 475

dem er vor Krakau’) zog. Er zeichnete fich durch Neigung und Geſchick für die Bedienung ber Gefchüge aus und hatte die befte Ausficht auf Beförderung. Er fcheint aber ebenfo fortwährend viel Neigung und Geſchick für die Bedienung der Weiber gehabt zu haben, und ein Zug diefer Urt, ber ihn in ein Dorf jenfeitd der Weichfel geführt hatte, brachte ihn in diedände ftreifender Rakoczyaner?). Diefe verkaufe ten ihn um wenige Grofhen an einen tatarifchen Häupt⸗ ling, ber ihn im vafcheften Kluge der Ukraine zufchleppte, unterweges aber an einen Haufen räuberifcher Heidamaken verlor. Diefe brachten ihn, nach langem Ritte, ber an bem Scloffe Kaminieg vorbeiführte, zu ihrer in der Höhe eines fteilen Felſen gelegenen Höhle, in welche bie Leute in einem Korbe gezogen wurden. Er war bei einer completten Räu« berbande, von der kein Entlommen möglich fchien und bie unter dem ftrengen Befehl eines Hetman ftand.

Der gefangene Fähndrich fand in der Höhle ein als unbrauchbar in den Winkel geworfenes Falconet, erregte das Erftaunen ber Bande, ald er es blank pugte, verdiente fih einen Trunk grünen Weines von dem Hetman, als er es auf bie hergeftellte Laffette gerichtet, und mar ber Liebling Allee geworben, als er den erftien Probefchuß ge» than hatte. In der Höhle beftand er eine lange Belage- ng durch die Scharen des Siniawski und der Potockis und die Sache fohien ein fchlimmes Ende zu nehmen, als es den DBelagerern gelungen war, ben Räubern das Waffer abzufchneiden. Ein glüdliher Schuß aus bem Falconet, der den Belagerern den Pulkownik, den Leiter ber Ein» ſchließung, töbtete, half aus ber Noth durch gänzliche Zer- ftreuung ber Polen.

Der Hetman belohnte das Verdienſt feines Conftablers,

1) Alfo begann die Kriegslaufbahn unferes Abenteurers um 1657, wo ein Faiferlihes Heer den Polen gegen die Schweden zu Hilfe 309 und Hapfeld Krakau und Poſen eroberte.

2) Leute des mit den Schweden verbindeten Zürften von Gies benbürgen, Georg II. Rakoczy.

416 Miscellen.

indem er ibm die Zochter des vorigen Hetman zur Frau gab, nachdem er ihn in der Walachei durch den naͤchſten Papas in bie rechtgläubige Kirche hatte aufnehmen laffen. Run wohnte er auf dem Gute feiner Frau in dem Dorfe Glubowa. Beine Madufch war ein fchönes Weib und gu- ten Bemüths; nur trieften alle ihre Kleider, mit Ausnahme bes Kirchenmantels, von Fett; dies freilich das befte Schup- mittel gegen allerlei Iandübliches Ungeziefer, was bie Hütte verpeftete. So wurden ihm die immer Feder und haͤufi⸗ ger ausgeführten Raubzüge, zu denen er entboten wurde, doch zur Erholung, fo oft und ſchwer ihn auch das Ge wiffen flug. Einſt überfielen fie eine für ben Sahr- markt zu Mohilow beftimmte jüdiſche Caravane. Einem greiſen, ſchwer verwundeten Türken gab er aus Mitleid den Todesſtoß, faßte aber ſogleich den Entſchluß, der Mord⸗ geſellſchaft zu entrinnen, und barg deshalb, dem Geſetze der Bande zuwider, 300 Ducaten, die er bei dem Türken ge⸗ funden, um fie als Nothpfennig hinter ber Kirche zu ver-

ſcharren.

Die geſuchte Gelegenheit zur Flucht fand ſich bald. Durch Erfolge immer kühner gemacht, faßte der Hetman den Plan zu einer größeren Unternehmung, als er noch je gewagt. Er wollte die Feſtung Berdyczow erobern. Der Faͤhndrich ward als Kundſchafter ausgeſchickkt. Beim An blick des nach heimifcher Sitte gepflogenen Kirchendienftes und der Mutter Gottes auf dem Altare aber warb das Herz des Sünders zerfnirfcht. Er begehrte zu beichten und entdeckte dem Prior den ganzen Anſchlag. Dem Hetman brachte er günftige Berichte, z0g aber dann die begonnene Belagerung, durch dreimalige Aenderung ber Batterie, in bie Länge, bis Fürſt Wisnowiedi zum Entfag kam un bie das Öfterfeft mit Zechen begehenden Heidamaken über- fiel. Der Fähndrich entfloh unter den Erften, machte ſich aber dann auf einem Seitenwege nach Berdyczow und ind Klofter, wo ihn ber Prior erfannte, aufnahm und mit Em- pfehlungen nach Lemberg ſchickte.

Bon hier empfahl ihn ein durch die türkifchen Ducaten

Mistcellen. 477

ewonnener Jude an den Hof von Zbaras, wo er an die Spige bed herzoglichen Geſchützweſens geſtellt ward. Er efand ſich Hier wohl und ſelbſt die Herzogin warf ein gün⸗ Hges Auge auf ihn. Da erwachte aber bie Eiferfucht bes derzogs; Hugo wurde in Kerker und Bande geworfen, ge nartert, als Haidamak, Näuber, Mörber, Schismatiker und Kpoftat zum Feuertode verurtheilt. Aus folcher Noth bes reite ihn der Geiſt ſeiner Maduſch und ihres „etwan vie ein Vogel, und doch in WMenſchengeſtalt, lieblich, durch⸗ ichtig und leuchtend anzublickenden“ Kindes '). „Sieh ba,” prach die Madufch, die nicht mehr einer walachifchen Bäuer in, fondern der vornehmften Dame glich, und deren Worte ein lebender Menſch volllommen hätte wiedergeben koͤnnen, „ſieh da unfer Kind, das nicht geboren worden, benn «6 jat mir ber Hetman mit feinem Säbel ben Kopf abge lagen, um daß er mich in Verdacht gehabt, ich wiffe um Dein Einverftändniß in jenem Kloſter. Jetzt bete ich für hn, wie für Did. Auch Dein Kind hört nicht auf, für Dich zu beten, und hat ſich von der Mutter Gottes des Baters Leben erbeten. Stehe auf und folge mir nad.“ Beine Ketten fielen; er folgte der leuchtenden Geftalt Trep- pen auf und nieber, durch verworrene Gänge; bann wehte hn frifche Morgenluft an, bie Slügel einer Taube berührten eine Stirne und er war im Freien’).

1) Man flieht, daß der Abenteurer, aus deflen eignen Angaben yas Meifte über feine Fahrten und Fata gefhöpft werden mußte, Dichtung und Wahrheit gemifht hat. Daß er im Allgemeinen die Bahrheit, auch mo fie ihm ſchaden Fonnte, nicht verhehlen wollte, gibt die Dffenheit, mit der er Verbrechen befannte, die nur durch ihn ermittelt werden Eonnten. Cinzelnes mag er aber mol auöges hgmüdt und an Phbantafie fheint ed ihm nicht gefehlt zu haben.

3) Diefer Geiſt ift ihm nicht wieder erfhienen, obmohl er ihn aoch oft hätte brauden koͤnnen. Später ward er, wie wir fehen wer⸗ yen, von Spukgeftalten beimgefuht. War bei dem allen nicht blos yewußte Erfindung, fondern auch Kinbildungsfraft im Spiele, fo önnte man in dem Gegenfage früherer und fpäterer Wahnbilder den Kampf des guten und böfen Principe in feiner Seele ausgeſprochen

en.

478 Miscehen.

Er bettelte fi dur Polen nah Preußen, wo bat Betteln nicht mehr gehen wollte, ba die Leute fein eifernes Halsband nicht mehr für eine freiwillige Bußübung halten wollten. Da verkaufte er fih an bänifche Werber und lag in verfchiedenen Garnifonen, von denen ihm feine zufagte. Aus Odenſe defertirte er, warb bei den nieberlänbifchen Herren auf NRordfirand Küfter und genoß guten Ruf und Vertrauen. Das flille, gezwungene Leben langmweilte ihn aber, und als ein hanfeatifhes Schiff auf die Rhede kam, entfremdete er das werthvollſte Eigentum der ihm anver- trauten Kapelle und flob damit nad) Damburg, mo er einige Wochen in Saus und Braus lebte, verfehiedene Rauf- händel beftand und endlich wegen Todtſchlags entlaufen mußte. Nun ließ er fich bei den münfterfchen Volkern als Urtillerift anwerben. Er befand Ach bier ganz mohl, muf aber doc; frühzeitig gefühlt haben, daß ihm feine bleibende Stätte befchieden fei, indem er ſich bei Zeiten im Namen feines Hauptmanns Bergmayer einen ehrlihen Abfchieb fhrieb und bes Hauptmanns Petſchaft darauf drückte. Bon dem Paffe Gebrauch, zu machen, beftimmte ihn das zufällige Begegnen eines alten Bekannten aus Andernach, von dem er den Tod feiner Eltern und die Schulden halber erfolgte Veräußerung ihres geringen. Eigenthums, aber auch das Bekanntfein fo bedenklicher Partien feiner Abenteuer er fuhr, daß er für gut fand, eilends fein Bündel zu fehnüren.

Er ging nun zur holländifchen Artillerie, nahm ſich vor, einen neuen Menfchen anzuziehen, und kam bald in fo guten Ruf, daß eine junge, begüterte, Einderlofe Witwe ihm Her und Hand ſchenkte. Sie gebar ihm mehrere Kinder und er lebte mit ihr fo einig und glücklich, wie mweiland mit feiner Maduſch, die gewiß in jener Zeit befriedigt auf ihn geblidt hat. Da aber warf fi) der Böſe auf fein Weib und ftachelte in deren Herzen die Eitelkeit zu dem Verlan⸗ gen, ihren Mann als Offizier zu fehen, während er jeßt nur Corporal mar. Dazu war in Friedenszeiten in Hol- land wenig Ausficht, und fo entfchloß er fi, erſt in Gui⸗ nea, dann in Oftindien zu dienen. Er wurde Lieutenant,

Miscellen. 479

ſoll ſich aber in jenen fernen Ländern auch manche unchriſt⸗ liche Sitte angeeignet haben. Als er nach Hauſe kam, hatte ſeine Frau inzwiſchen ein Kind geboren. Er klagte auf Scheidung; ſie verſicherte aber, das Kind ſei von ihrem Gatten ehelich erzeugt. Sie habe nämlich einſtmals des Nachts fehnlih an ihren Mann gedacht und bei ihm zu fein gewünſcht. Da fei fie aus Seeland nad Dftindien geführt, bafeibft von ihrem Manne unbelannt gefchwängert und noch in felbiger Nacht nach Seeland zurüdgeführt wor⸗ den. War es nun ſein Wunderglaube, oder meinte er, daß er es mit ſeiner Frau nicht ſo ſtreng nehmen dürfe, er ließ ſich zulegt die Ausrede gefallen. Das aber zog ihm fo viel Spott und Hohn zu, bag er es endlich nicht mehr aushalten zu fönnen glaubte und feine Frau zu einem Spasziergange in die Dünen vor Vlieſſingen berebete, von dem fie nicht zurückgekehrt if. Ihn aber verfolgte feit jener Zeit die Er fheinung eines ſchwarzen Geflügels, eines Vogels oder einer Fledermaus, bald ihn umflatternd, bald auf Hand oder Schultern figend, und immer ihn klagend umkrächzend.

Er mar über Berg-op-Zoom nad) Derzogenbufch ent- flohen und hatte fi) da einer Beinen, nach Antwerpen be flimmten Caravane angefchloffen. In der Nähe von Hoog- firaten vergaßen fie ber bis dahin beobachteten Vorficht und wurden von ben Mäubern der Kempen, deren höhere Grabe mit dem Teufel im Bunde ftanden und die deshalb Bock⸗ reiter hießen, überfallen, Viele getöbtet, Andre gefangen, unter Lepteren Hugo. Er trat in die Bande ein, widerſtand aber lange dem Anſinnen der Leiter (Makers), auch feine Seele den Zwedien ber Gefellfichaft zu verfchreiben und auf dem großen Sabbat bei Kranendont die Weihe ber höheren Grade zu empfangen. Da warb er, mit andern Gliedern ber Genoſſenſchaft, in einem Gehoöfde zwiſchen Haſſelt und Bilſen von den Reitern des Landcomthurs von Bilſen ge⸗ fangen. Ein Theil, ſelbſt Kinder, wurden bier und an an⸗ dern Orten zur Abfchredung an Bäume gehängt; die rü⸗ fligften Männer verkauften die Reiter, für je 10 Albertus- tbaler, an franzöfifche Werber.

4850 Mischen.

Hugo diente nun vorerft als Pikenirer im Regiment Piemont und ward vor Lille zur Wrtillerie commanbitt, machte auch den Spion in den Niederlanden, beirathete bie Maitreffe des Hauptmannd und befand fi lange Zeit in ganz blühenden Umftänden. Nach dem Tode bes Daupt- manns fehlte aber der viel brauchenden Wirthſchaft die Geldquelle. Eine Zeit lang will er ſich durch einen Hede- thaler geholfen haben, den er ſich aus dem Nachlaſſe eines Freundes in den Niederlanden zugeeignet. Das ſei aber von einem Wiſſenden entdeckt, durch ſchwarze Kunſt ge⸗ hemmt und obendrein der Juſtiz denuncirt worden. Die Hauptſache war wol, daß es mit ſeinen Rechnungen als Compagnie⸗Adjutant nicht in Ordnung war, und mag wol hierin eigentlich das Geheimniß des Heckthalers und feiner fpätern Hemmung zu ſuchen fein. Er deſertirte zu Anfang des Jahres 1675 aus Meg, trieb ſich eine Zeit lang in der Pfalz herum und ſuchte endlich, unter falfchem Namen, Condition auf dem Ehrenbreitftein. Er ward an ' genommen und galt bald für den gefchidteften und zuver- läffigften Conftabler, bis er fich bei ber Belagerung von 1688 durch 200 Fl., die ihm ein Bockreiter auszahlte, be ftechen ließ. Er geftand alles ein und für den Religions verächter, Schismatifer, wiederholten Mörber, Kirchenräuber, und eines pactum diabolicum implicitum Verdächtigen, ward eigentlich die gefchärftefte Tobesftrafe beantragt. Der Kur fürft ließ e8 aber, da es für das Meifte Leine Beweiſe gab, als fein eignes Geftändniß, dabei bewenden, ihn von hinten erfchießen zu laffen. Sein Schädel ward am Gießhaufe an einer eifernen Stange befeftigt und ein Facſimile deſſel⸗ ben, was der Leibarze Siegel anfertigen laſſen, ift nod vorhanden.

Mistellen. 401

5. Kriegeriſche Zeiten.

In dem Aufſatze über die drei Herren v. Hund iſt namentlich bei dem Dritten das bewegte Leben eines Sol⸗ daten in kriegeriſchen Zeiten und der raſche Wechſel der Schlachtfelder, auf denen er um die Gunſt der Bellona zu werben hat, geſchildert worden. Es gibt wenig Adelsfami⸗ lien, beſonders im mittleren Deutſchland, deren Geſchichte nicht ähnliche Züge darböte, und oft drückt ſich der Cha⸗ rakter der Zeit in den bunten Schickſalen ihrer Kinder recht bezeichnend aus, wie denn überhaupt aus der Geſchichte der Adelsfamilien, welche jedenfalls den Vortheil bieten, daß ſie ihre Erlebniſſe eine lange Zeit zurück kennen und während berfelben zu ben Notablen des Volks gehörten, noch fehr viel Intereffantes an Sittenzügen und Lebensbildern zu gewinnen wäre, wenn fie hauptfächlih mit Nüdficht darauf behandelt würde. Wir erlauben uns, nur beifpielömweife einige recht prägnante Fälle hervorzuheben, könnten aber das Verzeichniß noch unendlich vermehren. Otto Ludwig v. Ganig wurde am 6. Sept. 1661 zu Nopkeim bei Pillau geboren, wo fein Vater Commandant war. Er ging unter das Militair und ftand erft bei der Garnifon in Pillau, warb dann Lieutenant bei Prinz Alerander von Kurland, ging 1684, unter General Truchfeß, als Capitain in bie Ukraine, war 1686, unter Generalfeldmarfchall v. Schöning, vor Dfen, wohnte 1688 der Belagerung von Belgrad, als Volontair bei den Baiern, bei, machte 1689 den Feldzug am Rhein, 1690 die Kampagne in der Eifel, 1691 die in Brabant mit. 1692 trat er ald Major in Furfächfifche Dienfte und ftand 1694 am Nedar wider die Franzofen. 1694 follte er als Obriftlieutenant nach More ') gehen,

nn

1) Wie viel deutſches Blut iſt damals, und für die Folge an⸗ ſcheinend höchſt nuglos, in Morea und Attifa vergoffen worden! Wie viel dur drei Jahrhunderte in Ungarn, wo es niht an ven Wün- fen unfrer Demokraten gelegen hätte, wenn feine Frucht nicht auch vereitelt worten wäre!

1. 21

482 Miscelen.

was fic) durch den Tod des Kurfürften Johann Georg IV. zerfchlug, worauf er zue Garde fam und unter Ludwig von Baden dem Feldzug am Nheine beimohnte. 1695 ward er Dbrift des Heiterregiments des nun fächfifchen Feldmar⸗ ſchalls v. Schöning und rüdte mit biefem 1697 nad) Po- ien. 1698 tämpfte er in Podolien. 1699 Fam er nad Sachen zurüd und bereitete fih eine Ruheſtelle, indem er 1700 mit einer Fräulein v. Kyau eine ganze Meihe bedeu- tender Rittergüter in der Oberlaufig erheirathete. Er hatte ſechs Brüder. Der Ueltefte, Chriftoph Albrecht, in Preußen begütert, war 1653 geboren, ward Fähndrich in Pillau, ging ald Lieutenant, unter dem Regimente des Strafen v. Lehnborf, nad) Holland, 1676 ale Volontair mit dem großen Kurfürften nach Liefland, dann bis: 1679 wieder nach Holland, ſtand darauf als Major in Pillau, kämpfte 1684 in ber Ukraine, 1691 als Obriftlieutenant in Brabant, warb vor Namur verwundet, flieg zum Obri⸗ ften und ward bei Kaiferswerth abermals verwundet. 1704 focht er als Brigabier In der glorreihen Schlacht bei Höch⸗ ftädt und ward hier, wie als Generalmajor vor Landau, abermals verwundet. Endlich fampfte er 1711 fehr tapfer und fiegreich auf dem Monte Ballone bei Chaumont, farb aber am 18. November zu Sarı Benedetto auf der parme- fanifchen Grenze. Der zweite Bruder, Johann Georg, fiel 1686 vor Dfen. Der Dritte, Andreas Salomon, ftarb 1688 als bannoverfcher Hauptmann vor Negroponte. Der Vierte, Zriedrih Wilhelm, ftarb als Lieutenant in Küftrin. Der Fünfte, Elias, blieb als preußifcher Hauptmann ver Elbingen. Der Sechſte, Melchior Ernſt, flieg zum preufi- fhen Brigadier.

Ein Erasmus v. Gersdorf auf Rautig hinterließ eine zahlreiche Nachfommenfchaft, bei der ſich aber eine Zeit lang tragifche Creigniffe häuften. Ein Enkel aus der aͤlteſten Linie, welche Hans auf Kittlig geftiftet, blieb 1625 in der Schlaht an der Deffauer Brüde. Ein Nachkomme eines anderen Sohnes, Chriftophs, Hans Lubwig zum Steh, geb. 1638, ward in feinem Hauſe von einem v. Zabeltig erflo-

Miscellen. 483

hen. Ein dritter Sohn, Peter, zeugte Kaspar Sigmund, der im Duell erftochen ward. Des Erasmus vierter Sohn, Michael zu Gloſſen, ertrant am 11. Juni 1620, 40 Jahre alt, beim Baden. Don diefes Michael’ Söhnen fiel Hans Erasmus als bänifcher Mittmeifter in einem Treffen wider die Schweden; Hans Kaspar und Michael ftarben bei der Belagerung von Mantua und wurden zufammen unter einen Nufbaum begraben, und Nikolaus zu Gloffen ward am 8. Nov. 1643, zu Reichenbach, 24 Jahre alt, erfchoffen. Drei jüngere Söhne des Erasmus: Kaspar, Jofeph und Heinrich genannt Jungblut, waren in ber Schlacht auf dem weißen Berge und wurden nachher von ben böhmifchen Bauern erfehlagen. Der jüngfte Sohn, Nitol, zog den Waffen, in ben Niederlanden, Jülich, Dänemark, bei der Belagerung von Braunfchweig nach und ftarb endlich 1617 unverheirathet in Schweben.

6. Chriſtoph Springer.

Kurz vor Bladwell (S. 12) und im Zufammenhange mit feinem Proceffe wurde, auf Anftiften derfelben Partei, ‚welche Blackwell auf das Schaffot brachte, auch der ftod- bolmer Kaufmann Chriftoph Springer, wie auch ein Kaufe mann Frank, auf ben man jedoch nichts Ernftliches bringen tonnte, im Februar 1747 in Haft gebradht. Man gab ihm Schuld, daß er ein dänifcher Agent fei und auch mit dem ruſſiſchen Sefandten in allzu vertrautem Verkehre geftanden, auch die gefährliche und verfaffungswidrige Meinung ver- fochten habe, daß die Reichstagsabgeordneten mit ihren Committenten Rath pflegen follten, und es ward ihm der Proceß gemacht. Am Tage bevor ihm das Urtheil bekannt gemacht werden follte, am 27. November, gelang es ihm, zu entfliehen, indem ber wachthabende Unteroffizier fo feft eingefehlafen wer, daß er ihm Mantel und Hut abnehmen und fich, dergeftalt verkleidet, aus dem Staube machen

21 *

4834 Mibcelen.

konnte. Man glaubte anfangs, er ſei zu dem ruſſiſchen Geſandten, Baron v. Korf, geflüchtet, und ließ beffen Haus buch ein Detachement Leibgarde umftellen. Anderen Tages ließ man den Entflobenen auf allen Strafen austrommeln. Bild aber erfuhr man, daß er bei dem englifchen Geſand⸗ ten, Mr. Guididens, verborgen fi. Dan ließ nun dieſes Haus von 4 500 Mann Leibgarbe umsingeln und ber Hofkanzler, Baron v. Nolt, begab fih zu dem Gefandten und erflärte ihm, daß man wohl wiffe, Springer halte fid) in feinem Haufe auf, und zuverfichtlih erwarte, er werde ihn ausliefern laffen. Mr. Guididens antwortete: es fei ihm der Aufenthalt des Springer in feinem Haufe unbe fannt; er wolle fih aber erkundigen. Man ließ nun das Trommeln nur in der Straße fortfegen, wo der englifche Gefandte wohnte, um den Pöbel dahin zu locken und da durch einen mehreren Vorwand zu fo flarfer militärifcher Befagung zu gewinnen. Der Baron v. Nolk erflattete dem König Beriht und fam dann nohmals zu Mr. Guididens mit erneuertem Andringen, wobei er die Hoffnung aus fprah, daß der Gefandte nicht zu Mafregeln Anlaß geben werde, die für beide Kronen unangenehme PVerwidelungen herbeiführen fönnten. Der Gefandte ermiederte: „Er ſei nicht Springer's Wächter und müffe fich übrigens auf das beziehen, was er fchon vorher in diefer Sache gefagt habe.“ Endlich gegen Mittag fam Herr v. Nolt zum dritten Male zu dem Gefandten, während welches Befuches die Soldaten ihre Gewehre geladen haben follen. Es ward dem Gefand- ten nun noch eine Stunde Zeit gegeben, den Springer auf _ zuliefeen, widrigenfalls man die gehörigen Mafregeln zu nehmen wiffen werde. Mr. Guidickens verfegte hierauf: daß er wider die Gewalt nichts ausrichten könne, aber auf das Feierlichfte wider alles mit untergelaufene gewaltſame und orbnungswidrige Verfahren proteftiren, fich auch bie um 4 Uhr Frift ausbitten müffe, um die übrigen fremden Ge⸗ fandten um Rath fragen zu können. Nachdem fi Herr v. Nolk mwegbegeben, fehrieb der Gefandte an ihn und erklärte, unter Erneuerung feiner Proteftation, daß, dba er be

En‘

Miscelen. 485

Gewalt, die man wider ihn zu gebrauchen willens fei, nicht zu widerfiehen vermöge, ber Hofkanzler ſich zu ihm verfügen und den unglüdlihen Springer in Empfang nehmen möge. So ward denn Springer wieder in fein Gefängniß zurüd- geführt und darauf zum Pranger und zu ewiger Haft verurtheilt.

7. Priefter- und Weiberliſt.

Die an den König Alphons VI. von Portugal ver- mählte Maria Francisfa Sfabella von Savoyen- Nemours fühlte fich bald nad, ihrer, 1666 ftattgefunbenen Verheira- thung bei ihrem Gemahl fo unglüdiih, daß fie mit ihrem Schwager, dem Infanten Dom Pedro, auf Pläne einging, bie eine Entthronung bed Königs bezielten und fpäter auch durchfegten. Zum Unterhänbler diente ihr ihr Beichtvater, der aus Frankreich mitgebrachte Jeſuit de Ville, und fie fuchte auch den damals in Portugal an ber Spige des Kriegsweſens ftehenden Grafen, nacherigen Herzog von Schoniberg für die Sache zu gewinnen, befchidte ihn des» balb durch ihren Beichtvater und Enüpfte auch einen Brief- wechfel mit ihm an, ohne doch Schomberg aus feiner vor» fihtigen und neutralen Haltung herausbringen zu kön⸗ nen. Sie befchwerte fih u. A. wie wenigftens der Beicht- vater erzählte, über die Impotenz des Königs und daß er, um diefe zu verdeden, die Königin in eine Zodfünde zu bringen beabfichtige, indem er nämlich ihr Bett in ein Schlafzimmer mit einem geheimen Eingang babe ftellen " laffen, welches man unbemerkt betreten und verlaffen könne.

Eines Abends erhielt die Königin einen ausführlichen Brief von Schomberg, den fie im Bette las, und darauf einfchlief. Am andern Morgen war der König bei ihrem Erwachen bereits in die Kapelle gegangen und fie eilte, ſich anfleiden zu laffen, und ihm zu folgen. Doch kam fie nicht vor ber Elevation an Ort und Stelle und mußte eine

456 Mbeellen.

andere Meſſe abwarten, während der König bie Kirche ver⸗ ließ. Jetzt erft fiel ihr ein, daß fie das Schombergiſche Schreiben auf ihrem Bette gelaſſen habe. Erſchrocken fagte fie dies ihrem Beichtvater, der ſogleich nach ihrem. Schlaf- zimmer eilt. Aber zu feiner größten Beflürzung erfuhr er, daß der König fi darin befinde, den er auch mit großen Schritten darin auf und abgehen und fich mit der Oberhofmeifterin Gräfin v. Eaftel-Melhor, der Mutter des almächtigen Minifters, heftig unterreden hörte. Er felbft durfte das Schlafzimmer der Königin in ihrer Abwefenheit nicht öffentlich betreten und fo mußte er mit der Trauerpoft in die Kapelle zurück. Die Königin fchickte jegt eine ihrer Damen ab. Diefe fand jedoch die Sache nur noch ſchlim⸗ mer, indem fi der König auf das Bett geworfen hatte. Run blieb nichts übrig, als daß die Königin felbft Hineilte. Aber die Meffe war noch nicht vorüber. So fiel fie denn, auf den Rath des Beichtvaters, in Ohnmacht und wurde in diefem Zuftande in ihr Schlafgemad getragen. Doch auch bier fam neuer Schreden, indem der König bei dem An- blick der ohmmächtigen Königin Befehl gab, fogleich ihr Bett zurechtzumaden. Damit wäre ber gefährliche Brief noch im legten Augenblide entdecdt worben. Weibliche Gei- fteögegenwart half auf dies Mal. Die Königin erholte fih etwas und bat mit ſchwacher Stimme, fie nur eilends auf das Bett, fo wie ed wäre, zu bringen. Dies gefchah und fie fühlte mit erleichtertem Herzen, daß ber Brief, durd ein auf bem Bette liegendes Kleid verdedit, noch unverſchrt damwar.

8 Ein englifher Schiffscapitain.

Der Kaifer Peter der Große hatte in dem unglücklichen und doc, fo glüdlichen Frieden am Pruth, durch den ihn geſchickte Benugung türkifcher Schwächen aus der Gefahr des gänzlichen Unterganges rettete (21. Juli 1711), u. A.

RT

Miscehen. 487

die Rückgabe Azows und die Schleifung Taganrogs ver- fprochen. Beide Hatte der alte Großadmiral Graf Aprarin inzwifchen gegen bie türkifche Flotte herzhaft vertheidigt und mit einem Theil der Befagung von Taganrog bie türkifchen Landungstruppen zwei Mal auf ihre Schiffe zurüdgejagt. Dem wiederholten Befehle des Kaiſers mußte er gehorchen, verließ aber die Pläge mit thränenden Augen. Einige von den im Hafen liegenden Schiffen waren fo groß und tief gehend, daß man fie nicht in den Don beraufbringen fonnte und deshalb den Türken zum Verkaufe anbot, die fie aber im Hafen liegen und anfaulen liegen. Ein ruflifcher Schiffs- capitain, Namens Simon, ein geborener Engländer, wollte fein gut equipirtes und etwas leichtgehendes Schiff durchaus nicht abtafeln und verlaffen, und ale das Waſſer flieg und er zugleich günftigen Wind befam, lief er mit vollen Se⸗ geln aus dem Hafen, die türfifche Flotte und die Meerenge hart unter Jenikale vorbei, den Canal bei Konftantinopel, bie Darbanellen und den Archipelagus hindurch in das mit⸗ telländifche Meer und fo um ganz Europa, und fam in den erftien Tagen des vierten Monats nach feiner Abfahrt wohl⸗ behalten nad Kronftadt und St. Petersburg, nachdem er die Kühnheit und das Vergnügen gehabt, daß er im Ange⸗ fichte des Seraild von feinem Schiffe zwei Lagen aus den Kanonen gegeben, und den Sultan und ganz Konftantinopel in Schredien gefegt ).

1) Münnich's Tagebuch in Herrmann’s Beiträgen, &. 123 ff. Diefes Tagebuch ift von dem aus Sachſen gebürtigen Kammerrath Junker verfaßt, der bei dem ruffiihen Salinenweſen angeftellt war und mit Münnid in vertrauten Berhältniffen ftand. &.: Herrmann, Geſchichte des ruffifhen Staats, Bd. IV., &. 576 und 694 ff.

——

Nachtraͤge.

(Zu S. 47). |

Nah den Memoiren ber Fürftin Daſchkow (I., 108) hatte die Kaiferin Katharina unmittelbar nach der Ermor- dung des Kaifer Peter III. ein Schreiben des Alerander Orlow erhalten, worin er fie in den demüthigften Ausdrü- den um Verzeihung wegen diefer Miffethat bat. Diefen Brief bewahrte die Kaiferin mit Sorgfalt unter ihren wid tigften Papieren. Nach ihrem Ableben ließ ſich der Kai fer Paul das Käftchen bringen, worin fi) Die geheimen Briefihaften feiner Mutter befanden, und ſich deren Inhalt vom Fürften Berborodfo vorlefen. Als der Brief Alerander Orlows beendigt war, rief der Kaifer aus: „Gott fei ge lobt, die wenigen Zweifel, die ich in Bezug auf diefes Er- eigniß über die Theilnahme meiner Mutter hatte, find nun verfehwunden.” Er befahl, daß der Brief dem Großfürften und dem. Grafen Roftopfchin gezeigt werden folle.

(Zu den Auffägen III. und IV.)

Erft nach dem Abdrude diefer Aufjäge ftieß ich auf eine umfaffende Darftelung des Cardinal Alberoni, aus ber Feder des verftorbenen Prof. Eifenbah in Tübingen, im Sahrgange 1829 der Pöligifchen Jahrbücher (Bd. J., ©. 472 ff., Bd. IL, ©. 210 ff), Der Verf. beurtheilt Al beroni im Ganzen fehr richtig, und hebt namentlich feine Verdienfte um die innere Verwaltung Spaniens hervor, hat aber manche neuere Quellen nicht benugen fünnen, die mir zugänglich waren. Er gibt noch einen dritten Geburts: ort Alberoni’8 an: Borgo di S. Donnino. Bon der Dr. fini behauptet er, daß fie fpäter den Plan gehabt habe, eine italienifche Partei, unter Führung Orri's, in Spanien in die Höhe zu bringen und die Nationalfpanier zu ver:

Rachtrage. 489

drängen. Aber außer Orri war Don Melchior Macanaz, alfo ein Spanier, die Seele diefer Partei und ihrer Re formpläne. In Betreff des Sturzes der Drfini bat er auch die Meinung der Herzogin von Orleans, daß die Dr fini zuerft die Königin mit Vorwürfen überhäuft habe, die dann von dieſer überboten und in Kraft gefegt worden feien. Beide Frauen feien zu diefer Rolle von Alberoni angeleitet worben, welcher namentlich der Orſini gefagt habe, fie müffe der Königin von vornherein imponiren. Die Königin habe die entgegengefegte Erzählung, daß fie auf Befehl des Kö⸗ nigs und nicht auf Anftiften Alberoni’d gehandelt Habe, nur verbreitet, um bie Sache zu befchönigen. Mir fcheint jedoch eben diefe legtere Erzählung fowol in dem Charakter Philipps V., als in dem ber Orſini, welche recht wohl wußte, durch welche Mittel fie die anfänglich zweifelhafte Gunſt der eriten Gemahlin bes Königs erworben und welche in der Behandlung der Menfchen keine folhe Stümperin war, wie jene andere Verſion vorausfegt, beffer begründet zu fein. Hat ein Befchönigen im Plane gelegen, fo Tiegt es viel näher, bies in einer folchen Erzählung zu fuchen, welche die Schuld auf die Prinzeffin Orſini fchob. Da- gegen will ich nicht unermähnt laſſen, daß Eiſenbach bie großen Unvorfichtigkeiten des Prinzen v. Gellamare, welche zur Entdeckung der Verſchwörung führten, nicht auf feine Unfähigfeit, fondern auf die Abficht fehiebt, die Sache fchei- tern zu machen und dadurch Wlberoni einen Streik zu fpielen. Gellamare fei ja ber Neffe des Carbinal del Giubice gewefen, der von Alberoni geftürzt und vielfach gefränft worden fe. Es bleibt das eine Eonjectur, für die es weiter feinen Beweis gibt. Der ©. 156 erwähnte Sandrasty war ein Schlefier. Der ebendafelbft erwähnte Schlieben war früher in Spanien gewefen und von der Orfini be günftigt worden.

(Zu ©. 212). Wir erfehen aus handfchriftlichen Mittheilungen, bie und erft neuerdings zu Geficht gekommen, daß Xaver Hee⸗ 91 **

490 Rachtraͤge.

wald, Legationsrath und Kammerzahlmeiſter der Kurfürſtin Witwe, am 26. Januar 1777 auf den Koͤnigſtein gebracht, am 9. März 1778 aber wieder entlaſſen und ihm Bautzen zu ſeinem künftigen Aufenthaltsorte angewieſen wurde. Hierdurch beſtätigt ſich die S. 208 ausgeſprochene Anſicht, daß Heewald nicht ernſtlich betheiligt geweſen. Waͤhrend feines Aufenthaltes auf dem Königſtein erhielt er täglich 8 Gr. und beftritt feinen Aufwand ex propriis. Agdolo da gegen erhielt monatlich 30 Thlr. aus dee Generalkriegskaſſe und 20 Thlr. aus ben Generalkriegsgerichten. Agdolo findet fih fhon am 16. Sept. 1776 auf ben Liften der Feftung (vergl. ©. 208), wird am 9. Det. nah Pirna gebradt, und kommt am 21. April 1777 (&. 212) wieber auf ben Königftein. Mit Heewald kam Marla Anna Gozza, melde als feine „vorgegebene Ehefrau‘ bezeichnet wird, auf ben Königftein, wurde aber ſchon am 28. nah Dresden ge bracht. Sie erhielt täglich 6 Gr.

(Zu ©. 230 und 231.)

Die drei bei den Bauernunruhen und während ber Scene zu Hirfchftein verhafteten Bauern waren ber Richter und Hufner Gottfried Gehre in Bahre, der Gärtner Io: bann Gottfried Thiele in Althirfchftein und der Gärtner ChHriftian Mann in Nößchen. Sie famen am 11. Sept. 1790 auf den Königftein. Gehre und Thiele wurden fchon am 11. Nov., Mann wurde am 3. Dec. beffelben Jahres wieder entlaffen.

(Zu ©. 307.)

Wir fehen doch, daß ber gute Superintendent Boden- fhag lange auf die ihm verfprochene Beförderung im Va⸗ terlande hat warten müffen, und daß er fie ſchwerlich der Eofel zu danken hat. Johann Ehriftoph Georg Bodenfchag wurde am 25. März 1717 zu Hof geboren, ſchon 1740 Pfarrer zu Uttenreuth, aber erft 1764 nach Frauenaurad verfege und erft 1781 Superintendent zu Baiersdorf, als welcher er am 4. Oct. 1797 verftorben ift.

Megiiter.

m

Abalyanow, ruff. Generalpros curator, 64.

Abenteurerleben, 474.

Ahmed Paſcha, 432. Adie, Graf dv’, in die Gellamare- verſchwörung verwidelt, 156. Affry, die Grafen dv’, 342, 343. Agdolo, Obrift, 196 ff. 372, 490. Agliata, Senoffe Gaglioftro’s, 6. Aauilar, Graf v., intriguirt ge⸗ gen den Sardinal d'Eſtrées, 107; wird Oberbefchlöhaber der fpa= nifhen Heere, 1215 wird ge⸗ ftürzt, 123.

Ahlden, Herzogin von, jtirbt 2573 ihre Erbſchaft, 260, .262.

%iguillon, Herzog v., Minifter der ausw. Angeleg., 1823 fein Streit mit Graf Broglie, 183.

Alba, Herzog v., ſpaniſcher Ge- fandter in Paris, 107.

Alberoni, Gardiral, 135 ff., 488; fein Sturz, 160 ff.3 fein Tor, 165; fein Zerdaitniß zu Rip⸗ perda, S. 1

Alberoni, Gäfer, 169.

Ai Pafcha, 431 432.

Alleurs, Gruf des, franz. Ges fandter in Konftantinopel, 1783 ad einer Lubomirska vermählt,

Alfufiew, Obrift, 34. Altieri, Prinzeffin, 199.

Altotad, Genoffe Eaglioftro’s, 314

Amelot de Sournai, franz. Ge⸗ fandter in Madrid, 1173 ab berufen, 121.

Andres, deutfcher Arzt in Lon⸗ don, 13.

Anbalt-Deffau, Hof und fürft- lihe Zamilie, 264 268.

Leopold, Zürft zu, ebend.; 3 270 271.

Anbalt-3erbft, die Berhält- niffe Katbarinad, 10; wie der Zürft dic Einladung nah Ruf: land aufnimmt, 235 die Für- ftin Johanna Eliſabeth, 10.

Anhalt, die Srafen v., 264.

—N die v., 264.

Anfpad,Markgrafv., 348-349.

Aprarin, Admiral, fein Wohn⸗ baud, 33 vertheidigt Taganrog, 487 3 führt das holfteinifche Her: zogspaar nach Holftein zurüd, 4.

Aprarin, General, fein Rückzug aud Preußen, 175 er ftirbt, 15.

Aquaviva, Gardinal, 164.

—— Bircelegat, 392.

Araktſchejew, General, 75 ff.

Armfeld, Frh. v., 92.

Arnim, Graf v., preußiſcher Mi⸗ niſter im Juſtizfache, 4 - 275.

Aſtorgas, Marquis v., 121.

Aubenton d', Beichtvater Phi⸗

ai

© mt teiec: iemen Uxfisand er proprüs. Agdolo da- zer eier mean 36 Ihlr. and ber Generalkriegskaſſe zu Ip. anf der Genersffriegägerichten. Agdolo findet = dee m Ik Exre 17.6 auf ben Liften ber Feſtung

E u

1720 ıaxf ten Königiem. Gebre und wurden jchon am Il. Re:, Mann wurde am 3. Dec. deffelben Jahres wieder eutlafien.

(Zu ©. 307.)

Wir icben doch, daß der gute Superintendent Boden- fhag lange auf Die ibm verfrrocddene Beförderung im 2a teriande hut warten müffen, und baf er fie ſchwerlich der Coſel au tanken bat. Jobann Chriftoph Georg Bodenſchah wur am 25. MRäirı 1717 au Hof geboren, fchon 1740 Pfarrer au Uttenreuth, aber erft 1764 nad Frauenaurad veriegt und erft 1781 Superintendent zu Beiersdorf, als welcher er am 4. Det. 1797 verftorben ift.

Hegiiter.

nn en

Abalyanow, ruff. Generalpro: curater, 64.

Abenteurerleben, 474.

Ahmed Paſcha, 432. Adie, Graf d', in die Gellamares verſchwoͤrung vermwidelt, 156. Affry, vie Grafen dv’, 342, 343. Agdole, Obrift, 196 ff. 372, 490. Agliata, Genoffe Eaglioftro’3, 6. Aauilar, Grafv,, Intriguirt ge⸗ genden Cardinal d'Eſtrées, 107; wird Oberbefehlshaber der ſpa⸗ niſchen Heere, 1213 wird ge⸗ ſtuͤrzt, 123.

Ahlden, Herzogin von, ſtirbt 2573 ihre Erbſchaft, 260, 262.

Aiguillon, Herzog v., Miniſter der ausw. Angeleg., 1823 fein Streit mit Graf Broglie, 183.

Alba, Herzog v., ſpaniſcher Ge⸗ ſandter in Paris, 107.

Alberoni, Gardinal, 135 ff., 488; fein Sturz, 160 ff.5 fein Top, 165; fein Berhaͤltniß zu Rip- perda, &. 167.

Alberont, Gäfer, 165.

Ali Paſcha, 431 432.

Alleurs, Graf des, franz. Ges fandter in Konftantinopei, 1785 einer Lubomirska vermaͤhlt,

Alfufiew, Obriſt, 34. Altieri, Prinzeftin, 199.

Altotad, Genoffe Saglioftro’s, 314

Amelot de Gonrnat, franz. Ge⸗ fandter in Madrid, 1173 abs berufen, 121.

Andres , deutſcher Arzt in Lon⸗

3.

Hof und fuͤrſt⸗

liche Familie, 264 268.

Leopold, Yürft zu, ebend.; 0—- 271

2370 271.

Anhalt-3erbft, die Berhält- niffe Katharinad, 10; wie ver Zürft die Einladung nad Ruf: land aufnimmt, 235 die Für- fin Johanna Eliſabeth, 10.

Anhalt, die Grafen v., 264.

v., HA.

Anfpad, Martgrafv., 348-349.

Aprarin, Admiral, fein Wohn⸗ haus, 3; vertheidigt Taganrog, 487 ; führt das holfteinifche Her⸗ zogspaar nady Helftein zuräd, 4.

Aprarin, General, fein Rückzug aus Preußen, 173 er ftirbt, 15.

Aquaviva, Gardinal, 164.

—— #Bicelegat, 392.

Xraktfhejem, General, 75 f.

Armfeld, Frh. v., 92.

Arnim, Graf v., preußiſcher Ri⸗ nifter im Juſtizfache, 374— 275.

Aſtorgas, Marmisv., 121.

Aubenton d', Beichtrater Phi⸗

Gazotte, 399, All fi.

Gellamare, Prinz v., ein Giu⸗ dice, 12355 fein Xeußeres, 1535 fein Gharakter, 154,480; feine Rolle in Frankreich und Schick⸗ ſale, 155

Chaiſe, de ta, 112.

Ehalois, Prinz von, 96.

—— Graf v., 130.

Ghandes, Marquis v., 13.

Ghanteloupe, Palaft zu, 124.

Ghaptal, Sraf, 124.

Gharlot, Scharfrichter, 405.

Ghaftelet, Herzogin v., 217.

Ehenaud, 337.

Chenon, Ghevalier, 235.

Ehcfterfield, Graf, 446.

Shetardie, Marquis de la, 7.

Ghoifeul, Herzog v., in Shan teloupe, 1243 fein Berbältmiß zur geheimen Diplomatie Lud⸗ wigs XV., 179 1825 fein Berbältniß zu Vergennes, 193; was er von dem Grafen St. St. Germain fagt, 3413 fein Gonflict wegen dieſes, 341 3433 fein Scherz; mit Conda⸗ mine, 4045 feine Schweſter, 417.

Glavieres, 333 ff.

Glemend XI, erhebt Portocars rero zum Gardinal, 975 fein Groll gegen die Orfini, 1315 muß XAlberoni zum Gardinal maden, 1465 fein Tod, 163.

Sıesmont'fües Syftem, 357,

Gocceji, Samuel v.; feine Ges ſchichte, 2565 was er zu Nüß- ler jagt, 3575 wird Miniiter, 2; feine Juftigreform, 274

Golonna, Cardinal, 97.

Gondamine, de la, 404 ff.

Gonti, Ludwig Franz, Prinz v., feine Steltung in der geheimen

Regifter.

Diplomatie Ludwigs XV., 177 1795 empfiehlt d'Eon, 187. GSonpulfionaire, die, 402 fi.

Gopfton, Georg, 317.

Gofel, Gräfin v., 296 ff.3 ihre Rachkommen, 300, 301.

Gourecillon, Marquis, in der Gellamareverfhwörung , 153, 156, 157.

Gramer, begleitet den Prinzen Deter nah Rußland, 75 aus: gewieſen, 12.

Greug, preuß. Minifter v., 260.

Groiff», 108.

Greir, Madame de la, 393 ff.

Gunningbam, 381.

Dänemarf, Peters II. Pläne in Betreff deſſelben, 28, 99. Friedrich VI, König v., 535 Juliane Marie, Königin v., 52.

Damiend, 405.

Dapifard, 157.

Daſchkow, Zürftin, eine Wo⸗ [ ronzow, 173 ihre Rolle in der Verſchwoͤrung, 34, 35, 37; fie begleitet die Kaiferin, 42; Pa⸗ nin's Neigung zu ihr, 54.

Debroffe, de, fähfifher Ges fandter im Paag, 285.

Det chütz, v., feine Ermordung, 470.

Delaunay, Dlle, 157. Delolme, 375 Deluc, 375. Derſchau, Obriſt v., 262. Deslandes v. Regnault, 120. Deutſchland, Peters II. Plan in Betreff deffelben, 28, 29. Diviers, ruff. General, 39. Dolgorudy, die, 2. Dönhoff, Gräfin v., 298, 302. Döring, Poet v., 3W. Douglas, Ritter, franz. Agent in St. Petersburg, 187. Dreſch, v., 272.

Regifer.

Droft, Arzt in St. Peters⸗ burg, 97.

Drouet, 182.

Dubarri, die, 182.

Duchanteau, 330 ff.

Duboid, Gardinal, feine Ger ſchichte, 1515 fein Berfahren bei der Gellamareverfhmwörung, 154 156.

Dubois Martin, 180.

Duder, v., 12.

Dumesnil, Gellamareverſchwö⸗ ver, 193, 156.

Dumouriez, 182.

Duparc, die, 299.

D H 3 veray, genfer Fluͤchtling,

Eder v. Gähofen, 359.

Ecombes dv’, 358.

Ehrenfeld, DObrift v., 450.

Eichel, preuß. Geh. Gabinets⸗ rath, 273, 275.

Ellermann, 361.

P Gnoe, Freiherr v., fächfifher Mi⸗

nifter, 10.

Engelbardt, Serseant, ſpäter General, 46, 4

Eon v’, 184 ff.

Eöclignac, Herzogin v., 19.

Eöspremenil vd’, 324.

Efrend, Garvinal d’, 96, 105

—— Abbeé, 105, 110 112.

Eugen, Prinz, von Savoyen, 239; fein Berhältniß zu Bon⸗ neval, 424 ff

Zagel, 282.

Favier, 182.

Faye, de la, 281, 282.

gelisiani, Lorenza, 310 fi.

Zenelon, 105

-— Marquis v., 288.

Zerber, Friedrich —— Ic fein Berhältniß zu Agdolo, 200 2013 von der Kurfürftin Witwe

beſchenkt, 2055 Agdolo bei ihm, 20153 Misftimmung des Kur⸗ fürften gegen ihn, 2113 fein Berbältniß zu Schrepfer und du Bose, 372 373.

Zermer, Graf v., 2. -

Zlemming, Sarl Georg Fries drid Graf v., 286.

—— Jakob Heinrich v., 247,301.

arm, Johann Friedrich v., 245

Zleury, Eardinal, 177, 440.

Zlotte, 120

Folard, 159.

Zranfreih, Ludwig XIV, Ks nig von, 104 ff., 1495 2ud» wi XV., König von, 140,170,

Fresne, dei, 114. Zrief 3 Heinrich Friedrich Graf

v., .

—— Heinrihd Graf v., 297

Zröpden, v., 376.

Zürftenberg, Egon Zürft v., 297, 303.

Zub, Rector in Kiel, 5.

Gagarin, Zürftin, 74, 78.

Galizin, Zürft Iman,25, 42,49.

Gardini, Ignaz, Alberoni’s Gönner, 135.

Gasc, genfer Ylüdtling, 335.

Gavandun, Ghevalier de, Gel« lamareverſchwoͤrer, 156

Geißler, 321, 222

Genua, 161, 162.

Georg J., Siehe: Großbritannien.

Gerault, franz. Agent in Pos Im, 181.

Gerber, die v., 264.

Gersdorf, die v., 482,

Gersſsdorf, Karl Auguſt v.,

ſaͤchſ. 213.316. Minifter,

, _ ohanna v., 240, 249 Gibraltar, 114 124.

496 en Gardinal del, 125, 4

141, . Glebow, Alerander, 25, 34. Gleichen, Baron v., 320, 347, 348, 394 ff., 404 ff. Goethe, 310, 316, 3239. Golz, Zreiderr v. d.3 preuß. Gefandter in &t.Petersburg,27. Gordon, Lord Georg, 325,

Gräve, Arzt in Petersburg, 91.

Gramedo, Graf v., S. 12.

Sramont, Herzog v., franz. Trlandter in Spanien, 112

—— Herzogin v., 417 ff.

Grashof, Paftor, 252.

Grenus, genfer Flüchtling, 335.

Grilli, genuefifher Patricier, 96.

Grimaldo, Marquis v., 116, 125, 132, 144.

Großbritannien, König von, 175.

geudanneel, Gräfin, 88

Grünftein, 26.

—A 28, 27, 43, 44, 48, 50.

Guerchy, Graf v., 188, 189.

Guerra, Dominik di, 141.

Gugomos, 361.

Gutſchmid, v. 371.

Halifar, Lord, 189.

Hannover, 29.

Harcourt, Herzog v., 104.

Hapfeld, Meldior v., 434, 435.

Hedmann, 13

Heewald, Sceretair der ver: witweten Kurfürftin von Sach⸗ fen, 206, 211, 212. 489.

Heiliger, Kriegözahlmeifter in Hannover, 259.

einfi ius, Johann Georg, 241,

Georg 1.,

- Hennin, 187.

Henrikow, die Grafen, 3

N

Begifter.

Bellen, Landgraf Karl v., 344,

pennis, v., 373.

Hiller, General v., 13. 06. Hirfhftein, Sqloß zu, 226. Poffmmann, Dbrifio., 287, 238,

daffmenn, Hector in Görlis,

Sobbers, Gräfin v.,

Hohenthal, Grafen &. 979,376.

Holftein, 3, 19, 48.

Holfteins Bed, Karl Ludwig, Prinz v., 209.

—— Peter Auguft Friedrich v.,25.

Holftein-Gottorp, Seorgäm- wig, Prinz v., 25, 29, 4

Karl Friedrih, 24 d. 1—

Yuguft, Prinz v., 12.

—— Sophia Amalia, Prinzefs fin v., 296.

Holſtein-Plön, 20. .

Holgendorf, Ghriftian Gott ' lieb, Graf v., 301, 307.

Hopfgarten, v., 376.

Hopital,. Marquis d', Galluccio, 187.

Hoym, Adolph Magnus, Graf v., ‚29.

—— Karl Heinrich, Graf v., 296, 297.

Paul

Hund und Altengrotkau, die v., 350

Jackabowski, franz. Agent in Polen, 181. Jarriges, v., 275, 276. Jaucourt, Marquis v., 334. Jefimowski, die v., 3. Illosway, 430. Imperiali, Cardinal, 161. Infantado, Herzog v., 107. Innocenz XIL, 98. Innocenz XIII. 131, 160. Joſeph IL, Kaifer, 35, 327.

Regifter.

Ismael Paſcha, 432.

Ismailow, 34, 43.

Karl VI, Kaifer, 169, 171.

Katſch, Cdrifloph v., 255, 256.

Katte, Obriſt v., 201, 262.

Kauderbach, 200 ff.

Keßler genannt Sprengseiſen, die v., 368, 469, 470.

Kilmarnod, Lord, 447.

Kippen, v., 359.

Kleufer, 339, 390.

Klingenberg, v., 280.

Klinggräf, preuß. Geheimes ratb, 263.

Knorr, Syndikus in Halle, 253.

Koh, Hofrath in Merfeburg, 250, 251, 244.

Köhin, engliihe des Kaifer Paul, 82. Königsegg, Lothar Joſeph

Georg, Straf v., 172 Kolowrat-Krakowsky, Jo⸗ hann 3. Hyacinth, Graf v., Korf, v., 7, 25, 50. Krug v. Nidda, Philipp Frie⸗ drich, 253, 273. Kurafin, Fürft Alerander, 62. Kurland, 3, 19. —— Karl Herzog v., 18, 370 ff. Kutaizow, Graf, 62, 64, 9. Lagnasco, Graf, 287. Laharpe, A16 ff. Lanti, Herzogin v., 96. ——h Anton, —— Alexander, 130. Lapuchin, Zürftin, 74. Zara, Don, 120. Lascy, Peter Graf v., 8. Launay, Marquis, 325. Zautenfad, 285. Zaval, Graf v., 153, 154, 157. Savalette, Pater, All, 412. Lavater,385;feine Brüder, 388. Le Blanc, 155.

497

Ze Gamns, 186.

Leede, Marquis v., 146. Echmann, Obrift v., 274, 279. seibhufar des Kaifer Paul,

f} .

Leipzig, 27.

Lescinska, Marie, Königin von Frankreich, 170.

Leſtocq, 7, 23, 26.

Lihtenhain, Lieutenant v.,223.

Liebenroth, v., 237.

Lilienfeld, Witwe, 53.

Zimburg, Herzogthum, 125.

Livri, Sanguin de, 170

Lobkowitz, Ferdinand Auguft Leopold, Fürſt v., 238.

Georg Chriftian, Zürft v., 2338 240

ef —5 Adolph Graf von,

215, 224

Loſſa, Edler v., 368.

Louville, Marquis v., 105, 110, 111, 144, 145.

Loval, Lord, 438 ff.

Lubomirski, Georg Dominic, Fürſt v., 299.

—— Georg Ignaz, Fürft v., 302

—— Jakob Alerander, Fürft v., 198, 200.

Lucca, Signoria zu, 287.

Zudemwig, Kanzler v., 249, 252-256, 263, 273, 274, 278.

Luͤbeck, Adolph Friedrich, Bi⸗ ſchof von,

—* Auguſt, Biſchof von

Friedrich Auguſt, Biſchof von, 10

Lüd *2 Wundarzt in St. Pe⸗ tersburg, 46, 47.

Lynar, Rochus Graf v., 12.

Moris Karl Graf v., 242.

Macanaz, Don, 126, 489

Magny, Graf, Gellamarever- fhwörer, 156.

Mahmud I, Sultan, 429. Maine, Herzog v., 150, 152, 156, 157

fl U} Herzogin v., 1523, 156, 157. Maintenon, Zrau v., 97, 09, 101, 115, 117, 150. Malezieur, Gellamareverfhwös rer, 153, 156. Manfuromw, 77, 82. Marat, 376, 377. Maroliat, , Graf Gamilo, 217, 37

Marin, 73, 80, 83. Marſchall, v., preuß. Minifter, 267.

Heinrih Wilhelm v., Groß⸗ meifter der Zreimaurer in Ober: ſachſen, 351 358.

v. Biberftein, Johann Au⸗ guſt, 274.

Marfin, Graf v., 104.

Martinez Pafquali, 360, 414.

Martius, Rector, 281.

Marpit, Heinrich Karl v. d.,

Maſchkow, die v., 264, 266. Maſſieu, Chevalier de, 161. Maſſimi, Marquiſe, 199. Maurigi, Marquis, 317. Mead, Dr., 13. Medlenburg, 28, 29, 89. Medina Geli, Herzog v., 107, 121, 125. Meer, Ban der, holländ. Grs fandter in Madrid, 177. Meierada, Marquis v., 116,

Melgunow, 25, 92.

Mentſchikow, Firſt, 4, 15.

Mercy, Graf, 2

—— Glaudius orimund Graf v., 159.

Merfay, v., 384.

Mihaelepalakt, 77 ff. 8.

Regifter.

Ruit eirrefo rmen Peters IL, 4

Mirowitſch, 50.

Monnet, General, franz. Agent in Polen, 181.

Montauben, Fräulein v., 157.

Montejo, Graf v., 107.

Moniellaus, Herzog v., 116,

Montefpan, Zrau v., 150.

‚346. Mofezinfkt, "Anton Grafv., 300 Mofer, 260. Mündhaufen, u Adolph, Zreiberr v., 259,

Münnid, —* Seifert, Graf v., 6 fi., 23, 25, 43. Murano, Goharheiter in Pa

. lermo, 2313.

Mylius, 470.

Myngen, Joham Hedwig r., 240.

Nadir Shah, 433.

Nariſchkin, Leo, 50.

—— Alexander, 64.

Neidhart, Gardinal, 97.

Keplunef, v., 38, 41.

Nesle, Marquis de, 408.

Kicaftro, 315.

Niederlande, 89.

Nitſche, 390, 467.

Nivernais, Herzog v., 188.

Noailles, die, 99, 101.

Adrian Moritz, Herzog v., 122, 123.

Nocé, Graf v., 151.

Nointel, franz. Geſandter in Konſtantinopel, 106.

Noirmoutiers, Ludwig Her⸗ zog v., 95.

Ludwig Alexander Herzog v., 95, 111, 117, 131.

Noyon, Graf v., 157.

Nüßler, die v., 238 ff.

Aegiſter.

NRummers, Hafencommandant in Kronſtadt, 39

Obereit, 383 ff.

Odart, 34.

Odescalchi, Livius, 96, 98.

Deſterreich, W

Oldenburg, 28, 89.

Dranienbaum, Bauten dafelbft, 15, 165 lutheriſche Kirche zu, 2653 Feſte in, 42.

Denen rbindungen, 359,

3

' '

Orleans, Herzog von; der Re⸗ gent, 119, 131, 149, 1503 feine Gemahlin, 152.

_—— ig, Poiipp, Herzog von, 373,

—** Kwarlotte v. d. Pfalz, Herzogin v., 98, 101,

Ormond, Herzog von, 159.

Orlow, Gebrüder, 34, 45.

Alexander, 36, 46— 49, 217, 344, 488.

Drri, 108, 110, 113, 125 126, 132.

Orſini, die, 163.

Drjini, Prinzeffin, 95 ff., 138 141, 488, 489.

—— Flavius di, 95 9.

Orzelska, Gräfin, 299

DOftermann, Graf, 66

Osnabrück, 29.

Dftfriesland, 2».

Pahlen, Peter Ludwig, Graf v., 69— 80, 86.

Hainter, Kohn, 446 fi.

Palma, die Grafen v., 97.

Dalmerfton, Lord, 335.

Panin, Graf Rikita, 1, 3l— 87, 41-41, 54 ff., 59, 317.

Panin, der jüngere Graf, 57, 65 6.

Darma, 133 40, 160, 287, . 83; Maria Ifabella von, Ges mahlin Joſephs IL, 2385 Phi⸗ lipp, Herzog von, W7, 288 Paſſek, 34, 35, 37. Patrizi, Marquiſe, 199. Paulmy, Marquis, 181. Paulucci, Cardinal, 161. Pecquet, 151. Pelham, Heinrich, 446. Perez, ein Marokkaner, 174. een ruffiiher Krieg gegen,

perfiion, 34.

Defcatori, Laura, 160.

Deterborougb, Earl v., 159.

Hetit, franz. Wundarzt, 308.

Pezold, Johann Sigmund, 285.

Hillnig, 298

Pinto, 314.

Piombino, Marauife, 141.

Pius VL, 328.

Platania, Abt, 150.

Plotho, Ludwig Dtto v., preuß. Minifter, 255, 256, 257

Podewils, Graf v., 272, 273, 2 977.

Polen, 29.

Paligaat, Sarvinal, 151, 157,

Poljanski, 45.

Dompadour, Marquis, Gella- moreverfhwörer, 153, 156, 157.

Pomponne, 10.

Yoniatomstis, die, 283, 284, 288.

—— Stanislaus XAuguft, 17, 18.

Ponteau, 414.

Hortocarrero, Cardinal, 96, 97, 14 —7, 110, 114, 119,

120. Po ärug⸗ ugal, Königtanenvon, 170, 4

Potemtin, 35, 43, 47.

Pott, 385.

Prätendent,der, 132,440, 441. Praslin, Herzog von, 190. Praſſe, Legationsrath, 27. meh d., Ichwed. Gefandter im

Has⸗ viieeigegee, 3,

Dreufen, 3; Zriedrich Wil

helm 1. König von, 280 267, 2685 Sriebrid II,

König von, 9, 33, 49, 30 382; Berehrung Peters II, für ihn, 16, 17, 975 Heinid, Prinz von, 295 Anna Amalia, Prinzeffin von, 9.

Prevot d’Erile, 282.

Dric, Marquis de, 425 420.

Dfeudopeters, die, 49.

Promnig, dieGrafen v.,244,245.

Raad, 13.

Radzivil, MarieGleonore, Für⸗ ftin v., 266.

Raiſer, 4l.

Rakoczy, 430.

Rafumomöti, Alexiew Graf, 14, 49.

—— Kyrila Graf, 33.

Rede, Elifan.d, 3”, 326,329.

Rehbinder, v., 34.

Renard, die, 300,

Retif de la Bretonne, 49.

Rer, Karl Auguft Graf v., 286.

Riario, Herzogin von, 199.

Nidcelieu, Herzog v., 156.

Ringler, genfer Flüchtling, 335.

NRipperda, 144, 159, 166 fi.

Niffelmann, v., 257.

Rivas, ruf. Anmiral, 67, 72.

NRivas, fpan. Marquis v., 112

118. Robinet, Beichtvater Philipps V. 126, 127, 136. Rogan, Gardinal, 393. Rollingen, Zrein v., 216.

Regifker.

Roncovieri, Graf, 136. Ronguillo, 118, 122. Ropfcha, 44. Rofenberg, Gräfin, 61. Rofopfäin, Graf, 64. Roure, Graf v., 106. Rouffet, Miffi de, 282. Rüdiger, Profeffor, 281, 468. Nugenfohn, Dr., 322. Rußland, Peter L, Kaifer von, 2, 20; Katharina 1, 2, 35 Peter IL, 4, 65 Großfürftin Anna, 2, 4, 5; Kaiſerin Am na, 63 Iwan IIL, 6, 18, 49; feine Geſchwiſter, 51 fi.3_ Re gentin Anna, 6, 51; Glifa- fabeth, Großfürſtin, 2, 45 Kaie ferin, 7, 10, 29 fi, 34, 50, 1873 Peter IL, If; Kar t$arina I, 10, 12 ff., 51,59, 61, 488; Saul, 16, 31, 37,41, 49, 53, 50 5 Alerander, 53, 68, 73, 74, 87, 91, 943 Kon ftantin, Großfürft, 87, 8, 91; Nikolaus, Großfürft, "9; Kair ferin Marie, 88 fs Groffür« fin Natalie, 88. Nusca, 469.

Rutowski, Graf v., 198, 298, 359; Gräfin, 198, 209. Saajen, 10, 15, 19, 27, 3, 196 ff.ʒ*Friedrich Auguft 1, Kurfürft von (als König von Polen Xuguft.11.,) 297— 308; Spriftine Cberhardine, feine Gemahlin, 3005 Friedrich Aus guft I, König von, 196 fir 234 2365 Xaver Auguſt, Prinz von Polen und Sadjen,

199. Maria Antonia, Kurfüre ftin_von, 202 ff. Sadfen-Altenburg, Joſeph, Herzog zu, 235. Saäfen-Gothe, Auguſt Herr zog zu, 392.

Regiſter.

Sachſen⸗Koburg, 88.

Sachſen⸗Meiningen, Georg Friedrich Karl, Herzog zu, 291.

Sabfen-Merfeburg, Hof zu, 249 —251.

Sahfen -Weißenfel5-Dab- me, Xemilie Agnes, verw. Ders zogin von, 244 249, 251.

Saden, Graf, nachher Zürft "m

202, 205, 210, 212 217.

St. Aignan, Herzog von; 144, 157, 158.

St. Foix, 1.

St. Geneß, Marquis, Eellama- reverſchwoͤrer, 156.

St. Germain, Graf, General und Minifter, 31, 340

St. Germain, Graf, Abenteus rer, 180, 340 ff.

St. Martin, 360, 393.

—z mmerbiener Ripperda's, 17

Saldern, v., 45, 93, 56.

Sandrasky, 156, 489.

Savoyen, 9.

Sare, Johann Georg, Chevalier de, 213, 370, 376.

ng Zofeph, Chevalier de, 199,

Scariatin, 85. Scheiter, Hofrath, 258, 259. Schenkendorf, v., 274, 279. Schepelow, 4l. Scheremetow, Anna, Gräfin,55. Skhiebell,v., General, 198,201. Schkurin, 37 Schleſien, 28. Schleswig, 3, 11, 20, 28. Schlieben, die v., zu Strado und Vetzſchau, 243, 244. Schlieben, Graf v., Gellamares verſchwörer, 156, 4809. Schomberg, Graf, 395, 396. Särepfer, 369 f. Schriever, 12.

501

Schuwalow, Graf Iwan, 34,42.

—— Graf Alexander, 20, 40.

Saubart von Kleefeld, 361,302. Schwarz, 26.

Sameden, 9, 6, 13, 18.

Schmweinig, David v., 353,354.

Schwerin, amt Ehriftoph, Graf d., 209, .

Scotti, Marquis, 159, 160.

Segur, 182.

Seignelay, Marquis de, 4283.

Serret, 156.

Sertſchin, Erzbifhof, 24.

Seyffert, v., 19.

Simon, 487.

emsendorf, gPobilipp Ludwig, Graf v., 169.

die Surfen, 3

Sloane, Sir John, 18.

Solms, Graf, preuß. Gefandter in St. Peteröburg, 60.

age Friedrich Ludwig, Graf zu,

Soltifom, dic, 340, 467. —— Sergius Graf, 16. Soubow, fiehe Zoubow. Spanien, 19, 99 fi.5 Philipp V. Stönig von, 98, 105, 116, 123, 127, 138, 141 143, 145, 1595 Marie Luife, 3 erfte Gemahlin, 102 ff., feine zweite Gemahlin, 138 130, 139, 141, 142; a oniß, König von, 119, 142, 1435 Zerdinand VI., König von, 142, 14353 Karl IN, König von, 143, 164, 1705 Marie Anna von Pfalz:Neuburg, verwitwete Königin von, 341 Spinucci, Gräfin, 199. Splittgerber, Banquier, 258. Springer, 13. 483 ff. Ofemenomötongarde, 26, 36,

Staͤhlin, Profeffor, 8.

Stanhope, Lord, 144, 173,174.

Start, DOberhofprediger, 362

Stoſch, Baron, 241.

Strogonow, Graf, 42.

Stübel, Iohann Jakob, 280.

Stutterhbeim, Heinrich Gotts lich v., fähf. Minifter, 215.

Süßmilch, v., 277.

Sydow, v., 370.

Zalbanomw, 73, 79.

Zalleyrand, Anton Blafius de, 97.

Talmann, 430.

Zalyzin, Admiral, 39, 72.

—— General, 67, 79, 86, 91.

Tamaſp, 433.

Tatarinow, 73, 82, 86.

Taubenheim, v., 273.

Zeller, Dr. 380.

Zemple, die, 375.

Teplow, 34, 46, 47.

Tercier, Zobann Peter, 179,180.

Teſchen, Fürftin von, 297, 299.

Zeffe, Straf v., 115.

Theodor v. Neuboff, König von Gorfifa, 176.

Theodorsky, Erzbifhof, 9

Zhulemeier, Minifter v., 260.

Tieman, 396.

Tiſcher, Oberamtsrath, 254.

Toloſa, Marquis, 160.

Topal Osman, 433.

3 orci,Marquisde,108-110,117.

Tott, v, 46.

Souloufe, Graf v., 150, 152.

Zournamine, 153.

&rautenberg, DObriftlieutenant

v., Tremouille, Ludwig de la, 95. —— Garbinal de la, 95, 115. Treyſſac de Vergy, 189. Trier, Johann Philipp, Kur⸗ fürft von, 4493 Philipp Ghris ſtoph, Kurfürft von, 452 ff;

Regifer.

Sobenn Hugo, Kurf. v., 451 1 ie Wenceslaud, Kurf.

Krübestoy, Zürft, 25, 40, 48.

zart Otto Wilhelm, Graf v

Zfhereko wsky, Katharina, 37.

Aſchernitſchew, 35.

Aſchitſcherin, 73, 82, 86.

IAſchudin, Madame, 36.

Zurenne, 104.

Uceda, Herzog von, 99.

Ungern=Sternberg, Baron, 4, M.

Umarow, 74, 80, 81.

Bauloifin, 56.

Vaucher, Maria Martha, 283.

Bedello, Don, 126.

Bendome, Herzog v., 136, 137.

Beragues, Herzog v., 107.

Bergennes, Graf v., 193, 323.

Bielato, Abbe, 163.

Billareal, 120.

Billars, 158.

Bille, de, 485.

Billebois, 25, 42.

Bincent, 182.

Bistbum v. Eckſtädt, Graf Friedrich, 198, 301 302. Walrawe, General v.,270,271. W zdorf, Itredrich Berndard

, 223 224

Weib, Wundarzt, 309. Weld, v., 224. Wendromnilius, Zelir, 452 ff. Weymarn, General v., 19. Wiedmann, Michael, 452 fi. Wieland, 385, 391, 392. a u lelmann, 287. Wolf, v., Bellonien, 25, 33, 42, 44. Wolkow, 18, 95, 28, 50. —— Shaufpieler, 46. Woronzow, die Grafen und

Gräfinnen, 1

Negifter. 503

Woronzow, Mihael Graf, 18, Ypvernois d’, genfer Fluͤchtling, 25, 40, 59, 182, 187. 375, 376.

Elifabetb, 19, 32, 43— Zacharias, Pater, 176. 4

5. Zech, v., Geheimerath, 249. Woykow, 4l. Sehmen, Breiherr 23,205 207. Württemberg, 883 Ludwig, Ziegler, DObrift, 53.

>. $Brinz von, 299. 3immermann, 387, 390, 392.

3 Wurmb, v., 211, 375 ff. Zinnendorf, 361.

» Wylie, "Chirurg, 94. Binzendorf, Graf, 242. Xaver, ſiehe Sadıfen. Zoubow, die Brüder, 70— 73, Hefhwel, 73, 82, 85, 86. 82, 85 87.

Druck von F. A. Brockh aus in Leipzig.

126

10 v. ©.

:s 12 v.

2 2 s

19 v. 60

15 v.

Berbefjerungen.

0.

a u %

Benno

S. 119 3. 17 v. o. lies: 1707 ftatt 1717.

Macanaz ftatt Mecanaz. Roncovieri ftatt Ronconieri. Waͤſchkammer ftatt Waſchkammer. des Alleurs ſtatt Desalleurs. 1700 ſtatt 1697.

Zürft ſtatt Herzog.

% nn u % @

.119 3.17 v. 126 » U v. 136 12 v. 139 = 19 v. 178 = Tv. 240 » 6v 264 = 15 v.

Berbefjerungen.

o. lies: 1707 ftatt 1717.

0. = Macanaz ftatt Mecanaz.

0. = Roncovieri ftatt Ronconieri.

0. Wuaͤſchkammer ftatt Waſchkammer. u. = des Allenrd ftatt Desalleurs.

u. = 1700 ftatt 1697.

u = Zürft ftatt Derzog.

——