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Sonnenfels
geſammelte
Sriften
Zweyter Band. 75 1 9 > 9 15
Wien,
mit von Baum eiſteriſchen Schriften.
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An Herrn
Grafen von Frieß.
Ste haben mich mit einem ſchoͤnen Fußteppiche beſchenket, ſchaͤtzbarſter Graf! einem Erzeugniſſe ihrer Ma⸗ nufakturen, deren Sie ſo manche ent⸗ weder angelegt, oder unterſtuͤtzet ha⸗ ben: und ich eigne Ihnen dafuͤr den zweyten Band meiner geſammelten Schriften zu, um Ihnen nach meiner Zuſage, fuͤr ihr Geſchenk öffentlich zu danken. Wäre ich einer von den deuf- ſchen Witzſchnappern, die, von dem ver⸗ derbten Geſchmacke der franzoͤſiſchen an⸗ geſteckt, uͤberall nach Gegenſaͤtzen oder | a2 Aehn⸗
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Aehnlichkeiten haſchen, ſo wuͤrde ich finden, daß ihr Teppich mir die Fuͤſſe warm gehalten, wie meine Schriften manchem» = » und manchem ⸗ » ven
Kopf erhitzt haben. Aber ſtatt dieſes
Flitters will ich mit mehrerer Richtig⸗ keit ſagen: woferne meine Bemuͤhun⸗ gen um die Wiſſenſchaften, ſo viel zur Aufklaͤrung dieſer Provinzen gewirket haben, als Ihre Unterſtuͤtzung zur
Belebung der Aemſigkeit, ſo ſind wir
beide, nuͤtzliche Buͤrger des Staates.
Das Haus der Grafen von Naraman ruͤhmt ſich ſeiner Abkunft von Paul Riquet, der durch den berühmten Has nal von Lauguedoc zur Erleichterung der franzoͤſiſchen Handlung zwey Meere vereiniget hat. Die Grafen von Srieß werden einſt von ihrem Stammſtifter aufgezeichnet finden: Naiſer Joſeph der II. hat ihn in Grafenſtand erhoben,
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weil er der öſterreichiſchen Zandlung mehr als einen Kanal eröffnet, und die Nationalämſigkeit erweitert, uns
terſtützet hat. Ich habe zu ihrer Ein⸗ ſicht das Zutrauen, daß Sie, nach⸗ zem Sie eine fo ehrenvolle Unterſchei— dung in der bürgerlichen Geſellſchaft erhalten haben, nun nicht etwan die Beſchaͤfftigung unter ihrem Stande halten, die Ihnen von der lohnenden Einſicht des Monarchen dieſe Unter⸗ ſcheidung erworben hat. Das waͤre, als ſchaͤmte ſich Gideon Loudohn des ſiegreichen Degens, der ihm den Mar— ſchallſtab und die Unſterblichkeit erfoch- ten hat. Genieſſen Sie ſelbſt, ſchaͤtz⸗ barſter Graf! in einem ruhigen und geehrten Alter und in dem Gedeihen einer liebenswuͤrdigen Familie, den Wohlſtand, den Ihnen Fleiß und Rechtſchaffenheit verſichert haben! Aber laſſen Sie ihren hoffnungsvollen Erſt⸗ a 3 ge⸗
gebohrnen immer ein angefehenes Hand⸗ lungshaus fortführen , das dadurch ges wiß nichts an feiner adelichen Würde verlieren wird, weil es mit jedem Geſchlechte neuen Zuwachs an Mitteln erhaͤlt, dieſe Wuͤrde beſſer zu unter⸗
ſtuͤtzen.
Sonnenfels.
Der Mann o hne
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Zweyte Abtheilung.
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1,
Su der Zeit ich meinem aufgenomme⸗ nen Fremdlinge das Stillſchweigen aufer⸗ leget hatte, beherrſchte ihn beſtaͤndig ein gewiſſer Tiefſinn, der meinem Vorhaben, ihn vom Umgange der Menſchen zu ent⸗ fernen, bis er mit Anſtand unter ihnen erſcheinen koͤnnte, ſehr zu Huͤlfe kam. Ich kuͤndigte ihm endlich das End ſeiner Ein⸗ ſamkeit an. Ich verſprach mir, er wuͤrde dieſe Nachricht mit freudiger Ungeſtuͤme aufnehmen, und machte mich zum voraus auf Erinnerungen gefaßt, dieſe Ungeſtuͤ⸗ me zu maͤſſigen. Meine Erwartung ward betrogen. Kennbare Merkmale des Be— truͤbniſſes ſchienen durch die gezwungene Freudigkeit, womit er fi vor mir vers bergen wollte.
Was fuͤr einer Urſache ſollte ich dieſes Betruͤbniß zuſchreiben? Mein Freund! ſagte ich, und druͤckte ihm freundſchaftlich die Hand, um ihm Vertrauen einzufloͤſ⸗ fen: mein Freund ! du biſt nun genug
II. Theil. A vor⸗
1
2 Der Mann
vorbereitet: es iſt Zeit vorzufchreiten, Die Beſtimmung des Menſchen iſt nicht der Stand der Unthaͤtigkeit. Dazu gab uns die Vorſicht nicht dieſen Verſtand, der, nach Erkenntniſſen geizig, nie ſtille ſteht; dazu rüſtete uns die Natur nicht mit dieſen Händen aus, den ein⸗ zigen Werkzeugen, die zu allen Be⸗ dürfniſſen zureichend ſind. Der End⸗ zweck dieſer Werkzeuge iſt, fie zu ge⸗ brauchen, und der Endzweck des Ver⸗ ſtandes, ohne jenen edlern Endzweck, die Weiſe des Gebrauchs anzuord⸗ nen. —
Ich ſchwieg, weil er feinen Mund gleichſam zur Antwort geoͤffnet hatte. Aber es war nur, um tiefgeathmeten Seufzern, die ſeine Bruſt empor trieben, Ausgang zu verſchaffen. Eine Thraͤnenfluth beglei⸗ tete dieſe Seufzer. Endlich brach das Uebermaß ſeiner Empfindung in Klagen aus — Wer ſchickt mich in die Walder zurücke, die Sie Wüſteneyen heiſſen, aber deren Erinnerung mir das einzige Bild der Glückſeligkeit iſt, das ich mir machen Fanny Dort, es iſt wahr, hat⸗ te ich weniger; aber ich bedurfte auch
nicht
ohne Vorurtheil. 3
nicht mehr: und das, was ich brauch⸗ te, bot ſich mir an; ungeſucht, ohne meine Arbeit an: ich hatte Ueberfluß. Die ganze Gegend war meine Speiſe⸗ kamer, und in jeder Guelle floß mein Getränk. Ich ruhte auf dem Boden ſanfter, als in den weichen Betten, worin ich den Schlaf nicht ſelten ver⸗ gebens rufe: er kömmt nicht, und ich bedaure das härtere Lager, von dem ich immer munter, immer wie erneuert wieder aufſtand. Dieſe Kleider be⸗ ſchweren mich. Dort konnte ich ihrer entbehren, wo ich allein war, und dieſe Anwandlunten der Schamhaftig⸗ keit nicht kannte, die vielleicht nur eine Solge der Bedeckung find — So ungefaͤhr, wenn vielleicht auch nicht ſo redneriſch, bedauerte er ſeine Verſetzung in das geſellſchaftliche Leben.
Es war hier darum zu thun, ihn die Vortheile fühlen zu machen, die aus der Geſellſchaft, auf jedes Mitglied derſel⸗ ben zuruͤckflieſſen. Das war das einzige Mittel, ihn ſeiner Waͤlder vergeſſen zu machen. Ich ſah ein, daß mich Gruͤnde, aus der Weltweisheit hergeholt, verlafs
A 2 ſen
4 Der Mann
fen wuͤrden; ich mußte mir welche in ſeinem Zerzen auffuchen.
Nach einigem Stillſchweigen hub ih in dem lindernden Tone des Mitleides an: guter Capa⸗ kaum! ſtuͤnde es bei mir, dir deine einzige Gluͤckſeligkeit zu verſchaffen, ich gäbe dich dieſen Augen⸗
blick deinen Waͤldern wieder.
Capa⸗ kaum. Ach daß Sie daß nicht koͤnnen!
„Aber, wuͤrde deine Gluͤckſeligkett dann ganz keinen Zuſatz mehr leiden? ge⸗ ſteh es deinem Freunde! waͤre ſie voll⸗ kommen v „
Capa⸗kaum ward nachdenkend. Hier, antwortete er, hier in dieſem Herzen iſt das Bild derjenigen, ) die meine Gluͤck⸗ ſeligkeit vollkommen machen kann. Aber ich wuͤrde ihr wenigſtens naͤher ſeyn. Ich wuͤrde der Hoffnung naͤher ſeyn, ſie auf⸗ zuſpuͤren, und — er hielt in, gleich als wagte er es nicht, ſich mit ihrem Beſitze zu ſchmeicheln.
„ Laß
) Man wird ſich aus dem II. Stücke der 1. Abtheil. erinnern, daß der Wilde noch in ſei⸗ nen Wäldern ein Mädchen geſehen, deren Verluſt Gelegenheit zu feiner Anherkunft gab.
ohne Vorurtheil. 5
„Laß uns denn annehmen, du habeſt
die Geliebte deiner Seele gefunden! dn
habeſt ihr deinen Schmerz uͤber ihre Ab⸗ weſenheit durch Gebehrden, die die ſinn⸗ reiche Liebe dich gelehret, geklaget! du habeſt ihr deine Liebe zu erkennen gegeben! ſie verſtehe dich! ſie ſey dein! „
Capa⸗ kaums Wangen gluͤhten bei dieſer Vorſtellung. Sie ſey mein! — rufte er aus — und ich habe von der Vorſicht, die du mich verehren gelehret, nichts weiter zu bitten.
„Das, dachte ich, würde deine Ant⸗ wort ſeyn. Wohl denn! deine Tage wer⸗ den der Liebe gewidmet, voruͤber fliegen. Aber nur der Liebe? werden die Beduͤrf⸗ niſſe der Natur, wird der Hunger bei dir, bei deiner Gattinn, denn nun wird fie deine Gattinn ſeyn, ſchweigen? „
Capa⸗ kaum. Er wird ſich, er mag ſich melden, wie leicht werden wir ihn be⸗ friedigen. In ihrer Geſellſchaft werde ich den Wald durchirren, jeder Baum wird uns Fruͤchte anbieten, ich werde ihn hinan klettern, um die ſchoͤnſten fuͤr meine Ge⸗ liebte zu pfluͤcken, und die, die ich eſſe, nur aus ihren Händen eſſen n
A 3 70 Du
6 Der Mann
„ Du gehſt nun an deiner Gattinn Seite. Ein vor Roͤthe gluͤhender Apfel machet ſie luͤſtern: hoch haͤngt ſie, ſehr hoch die ſchoͤne Frucht. Immer! du ſteigſt kuͤhn darnach, ſie ſteht am Fuſſe des Bau⸗ mes, und ſieht nach dir — Was fuͤr aͤngſt⸗ liches Geſchrey ſchallt ploͤtzlich zu dir hin⸗ auf! du ſiehſt herab; ein reiſſendes Thier — die Waͤlder naͤhren uͤberall dergleichen — koͤmmt auf die Verlaſſene herangelau⸗ fen. Du ſtuͤrzeſt vom Gipfel herab, und befreyeſt fie. Die Liebe ſtaͤrket deinen Arm; aber die Gefahr war groß! wirſt du ſie kuͤnftig wieder derſelben ausſetzen duͤr⸗ fen? „
e e Wie behutſam wird wach das machen! wie furchtſam!
„Wird die Furchtſamkeit ſie (Algen? Es werden Umſtaͤnde kommen, wo deine Geliebte dich zu begleiten, auſſer Stand ſeyn wird; Umſtaͤnde, die das Gluͤck eu⸗ rer Verbindung ausmachen werden. Aber, wenn nun die Fruͤchte in der Naͤhe alle gepfluͤcket ſind, wenn du gezwungen biſt, ſie ferne herbeizuholen — und ſie, die zum Widerſtande zu ſchwach iſt, ſie bleibt zu⸗ an bleibt jeder Gefahr uͤberlaſſen ? „
Ca⸗
ohne Vorurtheil. 7
Capa⸗kaum. Finden Sie ein Vergnuͤ⸗ gen, mir dieſe kraͤnkenden Bilder vorzu- halten? Alles, was ich empfinde, iſt: das Loos der Menſchen iſt ungluͤcklich, wo ſie ſich immer beſinden. 0
„ Laͤſtere nicht den, der die Menſchen erſchaffen hat! Er hat ihnen nur Gluͤck beſchieden: denn er hat ſie nicht huͤlflos gelaſſen, dem Ungluͤcke auszuweichen — Wenn du deiner Geliebten, wenn du den Pfaͤndern, die fie deiner Liebe geben wird, einen Huͤter laſſen kannſt, der, indeſſen du abweſend biſt, die Gefahr von ihnen treibt; ſo wird deine Liebe ihres Kummers entladen ſeyn. Sey in Geſellſchaft! und ſo viel du Nachbarn haſt, ſo viele Hüter haft du den Deinigen bereitet. „
Capa⸗ kaums Stillſchweigen war mir der Beweis, daß er das Beduͤrfniß der Geſelligkeit zum Gluͤcke der Menſchen er⸗ kannte. Aber er ſuchte Einwuͤrfe, und er glaubte ſie gefunden zu haben.
Wenn, ſagte er, die Sicherheit meiner andern Seele, mich einen Freund wuͤn⸗ ſchen läßt, der ihr das werde, was ich auf jedem Falle den Seinigen ſeyn wuͤrde;
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ſo bin ich noch ferne von dieſem Gewühle der Städte — |
„„Aber, verſetzte ich, bereits auf dem Wege, dahin zu gelangen; eben wie das menſchliche Geſchlecht von den einfachſten Geſellſchaften zu dieſen zuſammgeſetztern gelanget iſt, aus welchen es nie wieder zu ſeinen urſpruͤnglichen Wuͤſteneyen umkeh⸗ ren wird. Der Hang, der in beide Ge⸗ ſchlechter geleget iſt, dieſe wechſelſeitige Anziehung ihrer Herzen, die Liebe, mach⸗ te zuerſt aus einzelnen Bewohnern der Waͤlder ein Paar. Jedes hatte feine Höhle für ſich, nun traten fie zuſamm, um in einer zu wohnen. So lange ſie keine Gefahr kannten, waͤhnten ſie, ſie ſeyn ſicher. Aber dieſe zeigte ſich bald. Nicht nur Raubthiere, auch zween Men⸗ ſchen, waren einem fuͤrchterlich, weil ſie ihn uͤberwaͤltigen konnten ) Je unglei⸗ cher der Angriff kommen konnte, deſto
A 5 mehr
„) Capa kaum erzählte im I. Stlicke der 1. Abtheil. wenn er einem begegnete, wäre er ungeſcheuet vorüber gegangen: aber zweenen wärt er zur Seite gewichen. Das war Selbſt⸗ gefühl feiner geringern Kräfte.
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mehr wuchs die Unſicherheit. Die slucht — aber denke die Umſtaͤnde, worin dein Weib, eure Kinder nicht fliehen koͤnnen. Er dachte denn ſo: kann ich den Wider⸗ ſtand, den Anfall gleich machen, fo bin ich geſchuͤtzet. Dieſes Gedankens voll, begegnete er, fruͤher oder ſpaͤter, Einem, der in eben den Umſtaͤnden war, er hatte auch feine Geliebte. Sie flohen vorein= ander nicht; ſie ſahen ſich von ferne an, ſie maſſen ſtillſchweigend gegeneinander ihre Kraͤfte, und fanden ſich bei gleicher Vertheidigung gegeneinander gleich ſicher. Sie naͤhern ſich, ihr Wunſch macht ſie geſpraͤchig: der Antrag geſchieht; von welchem, das iſt gleichguͤltig; er wird von beiden freudig angenommen. Sie ſchlagen nebeneinander die Wohnung auf. Heute geht der eine nach Nahrung aus, der andre bewachet die Zuruͤckgelaſſenen. Morgen wechſeln ſie. Sieh da in dieſen nachbarlichen Hoͤhlen den Grundriß zu ei⸗ nem groſſen Staate!
„Bald machte fie der Bund ‚ und Gewohnheit vertraulich. Der eine arbei— tete unter einer Laſt, die ihm zu ſchwer ward. Sein Nachbar ſiehts, er huͤlft ihm
5 ſie
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ſie uͤberwaͤltigen. Wann ich dir wieder helfen kann, ſo rufe mich, ſagt er zum Danke fuͤr den geleiſteten Dienſt. Das eine Weib wird Mutter. Die andre koͤmmt in ihre Hoͤhle: ſie ſieht ſeine Unbe⸗ huͤlflichkeit: ſie reicht ihm einen Trunk, richtet ihm das Buͤndchen Kraͤuter zurechte, worauf es gelagert iſt, legt ihm das Kind an. Die Schwache fuͤhlet den Werth des Dienſtes: ihre Augen, ein ſchmerzvolles Laͤcheln, ein Haͤndedruͤcken ſagt ihren Dank, und verheißt gleiche Bereitwilligkeit. Sie erfahren nun, daß die Nachbarſchaft auch noch zu etwas anderm als ihrer Sicher⸗
heit gut iſt. „ II.
Tr wollte Capa⸗kaum von dem Punkte, wovon ich ausgegangen, bis zur Bildung der Staaten hinanfuͤhren. Aber unſre Un⸗ terredung wuͤrde zu lange gedauert, er wuͤrde mich zu oft unterbrochen haben. Ich faßte alſo den Anfang davon in einen Aufſatz, den ich weiter, wie er hier mit⸗ getheilt wird, fortſetzte:
„Sie
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„Sie fodern ſich nun durch angebo- tene Dienſte zur Gefaͤlligkeit auf. Die Gelegenheiten dazu ereignen ſich taͤglich; täglich nimmt dadurch ihre Sreundſchaft zu. Die nachbarlichen Kinder wachſen heran. Die Vertraulichkeit der Kindheit reifet unter ihnen bald zur Liebe. Die Ver⸗ bindung der Kinder zieht das Band zwi⸗ ſchen den Aeltern in einen unauflöslichen Knotten zu. Sie begleiten fie zur hoch⸗ zeitlichen Hoͤhle, die Verlobten ſind unter ihrem gemeinſchaftlichen Schutze, find ihre gemeinſchaftliche Sorge. Erfahrung und Anläſſe gaben jenen manchen Unter richt, den fie nun ihren Kindern vorher— warnend mittheilen. Die Erziehung hat⸗ te dieſe zur Abhängigkeit gewoͤhnet; und der Vortheil, deſſen Gepraͤge dieſe War: nungen ſichtbar an ſich tragen, leitet ſie zur freiwilligen Solgſamkeit ganz ein ; Die Erinnerungen der Aeltern werden den Kindern unuͤberſchreitbare Geſetze. ,,
„ Der Gau) war nun durch meh- rere verbindungen ſchon an der Zahl,
und 2) Gau iſt ein veraltetes Wort, welches eine ländliche Wohnung , nur umpfählet, oder ul:
12 Der Mann
und Kräften anfehnlicher geworden. Bald find die Srüchte der ganzen Gegend auf⸗ gezehret. Man holt fie von ferne: aber die herbſtlichen Regen machen dleſe Be⸗ muͤhung beſchwerlich. Der Winter ent⸗ laubt die Baͤume vollends: wo iſt ſie nun, deine Speiſekamer e — Die ganz ze Nachbarſchaft fuͤhlt den Mangel. Die Jüngeren find gewohnt, bei den Bejaͤhr⸗ ten ſich Raths zu erholen: die gegenwaͤr⸗ tige Noth macht ihnen dieſen Rath unent⸗ behrlich. Dieſe Beſchwerlichkeit, Spei⸗ fen von Serne herbeizubringen, erregt bei ihnen den Wunſch: könnten wir Srüchte rings um unſte Wohnungen erzielen Y Erzielen » ſpricht ein Neſtor der Ver⸗ ſammlung: ich habe dieſen Baum da, er ſteht am Eingange ſeiner Hoͤhle, in den Jahren Flein geſehen, da auch ich wie mein Enkel war: wie viele Kalte und
Sit
umzäuntt, von mehreren Hütten bedeutet: das öſterreichiſche Sprichwort: in das Gäu gehen; eben ſo viel, als ins Gehäge gehen: behält uns die Bedeutung auf. Dorf war Hier noch keines, darum wählte man den an⸗ gemeſſenen Ausdruck Sau.
ohne Vorurtheil. 18
Bi wechſelten über mir, ehe er mit ſeinen Früchten die Wartung belohnte, die ich ihm gab v die Noth iſt gegenwaͤr⸗ tig, und dieſe Rettung zu entfernet, Sür itzt, fährt er fort, laßt uns verſuchen, ob wir unter den Kräutern, und Erd⸗ gewächſen finden können, was unſern Singer ſtillet. „
„Mit Erſtaunen muß die ganze Ver⸗ ſammlung den Rath des Alten aufgenom⸗ men haben. Stumme Bewunderung ward der Lobſpruch der Weisheit. Aber er, er rieth nicht des Cobſpruches wegen. Sorg⸗ falt und Liebe legten den weiſen Rath in ſeinen Mund: er wird auch Vorgänger zur Ausführung. Bald leitete die Na⸗ tur und Aufmerkſamkeit auf wohlriechende Kraͤuter, auf ſchmackhafte Wurzeln. Ihr Saum fand im Wechſel Niedlichkeit. „
„Die Jugend iſt ſtets kurzſichtig: auch da muß ſie es geweſen ſeyn. So bald die neue Speiſe entdecket war, dachte ſie an nichts weiter. Aber nicht ſo ihr ſorg⸗ voller Greis. Der Wechſel der Zeiten hatte ihn die Zerſtoͤrung der Kälte ken⸗ nen gelehrt. Macht Vorrath, meine Rinder! wird er ihnen zugerufen haben:
macht
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macht Vorrath! die Kalte wird die Br: de härten, und dieſe Wurzeln feſthal⸗ ten. Dieſe Kräuter werden welken: Sammelt, weil ihr möget! Das An⸗ ſehen dieſes Mannes war durch den gluͤck⸗ lichen Rath ſchon feſtgeſetzet. Alles ſam⸗ melte: und vielleicht waͤhlte jeder von ſei⸗ nem Haufen die beſten Gewaͤchſe, und brachte ſie mit dankbarer Ruͤhrung dem rathvollen Greiſen hin; wie einſt willige Voͤlker Monarchen ihre Gaben anbieten würden, die für ihr Wohl wachen. „
„„Die Nothwendigkeit, dieſen Vorrath aufzubewahren, wird manche mislungene Ver ſuche veranlaſſet, man wird zu dem Orakel der Geſellſchaft ſeine Zuflucht ge⸗ nommen, und ſo werden die Kuͤnſte der Hauswirthſchaft zu entſtehen, angefangen haben. „
„„Die Sonne belebte die Erde wieder Die Natur verjuͤngte ſich. Die Quellen floſſen. Die Gewaͤchſe trieben, und unſre Menſchen vergaſſen der voruͤbergegangenen Noth. Aber beim ſtuͤrmiſchen Winter, wenn ſich alles um ihn, ſorglos der Ruhe uͤberließ, zu welcher die Witterung gleich⸗ ſam zwang, hatte der ſorgfaͤltige Alte nach⸗
ge⸗
ohne Borurtheil. 15
geſonnen, wie man der Noth wehren koͤnn⸗ te, damit ſie, wenn die rauhe Witterung herum kaͤme, die Seinigen nicht mehr uͤberfiel. „
„Denket an die Verlegenheit, in der ihr waret! ſie kömmt mit dem Umlaufe der Zeit wieder. Durch dieſe Worte friſchte er das Bild der traurigen Umſtaͤnde auf, das beinahe erloſchen war. Er theilte nun die Fruͤchte feines Nach⸗ denkens mit. Er hatte mehrere Mittel, damit, wenn eines fehlſchlug, man nicht huͤlflos wäre. Er rieth, Kräuter und Gewächſe zu bauen, die in einem Som⸗ mer reifen. Er rieth, weil es Zeit war, Vorrath zu ſammeln. Er hieß, auch Baͤu⸗ me in der Naͤhe pflanzen, der jungen in der Naͤhe warten. In ſo viel Jahren, ſagte er, ſteht hier ein Wald, der euch Srüchte zur Genüge anbiet. Die Pflan⸗ zungen foderten Werkzeuge. Auch die zeigte ihnen der erfindſame Greis, ein- fach zwar, aber den Anfang zu beſſeren. ,
„Die Pflanzungen waren gemein ſchaftliche Sorge. Jeder wollte Hand anlegen : und fo hinderte die Hitze des Unternehmens den Fortgang der Arbeit.
Er,
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Er, der gemeine Rathgeber, zeichnete nun jedem ſeinen Ort, ſeine Verrichtung aus. Die Abſicht war nicht das Wigenthum einzufuͤhren: aber ſo entſtund es: und Kigenthum gebiert Uneinigkeit. Der Ei⸗ ne gieng auf das Feld, welches der Andre gebauet hatte, und zog Wurzeln aus. Die Meinigen laſſe ich zum Vortheile für den Winter ſtehen, dachte er. Aber der, deſſen Schweiß fie waren, ſchrie: ich habe ſie gepfleget. Er ſagte dadurch: Ich — habe ein näheres Recht dazu. Man zankte ſich daruͤber. Vielleicht auch kam es zu Thätigkeiten: die Nachbarn legten ſich in das Mittel. Die Zaͤnker waren erbittert, jeder glaubte beleidiget zu ſeyn: wer ſollte fie‘ ausſoͤhnen ? wer anders, als ihr Greis. Er thats: und feine Entſcheidung war eine Richtſchnur auf kuͤnftig. So huben Eigenthumsgeſetze an. „
„Doch dieſe Geſellſchaft von Men⸗ ſchen war auf der ganzen Erde nicht die einzige. Dieſelbe Reihe von Vorfaͤl⸗ len und Umſtaͤnden mußte ſich bei jeder ereignen. Aber, wenn ein Rathgeber fehl⸗ te, ſo hatten ſie andre Folgen. Man war
ge⸗
ohne Vorurtheil. 17
gezwungen, die Wohnung zu veraͤndern, ſo oft die Fruͤchte in der Naͤhe, der ein⸗ zige Vorrath, aufgezehrt waren. Dieſe Wanderungen geſchahen oft; und unver⸗ merkt kam eine ſolche ſchwärmende Horde der unſrigen nah. Hier fand ſie Fruͤchte, Pflanzungen die Menge. Sie fiel gleich einem Zuge von Heuſchrecken daruͤber her. Es war natuͤrlich, daß man ſich die Früchte ſeiner Arbeit nicht ohne Vertheidigung rauben ließ. Alſo ward Krieg; erſt eine unordentliche Schlägerey; dann mit ei⸗ niger Ordnung, unter einem Auführer Der Anführer » man iſt ſchon gewohnt, ſeine Augen bei jeder Begebenheit auf ei⸗ nen einzigen Mann zu richten. „
„Jede neue Begebenheit ward für uns ſere Geſellſchaft unterrichtend. Man er— ſtreckte die Vorſehung auf die Beſchuͤtzung ſeines Vorraths hinaus. So entſtund der Gedanken von Gräben, von Umzäunen, von Umpfählen, um die ploͤtzlichen An⸗ faͤlle abzuhalten. „
„Aber die Feinde hatten nun einmal vom Fremden genoſſen. Die Fruͤchte der Gewaltthaͤtigkeit ſind dem Gaume des Un⸗ gerechten ſchmackhaft, der Träge ſtihlt
II. Theil. B 2 lier
18 Der Mann
lieber, als er graͤbt. Alſo lagen fie be⸗ ſtaͤndig im Hinterhalte. Ein oͤfterer Ue⸗ berfall lehrte endlich die Unſern Behut⸗ ſamkeit; und ſie ſahen ein, daß ſie ſich in die Verrichtungen theilen, die einen die Erde bauen, und die Hausgeſchaͤfte beſor⸗ gen, die andern zur Abwendung des Ue⸗ berfalls bereit ſtehen mußten. So war die erſte Eintheilung der Staͤnde in den Waährſtand, und Nährſtand, woraus bald mehrere erfolgen mußten. „ „Vielleicht noch immer wohnte unſere ſchon ziemlich geordnete, ſchon ſehr zahl⸗ reiche Verſammlung in göhlen. Sie daraus zu verdringen, brauchte es nur eines ploͤtzlichen, eines ſtarken Regens, der aus dem Gebirge in wildem Gewaͤſſer herabſtuͤrzte, in die Böhlen einfiel, den Vorrath verdarb, das Lager unter Waſſer ſetzte, zwang auszutreten. Das erſte Rettungsmittel, das ſich anbot, waren die göhen, wovon das Waſſer abläuft. Ich ſehe meine Geſellſchaft das Ge: birg hinanklettern. Aber da ſind keine Zöhlen. Der Felſen war gegen ihre un⸗ gehaͤrteten Werkzeuge hartnaͤckig. Sie
lagern ſich unter Bäume, die uͤberhaͤn⸗ ’ gen:
ohne Vorurtheil. 19
genden Zweige werden ihr Dach. Man fällt bald darauf, die Zweige zu verflech⸗ ten. Endlich gelingt es jemanden, einige Pfähle zwiſchen die Steinkluͤfte einzuram⸗ meln: dieſe Pfaͤhle werden mit Seifen verbunden, befeftiget, bedecket, dem Win: de, der Sonne, dem Wetter den Eingang zu verbieten. Da ſteht fie, die gütte, der Anfang der ſo hoch gebrachten Bau⸗ kunſt! „,
III.
5 De Gemäͤchlichkeit iſt anlockend, und die Gemaͤchlichkeit der gürte fälle ſehr in die Augen. Sogleich alſo verſucht je⸗ derman', ſich dieſelbe zu verſchaffen, und in kurzer Zeit wohnet alles in Huͤtten „ „ Ein einziger Schritt war noch zu thun, fo werden dieſe Wohnungen um⸗ fangen, und zu einer Art von Stadt er- hoben. Der Ueberfall der Feinde konnte dieſen Schritt beſchleunigen. Vielleicht auch dachte der Rathgeber den Fall, noch ehe er ſich ereignete. Die Graͤben, und Zaune der Pflanzungen waren das Mu⸗ ſter; und ihre eigenen Verſuche gaben B 2 das
20 Der Mann
das Maß des nöthigen Widerſtandes, das Maß der Hoͤhe und Staͤrke ihrer Be⸗ feſtigungswerke. Die Erfahrung lehrte ſie in kurzem, die Mängel ihrer Arbeit kellnen, und fuͤhrte ſie zugleich auf e Spur der Verbeſſerungen. „Nun verſuchen es die Feinde aber⸗ mal, die Eigenthümer der Pflanzungen anzufallen. Sie hatten befchloffen , im Sinſtern, wenn alles in tiefer Ruhe bes graben ſeyn wuͤrde, den Ueberfall zu thun. Aber wie erſtaunen ſie, als ſie das Hin⸗ derniß der neuen Befeſtigung aufſtoſſen? Doch ſie verſuchen, die Umzaͤunung zu überfteiten , oder umzureiſſen. Allein das Gelärme der fehlgeſchlagenen Bemü⸗ hungen, der wechſelweiſen Aufmunte⸗ rungen, das Gelaͤrme der Unordnung machet die Städter ) wache, und es iſt ihnen nicht ſchwer, den Angriff abzutrei⸗
ben. „ nes 70
72 Städter, ein Einwohner der Stadt: Wie? hebt der Städter an, kannſt du auf deinen Höhen 8 biefem öden Wald dich ſo zufrieden ſehen? Hagedorn.
obne Borurtheil. 21
„Nach e eee Gefahr erſt, ſieht man ihre Gröſſe. Wenn die Seinde im Sinftern eingedrungen wären 2 da, als alles ſchlief wer würde unfre Weiz ber, unſre Kinder gerettet haben e Das ſind die Gedanken, die bei ihnen am erſten entſtehen mußten: und dieſe Gedanken lei⸗ teten ſie zugleich auf die Vorſicht, ſich in die Nachtwache zu theilen, und durch die Munterkeit des einen Theiles, die Ruhe des andern, und der ganzen Stadt zu ver⸗ ſichern. „
„In den taͤglichen Streifereyen, die auf die angraͤnzende Zorde gemacht wur⸗ den, brachte man von einer und der ans dern Seite Gefangene ein. Gleich An fangs faͤhrt man dieſen Gefangenen auf das unbarmherzigſte mit; man ſieht ſie als das Opfer der allgemeinen Rache an. Aber die Ungluͤckſeligen fanden in der Mitte ihrer Feinde Sürſprecher. Gebt mir ihn, ſchrie ein Weib aus den Haus fen der Zuſchauer! mein Mann iſt ge⸗ fangen ! ich will ihn mir für dieſen wieder ſchaffen. So rufte ein Vater uͤber ſeinen Sohn: ſo ein Sohn uͤber ſeinen Vater. Die Stimme des Weibes hatte
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die Erinnerungen rege . be daß man den Ihrigen eben ſo begegnen werde. Man ſchonte alſo in feinen Feinden feine An⸗ gehörigen. „ * „ Die Gefangenen werden entlaſſen, und das Geſchenk ihrer Freyheit macht ſie zu Freunden. Sie kommen zu den Ihri⸗ gen unbeſchädigt zuruͤcke , erzaͤhlen vie Geſchichte ihrer Befreyung, und erhalten zur Dankbarkeit die Freyheit derjenigen, die bei ihrer Horde gefangen ſind. „ „Der Fried hat nun hier und dort Mittler. Ein Gefangener, der eben den Seinigen wiedergegeben worden, um den die frohen Angehörigen in dichtem Kreiſe verſammelt ſtehen, fpricht: Warum haſ⸗ fen wir ſie v und was haben fie uns ge⸗ than v daß fie uns dieſe Früchte, dieſe Wurzeln nicht preis gegeben » fie ha⸗ ben dieſelben gebauet — und gewiß nicht für uns, die wir kommen, und ihren Schweiß eſſen wollen. Es iſt ihr einziger Vorrath. Wenn ſie uns da⸗ von mittheilen, ſo iſt es, bei wieder⸗ kehrendem Froſte, weder ihnen genug, noch uns. Lieber, laßt uns ſie bitten, daß ſie uns lehren, wie man pflanzet! und
ohne Vorurtheil. 23
und dann wollen auch wir arbeiten, und wir werden nicht nöthig haben, uns der Nahrung wegen, einander auf: zureiben. Der Gefangene war der gan⸗ zen Geſellſchaft durch die Gefahr ſchaͤtzba⸗ rer, feine Worte hatten einen überreden- den Nachdruck. Man berathſchlaget ſich: wer ſoll den Antrag machen 2 Ich, ruft derſelbe Mann, der der Rathgeber zum Frieden geworden, und ein freudiger Zuruf beſtaͤttiget das großmuͤthige Aner⸗ bieten. „,
„Von dieſer Seite wird es auch leicht angenommen. Man iſt des ewigen Strei⸗ tens muͤde: man ſieht die Vortheile ein; zwey kleine Voͤlker ſchmelzen nun in eines zuſamm. Die neuen Bundgenoſſen legen, nach dem Vorbilde der erſten Stadt, eine zweyte an: fie werden in den Handgrif—⸗ fen des Erdbaues unterrichtet: die neue Freundſchaft wird durch Heurathen befe— ſtiget. Man theilet einander ſeine Einſich⸗ ten , feine Entdeckungen, feine Geſetze mit. Man verbindet ſich zum wechſelſeiti⸗ gen Beiſtande, wenn Fremde die eine oder andere Stadt anfallen ſollten. Die beiden Orte find nur dem Platze nach geſoͤndert.
B 4 Sit⸗
24 Der Mann
Sitten, Geſetze, Rathſchlaͤge, Verthei⸗ digung, alles haben fie gemeinſchaftlich. Die Gemeinſchaft des Vortheils verein⸗ baret ſie zu einem Staate. „
IV.
Ic hatte heute einen der ungelegenſten Veſuche auszuſtehen. Alcindor kam mit
dem Tage in mein Zimmer getreten. Das dachte ich auch — vernahm ich aus dem Nebenzimmer — daß man euren Herrn um dieſe Zeit nicht im Schlafe ſtört: er ſitzt gewiß ſeit Mitternacht — Und nun Öffnet er mit Ungeſtuͤme die Thuͤre — am Pulte — ſchrie er über die Schwelle hinein, und lachte. Es iſt ein ein trau⸗ riges, ein ungemächliches Zandwerk um einen Schriftſteller. Ladet Sie denn, guter Mann! der heitre Mor⸗ gen, der wiederkehrende Frühling nicht ein, feiner zu genieſſen 2 Er warf ſich auf das Soffa, ſchlug die Beine uͤber: Sie zücken die Achfely Nicht wahr, das würde ſchade ſeyn, Sie ſo dem vol⸗ len Zufluſſe ihrer Gedanden zu rauben Sie haben Recht! jedes ſtrebt nach ſei⸗
ner
ohne Borurtheil. 25
ner Art bekannt zu werden, Sie durch ihre geder, und ich — Und Sie, unter⸗ brach ich ihn, durch einen in die Augen fallenden Aufwand, von dem die ganze Stadt ſpricht — So? ſpricht fie von meinem Aufwande, die Stadt e das iſt wohl gethan! bald ſoll ſie mehr von mir fprechen! ſehen Sie, §reund! wie die Wege zum Ruhme ſo verſchieden ſind! ich habe den kürzern gewählet.
Capa⸗ kaum trat ein: aber nach dem Unterrichte, den er empfangen hatte, kehr— te er mit einer Verbeugung zuruͤcke, ſo bald er Geſellſchaft bei mir ſah. Nicht doch, rief Aleindor, bleib immer! dein Sührer, und ich ſind vertraut. Du magſt vollenden, warum du hieher kamſt. Mein Zoͤgling ſah nach mir, ich gab ihm ein Zeichen, zu verbleiben.
Das iſt alſo, hub Aleindor an, der wilde Junge, den Sie zu bilden unter⸗ nommen haben. gören Sie, machen Sie ja keinen Kopfbanger aus ihm! das ſind traurige Geſichter, ungerne geſehen, wo ſie eintreten, ſie könnten die Sreude ſelbſt weinen machen — Der Gedanke mußte ſeinen groſſen Beifall ha⸗
ben,
26 Der Mann
ben, denn er wiederholte ihn noch eini⸗ gemal.
Capa⸗ kaum hatte ein beſchriebenes Blatt in ſeiner Hand. Laß ſehen! fuhr er fort, womit giebſt du dich ab. Es war der Aufſatz, den ich ihm vom Ur⸗ ſprunge der Geſellſchaften mitgetheilt hatte. Brich dir den Kopf mit Poſſen nicht! wir find nun einmal da, warum e das iſt gleichgültig; kannſt du es dn- dern 2 Laß dir von deinem Prediger — er wies auf mich — nichts anfchwägen ı er iſt Rigoroſiſt, und da kömmt man immer zu kurz. Es iſt eine ganz unbe⸗ liebte Sekte, zu der ſich niemand ſonſt bekennen wird.
Alcindor, ſagte ich zu ihm, Sie wer⸗ den ſich ſelbſt verwickeln: ich koͤnnte Sie auffodern, dieſem neuen Bürger die Grundſätze der Rigoroſiſten bekannt zu machen, und dann — Auffodern Y das Wort iſt gewaͤhlet: man fat ſonſt, Sie waͤhlten ihre Wörter: nun, ich nehme fie anı die Auffoderung. Sehen Sie zu, ob Sie gewinnen!
Junger Menſch! ich richte meine
Rede an dich. Wir find zum vergnü⸗ gen
ohne Vorurtheil. 27
gen gemacht: mein Beweis liegt in deinem Gefühle, das alles flieht, was dieſes Vergnügen ſtören könnte. Aber es giebt Sauertöpfe , die dich dieſes Gefühl verlaugnen heiſſen, die ſprechen: das Uebel iſt gut, der Schmerz iſt eine angenehme Empfindung, wenn die Urſache dazu ruͤhmlich iſt. Du — wünſcheſt, daß alles eine Beziehung auf dich habe: dieſe — verſetzen dich aus dir ſelbſt, du ſelbſt haft nur eine Beziehung auf das Ganze. Und nun, nicht deine Nei⸗ gung mehr, nicht deine Lüfte, dürfen gehöret werden: dort haſt du eine Richt⸗ ſchnur, nach der mußt du dich beftandig wenden. Das Geſetz befiehlt: zwar du biſt allein, aber du mußt gehorchen. Wer weis es, wenn ich es übertrete: niemand! aber das Ganze fodert Ueber⸗ einſtimmung der Theile. Du biſt dürf⸗ tig, das Glück biet dir Gelegenheit an, reich zu werden, du ſtehſt an der Spitze einer Einnahmkaſſe: wer zahlt das Eingelaufene, um dir es zu wäh⸗ ren, daß du dir hülfſt 2 Bleib elend! ſagt die ſtrenge Lehre, dein Glück ver⸗ letzet die Treue, das Band des Ganz zen.
28 Der Mann
zen. Du haft Anverwandte, Leute, ich will es zugeben, die unfähig find, aber es ſind Anverwandte. Ein Amt, das du an ſie vergeben könnteſt, darf ihnen nicht werden! fie find unfaͤhig, der Zug des Geblüts verliere feine Kraft! Kin reizendes Weib hat deine wünſche, und ſie hört ſie: der Mann ſchläft auf ihre Tugend ſicher ein, ſtündlich lacht euch die Gelegenheit. Du mußt fie fliehen, denn fie iſt das Weib eines andern — Stillt dieſer Troſt⸗ ſpruch das Brauſen deiner Leidenſchaf⸗ ten» hört die Ungeſtüme dein Wort, und gehorcht fie ihm » Durchlauf fo deine Begierden nach der Reihe alle, um ſie alle zu unterdrücken, wo ſie mit dem Wohl des Ganzen nicht über⸗ einſtimmen: das iſt der Inhalt — — Nein, fiel ich hier Aleindorn ein, ich kann es nicht zugeben, daß Sie fortfah⸗ ren, mit ihrem Geſpoͤtte Geſetz und Tu⸗ gend zu mishandeln, die beiden vereh⸗ rungswuͤrdigen Stuͤtzen der Geſellſchaften, deren Schutz das Laſter ſelbſt ſuchet. Ich will nun ihre Rechte vertreten, hoͤren Sie! E Sie
ohne Borurtheil, 29
Sie hören? ſagte Alcindor, und hub ſich eilfertig von ſeinem Sitze: das mag der ehrliche Burſche da! Ich kam eine halbe Stunde bei ihnen hinzubringen: er ſah nach der Uhr: meine Zeit iſt vor⸗ über: wir ſehen uns, wo nicht eher, wenigſtens im Schauſpiele — Er gieng. „Was duͤnkt dir, Capa⸗kaum, von dieſem Manne ? von feinen Grundſaͤtzen 2, Er koͤnnte, verſetzte dieſer, mir die Geſellſchaft ſelbſt verleiden. Wie? bei ihm alſo, werde ich nur ſo lange, an allem, was mir ſchaͤtzbar iſt, unbeleidiget bleiben, als es ſein Vortheil verlangt? ſeine Begierden werden alſo die Graͤnzen meiner Wohlfahrt, wenn er ſie befrie⸗ digen kann — 8 „Erinnere dich, antwortete ich ihm, du fandeſt in unſrer geſtrigen Unterredung die Strafen uͤberfluͤſſig / du fandeſt fie grau: ſam. Alcindore find es, und die, die ihm ähnlich ſind, welche die Strafen im Zu⸗ ſammenhange einer geordneten Geſellſchaft nothwendig machen. Dieſe Menſchen, die keine anderen Triebfedern ihrer Hand⸗ lungen kennen, als ihre unordentlichen Begierden, die nicht in Stand ſind, bei ſich
30 Der Mann
ſich zu ſagen: ich empfange Vortheile von der Geſellſchaft, dafür bin ich ihr wieder verpflichtet; dieſe wuͤrden alles über und einſtuͤrzen, wenn nicht die Furcht des Uebels ihren Naſen der gewaltige Kappzaum wuͤrde, der ſie baͤndigte. Stelle dir Aleindorn vor, wie er deinem Mäd⸗ chen in einem einſamen Haine begegnet! feine Begierden uͤberwaͤltigen ihn, oder vielmehr, er uͤberlaͤßt ſich denſelben gerne: er ſchaut umher; nirgends ein Zeug, den er zu ſcheuen hätte: er ruft: der Wieder: hall allein antwortet ihm: alſo wird der Flehenden niemand beiſpringen, alle ſeine Beweggruͤnde zur Enthaltſamkeit ſind weg. Aber das Geſetz gebiet nicht nur: es drohet auch: die Beleidigte wird am Fuſſe des Richterſtuhls durch Erroͤthung und Seufzer klagen, und ihre Schmach wird dort den Rächer finden: einen Rächer, der eine übergehende Wolluſt mit dauer- haftem Wehe vergelten wird. Dieſe Er— innerung, durch das Wimmern der Bes draͤngten rege gemacht, dringt ſich durch die empoͤrten Begierden hindurch, und der zur Schandthat ausgeſtreckte Arm des Boͤ— ſewichts — ſinket. So weis der Geſetz⸗ ge:
ohne Vorurtheil. 3:1
geber der Unſchuld, ſelbſt in der Sohle des Löwen einen Beſchützer zu erwecken. „
Ich verfolgte auf dem Geſichte meines Zoͤglings die Kennzeichen der wechſelnden Gemuͤthsbewegung. Er gluͤhte — er zit⸗ terte — er knirrſchte mit den Zaͤhnen — und die lebhafteſte Freude breitete ſich darauf aus, als die Gefahr ſo unvermu⸗ thet abgewendet ward —
8 1 Mein Herr!
Das Bild der Matrone in ihrem 24. Stuͤcke iſt unverbeſſerlich. Ich bin zu we⸗ nig, dem ſchoͤnen Geſchlechte die gebuͤh⸗ renden Vorzüge abzuſprechen: aber ich zweifle, ob Sie mir unter Hunderten ein einziges, dem Bilde ihrer Matrone aͤhn— liches Wunder, vergeben ſie mir den Ausdruck, aufweiſen koͤnnen. Gleiche Vorurtheile, welche Sie bei uns Maͤn⸗ nern durch ihren ſchon allmaͤhlich in der groſſen Welt bekanntwerdenden Tapa⸗Kkaum, auf die Seite zu raͤumen trachten, muͤſſen auch bei der reizernden Halfte der Schö⸗ pfung
N
32 Der Mann
pfung gehoben werden, ehe ſolche Ma⸗ tronen erſcheinen koͤnnen, die durch kluge Fuͤhrung ihrer Hauswirthſchaft, durch weiſe Erziehung ihrer Kinder, dem Staate ganze Familien erhalten, und keine ſoge⸗ nannten Wienerfrüchte, ſondern ver⸗ nuͤnftige Bürger, getreue Verehrer ihres Vaterlandes, und der Geſetze zu bieten, im Stande waͤren. „
„Die Erziehung der Kinder, die den Frauen hauptſaͤchlich, wenigſtens bei der erſten Bildung obliegt, iſt, wie ich denke, fuͤr den Staat ein Werk von aͤuſſerſter Wichtigkeit, wozu Sie, mein Herr, bei- tragen koͤnnen. Wollten Sie nicht durch eine Wilde — denn von gleichem Ges ſchlechte laͤßt ſich ein Mädchen eher ber lehren; eine Wilde muͤßte es alſo ſeyn; nennen Sie ſie, wie Sie wollen! oder wäre es nicht möglich Capa⸗kaums Ges liebte herzubringen — Wollen Sie nicht dem ſchoͤnen Geſchlechte die nur zu ſehr eingeriſſenen Vorurtheile benehmen, und durch ihre lehrenden Schriften wirklich Matronen zu bilden ſuchen, die ihrem Ideal ähnlich find, oder doch ihm ſich nähern. . nebſt noch vier andern .... ihrer
Schrif⸗
ohne Vorurtheil. 33
Schriften verbinden uns, ungeachtet des gegen den Eheſtand gefaßten Widerwillens, auf das feyerlichſte, falls uns nicht eher das Alter uͤberfaͤllt, bevor ſie ausgebildet ſind, mit einem ſo vollkommenen Gegen⸗ ſtande die wahre Gluͤckſeligkeit unſers Le⸗ bens zu beſtaͤttigen: ich bin „
ihr === und beſtaͤndiger Lefer ...
VI.
Das iſt das groſſe Vorrecht der Tugend, daß es dem Laſter mit aller ſeiner Unver⸗ fchämtheit Ehrfurcht abnöthiget. Da⸗ rum ſuchen Laſterhafte ſich ſo begierig von dem Rechtſchaffenen loszumachen, weil ſei⸗ ne Gegenwart ſchon allein ihren Begier- den Zwang anthut. Ein Blick, der fie bei einer unanſtaͤndigen Handlung uͤber⸗ raſcht, iſt ein Verweis: das Lob einer guten Handlung, die unterlaſſen worden, da die Gelegenheit , fie auszuuͤben, ſich anbot, iſt eine Strafpredigt. In dieſen Augenblicken des ſich gelaſſenen Selbſtge⸗ fuͤhls duͤnkt ſich ein Prinz vor ſeinem red⸗ lichen Diener ein Sklav: er eilt, feine Knechtſchaft zu endigen, uͤberladet den un⸗ II. Theil. C be⸗
34 Der Mann
bequemen Mann mit Lobſpruͤchen, haͤngt ihm das guͤldene Halsgeſchmeid um, haͤu⸗ fet Gnadengehalt auf Gnadengehalt — und entfernet ihn. Seht darin die ehrenvolle urſache manche? unerwarteten Abdankung / und Entlaſſung! Nicht einzelne Perſonen allein, auch Völker geſtunden dieſe Ueber⸗ macht. Nato, der den Saͤtzen feiner Lehre dadurch Anſehen verfchaffte , daß er fie ausübte, war bei einem Spiele gegenwaͤr⸗ tig, das feinen Mitbuͤrgern gegeben ward. Das Volk war des Wagenrennens, und anderer Gefechte bereits uͤberdruͤſſig, es wünſchte Mimos. (“ Aber in dieſen Schauſpielen war die Zuͤgelloſigkeit der Vorſtellung auf das hoͤchſte getrieben, und Kato wuͤrde fie geſehen haben! Die Roͤ⸗ mer, deren Stimme das Schickſal der maͤchtigſten Koͤnige entſchied, die Roͤmer, die Krieg und Frieden befahlen, die — hatten das Herz nicht, in den Augen Ratons dieſe unehrbaren Spiele zu for
dern. Wenn
„) Die Spiele der Mimen waren Poſſenſpiele, (beinahe wie ——) worin die unflättigſten Handlungen nach der Natur vorgeſtellet wus⸗ den —
ohne Vorurtheil. 35
Wenn nun ein ungleiches Band Sitt⸗ ſamkeit und Ausſchweifung zu täglicher Geſellſchaft unaufloͤslich verknuͤpfet, man kann es leicht begreifen, wie gewaltſam die Stellung der letztern ſeyn muß, und was ſie nicht verſuchen wird, um ſich des ermuͤdenden Zwangs zu entledigen. Der einfachfte Weg, den fie ergreift, iſt, die Tugend zu ſich herabzuziehen, da es ihr zu ſchwer faͤllt, ſich zu derſelben zu erheben.
Wir werden darin den Aufſchluß zu mancher Haushaltung finden, die uns Er⸗ ſtaunen erwecket. — Wie, ſpricht eine gan⸗ ze Stadt, wie iſt es moͤglich, hat $ === allein keine Augen? ſeine Frau, von Schwaͤrmern zu jeder Stunde des Tages umlagert, haͤlt nicht das geringſte Maß, wenigſtens den Schein ſeiner Ehre ſicher zu ſtellen. Hundert Abentheuer von ihr ſind die Unterhaltung aller Geſellſchaften geweſen, man zeigt ſie mit Fingern, und er — Er weis es, aber er iſt gezwun⸗ gen zu ſchweigen. Hier iſt ſeine Ge⸗ ſchichte — N
Eleonore war die Zierde ihres adeli⸗ chen Hauſes, und Geſchlechts. Ihre Er⸗ ziehung war un verbeſſerlich, ihr Herz vor⸗
C2 treff⸗
36 Der Mann
trefflich, ihre Sitten angenehm‘, fanft , fie war der Gegenſtand aller vernünftigen ' Liebhaber, auch der Schwarm der Thoren flatterte um fie herum. F === erſchien, ſeine Mine iſt einnehmend. Welt, und Reiſen haben ſeinen Umgang frey und ſtaͤndig gemacht, Sein Haus iſt gut, u ſeine Gluͤcksumſtaͤnde ſind lockend. Er zeigte um Eleonoren eine ernſthafte Aem⸗ ſigkeit, die bald bei ihren Aeltern Eindruck machte. Seine übrigen Mitwerber em- pfanden, wie ſehr F = = ihnen vorgezo⸗ gen ward, nach und nach verloren ſich alle. Kurz, er war der beneidete Gemahl Eleonorens.
Das erſte Jahr war die Feyer der Liebe. ==: wuͤrde das Glück, feine Eleonore zu beſitzen, nicht um Throne verwechſelt haben. Sie hingegen, die auf ihren Mann von ſich ſchloß, ſie uͤberließ ſich ihren lebhaften Empfindungen — zu viel. Eine kluge Zuruͤckhaltung iſt die Wuͤrze der Liebe. Das iſt die Freymäu⸗ rerey der Weiber, wovon Charlotte Grandiſon fo viel Aufhebens macht. $=== ward des Nektars ſatt, weil er ihm im⸗ mer im vollen Becher gereichet ward. Die
Lieb⸗
ohne Vorurtheil. 37
Liebfofungen Eleonorens machten ſchon einen geringern, und machten bald keinen Eindruck mehr: bald aber wurden ſie ihm läſtig, er vermied fie, und, um ih⸗ nen auszuweichen, ſuchte er Geſellſchaft. Eleonore war der Einſamkeit ungewohnt, ſie machte Vorwuͤrfe. Aber Vorwuͤrfe, die auf den Lippen einer Geliebten, die Loſung, fie zu beſoͤnſtigen, ſind, werden in dem Munde eines Weibes, das uns gleichguͤltig iſt, das Feldgeſchrey eines ewi⸗ gen Bruchs. Den Vorwuͤrfen ſeiner Ge⸗ mahlinn zu entfliehen, war $=== Tage lang auſſer Hauſe, und Wochen lange auf dem Lande.
Sein Herz war leer, aber es war ge⸗ wohnt, eingenommen zu ſeyn. Bei den Ergoͤtzungen, denen er beiwohnte, waren auch Freundinnen zugegen, anziehende Ger ſtalten, wo er nicht lange gleichguͤltig blieb. Ohne die Gaͤnge ſeiner Liebe durch einen Roman zu beſchreiben, er liebte, ward geliebt.
Das Haus ſelner Gemahlinn war ans ſehnlich. Er konnte alſo mit Eleonoren nicht offenbar brechen, ohne ſich der Em⸗ pfindlichkeit der ganzen Verwandtſchaft
aus:
—
38 Der Mann
auszuſetzen; und Eleonore war nicht von denen, die leicht eingeſchlaͤfert werden koͤnnen. Auf dem Lande, wohin ſeine Gemahlinn ihn nicht begleitete, da war es möglich, das neue Verſtaͤndniß mit Alcinden geheim zu halten: aber der Winter mußte in der Stadt, unter den Augen der vielleicht ſchon argwoͤhniſchen, der wachſamen Eleonore hingebracht wer⸗ den, und der endende Herbſt machte die Landluſt ungemaͤchlich. Man berathſchlag⸗ te, und kam über folgenden Entwurf uͤbereins.
F == lud zu ſich täglich zahlreiche Ger ſellſchaft, alle ſchimmernden Juͤnglinge, die auf Eroberungen lauren, alle Lieb⸗ haber von Gewerb, deren Ruhm gegruͤn⸗ det iſt, daß ihnen nie ein Weib widerſtan⸗ den hat. Dieſen gab er ſeine Gattinn durch freywillige Unachtſamkeit preis. Zwar fie widerſtand lange; lange erreichte $= == nicht ſeine Abſicht, in den Fehltritten ſei⸗ ner Gattinn, einen Vorwand fuͤr feine Ausſchweifungen zu finden. Aber er brach⸗ te es endlich durch ſein uͤbles Begegnen dahin, daß ſie ſich raͤchte. Sie nahm ei⸗ nen Liebhaber an: und det nun zufriedene
F
ohne Vorurtheil. 39
F⸗fuͤhrte Aleinden in das Haus ein. Eleonore wollte Einwendungen machen, weil ſie ſich unentdeckt hielt. Aber ihr Gemahl ließ ſie nicht lange im Irrthume. Sie huben alſo die Bitterkeit gegeneinan⸗ der auf: ihre wechſelweiſen Fehler wurden ihnen wechſelweiſer Schutz gegen Vorwuͤr⸗ fe. F⸗⸗ hatte nicht Muth genug, eine Buhlerinn der tugendhaften Eleonore un⸗ ter die Augen zu fuͤhren: er ſelbſt machte, daß ſie die Tugend verlor, und darf er ſie nun wieder fodern? Bleonore glaubt ihren Liebhabern nicht mehr Anhänglichkeit ſchuldig zu ſeyn, als ihrem Gemahle: ſie uͤberlaͤßt ſich einem dahinreiſſenden Tem⸗ peramente: fie liebt nicht , fie hat die Liebhaber nach der Reihe.
Ich bin gezwungen, dem maͤnnlichen Verſtande Recht wiederfahren zu laſſen. Es giebt in der That weniger Dummkö⸗ pfe von Ehemännern, als man wohl glaubt. Viele ſcheinen es gerne, wenn nur ihre Weiber wieder Dummköpfinnen ſeyn wollen. Graͤfinn Tylney nimmt alle männlichen Diener im Haufe auf. Ihr Kamerdiener iſt einer der wohlgemacht⸗ ſten Figuren, alle ihre Bediente ſind Blond⸗
C 4 haa⸗
40 Der Mann
haare. Sollte das der Graf allein nicht kennen? Es iſt zum Stadtſprichworte ge⸗ worden, wenn man einen ſchoͤnen Jungen ſieht: der möchte bei Tylney Lakey werden! Gewiß er kennt es, aber er hat dieſe Freyheit ihr nur erſt eingeraͤu⸗ met, als ſie ihm die Mädchen zu ihrem Dienſte aus zuſuchen überließ. Seine Wahl iſt in dieſem Stucke eben fo einſichtsvoll, als die Wahl ſeiner Gemahlinn. 5
So bald alſo ein Mann, fo bald ei— ne Frau bei ſtadtruͤchtigen Entehrungen überſehend ſind, kann man immer ſchluͤſ⸗ ſen, daß dieſes Ueberſehen nicht ſowohl aus Unempfindlichkeit, als aus dem Selbſt⸗ gefuͤhle ihres eigenen Fehlers herruͤhrt. In der That, wie darf ein Mann es wa⸗ gen, feinem Weibe eine zu freye Auffüh- rung vorzuwerfen, wenn ſie ihm ſtatt aller Antwort ſagen kann: Mein Herr! Sie find das Muſter, nach dem ich mich bilde! —
Hingegen, wenn die Gemahlinn eines Mannes, der das Band der ehelichen Treue hundertmal zerriſſen hat, mit dem feyer⸗ lichen Anſehen der Tugend bekleidet, er: ſcheinet, wie muß ſich der ſeines Vorrechts
Ent:
ohne Vorurtheil. 41
Entſetzte krümmen » zu welchen nieder⸗ traͤchtigen Griffen muß er ſeine Zuflucht nehmen? Der Brief, den Capa- kaum erhalten, und deſſen Beantwortung man vielleicht hier erwartet, iſt ein Beweis. Er iſt unwuͤrdig anders, als durch die aͤuſ⸗ ſerſte Verachtung beantwortet zu werden. Aber ihr Verehrungswuͤrdige! die ei⸗ nes beſſern Schickſals würdig, an der Sei⸗ te ſolcher Gatten eure ſchoͤnſten Tage zu- zubringen verurtheilt ſeyd, haltet euch uͤberzeuget: daß die ſtrengſte Tugend der einzige Schild iſt, durch den ihr wenigſtens eure häusliche Ruhe befchir: men könnet. | | |
VII.
D.. ganze Begriff von der gemein ſchaftlichen Wohlfahrt wird wankend, wann ein Capa⸗ kaum auf einer Seite Sülle, verſchwendung, Stolz, auf der andern Mangel, unwillkührliche Spar: ſamkeit, Erniedrigung erblicket. Er wird ſchwer zu uͤberzeugen ſeyn, daß der, wel⸗ cher mit emporgeſchlagenem Haupte im vergoldeten Wagen daher rollet, und der, C 5 wel⸗
42 Der Mann
welcher vor dem belaſteten Karren geſpan⸗ net, keichend einhergeht; der, fuͤr deſſen Gaumen vier Köche alle ihre Kunſt er- ſchoͤpfen, und der, welcher in der mit⸗ taͤglichen Raſtſtunde ſein Stück Brodt an der Sonne gelehnt, verzehret; der, den ſiberiſches Pelzwerk unter Sammt geſchla⸗ gen, vor der Strenge des Winters ſchuͤ⸗ bet, und der nur halbdedeckte Elende, der auf der Straſſe ſtarret, an dieſer Wohl⸗ fahrt gleichen Antheil nehmen.
An einem der heitern Tage, die uns den nahen Fruͤbling ankuͤndigen, fuͤhrte ich meinen Beobachter, alle die ſchoͤnen Ger bäude zu beſehen, mit welchen die Mo⸗ narchinn ihr glückliches Wien verſchoͤ⸗ nert hat. Von Ungefaͤhr ward er eines Mannes gewahr, der von einem zahlrei- chen Gefolge begleitet ward. Er merkte an, daß jedermann dieſem Mann aus dem Wege trat; daß dieſer die ehrerbietigen Ver⸗ beugungen, die ihm gemacht wurden, mit auf geworfenen Lippen annahm, und mit einer kaum ſichtbaren Kopfwendung erwie⸗ derte. Dem neuen Bürger flieg die Roͤ—⸗ the in das Angeſicht: er fragte mit Hitze: wer der waͤre, der freywillige Ehrenbe⸗
zeu⸗
ohne Vo rurtheil. 43
zeugungen ſeiner Mitbürger ſo gering⸗ ſchaͤtzig uͤberſieht? und warum nicht jeder⸗ mann ihm dieſe Verachtung zuruͤckgaͤbe, und ihn unbeobachtet, mit zugekehrtem Ruͤcken voruͤbergehen laſſe? -
Mein Freund — verſetzte ich, wir ver⸗ ehren in ihm den Vorzug ſeiner Geburt. Der Fehler iſt ſeiner Seite, daß er durch perſoͤnlichen Stolz ſich dieſer Verehrung unwuͤrdig machet. 3
Es iſt mir unmoͤglich, war die Ant⸗ wort Capa⸗kaums, mich in eure Den⸗ kungsart zu verſetzen. Was fuͤr einen vorzug kann Geburt geben?
Ich unterrichtete ihn von dem Vorzu⸗ ge des Adels, von der Stiftmaſſigkeit, und ihren Vorrechten: er unterbrach mich augenblicklich durch ſeine Fragen:
Ein Menſch alſo, ſagt er, der 24. Ah⸗ nen zaͤhlet, ift beſſer gebohren?
Nach unſern Begriffen —
Aber, da wir alle von einem Aelter⸗ vater abſtammen, wie die Religion lehret, fo haben wir alle gleichviel Ahnen —
Wohl, wenn wir dieſe erweiſen koͤnn⸗ ten —
Da
44 Der Mann |
Da ift ja kein Beweis nothwendig, wo kein Zweifel ſeyn kann: kann man zweifeln, ob ich Großaltern gehabt habe?
Nein: aber waren dieſe Großdltern Leute von e 2 das beißt een e zn
Er verlangte m wiſſen „ wodurch wan die Verdienſte der Ahnherren darthun müßte: und als ich ihn auf die Adels: briefe verwies; ſo warf er die unbeque⸗ me Frage auf: ob es denn eine nothwen⸗ dige Folge wäre, wenn der Uhraͤltervater Verdienſte gehabt, daß auch der Aelter⸗ vater und ſeine Enkeln welche beſeſſen? und geſetzt, fuhr er fort, wann der An⸗ herr der Geſellſchaft unterſcheidend nützbar geweſen, ſeine Nachkoͤmmlingen aber ſich dem Muͤſſiggange und Wohlleben ergeben haben, pflanzt ſich der Adel dennoch fort?
Ich mußte ja antworten, ſo ſehr ich das Verfaͤngliche der Frage einſah.
Das iſt alfo in der That glücklich fuͤr die Enkeln, einen rechtſchaffenen Anherrn zu haben. Aber geſtehen Sie mir, mein Lehrer, finden Sie dieſe Begriffe nicht wi⸗ derſinnig, wenn man ſie ein wenig genauer beleuchtet? Man ſetze: ein Mann hat durch
ſei⸗
ohne Borurtheil. 45 ſeine Tapferkeit den Staat vertheidiget:
dieſer tapfre Buͤrger wird geadelt, ſein
Adel heißt im eignen Verſtande immer Tapferkeit. Unter ſeinen Nachkoͤmmlin⸗ gen iſt einer vom Mutterleibe zur Herz⸗ haftigkeit fo verwahrloſet, daß er die Spitze einer Klinge nicht mit unverwandtem Blicke ertragen kann: er läuft bei einem Ge⸗ fechte, wo das Vaterland ſeines Arms noͤthig hatte, davon: aber er fuͤhrt den Namen ſeines Großvaters, ich muß den feigen Ausreiſſer tapfer heiſſen. Ich weis nicht, warum ich den Jungen mit der engliſchen Krankheit, den Sie mir juͤngſt wieſen, nicht eben fo für einen guten Laͤu⸗ fer anſehen muͤßte, wenn ſein Vater von Ungefaͤhr einer der beßten Laͤufer im Lande wäre? —
Ich zuͤckte bei dieſer Anmerkung die Achſel, ſtatt aller Antwort. Es gibt ein maͤchtiges Volk, fuhr ich darauf fort, bei dem der Adel nicht durch die Geburt, ſon⸗ dern durch perſönliches Verdienſt erwor— ben wird. Aber wir polizirteren Natio⸗ nen heiſſen dieſes Volk Barbaren — In⸗ deſſen, lieber Capa⸗- kaum! dieſe Ein⸗ en hat wie ihre unvortheilhafte auch
eg
46 Der Mann
ihre ſchoͤne Seite. Der erbliche Adel ift die Pflanzſchule der groſſen Maͤnner, eben darum, weil er erblich iſt. Ein Sohn, der einen Namen zu behaupten hat, darf nicht, kann nicht unbemerkt unter dem Haufen ſeiner Mitbürger ſtehen. Seine Geburt ſetzt ihn gleichſam auf ein Fußge⸗ ſtell, wo er den Blicken aller Welt aus⸗ geſetzt iſt. Hier muß er ſich unterſchei⸗ den. Thut er es nicht, ſo mag er ſeine Adelsbriefe an den Ecken ſeines Hauſes anheften, er mag ſeine Wappen vor ſich hertragen laſſen, er iſt Pöbel, wir ver⸗ achten ihn, und legen ihm den Namen ſeiner ehrenvollen Ahnen bei, nur, um ihn dadurch zu erniedrigen. —
VIII.
Die Neugier iſt eine von den Eigen⸗ ſchaften, die dem Menſchen, beides zum Nutzen und Vergnuͤgen gegeben worden. Wenn ſie erſt durch einen Anſtoß rege ge⸗ macht wird , fo muͤſſen ihr alle übrigen Begierden weichen, oder beſſer zu fagen, fie weis alle ihre übrigen Begierden zu ihrer Befriedigung zu lenken. Dieſe Ber obach⸗
ohne Vorurtheil. 47
obachtung koͤnnte in der Sittenlehre uͤber⸗ haupt treffliche Dienſte leiſten, wenn ſie nicht als geringſchaͤtzig weggeworfen wuͤr⸗ de. Ich habe mit Capa⸗kaum darin man⸗ che Erfahrung angeſtellet, und ſtets mit zuſagendem Erfolge. Ich durfte eine Sa— che, die ihm ehe unbekannt war, blos nennen: ſchon war feine Neugierde an— gefachet, er ſuchte den genannten, den ihm unbekannten Gegenſtand aller Orten auf, er ſorſchte nach ſeinen Merkmalen, um ihn nicht zu uͤberſehen, ſeine Vorſtel⸗ lung war damit unaufhoͤrlich geſchäftig, alles uͤbrige war indeſſen ausgeſetzt, oder alles bezog ſich darauf. Und wenn er ihn gefunden hat, fo war feine Einbil- dung einem Wagebalken aͤhnlich, der, wenn er durch die Laſt auf die eine Seite ger neiget, und nun frey gemacht wokden, ſich nur erſt nach oft wiederholten Schwin- gungen in ſeine Ruhe verſetzet.
Einige Tage her muß ich ihn der Schau⸗ bühne ganz und einzig uͤberlaſſen. Ich hatte mich ſorgfaͤltig gehuͤtet, ihn auch den Namen dieſer unſrer Liebesergoͤtzlichkeit zu nennen. Ich wollte ihn damit über⸗ raſchen, und die Staͤrke der Bezauberung
auf
48 Der Mann
auf fein unzubereites Gemuͤth beobachten. Aber meine Abſicht ward mir durch die gütige Aufmerkſamkeit des Publikums vernichtet. Man uͤberbrachte mir eben heu⸗ te einen Brief, welchen ich meinem = ler abzuleſen gab, da ich den Inhalt nicht vermuthen konnte. Er las: ee
Mein Herr!
AN Das geſittete Publikum iſt Ihnen für den Dienſt, den Sie ihm geleiſtet haben, verpflichtet. Ihre freye Stimme war fuͤr diejenigen, die es auf ſich genommen haben, unſre dem Vergnuͤgen gewidmeten Stunden auszufuͤllen, eine wohlangebrach⸗ te Warnung, und man hoffet, daß fie ſich dieſelbe zu Nutze machen werden. Man ſieht es: Sie ſind der Mann, der ſich durch die kleinen Natzenbalgereyen nicht irre machen laͤßt. Ein guter Fechter wird durch Zuftftreiche nicht aus feiner Faſſung ge⸗ bracht. „
„Erwarten Sie mit uns, daß der würdige Mann, wie er nun einmal genen⸗ net ſeyn will !), feines Vortheils wahr⸗
zu⸗
9 Der Theatralunternehmer.
ohne Vorurtheil. 49
zunehmen weis, und wenn er unſer Geld haben will, uns auch dafuͤr Schauſpiele auffuͤhrt, wie wir ſie haben wollen. Wir ſind ſo ungerecht nicht, zu fodern, daß er ſeine Umſtaͤnde aus den Augen laſſen ſoll. Wir kennen die Zufchauer, die er zu be⸗ friedigen hat: es find zwo Partheyen: die Parthey des grünen gutes, und — unſer kleiner Haufen. Denn, laſſen Sie ſich nicht irre fuͤhren, der Haufen iſt noch ſehr klein, der an einer rührenden Stel⸗ lung eines Stuͤckes, an der Vorſtellung einer edelmuͤthigen Handlung in der That ein groͤſſeres Vergnuͤgen findet, als an einer Sraze: aber viele find wenigſtens ſo eingetrieben, daß ſie ſich ſchaͤmen, es oͤffentlich zu geſtehen, und das iſt ſchon etwas. Nun muß man nur auf ſeiner Hut ſeyn, und wie ein Feldherr, deſſen Heer groſſen Theils aus verdächtigen Ue⸗ berlaͤufern beſteht, es zu keinem Treffen kommen laſſen, damit ſie nicht ausreiſſen koͤnnen: zum Mansboriren kann man fie gleichwohl mitgebrauchen. — „
„Unter dieſe zwo Partheyen, deren Geld nach gleichem Muͤnzfuſſe gepraͤget iſt, wird er alſo, Zweifels ohne, ſeine
II. Theil. D Auf⸗
50 Der Mann
Aufmerkſamkeit theilen: Spaß, und fei⸗ ner Scherz werden wechſelweiſe die Buͤh⸗ ne einnehmen: heute wird das Parterre über den guten alten Zanſen aus vollem Halſe lachen, und wir werden mit la⸗ chen; morgen wird die Reihe an uns ſeyn, zu empfinden, gerührt zu werden, und auch zu Lächeln; umzaͤhlig wird ein Tag der Zerftrenung und wieder ein Tag des geſitteten Vergnügens erſcheinen: und da bei einer ſolchen Eintheilung die Mannigfaltigkeit ſelbſt zu dem Vergnuͤ⸗ gen etwas beitraͤgt; ſo wird die Kaſſe nicht dabei zu kurz kommen: aber auch unſer Geſchmack von den haͤufigen Fremden nicht auf die Schandſaͤule geſetzt werden. Alles, was ſie bei einem ſolchen Wechſel an ihre Landesleute uͤberſchreiben koͤnnen, wird ſeyn : in Wien iſt das gemeine volk kein Philoſoph: und wir werden ihnen antworten: in ‚Paris, in London, in Berlin, in Dresden, und ſonſt ir⸗
gend iſt daſſelbe es eben fo wenig — „ „ Nun da, mein Herr! das find un⸗ ſre Erwartungen, die wir guten Theils als Folgen ihrer Freymüthigkeit anſehen. Das publikum oo dafür, daß ein Mann, N der
1
ohne Vorurtheil. 51
der fuͤr ſeine Ergoͤtzungen ſorget, es we⸗ nigſtens nicht auf eigene Koſten thun muͤſ⸗ ſe. Es uͤberſendet Ihnen hier ein Abon⸗ nement *) für Sie, und ihren Schüler, Es wuͤnſcht, daß Sie es als einen Ber weis feiner Erkenntlichkeit gegen Sie an—⸗ ſehen, und fortfahren moͤchten, es durch Mittheilung der Anmerkungen, die ihr Capa⸗ kaum unter ihrer Anleitung ma⸗
chen wird, zu verbinden. Wenn Sie ein
Amt annehmen wollen, das vielleicht mehr muͤhſam als anſehnlich iſt, ſo bevoll⸗ maͤchtigen wir Sie hiemit zum Gberauf⸗ ſeher der Schauſpiele von unſrer Seite.,
„Vielleicht iſt es Ihnen noch ein Ge⸗
heimniß daß Sanswurſt ihrem Capa⸗
D kaum
Man weis wohl, daß dieſes Schreiben nut ein Uebergang zu den Betrachtungen über die Schaubühne iſt: aber das Anerbirten des Abbonnements geſchah wirklich, vonsreunden, . denen der Nationalgeſchmack, und ein geſit⸗ tetes Vergnügen an der Seele lag. Ich ver⸗ bat ihre Großmuth, und verachtete den Aus⸗ fall, der mir von Sanswurften im Ernſte von der Bühne herab zugedacht war, und nur darum unterblieb, um mit ardferre Wuth in einer eignen Palliſotade loszubrechen.
52 Der Mann
kaum eine feyerliche Bewillkommung zugedacht hat? In der That! das hat er. Dieſe zügelloſe Freyheit der Schaubuͤhne, die Ehre der Buͤrger oͤffentlich anzutaſten, gehoͤrt noch mit unter den alten Sauer⸗ teig, den wir, nebſt manchen andern, ger⸗ ne hinausgeworfen wiſſen wollten. Doch, wir denken, Sie werden es ihm gerne uͤberſehen. Die Frau vom Hauſe lacht wohl gar darüber, daß der Zausnarr, der von ihren Wohlthaten lebt, fie eine . ſchilt. Machen Sie es gleichfalls ſo mit dieſem. „ den wir bezahlen, und der uns ausſchilt. „ | „Aber, wie wäre es, wenn Sie etwan ihren Gefährten auf eine Gegen⸗ antwort vorbereiteten? das waͤre wenig⸗ ſtens luſtig, wenn der Zuſchauer einmal eine Rolle unter den Schauſpielern mit⸗ ſpielte, da die Schauſpieler ſo oft mit den Zuſchauern ſpielen. Wir ſind u. ſ. W. „
r
IX.
ohne Vorurtheil. 53 IX. |
Diga werde ich mit meinen Leſern ohne Mittler zuſammtreten. Mein Schü⸗ ler iſt beſchaͤftiget, ſeine Gedanken vom Schauspiele ſelbſt nieder zu ſchreiben. Ich habe es ihm auf Befehl einer Dame aufgetragen, die den ungekuͤnſtelten Aus⸗ druck dieſes Neulings von einem Schrift⸗ ſteller, zu ſehen verlanget, und zwar in einer Sache, worin er eben ſo neu iſt. Wir werden ſehen, ob er kuͤnftig mit Ehren die Feder zu fuͤhren, im Stande ſeyn wird. Ich bin uͤber die Wahl meines Stoffs nicht im geringſten unſchluͤſſig, nachdem mir folgender Brief behaͤndiget worden.
Mein Herr Schriftſteller!
3 Ich bin immer boͤſe auf Sie: kaum kommen Sie auf einen guten Weg, da iſt ihre ſchriftſtelleriſche Behutſamkeit bei der Hand und — da hoͤren Sie auf der fuͤnften Seite auf, wie Sie es im VII. Stüde gethan haben. Welche Perl haben Sie da aus Haͤnden geworfen! Aber ich will ſo gut ſeyn, und ſie aufheben, ſie Ihnen wieder uͤberreichen, und Sie erſuchen, D 3 ihre
34 Der Mann
ihre Betrachtungen weiters daruͤber anzu⸗ ſtellen. Sie haben einen gewiſſen, bei uns ganz fremden Ton der Freymuͤthigkeit, der macht, daß man ſtets wuͤnſchet, ihre Stimme da zu hoͤren, wo ſonſt der Schi an Fans 2 RE chorus turpiter obticuit - di
„ Sollten Sie ee ma⸗ chen? — Das ſollen Sie nicht! ich will Ihnen vorkommen. Der Adel, duͤrften Sie ſagen, iſt ein verehrungswürdiger Stand, er muß in den Augen der Welt nicht herabgeſetzt werden — ihren Aus- druck zu borgen — Vollkommen recht! Es liegt mir ſelbſt daran, einem Stande nichts von ſeinen Vorzuͤgen zu rauben, wovon ich bin. Das ſollen Sie alſo auch nicht! aber zeigen ſollen Sie, worin die Vorzuͤge, die wahren Vorzüge dieſes Standes be= ſtehen! — Weiters, Sie können fürch⸗ ten, ſich den Haß eines mächtigen Körpers im Staate auf den Hals zu ziehen. Herr Autor, das iſt beiſſend. Glauben Sie, daf unſer Adel ſo wenig die
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ws 15 de arte poet.
ohne Vorurtheil. 55
die Probe haͤlt? glauben Sie, daß er eine freymuͤthige Beſchreibung der wahren Vor⸗ zuͤge nicht mit aufgerichtetem Haupte er⸗ tragen, daß er Sie als eine Satire anſe⸗ hen wird? Und noch einmal, glauben Sie, daß wir andre mit dieſem gefen gemeine Sache machen werden, deſſen wir uns ſelbſt ſchaͤmen? nein! mein Herr! ſo tief ſind wir noch nicht geſunken. Ich hoffe, Sie ſelbſt werden aus unſerm Mittel eine Men⸗ ge verehrungswürdiger Bürger kennen! und den Haufen der Wappentraͤger, den ganzen Haufen geben wir Ihnen Preis. „„ „Nun denn, keine Ausflucht, Herr! wenn Ihnen der Beifall lieb iſt von ihrem Leſer, dem Grafen von S'“. )
Ich kehre alfo auf meinem Wege zu⸗ ruͤcke. Gewiſſe gröſſere, gemeinnützigere Dienſte, die ein Bürger dem Staate gelei— ſtet hatte, mußten ihn in den Augen ſeiner übrigen: Mitbürger unterſchieden haben. Dienſte alſo, und dafür die Dankbarkeit unterſchied zuerſt die Staͤnde. Die Tapfer⸗ keit fand vielleicht am erſten Gelegenheit, ſolche unterſcheidende Dienſte zu leiſten.
DO 4 Der
56 Der Mann
Der Vater fuͤhrte den Sohn auf det Bahn fort, die er ſelbſt gewandelt: der Sohn ſtritt an der Seite ſeines tapfern Vaters: das haͤusliche Beiſpiel entflammte ſeinen Muth, ſtaͤrkte ſeinen Arm, man ſah in ihm den gelden, der zu anderer Zeit die Bruſtwehre des Staats geweſen, verjüngt: die Achtung konnte nicht aus⸗ bleiben, wo die Verdienſte nicht ausblie⸗ ben. In einer Gefahr, die den Enkeln drohete, flohen ſie unter ſeinen Schutz. Deine Ahnen — ſagten ſie vielleicht — waren ſtets unſre Beſchützer: ſey der würdige Sprößling ſo tapferer Bürger! Dieſe Worte, dieſes Zutrauen find begei⸗ ſterend. Ich werfe mich mitten in den Tod, um meiner Abkunft keine Schande zu machen, um bei meinem Namen nicht die Augen unterzuſchlagen — Das Andens ken, ich bin der Sohn eines ßelden, machte zu dem, was ihre Ahnen was ren. Es iſt glaubwuͤrdig, daß ſie die Zeichen der Siege in ihren Haͤuſern aufs bewahret, daß fie dieſelben , oder den Schild, den der Großvater im Streite ge⸗ fuͤhrt, zur Aufmunterung vor ſich her⸗ tragen lieſſen — Wer wollte ſich die Eh⸗
ren⸗
ohne Borurtheil. F
renzeichen, mit dem Blute der Vorfahren erworben, entreiſſen laſſen? — ihr Auge war an dieſe haͤuslichen Zierrathen ge⸗ heftet: wo ſie hingewendet wurden, da folgte Muth und Entſchloſſenheit, da floh der Feind, da wandelte der Sieg. Das iſt der Urſprung des Adels, und ſeiner Abreneiche oder doch, das eie er ſeyn! 3
Aber Tapferkeit ift dem Staate nicht mit Ausſchlieſſung andrer Eigenſchaften, nutzbar. Die Weisheit im Rathe iſt eben fo nothwendig. Eben for die Tapferkeit iſt nur, wenn die Gefahr erſcheint, noth⸗ wendig, die Weisheit iſt es ſtets. Der dankbare Buͤrger wird an dem Munde des⸗ jenigen gehangen haben, deſſen Ausſpruͤche ihm fo) oft heilſam geworden. Ich ſehe ihn, den allgemeinen Rathgeber, er wan⸗ delt in Mitte der Buͤrger: das Gedraͤng iſt um ihn her; aber vor ſeinen Schritten theilen ſich die Wellen der Verſammlung; er wandelt zwiſchen Reihen verehrender Buͤrger. In der aͤuſſerſten Entfernung dort, ſetzt eine Mutter ihren noch ſtam⸗ melnden Sohn auf ihr Haupt: ſieh! dort geht er, ſagt ſie, in deſſen Mund ſtets
D 5 RNath,
58 Der Mann
Rath, deſſen Wort ſtets Weisheit iſt! und nun, da fie ihn herablaͤßt, druͤckt fie ihn mit ſchneller Empfindung an, und wuͤnſcht, daß er einſt ſeyn er wie diefer —
Weisheit im Rathe, und Tapferkeit in Gefahr find die edeln Stämme des Adels: aber ſind die Sproͤßlinge mie aus⸗ geartet?
Vor dieſem Manne, der nie ſich aus dem Arme der Wolluſt gewunden, Herku⸗ les im Schlafgemache, Heliogabel an der Tafel, ein ungetreuer Gemahl, ein forg- loſer Vater, ein eigenſinniger Zerr, ver⸗ achtungsvoll gegen das Volk, unter wel⸗ ches ihn feine Denkungsart, feine Hand⸗ lungen tief erniedrigen, ſoll ich mich vor ihm beugen, weil er einen Titel hat, den er entehret? — Soll die Vergeltung der Tugend bei einem Geſchlechte feſtgeſetzt ſeyn , wo es die Tugend ſelbſt nicht iſt? —
Aber wenigſtens werde ich das Geblüt der Ahnen ſchaͤtzen ſollen? — Beweiſen Sie mir dieſes Gebluͤt! beweiſen Sie mir die Reinigkeit deſſelben! Ich trotze ihrem Geſchlechtsbuche! Sie — zeugen wider daſſelbe. Wie ein Fluß, je mehr er von
ſei⸗
22 ˙ ZZ Be a Ze
obne Vorurtheil. 89
ſeinem Urſprunge ſich entfernet, deſto mehr von fremden Waſſer zu ſich nimmt, und nur den Namen noch von der erſten Quelle
behaͤlt, ſo geſchieht es oft mit dem Ge⸗
bluͤte der Ahnen, von welchem vielleicht nicht ein Tropfen in ihren Adern quillt.
Es giebt verſchiedene Stufen des Adels: der groſſe Adel, der mittere, der gea⸗ delte Bür ger. Der groſſe verachtet die beiden andern, der mittere ſchimpft auf den groſſen, den er im Herzen beneidet, und deſſen Affe er iſt. Der geadelte Bür- ger ſpricht von der Redutte, ſeinem ein⸗ zigen Vorrechte, laͤßt ſich die Gnade ge⸗ ben, haͤlt Geſellſchaften, und ſtirbt viel⸗
leicht gerne, nur damit man ſeine Wap⸗
pen an dem Sarge und auf dem Trauer⸗ altare auskramen kann, von denen viel- leicht ſonſt die Welt nie etwas ſehen wuͤr⸗ de. Der groſſe Adel ſoͤndert ſich ab, und macht einen Koͤrper fuͤr ſich allein aus: aber zum Gluͤcke des Staates oͤfnen ſelbſt⸗ erworbene Verdienſte den Eintritt in ſeine Ver ſammlungen. Wir ſehen heutige Men: ſchen unter ihm herumwandeln, und dieſe neuen Ankoͤmmlinge L ee dem Kern Ehre. MN
Der
60 Der Mann
Der mittlere Adel pralt mit ſeinem Gelde, und ſucht diejenigen, die er mit Unwillen über ſich ſieht, durch ungemaͤſ⸗ ſigten Aufwand zu verdunkeln: ein ſtill⸗ ſchweigendes Geftändniß , daß er feinen Schimmer in fich ſelbſt zu finden, ſich nicht getraut ! —
Der adeliche Bürger, ein Mittelding zwiſchen Buͤrger und Adel, raͤcht ſich we⸗ gen der Unachtſamkeit, die er von bei⸗ den dulden muß, an dem gemeinen Hau- fen der Arbeiter , unter dem er doch fo manche Tante, und Gnkeln zaͤhlet.
Der groſſe Adel — Aber ich bin unge⸗ recht, wenn ich Menſchen unter den groſſen Adel zaͤhle, die nur der Zufall der Geburt erhebet, die Urſache find, daß man dem Gluͤcke Ungerechtigkeit vorwirft, weil es Unwuͤrdigen einen Platz angewieſen, den ſie ſtuͤndlich ſchaͤnden, die, wenn man ih⸗ nen Rutſche und Gefolg, Kleidung, und Wappen, und dieſe beleidigende, nicht hohe, ſondern hochmüthige Mine, und manche unterſcheidend ruchloſe That, raubte, worin fie ihre ganze Groͤſſe beſte⸗ hen laſſen, vielleicht die veraͤchtlichſten un⸗ ter allen Menſchen ſeyn wuͤrden.
Der
ohne Vorurtheil. 6:
Der wahre Adel bedarf diefer dufe ſerlichen, erborgten Vorzuͤge nicht: er ſtralt in eigenem Glanze. Ein gerz, groſſer Empfindungen fähig, ein gerz, zu ſtolz , eine unredliche, eine kleine That zu thun, ein Herz, fuͤhlbar bei der Noth der Tugend , ſtrenge, unbiegſam gegen das Laſter; eine Hand, ausgeſtreckt zu
helfen, ausgeſtreckt, das Verdienſt zu
umfaſſen, und zu unterſtützen — Wo ich dieſe finde, da iſt Adel, oder da ſollte er ſeyn!
Er gebrauche ſich feines Verſtandes, um Rath zu ertheilen! Er gebrauche ſich ſeines Vermögens, um Wohlzuthun, und nur ſeinen Wohlthaͤtigkeiten ſeyn ſeine Schaͤtze zu klein! Seine Stunden ſeyn zwiſchen dem Dienſte, den er dem Vater—⸗ lande erweiſt, und den Angelegenheiten, wodurch er einzelne Verwandtſchaften ver⸗ bindet, zwiſchen Pflicht und Menſchen⸗ liebe getheilet.
Nie erinnere er ſich ſeiner Ahnen, als um ſeinen Geiſt zu edlen Thaten anzu⸗ flammen ! nie feiner Würde, als wann fie das Mittel iſt, zu verbinden! nie ſei⸗ ner Gröſſe, als um ſich nicht bis in die
Tie⸗
62 Der Mann
Tiefe unedler Handlungen dee men! „28
Sein Wandel fey nete bei⸗ ſpielvoll! und ſtrafe, die ihm, bei gleicher Geburt unaͤhnlich ſind. Kurz! Geburt und Glück ſeyn an ihm das kleinſte! und wir wollen ſeinen Namen nennen, ſo oft uns unedle Groſſe reizen werden, e Hochmuth eee er — l
1 * — X.
Fragment eines Geſpraͤchs zwiſchen Ryen-Thyan und Pymora, - gween Einſiedlern auf dem Berge Ther r bas. |
Wlan meine Leſer es ein wenig uͤber⸗ denken wollen, daß es in der That ſchwer iſt, Sie ordentlich die Woche zweymal mit Originalſtuͤcken zu unterhalten ; fo werden Sie mir ganz gerne vergeben, daß ich Ihnen einmal auch eine Ueberſetzung liefre, um fuͤr mich ein wenig Athem zu holen. Es ſoll, wenn Sie es durchaus fodern, nicht hart fallen, ein Haͤckchen zu finden, um dieſes fremde Stuͤck meinen ei⸗
2
r
ohne Vorurtheil. 63
eigenen anzuheften. Zum Beiſpiele: ich will ſprechen: mein armer Capa⸗ kaum
ſey feit des Eigenſinnigen mit einer an⸗
haltenden Schlafſucht behaftet. Alle Arz⸗ ney waͤre unwirkſam geweſen, und mein freundſchaftlicher Arzt habe mir gerathen, dieſe Krankheit durch geiſtwirkende Mit⸗ tel zu bekaͤmpfen. Die Melancholey werde durch die Muſik verſcheuchet: vielleicht hebe die Lektur eines ergoͤtzlichen Buchs dieſe hartnäckige Schlafſucht! Er fange dar- auf eine ſehr gelehrte Abhandlung von der Schlafſucht an, um mich zu uͤberzeugen, daß feine Anordnung nicht auffer der Me—⸗ thode ſchreite; womit aber den Leſern we⸗
nig gedient ſeyn duͤrfte, wenn ich ſie gleich auswendig behalten haͤtte, wie ich es,
wegen einer Menge fürchterlicher Woͤr⸗ ter nicht thun konnte. Genug, ich wollte einen Verſuch nach ſeinem Rathe machen. Was. würde ich für meinen lieben Schuͤ⸗ ler nicht verſucht haben?
Unter allen den Buͤchern, welche ich in dieſer Abſicht nachſchlug, fand ich den arabiſchen Schriftſteller Aben⸗-Aly⸗Bur, welcher die Geſchichte der Therbiten be⸗ ſchrieben, am ſchuͤcklichſten. Er war ſelbſt
aus
u
64 Der Mann
aus ihrem Mittel; daher ift alles das Gute, ſo er von dieſen orientaliſchen Ein⸗ ſiedlern aufzeichnet, gar nicht verdaͤchtig: und Böſes hat er ſich wohl gehuͤtet, zu ſchreiben. Die Ueberſetzung, der ich mich bediene, iſt etwas altmodiſch. Ich habe mie erlaubt, ſie ein wenig zuzuputzen, damit ſie des niedlichen Geſchmacks unſeres Jahrhunderts wuͤrdiger eee möge. — | Ich ſchlug auf. Auf dem za. Blatte
— die arabiſchen Geſchichtſchreiber zaͤhlen nur die Blaͤtter — ſchreibt er: nachdem der Berg Therbas, von dem dieſe Ein⸗ ſiedler ihren Namen fuͤhren, ſeit 2000. Jahren, da er auf Geheiß ihres Stifters aus der Erde aufgeſtiegen, unbewegt ge⸗ ſtanden, „hat in der 5. Nacht des Mon⸗ des If — nach ihrer geheimnißreichen Sprache — die Seite, die gegen das Meer ſieht, ſich zu neigen angefangen. Die frommen Therbiten waren verſammelt, ſich zu berathſchlagen, was ſie den öſtli⸗ chen Anwohnern ') des Berges heute er⸗
„) Anwobner mußte ich geben, wenn ich das Wort eben fo kurz und nachdrücklich überſe⸗ tzen
ohne Vorurtheil. 65
erzählen würden — Dieſe Landleute ka⸗ men ordentlich, wann die Sonne den Berg hinab war, bei ihnen zuſamm, brachten ihre Gaben mit ſich auf den Gipfel des Berges, wo dann wechſelweiſe einige der Bur- hin ) aufſtunden, und der Ver⸗ ſammlung durch eine Erzählung die Zeit vertrieben. Damals eben entſtund eine gefährliche Spaltung. Die alten Ther⸗ biten hatten bis itzt die ſeltſamſten Dinge erzaͤhlet, wobei die gutherzigen Leute be⸗ gierig den Mund aufgeſpreitet haben, aber immer ſo dumm zuruͤckgiengen, als ſie ge⸗ kommen waren. Pymora, ein Therbit von vieler Hoffnung, jung und munter, mit einer freyen Stirne, ſchwarzen fun⸗ kelnden Augen, einem ſtets ordentlich ge⸗ kaͤmmten Barte, beredtſam, wenn es je ein Therbit geweſen, und hauptſaͤchlich un⸗
tzen wollte, als es in der Urſchrift iſt. Der alte Ueberſetzer hat es durch eine Umſchrei— bung gegeben: aber man ſagt Inwohner ineola , warum nicht Anwohner accola ?
) So nennen ſich die Therbiten untere inan⸗ der; und wird vermuthlich Brüder in ihrer beſondern Sprahe heiſſen.
II. Theil. E
66 Der Mann
unerſchrocken, feine Meynung frey und nachdrücklich zu ſagen, ſtund bereits bei ſeinen Mitgenoſſen in einigem Anſehen. Dieſer Bymora hatte ſchon lange das ar⸗ me Landvolk bemitleidet, das ſeine Ge⸗ ſchenke dafür braͤchte, um eine ungereimte Fabel zu empfangen, als z. B. vom Ramele, auf deſſen Ruͤcken zehn tauſend Staͤdte er⸗ bauet waͤren, welche zu Grunde gehen wuͤr⸗ den, wenn dieſes Thier, das nun ſchlum⸗ merte, erwachen, und aufſpringen ſollte: oder vom Gürtel, den Dia ⸗ ben, der erſte Therbit, um den Erdballen gezo⸗ gen, als er durch eine Erſchuͤtterung einen gewaltigen Riß bekommen, und deſſen Knotten in der nördlichen Höhle dieſer Einoͤde, welche der Vorſteher bewohnet, zuſammgezogen wäre; daß es alſo in ſei⸗ ner Macht ſtuͤnde, woferne er den Knot⸗ ten aufloͤſete, die Erde in Millionmal millionen Trümmer zerfallen zu laſſen; welches Ungluͤck die beſorgten Thalinwoh⸗ ner durch manche Geſchenke abwenden muß⸗
ten: u. w. d. m. ») Er hatte bereits unter eis
„) Vielleicht erhält dieſes Stück einigen Werth,
wenigſtens eine mehrere Aufmerkſamkeit, wenn der
ohne Borurtheil. 67
einigen Vertrautern ſeiner Bruͤder etwas davon lauten laſſen, und ſeine Vorſtel⸗ lungen hatten Eindruck gemacht. Als nun Ryen⸗Thyan, der zweyhundert fünf und achtzigſte Großtherbit die Erzählung ab⸗ geleſen, welche morgen dem Volke gege⸗ ben werden ſollte, und die vollkommen im gewöhnlichen Geſchmacke war; da ſtund dieſer Neuerer auf, deſſen geheimer An⸗ hang ſchon gewaltig zu werden anfieng: er neigte ſich tief erſt gegen Ryen⸗Thyan, dann gegen alle Burhin, und ſprach: du Krone des Berges Therbas! aus deinem Munde quillt Honig der Weisheit, und deine Worte ſammeln die unfichtbaren Gei⸗ ſter, und verſetzen ſie an das Gewoͤlb des Himmels, daß ſie dort als Sterne leuchten uͤber den Erdboden. Aber du weißt es, jeder Bur- hin hat auch aus der Quelle geſchluͤrft, die dem Volke unten, verſchloſ⸗ ſen iſt. Ich will reden, was mich gut | E 2 daͤucht: der Leſer erinnert wird, es ſey im Jahre 1766. geſchrieben worden; und zu einer Zeit, da gegen den Neuerer ein saft voll heftigſten Beſchuldigungen bei. eingereicht worden. Die Füte der Taube und Sanftmuth des Lamm⸗ geſchlechts war gewiſſen Leuten bedeutend.
68 Der Mann
daͤucht: Höre mich! Das Volk, das taͤg⸗ lich ſeine Geſchenke am Eingange deiner Höhle niederlegt, das Volk, das von fei- ner Tiefe heraufklettert, auf dieſen ſpitzen Berg, willſt du da ſtets mit Maͤhrchen ſpeiſen? oder wird es der Quelle des Lichts nicht anſtaͤndiger ſeyn, einen Fun⸗ ken auch auf dieſe zu ſenden, die — ,
„Ryen⸗Thyan unterbrach feine Rede Verwegener! fiel er mit enbranntem Ange⸗ ſichte ein: du getrauſt dich, deinen heu⸗ tigen *) Rath auszuathmen, und fuͤrch⸗ teſt nicht —
5 Symora wollte es nicht zum Streite kommen laſſen: Du, ſprach er, in deſſen Herzen die Güte der Taube, auf deſſen Lippen die Sanftmuth des Lammge⸗ ſchlechts wohnet, ich denke nicht arges: ich lehne mich nicht gegen den auf, in deſſen Hand der Ring liegt, der die Welt zuſammhaͤlt. Das ſey ferne, daß ich die Grundfeſte erſchuͤttere, auf welcher die reine Verſammlung erbauet iſt. Aber, wenn ich reden darf, ſo unterrichte du
mich!
*) Das iſt ein orientaliſcher Ausdruck, ihm feine Jugend vorzuwerfen.
ohne Vorurtheil. 69
mich! warum erzaͤhlt man dem Volke ſo oft Dinge, die ungereimt find — „ „Ryen⸗Thyan: Koͤmmt es nicht, um nach der Arbeit ſich hier zu ergötzen 2 „ „ Kpymora : Allerdings, du Licht der Burhin! koͤmmt es darum. Aber koͤnnte dieſe Ergoͤtzung nicht auch in einer Erzaͤh⸗ lung von den herrlichen Beiſpielen, dei⸗ ner auf den Regenbogen verſetzten Vor— fahrer beſtehen? — koͤnnte ihnen nicht die Geſchichte eines Mohals ) erzählt wer⸗ den, der ſich begnuͤget, einem Reiſenden ſeine Kamele wegzunehmen, aber ihn nicht todt geſchlagen hat, und welcher um ſo groſſer Tugend willen, nach ſeinem Tode zu dem Amte verherrlichet worden, daß er deinen Vorfahren zur Bruͤcke dient, wann ſie des Abends von Sterne zu Sterne ſpa⸗ zieren gehen? oder die Geſchichte einer Nah theron, *) welche nur die fünf juͤngern Bruͤder zu Maͤnnern genommen, und als der ſechſte, der als Mohal in den benachbarten Gegenden gelebt, uach Hauſe E 3 kam,
) Ein Rauber.
0 Iſt ungefähr ſo ein Ausdruck, wie bei uns Lukretia.
0 Der Mann
kam, ihn nicht noch dazu heurathen woll te, ungeachtet er ſchon zwey und neun⸗ zig Jahre, und den ſchoͤnſten grauen Bart hatte? glaubſt du nicht, daß dieſe Erzaͤh⸗ lungen fie eben ſo ergoͤtzen würden? daß ſie nicht aufhoͤren wuͤrden, uns Gaben zu bringen? daß aber vielleicht dadurch meh⸗ rere fo tugendhafte Mohals und Nah⸗ therons unter ihnen entſtehen würden 2 „ „Die ganze Verſammlung der Ther⸗ biten theilte ſich bei dieſer Frage. Die Jungen fielen dem Bymora bei: die Al⸗ ten, die die Tage des Ryen⸗Thyan zaͤhl⸗ ten, und wenn er zu ſeinen Vorfahren verſcheiden wuͤrde, an ſeine Stelle zu kom⸗ men hofften, traten auf die Seite des Großtherbits. Zwar ſie ſahen wohl ein, daß Bymora nicht fo ganz unrecht hatte: aber, ſagten ſie, wenn die Thalinwohner einmal gewohnt ſind, ſolche Erzaͤhlungen zu hoͤren, ſo werden ſie immer dergleichen haben wollen: und die tugendhaften Mo⸗ hals, die nur Kamele wegnehmen, nicht auch todtſchlagen, und die Nah therons, die mit fünf Männern ſich begnuͤgen, find gleichwohl nicht ſo haͤufig, daß man taͤg⸗ lich davon Beiſpiele anfuͤhren koͤnnte. Auch iſt
ohne Vorurtheil. 71
iſt es ſo leicht nicht, Muſter der Tu⸗ genden aus zudenken — Aber Erzählungen, wie bis itzt, die werden wohl auch wir zuwege bringen: denn, wenn wir verlegen ſeyn ſollten, ſo ſteht uns das ganze Reich der Wunderwerke und Erdichtung zu Ge⸗ bot: wir bringen eine Huͤlfe vom Geſtirne, oder laſſen ſie aus der Erde aufſteigen, das koſtet keinen Kopf, nur Worte. „Und einige unter ihnen, die von Pymorans Anhängern belauſcht wurden, ſagten unter ſich: wenn das Volk viele ſol⸗ che Geſchichten hörte, fo wuͤrde es anfan⸗ gen zu denken: und da wuͤrden — — „ „Eben unter dieſen Reden kreiſchte der Berg, und die ganze Verſammlung gerieth in Schrecken, und fuͤrchtete den Einſturz des Therbas. Aber, als er nicht einſtuͤrzte, und ſich das erſte Schrecken ges leget hatte, da ſchrie Ryen⸗Thyan: des Berges Spitze hat ſich gekruͤmmet, um die Rotte der Bymoraner in das Meer aug- zuſchuͤtten; aber die Bymoraner ſchrien: er droht dem Ryen⸗Thyan, der die Hier war das ſehr alte Buch von Motten zerfreſſen, daß man nicht weiter leſen konn⸗ ke. „ E. 4 Und
72 Der Mann
Und mein Capa⸗kaum hub einigemale zu gaͤhnen an: woraus ich für die Her⸗ ſtellung deſſelben gute Hoffnung ſchoͤpfte, weil ich mit dem Scherze den Schluß machte: | Wer gähnt, der wacht.
XI.
10 O Freund! wenn Sie ihren Schuͤler zu einer Beſchaͤftigung beſtimmen; wenn Sie ihn, irgend ein Amt, irgend ein Brod verſchaffen wollen; o! ſo laſſen Sie ſich nicht durch den Strom dahin reiſſen, ihn einem von den Dienſten anzuhaͤften, die fo ſehr der Wunſch derjenigen. find, die ein Wort, ein Namen, ein gewiſſes Auſſenwerk des vorzugs blendet. Wie gerne wollten wir ihnen alles das uͤber⸗ laſſen! wie zufrieden wollten wir unſre Tafel, mit dem Mittagsbrode des Tag⸗ loͤhners, dem Hunger ſeine Speiſe wuͤr⸗ zet, unſre Kleidung, mit ſeinem Küttel, der ihm zureicht, unſre Kutſche mit ſeinen gefunden Fuͤſſen vertauſchen! Ich ver— ſchlinge meine Speiſen, ohne ſie zu ſchme⸗ cken, und eile zu der meiner wartenden Ar⸗
ohne Vorurtheil. 73
Arbeit. Ich muß mich den Umarmungen meiner Familie entreiſſen, um die Raths⸗ ſitzung nicht zu verſaͤumen; und werde meinem Haufe fremde. Ich darf den Be— ſuch des werthgeſchaͤtzten Freundes nicht annehmen: meine Augenblicke ſind zuge⸗ zaͤhlet: der Morgen, der Arbeit: dann uͤberlaufen mich entweder Ungluͤckliche, ge⸗ gen die ich mich von Amtes wegen ver=- haͤrten muß; und mein Auge haͤlt kaum die Thraͤne zuruͤcke; oder unbillige haſtige Menſchen, die mich durch ihrige Foderun— gen ſchimpfen, weil ſie mich fuͤr den Mann anſehen, der ihnen zu willfahren, faͤhig ſeyn wird. Nun ruft mich der Rath. Dem frohen Arbeiter läutet die Mittags- glocke Erholung herbei; mir zeigt ſie wie eine Meilenſckule kaum die Hälfte meines Weges. Wann ich gluͤcklich bin, ſo faͤhrt mich eine mit vielen Paͤcken beladene Kut⸗ ſche um zwey Uhr nach Hauſe. Schriften begleiten mich an die Tafel: ich hoͤre die ermunterenden Unterredungen nicht; ich weis kaum, wer neben mir ſitzet; meine Hand fuͤhrt den unſchmackhaften Biſſen zum Munde, mein Auge iſt in dem vor mir offenen Papiere, meine Gedanken ſind E 5 bei
74 Der Mann
bei meinen Gefchäften — Ich kann das Ende der Tafel nicht abwarten : mein Praͤ⸗ ſident will mich ſprechen: ich fliege zu ihm. Nur ſpaͤt erſt entlaͤßt er mich; entläßt mich mit zehn neuen Auftraͤgen beladen, gleich als wartete nicht ſchon eine ungeheure Laſt meiner zu Hauſe. Itzt, will ich anders meine Pflicht beobachten, will ich Gekraͤnk⸗ ten ihre Rechte nicht vorenthalten, will ich Ehre erndten; ſo muß die Mitternacht mein Aug nicht ſchlieſſen: ich habe noch dieß, und noch das, und — Doch der Schlaf uͤberwaͤltiget mich; ich traͤume eonclufa, Vorträge: mein Schlaf iſt un⸗ ruhige, ſorgenvoll, und nach wenigen Stunden erwache ich, eben den Kreis von Verrichtungen wieder abzulaufen, nie mein eigen, ſtets ein Knecht der Geſchaͤfte, ſtets dem Eigenſinne eines Obern ausgeſetzt zu ſeyn. u f
„Aber halten Sie nun auch die Be- lohnungen dagegen, die mich fuͤr alles die⸗ ſes ſchadlos halten ſollen. Ein prächtig klingender Titel! ein ſtarker Gehalt! Dieſer Titel iſt ein Schall, ſeitdem er von fo vielen geſchaͤndet worden, die ihn ge—
fuͤhret haben! dieſer Titel iſt eine Laſt, feit>
ohne Vorurtheil. 75
ſeitdem er zu einem Regulativ des Auf⸗ wands geworden, das den Unterhalt ei⸗ ner Familie theurer, die Erziehung mei⸗ ner Kinder koſtbarer, und eben darum verderbter, das ihre kuͤnftige Verſorgung ſchwerer gemacht hat. Dieſer Titel er⸗ theilt nur den traurigen Vorzug, ſich von Standes wegen zu Grunde zu richten — Und der Gehalt! Es iſt wahr, vier tau⸗ ſend Gulden! ein Wort, das groß klingt. Aber der Tagloͤhner, der fuͤnf Groſchen durch ſeine Arme erwirbt, und nur drey verzehret, iſt er nicht reicher, als ich, den die Tyranney des Vorurtheils, unter dem Namen Wohlſtand einem Aufwande von eben ſo viel, wann es noch gluͤcklich geht, unterwirft? — Vier tauſend Gul⸗ den! aber eine Frau, die ich nicht betruͤ⸗ ben will, daß ich ihr dasjenige verſage, was alle Weiber ihres Standes haben, welche Ausgaben! aber Kinder, die mei: nen Namen tragen, was fodern die! aber ich ſelbſt, was muß ich nicht, mit widerſtrebender Hand dem Joche der Mei⸗ nungen aufopfern! „
„ Gewiß! mein Freund! wenn der rechtſchaffene Mann nicht die Verguͤtung
ſei⸗
76 Der Mann
feiner Mühe in dem Beifalle feines eigenen Herzens faͤnde; wenn nicht ſchon das ein Vergnuͤgen waͤre, der Geſellſchaft, deſſen Mitglied man iſt, zu dienen; die Gelegen- heit zu haben, Ungluͤckliche zu vertheidi⸗ gen; wenn es nicht ſchon ein Vergnuͤgen waͤre, ſeine erkannte Pflicht zu erfuͤllen; und wenn fuͤr den unrechtſchaffenen Mann nicht der Gewinnſt der Ungerechtigkeit ei⸗ ne Lockung waͤre; ich zweifle ſehr, ob der Staat zu dieſen Aemtern, nach denen ſo ſehr geſtrebt wird, um die man uns beneidet, weil man, wie jenes Süllen bei Gellerten
Den blanken Jaum für eine Würde
Der zugerittnen pferde halt, ob, ſage ich, der Staat zu dieſen Aemtern nicht durch Befehle, durch oft wiederholte Befehle rufen, zwingen muͤßte. Da Sie den Adel mit der Freymüthigkeit, die ſo ſelten, und eben darum ſo ſchaͤtzbar iſt, betrachtet haben; ſo wird die Reihe ohne Zweifel an uns kommen. Ich habe ihren Betrachtungen uͤber die ſogenannten ge⸗ lehrten Dienſte durch dieſes Schreiben eine Art von Einleitung geben wolleu, und
obne Vorurtheil. 77
und erwarte eine Ausfuͤhrung, wie wir von Ihnen zu leſen gewohnt find — „ „Wenn der Verfaſſer dieſer Blaͤtter der iſt, den man dafür hält; wie gluͤck⸗ lich iſt er! Von allem andern, als von ſeiner Pflicht, unabhaͤngig, ruft ihn ſeine Stunde zu einer der angenehmſten Be— ſchaͤftigungen. Wenn er eintritt, umgiebt ihn ein Kreis liebender ... ler, die von ſeinem Munde begierig jedes Wort ſammeln. Seine Berufsarbeit iſt Freude und Ergoͤtzung. Er bildet ... Aber ich darf keinen Strich mehr machen, wenn ich nicht eben ſo viel thun wollte, als ihren Namen herſetzen. Hat Ihnen Na- tur, oder Betrachtung den Vortheil ver- ſchafft, daß Sie auream mediocritatem lieben, daß Sie den guͤldnen Mittelſtand zu ſchaͤtzen wiſſen, der nach dem Wunſche des Weiſen, gleich ferne von Armuth und Reichthum iſt; dabei man nicht im Ue⸗ berfluſſe ſchwimmet, aber auch, wenn die Thraͤne eines Elenden unſer Mitleid auffo- dert, nicht ſeufzen darf, daß man dieſe Thraͤne abzutrocknen, nicht das Vermoͤgen hat: daß Sie ihren Stolz mit dem Ruhme eines rechtſchaffenen Mannes, eines Men⸗
78 Der Mann
Menfchenfreundes befriedigen, wer kann ſich ruͤhmen, aus der Hand der Vorſicht mehr zu feinem Gluͤcke empfangen zu ha⸗ ben? Ich bin, u. ſ. w. „ 5
ö ide: SR
Dieſes Schreiben hat mich gegen fei- nen Verfaſſer mit wahrer Ehrerbietigkeit erfuͤllet. Die ſchaͤtzbarſten Merkmale ei⸗ nes fuͤhlbaren Herzens, einer ſeltnen Recht⸗ ſchaffenheit, eines von nichts getaͤuſchten Selbſtkenntniſſes! Warum muß zur Voll⸗ endung des vollkommenen Gemaͤldes noch die edle Dreiſtigkeit abgehen, ſich uͤber das Vorurtheil ſeiner Standesgenoſſen hinweg⸗ zuſetzen, und einen beſchwerenden Auf- wand einzuſchraͤnken! — Soll es ihm dann an Gruͤnden fehlen, ſein Betragen zu recht⸗ fertigen? oder, wird ein Mann von ſeiner Denkungsart ſich zu rechtfertigen haben? wird nicht eher das ſeinige fuͤr andre eine Richtſchnur werden?
Im naͤchſten Blatte will ich die mir vorgeſchlagene Materie nach meiner Weiſe behandeln: und im folgenden diejenige, die mir von ihm gleichſam wider Willen an die Hand gegeben worden, und fuͤr die⸗
ſe
ohne Borurtheil. 79
fe verſchwenderiſche Stadt, wo die Pracht auf das hoͤchſte getrieben wird, gemein⸗ nuͤtzig iſt.
Ich kuͤndige dieſe Betrachtuug mit gu⸗ ten Vorbedacht vorher an. Weil ich bei derſelben Beiſpiele anfuͤhren muß; ſo will ich einigen beruͤchtigten Verſchwendern die kurze Friſt laſſen, ſich einzuſchraͤnken. Thun fie es nach dieſer Warnung nicht, fo ſey ihre Schande uͤber ſie und uͤber ihre Kinder! wenn jedermann ſie mit Fingern zeigen, und ausrufen wird: der iſt es, der im Manne ohne wenne ge⸗ ſchildert iſt.
Ich kuͤndige dieſes beſonders ie gerren ... an, die mit prächtigen Zü⸗ gen herumfahren, ihre armen Frauen zu Hauſe aber mit aller Noth kaͤmpfen, und den Anlauf ungeſtuͤmer Schuldner aus: halten laſſen: gewiſſen gerren, an deren Finger ich ungeheure Brillianten geſe⸗ hen habe, deren Ankauf ſie genoͤthiget, wenigſtens auf drey Jahre ihre Einkuͤnfte vorhinein zu verſchreiben: gewiſſen Herz ren, in deren Häufern ich boiſirte Zim- mer mit praͤchtigem verguͤldeten Schnitz⸗ werke, und fuͤrſtliches Hausgeraͤth wahr⸗
ge⸗
/
80 Der Mann
genommen, und nach eingezogener Erkun⸗ digung, gehoͤret habe, daß ſie ihrem Haus⸗ geſinde vier und fünfjährigen Lohn ſchul⸗ dig find: gewiſſen Zerren, die täglich für ſechs oder acht Fremde offene Tafel halten, aber zu deren Beſtreitung ihre Gattinn die Kleider verpfaͤnden muß, welches ſie nun, unter Beguͤnſtigung der Hoftrauer unbe⸗ merkt thun konnte. Ich kuͤndige dieſes auch gewiſſen Frauen an, die durchaus für zehntauſend Gulden Juwelen haben mußten, ohne zu uͤberdenken, daß fuͤnf⸗ hundert Gulden jaͤhrige Zinſe davon weit beſſer zu einer Mitgabe für ihre Toͤchter haͤtten hingelegt werden koͤnnen: gewiſſen Frauen, die ein Treſſet, welches geringer als einen Dukaten geſpielt wird, ein Bet⸗ telſpiel nennen; da, nach einer genauen Berechnung, doch die taͤgliche Einnahme ihrer Männer nur fünf Gulden ausmachet: gewiſſen Srauen, die durchaus Namer⸗ jungfern haben mußten, da fie nur erſt vor fünf Jahren ſelbſt Kindermaͤgde ge⸗ weſen; gewiſſen Srauen, die ſich jährlich mit nicht weniger als zwey Kleidern fuͤr jede Saiſon begnuͤgen, deren zwey Kinder aber miteinander nicht mehr als ſieben Hem⸗
ohne Borurtheil, 81
Hemde von der groͤbſten Leinwand anzu⸗ ziehen haben; gewiſſe Frauen, deren Männer ſich den Hausfrieden mit Pferd und Rutſche erkaufen, und nun das Recht der Partheyen feilbieten muͤſſen, um die fuͤnfhundert Gulden wieder hereinzubrin— gen.
Allen dieſen und ihres gleichen kuͤndige ich es an: woferne ich in baldem nicht augenſcheinliche Beweiſe ihres Selbſter— kenntniſſes habe, ſie, wie einen ſichern andern jungen Verſchwender, — der, weil er nicht Herz genug hat, ſich zu beſe ſern, ſo verwegen iſt, zu drohen — dem Gelaͤchter der ganzen Stadt preis zu ge⸗ ben.
Sie, und ihres gleichen moͤgen ſich den Tag aufzeichnen! Wenn ich nun von heute über acht Tage bei jemanden eine Rutſche ſehe, der nur 3000 Gulden Einkuͤnfte hat und beſonders Fine lafirte Kutſche; oder einen brilliantnen Ring an dem Finger eines Mannes von 2000; oder Juwelen bei einer Frau, die nicht wenigſtens vom mittleren Adel iſt, und deren Gemahl 15000 jaͤhrliches Einkommen hat, ohne dazu noch etwas darauf ſchuldig zu ſeyn;
II. Theil. F ſo
82 Der Mann
fo ſoll er ſich fo leibhaft in dieſem Blatte da erblicken, daß ihm ſeine eigene Geſtalt in einem Spiegel nicht leibhafter aͤhnlich ſeyn kann. |
XII. Re
ch bitte meine Leſer um Rath, wie fol ich mich bei folgendem Schreiben verhal⸗ ten, das mir von einem Unbekannten in das Haus gebracht, und mit einer eben fo trotzigen Mine, als der Inhalt iſt, be⸗ haͤndiget worden? |
* Herr Wochenblaͤttner! Wo bei allen T. .. nehmen Sie die Unverſchaͤmtheit her, jede Woche zweymal uns ſo beleidi⸗ gendes Zeug ins Geſicht zu ſagen? Sind
ie, wenigſtens ein Vorfechter, daß Sie
ch gegen die Anfälle, die Ihnen unmoͤg⸗ lich ausbleiben koͤnnen, zu vertheidigen getrauen? — Haben Sie es aufgegeben, in irgend einem Hauſe Zutritt zu haben? Denn, wahrhaftig, wer wird einen Men— ſchen itzt uͤber ſeine Schwelle laſſen, der
aus keiner andern Urſache koͤmmt, als | aus:
ohne Vor urtheil. 83
auszuſpaͤhen » — Aber ich will im ern⸗ ſten Tone mit Ihnen reden. „
„Wiſſen Sie, daß Sie alle Welt bes leidigen, ohne jemanden zu beſſern? Das iſt der Ton nicht, der in unſre Herzen dringt, der uns zum Selbſterkenntniſſe noͤthiget, der uns unſre Ruͤckkehr ange⸗ nehm machet. Es iſt wahr, Sie treten dem Laſter mit Freyheit unter die Augen; Sie beiſſen ſich gar nicht in die Lippen bei dem Laͤcherlichen; Sie lachen ihm ge⸗ rade zu ins Geſicht! gut! was iſt die Folge? Wollen Sie mirs glauben, wenn ich es Ihnen ſage? „
„9m ſchuͤttelte nicht vor langem i in mei⸗ ner Gegenwart ein Mann von einigem An⸗ ſehen das Haupt! das iſt zu weit gegan⸗ gen: man muß dieſem dreiſten Pur- ſchen das handwerk legen — Wie Yrufte die Frau! wer hat ihn zum Richter unſrer gandlungen geſetzt y wer hat ihn dazu befreyet, mit wöchentlichen Be⸗ ſchimpfungen einen gandel zu treiben Y wenn ſich der Menſch wenigſtens er⸗ innerte, daß er ſich Seinde macht — Seinde » fiel eine andre ein: o nein! die macht er ſich nicht. Das wäre zu viel
J 2 Eh⸗
84 Der Mann
Ehre: man läßt ihn fchwägen ! Der gute Sittenrichter! Wie lange iſt es, mein Sohn ! daß ihr zuſamm noch in die Schule gienget e — Vier oder fünf Jahre, gnädige Frau! antwortete dieſer — Nun, ſehen Sie, fuhr ſie fort, ſo einen neuen, nagelneuen Menſchen würde man zu wichtig machen, wenn man ihn im Ernſte der Ehre würdigte, über ihn zu zürnen. Man muß ihn unbemerkt dahinſchleichen laſſen! Ich wette, wenn der junge Menſch ein paar Tage nichts von feinen albernen Blat⸗ tern ſchwaͤtzen hört — denn, er ſchreibt doch nur, um Aufſehen zu machen er geht hin, ſetzt ſich in eine Ecke ſei⸗ ner Rauchſtube, ſingt fein Schwanen lied, und ſtirbt. „
„Sehen Sie, das find die Unterre⸗ dungen, die man uͤber Sie haͤlt. Aber ich habe auch einige von ganz anderm In⸗ halte gehört. Ich habe gehoͤrt, wie man ſich zuſammgeſchworen: Ihnen für eine gewiſſe ſehr beziehende Anſpielung den Kopf entzwey zu ſchlagen. Ich habe gehoͤrt, wie man ſich Zeit und Stunde beſtimmet, Sie des Abends mit einer
Trache
ohne Borurtheil, 85
Tracht Schläge nach gauſe zu ſchicken. Ich habe gehört, wie man überein gekom⸗ men: weil Sie ſelten zu Nacht auſſer Baufe wären, in ihrem Haufe ſelbſt ei⸗ nen Beſuch abzuſtatten, der Ihnen nicht angenehm ſeyn dürfte: und was fonft habe ich nicht gehoͤret? „ „Ueberlegen Sie alles das einmal, ehe Sie die verſprochenen ) Materien ber handeln! Denken Sie den Schwarm, den Sie aufs neue gegen ſich empoͤren! Und wenn Sie ſich etwa eine Gewiſſensſache daraus machen, von einer Sache zu ſchwei⸗ gen, uͤber welche Sie ihr ſchriftſtelleriſches Ehrenwort von ſich gegeben haben; ſo ſeyn Sie wenigſtens behutſam! fo ſeyn Sie we- nigſtens nicht ſo beiſſend! ſo huͤten Sie ſich wenigſtens, perſoͤnlich zu werden! „ „Ich rede in der That mit Ihnen eine Sprache, die mir ſonſt nicht eigen iſt: ich ermahne, und mein eigentlicher Ton iſt, drohen. Ich bin ein Offizier, der ſeine Klinge fuͤhret, der geſchwind warm vor der Stirne wird, der — Aber was geht das alles Sie an. Nach den Grundſaͤtzen mei⸗ nes Standes muß ich mich ſchlagen, ohne zu ) XI. Blatte.
—
86 Der Mann
zu drohen: und nach den Grundſaͤtzen ih⸗ res Standes, duͤrfen Sie laufen, ohne ſich zu beſchimpfen. Doch nehmen Sie ſich in Acht! ich warne Sie, warne Sie mit gutem Vorbedachte, warne Sie, da die Gefahr nahe, da der Arm ſchon auf⸗ gehoben iſt, der auf Sie donnern ſoll! „,
„ Don wem» das dürfen Sie eben nicht wiſſen. Aber denken Sie an ihr letz⸗ tes: ich kuͤndige dieſes gewiſſen ger⸗ ren . . . an. Unter dieſen gewiſſen gerren ſind einige ſehr gewiſſe, die es nicht gerne ſehen, daß man ſie ſo leibhaft ſchildert, und die den ungebettenen Portraitmaler, der ſo gut iſt, ſie mit einer Narrenkape auf dem Markte auszuſetzen, ſeine Muͤhe übel lohnen wuͤrden. — Damit fie gar nicht an der Zuverlaͤſſigkeit zweifeln duͤr⸗ fen, ſo will ich Ihnen bekennen, daß ich ſelbſt einer der Mitverſchwornen bin: nicht zwar, als ob ich meine Rutſche, oder Brillianten ungerne verlierte: dem Himmel ſeys Dank! wir Leute von Sortun ſind mit ſolchem Geraͤthe nicht beſchweret: aber die offene Tafel von 6 oder 8 Srem⸗ den, die verliert man ungerne; und ich will nur erwarten, ob Sie es wagen wer⸗
den,
ohne Borurtheil. 87
den, dieſe Saite zu berühren — Thun Sie es, wehe Ihnen, der Werkzeug ihrer Bes ſtrafung liegt hier vor mir, „
dem H.. ruck
Herr H.. . ruck iſt der einzige, der mir nach der Offenherzigkeit ſeiner gewaͤhl⸗ ten Lebensart Vorwuͤrfe machet, aber er iſt nicht der einzige, dem meine Betrach—⸗ tungen ungelegen ſind. Die Antwort, die ich ihm geben werde, gebe ich zugleich al⸗ len, die uͤber dieſen Punkt, wie er, den⸗ ken. Damit man mir nicht etwan die Une terlaſſung der üblichen Foͤrmlichkeiten vor- werfe, will ich ſie ebenfalls in einen Brief einkleiden, dieſe Antwort.
Hochzuehrender Herr H...
Wir leben hier unter dem Schutze der oͤffentlichen Wachſamkeit ſo ſicher, daß man alle Drohungen einer perſoͤnlichen Beleidi— gung mit kaltem Gebluͤte anhoͤren darf. Ich ſchlafe in dem Schooſſe der Ruhe, nicht aus Zuverſicht auf meine Sechtlek⸗ tionen — ob ich vielleicht auch von dieſer Seite einige Zuverſicht werfen duͤrfte — ſondern auf die Geſetze. Die Furcht alſo 5 4 wird
se Der Mann
wird mich nicht von meinem Wege wedet zur Rechten noch zur Linken abweichen machen.
Aber ich ſehe es als eine Pflicht an, meinen Befreyungsbrief aufzuzeigen, uͤber Laſter, über Thorheiten, auch über Un⸗ gereimtheiten zu eifern. Ich bin ein Bürger. Der Vorwurf der Jugend iſt mir ſchon ſeit mehreren Jahren her ges macht worden. Alſo kann er heute nicht mehr dieſelbe Kraft haben. Die Welt iſt in der That hoͤchſt widerſinnig, hoͤchſt un⸗ gerecht. Maͤdchen will man nach einigen Jahren nich jung ſeyn, und mich nie dlter werden laſſen.
Jedoch jung v oder alt koͤmmt es bei Schriften darauf an, wer ſie ſagt? oder darauf, was man ſagt? wird eine Luͤge zur Wahrheit, wenn ſie eine zitternde Hand des Greiſen niederſchreibt? wird eine Wahrheit Luͤge, die aus dem Kiele eines Mannes von den munteren Jahren fließt? — Gnaͤdige Frau! ich rechne mirs zur Ehre an, noch vor wenigen Jahren auf der hieſigen hohen Schule der Schul: gefaͤhrte ihres Sohnes geweſen zu ſeyn! Hund ich wuͤnſche, daß es ihm nicht zur Schan⸗
ohne Vorurtheil. 89
Schande gereiche, der meinige geweſen zu ſeyn!
Die Befreyung, zu ſchimpfen, wie Sie es nennen, ruͤhrt daher, daß man Laſter, Thorheiten, Ungereimtheiten ausübet. Alles Lächerliche, fo ich ſage, liegt gar nicht in dem Worte, es liegt in der Sache: und die kömmt nicht von mir her; die wird mir angeboten. Es iſt nur ein ein⸗ ziger, aber gar nicht ſchwerer Weg, mir das gandwerk zu legen. Man laſſe mirs am Stoffe fehlen; und ich will meine muͤſſige Feder in dem Tempel der Tugend aufhängen , und darüber die Auffchrift feßen:
Sie ſtrafte die Thoren, da fie waren.
Aber, wann wird die Welt ſo gluͤcklich ſeyn, mir auf ſolche Art den Kiel aus Haͤnden zu reiſſen? Und dennoch, iſt es nicht die unverſchaͤmtſte Foderung des Las ſterhaften, des Thoren, daß er die Frey— heit haben fol, zu thun, was mir unter: ſagt ſeyn ſoll, zu ſagen.
Sollen mich aber die Seindͤſchaften abſchrecken? welche Foderung? wer ſind fie dieſe Feinde? gewiß nicht die vereh⸗ rungswuͤrdigen Tugendhaften, denen ich
8 5 zu
90 Der Mann
zu jeder Stunde eine Lobrede zu halten bereit bin, gewiß keine Tirine. Die ſind es, denen meine kuͤhne Hand die Larve abreißt! Und, o Sie koͤnnen nicht meine Feinde werden: ich war nie ihr Sreund: und nie werde ich es ſeyn.
Welche Haufer werden mir verſchloſſen ſeyn? die, die ihrer Fehler ſich bewußt, das Aug eines Scharfſehenden ſcheuen, die vor dem rauſchenden Blatte zittern, die fürchten muͤſſen, zur Lehre der Wohl⸗ geſitteten, zur Beſchaͤmung der Untugend aufgeſtellet zu werden: ſolche Haͤuſer al⸗ lein, die die Unordnungen, welche darin herrſchen, verborgen zu halten, Urſache haben, dieſe allein werden mir den Ein⸗ tritt verſagen —
Und nun, nach dieſer Betrachtung laſſe ich mich ankuͤndigen: wer iſt es, der, ſo ſehr feiner Ehre uneingedenk, es waget, mich auszuſchlüſſen v
Sie ſehen mein Herr! ich habe Gruͤnde fuͤr mich: und habe mehrere; aber ich darf fie nicht erſt anführen. Der dem Prediger das Recht ertheilet, das Laſter zu beſtrafen, der dem Schauſpieler das Recht ertheilet, den Laͤcherlichen eg der
B —
ohne Vorurtheil. 91
Buͤhne zu kopiren, der giebt mir das Recht zu ſagen: der Thor iſt Thor. De⸗ ſto übler für jeden, der ſich fuͤhlet, und ſagen muß: der Thor bin ich.
XIII.
F ee begleitete mich dieſer Tagen zu dem geſchickten Herrn Pergauer ), und ſah einige von den vortreflichen Uhren dieſes Kuͤnſtlers, die es mit allen franzö⸗ ſiſchen und engliſchen aufnehmen koͤnnen. Er bewunderte die Erfindung dieſer Zeit⸗ meſſer, die in die Ordnung, welche in unſern Geſellſchaften herrſchet, fo grof- ſen Einfluß haben; er betrachtete den Mann, deſſen Hand ſie erſchafft, mit ei⸗ nem tiefen Stillſchweigen, und einer Art von Ehrerbietung. Als wir von ihm Ab⸗ ſchied genommen, fo war feine erſte Fra⸗ ge: dieſer verdienſtvolle Künftler müſſe | oh⸗ ) Johann Michael Pergauer , Kleinuhrma⸗ cher in der Kärntnerſtraſſe bei dem Schwan. Dieſer verdienſtvolle Bürger, hätte in Lon⸗ don gebohren werden, und weniger Geſchick⸗ lichkeit beſitzen ſollen, damit Wien ſeinen Werken Gerechtigkeit wiederfahren lieſſe.
92 Der Mann
ohne Zweifel ſehr hoch geſchätzet wer⸗ dene — So hochgeſchaͤtzt, mein lieber Capa : kaum ! daß er vielleicht feinem Nachbarn, dem wahren Werthe nach, un⸗ bekannt iſt — Deſto übler, fuhr er fort, für dieſen Nachbarn, der ſich eines ſo
groſſen Vergnügens beraubet, fo viel es möglich, dieſem Manne zuzuſehen. Aber fchon feine Beſchaͤftigung / die fo viele Geſchicklichkeit erfodert, und in welcher, wie Sie ſagen, er ſich ſo ſehr unterſcheidet, macht ihn ohne Zweifel ſehr angeſehen — Seine Beſchaͤftigung mache ihn angeſehen? ſagte ich —
Wir hatten unfte Wohnung erreichet, und kaum trat ich uͤber die Schwelle, als ich eines von den Dekreten, die eben auf dem Tiſche lagen, ergriff, und ihm uͤber⸗ gab. Betrachte, fuhr ich nunmehr fort, dieſe ſchoͤne Hand! — Ich habe ſie ge⸗ ſehen: — und hiemit gab er ſie mir im Augenblicke zuruͤcke — Wie ? du konnteſt dich an Pergauers Uhren nicht ſatt ſehen: und dieſe ſchoͤne Hand! dieſe regelmaͤſſigen Zuͤge! ſieh — Sie ſchertzen! unterbrach er mich; ich habe auf zwoen Zeilen alle
24 Buchſtaben geſehen: und in den übri⸗
ohne Vorurtheil. 93
übrigen kommen immer dieſelben wie⸗ der — Nun, fragte ich, wer alſo aus beiden, wuͤrdeſt du waͤhlen, zu ſeyn? pergauer, oder der dieſes Blatt be⸗ ſchrieb e' — Er ſah mich verwundernd an — Meine Frage iſt Ernſt, fuhr ich fort — Mich daucht, verſetzte er, meine Wahl kann für meinen Sührer kein Räthſel ſeyn. Ich würde Pergauern fo in mei⸗ ner Wahl, wie in meiner Achtung den Vorzug geben.
Sehet, ihr Herren! die ihr, weil die Maſchine eurer Hand zu gewiſſen gleich⸗ förmigen Bewegungen eingerichtet iſt, bei denen ihr Verſtand, und alle Kenntniſſe entbehren koͤnnet, die ihr darum euch ſehr wichtige Menſchen duͤnket, die ihr einen Kuͤnſtler, deſſen Beſchaͤfftigung Nachden⸗ ken, Beurtheilung, Verbindung, und hundert vorlaͤufige Geſchicklichkeiten fodert, mit Geringſchaͤtzung anſchauet, ſeht! ſo urtheilet ein Menſch, der die unbillige Rangordnung nicht kennet, die das Vor⸗ urtheil unter uns eingefuͤhrrt hat, und welche feſtzuhalten, der Unwiſſenheit, zu ſehr daran liegt. Aber ich will mit meinen
Betrachtungen auffteigen. Der,
94 Der Mann
Der, welcher den Aufſatz eines ſolchen Dekrets gemacht, der wird ſich ohne Zwei⸗ fel ſehr beleidiget halten, wenn ich zwiſchen ihm, und einem Kuͤnſtler, der der Nation Ehre machet, Vergleichungen anſtelle. Ich bitte ihn um Vergebung! Ich werde es dennoch thun, und, wie ich voraus fehe, der Vortheil wird nicht auf ſeiner Seite ſeyn. Was iſt es, worauf er ſtolz, einen Vorzug fodern kann? — Ich ſinne nach, was er antworten koͤnnte; und ich geſtehe, ich finde es nicht. Seyn Sie offenherzig, meine Herren, und bekennen Sie, daß Sie es eben ſo wenig wiſſen! daß Sie nur den Vortheil annehmen, den ihnen der ein⸗ geadelte Irrthum anbietet! Dieſer Offen⸗ herzigkeit zu Liebe will ich nachſehend ſeyn. Woferne ſie aber ſich blaͤhen ſollten, ſo will ich ihre Aufbrauſung ſogleich zu Bo⸗ den ſchlagen, und ehe dieſes halb nieder- gebrannte Licht erliſcht, meinen Schuͤler zu einem SKoncipienten machen, der mit Beihuͤlfe des Sfterreichifchen Sekretärs, oder fonft eines guten Sormularbuche fein Handwerk wenigſtens eben ſo treflich, als Sie verſtehen ſoll.
‚Dies |
ohne Vorurtheil. 95
Dieſe unbillige Austheilung der Ach⸗ tung, des Vorzugs, und auch oft des Vortheils iſt für die Wohlfahrt der Ge: ſellſchaft nicht ſo gleichguͤltig, als es den Schein hat. Nach unſrer Erziehung wird der Stolz in den Jahren der Kindheit ſehr oft ein Triebwerk unſrer Handlungen, und in den Jahren unſrer Reife ein Triebwerk unſrer Entſchluͤſſungen. Wann ein Vater feinen Sohn zu einer kuͤnftigen Beſchaͤff— tigung beſtimmet; wenn der Juͤngling ſelbſt uͤber die Lebensart, die er ergreifen ſoll, zu Rath geht, der Inhalt ihrer Ueberle⸗ gung wird ungefaͤhr folgender ſeyn:
„Mein Sohn! wird der Vater ſpre— chen: die Jahre kommen heran, in welchen du den Grund legen ſollſt: ich habe deine Faͤhigkeit geprüft, du haft viele, du biſt ſie dem Vaterlande ſchuldig. Du haſt dei⸗ ne Schulen, deine Rechte: nun iſt es Zeit ſich die praftifchen Kenntniſſe zu erwerben. Ich habe mit ... geſprochen: er erlaubt dir bei ſich Zutritt, du wirft in kur⸗ zem mit ein wenig Anwendung im Stande ſeyn, auf eine Bedienung Anſpruch zu machen; und dieſe wird dir dann, bei un⸗ ſern
96 Der Mann
ſern Verbindungen, bei den Empfehlungen, die ich dir bereite, nicht fehlen. „ f Der Sohn wird, weil er Fahigkeit hat, von ſeinem Vater einem Dienſte ge⸗ widmet, wo er ſie zur Haͤlfte, wo er ſie vielleicht ganz entbehren kann. Dieſe Faͤ⸗ higkeit, die nun dem Staate unnütz, die fuͤr ihn verloren iſt, wuͤrde bei einer an⸗ dern Beſchaͤfftigung, bei der Handlung, bei einer Kunſt, bei einem Handwerke brauchbar, vortheilhaft geweſen ſeyn. „mein Sohn, zur Zgandlung! mein Sohn, zu einer Runft! zu einem gand- werke! mein Sohn, ein gandwerks⸗ mann! - „ Ja mein Herr! Sie find ver⸗ nuͤnftig: Sie haben es ſelbſt geſagt: ihr Sohn iſt feine Sähigkeit dem Staate ſchuldig. Glauben Sie, daß er dieſer Pflicht Genuͤge leiſte: wenn er ſich ver⸗ legt, ein von Ihro Röm. u. ſ. w. anzu⸗ fügen: immer mutatis mutandis ſchreiben zu koͤnnen. Ich ſehe da nicht, wozu ihm ſeine Faͤhigkeit nuͤtzen kann. Aber der Aem⸗ ſigkeit neue Wege oͤffnen, feinem Vater⸗ lande Reichthuͤmer erwerben, indem man die ſeinigen vergroͤſſert; durch Erfindungen
ſeinem Verſtande Ehre machen, die Wege der
ohne Vorurtheil. 97
der Erwerbung erweitern, u. d. g. das fodert die Faͤhigkeit, die Sie ihm zueignen, die Sie dem Vaterlande ſchuldig ſind. Dieſer Vater, der ſonſt vernuͤnftig ſprach, kann unmoͤglich meine Gründe nicht ein⸗ ſehen: er bekennt es, daß Vernunft und Gruͤnde auf meiner Seite ſtehen; aber, ſagt er: wollen Sie, daß ich meinen Sohn weg⸗ werfe, daß ich ihn gleichſam abwürdige *), daß ich es mit einer allgemein angenom⸗ menen Meinung aufnehme? der Wahn, wenn Sie ſo wollen, hat einmal dieſe Be⸗ ſchaͤfftigung erniedriget, und ich bin der Achtung meines Hauſes verpflichtet = = Die Vernunft aufzuopfern, werde ich fagen, und mich zu einem andern wenden, der mit feiner Familie berathſchlaͤgt , in welche Kanzley er ſeinen Sohn unterbringen koͤnne. Ich menge mich in ihre Unterredung — Warum wollen Sie dieſen Sohn das Gluͤck nicht goͤnnen, das Sie genieſſen? Sie ſind | reich,
„) Degradiren, weis ich nicht anders zu geben. Damals ſetzte ich die Anmerkung bei, weil
ich das Wort als neu vertheidigen wollte. Heute iſt es allgemein im Gange.
II. Theil. G
98 Der Mann
reich, Sie können jedem vernünftigen Wunſche ihres Herzens ein Genuͤgen lei⸗ ſten — Gut, unterbricht er mich, alles gut! ich bin reich, meine gandtbierung hat mich dazu gemacht; und was das anbelangt, ſo wird mein Sohn nie ſo glücklich ſeyn, als ich. Aber mein herr! es ſchmerzt, wenn man ſich bei allem feinen Reichthum verachtet ſteht. Ich will meinen Sohn wenigſtens dieſe Kränkung erſparen, ſich von Schreibern über die Schulter anſehen zu laſſen: er ſoll einer aus ihnen ſeyn! und hiemit verläßt er mich, ſchiebt feinen Sohn ir⸗ gend in eine Stelle ein, entzieht der gandlung, oder fonft einem anſehnlichen Zweige der Beſchaͤfftigung einen groſſen Fond, ber fie ſchwaͤchet, und in die all⸗ gemeine Nahrung nachtheilige Folgerun⸗ gen verbreitet.
So denkt auch der Knab, ſo bald er zu denken fähig iſt. Er ſieht dem Kuͤnſt⸗ ler, wenigſtens mit roher Art, er ſieht dem Handwerker mit Verachtung begeg⸗ nen: er glaubt, dieſes rohe Betragen, dieſe Verachtung ſey der beſchiedene An⸗
theil dieſer nuͤtzlichen Klaſſe der Buͤrger. Die⸗
ohne Vorurtheil. 99
Dieſe Meinung ſetzt ſich in ſeinem kleinen Herzen feſt, waͤchſt groͤſſer, wie er ſelbſt waͤchſt, und durch wiederholte Beiſpiele darin beſtaͤrkt wird.
Was willſt du werden frage ich den Knaben — nicht den Sohn eines Mannes, der eine anſehnliche Stelle bekleidet, nicht einmal eines Kuͤnſtlers; nein, den Sohn des gemeinſten Mannes — Ein gerr! ſagt der kleine Schwaͤtzer hochmuͤthig. Und wie willſt du es anſtellen, ein gerr zu werden? — Ich will ſtudiren, verſetzt er mir ſehr fertig. Die ſtudirten Leute werden alle Herren — Aber, verfolge ich, dein Vater, iſt der kein Zerr! — Nein! und man ſieht es deutlich, der kleine Uebermuͤthige blaͤht ſich bereits, und ſetzet ſich in ſeinem Gedanken bereits uͤber ſeinen Vater hinweg —
So ſind wir durch die unverſtellte Ant⸗ wort dieſes Kindes auf den Urſprung ge⸗ kommen, aus welchem das Vorurtheil abgeleitet werden kann. Die Hochachtung, die man gegen die Wiſſenſchaften hat, wird auch den Ständen eigen, zu denen dieſe Wiſſenſchaften gleichſam eine noth⸗ wendige Zubereitung ſeyn ſollten. Und
G 2 gleich
100 Der Mann
gleich als könnte die Achtung erſchöpfet werden, behält man ins gemein für die uͤbri⸗ gen Staͤnde nichts davon mehr uͤbrig — Sie ſehen, ſchaͤtzbare Leſer, ich dringe nur erſt tiefer in meine Materie ein. Aber es iſt wenig Raum mehr übrig , ich kann heute nicht vollenden. Ich will alſo mit zwo Zeilen einigen Korreſpondenten antworten, von deren Zuſchriften der In⸗ halt ſich aus meinen Antworten ganz leicht entnehmen laſſen wird.
Meine Frauen, und Herren!
4 Ich finde ihre Vorſtellungen gegrün⸗ det. Da kuͤnftig um einen guten Theil weniger Geſchmeide, und Ringe getragen, und nun ſo viele feilgeboten werden; ſo wuͤrden Sie zu ſehr zu Schaden kommen, wenn ich den eingeraumten Termin nicht überlegte. Ich gebe Ihnen alſo noch acht Tate länger Friſt, binnen welcher Zeit Sie ſich bemühen mögen, ihr über- fluͤſiges Prunkwerk anzuwerden. Dieſe Friſt wird auch denen zu ſtatten kommen, die Pferde und Wagen wegzugeben haben. Ich ſehe wohl ein, daß alle das Zeug in
verſteigerungen ziemlich wohlfeil wird hin⸗
ohne Vorurtheil. 101
hingegeben werden muͤſſen. Aber denken Sie, alles iſt Gewinn, was Sie fuͤr eine unnuͤtze Sache wieder erobern. Alſo be⸗ willige ich hiemit noch acht Tage; aber mit der Verſicherung, nachher keinen Auf-
ſchub, unter was immer fuͤr einem Vor⸗ wande es verlangt werde, einzugeſtehen. „ 5
XIV.
Das ſey ferne von mir, daß ich die Wiſſenſchaften ihres Ranges entſetzen, daß ich auf die Seite des zu ſtrengen Gegners aller Kenntniſſe treten, und die Menſchen zuruͤcke in die Wildniſſe, zuruͤcke zu den Eicheln fuͤhren wollte. Sie ſind die Fa⸗ keln der Welt; ſie hellen den Verſtand auf, machen das Herz und die Sitten ge⸗ ſchmeidig; und nur der Mißbrauch der ſelben, iſt, ſo wie der Mißbrauch aller Sachen, die reiche Quelle fo manchen Ue⸗ bels, das die Welt verheeret. Aber, weil ſich jemand mit Speiſen uͤberladen kann, ſollte man darum der Nahrung entfagen ?— Freuen Sie ſich nicht, meine Herren! freuen Sie ſie nicht vergebens! Nichts von dieſer kurzen Lobrede hat auf Sie eine Ber 63 zie⸗
102 Der Mann
ziehung. Der Namen, Wiſſenſchaft, Gelehrſamkeit iſt — vergeben Sie mir! ich kenne die gekünſtelten Ausdrucke nicht, die, um etwas nicht gerade zu ſagen, nichts ſagen — der Namen alſo der Ge⸗ lehrſamkeit und Wiſſenſchaften iſt ent⸗ ehret, wenn ein Menſch mit einem Bischen Latein, das die Stalljungen Cicerons beſſer geſprochen haben, mit einer Philo⸗ ſophie, wovon er nur ein Wortregiſter im Kopfe behalten hat, mit einem Rechte, wovon die Haͤlfte ganz nicht mehr brauch⸗ bar, die andre Haͤlfte ein Gewebe klei⸗ ner Raͤnke und Unterſcheidungen iſt, und mit einigen Sormularen, die er eben ſo⸗ wohl in ſeiner Taſche, als in ſeinem Kopfe behalten mag, wenn ein Menſch mit allen dieſen ſchoͤnen Ausruͤſtungen auf ſie einen Anſpruch machen zu koͤnnen, berechtiget ſeyn ſollte. Ein ſchoͤnes, liebenswuͤrdiges Maͤdchen, das die Ehrerbietung meines ganzen Geſchlechts verdienet, wird ſich ſehr beſchimpft halten, woferne ein Menſch, von einer in die Augen fallender Unwür⸗ digkeit ſich ihrer Gewogenheit oͤffentlich ruͤhmen, oder ſich mit in die Reihe ihrer hoffenden Verehrer ſtellen ſollte. Die Frau ſtoͤßt
ohne Vorurtheil. 103
ſtoͤßt ſie von ſich: tragen Sie ihre Wuͤn⸗ ſche zu der Magd, meine Herren! Sie werden weniger abgewieſen werden.
In den ſehr, ſehr entfernten Zeiten, da die Geſchaͤfte der Gerichtsſtelle durch einen Gerichtsſchreiber, und zween Schöppen verſehen wurden; wo die Prozeſſe noch für kein Gewerb, wo ſie fuͤr ein Uebel ange⸗ ſehen wurden, das man floh, ſo ſehr es ſich thun ließ; wo die Streitſucht noch nicht zu einem ond geworden, der feine Ein künfte ſicher abwirft; in den ent⸗ fernten Zeiten, wo die Kanzley des Fuͤr⸗ ſten, aus ihm ſelbſt, und ſeinem Geheim⸗ ſchreiber beſtund; wo man weniger ſchrieb, weil man deſto mehr handelte; in dieſen gewiß nicht ungluͤcklichen Zeiten, wo die Gerechtſame durch Redlichkeit und Treue, nicht durch ſchriftliche Kontrakte bewahret wurden, damals waren die Wiſſenſchaften eine nothwendige Vorbereitung in den Kanz⸗ leyen, damals auch war ein Schreiber des Rönigs ein verehrungswuͤrdiger Namen. Aber ſeit dem wir unſre Titulatur ſo ab⸗ gewürdiget haben, ſeit dem der Ehren⸗ veſte ein gochedelgebohrner, der Wohl: deſtrenge ein gochgebohrner, der Wohle
G84 edle
104 Der Mann
edle noch etwas darüber geworden, was ich nicht weis; ſeit dem die Geſtrengen zu Gnaden, die Gnaden zu Excellenzen aufgeſtiegen; ſeit dem der einmal unter uns ſo anſehnliche Namen eines Raths nicht die Bezeichnung des Amtes, ſondern ein Titel iſt, der dem Knaben als ein Schulpraͤmium, oder dem Maͤdchen zur Ausſtattung gegeben, oder wie Waare um Geld erkauft wird, und anſtatt des Ein⸗ tritts in die Rathsverſammlung, den Eintritt in den Reduttenfal oͤffnet; feit dem der Schreiber Sekretaͤr heißt; ſeit dem alle Würden ſo hoch emporgehoben worden, daß ſie ganz herabgeſetzt ſind, ſeit dem iſt es auch von dieſen nothwendigen Vorbereitungen abgekommen, ſeit dem Könnte man die Sefretäre vom Schreib⸗ meiſter, die Raͤthe⸗ === Aber meine Be⸗ trachtungen wuͤrden mich zu weit fuͤhren. Es iſt gewiß, daß der Stolz, der Vor⸗ zug, den ſich die Leute geben, die ihr Brod mit der Feder in der Hand verdienen, vor dem, der ſich ſolches mit dem Hobel, oder Meiſſel erwirbt, einzig und allein von da⸗ her koͤmmt, weil ſie ſich in die Klaſſe der Gelehrten zaͤhlen: und welche anſehn⸗
li:
ohne Vorurtheil. 105
liche Klaſſe iſt die Klaſſe der Gelehrten, wenn ſie in der That mit darunter ge⸗ hoͤren?
Aber meine Herren, kommen Sie mit mir beiſeite! wir wollen unter vier Augen ſprechen, damit Sie offenherzig ſeyn, und ſich nicht ſcheuen moͤgen! Nicht wahr, Sie haben darum die Parthey ergriffen, ſich auf die Feder zu verlegen, weil Sie zu bequem zu einer andern Arbeit ſind? nicht wahr, Sie haben fo, oder ungefähr fo mit ſich geſprochen, als die Nothwendig⸗ keit herannahte, ihren Hunger ſelbſt zu ſtillen, und ihre Bloͤſſe ſelbſt zu bedecken? Lerne ich ein gandwerk, fo muß ich fünf, oder ſieben Jahre hinbringen, ehe ich die Lehrjahre erſtrecket habe: dann muß ich arbeiten — Hier haben Sie ihre Haͤnde angeſehen, und die waren nicht abgehaͤrtet, und ihre Arme huben ſich träge, und fielen = durch- eigenes⸗Gewicht⸗ danieder — und doch iſt mein Lohn klein: der Morgen weckt mich zur Ar⸗ beit, der Tag geht im Schweiſſe des Angeſichts dahin, die Nacht wird im⸗ mer mir zu fpat einbrechen. Lerne ich eine Kunft, fo braucht es Uebung, Ge⸗
G5 ſchick⸗
106 Der Mann
ſchicklichkeit, Beurtheilung, ſo braucht es Sleiß und Bewerben: das alles, habe ich es v vielleicht nicht v und dann — o ich will von dem Fluche Adams fo wenig über mich nehmen, als ich kann. Ich will hingehen, und ſchreiben ler⸗ nen, und ſonſt die kleine Zugehör. Ich will dann einen Gönner erkriechen, da⸗ mit ich angeſtellet werde. Wenigſtens ſitze ich bei meiner Arbeit, ſitze im Schatten, kann mich ſatt und voll gaͤh⸗ nen, früh zu Bette gehen, fpdt auf⸗ ſtehen , und naͤhren, immer noch beffer, als der arbeitſamſte gandwerker, beſſer als der geſchickteſte Rünſtler, beſſer ale Sampach ), der den Bau des menſch⸗ lichen Körpers, die Antiken, die Per: ſpektiv, die Wirkungen des Schattens und Lichts, das Coſtum, die Geſchich⸗ te, die Natur unaufhörlich ſtudiret, und dem Staate Jöglinge gebildet, die einſt auf ſeinem Wege folgen können. So ) Profeſſor damals, itzt Direktor der hiſtori⸗ ſchen Zeichnung bei der Akademie der bilden⸗ den Klinke, ein nie genug zu belohender, und zu wenig bekannter Künſtler.
ohne Vorurtheil. tor
So waͤre alſo ihrem eigenen Geſtaͤnd⸗
niſſe nach die Leichtigkeit, die Bequem⸗ lichkeit der Beweggrund, dem Staate drey Singer bis in das Grab zu widmen, und ſich auch dafuͤr bis in das Grab füt⸗ tern zu laſſen. Gehen Sie immer! ich will es nicht ausſagen: aber mir haben
Sie nichts neues geſagt, ich habe das Triebwerk ihres Berufs 17580 ausfindig gemacht.
Die guten Leute! die Handwerker, die Landleute! o! ſagen ſie, die Kopfarbeit, die iſt ſchwer: ich will immer lieber meine zween Arme daran ſpannen, und mich den Tag uͤber plagen, als ſo mein Gehirn — Und die guten Herren, die dieſes hoͤren, wie ſehr lachen Sie uͤber den einfaͤltigen Irrthum des Volkes! ſie wiſſen es gar zu wohl, daß ihr Kopf hier uͤberfluͤſſig iſt; aber ſie werden ſich wohl huͤten es zu bekennen.
Weil ſich zu unſern Zeiten die Sederbe⸗ dienungen, wie die Abgaben, die Abga⸗ ben, wie die Schulden, die Schulden, wie die Kriege, die Kriege, wie das Unrecht, das Unrecht wie das menſchliche Geſchlecht vermehret haben; und weil es einmal ein⸗
ge⸗
108 Der Mann
gealteter Wahn iſt, daß man zu dieſen Bedienungen zu gelangen, in die Schule gehen muͤſſe; und weil dieſe Sederbedie- nungen noch dazu eine Art von Vorzug und Anſehen an ſich reiſſen, und der Ehr⸗ geiz, wie der Ehebruch ſich auch in die Strohhuͤtte eingeſchlichen hat; ſo ſchickt der elendeſte Huͤttler ſeinen Jungen nach der Stadt. Da muß er lernen; und das erſte, was er lernet, iſt, daß er die Ar⸗ beitſamkeit verlernet. In dem Schatten der Schule entwoͤhnt er die Sonne und Hitze; ohne Uebung verlieren ſeine Arme die ſtarke Spannung, ſeine übrigen Glied⸗ maſſen die Gelenkſamkeit; ohne anhalten: de Beſchaͤftigung gewoͤhnt er das Muͤſſig⸗ gehen. Er, der von geſunden Aeltern gebohren, an der Bruſt ſeiner Mutter Staͤrke eingeſogen, durch die erſten War⸗ tungen nicht verzaͤrtelt worden, er verliert hier auf der Schulbank dieſe Vortheile, wird ein Weichling; und wann er ſeine Aeltern beſucht, die uͤber einige lateiniſche Woͤrter vor Freuden den Mund offen hal⸗ ten, die ſie ſo wenig als der Jung ver⸗ ftehen, da kann er nicht in der Sonne gehen, ohne hundertmal zu nieſſen. Wann er dann groß
ohne Vorurtheil. 109
groß gewachſen, und zwar gut und wacker verzehren, aber nichts verdienen kann, dann ſehen die gutherzigen Leute den latei⸗ niſchen Taugenichts, der ihnen, ſich, dem Staate, und der Welt unnuͤtz iſt.
Hätte ich in den Hütten der Landleute, oder in den Haͤuſern der ſogenannten ge⸗ meinen Klaſſen der Arbeiter, unter meh⸗ reren Soͤhnen Beſtimmungen vorzunehmen; ſo wuͤrde ich, den kleinen Raufer, der ſich zeitig mit einem groſſen Ringe verſieht, und die Taſchen immer voll Steine traͤgt, zum Soldaten waͤhlen: den ſtarken, der dem Vater auf das Feld nachſchleicht, und gerne der Roſſe wartet, der ſich freuet, wenn er den Pflug von der Stelle heben, oder ſonſt eine Laſt auf feinen kleinen Schultern tra⸗ gen kann, den wuͤrde ich zum Stammhal⸗ ter, zum kuͤnftigen Landwirthe ausſuchen: und waͤre mir dann noch ein ſchwacher unge übrig, der von der Mutter verwahr⸗ loſet, bei dem erſten Froſte den Ofen ſucht, der ſpaͤte Tage wuͤnſcht, und ſich der frühen Naͤchte freut, der, wenn er in den Wald, Holz zu klauben, geſchickt wuͤrde, die Zeit verſchlief, und leer, oder nur wenig bes laden wieder kaͤm, der nur dem Hauſe un⸗
ter
110 Der Mann
ter den Beinen herumgieng, und jeder⸗ man irrte, den ſaͤhe ich gleichſam von der Natur zu einem Schattendienfte vorher⸗ beſtimmt, den ließ ich in die Schule gehen, weil ich ihn ſonſt nicht zu brauchen wuͤßte.
XV.
E. hat ihn geſehen, ihn, Der von der Sürſten Macht nur eines kennt, Das Goͤttlichſte: durch Huld ſich zu ver⸗ | binden: Der, wahre Freud’ als Herrfcher zu empfinden, Nicht fein Vergnügen von dem unſern trennt.
Er geht: und jedes Aug bewahret ſeine Tritte.
O ſproſſet Blumen! unter jedem feiner
Schritte!
Er thut ſie uns zu Lieb', uns, die er gluͤcklich macht.
Von unſerm Wunſch begleit”, von unfrer Lieb' bewacht,
Irrt
ohne Vorurtheil. 111
Irrt er in dem, durch ihn nun unver⸗ fchloffnen Hayne, )
Und ſucht, und findet ſie, in unſrer Luſt
die Seine —
Copa: kaum hat Ihn geſehen, dieſen Sürſten, deſſen erſte Tage eine glaͤnzende Morgenroͤthe ſind, die feinem Volke - Aber vielleicht, daß Er dieſes Blatt eines Anblicks wuͤrdiget, und dann mich fuͤr ei⸗ nen Schmeichler haͤlt, wenn er die groſſen Hoffnungen lieſt, die wir uns von dem Mittage ſeiner Regierung machen. Be⸗ ſtimmt, der Voͤlker Gluͤck zu ſeyn, wird er Lobreden verdienen, aber anzuhoͤren — verſchmaͤhe er fie !
Capa : kaum ſah, was er längft ge⸗ wuͤnſchet, den wuͤrdigen Sohn There⸗ ſiens / wie er die öffentliche Ergoͤtzlich⸗ keit, die er ſeinem Volke verſchaffte, durch ſeine Gegenwart beſeelte; und er geſtund
mir,
„) Dem Pratter: der vorher nur im Monate May und Junius für die Sahrenden offen ſtund; ſonſt ganz und einzig den kaiſerlichen, königlichen Hirſchen und Wildſchweinen aus⸗ ſchlieſſend vorbehalten.
112 Der Mann
mir, daß er in feinem Antlitze gewiſſe Züge, gewiſſe edle Abdruͤcke erkennte, welche ihn unterſcheiden, welche gleichſam Merkmale find „der erhabenen Beſtimmung, der güter unzähliger Menſchen zu ſeyn. | | Wir wandten unfre Blicke auf das uͤbrige, unzaͤhlige Volk. Wir wurden ei⸗ nes Menſchen gewahr, der an dem allge⸗ meinen Vergnuͤgen keinen Antheil zu neh⸗ men, der in ſich ſelbſt verſchloſſen, alles, was um ihn her vorgieng, zu uͤberſehen ſchien. Der Ort, die Zeit, war zu Be⸗ trachtungen uͤbel gewaͤhlet. Wir wuͤnſch⸗ ten uns mit dieſem Traͤumer in eine Unter⸗ redung einzulaſſeu. Wir ſetzten uns an ſei⸗ ner Seite neben dem Rande eines Grabens nieder. Wir ſprachen unter uns von gleich⸗ guͤltigen Sachen, aber ſo, daß er uns, wegen der Naͤhe, nothwendig hoͤren mußte. Es gelung uns. Er ſah ſich nach uns um, und — wollte ſich entfernen. Vergeben Sie, redte ich ihn an, wenn wir Ihnen beſchwer⸗ lich fallen. Sie ſcheinen zu uͤberlegen: wir wollen Ihnen die Gelegenheit dazu nicht rauben. In der That , verfeßte er, ich uͤberlegte: aber da Sie eben ſo, wie ich, die⸗
ohne Vorurtheil. 113
dieſem Gedraͤnge eines tollen Poͤbels aus⸗ zuweichen ſcheinen; ſo kann uns die Gleich⸗ heit der Geſinnungen vereinbaren — Ich gab meinem Gefaͤhrten einen Wink zu ſchweigen, und er verſtand ihn. Sie fliehen alſo die Menge, fuhr ich fort, die unbequeme Menge, die — Hier hielt er mit einmal ſtille — Ich wuͤnſche zu wiſſen, mit wem ich ſpreche, bevor ich mehr ſa⸗ ge — Mit demjenigen, antwortete ich ihm, den alle Welt tadelt, und alle Welt lieſt, dem hundert Menſchen Grobheiten, und hundert andre Lobſpruͤche zuſchicken, den man ſcheuet, und zu Gaſt bittet, der an ſeinem Pulte Figuren nachzeichnet, die man fuͤr portraite halten will, weil ſie Koͤpfe von Menſchen haben, kurz mit — Mit S === unterbrach er mich, und die⸗ ſer ihr Begleiter iſt der berufene Capa⸗ kaum! Ich danke es dem Zufalle, der mir ihre Bekanntſchaft verſchaffet: ich hoffe, Sie ſind meines Sinnes — Auf das Be⸗ dingniß, daß es der meinige iſt, fiel ich ihm ein: denn ich bin immer nur des Meinigen, oder ich muß eines andern überzeugt werden — Das iſt unbeugſam, mein Herr! aber dieſe Unbeugſamkeit ſelbſt II. Theil. H ge⸗
114 Der Mann
gewinnt mich Ihnen: fie hat etwas Maͤnn⸗ liches, das nicht ohne Würde iſt — Ich bin ein Menſch, antwortete ich ihm, das iſt meine Würde: Ich bin ein Bürger, das iſt mein Glück. Ich habe meine Wünfche mäſſigen gelernet: das iſt mein Reich- thum. Ich kann es Umgang haben, zu ſchmeicheln, weil ich nichts wuͤnſche, weil die Stufe, worauf ich ſtehe, fuͤr mei⸗ ne Begierde die hoͤchſte iſt, und ich glau⸗ be, derjenige iſt der wuͤrdigſte Buͤrger, der ſeine Beſtimmung am beſten erfuͤllet —
Mein Unbekannter umarmte mich mit einer Art von Enthuſiasmus. Sie ſehen, ſagte er mir, in dieſem ihrem von nun an ewigen Freunde, den Gefährten ihrer Ar⸗
beit, den Mitarbeiter in demſelben Wein⸗
garten, ihren Mitwerber ohne Eiferſucht, den redlichen P....) 0 | So
„) Ich fand ſehr bei mir an, od dieſes Stück feine Stelle behalten ſollte. Die Urſache ent⸗ ſchied, daß daraus ungefähr der innere Bebalt der Wochenblätter abgenommen werden könne, von denen in weniger dann 5 Monate einige zwanzig angekündiget wurden, aber eben fo ſchuell verſchwanden. Viele kamen gar nicht
an
r
obne Vorurtheil. 115
So tritt mit Beben der Wanderer zu⸗ rück, der, jeder Gefahr uneingedenk, auf einer bebluͤmten Flur daher wandelt, und von dem lieblichen Dufte der Veilchen gereizt, ſich beugt, die geruchſtreuende Blume zu ſuchen, und nun ſie ſieht, und feine Hand ausſtrecket, fie zu pflüdenz wenn dann ploͤtzlich eine Natter ziſchend hervorſchießt, ſo tritt er bebend, ſo faͤhrt er zuruͤcke — wie ich, als ich mich ſo nahe bei dem Manne fand. Aber ich faßte mich, und erwiederte ſeine freundſchaftli⸗ chen Begegnungen mit ſo weniger Gleich⸗ guͤltigkeit, als es mir moͤglich war.
Sie ſammeln ohne Zweifel Stoff, fuͤhr⸗ te er die Unterredung fort: o hier iſt eine reiche Ernte für Leute unſers gleichen!
„Mein Herr! ich ſammle meinen Stoff nie anderswo, als in dem Herzen der Men⸗ ſchen. Es verdruͤßt mich / daß ich demſel⸗ ben nicht ſo viele Lobreden halten kann, als ich nun Strafreden halten muß — „
5 2 Sie an die Ausgabe des erſten Stückes. Das,
woranf hier gezielt wird, erhielt ſich am läng⸗ ſten, wie es auch darunter das beſte war —
116 Der Mann
Ste find in der That gluͤcklich, unter: brach er mich, wenn Sie einen ſolchen Vorrath entbehren koͤnnen. Ueberlaſſen Sie ihn mir ganz! ich bin ſehr oft an Stoff verlegen, und war eben itzt im Begriffe, ein Blatt zu uͤberdenken, welches ich von dem Pratter geben ſollte —
„Das will ich gerne, mein — Schreibgefaͤhrte. Aber vergeben Sie mir!
meine Offenherzigkeit verläßt mich nie: ich
habe es ihren Blaͤttern oft angemerkt, daß es Ihnen am Stoffe fehlen mag: die Bombuſe, die Bäberlen, die Korporalen und ſolch Zeug aus dem unterſten Fache ſind in der That Ingredienzien — wenn ich mich ſo undeutſch vor Ihnen ausdruͤcken darf — die ein wenig Theurung verrathen: man ſetzt nicht Sackleinwandflecke auf feines Leingeräth, als wenn es uns —,
Mein Schreibgefaͤhrte hatte bei meiner unwillkommenen Offenherzigkeit gleich an⸗ fangs die Naſe geruͤmpfet, den Kopf ges
ſchuͤttelt, die Lippen eingebiſſen: und nun
riß der Faden ſeiner Geduld entzwey — Wie! fuhr er mit leibhaftem Authorgrim⸗ me heraus, Sie koͤnnen ihre Biſſigkeit auch 1 einen Augenblick, auch gegen mich
ohne Vorurtheil. 117
mich nicht vergeſſen? gegen mich, der ich das Werkzeug der Rache in meinen Haͤn⸗ den trage, der ich — aber ich will meinem Zorne hier gebieten: Sie ſollen ſehen, was das heißt, einen Mann zu beleidigen —
„Sie ſehen es für Beleidigung an? wohl! kann ich es verbieten? Aber ich verſichere Sie, ich habe Ihnen meine Meinung, wie ich ſie jederman ſage, ganz nicht in der Abſicht geſagt, Sie zu belei⸗ digen. Es iſt mir lieb, daß Sie mich ſo unterbrechen: ich war auf dem Wege, Ihnen noch freundſchaftliche Erinnerungen zu geben, die Ihnen vielleicht hätten nuͤtzen koͤnnen. „
Erinnerungen? ſagte er, und ſeine Au⸗ gen funfelten Rache: was für Erinnerun⸗ gen?
„Ich wollte, ſagte ich mit meiner ge⸗ woͤhnlichen Kaltbluͤtigkeit, Sie erſuchen, daß Sie ſich ein wenig um unſre Sitten erkundigten, wenn Sie ein Wochenblatt für uns zu ſchreiben fortfahren, woran der leſende Theil der Buͤrger Antheil neh⸗ men ſoll. Ich wollte Sie erinnern, daß Sie uns nicht die gemeinſten Sitten ſchil⸗ bern möchten, weil doch die Stubenmaͤgde
5 3 und
119 Der Mann
und Gfenjungen noch nicht Wochenblaͤtter leſen: ihre gnädigen Frauen aber, die den Vorhang am Bette mit einem Dra⸗ gonerfluche oͤffnen, nichts anders als ſol⸗ che verkleidete Dirnen ſeyn koͤnnen, und ihre Zerren von, Lakeyen, die ſich Nach⸗ mittags der Kleider und Waͤſche ihrer Her⸗ ten bedienen, um auf einem Tanzſaale zu figuriren. Ich wollte Sie weiters auf Bit⸗ ten einiger ihrer Leſer erſuchen, auf die Einkleidung ein wenig mehrere Sorgfalt zu verwenden, abgenuͤtzte Materien we⸗ nigſtens durch die Neuheit des Vortrags, durch die Schönheit der Wendungen, durch die Wahl der Ausdrücke aufzuſtuͤtzen. Sle wuͤrden ſonſt, haͤtte ich dann noch zuſetzen wollen, auf eine ſehr kleine und ihre Muͤhe nicht belohnende Anzahl von Leſern herab⸗ kommen, welches mir um Ihrer und der Verlegerinn Willen Leid thun ſollte. Denn an der Reinigkeit der Grammatik, der gu⸗ ten Korrektur, und einem guten waͤſſerich⸗ ten Stil läßt ſich der ekle Pefer einer Haupt⸗ ſtadt nicht genuͤgen. Endlich wollte ich Sie noch warnen, nicht jede eingeſendete Ueberſetzung, oder ſonſt misrathene Ger burt eines ſchreibſuͤchtigen Juͤnglings ſo⸗ gleich
obne Vorurtheil. 119
gleich mit beiden Haͤnden anzunehmen, und 5
je eher je beſſer einzuſchalten. — Denn, ich wuͤßte, was fuͤr ein artig Zeug man da zu hunderten der Welt vorlegen koͤnnte, wenn man fo gutherzig ſeyn wollte — Ich wuͤrde noch fortgeſprochen haben: aber er verließ mich ungeſtuͤmm: und hieß mich im Weglaufen: einen Metaphern Thür⸗ mer, einen der nach Woͤrtern wegelauer⸗ te , der wie ein Mädchen Tage lang an ſeinen Ausdrücken putzte, um recht un⸗ verftändlich zu werden tc. ꝛc. ic. 1c. „
XVI.
A. mir ſoll es wenigſtens nicht liegen, daß nicht alles, was man gegen dieſes Blatt einzuwenden hat, im Drucke er⸗ ſcheine: meine Korreſpondenten wiſſen es, wie viel ich unterdruͤcke, was zu meinem Vortheile geſagt, aber eben von mir nicht wiedergeſagt wird. Der Brief, den ich heute mittheile, iſt nicht ohne Witz: und am Ende wird man fehen, daß der Ver⸗ faſſer mir eines zu verſetzen gedachte. Ich will ihm ſein Vergnuͤgen nicht rauben, aber ihn an einigen Oertern mit meinen An⸗
24 mer⸗
120 Der Mann
merkungen begleiten. Er mag ſich im⸗
mer etwas darauf zu gut thun, daß ich mich bei ihm bis zum Gloſſator herablaſſe, ich, der ich — Ei der Eigenliebe! meine Feder laͤuft unaufhaltbar, wie der ge⸗ ſpornte Pegaſus eines Reimers, und ehe
ich michs vorſehe, ſteht etwas da, das in
fremdem Munde Vorwurf, in dem meinigen Ruhmredigkeit waͤre. Ohne Umſchweif al⸗ ſo! Hier iſt der eingeſendete Brief!
Mein Herr!
In Endlich „ endlich ſcheint der Zeitpunkt heranzunahen, wo die Verdienſte des Fleiſ⸗ ſes und der Arbeitſamkeit ihre alten Rechte wieder erlangen. Sie find der Mann, welcher in dem XIII. Stuͤcke das Herz hat, der in Vorurtheile eingehuͤllten Welt, die Binde von den Augen zu reiſſen. 1) Sie zeigen uns den Uhrmacher, den Ranzley⸗ verwandten, und den Konzeptarbeiter in einer Stellung, daß das Verhaͤltniß zwiſchen ihnen nicht mehr zweifelhaft ſeyn | fann.
10 Sch bin eingebildet genug, hier die Sprache der Ironie als ein ernſthaft gemeintes Kom⸗ pliment anzunehmen.
— Du
ohne Vorurtheil. 121
kann. Die Wage des Vorzugs muß auf die Seite des erſtern herabſinken. Welch guͤldne Unternehmung! — Allein nach dem ernſthaften Schritte, den Sie gethan ha= ben, ſollten wir von ihrer Großmuth nicht hoffen duͤrfen, daß Sie auch bis zu uns herabſteigen, und unſre ſo nuͤtzliche und noͤthige Beſchaͤftigung aus dem Staube der Geringſchaͤtzung, womit die Herren von der Feder uns bedecken, empor heben? Ja! wir hoffen es, nach der gluͤcklichen Entdeckung, die Sie gemacht haben, daß dieſe aufgeblähten Herren maſchinmaͤſſig, nach Muſtern und Formeln, das iſt, nicht beſſer, als wir, nach dem Laiſte arbei⸗ ten. 2) 5
„Worin beſteht wohl der Vorzug, den dieſe Herren ſich vor uns herausnehmen ?— in dem Alter der Handthierung? o dann haben wir gewonnen! es muͤßte denn gruͤnd⸗ lich erwieſen werden, daß Adam und ſeine Abkoͤmmlinge bis auf die Zeit von Erfin⸗ dung der Buchſtaben, keine Schuhe getra⸗ gen haͤtten — Das waͤre ein Stuͤck Arbeit fuͤr einen Gelehrten — in der Geſchicklich⸗
4 keit?
2) Mein gerr: Sie haben es geſagt!
122 Der Mann
keit? es iſt wahr, man ſchreibt Kurrent, Kanzley, Fraktur, mit Zuͤgen, u. ſ. w. 3) allein wir machen dafuͤr durchgenaͤhte, um⸗ gekehrte, geſpaltene Schuhe, Pantofel, Stiefel: faͤllt die Verzierung der Frauen⸗ zimmerarbeit nicht ins unendliche 2 „ „Geſtehen Sie es nur mein Herr! daß Sie unſrer Meinung find 4), Sie, der Sie
3 Wenn man in einer Vertheidigung ſpricht; fo wählt man immer das Stärkſte. Nun, die Kurrent, Ranzley, Sraktur und Züge, ſoll alſo das die vorwiegende Geſchicklichkeit ſeyn? dann muß mancher Dorfſchulmeiſter vor dieſen Herren allen den Vorzug behaupten; noch mehr: dann muß der Abſchreiber vor dem Konei⸗ pienten den Vortritt haben. Wie hier die Sache liegt, hat der Schuhmacher in der That gewonnen. Aber ich denke, meine Herren! ihr Sachwalter hat fie verrathen.
4) Sie fodern mich auf? wohl! ich geſtehe es, ich geſtehe, daß ich einem jeden nützlichen Handwerker, vor einer unnützen Kunſt, einem Schuſter — denn über mich hat der Wahn nicht die Gewalt, dem Worte einen verklei⸗ nernden Begriff anzuheften — vor einem Lau⸗ tenſchlaͤger, einem Ackersmann vor einem Tanzmeiſter, daß ich einem Rünffler, der der
Ge⸗
ohne Vorurtheil. 123
Sie im Stande ſind, bei einem halb nieder⸗ gebrannten Lichte aus ihrem Capa⸗ kaum einen Koneipienten zu machen 5), geſte⸗ hen Sie es, daß Sie nicht im Stande
ſind, Geſellſchaft Ehre und Nutzen ſchafft, vor einem bloſſen Schreiber, und damit Sie ſehen, daß ich unpartheyiſch bin, auch vor einem Gelehr⸗ ten, der nur Gelehrter iſt, den Vorzug gebe.
5) Ich widerrufe mein Wort nicht: und ich kann in der That Zeugen auftreten laſſen, die alle Stunden einen Eid ablegen werden, daß es keine eitle Großſprecherey iſt. Wenn der An⸗ führer eines jungen Stiliſten ihn dem Kunſt⸗ griff, ſich die prioa immer behändigen zu laſſen, mitgetheilet; wenn er ihn mit einem Nachdeme zum Anfange, zumalen aber zur Verbindung, und iſt die Periode länger, mit einem und nun gleichſam zum Unterbande, mit einem als zum Endabſatze, mit einem ohn⸗ ermangeln zum Schluſſe ausgerüſtet; wenn er in einem Formular ein Dem N. N. von... anzufügen; als würdet: ꝛc. 1c. und: von der ... Ihrö... in allerunterth. zu erin⸗ nern, was maſſen: jedoch beruhet u. ſ. w. nebſt noch einigen ſolchen Sächelchen überant⸗ wortet; ſo darf der Mann gehen, er wird ſei⸗ ne Rolle ſpielen, fo gut — und unter uns,
hbeſſer; n ohne Anſtoß — als ein
5 Menſch,
124 Der Mann
ſind, bei einem ganzen ihn den gemein⸗ ſten Schuh machen zu lehren, und dann ſprechen Sie, ob wir nach drey oder vier ſauren Lehrjahren, bei unſerm Berufe Ver⸗ ſtand und Erfindung, ob wir unfern Kopf entbehren koͤnnen? — und wir, wir ſoll⸗ ten fo tief unter ihnen ſtehen 2 „ „„Aber — ſpricht der gemeine Wahn 6) das Amt von dem Landesfuͤrſten! die Be⸗ die⸗ Menſch, der mit Wiſſenſchaften, mit Spras che, mit Lektur vorbereitet iſt, ſich in Aufſätzen gelbt, und der nicht ſelten das Unglück hat, ſich ganze Seiten wegſtreichen zu ſehen, weil fie nicht recht biedermänniſch Kanzleyſtil wa⸗ ren. 6) Wahn iſts, und eben darum mußte er beſteit⸗ ten werden. Der Landesfürft wird hier zur Unzeit eingemengt. Wenn ſeine Hand das⸗ jenige adelt, was von ihm berührt wird, gut, auch die Stalljungen werden von ihm ange⸗ nommen; durch den Oberſtſtall meiſter, in der That; aber werden dann Sie unmittelbar von ihm angenommen? Gewiß mein Herr, dieſe Vergleichung, wenn ich ſie weiter führte, wäre für fie nicht günſtig. Bedienung: jeder, der in Landesfürſtlichem Brode ſteht, hat eine Bedienung: es kömmt alſo darauf an, was für eine ? und nun ſchlüſſe ich gleich dit folgende Anmerkung an: nicht der
ohne Borurtheil. 125
dienung, ſo ſie bekleiden! — Gut! gut, ich verſtehe es, der Mann ohne Vorurtheil dieſer groſſe Weltweiſe hat uns gelehrt, uͤber dieſes Amt, dieſe Bedienung hinweg⸗ zuſehen, und nichts als den Mann 7) im Geſichte zu behalten. Was hindert mich nun, einem gofkon⸗⸗ einen Zofſchuſter entgegen zu ſtellen? Laiſt bleibet Laiſt! Iſt es aber nur um den Titel zu thun: Ei! warum ſollte man nicht auch geheime Ra⸗ binetsſchuſter machen koͤnnen? 8) „ „Will man ſich auf Beiſpiele, auf die Uebereinſtimmung geſitteter Nationen be⸗ rufen 9), welche dergleichen Handwerke zu 7) Mann, ſondern feine Beſchäfftigung, ſondern ſein Nutzen für das gemeine Wohl, ſondern feine Kenntniſſe, dieſe will ich im Geſichte be⸗ halten, ohne durch abgewürdigte Titel ge⸗ blendet zu ſeyn: Utilitas, ſagt der Dichter, magnos homines facit ——
8) Das war ein kleiner Runſtgriff, daß Sie die Klaſſe vermengen. Eine Kurrent, Fraktur, u. ſ. w. öffnet noch keinem das Kabinet: aber macht ihm Hoffnung zu einer Dorfſchule.
9) Beifpiele erweiſen nur That, kein Recht.
Einer unſerer beſten Schriftſteller merkt an, N daß
126 Der Mann
10) zu den niedrigſten Rangſtufen verwei⸗ fen; fo ruͤcke ich mit meinem Rlim heraus, und zeige, daß andre Voͤlker, Innwohner der untern Welt, vernünftige Potuaner, uns uͤber die Kuͤnſtler, ja uͤber die Klaſſe der Gelehrten hinaufſetzen. Sehen Sie, mein Herr! die Gründe, worauf unſre Anſpruͤche ruhen. Nichts geht ihnen ab, als daß ſie aus ihrer uͤberzeigenden Feder flüffen, und unſre Erhebung iſt nicht mehr ferne. „
Nuͤ.
daß im vorigen Jahrhunderte an allen Höfen Bofnarren und ... gewöhnlich geweſen, und in Anſehen geſtanden; ſehen Sie, was das heiſſen könnte, wenn Beiſpiele bewieſen!
10) Abermal vermengen Sie, und Sie haben Recht, Sie e nur bei Verwirrung. Die Sandwerker können vielleicht manchem das Beiſpiel der Beſcheidenheit geben. Sie find billig genug, den Rünften, welche gröſſere Ge⸗ ſchicklichkeit und Kenntniſſe ſodern, den Rang zu laſſen: und ſelbſt unter ſich haben ſie eine Art von Rangordnung, die ſich nach der meh⸗ reren oder wenigern Geſchicklichkeit richtet, die zu dieſem oder jenem Handwerke erfodert wird.
ohne Vorurtheil. 127
„RNuͤcken Sie uns zu dieſen Federar⸗ beitern hinauf 11), oder ſtoſſen Sie die⸗ sg wenigſtens zu unt — zu dem Laiſte
her⸗
11) Ich würde der bürgerlichen Giſelſchaf einen drr größten Dienſte erweiſen, wenn ich die Klaſſe des Volkes, die aus Sandels leuten, aus Künſtlern, aus Sandwerkern beſteht, in die Achtung wieder einſetzen könnte, woraus ſie ein unbilliges Vorurtheil verdrungen. Ich würde dem Vaterlande ſo viele geſchickte, er⸗ findſame Talente erobern, die die Gränzen der nützlichen Erfindung erweitern, die Er⸗ zeugniſſe der Künſte vollkommener machen, die Handlung ausbreiten, der Nation Reich⸗ thum, Stärke, Ruhm verſchaffen könnten. Iſt es nicht lächerlich, daß ein Mann, der einen neuen Zugbuchſtaben erſonnen, den Vorzug auch nur vor dem fodern darf, der den Brat⸗ tenwender erfunden? —
Aber ich muß mich erklären: Ich verlange nicht, Bürger, die nützlich, die in gewiſſem Verſtan⸗ de nothwendig ſind, herabzuſetzen: ich wünſche nur, daß ein vorurtheil aufhören möchte, welches den Rünften und Zandwerken die fä⸗ higſten Köpfe geraubt: ich wünſche, daß die nothwendigſte Gattung der Bürger wenigſtens über den Dunſtkreis der verachtung ſteigen möge: tm: wir wollen ein Bündniß einge⸗
hen:
128 Der Mann
herab, wie es Ihnen am ſchickſamſten duͤnket. Ich bin nebſt der ganzen Lade N Mein Herr | Dero Verehrer: N. N. Vorſteher und aͤlteſter einer ehrſamen Schuhmacherzunft.
XVII.
Waun der Both des Ungluͤcks, der dro— hende Komet, über den Haͤuptern der Men- ſchen glaͤnzet, und ſeine furchtbare Ruthe von einem Ende der Erde zu dem andern ausſtrecket, dann zittert alles in banger Erwartung, und harret, ob Krieg oder Hunger, oder ſchleichendes Sterben die Welt verheeren werde: jeder zieht dann mit ſich ſelbſt Rechenſchaft, und verſagt ſich
hen: ich bin bereit, die Herren von der eder als ſehr anſehnliche Leute, als Leute, auf deren Schultern der Staat ruht, anzuſehen: aber fie ſollen fo billig ſeyn, meine rechtſchaffenen Mitbürger, vom achtungswürdigen Sans delsmann an, durch alle Stufen, bis auf den ehrſamen und nügbaren Schuſter, nach den Graden ihres Beitrags zum all gemei⸗ nen Beſten, zu ſchaͤtzen, und hochznachten!
ohne Vorurtheil. 129
ſich jede Luſt, und raubt ſich jede Freude, die kommende Strafe abzuwenden, und Menſchenliebe, und verſcheuchte Tugend kehren zu den Wohnungen der Sterblichen wieder — So herrſchet Sittſamkeit und Maͤſſigung im Aufwande in Haͤuſern, wo ſonſt Verſchwendung und Ueppigkeit haus⸗ hielten, ſeit der Zeit, da ich die beruͤch⸗ tigten Verſchwender und Verſchwenderin⸗ nen aus dem Haufen auszuleſen, und zum Beiſpiele der Stadt auf ein Schandgeruͤſt auszuſtellen drohte —
Ich will nicht unerbittlich ſeyn. Da meine Abſicht nur ihre Beſſerung iſt; ſo ſoll dießmal das ſchon gezuͤckte Schwert in die Scheide wiederkehren, ohne zu ſchlagen. Aber ſeine Streiche ſollen ſich verdoppeln, fo bald fich die Verſchwendungsſuͤnden haͤu⸗ fen, und abermal alles Fleiſch ſeinen Weg verderben wird.
Dieſe Verſoͤhnlichkeit ſoll inzwiſchen niemanden irre fuͤhren: ich werde nie ſchlummern. Es liegt bereits ein ziemlich dickes Haͤft zur Hand, worin alle dieje⸗ nigen aufgezeichnet ſind, welche ſich durch Kleider und Kutfchen, durch Ringe, und Geſchmuck, durch Spiele, und Aka-
II. Theil. J de⸗
130 Der Mann
demien, und Magdalenen in der Stadt zu Grunde gerichtet haben. Es geht nur noch eine kleine Eroͤrterung ab, damit die⸗ ſes Baͤndchen vollkommen werde, welches dann unter der Aufſchrift: Galerie der verſchwendung: oder: Der glänzende Weg zum Hofpitale, gewandert von allen denen, welche in dieſem Bande enthalten ſind; erſcheinen ſoll.
Die Eroͤrterung, die mir zur Vollendung eines ſo erbaulichen Werkes abgeht, muß mir von unfern Zandelsleuten, und Ju⸗ welirern mitgetheilet werden. Ich habe dieſelben meinen Wunſch wiſſen laſſen, und ſie haben ſich ſogleich willfaͤhrig gezeigt, aus ihren Handlungsbuͤchern diejenigen mir auszuzeichnen, welche den Aufwand, durch den ſie ihre Nebenbuͤrger zu verdunkeln geſucht, auf Borg gemacht haben. Sie haben noch mehr verheiſſen, als ich gefo⸗ dert: ſie wollen auch anmerken, wie lange es ſchon iſt, daß dieſe oder jene Waare ausgenommen worden, und fie verſichern mich, daß einige darunter faſt von un⸗ denklichen Zeiten, und ein ſehr groſſer Theil derſelben bereits unter die verlor⸗ nen Poſten zu rechnen ſind.
f N Soll
ohne Vorurtheil. 131
Soll dieſes Buch wahrhaft lehrreich ſeyn, ſo wuͤnſchte ich, mit allen denen ge⸗ naue Bekanntſchaft zu errichten, welche ſo chriſtlich ſind, im Falle eines dringen⸗ den Beduͤrfniſſes, ihren Nebenmenſchen auf ein vierfaches Unterpfand und gegen leidlichen Zins von 20 pr. 100 zu lei⸗ hen, oder die ausgenommene Waare auch um den halben Werth abzuloͤſen. Nichts koͤnnte ergoͤtzender ſeyn, als wenn man die wunderbare Wanderung eines Ringes vom Juwelier zu Eriſten, von Kriſten in das Pfandamt, dann wieder einige Tage zu Kriſten, und abermal zu dem Ausleiher, von dieſem letztlich, nach ge— richtlicher Abſchaͤtzuug und Uebernehmung, abermal in die Haͤnde eines andern, wo er bald wieder denſelben Kreis ablaufen wird, mit anſehen koͤnnte. Der pythago⸗ riſche Wanderungskreis wuͤrde hier wenig⸗ ſtens ein ſehr aͤhnliches Bild finden.
Doch ich vergeſſe, daß ich, die Straf- ruthe der Ueppigkeit auf einige Zeit einzu⸗ ziehen, verheiſſen habe.
J 2 XVIII.
132 Der Mann XVIII.
D as wäre alſo entſchieden: Capa⸗kaum wird weder eine von den niederen Seder- bedienungen ſuchen: denn dazu hat er zu viele, noch eine von den höhern, denn dazu hat er zu wenig Gelehrſam⸗ reit. Er hat nicht feine beſten Jugend⸗ jahre ruͤhmlich verwendet, eine Sprache zu lernen, die er nie reden, noch ſeinen Kopf darangeſtrenget, Renntniſſe zu ſammeln, die er in ſeinem Leben niemals nuͤtzen wird. Der Aermſte! kann weder Latein, noch die griechiſchen Aoriſten. Man hat ihm keine von den Anleitungen gegeben, die man uns andern ſo wohlwollend mittheilt. Rouſſeau! wage es, deine Wilden mit uns zu vergleichen!
Wie ungluͤcklich waͤre der Vater meines Zoͤglings, wenn er einen kennte! Sein Junge waͤre groß gewachſen, und haͤtte nicht Verſe gemacht, die wenigſtens Vir⸗ gilen beſchaͤmen koͤnnten; und haͤtte nicht, wie Cicero vom Rednerftuble geredet: er haͤtte Leibnigen und Locken mit feinen bündigen Schluͤſſen nicht zum Schweigen gebracht; nicht mit der Eilfertigkeit eines
Ike
ohne Vorurtheil. 133
Iſckus ) von allen Erſcheinungen der Nas tur geſprochen; nicht mit a Xx b x be wieſen, daß eine krumme Linie keine ge⸗ rade iſt, daß ein ſchwerer Koͤrper noth⸗ wendig fallen muß, und noch unendliche Dinge mehr, uͤber die ein gluͤcklicher Va⸗ ter unſrer Geſellſchaft erſtaunet, wann er voll zaͤrtlichen Vatergefuͤhls dem funfzehn⸗ jährigen Dichter, Redner, Philofophen, Algebraiſten, Gröſſenkündigen, und was weis ich, was noch alles mehr, die Arme um den Nacken wirft, und dieſes, wie man ihn nach dem drollichten Ausdrucke eines Theatraldichters mit Rechte nennen mag, Compendium aller Wiſſenſchaften, mit ſtolzer Empfindung betrachtet, und bei ſich ſaget:
„Wer gab, wie dieſer iſt, dem Staat
je einen Buͤrger?
„„Aber, ſagte mein lehrbegieriger Freund, und Schuͤler: wenn ich beſtimmt bin, in ihren Geſellſchaften zu leben, wenn ich einen Theil derſelben ausmachen ſoll, warum wollen Sie mir nicht diejenige An⸗ ſchickung geben, die mich faͤhig machet,
33 mei⸗
*) Sermo Iſœo torrentior, ſagt Juvenal.
134 Der Mann
meinen platz darin wuͤrdig zu behaupten? warum — „
Guter Jüngling, fiel ich ihm ein, das iſt nunmehr zu ſpaͤt: deine Zeit iſt voruͤ⸗ ber. Mit einigen zwanzig Jahren, wie du haben magſt, lernet man ſolche Dinge nicht mehr: das ſind die Beſchaͤftigungen der Jugend: Beredtſamkeit, Dichtkunſt, weltweisheit, das find Gedächtniß⸗ werke: dazu muß man die gluͤcklichen Jahre anwenden, wo das Behältniß der Kenntniſſe noch unangefuͤllt, wo das Ge⸗ hirn noch unverbärtet, noch jedes Ein⸗ druckes faͤhig iſt; faͤhig iſt, was hinein getragen wird, in ſich zu verſchluͤſſen; die gluͤcklichen Jahre, wo das Kind, gleich einem Wachſe der bildenden Hand gehor— chet, und gelehrig die Geſtalten annimmt, die ſie ihm mittheilet.
Capa⸗kaum ſah mich mit ſehr zwey⸗ deutiger Mine an. Ich hatte ihm von der Beredtſamkeit, der Dichtkunſt, der Welt⸗ weisheit ganz andre Begriffe beigebracht. Er dachte bei dem Worte Beredtſamkeit immer, einen Demoſthenes, einen Cicero, aus deren Meiſterſtuͤcken ich ihm manche Stuͤcke uͤberſetzter vorgeleſen. Wenn er
von
ohne Vorurtheil. 133
von Dichtern hoͤrte; fo fiel ihm Zomer und Virgil, oder Klopſtock, Ramler, Uz, Kleiſt, und ſolche Männer ein”); und bei dem Namen Weltweisheit huͤllte er ſonſt ſein Geſicht mit Ehrfurcht ein: ſo einen groſſen Begriff hatte er ſich von der Wiſſenſchaft gemacht, an deren Ehrentem⸗ pel, auf der einen Seite Sokrates, auf der andern Leibnitze, Wolfe, und New⸗ tone unſterblich glaͤnzten — Und itzt hoͤrte er, daß ich ſo freygebig mit dieſen Namen war, ſie unbärtigen Knaben beizulegen; daß ich dieſe Wiſſenſchaften Gedaͤchtniß⸗
34 wer⸗
) Seit dem preiswürdigen Nachdrucke, wo⸗ durch Patriot T = = die beſten Schriftſteller unter uns bekannt, und die Genies von ganz Deutſchland aufgemuntert hat, kann ich es Umgang haben, bei den Namen dieſer wür⸗ digen Schriftſteller — welche Frankreich und England bewundert, und nur noch eine Nach⸗ barinn neben mir nicht ſo viel will gelten laſſen, ais — eine Anmerkung zu machen. Aus dieſem Merkmale wird ein deutſcher Sko⸗ liaſt genau das Jahr errathen, worin dieſt Blätter geſchrieben worden: denn noch ein Jahr vorher hätte ich erklären müſſen: wer it Blei? und Klopſtock ? 5
136 Der Mann
werke nennte. Ich errieth es, was für ein Zweifel ihn quuͤlte, ohne daß er ſich getrauet hatte, ihn zu entdecken. Denn ich hatte ihm den Grundſatz eingefloͤſſet, der manchem unſrer jungen Allwiſſenden nicht genug eingeprägt werden koͤnnte: man muͤſſe mit ſeinem Urtheile behutſam, zu⸗ ruͤckhaltend ſeyn, in allen Sachen, worin wir uns nur eines geringen, eines oben⸗ hinigen Kenntniſſes bewußt ſind. Doch da ſein Unterricht mein Endzweck iſt; ſo brachte ich ihn ſelbſt auf den Weg, mir ſeinen Zweifel zu eroͤffneu. Er that es mit der Beſcheidenheit eines Menſchen, der belehrt zu ſeyn wuͤnſchte. | : Wohl, beantwortete ich ihm feine Fra⸗ ge: ich rede in dieſem Augenblicke, nicht nach meinem Gefuͤhle, nicht nach dem, was ſeyn ſollte, ſondern nach dem, was wirklich iſt. Ich habe dir hier gleichſam einen Grundriß der erſten Bildung unſrer Jugend gegeben: man faͤngt da an, wo man aufhören ſollte. Was der Knabe in feiner Rindheit gelehret wird, erlernet er nie: und was er wiſſen ſollte, was er erlernen könnte, das wird er nicht ge⸗ lehret. Wundre dich uͤber die wiſſen⸗ ſchaft⸗
.
ohne Vorurtheil. 137
ſchaftliche Erziehung unſrer künftigen Bürger! fie verdient bewundert zu wer: den!
So bald der Knab anfaͤngt, das Werk⸗ zeug ſeiner Ausſprache durch einen Inſtinkt zu üben; ſo bald ſich, bloß triebmäſſig,
die Zunge durch die erſten Lalltöne ent⸗
wickelt, fo iſt eine Amme, eine Binder: wöärterinn ‚oder ſonſt ſolch ein Geſchöpf zur Hand, die ihm Wörter vorſagen: und es iſt dann ſehr natuͤrlich, daß alles in verkehrter Ordnung geſchieht. Gemeinig— lich fangen ſie bei den Benennungen der Theile des Geſichtes an: Wo iſt dein Auge v — hier — deutet die kleine Puppe! und deine Naſe ? — hier — und dein Berz das Kindchen zeigt auf feine Bruſt: die gefaͤllige Mutter wundert ſich uͤber den vorreifen Verſtand des Kindes, und
Der alberne Vater lachet, daß ſein Kind durch unvernuͤnftige Weiber verdor— ben wird. Wie viele Fehler mit einmal! Warum uͤbet man das Kind an feinen ei⸗ genen Gliedern, die es nicht ſiehtv es iſt gewiß, daß es auf dieſe Weiſe den eiteln Schall des Worts merket, ohne einen Begriff damit zu verbinden. Die
Ir⸗
138 Der Mann
Irrungen der Kinder, da ſie oft auf den Mund weiſen, wann man ſie um die Naſe fragt, dieſe Irrungen, worüber man la⸗ chet, weil man ihre Folgen nicht einſieht, beweiſen es deutlich, daß ſie nichts von dem verſtehen , was man fie fragt; und daß ihre Antwort bloß ein Werk der thie⸗ riſchen Maſchine iſt; fo wie ungefähr das kleine Aeffchen, Jungfer Liſe, in der Huͤte des Gauklers, Verbeugungen macht, und auf die Frage: Welches iſt die ſchönſte Dame aus der ganzen hochan⸗ ſehnlichen Geſellſchaft y nach dem ge⸗ heimen Merkzeichen ſeines unbarmherzigen Meiſters bei derjenigen in der Reihe ſtehen bleibt, die am beſten bezahlet hat: ohne, daß dieſe jemals in einem Wettſtreite der Reize das Urtheil des haarichten Paris zum Beweiſe anfuͤhren wird.
Wenn man ja fuͤrchtet, daß ein Kind ſeine Gliedmaſſen zu ſpaͤt kennen lernen wird; obfchon die Natur dafuͤr geſorget, da der Gebrauch daſſelbe mit dieſen Werk⸗ zeugen nothwendiger Verrichtungen gar bald bekannt machen wird; wenn man es aber dennoch fuͤrchtet, warum zeigt die
Amme dem nachlallenden Papagey nicht lie:
ohne Vorurtheil. 139
lieber ihre Naſe, ihre Augen: und ſagt: fieb Männchen! das da iſt die Naſe! das die Augen! Haͤtte es damit ange⸗ fangen, und ihm das, was fie ihm nen= net, wirklich gezeigt, ſo wuͤrde in der Ein⸗ bildung des Kindes ſich das Bild feſtgeſetzt haben: und nun waͤre die Magd mit dem Kinde vor den Spiegel getreten. Nach der erſten kindiſchen Bewunderung, feine, Amme im Spiegel zu ſehen, nach den er= ſten Spielungen an dem taͤuſchenden Glaſe, nach erſchoͤpfter Neugierde, haͤtte ſie ge⸗ fragt: wo iſt die Naſe des kleinen Büb⸗ chens in dieſem Spiegel da ich müßte mich ſehr betruͤgen, oder es wird bei dem Worte Naſe gegen den Spiegel zufahren, und ſie an dem Kinde darin zeigen wollen: ob es zwar hernach ſehr verlegen ſeyn wird, wenn ſeinem Haͤndchen auf der Oberflaͤche des Glaſes ein anders entgegen gefahren koͤmmt, das ſich mit ſeinem zu vereinba⸗ ren ſcheinet.
Nicht genug, das dem Kinde nur der Schall der Woͤrter eingepraͤget wird; wann ſie nachzulallen anheben, ſo lernen ſie auch . Wörter immer nur ſchlecht aus⸗
ſpre⸗
140 Der Mann
ſprechen, in zweyfachem Verſtande ſchlecht; und aus verſchiedenen Urſachen — Aeltern! denket weniger, daß eure Kin⸗
der zu eurer Ergötzung ihr Daſeyn erhal⸗ ten haben, als um dereinſt Menſchen, Bürger zu ſeyn! oder wenn ihr ja den füffen Namen Vater nothwendig mit der Ergötzung verbunden glaubt — es wird das Gluͤck der Geſellſchaft ausmachen, wenn dieſe Meinung allgemein iſt — ſo ſuchet dieſe Ergötzungen nur nicht auf Unkoͤſten des Kinds, das ihr glücklich zu machen verpflichtet ſeyd, und wuͤnſchet. Suchet dieſe Ergoͤtzungen nicht in den Gaukeleyen der kleinen Spielthiere. Es ſind keine Affen, die ihr vor euch habet: es ſind Kinder , die Bürger werden, die eure Stelle in der Geſellſchaft beſetzen, wann ihr dereinſt abtretet, die Freude, der Stab eures Alters werden ſollen. In Sachen, die euch vorhinein zeigen, daß ſie eure Hoffnung, daß fie ihre Beſtimmung er⸗ füllen werden;; in dieſen findet das Rei: zende der Kindheit!
Kaum hat man die erſten Töne wahr: genommen, da heißt es: das Kind faͤngt
ſchon an zu reden. Habt ihr es verſtan⸗ den?
ohne Vorurtheil. 141
den? nein! Wohl denn! es hat nicht ge⸗ redet, es hat einen thieriſchen Laut von ſich gegeben, wie es andre Thiere auch thun, ohne daß man das Winſeln des Hundes, noch das Wiehern des Pferdes für Spra⸗ che halten will. Aber nein: es iſt ein Menſch, es muß durchaus Sprache ſeyn! Und weil man dieſe Sprache nicht verſteht; fo quaͤlet man ſich, heraus zu bringen, was das Kind gemeint haben koͤnnte. Verge⸗ bens rufe ich der vernaͤrrten Mutter zu: das Rind kann noch nichts meinen! ſie hoͤrt mich nicht, ſie raͤth auf dieß, auf jenes; und weil endlich das Kind bei einem Apfel, oder Zuckerbrod eine freudige Ge: behrde gemacht, und ruhig geworden; ſo heißt der unverſtändige Laut Zuckerbrod und Apfel.
So macht man den Kindern immer eine eigene Sprache. Wenn man ihnen Sachen vorſagt, die fie wegen der Ungelenkſamkeit ihrer Zunge nicht nachſprechen koͤnnen, und verzerren und verunſtalten; ſo heißt die zur Unzeit gefaͤllige Kindermagd, und die unvernuͤnftige Mutter das Ding kuͤnftig immer nach dem verunſtalteten Laute des Kinds: und man ſollte ſagen, nicht das
Kind
142 Der Mann
Kind hat von ihnen, ſondern ſie von best Kinde zu lernen.
Indem ſie ſich nun Muͤhe BR nicht das Kind die rechte Ausſprache der Wörter zu lehren, ſondern ſeine uͤbelausgeſprochene zu errathen; ſo ergoͤtzt ſich Mama an dem
kleinen Schwäger, deſſen Zunge nach und in
nach Feſtigkeit erhält, aber noch nicht zur wahren Sprache gelenk iſt. Wir wuͤrden weniger Stotterer haben, weniger Leute, die liſpeln, mit der Zunge anſtoſſen, ſchnarren, dieſe oder jene Buchſtaben nicht ausſprechen koͤnnen, wenn die Muͤtter we⸗ niger nachſehend — darf ich den Ausdruck des nicht heuchelnden Unwillens wählen ? weniger Närrinnen wären. Mit Verwun⸗ derung habe ich in einem Haufe von Anſe⸗ hen, einen einzigen Sohn in ſeinem eilften Jahre den Löfel, Lölel nennen gehört, weil man ihm in der erſten Kindheit darin nach⸗ geſehen. Der Knab, der ſonſt faͤhig, und gut geartet war, vermied mit aller Sorg⸗ falt dieſes Wort, und eine feurige Roͤthe uͤberzog ſeine Wangen, wann es ihm beim Tiſche entfuhr. f
Sind Aeltern, welche die erſte Sprache ihrer- Kinder fo verderben laſſen, nicht in
der
ohne Vorurtheil. 143
der That gegen ſie ſehr grauſam? ſie ver⸗ doppeln ihre Muͤhe, und rauben ihnen eine koſtbare Zeit, die zu einem beſſern Gebrauch haͤtte verwendet werden koͤnnen. Denn der heranwachſende Knabe muß die kindiſche Sprache verlernen; und nun erſt menſch⸗ lich reden lernen.
XIX.
Als dem artigſten Munde unſrer jungen adelichen Schoͤnen habe ich uͤberhaupt die pöbelhafteſte Ausſprache ſchallen gehört, Das iſt wie eine Perlenmuſchel, die dem Auge liebkoſet, aus welcher, da man ſie Öffnet, ein unflaͤttiger Froſch hervorſpringt. Ich weis nicht, ob mehrere Männer von meinem Geſchmacke ſind: aber ich, kann verſichern, daß das Niedre der Sprache mir korallene Lippen, und ſtatt der Zaͤhne gereihte Perlen, verekeln koͤnnte. So, wie fonft ein ſchoͤner Mund dem artigen Aus- drucke neue Reize mittheilet; ſo wird durch die poͤbelmaͤſſige Sprache ein Geſicht, wor⸗ auf die Grazien thronen, und der Fruͤh⸗ ling der Jugend ſeine Noſen und Lilien ge— ſtreuet
144 Der Mann
ſtreuet hat, das Geſicht der huldlaͤchelnden Venus ſelbſt, verzerret.
Ihr Schoͤnen! deren Schrecken ich bin, wo ich immer eintrete; die, bei meinem Anblicke zuſammfahren, in ihren Gebehr- den ſittſam, in ihren Minen anſtaͤndig, in ihren Reden behutſam werden! Ihr Schoͤ⸗ nen, deren Reize beſtimmet ſind, der Lohn des tugendhaften Juͤnglings, das Gluck, die Erquickung des verdienſtvollen Mannes, das Leben der Geſellſchaften zu ſeyn! glau⸗ bet einem Manne, der jeden eurer kleinſten Winke beobachtet; der, ſo weit er kann, jede geheime Falte eures Herzens ausſpaͤ⸗ het, und euch ſelbſt in dem Inneren eurer Zuruͤckziehung mit ſcharfſehendem Blicke verfolget; dieſem Manne, der in euch die ſchoͤngeſtaltete Schoͤpfung ehret; der euch, ſo wenig ihr es auch denket, hochſchaͤtzet; dieſem, wenn ihr es erlaubt zu ſagen, eu⸗ rem Bewundrer glaubet! eure Reize fliehn, ſobald der Mund ſich oͤffnet. Und waͤret ihr gegen mich mistrauiſch, ſo fragt euren Freund, den ihr fo oft des Tages zu Rath zieht, den Spiegel, er wird euch in ſei⸗ ner Sprache ſagen: Elmire! du ſprichſt: das Grübchen deiner Wange zieht ſich
in
ohne Vorurtheil. 145
in einen laͤnglichten Streifen, und ſcheint eine Runzel zu ſeyn. Dein Mund wird eine unebenmäflige Oeffnung, die gleich⸗ ſam aus ihren Angeln geſprungen. Die ſchönen Zalbzirkel deiner Augenbrau⸗ nen, von deren Zöhe der Liebesgott feine unfehlendſten Pfeile abdrücket, firduben ſich zu einem unregelmaͤſſigen Gebüſche empor. Die ganze bezau: bernde Bildung — weg iſt ſie.
Zuͤrnet uͤber die Waͤrterinnen eurer Kindheit! ſie ſind es, die daran Schuld tragen: oder vielmehr uͤber die, die es den gemeinſten Maͤgden uͤberlaſſen, eure erſten nachahmenden Toͤne zu bilden. Dieſe Haͤn⸗ de, dieſe Zuͤge, dieſer Wuchs und ganze Bau des Koͤrpers iſt edel: aber die Spra⸗ che — iſt Pöbel.
Auch ſo geht es mit dem Knaben, der doch kuͤnftig ſich mit einem gewiſſen Anſtan⸗ de ausdruͤcken, der vielleicht in einem Amtt
‚Öffentlich ſprechen ſoll. Seine Sprachwerk⸗ zeuge werden von einem Weibe geuͤbet, das die Sprache ihres Dorfes ſpricht: ihr Zoͤgling nimmt die ihrige an. Und nun, wenn wir den Vortrag eines Mannes im Amte mit geſchloſſenen Augen anhoͤren, II. Theil. K wer⸗
146 Der Mann
werden wir denken, wir haben einen Win⸗ zer oder Dorfrichter gehoͤrt, und es war ein — Hofrath.
Nunmehr hat der Knab ſein ſechſtes Jahr erreicht. Man muß ihm einen Lehrmeiſter geben! ſagt der Vater, und eilet einen aufzuſuchen, der dem hoff» nungsvollen Kinde die lateiniſche Sprach⸗ lehre beibringet, damit es bald ſtudieren koͤnne. Denn Latein lernen, heißt man immer Studieren.
Wie lange denkſt du, mein lieber Ca⸗ pa kaum, daß über dieſer Sprache hin⸗ gebracht wird? du daͤchteſt wohl nicht, daß es ſechs Jahre ſind, die man dazu verwendet! Sechs volle Jahre uͤber einer Sprachen, die in der That vor tauſend etlich hundert Jahren zu Rom am Zofe im Schwange war, und von allen artigen Leuten geredet worden, die aber zu unſern Zeiten aus allen Geſellſchaften, bloß in die finftre Studierſtube des . .. verbannet, nirgend bei einer Nation uͤblich iſt, und von der wir nicht einmal wiſſen, ob wir nur die rechte Ausſprache noch übrig haben
Man hat in der That Muͤhe, etwas zu finden, womit man die Jugend durch eine
ſol⸗
ohne Borurtheil. 147
ſolche Ewigkeit wenigſtens beſchäftige. Die vier erſten Jahre dehnt man den Unterricht fo ſehr aus, daß man erſt ges gen das End des vierten dahin gelangt, wohin ein gemeiner Sprachmeiſter in jeder andern Sprache feinen Lehrling in den er⸗ ſten vier oder fuͤnf Monaten bringt.
Die Betrachtung, die ich mache, iſt nicht neu, viele Väter haben fie vor mir gemacht: aber fie find dennoch den Weg aller Vaͤter gewandelt, und haben ihre Soͤhne ſechs koſtbare Jahre verlieren laſſen.
So viel Gewalt hat das Beiſpiel und die Surcht, auch in offenbaren Verbeſſerungen, ein Sonderling zu heiſſen.
In meinen Augen haben die Alten fuͤr uns Neuere immer als die Quelle des ſchoͤnen Denkens gegolten: und das, was der lateiniſche Geſetzgeber des guten Ge— ſchmacks, Zoraz feinen Roͤmern zuruft:
Blättert in griechiſchen Schriftſtel⸗ lern Tag und Nacht!“)
das kann man denen, welche in dem Fache
der ſchoͤnen Wiſſenſchaften etwas zu lei⸗
K 2 ſten
*) — — exemplaria græca Nocturna verfate manu, verfate diurna?
148 Der Mann
ſten Willens find, nicht zu ſehr zurufenz Jünglinge! blättert mit unverdroßner mühe die Alten, ſowohl Lateiner als Griechen durch! fie find die Mufter, aus denen ihr euch bilden könnet. Sie haben in dem Buche der Natur geleſen, und uns ihre Entdeckungen überliefert. Wer alſo nur etwas leiſten will, der kann die Sprache der ſchoͤnen Geiſter des Alter⸗ 1 thums nicht entbehren. Aber iſt dieſe lang⸗ weilige Art, ſie zu erlernen, nothwendig? iſt es nothwendig, die gluͤcklichſten Jahre zu verlieren ?
Auf den Haiden des Koͤnigreichs Hun⸗ garn habe ich oft einen Jungen hinter dem Vieh hergehen geſehen, der mich, obgleich nicht in zierlichem, dennoch in ganz ver⸗ ſtaͤndlichem Lateine um ein kleines Geſchenk anflehte. Der junge Viehhirt hat wenig⸗ ſtens dieſe Fertigkeit nicht auf der Schul⸗ bank erworben; und er beweiſt, daß dieſe Sprache ſich eben ſowohl, wie jede andre, durch die bloſſe Uebung beibringen laſſe. Aber ich kann ein noch uͤberzeugenderes Beiſpiel anfuͤhren.
Nicht ferne von den Graͤnzen, die
Steyermark von Kaͤrnten abſoͤndern, lebte ein
ohne Borurtheil. 149
ein Mann, der lange Zeit im Felde ge⸗ dient, und der der Ehre ſowohl als der Muͤhe ſatt, ſich ein kleines Dorf zur Freyſtadt erwaͤhlet hatte, wo er in Geſell⸗ ſchaft einer noch in ihren reifern Jahren angenehmen Gattinn ſeine uͤbrigen Jahre verleben wollte. Dieſes Paar, das ſich aus Liebe geehliget, durch Freundſchaft feine Ehe vergnuͤgt gemacht hatte, war einander zur Geſellſchaft hinlaͤnglich. Doch ſeufze⸗ ten ſie oͤfters, daß ihrem Wunſche der Segen der Ehe nicht gewaͤhret worden. Endlich ward ihrer Sehnſucht ein Erb ge⸗ ſchenkt, der beider ganze Sorgfalt auf ſich zog. Die Mutter, eine Frau, werth dieſen Namen zu tragen, wartete mit klu⸗ ger Hand des zarten Sproͤßlinges, und be⸗ ſchuͤtzte ihn wider jeden Hauch einer uͤblen Neigung: nur Tugend durfte unter ihrer Hand aufkeimen. In ſeinem vierten Jahre uͤbernahm ihn der Vater, und gab der nun ſich verſtaͤrkenden Pflanze die Richtung, die fie in ihrem Wachsthume annehmen follte. Der Vater hatte in dem Umgange mit der Ehre des Alterthums zu viel Vergnuͤgen genoſſen, als daß er ſeinem Kinde, nicht eben daſſelbe zu verſchaffen, begierig ge: K 3 wer
150 Der Mann
weſen waͤre. Aber an dieſem einſamen Orte, wo kaum jemand zu finden war, der leſen konnte, wo waͤre der Mann geweſen, der ihm in der lateiniſchen Sprache einen Un⸗ terricht haͤtte geben koͤnnen? Ungeachtet ich taͤglich in den Werken des Cicero, hoͤrte ich ihn erzaͤhlen, ungeachtet ich taͤglich in den Geſchichtbuͤchern des Livius, des Ta⸗ citus, in den beſten Dichtern der Lateiner las, die ich vollkommen verſtand, und deren Sprache ich, ſo wie es fuͤr unſre Zeit moͤglich iſt, auch redte; ſo konnte ich es mir weder zutrauen, noch mich dazu entſchluͤſſen, meinem Sohne die Regeln der Sprache zu lernen; und ich entſchloß mich, einen Verſuch zu machen, ob es nicht auf einen andern Weg angehen wuͤrde, ihm das Latein zu geben. Ich hub es ſo an. Meine Gattinn machte ſich, ſo wenig als moͤglich mit dem Kinde zu ſchaffen, ich aber ließ es deſto weniger aus den Augen: es mußte beſtaͤndig um mich ſeyn, in meiner Stube ſchlafen, ſpielen, alles verrichten. Und waͤhrend dieſer ganzen Zeit ſprach ich mit ihm nur Latein, und ließ es, was es verlangte, in eben der Sprache verlangen. Weil ich auf diefen Einfall etwas zu ſpaͤt ge:
2 — A En
—
ohne Vorurtheil. 151
gerathen, ſo koſtete es anfangs einige Muͤ⸗ he: doch zuletzt brachte ich es in Gang. Der Knab redte die lateiniſche Sprache ohne Regel, bloß durch die anhaltende Uebung, etwa fo, wie wir in der Kind- heit unſer Deutſch, ohne die Sprachlehre zu wiſſen, fertig reden; und da ich ihm, ſo bald er wortreicher ward, die leichteren Schriftſteller vorlegte, ſo ward er nach und nach ſo ſtark, daß er, ſelbſt einige Reden Cicerons mit ziemlicher Fertigkeit in feinem
achten Jahre zu erklaͤren wußte. — Da⸗ mals ſtarb die wuͤrdige Gattinn dieſes Mannes, und ihr Todfall zwang ihn, wegen der Erziehung ſeines Kindes, andre Maßregeln zu ergreiſen.
Ich ſehe nicht, worin die Schwierig⸗ keit beſtehen ſoll, dieſes Beiſpiel nach—⸗ zuahmen, und warum man das Latein, nicht wie das Franzöſiſche, in zwey Jah⸗ ren mit Huͤlfe eines Sprachmeiſters ſollte erlernen koͤnnen. Denn ich will immer Vaͤtern, die ihre Soͤhne wochenlang nicht ſehen , nicht zumuthen, ihre ernſthaften Beſchaͤfftigungen, ihre Spiele, ihre Klubbs und Geſellſchaften zu verlaſſen, um einer ſolchen Kleinigkeit willen, an der Erzie⸗
K 4 hung
152 Der Mann
hung eines Kindes zu arbeiten, welches ein Miethling ganz leicht für ein Stuͤck Geldes und einige Mahlzeiten, verrichten kann, da fie ihrer Schuldigkeit genug ges than, daß fie dem Kinde das Dee ertheilt haben.
XX.
N. ſo vielen nicht ſtets im feinften Stile abgefaßten Zunöthigungen meiner Korreſpondenten, ihre eingeſendeten Briefe im Druck zu geben, ſey dann ein Sünden⸗ bock hinausgeſtoſſen, der die Verbrechen als ler andern trage, und durch feine Beſcha⸗ mung ein warnend Beiſpiel werde, ihre Wuͤnſche nicht bis zur Unverſchaͤmtheit zu treiben.) Gerade koͤmmt mir ein Schrei- ben ein, welches ich nicht bloß wörtlich, fondern buchfizblich einruͤcken werde. Es waͤre Schade, wenn die kleinſte von ſeinen Schönheiten verloren gieng. Damit ich dem Vergnuͤgen der Leſer auch nicht das Mindeſte raube, ſo will ich nichts davon | vor- ) Das wäre alſo ein Original, und der Ton der Sprache, und Höflichkeit des 1765ften Jahres.
ohne Vorurtheil. 153
vorhinein melden, als daß ich die beſon⸗ ders wohl gewaͤhlten, und hervorſtechen⸗ den Ausdruͤcke durch den Druck unterſchei⸗ de, damit kein Wort davon auf die Erde
falle. 5 8
Mein Herr!
3 been e uͤberleſe ich eines ihrer Wochenſchriften mit ausnehmendem Ver⸗ gnuͤgen, und bedaure nur, daß, ſoferne von einem Gelehrten, wenn es in ihren Augen noch einen giebt; zu ihren Ruhm Entſcheidungen gemacht wuͤrden, oder ihre lebhafte und gründliche Beurthei⸗ lung anrühmen wollte, ſich der Schu⸗ ſterausdruͤcke bedienen muͤſſe, um ihre be⸗ ſitzende Weltweisheit, und dem Staate ſo heilſame Abſichten wuͤrdig erproben zu können: Ja! und dieſes verdienen Sie, und um deſto mehr verdienen Sie es, da Sie ein genug bekannter, aber nicht ge— nug belobter Schriftſteller find. „
„Daß ihre Wochen- Blätter die Sit⸗ ten und eingealte Mißbraͤuche zu berbeſſe⸗ ren zum Grunde haben; alſo ſprechen Sie Herr M. o. V.: andere aber ſagen alſo: Was man nicht verbeſſeren kann, und wo⸗
K 5 zu
154 Der Mann
zu die werckthaͤtige Mittel abgehen, dieſes ſeye ein leeres Geſchwaͤz, ein Großthuen, ein mit Gewalt erzwingende laͤcherliche Gelehrſamkeit: und daß man alſo ſpricht, dauor kann ich eben ſo wenig, als daß ihren ſo weiſen Lehren nicht Folge geleiſtet, und ſogar die angedrohte Straf-Ruthe ge= hoͤhnet wird. „
„Daß ihre Wochen - - Blätter in die Canzleyen, und ihr ſchon halb gelehrter Capacaum in die Raths- Stube, in die Concepte, in die Amts⸗Verrichtungen und ſ. w. gleich dem gunde in die Kirchen ſich eindringen; daß Sie von Hoͤheren und Vorſteheren (o Weltweisheit) beftimmte Beamte haͤcheln, und erſtere in denen letz⸗ teren dem pövel veraͤchtlich machen, be= urtheile jene ſo ſtrenge, welche ſie glau⸗ ben, getroffen zu haben. Doch dieſes gar nicht: dieſe koͤnnen ihnen aus dem Rang Streit der Thiere des gelehrten Hrn. Loͤſſings mit dem Loͤwe antworten: „Der Rangs⸗Streit iſt ein unnuͤtzer Streit, „ ſetzet mich zum erſtern oder letzten an, ich „kenne mich „! und mit ſolcher Denkungs⸗ art werden fie die übrig verbleibende Par they wohl nicht ſeyn wollen. „ | „ Wol⸗
r . ²ð Q w D o u an
ohne Vorurtheil. 155
„Wollen Sie vielleicht Herr Mann o. V. von ihren Zoͤglingen einige Muſter zu denen Aemtern liefern? Sie werden gewiß ihren Nahmen verewigen; aber ich befoͤrch⸗ te, dieſe lobenswuͤrdige Unternehmung wuͤr⸗ de ſehr ſpat ausfallen, weilen Ihnen ſelbſt, mein Herr Tadler, bis jetzo die Begrieffe von Canzley⸗Verrichtungen manglen, und noch viele Duzend halb nieder gebrennte Lichter verbrauchen werden, bis Sie ſich einige dieſer Kanntnüſſen beyle⸗ gen. „
„Daß Sie in ihren Wochen- Blaͤttern einen Eigennutz ſuchen, das wirft man Ihnen mit Unrecht vor: es iſt ja nach je= dem Poſt⸗Tag ein guter Theil deren Exem- plarien noch zu überkommen; nicht wegen des uͤbertriebenen Preiſes: um 3 kr. laͤßt ſich nicht viel Gelehrſamkeit kauffen, noch zum Beyfall des geſammten Publici aufklauben, und zweymahl die Woche hindurch mit Authormäſſiger Ernſthaf⸗ tigkeit auftretten. Aber ſeit der Schu: ſter - Correfpondenz trägt es doch ſchon um ein merkliches mehr ein, beſonders, da es ſich die Tagloͤhner, und was von der Gattung mehr, beyſchaffen. „,
„ Was
156 Der Mann
„Was man weiters dem unnacham⸗ lichen Herrn Schriſtſteller ausſezet, was vom Tadlen, vom Geſchwaͤze, von Ruhm⸗ redigkeit, von Schreiben ohne erzielen⸗ den Ende und erweißlichen Grunde Ih⸗ nen vorgeworffen wird, da habe ich ſchon viele ermahnet, ſolche in Geheim zu hal⸗ ten, ſollten Sie es, H. M. o. V. irgends inne werden, dann dieſes iſt ihre meiſte Beſchaͤfftigung, diejenigen Derter zu ber ſuchen, wo dergleichen Reden von ſtachel⸗ haften Müſſiggangern, oder ſich weiſe dünkenden Schüllern gehalten werden, wodurch ſie den Stoff zu Fortſezung der gelehrten Bemuͤhung erlangen, ſo wuͤrde man gewiß uͤbles Spiel haben. „,
„In Erwartung einer mich beehrenden Antwort, welche ich ſchon lange meinem Schneider verſprochen, der daran groſſen Theil haben wird, gleich denen Schuſtern in die gelehrte Geſellſchaft zu kommen, ver⸗ bleibe mit erſinnlicher Hochachtung,
| Mein Herr
Ihr Leſer aller ihrer bekannten Ausarbeitungen.
Ich
u
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E a u de rn ee
ohne Vorurtheil. 157
Ich habe zu dem Geſchmacke meiner Leſer ein ſo gutes Zutrauen, daß ich es ihnen uͤberlaſſe, dieſen Brief zu beur⸗ theilen. Er iſt mit der gewiſſenhafteſten Genauheit kopirt; und es ſoll jedem, der es verlangen wird, das Original bei dem Ausgeber dieſer Blaͤtter gezeigt werden. Was ich auch immer davon ſagen wuͤrde, koͤnnte der Genugthuung nicht gleich kom⸗ men, die ich mir gebe, daß ich dieſen Brief einruͤcke, und dadurch den Verfaſſer der Verachtung und dem Gelächter des Publi⸗ kums uͤberlaſſe. Dieſes mag urtheilen, ob ich nicht noch ſehr gelinde verfahre, wenn ich ſo einen mechaniſchen Menſchen mit ei⸗ nem ehrbaren Handwerker in eine Klaſſe verſetze. Doch bin ich auch nicht ſo un⸗ billig, ihn mit einer Menge rechtſchaffener Leute zu vermengen, die die Nanzleyfor⸗ meln beibehalten, weil es einmal ſo ein⸗ gefuͤhrt iſt; die aber weit entfernet ſind, ſie zu billigen, oder zu glauben, daß alle Schriften, die ſich davon unterſcheiden, und in einem edleren Tone geſchrieben werden, nichts taugen —
Ich habe mit dieſem Briefe die Geduld meiner Lefer gemißbrauchet, und bin nun
, ver⸗
IR: Der Mann
verbunden, Sie darüber in etwas ſchad⸗ los zu halten. Ich glaube, es nicht beſſer zu thun, als durch die angenehme Nach- richt: daß vor kurzem Herr Jacob Schmu⸗ tzer, ein wuͤrdiger Schuͤler Herrn Willes, aus Frankreich wiedergekehret, und nun ſeinem Vaterlande ſeine ſchaͤtzbaren Talente widmen wird. Er gieng vor vier Jahren, bereits mit vieler Faͤhigkeit vorbereitet, nach Paris, und ward H. Willen empfohlen.
Dieſer groſſe Kuͤnſtler erkannte bald die ſchoͤne Anlage ſeines neuen Schuͤlers, und ſah in ihm ſeinen kuͤnftigen Nachfolger. Die Anwendung Schmutzers ſagte ſeiner Gabe zu, und er ward in dem Wettſtreite der Geſchicklichkeit von der Akademie der Kuͤnſte zu Paris für einen Rünſtler der erſten Klaſſe erkläret. Er iſt ein vortref⸗ licher Zeichner. Seine Zeichnung iſt rich⸗ tig, und edel; feine Hand kuͤhn, fein Grab⸗ ſtichl ſicher, angenehm, wechſelnd, ſanft, aber auch nachdruͤcklich, wenn es das Subjekt fodert. Das groͤßte Zeugniß er⸗ hielt er von feinem unuͤbertrefflichen Mei⸗ ſter dadurch, daß dieſer eine von Schmu⸗ tzern geſtochene Blatte, die den koͤnigl. polnifchen Hofmaler H. Dietrich vorſtellet,
gleich⸗
ohne Vorurtheil. 159
gleichſam fuͤr ſeine eigene Arbeit erklaͤret, da er ſie eben dieſem Dietrich, einem überall hochgeſchaͤtzten Kuͤnſtler und feinen Freunde in feinem eigenen Namen zuge- eignet hat. Frankreich iſt den Vorzug, den es in den ſchoͤnen Kunſterzeugniſſen vor andern Staaten behauptet, der Hoch⸗ achtung, welche es den Kuͤnſtlern wieder⸗ fahren laͤßt, groͤßtentheils ſchuldig. Eine ruͤhmliche Nebeneiferung ſoll auch uns an⸗ flammen, Kuͤnſtler von unterſcheidendem Talente durch oͤffentliche Beweiſe der Hoch⸗ ſchaͤtzung aufzumuntern.
XXI.
An Fraͤulein
ein Brieffragment.
u Seen Sie nicht in Zenobie und Rhadamiſt die traurigen, die ſchrecklichen Folgen der Eiferſucht? —
Ich nehme zu vielen Antheil an ihrem Vergnuͤgen, als daß ich nicht wuͤnſchen ſollte, Sie moͤchten das Schauſpiel geſehen haben, womit die Impreſa den, dieſen
Staa:
160 Der Mann
Staaten glücklichſten Tag zu verhertli⸗ chen, ſich beſtrebet. Das Publikum dankt
derſelben durch meine Stimme. Alles, Schauſpiel, Ballet, Muſik vereinbarte ſich, unſer Vergnuͤgen zu vergroͤſſern. Das Schauſpiel war von einem der beruͤhm⸗ teſten Dichter Frankreichs, ertraͤglich über⸗ ſetzt: und Zenobie, und der Geſandte Rome! fo drückt ſich edler Unwillen aus, ſo die beleidigte Liebe — das iſt das Bild des Todes? Der Ballet iſt von vortreff⸗ licher Erfindung, der Zeit angemeffen , zuſammhangend, wechſelnd, und von dem Stile der Muſik, wenn ich ſo ſagen darf, auf das gluͤcklichſte unterſtuͤtzet.
Haben Sie, meine Freundinn! nicht mit mir die Anmerkung gemacht, welche Aufmerkſamkeit und Stille auf dem Par⸗ terre herrſchte? welche gluͤckliche Ahndung des ſich bildenden Geſchmacks, ein ge⸗ draängtes Parterre in einem Trauer⸗ ſpiele! Und wie beſchaͤmte die Sittſamkeit dieſes Platzes die Gallerie und ſo manche Loge! Waͤre es Ihnen, fo wie mir gegan⸗ gen, fo bedaure ich Sie vom Herzen. Gleich anfangs waren die Büchel alle aufgekauft, ob ich mit meiner Geſellſchaft
gleich
Ä | ohne Vorurtheil. 161
gleich fruͤhe genug kam. Aber dieſes war mir vielmehr ein angenehmer Beweis, von dem, was ich oͤfters geſagt habe: das gute Schauſpiel hat die ſtaͤrkſte Parthey — Ich ſah neben mich; zwar von meiner Nachbarſchaft verſprach ich mir gleich an⸗ fangs wenig gutes; aber fo arg erwar⸗ tete ich es dennoch nicht. Wenigſtens um die Haͤlfte lauter, als die Schauſpieler, ſprachen meine Nachbarinnen; und der galbbaß der einen, war fuͤr Leute, die zu hören gekommen waren, nicht ſehr er⸗ goͤtzend. Mein Ungluͤck wollte es dießmal ſo, daß ich das ganze Stuͤck verlieren ſollte. Vergebens zeigte ſich der Unwille in meinen Minen; vergebens ſprach ich vernehmlich genug, von Ungeberdig ſeyn; vergebens wiederholte ich abermal und aber⸗ mal giſch! und St! Nichts half; ich muß⸗ te das Geſpraͤch, von hundert Nichtswuͤr⸗ digkeiten, die ungeſchmackte Liebeserklä⸗ rung eines aus dem Orden der Hundert Eroberer , die unſchickliche Antwort der Nymphe auf dieſe Erflärung, eine Beſtel⸗ lung , einen Vorwurf, der durch Ge— genvorwürfe beantwortet ward, und noch andre Saͤchelchen mehr mit anhoͤren, die, II. Theil. 2 da⸗
162 Der Mann
damit ich alles auf einmal ſage, ein vor⸗ treffliches Stuͤck in dem. ., und ge⸗ rade das Gegenſtück zu der gnaͤdigen Stau von Artemiſie ausgemacht haben wuͤrden.
Gluͤck zu! dem herzhaften Manne, der es wagen darf, eine ſolche Pentheſilea) in ſein Haus zu fuͤhren, die nicht im min⸗ deſten aus ihrer Faſſung gebracht wird, wann die Augen von mehr dann achthun⸗ dert Zuſchauern nach ihr gekehret ſind, wann der ſichtbare Unwillen aller Anwe⸗ ſenden ihr gleichſam zuruft: ihr, wer ihr auch ſeyd! koͤnnet ihr gleich vergeſſen, was ihr eurer Geburt, der Sittſamkeit eu⸗ res Geſchlechts, der Wohlanſtaͤndigkeit, eurem Ruhme ſchuldig ſeyd; fo erinnert euch wenigſtens, daß eine Verſammlung von Bürgern das Recht hat, Achtung von euch zu fodern! zu fodern, daß ſie die Ergötzungen, die ſie der liebreichen Dorforge ihrer Beherrſcher ſchuldig iſt, ungeſtört genieſſe! zu fodern, daß ſie durch euch das Geld, ſo ſie für dieſe
Er⸗
) Die grimmige Amazone, die Virgil Penthe⸗ ſilea ferox nennet.
ohne Vorurtheil. 163
Ergötzungen mit Sreuden anbiet, nicht verliere, nicht bedaure! zu fodern, daß fie ſich, ohne euer euch entehrendes gohngelächter, dem Gefühle, zu dem eure Gemüther zu roh ſind, überlaſſen, bei der kämpfenden Tugend aufmerk⸗ ſam, bei ihrem Leiden von Mitleid, bei ihrem Siege von Freude gerührt ſeyn könne!
Meine Freundinn! noch ſind Sie in dem gluͤcklichen Alter, welches alle Reize ihres Geſchlechts an ſich hat, ohne die Gefahren derſelben zu theilen. Bald wer— den Sie auf der Schaubuͤhne der Welt eine Rolle annehmen muͤſſen. Ein ſchoͤnes Maͤdchen wird bald groß. Wann Sie dann auftreten; o ſo huͤtten Sie ſich vor allem, die Dreuſtigkeit derer zu ihrem Muſter zu wählen , die das, ungezwungene Le⸗ bensart befigen heiſſen, eine gehartete Stirne haben, das Aug eines kuͤſternen ohne zu blinken ertragen, vor einer Welt von Menſchen nicht zurückzie hend ſeyn! Die Art des Weltmannes, des Soldaten iſt nicht die Art, die dem Mädchen ge⸗ ziemet, deſſen Zierde Schüchternheit iſt, die es nicht abgelegt haben kann, ohne
L 2 b zu
164 Der Mann
zu ſehr mit der Welt vertraulich ges worden zu ſeyn —
XXII. Fortſetzung des XIX. Stuͤckes.
De. Knabe, der mit Muͤhe und Noth lateiniſche Woͤrter zuſammzuſetzen ange⸗ leitet worden, der Knab, bei dem nur etwas Gedaͤchtniß, keine Beustheilunen feine Beleſenheit, kein Kenntniß der Welt, des menſchlichen Herzens, der Tugend, des gafters , der Triebfeder der menſchlichen Handlungen, keine aͤhnlichen Faͤlle aus der Geſchichte, keine — mit einem Worte alles zu fagen, der Knab ſoll nun anfangen, die Sprache der Götter zu ſprechen, er, der die Sprache der Menſchen kaum lallet.
Die Dichtkunſt, ſpricht ein vortreffli⸗ cher Kunſtrichter, „, ift die Kunſt, auf eine herzruͤhrende Weiſe zu malen. Man un⸗ terſcheidet die Arten von Leidenſchaften, die man erregen kann; ſo hat man die Dichtungsarten! Die Idylle bringt uns ſanfte und ruhige Empfindungen hervor. Die Epopee erregt Bewunderung. Die
Ro-
ohne Vorurtheil. 165
Komödie macht uns lachen. Wenn dieſe uns Schmerz und Betruͤbniß verurſachte, ſo waͤre ſie eben ſo wenig Komoͤdie, als eine Tragödie ſehr wenig tragiſch waͤre, wenn fie uns lachen machte. — — Eben fo verhält es ſich mit allen übrigen Gattun⸗ gen. Ein jeder Leſer erwartet davon ei⸗ nen Eindruck von dieſer oder jener Art —
Und dieſen Eindruck, welcher einen uͤberdenkten plan, einen Plan, zu dem alle einzelnen Theile ein uͤbereinſtimmendes Verhaͤltniß haben, zu deſſen Ausfuͤhrung ein beſonderer Schwung der Einbildungs⸗ kraft, Genie des Verfaſſers erfodert wird, dieſen Eindruck, der ſo ſelten der Lohn des gereiften Dichters iſt, aber wenn er ihm zu Theil wird, der größte Lohn iſt, der ihn mit
Emporgehobenem Haupte dem Geſtirne
naͤhert. dieſen Ausdruck, wird der Knab von funf- zehen Jahren auf uns machen!
Ihr, denen die Fuͤhrung der Jugend auf der Bahn der Wiſſenſchaften anver⸗ trauet worden! iſt es nicht Verwegenheit, ſo vergoͤnnet mir zu fragen: in welcher Abſicht alle Knaben der Dichtkunſt ein:
„ L 3 9 ge:
166 Der Mann
geweihet werden? Mein Sohn foll in eine Banzley! ſagt ein Vater — wozu ſoll dieſem Sohne die Kunſt, gezaͤhlte Syll⸗ ben zu paaren? die Dichtkunſt wird nicht ſeine Beſchaͤfftigung ſeyn, warum macht ihr ihn ein Jahr daruͤber verſchwenden? Noch eine andre Frage: die Dichtkunſt wird nie jemandes eigentliche Beſchaͤffti⸗ gung ſeyn, beſonders die lateiniſche Dicht⸗ kunſt; ich weis alſo nicht, warum jemand in der erſten Jugend dazu angeleitet wird? Man ſieht das Latein nun entweder als eine Sprache an: läßt man uns nicht andre Sprachen lernen, ohne uns mit der Dichtkunſt aufzuhalten? der, der nie die geringſte Anleitung zur franzoͤſiſchen Dicht⸗ kunſt erhalten, aber ſonſt mit Geſchicklich⸗ keit in dieſer Sprache angefuͤhret worden, lieſt einen Boileau und Voltaͤr mit Ver⸗ gnuͤgen: wenn es nur um das Vergnügen zu thun iſt, kann ich ein Meiſterſtuͤck der Baukunſt nicht bewundern, ohne ein Vi⸗ truve zu ſeyn? muß ich, um von den Werken eines Raphael entzuͤckt zu wer⸗ den, ſelbſt ein Raphael ſeyn? — Oder man ſieht dieſe Sprache ſelbſt als eine Wiſſen⸗ ſchaft an: auch dann noch iſt es über⸗ . fluͤſ⸗
ohne Vorurtheil. 167
flüffig , die edle Zeit dazu anzuwenden, elende Stuͤmper zu bilden, die noch gegen die Bave des auguſteiſchen Jahrhundertes Bave ſeyn werden — Und wo hat eine Schule einen Demoſt⸗ henes, einen Cicero hervorgebracht? Man iſt ungerecht, es der Abnahme der Faͤhig⸗ keiten zuzuſchreiben: die Tillotone, Maſſi⸗ lione, die Slechier, die Bourdaloue, die Mosheime, und Jeruſaleme widerlegen dieſe Beſchuldigung: bei uns wird ſie Wurz im balden widerlegen — und wie viele welt- liche Redner kann ich anführen , die den Griechen und Roͤmern nur in ſo ferne nach⸗ gehen, als ſie von ihrem Stoffe, ſie zu er⸗ reichen, zuruͤckgehalten werden. Aber, wie darf ich von der Anleitung der Schule das fodern, was nur erſt eine Frucht vieler Arbeit, eines maͤnnlichen Nachſinnens, maͤnnlicher Beurtheilung, eine Frucht der reifern Jahre ſeyn kann — | „Wozu, mein ſchaͤtzbarer Führer! un- terbrach mich Capa- kaum, beeifern Sie ſich, mir eine Sache zu erklaͤren, die mir wenig nuͤtzen kann — Erlauben Sie mir, daß ich alles von dem Geſichtspunkte an⸗ ſehe, von dem es auf mich Beziehung hat. 24 Es
168 Der Mann
Es iſt gleichviel, ob ich meine Jugend in meinem wilden Aufenthalte muͤſſig hinge⸗ bracht, oder ſie in dem Staube der Schule unnuͤtz verſeſſen haͤtte. Ich ſtehe hier mit jenem gleich weit vom Ziele, und ich habe noch einen fernen Weg zu machen — Hier warf ſich mir der empfindliche Schuͤler mit einmal zu Füffen , und indem er meine Knie umfaßte, fuhr er fort: Zuͤrnen Sie nicht, mein theuerſter Lehrer! ich will Ih⸗ nen einen Stolz bekennen, der nur eine Frucht ihrer Sorgfalt, eine Frucht des Eindrucks iſt, den ihre Lehren auf mich machen — Ihre Wohlthaten fallen mir ſchwer! „ a
Er ſah mit unabgewendeten Blicken auf mich, gleich als wollte er in meinem Ge⸗ ſichte leſen, wie ich feine Rede aufgenom- men: als ich aber mein Stillſchweigen nicht brach, verfolgte er: „Nennen Sie mich nicht undanfbar ! dieſer Vorwurf wuͤrde mir mein Herz zerreiſſen. Ich werde nie den Werth der Guͤte verkennen, die Sie uͤber mich gehaͤufet haben! Wenn ich je⸗ manden Verbindlichkeit haben muß; ſo will ich ſie Ihnen haben. Aber, haben Sie mich nicht gelehret, daß ein Menſch, der ſeine
| ſitt⸗
ohne Vorurtheil. 169
ſittlichen, und phyſiſchen Kraͤften anzu⸗ wenden das Herz hat, nie unter der Laſt erliegen dürfe, von jemanden abzuhaͤngen. Ich will ein Menſch ſeyn, will meine Un⸗ terhaltung mir ſelbſt geben! Vollenden Sie nur ihr Werk, und zeigen Sie mir den Weg, den ich zu waͤhlen habe — „
Unmoͤglich konnte mir der Entſchluß meines Zoͤglings nicht gegen ihn wahre Achtung einflöffen. Er fühlte feine Würde, die Würde der Menfchheit. Ich umarmte ihn mit wahrer Freundſchaft, und indem ich ihn aufhub, ſprach ich: Mein Sreund ! ich ehre dieſe eöle Regung deines ger⸗ zens: und ich will fie in dir beſtändig unterhalten. Laß uns alle Stände nach der Reihe überſehen, und wenn ich ſie dir, nicht in dem falſchen Lichte, ſo das Vorurtheil auf dieſelbe wirft, wenn ich ſie dir in ihrer wahren Be⸗ ſchaffenheit gezeiget, wenn ich ihre ur⸗ ſprünglichen Eigenſchaften, von den Zufälligkeiten abgeſöndert habe, dann wird es dir zukommen, dich zu dem⸗ jenigen zu beſtimmen, der mit deiner Denfungsart, mit deinen Kräften am verträglichſten ſeyn wird. |
L 5 Mei⸗
170 Der Mann 228 78
Meine Abſicht iſt erreichet, in welcher ich dem XX. Stuͤcke das Schreiben eines ungebetenen Vertheidigers der Kanzleyver⸗ wandten in ſeiner natuͤrlichen Geſtalt ein⸗ geruͤcket habe. Ich konnte es vorherſehen, es wuͤrde beinahe unglaublich fallen, daß jemand ſo wenig Selbſterkenntniß beſitzen, und ſo elendes Zeug an mich — mich, der ich in dem Augenblicke gegen meinen Widerſacher gewiß einen ſtrengen Kunſt⸗ richter machen wuͤrde — einſenden koͤnnte. Von den mehrern Zeichen des Unwillens, und der Verachtung, mit welcher mich das Publikum wegen der Unhoͤflichkeit dieſes Menſchen raͤchet! nur folgender Brief!
Mein Herr!
4 Beſchaͤmt lege ich die Feder nieder, in dem fefien Vorſatze, fie nimmermehr zur Vertheidigung einer ungewiſſen Sache wieder zur Hand zu nehmen. Ich war beſchaͤftigt, ihre Anmerkungen, ſo Sie uͤber mein Schreiben im XVI. St. gemacht, zu beantworten. Freylich die Stalljungen in der 6ten Note preßten mir Seufzer aus: al⸗
ohne Vorurtheil. 1717
allein ich entſchuldigte dieſen Einfall, in⸗ dem ich mich an ihren Sleck von Sadlein- wand erinnerte, und in dem folgenden wahrnahm, daß Sie mich verkennen muß⸗ ten. Beſſere Begriffe mein Herr, von den Geſchaͤfften eines Roncipiſten, wollte ich Ihnen — Sieh da ihr XX. Stuͤck — Ver: wuͤnſchter Brief! der alle meine Arbeit zernichtet! in welche Verlegenheit — — Ja! mein Herr, wenn ſo ein Menſch, der, wie der Verfaſſer, den Namen Kon: cipiſt mit feinem Gekleckſe brandmarkt, ſich zu der Klaſſe der Roncipienten zählt, dann ſage ich es noch einmal, beſchaͤmt lege ich meine Feder nieder. Leſſings Sabel haͤtte nicht in aͤrgere Haͤnde gera⸗ then koͤnnen; und dennoch auch zerſtuͤm⸗ melt liegt Sie noch da, wie eine in den Unflath gefallene Perle. „
„Sagen Sie nicht mehr, daß Bei- ſpiele nichts beweiſen! Haͤtten Sie mich wohl nachdruͤcklicher demuͤthigen, ſtaͤrker widerlegen koͤnnen, als durch ein ſolches Beiſpiel, welches mich treulos machet, daß ich faſt meine Fahne verlaſſen, und zu ihrer Parthey uͤbergehen moͤchte? Genug, 10 gebe ihnen gewonnen, und begehre
auf⸗
172 Der Mann
aufrichtig Frieden. Sie haben mir Ver⸗ gleichspunkte vorgelegt: wohlan, mein Herr! ich will ihre Bürger, ihre Rünſt⸗ ler, ihre Zandwerker für nuͤtzliche Glie⸗ der des Staates, mit der gehörigen Ach⸗ tung erkennen. Sie aber ſollen zur Wie⸗ dervergeltung niemals mehr einen frucht⸗ bringenden Garten ausſchaͤnden, der un⸗ ter ſeinen Pflanzen Unkraut hegt! Zuͤrnen Sie meinetwegen mit dem Gärtner, der es nicht ausrottet! Ich bin mehr als je⸗ mals „ Dero Verehrer der ungluͤckliche Sachwalter. — XXIII.
neh ſoll den erſten, den ehrwür⸗ digſten aller Staͤnde nicht von ferne ken⸗ nen lernen! nicht hier, wo unſre verwoͤhn⸗ ten Augen alles, wie in einem umkehren⸗ den Glaſe betrachten; wo die Verhaltniſſe durch den Eigenſinn beſtimmet ſind; wo der unabhaͤngigſte aller Stände denen un⸗ tergeordnet iſt, die ſeiner nicht entbehren koͤnnen! Aber fo mußte es ſeyn: die Weich lich⸗
ohne Vorurtheil. 173
lichkeit mußte dem Fleiſſe ſeine Wuͤrde rau⸗ ben, oder ſie ſelbſt verlieren.
Copa : kaum ſoll die Stadt verlaſſen, und den Landmann bei ſeinem Pfluge, bei ſeiner Heerde, in ſeiner ſtillen Huͤtte, und, wo iſt die Zeit, wo man ſagen konnte, in ſeiner Freyheit? ſehen. Lebe denn wohl, Wien! du Stadt voll Gepraͤng ohne Höf- lichkeit, voll Anſtand ohne Sitten, Stadt voll eiteln Laͤrmen ohne Beſchaͤfftigung; wo die Mittage verſchlafen, die Nächte ver- ſpielet werden; wo Maͤnner Weiber, die Weiber Puppen ſind; wo die Ehe ohne Liebe, der Umgang ohne Freundſchaft, der Geck oft geehret, die Armuth ſtets eine Schande iſt; lebe wohl! mich ziehen gluͤck⸗ lichere Gegenden an.
O anerſchaffner Standort des Men- ſchen! deine Reize verlieren nie ihren Ein⸗ fluß. Schon athme ich eine ungewohnte reinere Luft; ſchon ſtroͤmet mit derſelben ſuͤſſe Sorglofigfeit in mein Herz. Ich wen⸗ de mich nicht zuruͤcke nach dem Verfloſſenen: ich ſtaͤmme mich nicht empor, meine Aus⸗ ſicht vor mir hinaus zu verlaͤngern: das Gegenwaͤrtige nur beſchaͤfftiget mich: die Gegenſtaͤnde meiner Augen ſind die Veran
ſtaͤn⸗
174 | Der Mann
ſtaͤnde meiner Gedanken — und meiner Unterredung. | | Ich mache meinen Weg, wie Emil mit ſeinem Fuͤhrer, zu Fuſſe, um deſto leichter vom Wege abtreten zu koͤnnen. Siehſt du, mein gelehriger Freund! ſage ich zu mei⸗ nem Reiſegefaͤhrten, die beſchweißte Muͤhe des Landmannes, die reifenden Saaten! auf ihnen beruhet die Hoffnung der ſtolzen Stadt. Eine Trockne, die dem Korne die Nahrung raubt, von der es ſchwillt; eine Wolke, die verwuͤſtenden Hagel uͤber die Felder ausgießt; ein Heer von Heuſchre⸗ cken, das ſich darauf niederſtuͤrzt, und ſie abweidet; hundert andre Zufaͤlle koͤnnen die⸗ ſe Hoffnung zernichten. Aber ſie, die ſorg⸗ loſen ſchlemmen. — Capa- kaum unter⸗ bricht mich; er ſieht da einen Pflug, dort eine Egge, dort ſonſt ein Ackerbaugeraͤth: er wuͤnſcht von ihrem Gebrauche unter⸗ richtet zu ſeyn. Auf feine Bitte, unter- ſuchen wir den Unterſchied des Waizen vom Korne, den der Staͤdter nie anders⸗ wos, als in Gerichten durch feinen Eckel bemerket; nähern wir uns einer ſpringen⸗ den Heerde, ſchweifen zu einem Weinge— birge aus, gehen laͤngſt dem bebuͤſchten Ufer
ohne Borurtheil. 175
ufer eines Baches hin, und erreichen unter dieſen Beſchaͤfftigungen ein kleines Dorf. | Voll Ungeduld, zieht mich mein Rei⸗ ſender in die naͤchſte Huͤtte: er pochet an die Thuͤre: man oͤffnet, und er faͤhrt zu⸗ ruͤcke. Ich errathe die Urſache feiner Ue⸗ berraſchung; aber ich ſtelle mich an, als erriethe ich ſie nicht: er ſoll ſie ſelbſt ſagen! „Wie iſt meine Erwartung hintergan—⸗ gen, faͤngt er endlich nach einem laͤngern Schweigen an! wie iſt dieſer Anblick ſo ſehr von demjenigen unterſchieden, den ich mir verſprach, und wornach ich eilte! Be⸗ trachten Sie dieſe Frau! wo iſt die Rein⸗ lichkeit, die mit der edeln Einfalt, der reizende Putz der laͤndlichen Wirthinn ſeyn ſoll? dieſe Lappen, womit fie nur halb- bedeckt iſt, find das Kennzeichen des Elen— des, und erwecken Grauen. Dort dieſe nackten auf der Erde herumkriechenden Kinder, dieſes im Winkel unfauber hinge⸗ ſtreute Stroh ſcheint ihr Lager zu ſeyn. — Wo iſt die Gaſtfreyheit, die von den Land- fitten fo ſehr geruͤhmet wird? zwingt fie uns, bei ſich einzuſprechen? biet ſie uns nur einen Trunk, nur ein Dach an — „ Nichts
176 Der Mann
Nichts mangelte, als daß er noch hin⸗ zugeſetzt haͤtte: machet ſie ſich fertig, uns unfre Süffe zu waſchen v denn dieſe Frage war ganz wohl zu dem Bilde der laͤndlichen Gaſtfreyheit ſchicklich, das mein guter Schuͤler aus den Beſchreibungen des Zomers abgezogen hatte. Da uns dieſe weniggaftfreye Frau nicht zu uͤbernach⸗ ten zwang, ſo luden wir uns ſelbſt ein, und baten ſie, uns zu behalten. Ich ſetz⸗ te hinzu: daß wir ihre Gefaͤlligkeit nicht ohne Bezahlung und unſern Dank verlang⸗ ten — und nun traten wir in das Zim⸗ mer, wenn man einen Aufenthalt der Ar⸗ muth und aͤuſſerſten Muͤhſeligkeit, einen Ort, der einer Rauchſtube aͤhnlich, zu ſei⸗ nem ganzen Geraͤthe einen übel zuſammge— zimmerten Pflock ſtatt des Sitzes, einen hoͤkrichten Tifch, und einen ausgebrochenen Topf zum Waſſergeſchirre hatte, wenn man dieſen Ort ein Zimmer nennen darf —
Die Hauswirthinn war nicht nur un⸗ reinlich, ſie war auch ſcheu, und entſchluͤpf⸗ te bei der erften Gelegenheit aus dem Zim- mer, um ſich vor uns zu verbergen. Itzt konnten wir unbehorcht unſre Anmerkun⸗ gen machen. Capa⸗ kaum war nicht im
Stan⸗
ohne Vorurtheil. 177
Stande, ſich von ſeiner Verwunderung zu erholen: er durchlief mit ſchnellen Blicken unſre Herberg, und Elend! und Armuth! war das einzige, was er ſagen konnte. Inzwiſchen kam der Inhaber des Hau: ſes von ſeinem Felde zuruͤcke. Gerippe von Pferden, die kaum ſich ſelbſt trugen, ſchleppten mit Noth einen Karren nach ſich her, und wurden, nachdem ſie ausgeſpan⸗ net worden, ſtatt alles Futters auf eine Weide getrieben, worauf nur wenige Gras- ſpitzen hervorſtechen, die der Staub dem Viehe vollends ungenußbar macht. Er ſelbſt, ihr Eigenthuͤmer, trat endlich be⸗ ſchweißt uͤber die Schwelle, und erſtaunte, zween Fremde bei ſich zu finden. Eben ſo abgeriſſen, als feine Hälfte, war er eben ſo ſcheu. Er wollte gleich zuruͤckkehren, als ich ihm zurufte: er moͤchte ſich ſeinen Gaͤſten nicht entziehen; wir waͤren Willens bei ihm zu uͤbernachten — Bei mir die gerren e übernachten? — Nicht anders — Ich habe euch nichts vorzuſetzen — Auch kein Brod — keine Milch, ſetzte mein Ge- fährte hinzu, der feinen Kopf mit den groſſen Milchtoͤpfen, und dem aufgeſchuͤrz⸗ ten Mädchen des Dichters voll hatte — G! II. Theil. M gab
178 Der Mann
gab der Bauersmann mit einem Seufzer zur Antwort: ihr werdet das Brod, das wir eſſen, nicht hinabbringen. Mit dieſen Worten langte er aus einer Blinde ein Stuͤck in einem Lappen eingehuͤllet, hervor, das neben einer unglaublichen Schwaͤrze den widerſtehendſten Geruch hat⸗ te — Und auch dieſes, ſagte er, habe zich von meinem Nachbarn geborget, damit ich Weib, und Vindern heute einen Mundvoll geben kann. Ich habe noch keinen Biſſen genoſſen, und will zich meine Rinder nicht vor gunger ſchreyen laſſen — | Mir und meinem Freunde traten Thrä- nen in die Augen: ich konnte ihn nicht vollenden laſſen, und bat ihn, auſſer Sor⸗ ge zu ſeyn: wir waͤren nicht gekommen, ihn und die Seinigen zu berauben. Neh⸗ met, ſprach ich, dieſes Wenige! und erquicket eure ſchmachtende Familie damit! der Mann ſegnete uns und die Vorſicht, die uns ihm geſendet, mit aufgehobenen Haͤnden —
Ich ſehe es, fuhr ich fort, wir wuͤr⸗ den euer kleines Haus in Unordnung brin⸗ gen, wenn wir hier blieben. Iſt ein Gaſt⸗
hof
ohne Borurtheil. 179
hof hier, wo wir die Nacht zubringen koͤn⸗ nen, ſo begleitet uns dahin, und uͤberlaͤßt eurem Weibe, fuͤr das Haus zu ſorgen! Er that es, und wir nahmen ihn mit zu Tiſch.
Der Mann war anfangs zu bloͤde, ſich zu ſaͤttigen. Unſer Zureden machte ihm Muth; er genoß, und der Wein machte ihn froh und vertraulich. Die Neugierde meines Begleiters war auſſerordentlich, zu erfahren, wie ein Mann, der ſelbſt einen Feldbau hätte, fo an allem Mangel leiden koͤnnte. Er vermuthete alles eher, als die wahre Urſache, die er aus dem Munde des Landmannes hoͤrte.
„So arm, wie ihr mich findet — hub er in ſeiner treuherzigen Sprache an — ſind alle meine Nachbarn, ſind alle Bauern im ganzen Lande. Arbeit und Zlend iſt unſer Antheil im Leben, und das Erbtheil unſrer Kinder nach unſerem Tode. Wie waͤre es auch moͤglich das geringſte vor ſich zu bringen? o, der Krieg! der Krieg! wir werden ihn noch lange nicht verwinden! — Mein Gott! verfolgte er mit einem Seuf; zer, was fuͤr ein Elend iſt es, Bauer zu ſeyn! der Sommer in Schweiß, der Win⸗
M 2 ter
180 Der Mann
ter in Noth! und was hilft alle meine ſaure Arbeit! die Felder geben kaum eine doppelte Saat, weil man ihnen das ihri⸗ ge nicht geben kann. Wo naͤhmen wir Dünger her, da man mit Muͤhe und Noth zwey Ackerpferde erhalten kann! Weide fuͤr Hornvieh, iſt im ganzen Lande nicht. Denn die duͤrren Gemeinweiden; ja doch, wenn das arme Vieh von Luft und Staub leben koͤnnte — Iſt ein Fehljahr, fo koͤmmt der Jammer unangemeldet: und ſegnet auch der Himmel unfre Saaten; fo ſegnet er fie nicht uns. Der Zebend, die Gaben, die Saat aufs kuͤnftige Jahr, das, was man erborget hat, wann ich das alles hergebe, ſo bleibt mir ſo viel, als auf dieſer flachen Hand. Noch wollten wir den Zehenden gerne geben, hinderte er uns nur nicht, unſer Erdreich zu nuͤtzen. Mein Grund liegt hoch, der Sonne ausgeſetzt, es wuͤr⸗ de vortrefflicher Wein wachſen. Ich darf keinen Weingarten daraus machen, der Zehend im Getraide iſt darauf gegruͤndet. Mein Weingarten iſt im Grunde, er giebt nur geerlinge, die nie reif werden: ich darf ihn nicht in ein Ackerfeld verwandeln. Meine Wieſe, wenn ſie noch ſo ſchlechtes | ſau⸗
ohne Vorurtheil. 181
ſaures Riedgras bringt, muß ewige Wieſe bleiben. Alſo koͤmmt uns armen Leuten auch unſre Arbeitſamkeit nicht einmal zu Huͤlfe. Glaubt meine Herren, wenn uns ſre Kaiſerinn alles wuͤßte, ſie hätte ge: wiß mit uns Mitleiden. Unſre Gaben fuͤr das Land und die Herrſchaft, richten uns noch ganz zu Grund, nicht ſowohl wegen der Groͤſſe, als wie, und wann man ſie geben muß. Der Bauer muß Geld geben, muß es zu einer gewiſſen Zeit geben: das macht unſer groͤßtes Un⸗ gluͤck aus; das zwingt uns, unſre Frucht, oft noch in der Saat zu verkaufen; das läßt uns nicht etwan doch einen mittel⸗
mäſſigen Preis abwarten. Das groſſe Brod, das ihr in der Stadt eſſet, iſt Thraͤnenbrod der Bauren. Was wir ſonſt aus drey Metzen loͤſen wuͤrden, dafuͤr muͤſſen wir ſechs hingeben, ſonſt koͤmmt Exekution, und ißt unſern hungerigen Kindern den Biſſen vom Maule weg. Ha⸗ ben die Herren Zeit, ſo will ich ſie ein wenig auf unſre Felder fuͤhren; ſie koͤnn⸗ ten ſchlechter nicht beſtellt ſeyhn. Mehr als zwey Drittheil haben abgewirthſchaf⸗ tet, und die uͤbrigen werden mit mir, ehe⸗
M 3 ſtens
182 Der Mann
ſtens davon laufen. Jeder Hanßlanget in der Stadt hat es beſſer, als der beſt⸗ Bauer. Das ganze Jahr koͤmmt nichts uͤber unſre Zungen, als ſolch Brod, wie ihr geſehen, in warmen Waſſer geweicht, und ein wenig roh Sauerkraut. In mei⸗ nem Leben werde ich nie wieder ſo einen Tag haben, wie dieſer! Haͤtte ich nur mei⸗ nen Kindern, jeden einen Mundvoll Fleiſch reichen koͤnnen! Wer weis, ob ſie in ihrem Leben je eines koſten werden. „
Wir befahlen ihm, aus dem Gaſthauſe Fleiſch fuͤr ſeine Kinder mit nach Hauſe zu nehmen, und uͤberlieſſen uns, nachdem er uns unter tauſend Dankſagungen und Wuͤnſchen verließ, den Betrachtungen über das Elend des Landvolkes —
XXV.
Von.. dorf den 23. May 1766. Theuerſter Freund!
3 Waden es ihre Geſchaͤfte wohl zuge⸗
ben — denn von ihrer Gewogenheit bin ichs
zum vorhinein uͤberzeuget — daß Sie einen
Auftrag uͤbernehmen, der vielleicht nicht | oh:
ohne Vorurtheil. 183
ohne Beſchwerlichkeit ſeyn wird? Ferne von meinen Leſern muß ich einen Mittler ſuchen, durch den ich der Verbindlichkeit genug thue, die ich als Schriftſteller auf mich genommen habe; muß ich einen fin⸗ den, der zweymal die Woche mein Dolls metſch bei ihnen werde. Und wer wuͤrde dieſe Stelle mehr zu meinem Vortheile und ihrem Vergnuͤgen bekleiden, als Sie — Sie, deſſen Kiel meinen Gedanken das Gefaͤllige, an dem es ihnen mangeln mag, mittheilen wird? — „
„Ihre Plage ſoll nicht auf lange ſeyn. Mein Herumſchweifen auf dem Lande wird nicht laͤnger waͤhren, als es braucht, die Beobachtungen zu machen, die ich zum Unterrichte meines Schuͤlers noͤthig habe. Nach wenigen Wochen will ich Sie davon los ſagen: nur bis dahin leihen Sie ſich mir, zu zweyerley Abſichten:
„Erſtlich: will ich Ihnen ein getreues Tagebuch uͤber alles das mittheilen, was uns begegnet, und einer unterrichtenden Betrachtung Gelegenheit geben kann. Der Stil meines Tagebuchs foll fo einfach, als die Sachen ſelbſt ſeyn, die er beſchrei⸗ ben wird. Ihnen gebe ich freye Hand,
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184 Der Mann
der nackten Wahrheit das Kleid umzuwer⸗ fen, fo Sie für fie am ſchicklichſten fin⸗ den. Nur machen Sie es, wie geſchickte Maler, die ihre Drapperie ſo werfen, daß der Wuchs ihrer Figuren nicht verunſtal⸗ tet wird. Aber, wozu dieſer Praͤceptorton an Sie — Kleiden Sie, mit einem Worte, meine ländlichen Wahrnehmungen, nach ihrem Wohlgefallen ein! „
„Jedoch in einer Zeit von einigen Wochen, wie viel meiner Neugierde wuͤr— diges wird ſich da nicht in einer Stadt ereignen, die von Th.... wimmelt? — Laſſen Sie es nicht geſchehen, daß ich, wann ich in die Stadt zuruͤckkehre, in ih⸗ ren Gewohnheiten neu ſey! Laſſen Sie es auch nicht geſchehen, daß ſich Gecken mei⸗ ner Abweſenheit freuen, und wie die Fle⸗ dermaͤuſe, bei Abweſenheit des Lichtes, das fie beleuchtet, aus ihren Loͤchern her⸗ vorkriechen! Theilen wir uns untereinan⸗ der in die Provinzen! indeſſen ich, das offene Land ausſpaͤhe, ſo halten Sie die Stadt in Athem, und das Schrecken un⸗ ſers Namens wa das Land von enen Ende n andern! ,
ss Er.
ohne Borurcheil. 185
„Erlauben Sie mir auch, daß ich die Weiſe unſers Briefwechſels feſtſetze. Der Mann, der dieſes Schreiben an Sie über: bringt, ſoll bei ihnen bleiben, bis ein zweytes von mir einlaͤuft. Dann ſenden Sie mir ihre Antwort durch den erſtern, und behalten Sie den zweyten abermal bei ſich. So werde ich mit zween Bothen im Stande ſeyn, woͤchentlich Ihnen von mei⸗ nen Neuigkeiten mitzutheilen, und wechſel⸗ weiſe die Ihrigen zu empfangen. „
„„ Ich werde den Anfang zu meinem kleinen Tagebuche machen, ſobald ich von Ihnen die Verſicherung erhalte, daß Sie durch keine Nebenumſtaͤnde gehindert wer⸗ den, zu willfahren, „
ihrem ergebenſten —
Wien, denſelben Abend noch. Freund!
„Es ſtraͤube fich das heuchleriſche Maͤd⸗ chen bei dem Kuſſe, dem ſeine Lippen ſich doch in Geheim entgegen werfen, nicht ich, bei dem Antrage eines Freundes! Es ver⸗ bitte das ſchlaue Maͤdchen mit erkuͤnſtelter e die Lobſpruͤche des Liebhabers, M 5 um
186 Der Mann
um ihn zu zwingen, daß er ſie wiederhole! Ich will uͤber das Kompliment, ſo Sie meiner Feder machen, hinwegfahren, und alle Foͤrmlichkeiten der kleinen Schreibſuͤch⸗ tigen, und alle Authorbedenklichkeiten bet Seite legen, und Ihnen mit der Freymuth der Freundſchaft geſtehen, daß meine Ge⸗ ſchaͤfte mich gar nicht hindern, einen ihrer Briefe zu leſen, und Ihnen einen andern dafuͤr zu uͤberſchreiben. Wenn ich mich mit meinen Geſchaͤften nicht entſchuldigen kann, womit ſollte ich es gegen einen Freund ſonſt wohl 7 „
„Senden Sie mir alſo immer ihr Ta⸗ gebuch! ich will mir darüber alle die Frey⸗ heiten nehmen, die Sie mir einraͤumen, und ihre Leſer ſollen ihren halben Bogen Mittwoche, und Samſtag ſo regelmaͤſſig bekommen, als beſorgten Sie alles ſelbſt gegenwärtig. „
„Auch dazu will ich mich vom Herzen gerne bequemen, daß ich Ihnen die Stadt⸗ neuigkeiten uͤberſchreibe: wohlverſtanden, daß ich in ihrem Blatte keine Hauptperſon zu ſpielen gezwungen werde. Ich mag ſo gerne mein Haupt ſanfte zur Ruhe legen: und wenn der Ruhm des Schriftſtelles nur
mit
ohne Vorurtheil. 137
mit Furcht erkauft wird; ſo ſage ich mit jenem guten Schleſier, dem ein Werber, die Ehre fuͤr den Koͤnig zu ſterben, pries: ich verlange nach dieſer Ehre nicht. „
„Ich will meine Nachrichten gleich mit dieſem Briefe einleiten. Der berühmte Bereuter hat ſeine Taxe, als ein rech⸗ nender Englaͤnder, herabgeſetzt, und nun iſt der Zulauf ungemein. Einige finden ſeine Geſchicklichkeit auſſerordentlich, an⸗ dre halten ihn fuͤr einen Gaukler — und ich fuͤr einen Menſchen, der uns in kurzer Zeit einige dreyſſig tauſend Gulden aus dem Lande ſchleppen wird, die fir den Staat unwiederbringlich verloren ſind. Es mag ſeyn, daß ich irre: aber koͤnnte man nicht glauben, man ſende dieſe Leute ei⸗ gends dazu aus, um fremde Staaten arm zu machen 2 „
„Ich habe laͤngſt einen Gedanken ge⸗ habt, den ich hier ein wenig auseinander ſetzen, und ihre Meinung daruͤber hoͤren will. Waͤre es nicht nuͤtzlich, eine eigene Pflanzſchule von Zalsbrechern zu errich⸗ ten, wo man Jungen, die den Beruf, Taugenichts zu werden, durch unzwey⸗ deutige Streiche an den Tag legen, in
den
188 Der Mann
den Kuͤnſten der Türkete und Bateſe mit vieler Sorgfalt unterrichten ließ? Hievon nun ſendete man jaͤhrlich drey in alle Welt. Laſſen Sie uns den Vortheil berechnen!
„Drey ſolche Waghälſe von verſchie⸗ denem Talente gehen von hier in das Reich, ſchweifen nach Polen und Rußland aus, und gehen auf einem andern Wege wieder
zuruͤcke bis nach Hamburg. Auf einer fol °
chen Reife ſammelt jeder ganz leicht funf; zigtauſend Gulden, zuſamm fl. 180000 „Bei den ſparſamen gol- Ländern werden fie kaum mit⸗ einander beilegen 10000 „Aber fie gehen nach Eng⸗ land. Der Englaͤnder iſt von Natur ein Freund von Wage⸗ ſtuͤcken. Wo ein Deutſcher 4 Gulden giebt, da giebt er gerne eine Guinee. Drey recht ſchreckliche Meiſter⸗ ſpringer — aber recht ſchreck⸗ lich muͤßten ſie ſeyn — ſollten da wohl noch zwanzigtau⸗ ſend Guinee davon tragen: nach unſerem Gelde ungefähr 180000 *
— Aus
n Pe We | —
obne Borurtheil. 189
„ Aus England ſetzen fie nach Srankreich über, wo ſie
ſich leicht 80000
erſpringen. f f „Spanien und Portugal | |
gering gerechnet, truͤgen 100000 „Die Schweiz nur = 5000
weil die Grundſaͤtze Rouſſeaus
hier doch zu ſehr uͤber Hand nehmen. Aus der Schweiz | gehen fie nach
„Italien, wo fie hie und
da gleichwohl auch einige tau⸗ !
ſend — beiläufig = fl. 40000 aͤrnten, mithin über Tyrol zu⸗ ruͤcke mit einer Beute von fl. 375000 fremden Gelds ankommen.
„Stellen Sie ſich vor, von was für einem Umfange und Abſatz eine Fabrikation ſeyn müßte, die jährlich 375000 fl. netten Gewinnſt durch die Ausfuhr in den Staat zu leiten im Stande waͤre — Der Entwurf, hoffe ich, verdient erwogen, und ihr Freund dafür belohnet zu werden. „
„ Sonſt hat ſich, ſeit ihrer Abweſen⸗ heit nichts zugetragen, das ihre Aufmerk⸗ ſamkeit verdiente, als ein Vorfall, der
auf
190 Der Mann
auf eine ganz ſonderbare Art, einer Frau die Wiederkehr ihres Mannes zuwege brachte. „
„ Tindarine, Sie wiſſen welcher Frau wir dieſen Namen ſonſt beilegten — iſt ſchoͤn, und artig im Umgange; aber wel⸗ ches Weib bleibt das lange in den Augen ihres Mannes » Der ſonſt zaͤrtliche Semahl Tindarinens gieng endlich den Weg aller Männer, und erkaltete. Die Gattinn em⸗ pfand ſeine Gleichguͤltigkeit um deſto ſchmerz⸗ licher, je weniger ſie dieſelbe verdiente. Von ungefaͤhr wirft Selimor die Augen auf ſie; und da es ihm nicht gelingt, ihr Aufwärter zu ſeyn, will er wenigſtens dafuͤr gehalten werden. In dieſer Abſicht verfolgt er ſie, wie ihr Schatten, aller Or⸗ ten, und draͤngt ſich beſonders an oͤffent⸗ lichen Deftern an ihre Seite. Sein Auge iſt ſtets auf ſie gehaͤftet, ſtets reicht er ihr den Arm, ſitzt im Schauſpiele naͤchſt an ih⸗ rem Sitze. Koͤmmt fremder Beſuch, ſo thut er unzufrieden. Erweiſt Tindarine jemanden Freundlichkeiten, ſo ſcheint er zu eifern; und was das ſonderbarſte iſt, ſelbſt bei den Liebkoſungen ihres Mannes faltet
er die Stirne. „ 1 Cin-
ohne Vorurtheil. 191
„Tindarinens Gemahl ward endlich dieſes ungeſtümmen Aemſigen gewahr, ward unruhig. Und dieſe Unruhe hatte fuͤr die Gattinn die vortheilhafteſten Fol⸗ gen. Die Sorge, ein Herz zu verlieren, das er zu beſitzen, einſt fuͤr ſein Gluͤck hielt, veraͤndert den gleichguͤltigen Mann wieder in den unverdroſſenen, gefaͤlligen, zuvor⸗ eilenden Liebhaber, der fie itzt, als eine Geliebte gegen den Nebenbuhler, und ge⸗ gen den Betrug ihres eigenen Herzens be⸗ wahret. Leben Sie wohl auf ihrem Lande.
„ „ „ an
XXVII. . ſtein den 31. May 1766.
Mein Freund!
„Das Wetter war hier die ganze Zeit her ſehr unfreundlich, und hielt uns gleich⸗ ſam in unſerm Gaſthauſe gefangen. Ob ſich gleich von den elenden Dorfleuten ein jeder anbot, ein Schreiben an Sie zu uͤber⸗ bringen; ſo hatte ich zu ſehr mit ihnen
| Mit⸗
192 Der Mann
Mitleiden, als daß ich ihr Anerbieten haͤt⸗ te annehmen ſollen. „,
„O, mein gerr! ſagte einer darun⸗ ter, dem ich es abſchlug, ihn, bei einem ſtarken und anhaltenden Regen abzuſchi⸗ cken: wir find der Witterung ſchon ge⸗ wohnt. Wenn unſre Srohnfuhren ) treffen; und die Durchmarſche der Sol⸗ daten machen, daß ſie oft herumkommen, da ſchaut niemand, was für ein Wetter ſeyn mag. Wir kommen eben vom gelde zurücke, wir, unſer armes Vieh, beide gleich müde und matt: aber da wartet der Richter auf uns, und ihm zur Seite ein Soldat: ihr müßt, heißt es, gleich mit dieſen zerren da — „
„Gevatter! wie iſt es möglich die armen Gerippe pflügen ſeit Anbruch des Tages: ſie ſind heute noch nicht ein⸗ mal gefüttert — „
„Der Richter zückt die Achſel Er wohnt mitten unter dem Elende, er kennt es. Aber fein Gefährte, ein une barmberziger Mann — eine ganz beſon⸗
| de⸗
) Robathen nennt es der Bauer in der Pro⸗
vinzialmundart, nach dem ſlapiſchen Robota, Arbeit.
ohne Vorurtheil. 193
dere Art von Menſchen, die alle Em⸗ pfindungen abgeſchworen zu haben ſchei⸗ nen — macht mich auf einmal ſtumm. 53 . ſcher Bauer, ſchreyt er, wei⸗ gre dich lange! ſo wird dieſer Stock da, dir Süſſe machen ! und er ſetzt ſich in die Stellung, mir feinen nachdͤrückli⸗ chen Arm fühlen zu laſſen. „,
„Ich ſeufze, weniger über mich, als über das arme lechzende Dieb, über mein Weib und Kinder. Ich muß mich auf den Weg mit Sutter verſehen; zu Haufe hülft die Gemeinweide doch et⸗ was. Ich muß mich mit Brod, mit Zehrung verſehen: und da zwingt uns oft die Noth, daß wir den Unſrigen den Biſſen aus dem Munde reiſſen, den letzten pfenning / den wir für die Ga⸗ ben hingelegt, angreifen müſſen. Und indeſſen, unſre armen Kinder zu gauſe vor Hunger weinen, ſchleppet man uns einige Meilen — im Kriege nicht ſel⸗ ten einige Tage — weg. „
„ Oft, wann das kraftloſe Vieh unter der Laſt und Müdigkeit fällt, Labt es der Begleiter mit einem knot⸗ tigten Prügel, wobei er, nach ſeinem
II. Theil. N men⸗
194 Der Mann
menſchenliebvollen Sprüchworte, einen Streich auf das Vieh, zween auf den Bauern thut; bis endlich das Thier, das feinen gerrn mit geſtreckter Zunge gleichſam um Mitleiden anfleht, und uns oft die Thraͤnen auspreßt, auf der Straſſe liegen bleibt. „
„Da komm ich, unglücklicher Mann, des einen treuen Gefährten meiner Ar⸗ beit verluſtig, nun nur mit dem andern zu gauſe an, habe indeſſen vielleicht die ſchönſte Zeit zur Einfuhr meiner $eld- früchte verabfäumet, muß itzt beim Re⸗ gen damit in die Scheune eilen, wo mir, ehe ich ausdreſche, die galbſcheide auswächſt, oder auf eine andre Art zu Grunde geht — „
„Das Landvolk iſt unerſchoͤpflich in
ſeinen Klagen. Um uns war ein Kreis geſammelt, wovon einer bald dieſes, bald jenes erinnerte; überhaupt aber ein jeder die Rede ſeines Dorfgenoſſen mit Kopf: nicken beftättigte. Er, der mit mir ſprach, ſchien gleichſam ihr Redner zu ſeyn: und ich verſichere Sie, feine ungefünftelte , nachdruͤckliche, ruͤhrende Sprache, mit Gebehrden begleitet, die Natur und Em⸗ pfin⸗
I 2 Sr.
ohne Vorurtheil. 195
pfindung ihn lehrte, hat in meiner Ueber: ſetzung ſehr verloren. „
„Unſre unfuͤhlbaren Mitſtaͤdter, ha⸗ ben die mich bei dem Bilde des laͤndlichen Elendes nicht einer Uebertreibung be⸗ ſchuldiget? ich kenne ihre Denkungsart zu gut, als daß ich es nicht errathen ſollte. Und wie koͤnnte es auch anders feyn ? „
„Viele unter ihnen kennen das Land nur von ihren Luſtfahrten; und in ihrer Einbildung gehen dem Begriffe des Land⸗ lebens immer die Ergötzlichkeiten zur Seite, die ſie da genoſſen haben. Sie denken ſich ein Arkadien, wo man mit in⸗ einander geſchlagenen Armen ſich am Ba⸗ che lagert, oder durch lachende Fluren irret, oder Waͤlder jagend durchſtreichet, oder Netze und Angeln in Weyern, wie in Fiſchbehaͤltern, auswirft; wo man Höhen hinanklimmt, um der Ausſicht zu genief- fen ; wo man mit dem Spiele der Arbeit ſich Muͤdigkeit zur Luſt erwecket, um deſto ſanfter zu ſchlafen; wo die Vergnuͤgen an⸗ einander gereihet ſind, und Tafeln, die ſich unter der Laſt der Gruͤchte kruͤmen, und Taͤnze, und Buhlereyen dieſe Reihe ſchluͤſ⸗ ſen. 1
N 2 M Die
196 Der Mann
„„Die meiften kennen wenigſtens das Land, nur aus dem Bezirke, der auf eini⸗ ge Meilen die Stadt umzingelt. Aber ſie ſollen aus dieſem engen Kreiſe hinaus, der von dem Wohlleben, von dem die ſchlemmende Stadt uͤberfluͤſſet, Nutzen zieht, und fie werden über ben Unterſchied erftau- nen! Ich werde fie mit meinem Schüler dahinfuͤhren, wenn ſie erſt den Inhalt un⸗ ſers Geſpraͤchs angehört haben werden. „
„Sieh! ſprach ich zu Capa; kaum, als wir allein waren, ſo unbillig iſt die Geſellſchaft gegen ihre nuͤtzlichſten Mit⸗ glieder! Sie läßt fie unter einem uner- traͤglichen Joche ſeufzen, und niemand iſt, der ſie hoͤret, niemand der ihre Klage bis an den Ort bringet, wohin nie eine Klage vergebens gebracht worden. Koͤnnte ich alle Staͤnde um mich her verſammeln! waͤre mein Wort ihnen allen vernehmbar, ich wuͤrde „
„Zu den Mächtigen ſprechen: Hier, bei dieſen, muß eure Vorſorge ihren An⸗ fang nehmen! ſie ſind der groͤßte Theil des Volkes. Wenn eure ſchützende Hand von ihnen abgewendet iſt, wer wird ſie gegen eigennuͤtzige Unterherren, gegen unbarm⸗
her⸗
ohne Vorurtheil. 197
herzige Beamte, wer wird ſie ſchuͤtzen? ihr Schweiß iſt die Speiſe der uͤbrigen, der gegen ihre Nährer undankbaren Bürger. Wenn Unterdruͤckung ihre Sehnen ſchlaff machet, wenn unmaͤſſige Foderung ihr Mark verzehret; ſo wird der von der Natur theu⸗ re Namen vater verabſcheuet werden: wer haͤtte Luſt Kinder der Muͤhſeligkeit zu zeu⸗ gen? ſo werden ihre Wohnungen Einoͤden, ſo werden ihre Felder Wuͤſteneyen werden; ſo wird endlich das Elend von dem Lande bald in die Staͤdte ſchleichen, bald allge⸗ mein werden. „
„Wer wird dann, wuͤrde ich den Un: terherren ſagen, welche die Duͤrftigkeit ſo nahe zu betrachten das Herz haben, ohne davon geruͤhrt zu werden, wer wird dann die Wellen des Ueberfluſſes, worin ihr euch erſaͤuft, unterhalten? — Sind eure Ein⸗ kuͤnften in Zehnten, in natürlichen Ent⸗ richtungen; ſchauet da, wie ſparſam die Garben auf euren zinsbaren Aeckern ſtehen! wie licht es dann in euren Scheunen, wie vermindert der Haufen in euren Speichern ſeyn wird! Sind fie im Gelde, woher ſol⸗ len zugrundgerichtete Unterthanen die Ga⸗ ben nehmen? woher? — Ihr koͤnnet zwar
N 3 das
198 Der Mann
das traurige Recht gegen ſie ausuͤben, ih⸗ nen mit aller Schaͤrfe zuſetzen, ihnen grau⸗ ſame Eintreiber ) in das Haus zu legen! Aber wird es dem, der unter einer erdruͤ⸗ ckenden Laſt keuchet, dadurch leichter ge⸗ macht, wenn ich ihm noch einen Centner zulege? — Ihr koͤnnet auch noch ein an⸗ ders Recht ausuͤben, und eure Unterthanen abſtiften! “) Wohl! ihr werdet dieſes traurige Recht ſehr oft, ihr werdet es fo lange ausuͤben, bis auf euren Guͤtern eine ſchreckliche Leere ſeyn wird. Ihr moͤget dann, wie der Tyrann des Lybiſchen San⸗ des in Wuͤſten, auf duͤrren Haiden herr⸗ ſchen! „
XXVI.
) Extauirer.
) Das iſt das geſetzliche Wort, wenn der Grundherr feinen ſogenannten Grundholden kraft eines ihm durch die Verfaſſung zugeſtan⸗ denen Rechts des Hauſes und Grundes ent⸗ ſetzet. Dieß Recht, das bei unbewahrten Gränzen das ältere Recht des Eigenthums vereitelte, hat zum Wohl der bürgerlichen Geſellſchaft und Ehre der Regierung, nun enge Schranken erhalten.
ohne Borurtheil. 199 XXVI. |
A Us ihr — Zandelsleute! würde ich zu dieſen gewendet, rufen, ihr Sroſſen! die ihr vom Aufgange zum Niedergange an eurem Pulte die Erde zinsbar machet! und ihr Kleinern, deren Namen nicht mit den Fuͤrſten gleich genennet wird! ihr ſeht die Armuth des Landmannes ohne Theilneh⸗ mung? fein Betruͤbniß, glaubet ihr, koͤnne euch nicht erreichen? welcher Wahn! koͤnnt ihr ein Glied einer Kette in den Abgrund werfen, das nicht die Glieder alle nach ſich zoͤge ? koͤnnt ihr die Wurzeln unter⸗ graben, und den gegen den Himmel ſtei⸗ genden Wipfel des Baumes, und ſeine ausgeſpreiteten Zweige aufrecht erhalten? — Wenn euer Fleiß, eure Faͤhigkeit Rei⸗ chen wohlthaͤtig iſt; wenn von euren Fruͤch⸗ ten Länder gefättiget, und unter eurem Schatten Provinzen erquicket werden, o, fo ſeht hier die Wurzel eures Wachsthu⸗ mes, in dieſem verkennten, niedergetre⸗ tenen Landmanne! Den Ueberfluß, den ihr duͤrftigen Provinzen mittheilet, aus weſſen Hand empfängt ihr ihn? er — iſt es, dem ihr ihn zu verdanken habt: durch feine be- N 4 ſchweiß⸗
200 Der Mann
ſchweißte Mühe iſt er erzielet. Die Schaͤ⸗ tze alſo, die dafür in eure Kuͤſte einfluͤſſen, ſeht, wem ihr fie zu verdanken habet! Laſſet ihn nun elend, laſſet ſeine Hand kraftloß ſeyn! Laßt ihn euren Manufak⸗ turen, allen den koſtbaren Zweigen eurer Ausfuhr den erſten Stoff nicht mehr lie⸗ fern! -= == Laſſet dann eure Schiffe mit vollen Segeln in die See ſtechen! =
„„Dein Schickſal aber, geſchickter Rünſtler! arbeitſamer Zandwerker! dein Schickſal graͤnzet zunaͤchſt an dem feinigen. Er faͤllt nicht, ohne dich am erſten mit ſich in den Abgrund zu ziehen. Der Lohn deiner Arbeit, deines Fleiſſes, deiner Erz findſamkeit und Anſtrengung, wird genau genug ausgemeſſen; du empfaͤngſt ihn mit einer Hand, um mit der andern ihn fuͤr die Bedürfniſſe deines Lebens wieder da— hin zu geben. Aber dieſe Beduͤrfniſſe, wann fie der nicht gefchüßte Landmann zu erzielen unterlaͤßt, wann er ſie dir, wann er ſie der Geſellſchaft zu liefern, keine Aufmunterung erhält, wann verlaf- ſene Felder ein ewiges Jubeljahr feyern — Du ſiehſt dein Schickſal: ich brauche dein
Au⸗
ohne Vorurtheil. 201
Auge mit einem abſcheuvollen Bilde nicht weiter zu beleidigen. „„
„„ Auch den raſchen Krieger, ihn vor⸗ züglich wuͤnſche ich vor mir! ihn, der vielleicht nun eben den Pflug aufgehangen, und noch mit ungewohnter Hand, ein Neu⸗ ling in ſeinem itzigen Stande, die Waffen fuͤhret — Ungeſtuͤmer! mit welcher Blind⸗ heit biſt du geſchlagen? verkenneſt du ſchon in dieſem Manne, deſſen Ruͤcken von Ar⸗ beit gekruͤmmet iſt, verkenneſt du deinen Bluts verwandten — den Hüter deiner Ju⸗ gend — den Geſpielen deiner Kindheit — deinen Bruder vielleicht — Er — iſt es nicht, gegen den das Vaterland deine Herzhaftigkeit heiſchet; zu ſeinem Schutze hat es dich gedungen. Wenn das Schwert des Feindes auf ihn gezuͤcket iſt, ſo ſollſt du dich dem Streiche entgegen werfen, um denſelben von ihm abzuwenden! ungluͤck⸗ licher! und du ſelbſt ſchlaͤgſt ihm die Wun⸗ de? Wenn die Fakel des Krieges ſeinen Saaten, ſeiner Huͤtte drohet, du ſollſt ſie abhalten, du den Brand, waͤre es noth- wendig, auch mit deinem Blute loͤſchen; und nicht ſelten unterhaͤltſt, oft entzuͤndeſt du ihn! Wenn Raubſucht ſeinen Heerden
N 5 nach⸗
202 Der Mann
nachſtellet « du ſollſt ihr Hüter ſeyn! und du ſelbſt wuͤrgeſt unter ſeinen Schaafen! — Mehr als einmal war ich ein bethraͤnter Zuſchauer ſo grauenvoller Scenen, wenn der Muthwillen Saaten zu Boden trat, wenn Gewalt das Weib, wenn Verfuͤh⸗ rung die Tochter — ich kann nicht fort⸗ fahren; ich kann nicht vollenden — „ „Unter dieſen traurigen Vorſtellungen war die Mitternacht herangeruͤcket. Wir uͤberlieſſen uns dem Schlafe. Die Wach⸗ ſamkeit des Landvolkes weckte auch uns, noch ehe die Sonne über unſern Geſichts⸗ kreis heraufgeſtiegen war. Auf einen reg⸗ neriſchen Abend folgte der heiterſte Tag, Wir hatten uns ſehr nach einem ſolchen Tage geſehnet, der unſre Gefangenſchaft enden möchte. Wir werden nun davon Vortheil ziehen, und unſre Reiſe fortſetzen. Da wir derſelben kein gewiſſes Ziel vor⸗ geſteckt haben; fo ſenden Sie mir den Bo» then nicht, bis ich Ihnen eine Nachricht von meinem Aufenthalte mitzutheilen, im Stande bin. Aber bereiten Sie ihrem Freunde ein Paͤckchen feiner, anmuthiger Neuigkeiten, die mein durch die vorherge⸗ henden Vorſtellungen ganz finſter gewor⸗ . de⸗
ohne Vorurtheil. 203
denes Gemuͤth wieder aufheitern! Es kann Ihnen daran nicht . Ich bin: u. ſ. w. „, ergebenſter der Verfaſſer
eck in Steyermark den 2. dun Hechinverchrender Herr!
28 daß ich des betruͤbten Auftrages an Sie zu ſchreiben, uͤberhoben waͤre! Was fuͤr eine Nachricht werden Sie da leſen! Mein Fuͤhrer, mein theurer Lehrer, mein Freund iſt krank — krank, in einem Dorfe, wo er keine Wartung, keine Linderung findet, wo auf einige Meilen herum kein Arzt, wo in dem ganzen Orte kein Arz- neymittel zu haben, wo zu aller Huͤlfe ein elender Bader iſt, deſſen ganzer Werkzeug in einigen halbverſchliffenen Bartmeſſern, deſſen ganzes Kenntniß im Aderlaſſen be- ſteht! um welchen Preis muß ich die Huͤlf⸗ loſigkeit des armen Landvolkes kennen ler⸗ nen! „
„ Wie pocht mir das Herz! nie habe ich eine ſolche Hufe gehabt! ich bin nicht
204 Der Mann
nicht im Stande, fie Ihnen auszudruͤcken: mir iſt — enge um die Bruſt — meine Hand zittert — ich bin unfaͤhig zu den⸗ ken — zu ſchreiben. Vergeben Sie, ich kann nicht fortfahren. Hier liegt Sie, die meiner Hand entfallene Feder! — „
„Du, die du mich an deiner Hand hieher geleitet, wo ich dich kennen, wo ich dich verehren lernen, ewige Vorſehung! hier liege ich auf meinen Knieen, und flehe dich um ſeine Erhaltung, flehe dich um ſein Leben an — Aber ich will mich faſſen: ich will mich troͤſten: ſie wachet gewiß, dieſe Vorſehung; und wachet über dieſe Gegen- den beſonders, wo das verlaſſene Landvolk ſonſt die Beute jeder Krankheit, jedes Zu⸗ falls, der fruͤhe Raub aller Gebrechlichkei⸗ ten ſeyn müßte. „
„Wie aͤngſtiget mich der Gedanke, daß ich die Urſache dieſer ihm angeſtoſſenen Krankheit bin! Mir zu Liebe that er dieſe beſchwerliche Reiſe: mir zu Liebe ſtieg er den Berg, der Oeſterreich von Steyer- markt ſoͤndert ), hinan, und kam von der Hitze, die geſtern ſehr groß war, bes reits ſehr abgemattet hier an. Er klagte
uͤber ) Der Semering.
ohne Vorurtheil. 205
über Kopfwehe, und begab fich zeitlich zur Ruhe. Um meine Nacht nicht unruhig zu machen, ſagt er mir, habe er ſich nichts merken laſſen, daß er ſich ſehr uͤbel befinde. „
„Heute kam ich gleichwohl ſehr frühe vor ſein Lager. Er hielt eben ſeinen Kopf mit der einen Hand. Fuͤhlen Sie die Kopf⸗ ſchmerzen noch? fragte ich ihn: ſie haben, antwortete er ſehr leiſe, die ganze Nacht fortgedauert, und heute gegen Morgen ſehr zugenommen — Er ſah die Unruhe, in die mich dieſe Nachricht verſetzte, und um mich zu beruhigen, zwang er ſich gefaͤllig zu ei⸗ nem Lächeln, aber es war ein Lächeln, wo der Schmerz zu merklich durchſchien — Ich habe dieſe Nacht nicht geſchlafen, fuhr er fort, ich will mir nun ein wenig Ruhe goͤnnen; ſo wird es bald voruͤber ſeyn. Inzwiſchen, befahl er mir, ſollte ich Ih⸗ nen von unſerm Aufenthalte, und nur von dieſem Nachricht geben — Ich will zuſehen ob er eingeſchlafen iſt. „
Copa-faum,
Nach:
206 Der Mann
Nachmittag um 3 Uhr.
6 Ich will an dem Schreiben meines gut⸗ herzigen Gefährten nichts abändern , ob gleich ſein Schrecken ohne Grund war, dann ich bin nun wieder auf meinen Fuͤſ⸗ fen. Aber ich hätte es nicht gerne geſe⸗ hen, daß er weniger unruhig geweſen waͤre. In meinen Augen iſt ein Undankbarer ein Ungeheuer, den Himmel, und die menſch⸗ liche Geſellſchaft verabſcheuen muͤſſen. Die Dankbarkeit iſt die Grundlage aller Tu- genden, die Grundlage unfrer Verehrung gegen Gott, unſers Eifers für das Vater⸗ land, unfrer Pflicht gegen unſre Aeltern
„„Es war gleichwohl ein Gluͤck für ihren Freund, daß es nur ein voräberraus ſchender Pfeil war. Denn wehe dem, der hier von einer Krankheit befallen wuͤrde! Mein Schuͤler hat ſich, ohne mein Heiſſen und Wiſſen, nach Huͤlfe umgeſehen: aber wo haͤtte er ſie gefunden, wenn ich ihrer beduͤrftig geweſen wäre? — Die Gefells ſchaft ſcheint in dieſem, wie in manchem andern Stuͤcke, dieſer armen Glieder voͤl⸗ lig uneingedenk zu ſeyn. Aerzte, Apothes cken, ee ſind in mo. ges
haͤu⸗
ohne Vorurtheil. 207
haͤufet, hier — gar keine. Die verlaſſene Menſchlichkeit zwar iſt genug gerächet, da die Natur dieſe ihre Lieblinge mit dauer- hafteren Körpern begabet, als die bei ei⸗ nem geringen Hauche kraͤnkelnden Staͤdter, welchen die Verzaͤrtelung der Erziehung, die Kuͤnſteley der Kuͤche, und ihre traͤge Unbehuͤlflichkeit, ein fruchtbarer Urſprung ſo mancher unter den ſich ſelbſt gelaſſenen Landleuten fremder Krankheit, dieſe Heere von Aerzten unentbehrlich machen. „ „Und wer wird die Aerzte unter Leuten bezahlen, welche, wie Sie ſelbſt ſagen, nur kümmerlich ihr Leben durch⸗ ſchleppen v ft Ihnen die Frage nicht ent⸗ weder ſelbſt beigefallen? oder von andern gemacht worden? — Wer ꝛ der Staat! Kann eine Ausgabe beſſer als zu Erhal- tung ſo mancher tauſend ſeiner Buͤrger an⸗ gelegt ſeyn? Und muß dann der Arzt eben ſo uͤberzahlet werden? Ich weis zwar, daß es fein Beruf iſt, das Leben der Bürger. durch ſeine Kunſt zu ſichern: daß er es iſt⸗ Schaͤtze zu ſammeln, das weis ich nicht. „ „Aber wle ? wenn der Staat die Orden, denen frommer Beruf es zur Pflicht macht, der Kranken zu warten, und die durch die Vor⸗
208 Der Mann
Vorſorge der Landesfürften, oder die Mild⸗ thaͤtigkeit ſo mancher Patrioten in Stand geſetzt ſind, der Menſchlichkeit und ihren Mitbuͤrgern dieſen Dienſt zu erweiſen, ohne dagegen einen Lohn zu erwarten, wenn er dieſe aus den Staͤdten, wo an Aerzten, an Wartung, an wohlgeſtifteten Krankenhaͤuſern kein Abgang iſt, auf das offene Land, wo es an allen dieſen fehlet, verſendete? Wie manchen zu frühen Raub wuͤrden ſie dem Tode entreiſſen! wie man⸗ chen Buͤrger dem Staate erhalten! Durch welche heilige Bande wuͤrden ſie ſich die allgemeine Dankbarkeit verpflichten! Wie wuͤrde ſie der Landmann — als Engel wuͤrde er ſie verehren. „
„Waͤre doch dieſer Brief fo glücklich, in die Haͤnde derjenigen zu verfallen, die ei⸗ nen nur hingeworfenen Vorſchlag bis zu feiner Reife hinan zu führen, den Willen und die Gewalt haben! welche Freude et⸗ was zum Wohl der Geſellſchaft beigetragen zu haben, fuͤr „
ihren ergebenſten = den Verfaſſer.
XXVII.
ohne Borurtheil. 209 XXVII.
Wien den 10. Jun. 1766. Mein Freund!?
* Das waͤren nun freylich Toͤne, die in den Ohren ihrer Hinterlaſſenen keine liebliche Muſik find, dieſe pathetiſchen Kla⸗ gen uͤber das Elend des Landmannes, um welches wir uns ſehr wenig bekuͤmmern, und von dem wir eilfertig die Augen ab- wenden, um in unſrer weichlichen Fuͤhl⸗ loſigkeit nicht durch unwillkuͤhrliches Mit⸗ leiden geſtoͤret zu werden. Haben Sie denn keine angenehmere Dinge an uns zu überſchreiben? — — Im Ernſte nicht? wohl! fo kommen Sie immer wieder zu⸗ ruͤcke, wo ihrer eine reiche Aerndte wartet!
„Wie lang iſt es, daß Sie uns ver: laſſen haben? ungefaͤhr, drey Wochen? mit jeder Woche find die Geſichter unſrer Pu— pen um ein paar Zoll gewachſen, und ſie machen nun von der Spitze des Kins an, bis zur oberſten Locke gemeſſen, ges rade einen und ein Viertel hieſigen Wert: ſchuh aus. Ich erhielt von einem ganz artigen Maͤdchen, das in der Kunſt, einen
II. Theil. O Kopf
210 Der Mann
Kopf aufzuſtuͤtzen, eine Gattung von Wolf iſt; fo methodiſch weis fie die Urſache an⸗ zugeben, warum eine Locke da ſteht, wo ſie ſteht, und warum ſie nicht an⸗ ders ſteht; von dieſem Maͤdchen erhielt ich eine umſtaͤndliche Beſchreibung eines neumodiſchen Kopfes, im Ganzen, und in allen feinen Theilen, und nach den Ver- hältniſſe aller Theile unter ſich. Ich gab vor, ich waͤre von einer Freundinn aus der Provinz darum erſucht worden, welche durch dieſen Aufſatz in einer Ge⸗ ſellſchaft die hochmuͤthige Frau von === wollte aus der Haut fahren machen, die nicht lange von Wien gekommen wäre , und an der Geſtalt ihrer Blenden) und an dem Schnitte ihrer Saloppe, und an dem Schwunge ihrer Manſchetten ſehr viel auszuſetzen wüßte; die ſich ſogar haͤt⸗ te verlauten laſſen, fie finde ihre ganze Tracht ſo altfraͤnkiſch, als ſie ſchon vor vier Monaten in Wien nicht mehr geſehen worden. Ich weis nicht, ob Sie mich mit allen den Kunſtwoͤrtern verſtehen werden, ü die
) Was die Franzbſinnen in ihrer Technologie les papillons nennen.
ohne Vorurtheil. 271
die in dieſes Meiſterſtuͤck einer cypaſſiſchen ) Schilderey mit eingeflochten find. „ V Sie ſagte mir alſo: das ſchoͤnſte Ebenmaaß eines Frauenkopfes waͤre ein Viertheil der Breite zu einem Ganzen der Hohe, dergeſtalt, daß ein Geſicht, alles, Eigenes und Fremdes mit begriffen, gerade viermal ſo hoch, als breit ſeyn ſoll. “) Sind nun von einem Ohre zum andern vier Zoll — welches das ſchoͤnſte Ebenmaaß eines Geſichtes, und gerade das ihrige waͤre — ſo muͤſſe es ſechszehn O 2 Zoll
*) Cypaſſis, eine berühmte Zaarkrauſerinn der Rbmerinnen.
%%) Ungefähr nach dieſem Blatte läßt ſich der Lauf der Moden in ihrem Kreiſe, und ihre Wiederkehr beinahe mit eben der Genauheit beſtimmen, als Lalande den zagenden Pari⸗ ſerinnen die Wiederkehr des Kometen beſtimm⸗ te, deſſen furchtbarte Schweif das Opernhaus zerſtöhren, und das Bois de Bonlogne ſengen ſollte. Da der gethürmte Kopfſchmuck, der in Mitte des 1766ſten Jahres Mode war, zum Anfange des 1781ſten Jahres auf unſerm Ge⸗ ſichtskreiſe wieder ſichtbar geworden, ſo iſt der Lauſkreis der Mode auf 14 Jahre 7 8 Mo⸗
Nate zu berechnen.
212 Der Mann
Zoll im Ganzen „das iſt, wie ich geſagt habe, einen ein viertelſchuh ausmeſſen. „In dieſem Ganzen muͤßte, nach ih⸗ rer genauen Ausmeſſung, das Geſicht ſie⸗ ben Zoll ausmachen, und reine neun Zoll fuͤr den Haarputz uͤbrig gelaſſen, von die⸗ ſen neun Zollen aber, fünf unabaͤnderlich fuͤr das Stirnhaar eingeraͤumet, die vier andern unter die Locken vertheilet werden.
„Die Friſur mit dem ganzen Kopfe zuſamm muß die Geſtalt von zween ſtum⸗ pfen mit der Grundfläche aufeinander ge⸗ ſtellten Zuckerhuͤte nachahmen. Die Friſur allein ſtelle vollkommen eine Terraſſe vor, wovon das Stirnhaar vorne in einen Win⸗ kel zuſammlaͤuft, die Locken aber drey uͤber⸗ einander gelegte Baluſtraden, oder Ge⸗ Länder abgeben. „
„Die Locken haben abermal ihre rich⸗ tigen verhaͤltniſſe gegeneinander, ihre ei⸗ genen Benennungen. Die unterſten, wel⸗ che gerade auf dem Vorgrunde aufliegen, duͤrfen nicht mehr als drey Viertel zoll meſſen: fie heiſſen la premiere Rangée, die erſte Lage: die zweyten: les ſurveil- lans, die Aufſeher genannt, muͤſſen im
vollen maſſe, fuͤnf Viertelzoll haben: die ober⸗
ohne Vorurtheil. 213
oberſte Lage, les petits oeufs des Dindons, die kleinen Truteneyer, von ihrer Ge: ſtalt ſo genennet, haben zwey Zoll. Ruͤck⸗ waͤrts iſt eine groſſe lange Locke, die man, wie ſie ſagt, Frimas, den Reifen, oder auch die Contreſcarpe nennet, die zur Gegen: ſtütze dienet, worauf die gethuͤrmte Laſt von Haaren ruhet. „
V Dieſe Art von Kopſputz wird ala Guipfon getaufet, weil das Stirnhaar ei⸗ ner Art von Bürſte nicht unaͤhnlich iſt, wo⸗ mit der Boden der Schiffe geteeret wird. Seine gewoͤhnliche Verzierung iſt, von vorne eine von der Mitte gegen die Linke fallende Guirlande, und ruͤckwaͤrts eine Voile ferlèe, das iſt: ein eingezogenes Segel, um unter den Wind zu fahren. „
„Es giebt, ſagte fie, noch eine andre Art von Aufſatze, die ſeit einiger Zeit mit dieſer um den Vorzug ſtreit, aber ihn, wie ſie ſich gewiß vorher zu ſagen getrauet, nimmermehr behaupten wird. Die Ans haͤnger und Befoͤrderer derſelben nennen ſie la Gargouille, nach dem Kunſtworte der Wappenkunſt, fo ſchlangenförmig bedeu⸗ tet; welches Wort aber die Gegner dieſer verunſtaltenden Neuerung mit einem Wort⸗
O 3 ſpie⸗
214 Der Mann
ſpiele in Barbouille abgeändert haben. Das Ebenmaaß des Ganzen ift mit der à la Guipfon ganz uͤbereinſtimmend: aber die drey Range verlaufen ſich hier in einander in das Stirnhaar, und machen halbmond⸗ foͤrmige, gegen einen gemeinſchaftlichen Mittelpunkt zulaufende Locken aus, die dem Kopfe eine etwas ſpitzſaͤulenmaͤſſige Form geben, welches das groſſe Hinderniß ihrer allgemeinen Aufnahme iſt, ob ſie gleich
mit einem eignen Boten uͤber Aachen hie⸗ her geſendet, und durch drey der liebrei⸗
zendſten Köpfe empfohlen worden. „
„Damit ich meiner vorgegebenen Freun⸗ dinn ein vollſtaͤndiges Werk liefern koͤnnte, welches ſie in keinem Falle verlaͤßt; ſo war meine Lehrmeiſterinn von der vorſorgenden Güte, noch die mancherley Abmeſſungen und Geſtalt des Haarputzes im Verhaͤlt⸗ niſſe mit den gauben hinzuzuſetzen. Sie unterſcheidet ſehr weislich eine Haube à pleine caprice — à demi caprice — und a Tavanture, „
„A pleine caprice heißt ſie, wenn auf der Terraſſe des Stirnhaares ſchon la premiere rangee, und les ſurveillans fer- tig ſtehen; aber die unzufriedene Schoͤne
aus
ohne Vorurtheil. 215
aus eitelm Eigenſinne ſtatt der letztern Reihe Locken ein gaubchen aufleget, deſſen beide Blendchen die Sylphenſchwingen des laurenden Amors vorſtellen — Sie er⸗ innert ſehr vorſichtig: es muͤſſe ſich jedes Geſicht ſelbſt wohl unterſuchen, ob ihm dieſes Kopfzeug vortheilhaft waͤre? weil gewiſſe Bildungen, z. B. die runden, fett⸗ lichten Geſichter dadurch ganz unertraͤglich wuͤrden; auch das hintere Segel zu wer⸗ fen, eine ſehr geſchickte Hand erfoderlich ſey —
„Es laͤßt ſich nun leicht erachten, was eine Haube à demi caprice iſt: nämlich diejenige, wo die Schoͤne, nach der erſten Lage der Locke eine Laune befaͤllt, und ſie, wie etwan ein Baumeiſter, den der Win⸗ ter uͤberfallen hat, nur unter Dach zu kom⸗ men eilet. Hier muß demnach der Srimas ganz wegbleiben, weil die Haube zur Haͤlf⸗ te uͤber den Chignon hinabſteigt. Es ſoll, nach ihrer Erinnerung, von einer Blende zur andern wenigſtens ein Zwiſchenraum von drey Zollen gelaſſen, und die Zang⸗ ſtreife “) in dem guͤnſtigen Ebenmaaſſe in
O 4 drey
) Madam La ... wird es einem deutſchen Au⸗
216 Der Mann
drey auch vier verlorne Stufenfalten ges legt ſeyn. „ | „Jedoch die Haube à P'avanture, die muß ihr Guͤnſtling ſeyn. Sie ſcheint ih⸗ ren Namen von der Bequemlichkeit oder der Beſtimmung empfangen zu haben. Sie fodert nur ſehr wenige Augenblicke, und huͤlft den offenen laͤchelnden Geſich⸗ tern, oder auch den läſſigen Laurerin⸗ nen auſſerordentlich auf. Koͤnnte Venus ihre goldnen Haare jemals unter eine Hau⸗ be zwingen; ſo wuͤrde ſie dieſe Tracht waͤh⸗ len, wenn ſie den reiſigen Jaͤger Adonis am fruͤhen Morgen zu belauſchen, und ſei⸗ ne Niederlage beſchloſſen haͤtte. Sie wuͤr⸗ de dann zu ihrem Vulkan wiederkehren, ohne Unordnung, ohne Verdacht — eg 5 E
Autor vergeben, der verwegen genug, einen Verſuch zu wagen, ob es möglich ſeyn möch⸗ te, der Eleganz und Kigenthümlichkeit der franzöſiſchen Putzſprache, in etwas nahe zu kommen. Er fühltes ſelbſt, wie weit Zang⸗ ſtreif noch hinter Barbe gelaſſen iſt, womit fie und ihre Kunſtverwandtinnen den langen Streifen bezeichnen, welcher an den Frauen⸗ hauben zu beiden Seiten rückwärts hinab⸗ ſteigtt.
ohne Borurtheil, 217
läſſige Putz iſt dennoch nicht ohne alle Kunſt. Das Stirnhaar muß hoͤher, als bei den andern allen emporſteigen. Das Loͤckchen, in welches ſonſt das Seitenhaar zulaͤuft, wird weggelaſſen, an deſſen ſtatt die Haare mit kuͤnſtlicher Unachtſamkeit hinter das Ohr gelegt werden, wobei ein kleines, wohlangedruͤcktes Ohr — eine Schoͤnheit, die ſonſt immer verborgen bleibt — ſehr in die Augen faͤllt. Es darf nicht uͤbergangen werden, daß die Blen⸗ den ſo genau an beide Schlaͤfe angedruͤckt ſeyn muͤſſen, daß keine Lage des Kopfes daran leicht eine Verwuͤſtung anzuſtellen fähig iſt — „ „ Was deucht Ihnen von dieſer puͤnkt⸗ lichen Beſchreibung aller Kopftrachten ? Ihr geſchickter Freund, Herr Schmutzer, hat mir verheiſſen, die verſchiedenen Koͤpfe alle in Kupfer zu bringen, in den Erhoh: lungsſtunden, die ihm fein Rubens) übrig laͤßt. Wir find Willens, zu je⸗ dem Kopfe ein ſchönes Original unter . un⸗ ) Dieſer vortreffliche Kunftler arbeitete an einer
Grablegung von Rubens, aus der fürftlich Lichtenſteiniſchen Bilderſammlung.
218 Der Mann
unfern Mädchen aufzuſuchen, um mehr Reiz und Leben hineinzubringen, und dann ein vollſtaͤndiges Werk auf Praͤnumeration zu veranſtalten, welches, wie ich hoffe, guten Abzug finden ſoll — „
„Ich ſehe Sie mit Ungeduld das Blatt umſchlagen. Ich hoͤre Sie fragen: wie ? wußten Sie einen halben Bogen mit nichts Wichtigerem anzufuͤllen? und ich antworte Ihnen: nein, nichts, das einen krank geweſenen Freund, der mir ſeine Gefahr aus gefaͤlliger Sorgfalt vielleicht nur ver⸗ kleidet, zum Laͤcheln aufzuheitern faͤhiger waͤre. Wann ich erſt eine Beſtaͤttigung ihres hergeſtellten Wohlſeyns erhalten ha⸗ ben werde, dann ſollen Sie ernfihaftere Neuigkeiten erhalten von „
ihrem Freunde 56565 5 „ „ „ „ „ A
XXVIII.
ohne Vorurtheil. 219 XXVIII. Wien den 11. Juny 1766.
Mein Freund!
* Eue, ſagte ich zu dem Boten, der Ih⸗ nen dieſes Schreiben behaͤndigen wird, und weiche weder zur Rechte noch zur Lin. re ab, und ſieh nicht hinter dich, damit du nicht ſaͤumeſt, und er bald wieder⸗ kehre, an den ich dich ſende! — denn nun, Sie duͤrfen durchaus nicht ihre Reiſe vollenden — „
„Das war fie eben, die ernſthafte Neuigkeit, mit der ich Sie nicht gerne un⸗ terhalten wollte, ſo lange Sie krank ſeyn duͤrften: aber es iſt durchaus nothwendig, daß Sie ſolche wiſſen, ehe Sie ihren Staab weiter ſetzen. Die Foderungen ihrer Leſer werden ungeſtuͤmm. Einige rufen Sie zu⸗ ruͤcke aus Ungeduld, einige aus Unzu⸗ friedenheit uͤber mich — denn ich weis nun zuverſichtlich, daß ich die Ehre habe, manchem ſpitzen Kopfe, und manchem an⸗ gedruͤckten Haͤubchen zu mißfallen — und endlich einige ſprechen in dem drohenden
Tone.
220 Der Mann
Tone. Urtheilen Sie ſelbſt, was Sie zu thun haben werden, aus dieſen Bin⸗ ſchlüſſen! Ich habe wegen der Verfaſſer einige Muthmaſſungen; aber ich behalte es mir vor, fie Ihnen bei ihrer Nuͤckkunft mitzutheilen. Wenn ich recht muthmaſſe, ſo ſind es Geheimniſſe, die nur ins Ohr wollen geſagt werden. „ i
„ In der That, ſo gerne ich uach ihre Anmerkungen uͤber einen wichtigen, einen von aller Welt hingeworfenen Gegenſtand, geleſen haben wuͤrde; ſo ziehe ich doch das Vergnuͤgen ihrer Gegenwart und perſoͤn⸗ lichen Unterredung allen ſchoͤnen Betrach⸗ tungen, die Sie mir von ferne zuſenden muͤſſen, vor, und ſage es Ihnen hundert⸗ mal lieber, als ich es einmal ſchrelbef daß ‘ ich bin „ ihr ergebenſter
Erſter Einſchluß. Mein Herr Mann ohne Vorurtheil! 3 Dee Wochen gehen unſre Thoren mit emporgeſchlagenem Haupte, und ſind, wie
die Roſſ' und Maͤuler, die beinen Verſtand ha⸗
ohne Vorurtheil. 221 haben. Eilen Sie, mit Zaume und Kinn⸗
kette ihre Backen anzuziehen, und ihre Naſe
zu baͤndigen! oder die Frucht ihrer halb⸗ jaͤhrigen Arbeit iſt dahin. Wahrlich, gu⸗ ter Schriftſteller, der Einfall war ſo ziem⸗ lich launhaft — denn ich will nicht grül⸗ lenhaft ſagen — ſich da auf das Land zu verlaufen. Sie wollten doch den Bauern nicht etwa ihr Elend dadurch empfindlicher machen — daß Sie ihnen ſagten: ihr ſeyd elende! Die guten Leute mußten es wohl fuͤhlen, daß ſie es ſind. Und wollten Sie es uns etwa ſagen; ſo kaͤme mir das eben ſo vor, als wenn Sie nach Indien reiſen wollten, um uns von den Leckerbiß⸗ chen der neuen Welt zu warnen. Der Prediger muß ſich zu den Zuhörern ver⸗ fügen, wenn dieſe ihm nicht nachgehen; und da haben wir nicht eben Luſt, die Stimme des Rufenden in der Wuͤſte auf⸗ zuſuchen. „
„Noch eines, mein Herr! glauben Sie wohl, daß der Gegenſtand, uͤber den Sie im XXV. und XXVL Blatte fo heftig deklamirten, ein beliebter Gegen- ſtand iſt? Ein Maler, der einen ſiechen Menſchen zeichnet, deſſen Wunden von
Ei⸗
—
222 Der Mann
Eiter triefen, wuͤrde defio mehr Ekel er⸗ wecken, je genauer er die Natur traͤfe. Was iſt denn ihrem lieben Landmanne mit l unfruchtharen en Ber net?
.. Verba nil proßicienkin, fruſtra
„Kehren Sie alſo bald wieder zuruͤcke, wo Sie unter Gegenſtaͤnden waͤhlen koͤn⸗ nen! unter anziehenden Gegenſtaͤnden, die den herzhaften Mann ohne Vorurtheil ſo eigentlich charakteriſiren, und von den fro⸗ ſtigen Alletagswochenblaͤttern unterſchei⸗ den! Bei ihrer Wiederkunft wird Ihnen der ganze Kreis meiner Freunde zufauch⸗ zen, und in ihrer Mitte
ihr beſonderer Verehrer und eifriger Leſer P..
Zweyter Einſchluß.
Mein Lieblingsſchriftſteller!
ak Aber nicht vom ſchwarzen Brode, nicht von der lumpichten Hauswirthinn, von allen den Dingen nicht, die Sie uns ei⸗ nige Zeit her zu leſen geben! — Was habe ich
ohne Vorurtheil. 223
ich Ihnen — tauſend Dinge habe ich Ihnen zu ſagen! Ich bin ein Mädchen von ſte⸗ benzehn Jahren, in dem Alter, wo die Maͤdchen ganz von feuerfangendem Stoffe ſind, wo unſre Augen — Doch hiſch! ich moͤchte gleichwohl auch nicht fuͤr ein boͤſes Maͤdchen bei Ihnen angeſchrieben ſtehen. Ich will vor meinem Spiegel meine zuͤch⸗ tige Mine wieder aufſuchen — Nun da habe ich ſie erhaſcht, und trete nun, wie eine Nonne vor ihre wuͤrdige Mutter, mit beſcheiden niedergeſchlagenen Augen und ſittſamen Gebehrden vor Sie hin — „ „Wirklich weis ich itzt nichts von den tauſend Dingen, die ich Ihnen zu ſagen hatte; und ſie waren, daͤuchte mich, ſo wichtig, ſo nothwendig — Doch da faͤllt mir zum Gluͤcke das allerwichtigſte, das aller⸗ nothwendigſte, gerade dasjenige ein, wes⸗ wegen ich eben an Sie ſchreibe. Ich will mir nun ein feyerliches Anſehen geben. Hören Sie! Es iſt hier eine fuͤrchterliche Verſchwoͤrung von eiteln Maͤdchen gegen ihr Blatt. Ich ſelbſt habe aus dem Becher der Verſchwoͤrung getrunken, und es iſt mir von meinen Mitſchweſtern aufgetra⸗ gen, Ihnen zu bedeuten: woferne Sie in drey⸗
124 Der Mann
dreymal vier und zwanzig Stunden nicht wieder in dieſe Stadt zuruͤck kaͤmen, ſo wuͤrde nicht nur keine von unſerm Mittel ein Blatt leſen; ferner wir wuͤrden auch unſern Liebhabern, bei der empfindlichen Strafe, uns drey Monate lang keine Thor⸗ heit vorzuſagen, auferlegen, unſer Beifpiel nachzuahmen — Das waͤre ein ewiger Hohn fuͤr unſere Reize: wie? die franzoͤſiſchen Maͤdchen ſollen im letzten Kriege auf dieſe Art eine Flotte errichtet haben, und wir Wienerinnen, wir ſollen nicht im Stande ſeyn, eine Wochenſchrift zu unterdruͤcken —,,
Wir find mit ihrem beiſſenden Kor⸗ reſpondenten durchaus nicht zufrieden, und wollen Sie nun einmal ſelbſt wieder hier. Verachten Sie unſre Drohung nicht! Sie ſind klug genug, die Groͤſſe der Gefahr einzuſehen. Denken Sie! bis funfzig Verſchworne, worunter ich nur von mit⸗ terem Range bin — und die ſchaalen Koͤ⸗ pfe, die um mich herum klaffen, mitge⸗ zähle, entfuͤhre ich allein Ihnen etlich und zwanzig Leſer. Rechnen Sie nun auf zehn des erſten Rangs fuͤr jede dreyſſig; nur zwanzig auf zwanzig von mitterem Schla⸗ ge; und auf die übrigen zwanzig vom
Troſ⸗
—
ohne Vorurtheil. 225
Troſſe überhaupt nur zehn — Rechnen Sie ein wenig! Armer Verleger! armer Schriftſteller! — Aber noch ſteht es bei Ihnen, das Schreckengewitter, das ſich uͤber ihrem Haupte zuſammgezogen, zu zerſtreuen, wenn Sie gehorchen
ihrer, aber nur ihrer begierigen
Leſerinn Cͤcilie.
Dritter Einſchluß.
In einem Umſchlage: an den zurück⸗ gelaſſenen Rorreſpondenten des Man⸗ nes ohne Vorurtheil.
Mein Herr!
55 Sie ſind der Bevollmaͤchtigte des Man⸗ nes ohne Vorurtheil! melden Sie ihm von mir in zwey Worten: er habe ſu waͤh⸗ len — zwiſchen einem anfehnlichen Ehren⸗ gelde, wenn er die Materie verlaͤßt, in die er eingeſchlagen — da, wo er ſteht, ohne einen Schritt vor ſich zu ruͤcken — oder zwiſchen der härtſten Begegnung, wo er gegen den Stachel ausſchlaͤgt, und tiefer in das eindringt, was nie ein Ohr hoͤren, noch ein Aug ſehen ſollte — II. Theil. P „Mel:
226 Der Mann
„Melden Sie ihm auch: er ſoll aus Liebe zu denen, fuͤr die er eifert, dießmal feiner Hartnaͤckigkeit, oder wenn er fo will, Standhaftigkeit gebieten. Wenn unſre Hunde entlaufen wollen; ſo befehlen wir den Jaͤgern, die Stricke deſto feſter an⸗
zuziehen.) ohne Unterſchrift. XXX.
8
) In Mitte meiner Über das Landvolk, Über der Hülfloſigkeit, worin ſie die öffentliche Aufſicht läßt, über die Bedrückungen der un⸗ tergeordneten Deſpoten, erhielt ich Befehl, von dieſem Gegenſtande zu ſchweigen. Man hatte, dieſen Befehl zu bewirken, ſich des Vorwandes bedienet, daß die kleine Unruhe, welche das Landvolk in einigen Gegenden er⸗ regte, eine Folge dieſer Blätter wäre. Welch elendes Geſchwätz! Das Landoolk las nicht: aber einige ihrer Unterdrücker laſen, und es bewies, daß die darin vorkommenden Ge⸗ mählde treffend waren, weil man dem Ma⸗ ler wenigſtens den Pinſel aus den Händen zu reiſſen, nichts unverſucht ließ. Man hätte ihm freylich lieber die Hand gelähmt. Erſt nach vielem Betriebe und Anliegen, ward mir das nächſte Blatt auszugeben bewilliget, um doch eine Art von Ausgang zu finden.
ohne Borurtheil, 227 XXX.
Dietl habe ich der Zunoͤthigung des Freundes Gehör gegeben, und hier. if meine Urſache! Der, der mich, nicht nach dem, was ich ſchreibe, ſondern nach dem, was ihm Leidenſchaft eingiebt, richtet — der lange ſchon nichts unverſuchet laͤßt, die freymuͤthige Feder mir aus den Haͤnden zu winden; bei dem man nicht ehrerbietig if, man waͤlze dann ſich im Staube; nicht gehorſam, man hoͤre dann auf, den Vor⸗ theil des Gehorſams zu empfinden, und werde eine Maſchine; der hoͤre ſie be⸗ ſonders, dieſe Urſache!
Als ich die Stadt verließ, dachte ich, mit meinem Zoͤglinge den Kreis aller Pro⸗ vinzen abzugehen, und eine Staͤtte zu fin⸗ den, wo ich ſagen koͤnnte: hier iſt es gut wohnen, wir wollen uns zwo gütten bauen — Es war zu vermuthen, daß ich dieſe Stätte, zunaͤchſt vor den Linien dieſer Stadt weder ſuchen, noch finden wuͤrde. Wenn ein Schiffbruͤchiger den kleinen Ue⸗ berreſt ſeiner geborgten Guͤter bei dem Sonnenſcheine trocknet, ſo leget er ſie nicht nahe an das Geſtad, wo die uͤber⸗
x P 2 ſchla⸗
228 Der Mann
ſchlagende Welle fie abermal netzen koͤnn⸗ te, er entfernt ſie bis an den Platz, wohin die Flut nie reichet — Es war aber auch zu vermuthen, daß ich auf dieſer Reiſe nicht in den Schloͤſſern der Reichen abtreten wuͤrde. Wir, ſie und ich, haben zu we⸗ nig Gemeinſchaft mit einander; und man wuͤrde Reiſende, die vor dem Thore des öden Palaſtes zu Suffe angekommen wären, auch nie da aufgenommen haben. Vier Pferde, einige Bediente wenigſtens, muͤſſen ſich zeigen, wenn die Zuͤgbruͤcke fallen ſoll. Man nimmt Gaͤſte nicht auf, die nur we⸗ nige Ungelegenheit machen werden: man muß die Einkünfte vieler Tage verzehren, um ein gaſtfreyes Nachtlager zu erhal⸗ ten —
Gleichwohl wird man nicht etwa fo⸗ dern, daß wir unter dem freyen Himmel uͤbernachten ſollten. Wir waͤhlten alſo eine niedere Schaubhuͤtte, und nun, ihr Her- ren! wie haͤtte ich es hier machen ſollen, um es euch recht zu machen? Haͤtte ich geſagt: Bei unſerem Eintritte empfieng uns mit ungekünſtelter Offenherzigkeit eine Frau, ungeputzet aber reinlich, in einem Stoffe gekleidet , den ſie
mit
ohne Vorurtheil. 229
mit ihren Töchtern ſelbſt verfertiget — Seyn Sie mir willkommen liebe Rei⸗ ſende — haͤtte ſie ausgerufen — daß Sie unſre gütte lieber, als eine andre be⸗ ſuchen! Sie werden hier nicht fo wohl bewirthet werden, als bei jedem an⸗ deren unſerer Nachbarn: aber Sie kön⸗ nen wenigſtens niergend lieber bewir⸗ thet werden. Nach dieſer freundlichen Anrede hätte uns die gute Zauswir⸗ thinn eine eigene Kamer angewieſen, worin für jeden ein gethürmtes Bett geſtanden wäre. Dieſe Ramer wäre fonft die Vorrathskamer der Bäurinn. Auf zween Stangen, die in die Gue⸗ re ſchwebten, wären ungeheure Laibe Brod gereihet geweſen. Geräucherte Schinken, und halbe Maſtſchweine wa⸗ ren an den hölzernen Wänden gehan⸗ gen, oder gelehnet; in der einen Ecke in einem Safle ausgelaſſene Butter, in der andern Erbſen, Bohnen, gefauret Rraut, und andrer Vorrath für den Winter geſtanden. Alles dieſes hätte das Raͤmerchen mit einem nicht wider ſtehenden Geruch angefüllet. Wir hat⸗ ten nun davon Beſitz genommen; und P 3 da
230 Der Mann
da hatte ſich inzwiſchen die gröſſere der Töchter in dieſem Nämerchen viel zu ſchaffen gemacht, um meinen jungen Gefährten mit vergnügen zu betrach⸗ ten — Inzwiſchen wären ſieben fette Kübe, die durch ihr Geſchrey die Magd gleichſam herbeigerufen, durch den wei⸗ ten Sof geſchritten, worin es von Ge⸗ flügel gewimmelt hätte. Man hatte die Kühe ſogleich gemelket; und unſre ſorgfaͤltige Wirthinn hatte uns in ei⸗ ner hölzernen, wohl geſcheuerten Schüf- ſel, bis das Abendmahl bereit wäre, Thaumende Milch, und Brod von dem beſten Weizen vorgeſetzt — Nun wäre der Bauer, von zween Söhnen beglei⸗ tet, von feinem Felde wiedergekehret. Sechs Ochſen wären vor ihm berge- zogen, wie die Maſtochſen zu einem Gaſtmahle. Das groſſe Maͤdchen wäre ihm entgegen geeilet, und hätte ihm von ferne zugerufen: Vater! wir ha⸗ ben Gaͤſte! — deſto beſſer! hätte er ihr wieder zugerufen: forget, daß es fie nicht gereue, bei uns eingeſprochen zu haben, u. ſ. w. — Hätte ich fo eine Be⸗ ſchreibung gemacht, wie ungefähr ein jun; ger
ohne Borurtheil. 231
ger Dichter, der ſein Kenntniß des Land⸗ lebens aus dem laͤndlichen Dichter geſchoͤ⸗ pfet, oder vielleicht ſeinen Wunſch fuͤr Wahrheit hingeſetzt hat: was — wuͤrdet ihr mir zugerufen haben — wo habet ihr in der Welt ſolches Landvolk ge⸗ funden, Träumer! Recht! ich habe kei⸗ nes gefunden; aber nun ich es ſo beſchrei⸗ be, wie es iſt, da erwecke ich den Anklaͤ⸗ ger, der nur ſchlummerte.
Aber ich hatte von dem Landvolk ganz ſchweigen mögen — Verzaͤrtelte See⸗ len! ertraͤgt ihr das Bild des Elendes nicht; ſo hoͤret auf, es durch eure Schuld wahr zu machen! Es iſt nuͤtzlich, daß man euch dahin zu ſehen zwingt, daß man vie⸗ len unter euch ſage: ſieh da das Werk deiner Hände! daß man zu den andern ſpreche: er, deſſen Noth du ſiehſt, iſt dein Bruder! — Der erſte, und ehr⸗ würdigſte unter allen Künften iſt der Ackerbau: aber Vorurtheil, Weichlich⸗ keit, Eigennutz, haben ihn aus feinem Range verdraͤnget, haben ihn zur letzten, zur ungluͤcklichſten aller Beſchaͤfftigungen gemacht. Defto übler für die Geſellſchaft! fuͤr den Staat!
P 4 Was
232 Der Mann
Was man immer ſchreibt; fo giebt es haſtige Wortverdreher, die gleichſam mit ihrem Hauche das Wort vergiften, das durch ihren Mund faͤhrt. Wer haͤtte er⸗ wartet, daß man das Mitleiden eines Reiſenden, die Unterſuchung eines Men⸗ ſchen, der fi) und einen andern unter⸗ richtet, ſo kuͤhn ausdeuten, daß man ge⸗ heimen Verſtand darin ſuchen, daß man Anwendungen machen duͤrfte? Man hat es gethan, und diefes ‚, nicht die Ver⸗ ſchwoͤrung Caͤciliens, noch die Drohung des Unbekannten hat mich bewogen, mit meinem Gefaͤhrten in die Stadt wieder zu kehren. Er hat genug geſehen, um mir zu ſagen: ich ſehe, ich würde als Land⸗ mann nicht glücklich ſeyn. |
Wird er es bei einer anderen Beſchaͤffti⸗ gung, und bei welcher wird er es ſeyn? — Ich wuͤnſche, daß wir in der Ueberlegung, die wir zuſamm daruͤber anſtellen werden, nicht wieder geſtoͤret werden moͤgen!
r
An
ohne Borurtheil. 233
2 * % An den Herren Verfaſſer des b XXVIII Blattes.
Mein Herr!
7 Die ſchönen Röpfe, wie Sie es nen⸗ nen, in der ganzen Stadt ſind durch ihre geometriſche Feder laͤcherlich geworden; nun traͤfe die Reihe auch die naͤrriſchen Köpfe, mit ihrer Erlaubniß, fo zu re⸗ den. Einem ſo fruchtbaren Geiſte wird es nicht an angemeſſenen Kunſtwoͤrtern feh⸗ len koͤnnen, womit er die mancherley Fri⸗ ſuren bezeichne, und unterſcheide. Ich empfehle beſonders das hohe Toppee ei⸗ nes gewiſſen jungen W... zu geneigtem Wohlwollen. Es hat nach meinem Au⸗ genmaſſe gute fünf Zoll; und wenn ich nicht zuverlaͤßlich von ſeinem Friſeur wuͤß⸗ te, daß er es ſich mit beiden Haͤnden ei⸗ gens untergraͤbt, damit es nur recht hoch empor ſtehe; ſo glaubte ich, er haͤtte eine Beile an dem Kopfe, und ſein Verſtand duͤrfte Gefahr laufen. „
„Wie bei uns in freye Köpfe und Bauben, fo koͤnnen Sie hier die Einthei⸗ P 5 lung
234 Der Mann
lung in eigen Haar und Perücken machen! Es wird jede nicht weniger poſſirliche Un⸗ tertheilungen darbieten. Wir wollen ſe⸗ hen, ob Sie ſich getrauen unpartheyiſch zu ſeyn, und ſich verbindlich machen wol⸗ len „ |
| | Eleonoren.
1.
D a der Stand, worin man allein un⸗
abhaͤngig leben kann, uns nicht anſteht; fo iſt es nothwendig, unter denen eine Wahl zu treffen, wobei man auf die Un⸗ abhaͤngigkeit Verzicht thun muß — Ich ſe⸗ he deine Unruhe, mein Freund! ein Herz, wie das deinige / laͤßt ſich nur mit vielem Zwange Ketten anlegen. Aber hebe deine Augen auf! ſieh um dich her! und, wenn du kannſt, fo waͤhle, wo du frey ſeyſt — Dieſer Seufzer, der vor mir vergebens un⸗ terdruͤckt wird, iſt eine deutliche Antwort. Laß dich denn leiten, da dein Schritt al⸗ lein wankend iſt!
Der naͤchſte an dem Stande des Land⸗ mannes iſt der Stand des gandwerkers, Er wuͤrde gluͤcklich ſeyn, wenn er durch die
Ver⸗
nnn re
E
ohne Vorurtheil. 235
Verpflanzung in die Staͤdte nicht gleichſam ausgeartet waͤre. Was fage ich, ausge⸗ artet er iſt verdorben, fo ſehr, als man es bei dem Elende ſeyn kann; und das Verderbniß des Elenden iſt ohne Heilung, es erſticket jeden Funken der Rechtſchaffen⸗ heit; denn er iſt durch keine aͤuſſeren Be⸗ ziehungen zuruͤckgehalten — Die Nieder⸗ traͤchtigkeit iſt ganz ſein Eigenthum. „Wenn ſie, um zu leben — ſagt Rouſ⸗ ſeau, den wir hier vor Augen haben, zu ſeinem Emil — zu ihren Haͤnden und dem Gebrauche, wozu ſie dieſelben anzuwen⸗ den wiſſen, ihre Zuflucht nehmen; ſo ver⸗ ſchwinden alle Schwierigkeiten, ſo werden alle Kunſtgriffe unnuͤtz. Das Zufluchtsmit⸗ tel iſt ſtets in dem Augenblicke bereit, da man es brauchet. Die Redlichkeit, die Ehre ſind keine Hinderniſſe mehr zu dem Leben. Sie haben nicht mehr noͤthig, nie⸗ dertraͤchtig und luͤgenhaft vor dem Groſſen, geſchmeidig, und kriechend vor den Schel⸗ men, auf eine veraͤchtliche Art gefaͤllig ge⸗ gen jederman zu ſeyn; einem etwas ab⸗ zuborgen, oder zu ſtehlen, welches, wenn man nichts hat, einerley if. Die Mei: nung andrer Leute ruͤhret ſie nicht. Sie 5 ha⸗
236 Der Mann
haben niemanden ihre Aufwartung zu mar chen, keinen Thorſteher zu bewegen, keine Buhlerinn zu bezahlen, und, was noch aͤrger iſt, ihr Weyhrauch zu ſtreuen. Daß = „ die groſſen Angelegenheiten führen , daran liegt ihnen wenig; das wird ſie nicht hindern, in ihrem unbekannten Leben, ein rechtſchaffener Mann zu ſeyn, und Brod zu haben — Sie treten in die erſte Werk⸗ ſtatt des Handwerkes, das ſie gelernet ha⸗ ben. Meiſter ich brauche Arbeit — Setzet euch Geſelle! da arbeitet! — Ehe die Stunde zur Mittagsmahlzeit gekommen iſt, haben ſie ihr Mittagsbrod verdienet. Wenn ſie fleiſſig ſind, ſo werden ſie, ehe acht Ta⸗ ge vergehen, ſo viel haben, daß ſie andre acht Tage davon leben koͤnnen. Sie wer- den frey, geſund, wahrhaftig arbeitſam, gerecht gelebet haben. Rouſſeaus Buch iſt in dieſen Gegenden nicht geſchrieben wor- den, es iſt eben ſo wenig für dieſelben: und fuͤr welche Weltgegend, fuͤr welchen Staat iſt es?
Es iſt nicht genug, daß man arbeiten kann. Wenn man nicht arbeiten darf, ſo iſt man bei aller Geſchicklichkeit ungluͤcklich. Das iſt das Schickſal des n
ohne Vorurtheil. 237
Ihr ſeyd vortrefflich in dieſer, in jener Handthierung; ihr habet die Handgriffe derſelben durch euer Nachſinnen erleich⸗ tert, verkuͤrzet, ihr brauchet weniger Zeit, eure Arbeit zu foͤrdern, ihr koͤnnet dieſel⸗ be um einen geringern Preis fertigen: dieſe Vorzuͤge, helfen ſie euch? Man fragt nicht: könnet ihr dieſe Zandthierung !? man fragt: habet ihr fie gelernet e — Und wenn ihr eure Lehrjahre erſtrecket ha⸗ bet, ihr moͤget es nun verſtehen, oder nicht — ich muß euch meine Arbeit über- laſſen — |
Man ſollte in der Geſellſchaft nichts weiters wuͤnſchen, als daß jeder Buͤrger arbeiten wollte! und man verhindert, daß er es könne. Das Befugniß zu arbeiten iſt in Zünfte eingeſchloſſen: wer nicht aus der Zunft iſt, muß ein Schurke werden. Die Wege, ſich auf eine ehrbare Art zu naͤhren, find ihm verſchraͤnket. Ihr, die ihr Verbrechen zu beſtrafen verordnet ſeyd, wundert ihr euch, daß euer ausge⸗ ſtreckter Arm faſt niemals eingezogen wer⸗ den kann? daß die Gefaͤngniſſe von Mif- ſethaͤtern wimmeln? daß fo viele Beiſpiele der Strenge gegeben werden muͤſſen, und
doch
238 Der Mann
doch alle verloren find ? Höret auf unge» recht zu ſeyn, und die menfchliche Natur anzuklagen! Es ſind nur zween Wege uͤbrig, ſeinen Unterhalt zu erwerben, wenn man kein angeerbtes Vermoͤgen hat: die Ar⸗ beit, oder das Schurkenhandwerk: wem
man den erſten verſchluͤßt, den zwingt man, auf den andern zu wandeln.
Sieh da die groffe Schwierigkeit bei ei- nem gandwerke, das ausſchlüſſende Recht, es zu treiben! Welche Reihe uͤbler Folgen iſt damit verbunden! Wenn unſre Erzeug⸗ niſſe unvollkommen ſind; wenn wir nach fremden Waaren geluͤſten; wenn Fremde unſere zu ihnen gebrachte Waaren mit Ver⸗ achtung zurückweiſen; ſo iſt auf dieſe Aus⸗ ſchlüſſung ganz allein die Schuld zu waͤl⸗ zen. Der Sporn des Fleiſſes iſt die Nach⸗ eiferung; die Nacheiferung bringt die Kuͤnſte zu ihrer Vollkommenheit — Wenn unſre Handwerker ungeſchmeidig, wenn ſie tückiſch, wenn ſie voll kleiner Griffe und Betrügereyen ſtecken; abermal, dieſe Ausſchluͤſſungen allein haben zu allem die⸗ ſen beigetragen. Sie ſind unter ſich ganz leicht eins geworden; und wir, was ha⸗
ben wir für ein Mittel auszuweichen? — Die⸗
ohne Borurtheil. 239
Dieſe kleinen Geſellſchaften in der groſ⸗ ſen haben ihre geheimen Verabredungen, wodurch ſie alle Welt ihnen unterwerfen; und fie wiſſen es ganz wohl zu veranftal- ten, daß nicht ſobald ein Fremder eintritt, und das Geheimniß bekannt macht — Der Junge hat ſeine Jahre ausgehalten: er wird frey. Er wandert '), nach einigen Jahren kehrt er wieder, mit vieler Ge⸗ ſchicklichkeit, die er ſich auf feiner Wan⸗ derung erworben: nun wird er wenigſtens ſeine Geſchicklichkeit anwenden duͤrfen? Iſt er eines Meiſters Sohn — das iſt er nicht! Schade! er mag ſehen, wo er irgend die Tochter eines Meiſters, oder eine Wittwe freyet, ſonſt iſt ihm nicht zu helfen — Ich frage: wer hat euch das
) Vielleicht erwartet man hier umfändlichere Betrachtung über die Länge der Lehrjahre, über die üble Verwendung dieſer Zeit, Be⸗ trachtungen über den Mißbrauch des Wan⸗
derns, welches dem Stagte fo manchen ge⸗ ſchickten Arbeiter raubt, Betrachtungen über alle Mißbräuche der Handwerke! Aber man erinnere ſich, daß ich davon nichts mehr mit⸗ nehmen ſoll, als was auf meinen Schüler und ſeine Ueberlegung Beziehung hat.
240 Der Mann
das Recht eingeraͤumet, den Staat zu hin⸗ dern, daß er von einem Buͤrger nicht allen den Nutzen zieht, den er von ſeiner Ge⸗ ſchicklichkeit ziehen koͤnnte? — Man langet mir aus einer Lade groſſe pergamentne Briefe hervor, an denen hoͤlzerne Buͤchſen hangen: ich oͤfne ſie, ich ſehe das Sigill — mache eine Verbeugung, und ſchweige.
Aber, lieber Capa - kaum, wenn du auch dieſe Schwierigkeit uͤberwunden, wenn du durch deine Anſtrengung den Mangel der Zeit erſetzet, und die mechaniſchen Griffe, wobei die Haͤnde alles thun, bald erlernet haͤtteſt; pruͤfe dich, ob du auch zu den unrechtſchaffenen Kuͤnſten faͤhig waͤreſt, wovon ein groſſer Theil der Handwerker mehr, als von ihrer Geſchicklichkeit leben? Muß ich denn fie treiben, diefe Nünſte v Die Frage iſt natuͤrlich: willſt du leben? willſt du dich, dein Haus, eine Familie ernaͤhren? deine Gaben entrichten? ſo weis ich nicht, wie du ihrer entbehren kannſt, da deine Zunftgenoſſen um und neben dir, ſie alle treiben: vielleicht auch durch die Kargheit ihrer Kunden, fie zu treiben ge⸗ zwungen ſind, die dem arbeitſamen Manne
einen billigen Lohn ſeiner Bemuͤhung ver⸗ ſa⸗
_ D .
ohne VBorurtheil. 241
ſagen, den fie nachher zur Strafe unter verſchiedenen Rubriken ohne Dank, und dreyfach bezahlen muͤſſen. Indeſſen wird dadurch der Preis des Handlohns gleich⸗ fan feſtgeſetzet, um welchen aber derieni- ge, der vor Betrug, und Diebereyen zu: ruͤckbebet, nicht arbeiten kann, und bei ſeiner Rechtſchaffenheit darbet.
Es giebt Handwerke, wobei es erlaubt iſt, ehrlich zu ſeyn, die muͤhſamſten unter allen, die am wenigſten belohnten. Sie wuͤrden dir unter allen Beſchaͤfftigungen am beſten zuſtehen, wenn du das Hinder⸗ niß der Lehrjahre zu uͤberſteigen, und einſt dein eigen Haus zu bauen hoffen duͤrfteſt — |
11.
Wes ſollte ich thun? ich frage Site um Rath, meine Leſer — Der Verfaſſer des Aufſatzes, den ich Ihnen heute mittheile, dringt ſich mir mit Gewalt auf, und be⸗ rufet ſich auf ihr Urtheil. Sie moͤgen denn alſo durch ihren Beifall, oder durch ihren Unwillen entfcheiden ‚ ob feine Foderung rechtmaͤſſig iſt! — ne II. Theil. | 2 Herr
242 Der Mann Herr Mann ohne Vorurtheil!
7 Sie reiſeten auf das Land — Stand es fuͤr die Muͤhe um einiger Anmerkungen Willen, die Sie ſehr bequem hier in der Stadt, oder ſehr nahe an der Stadt ma⸗ chen konnten? — Zwar ſagen Sie uns mit halben Worten, und wir errathen das uͤbrige, daß Sie in Mitte ihres Laufes aufgehalten worden — Gut! Sie kommen denn zuruͤcke. Ihr Capa⸗kaum hat genug geſehen, um zu ſagen: ich ſehe, ich würde als Landmann nicht glücklich ſeyn. Sie gehen mit ihrer Ueberlegung einen Schritt vorwaͤrts. Hier ſtehen Sie abermal: ſoll ich ein Zandwerk ergrei⸗ fen ihr Schüler fodert ihren Rath — Sie zeigen ihm, den Mißbrauch der Zünfte: Sie zeigen ihm, wie ſchwer es iſt, Meiſter zu werden: Sie zeigen ihm, daß ein Mann, der ſich keine unredlichen Griffe erlauben wuͤrde, bei den meiſten darben müßte — Und ſchon gehen Sie wieder ab ? Wie? haben Sie nichts mehr bei einem ſo reichhaltigen Stoffe zu erinnern? Ich be⸗ rufe mich auf ihre Leſer, ob ſie mit dieſen obenhinfahrenden Anmerkungen geſckreiget a find?
ohne Vorurtheil. 243
ſind? Ich errathe es zwar, aus welcher Hoͤhle die Stimme koͤmmt, die Ihnen zu⸗ ruft: bis hieher ſollſt du kommen, und nicht weiter! — Treten Sie nun unter den Haufen der Zuhoͤrer, und laſſen Sie mich an ihrer Stelle die Emporbuͤhne be⸗ ſteigen: ich bin uͤber die Bedenklichkeiten, die Sie zuruͤckhalten, hinweg — ; „Wer, eine Beſchaͤfftigung zu wählen; feinen künftigen Stand zu beſtimmen, zu Rathe geht, der muß zuvor mit ſich einig werden, was er ſuchet. Ehre in einer gewiſſen Bedeutung, Unabhängigkeit, vermögen, Gemaͤchlichkeit, unter die⸗ ſen vier Ausſichten eine wird ihn an ſich ziehen. Wiſſe zu wählen! Es find Aus⸗ ſichten von entgegen ſtehenden Gegenden. Aber man kann mit demſelben Winde nicht nach Norden und nach Süden gelangen. Ehe du in die See ſtichſt, habe den Ent⸗ ſchluß gefaſſet, nach welcher Gegend deine Segel gerichtet werden ſollen! „ „Ehre — Es war eine Zeit, wo Ehre das Eigenthum nuͤtzlicher Handgeſchaͤfte war. Jabel und Tubalkain werden von der Schrift wie Nimrod genennet; und * 2 2 u un
244 Der Mann
das dankbare Alterthum zählte Vulkanen *) wie den Mars in der Schaar feiner Gottheiten. Rauhe Kuͤnſte, Kuͤnſte des Krieges, Kuͤnſte der Verwuͤſtung haben dieſe wohlthaͤtigen Kenntniſſe aus ihrem Platze verdrungen. Aber kann Gewalt auch das Recht verändern? — „, „Sparta, Rom, kriegeriſche Staa⸗ ten! ihr uͤberlieſſet die friedſamen Beſchaͤff⸗ tigungen den Haͤnden der Sklaven! Habet ihr dadurch dieſe Beſchaͤfftigungen veraͤcht⸗ lich gemacht? nein! eure Sklaven habt ihr geadelt. Unbeſonnene! ſeht ihr es nicht, ihr haͤnget von euren Leibelgenen ab; und dieſe Abhängigkeit iſt nicht zufaͤl⸗ lig, nicht von einem ſelbſt geſchloſſenen Pertrage, der ſich auf Worte gründet; es iſt eine Abhaͤngigkeit der Natur. Herren der „) Der Namen vulkan iſt unſtreitig von Tu⸗ balkain — nach einer verderbten Ausſprache. So dankten die erſten Menſchen den Erfindern der nothwendigen Künſte. War es nachher nicht lächerlich, wann vulkan, wann Miner⸗ va, Ceres, u. a. m. Altäre hatten, aber die abgöttiſch geehrten Spartaner, ſich zu edel dünkten, das auszuüben , wodurch jene Al⸗ täre verdienet hatten!
ohne Vorurtheil. 245
der Welt! ihr ſeyd Sklaven eurer Sklaven; und da dieſe das Joch eurer Knechtſchaft abſchuͤtteln koͤnnen; ſo ſeyd ihr e das ihrige ewig zu tragen —
| „Wie ehe die Gewalt , 117 machet heute das Vorurtheil die unbillige Rang⸗ ordnung. Der Tauſenden das Leben geraubet, prangt mit dem Sterne, dem Zeichen des Verdienſtes auf ſeiner Bruſt: der Tauſende ernaͤhret, erhaͤlt, gluͤcklich machet, ſchleicht unberuͤhmt bei ihm vor⸗ über, und buͤcket ſich tief vor dem M. er rer e ic, wie leicht wäre es euch, nuͤtzliche Kuͤnſte, eu⸗ ren Platz zu erhalten, wenn ihr mehr dar⸗ nach ſtrebtet, geehrt zu ſeyn, als die Ehre zu verdienen! Sprechet! — Du Acker- bau ſage! undankbare Geſellſchaft! mein Pflug ſoll ruhen! warum ſollen diefe Bande ſäen, damit unerkenntliche meine Aernte theilen und leben! — — Du Webkunſt ſage! ich ſoll dir Kleider verfertigen, darin du prangen mögeſt e das Lamm behalte ſeine Wolle! Erde, ich fodre keinen Leinen von dir! koſt⸗ bare Rauppe, fpinne dir kein königlich Ruhgemach! Stolze undankbare ver⸗
2 die⸗
246 Der Mann
dienen es nicht, daß ich euch um ihrer Willen beraube! Die Bettler ſollen mich verachten — aber nackt. Du Schmied⸗ kunſt, fage! meine Werkfiätte ertöne nicht mehr von ſchweren Zammerſchlaͤ⸗ gen, unter denen das gelehrige Metall die Geſtalt annimmt, die ich befehle — geh Ruhmſüchtiger, erobre ohne Waf⸗ fen! geh Prächtiger, zeige deine Pracht ohne Gold und Silbergeſchmei⸗ de! geh Gemächlicher! wirf dich in Seine Rutſche, und habe Füſſe zum Si- gen — Ihr Kuͤnſte fäninitlich , errichtet unter euch ein Buͤndniß, verſaget euren Veraͤchtern euren Beiſtand, und ſeht bald den Fuͤrſten, den Praͤlaten, den Helden, den Gelehrten, den Adelichen, den Reichen, die Welt, zu euren Fuͤſſen! Aber ihr ge⸗ nuͤget euch, wohlthaͤtig zu ſeyn, und laſſet die Laſt, euch verbindlich zu bleiben, ih⸗ nen uͤber! „
„Die Zandgewerbe, fie allein find unabhängig; ihnen nur koͤmmt es zu, zu ſagen: ich trage alles das Meinige mit mir. Der Müſſiggaͤnger, den man einen Weiſen nennet, ſprach, als er dieſes von ſich ſprach, eine ſtolze Luͤge. Diogenes, haſt du
dei⸗
* ohne Vorurtheil. 247
deine Tonne dir ſelbſt gezimmert? und du wollteſt nicht Alexander ſeyn! Windichter Philoſoph! nur aus Hochmuth genuͤgſam, wollteſt du dem Eroberer Aſiens fuͤr nichts verbunden ) ſeyn, und du wareſt es dem Böttcher — Nur die Handgewerbe ſind ſich ſelbſt genug. Keinem Umſtande, keiner Zeit, keinem Orte unterworfen, träge der gandwerksmann alle Beduͤrfniſſe in ſeinen beiden Haͤnden, iſt uͤber den Muth⸗ willen des Gluͤcks, uͤber alle Faͤlle, bald ſagte ich, uͤber das Schickſal erhoben, wenn der oberſte Geſetzgeber ſich nicht das Geſchenk der Geſundheit vorbehalten hätte, das ihn unterwuͤrfig erhaͤlt. „ i „Indeſſen iſt er unabhängiger, als je⸗ der Stand in der Welt. Dionyſtuſe muß⸗ ten Schulmeiſter werden, Beliſariuſe A ha⸗ ) Man weis, daß der unflättige Philoſoph Ale⸗ randern auf fein gütiges Anerbieten zur Ant⸗ wort gegeben: er hätte nichts zu bitten, als daß er ihm die Sonne nicht verſtelle. Man bewundert dieſe Antwort des Diogenes. Ich bewundre Alexanders Gelaſſenheit, der eine ſolche grobe Antwort ertrug. Vielleicht aber hielt er den Weiſen für einen Narren, und er hatte Grund dazu —
248 Der Manu
haben gebetelt — Wo iſt der Handwerker, der nicht traͤge war, und einen ſolchen Um⸗ ſturz erlitten hat? Pen, mehr als Ly⸗ rurg, mehr als Solon, du gabſt deinen Bruͤdern Geſetze, fuͤr die ihre ſpaͤtſten Nachkoͤmmlinge noch deinen Namen mit dankbaren Andenken, und gebeugten Knieen ausſprechen ſollen! aber unter ſo vielen weiſen Geſetzen das weiſeſte, das, wofuͤr ſie dir am meiſten verbunden ſeyn werden, iſt dieſes: daß jeder ein gandgewerb zu lernen verpflichtet iſt, um auf jeden all ein Zufluchtsmittel gegen Noth und Dürftigkeit zu haben — „,
„Ich bin verſucht, zu argwohnen, daß andern Staͤnden dieſe Vortheile der Handgewerbe zu fehr in die Augen ges leuchtet, daß niedertraͤchtige Eiferſucht ſie verleitet habe, dieſelben zu verringern, und durch abgeredete Verträge dem Stans de Faͤſſel umzulegen, der allein frey war. Dieſe Zünfte, die die Geſchicklichkeit ausſchluͤſſen, dieſe unnuͤtzen geldſplittern⸗ den Meiſterſtücke ), dieſe ſinnloſen Ge⸗
N braͤu⸗ „) So mliſſen z. B. die Sattler einen Tour⸗ nierfarsel zum Meiſterſtlcke fertigen. Es ift ſehr
ohne Vorurtheil. 249
brauche ), die ſchon lange entwurzelt ſeyn müßten, wenn es anders Ernſt wä- re, daß ſie es ſeyn ſollten; dieſe langen Lehrjahre, ohne Unterſchied der Faͤhig⸗ keiten; dieſe nicht zur Erlernung des Ge⸗ werbes angewendeten, dieſe in haͤuslichen Verrichtungen der Kindermaͤgde verlornen Jahre; dieſer Zwang der Wanderung, dieſes unſinnige geduldete Verbot der Ver⸗ ehligung, dieſe unter dem Vorwande eis nes Anſtandes aufgebuͤrdeten Beobachtun⸗ gen gleichguͤltiger Dinge, dieſes ſind die gerne uͤberſehenen Unanſtaͤndigkeiten, durch welche die Handwerke einen Theil ihrer Gluͤckſeligkeit entrathen muͤſſen — „ |
2 5 III.
—
ſehr vernünftig, daß fie das machen können, was man nicht braucht; damit ſie das nicht können, was man braucht.
*) Der Sornträger der Buchdrucker und an⸗ dre derley artigen Gepränge bei der Aufdin⸗ gung und dem Freyſprechen der Lehrjungen —
250 Der Mann III.
Jo nehme die in dem I. Stuͤcke unter⸗ brochenen Betrachtungen auf das neue zur Hand. Ich fahre fort meinem Lehrlinge
zu ſagen: daß es ihm erlaubt ſeyn wuͤrde, bei einigen Handgewerben ehrlich zu blei⸗ ben; daß es aber gerade die mühſamſten, gerade diejenigen waͤren, die am wenig⸗ ſten belohnt wuͤrden, die ihm ein be⸗ ſchweißtes Alter der Nräfte, und ein hülfloſes Alter der Schwachheit ver⸗ heiſſen.
Sollteſt du wohl denken, ſage ich ihm, wer unter allen Beſchaͤfftigungen, die uns - ter dem Worte gandgewerbe verſtanden werden, am leichtſten etwas fuͤr das er⸗ ſchoͤpfte Alter hinzulegen fähig it? Höre, und urtheile!
Siehſt du dieſen Mann, der mit hinter den Hut geſtrichenem Haare ſeinen Tag an der Sonne hinbringt! mit ſicherer Fauſt ſchwingt er ein Beil, und gleichet den runden Stamm des Baumes zu einem ge⸗ glaͤtteten Vierecke. Seine Arbeit iſt an⸗ haltend: mit dem fruͤhen Morgen hebt ſie an; eine Raſtſtunde zum Morgenbrode;
elsa
ohne Borurtheil. a5:
eine einzige zur mittäglichen Erhohlung; dann erſt mit Sonnenuntergange e ſei⸗ ne Hand ſinken —
Sieh hingegen jenen andern mit eilfer⸗
tigem Schritte uͤber die Gaſſe laufen: ſein Geraͤth traͤgt er in dieſem ledernen Sacke, der ihm zur Taſche herausragt. Er tritt ein; die Frau ſetzet ſich an den Putztiſch, er kaͤmt ihre Haare durch, legt ſie nach ſelbſtgeſchaffener Mode in Locken, erzaͤhlt ausgeſpaͤhte Geheimniſſe des Hauſes, aus dem er eben koͤmmt, ſtaͤubt rothe Haare blond, und eilet in ein anders Haus zu eben dieſer Verrichtung - Laß uns ein wenig ſtille ſtehen, mein Freund! Nimm meine Boͤrſe! und belohne dieſe beiden nach deinem Ermeſ⸗ ſen =
Wie ? mein Herr! fo höre ich den letz⸗ ten ſpottend ausrufen, mir getrauen Sie dieſe wenigen Kreuzer anzubieten? mir! —
Aber, guter Menſch, antwortet ihm Capa⸗kaum, er hat zu feiner Verrichtung nur ein halbes Stuͤndchen verwendet. Wenn er fuͤr jede halbe Stunde des Tages eben ſo viel bekoͤmmt, ſo kann er ſein Tagwerk hoch bringen —
„Mein
252 Der Mann
„Mein Tagwerk — wiederholt er auf⸗ gebracht — Aus welchem Lande ſind Sie heruͤber zu uns gekommen, daß Sie die Geſchicklichkeit eines Friſeurs nach dem Tagwerke abmeſſen ? „ |
Capa = kaum will ihn unterbrechen; aber ich gebe es nicht zu, ich will der Beredtſamkeit dieſes Menſchen ein freyes Feld laſſen, ſeine Rede wird fuͤr meinen Neuling, und vielleicht für meine Leſerin⸗ nen ungemein unterrichtend ſeyn. Um ihn alſo auf die rechte Bahn zu bringen, ſage ich ihm: Guter Freund! dieſer Menſch iſt ganz Fremdling, der von den Por» zügen eurer Beſchafftizung nicht un⸗ terrichtet iſt —
„„Das habe ich errathen — unter- bricht mich unſer beleidigter Friſeur — das habe ich aus ſeinen Anbieten abnehmen koͤnnen. Mein Herr! lernen Sie unſre Wichtigkeit ſchaͤtzen! lernen Sie unſre Kunſt von den groben Handarbeiten unterſchei⸗ den, die man nach dem Tage miethet. Wie Sie mich ſehen; ſo darf mich eine Fuͤrſtinn nicht beleidigen! — und thut ſie es, ſo koͤmmt ihr meine Beſaͤnftigung theuer zu ſtehen. Ich theile mit dieſen meinen Haͤn⸗
den
ohne Vorurtheil. 253
den Anmuth und Reize aus. Sie wiſſen vielleicht nicht, wie viel auf die Hand ei⸗ nes Friſeurs ankoͤmmt, eine Geſtalt zu er⸗ heben. Darum auch ſetze ich meiner Ars beit einen Preis, wie er mir gefaͤllt — Einen Dukaten fuͤr einen Kopf — Ja ei⸗ nen Dukaten, und laſſe noch einigemal nach mir ſchicken — Komme ich denn, und man wagt es, ſich unfreundlich anzuſtel⸗ len; ſo bin ich noch unfreundlicher: man poltert, ich werfe; und man koͤmmt gut davon, wenn ich mich durch das An⸗ bieten eines Fruͤhſtuͤckes, oder eines Ge⸗ ſchenkes zu guter Laune bringen laſſe. So koſtbar, wie ich Ihnen vorkomme, ſo habe ich dennoch unter Kunden zu waͤhlen. Die gemeineren Weiber vom kleinen Adel, Hof: raͤthinnen, und dergleichen, ſollen ſichs bei⸗ weitem nicht einkommen laſſen, nach mir zu ſchicken. Zwar zahlen ſie vortrefflich, aber ich halte ſehr auf Ehre. Selbſt un⸗ ter dem groſſen Adel laſſe ich diejenigen fahren, die mir nicht Nebengeſchenke ma⸗ chen; und ich kann Sie verſichern, daß man ſich darinn oft ſehr uͤberſteigert. Die Groͤfinn von“ * hat mir nicht lange ganz beſondere Bedingniſſe angeboten, wenn ich
mich
234 N Der Mann
mich verpflichten wuͤrde, auſſer ihr und ihrem Fräulein, keinen Kopf aufzuſetzen. Wir ſtehen nun miteinander in Unterhand⸗ lungen, und ich kann mich nur noch nicht bequemen, an der Tafel ihrer Hausoffiziere zu eſſen; denn ich denke, es iſt eine ganz billige Foderung, daß man mir die Spei⸗ ſen auf mein Zimmer beſonders bringt, da man es dem Sekretär des Grafen gleich: falls thut — | Er würde 3 laͤnger W 1 ich ihn nicht erinnerte, er duͤrfte irgend ei⸗ ne Fuͤrſtinn auf ſich warten laſſen, und ſich ihre Ungnade zuziehen — Ungnade, ſagt er ſpoͤttiſch — und zieht eine goldne Uhr heraus — das Geſchenk einer Freyinn, der zu Liebe er an einem Familiengalatage alle Frauen, die er zu bedienen hatte, ſitzen ließ. Das war, erzaͤhlte er uns, ein tol⸗ ler Streich, den ich ihnen ſpielte; ſie ſa⸗ hen gegen die freygebige Baroninn an die⸗ ſem Tage wie Affen. Doch es iſt die Stunde, welche ich der Graͤfinn * gegeben, mit der ich heute zu ſchluͤſſen gedenke. Hie⸗ mit wirft er einen verächtlichen Blick auf Capa⸗kaum, und entfernet ſich.
Kaum
obne Vorurtheil. 253
Kaum trauet mein Schuͤler ſeinen Oh⸗ ren — Habe ich recht gehoͤrt? fragt er zu wiederholtenmalen. Dieſe Gattung, fuͤr die der Namen Handwerker beinahe zu ehr⸗ wuͤrdig iſt, die ſo ganz entbehrlich ſind, duͤrfen ſolche Foderungen machen?
Das iſt Irrthum, lieber Unwiſſender, daß ſie entbehrlich ſind, ſeit dem es eine Schande geworden, ſeine Haare zu tragen, wie ſie uns die Natur zur Zierde aner⸗ ſchaffen: der Miniſter, der Rath, der Gelehrte, der Soldat, der Handelsmann, der Stutzer, der Prieſter ſelbſt kann ſie nicht entrathen: aus Anſtand einige, aus Eitel⸗ keit die andern — und oft dient der An⸗ ſtand nur der Eitelkeit zum Vorwande —
Und das Frauenvolk — Aber wir wol⸗ len uns nicht laͤnger dabei aufhalten. Wir haben den arbeitſamen Zimmermann zu lange warten laſſen; ihn, der der Ruhe ſo ſehr bedarf. Er tritt nun demuͤthig herbei. Mein Schuͤler, der ſeine Muͤhe nach der Muͤhe des geſchwaͤtzigen Friſeurs abwiegt, langet einen Dukaten aus der Boͤrſe, und erwartet, ob er auch damit vorlieb nehmen werde — Ich bin ein er: mer Mann; wie käme ich dazu, dieſes
| Gold-
256 Der Mann
Goldſtück zu wechſeln — mit dieſen Worten giebt er es zuruͤcke — Was iſt alfo euer Taglohn, arbeitſamer Mann? Tägliche neun Groſchen! aber ich wer⸗ de für Sie beten, wenn Sie mir einen Groſchen zulegen. Ich habe Weib, und drey Kinder , und das Brod iſt um 6 Loth kleiner geworden. Tape = kaum ſieht mich an: ich verſtehe ſeinen fragen⸗ den Blick, und winke ihm meinen Beifall. Er druͤcket mit freudiger Ungeduld dem ar⸗ beitſamen Mann das ganze Goldſtuͤck in
die Hand. Habet es, ſagt er ihm, für euch, und machet euren Kindern einmal eine gute Stunde — und gegen mich ges wendet ſetzt er hinzu: Unbillige Aus: theilung! wäre es dem Geſetze nicht möglich, zwiſchen der Arbeit und dem Lohne ein billiges Gleichgewicht ein⸗ zuführen e
IV. 55 Ich will unterſuchen: ob es möglich iſt,
ein gefegmäfliges Gleichgewicht zwi⸗
ſchen der Arbeit, und dem Lohne ein⸗
zuführen Dieſe Unterſuchung wird mich weis
ohne Vorurtheil. 257
weiter führen, als es anfänglich den Schein hat. Ich werde mich genoͤthiget ſehen, die Beſchaͤfftigungen der Handgewerbe unter gewiſſe Eintheilungen zu bringen, und je⸗ dem unter ihnen ſeinen Ort anzuweiſen, an dem es ſteht, und an dem es ſtehen ſollte. Werde ich gluͤcklich genug ſeyn, einen ſol⸗ chen Stoff, der der Satire ſo ganz nicht angemeſſen iſt, auf eine Art zu behandeln, daß der Deuter nicht einſchlaͤft? daß er unterrichtend, oder, wenn man ſo will, verbeſſerend fuͤr die einen, ergoͤtzend fuͤr den Haufen meiner Leſer ſey, die dieſen Blaͤttern, wie ihrer Hausrechnung, die verworfene Minute widmen, die ſie in dem Tagebuch ihrer Zerſtreuungen nicht unter⸗ zutheilen wiſſen? — Und Sie Thereſie! ) deren gewogenheitvoller Zuſpruch mir oft, die uͤber den Tadel des Boshaften, uͤber
den
*) Die Neugierde fragt: wer mag fie ſeyn, dieſe Thereſie? Glückliche Gatten, wenn ihr viele nennen möget, die Thereſten ſeyn könn⸗ ten? — Für mich kenne ich nur dieſe einzi⸗ ge — und eine noch, die des Glücks würdig wäre, Thereſiens Mutter zu ſeyn — Aber wit ferne von uns! f
II. Theil. R
2535 Der Mann
den feyerlichen Ausſpruch des Dunſen bin: geworfene Feder, die Feder, die mir auch oft aus Beſorgniß gegruͤndeter Kritiken entfiel, aufs neue ergreifen hieß; Sie, ſanfte Freundinn, die ein feines Gefuͤhl getreuer, als die Vorſchriften des Kunſt⸗ richters, leitet; deren Empfindung Beifall, deren geiſtvolles Laͤcheln mir Belohnung iſt; wo werde ich in dieſer oͤden Gegend Blumen finden, die verdienen, zum Kranze gewunden, ſtolz in ihren Locken zu verbluͤ⸗ hen? — Doch, ich ſehe dieſen ermuntern⸗ den Blick, den Sie mir zumerfen, und die oͤde Gegend wird mir eine blumenreiche Flur: ich ſchreibe —
Da das menſchliche Geſchlecht nur noch in wenigen beſtund, die den Erdboden un⸗ ter ſich theilten, da waren die Begierden klein, weil der Gegenſtand fuͤr dieſelben zu groß war. Abel hatte eine groͤſſere Vieh⸗ weide, als alle Chane aller Horden, in allen Tatareyen: und Kain haͤtte ſeine Felder nicht bepfluͤgen koͤnnen , wenn er alle vierzigtauſend Pferde aus den Staͤllen
ſeines Nefen Salomons vorgeſpannet haͤt⸗ te. So wie die Erde mehr bevoͤlkert wur⸗
de, ward das Eigenthum eingeſchraͤnkter, weil
1
ohne Borurtheil. 259
weil es in mehrere Theile zerſtuͤcket wer⸗ den mußte; bis ſich die Beſitzer genoͤthiget fanden, ihre Beſitzungen zu umzaͤunen, und zu ſprechen: bis hieher! dieſes gehoͤrt mir an. Noch immer aber wuchs ihre Anzahl, und da fuͤr die Nachfolgenden nichts mehr in Beſitz zu nehmen übrig war; fo muß⸗ ten ſie auf Mittel denken, ſich unabhaͤngig von liegendem Eigenthume, Unterhalt zu verſchaffen: ſo entſtunden Handwerke und Kuͤnſte —
Die Soͤhne Kains waren Ackersleute. Die Erde ohne Werkzeuge umzugraben, welche ſchweiß volle Mühe! Und wie wenig konnten ſie fortruͤcken! Ihre Haushaltun⸗ gen waren zahlreich, ihre Kraͤfte zu ein⸗ geſchraͤnkt, ſo viel zu bebauen, als ganze Heerden von Kindern, und Kindskindern verlangten. Und haͤtten fie auch da aus⸗ gelanget, wer gab ihnen Kleider? wer verzaͤunte ihre Felder? wer erweiterte ih- re Wohnungen? wer verbauete ſie gegen Wind, gegen den Regen, gegen alle Un⸗ geſtuͤme der Witterung? wer ſetzte einen Damm, der den Anfall des Sturzwaſſers brach, und ableitete? Wenn es mit dem Umgraben der Erde nur ſchleuniger vor ſich
R 2 ge⸗
266 Der Mann
ſehen möchte ! ſagte der Vater zu feiner Gehuͤlfinn nach einem beſchweißten Tage, und uͤberſah unzufrieden den kleinen Fle⸗ cken, ſein ganzes Tagwerk.
Tubalkain erfand die Kunſt, das Eiſen in Schippen, und anderes Grabgeraͤthe zu formen. Denn die ſchwere Beſchaͤfftigung
der Schmiede war keine Erfindung eines Muͤſſiggaͤngers, der zum Zeitvertreibe ei⸗ nen Stecknadelknopf glaͤttet, und zur be⸗ ſtimmten Arbeit, ißt und ſchlaͤft. Hier habt ihr, ſagt er feinem Nachbarn, ein Werk⸗ zeug, das eure Tagwerke verkuͤrzen kann! verſuchet es damit, die Erde umzugraben!
Und er verſuchte es, und er erſtaunte uͤber den Fortgang ſeiner Arbeit, und wuͤnſchte ſich, dieſen Schatz zu beſitzen. Ich kann mir vorſtellen, er wird fo une gefaͤhr ſeinen Ueberſchlag gemacht haben. Mit dieſem Werkzeuge kann ich meine Fel⸗ der ganz beſtellen. Ich baue dann fuͤr mich, und mein Haus, und lege noch Vorrath bei, auf mancherlei Faͤlle, die ſich unvor⸗ geſehen ereignen koͤnnen. So macht mich dieſes Geraͤth reich, denn es verſchaft mir Ueberfluß. Ich will ſehen, es an mich zu bringen. Was gebe ich euch dafuͤr? —
Der
ohne Borurtheil. 261
Der Schmied mußte feine Zeit in feiner Werkſtatt zubringen. Sie fehlte ihm alfo zum Feldbau. Vielleicht, daß er auch kein Stuͤck Erde hatte, und eines an ſich zu bringen ſuchte, welches ſeine Kinder um⸗ ſtuͤrzen ſollten. Nach ihren Beduͤrfniſſen maſſen fie wechſelſeitig ihre Waare , und beſtimmten nach den Vortheilen ihren Preis — Was ihr mir dafuͤr gebet — ſagt Tu⸗ balkain — Getraid fo viel — und das Stuͤck Feld zunaͤchſt an meiner Huͤtte. Hier nach⸗ gelaſſen, dort zugeſtanden, ſo wurden ſie eins, und jeder kam vergnuͤgt zuruͤck.
Der Ackersmann hatte noch nicht Zeit gehabt, alle Vortheile feiner neuen Erwer⸗ bung kennen zu lernen. Der Bach ſtaͤmm⸗ te ſich an ſeine Felder, und floß auf die⸗ ſelben uͤber; ſeine Saat ward ausgetraͤnkt, oder ſeine Garben weggeſchweift. Koͤnnte ich dem Waſſer einen Abfluß oͤffnen! denkt er bei ſich, und verſucht es, ein neues
Beet zu graben, und leitet den Bach ab, und ſetzet ſeine Flur in Sicherheit. Bald faͤllt der Regen ſeiner Huͤtte unbequem, und dringt an dem Fuſſe ihrer Waͤnde ein, und verdirbt ihm ſeinen Vorrath. Mit ſeiner Schippe zieht er rings um dieſelbe
R 3 ei⸗
262 Der Mann
einen Graben, und weiſt dem fich ſam⸗ melnden Gewaͤſſer einen andern Weg ar.
Nun kann er feine Saaten nicht uͤber⸗ ſehen: Brod, vielleicht auch andere Ge- waͤchſe, im Ueberfluſſe: aber Kleider, Klei⸗ der, woher ſoll er dieſe nehmen? Der die Schippe gemacht hat, wird gar bald auf andere Werkzeuge verfallen ſeyn, deren Nutzbarkeit in die Augen leuchten muß. Er wird eine Axt geſchmiedet haben, und ſich damit hohe Baͤume gefaͤllet, und Pfaͤhle zugeſpitzet, und ſeine Wohnung bequemer eingerichtet, und hundert andere Gemaͤch⸗ lichkeiten verſchaffet haben, alles durch ſeine neuerfundene Axt.
Der Ackersmann, der Viehhirt wird ihn um dieſelbe beneiden —
Ich habe keine Weide, keine Felder zum Kornbaue: mir mangelt es am Brode, an Bedeckung! wie kann ich dieſem Mangel fuͤr mein Haus abhelfen? ſo uͤberlegt eine ſorgfaͤltige Hauswirthinn in langen, unlu⸗ ſtigen Naͤchten des Winters. Sie ſinnet nach, ob die Beduͤrfniſſe der Menſchen alle ſchon erſchoͤpfet ſind. Noch nicht, ſagt ihr ein genaues Nachdenken. Zwar der Schafhirt hat die Felle ſeiner Schafe zu
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ohne Vorurtheil. 263
ſeiner Huͤlle, aber dieſe Felle ſind roh, trocken, hart, unbiegſam: ihrer geſchick⸗ ten Hand gelingt es, nach manchem Ver⸗ ſuche, fie zuzubereiten, gelinde, biegſam, geſchmeidig zu machen. Das bearbeitete Fell ſitzt nun genau am Leibe, es ſchmiegt ſich nach jedem Gelenke, es laͤßt nicht mehr die Luft ein, es ſchuͤtzet gegen die Kaͤlte. Nun iſt ihr Mangel zu Ende. Sie zeigt ſich in ihrem Kleide. Alles verſammelt ſich umher, alles bewundert ſie, alles verlangt nach fo. bequemer Bedeckung. Der Ackers⸗ mann biet ihr Fruͤchte an, und empfaͤngt gegaͤrbte Felle; der Hirt biet ihr Schafe an, unb empfaͤngt gegaͤrbte Felle; der Schmied biet ihr eine Axt an, um dafür Felle zu erhalten — Dieß iſt die erſte Ge⸗ meinſchaft der Beſchaͤfftigungen: ein Ackers⸗ mann, der Speiſe, ein Viehhirt, der die Huͤlle verſchafft, eine Gaͤrberinn, die ſie zubereitet, und ein Schmied, der allen dreyen ihre Werkzeuge liefert. 5 Bei dieſem Zuſtande ungefähr muß die Er⸗ findſamkeit fo lange verharret ſeyn, als die Menſchen ſich an den ſtrenggenommenen Beduͤrfniſſen genuͤgen laſſen. Aber das Ziel,
ſo der Schoͤpfer den natuͤrlichen und ſitt?
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264 Der Mann
lichen Kräften vorgeſtecket, war noch nicht erreichet. Er hatte es ſo geordnet, daß man weiter fortruͤcken mußte. Er hat die⸗ ſes Sehnen nach der Vergroͤſſerung unſe⸗ rer Bequemlichkeit nicht vergebens in un⸗ ſere Herzen geleget. Jeder anerſchaffne Trieb iſt ein Faden, dem man nachgehen darf, um zu einem Theile der fuͤr uns be⸗ ſtimmten Gluͤckſeligkeit zu gelangen. Der Philoſoph, der dieſes laͤugnet, der uns Faͤhigkeiten ohne Abſicht, Triebe mit ſchaͤd⸗ lichen Folgen andichtet, entehret die Weis⸗ heit des Schoͤpfers, oder laͤſtert ſeine Ge⸗ rechtigkeit. Es iſt keine, bis auf die ge⸗ mißgebrauchte Faͤhigkeit eines Sailgauk⸗ lers, die nicht zum Nutzen des menſchli⸗ chen Geſchlechts abzweckte. Ohne dieſe Faͤhigkeit, das Gleichgewicht auf einem Stricke zu halten, wuͤrde man es in der Schiffahrt, und der ſogenannten Gegla- tion nie ſo weit gebracht haben. Rouſſeau! mit aller Verehrung fuͤr deine ſchaͤtzbaren Talente, und menſchenliebvol⸗ les Herz, ich fobere dich auf, einen Trieb in mir aufzuſpuͤhren, der, wenn ich ihm nachhange, mich nur zu ſchaͤdli⸗ chen Folgen verleitet! die Begierde zu ha⸗ ben
ohne Vorurtheil. 265
ben — fie iſt der Sporn des Fleiſſes — die Ehrbegierde — ſie iſt die Mutter ſo mancher ſchoͤnen Handlung, die den Jahr⸗ buͤchern des menſchlichen Geſchlechts Ehre machen — das Gefuͤhl der Tapferkeit — fie bereitet dem Vaterlande, dem ſchwaͤ⸗ cheren Bedraͤngten Schutz und Sicherheit — der gegenſeitige Geſchlechtshang — er iſt das Band der Familien, ihr Vermehrer, der Bevoͤlkerer der ohne ihn oͤden Erde — Aber der Geizige, der Räuber, der Unter- druͤcker, der Ehebrecher — das heißt, weil Pyrrho die Vernunft zum Zweiflen an⸗ wendet, ſo iſt das ihre Beſtimmung: weil Alexander der Raͤuber der Welt geworden; ſo iſt Leonidas nicht tapfer: weil Helena dem Paris folgte, ſo war Arria ihrem Paͤtus nicht getreu: weil der gekroͤnte Schlemmer Roms Millionen verbanfetirte, ſo iſt kein maͤſſiger Joſeph irgend auf dem Throne — Ich glaube inzwiſchen nicht, daß der Hang nach der Gemaͤchlichkeit die Zahl der Erfindungen gemehret habe: die Nothdurft der Erfinder hat es gethan, aber fie waren der Gemaͤchlichkeit ſehr willkommen.
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266 Der Mann | | v
Be einzelnen Menſchen, bei Nomaden, bei irrenden Horden, die ungefaͤhr den arabiſchen Horden gleichen, welche den andaͤchtigen Reiſegeſellſchaften nach Meka auflauern, gab es wenige Beduͤrfniſſe: darum waren auch die Erfindungen in ge⸗ ringer Zahl. Auf die Erfindung eines Werk⸗ zeuges, die Erde zu bearbeiten, auf eine Schippe und Axt iſt man bald verfallen: aber es ſind einige tauſend Jahre verlau⸗ fen, ehe die ſtahlenen Uhrhacken gemacht wurden, womit die Toͤchter Evens die Uhren an ihrem Guͤrtel befeſtigten.
Indeſſen iſt ein unendlich groͤſſerer Weg
von leeren Haͤnden bis zu einer Schippe zu hinterlegen, als von einer Schippe bis zur Uhrkette. Ein Menſch mußte ſagen: ich will die Erde aufwuͤhlen, und in ihrem Eingeweide einen Stein ſuchen, der kein Stein ſeyn ſoll! Ich will dieſen Stein nehmen, und uͤber Feuer roͤſten, und dann in einem noch heftigern Feuer flieſſen laſ⸗ fen, und dann ſchmieden, und ihm die Ge⸗ ſtalt geben, die meiner Abſicht bequem iſt, eine keilfͤrmige Geſtalt — Wie viele Kennt:
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Kenntniſſe der Naturkunde, der Metall: kunde, der Mechanik! Kurz, um die Schip⸗ pe zu machen, mußte man erfinden, und um die Uhrkette zu machen, ware man nur vervollkommen.
Darin beſteht der Vorzug des wahren Nothwendigen: fein Mangel wird em⸗ pfunden, und dieſe Empfindung leitet da⸗ hin, wo ihr Genuͤge geſchehen kann. Ein Kind weis ſogleich ſeine Nahrung an den Mund zu fuͤhren, aber es weis nicht, was es mit einem Kleide anfangen ſoll, das man ihm vorlegt —
Ich haͤtte alſo nicht einmal ſagen ſol⸗ len: die Erfindungen waren der Gemaͤch⸗ lichkeit willkommen: fie find vor der Ge- maͤchlichkeit hergegangen, und haben ſie gleichſam erſchaffen.
Aber wir ſind in der Geſchichte der Kuͤnſte und Handwerke noch nicht ſo weit fortgeruͤcket. Laßt uns den Menſchen un⸗ ter verſchiedenen Himmelsgegenden betrach- ten! Wir werden Kuͤnſte entſtehen ſehen, welche durch den Einfluß des Klimas ver: anlaſſet werden: Kuͤnſte, die an einem Or⸗ te Ueberfluß, Bedürfniß an dem an⸗ dern ſind.
Das
263 Der Mann * Das Stammhaus des menſchlichen Ge⸗ ſchlechts war ohne Zweifel unter einem ge⸗ linderen Himmel. Die Schrift ſagt es: aber auch ohne die Offenbarung muß uns die Muthmaſſung darauf leiten. Wollte der Schoͤpfer nicht Wunder auf Wunder haͤufen, und ſein Geſchoͤpf an der Hand zu jeder Erfindung leiten, oder wollte er es nicht bei dem erſten Geſchlechte ausge⸗ hen ſehen; ſo mußte er es weder an die Spitze von Neu Jembla verſetzen, wo die kriſtallene Feuchtigkeit im Auge ſtarret, we⸗ der in die Wuͤſte Sarra, deren gluͤhender Sand die Sohlen des Wanderers brene net. Huͤlflos, und ſeinen noch unentwi⸗ ckelten Faͤhigkeiten überlaffen, mußte er ihm da einen Platz anweiſen, wo es die we⸗ nigſte Huͤlfe brauchte, und ſeine Faͤhigkei⸗ ten fuͤr ſeine Beduͤrfniſſe zureichend waren. Dieſer Platz war der gemaͤſſigte Erde guͤtel, aber mehr Suͤdwaͤrts, als gegen Norden. Dort muͤſſen die Erdbeſchreiber den niedlichen Garten, der ein Ausdruck der Wohnung der Seligen geworden, das Eden, und den Brunn der groſſen Fluͤſſe ſuchen, die den Erdboden uͤberſchwemmen. Von
ohne Vorurtheil. 269
Von da aus ruͤckte die Bevoͤlkerung ſtuͤck⸗ weiſe auf der Oberflaͤche der Erde fort.
Wohin wendeten ſich die Menſchen eher? gegen den Nordpol? oder gegen Süden? Oſtwrts e oder Weſtwarts v Setzen wir uns an die Stelle unſrer Stammvaͤter! aber entbloͤſſen wir uns, wenn wir koͤnnen, der Kenntniſſe der Erdbeſchreibung, oder ihrer Irrthuͤmer! ſehen wir, was wir gethan haben wuͤrden! Wir ſagen, wenn wir an einem Hirſchen etwas wahrnehmen: fo leitet ihn ſein Inſtinkt. Der unausge⸗ bildete Verſtand war mehr noch Inſtinkt, als verſtand. Wir duͤrfen alſo ſagen: die Enkel hatten, die Väter alſo haben es gethan. Es ſcheint ſogar, daß dieſe Art zu ſchluͤſſen, ziemlich zuverſichtlich ſeyn muͤß⸗ te, wenn wir ſo leicht die hinzugekom⸗ menen, ſpaͤter erworbenen Kenntniſſe ab⸗ zulegen faͤhig waͤren. Aber ſie ſind beinahe ein Theil von uns ſelbſt geworden, dieſe Kenntniſſe. Gelagert zwiſchen Perſien und dem Gebiete des Mogols , oder wahr⸗ ſcheinlicher, ſelbſt in dem Gebiete des Mo: gols zwiſchen dem Indus und der Kette der Bergen, die dieſes Reich von Norden gegen Suͤden durchſchneiden, wuͤrde ich . mich,
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mich, allem Anſehen nach, zuerſt vor mir hin Nordwärts gewendet haben, wenn mein Wohnplatz mit Menſchen und Heer⸗ den uͤberfuͤllet geweſen waͤre. Ich wuͤrde mich hinter mich zu wenden, von der ſen⸗ genden Hitze abgeſchrecket worden ſeyn. In dieſer Lage war der erquickende Schatten das Bild der Gluͤckſeligkeit. Er ſetzte den Menſchen in den Garten der Wolluſt, ſagt der Geſchichtſchreiber Moſes: die Kuͤh⸗ le alſo wuͤrde fuͤr mich anlockend geweſen, ich wuͤrde ihr nachgezogen ſeyn.
Man erinnere ſich, daß ich damals kei⸗ nen Nachen, oder anderes Mittel, einen Fluß zu uͤberſetzen, gekennet haͤtte. Ich wuͤrde alſo dem Indus in ſeinem Laufe im⸗ mer zur Seite haben wandern muͤſſen, bis mich die Berge gezwungen hätten, Weſt— wärts zu lenken. Denn ich wuͤrde nicht gerne die Hoͤhen beſtiegen haben, ſo lange ich Ebenen vor mir erblicket haͤtte: waͤre es auch nur geweſen, um mich nicht von den Quellen zu entfernen, deren Nothwen⸗ digkeit fuͤr mich und meine Heerden ich fruͤh genug wuͤrde erkennet haben. Und ohne ihn geſehen zu er kann es uns nicht ein⸗
ſal⸗
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fallen, den Urſprung der Fluͤſſe in den Ge⸗ birgen aufzuſuchen. So bald die wandernden Menſchen ein⸗ mal diefe Richtung erhalten haben, fo wa⸗ ren ſie gezwungen, ihr beſtaͤndig zu folgen. Sie lieſſen, ſo wie ſie ſich vermehrten, be⸗ ſtaͤndig Haufen auf den Rüden‘, die fie vorwaͤrts draͤngten, und es ihnen unmoͤg⸗ lich machten, wiederzukehren. Sehet dann die Menſchen auf dem Wege, Perſien zu bevoͤlkern, und auf der einen Seite von Caucaſus, auf der andern von dem Meere eingeſchraͤnkt, ihren Weg immer mehr noͤrd⸗ lich fortſetzen. Ich will hier die Wander rung der Voͤlker nicht weiter beſtimmen: ich wuͤrde mich mit Erdebeſchreibern und Auslegern zu ſchlagen haben, wenn ich meine Meinung weiter durchſetzte: und ich will ihnen tauſendmal ehe Recht laſſen, in
einer Sache, wo fie, fo wie ich, nun
muthmaſſen duͤrfen, als mit ihnen zanken: denn ich denke, auch bei einer gewonne⸗ nen Schlacht iſt Verluſt. So moͤgen ſie dann alſo ihre Pflanzvoͤller hinſenden wo ſie wollen; ich ſpreche zu ihnen: Seht! die ganze Erde iſt vor euch!
Aber
272 Der Mann
Aber welche Beduͤrfniſſe zeigen ſich bel den aus ihrem erſten Wohnplatze ver⸗ pflanzten Menſchenkindern? Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß ſie die Unbequemlich⸗ keit ihrer Kleidung vor allem gefuͤhlet ha⸗ ben moͤgen. Sie trugen Schaffelle. Dieſe Huͤlle iſt fuͤr die Hitze des Tages, und die⸗ ſer Gegend zu beſchwerlich. An einigen abgenuͤtzten Kleidern werden fie die Er⸗ fahrung gemacht haben, daß die Wolle ſich von der Haut ſoͤndern laͤßt. Nun wer⸗ den ſie es mit ganzen Fellen verſucht haben, und es gieng an. Sie bereiteten ſich Klei⸗ der aus enthaarten Fellen, und ſie fanden ſie bequem, gering, gegen die Biſſe der Flieginſekte, und ſelbſt gegen die Sonnen⸗ hitze ſchuͤtzend.
Aber des Herbſtes rauhe Witterung ruͤckt heran. Die Naͤchte werden kalt, feucht, ungeftüm : die ledernen Kleider zeigen nun gleichfalls ihre Maͤngel. Der er⸗ ſte Gedanke, der ſich hier anbieten mußte, war, eine doppelte Bekleidung, fuͤr den Tag eine, eine fuͤr die Nacht — Ich ſehe die erſten Keime des verderbenden Prachts, der Verſchwendung, die unſre Zeiten ver⸗ wuͤſten, wenn Thoren Anfehen und Vor⸗
zug
ohne Vorurtheil. 273
zug darin ſuchen, viel zu brauchen, und Haͤuſer zu miethen, um ihre Kleiderſchraͤnke zu ſtellen. Doch, wir wollen nichts voraus nehmen. Die erſterbenden Fluren, der ſich entlaubende Wald, der anhaltende Re⸗ gen zeigte bald noch einen andern Mangel. In den waͤrmern Gegenden wohnte man unter einem Aſte, den ein dickbelaubter Baum wohlthaͤtig uͤber das Haupt aus⸗ ſtreckte. Er hielt am Tage die Stralen der Sonne ab, und fieng Abends den Thau auf. Bei dem Wechſel der Witterung in dieſem Erdſtreife, von dem ſich nun die Sonne immer mehr und mehr entfernte, war ein Laubdach eine unzulaͤngliche Zu⸗ flucht. Man mußte Wind und Regen, und Froſt abhalten, man mußte bauen.
Es war mit der Baukunſt, wie mit allen andern Kuͤnſten. Wer dem, der am erſten einige Pfaͤhle in die Erde ſtieß, und ſie mit Zweigen verflocht, und da der Wind die Fugen durchſtrich, die Zweige mit ge⸗ weichter Erde umzog, und, wenn er gluͤck⸗ lich er findſam war, Pfaͤhle fchief, um dem Waſſer einen Abfluß zu verſchaffen, darauf befeſtigte, und Stroh oder Binſen darauf band, wer dem geſagt haͤtte: das iſt der
U, Theil. S Anz
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Anfang einer Kunſt, wodurch nach einigen tauſend Jahren Vitruve und Palladie un⸗ ſterblich ſeyn, wodurch der Stolze ſeine Groͤſſe, und der Verſchwender ſeine Hirn⸗ loſigkeit zeigen werden, den haͤtte er wer nigſtens fuͤr einen Ausſchweifenden, und Sinnloſen gehalten. Indeſſen wuͤrde we⸗ der das Vatikan, noch das Louvre die Fremden jemals in Erſtaunen ſetzen, wenn dieſer erſte nicht in ſeiner ungeſtalteten Huͤtte den Grund zur Baukunſt geleget hätte.
Eben dieſer Klumpen ward nicht er⸗ richtet, ohne daß die Natur dem Beobach⸗ ter einige Kunſtgriffe der gebefunft ent⸗ decket haͤtte. Ich ſehe alſo auch den Lehr⸗ meiſter der Archimedes und Belidore in dem Erbauer dieſer Huͤtte. —
VI.
De einfachſten Erfindungen, diejenigen, die gleichſam auf der Oberflaͤche liegen, und ſich ſelbſt anbieten, waren den erſten Men⸗ ſchen am koſtbarſten.
Es
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Es war ein langer Baum, ein untrag⸗ barer Stein, ſonſt eine ſchwere Laſt von der Stelle zu bringen, aufzuheben. Der Menſch fand ſehr bald das Unvermoͤgen feiner Hände. War die Laſt, die er fort⸗ zuruͤcken hatte, auf der Erde, ſo hat der Mechanismus feiner Kräfte ihn zwar na⸗ tuͤrlich zur Verlaͤngerung der Linie, durch die Anſtaͤmmung angefuͤhrt: aber, man iſt nicht im Stande, eine ſolche beſchwerliche Stellung lange auszuhalten, man ermuͤdet, bevor die Arbeit merklich von der Stelle geht. Man bilde ſich nun den ein, der bei ſeinem widerſpenſtigen Klumpen keuchet! er hat ihn mit vieler Muͤhe ein Stuͤck empor gehoben: ſoll er nun ſeine Haͤnde unter⸗ legen, um ihn nicht wieder ſinken zu laſſen? er wird ihre Zerquetſchung fuͤrchten: er wird einen Stein, ein Stuͤck Holz, er wird ſonſt eine Unterlage unterſchieben, um ſei⸗ ne Laſt empor zu halten — Er hat ſich nun erholt, er ſieht, daß die Bewegung leich⸗ ter geſchehen wuͤrde, wenn er ſeine Laſt an der emporgehobenen Grundflaͤche angreift. Aber, er traut der Beharrlichkeit ſeiner Kraͤfte nicht: ſollten die Haͤnde kraftlos, und von der Schwere uͤberwaͤltiget wer⸗
S 2 ben,
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den, ſo iſt er in Gefahr, darum zu kom⸗ men. Anſtatt feine Finger zu wagen, er⸗ greift er die zunaͤchſt liegende Stange, mit welcher er die Bewegung verſucht. Eine Menge Vortheile fallen ihm ſo zu ſagen ſelbſt in die Hand, ſo bald er einmal auf den Einfall gerathen iſt.
Je aufgerichteter er bei dem Heben ſte⸗ hen kann, deſto gemaͤchlicher iſt ihm ſeine Arbeit. Bewundern wir die weiſen Geſetze der Vorſicht, welche die nuͤtzlichſten Vor⸗ theile ſo geordnet hat, daß man nicht konn⸗ te, nicht bald darauf verfallen! Um nicht gekruͤmmt zu ſtehen, um gemaͤchlicher zu ar⸗ beiten, entfernet ſich der Laſtheber immer mehr und mehr von der Laſt, und wie er ſich entfernet, fühlt er feine Kraft ver- groͤſſert. Er kennet nun zwar das erſte Geſetz des gebels nicht, aber den Zebel ſelbſt gebrauchet er: und wie es uns ganz natürlich eigen iſt, Verſuche anzuſtellen, ſo wird er bald auf die Unterlage ſelbſt, und durch eine Kette von Erfahrungen auf alle Erleichterungen, die der Zebel ver: ſchaft . kommen.
Der Laſttraͤger verfaͤhrt taͤglich nach allen mechaniſchen Geſetzen des Zebels,
oh⸗
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ohne daß er es weis: daß die Kraft nach Maſſe der Entfernung von dem Auf: liegpunkte vergröſſert wird.
Der Keil war die erſte Entdeckung, auf die man geleitet war: die Axt, womit die Baͤume umgehoben wurden, war ſelbſt ein Keil, Alſo war es leicht, denſelben all⸗ gemeiner zu gebrauchen. Man wollte ei⸗ nen Baum ſpalten, man bediente ſich der Axt, man hieb ein. Die Spaltſamkeit des Holzes zeigte ſich bald durch die Fuge: aber dieſe Fuge verſchwand, ſobald die Axt herausgezogen ward. Damit ſie nun er⸗ halten wuͤrde, wird ein Stein, oder das naͤchſte, das erſte Stuͤck Holz hineinge⸗ ſteckt. Man darf eben nicht ſehr erfindſam ſeyn, um dieß zu thun. Der wiederholte Streich dringt nun tiefer ein, das Holz reißt weiter: man ſteckt ein ſtaͤrker Stuͤck Holz in die Fuge, man befeſtiget es mit einem Schlage, und ſieh, der Schlag ſelbſt ſpaltet das Holz, weil der Keil tiefer hin⸗ eindringt: die Schlaͤge werden nun ver⸗ doppelt, und man ſieht, wie man durch ben bloſſen Keil mit leichter Mühe mit der Spaltung der groͤßten Baͤume zu Stande koͤmmt. |
63 Uns
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Unſre Holzhauer, welche taͤglich vor unſerm Angeſichte ſo verfahren, ſind der Beweis, daß es der erſte von ihrem Gewer⸗ be eben ſo gemacht hat: ſie haben ſo wenig als er, uͤber die Mechanik ein Kollegium gehört; fie klieben täglich die größten Baͤu⸗ me, ohne zu wiſſen: das die Richtungen des Neils, nach welchen er gegen die beiden Theile des Körpers getrieben wird, mit ſeinen zwoen Seiten rechte Winkel machen.
Ich zaͤhle unter die erſten Entdeckungen der gebekunſt auch die ſchiefe Slaͤche, und ſeht, wie man darauf verfallen ſeyn mag! Man hatte eine Laſt von einer Hoͤhe zu bringen, die Höhe war abſchuͤſſig und jaͤh, der kleinſte Anſtoß war maͤchtig genug: ſo bald ſie einmal bewegt war, ſtuͤrzte ſie unaufhaltſam fuͤr ſich ſelbſt dahin. Aber wenn ſo etwas auf einem Berge zu thun war, deſſen Hang ſich ſanfter verlor; ſo empfand man zwar gleichfalls das Beſtre⸗ ben der Schwere, nach dem Thale zu ſin⸗ ken, aber mit einer gemaͤſſigteren Kraft, mit einer Kraft, die durch wiederholte An⸗ ſtoͤſſe gleichſam von Zeit zu Zeit erwecket werden mußte. Dieſe Beobachtung mußte
gar
ohne Borurtheil. 279
gar bald genuͤtzt werden. Obgleich manche Weltweiſen durch die verwickeltſten Schluͤſ⸗ ſe zu beweiſen ſuchen, daß die Menſchen nicht ſo bald ſchlüſſen; ſo mag das wahr ſeyn, wenn ſie eine Schlußrede nach ih⸗ ren Figuren verſtanden haben. Ich ge⸗ ſtehe ihnen gerne zu, daß Adam keine Schlußrede von drey Gliedern zu machen gewußt: aber thaͤtige Schlüſſe, die bin ich fo kuͤhn , nicht einmal meinem Hunde abſprechen zu laſſen.
Ich gebe dem armen Thiere taͤglich aus meinen Händen feine Nahrung, ich ſtreich⸗ le, und liebkoſe es: es ſpringt mir bei meinem Eintritte in das Haus freudig ent⸗ gegen, wedelt mit feinem Schweife, bes lekt meine Haͤnde, vertheidiget mich mit ſeinem Geſchrey, mit ſeinem Beiſſen, wenn man zum Scherze nur nach mir ſchlaͤgt. Einer meiner Beſuche, ein unfreundlicher Menſch, kann die Vertraulichkeit des ge⸗ treuen Geſchoͤpfes nicht vertragen, er ſchlaͤgt es. Sobald dieſer Menſch in das Haus tritt, empfaͤngt ihn der Hund mit unzu⸗ ſtillendem Gebelle, laͤuft vor ihm, ver⸗ birgt ſich. Wie Freund Philoſoph! weil mein Hund nicht ſagt: wer mich näbret,
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mich ſtreichelt, mich IiebFofer, iſt mein Sreund: mein gerr thut dieß alles: al⸗ fo iſt mein gerr mein Freund — Wer mich fchlagt, iſt mir 8eind; der Frem⸗ de ſchlug mich; alſo iſt der Fremde mein Seind. — Wer mein Freund iſt, wird mir nichts zu Leid thun, vor dem darf ich mich alſo nicht fürchten: vor meinem gerrn alſo darf ich mich nicht fürchten: meinen Sreund bin ich zu lie⸗ ben verbunden; meinen Seren alfo bin ich zu lieben verbunden. — Wer mein Seind iſt, der will mir Böſes thun, vor dem muß ich mich verbergen: alſo muß ich mich vor dem Fremden verbergen. — Weil mein Hund kein ſolcher unertraͤglicher Schwaͤtzer iſt, ſo hat er nicht das Vermoͤ⸗ gen zu ſchluͤſſen, ungeachtet er nach Lo⸗ ckes Geſetzen in der That LiebFofer, ent⸗ gegenſpringt, fich verbirgt » Sage eben ſowohl: Peter der Groſſe habe bei Pul⸗ tava nicht geſchloſſen, weil er feine gand⸗ Lung nicht in dieſe Schlußrede eingeklei⸗ det: wenn ich meinen Seind in eine Einöde locke, wo feine Soldaten drey Tage gunger leiden; fo werden fie ent⸗ kraftet; und entkraͤftete Leute find ge: gen
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gen meine wohlgenaͤhrten Truppen nicht fähig auszuhalten; ich will Karin den XII. dahin locken: alſo und ſo weiter: Karl der XII., denke ich, haͤtte ihm die Schlußrede verziehen, haͤtte es Peter bei der Rede bewenden laſſen —
Die Menſchen haben alſo immer Schluͤſ⸗ fe gemacht, auch die, welche Lockes Verſuch uͤber den menſchlichen Verſtand nicht gele⸗ ſen hatten: und eine geringe Aufmerkſam⸗ keit, mußte ſie lehren: ein Koͤrper, den ſie von einer Hoͤhe abwaͤrts zu bringen ha⸗ ben, ziehe nach einer Jaͤhe ſo ungeſtuͤm fort, daß es nicht in ihrer Macht ſteht, ſeine Bewegung aufzuhalten: daß hinge⸗ gen die Bewegung auf einem ſanftern Ab⸗ hange ſich nach ihrer Willkuͤhr beſchleuni⸗ gen, und zuruͤckhalten laͤßt Und nun war es eben fo ſchwer nicht, den Schluß um⸗ zuwenden, und zu ſagen: daß eine auf eine gewiſſe Höhe zu bringende Laſt leich- ter nach einer ſchiefen, als geraden Rich⸗ tung fortgeruͤcket wird; und ich denke, der menſchliche Verſtand habe beide Schluͤſſe zu gleicher Zeit gemacht. Ich gebe gerne zu, daß die guten Leute nicht gewußt haben moͤgen: daß die Kraft der fallenden
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Körper mit ihren Maſſen, und den Muadratwurzeln des durchzulaufenden Raumes in entgegengeſetztem Derbält- niſſe ſtehen; noch: daß ſich die Ge⸗ ſchwindigkeit des freyen alls verhal⸗ te, wie die Linie AB zur Länge AC, wenn A B die ſenkrechte Erhöhung des Körpers, und A die ſchiefe Linie, auf welcher ſie herabfaͤllt, anzeiget; noch auch: daß die Reibung den Ueberreſt der Kraft überwältigt: aber ich ſehe, daß unſere Faßzieher, die alle dieſe Geheimniſſe eben ſo wenig wiſſen, gleichwohl auf ihren Wein⸗ leitern taͤglich die groͤßten Laſten Weins mit vieler Geſchicklichkeit aus den tiefſten Kel⸗ lern auf und hinablaſſen.
Wenn einmal ſo viel gethan iſt, ſo iſt es nicht ſchwer fortzuruͤcken. Die Mecha⸗ nik, als eine dem menſchlichen Geſchlechte ſo nutzbare Kunſt, muß ſehr bald groſſe Wege hinter ſich gelegt haben. Die nach⸗ folgenden Erfindungen gruͤnden ſich groſſen Theil auf ihre Huͤlfe —
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De auf einen gewiſſen Punkt gebrachte, und allgemeiner gewordene Mechanik wird insbeſondere der Zimmerey wohl zu ſtat⸗ ten gekommen ſeyn, die in dieſer Kindheit der Kuͤnſte mit der Baukunſt eines war: ſie wird dadurch Wunderwerke verrichtet haben. Schade, daß dieſe Zeiten nicht ir gend einen Geſchichtſchreiber gehabt, oder, daß wir wenigſtens von einem ſolchen keine Ueber bleibſel aufzuweiſen haben! wir wuͤr⸗ den darin von manchem Wunderwerke ge⸗ leſen, und die Zahl der ſteben merklich vergroͤſſert haben. Freylich wuͤrde es mit dieſen Wunderwerken ziemlich ohne Zau⸗ berey hergegangen ſeyn, ungefaͤhr ſo, wie mit den ſchwebenden Gaͤrten der Semi⸗ ramis, mit denen es auf einen groͤſſern Erker hinauslief, der auf einer ungeform: ten, durchbrochenen Bogenreihe ruhte, und mit groſſen Gartengefaͤſſen beſetzt war. Allein, wir wuͤrden, dem Alterthume zur Ehre, es immer gerne fuͤr ein Wunder angenommen, und haͤtten wir von irgend einer groͤſſern Huͤtte Nachricht, daraus wenigſtens ein Belveder gemacht haben. Man
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Man ſieht aus den zu uns heruͤberge⸗ brachten aͤltſten Erzählungen , daß der Reichthum der Menſchen in den erſten Jahr⸗ hunderten unfrer Zeitrechnung in geerden von mancherley Vieh beſtanden. Die Nord⸗ laͤnder hatten ſogar fuͤr den Reichthum an Ländereyen keine Benennung ; als le⸗ ganda Säh, liegendes Vieh. Noch in den Zeiten der Patriarchenwanderungen war der gewoͤhnliche Ausdruck des Reich⸗ thums: und er hatte Schaafe und Rin⸗ der, und Biel und Rnechte, und Mäg- de, und Eſelinnen und Namele. Da: mals hatte Aegypten bereits feine feſtge⸗ ſetzte Thronfolge. Es war ſchon uͤblich, den Fuͤrſten die ſchoͤnen Weiber anzuruͤh⸗ men, und Bruͤdern, die ſchoͤne Schweſtern hatten, Gutes zu thun. Es gehoͤrt eine lange Reihe von Jahren dazu, ehe die Sit⸗ ten bis zu einer ſolchen Geſchmeidigkeit ge⸗ langen. Wir koͤnnen hieraus eine Muth⸗ maſſung bis zu einer gewiſſen Wahrſchein⸗ lichkeit erheben: naͤmlich, daß anfaͤnglich nicht leicht jemand eine unwandelbare Woh⸗ nung aufgeſchlagen habe, und daß die Ge⸗ zelte und beweglichen Huͤtten unter die erſten Erfindungen der Menſchen gehören,
Groſ⸗
ohne Vorurtheil. 285
Groſſe Heerden fodern zu ihrem Unterhalte weitlaͤuftige Strecken , die dennoch bald abgeweidet ſind, und daher oft veraͤndert werden muͤſſen. Darum war das Leben der alten Araber eine anhaltende Reiſe, darum ziehen noch heute die mungaliſchen Tataren beſtaͤndig hin und wieder. Ber gegneten ſich zwo groſſe Haushaltungen, ſo ſchlugen ſie ſich um einen Grasflecken ſo hartnaͤckig, wie in neuern Zeiten die Englaͤnder und Franzoſen um die Kuͤſte von Nordamerika, wo der Stockfiſch ge⸗ fangen wird.
Jaabel, oder Jobal, wie ihn der Ge⸗ ſchichtſchreiber der jüdiſchen Alterthümer nennet, war der Vater derer, welche in Gezelten wohnen. Bis auf ihn alſo hat⸗ ten die Menſchen in Hoͤhlen der Erde, oder ſonſt unter Baͤumen gewohnet. Der Sohn Ada lehrte fie eine bequemere Wohnung er⸗ richten. Der Namen eines ſolchen Wohl- thaͤters der Menſchen verdiente in den Ge: ſchichtbuͤchern Moſis verewiget zu werden. Die Welt ſcheint ihm die geſittetere Menſchlichkeit, und der Gegner der Ger ſellſchaft feinen Fluch ſchuldig zu ſeyn.
Von
2386 Der Mann
Von welcher Art waren die Gezelr, Sabelsy Ich verſtehe hier nicht, von welcher Geſtalt v ich verſtehe, aus wel⸗ chem Stoffe ? aus gewebtem Zeuge? von Matten? aus Binſen, oder ſonſt einem Riedgraſe geflochten? aus Fellen? oder waren es fahrbare Huͤtten, dergleichen die alten Deutſchen fuͤhrten, die Tacitus Plau- ſtra nennet, die erſten Urbilder unfrer Waͤ⸗ gen, in denen es die Verſchwendung ſo hoch gebracht hat? — Die Vernunft macht nie einen Sprung, ſie ſchreit beſtaͤndig von dem Einfachen zu dem Zuſammgeſetzten.
Ich entſcheide alſo ohne Anſtand fuͤr die Selle, weil fie die einfachſte Art find, und man am erſten darauf verfallen konnte. Der Gebrauch der Felle war bereits bekannt. Jabel wird eines davon, oder mehrere an ihren Enden an Stangen befeſtiget haben; es war nur eine Art von Dach, das erſte Gezelt.
Ich will hier unſern Malern im Vor⸗ beigehen eine kleine Anmerkung mittheilen. Wenn ſie eine Geſchichte aus jenen erſten Zeiten malen, ſo duͤrften ſie immer ein wenig die Betrachtung zu Rathe ziehen,
daß alle Erfindungen ſtufenweiſe fortſchrei⸗ ten,
ohne Vorurtheil. 287
ten, und daß ſie in Gemaͤlden, die eine Handlung der erſtern Haushaltungen vor⸗ ſtellen, wider das Cuſtume verſtoſſen, wenn fie die Hütte Sems zu einem Gberſten Gezelte mit einem doppelten Markeſen machen, und an den Wänden des Schlaf⸗ gemachs von Abraham Trümeau befeſti⸗ gen. Das Hausgeraͤth dieſer Leute war etwas von dem Hausgeraͤthe unſrer Wechs⸗ ler unterſchieden. Ich werde eben ſo gerne einen Alexander mit einer Scherpe und Federhut, als unſern Uhranherrn Noe auf einer Ottomanne erblicken. Sprache, Sitten, Kleidung, Hausgeraͤth, alles war ſchlecht und recht. Die Kunſt des Malers beſteht nicht in ſteifem Schnirkelwerke, ſondern in der Wahrheit der Zuſammenſe⸗ tzung und des Ausdrucks, wodurch die Taͤuſchung, die man ſo hochſchaͤtzet, zu⸗ wege gebracht wird.
Kehren wir zu Jabeln wieder. Eben das Fell, welches von oben der Sonne, dem Wetter, dem Regen wehret, wird ſie auch von der Seite abhalten, wenn es von dorten vorgeſpannet wird. Was vorher nur allein Dach war, bekoͤmmt nun Sei⸗ tenwaͤnde, bis eine von allen Seiten ein⸗
ge:
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geſchloſſene Hütte hingeſtellt iſt, deren Ge⸗
maͤchlichkeit ſehr in die Augen faͤllt, und darum bald Nachahmer findet. War die Gegend abgeweidet, und man ſah ſich ge⸗ noͤthiget, den Platz zu aͤndern; ſo bedauerte man itzt nicht mehr eine zu kurze Zeit ge⸗ nuͤtzte Mühe, die Erde auszuhoͤhlen, oder eine Hütte von Zweigen zu flechten , die man zuruͤcklaſſen muß: man verpflanzt ſeine wandelbare Wohnung mit geringer Mühe an den Ort, den man gewaͤhlet, um daſelbſt Halt zu machen.
Man wird dabei nicht ſtille geſtanden, man wird verſuchet, gekuͤnſtelt, ſo lange gekuͤnſtelt haben, bis ein Ungefaͤhr, oder ein gluͤcklicher Umſtand neue Vortheile gleichſam in die Haͤnde fallen gemacht hat. Die Haͤute, aus denen die Gezelte zu- ſammgeſetzt waren, haben eine ſehr ſicht⸗ bare Unvollkommenheit, der man ohne Zweifel abzuhelfen gewuͤnſchet. Wenn es regnet, ſo ſaugen ſie, beſonders da, wo die Gaͤrberey noch unvollkommen, und die
Bereitung des Leders mit dem Thrane nicht
bekannt iſt, die Feuchtigkeit ſehr in ſich; und werden fie dann der Sonne ausge⸗
ſetzet, ſo ſchrumpfen ſie in Falten auf,
wer
N ee
ohne Vorurtheil. 289
werden hoͤkericht, unbeugſam, unbrauch⸗ bar: wie, wenn man etwas faͤnde, welches den Regen abhielte, ohne davon durchdrungen zu werden? wahrſcheinlicher Weiſe wird die Begierde einer fo nutzba⸗ ren Entdeckung die Aufmerkſamkeit auf die Gegenſtaͤnde verdoppelt haben, welche ſie umgaben, bis es jemanden gelungen, die geſuchte Eigenſchaft an dem biegſamen Schilfhalme aufzuſpuͤren. Die erſte Mat⸗ te, die an einem Gezelte geſehen worden, hat wenigſtens mehr Aufſehen erwecket, als die praͤchtigen Teppiche, welche von den Brüdern Gobelins nach den Zeich: nungen Le Bruns verfertiget worden. In dieſen Zeiten hatte das Auge noch kei⸗ ne Beduͤrfniſſe: man erfand nicht, um zu ſehen, man war zufrieden, zu genieſſen.
Andere trieben die Gemaͤchlichkeit auf das hoͤchſte, und erdachten eine Art Ge⸗ zelte, die von einem Orte an den andern uͤbertragen werden konnten, ohne die Muͤ⸗ he, ſie hie abzunehmen, und dort aufzu⸗ richten. Alles blieb in der naͤmlichen Stel⸗ lung, wie es war, und ward an den be— ſtimmten Ort geſchaffet. Eine groſſe, eine empfindliche Noth muß bieſe Anſtrengung
II. Theil. = der
290 Der Mann
der Erfindſamkeit zuwege gebracht haben, welche dazu gehoͤret, ein wandelndes Haus zu erſchaffen. Nichts geringers konnte es ſeyn, als die Schwachheit einer Kindsmut⸗ ter, oder einer ſonſt ſo nahe verwandten Perſon, und eine zweyfache Unmoͤglichkeit; die eine, noch laͤnger an demſelben Orte auszuhalten; die andre, die niederliegende Perſon der beſchwerlichen Witterung auf einer Trage auszuſetzen. Der erſte Ge— danken, die Bewegung aller Sterne um ihren Mittelpunkt die Sonne, nach ihren verſchiedenen Monaten und Richtungen in ein Verhaͤltniß zu bringen, ihren Lauf durch gegeneinander berechnete Triebwerke ein— zurichten, und, wenn ich ſo ſagen darf, das Weltſyſtem im Kleinen nachzuahmen, dieſer Gedanken, fo kuͤhn er bei dem Ver-
fertiger der ſchoͤnen Maſchine war, welche | die Fremden in der kaiſerlichen Bibliothek
in Bewunderung ſetzet, machet mich we— niger erſtaunen, als wenn ich den, der zu erſt die fahrbaren Gezelte gemacht, ſpre⸗ chen hoͤre: ich will dieſes Gezelt unver⸗ ändert einige Tagreiſen fortrücken, und mein Weib und meine Kinder ſollen kei⸗ ner n der Luft ausgeſetzet ſeyn,
0
ohne Vorurtheil. 291
ſeyn! alles ſoll auf feiner Stelle, alles in der Ordnung bleiben, in der es iſt! Er hat es nicht geſprochen: er hat es unternommen, zu Stande gebracht. Bei Fortſchaffung eines ungezimmerten Bau⸗ mes hatte er wahrgenommen, daß die Be⸗ wegung eines walzenförmigen Balkens ſehr leicht vor ſich gehe. Er giebt alſo einer auf einem tragbaren Boden errichte⸗ ten Huͤtte an beideu Enden cylindriſche Un⸗ terlagen, und zieht, oder ſtoͤßt fie mit Huͤlfe ſeiner Hausgenoſſen an den Ort, den er zu ſeinem Aufenthalt auserſehen.
VIII. Vorbericht.
s iſt nicht ſo ſeltſam, daß man Schrift⸗ ſteller pluͤndert, als daß man, wie ich es mit gegenwaͤrtigem Stuͤcke thue, ihnen etwas unterſchiebt. Ich ſtelle mir das Erſtaunen des Mannes ohne Vorurtheil ſehr luſtig vor. Er er⸗ wartet um die gewoͤhnliche Stunde den Korrefturbogen, man bringt ihn nicht. Wie » ſagt er zu feinem Bedienten, habt ihr nicht das Manuſkript be⸗ T 2 ſor⸗
292 Der Mann
forget v— Allerdings Nun wo bleibt heute die Rorrektur v — Ich denke eben darauf — Seht darnach! Der Bediente bringt zur Antwort: es waͤ⸗ re eine jaͤhlinge unverſchiebliche Arbeit dazwiſchen gekommen. Es wuͤrde den⸗ noch alles bis Morgen richtig beſtellet werden. So ward die Abrede mit dem Setzer genommen. Folgenden Tags koͤmmt abermal kein Bogen, und ſchon iſt es Mittag. Der Bediente muß dar⸗ nach laufen, und bringt ſtatt der Kor- rektur — das abgedruͤckte Blatt. Wie ; wasY wer hat mir fo mitgeſpielt v Er lieſt: G“ iſt es: denn das iſt unſer Geſpraͤch Wort für Wort! Ja mein Herr! ich bin es. Ihre Leſer, die Stadt erwartet ihr Urtheil, und ich ſah Sie zum Schweigen verhaͤrtet. Ich bediente mich dieſer Liſt, und ſchrieb unſre Unterredung nieder, und theile ſie hier ohne ihr Wiſſen mit. Ent⸗ ſchuldigen Sie mich! Werden Sie mich entſchuldigen? ) Ge⸗
) Unter manchen weggelaſſenen Blättern war
ouch dieſes bereits verurtheilt, als ihm fol⸗ gen⸗
ohne Vorurtheil. 293
Geſperaͤch.
K Auch nicht ein Wort?
Der Mann o. v. Nicht ein Wort! ich habe mehr als eine Urſache dazu.
E. Darf ich eine nur von dieſen meh⸗ reren wiſſen? 5
M. o. v. Darf ich mich entſchuldigen =
E. In der That, das duͤrfen Sie nicht. Unſre Vertraulichkeit berechtiget mich zu
23 die⸗
gende Betrachtung die Wiederaufnahme ver⸗ ſchaffte. Es bleibe ein Denkmal, wie einſt unbedeutende Leutchen aus gewiſſen Gegen⸗ den ſich mit eben der verwegenheit zu un⸗ ſern Lehrern herbeidringen wollten, mit der heute eine ahnliche Gattung ſich zu Richtern unſeres Sortgangs aufzuwerfen, oder was bei uns von irgend einem Schrift⸗ ſteller geleiſtet wird, zu ihrem Unterrichte zurückzuführen, den lächerlichen Anſpruch machen. Nur noch vor kurzem las ich in einem Journal, wo man mir endlich die Freundſchaft erwies, mich nicht mehr zu loben, da man mich ſonſt wegen der Schriften, davon ich Verfaſſer, und auch wegen derer, davon ich nicht Verfaſſer war, umbarmherzig erhoben hatte; in dieſem Jburnale las ich, daß ich damals zu einiger Bil⸗
294 | Der Mann
dieſer Ungeſtuͤm. So werden Sie es heif- ſen, daß ich in Sie dringe. Aber kurz, alle ihre Leſer, die ganze Stadt fragt durch mich: warum dieſes Stillſchweigen? waͤre es, daß Sie ſich vor dem verban fuͤrchteten? Sie? vor ihm?
M. o. v. Freund, ich kenne dieſe tleine Liſt: Sie wollen mich aufbringen, aber ich bin heute bei guter Laune.
E. Deſto uͤbler! der Mann wird trium⸗ phiren: er hat ſcharf gegen Sie losgezo⸗ gen: wenigſtens lieſt man ſeine zwo erſten Seiten, und denkt an Sie.
M. o. v. Das mag ſeyn: aber dann iſt die Schuld nicht ſeine, dann iſt ſie derer, die mich dabei denken.
2.
Bildung gekommen, weil ich proteſtanti⸗ ſche Bücher zu leſen angefangen. Die⸗
fer Ausdruck würde mir faßlich ſeyn, wenn
ich allenfalls ein Theolog wäre: aber Demoſt⸗ hen und Cicero oder Plato, Montesquieu, Sully und Sortbonais waren von keiner der beiden Konfeſſionen — Der verbeſſerer trat noch zweymal in dieſen Blättern auf; aber
die Folge trägt nichts mehr zur Abſicht bei,
in welcher dieſes Stück ſich hier erhalten hat.
ohne Vorurtheil. 295
E. Vortrefflich! ihn noch entſchuldi⸗
gen? das iſt verdaͤchtig. Ich weis, was ich argwohne. f Mm. o. v. Was Sie belieben.
E. Dieſe Gleichguͤltigkeit iſt mir un⸗ begreiflich. Ich weis, daß Sie ſichs zur andern Zeit zur Pflicht gemacht, ſchlechte Schriftſteller einzutreiben. Der Aufſeher! — oder halten Sie den Verbeſſerer, nach ſeiner Ankuͤndigung zu urtheilen, fuͤr beſſer, als jenen? fuͤr etwas mehr als einen ſehr mittelmaͤſſigen Kopf, deſſen Verdienſt ein bischen Grammatik, und einige abgedro— ſchene Sittenſpruͤchelchen ſind?
M. o. v. Sie entlocken mir mein Ur⸗ theil. Doch was ſchadet es! unter uns will ich es ſagen, aber oͤffentlich, nim⸗ mermehr. Ich ſtehe ſehr an, ob ich den Ankuͤndiger des Verbeſſerers nicht mit dem Aufſeher “) in eine Klaſſe bringen fol. Das ganze Blaͤttchen iſt ſchwuͤlſtig, ger ſchraubt, verwirrt, unverſtaͤndlich, wenn
T 4 man
„) Eine Wochenſchrift, die nach der Ankündi⸗
gung vor dem erſten Stücke Urlaub nahm.
Der Spielkampf, der mit dieſem Schrifter⸗
linge in dieſen Blättern geführt worden, iſt
hinweggelaſſen.
296 Der Mann
man nicht mehr darauf ſieht, was der Verfaſſer ſagen will, als was er wirk⸗ lich ſagt. Ich wuͤrde ihm auch laͤngſt Recht haben wiederfahren laffen , hätten mich nicht zwo Betrachtungen abgehalten: die eine, daß vielleicht häusliche Umſtaͤn⸗ de dem Manne die Feder in die Hand ge⸗ ben, die zweyte, damit es nicht laſſe, als vertruͤge ich in meinem Felde keinen Ne⸗ benbuhler — vielleicht bloß um einer nach⸗ theiligen Vergleichung zu entgehen. Ich weiß, man giebt meiner Strenge auch dieſe Auslegung.
E. Ruͤhret Sie die Meinung der Men⸗ ſchen, ſo mußten Sie nie dieſen freymuͤ⸗ thigen Ton angenommen haben, der ſo oft dem Laſter und dem Lächerlichen ſchreck⸗ bar geworden. Nun iſt es nicht mehr Zeit, umzukehren. Ich will Ihnen frey ſagen, was ich von ihren beiden vorge⸗ ſchuͤtzten Urſachen denke. Das Publikum bringt die Umſtände des Schriftſtellers nicht in die Rechnung; es fodert, was auch immer ſeinen Beruf veranlaſſe, es fodert ihn vor den Richterſtuhl der Kritik, und urtheilt ihn nach dem Schwunge ſei⸗ nes Anbaues ab: Ihnen mit einem Bluͤm⸗
chen
ohne Borurtheif 297
chen von Verbeſſerers Art aufzuwarten. Wenn häusliche Umſtaͤnde den Kritiker ent⸗ waffnen ſollten, wehe uns armen Leſern! der Muͤſſiggaͤnger wuͤrde kuͤnftig nicht mehr betteln, er wuͤrde ſchreiben. Ich fuͤr mei⸗ nen Theil werde einem ſolchen beſtaͤndig ant⸗ worten: es giebt einen Pflug, einen gammer, eine Schütze, eine Muskete. Ich fage dieß nicht gerade auf den Ver⸗ beſſerer, ich ſage es uͤberhaupt auf jeden, der ſchreibt, um nicht zu arbeiten. Was ihre zweyte Urſache belangt, Sie duͤrfen es nur einmal bekannt werden laſſen, daß Sie von dieſer Seite nicht in die Fluten des Stixs getauchet worden, ſo wird man alle Pfeile nach dem verwundbaren Fleck⸗ chen abdruͤcken.
M. o. v. Aber Freund! ich kann gleich⸗ wohl die erſten Stuͤcke des Blattes abwar⸗ ten. Aus einer oder ein paar Seiten —
E. Auf dieſe wenigen Seiten, gerade darauf muß ihm ſein Proceß gemacht wer⸗ den. Was? der Mann, der unter uns ganz unbekannt iſt, hat das Herz, gleich auf zwo elenden geſchraubten Oktavblaͤttchen zu ſagen: daß er die Talente unſrer wer⸗ denden Gellerte, Rabener, Klopſtocke,
T5 Lei:
298 Der Mann
Leſſinge poliren werde» Laſſen Sie ſich von einem Schneider ein Kleid machen, Sie haben denn von ihm Probearbeit ge- ſehen? fern ſey es! ſpricht Freund Ver⸗ beſſerer, der neue Talentenpolirer, deſ⸗ ſen die ganze Nation beleidigenden Hoch⸗ muth nichts entſchuldigen kann, als das demuͤthige Selbſtgefuͤhl, daß die Edelge— ſteine auf ſehr rauhen Scheiben zuge⸗ ſchliffen werden.
M. o. v. In der That kann dem Unbe⸗ kannten ſein gegen uns geaͤuſſerter Stolz nicht guͤnſtig ſeyn; und ich wuͤrde ihm, wenn ich mit ihm zuſammkaͤme, mit einer holprichten Stelle feines eigenen Vorlauf: blaͤttchens zurufen: daß dieſes Publikum ſich wegen der verächtlichen und klei⸗ nen Begriffe, die er ſich von ihm zu machen an Tag leget, rächen werde. Nichts koͤmmt der Vermeſſenheit dieſes Menſchen, nichts der Unhoͤflichkeit bei, mit welcher er einem ganzen Lande in das Ge⸗ ſicht ſagt: ein andrer Beweggrund, den mir beſonders die hieſigen Gegenden darbieten, treibt mich noch mehr zu dieſem Unternehmen. Sollte die Natur an ſchönen Geiſtern hier ſparſamer, als
* an:
ohne Vorurtheil. 299
anderswo geweſen ſeyn » ich ea es nicht glauben — Mein Zuruf ſey ihre Einladung aus dem Schlafe an das Licht! Das froſtige: ich kann es nicht glauben; macht dieſes die varpergeheube Grobheit wieder gut?
E. Und Brutus ſchläft e
M. o. v. Weder immer, noch allent⸗ halben! Das iſt der Stolz der meiſten ver⸗ laufenen. . 2., von E““ bis auf N, daß ſie uns fuͤr Aetzung, Bedeckung und Knaſter, umgeſtalten wollen. So gieng eh⸗ mals, als Amerika entdeckt ward, mancher Spanier zu Schiffe, in der Hoffnung, un⸗ ter den Barbaren ein Fuͤrſtenthum zu er⸗ richten. Die Hoffnung, ein Reich des Witzes unter den barbariſchen Defterrei- chern zu gründen, hat unter den Korref- toren und Ueiſtern der freyen Nünſte in L. . bereits eine Theurung gemacht: und die guten Leutchen, wenn ſie bei einer Kanne Bier und ihrem Pfeifchen Taback ihre Reichstaͤge halten, ſagen einander ge= troſt, daß ſie die Urheber der Verbeſſerung ſind, welche ſeit einiger Zeit unter uns wahrgenommen wird. Zeigt uns doch, ihr Herren, was wir euch ſchuldig ſind? Wir
ſind
300 Der Mann
find nicht undanfbar. Zeigt ung, wen ihr gebildet! — Wir laͤugnen es nicht, wir ſind unſern itzigen, und den kuͤnftigen, ohne Zweifel noch groͤſſeren Fortgang den vortrefflichen Schriften der — Doch wer kennet ſie nicht, die ewigen Schriften, de⸗
nen wir ihn ſchuldig ſind: aber, was ha⸗
ben ihre Verfaſſer mit euch gemein? daß manche darunter eure Landsleute find ı fo mag der englifche Bootsknecht ſich ruͤh⸗ men, daß er uns von dem Calculus dif- ferentialis unterrichtet, denn Newton war ein Englaͤnder!
E. Itzt erkenne ich den Mann ohne Vorurtheil. Das ift feine Sprache.
M. o. v. Sie haben mich bei meiner Schwaͤche gefaßt. Ich ſchmeichle gewiß unſerer Eigenliebe nicht: aber ich kann auch nicht vertragen, daß Leute, die nichts vor uns voraus haben, als daß ſie ſich verkennen, ſich von uns ſo veraͤchtliche Be⸗ griffe machen, und es wagen duͤrfen, uns in das Geſicht zu ſagen: ihr guten Leu⸗ te, die ihr unter einem groben Himmel gebohren, und von der Natur nur ſtief⸗ mütterlich mit Geiſte hegabet worden, wir find geſendet, die Sinfternifle zu
zer⸗
* ohne Vorurtheil. 301
zerſtreuen, u. ſ. w. Wie geſagt: jeder Spanier gab ſich fuͤr einen Abgeſandten des groͤßten Monarchen der Welt aus. E. Ich geſtehe es, es gehört ſehr vie⸗ le Dreiſtigkeit dazu, etwas ſolches zu un⸗ ternehmen, als der Verbeſſerer thut. Ein Wochenblatt, von der Art, wie er es an⸗ kuͤndigte, hat nur drey Gegenſtaͤnde: Liz. teratur, Moral, und Sitten. Wird er uns in dem erſten etwas beſſers ſagen, als die Rammler, die Schlegel, die Weiſſe, die Briefe, u. d. n. L. 2 wir koͤnnen da ſelbſt leſen, wo er abſchreiben wird. Die Moral iſt in der That ſo abgenuͤtzt, daß ſie eben dadurch ihren Eindruck ganz ver⸗ loren hat. Es geht uns, wie den ungluͤck⸗ lichen Buͤrgern einer belagerten Stadt: ſie ſind des Donners ſchon ſo gewohnt, daß ſie zuletzt bei dem Gebruͤlle der Stuͤcke ſchlafen. Die Sitten da ſollte er ſich an feinen verungluͤckten Vorgaͤngern ſpie⸗ geln. Ein Wochenblatt muß, ſoll es an⸗ ders anziehend ſeyn, ſich auf den Ort, fuͤr den es geſchrieben wird, beziehen: es muß, wenn ich ſo ſagen darf, ein bewegliches Bild der Stadt ſeyn, welches uns immer einen neuen Auftritt vorſtellet. Was kann ein
3-2 Der Mann
ein Fremdling von unſerm Umgange, von
unſern Sitten kennen? was ein Mann, den man in dem Vorzimmer warten, nie in das innere Gemach kommen laͤßt, wo er die Geſellſchaft ſelbſt beobachten koͤnnte. Etweder wird er uns feine Idealvorſtel⸗ lung ſchildern, vielleicht den Junker mit einer Schmauchpfeife, den Kandidaten zu den Fuͤſſen der Superintendentinn, und ſeine Zeichnung wird unwahr ſeyn: oder
er wird, gleich den Malern der flam⸗
mandfchen Schule, nur Wachſtuben und Bierhäuſer malen, und fein Bild wird Erbrechen machen.
M. o. v. Wir wollen es erwarten, mein lieber E**, und bis dahin unſer Urtheil verſchieben.
IX. Fortſetzung des VII. Stuͤckes.
De Begriffe wechſeln, nach des Dich-
ters Ausſpruch: Wie
— a
ohne Borurtheil, 303
wie in dem Wald, da, wann das Jahr ſich neigt,
Der dicht belaubte Baum ſich bald
entblättert zeigt.)
Die aͤltſten fallen am erſten dahin. Das vermögen, vielen Bedürfniſſen Genüge zu thun, heißt bei uns Reich⸗ thum: in den vor uns herverlaufenen Zei⸗ ten war es Reichthum, wenige Bedürf- niſſe zu haben. Daher ruͤhret der Unter- ſcheid unſers Beſtrebens. Wir, ſinnen unaufhoͤrlich, um zu bedürfen: und jene, dachten ſtets, wie ſie entbehren konnten. Eine Erfindung zu einem doppelten Ge— brauche war ihnen daher von unſchaͤtzba⸗ rem Werthe.
Ich ſtelle mir vor, daß die Noth⸗ wendigkeit, fuͤr die waͤrmeren Tage und Jahreszeit mit einem andern Kleide, und abermal mit einem andern für die ſtuͤr⸗ miſche Witterung und die kuͤhlen Naͤchte verſehen zu ſeyn, den Einfall veranlaßt habe, ein Geweb, von welcher Beſchaf— fenheit es immer geweſen ſeyn mag, an
die *) Ut fylvæ foliis pronos mutantur in annos Prima cadunt - -
304. Der Mann
die Stelle beider Kleidungen zu ſetzen, welches durch ſeine Leichtigkeit in der Hitze nicht ſo beſchwerlich, durch ſeine Geſchmeidigkeit hingegen, auch gegen den Froſt beſchuͤtzend waͤre. Es war fuͤr die damaligen Zeiten ein groſſer Wunſch, Eines zu beſitzen, um Zwey zu entübri⸗ gen! Minerva, welche von vielen mit Grunde für Noema, Tubalkains Schwe⸗ ſter gehalten wird *) , war des Altars werth, den ihr die dankbare Menſchheit errichtete. Wir ſehen, weil wir es nun gewohnt find, über das Gewebe und def- ſen Erfindung weg, die, wenn ſie uns neu waͤre, uns in Erſtaunen ſetzen ſollte.
2
*) Der Geſchichtſchreiber der erſten Zeiten nen⸗ net in dem Geſchlechtbuche der erſten Men⸗ ſchen dieſe Noema insbeſondere: und die Schweſter Tubalkains war Noema. Gen. 4. K. 22. V. Man hat wenig⸗ ſtens Recht daraus zu urtheilen, daß No e ma ein berühmres Weib derſelben Zeiten geweſen. Da in dieſem Kapitel nur der Erfinder mit Ruhme gedacht wird, ſo iſt wahrſcheinlich, daß Noema unter fie gehöret. Eine alte Ueberlieferung hat übrigens ihr die Erßn⸗ dung des Gewebes zugeeignet.
ohne Vorurtheil. 305
Betrachten wir, was dazu gehoͤrte, das erſte Gewebe auszuſinnen!
Der Faden gehört unter diejenigen Er⸗ findungen, die dem Verſtand mehr Ehre machen, als das beruͤhmte Verhaͤltniß, über welches Pythagoras, nach der Er- zaͤhlung des Apollodorus den Goͤttern hun⸗ dert Ochſen geſchlachtet hat. Ich geſtehe ſogar, daß ich nicht einmal eine Muth⸗ maſſung wagen kann, wie man darauf hätte geleitet werden koͤnnen.
Wenn wir die Philoſophen hoͤren, wel⸗ che dem Menſchen die Ehre erweiſen, ihn zum groͤßten Viehe unter allen Thieren zu machen; ſo haben wir die meiſten Dinge den letzten abgelernet. Der Kaftor war der Lehrmeiſter des Ditruvius, der Maul⸗ wurf hat Coehorn und Vauban unterrich⸗ tet. Wir haben nach der chineſiſchen Goͤt— terlehre die Fortpflanzung des Geſchlechtes von einem Vogel, vom Nautilus die Se⸗ gel, das Ruder, von, was weis ich, welchem Fiſche, und von der Spinne das Geſpinnſt gelernet. Nichts iſt deutlicher, als dieſes: man nennet ja das Fadenzie⸗ hen, nach dem Namen dieſes Thieres Spin- nen. — Wenigſtens iſt es offenbar, daß
II. Theil. U die
306 Der Mann
die Spinne in Deutſchland ſo wohlthaͤtig geweſen. Denn was andre Länder und Sprachen betrifft, da moͤchte der etymo⸗ logiſche Beweis uns ein wenig ſtecken laſ⸗ ſen. Man hat uns nicht dieſes einzige Maͤhrchen mit der ernſthafteſten Mine auf⸗ dringen wollen. f Ich will zugeben, daß die Beſchaͤffti⸗ gung dieſes Gewuͤrmes gleichſam das Urs bild dazu gegeben; daß Noema, als ſie die Spinne ihren Faden ziehen, und dann eine Art von Gewebe verbinden ſah, ge⸗ dacht habe, daß es fuͤr uns ſehr nuͤtzlich ſeyn wuͤrde, wenn man auf aͤhnliche Weiſe Faͤden untereinander verweben koͤnnte. Aber was nuͤtzte dieſer Gedanken! Die Materie des Geſpinnſtes kam aus dem Leibe der Spinne ſelbſt; die ganze Me⸗ chanik des Fadenziehens iſt ſo beſchaffen, daß es nie jemand beifallen kann, dieſelbe nachzuahmen. Wenn man dem bauenden Naſtor, den ſegelnden Nautilus, ihre Kunſtwerke ablernte; ſo geſchah es, weil man nicht nur das Werk dieſer Thierchen, weil man auch die Art bemerken konnte, womit ſie ihr Werk verfertigten. Hier muß der Zufall, den die weiſe Vorſicht ſo oft zu einem
ohne Vorurtheil. 307
einem Werkzeuge ihrer Güte machet, alles gethan haben.
Die von den Fellen der Schafe abge⸗ ſoͤnderte, und ohne Nutzen dahingeworfe⸗ ne Wolle kann durch ungefaͤhre Bewegun⸗ gen ſich leicht aneinander gehangen, und einen nur etwas laͤngern, ungeſtalteten Faden gebildet haben. Die gekraͤuſelten Faͤſerchen der Wolle find eine Art von Haͤckchen, die aneinander feſthalten, und bei einer gewaltſamen Verlaͤngerung ei⸗ nen Faden, oder etwas Fadenähnliches ziehen. 5
Wenn die Wolle vielleicht zu einem an⸗ dern Gebrauche der Haushaltung diente, ſo war der Zufall deſto naͤher. Es iſt eine Eigenſchaft der Wolle, daß ſie ſich ballet, und in Knaͤule zuſammzieht. Die Haushalte⸗ rinn darf nun dieſe Wolle wieder haben ab⸗ föndern wollen, fie darf den widerſpenſti⸗ gen Knaul mit Gewalt gezogen haben! ſo erhielt ſie eine Art von Stricke, der ſich durch laͤngeres Zerren, allmaͤhlig in einen Faden verduͤnnet, und von einer Beobach⸗ terinn nicht weggeworfen wird. Ich muth⸗ maſſe zwar in der That nur: aber endlich, wo es uns an Gewißheit mangelt, da
U 2 ſind
”
38 Der Mann find wir gezwungen, uns mit Muthmaſ⸗
ſungen zu ſpeiſen. Man nahm lange mit den Wirbeln des Karteſius, und wohl
mit Romanen in Sachen von groͤſſerer Wichtigkeit vorlieb, weil man nichts bef- ſer wußte. Die Vernunft, wo ſie die Wahrheit nicht erreichen kann, ergreift gerne das, was ihr wenigſtens nicht wi⸗ derſpricht. | 5 PR
Nach der einmal gereisten Aufmerk⸗ ſamkeit machte Noema in ihrer Entdeckung eilfertigere Schritte. Der Nutzen des Sa= dens iſt von groſſer Mannigfaͤltigkeit. So, wie ſie mehrere zu was immer fuͤr einer Abſicht drehte, erlangte fie durch die Ue⸗ bung groͤſſere Fertigkeit, entdeckte ſie meh⸗
rere Kunſtgriffe, mehrere Erleichterung,
machte ſie die Sache bis zu einer gewiſſen Stuffe vollkommen. Nun werde ich ſie auf das Kunſtgewebe der Spinne aufmerk- ſam ſeyn, und derſelben den Gedanken ſchuldig werden laſſen, einen, ſo ſehr es thunlich ſeyn wird, feinen Faden zu zie⸗ hen, und durch vielfaͤltige Verſchlingung deſſelben, ein Gewebe zuzurichten. Sie bedarf dazu keines Webeſtuhls, keiner Schuͤtze: ihre Arbeit durfte kein Beſchau aus:;
N
ohne Vorurtheil. 309
aushalten, und der Vollkommenheit der Tuͤcher von Worceſter, oder Abbeville den Rang nicht ſtreitig machen. Sie vol⸗ lendete ihr Werk mit einem ſpitzen Schif⸗ chen, an deſſen Ende ſie den Faden feſt machte, und ſo den Einſchlag durch die wechſelnden Faͤden des Aufzugs durchfuͤhr⸗ te. Die Beharrlichkeit, die zu einer fol- chen Arbeit erfodert wird, die Genauheit, und die Nettigkeit ſind der natuͤrliche An⸗ theil ihres Geſchlechtes.
Es iſt leichter vollkommen zu machen, als zu erfinden. Man theilet einander ſei⸗ ne Gedanken mit; man verſucht, verſucht wieder; es mißlingt, und oft fuͤhret eben dieſes Mißlingen auf neue Wege. Nach und nach gewinnt die Arbeit eine beſſere Geſtalt. Eine Koge, denn fo ungefähr wird das vollkommenſte Stuͤck Arbeit aus Noemens Fabrike beſchaffen geweſen ſeyn, eine Kotze ) war der Anfang der Manu⸗ fakturen zu Lion.
u 3 Ohne
) Die Aehnlichkeit, welche die Lexikographen zwiſchen dieſem und dem böhmiſcheu Bo- Zig, Pelz ergriffen, möchte zur Noth auch
11 auf
310 Der Mann
Ohne die Menſchen noch in groͤſſeren Geſellſchaften zu betrachten, haben wir ſchon Ackersleute, Viehhirten, Leder⸗ zurichter, Schmiede, Zimmerleute, Gezelt und Jeugmacher. Die Mens ſchen hätten ſich an dieſen einfachen Ber ſchaͤfftigungen genuͤgen koͤnnen, wenn ſie der Trieb zur Geſelligkeit, oder welche
Urſache es auch ſonſt geweſen iſt, nicht in
auf die Ableitung führen, wegen der Aehn⸗ lichkeit zwiſchen dem Pelze und dieſem zot⸗ tigten Wollengewebe. Dann wäre alſo das
Wort aus dem Slaviſchen herübergenom⸗
men. H. Adelung beſchränkt den Gebrauch deſſelben auf Oberdeutſchland. Was hat Nie⸗ derdeutſchland für ein anderes? das ſagt er nicht. Was für eines hat das ſogenannte
Hochdeutſche? keines. Aber in der Hand⸗ lung weis jeder Junge die Bedeutung die⸗ ſes Worts: und wenn man cs ſchon in Ludovici Raufmannslerifon nicht findet, das kann es in der Handlungsſprache fo wenig aus Gang und Giebigkeit ſetzen, als es den Namen Rlingberger Gang und Sie- bigkeit verſichern wird, daß Ludovici von dieſem Namen eines Partikularhandelsmanns in einem allgemeinen Handlungswörterbuche einen Artikel macht.
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ohne Vorurtheil. 311
in groͤſſere Horden, und bald in Staͤdte vereinbaret hätte. Hier fiengen die Be⸗ dürfniſſe an, und mit ihnen, das Beftres ben, denſelben Genuͤge zu leiſten -
«;
Ich wuͤrde folgenden Brief nie einge⸗ ruͤcket haben, wenn ich ihn nicht einigen meiner Leſer als einen Beweis vorlegen wollte, daß ich mit dieſer durch einige Blaͤtter fortgefuͤhrten Abhandlung nicht jedermann befriedige; und daß die Zwi⸗ ſchenmaterien fuͤr manche derſelben eben ſo nothwendig ſind, als die Ruhebaͤnke auf einem laͤngern Spaziergange —
Mein Herr Schriftſteller!
er Was haben fie mit ihrem Capa⸗ kaum angefangen, daß er ſo lange nicht zum Vorſcheine koͤmmt? Ich hoͤre den Jungen gar zu gerne, ob Sie gleich feine Einfaͤlle nur ſparſam mit einmengen. Laſſen ſie ihn wieder an das Tagslicht kommen! Ihre itzige Materie mag ganz vortrefflich, und von verbreiteten Nutzen ſeyn! ich weis es zwar ſo eigentlich nicht: u 4 denn
312. Der Mann
denn fo bald ich ſehe: Sortfegung: fo draͤnge ich mich nicht ſehr zum Leſen. In⸗ zwiſchen habe ich mir ſagen laſſen; Sie waͤren da recht erbaulich zu leſen; und es hätte ſich wenigſtens niemand zu ber ſchweren, daß Sie ihn durchziehen. Allein, ich fuͤr meinen Theil will mich immer lie⸗ ber ein wenig getroffen finden; als fro⸗ ſtig Zeug leſen, das ehe in eine Geſchich⸗ te der Weltweisheit tauget, als in eine Wochenſchrift. „
„Nehmen ſie guten Rath an, mein Herr! laſſen ſie ihren Wilden alles das leſen, ohne daß ich es mitleſen muß! und fuͤhren Sie ihn — die Zeit muß ihm oh⸗ nehin lang werden — wieder in Geſell⸗ ſchaft, in Schauſpiele, in Gaͤrten, auf Spatziergaͤnge! das ſind ſeine Plaͤtze, und auch unſre Sachen; da giebt es et⸗ was fuͤr die Sat ire, die bei ihren erſten Menſchen in ihrer altmodiſchen Froͤmmig⸗ keit, ihren Stachel nirgend eindruͤcken kann. Dieſe Erinnerung, oder ſollte ich um ihren Stolz nicht zu beleidigen, ſa⸗ gen: dieſe Bitte ergeht an Sie von einem f ihrer Leſer, Namens D = de
XX.
— A
ohne Vorurtheil. 313 u:
Wi ſind nun in den Städten ange⸗ langet, wo man uns mit Ungeduld er- wartet! Es ſind nur wenige, die an Un⸗ terſuchungen Antheil nehmen, welche auf ſie keine Anwendung haben. Wir werden bei den Gegenſtaͤnden, die wir vor uns haben, weniger ſchlüſſen als beobach⸗ ten. Wir ſtehen vor dem Bilde ſelbſt, und koͤnnen feine Theile nach Muffe un⸗ terſuchen.
Gehen wir uͤber die erſte Geſtalt der Staͤdte fluͤchtig hinweg, um uns unfern Zeiten zu naͤhren! So bald eine Gefell- ſchaft ſich in einen gewiſſen Raum gleich⸗ ſam einſchloß, weil ſie daſelbſt einen fe⸗ ſten Sitz waͤhlte, waren ihre Beſitzungen begraͤnzt. Aber die Anzahl der Bewohner nahm durch den Zuwachs der Fremden, durch die Ehen taͤglich zu. Je groͤſſer die Zahl derjenigen ward, unter die eine ge⸗ wiſſe Groͤſſe von Beſitzungen zu zertheilen kam, deſto kleiner ward der Antheil ei— nes jeden, bis daß einige davon ganz oh- ne Erbtheil blieben. Ungerechtigkeit und Unterdruͤckung vergroͤſſerten bald die Zahl
| u 5 der
314 Der Mann
der Unbeguͤterten; und die verſchiedenen Untertheilungen des Vermoͤgens, vom Ue⸗ berfluſſe bis zur Armuth, kamen zum Vorſcheine.
Die Untertheilung der Stände folgte ihnen auf dem Fuſſe nach. Es ereigneten ſich Uneinigkeiten, ſo bald die Guͤter durch die Seltenheit einen groſſen Werth erhiel— ten. Es waren Richter nothwendig, die dieſe Uneinigkeiten beilegten. Um den kuͤnf⸗ tigen Streitigkeiten vorzubeugen, machte man Geſetze, die Beſitzungen zu verſi⸗ chern, die Erwerbungen zu ordnen. Die Friedensſtifter erwarben ſich Ehrfurcht und Anſehen, die durch freywillig beige⸗ legte Merkmale bezeichnet wurden. So⸗ bald die Zeichen eine Art von Vorzug andeuteten, ſtrebte der Ehrgeiz darnach.
Eine groſſe Gefahr von auſſen oͤffnete der gerzhaftigkeit das Feld der Ehre. Der Tapfere, der durch ſeinen Muth, mit Ausſetzung ſeines Lebens geſieget hatte, ward unter Zurufungen und Gluͤckwuͤnſchen empfangen, als er wieder kam. Man fieng an, mit Unterſcheidung auf diejeni⸗ gen zu ſehen, die ſich ſolcher Zurufungen werth machten.
Die
ohne Vorurtheil. zı5
Die Dankbarkeit bleibt bei den un⸗ fruchtbaren Ehrenbezeugungen nicht lange ſtehen: man begleitet dieſelben mit Ge⸗ ſchenken, die in Abgaben, in Beſol⸗ dungen ausarteten. Die, welchen die Geſchenke zu Theil wurden, uͤberlieſſen ſich nunmehr, da fie die Sorge der Nah: rung nicht mehr zerſtreute, den Gefchäff- ten ihrer Mitbuͤrger ganz. Aber von die⸗ ſem Augenblicke an, ward Nichts arbei⸗ ten, fuͤr etwas Unterſcheidendes ange⸗ ſehen. So wie heute ein unbeſchaͤfftigter Stutzer, in feinem Wagen bingewor- fen, die Stirne faltet, eine nachdenkende Mine annimmt, und wohl gar mit ſich ſelbſt ſpricht, um fuͤr einen Mann von Wichtigkeit und Geſchaͤfften angeſehn zu werden; ſo gieng damals jemand mit ge⸗ kreuzten, oder auf den Ruͤcken gelegten Haͤnden die Straſſen auf und nieder, um fuͤr einen Mann gehalten zu werden, den das Nachdenken Über das Wohl feiner Mit⸗ buͤrger der Arbeit entledigte. Noch mehr: ſobald der Arbeit überhoben ſeyn, ein Anſehen gab, ward Arbeiten müſſen, zur Schande.
Es
316 Der Mann
Es gab, wie ich angemerkt habe, bei dem taͤglichen Anwachſe der Buͤrger mit⸗ telloſe Leute, für die keine liegenden Guͤ⸗ ter uͤbrig waren, die ihre Zuflucht zu ih⸗ rer Aemſigkeit nehmen mußten, und froh waren, für den Müſſiggaͤnger zu arbei⸗ ten, um ihren Unterhalt zu gewinnen. Einige verdingten ſich auf laͤngere Zeit: andere wurden fuͤr ein gewiſſes Stuͤck Ar⸗ beit gemiethet. Die einen wurden un⸗ terhalten, die andern hatten ſich uͤber ei⸗ ne gewiſſe Belohnung verabredet.
Die viele Uebung erwarb den Arbeiten⸗ den Fertigkeit: ſie ſannen auf Verkuͤrzun⸗ gen, und erleichternde Handgriffe, wel⸗ ches ihnen einen Vorſprung gab, ſo daß ihre Arbeiten einen Vorzug erhielten, und jederman, der derlei benoͤthiget war, ſich an ſie wendete.
Da ſie ſahen, daß ſie nicht in allen Gattungen die Fertigkeit gleich erreichen konnten, daß eine einzige Art von Be⸗ ſchaͤfftigung hinlaͤnglich war, ſie mit Fuͤl⸗ le zu naͤhren, fo lieſſen fie alles ande⸗ re fahren, um ſich auf eines zu verwen⸗ den. So theilten die Arbeitenden ſich in alle Beſchaͤfftigungen, ſo entſtunden die
man⸗
ohne Borurtheil. 317
mancherley Gewerbe. Aber der Namen Zandwerk war noch nicht, alles war da⸗ mals Nunſt. |
Der Gegenſtand dieſer Gewerbe waren die Bedürfniſſe, welche ihre beſtimmten Graͤnzen haben. Alſo waren ſie nur einer kleinen Anzahl Menſchen Unterhalt zu ge⸗ ben faͤhig. Sollte eine groͤſſere Anzahl der vermehrten Mittelloſen genaͤhrt wer⸗ den; fo mußte man bedacht ſeyn, die Be⸗ duͤrfniſſe gleichſam zu erweitern. Zum Gluͤcke hat die menſchliche Natur recht ſehr die Anlage, dazu die Haͤnde zu bie⸗ ten. Die Noth machte erfindſam. Man ſann hunderterlei Bequemlichkeiten aus, die, ſo bald ſie nur bekannt wurden, die Begierden reizten. Buͤrger, deren Ver— moͤgen nicht uͤberfluͤſſig, nur zureichend war, konnten ihre Augen nicht nach den⸗ ſelben erheben, und dieſes machte ſie den Vermögendern werther. Der Beſitz ſol— cher Bequemlichkeiten ward eine neue Art von Unterſcheidung, denn er war ein Zei⸗ chen des Reichthums.
Die, welche ſich mit Verfertigung der Bequemlichkeitswaaren abgaben, er⸗ warben gar bald ein groſſes Vermoͤgen,
f und
318 Der Mann
und ſetzten ſich denen ſelbſt an die Seite, fuͤr die ſie ehe gearbeitet hatten. Der Hochmuth ward durch dieſe Gleichheit be⸗ leidigt, und ſah ſich nach neuen Unter⸗ ſcheidungen um. Auf der andern Seite hatten die Beſchuͤtzer ihrer Buͤrger und die Magiſtrate, Abkoͤmmlinge, die nicht ger- ne unter dem Haufen der gemeinen Buͤr⸗ ger unkennbar herumwandeln wollten. Auch dieſe verlangten nach Dingen, die nicht gemein wären, Die Begierde zu bar ben, die nach dem Maſſe zunahm, nach dem Viel haben, ein Vorzug war, ver- ſchaffte ihnen bald die Nahrungen ihres Stolzes. Die Handlung holte ſie aus fremden Gegenden. Ihren ganzen Werth machte das aus, daß ſie fremd waren. Es ſcheint, daß die Neigung nach frem⸗ den Oingen, mit den uͤbrigen menſchlichen Neigungen unabſoͤnderlich verflochten ifk, Man entdeckt ſie bei den ungebildeten Wilden, wie bei den geſitteten Voͤlkern. Als die erſten Europäer nach Amerika ka⸗ men, und den Bewohnern dieſer Halb⸗ kugel von unſerm Glaswerke, und andern Flitterzeuge Geſchenke machten, ſahen ſie
bald darauf die Wilden damit auf ſeltſa⸗ me
ohne Vorurtheil. 319
me Weiſe geputzet erſcheinen, und ſich auf dieſe neuen Zierrathen ſehr viel zu gut thun. So macht es manchmal unter uns ein unpatriotiſcher Hoͤfling, der die Er- zeugniſſe ſeines Vaterlandes verachtet, weil ſie Erzeugniſſe ſeines Vaterlandes ſind, und ſich laͤcherlich, in fremden Lum⸗ pen, ohne Geſchmack, bruͤſtet, deren gan⸗ zer Vorzug oft darauf ankoͤmmt, daß ſie, wie der, der ſie traͤgt, gereiſet ſind.
Die Handlung brachte von allen Ge⸗ genden Koſtbarkeiten zuſamm, und ver- kaufte ſie um willkührlichen Preis. Nun fieng die Gewohnheit an, in vielen Zim⸗ mern zu wohnen, taͤglich in neuen Klei⸗ dern, ſtets mit vielem Gefolge zu erſchei— nen, nun ward der Reichthum, an ſich, an ſeinem Gefolge, in ſeinen Gemaͤchern ausgekramt, nun durfte die Erfindſam⸗ keit auf ihre Talente einen Werth ſchla⸗ gen. Die verſchoͤnernden Kuͤnſte nahmen an dem Ueberfluſſe Theil. Sie boten die Hand auch den uͤbrigen Erzeugniſſen, und machten ſie vollkommen. Nun war man nicht mehr zufrieden, ſeinen Vorzug an ſich ſelbſt, und von innen zu zeigen: das Aeuſſere, ſchon der Anblick des Hau⸗
ſes
320 Der Mann
ſes ſollte die Groͤſſe des Beſitzers ankuͤn⸗ digen. Die Pracht ſtieg auf das Hoͤchſte. Die Geburt wollte den Reichthum über- holen, der Reichthum mit der Geburt in gleichem Schritte gehen. Dieſer wech⸗ ſelweiſe Wetteifer machte eine allgemeine Verwirrung. Da jedermann ſich zu un⸗ terſcheiden ſuchte, war es niemand.
Mein Freund! es war nicht nothwen⸗ dig, hier weitlaͤuftiger zu ſeyn; du haſt Augen, das Bild dieſer Verwirrung ſteht vor dir — Nach dieſer Unterſuchung werde ich deine Frage von dem Gleichgewichte der Belohnungen *) nach Gründen ent⸗ ſcheiden koͤnnen.
Du ſiehſt die Beſchaͤfftigungen der Men⸗ ſchen haben einen zweyfachen Rang: die Natur hat ſie nach einem andern, nach einem andern unſre Einbildung geord⸗ net. Nach dem erſten ſtehen diejenigen, welche unſre wahren Bedürfniſſe beſor⸗ gen, oben an. Der Ackersmann geht dem Jiergärtner, der Zimmermann dem Architekte, der Schmid dem Uhrmacher vor. Die Einbildung hat alles umgewen⸗ det, die entbehrlichſten Beſchaͤfftigungen
wer⸗ ) X. Stück.
ohne Vorurtheil. 321
werden tefchagt, belohnt, ſchwimmen im Ueberfluſſe, indeſſen daß diejenigen, ohne deren Huͤlfe das menſchliche Ge— ſchlecht zu Grunde gehen wuͤrde, nur kuͤmmerlich ſich erhalten. Die Urſache iſt, weil unſer Zang, unſre Lüſte, unſer Stolz die Belohnungen ausmeſſen.
Wir geben fuͤr einen Tragſeſſel, der uns nur über die Gaſſe bringt, ohne Be- denken ein Zwanzigerſtück hin; aber mit dem, der fuͤr das Haus eine Klafter Holz kliebet, und einen halben Tag bei der be- ſchwerlichſten Arbeit hinbringt, mit die⸗ ſem won feiner Mühe ganz beſchweißtem Manne find wir grauſam genug, um ei: niger Kreuzer willen zu handeln. Was kann deutlicher beweiſen, daß wir die Ber lohnung nie nach der Mühe, ſondern nach der Beziehung, die eine Sache unmittel⸗ bar auf unſre Perſon hat, abmeſſen? Du ſiehſt aller Orten den Koch beſſer als den Leibarzten, den gaarkrauſer beſſer als den Sekretär, den Vertrauten der Lüſte beſſer als den Zauskaplan, den Lorſtmei⸗ ſter beſſer als den gaushofmeiſter, den Bereuter beſſer als den, der die Kinder unterrichtet, den Lautenſchlaͤger beſſer
II. Theil. * als
322 Der Mann
als alle übrigen Zausleute beſoldet, weil der, ſeinem Gaumen die Geſundheit, der, einem wohlgekaͤmten Haare ſeine Geſchaͤff⸗ te, der, der Befriedigung feiner Lüfte das Gewiſſen, der, einem jagdrechtem Hirſchen feine Wirthſchaft, der den Pferden, feine Kinder, der endlich, einer rauſchenden Symphonie alles in der Welt nachſetzet. Beſonders aber war dem Zochmuthe daran gelegen, die Ordnung der Beſchaͤff⸗ tigungen unter und über zu ſtuͤrzen , und die nothwendigſten, die, worin er allen Menſchen gleich gehalten ſeyn muß, in dem Staube zu druͤcken, damit fig ihm kein ſtiller Vorwurf wuͤrden. Jener in⸗ dianiſche Fuͤrſt ſpeiſet, und geht nie in Gegenwart eines Menſchen zu Stuhl, damit feine Unterthanen aus dieſen Noth⸗ wendigkeiten nicht etwa ſchluͤſſen, er waͤ⸗ re mit ihnen von gleichem Fleiſche. Die Groſſen von Europa thun etwas Aehnli⸗ ches: ſie ſind karg gegen die, von welchen ſie die Bedürfniſſe des Menſchen erhal⸗ ten muͤſſen: ſie ſind verſchwenderiſch gegen die, welche ihnen die Bedürfniſſe ihrer Gröſſe darreichen; ſie wollen nicht Men⸗
ſchen, ſie wollen nur Groſſe ſcheinen. XI.
ohne Vorurtheil. 323 XI.
Wen keine Groſſen waͤren, ſagte mein Capa⸗kaum: ſo gaͤbe es alſo keine Kuͤnſte der Ueppigkeit, und, ſetzte er hinzu, wenn keine Kuͤnſte der Ueppigkeit waͤren, gaͤbe es dann Groſſe?
Es gaͤbe dann, verſetzte ich, nur wahr⸗ haft Groſſe. Ihre Zahl würde betraͤchtlich kleiner, aber dadurch um ſo verehrungs⸗ würdiger ſeyn. Man geht itzt bloß darum bei ihnen voruͤber, weil man nicht gerne vor ſo manchem Taugenichts ſtehen bleibt, der ſich die Kennzeichen der Groͤſſe wider⸗ rechtlich umgeworfen hat.
Dieſe Rede erregte bei meinem Freunde Verwunderung. Wie, hub er an, iſt der Stand der Groſſen ſo unbeſtimmt? ſind ihre Kennzeichen fo zweydeutig? unter⸗ richten Sie mich doch: was iſt groß ?
Frage, antwortete ich ihm, frage den Samojeden, mitten unter den ſchoͤnen Da⸗ men des ruſſiſchen Hofes um die Schoͤnheit einer Frau: o, iſt ſeine Antwort, unſre Weiber ſind doch wohl ſo ſchön, als ihr ſeyd! Dieſe Schönheit hat eine gel⸗ be Haut, kaum ſichtbare Augen, aufge⸗
& 2 dun⸗
324 . Der Mann
dunfene Backen, und eine Bruſt, trotz dem ſchoͤnſten Ebenholze — Frage einen Neger: ſchön, wird er dir ſagen, ſind, eine ſanfte ſchwarze Baut, tiefliegende Augen, eine aufgeflugte Naſe, und Baare, krauſer, dann die Wolle: er zeichnet dir in ſeinen Worten das Bild ſeiner Geliebten, die in ſeinen Augen eine vollkommene Schoͤnheit iſt. Frage eine unfrer europaͤiſchen Schoͤnen, wohin die Ohrgehaͤnge gehoͤren? in die Ohren, ohne Zweifel » Nein, ruft ſein Weib aus einem
andern Welttheile, ſie gehören in die Naſe, und man heißt fie nicht Ohrge⸗ hänge, man heißt fie Naſengehange. Ruͤhme dem Weibe eines Cinguleſen das wohlgebildete Ohr deiner Geliebten! Pfui, ſpricht ſie, wie klein es iſt! es reicht nicht auf ein Viertheil an das meinige — Zu Bali gegen Oſten von Groß java heiſſen die Weiber ihre Maͤnner Böcke, wenn ſie baͤrtig ſind: dieſe beraufen ſich daher auch das Kin: aber der Maldiver ſchilt die Natur grauſam, wenn ſie ihn nicht uͤber und uͤber mit Haaren beguͤnſti⸗ get — Wir laſſen unſre Zaͤhne wachſen,
und beſchneiden unſre Naͤgel: die Java⸗ ner
ohne VBorurtheil. 325
ner laſſen Nägeln und Haaren den natuͤr⸗ lichen Wachsthum, und befeilen die Zaͤhne.
So wenig als die Menſchen uͤber die Begriffe des Schönen einig geworden, ſo wenig ſind ſie es uͤber den Begriff des Groſſen. Hoͤre den Reichen! die Gröſſe ſpricht er, beſteht in Schätzen: wer Schatze hat, hat Rang, hat Titel, hat Verdienſte. Nein! faͤllt ihm Adelswerth ein, ein Stammbaum, von einigen Klaftern, der macht groß: nur Ahnen find es, die Gröſſe geben — So denken Sie, unterbricht ihn ein Marius: von niederer Geburt abſtammen, ſich bis zum Romandoſtab aufſchwingen, auf gethürmten Leichen feiner Seinde da⸗ hinfahren, und ihre Schädel unter den Rädern feines Triumphwatens knarren hören: das iſt Gröſſe! oder war ich et⸗ wan nicht groß y — Nicht fo groß als ich, ſagt der Fakir: ich trage Retten an meinen Süſſen, um meine Lenden Stachel; ich ſpeiſe mein Brod beſudelt mit Roth: daß heißt groß ſeyn! — Auf feinen Folianten, als auf einem Fußge⸗ ſtelle, ſitzt der Bücherſchreiber, und ſieht mit Verachtung auf Geld und Ahnen, und
3 Schlacht⸗
326 Der Mann
Schlachtfeld und Heiligkeit, und duͤnkt nur ſich groß, weil er mehr Baͤnde herausge⸗ geben, als ein Kamel zu tragen im Stan⸗ de iſt. Wer wird unter allen dieſen Rich⸗ ter ſeyn? jeder beſtimmt das Weſen det Groͤſſe auf ſich.
Betrachte zween Menſchen bei ihrem Sterben! der eine geht mit ſtandhafter Gelaſſenheit nach dem Richtplatze; er oͤff⸗ net ſeinen Mund nicht, weder gegen ſeine Verurtheiler, noch gegen ſeine Henker: er kniet willig auf das Sterbgeruͤſt hin, fal⸗ tet ſeine Haͤnde gegen den Himmel fuͤr ſei⸗ ne Feinde, legt freudig ſeinen Hals unter das Beil, und — ſtirbt. Der andre tritt ſingend und mit muthwilligem Huͤpfen un⸗ ter dem Haufen ſeiner Peiniger einher: er ſchmaͤht ſie unaufhoͤrlich; er fodert ihre Grauſamkeit gleichſam auf, ihm alles an⸗ zuthun, was fie nur Schreckliches aus⸗ zudenken weis. Stuͤcke Fleiſch werden aus ſeinem Leibe geriſſen, wuͤtende Weiber ver⸗ ſchlingen ſie in ſeinem Angeſichte. Deſto beſſer! er unterdruͤckt das Gefuͤhl! beißt ſeine Zaͤhne, und ſingt ein Siegeslied auf ſeine Nation. Nun iſt er auf dem Platze, wo er feinen Feinden zum Gaſtmahle die-
nen
ohne Vorurtheil. 327
nen ſoll; er ſieht die Spieſſe, ſieht das Feuer bereitet; nichts macht ihn zaghaft,
er wird nun am Feuer umgewendet, hun⸗
grige Kinder fallen uͤber ihn her, und zer⸗ fleiſchen ihn, ehe der Braten gar iſt: ſein letztes Wort iſt ein Schimpfwort auf ſei⸗ ne Feinde. Frage den Huronen: wie ſtarb der letzte? als ein geld: mein Tod ſey wie der Tod dieſes Mannes! antwortet er. Frage einen Europaͤer, wie war das Ende des erſten? großmüthig! wird er verſetzen: das iſt der Tod der groſſen Geiſter. Der eine ſtarb als ein Lamm, der andre als ein Löw: aber der Aus: ſpruch verſchiedener Voͤlker erweiſt ihrem Tode gleiche Ehre. So ſchwankend iſt der Begriff des Groſſen. ö
Dieſes Weib hat etwas Groſſes in ih⸗ rem Anblicke! dieſer Mann hat etwas Groſſes in feinem Betragen. Dieſes Ger baͤu iſt etwas Groſſes!
Dieſes Weib, mit einem ſtolzen Gange, mit einem dreiſten Blicke, mit einem Tone der Zuverſicht, mit einer Bildung, die weniger einnehmend, als ehrerbietungers weckend iſt, dieſes Weib, wenn ſie eine Eliſabeth, eine Thereſia, eine Ratha⸗
* 4 ri⸗
328 Der Mann
rina iſt, dann hat fie etwas Groſſes. Laßt eben dieſes Weib eine gemeine Buͤrgerinn ſeyn, und fie wird laͤcherlich. Eleonora Galigai war eben die, welche die Mar⸗ ſchallinn d' Anere war: aber nur bee letz⸗ tern Anblick war groß.
Dieſer Mann biet jederman ſeinen Schutz an; wer ihm dienet, den belohnet er fuͤrſt⸗ lich; ſeinen Kutſchen, ſeine Pferde, ſein ganz Gefolg ſind mit Geſchmack gewaͤhlet; er zeigt ein edles Selbſtgefuͤhl in ſeinem Bli⸗ cke. Wohl! wenn er ein Miniſter iſt, wenn ſein Vermoͤgen ſeinem Aufwande zu⸗ ſaget; ſo iſt er leutſelig, großmüthig, prächtig. Wenn aber ein Landjunkerchen mir feinen Schutz anbiet, fo werde ich be⸗ leidiget; wenn ein Mann von mittelmaͤſ⸗ ſigem Vermögen, wie ein Lichtenſtein be⸗ lohnet, fo heiß ich ihn einen Verſchwen⸗ der; wenn ein Zugrundgerichteter ſeinen Zug, wie ehe fortſetzet, ſo heiß ich ihn einen Thoren.
Wer wohnet in dieſem Pallaſte 2 weſſen ſind dieſe praͤchtigen Gaͤrten? weſſen dieſe koſtbaren Bildſaͤulen? dieſe corinthiſchen Gefuͤſſe? dieſe Sammlung von Seltenhei— ten? des Lukullus, fie find die Srüchte
ſei⸗
ohne Vorurtheil. 329
ſeiner Siege. Ich bin zufrieden, und ſage: ſie zeigen von der Gröſſe ihres Beſitzers. Aber man antwortet mir: ei⸗ nem gewiſſen Popilius, einem Dekurio aus der sten Legion: und ich werde laͤ⸗ cheln: man ſetzet hinzu, dem Mörder Cicerons, er hat ſie von dem Lohne ſeines Meuchelmordes angekauft: und ich enthalte mich nicht, Schande Roms! auszurufen.
Umſtaͤnde, die, mit dem Begriffe der Groͤſſe ſogar zu ſtreiten ſcheinen, koͤnnen dieſen Widerſpruch ablegen. Sieh dieſen Elenden, der auf uns zukoͤmmt! Er wird unſer Mitleid zu erwecken ſuchen. Ich ha⸗ be, ſagt er, da er uns nahe iſt, ein Weib und drey Kinder zu ernaͤhren; der Winter iſt heftig, und kaum, daß ich dieſe weni⸗ gen Lappen umzuwerfen habe, die nur mei⸗ ne Bloͤſſe bedecken, nicht wider den Froſt ſchuͤtzen. Viele Tage ſchon habe ich kei⸗ nen Verdienſt, mein Weib liegt darnieder, meine Kinder ſtarren in einer unbewahrten Huͤtte, und ſchreyen nach Brod, wovon ich ihnen nicht einen Mundvoll reichen kann — Das Bild ſeines Elendes iſt wahrhaft, iſt nach dem Leben gezeichnet. Du frageſt:
25 Wer:
330 Der Mann
Warum ich dadurch nicht gerührt wer⸗ de w warum ich ihn mit einigen Kreu- zern von mir weiſe !? Weil er ein Müſſig⸗ gänger iſt, der ſich aus Faulheit in dieſe elenden Umſtaͤnde verſetzet hat, der das Geld, welches ihm die Mildthaͤtigkeit ge⸗ ruͤhrter Buͤrger zuwirft, verſchlemmet; der ſeine Kinder zu ruchloſen Thunichts, gleich ſich ſelbſt, erzieht, und wie ein ſchaͤdliches Inſekt, wann er ſtirbt, eine ſtaͤrkere, un⸗ austilgbare Brut hinterlaͤßt. Sein Elend erregt Erbarmung; aber die Urſache ſei⸗ nes Elendes, bringt wider ihn auf: meine ſchon ausgeſtreckte Hand zieht die Betrach⸗ tung der buͤrgerlichen Pflicht zuruͤcke: ſtatt ihm beizuſpringen, ſtatt Oel in ſeine Wun⸗ den zu gieffen , und ihn mit lindernden Worten zu troͤſten , ſage ich ihm: das Juchthaus ſey deine gerberg!
Aber leſe folgende Erzählung von Irinen:
Bis hin in eine Hoͤhle
Verfolgete mit Ungluͤck
Das Schickſal ſeine Tugend.
Gepeiniget von Schmerzen
Des Leibes und der Seele, Rief
ohne Vorurtheil. 331
Rief er, daß es die Felſen Der Wuͤſte wiederhallten:
Ihr Götter! o ihr Götter! was habet ihr für Quaalen, Dem Srommen zubereitet n Und, weinend ſeinen Jammer War er ſchon ein Rebelle Der Goͤtter in Gedanken.
Als ſich ein weiſer Dichter, Ein frommer Freund der Götter, Fuͤr Jupiters Geſandten
Ausgab, und ſeines Gottes Entſchluͤſſung offenbarte.
Zevs — ſprach der weiſe Dichter,
„ Hat, Frommer deine Klagen „ Gehört, und will dich troͤſten, „Und gluͤcklich machen. Irin! „Dein Leben voll der Quaalen „War eine Luſt der Götter, „Denn zwoͤlfe waren gluͤcklich „Weil du nicht gluͤcklich wareſt — „Nun aber dich zu troͤſten „Soll ihnen keine Sonne, „Des Gluͤckes weiter ſcheinen! „„In
332 Der Mann
„In ſolchen Jammerhoͤhlen,
„ Wie deine da, ſoll jeder,
„ Sein ungluͤckvolles Leben
„ Verſeufzen: ſieh das wollen „Nunmehr die guten Götter: „Und unter dieſen Zwoͤlfen
„ Iſt Pylades der fromme:
„ Dein Freund, und Orondates „ Der Freund der weiſen Dichter!
Schnell betete der Arme: „ Vergebet o ihr Götter „ Mir meines Jammers Klage! „Vergebt fie mir, und laſſet, „Mein Ungluͤck, meinen Jammer „Noch einſt fo lange dauren, „Als ihr zuerſt nur wolltet, „Um zwoͤlf der Menſchen Willen!
Sieh hier einen Armen — freywillig Armen: aber welche Groͤſſe in dieſer Frey⸗ willigkeit! Titus, deſſen Menſchenliebe noch immer ein Zuruf neugewaͤhlter Regenten bleibt, weil ſie keiner deiner Nachfolger uͤbertroffen, Titus ſteig herab von deinem Throne! Irin iſt wuͤrdiger als du, darauf
iu ſitzen — XII.
ohne Borurtheil, 333 | XII.
Man iſt nicht mehr uͤber die Zeichen der
Groͤſſe einſtimmig, als uͤber die Gröſſe ſelbſt. In Bantam, erzaͤhlen die Reiſe⸗ beſchreiber, rechnet man ſichs zur Schande, Schuhe zu tragen; und in Randi Ceylan iſt derjenige der beleidigten Majeftät ſchul⸗ dig, der ſich in Schuhen blicken laͤßt: denn die Ehre, Schuhe zu tragen, iſt dem Koͤ⸗ nig allein vorbehalten. Nur die Edelſten unter den Sueven hatten das Recht, ihre Haare zu winden, und in einen Rnotten zu ſammeln, wie ihn der verwildete Junge traͤgt, der auf den unbegraͤnzten Heiden Panoniens hinter einer Heerde Ochſen zieht, und keinen Kamm kennet. Bei den Juden war ein durchbohrtes Ohr das Kennzei— chen der ewigen Knechtſchaft ), und die Inkaſe erhuben die verdienten Maͤnner da⸗ durch in den Ritterorden, daß ſie denſel⸗ ben das Ohr mit einer guͤldnen Stifte durchſtachen. Der Orden der Nühe bei dem Banian, der Urinorden bei den Hot⸗ tentoten, ſind ein wenig von dem güldnen
Vlieſ⸗ ) Exod, 21. 6.
334 Der Mann
Dlieffe und dem blauen Kordon verſchie⸗ den. Bei unſern Vorfahren waren lange Haare eine Unterſcheidung des Adels, aber bei mehr dann einer oſtindiſchen Nation traͤgt nur der Sklave dergleichen, der hin⸗ ter ſeinem Herrn hergeht, und ihm Betel in einem Beutel nachtraͤgt. Wiſſen die Menſchen jemals unveraͤndert bei einem Gedanken ſtehen zu bleiben? Nimm hin⸗ wer, ſagten einsmals die Weiber zu ei⸗ nem Manne, nimm hinweg von uns die Schande der Eheloſigkeit.) Was da⸗ mals Schande war, iſt heute zu einem vollkommenern Stande, folglich zur Ehre geworden. Jederman ruͤhmet die Reiſe Trajans, die er zu Suffe durch fo viele Provinzen feines Kaiſerthums gethan, je⸗ derman ruͤhmet ſie; aber jederman will Pferde und Kutſche, nicht bloß zur Ge⸗ maͤchlichkeit, auch als ein Zeichen der Un⸗ terſcheidung. Mein Stand fodert unum⸗ gaͤnglich eine Equipage, ſagt der Rath, und vielleicht ſchon jemand unter ihm, und ſeit dem iſt Gehen eine Erniedrigung ge⸗ worden; nur gemeine Leute duͤrfen es kön⸗
) Ifai, 4. 1.
ohne Vorurtheil. 335
können. Bis auf die kleinſten Ehrenbe⸗ zeugungen erſtrecket ſich dieſe Wandelbar⸗ keit. Die Morgenländer werden vor eis nem Manne, dem ſie mit Ehrerbietigkeit begegnen wollen, nie ihr Haupt entbloͤſſen, und wir daſſelbe vor unſern Obern nie be⸗ decken. Zoutmanns Tagebuch der oſtin⸗ diſchen Schiffart erwaͤhnet einer ſeltſamen Art von Ehrenbezeugung, womit ihm die Indianer begegneten: ſie nahmen, ſagt er, feinen linken Suß, und fuhren da⸗ mit an ihrem rechten Beine bis an das Knie hinauf, von hier bis an das Ger: ſicht von unten auf, und endlich bis an den Wirbel des Kopfes. Unſre Art zu gruͤſſen, naͤmlich mit dem einem Beine hinter ſich aus ſtreichen, iſt wenigſten für den Gegruͤßten nicht ſo beſchwerlich.
Bei dieſer Mannigfaͤltigkeit der Begrif⸗ ſe und Zeichen ſind wenigſtens alle Voͤlker uͤber einen Punkt vollkommen einig: daß die Gröſſe auf Verdienſt gegründet iſt; nur weichen ſie voneinander ab in der Be⸗ ſtimmung des verdienſtes ſelbſt.
Die Voͤlker von Europa, welche ſich ſelbſt die polizirten nennen, raumen dem
erb⸗
336 Der Mann
erblichen Verdienſte, das iſt, der Geburt die erſte Stelle ein. N
Ich begreife dein Befremden, ich ſehe deine Fragen voraus. Es ſoll die Reihe kommen, mir ſie vorzutragen. Dieſes Verdienſt, das ein Geſchenk des Gluͤckes iſt, welches allein dem Reichthume nicht feil ſteht, hat Tadler, weil es beneidet wird. Was hat der Enkel mit dem Derdienfte des Anherrn gemein iſt die allgemeine Frage derer, die eine ſolche Fra⸗ ge ſehr ungeſchickt finden wuͤrden, wenn es ihr Anherr geweſen waͤre. Ein neuer Schriftſteller hat fie auf eine ſehr ſinnrei⸗ che und gruͤndliche Art beantwortet, dieſe Frage. Er fuͤhret den Cyniker Diogenes mit einem gewiſſen Rabutin auf, die ſich in dem Aufenthalte der Abgeſchiedenen un⸗ terreden. Diogenes iſt wegen ſeiner Of— fenherzigkeit, die oft in das Unhoͤfliche faͤllt, beſchrieen, Rabutin iſt als der eitel⸗ fie Menſch aus feinen fonft ſchoͤnen Briefen bekannt. Diogenes redet den franzoͤſi⸗ ſchen Grafen an:
Glaube mir! ſagt er, laß dieſen leicht⸗ ſinnigen Reimer, mit dem ich dich ſo oft
finde, und unterhalte dich mit mir! Re:
# ohne Vorurtheil. 337
Rabutin.
Du ſprichſt ſehr frey von einem Manne, wie Ovid war, den alle Voͤlker einſtimmig fuͤr einen der witzigſten Geiſter des Alter⸗ thums anſehen.
B | In der That, das war er; aber was
iſt das auch! Rabutin.
Was ein Schriftſteller vom erſten Kane ge ift, der die Zierde, das Ergoͤtzen der Geſellſchaft ausmacht?
Diogenes.
Ja, wie das Flitterwerk gewiſſe Klei⸗ der putzet. Welches weſentliche Verbienſt findeſt du an dem Verfaſſer der Verwand⸗ Lungen und was weis ich, welcher an⸗ deren Taͤndeleyen noch?
Babutin, Ich ſehe hier einen tiefſinnigen Welt⸗ weiſen, der ſich hinter die Blumen des Scherzes und der Galanterie verbirgt. Diogenes.
Du mußt in jener Welt ſelbſt ſehr ga⸗ lant geweſen ſeyn, daß du hier noch die ſo ſehr liebeſt, die es waren. |
II. Theil. 9 Ra⸗
338 Der Mann
Rabutin,
Ich war es weniger, als der Roͤmer; aber es ſind zwiſchen uns manche andre Aehnlichkeiten. Er war ein Mann von Wiſſenſchaften; ich machte mein Werk daraus, ſie anzubauen. Er lebte unter einem Kaiſer, einem Befoͤrderer der Wiſ⸗ ſenſchaften und Kuͤnſte. Ludwig der late, deſſen Unterthan ich zu ſeyn, die Ehre hatte, heißt er nicht Frankreichs Auguſt y Ovid verfiel in die Ungnade ſeines Fuͤr⸗ ſten; ich war fo ungluͤcklich, meinem Koͤ⸗ nige zu mißfallen. Er wurde in die Inſel von Thalaſſien verwieſen „ich auf meine Guter. |
Diogenes,
Setze noch hinzu, daß er in een Elende Verſe gemacht, die zu witzig waren, als daß ſie ruͤhrend ſeyn konnten; und daß deine Briefe zu geputzt ſind, um pa⸗ thetiſch zu ſeyn.
Rabutin.
An dieſem Zuge erkenne ich den Dloge⸗ nes. Aber ich vergaß in meiner Verglei⸗ chung, daß Ovid ein roͤmiſcher Ritter war, und ich von einem der beſten abelichen Haͤuſer abſtamme.
Dio⸗
ohne Vorurtheil. 339
Diogenes.
es ſollte mich Wunder genommen ha⸗ |
ben, wenn du deines Adels nicht erwaͤh⸗
net haͤtteſt. Das iſt ein Punkt, den du
uns nicht erlaͤßt, ohne uns auch deine Dienſte herzurechnen. Rabutin.
In der That waren ſie eines beſſern Schickſals wuͤrdig, und du wirſt geſtehen, daß ein Mann von meinem Range ⸗
Diogenes.
Aber nun, was iſt er denn dieſer Nang dieſer angebliche Adel, wovon du ſo viel Aufhebens macheſt? — Ich will es hin⸗ gehen laſſen, wenn man ihn ſelbſt erwor⸗ ben hat: dann iſt es ein Eigenthum, eine Erwerbung, dann iſt es billig, daß man es genießt. Aber wie koͤmmt der Sohn dazu? will er adelich ſeyn, ſo fange er von Vorne an, er mag ſich beſtreben es zu werden. Es waͤre ſonderbar, daß er Verdienſte und Unterſcheidung foderte, weil ſein Vater ſie hatte.
Rabutin.
Dieſes Geſchwaͤtz taͤuſcht durch einen Schein von Philoſophie. Sage mir Dio⸗ genes, wenn dein Vater durch ſeine Muͤhe,
Y 2 und
340 Der Mann
und Haͤuslichkeit groſſes Vermögen erwor⸗
ben haͤtte, und nach ſeinem Tode machte
man es dir ſtreitig, einzig darum, weil
du ſolches nicht ſelbſt erworben hätteft ,
was wuͤrdeſt du dazu ſprechen? | Diogenes,
Daß es die hoͤchſte Ungerechtigkeit und Thorheit waͤre: und daß dieſes Vermoͤgen mir ſehr rechtmaͤſſig angehoͤrte, weil ich der einzige Erbe meines Vaters bin, der es unbeſtritten beſeſſen.
Rabutin.
Nun denn, warum machſt du mir mei⸗ nen Adel ſtreitig, der von meinen Ahnen auf mich gefallen.
Diogenes.
Der Fall iſt ſehr verſchieden.
| Rabutin.
Weniger als du dir einbildeſt. Dieſer Adel macht einen Theil meines Erbtheils aus, wie die Schaͤtze deines Vaters das Deinige.
Diogenes.
Aber wenn du durch deine Thaten ihn
erniedrigeſt —
Re:
ohne Vorurtheil. 341
Rabutin.
Und wenn du das Vermoͤgen verſplit⸗ terſt? — 6 Diogenes.
Das iſt meine Sache, es vernünftig zu verwalten, will ich davon Eigenthuͤmer bleiben.
Rabutin.
Muß ich nicht gleichfalls meine Geburt unterſtuͤtzen, woferne ich mich nicht enteh⸗ ren will? Aber dann, wann ich edel hand- le, ſo ſetze ich ſelbſt dem ererbten Adel zu, wie du den Reichthum deines Vaters durch kluge Haushaltung vergroͤſſern wuͤrdeſt.
Diogenes. Die Eitelkeit allein kann dieſe erfunden
haben. Rabutin.
Eben als ſagte ich, der Geiz habe das Geſetz der Erbfolge gefchriebens Sieh, wohin die Haſtigkeit verleitet! ſie graͤnzet ſo nahe an den Irrthum, als die Unbe⸗ ſonnenheit.
Diogenes. b
Welche Thorheit, einen Menſchen we⸗ gen der Verdienſte ſeines Vaters zu ehren! Ich finde nichts ſo tolles, es ſey denn das
Y 3 Vor⸗
342 Der Mann
Vorurtheil, das wegen eines Spitzbuben eine ganze Verwandtſchaft mit een be’ legt, wenn = =
Rabutin.
Neuer Irrthum! was du unvernünftig ſchiltſt, iſt eines der beſten Grundgeſetze der Geſellſchaft. Nichts konnte beſſers er⸗ dacht werden, den Abſcheu vor dem Laſter, und die Liebe zur Tugend in den Familien fortzupflanzen, als dieſe Vererbung des Ruhmes, oder Schande.
Diogenes.
Welch eitles Huͤlfsmittel des Stolzes, der immer ſinnet, ſeine Kleinheit, und Elend zu vermummen! der Weiſe kennt keinen Adel als die Tugend, keinen Poͤbel als in dem Laſter.
Rabutin.
Ich fürchte ſehr, daß der Unadeliche die⸗ ſen ſchoͤnen Spruch nicht aus der Urſache mißbrauche, aus welcher der Arme gegen die Reichen ſchreyt. Die Tugend iſt ohne Zweifel das Kennzeichen des wahren Adels; aber eben darum verdient der Adel Unter- ſcheidung, und Achtung, weil die Tugend ſeine Quelle iſt. Der Adeliche, der ſeinen Titel wuͤrbig fuͤhret, iſt das bereits, was der
ohne Vorurtbeil. 343
der gemeine Tugendhafte zu werden ſuchet. Der Adel der Geburt ſchließt den Adel der Handlungen nicht aus; er ſetzt ihn vor⸗ aus, er fodert ihn. Die niedrige Geburt kann der Tugend keinen Glanz geben, aber ſie kann durch ie erlaucht werden — u. ſ. w.
XIII.
„ ee brachte den Philoſophen zum Stillſchweigen, womit dieſer ohne Zweifel ſehr unzufrieden war: denn ein Philoſoph ſchweigt nicht gerne ſtille. Aber der Sran⸗ zoſe hatte in der That auch eine Sache zu vertheidigen, bei der es nicht ſchwer iſt, Gruͤnde zu finden. Ich weis nicht, wa⸗ rum die Menſchen von edelm Geſchlechte mehr als die Pferde ausarten ſollen. In Arabien hat man ſorgfaͤltig die Geſchlecht⸗ bücher aller berühmten Stuͤttereyen. Alle Zeiten haben den Werth der Geburt er⸗ kennet. Es ift, *) ſagt der Dichter, der das Lächerliche der Roͤmer fo oft mit ſa⸗ tiriſchem Witze durchgezogen, es iſt in dem diene das angeerbte Feuer der Vaͤter, Y 4 und ) EA in equis Patrum Virtus.
344 Der Mann
und furchtſame Tauben erzeugen keine Ad⸗ ler. Homer, und fein Schüler Pirgil, der feinen Meiſter oft übertrifft, nen⸗ nen ihre Helden fo vielmal Söhne der Goͤttinnen, als der ſtarke Achilles, der fromme Aeneas. Woferne alſo der Adel der Geburt wirklich ein Vorurtheil waͤre; ſo waͤre er wenigſtens von denjenigen, welche das Alterthum und eine beſtaͤndige Ueberlieferung aller Zeiten geheiliget, und ehrwuͤrdig gemacht haben. —
Capa⸗ kaum erwartete die Zeit, mir Einwuͤrfe zu machen, mit Ungeduld. Wenn, ſagte er, ich ihrem Rabutin haͤtte zu ant⸗ worten gehabt; ſo haͤtte ich ihm eine ein⸗ zige Frage gemacht. Woferne, hätte ich geſprochen, woferne das Verdienſt der Aeltern auf die Kinder, wie das Geld erblich uͤbertragen wird; ſo ſind die Kin⸗ der eines Helden alle Helden, die Kinder eines Staatsklugen alle Staatskluge, wie die Kinder des reichen Vaters alle reich ſind. Ich weis nicht, was der von ſei⸗ nem Adel fo ſehr eingenommene Graf ges antwortet haͤtte; aber das Verfaͤngliche der Frage wuͤrde er ohne Zweifel einge- ſehen haben. Ich haͤtte dann geſchloſ⸗
ſen,
ohne Vorurtheil. 345
ſen, daß der Sohn Alexanders, deſſen kriegeriſche Thaten ſo manchen Geſchicht⸗ ſchreiber beſchaͤfftiget, wenigſtens eben ein ſo guter Feldherr geweſen ſeyn muͤßte, als fein Vater: und, hätte Richelieu einen Sohn gehabt, ſo muͤßte deſſen Mini⸗
ſterſchaft nicht weniger beruͤhmt geweſen
ſeyn, als die ſeines Vaters. Ich haͤtte ihn noch weiter verfolget, ich haͤtte ihn gebeten, mir den Adel der Töchter zu er⸗ klaͤren, der nach des Franzoſen Ableitung in der That ganz unbegreiflich wird. Denn wie Rabutin auch immer die Sache wen⸗ den mag; ſo kann das Erbrecht des Adels fuͤr nichts anders geltend gemacht werden, als fuͤr eine Fortſetzung derjenigen Eigen⸗ ſchaften, welche dem Stammvater ſeine Adelung erworben haben. Wenn wir al: ſo ein Fraͤulein, deſſen Uraͤltervater ſich durch Tapferkeit verewiget hat, hochge— bohrnes Fraͤulein heiſſen, ſo ſagen wir in der That, tapferes Fraͤulein! welches eine Schmeicheley von ſeltſamer Art iſt, und nur in dem Reiche der Amazonen gerne gehoͤret werden muß.
Es iſt noch nicht alles, verfolgte er, da er nun einmal auf den Weg gerathen
9 5 war,
1
346 | Der Mann
war, witzig zu thun: der franzsfifche Graf ſoll mir mit ſeinem Gleichniſſe zwiſchen dem Erbrechte des Vermoͤgens und Verdienſtes antworten, warum der Reichthum eines Erblaſſers unter die mehreren Kinder ger theilet, und jeder Erbe nur einen Antheil erhaͤlt, der alſo geringer iſt, als das vaͤterliche Vermoͤgen? wie es hingegen komme, daß ein adelicher Erblaſſer einem jeden ſeiner Nachkommen ſein Erbtheil ganz und ungetheilt, und alſo mehr hin⸗ terlaͤßt, als er ſelbſt beſaß? Er wuͤrde ſehr verlegen ſeyn, ſich herauszuwickeln, wenn ich ihm das Unrecht zeigte, ſo man da⸗ durch dem wahren Verdienſte der Stamm⸗ vaͤter erweiſet, daß der Adel durch die Laͤnge der Zeit erhöhet wird: denn, um wieder Alexandern zum Beiſpiele zu nehmen, wenn feine Familie nicht untergangen iſt, ſo mag ein Spaͤterenkel in irgend einem Winkel der Welt noch ſo ein unruͤhmliches Leben hinbringen, er iſt adelicher als ſein Uraͤltervater: der die Welt mit ſeinen Sie⸗ gen erfuͤllet hat, und um alles mit einem Worte zu faſſen, der Vater des menſchli⸗ chen Geſchlechts, Adam war der elendſte,
poͤbelhaftſte von allen feinen Kindern, weil le;
ohne Vorurtheil. 347
jeder unter ihnen mehr Ahnen als er zaͤh⸗ let —
Mein Freund, war meine Antwort, mit ein wenig Witz und einer groſſen Anlage von Neid, faͤllt es nicht ſchwer, an den nuͤtzbareſten Einrichtungen und Anſtalten, eine laͤcherliche Seite zu entdecken. Der Adel iſt in der That von dieſer Art. Die Erinnerung der Ahnen, deren Ruhm man zu unterſtuͤtzen hat, macht im Gewuͤhle des Streites unerſchrocken, in der Naths⸗ verſammlung ſcharfſehend, uneigennuͤtzig, getreu. Man fuͤrchtet ſich einen Namen zu verunehren, wenn man einen Namen hat. Was wird die Welt von mir fagen Y Dieſe Erinnerung hat manche edle That ver: anlaſſet, von manchem entehrenden Schrit⸗ te zuruͤckgehalten. Aber bei wem kann ſie wirkſam ſeyn, als bei demjenigen, den ſchon ſeine Geburt gleichſam auf ein Schau⸗ geruͤſt ausgeſetzet, wo er keine edle Hand⸗ lung verrichtet, ohne die Zurufungen der Welt zu erhalten, aber auch keinen Fehl: tritt thun kann, ohne ihrer befchämenden Spottreden gewaͤrtig zu ſeyn.
Weit entfernet alſo, daß es nuͤtzlich waͤre, den erblichen Adel aufzuheben, ich glau⸗
348 Der Mann
glaube vielmehr, daß der Staat nie zu ſehr beſorgt ſeyn kann, denſelben feſtzu⸗ ſetzen. In einem Lande, wo die Vater⸗ terlandsliebe unkraͤftig iſt, da ſoll die Fa⸗ milienliebe ihre Stelle vertreten. Das Gute geſchehe, man handle großmuͤthig, unei⸗ gennuͤtzig, es geſchehe durch was immer fuͤr eine Triebfeder! es gereicht darum nicht weniger zum gemeinſchaftlichen Beſten. Alle Welt, die Welt der gemeinen Buͤr—⸗ ger ſchreyt: wir wollen dem Adel ſeine Wuͤrde nicht ſtreitig machen, aber ſein Stolz iſt unertraͤglich. Floͤſſet, rufen ſie zu den Hofmeiſtern, die ſich mit Erziehung des Adels beſchaͤfftigen, floͤſſet euren Zoͤg⸗ lingen nur nicht dieſes Bewußtſeyn ihres Vorzugs ein! — Nicht meine Herren! hoͤ— ret die unbedachtſamen Reden dieſer Un⸗ verſtaͤndigen, hoͤret ſie nicht! Ihr koͤnnt ſie vielmehr nicht zu ſehr auf die Vorzuͤge aufmerkſam machen, ihr koͤnnet ihren Stolz nicht zu ſehr anfachen. Vielmehr von ih⸗ rer zarteſten Kindheit an, bedienet euch keiner andern Strafrede als: wie niedrig, wie unedel! keines anderen Lobſpruchs, keiner andern Ermunterung, als: ban=
deln Sie, ihrer Geburt wuͤrdig zu ſeyn! Sie
ohne Vorurtheil. 349
Sie haben einen Namen zu behaupten! Sie beſchimpfen ihr Haus!
Glaubet ihr, wenn ihr dem unbedacht⸗ ſamen Geſchreye dieſer kein Gehoͤr gege— ben, wenn ihr den Grundſatz des Adels zu dem herrſchenden Grundſatze eurer Zoͤglin⸗ ge, zu ihrer allgegenwaͤrtigen Erinnerung gemacht haͤttet, ſie wuͤrden euch in ihren ſpaͤtern Jahren durch fo manche poͤbelhaf⸗ te That verunehren? Glaubet ihr, daß Eront, der in dem Ueberrocke feines Lau- fers an den Ecken der Straſſe gemeinen Dirnen auflauert, und die Sitten ſeiner Verkleidung ſo wohl anzunehmen weiß; glaubet ihr, daß er die Wuͤrde ſeiner Ge⸗ burt, die Ehre ſeines Hauſes vor Augen habe ? möchte er doch zu ſtolz ſeyn, um ſo pöbelhaft zu handeln! Glaubet ihr, daß geſikrat auf den Glanz feines Hau⸗ ſes denket, wenn er ſeine Guͤter in Pfer⸗ den und Kutſchen, in koſtbarem Hausge⸗ raͤthe, auf hundert andern Wegen der Verſchwendung dahin wirft, und ſich das Vermoͤgen raubet, mit einem ſeiner Ehre und Geburt gemaͤſſen Anſtande zu leben?
Erinnert ſich Dor ant feiner Ahnen in dem Augenblicke, da er ſeine Gunſt um
Geld
380 Der Mann
Geld anbiet, und eine Stelle, die er an den Verdientſten vergeben ſoll, an den Meiſtbietenden verkauft? Erinnert ſich wohl Eardon feiner Herkunft, wenn er ſich zu den Fuͤſſen einer Operdirne, um eine feilſtehende Nacht zu erhalten, nie⸗ dertraͤchtig kruͤmmet? Wenn Eilenor den Staub der Guͤnſtlinge lecket, um ſich em⸗ por zu ſchwingen, und das Verdienſt am Hofe durch unredliche Kunſtgriffe zu ver⸗ dunkeln, oder verdaͤchtig zu machen ſucht, vergiebt er nicht blos darum ſeinen Adel, weil er ihn nicht vor Augen hat? Wenn Speronten Schuldner uͤberlauſen, denen er durch abſcheuliche Raͤnke Geld entlocket hat, wenn er durch ſeinen Thorſteher ſich verlaͤugnen, und ſich in Gegenwart ſeines Dieners einen Betruͤger ſchelten laſſen, und, da er hinter dem Schiebgitter dieſe Beſchimpfungen ſelbſt mit anhöret , dieſe Reden noch dazu in feinem Herzen recht- fertigen muß; wo iſt damals das Gefuͤhl ſeines Adels? Wo war es bei Clelien, als ſie ihre Augen auf einen Mimen warf, und ſich von ihm muthwilliger behandeln laſſen mußte, als die elendſte Sklavinn eines Serails e Würde Eronde fi ih⸗ / rer
obne Vorurtheil. 351
rer Magd zu liebkoſen herablaſſen, wuͤrde ſie die Verſchwiegenheit dieſer Mitbewuß⸗ ten, dieſer Vertrauten ihrer Ausſchwei⸗ fungen, ihrer ſchandbaren Liebe durch Er⸗ tragung ſo vieles Eigenſinnes erkaufen muͤſſen, wenn ſie, ehe ſie den entehrenden Schritt gethan, ſich erinnert haͤtte, du biſt die Tochter des: = die Gemahlinn deg = - = die Verwandte des 2 Argiſore, hätte dieſe durch Kinder von zweydeutiger Ge: burt eine ehrenvolle Reihe der edelſten Sproͤßlinge unterbrechen, und einen wuͤr⸗ digen Gatten durch den Schmerz ſeines befleckten Chebettes toͤdten koͤnnen, wenn ſie in der Stunde des Fehltrittes an die Groͤſſe des Hauſes gedacht hätte, welches nun durch ſie auf ewig geſchaͤndet worden? Kurz, weniger verfuͤhrte Maͤdchen, weni⸗ ger geſchaͤndete Verwandtſchaften, weniger befleckte Ehen, weniger Stuͤrzungen, we⸗ niger unwuͤrdige Dienſtvergebungen, we⸗ niger Bankerute wuͤrden die Fruͤchte dieſes gluͤcklichen Stolzes ſeyn, dieſes Selbſtge⸗ fuͤhles der Ehre, das man unbillig mit
der Verachtung ſeines Mitbuͤrgers ver⸗ menget. N
Ich
352 Der Mann
Ich fage noch mehr. Dieſer Stolz, den man zu tadeln waget, koͤnnte die Quel⸗ le der geſellſchaftlichen Gluͤckſeligkeit ſeyn; und die behauptete Wuͤrde des Adels, den Verluſt einigermaſſen erſetzen, den wir durch die allgemein verkannte Wuͤrde der Menſch⸗ heit erlitten haben.
XIV.
Ales, was gegen den Adel unter ſo verſchiedenen Wendungen geſchrieben, ge⸗ ſagt, und wieder geſagt wird, lauft kurz dahinaus, daß die Geburt allein kein Ver⸗ dienſt iſt. Es kann niemanden zum eigen⸗ thümlichen Vorzuge gereichen, adelich ge⸗ bohren zu ſeyn, weil es nicht in ſeiner Gewalt ſtund, nicht fo gebohren zu wer⸗ den. Wenn irgend etwas vorzuͤgliches da⸗
ran iſt, ſo iſt es ganz von Seite des Zu⸗
falls. Aber der wahrhaft Adeliche machet
durch perſönliche Verdienſte, daß es auf⸗ hoͤrt Zufall zu ſeyn; er macht, daß das Ohngefaͤhr nicht geirret hat.
Aber
ohne Vorurtheil. 353
Aber nichts iſt unbilliger, als wenn der angeerbte Adel den erworbenen zu verdunkeln, herabzuſetzen ſuchet. Ich gebe es zu, daß zwiſchen beiden ein weſentli⸗ cher Unterſchied iſt: aber ich fuͤrchte, bei der Vergleichung wird der Vortheil ganz auf der Seite des letztern ſeyn. Du ruͤhmeſt⸗ dich deiner Ahnen: ſeine Ahnen werden ſich ſeiner ruͤhmen. Du biſt durch deine Voraͤltern geadelt: er adelt die Seinigen. Er iſt auch ohne ſie edel: ob du es ſeyn wuͤrdeſt, ohne den Zufall deiner Geburt, das weis ich nicht — und ich zweifle.
Nach dieſen Betrachtungen koͤnnen die Vortheile, die der betitelten Herkunft vor⸗ zuͤglich eingeraumet find , nicht mit gleich⸗ guͤltigem Auge betrachtet werden. Sie ſind eine Art von Ungerechtigkeit, die gegen das wahre Verdienſt begangen wird, deſſen Belohnungen nirgend ſeyn ſollen, wo es ſelbſt nicht iſt.
Ich habe vor mir ein Buch offen liegen, welches unter andern Gegenſtaͤnden auch die Vortheile, die dem Adel der Herkunft beinahe in allen Staaten zugeſtanden ſind, beleuchtet. Da dieſes Buch ſeltner gewor⸗
II. Theil. 2 ben
354 Der Mann
den *), und wichtige Betrachtungen auf eine ſehr muntere Art eingekleidet, enthält ; ſo werde ich das, was zu meiner gegen⸗ waͤrtigen Behandlung gehoͤret, hieher übers ſchreiben. Zuvor aber muß ich eine merk⸗ wuͤrdige Stelle anfuͤhren, wodurch der Verfaſſer fuͤr nothwendig erachtet, ſich zu erklaͤren, auf wen feine Zuͤge eigentlich gedeutet werden muͤſſen.
„Ich habe — heißt es auf der 38. Seite — das Joch der Vorurtheile, ſo weit es moͤglich war, von mir geworfen. Ich ziehe, wen ich immer ſehe, ſeine Klei⸗ dung, ſein geborgtes Auſſenwerk ab: Kut⸗ ſche, Gefolg, Wappen blenden mich nicht: alles das iſt nicht der Mann ſelbſt. Ich ſehe, wo andre den Groſſen, den Maͤch⸗ tigen, den Reichen ſehen, nur den Men-
| ſchen, ») Dieſes angeführte Buch wird unter die größ⸗ ten Seltenheiten der berühmten Bücherſamm⸗ lung von N. .. gezählet, und foll dem Ver⸗ nehmen nach, auſſer dieſem Exemplar nur noch eines in der Bibliothek des Markeſe veroboni vorhanden ſeyn. Es iſt ſchade, daß das
Titeldlatt daran fehlet, ob es übrigens bis
auf ein paar Blätter wohl behalten, und Rück und Ecken mit gelbem Bleche beſchlagen
ſind.
ohne Vorurtheil. 355
ſchen, nur ihn. Hält er denn, auch nackt, wenn ich fo ſagen darf, meine Prüfung aus, finde ich ihn dann noch von andern Menſchen unterſchieden; ſo gebe ich ihm mit Ehrerbietung allen ſeinen Schmuck wieder, werfe ihm den Mantel der Ehre um, und gehe vor ihm her, und rufe: fo ehret man, den der König geehret haben will. Aber, wenn der entbloͤßte Menſch ſich durch nichts unterſcheidet, wenn er unter den Haufen verſtoſſen, den Zaufen nur vergroͤſſert; ſo gebe ich ihm ſeine Ehrenzeichen wieder, und ſehe ihn, als einen Waffenpfal ) an, an dem man den Schmuck der Helden aufhaͤngt, ohne daß man aus dem Klotze einen Helden zu machen denket. Ich ſchaͤtze alſo den Adel nicht nur, ich verehre ihn, aber dann nur, wenn die Anherren in das Leben zuruͤckge⸗ rufen, ſich ihres Sohnes ruͤhmen, und ſprechen wuͤrden: ſehet ihn! er giebt uns die Ehre, die wir ihm überliefert, mit Wucher wieder. Es iſt für ihn nicht ruhmwürdiger, daß er uns zu Voräl⸗ tern hat, als es für uns iſt, ihn zum Sohne zu haben. Aber wenn ſie bel dem 3 2 | Anz *) Die ſogenannten Tropheen.
356 Der Mann
Anblicke ihres Spaͤterenkels in ihre Graͤ⸗ ber wiederfloͤhen, und ihres Sproͤßlinges ſich ſchaͤmten, wer kann es fodern, daß ich mehr Achtung fuͤr einen ſolchen zeige, als die eigenen Ahnen thun? Mit einem Worte: ich ehre den, der ſeine 24 Ahnen verdienet, nicht der fie hat — u. ſ. w. „ Nach einiger Einleitung aus der Ge⸗ ſchichte des Adels faͤngt der Verfaſſer auf der 43. Seite - an: „Eine lange Ahnen⸗ reihe iſt mit groſſen Vorzuͤgen verknuͤpft, und aller Orten iſt man von dieſer Art der Verdienſte unſtreitig uͤberzeugt. Dei⸗ ne Geburt, ſagen die Schmeichler, be⸗ ſtimmte dich zu den wichtigſten Be⸗ ſchäfftigungen des Staates: ob gleich die Geburt an und für ſich nur zum TLe⸗ ben beſtimmt. Wo dieſe Meinung die
Oberhand gewonnen, da koͤmmt es bei den wichtigſten Ehrenaͤmtern nicht ſo ſehr auf die Frage an: iſt er fähig » als: wie viel hat er Ahnen Das ſonder⸗ barſte hiebei iſt, daß gewiſſe Bedienungen angebohren find , und die Natur ſehr oft laͤcherliche Fehltritte n wenn e . :e. Feldh
ſie
) Der alles benagende Zap der Zeit hat feine
ohne Vorurtheil. 357
Vt ſehen. „ mit krummen Fuͤſſen laufen Sen. . iſt alſo ſchon gluͤck⸗ lich wenn Aumal durch einen Vater der Grund zu dieſem Verdienſte gelegt wor⸗ den: nichts kann kuͤnftig die Nachkoͤmm⸗ linge deſſelben mehr berauben. Sie be— ſitzen es ſogar in einem hoͤheren Grade: denn, ſonderbar! das erbliche Verdienſt, das wir Adel nennen, gleichet dem Wei⸗ ne; es veredelt ſich von ſich ſelbſt, je aͤlter es wird. Es giebt daher dienſtfer⸗ tige Leute, die es ihre eigene Beſchaͤffti⸗ gung ſeyn laſſen, Geſchlechtsurkunden aufzuſuchen, und Stammbaͤume zu ver⸗ fertigen. Weil nun jeder, bis an Adam hinan von Vater und Mutter abſtammt, ſo geht ihre Geſchicklichkeit ſo weit, daß ſie um ein nicht ſehr groſſes Stuͤck Geld, in der Entfernung von einigen Jahrhunder⸗ ten einen gemeinſchaftlichen Stamm mit irgend einem maͤchtigen Haufe ausfindig machen, wodurch es geſchieht, daß dem 33 er⸗ Gewalt auch hier über unſer Buch ausgeübet. Es iſt zu bedauren: denn, nach dem Zuſam⸗ menhange zu urtheilen, ſollte dieſe Stelle ſehr erbaulich zu leſen ſeyn.
358 Der Mann
erlauchten ... eine rechtsbewaͤhrte Fo⸗ derung auf irgend ein Königreich zufaͤllt, die wenigſtens den Titel mit einem gerr auf vergroͤſſert. „
Bis an die 49. Seite haͤlt der Schrift⸗ ſteller eine Unterſuchung, ob es den Staa⸗ ten nuͤtzlich geweſen, daß ſie den Adel ein⸗ gefuͤhret. Am Ende der 49. Seite lei⸗ tet er wieder in ſein voriges Geleis ein, und verfolget: „Der erbliche Adel giebt nicht nur einen ausſchlieſſenden Vorzug zu manchen Bedienungen: er hat auch dit Vermuthung fuͤr ſich, daß ihm Enthalt⸗ ſamkeit, Maͤſſigung und andre Tugenden von Natur eigen ſind, die mit gewiſſen Staͤnden unzertrennlich verbunden ſeyn muͤſſen. Ohne eine ſolche Vermuthung waͤre es ziemlich ſchwer zu begreifen, warum eintraͤglichere Pfruͤnden und Wuͤr⸗ den nur ſolchen vorbehalten ſind, welche fo und fo viel Ahnen, von Seite des Va⸗ ters und der Mutter erproben koͤnnen. Als lein iſt die Ahnenprobe nur einmal abge⸗ fuͤhrt, fo hat der Zochgebohrne die Ver⸗ muthung fuͤr ſich; und man machet da⸗ her keine Schwierigkeit mehr, dergleichen Pfruͤnden an Kinder von ſieben und weni⸗
| ger
ohne Vorurtheil. 359
ger Jahren zu übertragen, bei denen, nach dem gemeinen Laufe der Natur, dieſe Ei⸗ genſchaften noch nicht entdecket werden konnten. Aber die perſoͤnlichen Eigen⸗ ſchaften ſind hier ganz uͤberfluͤſſig; die Pfruͤnde wird nicht an das Kind, ſie wird an die Familie vergeben. „
Der Schriftſteller laͤßt nach einer Stel⸗
le der 50. Seite errathen, in welchen Ge⸗ genden er gelebet; denn er ſagt unter an⸗ dern: „ manches hochwuͤrdige Kind hat bald in den Zuͤnglingsjahren die Vermu⸗ thung von ſeiner Enthaltſamkeit deutlich widerlegt. Allein ein paar Ausnahmen machen darum die Regel noch nicht wan⸗ kend. Es kann auch ſonſt in Abfuͤhrung der Ahnenprobe ganz leicht etwas verſe—⸗ hen, oder, welches noch natuͤrlicher waͤre, einer unter 24 Stammmuͤttern ganz leicht etwas Menſchliches wiederfahren ſeyn, daß alſo das edle Gebluͤt durch einen frem⸗ den Zufluß verunedelt worden. Wenn die⸗ ſes iſt; fo wird dadurch die Vermuthung fuͤr eine ungeſtoͤhrte Stifftmaͤſſigkeit nur deſto ftärfer. „,
Die Rechnung, welche von der 52. Sei⸗ te bis an die 60. ſehr ausfuhrlich gemacht
3 * wird,
360 Der Mann
wird, verdienet, daß ich fie einruͤcks, aber ich will ſie ins Kurze zuſamm ziehen. Der Schriftſteller redet die Wucherer an, und ſtellet ihnen vor, daß ſie ihr Geld nicht beſſer, noch auf hoͤhere Zinſen anle⸗ gen koͤnnen, als wenn ſie ſich in den Adel⸗ ſtand erheben laſſen. „Ihr ſelbſt, ſagt er, nuͤtzet euer Vermoͤgen nicht; eure ganze Vorſorge geht fuͤr die Nachwelt. Wenn ihr nun tauſend Gulden anleget, und alle Zinſen zu dem Stocke ſchlaget, ſo wird euer Hauptſtamm in 400 Jahren nicht uͤber etlich und zwanzig tauſend Gul⸗ den ſteigen. Erwaͤget hingegen, daß eben dieſe tauſend Gulden zur Veredlung eures Gebluͤts verwendet, euren Nachkoͤmmlin⸗ gen fo viel Tauſend jährliche Einkuͤnfte durch den Beſitz einer reichen Pfruͤnde erwerben koͤnnen. „ Welche Ueberzeugung für Maͤnner, die ihre Gruͤnde zu berechnen pflegen!
Von der ganzen uͤbrigen Abhandlung hat mir nur noch folgende Betrachtung S. 93 werth geſchlenen, mitgetheilt zu werden. „Es iſt merkwuͤrdig, daß der Rang des Adels und ſeine Vorzuͤge nicht erwogen, ſondern berechnet werden: daß
der
ohne Vorurtheil. 361
der Sohn beſſer iſt als der Vater, der den Adel erworben hat, weil er um ein Ge⸗ ſchlecht älter iſt, und daß dieſer Stu⸗ fengang immer von Geſchlecht zu Ge: ſchlecht zunimmt, immer der Sohn den Vater geringſchaͤtzig machet, bis es endlich nach einigen Geſchlechtern ſo weit koͤmmt, daß der Spaͤterenkel, wenn der Uraͤlter⸗ vater durch ein Wunderwerk in die Welt zuruͤckkehrte, mit einem ſo Unadelichen umzugehen, ſich zur Schande rechnen würde; und daß der, der nur das einzi⸗ ge Verdienſt hat, ſein Sohn zu ſeyn, an manchem Orte den Zutritt hat, wo man den Vater ſelbſt mit Verachtung zuruͤck⸗ weiſen wuͤrde „
Gluͤcklicher Staat, wo die Geburt ih⸗ re Rechte behauptet, ohne dem perſoͤnli⸗ chen Verdienſte die Seinigen ſtreitig zu ma⸗ chen! Gluͤcklicher Fuͤrſt, wo der Adel auf ſeine Wuͤrde eiferſuͤchtig, ſich von neuen Leuten nicht uͤbertreffen laſſen will, und gemeine Buͤrger durch ſelbſtbeſeſſene Ei⸗ genſchaften die Wuͤrde des Adels zu ver⸗ dunkeln ſuchen! Gluͤckliches Volk, wo nichts edel iſt als die Tugend, nichts Pöbel als das Laſter; wo der Pöbel
35 auch
362 Der Mann
auch unter einem Dey, der Adel auch im |
Rüttel nicht verkennet wird!
XV.
0 De letzteren Blaͤtter haben eine Sei⸗ te beruͤhret, die in manchem Ohre ange⸗ nehm ertoͤnet. Ich nehme es aus den Briefen ab, die von allen Orten einlau⸗ fen. Dankſagungen von beiden Seiten, von dem Adel, und von den Gemeinen. Sie haben, ſagen die einen, den Adel in ſeine Würde eingeſetzet — Sie ha⸗ ben, ſagen die andern, verdienſtloſe A⸗ deliche in Staub hingeſtrecket. Ein Schriftſteller iſt glücklich, der beiden Theis len genugthut: aber ein ſolches Gluͤck wird ihm eben fo ſelten, als einem Rich⸗ ter zu Theil, dem die Berurtheilten im: mer Ungerechtigkeit Schuld geben. Unter andern Zuſchriften ſind zwo, die als eine Art von Nachtrag zu meinen vorausge⸗ ſchickten Betrachtungen angeſehen werden koͤnnen, und von welchen ich urtheile,
daß ſie den Leſern nicht unangenehm ſeyn
werden, wenn ich fie mittheile.
I. Herr
n
PP
ohne Vorurtheil. 363 1. Herr Mann ohne Vorurtheil!
„Nicht der Adel der Geburt allein ſoll ihre Blicke auf ſich ziehen e werfen fie dieſelbe auch auf den erkauften! welcher fruchtbare Gegenſtand fuͤr Sie! ich bin aͤuſſerſt begierig, über dieſen Punkt ihre Meinung zu vernehmen. Unmoͤglich koͤn⸗ nen Sie den Mißbrauch billigen, daß man die Niedrigkeit der Geburt mit eini⸗ gen Hundert Gulden verbeſſern will. Wie laͤcherlich es iſt, wenn man die Sa⸗ che eigentlich uͤberdenket. Mein Bedien⸗ ter Johann z. B. iſt der Sohn eines pfannenflickers: es iſt ihm nie eingefal⸗ len, ſich ſeiner Geburt zu ruͤhmen. Der Menſch hat eine gute Handſchrift, er dies net mir getreu, und mit einem Eifer, der meine Gewogenheit erwirbe: ich bin ihm zu einem Dienſte verhuͤlflich, wo er die Liverey ablegt, er wird Kanzeliſt. Er hat Faͤhigkeit und Anwendung. Nach einigen Jahren hat er den Schlendrian, wie man ihn nennet, der Kanzleygeſchaͤffte innen, fein Gluͤck machet ihn zu einem Koncipi⸗ ſten. Nun hat er Eintritt in beſſere Haͤu⸗ ſer. Weil er jung, gut gebildet iſt, und
. in
364 Der Mann
in meinem Dienſte den Umgang der beſſe⸗ ren Welt abgeſehen; ſo hat er das Gluͤck einer reichen Wittwe zu gefallen, die den Ekel, den fie noch von dem ausgemergel⸗ ten Gerippe ihres erſten Mannes empfin⸗ det, in den Armen dieſes munteren Gat⸗ ten zu vertreiben hoffet. Sie reichet ihm ihre Hand, und den Schluͤſſel zu ihrer Geldkuͤſte. Aber, mein Rind! fagt fie, ich möchte an deiner Zand nicht gerne herabgeſetzt werden: mein ſeliger Alter war von Stand — Er verſteht es: laͤuft zum Wappenmaler, laͤßt ſich eine ſilberne Taube, das Zeichen ſeiner Liebe, in purpurfarbenem Felde und gegenuͤber in einem weiſſen, einen Keſſel, zum An⸗ denken ſeiner Abkunft malen; ſetzt einen Helm mit Elephantenruͤſſeln darauf, legt alles fein auf Pergament gemalet bei, und wird, in Anſehen der von ihm und ſeinen Vorfahrern dem Staate geleiſteten treu⸗ gehorſamſten Dienſte, gerr von Tauben: feld —
„Ich bin abweſend. Der dankbare Johann, der ſein ganzes Gluͤck meiner Empfehlung zueignet, uͤberſchreibet mit ſeine neue Veraͤnderung; und ich bin, dem
Soh⸗
ohne Borurtheil, 365
Sohne des Pfannenflickers, meinem Jo; hann, bei Strafe zehn Mark loͤthig Gol⸗ des, Wohledelgebohrner, oder nach dem heutigen erhöhten Schilde, Sochedel⸗ gebohrner zuruͤckzuſchreiben verbunden. Wenn die magiſche Kraft eines adelnden Talismanns ſolche Wunderwerke zu ver⸗ richten, und aus dem Sohne des Pfan⸗ nenflickers, der in einer Heuſcheune jung geworden, einen Zochedelgehohrnen zu machen faͤhig iſt; ſo weis ich nicht, wa⸗ rum es nicht eben ſo wohl angehen wuͤr⸗ de, eine triefaͤugigte, gnomenartige, hoͤ⸗ ckerichte Sanferluſch von einem Weibe, in ein wohlgewachſenes Maͤdchen umzu⸗ geſtalten, und jedermann, bei der ſchreck⸗ lichen Strafe ihres Kuſſes zu verbinden, dieſes Weib, ſchönes Sraulein zu nennen, „Legen Sie, mein Herr! ihrem Ca⸗ pa⸗kaum die Frage vor: ob es wohl moͤ⸗ glich waͤre, aus ihm, der ein gebohrner Indianer iſt, einen gebohrnen Europaker zu machen? und wann er nein! geant⸗ wortet; ſo unterrichten Sie ihn, daß wir das Geheimniß ausfindig gemacht, aus dem Sohne eines Reitknechts, oder einer . niedrigern Herkunft, einen edelge⸗ ˖ bohr⸗
366 Der Mann
dohrnen zu machen, und laſſen Sie mich ſeine Antwort darauf wiſſen! gewiß, wer dieſe wundervolle Verwandlung ein wer nig aufmerkſam uͤberdenket, und von gan⸗ zem Herzen zu glauben, im Stande iſt, dem wird es gar nicht ſchwer ankommen, an das beruͤhmte Geheimniß des Ray⸗ mundus Tullius zu glauben.
„„Im Vorbeigehen angemerket: wir vernünftigen Buropder haben derlei ge⸗ heime Taſchenſtuͤcke mehr, gegen welche die Zauberkuͤnſte der pharaoniſchen Schwarz⸗ kuͤnſtler nur Poſſenſpiele ſind. Wir koͤn⸗ nen z. B. einen unehlich Gebohrnen zu einem eheligen Kinde machen: wir ma⸗ chen durch gewiſſe Foͤrmlichkeiten einen Schelmen in weniger als drey Minuten
vollkommen ehrlich; und in einem gewiſ⸗ ſen Lande hat man es ſo weit gebracht, daß man durch einen Ehrenbrief eine Magdalena in der Stadt in eine ehr⸗ und tugendſame Jungfrau verwandelt. O Zorda ter! o Sohn Babuc! o Ovid! wo ſeyd ihr! —
„Der verkäufliche Adel — um nun auch im Ernſte zu ſprechen — laͤßt be⸗ ſonders zwo ſchaͤdliche Folgen beſorgen:
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ohne Vorurtheil. 367
erſtens: daß der Adel ſelbſt durch die Menge und Gemeinmachung ſeine Wuͤr⸗ de, und der Staat dadurch eines der ſchoͤnſten Mittel, die Verdienſte zu unter⸗ ſcheiden und! zu belohnen, verlieret: zweitens: daß niemand nach Verdienſten, jedermann nach Geld laufen wird, ſobald das, was nur erworben werden ſoll, erkauft werden kann.
„Ich wuͤnſche ihre Meinung in einer Sache, die zu wichtig iſt, als daß Sie ihren Schuͤler daruͤber unbelehrt laſſen ſoll⸗ ten, und bin mit wahrer Hochachtung
ihr ergebenſter Diener Freyherr von Selnheim.
Ich habe Freyherrn von Selnheim wenig zu antworten. Seine Satire paſſet nur auf Leute, die ſich einer Herkunft ſchaͤmen, deren Dunkelheit ſie durch kei⸗ ne eigenthuͤmlichen Eigenſchaften in Ehre
zu verwandeln faͤhig ſind: ſie paſſet auf
die epidemiſche Gnadenſucht. Man ſey
von unedeln Eltern entſproſſen, aber man
ſey dem Staate, dem Regenten, dem
Mitbuͤrger nuͤtzlich, man habe die Er⸗ kennt⸗
368 Der Mann
kenutlichkeit des Vaterlandes verdlenet! und man iſt edel, ohne drey unbedeutende Buchſtaben erkauft zu haben. Ich ſage mehr: man iſt edler, als wenn uns die Herkunft den Eintritt zu Ehrenſtellen ges öffnet hat: Wenn zween Wettlaͤufer zu⸗ gleich eintreffen, fo iſt die Krone deſſen, der vom entferntſten Ziele abgelaufen. Aber ſoll der Adel feil ſtehen ? Er kann es: denn, wer dem Staate die Laſt feines Aufwandes tragen hilft, wer durch eine freywillige Entrichtung den Antheil, der ſonſt auf ſeine Mitbuͤrger fallen wuͤrde, verringert, machet ſich um das gemeine Wohl nicht weniger verdient, als der feinen Leib den Gefahren vor⸗ wirft, welche auf ſeine Mitbuͤrger her⸗ anſtuͤrzen. Die roͤmiſchen Feldherren er⸗ hielten von dem Volke zur Belohnung ih⸗ rer Siege das Recht des Triumphes: aber eben dieſes Volk beſtimmte auch den Matronen von Rom, das Recht des Eh- renwagens, als ſie in einer Noth, der Republik ihre guͤldnen Ohrgehaͤnge ange⸗ boten hatten —
IL
—
ohne Vorurtheil. 369 II. Mein Herr!
8 Ich aͤrgere mich uͤber den Staat, uͤber
die Geſetze, über alle Einrichtungen, über meine Eltern, uͤber die ganze Welt, mich ſelbſt nicht ausgenommen. Mußte ich denn gebohren, und eben von adelichen Eltern gebohren werden? oder, warum mußte ich der Zweyte ſeyn? waͤre ich der Sohn eines gemeinen Buͤrgers; ſo haͤtte ich mit meinem Geſchwiſter auf das Ver⸗ moͤgen meiner Eltern ein gleiches Recht. Aber ich bin Graf, und habe das ades liche Vorrecht der Zweytgebohrnen, von meinem aͤltern Bruder abzuhaͤngen, und, da er in Fuͤlle ſchwimmen wird, mit ei⸗ nem ſparſam ausgemeſſenen Cadetenan⸗ theil vor lieb zu nehmen. Die Majore: te, koͤnnen die durch Billigkeit und Ver⸗ nunft eingefuͤhrt ſeyn? gleiche Eltern! gleiche Anverwandte! aber weil einer der Erſte iſt, muß er alles, weil der andre der Zweyte iſt, muß er nichts haben. So viel ſoll ein Zufall auf mein kuͤnfti⸗ ges Gluͤck einflieſſen! ich bitte Sie, in⸗ ſtaͤndig bitte ich Sie, machen Sie dieſe
II. Theil. A a Ein⸗
370 Der Mann ohne Borurtheif.
Einrichtung recht herunter, um ſich zu verbinden den Grafen Tartzin.
Ich werde mich ſehr huͤten, dieß zu thun. Einrichtungen, die nicht zu aͤndern ſind, wenn auch im Grunde vieles an ih⸗ nen auszuſetzen waͤre, muͤſſen nie gering⸗ ſchaͤtzig gemacht werden. Zu dem hat mein Cape = kaum an dieſem Gegenſtande kei⸗ nen Antheil. Dem unzufriedenen Gra⸗ fen, der wider den Zufall eifert, haͤtte ich Luſt zu ſagen: alles ſey Zufall; Zu⸗ fall, daß er der Zweyte, Zufall, daß er ein Graf, Zufall, daß er nicht ſeines Bruders Bedienter iſt. Es iſt Beruhi⸗ gung in dem Gedanken; ich hatte noch tiefer meinen plag erhalten können. Waͤre dieſes nicht, ſo haͤtte Targin noch, wenn er der Erſtgebohrne waͤre, ein Recht ſich zu beſchweren, warum er nicht ein Fuͤrſt, und dann abermal, warum er nicht ein Regent, und noch einmal, wa⸗ rum er nicht der mächtigſte Regent der Erde geworden.
Verze
i ch ui ß
der Herren Praͤnumeranten auf Sonnen⸗
fels geſammelte 20. Junius 1783.
Schriften bis den
A. Hr. v. Anſton. — Wolfgang v. Artner, J. U. D. — Anton Artner.
— Chriſoſt. Armann ‚I
Sekretär. — Aloiſius Arbeſſer, Ord. S. Pauli.
— Aloiſtus, Ord. Ser. B. Virg.
— Anton Aichhamer.
— Joſeph Arbeſſer.
— Joſeph Alborea.
— Joh. Nep. All wayer, fürſtl. Schwarzenber⸗
giſcher Regierungsr.
— Al Abbt zu Wie Ord. Ciſt.
— Leopold von Auen⸗ brugg, Med, Doct.
— Baptiſt v. Alxinger.
— Albericus, Ord. Ciſt.
— Baron von Aßbek.
— Hier. Altram, reg.
ram. Chorherr zu eraß.
— Samuel Auguſtin,
Ned. Doct.
— Joſ. Appold, Pfleg⸗ gerichts⸗Gegenſchrei⸗ ber zu Wildenſtein.
— Joſ. Auer, in Prag
1
ericus if ch Keugodt, |
— — — —
* —
B.
1 Gräfinn von Burg⸗
hauſen. Hr. Joſeph Berger. — Georg v. Bader, Hof⸗ kriegsſekretar. Franz Bürger, Rait⸗ offizier. f Fr. Baroneſſe von Baſſe⸗
witz. Hr. Canonicus Böhm.
— Franz Joſ. Brunner,
k. k. Rechnungsrevi⸗ ſors Adjunkt.
— Maxim. Buchberg.
— Gabriel Baroch.
— Baron v. Bukoo.
von Bühler, herzogl.
Würtemb. Miniſter⸗ Reſident.
— von Berks, k. Rath.
— Joſeph Baſſi.
—
— .
— b. Buchholz.
— Franz von Barbolan
k. k. Münz und Berge
weſens Hofbuchhalte⸗
rey Offizial. ’ Soferh. Blank, Ord. 8. Benedicti.
Frans Brendel.
ie Univerſitäte⸗Biblio⸗ thek ein Freyburg.
r. Ernſt v. Breßler und Steinau, k.k. Hofag.
Hr. Joſeph Berger, Ord. 4 7 A
— Franz König von Bamshauſen, k. k. Münzamts Praktik. in Kremniz.
— Joſeph Freyherr von du Beine.
— Joſ. Bogner, Hörer der Rechte. n
— Chriſtoph Bonifaz Bayermann.
— Franz Bernhard Bell.
— Johann Buday.
— Graf v. Buquoy.
— Ignatz v. Born, des h. r. R. Ritter, k. k.
Hofrath. — Benedikt, Prälat von Neuberg. — Karl von Benigni, in Müldenberge, k. k. Hofagent. — von Birkner. — Wenzel v. Bro — von Seer, in Bregenz. — Aloyſius M. von Brougnack, gräfl. Windpbagiſcher Stif⸗ tungs Gouverneur — 850 Bouvard. — von Boulanger, k. Reichsviskgl. — Auguſtin v. Berſuder. pherr v. Bietanb. 1 * don Brod⸗
orb. l — Graf Franz v. Blü⸗
ard. cceſſiſt
Hr. Graf Peter v. Blü⸗ meegen, k. k. Tribu. Aſſeſ. in Mähren.
— Franz Bruttmann, Syndikus von Ho⸗
tzemplaz.
— Bar. v. Bojakowsky.
M. J. M. de Bors, Cha- noine de l'illu. Chap. S. Gereon in Cölln.
— de Baumann inCblln
Hr. Fr. Ant. Bernbecher in Brixen.
— Graf Joſ. v. Blagay,
in Lapbach.
Die k. k. Univerſttäts⸗ Bibliothek in Prag.
Hr. Joſeph Ignatz von
utſchek, Prof. der polit. Wiſſenſchaften in Prag. 8
— Graf Brunswik von Rorumpqa, der königl. hung. Hofkam. Rath.
C.
Hr. Joh. Bapt. Czepelak.
— Graf v. Callemberg, General Feldmarſch. Lieutenant.
— Graf von TCzernin.
— Franz Chorniger, k. k. Hofkoneipiſt.
— Leopold Chriſtian
U. D.
1. U 5
— Adam Compere.
P. Cajetan. Ord. Car.
Hr. Benedikt Edler von Cache, des h. e. R. Kit. k k. Legations⸗
meegen, k. k. Sub. Aero
ein Mähren.
ſekretär in Warſchau.
Hr. Feldm. Colloredo — Graf v. Cobenzel. — Catty.
— Ant. Coenen, Med. Dod. in Brünn.
— Graf Clary, Capitu⸗ larherr von Ollmütz.
— Collegium piarum ee in Leuto- miſchl.
— Joſ. Graf v. Coreth, k. k. Kämmerer und Gub. Rath in Inspr.
— Anton Cremerp, k.k. Bücherreviſions Ac⸗ tuarius, in Linz.
la Comteſſe Chretienne de Clam & Gallas, nèe Comteſſe de Spork , in Prag.
la Comteſſe Caroline de Clam & Gallas, nec W de Spork, in Prag.
Hr. Graf philipp von Clary, in Prag.
— an v. TCzeyka,
n Prag.
— Im del Corto, in
Prag.
D.
Fe. Gräf. v. Dietrichſtein geb. Gräf o. Thun.
Hr. Karl Diewald, k. k.
Münz und Bergwe⸗ ſens Buchhalterey Raithrath.
— Hypolitus Graf von Durazzo.
+
Hr. von Donhammer.
— Anton Dietrich.
— Joh. Dratſchmidt.
— Michael Denis, k. k. Rath und Bibliothe⸗ for auf der Garrel⸗ liſchen Bibliothek am. Thereſiano.
— Joh. Dworgadt.
— Ferdin. v. Dillmont in Kronſtadt.
— Borromäus Droh.
il Marchefe Gieronimo Durraxzzo „ Amba- fciadore di Genua.
Hr. Joh. Draſenberger.
— Fog Dietrich, J.
— 8 Weltprieſtet.
— Graf Joſeph v. Die⸗ trichſtein.
— 70125 Dünſtl von
— Eduard Felix Dell a⸗ pina. — Heinrich Digelt. — Generalfeldmarſchall lieutenant Graf von Daun.
— Karl Ignatz v. Dem⸗
nei
— Boron von Dubiky, Tribunalsrath in M. Mähren.
Madmoilf. Sara Dobruſca, in Brünn.
M. de Debohri , in Prag.
Hr. Eman. von Duban,
in Prag.
Hr. von During, Ober⸗ forſtmeiſter zu Dan⸗ nenberg.
E.
Hr. Joſeph Eflinger,
farrer.
— Leopold le Noble v. Edlersberg, k. k. 2 merfourier und bilien Inſpektor.
— Graf Franz v. Eſter⸗
hazy
— Zonog Auguſt von Ernſt, Rathsherr in der k. Stadt Oedenb.
— von Erla
— Michael E bel, k. k. Münz und Bergwe⸗ ſens Hofbuchhalterey Official.
— Bernardus Eberl, Ord, St. Bened.
— Paul Jonath. Eber⸗ hard, Sekret. bei dem k. k. Tabaksgefälle.
— Bernhard Eskeles.
— Anton Rupprecht o. Eggenberg, k. k. nie⸗ derungar. Bergrath, Pr. der Scheidekunſt, der Bergrechte, und Berwerkswiſſenſchaſt.
— v. Engbricht, Oberl.
— Anſelm. Kberl, Ord. 35 .
— Ignatz v inger.
— Thom. Eichber a
— Joh. Engliſch, J. D. und Naa in Mähren.
Hr. Eugen th, nie
— Johann Frid. Eger, Burgerm. in Lapbach. — 2 d. Erlach. in Lin
— Graf def Erdody E. K. 10 immerer un Statthalterey We in Presburg.
*
Hr. Joſ. Franz Suchs nied. bſt. Regterungs Dfficiant. — Joſeph Saber. — Eman. Joſ. Sridlberg. — Florian, Ord. Prem, zu A.. — — Lid le. avier Siericht. ranz Siſcher von ieſelbach „des h. r. R. Ritter, k. k. und Hofkommiſar in eier ain ag — zen 8 b. 5515 lenbaum, J. U. D. 2 u. Gerichtsadv. ohann Nepomuck 3 — Ehrenr. v. Sra , k. k. ee
— Franz Su Fr. Sit 9. Br geb. Gräf. d. Eſterhazy. Hr. Franz Graf v. Sekete. — Graf d. Srieß. — Landgraf v. Sürften- berg. |
J
Hr. Seven Bapt. griz,
J. U — Graf Faun v. anf kirchen, k. k. Trib. Aſſeſ. in Mähren. — Graf BR von Sünfkirchen, Rittmeiſter. — Anton Sremdl, Re⸗ gim. Adjutant von Prinz Hildburgsh. Fr. Vinzenzia Freyin v. Sreyenfels. Hr. Serſtel, Buchhändl. 4 i „auf 28 Ex⸗
— Joseph FIrblich von Frölichsberg, der oberöſter. Landrechts Ratb, in Insprugg.
— Forſthuber, Kapellan zu Kallham.
— Leopold Sidler, Di⸗ rektor in der k. Frey⸗ ſtadt Ofen.
— Went. Ant. Siſcher, in Prag.
G.
Fr. Mar. Anna Edle v. Gensinger-
Hr. Franz Ferdinand
Groppenberger.
— Ant. 1 Kaſt⸗ ner zu O
— Leopold Sur, Welt⸗ prieſter.
Freyherr v. Gemmingen.
Hr. Michael v. Geer
— Joſeph Ant. Gall y Pfar.zu Burgſchleinitz
Fr. von Graſern.
Hr. Fürſt von Gallitzin, Rußiſch kaiſerl. Ge⸗ ſandter zu Wien.
— Joſeph Freyherr von Gudenus.
k. k. — Joſeph Göſtl, k. k.
Münz u. Bergw. Hof⸗ buchh- Official.
— von Bibel, Militärs Verpflegamts Ober⸗ verwalter.
— N b. Lott inger ,
— 1555 e
— Chriſtophv. Gmeiner, Senator in Regensb. — Georg v. Gumpelz⸗ haimer, Conſulent in Regensburg.
— Weichard von Güh⸗ lenberg, Univerſal⸗ ſchuldenamtskaſſe Of⸗ ficiant.
— Demetrius nobilis de Gürög,
— Simon Grull,
— Joſeph Grünzweig. — Ant. Joſ. Groppen⸗ berger, N. O. Land⸗ ſchafts Obereinneh⸗ meramts Kaſſier.
— Joh. Glückſelig, k
k. Rath, und der Ca⸗ meral⸗Tabaksgefallen in Mähren u. Schle⸗ ſien Hofkommiſär. — Ferd. v. Geißler, k. k. Kreisamts Subftitut im Brünner Kreis.
97
Hr. Abraham Freüſtnger , Kaufm. in Brünn. Mr. le Bacon de Gym nich, Prefident de Chambre aulique d S8. A. E. de Cologne. Hr. von Groß, Domherr zu Bamberg u. Würzb. Sig. Freyherr v. Guüſſich, in Leybach. Hr. von Gyorthowits, Prof. in Ofen. — Ern. von Gläßer, in
Prag. — Adam Graf, in Prag.
H. Hr. Ferd. v. Sacher in
Zart.
— Chriſtian v. Senſchel.
— v. Sinterberg, J. U. D. Hof- und Gerichts Advokat. N
— Joachim Euler von Hackher in Hart, Se⸗ kretär bei der oberſten Juſtizſtelle.
— Joſeph Edler von
ackher in Hart, k.
k. Regierungsrath.
— Philipp Edler von! Hackher in Hart, k. k. Appellationsrath.
— Janatz Edler vou Hackher in Hart,
— Aloys Ed. v. Sack⸗ ber in Hart.
— Franz Anton Edl. v. Sillebrand.
— Ant. Edl. v. Sainke.
;
Hr. Jos. Edl. v. Zeinke, k. k. Hoſkoncipiſt.
— von Solzbauer, k. k.
Hofagent.
— Joſeph Habermann, k. k. Hofmedikus. be onen he
u a r. Franz Silger , k. k. 8 as Linien
nſpektor.
— Joſeph Hauſtein, k. k. Handgräfl. Linien Reviſor. 3
— Mathias Sochleitner.
— Lorenz Leop. Saska.
— Leopold Edler von Hartenthal.
— Abbe Sofſtaͤtter.
— Johann Sorvath.
— Joſeph v. seuchling, Koncipiſt in der hoch⸗ fürſtl. Schwarzenber⸗ giſchen Kanzley.
— Andreas sofſchneider
— Michael Sausegger.
— Stephan Sauzenber⸗
er, Ord. Ciſt.
N 5 Philipp Graf v.
oyos. tanz Silburg.
— Joſeph Silburg.
P, Kolomann Sartner, Bibliothekar im Be⸗ nediktiner Stift zu Mole,
Hr. Baron d. Saugvitz, k.k. General. Fr. Gräf. von Sarah,
— —
Hr. v. suszackb, Ober⸗ Die Herren Großhändler lieutenant u. Auditorſ[ Adam und Leopold
— Ant. Theod.summel]] Sonig. ER
— Georg Seilmayer k. [Hr. Joh. Säring Kaufe hungar. Adminiſtra⸗ mann in Brünn.
tions Kanzelliſt. — Joh. Aloys Zanke, — Franz Paul Edler v. erſter Cuſtos auf der Hackher in Sart. k. k. Lycæums Bih⸗
— Franz v. Summelauer liothek in Ollmütz. — Leopold siesber ger. M. Ie Bar. de Hompefch, — Joſeph von seinzel. Miniſtre de Son A. — Adolph segg. 8. E. Palatine & Ba- — Reichshofrath v. Sep. viere, in Cölln. — Joſeph Suſſard. Hr. Barth. Zar mayer, — Jakob Hoffer, Welt⸗ Verwalter, in Laybach
prieſter. — Anton Sofferl, in — Joſeph v. Seufeld. ] Linz. a — Franz v. Seine. — Franz Soffmenn, in — Joſeph Sauska. Prag
— Oberamtsr. v. Sarrant[— Franz v. Sennewart, zu Bregenz. 4. . 45 — Phil. Damian Mar-[— v. Herrmann, Guber— quis v. Soesbroech, nialrath, in Prag. Biſch. zu Rürmund. — Podiwin v. Söffling, — geld. Kreiskom. in Prag. — Franz A. Sofmeiſter.— Selwing, Juſtitzrath — Georg Hofbauer , in Detmold. 57 Oberlieut. Ingenieur — Sanſing, Auditor in
— Barrer. Harburg. — von Said, k. k. Hof⸗[(— von Hugo, Landkom⸗ ekretär. miffar zu Stolzenau. — Doktor SHoffinger , 1
Kameralmedikus der k. Banat. Bergſtädte. [Hr. Joſeph Jedlitſchka. — Franz Xavier Edler v. — Max. Jakobi, k. k. Sackher in Zart. Hofkriegsräthl. Ar⸗ — vou Soffinger, k. k.] chivsadjunkt. Hofſekretär. — v. Jechner. — Herrmann, Ord.Præ. — Jacobi, Landſindi⸗ zu Pernegg. kus in Cölln.
4
Br
Hr. Franz Bernd. Bafl- ner.
— Michl Joh. Koſſir.
— Michael Kleinrath.
— 20 Rubal.
— Karl Rohaut, k. k
ofſekretär.
— Leopold Kreutzer.
— Leopold Kühnel.
— Franz Kofler.
— Franz Krammer.
— Hof. Mich. Klieder.
de. de von Kreſel.
r. Ferdinand Graf von Kufſtein.
Fr. Thereſia Gräfinn v. Kufſtein, gebohene w 88
r. Joh. Bapt. in⸗
8 ger, k. Beamter.
— Conrad Reifer.
— Franz v. Raraffiat.
— Joſeph Kreb.
— Graf von Rollonig, Oberſter des k. k. Ri⸗ cheeburtiſchen Regt⸗ meinte, 2
Die Herren Gebrüder Ker ſchbaumer, in Saltbürg.
Hr. Joh. Graf d. Rote, der böhm. dit, Hof⸗ kanzley Kanzler.
— Dominik Siegfried p,. Röfil.
— Franz v. Br
k. k. M. u. B. Ho buchhalterey Official. — Karl Klein, M. u. B. Hofbuchh. Official 28 888 Koi eim Graf Noſtitziſch. Dragoner Regiment.
— General Graf von
Khevenhüller.
— Baron Kaltſchmid,
k. k. Oberlieutenant. — Joſeph kKrziwaneck,
J. U. D. und Landes⸗
advokat in Mähren.
— Graf Wenzel v. Fau⸗ nitz, k. k. General u. Eigenth. eines In⸗ fant. Regiments.
— Leopold v. Röffiler , des h. r. R. Ritter, u. Eigenthümer einer prip. Tuchfabrike in Brünn.
Fr. Charlotte Edle von Karcheji,
Hr. Franz Rautfcher , Weltpr. u. Kapellan in Brünn.
— Grof Leopold von Rinigl , k. k. Kam. u. Gubern. Viceprä⸗ ſident in Inſprugg.
— Rleinmayer, Lands ſchaftsbuchdrucker, in Klagenf. 20 Exempl.
— Frid. Salp. Kättner,
evangeliſch. Paſtor du Goiſern.
Hr. Franz Ritlig , in Prag. l
— Sofeph von Krtizka,
IJ. U. D. in Prag.
— Elias Rolloros , in
Prag. — Samuel v. Kubinsky, Phyſikus, in Presb. Be
Hr. Ant. Edl. v. Lauch. — Karl Joſeph des For- temps de Loneuæ.
—. Johann Alphons von
Ingo. — Ferdin. Leidenfroſt,
Verwalter in Traut⸗
mansdorf.
Die freundſchaftlich ver⸗ einigte Leſegeſell⸗ ſchaft in Wien.
Hr. Michael Lambacher.“ — Joſeph Leo, der Wie⸗
litzer Salinen Ober⸗
Amts⸗Gegenhandler ,,,
und ſubſtituirter Sa⸗ linen Oberadminiſtr. Buchhalter. 5 — Nikolaus Leeb, Grä⸗ nitzmautheinnehmer u Ordenberg. — Joſ. Lach, Dechant
Fr. Gräf v. Lichtenſtein, gebohrne Gräfnnvon Thierheim. N Hr. Joh. Chriſtian Lich⸗ tenberger.
— Chriſtoph Ludolph,
Hauptmann. :
— Georg Leſſacher ,
Profeſſor.
— Joſeph Leberle.
— Johann Lichtenſtern.
— Kaſp. Langer, Welt⸗ prieſter.
— Joſ. de Luca, Kon⸗ cipiſt bei dem wiener⸗ tifchen Stadtmagiſtr.
— Graf Leoptvon Lam⸗ bert, hochfürſtl. erzb. oberſter Hoflehenrich⸗ ter in Kremſier.
— Erneſt Freyherr von Loezella L k. 2 Rath und Gubern. Aſſeſ. in Mähren.
M. Ie Bar. de Lutzerode,
Chambellan de S. A.
E. Palatine, & Ba-
viere, in Cölln.
Hr. Sraf von Lodron, Domherr zu Brixen.
— Lippert, bürg. Buch⸗ binder in Presburg.
3 Exempl.
in Hradiſch. M f — Fran; Lechnau, Pro⸗ ß |
feſſor der polit. Wiſſen⸗ br. Bernhard Samuel
ſchaften in Agram. Matolay, k. Reichs⸗ — van der Lith. hofraths Agent. Freyherr von Legisfeld— Jakob Menninger,
Oberſter. k. k. Wechſelſenſal.
*
5
Hr. Ferdinand Müller vor. Jof. v. Mittermaye,
Müllegg „ des h. r.
R. Ritter, paſſauiſch.
ofrath, und k. k. ofagent.
— Joſeph Freyherr von
oſer. — Joſ. Morgenbeſſer. — Bernhard Joſ. Edler v. Mitis, k. k. M. u. B. Hofbuchh. Official — Karl Marinnelli. — Joſeph Freyhere von Matruzzi. 7 M. Chev. de Mückufch , Oberlieut. des löbl. Graf Callenberg. Reg Hr. Karl von Martines, k. k. Hofconcipiſt. — Nikolaus Merthen, k. k. Berggerichts No⸗ tarius und Beiſitzer
Johann Mayr. — Franz Moſchitz. — Baron von Münich. Müller. he — Hofrath v. Markelick — Joſeph Müller. — Abbe Machwetz. — Baron Franz Medin- Sarfcky. — Ferdinand Moſer. — Graf Anton v. My⸗ trowsky, k.k. Gener. Major. — Graf Monte del abbate — von Mixovini, k. k. Oberſtlieutenant. Mlle Auger, in Brünn Hr. Joſeph von Mader, Prof. der Reichsgeſ. in Prag. — Franz Martin, in
en
in Schemnitz.
— Franz Sales Ma⸗ riſchler.
Freyherr Münch v. Bel⸗ linghauſen, wirklicher k. Reichshofrath.
— Gotthard Moreau.
— Leopold Mayer.
— Mikoſch.
— Ignatz Morgenbeſſer
— Franz Aloys Mack, Edler von Magg, Med, Dod,
— Joſeph Mayer, Hof kaplan.
— Anton Mertens.
— Anton Matzi, Welt⸗ prieſter.
Prag. — Leonhard Müller, in
Prag. — Meyer, Kammerſekr. in Hannover.
— Meyneke, Kaſſier in Hannover.
N.
Hr. Profeſſor Novak.
— Chriſtoph Nittel.
— Leop. Alex. Nevery.
— Karl Niebauer, Ober⸗ kriegskommiſſarius.
Fr. Eleonore Freyinn v. Neffzern. Hr. Joſ. v. Nikorowitz.
Hr. Feldmarfhalllieuten Graf von Noſtitz.
— Friedrich Nitſche.
— Joſ. Novak, Syndik zu Niklasburg.
— D. Michael Neuſtäd⸗ ter, Stadt⸗Phyſikus in Herrmannſtadt.
— Fan. Nowack, Verw zu Feldes in Ober⸗ krain.
— Kajet. Nell von Nel⸗ lenburg, k. k. Offizier.
— Heinr. von Neuber,
aths verw. in Prag.
— Niemann, Amtſchr. zu Lauenſtein.
O.
Hr. von Ott, ruſ. kaiſerl. Sekret. Intreprete.
— Sof. Omayer, Sekr. bei dem k.k. Landrechte
· . Gettel, der ältere.
— Sof. Fan. Oberham⸗ mer, Kapellan bei St. Peter zu Trient.
— Franz Otto, J. U. D. u. Landesadvokat in Mähren.
— Franz Joſeph Op ner, Pfleg u. Landgerichts Verw. zu Wildenſtein
Die Herren Grell, Geß⸗ ner, Süßli u. Komp. 8 Exempl.
F. Hr. Peter Peper mann. — Joſeyh v. Platzer.
Hr Abbe Michael Anton Paintner.
— Anton Phillebois.
— Mart. Joſeph Prand⸗ ſtetter. We
— Joſeph Paufer.
— Maximil. v. Pilbach.
— Graf Leopold Palftß von Erdsd.
— Johann Pohlner.
— Ignatz Ewald pfen⸗ ningpauer. .
— Joan. Premlechner.
— Graf Carl Palfy v. Erdöd, königl. Ungar. Sieb. Hofpicekanzler.
— General Major Graf Podztatzky,
— Ulrich Petrak, zu Mölk.
Fr. Chatarina Edle von Puthon.
Hr. Abbé peter Parkar.
— Joſ. Pöõſchl, Sekret. bei Graf Rottenhann.
— Franz von Pedroſſi.
— Ignatz Pichl, Liqui⸗ dator im Univerſal⸗ kameralzahlamt.
— Kavier von Pedroſſi.
— Graf von Paar.
— Michael Puffer.
— Sebaſtian Pichler. — Joh. v. Falocsay, k. hung. Hofconcipiſt.
— Franz Pauer.
— Franz Joſ. Pollack. — E. von Phillipitſch. — Johann Nepomuck o. Purtſcher.
Hr. Joſeph Parko.
— Mortin Edler von Pflichtentreu, k. k. Sub. Sekr. in Mähr.
— b. Paar, kk Hauptm.
— Laurenz Pogg, Coo⸗ perat. v. Weißkirchen.
— Franz v. Pillersdorf, k. k. Truchſes, und Kämerling bei der Mähr. Landtafel.
— Max. Ant. Pontife⸗ ſter, Gub. Sekr. in Insprugg.
— Ant. Podobnig, in Laybach.
Fr. Thereſ. Gräfinn von Petazzi, in Lapbach.
Hr. Joh. Pilz, bürgerl.
Müllerm. zu Auſſen.“
— Prandſtetter, burgerl. Handelsm zu Maut⸗ hauſen.
— von Palaſſy, Amts⸗ Syndikus in Ofen.
— v. Pakits, Prof. der europ. Staatengeſch. in Ofen. 0
— Franz Joſ. Poſtelt, in Prag.
— Ant. Purkhard, in Prag.
R.
Hr. v. Koſchio, nied. öſt. Apvpellationsrath. — Phil. v. Rottmann. — Joſeph Edler von Roſenthal. — Fran; Regensdorfer.
Hr. Joſ. Franz Rarfı rk ande 7
— Anton Refch. \
— Anton Reng.
— Benedikt Rittmans⸗
berger, aus den from⸗
‚men Schulen.
Fräulein v. Roſenberg.
Hr. Joſ. EM. v. Ketzer.
— Fran: Renz.
— Philipp Ranz.
— Fridrich Rotter.
— Mathias Rottweiler.
— Franz Rott. b
— Ludw. Robl, Dechant
zu Ort. — Probſt Ruſchizka. — Graf v. Rotenhann, bei der böhm. öſter. ofkanzley Rath. a
30 N90 5 5 zu Wiennerherberg. — Johann Ruprecht, k.
k. Raitofficier.
— Rösler.
— Prof. KRegelsberger.
— Iranz Sebaſtian von Reichenau.
— Franz; Rager.
— Sanas Kuſterholzer.
— Sof. Raneder, Prof.
Hofagent.
— Vincenz Edl. v. Ro⸗
ſenzweig, k. k. ſub⸗
ſtituirter Kreishaupt⸗
mann im Igl. Kreis.
r
Hr. Joh. Keinelt, Stadt⸗ advokat zu Ollmütz.
Mr, de la Rogue, in Chlln
Hr. von Reiſach, Geh. u. Regierungsrath in
Neuburg a. d. Donau, in Erlangen.
— Michael Freyherr v. Keigersfeld, k k. Lan⸗ deshauptmannſchaft. Rath, in Laybach.
— Joſeph Roſwoda, in Prag. 7
S. Hr. Joſeph Edler von Seitner, k. k. Hof⸗ conecipiſt.
— Georg Spangler.
— Jak. Ed. v. Smitmer, Banauier.
— Anton Spendou, der erzbiſch. Kur Prieſter.
— Ildephons Schwerd⸗
ling, Can. Reg. zu
„ St. Pölten.
— Joh. Joſ. Sebald.
— Stephanie der altere.
— Sof. Stuzicadenti.
— Joh. Georg Schüler, Handge. Aufſchlags⸗
SGegenhandler.
— Andreas Stifft.
— Valentin Edler von Smitmer, Banquier.
— Joh. Nep. Sortſchan J. U. D. H. und G. Advokat.
— Vincenz von Salz⸗ geber.
Hr. Johann Pet. Schle⸗ micher..
— Franz Schwoy, Ober⸗ amtm. zu Nikolsburg
— Vincenz Ign. Edl. v. Seydel, der geheimen Reichshofkanzl. Offic.
— Joſeph Schuh.
— Graf v. Schönborn. — Ant. Edl. v. Seydel, k. k. Hofconeipiſt.
— Joh. Wilh. Schmuck — Stitz, Can. reg. zu
St. Dorothee. — Baron v. Sardagna. — Anton de Smetazek, Med. D. in Grain. — Erneſt v. Schweizer. — Franz Graf v. Sau⸗ rau, k. k. Kammerh. — Franz Xav. Sall iet. — Math. Joſ. Schmid. — Bened. Strattmann, zu Mölk. — Ant. Edl. v. Spiel⸗ mann, k. k. Hofrath. — Paulus Sajatovich , a. d. St. Barbaraſtift. — Elias Sivchich, J. U. D. Joh. v. Schwarzer, k. k. Hofſekretar. — Anton Seydel, Med. Doct.
— Johann Schulz.
— Abbe Joſ.Koſſen Ebl. v. Sternegg.
Mr. le Comandeur de
Smitmer, Chanoine de St. Etienne.
He. Ignatz Steinninger. — Ludw. Edl. v. Sobeck — Schulte. — Profeſſor v. Stoll. — Karl Graf v. Stork. Joh. Bapt. Schwabe, J. U, D, H. U. Ge⸗ | richtsadvokat.
— Francisk. Gilbertus
—
Schitt, Ord. Cift. in
Monaſt. Zwetlenſi.
— Jakobus Schmidt , Weltprieſter.
— Karl Schreiber, k. k. Münz und Medaillen Kabinets Kuſtos.
— Karl Schatten.
— don Stockmayer, Miniſter Reſident von Baaden.
— Joh. Schalte, Lehrer in der k. k. Normal⸗
chillitz.
— Chriſtoph Stadler.
— Joh. Schretter.
— Karl Seth, Raitoffi⸗ zier bei der k. k. Ka⸗
meral Hofbuchdalt.
— Anton Stadler.
Fr. Joſ. v. Schwabel.
Hr. Ignatz Schwingen: ſchlegel, Subprior in Lilienfeld.
— Baron von Fang 9 feld, an der k. k. Sa⸗ doviſchen Ritterakad
— Joh. Edl. v. Schwei⸗ ger, J. U, D,
Hr. Maximil. Großmann von Steineck. — Ignatz Sailler, Chor⸗ — zu St. Dorothee. er Abe Septeied, d zug] 1 led, Pro⸗ feſſor der Philoſophie zu Konſtanz. — Baron von Spindler, k. k. Capitaine. — Jsanatz Schmid, k. k. Zolllegſtadt Contro⸗ lor in Niklasdurg. — Baron Schoͤfl von Mannsberg, k. k. Gub. Aſſeſ. in Mähr. — Graf v. Schafgotſch, Eapitularhere von Ollmütz. — Graf Joſ. v. Sereni. — don S 7 Inſpektor der k. k. Domainen in Mähr. und Schleſien. — Aloys v. Schweick⸗ bard, des h. r. N. Ritter u. Eigenthü⸗ mer einer priv. Tuch⸗ fabricke in Brünn. — Johann Günther von Sternegg, k. k. Rath Hund Landrechtsbeiſitz. in W — Baron d. Sternegg, k. k. Oberſtlieutenant. — Leopold Schultz, k.k. Rath, und Prof. der polit. Wiſſenſchaften in Ollmütz.
Hr. Manfrony v. Son: nenthal, k. k. Ober lieutenant.
— Franz Seydl, Prof.]
auf dem Brün. Gym⸗ naſium.
— von Schwarzbach, k. k. Hauptmann.
— Sof. Segner, Jou⸗ rier von Prinz Hild⸗ burgshauſ. Regim.
— Baron von Schwa⸗ nenberg, k. k. Guber⸗ nial Aſſeſſor in Mäh⸗ ren.
— Fulgent Schwecher, Prieſter der frommen Schulen.
— Stoſſek, k. k. In⸗ genteur.
— v. Schlehlein, Hof⸗ rath zu Bamberg, in Erlangen.
— von Sißler, Rath u. Oberamtm. zu Kall⸗ müntz, in Erlangen.
— Schott, D. und Pro⸗ feſſor, in Erlangen.
— Schunder, Studiof, Juris, in Erlangen.
— Chriſtoph Freyb. von Schwizen, k.k. Rath u. Kreiskommiſſarius zu Marburg.
— Karl Schwarzl, Pr. Theol. in Inſprugg.
— Felix e heim, k.k. Kammerer.
— Baron Anton von Schiedexer.
Hr. Joſeph Smoller, in Laybach. f
— Mich. v. Schmoll,
Hauptmann.
— Barth. Kan. Scharz,
in Lay bach. .
— Karl Scherb, der löbl.
Landſch. ob der Enns erſter Kaſſier.
— Con. v. Sorgenthal, k. k. wirkl. Hofrath in Linz.
— Fr. Mich. von Seg⸗ müller, Hauptm. u.
Audit. vom löbl.Stei⸗ niſchni. Inf. Reg.
— Graf Johann Karl v.
Spor, Oberſtlandiä⸗
germeiſt. in Böhmen.
— Wenz. Stach, Welt⸗
prieſter, in Prag.
— Thomas Sorger, in
Prag. — Wenzel Sliwka, Rathsverwandter, in
Prag. — Samuel Sathmary , in Presburg.
ER:
Fr Gräfinn v. Thun. Hr. Graf v. Thun. Hr. Joh. Nep. Tſcher⸗ nigoy, der erzbiſchbll⸗ Kur Prieſter. — Joh. David Trum⸗ mer, Sekretär bei ſei⸗ ner Excel. Grafen v. Cohenzel.
Fr. Johanna Grafinn v.]
Thurn, gebor. Gräf. v. Hrezan, u. Harra. Hr. Leopold Trattinnick. — Michael Türkes, Erneſt Tatter. — Trümel. N — Johann Thorwart. — Bartholom. v. Testa. — von Turzansky „ pen⸗ ſionirter Huf. Oberl. — Joſ. von Thoren. — Graf Adam v. Traun — Graf Ferdinand von) Troyer, k.k. Aſſeſſor bei dem Conſeſſu del. in C. S. P. & comifl. — Fon. Jo. des h. r. R. N. Graf d. Tannen⸗ berg, k. k. Kämmerer in Inſprugg. — Jakob Tſchadeſch, Raths verw. inLeybach
U.
Hr. Greg. Ueberlacher, Med, Doct.
— Ueberlacker.
— Euſebius Uhlich, des Stiftes der reg. Chor⸗ herrn zu St. Pölten Dechant.
— J. J. Umfcheiden , Fürſt Aloys Lichtenſt. Kanzelliſt.
— Joh. Conrad ulzky.
— Graf v. Ueberracker — von Urbain, k. k
Hauptmann:
—
Hr. Mart. Urbanſchitſch, Verwalttr zu Egg in Oberkrain. .
.
Hr. Canonicus Venuti. — Samuel Vulcan. — Graf von Veterani. — veert, in Erlangen. — Johann vagneck, in
Herrmannſtadt. — Cajet. Vogel, Ord. Serv. in Prag.
W.
Hr. Ludw. Graf v. Wall; moden, Hannov. Ge⸗ ſandt. in Wien.
— Karl von Wunſch.
— Franz WR.
— Graf von Wrbna.
— Johann Bapt. Wei⸗
ninger.
— J. N. Wirt, k.k. Kam⸗
mermedailleur. -
— Johann Georg Wolf, Direktor von der k. k. Realakademie.
— Joh. Bapt. Winter.
— Franz Wolf.
— Joſ. Weckebrod.
— Joh. Nep. Wengel.
— Abbe Joſ. Werſch⸗ hauſer.
— Joſeph von Weck⸗ becker zu Sternfeld.
Hr. Joh. Georg Weine gand.
— Sebaſt. Wohlfarth.
He. Joſeyh v. Walpach, k. k Salzamts Rath in Hall. f
— Wenzel Auguſtin von Werſack.
Fr. Gräfinn v. Wallen⸗ ſtein, geb. Grafinn von Uhlfeld.
Hr. von Wells.
— von Weinrotter.
— Karl von Woller, J. U. D. H. und G. Advokat. 5
Fr. Gräfun von Win⸗
diſchgraz. 5
Hr. Franz Ant. Weigl, Großhändler.
— Sevo. Walter, Chor⸗ herr zu Kloſterneub.
— Reichshofrath von Welkern.
— Wokurka, Oberlieut. Auditor.
— Nikolaus v. Wiona, inful. Probſt von Ni⸗ kolsburg.
— von Weyrothen, k. k. Unterlieutenant.
— von Waͤſcher, k. k. Oberlieutenant.
— Fr. Zav. Joſeph von Weinhard, in Ins⸗ pruck.
— Karl Joſeph Weiß, Buchdr. in Bozen, 2 Exempl.
— Philipp Joſeph von Wallenſperg, in Lay bach.
Hr. Joh. Franz Weber, Burgerm. der Stadt
Linz. — Jak. Wimer, Pfarrer zu Alterſee. a Fr. Grafinn v. Wratis lau gebohrne Sräfinn von
Kinsky.
Hr. Hein. Wolf, Pro⸗ feſſor in Prag u. Ca- nonicus in Königrätz.
— Graf von Wiſchnik,
in Prag. f
— von Wolf, Direktor,
in Prag.
— Kaſp. Widtmann, in
rag.
M. Ia Comt. de Witzay, nee Comt. de Graf- ſalkowitz, in Preſp.
Hr. Wineke, Oberamt⸗ mann zu Uslar.
— von Wüllen, Hofge⸗
richts Aſſeſſor in Han⸗
nover.
Z.
Hr. Profeſſor Zlobitzky.
— Karl Graf v. Zichy.
— Stephan Graf von Zichy.
— Joſeph von Zamora, k. k. M. u. B. Buch⸗ halterey Rait⸗Rath.
— Franz von Zailler,
ordentl. Lehrer des Naturreichtes auf der Univerſität in Wien.
0
Hr. Simon Zeme, J. U.
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— Ignatz Zumpe.
— Joſ. Küguſtin Zohr, Chorherr zu = Do⸗ rothee.
„
D. Hof und Gerichts
Hr. F. Paul den er mayer, k. k. Ty riatsregiſtrator, 1 Herrmannſtadt.
— Ziegler, Canon. und
Bibliothekar zu St. woran 4
40 Ungenannte.
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