Google

This is a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before it was carefully scanned by Google as part of a project to make the world’s books discoverable online.

It has survived long enough for the copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject to copyright or whose legal copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books are our gateways to {he past, representing a wealth of history, culture and knowledge that’s often difficult to discover.

Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear in this file - a reminder of this book’s long journey from the publisher to a library and finally to you.

Usage guidelines Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the

public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken steps to prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying.

‘We also ask that you:

+ Make non-commercial use of the files We designed Google Book Search for use by individual personal, non-commercial purposes.

and we request that you use these files for

+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google’s system: If you are conducting research on machine translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text is helpful, please contact us. We encourage the use of public domain materials for these purposes and may be able to help.

+ Maintain attribution The Google “watermark” you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find additional materials through Google Book Search. Please do not remove it.

+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other countries. Whether a book is still in copyright varies from country to country, and we can’t offer guidance on whether any specific use of any specific book is allowed. Please do not assume that a book’s appearance in Google Book Search means it can be used in any manner anywhere in the world. Copyright infringement liability can be quite severe.

About Google Book Search

Google’s mission is to organize the world’s information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers discover the world’s books while helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the full text of this book on the web alkttp: /7sooks. google. com/]

33.4 fr gl r PA

ziwrguiu

Derlag der J. G. Cottaſchen Buchhandlung.

1883.

BG SA Irlr Dr 4

Geſaumelte Werke

des Grafen Adolf Friedrid von Schack. In fehs Bänden.

Erſter Yand.

Inhalt: Nächte des Orients oder Die Weltalter. Gedichte.

mit dent Bildnilfe des Verfaſſers.

> Stuttgart. Derlag der I. &. Cotta'ſchen Buchhandlung.

1885.

2os#6.25°

51883 BIER und, x ——

Drug von Gebruder Aröner in Stuugart.

Nähte des Drienis

oder

Die Weltalter.

Dritte Auflage.

Säad, Geſ. Werte 1. 1

:,ıY 9 1883

1.

Europa-Müpigfeit ift aus der Mode; Und doc zur Zeit, als in der ew'gen Stadt Sich eben fammelte die Weltignode,

Fühlt' ich mich unſres Erdtheils herzlich jatt. Beneidet ward von mir mein Antipode,

Der juſt vielleicht, im Palmenſchatten platt Am Boden liegend, keiner Garderobe Bedürftig war auf andrer Hemiglobe.

Dies Klima, dacht' ich, das uns mit Katarrhen Und Rheumatismen ſegnet jeder Sorte; Der ſtete Dunſtkreis qualmender Cigarren, Die Ohrtortur durchs Spiel der Pianoforte, Dazu noch das Mafchhinenräder-Knarren, Der ew'ge Dampf von Keffel und Retorte: Wo ziemte, wenn nicht unfres Welttheils Thoren, Die Inſchrift: Ihr, die eingeht, feid verloren!

Dann diefer Wiffensdurft, der koloſſale, Der Raft nicht hat, bevor am Firmament Er jede Sonne bis an die centrale Und jeden Stern und Nebelfleden kennt! Weiß Einer nad) der Schnur nicht die Labiale Und Gutturale im Sanskrit und Zend, Die Floren nit und Faunen aller Länder, So heißts: war je Unmifjenheit ftupender ?

-- 4

Dem Kinde fehon beginnt beim erſten Schreie, Den es in diefe Welt tut, die Mifere Dualvollen Lernens, und ich prophezeie, Aufzählen wird ung bald nad) Darwin Vehre Ein Jeder feine ganze Vorfahr-Reihe Bon feiner Eltermutter, der Monere,

Herab zu den Schimpanfen, Pavianen, Die er verehrt als feine nächjten Ahnen.

Und weiter all der Wirrwarr unfrer Tage, Parteifucht, Eitelkeit und Arroganz, Arbeiterdrangjal, die joziale Trage,

Des Kommunismus wüſter Mummenſchanz, Der neue Syllabus aus dem Berlage

Des heil’gen Peter fammt der Ygnoranz, Mit der Poyola-Schüler, Pietiften

Europa zu beglüden neu ſich rüften!

Doch weg mit Scherzen! Unfrer Münfter Hallen,

Wie ift ihr Blüthenflor von Stein verdorrt!

Ob auch der Orgel Töne fie durchwallen,

Berwirrt nur ftammelt fie im Srrfinn fort;

Wohl, daß die Lippen noch Gebete lallen,

Doch, wie ertappt auf einem Lügenwort,

Plöglich einhalten fie, und wie im Spott

Nüdhallt der Säulengang den Namen Gott.

Nie aus dem Grab der Zeiten fehrt der Glanbe Bu feinem Weltverheerungswerfe wieder; Doch aud der Troft, die fanfte Himmelstaube, Schwebt nie mehr zu dem Betenden hernieder, Nie himmelan trägt aus dem Erdenftaube Die Andacht auf dem leuchtenden Gefieder Die Seelen mehr, die wie mit ehrner Klanımer An fi gefchmiedet hält des Lebens Jammer.

5

D wer vermag in unfern dumpfen Etädten An eif’'gen Wintertagen ohne Grauen Die rußerfüllten Gaſſen zu betreten, Wo unglüdjel'ge Männer, Knaben, Frauen In Elend fiehen und nad Tazarethen Mit Sehnſucht ala nach Rettungsorten jchauen, Und blafie Mütter wie lebend’ge Leichen, Hungernde Kinder auf den Armen, ſchleichen?

Wie erft wird dir zu Muth, wenn auf dem Quai Tu Nachts an Mauern, an Taternenpfählen Zerlumpte Bettler Tauern fiehft im Schnee,

Und dann emporblidft, wo in hellen Sälen,

So froh, als gäb’ es auf der Welt fein Weh,

Der Tanz fi) fchlingt beim Echimmer der Juwelen Und der Champagner perlt und blinfend Gold

Am Kartentifche auf und nieder rollt!

Wie bleich daneben aus der Bodenkammer Das Licht herniederzittert! Spät noch wach Sitzt bei der Arbeit dort in blaffem Jammer Ein krankes Weib, indeffen durchs Gemach Ter Wind pfeift 0! in ihrem Neft die Ammer, Die Dohle an des Kirchenthurmes Dad Iſt mehr geborgen vor des Winter8 Toben, ALS fie in ihrem luft’gen Stübchen droben!

Des Elends Tochter fie, in Noth verfümmert, Längſt hätte fie im Fluß gejucht den Tod; Doch auf der harten Streu am Boden wimmert Ein Kinderheer um eine Krufte Brod, Und bei dem Licht, das halberlöfchend flimmert, Muß fie mit Augen, überwacht und roth, Sich mühn, der Kleinen Peben noch zu friften, Die fie nicht nähren fann an welfen Brüften.

6

Ein Abgrund das von Trübſal und von Thränen, In den mit Schwindel ſich der Geiſt verliert! Und wo der Jammer mit gefletſchten Zähnen Von allen Seiten uns entgegenſtiert, Iſt Hülfe möglich? Wenn wir Den und Jenen Getröſtet haben, vor die Seele führt Uns der Gedanke alle die Millionen, Die weiter in des Elends Hütten wohnen.

Wie anders nicht im ſonn'gen Orient, Am Libanon, im Land der Pyramiden, Wo unter wolkenloſem Firmament, Mit dem, was die Natur ihm beut, zufrieden, Der Sterbliche nicht Noth noch Trübſal kennt Und leicht, wie Schlaf zu müden Augenliden, Zu ihm vom Himmel, welcher ewig blaut, Jedwedes Tags Bedürfniß niederthaut!

Was denn, fern von des Oſtens Sonnenlichte, Hält mich in dieſem düſtern Welttheil feſt, Der auf des Sängers heiterſte Gedichte Den Schatten ſeiner Trübſal fallen läßt? War es nicht ſeine dunkle Nebelſchichte, Stets neu erzeugt vom dunſtbeladnen Weſt, Die lähmend ſich auf meine Seele legte, Als ſie noch kaum die zarten Schwingen regte?

Ja ſeit zuerſt der wirre Lebensknoten Geſchürzt mir von verborgnen Mächten ward, Was haſt du mir, Europa, je geboten?

Umringt von Weſen, kalt wie du und hart,

Dem Zwang, der Sitte mußt' ich, den Deſpoten, Mich früh ſchon beugen, daß mein Geiſt, erſtarrt, Nicht frei und friſch im weiten Horizonte,

Wie er gehofft, die Flügel heben konnte.

1

Vergeben? aus des Tagwerks trüber Enge, An die mich band dag feindliche Geichid, Hinaus mich ftürzt' ich in das Weltgedränge Und fucht in ihm das unbekannte Glüd; Mir ballten hohle, feelenloje Klänge, Ein ſpöttiſch Echo, Antwort nur zurüd, Wenn meine Worte, warm wie fie vermochten, Un Mitgefühl an andre Herzen pochten.

In Andrer Angeficht forſcht' ih nach Zügen, Davon das Bild vor meiner Seele ftand; Pulfe, die im Akkord mit meinen fchlügen, Und Seelen, meinem innern Sein verwandt, Und Geifter, die mit mir in fühnen Flügen Empor ſich fhwängen in ein Wunderland, Das nicht auf Erden ift, zu finden dacht’ ich, Doch ach! enttäufcht bald aus dem Traum erwacht' ich.

Nur Eines blieb. Für all das herbe Müffen, Das einer Kette gleich ich Jahre lang Dabhingefchleppt, ſucht' ih Erfag im Wiffen, Mit ihm zu ftillen meiner Seele Drang.

Könnt’ ich, von Welt und Menſchen losgeriſſen Und Allem dem, wonach ich ehmals rang,

In vollen, ſel'gen Zügen Weisheit jchlürfen, So ſchien erfüllt mein Wünfchen und Bebürfen.

Und nädtlid bei der Kerze matten Lichte Saß bei den Büchern ich, den langgereihten, Und ließ durchs Morgengrauen der Gefchichte Aufwärts, aufwärts am großen Strom der Zeiten Durch fie mich führen, bis wo nur Gedichte Und fromme Sagen noch den Pilger leiten; Zu dringen dacht’ ich biß zu jenem Bronnen, Aus dem zuerft der Pebenzftrom geronnen.

d 8

Doch dämmernd ſchwand zuletzt und ungewiß Der Pfad in Nacht; die Quellen wie ſie rannen, Wohl hört' ich rauſchen durch der Felſen Riß; Doch Kunde gab nicht eine mir, von wannen Sie ſtröme durch die weite Finſterniß; . Ah! unſres Schickſals ſchweigende Tyrannen, Nach allen Seiten hin mit dunkelm Flore Verhängt uns haben ſie des Daſeins Thore.

Alt, wie die Menſchheit ſelbſt, iſt dieſe Klage, Doch vor wie vielen Göttern ſie ihr Knie Auch ſchon gebeugt, Antwort auf ihre Frage: Woher? wohin? vergebens hoffte ſie. Verworrne Kunde ſtammelte die Sage, Und nur die Prahlerin Philoſophie Verhieß pomphaft mit gleißneriſchen Worten, Sie werde aufthun der Erkenntniß Pforten.

Thor, der ich war, ihr je mein Ohr zu leihn! Sie führte mich zu dunkeln Irrgewinden; Mich lockte fernher räthſelhafter Schein; Ich ſchritt ihm nach, doch ſah ihn wieder ſchwinden; Zuletzt verirrt, in tiefer Nacht allein, Hülflos nur tappt' ih noch umher gleich Blinden, Und höhnend um mich ſcholl, im Widerhall Zurückgetönt, ſinnloſer Worte Schwall.

So vor mich traten die Erinnerungen An Alles, was der Nebelhorizont Des Nordens mir in ſeine Nacht verſchlungen, Die Hoffnung, drin ich mich umſonſt geſonnt, Die Ziele, drum vergebens ich gerungen. Da fort! rief ich; was ich ſchon längſt gekonnt, Wie ſäumt' ich, es zu thun? Nicht dieſem argen Welttheil gönn' ichs, mich länger einzuſargen.

9

Entfliehen laßt mich, fliehn aus den Gewirren Des Occidents zum heitern Morgenland! Dort wenn der Frühwind, ſchwer vom Duft der Myrrhen, Von Kaſchmir herweht und von Samarkand, Soll ein Beduine mir den Renner ſchirren, Und, bis die Himmelsfadel ausgebrannt, Durchſchweifen will ich, frei wie der Kabyle, Das Wüftenland vom Euphrat bis zum Nile.

Nicht unter deinem Haren Himmel, Yemen, Gedeihen der Scholaftit Hirngefpinnfte! Der Zweifel, der aus düfteren Problemen Im Abendlande mir entgegengrinfte, Der Wuſt von philoſophiſchen Syftemen, BZerrinnen wird das all mie blafje Dünſte, Wenn mir mit Turban, Kaftan und Sandale Entgegentritt der erfte Orientale.

Faß ächzen hinter mir die Druderpreilen, Laß badern die politifchen Partein, Froh will ich fein, des Welttheils zu vergefien, Und mag aud er mich dem Vergeſſen weihn! Ein gute8 Schwert aus Damascener Eſſen Soll Tieber mir als ganz Europa fein; Aus feiner vielgepriefenen Culturwelt Entweihen möcht' ich in die fernfte Urmwelt.

So als novemberiſch die Winde fchnoben, Und für den Flug zum Archipelagus Die Kraniche den Reifefittig hoben, Aufrafft’ ich mich in fchleunigem Entſchluß. Durch Schneegeftöber und der Stürme Toben Trug mid das Dampfroß an der Alpen Fuß Und bis Trieſt, daß ich nach der Levante Bon dort aus meine Reiſeſegel jpannte.

- 0

Das Meer aufmühlend mit dem Schaufelrade, Bald glitt das Boot bin an Dalmatien? Strand; Zu kurzem Raften Ind an fein Geftade Mich der Phäaken ſchönes Inſelland.

Dann, ſiehe! vor mir aus dem Wogenbade Aufdämmerte der Wüſte bleicher Sand,

Der nun mit ſeiner heißen Fluth o jäher Glückswechſel! deckt die Stadt der Ptolomäer.

Hin durch das Land der Mumien und Todten Wählt' ich die neuerſchloſſne Waſſerbahn, Durch die vor der Phönizier Tarſchiſch-Booten Sich einſt das Goldland Ophir aufgethan; So ging die Fahrt von Libyens Meer zum rothen; Hinüber führte mich ein leichter Kahn, Und mir entgegen von Arabiens Ufer Klang bald der Iſan der Gebetausrufer.

Gegrüßt, du meines Herzens Lieblingsſtäte, Du meiner Kindheit froher Aufenthalt, Mein Orient! Wie ich dich neu betrete, Wie mir dein Sandelduft entgegenwallt Und der Muezzin-Ruf vom Minarete In heil’ger Frühe mir zum Ohre ſchallt, Wird mir zu Sinne, wie dem lang Verbannten Beim Wiederfehn von Heimath und Verwandten.

Doc weiter, weiter treibt e8 mich von binnen;

Bu nahe bin ih noch dem Abendmeer,

An diefen Ufern Haufen böfe Dſchinnen

Und pflegen mit Europa noch Verkehr;

Um ganz und voll dem Fluche zu entrinnen, Den jener Welttheil ausftrömt ferneher,

Hin dur die Länder all der Sonnenwende

Wil ich entflichen bis ans Welten-Ende.

1

Der fernfte Often, wo die Fabelmeien, Die Kinder aus der Traummelt ſchönen Zonen, Bon denen ih als Knabe fon gelefen, Der Greif, das Einhorn und der Phönir wohnen, Läßt mich vielleiht von meiner Dual genejen, Und von mir weichen werden die Dämonen, Die finfteren, die ſchon, jeit ich geboren, Sraufanı zu ihrem Opfer ınich erkoren.

Sofort mein Roß will ich zum Ritte rüften. Wenn hinter mir der Städte Yärm verfant, Wird die Natur an ihren großen Brüften Mich heilen von den Schmerzen, dran ich krank; Und wenn id erſt an Sabas Weihrauchküften Den Balfamduft der Morgenfrühe trant,

Im Wüftenfand, am Rande der Ciſternen Bon neuem werd’ ich athmen, leben lernen.

Erwuchſen dort in heil’gen Einfamteiten, Auf Sinais, auf Merus Bergeshaupt, Die Götterlehren nicht in alten Zeiten, An die noch heute Der und Jener glaubt? Und wo des Hedſchas Oeden ſich verbreiten, Durch die der heiße Wüſtengluthwind ſchnaubt, Empfing nicht da, verſunken in Gebet, Aus Allahs Hand den Koran der Prophet?

Dort oder ferner, wo zuerſt auf Erden Die Opfergluth ins dunkle Himmelsblau Emporſtieg von der Prieſter Flammenherden, Auf Alburs' hehrem Gipfel, urweltgrau, Wird unſrer Zeit die Offenbarung werden, Nach der ſie lechzt, ſo wie die Flur nach Thau; Im Sterben ſind die alten Religionen, Nach Licht und Wahrheit dürſten die Nationen.

11.

Be Tag brad) an, ein frifcher Oftwind blies, Und auf das Roß von Yathribs edlem Stamme, Dem auf der Stirn gleich einer weißen Flamme Die Bläſſe ſtrahlte, durch den dürren Kies Vorwärts drang ich ind Sonnenaufgangsland. Zwei junge Araber, Chalil und Beder, Geleiteten, auf feur'gem Renner jeder,

As Führer mid. Bald hinter mir verſchwand Der Meeresfaum, nicht Grün mehr blieb uoch Fels, Vom Sand war jede Duelle aufgefogen,

Und ringsum ſchlug die Wüfte ihre Wogen,

Die no die fühnen Söhne Ismaels

Naftlos, wie vor Jahrtaufenden, durchirren.

Heil euch, ihr freien Kinder der Natur, Die ihr, getränft vom Hauch der veinften Miyrrhen, Bei des Canopus Strahl und des Arktur So kühn und ftolz, wie eures Landes Palmen, Erwuchst, fern von der Menfhenftädte Qualmen! Kein Haus von düftern Steinen und Gebälfen, Gleich denen, drin wir früh ſchon melfen, Wirft feinen Schatten fiber eure Stirn Und ruft darunter böfe Träume wach, Wie fie und Schmerzen regen im Gehirn; Mit euch der Zelte leichtbeweglich Dach "ragt ihr von Ort zu Ort, ihr Wanderhirten, Ind, ladet euch ein grüner Fled zur Raſt,

Joch ſchlägt al3bald empor der Flamme Glaſt, daß er den Fremdling, den verirrten, ju eurer Hürde leite. Solch ein Gaft, fon nad) der Väter Eitte zu bewirthen, dampf, Liebe, Jagd, ein fhmarzgemähnter Renner,

- 3

Der mit den weißen Füßen Blige wirft,

Was ift, das ihr auf Erden fonft bedürft? Im frifhen Hauch der Wüſte, den ihr jchlürft, Früh werden eure Jünglinge fhon Männer Und Spät doch reife. Hin durchs Leben zieht, Als holde Freundin eurer Wanderzüge,

Mit euch die Dichtlunft; lächelnd aus der Wiege Schon ſchaut der Säugling auf bei ihrem Yied; Der Knabe fieht fie mit der goldnen Yeier, Gleich einem Sterne, der durd Wolfen blinkt, Zu feinen Häupten ftehn; fie jchlägt zur Feier Die Saiten, wenn die Jungfrau ohne Schleier Beim Brautfeft in des Jünglings Arme finkt; Sie giebt hinaus ing milde Schlahhtgedränge Dem thatendurft’gen Manne dag Geleit

Und jchenft durch ewige Geſänge

Dem Sieger die Unjterblichkeit.

So rein die Luft, die mich umhaucht! Noch aus der Menjchheit erfter goldner Zeit Scheint fie zu wehen; all mein Wefen taucht Sich unter in die Haren Wellen, Die labend um die Stirn mir fchwellen, Und fteigt verjüngt aus ihrem lautern Bad. Endlos der Himmel, ohne Schrante, Und der beflligelte Gedante, Der, fo wie er, nicht Gränzen hat, Schwelgt in der Unermeßlichkeit, der blauen. Dann ladet bei des Mittags Gluth Mich einer Balme Schirm zu Schlaf und Traum; Und, wenn die Abendfchatten niederthauen, Wenn fi fernhin am MWüftenfaum Das Sonnenfeuer roth wie Blut Verlodert hat, ausfpannt fich droben Das Zelt der Nacht, aus lauterm Glanz gewoben.

1

Hier weiß, dort voth, dort golden taufendfach Blitzt e8 hervor an dem Fryftallnen Dach, Und funfelnd drängt mit unftet-wildem Licht, Dann wieder firen Scheing, wie Diamanten, Stern an den Stern und Welt an Welt fih dicht, Milchſtraßen, Sonnen und Trabanten, Planeten, Nebelftreife, Strahlenringe.

Sie finds, die Lieblinge der alten Nacht, Der großen Mutter aller Dinge,

Die, eh das Erdenleben noch erwacht,

Schon auf den öden Ball herabgefchaut Denebola, der ſchöne Fomahaud;

Argo, das Schiff, das dur dag Meer

Der Ewigkeit von Süden her

Gefegelt fommt; die Taube, die beſchwingt Bon unbekannten Weltgeftaden

Des Friedens holden Delzweig bringt; Canopus und die freundlichen Plejaden Nicht, wie bei ung, in Nebel halb erftidt, Nein hell noch ftrahlen fie, wie die Sabäer Sie fahn, als fie, dem Lebensquell noch näher, BZuerft zum jungen Himmel aufgeblidt.

Hier, wo der frühe Sternendienft geblüht, Wie oft die Nacht durch Hab’ ich knie'nd gelegen Und mich geweiht in jenem Strahlenregen, Der, durch die Weltnacht hingeſprüht,

In goldner Fülle niederrann!

So wie empor zu Sirius, zu Aftarte Chaldäas Weife ſahn von ihrer Warte, Blickt' ich mit Andacht himmelan

Und forfchte an dem lichten Yirmamente Nach einer Kunde, einem Zeichen,

Das mir des Dafeins Räthſel Löfen könnte; Doch die Geftirne ſahn, die immer gleichen,

- 15

Wie auf des erjten Menſchen Grab So falt und ftunm auf mich herab.

Berfolgt mich denn der alte Geift, Der finftere, nod) immer und umkreist Mein Haupt wie eines nächt’gen Vogels Flügel? Wohl, wenn den Schlummer mir die fühlen Frühwinde fort von Stirn und Schläfe fpülen, Wenn durch die Wüſte über Sandeshügel Das Roß mid) trägt im Sturmeslauf, Klopft freier mir die Bruft und fefiellog, Das Leben jchlägt von Neuem groß Und hell die Augen vor mir auf Und hohen Schlags klopft ihm mein Herz entgegen; Doch wieder bald im tiefiten Innern regen Sid) mir die alten Seelenqualen; Mit feiner eignen Trübſal Netz umjpinnt Mein Geift auch diefer Sonne Strahlen. Ich fühle, des Abendlandes düftres Kind, Mir felber muß ich erft entrinnen Und nicht mehr denken, grübeln, finnen, Bielleicht dann wird mir Frieden werden.

Oft Inden uns in ihren Kreis, Wo unter Zelten bei den durft’gen Heerden Sie lagerten, die gaftlihen Beduinen, Und traulich drüdten Jüngling mir und Greis Die Hand, ala wär’ ich heimisch unter ihnen, Ein einfah Mahl dann felbft Homers Heroen allzu dürftig wärs Mit feiner Mehl- und Dattelkoft erichienen Trug man heran, und von der Stämme Fehde, Bon Dſchinnenkampf im nächt'gen Wiüftengrauen, Sazellenjagden ging die Rede. Hoch flammten unter ſchwarzen Brauen

15

Die Blide Aller, und fo ftolz,

Wie Kön’ge auf dem Thron von Ebenholz, Im Sande jaßen fie am niedern Herd, Gebräunt vom Sonnenbrand und Mittaggwinde, Ihr einz’ger Schmud die braune Binde,

Die fih ums Haupt die Wüftenföhne fchlingen. Dem fahlen Boden, der fie fpärlicy nährt,

In Kampf und Wagniß mit verwegnem Willen Das Dajein mühfam abzuringen,

Um jedes Tags Bedarf zu ftillen,

Das macht fie froh, und feine Sorgen mifchen In ihres Lebens Becher Galle;

Nicht kennen fie den Drang, den fieberifchen, Dran in Europa krank wir Alle.

Daß mir vom Haupt des Kummer? Bürde In ihrer Mitte weichen würde, Hatt’ ich zuvor geglaubt; doch nein! Fremd fühlt” ich mich in ihren Reihn Und fehnte mich, ftatt diefer Immerfrohen Ein bleiches Angeſicht zu jehen, Ein grammmijchattetes, dag auf der hohen Gemwölbten Stirne von Europas Wehen Und Geiftesfämpfen Furchen trüge, Die Spuren von durchweinten Nächten Und Ringen mit den finftern Schickſalsmächten. Kalt Schienen, feelenlog mir dieje Züge, Wie felbft die fremdften nicht im Abendland.

Allein was fchweift mein Blid zurüd? Pries ich mein Loos nicht, als am Himmelsrand Der blaffe Welttheil hinter mir verſchwand? Im fernen Orient wintt mir das Glück, Zu dem ich ausgezogen. Weiter, weiter Denn auf des Sandes ödem Plan,

- 1

Nur die Gejtirne meine Peiter

Durch dieſen uferlofen Ocean! Herniederftrömte auf den Kies, den nadten, Die Sonnengluth in Flammen-Kataralten, Und feine Wolke tbaute Kühlung nieder; Wenn eine aufftieg, in die heiß entbrannte Puftftrömung, die der Boden aufwärts fandte, Alsbald zerrann das Dunftgebilde wieder.

Was wirbelt ferne hoch empor, Daß dunkelroth nur wie ein Meteor Tie Sonne durd den Schleier glimmt? Iſts Kriegslärm, was mein Ohr vernimmt‘? Fa, Wuthgeſchrei hör’ ich und Kampfgeheule, Und ſehe durch die Staubesfäule Ten Blinf von Schwertern und von Yanzenfpigen, Ter Pfeile Wurf, wie fie, von Bogenſchützen Geſchleudert, durch das Sandgemirbel bligen. Daß ich nicht in der Kämpfer Mitte Gerathe, weich’ ich feitwärts aus im Ritte, Allein entrinnen fol ich nicht dem Schreden; Auf einen Plag führt mich der Pfad, Wo jhon der Kampf gewüthet hat Und Todte, Sterbende den Boten deden Und Klageweiber wild die Haare Sich an den Leichen der Erfchlagnen vaufen. Inmitten wirrer Trümmerhaufen Geftürzte Roffe, Dromedare, Bon wehnden Sande halb begraben, Dazwiſchen Männer, Jünglinge und Knaben, Aechzend im legten Sterbetrampf! Hinweg! Taßt diefe Schredensftäte Mich fliehn, die leichenüberſäte! So mälzt fi hier feit Kain Zeit der Kampf Bon Bruder mit dem Bruder, Stamm mit Stamnte Shad, Bei. Werke 1. 2

18

Durch die Jahrtauſende dahın,

Und ewig, wie feit Anbeginn,

Fortlodern wird der Rachekriege Flanıme,

Bis die Gefchlechter gegenfeits

Sid) ausgetilgt in Wuth des Streits,

In Ströme Bluts das ganze Bolf verfunten. Hat nicht mit unnatürlichem Gelüften

Das Kind fhon an der Mutter Brüften

Die Mil der Rachbegier getrunfen? Entweiht nicht felbjt die Himmelstochter Dichtung Hier des Gefanges ſchöne Kunft

Und gießt ins Herz des Knaben wilde Brunft, In Mord zu jchwelgen und Vernichtung?

Thor, daß bei Söhnen der Natur Ih Frieden hier geglaubt zu finden! Für immer möge meines Weges Spur Im Staube, windverweht, verjchwinden!

Durch weite, menfchenleere Wüftenftriche Nach dort, von wo der Sonne morgendliche Slanzfülle ftrömt, 309 ich den Weg;

Die Stunden fchlihen langfam träg,

Und öde Tage folgten öden Tagen.

Da vor dem Blid, der oſtwärts ftreift, Steigts wie Gewölke, das ſich häuft und häuft, Am Himmel auf; nein, Hügel feh’ ich ragen; Schon fündet an dem Wege die Eifterne, Daß bier bisweilen Regen löfcht den Staub, Und durch den blaſſen Dunft der Ferne Glänzt an den Halden grünes Yaub. Almälig mir im Rüden weicht

Die Wüfte, und beim Eonnenfinfen

Hab’ ich den Hügelſaum erreicht.

ur legten Abendlichte blinken

- 19

Sprudelnde Quellen durch das frifhe Grün; Chalil und Beder laffen auf dem Raſen Die Roffe, frei von Bügeln, grafen,

Und mir Erjhöpften von des Tages Mühn Geſchloſſen Hatte Schlaf die Augen bald; Da fühlt ich, wie der Nachtthau kalt

Auf meine Stirne rann; ich fuhr empor Und jah von leichtem Nebelflor

Des Mondenlihts die Erde überwallt. Aufraffend mic zu kurzem Gang,

Schritt ich hinan den Hügelfaum

Und ftarrte ftaunend. Meine Augen fchauten Ein Feld mit Trümmern ungeheurer Bauten, Die gränzenlos fih vor mir dehnten, Geftürzte Säulen, halb noch aufwärts vogend / Und mühſam riefengroße Blöde tragend,

Die wie im Todeskrampf an ihnen lehnten, . Schutt über Schutt, Ruinen bei Ruinen, Bom Zitterlicht des Mondes matt befchienen. Weit warfen Obelisten ihren Schatten

Hin über Säulenftüde, Marmorplatten,

Und, wie ich zagend weiter jchritt,

Verſank im Staub von Tempeln mir der Tritt. Drauf ftieg mit ſchwindelhohen Wänden, Gethürmt wie von Gigantenhänden,

Ein lirmeltbau vor mir empor;

Koloſſe ftehen aufrecht noch am Thor,

Und über Stufen, halb zerfallen,

Klimm’ ich hinan und brödelndes Geftein. Nacht wird! un mid; dann blinkt aufs neu ein Schein, In weite himmelhohe Hallen,

Dem Blicke faum ermeßbar, tret’ ich ein

Und fehe Reihen ungeheurer Pfeiler

Und Mauern über Mauern fteil und fteiler Gleich Bergesklippen mir zu Häupten hängen.

Bor mir in die Unendlichkeit verlieren Sih Säulengänge hinter Säulengängen, Und räthſelvolle Bilder drängen Sih an der Wand von Flügelftieren Mit Menjchenantlig und mit Adlerklauen, Gekrönten Löwen, in den Stein gehauen, Einhörnern, Widdern; der Zodiakus Zeigt noch den ältiten Stand der Sternenuhr, ALS Hier den erften Blick in die Natur Die junge Menfchheit that.

Bewältigt nieder Sink' ih an eines Pfeiler Fuß Auf einer Sphinx gebrocdhne Glieder. Da jhaun von rings, die Augenlider Noh von dem Traum der großen Weltnacht ſchwer, Mid Götterbilder an und Steingeftalten, Die Marmortafeln in der Rechten halten; Und mehr noch feh’ ich, immer mehr Dem Staube der Jahrtauſende entfteigen; Kein Paut, kein Lufthauch ftört das Schweigen, J Das feierliche, um mich mehr.

So, wie ich ſinnend all die wunderbaren Gebilde ſchaute, dacht' ich: ſie, die Zeugen Noch von der Erde Jugend waren, Vielleicht von dem verhüllten Weltgeſchick Den Schleier heben ſie vor meinem Blick. Woher wir kommen, wer wir ſind, Warum durch dieſes Lebens Labyrinth Wir irren auf der öden Erdenfahrt:

Ihr Ew'gen, denen im Beginn der Tage Natur ihr groß Geheimniß offenbart, Gebt Antwort auf die große Räthſelfrage!

An einer Göttin heil'gem Bild, Das, von des Schleiers Falten tief umhüllt,

21

Por mir in dänmerdunfler Nifche ftand,

Hing mir das Auge, das erwartungsvolle. Ich glaubte, ihr vom Haupte dag Gewand Walle zurüd, fie rege ihre Hand,

Als ob fie eine Keilfhriftrolle,

Die in der rechten lag, entfalten wolle Nein, nur vor meinem DBlid ein Flimmern Geweſen wars; ftumm, regungslos blieb Alles, Nur daß bisweilen leifen Falles

Ein Stein fi löste von den Trümmern. _

In wache Träume ohne Schlaf Zulegt die Sinne hingeſchwunden, Geachtet hatt’ ich nicht des Flugs der Stunden, Als lihter Schein dag Augenlid mir traf. Ich fuhr empor und jah den erften blafjen Srühlonnenftrahl, der in die Trümmermaſſen Durch halbgeftürzte Riejenfäulen fiel. Der Morgenwind ftric) meine Schläfe fühl, Tod immer ward mir noch wie Traum, Als ich den ungeheuern Raum Mit Bliden maß und durch die Lücken Mit Quadern und mit Mauerftüden Dehäuft den Boden fah, mit Steinkolofien, Zerbrocdhnen Löwenbildern, Siegesbogen. Wie jäh erftarrte Meeregmogen Iſt allumber die Trümmerfluth ergoffen, Wo bin ih? Drang ich durch des Aufgangs Thor Bis an der Zeiten Anfang vor? Iſt eine dies von jenen Urmeltjtäbten, Trauf ihren Fluch gejchleudert die Propheten, Erbaut von den titanifchen Gefchlechtern, Tie Gottes Söhne mit den Erdentöchtern In Frevel zeugten? Stand hier Ninive, Das Haus des Baal, von Stinden übervoll,

22

Aus dem Verderben, Jammer, Weh In alle Länder überquoll?

Iſts von Belſazars Frevelmahl

In Babylon der eingeſtürzte Saal?

Bewegungslos, als würd' in Bann Ich von den rieſ'gen Steingeſtalten, Die auf mich niederſahn, gehalten, Blieb ich den Tag hindurch und ſann und ſann Inmitten runenüberdeckte Mauern Hier Fabelweſen, Minotaurn Mit Löwentatzen und dem Haupt von Sperbern, Dort Kön’ge mit der Mitra oder Krone, Und um fie her längs der Pylone Kriegswagen, Heere, die mit den Berderbern Zum Kampfe ſich gewälzt; mir war, al fchöllen Der Cymbeln Klänge von den Wällen Und durch der Sieger Jubelchor Der Wehruf der Befiegten an mein Ohr.

Schon ließ die Sonne ſchräge Strahlen gleiten, Und immer noch dafaß ich ſtumm, Verſunken in die Nacht der Zeiten. D fprad ich endlich vor mi hin warum Floh ich des Abendlandes trüben Himmel Und jeines Lebens düftre Irrgewinde, Wenn ih im Yand der Sonne Mordgetümmel Und feelenlofe Dede finde? Hier, dacht' ich, blühe noch der Menfchheit Lenz; Do, flücht' ih) auch zun Saum des Drients, Umfonft, daß ich bei Lebenden ihn fuche! Selbft hier dag ftille Reich der Todten, Das mich umgiebt, ſpricht von dem Fluche, Der früh die Welt gegeißelt mit Deſpoten. Kaum, dag der Menfchheit Erdenmorgen graut,

23

Was ſeh' ich? Götzendienſt und Sturz von Reichen Und Tyrannei, die auf der Völker Leichen Der Herrihaft Zwingburg fich gebaut.

Und doch! auf Erden waren fchönre Tage, Die nod) und aus den Augen alter Sage, Dem Dämmermorgen der Gefchichte, Anſchaun mit wunderbarem Zanberlichte. Hat ein Geſchlecht vom Götterftamme

In diefem Stromthal nicht geblüht,

Als an der hohen Himmeleflamme

Zuerft das Erdenleben aufgeblüht?

Und glänzt aus fernfter Zeitenferne

In unjern Abendhorizont voll trüber Gewölke nicht gleich einem Morgenſterne Das alte Paradies herüber?

Wer hätte nicht nach ihm im ungeftillten Berlangen fich gefehnt, feit er im Bud)

Des Moſes las und im Gedicht des Milton, Wie und aus ihm verbannt der Sünde Fluch)? Berlebt hat in des Welttags erfter Frühe Die Menfchheit ohne Sorge, ohne Mühe Dort ihre jel’gen Kinderjahre;

Damals nod war fie froh und frei

Und ahnte nicht, an welches unwirthbare Geſtade fie geworfen fei.

Kein fremder Wille zwang fie in fein Jod); In kinderreiner Unſchuld noch,

Sich fhmiegend an der großen Mutter Brüfte, Zum Himmelsftrahle, der ihr Antlig küßte, Auflachte fie o wär’ ein Zauber mein, Ich würd’ in jene frühe Welt mich flüchten, Um unter ihren Blüthen, ihren Früchten Beglüdt zu weilen; all mein Sein

Gäb' ich für eine Stunde, dort verlebt!

24

So ſprech' ich noch; da hinter mir erhebt Bin ich im Traume oder Wachen? Auf einmal ſich ein höhniſch Lachen. Ich ſchaue rückwärts, und mein Blick gewahrt Auf einem Steinblock ſtehend einen Greis In Kleidung eines Emir, Haar und Bart Wie Schnee des Libanon ſo weiß. Auf feine Stirne, ſcheint es, haben Jahrhunderte die Furchen eingegraben; Welk find die Adern, ohne Blut, Tie Augen wie verhängt mit trübem Schleier, Und dennoch lodert oft ein jeltfan Feuer Daraus hervor mit dunkler Gluth. „Tu Thor rief er du lächerlicher, Daß kindiſch du dein Herz an längft Berihollne Ammenmärchen hängft! Bor ſechs Jahrtauſenden, gilt dir für ficher, Beitand ein Milch» und Honigparadieg, Tas Gott nah Koran und nach Pentateuch Zum Aufenthalt den erften Menfchen wies; Und in dieg Eden fehnt ihr euch Zurück, ihr armen Menfchentröpfe? Sechstauſend Jahre! nimm ftatt deffen Aeonen, mehr als die Gedanken meffen, So lang fehon ifts, feit die Gefchöpfe, Die Menſchen beißen, auf der Erde Friechen, Und andre Fahrmyriaden wird e8 währen, Daß diefe Janımervollen, Stechen Die Welt verpeften. Fort mit den Chimären, Die du aus tollen Büchern aufgelejen! Bon Anbeginn ein elend Jammerweſen Schon war der Menfch und wird es bleiben Dis an der Zeiten Schluß; das ganze Treiben Auf Erden tft ein wüſtes Spiel, Bon einem Tämon ausgehedt,

25

Und Keiner hat den Zweck, das Ziel

Der jämmerlichen Farce noch entdeckt.

Wie kranke Gaukler auf den Meſſen,

Wenn ſie in buntem Kleid, beſetzt mit Treſſen, Fiebergeſchüttelt bei der Schellen Ton

Noch Kurzweil treiben und beim Paukenſchalle, So in des Lebens Luſt ſelbſt fühlen Alle

Des nahen Grabes Schauer ſchon.

Wärs möglich, tüchtig bei dem Stück zu lachen, So würd' es dem Erfinder Ehre machen, Doch weil ſo viele Thränen dabei floſſen,

Iſt es die ſchlechteſte der Poſſen.“

Er ſchwieg und lange, wie erſtarrt, Kaum blickt' ich auf; durch meine Seele rann Ein Schauer, wie bei Geiſtergegenwart. Wenn nun der böſe Ahriman, Der Schreckensfürſt der alten Nacht, Wenn einer feiner Dive oder Dſchinnen Hier vor mir ſtände, wie entrinnen?

Nur mühſam über mich gewann ich Macht, Von neuem zu dem Fremdling aufzuſchauen; Doch, wie ich hinſah, nach und nach das Grauen Vor dem Unheimlichen fühlt' ich ſich mindern. An Tracht den andern Menſchenkindern Ihn fand ich gleich; um hagre Glieder wallten Des Kaftans weitgebauſchte Falten Bis zu den Fußſandalen ihm herab;

Ein grüner Turban, der ſein Haupt umgab, That kund, daß er als Jünger des Propheten Mekkas geheiligte Moſchee betreten;

Doch des Geſichtes wunderſame Züge Straften die Kleidung wieder Lüge;

Nicht dieſem Volk gehörte, der ſie trug,

26

Das ſchien gewiß; doch welcher der Nationen Mocht' er entſtammen, die auf Erden wohnen?

„Iſt es des Schweigens nun genug?“ Anhub er wieder und mit milderm Laute „Verwundert ruht auf mir dein Auge Und ſcheu, als ob vor mir dir graute.

Du denkſt, ich ſei aus anderm Stoffe

Als ihr geformt; allein Geduld! ich hoffe, Daß ich für dich zum Umgang tauge.

Willſt du, daß ich in deiner Sprache rede, So mag es ſein; doch auch der andern jede Iſt mir geläufig: als Kosmopolit

Sprech' ich Aſſyriſch, Zend, Sanskrit, Tamuliſch, antediluvianiſch, Pali;

Mich aber nenn’, ich bitte, Hadſchi Ali,

Da den, der einen grünen Zurban führt, Dies Ehrenepithet gebührt.

Der köſtlichſte von allen Schäßen

Fürwahr ift folh ein grüner Yegen,

Denn wer ihn trägt, genießt die Ehrfurcht Aller, Weil er die Stirn als Mekka⸗Waller

Anı ſchwarzen Stein gerieben hat.

Auch du umgieb dein Haupt auf diefer Weile Mit ſolchem Glorienfchein, das ift mein Rath! Klug wechjeln muß der Lebensweiſe

Je nach dem Brauche der verfchiednen Yänder Die Religionen und Gewänder.

Wie ich zu Allah bier und Muhammed,

Die Stirne auf den Koran drüdend, flebe, So vor des Buddha heifger Zehe

Verricht' ih meine Andacht in Tibet,

Und werf’ in Indiens Pagoden,

In Händen einen Kuhſchweif, mich zu Boder.“

17

Und num von Übenteuern jeder Art, Die er erlebt auf weiter Wanderfahrt, Anhub er zu erzählen; an den Quellen Des Nil wie an den Niagarafällen War er zu Haus, im Lande der Mongolen Wie in Bern und an den beiden Polen; Er jprah vom Märchenland Kathai, Als ob er jüngft erſt dageweſen feı, Und oft glaubt’ ih mich in Delirien, Wenn bald er von Aegyptens Finſterniß Erzählte, bald von Hofe von Afiyrien Und von den Gärten der Semiramis. Memphis und Theben, Ninive und Babel Wollt’ er gefehen haben tolle Fabel! Drauf wiederum, fo wie er mit dem Ernite Spott und Gelächter wechſeln ließ, In die Berichte fiber fernfte Weltalter mengt’ er dag Modernite, Als ſpräch' ein Zeitungsfchreiber aus Paris. Ih dachte, einer von den Schlangenzähmern Und Taufendkünftlern, wie man unter Krämern Sie auf Aegypten? Bazars fehen kann, Sei diejer Greis; doch wieder dann Ein alter Magier, aus der Gruft erftanden, Der hin von Volk zu Volk, von Land zu Yanden Gepilgert, fchien er mir. ALS eine Spanne Kam Zeit und Raum mir nor, indeß er ſprach, Und jeltfam, wie mit einem Zauberbanne Mich zog er an fih nad) und nad). Wie oft ih Muth auch, ihn um Baterland Und Herkunft zu bejragen, fafjen mochte, Es war umfonft; beflommen pochte Mein Herz, daß ich nicht Worte fand. Allmälig war von feinem erſten Hohn Die lebte Spur felbit im Geſpräch entflohn

28

Und manchmal blickt' er mich ſo feierlich,

So ernſt an, daß mich Ehrfurcht überſchlich, Ja, wenn in ſeine meine Augen ſahn, Glaubt' ich, ins Gränzenloſe aufgethan,

Den unergründlich tiefen, blauen Sternhimmel einer Neumondnacht zu ſchauen. Ein groß Geheimniß ſchien in feinen Zügen, Wie auf dem Angeficht der Sphinx zu liegen, Die, halb verjunten in den wehnden Sand, Des Weltalls Räthſel auf den hohen Brauen, Reit in die bleihe Wüfte ftarrt.

Indeß ich ihm zur Seite ſaß Und aller Welt umber vergaß, Nicht daR e8 dunkel, immer dunkler ward, Gewahrt' ih. Plöglich rief der Greis: „Moſtakfi Billah! Amrnul Keis!“ Und, Fackeln in der Hand, erſchienen Zwei Sklaven zwiſchen den Ruinen Und trugen auf geſchnitztem Tafelbrette Ein Mahl herzu; mit ihnen um die Wette Von andern Dienern wurden Silberſchalen Gebracht mit köſtlich duftenden Gerichten Und Indiens Spezerein und Tropenfrüchten; Wein ſchimmerte in goldenen Pokalen, Und neben Ali mußt' ich mich als Gaſt Am Mahle laben. Mir im Haupte Fühlt' ich ein Schwindeln und ich glaubte Mich in des Aladdin Palaſt, Im Traumreich aus den tauſend Nächten. Zu mir mit einem Druck der Rechten Sprach ſo, indem er mich zum Trinken lud, Der Alte: „Bald, wenn wir uns näher fennen, Ich hoffe, jolt Ihr Euern Freund mich nennen! Nicht Einer kann im Morgenland fo gut

Wie ich den Führer machen. Statt fo einfan Und melandolifch durch die Welt zu ziehn, Reiſt drum von morgen an mit mir gemeinjam! Aufihlagen jol mein Sklav den Baldadin Bald hier uns und bald dort auf fihern Pfählen Und nicht an Wechſel in dem Einerlei

Des Aufſtehns und Zubettgehns ſolls Euch fehlen, Auch ftet3 auf gutes Nachtmahl könnt Ihr zählen, Doch ein Bedingnig ift dabei:

Mit Fragen, wer ich und von wo id) fei, Borwigig dürft Ihr nie mich quälen.

Und nun merft auf! Erfüllen will ich hier Euch Euern Herzenswunfd. Ein Elirir,

Ein Kleinod, das ih fand auf Reifen,

Und fo unſchätzbar, wie der Stein der Weifen, Stets führ' ich mit mir. Meine Eflaven haben Die Zempelböhlen Indiens all durdhgraben, Und madten auf dem tiefften Grund

Des herrlichen Arcanum3 Fund.

Mer einen Tropfen koſtet von dem Saft, Aufthun vor dem fi wie durch Zauberfraft Die Pforten der Vergangenheit,

Und mählen darf er nur die Zeit,

Tie er ald Gegenwart erbliden will,

So mird ihm Augenblid3 vergönnt,

In ihr zu leben. Aber ftill!

Ich jehe, wie kaum wach Ihr bleiben könnt! Schon in den Wein, den Ihr genoflen,

Hab’ ich von meinem Efirir gegoffen;

Borhin, al3 ich Euch unterbradh im Neben, Prieft Fhr der erften Menſchen Loos;

Mit ihnen in dem Garten Eden

Zu weilen, war Eur Sehnen groß;

Wohl denn! lernt kennen das beglüdte Peben, Das fie geführt in jenem Paradies!

30

Mir Kunde folt Ihr morgen geben, Ob Ihr gefunden, mas man Euch verhieß.“

Ich hörte feine Worte kaum; Ein Schwindel war in allen meinen Sinnen Und Schlaf fühlt ich auf mich hernieder rinnen. Bor mir der Wüfte bleiher Saum; Um mid die riefenhaften Trümmer, Auf die Canopus blauen Schimmer MWildfladernd niedergoß; mir däuchte, Der Strahl des Wunderfternes leuchte Zur fernften Urwelt mir zurüd; In Schlummer, tief wie Tod, erloſch mein Blick.

II.

Allein mich fand ich in düſterer Nacht, Zodtiefe® Schweigen ring um mid) ber, Nur dag von fern ein hallender Ton,

Der her vom Thore der Höhle drang Und fi an der Felfen Windungen brach, Bisweilen verirrt an mein Ohr ſcholl.

Wer Vater mir war, nie ward es mir fund. So meit mich Erinnerung denken ließ, In diefem Dunkel hatt’ ich gelebt, Die Mutter allein Gefährtin mir

Und eine alternde Löwin,

Mit der de8 Morgens auf Raub hinaus Sie zog für jedes Tages Bedarf. Treu hatte den Sohn fie gehegt und gepflegt Und, als ihm gewachſen der Sehnen Kraft, Ihn bier und da vor der Höhle Spalt Die fteinerne Streitart ſchwingen gelehrt,

31

Doch ſchnell ihn, fobald fie Gefahr geahnt, Zurüdgedrängt durch den Eingang.

Fang alfo auf ihre Wiederfunft Und das Mahl, das täglıd) heran fie mir trug, Harrt’ ih in der finfteren Einſamkeit Und zählte an meiner Pulſe Schlag Schon die Sekunden, die fern fie blieb. Daß eines Unthiers Klaun ſie zerfleifcht, Begann ich zu fürchten, und quälender ſtets Und quälender ward mir des Durftes Pein, Des Hungers ftachelndes Nagen. Empor mid, raffend, der Seite zu, Wohin verflungen der Mutter Tritt, Degann ich zu jchreiten, am Felfengeftein Hintaftend durch dichte Finfterniß; Doc über Geröll und Wurzelgeflecht Oft ftrauchelte gleitend mein Fuß, ich fanf Und lag bei brennender Glieder Schnierz Leisächzend da auf dem harten Grund, Bis Angft des Herzens und dumpfes Gebraus Und ſtürzender Waſſer Widerhall Mich weiter durchs Dunkel jagten.

Allmälig entgegen mir dämmerte Licht

Und wuchs und wuchs, wie ich vorwärts ſchritt; Geblendet ſchloß ich die Augen;

Nur mühſam wurde mir nach und nach

Der wachſenden Helle vertraut der Blick,

Und über Spalten und Zacken dahin

Bei unterirdiſcher Waſſer Getos Zuletzt im Freien mich fand ich.

O was ich dort geſchaut und erlebt, Unfaßlich meinem ſtaunenden Geiſt

32

Und unverſtanden ging es vorbei; Noch jetzt, da es neu vor die Seele mir tritt, Wo find’ ich die Worte, die Bilder wo,

Um die Wunder, die Schreden zu Fünden, Die ich, von den Lebenden ich allein, Tief in der Yahrhunderttaufende Schlund,

Am Anfang der Zeiten, gefehen?

Feuchtwarmer Broden der Urwelt hing, Ein fchwerer qualmender Nebelrauch, In Falten um mich und über mir, Und wo, vom Windeshauche bewegt, Der mallende Schleier fi) Lichtete, Da tauchten gewaltig, himmelhoch Mit breiten Aeſten und Blättergeſchling Farnkränter empor au dem gelben Schwall. Hoch über mir, wo ihr Wipfelhanpt Sich in die wogenden Dünfte verlor, Hin durch die mächtigen Halme ging Ein dumpfes Raufchen, wie Donnergeroll Bon fern auffteigenden Wettern, Und mit Entjegen gewahrte mein Blid Dichtwimmelndes Leben allunıher Bon taufendgeftaltigen Thieren; Und Schreie der Wuth, der Todesangit Erjhollen an mein erfchredtes Ohr. Ich wollte zurüd in die Höhle fliehn, Doch fuchte vergebens das Thor; je mehr Ich ſuchte, fo weiter mid) fand ich verirrt Und fühlte die Kräfte ſchon ſchwinden, ALS mir zu Häupten an hangendem Aft Ein Apfel von röthlich blinfendem Glanz Gleich jenen, die mir die Mutter gebracht, Süßlodend entgegen mir ftrahlte. Ausſtreckt' ich eben nad) ihm die Hand,

33

Da hört’ ich ein Rafjeln, und neben mir hob Ein fohuppengepanzertes Ungethüm Den Rachen aus fumpfiger Lache hervor. Ich ſchwang mich mit Tester Kraft auf den Aft Und klomm, indeffen der Unhold jäh Sid bäumte, höher von Zweig zu Zeig. Schon fah ich züngelnd mit gierigem Mund Nah mir ihn leden, doc endlich ſank In langen Ringeln zurüd in den Sumpf

Der riefige Salamander.

Da dunkler und immer dunkler wards; Und, Sicherheit hoffend im Wipfel des Baums, Empor an der Leiter des Pflanzengefchlings Klomm ic, dag Aeſte mit Aeften verflocht. Schuß oben bot daS Yianengeranf Mir vor dem Fallen, und bald topmatt . Vom Schlunmmer mich fühlt ich bewältigt.

Aufs Neue, dur jchredlicher Klänge Gemirr Erweckt, vom Schlafe fuhr ich empor. Bon hüpfenden Lichtern welch flimmernder Glanz, Aufbligend, dann wieder erlöfchend? Ich rieb die Augen, und durch das Gezweig Umfreiste mein Aug wie Irrwiſchtanz Ein Heer von leuchtenden Fliegen; Doch nein, nicht heißen darf ich fie fo, Nur Zwerge find alle Wefen von heut Bor jenen Giganten der Vorzeit, Deim fladernden Schein, der hinauf und hinab Vom zadigen Flug des wirbelnden Schwarms Durch die Nacht Hinftob, gewahrt’ ich ringsum Unthiere von graufiger Mißgeftalt, Die kreifchend, flatternd mit Fledermausflug Mich in hölliſcher Runde umfreisten. Shad, Bel. Werte. 1. g

34

Verſchwunden vom Antlig der Erde nun ift Tie greuliche Brut; als Fabelgebild, Als Märchentraum nur lebt ſie noch fort In der Menſchen entſetzten Gemüthern. Ich aber ſah ſie leibhaftig vor mir, Der Urwelt arge Geburten, Eidechſen mit Flügeln, Chimären, Harpyen, Vampyre und Molche, zum Knäuel geballt, Verſtrickt in einander die Leiber. Sie ſtreckten zum Fange die Krallen aus Und leckten mit gierigen Zungen umher, Bis ſie in der Ferne das Dunkel verſchlang. Durch ihrer Schwingen Rauſchen vernahm Ich unter mir tief des Bodens Gedröhn Und von hunderttauſend Tritten den Schall; Und aus dem Dunkel des Waldes, ſieh! Glomm röthlichen Glanzes und blau und grün Von rollenden Augen das Feuer O, denk' ich zurück an jene Nacht, Noch mehr als damals, da Stumpfſinn mir Bleiſchwer auf Geiſt und auf Sinnen lag, Durchs Hirn dahin und durch Mark und Bein Fährt mir todbleiches Entſetzen.

Von oben indeſſen nach und nach Ergoß ſich ein matt einförmiger Schein, Nicht wußt' ich von welcher Leuchte, Doch heller glomm er und heller ſtets Aus den. wallenden Nebelſchleiern hervor, Und aus der Finfterniß unter mir Auftauchte der Thiere wilde Jagd; Mit erderfchütternden Tritten dahin Gleich wandelnden Bergen fohritten fie, Hochragende Bäume wie ſchwaches Rohr Mit wuchtigen Hufen zermalmend;

35

Und, wie fie in wilden Sprüngen ſich Berfolgten, einander mit Zähnen und Klaun Blutdürftig zerfleifchten, ließ. ihr Gebrüll, Ihr Wehgeheul und der Tritte Fall

Des Waldes Wipfel erzittern. Ein Rauſchen ging mir jäh durch das Haupt, Ich ſchwankte auf meinem luftigen Sit Und nur das Schlingkraut, dad mid) ummwand,

Hielt feft mich, daR ich nicht ftürzte.

Als wieder die Sinne mir Fehrten, war Perftummt das Höllenlärmen der Naht In blafjen Zwielihts Dämmer gehüllt,

Yag unten die Erde dem Meere gleich Schlug Wogen, fo weit mein Auge ſah, Der Farnfrautwald, denn ein Sturmmwind blies Und peitfchte den Wipfel, in dem ich hing, Und jagte die Nebel, zu Haufen geballt, In Wirbeln dahin durch den Abgrund der Luft. Nicht lang, und ein blaffer Feuerftreif Etieg mälig empor am Erdenrand Und wuchs und wuchs und vergoldete hoch Am Himmel das wallende Dunſtgewölk, Und reiner und immer reiner brad) Ein blauer Schimmer herein auf die Welt Nicht tragen konnt’ ich den mächtigen Glanz

Und ſenkte geblendet die Blide, Doch durch der Augen gejchloffenes Lid Noch übergewaltig drang er hindurch; Yang hielt ich zagend das Haupt gebeugt, Und, als ich die Sehe von Neuem erhob, Da glorreih ftand in göttlicher Pracht Zu meinen Häupten der leuchtende Ball,

Die Quelle des Lichts und des Lebens, Und regnete feiner Strahlen Zluth

36

In goldner Fülle herab auf die Welt,

Wie Klammenftröme fprudelnd dahin Durch alle Räume fie fendend,

Bis Alles ein uferlojeg Meer

Bon wogendem Yichte geworden.

Anbetend ftredt’ ich die Arme empor Zu dem erhabenen Tagesgeſtirn, Wie hoch e8 und immer höher ftieg Auf feinem himmlifchen Pfade. Ich athmete wie erlöst in dein Haud) Der heiligen Frühe und fchlürfte und tranf Mit der Seele den weltbefreienden Strahl, Daß er die Schredgebilde der Nacht Bis auf die Erinnrung mir feheuchte. Doch endlich länger nicht ließ es mir Raft; | Bon Neuem der Höhle Zufluchtzitatt | | Zu fuchen, mußt’ ich mich mahnen, allein Berloren im unermeßliden Raunı War fie, der vor mir gebreitet lag; Albin, jo weit mir das Auge glitt, Titanifcher Eichen Wipfel nur Und vorjündfluthliche Tannen Sah ih, die Mammuths der Pflanzenwelt, Und Kolben von hochaufragendem Rohr Und, funfelnd vom fonnebeglänzten Thau, Die Stauden gewaltiger Gräfer. Dann über Blöde und Peljengeftein Hinfehweifte mein Blid, mo am Erdenrand Bon himmeljpaltenden Bergen Der eisbekrönte Scheitel fid hob D die Gebirge, auf welche wir heut Bewundernd ſchauen, wie fehmwinden fie all In nichts vor ihnen zufanmen! Thürmt über die Alpen die Pyrenän

37

Und über fie noch die Anden empor,

Bu jenen Wipfeln der Urzeit doch Aufreichen nicht würden mit ihrer Wucht Die Uebereinandergewälzten!

Und ich verlafjen, hülflos, allein In diefer Welt der Titanen!

Hoch brannte die Sonne vom ‚Himmel herab, Entfchlafen ſchien alles Leben zu fein; Ta von dem Gezweige klomm ich herab Und fchritt dahin durch das Wuchergefträuch, Tas über dem Haupt mir zufammenjchlug. Auf einmal was gewahrte mein Blick? Am Felfen, rüdlings zu Boden geftürzt, Todbleih lag meine Mutter und ftarr Mit zerriffenen Gliedern und blutendem Haupt, An ihrer Seite die fteinerne Art, Die ihrer Rechten entfunten, Und neben ihr ftand, mit ſcheußlicher Gier Die Tagen in ihren Leib gefrallt, Ein pantherähnliches Raubthier. Ich mollte der Todten mich nahen, doch fort Mit drohend erhobenem Rachen trieb Mich das mißgefchaffene Scheufal, Und ſchwankenden Schritte8 mußt’ ich entfliehn. Graunvoller Gang! Bald hier und bald dort Im Mittagsftrahle fich jonnend, Dalagen am Weg, vielfach, von Goeftalt, Tie erftgeborenen Thiere der Welt, Schredbilder, wie nie felbft im müfteften Traum Des Menſchen geängfteter Geiſt fie erblidt, In ihnen noch durch einander gemirrt, Was weife nachher die Natur getrennt, Die Mähne des Yeun mit den Hörnern des Stiers Und des Ures gemaltigem Buge.

38

Berfhmunden bis auf die Erinnerung nun Sind fie aus der Neihe der Wefen, Im Schutte der Jahrmyriaden zu Staub Gelbft ihre Knochen geworden. Glückſelig preif’ ich die Erde, daß Erloſchen ihre Gefchlechter find; Bermöchten ihre Gerippe je Aus den Schichten der Berge and Tageslicht Bon Neuem fi zu erheben, Abwenden würde das Angeficht Entjegt die Natur bei dem Anblid.

Und wieder neigte die Sonne ſich. Die Erde verhüllend, mälig ftieg Bom Himmelsrande Nebel empor, Und, aus dem Mittagsſchlummer erwacht, Sich regten die Ungethüme. Im Wipfel der Bäune, am Yeljengeftein Beganns zu leben; los ringelten fich Bon den Stämmen riefige Schlangen; Ringsum den Strömen fah ich, den Eeen Eidechjen, zehnfach das Krofodil Noch überragend, enttauchen. Sie peitfhten dag Waſſer mit mächtigem Schweif Und ftürzten auf mich mit dumpfem Geheul, Mih zu verichlingen; in Todesangft Den Withenden faſt ſchon fiel ich zum Raub; Da eines Felsſpalts ward ich gewahr, Sch jchlüpfte hindurch, verfperrte das Thor Mit Steinen, über Steine gethürmt, Und ſank ohnmächtig zu Boden,

Wohl lange gelegen hatt’ ich fo, Als bohle Töne mich mwedten.

Bon tiefen Athemzügen der Hauch Schlug mir entgegen; ich fühlte nah

Das Wallen von warmen Leben. Da fiehe! grünlichen Flammen gleich Durchs Tuntel der Höhle ftarrten auf mid Zwei Augen hernieder! Entfegen hielt Mich lange gebannt; erſt nach und nach Aus dem Dunkel löſte vor meinen Blid Sid ein mähniges Haupt; ich wurde gewahr,

Zur Seite mix ftand ein Raubthier, Das bald mit der Zunge warm die Hand Mir ftreifte, bald mir ind Antlig fchnob; Und mälig, das Graujen verfcheuchend, ftieg Die Erinnerung mir an die Löwin auf, Die einft mit ung die Höhle getheilt; Sie war es; den alten Gefährten alsbald In mir erfennend, Tiebkojte fie ihm

Und grüßt’ ihn mit Freudenſprüngen.

Fortan ın der Tiefe der Felſenkluft ALS treue Genoſſen lebten wir Zwei, Tas färgliche Peben jeglichem Tag Abringend mit Noth und mit Miühjfal. Mir Nahrung zu holen, bei Morgenroth Zog ich hinaus in die Wildniß, Erfchlug die Thiere mit fteinerner Art, Die ich zu bewält'gen vermochte, Und ftillte des Hungers, des Durſtes Begier An den zudenden Gliedern, dem Blute, dem Marl, Ten gefpaltenen Knochen entfogen. Troſtloſes Dafein, immer von Tod Und Gefahren bedroht! Dem niederften felbit Der Thiere von heute, dem fi in Stall Und Hürde der Menfchen Zuflucht beut, Ward befferes Schidjal bejchieden!

Und diefe Nächte, wie höllenſchwarz, Wie graufig, die endlos langen,

40

Wenn fengende Schwüle, den Athemzug Mit Beltqualm hemmend, fehmer auf mir lag, Und, aus den Sümpfen hervorgelodt, Die Schwärme gieriger Welpen mid) Mit giftigen Stacheln durchbohrten, Daß Schmerz durch alle Glieder mir fehnitt Und jede Fiber mir zudte. Vergebens, gejchüttelt von fiebrifher Dual, Nah einem erquidenden Windhauch nur Seufzt' ih, nad einem dämmernden Strahl; Berfiegt war die Duelle der Luft und des Yichts. Bor allen an eine fchredliche Nacht Iſt mir das Gedächtniß geblieben. Bon dumpfer Stidluft getrieben, hinaus Mid hatt’ ich gewagt an der Höhle Rand; Aus Tiefen und Echlünden, herab von den Höhn, Ya aus der Erde verborgenftem Schooß Hervor ſcholl banges Gemurmel. Es war, als ächzt' in unfäglichen Weh Die ganze Natur, mattgelbe Gluth Schlich hin durch die Nacht, und erſtickender Dampf, Von rings entgegen mir wallend, Trieb tiefer mich in des Felſens Spalt. Da plötzlich ein Dröhnen, ein Erdſtoßkrach, Wie von des Weltalls Zuſammenſturz Wenn hunderttauſend Gewitter ſich In einem Donner entlüden, So müßt’ es dröhnen hänptlings ward ich Ohnmächtig zu Boden gejchleudert, Doch meinen betäubten Sinnen blieb Noch halbes Bewußtſein von dem, was gejchah. Aug ihren Angeln geriffen ſchien Die Schöpfung; entwurzelt taumelten Die bimmelnahen ©ebirge Hinab in des Erdballs tiefften Schlund,

Und, aus den Ziefen emporgewälzt, Zu den Wolken bäumten die Thäler fi auf. Dem Himmel dantt, die ihr Zeugen nicht wart Bon diefen Geburtswehn der Natur, Als aus der unendlichen Nacht zuerit

Sie Ihlummertrunfen ermachte Und die Welt, noch eh fie Geftalt gewann, Wie ein irrer Traum durch die Seele ihr zog. Da drängten wüſte Gebilde ſich, Phantome von künftigen Schöpfungen, Nach Leben verlangend, in ihrem Geiſt Und rangen ſich, tauſendfach von Geſtalt, Ins Daſein empor, doch ſanken aufs Neu Erſt halb geboren, ins Nichts zurück.

Daß über der Höhle, in der ich lag, Der Felſen Wucht nicht zuſammenbrach Und unter den Trümmern mich begrub,

Ein Wunder muß ich es heißen; Doch meine Genoffin, die Yöwin, mar

Ereilt vom Verhängniß worden; Sie hatte, zu meit in die Ferne geitreift, Ihr Obdach nicht vor Dunkel erreicht

Und kehrte nie heim in das Yager.

Nachdem das Erdſtoßkrachen verjtunmt, Aus meiner Betäubung mich vafft’ ich empor Und fchritt entgegen dem dämmernden Schein, Der durch die Spalte der Höhle glomm. Bald ſchlug ein Toſen, wie nie ich gehört, Ein dumpfes Braufen mir an das Obr; Ein afchenfarbiger Nebel hing In weiten Falten herab auf die Welt, Doch unter ihm brachen, vom Sturme gepeitſcht, Hochſchäumende Wogenkämme hervor

42

Und ſpritzten mit weißem wirbelndem Giſcht Empor zu der Klippe, auf der ich ſtand. Hinaus durch die Lücken, die der Orkan

In die hangenden Ballen der Wolken riß, Sah ich bis weit ins Unendliche hin Der Wellen Getümmel, wie himmelhoch

Sie übereinander ſich thürmten Und, wieder berſtend mit jähem Krach, In den gähnenden Abgrund ſtürzten. Lang blieb ich ſtaunend, betäubt und verwirrt, Bor dieſes neugeborenen Meers Dumpfbrauſender Unermeßlichkeit Und glaubte, bald werd' es alles Sein

In ſeine Fluthen verſchlingen. Doch endlich wälzten ſich nach und nach Die toſenden Waſſer ebbend zurück, Und in des Bodens gehäuftem Schlamm, Die triefenden Mähnen von Seegras voll, Geſtrandet lagen die Ungeheur,

Der Tiefe grauſe Beherrſcher, Und ringelten ſich im Todeskampf Um der ragenden Klippen Zackengeſtein,

Es mit ſchuppigen Gliedern umſchlingend.

Dort unter überhangendem Fels Am Ufer des Meeres wohnt' ich fortan, Von Muſcheln mich nährend, die vor mich hin Die Brandung warf. Ich wagte noch lang Nur zagend und ſcheu hinaus mich ins Land. So oft ich die ſchützende Grotte verließ, Bald jagte die Angſt mich wieder zurück; Und preiſen noch mußt' ich mein Glück, daß nicht Der Tod mich ereilt, wenn erſtickender Dunſt

Der Erde Riſſen entqualmte

Und von Vulkanen, aus deren Schlund

3

Rothdunkelnd der Flammen Lohe fchlug, Herab in allverheerenden Strom Sich feurige Schladen wälzten. Dit auch, daß beulend daher der Orkan, Ten Boden fegend, urplöglich zog Und Wälder aus ihren Wurzeln riß Und hin durch die Luft fie in Wirbeln trug. Mid kauernd unter der Höhle Dach, Sah ich der Wolfen Getümmel, wie ſchwer Sie hin fi wälzten mit fchleppendem Saum Und wie der zudende Wetterftrahl In zadigem Flug berniederfuhr; Tann, ohrbetäubend, des Donners Geroll, Bon Feljen und Schluchten zurüdgehallt, Und hochauf lohte die Feuersbrunft Aus Bäumen und fchilfigem Tidicht.

So hatte die Zeit mich zum Jüngling gereift,

Und mir im Herzen zu regen begann Sich die Sehnfuht nach einem Wefen gleich mir. Hoch auf den hallenden Klippen am Meer Sn einfamen Nächten beim Sternenfchein Ranfcht’ ich, ob eine Stimme mein Ohr,

Der meinen ähnlich, vernähme. Vergebens; der brandenden Wogen Schlag, Den immer gleichen, hört’ ich allein. In weiter Wildniß, auf Bergeshöhn,

Inmitten unendlicher Wälder, Ließ ich, auf Antwort hoffend, den Auf Ertönen, doch nur fein Widerhall Scholl mir dur die raufchenden Wipfel zurüd, Und, müde der ewigen Einfanıkeit, Bon Orte weiter irrt’ ich zu Ort Durch Thäler und Schlünde, abgrundtief, Wohin noch gedrungen fein Lichtftrahl war.

Und ich fragte der Berge verborgenfte Schlucht:

Wo birgft du Jenen, der mir verwandt,

Mein Abbild ift an Gefiht und Geftalt?

Sieb ihn mir heraus! ih muß ihn fehn,

Damit mir aus feinen Augen ein Strahl

Entgegenflamme von meinem Geift,

Damit Gedanken auf feiner Stirn, Die mich verftehen, ich leſe!

Ich rief es; doch Alles umber blieb ftumm;

Nur fremde Geftalten begegneten mir,

Ich fah das wilde Hipparion, | Des Roſſes gewaltigen Ahnherrn,

Sein wallender Schweif im Morgenwind

Hinflatternd; das graufige Maftodon

Und den erderjchiitternden Rieſenhirſch

Mit dem äft’gen Geweih, das auf breiter Stirn Gleich einer Eiche ihm fproßte;

Doc, wo ich mich nahte, erfchroden flohn

Die Schwachen bei meines Fußtritts Schall,

Die Starken ftürzten in wilder Wuth

Mit Tagen und Rüffeln und Hauern auf mid), Daß ich zitternd mich barg vor den Wilden.

® Indeſſen ich fo, von der Seele Drang

Geftachelt, die Erde durchftreifte,

Einft lang auf blühendem Wiefenplan,

Bon ſchwanken Gräfern und Stauden ummogt,

Hin war ich geirrt; in dem wallenden Grün Auf einmal Spuren von Tritten

Da ward ich gewahr; hoch jauchzte mein Herz,

Denn Einer, mir ähnlich von Geſtalt,

War hier gefchritten; das Ende mir

Der ewig traurigen Einfamfeit

Glaubt’ ich gefommen ich kniete hin

Und küßte brünftig den Nafengrund,

45

Den ſeine Füße getreten, Und folgte weiter den Zeichen, auf daß Sie zu dem Erſehnten mich führten Doch weh! erkennen mußt’ ich zu bald, Daß ih im Kreife umbergefchmeift; Nur meiner eigenen Tritte Spur, Zuvor in die Gräfer des Bodens gebrüdt, Hatt’ ich gejehn, der Verirrte.

Einft führte der Trieb des Wanderns mich

In tiefes Dickicht des Waldes,

Wo durd) die grüne Dämmrung empor

Bom Boden fi blühendes Schlingfraut wob

Und ineinander zum Schattendad)

Der ſchwankenden Palmen Kronen verflodt.

Ein Wetter hatte die Nacht getobt

Und Stämme, auf Stämme niedergemälzt, Baummipfel, zerjchmettert vom Blitze,

Dft hemmten mir auf dem Pfade den Fuß.

Fernher durch Lücken des Pflanzengefchlingß

Entgegen mir glomm ein leuchtender Schein,

Es zog mich näher und näher heran,

Und ſieh! bei loderndem Feuer Gewahrt' ich Geſtalten, mir gleich an Wuchs, Aufrecht die Flammen umhüpfend.

Froh klopfte mein Herz, und durch das Geſtrüpp Zu ihnen heran mir brach ich Bahn; Allein ſchon hatten ſie mich erblickt Und ſtürzten in wilden Sprüngen heran; Erſchrocken aber fuhr ich zurück; Statt meiner Stimme Klänge vernahm Ich wüſtes Geheul von ihrem Mund, Und Thierheit blickte mich ſchreckenvoll Aus ihren blinzelnden Augen an. Mich als Verwandten zu grüßen

46

Entgegen die Arme mir ſtreckten fie, Und vol Entjegen wollt' ich entfliehn, Doch fie umſchloſſen mic enger im Kreis Und tanzten um mich in der Munde, Indeß ich nieder zur Erde fant Und den Blick voll Grauen verhültte. Auf einmal ſcholl aus der Waldesnacht Der Raubſchrei eined reißenden Thiers; Mit Windeshaſt auseinander ſtob Und floh in die Wipfel der Tanzenden Schwarm, Sie wollten mich mit ſich ziehen, Doch riß ich mit Macht von ihnen mich los Und blieb am Boden, während von Zweig Zu Zweig ſich die Fliehenden ſchwangen! Ich wäre lieber des Unthiers Raub AS Diefen Genoffe geworden.

Da Stille fi wieder allumher Gelagert, brad id von Neuem auf Und mir war, wie ich hin durch die Wälder fchritt, ALS riefen die Aefte, zitternd im Wind, Mit Höhnifhem Zwitſchern die Vögel mir zu: Nun? den Gefuchten, den, der dir gleicht, Haft du ihn noch nicht gefunden?

Drauf fteiler, immer fteiler empor Am Bergesrüden wand fi) der Pfad, Der Bäume Grün wid) mälig zurüd Und eifig hauchte die Luft mid an. Schon längere Schatten warf das Gebirg Und Dänmerung brach auf die Erde herein. Da plöglih, als ih um einen Fels Gebogen, vor mir an ftürzenden Quell Stand eine Geftalt, der meinen glei; Am Antlig, ja, an der hohen Stirn

4

Erfannt’ ichs, e3 war ein Menſch wie ih Und ftürzt’ ich freudig nicht auf ihn zu,

An die Bruft den Bruder zu driüden? Nein; ich ftand ftarr, von Graufen gelähmt, Tenn vor ihm, zu Boden gefunten, lag Ein anderer Menfch, das Haupt vom Rumpf

Getrennt, mit zerfchmetterten Gliedern, Und einen Schädel, gefüllt mit dem Blut Des Erfchlagenen, führte Jener zum Mund. Ich mollte ſchwankenden Fußes entfliehn, Der Unhold aber, mit Wuthgeheul Mid padend, fchleppte den Schwächeren fort Bis wo ein Felzipalt tief in den Schooß Des Berges Haffend, ſich öffnete.

Und fieh! vor mir in der Höhle Bei eined Holzipans fladerndem Licht Am Boden gekauert, hielt ein Schwarm Bon Sannibalen fein fcheußliches Feft. Bluttriefende Beile lagen umber Und zudende Leiber müftes Gejchrei Der Mordgefellen erfcholl an mein Ohr Noh Worte nicht, wie jpäter fie erft Tem Menfchen fi zur Sprache geformt,

E3 waren verworrene Laute

Dem Jubel der Mörder vermengte fi) Der Eterbenden Hlägliches Uechzen

|

IV.

„lie Schade, daß man wieder dich vertrieben Aus jenen erften Menfchenparadies! Gewiß gern ewig mwärft du dort geblieben, Da Sehnfuht dich zuvor nicht raften ließ.

48

Nicht wahr? ganz wie die Dichter ſie beſchrieben, Wie Moſes in der Geneſis ſie pries,

So fandeſt du aus Unſchuld, Frieden, Stille Gewebt der Urzeit ſelige Idylle.“

Die Worte tönten, während ich erwachte, Mir vor den Ohren; aber im Beginne Nur, daß zu meinen Häupten Einer lachte, Nicht was er zu mir ſagte, ward ich inne. Noch in der Höhle glaubt' ich mich und dachte An all' die Schrecken mit verſtörtem Sinne, Die eben ich erlebt; lang, lange währte Mein Ringen, bis mir das Bewußtſein kehrte.

Mir däuchte, Jahre hätt' ich, nein Jahrzehnte In jener grauſen Einſamkeit verbracht; Und daß die Zeit, die ſich ſo endlos dehnte, Nur die Viſion geweſen einer Nacht, Daß meinem Geiſt nur ſich das einſt erſehnte Urparadies durch eines Zaubrers Macht Erſchloſſen und im neunzehnten Jahrhundert Ich annoch weilte, war ich tief verwundert.

Indeß ich düſter in die Leere ſtarrte, Sprach Ali: „Auf! die Roſſe ſind geſchirrt; Der ohne Leitſtern, ohne Länderkarte Ihr bis zu dieſem Tempel Baals geirrt, Hört meinen Schwur bei ihm und bei Aſtarte: Als Führer will ich und ſplendider Wirth Mit Euch den weiten Orient durchreiſen; Für meine Gaſtfreundſchaft ſollt Ihr mich preiſen.“

„So bitt' ich denn, daß Ihr, mein Fahrtgenoſſe, Von meinen Rennern Euch den beſten kürt.“ Er ſprach es, rief hinüber zu dem Troſſe: „Ehrt dieſen meinen Gaſt, wie ihm gebührt!“

49

Und Dromedare wurden, prächt'ge Roſſe, Saumthiere, Sänften tragend, vorgeführt; Prachtvoll und glänzend, als ob Großſultane Mitreiſen ſollten, war die Karavane.

Wir ritten ab; die Säulentempel ſanken Bald in die Ferne hinter uns zurück! Und in die Wüſte gings; doch noch zu ſchwanken Schien Alles, was ich ſah, vor meinem Blick. „Noch immer ſo verloren in Gedanken? Rief Ali aus um das entſchwundne Glück Der erſten Menſchen willſt du ewig trauern? Nun, Freund, nimm mein aufrichtiges Bedauern!

„Zurückgeführt hab' ich, ſo wie verſprochen, Dich zu der Vorzeit fernſten Horizonten, Als, aus dem Urſchleim kaum hervorgekrochen, Sich unſre Väter mälig trocken ſonnten Und mit den Rieſenthieren, deren Knochen Wir noch mit Schrecken ſchaun, den Maſtodonten Und Mammuths ſo wie andern Quadrupeden Behaglich wanderten im Garten Eden.

„Ich gratulire, daß dich zu verzehren Den vielgefräß'gen Beſtien nicht gelang; Doch treibt zu den Iguanas, Höhlenbären Zurück dich deines Herzens Sehnſuchtsdrang, Wohlan ich will dir deinen Wunſch gewähren! Dei deiner Rückkehr einen Feſt⸗Empfang, Eo wie für Könige, ja noch fplendider, Bereiten werden dir die Affenbrüder.”

So er, und meiner felber faum bemußt, Fortfuhr ich ſchweigend neben ihm zu reiten; Dann hub er wieder an: „Du haft nicht Luft? Nun denn, nad) einer von den Yolgezeiten Shad, Ge. Werke 1. 4

Schlägt in Verlangen dir vielleicht die Bruft, Und gern dir werd’ ich den Genuß bereiten, In ihr, nur zum Berfuche, ein’ge Tage

Dich umzufhauen; welche wählft du? fage!

„Gelehrt zu reden: Eben die tertiäre Periode ſahſt du, als noch ungetrennt Des Oftens und des Weſtens Hemifphäre Dalag, ein ungeheurer Continent, Doc plöglich dur den Einbrud wilder Meere Die Inſel, welche man Atlantis nennt, Geihaffen ward nun lebt Erinnrung kaum Bon ihr noch anders, als in Platos Traum.

„Willſt du etwa von jener pliocänen Siedhige, die in lands Tropengluth Palmen gedeihn ließ, Piſangs und Hyänen, In kälterm Klima kühlen dir das Blut? Dann ift die Zeit der Gletſcher und Moränen, Als über des vereisten Meeres Fluth Die Blöde wanderten, die man erratifc) Zu nennen pflegt, dir ficherlich ſympathiſch.

„O goldnes Alter, jene Eisepoche, Als fih die frühern Menjchen, unfre Ahnen, Bon Froft erftarrt im unterird'ſchen Roche Rennthieren zugefellten als Kumpanen! Wie luftig wars, wenn fie in ihre Joche Die Thiere zwangen und auf glatten Bahnen In den aus Knochenbein gefügten Schlitten Bom Nordpol bis an den Yequator glitten!“

Schon ward e8 dunkel; da in einem Thale Abfagen wir und in ein präct'ges Belt Mid führte Ali ein; ringsum vom Strahle Buntfarb’ger Lampen fand ich e8 erhellt,

53

Und Schalen waren, funfelnde Potale Auf goldgeftidten Teppich aufgeftellt. Zum Nachtmahl nach der erften Tagereife Dort ruhten wir nach Orientalen-Weife.

Wein in die Becher goß ein junger Schente, Wie ſchönre nicht Hafis gefeiert hat, Und Ali, der vom perlenden Getränte In vollem Zug zu fhlüirfen oft mich bat, Hub wieder an: „Nicht an Bergangnes denke, Noch an Zulünftiges, das ift mein Rath! Wer nicht das Jetzt genießt und feine Freuden, Ten geb’ ih Schuld, fein Dafein zu vergeuden.

„Don mir, mein Freund, die ächte Weisheit lerne, Und durch das Leben mag fie dich geleiten! Urthorheit muß ichs nennen, in der Ferne Das Glück zu fuchen, in vergangen Zeiten:

Wie Schattenbilder, die an der Laterne, Wenn fie der Gaukler fchiebt, vorlibergleiten, So zieht die blöde, willenlofe Heerde,

Die Menſchheit mein’ ich, über diefe Erde.

„Nicht Einer weiß, von wen fie wird gejchoben, Weshalb das ganze Spiel ift und für was; Wenn ein Gefchleht nach langem, wüſtem Toben Und wilden Streit von Ehrgeiz, Habgier, Haß, Drin e3 das Unterfte gekehrt nad) oben,

Ich fage, wenn e8 endlich leichenblaß Ins Nichts verftoben ift, beginnt in Schnelle Ein anderes das Spiel an feiner Stelle.

„So wars von je, jo wird es immer bleiben, Der Schwache Sklav, der Mächtige Tyrann; Daß Einer ſich am Andern aufzureiben Der Menſch beſtimmt iſt, ſcheint, ſo viel ich ſann,

52

Der einz'ge Sinn mir bei dem ſchalen Treiben, Und daß er ſich das Leben nehmen kann,

Nur darin hat er Vorzug vor dem Thiere, Beneiden müßt' ers ſonſt um ſeine Viere.

„Thu denn wie ich, der frei vom Erdentruge, Nicht ſorgend um den Lauf des Weltgeſchicks, Ich jeden Harm im weingefüllten Kruge Ertränke, dieſem einz'gen Quell des Glücks, Und Land auf Land in ſtetem Wanderzuge Durchſtreife als der Sohn des Augenblicks,

Bis ich nach ausgeſchlafnem Lebensrauſche Dies Daſein mit dem ſel'gen Nichts vertauſche.“

Mit Märchen dann und manchem luſt'gen Schwanke Und mit Erzählungen aus Oſt und Weſt Hielt Ali lange noch, mit feur'gem Tranke Den Becher füllend, mich beim Mahle feſt, Doc) folgen ließ der brütende Gedanke Mich kaum den Reden; auch noch, als der Reſt Des Weins geſchlürft war, hielt er in der Nacht An meinem Pfühl, den Schlummer ſcheuchend, Wacht.

Ob Ali Schlaf gefunden, weiß ich nicht; Leer war ſein Lager Morgens; vor dem Zelte Ihn ſah ich ſtehen, wie des Frühroths Licht Sein greiſes Haupt mit erſtem Strahl erhellte. Kaum wieder kennen konnt’ ich fein Geſicht; Jedweder Zug von Hohn und Spott und Kälte Schien von dem goldnen Scheine, drin verflärt Das edle Antlis glänzte, aufgezehrt.

An eines Felſens Abhang hingetreten,

In fi) verſenkt, nicht ward er mein gewahr; Und, wie er daftand mit dem winddurchwehten, Weißer als Schnee gebleichten Yodenhaar,

53

Erſchien er mir als einer der Propheten Uralter Zeiten, welcher wunderbar

Durch wechſelnde Geſchlechter, Völker, Sitten, Hindurch bis in das kleine Heut geſchritten.

Mit feierlichem Ernſt ſah in die Weite Sein dunkles Auge, das begeiſtert glomm Seltſam! Er der mir lachend das Geleite Gegeben, nun ſo andachtsvoll und fromm! Schon lang ſtand ich ihm unbemerkt zur Seite, Da trat ein Sklav zu ihm mit Ehrfurcht: „Komm, Gebieter! Rufen dich nach dem Gebote, Das du mir gabſt, ſollt' ich beim Morgenrothe.“

Ali, ſich wendend, ſah mich an mit Schweigen; Er ſuchte, wohl gewahrt' ichs, wiederum So wie er ſonſt geweſen ſich zu zeigen, Doch fand, in ſich verſenkt, oft lange ſtumm, Erſt nach und nach die Art, die ſonſt ihm eigen. Was ſollt' ich denken? Welch Myſterium, Das dieſen Mann umgab! Zwei Weſenheiten Schienen in ſeinem Weſen ſich zu ſtreiten.

So, uns zu Roſſe ſetzend bei dem frühſten Tagslichte, Mittags ruhend und bei Nacht, Durchzogen Städte, Dörfer wir und Wüſten,

Doch ſtets, als wär' ich kaum vom Traum erwacht, War mir zu Sinne noch. Am Tigris grüßten Wir Bagdads halbverſchollne Märchenpracht,

Und neben ihm im königswürd'gen Schloſſe

Als Saft zu wohnen, lud mich mein Genoffe.

Da prangte jeder Saal mit blanfen liefen Und golddurchwirkten Divans, Purpurbetten, Da fehlängelten fi goldene Devifen An rothen Simfen, blauen, violetten,

54

Empor bis zu den Wänden und den Frieſen Und ſpiegelten vereint mit den Roſetten, Mit des Gewölbes weißen Tropfſteinzellen Sich in des Waſſerbeckens klaren Wellen.

Früh lud beim Auf des Iſan von den Thürmen Zu fih mid Alı auf die Hausthürbank, Wo breite Matten vor der Sonne fchirmen. An uns borbei ſchwoll wild des Volkes Drang, Und kecken Ritts, als gälts die Stadt zu flürmen, Sprengten bei kriegerifhem Paukenklang, Hoch in der Hand geſchwenkt die Ranzenrohre, Der Wüſte braune Söhne durch die Thore.

Sodann ein Morgengang durch die Bazare! Welch Wogen der Beduinen und der Städter, Der hohen, frachtbeladnen Dromedare! Dazwiſchen Schlangenzähmer, Wunderthäter, Kaufherrn, dem Volk laut preifend ihre Waare, Indeß inmitten des Gebrängs ein DBeter,

Nicht achtend, ob ihn Einer hört und fieht, Tiefandachtvoll auf feinem Teppich niet.

Zur Mittagsftunde beim Gedüft der Miyrte Ausruht' ich in des Hofes offnen Raum, Und die Cikade, die im Laube fchwirrte, Der winddurdfäufelte Citronenbaum, Lullten den Geift, der hier⸗ und dorthin irrte, Mir nad) und nah in Schlaf und fanften Traum; Glückſelig ih, wenn biß zur Abendipäte Mein Denten all verfant in diefes Lethe.

Im Laub, nachdem geftillt der Sonnenbrand, Erhob die Nachtigall die Stimme wieder, Und mir zur Seite lösten von der Wand Sih Abu-Numas’, Dſchamis trunfne Lieder.

55

Klangreich, nicht mehr in ſtumme Schrift gebannt, Von den Gewölben rannen ſie hernieder Und in den Blenden, Niſchen insgeheime Kosten und flüſterten die füßen Reime.

Drauf bald ans Tigrisufer, das Narghile Zu rauchen, zog mich ein Begleiter mit, Wo auf der Wiefe kecker Reiter viele Die Stäbe Inftig warfen im Dfeherrid,

Und buntbeflaggt bei Sang und GSaitenfpiele Kahn neben Kahn an ung vorüberalitt;

Bald führt er mich in eins der Roſenthäler, Daß ich den Märchen laujchte der Erzähler.

Doch trog der Wunderftadt der Schehrezade Und aller Reize, welche fie mir bot, Zrog Alis Rath und nimmer milder Suade Wich nicht von mir der Trübfinn, der Deipot. Auch noch, als wir zu neuem Yängengrade Oſtwärts auszogen bei de8 Morgens Roth, Mir folgt’ er nad, denn immerdar noch ſchwebte Bor meinem Geift das jüngft im Traum Erlebte.

Bon Sciras’ duft’gen Gärten die Arome Einihlürften wir und boten unfern Gruß Dem Dihtergrab am vielbefungnen Strome Des Roknabad, wie dem im alten Tus. Dann thürmte feine eisgelrönten Dome Bor und zum Himmel Indiens Kaufafus, Der Patriarch der Berge, deilen Kinder, Die weitverirrten, Deutjche find und Inder.

Geblendet bob mein Blick erft mälig, zage Sich zu dem himmelnahen Yeljengrat, Dem Götterberg der alten Arierfage, Den nie ein Menfchenfuß zuvor betrat.

56

Mit reinem Schnee der erſten Erdentage Wie aus der Ewigkeit auf unſern Pfad Sah er herab, und hoch im Aetherglanz Glaubt' ich zu ſchaun der Sel'gen Feiertanz.

Oft, wenn von Oſten her mit Flammenrädern Der Morgenröthe goldner Wagen zieht, Rauſcht noch ein Urweltklang hier durch die Cedern, Der jungen Menſchheit erſtes heil'ges Lied, Als einſt ſie gleich den Perſern, gleich den Medern Voll Andacht an der Felſen Fuß gekniet Und in des Lichts, des Lebens lautrer Quelle Sich badete in reiner Morgenhelle.

„Der Wahrheit geb' ich ungeſcheut die Ehre“ So rief ich aus „der Menſchen erſter Glaube War auch der beſte, als zum Sternenheere Sie betend aufſahn aus dem Erdenſtaube,

Als ſie nicht Tempel kannten noch Altäre

Und in der Berge hehrer Säulenlaube

Ihr Hymnus mit der Stürme Donnerpſalmen Vereint binbrauste durch das Dad) der Palmen.

„Auch fie, die mit der Bilder ftummen Reden In Indiens QTempelhöhlen zu ung fpricht Und um die Gangaquelle in dem Eden Des Himalaya räthfelhaftes Licht Berbreitet, das fih dämmernd auf der Veden, Auf der Puranas heil’gen Blättern bricht, Der Seelenwandrung troftreichfromme Lehre, Wo ift die Religion, die befjer wäre?

„DO, daß zu jener Urzeit unjrer Bäter Und zu dem Glauben, welchen fie geglaubt, Wir mwiederfehren könnten! Reinrer Aether Umfpielte morgendlih ung dann das Haupt,

57

Und von dem Irrwahn, der den Menſchen fpäter Tie Unſchuld jener Kinderzeit geraubt,

Uns läuternd, würden wir gleich jenen frühen Geſchlechtern neu in frifcher Jugend blühen!“

Da late Ali: „Und mit dreifter Stirne Berufft du dich auf derlei Fabelei, Erfunden von verbranntem Dichterhirne, Tann forterzählt im Dienft der Klerifei Bon der Gefchichte, jener Tügendirne? Die Tage folder Märchen find vorbei. Mag man davon in taufend Büchern leſen, Die Zeit, von der du fprichft, ift nie gemejen.

„Haft du nicht felbft erlebt, wie über Maßen Das Glück der erften Erdbewohner war, Als noch die beiden kaum getrennten Nacen, Affe und Menjch fi glichen auf ein Haar Und alle Lebenden einander fraßen?

Nun denn! der Zeiten befte offenbar War jene no, und jchlimmer, ungeftalter Nur ward die Welt mit jedem Menfchenalter.

„Denn wenn zuerjt die Menſchheit vor Aeonen Naiv da3 war, wozu fie ſchuf Natur, So ward auf ihren fpäteren Stationen Sie übertündt vom Firniß der Eultur, Doc ftachelten Geſetze, Religionen In ihrem Innern mehr die Beſtie nur, Und künftlih wird, fo lang die Zeiten währen, Jedwede künftige ihr Leiden mehren.“

Trauf ih: „Elend, fo wie dus mir gewiejen, Wohl mag des Menfchen Loos gemefen fein,

Als er im Kampfe mit den Schöpfungsriefen Noch ſchwach daftand und hülflos und allein;

s8

Doch jedes Volk ſpricht von den Paradieſen, Drin ſeine Ahnen unſchuldsvoll und rein Vordem gelebt; preist nicht dies goldne Alter Die Leier des Ovid wie Davids Pfalter?

„3a, dag am frühen Anfang der Gefchichte, Als ſich der Geift aus erfter Finfterniß Emporgerungen, hell im Morgenlidhte Sold eine goldne Zeit liegt, ift gewiß;

Auf aller Volker Sagen und Gedichte

Mich ſtütz' ich, nicht bloß auf die Genefis; Und wiffe, Spötter, diejen beil’gen Glauben Wird alle deine Weisheit mir nicht rauben.“

„Wohlan, mein Freund, fo magft du felber ſchauen! Bon meinem Trank ſchon mischt ic) in ein Glas,” Rief Alt aus, als ich ums Abendgrauen Beim Mahl ihm, wie gewohnt, zur Seite faß;

Und bald den Schlaf fühlt’ ich herniederthauen, So dag ih Alles um mich ber vergaß;

Nicht lange und ich fand mich fern dem Zelt Ein Anderer in einer andern Welt.

V.

Beim Häuptling eines Pfahldorfs that ich Dienft in einer Hütte,

Die abgetrennt vom Ufer lag in blauer Wellen Mitte.

Auf Keilen in den Grund gerammt, zu ihren Seiten ruhten

Wohl hundert Häuslein, Meiner noch, fich fpiegelnd in den Fluthen,

Und übern See dahin fah man in weitgedehntem Kreiſe

Gewalt'ge Berge, tief hinab mit Schnee bevedt und Eife.

59

In Wolfsfell war ich eingehüllt, denn fchneidend bliefen

kalte

Bergwinde aus den Schluchten ber und aus der Gletſcher Spalte.

Kurz jährlich flieg die Sonne nur fo hoch am Horizonte,

Daß ih vom tättowirten Leib die Hülle wegthun konnte.

Das war die fehönfte Zeit des Jahrs; kaum noch be- ganns zu tagen,

Co ward vom Dorfe an das Yand die Brücke aufgejchlagen,

Und auf den ſchwanken Brettern 309 die ganze Pfahl- dorf-Horde,

Darunter mit den Snechten ich, zum grünen Uferborde.

Da Hommen wir zum Berghang auf, das frifche Gras zu fchneiden,

Da ließen auf den Wiefen wir die magern Ziegen weiden

Und ftreiften durch die Wälder bin, der Eichel Frucht zu fuchen,

Bon der das köftliche Gericht man buk, den Eichelfuchen

Wenn nur nicht oft und in das Dorf, die Walfer- Zufluchtſtätte,

Gefahr von Menſchen und Gethier zurückgetrieben hätte!

Kaum gab, wir ſeien ſo bedroht, ein geller Pfiff das Zeichen,

So ſtürzten Alle athemlos, die Brücke zu erreichen,

Und in die Ställe ward in Haſt das Vieh zurückgetrieben;

Jedwedem war der Tod gewiß, wär’ er am Land ge- blieben.

Wenn dann der grinme Winter fan, neun Monde lang von Dauer, Bern fich in Schnee verwandelte der Wetterregen-Schauer, Im engen Bretterhaufe, wo trog moosverſtopfter Nigen Die Stürme pfiffen, mußten wir oft Wochen, Monde fiten, Denn durch den dichtgehäuften Schnee, gepeiticht von Wirbelwinden

60

Und hoch zu Bergen aufgethürmt, war nirgend Bahn zu finden.

Da drängten froftig um den Herd ſich alle dicht zufammen

Und jubelten, wenn aus dem Holz aufpraffeltendie Flammen;

Doc oft nit ward uns fold ein Feft; die Feurung war zu felten,

Und wenig Aerte hatten wir, damit wir Bäume fälten,

Wie langjam in den Nächten dann, den bangen, fürdhter- lichen,

Ter Wärme und des Lichtes bar, dahin die Stunden ſchlichen,

Indeſſen von den Ufern her, aus jeder Bergesſpalte

Zu ung das Heulen und Gebrüll der wilden Thiere hallte!

Oft magten auf dem Eis des Sees ſich biß ins Dorf die Bären,

Und mit den Waffen mußten wir ung vor den grimmen wehren.

Dem Häuptling, der mein Dienftherr war, gehorcht' in

Ehrfurcht Feder;

Auf feinem Haupte wiegte ftolz fich eine Adlerfeder

Und um den Hals ihm Hing ein Schmuck von blanken Raubthierzähnen.

Tod ftand darauf, wenn irgend wer, als er mit feinen Söhnen,

Der gleichen Zierde fich vermaß; ganz zugethan dem Alten

Und eifrig immerbar beftrebt, Beſtehndes zu erhalten,

Eldherr des Voll nicht war er nur im Kampfe mit

dem Feinde,

ein geiſtlich auch das Oberhaupt der ganzen Dorfgemeinde.

unächft bei feiner Hütte ftand ein Hodaltar von Bronze,

dem den Eultus er vollzog als Imam oder Bonze.

em Öögen feines Stammes gab nach uralt⸗heil ger Satzung

fe mit der eignen hochſten Hand die vorgefchriebne Agung

nd trat nad) jeder Jagd zu ihm, mit den gehör'gen Riten

61

Bon jeglihem erlegien Wild ihm feinen Theil zu bieten; Auch dag man ihm allmonatlich gefangne Feinde fchlachte, War alter Brauch, darüber er mit fteter Eorge wachte. Wenn ed an foldhen juft gebrach, jo nahm nad) Braud) der Ahnen Die Fehlenden er aus der Zahl der eignen Unterthanen; Je mehr bei diejen Feften dann der Menfchenopfer fielen, So mehr gefeiert ward der Tag mit Jubel und mit Spielen.

Den Herren, denn er war in Huld und Gnaden mir gewogen, Begleitet’ ih auf jedem Zug mit feinen Kriegspiroguen; So tobte eben wechſelvoll ein Krieg bereits feit Jahren Mit den Bewohnern eines Dorfs, die unferm feindlich waren; Dft überfiel dies Pfahlbauvolk, das weftli in der Ede Des Sees angefledelt war, uns aus dem Felsverſtecke, Und wenn e8.im Verheerungszug auf ung hereingebrocdhen, Ward wiederum von ung im Kampf die Miffethat geroden. Hinüber und herüber ging, fo dicht wie Hagelfchloflen, Der Pfeilflug, manche Hütte ward in Brand und Grund geſchoſſen, Und mit dem Blut der Streitenden ſah ich den See ſich färben; Allein wie viel der Andern auch ich ſah im Kampfe ſterben, Mir bangte nur vor Einem, daß mein Herr den Tod erlitte; Denn grauſes Schickſal harrte mein alsdann nach alter Sitte: An jedes Häuptlings Grabe ward geſteinigt ſein Geſinde.

Es war die ſchöne Sommerzeit, lau fächelten die Winde,

Da rief des Häuptlings Töchterlein mich ins Gemach der Frauen,

Als keine juſt zugegen war: „Dir darf ich ganz vertrauen“

So flüfterte fie leis „mir bürgt dein Blid für deine Treue,

Indeß ich jonft vor jeder Magd, vor jedem Knecht mich ſcheue.

Erfahre du: als jüngft am Land die Männer jagend ſtreiften,

Vergnügt’ ich mich in einer Schludht, wo rothe Beeren reiften;

Mit meinen Mädchen fpielt’ ich erft, wir Eletterten und liefen,

Dann weiterhin zerftreuten fie fich in des Waldes Tiefen,

Und, als allein ich war, hervor trat durch die Pflanzen ſchlingen

Ein ſchöner Jüngling, Hals und Arm geſchmückt mit blanken Ringen.

Lang, ſprach er und ihm zitterte die Stimme, aus der Ferne

Hab' er nach mir geſpäht, ſo wie nach einem Himmelsſterne;

Seit er auf der Pirogue mich einſt im Vorüberfahren

Geſehen, dräng' es ihn, ſein Herz vor mir zu offenbaren.

Vom Häuptling jenes Stamms, der oft mit uns im Streite liege,

Sei er der Sohn, doch halte ſelbſt ſich ferne ſtets vom Kriege.

Indeß der Jüngling alſo ſprach, ſtumm ſtand ich, die Erſchreckte,

Denn Beiden drohte uns Gefahr, wenn Einer uns entdeckte;

Allein zuletzt verhieß ich ihm, zu ſtillen ſein Verlangen

Und heimlich an entlegnem Platz bei Nacht ihn zu empfangen.

Du kennſt die kleine Hütte wohl, wo Geiſter hauſen ſollen;

Nicht ſcheu' ich ſie, mag Keiner ſonſt ſie auch betreten wollen.

Wenn Alle ſchlafen, heute Nacht laß dort ein Lämpchen glimmen,

Dann wird, geleitet von dem Schein, mein Freund herüberſchwimmen,

Du aber, während er bei mir, halt vor der Thüre Wache!

Entdeckte uns der Vater, weh! ſchwer träf' uns ſeine Rache.“

Befehl war mir der Herrin Wort; kaum daß der Tag erblichen Und in die Hütte leiſen Schritts des Häuptlings Kind geſchlichen,

63

So zündete das Lämpchen ich dicht an des Ufers Borden

Und blieb als Wächter dort am Pla, wie mir Befehl geworden. |

Dft trat die Kleine aus der Thür und Sehnfudts: jeufzer hauchte

Sie nad) dem Liebften lang umfonft; da endlich, fiehe! tauchte

Ein Yodenhaupt, ein weißer Arm, ein Naden aus den Wogen;

Er war e3; in die Hütte fort ward er von ihr gezogen

Und, während drinnen fi) das Paar in Liebesglück be- rauſchte,

Hielt außen achtſam ich die Wacht; ich ſpähte und ich lauſchte;

Da plötzlich lauter Stimmenſchall und Schritte, die ſich nahten!

Ich rief den Beiden haſtig zu: „Flieht! flieht! Ihr ſeid verrathen!“

Sie ſtürzten aus der Hütte vor, allein auf allen Wegen

Wohin ſie flohen, ihnen trat der Knechte Schaar entgegen,

Und jählings dicht vor ihnen ſtand der Häuptling ſelbſt, der grimme;

„Packt mir den Schuft, den Schändlichen!“ rief er mit Donnerſtimme

Und höhnend zu der Tochter dann: „Beieurem Hochzeitsfeſte,

Kind, dürft ihr ſo allein nicht ſein; ſeht da! ich bring' euch Gäſte.“

Vergebens war des Mädchens Flehn; er gab Befehl den Knechten,

Daß ſie in Eiſenkettenhaft hinweg den Jüngling brächten.

„Lang iſt es, daß wir unſerm Gott kein Menſchenopfer brachten,

So ſoll man morgen dieſen ihm am Feſtaltare ſchlachten,

Und du, Kind, wirft zugegen fein; ei, dies dein Liebes— treiben,

64

Wie, Thörichte, nur glaubteft du, Geheimnig würd’ es bleiben?

Durch deine Mägde famen mir, die dich belaufcht, Berichte

Bon deinem erften Zwiegeſpräch mit diefem Böjewichte;

ALS treu fie preif’ ih; aber du rief er, zu mir ges wendet

Berworfner Knecht, der durch Berrath du deinen Dienft gejchändet,

Zum Lohn für deine Kuppelei, Darauf magft du vertrauen,

Wird morgen dir das Opferbeil das Haupt vom Rumpfe hauen!”

Man padte mich, ich widerftand, doch ward, bededt mit Wunden,

An den Altar gefchleppt und feit an einen Pfahl gebunden;

Daneben lag der Jüngling ſchon in ſchweren Eifenflammern

Und dur die Nacht vernahm mein Ohr fein Aechzen und fein Jammern,

Dazwiſchen aus der Knechte Schaar, die um ung her als Wächter

Im Kreiſe faßen, Stimmenruf und Höhnen und Gelädter:

„Run, heute früh mit lederm Mahl wird unfer Gott gefüttert!“

Erſcholls, und mir von jedem Ton ward Marf und Bein erichüttert.

Schon glomm mit erftem gelben Streif der Tag empor im Often, Mich loszureißen mit Gewalt da ſucht' ich von dem Pfoften, Allein umfonft, von fernher drang fehon wildes Schrein und Lärmen, Die Pfahldorfwohner wälzten fi zu uns beran in Schwärmen, Und aus den andern Dörfern auch hertanzten auf den Wellen Der Kühne und Piroguen viel bei Mufchelhörnergellen. Geflogen war die Kunde fchnell in alle Bain und Buchten,

Und eh des Jünglings Sippen noch ihn zu befrein ver- ſuchten.

Das Opfer wollte man vollziehn in frühſter Morgenhelle.

Die Federkrone auf dem Haupt, gehüllt in Bärenfelle,

ALS erfter trat der Häuptling vor, in Händen Art und Keule,

Und tanzte um das Gögenbild mit wüthigem Geheule;

Im Chore folgte ihm dag Volt, und pfeifend, Happernd, blajend,

Mit hölliſcher Muſik ihm nach ſich wälzten alle vafend.

Dann nieder warf der Häuptling ſich und faltete die Hände

Und betete zum Fetiſch: „nimm von mir die Opferſpende!“

Auf einmal ſprang er wieder auf zum letzten großen Akte,

Er ſtürzte auf den Jüngling los, und ſeine Linke packte

Den Nacken ihm, indeß die Art in ſeiner Rechten ſauſte

Abwenden wollt’ ich mein Geficht, weil mir beim Anblid graufte,

Und dennoch fehen mußt’ ich es, dicht ftand der Tod⸗ geweihte,

Wie Stiere an der Opferbank, bleich, zitternd mir zur Seite;

Da aus der Menge ſcholl ein Schrei, durch Hirn und Haupt mir dringend,

Des Häuptlings Tochter drängte ſich hindurch, die Hände ringend,

Dem Vater ſank ſie in den Arm, um ihn zurückzuhalten,

Doch mit dem Beil that er den Schlag, des Jünglings Haupt zu ſpalten,

Und blutend ſank der Arme hin; auf ihn gleich Menſchen⸗ freſſern

Eindrangen Männer fo wie Fraun mit Aexten und mit Meflern;

Schon lag er todt am Boden da; ichjah, und mir umflorten

Die Augen fich, wie Kinder ihm ing Herz ihr Eifenbohrten,

Wie drauf der Häuptling von den Blut auffing, der Cannibale,

Ehad, Bei. Werke. 1 5

6

Und es dem Götzen rauchend noch darbot in einer Schale.

Von Mund zu Mund ging da der Ruf: „Sie kommen, ihn zu rächen!

Die Feinde ſind es! nur geſchwind, damit wir dieſem Frechen

Sie deuteten dabei auf mich zuvor den Garaus machen!“

Das Lärmen und das Schreien wuchs, in dichtgedrängten Nachen

Herangerudert kam der Feind, das Dorf in Brand zu ſteden;

Rothgluhnde Pfeile ſchoß er ab; ſchon ſtürzten voll von Schreden

Der Pfahlbewohner viele fort zum Schuge ihrer Dächer;

Allein der Häuptling donnerte: „erft fterbe ber Verbrecher!“

Und zum Altar mich fehleppten zwei gehorjam feinen Winken;

Er packte mich zu Häupten mir die Erzart ſeh' ich blinken

VI.

Von Ali, der mich an der Schulter faßte, Ward ich gewedt: „Schon hoch im Oſten ſteht Die Sonne, und bei einem Freund zu Gaſte Noch muß ich ſein, bevor ſie untergeht!

Der Weg iſt weit, drum bitt' ich aufzubrechen!“

raftrunken noch hört’ ich ihn alſo ſprechen; einem Schleier lags mir auf der Seele, um gewahrt' ich, wie nach dem Befehle achdem er mich geweckt, 5laven fort im Trageſeſſel trugen. ſt, in einen andern hingeftredt, ort: „Nun? geht die Welt dir auß den Fugen,

67

Da alle deine Träume fcheitern?

Hätt' ich doch nie gedacht, fo fchredlich fei

Die goldne Zeit! Welch Angftgefchrei Ansftiegeft du! Wohlan, es ift vorbei,

Und forgen werd’ ich fehon, dich zu erheitern. Im Trageſeſſel fo, des Wechſels wegen, Bequemer reifen laß uns diejesmal.

Tem ſchönen Indien geht es num entgegen!

Ich denke, vor dem Abendftrahl

Einziehn wir noch in Kaſchmirs wonn’ges Thal.“

Bon dannen ging die Fahrt durch Berg und Schlucht Des wolkennahen Kaukaſus; Zu Seiten uns in wilder Flucht Hin über Klippen ſchoß der Hilmendfluß, Und kühlend wehte von der Berge Firne Der Früähmind mir um Wang’ und Gtirne. Sp mälig mit erwachtem Sinne Der Gegenwart von Neuem ward ich inne, Obgleich das nächt'ge Traumgeficht (Nein, Traum es nennen darf ich nicht, Da Alles leibhaft ich erlebte) Mir nod durch alle Yibern bebte.

„Wohlan ſprach Ali, wie wir weiter zogen Vom Wahne, der dich lang betrogen, Für immer, dent’ ich, bift du num genejen Und träumft von einem Glüd nicht mehr, Das auf der Erde nie gemefen, Noch ift, noch fein wird. Doc, trägft du Begehr, Auf ihrem Gange durch die Zeiten Die Menjchheit weiter zu begleiten, So fei dir gern das Thor dazu erjchloffen, Und nad) der lieblichen Idylle, Die in dem Pfahlbaudorfe du genoffen,

68

Beig’ ich dir weiter, wie der Lebenswille Die Erde fih zum Paradies geichaffen

Und wie die edle Dejcendenz des Affen

Zu immer höhern Bildungsftufen Komm. Geſehen haft du felbit, wie fromm

Und gläubig unfre Elterväter

Menſchen abjchlachteten vor Fetiichklögen, Allein ein Vorſpiel war das nur für fpäter; Mehr wuchs und immer mehr den Gögen Bei wachſender Eultur der Appetit. Anftimmen wirft auf deinem Pjalter

Du felbft gewiß ein hohes Yied

Zum Preiſe für das goldne Alter,

Das in Phönizien, im Euphratthal,

In Babylon und in Afigrien blühte,

Wenn ich die Götter uralt:heil’ger Mythe, Bor denen dort die Menge fniete,

Dir zeige, den erhabnen Baal,

Die feufche, jungfräuliche Aftaroth,

Des milden Molody Erzbild, wie es roth, Geheizt mit Menfchenopfern glühte,

Auf deinen Wunſch auch Einlaß geb’ ich dir Ins alte Reich der Pharaonen;

Dort magft du mit den Millionen Glückſel'ger Bürger, die den Mufterftaat bewohnen, Im Schweiß des Angefichtes einem Stier Ein Dentmal bauen oder Katzen, Ratten In ihrer Poramidengrujt beftatten. Mitlämpfen kannt du, Freund, dort in der Wiege Der Menſchenbildung aud die Glaubengfriege, In denen, nie des Blutvergießens jatt, Sich Torf mit Dorf und Stadt mit Stadt Sahrhundertlang befehdeten, weil diefe

Den Hund anbeteten und jene

Den Schafal oder die Hyäne.

69

Fürwahr! der Menſch war damals fhon ein Niefe An Weisheit, Frömmigkeit und Tugend,

Und wer jo hoch ſchon ftand in feiner Jugend, Was Wunder, daß er fpäterhin als Mann

In Beda, Koran, Zendavefta, Bibel

Ter Wahrheit zweifellofen Schag gewann!

Iſt überdies noch perfektibel

Dies herrliche Geſchlecht ich will es fegnen! Nur fürcht' ich mich, nach ein’gen Fahren Weiteren Fortſchritts Eremplaren

Sothaner Menjchheit zu begegnen,

Eie wird für mich allzu fublim.“

Er ſchwieg, und als ich fort und fort Des Wegs ftumm binzog neben ihm, Bon Neuem nahm er fo das Wort: „Allein ich Thor, daß ih von Götzenknechten, Bon blinden Heiden rühmend ſprach, Die ihr mit Hohn belegt und Schmad)! Borziehn wirft du gewiß das Volk des ächten Allein’gen Glaubens im gelobten Yand. Wohl denn! du haft3 in deiner Hand; Einlaß dir bieten will ich gern Zu diefen Pieblingen des Herrn. Wahr ifts, von aller Welt verachtet Als Menjchheit-Auswurf wurden fie betrachtet, Allein um fo erhabner mar der Düntel Des Kleinen Ochfenhirten-Stamms, Daß er in feinem engen Erdenwinfel Eich für die erfte der Nationen bielt. Zu diefen Söhnen Abrahams Zuneigung hab’ ich ftet3 gefühlt; Sie fpielen nach des Himmels weisheitsvollen Beichlüffen eine von den erſten Rollen Im großen Welterziehungsplan.

- 70

Von ihnen ward im Lande Kanaan

Dem Gotte, den ſie ſich gepachtet,

Alles, was Leben hat, geſchlachtet,

Und auf ſein heiliges Geheiß

Verbrannten fie Kind, Mann und Weib und Greis In Biegelöfen oder fägten fie

Dreifach in Stüde zwischen Brettern.

Nicht etwa einer von den Heidengöttern,

Nein der Erhabene von Sinai

War das, der Behngebotegeber,

Den dann die Chriftenheit geerbt:

Nun, wohl bekomms! Reichlich geforgt für Gräber Hat er und jedes Land mit Blut gefärbt, Wohin er fam auf feinem Giegeslaufe,

Ja, wenn fie weigerten die Taufe,

Selbft für die frommen Söhne Iſraels

Den Scheiterhaufen angezlinbet.

O heil'ge Kirche, auf den Fels

Des Petrus unerſchütterlich gegründet,

Der Synagoge würd’ge Tochter du,

Wer mehr der Welt Wohlthaten von euch beiden Erwieſen hat, ich mag es nicht eniſcheiden,

Doch jeglicher von euch Heil! ruf id zu; Berleiht biß an der Zeiten Ende

Der Menſchheit eure Segensſpende!“

Er höhnte noch. Da mälig ſenkten Oſtwärts die Felſen fi; wir Ienften Hinunter von den Höhn des Hinduluſch, Und ſchon, zu Seiten unjerm Paß,

Aufs neu beffeidete mit Baum und Buſch Die Erde ſich; hochmüchlges Kufagras Schwoll längs des Wegs in breiten Wogen, Und fieh! als wir um eine Ede bogen,

Lag Kaſchmirs Thal im legten Sonnenglanz,

1

Ummingt von himmelhoher Berge Kranz,

Bor unfern Bliden da, ein weites Meer Ueppigen Grüns, auf das, von Früchten ſchwer, Der Mango-Bäume Zweige niederhingen. Durd das Gewirr der Pflanzenfchlingen,

Die von der Wurzel biß nad) oben

Die Aeſte in einander woben,

Sah ich fi einen Fluß (Hydafpes Hießen

Die Alten ihn) mit Harer Fluth ergießen,

Und aus dem vielverfchlungnen Didicht fchanten Goldſtrahlende Paläſte, Ruppelbauten,

Pagoden und Moſcheen und Minarete

Das war Kaſchmir, die Stadt der Städte, Das Erdenparadies der Orientalen.

Noch eben ſahn wir in des Abends Strahlen Aus ſeiner Gärten Grün die Tempelſpitzen, Kioske, Thürme, Dome blitzen.

Wir zogen in die Stadt, wo dichte Schwärme Bon Hindus und Moslimen mit Gelärme An uns vorüberwogten durch die Gaſſen, Und alle Dächer und Terraſſen Von Papageien wimmelten und Pfauen; In Palankinen ruhten holde Frauen, Dazwiſchen ſah man heil'ge Stiere Und Büßer, an den Boden ſtarr gebannt, Und Reiter zu Kameel, zu Elephant.

„Folg' mir zu unſerm Nachtquartiere! Sprach Ali hier zu längrer Raſt Hat mich ein Freund geladen; und als Gaſt Wird er auch dich willkommen heißen. Nun deinem Trübſinn mußt du dich entreißen, Denn was das Herz nur irgendwie begehrt, Iſt hier dem Sterblichen beſchert.

72

Wenn unter duft'gen Roſenlauben

Bei Sang und Spiel und ſüßem Saft der Trauben Ihr goldnes Netz um dich die Stunden ſpinnen, Nicht ferner wirſt du grübeln mehr noch ſinnen, Nicht mehr nach fremden Längen oder Breiten Dich ſehnen oder andern Zeiten.

Glaub', Freund, durch alle Länder, alle Meere In jedem Weltenalter, jeder Sphäre

Hab’ ich dem Glüde nachgejagt,

Allein bereuend endlich mir gejagt:

Weil’ ift allein, wer, Sohn der Gegenwart,

Nicht rückwärts blidt noch auf Zukuünf'ges harrt.”

Bor einem Prachtpalaſt, indeß die Nacht Herabfant, wurde Halt gemacht, Und ſchmucke Sklaven in Afghanentracht Führten die Marmortreppen und empor, Bis wo des Haufes Eigner, Adſchid-Singh, | Mit allen Ehren ung empfing. Geleit und gab er dur das Thor In hohe Hallen mit Arkaden, Durch welde blüthenbuftbeladen Tes Gartens Lüfte wehten; Kerzen brannten . Ringsum auf Silberleuchtern und entfandten Fladernde Lichter, die auf dem gefchnigten Getäfel, an den Jaſpisſäulen bligten; Und weiter dämmernd glitt ihr Schimmer On tuppelüberbedte Zimmer. ort nochmals uns willkommen hieß er Wirth; auf goldgeftietem Scharlachpfühle, en er als Lagerftatt mir wie, ald lag ih da, indefjen friſche Kühle er ES pringquell auf mich nieberthauen ließ, nd dem Erfhöpften von der Tagesreiſe diegten die Tropfen, wie fie leife

Ins Marmorbeden niederfanten, In Schlaf die ſchweifenden Gedanten.

Db tief verftört auch und von Schmerz bemegt, Daß fih die Wirklichkeit wie kalter Herbftreif auf meine Träume all gelegt Bom Glücke früher Menfchenalter, Den Wonnen o! wie hätt’ ich mich verfchloflen, Tie diefe8 Indien mir bot? Bor mir bei jedem Morgenroth Aufthat fih wie ein Feenfaal Kaſchmirs berühmtes Rofenthal, Bon Genien, wie mit Wein ein Feſtpokal, Mit allen Reizen vollgegofien. Geſchmückt gleich einer Braut zur Hochzeitsfeier Im lieblihen April war die Natur; Durch weißen, duft’gen Nebeljchleier, Mit dem fie Höhn und Thal und Flur Für das geheime Xiebesfeft verhängte, Brach leuchtend hier und da des Himmels Blau; Und auf die Gärten, auf die Wälder fprengte Ein friiher Oft den Silberthau. Ich dann auf Zeppichen frifchgrüner Saaten Hinfchweift’ ich an der Berge Hang, Um welchen fih von blühenden Granaten Ein Purpurgürtel funkelnd fchlang; Und auf mich niederjahen, wenn die Falten Ter Frühlingsnebel aus einander wallten, Des Himalaya Gletfcherriefen, Die lang den Morgen ſchon auf ihren Stirnen tragen, Eh es im Thal beginnt zu tagen. Umflattert auf den blühnden Wiejen Ward mir der Fuß von Schmetterlingen, Die fih an den Madhamis, den Springen Beraufchten in des Honigfelches Süße,

74

Und durch der Quellen Murmeln, dem die Spalten Und Schluchten des Gebirges widerhallten, Riefen ſich Kokilas die Liebesgrüße.

Trug drauf vom Mittagsmeer der Süd

Die Tropengluth heran mit mattem Flügel, Auf einen moosbewachſnen Hügel

Streckt ich mich nieder wandermüd

Und ſchaute träumend durch die ſchwanken, Mein Haupt umzitternden Lianenranken Aufwärts zu grünen Laubendächern,

Der Vögel luft'gen Brautgemächern.

Oder beim Spätroth auf den ſtillen,

Mit Lotosblüthen überdeckten Seen

Vorüber an den Ufervillen

Ließ ich mich ſchaukeln in des Abends Wehn.

Und nächtlich in den Gärten Adſchid⸗Singhs Wie lieblih wars bei Sternenfhein zu träumen, Wenn aus Bananendidiht, Dangobäumen Der bunten Yampen Schimmer rings Herniederftäubte. Auf dem weichen Rafen Lag ich gebettet zwiſchen Marmorvafen,

Daraus des Oſtens Weihrauch quoll,

Und taufend Blüthen hauchten wolluftvoll Sehnſücht'ge Düfte in die Nacht;

Herab auf meine Stirne thaute facht

Der feuchte Staub der plätfchernden Fontaine, Die tönend in die Schale fiel,

Und bei der Lichter Wechfelfpiel

Auftauchten aus der Dämmrung meiße Schwäne, Die gligernd auf den Silberwogen

Des Waflerbedend Furchen zogen.

Ich fah, den Cedern und den Tamarisken Entragend, ſchlanke Obelisken

Und drüberhin die Kuppeln und die Zinnen

75

Der Zauberſtadt im Mondesglanz.

Wie erſt ward ich beſtrickt, wenn Sängerinnen Ihr Lied begannen, wenn im Tanz

Bei Zitherſchall ſich Bajaderen wiegten, Holdflüſternd ſich an meine Seite ſchmiegten Und, während an der Arme Spangen

Die Silberglöckchen lieblich klangen, Schmeichelnd mit duftenden Guirlanden

Von Lotos und Jasminen mich umwanden.

Ihr, denen des Gedankens Leiden Im Abendland das Sein vergiften, Wohl um das Leben mögt Ihr mich beneiden, Das ich auf Kaſchmirs grünen Triften, In ſeiner Gärten Zauberkreis genoß; Doch glaubt! nur kurz, nur halb erſchloß Mein Herz ſich dieſem Reiz des Orients. Eintönig bald erſchien mir Indiens Lenz, Ich floh von ſeinen heitern Feſten Und faſt nach dem verlornen Weſten, Nah o! fo Bielem, was mir drüben lieb, Nach einem Geift, der mich verftebe, Und ftatt der fteten Luft nach ſüßem Wehe Im Herzen tief mir regte fich der Trieb. Selbſt in der Dichtungsmwelt der Inder, In der ih Nal, Sakuntala, Rama und Sita, all die luft’gen Kinder Der Phantaſie vor mir erftehen jah, Nur wie von Sinnenraufch befangen Fühlt' ih nah Höheren Berlangen. Sch ließ von frommen Siedlern und Brahmanen Mir Beden deuten und PBuranen, Allein mir war wie Einem, den verirrt In eines Urwalds wuchernden Yianen Bei jedem Schritte ſich der Fuß verwirrt;

76

Bisweilen wohl quoll heil'ges Ahnen,

So wie ein Lichtſtrahl durch den Wald, Entgegen mir, doch tiefer ſanken

Auf mich herab die nächt'gen Schatten bald, Und aus der Wildniß der Gedanken

Nach Licht und Klarheit regte ſich in mir ein Sehnen. Da in die Hand fiel mir ein Buch

Von jenen, die ich mit mir trug.

Es war ein Band in Sprache der Hellenen, Und bald, vertieft in Plato, Xenophon,

In Herodot und in des Pindar Oden, Fühlt' ich mich wieder auf dem heil'gen Boden, Den ich geliebt als Knabe ſchon.

Seit Morgenrothe, wenn zu den Pagoden Die Hindus wallten und vom Minaret

Der Auf die Moslims mahnte zum Gebet, Ward ich nicht fatt, zu jchlürfen von dem Trank, Ten Hellas’ Weife mir und Tichter boten; Ganz weilte meine Seele bei den Todten, Und diefes fehöne Indien ſank

Dit feinem bduftenden Gefild,

Mit allen Reizen feiner Bajaderen

In Naht zurüd mir wie ein Traumgebild. Bald, daß ich Diotimas Lehren

Und Agathong bei Platos Gaſtmahl Laujchte, Bald dag Nemeas, daß Olyınpias Siegshymne mir den Geift beraufchte;

Und Abends einft, als fo ich las und lag Und mir nach Hellas der Gedanke fchmeifte, Zu plöglihem Entſchluſſe reifte

Die Sehnfuht mir. Zu Ai eilt’ ich drum, Den ich feit Tagen wenig nur erblidt

Und der auch dann nur flüchtig, ftumm

Mir feine Grüße zugenidt.

Ich fand ihn fpät im einfamen Gemad

7

Noch bei dem Schein der Lampe wach,

Ein pergamentnes Buch auf ſeinen Knien, Das überdeckt mit runenhaften Zeichen, Urweltlich fremden, war. Nicht einer ſchien, So viel ich kannte, dieſe Schrift zu gleichen. Feſt hing der Blick des Greiſes an den Blättern, Gehört nicht hatt' er meinen Tritt,

Und über ſeine Schulter glitt

Mein Auge nieder auf des Buches Lettern. Mir war, als ſchaute mich aus Weltalltiefen Ein groß Geheimniß an in den Hieroglyphen; Wie Züge von der Sprache der Giganten, Den Göttern nur verſtanden, däuchten

Sie mir mit räthſelhaftem Schein zu leuchten, Und lang, gleich einem Feſtgebannten Daſtehnd, zu athmen wagt' ich kaum.

Auf einmal, wie erwacht vom Traum,

Sah ich das Angeſicht des Alten

Mir zugewandt, die Stirn voll ſchwerer Falten. „Was ſoll mir diefer Nachtbeſuch?

Laßt mich allein mit meinem Buch!“

Sprach er erzürnt, wie ich ihn nie gehört, Und ich vermochte nur Verworrnes

Zu ſtammeln, ſo war ich verſtört.

Allein nach kurzem Flackern ſeines Zornes Bald wieder milder ward der Greis;

Und, da zum früheren Gedankenkreis

Mein Geiſt die Rückkehr mälig fand,

Bat ich ihn, mich ins alte Griechenland Durch ſeinen Zauber zu entrücken:

„Dort einzig kann das Leben mich beglücken, Wo meiner Seele Heimath. Freiheit, Recht, Schönheit und Weisheit ſind nur dort gediehen, Und nie auf Erden mehr wird ein Geſchlecht Wie jenes göttliche erblühen,

78

Dem Perikles, dem Aeſchylus entſtammte. Hellas, mein Hellas! o wie flammte

In dir das junge Leben hell und warm

Zum Himmel auf! wie ſchlangen Arm in Arm Die Muſen ihren ew'gen Reihn

An deinen Küſten, ſchönſtes Land der Welt! Noch jetzt, was unſre Erdennacht erhellt,

Ein Schimmer iſts von deinem Herd allein, Und rückwärts ſpähen wir zum Horizont

Nach deinem Morgenrothe, als die junge Menſchheit, vom erſten Himmelslicht beſonnt, Der Götter Weisheit noch mit Kinderzunge Nachſtammelte. So heiter wie dein Aether war Dein Volk, ſein Geiſt wie er ſo hell und klar; In treuer, immer gleicher Liebe lag

Es an dem Buſen der Natur

Und fühlt' an ſeinem ihres Herzens Schlag. O dürft' ich eine Stunde nur

In dem Athen des Perikles verleben,

Einmal am Feſt der Athenäen

Im Säulenhof des Parthenon nur ſtehen,

All meine Tage würd' ich darum geben!“

„Nun, Freund, wenn jene Zeit dich alſo reizt, So werde mit den Stunden nicht gegeizt: Rief Ali aus gern bin ich dir zu Willen Und werde heut noch dein Verlangen ſtillen.“ Er führte mich zur Tafel in den Saal Und goß vom Elixir in den Pokal;

Zum Mund ihn führt ich, und nicht lang, fo fant Ich fchlummernd nieder auf die Bank.

vu.

Ih fand im Haus des reihen Symmias Mich als der Sklaven einen. Klagen kaum, Daß ſchwer das Joch der Knechtſchaft auf mir liege, Konnt’ ich, wenn ich mein Loos mit dem verglich), Das Andre litten; doch von früh ber trug Ich noch im Herzen eines Schmerzend Stachel. ALS freier Bürger Theras war mein Vater Geboren, aber, weil auf Spartas Seite Die Inſel kämpfte, hatten die Athener Mit allen den Bewohnern ihn gefangen In ihre Stadt gejchleppt. Schredvoll noch ftand Mir vor dem Geifte die Erinnerung,

Was wir erduldet, als das enge Schiff

Die Männer, Kinder, Traun in fchweren Ketten Dabingetragen übers wilde Meer,

Als einer Heerde gleih man auf dem Markt Athens uns feilgeboten; nach Korinth Hinweggeriffen ward aus meinem Arm

Der Bater; mit der Mutter in den Frohn

Des Symmias kam ich, allein die Eltern

Trieb Gram um die verlorne Freiheit bald

Ins frühe Grab.

Mild war der Herr und gütig, In deflen Haus ich aufwuchs. Nur die Söhne, Ein Paar von böfen Buben, plagten mid); „Warum fo langfam bei der Arbeit, Sklav? Bring das und das! nun hurtig!“ fo von früh Bis fpät von ihren Rippen ſcholls und, war Ich ſäumig, flugs in ihren Händen zudte, Zum Schlag bereit, die Geißel auch. So oft Sie Morgens in die Ringkampfſchule gingen,

80

Höhnenden Blicks mich maßen fie: „Der darf Nicht mit uns gehn, der Sklav. Für Freie nur Ft des Gymnaſten Kunft.“

Unfern der Stadt An des Hymettus blüthenvollem Hang Gelegen war des Symmiad Säulenhaug, Und oft im Frühroth, eh mein Dienft mich rief, Trübfinnend ftand ich in der Halle dort, Indeß mein Blid auf herrliche Athen Hinunterglitt. Da lags mit feinen QTempeln, Rennbahnen und Paläftren und Theatern Endlos vor mir gebreitet Parthenon, Akademie, Olympion und Stoa, Vom Rieſenbild der Pallas überragt, Die majeſtätiſch von des Kekrops Burg Auf ihre heil'ge Stadt herniederſah. Für Alt und Yung war dort Genuß; bald weihte Der Mufen Liebling Ariftophanes Beim Kelterfeft auf feiner Mastenbühne Den Kleon, Sokrates, Euripides Der Menge unauslöfchlihem Gelächter, Bald galts am großen Dionpfienfeft Den Kampf der Tragiker zu ſchaun, bald lodte Der Waffentanz, der Priefter Feierzug Das Bolf auf die Akropolis. Nur uns, Den Sklaven, blieb die Herrlichkeit verjagt.

Einmal des Tages auf die Agora, Des Hausbedarfes halb, warb ich gejandt, Dann wohl, entfliehnd dem tofenden Gedräng, Eintrat ich in des Zeus, in des Apoll, Der Aphrodite Tempel und erhob Das Aug’ in Andacht zu den Götterbildern, Die Phidias’ Meifterhände, Polygnots Dem Marmorblod entlodt, doch fcheu, ftet3 fern

1

Dem Heiligtum in legter Reihe mußte

Der Sklav fih halten. Auch bisweilen trieb, Wenn HeroldEruf die Bürger zur Verfammlung Entbot, mich Neugier auf die Pnyr; faft wirr Ward da mir in dem lärmenden Getiimmel, Der Senfenjchmiede, Schufter, Fiichverfäufer, Wurfthändler, Trödler, die das Wohl des Staats In Händen trugen. Dies Gerücht bald fchwirrte Und jenes bald von Mund zu Mund: „Gefallen Iſt Pylos; kaum vermögen hundert Schiffe

AU die Sefangnen nach Athen zu bringen.” „Gelandet in Eleufis find die Sparter;

Im Eilmarſch rüden fie heran; flieht! flieht!" Hin dur der Handwerksleute Reihen fchritten Geſchäft'ge Syfophanten, ihre Gunft

Für da3 und jenes Amt durch Schmeichelei

Sich zu erlaufen; dann erfcholl es: ftill!

Und auf der Rednerbühne donnerte

Das Volksorakel, der berühmte Gerber.

Wohl flüftern hört’ ich neben mir: „der Dieb, Der Gauner Kleon! feinen liftigern

Und abgefeimtern Schurken kennt die Welt!” Doch auch die jo gezifchelt, klatſchten ihm

Beim Redeſchluß mit Allen Beifall zu.

Kehrt' ich von meinem Gang zur Agora, Sp harrte mein in Haus und Garten Arbeit, Und die Minuten zählt’ ich bis das Dunkel Hereinbrad. Mir vom Bater war der Trieb Zu Kunft und Wiffen in den Geift gepflanzt, Und fo bei Lampenſcheine Nacht für Nacht Sag ih im Erdgeſchoß, mo Symmias Sih von Papyrusrollen einen Schat Gehäuft. O wie mir da die Stunden flohn, Wie ich mit Herodot den Nil hinauf Shad, Bei. Werke. 1. 6

Bis in das Yand der Yethiopen 309,

Bei Marathon und bei den Thermopplen

Im Geiſt mit ihm die heil'gen Schlachten ftritt! Wie bei den Jamben des Archilochog

In Hornbegeifterung dad Herz mir flammte!

Dft von der Schwalbe morgendlichem Zwitſchern, Wenn roſ'ger Schein um den Hymettus floß, Erft mahnen ließ ich mich, die theuern Blätter Zurück in ihren Schrein zu thun.

Fremd waren Die andern Sklaven mir, und felten Worte Tauſcht' ich mit ihnen. Ihrer Einer nur, Eubulos, zog mich zu fih Hin. Noch jung, . Schön wie Adhill und wohl bei Symmias Gelitten, dennoch nimmer lächelt’ er, Und über feiner Stirne, feinem Blid Schien eine Wolfe tiefen Grams zu liegen. Obgleich wir felten Worte wechjelten, Doc, wie ich ihm, fehien er mir zugethan, Und einft, al3 wir allein, faßt’ ich den Muth, Bon ihm den Grund des Kummersd zu erforfchen. „Und kannft du fragen?” gab er Antwort „hat Das Sklaventhum dich fehon jo tief erniedert, Daß du die Schmach der Knechtichaft nicht mehr fühlſt, Die ſchwerer noch auf unfern Seelen ruht, Als auf den Naden? Wie die Freiheit ich Berloren, kurz vernimm es! Don dem Bund, In dem es lang mit diefer Stadt geftanden, War Lesbos, meine Heimath, abgefallen. Da eine Flotte, fie zu züchtigen, Entfandten die Athener nach der Inſel, Siegten und hielten furchtbar Blutgericht, Enthauptet wurden alle Sünglinge, Männer und reife; Mitylene felbft,

83

Die Stadt, mit ihren Tempeln, Hippodromen,

In Schutt verwandelt. Weibern nur und Kindern Großmüthig ſchenkte man das nadte Leben,

Um fie, de8 Jammers, der Verzweiflung Raub, In Sklaverei hinwegzufchleppen. So,

Da meines Vaters Haupt in dem Gemetzel Gefallen, ward ih auf dem Markt Athens

In Ketten dem Meiftbietenden verkauft,

Indeß die edlen Bürger diefer Stadt

Den Sieg mit Freudenfeften feierten.“

„Dein Schidfal, armer Freund, ift meinem gleich Ermidert’ ich und drüdt ihm warm die Hand Do laß wie ich die alte Wunde heilen!

Iſt unfer Symmias nicht ein güt’ger Herr?" „Gütig? Nun ja, wie man ein Laftthier fchont, Damit e8 länger noch die Bürde trage!

Sag, find wir Menfchen? Spricht Verachtung nicht Aus jedem Blick der Freien, der ung trifft? Gelächter haben fie und Hohn und Spott

Allein für uns, die Ausgeftoßenen

Aus ihren Reihn. Das Weh in unfern Herzen, Bon unferm Munde der Berzweiflungsfchrei

Gilt ihnen nichts. Für fie nur eine Heerde Bernunftberaubter, willenlofer Wefen

Sind wir, und was der Schande Gipfel ift, Allmälig bis in unfre Seele dringt

Die Sklaverei, der Kette fcharfer Zahn

Nagt fi zum Herzen durch, daß wir entarten

Und bis ins Innerſte das Bild der Menjchheit

In ung entftellt, verzerrt, vernichtet wird.“

Er ſchwieg und ich blieb ftumm; denn, ob er auch Bon krankem Wahne mir befangen däuchte, Nicht ganz fehien leer des Sinns mir was er fprad). Aufs Neu dann hub er an: „Freiheit! wie prahlt

4

Dies Volt damit! nun ja, auf fünfzig Sklaven

Mag Einer fommen, der die Freiheit hat,

Uns in den Block zu fchließen, auf die Folter

Zu fpannen! auf uns Hunderttaufende,

Unfelige, in Staub Getretene

Sind alle Staaten Griechenlands gegründet,

Die gleih den Schlangenzähnigen einander

In ew’gen Krieg zerfleiihen ſchöne Freiheit! Und warte nur, mein Freund, wenn unfern Herrn Als fanft du rühmft! Schon reift ein neu Geſchlecht Heran; das wird, nach der Spartaner Vorbild,

Der Sanftmuth Mufter fein; gleich den Heloten Mird man zum Rauſch uns zwingen, daß die Trunfnen Ein warnend Beifpiel für die Knaben fern,

Zur Luft gleich wilden Thieren in den Wäldern

Uns jagen und mit Pfeilen nach ung ſchießen.“

Dit fo noch düftern Sinnes ſprach Eubulos Zu mir, doc [hen zulegt ihm wich ich aus; Bor Lauſchern war mir bang.

Es kam das Jahr, Das jedem Griechen als das herrlichſte Auf Erden galt. Her von Olympia zogen Die Friedensboten, mit Drommetenton Die Söhne Hellas’ al zum großen Feſt Des Zeus zu laden. Jeder Waffenlärm Berftummte; von Siciliens fernen Küften, Bon Galliend und Aſiens, Libyens, Sp weit die Sprache des Homer erjholl, Walfahrend in befränzten Schiffen eilten Die Feftgenoffen zum Alpheusftrand. Bon den Athenern wurde mein Gebieter Ermwählt, daß er im Namen ihrer Stadt Am Altar des Kroniden Opfer brächte;

85

Und, o des Glückes! in der Sklavenſchaar, Die als Gefolge mit ihm zog, war ich.

Wie ſchlug mein Herz in freudiger Erwartung, Als und voran im Purpur-Prachtgewand Auf goldnem Wagen Symmias wir des Wegs Zum Iſthmus pilgerten! Bon Flötenfchall Und Hymnenfang der froben Schaaren, die Auf allen Straßen wimmelten, erbebte

Die Luft, und als die Pelopginfel nun

Uns aufnahm, als durchs ſchöne Hirtenland Arkadien, durd Eli’ Blüthenthäler

Tem Biel wir nahten, höher leuchtete

Und höher mir daS Auge. Tempel reihten, Altäre zu des Weges Seite ſich,

Und im Alpheusthale der Theoren

Prachtzelte, ihre Wagen, Roßgeipanne.

Auch Symmias ſchlug da fein Yager auf!

Und unter mächtiger Platanen Schatten

An eines Hügels Abhang ward ung Sklaven Ter Pla gewiefen. Bon der Höhe dort

Mit fchauerndem Gefühl den heil’gen Hain Und des Kroniden hohes Tempeldach Gewahrt’ ih. In der Nacht, bevor die Spiele Begannen, hielt Erwartung mir den Schlaf Bom Augenlid zurüd. Da flüfterte

Eubulos neben mir: „Thor, glaubt du gar, Zuſchauer dürfft du bei dem. Feſte fein?

Merk dir, der Sklave, der jenſeits der Gränze, Die nur der Freie überjchreiten darf, Getroffen wird, hat harte Geißelung

Als Strafe zu gewärtigen.” Schwer fiel Cein Wort mir auf das Herz; doch wußt' ich nicht, Daß er in Allem finfter fah? Als früh

Eid der Platanen Wipfel rötheten

Und Symmias aus feinem Zelte trat,

86

Zu ihm hineilend, um die Gunſt ihn bat ich,

Daß zu dem Stadium ich ihm folgen dürfe.

Allein: „Unmöglich das! Für Sklaven nicht

Ziemt ſolche Schau, und unverbrüchlich gelten

Muß das Geſetz!“ ſprach er und ſchritt hinweg, Und Heroldsruf erklang, und beim Geſchmetter

Der Erzdrommete wogten frohe Schaaren

Rings von den Hügeln zu der Rennbahn hin.

Ich wollte folgen, doch faſt mit Gewalt Feſt hielten mich die Sklaven: „Bleib! willſt du Dich ins Verderben ſtürzen, Thor?“ So blieb ich, Allein wie fiebernd durch die Adern rann Den ganzen Tag mein Blut, indeß herüber Vom Stadium die Stimmen hallten: „Seht, Euryales! im Lauf der Erſte iſts; Nein, Lykas ſtürmt voran; er ſteht am Ziel.“ Und dann der Zinken Schall, den Sieg verkündend, Der Sänger Feierchor. Drauf wiederum: „Da ſchaut! Das war ein Diskobolenwurf! Dort Nikias! wie mit umerzter Fauſt Zu Boden er den Gegner ringt! Für ihn Des heil'gen Oelbaums Zweig!“ Jubelgeſchrei, Angſtruf und Sturm des Beifalls drängten fich, So mie beim Meeresbranden Fluth an Fluth; Dann ward es ftill; zur Siegesfeier ging Der Feſtzug in den Tempel; leife nur, Berloren trug ein Windhaud Hier und da Der Hymnen Klang ung an das Ohr.

ALS dämmernd Der Abend niederthaute, führten nich, Den trübe Sinnenden, die andern Sklaven An den Alpheus, um mich zu zerjtreun. Dort wel Gedränge! die befränzten Schiffe

87

Mit der Bejagung, Männer fremd von Tracht, Die von der Sonne Afrikas gebräunt,

Die unter des Eurinus Taltem Himmel Sebleiht! Daneben auf den grünen lifern

Die ftolzgen Roffe, ferner Weiden Zucht! Und mehr und mehr, indeffen längs des Strandes Wir wandelten, erfüllten Thal und Höhn

Sich mit der Feitgenofjen munterm Schwarm, Die, hin aufs Grün geftredt, bei Becherfchall Und Leierklang Gelage feierten.

Da kündeten, von Horchenden umringt, Erzähler ihrer Heimath Wunder, da

Sangen Rhapfoden der Heroen Thaten,

Und im Vereine mit der alten Helden

Erſcholl der jüngften Sieger Ruhm. Zuletzt Goß auf die Augen der Ermüdeten

Der Silberftrahl des Mondes Schlaf herab; Ich aber fann denn Ruhe ließ mird nit Wie ih am Folgetag des Wagenrenneng

Zeuge zu fein vermödhte.

Während rings Reglos die Andern ruhten, mid, erhob ich Und ſchritt mit leifem, leifem Zritt des Wegs Zum Hippodrom, der, meinem Aug’ eripähbar, Am Saum des beil’gen Tempelhaines lag. Ein Lorbeerbaum, der breitgezweigten Wipfels Die Sitzreihn überragte, konnte mich Den Bliden bergen. Hinter feinem Yaub Berftedt, des Morgens und des Feſtbeginns Harrt' ih. Und horch! als öftlich im Gewölk Die erften Sonnenftrahlen zitterten, Zu wogen fhon am Strom und auf den Höhn Degann die Menfchenfluth, fi) zu dem Platz Des großen Schauſpiels mwälzend; bald gefüllt

—_ 88

War jeder Sig, heran auf goldnen Wagen

Mit ihren prächt'gen Biergefpannen zogen

Die Roffelenter. An den Schranken harrten

Sie ungeduldig und die Renner ftampften

Den Boden mit dem Eifenhuf. Da gab

Ein ehrner Adler, in die Lüfte fteigend,

Das Anfangszeichen; in die Rennbahn braden Die ſchäumenden Gefpanne; ich erkannte

Des Symmias beide Söhne; hoch zu Wagen, Mit Siegeszuverficht im Blid, vorauf

Die Erften fürmten fie; die Bahn erbröhnte Bom Räderraffeln, himmelauf erhob

Sich Staubgewölt, und aus der Roſſe Nüftern, Schiens, ſprühten Flammen, wie bald dies, bald das Geſpann voran den andern fehnaubend ſchoß;

Und doch mit lautem Ruf und Geißeljchlag

Zu fchnellerm Lauf noch fpornten fie die Lenker. Neunmal umkreist war ſchon die Säule; noch ALS Vorderfter hielt fich der jüngfte Sohn

Des Symmias, und jedes Auge hing

An ihm und Zuruf fol von allen Sigen Da ſchien er zu ermatten; ihm vorbei

Mit weißen Roſſen flog ein Anderer;

Noch einmal mit dem Stachel feinen Nenner Trieb Jener an umjonft am Ziele ftand Das Schimmel-Biergefpann, des Herold Stimme Verkündete den Hylas von Korinth

Als Sieger; Beifallgruf erjchütterte

Die Luft und, von Glüdwünfhenden umringt, Im Feierzuge ward der Sohn Korinths

Zur Krönung in den Tempel Zeug’ geleitet.

Aus dem Verſteck hervor dem Schwarm de Volks Bu folgen trieb8 mich; Keiner achtete

Im Raufch der Freude mein, und längs der Reihn Bon ehrnen Bildern, die der Ewigkeit

89

Ter Sieger Züge aufbewahrten, jchritt

Ich durch den heil’gen Hain bis zu dem Thor Des Tempels fieh! und über dem Gewog Der Häupter hoch wie aus dem Himmel fchaute Des Wolkenſammlers hehr olympifches

Antlig auf mich herab an dem Altar

Bor ihm geſenkten Haupts empfing der Sieger Aus der Hellenenrichter Hand die Palme,

Und um die Stirn den beil’gen Oelzweigkranz Ihm wanden fi. Muß nit Kronion jelbft Ten Sterblihen um ſolches Glück beneiden?

D daß aud ih um diefen Siegeslohn

Einft werben dürfte! aljo dacht’ ich; da

Her aus der Menge von den Tempelitufen Erſcholl es: „Wie nur bat der freche Sklav Sich big hieher gedrängt? Packt ihn! Hinweg Mit ihm zur Geißelung!” Des Symmias Sohn Wars, der fo rief, und hundert Stimmen fielen Ein in den Ruf: „Den beil’gen Hain des Zeus Hat er befledt durch feine Gegenwart,

Ter Schurke! fort mit ihm!” Vergebens war Mein Widerftand, hinmeggefchleppt ward ich, Und während fi beim Abenpfchein die Freien Zum frohen Siegesmahl verfammelten,

Ließ Symmias' Sohn, umringt von den Gefährten, Durch Sklavenhand an einen Baum mich binden Und überwachte felbft die Strafe; höhnend

Mit feinen Spießgejellen jah er zu,

Wie mir entblößt der Rüden ward; ich ſchäumte Bor Grimm, mir fpannten alle Muskeln fi, Die Stride zu zerreißen, die an Leib

Und Arm und Fuß mich feflelten; umſonſt.

Die Geißelhiebe fielen Schlag auf Schlag, Indeſſen, mit der Feftgenoffen Jubel

Gemifcht, der müften Bande Hohngelächter

0%

Um mid ertönte. Mit geihwundnen Sinnen Zuletzt fant ich zu Boden.

Morgens wedten Die Sklaven mid. Als wäre nichts geichehn: „Komm! riefen fie zur Heimkehr aufgebroden Iſt unfer Herr.“ Sprachlos ſtarrt' ich fie an, Und mich von dannen leiten mußten fie. Wie ich den erften Tagesmarſch vollbradt, Bewußtjein bleibt mir nicht davon; nur dunkel Noch vor dem Geift mir fehwebt es, daß am Abend Freundliche Worte Symmias zu mir ſprach: „Ich wußte nicht? von dem Geſchehenen; Schon ſchwer verwieſen hab’ ichs meinem Sohn, Daß zum Bollzug der alten Sagung er Die Andern trieb.” Wohl fpradh er es, doch glitts Wie hohler Schall an meinem Ohr vorbei; Den ganzen Weg flumm, wie vernichtet, blieb ich, Bis, wie aus tobestiefem Traum ermachend, Ich wieder die Afropoliß vor mir Auffteigen fah und eben Symmias Beim Eintritt in Athen alfo zu mir Anhub: „Wohl von den Ländern hörtejt du, Die in Theflalien ich ererbt: mit Wäldern, Untiefen, Sümpfen überbedt noch ift hr Boden, wilder Thiere Zufluchtsftatt. Dorthin entfenden will ich eine Schaar Bon Sklaven, und zu ihrem Vogte dich Hab’ ich erwählt; wenn gut dein Amt du führft Und dirs gelingt, die unwirthbare Wildniß Urbar zu machen, nicht joll dichs gereun; . Die Freiheit ſchenken werd’ ich dir zum Lohn.“

An diefen Worten mälig wieder blühte Mein eben auf, In meines Herren Haus

9

Erwuchs Theano, feine einz’ge Tochter,

Ein holdes Kind. Bon je war freundlich fie Zu mir gewefen und ihr Lächeln hatte,

Wie Frühlingsthan die eiſ'ge Winterflur, Mein ftarres Herz gelabt. Nur ſcheu wagt’ ich Den Blid zu ihr emporzuheben, doch

Seit lang geheim, mir felbft faum eingejtanden, In meinem Herzen regte fich der Wunſch,

Als meines Lebens fchönfter Traum, daß einft, Bom Sklavenjoch befreit, ich mein fie nennte. So bei de8 Symmiad Verſprechen ſank Plöglih mir alle die erlittne Dual

Gleich einem finftern Nachtgewölk zurüd

Und Hoffnung ftrahlte neu mir fonnenhell.

Bald nach Theſſalien mit der Sklavenſchaar Trug mid ein Schiff. In fumpf’ger Niederung Bol fchilfger Moore, düftrer Ulmenmwälder, Durch deren dichtverwachſne Wipfelfronen Das Eishaupt des Olympus aus der Yerne Herüberfehimmerte, begann mein Werf;

Und, ob aud vor der Sümpfe feuchtem Qualm, Ted Winters eif’gen Stürmen, wie der Gluth Des Hundsfterns keine Hütte Schug ung bot, Bei Tag wie Nacht nicht Ruhe gönnt’ ich mir, Den Andern bei der Arbeit ſtets voran,

Un Stämme auszuroden, Waffergräben

Zu ziehen, Eber, Bär und Wolf zu jagen. Gelichtet wurde nach und nad) der Wald,

Scheu barg das Wild fi in der Berge Schluchten, Und, als zwei Jahre ihren Lauf vollbracht,

Zu blühndem Saatfeld umgefchaffen war

Die Wüftene. So nad geglüdtem Wert Ein Wunder fchien es faft, daß ichs fo fchnell Bollführt von Neuem ftieg ich auf dag Schiff,

Und vor dem Steuer leuchtete die Hoffnung Mir als Fanal. Da jenfeit? Suniums

Ich nun, vom blauen Mittelmeer getragen,

Ter Pallas Erzbild mir vom Parthenon Entgegenglängen fah, wie jauchzte mir

Das Herz! Bald nun ein Freier follt’ ich fein, Bald fie, die fort und fort mir vor dem Geift Gefchwebt, Theano mwiederfehn. Kaum nod) Gelandet, vom Piräus trug der Fuß

Beflügelt mid) biß zum Hymettushang

Und in des Symmias Haus; vor den Gebieter, Um ihm die Botichaft deß, was ich vollbradht, Zu bringen, wollt’ ich treten; doch ein Sflav, Der an der Thür die Wacht hielt, flüfterte: „Er ift fchwer Krank; einlaffen darf ich Keinen.“ Wie jchredgelähmt ftand ich; von innen da Scholl Symmias’ Stimme: „Führ ihn ein!" Ich fand Ten Kranken auf das Lager hingeftredt,

Und neben ihm an ihrer Brüder Seite

Theano, nun zur Jungfrau aufgeblüht.

Als ich Bericht von meinem Werf gegeben, Aufleuchtete das Auge des Gebieters

Und mir die Hand entgegen ftredt’ er: „Brav, Mein Sohn! fo wie ich dir verheißen, frei

Biſt du fortan.” Ein Sturm der Wonne ging Dei diefem Wort durch al mein Wefen Hin. Und aus Theanos Blid auch, durch den Gram Um ihres Vaters Leiden, bligt’ ein Strahl

Ter Freude. Symmias winkte mir zu gehn, Und wie im Raufch ſtürmt' ich hinweg; die Welt War un mich hingefhwunden, feinen dever Kannt' ich, die mir begegneten, und lag Schlaflos im Taumel meined Glüds die Nacht. Am Morgen fchredten bange Klagerufe

Mich aus den wachen Träumen auf; geftorben

93

War Symmias; im weißen Todtenkleid,

Schon auf der Bahre liegend fand ich ihn

Und neben ihm Theano knieend, die

Ihn ſalbt' und kränzte. Trauerweiber kamen Und Tag und Nacht hindurch mit ihnen blieb Das Mädchen weinend bei dem bleichen Vater. In nächſter Frühe ward der Obolos

Als Fährgeld für die Ueberfahrt zum Hades Ihm in den Mund gelegt; ich mit den Sklaven Denn, ob auch frei, dem theuern Todten noch Den letzten Knechtsdienſt wollt' ich thun erhob Die Bahre; von den Reihen der Threnoden Umgeben, zum Berbrennungsplage bin

Trugen wir fie, und in der Flammen Gluth Berloderten des Edlen ird'ſche Weite.

Ein glüdlich Leben ſah ich nun vor mir; Denn, war gering auch mein erjpartes Gut, Mehr galt die Freiheit mir als alle Schäße Und ficher glaubt’ ich mich Theanos. Co Ein Häuschen an des Nymphenhügeld Fuß Zur Wohnung wählt’ ih mir und hoffte, bald, Menn erft der tiefften Trauer Zeit vorbei, Das holde Mädchen heimzuführen. Eben Im neuen Eigenthum die erfte Nacht Hatt’ ich verlebt, da von der Straße ber Drang Stimmenruf und lauter Tritte Schall Zu mir heran, erbrochen ward die Thür Und Symmias' Söhne ftürmten um fie her Ein Schwarm Gemwaffneter in mein Gemad): „Biſt dus, entlaufner Sklave? Haben mir Di endlih? Ihr da! padt den Schändlichen!“ Drauf ih: „Frei bin ich; felbft habt Yhrs vernommen, Wie Symmias mid des Sklaventhums entband.* „Ha! höhnten fie mit fchallendem Gelächter

4

Du frei? Wo find die Zeugen, wo die Richter, Die Freiheit dir durch ihren Eprud gewährt? Zu Boden werft den Schurken! Erft legt ihm Halsringe an! Mit glühndem Eifen dann Drüdt ihm das Brandmal auf den Naden ein!” Schon von Gewaffneten war ich gepadt,

Die mich zu Boden ringen wollten, doc

Muth der Verzweiflung lieh mir Kraft, ich riß Mid loß, brach mir ins Freie Bahn und floh Dem nahen Thefeustempel zu, daß er

Alyl mir böte. Mir entgegen kam

Als Führer eines Sklavenſchwarms Eubulog: „Muth, Freund! der Freiheit Stunde ſchlägt ung allen! Umfonft nicht war e8, daß ich insgeheim

So lang gewirkt; die Sklaven von Athen Erheben fih und ftürzen ihre Dränger.

Folg’ ung, daß wir de Symmias freche Söhne In Ketten legen!” Wuthgefchrei und Lärm Bon Waffen tönte rings. Inzwiſchen aud) Mich zu verfolgen, hatte fih die Bande

Bon meinem Haus herangemwälzt; der Kampf Entbrannte, faft ſchon Sieger waren mir;

Da in den Rüden, dreifah unjre Zahl,

Fielen ung andre Schaaren; dicht umzingelt Erlagen wir nad kurzem Widerftand.

An Hand und Fuß mit Ketten fchmer beladen, Ward’ ih zum finftern unterird’fchen Kerker Geſchleppt, mit Eifenringen an die Wand Geſchmiedet, neben mir in langen Reihn

Die andern Sklaven; aus der graufen Nadt, Die von Geächz und Wehruf widerhallte,

Nicht andere Befreiung durft’ ich hoffen,

Als durch den Tod, der unfer Aller barrte; Bald der, bald jener ward aus unfrer Mitte Hinmweggeholt; von außen her vernahm ich

95

Des Herolds Ruf: „Zur Strafe für Empörung Stirbt Heraklit, der Thraker ſtirbt Eubulos Stirbt Kritias auf Henker, thu dein Amt!“ Gefallen waren viele Häupter ſchon

Es ging der Reihe nach, der nächſte mußt

Ich ſein

VII.

Indeß ich regungslos noch, gleich Betäubten, Vor mir ins Leere ſtarrend blieb, Ein Lachen hört' ich mir zu Häupten: „Ei! ſchnell war ja geſtillt dein Sehnſuchtstrieb; Hellas, der Völker große Amme, Das Mutterland der Freiheit und des Rechts, Die Wiege jenes herrlichen Geſchlechts, Das nicht von Menſchen, nein von Götterſtamme Entſproſſen ſcheint, hat es an ſeinem Herd So ſchlecht dir Gaſtfreundſchaft gewährt? Unmöglich das! nachdem du jüngſt geklagt, Das Leben ſei ein ſtetes Siechen, Wenn nicht verlebt im Land der Griechen, Wie hätt' es dort dir herrlich nicht behagt? Ein böſer Zufall ſicher hat Dich wiederum zu uns verſchlagen, Und voll Verlangen zu den Tagen Des Perikles ſuchſt du zurück den Pfad. Wohlan, ich biete dir die Hand; Der Trank iſt fertig, ſchlürf davon, Und zu Alcäus, zu Anakreon Zieh nochmals ein ins heil'ge Griechenland!“

Ich ſah ihn ſtarr und ſchweigend an; Er ging und lang noch lag ein Bann

96

Auf meinem Geiſte. Als ſich die Gedanken Mir ſammelten, faſt in der Flucht

Aus dieſer Welt hätt' ich mein Heil geſucht. Das ganze Daſein ſchien mir nur ein Kranken, Von dem wir durch den Tod geneſen,

Die Welt ein Sammelplatz unſel'ger Weſen, Die wohl ein böſer Dämon, ſie zu ſtrafen, In ſie hinabgeſtoßen habe.

Und iſt der wüſte Rauſch nun ausgeſchlafen Dacht' ich wer bürgt mir, daß im Grabe Mir die erſehnte Ruhe wird,

Und nicht mein Geiſt in neuer Hülle

Durch andre Sterne, öd wie dieſer, irrt? Empor zu jener Weltenfülle,

Die aus dem Nachtblau auf uns niederglänzt, Wag' ich mit Zagen nur zu ſchauen;

So wie vor einem Nachtgeſpenſt

Durchrieſelt mich bei ihrem Anblick Grauen. All dieſe Himmel über Himmeln

Mit ihren Sonnen, Monden, Nebelflecken, Und den Myriaden, die auf ihnen wimmeln, Sind fie vielleiht nur Site neuer Schreden, Zu denen ung das finftre Thor

Des Todes führt? Die auf der Erde wir zuvor Dabingefchleppt, der Leiden ſchwere Kette, Schlingt fie vieleicht von diefem Ball

Sich weiter fort und macht das ganze AU Bur ungeheuren Jammerftätte?

D in des Dafeins graufem Wogenſchwall, Der ung mit Fluth und Ebbe fort und fort Umfreist, wo find’ ich einen Port,

In den ich mich, der Sturmverjchlagne, rette?

Bom Frühroth bis zum Abendftraht, So faß ih da in düfterm Brüten.

Neizlos erihien mir Kaſchmirs Thal

Mit allen feinen Düften, feinen Blüthen,

Als weil!’ am Nordpol ich, dem froftumftarrten, Statt in des ew’gen Frühlings Garten.

Da einft trat Ali zu mir: „Freund, du kannſt AU diefem ram, der dich verzehrt, entrinnen: Mein Seherblid reicht tief nach innen

Und fund ift mir, mas du fo eben fannft. Berzweifelt fcheint die Lage. Was das Heut An Freuden und Genüffen beut,

Berfhmähft du nad) gemeiner Zeit,

Sch denke, nicht verlangft du mehr

Und glaube mir, die Zukunft ift fo leer

Und öd' wie die Vergangenheit.

En mögen dir der Inder Weisheitslehren Den Troſt, nad dem du fuchft, gewähren.

Zu einem Siedler biet’ ich mein Geleit

Dir an, der dem verirrten Menfchengeift Durch diejeg Lebens Sturmestojen

Den Weg zum Em’gen, Wandellofen,

Zur niegetrübten Ruhe weißt.“

Faſt mit Gewalt aus dem Gemach Ins Freie zog er mich von dannen. Hinſchritten wir an einem Sprudelbad), Zu dem gejchwäß’ge Quellen niederrannen, Und uns empfing mit mächt'gem Schattendach Der Wald, der Wohnfig des Unachoreten, In feiner fühlen Blätternadht. Nie hatte noch zur graufen Xuft der Jagd Ein Feind des Friedens diefen Wald betreten, Denn nengiervoll in unfre Nähe Schlichen heran die ſchlanken Rehe, Und freundlich ſchauten uns mit hellen Ehad, Geſ. Werte. 1. 7

98

Aeuglein ins Antlig die Gazellen.

Indeß wir vorwärts jchritten, immer dichter Schlang fih um ung der Banianenhain;

Nur bie und da noch fielen einzle Lichter Berloren in die Schattennacht herein.

Bei jedem Windeshauche ftoben

Duftende Blüthen fanft von oben,

Wo Alt mit Aft, durch Schlingfraut feit vermoben, Hellgrüne Kuppeln über Kuppeln baute,

Und wunderbare, nie gehörte Laute,

Als kämen fie aus fernem Geifterreich, Schwebten heran durch das Gezweig.

„Dort ift des Buddha⸗Schülers Andachtsſitz!“ Sprad Alt, während leifen Schritts

Wir weiter durch das Dunkel gingen;

Und fieh! vor und am Bachesufer ſaß

Ein Greis auf einer Bank von Kuſagras.

Nur mühſam durch die Pflanzenfchlingen Vermochten wir zu ihm zu dringen;

Dann freundlich bot er uns die Hand zum Gruße: „Willlommen mir, wenn Ihr zur Buße

Und Weltentfagung zu mir fommt!

Hier habt Ihr alles, was dem Menfchen frommt; Wohnt unter diefem Blätterzelte!*

Kurz folgte noch ein Zwiegeſpräch,

ALS Ternbegier’gen Schüler ftellte

Mich Alı vor und fehritt hinweg,

Ich aber wählte nahebei

Mir einen Plag zur Siedelei.

Baumfrüchte waren meine einz’ge Nahrung, Die Quelle bot mir ihre Fluth zum Trank, Und täglich, wenn zu fi mid) auf die Bank Der Siedler lud, wie eine Offenbarung Hört! ih aus feinem Mund die Lehre,

9

Wie man durch Bändigung der Sinne

Dem weiten uferlojfen Deere

Des Erdenfeind und feinen: Leid entrinne.

Die ganze Sichtbarkeit in Zeit und Raum Sei leer, beftandlos wie ein Traum,

Ein Scheingebild, da8 ung mit Trug umfpinne; Der grängenlofe Himmelgraum

Ein Schatten unfrer eigenen Gedanken,

Den fie hinaus ing Unermefjne würfen.

„Dies ew’ge Streben und Bedürfen,

Dies Wünjchen, Hoffen, dran wir ruhlos kranken, Ein Abbild feines eignen Jammers hat

Es fi erfchaffen in der Außenwelt,

Und, wenn wir ihm entronnen find, zerfällt Auch fie zugleih. So bat für mich das Rad Der Schöpfung aufgehört zu rollen,

Seitdem ich Zügel angelegt dem Wollen;

Bon Leid und Gram nichts weiß ich mehr. Betritt auch du des Heiles einz’gen Pfad! Erkenne Har, wie nichtig und wie leer

Tas Daſein iſt, wie Weltfyfteme, Sonnen

Und Wandelfterne nichts find als Phantome, Als Blaſen auf dem großen Strome,

Der, hin durch die Unendlichkeit geronnen, Tem Nichts entgegenfluthet. Aus dem Schooß Des ew’gen Wechjeld quillt ein ftetes Werden Und fprübt empor von taufend Echöpfungsherben; Doch ſchwindet wieder hin fo wejenlos,

Wie ſchwarze Punkte vor dem Blick

Des Fieberkranken auf und nieder flimmern. So ſanken taufend Himmel, taufend Erden Schon in die große Nacht zurüd,

Und in Atomen felbft, in Trümmern

Blieb keine Spur mehr, daß fie jemald waren. So aud, wenn unfer Erdenball

10

BZerronnen, wenn das unermefine Al

Berftoben ift, wird neues Leben gähren

Und neu die Welt fich aus fich jelbft gebären, Daß Ströme neuer Sonnen und Planeten Mit Wefen, die in Weh verbluten,

Dahin durch neue Himmel fluthen.

Nicht Halt noch Raft ift in dem fteten Geborenwerden und Bergehn:

Drum nochmals! aus den immer gleichen Gleifen, In denen alle Dinge kreiſen,

Ergreif’ die Flucht! In heil'ger Agonie, Jedwede Lebensregung dämpfend,

Selbſt deine Herzensſchläge niederfämpfend,

In diefem Walde mit den Büßern knie,

Daß Welt und Menfchheit und Natur,

Ya felbft dein Sch bis auf die legte Spur, Als ob es nie geweſen fei, verjchwinde!

Wer aljo, aus der Endlichkeit geflitchtet,

Sid jelbft und alles Sein vernichtet,

Ich preif ihn glüdlich, denn ihm Tichtet

Der Abgrund fi bis in die tiefften Schlünde; Nicht Haß noch Liebe, Tugend nicht nody Sünde, Nicht Schmerz noch Luſt mehr kennt fein Geift; Er drängt zurück die Athemzüge,

Die noch an Leben mahnen, reift

Bon dieſes Dafeins großer Yüge

Die trügerifche Yarve ab,

Und flürzt dem Al, das für ihn ausgefreist, Sich nad) ins ungeheure Grab.

Willkommen, gränzenlofe Leere!

Gepriejen werde, wer zu dir entronnen,

Wer Fühlen, Denken, Schmerz und Wonnen In deinen unergründlich tiefen Bronnen Berfentt und von der Erdenfchwere,

Bon den DBefledungen des Seins und Nichts,

101

Sich läutert in dem reinen Meere Des weiten, uferlojen Nichts!“

Ter Siedler, wenn er fo gefprochen, Ziel auf den Boden wie gebrochen Und blieb oft Tage lang in fich verfunfen, Als hätt’ er einen vollen Zug Aus der Bernidtung Kelch getrunten. Tann wiederum die Augen fchlug Er auf, begann von Neuem den zu preifen, Der aus des Lebens fchmerzenspollen Kreifen Ins unbeweglid-immergleiche, Selige Reich des Nichts entweiche, Und fang, in Andacht hingekniet, Ein heiliges Buddhiſten⸗Lied.

Von ſeinen Lehren wie beſtrickt, Verlangen ſühlt' ich ſchon, der Welt entrückt Mich ganz in jenen Abgrund zu verſenken, Wo alles Fühlen aufhört, alles Denken. „Wie ich zu Hauſe dem Geſchick geflucht Sagt' ich zu mir ſo unter allen Breiten Hab' ich umſonſt das Glück geſucht; Vergebens in vergangne Zeiten, Nach denen ich mich früh geſehnt, Floh ich zurück; ſtatt Frieden und ſtatt Freiheit, Statt edlen Menjchenthung, wie ich gewähnt, Sand ich die traur’ge ftete Einerleibeit, Haß, Bosheit, Krieg, Gewalt vor Recht, Die Schwachen von den Starken unterjodht Und beide elend, Herr wie Knedt. Hört auf, die ihr auf Menſchenwürde pocht, Tür dieſes ganz unfelige Gefchlecht Noch Heil zu hoffen und in eitlem Wahn Bon Fortichritt nach erhabnem Ziele

Zu fabeln und von weiſem Weltenplan! Dem Rade einer ungeheuern Mühle,

Das raftlo8 durch die Zeiten kreist,

Doch ftet3 an gleicher Stelle bleibt, Bergleihbar ift der Eterblichen Gefchid, Und das, was ihr al3 Weltgeift preist, Der blinde Zufall, der es treibt. Vergebens vorwärts wie zurüd

Schweift mir das Auge; nichts als ſchnöde Willtür und Drangfal, eine weite Dede In Zulunft wie in Vorzeit ſchaut mein Blid.“

So blieb ih Wochen hinter Wochen Bei jenem Siedler in dem Büßerwald Und Hoffte Tag für Tag, nun bald Zu ftillen meines Herzens Pochen, Daß mit den Ich der Quell von allem Wehe Berfiege und die Welt mir untergebe. Doch, wie die wuchernden Tianenranten Zu meinen Häupten um den Mangobaum, So Hammerten ſich die Gedanten Mir immerdar noch feft an Zeit und Raum; Und weiter ſann ih: „War befangen Mein Geift nicht, wenn in Allem, was vergangen, Was ift und was noch kommen wird, Er nur das Finftere gefehen hat? Klimmt nicht, wie viel fie auch geirtt, Aufwärts vielleiht der Menfchheit Pfad ? Bon ihren frühften Lebensſtunden, ALS fie, der Thierheit kaum entwunden, Der erften Sprache Laut geftammelt, Bis zu dem Tag, als in der Waller Mitte Sie um die erften Herde fi gefammelt, Sind unermeßlich nicht die Schritte, Die fie gethban hat? Sah ich nicht ſchon dort,

193

As jener Füngling, jene Jungfrau kühn

Dem Hafle trogten und dem Mord,

In ihr der Liebe Himmelsfeuer glühn ?

Und weiter aus der Finfterniß

Der Stein und Erzzeit, o wie riß

Sie dur den graunden Morgen der Gejchichte Sich hoch und höher ftet3 empor zum Fichte, Big hell der Tag aufftieg am Horizonte,

Und auf dem Alburs, auf dem Sinai,

Des Himalaya heiterm Gipfel fie

Im Haren Geiftesftrahl fich fonnte?

Sa bat vom Himmel nicht ein Genius

Die Lippen ihr gelöst mit fanften Kuß,

Daß fie des Veda Hymnen fingen konnte? Wie erft beflügelte ſich ihr die Sohle,

As fie von Afiens Geftade

Weſtwärts binjchritt die Wogenpfabe

Und, von der Künfte Aureole

Umleudtet, von der Weisheit Glanz,

Auf den Gefilden Griechenlands

Nun herrlich daftand, wie noch nie zuvor!

D! Alles das hab’ ich verkannt, ih Thor! Tas Auge war mit Blindheit mir gefchlagen, Daß ich die Leiden ſah, die ich getragen,

Des Lebens ewige Begleiter,

Doch all das Große nicht, das mich umgab, Das Herrliche, das Tod nicht kennt noch Grab! Wird, jo wie Hellas’ Himmel ewig heiter, Das, was fein Volk gejchaffen, nicht den Söhnen Der ſpätſten Nachwelt noch ihr Eein verfchönen? Was fein Empedokles gedacht,

Was fein Homer, fein Sophokles gedichtet,

Wo ift die Zeit, die es vernichtet?

Und feine Tempel, die in ftolzer Pracht

Der Torerfänlen aufwärts ftiegen,

14

Umleuchtet unzerftörbar ihre Trümmer

Nicht noch der ew'gen Schönheit Schimmer? Wenn feine Städte auch im Staube liegen, Iſt feine Geiſteswelt doch unzerfallen, Stehn noch die Götterbilder feiner Hallen Unfterblih vor ung, ewig jung,

Der glühnde Odem der Begeifterung

Durch ihre Marmoradern rinnend!“

So dacht' ich, und ſchon feine Eingangspforte Mehr fanden des Anachoreten Worte In meinen Geift. Dann, weiter finnend, Sagt’ ih zu mir: „Nein, diefem Yehrer Will ich entfliehn und feinem Lug! Gelbft Liegen nur durch Leiden, ſchwerer Als jene, die ich fah und trug, Die hoben Güter fich erwerben, Die der Hellen ala feinen Erben Den tommenden Gejchlechtern hinterließ, Beim Himmel! werth war diejes goldne Vließ, Um ſolchen Preis es zu erkaufen! Und müßte man in Blut uns taufen, Wie jollten vor dem Kampf wir feige Ins Nichtfein fliehn?“

Noch ſann ich ſo, Da plötzlich rauſcht' es durch des Waldes Zweige Und Ali ſtand vor mir: „Nun, ich bin froh, Daß ich dich noch am Leben finde. | Berftoben längft in alle Winde, Ins Nichts verdünftet und zerfloffen Nach der Buddhiſten Vorſchrift glaubt’ ich dich. Haft du dich kegerifch entfchloffen, Zu retten dein verpöntes ch, Tag, wie dein weifer Lehrer wollte, In das Nirvana fich verflücht’gen follte ?“

15

„Hör' auf mit deinem Hohngelächter! Fiel ich ihm in das Wort ich bin Nicht mehr der ſtarre Weltverächter Und Lebenshaſſer von vorhin;

Du kommſt mir eben wie gerufen,

Und neu bewerb' ich mich um deine Gunſt. Geſchaut hab' ich durch deine Kunſt,

Nein miterlebt, wie Stufen hinter Stufen Die Menſchheit ihrer erſten Roheit

Hoch, immer höher fi entwand,

Bis unter ihrer Bildnerhand

Olympia Zeus in Götterhoheit

Sih aus dem Marmorblode rang

Und Bindar ihr den Siegeshymnus fang. Zwar noch in Hellas ftand fie nicht am Ziele, Geblieben waren ihr der Fleden viele

Aus ihrer wilden Urzeit noch,

Für wenig Freie lag das Eiſenjoch

Ter Knechtſchaft ſchwer auf taufend Naden; Toh auf dem fernern Pfade nah und nah Abftreifen wird fie Schuld und Schmach, Bis fie gereint dafteht von allen Schladen. Begleiten laß mich fie denn weiter,

Wofern du mir wie fonft geneigt,

Auf daß ich Zeuge fei, wie auf der Leiter Sie aufwärts, immer aufwärts fteigt!”

Drauf Ali: „Ganz dir fteh’ ich zu Befehle; Wir haben Ueberfluß an goldnen Zeiten. Sprich! ſoll ich zu den Römern dich begleiten ? Erfreun wird fih an ihnen deine Seele,

Wie fie auch mir von je vor allen Nationen auf der Erde mwohlgefallen. Befler als fie hat noch fein Volt gewußt, Wie e3 gelingt, die andern zu betrügen,

16

Daß fie wie Zugvieh ſich dem Joche fügen. Genährt an einer Wölfin Bruft,

Nicht Mitleid kannten fie und machten

Die Welt in hunderttaufend Schlachten

Zu einem Sumpf von Blut beglüdt noch Jene, Die auf dem Feld fogleich geblieben,

Und nicht zur Hauptftadt heerdenweis getrieben, Dem Bären, Tiger, der Hyäne

Beim Jubelruf des Volks zum Opfer fielen, Oder, wie die edlen Sieger heifchten,

Als Gladiatoren bei den Circusſpielen

Zu ihrer Luſt ſich gegenſeits zerfleiſchten.

Trägſt du Begehr? Glücklich werd' ich mich ſchätzen Zur Reiſe in die Aera der Cäſaren

Dir meine Hand zu bieten; von Barbaren

Da magſt du zu des Volks Ergötzen

Dich im Theater ſchlachten laſſen;

Und, unterwirfſt du dem dich nicht im Guten, Sieht man dich zagen und erblaſſen,

So geißelt man mit Eiſenruthen

Dich in den Kampf bei ſchallendem Gelächter. Empfange drum, dich fügend in dein Loos,

Mit Grazie den Todesſtoß,

Und der Quiriten holde Töchter,

Sei fiher! werden mit den weißen Händen Applaus, fo viel du mwünfchen magft, dir jpenden. Das Haupt feh’ ich dich ſchütteln? Wohl!

So wähl’ um ein’ge hundert Jahre ſpäter

Dir einen Wohnfig aus am Capitol!

Cäſaren nicht, noch des Senates Väter

Mehr triffit du, noch Arenafechter dort;

Doch halb geftürzt, verötet jtehen

Die Tempel, Hippodrome, Maufoleen,

Hin durch die Straßen rafen Raub und Mord; Schon ift zur großen Schädelftatt

17

Das Rei der Römer umgewandelt worden, Doch neue, immer neue Horden

Ausſpeit der mitternächt’ge Norden;

Heere auf Heere, nie der Beute fatt, Wälzen Bandalen, Sueven, Gothen, Alanen braufend fih gen Rom,

Und von des Völkerkampfes Wirbelftrom, Ein großes Feld von Sterbenden und Todten, Verſchlungen wird die alte Welt.

Odin vielleicht, dem Gott der Afen, Schuld geben wirft du dieſes tolle Raſen, Dod irrſt du; Mlarich, der Fromme Held, An Demuth und an Glauben ftarf,

Fit e3, der hin von Mark zu Mart

Des weiten Reiches die Verwüſtung trägt. Kaum hat er die Paläſte, Hallen, Thermen Ter Siebenhügelftadt in Schutt gelegt, Und ſchon mit ungezählten Völkerſchwärmen, Die Fackel der Verwüſtung in der Hand, Berheerend ftürzt er ſich auf Griechenland; Als hätten ſich der Tiefe Brunnen Erjchlofien, brachen Sfythen, Hunnen Wie nenn’ ich die Barbaren al?

Ein ungeheurer Wogenſchwall,

Aus ihren Wüftenein hervor

Und flutheten durchs Thermopylen-Thor, Um fi den Gothen zu vereinen; Erfohlagen von der Art der Wilden

Ward alles Volk, und in den beil’gen Hainen Brad über ihren Kunſtgebilden, Berjchmettert von der Wüth’gen Heulen, Der Tempel hehres Dach zufammen,

Etaub wurden ihre Torerfäulen,

In Alche fan, verzehrt von Flammen,

Der altberühmten Städte Pracht,

18

Und, als fie endlich ausgelodert,

Blieb nichts, als eine weite Gräbernadht,

In der die Leiche Hellas modert.

Doc tröfte dich darob! Es gab

In Griechenland ja nichts als blinde Heiden, Und an dem Kreuz, das iiber ihrem Grab Errichtet ward, dich magſt du weiden! Beginnt mit diefem heiligen Symbol,

Für die Geſchichte doch ein Jubeljahr,

Wo Liebe, Milde und der Menfchheit Wohl Die einz’ge Lofung find! Sogar

Der Halbmond Muhammeds, der um ein paar Jahrhunderte nachher emporgeitiegen,

Hat kaum mit fo viel Glaubenskriegen

Die Welt beglüdt; der Wahrheit fei die Ehre!“

„Ruchloſer Spott auf die Altäre Des neuen Glaubens!" fiel ich ein. „Nie ohne Kämpfe fiegt das Neue, Und nad dem Wetter erft in voller Bläue Erglänzt des Himmels glorreicheflarer Schein! So aud dur Drangfal, Krieg und Blut Nah Sturz von allen Erdenberrlichkeiten Erft konnte fi) des Lebens höchftes Gut Die junge Chriftenheit erftreiten; Diüftre Gemitterwolfen, wie beim Nahn Der Frühlings: Naht: und Tagesgleiche, Hingen zur Erd’ herab, als der Orkan Der Böllerwanderung die alten Reiche Zu Boden mwälzte und im Todeskrampf Die Riefin Rom fih zudend wand; Doch, als geendet nun der Kampf, Als öd' dag Haus des Donnrers ftand Und götterlog das Pantheon . Auf Trümmerhügel niederfchaute,

19

Da, auseinanderwallend, flohn

Die Wetterwollen, wieder blaute

Der Himmel rein, und durch die milde Luft Entfchwebte, ein bejchwingter Falter,

Der Menfchheit Genius feiner Gruft.

Das war das fchöne Mittelalter,

Des neuen Weltjahrd wunderbarer Mai! Verſchwunden waren Sklaverei

Und Gögendienft; e8 barften alle Ketten, Und fiegreich über Grab und Tod

Und der geftürzten Tempel Trümmerftätten Hob ſich des wahren Glauben? Morgenroth. Wie regten da die lebensdollen

Nationen fih in voller Kraft!

Gleichwie, vom Ervenherzen aufgequollen, Dur junge Stämme Frühlingsſaft,

So rannen Andacht, Heldenfinn,

Ein warmer Strom, dırcd) ihre Ahern hin; Bon trübem Brüten und von Kränkeln Nichts wußten fie gleich ung, den fpäten Enfeln. Wie ſehn' ih mich zurüd in jene Tage, Als farbenbunt wie eine Sage

Des Lebens Teppich ausgebreitet lag

Und in den Wäldern Eremiten

Am Fuß der Heil’genbilder fnieten,

Al zwiſchen Glodenruf und Schwertesichlag Des Minnefängers Lied erflang

Und mit dem heldenkräft'gen Ritterthume Des Frauendienſtes zarte Blume

Zum duft'gen Kranze ſich verfchlang.

Her denn mit deinem Zaubertranfe,

Daß mir dur ihn mein Wunſch gelinge Und fich mein Geift, der alterskranke,

An jenem Jugendquell verjünge!*

109

„Nur deines Winks war ich gewärtig Sprad Ali, als ind Haus wir wieder traten, Nicht hab’ ich dir zu diefer Fahrt gerathen; Allein dur mwillit, jo mach’ dich reifefertig!“

Er ſprachs, und faum noch von dem Elirir Gekoſtet hatt’ ich einen Tropfen,

Eo ftodte meines Herzens Klopfen

Und alle Sinne ſchwanden mir.

IX.

Mie anders das Loos, das jegt mich traf, Als da ih in Hellas gedient als Eflav! Wohl vierzehnhundert Fahre hatten Ueber die Erde ihren Schatten Seitdem gebreitet; längft war ihr zu Theil Gemworden des wahren Glaubens Heil,

Da fand ich auf einer Burg mid), die fteil Ueber dem Stäbtlein St. Goar

Am ſchönen Rhein gelegen mar.

Ich war ein Ritter von edlem Gefchlecht, Doch meinem Bruder, fo wollt’ es das Recht, Als feines Vaters älteftem Sohn,

Gehörte das Schloß, bei ihm zu Frohn Bingen die Mannen und Diener al,

Und jenfeitSMuh von Zwinger und Wall Der Güter hatt’ er viel und der Lehn;

Ihm fifchte der Fifcher in Bächen und Seen, Ihm jagte der Jäger durch Wald und Moor, Und fort und fort herein durchs Thor Trugen ihm Hinterfaflen den Zins

Mir ward kein Theil des reichen Gewinns. Ein Tuftiges Ritterleben führen,

11

Die Welt durchftreifen auf Aventüren,

Nichts ſchuf mir auf Erden gleiches Vergnügen, Aber der Noth mich mußt’ ich fügen,

Und, bis ich zu neuer fröhlicher Fahrt

Mir genug im Sädel eripart,

Den langen Winter im engen Gemach Bertrauern unter dem Berchfrietdach.

Zuerft, fo lang durch den Schnee hindurch Der Weg uns freiftand von der Burg, Kurzweil noch gabs in Fehde und Strauß. Wir Schoffen herab von dem Raubneſt droben Und plünderten Reifende tüchtig aus Ein Schußzoll, den wir von ihnen erhoben, Mit ftattlihem Namen genannt ward dag; Bogen dann die Beraubten fürbaß,

Ein Stündlein nod an ihrer Seite

Ritten wir mit als fichres Geleite;

Aus ihrem Munde vernahmen wir da Was außen in der Welt gejchah,

Wie die Pfaffen von Köln und Mainz Krieg führten wider den Kaifer Heinz, Wie in Trier bei der Zunftgenoffen

Und Adligen Kampf viel Blut gefloffen Und wie man weitumber im Land

Ketzer und Gottesläftrer verbrannt.

Aber bald machte der kalte Jänner

Ein Ende foldhem Zeitvertreib,

Denn Gefahr an Leben und Leib

liefen fogar die ftärkften Männer,

Wenn fie über den Burghoffreis

Hinaus fi wagten ins ftarrende Eis; Durch Schnee, gethürmt von Wirbelwinden, Dar nit Weg noch Steg mehr zu finden; Wölfe, getrieben von Hungerqual,

12

Kamen in Rudeln hinab ins Thal,

Und der Burgherrn eigene Leute,

Leibeigne und Hörige, gierig nach Beute, Durdftreiften in Banden das Thal, halbnadt; Mit Zins und Zehnten und Gülten gepladt, Nicht hatten die Armen das tägliche Brod; So madte zu Räubern fie die Noth.

Wie traurig mir auf dem fchauerlichen Felfennefte die Wochen fchlichen! Durch das offene Fenfter im Thurm Gemüthlich wehte herein der Sturm, Und, wollt’ ich aus Reiſig und aus Scheiten Ein wärmendes Feuer mir bereiten, Sp qualmte und wirbelte Rauch mir dicht Zum Erftiden in das Gefidt. Dazu vom erften Hahnenfchrei Bis Abends das ewige Einerlei! Man hörte kaum anderen Tebenston Als früh die Meffe und des Kaplanes Salbungspolle Morgenlection, Und Tags das Drehen des Wetterhahne® Aber ja! dazwiſchen nicht felten Meiner Schwäherin Zanken und Schelten, Wie fie die Mägde zur Arbeit trieb. Auch ich war bei der böfen Sieben, Sch merkt’ e8 wohl, fehlecht angefchrieben Und galt ihr als läftiger Tagedieb; Nicht milde ward fie, mit ihrem Schwätzen Den Bruder wider mich aufzuhegen, Daß er mir immer zeige, der Herr Des Schloffes, der Erftgeborne fei er Und dulde beim Mittag- wie Abendmahl Mid nur aus Güte im Palas-Saal. Dagegen bäumte fich auf mein Stolz;

113

Sm Herzen mir that ih den Schwur: „Ich will Für immer von binnen, fobald im April

Nur erft das Ei8 auf den Wegen ſchmolz! Müpt' ich mühfam mein Leben friften,

Beffer doch ift es außen als bier.“

So mid zum Aufbruch begann ich zu rüſten, Aber Monde nody lagen vor mir, Eh der erfehnte Frühling nahte, Und langfam in meiner Kemenate Schmwanden die trägen Tage mir hin. Auf meinem Pfühl mit verdroffenem Sinn Dit lag ich bis zu des Dunkels Beginn; Dann kam für mich die liebte Stunde. Bu uns verfammelten fi in die Runde Die Knappen der Burg und die Edelknechte Und oft bis fpät hinein in die Nächte Yaufchten wir mit Begier dem Kaplan, Der vor und an dem brennenden Span Mit aufgefchlagenem Buche jaß Und ung alte Geſchichten las; Wenn er die Blätter zufammenfchlug, Immer noch hatt’ ich nicht genug, Und wär ich gelehrt wie er geweſen, Dis zum Morgen hätt’ ich gelefen, Wie, zu fuchen den heiligen Gral, Den die ftrengen Templeifen bewahrten, Parzival über Gebirg und Thal Geabenteuert auf weiten Fahrten, Wie vor Reinhold, dem Haimonsſohn, Ein ganzes Heer von Feinden entflohn.

Mälig rüdte die Zeit heran, Wo das Eis auf dem Rhein zerrann; Aus dem Fenfter ſah ich die Schollen Brechen und berftend abwärts rollen, Shad, Ge. Werke 1. 8

114

Und fchon am Thore dann und mann Eingang begehrte ein Reitersmann,

Ein fahrender Sänger; das mar ein Felt,

Da feit Monden das einfame Neft

Keine Gäfte mehr aufgenonmen.

Wir biegen den Fremdling freudig willkommen Und, zu erzählen die neuften Mären,

Raum fonnt’ er ftillen Aller Begehren. ALS nun durch den Schnee, der zerrinnend thaute, MWieder hervor die Erde fchaute

Und vor den Menfchen zurüd der Wolf

In die Schluchten der Berge floh,

Die Burg des Bruders verließ ich froh

Mit meinem maderen Knappen Markolf,

Und hielt bald hier bald dort als Gaft

Bei Ritterfpiel und Jagd und Gelage

Auf den Burgen am Rheine Raft.

Länger und länger wurden die Tage; Es kam der holde Monat Mai, Farbige Blumen mannigfalt Blühten empor in Haide und Wald, Und, wo id; des Weges ritt, mir vorbei Zogen Ritter, von Tracht jo bunt Wie unten der junge Wiejengrund, Bu Turnieren an Mofel und Lahn, Wo eben die Schranken aufgethan; Da regte ſich auch mir in der Brujt Hoch und höher die Wanderluft, Und, mit anderen Rittern gefellt, Weiter trieb mich hinaus in die Welt. Mit Wort und Handfchlag verbanden wir uns Zur Fahrt an den Hof von König Alfuns; Zu ihm ins Land Laftilien lodten Uns die Kämpfe mit dem verftodten

15

Volke der mahumedanischen Sekte, Das noch den Ehriftenboden befledte.

Durch Thäler hin und Wälder gings, Mo von den Sträuchern und Bäumen rings Ter Blüthen Duft herniederquoll Und muntrer Vögel Yied ericholl.

Unter duftendem Wipfel die Yinden

Liegen Abends ung Obdach finden; Abzäumten auf der Wiefe die Knappen Unjere Schimmel und Scheden und Rappen, Und wir, gelagert am plaudernden Ducl, Erzählten bis ſpät uns von Abenteuern Mit Niefen und Drachenungeheuern,

Bon fahrenden Rittern und Tioften

Und Jungfraun, gefangen im Zanberfaftelle. Graute der Tag dann wieder im Oſten, So rief das Glöckchen der nahen Kapelle Uns vor den Altar zum Yrühgebete. Drauf weiter in dev Morgenhelle

Durch die rheinischen Dörfer und Städte! Auf allen Straßen und Stegen und Wegen Schwoll uns fröhliches Yeben entgegen;

An die Arbeit mit Hanımer und Kellen Bogen fingend junge Gejellen,

Meigelten Bilder an den Portalen Halbaufragender SKathedralen,

Klommen empor an Leitern und Geilen Zu den Pfeilern und Mauerſteilen

Und fügten Ouader an Uuader zum Bau, Daß endlich der Tempel der lieben Fraır, An dem fehon gebaut die Elterpäter, Bollendet rage ing Himmelblau.

Zu ſchlimmen Gegenden kamen wir Ipäter, Mußten ung wider Räuber fchlagen

116

Und hatten Hunger und Durft zu tragen. Berddet im Mainzifchen Weichbild ftand

Bon fteten Fehden vermüftet dag Land,

Der Ernte Hoffnung im Yenz ſchon vernichtet. Wohin die Blide ſich wenden mochten,

Sahen fie Galgen aufgerichtet

Und Leihen von Frevlern aufs Rad Zeflochten. Bon Ausfägigen, von verftiinmelten Sammergeftalten und Bettlern wimmelten Törfer und Städte, dur die wir famen, Bon Krüppeln, Einäugigen, Blinden, Yahmen - Und Bauern, denen der Habe Reit

Wegen unerfchwinglicher Gülten

Der Bifchof, der Yehnsherr abgepreßt; Bettelmmönche dazwiſchen erfüllten

Die Luft mit Gefchrei; im zerlumpten Gewand Schritten fie hin, den Sad in der Hand,

Um Gaben zu jammeln für die Chriften,

Die im gelobten Yand von den Heiden Drangfal, Schmach und bittere Yeiden,

Mehr als zu fagen, erdulden müßten.

Ueber Gebirge und Haide und Moor Ging weiter der Ritt bis zu Straßburgs Thor. Es war der ſchöne Johannistag,

Da alle Welt der Freude pflag!

Und als wir in die Stadt gelangten,

Welch ein fluthender Menſchenſchwall!

Mit bunten Fähnlein und Wimpeln prangten Die Pläge und die Gaſſen all,

Und von rings wie ein Strom ergoffen Sich Ritter und Knechte und Zunftgenofjen Auf einen großen Pla vor dem Wall. Kaum daß wir unferen müden Roſſen

Pla gefunden im Herbergitall,

117

Eo folgten den Andern wir vor die Mauern; Aber zwijchen der Junker und Bauern, Mönde und Weiber und Kinder Menge Faft verging ung Gehör und Gefidt.

Bor der Kanzel war da8 Gedränge

Wie einer Heerde Schafe fo dicht.

Ein Briefter hielt einen Heiligentnochen Hoch empor; heran zu ihm krochen Gichtbrüchige, Lahme, ächzend vor Bein,

Und faum noch mit dem heil’'gen Gebein Hatte der Pfaffe berührt ihre Glieder, Aufreht von dannen fchritten fie wieder.

Zu einer Bude nah dabei

Noch dichter mit Toben und wilden Gefchrei Wälzten fih Hin die Menfchenhaufen ; Wunderdinge da gab es zu kaufen,

Und mühſam nur durch dag Stimmen-Babel Konnt’ ich verftehn, wie der Händler rief: „Kauft, kauft! Hier Chrifti wahrer Nabel, Hier ein ewiger Ablaßbrief,

Bont heiligen Petrus ſelbſt gefchrieben,

Für die Todfünden alle fieben!

Hier Abrahams Zehe und die Reiter,

Die Jakob im Traum gejehen; weiter

Der Apfel, in welchen Eva big,

Ein Stüd der Aegyptiſchen Finfternig

Und ächte Milch der Jungfrau Maria —“

Auf einmal [hol es: I—a, J—a Ueber den Plat daher und fieh! Nach dort, von wo der Ejel fchrie, Wandten fid) Alle, Bauern und Städter. „Der Kuku⸗-Peter! der Kuku-Peter!“ Niefen Männer und Kinder und Frauen, Und geritten auf feinem Grauen

183

In brauner Kutte kam ein Greis;

Lang floß bis zum Strid, mit dem er die Lenden Gegürtet, der Bart ihm filberweiß.

Gegen die Menge mit beiden Händen Stredt’ er aus ein Erucifir

Und fchaute gen Himmel andächtigen Blicks Und rief: „vobiscum dominus!“

Da welch ein Gedräng! Wems möglich war, Dem Schwanze feines Eſels ein Haar Auszureißen, nur einen Kuß

Auf den Saum feiner Kutte zu drüden,

Der pries ſich glücklich wie noch nie.

Auf Schultern dann von des Thieres Nüden Ihn auf die Kanzel hoben fie,

Und er, die Bruft fich zerfchlagend, ſprach Bon Ferufalemd Jammer und Schmad,

Und ein Strom von heißen Thränen brad) Aus Aller Augen, al3 er erzählte,

Wie das heidnifche Volf die Frommen,

Die pilgernd zum heiligen Lande gefonmen, Plagte, jchändete, mordete, quälte,

Daß Delberg, Zion, Gethfemane MWiderhallten von ihrem Web;

Wie e8 fie zmänge, die thenern Stäten,

Die der Fuß des Erlöfers betreten,

Durch Flüche und Yäfterung zu entweihn Und auf die Gruft des Heilands zu ſpein. „Auf! rief er, indem er die Bruft fich zerfleifchte Bollführt, was lange fehon Gott von euch heifchte! Die Engel und Heil’gen an feinem Thron, Ja feinen eingeborenen Sohn

Ruf’ ich zu Zeugen, daß Wahrheit es ift, Was ich euch Finde. Einft Abends ſpät Kniet' ich amı heiligen Grab im Gebet,

Da fchmebte der Heiland Jeſus Chrift

119

Zu mir hernieder in lichter Wolle,

„Auf Peter! ſprach er auf! Ich ermähle Dich zum Bollftreder meiner Befehle!

Im Abendland zu den Fürſten, dem Bolfe In meinem Namen rede fo:

Was ruht ihr zu Haufe behaglich und froh, Während die mahumedanifchen Horden Eure Brüder plündern und morden? Schaarenweis zieht zum gelobten Yande! Rächt an den ſchändlichen Saracenen Meiner Belenner Zrübjal und Thränen! Die heiligen Orte wacht von der Schande Und der Heiden Befleckung rein!

Alle Frevel dann wird und Sünden,

Die ihr begangen, Gott euch verzeihn; Beter, geh, um das zu verkünden!“

Indeß ers ſprach, durch die Mienge fcholl Murmeln und Rufen; das wuchs und fchwoll Und brauste wie Meereswogengeroll; Dazwiſchen Andre mit Schluchzen und Klagen Hörte man an die Bruft fich fchlagen;

Der Kuku-Peter aber rief

Und wies einen pergamentnen Brief: „Seht da! vom Himmel ift er gefallen; Ehriftus ſchrieb ihn und giebt darın allen Den Seinen Befehl zum heiligen Krieg.“ Und lauter und lauter, als er ſchwieg: „Gott will es!“ ertönte der Auf, und ein Wallen Begann auf dent Play, ald wollten jogleich Sih Alle erfämpfen das Himmelreich. Zum Schwure wurden die Hände erhoben, Und heran durch da8 wilde Toben Stürzte ein Mönch, wie Todte ſo bleich; Auf die weiße Stirne gebrannt

120

War ein Kreuz ihm blutigroth.

Er rief: „So hat mid) auf Gottes Gebot Gezeichnet eines Engel3 Hand.

Tie nach dem ewigen Heil ihr begehrt, Ergreift zum heiligen Kampfe dag Schwert Und eilt, zu dem gottbefohlenen Zug

Euch mit dem Gnadenzeichen zu ſchmücken!“ Er ſprachs und ein wallendes Scharlachtuch Hinmwarf er der Menge; alsbald zu Stüden Ward e8 zerrifien, zu Kreuzen zerfchnitten, Um die föftlichen Feten ftritten

Sich Alle, und wer einen errang,

Der beftete fich das Zeichen auf? Kleid. Gott will es! Gott will es! ſcholl e8 noch lang, Zum Kreuzzug waren Alle bereit.

Sogleih zur Fahrt nach dem heiligen Grabe War au ich mit den Rittern entfchloffen; Doch big fi) von Heimath, von Gut und Habe Tosgeriffen meine Genoffen,

Weilt' ich noch auf des Einen Burg, Des Grafen Rihard, Monde hindurd.

Wir hörten, in Frankreich auf dem Concil Habe der Papft die Chriſtenheit Nah Baläftina entboten zum Streit, Und weiter erfchollen der Kunden viel, Wie es in allen Yanden fich rege. Mit Reifigen füllten fi Wege und Stege, Die in Schaaren gen Often mwallten; Geltjame, niegefehaute Geftalten, Fremd von Sprade und Tracht und Sitten, Normannen, Waräger, Angeln und Britten Bogen heran von fremden Meeren; Nachts ſah man auf den Häuptern deren, Welche zur heiligen Fahrt fich gejellten,

121

Flammen, die weithin die Nacht erhellten;

Das Kreuz zu pred’gen, hernieder ftiegen Eremiten aus ihrer Klaufe,

Nicht litt es die Weiber, die Kinder zu Haufe; Weiffagende Thiere, Gänfe, Ziegen

Schritten, vom heiligen Geift erfüllt,

Als Wegmeifer dem Zuge vorauf.

Vollbracht Schon hatte der Sommer den Lauf, Bon Schnee ward wieder die Flur umbüllt, Und noch war ihrer Burgen Verkauf Immer den Rittern nicht gelungen.

So ward auch ich zum Dleiben gezwungen, Aber von Ungeduld pochte heiß

Mein Herz; Nachts über den Feldern von Eis Blutrothen Schein gewahrt’ ih am Himmel Und ziehende Heere und Kampfgetümmel Und eine Stadt, in die Yüfte gethürmt, Bon Fußvolk zahllos und Reitern umftürmt. Ih zählte die Stunden im engen Gemad), Bis wieder der Frühling würde mad).

Und fieh! er fam; an des Schloßthurms Dach Sang die Schwalbe, zurüdgefehrt

Bon des Morgenlands fernen Küften,

Und Keinen num litt es länger am Herd; Graf Richard auch begann fich zu rüften; Einen reihen Hebräer der Stadt

Berfchrieb er auf pergamentenem Blatt Seine Güter, um Roſſe und Waffen

Für fih und feine Vafallen zu Schaffen; Auch die Ritter, die uns fich verbunden, Sendeten naher Ankunft Runden,

Und, bevor den Zug wir beganneı,

Ward für ung und unfere Mannen

Nah dem Rhein ein Pager gefchlagen.

12

Dort in den lieblichen Frühlingstagen Nicht Ruhe ließ mirs unter dem Zelt; Sch fchweifte Läflig dahin durch das Feld, Wo auf dem Rafen, nun frei von Schnee, Straßburg Bürger bei Brunnenfahrten Unter der grünen Linde fi fchaarten.

Da pflüdten Mädchen den jungen Klee,

Drückten fich auf die Stirne den Kranz

Und ſchwangen beim Klange von Zither und Peife Mit FJünglingen fih im Reihentanz,

Da warfen Männer und Frauen die Reife

Und die buntgefiederten Bälle

Oder rubten an plaudernder Quelle.

Abſeits von den fröhlichen Reihn Fand ich ein Mädchen, das allein An einer ärmlichen Hütte in Gras, Verſteckt von hohen: Gebüfche, ſaß. Geftügt auf ihre Rechte war Ihr Haupt, umfluthet von ſchwarzem Haar. Auf fuhr fie erfchroden bei meinem Wahn, Und unter den wallenden Yoden ſahn Zwei Augen mich an mit dunkler Gluth; Nie hatte mein Blick auf gleichen geruht, Aber fie waren mit Thränen gefüllt, Bon Schatten tiefer Trauer umhüllt. Nicht konnt’ ic) hinweg von dem Mädchen ſchaun Und bat fie, mir ihren Schmerz zu vertraun; Sie aber ſchüttelte ſchweigend das Haupt, Beinahe ftumnt fie hätt’ ich geglaubt. Erſt als ich lange gebeten, zuletzt Nahm fie das Wort: „Und Yhr flieht nicht entfegt Die Jüdin, deren Blid ſchon befledt” Ausftogen, wenn man hier Eucy entdedt, Werden aus ihren Neihn Euch die Euern,

123

Für Menfchen gelten wir ihnen nicht;

Uns zu tödten gleich Ungeheuern

Gebietet allen Chriften die Pflicht.“

Aufftand fie und wollte fliehn, doch wieder Sanft, wo fie geſeſſen, 309 ich fie nieder Und bat fie: „Dein Schidjal, Mädchen, erzähle!“ Endlich dur) meine warmen Worte

Thaute das Eis in ihrer Geele

Und fie erzählte, von Ort zu Orte

Habe fie mit der Mutter, die blind,

Hülflos die Welt durdirrt Ihon als Kind: „an der Donau, wo ich geboren,

Hatte das Volf, das uns haft und verachtet, Sich zu der Unfern Verderben verfchworen. Wir hätten ihre Kinder gefchlachtet,

Dover das Bild des Jeſus Chrift

Mit glühenden Nadeln durchftochen, das ift Tas Gefchrei, auf deſſen Signal

In jedem Jahrzehnt ihr einigemal

Die Juden erwürgt, verbrennt, erfchlagt; Glücklich noch Jene, die, nur verjagt,

In Wäldern fi nähren von Wurzeln und Rinvden Und bei Wölfen das Mitleid finden,

Das die Chriftenheit ihnen verfagt. Diesmal, vom Adel angeftiftet,

(Nach unfern Schägen jtand ihm der Sinn) DBrüllte das Volk durch die Straßen hin, Daß wir die Brunnen mit Schierling vergiftet. Dei Naht, von dem Mordgejchrei erwedt, Aus unferer Hütte flohn wir erjchredt Dur der Straßen Menjchengewoge;

Mit Leichen, biutend dahingeftredt,

War bald der Boden überdedt,

Die Andern in eine Synagoge

Trieb man wie eine Heerde zujammen,

14

Und ließ fie elend fterben in Flanınıen. Mein Bater mit den Söhnen fand

Ten Tod durch8 Feuer, durchs Mordbeil fo, Ich nur mit der Mutter entfloh

Zur nädjften Stadt am Donauftrand.

Aber entgegen uns jcholl e8 dort:

„Der Bilchof hat die Juden verbannt!” Und fie besten mit Hunden uns fort.

So, weiter eilend voll Angft und Schred, Uns bergend in der Höhlen Verſteck,

Kamen wir bis nad) Bacharach,

Wo eines Rabbi trauliches Dach

Uns jchügend barg. An feinen Herd

Fünf Jahre lang war uns Frift gewährt, Dann wieder zu einem blutigen Felt

Trieb die Chriften die Mordbegier ;

Gie fchrieen, herbeigezaubert die Peft, Geſchändet die Hoftien hätten wir;

Aber noch vor des Mordes Beginnen Gelang e8 den Meijten, der Stadt zu entrinnen. Schon ſchlug aus unferem Hanſe der Brand; Da eben noch den mwüthigen Horden Entrannen wir Beide; an der Hand

Führt’ ich die Mutter, die blind geworden, Und fo verhöhnt, mißhandelt, gepeinigt,

Dft auf den Straßen faft gefteinigt,

Bon Dorfe zu Torfe, von Stadt zu Stadt Gelangten wir hierher todesmatt.

Einer der Unfern erfchloß ung fein Haus; Aber lauert niht Mord und Entfegen Immer anf ung? Schon ſeh' ich voraus, Wie fie und wieder von dannen beten;

D Heil ift für ung nur drunten im Grab!“ Sie ſprachs und wandte dad Antlig ab, Noch wollt’ ich fie tröften, aber ſchon

15

Nach der Stadt zu war fie entflohn;

Ich folgt’ ihr durchs Thor mit haftigem Schritte Und ſah, wie fie in eine Hütte

In ärmlich finfterer Straße trat.

ALS ich wieder dem Yager Zenaht, Sah ich Knechte der Zelte viel Nächſt unferen auf der Wiefe bauen; Nitter waren aus fernen Gauen Gefommen, um zu dem gleichen Ziel Sih mit un für die Fahrt zu verbinden. Bor mir unter ragenden Yinden Weideten Roffe, pugten Knappen Ihrer Herren Schilde und Wappen; Helmbüfche flatterten farbenbunt Und inmitten wallender Yahnen Blitzten Schwerter und Bartifanen. Da auf meine Fragen wurde mir fund, Daß dort die Ritter Berathung pflögen, Welchen Wegs fie nach Oſten zögen. Ich eilte hin, und ala ich kam, Hielt Einer, der in der Mitte ftand Und eben das Wort zum Reden nahm, Aller Augen an fich gebannt. Schnell meinen Bruder hatt’ ich erfannt Und börte, wie er alfo ſprach: „Wollt ihr noch länger dulden die Schmad), Daß in Ländern, in Städten der Chriften Diefe giftigen Schlangen niften, Diefe Juden, die Heiligenfhänder ? Bevor wir ziehen in ferne Yänder Wider die Hunde Baphomets, Laßt ung beginnen mit dem, was uns näher, Und die gottverfluchten Hebräer Belehren zu des Heilands Gefeg!

16

Hier in Straßburg, jo hört’ ich gejtern, Wie in den andern Sündenneftern,

In Worms, in Oppenheim und in Speier, Dürfen fie halten die Cabbathfeier;

Den gelben Fleden fich auf die Gewänder Zu heften, felbft zwingt man faum fie mehr, Und inne haben fie fchon als Pfänder

Die Güter aller Ritter umher.

Wohlan denn! feine Zeit verloren! Drehen bei Nacht wir ein zu den Thoren, Un die Argen auf einen Haufen

Wie Rudel Schafe zufammenzutreiben! Laſſen fie dann vom Priefter fich taufen, Wohl! anı Leben mögen fie bleiben! Nur ihre Gelder, des Wuchers Früchte, Fallen uns zu als gerechter Yohn;

Doch leugnen fie ferner Gottes Sohn, Zur Hölle mit dem verruchten Gezüchte! Wir wollen in dem Blute der Frechen Chriftum, den fie gefreuzigt, rächen!“

Durch al mein Wejen ging ein Zittern, Als er geſprochen, doch von den Rittern Mit Jubel wurde die Rede begrüßt,

Und laut erfholl es im ganzen Heere: „Auf, auf! es ift zu des Herren Ehre, Wenn diefes Volk feine Frevel büßt!“

Schon war der Abend hereingefunfen. Don Glaubenswuth und von Mordgier trunfen Wälzte zur Stadt fich der wüſte Zug. Mein Bruder felber, ich ſah es, trug Das Banner mit dem Kreuze voran, Auch Graf Richard war nicht der lekte. Ich indellen, der Tiefentſetzte,

121

In das Dunkel mich bergeud, ſann,

Mir möchte des Mädchens Rettung gelingen, Und bat, mir zu helfen, Markolf den Knecht; Ergaber ſprach trogig: „Das wär’ Euch recht! Doch ehr foll mich die Erde verjchlingen, Als daß ich Verrath am ewigen Gotte Begehe und Einem der fchändlichen Rotte Das Yeben frifte! Das Heil der Seele

Gilt mir höher als Eure Befehle!”

Den Rüden mir wendend, Arm in Arm Mit den Knappen folgt’ er dem tobenden Schwarm, Ich aber ſchwur im Herzen ven Eid,

Müßt' ich mein legte Blut aud) verfprigen, Das Mädchen mit meinem Leben zu fchügen, Und ftürzte zur Stadt, fürs Aergſte bereit. Kaum durchs Thor noch war ich gedrungen, Und mir entgegen bei Yadelichein

Schon blinkten Schwerter hochgeſchwungen; Alum, entlang den Häuferreihn

Unter den diüfteren Yaubenbogen

Sah id wildes Getiimmel wogen,

Hörte Geheul und Wehgefchrei,

Angftrufe und Zodesdrohungen gellen;

Wie der Wolf bei des Wolfes Bellen Wälzte beim Brüllen der Mordgefellen

Alles Geſindel der Stadt fidy herbei. Priefter, in ihren Händen Beden,

Donnerten Jedem mit gelbem Fleden

Ins Ohr: „Empfange die Taufe, Hund!“ Und wer nicht abſchwur den alten Bund, Sant fterbend auf ten blutigen Grund. Umfonft mir durch das Menfchenktnäuel Bahn fucht’ ich zu brechen; wüſte Gräuel Starrten mich an bei jedem Schritt;

Ueber Sterbende, über Todte

123

Strauchelte hier und dort mein Tritt,

Hoch und höher inzwifchen lohte

Das Feuer aus den Dächern empor;

Dem Flammentod zu entgehen, durchs Thor Der Häufer jtürzten Fliehnde hervor,

Doch fanken, von Kolbenfchlägen zermalnıt; Händeringend umher auf den Söllern Standen Andre, von Rauch umqualmt,

Mit breunenden Kleidern; aus den Kellern Wurden Weiber, die fi) verftedt,

Beim Haare geriffen und mit Steulen,

Mit Yanzenftihen zu Boden gejtredt.

Zulegt brady ich durch die Flammenſäulen Mir Bahn bis an des Mädchens Haus Da eben durch die Thür heraus

Stürzte die Unglückſel'ge: „Erbarmen,

Rief fie, Erbarmen!“ Hinter ihr her Stürmte mein Bruder mit drohendem Epeer. Ich erhob fie mit beiden Arnıen,

Sie aus dem Mordgetümmel zu tragen, Aber von allen Seiten umftarrten

Mih Schwerter und Lanzen und Hellebarten, Mir im Arme ward fie erfchlagen,

Und felber auf ihre zudenden Glieder,

Zu Zode getroffen, ſank ich nieder.

X.

Gleich Einem, der in dumpfer Sommerſchwüle Bom nächt'gen Alp, der graufen Mißgeftalt, Geängftet ward und ächzend auf dem Pfühle Sich hierhin bald gewälzt und dorthin bald,

129

Doch dann aufathnet in der Morgenkühle,

Die ihm durchs Fenſter friſch entgegenmwallt, So grüßt’ ich, noch von Schreden halb erftarrt, Erwachend froh das Licht der Gegenwart.

D wohl mir, daß ich dieſem Mittelalter, Zür das ich einft geſchwärmt, entronnen bin! So dacht' ih, und mir zog ein eifiglalter Entfegenfchauer durch die Seele hin. Ehmals, als ih im Wolfram las, im Walther, Wie anders ftand es nicht vor meinen Sinn! Nach feinem Ritterthum und Minneſange Wie oft nicht ſehnt' ich mich mit brünft’gen Drange!

Doch jegt als einen großen Unheilsbronnen, Aus deſſen finfterm Schlund von Land zu Yand Ein Strom von Blut und Thränen hingeronnen, Hab’ ich die vielgepriesne Zeit erkannt.

Was je der Menſch an Freveln nur erjonnen, An Wahngebilden, tol und hirnverbrannt, Öebrütet hat, ſchoß wucheriſch und dumpfe BPeftluft verbreitend auf aus ihrem Sumpfe.

Und bin zu Ali trat ih: „Deinem Spotte Borbeugend, eh er in dag Ohr mir gellt, Selbft jag’ ich dir: von einem böfen Gotte Erſchaffen ward, von Ahriman, die Welt;

Tie Menfchen hat er, die verworfne Rotte, In feiner Arglift zu dem Amt beftellt,

Daß fie, zur Kurzmweil ihm, an Marterpfählen, Auf Foltern, gegenfeits zu Tod ſich quälen.

„Durchſchaut als Fabelei der Mythologen Hab’ ih das Erdenglüd auf Edens Flur; Auch Hellas o wie fand ich mich betrogen!

Wies mir im Menfchen nur die Thiernatur; Shad, Be. Werte. 1. 9

130

Ob Freiheit brüllten feine Demagogen, Die Sklavenkette Elirren hört’ ich nur; Nun erft dies Mittelalter ich erkannt’ es Für graufiger als dag Inferno Dantes.

„Sa frei befenn’ ich mich zu deinen Lehren:

Ein müfter Rauſch nur ift das ganze Sein, Ein ew’ger Krieg zahllofer Ephemeren,

Wie fie zur Sommerzeit der Sonnenfchein

- In Zeichen brütet, welche faulend gähren.

„IIn tollem Zank, in Angſt und Noth und Pein

Wälzt fi der Weſen mwidriges Gewimmel Durch alle Welten hin, durch alle Himmel.

„Für immer bin ich von dem Wahn genefen, ALS ließ’ aus diefen taumelnden Gewirr Ein Sinn fih und ein Zwed zufammenlefen; Ich weiß, unfelig, an ſich felber irr, Ruchlos von jeher ift der Menjch geweſen, Und Sammer, Kettenraffeln, Schwertgeflivr Wird ihn bis an den legten Schluß der Beiten Auf feinem wüſten Erdengang begleiten.

„So ſuch' ich denn nur Eines noch: Bergeflen, Daß je ein höhrer Trieb in mir gelebt, Bergeffen meiner ſelbſt und alles deifen,

Wonach mein Geift mit heißem Drang geftrebt; Nie, mehr zu fein jet will ich mich vermeſſen, ALS nur ein Wurm, der an der Echolle Hlebt; Nur an den Augenblid noch laß mich denfen Und Zukunft drin, Vergangenheit verjenten!“

„Slüdauf! rief Ali aus als Brofelyten Begrüß’ ich dich zu meiner Religion. AU der gewohnten Eultusrequifiten, Wie des Caſtratenſangs im Fiftelton,

131

Des Zantes von Sunniten und Sciiten, Ter Dogmen, die man der Vernunft zum Hohn Uns ins Gehirn prägt, hat fie fich entledigt

Und fennt nicht Freitags» und nicht Sonntagspredigt.

„Sogleich den Frühtrunf will ich dir Fredenzen; Alsdann zu Roſſe, wenn es wieder tagt, Und da mit ihren Bajaderentängen Die Feitluft unſres Wirths dir nicht behagt, Da du auch jenfeit der Nirvana-Öränzen Den Inder zu begleiten nicht gewagt, So werde nad) den Yändern des Propheten Der Rüdzug morgen von uns angetreten!

„gu Muth fein, wie in Allah Paradieſe, Wird dort ung glaubensſtarken Orientalen; Auf Pfaden, überftreut mit goldnem Kieſe Yuftmandeln wir mit filbernen Sandalen, Und Houris bieten auf der Yotoswiefe Den Labetrunt uns in kryftallnen Schalen; Sie werden doch nach des Propheten Willen Sie nicht, anjtatt mit Wein, mit Waffer füllen !

„Für ihn, der neues Yeben giebt den Todten, Den Götterfohn, den edlen Rebenſaft, Fit, eben weil ihn Mohammed verboten, So mädhtiger der Frommen Leidenſchaft. Der Lebensräthfel tiefpermorrnen Knoten Löſen wird er auch dir unzweifelhaft, Wie er mir jeden Schmerz in Schlummter lullte; Ihm laß uns weihn den eifrigften der Culte!“

So ließen wir die Yänder der Brahmanen; Bon Kaſchmirs Seen, von dem Hain der Buße, Den Kokilas, den Loto3 und Yianen Abſchied nahm ich mit legteım Freundesgruße,

132

Und ung empfing das Hochland der Afghanen; Nah Welten dann, wo von der Berge Fuße Das Land fich fenkt, Terraffe auf Terrafie, Fortzogen wir im engen Feljenpafle.

Und wunderbar! e8 fchien mir wie ein Traum ALS würden wir im Flug dahingetragen, Wie Pfeile ſchnell durchmaßen wir den Raum; Kaum fahn wir vor uns Riefengipfel ragen, So fanfen fie zurüd am Himmelsfaum, Und weite Wüften, unabfehbar, lagen Um uns gebreitet; wieder in Selunden Dann waren fie an ung vorbeigeſchwunden.

Auf feinem goldnen Wagen nicht gefchwinder Zieht Helios über Meer dahin und Yand, Als unfre Fahrt ging. Bon der Mark der Inder Bis wo am Libanon der Wuſtenſand Mit Grün fid) ſäumt, gelangten wir in minder Als einem Tag; am Abendhimmel ftand Die Sonne nod), als vor un? in der Ebne Damascus lag, das Frühlingsgrün-umgebne.

Borbei an Bächen, die dur Wiefen rinnen, An Pinien, jäufelnd in des Abends Wehn, An Halbmondfahnen auf gezadten Zinnen, Friedhöſen, Minareten und Mofcheen, Führte mih Alı in ein Haus, das innen Mit Allem prangte, was der Saracen An Kunft vermag; empor bis an die Dächer, Blendend von Goldftud, glänzten die Gemächer.

Indeſſen an den Gartenhöfen trunfen Mein Blick hing, die in Roſenfülle blühten, Den Waflerbeden, draus wie goldne Funken Im AUbendglanz die Tropfen bligend fprühten,

13

Schritt Ali neben mir, in ſich verfunfen,

Und fchaute nicht empor in feinem Brüten; Kaum hinter und lag das Gewühl der Gaffen, So winkt' er mir, ih möcht' allein ihn laſſen.

Er, der fonft unaufbörlich rieth, beim Tranke Den Trübfinn und die Grübelei zu fliehn, Seltſam, daß plöglich oft ihn eine Schranfe Bon dem, der fonft er war, zu trennen fchien! Dann breitete Gedanke auf Gedanke,

Wie Wolken auf den Berg, darob fie ziehn, Auf feine hohe Stirn den ernten Schatten Und, ihn zu nahn, mir wollt’ er nicht geftatten.

Zurüd zum abgelegnen Gartenfaale Sich zog er, wo er einfam lange blieb. Dort fpät am Abend noch beim Lampenſtrahle Mit feinem Buche, wie er la und fchrieb, Durchs Fenſter ihn gewahrt’ ich manche Male; Mich aber ließ alsbald des Herzens Trieb Durchs Thal der Ghauta, das zugleich mit reifen Goldfrüchten und mit Blüthen prangte, ftreifen.

Hier fer mit mir ein guter Genius, Daß ich durch ihn der Andern Weife lerne, Mich zu begnügen mit des Schickſals Schluß Und, nur des Heut gedenfend, meinem Sterne Zu danken für des Augenblid® Genuß! Hält unter Palmen froh an der Eifterne Nicht jo der Wandrer Raft, ob allumber Auch wogt der Wüfte gränzenlofeg Meer?

Damascus! Wie von Zauberbann umfangen, Träumt der Bebuine, der dies Wort vernimmt, Bon quelldurhraufchter Gärten Frühlingsprangen, Durch deren Schattendady fein Fichtftrahl glimmt,

134

Bon Eichenhainen, wo gleih Riefenfchlangen Die Rebe auf zu Stamm und Wipfel Himmt Und, einem Sturzbad) gleich, in grünen Wogen Herabfällt aus des Yaubgemölbes Bogen.

So mie im Traum dich fchaut der Drientale, Wie vor der Seele mir dein Bild geglänzt, Als ihren Göttertrant aus voller Schale Zuerſt Arabiens Dichtkunft mir Fredenzt,

Liegſt du por mir in deinem Wunbderthale Und ladeft mich an Ströme waldumfrängt, In deiner Gärten Baum- und Schattenfülle, Daß ich des Herzens alte Sehnfucht ftille.

Wenn ich binfchreite auf den Dämmerpfaben, Wo Blüth’ an Blüthe, Blatt an Blatt ſich drängen, Und zu den Schläfen deß, der mühbeladen, Des Schlummers goldne Früchte niederhängen; Wenn deiner Bäche fprudelnde Cascaden Die heiße Stirne mir mit Thau befprengen, Wird meine Seele von den legten Wunden, Die drüben ihr das Schickſal ſchlug, gefunden.

Am Fuße bald der zitternden Mimofe, In frifchen Orotten bald am Waſſerfall, Am Berghang, mo der Mai die Apricofe Schon jchwellend rundete zum goldnen Ball, Saß ich, beraufcht vom Duft der Schirasrofe, Der fhönen Sultanin der Nadtigall, Und lieg mein Blid hinirrend ob den Lettern Den Oftwind in Haftfens Divan blättern.

Geſchäftig füllt’ ein turbanhäupt'ger Mohr Den Becher mir mit perlenden Sorbete, Und, während von des Gartens Blüthenflor Narkotifch mich der füße Duft ummehte,

15°

Der Zeit nicht hatt’ ich Acht, bi8 an mein Ohr Ter Abendruf eriholl vom Minarete

Und in der Nacht, die fchon im Thale lag, Zulegt der Berge Zwielichtfchatten brach.

Schon waren Wochen alfo mir verronnen, Seit ih der Ghauta reine Lüfte trant, Und do, nicht hindern konnten all die Wonnen, Daß ich in Brüten wiederum verfant; Bon den Gedanken, die ich fonjt gefonnen, Fühlt’ ich wie ehmals meine Seele krank, Und trüb vorüber zogen meinem Blide Der Menfchen ewig wechjelnde Gejchide.

Da kam der alte düftre Geift, der wilde, Bon Neuem über mich; vom Yager fort Früh fcheuchten mich der Seele Schredgebilde Und jagten unjtät mich von Ort gu Ort. Die Reize all der blühenden Gefilde, Damascus’ ganze Pracht fehien mir verdortt, In Wolfen eingehüllt, in trübe, gelbe,

Des Himmeld Harktryftallenes Gewölbe,

In finftre® Sinnen dergeftalt verloren Einft ruht" ich Abends fo am Barada; Da ſcholls: „Selam Alaikum!“ mir zu Ohren, Und fieh! auf einer Gartenbanf, mir nah, Gewahrt' ih Ali: „Einen fchlimmern Thoren Muß ich dich nennen, als ich jemals jah,“ Lacht' er mich an, indeß er ans dem Schlaud) Gewölkgleich bließ der Waſſerpfeife Rauch.

„Verſcheuch die eitlen Sorgen, Grillenfänger! Froh find die Damascener, und nicht Friſt Bu deinem Trübfinn geben wir dir länger, Da des Propheten heil’ger Tag heut ift.

136

Im Kreife der Erzähler und der Sänger

Bald ehr’ ich dich, wie man der Pein vergißt; Komm! dort, wo fich die frohen Gruppen drängen, Gleich wollen wir in ihre Neihn uns mengen!”

Nicht Yang, und zwifchen blühnden Rofenbeeten Auf Bolftern ruhten ich und mein Genoffe Und ſchauten bald die fteigenden Raketen, Bald eines Taſchenſpielers tolle Poſſe; Bald laufchten wir den Wundern des Propheten, Wie fühnen Ritts auf Borak, feinem Roſſe, Die fieben Himmel er im Nu durchzogen Dan zeigt den Pla noch, wo er aufgeflogen.

Dann folgten Märchen aus der Taufend-Einen, Vom unterivd’ichen Schloß, von Nureddin; Und wie fid) in der Dichtung Blüthenhainen Erging mein fagenduftberaufchter Sinn: „Nun fagte Alı Freund! ich follte meinen Der Eingeweihten Einer, wie ih bin, Zu werden dürfteft du dich auch entichließen Und von dem Wunderfraut Hafchifch genießen.

„Wer das thut, fühlt, zu neuen Weltgeftaden Entrüdt, die Nachtgedanken eines Moung, Mit denen feine Seele fonft beladen, Berfhmunden bis auf die Erinnerung; In reinrer Luft glaubt er die Stirn zu baden Und neidet nicht, er felbft unfterblich jung, Die Götter Indiens oder andrer Mythen, Die felig wandeln unter Amrablüthen.”

Gejagt, gethan, ich nahm von feinem Kraute Und fühlte bald, wie mir die Sinne ſchwanden; Mein innres Ohr nur hörte dumpfe Laute, Wie Sturmgebraus, wie Meeresmogenbranden;

137

Auf einmal ward es hell um mich, als blaute Der ganze Himmel; frei von Erdenbanden Hoc ob den Ländern, welche drunten lagen, Den Meeren fühlt’ ich mich dahingetragen.

Mir war, von einer göttlichen Aurore, Schön, wie fie keines Menſchen Augen jahn, Dit Rofenfingern würden mir die Thore Zu neuem befjern Leben aufgethan Und luft’ge Geiſter jubelten im Chore Für das befiegte Erdleid den Päan; In ein Gefühl von gränzenlofen Wonnen Schien Welt und Zeit und Raum mir hingeronnen.

Doch ad, kaum Stunden lang, geſchweige Wochen, Blieb dieſes Glückes Fülle mir befcheert; Ich wachte auf, die Glieder wie zerbrochen, Die Augenliver wie von Blei befchwert, Und fühlte Schmerz bis in das Mark der Knochen Dumpf wars im Kopf mir, und verwirrt, verftört Vermocht' ich lang mich Nacht in mir tief innen Auf wer und wo ich war nicht zu befinnen,

Da der Verſuch, durch den Haſchiſch mich heiter Zu flimmen, dergejtalt mißlungen war, So jhlug mir Alı vor, wir wollten weiter Die Welt durchziehn, ein Abenteurer-Paar. So denn nochmal aufbrachen wir als Reiter, Und bald vor und im Morgenlichte Har Erhob fein Patriarchenhaupt, fein greifes, Der Libanon, der Vater ew'gen Eifes.

Empor! empor! In Windungen wie Schlangen An fteilen Schlünden zieht der Weg fich hin, Der Sturzbad) ſchäumt, von Myrten überhangen, Und freier wird mir, froher ſchon zu Sinn,

133

Wie mir der Bergwind ftreift um Stimm und Wangen. D jede Stunde preif’ ich als Gewinn,

Wenn mich nit wirre Menfchenftimmen ftören, Nur des Naturgeifts ew’gen Laut zu hören.

ALS Gaſt nicht, als Vertrauten und Verwandten, Befreundet ihnen feit der Jugendzeit, Empfangen mid) die hehren Berggiganten In ihrer wunderbaren Einfamteit, Und an der Steinwand, die von fteilen Kanten Beihäumte Bäche in die Tiefe fpeit, So fidher, wie ein Sohn des Drufenlandes, Hinfpreng’ ich längs des jähen Yelfenrandes.

Zu Dörfern, die an fteilen Felſen leben, Berftörten Beten blidft du himmelan, Aus denen oft der Kampf auf Tod und eben Bon Maroniten, Drufen ſich entſpann, Daß hin dur) das Gebirg in Bächen, Gräben Das heiße Blut mit vother Welle ram; Ah! wird’ auch aus den Adern alles Naß Berftrömt, e3 ftillte nicht den Glaubenshaß!

Nun höher, wo in ihren Wolfenwiegen Die Wetter fchlafen! Durd den Nebel blinkt Ein weißer Pik, zu dem emporzufliegen Ermattet ſelbſt dem Wind der Flügel fintt, An deſſen Gletſcherbruſt in vollen Zügen Das Thal der Haren Quellen Labſal trinkt! Kühlend umfächelt von der reinen Firne Der frifhe Lufthauch Wange mir und Stirne.

Hier wars wo einft ich hatt’ erft ein Semeſter Studirt auf meinem erften Drientzug Du freundlich) mich aufnahmft wie eine Schmeiter, D edle Brittin, durch der Menfchen Pug

139

Bis in das Grab gejchmähte Yady Either! Zu Söhnen der Natur hier vor dem Fluch Europas und des engen Lebens Schranken Warſt du geflohen aus dem Land der Franken.

Und bald erhob ſich dir mit ftolzen Binnen Ein Schloß auf höchſtem Grat des Libanon; Wie wenn e8 Tadmors, Sabas Königinnen Gehörte, ftaunte des Gebirges Sohn Zu ihm empor ala einem Bau der Dichinnen, Und dienftbereit umftanden deinen Thron Die Trufenhäuptlinge, die hoch dich ehrten So lang, verfteht fich, deine Schätze mwährten.

As ich dich traf, verlaffen längft von Allen War dein Balaft; der Eule Schrei erſcholl, Die Spinne wob ihr Neb in feinen Halleı, Dur die vordem der Schwarm der Gäfte ſchwoll. Im dürftigen Gemach, das tief zerfallen, Zur Seite faß ich dir, und. wehmuthsvoll Mid fragteft du: „Kommt Ihr in unfern Often, Um reine PBatriarchenluft zu koſten?“

„Ich flicchte, daß von Eurem Heimathherde Umfonft Ihr floht; doch Ihr feid jung; fo geht Und fucht, ob irgend Ihr auf diefer Erde Sie athmen mögt! Für mich ift es zu ſpät.

Zu weiter Fahrt, auf der ich forſchen werde,

Ob fie vielleicht in andern Räumen weht,

Schon rüſt' ich mid.” Bald drauf, als ich gejchieden, Haft du die Welt verlaffen. Ruh' in Frieden!

Doch unfrer Reife auf dem Höhenfamme Des ſchönen Libanon vergeß’ ich faft; Abwechſelnd bald bei diefem Druſenſtamme Und bald bei jenem waren wir zu Gaft,

10

Bald lud zur Mahlzeit ung des Herdes Flamme, Bald bot und weiches Divanpolfter Raft;

Man weiß, die PBatriarchenfitten dauern

Im Orient nody ftets, felbft für die Giauren.

Umringt von Emirs und von witrd’gen Scheichen, Saß ich beim duft’gen Trank der Mokkabohne In Shmuden Höfen an den Gartenteichen, Indeß ein Sänger ung beim Lautentone Kaffiden vortrug. Vögel zwar zu fcheuchen Vermöchte die Mufik, die monotone, Allein volksmäßig ift fie, eigenthlimlich, Und ruhig zuzuhören ſchien mir rühmlich.

Faſt Freundfchaft fchloßen mit dem Chriftenhunde Die Scheichs. Vom Kampf mit des Serasſskiers Heeren Ging luftig die Erzählung in die Runde;

Bon Bauberei auch hört’ ich viele Mären,

Allein felbft Alt wußte mir nicht Kunde

Zu geben von der Drufen Glaubenslehren;

„Es ruht ſprach er bei diefem frommen Bolte Ob der Dogmatik eine dichte Wolle

„Mit welchen Heil’gen, Göttern oder Götzen, Beglückt fie hat ihr Evangelium, Ob fie Anbeter find von Fetiſchklötzen, Die Mythenforſcher bleiben drüber ftumm! Dean weiß nur, daß in ihren Glaubensfägen Behauptet wird, in jedem Säculum Sei Gott verfchiedne Male Menſch geworden, Und daß fie deshalb Andersgläub’ge morden.“

Oft Tage lang mit meinem Fahrtgenoffen Blieb ich gebannt in diefer Männer Mitte, Durch Berg und Thal auf unfern edlen Roffen Mit ihnen jchweiften wir in: wilden Ritte.

1411

Dann wieder, von den Menfchen abgejchloffen, In ödes Berggeklüft lenkt' ih die Schritte Und klomm empor zur höchſten Felſenſpitze, Der weltentrückten Nachbarin der Blitze.

Das wars, was lange ſchon mein Herz verlangt!

Wo zitternd bei des Waſſerfalls Getoſe

Mit wirrem Haar die Bergesceder hangt,

Glitt über Höhen, drauf die Lorbeerroſe,

Ein dunkelrother Blumenteppich prangt,

Das Auge mir und ſah ins Gränzenloſe

Sich unermeßlich zu den beiden Seiten

Die Wüſte hier und dort das Meer verbreiten.

Da lag vor mir Phöniciens Wellenbuſen Und drüben Deutſchland, o wie weit, wie weit! Mir war, als winkten fernher mir die Muſen, Die Freundinnen aus lang verſchollner Zeit, Und mahnten mich, dies wilde Land der Druſen Zu meiden und die Geiſteseinſamkeit,

Um neu mit Dichtung und mit Weisheitslehren Die Seele, die verſchmachtende, zu nähren.

Doch wieder auch, gleich wie aus Grabcypreſſen Ein Friedhof mit den Leichenſteinen ſchaut, Sahn mich Gebilde an, ſchon halb vergeſſen, Verhaßte Klänge wurden wieder laut, Und Schlünde ſchloßen, welche auszumeſſen Sich der Gedanke zagend nur getraut, Sich wieder vor mir auf; mir war, als riefen Dämonenftimmen dumpf mir aus den Tiefen.

So, folgend meinem Seelendrang, dem irren, Des Wegs mit Ali zog ich weiter fort; Durch blühnde Thäler bald, bald durch die dürren Sandwüſten Syriens ging der Weg nah Nord;

142

Und, ala wir aus des Taurus Felsgewirren Bortraten, lag an eines Stromes Bord Dit Marmorfäulen, morſch und altersgrau, Por uns ein halbgeftürzter Tempelban.

Mir däuchte, daß mich Heimathluft ummehte, Da wieder Griechenhimmel mich umfing Und es dem Yand der altberühmten Städte, Homers Jonien, entgegenging; Rankt Epheu auch um trümmerüberſäte Einöden jetzt mit wucherndem Geſchling O, dennoch, dieſe bröckelnden Ruinen, Mißt ſich ein Bau, noch aufrecht ſtehnd, mit ihnen?

Und vorwärts gings; bald daß ein Säulenrieſe, Der des Apollo Tempeldach getragen, Bald daß gebrochne Architrave, Frieſe Inmitten Steingerölls am Boden lagen Mir war wie auf der Aſphodillen-Wieſe Im Schattenland, und dumpfe Todtenklagen Vernahm mein Ohr, die mich von rings umklangen O große Welt, die hier zu Grund gegangen!

Jetzt ſchweben nur noch düſtere Phantome Um ihre Gruft, ein trauernd Geiſterheer, Und wenn ihr Tempel, Thermen, Hippodrome Und Götter und Heroen des Homer Vordem geſpiegelt habt in eurem Strome, Nun trübe und von Haufen Schuttes ſchwer Stockt eure Flut, die ihr wie zwei Geſchwiſter Zum Meere wallt, Mäander und Kayſter!

Ich weiß, wohl lag ſelbſt hab' ich es erfahren Auch auf den Griechen alles Daſeins Fluch, Und doch, welch Volk von allen, welche waren, Kommt ihnen gleich in der Geſchichte Buch?

13

Beinah zurüd zu jenes Haufes Laren,

Wo in Athen ih Sklavenketten trug,

Mich ſehn' ich jest; wo jchlug des Geiftes Flamme So herrlidy auf, wie im Hellenenftamme?

Ih dacht' es. Da um einen Feljen wandten Wir eben, und ein weites Trümmerfeld Tag vor uns hingedehnt. Am Abhang fpannten Zur Nachtraſt ſchwarze Sklaven unfer Zelt, Und lang noch über Säulenfturz-Giganten, Um die nun Nachts des Schafald Heulen gellt, Geſunkne Kapitäle, Marmorftüde Hinfchweiften mir im Abendſchein die Blicke.

So wie beim Frühthau die gemwelfte Ranke, Wie Wanderer, die lang erfchöpft am Stabe Dahingewankt, bei friſchem Duellentrante, Ward ich durchſtrömt von wunderbarer Yabe. Und liegt denn wirklich das war mein Gedanke Liegt wirklich jene große Welt im Grabe? Ft nach Fahrtaufenden aus Todesbanden Des Mittelalters fie nicht auferftanden ?

Wie auf den Feldern, die der Aſchenkrater Des Feuerbergs mit Lava übergoffen, Pompeji fih mit Marktplag und Theater, Mit Aquäduften, Hallen, Erztolofjen Dem Schutt entwunden und der Göttervater Sein Marmorauge neu dem Licht erſchloſſen, Iſt fo nach der Barbarenvölker Siegen Nicht feinem Grabe Hellas felbft entftiegen?

Und hin zu Ali trat ih: „Nochmals mifche Mir deinen wunderbaren Trank, o Greis, Daß mid ein Gang in frühre Zeit erfrifche! Allein die legte diefer Fahrten feig!

14

Fuühr' in die Tage mich, als zauberifche

Lenzluft zerrinnen ließ das ftarre Eis,

Das rings die Welt bededt, und Kunft und Willen Sich leuchtend rangen aus den Finfterniffen.

„sch meine jene Zeit, als nad) dem Falle Der Siebenhügelftadt am Bosporus Sich aus der unterird’fchen Todtenhalle Sn altem Glanz der Griechen Genius ' Erhob, und ihm entgegen froh fich alle Nationen drängten, daß an feinem Kuß Nah Irrwahnnacht und wilder Kriege Wüthen Sie nen zu ächter Menfchlichkeit erblühten.

„Das war das wahre Dftern der Gejchichte, Da ftieg, was groß und hehr im Alterthume, Berflärt empor im jungen Morgenlichte,

Da legte von des Mäoniden Ruhme

Ein Widerfchein ſich auf Arioſts Gedichte; Neu ihren Wunderfelh aufthat die Blume Der Bildnerkunft und neu erfchloß die hehre Philofophie das Buch von Platos Lehre.

„gu jener Zeit eröffne mir die Pforten, Und ich verbürg’ e8 dir, an Wiederkehr, Wenn einmal ich mit deiner Hülfe dorten, In unſre Tage denf ich nimmermehr.“ Sp ih, und Alı drauf: „Gleich deinen Worten, Sieh, komm’ ich nah! trink nur den Becher leer!” „Wohlan! rief ih es ift zum letztenmal,“ Und leerte haft’gen Zuges den Pokal.

xl.

Mich in Rom, des Weltreichs alter Hauptftadt, Fand ich wieder. Mehr als ein Jahrtauſend War verſchwunden, feit das Haus des Donnrers Mit dem Capitol in Schutt gefunfen Und die Siegesfronen und Trophäen,

Allen Ervenvölfern abgerungen,

Unterm Schutt der Tempel und Paläjte Tief begraben ruhten. Yange hatten

Wüſte Banden auf den ZTrümmerhaufen Sich befämpft, und aus dem Yaterane,

Wo die Priefter eines neuen Gottes Palmen ihres düftern Glaubens fangen, War der herrichjuchttollen Hildebrande Bannftrahl über den erfchredten Erdkreis Hingeflammt doch nun wie anderd Alles! Mächt'ges Streben, jugendliches Ringen Nach des Geiftes lang vergrabnen Schägen Ueberal. Bon Griechenland herüber,

Mit den Flüchtlingen aus der Comnenen Unglückſel'ger Stadt, ging friſches Wehen Wie der Wedruf eines jungen Yenzes

Hin von Yand zu Yand und trug befruchtend Samenſtaub der Weisheit und der Dichtung In die Seelen. Auf den fieben Hügeln Regt' e8 fich und keimt' und ſproßt' und blithte; Yächelnd in der Schönheit altem Zauber Stiegen neu die hehren Götterbilder

Aus der Erde, und der Kirche höchjiter Schutzherr felbft, ver Knecht der Knechte Gottes, Ließ, beftridt von ihren Wunderreizen, Marmorhallen baun, fie zu empfangen. Shad, Sei. Werte. 1. 10

14

Künftler mit den Pinfel, mit dent Meißel Pilgerten heran aus allen Yanden,

An der Herrlichkeit fid) zu begeiftern,

Und Prälaten drängten, Sardinäle Bıldung dürftend fi) um weiſe Griechen, Um aus ihrem Munde der Hellenen Halbverichollne Sprache zu erlernen.

Neih und adlig, hohem Stamm entſproſſen, Im Balaft der Ahnen auf dent Monte Mario lebt’ ih. Auch in nteiner Seele War fchon früh die Yiebe zu den Meufen Mac geworden, und die fchönften Stunden Däuchten jene mir, wenn auf der Yoggia In der golden Frühe ich des Aldus Bände vor mir aufgejchlagen hatte,

Und die Kunden der erhabnen Vorzeit

Wie durch Zauber mir lebendig wurden. Mir vorüber glitten der Scipionen

Und der Gracchen Schatten, all der Helden, Die ihr Selbſt dem Baterland geopfert; Yangen Zugs die Welterobrer fah ich,

Wie voran den fiegestrunfnen Heeren

Im Triumph mit weißen Roßgeſpannen

Sie empor zum Capitole wallten:

Faſt dann wollte, von den hohen Bildern Uebervoll, das Herz die Bruft mir fprengen, Und mein Aug’, in Thränen quellend, jchweifte Durch die Säulenreiben in die Tiefe,

Wo das em’ge Nom, vom Sturm der Zeiten Halb vermweht, ſich längs der gelben Ziber Dehnte; fchweifte über Trümmerhügel, Mauſoleen und lange Aquädufte

Bis wo fern im Goldduft der Sabiner Berge ſchwammen, und in Freude ftrahlte

147

Dir der Blid, wenn wieder aus dem Schutte Eine Säule mit dem alten Ruhme Aufgeftiegen, oder zwiſchen Hütten

Niedern Lehms ein mächt'ger Siegesbogen, Eine Rennbahn, herrlich neuerftanden,

Auf die kleine Nachwelt niederfchaute.

Reicher Güter Erbtheil war vom Vater Mir geworden; mir auf Latium Hügeln Kelterten die Winzer würz’ge Trauben,

Mir beim hoben Zibur ward des Delbaums Frucht gepreßt; doch nicht, gleich andern Rittern Unfrer Stadt, in Zucht von ſchönen Roffen, Nicht in Prunk und mwüften Feftgelagen Sucht' ich meinen Stolz; der neugebornen Künfte Förderer zu fein, das däuchte

Mir der ſchönre Ruhm, nad) dem der Edle Geizen ſollte. So mit farb’gen Bildern Aus Artoftos zaubermwilder Dichtung

Ließ ich meiner Schlöffer Hallen ſchmücken, Und um der Geftalten bunte Fülle

Quoll und jproß, wie durch des Frühlings Triebkraft, Eine Welt von Knofpen und von Ranken, Dur des göttlichen Urbiners Schüler

An die Wände hingebannt; rings ftiegen Vielverfchlungne, blumige Gewinde, Amoretten in den Kelchen tragend,

An den Pfeilern aufmärt3 und den Bogen, Und in diefen Lenz der Säulengänge

Goſſen Gärten ihrer Myrtenlauben,

Ihrer Lilienbeete und Fontainen

Tuft und Klang.

Noch feine Herrin hatten Meine Schlöffer und nur Eine fehlen mir

145

Würdig, als Gebietrin drin zu walten. Ten Gemahl, den man ihr aufgedrungen, Und das kalte Teutjchland fliehend, hatte Gräfin Adelgunde Rom zur Heimath

Sich erlefen. Hier im beitern Kreiſe

Bon Gelehrten, Tichtern, Sängern vang fie, Die Erinnrung frührer trüber Tage, Deren düſtrer Schatten fie verfolgte, Durch der Mufen holde Kunft zu jcheuchen. Ein Palaft am Hang des Palatinus,

Wo um der Läfaren-Schlöffer Trümmer Difteln nun und wilde Roſen wuchern, War ıhr Wohnfig. Dort in froher Runde Sammielten fi) Roms erlesne Geijter

Um des Nordens blaugeaugte Tochter,

Und der Zutritt ward auch mir geftattet. D der ſchönen Stunden, wenn im Feſtſaal Bald wir ihrem Saitenfpiele laufchten, Bald von Mund zu Mund die Rede gaukelnd Schwebte, oder, ernfter dann geworden, Wir ung um den hochgelehrten Bembo, Um den weiſen Gaftiglione drängten,

Tie de3 Livius neugefundne Bücher

Oder Diotimas Geelenlehre

Uns erklärten. Tort von Mund zu Mund aud) Singen Kunden von dem neuen Welttheil, Der mit mächt’gen Reichen, Riejenftrönen, Fremder Völker niegeahnten Wundern, Aus des Weſtens Meer emporgeftiegen, Und wie oſtwärts auch die Luſitanier

Zu Cipango mit den goldnen Dächern

. Sich den Weg gebahnt.

Lang nur von ferne Schüchtern zu dem hohen Weibe wagt' ich

149

Aufzufehn. Doch mälig nah und näher 309 fie mich heran. In ihrer Augen HimmielSbläue las ich ihrer Seele Einverftändniß mit der meinen; endlich Thaute da in meinem Mund die ftarre Nede, und daß fie für hier und jenfeits Meines Schidfald Yoofe in den Händen Trüge, ftammelnd ihr gejtand ih. Schweigen War die Antwort, aber ihre Blide

Gaben mir, berebeter ald Worte, Bürgſchaft deifen, was mein Herz verlangte. An Papft Yeo ftellten wir die Bitte,

Daß er von den frühern Ehebanden Adelgunde Löje, und Gewährung

War zu hoffen. Unterdeß genoffen

Wir am Palatin des Herbftes lebte Wonn’ge Tage, jahn durch Yorbeerduntel, An gebrochnen Marmorfäulen ruhend, Auf die röthlich funkelnde Campagna,

Wo Geſpanne breitgehörnter Stiere

Her von Latiums duftumhüllten Bergen Karren voll des ſüßen Moftes zogen,

Und bei Tamburingeklirr der Winzer Jubel durch die Rebengärten tünte.

Uns auch in des nahen Glücks Erwartung Klopfte froh das Herz, und die Ruinen Bon des Nero goldnem Saal, wo Ginfter Aus de Marmord Spalten nun hervorſprießt Und um balbverblichne Fresten zittert, Widerhallten unferm Scherz und Yachen; Nur bisweilen, fo wie eine Schlange

Yeife züngelnd zwifchen Blumen vorzijcht, Stieg in meiner Herrin Seele ftechend Tas Gedächtniß an vergangne Leiden Mieder auf, und Nebel fchweren Grames

190

Sah ich auf die ſchöne Stirn ſich lagern. Faſt noch Kind durchs Machtgebot der Eltern An den Grafen Wingolf feftgefchmiedet, Tiefen Jammter hatte fie erdufbet.

Raub und wild, und doch ein Knecht der Piaffen, Die durch Meßgeplapper die Vergebung Seiner Sünden ihm ermirten follten, Hielt ihr Gatte fie mie eine Sklavin; Jede Yuft war ihr verfagt; im Frühling An der Thäler Grün fi) zu ergögen, Winters fich die trüben Abendftunden Durch da3 Spiel der Laute zu erheitern, Sünde wurde das genannt, und während Wingolf felbft mit wüſten Watdgefellen In den Bergen jagte oder nächtlid) Bechgelage hielt, umfpähten Prieſter Jeden Tritt des unglüdjel’gen Weibes, Zwangen fie, den zarten Yeib zu geißeln Dver Nachts im härnen Bußgewande

In der Schloßfapelle Hinzufnieen.

Doch das Joch nocd länger zu ertragen Endlich nicht vermochte fie; ein Diener Ließ die Flucht ins welſche Yand gelingen.

„Scheuch dies Nachtſtück frührer Tage! ſprach ich, Wenn ſie ſo der alten Trübſal Bilder Mir entrollte glänzt und blüht und duftet Nicht um dich ein neues ſchönes Leben? Aus Italiens immer heitern Lüften Schlürf Vergeſſenheit der alten Schmerzen!“ Aber oft dann, angſtvoll um ſich blickend, Rief ſie aus: „Und bin ich dem Tyrannen Wirklich auch entflohn? Hinweg vom Lager Scheucht fein Schredbild mich am frühen Morgen; Aus den Porbeergängen hier im Garten

11

Plöglich ſeh' ichs mir entgegentreten,

Mich erfajjen und mich ind Berderben Reifen. Schüte mid) vor ihm, Geliebter! Schüge mid!" Und mit den beiden Armen Krampfhaft mich umfchlang fie, gleich als jollt’ ich Eines Unholds Krallen fie entreigen.

Doch Italiens freudenheller Himmel,

Rom mit feinen nieverfiegten Reizen

Und mein tröftend Wort vertrieb allmälig Tas Gewölf der Schwermuth, das, von Norden Her ihr folgend, düfter ihre Seele

Noch ummitterte. Es ganz zu bannen,

In der Villen fchatt’ge Yaubenhallen,

Wo die Purpurfrüchte der Oranate Yeuchtend aus dem Tidicht niederjchauten, Führt” ich fie und in der Farnefina

Lichte Säle, daß die Götterbilder,

Die dort eben unter Naffaeles

Zauberhand an Dach und Wand erblühten, Sie erheiterten. O! wen zu Häupten

Die Olympier bei Becherflange

Luſtberauſcht ihr Yeftgelage feiern,

Muß bei ihrem fehallenden Gelächter,

Das die ftummen Fresken ſelbſt durchzittert, Nicht fein Sram verjchwinden?

Aljo lösten Sid in Adelgundens Bruft die Sorgen Und hinabgefunten fchien für immer Das Gefpenft des Ehmals. Kalte Hauche Wehten fchon von den Sabinerbergen Und, mit hohem Schnee beladen, glänzte Des Sorafte Haupt. Ta gab ung Bembo, Der erlauchte Kardinal, die Kunde, Wen'ge Tage nur, fo werd’ er felber,

12

Unfer Glüd auf ewig zu befiegeln,

Uns des heil’gen Vaters Breve bringen. Ehen mit Gewühl der Masten tobte

Durch die Straßen Roms der bunte Fafching, Bon den Fenftern ftäubte, den Balkonen Der Confetti Regen, und wie hätte

Da der Freudentaumel, drin bachantiich Alle Herzen fi beraufchten, nicht aud)

Uns in feine Wirbel fortgeriffen?

Meiner Herrin kam zu einem elite,

Wie es Ron noch nie zuvor gefehen,

Der Gedanke. Nach der Eltern Tode Großer Schäge Erbin, nicht des Goldes Brauchte fie zu fchonen. Ihr Palaft ward Reich in Königspracht gefhmüdt, und während Maſſen Schnee auf Straßen und auf Dächern Laſteten, erjchloß in ihren Sälen

Sid) ein Yenz von Duft und Blüthenfüle. Gleich) Colonias weiſem Meiſter Albert, Der im eiſ'gen Winter einen Garten

Ueber Nacht geſchaffen und den Kaiſer Unter Frühlingsblumenpracht bewirthet, Sprach ſie ſcherzend wolle ſie den Gäſten Wonn'ge Raſt in Zaubergärten bieten.

Bis die Nacht herabgeſunken, ftrahlte MWeithinleuchtend in der Girandolen

Glanz ihr Schloß vom Palatin hernieder, Und herein zum Thor in die Gemächer Wogten, al’ in Inft’gen Maskentrachten, Romas edle Herrn und Damen; jelber Cardinäle hatten ihren Purpur

Unter heiterm Feſtgewand verborgen.

Welch Gewimmel durch die hohen Säle! Unter breitgeblätterten Bananen, Palmenmwipfeln, mächt’gen Porbeerfronen,

13

Trin fih bunte Papageien miegten, Schritten Mohrenprinzen, Fabelweſen

Aus des Marco Polo Märchenländern, Ließ Alcina ſich auf goldnem Wagen

Durch ein weißes Einhorn ziehn. Von oben Quoll der Schimmer tauſendfacher Lichter Auf der Damen Diamantſchmuck nieder, Und der Schall von Cymbeln und Clarinen Schuf ein Zauberlabyrinth von Tönen, Drin die Sinne ſich berauſcht verirrten. Seitwärts führten goldbeſtreute Pfade

In ein Dickicht, wo des Oleanders

Rothe Blüthen durch das Dunkel glänzten, Luden Grotten von Kryſtall die Müden, Auf bemoostem Sitz bei Quellgemurmel Auszuruhen.

Aller Gruppen Krone, Die mit Faſchingsluſt das Aug' ergötzten, War nach meiner Herrin Willen eine. Von den Sagen ihres Heimathlandes, Die mit ſüßem Zauber ihre Kindheit Einſt umfangen, hatte ſie die ſchönſte Sich erwählt. Nächſt ihrer Väter Schloſſe In der Therevinger Waldgebirgen Lag der Hörſelberg, in dem Frau Venus Mit den andern Göttern des Olympus, Seit ſie aus dem Reich des Lichts vertrieben, Ihren Sitz hat. Dieſes Märchen ließ ſie Auf dem Feſt ins Leben treten. Kunſtvoll War ein Saal zur Höhle umgewandelt, Schimmerndes Geſtein in farb'gen Adern Rankt' an Pfeilern und an Wänden aufwärts Zu dem Stalaktitenſchmuck der Decke, Und, umringt von ihrem Götter-Hofftaat,

1541

In der Mitte ruht’ auf goldnem Thronſitz Adelgunde, nicht die Heiden-Benug,

Nein wie Eyd, wie Dürer wohl auf Goldgrund Site gemalt nad) ihrer Zeiten Sitte.

In erlesner Rittertracht, dev Stahlhelm

Mir entjunfen, mit zerbrochnen Schwerte

AS Tannhäuſer lag ich ihr zu Füßen.

Eben hatten ſich des Saales Thore, Der die Gruppe barg, erjchloffen. Ringsher Neubegierig drängten fich die Gäfte Zu der Schau, und wie von Geifterftimmen Hallte Tiebliher Geſang in Püften; Plöglich vor ung, durch die Menge dringend, Stand ein Mann in Franzisfaner-Kutte, Binfter unter buſch'gen Brauen rollten Ceine Augen und die Rechte drohend Wider Adelgunde hob der Unhold. Gellen Schreis, faum daß fie ihn erblicte, Glitt vom Throne nieder meine Herrin Und, in meinen Armen fie empfangend, Angftvoll kniet' ich bei der Sinnberaubten. Nur bei ihr zuerft war mein Gedante, Aber als, den Störenfried zu faflen, sh mid) losriß, fuchten meine Blide Ihn vergebens; in Verwirrung waren Alle Säfte; feiner konnte jagen, Wer der Mönch gemwefen.

Leer bald ftanden Säl' und Hallen; auf dag Krankenlager Mußt' ich meine Adelgunde betten, Und aus ihren wirren Fieberreden Ward mir Alles Har. Ihr Gatte Wingolf War der Mönd) geweſen. „Weh! da jteht er,

15

Meines Lebens böſer Dämon rief fie, hr Geficht mit beiden Armen deckend Hülfe! Hülfe! In den Abgrund will mid Der Berderber reißen.“

Nach und nach erit Rang fi) ihre Seele vom Entjegen Wieder los. Ein Traumbild ſeis geweſen, Borgegaufelt den erhigten Sinnen, Sagt’ ich ihr, und felbft fast mußt’ ichs glauben, Denn umſonſt blieb allumber mein Forſchen Nah dem Mönd).

Zu neuem Yeben blühte An der Frühlingsſonne milden Strahlen Die Geliebte auf; der heil’ge Vater Gelber gab, den alten Bund vernichtend, Am Altar Et. Peters uns den Gegen, Und daß in der Berge frifchem Yufthaud) Ganz mein Weib Genefung fände, führt ich Sie in der Sabiner Felſenwildniß, Wo mit jchwebenden Söllern und Terraſſen Mir ein Schloß am fchroffen Abhang ragte. Hier als Füngling ſchon in Sommermwonne War ich hingefchweift durch alle Schluchten, Mich in wilde Einjamkeit begrabend, Bis fein Ton als eines Biegenhirten Lied mir ferneher zum Ohre hallte, Hatt’ hinabgejauchzt in alle Thäler Und, geftredt auf jteile Felsvorſprünge, Künft’ges Lebensglück geträumt. O fchöner, Herrliher aus meiner Träume Himmel, Als ich je geahnt, zu mir hernieder Nun geftiegen ward! Mit der Geliebten Arm in Arm wie wonnevoll nicht fchritt id) Durch des Schloſſes Hallen Hin und Gärten,

16

Wo der alten Götter Marmorbilder

Heiter aus den Nifchen auf uns fchauten, Sah mit ihr von hangenden Altanen

Tief in Abgrundnacht den Teverone Schäumen und darüber auf gezadten Klippen Subiacos Haußterrafien

Und San Benedettos Klojter ragen. Mittags unter Pinienjchatten ruhend

Oder in der Dämmrung fühler Grotten, In Öeplauder und in Küffen taufchten Seele wir mit Seele, und der Quellen Murmeln, der Cikaden Schmettern tönte Sanft in unfre Seligfeit. Verſunken Hinter und war des Vergangnen Schreden, Und, die Stirn mit wilden Lotos kränzend, Unfres Liebesglüdes einzig dachten

Wir. Gleichwie vor und an jedem Abend Fenjeit3 von Gebirge und Campagna

Und der Eirce duft'gem Cap der Himmel In des Lichtes goldner Fülle ftrahlte,

Alfo, lange ſel'ge Tage kündend,

Lag die Zukunft vor ung da; fein Wölkchen E dien den ewig reinen Glanz zu trüben,

Aud) der Nächte noch, der heiter-flaren Den? id, da wir von dem Hausbalkone Aufwärts zu den Himmelslichtern blidten. Bon Eopernico, dem weiſen Meifter Aus dem fernen Polen, deſſen Hörfaal Ich in Rom beſucht, ein Sehrohr hatt’ ic), Und mit Staunen fhaute Adelgunde,

Halb noch zweifelnd, wie die lichten Funken Groß und größer aus dem Dunkel tauchten Und vor dem Fryftallbefchwingten Auge Eich der Nebel Dunft zu Sternen lößte.

17

Dann enthüllt’ ich ihr des Meiſters Vehre, Erden feien dag, um Sonnen freifend,

Die dereinft, befreit von Körperbanden, Sel’ge Geifter, wir durchwandeln würden. Und fie lauſcht' in Andacht meinen Worten, Aber fprach zulegt, mit einem Kuͤſſe

Mir die Lippen jchließend: „OD Geliebter, Nicht von andern Welten laß ung träumen! Geliger als die, auf der wir meilen,

Kann doch Feine fein von allen droben.“

Dionde lang von aller Welt gefchieden Hatten wir gelebt; da aus dem Dorfe, Tas dem Schloß zunächft gelegen, fchollen Schredensfunden ung zum Ohr. Der Biſchof Bon Subiaco hatte Männer, Weiber, Kinder felbft in Kerkernacht geworfen, Weil fie nach des Pöbels tollem Wahne Zauberkunſt getrieben. Einen Sabbath Jüngſt auf hohem Berge der Abruzzen Hätten fie gefeiert und dem Dämon Dort bei wüſtem Mummenſchanz gehuldigt, Alſo ging die Sage. Einſt am Morgen Tönten Jammerrufe vor dem Schloſſe, Und der Dorfbewohner viele drangen Durch das Thor herein. Mit Händeringen: „Hülfe, Hülfe,“ riefen fie, verbrennen Will man unfre Fraun. Dur Folterqualen Hat man fie gezwungen, zu geftehen Was ihr Herz nicht kennt; Schon auf dem Holzſtoß Haben gejtern ihrer zwei geendet, Und jest eben auf dem Markt des Dorfes Baun fie neue Scheiterhaufen Eud nur Kann der Opfer Rettung noch gelingen. Eilt, Herr Graf, nah Rom zum heil’gen Vater,

158

Daß er diejes Biſchofs blinden Wüthen Einhalt thue!“

Schnell entichloffen war ich, Rip mid aus des Weibes Arm und fprengte Auf dem fchnellften Nenner unaufhaltjanı, Bis beim Spätroth von des Monte Mario Höhn mir mein Palaft entgegenglängte. Hin zum weifen Kardinale Bembo Stürzt’ ich und beſchwor ihn, in der Nacht nod) Bei Papft Yeo mich zu melden. Aber Yächelnd und die weißen Locken fchüttelnd Mir den Ungeftüm verwies der Höfling: „Kennt Ihr fo des Hofes Sitten? Morgen Laßt mich jehen, was zu thun! Mir felber Erft nad) Tagen mags vielleicht gelingen, Butritt Euch im Batifan zu jchaffen; Doch bejtürmen Chrifti Stellvertreter Werd’ ich, glaubt! fobald er mir Gehör leiht, Daß er Einhalt ſolchem Frevel thue.“

Alſo war es; viermal ſank die Eonne Am Janiculus, und feine Antwort Hatt’ ih noch; da endlich trat der wackre Bembo zu mir ein: „Ich that mein Beſtes, Doc vergebens; kommt und feht, ob jelbft Ihr Mehr erreicht!” Mit haſt'gem Schritt ihm folgt’ ich, Bis wir in des Raffaele Stanzen Bor Bapft Leo ftanden. „Schon wozu Ihr Kommt, erfuhr ich; doch wie kann ich helfen” Sprad der Greis, die Hand mir freundlich veichend: In das Necht des Bilchofs einzugreifen Biemt mir nicht; nach Pflicht und nach Gewiſſen Mög’ er thun, was feines Amts. Von Ketzern MWimmelt heut die Welt, allein ich hoffe,

159

Ihr verabjcheut dieſe freche Notte.

Härefie Schon iſts Herr Graf, bedenkt es! An Magie und Teufelsbund zu zweifeln.“ Sprach e3 und entließ mich; im Hinabgehn War ed mir, des Batifanes Hallen

Stürzten auf mich ein; in athemilofer

Haft, faum meiner jelbit bemußt, aufs Roß mid Warf ich, fprengte fort au Romas Thoren, Yieß mir Raft nicht auf dem Ritt, biß vor mir Jenſeits von San Benedettos Klofter

Hod auf Feljen meine Villa ragte.

Bon der Bruft auf Augenblide fanf mir

Jede Sorge da; nur der Gedanke,

Tie Geliebte wieder zu umarmen,

Füllte nody mein Herz und trieb in jchnellerm Strome mir das Blut durch alle Adern. Plöglih aus dem Dorf mit wirren Haare Angſtbleich ftürzte ihrer Zofen eine

Auf mich zu: „Entjegen! Wehe, wehe! Welhen Jammer müſſen wir erleben!

Eben, Herr, zum Sceiterhaufen führen

Sie Frau Aelgunde, Eure Gattin.“ Wahnfinn, glaubt’ ich, rede aus dem Weibe; Doch: „Ihr glaubt nit? Kommt, es felbft zu ſchauen!“ Rief fie aus, und wie verwirrten Sinns id Weiter fprengte, an des Dorfes Eingang

Trat ein Mönch in Franzisfanerkutte

Mir entgegen eben jener war es,

Der das Felt verftört durch fein Erjcheinen, Adelgundens böjer Dämon; furdtbar

Lachend rief er aus: „Zur guten Stunde Kommft du juft, um deiner Gattin Tode Beizumohnen; ei du Thor! und haft du Blauben können, ruhig zuſchaun wird’ ich, Wie das arge Weib, das mir entflohen,

160

Nun mit dir in Lüften jchwelgt? Zur rechten Beit hab’ ich der Here böje Künfte

Noch entdeckt. Mit eignen Augen jah ichs, Wie im Winter zwifchen Schnee und Eije Blühnde Gärten fie herporgezaubert,

Sah, wie fie darin mit Heidengöttern,

Yauter Teufeln, den verruchten Sabbath

Hielt. Nicht Ruhe ließ mir mein Gemifjen, Bis ich fie verklagt beim frommen Bifchof, Und alsbald auch auf der Folter hat fie

Die begangnen Gräuel eingeftanden.

Eil’, um felbjt zu jchauen, wie Frau Venus In den Flammen Hochzeit hält!" Wie rajend Stürzt' ih auf den Unhold ein, die Klinge

In die Bruft ihm bohrend. Bon der Leiche Weiter dann ind Dorf! fieh, auf dem Richtplatz Welch Getümmel! Eben hin zum Holzftoß Wird ein Weib gefchleppt; o muß ichs ſchauen? Adelgunde, du, die Lilienarme

Auf den Rüden feftgefehnürt mit Striden,

In der wilden Henkersfnechte Mitte!

Mit erhobnem Schwert, fie zu befreien,

Durh die Menge drängt’ ih mid da rifjen Büttel mid) mit ftarker Fauft zu Boden:

„Ei! der kommt zur rechten Zeit; fein eignes Weib hat ausgeſagt, in letzter Mainacht

Sei er durd die Püfte auf den Sabbath Ausgefahren. ort mit ihm zur Foltrung, Daß ers felbft geftehe!“ Und fie fchleppten Mich in finftern unterird'ſchen Kerker, Zwängten mir den Leib in Eiſenringe,

Die mit ſcharfen Spitzen ihn durchbohrten, Und ein Richter mit verhülltem Haupte Mahnte mich: „geſteh!“ Dem Schmerz zum Trotze In die Bruſt zurück der Laute jeden

161

Schlang ih da in alle Glieder drangen

Tief und tiefer mir die glühnden Stadeln; Widerftand verfucht” ich, doch die Marter

Preßte von den Lippen mir die Worte,

Die fie heiſchten. „Hört ihr fein Geftändnig? Scholl e8 fort mit ihm zum Scheiterhaufen!“

XII.

Als ich erwachte in der Brühe, Almälig ward ich inne und mit Mühe, Was ich erlebt, fei nur Viſion Geweſen und in Nacht zurüdgeflohn.

Ins offne Belt, in dem ich lag,

Mit erftem Schein ſchon glomn der Tag, Und außen unter den Ruinen figend,

An einen hingefunfenen Altar

Das Haupt fih mit der Rechten ſtützend, Erblickt' ich Ali. Wunderbar

War feiner Züge Ausdruchk, wie noch nie, Auf feinem halbgefchloffnen Augenlide Gebettet lag ein ſanfter Friede,

Wie Einem, dem in Harmonie

Sich alle Erdenkämpfe lösten,

Und Ehrfurcht in die Seele flößten,

Faſt wie das Antlitz eines Gottes,

Mir ſeine ernſten, feierlichen Mienen; Kaum glauben mocht' ich, daß ich ſonſt in ihnen Des Hohns Ausdruck geſehn, des Spottes. Ich ſtand ihm lang zur Seite ſchon,

Als er aufblickte, doch zuerſt noch ſtumm, Nachdenkend blieb; im frühern Ton Anhub er endlich wiederum:

Schack, Geſ. Werke. J. 11

12

„Ei ſieh! Für immer unfrer Zeit entflohn Dich glaubt’ ich; was hat dich zuridgeführt? Schwur doch, eh’ er des Becherd Rand berührt, Dein Mund mir zu, nie wieder vor dem Tode Berlafien würdeſt du die Weltperiode,

In die du dich fo heiß gefehnt.

Faft glaub’ ich drum, du machteft die Entdedung, So herrlich nicht, wie du gewähnt,

Sei jene Zeit der Wiederauferwedung

Bon Kunft und Wiffen der Hellenen;

Vielleicht erlebteft jelbft du ein’ge Scenen

Bon Mittelalter-Barbarei,

Die no in Raffaeles Tagen fpudte;

Denn heute früh im Schlaf durchzuckte Entfegen dich, und einen Schrei

Ausftoßen bört’ ich dich vor Angft;

Nun! dag du heil zu ung zurüdgelangit,

Wenn auch dein Weib den Flammentod erlitt, Wünſch' ih dir Glück!“

Er hieß zu Roß mid) fteigen, Und ſank, indeß er mir zur Seite ritt, Nochmals zurüd in tiefes Schweigen. Wenn oft ſchon, ob er auch zum Trank mich lud, Ein fremder Ernſt auf feiner Stirn gerubt, Nun mehr als je fah ich auf feinem hagern Geſichte des Gedankens Stille lagern. So mwunderfam erjchien der Widerjprud) In feinen Worten, feinem Wefen, Daß ſchon e3 hätte unfern Brud) Herbeigeführt die Bitte, ihn zu löſen, Sid mit Gewalt auf meine Lippen drängte. Als hätt’ er deſſen Ahnung, fprengte Auf einmal mit der Haft des Sturmes meiter Des Wegs mein feltfanter Begleiter,

158

Und auf den Tippen blieb zum Glück Mir das vorwig’ge Wort zurüd. Einholt’ ich endlich ihn. Wir zogen An Aquädulten, Tempeln, Siegesbogen Verſchollner Städte hin; doch bald Berlor ſich unfer Pfad in dichten Wald, Der mit Bananen, Sylomoren

Sich aus geborfiner Mauern Spalt Nun wuchernd hinfchlingt über alle Foren; Tazwijchen lagen Seen von Asphalt, Aus deren dunkler Wogenfluth die Reſte Aufragten modernder Paläſte.

Indeß mir, der ich fchweigend ritt, Tas jüngft Erlebte noch am Geift vorüberglitt, Hub Mi wieder an: „Nun, felbft erfahren Haft du auf deinem Streifzug durch die Zeiten, Wie alle jene Herrlichkeiten, Die du geträumt, nur Yabeln waren! Mit Schuld und Elend immer gleich beladen, Hinkeucht die Menfchheit auf den Erdenpfaden, Und glaube nicht, fie werd’ in künft’gen Jahren Sich beffer als bisher gebahren! Nur ſchlimmer wird und mißgeftalter Tie Welt, je mehr fie naht dem Greifenalter; Tod, ift dir noch die Täuſchung nicht geſchwunden, Wohlan, fo magft dus jelbft erfunden! Stets liebteft du zumeift der Yänder eines, Die ſchöne Heimath des Gefangs und Weines, Die nebenbei den wahren Glauben Bor allen andern cultivirt; Torthin ſei denn von mir entführt Und fchwelge unter Myrtenlauben In der Romantik Zaubernadt, Die dich fo lang gefangen hielt!

164

Auffteigen fol fie dir in alter Pradt,

Als wird’ ein Stüd von Calderon gefpielt; Dich leiten will ich auf die Alameden,

Wo Liebe ihre zarten Fäden

Anfpinnt, wie in den Mantel-Degendramen! Ich zeige dir die holden ‘Damen,

Lopes Elviven und Ximenen,

Wie fie metteifern in Intriguen.

Träumen magft du beim Plätfchern der Fontainen, Auf denen fih die Mondenftrahlen wiegen, Indeß der Klang der Serenade,

Die unter maurifcher Arkade

Der Ritter vor dem Gitterfenfter fingt,

Und Eaftagnettenfhall zum Ohr dir dringt Nur mwähne dich, das ift mein freundfchaftlicher Rathſchlag, alldort nicht allzu ficher,

Nein, hüte dich vor den Gefahren,

Die dir auf Schritt und Tritt von Familiaren Des heiligen Officiums drohn!

Selbft von Cervantes und von Calderon, Obgleich du fie als Dichtungsriefen

In deinen Büchern hochgepriejen,

Ermwarte feinen andern Dank,

Als daß fie auf die Marterbant

Dich ſchleppen laſſen von den Häſchern!

In jenem Land der ächten Religion

Gebeut die Pflicht dem treuen Sohn

Der Kirche, jeden Ketzer einzuäſchern. Nun? Keine Luft mir feheinft du zu bezeigen, Zu des dreiein’gen Gottes Ehre

Den Scheiterhaufen zu befteigen?

Hut denn! du folft die reinre Glaubenslehre Jenſeits der Alpen fich entfalten ſehn!

Dort giebt es ftatt des einen Papſtes zehn, Calvin, Melanchthon, Luther, Knox

165

Und wie die Uebrigen noch heißen; Natürlich find fie ſämmtlich orthodor, Doch möchten gern fich gegenfeitS zerreißen, Und auf der Kanzel, dem Katheder Berfluht den Andern in die Hölle Jeder. Sie fhmähn auf Ohrenbeichte und auf Meſſe AS Teufelswerk und Mummenjchanz,

Sie aber Tank dem menfchlichen Progrefie! Ueben Vernunft und Toleranz.

Das wirft du fehn, wenn beim Chorale Der Gläub’gen vor Geneva Kathedrale Fir feine Zweifel an der Trinität

Servet bei Holaftoßfeuer langfam brät, Wenn Reformirte, Lutheraner

Und all die andern Selten voll humaner Öefinnungen aus Scheiterhaufenbränden Heren im Rauch gen Himmel enden.

Zu Gottes höherm Ruhme thun fie das; Darum, wofern du fromm bift, laß

Den Anblid dir den Geift erquiden

Und finge, wenn dir Raud und Qualm Im Hals die Stimme nicht erftiden, Hübſch auf der Menfchheit Fortfchritt einen Pſalm! Fürwahr, fie fchreitet weiter, immer weiter, Uud ferner noch auf ihrem Gang

Dir dien’ ich gerne als Begleiter.

Ich will dir zeigen, wie jahrhundertlang Europas Völker wilden Thieren gleich

In Glaubenskriegen ſich beftreiten,

Wie edlen Eiferd, um das Neid)

Des wahren Gottes auszubreiten,

Sie auf den neuen Weltmeerftraßen Hinziehn mit heergefüllten Flotten,

Un ganze Bölfer, ganze Racen

Bon Andersgläub’gen auszurotten

16

Und dann auf ihrer Leihen Schichten

Des Kreuzes Zeichen aufzurichten,

Wie Deutſchland durd ein dreißigjähr'ges Morden Zum großen Todtenfeld geworden

Allein die Köftlichite dev Weltepochen

ft hinterher erſt angebrochen;

Mit ihren Zöpfen und Perrüden, Erbfolgefriegen, Wachtparaden

Und dem Defpotenthum von Gottes Gnaden Wird fie vor allen dich entzüden.

D Zeit der Ludwige, der Pompadour, Glückſelige, wo bliebft du nur?

Warum nicht herrichen fie noch ſtets

In ihren Kaiſerthümern von Sedez,

Die Fürften von Bairenth, von Zerbft und Heſſen, Bon denen jeder fih Maitreffen

Nah dem Berjailler Vorbild hielt

Und, wenn beim Pharo er zuviel verfpielt, Alsbald in feinen Kaſſen die Defekte

Durch feine Landeskinder dedte,

Die er fi baar bezahlen Tief.

Ein Zuftand war e8 wie im Paradies,

Und undankbar muß ich die Menfchheit fehelten, Daß fie begehrte nach noch höherm Glück.

Doch nein! mein Wort nehm’ ich zurüd,

Denn diefe befte aller Welten

Erflomm nachher noch höhre Stufen.

Wenn früher Priefterfchaft und Königthum

Aus Sucht nach Gold, nach Herrichaft oder Ruhm Bisweilen Heine Epifoden jchufen,

Die nicht dag Volk nach feinem Wunſche fand, Nun nahm e8 felbft fein Wohl in feine Hand, Riß fih von Kirche los und Monarchie

Und glaubt’, indem e8 Freiheit, Gleichheit fchrie, Zur Erd’ herab könn' e8 den Hinmel reißen;

167

O ſei willkommen mir geheißen,

Du heiliges Millennium

Mit deinen Guillotinen und Noyaden,

Und deinem Glück von Volkes Gnaden!

Ich beuge mich vor deiner Glorie ſtumm. In Wahrheit, bald gedieh ſo über Maßen Das neue Erden⸗Himmelreich,

Daß ſeine Bürger frei und gleich Beiſammen im Gefängniß ſaßen

Und brüderlich in wahrer Herzensliebe

Sich gegenſeits vom Hals die Köpfe ſchnitten. Nur ſchade, daß die Menſchen in dem Triebe Nach immer höherer Vollkommenheit

Auf dieſem Weg nicht fortgeſchritten,

Dann hätten ſie einander aufgerieben

Bis keiner auf der Welt geblieben,

Und endlich wäre ausgelitten

Das alte immer gleiche Leid.“

So Ali. Stumm an ſeiner Seite war, Das Ohr nur halb ihm leihnd, ich hingeritten, Indeß, mir ſelber halb erſt klar,

Gedanken, die mit ſeinen ſtritten,

Empor in meiner Seele tauchten.

Dem alten Tmolus waren wir genaht, Und friſche Bergeslüfte hauchten

Uns labend an, wie wir den Pfad

Dahin durch ſeine wirren Schluchten zogen. An uns vorbei mit halb verſiegten Wogen Glitt der Paktolus, der das Gold

In Kröſus' Schatzhaus einſt gerollt,

Und um uns her im Abendwinde wehte Der Staub zerſtörter Königsſtädte.

Zuletzt als wir, im immergrünen Walde Auffteigend, um die Biegung lenkten,

168

Empfing ung eine Felfenhalde,

Bon der fich weſtwärts die Gebirge fenkten. Und fieh! in letzter Abendgluth,

Die ihre Burpur-Strahlenfluth

Herabgoß, fernhin dämmernd lag fie da, Tie blühende Jonia!

Geblendet von den Sonnenflammen,

Lang ſchauten meine Augen nichts

Als eine Fülle goldnen Lichts,

In weldher Erd’ und Himmel ſchwammen; Erft nad) und nad ftieg aus dem Glanz Die Ihöne Schweſter Griechenlands,

Die ewig jugendliche, auf;

Ich ſchaute Rebenhügel, grüne Thale, Durchſchlängelt von der Silberbäche Lauf, Und weiße Marmorſäulen und Portale, Die zwiſchen Ahornwipfeln glänzten,

Und drüberhin am blauen Mittelmeer Smyrna in ihrer Maſtenwald-umkränzten Ueppigen Bucht. Von Abend her Bewimpelt glitten Schiffe mit den hellen Weſtwind-geſchwellten Segeln durch die Wellen, Und ihnen, als Europas Boten,

Schwang ſehnſuchtsvoll entgegen ſich mein Herz; Auf einmal da im dunkelrothen Gluthſcheine, wie geſchmolznes Erz, Aufflammten höher Meer und Land.

Die Sonne ſank an Chios' Klippenrand Und ließ die tauſend Maſtenſpitzen, Gebirge, Inſeln, Uferſtrand

Im Zitterlicht noch einmal golden blitzen; Allmälig dann in Dämmrung ſchwand Alles zurück, ich aber ſtand,

Die Seele von dem Anblick trunken,

Noch lange da wie feſtgebannt;

169

Erft als die Nacht herabgefunten Und mich ins Zelt der Sklave rief, Aufs Lager ftredt’ ich mich.

Für Schlaf zu tief War ich erregt, und faſt wie Fieberkranken Ging mir der Puls; noch einmal in Gedanken Macht' ich die Irrfahrt durch die fernen Beiten Und Länder von geträumten Herrlichkeiten, Bon denen feine meinen Wunſch geftilit. Dann vor die Seele wieder trat das Bild Des Abendlandes mir, dem ich entflohen, Und immer höhern Glanzes ftrahlte Vor mir der ferne Welttheil auf; ich malte Ihn mir im Geift mit allem Hohen Und Herrlichen, was er umſchließt, Wie dort allein die Saat des Schönen In taufend duft’gen Blumen fprießt, Nur dort in Farben und in Tönen, Im Stein, zum Götterbild geftaltet, Der Künfte Frühling fich entfaltet. „Wär ich doch nie geflohen aus den Banden, Mit denen mich die Heimath fanft umfchlang! Was fand ich in den Sonnenaufgangs-Landen Fr meineß Herzens heißen ‘Drang? Mag reih mit taufendfachen Blüthen Sie auch umwuchern die Natur, Ein träge Träumen ift, ein dumpfes Brüten Das Leben ihrer Söhne nur, Ein ftetes Kleben an den Schollen; Was Jeder für fein ärmlich Dafein braudt, Dahin nur geht fein Streben und fein Wollen. Wie anders nicht, wie herrlich und erlaucht Mit deinem Ringen, deinem Wiffensdürften, Mit deinem Mühen um der Menjchheit Glüd,

—- 10

Europa, ftehft du da vor meinem Bi!

Was find vor deinen Geiftezfürften

Die Welterobrer all und die Defpoten,

Die über Trüimmerhaufen, über Todten Aufthürmten ihrer Herrfchaft Bau?

D! auf das Tageslicht, das grelle,

Des Drient8 und feine ew’ge Helle

Dit Wonne grüß’ ich deines Himmels Grau Und deine Nächte, wo in ftiller Belle

Der einfam grübelnde Gedanke wacht!

Da holt aus tief verborgnem Schadht

Der Denker ungeahnte Weisheitsfchäge

Und giebt dem Weltall die Geſetze,

Nach denen es hin durch den Himmel kreist, Und zählt die Jahr-Millionenzahl

Dem fernften Firftern vor, in der fein Strahl Hernieder biß zur Erbe reist;

Da zeigt der Eine, wie der Raunt, die Zeit Nur Schatten find, die in die Emigfeit Hinaus der Geift des Menfchen wirft, da reißt Ein Anderer die Götter alten Wahns

Aus ihren Himmeln auf die Exbe,

Auf daß ftatt des zerriffnen Weltenplang

Ein neuer nun der Menfchheit Leitftern werde.

„Und o! die Banianenhaine Kaſchmirs mit ihren Kotosteichen, Mit ihrem Sternenfilberfcheine Und goldnen Sonnenglange, wie erbleichen, Europa, fie vor deinen Eälen, Wo leuchtend Bild fich reiht an Bild Und von den Tizianen, Raffaelen Der Schönheit Zauber auf uns niederquillt! Wie ftumm und öde gleich dem Todtenreiche Erjcheint das ganze weite Afien mir,

1

Wenn deinem Fleinjten Stübchen ichs vergleiche, In dem von Mozarts Tönen das Klavier Erzittert und in Andachtſtille

Die Seele den Aftorden laufcht

Und trunken in der Wunderfülle

Der Melodien fich beraufcht.“

In Unraft fo oft trat ich auß dem Zelte Und fpähte nach dem Himmelsrand, Ob bald den Often nicht ein Schein erhellte. Der erfte Lufthauch, der ein Segel fchmellte, Heimtragen follt’ er mid) ins Abendland, Gelobt' ih mir. „DO Wahn, der mich befangen, Daß ich in ferne Länder mich verbannt, Ja gar in Beiten, längft vergangen, Gejagt von ruhelofem Seelenfieber, Die Abenteuerfahrt gemacht. Ein Fahr der unfern- ift fortan mir lieber As ein Jahrhundert von zuvor, Denn auf der Welt lag eine große Nacht, Devor ſich der Erkenntniß Thor Bor ihr erjchloß und jene Riefengeifter, Die Führer zu der Menfchheit Siegen, Wie Sterne auf am Himmel ftiegen, Eh Galilei, Kepler, Newton Und Humboldt, mein erhabner Meifter, Die Schleier hoben, die auf Allem ruhten. Erft feit der Blick, getragen von dem ftarfen Sehrohr, den fernften Himmelsraum durcheilt Und ſich der Nebel an der Schöpfung Marken In neue Riefenwelten ihm zertbeilt, Da erft hinſchwanden jene Wahngeftalten, Die Götter auf geträumtem Sternenthron, Die Bolt mit Bolt in Haß gefpalten; Da erft hob kühn dem Erdenfohn

12

Die Geiſtesſchwinge fih, frei von den Banden, Die fie jahrtaufendlang ummwanden.

Heil mir, daß ich der Vorzeit finftern Tagen Entronnen bin; ich denfe noch) mit Zagen

An al’ die Wehen, al’ die Schreden,

Dur die ich hingeirrt wohl heut auch ruht Noch auf des Menſchen Stirn ein Fleden

Bon Eigenfuht und Haß und Blut,

Doch von den fehlimmften hat er fich gereinigt; Nicht mehr den Einen macht die Glaubenswuth Zum Henker, der den Andern peinigt,

Nicht mehr in dumpfer Sklaverei

Läßt er die Brüder elend fchmachten,

Indeß er felber jubelt: ich bin frei;

Und, hat auch noch dem Werk der Schlachten Nicht ganz entfagt das irrende Gefchlecht,

Setzt bier und dort auch noch die Macht dem Recht Die Ferſe übermüthig auf den Naden,

Doc bald geläutert von den legten Echladen Der wilden Vorzeit wird die Menfchheit fein, Denn mächtig weht jo wie noch nie

Ein reiner Geiftesodem hin durd fie.”

Da plöglich glomms wie morgenrother Schein In meiner Seele auf; erhellend fiel Ein Strahl auf das, was ich erlebt, zurüd, Und mehr und mehr vom Anfang bis zum Ziel Trat Alles Mar vor meinen Blid. „Kann ich noch zweifeln? meine Flucht In ferne Zeit war nicht vergebens; Was, brütend ob den Näthfeln dieſes Lebens, Ich Lange ſehnſuchtsvoll gefucht, Das Licht in unfrer Erdenfinfternig Ich fands auf meiner Wanderfahrt; Denn meinem Geifte als gewiß

13

Hat ſich das Eine offenbart:

Aufwärts, ja aufwärts geht der Menfchheit Gang; Ob fih ihr Pfad auch krümmt und mwindet, Und ob er auch jahrhundertlang

In dunkle Abgrundtiefen fchwindet,

Nach oben wieder reißt fie doch ihr Drang. Wie fie der niedern Thiergeftaltung

Mit Mühe eben ſich entrang,

Wie Stamm mit Stanım in ew’ger Spaltung Mit Weſen Wefen fidy beftritt, Erlebt hab’ ich es felber mit.

Ich jah, wie dann die Wilden, Nohen,

Auf Pfähle in die Seen geflohen,

Sich fammelten am Herd der Hütte,

Und wie inmitten jene8 Wellenfriedens

Sich mit der Kunft des Eifenfchmiedens Entfaltete der erfte Keim der Sitte.

Sp nah und nach entwich der Urzeit Grauen, Und wie verwandelt fah ich jenes wilde Geſchlecht auf Griechenlands Gefilde

Der Schönheit em’ge Tempel bauen,

Wie herrlich fi) in marmornen Geftalten, Im Liede der Rhapfoden und Tragöden

Der Künfte Blüthenflor entfalten!

Wohl ſchwand fie hin, die große Welt der Alten, Berwandelt ward in traur’ge Deden

Das edle Hellas, als der Stürme Wuth Berheerend einbrad auf die Erde,

Und halb erlöfchend nur auf ihrem Herde Noch fladerte der Bildung heil’ge Gluth; Doch rang nit aus der Dunkeln Zeit

Der Geift fih neu empor zum Licht?

Hat nicht im göttlichen Geficht

Hoc über Wahn und Glaubensftreit

Sich Meifter Edhard aufgefchwungen ?

114

Verſchloß nicht Wolfram in fein Weltgedicht, Erwin in feine® Münfterd Dämmerungen

Ein göttlihes Myſterium,

Das felbft fie nicht gedeutet, andachtftunm, Auf dag es erft Gefchlechtern künft'ger Jahre Herrlich und herrlicher ſich offenbare?

Selbft jene wilden Fahrten gegen Often Db auch mein Herz von Graun noch bebt, Den!’ ich was bei dem Auszug ich erlebt Reich find die Früchte, die aus ihnen fproßten; Zu Boden zwifchen Volk und Volke ſanken, Bom Sturm des Kampfs geftürzt, die Schranten, Und freier, fröhlicher zu wogen

Begann das Leben; bunt wie Regenbogen Drang eine Fülle farbiger Gebilde

Durchs offne Thor des Drients,

Und der Provence fonnige Gefilde

Und Catalonien und Florenz

Erſchimmerten wie Edelfteine

In jenes Glanzes Widerjcheine.

Wie endlich feit den Tagen ew’gen Ruhms, Als neu die große Welt des Alterthums

Vom Oraberftand, ſchwang fich mitmächt’gen Flügeljchlägen Der Menfchheit Genius dem Licht entgegen! Bom Blutftrom, der in Frankreich rann, Beiprigt wohl wurde fein Gefieder,

Allein in reinem Lichtglanz wieder

Hebt er die Schwingen himmelan,

Um höher nun von Sieg zu Siegen

Und immer höher aufzufliegen;

Und jene Geiſtesgüter all, die hehren, Unfterblichen, die er auf feinem Pfad

Durch die Jahrtauſende errungen hat,

Ter Dichtung Blüthen und der Weisheit Lehren, Die Kunftgebilde, die ein euer

15

Vom Himmel mit Prometheusgluth durchrinnt, Der Preis von Leid und Weh war nicht zu theuer, Um welchen fie erftritten find!“

Indeß ichs dachte, hellen Glanzes wallte Ter Morgen durch der Zeltwand Spalte. Ich trat hinaus, und aus des Frühroths Urne, Sieh! eben quoll der junge Tag In goldner Fluth, daß nach und nad) Luft, Erde, Meer und das azurne Himmelsgewölb in einem Lichtglang ſchwammen. Ih ſah das Feljenhaupt des Sipylus, Geküßt vom erften Sonnenftrahlentuß, Zu meinen Häupten glorreih flammen; Da, noch geblendet von dem Glanz, Gewahrt’ ich, wie im weißen Lichtgemand Ein Fremdling mir zur Seite ftand Doch nein! er war e8, nur verwandelt ganz, Ali, mein Führer und Begleiter. Berjüingt um viele Fahre däuchten Mir alle feine Züge; heiter Und wie verflärt ſah ich fein Auge leuchten, Indem er ſprach: „Es ift genug; Hinweg werf’ ich die Hülle, die ich trug, Seit ich in jenem Tempel dir erfchienen, Um dir al8 Führer auf der Fahrt zu dienen. Berftridt in des Gedankens Yabyrinth Und an der Zeit, der Zukunft blind Berzweifelnd fand ich dich, den Wahnbefangnen ; In eitlem Traume dem VBergangnen, Wie du es ſahſt im Spiegelbild der Sage, War deine Seele zugelehrt, Und deine Sehnfucht, frühre Tage Selbft zu durchleben, hab’ ich dir gewährt; Doch nicht im Schleier, den die Dichtung fpinnt,

16

Nein, ſo wie ſie geweſen ſind

Und wie auf allen ſchweres Weh gelaſtet,

Zeigt' ich ſie dir. Nur die Erkenntniß fruchtet, Die unter Kampf und Widerſpruch

Tief in der eignen Seele reift.

Drum, während wir umhergeſtreift,

Durch meine Reden noch den Bruch

In deiner Seele ſucht' ich zu verſchärfen

Und lud dich ein, dich einzig dem Genuß

Des Augenblickes in den Arm zu werfen,

Da doch bis an der Zeiten Schluß

Elend, ein ew'ges Einerlei

Von Schuld und Weh des Menſchen Leben ſei. Wird dieſer Fremdling unter all den Schreden Dacht’ ich dabei und in der Nacht des Böſen Den Strahl doch, der nach oben führt, entdeden, Auch meine Zweifel müfjen dann fich löſen. Dem ich geftehs, auch mich, obgleich ſchon lang Allmälig dämmernd auf dem Erdengang

Das Licht fih meinen Bliden aufgethan,

Mich felbft befiel noch oft ein Schwanken,

Und wieder riffen finftere Gedanken

In Abgrumdtiefen mich, wo fi die Bahn

In ausgangslofe Schlucht verlor.

In meiner Blindheit dann, ich Thor,

Für finnlos, ohne Zwed und Frucht,

Hielt ich dies ganze Erdentreiben,

Für weife, wer fein Herzweh zu betäuben

In Luft und Lärm des Tages fucht.

Erft jeßt, da ich mit die im Geift

Die Weltzeitalter neu durchreist,

Hat fi die Wahrheit voll und ganz

Mir aufgefchloffen, und jo hell fortan

In meiner Seele ftrahlen wird ihr Glanz,

Daß keine Wolfe mehr ihn trüben Tann.

11T

Heil dir auch, daß, indeß von Yand zu Yanden Ich dic geleitet durch der Zeiten Nacht,

Zu der Berfuhung widerftanden!

Taß aus dem Abgrund der Gefchichte,

Aus des Gedankens tiefem Schacht

Du der Erfenntnig Schag dir mitgebradit! Sie leuchte, die dich heimgeführt zum Yichte, Dir immer berrlider und reiner!

Ich bin der grauen Vorzeitſöhne einer; Selbſt Ahasver, der em’ge Wandrer, hat So viel nit der Jahrtauſende durdhichritten, Wie ich auf meinem Yebenspfad. Aufwirbeln ſah ih unter meinen Tritten Den Etaub von Völkern und von Reichen Und über mir die ältften Sonnen bleichen. ALS ich zuerft erwacht zum Sein, Herab noch ſandte auf des Nordens Meere Der Stern Soheil geheimnißvollen Schein, Der mit den Nacht- und Zagesgleichen Nun niederfanf zur andern Hemifphäre; Und dod, vor jenen frühen Tagen, Die Euch als Erdenjugend gelten, lagen Jahrhunderttauſende des Lebens ſchon Mit Völkern, die, im ſchwarzen Staub gebettet, Selbſt ihren Namen nicht gerettet. Von ihren Sprachen war der letzte Ton Verſchollen längſt, bevor die ältſte deren, Die noch verworren in Hieroglyphen Ihr ſtammeln hört aus dunkeln Zeitentiefen, Erklang an nun zerbröckelten Altären, Und ganze Götterhimmel über Himmeln, Um die ſich Volk mit Volk und Heer mit Heer Zerfleiſcht in blut'gen Schlachtgetümmeln, Selbſt kannte nicht die Sage mehr. Schack, Geſ. Werke. 1. 12

18

Ein Magier im Lande der Chaldäer War ich und blickte wie die andern Seher Sinnend empor zur hohen Himmelshalle, Von deren Dach von leuchtendem Kryſtalle Atair und Sirius ihr klares Glanzlicht hernieberftrömten und Antares. Zu ihnen und den freifenden Planeten Aufblicdten forfchend wir und fpähten, Ob nit von dem Geheimniffe der Dinge Ein Fihtftrahl ung ald Bote Kunde bringe. Umſonſt; falt, wie zu Eis erftarrt, Hernieder fahn die Himmelslichter. Ta floh ih in ber Berge Nacht, bis dichter Und dichter um mic her das Dunkel ward, Und lauſchte, wo in Wafferfällen Die Ströme brausten aus verborgnen Quellen, Nah Kunden aus der Erde Schooß; Ich fragte, wenn Gemitter grollten, Die Donner all, die durch den Himmel rollten, Um Aufihluß über Welt und Menſchenloos; Bergebens; feiner, der mir Antwort gab. Da trieb8 mich fort am Wanderftab; Und wo der Nil, die alte Wunderfchlange, Aug unentdedtem Land mit leifem Gange Geſchlichen kommt, in Philäs Tempelbauten, In Theben unter den ergrauten Pylonen, an der Obelisken Fuß Dahingeſtreckt auf halbvermorſchte Sargdeckel, vor mir ein Zodiakus, fung ich mein Lager auf. Ich forfchte

> forfchte in den räthſelhaften Zeichen,

: flummen Sprache von Granit;

» in den Nächten noch, wenn mit dem bfeichen

tichein der Mondftrahl niederglitt,

ıg mir das Auge an der Sphinze Bügen,

179

Ob fie auf ihren Yippen, ihren Braun

Nicht eine Antwort für mich trügen.

Starr aber blieben fie, nur daß voll Graun Sch einen Zug verborgnen Hohns

Um ihre Augen zuden fah.

Hinweg vom Nile trieb michs da,

Und in dem Sonnentempel Babylons

Fragt’ ich der großen Weltenmutter Bild Nach den Geheimniffen des Menfchenfeins. In Hellas, wo aus Spalten des Gefteins Der Erde Odem dampfend quillt,

Im Wald Dodonas und in Delphig Grotte Hofft' ich von dem geträumten Gotte

Tie Antwort auf das ewige Warum.

Ich bat in Cumäs Höhle die Sibylle,

Daß fie den heißen Wiffensdurft mir ftille, Allein vergebens, Alle blieben ſtumm.

An der Propheten Mund in frael

Hing laufchend mir dag Ohr, und im Gefidt Erichloß, wie dem Ezediel,

Sid mir das erftgeborne Yicht;

Hell, unergründlich brach die Klarheit

Wie aus des Himmels Innerſtem hervor, Und doch tief hinten vor der Wahrheit Hing fchattend noch ein Nebelflor.

Dann weiter durch des Nordens Nebelländer Zrieb e8 mich fort bi an die Erdenränder, Wo durd die trübe Fluth die Geifterfchaaren Ins Schattenland hinüberfahren.

Schon mid zum Todesgang zu rüften Gemahnte mich mein greifes Haar,

Und keins der großen Räthjel war

Dir noch gelöst. An Afiens Küften

Kehrt’ ich zurüd, und nochmals riß

Der Wiffensdrang mich fort von Stadt zu Städten.

10°

Im Tempel von Perjepolis

vas ich mit Baktriens Propheten

Die Schriften des geweihten Zend!

Allein, wie viel ich ob dem Pergament, Den Marmortafeln brütete und ſann,

Das alte, ew'ge Dunkel blieb.

Und aus dem Feuerlande Fran trieb

Michs weiter in das Reich des Ahriman Zu Magog und zu og, den Völferfchreden, Bis ich durch unermefine Pänderftreden

Zum Sonnenlande Indien kam.

Noch Kurz begann mein Yeben aufzuflammen, Doch dann, verzehrt von hoffnungslofem Sram, Erlöfchend brachs in ſich zufammen.

Ich fühlt in einer Tempelhöhle

Des Todes Nahn, allein die Seele

Noch Elanımerte fih an dag Leben feit:

„Sp werd’ ich fortgeriffen von der Welt, Und fein Geheimniß ward mir aufgehellt Und ew'ges Schweigen ift der Reft?

Nein, brechen will ich diefe Schrante

Des Augenbliffes und, mie mein Gedanfe Die kommenden Jahrtaufende durdirrt,

So felbft dem Tod den Sieg beftreiten

Und von Gefchlechte zu Gefchlechte fchreiten, Bis der Erfenntnißdurft geftillt mir wird!“ Ich riefs und wollt’ empor mich raffen, Doch fühlte alle Sehnen mir erjchlaffen; Zurüd zum Herzen ſchoß das Blut mir kalt, Und auf die Stirn mir trat der Todesſchweiß. Ta fah ich eine ſchwankende Geftalt,

Von der Brahmanen weißem Kleid ummallt, Mir dur die Höhle nahen, einen Greis, Wohl mehr als ein Jahrhundert alt. „Erfüllen kann ich dein Begehren

131

Sprach er daß ewig deine Jahre währen! Bon meinem Bater, dem Brahmanen,

Ward ehmals auf dem Todtenbett

Gereicht mir diefes Amulet.

Aus Urmeltzeiten von den Ahnen

An ihn vererbt, hat e8 die Kraft,

Daß es auf Erden ftetes Leben fchafft;

In Jugendblüthe oder Mannesftärke

Und Altersruhe, ganz nach jeiner Wahl, Kann leben wer e8 trägt doch merke!

Eh neu du auf dich nimmft des Athmens nal: Mein Bater nicht noch einer feiner Väter Degehrten nach vollbrachtem Lebenswerke

Noch längres Daſein; in den reinen Aether Berftrömten gerne fie den Hauch,

Und müd’, in fernerm Athemholen

Noch länger Leid zu ſchlürfen bin ich auch; Kein Sohn lebt mir; dir laß ich die Phiolen Mit Wunderfäften und den Talisman!“

Ich griff nach dem, was er mir bot, in Halt, Und kaum hatt’ ich das Amulet gefaßt,

So fühlt’ in friiher Kraft, die mich durchramı, Ich mich wie vor Jahrzehnten jung,

Und 309, vom alten Trang getrieben,

Bon Neuem aus zur Wanderung.

Kein Yand ift, feine Zeit geblieben, Kein noch jo fernes Weltgeftade, Wohin ich nicht gefchmeift auf meinem Pfade. Wo eine neue Weisheitäquelle nur Des Turftes Löſchung mir verjprad, Ich eilte ihrem Raufchen nad), Tod jah im Sand verrinnen ihre Spur. So feit Jahrhunderten ſchon in die Irre War ich geftreift, indeß Geflirre

182

Bon Sklavenketten, Eiſenräder-Rollen, Kampfwuthgeſchrei um mich erſchollen. Brechende Blicke, blaſſen Jammer,

Elend und Noth hatt' ich geſehn,

Den Ring, an den das Werden und Vergehn Geſchmiedet war mit ehrner Klammer, Geſehn, wie bald vor dem und bald vor jenem Gott Hirnloſen Wahns im Staub die Völker knieten; Was Einem heilig, war dem Andern Spott, Und gegenſeitig ſich mit tollem Wüthen Zerfleiſchten ſie in Glaubenshaß.

Das all hatt' ich erblickt, und dunkel bleiben Auf immer ſollte mir, für was

Das ganze grauſenvolle Treiben?

War es ein blindes Ungefähr,

Was dieſe Menſchenwogen hin und her

Wie Sturm die Meereswellen ſchlug,

Das Daſein ungeheurer Trug

Und Wahrheit nur der letzte Moder,

In welchem Alles endet? Oder

Wars eines tollgewordnen Gottes Grille, Die dieſe Welt erſchaffen hatte?

Oft dacht' ich ſo in finſtrer Nächte Stille, Und düſter legte des Gedankens Schatte

Sich auf mein Haupt. Dann wie von einer Schlange Geſtochen fuhr ich auf. Zu neuem Gange Vom fernſten Oſten ſtachelte das Herz,

Das ruhlos klopfende, mich abendwärts.

Ein Hauch verjüngten Lebens wehte

Mich an, als mich die herrlichſte der Städte, Athen, aufnahm und mit dem Blüthenflor Göttlicher Schönheitsbilder mich umfing.

An ihrer Redner Lippen hing,

An ihrer Dichter mein berauſchtes Ohr;

Im Oelwald der Akademie

13

Sah ich die Welt der ewigen Ideen

Auf Plato8 Zauberruf vor mir erftehn;

Doch ah! gleich Wollen in des Windes Wehen Geſtaltlos mir vorüber ſchwebte fie;

Und bald all jenen Ländern nad),

Die ich erblühn jah und vergehen,

Sant Hellas in der Knechtſchaft Schmach; Nicht feines Geiſtes Sonnenflug,

Nicht alle Götter, welche Phidias’ Meißel Tem Stein entlodt und mit des Lebens Athemzug Erfüllt, verliehn ihm Schuß vor der Scorpionengeißel, Mit der e8 Rom zu Boden fchlug;

Mein Auge weinte nie jo heiße Thränen,

Wie bei dem Untergange der Hellenen.

Da war ein Tag der Knechtſchaft angebrodyen, Wie nie zuvor; in Stlavenjochen Wahnfinn’ger Kaifer ächzten die Nationen Und fahn zu ihren Häupten bleich

Der Zwietracht Yurien, des Kriegs Dämonen Bon Land zu Lande ziehn. BZugleich Entfeffelte Natur die Schreden,

Die ihr im dunkeln Schooße fchliefen. Erdbeben fchlangen ganze Tänderftreden, Bolfreiche Städte in des Abgrunds Tiefen; Auf Yeichenhaufen feierte die Belt,

Die unerjättliche, ihr graufes Felt.

Bor dem Entjegen mich zu bergen

Und allem Leben fucht’ ich durch die Flucht; Tief in des Skythenlandes fernfter Bucht,

Wo den Prometheus einft die Schergen

Des Zeus an gipfelfteilen Fels geſchmiedet, Am Klippenftrand, um den die Woge fiedet, In weltentlegner Thäler Irrgewinden

Dacht' ich die Einfamkeit zu finden,

Nach der ich lechzte doch vergebens;

14

Das tiefunfelige Gejchlecht

Hatte die Noth und Fieberangft des Yebens Dorthin au in die unwegjame Dede

Des Kaukaſus zu tragen fich erfrecht,

Auch dort hinab bis in die tiefften Schludten Und in der Erde Herz ſah ich die fchnöde Welttyrannei auf allem Dafein wuchten.

Da wars, als ob dem nahen Sturz der Reiche Voraus ein Zittern durch die Länder jchleiche; Schon regte ſich in jeder Seele bang Ahnung des nahen Untergangs der Dinge, Und von des Würgeengels Schwinge,

Die langfam fi empor am Himmel rang, Ward allumher die Erde düfter;

Ich aber barg mid), jeder Hoffnung bar,

In Thebens Wüfte. Fahr auf Fahr, Jahrhundert auf Jahrhundert war,

Indeß der Donnergang der Weltvermüfter Bon Norden her orlanifch brauste,

Mein Wohnfig dort die Gräberftadt.

In dunkler Höhle, wo ich einfam haußte,

Oft dacht’ ich, alles Lebens fatt,

Mich zu dem fchweigenden Gefchleht der Todten Bu betten, das im Staube drunten ruhte. „Dort nur ift Frieden vor dem Weltveipoten, Tem düfteren Geſchick, das mit der Eijenruthe Sinnlos und ohne Zweck und Plan

Die Menſchen über diefe Erde jagt;

Bor allenı Web, das an der Schöpfung nagt, Nur dort ein Rettungshafen aufgethan,

Wenn ausgerast der wilde Lebensreigen;

Der Zweifel wie der Glaubenswahn

Sind Brüder drunten im allem’gen Schweigen;

15

Bergefien dort im träumelojen Schlaf

Will ich, daß Fragen ich gethan,

Auf welche nirgend Antwort ift.“

Ich dacht’ e8 und den Talisman

Schon wollt’ ih von mir werfen, doc) ein Chriſt, Den ich in jenen Gräberhöhlen traf,

Erfüllte mich mit neuem Yebensmuth.

Nicht warb von feiner Glaubenslehre

Mein Geift betbört; ſchon allzu viel Altäre Hatt’ ih um folder Träume halb mit Blut Befledt gejehen. Unter Hohn und Spott Sprad ich zuerft: „Seht mir, Ihr Nazarener, Mit Euerm menfchgewordnen Gott!“ - Abwandte da von mir fich Jener,

Allein in meinen Händen ließ

Er ſcheidend eine Schrift; fie hieß

Das Evangelium, „die frohe Kunde”.

Darin von feinem Meifter las ich,

Wie mild und warm von feinen Munde

Tas Wort geftrömt, und bald vergaß id)

Tie ganze Welt umber bei feinen Reden. Erhabner däuchten, als der Inder

Weisheit in den Puranas und den Veden, Mir feine Sprüche, faßlich ſelbſt für Kinder, Und dod für Weife tief genug.

Da fand ich keinen Prieftertrug,

Nicht Satungen noch düſtre Wahngebilve; Mitleid und Yiebe, Herzensreinheit, Milde War was ıhm als das Höchjfte galt.

So nit als Gott, doch als der Menſchen größter Erſchien mir diefer Chriftus bald;

Des Friedend Bringer und der Armen Tröfter, Wie ſchlug er leuchtend, weltalltief

Die großen Augen vor mir auf!

Sch las und (a8 von Neuem ftet3 und rief:

1806

„O käme jemals in der Jahre Lauf,

Die Zeit, mo feine Lehre Wahrheit würde, Nochmals nähm’ ich auf mich des Lebens Bürde, Um jenes große Erdenjahr zu ſchaun!

Dann fallen au wird von dem Weltenplane Die Hülle und den Sterblichen, ich ahne,

Ein neuer Morgen der Erfenntniß graun;

Denn nur der Liebe ift die Macht gegeben,

Den Schleier vom Berborgenften zu heben.“

Aufs Neue von der Pharaonen Grabe Gen Abend brad ih auf am Wanderftabe. Wie ander& Alles nun! Im Staube lag Die alte Welt; von der Alanen Sturmfluth, der Hunnen und Germanen, Verrauſcht war auch der legte Wogenfchlag, Und nach dem Wetter bin von Volf zu BVolfe Hing allbelebend eine Frühlingswolke. Wohin ich kam, auf Höhn, in Thälern Ein frendes Bild ſah ich entrollt;

Da fprengten Ritter erzgeſchient und ftählern In Kampf und Schlaht um Minnefold, Da funtelte im Sonnenfchein

Das Erucifir auf Münftern und Abtein; Mit Mufchelhüten und Sandalen

Und wehnden Bahnen hin zu den Portalen In langen Zügen jchritten fromme Waller; Bor Chriſtus beugten fid) die Kniee Aller, Der mit der Nägel blut'gen Malen

Am Kreuze hing todbleichen Angefichts; Doch ich erkannte bald: ein hohles Erz, Der Liebe bar war diejer Chriften Herz Und wußte von des Meifters Lehre nichts; Bismeilen nur in einfamftiller Grotte, Wenn finnende Anachoreten

1370

Geheimnigvoll mir fprachen von dem Gotte, Der in uns Allen wohne, mwehten

Mich Hauche feines Geiftes an,

Daß fanfter Andahtsfchauer mic) durdhrann. Dann in die Hallen hochgewölbter Dome, Trieb michs, die fie am Donauftrome,

Am Rhein gebaut dem neuen Glauben;

Ich Iniete nieder unter ihrer hehren Chorwölbung, wo durch Marmorlauben Bon allen Fenftern und Altären Heiligenbilder niederjahn;

Und wenn der Orgel Riejenklänge

Gleich einem göttlichen Orkan

Hinbrausten durch die Säulengänge

War mir, als dringe durch des Himmeld Thor Mir Offenbarung an dag Ohr;

Dody Nacht des Zweifeld wie zuvor Umbüllte mich, jobald der Ton verhallt, Und in dem Sturme der Gedanken

Sah ich umher den Säulenwald,

Die Mauern und die Streben wanlen. Mich lockte in der Philofophen Schule

Der Wahn, daß dort die Weisheit wohne; Ich ſaß vor des Anſelmus Rednerftuhle Und lieh mein Ohr dent Petrus von Apone Und fah die Myſtik matten Scheing Hinunterleuchten zu dem Schlunde,

Der die Geheimniffe des Seins

Berborgen begt auf feinem düftern Grunde; Durch fie dacht’ ich das ew'ge Eins,

Das nie ergründete, zu finden,

Doch fühlte bald, und fah die Hoffnung ſchwinden, Wie tiefres Dunkel mir den Blick umflorte, Ye mehr ich in des Abgrunds Nacht ihn bohrte; Und endlich ſchwand vor meinem Auge ganz

18

Bon diefes Mittelalters Bild der Glanz;

Ja nach den Göttern von vordem

In Sehnfucht blidt’ ich rückwärts wie Julian, Denn o! wie hatte Irrſinn, toller Wahn

Die Lehre nicht entitellt, die er verfündet, Der hohe Meifter von Jeruſalem!

Wie wandelte die Pharifäerbrut

In fengend Feuer um die milde Gluth,

Die in den Herzen er entzündet!

Fa wiſſe, Freund, nicht fo viel Blut

Klebt an des Baal, des Moloch Opferherde, Wie ich durch Jene fah vergießen,

Die fi des Edeln Schüler hießen!

hr Glauben madte diefe Erde

Zu einem weiten Feld Afeldama,

Und größres Weh als bei den fieben Wunden, Als bei dem Todeskrampf auf Golgatha, Glaub’, hätte jener Göttliche empfunden, Wenn ers gefehn!

Erfaßt von tiefem Granen, Kein Menſchenantlitz ferner wollt’ ich fchauen, Und jenfeit8 Calpes durch den Ocean Des Weſtens führte mich der ſchwanke Kahn Auf öden, nie zuvor durchreisten Geeftraßen zu den Inſeln der Britannen. In Wäldern himmelhoher Tannen, Auf Felsvorſprüngen und beeisten Berggipfeln dort, an öden Küften, Wo einfam nur die Meeresfchwalben niften, Und ſchlangengleich allum die Woge kreist, Sann ih und rief hinaus ins Fluthgerolle: „Natur, du große, die du Alles weißt, Sag an, was foll dies Mastenfpiel, das tolle? Nun feit Jahrtaufenden mir graut,

139

Zurüdzubliden auf die weite Wüſte

Hab’ ih dem argen Treiben zugefchaut,

Und jede Zeit, jo wie die frühfte

Urwelt, war übervoll von Schuld,

Bon Jammer, Elend und Entjegen;

Nur bier und da an feltnen Ruheplägen Band ich das Leid in Schlaf gelullt,

Tod flüchtig blieb die Raft und kurz,

Und neu begann der ftete Sturz

Bon Weh zu Web, der Leben heißt,

Und immer noch, ein graufer Todtentanz, Wie auf Friedhöfen, Greife, Männer, Weiber, liegenden Haars, verftridt die Leiber,

Ihn fchlingen bei des Mondes bleihem Glanz, Nast fort der aberwig’ge Mummenfchanz ? Wird endlich müde nicht der Weltengeift, Tem er zu Kurzweil dient und zu Gelächter, Ihm zuzuſchaun, wie er Geſchlechter auf Gefchlechter Mit fi in feine Wirbel reißt?”

So rief ih, während um die Felſenkegel Aufflatterten die Meerespögel;

Ich bebte, wenn am Horizont ein Segel

Mir kündete von Sterblichen die Nähe.

Und doch, als Jahr’ auf Fahre meerumbraust Ich auf dem öden Riff gehaust, Fühlt' ich, daß an der Menfchheit Wehe Das Herz mir feftgefchmiedet blieb. Zulegt zur Welt des Lebens trieb Die Sehnſucht, ihrem ferneren Geſchick Ins Angeficht zu Schauen, mich zurüd; Die Länder alle wollt’ ich fehn aufs Neue Bom Nordmeer bis zu Wälſchlands Südfrudtftrand; Und fieh! e3 ſchien in veinrer Bläue Der Himmel über ihnen ausgejpannt!

1%

Geſunken war das mächtige Byzanz,

Und wie auf Zauberruf erhoben hatten

Sid wieder aus dem Todtenreich die Schatten Der Weifen und der Dichter Öriechenlands; Sie fhritten, in den Händen alte Rollen, Bon Ort zu Orte lehrend Hin

Und deuteten auß den geheimnißpollen Schriftzeichen den verborgnen Sinn. Befruchtend durch die Seelen Aller floffen Die Geiftesquellen, die fie neu erſchloſſen; Aus Glauben und aus Traum der Kindheit Sich aufzuringen num begann

Die Menfchheit, ihr vom Auge wid) die Blindheit, Und trog der Kirche Acht und Bann

Empor zur Sonne fah fie fühner.

Zugleih aus Sachſens Klofterzelle

Brad andre ungewohnte Helle,

Als Deutſchlands Stolz, der tapfre Auguftiner, Der Chriſten lang verfchlofines heil’ges Bud) Aufihlug. Gebrodhen war der Fluch,

Der feit Jahrhunderten auf Erden lag,

Und immer höher ftieg der Tag,

Ye mehr des Meifters Lehre aus der Hille, Mit welcher Lüge fie umſponnen,

Vorbrach in ihrer Strahlenfülle,

Ein ewig unerfchöpfter Bronnen

Bon Glanz und Licht. Wohl wüthend zogen Des Dunkel Mächte, um ihr Reich betrogen, In hellen Haufen neu zum Kampf;

Bis heute bebt von ihrem Todeskrampf

Die Erde noch; von Blinden und von Tauben Noch ift fie voll, die an den Glauben

In ihrer Selbftfucht dunflem Triebe

Berftodt fi) klammern, geiftesftumpf;

Tod) feiern endlich wird die Liebe,

11

Die Ehriftus lehrte, den Triumph.

Die Ahnung jchwebte, wenn auch lang

Mir Nebel trüb noch auf dem Geifte lagen, AL Stern vor mir feit jenen Tagen,

Da aus der Gruft der Menfchheit Genius ſich rang Und dur die Mainzer, Guttenberg und Zuft, Die Kunft erftand, die der Scholaftit Wuft, Der Religionen Hirngejpinnfte

Berrinnen läßt wie Nebeldünfte

Im Sonnenlihte; durch die Meereswogen, Die Öden, die zuvor fein Kiel durchzogen, Wies nun Amalfis Tochter, die Bouſſole,

Den Schiffern ihren Pfad von Pol zu Pole, Und Thule blieb der Länder letztes nicht; Jenſeits des Oceans im Morgenlicht Auftauchten neue Weltgeſtade,

Mit Schaaren unbekannter Weſen,

Und auf der Spur des kühnen Genueſen

Zog durch der Wildniß Urwaldpfade

Mein Herz dem kommenden Geſchlecht vorauf. Wie dieſer Rieſenſtröme Lauf,

Dacht' ich, ſich donnernd wälzt zum Ocean, So durch die Schranken, die vor ihr ſich thürmen, Wird jubelnd nun die Menſchheit Bahn

Sich brechen und von Sieg zu Siege ſtürmen! Ja bald der Feſſeln, die ſie eingezwängt,

Sah eine nach der andern ich geſprengt; Kaum war Amerika dem Wellenſchooß Enttaucht, ſo that ſich rieſengroß

Zu ihren Häupten auf das All der Welten, Zu Sonnen, die um Sonnen kreisten, Bertheilten ſich die matterhellten

Milchſtraßen. Jenſeit der beeiften Jupitermonde und Saturnudringe

Schwang fi) da8 Auge auf des Sehrohrs Schwinge

192

Empor bis an des Raumes Gränzen;

Selbſt wo am Saum der Nacht die Sehkraft ſchwand,

Sah zahllos, wie am Meer die Körnchen Sand,

Der Geift noch neue Sonnen glänzen,

Und in der Sphären ewige Choräle

Harmoniſch ftimmte ein der Erdenball,

Und größer ſchloß der Menſchheit Seele

Sich auf im ungeheuern Al.

Neue, ftetS neue Ströme braden,

Draus fie Erkenntniß tranf, hervor,

Und voller ward der Stimmen Chor.

Stammelnd erſchloß in lang verſchollnen Sprachen

Uralte Weisheit ihre Lippen;

An Indiend Kaufafus, den Gletſcherklippen

Tes Alburs, an der Ganga Himmelsquelle

Aufſchlugen in der jungen Morgenhelle

Eisgraue Zeiten ihre Augenlider,

Und durch der Entel Reihen wieder,

Vom Grab erftanden, wandelten die Ahnen

Und ließen fie die Lehre der Puranen,

Die heilige, von PBalmenblättern leſen,

Die Ich nicht ift noch Du, wie nur

Ein großer Geift in der Natur,

Ein mächt'ger lebt, und unfer eignes Weſen

Selbft aus des Thieres Augen traut,

An Mitleid mahnend, und entgegenſchaut.

Heller und immer heller ward

Das Feuer des Prometheus fo auf Erden

Und loderte empor von tauſend Herden. Pavafeldern, fang erftarrt, Bergesfhichten und den Bodenſpalten, eine nie geahnte Urwelt wieder Tageslicht; und Riefenglieder hner Thiergefhlechter, Schredgeftalten,

ines graufen Traums Geburten jchienen,

19

Sah man gebettet in Ruinen

Bon hingefuntenen Aeonen,

Und fand in einer Schiht mit ihnen

Den Menfchen, den die Religionen

Geftempelt zu des Geftern Sohn.

Tief in der alten Urnacht ſchon

Hat er gelebt, in Höhlenſchlucht verborgen, Und lang vor der Geſchichte graundem Vlorgen In wilden Kampf geftritten und gerungen, Bis er fih auf der Schöpfung Thron geſchwungen. So von dem alten Räthſel fiel

Der Schleier, den Jahrtauſende gewoben;

"Er fommt von unten, aber ringt nad oben Zu böherm, immer höherm Ziel,

Und berrlicher, als hätten in die Wiege

Sie güt’ge Götter ihm gelegt,

Wird ihn die Palme ſchmücken, wenn zum Siege Zulegt die eigne Kraft ihn trägt.

Wohl langfam war fein Gang; doch als ein Tag Zählt ein Jahrtauſend in der Weltgefchichte; Wohl dag er in dem Ringen oft erlag,

Daß er mit Tritten, ſchwank und ungemwiß, Wenn er emporgellommen ſchon zum Lichte, Nochmals rückſank in Finfterniß;

Allein das Eine halte feft dein Herz:

Er fchreitet mälig ſonnenwärts,

Und immer reiner wird der Quell

Des Göttlichen ihm, immer klarer fließen, Wenn neue Himmel fih ihm hell

Mit den Jahrhunderten erfchließen.

Doch zu des Adler Sehkraft fchärfen

Muß er im Yichtglanz feinen Blid,

Und kämpfend, trogend dem Geſchick,

Dem Sturm fih, dem Orkan entgegenmerfen, So zum Triumphe wird fein Flug ihn tragen. Ehad, Gel. Werte. 1. 18

191

D Freund! und nidyt um jene darfit du Hagen, Die in dem Ringen unterjanten,

Denn glorreich fie, da in des Ruhmes Hallen Unfterblih ihre Namen fchallen;

Für ihrer Thaten jede ihnen danken

Wird noch die fpätfte Zeit, wie allen Jenen, Die unter Yeiden, unter Thränen

Der Menjchheit hohes Gut gemehrt.

Der Nachwelt ift, was fie erftrebt, erfahre, Ein theures Erbe, dag von Fahren

Zu Fahren fie bewacht und mehrt;

Mit ihres Denkens Frucht genährt

Spricht fie in Haren Worten aus

Was Jene ſchüchtern nur geſtammelt,

Und jeder Schatz, den ſie geſammelt,

Wird unvergänglich durch die Zeiten

Sie auf dem Erdengang begleiten.

Nicht ein Gedanke iſt, in ſtiller Stunde Gedacht von der Begeiſterung,

Der nicht von Herz zu Herz, von Mund zu Munde Fortwandelte, unſterblich jung.

Der Kindertraum der erſten Mythen,

Der Dichtung wunderbare Blüthen,

Der Weisheit Lehren und des Forſchens Funde, In frühſter Vorzeit je gethan,

Die Seherblicke, von Propheten

Geworfen in den Weltenplan,

All das bleibt ein Beſitz den ſpäten

Urenkeln noch, die es beim Sterben

Dem kommenden Geſchlecht vererben.

Auch dir ging nichts davon verloren,

Und dem Geſchicke mußt du dankbar ſein, Daß du in dieſer Zeit geboren;

Denn jene Güter all ſind dein,

Die die Jahrtauſende gehäuft.

19

In Indien au des heil’gen Stroms Geftaden Kannft du den Geift im Thau der Frühe baden, Der von der Veden Blättern träuft,

In Hellas’ Marmorblüthenflor

Dir, den entzüdten Sinn beraufchen

Und Aeſchylus' Oceanidenchor

Und Phädons Seherwort belauſchen.

Dir immer offen ſtehn betritt ſie nur! Des Mittelalters Münſterhallen,

Und fort und fort für dich erſchallen

Noch läßt ſein Lied der Troubadour.

Tod vor den Frühern wie biſt du beglüdt! Indeß dir noch in Bildern, in Gefängen

Die alten Zeiten leben, ihrem engen

Weltkreis wie weit nicht fiehft du dich entrüdt ! Bon Lande hin zu Lande, fieh!

Regt ſich und wogt und ſchwillt ein mächt'ges Leben Und alle Erdenkräfte ſtreben

Nach einem Ziel in ſchöner Harmonie.

Dahin durch alle Oceane,

Nicht Wirbel ſcheuend noch Korallenriffe,

Ziehn auf der hochbeſchäumten Fluth die Schiffe, Und ächzend an die Küſten heben Krahne

Die Waaren, die ſie fernher brachten.

Bald, glaub mir, in der Sage Dunkel birgt

Die Kunde ſich, daß einſt in blut'gen Schlachten Mit Menſchen Menſchen ſich gewürgt;

Denn über Berg und Kluft mit wehnden Fahnen Von Nation zu Nation

Rollen bei Tag und Nacht auf ehrnen Bahnen Dahin die Friedensherold-⸗Wagen ſchon.

Die allgeheimen Kräfte der Natur,

Die düſtern, denen zitternd nur

Der Menſch zu nahen ſonſt vermocht,

Hat er in ſeinen Bann gejocht;

1%

Er zieht vom Himmel mit gebundnen Flügeln Den Blig herab und läßt an feinen Bügeln In ferne Yänder ihn, in ferne Städte

ALS Boten gleiten längs der Eifenvrähte; Und, während auf der Forſchung Adlerſchwinge Ihn Wilfensdrang durch alle Räume reißt, Enthüllt die Wejenheit der Dinge

Sid immer Harer feinem Geift

Und doc, des Einen ward ich inne:

Noch fteht die Welt exrft im Beginne

Und in der frühften Dämmrung defien,

Was einft fie werden wird; jo unermefien Wie das Gefchlecht, dem heut die Sonne tagt, Die erften Höhlenwohner überragt,

Wird ein zukünft'ges Menjchenalter

Das Heute überflügeln wie ein Traum Im Morgenſchlafe, wie ein mattgelallter Kindifcher Yaut, werth fein zu achten kaum, Wird ihm dag hehrfte feiner Geiſteswerke Erſcheinen; thöricht, frevelhaft

Was e8 beginnt und finnt und fchafft.

Denn in des Mannes voller Stärke

Stehn wird der Menſch; wie er fich jelbft erkennt, Lebt er im Einklang mit dem Weltgejege; Natur und Geift find ihm nicht mehr getrennt, Und aufgefchloffen Liegen -ihre Schäße

Bor feinem Blid; fein Element

Des weiten AUS ift, dem er nicht geböte,

Und eine heil'ge Morgenröthe

Hat Haß und Neid und alle dunkel Triebe Der Sterblichkeit in ihm verzehrt,

So daß er auf der Erde fchon verflärt

Ein Himmelsleben führt, in dem die Liebe Die Völker mit allmächt'gem Band umfchlingt. Das ift das Ziel, nach welchem Alles ringt;

197

Tod eine Epanne Zeit, um mitzuftreben, Nur ward dem Einzelnen gegeben,

Denn in der Menfchheit ift fein wahres Yeben, Und, wie die Welle in den Ocean,

Sinkt er in fie zurüd. Drum wirfe du,

So lang vor dir die Erdenbahn

Erſchloſſen ift; doch, wenn dein Tagewerk gethan, roh fchließe deine Augen zu

Und juble, daß die Schranken fallen,

Tie dich getrennt vom großen Gein!

In ihm, befreit vom trügerifchen Schein,

Der deinen Blick umwob, als Eins mit Allen Erkennen wirft du dich, die find und waren; Und, wie von je du in den Wefenjchaaren Gemaltet, eh du trugft dein Staubesfleid,

So darf dich feine Sorge quälen,

Tir werde je die Zukunft fehlen

Dein ift die ganze Ewigkeit.

Auch ich, von Zeit zu Zeit, von Ort zu Ort Genug bin ich gefchmweift auf Erden, Und aus dem ewigen Bergehn und Werden Mich flücht' ich in den Rettungsport.“

Ein Ölanz, wie id ihn nie gefehen, bradı Aus feinem Aug’, indeß ers ſprach Und an die Bruft mir ſank: dann fchnell Hinab in einen nahen Duell Warf er Phiolen und das Amulet. Alsbald da legte Yeichenbläffe Sich auf fein Antlig; neben der Cypreſſe Eanft glitt er hin wie auf ein Ruhebett. Ih warf mich jammernd über ihn Und blieb noch lange bei dem Todten Enten. Dann nahten fi) die Treiber der Kameele;

18

Ich gab, emporgerafft, Befehle,

Ihn in des nahen Friedhofs Schatten Nach Orientalen-Weiſe zu beſtatten,

Und ſank von Neuem hin; erſchüttert bebten Mir alle Fibern noch von dem Erlebten; Es war zu viel des Wundervollen,

Und mit geſchwundnen Sinnen lag

Am Boden ich zuletzt.

Da horch! ein Donnerſchlag Zu Häupten mir, ein dumpfes Rollen Die Erde zittert aufgeſchreckt Fahr' ich empor, allein mir deckt Traumſchwerer Halbſchlaf noch die Augenlider; Wucht, wie von Blei, zieht meine Glieder Aufs Neu' herab, und mit betäubtem Sinn Bewußtlos blid’ ich lange vor mid) hin; Dann, während fühl der Wind um meine Stine ftreicht, In meinen Haaren weht, entweicht Mein dumpfes Starren nah und nad; Umſchauend ſeh' ich, faft geblendet, Wie durchs zerriffne Wetterwolkendach Die Sonne goldne Strahlen jendet. Mein Bid jhmeift jtaunend allumher; Wo bin id Hier? Das Mittelmeer, Joniens Berge, Smyrnas Bucht Such’ ih umfonft; verjhmunden Alles; Quadern eines ungeheuern Wales, hier gefunfen durd die eigne Wucht, t, Einfturz drohnd, in Niffen klafft, xt rings der Grund, und Riefenhallen vagen Häupten mir, und räthjelhaft ch halbzerftörter Mauern Spalten m Bilder aus verſchollnen Urmelttagen mich hernieder, Mißgeftalten

19

Mit Deenfchenleibern und mit Löwenrachen, Beihwingte Stiere, Flügeldrachen

Und Könige mit Mitra und mit Keule Wo ift hier Träumen? wo das Wachen”

Ich ſpring' empor, an jede Säule,

Die Keiljchrifttafeln an den Wänden,

Die Steingebilde taft’ ich mit den Händen, Zu prüfen, ob nicht meine Augen trügen;

Ich Tenne diefe Trümmer; ja! zuvor

Durch diefe Hallen, dieſes Säulenthor Gejchritten bin ich fchon, dort an den Zügen Der Göttin hing der Blid mir ftaunensvoll, Als aus der Seele tief der Wunſch mir quoll, Aus unfrer Welt in frühe Fahre,

Der Erde Jugendzeit zurüdzutehren;

Und bier, zu ftilen mein Begehren,

Zu mir trat jener Greis, der wunderbare, Der eben erit am Strand des Mittelmeers Bon mir gefchieden das Erlebte all, Bifion allein geweſen wärs,

Da Mindres uns für wirklich gilt?

D dann ift diefer Erdenball

Und Zeit und Raum aud nur ein Traumgebild! Wie dem Ertrintenden im Wogenſchwall

Des Meerabgrunds ift mir bei dem Gedanken; Hin durch den Boden geht ein Schwanfen, Und überwältigt, ſchwindelnd gleite

Ich nieder an des Götterbildes Geite.

Dann endlich mich aufraff ich, neu ermannt, Und leuchtend Kar tritt Alles mir entgegen: Bon wunderbarem Schlaf gebannt,

Sn den Auinen bier am Wüftenrand Wer fagt, wie lang? hab’ ich gelegen, Andeflen von Gefchlechte zu Gefchlechte

Jenſeit der Mark von Zeit und Raum

Mein Geift die Fahrt gemacht. Doch diefe Nächte Des Orients, die Träume in dem Traum,

Was ich geichaut, gedacht, jo Kar,

So wejenhaft, wie was Ihr wirklich nennt,

In meiner Seele fteht8 für immerdar,

Und wie der Angelftern am Firmament

Soll durch das Erdendunfel jenes greifen Weltwandrer8 Wort den Weg mir meijen!

Und heimwärts, heimwärts nun vom Orient Zu ziehn, o wer mir Flügel Liebe! Da aus dem Säulenhofe, fiehe! Entgegen eilten Beder und Chalil, Die beiden Führer, mir: „Das war zu viel Beinah des Schlaf! Wie todtenftill Ihr lagt, Indeß auf diefer grünenden Oaſe Die Raft uns und den Roffen wohl behagt!“ Den Renner, der geweidet in dem Grafe, Mir führten fie herbei vom Rand der Hügel, Mit freudigem Gewieher gritßte Das treue Thier mich, in die Schaufelbügel Dich ſchwang ich und gen Weſten durch die Wüſte Mit mir von dannen flog es wie der Blitz; Die andern folgten mit verhängten Bügel. Noch Tage, Nächte ruhelojen Kitts, Und vor mir lag, vom Abendglaft Beitrahlt, die Hafenbucht, die jchiffbefäte. An Bord, an Bord nun! Wo von einem Maft Die Wimpel mir geliebter Länder wehte, Mit Jubel bot ich jeder meinen Gruß; Und, nad) Europa heimzufliegen, Ein Schiff, dem Säulen Raudyes fon entjtiegen, Betrat ich mit bejchwingtem Fuß. Da hin von Mund zu Munde eilte

201

Tie Kunde deffen, was gejchehen war,

Indeß ich in des Oſtens Traumreich weilte;

Und leuchtend bald und herrlich klar

Bor meinem Geift ftand all das Große,

Daß eine Zukunft, hoch und hehr,

Berborgen trug in jeinem Schooße.

So wie beim Siegsdrommetenſtoße

Tem Krieger, hob fih wonnejchwer

In hohen mächt'gen Schlägen mir das Herz,

Und niederfniend, ım Auge Freudenthränen, Etredt’ id die Arme heimathwärts:

„Erfüllt des Jünglings Traum, des Mannes Sehnen! Aus Kampf und Tod und ungeheuerm Sieg Ölorreich ein deutfches Reich geboren!

Fa, aus des Himmels offnen Thoren

Hernieder auf die Erde ftieg

Der große Geift, deß Hauch mit mächt'gem Wehn, Hin dur die Hallen der Geſchichte braufend,

Die Reiche aufblühn läßt und neu vergehn,

Und vor ihm jchlägt ein werdendes Jahrtaufend Die morgenhellen Wimpern auf.

Er ſei mit dir auf deinem Siegeslauf,

Mein Deutſchland! Schüge du mit mächt'gem Schild Freiheit und Recht, und ſchwinge hoch die Fahne, Wenn es den Kampf mit altverjährtem Wahne Für unfre höchſten Güter gilt!

Den finftern Nachtgeift, der im Vatikane

Noch brütet feine argen Plane,

Scheuch in fein dunkles Reich, daß frei

Dom gift’gen Qualm die Luft für immer jei

Und fih im Lichte fonnen die Nationen!

Dann lege nieder deine Siegeskronen

Und fliht ums Haupt des Friedens Delzweigkranz! Auffteigen wird im morgenrothen Glanz

Durch dich ein neues Weltenjahr,

202

Wo an der Liebe heiligem Altar

Die Völker alle ſich zum Bruderbund

Die Hände reichen! O, mit ſchnellern Schlägen Fuhrt, Räder, mich dem Vaterland entgegen, Daß heißen Kuſſes ich den Mund

Auf ſeinen Boden drücken kann;

Nie mehr von ihm ſcheid' ich fortan

Und einſt in ſeinen theuern Grund

Will ich das Haupt zur Ruhe legen.“

An

Bedwig Bragendorf,

Die einft dem Knaben in des Kebens Frühe

Mit weifen Kehren Du den Geift genährt

Und gern ihm Märden nad des Cernens Mühe Erzählt am abendlichen Herd,

Gedenkfi Du, Freundin, wie an Feiertagen

Er Spielmerk oft und Mittagsmahl vergaß,

Wenn er mit Dir des Oſtens bunte Sagen Don Aladdin, von Zindbad las?

Seitdem nad) drüben felbft an das Geſtade

Bog es mich hin, von wo der Morgen graut,

Und Wunder hab’ ic; dort, wie Schehrezade Sie nie geahnt, hn Geift geſchaut.

Anm hier was ich aus Syriens Palmenhainen ibrachte, von der Wüſte bleihem Saum; f Mächte finds, unwerth der Tanfend-einen, Ind diefe Nächte nur ein Traum.

über Balbeks brömelnde Ruinen Mandelbaum die weißen Blüthen rent, grauer Armwelt Bildern fo in ihnen erflocht ich unfer jüngftes Yent;

Und ſchon von Stimmen kritifcyer Beloten

Halt an mein Ohr verworrenes Getön:

„Kein Autor von den lebenden wie todten Rlomm noch zu foldyes Unfinns Höhn!

„Von Darmwinismus und von Puddhas Kehren Welch toller, niegefehner Tarneval! Daywifchen abgeſchmackte Kindermären,

Voll von des Orients Bilderſchwall!

„And Alles das, flatt mit Humor des Yorik,

Senttmental im Style von Zean Tarques

Mit Pathos vorgetragen und Rhetorik Der Gipfel iſts von Ungeſchmack!“

Ich Armer weh mit meinen Traumgeſichten!

And dennoch fall’ ich Muth, Ne Dir zu weihn;

Du, weife Freundin wirft mic; milde richten; Wenn Andre ſchmähen mag 25 fein!

Gedidte

Bierte Auflage.

Innhalt.

I. Lieder der Siebe.

Morgenftändden .

Heimathgefühl .

Mainacht ... Morgenlid . . . .

Das erfte Biebeswort

Wenn du hinmweggegangen . Genügen in der Liebe . . Strophen . Du willft, daß ich in Worie füge . Träume mit den leihten Schwingen Ständden . . . 2... . Selen . 2 2 2 20200.

_— In ihrem Arm .. Hoffen und wieter verzagen Trennung . . 2... Rob des Leiden . . . . —Frühlindtg -. . ..

Rahllan . .. . Der Brief . Einft und ieht . Lieder der Trauer (1 _10) . Am Grale . .. Nur Muth . .

Der Augenblid

Die JZidn . . . Neues Leben .

Süßes Geheimniß Enthülltes Geheimniß Rintemdt . . . (Seimtehe ..

EHad, Gel. Werte. 1.

.

14

Seile 213 214 214 216 216 217 217 218 218 219 220 221 221 222 223 223 224 225 225 226 227 235 235 236 237 237 238 239 240 240

20

Sonett . MWunid . Maiwonne . An Sie.

Il. Aus allen Bonen.

Allein mit der Natur In den Alpen. . Morgen auf den Alpen. Die Jungfrau. . An eine Alpenrofe Epiftel

Lugano . .

In der Brianza .

—Sommernadt .

Barcarole

Notturno

Auf Capri . nn Ba Cara 2 2 2 ra Meerfahrt . en Aus Sicilien . .

-Am Grabe Conradins

La Zila bei Palermo .

Bei Uhen . . .

Das Marmorbild . .

Im Theater des Dionyios .

Der Tempel von Aegina

Raſt bei Milet

Mittagsruhe bei Magnefia .

Rhede von Rhodos

India

Auf den Nil .

Orientaliſch.

Sofa . .

Die Tempel bon Theben

—Das unbelannte Grab

Abſchied.

Auf dem Pik von Teneriffa Lieder aus Granada a-ın. Aneilla . -. . . . Serenade . .

Aus der Sierra Revada

21ll

Seite II. Romanzen und Balladen.

Die Athener in Sy . . 2 2 2 22202. 312 Der Hujar von Auerſtadt ne... 816 Stefihord . . . . een... 8318 St. Amarus 2. 2 2 onen. 821 Colombod....4 3224 Göoötterſturg. 3325 Antonio de Leyya.327 Simillon 2: ne. 83%9 Die Konigstochte.. nn. 838% Normannenvermächtniß.. 333 Die Pythiaea. 33656 Das Bahrrechttt4338 Metellaa. 340 Ragnars Tod . . .. ; 7.)

Mahmud der Gasnevide ... . 344 Die ſeligen Infeln . © 2 2 2 ... 346 Erwin von Steinbad . . 2. 2 2 2 2 222.839 Malcolm: Mörder . rn. Der Robett.e > 2 384

Die Hexenjadd.. nn. 355 Der Steuermann -. . . 2 2 2 2 2 2 2 22.857 Sea Teufeltannng. 43389 Der Triumphatoee.. 43862 Die beiden Bringen . . . 2 2 2 2 2 nn 2.865 Zurbarn 2 on... 868 Dembinstti.. .4369 er Strohhalnnn......... 370 Walther von Immenftadtt -. . > 2 2 374 Das verichlofjene 00: ... 376 Evadne . . . ... 378

IV. Vermiſchte Gedichte.

An Mendelsſohn.. 38 Das Geheimniß. ..886 Am Meerer. .....887 —— die erfte Schwalbe. ö888 Im Walde.. ..... . 890 Abendempfindung.. 2 222 2 2.891 Abenddämmerung.. nn. 89%

An den Abenoften . . . . nenn. 898

212

An der Rad .

An den Schlaf Gewitternadt .

Sei mir gegrüßt!

Herbſttag .. —Herbftfeier in Rüdesheim Die Schwalbe .

Am Kamin. . Reujahrsnadt . .. Auf einen Granatenzmeig . Der Pokal.

Belannte Sterne .

Grüß mir den Strand, J ren!

Lebenswonne Ode....

Drei Dichter. Auerbachs Keller An den Genius Wiederſehen Aus der Heimath (1-6) An die Hausgeifter . Der Yubelgreis AT... 0. Der Blinde

Der Leine Franz

_ Pe Tod der Rachtigall

Wahre Schöndeit . An G. T.... Vorgefühl

An Adele Herbſtgefühl

„Der ewige Wanderer. Burg Rodenftein . Letzte Zeilen . Rückkehr der Muſe

I. £ieder der Liebe,

_—

Worgenfländdien.

Erwache, meine Rofe!

Was biraft du das Angefiht? Schon zittert die Mimofe Entgegen dem kommenden Ficht.

Hoch, höher am Rande der Hügel Auffteigt der fröhliche Tag; Bergoldet bligen die Ylügel

Der Lerche bei jedem Schlag.

Die Veilchen, die Lilien trinken, Während ins ftrahlende Blau Die legten Sterne verfinten, Den perlenden Morgenthau.

Ihr Athen, rings ergoffen, Erfüllt die Frühlingsluft, Doch, ehe dein Kelch erichloffen, Fehlt ihr der ſüßeſte Duft.

234

Heimathgefühl.

Wir ſchritten durch des Abends Schweigen, Ein Wetter war fernhin verrollt;

Durchs feuchte Laub von Zweig zu Zweigen Glitt ſanft der Sonne letztes Gold.

Da von den Ländern dir, den fernen, Erzählt' ich, wo ich dein gedacht, Von Raſt am Rande der Ciſternen In Syriens blauer Sommernacht,

Bon Aegeus' Meer, wie längs der Küſten Mich ſchaukelte der ſchwanke Kahn,

Und Halb zerbrochne Marmorbüften

Aus Tempelnifchen niederfahn,

Und hoch dein Auge jah ich leuchten, Du heifchteft mehr noch, doch ich ſchwieg, Indeſſen wallend in der feuchten Spätluft der Wiefen Nebel ftieg.

Warum mi in die Ferne träumen? Dacht' ich, mein Haupt an deins gelehnt; Nah dir und unfern Lindenbäumen Wie oft hab’ ich mich dort gefehnt!

Mainacht. An deiner Seite jo gevne _ Durchträüm' ich die Frühlingsnacht; Treu halten die heiligen Sterne Bor deinem Fenſter die Wacht,

215

Indeß wir in Armen uns bangen, In Seele die Seele verfintt _ Und Mund von Mund in langen Zügen den Athem trinkt.

Aus Wipfeln, drin Vögel brüten, Wirft fanft der duftende Mai Seine Knospen und Blüthen Herab auf ung jelige Zwei,

Und durch die Fenfterbogen Nachtwandelnd weht der Wind Deine Loden in Wogen

Ueber mein Haupt gelind.

Wir zittern, wir erblaffen

Bor Liebe, und Jedem quillt

Im wonnethränen-naffen

Auge des Andern Bild.

Ad! fteigt ſchon im Often der rothe Schimmer des Morgend empor? Nein, durch den Himmel lohte

Ein nächtliche Meteor.

Taufend Geheimniffe müſſen

Wir nocd einander vertraumn,

Und taufend Küffe noch küſſen,

Eh der Morgen beginnt zu graun. Was ſcheuchſt du mit deinem Gefange, D Schwalbe, fo frühe die Nacht? Schweig, ſchweig! und haltet noch lange, Ihr Heiligen Sterne, die Wacht!

216

Worgenlied.

Erwäche, mein Mäbchen! Im dämmernden Blau Erlöfchen die Sterne gemädh;

Aufſchwiũgt ſich die Lerche, noch feucht vom Thau, Bun leüchtenden Actherdach.

Sie jauchzt im freudezitternden Lied,

Wie die Welt ſo ſchön, ſo ſchön,

Denn Wonnen, die unten kein Auge ſieht, Schaut ſie in den himmliſchen Höhn.

Und jubelt die Lerche, ſo jubelt mein Herz Hoch in den Lüften mit ihr

Und ſendet, mein Mädchen, erdenwärts Vieltauſend Grüße zu dir.

Das erſte Fiebeswort.

Das war der füßefte der Laute!

Sie ſprachs, das erfte Liebesmort ; Im Herzen nun trag’ ich das traute, Tieffelige Geheimniß fort.

Allein wo berg’ ich meine Wonne, Daß ich fie wohl behüten mag? Dein Licht verhülle, läſt'ge Sonne! Berftumme, lärmbemegter Tag!

MWeltfern fei meines Glüdes Fülle Begraben, wo fie nicht3 verräth

Und nur durd Nacht und heilige Stille Des fügen Wortes Nahhall weht.

2317

Wenn du hinweggegangen.

Wenn du hinweggegangen,

Glaub' ich lange dich noch zu fehn; Um die Schläfe und um die Wangen Deinen Athen mir fühl’ ich wehn.

Wenn von deinen Reden

Fängft der Ton dem Ohre verflang, Hört die entzüdte Seele jeden Laut, den du gefprochen, noch lang.

In der Stille der Nächte,

Wenn voll Bangen das Herz mir fchlägt, Suhl’ ich, wie leife fich deine Rechte

Auf die Stirne, die Bruft mir legt.

Arme, die weich mich umranten,

Wiegen mich ein; ich athme faum; Deine Worte, deine Gedanken

Klingen und duften um mid im Traum.

Genügen in der Siebe.

Einft war in allen ihren Räumen

Die Erde mir faum weit genug;

Kein Land, fein Meer, wohin in Träumen Mich nicht der Seele Flügel trug.

Auf Höhn, zuerft beftrahlt vom Morgen, Sn Tiefen, die fein Sentblei mißt, Wähnt' ich den großen Schat verborgen, Der einzig werth des Suchens it.

218

Doch jegt o mehr, als was ich ehe Geſucht am fernften Meeresfaun, Fand ich bei dir in trauter Näbe, Noch faſſ' ich Alles, Alles kaum.

Und, ganz das Glück nun zu genießen, Das mir der fchönfte Tag gejchentt,

Möcht' ich der Welt mich rings verſchließen, In deinen Anblid nur verfenft.

Strophen.

D! wenn ummwallt von deinen Yoden Wir ruhen, Haupt an Haupt gelehnt, Wie ſüß der Küſſe Wechfeltaufch! Welch Flüſtern in der Liebe Rauſch! Wie ſpricht, ſo oft die Worte ſtocken, Das Auge, das von Wonne thränt!

Ein Pfand, o Weib, mußt du mir laſſen Für jene Zeit, wo fern du biſt,

Damit an ihm ſich mein Gedanke Aufrichte, wenn ich zweifelnd ſchwanke Und nicht mehr glauben kann, nicht faſſen, Daß mein ſolch Glück geweſen iſt!

Du will, daß ich in Worfe füge.

Du willſt, daß ih in Worte füge Was flüchtig iſt wie Windeswehn, Und meiner Seele Athemzüge,

Die leifen, kannſt du nicht verftehn?

29

Doch glaub! die Wonne wie die Klage, Die nur in Geiftertönen lallt,

Bleibt eine unverftandne Sage,

Wenn ihr das Herz nicht widerhallt.

Ihr Sinn ift hin, ihr Laut verflungen, Eobald die Lippe fie erft nennt;

Nicht eignet fich für Meufchenzungen Was nur der Himmel weiß und kennt.

Träume mit den leihten Schwingen.

Träume mit den leichten Schwingen Flattern zmifchen ihr und mir, Schweben auf und ſchweben nieder, Tragen faum geborne Yieder Flügelſchnell ihr hin und bringen Mir ein Lächeln heim von ihr;

Pflüden Blüthen auf den Auen, Schön, wie fie der Frühling giebt, Streuen auf ihr Ruhekiſſen Maiengloden und Narciſſen,

Die in Düften ihr vertrauen, Taß mein Herz fie einzig liebt.

Ihre Lippen vegt fie leife,

Wie fie folhe Gaben fieht;

In dem Flüftern, in dem Yallen Hör’ ich meinen Namen fchallen, Und wir reden mwechfelmeife,

Bis der Schlummer von mir flieht.

20

Dann im Dunkeln aufgerichtet, Schau’ ic, daß ich einfam bin Ad im Traum nur modht’ ich wagen, Was ich fühle, ihr zu jagen,

Und das Lied, für fie gedichtet, Stirbt auf meiner Lippe bin.

Htänddien.

Mach auf, mach auf! doch leife, mein Kind,

Um Keinen vom Schlummer zu weden!

Kaum murmelt der Bach, kaum zittert im Wind Ein Blatt an den Büſchen und Heden;

Drum leife, mein Mädchen, daß nichts fich regt, Nur leife die Hand auf die Klinfe gelegt!

Mit Tritten, wie Tritte der Elfen fo ſacht,

Die über die Blumen hüpfen,

lieg leicht hinaus in die Mondſcheinnacht,

Zu mir in den Garten zu fchlüpfen!

Rings fchlummern die Blüthen am riefelnden Bach Und duften im Schlaf, nur die Liebe ift wad).

Sig nieder! Hier dämmerts geheimnißvoll Unter den Yindenbäumen.

Die Nachtigall ung zu Häupten joll

Bon unferen Küffen träumen

Und die Rofe, wenn fie am Morgen erwacht, Hoch glühn von den Wonneſchauern der Nacht.

21

Zeilen.

Dein Haupt an meine Bruft gelegt, Schließe die Augen zum Schlummer! Die Wonne, damit das Herz fie erträgt, Muß ruhen, glei) dem Kummer!

Nur matt, wie iiber Wellen dag Bild Bon zitterndem Laub und Geftäude, Seite durch deinen Traum und mild Die Erinnrung vergangener Freude!

Wenn du Erquidung gefchlürft haft ftill Aus des Schlafs fanftquellendem Bronnen, Mit meinen Küffen dann, Mädchen, will Ich dich weden zu neuen Wonnen.

Dn ihren Urm.

D laß mich ruhen in deinem Arm

Und tief in die Augen dir ſchaun!

Das 1d8t mir vom Herzen den nagenden Harn, Und herab in die Seele fühl! ich e8 warm

Wie aus dem Himmel mir thaun.

Reich her, reich her den göttlichen Trant, Der von den Lippen dir quillt!

Ich dürfte und ſchmachte matt und krank; Erft wenn ich an deinen Bufen fanf, Wird all mein Sehnen geftillt!

12

O mehr noch! was fchüttelft du lLächelnd dein Haupt? In Küffen gieb mir das Glüd,

Das flüchtige, das mir die Welt geraubt,

Und den alten Glauben, den ich geglaubt,

Und der Kindheit Frieden zurüd!

Hoffen und wieder verzagen.

Hoffen und wieder verzagen, Harrend Taufchen vor ihrem Balfon, Ob nit, von Winde getragen,

Bu mir dringe von ihr ein Ton, Alfo reihen feit Monden ſchon Tage fih mir zu Tagen.

Spät, wenn ftumm und ftummer Nacht fi) lagert im öden Revier, Senken zu kurzem Schlummer

Sich ermüdet die Wimpern mir; Wieder enıpor aus Träumen von ihr Bahr’ ich zu neuem Kummer.

Aber, o Himmel, ich flehe:

Raube mir nit mein einziges Gut, Dies beglüdende Wehe,

Das ich genährt mit des Herzens Blut! Hoch und höher laß lodern die Gluth, Drin ich felig vergehe!

23

Vrennung.

Noch einen mir, der Kraft mir leihe! Sieb, Weib, bevor ich jcheiden muß, Für Leben mir und Tod die Weihe

In einem langen, heil’gen Kuß!

Laß brennend ihn von deinem Munde Mir bis ins Herz des Herzens glühn, Und duftend glänze diefe Stunde

Gleich Rofen, die auf Gräbern blühn!

Um unfre ſelig-ſüßen Schmerzen

Sol fie, und um des Abſchieds Qual, Aufflammen halb wie Hochzeitferzen Und halb wie Leichenfadelftrahl;

Und fern noch in der Trennung Wehe Mir leuchte fie, wenn ich verirrt

Am Rand des jähen Abgrunds ftehe Und Alles um mich finfter wird.

Lob des Feidens.

O ſchmäht des Lebens Leiden nicht! Seht ihr die Blätter, wenn ſie ſterben, Sich in des Herbſtes goldnem Licht Nicht reicher als im Frühling färben? Was gleicht der Blüthe des Vergehns Im Hauche des Oktoberwehns?

224

Kryſtallner als die klarſte Fluth Erglänzt des Auges Thränenquelle, Tief dunkler flammt die Abendgluth Als hoch am Tag die Sonnenhelle, Und Keiner küßt ſo heißen Kuß, Als wer für ewig ſcheiden muß.

Irühlingstag.

Als winterlich umnachtet, Erſtarrt die Erde lag,

Wie hab' ich nicht geſchmachtet Nach dir, o Frühlingstag!

Ich dachte: wenn im linden Lenzhauch der Himmel blaut,

Dann wird mein Kummer ſchwinden So wie die Flocke thaut.

Nun biſt du da, Erflehter,

Mit Duft und Farb' und Klang, Hoch aus dem blauen Aether Ertönt der Lerche Sang;

Es lächeln deine Kinder,

Die Blüthen, froh erwacht, Doch trauernd, wie ein Blinder, Steh' ich vor all der Pracht.

25

Aahklang.

Nie ward ich, dir zu laufchen, müde, Ich fühlte, wie in jedem Klang

Bon deinem Mund ein heil’ger Friede In meiner Geele Tiefen drang.

Nur deine Stimme unter allen Erſcholl fo rein, als einte fie, Was andre nur gebrochen Iallen, Zur wundervollen Harmonie.

Nun fie verftummt zu ew’gen Schweigen, Zönt mir wie Mißlaut jedes Wort,

Und wüſt und wüſter braust der Reigen Des wilden Yebend um mid fort.

Nur felten halt im Weltgedränge Durd al der Stimmen wirren Chor Ihr Echo noch, wie Harfenklänge Im Winde ſterbend, an mein Ohr.

Der Brief.

Nichts ift mir von dir geblieben, ALS der Brief, den du gefchrieben, Meines Lebens höchftes Gut; Mag das Auge mir erblinden, Tröftung Tann ich einzig finden, Wenn es auf dem Blatte ruht.

Dann erftehn mir jel’ge Stunden Mit den Wonnen, die geſchwunden, Schack, Bel. Werke. 1. 15

26

Wieder aus der Todtengruft; Und um meine wehmuthtrunkne Seele hauchen lang verſunkne Lenze ihren Blüthenduft.

Ueber mir im Abendwinde

Rauſcht das Wipfellaub der Linde So wie ehmals wiederum,

Als wir Arm in Arm gelegen

Und nur mit des Herzens Schlägen Zwieſprach hielten, wonneſtumm.

Und dann iſt mir, auf dem Blatte Ruhe neben mir dein Schatte

In dem blaffen Dämmerlicht;

D! an ihm im langen, langen Kuffe fol mein Mund noch bangen, Wenn im Tod mein Auge bridt.

Fink und jetzt.

Nur eine von jenen Nächten,

Nur eine gebt mir zurück!

Wie Hopfte mein Herz beim finfenden Tag Entgegen dem kommenden Glüd!

Sobald Drion, der leuchtende, glomm

Am Saum der Cnpreffenjchlucht,

Glitt leicht auf plätichernden Wellen

Mein Boot in die Uferbudt.

Hernieder ftredte der Delbaum Die Aeſte mir über die Fluth; Aufflatterte fcheu bei meinem Nahn Der Hänfling von feiner Brut,

21

Und raſch von Zweigen zu Zweigen empor Klomm ih im dunfelnden Grün,

Bis wo der Balkon hellblinkend

Durchs Blätterdidicht ſchien.

Ein Licht, am Gitter flimmernd,

Ein rauſchendes Nachtgewand,

Von Locken umwallt eine weiße Geſtalt, Und eine winkende Hand,

Und ein Augenpaar, fo tief, fo klar O, ala ich es leuchten fah,

Bleich fchien mit allen Sternen

Des Süden? Himmel mir da.

Doch weh! was wollen die Bilder

Aus Tagen, die längft entflohn? Verwelkt die Blüthen des Frühlings nun, Behäuft mit Schnee der Balkon!

Der Winter fchüttelt vor meiner Thür Die eifigen Toden im Wind

Und deutet höhnend auf Wonnen,

Die lange begraben find.

Fieder der Vrauer.

1.

Wer bift du aus dem Reich der Schatten, Der mit mir wallt durd grüne Matten Und ihre Blüthen welfen heißt,

Der in dem Morgenglanz, dem vothen, Mich anftarrt mit dem Blid der Todten Und mit den Sternen mid) umfreist?

223

Im Lied, das theure Lippen fingen,

Tönt mir das Raufchen deiner Schwingen, Dein Zlüftern Hör’ ih für und für; Nachts legft du dich zu mir aufs Bette, Und flieh’ ich von der Lagerſtätte,

So ſchleichſt du mit mir durch die Thür.

Im Wald auf menjchenleeren Wegen, Berhüllter, trittft du mir entgegen

Und ſchreckſt mich von der Ruhebank; Im Freundekreis, beim Freudenmahle BZiehft du vom Munde mir die Schale” Und tropfft mir Wermuth in den Tran.

Mit Dünften, wie mit gift’gen Thaue, Fullſt du das Himmelsdach, das blaue, Du mir den Lenz mit Leichenduft.

Und wenn ich nun zum Grabe wante, Sprid, finftrer Schatten, ſprich, Gedanke, Wie bann’ ich dich von meiner Gruft?

2.

Noch hängen um des todten Tages Bahre Die Woltenfalten wie ein Trauerflor,

Doch mälig jchwebt die Nacht, die heilig-klare, Der Tag der Träumenden, empor.

Auf Meer und Erde fenkt fie ftille Feier

Und dämpft den legten Ton, der ſich noch regt; Es wehn und wallen ihre Sternenfchleier,

Bon Himmelslüften fanft bemegt.

229

Nun klopft ein jedes Herz mit leiferm Schlage, Der Jammer felbft wird regungslos und mild, Und fill zur Andacht wandelt fich die Klage, Noch eh’ fie aus der Seele quillt.

Du aber, Ruheloſer, dem fich bange

In Hoffnung und in Gram dag Herz verzehrt, Der ewig jucht mit ungeftilltem Drange

Was ihm die Erde nie gewährt;

Flieh du die Sommernacht, die fternbejäte, lieh, bis das tieffte Dunkel dich begräbt, Damit fein Mißlaut fei in dem Gebete, Das auf des Weltall3 Lippen ſchwebt.

3.

Bon dunklen Cchleier umfponnen Iſt mir das Tageslicht; Wohl fteigen neue Eonnen

Ich jeh’ fie nicht.

Mir jchweift der Blick hinüber In Weiten, dämmerfern;

Vom Himmel blinkt ein trüber Einfamer Stern.

Ein Mädchen bleih von Wangen Winkt mir von drüben zu:

Ich bin vorangegangen,

Was zögerft du?

230

Dem Herzen ähnlich, wenn es lang Umſonſt nach einer Thräne rang, Die ſeine Qual entbinde,

Sprengt nun die Erde, die erſtarrt Bon Reif und Froft gebunden ward, Die eil’ge Winterrinde,

Durch Wald und Feld, un Berg und See Sprießt wuchernd auf ihr altes Weh Und grünt in Zweig und Ranfen,

Und dunfelt in dem Hinmelsblau

Und zittert in den Tropfen Thau,

Die an den Gräfern ſchwanken.

Nun, Gram um fie, die ich verlor, Erftarrter, brich auch du hervor, Um mit dem Strom zu fluthen! Im Blitz der Wolfe follft du glühn Und mit den Nachtviolen blühn Und in den Rofen bluteı.

5.

Das fingt und flötet in den Zweigen Und zirpt und ſchmettert auf der Flur, Zum Himmel nit den Perchen fteigen Die Freudenrufe der Natur.

Ein Sauſen geht, wie Jubelchöre, Bon At zu Alt, von Baum zu Baum; Die düftre Tanne felbit, die Föhre Ermedt es aus dem Wintertraunt.

231

Hinunter jauchzt in ale Schluchten

Der ftürzenden Gewäſſer Schwall;

Froh tönt am See von Bucht zu Buchten Des Wogenſchlages Widerhall.

Doch Troft giebt mir der Stimmen feine In all dem Jubel und Geſang,

Denn ftumm für immer ift die Eine, Die ſüßer mir als alle Hang,

6.

Schmerz, der feinen Namen Tennt, Aber allempfunden

Durch das Herz der Weſen brennt In Myriaden Wunden;

Mächt'ger, welchem unbewußt Schon die zarten Kleinen, Eaugend an der Mutter Brut, Ihre Thränen weinen;

Den der Tag, der junge, haucht In den Morgenmwinden,

Und in den zurüdgetaudht Seine Strahlen fehminden;

Der in jedem Glockenſchlag,

Wie mit ehrnem Hammer,

Tu das Herz, das ſchon zerbrad), Brichſt durch neuen Sammer:

232

D, wird ewig deine Macht, Wird fie ewig währen

Und no in der Grabesnacht Unfern Schlummer ftören?

T.

Nimm, Herr, von meiner Bruft die Klammer, Die auf ihr laftet, ſchwer wie Erz!

Allein Fein Truggebild verhehle

Den blut’gen Riß in meiner Seele;

Nicht Tröftung fuch’ ich meinen Jammer, Ich flehe nur um tiefern Schmerz.

Was ſoll die Täuſchung mir, die kurze? Was mir ein öder, armer Troft?

Nein, veiß mir tiefer auf die Wunden, Damit mein ram, der Haft entbunden, Hinfluthe gleich den Waflerfturze,

Der von dem Feljen niedertost!

8.

Auf den Feldern dumpfe Schwüle Und verhüllter Sonnenbrand; Durftend fchmettert die Cicade, Pangfam nur mit trägem Rade Wirft die waſſerarme Mühle Einzle Tropfen an den Strand.

23

Wetterſchwere Lüfte brüten Ueberm regungslojen See; Tiefre Klagelaute fchallen Aus der Bruft der Nachtigallen, In den Kelchen, in den Blüthen Duftet ein geheimes Weh.

Fiebernd ſchmachtet, ſchlummertrunken, Aber ſchlaflos doch, die Flur;

Unſtät zucken Flammenblitze

Um der Wetterſtangen Spitze;

In ihr finſtres Selbſt verſunken

Liegt die träumende Natur.

Komm, Gewitterſturm, entlade Den verhaltnen Erdenſchmerz; Deinem Donner, deinem Regen Lechzt, was Leben hat, entgegen, Durſtend ſchmettert die Cicade, Aber durſt'ger iſt mein Herz!

9.

Die letzten Strahlen verglimmen, Vom Heerrauch dunkelt das Moor, Mir tönen bekannte Stimmen

Im Winde der Nacht ans Ohr.

Blafſe, nebelnde Schatten

Kommen und ſchwinden zurück

Und ſchauen mich an mit dem matten, Dem todesſtarren Blick.

231

Sie ſprechen von alten Tagen,

Bon alter Lieb’ und Luft

Und finfen mit Weinen und Klagen Mir an die Eopfende Bruft.

Still, Herz, du hoffft vergebeng,

Daß der Tod es zurüd dir giebt, Was in dämmernder Frühe des Lebens Du einft gehabt und geliebt.

10.

Ihr jagt: „Um Freuden, die erftarben, Warum dies jahrelange Leid?

Jedwede Wunde muß vernarben

Und jeden Kummer ftillt die Beit.“

Nein! ſcheucht, wenn ihr vermögt, den euern, Doch treu bewahr’ ih meinen Gram,

Der ftet3 mir friih das Bild der Theuern Erhält, wie da ich Abſchied nahm.

Süß ift die Trauer im Gemüthe, Die von vergangnen Wonnen fpridht: O raubt die Düfte nicht der Blüthe, Dem Herzen feinen Kummer nit!

Mag ewig bluten meine Wunde, Wenn, von dem Schmerze neu belebt, Nur die Erinnrung jeder Stunde,

In der fie mein war, mich umſchwebt.

235

Im Graſe.

Um mich ſchwärmender Bienen Geſumm; Fernher Singen von Schnittern; Sommerlüfte, die heiß ringsum

Ueber der Wieſe zittern!

Hoch aus dunkelndem Himmelsblau, Drin die Wolken verſchwimmen,

Quillt es und rinnt hernieder wie Thau, Säuſelt wie liebe Stimmen,

Gaukelt und lacht mir hinweg das Leid, Hebt die Erdengemichte,

Bis die Seele, gelöst, befreit, Schwärmt in dem himmlischen Lichte.

Aur Wufh.

Laß das Bagen! trage muthig Deine Sorgen, deine Dual! Sei die Wunde noch fo blutig, Heilen wird fie doc einmal.

Unter tiefer Eifesdede

Träumt die junge Knospe fchon, Daß der Frühling fie ermede Mit der Lieder holdem Ton.

Nur empor den Blick gewendet, Und durch düſtres Wolfengrau Bricht zulegt, daß es dich biendet, Glorreich noch des Himmels Blau!

236

Aber auch die trüben Stunden

Und die Thränen, die du weinft, Glaub, wie Freuden, die entihwunden, Süß erfcheinen fie dir einft,

Und mit Wehmuth, halb nur heiter, Scheideft du für immerdar

Bon dem Leiden, dem Begleiter, Der jo lange treu dir war.

Der Augendlid.

Nun Naht um mich! Entſchwunden im Flug Der leuchtende Augenblid,

Der Seligfeit im Schooße mir trug;

Nie, nie mehr kehrt er zurüd.

Durch dunfelnde Wolken plöglich quoll Aus innerftem Himmel ein Schein; Ich ftarrte entziikt und wonnevoll

In die ftrahlende Glorie hinein.

Sie, fie ftand vor mir, doch Jah ich fie Faum, So war jie von Glanz ummallt;

Hernieder beugte vom Wolkenſaum

Bu mir fich die Engelgeftalt.

Mid hätte ein Wort was hielt mich zuriid? Ein Wort zun Gotte gemacht;

Doch vorüber vaufchte der Augenblid,

Mit ihm ſank Alles in Nacht.

237

Nun fend’ ich ihm nach das geftammelte Wort, Berlorener, der ich bin;

Tie Tage rollen, die Jahre fort,

Dod er ift dahin, dahin!

Die Beiden. D Mädchen, durch all dein Rachen und Singen Bernehm’ ih ein leiſes Seufzen oft; Hoch klopft dir das Herz, ald wollt’ es zerfpringen, Bon dem was es fürdtet und träumt und hofft.

Wie Wolfen über die blühenden Matten, Wie über mogende Saaten der Wind, So ziehen raſtlos Gedanfenfchatten Ueber dein Lächelndes Antlig, Kind!

Die Lippen im machenden Traume bewegft du, Es ift als pflögft du mir Geiftern Gefpräd, Dann plögli die Augen zu Boden jchlägft du, Und hocherröthend eilft du hinweg.

Wohl hab’ ich die Zeichen erfannt; verhehle, Thörichtes Mädchen, e8 länger nicht!

Dir fladert im Hauche der Liebe die Seele, Wie im Odem der Nacht ein Licht.

Aeues Sehen.

Heil, goldener Morgen, erjchließ mir dag Thor Des neuen Lebenstages!

Noch nie begrüßt’ ich dein Licht zuvor

So freudigen Herzenfchlages.

233

Wir haben geathmet Diund an Mund, Uns Aug’ in Auge gejpiegelt, Indeſſen die Lippen den großen Bund Im heiligen Kuß beftegelt. -

Mein darf ich, mein für Leben und Tod, Für bier und drüben fie heißen;

Und ob die ganze Welt und bedroht, Mer will außeinander ung reißen?

Nun komme was will von Kampf und Yeid, Starf bin ich in Lieb’ und Glauben;

Ich trag’ im Herzen die Seligfeit,

Kein Gott mehr kann fie mir rauben.

Hüßes Geheimniß.

Glaub nicht, daß ich dem lauten Tage Verrathe, was du mir vertrauft,

Wenn mir vorbei mit flücht’gem Schritte Du wandelit in der Deinen Mitte

Und mit dem Blick, halb fühn, halb zage, Verheißend mir ins Antlitz fchauft.

Beraufcht von Zauber deiner Näbe Dann feh’ ich lang dir flaunend nad, Und mälig erft, indem ich finne, Werd' ich des eignen Glückes inne, Wenn ich die Rede ganz verjtehe, Die ftumme, die dein Auge jprad).

239

Die Abendichatten werden trüber, Längſt in die Ferne ſchwandeſt du, Und, wie den Tropfen Than die Blume Birgt in des Kelches Heiligthume, Schließt meine Seele ftill ſich über Dem duftenden Geheimniß zu.

Enthülſtes Geheimniß.

Von meinem Auge ſank es wie ein Schleier, Da ich zuerſt dich fand. Mir war,

Als würd' im Tempel mir bei heil'ger Feier Ein göttliches Geheimniß klar.

Und in die Seele kam mir tiefes Schweigen; Mit Staunen, wie zum erſtenmal,

Sah ich die hocherhabne Sonne ſteigen, Des Mondes milden Dämmerſtrahl.

Erft nun iſt Alles, Alles mir erfchloffen, Die Stimmen al’ von Wald und Flur Verſteh' ich num, das Welfen und das Sproffen Der ewig mwaltenden Natur.

Und was der Werfen Lehren nicht gelungen, Nur dur der Liebe Zaubermadht,

Die feur’ger redet, als mit Engelzungen, Haft du es, faft noch Kind, vollbradit.

Binternacht.

Mit Regen und Sturmgebraufe

Sei mir willkommen, Decenibermond,

Und fuhi⸗ mich den Weg zum träulichen Haufe, Wo meine geliebte Herrin wohnt!

Nie hab’ ich die Blüthe des Maien, Den blauenden Himmel, den bligenden Than So fröhlih gegrüßt wie heute dein Schneien, Dein Nebelgebräu und Wollengran.

Denn dur das Flodengetriebe,

Schöner, ala je der Lenz gelacht,

Leuchtet und blüht der Frühling der Yiebe Mir heimlich nun in der Winternadt.

Heimkehr.

Leiſer ſchwanken die Aeſte,

Der Kahn fliegt uferwärts, Heim kehrt die Taube zum Neſte, Zu dir kehrt heim mein Herz.

Genug am ſchimmernden Tage, Wenn rings das Leben lärmt,

Mit irrem Flügelfchlage

Iſt e8 ing Weite geſchwärmt.

Doch nun die Sonne gejchieden Und Stille fi ſenkt auf den Hain, Fühlt eg: bei dir iſt der Frieden, Die Anhe bei dir allein.

- 211

Honett.

Wie lieblich ruht es ſich in Sommernächten,

Wenn durch das Laub, wo träumend Vögel ſingen, Der Weſtwind rauſcht, als ob auf Mondlichtſchwingen Bon fernen Welten Geiſter Grüße brächten! -

Adele wiegt mich ſanſt mit ihrer Rechten, Und, wie wir feft und aneinander jchlingen, Unmallen ung mit ſchwarzen Todenringen Yangfließend ihres Haar gelöste Flechten.

Schlaf, heil’ger Schlaf! lag deine Murmelquellen Melodiſch raufchend unfer Haupt umſpülen, Und trag’ uns fort auf ihren Schaufelwellen

Ins Meer des Traums, daß nah dem Tag, dem ſchwülen,

Wir uns in ſeinen friſchen, dämmerhellen,

Von Mondenglanz erfüllten Grotten kühlen.

Wunſch.

Wenn uns von zitternder Wimper Die Wonnezähre tropft, Wenn bebend Lippe an Lippe hängt Und Ader an Ader klopft, Was kann uns die Erde noch bieten fortan, Das matt nicht erbleichen muß? Sind Ewigkeit und Himmel Doch unſer in jedem Kuß! Schac, Gef. Werke. J. 16

22

Nicht uns, o Herr, nach erlofchener Gluth Ein Leben öde und ſchaal!

Hernieder auf unfer vollſtes Glüd

Laß zuden den Wetterftrahl,

Daß, wenn der Küffe heißefter noch

Uns brennt auf der Lippen Roth,

Wir, Seele in Seele zerrinnend,

Ein? werden im flammenden Tod!

Waiwonne.

Denkſt du der Stunde, al3 zu Zweien Wir faßen unter duft’gen Maien

Im Brautgemache der Natur?

Als Lippe wir an Lippe drüdten, Indeſſen über den Beglüdten

Der Frühling im Triumphzug fuhr?

Die Wipfel bog er uns zu. Häupten, Hernieder von den Zweigen ftäubten Die Blüthen unter feinem Haud); Ihm tönte in den Yaubenhallen Das Feierlied der Nachtigallen, Ihm quol der Düfte Opferraud).

Der Himmel jauchzte in Gewittern, Durch alle Räume ging ein Zittern Der Liebe und der Werbeluft; Allein die große Jubelfeier Verſtummte vor der Wonne Zweier, Die felig ruhten Bruft an Bruft.

23

D Stunde, ewig unvergefien

Das weite Weltall mögt ihr meſſen, Bis wo in Schwindel zagt der Blid, Doch wenn zwei Wefen ihre Seelen Im erften heil’gen Kup vermählen, Wo ift ein Maß für folhes Glüd?

Sie beben ftumm und freudetrunfen, Die Erde fcheint um fie verfunten, Hinweggefhwunden Raum und Zeit, Und von der Welt ift nichts geblieben, Als nur zwei Herzen, die fich lieben, Allein in der Unendlichkeit.

Un Sie. Was birgft du dich vor mir? Ich habe In meinen Träumen fchon ala Knabe, Als Jüngling Schon dich oft gejchaut, Sanft deiner Nähe Hauch empfunden Und Morgens, wenn du mir entjchwunden, Mit Thränen meinen Pfühl bethaut.

Wenn nädhtlih unterm Sternendacde Das Rufen mir, das taufendfache,

Bon Wald und Flur zum Obre drang, Dft fernher durch der Stürne Braufen, Der Ströme Raufchen, in den Baufen Vernahm ich deiner Stimme Klang.

In allem Hohen, allem Schönen Der alten Dichtung, in den Tönen

241

Mozarts und Webers hört’ ich fie; Beim Orgelflang durch die Choräfe Erſcholl fie mir, und meine Seele Trank brünftig ihre Melodie.

Doch, die du immer mich umfchwebteft, Dft fragt’ ich zmeifelnd, ob du lebteft, Weil keine dir auf Erden glich.

Und, wie die mwechjelnden Geftalten Des Lebens mir vorlibermallten,

In jeder, jeder ſucht' ich dich.

Ich Jah fie kommen, ſah fie ſchwinden, Und konnte nie die Eine finden,

Nach der das Herz mir einzig rang Mein Haupt verhüllt' ich da voll Trauer Und fühlte, wie des Todes Schauer Durch meine Glieder eiſig drang.

Schon ſchwand vom Leben mir das Beſte, Verdorrend ſinken ſeine Aeſte,

Welk ſeine Blätter nach und nach,

Doch wieder naht, im Sturm ſich wiegend, Der Frühling, Grab und Tod beſiegend, Und neu wird alte Hoffnung wach.

Komm denn, du, die mir immer fehlte, Braut, der ich mich im Geiſt vermählte! Birg meinem Blick dich länger nicht! Mit hohen, ſehnſuchtſchweren Schlägen Klopft zitternd dir mein Herz entgegen, Komm, daß es nicht in Jammer bricht!

II. Aus allen Zonen.

Allein mit der Mafır.

© zu ſtromzerriſſnen Thälern

Führt mich, wo das Leben ſchweigt, Und die Felswand blau und ſtählern Unerklimmbar aufwärts ſteigt,

Wo der Strauch der wilden Roſe, Von der Bäche Schaum beſprengt, Zitternd in die bodenloſe Abgrundtiefe niederhängt!

Wenn in Klüften, tief geborſten, Dort der Sturm das Echo mwedt Und aus ihren Feljenhorften

Die verftörten Adler jchredt,

Grüßt mit taufendftinm’gen Chören Mid im Wogenjchlag der Seen, In dem Raufchen durch die Föhren, Des Naturgeifts ew'ges Wehn.

Mächtiger! in deinen Schauern Fühl' ich mit gehobner Bruft Nicht der Erde Feines Trauern Mehr, nod) ihre Heinre Luſt,

216

Fühle nur, wie deine Schwinge Aufwärts meine Seele trägt, Und dag große Herz der ‘Dinge Mächtig an das meine fchlägt.

In den Alpen.

Wie ein Sohn, der, lange verftoßen, Reuig zum Elternhaufe kehrt,

Flücht' ich wieder an den großen

Allen beimathlichen Herd,

Wo, wenn die Sonne thauende Strahlen Ueber die Eisgebirge fentt,

Mutter Natur au8 Fryftallenen Echalen Ihre dürftenden Kinder tränft.

Die an den weißen Gletfcherbräften. Ihr den Tag, den jungen, fäugt, Denen die morgenlicht-gefüßten Scheitel nimmer das Alter beugt, Emige Alpen, zu eurer Firne

Hebt mich empor in das veinere Blau! Sprengt mir auf die glühende Stirne Eurer Bäche filbernen Than!

In der unendlichen Säulenhalle, Drunter die erften Menfchen gefniet, Juble um mich im donnernden Falle Die Lawine ihr Morgenlied,

Und zum Himmel, der über den hehren Dergespfeilern ſich weithin fpannt, Bon den ſchimmernden Eisaltären Hochauf fehlage der Opferbrand!

247

Wo feit der Zeiten frühftem Beginnen

An die Sterne die Jungfrau ragt,

Wil ich ruhen auf ftrahlenden Binnen,

Die zu erfliegen kein Adler wagt;

Oder am Strom, der mit Wirbeln und Kochen Selbft die Windsbraut übertäubt,

Schaun, wie in weiße Nebel gebrochen,

Wieder die Yluth aus dem Abgrund ftäubt!

Dort in den Armen folft du mich halten, Mutter, die einzig du treu uns bift,

Mir vor deinen großen Geftalten

Beigen, wie Hein das Leben ift,

Und die Hand auf die Schläfe mir legen, Die von den Mühen der Erde tropft, Dis der Puls mir in leiferen Schlägen Mit dem deinen in Einklang Klopft.

Morgen auf den Alpen.

Bin ich der Erde ſchon entrüdt? Ringsum Schweift mir der Blid hinab ing Bodenlofe, Die Menfchenwelt liegt mir zu Füßen ftumm, Nur fernber mit des Katarakts Getoje Berballend fteigt im feierlichen Chor

Der Tannenwälder Rauſchen an mein Ohr.

Wie Opferdampf der betenden Natur

Seh’ ich die Nebel um die Gletfcheripigen

Aufwirbeln in den leuchtenden Azur

Und durch den Rauch die Eisaltäre bligen, Indeß in donnernder Tawinen Tal

Ten Morgenhymnus fingt das große All.

248

So unermeßlich das, fo rieſengroß!

Mein Geift erliegt vor diefer Welt des Hehren! Zum Tröpfhen Thau, zum Käfer auf dem Moos Sehn' ih zurück mich unter Ephemeren;

Hier wo das Welten-Schöpfungsmert beginnt, Die fühl ich mic) fo ganz als Eintagskind!

Die Bungfran.

Halbdunfel ſchon über den Thälern; Wolfen, in ſchwerem Zuge Von Kippe zu Klippe fi) wälzend; Um mid) zerriffene Schluchten Und Meere von Stein, deren Wogen Seit dem legten Weltorkan nicht mehr branden. Hinfchweift mein Blid Ueber Oeden, nur von Adlern bewohnt, Empor zu den Feljenfteilen, Wo die Riefentannen, Gleich Giganten der Vorzeit Hoch und höher im Himmelsfturme Hinmend, Eid im wallenden Dunfte verlieren.

Doc) ich! zu wirbeln, zu wogen Beginnt das Gewölk, Die Nebeldecke zerreißt, id durch die ſtäubenden Flocken ‚rn in der blauen Unendlichkeit elcher Silberglanz, as Auge mit Strahlenfhimmer blendend! ie ift es, fie ifts, der Berge hohe Königin, if ihrem Gletſcherthrone, och über die Erde den mächtigen Scheitel erhebend,

299

Die riefigen Glieder Bon Schneegewanden ummallt.

Schon jchweigend zu ihren Füßen Yagert die Nacht, Doch weithin im Strahle der finfenden Sonne Blitzt auf ihrem Haupt die Deimantenfrone, Und, in Nebel zerflatternd, enthüllt Der Schleier das majeftätifche Antlitz. Ueber die Stirn ihr gleitet Bleich und golden und roth Ein mechjelnder Schimmer. Plötzlich erblaffend Bor den gähnenden Tiefen des AUS, In die der Blid ihr Hinunterftarrt, Scheint fie zuritdzubeben, Dann wieder umfliegt Ein vofiger Glanz ihr die Züge, Wie Widerfchein von Gedanken und Träumen, —* ihr durch die Seele ziehen.

Giebt ſie mit Geiſtern anderer Welten Sich Flammenzeichen, Oder erblickt jenſeits der Erde Ungeahnte Geheimniſſe, Daß ſüßes Erſchrecken Die Wangen ihr röthet?

Doch der Schimmer erliſcht, Höher empor auf den Nebeln fluthet die Nacht, Und, den ſterblichen Blicken entrückt, Mit den Sternen dort oben Hält die Königin Zwiegeſpräch.

——

250

Un eine Xlpenrofe.

Heil dir, du Bewohnerin ſonniger Höhn, Umrauſcht von Quellen und Ölodengetön, Bon himmliſchem Blau verklärt!

Du Kind der Felfenfpigen,

Wo hoch mit Wirbelmind und Bligen Der Adler feine Jungen nährt!

Du Liebling von Men! Mit forgender Huld Bon den Tüften gewedt und in Schlummer gelullt! Bon der Eonne, die dich gezeugt,

Mit ihrer reinften Flamme,

Und von dem Frühroth, deiner Anıme,

Mit filberflarem Thau geſäugt!

Dir fummt, wenn die Nacht in die Thäler entflicht, Die Biene das erfte Morgenlied;

Es ſchüttelt der Wind den fröhlichen Traum

Aus Blättern dir und Stielen,

Und bringt dir muntere Gefpielen,

Die Wöltchen mit dem roſ'gen Saum.

Did grüßet die Sonne mit lettem Strahl, Und wenn fchon unten auf Hügel und Thal Die Dämmerung mallt wie ein Meer, Erblühen rings im Kreife

Die Gletſcher mit dem ew'gen Eife

Wie Schweiterrofen um dich her.

Und hüllt, wenn der este der Strahlen verglimmt, Die Nacht, wie fie höher und höher klimmt,

31

Auch dich in den fehattigen Flor, Dann hauchſt du von den Firmen Dein volles Herz zu den Geftirnen In die Unendlichkeit empor.

Lpiſtel.

Noch immer huldigſt du bei deinen Akten Dem Landrecht oder ähnlichen Materien, Indeß ih an den Arve-Katarakten

Schon weile, nah dem Zauberland Hefperien. So mahne denn in wohlgemefinen Takten Did diefer Brief an die verheißnen Ferien Und lode dich aus deinem Hinterpommern Zur Reife nach Italiens em’gen Sommern!

Italien! In ew'ger Yuft befeligt

Liebt dort der Himmel feine Erdenbraut,

Nicht wie bei uns, wo bei dem blaffen Echneelidht Der eine gähnend auf den andern ſchaut

Sp gähnen Zwei, aus Convenienz verehlicht,

Schon am Altar fi) an, wenn faum getraut,

Und gähnend fchleicht die Frau gleich nach der Heirath Zur Küche, zu den Akten der Kanzleirath

Nein, flammend küßt, verklärt von altenı Ruhme, Der Himmel diefes unter allen Yändern

Und füllt den Kelch der großen Sonnenblume Mit feinen Strahlen, wie mit LTiebespfändern; Der Cactus fproßt, die Palme und Agrume, Tie Dleander glühn und Rhododendren,

Und füß, wie aus der Grifi Mund die Arien, Entquillt der Duft den Blüthen und Nectarien.

252

Wohl lieblich iſts, durch dichter Wälder Schauer, Durch der Cypreſſen immergrünen Hain,

Vorbei zu ziehn an manch antiker Mauer,

Wo alter Ruhm zerbrödelt im Geſtein;

In Träume wiegen mwechjelnd Luft und Trauer, Die Zmillingsfchweitern, deine Seele ein,

Indeß im Yaub Cikaden oder Grillen,

Bon Thau betrunken, ihre Lieder fchrillen.

Und in die Berne ſchweift dein Blick tief hinten Erglänzt das Meer, das du jo oft durchſchwammſt, Ein Zauberjpiegel in des Abends Tinten;

Indeſſen du begeiftrungstrunfen flammſt,

Raujcht geifterhaft dag Yaub der Terebinthen;

Der müde Führer aber, rothbewammst,

Klopft unbarmherzig auf das arme Maulthier,

Das träg und feuchend binfchleicht wie ein Faulthier.

Fest geht es einen Berg hinan getrofter Klimmft du empor zur lang erjehnten Rait, Denn oben winkt als Nachtquartier ein Kloiter; Die Brüder grüßen den willkommnen Gaft,

An dem Portale lodt dich ein bemooster Eteinfig zur Ruhe nad) des Tages Laſt,

Auch bringt dir einer von den guten Mönchen Aus ihrem Keller gern ein volles Tönnchen.

Die Sonne ſenkt ji) purpurglühnd im Weiten, Ein Abendſtück von Pouffin oder Claude,

Und magiſch auf den alten Mauerreften Bermählt fi) mit der Dämmerung das Roth; Die müde Flur erwacht aus den Gieften,

Und gern vergißt man diefer Zeiten Noth Und träumt fi in die gute Zeit der Claſſiker Bei einem Glas Falerner oder Maffifer.

253

In Schlaf gewiegt dann von der Luft Gelull, Hört man die Lieder, die man ſchon in Prima Geleſen hat; die Liebe preist Catull,

Wenn auch nicht die von Platos Diotima (Denn hier zu Land iſt ſolche Liebe null

Und paßt nicht für das ſonnenheiße Klima) Virgil ſingt von Alexis die Idylle,

Horatius Flaccus ſein Beatus ille;

Und freundlich reicht die liebliche Neära

Vom beſten Cäcuber dir einen Trank

(Ein guter Wein, er ſchmeckt faſt wie Madeira) Mit feur'gem Arm umſchlingſt du ſie zum Dank, Vergeſſen ſind die Schmerzen unfrer Aera,

Es webt der Rebe laubiges Gkrank

Sich feſt um euch, und wolluſtvolles Zittern Bebt in der Zweige immergrünen Gittern.

Die Götter alle ſiehſt du aus der Mythe, Es kommt der Schalk, der flügelſchnelle Eros, Du ſiehſt die ſchaumgeborne Aphrodite

Und um ſie her Tritonen auf dem Seeroß; Von Rom und Hellas naht die Heldenblüthe, Ich nennte gerne hier dir jeden Heros,

Doch eignet ſich das beſſer für ein Epos Die Namen ſiehe im Cornelius Nepos.

Drauf Morgens, dankend noch den guten Wirthen, Ziehſt du des Wegs, an dem in langen Linien Sich die Cypreſſen reihen und die Myrten,

Du ſiehſt durchs ew'ge Lorbeergrün der Vignen Verglühnde Feuer der Campagnahirten,

Und über Wipfel breitgezweigter Pinien

Tief hinten, überſtrahlt vom reinſten Aether,

Die hehre Kuppel ragen von St. Peter.

254

Todt, fagft du, fei dies Land? O nein! Die Sichel Der Zeit bat noch nicht Alles weggemäht!

Noch lebt dort, was der Pinfel und der Stichel An ewigen Gedanken ausgefät,

Noch blühen Sanzio und der große Michel,

Noch find Petrarks Sonette nicht verweht,

Und immer noch gleicht manche fchöne Donna Bittorien, der herrlichen Colonna.

Konm denn von deinem eigumftarrten Pole, Wo jchläfrig ftetS die Sonne fteigt und finkt, Wo ihr (fo glauben fie am Sapitole) ZTalglichte fpeißt und dazu Tinte trinkt!

Ein frifher Wind beflligle deine Sohle

Zum fchönen, fernen Ziele, das dir mwinft! Kurz, zieh aus deinem Pommern oder Jütland Mit mir vereint in mein geliebte Südland!

Fern bis nah Mittag richtend unfer Steuer, Betreten wir das himmlische Siceilien,

Und dort, nachdem des Ajchenberges Feuer Wir grüßten und des Ennathales Lilien,

Laß ung dem Dichter, jedem Deutjchen theuer, An feinen: Grabe halten die Vigilien!

D daß dereinft an Galatheas Fluthen,

Wie ihm, fo mir auch die Gebeine ruhten!

Er ftarb in der geweihten Syracufa Wohl riht’ger Syracufä, doch mein Reim Erlaubt e3 nicht wo er den Bienen zujah, Wie fie am Hybla jogen ihren Geim,

Und auf Ortygia fang ihm Arethuſa

Die Seele in die beffern Welten heim;

So zog er aus den Vaterland des Bion Geraden Weges in das ew'ge Zion.

2355

Sanft mag er ruhn im Land der alten Mythen, Und mögen ihm des reinern Südens Lichter

Die Aſche vor profanen Händen hüten!

Noch dort im Grabe, fürcht’ ich, grollt der Dichter, An dem fich ſchwer verfündigten die Schthen: War neben ihm doc fänmtliches Gelichter,

" Das fie an feiner Statt geſchmückt mit Glorien, Was neben Moccalaffee die Eichorien!

Co ſchrieb ich von dem Lande der Gefänge,

Wo lauer Wind vom blauen Himmel weht,

Und nun genug! Zu ſehr ſchon in die Länge

Hat fi) mein Brief gedehnt und es ift fpät;

Vom Thurme hör’ ich fieben Glodenflänge

Dich mahnen, daß die Poft nach Deutjchland geht, - Drum lebemohl! Gefchrieben zu Chamouni, Hötel de l'univers den zwölften Juni.

Fugano.

D die Stunden find unvergefien,

Als wir, ferne der fterblihen Welt, Weilten im traulichen Alpenthale,

Wo in des Lichtes füdlichem Strahle Froh fich ſonnen die erften Cypreſſen, Denen fi ſchüchtern die Myrte gefellt.

Dort auf des Sees tiefepurpurne Wellen Schauten wir trunfen hinab vom Altan, Wie die Villen von vebenbefrängzten Felsvorſprüngen herniederglängten,

Und bellleuchtend hervor die Kapellen Aus den Kaftanienwäldern fahn.

250

Oder vorbei an umrankten Auinen Stiegen wir, rings von Bächen umraujct, Bis wir, zur Ulpenfirne geflommen, Keinen Ton mehr des Yebens vernommen Und mit dem Donner der wilden Lawinen, Statt mit den Menfchen, Worte getauft.

Abends am Hang, wo mit filbernen Locken Die Cascade vom Feljen fpringt,

Ruhten wir unter den Duftgeftäuden, Während ewig wechſelnde Freuden,

Bunt, wie umher die ftäubenden Floden, Uns umgaufelten, leicht befchwingt.

Mebertäubt von dem braufenden Strome, Starb auf den Lippen ung jeder Yaut. Arm im Arme und Mund am Munde Hingen wir, während zum ewigen Bunde Unter dem heiligen Sternendome

Uns die heilige Nacht getraut.

Dn der Brianza.

Dichte Wolken, ſchwer und dunfelnd, Hängen nieder in das Thal;

Hie und da, die Nacht durchfunkelnd, Budt herab ein Wetterftrahl,

Daß die fchlaferfüllten, ftillen,

Halb im Laub verftedten Villen

Un den blauen Alpenjeen

Und im Lorbeergrün die blaffen Marmorbilder der Terraſſen

Aus dem Dunkel auferftehn.

257

Donner nun! Bon bellern Bligen Wird durchflammt die Finfterniß, Und die weißen Gletjcherfpigen Leuchten durch der Wolfen Rip; Längs der grünen Rebenmauern Hittert heißes Wonnefchauern, Und in Wolluft bebt die Flur, Da die erften Tropfen vaufchen; Aber wag’ ich, zu belaujchen Dieſes Brautfeft der Natur?

Sommernadit.

Naht des Sitdens, blau und heiter, Durch des Abends goldnes Thor Schwebſt du leuchtend, wie ein zweiter Wie ein fehönrer Tag empor.

Deine Schatten felbft find heller Als im Norden unfer Licht,

Und die Stunden rinnen fchneller, Denn die Trauer kennſt du nicht.

Wem das Herz noch unzerfallen Und die Seele Har wie du, Sanft in deinen Schlummerhallen Schließe dem das Auge zu!

Aber mir, dem Ruheloſen,

Iſt vertrauter dort die Nacht,

Wo die Wetterbäche tojen

Und im Sturn die Föhre Fracht, Ehad, Sei. Werte. 1. 17

238

Wo die ſchweren Nebel triefen Um den Klippenſtrand der Seen, Und aus dunklen Waſſertiefen Schattenbilder auferſtehn.

Barcarofe.

Um der fallenden Ruder Spigen

Zittert und leuchtet ein fehimmernder Glanz, Flieht bei jedem Schlage mit Bliten

Hin von Wellen zu Wellen im Tanz.

Mir im Bufen von Yiebeswonnuen

Zittert und leuchtet daS Herz wie die Fluth, Jubelt hinauf zu den Sternen und Sonnen, Bebt zu vergehn in der wogenden Gluth.

Schon auf dem Feljen durchs Grün der Platane Seh' id) das fäulengetragene Dad,

Und das flimmernde Licht am Altane

Kündet mir, daß die Geliebte noch wach.

Fliege, mein Kahn! und birg uns verſchwiegen, Dirg ung, jelige Nacht des Auguft!

Süß wohl iſt's auf den Wellen fich wiegen, Aber ſüßer an ihrer Bruft.

Nokturno.

Heimwärts ging der letzte Beter Von dem Bild der lieben Frau; Nur noch ſelten fliegt ein ſpäter Nachen durch das Wogenblau;

259

Sommerliche Püfte holen

Aus dem Kelche der Piolen Düfte, heiß und athemſchwer, Und auf meißer Lilien Spigen Hüpfen, glei) verirrten Blitzen, Rothe Flammen hin und ber.

Eiehe! und Johanniskäfer

Schweben leuchtend durch die Nacht; Glaub mir, Kind, es find für Schläfer Soldde Etunden nicht gemacht!

Lud in folder Nacht Juliette

Doh zur trauten Minneftätte

Ten geliebten Ronteo,

Und fie kosten Wang’ an Wange,

Bis beim Lerchen- Frühgefange

Er aus ihren Armen floh!

Yeicht empor auf die Terraſſe Schwing' ih mid aus meinem Boot; Komm! und auf dies fehnfuchtblaffe Antlig breite neues Roth!

Yaß uns ruhn im janftverwirrten Tidiht von Jasmin und Miyrten, Wo fid) Zweig mit Zweig verfchlingt, Und fein Licht, daS ung verrathe, Nur der flammenden Granate Schimmer aus dem Yaube dringt!

Auf Sapri.

Hier mein Leben möcht’ ich verträumen Ueber der Brandung am leuchtenden Meer; Jubelnd in den unendliden Räumen Schweift auf den Wellen die Seele einher;

2160

Wiegt fih an hallenden Yeljengeftaden, Wo auf den Klippen die Goldfrucht reift Und mit Duft der Citronen beladen Ueber die Fluth der Südwind ftreift;

Schlummert in Grotten und dämmernden Hallen, Taucht in der Waſſer verborgenften Schadit,

Wo es von Perlen und bunten Korallen

Funkelt und blist in der purpurnen Nadıt.

Wenn im Sturme fi bäumen die Wogen, Tragen fie mich auf dem gleitenden Saum Durch die fiebenfarbigen Bogen,

Die fi wölben über dem Schaum,

Und zu gähnenden Sluthabgründen Stürz’ ich hinunter mit dem Orkan, Bis wo den flammenden Kraterichlünden Braufend entquillt der Ocean.

Wieder dann droben, nahe dem Himmel, Jauchzt die Seele im lichten Azur,

Singt mit dem donnernden Wogengetümmel Deine ewige Hymne, Natur!

Und als zerrinnende Welle im Meere, Tod wie du felber unfterblich und groß, Sehr’ ich im Beifte, du Göttliche, Hehre, Heim in deinen allheiligen Schooß!

Fa Sara.

Mit ihren Heerden kehren heim die Hirten,

Indeſſen langſam fi) die Sonne ſenkt

Und Wald und Flur und das Gebüfch der Myrten Mit ihrem Strahlenregen träntt.

261

Schon liegt der Schatten auf den Rebgeländen Und in den Schluchten, wo der Bergſtrom rollt, Die ſchlanken Pinien an den Felſenwänden

Nur ſchimmern noch im Sonnengold.

Auf Berg und Thal welch märchenhaftes Schweigen! Kaum daß der Abendwind die Schwinge regt Und aus den Mandel-, den Granatenzweigen

Die heißen Düfte weiter trägt.

Und dennoch durch die allgeheime Stille

Schleicht, kaum vernehmbar, ein gedämpftes Ach!

Und ſchluchzt durch Schmelz und Duft und Blüthenfülle Hernieder mit dem Silberbach.

Und laut und lauter klagt es, wie im Weſten

Des Lichtes letzter matter Schein verfliegt,

Und ſanft der Nachtwind in den Lorbeeräſten Die Nachtigall in Schlummer wiegt.

O große Mutter, das iſt deine Trauer!

Weg fcherzt des Tages bunter Glanz fie nur,

Nachts aber weinſt in dichter Haine Schauer Tu deine Schmerzen aus, Natur!

Meerfahrt.

Als müßten fie ftügen da8 Himmelsdach, Auffteigen die Wogenfäulen;

Empor zu den Wollen und wieder dann jäh Hinab in die ſchwindligen Tiefen der See Reißt und die Fluth bei deg Donners Gefrad) Und der Stürme Tofen und Heulen.

202

Doch ferne zurüd an die Küſte fliegt

Mein Herz in dämmernde Weiten;

Hell ſchimmert das Dach aus Pinien hervor, Tas Hündchen bellt, wie ich fehreite durchs Thor, Und weiße Arme, die oft mich gemiegt,

Entgegen mir feh’ ich fie breiten.

D Nähte, wie fie für Götter find!

Erglühen und wieder erblajien,

Bor Wonne verftummen, Lippe feft

An Lippe und Herz an Herz gepreft

Was braufeft du, Fluth? mas tobft tu, Wind? Mein Glück doch müßt ihr mir laffen!

Und muß e3 fein, und reißt das Gefchid Mich hinab zu dem gähnenden Schlunde, Noch im Berfinfen, wenn über mich ber Die Wogen wälzt das fchäumende Meer, Gedenk' ich an zweier Augen Blid,

Die Küffe von Einem Munde.

Aus Hicilien.

Hier am Berghang wollen wir ruhn, Uns an der Quelle zu laben!

Unter Myrten und Roſen mın Werde die Sorge begraben!

Schwer find dem Wind von des Hirtenrohrs Sterbenden Tönen die Schwingen,

Während im Yaub des Cicadenchors Schmetternde Stimmen verklingen.

263

Sanft gewiegt von dem ſäuſelnden Hauch Zeigt und verhüllt mit dem Wipfel

Die Cypreſſe den mwallenden Rauch Ueber dem Yetnagipfel.

Schlummer, fomm, und entführe ftill Uns in die duftenden Weiten,

Wo durch die Wiefen von Asphodill Selige Schatten gleiten!

Um Grabe Gonradins.

Tu Staufe, dem zum Throne Ein Blutgerüft verliehn,

Der Statt der Kaiſerkrone Den Kranz von Rosmarin,

Statt Hermelin und Seide Ein Leichentuch geerbt

Und e3 zum Purpurfleide Mit eignem Blut gefärbt;

Der nun am wäljchen Strande, Wo fremd die Woge fchäumt, In fremder Männer Yande Den Lebensſchlaf verträumt;

Mich grüßt von deinem Steine Der Heimathllang jo traut, Wie dich in deinen Schreine Vielleicht mein deutſcher Yaut.

264

Nimm freundlich hin die Gaben, Die dir die Liebe ſtreut,

Die Grüße, die dein Schwaben Durch meine Hand dir beut;

Zwei grüne Eichenreiſer,

Am Staufenſchloß gepflück, Wie ſie, du junger Kaiſer, Dir oft das Haupt geſchmückt

Wenn über Alp' und Kuppe, Vom Waldesgrün umwogt, In froher Jägertruppe

Ihr aus zum Birſchen zogt.

O ſchlügen tief und tiefer Sie Wurzeln in dem Stein, So wie auf kahlem Schiefer Die Tannen ſtolz gedeihn:

Und ſtreuten ſie als Bäume, Von friſchem Grün umlaubt, Dir liebe alte Träume

Ums früh geſunkne Haupt!

Dann ſtatt des dumpfen Ave, Das durch die Wölbung hallt, Umſpielte dich im Schlafe

Ein Ton, der ſüßer ſchallt,

Ein Ton aus beſſerm Dome, Aus deutſchem Eichenhain, Ein Gruß vom Donauſtrome, Und vom geliebten Rhein,

265

Und fäufelnd ftiege nieder Aus grünem Laub der Klang, So füß wie Uhlands Lieder Und Walthers Minnefang.

Fa Bila hei Walermo.

Hinab vom Schloß Arabiſcher Emire,

Tas aus dem Garten aufragt hochgezinnt,

Lafſ' ich die Blicke gleiten und verliere Mid in ein Blüthenlabyrinth.

ern über Pinien mit dem breiten Schirme

Und über Gärten voll der Aloe,

Dleituppeln, Dome und Normannenthürme Am Klippenftrand der blauen Eee!

Noch gießt, wie zu der Zeit der Sarazenen,

Das Chöpfrad Waſſerfülle durch das Thal,

Zum Regenbogen bricht auf den Fontainen Noch bligend fich der Sonnenftrahl.

Und aus der Schlucht herab, wo Indiens Yeige

Auf fonnverbrannten Zadenfelfen glüht,

Schwebt müden Fittigs durch die Mandelzmeige Das Wüftenkind, der heiße Süd.

Gleich einer Sultanin, die nad) den Babe

Im PBalmenhaine, Märchen-laufchend, liegt, -

Ruht wolluftvoll Palermo am Geſtade, Vom Wellenfchlag in Traum gemiegt.

266

Doch Nachts, ſo ſagt man, oft geht durch die Wogen

Ein dumpfes Murmeln, ſchäumend wallt die Fluth,

Schwarz thürmen Wolken ſich am Himmelsbogen, Durchflammt von rother Nordſcheingluth.

Und Blitze zucken, Donner rollt, Walkyren Mit goldnem Helm ziehn durch die Nacht hindurch, Mit Krachen öffnen ſich die ehrnen Thüren

Zu Odins hoher Götterburg;

Und Schiffe ſieht man ſchwanken; Waffendröhnen

Und Kriegerruf, vom Sturme halb gedämpft,

Hallt auf dem Meer, wo mit den Wüſtenſöhnen Des Nordmanns Heere lang gekämpft.

Bei Athen.

Sie iſts; gefunden hab’ ich fie, die Stelle,

Die Sokrates zum Ruhn ſich gern erlas;

Vom Felfenhange riefelt kühl die Duelle, An der er oft mit Phädrus ſaß.

Hier ſprach der Weife von dem Ew'gen, Einen, Der Sonne, die um Mittag immer ftebt, Indeſſen ſchnell im flüchtigen Erjcheinen

Die Welt der Sichtbarkeit vergeht.

Als ob er eines Gottes Nahfein ahne, Vieh andachtvoll fein Liebling ihn dag Ohr; Ob ihren Häupten raufchte die Platane

Bu der Eifaden Sommerdor.

267

Theater lagen, Tempel, Siegesbogen

Und Säulenreihn endlos vor ihnen da,

Und murmelnd aus der Ferne ſcholl das Wogen Des Volkes von der Agora.

Und nun? Im Schutte, der mit ſeinem Volke

Und ſeinen Göttern Griechenland begräbt,

Wo blieb Athen? Geh! frag die Staubeswolke, Die wirbelnd ſich vor dir erhebt!

Umſonſt hoch von der Burg herab beſchützte

Der Pallas helmgeſchmücktes Rieſenbild,

Das fern den Schiffern ſchon entgegenblitzte, Die hehre Stadt mit goldnem Schild.

Verſtummt der Rennbahn Lärm, die Siegspäane, Der Opferzug durchs hohe Säulenthor! Nur über mir noch ſäuſelt die Platane

Zu der Cikaden Sommerchor.

Das MMarmorbilſd.

Wenn beim Frühglanz des Hymett Morgens auf mein Ruhebett Sanft die Strahlen zittern, Immer lächelſt, theures Bild,

Du auf mich herab ſo mild

Aus den Epheugittern.

Deine Züge, hold und traut, Ach! daß ich ſie doch geſchaut, Als ſie lebend waren,

In die Augen dir geblickt, Eh ſie in den Schlaf genickt Von zweitauſend Jahren!

268

Tann in Telphis Waldesſchlucht

Ueber ung die Purpurfrucht Der Granate leuchtend Hätten wir am Quell geruht, Mit Apollons heil’ger Fluth Unfre Pippen feuchten.

Schauten von den Propylän, Wie die Tempel von Athen Felshinan ſich bauten

Und aus ſegelvollem Meer Vom Piräus ferneher

All die Inſeln blauten.

Schweiften den Kephiß entlang, Wo der Nachtigall Geſang

Nie im Walde ſtockte

Und auf grünem Wieſenplan Flötenhauch der alte Pan

Aus der Syrinx lockte.

Nächtlich in Kolonos' Hain Lauſchten wir dem Jubelreihn, Wie die Cymbel ſchallte

Und der Tanz von Nymph' und Faun

Durch die rebenvollen Aun Labyrinthiſch wallte;

Und der Chiertraube Trank Schlürften wir im Laubgerank, Ueberweht von Blüthen, Während bei der Leier Ton Und Alcäus' Skolion

Unſre Küſſe glühten.

209

Doch was träum’ ih? Ah, nur Gram Bleibt mir, daß zu ſpät ich kam

Zu des Lebens Feſte,

Und, o Weib, verweht vom Wind

Seit zmweitaufend Fahren find

Deine Ajchenrefte.

Dm Vheater des Dionyſos.

Mählig erblaßte das Licht um Salamis' zadige Klippen, Während die Sonne verſank in das Aegaeiſche Meer; Hell nur leuchtete noch der honigberühmte Hymettus Und die Cefropifche Burg hoch auf dem Feljengeftein. Um mic lagen verwirrt zerbrödelnde Tempelgeſimſe, Säulen von dorischer Pracht, Trümmer auf Trümmer gehäuft. Kaum zu erkennen vermochte der Bid in dem Schutte die Stufen, Drauf das Athenifche Volk Haupt fih zum Haupte gedrängt, Wenn das Theater dem Donner von Aeſchylus' Worten erdröhnte, Wenn e3 wie Weihrauchduft Sophofles’ Odem durchzog. D wie find fie verflungen, die herrlichen Chöre der Meifter, D mie liegft du geftürzt, heiligfter Tempel der Kunft! Wo fich Die Thymele hob, nicht weiß ich die Stätte; e8 haben Zwei Jahrtaufende Staub auf die Orcheftra gehäuft. Während ich jaß und das Auge bethränt auf den Trüm— mern mir ruhte, Schweifte die Seele zurüd in Perifleifche Zeit; Wechfelnd fchwebten vor mir die erhabnen Geftalten der Dichter, Welche zu Thränen wie Yuft hier die Athener bewegt;

20

Bald in unfterblichem Weh den Titanifchen Dulder mir malt’ id) Ueber dem Weltabgrund ringend am Schthifchen Fels, Bald den Thebäifchen König, wie blind er am Arme der Tochter Thronlos, heimathlos Yänder und Städte durdirrt. Alſo fann ih und preßte die Etirn auf vermitterten Marmor, Einzig die Seele nod) fah, aber das Auge nicht mehr. Hord, auf einmal da was hör ich? ein Raufchen, dein Sturm gleich, Wenn er im Pinienwald Wipfel und Aefte durchſaust. Schnell mich raff' ich empor, und fiehe! verwandelt ift Alleg, Statt der Trümmer umher ragt ein unendlicher Bau; Hallen und fliegende Treppen und rings in den Nifchen gewahr’ ich Bilder, wie Phidias fie Parifhem Marmor entlodt. Aufwärts fteigen zu Seiten mir Sitzreihn, Etufen an Stufen, Tauſende drängen fi) drauf in der hellenifchen Tracht; Weihrauch quillt vom Altar, im Feſtſchmuck leuchtet die Scene, Und zu dem Chorlied fchallt lieblich der Flöten Getön. Schweigen verbreitet fich rings, faft hör’ ich das Athmen der Menge, Grauen der Dämmerung finkt über die Bühne dahin. Langſam fteigt und umhüllt von faltigen grauen Ge-

wanden,

Sieh! durchs ſtygiſche Thor zitternd ein Echatten herauf.

Blutlos bleich das Geficht, an der Bruft tiefflaffend die Wunde,

Murmelt ein Nachegebet dumpf das ermordete Weib:

_ 21

„Kinder des Abgrunds, auf! dag nicht euch der Frevler entrinne, Welcher den Bufen durchbohrt, der ihn als Kuaben geſäugt!“ Hohl tönt alſo die Stimme der Hades-Entſtiegenen grauſig Zu der Erinnyen Ohr dringt in das Dunkel der Ruf. Sich in der Tiefe zu regen beginnts; ſchlaftrunkenen Taumels Heben die Töchter der Nacht ſtöhnend das finſtere Haupt, Eine die andre zu wecken; mit Grimm und wüſtem Geheule, Geißeln in Händen, empor ſtürmt die entſetzliche Schaar. „Auf, ihn zu jagen, ihr Schweſtern! wohin mordtriefend er fliehn mag, Ueber die Länder, das Meer folgt ihm in haſtigem Sprung!“ Und, ſich die Brüſte zerſchlagend, mit weitaufſtarrenden Bliden, . Wälzt fi) in Beutebegier fort der mänadifche Chor Irrend, das Haupt umnachtet von Wahnfinn, naht fi) indeſſen Schwankenden Schrittes Oreſt Attikas glücklichen Aun. Leuchtend im Frühlicht ſteigen aus lachendem Grün der Olive Heilige Tempel vor ihm, Bilder der Götter empor. Mild ſchon lichtet ein Strahl ihm die nächtig umdun— kelte Seele, Doch wie die Meute dem Wild, ſtürmen die Furien ihm nach, Murmeln ins Ohr ihm den Fluch der erſchlagenen Mutter und ziehen Wilden Getümmels um ihn enger und enger den Kreis.

272

Eiehe! da ſchwebt durch die Yuft, auf den Goldſchild ruhend die Rechte, Helmbujchprangenden Haupt? Pallas Athene herab. Hoch in der Rechten den Speer, voll Huld fich dent Flehenden neigend, Ruft zum Gericht fie das Volk ihrer geheiligten Stadt. Schmetternd ertönt die Drommete; heran zu dem Tempel der Göttin, Sich auf den Stufen zu reihn, wallen die Männer Athens. Ernft hebt an das Gericht; nach unvordenkliher Satzung Heifchen die Töchter der Nacht Blut für vergofjenes Blut, Aber der Jüngling fleht um die fühnende Gnade der Götter, Die wie erquidender Thau mild fih vom Himmel ergießt. Yang nachfinnen die Richter, bevor fie entjcheiden; vom Herold Werden die Looſe gezählt, die in die Urne gerollt; Gleich find die ſchwarzen an Zahl und die weißen; Oreſtes, der bange, Weiß nicht, ift er erlöst, ift er fir immer verdammt Aber die Göttliche legt in die Urne das Loos der Be— freiung, Und auf den Schügling ſenkt fanft fie die ftrahlende Stirn. So denn find fie bezwingen, die düfteren Mächte der Bormelt, So hat Milde gefiegt über das ftarre Geſetz. Jeglicher Fluch ift gefühnt; durch die prangenden Hallen des Tempels Schreiten Athens Fungfraun, Kränze von Myrten im Haar.

23

Feiern mit Hymnen die neuen Olympiſchen Götter, die heiter Ueber der Schickſalsnacht walten im emigen Yicht; Und auf den Stufen umher aus den Bliden der Schauen- den leuchtet Andacht; jeglicher Mund murmelt ein frommes Gebet.

Mälig verllangen die Chöre; der Feſtzug ſchwand in den Tempel, Doch in der Seele noch lang tönte die Dichtung mir nad), Während wie Wogengebraus mich der Taufende Stimmen umballten, Welche mit jubelndem Auf fündeten Aeſchylus' Eieg. Kühl da fühlt ich ein Wehn mir die Schläfe berühren; ih fand mid), Als ich die Augen erfchloß, wieder auf nadtem Geſtein, Trümmer wobin ih nur fah; im Frühroth glühte der Himmel, Her von Joniens Strand morgendlich hauchte der Oft, Und mir über dem Haupte, den Marmorfpalten entiproffen, Raufchte, vom Winde bewegt, wildes Dlivengefträud).

Der Vempel von Xegina.

Halbauf noch ragt mit feinem Ruhm

Der Wunderbau der Aegineten,

Doch öde fteht fein Heiligthum,

Verwaist von Opfern und Gebeten;

Berbrödelnd in den Archipel

Sinkt das Geftein vom Zelfenhange,

Um Säulenfturz und Capitäl

In Ringeln windet fi die Schlange. Ehad, Ge. Werte 1. 18

274

Kur wenn beim Sternenfchein der Nadıt Bon Fels zu Feld die Schatten wallen, Erhebt in alter Torerpradt

Ter hehre Tempel feine Hallen,

Und dur die Säulengänge bin,

Ten goldnen Kranz im Podenhaare, Tritt feierlich die BPriefterin

Im weißen Yichtfleid zum Altare.

Da ift3, al3 ob am Himmelzjaum Des Götterpaterd Donner rolle Und aus jahrtaufend langem Traum Die alte Welt erwachen wolle,

Als ob die Mutter Chbele

AU ihre Kinder wieder wede

Und jehnfuchtspoll in ſüßem Web Die Arme nad) der Erde ftrede.

Und horch! Ein Regen auf der Flur, Ein Raujchen um die Uferklippen, Nod einmal öffnet die Natur Aufjubelnd ihre bleichen Lippen;

In kühler Grotten Dämmerglanz

Und an den hallenden Geftaden Schlingt fi) der Nymphen Reigentanz, Im Walde flüftern die Tryaden.

Und wie Gefänge des Homer,

Tönt e8 durch das Geroll der Wogen, Auf filbernem Gewölk daher

Kommt leuchtend Artemis gezogen; Anbetend gießt die Priefterin

Tas Opfer aus der Weihejchale Tod neu in Schweigen und Ruin Sinkt Alles hin beim Morgenftrahle.

275

Daft bei Miſet.

Kun füllt die Becher mit funfelnden Wein! Eanft raftet fih8 hier, wo in langen Reihn Gebrochene Säulen ragen;

Darüber hinweg das blauende Meer

Und die Duadern des Tempeldaches umher Mit den Riejen, die e3 getragen.

In Schutt gefunten das hohe Miet!

Die Aſche der Helden und Weiſen vermweht, Der Name „Hellenen” verklungen!

Um Trümmer nun tönt der Wogen Geroll, Des Schafal3 Heulen, wo einft den Apoll Die Tichter Hymnen gefungen.

Tod, ob der Glanz der Bölfer erlifcht, Ob allen Winden ihr Staub fi miſcht, Ten Fommenden bleibt ihr Vermächtniß, Und was fie gefchaffen in That und Wort, Lebt herrlih und hoch noch fort und fort In fpätefter Enkel Gedächtniß.

Glüdfelig, wer Großes auf Erden vollbracht! Richt bangt ihm, wenn fie in ewiger Nacht Dort unten die Gruft ihm bereiten;

Er weiß, fo lange die Sonne kreist,

Wird leuchtend von Jahre zu Fahre jein Geift Der Menſchen Gefchlechter durdhfchreiten.

Auf, Freunde! noch ftrahlt und der Lebenstag;

Auch uns, dag man unfer gedenken mag,

Laßt wirken und ftreben und ringen!

Stoßt an auf den Ruhm, der nimmer vergeht, Und, mag ung umftieben der Staub von Milet, Indeſſen die Becher erklingen!

276

Wiltagsruhe bei Magneſta.

Da lagern um des Brunnens fühle Fluth Die wegemüden Karavanen;

Sanft über ihnen bricht die Sonnengluth Zum Schatten fih im Laube der Platanen, Und rings, entbürdet von der Waaren Laft, Genießt Kameel und Roß der Mittagsraft.

Umber der turbanhäupt’gen Wandrer viel, Die Rauch aus Wafferpfeifen blafen;

Dom fernen Tigris der und der vom Nil, Der aus des Sudan innerften Dafen;

Kurz nur ihr Raften; wenn fie wieder gehn, Wird ihre Spur der Wüftenwind verwehn.

Und du, den wilder Drang von Yand zu Yand Hinjagt mit ruhelofem Schritte,

Einfam, verlaffen bier und unbefannt

In al der fremden Männer Mitte!

Nicht Einer ahnt den Trieb, der niegeftillt, Sid immer neu gebärend, dich erfüllt.

O dieſe Welt fo groß, du felbft jo Klein,

Und doch dein Wünfchen, Ringen, Streben

Noch unermeßlicher als fie! Halt ein,

Zu eng dafür"find Zeit und Raum und Leben! Wir Alle, die wir fommen, die wir gehn,

Wie bald wird unfern Staub der Wind verwehn!

277

Ahede von Rhodos.

Langſam vom Wind dahingetrieben, gleitet Das Schiff durch weißbeſchäumte Fluth;

In Schlaf und Traum find Alle rings vertieft; Das Mondlicht trieft

Durch Nebelflor herab, der hingebreitet Auf Infelftrand und Wellen ruht.

Tod nein; nicht von dem Mond ift das Gefunkel, Tas zitternd auf den Mogen wallt;

Nah flammts, und näher nun, ald wärs der Strahl, Den ein Fanal

Vom Felſen wirft, und dämmernd aus dem Tuntel Steigt eine riefige Geftalt.

Vom Nebel löſen fich die Glieder; Ein Arm, gigantifch ausgeſtreckt,

Taucht aus der Finfterniß, in feiner Hand Ein Fadelbrand,

Bon dem die Gluth im Windhaucd auf und nieder Mit rother Flammenzunge ledt.

Weitleuchtend ftrahlt die Stirn des Sonnenriefen Aufs Meer hinaus der Nebel fällt

Da fteht er ganz, der mächtige Koloß Des Helios,

Glorreich, fo wie die Dichter ihn gepriefen, Der Ruhm von Rhodos und der Welt.

Auf Felſen, zu des Hafens beiden Seiten Die ehrnen Füße hingeftemmt,

Ragt er empor; von Segeln ringsumber Erglänzt da8 Meer,

Und unter feinen rief’gen Gliedern gleiten Cie in den Hafen ungehemmt.

278

Ich felbit mit ihnen. Welch ein Wald von Maften! Hier Griechenſchiffe, Kiel an Kiel,

Auf jedem vorn das Diosfurenpaar, Das in Öefahr

Die Shiffer ſchützt; dort, fchwer von Waarenlafteı, Barfen von Tyrus und vom Nil.

Am Ufer buntes Voltsgedräng und Yärnen. Bon Marmor leuchtend und von Erz,

Thürmt mit Theater, Halle, Hippodrom, Vom Menjchenftron

Durchwogt, voll Tempeln, Statuen und Hermen Bor mir die Stadt ſich himmelwärts.

Doc borch! es rollt der Anfer; ich erwache Wohin, wohin mein Traum verweht?

Arınjel’ge Hütten ftehn vor mir von Lehm, Do ehedem

Rhodos geprangt hat; vom Mofcheendache Ruft der Muezzin zum Gebet.

Indie.

Dft, wenn der Lebenstag mit dumpfer Schwüle Auf meinem Haupte drüdt,

Ei’ ich zu dir, daß frifche Dämmerfühle Die milde Stirn erquidt.

Vom Glanz der Erdenjugend noch umfloffeı, Bom Frühroth überglüht,

Fit, reich in Tuft und Farbenpracht erjchloffen, Dein Garten aufgeblüht.

279

Hoch von des Himalaya eij’ger Klippe, Dem ältften Götterdom,

Stürzt fi, ein Gott, Begeiftrung auf der Yippe, Herab der Gangesſtrom;

Und Tempel, die das Weltgeheimniß hüten, Stehn längs der Fluth gereiht;

Sn heiligen Kelche ihrer Yotosblüthen Schläft die Unfterblichkeit.

Dort unter deiner Pflanzenwelt Titanen Sig’ ih in Waldesnacht,

Wo tiefer noch das Ranfen der Yianen Das ernjte Dunfel macht,

Wo von den Felfen, die vor Alter wanken, In den Granit gehaun,

Auf mic) ‚herab die riefigen Gedanken Bergangner Tage fchann.

Tie Baniane fteigt, das Kind der Tropen, Breitäftig himmelauf;

Durchs Tidicht fliehen ſchlanke Antilopen Dahin in ſcheuem Yauf.

Und zu mir, Lilien um die Stirn gewunden, Tas Auge gottbefeelt,

Geſellt Vyaſa fi, der mir die Kunden Bon alter Zeit erzählt,

Indefien oben in den Palmenbäumen, Wie fie der Windhauch ſchwingt,

Ein Geiſt der Urzeit von den Wunderträumen Der erſten Weltnacht fingt.

280

Auf dem Uil. Welh ein Geheimniß bergen deine Wellen, D alter Nil, der ferneher, Wo Tropenfonnenftrahlen deine Quellen Am Gletſcherhaupt des Mondgebirgs erhellen, Du finnend gleiteft in dag Meer ?

Bon deinem Wogenfpiele fanft gehoben, Blick' ih, and Steuer hingefchniegt, Bald auf zur blauen Himmelswölbung droben, Bald abwärts, wo, aus Silberglanz gemoben, Ein zweiter Sternenhimmel liegt.

Bleikuppeln ragen, weißgezinnte Städte Hervor aus dunklem Palmenwald, Mofcheen und goldne Halbmondminarete, Bon denen oft ein Rufen zum Gebete, Die Fluth im Nachtwind fräufelnd, ſchallt.

Grabhallen, draus den Staub der Pharaonen Der Wind der MWüfte lang verftreut,

BZertrümmerte Baläfte und Pylonen

Bei Hütten Lehms, drin braune Fellahs mohnen, Das ärmliche Gefchlecht des Heut!

Tann Obelisfen, noch zur Sonne fteigend, Und Pyramiden von Granit,

Geſunkne Riejentempel, ewig fchmweigend,

In Bildern nody des Rhamſes Kämpfe zeigend, Wie er das MWeltreich fich erftritt!

An Eäulenftürzen, die ſchon Trümmer mare, Da Naht Europa noch umjchlang,

Zieht mit den hochgehaldten Dromedaren

Ummeht vom Staube von fünftaufend Jahren, Der Karavanenzug entlang.

231

Borbei! Stet3 weiter werd’ ich fortgezogen, Als ende nimmerdar die Yahrt; Wie traumhaft murmeln um mein Haupt die Wogen, Und Sterne tauchen auf am Himmel3bogen, Die nie des Nordens Blick gemahrt. oe

Welch ein Geheimniß bergen deine Wellen, D alter Nil, der ferneher,

Wo Tropenfonnenftrahlen deine Quellen

Am Gletfcherhaupt des Mondgebirgs erhellen, Du finnend gleiteft in dag Meer? x

Orientaliſch.

Trauervoll die langen Nächte Lehn' ich an dem Dachgeländer, Und an meine Lippen drück' ich Ihrer Liebe ſüße Pfänder;

Denke jener ſel'gen Stunden, Da wir Beide, Küſſe tauſchend, Leben uns und Seele ſchenkten Als zwei glückliche Verſchwender.

D wo weilt fie nun, die Holde, Daß umfonft ich nach ihr ſpähe? Bergt ihr fie in euren Thalen

Immer noch, ihr Euphratländer?

Sehnend in die Weite fpäh’ ich, Ob mein Blid die Karavane Nicht erichaut und nicht von ferne Weiße wallende Gemwänder;

282

Aber ſtatt des Schalls der Glöckchen Hör' ich nur den Schakal heulen, Bis der öde Morgen dämmert Um der Wüfte blaſſe Ränder.

Daffa.

Nun lebe wohl, mein morgenländiſch Dad), Bon Palmen ftill umfriedet und Cypreſſen! Auf dir wie manche Nächte hab’ ich wach, Bom Sternenhimmel überwölbt, geſeſſen!

Der Athemzug der fhlummernden Natur

Ging durch die Wipfel hin mit fanftem Wehen, Leis durch das tiefe Echweigen rauſchten mır Fernher die heil'gen Brunnen der Miofcheen.

Zu Häupien mir im unermefinen Raum

Sah id Myriaden goloner Welten vollen, So flanmenhell, al3 ob feit geftern kaum Sie aus dem großen Born des Yicht3 gequollen.

Und wie, noch unbethört von Glaubenswahn, Die erften Menfchen, die nicht Tempel kannten, Mit Andacht auf zu jenen Sternen fahn,

Die unvergänglich dort am Himmel brannten:

Alſo aud ich; mein Geift ſchwang fich empor Und fog den Glanz in langen durft’gen Zügen Und freiste mit dem hehren Feierchor

Der Sonnen, wie fie janfen oder ftiegen.

2835

D wer aus jenem Duell des Yichtes tranf, Nicht dunkel iſts um ihn fortan bienieden; Leb wohl, mein Morgenland, und habe Danf! Mit mir im Herzen trag’ ich deinen Frieden.

Die Tempel von heben.

Röthere Strahlen gießt die Sonue

Auf den leifefluthenden Nil;

Hochauf mir zu Häupten flammt

Des Amenophis Koloß,

Fernher fchon in der bleichen Wüſte

Bon den Karamanen erblidt,

Wie von des innerften Meros Palmen-Oaſen Sie nordwärts ziehen;

Im ſcheidenden Lichte glänzen

An des heiligen Stromes Ufern

Die Trümmer einer zerbrochenen Riefenmelt, Hallen und Pfeiler, ing Unermeſſne gedehnt, Geftürzte Zitanenbilder,

Halb im mwogenden Sande begraben.

Erjtgeborne der Städte, Hundertthoriges heben, Wie ſchwand das jubelnde Gedränge, Das deine Säulenftraßen durchmogte, Wenn, heimkehrend im Siegeszuge, Seſoſtris bezmungene Völker, Sei es vom eiſigen Orus, Seis vom Lande der ſchwarzen Aethiopen, Vor dem goldenen Sichelwagen dahintrieb? Nie mehr haucht dein Memnon Der nebelgebornen Aurora Klangvoll entgegen den Morgengruß!

Deine Tempel, ftatt von lotosbefränzter Jungfraun Feſtlichen Chören,

Nun von Schlangen der Wüfte befucht! Unwandelbar nur feit der Zeiten Beginn

Schaun Libyens Feljengebirge

Hinab auf die Trümmer von Reichen,

Die ſie werden und fallen geſehn.

Wag' ich den Gang Durch die Reihen verwitterter Sphinxe, Die, noch in die alte Traumnacht verſunken, Zu Seiten des Weges brüten? Wie ins Unendliche zieht ſich der Pfad Vorbei an verſchollener Königsgeſchlechter Palmenumrauſchten Gräbern, An Mauern und Säulengängen, Wo Jahrtauſende lang Schon fluthendes Leben gewogt, Bevor noch zu Kolchis' Fabelſtrande Die Argonauten geſteuert.

Im bleichen Scheine des Mondes, Der über Arabiens Hügeln ſteigt, Himmelan ragt vor mir das Thor Von Karnaks Tempel-Palaſt. Aufthun ſich die Hallen, Mauern auf Mauern wie Felſen gethürmt, Säulen, gleich blitzzerſchmetterten Giganten Häuptlings geſtürzt, im Todeskrampf Aneinander ſich klammernd, Spalten und Riſſe und Höhlen, Als ob ſie der Erdſtoß in Felſen geſprengt! Weiter nun, weiter J Mit den gleitenden Schatten der Nacht

285

Bon Halle zu Halle, von Saal zu Saal, Wo an Wänden und Obelisfen

In flummer Sprache Hierogigphen

Bon den Wundern der Vorzeit ftammeln Und Riefengeftalten aus den Nijchen

Wie vom Anfang der Zeiten herniederihaun!

Du dort im myſtiſchen Dunkel Zwifchen fteinernen Tafeln und Himmelskugeln, Mächtige Göttin, Die feit dem grauenden Morgen der Welt Unter dem niegelüfteten Schleier Gedanken der Ewigkeit finnt, Löſe die bangen Zweifel mir! Ueber der Erde weiten Todtenader Bin ich gewandert; Bom Auf zum Niedergang verſank mir der Fuß In der Aſche zerftörten Lebens, Wirbelte der Völker Staub Unter meinem Tritt. Werke von Uebermenſchen Fand ich wie Kinderſpielwerk zerbrochen, Reiche und Religionen Bis auf den Namen verſchollen. Und iſt in dem ew'gen Vergehn und Werden Denn nirgend ein Halt? All der Myriaden Menſchen Geſchick, Die über die Erde geſchritten, Iſt es, ein Irrlichttanz, Im großen Dunkel erloſchen, Und taumelt Geſchlecht auf Geſchlecht Der Vernichtung entgegen, Daß ein Weltalter das andre betrauert, Bis Vergeſſenheit Alles verſchlingt? O in die öde Nacht des Gedankens

286

Laß einen Lichtſtrahl gleiten, Daß in der Verzweiflung finſtern Abgrund Nicht die zagende Seele verſinke!

Stille ringsum, nur vom Kniſtern Der zerbrödelnden Trümmer unterbroden. Schweigend hat die Göttin den Schleier Um ihre Träume gebreitet; Fort und fort brüten die Sphinre Ueber der Zeiten großes Näthfel; Aber droben, wo aus dereweiten Unendlichkeit Mit leuchtenden Sternenaugen Die Nacht herabfieht, Ruht das Geheimniß Ewig unenthüllt Ueber allen Himmeln.

Das unbekannte Grab.

Halb ſchon verſchũttet von dem wehnden Sande Ragt einſam dies zerfallne Grab; |

Die Sonne flammt darauf in lehen Brande, Wie vor Aeonen, noch herab.

In keinem Grashalm, nicht im dürrſten Mooſe Ringsum von Leben eine Spur;

Weit dehnen ſich bis in das Gränzenloſe Der Himmel und die Wüſte nur.

Und Bilder ſeh' ich auf dem Stein und Zeichen In einer Schrift, die Keiner kennt, Geſtalten, die der Völker keinem gleichen, So viele die Geſchichte nennt.

297

Wen birgt dag Grabinal? Eines Königs Leiche, Der hier das Scepter ſchwang

Und jtolz hinunter ſah auf feine Reiche Bom Aufgang bis zum Niedergang.

In Spraden, nun jahrtaujendlang verklungen, Ward ihm vielleicht Unfterblichkeit,

Wie den Gefängen, drin fie ihn befungen, Bon feinen Dichtern prophezeit.

Vielleicht doch nein, nicht einen Yaut mehr ftammelt Bon damals die Erinnerung,

Und vor dem Staube, der fich hier gefammelt, Scheint jede andre Vorwelt jung.

Mer giebt mir Kunde von der Zeit, der langen, Die fhon auf Erden war?

Mer nennt mir eine, die nicht ſchon vergangen, Und wär’ e8 Platos Riefenjahr?

Selbſt fühl’ ich hier das Haupt mir von der Schwinge Des Todesengels ſchon umkreist,

Und ſchwindelnd in die große Nacht der Dinge Verſinkt mit Zagen mir der Geiſt.

O Menſch, mit deinem Schaffen, deinem Streben, Du Opfer der Vergeſſenheit,

Was zählſt du deine Jahre? Nur im Leben, Allein im Tod iſt keine Zeit.

Im Tod iſt keine Zeit. Führt er als Beute Dich heute noch zum Hades ein,

So wirſt du in dem Schattenreich noch heute Gleich alt mit König Cheops ſein.

288

Abſchied.

Schon zur Heimfahrt ruft das Meer, Doch wie wird das Herz ſo ſchwer Mir beim Abſchiednehmen!

Und auch du, mein Weggenoß, Blickſt ſo traurig, treues Roß, Edelſtes von Jemen.

Fern von jeder Menſchenſpur Führer uns die Sterne nur

An des Himmels Bogen Wie zwei Brüder, nie getrennt, Durch den weiten Orient

Sind wir hingezogen.

Ueber Berge, ſteil und ſchroff,

Ob auch Schaum vom Bug dir troff, Flogſt du, nie ermattet;

Trugſt mich durch der Wüſte Sand, Wo vor lohem Sonnenbrand

Keine Palme fchattet.

Unſer Mais- und Dattelmahl Theilten wir im $elfenthal An des Brunnens Kühle; Nachts, an dich dahingelehnt, Deinen Naden, mweichgemähnt, Wählt’ ih mir zum Pfühle.

Achtſam jpähend immerdar, Mid zu ſchützen vor Gefahr, Kaum Minuten fchliefft du; Wenn, von Mübdigfeit wie ftarr, Noch ich lag, mit Hufgeſcharr Schon zum Aufbruch riefft du.

289

Als ih matt und fiebertrant In dem Chane niederjant Und e8 in mir Nacht ward, An der harten Blätterftreu, Drauf ich ruhte, o wie treu Ich von dir bewacht ward!

Vebe wohl! Bon Ort zu Ort Auch im Abendland hinfort Feir' ich dich im Liede;

Und, noch wenn ich beimgefehrt, Preif im Often, theures Pferd, Yang dich die Kaſſide;

Preife deiner Glieder Pracht, Schwarz wie Wetterwolkennacht, Schlank wie die Cypreſſe,

Und, die dur das Dunkel fern Leuchtet wie der Morgenftern, Deiner Stirne Bläffe!

Huf dem Yik von Veneriffa.

Wohin, o Herz, Das fort und fort im Buſen mich ftachelt, In welches Wagniß mich haft du verlodt? Auf himmelnahem Gipfel, Ten kaum der Gedanke erklimmt, Der einzig Athmende ich, Im unendlichen Raume verloren; Höher als ich nur der ftrahlende Drion, Ten Schild durchs Unermeßliche ftredend! Unten die Tiefe, die bodenlofe, Drin Meer und Inſeln begraben. Shad, Ge. Werte 1. 19

290

Uralte Nacht, Rieſige Sphinx, die in dunkler Bruſt Des Daſeins Räthſel du hüteſt, An deines Reiches Pforten Hier ſteh' ich voll Grauen, Und ſchwindelnd, jähen Sturzes, Vom Kraterrande des Feuerberges Gleitet der Geiſt mir hinab In die unterirdiſchen Hallen, Wo deine Kinder, die finſteren Erdgewalten, Wie ſchlummernde Rieſen Auf ihren Lagern ruhn.

So durch des Menſchen Seele Führen tiefe Schachte, Düſtere, vielgewundne, Hinab in Finſterniß, Und oft, hinunterſtarrend, In ſich ſelbſt zu verſinken zagt ſie. Furchtbare Mächte Schlummern in ihrer Tiefe; Weh, wenn die Entſetzlichen, Vom Unheil geweckt, Die ſchlaftrunknen Häupter ſchütteln! Wie die Titanen dort unten, Des ſchwarzen Kerkers Pforten ſprengend, Ihr Feſt der Zerſtörung feiern, Gewitternd ſo aus der Seele Abgrund Steigen die grauſen Dämonen Verzweiflung, Wahnſinn, Mit Wirbelrauch Ihr todgeweihtes Opfer umhüllend.

Aber was zuckt durch das Dunkel? Dämmernd am Himmelsrande

291

Glimmt e8 empor,

Ein Flammenglanz umfpielt den Gipfel, Wo gleich Adlern in Lüften ich fehmebe; Wie glühende Tropfen

Sinten die Sterne

In die Wirbel des fteigenden Tages; Unten in ſchwindelnder Tiefe

Leuchtet und bligt mit den duftenden Inſeln Der unermeßliche Ocean,

Und allein, allein,

Wie in der Seele ein großer Gedanke, Schreitet der Yichtgeift

Ueber den Weltrand.

Heil, Glorreich-Herrlicher! Durch alle Räume Bis in des Dunkels tiejfte Falten, Der Seele verborgenften Abgrund Yaß deine Feuerftröme fluthen, Daß die finfteren Mächte Bor der Glanzfülle vergehn Und die Welt dem erlöfenden Strahl In ewigem Hymnus erflinge.

Fieder aus Granada. 1.

Nacht wars, ed hallte von dem Schellenklingen Des Maulthierzugs die Schlucht der Alpujarren Die kahlen Felfenhäupter fahn wir ftarren,

Die um die Stirn den Gletſcherturban fehlingen.

292

Der Führer ritt voran durch mwildgezadte Steinflippen, und auf flurmzernagten Pfade Zum Klange feiner maurifchen Ballade Bewegte langfam fich der Zug im Takte.

Ta ftieg am Himmel3rand die ew’ge Yeuchte, Die Vega lag vor uns im Morgenftrahle

Und dampfte aufwärts, eine Opferfchale

Voll Weihraud) und voll Harer Himmelsfeuchte.

Im Frühglanz ftrahlten der Nevada Gipfel, Wie goldne Kuppeldäher von Moſcheen; Andächtig neigten in des Oſtes Wehen,

Gleich Betenden, die Balmen ihre Wipfel.

Vor und von ihrem Teppich grüner Saaten, Aus Moyrtendidiht und Orangenbäumen,

Hob fi, ein Bild von Edens Wonneträumen, Die Wunderftadt, die Schwefter der Granaten.

Wir aber fanfen auf die Stirn und riefen: Sei Allah, daß wir dich erfchaun, gepriefen, D Houri aus Muhammeds Baradiefen!

D Perle in dem Kronſchmuck der Chalifen!

2.

Noth ſchimmert durch das Laubgrün der Platane Die Mohrenburg, auf der die Halbmondfahne Durch acht Jahrhunderte geweht; Noch flammen Koranſprüche an dem Thore, Noch an der Mauer rauſcht die Sykomore Zu Allah ein Gebet.

293

Ich Schritt hinan; ringsum in Sprudelbronnen Und Silberbächen riefelten die Wonnen,

Die der Prophet verheißen hat, Und wie ein Zauberfchloß verſchollner Sagen Sah ih Gewölbe, Iuft’ge Pfeiler ragen,

Als ich den Myrtenhof betrat.

Im Yichtglanz, der von Saal zu Saale jprühte, Erſchloß ſich Inospend das Geſtein und blühte Yarbreih um Wand und Säulenknauf; Mit em’gen Klingen fprudelten Cascaden Zum Laubendach der fchlanfen Colonnaden Den Silberregen auf.

Ein Hauch von Eden, Bote ew’ger Freude, Durchzitterte das blikende Geftäude; Der Bogengang am Löwenhof Schien Nebeln gleih in Morgenwind zu ſchwanken, Indeſſen fchimmernd von Gezweig und NRanfen Der Thau herniederiroff.

Aus Rofenfelchen ftrömte finnbetäubend Wollüſt'ger Duft in leichten Flocken ftäubend, Wie Küſſe von dem Mund der Braut, Und an der Wand die ranfenden Gedichte, Sich Löjend, athbmend in dem Morgenlichte,

Entjandten einen Jubellaut.

D Ton, der meiner Kindheit oft erflungen, Mit dem mich Beifter oft in Echlaf gejungen Im fonn’gen Thal und dunfeln Hain, Hier tönft du, lang verftummter, mir entgegen, Und jauchzend fällt mein Herz mit jchnellern Echlägen In deinen Jubel ein.

294

Umrant’ mich fefter, duftendes Gefträuch!

Wölbt über mir, ihr luft’gen Bogen, euch) Zu einer Halle jel’ger Träume!

Brich, friiher Wind, aus der Limonenſchlucht

Und fehüttle mir die Luft, die reife Frucht, Bom Wipfel der Orangenbäume!

Komm, Lebensfpender! Komm, erfehnter Dit! Den Becher fülle mir mit Freudenmoft Im Purpurquell der Morgenröthe, Und gieß den Frühling auf den Rofenftraud, Daß Knosp’ an Knospe ſich mit Balfamhaud Erfchließt beim Nachtigallgeflöte!

Ihr Genien diefer Zauberburg, erwacht! Das Haupt erhebt aus eurer Grabesnacht, Um eure Stirne Rofentränge! Aus Hallen und Gewölben fteigt hervor, Und ruft die jchöne alte Zeit empor, Daß fie erblüht in neuem Yenze!

Die Schäge hebt mir, die in goldnen Truhn,

Bon Geiſterhut bewacht, im Boden ruhn! Taucht in das Beden der Eifterne,

Und ſchöpft in Schalen von Kruftall den Quell

Des alten Glüds, der drinnen fluthet, heil Dom Schimmer unterivd’fcher Sterne!

Sie nahen, ja fie nahen, die ich rief;

Die Hoffnung, die an jenem Brunnen fehlief, Erhebt ſich mit dem Pilienftabe;

Auf ihren Wink erftehn in bunter Schaar

Tie Freuden mit dem Silberflügel-Paar Aus dem Yahrhundertsalten Grabe.

295

Und andre Geifter viel, ein luft'ger Schwarm, Nahn mir, es nahen Wünſche Arm in Arm Und Träume und Erinnerungen; Das Echo alter Stimmen wedt ihr Tritt, Sie bringen lang verfchollne Lieder mit, Die einft in diefem Saal geflungen.

Und Bilder feh’ ich, wie ich nie gefehn, Und Stimmen hör’ ich unfihtbarer Feen, Ein Raufhen tünt wie Ylügelfchlagen: Wo bin ih? Wird des Scloffes Wunderbau Hoch über Land und Meer durchs Aetherblau Von Geiſterhand dahingetragen?

Zum Himmel hebt es mich in mächt'gem Schwung, Tief unten ſinkt die Welt in Dämmerung, Ich athme frei von Erdenbanden, Im Glücke ſonn' ich mich, dem ew'gen Tag, Und höre nur von fern den Wellenſchlag Des Lebens aus der Tiefe branden.

4.

Was weckt ihr mich? Ich hör' ein leiſes Ach, Wie Todesſeufzer durch die Säle ſchallen,

Der Traum rauſcht ebbend hin durch das Gemach, Und öde ſtehn die königlichen Hallen.

Den Boden, welcher Perſiens Teppich trug, Durchhüpfen nun die ſchillernden Cicaden; Die Schwalbe ſchwingt mit ungewiſſem Flug Sich zwitſchernd durch die ſtürzenden Arkaden.

2%

O Zeit, da Lindaraja hier geträumt

Bei Bülbüls Flöten an dem Roſengitter, Da Muſa hier ſein Berberroß gezäumt Zum Kampf mit Manuel Leon, dem Ritter!

Das Waffenſpiel, der Laute ſanfter Schall, Die Pracht der Feſte und der Liebe Koſen, Das Alles ſchwand nur noch die Nachtigall Erzählt davon in Sommernacht den Roſen.

Gebrochen hat die Zeit den Talisman,

An den gebunden war das ſchöne Leben,

Der Dichter aber murmelt einen Bann,

Dei dem ſich aus der Gruft die Todten heben.

5.

Erlojchen ift der Stern von Jemen, Berftört die Welt, die er befchien, Nichts blieb zurüd als bleihe Schemen, Die nächtlich um die Trümmer ziehn.

Vergebens, daß ihr nad den Bolfe, Bor dem die Erde bebte, fragt;

Wie nach dem Sturm die legte Wolfe Berlaffen durch den Himmel jagt,

So, wo im fcheitelrechten Brande

Der Sonne alles Yeben dorrt,

Irrt e8 in Maghribs wehndem Sande Unftät dahin von Ort zu Drt.

297

Blickt hin, wo zitternd die Gazellen Den Schakal fliehn, der heiſer bellt! Heiß fchlägt die Wüſte ihre Wellen, Im Haud des Samums klappt das Zelt;

Gekauert auf die dürre Erde,

Gebräunt der Naden und der Arm,

Liegt um ihn her die magre Heerde Halbnadt der Beduinenſchwarm.

Nichts nennt er fein als das Geftrüippe Des kahlen Bodens, das ihn näbhrt, Für feine Schafe eine Krippe,

Den Stein für feinen Yeuerberd.

Ded ift der Geift den Wüſtenkindern, So mie die Erde um fie ber,

Es bat, um ihre Bein zu lindern, Ihr Auge feine Thränen mehr.

Einmal im Jahr nur, wenn die Horden Am Abend vor den Zelten ftehn

Und über fi zum fernen Norden

Die Kranichheere fliegen jehn:

Dann quillt von ihren Tippen leife

Ein Seufzer, ihre Thräne rinnt,

Der Jüngling finft ang Herz dem Greife, Die Mutter hebt empor das Kind:

Und ſchwermuthvoll in ftillem Harme Sehn fie dem fliehnden Zuge nad), Zum Himmel breiten fie die Arme, Bon Mund zu Munde fliegt ein Ach!

-- 2%

„Grüßt, Bögel rufen fie die jchöne Granada, unfrer Väter Glüd!

Nach ihr, der Mutter, ſchaun die Söhne Mit ſehnſuchtvollem Blick zurüd.

D einmal nur, den wir bejelfen,

Den theuren Boden wiederjehn,

Ihn küffen und mit Thränen näffen Dann möchten wir zu Grabe gehn.

Zum Eintritt ladet noch die Schwelle Des Haufes, dag ung einft gehört, Im Hofe raufcht die alte Quelle, Tas Feuer tniftert nod am Herd.

Tie Schlüffel zu der Eltern Thüren Bewahren wir mit treuer Hand;

Wer aber wird zurüd ung führen? Wer kennt und noch im Baterland ?

Weh! fehon in immer weitrer Ferne Sehn wir die Wandervögel fliehn;

Es dunfelt; laßt beim Schein der Sterne Uns meiter durch die Wüfte ziehn!“

Ö. Dft wenn mein Blid im legten Abendfchein Bon Thurme des Comares niedergleitet,

Und unten durch die fchlanfen Säulenreihn Bon Hof zu Hof der Schatten meiter fchreitet,

299

Dann füllt fih in dem Glanz des blaffen Yichts Der Myrtenſaal mit dämmernden Geftalten; Die Angel bebt am Thore des Gerichts,

Ein Raufchen hör’ ic) wie von Kaftan-Falten;

Und Lautenklänge tönen fanft gedämpft, Und alle fie, die Helden ew'ger Yieder, Die bier geliebt, gelitten und gekämpft, Durhmandern die Alhambra-Säle wieder.

Am Haremfenfter blinkt es filberweiß,

Im Winde wallen duftgemobne Schleier,

Beim Brunnen um den märdentund’gen Greis Reihn fich die Lauſchenden zur Abendfeier.

Und in der Vega fallt Drommetenton,

Im Lager feh’ ich Zelt au Zelt fich drängen, Und rothe Wachtfeur auf den Hügeln lohn

Und dur die Schluchten hin die Agas fprengen.

Tod wenn das Ave von dem Thurm erklingt, Geht leiſes Zittern durch die Säulengänge; Gleich einem LTichtftrahl, den die Nacht verjchlingt, Entflieht der Schattenbilder bunte Menge.

Stumn: wieder liegt die Vega, wie ein Grab, Die Geier kreifen um die Schloßaltane,

Und neben mir vom Dad ind Thal hinab Schwenkt ftill der Todesengel feine Fahne.

30

T.

Die Sonne finkt; mit dunkelrothen Wogen Wallt noch das Spätroth durdy die Fenfterbogen, Indeß ſchon Dämmrung auf der Vega ruht; Vergoldet glühn Granadas Tempelſpitzen, Und die Nevada wirft in Purpurblitzen

Ins Thal zurück die Abendgluth.

Dann bleicht der Glanz, ſo wie auf Wangen Bläſſe

Der Röthe folgt; der Schatten der Cypreſſe

Dehnt länger ſich, bis er in Nacht zerbricht;

Dur duft’ge Wölfchen, die am Himmel jchwimmen,

Dringt, wie ein Kiebesblid, mit janften Glimmen Des Abendfternes Silberlicht.

Schon jeh’ ich, wie die Fluren mälig dunfeln,

Bon unten hier und da ein Yämpchen funfeln,

Das vor dem Bild der Mutter Gottes brennt,

Und weiter, in den Häufern und Eapellen

Die Lichter zündend, ſich die Stadt erhellen, Wie tiber ihr das Firmament.

Zur Ruhe unter ihren Blüthenäften Etredt ſich Granada hin, indeß aus Weiten Sich tiefrer Schatten um die Erde fchlingt; Und fanft, wie fie entichläft beim Sternenglanze, Berklingt in ihre Träume die Romanze,

Die am Balfon der Ritter fingt.

30

8.

D Baubergarten, wunderbar erblühter, Der Erdenwüſte grünendfte Dafe,

Die Riswan ftet3, der Paradiejes-Hüter, Mit Thau benegt aus feiner Himmelsvafe,

Geh’ ich, o Bega, deine freudenhellen Glückſchweren Fluren fi vor mir verbreiten, Ein Meer des reichſten Segens, deſſen Wellen Im Silberliht der Morgenſonne gleiten,

Seh’ ich am Bergeshang die deutjche Eiche Sich mit der Palme ſchweſterlich umarmen, Als wollte hier, wie in dem Yabelreiche,

Der Norden an des Südens Bruft erwarmen,

Und hör’ ich dann von den beeisten Binnen Der Sierra durch die echoreihen Schluchten Die fchneegebornen Bäche niederrinnen,

Die dich mit ihrem ew’gen Than befruchten:

Tann glaub’ ich oft, o herrlichſtes der Thale, Du feift der legte Reſt der jungen Erde,

Die einft, fi fonnend in dem Morgenſtrahle, Dem Nichts enttauchte auf das große Werde.

So glänzte die Natur, ein reines Eden,

Bon faft’gem Grün und Frühroth übergoſſen, Als erft der Yebensftrom in Silberfäden

Der großen Himmelsurne kaum entfloffein.

BZerftört ift jene Welt; nur in Ruinen

Lebt noch von dem, maß einft fie war, die Gage, Du aber ftrahlft, vom goldnen Licht bejchienen, Noch heute wie am erjten Schöpfungstage.

302

Komm, Freundin meiner Seele, Zoraide! An jenen Brunnen wollen wir uns feßen! Geweiht durch Liebe und verflärt im Liede Iſt dieſer unter allen Ruheplätzen.

Die Quellen murmeln leiſe, wie im Traume, Aus Büſchen ſchallt der Nachtigallen Klage, Nachtlüfte lispeln im Citronenbaume

Gleich Geiſtern einer lang verklungnen Sage.

Das iſt die Stunde. Von den Bencerachen, Den wackern Rittern, ſollſt du mir erzählen, Wie für die Fürſtin ſie die Lanze brachen, Und wie ſie bluteten in dieſen Sälen.

So iſt es wahr, daß oft im Abendwehen Die Klagen der Ermordeten erſchallen, Und daß ſie eher nicht zur Ruhe gehen, Bis dieſes Schloſſes letzter Stein zerfallen?

Sprich von der Sultanin, wie ſie, verrathen,

An dieſem Gitterfenſter ſaß gefangen,

Und wie mit höherm Rothe die Granaten

Sich färbten von der Schamgluth ihrer Wangen!

Indeß du redeſt, blinkt mit goldnem Strahle Das Mondlicht durch die mauriſchen Arkaden, Und leiſe trägt der Nachtwind aus dem Thale An unſer Ohr den Klang der Serenaden.

303

10.

Abendliche Geifter wandeln

Durch das Laubwerk hin und wieder, Doch, beraufcht vom Duft der Mandeln, Sinken fie in Schlummer nieder.

Funkelnd, groß wie eine Sonne, Gießt der Wunderftern vom Süden, Gießt Canopus führe Wonne, Heißern Traumglanz auf die Müden.

Nun noch einmal, Nacht der Nächte, Bauberweib vom Morgenlande, Zeig noch einmal dich 'als ächte Sultanin im Prachtgewande!

Einmal noch im Purpurflore, Der um Thal und Hügel walle, Zieh herein durch diefe Thore Zu der alten Königshalle!

Feur'ge Meteore laſſe

Durch die Himmelswölbung ſchießen Und auf Gärten und Terraſſe Rothe Flammen niedergießen!

Bunte Wunderlampen hänge, Wie ſie Aladdin beſeſſen,

In die Lauben, in die Gänge, An die Zweige der Cypreſſen!

Wirf empor die Silberwellen

Aus den Alabaſterſchalen,

Daß ſie hell wie Naphthaquellen

Durch der Gärten Dämmrung ſtrahlen!

304

Auf den flüffigen Kryftallen,

Wie fie kreifend fich verfchlingen, Wie fie fteigen, wie fie fallen, Mag ein Lied des Oſtens Klingen!

Fa, du naht dich! Durch die Cedern Eäufelt wolluftvolles Flüftern, Plätfchernd in den Marmorbädern Regen fi die Wellen lüftern.

Heißer athmet3 in den Roſen, Heller leuchtet die Limone,

Wie ein Mond, im regungslofen Himmel ihrer Blätterfrone,

Und in allen Eorridoren

Mit der Köfchke goldnen Gittern Scheint das Zauberſchloß der Mohren Von geheimer Luſt zu zittern.

Ich indeß auf goldnem Polſter, Frei von Wünſchen und Bedürfen, Einmal will ih noch in vollfter Seligkeit das Dafein fchlürfen.

Faß die duft’gen Flocken ftieben, Die den Schlaf herniederthauen, Und im Traume mich die fieben Himmel des Propheten fchauen !

11.

Kommt, Perin und Dichinnen! Auf dem Mauerkranz

Der Alhambra-Zinnen

Liegt der Mondenglanz;

Unter Palmenäften

Schlinget hier im Weiten, Wie bei Bagdads Feiten, Euren Reihentanz!

Schwingt euch auf den fpigen Thurm des Boabdil!

Seht die Höfe blitzen

In der Wellen Spiel!

Ins Baſſin geſunken

Tanzen goldne Funken,

Und vom Lichte trunken Schimmert der Jenil.

Wie ein Glanz von Oſten Quillt es um den Stein, Und die Jaspispfoſten Mit den Marmorleun, Drum ſich bunt in Ringen Zauberſprüche ſchlingen, Strahlen und erklingen In dem Widerſchein.

Hört ihr der Drommeten Und der Zinken Schall? An den ſternbeſäten Decken überall, Schack, Be. Werte. 1. 20

306

An den Säulengängen, Wo in Taubgehängen

Sid die Blüthen drängen, Tönt der Widerhall.

In dem Schwefterfaale Schallt e8 wie Gejang; Aus der Weihrauchichale, Der er fi entſchwang, Walt der Tuft des Ambra Hin dur die Alhambra Und zur muntern Zambra Auft der Schellenflang.

Welch ein bunter Flimmer! Nah und näher tritt! Seidner Kleider Schimmer, Blanker Waffen Blig!

Die vom Schlaf Erwadhten Nahn in reihen Trachten, Strahlend von Smaragben, Ihrem alten Sie.

Agas mit der Fahne Gehn dem Zuge vor, Krumme Ataghane Schwingt ein jeder Mohr; Ritter, nicht zu zählen, Zegris und Gomelen, Fluthen zu den Sälen Durch dag Richterthor.

Tartſchen trägt ein Jeder, Blitzend wie Demant, Und die Reiherfeder

An des Turbans Rand;

8307

Alen die Gemänder Schmüden bunte Bänder, Theure Riebespfänder Von der Schönen Hand.

Sehet, das im Liede

Euer Liebling war,

Gazul und Zaide,

Das gepriefne Paar!

Sie an feiner Rechten! Schwarz gleich dunfeln Nächten: Mit gelösten Flechten

Wallt herab ihr Haar.

Wilder nun und bunter, Raufchenden Gewands, Aufwärts und hinunter Schlingen fie den Tanz Doch die Stunden rinnen Ohne Raft von binnen; Um des Schloſſes Zinnen Budt ein rother Glanz.

Wehe dir, Granada, Deine Pracht zerfällt, Wie fi) die Nevada Morgendlich erhellt! Gleich den Nebelrauchen In des Oſtens Hauchen Mußt du untertauchen, Schöne Zauberwelt!

308

Zneſilla.

Ineſilla, das fröhliche Kind,

Wiegt ſich im ſchlanken Geäſte,

Auf- und niedergeſchaukelt vom Wind, Gleich dem Vogel im Nefte.

Wie fie von Wipfel zu Wipfel klimmt, Wo in den Blätterfronen

Die Oranate, die purpurne, glimmt Neben den bleichen Limonen!

Wil ich ihr nahn, Schnell nimmt fie die Flucht Ueber die Aefte, die vollen,

Daß vor die Füße mir, Frucht an Frudt, Goldene Aepfel rollen.

D genug fohon! genug ſchon, Kind! Süßeres gieb mir zu nippen! Neifer, ala alle die Früchte, find Für den Kuß deine Yippen!

Doch aus dem Wipfel, dichtbelaubt,

Lacht mir die Kleine entgegen,

Schüttelt die Zweige, und über mein Haupt Fällt von Orangen ein Regen.

Durch das Geäft fort fpringt fie leis, Während die Früchte noch fallen; Sernhin über die Felder von Mais Hör’ ich ihr Pachen verhallen.

Hüte dih, Mädchen! Entgingft du mir aud Heut durch die Schritte, die raſchen,

Wie die Tibelle auf zitterndem Strauch Werd’ ich morgen dich hafchen!

309

Herenade.

Teile, um dich nicht zu meden, Rauſcht der Nachtwind, theure Frau, Teile in das Marmorbeden

Gießt der Brunnen feinen Than.

Wie das Waſſer, niedertropfend, Kreife neben Kreife zieht, Alfo zittert, leife Flopfend, Mir das Herz bei diefem Lied.

Schwingt euh, Töne meiner Zither, Schmwingt euch aufwärts, flügelleicht; Durch das vebumfränzte Gitter

In der Schönen Kammer fchleicht!

„ft denn, liebliche Dolores, Alfo fingt in ihren Traum In der Mufchel deines Ohres Für kein Perlenwörthen Raum’?

Den? der Laube, dicht vergittert, Wo, umrantt von Duftgefträud), Ihr in Seligfeit gezittert, Wie die Blätter über euch!

War der Play doch ftill und ficher Und fein Zeuge hat gelaufcht; Selten daß ein abendlicher

Bogel durch das Laub geraufdt.

O dem Freund noch eine Stunde, Wo dein Arm ihn fo umſchlingt

Und der Kuß von deinem Munde Feurig bis and Herz ihm dringt!

30

Haſt du ihn ſo ganz vergeſſen? Einfam harrt er am Balkon, Ueberm Wipfel der Cypreſſen Bleicht des Mondes Sichel fon.

Die das Wafler, niedertropfend, Kreife neben Kreife zieht, Alſo zittert, leiſe Mopfend, Ihm das Herz bei diefem Lied.“

Xus der Hierra Nevada.

Hinträgt und das Maulthier buntgezäumt Durch fonnenverbrannte Schluchten,

An Schlünden vorbei, wo die Meerfluth ſchäumt Tief unten um hallende Buchten,

Um Riff und Klippe und zadiges Cap

Auf ſchwindelnden Pfaden hinauf und hinab.

Bald Thäler, von Afrikas Gluthhauch heiß, Bergwände, vom Erbftoß geborften,

Bald Gipfel, ftarrend in ewigem Eis,

Wo einfam die Adler horften!

Bald Goldfruhthaine am Meeresfaum, Darunter wir träumen den Mittagstraum!

Wohl in der Nechten des Näubers bligt

Tas Meffer, bereit zum Morden,

Wohl ragt mand Kreuz, aus Holze geſchnitzt, An des Sturzbachs düfteren Borben,

Und um Race fir das vergoffene Blut

Halt noch ein Schrei auß der tofenden Fluth.

311

Doch vorwärts, Freunde! Einit, heimgekehrt, Uns drängend ums lodernde Feuer, Gedenken wir froh am traulichen Herd

Der beftandenen Abenteuer,

Und füßer, als je das Raſten war,

Mt dann das Gedächtniß erlebter Gefahr.

IH. Romanzen und Balladen.

Die Athener in Syrakus.

AIruhmorgens auf ſeinem Söller ſaß Klearch mit dem Sohne Gorgias,

Vor ihm, gedehnt an des Hügels Fuß, Das unermeßliche Syrakus

Mit Tempeln und Hallen und Thermen, Und drüber hinweg des Aetna Schnee Und das hochgezinnte Epipolä

Und der Häfen tobendes Lärmen.

„Du weißt, Sohn, was ich dem Ares verfprad), Als er die Macht der Athener zerbrach! s Ch Boreas noch, der eifige, tobt,

Muß ich, fo wie ich im Kampfe gelobt, Im Tempel dag Opfer ihm zünden.

Geh, ruf mir den Meifter des Baus herbei! Ob nun vollendet daS Prachtthor jet

Und der Giebel, fol er mir künden.

„Doc fieh! dort naht er. Du börteft, ich will Bor Winter den Tempel noch weihen, Thrafyl. Schon werden die Blätter herbſtlich welk,

Sag an denn: ruht bereit3 das Gebälk

313

Auf den marmornen Arditraven?

Wo nicht, fo brauche die Geißel zum Schlag Und zwinge zur Arbeit Nacht wie Tag

Die weichlichen Attifchen Sklaven!”

Thraſyll darauf: „Wenn, wie du verlangt, Noch in Vollendung der Bau nicht prangt, Bezähme, Gebieter, die Ungeduld!

Ein Chor des Euripides trägt die Schuld; Sobald die Athener ihn fingen,

Wird jeder der anderen Sklaven verlodt, Tem lange zu laufchen, die Arbeit ftodt, Nicht kann ich fie ferner erzwingen.“

Klearch vernimmts und erblaßt vor Wuth. „Mir, Vater, vertraue der Sklaven Hut, Ruft Gorgias da, ich fer ihr Vogt!

Eh minterlich ftürmend die See nod) wogt, Ten Tempel fie laſſ' ich vollenden!

Fand doch durch diefer Athener Speer

Mein Bruder den Tod, das büßen fie ſchwer, Wenn die Geißel mir zudt in den Händen!“

Ten Jüngling, der hoch von Zorngluth flammt, Entjendet Klearch zu dem neuen Amt.

Und Tage verftreihen; im langen Zug

Geht ſchon nah Süden der Kraniche Flug, Ter Herbit hat die Haine gelichtet;

Da folgt der Vater dem Sohn, und bald

Ragt vor ihm der Hügel voll Pinienwald,

Auf dem er den Tempel errichtet.

Taft glaubt er, dag ihn das Auge trügt;

Kaum find bis zum Dache die Quadern gefügt! Er fieht, und im Herzen ſchwillt ihm der Groll, Die Attifchen Sklaven trauervoll

314

In Reihen am Boden fitend,

Und neben ihnen, o Spott und Hohn, Verhüllten Gefichtes den eigenen Sohn, Das Haupt mit dem Arme ftügent.

Die Geißel erhob Klearch zum Schlag, Die hingefunfen am Boden lag:

„Was? Mitleid mit der verruchten Brut’? Auf, Hunde! Träg nicht länger geruht! Sonft fort in die Steinbruchgruben!“

Da rafften die Sklaven fid) mühſam empor, Begannen die Arbeit und fangen im Chor, Indeß fie die Duadern huben:

„Ihr, die uns erzogen, heimifche Aun,

Die mild des Ilyſſus Wellen bethaun,

Wo im fäufelnden Hauch Lind athmender Yuft Die Pinie raufht an der Feljenkluft

Und Bienen um Blüthen fummen!

Ihr Haine, wo ftet3 lau fächelnd der Weſt Die Purpurgranate reifen läßt

Und nie in dem grünenden dunklen Geäft Die Nachtigallen verftummen!

„Slüdfelige Flur des geliebten Athen,

So follen wir nie dich wiederjehn?

Nie fehn, wie die hehre Akropolis

Und Zempel und Hallen am ſchönen Kephiß Im Morgenglanze fich vöthen,

Indeffen, die Stirnen grün umzweigt,

Der Zug der Opfernden aufwärts fteigt

Und Luft und Himmel und Erde fchmeigt Beim Klange der heiligen Flöten ?“

Schon war dem Klearch, der horchend ftand, Die Geißel mälig entglitten der Hand,

315

Da fangen fie weiter: „So jollen wir nie Bei den Götterbildern der Akademie

Den Lehren der Weijen laufchen,

Und nie, geftredt auf die Marmorbanf, Mehr jchlürfen der Dichtung göttlichen Trank, Wo jprudelnde Quellen durch Epheugerant Aus der Grotte der Nymphen raufchen?

„Hier ſchmachten wir fern von Weib und Kind, Ach! ferne von Allen, die theuer ung find!

Die Geißel tönt und die Kette Mirrt,

Und wenn uns Janımer den Geift verwirrt, Uns zu tröften haben wir Keinen!

Berwehn wird unjeren Staub die Luft,

Und feine geliebte Hand auf die Gruft

Uns Kränze legen von füßem Duft,

Kein Auge über ihr weinen.“

Das Lied verhallte; fein Antlitz barg

Lang in des Gewandes Falten Klearch; Dann trat er hin in der Sklaven Kreis, Vom Auge quollen ihn Thränen heiß,

Haß war ihm und Grimm gefchwunden.

Er rief: „Kehrt heim in eur fehönes Athen, Und grüßt mir den Dichter beim Wiederjehn! In feinem Liede hab’ ich ein Wehn

Vom Hauche der Götter empfunden!“

Der Hufar von Auerſtädt.

Nach) dem Tage war ed von Auerftädt, Berloren die preußifche Ehre,

In alle Winde die Fahnen vermeht, Zerbrochen Waffen und Wehre;

316

Da lag bei Nacht in waldiger Schlucht Zu kurzer Raft nach ermattender Flucht Ein Trupp vom gefchlagenen Heere.

Beim erlojchenen Feuer am Boden fchlief

So Dfficier wie Gefreiter.

Nur Einer wachte, der feufzte tief,

Ein Major der Blücherfchen Reiter.

Er ſtarrte tief in das Dunkel hinein

Und knirſcht' in die Zähne: „Beim Ewigen, nein, Sch folge der Flucht nicht weiter!

„O daß mid) feine der Kugeln traf,

Und taujfende hört’ ich doch pfeifen!

Nun läg’ ih ruhig im ewigen Schlaf,

Statt ehrlos weiter zu ſchweifen,

Etatt lebend zu ſchauen in Scham und Wuth, Wie fränkische Schergen dur Schmah und Blut Mein Preußen zu Tode fchleifen.“

Ta wiehert fein Roß, er jchwingt ſich empor

Und fpornt e8 zu vafender Schnelle.

Eo führt ihn der Pfad an des Städtleind Thor Beim Dämmern der Morgenhelle;

Und dort vor dem Wirthshaus macht er Halt: „Schaff Haber dem Gaul! Bring’ Wein alsbald! Was zögerft du, träger Gejelle?“

Groß ftarrt ihm der Wirth entgegen: „Major, Mo ließt Ihr Augen und Ohren?

Ihr fpielt ums Leben. Das Lannes'ſche Corps Rückt eben herein zu den Thoren.“

Doch der Reiter ſchwingt ſich vom Sattel und ruft: „Wein her! In der graulichen Morgenluft

Iſt mir das Blut wie gefroren.

„Stoßt an! Auf beffere fommende Zeit!

Daß ein Geift fie, ein neuer, durchzlide,

Ein Geift, der vom Joch die Gemüther befreit, Bon Selbftfuht, Düntel und Tüde!"

Nun leert er das Glas, nun ſchenkt er es voll; Horh Trommelmwirbel, Kanonengeroll,

Dumpf dröhnmend über die Britde!

„Um Gott, Herr, wenn ich Euch rathen mag, liebt, flieht, ftatt länger zu zechen!* | Do Lauter ruft Jener: „Ein Hody dem Tag, Wo mir die Ketten zerbrechen,

Wo das mwürgende Schwert die Franzoſen frißt, Wo wälſche Hoffart und wälſche Liſt

Erftidt in blutigen Bächen!

„Und verfirömen wir Alle das Leben auch Aus Haffender Herzenswunde,

Wir jubeln froh mit dem legten Hauch Entgegen der rächenden Stunde;

Heil, Deutfchland, Heil! fteig’ auf verjüngt Aus dem Boden, mit unferm Blute gedüngt Und den Leichen der fränfifchen Hunde!“

„Da find fie!“ jammert der Wirth todblaß,

„O jpaltete gleich fich die Erde!"

Doch der Reiter fehleudert in Scherben das Glas Und fteigt Faltblütig zu Pferde;

Dann ruft er, die Doppelpiftolen gefpannt:

„Roh winkt dem Freien ein Vaterland,

Laß jehn, ob zu Theil e8 mir werde!”

Anrüden die Feinde mit Eingendem Spiel; Er fprengt auf dem fchnaubenden Thiere Der Front entgegen und wählt fein Ziel Und ftredt auf den Boden Piere.

318

Ta fnattert die Salve; von Dampf umflort, Stürzt Roß und Reiter zumal, durchbohrt Von den Kugeln der Füfiliere.

Hfeſichoros.

Die Tafel ſteht geſchmückt zum Mahle, Mit Laub iſt der Pokal bekränzt

Und funkelt zu dem Fackelſtrahle,

Der von den Wänden niederglänzt; Tod leer von Gäſten bleibt die Halle Des alternden Stefihoros,

Durch die fich einft bei Flötenſchalle Der Feſtgenoſſen Schwarm ergo.

Und trauernd fpricht der greife Sänger: „So bin ih wieder nun allein;

AS wär’ ich nicht der Ihre länger, Fliehn mich der Menfchen frohe Reihn; Nicht Einer blieb mir der Gefährten Zum feftlihen Sympofion,

Und mit den Frommen, die fie ehrten, Sind aud die Himmlifchen entflohn.

„O Wonne, wenn die Thyrſusſtäbe Wir jubelnd fchwangen himmelan, Und in das goldne Naß der Rebe Die Thräne der Begeiftrung rann; Wenn in den Arm ich dann die eier, Die heil’ge, nahm und mweihevoll

Der Hymnus zu der Götter Feier, Zum Pobe der Heroen fcholl!

319

„Tas Alles ſchwand; zurüdgeblieben Bin ic in einer fremden Welt; Was fie mißachtet, muß ich lieben Und haſſen das was ihr gefällt; Ten Alten faffen nicht die Jungen, Vergeben wars, daß ich geftrebt, Und meine Lieber find verklungen, ALS hätt’ ich nimmerdar gelebt.“

Er ſpricht es; auf des Seffels Lehne ‚ft trauervoll fein Haupt gefentt;

An feiner Wimper bebt die Thräne, Indeß er alter Zeiten denkt;

Da fieh, was fchimmert durch die Aefte Bor feiner Halle filberweiß?

Wer find die ungewohnten Gäjte? Wer naht dem meltverlaßnen Greis?

Ein Jüngling ifts im Fefttalare,

Ums Haupt den priefterlichen Kranz;

Tie Stirn ihm und die Lockenhaare Ummallt ein wunderbarer Glanz;

In Händen goldne Opferfchalen

Folgt ſchüchtern ihm ein Sungfraun-Chor; Taghell beginnt die Nacht zu ſtrahlen, Wie fie hereinziehn durch das Thor.

Der Jüngling fpridt: „Zur Tempelweihe Nach Enna führt uns unſer Amt;

Es dunkelt tief, drum, Freund, verleihe Uns Obdach bis der Morgen flammt! Nicht fremd uns biſt du; am Altare

Nur deine Lieder ſingen wir;

Für die Geſchlechter künft'ger Jahre Bewahren wir getreu ſie dir.”

320

Die Gäfte grüßte froh der Alte,

Sie nahmen Plag an jeinen Mahl;

Aus reich gefüllten Bechern wallte

Der Duft ambroſiſch durch den Saal;

Er aber goß die Opferfpende:

„Ihr Himmlifchen, nehmt dies zum Dant! Noch einmal nun wird vor dem Ende Das alte Herz mir froh beim Tranf.“

Horch! feftlich zu der Jungfraun Yiede Ertönt des Jünglings Yeierton,

Wie droben wohl, wenn der Kronide Dem Hymnus faufcht auf goldnem Thron Und neben ihm, der Hand entjunfen, Sein Donnerkfeil am Boden liegt,

Indeß fein Adler, [hlummertrunten, Beim Klang fih auf dem Scepter wiegt.

„Nimmft du vom Auge mir die Binde, O ſchöner Gott, der mich gepflegt

Und auf die Tippen ſchon dem Kinde

Der Dichtung Honigfeim gelegt?

Seid Ihr e8, deren Odem leife

Mich oft umfäufelt im Gedicht,

Ihr heil’gen Neun? zeigt Ihr dem Greife Eur hoch Olympiſch Angeſicht?“

Der Dichter ruft es; mächt'ger ſchlagen Die Wogen des Geſangs um ihn;

Doch Götterwonnen lang zu tragen

Iſt nicht dem Sterblichen verliehn; Mildſchattend auf die Augen nieder Senkt ſich ihm Schlummerwolken-Nacht; Gemach verhallt der Klang der Lieder, Doch nimmer iſt er mehr erwacht.

321

91. Amarus.

Wer bift du, wunderbarer Greis? Es regt Sich raftlos, wie da8 Laub, vom Wind bewegt, Im Sturme des Gedankens deine Yippe!

Tu ſcheinſt fein Sterblicher von unjrer Art; Bon Kinn zur Erde fließt dein weißer Bart, So wie der Bergftrom von bemooster Kippe.

Bon Runzeln ift die Stirn dir tief gefurcht,

Auf deinem Antlig ſcheint ich ſeh's mit Furcht Der Schatte von Jahrtauſenden zu liegen;

Die greife Erde dünkt mich minder alt;

Wie MWetterleuchten durch Gewölke, wallt

Ein ruhelofer Geift in deinen Zügen.

Bilt Einer du denn alte Kunden gehn,

Man habe folche hier und da gefehn

Bon Genen, die fchon vor der Sündfluth waren? Bift von den Brüdern du aus Ephefus,

Tie in der Höhle felſigem Verſchluß

Den Schlaf verträumt von fiebenhundert Jahren‘?

* * *

„Du fragſt, o Fremdling, und mein Mund bekennt! Von dem, was ihr auf Erden Jahre nennt,

Sah ich kaum dreißig mir vorüberſchweben,

Doch wenn du jenen düſtern Abgrund meinſt,

In dem das Jetzt verſchwindet und das Einſt,

So lebt' ich hundert Menſchenleben.

„Was, blöde Thoren, redet ihr von Zeit, Von Zukunft was und von Vergangenheit? Schack, Geſ. Werke 1. 21

392

Ich jah das Eine, Em’ge, Riefengroße!

In ihm verwehn Jahrtaufende wie Rauch, Und wieder trägt ein Augenblid, ein Hauch, Die ganze Ewigfeit im Schooße.

„Roviz im Klofter ward ich vor nicht lang;

Sch ftrebte brünftig und mit heißem Drang Nach jenem Glauben, den wir haben follen; Dod oft von Zweifeln ward mein Geift verfucht Und irrte, wie ein Strom in finftrer Schlucht, Im Labyrinth des Wunderpollen.

„Einft beteten die Mönche Nachts im Chor,

Ich fniete beim Altare; an mein Ohr

Schlug ihr Geſang fo wie mit Geifterfchwinge; Es war der Pjalm, der von der Ewigkeit

Und ihren Wundern fpriht wie vor der Zeit Sie war, und wie fie alle Zeit verjchlinge.

„Dies Unermeßliche, dies ew'ge Eins

So dacht' ich und die Tiefe meines Seins Erzitterte den mogenden Gedanken

Es kann nicht fein, ein Thor, wer folches glaubt! Der Zweifel lag wie Nacht auf meinem Haupt, Und unter mir den Boden fühlt’ ich wanfen.

„Da ſcholl die Glode Eins herab vom Thurm,

Es brauste durch die Wölbung wie ein Sturm, Und einen Engel fah ich niederfteigen;

Bom Glanz, der ihm entfloß, ward ich wie blind: ‚Du zweifelft ſprach er komm denn, Erdenkind, Und was noch Keiner ſah, will ich dir zeigen!"

„Sch bebte fcheu zurüd, doch wunderſam, Als in die Hand er meine Rechte nahnı,

33

Ward ich vom Wirbelmind hinmweggeriffen ;

Das Kloſter ſchwand, die Erde ſchwand zurüd, Nur Schwach noch glomm fie meinem zagen Blid, Ein Lämpchen, aus den Aetherfinſterniſſen.

„Und wie mich, fehneller als Gedantenflug, Der Gottesbote durch den Himmel trug, Sah ich fi die Unendlichkeit verbreiten, Sah Firmament gereiht an Firmament, Und jene Tichter, die ihr Sterne nennt, So groß wie Welten mir vorübergleiten.

„Es flatterte das ungeheure AU

An mir vorbei mit Sonnenball an Ball

Und goß fo tanzen auf des Stromes Wogen, Der in den Abgrund rollt, die Perlen Schaum Hinunter in den Schlund des ew’gen Raums

Die Sternennebel und die Himmelsbogen.

„Was, wenn zu Trümmern längft die Erde ward, Erft nah Jahrtauſenden des Daſeins harrt,

Trat vor mich fremd und unverjtanden,

Indeß der Urzeit Riefen wunderbar

Mit der verfchollnen Welt, die fie gebar,

Sich dem äonenalten Grab entwanden.

„D Ewigkeit! nur ftammelnd fpricht mein Mund Bon deinen Wundern! Keiner thut fie fund, Selbit die Erlesnen nicht und die Propheten! Im Staube und verhüllt bet’ ich dich an,

Und was die Zunge ferner jagen Tann Berftumme auf der Lippe zu Gebeten!

„Du aber wiſſe, Freund, und dann genug! Ertragen hab' ih, was kein Geift ertrug,

324

Nicht Ahasver noch die Sibylle;

Der Schöpfung erftes Aufblühn und Bergehn, Tas ungeborne Einft hab’ ich geſehn

Und in dem Jet der Zeiten ganze Fülle.

„Und ala ich) Miyriaden fo gejchaut

Bon Menfchenaltern, nein, mir fehlt der Yaut Für das, was jener Augenblid verſchlungen Da niet’ ih am Altare wie zuvor,

Noch fchlug der Pjaln der Mönche an mein Ohr, Rod war der Schlag der Glode nicht verklungen.

„gernichtet ſank ich nieder, lauten Schrei; Die Brüder nahten fi: „wer ift der Grei3? Für feine Ruhe betet aus dem Pfalter!

Wohl Hundert Winter bleichten ihm das Haar!“ Ste ahnten nicht, daß der Noviz ich war

Und fo im Nu verwelft zum Greifenalter.”

Solombo.

„So ganz verwandelt du, der beim Orkan Sonft tollfühn in die Meerfluth ſtach

Und mit dem Kiel, daß wir es zitternd fahn, Die Wogenſchäume lachend brach?

„Sag’ an, warum du einfam träumft und finnft, Dem Freunde jags, Chriftoforo!

Tie Sorge [heudh, das eitle Hirngefpinnft! Sei neu mit uns beim Ballfpiel froh!“

Umfonft! Wie viel von Fragen auch beſtürmt, Ter Jüngling bricht das Schweigen nidt:

Er brütet, Schriften vor ſich aufgethürmt, Vom Morgen bis zum Abendlicht.

325

Und Monde ſchwinden; mit dem Freunde da Eiuſt ruht er Nachts beim Fluthgeroll Am Seegeſtad der ſtolzen Genua Und ſpricht zu ihm geheimnißvoll:

„Vernimm! Im leichten Nachen, fern dem Strand, Warf mich der Nordſturm jüngſt umher; Ringsum kein Ufer; nur mit jähem Rand Stieg eine Klippe aus dem Meer.

„Dort ſtand im Nebel, den wie ein Gewand Der Nachtwind auf und nieder blies,

Ein Rieſenbild von Marmor, deſſen Hand, Weit ausgeſtreckt, nach Weiten wies.“

Götterſturz.

In den Säulengängen auf den Foren

Ringt das Volk die Hände ſchreckensbang:

„Chriſtus! ſcheuch die Gothen von den Thoren! Rette Rom vom Untergang!“

Doch Etruriens weile Männer treten

Bor den Stadtgebieter Pompejan:

„Der Gekreuzigte, zu dem fie beten, Sollte helfen? Eitler Wahn!

„Folg' uns! auf der fieben Hügel Spitze

Laß die alten Götter-Opfer lohn,

Und befchwören wollen wir die Blige, Die der Stadt Verderben drohn!“

326

„Ja ruft Jener die ihr mich erzogen,

Macht, Olympier, habt ihr allein!

Ein Jahrtaufend wart ihr ung gewogen, Bieht in Rom denn wieder ein!“

Sieh! und zu des Jupiter Altären,

Des Apoll, erſchließt fih neu das Thor;

Leuchtend heben aus dem Schutt die hehren Marmorbilder fich empor.

Und bei Hymnenſang bekränzter Beter,

Bei der Lydierflöten fanften Hauch

Wirbelt wieder in den dunfeln Aether Hetatomben-Opferraud).

Und das Volk in weißer Feſtgewandung

Fluthet zu des Donnrers Säulenhaus

Plöglih horch! was hallt wie Wogenbrandung ? Auf dem Forum welch Gebraus?

Näher nun fie find es, die Barbaren;

Würgend, ein verheerender Orkan,

Wälzen Alarichs entmentfchte Schaaren Sich zum Capitol heran.

Zwifchen Flammenziſchen, Horngejchmetter

Tönen Jammerrufe durch die Nacht:

Flieht! geftorben find die alten Götter Und die neuen ohne Macht.

Wer fol nun die Himmelsfäulen tragen?

Weh! fie ſtürzen! Rom, die ew’ge, fällt,

Mit den Trümmern finfen wir erichlagen In das Riefengrab der Welt!

327

Untonio de Leypa.

Rings von Pavias Mauerfranz Gewahrt man bligend Speer an Speer, Ein Jahr umzingelt König Franz

Die Wälle ſchon mit feinem Heer; Schon wüthen Pet und Hunger drinnen Und Keiner ift, der Hülfe bringt;

Doc, ob der Feind auch näher dringt, Es wanken nicht die Feſtung-Zinnen, So lang für Karl, dem er vereidigt, Antonio Leyva ſie vertheidigt.

Da ſendet Franz mit wälſcher Liſt Verkappte Späher in das Thor;

Durch Trug, wie er am feinſten iſt, Bethören fie der Mannſchaft Ohr;

Auf Markt und Baffen, Wal und Thürmen Schleicht durch das Heer der Teufel Gold, Dis Aufruhr in Pavia grollt

Und Meutrer zu Antonio ftürmen:

„Was, Feldherr, hilft das Widerftreben ? Die Feftung müßt Ihr übergeben!“

Drauf Leyva: „Weicht aus diefem Saal! Eur Hauptmann einzig bleibe hier

Und meld’ euch dann mas ich befahl! Nochmals hinweg! was zögert ihr?“

Der Hauptmann winkt und, zu vollflihren Was er gebeut, gehn Jene ftumm; Antonio aber ſchließt ringsum

Des Saales fefte Eifenthüren

Und donnert in des Hauptmanng Ohren: „Zieh, Schurke, zieh! du bift verloren!

328 —-

„Versäther nenn’ ich dich an Gott

Und an des Kaiſers Meajeftät;

Um Gold, von Franken ausgefät,

Treibft du mit Ehr’ und Treue Spott;

Zieh, zieh! kein Weg zur Flucht ift offen!“

Auf den Betroffnen ftürzt er log,

- Hieb folgt auf Hieb und Stoß auf Stoß; „Weh! ruft der Hauptmann weh! getroffen!“ Zu Boden taumelt der Bethörte,

Durchbohrt von Don Antoniog Schwerte.

Indeſſen tönt von unten fchon

Der Soldateska wüft Gefchrei,

Es wähst und jhwillt die Meuterei; Den Hauptmann fordern fie und drohn Mit Yanzen und entflammten unten; Antonio aber tritt gefaßt

Auf den Balkon vor den Palaft

Und ſchleudert ind Gewühl nah unten Den kaum erblaßten Todten nieder: „Ihr fordert ihn, da habt ihn wieder!“

Und mild ertönt das NRachefchrein Der Kriegerhaufen; voll von Wuth Berlangen fie des Feldherrn Blut; Doc feften Schritts in ihre Reihn Steigt er hinunter: „Hört, ihr Alle, Daß Diefen für Verrath und Trug Ich in gerechtem Kampf erichlug! Die Leiche werft hinab vom Walle, Damit wir König Franz belehren, Wie feine Söldlinge wir ehren!

329

„Ihr bebt vor Belt und Hungersnoth Ind fagt dafür der Ehre ab;

Seht hier es ift mein letztes Brod, Ich werf' es in den Strom hinab; Und wollt ihr noch von Schande reden Und Uebergabe nun wohlan!

Euch Alle will ih Mann für Manı Im Kampf beftehn und werde Jeden, Sobald er fiel von meinen Händen, ALS Leiche den Franzoſen ſenden.“

Ein Murmeln ging, als ſo er ſprach, Ein Staunen durch der Krieger Reihn: Nicht Einer wollte ſo mit Schmach Befleckt vor ſeinem Feldherrn ſein; Verzeihung ſich erflehend, traten

Sie um ihn her und ſchwuren neu, Zum letzten Athemzuge treu

Sein werth zu fein durch Heldenthaten, Und König Franz verließ in Schnelle, Da ers vernahm, Pavias Wälle.

Himilkon.

Wehruf tönt durch Karthago hin,

Von Trauer voll ſind Markt und Hallen; Des Meeres ſtolze Königin

Hat tiefes Mißgeſchick befallen;

Die Flotte, groß, wie keine je

Die Anker noch zuvor gelichtet,

Das Heer, erprobt zu Land und See, Ward ihr mit einem Schlag vernichtet.

330°

Und er, der kühn und ftolz und jung

Durch des Tyrrhenermeeres Wogen,

Gleichwie zur Welteroberung,

ALS Feldherr mit dem Heer gezogen, » Steht nun verklagt im Tempel Baal3;

Bor ihm auf fchwarzbehängten Stufen

Die Aelteſten des Tribunals,

Das vor die Schranfen ihn gerufen.

Sp zu den finftern Greifen ſpricht

Himilfon da mit fefter Stimme:

„Kühn ſeh' ich euch ind Angeficht

Und bebe nicht vor eurem Grimme.

Mas nur vermag des Menſchen Macht

Hab’ ich vollführt mit meinen Heere,

Und Größres viel hätt’ ich vollbracht, - Wenn nicht der Neid der Götter wäre.

„Siciliend Volk, noch ſchreckenblaß,

Mag Zeugniß geben meiner Thaten;

Zu Trümmern ſank am Akragas

Die Rieſenſtadt, als wir uns nahten; Kein Haus, das nicht zufanımenbrad), Kein Tempel, den wir nicht verbrannten; Staub ward des Donnrers hehres Dad), Und die es trugen, die Giganten.

„Vom Rauche der Zerftörung qualmt Auf ödem Hügel noch Segefte,

Die Steine felbft hab’ ich zermalmt Bon Gelas einjt berühmter Veſte, Hinabgefchaufelt in dag Meer

Den Berg, der Himera getragen; Kaum weiß der Hirt am Ufer mehr, Wo es geftanden hat, zu fagen.

3

„Wie Wetterfturm aus Afrika,

Der wolfenfchwer die Welt umnadhtet, Zog weiter meine Flotte da,

Mit Wirbelwind des Kriegs befraditet; Die Völker harrten ſtumm und bang, Auf wen fie fich entladen werde Tod) jäh traf ung der Untergang, Und neu aufathmete die Erde.

„Denn graufig aus dem Abgrund ftieg Die Peft empor, ung zu verderben; Mann jah an Dann ich welt und fied) Vom Giftqualm ihres Odems fterben; Wer nicht gefallen Morgens ſchon,

Am Abend mußte der erbleichen,

Mich aber ließ ſie, wie zum Hohn, Am Leben unter all den Leichen.

„So rief die düſtre Macht mir Halt, Mit der umſonſt die Menſchen ringen! Hätt' ichs vermocht, die Allgewalt Der Welttyrannen zu bezwingen,

Zu Füßen läg' euch alles Land

Bon Thule bis nad) Taprobane,

Ya felbit an der Atlantis Strand Hätt’ ich gepflanzt Karthagos Fahne.

„Sie aber Mag’ ich an, ja fie,

Die Großes nicht den Menſchen gönnen, Die Sötter, deren Neid ung nie Erlaubt, zu zeigen, was wir fünnen; Und nochmals und zum drittenmal Klag’ ich fie an der feigen Tücke,

Sie ruft vor euer Tribunal!

Ich unterlag nur dem Geſchicke.

332

„Und wähnt mich nicht verwirrt an Geift, MWeil ihnen ich zu trogen wage!

Selbſt geh’ ih nun und fchleudre dreijt Ins Antlıg ihnen meine Klage.“

Niefs und durchbohrte fich das Herz; Die Richter ſahn entjett den Todten, Wie nod) gebrochen himmelwärts

Den Göttern feine Blide drohten.

Die Königstodter.

„Was brüteft und träumft du, junger Fant? Heut gilt e8 kein Lied zur Zither;

Yinf3 weichen die Unfern; dort halte Stand, Und felbft dich ſchlag' ich zum Ritter!“

Erröthend ftürmte der Edelknecht

Beim Worte des Königs von dannen; In die dichteften Reihn der Feinde hinein Bon nenem riß er die Mannen.

Hoch flammte fein Schwert; zu Boden fant Ein Feind bei jedem der Streiche;

Beim finkenden Tag am Boden lag

Ter Jüngling felber ala Leiche.

Gemwonnen der Sieg! Zur Hauptitadt Fehrt Der König mit feinen Bafallen;

Doch traurige Mär bei der Wiederkehr Yiest er in den Bliden von Allen.

Er findet die Tochter todtenbleid)

Aufs Purpurkiffen gebettet.

„Auf! jendet Boten! mein halbes Reich Den, der vom Tode fie rettet!“

333

Nicht Einer, fo viele der Aerzte find,

Weiß was ihr fehle zu fagen.

Bang forſcht der Vater: was ift dir, Kind? Stumm bleibt fie bei allen Fragen.

„Und zehrt am Herzen dir Yiebesqual,

O Tochter, hör’ mich geloben:

Wen inımer du mwählft, er fei dein Gemahl!“ Sie fohaut, wie jammernd, nach oben.

Der König wacht an der Yagerftatt, Bis blaß aufdämmert der Morgen; Da hebt mit der Rechten die Kranke ein Blatt, Das fie auf dem Bufen verborgen,

Und füßt e3 lange, und feufzt fo tief, Als fühlte das Herz ſie zeripringen: „zebwohl! Das ijt fein legter Brief; Ich will ihm die Antwort bringen.”

Hormannen-Dermähfniß.

Der König winkt e3 reihen im Kreis

Die Knechte ſich ehrfurchtsvoll;

Sie tragen hinweg auf der Sänfte den Greis,

Den Strand ihn entlang, wo um Klippen von Eis Erdröhnt der Wogen Geroll.

Ihm folgte von hundert Roſſen ein Zug, Der Krone, Scepter und Thron

Und die Schätze, die er erbeutet, trug; Beim Vater ging und zur Erde fchlug Bol Trauer die Augen der Sohn.

Und als fie kamen zum tofenden Fjord, Wo geankert dag Heerſchiff lag

Und die Wellen hoch aufpeitjchte der Nord, Neu winkte der König: „Das ift der Ort, Und heute ift e8 der Tag.

„Alt ward ich, die Sehnen find mir erfchlafft, Der Knochen Mark ift verdorrt;

Nicht kann ich mehr fchaffen wie ſonſt ich gefchafft, Nicht bligt, gefchleudert mit alter Kraft,

Mein Beil in der Schladht hinfort.

„Und ſollt' ich nun, ftatt zu fchlürfen den Hauch Der eifigen Meeresluft,

Im dumpfen Gemach erftiden am Rauch?

Auf dem Holzftoß Lieber nad) Nordmannsbraud Erwähl' ich die lodernde Gruft.

„Diit mir verzehre die Ylammengluth

AU meine Habe zugleich!

Mein Rolf, nicht laſſ' ich dir Thron noch Gut, Dir nur meinen Ruhm und die fehäumende Fluth; Sie fei dein Königreich!

„Nichts Fruchtet dem Sohn ein Schag, am Herd Bon Bater und Ahnen ererbt;

Für den Thron nur, den er erfämpft mit dem Schwert, Nur für den PBurpur wird er geehrt,

Den in Yeindesblut er gefärbt.

„Dein Weich ift weit, ift weit wie die Welt;

Schau bin! was wählft du, mein Rolf?

Das Klippengeftad’, wo das Kriegshorn gellt

Und der Nordfchein flammend die Wogen erhellt? | Im Süden den blauenden Golf?

„Dort leuchten goldene Früchte am Strand Und Schlöffer aus Gärten hervor;

Nur gewagt! und der lieblihen Herrin Hand, Du wirft fie gewinnen mit Schloß und Land, Wenn du jchreiteft als Sieger durch Thor.

„Einst ftritt auch ich dort im Kampfgewühl,

Mir trieften die Toden von Blut,

Doch die Nacht dann hab’ ich auf duftendem Pfühl Im Myrtenhaine bei Saitenfpiel

An weichem Buſen geruht.

„Genug, genug! fo lange das her!

Laß lichten die Anker, mein Sohn!

Dir winkt das Leben auf braufenden Meer,

Und mir wer jagt, das Sterben fei jhwer? Laßt, Knechte, den Holzftoß lohn!“

Der König ruft e8; zu lodern beginnt

Der mächtige Scheiterftoß;

Er ftürzt in die Flammen: leb wohl, mein Kind! Und Rolf, die Segel breitend im Wind,

Schifft fort durch das Wellengetos.

Die Vythia.

Bon des Mummius loher Fadel war zu Staub Korinth

geworden Und der Freiheit altes Bollwerk lag geftürzt durch Römerhorden, Aber noch befämpften Hellas’ Stämme ſich in ew'gem Hadern,

Tränkten noch den Mutterboden mit dem Blut der eignen Adern.

336

Und im Tempel Delphis ftanden die Gejandten der Entzweiten,

Um Apollos Spruch zu hören, eh ſie ihren Kampf erneuten; |

Auf dem Dreifuß ruht die Pythia, vor dem Gott dahingefunfen,

Und ihr Haupt erhebt fi mälig, von den Geift der Zukunft trunfen.

Da ertönen Donnerfchläge, daß die Tempelmauern zittern,

Lodernd zudt ein Blisftrahl nieder, ſchlägt das Säulen- dad zu Splittern,

Und die Seherin, verzmeifelnd, ftürzt vom Site: „Web, Hellenen!

Unter euch wie einen Abgrund feh’ ich die Vernichtung gähnen.

„Ale, die ihr euch befehdet im jahrhundertlangen Rampfe, Hör’ ih untergehend ächzen in demjelben Todes— franıpfe; Aus der Erde felbft erjchallen dumpf ang Ohr mir Klagetöne, Gleich dem Jammerruf der Mutter an den Leichen ihrer Söhne.

„Zahllos wie die Wogen, wenn den Iſthmus ftürmen beide Meere,

Wälzen durch die Bergesfchluchten fich heran die Scythen⸗ heere;

Und ihr Athem iſt Zerſtörung: auf dem Lauf, dem ſturmgetragnen,

Leuchten ihnen loh'nde Städte über Haufen der Er⸗ ſchlagnen.

337°

„Raubgevögel, leichenwitternd, folgt den: Zuge der Bar- baren,

An der Roffe Schweife binden fie die Jungfrau mit den Haaren,

An das Haus Kronions felber legen fie verruchte Hände,

Schleudern auf das Haus des Gottes lachend ihre Feuerbrände.

„Haltet ein, Vermeßne, ſeht ihr nicht den Donnrer auf den Binnen

Mit dem Blieftrahl in der Rechten, dem die Frevler nicht entrinnen ?

Nein umfonft! die Götter ftarben und der Tempel ſinkt zu Trünmern,

Nur zermalmte Marmorbilder Hör’ ich aus dem Schutte wimmern.

„Nicht ein Stein bleibt auf dem Steine; hingejchmettert von den Keulen Stürzen auf die legten Griechen ihrer legten Tempel

Säulen,

Und aus Rennbahn und Theater mit verlöfchendem Geflader

Wirft die Flamme blaffen Schimmer auf den großen Todtenader.

„Stolzes Bolt, einft Weltgebieter, dich mit allen deinen Stämmen

Wird die Sturmfluth der Vernichtung weg vom Erden- boden ſchwemmen,

Selbft dein Name wird verfchwinden, nur auf Gräbern wird man lejen,

Und in deiner Geifter Werten, daß ein Hellas je ges wefen !“

Shad, Gel. Werke. 1. 22

338

So die Pythia; zu dem Gotte, dem geftürzten, finft fie nieder;

Wehe! hallts von hundert Lippen, weh! aus Delphis Grotten wider,

Während jchon des Pindus Schluchten von der Wilden Tanzen ftarren,

Und der Scythenroffe Hufe an dem Thor von Hellas ſcharren.

Das Wahrrecht.

„Nun geht, Graf Otto! Zum drittenmal Erduldetet Ihr die Folterqual

Und habt ſie, wie Keiner, beſtanden.

Wohlan denn! reinigt Euch ganz vom Verdacht, Als hättet den Ohm Ihr umgebracht

Aus Gier nah Schägen und Landen!

Drei Stunden barret mit feiten Muth

Allein an der Bahre, darauf er ruht; Entquillt den Wunden alddann kein Blut,

So löjen wir Euch aus den Banden.“

Drauf Otto: „Sch fcheue die Probe nicht; Kommt, daß ich Allen wie Sonnenlicht

So klar meine Unfchuld mache!“

Er fpridts; ihn führen die Schöffen den Gang Zur Todtenkammer fehweigend entlang,

Dur die Thür einläßt ihn die Wache.

Davor wird wieder gewälzt der Stein,

Und der Graf bei flimmerndem Rampenfchein Bleibt mit des Herzogs Leiche allein

Im ſchwarzbehängten Gemache.

339

Da liegt der Greis, der einft ihn erzog

Und mild des verwaisten Knappen pflog,

Da liegt er vor ihm auf der Bahre,

Sein Antlig, drauf einft Liebe wie Haß

So mädtig geflammt, nun welt und blaß, Umfloffen vom weißen Haare.

Graf Dtto fteht in Sinnen verjentt;

Nicht mehr, wie jchwer ihn der Todte gekränkt, Als er fein Kind ihm verfagt, nun denft

Er nur an die glüdlichen Jahre;

Denkt, wie er zuerft mit Schwert und Schild Zur Seite de8 Ohms aufs Schlachtgefilo Sefprengt durch das Waffengeblite;

Und wie, als er felber im Kampfe verzagt, Sein eigenes Leben der Herzog gewagt,

Damit er den Knappen beſchütze.

Er denkt e8; ihm dedt die Augen ein Flor, Blut, glaubt er, quill’ aus den Wunden hervor, Das, Gottes Rache heifchend, empor

Zur Wölbung der Kammer fprige.

Noch fteht in ftummem Starren der Graf, Da ift ihm, als ſäh' er vom Todesſchlaf Den Greis fi) langfam erheben,

Als ſchlag' er die Augenlider zurüd

Und ſchau' ihn an mit dem alten Blick, Nur finfterer als im Leben.

Graf Otto taumelt zurüd mit Graun,

Er wankt, doch kann er hinweg nicht fehaun, Kalt auf die Stirne fühlt er e8 thaun

Und den Boden unter fich beben.

An der Bahre liegt er dahingeftredt, AS Stimmenruf aus dein Starren ihn wedt;

340

Schon ſind verronnen die Stunden.

Die Richter treten in das Gemach

Und forſchen nach Sitte des Bahrrechts nach, Ob Blut entquollen den Wunden.

Sie rufen: „Glückauf! kein Tropfe floß! Glückauf, Graf Otto, befteigt Eur Roß,

In Frieden kehrt heim nah Windechkſchloß! Unſchuldig ſeid Ihr befunden.“

Wohl hört der Verklagte der Richter Wort, Stumm aber liegt er fort und fort

Zu des ſchweigenden Klägers Füßen; Glückwünſchend ſtrömen die Diener herbei: „Was zögert Ihr, Herr? Ihr feid nun frei!“ Doch achtet er nicht ihr Grüßen.

Auf fpringt er und ruft, aus dem Brüten erwacht: „Ich habe den Oheim umgebracht

Und heifche dag Eine, noch diefe Nacht Die Strafe des Mordes zu büßen.“

Metella.

Siehft du das Weib im Kleid der Trauer, Das Tag für Tag feit Jahresdauer Durh Rom dahinwankt hauptverhüllt, Und feine Hügel al’, die fieben,

Raſtlos vom Schmerz umbergetrieben, Mit lauter Wehellage füllt?

Schon frühe mußte fie den Gatten In feiner Väter Gruft beitatten; Die Kunde ward ihr dann gebradit, Daß er, den fie geliebt vor Allen, Ihr Sohn, ihr Lentulus, gefallen In Cannäs mörderifher Schlacht.

341

Und al3 ihr kam der Trauerbote, Da, felber bleich wie eine Todte, Nief fie am Herd die Götter an: „xaßt mich, ihr Lenker der Geſchicke, Allein auf Erden nicht zurüde! Erlöst mich von des Lebens Bann!“

Zwölf Monde find feitdem gefchwunden, Sie hat den Tod zu allen Stunden Als einz’gen Netter fich erfleht;

Sie trat durch jede Tempelpforte

Und ftammelte diefelben Worte,

Doch unerhört blieb ihr Gebet.

Und, Aſche auf das Haupt fich ftreuend, Irrt fie, den Wehruf ſtets erneuend, Vom Quirinal zum Balatin:

„Das Einz'ge war er, was ich hatte, Mehr noch, als da mir ftarb der Gatte, Verwittwet bin ich nun durch ihn.

„Wen fol ic) an die Bruft nun preſſen? Auf weflen Lippen, ad), auf weſſen Drüd’ ih den warmen Mutterkuß ?

Wer wird mich jegt im Alter ftügen, Mer plaudernd mir zur Seite figen, Geitdem dahın mein Yentulus?

„Ad, hold und ſchön, mit achtzehn Jahren Durch Schwerter blutiger Barbaren

Fiel er dem grimmen Mars zum Raub, Und fern dem Sig der hohen Ahnen Umfchweifen ruhlos nun die Manen

Des Yünglings windverwehten Staub.

312

„Mich aber hält, daß von der Erde

Ich nicht hinweggenommen werde,

Der ftrengen Götter Machtgebot;

Nichts rettet mich vom Leid, dem berben; In Fammer muß ich ewig fterben

Und ewig flieht mich doch der Tod!”

So Hagt fie laut, da plöglich fchreitet, Bom Fubelruf des Volks begleitet,

Im Erzgewand mit hurt'gem Fuß

Ein junger Krieger durchs Gedränge; „Sieh da! fo ruft es aus der Menge Metella, fieh! dein Lentulus!“

Und ſprachlos, ohne fich zu regen, Starrt fie dem Kommenden entgegen, An ihren Bufen finft der Sohn,

„DO Mutter, Mutter! lang im Yager Hielt mich gefangen der Karthager; Den Göttern Dant, ich bin entflohn!“

Doch fie bleibt ftumm, umflammert hält fie Den Theuern, dann zu Boden fällt fie, Und dur die Menge raunt e8 ſacht: „Für immer hat fie ausgerungen!

Was nicht dem langen Gram gelungen, Das hat die Freude fehnell vollbracht.“

Ragnars Vor.

Geſchlagen ift die blutige Schlacht, Zu Fall hat Ragnar die Feinde gebradt

43

Und errungen ein Königreich.

Des Wegs nun zieht er zur Krönungsftadt, Um ihn, vom Kampfe des Tages matt, Die Seinen blutend und bleich.

Stolz wallen die Banner im Abendichein, Doch bang binflüftert e8 durch die Neihn: „Web, weh um Ragnar den Guten!

Seht, wie an der Bruft ihm die Wunde Hafft! Die Rechte preßt er darauf mit Kraft,

Um nicht zu früh zu verbluten!*

Er ftarrt zu Boden und reitet fürbaß.

„D Herr! Gebieter! wie fhauft du fo blaß?“ Doch NRagnar blidt nicht empor;

Mag bluten fein Renner mit wanlendem Schritt, Er fpornt ihn zur Eile und hemmt nicht den Ritt, Bis er fteht an der Hauptftadt Thor.

Hinunter fi ſchwingt er vom ftürzenden Roß Und fchreitet die Stufen hinauf zum Schloß, Geſtützt auf den meinenden Sohn;

Hel Flammen im Saale die Fadeln ringsum, Und durch die Reihen der Ritter ftumm Steigt Ragnar empor zum Thron.

Und als er aufs Haupt die Krone fich drüdt, Da fteht er wie neu von Leben durchzlidt, Sein Auge in Gluth erglommen;

Gebietend heiſcht er hin durch den Saal: „Herolde! nun dient mir zum legtenmal

Und kündet den Todten mein Kommen!

Zu tief ift die Wunde, fie heilet nicht; Doch fühn nun kann ich vors Angeficht

34

Der tapferen Ahnen treten;

Eine Krone laſſ' ih dem Sohne mein Und zieh’ al8 König in Walhall ein Herolde, blast die Drommeten!”

Bon der Wunde reißt er die Hand geſchwind; Laut fchmettert das Erz; fein Leben verrinnt In des Blutes ftrömenden Fluthen;

Die Ritter Löfchen die Fadeln, und bang Durd die Nacht hin tönt zum Drommetenklang Ihr Klagen um NRagnar den Guten.

Wahmud der Gasnevpide.

Bor Mahmuds Thron Iniet Nureddin: „O Padiſchah! ich fordre Recht!

Ein Krieger deines Hofe hat ruchlojer Unbill fich er- frecht!

Aus meiner Wohnung, meinem Bett trieb der Ver⸗ fluchte mich heraus

Und ſchwelgt mit meinen Weibern nun, als wäre ſein mein Herd und Haus.“

Der Schah vernimmt es und erbleicht; ſtumm ſtarrt er lang zu Boden hin.

„Geht! heiſcht er zu den Sklaven dann beſetzt das Haus des Nureddin,

Daß Keiner draus entrinnen mag; wenn Finſterniß die Erde deckt,

Ruft mich, und ſehen fol die Welt, wie Sultan Mah⸗ ‚mud Redt vollftredt.“

35

Sie Alle gehn; er aber tritt in die Mofchee, verfchließt das Thor

Und liegt vor Allah im Gebet, bis ſich der Tagesfchein verlor;

Dit Nureddin als Führer eilt er nad) dem Haus des Frevels dann,

Bier feiner Schergen hinter ihm, mit fcharfen Beilen Dann für Mann.

„Löſcht aus die Fackeln!“ donnert er. Im Haufe wird es fchredenftunm;

Nur matt durchblintt der Sterne Schein die tiefe Finſterniß ringsum;

Ins Thor voran ſtürmt Nureddin; mit ſeinen Schergen folgt der Schah

Durch Gänge und durch Säulen hin. „Da flüftert dumpf der Führer da!“

Die Schergen ftellen fi im Kreis. „Des Frevlers Zodesfampf fei kurz!”

Ruft Mahmud aus und züdt das Schwert; ein halb erftidter Schrei, ein Sturz.

„Licht her!“ Man bringts. Flug beugt der Schah id) zu des Todten Angeficht,

Dann fniet er nieder: „Allah, Tank! Der, den ich meine, war es nicht.

„Ihr aber, die ihr ftaunt, erfahrt! Ich glaubte, daß mein eigner Sohn

Der Thäter fer; auf fohlimmen Pfad argmöhnt’ ich ihn ſeit lange ſchon,

Und, daß ſein Anblick nicht die Hand mir hemmte bei dem Strafgericht,

Vollſtreckt' ich es in Finſterniß; dem Himmel Dank, er war es nicht!“

346

Die feligen DInfeln.

Wild war von der Parteien Hader Das weite Römerreich entbrannt; Fort trugen Heere, Schiffsgefchmader Den Bürgerkrieg von Yand zu Yand; Vergebens in Iberien fuchte

Bor al dem Unheil, dem er fluchte, Sertorius einen Zufludhtsort;

Schon nahten durch des Oftens Meere Tod drohend ihn Pompejus’ Heere, Und um ihn lauerte der Mord.

Einft am bemoosten Feljenhange,

An dem die Fluth fih ſchäumend brach, Saß er und ſah dem Untergange

Der glühnden Eonne träumend nad). Ta fiehe! plöglich vor ihm ftanden

In leichten flatternden Gewanden

Zwei junge Schiffer, fremd von Tradıt, Und: „niemals fah ich euresgleichen Nief er erftaunt aus welchen Reichen, Bon welchen Küften bringt ihr Fracht?“

Sodann die Zwei: „DO, Herr wir fhifften Bon meitentlegnen Inſeln ber;

Grün find dort immerdar die Triften, Bon Früchten ftet3 die Aeſte fchwer; Wenn ringsumher die Stürme mwüthen, Dort fohüttelt von den duft’gen Blüthen Ein fanfter Weftwind kaum den Thau, Und über grünen Yaubenhallen,

Bol von Gefang der Nachtigallen,

Yacht immer Kar des Himmels Blau.

„Froh athmen dort die Atlantiden,

Wie in der alten golden Zeit;

Nie drang in ihren tiefen Frieden

Ein Ton von euerm Zwift und Streit; Ihr Leben ift ein füßes Träumen

Auf Felshöhn bei der Meerfluth Schäumen Und in der Grotten Dämmerlidht,

Indeſſen in dem Wogenfchlage

Eich fernehin der Erde Klage

Berhallend an den Klippen bricht.“

Sertorius ruft bei ihrer Rede:

„D Inſeln, wer doch forgenfrei

Auf euch der em’gen Bürgerfehde Entflöhe und der Tyrannei!

Sch, den felbft hier jenſeits von Calpe, Ja auf Helvetiens höchfter Alpe

Der rauhe Mars nicht ruhen läßt, Wär’ es der hohen Götter Wille,

Auf euch in Frieden und in Stille Berlebt’ ich meiner Tage Reſt.“

Drauf fie: „An des Auguft KRalenden,

So that ung ein Orakel fund,

Läßt glüdlich fi die Fahrt vollenden, Bertraue denn dem Göttermund!

An jenem Tag, wenn auß den Wogen

Der Vollmond fteigt am Himmelsbogen, Verlaß auf unferm Boot dies Yand,

Und, was dein Wunfch, wird dir befchieben, Wir führen zum erfehnten Frieden

Dich an der fel’gen Infeln Strand.”

345

Die Schiffer fo, indem fie jcheiden; Und, ohne daß es wer gewahrt, Bereitet nad) dem Wort der Beiden Sertorius ſich für die Fahrt.

Sofort die Küfte der Iberer Berließ’ er gern, da fchwer und ſchwerer Schon über ihm das Wetter grollt; Berrath bedroht ihn aller Orten,

Und felbft in feines Heers Cohorten Wirbt Mörder des Pompejus Gold.

Drauf an des Monats erjtem Tage

War er im feſtgeſchmückten Zelt

Mit den Genoſſen beim Gelage

Bol Frohſinn einmal noch gefellt.

Neid) quoll aus prächtigen Amphoren

Der Wein, den Spanien Gluth gegohren, Und Keiner ahnte den Entſchluß;

Dod, ala der Abend niederthaute,

Ward Einer, dem er ganz vertraute,

Bon ihm entfendet, Manlius.

Hinab ans Ufer eilt der Knabe, Geheim den Sciffern fund zu thun, Bereitet für die Abfahrt habe

Sid) Spanien Heergebieter nun. Allein am Strand, am Yeljenhange, Sudt er umfonft die Beiden lange, Die eine Antwort wird ihm nur: „Dir träumte wohl! an unjern Küften Gemwahrte Keiner, daß wir müßten, Bon ſolchen Sciffern eine Spur.“

349

Heim dann zum Zelte fam der Bote, Und fieh! am Boden liegend fand

Er den Sertorius bleich wie Todte, Erdoldt von der Verſchwörer Hand; Hernieder dur der Zeltwand Spalte Fiel auf fein Angeficht, das kalte,

Bom Deere her des Vollmonds Schein. Erfüllt war ihm der Götter Wille;

Zu Frieden ging er und zu Stille

An des Auguft Kalenden ein.

FKrwin von Hteinbad.

„Dank dir, Ew’ger! Meine Sendung Auf der Erde ward vollbradit,

Denn in herrlicher Vollendung Strahlt das Werk, das ich erdacht, Um den ungebornen Jahren Künft’ger Zeit zu offenbaren,

Daß ich nicht umfonft gelebt.” Ermin alfo vor dem Münfter,

Der zum Abendhimmel finfter

Seine Riefenmauern hebt.

Ueber den gewalt’gen Binnen

Steigt der Mond ing Aetherblau,

Und noch lang in tiefem Sinnen

Steht der Meifter vor dem Bau, Während um ihn, ſtumm und ftummer, Schon die Welt in janften Schlummer Ihre Heinen Sorgen wiegt,

Und auf ihren Menfchenzwergen

Bon dem Thurme, body gleich Bergen, Der erhabne Schatten liegt.

Da, jo wie im Jugendſchwunge Dichterlippen zum Gejang,

Hebt des Domes Glodenzunge

Sid zum erften Feierflang,

Schallend öffnet am Portale

Sich das Thor der Kathedrale,

Und von innen dröhnt ein Ruf;

Wohl verfteht der Greis die Mahnung Und er tritt mit ernfter Ahnung

In die Welt, die er erjchuf.

Feſtlich grüßen ihn die hehren Hallen mit dem mächt'gen Chor, Bon den prangenden Altären Malt der Myrrhenrauch empor; Myſtiſch aus der Fenfterrofe

Sieht er durch die gränzenlofe Wölbung einen Schimmer glühn, Sieht ihn droben von den Knäufen Der gewalt’gen Säulen träufen, Hier in den Kapellen blühn.

Und ihm ift, zu allen Seiten

Nege fih der Bau um ihn,

Wo die ehrnen, langgereihten

Bilder in den Niſchen fnien, Geltfam flimmerts an den Wänden, Die Apoftel in den Blenden

Deffnen ihr geweihtes Bud),

Und von Jungfraun, die zum Segen Ihre Tippen fanft bewegen,

Hört er rings den Athemzug. -

351

Horh und von den Höhn des Domes Duillt herab der Orgelklang,

Walt und fluthet mächt’gen Stromes Durch den Strebebogengang,

Und aus allen Schiffen brechen,

Wie das Meer in taufend Bächen Ueber feine Dämme braußt, Echoreiche Kataralten,

Deren Fall an den gezadten

Pfeilern in die Tiefe faust.

Erwin niet, ein ftummer Beler, Und bernieder durch das Dad Strömt auf ihn ein Sonnenäther Heller als der Erdentag;

Durd die hohen Säulenlauben Schweben weiße Gottestauben Und beſchwingte Seraphim,

Und ein Raufchen beil’ger Palmen Und Gefang von Himmel3pfalmen Wogt und fluthet iiber ihm.

„Meifter, Meifter! tönts im Chore Tritt aus der, die du gebaut,

In die himmlische Empore,

Die du oft im Traum gejchaut!

Dur die Reihn der lichtummallten Vier und zwanzig hehren Alten,

Wo die fieben Fadeln Lohn,

Dur die Halle, jaspisfänlig,

Und das Heilig, heilig, heilig,

Folg' ung nun zu Gottes Thron!“

392

Alfo rauſcht es im Chorale Durch die nächt'ge Wunderwelt; Aber als mit erſtem Strahle In den Dom der Morgen fällt: An dem Pfeiler da, nach oben Betend noch den Blick erhoben, Liegt der greiſe Meiſter todt, Und der Tempel der Geſänge Schickt die letzten Orgelklänge Sterbend in das Morgenroth.

AMalcoſms Wörder.

Sie haben des ſchlummernden Königs Haupt Gefällt durch tückiſchen Mord!

Mit dem Golde ſtürmen ſie, das ſie geraubt, Aus dem Schloſſe von Glamis fort.

„Dicht wirbelt, vom Winde gefegt, der Schnee, Verweht iſt jegliche Spur;

Durch Nebel und treibende Flocken, weh,

Wie finden den Weg wir nur?“

Ins Antlitz ſtarren ſich John und Dick:

„O wär' es nimmer geſchehn!

Sahſt du, wie zum Himmel den brechenden Blick Er Hob, um Rache zu flehn ?

„Sie holt uns ein. Al vom Rumpf ich ihm jchlug Das greife Haupt mit dem Schwert,

Starb ſtumm auf feinen Yippen ein Fluch,

Gott aber hat ihn gehört.“

39

Die Anderen laden: „Furcht vor Spuk

Hat euch die Glieder gelähmt;

Vom Weine des Königs ein tüchtiger Echlud Wird Muth euch geben; da nehmt!“

Im Kreiſe laffen fie gehn den Wein,

Um das ftarrende Blut zu thaun.

„Nun ſchnell! an der Gränze müſſen wir fein, Eh der Morgen beginnt zu graun.

„Grad aus den Weg! nur immer gerad! Rechts Liegt die Gefpenfterhaide,

Links führt auf den Farfarfee der Pfad; Die müfjen wir fliehen beide.“

Im Sturm, der die Stimmen übertäubt, Nicht hören einander fie mehr;

Sie fehen ſich nit, fo wirbelt und ftäubt Ter Schnee in den Lüften umber.

Sieh da! was zudt durch die Finfternig ? Ein Windftoß bricht herein;

Die Wolfen zerftäuben, herab durch den Riß Fällt matt des Mondes Schein.

„eb, web, im Kreiſe find mir geirrt! Bon Glamis das Schloß ragt dort.

Seht ihr, wies hell an den Fenftern wird? Hört ihr die Töne? fort! fort!“

Klar leuchtet hernieder von Kirchlein des Thurms Ter Altar⸗Kerzen Strahl Und berüber hallt durch die Paufen des Sturms Ter Zodtenamt-Choral.

Schack, Bei. Were. 1. 23

354

Da dröhnt zu den Füßen der Mörder jäh Ein Krachen wie Donnerrollen;

Sie ſtehn auf dem Eis; aufreißt ſich der See, Es berſten und knirſchen die Schollen.

Durch gähnende Spalten ſchießt und quillt Das Waſſer mit ſchäumenden Wellen;

In den Strudel, der hoch und höher ſchwillt, Verſinken die Mordgeſellen.

Der Kadett.

Nicht mir ein Alter, matt und ſiech,

Nicht mir der Tod auf dem Krankenbett! Nein ſterben möcht' ich im fröhlichen Krieg, Wie bei Aſpern der junge Kadett;

Ihm that es von Allen im Hillerſchen Corps Beim Stürmen des Dorfes nicht Einer zuvor.

Unnahbar drohte die Schanze dort, Von der die franzöſiſche Batterie

Den Deutſchen entgegen fort und fort Kartätſchen und Kugeln ſpie,

Und „vorwärts das dritte Bataillon!“ Erſcholl das Commando zweimal ſchon.

Starr ſtanden ſie All' vor dem Donnergekrach, Da trat aus den Reihen hervor der Kadett Und klomm nach oben; die Andern ihm nach, Gefällt das Bajonett;

Rings pfiffen die Kugeln, doch Allen vorauf Bahn brach fi) der Jüngling im Sturmeglauf.

35

Am Ziele ftand er nach heißem Kampf

Und pflanzte die Fahne: Hurrah! hurrah! Borüberiprengend im Pulverdanıpf

Nief Hiller nach oben: „fieh da,

Di nenn’ ich den Beften im Bataillon; Doc ſage, bift du verwundet, mein Sohn?“

Da blidte der Jüngling nad) unten groß, Stolz färbte von Neuem die Wangen ihm roth, Er jubelte: „DO, nicht verwundet bloß,

Mein General, ich bin todt!“

Dann ſank er zufammen, zur ewigen Ruh’ Dedten die Siegesbanner ihn zu.

Die Hexenjagd.

„Nun müffen wir reiten durch Nacht und Sturm, Schon wieder flohn Drei aus dem Drudenthurm, Die morgen mir brennen follten.

Wohlauf, mein Dogge, mein Höllenzwang, Herbei, ihr Knechte, denn fol einem Yang,

Dem bat es feit lang nicht gegolten.”

Sp fprengt aus dem Thore von Lindheim Geiß, Der grimmige Bauern-Bedränger;

Ihm folgen die Büttel auf fein Geheiß

Und die Hunde, die Herenfänger.

Bon dannen ftürmt er mit wildem Halloh.

Was braut auf dem Moore? was fladert fo [oh ? Was hufcelt und raunt auf der Wiefe?

Dort kauern am Feuer von qualmendem Torf Die Hanne, der Schreden vom ganzen Dorf,

Die alte Margret und die Yiefe;

356

Sie fchaffen am Kefjel und rühren geſchwind Das ſchwarze Gebräu mit der Kelle,

Und ſchüren die Gluth im Wirbelwind: „Hilf, Teufel! Hilf, Buhlgefelle!”

Da fteigt e8 herauf wie Nebel und Rauch

Und ballt fi und mwirbelt um Buſch und Straud Und kreist und dreht fi in Ringen;

Hier zudt e8 empor, dort huſcht es im Flug, Bon Heren wimmelt der ganze Bruch,

Sie hüpfen und lachen und fpringen.

Mit Beſen und Büchfe und Zauberfnäul Umtanzen fie Roß und Reiter;

Bald leiſes Zifcheln, bald mwilftes Geheul:

„Nur weiter, Herr Geiß, nur weiter!”

Hell wirds auf der Wieje von röthlichem Licht, Und Holzftoß drängt fih an Holzſtoß dicht Mit Iedenden Flammenzungen.

Herr Geiß hält inne; von links und rechts, Bon vorn und von hinten vernimmt er Geächz, So hat e8 noch nie ihm geflungen.

Er fieht dur die Gluth und den Wirbeldampf Der aufwärts lodernden Brände

Gefichter, erbleichend im Todesframpf,

Und jammernd gerungene Hände.

Nur weiter, nur weiter! auf einmal Klafft Ein Graben vor ihm; er fpornt mit Kraft Den fohnaubenden Renner zum Springen. Da taucht aus der Tiefe im weißen Gewand. Die tolle Gertraut, die er geftern verbrannt, In die Arme will fie ihn ſchlingen.

%

357

Er ſtarrt; ihn dünkt, als ob himmelan Zur Rieſin fie wüchſ' und ſchwölle. „Hoho! Hoho! mein ſüßer Kumpan! Auf Wiederſehn in der Hölle!“

Jäh bäumt ſich das Roß; ein Fluch noch gellt Aus dem Munde des Reiters und taumelnd fällt Er häuptlings hinab zu dem Schlunde.

Rings fliegen die Heren heran vom Moor,

Sie klatſchen mit Händen, ſie jauchzen im Chor Und tanzen um ihn in der Runde,

Bis gelb die Nebel der Frühe brau'n

Und es dämmert über dem Graben;

Da huſchen ſie fort durch das Morgengraun

Und laſſen die Leiche den Raben.

Der Hfeuermann.

„Gen Süden gefteuert! auf zu den Raan, Matrofen, auf zu den Neffen!

Die Brigg treibt der Teufel ung auf die Bahn, Wir konntens nicht beffer treffen!

Geſchwind fie gefapert! und ift e8 gethan,

So fei, ich ſchwör' e8 heilig und theuer,

Die Hälfte von dem Erbeuteten euer!“

Der Schiffsherr ruft3; mit Jubelgeſchrei Begrüßen fein Wort die Matrojen:

„Wohlauf zur Iuftigen Kaperei!

Weh auf der Brigg den Franzoſen!“

Nur der Steuermann Tom trogt fühn und frei: „Was? plündern will die verworfene Rotte? Nie fol das gefchehn, beim lebendigen Gotte!“

358

Die Mannichaft, die es vernahm, erhub

Ein Laden: „Ha über den Pfaffen!

Geh, Tom, und pred’ge dem Velzebub,

Nicht kümmert dich was wir fchaffen!”

„Auf! donnert der Edhiffsherr kein Verſchub! Werft über Bord mir den Rebellen!“

Und flugs ihn paden die wüth'gen Gefellen.

Zom ftürzt, verfinft in das ſchäumende Meer,

Bon den Wirbeln hinabgezogen;

Ein Anderer tritt an den Plaß, der leer,

Und fteuert den Kiel durch die Wogen;

Das Schiff fliegt hinter der Beute her,

Doch ſchon hat die Nacht zu dunkeln begonnen, Nicht fieht man die Brigg, faft fcheint fie entronnen.

Und es düftert tief, al ob Todesgraun

Rings über dem Meere lafte,

Die Matrofen ftehn bei den Segeln und Zaun, Der Schiffsherr gebietet vom Mafte

Da hören fie unten ein Raufchen und fchaun,

Wie Tom, der lange verfunfen Geglaubte,

Aus der Fluth auftaucht mit dem bleichen Haupte.

Sieh, wie empor zu des Schiffes Rand

Langſam der Schredliche Flettert!

Wie neu er tritt an den alten Stand

Und den Steurer zu Boden fchmettert!

Er wendet dad Ruder mit fefter Hand,

Und, bange gelauert an den Borden,

Flüftern die Schiffer: „Er fteuert nah Norden!”

359 |

Die Stunden ſchwinden; dem Graufen zu nahn Mag keiner vor Schreden wagen,

Und als e3 über dem Dcean

Aufdämmernd begann zu tagen,

Da lähmte fie alle das Graun, fie jahn

Gebirge von Eife vor fich liegen,

Die empor gleich den Mauern des Weltalls ftiegen.

Tod unverwandt nach Norden blidt Tom, Wie die Nadel an der Bouſſole,

Schnell treibt und fehneller der Meeresftrom Den Kiel entgegen dem Pole,

Und bald, wie von einem tryftallenen Dont, Iſt oben das Schiff und rings im Kreife Umſchloſſen von fluthendem, berftendem Eife.

Die Schollen thürmen fich riefengroß

Gleich Alpen zum Himmelsdache,

Und ftürzen wieder zum Meeresſchooß

Hinab mit Tonnergefrade;

Und bei der DBlätte Fall und Stoß,

Die wie Hagelfchloffen wirbeln und ftieben, | Wo find das Ediff und die Schiffer geblieben ? Ä

nn |

Der Venfeltan;.

„Geht, Pater Ambros! wenn man Euch gebraucht, So pflegt man Euch vor fi zu laden.”

„Ich muß Euch ſprechen, Euch Sprechen, Durchlaucht, Sonſt nähme die Seele mir Schaden.

Geſchwiegen hab' ich von Opern, Ballets

Und Allem, was, Euch zu locken ins Netz,

360

Der Teufel gebraudt als Köder;

Nichts jagt’ ich zum Spiele, wie arg Ihrs triebt, Nichts zu den Actricen, die Ihr geliebt,

Doch ſchwieg' ih zu Dem, was jebt fich begiebt, Ein Judas wär’ ich, ein ſchnöder.

„Mit Graufen hör’ ich, verhandeln wollt Ihr felber, der Tandesvater, Sechstauſend Landeskinder für Gold,

Zu bauen ein neues Theater;

Ja derer, die ih zu Chriften getauft, Zweihundert habt hr bereit verkauft, Verkauft an die britifchen Werber;

Sie gehen, verdorben durch Branntemwein Und Kegerlehren, zur Hölle ein,

Und die Frucht von all meinen Litanein Pflüdt nun für fich der Verderber.

„Brecht ab, bei Eurem ewigen Heil, Durchlaucht, den gräulihen Hankgl,

Und Abjolution wird Euch zu Theil

Für den fonftigen Lebenswandel.“

„Nun? geht e8 zu Ende mit Eurem Sermon?* Auft zornig der Herzog: „Ihr hörtet es fchon, Nicht läßt der Beſchluß ſich ändern; Alltäglich ift jolcher Handel ja,

Auch fehnen die Burſchen, fobald fie erſt da, Sih nicht mehr zurüd aus Amerika

Nach den wonnigen Baterländern.“

Er gebt, da ruft noch hinter ihm ber Der mwadere Pater entrüftet:

„Durchlaucht, das thätet Ihr nimmermehr, MWofern Ihr die Folgen wüßtet!

361

Nicht hab’ ichs, bei aller Ehrfurcht, Hehl: Ch geht durch ein Nadelöhr ein Kameel, Als daß Ihr kämt in den Himmel! Die Teufel werden über dies Geld Mehr jauchzen, ald wenn ein Engel fällt; Ih höre ſchon, wie die Hölle gellt Bon Jubel und Freudengetiinmel.”

Bergebend. Dom Mearktplag Paar an Paar Bortziehen die jungen Soldaten;

Für jeden zahlten die Werber baar Zweihundert Holländer Dukaten.

Im Saale neben dem Schlafgemach

Zählt felber das Gold der Herzog nad)

In den Tonnen und Säden und Truhen. Das funkelt und bligt und ſchimmert und blinkt, Kein Anblid hat ihm fo füß noch gedünft; Erft ſpät, als fchläfrig das Haupt ihm finkt, Stredt er ſich aufs Lager zum Ruben.

Kaum jchläft ee was ftört ihn mit einem Mal? Hat Traum den Sinn ihm ummwoben?

Bon Tanzender Tritten hallt der Saal,

Bon Pauken und Stampfen und Toben. Schwer mill er beftrafen die Ungebühr;

Er ftürzt nah dem Saal, er öffnet die Thür, Doch taumelt zurüd mit Schreden;

Der Teufel felber mit Hörnern und Schwanz, Umgeben von böllifhem Mummenfchanz, Schwingt bin und ber fi in Iuftigem Tanz Auf den Tonnen und Rollen und Säden.

Es jubelt und lacht und tänzelt und fchwirrt Durdheinander in tollem Reigen;

Das Geld zu der Tanzenden Füßen klirrt Und Flöten erfehallen und Geigen.

362

Auf der größten der Tonnen nimmt Lucifer Plaß, Tie Hand erhebt er und fegnet den Schag, Irompetenfanfaren erklingen, Und um ihn fpielen die Andern all,

Asmodeus und Mammon und Belial,

Mit den Rollen und Hingenden Säden Ball

Und hüpfen in luftigen Sprüngen.

In kaltem Schweiß lag der Herzog die Nacht Und ächzte zum Gott-Erbarmen:

„Wenn ich fo viel Freude dem Teufel gemacht, Weh meiner Seele, der armen!“

Frühmorgens die Diener poltert er wad: „Auf, fchafft mir das Gold den Werbern nad! Schickt Boten aus in der Runde!

Und geben fie fonft die Rekruten nicht los,

So zahl’ ich ein Reugeld doppelt groß. Schnell, ſchnell! auch ruft mir den Pater Ambros, Denn beichten will ich zur Stunde!“

Der Triumphator.

Stolz im Triumph glorreicher Siege, Wie Keiner fie erfämpft zuvor,

Zieht auf der leuchtenden Quadrige Aemilius Paulus dur das Thor;

Es mirbelt Duft aus goldnen Beden, Roms Tempel find mit Purpurdeden, So ſchön fie Tyrus beut, behängt,

Und raufchend tönts, wie Meeresbranden, Wo fih das Volk in Feftgewanden,

Des Feierzuges harrend, drängt.

363

Auf Helmen, Schilden, Wurfgejchoffen, Auf Rüftungen von blanfem Stahl,

Auf Marmorbildern, Erztoloffen

Spielt wie verirrt der Eonnenftrahl; Sünglinge nerp’gen Armes führen

Bon des Clitumnus weißen Stieren Die jchönften hundert, kranzgeſchmückt; In Reihen dann, ein Spott der Sieger, Nahn Macedoniens blaffe Krieger,

Bon ehrner Ketten Wucht gedrüdt.

Trauf er, dem big zu Aftens Yanden Sich geftern noch gedehnt das Neid), Der König felbft in Eifenbanden, Tem niederften der Sklaven gleich; An feiner Seite flehn zwei Söhne, Faſt Kinder noch, von holder Schöne, Ter ftolzen Römer Mitleid an; Dann fiehe! durch die Ehrenbogen Der Legionen trunknes Wogen,

Des Siegerd weißes Noßgefpann!

Bein Jauchzen der Triumphgeſänge, Tas taufendftimmig rings erſchallt, Rolt die Quadriga dur die Menge Und maht am Capitole Halt.

Aemilius fteigt durchs Jubelrufen

Des Volkes die porphyrnen Stuſen Zum Haus des Donnerers hinauf;

Da, durch die Menſchenwoge dringend, Stürzt, bleich von Antlitz, händeringend, Ein Sklav ihm nach in haſt'gem Lauf.

364

„D Herr, vernimm die Trauerfunde! Was dir des Lebens Liebſtes war, Ward dir geraubt in einer Stunde, Der Zwillingsſöhne blühend Paar! Ein Blitzſtrahl hat die zwei erjchlagen, Als Mittags fie entfehlummert lagen Im Delwald der Akademie;

Her von Athen, damit die Yaren

Der Heimath ihren Staub bewahren, Im Sarktophage bring’ ich fie.“

Die rings die Botjchaft hören, fehauen Bol Mitleid auf Aemilius:

„Web, daß in Gram und Zodesgrauen Ihm der Triumphtag enden muß!“

Doch er tritt, faum entfärbt die Wange, Zum Tempel ein mit feftem Gange, Bollziehbt das Opfer am Altar

Und ruft, indeß die Flammen loben: „Nun bring’ ich erft, ihr Em’gen, Hohen, Euch Dank aus vollem Herzen dar!

„Als kühn wie nie mit Ciegeprangen Bon Schlacht zu Schlaht Roms Adler flog, Als König Perſeus ſelbſt gefangen Einher vor meinem Wagen zog,

Da bebt' ich vor des Schickſals Tücke, Da dacht' ich: allzugroßem Glücke Stürmt rächend das Verderben nach; Mir bangte, daß des Schickſals Bürde Sich über Rom entladen würde

In ungeheurem Wetterſchlag.

365 °

„Doch nun, ihr Götter, darf ich hoffen, Gerettet jei dag Vaterland,

Ta nich allein der Blig getroffen,

Den das Geſchick herabgefandt;

Gefättigt nun in einer vollen

Gewalt’gen Rache ward fein rollen, Denn Unglüd traf mein Haupt jo ſchwer, Daß den Beftegten ich beneide;

Ihm blieben feine Söhne beide,

Ich aber habe keinen mehr.“

Die beiden Prinzen.

Matt fladert die Yampe; der Kurfürft ringt Am Bette des Sohnes die Hände

Und flebt, indeß er den Liebling umfchlingt, - Daß Rettung der Himmel fende.

D, muß ihm alfo zum erftenmal

Sein Friedrihd Kummer bereiten?

Und immer no will fein Hoffnungsftrahl Dura nächtige Dunkel gleiten!

Seitdem er am Lager des Kranken gewadt, Iſt das die dritte, ſchrecklichſte Nacht.

Bon Jubel hallen zur felben Zeit

Des Scloffes Erkergemächer;

Dort ſchwelgt, ala höhnt er des Vaters Leid, Prinz Rupert im Kreife der Becher.

Luft leuchtet in aller Säfte Blid,

Strommeije gießen die Diener

In die Römer das duftende Kirchenftüd

Und von Forft den golden Zraminer.

Und fröhlich erichallt bei Becherflang

Das Gaudeamus im NRundgefang.

366

„Du mögft nun trauern ruft Einer aus Die droben im alten Thurme

Tu einfam lange, o Fledermaus,

Gehaust mit dem Bücherwurme!

Bald ruht er, jo kündet fein Horojfop,

Im Staube mit feinen Pandelten,

Uns aber fteben, dem Himmel fei Lob,

Die Zeichen in guten Aſpekten;

Statt feiner, der Relegation uns ſchwur,

Erbt unfer Gönner, Prinz Rupert, die Kur."

„Sa Rupert, erhebt ein Andrer das Glas, Weiß ächte Verdienfte zu ehren;

Laßt ung, ihr Freunde, das große Faß

Aufs Wohl des Trefflichen leeren!”

„Hoch Rupert, der Kurprinz!“ ſcholl e8 dann, Die blinkenden Becher klangen,

Und der Prinz ſtieß mit den Zechern an, Ihm glühten vom Weine die Wangen.

Im Kreiſe ſchweifte ſein Blick: „Warum

Iſt nur Graf Kuno ſo finſter und ſtumm?“

Zu Boden ſtarrt der Jüngling noch lang, Umdüuſtert die Stirn und die Brauen;

Bom Munde dann quillt ihm mit dumpfem Klang Die Stimme, zitternd von Grauen:

„Im Scloßhof geftern hielt ich die Wacht Zunächſt dem verrufenen Saale;

Trüb fehimmerten durch die Decembernadht

Die Sterne mit mattem Strable,

Da drang in.Entfegen fuhr ich empor

Ein Gleiten von Zritten mir an das Ohr.

3867

„Auf die Klinfe jah ich im Dänmmergrau Eine bleiche Hand fich legen;

Sie fam fie mar e8 die weiße Frau Trat durch die Thür mir entgegen.

Ich glaubte, ſcheu gepreßt an die Wand, Das Wehn ihres Odems zu fpüren;

Eie ſchritt mir vorbei mit erbobener Hand, Borbei an den Hellebardieren,

Und ein Flüftern ging von Mund zu Mund: Sie thut Prinz Friederichs Sterben fund.“

Er fchmeigt. Erſt jchleicht ein banges Gemurr Durch die Reihen der Becher leife;

Bald dann Gaudeamus igitur

Tönts neu in dem jubelnden Kreiſe.

„Uns wählt, fobald er den Kurhut erbt,

Der Prinz zu Miniftern und Räthen.“

Doc fieh! mit wanfendem Schritt, entfärbt, Fit Rupert and Fenfter getreten!

Er fintt zu Boden mit dumpfem Schrei,

Und Alle ftürzen beforgt herbei.

Starr liegt er; ihm fließt von den Lippen fein Laut, Sie tragen hinweg ihn erjchroden.

Horch! eh noch im Oſten es dämmernd graut, Was ballen vom Thurme die Gloden?

Prinz Rupert ftarb; ihm hatte den Tod

Die weiße Frau verkündet;

ALS aber das leuchtende Morgenroth

Den Tag an den Bergen entzündet,

Hält freudemeinend der Kurfürft feft

Ans Herz den genefenen Friedrich gepreßt.

368

Zurbaran.

Der Meiſter legt den Pinſel aus der Hand;

Noch iſt ſein liebſtes Bild nicht ganz vollendet, Die Auferſtehung, der er unverwandt

Seit Jahren ſeine ganze Kraft geſpendet.

Da ſinkt er todesmatt zurück und ſpricht:

„O Herr, du rufſt; nicht beb' ich vor dem Grabe; Doch willſt du gnädig ſein, ſo nimm mich nicht Hinweg, bis ich dies Bild vollendet habe!“

Umſonſt die Lippen regen ſich nicht mehr,

Mit einem Seufzer iſt fein Geiſt geſchieden;

Still weinend ſtehn die Mönche um ihn her

Und trauernd ſpricht der Prior: „ruh' in Frieden!“ Bald wird die Leiche in die Gruft hinab

Bei Fackelſchein und Pſalmgeſang getragen,

Und in der Kloſterkirche ragt ein Grab,

Ein neues, bei den alten Sarkophagen.

Es kommt die Nacht; die Sakriſtane knien

Noch betend um die Gruft; im Tempelrunde Verwehn der Sterbe-Mette Melodien

Und von dem Thurme hallt die zwölfte Stunde; Da horch! im Grabe drunten wird es laut, Aus ihren Fugen ſpringt die Marmorplatte, Und durch das Dunkel, das den Platz umgraut, Steigt feierlichen Schritts ein ernſter Schatte.

Der Maler iſt es, wie er lebend war;

Mit ſchwachem Schimmer nur auf ſeinen Zügen Scheint, bleiche Streifen werfend, wunderbar Der Morgenglanz der Ewigkeit zu liegen;

369

Die Mönche weichen ſcheu im Bogengang

Und fehn ihn ſchwebend durch die Kirchenhallen, Den Kreuzgang und die Chorftuhlreihn entlang, Zu der Kapelle, die er malte, wallen.

Er tritt hinein und fieht den heil’gen Raum Bom Glanz der ew’gen Lampe matt umflimmert; Er nimmt fein Malgeräth, und, wenn auch kaum Ein blaffer Schein am Hochaltare ſchimmert, Ihn ftört die Finfternig der Erde nicht;

Er führt als Meifter Pinfel und Palette,

Bis Morgens ihn das erite Sonnenlicht

Aufs Neue fcheucht in feine Ruheſtätte.

So fteigt er aus dem Grabe Nacht für Nacht, Das Werk, an dem fein Leben hing, zu malen; Und als er nun den legten Zug vollbracht,

Da leuchtet glorreich in des Frühlichts Strahlen Das Bild ihn an, er fieht im Morgenroth

Den Gottesfohn fih aus der Gruft erheben

Und ſpricht verflärt: „Nun fer willlommen, Tod! Nun kann ich frei zu andern Räumen ſchweben!“

Dembinski.

Blauer Niemen, blauer Niemen, Wie viel Blut haft du getrunfen, Blut wie vieler edlen Polen, Die an dir dahingefunfen!

An dein Ufer wankt Dembinski,

Auf der Bruft die Sterbemwunde;

Zrauernd um den Feldherrn drängen

Sich die Krieger in der Runde. Shad, Geſ. Werke 1. 24

310

„Legt mich nieder! nicht erreich’ ich Mehr den Jenſeitſtrand, ihr Yieben; Doch das eine laßt mich wiffen, Db er unfer noch. geblieben!

Und dem Winfe folgen drei; An den Fluß dabingetreten Dlafen fie das Lied der Polen Auf den roftigen Drommeten.

Stille dann, und Alle laufchen, Taufchen bang, zu ihren Ohren, Horch! von drüben jchallt e8 da: Noch ift Polen nicht verloren!

Freudeweinend liegen Alle

Sich in. Armen feft umfchlungen; Aufgerichtet fteht der Feldherr, Bis das theure Yied verflungen.

Dann zur Erde finft er nieder:

„O, nun mag mein Herzblut fließen! Nun ich diefen Klang vernommen, Will ich gern die Augen fchließen.“

der Strohhaſm.

„Wo blieb er, daß er ſo plötzlich verſchwand?

Wir muſſen ihn ſuchen, den Höllenbrand,

Denn ſolch ein Hauptmann, beim Teufel, iſt rar!“

So ſchallts durch den Haufen von Mansfelds Schaar Im Dickicht der düſteren Tannen.

371

Der Hauptmann indeß, von den Seinen verirrt,

Stürmt, wo das Gebirg fi am wildeſten wirrt,

Nachdem er die Klöfter in Brand geftedt

Und den Boden mit Trümmern und Leichen bededt, Auf braufendem Roſſe von dannen.

Es dunkelt; da unter dem Feljen fieht

Er einen Siedler, der betend niet.

„Ei, Bruder, grüße dich Lucifer,

Und liebft du dein Leben, fo laß das Geplärr! Hervor mit den Truhen und Kiften!“

Doc der Siedler giebt Antwort: „Bon Stroh ift mein Pfühl,

Trank bietet der Bach mir frifeh und kühl;

Ich babe fein Mahl zu theilen mit Euch,

ALS die bitteren Beeren vom Haidegeſträuch, Die fpärlih das Yeben mir friften.“

Drauf Jener: „Schide, du Kuttenmann Verderben euch allen zum Sterben dih an!" Das Schwert erhebt er, doc, wie er auch droht, Nicht zittert der Siedler, da ihn der Tod Anbligt von der funfelnden Schneide; Zu fingen beginnt er: „O Herr, geh’ nicht, Mit deinen Knechte geh’ nicht ins Gericht!“ Dann beut er dem tödtlihen Streich das Genid, Dod der Hauptmann ſchlägt zu Boden den Blid, Und es finft ihm das Echwert in die Echeide.

„Das ift das Lied wohl fenn’ ich den Klang Das vor dem Sterben mein Vater fang,“ Sp murmelt er leife und ftarrt und finnt, Und der Siedler, der es gewahrt, beginnt Den Frepler zur Buße zu mahnen;

32

Er redet von Gott, der dem Sünder vergiebt Und den Sohn, den verlorenen, doppelt Tiebt, Bon dem Himmel der Gnade, der über uns blaut Und den Froft in dem eifigen Herzen thaut,

Noch eh’ wir e8 denken und ahnen.

„Vergeben ? ſpricht Jener o eitler Wahn! Schon jeh’ ich den Anflagengel nahn Und zwifchen mich und des Himmels Huld Die Berge, die ich gehäuft von Schuld,

Als ewige Bollwerk wälzen.“ Er ſpricht e8 und feufzt, doch der Siedler ruft: „Und wären wie Schnee in der Bergeskluft, Ya mehr noch deine Sünden gehäuft, Die Thräne der Reue, die dir entträuft,

Gie wird fie wie Floden ſchmelzen!“

Da 1ö8t fih dem Sünder der ftarre Sinn;

Er ſank vor das Bild des Gekreuzigten hin,

Und die Nacht durch lag er am Boden fo,

Indeſſen heiß auf des Lager Stroh Die ftrömenden Thränen ihm floffen.

Der Siedler ſah e8 mit Scheu von fern,

Er fühlte mit Schauern die Nähe des Herrn,

Der im Herzen des Menfchen ſich mächtig erweist;

Dann jenkte ſich Schlummer auf ihn, und der Geift Ward zum behren Geficht ihm erfchloffen.

Ein Regenbogen, fo jchien ihm im Traum, Hing hoch im unendlihen Himmelsraum, Und Ehriftus droben auf leuchtendem Thron Hielt die Wage, welche zu Strafe wie Lohn Tie Tugenden wägt und die Sünden;

373

Die Seele des Hauptmanns kniete vor ihm,

Bang bliden auf fie die Cherubim,

Tod die Teufel harren erwartungsvoll

Des Spruchs, der die frevelnde ftürzen fol Zu der Hölle dunkelſten Schlünden.

Und mit Siinden, gleicy Bergen, gleich Welten jo ſchwer, Zahllos wie die Körner des Sandes am Meer, Ward eine der Schalen zum Rande gefüllt; Die Engel hatten ihr Haupt verhüllt, Und die Teufel jauchzten und riefen: „Noch nie belud, feit die Welt fteht, nie, Sich eine Seele mit Freveln, wie die!“ Und fie jubelten lauter: „Bruder, hab’ Dank!“ Und die Schale ſank und fie ſank und fant In die unterften Abgrundtiefen.

Da naht fich ein Engel hoffnungsfroh Und legt mit der Nechten ein Hälmchen Strob Auf die Schale der Tugenden, die noch leer; Begierig drängten fih um ihn ber

Die Engel in dichtem Gewimmel; Und fieh! durch das Hälmlein, leicht wie ein Haar, Das feucht von den Thränen des Reuigen war, Ward die Schale der Sünden emporgefchnellt, Und huldvoll blidte der Richter der Welt,

Und die Seele flog in den Himmel.

* * *

Tag wird e8, da ftürmen mit wüſtem Gefchrei

Die Mordgejellen zur Siebelei;

Schon zudt in den Händen der Wilden das Schwert,

Doch der Siedler erhebt fein Haupt mie verflärt, Und fie weichen zurück betreten;

374

Er weist auf das Yager am Crucifix, Wo der Hauptmann liegt gebrochenen Blid3; Er fündet, was Gott ihm enthüllt im Geficht, Sie aber beftaunen des Herren Gericht

Und knien an der Leiche zum Beten.

Walther von Immenfladf.

Herr Walther war e3 von Immenſtadt,

Im Heere von Allen der Belte,

Der mit eifernem Arm im Kampf nie matt, Den Naden der Heiden preßte;

Kaum flammte fein Schwert vor Liddas Wall, So flohen die Saracenen all

Und es ftrahlte das Kreuz auf der Veſte.

Mit dem wackern Häuflein zieht er durchs Thor, „Nun geht, die Kerker zu ſprengen!“ Flugs thun ſie ſich auf; ihm ſchallt an das Ohr Ein Chor von Chriſtengeſängen; Er ſieht die Befreiten, welk und blaß, Die Hand ihm netzend mit Thränennaß, Um ihn, den Retter, ſich drängen.

Bald iſt auf dem Markt ein purpurnes Zelt Bon Damaskiſcher Seide zu ſchauen,

Und die Tafel reichlich mit Allen beftellt

Was gedeiht auf Syriend Auen;

Bol Cypriſchen Weines ſchäumt der Pokal, Und Sänger verjhönern mit Liedern da8 Mahl Und Saraceniihe Frauen.

35

Da, muſternd der glücklichen Gäſte Kreis,

Blickt plötzlich erſtaunt Herr Walther.

„Furwahr, dort drüben kenn' ich den Greis; Wer bift du? fage mir Alter!“

Der Greis erhebt fih: „Hang Hilvebrand, Schulmeifter aus Schwaben, küßt Euch die Hand, Mein Retter, mein Yebenserhalter !“

„Und bift du noch Walthers, des jungen, gedenk?“ Fragt lächelnd der Feldherr weiter.

„Ei wohl!“ ruft Jener, vom Rebengetränf Schon halb umnebelt und beiter, —}

„Si wohl gedenk' ich des argen Wichts;

Ein Wildfang war er, ein Taugenichts,

Wie in ganz Schwaben fein Zweiter.

„Bei Aufruhr, Raufen und Schlägerein Ram feiner ihm gleich in der Schule, Tod zum ABE und dem Einmalein

Nie hatt!’ er Geduld auf dem Stuhle. War irgend geſchehen ein böfer Streid: ‚Das that der Walther‘, dacht’ ich Jogleich Und verwünjcht! ihn zum Höllenpfuhle.

„Hätt’ ich ihm mehr nur den Rüden zerbläut, Tas möcht’ ihn gebeffert haben,

Tod, wenn es fo fortging, ift er heut

Yängft unter dem Galgen begraben.“

Mehr will er erzählen, doch Walther lacht: „Ei! hat mich verwandelt die Kriegertracht ? Erfennft du in mir nit den Knaben?“

Ter Greiz ſinkt bebend zu Boden hin Und fleht: „Herr! könnt Ihr vergeben?“ Toh Walther erhebt ihn und füllt für ihn Den Becher mit Naß der Reben:

376

„Auf! thu mir Beicheid in dem köſtlichen Saft! Das ABE und die Wiffenfchaft, Und du, mein Lehrer, ſollſt leben!

„Doch daß auch in Ehren das Kriegswerk fei Und wer früh fih übt für die Schlachten! Nicht hat er Behagen an Schulfuchierei,

Nah Kämpfen nur fteht fein Trachten.

Wär ich, wie du wollteft, jo zahm und bang Als Schüler geweſen, du hätteft noch lang, Mei Guter, im Kerker zu ſchmachten.“

Das verfhloffene Thor.

Hinwälzt fih wild dur Ktefiphon

Das NRömerheer mit Brand und Morde. Verwüſtet hat die Räuberhorde

Des Ormuzd großen Tempel jchon; Durch Reihn gejuntener Pilafter

Nun dringt fie in die Halle vor,

Wo um das Feur des Borvafter Anbetend niet ein Magierchor,

Und Greife von Granit und Drachen Ein rieſ'ges Thor von Erz bewachen.

In krauſen Zügen wunderbar

Flammt Spruch auf Sprud an jenem Thore, Und dumpf fohallt zu der Römer Ohre

Das Lied der Magier vom Altar:

„Ihr Priefter, ſchürt das heil’ge Teuer,

Uebt an der Pforte treu die Wacht! Gebunden find die Ungeheuer,

Die Schredgeburt der alten Nacht,

37

So lang der düftre Schlund verfiegelt; Weh, würde je das Thor entriegelt!“

Durch der betroffnen Krieger Herz

Ziehn Schauer hin bei dem Gefange,

Der Eine weicht zur Seite bange,

Scheu blidt der Andre bodenmärts.

Der Feldherr aber: „Seid ihr Memmen, Daß ihr vor Märchen zagen wollt? Geſchwind, die Eifen einzuftemmen!

Die Riegel fprengt! fie bergen Gold!

Das ift der Sinn der Zauberworte!*

Er ruft3 und bricht fi Bahn zur Pforte.

Die Magier nahen pflichtgetreu,

Den Weg dem Räuber zu vertreten! „Bei Zoroafter, dem Propheten, Berwegner, weich von binnen ſcheu!“ Doch Jener hebt das Beil; als Todte Hinfinten fie von feinem Stahl;

Das heil’ge Feuer jchlägt, das rotbe, Noch einmal auf mit hellem Strahl, Der Altar finkt in dumpfem Yalle Und finfter wird es in der Halle.

Die Klammern bricht der Feldherr log, Es kracht das Thor, die Riegel fpringen, Giftqualm und Schmwefeldünfte dringen Gewitternd aus des Abgrunds Schooß; Und Alle taumeln häuptlings nieder Doc fiehe, mo die Ziefe Klafft,

Da regt ſichs, halb wie Menjchenglieder, Halb wie Dämonen; grauenhaft,

Dom Sturm emporgemwirbelt, fteigen Drei Weiber auf in wilden Reigen.

378

Die Eine ſchwingt in rechter Hand Die Geißel, die zu Raub und Morden Aufpeiticht die wilden Völkerhorden, In linker einen Feuerbrand;

Weithin durch die beeißten Oeden Fliegt fie zur em’gen Nacht am Bol, Wo og und Magog fich befehden, Und treibt ſüdwärts ans Kapitol,

Mit Strömen Blutes alle Dämme Durchbrechend, die Barbarenftämme.

Ihr folgen blaß und abgezehrt,

Die Hungerönoth als treuer Scherge, Die Peft, die über Leichenberge Srohlodend im Triumphzug fährt.

Schon ziehen auf die Fahrt der Schreden Die graufen Drei, mit Todeskrampf

Die Erdenländer zu bededen;

Weh, Rom! das ift dein leßter Kampf! Es geht die Welt aus ihrer Fuge,

Wo diefe nahn im Würgerzuge.

Evadne.

Evadne trauert im öden Haus,

Seit Kampfluſt ihren Verlobten hinaus

Ins Feld vor Theben getrieben;

Da naht ihr ein Bote: „o Herrin, vernimm, Und zürne mir nicht, wenn die Botſchaft ſchlimm! Der Götter Grimm

Ruht ſchwer auf dem Heere der Sieben!

„Herab von den Thoren von Theben flog Geſchoß auf Geſchoß auf das Kriegergemog, Rings thürmten fi Haufen Todter;

379

Da Homm dein Kapaneus, Allen zuvor, Inmitten des Kampf am Eleftrathor Zur Mauer empor,

Nicht achtend die Wuth der Böoter.

„Und Hoch auf der Zinne, von Speeren umfaust, Nief er und ballte nach oben die Fauft:

AU deine Gewölke thürme,

Ja al deine Flammen herniedergeuß,

Doch wirft du nicht hindern den Kapaneus, Ohnmächtiger Zeus,

Daß er dies Theben erftürme!‘

„Er rief e8, und ſchon aus den Wolfen jcholl, Den Himmel durhhallend, Donnergeroll; Herab auf das Haupt des Stolzen

Fuhr lohend Kronions Wetterftrahl,

Er taumelte rüdwärts Teichenfahl,

Sein Panzerftahl,

Sein Helm und fein Schild zerſchmolzen.“

Evadne vernüuymts: fie verhaucht fein Ad; Stumm liegt fie am Boden im Trauergemad), Umringt von den forgenden Frauen.

Bon Theben nahte der Trauerzug,

Der den bligerfchlagenen Helden trug,

Sie aber fchlug

Das Auge nicht auf, ihn zu fehauen.

Die Ihren flüftern: „weil fie nicht klagt,

Weil ftumm ihr der Jammer am Herzen nagt, Berkündet Böfes ihr Brüten.

Damit fie nicht rafche That verübt

Und dem zu folgen, den fie geliebt,

Den Tod fich giebt,

Laßt uns fie achtſam behiüten!“

380

Im Hof wird Kapaneus aufgebahrt;

Doc fie, als hätte fie nicht3 gewahrt,

Liegt jelbft für todt im Gemache.

Da plöglih am Morgen erwacht fie und ſpricht: „D Mutter, mein Haupt mit dem Kranz umflicht! Mir ward ein Geficht,

Aus dem ich in Freuden erwache.

„Bernimm! in der Nechten den Thyrſusſtab, Stieg Bacchus in meinen Traum herab, Bon himmliſchem Glanz umfloffen;

Sein dunkles Antlig leuchtete hold,

Der rebenbefränzten Locken Gold

Mar niedergerollt

Um den fehwellenden Naden ergofjen.

„Schon, ſprach er, veift in den Trauben der Saft; Was zögerft du? auf! dich emporgerafft!

Denn dich zur Dienerin will ich!

Die Stirn umfhling mit dem Epheukranz,

Führ' an die Mänaden bei Yadelglanz

Zum bachifhen Tanz, .

Und alle Leiden dir ftill’ ich!“

So füindet Evadne des Gottes Geheiß Und eilt von dannen; der Weiber Kreis In freudigem Staunen umringt fie;

Die Stirn befränzt fie mit Epheu ſchnell, In der Rechten flammt ihr die Tadel hell, Und der Hindin Fell

Um die blendenden Schultern fchlingt fie.

„Evadne, rufen die Ihren, Kind! Was bift du fo bleich?“ Sie aber beginnt Die eherne Cymbel zu fchlagen,

331

Und Evoe, ruft fie, Evoe!

Heil göttliher Sohn der Semele, Der du ftilft das Weh

Und in Jubel wandelit die Klagen!

Bald faßt der Taumel die ganze Schaar,

Sie geben dem Winde das flatternde Haar, Durchflochten mit Nebenzweigen;

Den Thyrſus ſchwingend, durch Schluchten und Wald Hinbraufen fie jauchzend; die Pauke ſchallt

Und ringsum hallt

Die Flur von dem wirbelnden Reigen.

„Heil Bachus! den trauernden Sterblichen gab Er den Saft der Traube, das duftende Grab, Tarin fie den Kummer verjenten;

Er fprengt beim tränzeprangenden Mahl

Ten Schlummer auf fie aus goldnem Pokal, Tamit fie der Qual

Des Tages nicht länger gedenken!“

So ſchallt der Chor; ſchon dunkelt die Nacht, Der Schein der Fadeln wird heller entfacht,

Doch wo ift Evadne geblieben?

Yang ift fie verftummt bei dem Jubelgeſang,

Sie floh hinweg von dem Cymbelklang,

Die Schludten entlang

Bom Sammer ded Herzens getrieben.

In den Hofraum fchleicht fie verftohlen ein; Nun hindert fie Keiner, nun ift fie allein Beim Wert, das fie finnet und dichtet;

Sie Ihmüdt den Todten mit weißem Gemand, Bekränzt und jalbt ihn mit eigener Hand, Und bald zum Brand

Den Holzftoß hat fie geichichtet.

332

„Ihr wolltet mich hüten nun bin ich frei! Zu ſcheiden, die ſich geliebt, die Zwei, Wähnt nicht, es werd' euch gelingen!

Du, deſſen Blitz mir den Theuern geraubt, Ohnmächtiger Donnerer, haſt du geglaubt, Ich würde das Haupt

Dir beugen und Opfer dir bringen?

„Such' Andere, Zeus, die vor dir knien! Nicht weiß ich von dir, ich kenne nur ihn, Den du mir tückiſch erſchlagen.

Schon hält die bräutliche Kammer der Tod Uns Beiden bereit; in der Flamme, die roth Gen Himmel loht,

Wird der Hochzeitsmorgen uns tagen.“

Sie zündet den Scheiterhaufen und preßt

Den Mund auf die Stirn des Geliebten feſt; Aufſteigen mälig die Flammen;

Fernher ertönt aus Schlucht und aus Hain Der Mänaden Geſang gleich bräutlichem Reihn, Und über den Zwein

Schlägt lodernd die Gluth zuſammen.

IV. Vermiſchte Gedichte.

Un Mendelsiohn.

Um Oftern wars; noch ftrömte das Gewühl Zum Dom, doch lang an einem Pfeiler ſchon Saß ich, zu laufchen deinen Orgelipiel.

Die Fuge hobft du an beim erften Ton Erkannt' ich fie, die Keiner fo mit freijter Beherrſchung fpielt, wie du, o Mendelsſohn,

Du letzter Enkel unfrer großen Mkeifter,

In den, fo glaubt’ ich oft, der alte Bad, Der hehre Mozart ſtrömten ihre Geifter!

Du, deffen Kunft nicht ftugerhaft und flach,

Wie die des Tags mit Düften des Yamendels Sich parfiimirt, in leere8 Weh und Ad

Dahinſchmilzt, oder flüchtigen Getändels,

Kokett fih ſchmückt mit ihrem eignen Quark, Nein, voll und tief zur Seele dringt wie Händels

Poſaunenſtöße, die bis in das Mark Der Erde dringen und die Gräber ſprengen. So ſaß ich denn und lauſchte, wie bald ſtark

Gleich Strömen, wenn ſie Wog' an Woge drängen, Die Töne um mich flutheten und ſchwollen, Bald, Tropfen gleich, die ſich an Blüthen hängen,

354

Sanft riefelnd aus den Orgelpfeifen quollen. Mein Herz erzitierte dem Klang fo ſchwanken Am Waflerfturze bei der Fluthen Rollen

Tie Lilien in mir hoben ſich Gedanten,

Die bald empor mit den gemalt’gen Streben Sid ſchwangen, bald zur Tiefe niederjanten.

Um mic, fo ſchiens, in wunderbarem Leben Bewegte fich8; die Töne deiner Zuge Sah ich als Geifter durch die Hallen ſchweben;

Sie flatterten herab im Wirbelfluge,

An den Altären loſch der Kerzen Glimmen, Die Luft erbebte ihrem Athemzuge

Und das Gemölbe dröhnte von den Stimmen. Hier fah ich fie in Blend’ und Nifche Tauern, Dort aufwärts zu den höchften Gurten klimmen,

Dann niederftürzen wie in Winterfchauern Die welten Blätter. Wunderbar verjchlungen, Schwarz diefe und den Blick verhüllt mit Trauern,

Im Lichtkleid andere, die Dämmerungen Des Doms durchglitten fie, im Bogengang Sich ſuchend, rufend ſich mit Geifterzungen,

Tann wieder fliehend. O und ihr Gefang!

Er rollte, furchtbar, wie das Miferere, Die Wölberippen hin, er ſchluchzte bang,

Co wie, das Haupt gejenkt, das fummerfchwere, Die Mutter an dem Kreuz des hehren Sohnes; Er hol, dem Aufruhr gleich der Himmelgheere.

Ta Cherubim am Fuß des ew'gen Thrones Auf Lucifer die Flammenſchwerter fchmangen -- Aus Abgrundtiefen hört’ ich wilden Hohnes

Des Gottverfluchten Rufe da verklangen Die Töne alle einen Trauerflor Mit nächt’gen Falten ſah ich niederhangen,

Kein Strahl glomm aus dem Todesbunfel vor, Doch Myrrhenduft fühlt’ ich den Dom durchwehen,

-

3855

Das Auge nicht, der Geiſt ſah in dem Chor Den Katafalk des heil'gen Todten ſtehen; Und mälig regten ſich die Lüfte wieder, Ein Weinen wurde laut, ein ſanftes Flehen, Die Stille ſelber tönte Klagelieder, Die Weiber nahten, Spezerei zu bringen, Die Engel ftürzten auf die Leiche nieder Und fächelten dag Haupt mit ihren Schwingen; D und fie jelber fam, die Schmerzenreiche, Und ſank zum Sohne hin mit Händeringen Und füßte feine Stirn, die heilig-bleiche;; Da dünfte mich, als meinte felbft der leere Sternlojfe Raum um die geliebte Veiche, Als ſei das Weltall felbft nur eine Zähre, Die aus dem Blick des Ewigen gequollen Und nun zerrinne; über ferne Meere Hört’ ich den legten Donner fterbend rollen, Und meine Geele ftürzte voll Verzagen In finftre Tiefen: doch mit wunderpollen Gewalt’gen Tönen in die Welt der Klagen Ergo fi Engelftimmen-Klang von oben; Ein Ölanz, wie von des ew’gen Morgens Lagen, Brad in die Grabesnadt; in Floden ftoben Die Wollen hin in feine eignen Falten Barg fih das Dunkel, das der Tod gemwoben, Ich hörte aus des Abgrunds tiefften Spalten Den Jubelchor, wie ferner Meere Branden, Ja hörte, wie die Himmel widerhallten: Der Heiland ift aus feiner Gruft erftanden.

* * *

So dacht' ich an den Meifter viel, den theuren, Da noch die tieffte Seele wunderbar Bon den Gebilden, von den ungeheuren, Schack, Bei. Werke 1. 25

356

Durch ihn befchmorenen, erfüllt mir war;

Noh mwogte um mich ber im Wirbelftrome Der Fugenklang; in ſeltſam fremder Schaar

Durchzogen noch den Geift mir die Phantome, Die mi umfchwebt zu jener Ofterftunde, Der unvergeßlichen, im alten Dome;

Da flog dur Deutfchland hin die Trauerkunde, Daß Mendelsfohn, der herrliche, gejchieden; Ein Schmerzensruf entrang fich jedem Munde,

Ihm nachgefandt in feinen Himmelsfrieden;

Ich aber hielt zurüd die Todtenklage Und dachte fill: Er war nicht von hienieden, Bon jenen Geiftern ward er heimgetragen.

Das Geheimniß.

Du fragft mid, Mädchen, mas flüfternd der Weft Bertraue den Blüthengloden?

Warum von Zweige zu Zweig im Geäft

Die zwitichernden Vögel ſich Ioden?

Warum an Knoſpe die Knoſpe ſich fchmiegt,

Und Wellen mit Wellen zerfließen,

Und dem Mondftrahl, der auf den Kelchen fich wiegt, Die Biolen der Nacht fich erfchließen?

O thörichtes Fragen! Wem Wiflen frommt, Nicht kann ihm die Antwort fehlen;

Drum warte, Kind, bis die Liebe kommt, Sie wird dir Alles erzählen!

3897

Am Weere.

Nun nimm mich wieder an deine Bruft, Mein altes, geliebtes Meer! Noch rollt du in Muth und Jugendluſt, Wie da ich dich ließ, einher.

Mir tönt aus der brandenden Wogen Schwall Entgegen wie Freundeglaut,

Als liebe Geſpielen begrüß’ ich fie all,

Die ich feit lang nicht gefchaut.

Ich ftürze hinein in die ſchäumende Fluth, Mir jubelt die Seele mit ihr;

Den Knaben, der einft ihr am Bufen gerubt, Erkennt fie freudig in mir.

Und wie das Naß, gegeißelt vom Nord, Die Bruft und die Stirne mir kühlt, Fühl' ich mir leife vom Herzen fort Den Roſt des Lebens gefpült.

Die Wangen umkost mir der wirbelnde Schaum, Es lacht ihn hinweg mein Mund;

Dald jchaufelt die Welle mich hoch auf dem Saum, Bald tauch’ ich hinab in den Schlund.

Hinaus! ind Allunendliche hin! Tas mißt’ ich jo manches Jahr. Fa, altes geliebte® Meer, noch bin Sch derfelbe, der einft ich war.

-- 388

Die erſte Schwalbe.

Nun der Himmel wieder Lichter Und die legte Flocke ſchwand, Kehrft du, wie dem Griechendichter, Kehrit du mir vom Morgenland? Unter Palmen und Chpreifen, Schöne Sängerfreundin, ward

Nicht der Freund von dir vergeffen, Der im Norden dein geharrt?

Grüßend unfre Nacht, die kalte, Hat dich jener Strand gefchidt, Wo noch ungetrübt das alte Slammenauge niederblidt,

Und du fingft ung von ten Küften, Die das heil’ge Meer umjchmiegt, Das an feinen Mutterbrüften Unfern erften Schlaf gemwiegt;

Bon dem Yand, das, eh die Blindheit Unfern Geift mit Nacht umgraut, Mit dem Seherblid der Kindheit Wir in Träumen oft gefchaut;

Wo wir, wenn die frifche Duelle Uns zu ihren Borden Iud,

In des Erdenmorgend Helle

Mit den Hirten oft geruht.

Sing denn mit dem Auf des Werde Das erſtorbne Leben wach,

Durch das große Herz der Erde Laß es puljen hundertfach,

389

Daß in Frühlinggwonne klopfend Es die Winterbande fprengt, Und der erfte Thau fich tropfend An die erſte Blüthe hängt!

Ach! in feinen Schmerz verfponnen Schlief mein Herz den Winterjchlaf, Wo kein warmer Blid der Sonnen Den verpuppten Träumer traf; Alle meine muntern Geifter,

Tie ſonſt Lebensluſt gefprübt, Neigten ftarrend in beeister

Nacht die Häupter ſchlummermüd.

Doch bei deiner Stimme eriten Klängen klopfte body mein Herz; Wie aus Gräbern, wenn fie beriten, Die Erftandnen himmelwärts, Schwangen aus der Seele Tiefen Wünſche, tief verhüllt von Tod, Hoffnungen, die lange jchliefen, Jubelnd fih ind Mlorgenroth.

Aus des Kummers Grabgejpinnfte, Ein befreiter Falter, brach

Meine Yiebesluft und blinzte

In den goldnen Frühlingstag; Um fie flatterten und fummten Freuden aus der Gruft empor, Wirbelte der lang verftummten Lieder muntrer Verchenchor.

Cei denn, da der alte Härmer,

Ta der Gram des Winters wid, Sei der erfte Sang der Schwärmer Dir geweiht wie nenn’ ich dich?

3)

Rettungsbotin dent Gefangnen, Oder Gott-gefandter Geift,

Der vom Grabe des VBergangnen Auf die befire Zukunft weist!

Im Walde.

Da lieg’ ich wie einft im Tannenwald Auf dem Lager von Moos und Blättern; Der Wipfel mir überm Haupte fchallt Bon des Eichhorn? muthigem Klettern.

In den Winden, wie fie von Ort zu Ort Den Schatten der Xefte jagen,

Tönt mir im flüfternden Laub mand Wort, Wie ein Auf aus verjchollenen Tagen.

Und ich fühl’ in der Seele tief, o tief,

Ein Athemholen, ein Regen,

Als wollte die Jugend, die längft entfchlief, Erwahend die Wimpern bewegen.

Sie richten fich auf, fie fteigen empor, Die Geifter, lange begraben,

Und raunen mir füße Laute ing Ohr, Sie wollen mich wieder haben.

Fort! fort! ihr findet den Alten nicht mehr, Der einft bier lag in den Tannen!

Ein Windftoß braust durch die Wipfel daher Und trägt die Stimmen von dannen.

31

Abendempfindung.

Wie ſüß im dämmerhellen Walde, Wenn Harzduft von den Bäumen trieft, Zu ruhen an der Bergeshalde,

In alter Sänger Lied vertieft!

Rings Stille, daß vom Yärm der Erde Kaum einen Ton dein Ohr verninmt, Als das Geläut der Ziegenheerde, Die einfam an der Halde Himmt.

Und, wie dich aus den alten Rollen

Der Hauch vergangner Zeit umquillt, Verſinkt das Heut mit feinem Wollen Und Thun dir wie ein Schattenbild.

ft dieſe Tuft, die dir mit leifen Windhauchen um die Schläfe fpielt, Nicht noch diefelbe, die den Weifen Chaldäas einft die Stirn gefühlt?

Sah dem verglühnden Sonnengolde Im Weiten dort nicht jo wie du An ihres Triſtan Arm Iſolde Bom Waldesrande träumend zu?

Unfterblih, wie vor taufend Fahren Blühn noch die Fluren, grünt das Yaub, Und die Gefchlechter, welche waren, Sie wären Ajche nur und Staub?

Nein! in dem Werden und Entfalten Bieht immer da8 Gemwesne nur Durch alle Formen und Geftalten Der raftlo8 freifenden Natur.

392

Nicht anders lebſt du felbft ala Sene, Die vor Jahrtauſenden gelebt;

Alt, wie die Erde, iſt die Thräne, Die eben dir am Auge bebt.

Du denkſt es; ſchon am Waldesſaume Erloſch die Gluth des Abendſcheins, Es dunkelt, und du wirſt im Traume Mit Allen, die geweſen, eins.

Abenddämmerung.

Sei willkommen, Zwielichtſtunde Dich vor allen lieb' ich längſt. Die du, lindernd jede Wunde, Unſre Seele mild umfängſt.

Hin durch deine Dämmerhelle

In den Lüften, abendfeucht, Schweben Bilder, die der grelle Schein des lauten Tags geſcheucht.

Träume und Erinnerungen Nahen aus der Kinderzeit, Flüſtern mit den Geiſterzungen Von vergangner Seligkeit.

Und zu Jugendluſt-Genoſſen Kehren wir ins Vaterhaus; Armie, die uns einſt umſchloſſen, Breiten neu ſich nach uns aus.

393

Nach dem Trennungsſchmerz, dem langen, Dürfen wir noch einmal nun

Denen, die dahingegangen,

Am geliebten Herzen ruhn,

Und, indeß zum Augenlide

Sanft der Schlummer niederrinnt, Sinkt auf uns ein ſel'ger Friede Aus dem Land, wo Jene ſind.

An den Abendſtern.

O Stern, der du vom fernen Oſten her

So einſam kommſt, verlaſſen von den andern, Was ziehſt du ruhelos im ſteten Wandern, Ein müder Pilger, über Land und Meer?

Dein Strahl hängt bebend auf der Wellenbucht Und zittert durch die trüben Nebel nieder,

So wie durch thränenvolle Augenlider

Ein Blick von dem, der ſtets vergebens ſucht.

Am Abend grüßt mein Auge dich, wenn matt Der Fuß mir ſtrauchelt von des Tages Mühe, Und dich, ſobald die erſte Dämmerfrühe Empor mich ſcheucht von meiner Lagerſtatt.

Wie du bin ich; du dort am Himmelsrand, Auf Erden ich einſam und abgeſchieden,

O Stern der Wandrer, ſuchen wir den Frieden, Zwei müde Pilger über Meer und Land.

394

In der VNacht.

Sanft hat der Tag die ftrahlenhellen Sehmüden Augen zugethan;

Zur Ruhe fammelt feine Wellen

Der laute Nebensocean,

Und von dem Wechjel der Geftalten, Der unten ewig wogt und freist, Schaut wieder zu der Nacht, der alten Geliebten Freundin, auf dein Geift.

Still blidt fie mit vertieftem Sinnen, Die Mutter, die vor Allem mar, Auf dich herab, und Schauer rinnen Durch deine Seele wunderbar;

Dir ift, als ob die theuern Züge Du fäheft, die dich angelacht,

ALS deine Kindheit in der Wiege Aus ihrem erften Schlaf erwacht.

Ein groß Geheimniß, ahnt du, trage Die Göttlihe in ihrem Schooß;

Du fpähft danach in banger Frage Umfonft; fie ſchweigt und lächelt bloß; Doch wie ihr Blick unmiderftehlich, Dich bannend, auf dich niederichaut, Fühlſt du, wie über dic) allmälig

Ein inniges Genügen thaut.

Die Frage ftirbt auf deinem Munde Und jeder Zweifel wird Gebet;

Du fühlft, wie auß dem Weltabgrunde Ein Odem dir entgegenmweht:

39)

Nicht wähnft du fermer dich verftogen, Nicht heimathlos, und frei von Harm Kehrft zu dem Tagewerk, dem großen, Zurüd du aus des Schlummers Arm.

An den Schlaf.

Müd' ift mein Auge, doch noch immer Tärnıen Bor meinem Ohre wüſte Lebensklänge,

Noch immer ſeh' ich bunte Bilder ſchwärmen, Gleich Wolken, die in farbigem Gepränge Das Abendroth, das ſchimmernde, umwallen; Wann flieht das raſtlos fluthende Gedränge? Wann wird die laute Wirklichkeit verhallen?

Was ſäumſt du, liebſtes von den Zwillingskindern Der heil'gen Nacht? Mit deinen Silberſchwingen Umfächle mich, der Stirne Gluth zu lindern! Komm, deine Wiegenlieder mir zu ſingen,

Süß wie die Mutter einſt ſie ſang dem Sohne, Und mir im goldnen Kelch die Fluth zu bringen, Die traumreich quillt aus dem geweihten Mohne!

O aus der Fülle ihres Zauberſchooßes

Gab dir die Nacht die beſten ihrer Schätze! Dein, wunderbarer Knabe, iſt ein großes Endloſes Land voll weicher Ruheplätze,

Voll ſanfter Hügelſchwellungen und Auen, Zu denen durch die grünen Blätternetze

Die Mondenſtrahlen dämmernd niederthauen.

Ja, Villen haſt du neben blauen Seen Und Gärten, wo an ſchattenreichen Gängen In laub'gen Nifchen Marmorbilder ftehen, Wo goldne Früchte von den Aeften hängen,

3%

Und Tuft und Sang und plätichernde Cadcaden, Tie weithin ihre Silbertropfen fprengen, Tie Liebenden zu Eommerträumen laden.

D, dein find goldne Tome, Kuppeldäder

Und Felfenburgen über blühnden Thalen,

Und feftgefehmüdte, Iuftige Gemächer,

Wo nie die Luft in funkelnden Pokalen Verfiegt im Kreis der Tamen und der Ritter, Und noch dag Minnelied der Provencalen Sich ſchaukelt auf der mohlgeftimmten Either.

Was preif’ ich noch? Die waldbekränzten Schluchten, Durchklungen vom Geſang der Nachtigallen ?

Die friihen Halden an den Meeresbuchten,

Die fanft dem Wogenfchlage widerhallen ?

Die Grotten, die, durchraufcht von Murmelbächen, An Tropfftein und an hangenden Kryjtallen

Den Tagesftrahl zu ew'gem Zwielicht brechen?

Das all ift dein, und mehr endlofe Meinen,

Bon Geiftern überwahte Wunderhorte,

An Demant reich und funfelnden Aubinen,

Im Erdenſchacht doch ſchwach find meine Worte, Die Wimper finft, die grelen Strahlen bleichen; Dank! jchöner Knabe! Offen fteht die Pforte,

Schon geh’ ich ein zu deinen Wonnereichen.

Gewitternacht.

Hinaus! hinaus! die Nacht hängt ſchwül, Schwer laſtend über meinem Pfühl,

397

Fern hör' ich es gewittern;

Durch der Kaſtanien Blätter geht,

Gleich Stimmen, halb vom Sturm verweht, Ein Rauſchen hin, ein Zittern.

Laut bei des Donners Rollen klingt, Indeß der Wind die Wipfel ſchwingt, Der Nachtigall Geſchmetter;

Heiß fallen auf ihr kleines Neſt

Die erſten Tropfen durchs Geäſt, Und höher ſteigt das Wetter.

Durch Donner halt und Eturmgebraus Mir eine Stimme. Port, hinaus!

Ih flieg’ Hinab die Stufen,

Zu dir in Blig und Wirbelwind,

D Mutter Naht! Tu haft dein Kind Vergebens nicht gerufen.

Sei mir gegrüßf!

Sei mir gegrüßt, des Jahres Tiebftes Kind, Du erftgebornes, dem es in die Wiege

Die Gaben alle legt, die lieblich find!

Noch halb entichlummert Tiegft du da, und lind Umfpielt im Traum ein Pächeln deine Züge; Ermade, Frühling! Himmel, Flur und Hain Und meine Geele harren dein.

Gieß aus der Strahlen goldne Lebensfluth, Daß Glanz und Duft die fahlen Felder tränfe, Und der Jasminſtrauch, der erftorben ruht, Auf Nefter, voll von junger PVögelbrut,

398

Die blüthenjchweren Zweige niederfente, Und wieder hin durch frifches Grün des Mai Die Bäche ziehn, vom Eife frei.

Für Alle haft du Spenden, reich und bunt, Die Alpenrofe für die Bergesfirne,

Die Lilie für den öden Meeresgrund,

Und beifre Küffe für deg Mädchens Mund Und grüne Kränze für des Sängers Stirne; Der Luft, dem Himmel bringft du tiefres Blau, Den Zweigen langentbehrten Than.

Und mir? Starr liegt mein Herz, wie die Natur! O bring’ von den erftorbenen Gefühlen,

Die einft e8 labten, wie der Thau die Flur, Nur eines ihm zurüd, ach eines nur,

Den Froft des Winters leif’ hinwegzuſpülen! Und wär’ e8 auch der Jugend Gram allein, Auch er foll mir gefegnet fein.

Herbſttag.

Schöner Tag nach vielen trüben, Hat in unſer Nebelland

Dich die Sonnenheimath drüben, Dich der Orient geſandt?

Leiſen Hauches ſcheucht ein reiner Oſt das ſchwere Wolkengrau, Und mein Odem ſteigt wie deiner Leicht ins klare Himmelsblau.

39

Und in deine Pracht verſunken

Mit Gebirg und Meer und Thal Schwelgt die Seele mir, wie trunfen, In des Lichtes goldnem Strahl.

Eo an Syriens Feldgeftaden, So am Archipelagus,

Auf den ſonnigen Cykladen Grüßte mich dein Feuerkuß,

Als das Licht, das Gott⸗entſtammte, Das von Aſiens Bergen kam,

Früh in meine Träume flammte Und die Sorge von mir nahm.

Goldner Tag! aus deinem Schooße Hab' ich taumelnd, ſinnverwirrt, Alſo glaub' ich, in die große Weite Weltnacht mich verirrt.

Der des Lebens Erſtgeborne

Du geweiht zu höhrer Luſt,

Nimm dein Kind denn, das verlorne, Nimm's zurück an deine Bruſt!

Herbſtfeier in Rüdesheim.

Nun taumelt aus dem Laube Die Traube

Ins durſt'ge Faß wie toll; Wie ſtolpern und wie knarren Die ſchwer bepackten Karren, Des ſüßen Weines voll!

10

Wie hüpft in Freudentänzen, Mit Kränzen Bon Weinlaub in dem Haar, Zu bacchiſchen Gefängen Und der Pofale Klängen Die luſt'ge Winzerfchaar !

Wie fprühn aus Dorf und Städten Raketen

Um Buſch und Felſenkamm!

So huld'gen die Provinzen

Dem neugebornen Prinzen

Vom Rüdesheimer Stamm.

O Prinz, in deſſen ſchönen Domänen

Der Tag nicht untergeht,

Du biſt der Fürſt der Fürſten, So weit die Menſchen dürſten Reicht deine Majeſtät!

Auf! ſchießt von allen Söllern Mit Böllern,

Und läutet früh und ſpat

Mit Gläfern und mit Gloden, Und find noch Kehlen troden, Das nenn’ ich Hochverrath!

Nicht wir nur, die wir leben, Ergeben

Uns beut der Freudigfeit,

E83 wird den alten Rittern, Wie fie den Weinduft wittern, Im Sarg das Herz fo weit.

41

Die Dedel, fie beengend, Beriprengend

Entfteigen fie der Gruft; Willlommen, Licht der Sonnen, Willlommen, füßer Bronnen Bon herzerquidenden Duft!

Mit Gifelher und Gunther Naht munter

Chriemhilt, die ſchöne Maid, Nebft Helden rings in Heeren, Davon in alten Mären

Sp mwunderviel gefeit.

Es fcheint den wadern Reden Zu fchmeden,

Ihr Helm ift ihr Vokal,

Der Eine braucht ſchon Hebel, Der Andre ſchwankt im Nebel Benebelt durch das Thal.

Seht, wo der Ahein erflimmert, Da zimmert

Der Mond ein Floß von Gold, Und auf dem Mondfchein-Floße Liegt ſchnarchend Karl der Große, Der große Trunfenbold.

Ein Gruß fei auch den Todten Entboten, Dies Glas der ganzen Welt! Eur Wohlſein, ihr Gefpenfter, Dein Wohlergehn, geſchwänzter Komet am Himmelszelt!

Shad, Ge. Werke. J. 26

402

Ja! mögen dich die Pfaffen Begaffen,

Uns ſchreckſt du nicht, fürwahr, Und trotz des dies illa

Iſt uns in unſrer Villa

Nicht bange vor Gefahr.

Komm flugs heran und ſchleife Am Schweife

Die Erde mit dir fort!

Ein Trank ſo wie der Elfer, Das iſt der beſte Helfer,

Der hilft uns in den Port.

Es geht an deinem Schwanze Im Tanze

Behaglich himmelan,

Wir laſſen nicht vom Bechern Und ſtoßen mit den Zechern Auf andern Welten an.

Schon hören wir im Himmel Gebimmel,

Wir ſehn die ſel'gen Reihn, Umnickt von Rebenſtengeln, Und ſtimmen mit den Engeln Ins Hallelujah ein.

Die Schwalbe.

Weh nun, da den Bäumen der berbftliche Wind Abſchüttelt das Laub, das falbe,

Weh dir, der die Schwingen gebrochen find, Du arme verlaffene Schwalbe !

48

Bol Trauer blidft du von deinen Dad) Dem Zug der Gefpielen, dem ſcheidenden, nad).

Sie ziehen hinweg in den herrlichen Sitd, Sie laflen die krankende Schweſter

Und fuchen im Frühling, der ewig blüht, Die möyrtenbeichatteten Neiter,

Und fpotten am griechiſchen Tempelſims Des rauhen, des nordifchen Wintergrimms.

Bald ftreifen fie nun mit dem Flügelichlag

Des Mittelmeerd blauende Wellen

Und fchwingen fi auf mit dem leuchtenden Tag In die Aetherhöhen, die hellen,

Du aber, Verwaiste, in einſamem Weh

Sintft fterbend dahin auf die Felder voll Schnee!

Am Kamin.

Stürme, December, por meinem Gemach, Hänge Zapfen von Eis an dad Dach, Nichts doch weiß ih vom Frofte;

Hier am wärmenden, trauten Kamin

Iſt mir, al ob des Frühlings Gritn Nings um mic) rankte und fproßte.

AU das Gezweig, wie es fladert und flammt, Plaudert vom Walde, dem es entftammt, Nedet von feligen Tagen,

Als es, durchfächelt von Sommerluft, Knoſpen und Blüthen voll Glanz und Duft, Grünende Blätter getragen.

44

Fernher hallenden Waldhornklang Glaub’ ich zu hören, Droffelgefang, Sprudelnder Quellen Schäumen, Tropfenden Regen durchs Taubgeäft, Der die brütenden Vögel im Neft Weckt aus den Mittagsträumen.

Stürme denn, Winter, eifig und falt! An den Kamin herzaubert den Wald Mir der Flammen Gelnifter,

Bis ich bei Frühlingsfonnenfchein Wieder im goldgrün fohimmernden Hain Lauſche dem Eflfengeflüfter.

Henjahrsnadt.

Schnee, weithin Echnee! und immer noch ſtreut Der Winter ftäubende Floden;

Bom Thurme tönt e8 wie Sterbegeläut,

Und mir bebt da8 Herz mit den Gloden.

Todblaffe Geftalten durchfchweben die Luft, Die jammernd die Hände ringen;

Fernher dazwifchen in Nebelduft

Der Mitternachtmette Singen.

Klagt, Glocken, klagt, daß mit jedem Jahr Wir ärmer an Glauben und Lieben! Klagt um das Viele, dag unfer war, Und das Wenige, das uns geblieben.

Dahin, was nimmer, o nimmer kehrt, Der Thau auf des Lebens Blüthe; Erloſchen der heilige Flammenherd, Der Gluth in die Seele fprühte!

405

Klagt, Gloden, klagß um des Menfchen Geſchich, Der ewig Verlornes bejammert

Und umfonft den ſchwindenden Augenblid

Im Schiffbruch des Lebens umklammert.

Er fpäht und fpäht nach dem rettenden Port Im Meere, dem uferlofen,

Tod fort, von Klippe zu Klippe fort,

Reißt ihn der Welle Toſen.

Zwölf Schläge vom Thurm! Geſtorben das Jahr; Bleich dämmert durch Nebel und Flocken

Das neue herauf mit dem kalten Januar;

Im Winde verhallen die Glocken.

Auf einen Granatenzweig.

Dank, Freundin, daß dem Wintermüden, Den hier des Nordens Eis umſtarrt, Von dir und dem geliebten Süden

Ein Gruß in dieſem Zweige ward!

Schon hat, getränkt von meiner Schale, Er ſich mit Blüthen reich geſchmückt, Und duftet wie im Mühlenthale Amalfis, wo du ihn gepflückt.

Und während matt durchs Flockentreiben Die bleiche Sonne draußen ſtrahlt,

Und Blumen Eiſes an die Scheiben Der froſtige December malt,

406

Schwebt mir beim Frühlingsduft hier innen, Der aus den rothen Kelchen quillt,

Im Traum und Wachen vor den Sinnen Dein und Italiens Zauberbild.

Hoch ſeh' ich ob den Meergeftaden Did an den Felſenrand gelehnt,

An dem mit fchäumenden Cascaden Die wilde Schlucht der Mühlen gähnt.

Den Schellenklang der Tarantellen Vernehm' ich, der das Thal durchhallt Und raufchend mit den Waflerfällen, Den tofenden, nach oben fallt;

Gelächter und Geſang dazmwifchen,

Halb von der Yluth nur übertäubt,

Die donnernd bier, und dort mit Zifchen Hinfinft und wieder aufwärts ftäubt;

Und zitternd bei dem Wogenrollen Sentt ein Granatbauım an dem Rand Die Aeſte tief, die blüthenvollen, Hinunter von der Feljenwand;

Du aber beugft dich zu der Neige Des Abgrunds, über dem er hangt, Und einen bricäft du mir der Zweige, Der in dem reichften Schmude prangt.

Oft träum’ ich fo, und beim Erwachen Sieh da! vor Augen hab’ ich ihn;

Noch tönt im Ohre mir das Lachen,

Noch das Geklirr vom Tamburin.

407

Noch bligt vom Schaum der Katarafte Auf jedem Blatt der feuchte Staub; Mir ift, als zittre von dem Takte Des Wafjerfturzes noch das Laub.

Mag denn der Sturm des Winterd wüthen, . Mid, Freundin, ſchützt ein Talisman;

Stet3 haucht mich aus des Zweiges Blüthen Dein und Italiens Odem an.

Der Lokal.

Wär’ ich noch der alte Lacher, Der ih war in jener Zeit, Da das Glück zu hundertfacher Luft uns jeden Tag geweiht.

Wär’ ich, wie in jenen Bonner Jahren noch des Frohſinns voll, Da bald fäufelnd, bald wie Donner, Unſer Rundgefang erſcholl:

Sicher hätt' ich mit dem Danke, Theure Freunde, nicht geſäumt, Für den Becher ſammt dem Tranke, Der in ſeinem Kelche ſchäumt!

Mich vergangner Luſt zu mahnen Schickt ihr dieſen Feſtpokal, Jenen gleich, daraus die Ahnen Sich gelabt beim Freudenmahl.

418

D fürwahr, der alten Becher

ft der mächtig große wertb;

Frundsberg hätte ſolchen Becher

Wohl auf einen Zug geleert. 8

Götz auch, dem der Wein nicht färger Floß nad) Fehde und Gefecht,

Hat vielleicht im Heidelberger

Hirſch aus ſolchem Maag gezecht.

Doch, Geliebte, draus zu nippen Muß man froh wie jene ſein, Ich mit meinen blaſſen Lippen Würde dieſen Kelch entweihn.

Nicht für mich der Kreis der Trinker, Wenn ums Haupt der Kranz ſich ſchlingt Und zu Rechter und zu Linker

Becher an den Becher klingt!

Leert' ich doch die letzte Hefe

In dem Wermuthkelch des Seins; O, wie krönt' ich noch die Schläfe Mit dem friſchen Grün des Hains?

Die nicht, die aus grünem Mooſe, Aus der Blätter Fülle glänzt, Mir geziemt die weiße Roſe,

Daß ſie meine Stirn bekränzt.

Und ſo mahn' ich, liebe Geber, Euch in dieſem trüben Dank An die Alten, die auf Gräber Goſſen einen Opfertrank.

409

Bald an meinen ernten Male Thürmt der Herbft fein welkes Laub; Gießt mir dann aus dem Pokale Eine Spende in den Staub!

Bekannte Herne.

Ta fteigen ftrahlend fie empor aufs Neue, Die altbelfannten Sterne, Licht an Ticht, Und grüßen aus der nächtlich-dunkeln Bläue Nach mir mit Freundesangefidht.

Du dort, der leuchtend durch die Pappelreihen Bor meines Vaters Haus mir fchien, Arktur, Dem ich, mein Yeben hohem Ziel zu weihen,

In kühnem Seelendrange ſchwur:

Orion du, bei deſſen keuſchem Strahle Zuerſt an der Geliebten Bruft ich fanf Und von den Rippen ihr zum eritenmale Den warmen Yebendodem trank:

Und du, die balbgehüllt in Nebelfchleier Du dort gezogen kommft, fo mie du kamſt, ALS du, o Bega, Trägerin der feier,

Des Jünglings erftes Lied vernahmft:

3a, alle jeid ihr es, geliebte Bilder,

An denen zitternd oft mein Auge hing, Bevor des Himmels mildes Licht in milder Gewitternacht mir unterging.

40

Die Wonnen faht ihr, welche mein einft waren, Saht, wie ich litt und fämpfte und verlor Ihr aber zogt feitdem, ihr immerklaren,

Die ew’gen Bahnen wie zuvor.

Noch ftrahlt im Glanze, den ihr damals hattet, Ihr Nacht für Nacht am Dad, das droben blaut; Doch in dem Grame, der mein Aug’ umfchattet,

Hab’ ich euch lange nicht gefchaut.

Hrüß mir den Hfrand, o Freund!

Grüß mir den Strand, o Freund du fahlt ihn wieder Den ernften Zeugen meiner frühften Lieder,

Wo ich den erften Jugendtraum geträumt;

Den hoch umrauſchten Strand, den Mippenvollen,

Um den, wenn fturmgepeitfcht die Wogen rollen,

Die wilde Nordjee wallt und fchäumt.

Oed' ift die Küfte, ohne Wald und Grüne, Nur düftre Tannen wachen auf der Düne, Im Winde fhwankt das dürre Farrenkraut, Und hier und da aus einzler Föhren Mitte Erbebt fi einfam eine Fifcherhütte, Die auf die Brandung niederjchaut.

Und an dem Strande ragt mit morfchen Binnen Ein Schloß, um das die Sturmverlünderinnen, Die Möven, freifen im gezadten Flug

Einft o mie oft blidt’ ich aus feinem Thurme Aufs Meer hinab, das im Decemberfturme Zum Riff empor die Wogen ſchlug.

41

Und auf der Fluthen ewig vegem Toſen Glitt mir der Blid, big wo im Gränzenloſen Der Himmel mit dem Wellenfpiel verſchmolz; D, aljo noch in unermeßne Weiten

Sah ich da8 Leben fi vor mir verbreiten In meiner Jugend erſtem Stolz.

Mein Geift durdflog die uferlofen Räume,

Auf jener Brandung wogten meine Träume;

In jeder Welle, die ſich fehäumend brach,

Klang mir ein Wort, das mir von hohen Dingen, Bon großen Thaten, künftig zu vollbringen,

Mit mahnender Verheißung ſprach.

Die Wollen braten in den grauen Yalten Dir Wunderbilder mit und Zraumgeftalten, Und jedes Schiff, daS fern am Himmelsrand Aufftieg, vom Duft der Ferne noch umnachtet, War mir mit einem Schatz befradhtet

Aus einem fernen Zauberland.

Wie oft auf meinem fturmgewohnten Kahne Fuhr ich hinaus, ummirbelt vom Orkane, Ä MWenn übers Meer der Nord die Geißel ſchwang Und bald mich auf empörter Wellen Naden Entgegenfchleuderte den Klippenzaden,

Bald abwärts in die Tiefe fchlang.

Meer, heil'ges Meer! in deinem Wetterbraufen Hört’ ich die Donnerworte Gottes faufen,

Ich jah die Blige feiner Herrlichkeit;

Den mächt’gen Puls des Weltalls fühlt ich Hopfen; Unendlichkeit warft du; wie Waflertropfen BZerrannen in dih Raum und Zeit!

412

Und ftaunend blict’ ich in die Wunderfülle;

Mein Sch verftummte; nur der Fluth Gebrülle Scholl über mir und Gottes Stimme nur;

Den Strom des em’gen Seins glaubt’ ich zu trihfen Und, mid mit ihm vereinend, hinzufinfen

Ans große Weltherz der Natur.

O bätteft du mi da hinabgeſchlungen, Gewaltiges! Aus deinen Dämmerungen Tief unten blühte mir da8 Morgenrotd Mer nah dem Ew’gen dürftet, o! der fuche Im Grab Erlöfung von dem alten Fluche, Denn eben ift allein im Tod.

Mich aber riß die Welt in ihr Gewühle,

Sie trat der “Jugend heilige Gefühle

Und meine Träume höhnend in den Staub;

Dem Blisftrahl gleich hat mich ihr Fluch getroffen, Und Blatt an Blatt und Hoffen neben Hoffen Sank meines Dafeins welkes Laub.

Doch immer ftarrt mir aus der Lebenswüſte

Der Blick zurüd nach jener fernen Küfte,

Und wie, geängftigt von dem Hifthornklang,

Hin durchs Gebirg die Hindin fchmeift, die wunde, Irrt oft mein Geift in mitternäcdht’ger Stunde Noch jenen Klippenftrand entlang.

Sehenswonnen.

Auf hohen Bergesgipfeln ftehn,

Einen geliebten Freund umſchlingen, Hinauf zu den Wolken jubeln und fingen Und hinab zu den Thälern und Seen;

453

Einander im jeligen Taumel ſchwören, Sid in Leben und Tod zu gehören, Große Thaten dereinft zu vollbringen Oder im Ningen unterzugehn;

Im leichten fturmgejchaufelten Boot

Ueber das Dieer dahingetrieben,

Mit der Einen, die wir lieben,

Ruben beim flammenden Abendroth; tippen und Herz aneinander prefjen

Und, der Erd’ und des Lebens vergefjen, Dur der Wellen Schäumen und Stieben Entgegenjauchzen dem leuchtenden Tod;

Nachts ſich unter dem Sternenzelt

In dem wogenden Lichtglanz fonnen, Der aus dem unergründlichen Bronnen Der Ewigkeit nieder fehauert und fällt, Bis die Seele im trunknen Gefichte Eins fih fühlt mit dem ewigen Lichte D mie fehmindet nach ſolchen Wonnen Alle Freude und Größe der Welt!

Ode. Ein Jeder ſuche was ihn glücklich macht, Den Reichthum Der und Der den edlern Schacht, Dem er des Wiſſens Erz entringe; Ich wähle mir dein lichtes Flügelpaar, Begeiſtrung, daß ich aufwärts wie der Aar, Der ſonnentrunkene, mich ſchwinge.

Den Becher ich, der mit dem Rebenblut, Dem geiſtverklärten durch die Sommergluth, Randvoll an meiner Lippe ſchäume,

44

Und id das Saitenfpiel, das, wie der Wald Dem leifen Windeshauche, widerhallt Beim Athemzuge meiner Träume.

Komm, Göttliche, die ſchon das Kind beglüdt

Und auf die Tippen ihm den Kuß gedrüdt, Der e8 zu hohen Dingen weihte;

Die meiner Jugend Dämmrung dann erhellt

Und um den Pfad mir eine Wundermelt Bon Träumen und Gefidhten reihte!

Der Duell bift du, dem alles Sein entfließt;

Ein Tropfen deiner Fluth nur, und es fprießt Der Winter auf in Frühlingsprangen;

Das Seelenloje felbft im öden Raum

Erhebt fih athmend aus dem dumpfen Traum Der Körperwelt, die es befangen.

Glücklich der Staubgeborne, den du liebft, Du Einz’ge, die du Licht und Leben giebft Dom Kelch, um den die Bienen fummen, Dis zu der Mark des legten Sonnenballs, Wo in der Nacht des abgrundtiefen Allg Die Töne, graunerfüllt, verftunmen.

Wer einmal nur geruht in deinem Arm,

Stets fehnt er fih vom lauten Menſchenſchwarm In deine heil'ge Stille wieder,

Und, fanft bewegt von deinem Athemzug,

Trägt hoch und höher ihn im Himmelsflug Der Dichtung göttliches Gefieder.

Aufs Auge haft du Sehkraft ihm gethaut, Daß ungeblendet er zur Sonne fchaut Und fider in des Abgrunds Tiefen;

415

Was künftig ift, erfchliegt dein Zauberftab Bor feinem Blick, und wedt ihm aus dem Grab Geſchlechter, welche lang entfchliefen.

%a, alle ftehn fie um ihn ber im Chor,

Sie alle müfjen ihm von dem Zuvor Und von dem künft'gen Einft erzählen;

Er preßt fie an fein Herz in Liebesgluth,

Sie tränten ihn mit ihrer Lebensfluth Und ftrömen in ihn ihre Seelen.

Wie junge Sonnen an dem Schöpfungsherb, Wo fort und fort dag große Werden gährt, Sid) in der Ylammengluth entzlinden Und bi8 zum fernften Raum mit Sturmesmadt Begeiftert taumeln, um der alten Nacht Des Lichtes Herrlichkeit zu künden;

So feine Lieder. Ihre Bahn entlang,

Die große, rollen fie mit Donnergang Im Schwung der flatternden Kometen,

Doc lächeln wieder milde dann und hold,

Den Sternen gleich, die durch des Abends Gold Zuerft, als Friedensboten, treten.

Bei ihrem Schein furchtlos dur” Grab und Tod Schreitet er hin zum großen Morgenroth, Die Zeit legt ihre Sichel nieder, Fernab verfinft der Erde Luft und Leid, Und in der wandellojen Ewigkeit Jauchzt die befreite Seele wieder.

46

Drei Dichter.

Nächtlich aus ihrer Auheftatt

Steigen drei deutfche Dichter, Klagend ſchaun fie mich an und matt, Blaſſe Todtengefichter.

Deutfche Mutter, wie warft du fo farg

Deinen Söhnen im Leben;

Nichts als die Wiege, den Gram und den Sarg Haft du den Edlen gegeben.

Dort den trauerverhüllten Geift, Kennft du ihn? gieb mir Kunde! Ueber der mächtigen Stirne weist Er die Haffende Wunde.

Kummer um dich, der fein Leben gefnidt, Trieb ihn hinab zu den Todten; Stärker, wie er dich wieder erblidt, Riefeln die Tropfen, die rothen.

Und der Zweite, die Locken zerrauft, Weiß die Mär zu erzählen, Wie du die eigenen Söhne verkauft An die Mäller der Seelen.

In den Wäldern des Weftens voll Gram Irrte der Fremdling verloren;

Selbft den Wilden verfchwieg er vor Scham, Welches Land ihn geboren.

Und der Dritte mit ftarrem Blid,

Aber den Zugen der Griechen,

Stammelt verftört: warum, Geſchick, Mußt' ih in Deutſchland ftechen ? .

417

Schon in der Wiege traf ihn der Fluch, Der ſich am Jüngling erfüllte,

Bis mit des Wahnſinns Schleiertuch Mild ihn der Himmel umhüllte.

Das ſind die Drei, die im Trauerchor Nächtlich den Reigen ſchlingen;

Sage, wie tönt dir das Lied ins Ohr, Mutter, das ſie dir ſingen?

Deutſche Mutter, verbirg dein Geſicht! Nicht mit marmornen Platten,

Und mit dem Lorbeer auf Gräbern nicht Sühnſt du die zürnenden Schatten.

Auerbachs Keller.

Denkſt du, lieber Goethomane,

Den man oft wie mich geneckt,

Daß wir unſres Wolfgang Fahne Allzu eifrig aufgeſteckt,

Denkſt du noch der Nacht beim Selte In dem Keller Auerbachs,

Als wir ſprachen vom Projefte Unfres Goethe-Almanacs ?

Im Gemölb mit fpigem Giebel, Wo der Ruhm noch nicht erlojch Des Gelages, welches Sybel Dort mit Altmayr hielt und Froſch, Feierten wir Goetheſchüler (Diesmal nicht am Leſepult, Sondern beim Gerieſel kühler Rebenſäfte) unſern Cult.

Shad, Ge. Werte 1. 27

418

Bor dem Trinken fhon am Eßtiſch Waren wir begeiftrungsvoll,

Taß der Versquell anapäftiich

Bon den Yıppen niederquoll;

Und als gar ein Glas Burgunder Erſt zum Munde wir geführt, . Ward der Geift wie trodner Zunder Uns zur Flamme angejchitrt.

Yaut, fo daß bei deinem Pathos Faſt das Glas vom Tifche flog, Deklamirteft du Torquatos Weltberühmten Monolog Iphigenien in Tauris

Pries vor allen Guſtav mir, Heinrich zeichnete im Bauriß Goethes Haus uns aufs Papier.

Hermann ſprach: „Hinweg mit Poſa, Der die Welt verbeſſert hat,

Doch zugleich mit ſchaler Proſa

Den Parnaß gewäſſert hat!

Jener Dichter, welcher Thekla,

Neben dem, der Mignon ſchuf,

Dünkt mich eiſig, wie der Hekla Neben Aetna und Veſuv.“

Guſtav rief indeß: „Mit Rheinwein Laßt uns die Häretiker

In den Goethe-Glauben einweihn, Denn zu Sel'gen macht nur er!“ Du, berauſchter Fürſt von Thule, Warfſt den Becher in das Meer, Aber, ſchwankend auf dem Stuhle, Fielſt du ſelber hinterher.

419

Schwächer brannten jchon die Yichter, Aus den Rahmen am Gemölb Schauten finftere Gefichter

Auf ung nieder fahl und gelb; Siehe! und in unfre Sigung

Drang auf einmal war ed wahr Oder Spuf der Weinerhigung? Ein erftaunlich fremdes Paar.

Mit dem Wamms von gelbem Yeder, (Braungelb wie ein gift’ger Pilz) Und der rothen Hahnenfeder

Auf dem Hut von weißem Filz, Den er höflich und faft knechtiſch Grüßend in der Rechten hielt,

Trat Mephifto an den Zechtiſch, Fuft fo wie ihn Grunert fpielt.

Ganz dämonifch, nicht geheuer, Dünkte mich der arge Schalt Mit dem Mantel roth wie Feuer, Und dem Antlig weiß wie Kalt; Ihm zur Seite ftand in faubrer Nittertraht und Sammtkollet Fauſt, der weitberihmte Zaubrer, Auf dem Haupte das Barett.

Bald geſcheucht von jeder Wimper War der Schlaf, der fie befiel, Leiſe tönte das Geklimper

Von Mephiſtos Saitenſpiel,

Und, indeß das Lied vom Flohe Zu der Zither er begann,

Zog der wunderbare hohe

Seher Fauſt mich zu ſich an.

-- 420

In dem Starren feines Blides,

Da er ftil und brütend jap,

Ahnt' ich, wie er des Geſchickes Dunkle Abgrundtiefen maß;

Und er ſprach, indem die Rechte

Er mir reichte: „Denkſt du, Freund, Noch der Zeit, da manche Nächte Wir zufammen durchgemeint ?*

Sprachs, und feiner Stimme Laute Medten in mir altes Web,

Und aus meinem Auge thaute Eine Zähre, heiß mie je;

Bor mir lag des Erdenpfades Dunkler, vielverfehlungner Lauf, Und aus meiner Seele Hades Stiegen alte Schatten auf.

D in jeden Kelch der Freude Wird mir Wermuth fo gemischt, Wie im blühenden Geftäude

Die verftedte Natter zijcht!

In dem Morgenhauch des Dites, In der faft’gen Frucht der Trift, Wie im Labetrunf des Moftes Schmed’ ich das verborgne Gift.

Da mir trauernd, ſympathetiſch Saßen, rieft ihr: „Habt Berftand! Die Berriffenheit, der Fetifch Unfrer Zeit, fei hier verbannt! Hält vielleicht die Mutter Sarah, Weltſchmerz, ihre Niederkunft

Mit Child Harold oder Yara Oder Manfreds Unvernunft?*

421

Wieder dann, jedoch voll Aerger Naht’ ich eurem Tiſche mich, Wo beim Glas Yohannisberger (Wirklich echtem Metternich) Mephijtopheles, der Käuze Wunderfamfter, Wie riß,

Doch bisweilen vor dem Kreuze An der Wand die Wuth verbiß.

Allen ung ein Freudenmeder

Ward der Wein, nur Fauften nicht, Und Mephift, der feine Schmeder, Schnitt ein bittere Geſicht;

Jener feufzte: „Wie der Kranich Möcht' ich ziehen tiber Meer,” Tiefer rief: „Eur Wein ift kahnig, Aber andern ſchaff' ich her!“

Schleunig grub er mit dem Bohrer Löcher in die Tafel ein;

Drauf die Höllenmacht beſchwor er: „Acht gegeben! Schöpft den Wein!“ Sieh! und funkelnd, goldenperlig, Floß in jedes Glas der Strom, Und wir riefen: „herrlich! herrlich! Wie voll Geift und voll Arom!“

Doch genug! die weitre Scene

Steht im Goethe Wort für Wort. Endlich ritt vergleiche jene! Auf dem Faß Mephifto fort,

Und, wie Heren auf den Sabbat, Führt! er mid) verzeih mirs Gott, Dem ich oft fhon Sünden abbat! Durch die Luft im luſt'gen Trott.

42

Fern von Leipzigg Meßgedränge Bog in deinen Blüthenhain,

Land des Weins und der Gefänge, Schönes Spanien, id ein!

Niht an mas aus euch geworden, Dacht' ich mehr in jener Nacht; Aber adj! im rauhen Norden

Bin ich wieder aufgewacht.

An den Genius.

Sei du mir treu, bis ich von binnen muß, Der dur) die Welt du mich bisher geleitet! Wie für die Wonnen, die du mir bereitet, Soll ic dir danken, Hoher Genius?

Arm wär’ ich ohne das, was du gegeben, Und, flöheft du, was gölte mir dies Leben?

Als Knabe ſchon, wenn ich von den Genofien, Den lärmenden, zur Einſamkeit entfloh,

In meiner Seele, Allen jonft verfchloffen, Empfand ich deinen Odem ftolz und froh, Und leicht ward in der Jugend goldner Frühe Dur dich mir jede Pein und jede Mühe.

Tief der Natur ins beige Auge ſchauen,

Ihr in des Herzens Allgeheimftes fpähn

Mich lehrteft du, und im Gemittergrauen

Des Donners ernfte Rede zu verftehn,

Und in der Bergſchlucht, wo die Wafler vaufchen, Der großen Mutter Worte zu belaufchen.

4123

Dit Weſen, die fich jelber mein Gedanke Erſchuf, den Iuft’gen Kindern meines Traums, War mein ein hohes Leben fonder Schranfe In einer Welt jenjeit3 des Raums,

Und fort und fort mich nährteft du mit hehren Zraumbildern und der alten Weisheit Lehren.

Die durft’gen Lippen labte mir der Quell, Der nie verfiegende, von Kunſt und Dichtung, Und an den Geiftern, welche aus Vernichtung Und Trümmern ihrer Welt zu ung noch hell Herüberftrahlen durch der Zeiten Nacht,

Hab’ ich des eignen Geiftes Licht entfacht.

Mit Indiens Weifen in den GSiedelein,

Wo Ganga rauſcht an Waflerlilienbeeten, Mit Zoroafter bei des Feuers Schein,

Des heiligen, zu dem die Parfen beten,

Wie mit Arabiens kühnen Wüftenföhnen Sprad ich vertraut in ihrer Sprache Tönen.

Und gleich dem Geift, nicht haftend an der Scholle, Schritt pilgernd auch mein Fuß von Yand zu Yand; Die Erde breitete wie eine Rolle

Ihr Schünftes vor mir aus; bald hoch vom Rand Des Schiffs, bald von der Alpen fteilftem Pik

In ihren Wundern fehwelgte mir der Blid.

Für Alles, was erhaben ift und groß, Ließ mir Italien die Seele flammen; An ihrer Bruft erzogen, hehre Ammen, Sie die Sibyllen Michel Angelos,

Und in des Tabor himmliſchem Geficht Trug Raphael fie auf zum em’gen Yicht.

424

Ich ſah beim Grab Achills am Meeresfaum Die Welt Homers fi) aus der Fluth erheben, Und träumte mit dem hundertthor'gen Theben, An eine Sphinr gelehnt, den Urwelttraum, Bis übern Nil daher geheimnigvoll

Der Morgengruß von Memnons Lippen quoll.

Durchs Leben 309 ich fo, der Wolfe gleich,

Tie Sonnengoldedurdglüht am Himmel gleitet; Gelbft wenn ſich Leidensnacht um mich gebreitet, Fühlt' ih mich ſtark Durch dich und froh und reich; Du haft, erhabner Geift, ein Licht von oben

In meine trübften Stunden felbft gewoben.

Und feis! führft du dereinft, o Genius,

Die legte mir herauf der Erdenſonnen,

Zum großen Gange gieb durch deinen Kup Die Weihe mir! unfterblich find die Wonnen, Ich fühl’ e8, die mir deine Huld verlieh; Ins Jenſeits auch hinüber nehm’ ich fie.

DWiederfehen.

Wie ward mir, Freundin, meinen Geiſt Verwandte, Als mich dein Auge wieder traf! Mir däuchte, Daß wieder mir die goldne Sonne leuchte,

Die an dem Himmel meiner Kindheit brannte.

O diefe Stimme war die altbefannte, Die mir zuerft der Seele Dunkel ſcheuchte, Zuerſt ins Auge lodte heil'ge Feuchte Und mir die erſten heil'gen Namen nannte!

425

Biel irrt’ ich, o ich fühl's mit tiefem Harme, Biel, weife Freundin, ab von deinen Lehren, Und oft vergaß ich dein im Lebensfchwarme.

Bergieb! Vergieb! Sieh diefe Reuezähren, Und den Berlornen laß in deine Arme Wie zu der fel’gen Kindheit wiederfehren.

Aus der Heimath. 1.

Laß ſtill die Thräne rinnen Auf deinen Heimathherd! Geneſeſt du nicht innen, Was iſt das Außen werth?

Vergebens in die Weite Späht hoffend dein Geſicht; Dein düſteres Geleite,

Die Trauer läßt dich nicht.

Ob Yänder auch und Meere Die Ferne dir enthüllt,

In deiner Bruft die Yeere Wird nimmer ausgefüllt.

Durch alle Zonen flüchte, Durchſchweife jede Flur, Du ſiehſt verdorrte Früchte Und welke Blüthen nur.

4%

Ein Nebeldunft, ein gelber, Umhüllt dag Himmelszelt, Und finfter wie du felber

Iſt um dich her die Welt.

2

Wie öd und ausgeſtorben Alles!

Und dennoch tönt aus jedem Gang Ein Flüſtern mir, ein leiſes Regen, Das mid) mit Schauer füllt, entgegen, Ein Echo gleitet matten Schalles Geheimnißvoll die Wand entlang.

Dft flieht mein Schlaf in nächt'gen Stunden, Wenn im Kamin das Heimchen zirpt;

Tie Wanduhr, die feit Jahren ftumme, Beginnt von neuem ihr Gefumme,

AS ob fie zählte die Sekunden

Am Bett des Kranken, eh er ſtirbt.

Dann rauſcht es in den Vorhangfalten, Auf allen Treppen wird e8 laut,

Sch höre Rufe, wehgebrochen,

Und an den Thüren ſchallt ein Pochen, Ein Schimmer gleitet durch die Spalten, Bor welchem meiner Seele graut.

Bewegen ſeh' ich ſich die Klinken Bon Händedrüden, mir befannt; Ich öffne, und im matten Lichte Shaun mit gebleichtem Angefichte Mich Schattenbilder an und winken Zurück mir mit der weißen Hand.

41

Hinweg! hinweg! Bon allen Seiten Starrt Schreden hier auf mich herab! In diefem Haus erftarb das Yeben, Doch irrend noch zur Nachtzeit ſchweben Die Geifter der vergangnen Zeiten

Um meiner Jugendfreuden Grab.

3. Wald, der oftmal8 mein Gelächter In der Freunde Kreis vernahm, Zeuge meiner froben Träume, Düfter fchütteln deine Bäume Nun ihr Haupt wie Todtenwächter Ueber mir und meinem Gram!

Luſt'ge Bücher, einjt gelefen

In der alten muntern Zeit,

Mag’ ich nun, euch aufzufchlagen, AH! nur von vergangnen Tagen, Nur von dem, was ich gemefen, Spredt ihr mir in dumpfem Yeid!

Saal, wo wir ung einft verjammelt, Dede ftehft du nun und leer!

Nie mehr fliegt in heitrer Stunde Das Geſpräch von Mund zu Munde, Und nur eine Stimme ftammelt Schluchzend: Nimmers, nimmermehr!

4285

4

Ein kalter, grauer Nebel hing

In Falten nieder auf das Thal, Als wieder ich zum erftenmal Den Weg zur Wald-Kapelle ging.

Ich fuchte den befannten Pfad, Den, wenn die Glode feiervoll Zum Frübgebete rufend ſcholl, Der Knabe Tag für Tag betrat.

Doch nun war feine Spur verwifcht, Bon Neffeln ward mein Fuß gehemmt, Die Erde felber fchien mir fremd,

Mit vieler Herbfte Yaub gemiſcht.

Tem Wandrer gleich, der unbefannt An unmwirthbaren Hüften irrt,

So ftand ich zweifelnd und vermirtt, Ein Fremdling in dem eignen Land.

Stets matter glomm das Tageslicht, Verloren {hol ein Glockenklang, Ich irrte viel, ich fuchte lang,

Tod die Kapelle fand ich nid.

-

Ö.

Hier ift es, wo ich als Kind geftreift

Und die Beere gepflüdt, die am Abgrund reift; Still wars, wie jet int Yaube;

Fernher nur hört’ ich durch Ranken-Geflecht Die Schläge der Art und den pidenden Specht Und das Girren der wilden Taube.

429

D Träume, fhön wie Märchen der Feen, Umfchwebten mich dort, wenn beim Abendwehn Ich ruht’ am Felfenhange;

Und vor mir lag, wie im Traum ichs ah, Bol goldener Cchlöffer das Leben da

So lange das her, fo lange!

Aus der Welt, da draußen nun fehr ich zurüd; Wie Märchen Alles dahin: dag Glüd

Und Hoffen und Lieb’ und Glaube!

Im Walde lieg’ ich, wie einft ich lag,

Und höre von ferne der Aerte Schlag

Und das Girren der wilden Taube.

6.

Sie find es, ja! im Wafferfall

Bernehm’ ich ihrer Stimmen Schall Und in den Murmelquellen;

Sie rufen mich im Abendwind,

Mich ihnen, fo wie einft als Kind, Deim Mondlicht zu gejellen.

So fern, ihr Geiſter, jene Zeit,

Als ih in Waldes-Einfamtleit Euch meine Brüder nannte,

Und euer Blid, fo fanft, fo mild,

Wie Schein, der aus den Sternen quillt, Das Herz an euch mir bannte!

Als wir umbergefchweift am See, Wo auf dem Lager fich das Reh, Bon Waldluft träumend, regte,

430

Indeß der nächt’ge Schmetterling, Der an der Weißdornblüthe hing, Die Schwingen fanft bemegte.

O nie ward in der Menjchenwelt, Die ihrer Schwüre feinen hält,

So wie bei euch mir Friede! Nehmt neu mid auf in euern Kreis, Und fügt den Lebenstraum mir [eis

Hinweg vom Augenlide!

An die Hausgeifter.

Wieder in dem alten Gleife Rolt das Rad der Tage nun; Bon des Lebens irrer Reife Kehr’ ih, um in euern Kreiſe Froh und glücklich auszuruhn. Meines Baterhaufes Paren, Mid vor Irrſal zu bewahren Hütet mich bei Tag und Nacht, Wie ihr, euern Reigen fchlingend, Süße Lieder leiſe fingend, Meine Wiege fchon bewacht!

Nun aufs Neu mit Glockenklange Wedt mich, wenn der Morgen graut! Bei der Schwalbe Frühgeſange,

Die fih) an dem Bogengange Heimathlich ihr Neft gebaut,

Sei ih in der Dämmerfrifche

An dem trauten Arbeitstifche

3

Von der Bücherwelt umringt, Während ihr mit luſt'gem Klettern Aus den Schränken, von den Brettern Mir die lieben Bände bringt!

Gern dann lauſch' ich euren Spielen, Wenn als ob vom Wind bewegt Leichte Blätter niederfielen

Auf den Treppen, auf den Dielen Trippelnd ſich eur Fußtritt regt; Wenn ihr klingelt an den Schellen, Lachend, wie das luſt'ge Gellen

Auf dem Flur ein Echo weckt, Oder, mit den Händchen klappend, Durch das Morgendämmer tappend, Euch mit unſern Gnomen neckt.

Oder Nachts mit den Geſchwiſtern Und den Freunden am Kamin Hör' ich in der Flamme Kniſtern Eure Stimmen leiſe flüſtern; Aennchen ſitzt auf meinen Knien Und erzählt uns ſchöne Märchen, Sei es vom verliebten Clärchen, Wie es ſich im Wald verlief, Oder von der Dornenhecke,

Wo im ſicheren Verſtecke

Röschen hundert Jahre ſchlief.

Spielend mit den blonden Locken Küſſ' ich das geliebte Kind; Bertha ſitzt indeß am Rocken, Und das Spinnrad ohne Stocken Schnurrt im Kreiſe pfeilgeſchwind;

42

Von des Herbſtes Blättertreiben Klirren oft die Fenſterſcheiben, Draußen rauſcht der Eichenbaum, Und, zu meinen Füßen liegend, Belt, fi fefter an mich fchmiegend, Dft das Windfpiel auf im Zraum.

Aber von den Ölodenthürmen Mahnt zum Schlaf der zwölfte Schlag; Eud, ihr Laren, ung vor Stürmen Und vor Flammennoth zu fehirmen, Euch befehl! ich dieſes Dad! Wacht an unfer Aller Bette,

Und auf jede Lagerftätte

Gießt der Träume goldne Fluth, Bis im Schlaf ein Yächeln fage, Wie das Herz vor Freude Tchlage, Das an dem der Heimath ruht!

Der Dubelgreis.

Meiner Kindheit frübfter Lehrer, Meiner Jugend Freund und Rath! Berne wohl als Freudenmehrer Wär’ ich diefem Feſt genaht,

Dem dein Herz, in fich bejeligt, Jugendlich entgegenjchlägt,

Ob es gleich des Alters Schneelicht Bleich auf deine Stirne legt.

Hätt' ih Oden, leiht von Takte, Flaccus' Nieder und Catulls,

Die beim Schneeglanz des Sorafte Flügelten den trägen Puls,

433

Hätt' ich Rofen von Pränefte Oder Trauben von Salern,

O Geliebter, dir zum Feſte Brächt' ich ſolche Spenden gern.

Aber ach, was kann ich bringen, Ich der Bettler, deinem Herd? Gleichwie mit gebrochnen Schwingen In das Neſt der Vogel kehrt, Müde fo, ein irrer Wandrer,

Kehr' ich von der Lebensbahn;

O fürwahr, ich bin ein Andrer, Als da wir zuletzt uns ſahn.

Kennſt du mich nicht mehr, mein Alter, Nicht den Knaben, hoffnungsfroh, Welcher munter wie ein Falter

Deiner Vaterhut entfloh?

Düſter ſteht er nun, ein Stummer,

An des Erdenglückes Grab,

Und der Nächte öder Schlummer

Löst den Gram der Tage ab.

Dod genug! In meiner Blindheit Seh’ ich nicht was mich umgiebt? Nicht die Stätte meiner Kindheit, Wo ich jeden Pla geliebt?

Hier die Halle, dort dag Eitrich, Alles grüßt mich fo vertraut,

Und der Tag bebünkt mic) geftrig, Als ich fie zulegt gefchaut.

Sa, wie fi) die Lüfte klären,

Lacht der Himmel wieder blau,

Und im Auge mir die Zähren

Wandeln ſich in Freudenthau; Sch'ack, Se. Werte 1. 28

434

Auf der Lippe ftirbt das Klaglied, Und mein Sang, geliebter reis, Fröhlich, wie der Lerche Taglied, Töne nur zu deinem Preis.

D der Zeit, fie war fo jelig,

AB mich Dämmrung no ummob, Und durchs Zwielicht fi) allmälig Meines Lebens Sonne hob,

Wie du da, ein früher Klopfer, Mich den Schlaf zu ſcheuchen batſt, Und mit mir zum Morgenopfer In den Griechentempel tratft!

Wie der Hymnus, Zeus-gewidmet, Ter Gefang des Pindaros,

Dann in Worten, ſchöngerhythmet, Ueber unfre Rippen floß,

Wie für ihn, der goldenthronig Mit der Leier prangt, Apoll, Süßer als Hymettushonig

Dir der Preis vom Munde quoll!

Wie du mir, da noch der Kreifel Unter meinem Schlage flog,

Und ich ſchweifend, wie ein Weifel, Neben dir das Feld durchzog,

In den Blüthen und im Yaube Deuteteft den großen Geift,

Der im Hleinften Sonnenftaube Wie in den Planeten freist!

D wie oft, wenn und zu Häupten Ihren Kelch die Nacht erſchloß Und ein Meer von bingeftäubten Welten durch die Himmel goß,

45

Stand ih da in heil’gem Schauer, Während du, zu mir geneigt, Jeden Stern in duntelblauer Aetherferne mir gezeigt!

Wenn der Blid dann durch die lichten Höhen mit dem Sehrohr klomm,

Bis aus den zertheilten Schichten Neue Weltenfülle glomm,

D wie ward fi da mein Fleines Herz der Ewigkeit bewußt!

D wie fanf id nicht an deines, Neugeftählt für Leid und Luft!

Ja, Geliebter, überſchwänglich Fühl' ich mich in deiner Schuld! Alles gab, was unvergänglic)

In mir ift, mir deine Huld.

Der du mir den Becher randvoll Fülteft mit der Liebe Tranf, Ach! was hab’ ich eine Handvoll Staubed nur für di zum Danf!

Mag der Himmel, der Bergelter, Jeden Lenz dein Glüd erneun! Mag der Herbit auf deine Kelter Seine volliten Trauben ftreun,

Und aus Krügen, ſchön von Henkel, Eh dein Auge Naht umbüllt,

Se von Enfeln deiner Entel

Dir das letzte Glas gefüllt.

436

Un J. S.

Ein fanfter Friedensodem haucht mich an, Wenn ich dein Haus, o fronımer Greis, betrete, Als ob mir milde Luft entgegenmwehte

Dom Hirtenlande Kanaan.

Mer gab dir Macht, dir im Gewühl der Welt Die tiefe Seelenftille zu bewahren,

Wie Einer, der feit feiner Kindheit Jahren Geruht im Patriarchenzelt ?

Ob rings die Erde von der Völker Streit Erzitterte und von der Reiche Fallen, Nicht eine Stunde trübte bei dem Allen Sich deiner Seele Heiterkeit.

Der Mitwelt fern und dem mas fie erjtrebt, Haft du mit Jenen, welche nie veralten, Der Borzeit großen, heiligen Geftalten, Einfach und ſchlicht wie fie gelebt;

Und während Zielen nad, die Keiner kennt, Wir ruhlos hafteten auf irren Pfaden, Warſt du im Geift bei friedlichen Nomaden Im emig hellen Orient.

Dort zogft du mit dem Karamanenzug Hin über glühnde Fläche, nadte Kuppe, Und Mittags tränfte bei der Balmengruppe Rebekka dich aus ihrem Krug.

437

Der Blinde.

An E. A.

Nicht im Frühroth fiehft du mehr Purpurn glühn die Himmelsränder, Nicht den Tag, der hoch daher Wandelt um die Erdenländer, Nicht des Mondes milden Schein, Noch den Frühling und die Rofe, Ewig ftarrt dein Blid allein

In die Nacht, die gränzenlofe.

Aber herrlich ftrahlend bricht,

Wie Arktur durch Woltenriffe, Deiner Seele Flares Licht

Dur des Auges Finfterniffe, Tenn was Andern Blindheit heißt, Gab der Hinmel dir als Hülle, Trunter ungeftört dein Geift Schwelg' in reinen Glanzes Fülle.

Hell wie durch ein Seherohr, Schaut er tief im fternbefäten Aetherblau den Reigenchor

Aller Sonnen und Planeten,

Und das Kreuz, das überm Haupt Unfrer Elterpäter freiste Längſt ift feiner nun beraubt Unfer Himmel, der vermaiste.

Fernehin des Orients Thore fieht er aufgefchloffen Und den erften Erdenlenz Ueber Eden ausgegoffen,

458

Sieht von Indiens Kaufafus Hoch aufglühn die Gletfcherzinnen Und den Paradiefesflug

Dierfah durch die Ränder rinnen;

Sieht die Inſeln Griechenlands Glorreich tauchen aus dem Meere, Und der Chöre Feiertan;

Um die flammenden Altäre,

Und mit Roffen, die den Tag

Aus den mächt'gen Nüftern fprühen, Bei der Wogen höherm Schlag Helios nahn im Morgenglühen.

Milde leuchtend immerdar

Dämmert durch der Zukunft Schleier Div das neue Erdenjahr

Und die große Frühlingsfeier,

Wenn die Menfchen fich, befreit, Nur dem Joch der Liebe fügen, Und, wie in der goldnen Zeit, Lamm und Leu beifammen Tiegen.

In der Naht der Blindheit fo Mahnft du mich, beglüdter Seher, An den Aar, der fonnenfroh

Droben ſchwebt, den Lichtquell näher; Ah! und Seh’nde labt fie nicht, Jene lautre Strahlenquelle;

Uns erftirbt das höhre Licht

In des Tags gemeiner Helle.

439

Der kleine Franz.

Geftern no im muntern Spiel Mit den Seifenblafen

Sprang er viel und lachte viel Auf dem grünen Rafen;

Abends drauf von meinen Knien Späht' er nad) den Sternen, Jeden, der am Himmel fchien, Wollt’ er kennen lernen.

„Bute Naht nun! Morgen dann Mir erzählft du weiter!”

Und er lächelte mich an,

Hüpfte fort jo heiter,

Geftern noch fo frifch im Glanz Seiner fieben Jahre,

Liegt er heut, der Kleine Franz, Auf der Todtenbahre.

Barter Knabe, der du bang Sonft im Finftern zagteft, Sprich, wie du den großen Gang Durch das Dunkel mwagteft, Wagteft, in den Schlund, davor Alle zitternd ftehen,

Durch das fehwarzverhängte Thor So allein zu gehen?

Seit dem letzten Eonnenftrahl D wie weit die Reife! Weiter, weiter taufendmal, Als vom Kind zum Greife!

40

Jüngſt erſt auf der Mutter Schooß, Ihr am Buſen lagſt du,

Nun die Größten rieſengroß Plötzlich überragſt du.

Und mit Allem, was ich kann, Was ich bin und habe,

Nichts vermag ich dir fortan Mehr zu lehren, Knabe; Weiſer du als Sokrates,

Ich an Geiſt erblindet,

Alles, Alles weißt du es, Was wir nie ergründet.

Lächelnd blickſt auf uns du nun, Denen du entriſſen;

Kindiſch dünkt dich unſer Thun, Unſer Sein und Wiſſen.

Seit du über mich ſo hoch

Biſt erhöht, o Kleiner,

Nur mit heil'gem Schauer noch Denken kann ich deiner.

Der Dod der Nachtigall.

Du, die unſterblich, vom Geſchlechte Der Feen und Eifen ich geglaubt, O holde Freundin meiner Nächte, So hat der Tod dich mir geraubt!

Im weichen Mondlicht vom Balkone Wie oft dir laufcht” ich andachtsvoll, Wenn aus der grünen Blätterfrone Dein beil’ges Lied herüberſcholl.

41

Aufhorchte felbft das Seelenlofe Den Tönen deiner Melodie; Die bleihe Lilie, die Roſe

In ihrem Schlummer hörten fie.

Zu Abgrundtiefen bald verjunfen,

Wo fein Geftirn des Lichtes kreist, Bald von des Himmeld Wonnen trunfen Schien im Gefang dein Sehergeift.

Ein Hoffen quoll aus ihm, ein Ahnen Bon Höherm, als die Erde giebt; Ein Haud, fo wollte michs gemahnen, Der Yiebe, die in Allen liebt.

Nicht ſchwieg dein Schmettern, dein Geflöte, Seitdem das Abendlicht verglüht;

Erjt jpät beim Schein der Morgenröthe Sanf dir das Köpfchen ſchlummermüd.

Im Dunkel geftern au zum Singen Auf deinem Zweig warft du erwacht; Gewölk ftieg auf; verloren gingen Schlaftrunfne Donner durd die Nadıt.

Sanft glitt dein Lied, das leisgehauchte, Auf Rofen- und Jasminenduft,

Der ringsher aus den Kelchen rauchte, Zu mir durch ſommerſchwüle Luft.

Doch ſtärker war der Aeſte Sauſen,

Des Donnerkrachens Widerhall;

Laut, immer lauter durch das Brauſen Des Sturms quoll deiner Stimme Schall;

4422

Und ob der Blitz mit lohem Strahle Hernieder auf die Wipfel fuhr,

Hoch jauchzteft du in dem Chorale Der um did) jubelnden Natur.

Mit Geiftern wars ein Zwieſprachhalten, Ein Stürzen in das ew’ge Licht,

Ein Schauen himmliſcher Geftalten, Wie in Ezehiels Geſicht.

„Und, wo jelbft der Prophet mit Zagen Den Blid geſenkt und heil'gem Graun, Wie wollteft dus, o Kleine, tragen, Die Gottheit unverhüllt zu fchaun?

Beim Frühroth rollte durch das Wetter Ein letter, mächt'ger Donnerflang, Durch den dein jubelndes Gefchmetter In hohem, vollem Hymnus drang.

Glorreich durchs Dunkel ftieg die Sonne; Da ſankſt du zudend erdenmwärts;

Der Donner jhwieg; im Sturm der Wonne Gebrochen war dein Fleines Herz.

Wahre Schönheit.

Wenn du in den Fürftenfälen, Mädchen, bei der Kerzen Schein, Strahlft im Glanze der Juwelen, Glaubſt du ſchön zu fein?

413

Wie von Welle hin zu Welle Hurt’gen Flugs die Schwalbe ftreicht, Auf des Marmorbodend Helle Schwebſt du flügelleicht.

Aus des braunen Lodenhaares Fülle, die dein Haupt umflicht, Leuchtet deiner Augen Tlares Dlaues Himmelslicht.

Aber eifig ift ihr Schimmer, Wie der Diamanten Pracht, Wie das froftige Geflimmer Der Decembernadt.

Ob mit Allem, was auf Erden Prächtig ift, du dich umgiebft, Mädchen, ſchön erft wirft du werden, Glaub’ mir, wenn du liebft!

An 9. 8%.

Freund, der mit mir in düftern Stunden Den ram der Erde durchgefühlt,

Mit mir die große Dual empfunden, Die in der Bruft der Menjchheit wühlt,

Der nah mir war in jenen Nächten, Als ich der Leiden ſchwerſte litt

Und mit des Lebens finftern Mächten Den ungeheuern Kampf durchſtritt!

44

Noch einmal nun, zum lestennale, Eh mir der Zod die Wange bleicht, Biet' mir in der kryſtallnen Schale Den Trank, den du mir oft gereicht,

Und finge mir ein Lied von denen,

Die wir geliebt, die oft vereint,

Mit Freuden» und mit Schmerzensthränen, Wir durchgejubelt, durchgeweint.

Zu voller Leidensblüthe fchließe

Sid dann noch einmal auf mein Herz, Daß es in eine Zähre gieße

Des ganzen Menfchenlebens Schmerz.

Und, unbeengt vom dumpfen Schreine, Laß ruhn mich, tief hinabgelegt,

Wo fehmerzhaft zudend an die meine Die Bruft der Mutter Erde fehlägt!

Vorgefühl. Seit ich dich zuletzt geſehen, Mädchen, ſprich, was iſt geſchehen? Dich erkenn' ich wieder kaum; Wo iſt nun dein muntres Lachen,

Wo dein Scherz ſchon beim Erwachen Aus der Nächte heitrem Traum?

Nicht dich mehr in alter Weiſe Find’ ich in der Andern Sreife

Dei dem Spiel, das du gejpielt; Stumm und fhüchtern wie die Rofe Biſt du, wenn, verftedt im Mooſe, Sie des Morgens Nahen fühlt.

45

D ih ahne, Kind, wie Schauer Halb in Wonne, halb in Trauer Hin durch deine Seele gehn;

Doch getroft! die Dämmrung endet; Bald erröthend und geblendet Wirſt du vor der Sonne ftehn.

Un Üele.

Laß mich nicht allein, Adele, Nicht in weiter Welt allein! Sonnen will ich meine Geele, Weib, in deines Auges Schein.

Leg’ in meine deine Rechte, Daß an Über Aber wallt! Schaurig draußen find die Nächte, Und die Tage o wie kalt!

In des Menſchenſchwarms Gewühle Steh' ich da betäubt und bang; Daß nur Einer mit mir fühle,

Fruchtlos iſt mein Herzensdrang.

Der Natur mich zu vertrauen Streif' ich durch Gebirg und Wald, Doch zurück von ihr treibt Grauen In mich ſelbſt mich wieder bald.

Ob das Herz in Freude ſchlage, Ob es in Verzweiflung bricht, Taub iſt ſie für unſre Klage, Unſre Luſt verſteht ſie nicht.

46

Ihre welken Blätter ſtreut ſie Theilnahmlos auf unſre Gruft; Nur aus unſerm Staub erneut ſie Ihrer Lenze Blüthenduft.

Laß mich nicht allein, Adele, Nicht in weiter Welt allein! Sonnen will ich meine Seele, Weib, in deines Auges Schein!

Herbſtgefühl.

Wie wenn im froſt'gen Windhauch tödtlich Des Sommers letzte Blüthe krankt

Und hier und da nur, gelb und röthlich, Ein einzeln Blatt im Windhauch ſchwankt:

So ſchauert über meinem Leben Ein nächtlich trüber, kalter Tag; Warum noch vor dem Tode beben, O Herz, mit deinem ew'gen Schlag!

Sieh rings entblättert das Geſtäude!

Was ſpielſt du, wie der Wind am Strauch, Noch mit der letzten, welken Freude?

Gieb dich zur Ruh'! bald ſtirbt ſie auch.

447

Der ewige Wanderer.

Raftlofer, der, vom alten Fluche wantend, Im Wetterfturme des Vergangnen ſchwankend, Mit irren Zritten durd) das Weltall ſchweift, Tem immer neu der Winterfroft der Jahre Und der Jahrhunderte , die greifen Haare, Wie Schnee der Alpen Haupt, bereift!

Borüber fahft du gehn die Menfchenalter,

Und neu zur Gruft erftehen gleich) dem Falter,

Der ew’gen Zod auf feinen Schwingen trägt,

Und ſahſt die Völker zu den todten Reichen,

Wie blaffe Kinder zu der Mütter Yeichen, Staub zu dem Staub, ind Grab gelegt.

Um Freude bettelnd Elopfft du an die Pforte

Bon jeder Zeit, doc) jede ruft die Worte

Entgegen dir: nimm unjre Schmerzen mit!

Ein Rachen, um den Sammer zu betäuben,

Dünkt dich die Yuft; wie welkes Yaub umftäuben Der Menfchheit Seufzer deinen Tritt.

Jetzt, da nach Aufgang deine Blice fchmeifen, Zählſt du am Himmelsrand die blaffen Streifen, Ob einer noch zum ew’gen Morgen fehlt; Die Dämmrung naht und auf die vierte Stunde Weist jene Sternenuhr, die als Sekunde

Tas ältefte Jahrtauſend zählt.

Ein froft'ger Hauch dringt durch des Oftens Spalten Und Heerrauch wallt herab in grauen Falten, Der Morgen tagt, doch tagt in Yinfterniß, Angftvol nur flattern einzle Himmelslichter, Der Erdftoß fchreitet näher, der Vernichter,

Bon Bol zu Pole Mafft ein Riß.

448

Ein Donner dröhnt von fallenden Yawinen,

Und Welt an Welt, Ruine an Ruinen,

Stürzt zitternd durch die afchenbleiche Yuft;

Die Monde und die Wanbdelfterne rollen,

Wie auf den Sarg der Sterblichen die Schollen, Zu ihren Sonnen in die Gruft.

Es knicken, losgeriffen aus den Yugen, Die Säulen, die den Bau der Schöpfung trugen, Wie nächt'ge Schatten in dem Strahl des Lichts, Und dur die Nebel, wie fie niedertriefen, Gähnt in den ausgeleerten Himmelstiefen

Das öde, gränzenlofe Nichts.

Doch du, o Seufzer auf des Emw’gen Tippe, D Wandrer, ſpähſt noch von der Trümmerklippe Des todten Weltals nach dem künft'gen Einft; Berronnen find die Ströme und die Meere, Noch aber ift fie nicht verfiegt, die Zähre,

Die brennendheiße, die du weinft!

Und dm dich her, wie Blafen_auf dem Schaume,

Gähri neues Leben in dem wüſten Raume

Und ſchleudert Sonnen, Ball an Ball gereiht,

Durch neue Himmel hin mit ihren Erden,

Und ſchäumend überſchwillt das neue Werden Die Marken der Unendlichkeif.

Aufs Neue dann, von ew’gem Durft getrieben, Indeß gleich Flocken Welten um dich ftieben, Raffſt du dich auf an deinem Wanvderftab, Und fragft die Brandung neuer Dceane, Die Flammenherde werdender Vulkane:

Habt ihr für meinen Schmerz ein Grab?

449

D Bild der Menjchheit, Bild der gramerkornen,

Die ewig feufzt ums Glüd der Ungebornen,

Doc nie dem Fluch entrinnt, der fie ergreift

Und fie als Opfer mit den beiden Schergen,

Geburt und Tod, auf Wiegen und auf Särgen Bon Dafein fort zu Daſein ſchleift!

Burg Modenflein.

Jahre finds, und doch mit Schauern Den!’ ich noch an jene Stunden, Da wir in den düftern Mauern Deiner Ahnenburg gehaust,

Jener Burg, in deren Thürmen Sonft allein die Dohlen niften,

Die der Haud von Winterftürmen In Novembernacht durdjjaust.

Finſter hängt ſie, zeitgetroffen,

An des Berges kahlem Scheitel, Ringsum Wüfte, nur am ſchroffen Felſenhang ein Föhrenhain;

Ihre Zinnen, ſpukhaft ragend, Sieht der Wanderer mit Beben, Und des Kreuzes Zeichen ſchlagend Spricht er: das iſt Rodenſtein!

Aber wir, das nächt'ge Grauen Und der Vorzeit Reſte liebend, Weilten oft noch ſpät im rauhen Herbſtmond auf dem öden Riff, Jubelten, wenn auf dem Erker Wild die Wetterfahnen krachten Und der Nordwind ſtark und ſtärker Durch die Bogenfenſter pfiff.

Schad, Geſ. Werle. I. 29

450

Nachts, das Holz in Haufen ſchichtend, Eilten wir zum alten Saale,

Und, das Dunkel um uns lichtend, Schürten wir die Flammen an; Siehe! und mit hellem Vohen

Schlug die Gluth an das Gewölbe, Daß ſie tropfend von den hohen Bogengurten niederrann;

Und am Feuerbrande kauernd,

In der Hand den Becher Weines, Hörten wir den Nachtſturm ſchauernd Fegen durch den Bogengang,

Wie er an der Wand die Wappen Und die Ruſtungen bewegte,

Und das Schloßthor fih mit Klappen In den ehrnen Angeln ſchwang.

Leiſe da vom Rodenſteiner

Spracheſt du, dem Fluchbeladnen,

Und, erfüllt vom Schauer deiner

Sage, ſpäht' ich durch den Saal;

„Hörſt du dort nicht Schritte ſchleichen?“ Fragt' ich dich mit banger Stimme,

Und es traf von meinem bleichen

Antlitz dich der blaſſe Strahl.

Ja! es war kein Traum! Ein Krachen Bebte durch den Bau der Erde,

Und ein Höllengeiſter⸗Lachen

Schlug uns gellend an das Ohr; Dlaue Flammen, wie von Schwefel, Zudten durch den Saal und ledten Am Gefimfe und Getäfel

BZüngelnd bis zum Dad) empor.

451

Horch! daher von Schnellart-Gipfel Scholl e8 wie Gebell von Rüden, Durch den Sturz der Tannenmipfel Und den heulenden Orkan;

Hörmer dröhnten; aus der Fuge Sprangen mit Gekrach die Thore, Und im fturmgepeitfchten Fluge Zog die wilde Jagd heran.

Rehe, denen zu den Knöcheln

Dide Tropfen Blutes vannen, Hirſche flohn mit Todesröcheln

Uns im baft’gen Yauf vorbei;

Eber folgten, grimme Keuler, Schnaubend und die Hauer wetzend, Und dur das Getob der Heuler Scholl des Jägers Wuthgejchrei.

Dann, auf ſchwarzem Roſſe birjchend, Kam er felbft, der Gott-Berhaßte, In dem Grimm der Hölle knirſchend, Blaß wie menjchgewordner Tod; Düfter in den Höhlen flammten Seine Augen, und e3 glühte

Ihm dag Brandmal der Verdammten Auf der Stirne blutigroth.

„Ewig! ewig! nie Erlöfung

Vom jahrhundertalten Fluche?

Werd’ ich, heilende Verweſung,

In dein Bahrtudy nie gehüllt?

Muß ich8 ewig, ewig künden,

Daß der Becher überfluthet,

Wenn der Menſch mit feinen Sünden Ihn bis an den Rand gefüllt?“

452

Sprachs und fhwand. Mit Händeringen Folgt' ein marmorbleiches Weib ihm; Braune Yodenhaare hingen

Um ihr Antlıg fturmvermweht;

Auf den gramzerftörten Zügen

Schien ein matter Dämmerſchimmer Noch von Reich des Lichts zu Tiegen, Wie ein fterbendes Gebet.

Nettungflehend hob nach oben

Sie den Blick, doch mit Gelächter Wälzte fi und wüften Toben

Um fie her die graufe Jagd;

Und, glei) wie mit ehrner Klammer An den Gatten feftgefchmiedet, Schwand fie unter ftummen Jammer In die boffnungslofe Nacht.

Drauf in immer wirrern Knäulen Kam ein Schwarm von Nachtgenögel, Glühen Auges fehwirrten Eulen

In dem mißgeichaffnen Zug;

Mole, fhuppiges Gewürme

Bolgten dann und Flügeljchlangen, Die der Hauch der Wirbelftürme Kreifend auf und niedertrug.

So bei lautem Hörnergellen

Zog die wilde “Jagd vorüber;

Fern und ferner hol das Bellen, Dis es in dem Dunkel ſchwieg; Und du fpracheft, dich erhebend: „Wenn der Rodenfteiner auszieht, Naht auf Sturmesflügeln ſchwebend Wetterſchwanger fi) der Krieg.

453

„eh, Europa! ſchon von ferne Geh’ ich ſich die Wolken ballen, Seh’ beim Leuchten trüber Sterne, Eingehüllt in Pulverdampf, Deinen Städten, deinen Reichen Schon den Wiürgeengel nahen Und in Bergen deine Leichen, Aechzend unter Roßgeftampf.”

Alfo fpracheft du, und betend Wandt' ih mich zum Meorgenlichte, Das, die finftern Hallen röthend, Dur die Bogenfenfter quoll, Während matten Scheins die Scheite Die die Nacht erhellt, erlofchen,

Und der Gloden Frühgeläute

Aus dem nahen Kloſter ſcholl.

Fetzte Zeilen. In der Krankheit.)

Drag mir die Sonne finten nicht vergebens Hat fie auf Erden mir geglängt;

Neich ward der große Wunderkelch des Lebens, Zum Rande jhäumend, mir Fredenzt.

Im hehren Mai, wenn über Berg’ und Thale Ten Siegeszug der Frühling hält,

Etand ich anbetend nun fchon dreißig Male Bor diefer wundervollen Welt.

454

Klangvoll 309 bin durch meiner Ceele Saiten, Was nur mit Werderuf Glorreich-Unfterbliches zu allen Zeiten

Des Menſchen Genius erjchuf.

Der Liebe vollſtes Glüd hab’ ich genoffen An Herz und Sinnen, Leib und Geift; Mit Freunden einen Seelenbund gefchloffen, Den feine Ewigkeit zerreißt.

Am goldnen Tag, im Sturm und in der Stille, Aus fternenhellem Nachtazur,

Sprach mit dem heil’gen Munde der Sibylle Mir Seherworte die Natur.

Ich weiß, daß über mir und mir zu Füßen Und um mid Welt an Welt fi reiht; Fernher ertönt zu meinem Ohr ein Grüßen Aus dämmernder Unendlichkeit.

Und muß es fein, muß nun im Gränzenlofen Der Lebensathem mir verwehn,

Ich Mage nicht; das Haupt befränzt mit Rofen, Wil ich von binnen gehn.

Rückkehr der AMuſe.

Welch Säuſeln in der Linde Blätterdach?

Was ſtäubt zu mir herab wie Blüthenregen Und füllt mit Glanz und Düften mein Gemach Und treibt die Pulſe mir zu ſchnellern Schlägen, Als kehrte neu der erſten Liebe Glück

In dieſes winteröde Herz zurück?

45

Du biſts, dich grüßt mit Freudenzährenfchimmer Mein Auge, lang der Thränen ſchon entwöhnt; In meines Lebens tiefzerfallne Trümmer

Trittft du noch einmal lächelnd und verjöhnt, Du Einzige, die Treue mir bewahrt

Auf diefer wechjelvollen Erdenfahrt!

Wie nenn’ ich dich, die du die hohen Bahnen Dort oben neugebornen Sonnen zeigft,

Und in der Kinderfeele ftilles Ahnen

Und in des Jünglings Traum berniederfteigft ? Früh hab’ ich dich gekannt, o Heilig-Große, Und fpielte, wie der Mutter, dir im Schooße.

So mild mid) fahft du an, fo wunderjam! Aus deiner Augen himmlifch blauer Reine Umftrahlte noch mit morgenrothem Scheine Mich die Unendlichkeit, aus der ich kam, Und Himmeldlieder fangft du mir o nie Berflingen wird mir ihre Melodie.

Dft, wenn ih einfam Homm auf Bergeshöhn Und mir vom Haupte troff des Frühlings Regen, In Waldesitille tratft du mir entgegen

Und neigteft mir dein Antlig, göttlich ſchön,

Und in der Grotte auf das Moos geſunken

Lag ich, dir laufhend, ftumm und monnetrunfen.

Und wer, o Freundin, nad der dunfeln Stunde, Als ich, in fternenlofe Nacht verirrt,

Den legten Ddem jog von jenem Munde, Gleich dem mir keiner wieder lächeln wird,

Wer wars, der aus des Abgrunds Finfterniß, Bon Grab und Tod empor die Seele riß?

456

Du, Herrlide! Ta Alles vom Geſchicke, Was in der Sterblichkeit mir theuer war, Geraubt mir worden, zeigteft du dem Blide Die em’ge Welt, wo immer hell und klar Die heil’ge Flamme lodert auf dem Herde, Die nur gebrochen dämmert diefer Erde.

Sie ahnen wir, wenn Dante Traumgeſicht Ins Paradies uns trägt auf Strahlenmogen, Wenn Tizian zum Yarbenregenbogen

Ten Glanz der großen Geifterfonne bricht, Wenn unter Phidiag’ Hand, von ihr durchglüht, Der Marmorblod zum Götterbild erblübt.

Wie Sonnenfhein den Froft des Winters, brach Ihr Strahl das Eis in meines Buſens Tiefen; Paut wieder ward es drinnen, Geifter riefen In trunfner Werdeluft einander wach

Und jubelten, indeß ſich im Gefang

Das Lied geflügelt aus der Eeele rang.

Und in die großen Arme der Natur

Mich legteft du und öffneteft die Lippen

Ter Schweigenden, daß fie in Wald und Flur, Auf Bergeshöhen und an Uferflippen

Mir Tröftung ſprach und ihre Wonnefchauer Sanft lispeln ließ in meines Herzens Trauer.

D Göttliche, und dih im Menſchenſchwarm, Der wild und immer wilder mid umfreiste, Dich konnt’ ich lafien? Einfam, freudenarm, Wie ohne dich ertrug e8 der Verwaiste? Doc fieh! du kehrſt zurüd und ewig ſoll Mein Leben dir gehören ganz und voll.

457

Bring meine Thränen mir und mein Entzüden, Ter ſchlummerloſen Nächte bleihe Dual,

Einfame Schmerzen, welche mehr beglüden

Als alle Luft im lauten Freudenfaal,

Und meine wachen Träume, meine Lieder

Nichts ſonſt begehr’ ih Mufe bring mir wieder!

Hinaus! im Frühlingsfturme braust der Wald,

In tauſendſtimm'gem Yeben jauchzt die Erde,

Ich höre, wie der große Ruf des Werde

Durch Thal und Flur und Berg und Abgrund hallt; Die Harfe raufcht, und in dem mächt’gen Wehen Fühl' ich auch meine Seele auferftehen. .

Nachwort

zum erften Bande.

Ich habe oft bedauert, daß Diejenigen, welche ihre gefammelten Werke herausgeben, folche Gelegenheit nicht benugen, um die Intentionen ihrer Schriften darzulegen und überhaupt einzelnes darauf Bezug habende, was ihnen von Wichtigkeit feheint, zur Sprache zu bringen. Wäre dies Gebrauch, mie vielen falfchen Auffaflungen fünnte dadurd) vorgebeugt werden, wie Manches, mas der Kurzfichtigkeit al8 Fehler erfcheint, würde dann in ein rechtes Licht treten! Man wird es daher begreifen, daß ich denjenigen meiner Dichtungen, bei welchen ic) dazu Anlaß fand, einige derartige Bemerkungen bei- gefüigt habe.

Es ift die Sitte vieler Lefer, bei jeden Buche auf Entdedung von Unmahrfceinlichkeiten, Unmotivirtheiten und anderen Mängeln auszugehen. Kein Autor wird nun wohl behaupten, daß irgend eine feiner Produktionen fehlerlos fei, und ich behaupte es am wenigften von den meinigen. Da jelbft den größten Dichten, und -zwar ausnahmslos und an jeden ihrer Werte, Gebrechen der ärgften Art maſſenweiſe vorgeriidi worden find, könnte ich mich vielmehr glücklich ſchätzen, wenigftens die mit ihnen gemeinfam zu haben. Tehlerfreies ſoll

49°

überhaupt noch erft gefehrieben werden; aber ſchon Schiller hat gejagt, nicht die Abwefenheit von Mängeln, fondern das BVBorhandenfein von Vorzügen entfcheide den Werth eines Werkes. BZahlreiche der Fehler übrigens, wie fie ein einigermaßen geübter Kopf überall mit leichter Mühe aufzufinden vermag, find nur imaginäre: fie beruhen auf unrichtigen Prinzipien, auf Verwechſelung der Wahr- Iheinlichkeit im gewöhnlichen Leben mit jemer in Der Poefie, auf der Meinung, auch das Nebenfächliche, was, zur Vermeidung der Weitfchweifigfeit, fich zurecht zu legen dem Leſer überlaffen werden muß, ſei in einer Dichtung zu motiviren, auf der VBorausfegung, es gebe eine Schablone, wonach ſich piychologifche Vorgänge voll- zögen u. f. w. Daß nun Borwürfe, denen Überhaupt nicht leicht zu entgehen ift, auch gegen meine Dichtungen vielfach erhoben worden find, nehme ich an, wenn fie auch nur vereinzelt zu meiner Kenntniß gelangten; wo Letzteres der Fall war, habe ich mir die erheblichften der- jelben notirt. Einige, die ich begründet fand, juchte ich zu verbeffern; andere dagegen werde ich in diejer neuen Aus⸗ gabe in einem Nachworte zu den betreffenden Dichtungen kurz ‘beleuchten, zugleich) auch, wo ſich ein Anlaß bietet, mich über verjchtedene fonftige Punkte ausſprechen.

Nächte des Orients.

Obgleich ich bemüht geweſen bin, die Intention meined Gedichte mit aller möglichen Klarheit auszu— ſprechen, ıft diefelbe doch, durch Ueberſehen einiger für den Zujammenhang des Ganzen wichtiger Stellen, hier und da verfannt worden. Ich erlaube mir deshalb die folgenden Bemerkungen.

Der Grundgedanke der Tihtung läßt fich kurz jo zuſammenfaſſen: der Menſch ift nicht von einem ur: Iprünglich reinen und glüdlichen Zuſtande fpäter ent:

460

artet, hat ſich vielmehr im Laufe unzählbarer Yahr- tauſende allmälig aus thieriſcher Rohheit erhoben und ſteigt zu immer höherer Entwicklung auf; nicht in der Vergangenheit liegt das goldene Zeitalter, ſondern in der Zukunft. Der Dichter iſt anfänglich mißmuthig ſeiner Zeit abgewendet, von Sehnſucht nach vergangenen Perioden der Geſchichte erfullt. Ein alter Magier, den er in Orient trifft, verſetzt ihn auf feinen Wunſch in die Beiten zurück, die er ſich als glüdlichere ausgemalt bat, und zeigt ihm diejelben jo, wie fie in Wahrheit geweſen. Diefem Magier, welcher felbft die Jahrtauſende durchmandert hat, ift unter allen erlebten Schredniffen dennoh die Ahnung aufgegangen, daß die Menjchheit fih nach und nad von niederen Stufen zu höheren emporringe; aber er ſchwankt und zweifelt noch und will nun am Dichter erproben, zu welcher Meberzeugung derjelbe auf feiner Reife durch die Weltalter gelangen werde. Um ganz ficher zu gehen, läßt er ihn nicht allein in jeder Epoche der Vergangenheit jchweres Weh erleben, fondern fügt auch noch Gommentare hinzu, weiche Alles in noch ſchwärzeren Farben ſchildern und förmlich Weltverzweiflung predigen; er meint, wenn der Dichter trogdem den Glauben an ein Fortſchreiten der Menfchheit gewinne, fo müſſe diefer um jo tiefer be= gründet fein, und zugleich finde dann feine Ahnung eine um fo zweifellofere Beftätigung. Der bittere Hohn, den er über Alles ergießt, iſt aljo theils Refultat der eigenen finfteren Weltanfchauung, aus der er ſich empor- zuarbeiten begonnen hat, die ihn aber momentan immer wieder in ihr Dunkel hinabreißt, theils in feiner Ueber⸗ treibung eine Maske, die er dem Dichter gegenüber an- nimmt. Deutlich fpricht ex dies aus. Nur die Erfenntniß fruchtet, Die unter Kampf und Widerfprud) Tief in der eignen Seele reift.

41

Drum, während wir umbergeftreift, Durdy meine Reden noch den Brud)

In deiner Seele ſucht' ich zu verfchärfen Und lud dich ein, dich einzig dem Genuß Des Augenblides in den Arm zu werfen, Ta doch bis an der Zeiten Schluß Elend, ein ew'ges Einerlei

Bon Schuld und Weh des Menjchen Leben fei. Gejteh ichs dir, auch mich, obgleich ſchon Lang Allmälig dämmernd auf dem Erdengang Das Licht fi meinen Bliden aufgethan, Mich jelbft befiel noch oft ein Schwanten, Und wieder riffen finftere Gedanken

In Abgrundtiefen mich, wo fich die Bahn In ausganglofe Schlucht verlor.

In meiner Blindheit dann, ich Thor, Für finnlos ohne Zwed und Frudt, Hielt ich dies ganze Erdentreiben,

Erft jegt, da ich mit dir im Geift

Die Weltzeitalter neu durchreißt,

Hat fih die Wahrheit voll und ganz Mir aufgeichlofien.

Gleich nach des Magiers Auftreten zeigt fich deſſen Doppelnatur; er ift je nach der gerade vormwaltenden GSeelenftimmung bald der an Allem verzmeifelnde Spötter, bald der begeifterte, von hohen Gedanken und Hoff: nungen erfüllte Seher:

Allmälig war von feinem erften Hohn

Die legte Spur felbft im Geſpräch entflohn, Und manchmal blickt' er mich jo feierlich, So ernft an, daß mid Ehrfurcht überfjchlich ; Fa, wenn in feine meine Augen fahn, Glaubt’ ich, ins Gränzenloſe aufgethan, Den unergründlid tiefen, blauen

462

Sternhimmel einer Neumondnaht zu ſchauen. Ein groß Geheimniß jchien in feinen Zügen, Wie auf dem Angeficht der Sphinz zu liegen, Tie, halb verjunfen in den wehnden Sand, Des Weltalls Räthjel auf den hohen Brauen, Hinaus in? Unermefine ftarrt.

In diefer ernten und gehobenen Seelenftunmung, die fich zu Anfang des zwölften Abjchnittes noch ge- fteigert hat, wird er in den Momenten, wo er fid unbelaufcht glaubt, fpäter zu wiederholten Malen von Dichter überraſcht; aber erft am Schluſſe, ala Letzterem dag als Ueberzeugung aufgegangen ift, was ihm nur Ahnung gemejen und oft wieder von Zweifeln erftidt worden war, tritt er in völlig verflärter Geftalt als Prophet einer hohen Zukunft auf. Alle die angeführten Stellen und noch viele andere, welche die jpätere Wen— dung erflären und vorbereiten, muß man überjehen haben, um zu jagen, der Magier trete mit fich jelbft in Widerjprud.

Nicht beffer begründet ift die Behauptung, die Welt- anjchauung in der erften Hälfte des Gedichtes fer peſſi— miſtiſch, in der zweiten optimiftifch. Es wird mit diejen Worten, wie mit jo vielen anderen, ein arger Miß— brauch getrieben. Peſſimismus iſt die Vehre, die Nicht: Eriftenz der Welt fei ihrer Exiſtenz vorzuziehen, weil fie ihrer Natur nah für alle Zeiten in überwiegenden Maße, mo nicht ausjchlieglich, ein Wohnplatz des Elendg, Frevels und alles Böen jein werde; der Optimismus dagegen erklärt unjere Welt für die befte unter allen möglihen. Man kann nun den Sammer, welder durd) alles Leben und durch die ganze Gefchichte bis auf den heutigen Tag geht, erkennen und lebhaft empfinden, ohne deshalb der erften diejer beiden Lehren zuzuftimmen ; - aber wenn man auf Örund der neueften Naturwiffen- ſchaft annimmt, daß der Menjch, der fih im Yaufe von

465

Sahrhunderttaufenden aus den unterften Formen des animalifchen Lebens emporgerungen, auch noch einer höheren Entwidlung entgegengehe und daß dann, wie dag Böje jo auch das Leiden auf der Welt fi min- dern werde; wenn man gegen das viele Gute und Schöne, da3 doch inmitten alles Weltelends fchon zu Tage gefommen ift, daS Auge nicht verjchließt und in ihm die Keime zu einer noch reicheren Ernte für die Zukunft erblidt, jo bekennt man fich dadurch noch nicht zu der Leibnitz'ſchen Theſe, die Voltaire jo köſtlich ver- jpottet hat. In der Schilderung aller Weltperioden, welche in meinem Gedichte vorgeführt werden, find nun freilich die düfteren Schatten, die auf ihnen lagen, ber: vorgehoben, und fie werden durch die abfichtlich über- treibenden Glofjen des Magier noch fehwärzer; allein volles Dunkel ruht nur auf der erften, bereit3 in die zweite fällt ein Lichtitrahl, der dann mehr und mehr wächst, indem der Griechenland gemwidmete Abfchnitt eine weit höhere Culturepoche vorführt, als der vor» hergehende. Später wird dies noch ausdrücklich her- vorgehoben:

Sind von der Menfchheit frühften Lebensſtunden,

AS fie, der Thierheit kaum entwunden,

Der erjten Sprache Laut geftammelt,

Bis zu dem Tag, als in der Waſſer Mitte

Sie um die erften Herde fich gejammelt,

Nicht unermeßlich groß die Schritte,

Tie fie gethan Hat? Sah ich nicht jchon dort,

ALS jener Jüngling, jene Jungfrau kühn

Tem Hafle trogten und den Mord,

In ihr der Liebe Himmelzfener glühn?

Uud weiter au8 der Finfterniß

Ter Stein und Erzzeit o! wie riß

Sie durch den graunden Morgen der Geſchichte

Sich hoch und höher ftet3 empor zum Lichte,

ih

AUiv Nu der Tin wertet am Horizonte, Und er Ten 4,>ıre, dem Sumat, Ce Venumu x ten Gipjelt fie

Nr are oh seattrası 'tcch Tomate?

Nu u wer Veen nat em Genius

Vie dipen Ra must amt Tanften Kuß,

vr u ae Sta Öuzemmen ringen forte?

WE AU Annie I Dre Zcohle,

Als e ven Xen Prertade

Moltenun yonwerst Ne Wogenpfade

Und ma Dr Wrrte Yurenie

tludleuhiee ven Nu Veisdeit Glanz,

Yu Dr reden Grtechentands

Ka Benin Seisat wis noch mie zuvor!

But der see te Stone Weiſe mie Dichter, be let Du Nut geet verwarts, aber fpiraljärmi. son da Wudisut Need Ausipruchs überzeugt, bt ab nableindı, auun tete gen Fortſchritt Der Menid 4, 9b neihameuin, tevaßer Seriuch Durch einen Bergleic nn ekteloltees mt dem Jettalter des Perikles fiche . na air, vieunehr den Goethefchen Sa

.. heed Hebehbia be dr Men⸗chdeit Gang: ri Phad amd zrummt und windet, ne BL BETEN abidundertiang

u Beenden dtreren ichwindet.

ch rk enden veikt Nie doch ihr Drang.

ru erenh das Wittelalter Die geiftigen Güte . JE prttelch und Yaattet su ihrem Fortſchritt ke

.- ot DER an medreren Stellen des adı: . pen Ho vngedenlet, nachder meiter ausgeführt. Darı u Dara

.. u „ne Mb de machtig auftetgende Bewegweg jeit dei 1 2 wechbihundenn, In rule die Seele des Magier oe’ Geben Dormagen und, obgleich er fie zertmei

Ir LI Werben Hecht, tlaubt er doch zu gemahre: 6

U Ru

45

wie ſie ſich fpäter, namentlich in unferem Jahrhundert, hoch und höher erhebt. Als er fi) dann durch den Dichter, der gleich ihm die Zeitalter durchwandert hat, in dieſer Auffaffung beftärft fieht, ergießt er ſich in die Prophezeiung einer glorreichen Weltperiode, an deren Eingangspforten wir erft ftehen. Dies, kurz und projaifch außgefprochen, die leitende Idee der Nächte des Drients. Es fpringt in die Augen, daß die Feier des Deutjchen Reiches am Schluffe zu der äußeren Einfafjung des Gedichtes, der Reifebeichreibung, gehört und hier dag lichte Gegenftüd zu dem büfteren Anfang bildet; wie die Fahrt in den Orient unter den trüben Eindrüden des Vatikaniſchen Concils beginnt, jo jchließt fie mit der Kunde von den größten welt- gefchichtlichen Ereigniß diefes Jahrhunderts. Die Ber- jpective in die Zukunft, welche der Magier kurz zuvor eröffnet bat, ift fo unermeßlich viel weiter, daß man nur mittel3 des feltfamften Migverftändnifjes annehmen fönnte, ich jähe in der politifchen Wiedergeburt Deutfch- lands das Endziel der weltgejchichtlihen Entwidlung. Um dem genannten, nur bei höchft oberflächlicher Lektüre möglichen Mißverftändniffe vorzubeugen, würde ich gerne die Schlußapoftrophe an Deutfhland ganz weggelaffen haben; der Kern des Gedichtes wäre dadurch im Min- deften nicht berührt worden. Aber ich fand, daß deſſen Umrahmung dadurd gelitten haben würde, und ließ daher die Stelle ftehen. Noch fei mir ein Wort vergönnt in Betreff einer Bemerkung, die über die „Nächte des Orients“ gemacht worden if. Man hat gejagt, die Handlung darin fei zu Gunften einer beftimmten Tendenz gelenkt und dies müſſe Das Intereſſe an ihr vermindern. Nun jcheint mir die Doctrin, auf welcher diefe Ausftellung beruht, eine von den zahlreichen zu fein, die in jedem Jahrzehnt auftauchen, vielfach wiederholt, dann aber verworfen 30

44

Bis hell der Tag aufftieg am Horizonte, Und auf dem Alburs, auf dem Sinai, Des Himalaya heiterın Gipfel fie

Im Klaren Geiftesftrahl ſich fonnte?

Fa hat vom Himmel nicht ein Genius Die Lippen ihr gelöft mit fanften Kup, Daß fie des Beda Hymnen fingen fonnte? Wie erjt beflügelte fich ihre Sohle,

ALS fie von Aſiens Geftade

Weſtwärts hinfchritt die Wogenpfade Und, von der Künfte Aureole Umleudtet, von der Weisheit Glanz, Auf den Gefilden Griechenlands

Nun herrlich daftand wie noch nie zupor!

Goethe, der eben fo große Weife wie Dichter, hat gejagt: „die Welt geht vorwärts, aber fpiralfürmig.“ Bon der Wahrheit dieſes Ausſpruchs überzeugt, habe ich nicht verfucht, einen ftetigen Fortfchritt der Menjch- heit nachzuweisen, welcher Verfuch durch einen Vergleich des Mittelalterd mit dem Zeitalter des Perikles ficher vereitelt worden wäre, vielmehr den Goetheſchen Sat jo umfchrieben:

Aufwärts geht der Menfchheit Gang;

Ob fi ihr Pfad auch krümmt und mindet, Ja ob er auch jahrhundertlang

In dunkle Abgrundtiefen fchmindet,

Nach oben wieder reißt fie doch ihr ‘Drang.

Uber wie aud das Mittelalter die geiftigen Gitter der Welt gemehrt und fomit zu ihrem Zortfchritt bei— getragen, das wird an mehreren Stellen de3 achten Abſchnitts angedeutet, nachher weiter ausgeführt. Daran ſchließt fich die mächtig auffteigende Bewegung feit dem 16. Sahrhundert; fie erfüllt die Seele des Magier mit hohen Hoffnungen und, obgleich er fie zeitmweife rüdläufig werden fieht, glaubt er doch zu gewahren,

45

mie ſie fich jpäter, namentlich in unferem Jahrhundert, hoch und höher erhebt. Als er fih dann durch den Dichter, der gleich ihm die Zeitalter durchwandert hat, in dieſer Auffaffung beftärft fieht, ergießt er fich in die Prophezeiung einer glorreihen Weltperiode, an deren Eingangspforten mir erſt fteben.

Dies, kurz und proſaiſch außgefprochen, die leitende Idee der Nächte des Orients. Es jpringt in die Augen, daß die eier des Deutichen Reiches am Schluffe zu der äußeren Einfaffung des Gedichtes, der Neifebefchreibung, gehört und hier das lichte Gegenftüd zu dem difteren Anfang bildet; wie die Fahrt in den Orient unter den trüben Eindrüden des Vatikaniſchen Concils beginnt, fo jchließt fie mit der Kunde von dem größten melt- gefchichtlichen Ereigniß dieſes Jahrhunderts. Die Per- [pective in die Zukunft, welche der Magier kurz zuvor eröffnet hat, ift jo unermeßlich viel weiter, daß man nur mittels des jeltjanften Mißverftändniffes annehmen fönnte, ich fähe in der politifchen Wiedergeburt Deutfch- lands das Endziel der meltgejchichtlihen Entwicklung. Um dem genannten, nur bei höchſt oberflächlicher Lektüre möglichen Mißverftändniffe vorzubeugen, würde ich gerne die Schlußapoftrophe an Deutjchland ganz mweggelafien haben; der Kern des Gedichte wäre dadurd im Min- deften nicht berührt worden. Aber ich fand, dag deſſen Umrahmung dadurch gelitten haben würde, und ließ daher die Stelle ftehen.

Noch fei mir ein Wort vergönnt in Betreff einer Bemerkung, die über die „Nächte des Orients“ gemacht worden if. Dan hat gejagt, die Handlung darin fei zu Gunſten einer beftimmten Tendenz gelenft und dies müfje das Intereſſe an ihr vermindern. Nun jcheint mir die Doctrin, auf welcher diefe Ausftellung beruht, eine von den zahlreichen zu fein, die in jedem “Jahrzehnt auftauchen, vielfach wiederholt, dann aber verworfen

30

Drud von Gebrüder Kröner in Gtuttgart.

Durd alle Wetter,

Roman in Verfen.

Dierte WÜuflage.

Schack, Geſ. Werte 1. 1

Sıfles Bud. Attacho und Sängerin.

Ruerft dich ruf’ ich, fteh mir bei als Helfer Und gieß mit deinen Strahlen, o Apoll, Wie in der Weine köftlichften, den Elfer, In dies mein Epos feur’gen Altobol, So daß verftummt des Unverftands Gebelfer Und die Kritik ausruft begeiftrungsvoll: Werth ift der Autor, daß er fort von Xeon Zu Aeon lebe, wie der Sohn des Mäon!

Dod nein! Apoll und Muſen und Camönen Hat man fo viel in Athem ſchon geſetzt, Daß fie bei jedem neuen Anruf ftöhnen; Auch fteht in Mißgunſt das Antike jest, Und unjern Kritikern, die e8 verpönen, Zudt in der Hand das Meſſer, ſcharf gewest, Um alle Dichter, die mit obgedachten Gottheiten Umgang pflegen, abzufchlachten.

4

Wenn fo jchon Der fih den Erfolg verpfufct, Der heut von Zeus no fpriht, Olymp und Pindus, Was für ein Fiasco erft, durch nichts vertufcht, Harrt Defien, der bis zu den alten Hindus Hinauffteigt und zum Ormuzd des Serduſcht! Ach, felber, al3 vom Oxus und vom Indus Ich fang und von dem Bolf des Barathuftra, Erfahren hab’ ichs während ein’ger Luftra.

„Langweilen wirft du und zulegt zu Tode Sp hieß e8 da mit deinen Urwelt-Fabeln! Kam doc) das Griechifche felbft aus der Mode, Geit wir gelernt im Jacobs die Wocabeln,

Und ftellt die Jetzeit doch mit ihren Ode, Dem Malzertract, den fubmarinen Kabeln, Cafes hantant3 und Parlamentsdebatten

Die frühern Weltperioden all in Schatten.

„Drum ſchwör' gefchmwinde zur modernen Yahne! Aus dem, was in den obern Spalten ftebt, Mad für die Zeitungs-Feuilletons Romane Und fei gewiß, daß Ruhm dir nicht entgeht! Hinhorchen mußt du nad dem ©allierhahne, Ob er vielleicht fampfluftig wieder kräht, Und fchnell den Krieg, falt eh noch Schüſſe fnallten, Zu Senfationsnovellen umgeſtalten.“

Wohlan! Nac eurem Rath will ich mich beffern, Vielleicht trägt meinen Namen dann die Fama Zu allen Erdenländern und Gewäſſern. Ich laſſe Buddha und den Dalai-fama Den andern Federn oder Dintenfäffern Und wende mid) von Ormuzd, Allah, Brahma Und Ninives berühmten Ylügelftieren Den Göttern zu, die unfre Beit regieren.

5

An Themata, wie ein Homer, ein Maro Sie zu beſingen ſicherlich verſchmähte, An den Salon, das Billardſpiel, das Pharo Gewöhne ſich die epiſche Drommete; Den Börſenhelden wie den Carbonaro Muß ſie verherrlichen, Straßburgs Paſtete, Cabriolets mit eleganten Ponies, Die Küche Philippe's und das Eis Tortoni's.

Alfo, wenn fonft der Sinn mir auf das Fernfte, Präadantitifche gerichtet war, Veracht' ich jet (glaubt mir, ich red’ im Ernfte!) ALS graue Vorzeit das vergangne Jahr, Und ich verfpreche feft, als der modernfte Der Dichter, die dies Säculum gebar, Nie mehr auf eine frühre Weltepoche Zurüdzugehn, als auf die legte Woche.

Ein Mipftand leider, ich verhehl's mit nichten, Fit diefer Dichtart eigen von Natur, Denn man erzählt den Anfang von Geſchichten, Eh man den Fortgang und den Schluß erfuhr; Begnadigt find mit inneren Gefichten Die Smedenborgs und heil’gen Männer nur, Und SKünftiges zu fehaun, fehlt es profanen Poeten meine Schlaged an Drganen.

Kundichafter halt’ ich drum mit ſchwerem Gelde, Bewohner der gefammten Erbvenjtädte An Donau, Niagara, Ahein und Schelde, Damit mir durch die Telegraphendrähte Ein jeder fchnell und aufs genaufte melde, Mas er von meiner Helden Loos erjpähte; Bon euch, den Käufern, hoff’ ich die Erjtattung Der Koften diefer neuen Dihtungsgattung.

6

Allein zur Sache nun! Im Elb⸗Florenz Fängt der Roman an, den mein Lied erzählt, Der Stadt, die Raphael zur Reſidenz Und Paolo und Rubens ſich erwählt Statiſtiker bitt' ich um Indulgenz,

Daß hier ein andrer Königs-Name fehlt; Doch da, wo die Unfterblih-Großen thronen, Wie dächte man an Erdenfürften- Kronen?

Am Nachmittag fpaziert auf der Terraſſe Ein junger Mann, Gefandtichafts-Attache Und jüngft erft, daß er jedem Reiſepaſſe Sein Bifum gebe, von der ſchönen Spree Hierher verfegt. Zu Füßen ihm in Maffe Liegt, nach und nach zerfließend, Winterfchnee, Und bleich wie ee wer mag den rund errathen? Erfcheint das Antlitz unſres Diplomaten.

Als hätte Weltfchmerz, welcher diaboliſch Dur dies Jahrhundert hinjchleicht, einen Yang An ihm gemacht, ftreift bald ihm melancholiſch Der Blid den gelben Elbeftrom entlang,

Bald zu der Kirche bin, von wo Fatholifch Herüberhallt der Abendmettenklang;

Auf einmal greift er nach der Uhr: O weh! Nur noch drei Stunden finds bis zur Soiree.

%a, die Soiree! Wißt, meines Helden Chef, Um beſſer feinen Großftaat zu vertreten Und ihm dur) Glanz ein höheres Welief Bu geben, war verjchwenderifch mit Feten; Und, während felbit bei Pique und Coeur und Treff Am Tiſch er faß mit andern Sternbefäten, Ließ er den Attaches und GSecretären Die weitre Sorge für des Haufes Ehren.

1

Die mußten dann, durchduftet von Pomade,

Jedwedem Gaſte Complimente machen,

Bei flauem Thee und ſchaler Limonade

Zu Scherzen, ſchaler noch als beide, lachen; Und wer nicht, wie die Anderen, ſo fade

Bu ſchwatzen mußte oder bei dem flachen Gerede ſchwieg, der war nicht wohlgelitten; Ihm fehlen, hieß es, noch die feinen Sitten.

Für unfern Jüngling eine Lebensplage Iſt ſolch ein Rout; doch fcheint ihm unabwendlich, Daß er auch heute fie geduldig trage. Halt! eben fällt mir ein, Zeit ift e8 endlich, Daß ich den Namen meines Helden fage: Bictor heißt er der Graf ift ſelbſtverſtändlich; Unmerth wär’ ich der Gabe des Gefanges, Hielt’ ih mir einen Helden mindern Ranges.

FF Graf Victor alfo, fahr’ ich fort, haucht fchwere Stoßfeufzer aus, indeß am Elbeftrand

Er promenirt; mit Schmerz in die Carriere

Des Diplomaten fieht er fich gebannt;

Ach! nicht aus Sucht nah Titeln und nad Ehre, Gleich Andern, die mit einem bunten Band

Die Ruhmbegier der ftolzen Seele ftillen,

Betrat er fie, nein, nach des Vormunds Willen.

„Freiheit, o Freiheit! höchftes aller Güter! Seufzt ee wie lechzt nach dir der arme Sklav! Wenn du mir fehlft, muß ich, ein Frübverblühter, Mid bald Hinftreden in den Todesſchlaf.“ Sogleich jedoch für ängftlihe Gemüther Vertheidigt fei vor dem Verdacht mein Graf,

Als wär’ er etwa ein verruchter Wühler, Ein Bombenleger und Mazzini-Schüler.

8

Nicht jene Freiheit, wißt, für die in Hellas Plutarch geſchwärmt, der alte Demagog, Von der ich ſelber, da ich Schillers Tell las, Das Gift ſchon früh in meine Seele ſog, Und die jetzt durch Vertreibung Iſabellas In Spanien ſiegte, meint ſein Monolog; Nur der Plebejer iſts, der für ſie glüht, Doch nimmer, wer hochadlig von Geblüt.

Durchſtreifen möchte, wärs auch als Matroſe, Victor die Welt bei Sturm und Regenſchauer Nach allen Richtungen der Windesroſe;

Doch Miſanthrop wird er wie Schopenhauer, Wenn ihn das „Kauderwelſch, das der Franzoſe Für Sprache ausgiebt“, oft durch Stundendauer In den Salons umſchwirrt ſo wie am Hofe Dies zur Erklärung jener Apoſtrophe.

Als Knabe ſchon in ſeiner trauten Mark, Umringt von Sand nur und Kartoffeläckern, Verachtet hat er kind'ſchen Tand und Quark Und iſt, wenn Andre zu den Zuckerbäckern Geſchlichen ſind, mit Cook und Mungo Park Und ſonſt'gen Weltumſeglern und Entdeckern Im Geiſt gereist; dann mehr noch in die Weite Trieb Humboldt ihm den Sinn durch jede Seite.

Wie oft, wie oft ad), hat ihn das Geſchick Um Alles, was fein Herz erfehnt, betrogen? Sich fah er Hoch zu Schiffe, wie fein Blick Hinfchweifte über dunfelblaue Wogen Und vor ihm glorreich Teneriffa Pit Emporftieg, während neue Himmelsbogen Auf Himmelsbogen ſich mit unbefannten Sternbildern über Meer und Länder ſpannten.

9

Da klomm er ſchon es träumen war ein Feſt Wenn kaum das Schiff Halt machte mit den Rädern, Die Uferfelſen auf und ins Geäſt Der höchſten himmelnahen Bergescedern;

Dem Condor ſah er in ſein ſchwankes Neſt Und ſchmückte ſich das Haupt mit ſeinen Federn Und ſtieg empor zum Flammenhaupt der Anden, Wo nie noch eines Menſchen Fuß geſtanden.

Und wie erfüllt ſich, was geträumt er hat? Abſchreiben ſoll er Tag für Tag Depeſchen, Um, wenn er höher klomm des Dienſtes Pfad, Auf eigne Hand daſſelbe Stroh zu dreſchen. „Ein edles Weſen, ſo ein Diplomat! Aufhorchen, rapportiren, in Gewäſchen Wetteifern mit den ſinnigen Collegen, Nur wer das kann, der geht dem Glück entgegen.“

Einlegen muß ich feierlich Proteſt, Daß ſolche Meinungen die meinen wären; Ich halt' im Gegentheil, das glaubt mir feſt, Den Stand der Diplomaten hoch in Ehren, Nur weil ſich Victor ſo vernehmen läßt, Mußt' ich hier ſeinen Worten Platz gewähren. Noch währt ſein Selbſtgeſpräch, da tritt, höchſt nobel, Zu ihm ein Herr im Pelz von ächtem Zobel.

Man liest im Blick des Freiherrn Salomon: Er fühlt fich ftolz als Träger jener Geldmadht, Die über Bismarck und Napoleon Europas Schickſal lenkt als höchſte Weltmacht; Doch läßt er fich herab mit feinem Zon,

Sich zu erkundigen, was unfer Held macht, Und fpricht, ind Auge Hemmend die Yorgnette: „Ei, Grillen fangen Eie, Herr Graf, ich wette!

10

„Sein Sie doch froh wie ich! Ein Liberaler Umſchwung in Defterreih! Der Metalliques Abſatz feit geftern ift ein coloffaler,

Und alle Actien ftehen magnifil;

Der Neingewinn madt fünf Millionen Thaler Für unfer Haus. Klingt e8 nicht wie Mufit Aus Himmelshöhen: Zehn Procent geftiegen! Und Zubel le’ ich nicht in Ihren Zügen?

„Nun? immer ftumm noch? Ehrgeiz peinigt Sie, Ich glaube, daß Sie auf des Dienftes Leiter Nicht höher ſchon geklommen; aber nie Auf einmal, erft allmählig Tommi man weiter. Adien nun, Graf! und auf ein Glas Chablis Zum Frühſtück morgen lad’ ih Sie; dann heiter, Ich weiß, bei Gläferflang und frifchem Hummer Berlahen werden Sie den heut’gen Kummer.

„Allein erft eben kommt mir in den Sinn: Heut im Theater ift ja das Debüt Der langerharrten fremden Sängerin, Bon der die mufifalifche Revüe So viel verheißt; in Schaaren ftrömt dahın Das Publitum, und fehon feit heute früh Ft es umfonft, auf ein Billet zu hoffen; Doch meine Loge, Graf, fteht Ihnen offen.

„Gefallen zwar nach allem dem Sublimen Der Neuzeit kann der Freiſchütz ung nicht mehr: Nicht werth ift diefer Weber, nur den Riemen Am Schuh zu löfen unfern Meyerbeer; Und hätte man den Gaft fo viel nicht rühmen Gehört, fo ftünden alle Bänke leer Doc die veraltete Muſik vergißt Man leiht, wenn jung und ſchön die Sängrin ift.“

Ins Haus mit ihm tritt Bictor, und Schon halt Wie Hörnerton, im Laub fernhin verloren, Wie Windesflüftern durch den Eichenwald Der Ouvertüre Anfang ihm zu Obren; Dann mächt'ger, immer mächt’ger jchwellend, wallt Ein Wetterfturm, von Geiftermacht befchworen, Wirbelnd heran; ein donnerndes Getümmel Beginnt, ein Kampf der Hölle mit dem Hinmel.

Bon Waſſern, die in dunkler Tiefe braufen, Glaubt man den dumpfen Widerhall zu hören Und Hohngelächter, Flügelfchlag von graujen Unholden bei dem Sturmgekrach der Föhren; Dann, matt verhallend in der Windsbraut Saufen, Ein Schluchzen wie von fernen Engeldhören, Bis fiegreich fie, die Höll' und Tod bezwingt, Die Liebe, ihre Jubellieder fingt.

Graf Victor jaß zur Seite deu Banquier, Und mächtig zog ihn feit dem erften Takt Die Fluth der Töne fort, als riffe jäh In feine Wirbel ihn ein Kataraft. Mit Kiltans Hohn und dem Berzweiflungsmeh Des Mar vorüber glitt der erfte Akt, Und endlich, Tange ſchon erwartet, nahte Die Königin der Scenen mit Agathe.

Anbebt fie. Ueber der entichlafnen Flur Hängt fternenhell in lautlos tiefen Schweigen Die Sommernadt; leiß durch dag Yenfter nur Walt mit dem Duft von taufend Blüthenzmeigen Der Athemzug der träumenden Natur,

Indeß fernher Gewitterwolten fteigen Und von dem Inienden Mädchen das Gebet Sanftſchwellend durch die nächt'ge Stille weht.

29

Hoffnung, Verlangen, träumerifches Sehnen, Berlorenfein in die Erinnerung Glückſel'ger Stunden, Yächeln zwifchen Thränen, Melancholie und höchfter Seelenfhwung Genalt hat das noch feine aller Scenen, Gleich diefer hier: fie wird unfterblich jung, Der fpätften Enkel Herz mit ſüßen Schauern Durchrieſelnd, fort durch alle Zeiten dauern.

Und nun das Glüd, faft für das Herz zu groß! Das Schwelgen Mund an Mund und DBlid an Bliden! Die Paufen, wo die Wonne athenılog Sich neu ermannt zu höherem Entzüden!

O! als die Liebe aus dem Wogenſchooß Des Meeres ftieg, die Götter zu beglüden, Sind folde Melodien vielleicht erklungen, Doch uns hat Weber fie zuerft gefungen.

Agathe ſchwieg. Ein donnernder Applaus Bon Yogen und Olymp bis zum ‘Parkette, Sich ftet3 erneuend, ging durchs ganze Haug, Und auf Agathe nieder um die Wette Bon ringsher flogen Blumenkranz und Etrauß. Ein Feder meinte, nie zuvor noch hätte Die Arte fo ihm Herz berüdt und Sinn, Wie aus dem Munde diefer Sängerin.

Und wie denn fragt der Leſer heißt der Galt, Der fo entzüdt das Dresdner Publikum ? Ah! laßt mich e8 geftehen, gar nicht paßt Ter Nante mir; bei ihm fchlägt ſchreckenſtumm Den Blid die Mufe nieder und erblaßt Und nennt das Schidjal graufam oder dumm, Weil es ihr ſolchen Streich geipielt hat. Wißt, Daß „Fräulein Echmidt“ der Eängrin Name ift.

13

Ihr unglüdjel'gen Ehnidt und Schulz und Müller, Vergebens werbt ihr um des Ruhmes Feier! Die Patti ſelbſt trog aller ihrer Triller, Die Lind, was wäre fie al3 Fräulein Meyer? Iſts denkbar gar bei Goethe oder Schiller, Sie hießen Schmidt? So fei ein dichter Schleier Denn über deren Namen hingebreitet, Die zur Unfterblichfeit mein Lied geleitet!

Ich rede nur von ihr als von Amalien, Denn jo heißt fie im Kirchenbuch zu Wien. Bon ihrer frühern Lebenszeit Specialien, Bepor im Freiſchütz heute fie erfchien, Erfuhr ich eine3 nur: nicht in Italien Bei Verdis Schellentrommel-Melodien,

In Deutfchland machte fie die erften Studien Ber Bachs Motetten, Fugen und Präludien.

Doch, um zu unferm Victor heimzukehren, Er rührte, um zu Hatjchen, feine Hand; Als ob gelähmt ihm alle Glieder wären, War auf den Pogenfig er bingebannt; ort tönte, wie ein Schall aus Himmelsfphären, Ihm noch Agathes Arie; oder fand Noch mehr ald durch dag Lied, dem er gelaufdt, Er durd) der Sängrin Stimme fi beraufcht?

Um Weitres noch zu faffen, war kein Raum In feiner Seele mehr; fein felbft vergeffen, Der Wolfsſchlucht Uhufrächzen hört’ er kaum Mit fammt dem Tremolo von Contrebäflen; Und, als am Schluß er aufwacht wie vom Traum, Sind Alle fort jchon, die umher gefeflen; Nur ihm zur Ceite der Banquier-Baron Schnarcht noch im allertiefiten Bariton.

1

Aufrafft zulegt fich diefer: „Elentent! Bon Anfang an beinah hab’ ich gefchlafen! Ya, diefe Opern, die man Haffifch nennt, Langweilig, mag der Himmel fonft mich ftrafen, Sind fie zum Sterben!” Im Hinabgehn trennt Sid dann der edle Börfenmann vom Grafen, Und Victor wanft in fein Gemach; ihm bebt Das ganze Sein von dem, was er erlebt.

Dies drauf fein Traum: Erfüllt war vom Gefange Amaliens der Himmel; leuchtend zogen Milchſtraßen auf und nieder bei dem Klange, Und bei dem Schein von Mondes-Regenbogen, Die fi durchs Weltall fpannten, hob die Schlange Der Ewigkeit fi) aus den Meereswogen Dod nein! wo ift mir der Berftand geblieben? Dies hab’ ih aus Jean Paul ja abgejchrieben.

Gefteh’ ichs nur: e8 fehlen mir Berichte Bon Bictord Traum; allein, das ift gewiß, Er hatte Biftonen und Gefichte:

Bald dicht umgab ihn Höllenfinfterniß, Bald wieder ſchimmerte mit ſanftem Lichte Die Sonne durd, der Wolfenvorhang riß, Und glorreih trat durchs offne Himmelsthor Amalie, die göttliche, hervor.

Als augenreibend er zulegt ermachte, Scholl eilf bereit? vom nahen Thurm die Uhr. Den Diener, der fein Frühſtück Morgens bradte, Im Zimmer fah er harren Schon und fuhr Schnell in die Morgenkleider, aber dachte, Statt an den Kaffee, an die Zeitung nur, Damit er ehe, warn, in welcher Rolle Er wiederum die Sängrin hören folle.

15

Bergebeng nichts noch in dem Blatte fand er; Dann, wie er finnend dafaß, fiel ihm bei, Daß geftern zur Soiree als eleganier Salonheld er erwartet worden fei; Bom Lager fonft um acht Uhr fchon erftand er Und war um neun präci® auf der Kanzlei; Doch diegmal mußten, arg war fein Verſchulden, Bis Mittag die Gefchäfte fich gedulden.

Er eilt hinweg, noch die Muſik von Weber Und Deren Stimme, die fie fang, im Obr; Sid) melden will er beim Soireengeber;

Doch der Portier verräth ihm fchon am Thor, Krank ſeien Erxcellenz, weil Gänfeleber

Sie allzu viel genoffen Nachts zuvor.

Glücklich mein Held, der geftern nicht erfchienen! Erfpart find ihm für heut die böſen Mienen.

So ſetzt er bin fi an den Paßbüreautiſch Zu feines Amtes wichtigem Gefchäfte. Web, welcher Wirrwarr herrfcht da! Wie chaotisch erfreut find Alten und Regifter-Hefte! Und gar am heut’gen Tag, wo ihm erotifch Dur alle Adern glühn die Lebenzfäfte, Wie ſollt' er Arbeitsruhe heut gewinnen? Er fist verjenft in träumerifches Sinnen.

Da Hopfts. Mit einem Paß in Händen tritt Ein Diener ein. Graf Victor öffnet ihn Und fährt erfchredt zurüd: „Amalie Schmidt! Wie? est Schon will fie fort? jest nach Berlin?” Drauf Jener: „Ich erfchrede Sie? womit? Noch länger wird das Fräulein bier verziehn; Doch ich, Tohndiener im Hotel Bellevue, Beſorge, was gejhehn muß, möglichft früh.“

16

Neu athmet Victor auf und ninımt den Paß. Den Namen füffen möcht! er gern, den füßen; Er taucht die Feder ſchnell ins Dintenfaß Und unterfchreibt mit lauter Krähenfüßen,

So zittert ihm die Hand; dann, wechlelnd blaß Und wieder voth, fragt er: „Wohl zu begrüßen Wünſcht' ich das Fräulein! Herr Commiffionär! Wie fteht das? Iſt der Zutritt zu ihr ſchwer?“

„Da laffen Sie nur alle Hoffnung fahren! Ermwidert ihm der Diener ftet3 umflattern Anbeter diefe Sängerin in Schaaren;

Allein, Zutritt zu ihr fi zu ergattern, Iſt feinem noch, jo viel auch ihrer waren, Bisher gelungen. Nur Berichterftattern Kritiicher Blätter giebt fie Audienz;

Nun Gott befohlen, junge Excellenz!“

Hort flürzt mein Held alsbald aus der Geſandtſchaft. D! Alles, was er hat und haben wird, Den Stammbaum, da8 Vermögen und die Standichaft ALS Reichsgraf alfo denkt er finnverwirrt Gäb' er für diefe einzige Bekanntſchaft. Hin durch die Straßen ift er lang geirrt; Auf einmal da lenkt er die Schritte Schnell Der Elbe zu und fteht vor dem Hotel.

Doch, als er dort ift, nicht den Eintritt wagt er, Kehrt um und wandelt auf und ab am Fluß. Zulegt zu fih: Du Feigling, du BVerzagter! Spricht er, ermanne dich! faß den Entichluß! Ins Haus dann tretend: „Wißt! zum Kellnerfagt er Daß ich das Fräulein fehleunig fprechen muß; Drum meldet ihr ich meiß, fie ift zu Haufe Den NRecenfenten Doctor Heinrich Krauſe!“

171

Mit Herzenspochen harrt er auf dem Gange, Doch bald erſchließt fih ihm die Thür, und Ya! Sie iſts, fie iſts! Entgegen zum Empfange,

Noch fchöner, als er fie im Traume fah,

Tritt ihm Amalie. Mit bleicher Wange,

Starr und verlegen fteht er lange da;

Sie bietet einen Stuhl ihm; ſich zu fammeln Sudt er umfonft, um nur ein Wort zu ftammeln.

BZulegt anhebt er: „Eine Offenbarung War Ihr Gefang, aus jener Welt ein Strahl In unfre Naht. Trotz meiner Kunfterfahrung Bernahm ic) Aehnliches zum erften Mal.” Doch gegen allzu großes Lob Verwahrung Legt Jene ein und fragt, für welch Journal Correfpondent er fei; gelähmt von Schreden, Sprit Victor: „Für mie beißt doch —“ und bleibt fteden.

Nochmals beginnt er: „Wahrhaft überſchwänglich, Als Hört’ ich plöglih Sphärenharmonie, War mein Genuß, und nimmer lebenslänglich Bergefl’ ich diefen Abend nie nie nie” Er flodt von Neuem und erwägt, verfänglich Sei feine Yage nad) dem Dementi; So eine wohlgemeffene Minute Stehn Beide ſtumm; dann greift mein Held zum Hute.

Ob er beim Abſchied noch ein Wort gefprocdhen, Selbft weiß ers nicht, als er fih vor der Thüre Aufs Neue fieht; er hört fein Herz laut pochen, Als obs ein Eijenreif zufammenfchnüre.

Ein Wirbeln ift in feiner Bruft, ein Kochen,

Das an den Mittelfag der Oupertüre

Bon geftern mahnt: „Wer war dir nun verderblic,

Als du? Du jelbft haft dich blamirt unfterblich! Shad, Ge. Were I. 2

18

„Vergebens mwürdeft du dem Schidfalsfüger Die Schuld aufbürden; durch dein Ungefchid Stehft du entlarvt als Lügner und Betrüger, Sa, als ein Dummkopf da vor ihrem Blid. Und dag ertrügft du ruhig? Wärs nicht klüger, Du ſchlängſt flug um den Hals dir einen Strid? Allein, wozu ift noth ein Etrid? Noch beiier Führt dich zum Ziel ein Sprung ind Stromgemäfler!“

Er denkts und eilt mit haft'gem Schritt zur Brüde Schon, meint Ihr, werdet Ihr ihn jpringen fehn; Doc er verjchiebt den Vorfag noch zum Glide Und will einftweilen im Spazierengehn Des Weitern grübeln, ob durch Schidjalstüde,

Ob bloß durch fein VBerfehulden das gejchehn, Was ihm den Tod bringt. Mit geſenktem Haupte So ſchreitet fort der Lebensmuth-Beraubte.

Den Elbſtrom wandert er hinauf. Ein Thauen Von Süden her geht durch die Luft bereits, Und durch die duft'gen Nebelſchleier blauen Die Zinnen und Baſtein von Sachſens Schweiz. Man ſollte glauben, Alle, die es ſchauen, Beſtricken müßte dieſes Anblicks Reiz; Mein Freund jedoch, mein jugendlicher, blonder, Schleicht hin, ein eingefleiſchter Hypochonder.

Nur einen Vortheil hat die Promenade, Daß er den Selbſtmord heute noch verſchiebt; Fließt Tag für Tag der Strom nicht am Geſtade Vorbei, und iſt nicht, wenn es ihm beliebt, Auch morgen Zeit noch zu dem kalten Bade? Am beſten drum, daß er ſich heim begiebt Und reiflich nachſinnt über das Erlebniß; Dann kann er handeln nach dem Endergebniß.

19

Eich Feten wie Gefchäften zu entziehn, Vorſchützen läßt er plögliche Erkrankung, Und hin und her nun werfen Zmeifel ihn, So wie der Sturm ein Schiff, in fteter Schwankung. Soll er die Sängerin für immer fliehn? Nein, keinem Kaifer dünkt die Thronabdankung Unmöglich, wie ihm da8 und doc, erjcheinen Kann er ja nie mehr vor der Einzig-Einen.

Umfonft vom Schranf auf ihn hernieder fahn Die Bhilofophen, Hegel, Kant und Plato, Umfonft ſich rief er zu: „Den Liebeswahn Verſcheuch und fer ein Stoifer wie Cato!“

Im Ohre tönte ftet3 ihm der Sopran Amaliens mit dem lieblichen smorzato, Und, wie er nachjann, immer blieb dafjelbe Endrefultat ihm: ſtürz dic) in die Elbe!

Sid zu zerftreun, holt er vom Bücherpult Herab die Werke der Romanenfchreiber. D, die ihr Abends fanft in Schlaf ung lullt, Ihr Novelliften und ihr Blauftrumpfmeiber, Wie fteht die Menfchheit nicht in eurer Schuld! Kein Pillendreher und kein Salbenreiber Kommt an Berdienft euch gleich, fein Braufepulver Wirkt ficherer als deine Schriften, Bulwer!

Do unferm Freund hilft nichts. Zur Backfiſch⸗Lyrik Auch greift er, die doch füR wie Honigfeim Und ganz gefchaffen ift, uns lebensmierig Schläfrig zu machen (weh! welch ſchlechter Reim!) Allein fie ſcheint, trog aller Panegyrik, Ihm fader, widriger als Gerftenjchleim, Und weil er fluhen muß, entflieht der Schlummer; Umfonft auch Liest er manche Zeitungsnummer.

20

Da, ſieh! mit Freuden ſchauts der Lebensſatte, Wie Wuſtenpilger, wenn auf einmal Manna Herniederthaut was ſteht im Tagesblatte? „Gaſtrolle: Fräulein Schmidt als Donna Anna.“ Mein Victor fühlt, ihm wird die Grabesplatte Vom Herzen weggewälzt, und: „Hoſiannah! Ertönt es was geſchehen, iſt geſchehen,

Allein Amalie werd' ich wiederſehen!“

Kaum iſt der Thurmuhr ſechster Schlag verſtummt, AS er, daß ihn kein Menfchenblid entdecke, Auf Spanisch in den Mantel ſich vermummt Und Platz ſucht tief in einer Logenede. Indeß beim Stimmen dumpf der Grundbaß brummt, Schon figt er dort in ficherem Berftede, Und nicht wird ihm erfpart der Cellos Aechzen, Der Geigen Rreifchen, der Violen Krächzen.

Boll nad) und nad) dann ift dag Haus geworden; Schon hat dag Ohr, von Melodie beraufcht, Der Ouvertüre mächtigen Akkorden Und Leporello8 munterm Lied gelaufht Da ftürzt, das blanfe Schwert gezüdt zun Morden, Ten Mantel hoch vom Nachtwind aufgebaufcht, Don Juan herein, und in Verzweiflung jammernd Folgt ihm Amalie, angftvoll ihn umflammernd.

Ein Haud von Andalufien® Sommernädten, Der weichen Odems fie umfluthet, dringt Mit ihr heran, wie mit gelösten Flechten Das ſchwarze Haar fih um den Naden jchlingt Und fie die Hände zu den Himmelsmächten, Daß fie den Bater rächen, flehend ringt; Dean fieht von ihres Herzens hoben Schlägen Ihr weißes Nachtkleid zitternd ſich bewegen.

1

Feſt an fie hingebannt war Victors Blick, Er ſah nichts mehr als diefe Einzig-Schöne; Die Bühne fan, die Erde ihm zuriüd, Nur feine Seele trank die hehren Töne. Als Göttin, die dem dilftern Weltgeſchick Die Sterblihen mit ihrem Lied verjöhne, Erſchien dies Weib ihm, und im Chor ummallten Sie, Palmen ſchwingend, himmlifche Geftalten.

Er that es einmal anders nicht: fublim, Seraphiſch mußte Alles fein; ihm maren Genug erhaben kaum die Cherubim.

Doc denke dich zurüd zu feinen Jahren, Und leicht verzeihen, Lefer, wirft du ihm; Einft, wenn er mehr vom Leben erft erfahren, Begreifen wird er kaum, fagt Sancho Panſa, Wie er einmal die Welt fo feltfam anfah.

Daß nad) der Oper, die in ſomnambüle Ekſtaſe ihn verfegt, die ganze Nacht Er fchlaflos lag beim Wogen der Gefühle, Berfteht fih. Glühnden Haupts und überwacht Erhebt er Morgens ſich von feinem Pfühle, Und fiehe! freundlich in fein Zimmer lacht Zum erften Mal der Sonnenftrahl des März; Alsbald da treibt ihn aus dem Haus fein Herz.

Und das Hotel Bellevue ift fein Magnet. Scheu von dem Platze hin nad) der Gardine An ihrem Fenſter fchmweift fein Blick und ſpäht, Ob hinter ihrem zarten Mouffeline Ein Schatten ihm ihr Tortfein nicht verräth. D, wenn fie nun auf einmal ihm erfchiene! Er zittert, da er denkt, daß fie ihn fähe,

Und fehnt fih doch nad ihrer füßen Nähe.

22

Schon hoch und immer höher ſteigt der Tag, Und durch ſein Spähen hat er nichts erreicht. Da es berührt ihn wie ein Zauberſchlag Aus dem Hotel ſieht er fie treten, weicht Nach ſeitwärts aus und folgt von fern ihr zag. Sieh! über halbgeſchmolznen Schnee trägt leicht Der Fuß fie hin; entgegen fchreitet fie Dem Heiligthum der Kunft, der Gallerie.

Entſchwunden ſchon ihm ift fie durch das Thor, Doc zieht ihn nach fi, nach unmiderftehlich ; Erft bang nur folgt er durch den Corridor,

Die Treppen aufwärts treibt3 ihn dann allmählig; Wenn kurz er aus den Augen fie verlor,

Befällts ihn wie Verzweiflung; aber jelig,

Wenn er fie wieder fchaut, von Neuem wird er. So, wie beraufcht, durch Gäng' und Säle irrt er.

Die Bilder nicht, die göttlichen, der Meiſter Gewahrt er, die rings an den Wänden prangen; Um feine Schöne näher ftet3 und dreifter,

Nicht deffen denfend, was jüngft vorgegangen,

Sp wie die Motte um die Yampe freißt er;

Da, während feine Blide an ihr bangen,

Sieht er da8 Haupt fie wenden und ihm winken Ihm ift, als ſoll“ er in den Boden finten.

ALS, wie verfteinert, er mit feinem Zone Zu Stande kommt, tritt fie mit fchnellen Schritten Zu ihm heran und fpridt: „Mein Cicerone Zu fein, Herr Doctor, möcht’ ich heut Sie bitten; Ein Bilderkenner find Sie zweifelsohne, Und meine Ignoranz iſt unbeftritten.” Der Graf, fich tief verneigend für die Ehre, Steht noch, als ob er flumm geboren wäre.

23 Dann, nach und nach ſich ſammelnd zu dem Amt,

Nennt er ihr den und jenen Malernamen

(Sie ſtanden, ihm zum Glücke, allgeſammt

Mit großen Lettern unten an den Rahmen),

Beginnt, zum Muthe mehr und mehr entflammt,

Kunſtweisheit nach Ernſt Förſter auszukramen,

Wirft um ſich mit Impaſtos und Retouchen

Und klagt, daß ganz ſie die Laſur verwuſchen.

Doch wie er alle die Gebilde ſchaute, Die himmliſchen, und neben ſich das junge Holdſel'ge Weib, da nach und nach vertraute Er ſeinem Genius, und in höherm Schwunge Hob ſich ſein Geiſt; nicht mehr ſinnloſe Laute, Wie die Verwirrung ſie auf ſeine Zunge Zuerſt gelegt, entſtrömten ihm; warm quoll Von ſeinem Mund die Rede, reich und voll.

Ihm lauſcht Amalie mit entzücktem Geiſt, Wie er ihr Paul, den großen Veroneſen, Und Palma, Raphael, Correggio preist Und aufwärts zu den göttergleichen Weſen, Die ſie zu ew'gem Sein erſchufen, weist; Wenn er ſie lehrt, die ſtumme Sprache leſen, Die in geheimnißvollen Hieroglyphen Verborgen ruht in ihrer Werke Tiefen.

Giorgione hier! Wo iſt ein Genius, Der hellern Farbenglanz als er geſprüht? Der Liebe reinſtem, ſeligſtem Genug

Ach, daß er nur Sekunden lang uns blüht! Lieh er Unſterblichkeit in Rahels Kuß,

Der ewig fort durch alle Zeiten glüht; Geſchlechter auf Geſchlechter voll Entzücken Noch werden ſich an ihm wie wir erquiden.

em.

Tort, von des Lodenhaares goldner Fluth Umwallt, janft plaudernd in der Abendftunde, Die Töchter Palmas; einer jeden ruht Ein füß Geheimnig auf dem Rofenmunde,

Nur halb verrathen von der Blicke Gluth;

Erft mählig bis zu ihrer Seele Grunde

Schauſt du, daß fie Dir nach dreihundert Jahren, Was fie einander hehlten, offenbaren.

Und wie viel Andre noch der Zaubrer Claude Mit feiner Farben ſchimmernder Magie; Correggio, der fi von dent Morgenroth Das ſüße Yächeln und den Goldglanz lieh Indeß die Menfchen in Geburt und Tod Borüberziehen, heiter werden fie Herniederfhauen zu den Eintagsfühnen Und ihnen hold das kurze Sein verfchönen.

Als Beiden jo, Juwele an Juwele, Glorreich in Farbenpracht der Regenbogen Die Tiziane und die Raphaele, Die Nubens und Van⸗Dyck vorüberzogen, Erſcholls: Geſchloſſen werden nun die Säle! Und jeufzend fprah Amalie: „Schnell verflogen Mt mir die Zeit; allein ich bitte, weiter, Herr Doctor, fein Sie morgen mein Begleiter.“

So mar für unfern Freund das Eis gebrochen, Borüber Bangigkeit und Herzenspein; Hell lag mit fel’gen Stunden, Tagen, Wochen Das Leben vor ihm da im Sonnenfcein. In nächſter Frühe, wie fie ſich verſprochen, Neu in die Säle traten Beide ein, Und wieder ihrem Blick vorüber wallten In langem Zug die hehren Kunſtgeſtalten.

Für Victor bleibt Amalien auch (nod jünger Sit fie als er) nicht achtlos Herz und Sinn, Und oft auf ihn, wenn nad der Wand fein Finger Hinweist, flatt nach dem Bilde blidt fie hin. Schließt man die Säle dann, ald Freudenbringer Erjehnt fie fi den neuen Tagsbeginn Und wacht dem Morgen, wo die Kunftlection Bon Neuem anfängt, früh entgegen fchon.

So, lang bevor der wirkliche gekommen, Blüht in der Beiden Herzen ſchon ein Mai Der Liebe auf. Mein Held gefteht beflommen "Und reuig, daß fein Kritikus er fei; Was jol ihm der Betrug auch weiter frommen? Und fie ſpricht leicht von dem Bergehn ihn frei, Fa, giebt die Weifung, daß fie zur Viſite Den Zutritt Jedem, außer ihm, verbiete.

Dod immer feltner wird es unterdeflen, Daß man auf feiner Kanzellei ihn trifft: Oft prangt den Fremden auf den Reifepäffen Ein Dintenfled ftatt feiner Unterfchrift; Und der Gefandte nennt ihn pflichtvergefien, %a, zeigt, indem er Galle fpeit und Gift, Ihm kurzweg an, er werd’ in bünd’ger Faſſung Den Antrag ſtellen feiner Dienftentlafjung.

Wer aber ift, dem das ermünfchter käme? Erfpart wird unferm Freund fo die Supplit, Daß man hinweg ihn von dem Poften nehme, Und ganz der Kunft, den Reifen, der Muſik Kann er fich mweihen, trog des Vormunds Vehme. O! Tieber, als den guide diplomatique,

Studirt er PBartituren und Scenarien, Beethoven? Duos und Roffinis Arien.

Am Schluffe feiner ruhmgefrönten Bahn, Wie glücklich er, mit ſtolzem Hochgefühle, Der Thaten all gedent, die er gethan, Zu fagen: Yeb nun mohl, du ridicüle Geſellſchaft, wo zumeist der Charlatan Sein Glück maht! Nie mehr tret’ ich vor die Stühle Der Modepuppen, um ein Paar Fadaiſen Bon ihren Rofenlippen aufzulefen.

Zugleih auch nah und immer näher rüden Sieht er das Ende von Amaliens Spiel Und denkt: Sie muß mir folgen! Welch Entzüden, Bald ftromhinab auf leichtbeſchwingtem Kiel, Bald über Alpen hin auf fühnen Brüden Mit ihr zu reifen, reifen ohne Ziel! Wir Zwei allein, der ganzen Welt vergeflen Kaum Götter künnten un an Glück fich meſſen.

Und er beftürmt fie: „Meiner Jugend Traum Erfüll ihn Schöner du! Wenn ich zu hoben Schneehäuptern ſonſt und durch der Wogen Schaum Einfam, dem Menſchenſchwarme fern, geflohen,

Laß nun der Erde unermeßnen Raum

Bereinigt und durchziehn, die Wanderfrohen, Daß wir, von Wünfchen frei und von Bedürfen, Die reine Seligkeit der Liebe ſchlürfen!“

Faſt bang wird ihr bei feinem wilden Drange, Drum möglihft kalt ihm zeigt fie fih und hart, Obgleich der Liebesfunke, der feit lange In ihr geglommen, hell zur Flamme ward.

So in dem höhren Roth, das auf die Wange Ihr plöglich fteigt in feiner Gegenwart, Bisweilen fieht er Hoffnungsftrahlen blinken, Tann wieder läßt fein Geift die Flügel finken.

97

E3 kam der Abend, da zum legten Mal Amalie fang; die Oper war von lud, Und bis nach oben voll gedrängt der Saal; Hell ſchimmerte der Yogen weißer Stud Im Widerihein des Gafes, deſſen Strahl Aus taufend Flammen auf der Damen Ehmud Herniederftrömte und auf die enormen Goldtrefien der geſtickten Uniformen.

Denn wißt, am Hofe weilten hohe Gäfte, Bu deren Ehren vom Hofmarfchallamte Tie Oper angeordnet war, Alcefte; _ Das Corps der Diplomaten, dad gefammte, Kam drum in voller Gala zu dem Feſte Und hielt wie Feder, der von Adel ftammte, Sich hochgeehrt, mit unterdrüdtem Sehnen Nach Offenbach, beim alten Gluck zu gähnen.

Victor, auf feinem Logenſitze bald, Bald hinter der Eouliffenwand verborgen, Hat, ob auch ſüß Alceftend Stimme fchallt, Kaum Ohr für fie. Ihn drücken ſchwere Sorgen, Denn feinem Flehen blieb Amalie falt; Und wenn er denkt, fie könne wirklich morgen, Bon ihm getrennt, von dannen reifen wollen, Iſts ihm, er höre ferne Donnerrollen.

Hin ftarrt er auf die Bühne trüben Blicks, Wie bei der Furien und Dämonen Lachen Alcefte niederfteigt zum finftern Styr Und Charon fie empfängt in feinen Nachen; Ein Bild ihm ſcheints des eigenen Geſchicks, Als fih das Höllenthor erjchließt mit Krachen Doch nein! das heißt mit zu viel Pathos fchildern, Umfehen muß ich mic nach andern Bildern.

Kurz drum und für die fünftigen Gefänge Abnehmen will ich meinem Vers die Stelzen Stumm fteht mein Held, ums Herz ihm ift e8 enge, Und ſchlimme Pläne feheint fein Geift zu mälzen, Indeß Alceftens feelenvolle Klänge Selbſt Talte Diplomatenherzen jchmelzen Und oftmals von des Publikums Applaufe Das Lärmen ihm and Ohr dringt aus dem Haufe.

Erft als, gerettet auß dem Tartarus, Sie heimkehrt in des Gatten Königshallen Und den Admet umarmt mit heißem Kuß Und rings des Volkes Jubelchöre ſchallen, Als Kränze, Sträuße bei der Oper Schluß Bon allen Seiten auf fie niederfallen : Ergreift, beinah ſich fteigernd bi zum Spasmus, Auch ihn der allgemeine Enthuſiasmus.

Berftummt ift die Mufif, der Vorhang fällt. Zur Sängrin, die fi über fo viel grüne Beifallbezeigung freut, flürzt da mein Held, Sich vor ihr niederwerfend, auf die Bühne,

Sie fragt ihn alt, wie nur in aller Welt

Er eines jolchen Auftritts fich erfühne,

Er aber ruft, noch immer auf den Knien:

„Um was ich oft gefleht, fomm, laß ung fliehn!“

Im Saal indeffen noch verhallt nicht ift Das Bravorufen und da8 Stimmenmogen, Und o der unvorſicht'ge Maſchiniſt! Auf einmal wird der Vorhang aufgezogen. Zu fliehen blieb den Beiden feine Frift, Und Alle mit den Augengläfern fogen Den Anblid ein, wie Victor, diefe Blüthe Des hohen Adels, vor der Sängrin fniete.

9

Durchs Haus geht lautes Lachen hin und Ziſchen, Darein fi von den tugendhaften Schönen Die Aufe fittliher Entrüftung mifchen, Und Väter zeigen Victor ihren Söhnen Als warnendes Erempel. Er inzwijchen, Emporgerafft, verfolgt von lautem Höhnen, Stürzt von den Brettern fort mit ſchwankem Schritt Und zieht Amalien an der Rechten mit.

Zum Glüd ift draußen trüb der Lampenſchimmer;

Hin dur den Schmug mit den Sandalen⸗Schuhn Nicht kann fie gehn, drum trägt bis auf ihr Zimmer Bictor fie auf den Armen. Und was nun? Darf er nur einen Tag noch bleiben? Nimmer! Nicht einen Schritt durch Dresden kann er thun, Daß Alle nicht mit Fingern nach ihm weiſen Doch ohne die Geliebte ſollt' er reifen?

Nein! Er hebt an, mit Bitten neu ihr Ohr, Und auch ihr Herz natürlich, zu beftürmen: „Roc diefe Nacht laß uns entfliehn! Bevor Zwölf Schläge tönen von den Kirchenthürmen, Schon liege hinter und der Hauptftadt Thor!“ Und fiehe! mindre Schwierigkeiten thürmen Es jauchzt fein Herz ihm heute ſich entgegen. Amalie giebt nad Heil ihr und Segen!

Die Koffer nun gepadt und Mantelfäde, Die Rechnungen bezahlt und in den Wagen! Nun no zu Victor! Bald mit dem Gepäde Iſt fertig er, und durd die Straßen jagen Sie weiter fort. Nur fehnell, nur ſchnell vom Flecke! Die Drofchke fliegt dahin wie fturmgetragen, Und als den Bahnhof eben fie erreichen, Horch, pfeift e8 nicht? Das ift das Abfahrtözeichen!

30

Zu fpät jhon! ruft der Eifenbahnvermalter; Allein gefhwind, ald ob er Flügel hätte, Stürzt mit Amalie Victor an den Schalter Wohin? Er denft3 nicht. Schnell nur die Billette! „Ei fieh! mein Schaffner, mein bekannter, alter! Der Schafft uns im Waggon noch eine Stätte!“ Und ja! der Zug geht ab, doch im Coupe Sigt mit der Sängerin der Attadhe.

Zweites Bud. In Baden-Baden.

Dent ich, wie fonft, gefchleppt von trägen Gäulen, Uns von Berlin zum Rhein der Wagen trug, Indeß der arme Kopf beinahe Beulen Sich an der harten Diligence ſchlug; Und wie in gleicher Zeit bis an die Eäulen Des Herkules man jet gelangt im Flug, Fa, weiter mit dem Dampfer nad) Madera, So preif’ ich höchlich unſre heut'ge Aera.

Glaubt nicht, ich ſcherzte! Schön war die Natur In Eden, an den Paradieſesflüſſen, Als fih zur jugendlichen Erdenflur Der Himmel noch geneigt mit warmen Küffen; Allein auh Manches fehlte dort; denft nur, Eur Leben hättet ihr verbringen müffen, Eh Shakſpear, Mozart, Tizian gelebt, Und fagt, ob ihr davor zurüd nicht bebt!

Wenn man in Straßburgs alter Kathedrale Empor zur enfterroje blidt, der hehren, Bon der ein Licht, als wärs vom heif’gen Grale, Hindämmert zu Kapellen und Altären, Und fieht man rings die Heil’gen in dem Strahle Mit Glorienfcheine myſtiſch fich verklären, Wohl mögen Geifter, die fich leicht erwärmen, Gemüthlih dann fürg Mittelalter ſchwärmen.

Doch denft ihr weiter feiner Daumenfchrauben, Sammt Kerkern, Herenbränden, Marterpfählen, Nach denen, nur dag allzu hoch die Trauben, Noch jest ſich ſehnen manche Fromme Seelen, Ich Tage, dent ihr dran und könnt den Glauben Der guten alten Zeit ung noch empfehlen,

So mag, ihr Mittelalter-Advokaten, Man euch zu Gottes Ruhm lebendig braten.

Des Wiffens helle Flamme zu entzünden, Wo tiefes Geiftesduntel jonft genachtet, In Liebe alle Menjchen zu verbinden, Wenn fie fi) ehmals gegenfeit3 gejchlachtet, Der Freiheit Evangelium zu künden Und jedem Bolt, das noch in Ketten ſchmachtet, Das Schwert, das fie zerjprengen foll, zu bringen, - Das tft der neuen Zeit, ift unfer Ringen.

Sind lieber euch die Albigenjerfriege, Wohl! über den Geſchmack ift nicht zu ftreiten. Wir aber werden fort von Sieg zu Siege, Wille Gott, mit des Jahrhunderts Fahne fchreiten; Ein neu Geſchlecht ſchon fehn wir aus der Wiege Die Arme lächelnd uns entgegenbreiten Und fi an unfrer Kämpfe Früchten laben, Wenn euh ein Danklied krächzen nur die Raben.

33

Kommt dann mit Meßbuch oder Katechismus Uns irgend ſo ein ſchwarzer Himmelspächter Und klagt ung eifernd an des Atheismus, Heimfenden wir mit Spott den Zionswächter; Er möcht” ung gern in frommem Paroxysmus Ten Holzftoß zünden, doch nur mit Gelächter Ihn ftrafen wir; der Himmel mag entfcheiden, Mer chriftlicher gefinnt ihm fcheint von Beiden.

Ja, mögt ihr ſchmähn, daß Alles fich verflachte, Ich muß die Zeit, die mic) geboren, preifen Und nenne glorreich das, was fie vollbradte. Nicht holt fie, wie die früheren, das Eifen Zu blut'gem Völkerkrieg fi aus dem Schadhte, Nein, zu den Schienen, die die Welt umfreifen, Daß über Berg und Schlucht auf luft’gen Wegen Die Yänder all austaufchen ihren Segen.

Auf Schiffen, die von Bol zu Pole fteuern, Gelangt des Nordens Eis zu den Xethiopen, Und unfre Speicher ftrogen, unfre Scheuern Bon duft’gen Früchten der beglüdten Tropen, Tie vollgereift an Indiens Sonnenfeuern; 3a, wir durchipähn bereits mit Teleſkopen Ten Himmeldraum, ob wir von Mond und Sternen Den Reichthum nit uns dienftbar machen lernen.

Des Meers geheimfte Thäler all und Grotten Durchforſchen Taucher, und den Lebenshauch, Mit dem des feuchten Elements fie fpotten, Dirgt ihnen Tage lang der ſichre Schlauch;

Fa, in den Aether auf beichwingten Flotten Zu dringen, rüftet fi) die Menſchheit auch, Und hier und da fehon auf den Iuft’gen Bahnen Hinflattern fehn wir ihre Siegesfahnen.

Schack, Gef. Werke. 11. 3

14

Und auch die Thiere, die verftoßnen, armen Stieffinder der Natur, die jede Bein Sonft dulden mußten, ſchließt in fein Erbarmen Der Menſch, den ihr als ruchlos jcheltet, ein: Grauſame Quäler läßt man von Gensdarmen Zum Kerker führen Bravo, Schubpverein! Und Spanien jelbft verpönt die Stiergefecdhte; Nun vath’ ich, daß man auch die Hebjagd ädhte.

Allein der Leſer fragt: Iſt finnverwirrt Der Autor, daß er fi zu Yuftballonen Und weiß der Himmel, was noch fonft, verirrt? Berzeiht, Geehrte, meine Digreffionen! Wie ſchnell gereist auf Eifenbahnen wird, Nur wollt’ ich jagen, und nochmals betonen Muß ich es hier, weil über Nacht der Wagen Mein Liebespaar vier Grade weit getragen.

Im traulichen Coupe beifammen faßen Seit Dresden ohne Zeugen unfre Zwei, Sid Haupt an Haupt umfangend, und vergaßen, Daß außer ihnen eine Welt noch jet; Nur ihre Bulfe, fehneller Elopfend, maßen Den Flug der Stunden nicht den grellen Schrei Der Pfeife hörten fie, wenn neu das Roß, Das jchnaubende, des Dampfes weiter ſchoß.

Kaum dachte Victor, ob zum fand’gen Boden Der Mark fie fümen, ob zum Mittelmeere; Er möchte gern bis zu den Antipoden Fortreifen, daß fie um jo länger währe, Die ſchönſte feiner Lebensepiſoden. Vergießen, glaub’ ich, würd’ er feine Zähre, Sein Ahnengut mit allen Hinterjaffen, Sa, Deutfchland felbft für immer zu verlaffen.

35

Amalie, die ihn mit dem Arm umfing, Auh war berauſcht von Seligkeit, und Beide, Wie Bid an Blid und Mund an Munde hing, Gelobten Treue fi mit theuerm Eibe. Zum Zeichen dep wird Ring getaufeht mit Ring, Und, daß der Tod felbft diefen Bund nicht ſcheide, Befräftigt ihn ihr Herz mit hohen Schlägen; Eutbehrlich ſcheint dabei des Prieſters Segen.

Wie aus der Säule Dampfs die glühnden Funken Iſt nicht dies Bild als ächt modern zu loben? Die, auf und nieder ſprühnd, bald hingeſunken Am Boden glommen, bald den Zug umſtoben,

So die Gefühle, die ſich wonnetrunken

Im Herzen meiner zwei Beglückten hoben.

Doch nun genug von dieſer ſel'gen Nachttour! Der Zug hält an; es iſt ſchon Morgens acht Uhr.

Die Wagen öffnen ſchnell die Conducteure, Doch weilt in andern Sphären offenbar Wie alſo wollt ihr, daß es ſeh' und höre? Im Geiſte unſer junges Liebespaar; Die Thür geht auf: „Verzeihung, wenn ich ſtöre!“ Da ſieh! was nimmt auf einmal Victor wahr? Amalie, die des Anzugs nicht gedacht, Trägt noch von geftern her Alceftend Tracht.

Bekrönt noch ift fie mit dem Diademe, Das von der Stirne halb herunter glitt; Er eilt, daß er es ihr vom Haupte nehme, Damit fie, wenn fie auf den Bahnhof tritt, Sid vor dem Reifepublitum nicht fchäme; Sodann die Kleider von antikem Schnitt, Die Fußſandalen fieht er auch mit Schreden Und räth, fie mit dem Mantel zu bededen.

36 Drauf weiter werden ſie vom Zug getragen

Und ſehen blaue Höhen zu den Seiten Und Burgen, die auf ſteilen Felſen ragen, Im Morgenlicht an ſich vorübergleiten; Von grünen Baumreihn, welche längs der Wagen Die Aeſte, ſchwer von Frühlingsblüthen, breiten, Trägt füßen Duft heran ein lauer Wind, Und Pictor fragt erjtaunt, wo fie denn find.

Die wärmre Luft, das reichre Grün der Saaten

Sind fie nah Süden über Nacht verfegt?

Allein wozu denn braucht er lang zu vathen

Und fieht nach jeinem Fahrbillet erſt jegt?

Du, werther Yefer, wegen deiner Staaten:

Und Völkerkunde hoch von mir gefchät,

Erkannteſt längft, bevor ers noch gewahrt:

Dem fchönen Rhein entgegen geht die Fahrt.

Schon hat der Zug das Kattenreih durchmeſſen Ah! nun beraubt ift e8 der Yandespäter, - Die nach Amerifa mit ihren Heflen Kaufhandel trieben und die VolfSvertreter Einfperrten, während Wirthichaft der Maitreſſen In Blüthe ftand. Kaum glauben wird man jpäter, Wie unter jener biedern Dynaftie Sp wunderbar da8 Wohl des Staats gedieh.

Doch jagt, ift dies Jahrhundert nicht glorios? Gleich ſchnell, wie man hinjagt auf Eifenfchienen, MWird jego der Regierungen man los,

Die weiter nicht dem Zeitbedürfniß dienen; Was Böſes fie verübten, feelengroß

Berzeiht man es und giebt mit holden Mienen, In Händen fehon die neue Staat3verfaffung, Den Fürften einfach ihre Dienftentlaffung.

37

Wenn Soltman fie band vor die Kanonen, Wenn Timur fie im Käfig mit ſich trug, Trifft heut man nur für fie Dispofitionen, Daß fie abreifen mit dem jchnellften Zug; Sa, höflichft fragt man noch, ob zehn Millionen Für ihren künft'gen Unterhalt genug, Co daß die Abgefegten nichts verlieren Als den Genuß, ihr Land zu ruiniren.

Allein wo bleibt mein Baar? Der Sig der Krämer Am gelben Maine nimmt e8 kurz nur auf; Hoch wird ein jeder großer Geldeinnehmer Alldort geehrt, und in der Zeit Verlauf Berwandelt ficher fich der alte Römer In ein Büreau zum StaatSpapierverkauf; Doch Dem, der fi) um Agio und Baluta Nicht kümmert, ift behaglich nicht zu Muth da.

Bielmehr des Schwarzwalds traute Thäler laden Die Beiden in ihr Liebliches Aſyl. Früh iſts im Jahre noch, eb Baden-Baden Zur Mördergrube durch fein Pharo-Spiel Berwandelt wird. Dahin dur die Arkaden Wälzt noch fich nicht das widrige Gewühl Bon Abenteurern reden wir präcifer: Bern ift die feine Welt noch, die Pariſer.

Sporadifch erft erfcheinen Prinzen, Grafen Und Herrn Marquis, die fpäter auf dem Schub Man als entfprungene Galeerenftlaven Nah Frankreich heimfpedirt; der Jockey⸗Club Fehlt noch mit feinen Herrchen, die den Hafen Des Glücks umkreiſen, bis fie Belzebub Am Schopf faßt und man mit gebrochnen Hälfen Sie Morgens findet an dem Fuß der Felfen.

Das ſchöne Thal mit grünen Aun und Zriften Muß feine Quellen, welche Heilung fprudeln, Des Menjchen ekles Treiben fo vergiften? Mit Laftern fo die Paradies befudeln‘? Mein Rath ich hoffe, Gutes wird er ſtiften An Alle lautet, daß fie vor den Strudeln Der „glänzenden Saifon”, wie unfre Zwei, Nah Baden kommen, fpäteftend im Mai.

Dann ift die Zeit, wo die Natur hier Jeden Mit nie geahntem Zauberbann umfchließt Und an den Hängen, auf den Höhn ein Eden In Blatt und Blüthe grünt und ranft und fprießt, Indeſſen felsherab in Silberfäden Das Mare Naß, wie Thau vom Himmel, fließt Und riefelnd, murmelnd von den Bergesfteilen Dur Laubgerank die Quellen thalwärts eilen.

Beneide denn, o Lefer, unſre Beiden, Die in des Lebens Mai und der Natur Hier felbft die Sel’gen droben nicht beneiden ! O Wonne, Tag für Tag zu jehn, wie Flur Und Hügel fi in dichtres Yaubgriün kleiden, Der Himmel in ein dunfleres Azur, Und wieder dann gefpiegelt Berg und Auen Der Eine in des Andern Blid zu fchauen!

Dft Arm in Arme, wo fid) wildgezadt Die Felsſchlucht öffnet, in der Mittagsſchwüle Hinlehnen fie, fi mwiegend zu dem Takt Des Waſſerfalls, indeß das Rad der Mithle Sie net mit Floden aus dem Katarakt; Wie ſüß das Flüftern dann in der Gefühle Nie ruhndem Drange, biß die Worte fehlen Und nur im Kuß noch fprechen ihre Seelen!

39

„Victor“ „Amalie“ „auf ewig dein” Was hätten fie aud) weiter ſich zu jagen? Ausfüllen läßt ein ganzes Erdenfein Sich mit den Worten; Tage hinter Tagen Auch unterbradyen Beiden fie allein Daß tiefe Schweigen, wenn im Wald fie lagen Und beim Gebraufe taufendjähr’ger Tannen,

Die über ihnen rauſchten, träumend fannen.

Bon Schloffe, wo der alten Zeit Phantome Noch ſchweben durch die halbgeftürzten Bogen, Hinglitt ihr Blid zum Rhein, dem theuern Strome, Und über grüner Saatgefilde Wogen Zu Straßburgs halb in Duft gehülltem Dome, Indeß aus Fenſtern, epheuiüberzogen, Die über ihnen ragten, Aeolsharfen Den Zauberflang in ihr Entzüiden warfen.

&

Und zu den Felſen klimmen fie, den hoben, Wo aus den Spalten rings, aus Ri und Kluft Der Ginfterfträuche gelbe Flammen loben Und jeder Windhauch würz’gen Blüthenduft Nah oben trägt; dort bei der Lerchen frohen Gefängen, die aus fonnenheller Luft Herniederfchauerten, den Flug der Stunden Wie, bis es dunkelt, hätten fie empfunden?

Drauf Abends, welche Wonne ift die ihre, Wenn deine Xieder, theurer Mendelsjohn, Amalie fingt, und Victor am Klaviere, Kaum athmend, laufht; wenn dann auf den Balfon Sie treten und aus fchmeigendem Reviere Zum Schlaf fie mahnt der Stundenglode Ton, Bis endlih aber nein! bei den Myſterien Der Liebe hat die fcheue Mufe Ferien.

0

Dahın gefhwunden ıft ein Mond inzwiſchen Und umgewandelt nad) und nad) die Scene: Schon unter deutſche Badegäfte mijchen Sich junge Elegantz, die von der Geine Gekommen, fih im Schwarzwald zu erfrifchen, Am Spieltiih nänlih; manche Magdalene, Nur feine büßende, mit Kaſchmir-Shawl Und Krinoline auch verfchönt das Thal.

Bald wimmelt e3 von Trägern ftolzer Namen, Nicht Einer ift geringer als Baron: Das Knopfloh Aller, die aus Frankreich kamen, Prangt mit dem Band der Ehrenlegion; Emancipirte und Gameliendamen, Die der Police correetionelle entflohn, Allein ſich ſchnell erholt von folden Krifen, Erſcheinen al3 Dücheſſen und Marquifen.

®

Auch von den Deutfchen heifcht die Etikette, Daß fie nicht anders als franzöfifch ſprechen Wir finden ja auf Erden keine Stätte, ALS wenn wir Ungarn fcheinen, Gallier, Czechen; Sie wandeln Arm in Arm mit der rifette Und find noch ſtolz, wenn die Croupiers, die frechen, Nachſichtig fie, die Glieder nicht der großen Nation find, nicht aus der Geſellſchaft ftoRen.

Paris, das große Schwindel-Arfenal, Scheint alle Helden der Social-Romane Hier auszufpein, und vom Palaig-Royal Und Boulevard in langer Karawane Noch immer wogt3 heran. O Kurhaus-Saal, Kühn deiner kann fih rühmen der Germane, Europas Abenteurer⸗Rendezvous, Alles Verworfnen Pantheon biſt du!

Heran, heran! Weit durch die offnen Thüren Strahlt in die Naht hinaus der Kerzenglanz, Und mit den Gaſſenhauer⸗Ouvertüren Yodt Offenbachs Mufit zum Mummenſchanz. Lions der Bälle oder Bagnos führen Maitrefjen zum Walpurgisherentangz; Dazmifchen tummeln fich, wie Millionärs Etolzivend, banferotte Pord8 und Pärs.

Und aud in nimmer ftodendem Erguſſe Aus andern Ländern ftrömts heran in Schaaren : Es nahn, bereit ſchon zum Verzweiflungsſchuſſe, Wenn nicht das Spiel glüdt, Bolen und Magyaren; Nicht der Walache fehlt und nicht der Auffe Mit holden Jungfraun aus der Stadt des Czaren, Die, wenn auch vom beeißten Strand der Newa, Decolletirt find faft jo weit wie Eva.

Nun an den grünen ZTifch! heut ficher hold Iſt euch das Süd! Gemiſcht find ſchon die Karten. Faites votre jeu! Wie blinft und gleift das Gold! Ans Rad greift der Croupier; was wollt ihr warten? Sekt, feßt! Va banque! Die Roulette rollt. Verloren! Wohl, hinaus denn in den Garten! Sie ftürzen fort, e8 knallen die Biftolen; Drav! freier fann nun Deutfchland Athem holen.

Nicht rathſam iſts, in einer Peftftadt bleiben, Denn durch die Yuft felbft wird man angeftedt; ort jehnt mein Paar fih drum vom eflen Zreiben, Das durch den bloßen Anblid ſchon befledt,

Und Bictor ſpricht: „Laß, Theure, dir bejchreiben, Was für ein Plan, von Neuen jegt gewedt, Längft in mir jchläft! O reifen, mit dir reifen, Wie ließe ſolches Glück genug fich preifen?

„Die Wunder all der Meere und der Yänder, Tie ſich bisher vor unfern Bliden bargen, Beihaund, laß ung, zwei glüdliche Verſchwender, Nicht mit den Wochen, mit den Monden fargen! Amtsfchreiber, Tröpfe, die im Staatskalender Berzeichnet ftehn, nur können und verargen, Wenn ziellos wir mit fel’gem Selbftgenligen Tie Welt durchziehn in fteten Wanderzügen.

„Zuerſt zu Schiff! O, übers blaue Meer,

Das gränzenloje, mit dir hinzugleiten;

Bon hohen Ded zu ſchaun, wie allumber Die Wogen fich, die leuchtenden, verbreiten Und der Delphine fängerfreundlicd, Heer Sid Iuftig tummelt an des Kieles Seiten, Bis, wo melodiſcher die Wellen branden, Wir an Neapel jonn’gen Kiüften landen.

„Hinüber drauf zum Eiland der Cyflopen Und zu der Wundermwelt der Odyſſee! Und von Sicilien und von Europen Trag’ und zum Orient dahin die See! Wir dringen vor zum Sande dev Aethiopen, Durchforſchen das erftandne Ninive Und muſtern in dem herrlichen Kleinafien Die Hippodrome, Tempel und Gymnafien.

„Von da zur neuen Welt! Erft die Antillen Begrüßen wir” allein ein ganzes Bud) Könnt’ ich mit feinen Reifeplänen füllen,

An diefer Probe ſei e8 drum genug.

Froh ftimmt Amalie ein in feinen Willen,

Und Alles rüften fie zum Reifezug;

Schon für die Abfahrt ift beftimmt das Datum, Allein dazwiſchen tritt das böje Fatum.

43

Bictor entdedt auf einmal Leſer, faffe Ten Schreden de8 Momentes! er entdedt: Teer ift bis auf die Neige feine Kaffe,

Und plöglih wird zunicht durch den Defekt Sein ganzer Hoffnungsbau. Der Leichenblaffe Starrt vor fih Hin o düfterer Profpelt! ALS niedrig bat, indeflen er geträumt,

Tas Nächſte fein fublimer Geiſt verfäunt.

Wart ihr, Geliebte, je in gleicher Yage? Hier in den Kanzelton fall’ ich beinah Es nahn des Frühlings erfte fonn’ge Tage, Ter Himmel blaut, den man feit lang nicht jah, Die Luft ertönt von muntrer Amſeln Schlage, Das Beilden ift, die Anemone da, Zum froben Ausflug loden Wald und Feld, Der Kutfcher winkt euch doch ihr habt Fein Geld.

Beiheiden denn zu Fuße, theure Yejer, Durchs Thor hinfchreitet ihr; da glänzt fo friſch Der Blätter junges Yaub, dag Grün der Gräfer, In ſchmucken Gärten drängt ih Tiſch an Tiſch, Und Frühlingsgäfte ſchütten in die Gläſer Ten duft’gen Rebenfaft verjchwenderifch; Allein verhüllt ift euch die ganze Welt Mit trübem Schleier denn ihr habt fein Gelb.

Wenn das, um hiermit den Sermon zu enden, Ihr je erlebt, jo denkt daran zurück Und fühlt mit Victor! Nicht in ganzen Bänden Erſchöpfen ließe fich fein Mißgeſchick, Denn, wollt’ er fi) an feinen Bormund wenden, Heimrufen wird’ ihn der im Augenblid; Und ohne Geld die Weltfahrt unternehmen, Der Blan erfcheint jelbft ihm als eitler Schemen.

4

Bon Sorgen ſchwer befümmert im Gemütbe, Des Megs nach Tichtenthal Hinjchleicht er jo; Allein warum auf einmal da, als fprühte In feine Nacht ein Lichtftrahl, hoffnungsfroh Glänzt ihn der Blid? Sieh! der Finanzwelt Blüthe, Des Geldmarkts Bierde, Freiherr Salomo, Tritt auf ihn zu und ruft, die Hand ihm drüdend: - „Ei, Graf, Sie find’ ih hier? Das ift entzfidend.“

Alsbald dann wandeln Beide Arm in Arm; Der Freiherr jhwagt von Bällen und Diners, Do fragt, als ferner fie dem Menſchenſchwarm: „Was ift nur, Graf? Sie find betritbt, ich ſeh's.“ Bictor gefteht ihm, welcher Seelenharm Ihn quält, und auf das Antlig des Banquiers Legt plöglih Schatten fich, des bleichen, hagern, Wie wenn fi Wolfen um ein Berghaupt lagern.

Lang finnt der Mann der Börfe. „Die Prozente Hoch fteigern kann ich ja denkt er am Schluß Immens wird, wenn er mündig, feine Rente,

Und wie follt’ ich als alter Practicus Nicht einfehn, daß der Fall mir eminente Bortheile bringen kann? Als dreifah muß Daftir, daß ich mich füge in Geduld,

Bon ihm befcheinigt werden feine Schuld.“

So fagt er denn, er geb’ im unbegrängten Bertrauen ihm Credit für feine Reife; D, wie vor Wonne Victor Augen glänzten, Wie er beredt war zu des Edlen Breije! Tod während er den Dank in die folennften Betheurungen ergoß, ſprach Eluger Weiſe Der Freiherr: „Laflen Sie das Wortgedrechfel!“ Und reichte ihm zur Unterfchrift die Wechſel.

4

Ah, arme Muſe! bei den Worten Giro, Disconto und Baluta wird dir weh, Wie wenn man dir den Titel gäbe: Ihro Hohmohlgeboren, Frau Kalliope! Bon Donna Blanca lieber, von Ramiro Sängft du, von Orpheus und Eurydice Allein was hilft es? Auch mit jenen Tönen Muß die moderne Tichtlunft fich verfühnen.

Am nächſten Tag bereit zur Fahrt nad Dos War Victor mit der Theuern feiner Seele; Da fehrieb ihm der Banquier: „Mein Wunſch ift groß, Sie Augenblid3 zu jehn, Herr Graf! Ich mähle Sie zum Bertrauten, da befanntenlog Ich fonft in diefem Baden bin, und zähle Ganz feit auf Sie. Der Brüde vis & vis Zum Dejeuner fogleich erwart’ ih Sie.“

Mein Held fliegt hin. Am Tiſch mit zwei Gededen Harrt Jener jhon auf ihn, und vor ihn, ftrahlen, Champagnerflajchen bergend, Silberbeden ;

Kaum iſts bei Pefour, bei den Provencalen

Gleich elegant. „Freund, mög’ e8 Ihnen fchmeden ! Doch leider unterdeffen ın Kabalen,

Tie wider mich man fpinnt, muß ich Sie einweihn Verſuchen Sie, ich bitte, diefen Aheinwein!”

Alfo begann mit haftigen Accenten Der Freiherr, und er ftodte momentan. „Mit meinem Sohne Jakob, dem Studenten” Dann fuhr er fort „ift mir mißglüdt der Plan. Anftatt das Jus mir aus den Fundamenten Zu lernen, ftatt den Cajus und Ulpian Zu leſen, fit weh um mein Bant-Comptoir! Ter Junge in Berlin beim Rouge et noir.

46

„Lang ſchon trieb er das Spiel mit Offizieren, Bornehmlich denen von der Garde du Corps; Stets war der Sieg bei jenen Gavalieren,

Und endlich ließ vor Kurzem ein Major Ganz unermeßne Summen ihn verlieren. Was biieb mir? Die zmölftaufend Louisd'or Hab’ ich bezahlt; jedoch im Beiſein Bieler Ungünftig ſprach ich über jenen Spieler.

„Nun denken Sie! Heut auf der Promenade Die ganze Welt war beim Spazierengehn Trat unverſehns aus einem Seitenpfade Zu mir heran ein Garde-Capitän Und fagte, der Major von Zettow lade,

Weil ich gewagt, ihn öffentlich zu ſchmähn, Zum Zweikampf mich; feftfegen auf der Stelle Sollt' ich den Ort, die Stunde zum Duelle,

„As ob ein Blitz berabgefahren wäre, Erftaunt ihm jab ich in das Angeſicht: Was Iprechen Sie von Zweikampf, was von Ehre? Noch immer hab’ ich meine Duittung nicht Für das gezahlte Geld! Nur feine leere Ausfluht! ES ift des Herrn Majores Pflicht, Wenn er ein Mann von Anftand und Gefittung, Bor Allem mir zu geben meine Quittung.‘

„Hatt' ich nicht Recht, mein Graf, vollfommen Redt ? Nachdem ich über die gezahlte Schuld Die Quittung dergeftalt geheifcht, erfrecht Der Hauptmann fih, Inſult mir auf Inſult Zu fagen aber, oh! man fennt mich fchledht! Hier reißt dem Millionär felbft die Geduld! Obgleih von Eonfejfion ein Jünger Mofts, An Muth doc hab’ ich die gehör’ge Dofie.

47

„Sie wiſſen: mich und meinen Bruder Nathan Geſchlagen hat der Papſt zu Chriſtusrittern; Mag der Major denn, aber auch der Satan Von Capitän vor meiner Rache zittern! Als einen Glücksfall ſeh' ichs in der That an, Daß Sie, mein Graf, vor dieſen Kampfgewittern Hierher gelangt ſind; als mein Sekundant, Ich darf drauf rechnen, gehn Sie mir zur Hand!“

Der Freiherr ſprachs und ſtürzte Glas auf Glas Des perlenden Champagners beim Erzählen Haſtig hinab. Mein junger Held ermaß, Ihm bleib' in dieſem Falle nicht zu wählen; Obgleich in Baden er auf Kohlen ſaß, Doch, ſich verbeugend, ſprach er: „Sie befehlen, Baron! Den beiden Händelſuchern ſchnell Noch heute Morgen bring' ich Ihr Cartell.“

O Schmach und Schande dieſer tief barbariſchen Duellwuth, daß ſie noch bei uns graſſirt, Und alle Bildung, alle literariſchen Artikel uns noch nicht von ihr curirt! Daß, wie ſich nach Firduſi unſre ariſchen Vorältern einſt am Alburs duellirt, Nun in Isfendiars und Ruſtems Rollen Finanzmann und Major ſich ſchlagen wollen!

Victor, die beiden Helden aus Berlin Zu fordern, ſtand ſchon auf vom Dejeunertiſch; Auch der Banquier erhob ſich, doch ihn ſchien Ein unbekanntes Etwas wie magnetiſch Von Neuem an die Tafel hinzuziehn. Er dachte wohl: O eitle Ehre, Fetiſch! Wie mag mit der Piſtole, mit dem Schwerte Dir Opfer bringen nur der Aufgeklärte?

48

Moloch, dem mit Kartätſchen und mit Bomben Sich gegenſeitig ſchlachten ganze Heere! Daß in der. Mark, mo „ſandgeformte Tromben“ In Lüften wirbeln, man ſich dir zur Ehre Todtſchießt, ja, daß man dort dir Hekatomben Von Opfern bringt, begreif' ich: doch wer wäre So thöricht, ſich zu ſchlagen hier in Baden, Wo Erd' und Himmel zum Genuſſe laden.

Wie werden Leib und Seele durch und durch Erwärmt von dieſer Luft, der ſonnenhellen! Wie reizend durch das Laubgrün ſchaut die Burg Ins Thal hinab, und mit den klaren Wellen Wie lieblich über Kieſeln rauſcht die Murg! Zugleich wie lockend duften die Forellen, Die eben erſt der Kellner aufgetragen; Und dem Genuß ſoll der Banquier entſagen?

Dem Selundanten, der im Fortgehn iſt, Nachruft er haſtig: „Freund, nichts übereilt! Ich denke, noch bis morgen hat es Friſt Mit der Affaire, die ich mitgetheilt; Ja, morgen früh ſei der fatale Zwiſt Nochmals erwogen und dann unverweilt Der nöth'ge Schritt gethan. Doch heute wollen Wir des Moments uns freun, des wonnevollen.

„Da nehmen Sie!“ Und wieder auf die Bank Läßt er ihn ſich zum Frühſtück niederſetzen, Und reichlich muß ſich an dem Göttertrank Von Epernay mit ihm mein Victor letzen. Aufbrechend dann ſpricht er: „Nun ſchönen Dank, Daß ſo bereit Sie ſind! Gar ſehr zu ſchätzen Weiß ichs fürwahr. Adieu! Wir ſehn uns morgen; Dann meinen Auftrag bitt' ich zu beſorgen.“

4

Mein Bictor eilt in Haft nad) Haus; es brennt Der Boden, feheint es, unter feinen Füßen; Ob von Amalien er auch furz getrennt Gemefen, bei der Rückkehr iſts ein Grüßen, Als käm' er heim aus fernem Continent. Ah! und weld ein Bergehn bat er zu büßen, Daß feine Fahrt, beinah fchon angetreten, Durch das Duell fi wieder muß verfpäten?

Doch Mittags kam ihm dies Billet bereits: „Mein Arzt befiehlt mir, an den hohen Werfen Des Schöpfers in der frifchen Luft der Schweiz Die angegriffnen Nerven neu zu ftärfen.

Nach wenig Wochen wegen jenes Streits Kehr’ ich nach Baden heim und will bemerken: Drei Schritt weit follen über die Barriere Mir Beide Rede ftehn in der Affaire.

„Sie, Theurer, reifen, hoff’ ich, froh und heiter; Ich finde andre Sefundanten fchon. In berzlicher Verehrung und fo weiter, hr ganz ergebner Freiherr Salomon.” Sp ift mein Held wie ein vom Bann Beftreiter, Und, für die Fahrt zum Rhein gerüftet fchon, Sitzen die Zwei in freudigem Ermarten Nah ihrer Wohnung Nachmittags im Garten.

Sranzofen nehmen bald, nicht fern von ihnen, Un einem Tiſche Pla& und lärmen laut, Indeß zur Sängerin mit frehen Mienen Einer der Wüftlinge herüberfchaut. Aufflammt Amalien® Wange gleih Rubinen, Und Bictor fpringt vom Sig empor; ihr graut Bor feines Auges Blid fo finfter nimmer Noch fah fie ihn. „Komm“, fpricht er dumpf, „aufs Zimmer!“ Shad, Bei. Werte 11. 4

50

Dann, als fie oben: „Bleib! ich kehre bald,“ Ruft er; fie will ihn Halten, doch er ringt Sich los aus ihren Armen mit Gewalt Und ftürmt hinweg; von feinen Tritten dringt Bu ihr der Schall noh nun ift er verhallt Was will, wohin nur geht er? Sie bezwingt Nicht ihre Todesangft und bleibt wohl Stunden Starr, leihenblaß, die Sinne faft geſchwunden.

Schon Abend wirds. Horch! Tritte auf den Stiegen! Haftig fährt fie empor in Fiebergluth Herein ftürzt Victor mit entjtellten Zügen Und ruft, die Stimme zitternd noch vor Wuth: „Ihn traf, maß er verdient! Am Boden liegen Ließ ich den Schändlichen in feinem Blut.“

Auf einmal ſinkt todblaß, fchlaff alle Glieder, Mein Held zu Seiten der ©eliebten nieder.

Sie wirft ſich über ihn; Mar wird ihr jekt, Daß er verwundet worden im ‘Duelle: „Er ftirbt, weh! ftirbt um meinethalb ! Rings nebt Sein Blut den Boden mit der rothen Welle! Helft! helft! er ftirbt fonft,“ ruft fie aus entjegt. Horch! wieder hallen Tritte an der Schwelle: Die Selundanten Victors, zwei Berliner, Mit einem Wundarzt finds und einem Diener.

„Da ſeht ihn! Sich entwindend meiner Hand, Als ich ihn eben zu verbinden dachte, Amalie! rufend, ift er fortgerannt.” Der Wundarzt fo; er kniete nieder, machte, Die Wunde Bictorß prüfend, den Verband Und rief: „Dankt Gott, der ſchützend ihn bewachte! Wenn tiefer nur um Breite eines Haars Die Kugel drang, fein Tod, fein fichrer, mars!

5

„Jetzt aber hoff’ ich, Daß er fchnell gefunde, Und ohne ſchlimmre Folgen bleibt der Zwiſt.“ Darauf der Andern Einer: „Mir ward Hunde, Daß der Franzofe ſchwer getroffen ift,

Doc tödtlich nicht; drum, bis geheilt die Wunde, Gönnt ruhig hier dem Grafen Victor Friſt! Berfolgung ift für ihn nicht zu beforgen.

?ebt wohl! wir kehren wieder früh am Morgen.”

Ste gehn. Amalie, die, ihn zu pflegen, Raſtlos am Lager des Geliebten weilt, Schwört: „Schlaf nicht foll fih auf mein Auge legen, Bis meines Theuern Schmerzensmwunde heilt ! Ach! all dies Web, er leidet meinetwegen Herr Gott! wenn ihn der Tod nun doch ereilt!“ Dod nein! Erwachend bald zu neuem Leben, Bermag vom Pfühl fih Bictor zu erheben.

Erft noch, weil er vom Blutverluft ermattet, Räth ihm der Arzt, daß er die Fahrt verjchiebe; Doch bald in Badens Gärten, tief befchattet, Durch feiner Freundin num noch heißre Liebe Genest er völlig, und ihm wird geftattet,

Zu folgen feinem glühnden Wandertriebe. So jehn wir denn die Zwei am Pfingfifefttage Bereit, daß an den Ahein der Bug fie trage.

Wir eilen gleih dorthin. Bon Herrn und Damen Bol ift dag Dampfſchiff längft auf allen Sigen; Mit rothen Büchern, Rheinlaufpanoramen Bewehrt find alle, und fie alle ſpitzen Den Bleiftift fchon, um die berühmten Namen Im Handbuch anzuftreihen oder Skizzen Ins Tagebuch zu zeichnen rings in britt’fcher Mundart tönt vögelartige8 Gezwitfcher.

12

Altenglanda hohen Adel, nämlid Schneider, Die fi zu Pärs aufblähn, gewahrt man dort; Wie fie fich felber fabricirt die Kleider, Creirte Feder felbft fi) auch zum Lord; Nah Haufe ruft fie jest das Handwerk leider, Nachdem fie jüngſt an „allerhöchſtem Ort”, Ich weiß nicht wo im Süden oder Norden Bon Deutfhland, auf dem Ball empfangen worden.

Natürlich fehlt auch nicht ein Heer von Mifles, Die mit dem Murray und dem Perſpektiv Bon Pol zu Pol trog jedes Hindernifjes Die Welt durchftreifen harmlos und naiv. Wie ganz, o ältefter Tourift, Ulyſſes, Nicht Stellen fie in Schatten dich, wie tief, Denn ihrer Jegliche mit fiebzehn Jahren Mehr ſchon als du beftand fie der Gefahren.

Nicht endend tönt von ihren Rofenlippen Das Beautiful! o very fine indeed! Allein hinweg! den Honigjeim zu nippen Bon ihrem Mund, dir gönn’ ich nicht, mein Lied! Mein junges Paar, das an den Felfenflippen Und Rebenhügeln rheinhinunter zieht, Diußt du begleiten, wie es glüdberaujcht Dlide, die mehr als Worte jagen, taufcht!

Borbei jhon glitt mit burggekrönten Zinnen Gleich Meereömwogen, die im Sturm erftarrten, Die Hardt an ihren Bliden; ſchnell von hinnen Seht es zu dem berühmten Rofengarten,

Um den fih grauer Sagen Schleier fpinnen,

Und zu des alten Worms bemoosten Warten, Wo Hagen, Gunther aus dem finftern Zwinger Erftaunt aufs Dampfſchiff deuten mit dem Finger.

59

Dann zeigt das ſtolze Mainz ſich, deſſen Rheinfeſt Noch fortlebt in der Minneſänger Reim; Drauf ach, fo ſinkt in Schutt, was noch fo ſteinfeſt! Die Pfalz des großen Karl zu Ingelheim, Und rechts die Orte all, wo man beim Weinfeft Moſt keltert, füßer noch al Honigſeim Set eben fteht in Blüthe der von anno Sechzig und neun dann folgt der Thurm des Hanno.

Und nun, wo zwilchen Feljen blau und ftählern Der Strom fih Bahn bricht mit beihäumten Wellen, Beginnt mit feinen duft’gen Wisperthälern,

Mit feinen halbzerfallnen Klofterzellen

Das Wunderland, das lange den Erzählern

Ein Eden der Romantik war; Capellen

Und Stedeleien noch mit Erucifiren

Sind dort zu ſchaun, doch Gnomen flohn und Niren,

Bon all den Liedern, die fie oft zum Piano Gefungen, bat den Kopf Amalie voll Und denft, daß auf dem Felfen, wie Brentano Sie fang, die Yorelei fich zeigen foll;, Bergebeng! Unſre Zeit, die fih um Guano Nur kümmert und um Dampf und Durdjfuhrzoll, Beut, ah! von Tag zu Tag ein fehlimmres Feld Für Schöne Wefen aus der Yabelmelt.

Sprich, oder ärgern dich die deutjchen Maler, Weil unter ihrer Hand dein Conterfei Tagtäglich ſüßer wird, fentimentaler,

Und fcheucht dich das, o ſchöne Lorelei ?

Dein Zauberſitz erſchien als nadter, Tahler Steinhaufen, als das Dampfſchiff fuhr vorbei; Piftolen wurden viele abgejchoffen,

Doch Antwort gab das Echo nur verdrofien.

54

Nicht folg' ich hier des Rheines weiterm Kurs, Sonſt zeiht verpönter Landſchaftſchilderungen Mich die Kritik unwilligen Gemurrs.

Abbrech' ich drum, durch ihr Gebot gezwungen, Denn ganz vergebens wäre mein Recurs An große Dichter, die vordem geſungen; Wie ſchildern Sophokles, Homer die Landſchaft! Hätt' ih mit ihnen irgend nur Verwandtſchaft!

Sp, während ih von Deutjchland Abſchied nehme, Muß ich mich noch beſchäft'gen mit Lappalien, Wie unfrer Schreiber eitle Theoreme. Doch nun gefhmwind zu Victor und Amalien! Nicht ſcheint e8, daß es allzu fehr fie gräme, Ihr Deutfchland zu vertaufchen mit Italien, Denn, kaum noch angelangt in Rotterdam, Begeben fie fih an den Hafendamm.

Doch nad Neapel geht von dort fein Kiel, Wie man erfieht aus Hendſchels Telegraphen. (Einbild’ ich mir auf diefe Verſe viel; Seit lang ſchon ließ der Ehrgeiz mich nicht ſchlafen, Das Fahrtenkursbuch jelbft dem höhern Styl Des Epos zu erobern.) Unferm Grafen Blieb keine Wahl drum, als mit feiner Theuern Zunädft den Küften Englands zuzuſteuern.

Hier fragt der Lefer: Sind nicht felbft im Jänner Die Alpenpäffe nad Italien frei? Warum denn, ftatt des Weges übern Brenner, Die weite Meerfahrt durch Biscayas Bai? Erwidern muß ich dir darauf, mein Gönner: Den Seeweg halten einmal unjre Zwei Für reizender, als jenen; und wie ließe Sich rechten mit des jungen Paars Laprice?

55

Hoc geht dag Meer; nur zagend klimmt der Junge Empor zum Maſtkorb, er, der jonft fo dreift, Indeß die See das Schiff in wilden Schmunge Hin über ihre Wogenberge reißt. Ihr jeht, mein Lied bewegt ſich hier im Sprunge Und gleicht, wie dag man am Schahname preißt, Dergftrömen, die vom Felſen ſchäumend ftürzen; Gut iſts, dies Buch auf ſolche Art zu kürzen.

Ya, mitten auf dem Meer zu ihrem Sammer Schon liegen meine Beiden zwifchen Kranken Und Stöhnenden in dunkler Dampfichifffammer; Beim Sturmesheulen, beim Geächz der Planfen Faſt glauben fie, daß fi die letzte Klanımer, Die noch das Schiff hält, löfe; wer ſolch Schwanfen Zum erften Mal erlebt, ſolch Bretterfrachen, Der denkt, fein Teftament ſchon müſſ' er machen.

Doch leider kann ich nicht mit Schiffbruch dienen; Am Kiele zeigt ſich kaum der Fleinfte Led; Nah wenig Stunden fteigt aus den Gabinen Das Neifeperfonal auf das Verdeck, Und unfre Zwei, no mit verftörten Mienen, Erholen fih von Krankheit und von Schred, Da fie der rief’gen Weltftadt auf dem breiten Strombett der Themje nah und näher gleiten.

Durch Nebel, die auf Strom und Ufer laften, Auftauchen Dächer mit den ſchwarzen Schloten ; Bisweilen hinter einem Wald von Maften,

Den Qualm zertheilend, bricht im blutigrothen Gluthſchein die Sonne dur, und mit gebraßten Segeln und Raan von Schiffen und von Booten Erglänzt der Strom, bis nebelüberraucht

In gelben Dunft von Neuem Alles taudt.

Ang Ufer nun und in dem Ruß der Gafien Hin durd die mächtigſte der Metropolen! Nicht ihre Menfchenfluth weiß fie zu fallen Und mwürgt in Effen voll von glühnden Kohlen Tagtäglih Hunderte von leichenblaffen Söhnen des Jammers, fowie den Idolen Bon Stein und Erz die Punier vor den Schlachten Im feur’gen Ofen Menjchenopfer bradten.

Bon Dächern, Häufern, Brüden, weiten Plägen

Welch endlos unermeßliches Gewimmel!

Dort wogt mit Fracht von allen Erdenſchätzen Bei Tag und Nacht ein braujendes Getümmiel; Daneben ſchaun Verzweiflung und Entfegen

Mit hohlen Augen zum verhüllten Himmel,

Der tiber ihnen hängt in grauer Leere,

Als ob fein Blau, kein Gott da droben wäre.

Dies Babylon, dies Weltemporium Byzanz erbleicht und das Korinth der Griechen Bor feinem Glanz! Und dennoch, ſeht euch um: Ein großes Yazareth von Lebensſiechen Erblidt ihr, mo mit blaffen Lippen ftumm,

Noch graufenvoller al3 mit lauten Flüchen, Das Elend Hagt. O, nicht ermeflen Sonden Die Tiefe deiner Wunden, reiches London!

Wen faßt nicht Graun vor deinen Milliarden, Wenn er die wimmernden, zerlumpten Kleinen Am Strand und in der Straße der Yombarden Nachts lagern fieht auf Falten Pflafterfteinen; Wenn er gedenft, wie oben in Manſarden Um Brod die Kinder armer Mütter weinen, Und wie der Sünde ſchon die jungen Geelen Als einer lieben Braut ſich anvermählen!

Glüdlicher Die, die früh bereits der Tod Aus diefer Welt des Jammers nimmt von binnen, Als jene Blaffen, die vom Morgenroth Bis Dunkel in den Faktoreien fpinnen, Um für den Mittag einen Biſſen Brod, Zur Nacht ein hartes Yager zu gewinnen, Wenn andre Kinder fpielen auf der Wiefe, Fern von der Yuft des Himmels welken diefe.

Eur Feld, ihr Pflüger, euer Gras, ihr Mähder, Sie kennen e3 von Hörenfagen kaum! Das Drehen, Drehen nır der Eiſenräder Bernehmen fie im dumpfen, finftern Raum, Und Schwindel fühlt zulegt im Haupte “Jeder, Und Wände, Boden, Himmel noh im Traum Sieht er, jo wie die Räder, wirbelnd freifen Ein Fahr jchon ſchafft die Kinder um zu Greiſen.

Allein warum führt mich zu diefem blonden Gefchleht Englands mein böfer Genius, Daß mir der Anblid folcher Vagabonden, Wie man fie nennt, da8 Herz zerreißen muß? Fortmachen will ih mid) aus diefem Yondon; Zugleich drängt mein Gejang mid) ja zum Schluß, Auch trifft ſichs glüdlih, dag mein Paar alsbald Sich fehnt, zu wechſeln feinen Aufenthalt.

Einft Morgens kehrten fie von mweiten Wegen, Die Hauptftadt zu beſchaun, in ihr Logis Bei Haymarket aus Nebel heim und Regen (Denn felbftverftändlich find in London die); Im Corridore des Hoteld entgegen Trat ihnen da ein Schiffsherr, grüßte fie Und ſprach: „Siereifen, hör’ id), nad) Neapel? Wohl! Morgen geht mein Schiff dahin von Stapel.”

58

Drauf mancherlei beginnt er auszukramen Zu ſeines Dampfboots Lob es hieß the Eagle, Und ſehr willkommen heiß’ ich diefen Namen, Ich werf ihn gleich in meinen Berfetiegel. Prächt'ge Salons hab’ e8 für Herrn und Damen; Das Wetter auch, den glatten Dleeresfpiegel, Den günft’gen Fahrwind hebt er an zu preifen, Und gleich befchließt mein Paar, mit ihm zu reifen.

Das Befte fcheint, an Bord bereits zu fchlafen, Denn in der Frühe, wenn der Tag erglimmt, Verlaſſen fol der Dampfer fchon den Hafen; Beim Sonnenuntergange drum aufklimmt Amalie zum Verdeck am Arm des Grafen;

In die Sabine, die für fie beftimmt, Eintreten fie; da hinter Victor fchnell, Ihn rufend, kommt ein Diener vom Hötel.

„Herr Graf, es warten Ihrer wicht’ge Briefe; Doch der Empfang von Ihrer eignen Hand Wird auf der Poft verlangt; daß ich Sie riefe, Bon Gafthof hat man mich hierher gefandt." Er ſprachs; dann fuhr er fort und madıte tiefe Berbeugungen: „Belieben Sie, and Yand Mit mir zu gehn! Bald wird die Poft gejchloffen, Dod) fahren jchnell die Londoner Caroſſen.“

Die Hand Amalien veichend: „Kind, behüte Der Himmel dich!“ ſprach Victor „zum Empfang Der Briefe eil’ ih fort; in der Cajüte Hier bleib allein, doch nur minutenlang! Heim kehr' ich, eh das Abendroth verglihte.“ Ein Kahn trug ihn, in den er eilends fprang, Ans Ufer hin, und fchnellen Schritts durchmaßen Er und der Diener ein’ge Hafenftraßen.

59 | - „He, Coachman!” ruft der Führer und thut fehnell Den Kutſchenſchlag, als Jener vorfährt, auf; „Zur Bot in aller Eile!“ Very well! Mein Held fteigt ein, und in geſchwindem Yauf Forteilt der Renner wenn im Bahnhof gell Die Pfeife tönt und vorwärts mit Geſchnauf Das Dampfroß ftürzt, nicht fchneller mag es gehn; Kaum, was vorüberfliegt, kann Victor fehn.

Dunkel und dunkler wirds, feit lang ſchon braust Der Wagen durch die Gaffen ohne Kaft. Wo mag die Poſt nur bleiben? Weiter jaußt Der Nenner, weiter ftet3 in wilder Haft. Ganz Naht nun ift eg, dag man kaum die Fauft Nod vor dem Auge fieht. Victor erfaßt Den Griff der Thüre, doch fie ift verrammt, Bergittert find die Fenſter allgefammt.

Er tobt, er ruft mit Donnerftimme: Halt! Doch übers Pflafter hin mit dumpfem Dröhnen Stets ſchnell und fehneller gehts; nach) außen hallt Kein Yaut von feinem Aechzen, jeinem Stöhnen. Die Eifengitter will er mit Gemalt Losbrechen, doch die feiten Stäbe höhnen Die ſchwache Hand er ſucht die Thür zu jprengen, Tod bleibt gefangen in dem Raum, dem engen.

Und raffelnd weiter, Stunden hinter Stunden, So wie im Sturme wird er fortgetragen. Zulegt ift die Befinnung ihm geſchwunden; Als fie ihm wiederfehrt, ſtill hält der Wagen. Empor fid) raffend, mit der Hand voll Wunden Aufs New’ fucht er die Fenſter einzufchlagen; Umfonft er lauft nad außen hin ringsum, Wie auf dem Friedhof, ift e8 todtenftumm.

60

Wie lang er bald in Ohnmacht, bald im grimmen Wuthausbruch hingebracht, er weiß es nicht. Auf einmal iſts ihm da, er höre Stimmen Von ferne ſchallen; fahler Schimmer bricht Durchs Fenſtergitter ein mit mattem Glimmen; Dann höher, höher wird das Dämmerlicht, Und er vernimmt den Hall von nahen Tritten; Ja, Männer kommen da herangeſchritten.

Arbeiter ſind es, Maurer, die vor Tag Schon nach der Stadt zu ihrem Handwerk gehn; Sie ſehn, nicht faſſend, was geſchehn ſein mag, Die Kutſche pferdlos auf dem Felde ſtehn. „Haut auf!“ ruft Victor, „ſprengt den Kutſchenſchlag! Ich bin gefangen!" Erſt verwundert jehn Sich Jene an und ſtarren wie Beherte, Dann an die Kutſche legen fie die Aerte.

Geſprengt iſt flugs die Thür, und voll von Blut An Händen und an Stirn ſteigt Victor aus; Erfriſchend fallen auf die Fiebergluth,

Die ihn durchtobt, die Tropfen Morgenthaus. Wo ift er? Auf die Fragen, die er thut, Wird Antwort ihm, daß bis ans erfte Haus Bon Tondon noch zwei Stunden Weges feien; Hier auf dent Blachfeld ift er, ganz im Freien.

Nicht, wie und mas mit ihm gefchehen, denkt er; Amalie nur, die auf dem Schiff geblieben, Füllt feinen Geift, und nad) der Stadt hin leuft er Die Schritte, athemlos von Angft getrieben. Die Stirn bisweilen wie verzweifelnd ſenkt er, Wenn er fi malt, was mit der Einzig-tieben Indeß vielleicht geſchehn; dann aufgerafft Zum Gange fpornt er ſich mit nener Kraft.

61

Er fteht am Thor. Ein Wagen nun! Gefchwind Zum Hafen hin! Sein legted Hoffen hängt An jedem Augenblid, den er gewinnt. Durch Straßen, über Quais und Pläße jprengt Der Renner mit dem Cab jchnell wie der Wind. Am Hafen hält er; durch die Menjchen drängt Ans Waller Victor fich, fpäht allumber, Allein fieht feine Spur des Dampferd mehr.

„O“, ruft er aus und blidt aufs Meer mit ftieren Augäpfeln bin, „entladen alle Wetter Sid) denn ob meinem Haupte und dem ihren? Wo bliebft du, hohe Königin der Bretter Und meines Herzens? Hat dich zu entführen Der Sapitän gewagt, der als honetter, Gefäll'ger Mann fi mein Bertraun geftohlen?” Er ächzt, er ftöhnt, er kann kaum Athem holen.

Bei Duntelmerden fo wird ihm Beſcheid Iſt geftern jchon der Eagle abgefahren. Starr fteht, wie leblos, Bictor lange Zeit; Auffahrend dann fich rauft er in den Haaren Und ſchlägt fich wild die Stirne, tobt und fehreit; Und um ihn aus gedrängten Menſchenſchaaren Ertönts und von der nahen Schiffe Borden: „Mit ihm nach Bedlam! er ift toll geworden.“

Driftes Bud. Die Parific-Eifenbahn.

Seit meinem Kiel der letzte Vers entquollen, Sah ih den Mond fi droben dreimal runden Und wieder abwärts ın den Neumond rollen, Doch fort und fort hofft’ ich umfonft auf Kunden Bon Pictor und Amalien; als verfchollen Mir galten fie und auß der Welt gejchmwunden; Nah allen Erdenzonen forfchend ſchrieb ich Um ihrethalb, doch ohne Nachricht blieb ich.

Wie Victor Hagte, daß ob feinem Haupt Und ihrem alle Wetter fich entladen, So ſchien diejelbe Klage mir erlaubt. Denn, war an weltentlegenen Geftaden Die Sängerin ihm und dem Ruhm geraubt, So trug ih minder nicht al3 er den Schaden. Entriffen, jagt’ ih mir mit trüber Miene, Wie ihm die Braut, ift mir die Heroine.

63

Begreiflih fam mein Epos ganz ind Gtoden, Und jchlaflog deshalb lag ich manche Nadıt. „Mit dem Verleger”, jagt’ ich mir erfchroden, „Hab’ ich auf Oftern den Vertrag gemacht; Die erften Bogen wurden, eh noch troden, Tagtäglich in die Druderei gebraht Und nun, wie nun erfül’ ich meine Pflichten? Wer lehrt die Kunft mich, ohne Stoff zu dichten?“

Oftmals rief ich mit andachtvollem Sinn Euterpe an, Kalliope und Klio: „Denn ich von je euch treu ergeben bin, So helft mir, helft!” Allein dem Mufen-Zrio War nichts befannt von meiner Sängerin, Die nun die Welt durcdhftreift gleich jener Jo, Der mwuthgeftachelten durch Junos Bremſe, Und mir zuletzt verſchwunden auf der Themſe.

Von Victor auch nichts wußten ſie zu melden, Ob wirklich unſer junger Diplomat In Bedlam weile drum nach andern Helden Mich umzuſehn mir gaben ſie den Rath: „Wie wär' es mit Arminius und Thusnelden?“ Von meines Epos Schiffbruch in der That Empor ſchon blickt' ich, wie zu einem Pharus Zum Teutoburger Wald mit ſeinem Varus.

Da heute, Mittwoch in der Abendſpäte Vor meine Wohnung ſprengt ein Poſt-Courier Und tritt zu mir mit mächtigem Packete. Ich öffne: Himmel, welch ein Stoß Papier! Berichte ſinds, ausführliche, complete Von meinen Liebenden; der Wochen vier, In Verſe ſie zu bringen, werd' ich brauchen; Laßt mich nur gleich den Kiel in Dinte tauchen!

64

Durch Abenteuer, Drangſal und Gefahr, In tauſend Krümmungen hat der Mäander Des Schickſals hingeführt mein Liebespaar, Und viel von dem, was ſie erlebt ſelbander, Klingt faſt unglaublich, fremd und wunderbar; Kaum Dumas fchuf, der große Alexander,

Im Monte-Chrifto tollve Aventüren, ALS hier gejponnen des Geſchicks Walküren.

So fährt denn fort die epifche Camöne: Als Victor von dem Schiff hinweggegangen, Allein in der Kajüte blieb die Schöne; Dort eine Mandoline jah fie bangen, Entlodte ihren Saiten leife Töne, Dod ließ das Spiel fie bald; geheimes Bangen Beklemmt ihr Herz; für fie find ſchon Sekunden Der Trennung von dem Theuern lang wie Stunden.

Ya, diefes ift das hohe Lied der Treue, Und mwißt, daß wegen des Gedichts Moral Ich nicht den ftrengften Sittenrichter fcheue ! Mein Liebespaar fteht da als deal Und Borbild jeder Tugend, und ich freue, hr mögt mirs glauben, mehr mich meiner Wahl, Als wenn ich Aucaffin und Nicolette, Fa Leila und Medſchnun erlejen hätte.

Amalie alfo, wie fie jpät und fpäter Es werden fieht, fühlt ungeduld’gen ‘Drang; Wenn Schritte der Matrojen oder Waiter Erfchallen, ſchon zum freudigen Empfang Victors erhebt fie fih. Noch, dag Berräther Ihn fortgelodt zu feinem Unglüdsgang, Nicht kommt ihr der Gedanke, doch beflommen Sich fragt fie: was verzögert fo fein Kommen?

65

Sie nimmt nochmals herunter die Guitarre, Um zu beſchwicht'gen ihre Ungeduld, Und ſummt die Weiſe: Harre, Herzchen, harre! Die ſie als Kind in Schlummer oft gelullt; Da und es iſt, als ob ihr Blut erſtarre Hernieder vom Verdecke hallt Tumult Zu ihrem Ohr, als lichtete das Schiff Die Anker bei der Pfeife gellem Pfiff.

Erſt ſitzt ſie da, gebannt vom regungsloſen Entſetzen horch! fi) langſam zu bewegen Beginnen ſchon die Räder, der Matroſen Hoiho! erſchallt, und von der Schaufel Schlägen Hört man die Wellen an den Seiten toſen; Der Thüre wankt Amalie entgegen;

Aufklimmen zum Verdeck die Treppenſtufen Und „Victor fehlt noch, wartet!“ will ſie rufen.

Allein verſchloſſen findet ſie die Thür; Sie ringt verzweiflungsvoll mit aller Kraft, Sie aufzuthun, und rüttelt für und für An ihren Fugen, bis die Hand erſchlafft: Nun wird ihr ſchrecklich klar, daß Ungebühr Im Werk iſt, daß man in Gefangenſchaft Hinweg ſie führt. Sie ächzt, ſie ſchreit vor Jammer, Doch dringt der Ruf nicht aufwärts aus der Kammer.

Und das Gewog des Waſſers, das Gerolle Der Räder tönt von außen an ihr Ohr. Von Neuem, ob die Thür nicht weichen wolle, Verſucht ſie, doch vergebens wie zuvor; Und auf den Boden ſinkt ſie hin, und tolle Gebilde ziehn, ein grauſer Larvenchor, Ihr durchs Gehirn mit Tod, nein mehr, mit Schande, So glaubt ſie, droht ihr eine wüſte Bande. Schack, Geſ. Werke. II. 5

6

Dann wieder fprang fie auf aus wilden Träumen, Ins Dunkel ftarrend, das fie rings umgab. „Mich zu befrein, warum noch länger fäumen Gähnt nit rings um mich her das naffe Grab?“ Doch, ob von außen laut die Wellen ſchäumen, Sie fucht vergebens einen Weg hinab; Am Boden, dad Bewußtſein hingeſchwunden, Legt fie zulegt in Ohnmacht viele Stunden.

ALS fie erwacht, duch die Kajüten-Fenfter Mit rothem Scheine bricht die Morgenglutb; Sie glaubt, es hätten nächt'ge Traumgefpenfter Sie nur umſchwebt bei wildbewegtem Blut; Dod als fie fieht, wie über unbegränzter Meerfluth weithin die Himmelsdede ruht,

Als durch die Wellen fie dahingetragen Tom Schiff fi fühlt, erfaßt fie wieder Zagen.

Und Alles fie durchzuckt ein jäher Schred Taucht wieder vor ihr auf: ihr Unheilsloos, Das erft nur ferne wie ein dunkler Fled Bor ihrem Geifte ftand, tritt riefengroß Bor fie dahin, und jäh fi vom Verdeck Hinabzuftärzen in des Meeres Schooß, Auf dem fie hülflos auf und nieder treibt, Das ſcheint die einz’ge Rettung, die ihr bleibt.

Doch, wird fie felbft um den Troft nicht beftohlen? Gefangen ift fie ja in der Cabine; Tann denkt fie: hatte Victor nicht Piſtolen? Ans Fenfter geftern Hinter die Gardine Hat er fie hingelegt; fie will fie holen; Da und ihr ıft, ald ob an einer Mine Zu ihren Füßen fchon der Zunder glimme Nicht fern der Thür vernimmt fie eine Stimme.

67

„Horch Schritte! Einer von der argen Rotte, Gewiß ein frecher Ehrenſchänder, naht! Allein heim ſend' ich ihn mit Hohn und Spotte; Zu Schanden werden ſoll fein Attentat! Ich ſchieß' ihn nieder, beim lebend’gen Gotte! Eh er die Schwelle überjchritten hat.” So, hoch die Terzerole haltend, denkt fie; Toh Keiner kommt die Waffe wieder jentt fie.

Sie lauſcht angftvoll, doch hört nur aus den Raan Der Schiffer Auf, die auf und nieder klettern, Und wie im Wellentaft der Ocean Sih um den Schiffskiel ſchmiegt da klingt mit Schmettern Ihr ein Geſang von trefflihem Sopran Auf einmal an das Ohr. Schon von den Brettern Meint fie, ift ihr befannt die Melodie; Fa, deutlich tönt3: Di tanti palpiti.

Nicht lang, und eine andre Stimme hallt Schmelzend zu ihr herüber: Casta diva: Und wieder eine andere, ein Alt, Beginnt: O pescator! wie an der Riva Venedigs Gondolier; dazwifchen fchallt Die Serenade, die Graf Almaviva Rofinen bringt; dann, hoch! von Macbeths Lady Das Trinklied und ein Duo aus Tancrebdi.

Obs vor den Ohren ihr im Fieber faufe, Ob unter Narren, felbft verriidt mit ihnen, In Haft fie fei in einem Irrenhauſe, ragt fih Amalie und von Cavatinen, Bon Arien, Sanzonetten ohne Baufe Ertönt die Luft, und Klang von Mandolinen Begleitet alle die Gefangfiguren,

Cadenzen, Triller und Coloraturen.

-- 68

Noch glaubt Amalie ftaunend fih vom Wahne Ted Traums beftridt; da ängftlich horcht fie auf: Neu die Piftole mit gefpanntem Hahne Ergreift fie, nad) der Thür gelehrt den Yauf. „Man kommt, und ficher mit verruchtem Plane! Doch nicht ergeb’ ich mid) um leichten Kauf,“ Denkt fie und hält die Waffe hoch erhoben;

Ta wird der Riegel von der Thür gejchoben.

Und fieh! im ſchwarzen Frad vom neuften Schnitte Eintritt ein alter Herr. Belegt mit Roth Iſt feine Wange, und mit feiner Sitte Berneigt er vor Amalien ſich devot: „Berehrtes Fräulein! kommen Sie, ich bitte; Servirt zum Frühſtück ift die Table d'hôte, Und Sie, der Opernbühne größte Zierde, Ermarten alle Säfte mit Begierde.

„Vergebung, Önädigfte! Daß dieje Fahrt Zu Ihrem Heile dient, ich kanns bemeifen. In Deutfchland hab’ ich Feine Kunft gefparr, Sie zu beftimmen, um mit mir zu reifen; Sie wollten nicht wohl denn! auf andre Art Kam ih zum Ziele, denn die Noth bricht Eifen. Sie Edelperle aller Sängerinnen, Mehr noch hätt’ ich gewagt, Sie zu gewinnen!”

Amalien fiel vom Auge Schupp’ auf Schuppe, Daß dies derfelbe ſchlaue Yankee war, Der fi bemüht, mit feiner Sängertruppe Meerüber fie zu führen letztes Jahr. Den Capitän hatt’ er als Gliederpuppe Gebraudt, um unfer unvorficht'ges Paar An Bord zu ziehn; vor feiner Lift erſchrocken Dann mußt’ er Victor auch hinweg zu loden.

69

„Verruchter!“ rief Amalie „zu Schanden Soll Euer Plan mir werden! Meinen Fluch Schon jest auf Euer Haupt! Und wenn wir landen, Anklagen will ih Euch um den Betrug.“ Drauf Jener: „Meine Onädigfte! Sie ftanden Stet8 in dem Auf als überlegt und Flug; Und thöricht, wenn Sie furz nur drüber finnen, Wird Ihnen bald erjcheinen jolh Beginnen.

„Einfehn Sie, wenn verblendet nicht vom Hafle, Daß fih ein freier Bürger nicht jo leicht Anflagen läßt. Wie, wenn nun Ihre Kaffe Nicht bis zum Ende des Prozeſſes reicht?

Mit fih zwar führen Sie vielleicht, ich fafle, Des Grafen Ereditive; doch mir däucht, Dies zu bemerken muß ich mich erdreiften An Sie wird Niemand Zahlung darauf leiften.

„5a, glauben Sie, Verehrtefte, verrathen Sind Sie in unſerm Land, fo lang allein; Doch, darf ih Sie durch die Vereinten Staaten Geleiten, ein Triumphzug wird es fein;

Mehr als bei Ihren deutichen Potentaten Zrägt drüben Ihnen jeder Triller ein;

Für jede Arie wird von mir ein voller Geldſack gezahlt, baar Dollar neben Dollar.“

„Mir aus den Augen, Unverfchänter! Nimmer In Eurem Dienft fing’ ich nur eine Note; In meine Nacht fällt nur ein Hoffnungsfchinmer, Daß über8 Meer ich bald auf andrem Boote Heimkehren fürme Im Kajiitenzimmer Paßt mid allein fortan!” Amalie drohte, Indem fies ſprach; ihr Auge fprühte euer, Und Jenem ſchiens bei ihr nicht mehr gehener.

00

Nun, mit der Zeit wird fi ihr Trotz ſchon brechen! Denkt er bei fih, den wir als Mr. Ritfon Bon jest an kennen. Nochmals dann zu fprechen Beginnt er: „Bitte, ſich nicht zu erhitzen.“ Doch unfre junge Heldin fcheucht den Frechen Hinweg mit ihres Auges zorn’gen Bligen; Heiß ftrömt aus ihren Augen Thrän’ auf Thräne, Und rüdwärts finft fie in des Seſſels Lehne.

O, wohl begeiftern fünnten fi) Tragöden Am Schmerze, der in ihrem Bufen brennt! Sie denft an Pictor, wie fie durch den öden, Den weiten Ocean von ihm getrennt,

Wie fie, verlaffen und ein Opfer fchnöden Berrathes, auf dem wilden Element Umbergefchleudert wird vergebens jucht Ihr Geift ringsum nad einer Rettungsbudt.

Bon ihm getrennt, den fie fo kurz befeffen! Und ganz in ihres Herzens Gram verloren, Ter wie das Meer umber fo unermefjen, Verwünſcht fie oft den Tag, der fie geboren, Und wenn zu ihr von den Sopranen, Bäflen, Ten Altos, Baritonen und Tenoren Die Solos, Duos und Terzette tönen, Glaubt fie, daß ihren Kummer fie verhöhnen.

Allein bleibt fie, und Tag’ um Tage rinnen Dahin, daß Niemand fie zu ſtören wagt; Den Diener nur, der fie beim Tagsbeginnen In Devotion, was fie befehle, fragt,

Sonft feinen fieht fie; doch wie Königinnen Zu ehren fcheint man fie, und was fie jagt, Wird flugs vollbracht in ehrfurchtsvoller Haft, Als wäre diefes Dampffchiff ihr Palaft.

_ 1

Nachdem fie lang den Schmerz gewähren laſſen, Sagt fie ſich endlich, nutzlos fein die Zähren. Auf Mittel muß fie finnen, Pläne faflen,

Um bald zu ihrem Bictor heimzukehren;

Und mag fie immer den Berräther haflen, Tod feinen Beiftand kann jie nicht entbehren: Tenn Gold und Briefe, wie ihr Lebensglüd, Bei dem Geliebten blieben fie zurüd.

Einft Hopft3 an ihrer Thür. „Da naht mein Dränger”, Denkt fie: „entblößt von jedem andern Schuge, Wie wie’ ich thöricht ihn zurüd noch länger, Statt daß ich ihn zu meinem Plane nuge? Herein!“ Und fiehe! vor ihr ftehn drei Sänger In Galakleidung und in vollem Putze Bon Bufennadeln, Diamantenringen, Die fie an dem und jenem Hof empfingen.

Anhebt der Sprecher: „Gnädigſte, Sie find Gehorfamft zum Concerte eingeladen, Das Abends acht Uhr auf dem Ded beginnt. Menn Sie mit Ihrer Gegenwart begnaden, D, zu dem Glüde, daß und Meer und Wind So eilends zu der neuen Welt Geftaden Hintragen, wird fih noch das höchſte fligen, Tas je und ward auf unfern Wanderzügen.“

Amalie fagt ihr Kommen zu. Zwar ftumpf Ft fie für Schmeichelei und Huldigungen Ad, wie erblaßt der glänzendfte Triumph,

Ten fie vor Kaifern, Königen errungen,

Bor einem Blid von Victor! aber dumpf Und von des Meeres falz’gem Duft durchdrungen Iſt ihr Gemach; den Puls, den fieberiſchen,

Wil fie in freier Himmelsluft erfrifchen.

ALS hingeſchwunden dann des Tages Reft, Tritt Mr. Ritfon ein im eleganten Salontoftüm: „Geruhn Sie, mir zum Feft Zu folgen, Gnädigfte? Dem Schwerverfannten O welcher Troft ift das.” Er fpridts und läßt An feinem Ringe bligen die Brillanten. Schlank, faft als ob gefchnürt, ift feine Taille, Das Knopfloch ſchmückt ihm eine Kunftmedaille.

Wohl glaubt er noch, zum Trotz den fechzig Jahren,

Daß er in manche Herzen Neigung flöße.

Wer wird auch die Perrüde gleich gewahren?

Aufs Ded, erfüllt von des Momentes Größe,

Führt er die Sängerin; da, horch! Fanfaren

Und hochaufſchmetternde Drommetenftöße!

Zugleich gen Himmel flammen Girandolen

Die Feier, die er für fie anbefohlen.

Umfchlungen ift von buntem Lampenfranz Der Rand des Schiffes, und in ihrem vollen Koftiime wandeln durch den Fichterglanz Die Herrn und Damen, welche fingen wollen; Man bälts für einen bunten Mummenſchanz Bon Helden, Buffo-, Primadonnen-Rollen, Und von Roſſini, Verdi, Donizetti Pertreten find die ſämmtlichen Libretti.

Nicht fehlt Semiramis und nicht Yucrezia, Und Edgar, der Berliebten Blüthe, nicht (Bellatiht mit Enthufiasmus wird er ſtets ja, Wein er fi bei Galopp-Muſik erfticht), Auch nicht dein eiferfücht'ger Mohr, Venezia, Und nicht Franz Moor, der arge Böſewicht D Shakipear, Schiller, gebt Pardon den Sündern, Die euch für Texte fchlechter Opern plündern.

Dean glaubt, in Cabets Wunderland Fcarien Zu fein; und als Paccini's Niobe, Hellfchmetternd wie ein Vogel der Canarien, Ju Brachtcadenzen Magt ihr Herzensweh,

Als mit Bravour in Duos, Trios, Arien Dann der Sopran da8 dreigeftrichne G, Der Baſſo fühn das tiefe E erreicht,

Wer iſt, den nicht Bewunderung bejchleicht ?

Gezeigt fo hatte Feder feine Kunft,

Die in Stalieng, in Sicilieng Städten

Den Fanatismus bi3 zur Feuersbrunſt Entfacht, fo oft die Sänger aufgetreten. Zulegt fegt fih Amalie, um die Gunft

Des Singens wie auß einem Mund gebeten, Anz Piano in den Kreis der Enthufiaften Und läßt die Finger gleiten ob den Taſten.

Die Saiten heben an, ſich janft zu regen, Und über ihnen leife, hörbar faum, Walt ihr Gejang gleich Geifterflügelfchlägen, Die und ummehn in wonnevollem Traum; Es ift, ala wall’ herab ein Blüthenregen Aus einer andern Welt jenjeit3 vom Raum, Und alle horchen ftumm und ahnungsbang; Dann voller, mächt’ger tönt der Saitenflang.

Entfeffelt, in dem Sturm der Harmonie Ergießen fi) die Schmerzen, die fie quälen. Es ift das Lied, in deflen Melodie Sich Schillers, Schubert Genius vermählen: „Des Mädchens Klage.” O, fo ward es nie Sefungen! Aus dem Land verlorner Seelen Scheint, überfehwer von Weh, der Klang zu fluthen Und im Gefang ihr Herz ſich zu verbluten.

74

Ein Schluchzen ringt, ein halb erſticktes Weinen Hervor ſich aus den brauſenden Akkorden, Ein Schrei des Heimwehs nach dem Einzig-⸗Einen. Und andachtſtill ift e3 ringsum geworden; Und leifer, gleich als ob fie laufchten, fcheinen Die Wellen felbft zu vaufchen an den Borden, Indeß vom Himmelsdach, dem dunkelblauen, Die Sterne groß und ernſt herniederſchauen.

Längſt ſchweigt die Stimme; doch in langer Reihe Stehn noch die Hörer da wie feſtgebannt; Wohl fühlen fie des Liedes höhre Weihe, Die nie Italiens Opernjaal gekannt. Zulegt zu ihr, daß fie Gehör ihm leihe, Tritt Mr. Ritfon flehnd, küßt ihr die Hand Und ruft: „DO, graufam wär’ e8 über Glauben, Der neuen Welt den Kunftgenuß zu rauben!“

Amalie ſchweigt; noch die gefungne Klage Fühlt fie im tiefen Herzen widerflingen; Doch Jenem fagt fie zu am nächften Tage, Sie werde vor Columbias Bürgern fingen, Eh neu da8 Meer fie nad) Europa trage Und nun nah Welten bin mit Windesfchwingen! Schon dämmernd hebt mit grünen Uferfäunen Amerifa fih aus den Wellenichäumen.

Heil dir, Atlantis! Seit die Sklavenhalter, Die Ichändlichen, zu Boden warf dein Bann, Stimmt jubelnd dir zum Preis auf feinem Pfalter Ein Lied der Genius der Menfchheit an! Mag rüdwärts ftarren in da8 Mittelalter, Mer nicht des Tages Glanz ertragen kann, Allein zu dir, der Freiheit und dem Lichte Rolt über ihn hinweg die Weltgefchichte.

75

Land Waſhingtons! aus wildem Kampfgewühl Der Schlachtgefilde, die von Blut noch rauchen, Nimm du die müden Völker als Aſyl Des Friedens auf! Mit friſchen Morgenhauchen Erquicke ihre Stirne dämmerkühl,

Und laß ſie in das friſche Bad ſich tauchen, Das die Natur darbeut in deiner Quellen Und Seen und Ströme nie entweihten Wellen!

Schon liegt Europa als ein Trümmerfeld, Voll der Ruinen altberühmter Städte, In denen Nachts der Schrei der Eule gellt, Vor meinem Geiſt, verſtummt ſelbſt die Gebete Und Threnodien am Grab der alten Welt, Geſtürzt die Kirchen wie die Minarete, Statt der Choräle nur der Stürme Heulen, Hinhallend durch gebrochne Tempelſäulen.

Dann wird die Sonne, die bei uns geſunken, An deinen Küſten hoch und höher glimmen, Und hell, wie nie noch, der Prometheus-Funken Des Menſchen glühn; ich höre ſchon die Stimmen Bon jungen Völkern, die begeiſtrungstrunken Zu Höhn, die Keiner noch erftiegen, Himmen, Gipfeln des Geiftes, wie wir Alterkranken Sie nie geahnt im ſchwindelndſten Gedanken.

Doch weh! boshafte Muſe, liſtenreich Ins Unglück lockſt du mich, mich, den Verfaſſer Vorliegender Geſchichte. Schreckenbleich Leſ' ich, was du mir da dictirt. Zu Waſſer Wird mein gehoffter Ruhm durch dieſen Streich, Denn deinethalb mich als Tyrannenhaſſer Wird man verſchrein, ja als verbotne Waare Einziehen dieſes Epos Exemplare.

76

„Wohl“ räth man mir „ſtreich aus die

ſchlimmſte Stanze!“

Doch wie erſetz' ich ſie in Eile? Wißt,

Auf weitres Manuſcript harrt längſt die ganze

Buchdruckerei und giebt mir keine Friſt;

Darum ein Blatt aus meinem Lorbeerkranze

Muß ich riskiren; mag ein Pietiſt

Anſchwärzen mich als Wühler und als Ketzer,

Ich liefre Alles unverkürzt dem Setzer.

Auch hoff' ich, wenn man alſo mich verſchreit, Auf irgend einen freundlichen Protektor, Und daß man Vieles Epikern verzeiht, Indem es heißt: „Wer mit Achill, mit Hektor Stets umgeht, was weiß der von unſrer Zeit?" Fahr' ich denn fort! Bei Tifch ließ der Direktor ALS Feier für die Ankunft in New-York Hod Springen manchen Cliquot-Flaſchen⸗Kork.

AL durch die Schiffgreihn mit gehißter Fahne Der Eagle in den weiten Hafen glitt, Wo Völfer aller Erden-Meridiane, Weiß, gelb und braun und fehmarz von Colorit, Die Dede füllten, eilte zur Douane Der Capitän. Ans Land ging Ritfon mit, Den Sängern zu bereiten die Quartiere; Nah Stunden folgten erft die PBaffagiere.

Mit Menfchen aller Typen, aller Racen War überdeckt der Hafenquai; in langen, Endlofen Zügen wogt' e8 durch die Straßen, Und Zettel jah man an den Eden prangen Mit Riefenlettern, die zwei Ellen maßen. Amalie Schmidt nah Würden zu empfangen, Dat man das Publikum auf der Affiche; Werth fei im Pantheon fie einer Nifche.

77

Ein Wagen nimmt ſie auf am Hafendamme; Dort reicht bei mächtig donnerndem Applaus Ein Senior der Stadt nach dem Programme Ihr einen ungeheuern Blumenſtrauß;

Und höher auf ſchlägt der Begeiſtrung Flamme, Vom Wagen ſpannt das Volk die Pſerde aus Und zieht ihn durch die Straßen, reichgeſchmückt; Zehn Menſchen werden im Gewühl erdrückt.

Sodann empfangen (treu nach dem Rapporte, Der mir geworden, mach' ich den Bericht) Jungfrauen ſie an einer Ehrenpforte Und recitiren ihr ein Lobgedicht; Anführen würd' ich gern daraus die Worte, Entſtellt' ich dadurch meine Strophe nicht; Die Verſe ſind mein Wort dafür zum Pfand! Beinah ſo ſchlecht wie die aus Amaranth.

Der andern Ehren, die man ihr bereitet, Der Illuminationen, Freudenfeuer, Laßt lieber mich geſchweigen und begleitet Mid) zu dem Monstre-Concert (Ungeheuer: Concert), das unfer Mr. Ritfon leitet. Der Saal gleicht einer unermeßnen Scheuer; Die Ernten Lippe-⸗Detmolds von zehn Jahren Vermöchte man bequem hineinzufahren.

Und erft das Heer der Mufici! Vor ihnen

Stehn ganze Batterien von Inſtrumenten;

Da ſchwer die fiebenhundert Biolinen

Beherrichen kann der Stab des Dirigenten,

Sinnt fhon Herr Ritfon, ob nit Dampfmaſchinen In Zukunft das Orchefter treiben könnten.

Unſel'ge Sänger! Diefe taufendfält'gen

Tonmaſſen, jagt, wie wollt ihr fie bewält'gen?

78

Voll ſind ſchon alle Sitze; ein Billet Zahlt man mit Pfunden; fernen Kanonaden Vergleichbar, hat, ein tolles Quodlibet Von Hallelujahs und von Galoppaden,

Von Polkas neben Mozart'ſchem Quartett, Das grauſe Klanggewitter ſich entladen: Den Lärm zu tragen, müſſen transatlantiſch Die Nerven fein; uns iſt es zu bacchantiſch.

Amalie jedoch erſcheint erſt ſpäter, Nachdem das Donnerwetter ſchon verhallt; Auf reinern Himmel zeigt das Thermometer, Und wie zum Piano ihre Stimme ſchallt, Herrſcht in dem Raume wieder klarer Aether. Doch reiß' ich los von ihr mich mit Gewalt, Da auf dem Seſſel in des Saales Ecke Ich Jemand, der mir wichtig iſt, entdecke.

Ein Knabe iſt es, der John Thomſon heißt. Es ſcheint, im Anblick unſrer Sängrin ſonnt Er ſich, entzückt an Auge, Ohr und Geiſt. An feines jungen Lebens Horizont Hat fünfzehn Mal des Jahres Rad gekreist; Sein Kinn iſt ohne Flaum, ſein Haupthaar blond, Die Stimme Hoch-Diskant, und wie abnorm! Trotzdem trägt er Cadetten-Uniform.

Dies Untlig fpielt, dies holde, uufchuldspolle, Das mehr geeignet fcheint fir Tracht der Damen, In meinem Liede fpäter eine Rolle;

Fir heute wißt: dem Knaben, Fohn mit Namen, War das Gemüth erfüllt mit bitterm Grolle Auf Gott und Menfchheit, weil er im Examen Jüngſt durchgefallen; mit des Schickſals Härte Im Geifte hadernd, fam er zum Conzerte.

719

Schon lange hatt' er finſter da geſeſſen; Allmählig dann im Hören und im Schauen Amaliens ſchwand ihm die Erinnrung deſſen, Was ihm geſchehn, und wieder aufzuthauen Begann ſein Herz. Der Welt umher vergeſſen, Die Sängerin als Perle aller Frauen Ausmalt er ſich; und wärmer, immer wärmer Erglüht für ſie der jugendliche Schwärmer.

Kennt ihr von dem verliebten Hirtenknaben Im Theokrit das liebliche Idyll, Wie er, in Gram der Liebe ganz vergraben, Von Amarhllis einzig wiſſen will Und zum Geſchenk ihr Milch und Honigwaben Und Kränze bringt von Mohn und Asphodill Und früh ſchon, eh der Tag den Himmel röthet, Bor ihrer Grotte Liebeslieder flötet?

An diefen Tiebestollen Hirtenjungen

Dft mahnen wird uns unfer See-Cabdett, Dem das Eramen leider nicht gelungen; Nur Feidet er ſich anſtandsvoll und nett, Wenn jener fplitternadt umbergefprungen. Auch ift der Vater Johns ein Baronet, Verwandt mit Englands ftolzeften Familien, Und jener war ein Halbmenfch aus Sicilien.

Allein fo fe bei Theofrit der Hirt, Sp blöd und jhüchtern ift Britanniens Sohn: Sobald er fprechen fol, wird er verwirrt, Weiß kaum hervorzuftottern einen Ton Und fühlt, wie Alles ihm im Kopfe ſchwirrt; Drum durchs Eramen fiel der arme Sohn, Und fürchten läßt fi) von des Schickſals Tüde, Daß in der Lieb’ es ihm nicht beffer glücke.

80

Die legten Töne des Concert verklingen; Amalie will den Liederſaal verlaffen, Doch jubelnd, wilden Ungeftüms umringen Die Hörer fie, und dur die dichten Maffen Berjperrt ift ihr der Weg; man will fie zwingen, Im feftlihen Triumphe durch die Gaflen New⸗Yorks zu ziehn; auf Schultern fortgetvagen, Mit Mühe nur erreicht fie einen Wagen.

Dur Glanz der Lichter, die von Wand zu Wand Der Häufer hingereiht, das Auge blenden, Folgt Sohn ihr nach, gleichwie an fie gebannt, Indeß bei Jubelrufen, die nicht enden, Das Volk, das neu die Roſſe ausgefpannt, Bor ihr Hotel fie fährt und Blumenfpenden Bon allen Seiten auf fie niederregnen; Tod ihren Bliden bebt er zu begegnen.

Stand nimmt er unter einer Hausarkade Bor dem Balkone, den im Transparent Ihr Name Ihmüdt; und dort wie ein Nomade Arabiens, der nicht Bett nody Wohnung Fennt, Die Nacht verbringt er. ALS die Serenade Schon längft verhallt ift und fein Licht mehr bremit, Nah dem Balkone mit verliebter Miene Noch ftarrt der bleiche Zögling der Marine.

Am nächſten Tag traf ihn die Schreckenskunde, Schon morgen wieder werde fein Idol Bon dannen ziehn. Noch in derfelben Stunde Schwur er, zu folgen ihr als feinem Pol. Bon Haus her blieben ihm noch ein’ge Pfunde; Was alfo konnt’ ang Meer ihn feffeln wohl? Nach des Examens zmeifelhafter Ehre War ihm vergällt die nautifche Carriere.

8

Wir wollen hoffen, daß zu ſeinem Beften Er den Entſchluß gefaßt und nicht aus Spleen; Und auf nun! laßt uns in den fernen Weiten Mit Mr. Ritfon und den Sängern ziehn! Ein Ruf, um mitzuwirfen dort bei Feten, Erging aus Kalifornien an ihn; Und auch Amalie verfprit, fie wolle Im Goldland fingen die und jene Rolle.

Glaubt nicht, fie werde untreu ſchon dem Plan, Zu ihrem Victor bald zurüdzureifen; Doch lodend ift fiir fie die junge Bahn, Ter Riefenbau, der wie ein Gurt von Eijen Den ftillen und den Atlas-Dcean Zuſammenſchlingt mit feinen ehrnen Gleiſen. Auch jammeln muß fie zmifchen beiden Meeren Erft Mittel, nad) Europa heimzufehren.

Kommt, ihr von drüben all, die krankheitbleich Ihr Schmachtet in der Städte Yazarethen! Und ihr, die ihr, an Stumpffinn immer gleich, Tag Ohr vor Moſes jchließt und den Propheten! Schaut dieſes Werk, das aus dem Märchenreic) Der Zraummelt in die Wirklichkeit getreten, Und ihr fjelbft müßt von den erhabnen Zielen, Die diefe Zeit erftrebt, die Ahnung fühlen.

Das Größte nenn’ ic) e8, mas dies Jahrtauſend Geboren hat, was Menſchen je erfannen. In Wildniffen, wo, gleid den Wölfen haufend, Rothhäute lauern, Wohner der Savannen, Durch des gefprengten Urwalds Nächte braufend Zieht nun auf Bogen, die ſich luftig jpannen, Hin über Riefenfee und Strom und Sumpf, Nah Weiten zu die Menjchheit im Triumph. Shad, Geſ. Werle I. 6

82

Durch Thäler windet ſich der ehrne Pfad, Die, ſeit des erften Schöpfungsmorgens Than Auf fie gefallen, nie ein Fuß betrat;

Empor, empor dann in das Xetherblau,

Die Adler auf dem höchſten Feljengrat

Aus ihren Neftern feheuchend, klimmt der Ban, Und von dem Donner ftürzender Yamwinen

Auf Schmindelhöhen zittern oft die Schienen.

Wie flein die alte Welt mit ihrem Calpe, Tem legten Thule und den Atlasfäulen ! Zun Maulwurfshitgel neben einer Alpe Wird, was fie fhuf, vor diefem Werk. Beim Heulen Blutgier'ger Wilden, die, der Weißen Scalpe Zum Schmuck begehrend, fie mit Schleuderbeilen Und Tomahawks bedrohten, wißt, vollbradhten Es Söhne unfrer Zeit im Graun der Schlachten.

Sie fielen, hingerafft von dem Gefchide, Zu Taufenden, und üiber all die Leichen, Die dur der Inder Wuth, des Fiebers Tide Gemordet ſanken, fliegen nun die Speichen Der Räder hin auf der Gigantenbrüde, Die fih von Welt zu Welt bis zu den Reichen Des märdenhaften Eldorado fpannt Dort hemmt fie nur des ftillen Meeres Strand.

Und wie auf Säulen, Bogen, Eijenpfoften Bon Ocean zu Ocean fie fpringt, Schafft fie auf8 neu für und den fernften Often Zum Weften um; vom alten China bringt Sie ung, von Japan und von Siam often ; Fa, von Cipango’3 goldnen Dächern dringt Und Fabelländern, fern im Meer verloren, Durch fie die Kunde nen zu unfern Ohren.

83

Abfährt der Zug, die Wagen all mit Betten Gerüſtet und geſchmückt mit rothem Sammte; Auf ihm ſehn wir die Helden und Soubretten, Buffos und Heldinnen, kurz das geſammte Sangperſonal; auch unſern Excadetten,

Der ſich, erlöst von dem Marine-Amte, Doch im Beſitz von hundert Pfunden Sterling, Frei fühlt wie in der Himmelsluft ein Sperling.

Nicht in Amaliens Nähe wagt der Junge, Der fchüchterne, fih bin; ach! gut genug Weiß er, den Dienft ihm weigern wird die Zunge; Doc, hält auch nur minutenlang der Zug, Hinunter ſchwingt er fih im fehnellen Sprunge Und wirft zur Angebeteten im Flug Den Blid hinüber; oft bei diefem Xreiben Läuft er Gefahr, vom Zug zurüdzubleiben.

Für ihn nicht da find all die Wunderfcenen, Die auf der Fahrt, Bild dicht an Bild gedrängt, Borüberziehn; nicht Wald und Strom, an denen Amaliens Auge mit Entzliden hängt. D, welche Schau, wenn graufe Schlünde gähnen, Wenn din durch Tunnelnacht das Dampfroß jprengt, Und vor ihr dann in gränzenlojen Weiten Des Miffifippi Fluthen fich verbreiten.

Hoc über den Gewäſſern braust auf Bogen Der Zug von dannen; und, ein ftrömend Meer, Das Wälder wälzt auf feinen mächt'gen Wogen, Zieht unter ihm der Riefenfluß daher,

Und gritne Inſeln fiehft du wie Pirogen

Auf feiner Fluth fich fchaufeln, blüthenſchwer, Und taufendfach, wie fie um Klippen fchwellen, Rauſcht e8 und ruft und murmelt in den Wellen.

84

Dann Waldnacht, wo Geranke der Lianen Von Zweig zu Zweig ſich ſchwingt, von Aſt zu Aſt, Und, wenn ein Stamm, entwurzelt von Orkanen, Zu ſtürzen droht, im Sinken ihn erfaßt Und über himmelhohen Bauntitanen Ein Kuppeldach dem grünenden Balaft Des Sommers baut, aus dem im ewig feuchten Thauſchimmer goldne Blumenfterne leuchten.

Hinrolt der Zug in diefem Hippodrome, Dem mächtigen, von dunklen Rebenſchlingen Und Epheu übermölbten Waldesdome; Do fort und fort mit der Natur zu ringen Noch hat der Menſch und mit dem Pflanzenftrome, Den, un fein Werk von Neuem zu bezwingen, Sie wuchernd niedergießt; bei Nacht und Tag Tönt längs der Gleiſe drum der Aerte Schlag.

Sieh, auf dem Wege, welche Menſchenmaſſen! In athemlojer Haft um einen Halt Flehn fie; aufnimmt der Zug die Todesblaſſen. Was ift gejchehn? Es brennt, e8 brennt der Wald, Tie Hütten, die fie kurz zuvor verlaffen, Sind Aſche Schon. Ya, in den Lüften ballt Sich dichter Rauch, gefegt von Wirbelwinden, In dem der Sonne blut’ge Strahlen ſchwinden.

Hinweg, hinweg! Heran ſchon auf den ſchweren Luftftrome wallt ein jchwüler Brandgeruch, Der faft das Athmen hemmt. In wilden Heeren, Aus Dickicht aufgeftört und Sumpf und Bruch, Sieh! ftürzen zott’ge Bifons, Eber, Bären Durch das Geftrüppe, und, mit irren Flug Umfonft die Nefter fuchend, drin fie wohnen, Durdjflattern Vögel ſcheu die Wipfelkronen.

85

Heran ſchon wälzt ſich ſchwefelgelb und roth Die Gluth, und Rauch und wehnde Aſche miſchen Sich mit dem Feuer; dann von Neuem loht Die Brunſt noch mächtiger; der Flammen Ziſchen, Der Thiere Brüllen in der Todesnoth Vernimmt man nah und näher und dazwiſchen Der Bäume Sturz, wie ſie zuſammenkrachen Und höher noch den lohen Brand entfachen.

Nur fort! nur fort! Erſticken muß ein Jeder, Sobald den Zug erreicht der glühnde Hauch. Mit Haſt des Sturmes rollen fort die Räder, Doch kniſternd ſprühn die Funken hin von Strauch Zu Strauch und aufwärts in das Haar der Ceder, Die hoch emporflammt; dicht verhüllt der Rauch Den ganzen Wald; nur noch die höchſten Eichen Schaun draus hervor. Voran, voran, ihr Speichen!

Iſt Rettung noch? Mit athemloſem Zittern Starrt vorwärts Jeder, wie im Schreckenskrampf. Der Wind beſtreut mit glühnder Aeſte Splittern Die Schienen, qualmend weht heran der Dampf Doch nein! nun glaubt man reinre Luft zu wittern, Voran! voran nur! ſiegreich iſt der Kampf!

Tas Yeben Aller hing an einem Halm, Doch fernhin nun verweht der Feuerqualm.

Nur Bögelfchwärme, Adler, Falten, Geier, Dem Brand entfliehend, ziehn noch mit Gekrächz Den Zuge nad, e8 weicht der Nebeljchleier, Der Ueberhang des rankenden Geflechts Wird Lichter ſtets, und Jeder athmet freier,

Als ſich der Wald zertheilt und links und rechts Eid) die Prairie bis fern zum Horizont Endlos entrollt, vom golduen Yicht bejonnt.

86

Ein unermeßner grüner Ocean, Hinfluthend, ſchwellend mit den rieſ'gen Graſe! Faſt in dem Wieſenmeer verſinkt die Bahn; Buntſchimmernd, wie Rubine, wie Topaſe, Aufleuchten Blumen auf dem Wellenplan, Und eine Inſel, eine Baum-Oaſe, Hebt Hier und da ſich aus dem grünen Schwalle, Als ob fie ſchwimmend auf und nieder walle.

Yang rollt der Zug ſchon hin durch die Prairie, Ta tönt das Zeichen plöglich, ihn zu hemmen, Und von Gewaffneten ein Haufe, fieh, Nimmt in den Wagen Plag: „Bon wilden Stämmen, Rothhäuten, welche tolfühn wie noch nie, Rings die Savannengegend überſchwemmen, Glaubt man die Bahn bedroht, und diefe Inder Verfolgen wir, die argen Steppenfinder.“

So kündeten und fchon mit den Musketen, Bereit zum Schießen, waren die Soldaten In Reihen an die Fenſter hingetreten; Allein fein Ziel für ihre Heldenthaten Gewahrten fie; es kam, foviel fie jpähten, Kein Feind in Sicht, und der Gefahr entrathen Schon glaubt ſich Feder; da auf einmal jchrill Erſchallt ein Pfeifen, und der Zug hält ftill. |

Als in die Ferne, die im Dufte ſchwamm, Der Führer fpähte, hatt’ er ſchon zum Glücke Gewahrt, daß quer ein Wall, ein breiter Damm Hin auf den Weg gewälzt war. ‘Ja, dur Tide Ter Wilden liegen Bäume, Stamm an Stamm, Hoch vor dem Zug gethürmt und Eifenftüde; Zur Seite aber rings auf den Gefilden Steht man die Spur von Mord und Brand der Wilden.

87

Ein Haufen Schuttes, Liegt das Haus der Wächter, Aus dem die Feuersbrunſt noch qualmend ledt; Und ihre Leichen, ihrer Weiber, Töchter, Sind blutend auf den Boden hingeftredt. Bei jeder haben die entmenſchten Schlächter Zum Hohn den Kopf auf einen Pfahl geftedt, Und von den Häuptern, die getrennt vom Rumpfe, Forttrugen fie die Scalpe im Triumphe.

Noch ftarren Alle, halbgelähint von Graufen, Tie Opfer an, die hier gefchlacdhtet worden; Ta, horch! von Kriegsgebrüll, von Yanzenfaufen Ertönt die Luft! fie finds, die rothen Horden, Tie in der Steppe raubthierähnlich haujen! Aus Grasverfteden, voll Begier nad) Morden, Auftauchen fie mit Keulen, Schleudern, Büchfen, Zahllos, ala ob fie auß den Boden wüchſen.

Die Sängerinnen werfen von den Sitzen Sich auf den Boden unter Weh und Ad); In Ohnmacht fällt, ftatt tapfer fie zu ſchützen, Der Baffo, der doch ſonſt im Heldenfach So viel Bravour entwidelt; Mr. Ritjon Bebt eſpengleich; er ift fo nervenſchwach! Nur Sorge für Friſur und Wangenfchminfe Berbindert, daß er auch zu Boden finfe.

Sohn, Schnell gefaßt, daß er Amalie jchüge, Stürzt nad) ihr hin, das Schießgewehr im Arm; Kühn als ihr Ritter dicht vor ihren Sitze Nimmt er den Stand, indeß der wilde Schwarm Sic) näher wälzt; nicht in des Kampfes Hitze Spürt er, daß fchon durch einen Streifihug warm Tas Blut von feiner Wange niederrinnt;

Er denkt an fie nur, für fich felber blind.

88

Von hier wie dort der Feuerrohre Krachen, Dazu der Wilden grauſiges Geheule, Wie ſie mit Sang des Kampfes Wuth entfachen Und Streitart ſchwingen, Schleuderbeil und Keule; Nicht Menſchen, Teufel eher oder Drachen Glaubt man zu fchaun, geballt zum wirren Knäule; Sohn aber, heißen Muth in jeder Ader, Thut Schuß auf Schuß mit feinem Hinterlader.

Ihm helfen brav mit ihren Ylintenläufen Die andern Schügen: Feuer! tönt es, Feuer! Indeſſen die Waggons vom Blute träufen, Hoc fieht man jchon die rothen Ungeheuer Als Yeichen auf dem Schlachtgefild fich häufen, Und Wunderwerke thut Amaliens treuer Bertheidiger, ein Ritter ohne Tadel,

Dank dem Gewehr mit der berühmten Nadel.

Zulegt jo rüftig wehrte fich, jo wader Das Häuflen Weißer finft der Wilden Muth; Bisweilen mit erlöfchendem ©eflader Flammt einmal auf noch ihre Kampfeswuth, Allein fie jehn den großen Zodtenader Umher, fie fühlen, wie ihr eignes Blut In Strömen fließt, und ihren Gögen fluchend Fortſtürzen fie, ihr Heil im Fliehen fuchend.

Gerettet ſahn fi) jo die Schwerbebrohten. Was blieb? Sie eilten, nahebei im Schatten Gewalt’ger Eyfomoren ihre Todten,

Der Schlacht unfel’ge Opfer, zu beftatten. Dann galts, die Stämme all, die jene vothen Barbaren auf den Weg gejchleudert hatten, Hinwegzumälzen; fait verging ein Tag,

Eh wieder frei die Bahn vor ihnen lag.

89

Zuſtieß den Sängerinnen nichts zum Glücke, Nur ihre Locken finden ſie zerzaust; Allein gen Himmel hebt, des Schickſals Tücke Anklagend, Ritſon die geballte Fauſt, Denn, ah! ein Tomahamf hat die Perrücke, Indeß er über ihn dahingejaust, Ihm meggenonmen, und mit fahlem Scheitel Daſtehnd, nun jammert er, daß Alles eitel.

Amalie, aus ohnmachtgleichem Schreden Erwacht, beginnt indeß fich zu befinnen Und fieht, aufblidend, igrem jungen, feden Beihliger Tropfen Bluts vom Antlig rinnen; Nad) ihm, auf daß fie Dank ihm biete, jtreden Sich ihre Arme aus, und von tief innen Aus ihres Herzen? Herzen kommt der Ton: Dank! taufend Dank! doch wie erftarrt fteht John.

Die Wunde, um zu fehen, ob auch) tief fie Gedrungen jei, befühlt fie mit der Hand. „Rur leicht gerigt! Gott Lob!“ voll Freude rief fie, „Allein auf kurz iſt nöthig ein Verband.“ John war zu Sinn, ala ob den Vollmachtbrief fie Zum Glück ihm reichte; regungslos noch ftand Der junge Held; zulegt, wie fie befahl, Legt’ er das Haupt auf ihren Reiſeſhawl.

Hin über ihn, die Wunde zu verbinden, Dann beugt fie fi und jchlingt ihr weißes Tuch Um feine Stirne; jeine Sinne ſchwinden Fühlt er beinah, al8 ihm ihr Athemzug Die Stirn berührt; fein Denken und Empfinden, So will ihm fcheinen, hat niht Macht genug, Die Seligkeit des Augenblid3 zu faflen; Auf einmal fieht Amalie ihn erblaſſen.

- 90

Sie glaubt, weils falt ihm von der Stirne rinnt, Gefährdet fer er durch den Bilutverluft, Und ruft nad) außen: „Helft doch! helft geſchwind!“ Da ehr nicht ward fie defjen fich bewußt Spürt fie, daß auf der Fahrt fie wieder find, Und lüftet Johns Gewänder auf der Bruft Und legt, zu feiner Pflege treu beflifien, In den Waggon ihn rückwärts auf das Kiffen.

Nicht kommt ihr der Gedanke nur von fern, Taß fol ein Milchgeficht, ein wahrer Knabe, Auf fie als feines Lebens hohen Stern In Liebesgluth den Blick gerichtet habe.

Er unterdeß auf feinem Ruhbett, gern

So vor ihr liegen möcht' ev biß zum Grabe Und ihre füße Gegenwart empfinden;

Säh' er empor, er müßte ja erblinden.

Er fühlt durch die gejchlofinen Augenlider Ein unergründlich tiefes Aetherblau, Tas auf ihm ruht; erquidend zu ihm nieder Mallt es und rinnt und ftrömt wie Himmelsthau; Ihm ift, al kniet' in Andacht betend wieder Er vor dem Bilde unfrer lieben Frau, Zu dem an feines VBaterhaufes Schwelle Er oft als Kind gefleht in der Kapelle.

Erfahrt hier: aus dem Inſelland der Fren, Obgleich) in Wales geboren, ftammte John. Ihr wißt, daß dort die Heil’gen noch regieren Bergebend rang auf Englands Königsthron Henricus Rer, fie weg zu decretiren, Er, welcher aus dem Born der Religion, Indeß er Weiber über Weiber köpfte, Zur Mußezeit den reinen Glauben fchöpfte.

1

Tod dies beiläufig. Unfer Kampfheld lag In feiner Ohnmacht, welche halb erdichtet, Halb wirflih war und in der That, wer mag, Wenn er des Kampfes denkt, den ich berichtet, Darob fih wundern? Schüchtern nur und zag Mahnt John ſich, dag er endlich aufgerichtet Der Theuern in dag Antlig fchauen muß; Noch immer fehlt der Muth ihm zum Entſchluß.

Zulegt, als er die Augen aufgefchlagen, Glück auf! ruft ihm Amalie freudig zu; Nicht müde wird fie, wie ihm jei, zu fragen, Und er vernimmt erftaunt: fie nennt ihn Du, ALS hätt’ er jüngft den Fallhut noch getragen; Ihn, der in Geifte längft dem Kinderſchuh Entwachſen ift, konnt’ irgend etwas herber Ihn treffen, den geträumten Brautbewerber ?

So, halb im Stolz gefränft und halb erfehroden, Ta er fih ganz als Kind behandelt fah, Mar unſer Liebes-Candidat. Zu ftoden Scheint ihm die Sprache felbjt beim Nein und a, Und will Amalie Weitres ihm entloden, Angftooll zu Boden blidend figt er da; Bon Anderm als von feinem Herzen fprechen Scheint ihm unmöglich, ja beinah Verbrechen.

Tod) könnt’ er feinen Muth fo hoch entfachen, Ter Viebesgluth, dem flammenden Gefühl, Tas ihn erfüllt, in Worten Luft zu machen, Er weiß, Amalie wiirde einzig fühl Die Achſeln zuden oder ihn verladhen. So fit er fchmeigend auf dem Wagenpfühl, Tod felig, aufzufchaun zu ihren Augen Und ihrer Nähe Odem einzufangen.

92

Sie aber fragt ihn endlich auch nicht weiter; Beinah erſcheint er ihr wie ein Idiot; Doch, nicht vergeſſend, wie als tapfrer Streiter Der Junge ſie beſchützt in Todesnoth, Gern neben ſich ihn läßt ſie als Begleiter; Und ſo, da Beide ſchweigen und das Roth Des Abends eben noch zu ſehn erlaubt, Hinaus zum Fenſter neigen wir das Haupt.

Schon liegen hinter uns die koloſſalen Felsberge. Schade, daß wir ſie verſäumt; Bald werden dort in grünen Schweizer-Thalen, Auf Alpenhöhen, wo der Wildbah ſchäumt, Europas Pinfel Landſchaftsbilder malen,

Und ob die Gegend ſchön, wie wir geträumt, Läßt fih nachträglich fehn aus den Veduten, Die fiher Deutjchland nächftens überfluthen.

Nun find wir in dem Staate der Mormonen, Der Öottbegeifterten, und laßt uns flehn,

Daß von dem Salzfee aus, an dem fie wohnen, Sie nit aufs Projelgtenmachen gehn;

Wir brauchen feine neuen Religionen

Zu den dreitaujend, welche ſchon beitehn,

Und nennt fi” Einer infpirirt vom Herren, Den fol man fünftig in ein Tollhaus fperren.

Doch mag ein Andrer den Bericht ergänzen

Bon Utah und den weiten Wiüftenzonen;

Ich eile vorwärts: fiehe! vor ung glänzen In Purpurgluth die mächtigen Baftionen Und Wälle der Nevada, an den Gränzen Der Welt in nie betretnen Regionen Emporgethürmt mit den beeisten Binnen!

D, läßt ein Weg nach oben fih erfinnen?

90

Hinauf! Hinauf! Vorbei an findfluthalten Bergriejen, Fatarakt-durchheulten Schlünden Und Gletfcherzaden, die den Himmel Spalten! In Nebel fiehlt du oft den Pfad verfchwinden ; Dann wieder in gigantischen Geſtalten Mit Deden, nur bemohnt von Wirbelwinden, Auftaucht die Sierra, und verzagten Blicks Tief unten fehauft du wolfenhohe Pils.

Die weltentlegne Einſamkeit der Skythen Iſt zehnfach Hier mit ihrem Kaukaſus, An deilen Felshang bei der Stürme Wüthen Tu den Prometheus binbannft, Aeſchylus! Und über Gipfel, wilder, als die Mythen Sie je gemalt, ließ nun der Genius, Der das Jahrhundert Ichirmt mit feinen Schwingen, Es diefen Bau, dem feiner gleicht, vollbringen.

Sagt: oder ward in unterird’jcher Halle, Da, wo die Könige des Abgrunds thronen Und Gold und Erz und glänzende Kryſtalle Die Naht durchleuchten, ward dort von Dämonen Dies Werk erdacht, daß gligernde Metalle Berderben brächten über die Nationen, Und mußten Gnomen auf den Iuft’gen Wegen Zum goldnen Minenland die Schienen legen?

Gold, Gold! das bligt und funkelt, blinkt und gleift: Gold, Gold in Klumpen und in ganzen Barren! Es klingt und flirrt, der Klang bethört den Geift; Gold, hart und kalt, dag läßt dag Herz erftarren! Ob Schwindel euch auch in den Abgrund reißt, Grabt, grabt nad) Golde! ladet voll die Karren! Und grübt ihr, bis die Erdenadern leer, Rod wachen wiirde die Begier nach mehr.

4

Gold, Gold! das ift der Ruf der Welt, nur Gold!

Wer e3 befist, dem tönt von ringsher: Heil!

Es blinkt: und freundlich lächelt, wer gegrollt;

Es klirrt: und Recht und Vaterland find feil,

Und Tugend giebt fi) preis für Sündenfold,

Und Ruhm und Ehre wird dem Zropf zu Theil; Doc, wärft du weife, wärft du gut wie Seiner,

Haft du fein Gold, ein Feder jchämt fi) deiner.

Grabt, grabt nur weiter, bis mit Goldesflunpen Die Kinder fpielen wie im Märchenland Und felbft der Bettler trinkt aus goldnen Humpen! Dann wohl, wenn nach dem gelben Staub die Hand Der Arme nicht mehr vorftredt aus den Pumpen, Doch ehr nicht wird der Zauberfluch gebannt, Den an das gligernde Metall, das grelle Funkelnde Nichts, gebunden hat die Hölle.

Und nun von der fatalen Digreffion Heimkehr’ ich zu dem Laufe der Gefchichte; Ich fehe, lang ift mein Kapitel fchon, Und viel noch fehlt am völligen Berichte Bon nıeiner Heldin Loos. Weh, wenn der Mohn Des Schlafs, eh ich die letzte Stanze dichte, Nun auf die Hörer ſänk' und ich erblidte, Wie Der und Jener mit den Haupte nidte!

Nicht ſchildern will ich weiter drum die Sierren, Noch wie der Zug von dort ang Meer gerollt; Nicht den Applaus von Logen und Barterren, Den jede Stadt Amalien gezollt,

Und nicht, wie San Franciscos Handel3herren Ein Diaden ihr fpendeten von Gold; Ich fage blos: kurz dennoch blieb ihr Weilen, Sie dachte nur, zu Victor heinzueilen.

95

Ritſon fann fie nicht halten. Nach der Enge Panamas fehn wir bald fie eingeſchifft Ihr wurde fund, daß Segel man in Menge Dort nad) den Häfen von Europa trifft. Und er, den ihre Sanges neue Klänge Mehr noch durchdrungen mit dem ſüßen Gift, Das in New⸗-York zuerft er eingejogen, Der junge John durchſchifft mit ihr die Wogen.

Allmählig jucht er fih ein Herz zu faflen, Daß vor Amalien er da8 Schweigen bricht; Doch zu erröthen bald, bald zu erblaffen Pflegt er, auch wenn er nur vom Wetter ſpricht; Und hat fie dann ein Tächeln bliden laffen,

So fühlt er, wie ein Dolch fein Herz durdfticht, Und wagt verlegen Tage hinter Tagen Der Angebeteten fein Wort zu fagen.

Mit Ehrfurcht grüßt er ftet3 fie in der Frühe Und fteht des Tages, an den Maft gelehnt. Wohl dann, warum ſo hoch fein Antlig glühe, Und ob er heim fich zu den Eltern fehnt, Ihn fragt fie freundlich; aber nur mit Mühe Die Antwort ftammelt er, fo daß fie wähnt, Geiftarmuth fei des Schweigens Grund zumeift; Auch war in Wahrheit John nicht reich an Geift.

Indeß nach Süden geht der Beiden Reife, Flammt immer brennender von Grad zu Graden Auf fie herab die Gluth der Wendekreife. Schon gleiten fie auf blauen Wellenpfaden Hin längs der Anden, die mit ew’gen Eije Aufragen über Merikos Geftaden,

Und fehn den Rauch von riefigen Vulkanen Auf ihren Zadenhöhen wehn wie Fahnen.

96

Ein heißer Wind braust wild von Süden her, Kaum Stand noch hält des Schiffes Kraft dawider; In ſeinen Schlünden wühlt er auf das Meer,

Es regt und ſchüttelt ſeine Wogenglieder

Und wälzt zum Himmel Wellen bergeſchwer

Und ſtürzt in ſeine eignen Tiefen nieder Gefahr ſcheint nahe, die Matroſen fluchen, Nichts bleibt, als an der Küſte Schutz zu ſuchen.

Schon war das Schiff voll Aechzender und Kranker, Und freudig grüßte man die nahe Bucht. Im ſichern Hafen warf der Dampfer Anker; Doch dorthin ſelber trieb der Sturm mit Wucht Die Wellen an das Schiff, daß es in ſchwanker Bewegung zitterte. Ans Land die Flucht Schien allen Reiſenden erwünſcht, und matt, Erſchöpft betraten ſie die Hafenſtadt.

Groß war der Ort und volkreich, auf Terraſſen Im Halbkreis an dem Ufer hingeſtreckt, Dach ragend über Dach, die breiten Gaſſen Mit Zelten vor der Sonnengluth bedeckt; Weit bis ins Land noch glänzten Häuſermaſſen Aus Waldesgrün, darin fie halb verſteckt; Ten Namen leider muß ich jchuldig bleiben; Er fehlt in des Berichterftatterd Schreiben.

Wohl PBopocatep heißt die Stadt, Duatluba, Tzingensan, Guanarato, Chipanzingo; Denn Hangreich, wie des Heldendichters Tuba Sie braucht, vol Farbenpracht, wie der Flamingo, Eind alle Tropennamen; ſchon auf Cuba Tas Ohr entzüden fie, auf St. Domingo, Doch nirgends find fie fo voll magnififen MWohllautes, wie im Reiche der Kaziken.

In diefer Stadt am Strand von Mexiko Empfing Amalien ein Einfehrhaus; Dort ruhn zu können war fie herzlich froh Vom Bretterfhwanten und vom Meergebraus. Doc leider ift ſchon ihr Incognito Berrathen worden und dem Boot voraus Der Ruhm der großen Sängerin geflogen; Richt fehlen durften da die Ehrenbogen,

Auf Yager eben finft fie müd und matt Und hofft zu jchlummern. Da o, hätte nimmer Auf ihrer Stirn geruht ein Lorbeerblatt! Als eben vor dem Blick fie das Geflimmer Des Schlafes fühlt, tönt Aufen aus der Stadt Lauthallend zu den Yenftern ihrer Zimmer; Man bringt ihr Lebehochs und wird nicht fchweigen, Bis ihrs gefällt, dem Volke ſich zu zeigen.

Gie tritt zuletst auf den Balkon zum Dante, Und ihr entgegen jauchzen die Exrfreuten, Die, hin fich reihend an der Häuferflante, Mit hochgeſchwungnen Tüchern nach ihr deuten. Ta plöglich iſts, als ob der Boden wanfe: Die Sloden aller Thürme hört man läuten Amalie fühlt unter fih ein Zittern Und hält ſich feſt an des Balkones Gittern.

Und jäh verfinft mit fürchterlihem Krach,

Als bräch' in Trümmer felbft der Erdenball, Die ganze Häuferreihe Dach an Dad). Amalie wird in den großen Fall Hinabgeriffen,; doch nur nah und nah Denn um fie her die andern Häufer all Bededen hoch mit Schutt die Straßen ſchon Zu Boden gleitet fie mit dem Ballon.

Shad, Ge. Werke 11. 7

98

Entſetzenbleich und wie beſinnungslos Daſtand ſie auf dem Haufen grauſer Trümmer; Von ringsher ſtarrte Elend rieſengroß Ihr ins Geſicht, ſcholl Sterbender Gewimmer Ihr an das Ohr. Da ließ ein zweiter Stoß Die Erde beben; neu, von Neuem immer Kracht' es, und unterird'ſcher Donner rollte, Als ob die Welt zuſammenſtürzen ſollte.

Der Boden fhien dem Meere gleich zu branden; Nur Schutt und wankende Ruinen dedten Die Stätte, wo die Stadt vordem geftanden, Und Rauch quoll auf, und Flammenzungen ledten Aus Steingeröl; Amaliend Sinne ſchwanden Sie fanf zu Boden, aber wieder fchredten Sie ftürzendes Gebälf empor und Quadern, Und ftoden wollt! ihr Blut in allen Adern.

Sie rafft ſich auf, fie ftarrt wild in das Leere, Indeß Gemäuer rings zuſammenkracht Und, hoch emporgemirbelt, Rauch und ſchwere Staubmaffen Alles um fie her in Nacht Einhüllen. Braufend mwälzen fih vom Meere Die Wellen her, und gleich der wilden Jagd Landeinwärts ftürmen Fliehnde, von der Fluth Zugleich bedroht und von der Flammengluth.

Amalie folgt der allgemeinen Flucht. Hier, halb vergraben unter Trümmermaſſen, Sieht fie Zerfchmetterte, dort krampfhaft jucht Die Hand von Sterbenden fie zu erfaſſen; Hier ftürzt ein Giebel, Alles mit der Wucht Bermalmend, dort noch fchaun mit leichenblaffen Geſichtern halb Erftidte aus den Flammen, Dann unter ihnen bricht das Dach zujammen.

Und Thürme fieht fie gräßlich hin und ber, Wie Maften eines Schiffs im Sturm, fih jchwingen Und Mütter bleich, die Augen thränenleer, Die Hände an der Kinder Leichen ringen. MWehruf durchfcholl die Luft, verzweiflungsfchiwer; An Balken halb zerftörter Häufer hingen Unfelge, die umfonft um Hilfe flehten, Und Flüche mifchten ſich mit Stoßgebeten.

Wenn bei dem Gang die Glieder ihr erjchlafften, Aufgeißelte fie das Entſetzen bald Zu neuem Yauf; vor ihr, zur Seite Hafften Erdriſſe oft mit fürrchterlichem Spalt, Und in der Tiefe fah, der grauenhaften, Sie Leichen, Trümmer, die, zum Knäul geballt, In Wirbeln reisten, bald hinabgezogen, Bald ausgefpien, wie Scheiter von den Wogen.

Lang ift Amalie mit ſchwankem Schritte, Tod über ihr und vor und hinter ihr, So fortgeftürzt; in eines Schuttfelds Mitte Da ſinkt fie kraftlos hin, ihr Blick iſt ftier, Als ob Entfjegen ihr den Geift zerrütte: Das Grauen diefed Tags hat, ein Vampyr, Ihr Lebensblut hinweggefogen; machtlos Yiegt fie, für Alles, was gejchehn mag, achtlos.

So bleibt fie lange finnberaubt; nah Stunden Als fie erwacht, hat Nacht die Welt bevedt, Und die Erinnerung fcheint ihr geſchwunden An das Gefchehene. Zuletzt erjchredt Auffährt fie wie beim Brennen heißer Wunden Und fieht am Boden Leichen bingeftredt Und bei dem halberlofchenen Geflader Der Ylammen rings den graufen Todtenader.

10

Ihr ift, als hörte fie das Trümmerfeld Bon Stimmen laut und lauter widerhallen; Gelächter Tann e8 fein, o Herr der Welt? Und Becherflang und wüfter Lärm und Lallen Bon Trunknen tönt ihr an das Ohr; fie fällt Entfegt zurüd, und fort und fort noch fchallen, Indeß die Sinne fi ihr neu verwirren, Die Jubelrufe und das Gläferklirren.

Zur Nachtzeit feiert eine Yrevelbande Auf jenem Unbeilsplag ein Backhanal; Aus was dem Erdftoß, was dem Flammenbrande Entgangen, jchafft fie fih ein Freudenmahl. O Menſch, wie flammt auf deiner Stirn der Schande Rothglühnder Stempel! Wenn in Todesqual Sid) Hunderttaufende am Boden winden, Du weißt ein Labfal drin fiir dich zu finden.

Zum Kannibalen, zum Anthropophagen Schuf dich Natur! Laut rühmt fi ein Bezechter, Wie er Bermundete beim Raub erfchlagen Und an den Töchtern edelfter Gefchlechter Unbil geüubt ihm hören mit Behagen Die Andern zu, ihr ſchallendes Gelächter Belohnt ihn, und auf neue Miſſethaten Anftöpt der Schwarm von Höllen-Candidaten.

Dann, als genug gezecht die Raubgefellen, Don Neuem an das Beutemachen rings In die zerftörten Kirchen und Kapellen Und an die Plünderung der Todten gings; Und ihrer Einer wurde bei dem hellen Lichtichein, den noch ein Hausbrand warf, des Rings Gemwahr, der an der Hand Amaliens bligte; Schnell trat zu ihr der Goldbegier-Erhigte.

11

Er wollt’ ihn eben von der Hand, der weißen, Ihr ziehn, als fie empor die Augen ſchlug; Gewaltſam ihr das Kleinod zu entreißen,

Da fie ihm troßte, macht' er den Verſuch; Allein fo leicht nicht follt’ er Sieger heißen: Sie ließ den Ring, den fie von Victor trug, Erft, als fie blutend rüdjant in den Staub; Dann eilte Jener fort mit feinem Raub.

Aus tiefer Wunde, die am Haupt ihr Hlafft, Fühlt fie das rothe Naß in Strömen dringen; Auf einmal fpürt fie, wie mit aller Kraft Zwei Arme haftig ihren Leib umfchlingen.

Und fchreiend nochmals alle Kräfte rafft

Sie auf, um fich dem Räuber zu entringen;

Da fieht fie, John iſts, der fie hält umfchlungen, Und fortgetragen wird fie von dem Jungen.

Biertes Bud. Im Urwald.

Marſt, Leſer, du bisher mir treu, ſo raſte, Nachdem bein Erdſtoß-Schrecken dir gegraut, Mit mir im herrlih ſchimmernden Palafte,

Den fich die Kaiferin Natur gebaut,

Dem Anden-Urmald, wo von Alt zu Alte,

Bon Blatt zu Blättern ew’ge Friſche thaut

Und dur das Laubwerk dichter Pflanzenjchlingen Mit Mühe nur der Sonne Strahlen dringen.

Bon den Giganten jener Tropenzonen Mit breitem grünem Himmel überdacht, Erheben Palmen ihre Iuft’gen Kronen Aus der Bambuſen wallendem Smaragd, Und oben, unten leuchten Millionen Bon Blumenfternen durch die Dämmernacht, Und purpurn zwiſchen ihren Blattkoloſſen Hat die Bromelie ihren Kelch erſchloſſen.

103

Und das Geſchling von Blüthen und von Blättern, Wo Parafiten, gligernd hell wie Schlangen, Bis zu den himmelnahen Wipfeln Hettern Und Orchideen hoch in Lüften bangen, Erzittert von dem taufendftimm’gen Schmettern Der Vögel, die mit buntem Fittig prangen Und fiebenfarbig gleich) dem Wegenbogen Sich fchaufeln auf des Yaubmeers grünen Wogen.

Dazwifchen ragen Felſen von Bajalt Zum Himmel auf, dem ewig wolfenlojen, Und an der Seite gähnt mit graufem Spalt, Bon Malven überkleidet und Mimojen, Ein Abgrund oft; dumpf aus der Tiefe hallt Der Ströme und der Waflerftürze Zofen, Und ob dem Schlunde kreist in weiten Ringen Ein Aar, fi wiegend auf den mächt'gen Schwingen.

In diefes Bergwalds grünen Yabyrinthen Liegt eine Höhle, jedem Blick verftedt; Bon rief’gen Guttiferen, Terebinthen Und Cedern ift der Eingang überdedt, Und dämmernd dringt ein Lichtftrahl nur bis hinten, Wo, auf ein Blätterlager hingeftredt, Amalie ruht, und unfer Er-Cadett Auf Knieen liegt vor ihrem fchlichten Bett.

Aus der verheerten Stadt und Meeresgegend, Wo Noth und Pet und Elend herricht, ift Sohn, Die Tieferfchöpfte ftügend, treu fie pflegend,

Mit ihr in diefe Einſamkeit geflohn.

Auf ihre Wunden fühle Blätter legend, Sie bald geheilt zu fehen hofft er ſchon, ALS heiße Fiebergluth in ihr entbrannte Und fie befinnung3los aufs Yager bannte.

14H

Da wahte Tag und Nacht bei ihr der Knabe, Und fpäht in ihr Gefiht mit Angftgefühl, Ob er auf ihr Genefen Hoffnung habe; Er holte friſche Gräfer für den Pfühl Und brachte Früchte, daß der Saft fie abe, Den er auf Tippen und auf Schläfe kühl Ihr träufelte doch nur Minuten lang Fern von der Kranken hielt ihn jeder Gang.

Wohl gerne Vögel oder Bergesrehe Hätt’ er gejagt, die er in Fülle fchaute, Nur war ihm bang, daß Unheil ihr gefchehe, Indeß er ferne. Unbeimliche Laute, Gefahr verkündend, jchollen in der Nähe Der Höhle oft, und wenn der Abend graute, Ertönte, an der Bäume Riejenfäulen Eich furchtbar brechend, wilder Thiere Heulen.

Und höher, höher jtet3, je mehr die Hülle Des Dunkels auf die Erde niederwallt, Entfaltet fi) die ganze Schredensftille Der Urwaldnacht, wenn taufendfad der Wald Und jede Schlucht der Felfen vom Gebrülle Der Ziger, Onzen, Leoparden hallt,

Das Nachtgevögel krächzt und fich dazwiſchen Erwürgter Thiere Weherufe mifchen.

Bun Glück hat John der Reifeabenteuer Genug gelefen, als er Kind noch war, Und weiß, e3 fcheun die Wildnißungehener, Ter Leu, der Panther und der Jaguar Und all die anderen faft mehr das Feuer, Als ein verbranntes Kind; um die Gefahr Zu bannen, läßt er drum aus dürren Zweigen Allnähtlih vor der Höhle Flammen fteigen.

15

O diefe Zeit des Dunfels! Ohne Ende Erfcheint fie Sohn, der bald die Feuergluth Anſchürt und neu mit Zweigen nährt die Brände, Bald bei Amalien mit gebrochnem Muth Wacht hält, indeffen um die Grottenwände Und um das Lager, drauf die Kranke ruht,

Bon außen her der Schein der Feuer zittert Und kalte Grabluft durch die Höhle wittert.

Früh Morgens dann beim erften Sonnenftrahle Zum Strom, der unten braust im graufen Schlunde, Hinab die Felswand jteigt er manche Male Und fchöpft vom Naß, das in dem fchatt'gen Grunde Eiskalt ftet3 bleibt, in feiner Kokusſchale;

Bol Hoffen, daß Amalie gefunde, Zurück dann kehrt er auf dem Schwindelpfade Und negt das Haupt ihr mit dem frifchen Babe.

Dit faßt' er ihre Hand mit feiner lange, Die Schläge zählend, die der Puls ihr fchlug; Hin über ihr Geficht neigt’ er fich bange Und Taufchte ängftlich ihrem Athemzug;

Und fah er dann die Fiebergluth der Wange, Fühlt' er der Schläfe Bochen o genug! Er fuhr verzmweifelnd auf vom Boden jäh Und raufte fi) das Haar in wilden Weh.

Und fieh! nachdem er Tage lang und Wochen Sie fo mit Mühe, Gram und Angft gepflegt, Scheint endlich ihres Fieber Gluth gebrochen; Die Ruhe, die fi) auf ihr Antlig legt,

Des Herzens und der Bulje leifreg Pochen Ya, auf Genefung deutet das; fie fchlägt

Die Augen auf, und in Entziiden niet

Sohn ihr zur Seite nieder, ald ers jieht.

106

Bon Neuem jchließt fie dann die Augenlider Und ſinkt in todestiefen Schlaf zurüd; John aber weiß, erwachen wird fie wieder, Und da er mocdenlang des Schlummerd Glüd Entbehrt, zum erften Mal die müden Glieder Hinftredt er auf da8 harte Felfenftüd, Auf dem er manche Nacht, fein felbft vergeſſen, Bor feiner Angebeteten gefeflen.

Bald giebt durch manche Zeichen fund die Kranke, Daß die Gefahr verfhwunden ift; fie reicht Die Rechte ihrem Pfleger hin zum Dante, Und ihrer Wangen Fieberroth erbleicht. Dod Stärkung thut ihr noth, und da dem Tranke, Den Früchten ihre Schwäche nimmer weidt, Muß Sohn, fie kurz zu laflen, ſich entichließen Und in den Wald ausziehn, ein Reh zu fehiegen.

Zu Häupten ihr Melonen und Bananeı, Die reichlich reifen an der Höhle Rand, Häuft er und dedt mit ranfenden Lianen, Sie ın einander flechtend mit der Hand, Den Eingang zu; binfort nicht läßt fich ahnen Die Grotte hinter jener grünen Wand. Und, bald’ge Rückkehr Hoffend, zieht als Jäger Früh Morgens aus Amaliens treuer Pfleger.

Mit Flinte, Pulver wohl verjehn und Blei Ein Glück, daß er fie nimmer von fi legte! Trat er ing Freie, und an ihm vorbei "log, wie fein Zußtritt das Geſträuch bemeate, Der Bögel Schwarm mit gellendem Gefchrei; Emporgejchredt in allen Wipfeln regte Das Heer der Affen fi; von Aft zu Aft Hinflohn fie vor dem ungemohnten Gaft.

107

Und wie auf den Bignonien, Tropäolen Der Thau im Strahl der Morgenfonne blinkt, Wie bligend aufwärts ſich gleich Girandolen Der Schimmer zu der Bäume Wipfeln fehmingt, Wie ihn von bunten PBapagein, Pirolen, Tukans und Pipras Schwarm auf Schwarm umringt Und um die Blüthen Kolibris im Tanze Hinfchweben, blind wird John faft von dem Glanze.

Kaum vorwärts dringt fein Fuß durch das Geflechte

Der Pflanzenfchlingen, die ihn dicht umranken,

Und während, fich in grüne Dämmernädhte Berlierend, über ihm die Wipfel fchmanten

Und Käfer um ihn fchwirren und der Spedhte Gehämmer an den Stämmen tönt, den fchlanten,

Im Schauen all der Wunder um ihn ber

An Jagd, zu der er 309, kaum denft er mehr.

Auf einmal raufcht e8 auf im Farrenfraut Ein Wild, gefcheucht von feiner Yagerftelle, Wohl muß es fein. John blidt empor und fchaut Nicht ferne eine ſchlanke Berggazelle, Die vorwärts fhießt. Mit Waidwerf wohl vertraut, Geipannten Hahns eilt er ihr nad) in Schnelle. Bald fteht, bald wieder flieht fie, doch er muß Ihr näher kommen erft zum fihern Schuß.

Hin über Kaktus mit den breiten Kämmen, Gerigt oft von der Stacheln ſcharfem Zahn, Bolgt er dem Thiere. Nicht von Riefenftänmmen, Die, jählings hingejchmettert vom Orkan,

Den Boden deden, läßt fein Fuß fich hemmen; Er überklimmt fie, bricht fi) meiter Bahn Dur Riefendifteln und durch Torngeftrüppe Da, fieh! ragt vor ihm eine Feljenklippe.

- 18

Und die Gazelle fliegt den fteilen Pfad Empor; darf er fie einzuholen hoffen? hr nad bis nah zum höchſten Feljengrat Mit Hand und Fuße klettert er am fchroffen Abhange; nun ift er genug genaht, Legt an und ſchießt fein Schuß hat gut getroffen: Denn die Öazelle ftürzt, und, feine Beute Zu holen, fliegt nach oben der Erfreute.

Da, wie er um die legte Zade wendet, Welch Wunderfchaufpiel beut ſich feinem Blid! Er fieht, und fteht vom Glanze wie geblendet, Bergrieſen vor fih ragen Pik an Bil;

In unermeßner Reihe, die nicht endet, Gleich Urweltlönigen, die das Geſchick Der Erde lenken, mit demantnen Kronen Schaun fie herab von ihren Silberthronen.

Ya, ihre Glorie kann der Geift faum fallen, Sie finds, die himmelhohen Eorbdilleren! Zum tiefen blauen Xether in Zerrafien Sich thürmen fie mit ihren Eisaltären, Schneedomen, ungeheuren Gletfchermaffen, Zu denen ferneher von beiden Meeren, Wenn roth fie flammen in des Abends Strahlen, Die Schiffer fhaun als leuchtenden Fanalen.

Sohn fteht bewältigt von der hehren Schau; Zu fchwindeln ihm beginnts in allen Sinnen: Ihm ift, als wollte der Gigantenbau Der Schöpfung mit den eißgefrönten Binnen Und Erd’ und Sonnenliht und Aetherblau In einem Meer von Herrlichkeit zerrinnen. Zulegt, um rückzukehren unaufbhaltfam, Losreißt er von dem Anbli ſich gewaltjam.

—- 109

Das todte Wild behutjam mit fich fehleifend, Klımmt er hinunter von dem Felfenhang. Da, wie der Blid, am Horizonte fchweifend, Ihm ringshin gleitet, ſtarrt er plöglich bang Nah Süden. Sid in finftern Maffen häufend, Schmarz, grauenvoll, al3 obs mit Untergang Die Welt bedrohe, fteigt von Mittag ber Wettergemölf empor, verderbenfchmwer.

Ein nächt'ger Riefenvogel, defjen Schwingen Bon Oft bis Weſt fich breiten, fommt geflogen; Als wollt’ er alle8 Lebende verjchlingen,

Nedt hoch und höher fi) am Himmelsbogen Da3 grauſe Ungethüm; in Wirbelringen Beginnt die Luft von feinem Hauch zu wogen; John fieht das nahnde Unheil und, wie Leichen So blaß, die Höhle ſucht er zu erreichen.

In böllentiefe Finfternig erftarben Gen Suden Tag und Licht, doch blendend heil Bon Feld zu Pelfen fprang in Flammengarben Der Sonnenftrahl noch bin und zudte grell, Gelb, grün und dunkelroth durch alle Farben; Nun noch ein Augenblid, und bligesjchnell Wird afchengrau die Luft, und blaß und fahl

Nur bier und da noch ſchießt hindurch ein Strahl.

Graunvolles Schweigen; allumber zu zittern Scheint die Natur und, von Entjegen bleich, Das Unheil, wie es näher rüdt, zu mwittern; Die hängt die Luft um fie und fchmefelgleich, Und von den eignen Pulfen fchleiht ein Zittern Dur ihre Adern hin. Den Felfenfteig, Stürzend vielmehr als gehnd, herabgellommen Iſt Sohn; nun hat der Wald ihn aufgenommen.

10

Er keucht durchs Didiht bang und athemlos; Noch immer ftille, fürchterliche Pauſe, Wie vor dem Weltgericht, jo ernft und groß; Da, horch! fernher ein Murmeln, ein Gebraufe, Dumpf, hohl, wie aus dem tiefften Erdenſchooß Hervorgepreßt! Mit Brüllen reißt die graufe MWindsbraut fi) rafend los von ihren Fetten; Nah kommt fie, näher mag, wer Tann, fi) retten.

Hin an den Bäumen tanzt wie Irrwiſchfeuer Rothgelbe Gluth; verftridt zu wirren Knäulen, Durch das Gezweige flattern Schaaren fcheuer Nachtvögel, Papageien, Riefeneulen;

Heermeije fliehn des Waldes Ungeheuer,

Tiger und Banther, unter wilden Heulen

Durchs Didicht hin; in zitternden Sekunden

Iſt auch der legte Schein des Lichts verfchmunden.

Auf einmal wieder dann vom Himmelsdad) Schießt lohe Gluth herab in Flammenbligen; Und nun ein Stoß, ein dröhnendes Gekrach, Wie Donner von zehntaufend Schlahthaubigen. Zur Erde beugen fi, wie Kinder ſchwach, Die höchſten Waldtitanen mit den Spigen; Sie ſchwanken, ftemmen fi, dann hingemettert, Entwurzelt ftürzen fie, im Ball zerfchmettert.

In allen Adern Johns erftarrt dag Blut Um ihn der Thierwelt graufiges Gewimmel, Die Finfterniß, des Wetterfturmes Wuth, Der Bäume Sturz im donnernden Getiimmel Wohin entfliehen? Da, bei der rothen Gluth, Die eben fiebernd Hinzudt durch den Himmel, Sieht er vor fi, umflattert von Gevögel, Das zu ihm flüchtet, einen Felſenkegel.

111

Er taumelt hin, er klimmt jählings empor. Dort ift er vor der Etämme Sturz gefchirmt, Doch um ihn ber, wie aus dem Höllenthor Geſpieen, braust und kracht und heult und ftürmt Die Windsbrant und zerknickt wie dünnes Rohr Die taufendjähr'gen Stämme; hoch gethürmt John fieht e8 bei des Himmels Flammengüſſen Schon liegen fie am Boden ausgeriffen.

Sie branden, fchlagen Wellen wie ein Meer, Und andre über ihnen treibt gleich Halmen Der Wirbelwind in Lüften hin und ber, Und Krach auf Krach noch ftürzen taufend Palmen; Dann bricht der Himmel ein? nit halten mehr Kann John fih an dem Stein; ihn zu zermalmen Drohn losgerißne Blöcke, die, wie Schollen Auf einem Bergftrom, in die Tiefe rollen.

Der Boden zittert unter ihm und bebt Vom Sturze ungeheurer Feljenmaffen, Der Alles unter feiner Wucht begräbt; Noch klammert John fich feit, doch ihn verlaffen Die Kräfte abwärts taumelt er und ftrebt Vergebens, eine Zade zu erfaffen, Daß er am Rand des Abgrunds fich dran halte; Er ftürzt und finft in eine Zelfenfpalte.

Befinnung ift, Bemußtjein ihm gefchwunden, | Nacht in ihm, über ihm und rings um ihn; Auch ich, von feinem Zuftand keine Kunden Für ein’ge Zeit vermocht' ich einzuziehn; Ob ganze Tage oder ob nur Stunden Betäubt er lag, umfonft war mein Bemühn, E3 zu erforfchen felber weiß ers nicht, Wer alfo gäbe drüber ung Bericht?

112

Yangfam, allmählig kehren ihm die Sinne, Erft dumpf, dann heller dämmernd nach und nad); Er denkt nicht, wo er jein mag, im Beginne Und liegt halb wie im Traume, halb nur wach. Dann an dem Schmerz der Glieder wird er inne, Daß er auf hartem Felſen ruht; doch ſchwach, Zodmatt, wie wollt ihr, daß er fich erhebe? Ihm ift, als ob er feſt am Boden klebe.

Auf feiner Stirne fühlt er Naß; kalt ledt Und tropft3 von oben auf das Haupt ihm nieder; Mühfam am Ende, mehr und mehr erwedt, Auffchlägt er mit Gewalt die Augenlider, Doch kann nichts fehn; von Finſterniß bededt Fit Alles rings. Bleiſchwer find feine Glieder, Und lange nicht vermag er mit den fchlaffen Gelenten fi) vom Boden aufzuraffen.

Zulegt gelingts: er bat ſich aufgerichtet;

Noch immer 0, ward er auf einmal blind? Kein Strahl rings, der das tiefe Dunkel lichtet! Der kalte Schweiß, der ihm vom Antlig rinnt,

Die Sterbengmattheit, daß er wie vernichtet

Sich fühlt wo mag er fein? Er finnt und finnt, Hierhin und dort die Hände taftend ftredt er,

Am Boden da fein Yagdgewehr entdedt er.

Nun wieder fteigt Erinnrung des Gefchehnen Bor ihm empor; an feine jähe Flucht Im Wetterfturm und an die Schredengfcenen Im Walde denkt ee wohl in eine Schludt, Wie deren viel im Erdenſchooße gähnen, Iſt er geftürzt, und von des Falles Wucht Noch Schmerzen ihm, als wären fie gebrochen, Die Glieder alle big ind Mark der Knochen.

113

Ya, un ihn her die dichte Finfterniß, Der Tropfenfall, die dumpfe, feuchte Luft, Am Boden das Geftein e8 ift gewiß, Er findet fih in unterird'ſcher Kluft. Wohl irgendwo durd einen Felfenriß Iſt er geftürzt; doch beut fi aus der Gruft Ihm auch ein Ausweg dar? Muß er nicht herben, Dualvollen Tod vielleicht hier unten jterben?

hm fträubt dad Haar fich, feine Füße wanfen, . Bon Neuem finft er auf den Boden hin; Da tritt das Bild Amaliens, der Kranken, Die hilflos feiner harrt, ihm vor den Sinn, Und grimmig fpringt er auf bei dem Gedanten, Daß ohne ihn die fchöne Sängerin Des Todes Raub ift; er zerichlägt die Stimm Sih wild, wie Wahnſinn zudt e8 durch fein Hirn.

Bergſchwer fühlt er die Sorge auf fich laften, Daß keinen Weg er aus der Höhle finde; Nicht länger an der Stelle läßts ihn raften; Er tappt, auf da8 Gewehr geftütt, wie Blinde, Nach vorn, indeß ſeitwärts die Hände tajten; Hinauf bald klimmt er durch die Irrgewinde Der Höhle, bald hinab auf Steingerölle Und fpäht nach einem Pfad aus diefer Hölle,

Umjonft; von Licht aud nicht ein matter Schimmer Dringt in die tiefe Nacht, doch ungehemmt Klimmt Kohn fort über Schutt und Felfentrümmer, Ob Angft ihm auch die Bruft zufanımenflemmt. Auf einmal fieht er trügt ihn das Geflimmer Des Auges nicht? fo feltfam ifts, jo fremd Nein, keine Täuſchung! Deutlich aus dem Dunteln Sieht er zwei Lichter heil und grünlich funkeln.

Shad. Ge. Werte. II. 8

14

Nun, da es hell wird, muß fi) Alles fügen! Schon glaubt fih John am Schluß des Mißgeſchicks; Da hört er Wehn von dumpfen Odemzügen.

Die beiden Flammen vor ihm find fo fir,

So regungslos er kann ſich nicht betrügen, Von einem Tiger, der ihn ftarren Blicks Anjchaut, die Augen finds; am Boden fauert Das Ungethüm, dag auf den Fang fehon lauert.

Bielleicht jofort auf ıhn mit einem Satze Nun ftürzt das Scheufal los im jähen Sprunge Und fchlägt in Naden ihm und Bruft die Tage Und faugt da8 Blut ihm aus mit gier’ger Zunge; John denft3 und kommt zuvor der Tigerkatze: Den Kolben des Gewehrs in mädt’gem Schwunge Schlägt er, und rafft die ganze Kraft zufammen, Gerade zmifchen jene beiden Flammen.

Dann fehredlih Heulen, das, weithin getragen, Durch alle Wölbungen der Höhle dröhnt: Er hat des Unthier8 Schädel eingejchlagen, Berendend röchelt e8 und brüllt und ftöhnt! Er felbft indeß, als faßt' ihn plöglich Zagen, Sintt riidwärts hin, und graufig un ihn tönt Des Tigers Aechzen, rings aus Riß und Spalt Bon jeder Höhlenwand zurückgehallt.

Dann fehmeigt das Röcheln. Wieder todtenftill Wird Alles. Vor der Seele Johns nur Mingt Noch fort und fort des Ungethüms Gebrüll. Zulegt aus feinem dumpfen Starren ringt Der junge Held ſich wieder auf; er will Hier nicht verzmeifelnd untergehn und zwingt Die müden Glieder noch einmal zum Gange, Daß an den Höhlenausgang er gelange.

15

Stets gleihe Naht, in der er weiter fchleicht. Er kann die Hand vor Augen felbft nicht fchauen; Dft, daß zu Füßen das Geröll ihm meicht,

Dann nur zu riechen darf er ſich getrauen;

Die Grabesluft, die um die Stirn ihm ftreicht, Der feuhte Qualm ihn faßt ein tiefes Grauen; O furdtbar, furchtbar, in den düftern Schadhten Qualvollen Todes langfam zu verſchmachten!

Er fuht hinan die Höhlenwand zu klimmen, Doch gleitet an dem fteilen Felſen ab; Und zeigt denn nirgend nur ein matte® Glimmen Des Lichts ihm einen Weg aus diefem Grab? Nein nivgend, nirgend! DO, daß er dem grimmen Unthier den Tod mit feinem Kolben gab! Wars beſſer doch, zerfleiiht von feinen Krallen, Als von des Hungers gier’gem Zahn zu fallen.

In feinen Eingeweiden fchon dag Nagen Des grimmen Gaftes fühlt er; jenes Thier, Das gräuliche, das er vorhin erichlagen,

Nach feinem Fleifche trägt er nun Begier,

Und jchwelgen mit wollüftigem Behagen

Wird’ er in dem Genuß. Die Augen flier Ins Dunkel bohrend, denkt e8 John und fühlt, Wie fchneidender in ihm der Hunger wählt.

Und immer bittrer werben feine Qualen, Indeß er mit ermattenden Gelenken Sid, faum noch fortfchleppt; nun der Kannibalen, Der Wölfe Gier vermag er fich zu denken Und will zum töftlichften von allen Mahlen Die Schritte rückwärts nach dem Tiger lenken, Als eben ihm ein Schall zu Ohre dringt, Der wie Gemurmel einer Duelle Klingt.

1

Tem Schalle folgt er, neu emporgerafft, Auf Pfaden, die hinauf, hinab fih winden; Den Dienft fait weigert ihm der Fuß, erichlafft, Doch Hoffnung, nun das Höhlenthor zu finden, Giebt ihm, fich weiter fortzufchleppen, Kraft. Weh, jegt von Neuem jcheint der Ton zu ſchwinden! Berzmeifelnd hin finft John, allein im Sinken Ft ihm, er fehe fernen Echimmer blinten.

Bon Neuem tappt er fort, und abermals Ertönt der Schall; er neigt fi vor, zu laujchen, Und an fein Auge nun dringt hellern Strahls Das Licht und an fein Ohr der Duelle Rauſchen D, mit dem Dach des weiten Himmelsſaals Die düftre Todesgrube zu vertaufchen, Bald wird fein heißes Sehnen fi) erfüllen; Toh muß er exit die Gier des Hungers ftillen.

Sieh! neben ſich ein Bächlein fieht er fließen, Die Höhle thut fih auf mit breiten Wänden, Und faft vor Schmerz die Augen muß er fchließen, Weil ihn die ungewohnten Strahlen blenden. Zu Stauden, die am Grottenausgang jprießen, Dann greift er haftig auf mit beiden Händen Und bridt wie muß e8 den faft Todten faben! Eich jaftige Bananen und Guayaben.

Daun, als der erfte heft'ge Trieb gejtillt, Sinkt er, von der Erſchöpfung übermannt, Ins Gras, das fippig ihm zu Füßen jchwillt, Und über ihm die ſchatt'gen Zweige ſpannt Der hehre Wald, und ihm zu Häupten quillt Der Murmelbad; wie daß er Widerftand Dem Schlummer leiftete? Sekunden nur, Und vom Bewußtſein bleibt ihm feine Spur.

—- 17

Doch kurz die Ruhe. Echredgebilde bäumen Sid) vor ihm auf; Amaliens Geftalt Chaut er und fährt empor aus wilden Träumen. Einfam, verlaſſen fie im meiten Wald, Schon faft verfhmadhtet o, und er fann fäunen Und bringt ihr Hülfe niht? Die Fauſt geballt Sich an die Stirne fchlagend, jpringt er auf Und flürzt wie finnlos fort in irrem Lauf.

Bielleiht zur Beute einem Raubthier ward Die Theure fchon; jet eben ausgemittert Hat fie vielleicht ein Yeu, ein Leopard Und hebt die Branten wider fie. Erjchüttert Bei dem Gedanken bleibt er, wie erftartt; Dann wieder hin durch feine Seele zittert Die Todesangſt, daß durch die Irrgewinde Des Dickichts er den Weg zurüd nicht finde.

Weit, unermeßlih, Etämme hinter Stämmen, Dehnt ſich um ihn der Urwald ohne Prad; Gewäſſer jener Sturmnacht überſchwemmen Den Boden, daß er feſten Grund kaum hat,

Und Schlingkraut, rankende Lianen hemmen

Ihm oft den Schritt. Verwirrt und ohne Rath, Wohin er gehn ſoll, bald dem Schickſal flucht er, Bald, vorwärts ftürzend, nach der Höhle ſucht er.

Faſt vor Erfchöpfung brach er oft zuſammen, Tod raffte neu fi auf, ob noch fo matt: Ta, fieh! in Strömen goldnen Lichtes ſchwammen Plöglich die Zweige rings, dran jedes Dlatt ALS ſeur'ge Wimpel flaggte: hoch in Flammen Aufloderte mie eine Feuerftatt Der ganze Wald, bis auf den gluthgetränften Sid nad) und nad) der Tämmrung Schatten jentten.

118

Nun ift die Eonnenfadel Hingefunfen, Und nur der himmelhöchften Bäume Spigen Noch fchimmern, von dem Purpurlichte trunten; Doch unten jchon beginnt ein irres Blitzen Bon Kanthariden, die wie Silberfunfen Aufleuchten; und aus aller Stämme Rigen Hervor ſchwirrts von erwachten Tagesfchläfern, Lampyren, nächt'gen Echmetterlingen, Käfern.

Und dunkler wird die Naht mit letzter Kraft Zwingt fih zum Gange John; allein mit Schreden Dald, wie ein Abgrund ihm zur Eeite flafft Und graufe Schuppenthiere nach ihm leden,

Glaubt er zu fehen, bald, wie fpinnenhajt Sich in den Yaube taufend Glieder reden Und Riefenjchlangen, ſich in langen Ringeln Am Boden windend, gierig nach ihm züngeln.

Er fieht rings aus dem Didicht Augen ftieren Und durch die Waldesnacht wie Feuer ſprühn, Die Flügelichläge hört er von Vampyren,

Wie jie auf nächt’gen Fang blutlechzend ziehn; Und laut und lauter ſchallt von wilden Thieren Tas Brüllen ihm zu Ohr wohin entflicehn? Erſchüttert durch der Beutegier'gen Sprünge Zur Seite vafjelt oft das Laubgeſchlinge.

Wohl zagen muß bei ſolchem Echreden Jeder, Ob noch jo fühn. John fühlt, er kann nicht weiter, Und an des Schlingfrauts rankendem Geäder Empor ſich ſchwingend, wie an einer Yeiter, Aufflimmt er zu dem Wipfel einer Leder, Hoch, immer höher, bis ein Aft, ein breiter, Ihn aufnimmt; ficher dort, daß er nicht ftürze, Kann er fi lagern und entjchläft in Kürze.

19

Wir laffen im Gezweig ihn ruhig lehnen Und ſchaun ftatt feiner auf die Wunderwelt, Die ihn umgiebt. Von leuchtenden Phalänen Wird das fmaragdne Blätterzelt erhellt;

Die Riejenwipfel, die fich endlos dehnen, Zittern und fluthen wie ein Aehrenfeld, Und glorreih drüber ift am Himmelsbogen Die Tropen-Sternennadht heraufgezogen.

O diefes Blau, ein nie erſchöpfter Bronnen Bon Slanz und Licht, ein Strahlenocean, In ewig⸗ſel'ge Klarheit hingeronnen, So rein, wie e8 die erften Menfchen jahn! Und leuchtend, funfelnd droben, groß wie Sonnen, Das filberne Gewölk des Magellan, Und der Gentaur und jenes Kreuz, das behre, Der Eegler Veititern durch des Südens Meere!

Die ehemals, ihr göttlichen Gebilde, Am Himmel unjres Nordens ihr gefreist, Warum, nur noch die tropifchen Gefilde Erleuchtend, Tießt ihr unfre Nacht verwaist? So mie verirrte Schiffer, wenn durch wilde Sturmnadt Fein Pol, kein Stern fi) ihnen weist, Sehnt, euch zu ſchaun, vergebens fich ein fpäter Nachkomme der beglückten Aelterväter.

Gleich Fahnen einer großen Siegesfeier, Die triumphirend über Grab und Tod Selige ſchwingen, wehen Silberſchleier Hin durch den Himmel; aber dunkelroth Im Oſten glimmts, wie wenn ein Feuerſpeier Aus ſeinem Krater Flammenausbruch droht, Und bis an den Zenith empor ſchwingt, hohe Lichtgarben ſchleudernd, ſich die glühnde Lohe.

120

Und herrlich hebt ſich aus den Freudenfeuern Der Mondesball in lauterm Strahlengold. Blickt nicht, ihr Nordlandsſöhne, auf den euern, Wenn ihr der Nächte König ſchauen wollt; Seht dieſen, der gleich einer ungeheuern Leuchtkugel funkelnd durch den Himmel rollt, Indeſſen Strahlengüſſe roth und grün Und violett nach allen Seiten ſprühn!

Matt wird der Schein den anderen Geſtirnen, Und in der Lüfte ſchimmernden Kryſtallen Hoch leuchten auf die Bergterraſſen, Firnen, Und bei der Strahlen Steigen oder Fallen Scheint mit den Thälern, Wäldern, Gletſcherſtirnen Die Erde ſelbſt zu wogen und zu wallen, Daß Berg und Wald und eisgewölbte Dome Zerrinnen in des Lichtes mächt'gem Strome.

Allein zurück zu unſerm Schläfer jetzt,

. Ter von dem Wunderanblid nichts genoſſen! Seitdem er in die Wipfel fich gejegt,

Hat Schlaf die Augenlider ihm gefchloffen; Erft, als ihn feucht der Morgenthau benegt, Schlägt er fie wieder auf, und wie an Sprofjen Behutfam läßt fein Fuß ſich in dem ſchwanken Geäft herab und an den Schlingkraut-Ranfen.

Sobald zun Boden ficher ihn die Yeiter Herabgeführt, flog Kohn, verzweiflungsvoll Die Höhle fuchend, durch den Urwald meiter; Amalie! Amalie! erſcholl Cein Ruf bei jedem Schritt, als ihn ein breiter Bergſtrom, der nad) dem Sturme mit Geroll Baunıftamın an Baumftamm auf den Wellen ſchwenimte Und jäh vorbeifchoß, auf dem Wege hemmte.

121

Bei diefem Anblid wirds mit einem Mal Ihm wieder licht; das, meint er, fei der Fluß, An dem die Höhle liege; ihm zu Thal Zu folgen, fehnell fteht feſt ihm der Entſchluß. So denn, geleitet von dem Hoffnungsftrahl, Entlang der Wellen, die vom Wetterguß Geſchwollen neben ihm im Abgrund fchäumen, Bricht er fi) Bahn durch da8 Gewirr von Bäumen.

Und das Vertrauen wächst ihm mehr und mehr, Hier, will ihn dünken, ift er fehon gemejen; Der Riefentulpenbaum ja, bis hierher Drang er ſchon einmal vor beim Früchtelefen. Dei dem Gedanken wird das Herz ihm ſchwer, Daß er Amalien, anftatt genefen, Als Leiche in der Höhle wiederfände, Und wie in Todesangſt ringt er die Hände.

Bielleicht, denkt er, die Pranken fchlägt nun eben In ihren Leib ein Waldesungethüm; Noch retten kann er fie, allein ihr Leben Hängt an Minuten und mit Ungeftüm Fortftürzt er durchs Gefchling der wilden Reben, Die faft den Schritt ihm hemmen da vor ihm Sieh! Tiegt der Höhleneingang! ihm entgegen Brit er fi Bahn auf dichtverwachſnen Wegen.

Gleich itberfchreiten die Tianenbrüde Nun will er, die das Strombett überfpannt, Allein gewahrt auf einem Felſenſtücke Zwei wilde Männer, welche dicht am Rand Des Abgrunds figen, aber ihn zum Glücke Nicht Shaun; ihr Rüden ift ihm zugewandt: Indianer finds, die in der Wildniß wohnen, Nadt, tättomirt, mit bunten Federfronen.

122

John weiß, und durch die Seele zuckt ihm jäher Todſchreck, nach drüben hin gelangt er nie, Wofern ſie leben, denn der Europäer Und Weißen Untergang nur ſinnen ſie.

Von hinten ihnen leiſe ſchlich er näher

Und ſtieß den Einen abwärts; laut aufſchrie Der Stürzende, und mit gebrochnem Nacken Ward er zerſchellt an ſcharfen Klippenzacken.

Zugleich den Zweiten mit der andern Hand Schon hatte John gepackt, und, in die Wogen Hinuntertaumelnd, ohne Schrei verſchwand Der Inder, von der Fluth hinabgezogen; Doch ſieh! ſtromabwärts an der Felſenwand Hat plötzlich ſich, von wirrem Haar umflogen, Ein Dritter aufgerichtet, ſchwingt die Keule Und ſtürzt heran mit wüthigem Geheule.

Bei dem Gedanken an Amaliens Loos Bebt John, der ſicherm Untergang Geweihte; Da windſchnell die Gefahr iſt rieſengroß Das Schießgewehr, das hinſank ihm zur Seite, Rafft er vom Boden auf, legt an, drückt los Und trifft den nahen Wilden in die breite Gewalt'ge Bruſt, ſo daß er gleitend jäh Nah rückwärts ſtürzt, ächzend in Todesweh.

Kurz noch am Rand ſich feſtzuklammern ſucht, Dann in den Stromſchlund ſtürzt der wilde Inder. Von des gewalt'gen Augenblickes Wucht Erſchüttert, taumelt John auch wie ein Blinder; Ein Fußbreit noch, und in die grauſe Schlucht Wär' er geſunken; plötzlich dann, geſchwinder Als Sturmwind, über den Lianenſteg Fliegt er und zu der Höhle hin den Weg.

Nicht nimmt er wahr, daß er die Felſenklippe Mit feiner wunden Glieder Blut beträuft, Er räumt die Steine fort und das Geftrlippe, Das vor dem Höhleneingang er gehänft; Ein Ruf der Freude von Amaliens Pippe Sagt, daß fie lebt; er ftürgt hinein, ergreift Der Theuren Hand, hört no ihr Willkommgrüßen Und ſinkt in Ohnmacht bin zu ihren Füßen.

Als neu Bemußtjein dämmert dem Betäubten, Ein Braufen dröhnt ihm noch vor allen Sinnen, Als ob des Kampfes Wirbel ihn umftäubten; Dann fühlt er warme Thränen niederrinnen.

Er blidt empor und fieht zu feinen Häupten Das liebe Antlig; wieder da tief innen

Quillt ihm das Leben auf: den theuern Tropfen Entgegen jchlägt fein Herz mit hohem Klopfen.

Vom Höhlenfturz ber noch ift John verwundet, Doc jehen werden wir ihn bald gebeilt; Er fühlt, ein jeder Schmerz ift ihm geftundet, Indeß Amaliens Auge auf ihm meilt, Und daß er mehr und immer mehr gejundet. Gleich einem Fichtftrahl, der die Wolfen theilt, Iſt ihm ihr Blick, der auf ihn niederlächelt, Ihr Odem Lenzhauch, der Geneſung fächelt.

In Worten, die ſie voll Bewegung ſtammelt, Erzählt ſie ihm von ihrer Einſamkeit, Wie von den Früchten, die er ihr geſammelt, Sie fi) genährt in diefer bangen Zeit, Wie durch das Höhlenthor, das er verrammelt, Sie oft nad ihm gelaufcht in Herzeleid Und als BVerlorenen um ihn zulett Mit TIhränen ihren Blätterpfiihl genegt.

114

Nun felig, wie er nie zuvor geweſen, Ft John, da ihm ihr Wort die Kunde giebt, Die er in ihren Mienen nie gelefen, Daß ihm Amalie, wenn fie ihn nicht liebt, Doch auch nicht abhold if. So bald genejen Zu fein, faft fühlt er ſich darob beträbt; Es mar fo füß, wie er bisher auf Erden Noch nichts empfand, von ihr gepflegt zu werden.

Allein der Früchte Vorrath neigt zu Ende, Und neue pflüden muß er drum am Fluß; Auch, wenn er eine Antilope fände,

Erlegen könnte fie vielleicht fein Schuß; Nur hebt Amalie flehnd zu ihm die Hände, So daß er feierlich geloben muß,

Aus ihrer Nähe weiter nicht zu weichen, Als wo ihn ihre Rufe noch erreichen.

Hold war das Glüd ihn: eine Berggazelle Floh Morgens früh am Höhlenthor vorbei, Und kaum noch, daß er fie gewahrt, zur Stelle Tag fie dahingeftredt von feinem Blei;

Bald ſchlug ein Holzftoß auf in Flammenhelle Und an der Gluth zum Mahle für die Zwei Sebraten wird das Wild; dann bot der Knabe Amalien von der lang entbehrten Yabe.

D, daß dies Höhlenleben ewig währte!

So wonnig fchien e8 John! Wenn er am Thor, Damit fein Einbrud ihren Schlummer ftörte, Dei Nacht die Wache hielt und nur fein Ohr Tas Gehn und Kommen ihres Athems hörte, In einen Rauſch von Celigfeit verlor

Eid) fein Gemüth; die Hand aufs Herz gebrüdt, An ihrem Lager niet er hin entzüdt.

123

Doch: „DO mein Freund“ ſprach einjt fie in der Frühe „Wie für den Tod, den fait Ihr für mich ftarbt, Für alle die erlittne Pein und Mühe Bring’ ih den Dank Eud, den Ihr Euch erwarbt? Ich fühl's, daß ich zum Leben neu erblühe, Und Eure Wunden auch find faft vernarbt; Laßt uns denn fliehn aus diefer unwirthbaren Wildniß und ihren drohenden Gefahren!

„gie Seele will ich offen vor Euch legen, Denn Ihr verdient, daß Euch mein Herz vertraut, Und fein Geheimniß darf ih vor Euch hegen. Erfahrt, mein Freund, ich bin verlobt und Braut, Doch ſchwer traf das Geſchick mit feinen Schlägen Mid, jo wie den, auf den mein Glüd gebaut; Durch Trug und böſe Arglift, müßt Ihr wiflen, Gern auseinander wurden wir geriffen.

„Und Sehnſucht nad) dem Langentbehrten, Theuern Zieht nun mid) mädtig hin zum Ocean, Um an Europas Küſten heimzufteuern; Ihr, der jo viel Ihr ſchon für mich gethan, Helft, bitt’ ich, meinen Kräften mit den Euern Und bredt mit mir and Meergefiad Euch Bahn. Dann dankbar ftet3, bis fie ins Grab mich jenen, Mein junger Freund, will Euer ich gedenken.”

Wohl durch Amaliens Wort ward Yohn betroffen; Doch jo in reiner Liebe ſchlug fir fie Sein Knabenherz, daß ihm das bloße Hoffen, Ihr nah zu bleiben, wieder Tröftung Lieb. Ganz frei in Zukunft konnt’ er ihr und offen Ins Auge ſchauen; da er mußte, nie Als feine Gattin dürft’ er fie umfangen, Wollt er platonijch Liebend an ihr bangen.

126

Aus feiner Schulzeit viel in England wird Tas Studium der KHlaffifer getrieben Fit ihm Erinnerung, wenn auch verwirrt, An Diotimas Lehre noch geblieben; Und aljo hoffen wir, daß er nit irrt! Glaubt er, wenn Mann und Weib im Geift fich lieben, Tas Höchſte feis; vielleicht, an Täuſchung ärner, Wird anders denfen einft der junge Schwärmer.

Amalie bittet er, auf ihn zu baun, Und hebt die Hand empor, um zu beeidigen Er werde ficher durch des Urwalds Graun Sie führen und fie vor des Tigers jchneidigen Tangzähnen, vor des Leoparden Klaun, Bor allen Schreden der Natur vertheidigen; Wie Helden in Bojardos, in Torquatos Gedichten thut er diefen Schwur voll Pathos.

Dann Morgens, als in ihre Höhlenpforte Der erfte matte Schein der Dämmrung drang, Aufbrechen fie von ihrem Zufluchtsorte Und fegen gegen Weften fich in Gang. Bon Kohn geleitet, als von ihrem Horte, Hängt fih an feinen Arm Amalie bang Und Schaut nach rechts und linf3 und glaubt mit Schreden Gefahr auf allen Seiten zu entdeden.

Vertraut noch nicht, fo wie der junge Britte, Iſt fie mit diefer fremden Rieſenwelt Und ſteht erftaunt in all der Wunder Mitte, Wie ftärker duch das hohe Blätterzelt

Der Tichtftrahl dringt und wie bei jedem Schritte Hoch, höher flammend ſich der Wald erhellt

Und flingend, um den jungen Tag zu grüßen, Die Blumen ihren Purpurkelch erjchliegen.

127

Und nun umher das mächtige Erwachen Der Thiere in dem Labyrinth der Blätter, Der Vögel Stimmen all, der tauſendfachen, In allen Wipfelkronen das Gelletter, Dazmwifchen das Gebrüll aus Raubthierraden! Amalie ſchaut mit Furcht auf ihren Wetter Und glaubt, daß, hinter jedem Stamm gefauert, Ein Yeopard, ein gier’ger Panther lauert.

Doch John, das fchußbereite Feuerrohr Geſpannten Hahnes in der Rechten haltend, Dringt rüftig weiter in die Wildniß vor, Durh Dornen und Geſträuch den Weg fih fpaltend Und wenn, durch ftetes Tropfen fait zum Moor Den Boden unter ihrem Fuß geftaltend, Die Feuchtigkeit fie hemmt, mit hurt’gem Sprunge Hinüber trägt das fchöne Weib der unge.

Dann wieder tiber fchroffes Steingefels Hin gehts; und ob des Stachelkaktus Spigen, Ob auch die feharfen Kanten des Geröllg, Das Dorngefträud die Füße blutig rigen, Nur kurz am Rande eines Strudelquells Bergönnen fie ſich Raſt auf mooſ'gen Sigen, Sich abend an des Pifang frifhem Saft; Dann neu erprobt wird ihrer Glieder Kraft.

Und länger werden ſchon der Bäume Schatten, Es gilt, vor Nacht den Waldſaum zu erreichen. John fieht Amalie mehr und mehr ermatten; Auf ihn fich ftügend, nur noch kann fie fchleichen; Doch will er nicht der eignen Kraft gejtatten, Die faft den Dienft ihm weigert, zu entweichen, Und ſucht, ob auch die Glieder ihm erichlaffen, Stets neu fi aus der Schwäche aufzuraffen.

13

Hinfinfend brach Amalie zujammen, Indeffen in des Abends Purpurgluth Schon allumber die Blätterkronen ſchwammen Und dur das Schlingkraut dunkelroth wie Blut Das Spätlicht floß noch einmal aufzuflammen Begann da dem Berzmweifelnden der Muth; Die Hingeſunkne mit dem Arın umjchlingend, Fortſtürzt er, weiter durch das Didicht dringend.

Sein Athem feucht, der Fuß, der blut’ge, wankt Bei jedem Schritt, er fühlt ſich wie vernichtet, Und dennod, von des Mädchens Arm umrankt, Die Augen auf den Strahlenglanz gerichtet,

Der vor ihm durch der Palmen Wipfel ſchwankt, Sort müht er fih; da plöglich um ihn Lichtet Der Urwald fi, es theilen fich die Wipfel,

Und baumlos ragt vor ihm empor ein Gipfel.

Es iſt, als lieh’ ihm Hoffnung wieder Flügel,

Und auch Amalie ſchlägt die Augen groß

Bon Neuem auf; mit legter Kraft den Hügel Empor fie trägt er, fieh! und grängenlos

Bor ihnen liegt des ftilen Meeres Spiegel, Und fernher tönt des Wogenfchlags Getos,

Als ob ein donnernder Choral beim Scalle Bon taufend Orgeln durch das Weltall walle.

Zu Tode matt find beide hingefunfen, Und doc, die Schau, die ihrem Blick fich beut, Hält ihre Augen wach; vom Lichte trunfen, Noch wie in eriter Schöpfungsherrlichkeit, Meer, Hinmel, Erde ftrahlend; Purpur⸗Funken Auf Berg und Thäler bligend hingeftreut! Und über Gletſchern, Wäldern, Feljenklüften Feurige Fahnen wehend hoch in Lüften!

19

ALS dann in rother Gluth der Sonnenball Hinabtaucht in die abenddunkeln Wogen, Berauſcht zu taumeln fcheint das ganze Al Und, wie vom Wirbelfturme fortgezogen,

Jäh Binzuftürzen in den feur'gen Schwall Durch Ocean und Erd’ und Himmelsbogen Geht da ein Zuden plötzlich liegt die ganze Natur erblaßt in reinem Silberglanze.

Nur auf den höchſten himmelnahen Anden Noh flammte glühnder Purpur und durchſchien Die duft’gen Schleier, die ihr Haupt ummanden, Und abwärts fprühte, funkelnd wie Rubin,

Der Schinimer zu den weiten Schneegewanden Und zitterte dur Roſa und Carmin

Und Violett und Gold in allen Farben,

Bis fie auf einmal al im Duntel ftarben.

Schon hatte Schlaf Amaliens Blick gejchloffen, Sohn aber zlindete noch mit Bedacht An dürren Zweigen und Lianenſproſſen Ein Feuer an, damit e8 für die Nacht Die wilden Thiere fcheuche; unverdrofien, Ob auch zum Tod erjchöpft, dann hält er Wacht Bei feiner Breundin, froh, daß nad) dem Tag Bol ſchwerer Mühfal fie des Schlummers pflag.

ALS Morgens früh das erfte Dämmergrau Emporftieg, fehüttelte der Knabe leis Bon ihrem Augenlid des Schlafes Thau; Und abwärts nun, wo Ströme filberweiß Dahin durch zuderrohrbegrünte Au Sich jchlängeln und dur das Gefild von Mais, Hinzog zur Hafenftadt im Morgenjcheine Das Paar durd Palmen und Eitronenhaine. Shad, Gef. Werke IT. 9

130

Bom Erdftoß her Ruine an Ruinen Noch fanden fie, die längs der Straße lagen; Doc bot ein neues Einkehrhaus fih ihnen, Daß fie drin rafteten. Nach wenig Tagen Sol nun der Dampfer zu dem Weg der Schienen Am Iſthmus Panamas Amalie tragen; Und fo zu Sohn, der angjtvoll und erbleichend Bor ihr dafteht, fpricht fie, die Hand ihm reichend:

„O Freund! um meinem Bictor mid) aufs Neue Zu einen, nad Europa ruft die Pflicht, Ruft Sehnſucht mic) zurüd und Lieb’ und Treue; Darum lebt wohl! E8 ziemt mir länger nicht, Mit Euch vereint zu bleiben, denn ich fcheue Der Menſchen Zunge, die wie Nattern fticht Und, fähe man Euch ftet8 an meiner Seite, Arg zifcheln würde über dies Geleite.

„Zwar jeid Ihr noch zum SJüngling nicht erblübt, Zwar drang felbft nicht im Traum, wie ich Euch kenne, Unreine Luft jemals in Eur Gemüth,

Und doc iſts Noth, dag ih von Euch mid) trenne; Denn, fagt mir, werm man neben mir Eud) fiebt, Wollt Ihr, daß ich Euch Bruder, Vetter nenne? Unmöglih! Eure. Sprade, Eure Züge,

Berrathen würden fie fogleich die Lüge.

„So laßt ung, während auf getrennten Wegen MWir durch das Leben gehn, treu bi8 zum Grab Geſchwiſterliebe für einander hegen! Für Alles das, was Eure Huld mir gab, Habt nochmals Dank, mein Freund; den reichften Segen Des Himmels fleh’ ih auf Eur Haupt herab!" Sie ſprichts; verwirrt und flammelnd nur verneigen Kann fi) der arme John; der Reſt ift Schweigen.

131

Hier, werthe Yefer, fragt ihr ferupulöfe: Wie denkt Amalie nur an foldhe Fahrt, Da ficher ihre Gelder doch der böſe Erdftoß verjchlungen hat? Wohlan, erfahrt: Sie trug die Summen, die fie vom Erlöfe Des Opernfpiel3 im Goldland fich eripart, In ſchmalem Gürtel um den Leib gefchnallt, Und zwar in eines MWechfelbrief3 Geftalt.

Ich felbit kann ala probat dies Mittel: preijen Und führ’ im Gürtel immer folden Brief; Wie fehr es nützlich, kann ein Fall bemeifen, Wo diefe Sorgfalt als Präſervativ Bor ſchlimmer Tage mir gedient auf Reifen. Nicht fern von Maltas Küfte ward. Ich fchlief In der Kajüte Nachts. Doc nein! Des Weitern Ausholend, muß ich diefen Fall erläutern.

Bor vielen Fahren wars! ich, faft noch Knabe, Bon frühen Wandertrieb erfüllt, durchftreifte Siciliens ſchöne Aun am Wanderftabe Und brad, wie ih in Ennas Thälern fchmweifte, Nod) grün die Traube mir, die ſchöne Gabe Des Gottes, die feitbem fo herrlich reifte Und immer füßer, faftiger, je älter,

Zum feur’gen Wein ward unter meiner Kelter.

Berftebt, ich rede hier als Platenide

Bon al den großen Werten, die ich fchuf,

Und fonderlich von diefem hehren Liebe,

Das euch wie Thränen-Nektar des Veſuv

Degeiftern wird. Als legter Homeride,

So fünd’ ich mit prophetifchem Beruf,

Unſterblich werd’ ich leben im Gefang,

Wenn Andrer Ruhm fchon längft das Grab verfchlang.

132

Ya, dies mein Epos, nicht dur fade Mode, Noch Zeitgefehmad veralten kann es je, Bon einer Glorie einft nach meinen Tode, Eo wie vom Abendglanz der Alpenjchnee, Umleuchtet werd’ ich werden als Rhapſode Borliegender modernfter Odyſſee, Und ſehen ſollt ihr nächſtens: Vollgeladen Sind meine Koffer auch mit Iliaden.

Allein vom’ Thema bin ich abgelommen: Noh Winter war es, doch im Yebruar Schon hatt’ ic Galatheas Fluth durchſchwommen Und mwagehalfig, wie ich damals war, Durch Schnee und Eis des Aetna Haupt erflommen; Dean braucht zu ſolchem tollen Streich fürwahr Bon Enthufiasmus eine ftarte Dofis, Auch riethen ab die Führer Nicolofis.

Denn jelbft no im April (in fpätern Jahren, Als ich nochmals des Donnerberges Haupt Mühſam erftiegen, hab’ ich e8 erfahren)

Liegt höhrer Winterfchnee dort, als man glaubt. Bon meines erften Aetnazugs Gefahren

Nichts Weitres ſag' ich, als: faſt finnberaubt Kehrt' ich zurüd, Geficht und Füße blutig,

Und doch noch immer abenteuermutbig.

Nicht kam ich wegen diejer Afcenfion

Am feftgejegten Tag nad) Syrafus,

Und abgegangen war der ‘Dampfer fchon,

Mit dem, wie ich gehofft, ih zum Begruß

Des Pindus und Parnaß und Helikon

Nah Hellas fegeln follte; doch: „Ich muß,

Ich muß von binnen!” rief ih aus „und fahre, Wenns fein muß, felbft mit einer Speronare.“

153

So werden ſchmale Schiffe dort genannt, Die längs der Küfte fahren, doch kaum weiter. Ein folches, leicht gebaut und ſchlecht bemannt, Nahm mich denn auf und einige Begleiter; Wir liegen Morgens Arethuſas Strand, Ein günft’ger Nordwind blies, die Luft war heiter, Und glüdlich ging die Yahrt, jo dag wir dachten, Wir könnten ſchon in Malta übernachten.

Doch Nachmittags umfprang der Wind und wählte Die Wogen auf, das Heine Schiff ging ſchwank, Und einzeln Wellen auf die Planken fpülte Tie Meerfluth, die in Hügeln ftieg und ſank. Tas Lachen war vorbei, ein Jeder fühlte Schon jenen Kitzel, der, bevor wir krank, Ung angftooll ahnen läßt den künft’gen Sammer; Ich ſelbſt floh, als es Nacht war, in die Kammer.

Tinfter, daß man die eigne Hand nicht ſah, War fie und maß wohl kaum der Schritte drei; Ih lag halb fchlafend im der Koje; da Auf einmal tönte mir zum Ohr Gefchrei; „Maria!“ ſcholls vom Ded „santissima!* Nicht konnt’ ich ahnen, was gefchehen jet,

Und lag noch weiter zmifchen Schlaf und Wachen, Da dröhnte durch das ganze Schiff ein Krachen.

Ich ſtürz' aufs Ded und fehe durd die Nacht Sich eine Hand von oben nah mir ftreden; Turh Tau und Takelwerk, erſt halb erwadt, Aufwärts werd’ ich gezogen, und voll Schreden Nicht weiß ich, wo ich bin von Neuem kracht Es unten furchtbar Planten überdecken Das Meer im Mondesftrahl, dem dämmerhellen, Seh’ ich fie wirbelnd kreiſen auf den Wellen.

133

Ein Braufen Elang zugleich, ein dumpfes Tofen

Mir vor den Sinnen, und ich ſank zurüd.

Als ich erwachte, Sprache der Franzoſen

Hört' ich und ſchaute mit erſtauntem Blick,

Wie Alles fremd umher. Durch die Matroſen Erfuhr ich endlich dann, von einer Brigg

Sei unſer Boot in Grund geſegelt worden;

Ich fand mich an des Ueberſeglers Borden.

Glaubt ihr, Münchhauſen habe die Geſchichte Erſonnen? Nun denn, meine Herrn, ich bitte Zu Zeugen Deſſen, was ich hier berichte, Ihn, der dabei war, Nicolai Witte Aus Petersburg nicht mehr am Tageslichte eilt William Lumsden, in den Bund der Dritte Und tragt ihr noch nad) Näherem Gelüft, So nenn’ ich euch die Brigg: Les deux Augustes.

Sie felbft war led geworden von dem Stoß; card, der Kapitän, ertheilte Weifung, Nah Malta fie zu führen; unfer Loos Verſüßt' er und durch gute Pfleg’ und Speifung, Ich aber trug im Gurt das Glüd war groß Nicht Mittel nur zu fernrer Weltbereifung, Nein, konnte auch die andern bilfentblößten Schiffbrüchigen in ihrem Unglüd tröften.

Doch nun zurüd zu John und zu Amalien! Um Mittag will die Sängerin zu Meer Nach Panama aufbreden und Italien Und bat dem Britten ſchon am Tag vorher Lebwohl gejagt, um fo den abermalgen Abfchied zu meiden; bang ift ihr und ſchwer Ums Herz: denn ſchon feit Tagen blaß wie Leichen Cab fie den tiefbetrübten Knaben fchleichen.

155

Und doch denft fie mein Ruf heifcht die Ent- jcheidung,

Die ich getroffen; anders darfs nicht fein. Da geht die Thür auf, und in jchmuder Kleidung Tritt zagen Schritt3 ein junges Mädchen ein, Dlond, blaugeaugt. Was? ift dag Narrentheidung ? Ein toller Faſchingsſcherz? e3 kann nicht fein Und doch John fteht vor ihr in Tracht der Frauen, Und ſchwören möchte man, ein Weib zu fchauen.

Er, der noch jüngft in blut’gem Strauß gefodhten, Nun mit der Crinoline angethan; Die Yoden in ein Zöpfepaar geflochten, Die wir zuvor fein Haupt ummallen ſahn; Verwirrt daftand er, feine Schläfe pochten, „D Herrin!” fprad er dann im Hod-Eopran „Das Schickſal nöthigt mich zu diefem Schritte; Verzeiht! und ſchenkt Erhörung meiner Bitte.

„Schon der Gedanke, in die Welt, die weite, Alleın Euch ziehn zu fehen, ift mein Tod, Und leben fann ich nur an Eurer Eeite. O' fo habt Mitleid denn mit meiner Noth! Bergönnt, daß ih als Freundin Euch begleite, Und fo wie Sclaven, die beim Machtgebot Des Sultans zitternd auf die Kniee finfen, Gehurfam leiſt' ich Eures Auges Winken.

„3 ſeh' e8, ja, Ihr finnt bereit3 auf gnädigen Deihen! denn Eures Rufes Hermelin, Wie könnt’ ein fo Verwandelter ihn ſchädigen? Sogar ven Heinften Flecken nur auf ihn In Dera Augen, die Ascetif predigen, Zu werfe, nimmer hätt’ ichs mir verziehn, Selbit weın e8 mich dem fichern Tod entriffen; rei wahrich fühlt und rein ſich mein Gewiſſen.“

136

Blieb nun Amalien no eine Wahl? Sie mußte zum Entſchluß fich wohl bequemen, John, defien zierliches Geficht- Oval Gut zu der Kleidung paßte, mitzunehmen ; Denn zweifellos wars ihr, vor Herzensqual Zu Tod fonft würde fi der Knabe grämen. Alfo nach überſtandnem Kanıpf und Leiden Bereint aufs Dampfihiff fliegen unfre Beiden.

Glück auf den Weg denn unferm Tigertödter Und NRothhautbändiger in Damentradht! Schon glüht fein gramgebleichtes Antlitz röther, Und frober nicht ift in der neuen Pracht Ein Fürft, ein eben auf den Thron erhöhter. Glück auch Amalien! und die Himmelsmadt Mag fie für die bewiefne Treue fegnen, Daß fie und Victor wieder ſich begegnen.

Fünftes Bud. Nad Neapel

Kun vüfte dich, um neue Abenteuer Zu fingen, mein unfterblih Heldenlied! Ihr Sänger, die ihr meinem Herzen theuer, Seitdem e8 für der Dichtkunſt Ruhm erglüht, Walt Strahlen fpendend her vor meinem Steuer, Indeß mein Kiel den Dcean durchzieht; Euch alle ruf ich, Epiter vom Kapland Und Pol des Südens bis zum fernften Lappland!

Daß mich dereinft der Marmor von Carrara Berewige, fteh du mir bei, o Taſſo, Tu, Camoens, du, Sänger von Ferrara! Und, fo wie ich vom Land des Chimboraffo, Des Susquehannah und des Niagara Nicht blos geffigzelt à la Semilaffo, Laßt mich bis zu des Liedes Schlußfanfaren Des höhern Stile Dignität bewahren.

133

Mag fi der niedre Neid darob erboßen, Frei fprech’ ichs aus, fo wie e8 mir bewußt: AL euer Bruder fühl’ ich mich, ihr Großen, Und fpüre einen Hauch in meiner Bruft Bon eurem Beifte. Brav ins Horn zu ftoßen Berftanden fehon die Sänger des Auguft: Non omnis moriar! Wie alfo ſchämen Dich ſollt' ich, voll wie fie den Mund zu nehmen?

Und nun in London wieder laßt ung landen, Um den verlornen Pictor aufzujuchen Und feine Abenteur, wenn wir ihn fanden, Auf diefes Bändchens Blätter einzubuchen! Wir hörten ihn, eh er ung kam abhanden, Am Strand der Themfe dem Verhängniß fluchen, Als feine Blicke auf dem fchiffbejäten Strombett vergebens nad) dem Dampfboot fpähten.

Ta er vernahm, bei Nacht in See geftochen Sei jened Boot, das feine Theure barg, Begann ein wildes Gähren und ein Kochen In feiner Bruft; das Schidfal, das fo arg Ihm die Verheigungen des Glücks gebrochen, Das ihm den Feftaltar in einen Sarg Berwandelt hat, verwünjchend, wild verworrne - Schmerzrufe ftößt er aus in feinem Zorne!

Bald um ihn her ftehn dichte Menjchenhaufen, Und wie fie fort und fort in? Weite ftarren Ihn fehen und fi wild die Haare raufen, Nuft Einer aus: Nah Bedlam mit dem Narren! Der räth ihm, doch dem Schiffe nachzulaufen, Und Sener, bis zum jüngften Tag zu harten, Dann werd’ e8 wiederlehren. Er, die Hände Berzweifelnd ringend, ftürzt hinweg am Ende.

139

Indem er denkt, wie durch des ſalz'gen Meers Einöden weiter ſtets das Dampfichiff flieht, Das ihm Amalie raubt, von Square zu Squares, Bom Strand und Ludgate⸗Hill bis Orford Street Stürmt er, als ob ein Zug des wilden Heers Ihn beste, faft beſinnungslos und fieht Schredbilder, die in Kreifen ihn ummallen Und drobend wider ihn die Fäufte ballen.

Erlaßt mir, weiter feine Dual zu fehildern! Für Byron wärs ein Stoff und fürs Inferno; Er ließe wiederum mein Lied verwildern,

Und da ich nach Neapel, nach Salerno Aufbrechen will, um bald in Landfchaftsbilvern, In Kunftgenüffen, wie Rumohr und Fernow, Zu ſchwelgen, bald in Feigen und Agrumi, So meid’ ih Byrons Stil als allzu gloomy.

Zulegt (der Himmel fei daflir gelobt! Saft iſts, als hätte ſichs beftellt der Dichter) Nachdem fein Seelenjchmerz fich ausgetobt, In Victors Geifte wird es wieder lichter: „Hab’ ich Amalie nicht als treu erprobt? Was denn verzweifeln?“ zu fich felbft fo jpricht er „Ein Dampfboot ſuch' ih, um ihr nachzueilen, Und jchnell durchmißt man heut viel taujend Meilen.“

In feiner Haft fällt ihm nicht ein, zu fragen, Ob auch das Schiff mit feiner Herzensbrant Die Straße nad) Neapel eingejchlagen;

So hängt das Schidfal oft an einem Laut; Denn angenommen, daß fie Wahrheit jagen, So ſchlägt mein Victor, eh der Morgen graut, Statt nah Italien fih zur Fahrt zu rüften, Den Weg ein nah Columbias fernen Küften.

11%

Nun aber, von dem Zruggefpinnft der Maja Umftridt in der Sanfara diefer Welt, (Ihr feht bei Buddha und des Himalaya Weltweiſen hab ich Etudien angeftellt) Nimmt er bethört zum Bufen von Biscaya Die Richtung, weils ihm in den Einn nicht fällt, Daß jener Steamer, welcher feine theure Amalie birgt, fernhin nach Weften fteure.

Er ftürzte, um nach der befagten Route Sich zu erfund’gen, auf die Agentur: Und melder Zufall! froh ward ihm zu Muthe, Denn felben Tags noch nach Neapel fuhr Ein großer Dampfer. Jegliche Minute Iſt koſtbar num, wie fol fo fchnell er nur, Da auf dem andern Schiff mit feinen Sachen Sein Koffer ſchwimmt, fich reifefertig machen?

Daß er daran nod) denkt, hoch ihm zur Ehre Anrechnen muß ich es, denn melde Yage, Wenn ohne Hut, den er bei der Affaire Berloren hat, er bliebe vierzehn Tage Und wenn verdammt der Unglüdfel’ge wäre, Daß er gleich lang diejelben Kleider trage! So fährt er in ein Magazin, fich nett Zu equipiren, im Cabriolet.

Und bald in vollem Reifeapparat Sehn wir ihn auch ſchon auf dem Hinterded Des Dampfſchiffs ftehn; es heißt „der Demokrat.“ Ich bitte, Leſer, mäß’ge deinen Schred Und klage mich nicht an für Hochverrath! Läg' e8 an mir, beſchwören kann ichs keck, So dürfte nebſt loyalen Paſſagieren Loyale Namen nur ein Dampfer führen.

141

Allein auf unferm wunderlic und fremd, So wie fein Name ſchon ein arg verjchriener, Iſt auch das Perſonal. Im rothen Hemd Die bärt’gen Burjchen mit dem Karabiner, Die Rechte anf den Knotenftod geftemmt Ich fürchte faft, das find Garibaldiner,

Die nah Italien zu neuen Putfchen, Wie bei Mentana jüngft, hinüberrutfchen.

Noch ſchlimmer fehlagt ein Kreuz, ihr frommen

Ehriften!

Als diefe mit den Tricolor-Kofarden,

Sind Andere, blutrothe Mazziniften,

Des großen Agitators Ehrengarden.

Ein Arfenal begleitet fie von Kiften,

Darin fie Bomben bergen und Petarden;

Berbannt aus Mailand, aus Turin und Como,

Zod ſchwuren fie dem König Galantuomo.

Der arme Pictor, meint ihr feine Päter Noch drehten ſich im Grabe ſicher um, Sähn fie im Kreis ihn folder Attentäter! Doch fpare, liebes Leſepublikum, Dein Mitleid nur! Des Meeres freien Aether Schlürft er behaglich, fteht am Borde ftumm Und läßts ſichs fümmern nicht, ob ganze Flotten Auch nah Italien zögen mit Compflotten.

Er denkt, indeflen Albions Ufer fchwinden, Nur an das Weib, dem keins auf Erden gleicht, Sie ficher in Neapel bald zu finden,

Nicht zweifelt er, doch meint, daß er vielleicht Noch auf dem Meere fie bei günft’gen Winden Einholen Tann. So meit jein Auge reicht,

Drum fpäht er, ob er nicht von einem Boote Ten Dampf auffteigen jehe aus dem Schlote.

12

Nicht achten feiner die Iyrannenhaffer, Noch ihrer er; ſchon wie ein Nebelftreif Verſchwimmt die Kreideküfte blaß und blafler; Bald bei der Möven Krächzen und Gepfeif Gewahrt man nichts als Himmel mehr und Wafler. Scharf weht der Wind, beinah zum Sturme reif, Und dämmernd mit dem Kap von Finisterra Auftaucht am Himmel Spaniens erfte Sierra.

Die Klippen fteigen höher vor den Bord Empor, als ob fie jäh dem Meer entmüchjen, Und links bleibt Compoftelas Gnadenort, . Zu deflen Wundern, Kirchen, Erucifiren Die Frommen einft aus Welt und Oft und Nord, Mit Geldern füllend feiner Priefter Büchſen, Hinpilgerten jett öde wie Carthagos Ruinen fteht das HeiligtHum St. Jagos.

Dann fernher winken Eintrag Felſenwarten, Auf denen traumhaft wie im Reich der Feen Ein Eden leuchtet, ein Armida-Garten Mit duntelfchatt'gen Hainen, blauen Seen;

Als Gamas Heer mit wehnden Siegsftandarten Aus Indien kehrte, unter den Trophän

Wohl hat es aus des Oſtens Yabellande

Ihn bergeführt zu Lufitantens Strande.

Leg Schwingen an, mein Geift! Hinüber fleuch, Um nochmals jenes Wunderland zu fchauen; Ya, vor mir fteigt ihr auf, froh grüß' ich euch, Ihr Klöfter, hangend ob des Abgrund Grauen, Ihr Wälder, wo um Aſt und Duftgefträud Die Meereslüfte ew'ge Friſche thauen Und, gleich den Zauberfchlöffern des Bojard, Wie aus dem Himmel Penha niederftarrt.

13

D Sommer do, was kann die Sehnfucht fruchten? Er ſchwand mir, wie die Jugend, hoffnungslos Den ich verträumt in jenen grünen Schluchten,

In jener ftromdurchhallten Thäler Schooß, Indeß der Blid mir zu den Meeresbuchten Hinüiberfchweifte, und auf weichem Moos, Umduftet von der Frucht der Heiperiden, Ich lag mit wonnemüden Augenliden.

Bald imter Eichen, die der Klippen fpotten, Drauf fie gedeihn an jäher Schlünde Rand, Bald in der Dämmerfrifche kühler Grotten, Weilt' ich, vom Lied des Camoens gebannt, Und z0g mit Vascos, Albuquerques Ylotten Im Geifte fort an Ormus' Weihrauchſtrand Und fchmweifte, in der Hand die Luſiade,

Im Palmenhain am indifchen Geftade.

Doc kehr zurüd, mein Lied, ich muß dich mahnen, Bon dieſem Abfchmeif! Sonft mir gar nad) Goa Enteilft du mit den tapfern Yufitanen Und haufeft mit dem Tiger, mit der Boa In Wäldern unter fernen Meridianen,

Indeß bereit3 der Dampfer bei Lisboa Die Anker wirft und meines Victor Augen Des wunderbaren Anblid3 Reize fangen.

Er fieht vor fih im weiten Panorama Die Stadt mit ihrem Häufermeer ergoffen; Die Uferftelle ifts, von welcher Gama Zur großen Fahrt auszog mit den Genofjen, Und heißt biß heut, weil bei dem Abſchiedsdrama Bon fo viel Scheidenden die Zähren floffen, Der „Thränenſtrand“ nur noch wie eine Sage Scheint ung die Kunde jener großen Tage.

14

Wohl fpiegeln noch ſich hundert prächt’ge Bauten,

Paläfte, Kicchen in des Stromes Wogen,

Wie ehmals, als, fo weit die Meere blauten,

Die ftolzen Banner Lufitaniens flogen;

Wo aber find die kühnen Argonauten,

Die einft von bier zur Welterobrung zogen?

Jetzt überläßt ein Volk von Thatenlofen

Den Tajo willig brittifchen Matroſen.

Nur Kohlen hat der Dampfer eingenommen, Und weiter braust er gegen Cap Bincent; Und mie an Cadir er vorbeigeſchwommen, Steigt hehr aus dem beſchäumten Element Trafalgar⸗Kap, in Abendgluth erglommen; Du glaubft, daß noch das Siegesfeuer brennt Dort jener Schladht, in der dem Welt⸗Deſpoten Auf feinem Sturmlauf Nelfon Halt geboten.

Allmählig auch mit feinen Fahrtgenoſſen Bekannt ward unjer Held, mit einem Greis Zumal, der fchweigend und in fich verjchloffen Dft ftundenlang fern von der Andern Kreis Auf dem Berdede ſaß die Locken floffen Hinab ihm auf die Schultern filberweiß,

Und auf der tiefgefurdhten Stirne lagen Des Leidens Spuren ihm, dag er_getragen.

Der Kämpfer Einer, die für Freiheit ftritten, Hatt’ er in Oeſtreichs Kerkern ſchwere Haft, Bleidächer-Gluth und Spielberg Froft erlitten, Die feines Lebens Beſtes Hingerafft;

Die Glieder von der Ketten Erz zerfchnitten, Welt, matt und fiechend, mit gebrochner Kraft, War vor der Büttel Wuth, der Henker Drohen BZulest an Englands Küften er geflohen.

145

Und in den falten Nebeln, die dort nachten, Bol Sehnfucht nad dem fonn’gen Heimathland In Elend mußt’ er lange Jahre ſchmachten; Selbſt als Ftalien vom Grab erftand Und Andre froh den Heimkehrgruß ihm brachten, Hielt ihn die Noth zurid am fremden Strand. Erft jet entreißen konnt’ er ſich der herben Berbannung, um auf Heimathgrund zu fterben.

Bictor hing bebend an dem Mund des Alten; Die Opfer alle graufer Tyrannei, Todmatte, gramgebrochene Geftalten Sah er im Geift, wie langen Zugs vorbei Sie aus Neapeld, Oeſtreichs Kerkern mwallten; Dod dann fragt’ er: „Iſt nicht Italien frei? Sind nicht gefprengt die Kerker der Gefangnen? Wozu die Echredgefpenfter des Bergangnen ?“

„Zu früh Eur Jubel“ ſprach der Greis da „wißt, Mein Baterland nicht nenn’ ich neugeboren, So lang im Herzen ihm der Pfaffen Lift Noch Nege jpinnt, zu feinem Tod verſchworen.“ (Ich ftreiche, was hier nod vom „Antichrift“ In Luthers Stil und der Neformatoren Der Wübhler ſprach: reif war er für das Standredt, Und feine Rede ftrafbar nach dem Landrecht.)

„D, ſäh' ich auf die Engelsburg des Einen Italiens Banner nody durch unfer Heer Gepflanzt; auf meinen modernden Gebeinen Dann laftete die Erde minder ſchwer, MWenn mir im Campo Santo bei den Meinen Gebettet wird.” Er jprichts, und mehr und mehr Negt ſichs wie Freiheitsdrang und Durft nad Thaten Im Herzen des geweinen Diplomaten.

Ehad, Gel. Werke 1. 10

146

Drauf Naht und hohe See und Sturmgetog, Und während um den Kiel, geballt zu Knäulen, Die Wogen ſchießen, kracht bei ihrem Stoß Das ſchwanke Bretterhaus, die Winde heulen. Sieh! über Afrika fteigt ernſt und groß Der Mond, und düfter tauchen Herkuls Säulen, Europad Wächter, aus dem Wellenftrome Des Oceans wie nächtige Phantome.

Indeß im Schiff fie auf- und niederrollten, Nicht träumten mehr die wilden Italiener Bon Kampf und Schlacht, die fie entzänden wollten; Am Boden ruhn war ihnen homogener; O befler, Seekrankheit, dämpfft du Revolten, ALS Bajonette thun; wie Nazarener, Wie Treubundmenjchen plöglich fo loyal Macht felbft den grimmften Wühler deine Dual.

. Mein Bictor auch, der auf dem Rüden platt

Sich hingeftredt hat in die dunkle Kammer,

Iſt der Verzweiflung nah; kaum dämmert matt

Ihn noch ein Hoffnungsftrahl; ja, fehon die Klammer, Die an die Erd’ ihn fchmiedet, lebensſatt

Denkt er zu fprengen, während rings von Jammer Der Schiffsraum hallt und vom Geächze Kranker; Da, horch, ftil hält das Boot, es rollt der Unter.

Neu kehrt die Lebenshoffnung dem Erfchöpften So mag, wenn plöglich er begnadigt wird, Bor dem Schaffot dem ſchon im Geift Geköpften Zu Muthe fein. Noch taumelnd und verwirrt Stürzt Alles aufs Verdeck im aufgetnöpften Reifecoftüm; und vor den Augen flirrt E83 meinem Helden; wie beim Sturmeswetter Noch ſchwanken fühlt er unter fich die Bretter.

4

Dean liegt im Hafen Malagas; gebrochen Iſt die Mafchine, und der Capitän Berkündet, nicht vor Ablauf zweier Wochen Bermög’ er wiederum in See zu gehn. Bictor, als das Verhängnißwort gefprochen, Seufzt tief um das verſchobne Wiederſehn; Zudem, ſo lang zu ruhn in Malagas Langweil'gen Straßen, troſtlos ſcheint ihm das.

Daß er die Zeit zu einem Ausflug nutzte, Fiel da ihm ein; und flugs mit kurzer Jacke, Mit rothem Gurt und hohen Stiefeln ſtutzte Mein Graf ſich zu nach ſpaniſchem Geſchmacke. Vor ſeiner Thür bald harrt das buntgeputzte Saumroß; mit kurzen Bügeln und Schabracke Und im Geleit des munteren Arriero Fortzieht er als vollkommner Caballero.

Wohlan zum ſchönen Land der Andaluſen Ich ſchlage vor, man ſage lieber ſo, Als „Andaluſier“ zeigt den Weg mir, Muſen! O, füßer lebt ſichs dort, als irgendwo, Und mie ich oftmals ſchon aus dem confufen Wirrwarr der Welt in diefes Even floh, So PVictorn und dem Führer als der Dritte Gönnt mir mich zu gefellen auf dem Nitte!

Ah, den?’ ich hier im nebligen Germanien, Wo mid umfängt die dunkle Winterftube, Bisweilen an das liederreiche Spanien, Gleich fliehn möcht’ ich aus meiner Büchergrube Zum Darro und den fchattigen Kaftanien, Wo nadt umberläuft der Bigeunerbube Und, während hier der Schneefturm heult um Mifpeln, Zephyre durch Limonenäſte lispeln.

185

Früh ftieg mein Held zu Noß; das Dunkel lag Noch auf dem Meer, kein Segel konnt’ er ſehen, Doch aus der Sierra düftern Schluchten brach, Das Haar ihm fräufelnd, jchon des Morgens Wehen; Mit erftem Strahl dann röthete der Tag Ter Alpujarren zadenreiche Höhen, Und mählig, fi auf Firn und Kuppe legend, Umfloß fein Licht die felfenwirre Gegend.

Ticht ging der Weg dahın am Seegeftad, Und Wellen plätjcherten, die halb noch fchliefen, Den Roffen um die Füße. Längs dem Pfad Ziehn Felder, die von Moft und Oele triefen, Und mo dreimal im Jahr gedeiht die Saat; Durch Zuderrohr und Haine von Oliven Und der Agave Blüthenkandelabern Tann weiter geht e8 auf den hurt’gen Zrabern.

Wie ich fo wohl mich fühle in dem Lande, Bon dem ich viele dide Bände fehrieb Kein Lefer, glaub’ ich, fam damit zu Rande, Und, daß es aljo, wahrlich iſt mir lieb;

Die Zeit verfchwand, da ich im Wüftenfande Der Bücherwelt mühſam umber mich trieb; So modre denn das traurige Gefchreibfel ALS jener Tage einz’geß Ueberbleibſel!

- Bei krauſen Manufceripten nicht nunmehro

Blind leſ' ich mi an den verfchlungnen Lettern, Nein, ſchaue lieber zu, wie der Bolero

Sich ſchlingt bei munterm Laftagnettenfchmettern, Und fige Mittags traulich beim Puchero

Mit den Arrieros, wie mit meinen Bettern;

Sogar Italiens köſtliche Polenta

Schmeckt mir nicht fo, wie dies Product der Venta.

19

Auch unſer Victor liebte bald von Herzen, Weit mehr als unſre faden Reiſeſchreiber, Dies edle Volk. Er lauſchte gern den Scherzen Und dem Geſang der muntern Maulthiertreiber, Und beſſer, als im Saal, erhellt von Kerzen, Ein Divanſitz im Kreis koketter Weiber An ſeiner kalten Weichſel oder Memel, Schien ihm an Spaniens Herd ein niedrer Schemel.

Durch ſchatt'ges Dunkel nun und Laubgerank Wand ſich der Weg an ſteilen Bergeswällen; Kühnbogig ſchwang von Klippenbank zu Bank Die Brücke ſich und zitterte den Fällen Des Katarakts, der donnernd niederſank;

Doch ſicher ſchritt beim muntern Ton der Schellen Das Saumroß fort, indeß die kluge Hinde Neugierig ſpähend ſtand im Laubgewinde.

Zu Victors Häupten mit den Schwingen ſchlug Ein weißer Aar der Sierra oft die Lüfte, Oft daß der Wind das Lied ans Ohr ihm trug Des Granadin'ſchen Schmugglers durch Geklüfte Und ſchwindeltiefe Schlünde ging ſein Zug Und, im Vorüberſchreiten, um die Hüfte Den rothen Gürtel, in der Hand die Lanze, Sang er vom Rio verde die Romanze.

Hier wars, wo einſt die Blüthe deines Heers, Caſtilien, die beruhmte Schlacht geſchlagen, Die Schlacht vom grünen Strom, wo deine Pairs Der Sarazenen⸗Uebermacht erlagen! Der Sturm, Bewohner dieſes Trümmermeers, Trägt auf dem Fittig noch Alonſos Klagen, Und ſchattend ſcheint die Kunde alter Zeiten Die düſtern Schwingen auf die Schlucht zu breiten.

150

Bor Victors Geifte (denn nicht nur Nomane, Romanzen lad er auch) erfteht das Bild: Der Halbmond bier und dort die Krenzesfahne! Don bunten Trachten wogt das Kampfgefilo, Hier bligen Schwerter, dort die Ataghane; Es mwälzt der Bergftrom, der vom Blute ſchwillt, Bon Feinden, die fih nun im Tod gejellen, Co Helm wie Turban auf den trüben Wellen.

Und weiter geht bei glühndem Sonnenbrande Durch tiefe Zadenfchlünde Hin der Ritt (Der Weg ift wie gemadt für Contrebande); Dft Shaun von rothen Klippen von Granit Zerfallne Maurenjchlöffer, die am Rande Des Abgrunds hängen; nur mit trägem Schritt, Und müde ſchon von den gemachten Meilen, Aufflimmt das Maulthier zu den elfenfteilen.

Ein Kinderjpiel, verglichen diefem Paſſe, Der durch die Schlucht voll dunfler Algarroben Hinauf ſich ſchlingt, ift Küßnachts hohle Gaſſe; Steilpfade, wo gleich arg die Roſſe ſchnoben, Fand ich nur am Olymp und am Parnaſſe. Allein, dem Himmel Dank, nun ſind wir oben, Und vor uns, überragt von der Nevada Schneehäuptern, liegt die Vega von Granada.

Glücklich mein Victor! Ganz in Schaun verloren, Naht er dem viel erſehnten Reiſeziel, Das in Granatgebüſch und Sykomoren Tief unten ruht am ſilbernen Genil, Und bald mit Kuppeln, Thürmen, Zackenthoren Liegt vor ihm da die Stadt des Boabdil, Und von dem Felſenhange in die Tiefe Schaut jäh herab das Dſchennat al Arife.

151

Dit Jauchzen jchlägt, genährt von taufend Quellen, Die ewig neu aus kühlen Grotten brechen, Die Fluth des frifchen Lebens ihre Wellen Hier um ihn her; rings hört er in den Bächen Und in den murmelreihen Waflerfällen Stimmen, die ihm vertraut zum Herzen jprechen, Und Geifter regen, welche lange fchliefen, Antwortend fi in feiner Seele Ziefen.

Ja, herrlicher, al8 in der Jugend Träumen, Sieht er die Erde hier vor ſich erblühn; Aus Lorbeergärten und Drangenbäumen Schweift ihm das Auge über Myrtengrün Zu Silberftrömen, die im Thale ſchäumen, Und Hefperidenfrüchte fieht er glühn Und aus dem Laubgewind, den fchattendunfeln, Wie goldne Sterne die Öranaten funfeln.

Die Sonne fintt; in purpurrotben Floden Stäubt auf die Sierra hin ein Flammenguß Und auf des Darro ſchaumgewobne Locken, Wo dem Genil er fih, dem Bruberfluß, Entgegenftürzt; von der Cartuja Öloden Walt durch die Yuft der Klang des Angelus Und raujcht, indeß fi alle Häupter neigen, Wie ein Gebet in den Cypreſſenzweigen.

Allmählig nachtet3 über Thal und Kuppe, Und unter Myrtengrün und Dleandern Naht hier und da ſich eine frohe Gruppe, In Abendkühle am Genil zu wandern; Geſang erfhallt von jener Majotruppe Und Gaftagnettenklang von jener andern, Und aus dem Laube bfidt das Picht von bumten Nachtlampen auf das Luſtgewimmel unten.

-- 12

Dann, welcher Reiz nicht, wenn in ſchmucken Trachten Die Paare fih zum Tanz entgegenfliegen Und fhüchtern bald und bald mit Liebesſchmachten Sich fliehn und wieder an einander fchmiegen! In Augen, welche dunkle Braun umnachten, Scheint trunfen fih die Wolluſt ſelbſt zu wiegen, Und immer neu bei jeder Tönefchwingung Und immer liebliher wird die VBerfchlingung.

D Sommernadht des Südens! welcher Mund Kann deines Zauber8 ganze Fülle ſchildern? Du haft für Seelen, noch fo ſchmerzenwund, Den Balfamthau, um alle Bein zu mildern; Mit Träumen, mit Geſichten, farbenbunt, Umgaufelft du den Geift und Iuft’gen Bildern ; Ihm bleibt nicht Frift zum Grübeln und zum Härnten, Er muß mit dir in deinem Mondlicht ſchwärmen.

Ich werde lang; doch dent’ ich hier im Norden An jenes wonnevolle Thal zurüd, Wo mir des Dafeind Süßeftes geworden, Losreißen kann ſich nicht von ihm mein Blick; Mir ıft, als blüh’ an feiner Ströme Borden, In feinen Gärten fort mein Lebensglüd Und fchmüde duftend des Granatbaums Xefte, Mir aber blieben bier nur welfe Weite.

Und jegt noch Haft nicht kann ich mir gebieten Ein Gang mit Victor durch das Richterthor Auf jenes Schloß, das aus dem Reich der Mythen Und Fabeln auf die Erde fich verlor! Weld Schimmern um ung her? Sinds Stalaftiten? Hat Inospend fich der Stein zum Blüthenflor Erichloffen, daß an Deden und an Wänden Ölanzfülle, Farbenpracht die Augen blenden?

135

An Zadenbogen maurifcher Arkaden Durch Löwenhof dahin und Schweiternfaal, Mo Säulenlauben hold zum Schlummer laden! Dort laß ung ruhn, indefien aus dem Thal Der Bäche Raufchen tönt und der Cascaden, Und vor uns der Fontaine Silberftrahl Auffteigt und finft und durch die Yenfterbogen Der Rojen und Jasminen Düfte wogen.

Und nun der Blid von hangenden Balkonen Auf Stadt und Vega und den Blüthenfranz Der Gärten rings und auf die Gletſcherkronen Der Sierra in des Abends Purpurglanz !

Es duntelt; höher glühen die Citronen Im grünen Laubdach, und den Iuft’gen Tanz, BZurüdgefpiegelt von dem Wafjerbeden, Beginnt der Glühmurm um die Myrtenhecken.

Aus Lindarajad Garten unterdeflen Zönt an dein Ohr des Springquell® Tropfenfall, Und fänfelnd durch die Wipfel der Cypreſſen Walt der Romanze ſanft gedämpfter Schall; Ein Lied Arabiens, das fie nicht vergeſſen, Singt im Granatgebüfch die Nachtigall, Und Zwieſprach halten leis im Abendwehn Die Peris Bagdads mit des Weſtens Feen.

Dean hat mich angeffagt, mit Ungeziemen Borliebe für die Araber zu hegen, Auch gab man mir den Rath in anonymen Artikeln, Doch den Turban anzulegen, Da ich der Meinung fei, erjt den Moglimen Berdantten wir der Bildung wahren Segen; Erfunden hätten fie unzweifelhaft Zuerſt jedwede Kunft und Wiffenfchaft.

154

Doch iſts BVerleumdung. Auch den Chriftenftaaten Einräum’ ich, daß, wie Jeder einjehn muß,

Sie in Erfindungen hervor ſich thaten;

Dergleichen find die Scheiterhaufen, Huß,

Servet, Savonarola drauf zu braten,

Die Daumenfchrauben, die Dominicus

Bei Ketzern, deren Seele fich verblendet

Tem Heil verfehloß, erfolgreich angewendet.

Das Herendrennen auh und Fudenmorden Sind chriſtliche Erfindungen allein; Die Juden hatten an des Tajo Borden Zu Maurenzeiten fröhliches Gebeihn; Erft als das Kreuz dort aufgerichtet worden, Gewährte Marterpfähle, Megelein Und graufe Mützen mit dem Xeufelsbilde Hiſpaniens Herrſcherpaar voll Huld und Milve.

Wohl, daß er gleiches Recht Jedwedem zumaß, Rühmt man von Hakem; die Chalifen braten Ihr Andalufien mit der Weisheit Numas Zu hohem Flor und find dafiir zu achten;

Tod das Berdienit, im Reihe Montezumas Millionen blinder Heiden abzufchlachten Und wüſt zu legen die Gefilde Perus, Ermarben fi die Ehriften und ihr Klerus.

Gern ſpräch' ich noch von Brunos Feuertode Und prieje hoch die heil'gen Väter Roms, Allein zurück Tehrt von der Epifode Mein Epos in das Bett des vollen Stroms. Für Victors Aufenthalt die Zeitperiode Iſt um. Kurz tritt er noch durchs Thor des Doms, Doch diefer ift ihm neben der Alhambra Fatal wie Pechqualm neben Duft von Ambra.

- 15°

alt in Granada zum Muhamedaner Iſt er geworden, und ihn würden gern, Wie mich, lebendig die Dominikaner Berbrennen zu befonderm Ruhm des Herrn; Allein von dort forttreibi als ernfter Mahner Ihn der Gedanke, dag in Wälichland fern Ein Herz nah ihm fich ſehnt in bangen Schlägen Und daß Dampfichiffe nicht zu warten pflegen.

Sp auf dem andern Wege, der gerade Zurädführt, kehrt er an den Hafenort Und fieht, als Malaga am Meergeftade Bor ihm daliegt, die Schiffe all im Port Feſtlich beflaggt und rings umher die Pfade Bon Menſchenſchaaren voll; das frohe Wort Republica tönt, wie er durch die Gaflen Hinfchreitet, au des Volks bewegten Maffen.

Teppiche wehn von jeglihem Altane, Auf jedem Play hallt feftliche Muſik, Und einen Herrn fragt Victor: „OD! ich ahne, Freiheit aus der Mazzinifchen Fabrik Iſt das! Nicht wahr, beim Landen flugs die Fahne Ter Einen ungetheilten Republit Entfaltet haben ein’ge Italiener?“ Anftatt des Fa nit mit dem Haupte Jener.

So haben fie, die wir beinah vergaßen, Bevor aufs Neu in See der Dampfer fticht, Die Zeit benugt. Mit Jauchzen dur die Straßen Drängt fih des Sieges froh die Menge dit; Dei foldem Anlaß jubeln iiber Maßen Die Spanier ftet3, als fei das Bürgerpflicht, Und bei der nächften Staatsverfafjung werden Sie wie bei neunzig frühern fich geberden.

156

Indeß mein Bictor Malaga durchichlendert, Kommt er an einem Monument vorbei Und ruft! „OD, wie die Zeiten fich geändert! Hier ftarben durch Schaffot und Strid und Blei Der Freiheit Kämpfer, und befränzt, bebändert, Prangt nun Torrijos Bild, da Spanien frei, Indeſſen Jene, die ihn hingefchlachtet, Im Staube ruhn, geſchändet und veradhtet.

„Lernt Weisheit hier, bethörte Staatenlenfer, Und ihr, die ihr vor eurem Moloch⸗Gott Den Holzftoß zünden möchtet für die Denker! AN euer Treiben ift der Zukunft Spott; Sie krönt die Opfer und verfludht die Henker Und kränzt, die Throne ftürzend, das Scaffot Und ehrt mehr als das breite Band von Orden Den Strid, mit dem ein Held gerichtet worden.“

Ihr feht, feit er den Stand der Diplomaten Berlaffen hat, weit abjeit8 von dem Weg, Den man den „guten“ nennt, ift ex gerathen; Entſchieden liberal ward fein Gepräg,

Und manches Bittre no von Potentaten Zu fagen hat er vor im Selbftgefpräd; Da plöglich ift ihm vor dem Monumente, Als ob im Voll man feinen Namen nennte.

Und lachend ſinkt ihm Einer in die Arme: „Rein, diefe Freude übertäubt mich ganz! Konnt’ ich erwarten, dich hier in dem Schwarme Zu treffen? Wie? Du kennſt nicht deinen Franz!“ Bictor glaubt faft, wüſt fer ihm von Alarme Der Kopf und Alles nur ein Mummenfchanz Und doch dies Antlig, diefer Redeton Er ift es Franz fteht vor ihm in Perſon.

157

Mit ihm ein Zimmer hat er in der Bonner Studentenzeit bewohnt zwei Jahre lang Und oft in Rudesheimer, Markobronner Zu Rolandseck gejchwelgt bei Gläferflang, Mit ihm und Andern, während bald wie Donner, Bald janft gedämpft eriholl ihr Rundgeſang, Fußreiſen viel gemacht, zur Zeit der Ferien Und ihn, kanns fein? hier trifft er in Iberien?

„D Freund!” ruft Franz „das große Loos

gewinnen,

Ich achtet’ es für einen mindern Schag”

„Nur leider muß ich heute noch von binnen,

Schon nad Neapel ift belegt mein Platz“

„Run! köftlicher nicht ließ’ es fich erfinnen,”

Fährt Jener fort nah Victors Zwifchenfag,

„Auch ich, auf meiner großen Tour begriffen,

Gedenke heut dorthin mich einzufchiffen.

„Alfo wir reifen mit einander! topp! Schon ward mir dag Alleinfein unerträglich. Dies Spanien durchflog ich im Galopp, Die Straßen fchlecht, die Küche wahrhaft Häglich; Wer ſolch ein Land mir anpries, nur Gefopp Trieb er mit mir! Wenn man Drangen täglich Und blauen Himmel fieht, jehnt man nach trüben Novembertagen fih und märffchen Rüben.

„Warum bier ftebft du vor dem Monumente? Giebt e3 nicht ſolche tauſendweiſe jegt? Seltſam, daß auf dem ganzen Continente Man nur dem Adam feines noch gefjegt!

Und doc, wer hat um uns gleich eminente Berdienfte? Nicht genug wird er geſchätzt; Da ohne ihn der Andern feiner wäre, Berdient auch er des erften Standbilds Ehre.

1585

„Schon werden rar die Dentmald-Sandidaten, Drum geb’ ich an, wem weiter eins gebührt! Bisher Staatsmänner, Könige, Soldaten Hat man für Thaten, welche fie vollführt, Mit Ruhm belohnt; doch fprich, ob nicht von Thaten Auf diefer Erde alles Elend rührt? Man jege denn, dies ift mein Rath, fortan Denkmäler Solchen, welche nichts gethan."

So Franz, und während Arm in Arm fie bangen

Und oft das Wiederfehn mit warmem Drude

Der Hände feiern, an den Strand gelangen

Die Beiden bald. Vorüber an Felude,

Corvette, Dampfer, deren Maftenftangen

Bewimpelt find in reihem Feierſchmucke,

Dann trägt ein Boot fie unter obligaten

Teftfalden an den Bord des Demokraten.

Und nun aufs Neu in See bei Sonnenfinten! Ein frifcher Fahrwind hilft dem Schaufelrad ; Entweihend noch im Abendglühen blinken Des Gibralfaro Thürme am Geftad,

Und höher der Nevada eif’ge Zinten;

Geſchwind durchfurcht der Kiel den flüff’gen Pfad; Die Wellen, wie fie fhäumen um den Dampfer, (Hilf mir, Reimleriton!) find weiß wie Kampher.

Bald, während flammenroth, fo wie auf Brandern, Im Spätlicht alle Spieren glühn und Raan, Im traulihen Geſpräch zufammen wandern Die beiden Freunde auf des Schiffsdeds Plan; Und Victor ungefäumt vertraut dem Andern, Was ihn bertrieb zu diefem Meridian, Und wie die Perle, die man ihm geraubt, Er in Neapel nun verborgen glaubt.

159

Den Winden, wie fie übers Schiff hinflogen, Burief er: „Bringt der Theuren meinen Gruß!“ Und mie empor die Sterne leuchtend zogen,

Zu Aldebaran auf und Sirius

Sah er und dachte: Nun zum Himmelsbogen Blickt fie gleih mir und denkt: jeßt eben muß Auch Victor jenen Stern anfchaun, denn eben

Im Herzen fühl! ich ein ſympathiſch Beben.

Allein von ſolchen Ueberfchwänglichleiten Lentt Franz ihn ab: „Verſcheuche die Geſpenſter Und denke an die fchönen Bonner Zeiten! Erinnre dich des Hochgefühls geſchwänzter Collegien und leer gebliebner Seiten In unfren Heften, wenn am Bogenfenfter, Dem rebumflochtnen, ung die Weine fchmedten Und leere Bänke lauſchten den Pandekten.“

Dann nieder führt er ihn in die Kajüte: „Freund, hüte Dich! Leicht wird man apoplektiſch, Wenn man zu fehr bewegt ift im Gemüthe,

Auch macht ein langer Kummer, heißt es, hektiſch; Scheuch diefe Sorgen! Des Muskatweins Güte Erprob mit mir an diefene trauten Edtifch!

Nun, welche Art verfuichen wir? Wie wär’ es Mit Alicante oder feur’gem Jerez?

„Stoß an! Die befte der Sopran» und Mezzos Sopran» und Alto-Sängerinnen hoch! Ward fie dir ſeltſam auch entriffen jetzo, Ich prophezeie dir als Aftrolog: Nur kurz währt dieſes Trennungs-Intermezzo, Und wenn wir erft durchfchifft das Meergewog, Abjag’ ich deine Braut dem freden Räuber Und eine neu dies Turtelweib dem Täuber.

10

„Du ſagſt, Amalie ſei ſchön wie Venus, Und dennoch wie Diana keuſch und rein; Wohl! einen Becher Wein von unſerm Rhenus, Mag auf dem Schiff er noch ſo theuer ſein, Laß uns ihr widmen, denn in ihrem Genus Steht fie, ſo wie der Phönix, dann allein; Hoc deine angebetete Veſtalin, Hoch Grafen Victors künftige Gemahlin!”

Allmählig ward aud Victor wieder heiter, Nur daß fein Antlig ſtets von Sehnſucht blaf, Und fo durchziehn die Zwei die Meerfluth weiter, Bertraulich plaudernd tiber dies und das.

Niht um die demokratiſchen Begleiter Sich kümmern fie, die in Tyrannenhaß Somplotte ſchmieden, unter ſich lonibardifch Rothwelſchend, venetianifch oder ſardiſch.

Doch einft, als alle an der Tafel figen (Auch Ruſſen, Britten, Franken find am Bord) Und wild der Mazziniften Augen bligen (Ein jeder Blid droht mit Tyrannenmord) Denkt Victor, längft ſchon fatt von Franzens Wigen: „Run! Alle doch verftehen fie ein Wort.” Dann, mit der Hand das Glas voll Saft der Rebe Erhebend, ruft er: „Garibaldi lebe!“

Welch Jauchzen in der ganzen Tafelrunde Bei dieſes Wortes Klang! Es widerhallt Bon Britten-, Ruſſen- und Franzofenmunde, Und mit dem Monardiften fcheint alsbald Der Demofrat vereint zu feftem Bunde, Da des geliebten Mannes Name fchallt; Selbft Franz, fonft junferhaft und eng von Seele, Schont bei dem lauten Bivat nicht die Kehle.

161

Ja, Herrlicher, vor dir ıft nicht Parteiung; Gefeiert von der Bölfer Jubelchor, Hod über Haß und Hader und Entzweiung In ftiller Glorie ragſt du empor! Was du erkämpft, des PVaterlands Befreiung, Kein größres Werk ward je vollführt zuvor, Und Fürften neidens dir auf ihren Thronen; Bor ihm erbleiht der Schimmer ihrer Kronen.

Lang wird, wenn kaum in halbverfchollnen Sagen, Daß je fie waren, die Erinnrung lebt, Die Menfchheit noch dic) im Gedächtniß tragen; Und wie, wenn Nacht die Thäler ſchon begräbt, Hoch aus der andern Kreis, die ed umragen, Sich leuchtend noch ein Gletſcherhaupt erhebt, So wirft du, ftrahlend al8 der Freiheit Wächter, Hinabſchaun auf die künftigen Geſchlechter!

Da, fieh! das Land, das du aus Schmah und Tod Errettet haft, fernher in blafjen Streifen Steigt3 dämmernd aus der Fluth vor unferm Boot! Nun, wie den Sonnenftrablen, die fie reifen, Die Frucht entgegenjchwillt, im Morgenroth Hoch glüht es auf! Zu ihm hinüber fchweifen, Bon Freudenthränen feucht, die Blicke Aller, Wie wenn dad Gnadenbild gewahrt ein Waller.

Schon jehen fie den Flammenkrater rauchen Und Ischias und Capris Klippen jäh Auffteigen; nah und immer näher tauchen Die Felfenufer aus der blauen See,

An die, umſpielt von ew’gen Wollufthauchen,

Sich ſchmiegt die göttliche Parthenope;

Golf, Injeln, Borgebirge, Südfruchthaine

Duften und glühn im golduen Morgenſcheine. Shad, Gef. Werke 11. 11

12

Nicht eine Etadt nur, ein Gewühl von Städten, Bon Taffos Haus zum Grabe des Birgil Hinbreiten fich die häuferüberjäten Yufthüigel, ſanft genegt vom Wogenipiel; Weißſchimmernd aus dem fonn’gen Dunfte treten Paläfte, Villen, und aus dem Gewühl Der taufend Gaffen, die in lauten Schwärmen Das Volk durchwogt, hallt über Meer das Lärmen.

Ein Wunderfchaufpiel iſts, daS nie veraltet; Selbſt von St. Elmo aus genoß ichs eben (In Parentheſe ſei hier eingejchaltet:

Ich hab’, um fichre Kunde zu erheben,

Wie meines Helden Schidjal ſich geftaltet, Inzwiſchen nach Neapel mid) begeben;

Doch mußte mich ein böfer Zufall äffen,

Daß ich zu jpät kam, um ihn noch zu treffe).

Den Italienern, die von ihm in Fühler Entfernung immer ſich bisher gehalten, Salt Victor feit dem Toaft als ein Wühler Bon gleihen Schlag wie fie; drum durch den Alteı Einluden ihr die Garibaldi-Schüler, Mit ihnen ihres großen Werks zu walten, Und fcheidend gab, an ihrem Sammelort Sich einzufinden, er dem Greis das Wort.

Die Anker finfen, und in leichtem Tanze Zum Molo hin trägt die bewegte Welle Die Neifenden. Dort, wo die Pomeranze Im Garten duftet nächſt dem Meercaſtelle Und wo ich eben fchreibe dieſe Stange, Stieg Victor ab im Gaſthof le Crocelle, Doch blidte nicht auf Meer und auf Velun; Amalie fuchen gehn war fein Beruf.

13

Ob auch die Mittagslüfte zur Siefte Die Andern Iuden ſchläfrigen Gelulls, Sogleih zum Conſul gehn jchien ihm das Beſte, Denn von Ermartung fieberte fein Puls; Und meerentlang, den Reihen der Paläfte Borüber und dem Gartenhain Luculls Schritt er, bis wo auf eines Thores Schild Ihm ftrahlte Oeſtreichs Doppeladlerbild.

Schon glaubt er aller Eorgen fich entrathen; Doch o Enttäufchung! auf die Fragen all, Die feine Lippen bang und zitternd thaten, Ward über feine Wiener Nachtigall Ihm kein Beicheid. Auf allen Confulaten Dann forjcht er weiter nad) dem ſchwier'gen Fall, Auch bei Bangquier8 und Dampſſchiffagenturen, Doc findet nirgends der Geliebten Spuren.

Verzweiflungsvoll, al8 hätten tauſend Schwerter Eid bis zum Grund des Herzens ihm gebohrt, Am Abend in den Gaſthof wiederfehrt er Und giebt an Franz Bericht, wie trüb umflort Sein Stern fi) hat. Doch diefer ruft: „Mein Werther, Ich glaube, daß es dir im Kopf rumort! Auf Mittel finnen, um zum Ziel zu fommen, Nicht Kleinmuth kann in diefer Tage frommen.

„Halt da! ein guter Rathſchlag kommt mir eben! Folg ihm, und Anſpruch ala dein Lebensretter Auf die Medaille darf ich dreift erheben. Einrüden laß in alle Zeitungsblätter: Mer zuverläfj'ge Auskunft könne geben Bom Aufenthalt der Königin der Bretter, Dem werde man mit ein’gen hundert Franken, Crocelle Nummer neun, die Kunde danlen.

164

„Gleich, auf franzöſiſch bift du einverftanden?

Abfaſſ' ich den Artikel folder Maßen,

Weil der Jargon einmal in allen Landen

Berftanden wird, bei allen Menjchenracen.

Käm’ ih in Japan felber mir abhanden,

Franzöſiſch würd’ ich es auf allen Straßen

Ausrufen laffen, und nad) wenig Stunden,

Ich mette, wär’ ich wieder fehon gefunden.“

Geſagt, gethan. An fänmtliche Journale Wird die Annonce fehleunigft eingefchidt; Und: „Sieh! aufs Neu von einem Hoffnungsftrahle” Spricht Franz, indem die Hand dem Freund er drüdt „Wird deine Nacht erhellt! Bald im Finale Nah langen Trennungsſcenen ſinkt beglüdt Dir deine Sängerin ans Herz, die ſtets ja Dir treu blieb, fo wie ihrem Hüon Rezia.

„Allein bi8 mit Hoboen und Tromboni Eur Wiederjehen feiert das Orcheiter, Beſchau mit mir die Stadt der Lazzaroni, Stambuls und Liſſabons berühmte Schweſter; Vor Allem komm zum Frühſtück! Maccaroni Sind klaſſiſch hier; auch Käſe noch von Cheſter Beſtell' ich, ſo wie köſtlichen Falerner, Und wir beneiden nicht die Götter ferner.

„Sodann gedenken wir am Grab des Maro Der Zeit, als wir in Tertia ihn tractirt, Wir fahren nach dem Lago di Fuſaro,

Der uns mit friſchen Auſtern regalirt;

Auch ſehen wir das Blut des San Gennaro, Wenn es die Polizei nicht inhibirt,

In Fluß gerathen bei des Volkes Credo Und ſchweifen durch den lärmenden Toledo.“

165

Victor folgt feinem Freund. Die Zwei durchfchlendern Neapels Straßen und Allen und Pläge, Sie Himmen zu den Höhn, wo gleich Verſchwendern Natur ausſchüttet alle ihre Schäge, Und fehn, umblüht von hohen ARhododendren, Hinunter durch des Lorbeer Blätternege, Wo vor dem Zauberpark von Floridiana Die Stadt auftaudht wie eine Fee Morgana.

Nah Bajae, wo der Alterthümer-Schwinvel Graffirt, hinrollen fie, und für und für Drängt auf dem Wege lumpiges Gefindel An ihren Wagen fih mit Ungebühr; Oft auch mit rothem Kopfſchmuck und der Spindel Bortreten ſchöne Weiber aus der Thür; Ganz griechiſch von Profil find dieſe Frauen, Doch Victor hat fein Auge, fie zu ſchauen.

Nicht felten flieht er feines Freunds Begleitung, Tritt in ein Cafe ein, erfchöpft vom Grame, Und ftöbert voll Begier in jeder Zeitung Nach einer Kunde feiner Herzensdame; Doch nur von feines Inſerats Verbreitung Sich überzeugt er, nirgend ift der Name Amaliens fonft genannt; verzweifelnd, jolo Eilt dann der Unglüdjel'ge auf den Molo.

Bei allen Schiffern, die zum Ufer fahren, Forſcht er und forfcht umfonft nad) feiner Schönen Das frohe Treiben rings der Marinaren, Der Laftagnetten Klappern und das Dröhnen Des Tamburing, bei dem von muntern Paaren Der Tanz ſich fchlingt, fcheint feinen Gram zu höhnen; Blind bleibt er für den Reiz der Tarantella, Zaub für die Schwänfe all des Rulcinella.

166

Auch wo das Yazzaronenvolf, dem Liede Des Eängers laufchend, dicht im Kreiſe ftand Und ftaunend von Marfifa, von Armide Die Mär vernahm, vom Zaubrer Agramant, Kaum mochte Victor raften; jchal, ftupide Schien ihm, was Taſſo, was Arioft erfand, Denn war fein Abenteuer nicht ftupender, ALS alle Fabeln felbft der Morgenländer ?

Franz, der fih während diefer Zwifchenfcenen Bor fi das blaue Meer und den Vulkan Dei Capriwein und Auftern und Muränen Gelabt hat, (was ich eben auch gethan) Trifft oft den Freund, das Auge feucht von Thränen, Nac folder Ercurfion auf dem Altan Des Gafthofs, wie in Sehnfuht ihm und Bangen An einem fernen Schiff die Blide bangen.

Da einst jpriht er zu ihm: „Wie herzgebrochen, Mein Bictor, ftehft du da, verzmeiflungsvoll; Und doc, ift es nicht Thorheit, drauf zu pochen, Daß jet uns jchon die Antwort kommen fol? Bis dahin, glaub’ mir, währen kanns noch Wochen; Und ftatt von jedem Tag ein Protofoll Zu führen, in der Zwiſchenzeit laß lieber Uns einen Ausflug machen an die Ziber.

„Juſt eben, trog Gelächter und Gekicher Der halben Welt, verfammelt zum Concil Sid) dort die hohe Kleriſei!“ (D ficher! Was Franz hier weiter hämifch und ſcurril Bemerkte, müßte, zu bedauerlicher Staatsanwaltsflage führend, ein Aſyl Im Hauspogtei-Gefängniß ihm bereiten; Darum da8 Schlimmfte ftreich’ ich aus bei Zeiten.)

167

„Man klagt, daß Alles ſich verflacht; in Mythen Allein noch finde ſich das Pittoreske; Wie danken muß mans da nicht den Jeſuiten, Daß ſie uns dieſe bunte Arabeske Zum Schmuck der monotonen Jetztzeit bieten! Wenn durch die Reihn der Zuaven⸗-Soldateske Der Feſtzug geht, ins Wunderland von Babel Wird man verſetzt ſich ſehn, ins Reich der Fabel!

„Das giebt ein Schauſpiel, wie mans kaum gekannt Zur Zeit, als Kaiſer Heinrich vor Conteſſa Mathilde fror im härnen Bußgewand, Wie kaum mans auf dem heiligen Congreß ſah, Bei dem voll Andacht ſie den Huß verbrannt! Biſchöfe von Palmyra, von Edeſſa Und Epheſus mit Inful und mit Stola Habt Dank dafür, ihr Schüler des Loyola!

„Zu lang entbehrten wir der malerifchen Autos da Fe; doh nun mit folchen Feften, Den matten Glauben wieder aufzufrifchen, Aufmarten wird in Rom man feinen Gäften; Konım denn! Antwort langt ficher an inzwiſchen, Und wenn mit Kegern fie die Flanımen mäften, So wird uns fohligen dein und mein Geſandter; In fernem Grad felbft ift er mein Verwandter.“

Bictor fährt auf: „Dein Vorſchlag iſt Injurie! Ich würde jauchzen, wenn des Peter-Doms Einfturz zerſchmetterte die ganze Curie,

Wenn fie verſänk' ing Bett des Tiberſtroms! Läßt fich vergeſſen, wie gleich einer Furie Gewüthet hat die Würgerrotte Roms,

Die ald Signal von Goa bis nad) Duito Den Holaftoß aufgepflanzt, das Sanbenito?

168

„Denk, Freund, an Galilei Sterbelager, An der Waldenfer Flanımentodesqual, An Bluthochzeit-Oentegel, an den Prager Jeronymus, Vaninis Marterpfahl! Mehr Menſchenopfer noch als die Karthager Dem Moloch, die Aſſyrer ihrem Baal, Hat ſie geſchlachtet weg kehrt voll Entſetzen Die Sonne ſich von ihr und ihrem Götzen.

„Und wieder zu entfachen das Geflacker Der Scheiterhaufen, die ſeit lang verglüht, Jeden in Acht und Bann zu thun, der wacker Um Wahrheit ſich und Recht und Freiheit müht, Europa neu in einen Todtenacker Zu wandeln, drauf des Klerus Weizen blüht Von ringsher wälzt ſich jetzt auf die Parole Das ſchwarze Volk zu Petri Metropole.

„Zu krönen denkt man mit dem letzten Giebel Den Bau, der halb nur dem Gregor gelang; Und auf der Aechtung von Vernunft und Bibel, Von allem Hohen, was der Geiſt errang.

Soll gar das Siegel prangen: Infallibel! Zieh hin! ergötz dich dort nach Herzenshang, Als wär's auf einer Meſſe, einem Bazar! Mir graut vor dieſem Feſte des Belſazar.“

Franz lacht: „Noch ſtets biſt du, wie ſonſt, pathetiſch! Das Treiben dort anſchaun will ich rapid, Nur als Curioſum, wie wenn um den Fetiſch Auſtralier tanzen im Naturhabit. ?eb wohl! noch aber künd' ich dir prophetiſch: Wenn ih aus efflefiaftiichen Gebiet Heimtehre von der ſchwarzen Rotte Kora, Hier find’ ich deine liebliche Signora.”

160

Alſo 309 Franz nah Rom zu der Synode,

Und Bictor ward, allein zurüdgeblieben,

Bald durch Gedanken von Amaliens Tode

Wie ein Berzweifelnder umbergetrieben,

Bald ſchwang fein Geift in einer, Sehnſuchts⸗Ode Entgegen fi) der Theuren, Einzig-Vieben, Inden, von Aloe nmblüht und Myrte,

Er durch Neapel Goldfruchthaine irrte.

Am Morgen, zwifchen blühnden Dleandern, An Rebenlauben und begrünten Villen Den Pofilipp entlang liebt er zu wandern; Wenn Mittags dürftend die Cicaden ſchrillen Und’8 in der Sonnengluth den Salamandern Mehr als den Menjchen zufagt, unter ftillen Torbeergebüfchen und Orangenbäumen Liegt er, um von Amalien zu träumen.

Nah Haus, jelbft auf Gefahr des Sonnenftiches, Auf einmal ftürzt er dann in jchnellem Laufe; Kennt ihr das Klima dieſes Himmelsftriches,

So mißt ihr, eine wahre Fenertaufe

Ertheilt e8 Mittags, und nicht? Wunderliches Wird e8 euch feheinen, daß wie eine Traufe Die Loden unſres guten Victor triefen, Indem er heimftärzt vol Begier nad) Briefen.

Umfonft! Nicht Antwort, fein Bericht, noch Bote Bon ihr, für die er ſchwärmt fo enthuſiaſtiſch; Trübjelig weiter bis zum Abendrothe Irrt er umher, fein Ausfehn ganz phantaſtiſch; Und ruft der Kellner ihn zur Table d’höte,

Nur kurze Zeit ſich fegt er an den Gafttifch; Kein Tropfen Wein, fein Biffen will ihm munden; Er fühlt zu fehr das Brennen feiner Wunden.

10

Sich zu zerſtreun, zu all den Inſellanden Und wonn'gen Küſten ſchifft er hin im Kahn, Belauſcht am Kap Miſen der Wogen Branden Und ſchaut aus Taſſos Hauſe vom Altan Durch Lorbeergrün und Rebenlaub-Guirlanden Hinüber zu dem flammenden Vulkan,

Wie wirbelnd, ſanft bewegt vom Windeshauch, Ins Aetherblau aufſteigt ſein Purpurrauch.

Allein mein Held bleibt trübe, miſanthropiſch; Die ſchwermuthsvolle Stimmung weicht ihm nimmer, Selbſt in der Höhle nicht, die Auguſt Kopiſch Zuerſt entdeckt hat; kaum den blauen Schimmer Beachtet er, der ſich beinah utopiſch An Tropfſtein, Stalaktiten bricht und Glimmer Kommt, ſeht ſie ſelbſt, die Wundergrotte Capris, Denn ſchildern läßt ſie ſich in keinem Abriß!

Nachdem er Tage ſo verbracht und Wochen, Gedacht' er wieder, da er rückwärts ſann, An was er auf dem Schiff dem Greis verſprochen. Er mahnte ſich: „Auf, Victor! ſei ein Mann Und deines Herzens eigenſücht'gem Pochen Thu Einhalt! Vor dem Greiſe, der im Bann Für Recht und Freiheit ſo viel Leid ertragen, Mußt du beſchänit den Blick nicht niederſchlagen?“

Nicht lang, und durch die Garibaldi⸗-Jünger Ward ins Geheime Botfchaft ihm gebracht, Daß fie in düfterm, mweltentlegnem Zwinger Sich bei Ravello in der Neumondnacht Berjammeln würden. Mit dem Botfchaftbringer Kam no ein junger Burſch in Fifchertradht, Auf daß er Victor von Sorrentd Marine Bis zum PBerfammlungsort al Führer diene.

171

Hoffend, Amalie werd' er durch Begnadung Des Himmels bei der Rückkehr endlich finden, Verließ mein Held, entſprechend jener Ladung, Den Strand Sorrents und klomm in Schluchtgewinden Mit ſeinem Führer aufwärts. Nach Durchwatung Bon Bach und Stron hinab an ſteilen Schlünden Geleitete zum Meere der Tyrrhener, Sodann bi8 an des Zwingers Thor ihn Jener.

Ter Eingang war verrammt, jedoch in Schnelle Geöffnet wurde auf das Loſungswort, Und zu dem tiefzerfallenen Kaftelle Trat Victor ein. Auf Stämmen, halb verdorrt, Und Mauern lagernd in der Dänmerhelle Des Mondes fah er die Berichwörer dort, Und als Genofjen im Befreiungsbunde Willkommen hieß man ihn aus einem Munde.

Was dann verhandelt jene arge Rotte, Die leider unfern Victor ganz umftridt Und reif ihn macht zum Zuchthaus, ja Schaffotte Wenn ich es drudte, wär’ e8 ein Delikt, Und gleich als hätt’ ich Theil an dem Complotte, Zög' ich auf mich herab ein Interdikt, So daß fein Nuntius meinem Paß fein Siegel Aufdrücte nach der Stadt der fieben Hügel.

Drum ſag' ich einzig, daß man in Tirade Und Invective auf die Klerifei Metteifernd tobte; Andere voll Suade Meinten, die Zeit des Redens fer vorbei Und daß zu einer Fräft'gen Promenade Nah Rom der Augenblid gelommen jei; Mein Held auch leider mit beredten Worten Nieth zu dem Zuge nach den Engelspforten.

12

Erſt als im Morgeulicht die Calabreſer Gebirge ſtrahlten, war der Sitzung Schluß, Und Victor du begreifſt, geliebter Leſer, Wie er ſich nach Amalien ſehnen muß Verläßt die Andern; über thau'ge Gräſer Hinunter klimmt er zu der Felſen Fuß Und ſpricht zum Führer: „Nach Neapel nun! Selbſt nicht Sekunden gönn' ich mir zum Ruhn.“

Die Straße ſo, die über Rieſenpfeiler Sich von Amalfi nach Salerno baut, Streift er dahin, wo bald in ſchwindelſteiler Felstiefe neben ihm die Welle blaut, Und mit den weißen Häufern mander Weiler Aus Goldfruchthainen auf ihn niederfchaut, Bald wieder allumher in wildbizarren Geftalten himmelauf die Gipfel ftarren.

Weithin auf8 Meer mit feinen Fifcherfähnen Und auf der Klippenufer Wogenſchwall Schweift ihm das Auge, feucht von Sehnſuchtthränen, Indeß and Ohr der Brandung Widerhall hm tönt; an einem Thurm der Sarazenen, Der einfam ragt mit halbzerftörtem Wal Wild ift der Platz, wie Spaniens wildfte Sierra Schallt plöglich da der Ruf: „Faceia in terra!“

Bictor blidt auf, und fieh! mit fonnverbrannten Gefichtern, ſpitzen Hüten, Hakenbüchſen Tritt drohend auf ihn zu ein Schwarn Briganten; Als ob fie aus dem Fels, den Klippen wilden, Nachfolgen andre, alle mit gefpannten Musfetenhähnen, doch mit Erucifiren Den Hals behängt; Reißaus bat angftbeflommen Gein Führer, faum daß er fie fah, genommen.

13

Was thun? E3 heißt toll mit den Leben jpielen, Wenn Widerftand zu leiften er verjucht, Er, ganz allein und waffenlos, den Vielen; Wohl einen Augenblid denft er an Flucht, Allein da hundert Flinten nach ihm zielen, Wie wär’ Enttommen möglich) aus der Schlucht? So ſich entichließt er, feinen Trotz zu bieten, Und ihn von dannen fchleppen die Banditen.

Hehstes Bud.

Unter den Räubern.

Jetzt werde hart, mein Leſer! oder beſſer, Wenn du nicht Nerven haſt wie ein Tunguſe, Schlag zu dies Buch! denn wiſſe, mein erpreſſer Aufruf ergeht hiermit an jene Muſe, Die Han von Island ſchuf, den Menſchenfreſſer, Und ung vor Schreck ſtarr macht, wie die Medufe; 3a du, die du die Farben aufträgft wanddid, Steh bei mir, neufranzöfifhe Romantik!

Zum Zweiten euch anruf' ich, Spieß und Cramer! In dies Kapitel haucht des Geiftes Kraft, Mit der ihr mandhen Tag voll wunderfamer Entzüdungen dem Gymnafiaften fchafft, Indem er, ftatt aufs Schreibheft voll infamer Bocabeln, auf die gelben Blätter gafft Und ſich gehoben fühlt zu allen Hinmeln, Die al von Räubern und Banditen wimmeln.

1795

Gelbft den!’ ih an die Zeit mit Wonnefchauer, Als ich es war, da ih in Tertia ſaß Die „Schaudernächte an der Teufelsmauer“, „Urach den Wilden“ mit Begeiftrung las; Als neben Spieß Homer uns nur ein flauer Geſell ſchien und wir von der Ilias Sehnſüchtig nad) dem Rinaldini fchielten, Den mwohlverftedt wir unterm Schultifch hielten.

Als Dritten in der Zahl der hohen Meifter Noch nenn’ ich dich, erhabner Vulpius! Nehmt dieſen fpäten Dank, verklärte Geifter, Für den mir früh gebotenen Genuß Und fteht zur Seite mir als Hülfeleiſter, Nun Victors Schidjal ich berichten muß. Authentifch, ich betheur’ eg, in eracten Auszügen geb’ ich Alles nad) den Aften.

Ein Bergthal, nur nad einer Seite offen, Wo in die Schlucht hinab der Wildbad) braust Zur Eeite hohe Gipfel, bliggetroffen, Und Eichenwälder, die der Sturm durdfaust Dort liegt, nein, Elebt faft an den Felfenfchroffen Das Räuberdorf, in dem die Bande haust, Die zur Erpreffung reicher Löſegelder Die Neifenden fortichleppt in ihre Wälder.

Was fag’ ih Dorf? Umrankt von wilden Hopfen, Steinhaufen finds, an denen Baft und Werg Spärlich die Riten nur der Mauern ftopjen,

Und Palmenſchößlinge, die als Gezwerg

Am Felſen wachſen, vor den Regentropfen

Als Schirmdach dienen. Aufwärts an dem Berg Ziehn ſich, vergleichhar Bauten von Termiten, In Reihen dieſe Hütten der Banditen.

16

Tızerben liezen dem ım (re Stuben Treit ne des Betters Unzenash allem SGeriume Kerle, Betber, 1:tıe Puben Deherich auf dem falten Felsgenein;

Ben Etchen überidatiet wo? Caruben,

An Karten, Bärieln freun fie ich sur Dein; %ch Autre ipielen Boxcıa und Morra,

Und ibr ruft aus: „I Ecotom und Gemordha!“

Allein ihr irrt euch! Nehmt tie Amulette, Medaillen, Kreuze, Heil’genkilder wahr, Tie jeder trägt an einer Eilberfette! Zie fünden, daß für Thron und für Altar Degeiftert diefe Räuber find; ich wette: Kein Mogul ift gleich tiei erfüllt, fein Czar Bom abjoluten Recht, dem legitimen; Alio fie Hoch zu ehren, will ſich ziemen.

An Togmenftärte mit und feftem Glauben Sich ihnen feiner unjrer BPietiften; Ja, die Bemerfung wird man mir erlauben, Taß neben ihnen faft Rationaliften Tie andern Gläub’gen find. Sie denken: rauben Und morden, was verjchlägt3 für fromme Chriften ? Hat nit der Kirche Huld, die ohne Gränzen, Eogar für künft’ge Suünden Indulgenzen?

Allein was Sündennahlag? Leſer, merke, Taß wahre Frömmigkeit erſt da beginnt, Wo überzeugt man ift, daß gute Werke Dem Seelenheil vielmehr nachtheilig find. Ter Gnadenwahl in ihrer Herzenzftärte Bertraun die Räuber all und glauben blind, Daß fie zu Gott, dem fie von Anfang theuer, Eingehn nach wen’gen Wochen Fegefeuer.

177

Auch fehlt im Dorf nicht eine Betkapelle, In der als Kapellan ein Ex-Jeſuit Den Cultus übt. In jeder Morgenhelle, Bevor auf ihren Fang die Bande zieht, Verſammelt ſie ſich dort beim Klang der Schelle; Da wird gebetet, andachtvoll gekniet, Und alle Dolche, Meſſer, Karabiner Einſegnet am Altare Chriſti Diener.

Nachdem er dann noch auf die Liberalen Und Atheiſten einen Fluch gemurrt, Fortziehn mit Blicken, die von Andacht ſtrahlen, Die Frommen durch Gebirg und Schlucht und Furt. Schmuck mit den ſpitzen Hüten, den Sandalen Erſcheinen ſie und mit dem rothen Gurt; Vor Allen ſtattlich nimmt ſich aus der Hauptmann, Ein Bild Roberts vor ſich zu ſehen glaubt man.

Cecco genannt war dieſer Chef der Bande. Auf ſeiner Linken das Verdienſtkreuz ſchon Zeigt an, er iſt ein Mann von hohem Stande. Zuerſt Galeerenſclave, dann Spion,

Sodann Gensdarm, war er zuletzt ein Grande, Ein Hort geworden von Neapels Thron,

Den, jo wie Maniscalco und Ajoſſa,

Ter König’Bomba täglich auf dem Schloß jah.

Wißt! unter jenem weifen Herrſcher hatte Zum Oberbüttel bei der Polizei Sich Cecco aufgefhmwungen. Ich geftatte Zum Trog dem liberalen Feldgeſchrei Mir hier die Aeußrung, daß auch nicht ein Schatte Bon dem wahr ift, was man von Tyrannei Des Re Fernando fagt; heilfame Strenge Nur war es, was fo nennt die Pöbelmenge. Ehad. Ge. Were. 11. 12

18

Der frühre Sträfling zeigte ſich als Büttel Bei liberalen Frevlern eminent; Kein Andrer kannte, ſo wie er, die Mittel, Zu machen, daß ein Böſewicht bekennt; Ihm widerſtand von Allen kaum ein Drittel, Und Tag für Tag begann mehr ſein Talent Im Kitzeln, Schwefelfadenbrennen, Prickeln Der Hort des Königthumes zu entwickeln.

Für die Geſtändniſſe, die er erpreßte, Ward ihm mit Recht ein Extra⸗Honorar; Auch Zutritt in des Souverains Paläſte Erwarb ihm ſein Verdienſt nach einem Jahr, Und ſo ermuthigt, ſchwur er, aus dem Reſte Der Angeklagten, der verhärtet war,

Den Lügenteufel auch vertreiben wollt' er Kurz, er handhabte als Virtuos die Folter.

Die Kunſt des Wackern, auf den Marterbänken Die Störrigen an Kohlengluth zu braten, Mit Schrauben ihre Glieder auszurenken, War überraſchend reich an Reſultaten Und lebt noch heut in Vieler Angedenken, Die mir erzählt von ſeinen Heldenthaten; Mit Recht drum ſtieg er auf von Grad zu Graden Und ward zur Königstafel oft geladen.

Doc leider ftarb fein Gönner vor der Zeit; Der Sohn war nicht geftimmt für gleich energifche Maßregeln; Cecco, voll von Herzeleid,

Wehklagte über das Geſchlecht, das zwergiſche: Aufkläricht mache überall fich breit,

Und, mas das Wergfte, durch die Öuttenbergifche Erfindung brech' in Blättern und Brochüren Das Satangreich herein zu allen Thüren.

19

Entfalten nicht mehr konnte alle Segel So frei wie ehemals fein Genius; Zwar in das Fleifh der Schuld’gen glühnde Nägel Zu bohren, macht’ er nod) fi) den Genuß, Allein er ward nicht mehr, wie fonft die Regel, Dafür belohnt durch Kabinetsbeſchluß; Am Ende fand der leßte der Bourbonen Es rathjam, lieber Roma zu bewohnen.

Ein Glüd für ihn wie feine Unterthanen! Bon Deputirten oder fonft’gen Quälern Dedrängt nicht wird er dort noch Umfturzplanen; Ja, follten feine Revenün fich ſchmälern, Zutraun läßt unfrer Zeit fi, der humanen, Daß fie in eignen Fürften-Hofpitälern Die fortgejagten Herrfcher pflegen werde;

E83 mwimmelt ja von ihnen jegt die Erbe.

Als Cecco in Neapel nun die Fahnen Italiens wehen fah, die tricoloren, Da ward von ihm bei König Bombas Manen Der neuen Freiheit Untergang gefchworen; Und im Gebirge, fern den Eifenbahnen, Mit Andern, die zum Häuptling ihn erkoren, Bekriegt' er jeden Mann von liberaler Geſinnung, doch befonders feine Thaler.

So kennſt du Schauplag denn und Hauptperjonen Des Dramas, das ſich nun in Scene feßt, Und kurze Zeit die wilden Bergregionen, Wo man für Victor ſchon den Morbftahl wet, Mit meinem armen Helden zu bewohnen, Einlad’ ich dich, verehrter Leſer, jetzt; Wohl lieber möcht! ich Heiteres berichten, Doch Wahrheit ift die erfte meiner Pflichten.

180

Todmatt, die Füße blutend und zerfchunden, Hielt Victor faum fidy aufrecht auf dem Marſche; Die Hände auf dem Rüden feftgebunden,

Ward von vier Serlen, die bei ihm die Charge Als Wächter übten, lange, lange Etumden

Er fortgefchleppt und hörte nichts als barſche Schmähmorte; über Steingeröll und Blöde Zum Lauf ihn trieben ihre Stachelſtöcke.

Ins Räuberdorf gelangt, an eine Eiche Sieht fih der Unglüdjelige gejchnürt; Er bittet, dag man einen Trunk ihm reiche, Doch ihn umftehn die Räuber ungerührt; Bon ihrer jedem werden Badenftreiche Statt deß zum Willfommsgruß an ihm vollführt; Blut fühlt er langfam aus den Wunden rinnen Und Tiegt zulegt mit hingeſchwundnen Sinnen.

Als er aus feiner Ohnmacht ſich ermannte, Da ftand vor ihm ein Mann mit bufch'gem Bart, Den er nicht, doch mein Lejer fchon erkannte. Bon allen Andern, die um ihn gefchaart, Als Haupt geehrt und oberfter Brigante, Sprach Cecco: „Retten nur auf eine Art Kannft du dein Leben; zahl, ich wills dir vathen, Als Löſegeld zehntaufend Golddukaten!“

Bleich ftarrte noch mein Held in bangem Schweigen, Als plöglih ihm zum Ohr ein Yechzen ſcholl; Cecco, ald wollt’ er ihm was Wicht'ges zeigen, Wies ihm zu Häupten hin bedeutungsvoll; Und Bictor blidte aufwärts zu den Zweigen Und ſah o, war von Träumen, fiebertoll, Sein Haupt umnebelt? Leichen von Gehenkten An allen Aeften, die fi zitternd jenften.

1831

Bon Einem, der gehenkt erft eben worden, Ertönte dag Geächz in kurzen Paufen; Wegwenden wollt’ entjegt von diefem Morden Sich Victor, doch vermocht' e8 nicht vor Grauſen; Auch ihn nun fehlachten werden diefe Horden,

Die ärger als die Kannibalen haufen, Darüber läßt er jede Täuſchung jchwinden; Denn ſolch ein Löfegeld, wo fol ers finden?

„Schnel" heiſcht ihm Cecco zu „daß Euer Schreiben Sofort ein Bote nach Neapel bringe! Bermögt die Summe hr nicht aufzutreiben, So iſts noch Huld, wenn Euch die Galgenfchlinge Zur Hölle fchnell fpedirt; in Ausficht bleiben Für folhen Fall Euch) noch ganz andre Dinge; Erft geftern wurden Zwei, die wir gefangen, Langſam zu Tod gequält mit glühnden Zangen.

Victor, obgleich er feine Hoffnung fieht, Daß der Banquier das Yöfegeld ihm jende, (Denn noch nicht halb fo groß ift fein Credit) Ergreift das Blatt; ihm zittern beide Hände, So daß er ſich umfonft zu fehreiben müht;

Er glaubt, er bringe nicht den Brief zu Ende, Und denkt wehmtüthig an die Zeit indeflen, Da man ihn um fein Viſum bat von Päffen.

Als mit dem Briefe fertig ift der Brave, Reicht an den Boten, der von dannen zieht, Ihn Cecco, ci-devant Galeerenfclane,

Dann Bolizeidirektor, dann Bandit.

Da fohallt von der Kapelle her das Ave, Und brünftig betend auf den Boden fniet Die ganze Bande hin, um Kraft und Stärke Sih zu erflehn zum nächſten Tagewerke.

1832

Bu jchlafen gingen Alle. Seufzend ſank Auch Bictor hin, allein des Durſtes Plage Ließ ihn nicht ruhen; laut um einen Trank Nief er und bat, doch fruchtlos blieb die Klage. Erft, als die Sonne durch das Laubgerank Schon Kunde gab vom hochgeftiegnen Tage, Sah er ein Mädchen ihm, der matt zum ode, Mit einem Kruge nahn und einem Brode.

Wie über Steingeröll heran fie Homm, Gab er: ein Kind wars von kaum fünfzehn Jahren; Schwarz unter hochgeſchwungnen Brauen glomm Ihr Augenpaar, und Heil’genbildchen waren An ihrem Hals als Zeugniß, daß fie fromm, An Kettchen aufgehängt; jelbft in den Haaren Und in den Ohren trug fie, ftatt profane Bierraten, Kreuzchen nur und Talismane.

In Haft nach dem Gefäße, das fie trug, Griff er und trank in langen durft’gen Zügen, Doch jchleuderte dann plöglich weg den Krug Salzwaſſer mard. D, fo ihn zu betrügen! Ein jchallendes Gelächter aber ſchlug Das Mädchen auf, als fände fie Vergnügen An feiner Dual; dann rief fie, und ihr flammte Der Blid vor Zorn: „Der Keßer! der Verdammte!“

Und mit der Hand ergriff fie eine Ruthe Und ſchlug mit Wuth, die ihr im Herzen fochte, Auf Victor los, jo daß von feinem Blute Tas Gras roth ward wohl in Entrüftung pochte Ihm bei des kleinen Unhold8 Uebermuthe Das Herz, doch fich zu regen nicht vermochte Ter feft Gebundene, indellen fie Bei jedem Schlag: „Ingleſe, Ketzer!“ fchrie.

1893

Pippa genannt war diefer Heine Drache, Ceccos, des Räuberhauptmanng, einzig Kind; Sie hielt bei den Gefangenen die Wache Und hatte Gott gefchworen, fromm gefinnt, Daß fie vollftreden wolle feine Rache An Allen, die dem wahren Glauben blind, Und fonderlich den Ketzern, Liberalen Den Borfhmad geben ſchon der Höllenqualen.

Juſt einer von den großen Heil'gentagen Iſt heut ob St. Ignaz, St. Barrabas, St. Athanaſius, weiß ich nicht zu jagen Und um fo mehr ein Grund für fie ift das, Recht tüchtig auf den Kleber Ioszufchlagen; Für jeden Hieb, glaubt fie, werd’ ein Erlaß Jetz'ger und künft'ger Sünden ihr zu Theil; Sie prügelt alfo für ihr Seelenbeil.

Bictor jah flehend auf und Tallte: „Was that ich, fage, mas dir that ich nur?“ Als eben drohend fie die Hand noch ballte, Glaubt' er zu jehn, wie fie zufammenfuhr Und feinen Blid vermied; dann widerhallte Die Luft von ihrem Lachen: „Wenn die Uhr Sechs ſchlägt,“ ſprach fie, „wird fich die Feft erneuen ; Schon jett, Ingleſe, magft du dich drauf freuen.“

ALS fie gegangen, auf den Boden drüdt Bictor fein Haupt; todmatt fi kaum zu vegen Vermag er ferner. Da, daß er erjchridt, Halt an jein Ohr der Ton von Trommeljchlägen; Er hört Gejchrei und Lärmen und erblidt Um fi ein reges Tummeln und Bewegen. Gelöst vom Baumftamm, unter Geißelhieben Wird er auf einen nahen Platz getrieben.

Sedistes Bud.

Unter den Ränbern.

Jetzt werde hart, mein Leſer! oder beſſer, Wenn du nicht Nerven haſt wie ein Tunguſe, Schlag zu dies Buch! denn wiſſe, mein erprefler Aufruf ergeht hiermit an jene Mufe, Die Han von Island ſchuf, den Menjchenfreffer, Und ung vor Schred ftarr macht, wie die Medufe; Ja du, die du die Farben aufträgft wanddid, Steh bei mir, neufranzöftfhe Romantik!

Zum Bmeiten euch anruf' ich, Spieß und Cramer! In dies Kapitel haucht des Geiftes Kraft, Mit der ihr manchen Tag voll wunderfamer Entzlidungen dem Gymnaſiaſten ſchafft, Indem er, ftatt aufs Schreibheft voll infamer Bocabeln, auf die gelben Blätter gafft Und ſich gehoben fühlt zu allen Himmeln, Die al von Räubern und Banditen wimmeln.

15

Gelbft dent ich an die Zeit mit Wonnefchauer, As ih es war, da ih in Tertia ſaß Die „Schaudernächte an der Teufelsmauer“, „Urach den Wilden“ mit Begeiftrung las; Als neben Spieß Homer uns nur ein flauer Geſell ſchien und wir von der Ilias Sehnfüchtig nach dem Rinaldini fchielten, Den wohlverftekt wir unterm Schultiſch hielten.

AS Dritten in der Zahl der hohen Meifter Noch nenn’ ich dich, erhabner Vulpius! Nehmt diejen fpäten Dank, verklärte Geifter, Für den mir früh gebotenen Genuß Und fteht zur Seite mir als Hiülfeleifter, Nun Victors Schickſal ich berichten muß. Autbentifch, ich betheur’ e8, in eracten Ausziigen geb’ ich Alles nach den Akten.

Ein Bergthal, nur nad) einer Seite offen, Wo in die Schlucht hinab der Wildbad) braust Zur Ceite hohe Gipfel, blitzgetroffen, Und Eichenwälder, die der Sturm durchſaust Dort liegt, nein, klebt faft an den Felſenſchroffen Das Näuberdorf, in dem die Bande haust, Die zur Erpreffung reicher Löſegelder Die Reifenden fortfchleppt in ihre Wälder.

Was fag’ ih Dorf? Umranft von wilden Hopfen, Steinhaufen finds, an denen Baft und Werg Spärli die Riten nur der Mauern ftopfen,

Und Palmenfhößlinge, die als Gezwerg

Am Felfen wachen, vor den Regentropfen

Als Schirmdach dienen. Aufwärts an dem Berg Biehn fich, vergleihbar Bauten von Termiten, In Reihen diefe Hütten der Banditen.

16

Dazmwifchen liegen denn in ihre Stuben Treibt fie des Wetters Ungemacd allein Gebräunte Kerle, Weiber, nadte Buben Behaglich auf dem falten Felsgeſtein;

Bon Eichen überfchattet und Garuben,

An Karten, Würfeln freun fie fih und Wein; Noch Andre fpielen Boccia und Morra,

Und ihr ruft aus: „O Sodom und Gomorrha!“

Allein ihr irrt euch! Nehmt die Amulette, Medaillen, Kreuze, Heil’'genbilder wahr, Die Feder trägt an einer Eilberfette! Sie fünden, daß für Thron und für Altar Begeiftert diefe Räuber find; ich wette: Kein Mogul ift gleich tief erfüllt, fein Czar Bom abjoluten Recht, den legitimen; Alfo fie hoch zu ehren, will fich ziemen.

An Dogmenftärte mißt und feften Glauben Sich ihnen keiner unſrer Pietiften; Ya, die Bemerkung wird man mir erlauben, Daß neben ihnen faft Rationaliften Die andern Gläub’gen find. Sie denken: rauben Und morden, was verjchlägt3 für fromme Chriften? Hat nicht der Kirche Huld, die ohne Gränzen, Sogar für künft'ge Sünden Indulgenzen?

Allein was Sündennachlaß? Leſer, merke, Daß wahre Frömmigkeit erft da beginnt, Wo überzeugt man ift, daß gute Werke Den Geelenheil vielmehr nachtheilig find. Der Gnadenwahl in ihrer Herzensftärte Bertraun die Räuber al und glauben blind, Daß fie zu Gott, dem fie von Anfang theuer, Eingehn nach wen’gen Wochen Yegefener.

11T

Auch fehlt im Dorf nicht eine Betkapelle, In der ald Kapellan ein Ex-Jeſuit Den Cultus übt. In jeder Morgenhelle, Bevor auf ihren Fang die Bande zieht, Berfammelt fie fi dort beim Klang der Schelle; Da wird gebetet, andachtvoll gefniet, Und alle Dolche, Meffer, Karabiner Einfegnet am Altare Ehrifti Diener.

Nachdem er dann noch auf die Liberalen Und Atheiften einen Fluch gemurrt, Fortziehn mit Bliden, die von Andacht ftrahlen, Die Frommen durch Gebirg und Schlucht und Furt. Schmud mit den fpigen Hüten, den Sandalen Erjcheinen fie und mit dem rothen Gurt; Bor Allen ftattlih nimmt fi aus der Hauptmann, Ein Bild Roberts vor ſich zu fehen glaubt man.

Cecco genannt war diefer Chef der Bande. Auf feiner Linken das Verdienſtkreuz ſchon Zeigt an, er ift ein Dann von hohem Stande. Zuerft Galeerenfclave, dann Spion,

Sodann Gensdarm, war er zulegt ein Grande, Ein Hort geworden von Neapel3 Thron,

Den, fo wie Maniscalco und Ajoſſa,

Der König 'Bomba täglich auf dem Schloß ſah.

Wißt! unter jenem weiſen Herricher hatte Zum Oberbüttel bei der Polizei Sich Cecco aufgefhwungen. Ich geftatte Zum Trog dem liberalen Feldgeſchrei Mir bier die Aeußrung, daß auch nicht ein Schatte Bon dem wahr ift, was man von Tyrannei Des Re Fernando fagt; heilfame Strenge Nur war ed, was fo nennt die Pöbelmenge. Shad. Geſ. Werke 11. 12

18

Der frühre Sträfling zeigte ſich als Büttel Bei liberalen Frevlern eminent; Kein Andrer kannte, ſo wie er, die Mittel, Zu machen, daß ein Böfewicht bekennt; Ihm mwiderftand von Allen faum ein Drittel, Und Zag für Tag begann mehr fein Talent Im Kiteln, Schwefelfadenbrennen, Brideln Ter Hort des Königthumes zu entwideln.

Für die Geftändniffe, die er erpreßte, Ward ihm mit Recht ein Exrtra-Honorar; Auch Zutritt in des Souveraind Paläfte Erwarb ihm fein Berdienft nach einem Jahr, Und fo ermutbigt, ſchwur er, aus dem Reſte Der Angellagten, der verhärtet war,

Den Yügenteufel auch vertreiben wollt’ er Kurz, er handhabte als Virtuos die Folter.

Die Kunſt des Wadern, auf den Marterbänten Die Störrigen an Kohlengluth zu braten, Mit Schrauben ihre Glieder auszurenten, War liberrafchend reich an Refultaten Und lebt nody heut in Bieler Angedenten, Die mir erzählt von feinen Heldenthaten; Mit Recht drum ftieg er auf von Grad zu Graben Und ward zur Königstafel oft geladen.

Doc leider ftarb fein Gönner vor der Zeit; Der Sohn war nit geftimmt für gleich energifche Maßregeln; Cecco, voll von Herzeleid,

Wehklagte tiber das Gefchlecht, das zwergiſche: Auffläriht mache überall fich breit,

Und, was das Wergfte, durch die Guttenbergifche Erfindung bredy’ in Blättern und Brochüren Das Satangreich herein zu allen Thüren,

1719

Entfalten nicht mehr fonnte alle Segel Sp frei wie ehemals fein Genius; Zwar in das Fleisch der Schuld’gen glühnde Nägel Zu bohren, macht’ er noch ſich den Genuß, Allein er ward nicht mehr, wie fonft die Regel, Dafür belohnt dur Kabinetsbeſchluß; Am Ende fand der legte der Bourbonen Es rathſam, lieber Roma zu bewohnen.

Ein Glüd für ihn wie feine Unterthanen! Bon Deputirten oder fonft’gen Quälern Bedrängt nicht wird er dort noch Umſturzplanen; Ya, follten jeine Revenün fich ſchmälern, BZutraun läßt unfrer Zeit fi, der humanen, Daß fie in eignen Fürften-Hofpitälern Die fortgejagten Herricher pflegen werde;

Es mwimmelt ja von ihnen jegt die Erde,

ALS Cecco in Neapel nun die Fahnen Italiens wehen fah, die tricoloren, Ta ward von ihm bei König Bombas Manen Der neuen Freiheit Untergang geſchworen; Und im Gebirge, fern den Eifenbahnen, Mit Andern, die zum Häuptling ihn erforen, Bekriegt' er jeden Mann von liberaler Gefinnung, doch befonders jeine Thaler.

So kennſt du Schauplag denn und Hauptperjonen Des Dramas, das fi) nun in Scene febt, Und kurze Zeit die wilden Bergregionen, Wo man für Victor fchon den Mordftahl west, Mit meinem armen Helden zu bewohnen, Einlad’ ich dich, verehrter Leſer, jetzt; Wohl lieber möcht? ich Heiteres berichten, Doch Wahrheit ift die erfte meiner Pflichten.

10

Todmatt, die Füße blutend und zerſchunden, Hielt Victor faum ſich aufrecht auf dem Marſche; Die Hände auf dem Rüden feitgebunden,

Ward von vier Kerlen, die bei ihm die Charge - Als Wächter übten, lange, lange Etunden

Er fortgefchleppt und hörte nichts als barfche Schmähworte; über Steingeröll und Blöde Zum Lauf ihn trieben ihre Stachelſtöcke.

Ins Räuberdorf gelangt, an eine Eiche Sieht fih der Unglädjelige gejchnürt; Er bittet, daß man einen Trunk ihm reiche, Doch ihn umftehn die Räuber ungerührt; Bon ihrer jedem werden Badenftreiche Statt deß zum Willkommsgruß an ihm vollführt; Blut fühlt er Tangfam aus den Wunden rinnen Und liegt zulegt mit bingefhwundnen Sinnen.

ALS er aus feiner Ohnmacht fi) ermannte, Da ftand vor ihm ein Mann mit bufch’gem Bart, Den er nicht, doch mein Leſer fchon erkannte. Bon allen Andern, die um ihn gefchaart, Als Haupt geehrt und oberfter Brigante, Sprach Cecco: „Retten nur auf eine Art Kannft du dein Leben; zahl, ich wills dir rathen, ALS LTöfegeld zehntaufend Golddukaten!“

Bleich ftarrte noch mein Held in bangem Schweigen, Als plöglich ihm zum Ohr ein Aechzen fcholl; Cecco, als wollt’ er ihm was Wicht’ges zeigen, Wies ihm zu Häupten hin bedeutungspoll; Und Victor blidte aufwärts zu den Zweigen Und ſah o, war von Träumen, fiebertoll, Sein Haupt umnebelt? Leichen von Gehenkten An allen Aeften, die ſich zitternd ſenkten.

131

Bon Einem, der gehenft erft eben worden, Ertönte das Geächz in kurzen Paufen; Wegwenden wollt’ entjegt von dieſem Morden Sih Victor, doch vermocht' e8 nicht vor Grauen; Auch ihn nun ſchlachten werden dieſe Horden,

Die ärger als die Kannibalen haufen, Darüber läßt er jede Täufchung ſchwinden; Denn folch ein Xöfegeld, wo foll ers finden?

„Schnel* heiſcht ihm Cecco zu „daß Euer Schreiben Sofort ein Bote nad Neapel bringe! Bermögt die Summe hr nicht aufzutreiben, So ifts noch Huld, wenn Euch die Galgenfchlinge Zur Hölle fchnell fpedirt; in Ausficht bleiben Für folden Fall Euch) noch ganz andre Dinge; Erft geftern wurden Zwei, die wir gefangen, Langſam zu Tod gequält mit glühnden Zangen.

Bictor, obgleih er feine Hoffnung fieht, Daß der Banquier das Yöfegeld ihm fende, (Denn noch nicht halb fo groß ift fein Credit) Ergreift das Blatt; ihm zittern beide Hände, So daß er fih umfonft zu ſchreiben müht;

Er glaubt, er bringe nicht den Brief zu Ende, Und denkt wehmüthig an die Zeit indeflen, Da man ihn um fein Viſum bat von Päſſen.

Als mit dem Briefe fertig ift der Brave, Neicht an den Boten, der von dannen zieht, Ihn Cecco, cei-devant Galeerenfclane,

Tann Polizeidirektor, dann Bandit.

Da ſchallt von der Kapelle her dag Ave, Und brünftig betend auf den Boden kniet Die ganze Bande hin, um Kraft und Stärke Sich zu erflehn zum nächften Tagewerke.

132

Zu Schlafen gingen Alle. Seufzend ſank Auch Victor hin, allein des Durftes Plage Ließ ihn nicht ruhen; laut um einen Trank Nief er und bat, doch fruchtlos blieb die Klage. Erft, als die Sonne durch das Laubgerank Schon Kunde gab vom hochgeftiegnen Tage, Sah er ein Mädchen ihm, der matt zum Tode, Mit einem Kruge nahn und einem Brode.

Wie liber Steingeröll heran fie klomm, Sah er: ein Kind ward von kaum fünfzehn Jahren; Schwarz unter hochgeſchwungnen Brauen glomm Ihr Augenpaar, und Heil’genbildchen waren An ihrem Hals als Zeugniß, daß fie Fromm, An Kettchen aufgehängt; felbft in den Haaren Und in den Öbren trug fie, ftatt profane Zierraten, Kreuzchen nur und Talismane.

In Haft nach dem Gefäße, das fie trug, Griff er und tranf in langen durft’gen Zügen, Doch jchleuderte dann plöglich weg den Krug Salzwafjer ward. O, fo ihn zu betrügen! Ein jchallendes Gelächter aber ſchlug Das Mädchen auf, als fände fie Bergnügen An feiner Dual; dann rief fie, und ihr flammte Der Blid vor Zorn: „Der Keger! der Verdammte!“

Und mit der Hand ergriff fie eine Ruthe Und ſchlug mit Wuth, die ihr im Herzen kochte, Auf Victor los, jo daß von feinem Blute Tas Gras roth ward wohl in Entrüftung pochte Ihm bei des Heinen Unholds Webermutbe Das Herz, doch ſich zu regen nicht vermochte Ter feſt Gebundene, indeffen fie Bei jedem Schlag: „Ingleſe, Reber!“ fchrie.

13

Pippa genannt war diefer Heine Drache, Ceccos, des Räuberhauptmanng, einzig Kind; Sie hielt bei den Gefangenen die Wache Und hatte Gott gefchworen, fromm gefinnt, Daß fie vollfireden molle feine Rache An Allen, die dem wahren Glauben blind, Und fonderlich den Ketern, Liberalen Den Vorſchmack geben ſchon der Höllenqualen.

Juſt einer von den großen Heil'gentagen Iſt heut ob St. Ignaz, St. Barrabas, St. Athanafius, weiß ich nicht zu jagen Und um fo mehr ein Grund für fie ift das, Recht tüchtig auf den Ketzer loszuſchlagen; Für jeden Hieb, glaubt fie, werd’ ein Erlaß Jetz'ger und künft'ger Sünden ihr zu Theil; Sie prügelt alfo für ihr Seelenbeil.

Bictor fah flehend auf und lallte: „Was that ich, jage, was dir that ich nur?“ Als eben drohend fie die Hand noch ballte, Glaubt' er zu fehn, wie fie zufammenfuhr Und feinen Blid vermied; dann mwiderhallte Die Luft von ihrem Lachen: „Wenn die Uhr Sechs fchlägt,“ ſprach fie, „wird fich dies Feſt erneuen; Schon jest, Ingleſe, magft du dich drauf freuen.“

ALS fie gegangen, auf den Boden drüdt Victor fein Haupt; todmatt fi kaum zu regen Bermag er ferner. Da, daß er erjchridt, Hallt an fein Ohr der Ton von Trommelſchlägen; Er hört Gefchrei und Lärmen und erblidt Um fi ein rege8 Tummeln und Bewegen. Gelöst vom Baumftamm, unter Geißelhieben Wird er auf einen nahen Platz getrieben.

14

Dort in der Mitte, dicht umringt von allen Banditen und an Pfähle feftgebunden, Sieht er Gefangne, deren Haupt verfallen; Berronnen für ihr Löfegeld feit Stunden Schon ift die Frift, und Trommelwirbel hallen, Ta ihrer Einer juft den Tod gefunden; Der Andern Ende, dran fi) zu erbauen, Soll Victor jest als warnend Beiſpiel fchauen.

Erfunden haben, der VBerändrung wegen, Hinrihtungsarten die Briganten viel („Halt!“ ruft mir mein Verleger hier entgegen „Streih aus den Berg, den juft hinfchrieb dein Kiel, Unmöglih kann ich fonft das Buch verlegen.” Bahr er denn Hin!) Im Schießen nad dem Ziel Sich üben diesmal fie, und nach dem Yeibe Der Ketzer fliegt ihr Blei wie nach der Scheibe.

Den Anfang eines neuen Schügenftüds Macht Einer nun und ſchießt. Das Kunſtſtück ift, Auf des Gefangnen Leib ein Erucifir Mit Kugeln binzuzeihnen. Sorglich mißt Bei jedem Schuß der Räuber fichern Blicks Den Abftand, und daß längre Reuefrift Dem Opfer bleibe, darf, ihm Tod zu bringen, Ins Herz ihm erft der Kugeln legte dringen.

„Brav! bravo! viva!“ jubelt ed im Chor, Wie ın den Leib des Armen Schuß auf Schuß Sich einbohrt und in Kreuzesform hervor Allmählig aus den Wundenreihn der Buß Des rothen Blutes dringt. In Wuth empor Sucht Victor, der gelnebelt zuſchaun muß,

Bom Boden fi) zu ringen, um die graufe Unthat zu hemmen fruchtlog! feine Pauſe!

15

Er drüdt das Antlig auf die Erde nieder, Daß er das fchredenvolle Spiel nicht fehaue; Allein fie zwingen ihn durch Hiebe, wieder Emporzufehn, und vor fich wie durch graue Dunftwolten fteht er die zerrißnen Glieder; Die biut’gen Wunden, die vom Todesthaue Genetzte Stirne des ſchon halb Entfeelten; Celbft fühlt er mit die Marter des Gequälten.

„DO Himmel, haft du. keinen Wetterftrahl,"” Denkt er „die Kannibalen binzuftreden?“ In Ohnmacht ſchwindet ein aufs andre Mal Ihm die Befinnung, aber fie erweden Ihn neu mit Krafteflenz; die Folterqual Noch von fünf Anderen, die alle Schreden Langſamen Sterbens dulden, muß er fehen,

Dis matt ihr Auge bricht in Todeswehen.

Zum Schluß durchbohren mit dem Bajonette Tie todten Leiber noch die Kannibalen Und treiben Spaß dabei. Zur Abendmette Ruft da ein Knabe fie, in Andacht ftrahlen Die Augen Aller auf, und um die Wette In die Kapelle, wo aus Weihrauchjchalen Dampf wirbelt, eilen fie mit $nbrunftrufen, Um hinzuknieen an den Altarftufen.

Zu Bictor, der gebunden an der Stelle, Wo er gelegen, bleibt, fchallt ihr Gebet Im Chorgejange ber aus der Kapelle, Und lange noch zu ihm berüber weht Der Abendwind den Pſalmklang, 0, die Hölle Aefft Höhnend wohl den Himmel! Es iſt fpät, Und ernft und groß in feierlichem Schweigen Sieht man empor die Nachtgeftirne fteigen.

186

Es war zuviel; nicht hörte mehr noch ſah Der Arme; regungslos, beinah verſchmachtet, Lag er auf dem Geſtein des Bodens da; Tief von Verzweiflung war ſein Geiſt umnachtet; Er wünſchte nur den Retter Tod ſich nah. So nicht des Stundenflugs hatt’ er geachtet, Da trat früh Morgens feine Duälerin Pippa neu mit dem Kruge vor ihn hin.

Mit Schauder fehrt er ſich hinweg und Haß; Doch: „Süßes Waſſer ift e8 aus dem Duell!“ Sprit fie und beut ihm ein gefülltes Glas; Das lodt und gligert, gleißt und blinkt jo heil: Selbit wär’ es falzig, negen mit dem Naß Muß er die trodnnen Yippen und trinkt jchnell Doch ſüßes Wafler ift e8; wie vom Grabe Erftanden glaubt er fi) nad folder Yabe.

Er will dem Mädchen danken, doch gejchwinde Mit ihrer Ruthe jchlägt fie auf ihn log, Nur find die Schläge, fcheint ihm, mehr gelinde, Und murmeln hört er fie für fi: „Euriog! Er muß ein Zaubrer fein, denn id) erblinde Beinah, wenn feine blauen Augen groß Mir ind Geficht fehn! Nie noch jah ich folche! Sie treffen mich ing Herz wie feharfe Dolce.“

Sie geht, und neu der Welt zurüdgegeben Iſt Victor, jo hat ihn der Trank erfrifcht; Doch nun dem Schlaf nicht kann er widerftreben, Sein Auglid finkt, jein wacher Sinn erlifcht; Ä Erft dämmernde Gebilde fieht er ſchweben,

In denen Traum mit Wirklichkeit ſich miſcht; Dann tiefer wird fein Schlummer, hingeſchwunden Dleibt fein Bemußtjein lange, lange Stunden.

187

Am Abend wieder dann von Trommellärmen Wird er gewedt und ſieht im weiten Kreis Das Räubervolk verſammelt; matt vom Härmen, Im Mittelpunkt, das Antlitz kreideweiß, Stehn drei Gefangene! in wilden Schwärmen Umtanzen Weiber jubelnden Geſchreis Die Unglückſeligen, und aus dem wirren Tumulte tönt der Tamburine Klirren.

Zuerſt am Boden noch wie ſinnberaubt Liegt Victor da und halb im Traum verloren; In Zweifel dann betaftet er ſein Haupt, Weil einen Spuk, der aus des Abgrunds Thoren Emporgeftiegen, er zu ſchauen glaubt Nein, Wahrheit ifts; er fieht, wie beide Obren Bon der Gefangnen Kopf ein Räuber ſchneidet Und Jeder lachend fih am Anblid weidet.

Den Drei wird drauf für heut Pardon gejchentt, Und weiter geht e8 an das Maſſakriren; Doch nein! diesmal ward einfah nur gehentt, Nicht immer kann man fo viel Zeit verlieren, Daß man auf neue Todesarten denft; Und fchleunig in die Hölle zu jpediren, Iſt nichts probater als ein tücht'ger Strid, Wenn gut um Hals gefchlungen und Genid.

Bald, wie bei und der Wald, wenn in den Dohnen Ar Nebelmorgen fi die Drofieln fangen, Sind von Gehenkten voll die Wipfeltronen, Die zappelnd in den Galgenjchlingen bangen. Lautlos wie Schatten, die im Hades wohnen, Zu Tode gehn fie ohne Sterbensbangen, Ya, von der Dual der langen Haft gebrochen, Regt kaum ſich noch ihr Herz in matten Pochen.

18

Nur Einer, um den Hals die Schlinge ſchon, Schreit ungeberdig: „Schurken, laßt mid 108! Furchtbar wird fonft die große Nation An euch mich rächen! Wißt, ih bin Franzos!“ Sie aber ziehn, nicht achtend auf fein Drohn, Die Schlinge zu, und ein Drommetenftoß Berkündet feierlich, daß bis allhier Nicht reicht die Allmacht des Second empire.

Nachdem fie noch verfchiednen Deutſchen, Britten Denn monoton wird das beftänd’ge Henten Den Kopf mit ftumpfen Meffern abgejchnitten, Wird rings der Play mit Tifchen und mit Bänken Defett, und Cecco läßt die Andern bitten, Mit ihm bei guten Speifen und Getränfen Sich zu erlaben. Bald zum frohen Feſte Reihn um die lange Tafel ſich die Gäfte.

Sinn bat der Hauptmann fir das Malerifche: Auf fein Geheiß von bunten Rampen ftrahlen Die Cedern allumber und die Gebitiche, Und bligend bricht der Glanz fich auf den Schalen, Den Bechern und dem Goldgeräth der Tifche, Das feine wadern Diener für ihn ftahlen; Auch tanzt der Schimmer auf dem blutgerötheten Grasboden, voll von Leichen der Getödteten.

Geſteht mir ein, ihr Maler und ihr Dichter, Es ift ein Schaufpiel, zum Entzücken ſchön! Beim Flackerſpiel der Schatten und der Lichter, Um mehr des Feſtes Reize zu erhöhn,

Shaun der Ermwürgten bleiche Angefichter Aus dem Gezweig herab, und rings Geftöhn Und Röcheln hört man ſich den Becherflängen, Dem jubelnden Gefang der Räuber mengen.

159

Bald leuchten jedes Gaftes Blicke heller, Zu höherm Schwung wird jeder Geift befeuert; Strommeife fließt der Wein, den alle Keller Aus den Abruzzen-Dörfern beigeftenert, Bor allen Syrakuſas Muskateller Aus eigener Erfahrung fei betheuert, Daß in das Paradies uns fo direft Kein Trunk einführt, wie dieſer Götterſekt.

Indeß fie zechen, werden mächt'ge Fahnen Mit der Bourbonen Lilien⸗Wappenſchild Entroltt von den loyalen Unterthanen Des Königs Franz; die junge Pippa füllt Glas über Glas den Iuftigen Kumpanen, Und „Hoch Altar und Thron!” wird bald gebrüllt, Bald von den Frommern: „Viva San Gennaro!“ Tod jedem Freigeift, jedem Carbonaro !“

Zum Schluß, vom Weine glühnd und ganz bezecht, Erheben fih vom Mahl die jungen Räuber, Nein, Kämpfer fir das legitime Nedt; In reihem Putze nahen ſchmucke Weiber (Die Race der Abruzzen ift nicht ſchlecht) Und unbehindert durch die todten Leiber, Die noch am Boden liegen, fhwingt im Tanze Sich Paar an Paar beim fanften Mondesglanze.

Das ıjt ein Jubel, wie beim Klang der Schelle, Die luftig an den Tamburinen klirrt, Wild anf und nieder wogt die Tarantelle, Dann nur die Mandolinenfaite ſchwirrt Und neu der Caftagnettenklang, der grelle, Zum GSaltarello ruft betäubt, verwirrt Und ſchwankend an dem Rand von Tod und Yeben, Liegt Victor auf dem Felsgeſtein daneben.

Hin dur) dag Haupt ihm zogen Sputgeftalten Gleich dem gefpenft’gen Jagdzug Nodenfteing, Dämonen, die mit Drohn die Fäufte ballten, Berzerrte Schatten feines eignen Seins;

Ihm mar, die Erde habe fich gefpalten,

Und durch die Riſſe leuchte rothen Schein Das Höllenfeuer; wild und immer wilder Durdtobten fein Gehirn die Schredensbilder.

Und zwiſchen feine wüften Träume Klingt Des Feſtes Lärm, das Singen und Gelächter; Aufraffen will er fih; vielleicht gelingt Die Flucht ihm, denn beraufcht find feine Wächter. Dod nein! mit Schneiden in die Glieder dringt Die Feſſel ihm: aus diefer grimmen Schlächter Gewalt hofft er vergebens zu entfliehn; Ein graufer Martertod erwartet ihn.

So bald das Meſſer, das fie nad) ihm ftreden, Und bald den Flintenlauf nach ihm gezielt, Glaubt er zu fehen; bald herniederleden Das Blut fhon aus den Todeswunden fühlt Der Unglüdfelige und ſchreit vor Schreden Laut auf, der ihm durch alle Glieder mühlt! Allein fein Auf verhallt in dem Gelärme Der um ihn jubelnden Banditenſchwärme.

Zuletzt in lange, tiefe Ohnmacht ſchwinden Die Einne Victors bin: als er erwacht, Iſt Alles ftill um ihn; von fühlen Winden Spürt er das Wehen und vom Thau der Nadıt Die Stirn benegt; doch fi im Geift zu finden Bermag er lange nicht: da fühlt er jacht Auf feine Schulter eine Hand fich legen, Und Pippa blidt durchs Dunfel ihm entgegen.

11

Aufs Neu ausftöht er einen Schmerzensſchrei. Ihm vor die Seele wieder tritt die ganze Entjegensfcene mit der Meelei,

Dem Feitnahl und dem graufen Henfer-Tanze Er glaubt, daß alles no im Gange fei,

Und Schauder faßt ihn; doch beim Mondenglanze Gewahrt er plöglich, daß vom Räuberkind

Die wilden Züge ganz verwandelt find.

Sp Hold fchaut fie auf ihn herab, jo mild; Ja, eine Thräne glaubt er zu erbliden, Die ihr aus tiefem, ſchwarzem Auge quillt. Er fieht fie an den Mund den Finger drüden, Als ob fie jagen wollte: „Still! es gilt Was Wichtiges!” Dann wieder ihm den Rüden Zuwendet fie und ruft fo bitterböfe, Wie früher, aus: „Du Kleger! Tu Ingleſe!“

ALS fie hinweg, gewahrt er in dem Strahle Des Mondes einen weingefüllten Krug: Daneben prangt in Schüffel und in Schale Ein leckres Mahl. Er leert auf einen Zug Den Weinkrug o, nad ſolchem Bacchanale Fruchtlos gefchmachtet hat er lang genug! Und ftärkt fich, da er fraftlos faft wie Greife Geworden, an der langentbehrten Speife.

Seit er gefangen, ein Decennium

Schon dünft es ihn. Eh noch die erjten bleichen Frühſtrahlen ſchimmern, fieht er wiederum

Heran des Räuberhauptmanns Tochter fchleichen; Bon Neuem mit dem Finger, daß er ftumm Daliegen folle, giebt fie ihm das Zeichen

Und eilt, wie fürdhtend, daß fie fich verfpäte, Fort mit der Schüffel und dem Trinfgeräthe.

12

Ihr nach blickt er. Sodann nach kurzer Friſt, Als ſie rückkehrt, ſcheint ihm, daß wieder Härte Und Zorn auf ihr Geſicht gelagert iſt;

Kaum wieder kennt er es, das fo verzerrte. „Schurke! verruchter Keber, der du bift!“

Auft fie und giebt ihm Hiebe mit der Gerte; Seit feinem Hierfein ſchlägt fie jo ihn täglich, Allein der Schmerz wird täglich mehr erträglich).

Fremd, märchenhaft faft ſchien ihm feine Tage, So daß umfonft nad) irgend analoger Er fih umfah. Ihm ſchwanden Tag auf Tage, Und nicht mit eitler Hoffnung ſich betrog er, Daß noch ihm der Befreiung Stunde jchlage. Ihm war, als fei er in Gewalt des Oger, Bon dem als Kind er fchaudernd oft vernommen, Und nächſtens werd’ er, ihn zu ſchlachten, kommen.

Da er dem Tode ftets ins Antlıg fchaut, Erſcheint fein Schreden täglich ihm geringer, Ja, ihn, vor deflen Nahn den Menſchen graut, Erfehnt er ſich beinah als Rettungsbringer; Nur der Gedanke an die holde Braut, ' Bon der den Ring er trägt am Zeigefinger, Entlodt ihm Seufzer, und um ihretwillen Steigt noch ein Lebenswunſch ihm auf im Stillen.

So wohl, wenn auf dem harten Felfengrunde Im glühnden Sonnenbrand er Mittags liegt, Und leis die Wälder fchauern in der Runde Und überm Haupt fi) ihm ein Adler wiegt, Auft er: „DO Vogel, bring der Theuern Kunde, Daß, wenn auch hier mein Lebensquell verfiegt, Doch bis zu meines Athems legiem Zug Mein Herz für fie in Lieb und Treue ſchlug.“

193

Den lieben Ring bededt er dann mit Küffen, Und, aus der tiefften Seele brechend, quilit Sein Gram hervor in heißen Thränengüffen, Durch die er regenbogengleich das Bild Amaliens ſchaut; allein des Himmel! Schlüffen, Was hilft3 zu widerftreben? Hauptverhüllt Hinſinkend und mit bangen Herzensichlägen Harrt er zulegt dem fihern Tod entgegen.

Ein jeder Abend bringt diefelbe Ecene; Denn nie fommt da8 verlangte Löſegeld, Und glüdlih Der no, der als Notabene Nur Nafe oder Ohr geftugt erhält. Dis fpät beim milden Scheine der Eelene In Reihn find die Gefangnen aufgeftellt, Und in den Jagen Timurs oder Etzels Glaubt man zu fein bein Anblid des Gemetzels.

Ein Britte nur, Rentier von zehn Millionen, Empfängt fein Löfegeld, und auch fofort Wil Cecco durch die Freiheit ihn belohnen, Doch: „Laßt mich bei euch bleiben!“ fpricht Mylord „Als Koftgeld geb’ ich täglich acht Tublonen. Most interesting this, upon my word! Very original! Berfteht, ich zahle Am Schluß das Yösgeld gern zum zweiten Male.“

So bleibt von freien Stüden Albions Cohn; Hier findet er, mehr als in Dahomei Und in Afchanti, täglich Emotion; Auch heiſcht in England, daß er Autor fei, Bon einem Gentleman der gute Ton, Und in der Reifebücher Einerlei Wird feines leuchten nun wie Meteore; Schon hört er, wie man fagt: e8 macht Furore! Shad, Bei. Werke 1. 13

1141

Tas Wetter, das ob Bictor3 Haupte drohte, Brad endlich aus, und auch die legte Spur Der Hoffnung ſchwand für ihn. Heimlam der Bote, Doch mit des Löfegeldes Hälfte nur; Der Summe beigefügt ift eine Note, Trin des Bankiers kaufmännische Natur Tem Grafen anzeigt, daß, ihm mehr Krebit Zu geben, fie ſich nicht veranlagt fieht.

Kaum ift die Botfchaft angelangt, jo weiß Mein Held aud, daß fein Schickſalsloos gefallen ; Die Räuber fieht er ſich im dichten Kreis Derfammeln und die Fäufte zornig ballen;

Er bört aus ihrem Rund, bald laut, bald leis, Die Todesdrohung wider ihn erfchallen

Und laufcht die ganze Nacht durch mit gefpannten Ohrnerven der Berathung der Briganten.

Ich bitte dich, mit ihm, o Leſer, jchlürfe Die Reden ein, die füßen, die fie pflegen! ?aut werden die verfchiedenften Entwürfe; Der Eine räth, der weitern Zahlung wegen, Auf die fo leicht man nicht verzichten dürfe, Borerft das eine Bein ihm abzufägen,

Dann werd’ er ſicher fie nicht länger äffen Und Anftalt für den Heft des Geldes treffen.

Ein Zweiter hält, die Augen auszuftechen, Für räthliher; im Gegenſatz zu Beiden Wil fih ein Dritter mehr Erfolg versprechen, Wenn, Anfangs ihm die Nafe abzufchneiden, Man fi begnügt. Tod laut dann unterbrechen Mit ihren Stimmen, die den Fall enticheiden, Cecco und feine engern Freunde Jene; „Zod!” ſchallts vom Mund dem Räuberkapitäne.

- 15

Bon dieſem Spruche weicht er feinen Boll, Doc bleibt in einem Punkt noch unentfchieden, Auf welche Art der Flüchtling fterben fol; Berbrennen, rädern, ihn in Oele fieden,

Was foll er wählen, da er nachdrucksvoll Den Grundfag aufftellt, zu den mehr foliden Hinrihtungsarten der vergangnen Zeiten Schon wegen des Princips zurückzuſchreiten?

„Doch erft fei ein Verſuch noch angeftellt“ Sprit er „den Reſt der Summe zu erprefien. Wir melden nad) Neapel: wenn das Geld,

Das man bisher zu fenden noch vergefien,

Nicht in beftimmter Friſt uns auf dem Feld

Bon St. Antonio unter den Cypreſſen

Behändigt wird, fo trifft beim ew'gen Gotte! Ihn martervoller Tod. Nun buona notte!“

Erft jpät zerftreute fich in ihre Hütten Die Räuberbande. Wild emporgerafft, Nachdem der Ton verhallt von ihren Tritten, Berfuhte Victor da mit aller Kraft, Sich loszureißen; aber ſcharf zerfchnitten Die Feſſeln ihm die Glieder; in die Haft Sant er zurüd, und feine Sinne ſchwanden; Der Tod erft wird ihn löſen von den Banden.

Auffährt er dann, als in gewohnter Art Ihn Pippa Morgens grüßt mit, Ruthenftreichen; Die Räuber fieht er all umher gefchaart; Sie flüftern, geben ſich einander Zeichen, Und Einzelne, was er noch nie gewahrt, Stehn in der Pinien Wipfel, in der Eichen, Noch Andere, als ob fie thalwärts ſpähten, Sind auf die fteilften Felſenhöhn getreten.

16

Auf einmal ſchallt ein Pfiff mit ſcharfem Gellen; Von ringsher ſammeln ſich auf das Signal, Die luft'gen Plätze laſſend, die Geſellen, Und Cecco bricht mit ihnen auf ins Thal. Andächtig vor den Heiligenkapellen, Die längs des Weges ſtehn, knien jedes Mal Die Frommen hin, dann in den Schluchtgewinden Sieht Victor nach und nach den Zug verſchwinden.

Noch hier und da ein Pfeifenton, der ſchrill Die Luft durchzieht und an den Felſenwänden Sich hallend bricht. Dann wird es grabesſtill. Mein Held, an Füßen blutend und an Händen, Bleibt regungslos. Unſeliger Pupill!

Wuüßte dein Vormund was von der ſtupenden Gefahr, mit der dir drohen dieſe Wälder! Vielleicht jetzt eben zählt er deine Gelder.

Du aber wirſt von dieſen Hottentotten, Die ſchlimmer hauſen, als die Karaiben, Denn nimmer kommt dein Löſegeld geſotten! In Wahrheit, Victor iſt kein Muth geblieben Zu neuem Fluchtverſuch; den argen Rotten Giebt er, an Leib und Seele aufgerieben, Sich machtlos hin, ja fleht zum Schickſalslenker Kaum noch um Rettung aus der Hand der Henker.

Dumpf ſtarrend liegt am Boden ſo mein Held; Da ſieht er einen ſchmucken Burſchen nahn, Der freundlich lächelnd dicht vor ihn ſich ſtellt. Doch nein! da ſeine Augen näher ſahn, Erkannt' er und das Fremdeſte der Welt Erſchien es ihm: als Knabe angethan Stand Pippa vor ihm. „Sieh!“ rief ſie, „Ingleſe, Wie ſchnell ich dich von deinen Feſſeln löſe.“

197

Als wäre fie von Himmel, ein erpreſſer Cherub, gelommen, um ihn zu befrein, Zerſchnitt fie feine Feſſeln mit dem Meſſer Und bat ihn, ihr zu folgen. „Aber nein!“ Dann rief fie „nimm bier! für die Flucht iſts beffer, Tu hilft zuvor in Bauerntracht dich ein!“ Er fühlte immer noch im Geifte Schwindel, Indeß fie Kleider nahm aus einem Bündel,

In Haft die Bauernkleider anzulegen, Ihn nöthigt fie: „Folg mir durch diefe Schlucht! Bekannt bin ich mit Wegen und mit Stegen Hier im Gebirg, und glüden wird die Flucht. Bor Abend nicht zurlidzufehren pflegen Mein Bater und die Seinen, wenn die Sudt Nach reicher Beute fie zum Streifzug treibt; Hübſch ift die Zeit, die uns bis dahin bleibt.’

„Bis morgen fchon die Gränze der Abruzzen Erreichen wir, wenn hold das Glüd uns ift, Und kommt Gefahr, wohlan! laß ung ihr trußen; Doch ſchnell nun, fehnell benugen wir die Friſt!“ Ihn fortziehnd, reicht fie noch ihm einen Stugen, Ter ihm als Waffe diene. Victor mißt Sie ftaunend mit dem Blid, dann, wie im Traum, Geht er mit ihr hinab den Bergesfaunt.

Dod von der Angft und Pein, die er gelitten, ft er fo tief erichöpft, fo matt fein Fuß, Daß ihn das Räuberkind auf allen Echritten Teen fteilen Berghang abwärts ftügen muß. Hemmt gar Geröll, vom Feld herabgeglitten, Oder, hoch angefüllt vom Wetterguß, Ein Rinnfal fie mit dem geſchwollnen Badhe, D, wie hinüber nur gelangt der Schwache?

18

An grünen Rainen oft, wo Biegen weiden, Sinkt Bictor nieder mit erfchöpfter Kraft, Und furz dann raften von dem Gang die Beiden, Dis Pippa wieder bald empor fich rafft. „Ich haſſe dich ala Ketzer und als Heiden, Allein, fielft du von Neuem in die Haft,” Spridt fie „und richteten fie bin dich ſchmählich, Fürs ganze Leben wird’ ich unglüdfelig.

„sch weiß es, in die Hölle werd’ ich kommen, Weil ich Dich rette vom verdienten Tod, Doch angethan mir habens deine frommen Tiefblauen Augen; Noth kennt kein Gebot. Wenn fie mi anfahn, wußt’ ich mir beflommen Zu helfen faum in meiner Herzensnoth; Wohl ſchlug ich auf Dich los nach meiner Pflicht, Allein die Kraft wie früher hatt’ ich nicht.

„Ein Glück noch war e8, daß ich diefen blauen Berführern doch nicht ganz und gar erlag Und dich voll Eifer bis zulegt gehauen, Wenn täglih auch mit minder hartem Schlag! Erhalten hab’ ih mir Papas Vertrauen Auf ſolche Weife bis zum lebten Tag, Und als Gefangenwächterin mich hat er Zurüdgelaffen ad, der gute Vater!

„Ex ift fo Fromm! Im Herzen thuts mir wehe, Ihn aljo um fein Opfer zu betrügen Und Gott zugleih. Wenn ich zur Beichte gebe, Sol ichs geftehn? Sol id von Neuem lügen? Doch fehnell nur, jchnell! Hinmweg aus feiner Nähe! —“ So fie, und Victor fieht in ihren Zügen Sich Aengfte und Gewiſſensbiſſe malen; Dann wieder lächelt fie durch ihre Qualen.

19

Ihm jelbft noch irren unftät die Gedanken, Kaum faflen kann er ihrer Worte Sinn; Wie ein Beraufchter taumelnd und mit ſchwanken Zußtritten folgt er feiner Führerin Und finft an einen Felſen zwifchen Ranken Bon Reb' und Epheu endlich Traftlos hin. Umfonft mahnt Pippa ihn, ſich aufzuraffen, Die Sehnen weigern ihren Dienft, die fchlaffen.

Schon warf die Abendſonne dunfle Flammen Durch das Gezweig. Da, als im tiefen rothen Tichtglange allumber die Felfen ſchwammen Und Einbrud jchon die nächt'gen Schatten drohten, „Auf! auf! und raff die legte Kraft zufammen!“ Nief Pippa angftvoll aus. Allein gleih Todten Lag Victor da, und in Verzweiflung jammernd Hinfant auf ihn das Mädchen, ihn umklammernd.

Site laufcht, ob fich noch Leben in ihm rege; Ya, leife geht fein ſüßer Athemhauch; Sie fühlt, wenn matt auch, ſeines Herzens Schläge Und bettet unter einen Ginfterftrauch Auf weiches Moos fein Haupt. Zu feiner Pflege, Wein fprengend über ihn aus einem Schlaud), Dann niet fie hin, den Blick auf ihn gebeftet, Indeß er reglos daliegt und entfräftet.

Im Mondlicht jpielen ſchon die nächt'gen Schatten

Der Riefenbäume um fein bleiches Haupt,

Und zärtlich, wie die Gattin um den Gatten, Angftvoll, weil fie ihn nah dem Tode glaubt,

Sorgt fie und fehaltet um den Sterbengmatten.

D! wenn der Tod ihr diefen Kleber raubt,

Erjegen kann ıhn ihr fein noch fo Frommer,

Und welfen würd’ ihr Daſein vor dem Sommer.

20

Ihr feines Lebens Nettung zu gewähren, Andächtig betet fie zur lieben Frau, Und ihn zum wahren Glauben zu befehren, Gelobt fie hundertmal. Hinab wie Than Die ganze Nacht durch fließen ihre Zähren Auf den Geliebten, bi3 mit Tämmergrau Der Tag emporfteigt da fich regt er, fieh! Er lebt, er lebt fer du gelobt, Marie!

Und als auf feine Lagerſtatt hernieder Das erſte Frühlicht fällt durchs Paubgerant, Zurüd fchlägt er die müden Augenlider Und reicht die Hand dem Mädchen hin zum Tanf; Allein tiefmatt noch find ihm alle Glieder; Mühſam das Haupt nur hebt er, um den Tranf Zu fchlürfen, den ihm Pippa beut; aufs Moos Dann wieder nieder ſinkt er kräftelos.

Und tiefer Schlaf umfchattet ihn aufs Neue, Bon Neuem forgend ihm zur Seite wacht Das Näuberfind, das feine Glaubenstreue Der Liebe halb zum Opfer fchon gebracht Da Mittags fieht fie in der vollen Bläue, Dem Himmel glei) nach trüber Wolkennacht, Gein Auge aufgehn; o, in feinen Bliden Wie fonnt fie fich mit feligem Entziden!

Indeß fie hingelehnt ift über ihn, Und jeine Hände, die fie faßt, mit leifen Pulsſchlägen in den ihren klopfend glühn, In tiefe blaue Kreije hinter SKreifen, Tie ind Unendliche hinab ſich ziehn, Glaubt fie zu ſchaun; die Heilige zu preifen, Die ihn gerettet hat, beinah vergißt fie, So in den Anblid ganz verfunfen ift fie.

20

Auch Victors Blicke, noch wie träumend, heften Sich feſt auf ihre, und ein friſches Roth, Aufſteigend mit den jungen Lebensſäften, Umſpielt ſein Antlitz. Wenn Gefahr gedroht, Sie iſt verſchwunden, und daß mehr zu Kräften Er bald gelange, ſtärkt mit Wein und Brod Aus ihrem Korb ihn Pippa und mit Früchten; Sie ſehnt ſich angſtvoll, weiter bald zu flüchten.

Noch eine Stunde Ruhe, und neu brechen Die Beiden auf; bald gehts empor den Fels, Wo ſcharfe Dornen ihren Fuß zerſtechen,

Bald abwärts an dem Lauf des Sprudelquells: Und oft von DBliden, die beredter fprechen

Als felbft der Sehnfuchteflang des Ritornells, Dem Liebende ihr Weh vertraun und Hoffen, Aus Pippas Augen wird mein Held getroffen.

Ya, Helden nenn’ ich ihn mit Recht. So feit Iſt an Amalie fein Herz gefettet, Daß es in keinem Sturme von ihr läßt; Wohl Dank fühlt er für Die, die ihn gerettet, Allein ihm bleibt für fie kein Liebesreft; Wenn Nachts er, unterm Himmelsdach gebettet, An Pippas Seite ruht, der Theuern, Yernen Allein gedentend, feufzt er zu den Sternen.

Und ſchließt fein Auge fi, von ihr nur träumt Sein Geift, bis wiederum mit blaffen Streifen Der Tag die wald’gen Bergesränder Täumt. Geweckt vom muntern Klang der Hirtenpfeifen, Ihr Trank die Duelle, die zu Thale fchäumt, Ihr Mahl die Beeren, die am Abhang reifen, Dann weiter ziehn fie, big wo ſich das milde Gebirge weftlich fentt zum Thalgefilde.

202

Pippa, der Liebe ganz den Sinn vermwirrte, Hatte, des Wegs zu achten, Tängft vergeffen; So mußte unjfer Baar denn, das verirrte, Nicht, wo es fei, als vor ihm unermeffen Sich grüne Hügel dehnten, drauf die Myrte Gedieh bei hochgewipfelten Cypreſſen Und Aloen und Kaktus die gebräunten Maisfelder mit dem Stachelgurt umzäunten.

Doch wie fie vorwärts fchritten nad) der Eeite, Wo ſich die Sonne ſenkt am Horizont, Sahn fie jenfeitS der Hügel und Gebreite Mit blauem Saum, von legten Strahl bejonnt, Das Meer fi) dehnen und in Dämmerweite Das Schloß des Tancred und des Bohemond Auf fteilen Felſen ragen. Nicht mehr lang, Und in Salerno endete ihr Gang.

Cogleih will Victor nun, der jehnfuchtblafie, Hort nad) Neapel rollen auf den Schienen, Seis aud) als Bauer auf der dritten Klaſſe; Doch Schred malt plöglich fih in feinen Mienen: Wie fol den Platz er zahlen an der Kaſſe? Sogar ein nächt'ges Dach verfagt fich ihnen; Nichts bleibt für fie, als auf dem Sand am Hafen Wie andres Tazzaronenvolf zu fchlafen.

Am Morgen weiter durch Europas Garten Zu Zuß zu gehn ſich müſſen fie befcheiben. Schlagt, Leſer, auf im Atlas eure Karten, Verfolgen könnt ihr jo den Weg der Beiden! Borbei an ragenden Normannen-Warten Und an der auferftandnen Stadt der Heiden, Dann an Refina und an Portici Spät Abends nad) Neapel fommen fie.

20

Durh den Toledo ſchon, als junge Bauern Aus dem Gebirg von Allen angejehn, Hinfehreiten Beide längs der hoben Mauern. Erftaunt bleibt Victor da auf einmal ftehn; Auf einem Zettel (und ein Freudenfchauern Fuhlt er durch alle feine Glieder gehn)

Liest er bei Yampenfcheine: „Heute tritt Als Traviata auf Amalie Schmidt“.

Hiebentes Bud.

Finale.

® Lefer, der bisher mir treu geblieben, Kopfſchüttelnd fiehft du mich, bedenklich an; Und ach, der ich die Häupter meiner Lieben, Ich fürchte, allzu leicht ſchon zählen Tann, Auch dich beinah fo meit hab’ ich getrieben, Daß du dies Buch belegft mit deinem Bann. Di jagen hör’ ih und es fchmerzt mich peinli Ertravagant ſei e8 und unmahrjcheinlich.

„Zuerſt ein Seeladett in Frauenkleidung, Dann eine Räuberhauptmannstochter gar In Männertraht Entführung, Ohrabſchneidung, Erdbeben, Rothhautlämpfe nein flirwahr, Das übertrifft die tollſte Narrentheidung, Die je ein Novelliitenhaupt gebar; Romane folder Art, ftatt fie zu Ende Zu lejen, wirft man an die Zimmermänbde.

205

„Wie einft der Spanier gegen hirnverbranntes Geſchreibe focht, als des Geſchmackes Retter, Noth thäte jo von Neuem ein Cervantes Für dies, das du benennft: „Durch alle Wetter! Als erfte Pflicht erjcheint e8 mir, genanntes Product fofort durch alle Zeitungsblätter Zu denunciren, denn fo toll gewiß Mar nicht der vielverpönte Amadis.“

Berzeih, mein Gönner! Hinfend ift das Gleichniß: In meinem ganzen Buch, ich darf es jagen, Erzähl’ ich nicht das mindefte Ereigniß, Das fih nicht jo wahrhaftig zugetragen; Berufen kann ich mich auf3 eigne Zeugniß Derjen’gen, melche felbft vor wenig Tagen Erlebt erft haben alle diefe Fata; Geliefert wurden mir durch fie die Data.

Bernehmen möge man fie vor Gerichte, Sie werden jagen, daß mein Buch nicht lügt! Drum, wer al3 tolle Fiebertraumgefichte Die Abenteuer, die ich künde, rügt,

Das Schidjal Hag’ er an, die Weltgefchichte, Die folder Weife Yabelhaftes fügt

Ich aber waſch' in Unfchuld meine Hände, Speciell auch für das wunderfame Ende.

Hinzu noch fig’ ich, daß an Ort und Stelle Ich, der Erzähler, felber mich begeben, Un über irgend zweifelhafte Fälle Das Nähere authentisch zu erheben. Ya, für dies legte Buch fogar al3 Duelle Kann ich mich felbft citiren, da ich eben Perfönli in Neapel miterlebt, Was meine Feder jest zu fehildern jtrebt.

206

Alſo bezweifelt, wenn ihr einmal kritiſch Geſtimmt euch fühlt, die Schlacht von Königgrätz, Sagt, die Geſtalt Napoleons fei mythiſch Zu faflen, ſchweigen werd’ ich dazu ſtets;

Doch mein Roman, mag man ihn analytijc erlegen, wie man will, enthält, ihr ſehts, Thatjachen nur, die man nicht allegorifc) Noch mythiſch deuten Tann: fie find notoriſch.

Wohlan! Zur Zeit, ald Victor ſchweres Weh Und Zodesnoth in Ceccos Haft erlitten, War aus Amerika durch blaue See Amalie auf dem Dampfer bergeglitten. Am Strand der herrlichen Parthenope Ausstieg fie mit dem jugendlichen Britten, Der fie begleitete in Yrauncoftim, Und nahm am Ufer ihr Quartier gleich ihm.

In jenem Gafthof, der den Namen Romas Im Schild führt, lehn' ans Fenfter hin dein Haupt, Der du bis dahin, .ein ungläub’ger Thomas, Nicht an Italiens Wunderreiz geglaubt! Die Luft ſchlürf' ein, die lieblichen Aromas Herweht aus Gärten, immer grün belaubt, Und aus den fühlen, meerhauchfeuchten Grotten Bald mit mir ſchwärmen wirft du, ftatt zu fpotten.

Die blühnden Ufer, die das weite Meer Mit Liebesarmen ſehnſuchtsvoll umfangen, Die wonn'gen Billen-Haine allumber, Wo Dleander, Myrt’ und Roje prangen Und dunkelgrüne Zweige, goldfruchtichwer, Hernieder zu den Echattenpfaden bangen, Gekrönt das Ganze von der Flammentrone Des Alchenbergg was zögerft du? Hier mohne!

207

Klimm aufwärts zu den wald’gen Felfenkänmen, Wo hin von Rand zu Rand die Brüde fpringt, Delaufche, lehnend an der Pinie Stämmen,

Ten Wogenjchlag, der hallend aufwärts dringt, Indeſſen weiße Villen, hell wie Gemmen,

Durch Wipfel bligen, die der Windhauch ſchwingt, Und dann beflag die Zeit, die du verloren,

Bevor dich dies Neapel neu geboren!

Amalien bei ihrer Ankunft freilich War für die Herrlichkeit von Napoli Der Blid verſchloſſen, und es ift verzeihlich; An ihren Victor einzig dachte ſie Und ſchritt in das Hötel genüber eilig; Dann weiter, wo mit em’ger Melodie Die Woge raufcht am Strand von Chiatamone, Nachforſcht fie, ob der junge Graf dort wohne.

Und ja! In den Erocelle wird ihr Kunde: Er wohnt in dem Hötel auf Nummer neun, Nur um Neapel macht er in der Runde Fest einen Ausflug, um fich zu zerftreun. D! kann ein Wort, von eines Menfhen Munde Geſprochen, einen Menfchen mehr erfreun,

AS meine Heldin dies? Mit Wonnezähren Fragt weiter fie: „Wann wird er miederfehren?“

„Gewiß nach wenig Tagen! Nicht genauer Angeben kann ich,” fagte der Bortier. „Um eine ferne Braut jeit Mondendauer, So ward mir Mar, fhon trägt er Trennungsmeh. Dft ſah man ihn verſenkt in ftumme Trauer, Auf einmal wieder dann auffuhr er jäh Und feufzte: O Amalie! dich zu finden, Muß Tag für Tag mir mehr die Hoffnung ſchwinden!“

208

Denft euch die Sängrin, wie mit Siegsfanfaren Ihr Herz aufjubelte bei diefen Worten ! Bon ihres Yebend Baum gefallen waren Die welken Blätter plöglich, die verdorrten; Geſchwunden Sorge, Trübfal und Gefahren Und offen einer goldnen Zufunft Pforten Bor ihren Blid! Bald, der jo lang ihr fehlte, Im Arm ihr wird er ruhn, der Herzermählte.

Wenn trauernd, eine neue Heloife, Sie lang die Welt durch Thränen nur erblidt, Berklärt fie jett Neapeld Paradieje Noch mit der Wonne, die ihr Herz durchzüdt. Schon glaubt fie auf der Asphodeloswieje Der Seligen zu wandeln, wenn beglüdt Und in des nahen Wiederjehns Erwarten Sie fchreitet durch der Königs-Villa Garten.

In langen Kleidern, die ihn trefflich Heiden, Weilt Sohn bei ihr, ein hübfches Frauenbild, Das Antlig leicht geblaßt von Seelenleiden, Weil feine tieffte Sehnſucht ungeftillt,

Und doch (jo fchüchtern ift er und befcheiden) Schon glüdlich, weil er nicht als Feind ihr gilt; Mit feinem Laute, ja faum in Gedanken

Fe bricht er gegen fein Idol die Schranfen.

Zrifft ihn ein holder Bid von ihr, noch lang Iſt ihm, den ganzen Himmel ſäh' er offen; Sagt fie ein freundlid) Wort ihm, o faft bang Und von dem ungeahnten Glüd betroffen Fährt er zufammen; folcher ſüße Klang Entfaht in feiner Seele neues Hoffen,

Doch Worte, Blide, die fein Herz erfälten, Bald laſſen ihn fein kurzes Glück entgelten.

209

Als ich, der Schreiber diefer Zeilen, hörte, Amalie meile im Hötel de Rome, Was Wunder, daß ich fie zu ſchaun begehrte, Die ich fo lang auf meiner Verſe Strom Geſchaukelt hatte, die ich höchlich ehrte, Doch die nur noch als Phantafie-Phantom Bor meinem Geift geftanden, nicht Teibhaftig! Schnell drum, zu ihr zu gehn, empor mich vafft’ ich.

Ich jandt’ ihr ehrerbietig meine Karte Und ließ ihr jagen durch den Cameriere, Daß ich des Glüdes, fie zu fprechen, harrte. Bald Tefer, falle des, Momentes Hehre! Erhielt ich Einlaß, und geblendet ftarrte Mein Blid, denn vor mir fand fie wie Cythere, Als eben aus den Wellen fie getaucht Doch nein, antife Bilder find verbraudt.

So fag’ ich lieber: Schön wie Abbadonna, Eh aus dem Himmel eigne Schuld ihn ftieß, Schön wie Pittoria vom Gefchlecht Colonna, Die ihrer Zeit der Frauen Perle hieß,

Schön wie Murillos himmliſche Madonna, Die Marſchall Soult entführte nah Paris Auswahl ift das von Bildern, und vielleicht Daß einem auf dag Haar Amalie gleicht.

Erft Schweigen. Dann, von ihren holden Mienen Ermuthigt, aber immer noch voll Bangen, Bot ih mid an, in Allem ihr zu dienen. Welch Schidjal über ihren Freund ergangen, Noch mußt’ ichs nicht, und daß bei den Ruinen Am Meeresftrand Banditen ihn gefangen; Ih war erft in Neapel angelommen, Nachdem den Ausflug Victor unternommen. Schad, Ge. Werke. II. 14

210

Sie freute fi, al8 Landsmann nich zu grüßen, Wir plauderten von diefem und von dem, Und gern gefunten wär’ ich ihr zu Füßen, So hold war fie. „Iſts Ihnen unbequen, Wohl muß ich für die Dreiftigkeit dann büßen, Sprad fie darauf „allein fo im Ertrem Berlaflen bin ich hier, daß eine Frage, Nein, mehr ala Frage ifts, ih an Sie wage.

„Am eine Gunft gern hätt’ ich Sie gebeten. Mid zwingt des böſen Schidjald Wanfelmuth, ALS Sängerin von Neuem aufzutreten;

Doch fremd bier bin ich, und in Ihre Hut, Der Sie bemandert in Italiens Städten, Begeben möcht’ ih mid. Mein Danktribut Iſt Ihnen fiher, wenn Eie ein’ge Rollen Im Opernhaus für mich vermitteln wollen.“

Wie froh war ich, der Herrlichen fo leicht, Der Kunft und ihrem Ruhm den Dienft zu leiften; Machwerke Verdis, dacht’ ich, flach und feicht, Sie mird fie jo mit dentfcher Kunſt durchgeiften, Daß neben ihr der falfche Glaflz erbleicht, Mit dem Italiens Primadonnen gleißten. Zum Siegsthor, wenn für Andre nicht gefahrlos, Wird fiherlich für fie das Thor San Carlos.

Im Fortgehn dem verfappten Seekadetten, Der an der Treppe ftand, fchritt ich vorbei; Er ahnte nicht von fern, drauf möcht’ ich wetten, Daß ich durchſchaute, wer dies Mädchen jei, Und ich bezeug’ ihm gern: Nicht gleich Orijetten Betrug er fi; nein, ohne Biererei, Höchſt fein in Frauentracht war fein Benehmen; Amalie brauchte fein fich nicht zu ſchämen.

211

Nicht ſäumend nach dem Yargo di Caſtello Schritt ih und durch das hohe Bogenthor ns Haus, wo Pergolefe, Paifiello Bordem gewirkt; alsbald ſcholl an mein Ohr, Da Probe war, der Klang von Horn und Cello; Und kaum dag neue Sangeömeteor Hatt’ ich verfündet, als mich der entzüdte Direktor feurig an den Bufen drüdte.

Amalien fandt’ er freundlich den Contraft Und legt’ ihr Opern, Noten wie Libretto, Zum Studium vor. Sie unterfchrieb den Pakt, Und von den vielen Etiiden, die in petto Er für fie hatte, wurden Alt für Akt Der Trovatore fo wie Rigoletto Alsbald von ihr ftudirt; Luiſa Miller Auch ging fie durch und feufzte: „Armer Schiller!“

Nur wenig Tage, und beim Xrovatore, In dem fie fang, war vollgedrängt das Haus; Schon nah der erften Arie mit dem Chore Erſcholl ringsher fanatifcher Applaus. Amalie machte, wie man fagt, Yurore; Hernieder flogen Kranz, Gedicht und Strauß; Die Einen jubelten: „è un portento!“ Die Andern: „Un colosso di talento!*

Auch John, nachdem er auf der weiten Reife Die hundert Pfund, die er gehabt, verzehrt, Degann zu finnen und dag nenn’ ich weile Ob er nichts wiſſ' und könne, was von Werth. Ja doch! man hatte in der Schweftern Kreife Das Tanzen jo von Grund aus ihn gelehrt, Daß in Pirouelten und in Entrechats Er noch bis heute feltne Kunft befaß.

212

Aus dent Balletcorps von San Carlo war Juſt ausgefchieden eine Tänzerin; Der ſchmucke Burſche mit dem blonden Haar Erfhien drum dem Direktor als Gewinn, So daß er engagirt ward auf ein Jahr. Bald zum Entzüden riß er alle hin Und mußte bein Da-Capo-Ruf des ganzen Neapel oft jein Solo zweimal tanzen.

Wie viel Jtalien auf die Blondheit giebt, Zeigt Tizian, zeigt der große Veronefe; Sohn ward daher gefeiert, hochbeliebt;

Nur la biondina, l’angelo inglese

Hieß er; fobald ich Fritifch fie gefiebt, Gedenk' ich eine hübſche Blüthenleſe

Zu geben von Sonetten, Madrigalen, Die ihm gewidmet worden in Journalen.

Einft Abends eben war er aufgetreten, Und dod der Enthufiasmus ſchon im Schwung; Hoch, höher ſchwoll im Herzen der Poeten Die dithyrambifche Begeifterung, Bouquette, Kränze flogen, Tücher mehten, Und eben ſcholls bei einem kühnen Sprung: „Brava! Bravissima!“ aus einem Munde: Ta, welder Lärm im Bühnenhintergrunde?

Gedräng des Perfonales und Tumult, Scheltende Stimmen, Ringen, lautes Schreien; Man murrt im Publitum: „Welch ein Inſult Auf Kunft und uns! Es läßt fich nicht verzeihen! Anftatt im Hoftheater, auf der Dult Ölaubt man zu fein!" Ta durch der Tänzer Reihen Drängt fih ein alter Mann; auf zwanzig Schritte Erkennen läßt es fich, er ift ein Britte. |

23

Mit weißem Halstuch prangt er, ſchwarzbefrackt. „Hinaus! hinaus! hinunter von der Bühne!“ Erichallt e8, die Muſik kommt außer Takt,

Doch unerfchroden drängt ſich vor der Kühne; Wenn ihn der Boliziften einer padt,

Zu Boden bort er ihn, ftarf wie ein Hüne,

Und ftürzt auf John zu, an der Bruft ihn fafjend; Faſt finkt der Meberrafchte hin, erblaffend.

Der Alte hebt ihn auf den linken Arm Und wendet fih, um ihn hinwegzutragen. Ein Polizeimann, ja felbft ein Gensdarm, Die ihn auf feinem Weg zu hemmen magen, Erhalten jchwere Wunden; durch den Schwarm, Der vor ihm auseinander ftäubt mit Zagen, Stürzt mit denn Raub er fort. Im ganzen Haufe Gewalt'ges Lärmen, donnerndes Gebraufe.

„Sp padt ihn! Haltet feit den Mädchenräuber!“ Schallts hinter ibm. Doch zum Theater ſchon Iſt er hinaus. Zu einem Eſelstreiber Ruft er: „Schnell! treib ſchnell zu! groß iſt dein Lohn!“ Schwingt ſich aufs Thier und ſprengt durch Reihn der Weiber Und Männer, die ihm noch mit Fäuſten drohn, Mit feiner Beute bis zur Chiaja weiter; Bor feiner Wohnung dort fteigt ab der Reiter.

Und auf fein Zimmer, außer Athem ganz, Indeß er Sohn noch immer hält umfchlungen, Stürzt er und ruft: „Nein! welch ein Mummenfcanz! Wo ſah man jemals ſolchen tollen Jungen? Allein jest hats ein Ende mit dem Tanz; Du folgft mir, John, und müßt’ e8 fein, gezwungen ! Um dich fchmilzt deinem Bater, deiner Mutter Bor Gram das Herz, wie an der Sonne Butter.

214

„Du ftarrft, als wüßteſt du nicht, wer ich fei! Ei, Johnny! kennſt du Tom nicht mehr, den Alten? Bei Großpapa ja war ich ſchon Yafai; Wie oft hab’ ich dich auf dem Arm gehalten! Kein Andrer konnte ftillen dein Geſchrei. Komm, Junge, an mein Herz, Gott mög’ es walten, Daß ich gefund dich nah Alt-England bringe! Doch fag, du Toller, was find das für Sprünge?“

Noch immer ftumm bleibt John und tief verlegen; Den alten Diener hat er gleich erfannt Und ſich gefagt mit bangen Herzensfchlägen, Ihn heimzuführen fei er abgejandt. „Nach deines Vater Auftrag deinetwegen“ Sortfährt der Alte „hab' ih Yand auf Yand Geit lang durchſucht; der Himmel fei gefegnet, Daß ich dir in Neapel jet begegnet!

„Ih bringe Gold in Fülle für dich mit, Und, darbteft du vielleicht als Hungerleider, Co ſei getroften Muth. Das Deficit In deinen Taſchen ded’ ich. Doch die Kleider, Die du da trägft, welch ein verwünjchter Schnitt! Gleich laſſ' ich holen einen Herrenfchneider; Und haft du Hofen erft, dann, laut Befehls Des Herrn Papas, flugs geht e8 heim nad Wales.

„Wie wird fi nicht, wenn du erft wieder Dort, Die Mutter freun, die nahe der Erblindung. Doch nun auf Eins noch, John, gieb mir dein Wort! Hier mit dem Adel fteh’ ich in Verbindung Und gelte allgemein für einen Lord; Auch einen Stern von eigener Erfindung Trag’ ih am rad. Verrath nicht meinen Stand, Ich bitte dich! Gieb mir darauf die Hand!”

25

Gerührt von der Erinnrung an die Seinen Ward Kohn, und wechjelnd ſah man ihn erblafien, Dann neu erröthen: nah ift ihm das Weinen; Allein Amalie jo plöglich Laien,

Unmöglich wills, unmöglih ihm erfcheinen; Noch lange nicht vermag er fich zu faflen; Zum alten Diener freundlich fpricht er endlich: „Daß ich dir folge, Tom, ift unabmendlich.

„Nur gieb mir Frift! Ich kann fogleich nicht reifen, Und fo wie ich dich nicht verrathen mill, Wenn du als Lord auftrittft in hohen Kreifen, Sei du davon, daß ich ein Knabe, ſtill! Topp! gilt der Pakt?“ Tom kommt ihm noch mit leifen Dedenten, doch jchlägt ein; da plötzlich ſchrill Erflirrt das Thürſchloß, und ein Bolizift Tritt ein, der von Gensdarmes begleitet ift.

Mylord als Ruheſtörer ins Gefängniß Zu führen fommen fie, und fein Appell An feine Pairſchaft kann in der Bedrängniß Ihm helfen. „Auf! folgt uns in das Kaftell!” Tönt der Befehl; fomit in das Verhängniß Sich fügend, reicht er feinem Zögling jchnell Noch eine volle Börje, und ihn fchleppen Die Shirren ungefäumt hinab die Treppen.

Sohn eilte ins Hötel de Rome zurüd; Für eine junge Schöne falt gefährlich War diefer Weg bei Nacht; allein zum Glück Gewahrte Niemand ihn, der Mond fehien jpärlich; Und wie ein fremdes, tolles Zwifſchenſtück Sn feinem Lebensdrama, unerklärlich Schien bald ihm da8 vergangene Erlebniß, Ein Traum mehr, al8 ein wirkliches Begebniß.

216

Tann aber wieder tritt der alte Tom

Bor feine Eeele, feiner Kindheit Pfleger;

Er hört im lieben gäliſchen Idiom

Ten Bater wider ſich erftehn ala Kläger: „Sohn! Fohn! was wurdeft du nit Oekonom, Wie ih und deine Brüder, Bettern, Schwäger? Bereuſt dus endlich jeko, daß zur Flucht

Bon uns did trieb die Abenteuerſucht?“

Und nun beginnt ein Streit in feiner Seele, Bald treibt e3 ihn zurüd zu feinen wadern Verwandten, um binfort, ein ächter Gäle, Tie heimathlichen Fluren felbft zu adern, Bald wieder dann umfonft, daß ers ſich hehle! Fühlt er auf Neu empor die Viebe fladern Und denkt: „Nein, nein! Zum Opfer gern Amalien Bring’ ih Verwandte, Güter, Kapitalien.“

Eo laffen wir ihn jest in feinem Schwanken Und fchauen nad) der Sängrin abermals. Für jeden Abend bietet tauſend Franken Ihr der Direktor, da des Opernſaals Gewalt'ge Räume kaum in ihren Schranfen Tie Schaaren faffen, die bei des Journals Ankündigung: „Amalie Schmidt wird fingen!“ Nah einem Site, ja nur Stehplag ringen.

Der Enthufiasmus wuchs mit jeder Rolle, In der fie fang: „Was war jogar die Grifi,“ Hieß es, „mit ihr verglihen? Wenig Wolle Und viel Geſchrei! Die hohen Töne fchrie fie; Tod diefe Deutiche, welche wundervolle, Schmelzende Weichheit geftern Nacht verlieh fie Tem hohen F nit in der Masnabdiert!

Sie ſcheint fein Weib zu fein, nein, eine Peri.“

217

Allein den Freund, den fernen, nicht vergeffen Hat fie bei all dem Ruhme, der ihr ward. Es ſchwanden Tag auf Tage unterdeffen, Daß feiner Heimkehr fie umfonft geharrt; Und oft ſchwermüthig unter den Cypreſſen, Am Bofilippo fit fie da und ftarıt Sehnfüchtig in die Ferne, trauervoll, Ein Liedchen fummend in dem weichften Moll.

Dann mehr und mehr füllt fich ihr Herz mit Bangen, Und als er immer, immer noch nicht kehrt, Um mögliäft eine Kunde zu erlangen, Zu dem Banquier hin eilt fie und erfährt Die Schredengpoft, ihr Victor fei gefangen; Auch Hört fie von der Frift, die ihm gewährt, Und daß die Summen, um ihn zu befreien, Unmöglih ihm zu creditiren feien.

Sleihgültig und mit obligatem Wit Sagt daß der Geldmann, doch mit Zwifchenpaufen, In denen Geld er zählt. Gleich wie vom Blitz Getroffen ſinkt Amalie bei der graufen Entſetzenskunde nieder auf den Sie; Bor ihren Sinnen ift ein dumpfes Braufen. Aus Ohnmacht wieder dann empor fich rafft fie Und fleht und bittet: „Schafft die Summe! ſchafft fie!

„Beitlebens will ih Euch ala Sklavin dienen, Und Euer fei, mas mein Gefang erwirbt! Weh, diefe Räuber! Rettet mir von ihnen Den Einzigtheuern, der fonft qualvoll ftirbt!“ Starr aber bleibt der Geldmann, wie Mafchinen, Und ruft zulegt: „Dies tolle Weib verdirbt Mir durch ihr Schrein die Freude an der Haufe Bon heute. Fort! daß ich mich nicht erboße.“

218

Sie ftürzt verzweifelt fort. „Zwei Tage Frift, Zwei Tage nur, und furdtbar muß er fterben, Wenn nit am dritten dort das Lösgeld ift.

Halt aufrecht mich, aufrecht in diefem berben Geichide, Gott, der du im Himmel bift,

Und leih mir Kraft, von Haus zu Haus zu werben, Zu betteln, bi8 da8 Geld in meinen Händen;

So graunvoll, nein, darf nicht mein Victor enden.“

Bor den Direktor wirft fie fih mit Beben Zu Füßen nieder: „Fordert, was hr wollt; Doch heut mir, glei müßt Ihr das Lösgeld geben! Iſts denn fo viel: fünftaufend Stüde Gold, Wenn taufend Male, wern mein ganzes Leben Fortan ich finge ohne weitern Sold?“ Doch Jener zudt die Achſeln: „Cara mia, In deinem Kopfe fpuft e8 wohl; va via!“

Als hätt’ er ihr den Todesſpruch gejprochen, Bernichtet fühlt fie fi) bei diefem Wort Und wankt nah Haufe jammernd, herzgebrochen, Ein jeder Lebenskeim in ihr verborrt; Nur wie im Irrſinn zählt mit mattem Pochen Ihr Herz noch ihres Seins Sekunden fort. Umfonft! umſonſt! Wie viel fie immer finne, Nicht eines Rettungsweges wird fie inne.

Ta Hopft3. Berriegelt pflegt die Thür zu fein, Weil man fie mit Beiuchen überjchwenmt; Doch Heut vergefien ward es, und herein, Ins Auge die Torgnette feftgeklemmt, Tritt led ein Herr: „Verehrtefte! verzeihn Sie meine Freiheit, doch nicht gänzlich fremd Tret' ich vor Sie, da ich in Elb- Florenz Cie oft bewundert im vergangnen Lenz.

219

„Perſönlich zwar noch hatt! ich nicht die Ehre,

Der ih mich als der Freiherr Salomon

Hier präfentire Ihre Ruhmcarriere

Jedoch ſeit Anbeginn verfolg’ ich ſchon

Und ſah entzüdt das Reifen jeder Beere

An Ihrem Lorbeer. Welcher Glodenton

Der Stimme! Sie verdunfeln, damit baſta,

Die Malibran, die Patti, ja die Paſta.“

Amalien war befannt des Edlen Name, So wie fein Reihthum; wie ein Sonnenftrahl Fiel in ihr Herz, das vom PVerzweiflungdgrame Nachttief umdunfelte, mit Einem Mal . Ta der Gedanke, eine wunderjame Fügung des Himmels feis, und alle Dual Nun werde enden. Mit beredtem Munde Gab fie von Victors Fall dem Freiherrn Kunde.

Und hochgefpannt an feinem Munde hing Ihr Ohr und Blick, indeß er fchnell gefaßt Die Antwort gab: „In Wahrheit, nicht gering Iſt diefe Summe, doch ein Enthufiaft Din ih einmal, drum unter dem Beding, Daß Sie mich heute Nacht bei fi als Gaſt Empfangen und nicht unerhört entlaflen, Erfchließen werd’ ich morgen meine Kaflen.“

„Ruchloſer!“ rief, empor vom Sefjel Ipringend, Amalie aus „mir das? Fort, Ungeheuer!“ Dann wieder, ſich befinnend, fich bezwingend,

Sant fie zurüd: „Wißt! Victor ift mir theur, Und die Gefahr, beim Himmel ſchwör' ichs, dringend. Das Wort, da8 hr gefprochen, war nicht Euer, Ein Teufel ſprachs aus Euch. Nehmt es zurüd, Und fpend’ Euch Gott in Fülle alles Glück!“

228

„Klar ausgeſprochen hab’ ich mich, ich meine,“ Ermidert der Baron und lächelt kalt „Wenn heute Nacht bei Ihnen ich erjcheine Und Ihre Huld mir diefen Aufenthalt Zu einem fel’gen macht, beim Morgenjcheine Zahl’ ich die Summe, und Sie werden bald Victor heimkehren fehn von den Banditen; Leid wärs mir, wenn fie ihn lebendig brieten.

„Doch, weigern Sie mein billiges Geſuch, MWohlan, fo hemm’ ich nicht des Schidfald Gang.“ Er fprad) e8 und empfahl fih. Einen Fluch Ihm ſandt' Amalia nad), dann wieder vang Die Hände fie: „Nein, Hinmel, nein, ein Bruch Mit ihm ift Victor Tod! Zwei Tage lang Nur währt die Frift; am dritten Gott dort oben! Wahnfinn fühl’ ich durch mein Gehirn hintoben.

„Am dritten, ja, ich jeh’3, zu Boden nieder Ihn werfen fie! Aus Wunden, blutigroth, Borfprigt fein Blut die zarten, weißen Glieder Berfleifchen fe, fie martern ihn zu Tod Nein, nein! nicht fo! Den Püftling ruf’ ich wieder; Komm, Scheufal, Schurfe! Kein Flcharioth, Kein Teufel ift mir jo, wie du, verhaßt, Tod komm! zu einem Hochfeft fei mein Gaft!

„Ich will dir eine Nacht der Wonne gönnen, Wie du fie nie geträumt; komm, Unhold, fomm! Heiß foll mein Kuß auf deiner Yippe brennen, Wie, da mein Herz in erfter Yieb’ erglomm. Ich will dich herzen, will dic) Engel nennen, In Wolluft follft du fhwelgen komm nur, fomm! Bis fi das Augenlid dir überſchwer Bon Wonne ſenkt nur gieb das Lösgeld her!

21

„Und taumeljt trunfen du hinweg vom Felt, Das mid zum Denkmal meiner eignen Schande, Zur Trümmer meiner felbft gemacht, zur Belt Für alle Welt: dann zu der Räuberbande Hinwanf ich mit der Löſungsſumme Reft,

Mein Bictor kehrt befreit zum Paterlande, Und ih ein Sprung vom nädjften Felſen mag Bor ihm und mir verbergen meine Schmach!“

Hinfinkt zulegt, die Sinne faft geſchwunden, Amalie, verfinftert wird ihr Geift, Und doch fühlt fie die zudenden Sekunden, Wie jede fie der Nacht entgegenveißt, Der ſchrecklichen. Daliegt fie fo feit Stunden, Indeß die Welt in Wirbeln um fie freist Und, alfo glaubt fie, graufe Spufgeftalten Zu ihren Häupten lachend Zwieſprach halten.

Auf einmal, athemlos und feuchend, trat da Ein Bote aus San Carlo in ihr Zinmer: „Längſt figt das Publitum in vollem Staat da, Sp Saal wie Bühne prangt in Kerzenfchimmer, Sie aber fehlen noch, die Traviata! Schnell, ſchnell nur! Im Orcheſter find die Stimmer Bein Werk bereits.” Amalie fuhr empor; Das Wort fhol unverftanden an ihr Ohr.

„Sie find doch krank nicht? Yeiden am Katarrh? Es wäre fchrediih! Wie der Noth entrinnen ? Schon als ich ging, vernahm man Fuß-Geſcharr, Die Ouvertüre foll fogleich beginnen.”

Nod ihm ind Antlig blidt Amalie ftarr; Anhebt fie dann, fi mählig zu befinnen: „Heut foll ich fingen? Ja, ganz recht, die tolle Verdi'ſche Oper! Mir behagt die Rolle.“

22

„Schnell, ſchnell nur! Keine Zeit ift zu verlieren.“ „Ih komme ſchon.“ Zu ftoden fcheint das Blut In ihren Adern, nahe dem Gefrieren,

Dann wieder Eopfts in fieberheiger Gluth In allen Bulfen; ihre Augen ftieren

Bald kalt und regungslos, in dunkler Gluth Bald rollen fie umher. So hin im Wagen Zur Bühne wird die Sängerin getragen.

Nachdem der Ouvertüre lebte Takte Berhallt bei Hörnerfioß und Baßgebrumm, Auftrat Amalie, und fofort auch padte (Kunftausdrud ift das) fie das Publikum. Zwar find Textbuch und Partitur Extrafte Bon Allem, was trivial und flach und dumm, Allein ihr Spiel und ihr Geſang entlodten Den Hörern Thränenftröme, die nicht ftodten.

Wie viele Kränze auf fie niederfanten, Wie ringsher der Begeiftrung Weihrauchdampf Zu ihr aufwirbelte! Das Weh der Kranten, Der Liebe und Verzweiflung bittrer Kampf, Am Rand von Leben und von Tod das Schmanten, Des Herzens Brechen in dem legten Krampf D, Jedem ijt, er fei mit ehrner Klammer Selbft feitgefchmiedet an der Sängrin Sammer.

Aus den Abruzzen, wie erzählt zuvor, Kam Bictor heim in eben diefer Nadıt; Shaun wir nad ihm, wie zu San Carlos Thor Er hin fich drängt in feiner Bauerntracht! Man meist ihn ab, doch felbft ein ganzes Corps Soldaten hätt’ ihn nicht mit aller Macht Vorttreiben können. Durchgang fich erkämpft er Fernher ſchon hallt ein Ton, ein fanft gebämpfter.

223 »

Und lauter tönt es. Durch die Corridore Sucht er den Weg zur Bühne, der ihm fremd; „Sort Bauer!” ſchallts ringsher zu feinem Ohre, Doch durch die Berfaglieri ungehemmt,

Ob ihn ihr Bajonettftich auch durchbohre, Bordringt er; wer fi ihm entgegenftemmt, Muß weichen feinem ungeftümen Grimme. Fa, ja, fie ifts! Er hört Amaliend Stimme.

Dann Beifallsubel, und der Vorhang fällt. Victor, der von dem Sturm der Seele ſchwankt, Stürzt auf die Bühne; markerſchütternd gellt Ein lauter Schrei; Amalie ift3, fie wantt,

Sie will zu Boden ftürzen, doch er hält Die Fallende, fein Arm hat fie umrankt Und ihrer ihn, und aneinander jchlagen

Die Herzen, die jo vieles Weh getragen.

Still, wie fie felbft find, an den erften Stunden Des Wiederjehens gehen mwir vorbei. Still birgt der tieffte Jammer feine Wunden, Und nur der Heine kennt den Schmerzenzfcrei; So ward das Wort für Heine Luft erfunden, Doh große Wonne, wie fie unfre Zwei Im tiefften Sein entflammt, verhüllt fi ftumm; Scheun wir dies heilige Myſterium!

Erft wieder in Amaliend Gemad) Die Beiden fehen wir. Noch immer Stille, Nur tiefe Athemzüge und ein Ad, Emporgefeufzt aus ihres Glüdes Fülle, Und heiße Küffe Worte find zu ſchwach, Und wärens Seherworte der Sibylle, Um ihres Herzens Seligkeit zu finden, Die tiefe, die fie ſelbſt noch nicht ergründen.

0 224

Ernſt, wie die Sternennacht, iſt dieſes Schweigen Und tief und heilig, wie das ew'ge Meer, Das draußen wallt und wogt. Gedanken ſteigen In ihm empor, wie Welten groß und hehr; Und während Haupt an Haupt die Beiden neigen, Klopft Herz an Herz, von Wonne überſchwer; Die Thränen miſchen ſich, und in den Flammen Der Küſſe ſchmilzt mit Ich das Ich zuſammen.

Indeß ſie alſo bei einander ſaßen Und Gott und Welt und Stunden, wie ſie flohn, In ihres Glückes Ueberſchwang vergaßen, Aufging die Thür, und Freiherr Salomon Trat ein allein erſchrocken über Maßen Prallte zurüd der Intriguant; ein Ton Bon Einem, der binabgeftürzt die Stiegen, Ward hörbar, wenn nicht meine Kunden trügen.

Amalien war für einen Augenblid, Als ob ein Teufel aug der tiefften Hölle In ihren Himmel dränge; doch zurüd Schnell tauchte wieder diefer Nachtgefelle, Und neu ummogte fie das lautre Glüd, Das Bild megjpülend mit der Maren Welle; An Victor, deſſen Blid an ihr gehangen, War Alles ungewahrt vorbeigegangen.

Die nächſten Tage nach dem Wiederfinden, D mie fie nach dem nächtig dlftern Grauen Den Liebenden in füßem Raufch verjchwinden! Hell ſehn fie nun den Himmel wieder blauen; Doch daß fie nur, wie die geheilten Blinden, Wenn allzu kühn fie in die Sonne fchauen, Kein Unglüd trifft! Wohin ihr Blid fi) wendet, Licht, nichts als Licht, das ihre Augen bienvet!

225

Um Zweifel zu bejeitigen und Fragen, Noch muß ich, auf profaifches Gebiet Hinunter fteigend, nebenbei bier fagen: Nah Deutichland fchrieb mein Held flugs um Credit, Denn majorenn ward er in vdiefen Tagen Und ftand fomit in feines Glücks Zenith; Bald dann auch ward, zu des Banquierd Berjtummen, Ihm cveditirt für ungemeßne Summen.

Als Wohnung dienten noch ihm die Erocelle, Doch, immer bei Amalien zum Beſuch Perweilend, kaum betrat er je die Schwelle Zum eignen Zimmer. Unterdeffen trug Sein Herz Berlangen, atı der fchönften Stelle Des Poſilipp, da, wo mit breitem Bug Er fi hinüberjhmwingt zu Bajäs Auen,

Sich eine prädt’ge Billa zu erbauen.

Dft dorthin wandelt er mit feiner Theuern, Damit der Punkte fchönften fie erwählen, Und während fie fi von den Abenteuern, Die fie beftanden, gegenfeit3 erzählen, Sie von des Urmald3 graufen Ungeheuern Und von Columbias Monstre-Concert-Sälen, Er von der Räuber Wuth und wilden Drohen, Wie ſuß erjhien die Gegenwart den rohen!

Allein ein Dämon waltet ob den Beiden, Daß Jeder, ob er gleich in nichts gefehlt, (Selbft vor Gericht ja könnt’ er es beeiden) Doch vor dem Andern ein Geheimniß hehlt. So ſchaffen felber fie ſich neue Leiden,

Als ob genug fie nicht bereit3 gequält

Das Schidfal hätte adj! ftet3 in die Irre

Treibt ung die Maja bier im Weltgewirre! Shad, Bei. Werte I. 15

226

Daß er die Räubertochter fort und fort In Knabenkleidung zur Begleitrin habe, Davon ſpricht Victor nicht ein Sterbenswort; Und daß in Frauentradht der Brittenfnabe Mit ihr gezogen fei von Ort zu Drt, Berfchweigt Amalie jammt der Wundergabe, Daß im Ballet den erften Zänzerinnen Die Palme feine Sprünge abgewinnen.

Was für ein Unheil dieſes Schweigen ſchuf, Davon alsbald. est zu der Räubermatd! Heiß glühte Pippas Bruft, wie der Veſuv,

In Leidenfchaft zu Dem, den fie befreit;

hr ſchwoll das Herz, wenn fie an den Beruf Gedachte, dem er fie hinfort geweiht;

Daß fie fein Page nur und ihm zu dienen Beftimmt fei, laß fie Mar in feinen Mienen.

Wahr ıft, nur weil fie Helfrin feiner Flucht, Noch mochte Victor fi) von ihr nicht trennen; Sie aber wollte nur die goldne Frucht Der Liebe, keinen Dank fonft anerkennen Und fühlte hoch ihr Herz in Eiferfucht Und milder Wuth und Rachbegier entbrennen, ALS fie gemahrte, daß zu einem Weibe Die Liebe ftet3 ihn aus dem Haufe treibe.

Aufs Strengfte hatt’ ihr unfer Freund geboten, Nie ind Hötel de Rome zu ihm zu kommen; Da einft Amalie blätterte in Noten, Und ihr zur Seite hatt’ er Play genommen Eintrat die Räubertochter; düfter lohten Die Augen ihr, und ihre Wangen glommen In hoher Röthe. Briefe überbringend, Sprach fie zu Victor: „Lies! denn fie find dringend!”

MM

Er blickte ſie mit ſchweigendem Verweis Unwillig an, doch las dann in den Briefen; Auf einmal fuhr Amalie lauten Schreis Vom Stuhl empor und, in der Seele Tiefen Erſchreckt, ſah er auf ihres Kleides Weiß Blut, ihrem Hals entquollen, niedertriefen Und Pippa, die, den Dolch in rechter Hand Hoch ſchwingend, neben ihrem Sitze ſtand.

Er ſprang, indem er flugs den Unhold faßte Und feſt die Hand ihm drückte ins Genick, Hin vor Amalie, die tief Erblaßte, Und ſah, die Wunde war nur leicht zum Glück; Noch einmal ihren Dolch auf die Verhaßte Zu zücken ſuchte Pippa, doch ein Strick, Den ſelbſt, wer weiß zu welchem Zwech, ſie trug, War, ſchadlos ſie zu machen, ſtark genug.

Sodann, indem er aus der Thür fie führt, 2ö3t er der Uebelthäterin die Bande, Womit er ihre Arme feftgefchnürt: „Du retteteft mich von des Todes Rande, Darum der Strafe, welche dir gebührt, Nicht liefr' ich di; allein mein Wort zum Pfande! Nicht Milde kennt’ ich mehr, wenn deine Rechte Sich eines neuen Mordverſuchs erfrechte!

„Geh, geh! wir find für immerdar gejchteden. Doch nimm dies Geld! Es ift genug für Jahre. Dir wünſch' ich: Lebe glücklich und zufrieden, Doch mir, daß ich did nimmermehr gewahre!“ Noch ſchwankte Pippa, ihre Augen mieden,

Ihn anzufchauen, ihre ſchwarzen Haare Berraufte fie bei lautem: „Wehe! Weh!“ Und ging erft auf fein wieberholtes: „Geh!“

2233

Nur leicht, fo ward vom Arzt ſogleich befundet, Am Halfe war Amalie gerigt; Doc, wenn fie von dem Stich auch bald gefundet, Ein Dolch von andrer Art hat, jcharf geſpitzt, Bis in die tieffte Seele fie verwundet. Daß Der, in defien Hand der Stahl gebligt, Ein Mädchen war, verhüllt in Knabentracht, Scheint ihr Gewißheit, nicht allein Verdacht.

Und wie ftet3 tiefer, immerdar aufs Neue In ihr Gemüth fi) der Gedanke bohrt, ft nichts auf Erden mehr, das fie zerftreue, Ihr ganzes Innre wird von Nacht unflort. hr, die ihr je den Glauben an die Treue Bon Einem, den ihr heiß geliebt, verlort, Denft an den Gram, den damals ihr gefühlt! Ein folcher ift e8, der ihr Herz durchwühlt!

Nicht fragt fie weiter, nicht mit einem Laut Sprit fie von Pippa oder dem Gejchehnen; Allein daß Der, auf den fie ganz vertraut, Nah dem von fern fie aus den Wunderfcenen Der neuen Welt als ihrem Stern geſchaut, Daß Er fie fo betrogen welche Thränen Sind heiß genug, die Täufchung zu beweinen? Wohl fucht fie Troſt, allein fie findet feinen.

In Victors Seele warf in jenen Tagen Auch böfe Eiferfuht den erften unten. AB zu Amalien er kam voll Zagen, Um nad der Wunde Stand, die radgiertrunfen Ihr Pippa beigebracht, aufs Neu zu fragen, Sah er ein junges Weib, aufs Knie gefunfen, An ihrer Seite vor dem Nuhebett; Natürli war e8 John, der Seekadett.

129

Und mit den Augen, die Verliebte haben, Mehr fah er, als das ganze Publikum, Und mitterte im Frauenkleid den Knaben, Jedoch verbarg e8 in der Seele ſtumm. So war ded Herzens Ruh' ihm untergraben, Den Argmohn feheuchen möcht’ er wiederum, Allein, je mehr er ihn zu bannen ſucht, So mehr wird er erprüdt von feiner Wucht.

Und wie er weiter hört, mit jener Dame Sei ſchon feit lang Amalie intim, So höher wächst in ihm der wunderjante Berdadt, und Eiferfucht, das Ungethüm, Verheert fein Innerſtes mit bitterm Grame. D, hätt’ er ihr doch, hätte fie doch ihm Bertraut, was Beider tieffte® Herz verwundet, Sie wären von der Dual alsbald gejundet!

In John war unterdeß feit der Erfcheinung Des alten Zom ein Wandel vorgegangen; Schnell ändert Der ja feine Herzengmeinung, Den kaum der erfte Flaum umfpielt die Wangen. Ermedt ihm hatte Jener nach Vereinung Mit den Verwandten wieder das Berlangen,

Und Mar ward ihm zugleich, daß feine Yiebe Doch von Amalien unermwidert bliebe.

Gar erft nad) ihres Victor Wiederkunft Nod irgend Hoffnungen für fi) zu hegen, Dagegen Sprachen Einfiht und Vernunft. Sp ward ihm und für Alle wars ein Segen Die Liebe ganz zur Freundfchaft abgeftumpft, Und gleich wie Brüder mit den Schmweftern pflegen, Bertrauten gegenfeitig fich die Beiden Die Herzgeheimniffe, fo Luft wie Leiden.

So hatte John Amalien erzählt,

Wie feine Heimkunft man zu Haus begehre, Und wie er felbft, von gleihem Trieb bejeelt, Sich rüfte, daß er zu den Seinen fehre; Und Jene wieder hatt’ ihm nicht verheblt, Welch einen Kummer fie im Herzen nähre: Ein Mädchen, dod in Knabentracht, begleite Bictor und weiche nicht von feiner Seite.

Ein Licht ging plöglih auf in Johns Gemüthe; Den jchmuden Knaben hatt’ er oft gewahrt, Der wie die faun erſchloßne Roſe blühte, Und nun nad) dem, was eben offenbart Ihm durch Amalie worden, fehnell erglühte Das Herz ihm in Gefühlen feltner Art. Wie, wenn er aus Italien jolche ächte Abruzzenrofe mit nach England brächte?

Da ftets auf Eifenbahnen, Schiffsverdecken Die Britten auf der Jagd nach Seltnem find, Erſcheint e8 ihm als Vorzug, nicht als Fleden, Daß Pippa eines Räuberhauptnanng Kind; Auch muß es, denkt er, Neid in Allen wecken, Wenn er ein Weib in Männerkleidern minnt, Ein niedliches Geſchöpf wie Laras Page, Bon welchem Byron fang; drum, John, Courage!

Bugleih will ihn bedünfen: er erwiefe Der Freundin einen Dienft mit folhem Schritte, Da fie hinfort an Eiferfuht um diefe Verkappte Italienerin nicht litte; Auch, daß ein jeder Moralift ihn priefe, Weil Victor dann dem Rechte und der Sitte Sich wieder fügen würde, fcheint gewiß; Was alfo wäre für ein Hinderniß?

-.

23

Indeß er dergeftalt ohn’ Unterlaß Nachſann, auch häuf'ge Selbſtgeſpräche pilog, Wahrnahm er eines Morgens, daß zum Baß Die Stimme ihm verwandelt war, die hoch Und fein bisher geklungen. Schreckenblaß Ward er und ſtockte in dem Monolog. Was thun? Soll er in ew'ger Stummheit ſchweigen? Sonſt kann er nicht in Frauntracht mehr ſich zeigen.

Wärs nicht das Beſte, wenn er gleich die Kleider Vertauſchte und in Männertracht erſchiene? Gedacht, gethan. Flugs auf den Weg zum Schneider Begab er ſich, noch mit beſtürzter Miene Und im Bewußtſein, bald für immer ſcheid' er Von der vertraut gewordnen Crinoline. Sein Weg führt ihn auf ſchattenreichem Pfade Der Königsvilla hin am Meergeſtade.

Auf einmal ſieht er, und mit leiſem Schrecken, Pippa in ihrer hübſchen Knabentracht Des Weges kommen. Sich ihr zu entdecken, Iſt dieſer Augenblick ganz wie gemacht; Mag er auch noch in Frauenkleidern ſtecken, Er darf nicht zögern; denn wann wieder lacht Ihm ſonſt für ſeinen Antrag die Gelegenheit? Vor ſie dahin drum tritt er mit Verwegenheit.

Da wendet ſie ſich ſchnell in die Geſträuche; Beſtürzt ihr nach ſtarrt und dann folgt ihr John. „Wie? flieht fie mich wie eine Vogelſcheuche?“ Dem Suchenden entſchwunden ift fie ſchon,

Doc, ala ob Einer ftöhne oder keuche,

Schalt ihm zum Ohr vom Meere her ein Ton; Dorthin eilt er, fieht fie vom Yeljen jpringen * Und, als er nah, ſchon mit den Wellen ringen.

232

Schnell nur! fonft, fie zu vetten, iſts zu fpät, Den nächſten Augenblid kann fie ertrinken. Er fpringt ihr nad, fo wie er geht und ftebt, Saft laſſen ihn die Frauenkleider finfen; Wird er fie noch erreichen? Ihm vergeht Die legte Kraft; da krampfhaft mit der Linken Padt er die Untergehnde noch zum Glüd Und trägt ans Ufer ſchwimmend fie zurüd.

Nachdem er auf ein Yager fie gebettet, Das er aus Laub und Mooſen ſorglich häuft, Hin niet er neben fie, die er gerettet, Indeſſen Naß aus Beider Locken träuft.

Wie günftig mein Roman fich doch verfettet, Daß feine Handlung tragifch nie verläuft! Bereitet hatt’ ich fihon mich zu der armen Pippa Begräbniß auf ein Leichencarmen.

Doch nun lenkt Alles das Geſchick zum Beften. Die Kleine öffnet neu ihr Augenlid Dem Sonnenlidht, das ihr aus den genäßten Gemwändern nach und nach die Feuchte zieht, Und fieht, bemußtlog noch, die Liebesgeften, Mit denen John an ihrer Seite fniet; Zu groß in feinem Herzen ift die Gährung, Er findet Worte nicht für die Erklärung.

Zuletzt jpridt er: „Signora, Sie erlauben” Doc ihr, als fie den Baß der Stimme hört, Scheint jäher Schred die Faflung ganz zu rauben, Auch er, da er es wahrnimmt, wird verftärt Und kommt ing Stammeln: „OD, Sie dürfen glauben, Daß mich der äußre Anjchein nicht bethört! Verkehrte Welt hier fpielen wir; ich bitte Um turzen Urlaub; es find wenig Schritte.”

233

Juſt in der Nähe an der Ehiaja war Ein Kleidermagazin. Hinüberfpringend Dat er nochmals: „Sie warten doch? nicht wahr” Denn, was ich Ihnen fagen muß, ift dringend.“ Unfaßlich war für Pippa, wunderbar Das Alles; kaum noch mit dem Tode ringend Und wider Willen heimgeführt ins Dafein, Berwirrt wohl mußte fie, dem Irrſinn nah fein.

Zurüd zu ihr in wenigen Minuten Kam John im Herrntoftüm, höchſt elegant, Und ſprach: „Sie mußten, wer ich fei, vermutben; Dod, jo wie mich der mangelnde Diskant, Verrathen Sie des Anges dunkle Gluthen, Und gleich al8 Dame hab’ id Sie erkannt. Erfahren Sie, daß ich, ein reicher Erbe Aus Großbritannien, mih um Sie bewerbe.“

Almählig zum Bewußtſein ehrt die Kleine. Daß muthig John für fie gewagt das Leben, Denkt fie gerührt; war Victor fonft der Eine, Dem fi ihr ganzes Weſen hingegeben,

So thaut in neuer Neigung Sonnenjcheine

Ihr jet das Herz; ein Südkind ift fie eben,

Bei dem in Lieb’ und Haß und Luft und Grämen Die Leidenschaften jähe Sprünge nehmen.

Natürlich aljo, daR fie „nein“ nicht fagte, Eie, die nad ihrem jüngften Attentat Nicht mehr vor Victor Hinzutreten wagte Und, feit am Vater fie geübt Verrath, Auch zu den Räubern heinizufehren zagte. Sobald denn John de Mädchens Jawort hat, Heiſcht er: „Nun gilts, auch Ihre Tracht zu ändern! E3 drängt mich, Sie zu fehn in Fraungewändern.

234

„Wer etwas will, der frage Andre nie, Sonſt wirds von Dem und Jenem ſtets verbeten! Das Beſte iſt es, mit fait accompli Vor Den, den es verdrießen kann, zu treten. Drum heute noch zum Prieſter kommen Sie! Das iſt vor allem Andern uns von Nöthen. Ich denke, auf Sermone zur Erbauung Verzichten wir; kurz, bündig ſei die Trauung.“

Indeß die Zwei ſich Liebe ſo betheuerten Und ungeſäumt mit kühngefaßtem Plan Dem Ehehafen ſchon entgegenſteuerten, Erhob ſich in dem Gaſthof ein Orkan,

In welchem alle Wetter ſich erneuerten, Die auf dem Land, wie auf dem Ocean, Sich über meine Heldin, meinen Helden Bereits entladen; laßt uns davon melden!

Den Beiden, die ſeit Tagen im Geheimen Mit Argwohn auf einander ſich gequält, Blieb nicht mehr Raſt im Wachen noch im Träumen; Noch hatten ſie ſichs gegenſeits verhehlt; Allein wie Feuer, das in dumpfen Räumen Der Scheuer lange, halberſtickt, geſchwehlt, Zuletzt aufſchlägt in flammenhelle Brände, Alſo auch ihre Eiferſucht am Ende.

Sie Beide fühlen, mehr und mehr in Trümmer Geht jenes Band, das ſie bisher beglückt. Da einſt, als Victor in Amaliens Zimmer Eintritt und ſeinen Stuhl zu ihrem rückt, Nahm er das Wort: „Ich trag’ es länger nimmer; E83 muß heraus, was mich im Herzen drüdt ! Wo kannſt dus fagen, ohne zu erblaffen? Haft du den Ring, den ih dir gab, gelajfen?“

235

Amalie drauf: „Glaub, ftet3 an meiner Rechten Trug ich dies Beichen, daß ich dir verlobt! D, hätteft du auch vor den Hinmeldmächten Dich als jo treu, fo rein wie ich erprobt. Bernimm! In einer von den graufen Nächten, AL ich, von Erdftoß, Raub und Mord umtobt, Halb fterbend lag in tiefen Finfterniffen, Ward von dem Finger mir der Ning geriffen!“

„D tolles Märchen, mir zum Hohn erdichtet!" Ruft Victor aus; „am Beſten, du befennit, Denn Trug und Wahrheit hab’ ich längft gefichtet: Die Dame, die du deine Freundin nennt,

Beim erften Blid, den ich auf fie gerichtet, Als Mann, für welchen du in Liebe brennt, Erkannt' ich fie. Treuloſe, arge Schlange! Bewahrt' ich darum dir mein Herz fo lange?“

Und fchluchzend bricht in laute Schmerzenstöne Amalie aus: „Was felber du verbrocden, Giebſt du mir ſchuld! AS eine junge Schöne, Als deinen Schag erfannt hab’ ich jeit Wochen Den Knaben, den du mit dir führft; ja höhne, Berhöhne nur mein Herz! Bald ift fein Pochen Für immerdar geftillt; des Lebens Yaft Werf' ich hinweg; fie ift mir todverhaßt.“

Noch immer brütet Victor finftern Grimms, Ihr zlirnend wegen des vermeinten Truges. Da ruft Amalie: „Nimm mein Leben, ninıms, D Himmel, fort aus diefer Welt des Luges!“ Sie holt ein Fläſchchen raſch herab vom Sims Und trintt von feinem Inhalt haft’gen Zuges; Mit einem Blick dann, der ihn tödtlich trifft, Sprit fie: „Es ift genug; ich habe Gift.“

236

Und Bictor reißt aus ihrer Hand die Ylafche Und ruft: „Dir folg’ ich in des Todes Graun! Mas ift das Leben? Eitel Rauch und Aſche, Wenn Liebe hingeſchwunden und Bertraun.“ Amalie will ihn hemmen; doch der Raſche Stürzt jäh den Reſt hinab, der dunkelbraun Die Höhlung fült; dann läßt er fich zu Seiten Der Theuern auf das Ruhbett niedergleiten.

„Sieh da, wie ich dir treu geblieben bin!” Koch flüftern mit dem Lippenpaar, dem bleichen, Die Beiden, während durch die Adern hin Todbringend ſchon die gift’gen Säfte fchleichen. Nicht lange, und des Lebens letter Sinn Erlifcht in ihnen; kalt und ftarr als Leichen Erblidt fie John, als er mit haft'gem Schritt Es ift fhon Nachtzeit in das Zimmer tritt.

Sohn wirft fih über fie mit lautem Jammer: „O theure Herrin, ift es möglih? Nein! So jung, ſo ſchön, ftatt in die Hochzeitfammer, Zur feuchten Todtenhalle gingft du ein? Ich kanns nicht glauben; irgend eine Klammer Noch bindet dich vielleicht an dieſes Sein; Schnell fort nun, fort, damit ich Hülfe hole!“ Da findet er am Boden die Phiole.

„Sie haben Gift, Har ift eg!” rief er aus Und flog, damit ein Gegengift fie rette, In eines nahen Apothekers Haus. Dem Alten, der behaglich ſchon zu Bette, Erzählt er, welcher Unfall, ſchlimm und graus, Sih im Hötel de Rome ereignet hätte; Doch Jener ſprach: „Laßt fahren alle Sorgen! Erwachen werden fie am nächften Morgen.

237

„als jüngft die Sängerin in meinem Yaden Ein Gift, das fchleunig tödte, fich erbat, Wollt’ ich mit folder Schuld mich nicht beladen Und gab ihr einen Schlaftrunf, ein Opiat. So vorgebeugt hab’ ich jedwedem Schaden, Und wenn betäubt dag Opium fie hat, Sehn werdet hr: bereitS nad) wenig Stunden Iſt jede Wirfung des Getränks verſchwunden.“

Sohn flog zurüd zum Gafthof und ſah nad, Ob noch kein Leben zeigten die Erblaßten; Er fühlte, Nachts an ihrer Seite wach, Etet3 Sorgen noch auf feiner Seele laften; Ums Frühroth dann, denn ſchwül wars im Gemach, Ließ er vier Diener kommen, und fie faßten Tas Ruhebett, auf dem die Beiden lagen, Um es hinaus auf den Altan zu tragen.

Wie Marmorftatuen auf Grabesplatten Nun ruhen Haupt an Haupte dort die Zwei; An ihnen huſchen geifterhaft die Schatten Des mwindbewegten Torbeerbaums vorbei,

Und eine Klage um die jungen Gatten,

Zu früh erblichen in des Lebens Mai, Scheint in der Wogen Schlag emporzuballen, Die unten ſchäumend um die Klippen wallen.

Schon wirft auf ihre blafjen Angefichter Zitternd den erften Schein das Morgenrotb, Und nun der junge Tag! In Glorie bricht er Heran, wie auf des Schöpfers Machtgebot Der erfte Erdentag, und belle Yichter Umfpielen Beider Antlig grimmer Tod,

Du bift befiegt! Durch ihre Glieder fchleicht Schon leifeg Regen Hin; der Schlummer weicht.

233

Und zagend noch, gleihwie von Schlaf befangen, Shaun fie empor, geblendet von dem Lid, In dem das Meer, die Luft, die Erde prangen. Dann wiederum 0, täuſcht ein Traum fie niht? Läßt er den Blick an ihrem Antlig bangen, Schaut fie ihm in das treue Angeficht, Indeß fie fih in ſchweigendem Entzüden, Und doch halb zweifelnd noch, die Hände drüden.

Doch nein umfonft, daß fich der Zweifel fträubt! Die Schönheit, welche, allumber verſchwendet, Hinab auf Berge, Gärten, Infeln ftäubt, Der Strahlenfchinmer, der das Auge blendet, Der Blüthenduft, der faft den Sinn betäubt, Das Alles fagt: für immer hat geendet Des Lebens Gram gleid) nächt'gen Traumgebilden; Sie weilen in Elyſiums Gefilven.

Noch liegen Beide da in ſolchem Wahne, Halb zagend vor dem neugefchenkten Glüd, Halb fürdhtend auch, wie eine Fee Morgane Berrinnen möcht’ e8 ſchnell vor ihrem Blid. Im ZTrauungsfrad tritt John da zum Altane Hinaus Pippa bleibt im Gemad) zurüd; Erft will er jelbft die Neugebornen grüßen Und ſinkt mit Thränen bin zu ihren Füßen.

Dann naht, den Myrtenfranz im Lodenhaare, Auh Pippa und im reichen Hochzeitsfleid ; Sie wirft aufd Knie fih vor dem ruhnden Paare Und ftammelt veuevoll: „Verzeiht! verzeiht!” Pippa und Sohn erzählen, am Altare Der Priefter habe ihren Bund geweiht, Und meerhinüber ſchon nad) wenig Tagen Gen England werde fie der Dampfer tragen.

239

Vor Victor und Amalien weicht der Schleier; Ja, an die Erde ſind ſie noch gebannt, Doch fühlen, und ihr Athem hebt ſich freier, Daß jeder Zweifel, jeder Argwohn ſchwand, Und ſinken, wie bei heil'ger Tempelfeier, Einander Bruſt an Bruſt. Vom Grabesrand Erſtanden, ſehen ſie ſich ſchon hienieden In einem reinern Sein voll Glück und Frieden.

Bald auf des Poſilippo felſ'ger Zinne Empfing zu wonnevollem Aufenthalt Sie eine Villa, wie zum Sitz der Minne Geſchaffen und umrauſcht von Lorbeerwald. Durch Blätterlücken mit entzücktem Sinne Aufs blaue Meer, das um die Klippen wallt, Blickſt du von da und ſeine weißen Segel, Auf Bajä und des Feuerberges Kegel.

Du hörſt von unten ew'ges Wolluſtflüſtern In Grotten und am hallenden Geſtade, Wo bald wie Waldnacht grün die Wellen düſtern, Bald in azurnem Schimmer dich zum Bade Einladen, und in kühler Dämmrung lüftern Der Meergott hafcht die fchüchterne Najade; Und o! die duft’gen Inſeln, die im feuchten Lichtglanze auf den dunfeln Fluthen leuchten!

Auf jener Billa, fliehnd den Lärm der Gaſſen, Beſucht' ich jüngft mein Paar. Auch John war dort Mit feiner Pippa und, der Haft entlaffen,

Ihr alter Diener Tom, der Pjeudo-Lord. Ich lachte auf, doch wußte mich zu faflen Und nannte: Eure Lordichaft! ihn fofort. Zum Abſchiednehmen, da ihr Schiff die Bat Berlaffen follte, waren da die Drei.

240

Indeſſen wir beiſammen ſaßen, trat Ein Fremder in die Thür ein; es war Franz. Victor, der ihn bei ihm zu wohnen bat, Sprach, ihn umarmend: „Glücklich bin ich ganz, Daß wir dich wieder haben; alſo hat Die Mutter Kirche dennoch Toleranz Mit dir geübt und ließ den Ketzer laufen? Ich war gefaßt ſchon auf den Scheiterhaufen.“

Franz nahm das Wort: „Fata fatalſter Art Hab’ ich erlebt; fie gäben Stoff zu Dramen. Verwünſcht fer diefe ganze Römerfahrt! Bernimm nur! AL wir an die Gränze famen Des Kirchenftaats, umftellten dichtgejchaart Gensdarmen unfern Zug, und ein Eramen Der Reiſenden hub an, ein rigoröfes;

Allein für mich wie konnt’ ich ahnen Böſes?

„Ein Treubundmenſch, Ioyalfter der Loyalen, Bertheid’ger alles deß, was legitim, Sprich, ifts erhört fchon in den Weltannalen, Daß ich vor diefem päpftlichen Regime als MWühler galt? Mir, der ich in Journalen Die Anarchie befämpft, das Ungethüm, Mir, Mitglied unfres adligen Cafino, Befahl ein Shirre: Konım, Garibaldino!

„Nichts Half mein Paß, in befter Form vifirt, Nichts mein Proteft mir. Ein Gensdarm erfaßte Mich mit Gemalt, und vielfach egcortirt,

Ward ich, zur Luft der fchnöden Prieiterfafte, In dumpfem Kerkerloche einquartiert.

Daß auf dem Dampfer ich in die Toaſte Auf Garibaldi eingeftimmt, zu rächen Gedachten fie an mir ein folch Verbrechen.

241

„Sag, Bictor, giebt e8 etwas Deſperatres Als meine Lage dort, des Hilfentblößten? . Täglich dacht’ ich, eg mwiirden mich die Patres Zu Gottes höherm Ruhm lebendig röften; Denn auf der Erde giebt e8 nichts Rabiatres, Als diefe Pfaffen find. Endlich erlösten Mich des Gefandten Schritte, und den Staat Der Kirche mied ich fchleunigft Pereat!“

Und „Bereat!“ erfcholl e8 laut im Kreife. Den Freund umarmte Victor noch einmal; An einen Tiſch, mit Wein befegt und Speife, Lud und Amalie in den Gartenfaal, Und ehe John aufbrach zur mweitern Reife, Erflirrte bei Toaften der Pokal, Daß ihn mitfammt dem Räuberhauptmanngfinde - Heim nad Altengland trügen günft’ge Winde.

Die Gäfte gingen all, doch Victor rief Franz noch zurüd: „Nun ſag! wirft du auch Fünftig Legitimiſtiſch und confervatin Behaupten, das Beitehnde fei vernünftig? Nein, nein! gieb der Partei den Scheidebrief Und werde bei den FreiheitSmännern zünftig, Dann, Herzends Franz, jobald die Stunde fchlug, Bereinigt machen wir den Römerzug.“

„Ei, die Motion, ich denke, ift gefund,

Ich bin dabei,“ ſprach Franz, noch halb beflommen.

Und Bictor: „Sei alöbald denn in den Bund

Der Garibaldisünger aufgenommen,

Da wir heut Abend in dem Waldesgrund

Am See Agnano no zuſammenkommen!“

Und wirklich nach verraucdhter Weinerhigung

Ging Jener mit dem Freunde zu der Sitzung. Schaf, Gef. Werke. II. 16

222

Kund th’ ich noch vom Freiherın Salomon:

Nach jener Nacht, ala er die Wiederkehr

Victors entdedt, war er zu Schiff entflohıt;

Tort feine Koje nie verließ er mehr

Im Fieber fort und fort des Grafen Drohn Glaubt’ er zu fehn und ftarb noch auf dem Meer. Niemals vernahm aus der Geliebten Munde Mein Held von dem Gefchehnen eine Kunde.

Und jest, nachdem befänftigt alle Wetter, Die über unfre Beiden ſich entladen, Wie preifen fie das Schickſal, das als Retter Sie hergeführt zu dieſen Yuftgeftaden, Indeß fie bei der Nachtigall Geſchmetter, Beim Murmelton der plätjchernden Cascaden Im Hain der Villa zwifchen Oleandern Und Rofenheden auf und niederwandern !

Menn durch die üpp'gen Ranken grüner Neben Ihr Blick hinabſchweift zur Orangenſchlucht, Wo Zweige dicht mit Zweigen ſich verweben Und Blüth' an Blüthe prangt und Frucht an Frucht, Empfinden ſie: es iſt ein neues Leben Für ſie erblüht an dieſer ſel'gen Bucht; So, wie umher das duftende Geſtäude, Umwuchert Tag für Tag ſie neue Freude.

Wohl dann ſpricht Victor: „Wie nur an dem Knaben, Dem thörichten, der ich bis dahin war, Geliebte, mochteſt du Gefallen haben Und bliebſt ihm treu in Drangſal und Gefahr? Beſchämt ſteh' ich vor deiner Liebe Gaben, Doch nun beginnt ein neues Geiſtesjahr, Ein neuer Lebenslauf fir mich auf Erden, Und ringen werd' ich, deiner werth zu werden.

243

„Gereift zum Manne hör' es mich geloben! Für Freiheit will ich wirken und für Recht, Feind jedem Trug, von Prieſterliſt gewoben Als Fangnetz für das werdende Geſchlecht; Und ruft mein Deutſchland ſeinen Sohn, erproben In ſeinem Dienſt mich ſolls als treu und ächt, Nur ſeis kein Dienſt im Diplomatenamte, Zu dem mein Vormund thöricht mich verdammte!“

Epilog.

(Geſchrieben im September 1870.)

Und bald erfüllte ſich, was er geſprochen, Ein Zittern, wie wenn fi) im Bergesgrunde Der Erdgeift vegt und, jäh hervorgebrochen, Aus des Befup, des Aetna Kraterjchlunde Die feur'gen Yavaftröme überlochen,

Schlich durd) Europas Yänder bei der Kunde, Bon langem Schlaf ermachend rege wieder Die Riefin Deutſchland ihre mächt’gen Glieder.

Der Wedungsruf ſcholl aus der Stadt der Seine, Wo frech der Neffe des gewalt'gen Ohms Ein Satyrdrama, eine Faſchingſcene Aufführt am Grab des Invalidendoms. Ein Zwitterding von Affe und Hyäne, Applausbedürftig gleich des Hippodroms Luftfpringern, dacht! am Rheine Rorbeerreijer Zu pflücden diefer Wechfelbalg von Kaifer.

25

So wie auf einen Wurf ein defperater Glüdipieler feine ganze Habe feßt, Mit gloire ausfliden auf dem Kriegstheater Wollt’ er den Purpur, der feit lang zerfegt; Durch Phrafen, wie der alte Lügenvater Sie ihn gelehrt, ward drum das Volk gehekt, Bis wie ein Wetterftrahl durch das verrüdte Gehirn ihm jäher Größenmahnfinn züdte.

Zum Lofungsworte war es bald geworden Der grande nation, daß neu als Frauenfchänder Und Plünderer die Prätorianerhorden Raubfahrten machten in die deutfchen Länder; Und durd Paris in gellenden Akkorden Pofaunten Fournaliften, Marketender,

Gamins als des Franzoſenruhms Trompeter Vom Zug auf der glorioſen Spur der Väter.

Doch als die Kunde von dem Frevelmuthe Des Frankenvolkes rheinherüber ſcholl

Und drohnd, wie des Kometen Flammenruthe, Das Kriegsgewölk aufſtieg, da gährend ſchwoll In Aller Bruſt, die von Germanenblute,

Zu grimmem Zorn der langverhaltne Groll, Und jeder Puls der deutjchen Adern pochte Bon heil’gem Haß, der in den Herzen kochte.

Und mit dem Haß Gott wird ihn nicht verdammen, Nein, wie die Liebe ſegnen! hochauf ſchlug Degeifterung in lichten Himmelsflammen,

Und Flehen und Gebet ſchmolz mit dem Fluch Zu einem mächtigen Akkord zuſammen,

Ten zu des Höchſten Thron ein Engel trug; Und fieh! von oben fant, die Nacht zerreißend, Ein Gnadenſtrahl hernieder, ſiegverheißend.

246

Kaum hörte Victor von dem frechen Hohn, Deß beim Geheule ſeiner tollen Meute Sich wider uns vermaß Napoleon, So wars, als ſchöll' ins Ohr ihm Sturmgeläute, Als rief' aufs Schlachtfeld ihn Drommetenton, Und zu Amalien ſprach er: „Gleich, noch heute Heim eil' ich, daß ich in der Krieger Reihe Dem Kampf fürs heil'ge Vaterland mich weihe.“

Sie hielt ihn nicht; denn, wenn auch ſchwer beklommen, Für Deutſchland ſchlug ihr Herz ſo warm wie feins; Bald iſt das blaue Mittelmeer durchſchwommen,

Die Schweiz durcheilt bis ans Geſtad des Rheins Und nun, welch Leben! Sind ſie neu gekommen,

Die hohen Tage Gneiſenaus und Steins?

Es iſt, als hörte man im muth'gen Wagen

Das große Herz von Deutſchland mächtig ſchlagen.

Gleich einem Strom, der durch gebrochne Dämme Von Fels zu Felſen ſtürzt in jähem Sprung, Wogt von der Oſtſee an die Alpenkämme Die überfluthende Begeiſterung;

Im großen Bund der Völker und der Stämme Verſchwinden Nord und Sid und Alt und Jung, Und Alle, Bayern, Schwaben, Preußen, Franken Sind Eins im Einen Vaterlandsgedanken.

Schlachtdurſtig her aus allen deutſchen Gauen Strömt zu den deutſchen Fahnen Schaar auf Schaar, Nicht hält, mag auch ihr Aug' in Thränen thauen, Die Braut den Bräutigam am Tranaltar;

Freudig ihr jchönftes Kleinod bieten Frauen, Die Mutter bringt der Söhne liebfte dar, Und bittre Schmerzensthränen meinen Knaben, Weil fie zum Kampf zu ſchwache Arme haben.

2417

Am Rhein, um in die Kriegerreihn zu treten, Reißt Victor von Amalien ſich 108. Wie ſchwoll das Herz ihm hoch, als die Dronmeten Zum Aufbruch riefen mit dem Schmetterftoß Und vor ihm ber die deutfchen Banner wehten! D, über ihnen einig, frei und groß Sah er im Geift ein herrlich deutfches Leben Aug Kampf und Sieg und Schlachttod fich erheben.

Schon aus Paris, der alten Stadt der Hölle, Wälzt ſich heran der Heere dichte Fluth, Als ob fie aus dem Schooß des Abgrunds ſchwölle, Und Afrikas entmenjchte Negerbrut, Gleich Schakals, die mit heiferem Gebelle Ein Leichenfeld begrüßen, jauchzt in Wuth Und milder Luft empor; nun bald in Bächen Bon deutihem Blut denkt fie ſich fatt zu zechen.

Gejegnet hat die Näuberheer der Böſe Und e8 aus feinem Höllenarfenal Mit Chaſſepot ausftaffirt und Mitrailleufe. Angftvoll ſchaun rings die Völker zu, neutral; Das faljche England ftedt, das religiöfe, Dem Teufel heimlich über den Kanal Noch Waffen zu; heimtüdifch hebt die Katze Italien, um ihm beizuftehn, die Take.

Doch body, ein Retter fei er uns gepriefen, Der königliche Greis, als Held erprobt! Im Juünglingskampf mit dem Erobrungsriefen, Dem größten Würger, der die Welt durchtobt, Schon hat er treu erfüllt, was er Yuifen, Der Mutter, an dem Sterbebett gelobt, Und nochmals züdt er, unjerm Voll ein Rächer, Das Schwert nun auf den wälſchen Friedensbreder.

248

D, hätt! ich einen Klang von Körners eier, Wiär' ich ein Arndt, ein Schenkendorf im Lied, Mein beftes fingen wird’ ich ihm zur Zeier

Und Deutſchlands Heere, wies gen Frankreich zieht; Schon hebt die Bruft fih jedem Deutjchen freier, Da er die theuern Bahnen flattern ſieht;

Und müßten fie im Kanıpfe unterliegen,

Es ift genug des Glücks mir fahn fie fliegen.

Beim Heerestheil, der, von dem Heldenſohne Des Königs angeführt, rheinüber zog, Fand Victor Plag in einem Bataillone. Bertraut gemacht, eh jettt zum Heer er flog, Schon hatt’ er fi) mit Säbel und Patrone, ALS er der Dienftjahr-Waffenübung pflog, Und ward o, wie vor Stolz das Herz ihm flammte! Erlefen nun zum FahnenjunfersAmte.

Durch Dorf und Stadt beim Wehen meißer Schleier Und Fubelruf und bunter Wimpel Flug, Mit den Eolonnen, drinn vertraut der Bayer Deim Preußen fchreitet, geht der mächt’ge Zug. Am Abend liegt vor ihm das alte Speyer, Wo ruchlos treffe fie des Himmels Fluch! Die Franken, ihre Wuth noch an den Knochen Zu ftillen, unfrer Kaifer Gruft erbrochen.

Und neu nach furzer Nachtraft, die es hielt, Aufbricht das Heer beim Morgenfonnenglanze, Ter auf der Küraffiere Harniſch ſpielt,

Auf Schwert und Helmbufch und Ulanenlanze. Zulegt an Frankreichs Gränze Halt befiehlt

Der Feldherr; Schanze ragt dort neben Schanze, Und frifcher Kraft bedarfs, auf fteilen Pfaden Zu ftürmen den Verhau der Baliffaden.

249

So wird bi8 an den Morgen Halt gemadit, Und um die Beimachtfeuer lagern Alle; Schläfrig herüber halt im Wind der Nacht Der Auf der fränk'ſchen Runden von dem Walle, Und Victor denkt, indeß er fpät noch wacht, Wie ftets das wälſche Volk die Geierkralle Nach uns geftredt; wo dort die Wachtfeur glänzen, Sind nit ein Raub an Deutichland diefe Gränzen ?

Ihm vor den Geift tritt Melacs Mörderbande, Wie noch ift jener Frevel nicht gerächt Im Raub der Pfalz, in ihrer Schlöffer Brande Geſchwelgt des Bluthunds Ludwig Henkerknecht; Er mahnt fih all des Elends, all der Schande, Die Frankreich von Geſchlechte zu Gefchlecht Bei uns gefät; faum werden deutjche Klingen Die geil emporgefhoßne Ernte zwingen.

Und weiter denft er, wie des Corſen Schergen Die deutfhen Gaun, ein wildes. Heer, durchſtürmt, Wie felbft die Erde drunten in den Särgen Die Todten faum vor ihrer Gier beidhirmt. Zulegt im Traum noch ruht fein Blid auf Bergen Bon Leihen, die Franzofenwuth gethürmt,“.

Und durch die Nacht von den erwürgten Söhnen Deutfchlands den Schrei der Rache hört er tönen.

Da, horch! ſchlägt wirres Lärmen an fein Ohr. Die Fahne, die an feiner Seite lag, In Haft ergreifend, fpringt mein Held empor Und fieht im Often dämmern fehon den Tag; In Glied und Reihe treten Corps an Corps Die Krieger bei der Trommel Wirbelfchlag Und rüden ſüdwärts vor bis zu den ftarfen Ringmanern Weißenburg an Frankreich Marten.

350

Nach beiden Seiten wird daS Heer getrennt; Des Weges linfshin von dem Feſtungswall Zieht unfer Fähnrich mit dem Negiment, Und bald von vecht3 verkünden Knall auf Knall Sanonenfalven, daß die Schladht entbremnt. Laut, lauter krachts und dröhnt im Widerhall, Und Maſſen Rauche, die dicht und dichter wallen, Wälzt langfam her der Wind im fchweren Ballen.

Auf einmal ſchwarz wie Nacht die Wolfenhitlle, . Dann wieder Blige durch den Pulverdampf Ein Augenblid entjegenvoller Stille

Gekrach der Feuerjchlünde, Roßgeſtampf

Und Flammenzifchen dann und Schlachtgebrülle. Voll Ungeduld pocht Victor Herz, im Kampf Nun möge bald auch feine Fahne flattern Da, horch! nicht ferne hört er Schüffe Fnattern.

Und vor ihm durch des Rauches Nebelgranen Auftaucht ein Bergesuiden, breitgedehnt. Mit Paliffaden, Wällen und Verhauen, Drans der Kanonen ehrner Rachen gähnt, Gteigt er empor, und von der Höhe ſchauen, In Reihen längs der Schangen hingelehnt, Franzoſenkrieger Haupt an Haupt nad) unten; In Aller Händen glühn entflammte Lunten.

Unnmehmbar, außer wenn man Ylügel hätte, Erſcheinen muß die Stellung ; aber jchon, Den Berg zu ftürmen mit dem Bajonette, Tönt dad Commandomwort, und Bataillon Auf Bataillon wirft muthig um die Wette Den Feuerfchlünden, die von oben drohn, Entgegen fi, in Sturnmarfch vorwärts dringend; Dit ihnen Victor, hoch die Sahne ſchwingend.

31

Borwärts! Hinauf! Da fprang in lohen Bligen, So daß die Luft ein großes Gluthmeer fchien, Das Feuer der Kanonen und Haubigen Bon Batterien hin zu Batterien.

Den Stürmenden flog von den Kugelſpritzen, Die heißen Tod aus ihren Rachen fpien,

Der mörderifche Hagel dicht entgegen,

Wie Schloßen bei des Himmels Wetterjchlägen.

Nächſt Victor ftürzen, hingewürgt vom Blei, Der Tapfern viel, doch Bahn fi) aufwärts bricht er, Umballt von tauſendſtimm'gem Schlacdhtgefchrei ; Dit wird der Kugelfturm und immer dichter, Und wo die Yuft vom Pulverqualme frei, Grinfen hindurch die Höllenangefichter Der ſchwarzen Turkos und der gelben BZuaven; Dann ftredt fie hin das Bajonett der Braven.

Kartätſchen, fliegende Granatenſplitter Und Bombenflug, der durch die Lüfte ſaust! Faſt finkt, jo wie nad) langer Mahd dem Schnitter, Bom vielen Mähen matt dem Tod die Fauſt; Doh aufwärts, ob das graufe Kampfgemitter Auch gleih dem Sturmwind der Vernichtung braust, Schreiten, umraufht von Todeskatarakten, Die Deutjchen in des Siegsſchritts Donnertaften.

Leichen ringsum, der Wälfche und der Preuße Im Tod vereint. Berfegt vom Kugelerz Iſt Victors Banner ſchon; da fühlt er heiße Blutstropfen rinnen, und ein jäher Schmerz Durchzuckt ihn; daß fie Keiner ihm entreiße, Drüdt er die Yahnenftange an fein Herz Und fchlingt das Banner feft um feine Glieder; Dann matt auf Haufen Zodter ftürgt er nieder.

252

Hin über ihn ftürmt weiter die Colonne, Und tauſendſtimmig ſchallts: „Victoria!“ Selig auffchreiend in des Sieges Wonne Erhebt fein Haupt noch einmal Bictor da; Ihm ift, als blidt’ ex einer großen Sonne Ins Strahlenantlig; um ihn fern und nah Ertönt der Sterbenden Gejauchz; zurück Dann fintt er biutend mit gebrocdhnem Blid.

Die ihr das Schlachtfeld dedt, ihr heil’gen Todten, Nachweint euch feur’gen Dank das Baterland In euern Himmel! Mög’ im morgenrotbhen Yıhhticheine drüben Palmen euch die Hand Der Sel’gen reichen, während Siegesboten, In alle Weltenräume ausgefandt, An die Unfterblichen, die fie umringen, Tie Kunde eures Opfertodes bringen!

In Weh die Häupter neigen wohl die Euern, Durd ganz Germanien hallt ein Klageton; Kein deutfches Herz ift, da8 um einen Theuern Nicht blutete, Freund, Bruder, Vater, Sohn; Und doch mit Bliden, leuchtend gleich den Feuern Der Siegesfeier, die gen Himmel lohn, Shaun wir die Krone, die ihr euch erworben; Wir alle wären gern wie ihr geftorben.

Amalie, die am Rhein zurücgeblieben, Bezwang ihr Herz kaum, da8 vor Sehnſucht ſchwoll. Kein Wörtchen hatte Victor noch gefchrieben, AB ihr die Kunde von der Schlacht erfcholl. Nach Weißenburg, von Seelenangft getrieben, Sofort da flog fie, ſchwerer Sorge voll; Sie hoffte den Geliebten dort zu finden, Tod mußte Niemand ihr von ihm zu fünden.

253

Zur Wahlitatt eilt fie da. O, Keiner trete, Wem ftählern nicht der Muth und feljenhart, Auf dieſes Schlachtfelds graufe Schredenftäte, Auf das der Tod mit bleichen Antlitz ftarrt, Entſetzt von all den Häuptern, die er mähte! Du glaubft, vom Hufe fei e8 aufgejcharrt Des fahlen Roſſes, drauf, den Zaum verhängt, Der Reiter der Apokalypſe jprengt.

Dich aber lad’ ich, großer Menſchenſchlächter, Der du dies Web fchufft, dich und deine Sippe! Nachts übe bier das Amt als Todtenwächter! Borzählen joll das graufige Gerippe Die Leihen dir, um welche Söhne, Töchter, Eltern und Brüder dich mit bleicher Lippe Verklagen! Alles Blut, das hier vergoflen,

Es fall’ auf dich und deiner Schuld Genofjen!

Tu willft entfliehn, doch bift gebannt; die Stunde Der Mitternadt, die ſchreckenvolle fchlug, Und die Ermürgten mit der blut’gen Wunde, Empor fich richtend, ſchleudern einen Fluch Aus dem erlofchnen Blid, dem ftummen Munde Auf ihren Mörder endet nicht der Zug? Mehr, immer mehr der Graungeftalten fteigen Bor dir herauf im wild-gejpenft’gen Reigen.

Ya, Henker Frankreich, Geißel der Nationen, Ten Weheruf, den Rachefchrei vernimm AU der Erfchlagnen, jener Millionen, Die du dahinkartäticht mit Tigergrimm, Die du verbannt in mörderifche Zonen! Bon Solferinos Feldern, aus der Krim, . Bon Afrikas und Merikos Geftaden Biehn fie heran, dich vor Gericht zu laden!

254

Yang fühlte fih Amalie wie vernichtet, Dann mühfam raffte fie fih auf und fehritt An Leichen, die zu Hügeln aufgefchichtet, Und Sterbenden dahin mit ſchwankem Tritt, Und Manchen noch, der, halb emporgerichtet, Des Durftes mörderiſche Qualen litt,

Ließ aus dem Becher fie Erquidung faugen; Bang irrten bin am Boden ihre Augen.

Schon Stunden lang durchs weite Todtenfeld Läßt fie von eines Knaben Hand fich führen, Der ftarten Arms die Matte aufrecht hält. Hier lange NReihn von Frankreichs Grenadieren, Preußens Hufaren, nun im Tod gefellt Bermundete, die bang ins Leere ftieren, Und todte Roſſe bei dem todten Reiter Sie fucht und ſucht vergebens! weiter! weiter!

Bom Thalgrund aufwärts nun, der faft vermoort Bon vielem Blut ift, zu dem Bergesrüden! Ohnmächtig halb, die Augen trüb umflort,

Oft finft fie hin, der Schmerz will fie erdrüden ; Dann, neu empor fi) raffend, hierhin bohrt Und dorthin fie den Blid: im Niederbüden

Bu der Gefallnen Einem plöglich da

Auffchreit fie laut; es iſt ihr Victor, ja!

Er Iebt, er hebt die Hände ihr entgegen; „Amalie! Amalie!” haucht fein Mund. Zwei lange Tage hat er fo gelegen Hülflos auf leichenüberdecktem Grund Und fonnte, matt zum Tode, kaum fich regen. Sie wirft fih nieder auf den theuern Fund Und hält ihn mit den Armen lang umfangen Und drüdt ihm Küffe heiß auf Stirn und Wangen.

255

Aufs Neu iſt ſein Bewußtſein hingeſchwunden, Und jammernd ruft ſie: „Er iſt todt! iſt todt!“ Sie öffnet ſein Gewand und ſieht die Wunden, Die auf der Bruſt ihm klaffen blutigroth.

Von Trägern, die zum Glück ſie bald gefunden, Zur nahen Hütte wird auf ihr Gebot Sodann getragen der Beſinnungsloſe, Und ihm ein Bett macht ſie von weichem Mooſe.

Ein Wundarzt, hergerufen durch die Bauern, Giebt ihr den Troſt, es walte nicht Gefahr, Allein die Heilung könne Monde dauern.

So an dem Bett des Theuern immerdar

Sorgt fie und waht und fieht mit Freudefchauern Aus feinen Augen mählig wieder Mar

Und immer Harer feine Seele ftrahlen;

Schon lächelt er durch feiner Wunde Qualen.

Und wie Amalie Botichaft neuer Siege Ihm Tag auf Tag und Stund’ auf Stunde gab, In Andacht fah er zu ihr auf, als ftiege Ein Engel, gottgejandt, zu ihm herab Und zeigt’ ihm fonnenhoch die Adlerflüge Dez deutfchen Ruhms was wollt ihr, Tod und Grab? So wie der Penz mit frifchem Saft die Reben, Durchſtrömt ihn jeder Sieg mit neuem Neben.

Frankreich tief in den Staub gebeugt! zur Yabel Gemworden fein gepriefner Ruhmesglanz! Sein Bayard felbit, fein großer Connetabel Den Helden Sedans reichen fie den Kranz. Bor Deutfchlands Heeren bebt das Seine-Babel, Und ehrlos, wie mit Ehren König Franz, Sant von dem Herrjcherthron, den er mit wälſcher

Argliſt erfchlich, in Haft der große Fälſcher.

256

Oft, ſich vom Krankenbette aufzuraffen, Sucht Victor, um dem Heere nachzueilen; Allein die Glieder weigern ſich, die ſchlaffen; Noch Monde braucht es, bis die Wunden heilen, Die, nah dem Herzen, auf der Bruſt ihm klaffen. Amalie glaubt, die Fahrt von wenig Meilen Nach Deutſchland heim ſogar nicht dürf' er wagen; Auf einer Bahre läßt fie drum ihn tragen.

Ein Haus am Nedar, hoch auf Bergterrafien Gebaut, das ſchon ihr Aufenthalt gewefen, Empfängt fie dort und ihren Freund, den blaffen. Der Ort ift wie gefchaffen zum Geneſen; Born braust der Strom durch düftre Feljenmaflen, Bon fern herüber dämmern die Bogefen; Dazwiſchen, Segen fpendend den Befigern, Sieht man den Ahein durch Weinberggärten gligern.

Und vom Altan nach Weften fchauend dachten Die Beiden, wie das deutfche Rachefchwert Nun drüben flammte; und wenn von den Schlachten, In denen neu fich deutjche Kraft bewährt, Die Boften Botfchaft tiber Botfchaft brachten, Wie ftrahlten ihre Augen frohverklärt! Nicht einmal, hundertmal die Jubelkunde Bernahm der Eine von des Andern Munde.

Dem hohen Heldengreife, Friedrich Erben, Nachjauchzen fie; wer wäre nicht beglüdt, Dürft' er im Schatten feiner Fahne fterben, Die Bruft mit rother Wunden Bier gefhmüdt? Wie kühn, als müßt’ er um die Krone werben, Die lang ſchon feine weißen Locken ſchmückt, Der Herrlihe von Sieg zu Siege fchritt,

Im Geifte kämpften fie und fiegten mit.

2597

Und Victor ſprach: „Geliebte! fchlag bie Blätter, Die ewigen, der Weltannalen nad), Du findeft Keinen, der ihm gleich, dem Netter Deutſchlands, dem Rächer Ianggehänfter Schmadh, Bor dem, gleich einem Königthum der Bretter, Des frechen Erbfeinds Reich zuſammenbrach! Dom Mund wird unfern fpätften Entelfühnen Des großen Wilhelm Heldenname tönen.

„Was Alle wir erfehnt, was unjern Ahnen Und Bätern nur ein ſchönes Zraumbild fchien, Er bringt e8 und. Schon feh’ ich neue Bahnen, Bon ihm gelenkt, die Weltgejchichte ziehn;

Das Reich, das lang verfunfne, der Germanen Erfteht in junger Herrlichkeit durch ihn.

Mir ift, als hört’ ich Schon Drommetenftöße, Die feine Macht verkünden, feine Größe.

„Wozu denn fehweiften wir noch in die Ferne? Wohl hielt Granada, hielt Neapel Strand, Gleich Bildern einer magifchen Laterne Mit Zauberreizen mir den Sinn gebannt;

Doch ſchöner leuchten, glaube mir, die Sterne Nun über unferm deutſchen Vaterland,

Seit von den Alpen zu des Nordens Mark Sein Bolf geeinigt dafteht, frei und ftarf.

„So wollen wir dem theuern ohne Wanten AU unjer Wirken weihn, al unfer Streben; Wie fonft zu Jenen, die im Kampfe fanten, Einft dürften drüben wir den Blick erheben? Und laß dem Lenker des Geſchicks ung danken, Der uns gegönnt, fo Großes zu erleben!”

Er ſprach e8, und, vergefjend aller Yeiden, Stumm in die Arme fanten fid) die Beiden. Shad, Gef. Werke II. 17

2585

Nun jede Sorge wie ein Traum zerronnen, Jedwede Hoffnung, jeder Wunfch geftillt! Und wie nah Sturmesnadt ein Waflerbronnen Bon des Gewitters Fluthen überfchwillt, Zerfließen in den großen Strom der Wonnen, Der ſchon ihr Herz zum Ueberfluthen füllt, Die Leiden all, die fie vordem beftanden, Und machen feine Wogen höher branden.

Lothar,

Ein Gedicht in gehn Geſängen.

Dritte Änflage.

An

Herdinand Gregoronins

in Rom

Es war eine glückliche Fügung, melde mir ver- gönnte, nady fo vielen ſchönen Stunden unferes gemein- famen Aufenthaltes in Rom and die großen Sage der jüngſten Erhebung Dentfchlands neben Ihnen zu durd- leben und mit Ihnen zu feiern. In Erinnerung an diefe Beit widme ich Ihnen das vorliegende Gedicht, deſſen leitender, feinem Helden durd alle wechfelnde Schtehfale

vorleuchtender Gedanke fi in ihr, wie die Eräume nnferer Ingend, herrlich erfüllt hat.

Indem ich in kurzen Bwifcdenräumen verfcdiedene Dichtungen herausgebe und noch welter herausgeben werde, wünſche ich, daß Sie diefelben nicht für Früchte einer übereilten Chätigkeit der letzten Iahre halten mögen. Obgleich ich bis vor Kurzem nur mit literarifchen Werken anderer Art hervorgetreten bin, habe idy mid Doc; von Tugend anf der poetifihen Production mit Ke- geifterung gewidmet, und Manches von dem, was jeht erfcheint, iſt ſchon vor geranmer Beit entflanden. So diefer Lothar. Derfelbe iſt eine Frucht meiner früheren

Wanderungen durch jene Länder, in melden wiederholte

Reifen mich faft heimiſch gemacht haben und die, auf änßeren Anlaß, von Neuem zu befucen id mid eben jet anfıhtke. Ich fihrieb ihn zum größten Theil An- geſtchts der Gegenden, durch melde id; meinen Helden führe, unter den Palmen und Belten Syriens und auf dem Dache des lateinifchen Klofters von Iernfalem, an den Ufern des Onadalguivir und auf der herrlichen, über dem Abgrund hängenden Alameda von Ronda, anf einer Wilbarke und inmitten der ungehenern Trümmer des hundertthorigen Theben. Einiges von dem faktifchen Inhalt, namentlid die Afrikaniſchen Abenteuer in der Epifode des festen Geſanges, beruht auf den Er-

zählungen eines mitreifenden Frangofen.

Sch begleite diefes Buch anf feiner Fahrt über die "Alpen mit dem Wunſche, daf mein Vorgang Sie ver- anlaffen möge, nad der bevorftehenden Vollendung Ihres großen hiftorifiyen Werkes andy die Poefien, Die Sie in Ihren Mappen verbergen, nicht länger zurückzuhalten.

Münden, im December 1871.

Erſter Gefang.

1.

In meines Lebens Mitte nun, Da ich zu neuem ernſtem Gang mich rüfte, Noch einmal auf der Kindheit fonn’ger Küſte Laſſ' ich die Blicke heiter ruhn. Wie fih, von Frühlingswettern wild durchtobt, In Kämpfen meiner Jugend Kraft erprobt, Wie ich geliebt, gelitten und gerungen, Und wie auf ftürmenoller Erdenfahrt Sich mir beredt mit taufend feur’gen Zungen "Des Lebens hoher Genius offenbart: Die Bilder alle der vergangnen Zeiten Am Geift mir follen fie vorübergleiten.

2.

Zuerſt dich grüß' ich, wald'ge Hardt, Die meiner Kindheit Wiege du geweſen, Euch, letzte Höhn der zackigen Vogeſen, Die ihr gleich Wogen, jäh erſtarrt, Am Rhein dem Wanderer entgegenblaut! Stets ſchweben meines Lebens beſte Träume

266

Noch über euern Thälern; eure Bäume

Und Bäche grüßen mich mit Freundeslaut.

Das alte Schloß von Neuem ſeh' ich ragen, Daß mid) geboren; Marmorlöwen tragen

Hoch überm Thor das Wappenfchild,

Im Burghof weben ihr Gefpinnft die Spinnen Um Heiligen- und Ritterbild,

Und Halb zerfallen find die Mauerzinnen.

An allen Pfeilern, an dem Erferthor,

Rankt dunkler Epheu bis zum Dach empor;

Bei Naht wie von zerbrödelnden Ruinen Schleicht leiſes Kniftern durch den morjchen Bau Und, wenn der Wände alterdunfles Grau

Matt flimmert, von des Mondes Licht befchienen, Sieht man von lang dahingejunfnem Leben

Den Schatten längs der diftern Mauern fchweben.

3.

"Halb wie ein Traum, und dennoch Klar und licht ft mir die erfte der Erinnerungen, Daß ich, von weißen Armen fanft umfchlungen, An warmem Bufen lag, und ein Geficht Mit Lächeln auf mich niederfchaute. In blaue Augen, unergründlich tief, Blickt' ich empor, und ſüßer Frieden thaute In meinen Traum aus ihnen, wenn ich fchlief, Und eine Stimme, Silbergloden gleich, Scholl an mein Ohr wie aus dem Himmelreich.

Dann ward es ftumm und finfter um mid) ber; Bon Jahren blieb mir fein Gedächtniß mehr, Die drauf verfhmunden. Später erft als Knabe

2367

Hört’ ich, der Tod, der arge Räuber, habe Die Mutter mir entführt zum frühen Grabe; Und einft in feierlicher Stunde wies

Mein Vater mir ein wunderherrlih Bild, Auf das er eine Thräne fallen ließ;

So füß vertraut ſah es mich an, jo mild, Daß mich ein heil'ger Schauer überfiel

Und mir auf lange hin für Scherz und Spiel Der Hang verſchwand. Er aber ſprach: „Sieh hier die dir das Yeben gab, Lothar! Dies Auge, das mein Himmel war,

Hing noch an dir, als es im Tode brach.“

4.

Allein im einſamen Gemache brütend, Und jedem ftreng den Eingang dort verbietend, Dlieb oft mein Vater bis zur Abendipäte. Ich war der alten Wärterin Margrethe Zur Hut vertraut; Johann, der greife Jäger, Auch übte tren als Wächter und als Pfleger Sein Amt bei mir. Doch beiden manchesmal Entfloh ich heimlih, um im Ahnenfaal Die Bilder zu befehaun, die aus den Rahmen So ernit herabjahn, und am Fuß die Lettern Zu fragen nach der alten Ritter Namen. Die fteilen Treppen oft mit luſt'gem Klettern Aufflomm ich zu des Schloßthurms höchſten Warten Und blidte jpähend durch die Mauerſcharten Den Schwalben in die Nefter, daß fie zag Die Köpfchen bargen. Neugier Tag für Tag Trieb mich, oft ſchon vor Morgengrauen, Das Wachſen ihrer Heinen Brut zu fehauen;

268

Drauf wieder abwärts ging e8, hin und ber Durh Säle, wo in ehrner Ritterwehr

Mit Halsberg und mit Panzer in den Blenden Mächt'ge Geftalten ftanden und von Wänden Und Simfen Schwert und Lanze niederhing; Zulegt entlang den Corridor

Und leiten Schritt? hinaus zum Burghofthor, Bis wo ein bunter Effenring

Bon Primeln und von Krokus mi umfing! Wenn ins bethaute Gras die Stirn ich preßte Und von der Blüthenfüille fehwerer Hefte

Der Duft zu mir herniederftob;

Wenn zu den bunten Schmetterlingen,

Die faugend über mir am Saftkelch Bingen, Das Auge träumend id) erhob,

Und mir des Fliederd blaue Traube Entgegenäugelte aus dunflem Laube

Wie glüdlich ih! O ſel'ge Kindheit,

Der Lebensfrühe goldne Zeit!

Ein Licht, das wir nicht Shaun in unfrer Blindheit, Ein Schimmer noch aus der Unendlichkeit Umleuchtet dich; gleich einer großen Blume Erſchließt fi) Blatt an Blatt mit Maienduft Die Welt vor dir; mit reinrer Luft,

Wie in der Menſchheit Frühlingsthume, Scheint über dir der Himmel noch zu lachen, Und du vernimmft im Traum und Wachen Noch Melodien, die unferm Ohr verhallt!

War ich de8 Tummelns müde in den Gärten, Hin über Zäune, die den Pfad verfperrten, Sprang ich des Weges in den nahen Wald Und jagte längs dem Sprudelbach Yibellen nad), den buntgeftreiften,

Indeß aus Tichtgemölf vom Himmelsdad)

2609

Die Lieder ungejehner Lerchen träuften.

Hinein in grüne Blätternadt,

Wo kühle Schauer niederrannen,

Tief, tiefer ftet3 mich 3098 mit Macht

Und Buchen Iodten mid und Edeltannen

Empor in ihre Wipfel; Stunden lang

Auf einem Aft, der fih im Windhauch ſchwang, Saß ich, dem Artfehlag laufchend und dem Schrei Des Kukuks, der wie Jubelruf des Mai

Hinhallte längs der moosbewachſnen Stämme;

Ich ſah den Hirfch mit äftigem Geweih

Durchs Didiht brechen, und die rotben Schwämme Hell funkeln zwifchen Farrenkraut,

Und freute mich, wenn neben mir vertraut Eichhörnchen Auge mir in Auge blickten

Und Tauben Körner aus der Hand mir pickten. Mir war, die tauſend Stimmen, die mir riefen, Den Wildbach, brauſend in verborgnen Tiefen, Der Blätter Lispeln und des Spechtes Hämmern Müpt ich verſtehn. In Brüten jo verſenkt,

Nicht achtet' ich, wie tief in Gluth getränkt

Der Hochwald ſchimmerte, bis mählig Dämmern Sich um mich breitete; auf einmal dann

Aus meinen Träumen ward ich aufgeſtört;

Ich glaubte, Stimmenruf hätt' ich gehört;

Nah, immer näher kams, es war Johann,

Der Jäger, der mich rief: „Lothar! Lothar!

Ei, ſeid Ihr denn des Teufels ganz und gar? Kommt, junger Herr! Lang' iſts, daß ich Euch ſuche; Margrethe, die Euch längſt verloren meint,

Irrt jammernd hin und her und ſchluchzt und weint, Und Ihr iſts glaublich? ſitzt hier in der Buche. Nun, Wildfang, kouimt herab nur aus den Zweigen! Dem Bater will ich8 diesmal noch verfchweigen.“

270

Berboten war im Schloß zum einen Zimmer

‚Der Zutritt mir. Was mochte drinnen fein?

Dft ſpäht' ich durch die Thür, doch matten Schimmer, Der durch die Spalten glomm, fah ich allein Und meinen Bater in dem Lehnftuhl figend. Bon einer Kugel, die ihn ſchwer verwundet, Nie wieder war er ganz gejundet

Und ſchlich, auf feinen Stab fi ftügend, Nur mühſam durch die Säle hin.

Nichts liebt' er mehr, ald am Kamin

Bon feiner Kriegerzeit mir zu erzählen. Die Wände ringsum waren in den Sälen Mit Karten überdedt und Schlachtenplänen ; Er hieß mich diejen holen oder jenen,

Und von den Öluthgefilden Spaniens bald Bernahm ich, wie des Corſen Allgemwalt BZuerft der hohe PBalafor gebrochen;

Wie rothe Wellen hoch der Ebro fchlug Und dur Tranzofenleichen, die er trug, Pelayos Söhne ihre Schmach gerochen; Bald hört' ich von des Nordens Todtenfeld, Das Hunderttauſende, vom Schwert gefällt, Vom Froſt gewürgt, in Eis erſtarrt,

Mit ihren Schädeln überſät und Knochen, Und wie der Flamme grauſiges Geflader, Auflodernd ob dem großen Leichenader, Zum Leuchtfignal der Weltbefreiung warb.

Als Hochverräther, fo wie Arndt und Stein, Seit lang vervehmt durch des Tyrannen Aechtung, War da mein Bater, um aus Schmach und Knechtung Sein vielgeliebtes Deutjchland zu befrein, Vom fernen Rußland heimgekehrt.

271

Der Erften Einer, die fih mit dem Schwert

- Um Vorks und Blücyers Bahnen fehaarten,

Hatt’ er gejauchzt, wie ihre Siegesfahrten

Ten wälſchen Hochmuth brachen. Kulm und Beeren, Nichts Größres gabs für ihn, und Freudenzähren Entquollen feinem Blid, wenn er fie nannte.

Selbft hatte auf dem Schlachtfeld als Major

Der Feldherr ihn gegrüßt, und feinem Ohr

War das der Klänge jchönfter, die er kannte.

Bon jeinen Thaten, feinen Fahrten jo Erzählt’ er ein» und abermal, und froh Tas längft Gelannte hört’ ich ftet3 aufs Neue; Doch oft, ald ob er ein Erinnern jcheue, Etodt’ ihm die Stimme, und mir wollte däuchten, Ich fähe fich fein Auge plöglich feuchten; Dann ftand er auf: „Nun gute Nacht, mein Knabe!” Und ſchritt in fein Gemach hinweg am Stabe. Mir aber hallte jedes Wort, Das er gejprochen, in der Seele fort. Mich in das Kiffen bergend mit dem Haupte, So daß Margrethe mich entjchlummert glaubte, Yang wach noch auf dem Bettchen lag ich da Und hörte Trommelklang und ſah Helmbuſche wehen, Schwerter bligen, Sant endlih Schlaf auf meine Augenlider, Dft wie beim Krahen von Gejchügen Auffuhr ich aus den Träumen wieder; Den lauten Marjch der Heeresreihn Und Lärm von Fußvolk und von Reiterfchaaren Noch zittern fühlt’ ich mir durch Mark und Bein, Und fernber ſchollen Siegsfanfaren, Im Winde fterbend, an mein Ohr. Dann rafft’ ich mich vom Pfühl empor Und aus den Augen quoll mir Zähr’ auf Zähre:

„D Gott, warum auch noch fo Klein,

Warum fo [hwach noch muß ich fein!

Wenn wieder nun zum Kampf die Heere Auszögen, ach! und mich nicht mit ſich nähmen, Ich müßte mich zu Tode grämen!*

6.

Mein eriter Gang an jedem Wochentag Ging in das Dorf hinab, wo, unter Linden Berftedt, das Heine Pfarrhaus lag.

Den Pfarrer Eberhard ſchon wach zu finden, Der meiner Kindheit erfter Lehrer war,

War ich gewiß; und trat ich ein, fo Kar Sah mid fein Auge an, jo feelenheiter,

Als wären Engel auf der Himmelgleiter

Bei Naht in feinen Schlaf hinabgeftiegen. In feinem Stübchen weltentfremdet ſchien Das traute fern im Morgenland zu liegen Umranfchten Paläſtinas Palmen ihn, Umdufteten ihn Sarons Rojen.

Er wußte mehr Befcheid im Lande Gojen Als in der Pfalz; den Plag, mo Abraham Die Engel Abends traf am Palmenftamm, Und Mamres Hain fannt’ er genauer,

Als dicht vor feiner Thür die Kirchhofmauer.

Der Anblid ſchon des guten Alten Verſcheuchte mir die nächt’gen Traumgeftalten, Und, wie in Kinderfeelen leicht Gedanke dem Gedanken weicht,

So folgten dem geftörten Schlaf voll wilder Kriegsträume fanfte Friedensbilder

123

Vom Hirtenlande Sanaan. Tu guter, theurer Eberhard! Der Schatten fchon von deiner Gegenwart

War Lieb' und Friede! O wie kann

Für Alles, Alles, was von dir ihm warb, Ge dein Yothar dir danken? Jene Stunden, Die goldenen, wo find fie hingeſchwunden, Als ich zu deinen Füßen jaß

Und, ſtammelnd noch, der grauen Vorzeit Kunden Aus dem gemeihten Buche las!

Die heil’gen Männer al, die Frauen Glaubt’ ich lebendig um mich ber zu fchauen, Deim Aehrenlefen die verlafine Ruth,

Und Jakob, wie er feine Rahel traf; Bertraut und heimathlih zu Muth

Ward mir in jener frühen Welt,

Dir war, ich hätte meinen erjten Schlaf Berihlummert unterm Patriarchenzelt.

Hieß es zulekt: für heut genug! Ungerne ſchloß ich nur dag Bud) Und konnte faum den nächften Tag erwarten. Hinaug mid in den Pfarrhauggarten Nahm Eberhard und fjah in ftiller Freude Mir zu, wie ich den Kreiſel ſchlug Und auf dem blühenden Geftäude Den bunten Käfer fing. Ich trug Ihm den gefangenen heran im Netze Und, wenn wir feiner Flügeldeden Pracht Genug bewundert, ſprach er: „Nun hab’ Acht, Wie ih ihn neu in Freiheit fege! Dedente wohl, das du ihm nicht gegeben, Nicht rauben darfft du ihm das ſüße Yeben!”

Zur Abendzeit, wenn wolkenlos der Himmel, Kam oft der Alte noch auf feinem Schimmel Ehad, Geſ. Werke. 1. 18

274

Zum Schloß herauf; dann auf der Moosbank gerne Saß er mit mir und zeigte mir die Sterne,

Die droben freijten, bis ich wie Bekannte

Ihm jeden Standftern und Planeten nannte.

Oder im Grün zu unfern Füßen wies er

Den Glühmurm mir, den Stolz der Sommernadt, Ter in dem Graſe glänzte wie Smaragd.

Ihn als der Sterne Zmillingäbruder prieß er: „Geringer nicht fitrwahr ift er, Al Jupiter mit dem Trabantenheer,

Der ein Jahrhundert lang die Sonn’ umkreiſt Bevor er feine Bahn vollendet.

Nicht Groß noch Klein gilt vor den em’gen Geift, Uns einzig ift der Sinn verblendet,

Daß minder die Unendlichkeit wir ahnen,

Wenn in der Yuft ein Sonnenftäubdyen meht,

Al wenn auf feinen Riefenbahnen

Hinrollt der flatternde Komet;

Und doch ift hier am Halnı der Tropfen Thau, In dem Myriaden Weſen wimmeln,

So unermeßlich wie der Weltenbau,

Der über uns im nächt'gen Blau

Aufragt mit ſeinen Monden, Sonnen, Himmeln.“

Einſt eines ſchönen Juni-Abends wars Sprach er: „Nur arm iſt dieſe Zeit des Jahrs, O mein Lothar! Noch ahnſt du nicht, wie Großes In dunkeln Tiefen ſeines Wunderſchooßes Der Himmel birgt; noch hat er dir nicht einen Gezeigt von ſeinen ſchönſten Edelſteinen;

Allein gedulde dich! du wirſt ſie ſchauen, Wenn erſt des Herbſtes klare Nächte blauen Und glanzvoll, wie ihn einſt im Paradieſe Die erften Menfchen fahn, der Strahlenriefe

25

Orion ſeinen mächt'gen Schild erhebt; Wer das nicht ſah, nur halb hat der gelebt.“

Die Tage zählt' ich und die Nächte nun Bis niedriger die Sonne kreiſte; Stets ſtand das Bild vor meinem Geiſte Und ließ mich nicht auf meinem Lager ruhn. Zur Nachtzeit manchesmal erwacht’ ich Aus traumerfüllten Schlaf und ſprang Anz enter hin erwartungsbang; Die Wunderfterne zu erbliden dacht’ ich, Doch fah gleich einem Schwarme goldner Bienen Nur die Plejaden an des Oſtens Rand Und ſüdwärts tief den hellen Fomahand Mit mattem Schimmer fhon ſtieg Hinter ihnen Der Tag empor. Zum Himmel feufzt’ ich da: „Was birgt du deine köftlichften Kleinode? Weh! würd’ ich abgerufen nun vom Tode, Bevor dein Herrlichjtes ich ſah!“

Oft auch ftarr mit dem Blid, dem ſchlummermüden, Bald gegen Often fpähend, bald nah Süden, Stand ih die Nacht hindurch auf dem Balkon, Und erft wenn jubelvoll die Lerche ſchon Zum Himmel aufftieg, überwacht und matt Warf ich mich auf die Yagerftatt.

Mit längern Nächten dann kam der Auguft,

Und body) und höher klopfte mir die Bruft;

Denn, trogen Globus nicht und Sternenfarte,

Eon ward gewiß, daß vor dem Morgengrau

Tas Wunderfchaufpiel meiner harrte.

Tod trüb’ ummöltt blieb lang des Himmels Blau, Und zu der Woltendede, ob fein Strahl

Sie bredyen würde, ſpäht' ih mandhesmal.

Ta endlich riß der düftre Nebeljchleier;

276

Gleich einer Kuppel, die zur Tempelfeier

Sich ſchmückt mit tauſend bunter Lampen Pracht, Hing ob der Erde die Septembernacht.

In Schlummer längſt verſunken waren Alle, Nur ich lag ſchlaflos, tief-erwartungsvoll,

Und, als vom Thurm die dritte Stunde fol, Raft ließ es mir nicht länger; durch die Halle Hinſchleichend, aus dem Fenſter leicht

Schmwang ich mich aufs Gezweig der alten Ulme; Ein Sprung noch, und der Boden war erreicht. Zum nahen Hügel dann, von deffen Kulme Sich ungehemmt ringshin der Blid verlor, Trug jchnellen Schrittes mich der Fuß empor; Und als ich droben war, o übermannt

Zu Boden fanf ih hin; fo herrlich ftand,

Dom reinen Schöpfungsglanze noch umfloffen, In Etrahlenglorie Orion da;

Weithin durch die Unendlichkeit ergoffen

Ein Strom des erftgebornen Lichts,

Aus dem mit Schild und Keule der Erlauchte Gleich einem Gott der Urwelt tauchte! Bemältigt von der Größe des Gefichts,

Zu dem Gemaltigften im Sternenheere

Das Auge zu erheben wagt’ ich kaum;

Erſt mählig aus dem glanzdurdmwogten Raum Stieg er vor mir empor in voller Hehre,

Und unter ihm wie flammende Altäre Rothfunkelnd Procyon und Sirius.

Yang lag ich auf den Knien, die Stirne ſenkend, Mich weihend in dem Strahlenguß

Und all mein Weſen mit dem Fichtftrom träntend, Der aus dem Unermeſſnen niederquoll;

Ein niegefannt Gefühl hob ahnungsvoll

Die Bruft mir, und zum Himmel auf entzitdt ‚Das thränenüberftrömte Antlig wandt’ ich.

7

Unmündig nod) das Was und Wie nicht kannt! ich, Doch fhwur, die Hand aufs Heine Herz gedrüdt, Ten Sternen zu in taufend heil’gen Schwüren, Ein großes Wert auf Erden zu vollführen.

Zweiter Gefang.

1.

Und weiter ziehen, Bild an Bild gereiht, Borüber mir der Jugend Scenen. Ein alter Bau aus längft vergangner Zeit Mit Hallen, die fich weithin dehnen. Zum Lehrfaal umgewandelt ift die Zelle, Drin Mönche ehedem gehaust, Und Iuftigen Gelärmes faust Der Schwarm der Knaben über ihre Schwelle, Sobald die Feierftunde fchlug. Entlang die düftern Kloftergänge, Eh noch verhallt die fieben Glodenklänge, Wälzt in den Garten fich der Zug. Ein Tummeln erft und auf und nieder Jagen; Dann auf den Spielplag geht in wilden Lauf, Und mit den Freudenrufen fliegt hochauf Der Ball, von nerp’ger Fauſt gefchlagen.

Ein Knabe nur fist, fremd dem lauten Treiben, Auf nahem Hügel, wo der Wafferfall Hinunterfhäumt und unter hohen Eiben Die Moosbank steht; nicht ftört der Jubelſchall

278

Ihn aus dem Sinnen auf; ſein Auge ruht Auf der verſinkenden Sonne Purpurgluth, Und glorreich, wie von ihr verklärt, Umſchweben ihn die Bilder und Geſtalten, Mit denen Hellas ſeinen Geiſt genährt. Wen hättet ihr, o wen, ihr großen Alten, Dem jemals ihr eur Heiligthum erſchloßt, Gereinigt nicht vom niedern Lebensroſt,

O wem das Herz mit hohen Planen Begeiſternd nicht erfüllt, daß auf den Bahnen, Drauf eure Helden ihm vorangeſchritten, Er in den Tempel der Unſterblichkeit Eingehe, ew'gem Ruhm geweiht?

Dem Knaben hallt das Lied des Mäoniden, Das er am Tage mit dem Lehrer las, Noch fort und fort im Geiſt; die Ilias Sein Traum in Schlaf und Wachen; ſo wie Rüden Dem Hornſtoß, lauſcht er auf die Schlachtenklänge Am Simois, der hoch vom Blute ſchwillt; Die Helden all der ewigen Geſänge Glaubt er zu ſchauen auf dem Kampfgefild, Antilochus, vom Helmbuſch hoch umweht, Ajas, den trotzigen, und Diomed, Und den Peliden, wie er blutbeträuft Durchs Lager hin den Hektor ſchleift. Selbſt die Gefallnen neidet er; im Tode Verherrlicht mit Geſang ſie der Rhapſode, Dem noch der ſpäten Nachwelt Herz erbebt; Und der nur ſtirbt, der thatenlos gelebt. Der Knabe denkt es, und hinaus Ins gränzenloje Leben möcht’ er ſtürmen, Boran den Völkern durch das Kriegsgebraus Die Fahne tragen. Mag er fintend auch Aus rothen Todesmunden fich verbluten,

279

Aufjubelnd trinft er noch mit legtem Hauch Der Siegesbanner Wehn, die ihn umfluthen, Und fieht aus Lichtgewölk zu ihm herab

Die Heere der Unfterblichen fich neigen,

Ihn zu empfangen in dem hohen Reigen,

In dem fie fchweben frei von Tod und Grab.

Auf einmal ſchallt um ihn Gelächter; Im Kreis umringt ihn der Gefährtenſchwarm; Sie ziehn ihn mit fi fort am Arm Und rufen: „Seht! der einft’ge Held, der Pächter Zukünft'gen Ruhms, in Träumerei verfenft! Doch heute jeiß ihm nicht gefchentt! Das Ballipiel fol er lernen nad der Regel!“ Und in die Hand ihm drüden fie den Schlägel.

2.

Nur Einer von den Schulgenoffen war ALS Herzendfreund verbunden mit Lothar Allein was red’ ich jo? Erkannt Habt Ihr den Knaben, eh ich ihn genannt; So ſprech' ich denn im eignen Namen weiter.

Mein Freund, mein Hugo, o, gedenf’ ich fein, Wie damals glänzt im Frühlingsfonnenichein Der Himmel über meinem Haupte heiter! Ein trautes Stübchen, nah dem Dad), Wo Haupt an Haupt auf einem Pfühl wir fchliefen, Bewohnten wir; und Beide riefen Derjelben Schwalbe Morgenlieder wach, Und in der goldnen Frühe ſchon begannen, Gleich Sciffern, die im Oſt das Segel fpannen,

280

Ten Wettlanpf wir, den frohen, wer an Wiffen Den Andern und im Lernen überfliege;

Tod, fah der Eine ſich den Preis entriffen, Dem Andern jauchzt’ er zu bei feinem Siege. Gefteh’ ichs nur, zurüd ließ er mich weit, Und dennoch fühlen konnt' ich feinen Neid;

Zu lieblich rauſchte in der Morgenhelle

Um uns der Weisheit und der Dichtung Duelle: Aus ihr in durft’gen Zügen tranken wir,

Und freudeweinend oft, wenn wir gelefen, Was in der Borzeit groß und hehr gemefen, Uns in die Arme ſanken wir.

Die Griechenlaute flutheten, die reinen,

Bon feinen Lippen bald, und bald von meinen, Und ließen ung in Akademos' Hallen

Mit Platons Schülern am Kephifios wallen, In Dionyſos' herrlichen Theater

Der Didtung Höchſtes Shaun: den blinden Vater, Den heimathlojen, mit Antigone

Hinirrend durch die Städte und die Yänder; Des Philoktetes unergründlich Web;

Wir fahn des Chors mweißfluthende Gewänder, Die Reihen der befränzten Flötenbläjer Ihr Dichter, welche Zaubermacht ift euer,

Daß dur Fahrtaufende hindurch den Leſer Ihr noch entflammt mit eures Geiftes Feuer Und fanfte Wehmuth in das Herz ihm gießt, Wenn er vom Jammer der Elektra lieft,

Wie auf die Todtenurne des Oreſt

Die Klagende die bleichen Lippen preßt,

Vom Ajas, der bethränten Blicks

Den Helios anruft, auf dem goldnen Wagen Zum Vater ſeinen letzten Gruß zu tragen, Bevor er niederſteigt zum dunklen Styr!

231

Nichts gab für jene feligen Morgen Mit Hugo mir feitdem Erfag; Im Herzen tief trag’ ich als theuren Schag Noch die Erinnerung an fie verborgen.

So wie beim Lernen, in den Feierfiunden Gleich Zwillingsbrüdern waren wir verbunden ; In Waldnacht traf der Jäger oft und Beide, Auf grüner Wiefenflur der Hirt;

Kein Felfen war, fein Moor und feine Haide, Die unfer Fuß nicht oft durdirrt.

Schon wenn beim milden Hauch des März In höherm Schlag ſich hob der Erde Herz, Belaufhten wir des Frühlings Nahn;

Mir folgten feinen erften ſcheuen Schritten, Frohlockend, wenn wir unter feinen Zritten Ein Veilchen ſchüchtern knospen fahn,

Und ein Citronenfalter durch das Thal Hinflog wie ein verirrter Sonnenſtrahl. Des erſten Lenzgewitters Donnerſchlägen Antwortend klopfte unſre Bruſt entgegen; Und kam das Hochfeſt der Natur, der Mai, Auf Bergeshöhen, Arm in Arm die Zwei, Am ſchönen Sonntag liebten wir zu liegen Und ſahn die lichten goldnen Wolken fliegen, Indeß ums Haupt, gewiegt von weichem Mooſe, Uns milde Düfte goß die Hageroſe.

Auf klommen wir zu jeder Bergeshalde

Und riefen alter Sagen Echo wach

Und jpähten tief im märchendunfeln Walde Den Elfen, den verftedten, nad).

Eodann der Herbftimond! Unſre Wandrung ging Durch Berg und Thal auf halb ſchon öden Pfaden, Wo an den Zweigen, Faden neben Faden,

282

Das filberne Gefpinnft der Feen hing;

Und wenn durch Rauch und Nebeldampf Sturmwinde, wild dahergebrauft aus Weften, Die Blätter wirbelnd fegten von den Aeſten, Bol Yuft ung ftürzten wir in ihren Kampf. Wir büllten ung mit Jubel in die Falten Der grauen Nebel, die fih um ung ballten, Und folgten, wie fie gegen Süden zogen, Bon Berg zu Berg, von Land zu Land

Den Kranichen jenfeit3 der Meereswogen

An ferner Reiche Fabelftrand.

Da hauften wir in alten Bauberftädten, Durchzogen Wiften, die fein Fuß betreten, Und fchmweiften mit den Beduinenheeren,

Und laufchten Nachts im Zelt den Wundermären Bon Haß und Liebe, Kampf und Tod.

Unmeit der Schule ftand ein alt Gemäner, Das Einfturz lange jchon gedroht. Sie nannten e8 den Herenthurm. Geheuer Nicht fei es in dem düfteren Gebäu, So ging die Rede. Alle flohen jchen, Wenn fie den graujfen Kerker fahn. Vom Jammer derer, die in ihm gejchmadtet, (Unfel’ge Opfer einem finftern Wahn) Schien er mit Grauen noch umnachtet, Und alte Sage ſprach von Schredgeftalten, Die ihn umfchmebten bei der Sterne Schein, Bon Weherufen, hallend aus den Spalten, Und Kettenraffeln am Geſtein.

Mit banger Neugier jchlichen oft wir Zwei Um jenen Thurm in nächt'ger Stunde; Bon den Geheimniß unfres Seins die Kunde, Und was jenjeit3 vom Grabe jei,

283

Zu hören hofften wir aus Geiftermunde,

Doch Scheu hielt lang zurüd uns von der Schwelle. Da einft lebendig fteht die Nacht vor mir Hin über wuchernd Unkraut und Gerölle

Und Neffeln durch den Eingang Kommen wir

. Und jeßten uns bei bleiher Mondeshelle

Auf einen Trümmerftoß. Ringsum

War Alles, wie im Todtenreiche, ftumm,

Nur unfrer eignen Herzen Pochen ſcholl.

Bom feuchten Moderhauch ummittert,

Der aus den Gruftgewölben quoll,

Dft fuhren mir empor, von Schred durchzittert. Sieh! ſchwebte nicht, vom Yeichenkleid ummallt, Dort eine jammernde Geftalt?

Nein, längs der Mauer glitt mit bleidem Schimmer Der Mondftrahl hin. Wir glaubten, ein Gewimmer Bu hören, aus den Kerkern ein Geächz;

Doch wars der Eule nächtliches Gekrächz.

Zuletzt ſprach Hugo feierlih: „Vergebens, Freund, haben wir gehofft, jenſeits des Lebens Den Blick zu werfen! Doch wenn uns kein Geiſt Den Schleier von der dunkeln Zukunft reißt,

In dieſer ernſten Stunde laß uns Beide

Geloben mit geweihtem Eide,

Daß wer von uns zuerſt die Erde läßt,

Wofern das gier'ge Nichts nicht jeden Reſt

Des Daſeins tilgt, dem Anderen erſcheine

Und Kunde vom verhüllten Jenſeits bringe;

Nur dieſe Hoffnung bleibt für uns, die eine, Auf Erden noch die große Nacht der Dinge Erhellt zu ſehen. Hier beim Sternenſcheine Schwör' am Altar, dem heil'gen, der Natur

Den Eid mir zu mit der erhobnen Rechten!“

Er ſprachs, und bei den hohen Himmelsmächten, Die Hand erhebend, thaten wir den Schwur.

3.

Der Schule hatt’ ich mein Valet gejagt, Um bald dem Herzenzfreund am Nedarftrande Aufs Neu mich zu vereinen. Wieder ragt Mein Heimathſchloß vom grünen Hügelrande Vor mir empor; die Pappeln wieder Erblick' ich und die Moosbank zwifchen Flieder, Die meiner Kindheit Spiele oft gefchaut. So freundlich fieht mich Alles an, fo traut, Und doch hier Fremdling fchein’ ih mir. Nun meiter, Hin dur den Saal, wo Waldınann, mein Begleiter Auf manchem Gang, mir froh entgegenfpringt Und noch ihr altes Lied die Spieluhr fingt! Ta tritt der Vater freundlich mir entgegen, Und an dag meine Flopft mit hohen Schlägen Sein Herz mir das Willlommen. Bald aud naht Der alte Pfarrer, der vernommen bat, Lothar fei wieder da; des Druds der Hände, Des Fragend und Erwiderns ift fein Ende, Als wärs, feit ich gefchieden, ein Jahrhundert; Wie meine Sprache ganz verwandelt jet, Und wie ich groß geworden, wird bewundert; Doch defjen, was ich fage, mancherlei Bedünkt den Alten faft wie Ketzerei, Und tief bedenklich fchüttelt er das Haupt. Bon Neuem al die wohlbefannten Räume (Nur größer hatt’ ich fie geglaubt) Begrüßt’ ich, vor dem Thor die Lindenbäume, Den arten und die Wiefe, mo die Rebe Vertraulich fpielten in des Schloffes Nähe.

Ferner, als je der Knabe vorgedrungen, War nun das Ziel für meine Wanderungen. Der Spätherbft fam, es flohn die legten Schwalben,

23

Da ſchweift' ich, von dem Laub umrauſcht, dem falben, Hin über Berge, fteil und ſchroff,

Und, während falt die erften Floden

Des Winters fielen oder von den Yoden

Mir der Novemberregen troff,

Dit fand die Abendröthe, die verglomm,

Mich noch, wie ich von Feld zu Felſen Komm. Bor mir, von Epheu dicht umranft,

Auffteigen fah ich düſtre Mauerrefte,

Dich, Trifels, alte Kaifervefte,

Auf der im Windhaud nun der Ginfter ſchwankt! Und über Schutt und Moderftaub

Drang ich empor durch mwelfes Laub.

Dumpf von dem Tritt des Gaftes hallten

Die Höhlungen und Mauerjpalten,

Daß, aufgefchredt vom ungewohnten Ton,

Die Dohlen aus den Neftern flohn.

Mich lagernd unter brödelndem Gemäuer,

Aus dürrem Strauchwerk ſchürt' ich mir ein euer, Und Nebelbilver ftiegen und Gefichte

Vor mir empor im lebten Abendlichte.

Die Chatten all der großen Hobhenftaufen,

Die hier geweilt, glaubt’ id im Dämmergrau Bor mir zu fchauen! ah! ein Trümmerhaufen Ihr mächt'ges Deutichland nun wie diefer Bau! Doch, rückwärts durch die Zeitennacht getragen, Sie beide ließ ich aus dem Schutt erftehn;

Ich jah die folgen Zinnen wieder ragen

Und body vom Thurm das Banner wehn,

Und in der Halle auf dem Thron von Gold Den größten Friedrich, um die mächt'gen Glieder Das Kaiferpurpurkleid binabgerollt;

Eifboten fliegen hin und wieder;

Zum fernen Slavenftrand entläßt er den

Mit feiner Machtgebote Wetterftrahlen,

2856

Der bringt, ein turbanhäupt’ger Sarazen, Ihm Weihraud dar in goldnen Schalen;

Um Fuß des Thrones fchlagen Minnefinger Die Harfe mit dem faitenkund’gen Finger,

Und um ihn reihen fih mit Schild und Speer Die Kronvajallen, Deutichlands feite Wehr.

So träumt’ ih, während prafjelnd aus den Rinnen Der Regen ftrömte, und fih an den Binnen Bu Häupten mir der Sturmwind heulend brad). Zulest am Boden lag ich fehlummertrunfen, Die Stirne auf die Dogge hingeſunken, Die fchlafend mir zur Seite lag.

Erwachend dann, durch die gefprengten Bogen Sah ich die gelben Morgennebel wogen. Nur hier und da aufragten dunkle Tannen, Bon denen falte Tropfen niederrannen, Und um mich her im erſten Dämmerjchimmer Matt leuchteten de3 Kaiferjchloffes Trümmer. Wohin, wohin fchwand all das reiche Leben? Zeit! Zeit! jo willft du nie fie wiedergeben, Die große Welt, die du verjchlangit ? Ach, ftatt der Antwort, deines Athems Scauern Bernahm ich, wie du über morjhe Mauern, Allmächtige, die Siegerfahne jhwangft. - Im froft’gen Windhauch ſchwankten, ſchwer vom Reife, Berdorrte Halme, und mit blaſſem Streife Am Himmelsrande ftieg der Tag, Bis aus den Dünften, die ihn träg umſchwammen, Er mit den purpurrothen Flammen Durch Thor und Yenfterbogen brad).

Hinunterjchreitend in der Morgenhelle, Hört’ ih umher von Kirchlein und Kapelle

28397

Tas Yäuten, das der Wind zum Ohr mir trug, Und mit den Fahnen, die im Frühhauch wehten, Schritt unter Pſalmen und Gebeten Borüber mir der fromme Wallerzug.

Einft kehrt’ ich jo von meiner Streiferei Nah Haus zurüd, da ſah ich Margarethen Am Thore mir beftürzt entgegentreten. Ste fagt’, erkrankt auf einmal fei Mein Bater, und mit brünftigem Berlangen Begehr' er, mich zu ſehn. Bol Herzensbangen Der Alten folgt’ id, und zum erftenmal Erſchloß fih mir zunädhft dem großen Saal Die Thüre, die er Jedem fonft verwehrt. Ich trat in das Gemach und wunderbar! Als wärs ein NRüfthaus, ſah ih Schwert an Schwert Eid an den Seiten reihn; mit Waffen war Tie Wand bededt, mit Kriegerbildern, Fahnen, Hufarenjchwertern, Yanzen der Uhlanen, Und konnt' es jein? auf einer Bahre ftand, Umhüllt von ſchwarzem Zrauerflor, Ein Sarkophag, um den ſich Yorbeer wand.

Den Bater jah ich nah davor, Das Haupt geftügt auf eines Seſſels Yehne. Durch al fein Wefen, jchien mir, ging Ein tiefer Schmerz, und ihm am Auge hing, Als er zu mir auffchaute, eine Thräne. Bald dann, indem er zärtlich mich umfing, Nahın er das Wort: „Geliebter Sohn! noch nie In diefe Räume trateft du! Da fieh Mein traute® Heim! Seitdem da3 Grab Mir Alles, was mir theuer war, entriflen, Bon feiner andern Welt mehr mochl' ich willen ALS der nur, die mich hier umgab.

288

Hier war mir wohl, denn hier noch immer Ergoß die große Zeit, die ich gejehn,

Ihr Mondlicht über meines Dajeind Trümmer; Noch fühlt ich hier der alten Bahnen Wehn Um meine Stirn, und einfam fort und fort Mit all den Zeugen von erhabnen Tagen

Lebt’ ich an dieſem Zufluchtsort;

Tas trübe Wirrfal diefer Zeit zu tragen

Mir halfen fie, und wie in Gram und Bein Des Lebens fie mir Troft geboten,

So, un hinabzufteigen zu den Todten, | Auch will ih mich durch ihren Anblid meihn.

„D Sohn! von ſüßen Schauern noch erbebt Mir beim Gedächtniß dei, was ich erlebt, Tas alte Herz! Nichts Größres war auf Erden, Und der Gefchlechter keins, die kommen werden, Wird Gleiches fehn. Am Boden lag Im tiefften Staube Deutfchland; jede Schmad) Pieß e8 der Corje bis zur Hefe koſten; Bon Nord nad Süden ging, von Welt nach Dften Ein biutgetränfter Heerweg der Zerftörung, Drauf, Zod verbreitend, Elend und Berheerung Die wilde Meute z0g. Nur Wüftenet, Wohin man fchaute; aus verbrannten Städten, Bon Yeldern, die der Roſſe Huf zertreten, Scholl himmelauf der Racheſchrei. Geftürzt das alte Kaiferreih Bereint von feinem andern Bande Die Deutichen mehr, als durch die Schande, Die Alle trugen ihre Fürften feig Sich beugend vor des Wuüthrichs Geißelbieben, Und, trogten fie, von Tand und Thron vertrieben Den Anblid tragen mußt’ ich Jahre lang; Doc tief verborgen in den Seelen grollte

289 —-

Ingrimm und grub geheim den Minengang, Der des Tyrannen Zmwingburg fprengen jollte. Als noch die Franken in der Allmacht Wahn Bon ew'ger Herrichaft träumten, plöglich brad) Zu ihren Füßen los der Wetterfchlag;

Und gleich wie von Vulkane zu Vulkan

Sich durd der Erde Adern hin die Fluthen Des Feuers wälzen, um in Slammenbäden Aus hundert Kraterfchlünden vorzubrechen,

Sp firömten der Begeiftrung Gluthen

Turh alle Seelen, daß fie hochauf flammten Und jede niedre Schlade ſchmolz.

Des alten deutfchen Ruhms, des angeftamnıten, Neu wurden Alle Mh bewußt mit Stolz

Und ſchwuren an den Gräbern hoher Ahnen, Bon Tod und Knechtichaft Deutfchland zu befrein Und Gut und Blut dem einen Ziel zu weihn, Tag all die edlen Stämme der Germanen

Bis an der deutjchen Zunge fernfte Mark

Ein ein’ges Reich umfaſſe, groß und ftark.

Sp Aller Schwur; nit Hader noch Entzweiung, Ein Wahlſpruch nur, des Vaterland Befreiung.

Die Stunde, die ich lang’ erjehnt, war das. Wie oft, von Liebe glühend und von Haß, In finftrer Nacht mit meinem Heinrich Kleift Hatt’ ich gefpäht nach ſolchem Morgenroth, Doch ad! fein Ehimmer hat ihm vor dem Tod Nicht mehr erhellt den trauerdunfeln Geift! Auch du, mein Schill, lagft vor dem Tagesgraun Dom heißen Blei durchbohrt, in Blut gebadet! Ich aber war fo hoch begnadet, Das langerharrte Licht zu fehaun; Mit mir mein Bruder, mein Emil. Bisher nur noch im kind'ſchen Spiel

Shad, Bei. Werte II. 19

290

Hatt' er an bleiernen Soldaten

Den Frankenhaß geſtillt in Heldenthaten;

Da plötzlich griff der Junge zur Muskete;

Ob auch die Mutter, daß er bleibe, flehte,

Fort gings an meiner Seite in die Schlacht. „Nichts luſtiger als die Franzoſenjagd!“

War ſeine Loſung und dem dichtſten Regen

Der Kugeln ſtürzt' er wie zum Spiel entgegen. Wenn tauſendfach Kanonendonner krachte

Und zag die Fronte ſtand er jauchzt' und lachte. Und jagte, ſtets voran dem Reitervolke,

So wie der Sturmwind die zerrifſne Wolke, Die Feinde vor fi her: „Holt ein die Franzen! Auf ihrem Rüden laßt die Schwerter tanzen!"

„Der Obern Yiebling, wie der Kameraden War mein Emil und ftieg von Grad zu Graden Schneller als Alle; wie die Meereswelle Den hurt’gen Nordwind, der fie jagt, an Schnelle Noch überholt, mir, feinem Lehrer, jo Eilt' er im Waffenwerf voran, und froh Bald mit dem Eifenkreuze feine Bruft Sah ih geſchmückt; nur wurde mir die Fuft Durch Sorge um fein tollkühn Thun vergält, Und Abends, wenn wir lagerten in Belt, Umfchlang ich flehend oft ihn mit den Armen: ‚Du mußt dich fchonen, Bruder! hab’ Erbarmen Mit dir, mit mir! das führt zu ſchlimmem Ende.“ Doch er fah fremd, als ob ers nicht verftände, Mir ins Geficht und rief: „O prächtig, prächtig! Bald ift mein Vaterland befreit und mächtig! Mit ihren Burgen wird und Rebenhügeln Nur deutfche Erde ſich im Rheine fpiegeln Und unfre Fahne, weithin fichtbar Allen,

Aufs neue hoch von Straßburge Münfter wallen,

21

Ja aus Burgund, aus Lothringen die Brüder, Wir grüßen froh fie als die unfern wieder!‘

„Vom Winter an zum Mat und Julius Schon fümpften wir, und zum Triumphe trug Ung jelbft die Niederlage; höher fchlug Schon in des nahen Siege Vollgenuf Jedwede Bruft, da immer neue Schaaren Zu Preußens Fahnen ftrömten; in Gefahren Und Mühen flammte die Begeifterung Noch mächt'ger auf, die jedes Herz im Schwung Zum Himmel hob. So kam der Herbft, der größte, Ten Deutfchland je zuvor erblidt.

Die Ernte war von Roffeshuf zerfnidt,

Aus brennender Hütte floh der hülfentblößte Yandmann, allein fein Slageruf erfcholl;

Fürs Vaterland gab jeder freudevoll

Der Opfer höcftes. Zum Entſcheidungskampf Heran mit feinen ehrnen Sturmtolonnen

Zog der DVerderber; beim Geſtampf

Der hunderttaufend Roſſe ſchlich ein Krampf Durchs Erdenherz, als ob der Tiefe Bronnen Sich aufthun wollten; doch dem wälſchen Heer Warf ſich, aus Hohn und Schmach verjüngt erftanden, Ganz Deutſchland von den Alpen bis zum Meer Entgegen wie ein Mann; in allen Landen,

So fhien es, wuchſen Krieger aus der Erde, Und bang in feine finftre Zukunft ſah

Der Eorfe, ahnend, daß die Stunde nah,

Die rächende, die ihn zermalmen werde.

„Dftober ward es; gleich wie vor Gemittern Berlorne Blige durchs Gewölke zittern, So fieberte vor Leipzigs Rieſenſchlacht Der Krieg in Einzelkämpfen. Einer Nacht,

292

Als wir im Bivouac bei Möckern lagen,

Noch wie an geſtern denk' ich. Schon ſeit Tagen Mit manchem Vortrupp hatten wir gekämpft, Und Kundſchaft ſollte morgen früh Emil

Mit feinen Reitern halten. Mit dem Theuern Saß ih an einem von den Lagerfeuern,

Tie müde fläderten. Nur matt gedämpft Herüber hallte aus dem Heergemühl

Ein dumpfes Braufen und der Auf der Runden. Zurückgeſunken auf den harten Pfühl

Tag bald, in Schlaf die Sinne hingefchwunden, Mein Bruder da; ich aufrecht ihm zur Seite, (Denn Ruhe finden konnt’ ich nicht)

Blickt' ihm ins rof’ge Angeſicht;

Er ſchlief fo fanft, e8 war, als ob ein Licht, Das nicht von dieſer Welt, ſich drüber breite. Geſchloſſnen Augs, doch in den tiefen, blauen Slanzoffnen Himmel jchien fein Blick zu fehauen; Ob auch vom Harnifche der Küraffiere

Die Bruft umfchnürt ihm war, ob im Spaliere Ihn Waffen auch umftarrten, wie ein Bild

Des Friedens lag er da, und mild

Umfpielt’ ein Lächeln ihn. Anbrach

Mit gelbem Streif am Horizont der Tag;

Da, wie ich, über ihn mich neigend,

Den ſüßen Athen ſeines Mundes trant,

Erhob der Schlummernde fih plötzlich, ſank

An meine Bruft und fpracdh, nad) oben zeigend: „Von dort, von dort ward mir der Traum gejandt! Bald wird vertraue drauf, mein Ferdinand! Ein großer Sieg die deutfchen Waffen frönen, Ein herrlicher, und gleich des Himmels Wettern Die freden Fremdlinge zu Boden fehmettern! Hoch wird dereinft noch euern Enkelſöhnen

Bor Stolz das Auge leuchten, wenn fie jagen:

29

Mein Ahnherr hat die Weltſchlacht mitgejchlagen! Ich doch erihrid nicht, Bruder, nein Frohlocke, jo wie ih! vor Abendichein,

Noch heut’ ift mir verhängt zu fallen;

O ſel'ger Tod, die Klinge in der Fauft, Dahinzugehn vom Schladtenfturm umbrauft, Wenn body die Siegesbanner wallen!

Mer für die Freiheit ftirbt und Ruhm und Ehre, Dem fließe feine, als die Yreudenzähre!

Licht iſts vor mir, als blidt’ ich fonnenwärts, Und jubelnd fin® ich an das große Herz

Des Vaterlandes, dag ich mitgerettet;

Allein mein Geift, vom Irdiſchen entfettet,

Wird mit euch in dem großen Kampfe ftreiten, Und wenn durch Straßen, friedensgrünsumlaubt, Ihr einzieht mit befränztem Haupt,

Dahin vor euch als Siegesherold fchreiten.

Leb wohl, mein Ferdinand, ich muß von dannen!* Er ſprachs und riß von meiner Bruft ſich los; Starr ftand ich, ſprachlos; meine Thränen rannen; Da horch! eriholl Drommetenftoß,

Ich fah Emil ſchon in den Bügeln

Und blickt' ihm nad, bis nordwärts in den Hügeln Er mir mit feiner Reiterſchaar entſchwand.

„Sen Weiten dann durch NMorts Befehle Mit meiner Escadron gefandt, Ritt ich hinweg mit tiefbewegter Seele; Es war ein grauer Herbfttag; trüb und ſchwer Zur Seite zogen, wie ein Todtenheer, Die Nebel mir, und durch die Wolkengüſſe Zum Strombett ward der Pfad. Kein Feind in Eicdht. Ins Lager kehrten wir ums Abendlicht; Von Norden plöglich fchollen ferne Schüſſe, Und, mir die Bruft zufammenfchnürend,

124

Befiel mich bange Ahnung wie ein Krampf. Heim kam zur Nachtzeit, Beute mit ſich führend, Die Reiterſchaar von ſieggekröntem Kampf, Und hintendrein auf einer Bahre

Ein Jüngling, bleich, von blut'gem Lockenhaare Das helmentblößte Haupt umwallt.

Er wars, ftarr, leblos, leichenkalt,

Die hohe Stirn durchbohrt von tiefer Wunde, Emil, Emil! Nod in der Todesftunde

Zehrt an der Seele, heiß wie je,

Um den gefallnen Liebling mir das Web;

Und do von ftolzgem Hochgefüihle klopft

Die Bruft mir, daß der Herrliche fein Leben Fürs Baterland dem Tod dahingegeben,

Und durd die Thräne, die vom Auge tropft, Strahlt er, die Stirn gefrönt vom Siegeskranz, Verklärt mich) an in reinem Sonnenglanz;

Ya, ſelbſt vermöcht' ich, nicht zu unferm trüben Erdleben holt’ ich ihn zurüd von drüben.

„Zertrümmert war mit ihm das Beſte,

- Mas mein gemwefen; feine Ajchenrefte

(Denn, um mid nimmerdar von ihm zu trennen, Auf Scheitern ließ ich feinen Leib verbrennen) Bewahr' ich Hier im ehrnen Sarkophage.

Und o! wie viel der Zeugen jener Tage,

Der Freunde und der treuen Waffenbrüder Shaun von den Wänden dort auf mich hernieder! Mein Sohn! vergeffen fchon in euerm Yrieden Habt ihr, um welchen Preis wir ihn erfauft. Deutſchland bevedt mit Schädelpyramiden,

Ein ganz Geſchlecht in Blut getauft,

Kein Plaß, fein Haus, in dem nicht Klagetüne Erihollen; Eltern, jammernd um die Söhne, Brüder um Brüder, Gattinnen um Gatten;

295

Doch, ob ihr Liebſtes fie verloren hatten,

Die große Hoffnung blieb den Herzbetrübten,

Die leuchtend ihren kämpfenden Geliebten Borangezogen in den Schladhtentod,

Es werd’ ein ftrahlend Morgenroth,

Ein herrliches, der Freiheit und der Größe

Für Deutfchland über ihrem Grab erblühn;

Und, wie dad Schmettern der Drommetenftöße

Das wunde Streitroß fi zu neuen Mühn Aufraffen heißt, vom Todeskrampfe fo

Riß diefe Hoffnung die Gejunfnen auf,

Daß nochmals in die Reihn der Kämpfer froh

Sie flürzten, um der Ihren Siegeslauf

Mit brechendem Blick zu ſchauen aber o!

Sie Alle, die, gemäht vom Schwert,

Vom Dlei gewürgt, von Kummer aufgezehrt,

Fürs Vaterland den heil’gen Tod geftorben,

Was wurde nun von ihren Träumen wahr?

Bon all dem Hohen, drum fie heiß geworben,

Wie um die Hand der Braut fprid, mein Lothar, Iſt aud das Kleinſte nur erfüllt und worden? Ohnmächtiger, zerrifiner als es war,

Dies Deutſchland nun, in Weſt und Oſt und Norden Ein Spott der Nachbarn! Selig ſind die Todten, Die ſolche Schmach nicht ſchaun! Dem Weltdeſpoten, Dem Hingeſchmetterten auf öder Klippe

Im Ocean, faſt bin ich nun verſöhnt;

Der Haß der fpätften Nachwelt noch befrönt

Sein ftrahlend Haupt, und felbit des Dichter Lippe Berherrliht ihn mit einem Fluch;

Doch fie, die nun auf ihre Herrichaft pochen,

Für die den Thron wir neu mit unfern Knochen Gebaut, wie wird in der Geſchichte Bud)

Ihr Name lauten? Jedem, ihn zu nennen,

Muß Roth der Scham in Angefichte brennen.

2%

Tie Edlern jelbft bethört der Schwarm der Gleißner, Ter tüdifche, der im Berborgnen kriecht,

Bis rettung3los ihr befires Jnnre ſiecht.

Was ward aus all den Schwüren? aus verheißner Freiheit und Maht? dem Einen Baterlande? Wer dran zu mahnen wagt, wer zur Ermannung Tas Volk aufruft, jein harren Kerterbande,

In Elend muß er irren und Berbannung. Verbrechen nennt man, Edles thun und wollen, Schwer wird jedwedes freie Wort geahndet

Und, wie auf Frevler, auf den wadern Follen, Auf Görres und auf Jahn und Arndt gefahndet. Tenf ih an alles das in trüben Stunden,

Co brennen heißer meine alten Wunden; Klagend, daß fie umfonft gefallen find,

Seh’ ih der Helden Schatten mich umfchweben Und, Sühnung beijchend, ihre Rechte heben. Lothar, mein einzig, mein geliebte Kind,

Ich fühl’ es, meiner Tage Frift verrinnt,

Doch was verfagt mir ward, mögft dus erleben, Die Zürnenden verfühnt zu jehn!

Bor diefen Zeugen, die in langer Reihe

In Bildern ung und NRüftungen umftehn,

Knie nieder, o mein Sohn! ich weihe

Dein Haupt dem deutfchen Genius!

Begeiftern möge dich fein Flammenkuß,

Wenn in dem Kampf fir Freiheit und für Recht Voran du ziehft den kommenden Geſchlecht!

Und du, o Herr, erhör’ mein Flehn!

Yaß auf dem Grund, den meine Rampfgenofien Dit theuerm Märtyrblut begoffen,

Berjüngt dies Deutjchland auferſtehn!“

Mein Vater ſchwieg. Sch fühlte heilige Schauer, Wie feine Hand auf meinem Haupte lag;

207

Sein nahes Ende ahnt' ich wohl mit Trauer, Und dennoch ging mein Herz in höherm Schlag. Jenſeits von Welt und Grab flog kühn

Die Seele mir und feurige Entſchlüſſe Durchwogten meine Bruſt; mir war, ich müſſe Hinweg in Kampf und Schlachttod ziehn.

Der Kranke winkte mir, zu gehn, Und blieb allein; er ließ es nicht geſchehn, Daß ich, noch Einer ſonſt, bei ihm die Nächte, Um ſein zu pflegen, im Gemach verbrächte. Sein letztes Wort hatt’ er zu mir geſprochen; Am dritten Morgen, als ich wiederum An feinen Pfühl dahintrat, lag er ftumm; Sein leuchtend Auge war im Tod gebrochen.

Dritter Geſang.

1.

Ein Schleier mag die Trauertage deden, Nachdem mein Bater ſchied. Ihr Alle kennt Ten Sram, wenn keine Rufe den mehr weden, Den no ihr mit gewohnten Namen nennt, Weil ihr an feinen Tod nicht glauben mögt. ft er dort unten dann hinabgelegt,

So fchlingen fanft fich, wie die Epheuranfen Ten Grabesftein umminden, die Gedanfen An ihn um unfer trauerdunfles Herz

298

Und ziehen das gebeugte niederwärts,

Daß es vertraut ſich mache mit dem Loos, Dem wir bei der Geburt verfallen;

Nicht hier, dort unten in der Mutter Schooß Iſt unſre Heimath; Alle, klein und groß, Verſammelt fie nad) kurzem Erdenwallen

Uns in des Todes weiten ZTrauerhallen,

Wo Staub beim Staub fchon der Geliebte weilt; Und könnten wir fein Loos zu theilen beben? Geis zur Vernichtung, feiß zu neuem eben, Wir folgen nah, wo er vorausgeeilt.

2.

Bon feinem Schmerz das ift der Jugend Segen Rang mälig fi mein Herz empor und fchlug Dem fünft’gen Leben hoffnungsvoll entgegen, Das noch mir dalag, ein verjchlofines Bud. Mit bunten Bildern auf dem Grund von Gold Im Geifte ſah ich8 vor mir aufgerollt, Und, gleich als weht’ ein Zauber aus den Yettern, Die Blätter alle hinter Blättern Zu ſchaun bezähmt’ ich faum die Ungebuld.

Es fam die Stunde. Auf dem Echloß, wo einfam Ich lang gemeilt, jah ich als Gaft Hugo bei mir zu kurzer Raft; Zum Mufenfig dann zogen wir gemeinſam.

Im tiefen Bergesthal, den Strom entlang Dehnt ſich die Stadt mit ihren heitern Gaffen, Dur welche auf und nieder mit Gefang

299

Die Fünglinge, die frohen, ziehn. Verlaſſen Stehn in dem Hörfaal vor den leeren Bänken Die Lehrer da, fo oft ein Sonnenftrahf,

Die Wolkendede reißend, Berg und Thal

In voller Pracht enthüllt; denn ringsher fenfen Die Wälder fih herab und pochen

Mit friihen Blüthen, duftend aufgebrochen,

An Thür und Fenfter, aus den SKlaufen Hinaus euch in das dunkelkühle Saufen

Des Didichts ladend. Oft bis an das Thor Schleicht neugiervoll herab die junge Hinde; Dann, hört fie eure Tritte, fchnell empor

Sieht fie durchs rank'ge Laubgewinde.

Ihr folgt der flücht'gen auf dem Steilpfad nach, Doch bald verſchwunden iſt ſie im Geſträuch, Und ſchon vernehmt ihr um euch, über euch Ein mächt'ges Rauſchen; dicht zum Schattendach Verweben hundertjähr'ge Waldtitanen, Weißpappeln, Eichen und Platanen

Die hehren Wipfel, und die Weimuthliefer,

Die Schweſter der Cypreſſe, macht noch tiefer Das ernſte Dunkel, das mit friſchem Grün’ Der Buchen Zweige wieder lichten,

Indeß die rothen Zapfen junger Fichten

Wie Fackeln durd die Dämmrung glühn. Ihr jchreitet weiter durch den Wald, Die Wipfel theilen fich, und bald

Röthliche Mauern, Trümmer über Trümmern, Stodwert auf Stockwerk feht ihr jchimmern; Balkone, über felſ'gen Schluchten hangend,

Den Einfturz drohend, fteigen vor euch auf, Und Fenfter, noch mit reichem Bildwerk prangend, Aus denen zu Geſims und Säulenfnauf Geſträuch emporrantt und zu den Karnießen Des Epheus grüne Wellen niederfließen.

00

Dort in den Sälen von erloſchner Pracht, Die nun des Himmels Wölbung überdacht, An dichtumrankten Niſchen, draus der alten Kurfürſten mächt'ge ſteinerne Geſtalten Herniederſchaun, ſüß iſts, den Frühlingstag, Den ſonnigen, bei Nachtigallenſchlag Und froher Droſſeln Brautlied zu verträumen, Süß auch, an Quellen, die durchs Dickicht ſchäumen, In duft'gen Laubengängen hinzuwandeln, Wenn ſanft der Wind den Blüthenhauch der Mandeln Wie Gruß vom Süden zu dir trägt. Dir ſchweift der Blick durch Blätter, leichtbewegt, Entlang den Neckarſtrom, auf deſſen Wellen Der buntbeflaggten Nachen Segel ſchwellen, Aufs Rheinthal hin, von wo die Tempelſpitzen Uralter Städte dir herüberblitzen, Und auf den Odenwald, den ſagenreichen. So, daß auf Stunden Stunden dir verſtreichen, Gewahrſt du nicht, bis ſchon die Abendgluth Rothflammend auf dem Kaiſerſtuhle ruht Und du dir ſagſt: „Nun, das will ich beſchwören, Unmöglich wars, Pandekten heut zu hören.“

3.

Auch ich, nicht fügen mocht' ich mich der Frohnde Des Lernens, das den Sinn verdumpft; Ich fühlte bald, für der Gelehrten Zunft Nicht würd' ich taugen. Wochen ſchwanden, Monde, Daß ſie mich nicht in ihren Sälen ſahn, Und trat ich ein zum Schreiben meiner Hefte, Alsbald war ich, ſowie durch Opiumſäfte, In Schlaf gelullt von Cajus und Ulpian.

301

Vergebens lodten mich mit Wortgefpinnften, Trin fi ein ganzes Heer von Gimpeln fing, Die Philofophen; vor den Schulftaubdinften Floh ich, wie ein verirrter Schmetterling. Doch, wenn ich Tags im Yuftrevier gefchwärmt, Nicht mit der Schaar, die wild beim Becher lärmt Und kind'ſchen Hader jchlichtet mit dem Hieber, Verlor ich meine Nacht, ich weilte lieber

Am ſchönen Wolfshrunn in des Mondes Strahle Mit wen’gen Freunden beim Pokale,

Aus dem o daß fie immer jung

Durchs Leben ung begleiten dürften!

Wir Liebe und Begeifterung

Und Muth und Seelenfreude fchlürften;

Nur an die reinen Herzen und Gemüther Berleiht der Wein fo hohe Gnadengüter! Dver geflüchtet in mein ftille8 Haus

Schloß id mic) mit den Büchern ein, daraus Vergangene Geſchlechter zu mir ſprachen;

Und Thränen wonnigen Entzüden® brachen, Indeß ich las, mir aus den Augen oft, Thränen, wie der verirrte Wandrer weint, Dem in der Wüſte unverhofft

Ein Eden voll von Glanz und Duft erfcheint.

Wohl aud in jenen Abgrund glitt mein Blid, Wo das geheimnigvolle Weltgefchid, Das große Näthjel alles Seins, Sich hinter Schleiern birgt, die Keiner hob. Da lichtete ſelbſt matten Scheins Kein Strahl die Finfterniß; dicht, dichter wob, Ye mehr ins Dunkel ich die Augen bobrte, Die Hülle fih, und in die ſchwarzumflorte Unendlichkeit, die öde Naht von Zeit und Raum, Dur die in wüſtem Fiebertraum

302

Bon Anbeginn die Schöpfung kreist,

Berfant mit Zagen mir der Geift.

Doch in das Dunkel, wos am tiefften war, D du mein Oeniuß, mein Aar,

Als Rettungsbringer ftiegft du zu mir nieder, Ich jah von deinem leuchtenden Gefieder Den Glanz, der mich umquoll; und aufwärts riß Dein Flug mich durch die Finfterniß, Aufwärts wie Idas Hirtenfnaben,

Bis des Olympus Haupt mir filbermeiß Entgegenfhimmerte und mid im Kreis

Die Hohen, die Unfterblihen umgaben

Und um mich her beim Backhanal

Ihr Lachen ſcholl im lichten Götterfaal.

Db id) der Dichtung ſchönes Land durchftreifte, Ob in des Denkens Irrgewinden jchweifte, GSefellt war Hugo mir. Als Schwärmer fchalten, Als Träumer wohl ihn die PVerftändig-Kalten Und warnten mich vor feinen milden Flügen, Die ihn ins leere Nirgend trügen;

Ich aber folgt’ ihm arglos, ohne Steuer,

Auf alle Geiftes- Abenteuer.

Wenn wir vereint Gebirg und Flur Durchwanderten, für der Natur

Geheimniſſe erichloß er meinen Sinn;

Bon Blüth’ und Dlatt das Wachfen und Entfalten Mir wies er und am Bau der fündfiuthsalten Gebirge, ihren Schichten, ihren Riſſen

Des Erdenlebens Urbeginn.

Jenſeits noch von den Finſterniſſen,

Aus denen kaum der Sage Dämmrung graut, Mit dunkler Vorzeit war ſein Geiſt vertraut. Wie, durch das Unermeſſne hingeronnen, Zuerſt ein Flammennebelſtrom gewallt,

305

Der freifend, mwirbelnd dann zu Eonnen

Und Wandelfternen fi) geballt;

Die, da erkaltet nach und nach das Feuer, Aeonenlang die graufen Ungeheuer,

Iguanas, Flügelfchlangen, Salamander, Berggleihe Megatherien, einander Bekämpfend durch die Urmweltnacht gefchweift; Wie hoch am Pole Indiens Frucht gereift Und über Islands Meer, das nun beeiste, Tas Kreuz des Südens feiner Strahlen Gold Hinabgeftrömt: vor meinem Geifte

Ward alſo Bild auf Bild von ihm entrollt, Und feinen Worten laufcht’ ich hingeriſſen, Als ob mit feurigen Apoftelzungen

Aus ihm die Weisheit redete. Kein Wiflen, Drin er, wie in der Berge LTagerungen,

Nicht heimifh war. Er hatt’ auf ihrem Gang Bon Boll zu Volle jeder Sprache Klang Berfolgt und jede Sag’ und Göttermythe,

In jeder Kunft gefchwelgt, wie an der Blüthe Die Biene faugt. Die Hallen der Gejchichte Führt” er bis an den Anfang mich entlang Und zeigte mir im erften Dämmerlichte

Des Urbergs himmelnahen Gletfcherdom,

Bon dem nad) Süden fi) der Völkerftrom Herniedergoß das fröhlihe Gewühl

Der jungen Menjchheit in den thauerfrifchten Bergthälern, als fi) noch zu Scherz und Spiel Unfterbliche in ihre Reihen mijchten.

Doch bald am Hinmel thürmen düfter

Sih Wollen auf; getrübt das reine Leben Dem fündigen Gefchleht; da fieh! erheben Eroberer fih, Weltverwüſter;

Tyrannen, von der Völker Blut beträuft, Erbauen Throne tiber Schutt und Leichen;

304

Zur Blutfchrift, die in graufen Runenzeichen, Schlachtfeld an Schlachtfeld, um die Erde Läuft, Die Weltgefchichte umgewandelt nun!

In all den wüſten Kämpfen, in dem Raſen Der Leidenschaft nur feltene Dafen,

Darauf die Blide freudig ruhn!

Reiche auf Neiche ftürzend, Glaub’ auf Glaube; Bölker, die mit dem Feuer und dem Schwert Für eitles Hirngefpinnft die Welt verheert, Mit ihren Göttern von demfelben Staube Berjhüttet, und ein neuer Wahn,

Der Tempel fih auf ihrem Grab errichtet, Das war, von einem Strahle kaum gelichter, Die dunkle Furche, die auf feiner Bahn

Bom Aufgangsland bis zu des Weftmeers Wogen Tas ganz unfelige Gefchlecht gezogen. Doch, jo wie rüdwärts in die Nacht der Zeiten, Auch in der Zukunft dämmerferne Weiten

Mit Sehergeift ſah Hugo; Prophezeiung,

Die von Berjüngung ſprach und Weltbefreiung, Quoll ihm aus nie erſchöpftem Seelenborn. Wie auf des Nigi Kulm das Alpenhorn

Hoch ob den Thälern und entjchlafnen Seen Den Wandrer ruft, vom Lager zu erjtehen, Daß er den behren Sonnenaufgang fchane:

So tönte feine Stimme mir begeifternd,

Wenn er weiffagte: „Bald darauf vertraue! Erhebt, den Fluch der alten Nacht bemeifternd, Die große Sonne fich, die langerharrte;

Schon jeh’ ich, wie von einer Warte,

Den Himmel morgenröthlich glühn;

Ein neuer Welttag wird erblühn.

Dom Auge reißt die Menfchheit fich die Binde Und fteht, wie der geneſne Blinde,

Anbetend vor dem goldnen Licht.

305

Ka, allen Bölferu wird ein Baterland

Die Erde fein, ein großes, wo das Band

Der Liebe alle fie umflicht.

Dod eine Schlacht noch muß gefchlagen jein, Die legte, um vom Joche der Defpoten,

Vom Prieftertrug die Erde zu befrein;

Das fei dag Werk, Yothar, dem wir ung weihn! Einft ftolz dann zu den großen Todten,

Die für die Freiheit ftritten, gehn wir ein.“

Es war die Zeit, wo hin von Yand zu Yand Ein Beben fchlih, ein ahnungsbanges Zittern. Gleich wie die Fluth beim Nahen von Gewittern Aufraufht und ſcheu am Klippenftrand Die Möven flattern, während, jchwer von Stürnen, Am Horizont fih düftre Wolken thürmen,

So durd) die Völfer ging ein dumpfes Gähren,

Ein Zagen durch der Fürften Herz,

Als fern im Mittag über beiden Meeren

Des Aufruhrs Wetter grollten. Südenwärts

Sah jeder Blid ermartungspoll

Zum edlen Yand des Eid, wo Freiheit-fündend

Der Ruf: Quiroga und Riego! ſcholl;

Und durd) die Seelen zudte, bliggleich zündend,

Die Hoffnung auf gejprengte Kerkerbande,

Geftürzte Throne und des Rechtes Sieg.

Wenn dort, wo von der Scheiterhaufen Brande

Noch jüngft die graufe Lohe ftieg,

Nun hoch der Freiheit Flamme jchlug,

Wer war, der länger Knecht zu fein ertrug?

Hin wogte auf des Mittelmeeres Fluth

Der hehre Schein wie Sonnenaufgangsgluth

Bon Calpes Fels bis an Italiens Küſten,

Und laut wie Donner de3 Veſuv

Scholl durch das tiefentichlafne Land der Ruf, Shad, Gef. Werke 11. 20

306

Zum Kampf mit den Tyrannen ſich zu rüſten, %a fernher in der Freiheit jungem Glanz Erftrahlten die Ruinen Griechenlands

Gleich Gletfherhöhn im Morgenroth.

Jedwedem Tritt der Göttin laufchten wir, Wie, Kerker fprengend, fie von Grab und Tod Die Bölfer wedte. In des Herzens Noth Tann gallenbittre Worte taufchten wir:

„Kommt nur für Deutfchland feine Auferftehung ? Soll e3, ein Spott zu Haus und in der Fremde, Daftehn im Armenfünderhemde,

Sogar fein Name eine Schmähung,

Ein Inbegriff von allen Fämmerlichen?

Nein, nein, nicht alfo! noch nicht ausgeftrichen Sei unfer Bolf in der Geſchichte Buch;

Noch einmal, groß und mächtig wie es war,

Als alle überflog der deutſche Aar,

Erheb' es fih im königlichen Flug!“

Schon lange haften wir den tollen Schwarm Bon Fünglingen, die lärmend Arm in Arm Die Stadt durchzogen und durch bunte Bänder, Abzeichen ihrer dreißig Vaterländer,

Mit ihrer und mit Deutfchlands Schande prablten. Doch Andern, deren Blide höher ftrahlten, Wenn wir vom einen, freien Deutfchland ſprachen, Bald wurden wir vertraut. Ein alter Zwinger, Ein Bau noch aus der Zeit der Karolinger, In deffen Nacht kaum Sonnenftrahlen brachen, Ward uns erlefen zur Zufammentunft. Berfallen, ſchaurig und verdumpft War das Gemäuer, aber uns fo lieber. Ich wills geftehn, gleich einem Traum im Fieber,

307

Halb grauenvoll und halb wie Faſtnachtſchwänke Gemahnt es mich, wenn ich der Stunden denfe, AL wir zur Nachtzeit dort zufammen famen. Ein Tifch, behängt mit ſchwarzem Tuch,

War in der Mitte und darauf ein Buch,

Drin jeder Bundesbruder feinen Namen

„Der Rächer“ „Sand“ „Arminius*

Mit eignem Blut einfchrieb. Ein Kup,

Auf einen Todtenkfopf mit bleihem Mund Gedrückt, befiegelte den Bund.

Nicht fehlten Dolche, noch gefreuzte Schwerter, Noch Schwüre drauf beim zwölften Stundenjchlag, Und wer am meiften von Tyrannen ſprach,

Am donnerndften die Unbill langverjährter Mißbräuche rügte und der Knechtſchaft Schmach, Der Redner wars, der und zumeift gefiel.

Und doc, beim Himmel! ob auch ihre Reinheit Befledt ward durch der Jugend Bofjenfpiel, Die echte Freiheit und die deutjche Einheit, Stets ſchwebten fie vor mir ald hohes Ziel.

In ſchönſter Blüthe fo fand die Verſchwörung; War auch der Bund kaum zwanzig Häupter ſtark, Wir glaubten, lodern werde die Empörung Durchs Baterland von Mark zu Mark.

Tag alle Fürften zu verjagen feien,

Salt ung für ficher, doch in unfre Reihen Drang Bmiefpalt ein: der eine Theil

Sah in der Republik das einz'ge Heil,

Der andre hätte gern aus dem Kyffhäuſer Den alten Rothbart ſich geholt ala Kaiſer. Ta ernft und erniter fih der Zwiſt entipann, Brad uns zum Glüd die Zeit der Ferien an, Nah Süden reiste der und der nad Norden, Und Alles blieb ein Schwank, ein jugendlicher;

308

Ein Streit mit blut'gen Köpfen wäre ſicher Der deutſchen Einheit Vorſpiel ſonſt geworden.

Daß irgend wem der Schwank bedenklich ſchien, Wer auf der Erde konnt’ e8 ahnen? Und doch, als jei'n vom Sturme der Titanen Die Götterburgen von Berlin und Wien Bedroht, befiel ein Zagen und ein Bittern Germaniens Herrfher. Thron, Altar, So hieß die Pofung, feien in Gefahr: Bald, die Verſchwörer auszumittern, Bon Spähern wurden alle Yande voll, Die Zahl der Hochverrathsprozefie ſchwoll; Fur die Fascikel und die Aftenftöße Begann der Play zu fehlen in den Schränken, Und, über Deutſchlands projeftirte Größe Etlihe Jahre reiflich nachzudenken, Gemwährte man den jungen Umfturzbelden Im Kerker Friſt; bald werd’ ich davon melden.

Vierter Gefang.

1.

Vorbei an Hügeln, reben-überhangen, Die mit des Herbſtes reichjtem Segen prangen, Berfallnen Burgen, welche von den grauen Felsſpitzen in die Schluchten niederfchauen, Wer zöge gerne nicht die weitberühmte Bergftraße Hin? Mein war dies Glüd.

309

Wie ich des Wegs entlang fchritt, glitt mein Blick Auf Wiefen bald und reich beblümte Thalgründe hin, bald fern zum Horizont,

Mo über breiter Aehrenfelder Wogen

Ter Rhein aufblite; große Wolfen zogen

Mir über Haupt Hin, abendgluth-befonnt,

Und nur von meiner Tritte Schall

Hört’ ih am Bergesfaum den Widerhall.

So, wie ich finnend ging, vom Wege hatten Dich bald die Schritte abgeführt; der Schatten Der Bäume bradh im Zwielicht; immer fteiler Und mächt'ger hoben fich wie Riefenpfeiler

Die düftern Felſen; mir zur Seite tojte

Ein Bergftrom fchäumend tiber graubemoofte GSteinklippen nieder; wunderbar

Sprach feiner Waſſer Raufchen mir zur Seele; Die Yaute dünkten mich befannt; mir war

Als ob er alte Mären mir erzähle.

Ward bier in Odins Wald vom grimmen Hagen Am Brunnen Siegfried nicht erfchlagen ?

Bin ih ind Reich der Sage vorgedrungen ? Ja, diefes ift das Sand der Nibelungen;

Matt glänzen vor mir in des Mondes Strahle, Vom Staube vieler Jahre übermeht,

Ter Helden halbvergeßne Todtenmale ; Dazwiſchen Yanzenfplitter, Kriegsgeräth, Zerbrochne Schwerter, modernde Gebeine,

Und Blöde von Granit und Runenfteine, Aufragend noch auß jener wilden Zeit,

Die fih gehärtet in dem Blut der Draden.

Yang ftand ich zwifchen Traum und Wachen; Geltfame Lettern, hier und da verftreut, Sahn bei der Sterne Zitterlicht, dem bleichen, Auf mich herunter von der Felfenwand;

5309

Als hielten die geheimnigvollen Zeichen

Mit Zaubermadht mich feftgebannt,

Vermocht' ich von der Stätte nicht zu weichen; Ich glitt auf einen moof’gen Steinfig nieder Und mählig ſchloß mir Schlaf die Augenlider.

Am Morgen horch! erwedt mich Hörnerflang, Ich fahr’ empor, und an dem Feljenhang Steht dicht vor mir, vom Roß herabgeitiegen, Ein Jägersmann und ſpricht: „Ei fieh! Lothar! Kanns fein? Dich find’ ich hier am Boden liegen, Vandftreichern gleich? Don der Juſtiz, fürmwahr, Berfolgt müßt’ ich dich glauben, Böſewicht, Und dich in Ketten legen, wüßt' ich nicht, Wie du von je dich wild umbergetrieben, Daß dir fein Rod am Leibe heil geblieben. Nun auf, mein Junge, fteig zu Roß! Umfonft ſchon oft lud ich dich auf mein Schloß, Doc jest gefangen bift du; lang als Gaft Auf Falkenberg zu meilen, fei gefaßt!”

Die Augen rieb ich mir, ob ich nicht träumte, Und warf den Bd im Kreiſe; um mich ber Sah idy wie ein im Sturm erftarrtes Meer GSteinblod an Blod von geftern noch; noch ſchäumte Zu Häupten mir der wilde Feljenftrom; Der Jäger aber ja, er wars, mein Ohm In fernem Grade, Freiherr Falkenberg, Der in der Pfalz vor Jahren uns befucht. Sort fuhr er: „Nun! komm nur aus diefer Schludht! Das ift ein Aufenthalt für Gnom und Zwerg, Doch nicht für un.” Und als von rechts und links Die Jäger nahten, achtſam ſeines Winks: „Ein Roß“, rief er, „laßt hier für meinen Neffen, Im Buchenwald werd’ ich euch fpäter treffen!

311

Und du begleite mich, mein junger Freund!”

Wie er gebot, was konnte Sträuben frommen? Schmwang ih mic in den Sattel, doch beklommen War mir daB Herz. Bon Sonnengluth gebräunt, In Reiſetracht, ein Ziel des Spott3 und Hohns

Für die Yalain, zum Schloſſe des Barons

Sollt' ich einziehn? Hofmarſchall, Kammerherr

Und erſter Rath am Hof des Herzogs er,

Und ich? Doch Muth, Lothar! Ein Freiheitsheld, Der bald zum Kampfe wider eine Welt

In Waffen ausziehn will, muß den Reſpekt

Bor folden Titeln auß der Seele feheuchen!

Durch eine Schlucht, die hinter Ginfterfträuchen Und Farrenfraut die Ausſicht lang verftedt, War unfer Ritt gegangen. Plötzlich wies Mein Oheim auf ein Schloß, dem hell der Morgen Die Fenfter fhimmern Tieß: „Mein Obnejorgen“, Sprad er, „ift das, mein traulich Paradies, Der grüne Fleck in meines Lebens Dede! Längſt hätte alle Blüthen ihm die fchnöde Hofluft gewelkt, wenn ich der Monde zwei In jedem Herbft nicht hier verbringen dürfte Und neue Kraft aus reinem Borne ſchlürfte, Den die Natur mir beut. Vom Bmwange frei Mid unter muntre Landvolk bier zu mifchen, Dei Jagd mich und bei Fiſchfang zu erfrifchen, Tas dünft vom ganzen Jahre mic) das Beſte; Schafſchur und Ernte find bier ſchönre Feſte Als jene, wo durch reich erhellte Säle Die eitle Menge wogt; und menn Adele, Mein Töchterchen, die wie die Alpenrofe Hier frifcher blüht, die veife Aprikoſe Vom Aft mir bridt, o alle Yederbifien An reichbejegter Tafel kann ich mifjen!

32

Da find wir, Freund! nun fer bet ung willkommen!“ Mein Oheim fehmwieg, und minder jchon beflommen Hin dur des Parks vom Morgenthau noch naffe Alleen folgt’ ih ihm zur Schloßterraffe,

Die hoch nad) Weiten auf das ſchöne Thal

Des Rheins hinabfah tiber Nebenhügel.

Wir ritten vor, und Diener, ung die Bügel

Zu halten, traten aus dem Schloßportal.

2.

Bald heimisch unter meine Oheims Dach Mich fühlt’ ich in dem traulichen Gemach. Der Frühwind wedte, im Kaftanienbaun Bor meinem Fenfter raufchend, ang dem Traum Mich täglid dort. Alsbald auf den Balkon Trat ih hinaus, und drunten oft im Garten Den Alten mit der Tochter fand ich ſchon, Die meiner für die Morgenwandrung harrten. Ein Frühmahl labt’ und in der Rebenlaube, Zu dem wir felbft die vollgereifte Traube Uns von den Zweigen brachen; drauf von dannen Gings auf beperlten Auen, reichgejegneten, Wo Früchte au den Wipfeln niederregneten Und und zur Eeite aus den Bergestannen Der äft’ge Damhirſch trat. Die friiche Kühle, Des Baches Raufchen an der Klappermühle, Bon Dorf zu Dorf der Morgengloden Ruf, Nichts war, das ung nicht Freude ſchuf.

Adele, faft noch Kind, erſt fechzehnjährig, Kam bald mit Blumen, die am Weg fie brach, Zu mir gehüpft und ſprach gelehrig

313

Tie Namen, die ich nannte, nach;

Bald fah fie, über eines Baches Wellen Hinabgeneigt, dem Spiel der jchnellen Gründlinge zu, wie mit den Silberfloffen

Sie auf dem Kiesgrund hin und wieder fehofien. Nur leicht beim Hüpfen über Thal und Hügel Berührt’ ihr Fuß den Boden, wie der Flügel Der Schwalbe kaum des See's Fläche ftreift. Den Mund umfchwebten, fteten Frohſinns Töchter, Ihr Scherz und Luft im Findlichen Gelächter, Und doch, wie unterm Weinlaub dicht gehäuft Im Yenz ſchon Traube neben Traube hängt Und fid den Etrahlen, die fie reifen follen, Der Beeren Flle fanft entgegendrängt:

Alfo in ihres Auges Tiefe quollen

Gefühle, die der Kindheit unbekannt.

Bisweilen ſah ich fie die Stirne neigen,

Sie blidte träumend nieder und von Schmeigen War ihr die Lippe wie gebannt.

Dann wieder plötzlich ſchien fie zu erwachen, Und ihr vom Munde fcholl ein helles Yachen; Oder der Amfel, die im Buſche ſchlug, Antwortend, eine wilde Melodie,

Die hin von Feld zu Feld der Frühmind trug, Hinunter ın die Thäler jauchzte fie.

Des Abends weilten wir vereint im Saal. Noch ſpät im Dunkel oder wenn der Strahl Des Mondes dur die Bogenfenfter glitt, Erzählte ung der Ohm von fremden Landen Und Abenteuern, die er einft beftanden: „Slüdlih wem in der Jugendzeit der Schritt Bern von der Heimath ſchweifen durfte; feis Daß er gefehaut, wie um des Nordens Eis Der Sonne mitternädht’ge Strahlen ſprühn,

314

Seis, daß, gebettet unter Yorbeerrofen,

Er dur das meerhauchfeucdhte Grün

Enpor zum Himmel ſah, dem wolfenlofen, Und auf Salernos zadenreiche Buchten, Indeſſen um ihn her die wald’gen Schluchten Der Brandung mwiderhallten: ewig jung

Bieht des Genoffenen Erinnerung

Mit ihm durchs Leben hin, im fpätften Alter Ihn noch umflatternd wie ein Frühlingsfalter! So, Kinder, bracht' ih von den Wanderfahrten Mir einen Zalisman, der dem Bejahrten

Den Spätherbft noch umfchafft zum fonn’gen Yenz; Wie fonft am Hof der Heinen Reſidenz

Hätt’ ich ertragen dieſes Spiel der Schranzen, Wo hinter Masten jeder feine Miene

Berbirgt und Harlefin und Columbine

Im Flickenwamms voran den andern tanzen, Indeß Tartaglia in der Heldenrolle

Durch das Getreibe hinftolzirt, das tolle?“ Mein Oheim fo, und unerjchöpflich floß

Bon Mund ihm die Erzählung, wie zu Roß Er an dem FKlippenftrand im hohen Norden Dahingezogen längs der düftern Fjorden,

Wo des Polarlihts hohe Flammenpracht

Den Weg ihm zeigte durch die lange Nadt; Oder mie einft auf blauem Mittelmeer

Ihn und die Freunde weit unther

Gefchleudert die empörten Wogen

Nur Luft noch jahn fie, Meer und Himmelsbogen; Da ftieg am Horizont ein dunkler Fled Empor die Segel bochgebaufcht,

Kam nah und nad ein Schiff herangeraufct, Und fie durchfuhr ein jäher Schred,

ALS fie mit Turbanhäuptern das Verdeck Erfüllt gewahrten wie durh Wunder waren

35

Die ſchon Verlorenen durch ſchleun'ge Flucht Den Händen der tuneſiſchen Corſaren Entronnen in Girgentis Felſenbucht. Indeß wir lauſchend dem Erzähler | Nachfolgten über Meer und Berg’ und Thäler, Trieb Wanderluft und Sehnſucht in die Ferne Durch alle Adern fohneller mir das Blut, Und auch Adelens Augenfterne,

Ich fah es, leuchteten in tiefrer Gluth.

Ihr Blick ſchien mir zu fagen, gerne

Hin über Yand und Meer an meiner Seite Durdjtreifen würde fie die Welt, die meite. Dft, daß der Tagesherold, hoch am Rand Des Oſtens ftehend, noch vereint uns fand.

Mehr noch, als diefe Nächte, ift mir euer Gedächtniß, einfamsftille Stunden, theuer, Wenn dur des Gartens duft’ge Yaubengänge Ih jchritt, und aus dem Eaale Saitenflänge Der Wind zu mir herübertrug. Adele Saß träumend am Klavier, und ihre Eeele, Die ganze, unverhüllte, offenbarte Sich in den Tönen. Wunderjam!

Dies Kind, dies muntre, elfenzarte,

Das noch nicht andern Herzendgram Empfunden, al3 wenn auf dem ©artenbeet

Die Blumen der Oftoberwind vermeht:

Wie nun auf einmal ganz verwandelt, wie Mit jeder Wonne, jeder Qual war fie

Und jedem Herzenzfturm vertraut geworden ? Sn diefen mächtig fchwellenden Akkorden Schien ungeheurer Schmerz zu fchluchzen, ſchien Die Seele bald, in Trauermelodien Hinfhmelzend, der Verbannung Web zu Hagen, Bald, rechtend mit der finftern Schickſalsmacht,

316

Ten Welttgrannen vorwurfsvoll zu fragen,

Für welche Schuld fie in die Erdennadht Berftopen ſei? Ein Ringen von Titanen,

Ein Kampf von Höll' und Himmel wars,

Tann wieder ein geheimnißvolles Ahnen Göttliher Wunder, und im Flug des Aars Siegreich empor von Tod und Grabnacht ſchwang Begeiftrung fi) im jubelnden Gefang.

Indeß fie alſo Händel? Fugen, Marcello Pjalmen ihre Seele lieh Und mid im Sturm dahin die Töne trugen, Sprad id zu mir: Welch Räthfel fie? Kein Sonnengipfel ift, zu deſſen Erhabnen Höhn fie fich nicht aufgefchmwungen, Kein Abgrund, den ihr Geift nicht ausgemeſſen. Allein, war dann das Spiel verflungen, Und kam Adele leichten Tritts geiprungen, Um neben mir den Garten zu durchwandern, Ein Mädchen wieder war fie gleich den andern, Auf deren Sinn noch halb der Morgenjchleier Der Kindheit ruht. Wie nah die Weihnachtsfeier Mit ihrem hellen Tannenbaume jei, (Und dennoch fehlten noch der Monde drei) Was fie dem Vater fehenke, wie viel Eier Ihr Lieblingstäubchen heg' im Neft, Das wars, wovon ſie Tag für Tag mir ſprach; Dann wieder wenn ein Eichhorn, durchs Geäſt Aufkletternd, die verdorrten Zweige brach, Mit Händen klatſchte ſie dem Thierchen nach.

Mir, ihrem Vetter, war gegönnt, vertraut Bei ihr zu weilen; mit dem ſüßen Du Rief ich den Früh- und Abendgruß ihr zu, Und hold vom Mund floß ihr derſelbe Laut,

31

Wie wenn die Schwefter mit dem Bruder fpridt. Allein bald fühlt’ ich, dag genüge nicht. Wenn dur den Park wir fchritten Arın in Arnı, Auf einer Moosbank rafteten und warın

In meiner ihre Rechte lag,

Durdzitterte von ihrem Puls der Echlag Mein ganzes Sein; ein ſüßer Wohlgerud) Ummallte fie; jogar ihr Buſentuch,

Das mich, im Winde flatternd, leicht berührte, Die Spige ihres Yodenhaares ſchürte

In mir die Peidenfchaft; in niegelannten Empfindungen und Hoffnungen entbrannten Mir Geift und Sinn. Doch was mir fort und fort Tie Ruhe nahm und durd mein Wejen all Hinftrömte, bis es im geftammelten Wort Hervorgebrocdhen, fand es Widerhall

In ihrem Bufen auh? Wenn mit Entzüden Mein Aug’ in ihren holden Zügen las

Und feur'ger in der Wonne Uebermaß

Die Gluth aufloderte in meinen Bliden,

Zum Schreden mir begann fie wieder

Bon ihren Tauben oder kind'ſchem Tand,

Zog aus der meinen plöglid ihre Hand

Und fchlug die fchwarzen Wimpern nieder. Allein auf kurz nur in die Irre fo

Ward ich geführt; im tiefften Herzen froh Wußt' ich, daß mich ihr Herz verftehe,

Und wie ih Tag’ auf Tage jelig

Bermeilte in des Mädchens holder Nähe, War mir, als ob ich aus dem Kind allmählig Die Jungfrau voller fich entfalten fähe;

Zu höherm Fluge nad) und nad)

Hob ihre Pſyche, die wie Schmetterlinge Bisher geflattert, prüfend ihre Schwinge,

Und eine Stimme mir im Innern jprad):

315

Sie ift es, meined Herzen? Braut,

Die ih im Traum der Kindheit Ihon geichaut! Zwei Leiern gleich, die eine Melodie

Mit ihrem füßen Klang begleiten,

Auf einen Ton find unfrer Seele Saiten Geftinimt, daß fie in Harmonie

Bei Luft wie Wehmuth mit einander beben. Mein tieffteg Ich, mein Fühlen und mein Streben MWird fie verftehn. In ihrem Geifte werden Tie luft’gen Kinder meiner Phantafie

Und die Gedanken neu erftehn,

Die ih gedaht. Mit ihr durchs Leben gehn, Kein Glück begehr’ ich fonft auf Erden.

3.

Die Zeit war nahe, wo zum nebelvollen Novemberftande ſich die Eonne jenft Und man nur wie an Eagen, längft verichollen, Zurück an ihre Sommterglorie denkt; Doc vor den Scheiden glomm fit noch einmal So Har, daß Erd’ und Himmel fih im Strahl Des goldnen Lichts beraufchten. Nieder träufte Der moltenlofe Glanz auf Berg und Thal Am Schönen Rheingeftad und reifte Die Rebenfrüchte an den Felfenhängen. Die Luft erſcholl von jubelnden Gefängen Des muntern Winzervolf3; zum Traubenleſen War nie der Segen noch jo reich gemejen. Nachts bei der Flöte, der Schalmei Getön Schwang, auf dem Haupt den Weinlaublranz, Sih Paar an Paar in luſt'gem NReigentanz, Und Freudenfeuer flammten auf den Höhn,

319

Und durch das Nachtblau ſchoſſen, vothen Glanz Verſprühnd, Teuchtfugeln, die gleich Meteoren Eich in des Himmel! Sternenheer verloren.

In diefen fohönen Jagen, wo von Frohheit Die Herzen überftrömten, wie vom Moſt Die Fäffer, unerwartet kam die Poft An meinen Obeim „daß des Herzogs Hoheit „Geruhen wolle (die8 des Schreibens Styl) „In feinem ländlichen Aſyl „Den Herrn Hofmarfhall gnädigft zu befuchen.“ Mein Oheim las e8 und begann zu fluchen, Tod) gute Miene zu dem böjen Spiel, Mas blieb ihm fonft? Im Schloß der große Saal Ward feftlih ausgeifhmüdt für Ball und Mahl; Im Torf und auf den Weg an allen Orten, Durch die der Fürft kam, prangten Ehrenpforten; Mit Berfen an den Yandesvater zierten Die Häufer fih, und Kinder memorirten Anreden, die der Schultyrann verfaßt.

Taß beim Empfange nichts der hohe Gaſt Bermiffen möge, langte vor ihm fchon Ein Höfling an; es war des Oheims Cohn, Des Herzogd Kämmerer, Baron Sylveſter; Doch o! dem Pater und der holden Schweſter Wie ungleich er! Sein Antlig trug den Dünkel Des Stumpffinns, der aus feinem Heinen Winfel Die Welt bemißt, auf platter Stirn gefchrieben Und zeigte ftolz die Spuren noch von Hieben, Die als Bandalen-Senior am Strand Des Nedar er empfing in blut’gen Sträußen. Sein Höchſtes aber war ein Ordensband, Nicht fir Berdienfte um das Vaterland,

3)

Nein ihm verliehn vom Herricher aller Reupen, Weil nah der Hauptftadt an der Newa Borden Zum Kindtauf-Glüdwunfc er entjiendet worden. Schon feit den erjten Blid war mir der Fant Zumider, und es jchien, alsbald erfannt

Hatt’ er in mir den Feind. Wir maßen

Uns ftumm mit Bliden; als beim Mahl wir ſaßen, Begann Sylveſter dann auf Demokraten

Zu ſchmähn; Umfturz bedrohe alle Staaten, Und wider Thron und Altar die Verſchwörung Bereite auch bei uns fich zur Empörung,

Wie fchon die Carbonari, die Banditen,

Im Nahbarland das Königthum verriethen. Dann vom bejtehnden Recht, dem legitimen, Sprach er nah Junkerart, wie unfre Beit

Sich der von Gott gefeßten Obrigkeit

Nicht unterwerfe mehr mit Ziemen,

Und wie wir in den dränenden Gefahren Schutz fuhen müßten bei dem mächt'gen Zaren. Ich aber unterbrach den Phraſenſchwall

Und pries die Beit, daß noch ein Widerhall Bon Leipzigs Tagen und von Waterloo's

In ihr erklinge, Deutichland ftark und groß Und frei zu machen, niedre Höflingfeelen

Nur könnten auf jo hohes Streben fchmälen; „Weh, ſchloß ich, wenn ſich über unfer Loos Bun Richter der Barbar aufwirft, der Ruſſe, Der ung verräth mit feinem Judaskuſſe.“

Indeß von Munde fo der Redeftrom Mir floß, beifällig lächelte mein Ohm, Und auch Adele, halb verlegen, blicte Mich an, indem fie mit dem Haupte nidte. Allein hochrothen Angeſichts erhob Ihr Bruder fih, der Wuth und Rache fchnob.

31

Am Abend kam in prächtigen Staatskaroſſen Der Herzog mit dem Hof; aus Böltern ſchoſſen Die Bauern, und des Schloſſes Säl’ und Zimmer Aufleuchteten von hellem Kerzenſchimmer.

Ich ohne Hoftradht und dem Höflingtreiben Abhold um ganz dem Feſte fern zu bleiben, Durdhwanderte im Park die Gänge unten, Wo ale Wipfel in dem Schein der bunten Nachtlampen ftrahlten wie jmaragdne Flammen. Im Silberduft des jungen Mondes ſchwammen Gebirg’ und Ferne rings, und leifen Schalles Bon Schloß her hallte die Muſik des Balles. In Tämmertraum wie die Natur umber Verſank die Seele mir; des Streits nicht mehr Gedacht' ih, all mein Denken war Adelen' Geweiht, wie nun im Glanze der Juwelen Hin dur den Saal fie ſchweb' im leichten Tanz, Dod in der Jugend, in der Anmuth Glanz Noch höher ftrahle. Plöglih in den Büfchen Zur Seite hört’ ich Tritte und dazwiſchen Dumpf ausgeftoßne Worte; vor mir ftand Borngluth-entflamnt Sylvefter, in der Hand Ein Paar Piftolen: „Treff' ih dich? da nimm, Nimn, Schurke, Demagog! mein Grimm Iſt nur durch Blut zu ftillen. Ei, du zitterft, Ich mer!’ es, Memme, wenn du Pulver witterft; Geſchwind, vertheid’ge dich!“ Und das Piftol Mir drängt er auf. Sch faßte mich: „Nun wohl! Bor Zeugen morgen!“ „Hier, fogleich! ich ſchieße dich Wie einen Hund zu Boden fonft; entfchließe dich!“ Wir ftellten ung; ev zählte laut: beim Drei Aus beiden Yäufen krachend flog das Blei; Ein Fall; am Boden lag mein Gegner da; Hin ftürzt’ ich, warf mich über ihn und jah Sein Auge brechen; auf die Bruft ihm feit Schack, Gef. Werte. II. 21

32

Im Todeskrampfe war die Hand gepreßt; Tann ſank fie und ein breiter Blutſtrom brad) Aus offner Wunde; Alles war vorüber.

Wie finnlos ftarrt’ ich hin, mir lag ein trüber Nachtflor auf Aug’ und Geift; erft nach und nach Aufrafft’ ih mid; an jener Stelle litts Mich länger nicht, ich ſtürmte ſchwanken Schritts Bon dannen durch die hoffnungslofe Nacht, Berfolgt von der Gedanken grimmer Meute Den? ich an jene Stunden, o noch heute Durch mein Gehirn hin, eine graufe Jagd,

Fuühl' ich e8 toben. Hoffnung, Glück und Frieden Dahin! Adele, die mein Alles war,

Durh einen Strom von Blut für immerdar Vom Mörder ihres Bruder nun gefchieden!

In Todesangft des Herzens fo, entiegt, Irrt' ih umber, bis ich zulegt Erſchöpft in einem Dorf zufammenbrad). Den halb Entjeelten, der am Wege lag, Mitleidig in fein Haus aufnahm ein Bauer. Wie lang verzweiflungsvoll in dumpfer Trauer Ich dort geweilt, ich weiß es nicht; Nicht ftieg für mich des Tages Licht, Noch ſank es unter; fchwere Nebel nur Hin durch den Himmel fah ich Friechen; Die Erde fchien, das Leben, die Natur In ihrem gift’gen Hauch zu fiechen, Und ic) beneidete die Todten, Die ſich geborgen vor des Schickſals Wüthen.

Endlich rafft' ich mich auf aus meinem Brüten Und fendete Adelen einen Boten. Gezwungen fei id) worden zu der That,

323

Schrieb unter Thränen ich an fie und bat, Daß ich fie wiederjehen dürfe

Und, ihr verföhnt, aus ihrer Stimme Klang Tas füße Yabjal der Vergebung fchlürfe.

Der Wiederkehr des Boten lang Wie auf des Weltgerichts Entſcheidung harrt’ ich. Mit einem Blatt fam er zulest; bang ftarrt’ ic) Tas Schreiben an, auf dem mein Schidfal ftand, Und las und blieb wie bliggetroffen, Augen und Seele auf das Blatt gebannt: „Mich wieder je zu fehn darf der nicht Hoffen, Durch den fchredvollen Tod mein Bruder fand.” So jchrieb fie; ja es war Adelens Hand.

Fünfter Geſang.

1.

Glucklich zu preifen ift der Ungeborne, Nicht folgt ihm die Erinnrung an verlorne Glückſeligkeit durchs Leben nad) und reißt Bon Troft und Frieden ab den Geift; Nicht hält der Gram an feinem Lager Wacht Und fcheuht den Schlaf, den milden Thau der Nacht, Bon feiner Wimper, oder macht den Schlummer Zum hohlen Spiegel, draus des Tages Kummer Ihm neu entgegenftarrt und gleich dem milden

34

Heerzug des Odenwalds in Schreckgebilden Durch ſeine Träume zieht!

In düſtrer Kammer, Gefährte mir allein der bleiche Jammer, Lag ich verzweifelnd, herzgebrochen Und ſtarrte lautlos, regungslos ins Leere Und rang umſonſt auch nur nach einer Zähre, Die meine Schmerzen lindre; langſam krochen Die Stunden hin, die Tage und die Wochen, Und keine brachte Troſt. Wenn mählig milder Des Kummers Fittig mir das Haupt umkreiste Und, ferne dämmernd, holde Friedensbilder Auftauchten vor dem gramgebeugten Geiſte, Trat wieder das Gedächtniß des Vergangnen Vor meine Seele und, gleich dem Gefangnen, Wenn er die Kerkerknechte nahen hört, Vom Lager fuhr ich auf verſtört.

Der halbe Winter war dahingeſchwunden, Da kam aus Heidelberg ein Bote mir: „So hab' ich endlich euch gefunden! Flieht, flieht, nicht ſicher ſeid ihr hier! Entdeckt ward die Verſchwörung; der Genoſſen Sind viele ſchon gefangen; ſchnell entſchloſſen Hat Hugo in die Schweiz zu fliehn verſucht; Er ſendet mich und räth euch ſchleun'ge Flucht; Zu treffen hofft er euch im alten Bern!“

Der Mahnung folgt' ich, und ein günſt'ger Stern Ließ mich entrinnen; aber ohne Frucht Blieb all mein Forſchen nach dem Freund; vergebens In jener Stadt ihn ſucht' ich; ſeines Lebens Und ſeiner Freiheit eine Kunde nur

325

Blieb mir verjagt; fo wie des Wandrers Spur, Die tief im MWüftenfand der Wind vermehte, Schien er verichwunden.

Aus dem Pärm der Städte Floh ich aufs Neue; nicht des Bleiben Mar mir inmitten diefes lauten Treibens Der Menfchenwelt, da8 meinen Schmerz verhöhnte ; Erft als es ferne mir und ferner tönte, Ging mir der Athem freier. Tief im Schooß Der Alpen barg ich mich, wo hehr und groß Mid die Natur umfing. Allmächtig thronte In Einfamkeit, die nur der Sturn bewohnte, Ter Winter dort. Ringsum erhabnes Schweigen, Kur unterbrochen von dem Saufen Des Nordwinds in den Tannenzweigen Und von der Wafferfälle Braufen, Tie, ungebändigt durch den Froft, hervor Aus Gletfcherhöhlen ſchäumten. Hoc, hoch oben Tes Himmels Dede fpaltend, hoben Die Riefenberge ihre Stirn empor, Und über Klippen von kryſtallnem Eis Und über Urmeltfirnen, weiß Noch von der erften Erdentage Schnee, 309, fo wie in der Dinge Anbeginn, In fchnellem Flug der Wolken Heer dahin.

Auf Felfenfteilen dort, die jäh Hinab in finftre Schlünde fanken, An Gipfeln, kaum erklimmbar dem Gedanken, Weilt' ich, zu ftillen meines Herzens Web. Bor diefen großen, ewigen Geftalten Sprach ih zu mir vor den jahrtaufendalten Giganten der Natur, die Welten Und Eonnen untergehen fahn, was gelten

336

Die Menſchen und ihr Hleinliches Geſchick, Ihr Leben faum ein Augenblid

Anı Zifferblatt der Zeit? Aeonenlang

Sahn diefe himmelnahen Erdenwächter Hinunter auf die wechſelnden Gefchlechter, Wie gierig fie dag Grab verichlang;

Und Staub, als ob fie nie gewejen wären, Sind nun die Myriaden Ephemeren,

Die fo wie du gelitten und gemeint.

Noch jedes Herz, das nicht in Gram verfteint, Hat brechen müſſen, und, wenn deines bricht, Kalt, regungslos bleibt die Natur und ftumm; Auch nur das Fleinfte Stäubchen, das im Licht Der Sonne fpielt, Freift anders nicht darum. Das Eine mag, ihr Menfchenzwerge,

Euch tröften in des Lebens Yiebertraum:

Zu Trümmern werden felbft die Rieſenberge; Die Erde, diefe Blafe auf dem Schaum

Der Dinge, der beſtandlos fluthet,

Wird berften einft im unermeßnen Raum, Und kein Gedächtniß bleibt im weiten All

An den verichollnen Erdenball

Und al die Weſen, die auf ihm verblutet.

Ich ſuchte fo, doch fand nit Troft. Ums Herz mir zog fich eine harte Eisrinde, und mein Seelengram erjtarrte, Mie um mich her im Winterfroft Des Daſeins Pulſe ftodten. Da begann Sichs wieder in der Erde Bruft zu regen; Dem tiefern Blau, das dur den Himmel rann, Aufathmend lächelte fie neu entgegen; Durd ihre Adern floß in höhern Schlägen Die Lebensfluth und trieb zu fehnellerm Tatte Die Wellen der beſchäumten Katarafte,

321

Und farb’ger mwölbte auf dem Sturz der Wogen Die Frühlingsfonne ihre Regenbogen.

Als fo von Wälfchland her mit lauem Wehen Die Winde von den frofterftarrten Seen Ihr Augenlid, die Eifesdede, bliefen, Daß Ihmachtend wiederum die dunkelblauen Gen Himmel äugelten; als fi die Wieſen Mit bunten Blumen fhmüdten und die Auen Und die Lawinen auf den Höhn erwachten Und über mir die Eisgewölbe krachten, Ta drang in meinen Bufen aud) das Thauen; Sein Froft zerrann; hin dur mein Herz Fühlt' ich e8 wehn wie füße Frühlingsſchauer, Und blutend brach hervor der alte Schmerz Und al mein Weſen jchwelgte in der Trauer, Wie bei den erjten Lenzgemittern In Wolluft die erwachten Fluren zittern. Nicht war fortan ein riefiged Phantom Mir die Natur, ein fehredliches Gerippe; Bertraut fpradh fie zu mir aus Wal und Strom, Und fchluchzend ftürzte fih mein Gram von Klippe Zu Klippe fort mit ihren Waflerfällen Und wiegte fi, wenn fie mit Donnerchören Der Sturm durdzog, im Wipfel ihrer Föhren. Das Murmeln der gejchwäg’gen Quellen, Der Eichen Raufchen, die der Frühmind ſchwang, Ertönte mir wie heil’ger Wiegenjang, Mit dem die große Mutter meine Qualen In Schlummer lullte. Wohl zu manden Malen Zog die Erinnrung des Erlebten Durch meinen Schlaf, daß alle Fibern bebten Und mich vom Pfühl empor das Schredgefpenft Der Tkäume jagte: doch wenn dem Ermachten Die Seen dann, von Mattengrün befrängt,

328

Im Morgenjchein entgegenladhten,

Wenn von des Frühlings heiterm Sitz mein Blid Auf zu des Winters em’gen Thronen jchmeifte, Zum Kampf mit dem tyrannifchen Geſchick Ermannt’ ih da mich, und mir reiften

An deinem Ddem, göttliche Natur,

Entfchlüffe auf Entjchlüffe; mich zu mahnen Begann ic) wieder an den Schwur,

Als ich mein Leben hohen Planen

Zu mweihn gelobt; in Muth und Thatenluft Aufs Neue Elopfte mir die Bruft.

Gleich Adlern, die au höchfter Wolfe hangend Dahin von Berg zu Bergen jpähn, Warf ich von Land zu Land den Blid verlangend, Mir meines Wirkens Schauplag zu erfehn. Zur Heimath wohl flog jehnend mein Gedanke, Allein umfonft, gezogen war die Schranfe; Geächtet, in Berbannung mußt’ ich irren, Denn, fehrt’ ich heim, fort fehleppten mich die Shirren; Und daß fo bald die bittre Schmad), Die über ihm, ein fchwerer Nebel, lag, Hinweg von meinem Volfe weiche, Wie durft’ ichs hoffen, da die bleiche Zagniß, da Trägheit, Eigenfucht, Entzweiung Bereint ein Bündniß wider die Befreiung Des Vaterlands gejchloffen? Manche Stunde So fann ih nad; da kam mir Kund’ auf Kunde, Wie jenfeit8 von der Pyrenäen Kamme Ter Freiheit Lohe hoch und höher flamme. Tas Volk der Helden und der Heldenfänger, Das fühn zuerft dem Weltbedränger Die Stirn geboten, fchlachtbereit und ftählern Aufs New nun ftand es in den wald’gen Thälern Und auf den Höhn der fonnverbrannten Sierren;

329

Doch nicht, wie einſt, zum Schutz des Lehensherren, Des ſchnöden Ferdinand, nicht für Altar

Und Thron beim Schlachtenruf: St. Jago! war Sein Schwert gezückt; ihm winkte reinrer Ruhm, Als je den Kämpfern für das Königthum;

Wo iſt des Lorbeers, wo der Krone Glanz,

Der nicht erbleicht, Freiheit, vor deinem Kranz?

Doch das Geſchlecht, das dunkle, das erſchreckt, Nachteulengleich ſich vor dem Tag verſteckt, Erbebte, wie das helle, funkelndrothe Geſtirn hoch an Hiſpaniens Himmel lohte, Und, um die alte Nacht zurückzubringen,

Trat ein Congreß von allen Finfterlingen Europas in des Dietrih Stadt zufammen.

In Blut zu löfchen die verhaßten Flammen, Tas war die Lojung, die vom Strand der Etſch Die Welt durdheilte; und ſchon mit Gefletic, Nach Beute gierig, zeigte an der Seine

Die grimme Kriegermeute ihre Zähne.

Was konnte Frankreich) Süßres fich verfprechen, ALS jo die Schande von Baylen zu rächen?

Gefunden war für nich ein Feld der That Im Wirken für der Spanier heil’ge Sache, Und eh’ das Frankenheer zum Werk der Rache Der Bidaſſoa noch genaht,

Sah ich das blaue Haupt der Pyrenäen Im erften Morgenliht vor mir erftehen.

30

Ein Maulthier von Navarras edler Zucht Trug mid den Saumpfad aufwärts; munter balkte Der helle Klang der Glöckchen durch die Schlucht Und, aufgejchredt aus feiner Felſenſpalte, An mir vorüber floh in fcheuer Flucht Der Yard, bis er hoch am Klippenrand Auf wolkennahem Pfad dem Blid entichwand.

Durch Waldesgrün, in deſſen Dämmerung Die Sage noch von alten Zeiten träumt, Borbei an Schlünden, wo der Sturzbach ſchäumt Und fi von Rand zu Rand in kühnem Sprung Die Brüde fchwingt, Einmt fteil der Weg empor, Auf dem mit Ataghan und kurzem Speere Der turbanhäupt’gen Sarazenen Heere Herüberfhwärmten durch das Felfenthor, ALS in jahrtaufendjähr'gem Schladhtgetiimmel Um Allahs Paradies und Ehrifti Himmel Der Kanıpf von Afien mit Europa gohr. Tem Wandrer, wie er zieht des Wegs entlang, its, als vernähm’ er in der Wälder Schauern Ein Klagelied von Tod und Untergang, Und weiter fieht er an de Berges Hang Ein düftres Klofter einfanı trauern, Aus defien halb zerfallnen Mauern Der Wind den Grabesftaub der Paladine Geit lang verweht. Berftummt der Gloden Schall Im Thurm der ftürzenden Ruine, Bor der wie eine große Trauerbühne Das fangberühmte Thal von Ronceval Sich finfter dehnt, umjchloffen von dem jähen Bergrund der zadenreichen Pyrenäen.

31

Hier, großer Karl, haft du ſich dein Geſchick An deinen Tapferiten erfüllen jehen. Wie Yöwen, mern um Hüften und Genid Arabiens Riefenjchlange fich geringelt, War Roland mit den Seinen vom Geftrid Des taufendarngen Maurenheer8 umzingelt; Und immer neu noch dringen durch die Schlucht Zahllofe Heiden, frumme Säbel ſchwingend Und Tod den jchon erfchöpften Streitern bringend; Und von den Höhn mit Riefenwucht, Gelöst durch Sarazenentüde, Hernieder rollen Felſenſtücke. Dort ftürzt, von Strömen heißen Bluts umqualmt, Ein Roß, des eignen Reiters Haupt zerftampfend, Ein Ritter hier, vom Feljenblod zermalmt, Das heil’ge Banner noch im Tod umframpfend, Nur Roland fteht, der Held, dem Alle weichen, Noch einfam da inmitten all der Leichen. Berwundet felbft, vom Heidenjchwarm umringt, Sieht er den Herbft des Todes in der Munde, Da jchleudert er, daß es am Fels zeripringt, Das Schwert hinweg und führt das Horn zum Munde, Und bläst und bläst, daß rings die Feljen zittern, Dann fintt er fterbend zu den andern Rittern.

O mwadre Kämpfer! Nicht ein Ehrenmal, Wie niedrer Helden Gräber damit prunfen, Prangt an der Stätte, wo ihr hingeſunken; Doch hier im düftern Todesthal,

Ich fühl's, umfchweben noch mich eure Manen Und, ob auch weltverfchteden unfre Bahnen, Mir ift, als hört’ ich euch mich mahnen, Treu fo wie ahr zu ftehen in dem Streit, Dem beil’gen, dem ich mich geweiht.

Mich rufen andre Ziele, andre Fahnen,

32

Tenn Neues zu gebären, ringt die Zeit;

Nicht führt fortan das Wahngebild, der Glaube, Ter lang die Welt zum Yeichenfeld gemadıt, Bethörte Nationen in die Schladht.

Von ihren alten Göttern, die im Etaube

Der Tempel ruhen, bliden fie empor

Und fehn der Freiheit leuchtend Banner fliegen, Und wie von Engelftimmen an ihr Ohr Schallt es: In diefem Zeichen follt ihr fiegen! Dem Banner folg’ ih, um die Willfürmadht, Die Epanien fnechtet, und den Sohn der Nadıt, Den frechen Briefter, zu befriegen.

3.

Someit der Blid reicht, braune Eiftusheiden. Mit feinen dunfelmol’gen Heerden irrt Bon Ort zu Orte auf den dürren Weiden Unftät dahin der Wanderhirt. Wo zwifchen gluthverjengten Hügelfämmen Am Gießbach frifches Laub den Thalgrund füullt, West an der immergrünen Eichen Stämmen Der mächt'ge Stier fein Horn und brüllt Ten Wandrer an und feharrt voll Grimm die Erde, AL ahnt’ in jedem er den Matador, Ter ihn im Kampfrund einft durchbohren werde. Ya dies ift Spanien! mit dem Feuerrohr, Im rothen Gurt das lange Meffer, fprengen Navarras Schmuggler durch die Feljenengen, Und dir zur Seite zwifchen Dorngeſtrüppe Berküindet oft auf fonnverbrannter Klippk Ein ſchwarzes Kreuz, aus Holz gefchnigt, Daß dort ein Dolch de8 Mandrers Blut verfprigt.

333

Vor mir mit Zackenmauern, Domen, Thürmen, Taucht, mühſam trotzend noch den Zeitenſtürmen, Toledo auf, die alte Stadt der Gothen.

Iſt ſie es ſelbſt noch? iſt ſie von den Todten Zurückgekehrt nur als Geſpenſt?

Mit ihrem Diadem zerfallner Zinnen,

Die letzte ſie von all den Königinnen,

Die fie beſtattet hat, in ſtummem Weh Hinunter blickt ſie vom Geſtein, wo jäh

Der Tajo ſchäumt. Wie öde nun der Strom, Darin die Stadt ſich ſpiegelt, ein Phantom Nur deſſen, was ſie war! Nie mehr

Von bunten Wimpeln ſchimmern dieſe Wogen, Wie einſt, wenn über ſie durch Siegesbogen Vor dem bezwungnen Maurenheer

Die ſtählernen Alphonſe zogen,

Und über ihnen ſich im Morgenwehn

Die Banner von Caſtilien wiegten.

Wo ſind die Kronen nun und die Trophän? Sie alle Staub! mit den Beſiegten

Die Sieger ſelber grauenhaft

In einen großen Sturz hinabgerafft!

Hinwandernd durch die menſchenleeren Gaſſen, Vernahm ich keinen Widerhall Als von der bröckelnden Ruinen Fall; Ich fand inmitten mächt'ger Häuſermaſſen Einöden, wo allein die Eule haust, Und Prachtpaläſte, nun verlaſſen, Die Höfe wüſt, die Säle ſturmdurchbraust. In eine Kirche bin ich eingetreten; Verwaist von Opfern ſtand ſie und Gebeten, Wie neben ihr der Mihrab des Propheten. Geſtürzt das Dach; aus Haufen Schuttes ragten Die Säulen auf; ich ſah wie der Altar

34

Bon Neffeln überwuchert war

Und Echlangen an der Hoftie nagten.

Hinweg, hinweg! mich faßt ein Grauen,

Und meiter irr’ ich durch die Zodtenftadt. Zulegt auf eine Steinbanf matt

MWerf ich mich Hin; was muß ich jchauen? Die Häufer mit dem Gitter und Balkon

In düfterm Kreis den Platz umfchliegend ja Bekannt ift Alles mir, ich ſah

Ein Bild davon ala Knabe fchon,

Und konnte lang die Schreden nicht verbannen, Tie bei dem Anblid mich durchrannen.

Einft firömten zu den graufen Glaubensfeften Priefter und Volt und Mönche hier zufammen Und fchürten hoch die Scheiterhaufen- Flammen, Und neubegierig fahn dem Brande

Hidalgo zu und ftolger Grande

Spanien, o Spanien, haft du genug

Der Menfchenopfer nun? Der Blutgerud), Der dich erfüllt, nicht alle deine imonengärten und Oranatenhaine,

Nicht alle Myrtendüfte deiner Thale

Erftiden ihn! In deinen Kirchen ſchwingt Umfonft der Safriftan die Weiheichale;

Der Moderduft, der gift’ge, dringt

Durd al den Wirbelraud der Myrrhen;

Und 068 beim Hochamt auch wie Engelchöre Zum mächt'gen Klang der Orgel ballt, ich höre Der Folter Aechzen nur, der Ketten Klirren. Bernimmit du, Sünderin, den Fluch)

AU derer, die du Hingeopfert haft?

Zu Hunderttaufenden, ein graufer Zug, Auffteigen fie, blaß wie Sevillas Gaft,

Der fteinerne, und vor dem ftummen Drobn, Mit dem ihr Auge dic) durchbohrt, erbleichen

3355

Die Blumen alle deines Calderon,

Stirbt des Cervantes Scherz auf deiner Lippe. Vergebens vor den Leichen hinter Leichen Willſt du dein Antlitz bergen, Schuldbefleckte! All deine Fluren, wüſt nun und verdorrt,

Die Städte all, wo du geſchwelgt in Mord Und himmelan die Holzſtoßflamme leckte, Verklagen dich; von Flanderns Nebelküſte

Und von der neuen Welt Geſtaden,

So weit, mit Freveln überladen,

Du deinem Moloch Blutgerüſte

Errichtet haſt und finſtre Zwinger,

Weiſt klagend mit dem Knochenfinger

Der Tod auf deiner Stirne Cainsſtempel; Und würgend naht mit ſeiner Hippe

Der Rächer nun, das grauſige Gerippe,

Und wirft zu Boden deine Götzentempel

Und düngt im Bürgerkrieg mit Menſchenknochen Den Boden, drauf ſo Grauſes du verbrochen!

4.

Geſendet von der heil'gen Allianz (Es hätte mich ein Faſching-Mummenſchanz Bedäucht, wenns Sommer nicht geweſen wäre) Schon nahten die Franzoſenheere, Den Spaniern wiederum den alten Glauben Zurückzubringen ſammt den Daumenſchrauben, Womit er ſie beglückt. Aufs neu erſtanden, Zahllos, als ob ſie aus dem Boden wüchſen, In Schluchten und Gebirgen ſchwarze Banden Und ſtreiften mit entweihten Crucifixen, Geführt von Kuttenmännern, durch das Land.

336

„Tod“ ihr Gekrächz „den Neuerern und Kegern!“ Und fort und fort von wilden Hetzern, Pfaffen und Mönchen, ward gejchürt der Brand.

Gen Süden, wo in Andalufiens Städten Riegos und der Freiheit Banner wehten, Hinzog ich, mich den Kämpfern zu gefellen. Noch eine Bergesfteile, und vor mir Abwärts von der Morena Feljenmwällen Tiefblaue Hügel ſah ich ſchwellen,

Durch die der ſchimmernde Guadalquivir Sich jchlängelte, Olivengrün⸗umkränzt. Bon Mittag wallte wie ein Blüthenregen Im Windeshaud mir füßer Duft entgegen. Und fern, von Abendgluth beglänzt, Anfflammten der Nevada eif’ge Gipfel.

Hinunter nun fenft an dem Paſſe Die Sierra fi, Terraffe auf Terraſſe, Zum breiten Stromthal, wo zuerft den Wipfel In lauer Luft die Palme wiegt Und an den Cactus, die den Weg umzäunen, Die Sonnenftrahlen Indiens Feigen bräunen, Indeſſen nie die frifche Fluth verfiegt, Tie, auf und niedergehnd, das Waflerrad Durchs Maisgefild ausftrömt aus vollen Krügen, Borüber mir in langen Zügen Sah ih auf vielgewundnem Pfad Die teden Söhne Andalufiens ziehn. In ſchmucker Tracht der nationalen Garde, Auf ihren Hiüten die Kokarde, Wie ſchauten fie darein fo kühn, Wenn der Riegohymne Klang Bon ihren Tippen quoll im Chorgefang!

37

Bald breitete die morgenländ'ſchen Dächer, Gefächelt von der Palmen grünem Fächer, Des Weſtens tiefgebeugte Sultanin,

Die greiſe Cordova, vor mich dahin. Entthront, kronlos, verwaiſt von all den Ihren, Inmitten der geſunknen Minarete

Umſonſt zu Allah fleht ſie im Gebete,

Ihr die entriſſnen Söhne heimzuführen

Die fern der ſchönen Heimath in den dürren Sandflächen Libyens troſtlos irren.

Wohin ich ſah, zerfallne Villen,

In deren Trümmern ſtatt der Feſtmuſik

Nun bräunliche Cikaden ſchrillen

Und um gebrochne Moſaik

In Ringeln ſich die Natter ſchlingt; Moſcheen mit geſtürzten Säulenreihn,

Durch die der Wind ſein Grablied ſingt. Nur ſelten, daß aus bröckelndem Geſtein Noch hier und da ſich eine Mauer hob,

Und halberloſchne Koranſchrift der Wände Von großen Tagen ſprach. Mir war, als ob Am Friedhof eines ganzen Volks ich ſtände.

Mit ſeiner Thürme Spitzen, die wie Lanzen Im wehnden Morgendunſt zu zittern ſchienen Hoch die Giralda über ihnen

Stieg dann aus ſeinem Hain von Pomeranzen Sevilla auf. Des Feldherrn Hauptquartier Empfing mich dort, und in ſein Heer zu treten, Nicht einen Tag der Zögrung gönnt' ich mir; Doch ſtatt des Schmetterns kriegriſcher Drommeten Zog eben Feſtluſt und Geſang Die Straßen der geſchmückten Stadt entlang, Und Abends ſprühten leuchtende Raketen; Ein Sieg, erſtritten jungſt bei Badajos,

Shad, Geſ. Werke. 11. 22

338

Wo des Merino Banden unterlegen, Trieb jedes Herz zu hohen Freudenfchlägen.

Sch, durch der Menge mwogendes Getos, Einfam fchritt ich dahin und. freudelos. Inmitten all der Luft, die ihre Fluthen In Scherz und Lachen um mid fchlug, Begann die Wunde mächtiger zu bluten, Die ih von Land zu Lande trug.

Der Gram um mein verlornes Lebensglück Stieg wieder auf und hüllte meinem Blick Die ganze Welt in diftern Trauerſchleier. Durch Jubellied und GSiegeshymmnen- Feier Hört’ ich das Echo noch von jenem Schuß, Der von Adelen und von Herzensfrieden Für immer mich Unfeligen gejchieden.

Und dennoh an Sevillas Fluß, In feinen Gärten, um mic ber weld Eden Bon Duft und Glanz! Der grünen Alameden Bielfach verfchlungner Yaubengang voll bunter Nachtlampen in den Wipfeln, und darunter Der Menge fröhliches Gewühl! Da bligten hinterm Yächerfpiel Und fchwarzen Schleiern, die im Windhauch wehten, Augen, wie Andalufien nur fie kennt; Duft ftieg empor rings von den Blumenbeeten; Gleich Heinen Sonnen, die vom Firmament Sich losgeriffen, flimmernd irrten Yeuchtkäfer um die Rojen, um die Myrten, Und durch das Säufeln in den Ulmenblättern Erſcholl aus leicht vorüberfliehnden Nachen, Sich mengend mit der Kaftagnetten Schmettern, Vom Strome ber Guitarrenfpiel und Lachen.

339

Dem Jubel und dein Feſten fern, Im maurifchen Alcazar weilt’ ich gern Am Fuß der breitgezweigten Sylomore; Um mid) gebrochne Bogenthore, Geftürzte Säulen von dem Holz der Ceder, Um die der Nebe grünendes Geäder Sich wuchernd fchlang. Zur Seite aus dem Rohre Goß Hares Naß fih in ein Marmorbeden, Und fanft erzitterten die Yorbeerheden Dem Saitenflang von fernen Mandolinen. Mit Dleandern und Jasminen In Duft und Glanz noch prangen diefe Gärten Wie zu der Beit, da bier bei Sommeerfeften Der Maurenfürft gefehwärmt init feinen Gäften; Doc wer, als nur die grünlichen Yacerten, Die an der Mauer jpielen, ift von allen Bewohnern des Palafts zurüdgeblieben ? König und Volk aus ihrer Väter Hallen Ins öde Afrika hinweggetrieben ! Im Elend und der Noth, drin fie verſunken, Erloſchen felbft des Geiftes legter Funken, Der einft, al3 Naht noch auf Europa lag, Zuerſt mit mächt'gem Strahl das Dunkel brad).

Wenn fo ic) wog das Schidjal der Nationen, Wie Wolken gleich, die durch den Himmel wehn, Die Könige und ihre Kronen,

Die Reihe und die Völker ſelbſt vergehn, Sucht' ich vor den gewalt’gen Weltgefchiden Des eignen Schmerzes Seufzer zu erftiden; Dann, während lange, lange Stunden

Ich in den trümmervollen Gärten faß,

Und, um zu heilen meiner Seele Wunden, Mein Heine Weh an jenem großen maß, Erſchien zulegt der Menfchheit Loos, das ganze

340

Daſein mir als ein flücht'ges Traumgebild. Und wie vor mir die Mondesſichel mild Den alten Bau umwob mit ihrem Glanze, War mir, als lege ſanfter Dämmerſchimmer Sich auch um meines Herzens Trümmer. In dieſer balſamreichen Einſamkeit

Zu ſüßer Wehmuth ward mir alles Leid, Und oft noch fand das erſte bleiche Frühlicht mich träumend an dem Gartenteiche, Wo mit der Früchte Purpurröthe

Sich der Granatbaum zu mir niederbog Und ich bei Nachtigallgeflöte

Der Inlinächte lauen Odem ſog.

5.

Verwandelt plötzlich Alles. Schmetternd rufen Zum Aufbruch die Drommeten. Fall von Hufen Und Roßgewieher dröhnt. Hin durch die Gaſſen Mit Räderrollen und mit Schwertgeklirr In Schaaren wälzen ſich die Heeresmaſſen.

Von Waffen und von Trachten welch Gewirr! Rings aus den Fenſtern ſchaun, von den Altanen Sevillas Fraun herab, wie um die Fahnen Sih Alle reihn: auf hurt'gem Nenner

Hier Andalufiens fonngebräunte Männer, Der Sierra wilde Kampfgefellen,

Daneben keck der luſt'ge Catalan,

Dann, ſtolz der Thaten noch, die er gethan, Als er gekämpft auf Saragoſſas Wällen,

Der Veteran von Aragon,

Und mit der Klinge aus Toledos Eſſe Caſtiliens gravitätiſch ernſter Sohn.

311

Heran durch der Morena Bälle Trang (aljo war dem Feldherrn fund geworden) Tas Frankenheer, und wüſte Horden Bon des Merino Banden weihten jchon Ten edlen Kreuzzug für Altar und Thron Dit Plündrung ein und Raub und Morden. Aufbrah das Heer in Eile drum nach Norden, Und ich, gereiht in eine Escadron, Der legte blieb ich nicht. Wie neu die Welt, Die mich umgab mit wechjelnden Geftalten, Wenn von dem Kriegslärm Hügel, Schlucht und Feld, Durch die der Zug fich wälzte, widerhallten Und bei der Fahnen Wehn, der Waffen Bligen In Andalufiens Sonnenftrahl, Die Helme, Speere, Yanzenfpigen Hinwogten über Berg und Thal! Im Wettftreit mit dem Winde jchoffen Wir vorwärts auf den fehnellen Maurenroffen. Und Scherz jah ih auf Aller Mund und Lachen, Als wollten fie, ftatt dem Kanonenkrachen, Der Hochzeitluſt entgegenziehn. Und dod entlang des Wegs die Batterien, Jedwede jchwer mit Tod beladen, Am Bergeshang die Ballifaden, Wohl mußten fie mit ihren Feuerjchlünden Des Schladhtengottes nahes Felt verkünden.

Wie Rabenſchwärme vor dem Sturm Aufflattern aus dem moosbewachſsnen Thurm, So bei der Freunde Nahen wagten Fed Aus ihrer Höhlen finfterem Verſteck Die ſchwarzen Banden, felbft bis an das Thor Der Städte jchmeifend, fich hervor.

Neu, wenn fie fiegten, von dem Ungeheuer, Tas Spanien jehon mit feinem Drachenhauch

342°

Entvölfert, ward das Holzitoßfener,

Das mördriiche, entfacht und in dem Rauch

Das Denken bis zum Keim erftidt.

Ein ganzes Heer von diefen Nachtgejellen,

Mit Fahnen, drauf der Jungfrau Bild geftidt, Drang auf uns ein vor Calatravas Wällen;

Doch: „Hoch die Freiheit!“ riefen wir, die fcharfen Stahlichwerter bligten, und wir warfen

Im Sturmlauf den Berhaßten ung entgegen,

Vom Erdenrunde fie hinwegzufegen.

Des Abends, wenn wir vor den Yagerzelten Im Kreife um das Feuer uns gefellten, Dft mahnten mich die luftigen Gefährten, Indem fie Becher iiber Becher leerten, Mich aus dem trüben Brüten zu ermannen: „Durch Wein mußt du den läft'gen Hummer bannen ; Stoß an mit uns, die Liebfte dein fol leben!“ So riefen fie, allein das Glas zu heben Bermodht’ ich nicht, und meine Thränen rannen Ins goldne Naß hinab. Theilnehmend dann Mich fragten fie nach meiner Schmerzen Grumd, Allein die Antwort ftarb auf meinem Mund, Und endlich hieß es: „Peinigt ihn nicht länger! Nicht paßt für ung der deutfche Grillenfänger.“ Erſt bei der Roſſe Wiehern und Geftampf, Wie fie den Morgen witterten, Hob fih mein Herz von Neuem; und im Kampf, Wenn heiß die Lüfte in dem Bulverdampf Der würgenden Geſchütze zitterten, Stet8 in den vordern Reihen war mein Stand.

Nah Ronda wurden wir entjandt, Ter hohen fturmunttobten Veſte, Wo ihr Panier Merino und die Refte

3453

Der wilden Glaubensbanden aufgepflanzt, Um, hinter jähen Felſenhöhn verſchanzt, Verwüſtung in die Dörfer und die Weiler Hinabzutragen. Immer fteiler

Erhob vor ung, wie wir der Feſtung nahten, Die Sierra fi, aus Nebelwolfen traten Hoch, höher ſtets gezadte Rieſenpfeiler, Granitne Thürme, hundertfach zerflüftet;

In tiefe Schlünde wieder, vom Arom

Des Thymian und Rosmarin durchdäftet, Sant dann der Pfad, und oft von einem Strom, Der unfihtbar in Abgrund» Finfterniffen Borüberbrauste zwiſchen Felſenriſſen,

Scholl uns der Donner an das Ohr.

Zuletzt auf ihrer wolkenhohen Warte Stieg Ronda vor uns auf, die felsumſtarrte. Iſts möglich? führt ein Pfad zu ihr empor?. Die Brüde, ſchwebend zwiſchen Erd’ und Himmel, Und drunter, finfter wie der Styr, Der Guadalvin mit milden Fluthgetümmel, In Tiefen ftürzend, die nur zagen Blids . Das Auge mißt! Reihnweiſe, Roß und Mann, Die Steilſchlucht klommen wir hinan, Wo längs der Wand, die ob dem Abgrund hängt, Kaum Halt uns bot das finfende Geröll; An Sclünde, gähnend wie die Hölle, Auf ſchmalem Pfade Hingedrängt, Zur Seite oft nach dornigem Geftrüppe, Um nit zu ftürzen, ftredten mir die Hand.

Kun endlich ftehn wir auf der legten Klippe Tod nein! aufs Neue ragt mit fteilem Rand Zu unjern Häupten eine Feljenwand, Und weiter geht e8 auf dem Schwindelmweg.

34

Endlich gewahrt’ ich einen Steg,

Ter zitternd über graufer Tiefe jchwebte,

Und Hinter ihm das Herz des Kühnften bebte, Als er es ſah Gewaffnete mit Yanzen, Piken und Schwertern, die empor am ganzen Berghang fich reihten bi8 zu Rondas Thoren Und drohend und von hundert Yeuerrohren Die Mündungen entgegenhielten.

Ein wilder Schwarm von Kriegsgeſellen, jeder Auf feinem Hut die Geierfeder;

„Halt!” riefen fie, indem fie zielten;

Und war ung eine Wahl geblieben? Erzwingen mußten wir den Gang nad) drüben.

Anlegten unfre Schügen die Mußfeten, Und, Bahn zu brechen, waren ſchon die Erſten Aus ihren Reihen auf den Steg getreten. Ta kracht' es, wie wenn Bulverthürme berften, Drüben und bier zugleih; dumpfdröhnend fanf Der Steg hinab, daß, die auf ihm geftanden, Bon Feld zu Feld, von Klippenbank zu Banf Nach unten taumelten verflucht die Banden! Hin übern Abgrund halbzerjägt Mit Arglift Hatten fie das Holz gelegt. Dann neues Krachen, und von Neuem immer Aus den Geſchützen fliegt das heiße Blei; Rauch wälzt fih qualmend, Wehgefchrei Erſchallt und Sterbender Gewimmer. Doch während Tod in unſern Reihen würgt Und Ströme Blut? den Boden überſchwemmen, In einer Schlucht, die fie dem Blid verbirgt, Wird von den Unfern aus gefällten Stämmen Ein neuer Steg gezimmert; fieh, es glüdt! Bald ift der Abgrund überbrüdt; Hinüber wagt der Erfte fih; ihm nad

345

Mann hinter Mann beim donnernden Gekrach Des Feuerrohrs. Zerſchmettert wohl

Stürzt Mancher häuptling3 in den graufen Abgrund, und aus der Tiefe hohl

Erſchallt ſein Wehruf mit des Stromes Braufen. Doch bald, ſchon an dem andern Ufer fiehend Und um mich her der Unfern Viele fehend, Durh das Gewühl der Feinde und das Saufen Der Kugeln eine biut’ge Gaſſe

Mir bahn’ ich, hinter mir in dichtrer Maſſe Nachfolgt der Unfern Schaar, zu weichen jeheint Tem Andrang der erjchredte Feind,

Und über Sterbende dahin und Leichen

Dis nah zu Rondas Mauern dringen wir.

Ta ftürzt wie toll ein Greis mit wüth'gen Streichen Auf uns heran; der Unjern hat er Bier Schon bingeftredt, als ächzend er, aus offnen Bruftwunden biutend, auf den Boden fintt. Bol Wuth auf den zu Tod Getroffnen Dringt ein Soldat der Unfern ein; ſchon blinkt Gein Bajonett zum Stoß, doc händeringend Sintt über den gefallnen Greis Ein bleiches Mädchen nieder, ihn umfjchlingend. „Mein Bater ift es!“ ruft fie lauten Schreis - Und dedt mit ihrem Leib ihn vor dem Stoße. Ich, der ichs fehe, ftürm’ heran und rette Den Alten vor dem drohnden Bajonette; Aufblidt das Weib zu mir und große Dankthränen rollen tiber ihr Geftcht. Was weiter dann gefchehn, ich weiß e8 nicht; Ein Brennen fühlt’ ich plötzlich in der Bruft Und ſank zu Boden, mein nicht mehr bemußt.

6.

Als ich erwachte und mir nach und nad) Befinnung wieder kam, wo mocht' ich fein? Halbdunfel um mich ber; nur dämmernd brady, Hinzitternd längs gemwalt’ger Säulenreihn,

In hohe Hallen über mir ein Schein;

Mehr, immer mehr dann aus dem Schatten Stieg Alles auf die weißen Marmorplatten, Tie Eifengitter ja id) war

In einer Kirche; hinter dem Altar,

Gebettet lag dag Haupt mir auf der Schwelle, Und eine Yampe ftrömte fanfte Helle

Zu mir herab. Dir war, ich fei im Traum, Und, wenn die Augen ich geöffnet kaum,

In Schlummer bald von Neuem nidt’ ich; Doch wieder dann auf meinem Pfühl

Fuhr ich enıpor und was erblidt’ ih? Ein junges Weib, hin über mich fich neigend, Den Athem innehaltend, jah mich fchweigend Aus großen Schwarzen Augen an,

Wie ich in ihre fchaute; plöglich dann:

„Er lebt! o all ihr Heiligen, habt Dank!“ Rief fie und ſchaute himmelwärts und fanf Bor einem Bild der Mutter Gottes nieder.

Indeß fie auf den Knieen lag beim Beten, Sah ich allmählig dag Erlebte wieder Dahin vor meine Seele treten, Den Kampf vor Rondas Thor, das graufe Morden, Den Greis, von welchem meine Hand Den Bajonettftih abgemandt, Und wie ein Mädchenauge, fanft bethränt, Nach mir geblidt, eh’ ich verwundet worden. Daſſelbe Mädchen hatte eben

317

Sich über mich dahingelehnt

Und dankte nun der Jungfrau für mein Leben. Daß Wahrheit Alles, an dem Brennen

Der Wund’ in meiner Bruft konnt’ ichs erkennen.

Nicht lange, und heran trat wiederum Die Betende, fi) zu mir niederbüdend. Zu ftammeln ſucht' ich, doch mein Mund blieb ſtumm, Und fie, den Finger an die Yippen drüdend, Gebot mir Schweigen. Forſchend fpähte Sie mir ins Antlig o nicht blaſſer ALS ihres konnt’ es fein! Bald duftend Waſſer Hinsprengte ihre Hand auf mich, bald mehte Ihr Fächer Kühlung mir. In Stille dort Zu bleiben, wo ich fei, gebot fie mir Durd Zeichen dann und eilte fort. Bald aber wieder dur die Kirchenthür Sah ich fie nahen, einen Greis An ihrer Hand. Die Belden jprachen leis; Dann prüfte, zu mir hingefniet, Der Alte forgfam meine Wunden; „Schwer, doch nicht tödtlich!“ flüſtert' er und jchied Aufs Neue, als er fie verbunden.

Nun mählig that des Mädchens Mund Mir mas inzwifchen fich begeben fund. Umzingelt hatten uns zulegt die Schaaren, Die vom Gebirg ſtets neu, verhundertfacht, Herangeftrömt; erlegen waren Die Unfern Alle in der Schlacht,

Und mic) Gefunfenen im Kampfgewühl, Dies Mädchen hatte mich in das Afyl, Das fchügende, der Kirche hergebradit. Sanft hingeneigt zur Seite meined Ohres: „O guter, lieber Jüngling!“ ſprach fie

345

„Was blieb der unglüdjeligen Dolores

Auf diefer Welt, al3 du allein?“ Dann brad) fie

In lautes Schluchzen au: „Mein Vater todt, | Den du mir retten wollteft! Keinen

Hab’ ih auf Erden mehr der Meinen,

Und du auch, fehwer bift du bedroht!

Berlefen eben auf der Gafle

Dei Trommelſchlag wird das Gebot,

Daß, wenn ein Zeind fi) noch entdeden laffe,

Er dem Geſetz des Kriegs verfallen fei;

Doch die Gelübd', o heil’ge Jungfrau, hör! eg! Mein Leben feg’ ich dran, ich ſchwör' es,

Gerettet dich zu ſehn und frei!”

Bewegt dem Mädchen danken wollt’ ic. Doch fie gebot erjchredt, nicht reden ſollt' ich, Bis mehr die Wunden mir geheilt: „Leb wohl! zu lange fchon hab’ ich gemeilt; Der Tag beginnt zu graueng und ich darf Erft dann dich wiederfehn, wenn auf die Stadt Das nächt'ge Dunkel feinen Schleier warf. Du weiche nicht von diefer Yagerjtatt Und nimm das Körbihen hier mit Brod und Früchten!“

Sie ging, und rüdgefunfen, todesmatt Sah ih den Tempel fih allmählig lichten Und purpurflammend in die weiten Hallen Den Tichtglanz durch die Fenfterrofe fallen. Zum Thor eintraten einzle Beter fchon; Her vom Altare jholl des Glöckchens Klingen Und, während durch den Dom der Orgelton Hinraufchte auf den mächt'gen Schwingen, Dald hatte Schlaf die Sinne mir gebunden.

Wie lange Zeit mir jo dahingeſchwunden, Wer mag e3 jagen? Plöglich aufgefchredt,

319

Vernahm ich mir zur Seite ein Geflüfter. Dolores’ Stimme wars, die mich gemedt, Allein ich ſah fie faum, fo tiefes Düfter

Yag um mich ber. „Auf, Freund! die Stund’ ift da! Noch eh’ der Mond emporgeftiegen,

Muß hinter ung die Ronda liegen;

In Sicherheit dann find wir bald, denn nah, So daß der Schein von ihren Yagerfeuern Herüberleuchtet, fteht ein Schwarm der Euern.“ Dann plöglih, nad) der Thurmuhr Schlägen Hinhorchend, rief fie: „ſchnell, nur ſchnell!“ und lieg Zwei Diener, die als treu wie Gold fie prieg, Mich janft auf eine Tragebahre legen.

„Run hilf uns, Jungfrau!” und, emporgehoben, Hinaus zum Dome, durd die Gaffen hin Ward ich getragen. Halb ummoben

Bon Fieberträumen mar mein Sinn,

Und doch noch vor der Seele fteht mir Alles: Die Tiener, deren Tritt nur leifen Schalles Zu Boden fiel, wie fie verftohlen

Mich trugen auf geheimen Wegen;

Die tiefentichlafnen Straßen rings, fein Regen Bernehnbar, nicht ein Athembolen;

Nur von des Mädchens Herzensfchlägen,

Das mir zur Seite ging, hört’ ich das Pochen.

Bald weht’ uns freier an die Luft, Die Stadt lag hinter ung, und aus der Kluft Ans Ohr uns fholl, vom Widerhall gebrochen, Des Wafferfturzes Braufen, wie ein Gruß Der nahen Freiheit. Doc mir dämpften Noch jeden Yaut bis an des Yeljend Fuß. Maulthiere ftanden dort bereit und Sänften, Und, in die eine ich gebettet, Dolores in der andern, ging die Flucht

350 |

Nah Süden weiter durch Gebirg und Schludit. | „Setroft, Freund, bald bift du gerettet!“

Mir flüfterte das Mädchen zu; „hier muß

Nicht fern der Deinen Yager fein am Fluß.

Troß meined Vaters, wifje das, im Stillen

Euch und der Freiheit wünſcht' ich ftet3 den Sieg;

Mein Bruder auch, nicht achtend feinen Willen,

Zog unter euern Fahnen in den Frieg.

Glaub! endlich fiegen wird die heil’ge Sache,

Und du, für den Gefallnen übft du Rache!“

Der Mond ftieg über den gezadten Bergklippen leuchtend auf und warf Die Strahlen, faft wie Tageslicht fo Icharf, Bis in den Abgrund, wo in Kataraften Der Strom vorüber ſchoß. Uns ftetS voraus Nach allen Seiten hielt der Führer Schau, Allein kein Lager ward entdedt. Als grau Der Morgen anbrad, in ein einfam Haus Abfeit3 vom Pfad erſchöpft einkehrten wir. Treu meiner Wunden pflegend, neben mir Saß meine Retterin, und außen jpähten Die Diener nad) der Dinge Stand. Da plöglicdy kehrten fie zurück betreten: „Ganz wider Euch hat fi das Glüd gewandt Siegreih heran dur den Morena-Paß Zieht das Franzoſenheer. Ohn' Unterlaß Bon Süden fendete zum Widerftand Riego Schaar auf Schaaren ihm entgegen; Allein vergebens, alle find erlegen, Den Feinden offen fteht das ganze Land, Berheerend ziehen Banden Töniglicher Mordbrenner ſchon, dem Glaubensheer gefellt, Bon Ort zu Orte, ihres Sieges ficher; Weh dem, der in der Würger Hände fällt!

351

Ein Weg der Rettung einzig bleibt Euch offen; In Malaga noch ſteht Riegos Heer;

Dorthin fuht zu entlommen an das Meer! Zur Nachtzeit dürft Ihr auf Gelingen Hoffen.“

Kaum denken konnt’ ich, was um mich gejchah, Zu ſchwer noch an der Wunden Fieber franft’ ich: Wenn mir, als fragte fie nach meinem Ja, Dolores forjchend in das Auge fah, hr, mit dem Haupte nidend, dankt’ ich Und folgt’ in Allen ihr, was fie erdadt.

Man hüllte mich in Bauerntracht,

Und weiter Abends ging die Fahrt, fo lang Mondlofe Nacht die Erd’ umfchlang.

Dft fahn wir dann den rothen Feuerfchein

Bon Dörfern, die in Flammen fanden,

Und hörten, fcheu zur Seite fliehnd, das Schrein Borüberziehnder Würgerbanden,

Und mit dem Fiebertraum mir wild und milder Verſchwammen des Erlebten Echredensbilder.

Nah endlich fchien die Rettung. Vor uns lag Das Mittelmeer, dem Auge nicht erfpähbar, Dod fi) durch feiner Brandung Wogenfchlag Tem Ohr verkündend; öſtlich unabfehbar,

Ein Wald von Lichtern, der den Strand umkränzte, Das große Malaga. Sein Leuhtthurn glänzte Uns fo wie Schiffern, wenn fie füftenwärts

Im Sturme fteuern, Hoffnung in das Herz.

Schon freudig zogen wir der Stadt entgegen,

Daß fie uns hinter ihren Mauern ſchütze;

Da ſcholl an unjer Ohr glei Donnerjchlägen

Tas Dröhnen krachender Gefchüge

Und Trommelmirbel, Hufgeitampf,

352

Als tobe durch die Straßen hin ein Kampf.

Wir machten Halt in Ahnung der Gefahr; Horh! Siegesjubel, Wehgefchrei!

In wilder Flucht an und vorbei

Sich wälzen jahn mir eine Weiberjchaar

Und Männer, Jünglinge, entjegt wie fie.

Wir forichten, was gefchehen, doch kaum lieh Das Ohr ung Einer. Aus verwirrten Worten Nur ward uns Kar, daß aller Orten

Des Königs Heer gefiegt. Auch Malaga,

Der Freiheit lettte8 Bollwerk, war gejunfen,

Und hinter den Beſiegten, mordluft-trunfen, Hielt nun mit gellendem Hurrah

Der Steger Jagd. „Nur in der Flucht ift Heil" Nief Bablo, unfer Führer „Ichnell, nur ſchnell! Dem Zode fonft verfallt Ihr als Rebell,

Und wenn die Kugel, nicht dag Henkerbeil

Euch hinrafft, wird Euch Gnade noch zu Theil. Allein nicht fern in tiefiter Bergesöde

Weiß ich ein Haus, wohin den Weg die fchnöde Blutrotte nimmer finden wird.

Der Eigner ift mir blutsverwandt, ein Hirt, Und, eh’ den Gaftfreund er verriethe, glaubt, Selbft legt’ er auf den Blod das Haupt.

Dort bergt Euch! insgeheim wird e8 gelingen, Zur Flucht Euch auf ein Segelboot zu bringen!“

Auf Wegen, faum vom Bergesreh durdirrt, Erreichten langfam wir vor Tag Das Haus, das einfam im Gebirge lag. Dort, wohlempfangen von dem braven Wirth, Aufs Lager im verborgenften Gemach, Wohin faum Taglicht drang, ward ich gelegt Und von Dolores fort und fort gepflegt. An meiner Seite faß fie, immer wach,

3553

Und gleich de8 Mondes mildem Strahl Rann ihrer Augen Ticht zu mir bernieber. So wid allmählig meines Fieber Dual, Des Lebens friichre Ströme rannen wieder Dahin durch meine todesmiüden Glieder; Doch nichts entlaftete den Geift, den kranken, Mir von der Bürde der Gedanken.

Der Eiche war ich gleich, die blißgetroffen Aus ödem Walde ragt; dahin mein Hoffen Auf Freiheit und Verjüngung dieſes Landes. Wo ſchon mein Geift im Frühlingsmwehn Ein junges Leben blühn gejehn,

Nun tobte die Verheerung loben Brandes Dom Mittelmeer bis an die Porenän,

Und, Rettung für die Freiheit zu eripähn, Umfonft ringshin die Blide wand!’ ich. Wohl diefe unbarmherz’gen Steger kannt’ id) Und ihren Moloch, welcher unerjättlich

Was irgend groß auf Erden ift und göttlich AS Opfer heifht. Für das Genid Jedwedes Patrioten war der Strid,

Das Beil bereit; auf jeden Denker,

Der einem andern, einem Gott

Der Yiebe diente, harrte dag Schaffot Ich felbit, ob auch verborgen bei dem Hirten, Entrinnen konnt’ ic) faum dem Henker Und diefem Mädchen, alfo irrten

In trübem Brüten die Gedanken mir,

Wie danken für die Opfer jollt’ ich ihr,

Die fie gebracht für meine Rettung?

Nicht Macht war meinem Herzen mehr geblieben, Daß es auch nur mit einem Schlag ihr Lieben Erwiderte; in des Geſchicks PVerkettung,

Zu ihrem Sammer riß ich fie hinein.

Shad. Bei. Werke 1. 23

351

Wenn jo Dolores meine Seelenpein Gewahrte, fuchte fie durch holdes Wort Bon meinem Mund ein Lächeln zu gewinnen: „Laß ab, mein Freund, von dieſem dumpfen Sinnen! Die fihern Pfade und den Meeresport Forſcht Pablo aus; glaub, unfre Flucht gelingt! D melde Luſt, wenn über blaue Fluthen In deine Heimath erft das Schiff uns bringt Und deine Freunde all den lieben, guten Lothar willlommen heißen! Zu den Großen In deinem Land, ich weiß, wirft du gezählt; Und doch du wirft Dolores nicht verftoßen, Gott felbft hat ja uns Zwei vermählt. Sind ſchön auch eure Frauen, ficher bin ich, Daß wie die Spanierin jo innig Dich keine lieben wird. Ganz deinem Willen Zu folgen, jeden Wunfch dir zu erfüllen, Nichts, als nur das, Geltebter, will ich finnen, Und folt’ ih auch dafür zum Lohn Kein freundlich Wort von dir gewinnen, Genügen wird ein Blid mir ſchon. Warum fo finfter? Sei doch heiter, Lieber, Bald wandelt Alles fih für uns in Glück, Und nur noch wie an einen Traum im Fieber An diefe Drangjal denken wir zurüd; Ya ſchöner noch, gewiß, in fpäten Jahren Wird die Erinnerung an die Gefahren, Die wir beftanden, unjer Leben machen.”

Noch Andres viel, um mich zu tröſten, ſprach Das Mädchen fo, doch nur ein Seufzer brad) | Bon meinen Lippen; dann dur Scherz, durch Yachen | Den Trübfinn mir zu jcheuchen fuchte fie; | Sie fang ein Lied nah Andalufiens Weife Und ſchwang, im Takte nach der Dielodie

355

Die Caſtagnetten ſchlagend, ſich im Kreiſe.

Oft, während noch die Klänge ſummten,

Ließ ſie das Auge forſchend auf mir ruhn,

Und wenn die Schmettertöne dann verſtummten, Trat ſie zu mir heran und fragte: „nun?“ Allein in dumpfes Brüten hingebannt,

Mit ſtummem Dank nur drückt' ich ihr die Hand.

Des Morgens einſt, aus ſchwerem Traum erwacht, Sah ich Dolores mir zur Seite knien, Doch was geſchah, daß in der einen Nacht Sie plötzlich ganz verwandelt ſchien? Das Antlitz auf ein Muttergottesbild Gepreßt, die aufgelöſten Locken wild Um ihre Schultern hängend, lag ſie da. Als ich den Morgengruß ihr bot, Zu hören ſchien ſie nicht, doch ſah Zu mir empor, bleich wie der Tod, Das Auge ſtarr. „Um Gott, was iſt Geſchehn?“ rief ich; „ſo wie du heute biſt, Warſt du noch nie.“ Doch ſtumm und regungslos, So wie zuvor, lag ſie noch lang. Umſonſt mein Fragen. Endlich ſah ſie groß Zum Himmel auf, aus tiefſtem Buſen rang Sich ihr ein Schluchzen. Unverwandt Sah ich ſie an: „Sei ruhig, theures, Geliebtes Kind! Was kann ſo Ungeheures Geſchehn denn ſein?“ Doch auf des Lagers Rand Statt aller Antwort ihre Stirne preſſend Und es mit heißen Thränenſtrömen näſſend, Von Neuem ſank ſie nieder. Drauf vom Pfühl

356

Scien fie ein ahnungbang Gefühl Emporzureißen; feft mich mit dem Arın Umſchlang fie; ihren Athem fühlt ich warnı Um meine Wangen wehn, den Kuß

Bon ihren Tippen auf den meinen brennen, Allein mir ihres Schmerzes Grund zu nennen, Bergebens bat ich fie; der Zährenguß,

Der immer neu aus ihren Augen quoll,

Nur redete. Noch einmal feit umrankte

Ihr weicher Arm mid; durch die Thüre ſchwankte Sie dann hinweg, und banger Ahnung voll Blieb ich zurüd.

Da horch! von außen feholl Der Wirbel ferner Trommeln an mein Obr Und drauf ein Krachen wie von Flintenjchüffen. Ich fuhr erfchredt vom Krankenbett empor Und laufchte bang, um, was es jei, zu willen. Ya! wiederum und lauter, als zuvor Denn Bablo öffnete die Thür ertönte Das Knattern von Gefchügen; klirrend dröhnte Das Fenfter von dem Schall. Ich fragte Den Eingetretnen, was e8 fei; doch er, Den Blick zu Boden fchlagend, wagte Zu reden nit. Daß im Gebirg man jagte, Wollt' er mich glauben machen; endlih: „Herr, Seid ruhig!” ſprach er; „heute das verbürgten Mir fihre Kunden habt Ihr nichts zu fürchten, Allein die Klugheit räth, daß man die Flucht Ans Meer in nächfter Nacht verfucht; Bon Spähern wird die Gegend rings durchichlichen, Und, fielt Ihr in die Hand der Königlichen, Weh Euch! man müßt Euch zählen zu den Todten. Bon Ort zu Ort wird und von Stadt zu Stadt Hebjagd gehalten auf die Patrioten,

37

Und, find die Henker ſchon vom Blute fatt, So lechzen grimme Pöbelhorden,

Bon Mönchen angeführt, nach neuen Morden. Beim Wuthgebrüll: ‚der König lebe hoch!“

Die Hingewürgten nah dem Morde nod) Berfolgen fie, Schimpf auf die Todten häufend Und ihre Leichen durch die Straßen fchleifend. Horh! wieder Schüffe! Seit dem erften Strahl Der Frühe ſchon wird unten in dem Thal

An Flücht’gen, die ſich im Gebirg verftedt, Das Bluturtheil, das jchmähliche, vollftredt. Da gilt nicht Recht und nicht Geſetz. Verdacht Ft ſchon erwiesne Schuld: wen tiber Nacht Die gier’gen Spürer ausgemittert haben,

Beim Morgendänmern trifft die Kugel ihn. Männer wie Greife, Jünglinge, ja Knaben Zwingt man, verbundnen Auges bBinzufnien, Und krachend aus den Flintenläufen

Zu Taufenden hinjchmettert fie der Tod.

Der Feldherr gab, fo hör’ ich, da8 Gebot, Morgen die Gegend weiter zu durchftreifen, Und hr auch, Herr, feid ſchwer bedroht, Wenn hier Euch trifft das nächte Morgenroth!“

In dumpfes Starren, als ic) das vernahm, Sant ih zurüd, fo wie ein Lebenzjatter, Der nicht mehr Hoffnung fennt, noch Furcht, noch Gram; Nur hier und da bei dem Gelnatter Der Schüſfſe fuhr ih auf. Der Mittag kam, Da trat Dolores ein; fie nahm In ihre meine Hand und wieder heitrer: „Dald,” ſprach fie, „Freund, nun enden alle Sorgen, Auf freiem Meer fieht ung der nächte Morgen, Und als Rebellen mögen fie, ala Meutrer Uns ſchmähn, jo viel fie nur gelüftet.

358

Bernimm! auf diefe Nacht für unfre Flucht

Ward Alles insgeheim gerüftet.

Berftedt von Klippen, in der Meeresbucdht

Legt, unfer harrend, ſchon ein Schiff vor Anker, Und in des Oftwinds frifhem Hauch wird leicht Gibraltar Fels, der rettende, erreicht.

Dod Stärkung für die Mühſal braucht ein Kranker; Nimm diefen Becher, mein Lothar!

Ich felbft jchon trank aus ihm; Muth für Gefahr Gießt in dag Herz der Trunk und Lebenskraft.” Sie ſprachs und bot mir dunfelbraunen Saft, Starfouftenden, im Becher dar.

Ich nahm und trank; da plößlich wieder jammernd Auf mich hernieder fanf fie, mi umllammernd; Allein ein Braufen ging durch mein Gehirn;

Noch brannt’ ihr Kuß auf meiner Stirn,

Noch ihre Thräne fühlt” ich nieberrinnen,

Dann lag ich da mit hingeſchwundnen Sinnen.

8.

ALS ich die Augen aufichlug, welch ein Weh Im Haupte mir? Umber Geroll und Toben. Mir mar, ich würde hoch emporgehoben Und ftürzte ſchwindelnd wieder jäh In Abgrundtiefen Maften ſah ich ſchwanken Und hörte das Gekrach von Planen,

Doch ſchien mir Alles noch ein Traum.

Vom ſchweren Drud, der auf mir laſtete, Sich regen konnten meine Glieder kaum; Nicht wußt' ich, wo ich fei; matt tajtete

Nur meine Hand umher; da fprühte Schaum Bon Wellen falt mir um die Wangen,

359

Und, zum Bemwußtjein nad und nad) gemwedt, Sand ich mich in ein Segelboot geftredt;

Doch was gejchehen jet, ob ich gefangen,

Noch dunkel war mir Alles. Mir zu Häupten Durch Floden Schaumes, weldhe mich umftäubten, Ein Antlig ſah ich da, das mir bekannt.

Er war e8, Pablo. Zu ihm Hingewandt, Beſtürmt' ich ihn mit Fragen nad) Dolores

Und was gefchehen, aber tauben Ohres

Schien er zu fein. Noch Stunde ſchwand auf Stunde, Doch wie er dann begann und wieder ftodte, Wie ich von Neuem fragte und die Kunde,

Die ganze, volle feinem Mund entlodte

In Ohnmacht ſank ich ein- und abermal.

D daß aus jeder ich zu neuer Dual

Erwachte! daß kein Blitz mich traf

Und ich gefchmiedet bleiben mußt’ ang Yeben, Wie an fein Ruder der Galeerenſklav!

Fluch ihm, der mich gebunden hielt, dem Schlaf! Durft’ ich den Blick zum Lichte noch erheben, Geit fie für mich dem Tod fih hingegeben?

Dem DBlutgerichte, das zu neuen Morden Bon Tag zu Tag die gier’gen Krallen ftredte, War dur VBerräther fund geworden,

Daß in dem Haus ein Flüchtling fich verftedte; Nah war die Ankunft fchon der Schergen

Und Hoffnung nicht, mich ihrem Blick zu bergen. Bon Pablo ließ Dolores da mit Schwüren

Bei feiner Seligkeit dort oben

Und allen Heil’gen fich geloben,

Er wolle treulich ihr Geheiß vollführen.

Drauf mich bei Nacht zu retten auf dag Boot Befahl fie ihm und ihrer nicht zu denen.

Ein Trunk, um mid in Schlummer zu verjenten,

360

Ward mir gereicht; Schlaf, tief wie Tod,

Umfing mich bald, und fie in Männertracht

Trat an der Thür dem Häſcherſchwarm entgegen: „sh bin der Flüchtling, den ihr fucht; als Segen Preif’ ich den Tod, den ihr mir zugedadht;

Wißt, daß mein Herz um ihn feit lange wirbt! Die Freiheit hoch! felig wer für fie ftirbt!”

Die Worte hörte Pablo laut fie fprechen,

Und flugs auch, um das fühne Wort zu rächen, Zehn Schützen ſah er nad) der Herrin zielen;

Er hörte, wie die Schüffe fielen,

Dann jchwand ihm die Befinnung. In der Nacht Ward ich von ihm ans Meergeftad gebracht.

Sechster Gefang.

1.

Wohin, wohin mit mir, ihr Wellen ? Iſt nicht ein Felſen da, mich zu zerjchellen, Kein Abgrund, daß er mich verjchlinge? Soll ih in diefer öden Nacht der Dinge Auf immerdar gefangen bleiben Und fort und fort im ſturmgepeitſchten Kahn An neue unbelannte Hüften treiben? Genug auf dir, o Lebens-Ocean, Umbergefchleudert hat mich der Orkan, Und, noch gefättigt nicht durch all die Trümmer, Die du im Schiffbruch meines Glücks verichlungen,

361

Nach neuer, neuer Beute immer

Leckſt du mit gier’gen Wogenzungen ?

Ein Thor, wer deinem Truge glaubt, wenn heiter Dein Spiegel Morgens gute Fahrt verheißt;

An öde Klippenufer reigt

Ihn bald der Sturm, und Scheiter über Scheiter Epeit, wie fie wirbelnd ihn umkreist,

Bor ihn dahin die Fluth, die unmirthbare.

O dieje Tage, Monde, Fahre Dahinzufchleppen Stunden hinter Stunden, Gleich einer Kette, die und Wunden Mit jedem Ringe fchneidet! Welche Klammer Noch bindet ung an dieſes Daſeins Jammer, Wenn mid’ wir find des Tageslichts? Wer bürgt, ob felbft durchs Thor der Todtenkammer Wir eingehn werden zum erjehnten Nichts?

Hin dur das Haupt, das fieberglühnde, zogen Mir Frrgedanfen fo. Zerriffen flogen Tie Segel über mir; zur Seite bäumten Hoch, immer höher fih die Wogen Und jchleuderten das Boot auf den bejchäumten Fluthkämmen bin und ber wie einen Ball. Hinunterftarrend in den finftern Schwall, Gewahrt’ ich einen Schwarm von grauf’gen Larven, Den aus ded Meeres tiefften Gründen Empor die Wellenftrudel warfen. Neu, immer neu aus den verborgnen Schlünden Sah ich geipenftige Geftalten fteigen; Sputbilder, Schaaren von Dämonen, Die in der Tiefe feuchten Höhlen wohnen, Umtanzten mich in wilden Reigen Und lachten, mit den Händen nach mir meifend Da barg ich mein Gefiht vor Graun;

362

Mein eignes Bild, mich hundertfach umfreifend, Glaubt' ich in jenem Larvenheer zu ſchaun. Ich lachte zu des Himmels Wettertoben,

Im Haupt mir raste der Orkan, nicht droben; Mir war, als ob ich in den Meeresfchooß, Den unermeßlichen, hinunterjänte;

Rings um mic ſchimmernde Korallenbänfe Und Waſſer oben, unten gränzenlos.

Der Wogen dumpfes Braufen [hol

Mir vor den Ohren; immer tiefer ſank ich, Und lange, lange wolluftvoll

In durſt'gen Zügen die Vernichtung trank ich.

Dann von des Todes und des Lebens Rand, An dem fie jchwindelnd ſchon umhergeirrt, Kehrte, ans Dafein feftgebannt,

Die Seele mir zurüd. Neu, doch verwirrt

Trat vor mid) die Erinnrung des Erlebten,

Und, als mir Alles furchtbar Klar

Im Geiſte ward, daß bis ang Scheitelhaar Empor nır alle Fibern bebten,

Rief ih und ftarrte himmelwärts:

„O Gott, löſch aus den Riefenfchmerz,

Der durch die Bruft mir tobt, ein Yeuerftrom! Bertrodne in mir jegliches Atom,

Das fühlt und denkt! Verwandle mich zum Stein, Aus dem kein Stahl mehr Funken jchlagen könne! Bor meinem Geifte birg mein eignes Sein,

Daß ich mich felber nicht mehr kenne!“

2.

Inzwiſchen breitete die dunkle Hülle Die Nacht auf Erden Hin; mild leuchtend flieg

363

Der Mond im Often auf, der Sturmmwind ſchwieg, Und langfam, an der eignen Ueberfülle Ermattend, ſanken der Verzweiflung Schwingen, Die eben dunfelnd noch mein Haupt ummallt; Ein Raufhen ging durchs Meer dahin, ein Klingen, Wie wenn der Abendwind im Wald

Die Wipfel und das Yaub in Schlummer wiegt; Und während durch des Weſtens Thor befiegt Hinweg die ſchwarzen Wollenheere zogen,

In langen Hügeln auszumogen

Begann die See, bis nur in leichtem Spiel

Sie plätjchernd noch fich bob. Ich ſah den Kiel Dahin auf feuchten Pfade gleiten;

Das Mondliht hüpfte zu des Schiffes Seiten Auf ſanft bemegter Wellen Tanz,

Und während in die duft’gen Weiten

Der Blid mir fehweifte bei dem milden Glanz, Hub drunten in den Meerestiefen

Ein leiſes Raufchen an, ein Wallen;

Ich hörte theure Namen hallen

Und altbefannte Stimmen, die mich viefen. Dann mächtiger, gleich fernen Mettenchören, Wogt' es heran; ein halbvergefines Lied,

Bei dem als Kind ich andachtsvoll gefniet, Glaubt' ich bei Orgeltlang zu bören,

Und wieder von der Wimper thränte

Die Zähre mir, die langerjehnte.

Da ftieg von Neuem, doch verklärt und mild,

- Bor mir empor des todten Mädchens Bild. Bom weißen Pichtglanz wunderbar

Ummallt, ihr ſchwarzes Yodenhaar Dahingebreitet in des Windes Wehn,

Durchs Nachtblau ſchwebend glaubt’ ich fie zu ſehn, Und: „O Dolores,“ rief ich, „fteigft du wieder Aus deinem Himmel, Heil’ge, zu mir nieder?

364

Wohl fühl’ ich deinen Geiftergruß,

Und tief im Herzen eine ernfte Ahnung Berkündet mir, mit welcher Mahnung

Tu heut mir naheft; Die im Bollgenuß

Der Jugend du für mich geftorben,

Ein heil'ges Recht haft du auf mich erworben; Das Dafein, das dein Blut für mich erlauft, Es ift nicht mein, es ift dein eigen!

In veiner Weihe neu getauft, Durch Thaten will ich feiner werth mich zeigen, Daß einft, wenn dieſes Tagewerk vollbradit,

Du jagen magft: mein Tod war nicht vergebens. Noch liegt die Zukunft mir in tiefer Nacht; Doch muthig fehreit’ ich hin die hohe Bahn;

Tu leuchte mir, o Göttliche, fortan

Als Morgenftern am Himmel meines Lebens!”

3.

Beim Frühroth brach aufs neu der Nord Verſtärkt hervor. Mich klammernd an den Bord, Hört' ich ihn durch die Segelſtangen heulen, Und, faſt verhallend im Orkan,

Das Angſtgeſchrei der Schiffer in den Raan; Hoch, höher ſtiegen auf die Wogenſäulen.

Ich ſah bis zu den Maſtenſpitzen

Empor den Schaum der weißen Kämme ſpritzen, Und zu mir hin trat Pablo voll von Schreck: „Die Schiffer mühn ſich athemlos,

Um uns zu retten, doch ein Wellenſtoß

Kann uns verderben; ſchon herein durchs Leck Wälzt ſich die Meerfluth in die Barke.

Ihr ſeht, Gibraltar zu erreichen, bleibt

365

Uns feine Hoffnung mehr, da ung die ftarfe Fluthſtrömung nad der Maurenküfte treibt!

Noch glücdlich dürfen wir ung nennen,

MWenn an den Strand wir nur entrinnen können.“

Das Boot ſchoß vorwärts gleich dem Pfeil, Und wenn auf einer Wellenfpige fteil Wir fchwebten, ſah ich jenfeit3 von dem Schaum Den weißen langgeftredten Uferfaum; Ternher aus grünem Palmenhain Erglänzten in der Sonne Schein Mojcheendächer, weiße Minarete; Dahinter ragten blaue Bergeözüge Gleich einer Mauer, die den Himmel trüge.

Je mehr dem Strande nah, jo ftärker wehte Der Sturm; und zu verjchlingen drohte Das Meer mit jedem Wogenſchlag, Und unaufhaltfam durch die Fugen brach Die Fluth herein. Uns blieb auf diefem Boote Nicht Hoffnung mehr; mit Bligesfchnelle Trug und auf breitem Rüden eine Welle Zum Ufer hin; an einer Klippenbant In Trümmer ging die Barle und verfjanf.

Hülflog am Strand noch lagen wir. Alsbald Umringte ung ein Schwarn von wilden Mauren, Die in der fand’gen Hügel Hinterhalt Gelegen, um auf ihren Yang zu lauern.

Sich unſres Elends freund, mit Hohngefchrei Auf ung mit Fingern wiefen fie:

„Folgt ung, ihr Chriftenhunde! auf, zum Bey!“ So riefen, und in Hörner bliefen fie.

Flugs auf das Zeichen da herbei

Bon allen Seiten drangen mit Gelärne,

366

Uns mit fi reißend, neue Schwärme.

„Rah Iran! auf, nah Iran!“ In der Mitte Der mwüth’gen Schaaren auf dem Uferfand Hinwankten wir mit mattem Schritte,

Bis body vor und am Meeresftrand

Mit Zadenmauern, hohen Andadhtwarten,

Tie Stadt aufftieg aus ihrem Palmengarten. Entlang die Straßen bis zum Marftplag wälzte Tas Volf mit ung ji dichtgefchaart.

Mit grünem Zurban, langem grauem Bart Trat aus der Menge da hervor der Xeltite

Und heiſcht' am Schloßthor Eingang. Alſogleich Ward aufgefchloffen und, geführt vom Scheich, Hin dur den Hof, wo ſich in langer Gaſſe Die Wachen reihten, aufwärts die Terraffe

In eine Halle fchritten wir

Und fahn vor und auf prächtiger Eftrade

Den Paſcha, ihm zur Seite den Bezir.

„Herr!“ rief der Echeih, „das Meer ſelbſt huldigt dir; Sieh! diefe Männer warf es ans Geftade,

Auf daß fie dir als Sklaven dienen!“

Beifällig nidte und mit frohen Mienen,

Sein Barthaar ftreichend, ihm der Paſcha zu. Da rief ein Mann in Tracht der Europäer: „Spanier find die Geftrandeten, und näher Hab’ ich ein Recht auf fie ala du;

Mir auszuliefern ift nad) dem Vertrag,

Wer nur von meines Königs Unterthanen

In eure Hände fallen mag,

Flüchtlinge, leicht läßt das fich ahnen,

Sind diefe vom Webellenheer;

Noch heut laſſ' ih ein Schiff die Anker Lichten, Nach Cadiz fie zu tragen über Meer;

Dort wird man nach Geſetz und Recht fie richten.“ Der Pafcha lieh fein Ohr dem Sprecher

367

Und redete mit dem Vezire lang;

Wohl faßt' ich was mir drohte, als Verbrecher Durchs Beil zu ſterben oder durch den Strang, Und daß der wilde Pöbel an der Erde Verſtümmelt meine Leiche ſchleifen werde.

Zum Conſul ſprach mit freundlicher Geberde

Der Paſcha: „Sei des Rechtes halb nicht bang, Und glaub' mir, keine Ränke ſpinn' ich!

Wofern ſie Spanier ſind, ſo nimm ſie hin!“

Doch ich mit lauter Stimme rief: „Ich bin

Kein Spanier; erfahrt, ein Deutſcher bin ich! Kein Recht auf mich hat dieſer Mann.“

Ich ſprachs, und lachend ſahn mich Alle an:

„Ein Deutſcher? Er iſt wohl verwirrt im Geiſt. Nun, bald erfahren wird er was das heißt!“

Und andre höhnten laut: „Im Mond

Wohl liegt das Land, das er bewohnt!“

Der Paſcha aber ſprach: „ALS vogelfrei

Bekennſt du felber dih und mußt noch dankreich Dein Schidfal preifen, wenn du unſerm Dey

Als Sklave dienen darf. Bon Frankreich

Und Spanien wohl, von England und von Schweden Die Flaggen achten wir, doch ein erbärmilich Ohnmächtig Yand, ein Hohn und Spott für Jeden, Fit Euer Deutfchland, und jest heiſch' ich förmlich Als Sklaven dih! Ihr da, legt ihn in Ketten! Nicht vor dem jüngften Tag, drauf will ich wetten, MWird feinethalb ein Kriegsheer uns bedrohn.“ Der Spanier rief: „Nichts gilt mir die Nation; Genug, daß nad Befiegung der Empörer

Bon Spaniens Küften er hierhergeflohn;

Bor mein Gericht gehört er als Verſchwörer

Und Frevler wider meines Königs Thron.”

Er ſprachs, jedoch vor taubem Hörer;

Zwei ſchwarze ‘Diener legten ſchon

368

Mir Feſſeln an und Sklaventracht

Und hefteten ans Kleid mir eine Ziffer;

Ich war fortan die Nummer Tauſend acht.

Pablo indeſſen und die Schiffer

Bekannten ſich als Spanier. „Bleibt mit Gott!“ Mir flüſterten ſie zu „heim kehren wir!

Und wär' es auch zum Tode durchs Schaffot,

Zurück nach Spanien begehren wir.“

Dem treuen Pablo ſagt' ich meinen Dank. Um meinetwillen der Galeerenbank, Vielleicht dem Henkerſtrick entgegen ging er. Willkommen hätt' ich ſelbſt als Rettungsbringer Den Tod geheißen, doch ans Leben band Mich mein Gelübd'. Sie führten mich, an Hand Und Fuß gefeſſelt, in den Sklavenzwinger.

4.

In jeder Frühe, wenn noch kaum Der Dämmrung erſter bleicher Strahl Sich durch des Kerkers Spalten ftahl, Geächz der Sklaven, die nach kurzem Traum Empor vom harten Lager fuhren. Nun ſtatt der theuren Heimathfluren, Die fie im Schlaf gefehen, finftre Mauern Erbliden fie, in deren feuchten Echauern Das Leben und die Hoffnung fieht. Vom Munde Der Treiber tönt: „Zur Arbeit! fchnell, ihr Hunde!“ Und, zagend vor den Geißelhieben, Ans Tagwerk gehn fie mit der blut'gen Wunde, Die ihrem Fuß der Ring von Erz gerieben. Dann Kettenraffeln, und bei jedem Schritt

369

Erneute Schmerzen, wie mit tieferm Schnitt Die ehrne Klammer in die Glieder dringt; Doch wenn ein Wehruf Einem fich entringt, Mit Drohungen und Hohngelädter Antmwortet ihm der unbarmherz’ge Wächter, Der über ihm die Eifenruthe ſchwingt.

So Morgen mit den andern Sklaven Hinausgetrieben ward ich an den Hafen, Um für ein Luftichloß über Orans Bai, Errichtet auf Befehl des Dey, Das Baugeftein empor zu fehleppen. Hinauf, hinauf die fteilen Felfentreppen, Auf meiner Schulter ſchwere Duadern, Klomm ich bei loher Sonnengluth, Und, fprengte faft mir auch die Adern Das fiedende, gepreßte Blut, Nicht ruhen durft’ ich auf dem Weg der Qual; Erft droben ward mir furze Raſt verftattet. Dort auf der Höhe, vor dem Sonnenftrahl Durch der Platane breites Dad) bejchattet, Sant ih zu Boden, bi8 zum Tod ermattet, Und ebbend fchlid mein Blut, als wollt’ es ftoden, Bis um die Stirne, auf die Locken Der Wind erfrifehend mir in breiten Floden Den Schaum herblies vom nahen Feljenftron. Ah! wenn von taufend Blüthen das Arom Dann um mid) aufftieg aus den Schluchten, Wenn rings die luft’gen Sänger, die gefiederten, Sich jubelnd riefen und den Ruf ermiderten, Toppelt auf mir das Elend fühlt’ ich wuchten!

Bor mir, fo mweit das Auge ftreifte, Ein Südfruchthain, wo Aft fi) mit dem Ait Zum ewig grünenden Balaft Schad, Geſ. Werke 1. 24

370

Der Sommerluft verwob da reifte

Indiens Banane bei dem Zuckerrohre,

Da leuchtete mit Vollmondglanze

Aus dunklem Blätterdach die Pomeranze,

Und hochauf wob die Sylomore

Ihr Grün noch um der Feljen Steingerölle O diefe Paradies, das du, Natur,

Für Glück und Freude fchufft, was wandelt nur Der Menſch den Menſchen es zur Hölle?

Zum Aufbruch, wenn ich kurz geraftet, mahnten Die Treiber, und auf faum gebahnten Steilpfaden über zack'ge Klippen Hinab ans Ufer wieder gings.

Die Glieder fehmerzend von des Eifenrings Gierigem Zahn, mit durftgequälten Lippen

Um Ruhe fleht’ ih und um Trant;

Vergebens! nochmals Hand and Werk zu legen, Zwang mich der Wächter unter Geißeljchlägen, Und oft bis jpät noch, wenn die Sonne jant, Umfonft nach einem Tropfen mußt’ ich lechzen. Indeß erfholl um mich der Sklaven Aechzen, Ihr Fluchen auf die Menfchheit und auf Gott, Durchklungen von der Zreiber Hohn und Spott Und von der Ketten gellem Klirren. Berzmweifelnd ließ ich dann in dumpfem Brüten Den Blick hin über Meer und Küften irren, Die in des Spätroths Purpur glühten.

Sch ſah bis fern, wo Fluth und Himmel Eins, Die freien Wellen jubelnd fich verbreiten,

Und, Shimmernd in dem Glanz des Abendicheing, Nach Norden hin die weißen Segel gleiten;

Da fchwang mein Herz fih in die luft'gen Weiten Den Sciffern nad); mich trieb es, in die Fluth Zu ftürzen und in haft’ger Flucht

31

Den Fliehenden zu folgen durch die Bucht; Tod jäh zurüd ſchoß plöglih mir das Blut, Wenn Arm und Fuß von fehwerer Eiſenwucht Gehemmt ich fand; ich fchüttelte die Ketten, Ich rief den Tod inbrünftig, mic) zu retten; Nacht wards, und in den finftern Kerker wieder Eingingen wir, gebrochen alle Glieder,

Uns auf die harte Pagerftreu zu betten.

nn

5.

Auf Einem der Gefangnen hatte, Der an dem Hafen Steine lud, Mir manchesmal der Blick geruht. Hagern Geſichts, bleich wie ein Schatte, Schlich er langſam, zum Tod entkräftet. Um ſeine Stirn, die tief gerunzelt war, In wirren Locken flog das Haar, Und auf die Erde ſtarr geheftet, Als ob er mit den Blicken ſie durchbohrte, Hielt er das Auge ſtets, das trübumflorte. Daß er mit Keinem jemals Worte tauſchte, Hatt' ich gewahrt; da einſt belauſchte Mein Ohr ihn, wie er mit ſich ſelber ſprach. Nur einzle Laute warens, doch wie brach Mein Herz in Jubel aus bei ihrem Klang, Als ich der deutſchen Sprache Ton erkannte! Ich ſtürzte zu ihm hin, ich nannte Ihn Freund und Bruder, doch er wandte Sich von mir ab, für Alles ſtumpf; Ich hörte einzig wie er dumpf Im Fortgehn murmelte; es klang wie Fluch.

392

Mich hätte fchreden können der Verſuch, Tod mächtig in mir auf ftieg der Gedanke, Mit diefem Deutjchen aus der Kerterhaft Die Flucht zu wagen; welche Schrante,

Dacht' ich, durchbräche nicht vereinte Kraft? Nicht Ruhe ließ e8 mir noch Schlaf,

Und, als ich wieder den Gefangnen traf,

Ans Herz den Plan ihm legt’ ih: „Schon genau Hab’ ich erforfcht, wo in dem Feſtungsbau Wir eine Quader löſen fönnen.

Ber Naht ausheben wir die Platte

Und Schwimmen zu der englifchen Fregatte, Auf der die Britten gern und Zuflucht gönnen. Komm! Freund, o komm! was zögerft du? Im Stillen laß und Alles vüften,

Und bald Europas trauten Küften,

Den heißerjehnten, trägt das Schiff ung zu.“ Taub aber blieb des Deutſchen Obr

Für mas ich ſprach: er blidte faum empor. Erft als ich nochmals ihn bereden mollte,

Wild ſah er auf und rief: „Yaß ab!

Warum, daß ich die Freiheit fuchen ſollte?

Ich will nur eines noch, das Grab.

Und harrte drüben mein ein Königsthron, Bötft du mir alles Glüd der Welt als Lohn Für meine Flucht, ich wählte doch den Tod. Nun, lang nicht werd’ ich warten müſſen. Geh!“

Dft noch geſchahs, daß ich ihm Grüße bot, Daß ich ihn freundlich bat, fein Weh Mir zu vertraun; allein verjchloffen Für Alles ſchien fein Einn; er fprach verdroflen Ein Wort des Grußes kaum. Bon Tag zu Tag Schwand mehr fein Leben bin.

9373

Er lag Bom Scließer hatt’ ich das erreiht Nachts mir zur Seite, aufs Geftein gebettet, Mit mir an einen Pfeiler feftgefettet. Ich dachte, daß der Unglüdsfohn vielleicht In fchlummerlofen Stunden mir fein Herz Erfchließen würde; aber von dem Erz Tas Klirren hört’ ich nur; er ſchwieg und ſchwieg. So ſchwanden Nächte hin auf Nächte; Ich ahnt’, er war zum Tode ſiech Und feinem Ende nah. Da einft die Nechte Mir bot er dar und fprad: „Nur Tage nod), Und frei bin ich von diefem Joch, Geneſen von des Dafeins großer Wunde. Vernimm von meinem Leben denn die Kunde! Tief in die Bruft verfchloß ich fie feit Fahren; Du, wenn du mein Geſchick erfahren, Sag’ an, ob ich auch nur noch eine Stunde Yänger zu athmen winjchen kann! Im Elſaß ftand, am Rheinftrom meine Wiege; Doch, als der Freiheitsfturm begann, log, um zu helfen bei des Volles Siege, Mit Weib und Kind mein Bater nah Paris. Ein hohes Ringen, ein gewalt'ges Gähren, Daß eine neue, goldne Zeit verhieß, . Ging damal3 durch die Welt; in vollen Aehren, So träumten Alle, würde bald Der Freiheit goldne Saat zur Ernte reifen; Erft gelt’ e8, jede Zwingburg der Gemalt Und jedes Kerkers Wal zu fchleifen, Erblühen werde dann ein neu Geſchlecht, Ein freies, glüdliches auf dieſer Erde, Bei dem nur Wahrheit, Liebe, Recht, Die ſchöne Dreizahl, herrichen werde. Auch mir, dem Knaben, o wie ſchwoll

374

Die junge Bruft mir ahnungsvoll,

Wenn ich des Abends am Kamin

Beim Bater jaß und feiner Rede laufchte! Der ſchöne Traum, der ale Welt beraufchte Und jeine Worte zu beflügeln jchien,

Hob mir das Herz zu hohen Schlägen;

Ich fehnte mich, jo Klein ich war,

Auch Hand and große Werk zu legen; Inmitten felbft der wilden Knabenſchaar Träumt' ich Tyrannenſturz und Weltbeglüdungsplane, Und oftmals den Gefährten durch die Gaffen Zrug ich voran die tricolore Fahne.

Wie wogten da die frohbewegten Maffen ! Bon Herz zu Herzen ging ein großes Hoffen Auf Welternenung, junges Menjchenglüd Und jpiegelte in Aller Blick

Sich wie ein Himmel, der vor ihnen offen!

„Nach der Baftille allbejauchztem Fall In höherm, immer höherm Schwall Erhoben fi des Freiheitsdranges Wogen. Bom milden Schwarm, der nach Verſailles gezogen, Beladen war mit Schimpf und Hohn Der König worden, und ſchon heifchten Viele Den Umfturz von Altar und Thron. Wir Knaben all, vergeffend unfrer Spiele, Das Kühnfte träumten wir und bald Schien mir mein Bater allzutalt, Wenn er zum Maße riet. Zur Abendftunde Mit Andern, die ihm gleichgefinnt, Hielt er in unferm Hauje Tafelrunde, Und manchmal denn auf mid als Kind Nicht gab man Acht Hört’ ich fie fich berathen, Wie man die wilde Strömung dämme, Daß fie des Volkswohls junge Saaten

375

Die kaum entiproffenen, nicht überſchwemme. Mir aber ſchoß zum Herzen jäh das Blut, Und fir der Freiheit hohes Gut

In meinem kind'ſchen Wahne ward mir bang, ALS drohe ihr der Untergang.

Wohl dann geſchahs, daß ich harmlojer Weiſe Bon dem, was ich gehört, im Kreiſe

Der andern Knaben dies und das verrieth. Dem Oheim eines jener Knaben

(Es war ein hagrer Dann, Yabitte,

Sein Haar ſchwarz wie Gefieder eines Raben) Auch ſprach ich Gleiches, ohne Arg zu haben, Und nannt’ ihm, weil er fragte, deren Namen, Die bei dem Vater Nacht? zuſammenkamen.

„Roh ſchwanden Wochen, dody allmählig Wie anders zeigte fich, wie ganz unfelig Die Freiheit, als ich fie geträumt! Der Becher, der von ſüßem Trank geſchäumt, Füllte mit Blut fih bi8 zum Rande, Und graufer nur erftand die Tyrannei. Nicht lang, und, Bande neben Bande, Sah ich fi durch die Stadt mit Wuthgejchrei Das Volk hinwälzen, während höllentftammte Mordgier von Auge hin zu Auge flammte. O Menſch! ift in der Schöpfung ganzem Reich Ein Weſen an Verworfenheit dir glei? Der Gottheit kannft in feligem Entzüden Du, felbft ein Halbgott, in das Auge bliden, Und, wenn zum Himmel du mit Seraphſchwung, Dich ſchwangſt in Liebe und Begeifterung, Zum tiefften Abgrund wieder unters hier Sinkſt du hinab und trinfft in milder Gier Der Brüder Blut! Zur großen Mördergrube Ward ganz Paris, wo jeder freche Bube

31%

Durch Miſſethat der Freiheit heil'gen Namen Entehrte und die Hallen-Damen Megärengleich ſich mit den Männerhorden Am Würgen weideten und Morden.

Von allen Straßen, allen Plätzen Hohläugig ſtarrte das Entſetzen

Dir ins Geſicht; auf Quai und Boulevard Sah man ſich wilde Sanscülotten,

Die rothe Mütze im zerzausten Haar,

Mit Piken, Schwertern, Yanzen rotten, Und Unglüdjelige, die vor dem Drohn Der Henterbanden zitternd flohn.

Einft auf den Führer einer Schaar Bon Häfchern, die von Haus zu Haufe gingen, Dem Richtbeil neue Beute heimzubringen, Fiel mir der Blid 0 wohlbelannt mir war Der Hagre, Blaffe mit den NRabenloden; Ich fuhr zufammen, bi8 zum Tod erfchroden, Und furchtbar wurde die Gefahr Des Vaters mir auf einmal klar. ‚Gewiß,“ dacht' ich, „wird bald Yabitte auch ihn Zum Richtplag führen,‘ und ala Miffethäter, Als ſchlimmſte Frevel-Ausgeburt erfchien Ich mir, die je die Hölle ausgeſpien. Denn ich, der Sohn, war der Verräther, Der Mörder ich des Vaters nicht? So oft vorbei zum Hochgericht Ein Zug von Unglüdfel’gen fchritt, War mir, als dränge mir bei jedem Tritt Ein Meffer in die Bruft mit ſcharfem Schnitt, Und um dem Schredensanblid zu entrinnen, Barg ich mich in des Haufes fernfter Kammer, Und rang zu Gott in meinem Jammer Die Heinen Hände; aber felbft bis drinnen,

37

Mein Beten übertönend, ſcholl

Ter graufe Lärm, und das Geroll

Der langgereibhten Henkerkarren

Ließ in den Adern mir das Blut erftarren.

„Wenn unten an des Hauſes Thüre Ich leis fich regen hörte nur den Klopfer, Glaubt’ ich, ein Shirre komme, daß als Opfer Er meinen Vater vor den Richtftubl führe. Und ja, die Stunde kam, die grauenhafte ; D daß die Erde unter mir nicht Haffte, Mich zu verjchlingen! Doch bezeug’ es Gott, Wenn meine Zunge zum Schaffot Den Eltern jo den Weg gebahnt, Nicht das hatt’ ich gedacht, nicht das geahnt! Zuletzt, erfaßt von Todesſchrecken, Oft mahnt ich fie, fi) zu verfteden; Zu andern Stunden auf den Knien Bor ihnen liegend, bat ich fie zu fliehn; Doch Henker füllten und Spione Die ganze Stadt; was halfs ficy zu verbergen? Einft früh in unfre Wohnung traten Schergen Und fchleppten Vater, Mutter mit dem Sohne In Ketten vor das Tribunal. Ein Boflenipiel nur wars, wie in dem Saal Die Richter über Hunderte zugleich Den Tod dur dag Schaffot verhängten. Nur Tage noch, und durch die dichtgedrängten Bollshaufen wurden todtenbleich In langen Reihen Männer, Frauen Zum Guillotinenplag geführt; Ich felbft, verurtheilt zuzufchauen, Ging, beide Hände feftgefchnürt, Beim Karren, welcher meine Eltern trug. In Ohnmacht ſank ih mandymal nieder,

378

Allein ein Scherge riß empor mich wieder,

Und folgen mußt' ich in dem grauſen Zug.

Wie ſo, indeß ich ſchwanken Fußes ſchritt,

Mein Blick hin ob den Todgeweihten glitt, Gewahrt' ich viele Derer in den Reihen,

Nach denen mich Yabitte gefragt,

Ob fie im Haus des Vaters Gäfte jeien;

Auch fie, auch fie, von mir verklagt,

Nun fohritten fie zum Tod. Umber das Schreien Der wüſten Notten, Lachen, Singen,

Als ob zum Feftgelag fie gingen,

Geballte Fäufte, die fi) drohend hoben,

Und Mordgeheul und wildes Toben!

Hin durch gezüdte Säbelflingen

Die Todesopfer führte man empor,

Wo auf der ſchwarzbehängten Trauerbühne Errichtet war die Guillotine.

Dein Aug’ umhüllte Nebelflor,

Der mir den Anblid barg, den fürdterlichen.

Da wedten mich mit Yanzenftichen

Die Schergen, und der Trommelwirbel Gellen Scholl an mein Ohr; nah über mir im hellen Lichtglanz fah ich die aufgepflanzte

Blutfahne neben dem Echaffotte wehn,

Um das ein Schwarm von Weibern jubelnd tanzte; Und unter8 Richtbeil mußt’ ichs ſehn

Und durfte nicht mit ihm zu Tode gehn? Hatte mein Vater Mniend das Haupt gebeugt

„Bewußtlos blieb ih Tage, Wochen; D wär’ ein Morgen nie mehr angebrocdhen Für meine Naht! Daß er, der mich gezeugt, Daß fie, die mid an ihrer Bruſt gefäugt, Durch meine Schuld von Henkershänden ftarben, Nicht hätte das Gefühl dann Gift

379

Mir in das Herz geträuft. Yang feine Sarben Kannt' ich, als Blut, nur Blut. Das Grün der Trift, Der goldne Sonnenfdein, da8 Blau der Luft, Blutroth war Alles, was ich fah,

Der Wind erfüllt mit Leichenduft.

Durdy Fahre was mit mir gefchah,

Umfonft witrd’ ich gefragt. In dumpfem Brüten Die Frühlinge, wie fie erblübten,

Nicht achtend, noch der Herbfte Blätterfal,

Ein großes Grab nur fah ich überall,

Und nur die Hoffnung, aus dem Schredensland Zu fliehn bis an der Erde fernften Rand, Wars, was mid) mit dem Leben noch verföhnte. Da, als die Erzdrommete fehmetternd tönte Und Frankreichs Jugend zu den Fahnen flog, Folgt' ich, ein Achtzehnjähr'ger, der Standarte, Mit welcher kühn der junge Bonaparte Meerüber nah) Aegypten 309.

Als Galliens Küfte Hinter mir verfchwand,

Am Schiffsrand niet’ ich hin in Dantgebeten Und ſchwur, den blutbefledten Strand

Des Mordlands nie mehr zu betreten,

Tief, in noch unentdedte Zonen,

An unbelannter Meere Saum

Zu fliehn, war meines Herzens Traum;

Ich dachte, fern den frevelnden Nationen Europas dort bei Söhnen der Natur

Noch werde Lieb’ und Mitleid wohnen,

Und fehnte mich, daß meines Fußes Spur, Die blutbetriefte, in dem Winde

Der Wüfte hinter mir verſchwinde.“

380

6.

„Genug! ich drang mit Frankreichs Bataillonen ALS Sieger vor im Land der Pharaonen. Einſt in der Schladht mit meinem Roſſe Hatt’ ich mich vorgewagt zu dreift, Und an dem Buße der Koloffe, Die man die Pyramiden heißt, Um mid das Bligen nur von Ataghanen Noch fah ich und das Wehn der Halbmondfahnen ; Ta hieb nad) mir ein Mamelud; Umfonft, daß ich dem Schlage wehrte; Ich fühlte auf der Stirne dumpfen Drud, Und mein Bewußtjein ſchwand. Als e3 mir kehrte, Auf eine Dromedares Rüden Gebunden fand ih mih an Fuß und Arm, Um mid ein tobender Beduinenfchwarm, Und allumber, abjehbar nicht den Bliden, Die grängzenlofe Wüfte. Ohne Ende Fortgings beim glühnden Brand der Sonnenwende, Als ob zum Erdenrand, meit, weit In nie betretne Einfamteit Der Karamanenzug mid) brädhte. Tag ſchwand auf Tag, den Nächten folgten Nächte, Und viermal fchon fah ich den Mond fich runden, Da ftteg vor und empor ein Palmenwald Mit Duell und friihem Grün; wir madten Halt.

„Sp ferne lag, wie aus der Welt verſchwunden, Dies Land in tieffter Tiefe Afrikas; Noch keines Europäerd Auge ſahs. Doch auch zu ihm, mag ringsumher Tas unermefine Wüftenmeer E3 von der Welt der Menfchen fcheiden, Trug das unfelige Geſchlecht jein Leiden,

3831

Und o daß ich8 jo bald erfuhr!

Auf dieſen Auen, welche die Natur

Zum Sitz des Glücks gejchaffen und der Freude, Schoß üppig mit dem wuchernden Geſtäude Elend empor und alles Web,

Das an der Menfchheit Tritt von je

Seheftet fi auf ihren Wanderungen.

„Bon grüner Gärten Kranz umfchlungen, Im Wald von Stämmen, die mit dichtumrankten Baummipfeln zu der Dächer Häupten ſchwankten, Stand die Oafenftadt, in wirrer Maſſe Haus neben Häufern, roh gefügt aus Holz, Und höher dann des Ortes Stolz, Des Paſcha Wohnung mit Zerraffe. Dorthin ward ich geführt und aufs Gebot Des Herrifchen zu fchwerer Sklavenfrohne Alsbald verdammt. Dom Morgenroth Bis wenn dad Mondlicht durch die Wipfelfrone Der Palmen fiel, nicht hatt’ ich Raft; Die alten Bäume und die Zweige fällen, Ablöfen von dem Stamm den Balt, In jchweren Krügen aus des Bades Wellen Das Wafler fchleppen zum Beguß der Pflanzen, Das war mein Tagwerk. Längs des Wüftenfaums Die Stadt mit Wällen zu verfchanzen, Auch mußt’ ich helfen, und des Yeigenbaums, Der Sactusftaude mächt'ge Stämme Durch Schlingkraut in einander weben. Die Schugwehr ließ der Dey erheben, Daß fie der milden Neger Einbrud hemme.

„Stet3 war der Arbeit Theil für mich der jchmerfte; Ums Morgendämmern mußt’ ich ſchon der Erfte, Der Leste Abends noch beim Werke fein.

—_ 32

Schon lange Jahre war dies Schidial mein,

Ta einft, ald alle Jünger des Bropheten

In der Moſchee fi fammelten zum Beten,

Um Eonnenuntergang allein

Beil!’ ih an jenem Wall denu, daß zu fliehn Ein Sklav' verjudhte, während Ketten ihn

An allen Gliedern hemmten, Wahnfinn ſchien Schon der Gedanke, und oft ſpät im Dunkeln Erſt führten in den Kerker mich die Dränger Schon ward der Palnıen Schatten lang und länger, Und auf die bleihe Fläche goß mit Funfeln Sein zitternd Licht der Abendftern.

Ta fah ıh in der Wüfte fern

Sandwolfen wirbeln; nah kam, näher dann

Die dichtgeballte Maſſe Staub heran,

Aus der ein dumpfes Tofen hallte;

Und plöglih aus einander wallte

Bor einem Windesftoß die Staubesjäule.

Sieh! hod) die Yanze ſchwingend und den Speer, In hurt'gem Trabe fprengt’ ein Neiterheer

An mir vorüber, und in dichtem Knäule Hermälzte fih mit athemlofem Laufe

Bor ihm ein wirrer Menfchenhaufe,

Der dur fein Wehgefchrei das Ohr betäubte, Daß jedes Haar auf meinem Haupt fich fträubte. Ein graujer Anblid ward. Wie Jäger

Ein halb zu Tod gehetztes Rudel Rebe,

Sp trieb ein Maurenfhwarm gefangne Neger In toller Jagd dahin, und mit dem Wehe!

Der Unglüdfel’gen mifchten ihr Gelächter

Die jubelnden Verfolger. Schrederftarrt Gewahrt' ich, wie die grimmen Menſchenſchlächter Die Müden, deren Schritt zu langjam ward, Mit einem Schwerthieb flugs zu Boden fchlugen Und Kinder lachend auf den Pilen trugen.

383

Da wankten bei den Gatten jammernd

Gattinnen, fie im Sterbensweh umklammernd.

Da fchleppten Fünglinge mit legter Kraft

Die Eltern fort; noch einmal aufgerafft,

Krampfhaft nad ihren Kleinen griffen Weiber

Und jahn die Wüthriche fie niederhaun

Und fanten jelbft. Weithin mic faßte Graun War von dem Blut, mit dem die wunden Yeiber Den Staub genegt, die rothe Spur zu ſchaun.

„Bleih einem Höllenſpuk ging jo der Zug An mir vorbei und durd die Wüſte weiter. Der Neger jammervolles Wehgeſchrei Das grimmige Halloh der Reiter Erſchollen ferner, durch der windgeballten Sandhügel Widerhall verhundertfältigt,

Bis fle am Horizont verhallten.

„Lang, von Entjegen übermältigt, Tas Haupt zurüdgejunten an die Mauer, Lag ich an der Dafe Rand; Im großen Jammer alles Daſeins ſchwand Mein eigned Elend, nur die Trauer Ums Weh der Menfchheit z0g mit tiefem Schauer Nachtdunkel hin durch meine Seele. D Afrika, du graufe Mörderhöhle, Wer mißt das Leiden, das in deines Schooßes Geheimen Tiefen ſich verbirgt? Ein Marterfeld, ein riefengroßes, Drauf das entartete Geſchlecht fi würgt, Stehft du vor meinem Blide, Yand der Schreden! Wohl deine unermeßnen Wüftenftreden Des Gräuels halb, der fie erfüllt, Mit Nacht und Dunkel fuchft du zu bebeden; Doch ſchlügſt den Schleier, der fie halb verbirgt,

334

Du von der großen Frevelſtatt zurück, Abwenden würde mit Entſetzen

Von dem, was er gewahrte, ſich der Blick: Gefangne, martervoll vor Götzen Dahingeſchlachtet; wilde Völkerhorden,

Die, all ihr Leben nur ein langes Morden, Erſchlagner Feinde Blut, in rothen Bächen Dahingeſtrömt, aus ihren Schädeln zechen! Und mehr durch Beutegier und Raubgelüft Noch ftachelt diefer Wilden Wuth der Chriſt! Daß feinen Sohn, in Ketten feftgejchnürt, Der Bater zu deu weißen Henkern führt Und, ächzend von der Laft der Menjchenwaaren, Die Flotten in den neuen Welttheil fahren. “.

T.

„Schon fant die Nacht herab, und durchs Gezweig Der Tamarinde fah ich bleich Das Zitterliht des Mondes ſchimmern. Da ward, als hört’ ich ferneher ein Wimmern. Aufhorcht' ich; ja, von Neuem mir ang Ohr Her aus der Wüſte, mo zupor Der Zug gegangen, ſcholl ein dumpfes Stöhnen Wie Klageruf. Ich raffte mich empor Und bald, geleitet von den Tönen, Gewahrt' ich einen Negerknaben, Der, von dem Triebfand halb begraben, Verſchmachtend lag und hülfelos. Den Quälern ungemwahrt, die ihn getrieben, War er erjchöpft, kraftlos zurüdgeblieben Und jammervolles Sterben nun fein 2008. Da er mic ſah, halb angftooll, halb mit Bitten

385

Streckt' er nach mir die Arme, doch ſie glitten Bald auf den Boden wieder hin entkräftet; Sein Auge nur blieb feſt auf mich geheftet, Als wollt’ es fragen: ‚Biſt du auch gleich Jenen, Die kein Erbarmen kennen, keine Thränen?' Bald aber, fihiens, hatt’ er Bertraun gefaßt; Bom Boden hob ich auf den armen Jungen Und trug, von feinen Armen feft umjchlungen, Ihn der Oaſe zu in Haft.

Ich Schloß ihm mit der Hand den Mund,

Und, unbeadhtet von der argen Wotte,

Die mich bewachte, famen wir zur Grotte, Darin bei Nacht ich haufte. Tief im Grund Der Höhle bettet? ich den Knaben drinnen,

Und Ohnmacht band ihn bald an allen Sinnen.

„Ward er entdedt, fofort zum Sklavenfrohn Zwang man auch ihn; ein Glüd drum, daß fein Ton Ihn noch verrathen, daß im Schuß der Nacht Ich ungefeben ihn hereingebradht.

Nicht lange, und zu mir durchs Thor

Erfcholl der Ruf des Schließers: ‚bift du da?‘ Und haſt'gen Drudes auf mein Ya

Schob er den ſchweren Eijenriegel por.“

8.

„Jetzt hub für mich ein neues Yeben an Und leichter trug ich meiner Knechtſchaft Bann, In diefem Knaben fand für meinen Gram Den Tröfter ich, der fonft ich nichts vernahm Als Drohungen und wildes Fluchen;

Und er aud, lange ſchon entwöhnt, Shad, ef. Werke 1. 25

386

In Menichenherzen Mitleid noch zu juchen, Ward mit dem Leben neu durch mich verföhnt. Wenn über ihn dahingelehnt

Ich feiner Wunden pflag, des Dankes voll Auf meine Rechte drüdt’ er einen Kuß,

Indeß ein Thränenftrom, in heißem Guß

Vom Herzen fluthend, auf fie niederquoll.

Ihn jedem Blide zu entziehn

Und fo der Knechtſchaft, war mein ſtetes Sorgen ; Mit Trank und Früchten, die verborgen

Ich in die Grotte trug, erlabt' ich ihn,

Und, rief der Sklavenvogt mid) früh anı Plorgen, So trug ich willig jede Bürde;

Bei dem Gedanken an den Kleinen Gaft,

Den ic) am Abend wiederfehen würde,

Schien leichter mir der ſchwerſten Arbeit Laſt. Die Nächte dann, die jonft jo endlos langen, Zu fchnell jet waren fie mir ſtets vergangen. Wenn mit den Knaben Arm in Arm ich lag Und feines warmen Herzens Schlag

- An meinem fühlte, wenn mit meinen

Sid feine Thränen miſchten Licht und Yuft, D gern für jene dunkle Höhlengruft

Hätt’ ich fie hingegeben!

„Daß den Kleinen Sch meine Sprache lehren könnte, War meines Herzens Wunſch; und mir vergönnte Der Himmel die Erfüllung. Nach und nad) Schien er zu fallen, was ich fprad). Und o der Freude, des Entzüdens, als Das erfte Deutſch in füßen Lauten Bom Mund ihm flog. Ich ſank ihm um den Hals Und trank den langentbehrten Ton, den trauten, Mit Ohr und Geift in langem brünft’gem Tauchen,

387

Und Horchte immer neu, erwartungsvoll,

Bis neu derjelbe Klang erfcholl.

Bald Worte dann begannen wir zu taujchen; Denn, wie im Sprechen Kinder find, gelehrig Fand ich den Knaben. Dreizehnjährig

Erft war er, und Aguri nannten

Die Seinen ihn. Ad, wenn er der Berwandten Gedachte, die, nun fern hinmweggetrieben,

An Elend fchmadteten, auf3 Neue brad) er Sn Thränen aud. Auch von den Yieben, Die einfam und verwaißt zuriidgeblieben, Und ob fie lebten, oft mit Seufzen ſprach er Und preßte auf das Herz die eine Hand, Und deutete nad) Süden mit der andern. Fern, fern dort lag fein Vaterland,

Und meit, ein mondelanges Wandern,

Wars bis dahın durch heißen Wüftenfand.

„Mit Stammeln nur und in verworrnen Tönen Sprach mir Aguri von der fehönen Weltfernen Heimath, aber ich ermaß Alsbald: in tiefjter Tiefe Afrikas Yag fie, die vor Europas Söhnen Sid noch geheimnißvoll verhüllt. Und, wie der Knabe mehr und mehr dann Meifter Der Nede ward, ftieg feine Yandes Bild Auch klarer vor mir auf. Dort voll beeister Einöden, himnielnaher Firnen Erheben mächt'ge Alpen ihre Stirnen, Und brauſend aus den Gletſcherhöhlen brechen Beihäumte Wafler, die von den gezadten Felsklippen ſich in wilden Katarakten Zur Tiefe ftürzen, um in Silberbächen Durch immer grüne Schluchten hinzurinnen. Im Thale prangen üpp'ge Auen,

38

Auf die der Berge fehneebededte Zinnen

Des Frühlings ew’ge Frifche niederthauen, Und drüber lacht das tiefe Blau der Tropen. Ein einfach Hirtenvolf, fo janft,

Daß feinen Hütten nah die Antilopen Bertraulich fpielten an der Thäler Nanft, Trieb feine Heerden auf die Weide dort. Bon allen Völkern abgefchieden,

Bon Krieg nicht mußt’ e8, noch von Raub und Mord; Nichts ftörte feinen tiefen Frieden,

Als wohl ein Panther aus der Felfenfchlucht, Bor dem die Heerden flohn in fcheuer Flucht. Die ſüße Milh, der Kokospalme Frucht, Nicht kannten diefe Hirten andre Yabe;

Doch unter feiner Eltern niederm Dad

War mohlgediehn bet ihr der Knabe.

An jedem Morgen früh ſchon wach,

Sobald die Eisgebirge um ihn ber

Dem nahnden Tag entgegenglübten,

Auszog er mit den Ziegen, fie zu hüten. Der Berge Schatten, mehr und mehr

Nah Oſten rüdend auf der Flur,

Dis er im Zwielicht brach, da8 war die Uhr, Des Tages ftilen Wandel ihm zu zeigen. Dann, wenn er auf dem dämmernden Gefild Ihn Schwinden fah und hehr das GSterngebild Des Kreuzes durch die Abendnebel fteigen, Zu ſüßer Ruhe bei den Seinen Iud

Ihn in der Hütte eine Blätterftreu.

Einft aber beim Erzählen ſchon aufs Neu In allen Adern ftarrte ihm das Blut Furchtbar von Schlummer ward er aufgefchredt. NRauchwirbel, helle Feuergluth,

Die längs des ftürzenden Gebälfes leckt, Umgeben ihn, und mit der Flammen Zifchen,

389

Den MWeherufen von Erfchlagnen, mifchen

Sich Schreie wilder Wuth. Zodt hingejtredt Am Boden fieht Aguri feinen Vater;

Er flürzt nach außen, und ein rother Krater Brennender Hütten ift da3 ganze Thal.

Die Hirten, dur den Brand herporgejagt, Bon wilder Feinde Ueberzahl

Umzingelt, werden zitternd und verzagt

In Feſſeln bald gelegt. Wie jcheue Rehe

Zu fliehen juchen andre, aber ſinken

Bom Stoß der Yanzen, welche ringsum blinken. Berzmeifelnd werfen fich in wilden Wehe

Mit ihren Kindern Weiber in die Flammen, Und über ihnen bricht das Dach zujammen. Mit einem Yeuerbrande, den er jchwingt,

Die Tremdlinge zu jcheudhen, dringt

Aguri vor; ihm folgt mit wüth'gem Schreien Ein Schwarm von Fünglingen zum Kanıpf, Doch, dicht umfchloffen von der Feinde Reihen, Bermundet, unter dem Geftampf

Der Roffe finfen fie; und, ſchwer mit Ketten An Fuß belaftet und an Arm,

Schleppt die Unjeligen der Räuberſchwarm Hinweg von den verheerten Heimathjftätten. Der nächſte Morgen fand fie in der Wüſte, Des Jammers, der Verzweiflung Raub;

Bom Süden fern herüber grüßte

Bum legtenmal fie durch den Wirbelftaub

Der weiße Bergjaum ihres Heimathlandes ; Dann ſank er nieder längs des Himmelsrandes.“

390

9.

„Mit Scheu nur, wenn er durch den Spalt hervor Gefpäht, ob er hinaus fich wagen dürfe, Schlich hier und da Aguri durd das Thor, Daß er die frifche Luft des Himmels jchlürfe. Doch ich, bejorgt, fie möchten den Berftedten Bon dannen reißen, wenn fie ihn entdedten, Wie meinen Augenftern ihn hütet’ ich.

Denn, mit dem Knaben zu entfliehn, Seit lang im Stillen Pläne brütet' ich; Und, fchleppten fie zu anderm Kerker ihn, War dann noch möglid die Vollführung?

„Aguri, al er hörte den Entſchluß, Umarmte mich in feur’ger Rührung Und brennen fühlt’ ich feinen Kuß Auf meinen Lippen. „Ja, die Flucht wird glüden!- Nief er ‚fein Drangfal ift, fein Feind, Dem ic) nicht trogte, wenn mit dir vereint!" Im erften feurigen Entzüden Schon glaubte fid) der Knabe wieder frei, Doch viel der Arbeit für ung Zwei Noch war zuvor zu thun; mit Eifenftüden Uns gegenfeit8 bet nächt’ger Weile Die Kettenringe wie mit einer Teile Zu löſen ſuchten wir; oft ſchwand die Nacht Und, plaudernd noch von unjern Freibeitsplanen, Nicht hatten wir des Morgens Acht; Erft das Geklirr des Riegels mußt! und mahnen, Man komme mich zum Frohndienft abzuholen.

„An unjern Feſſeln hatten wir verftohlen Seit lange ſchon gefeilt und fahn Im Geifte der Befreiung Stunde nahn

391

Nicht Sehnſucht, Frankreich wiederum zu fchauen, Ward was mich trieb; feſt ftand mein Schwur, Es nie mehr zu betreten, und mit Grauen

Des fernen denfen konnt’ ich nur;

Allein ein grünes Pläschen fir ung Zwei,

Um drauf zu leben unverfolgt und frei,

Hofft’ ich zu finden in der Wüſtenei.

Ta einft gewahrt’ ich, wie in Haufen dicht Gedrängt die Menge ftand; ein plögliches Beftürztfein lag auf jedem Angefidt.

Nicht ahnen konnt’ ich erft, was jo Entfegliches Geſchehn, um alle Blide zu verdüftern.

Doch Mar ward dann mir aus der Mauren Ylüftern: Ein Angriff ftand bevor von wilden Berbern,

Bor denen weitumher, als vor Verderbern,

Die Wüfte zittert. Mit Rachedürften,

Weil Mauren jüngft erjchlagen ihren Fürften, Anrüdten fie, verftärft von andern Stämmen,

Um die Dafenftadt in Strömen Bluts

Bom Erdenboden wegzuſchwemmen.

Die Mauren ftanden jagen Muths

Berwirrt umher und ftarrten ſchreckensbang Entgegen dem verhängten Untergang;

Tod, während ſchon auf Flucht die Meiften fannen, Bewaffnet trat mit feinen Mannen

Der Paſcha unter fie und zwang

Die jchon Berzweifelnden, die Friſt zu nützen

Und mehr die Abwehrſchanzen zu verftärken.

Bu haft’ger Arbeit an den Mauerwerfen

Trieb man mich ſammt den Andern; mit Geſchützen Sie mußten wir bepflanzen, mit gefällten Palmftämmen zwiſchen ſtachlichem Geftäude

Die Straßen von Gebäude zu Gebäude

Dem Feind verfperren; und als Wächter ftellten Des Paſcha Krieger fih um uns im Kreis.

392

Erkennen mußt’ ic wohl, unmöglich feis Fest zu entlommen, da wir nicht die Flucht Im erften Augenblid des Schrecks verſucht.

„Es kam die Nacht, und ins Gefänguiß Der Höhle führten ſie mich wiederum; Doch von dem drohenden Verhängniß Blieb vor Aguri meine Lippe ſtumm. Aufhorchend ſprang er plötzlich dann empor Und lehnte lauſchend an dem Grottenthor; Ein Murmeln, dann ein wogendes Getümmel, Ein dumpfes Brauſen ſcholl uns an das Ohr. ‚Er iſt es“ rief Aguri aus ‚vom Himmel Mit feinem ſchwarzen Roßgeſpann Fährt jo im Sturm der Tonnergott heran; Dft hört’ ich ihn, im Wetter braufend, Durch unfre Berge ziehn, indeß die Spalten Und Schlünde des Gebirgd von taufend Und aber taufend Stimmen widerhallten, Und böfe Geifter durch die Finfterniß, Die Riefenflügel ſchwingend, flatterten.‘ Noch ſprach er fo; auf einmal Tnatterten Muslketenſchüſſe, durch den Höhlenriß Fiel hell der bligenden Gejchüge Schein In unfre Nacht; erfchredt umfaßte Aguri mi und ſah, wie ich erblaßte, Mir angftvoll in das Antlig. Wüth'ges Schrein Und wiederum Gekrach von Feuerfchlünden Bernahmen wir, den Niederfturz von Trümmern, Wehrufe und von Sterbenden das Wimmern. Wohl mußt’ ih nun dem Knaben künden, Was von dem Nahn der Berbern ich gehört. ‚Tas ift die Zeit rief ih „ung frei zu machen, Tenn Keiner denkt, uns zu bewadhen, So lang das Schlachtgetümmel währt.

39

Schnell nun and Werk, jeßt oder nie!

Flugs an die Arbeit gingen wir und drängten Uns an die Höhlenthür, daß wir fie fprengten; Allein vergebens, eifenfeft war fie

Und dreifah durch der Riegel Erz verrammt. Neu, immer neu, den Ausgang zu erzmingen, Der Eine von des Andern Wort entflammt,

Uns mühten wir; die Adern wollten fpringen, Am Ende fhwand die Kraft; mir janfen machtlos Zu Boden hin und lagen lange, adhtlo3

Des Toben? um uns her. Als von den Sinnen Uns die Betäubung fchmand, fahn wir das Yicht Der Sonne hell ſchon durch den Thürfpalt rinnen, Allein zu öffnen fam der Schließer nicht,

Und der Gedanke an ein Yoo3 voll Dual,

Das unfer warte, ftisg zum erftenmal

In ung empor. Nicht3 was ung Yabung bot, Kein Tropfen Waller, keine Frucht, kein Brod! In diefer Höhle mußten wir verſchmachten!

„Don außen her nody drang in dumpfen Tönen Der Lärm des Kampfs, der Mörfer Dröhnen, Der Bäume Fall, wie fie zuſammenkrachten.

Tie Stunden ſchwanden, und mit dem Geklirr Der Waffen, mit dem Flammenziſchen

Hörten im finnbetäubenden Gemirr

Wir Siegesrufe, Wehgefchrei ſich mijchen,

Und wiederum der Kämpfer Wuthgebrüll.

„Drauf ſchwand der Tag und minder ward das Braufen; Im Würgen, ſchien es, kamen Paujen, Der Weiber Jammerſtimmen tönten ſchrill Nur durch das Dunkel noch, dann ward es ſtill, Und, als von Neuem ſich ein Lärm erhub,

34

Glich er des Meeres ebbendem Gewog; Dom Teinde, der von dannen zog,

. Kam das Getön, und nad) und nad) begrub Den legten Schall die Ferne.

„Run ringsum War Todtenftille; jchredenftumm Am Boden faßen wir in tiefem Bagen; Dod, aufgeftachelt durch de3 Hungers Nagen, Noch einmal zu der ganzen Kraft, Die und Verzweiflung lieh, emporgerafit, Den Feljenblod zunächft der Thür, Da fie nicht weicht, zu fprengen fuchen wir; Und ſiehe! auseinander klafft Das Felsgeftein; der Erſte durch die Kluft Gelang' ih an des Himmels freie Luft, Aguri folgt, und aus des Kerkers Haft Sind wir erlöft; doch unfer Keiner dentt Der drohenden Gefahren, noch ans Flüchten, Bevor er an der Kokospalme Früchten, Die ſchwer die Zweige zu der Höhle jentt, Die Gier geftillt.

„Tann müftenwärts in Schnelle Ging unfer Schritt; doch bei der matten Helle Einzelner euer, die erlöfchend Lohten, Gewahrt’ ich Todte neben Todten In langen Reihn, ein jchredliches Spalier, Einander mit verglaften Augen ftier Ins Antlitz blidend; Männer, Kinder, Frauen; Mütter, auf Säuglinge an ihren Brüften, Als ob fie die erftarrten küßten, Die bleichen Tippen preffend und, o Grauen! Wenn in des Windes Hauche mit Geflader Die Flamme aus verkohlten Hütten jchlug,

39

Hin ob dem weiten Yeichenader

Sah ichs wie Yeben fpielen; bier zum Fluch Und dort zum Wehruf regten nody einmal Die Pippen ſich in Todesqual. Da: ‚fort!‘ Nief ih ‚hinweg von diefem Schredensort!" Ich zog Aguri mit mir an der Hand

Und wankte fort, der Wüfte zugewandt.“

10.

„Bon dannen ſchwanken Schrittes jagte Uns das Entfegen auf dem öden Pfad; So hatten wir, als es im Often tagte, Der nächſten der Dafen und genaht. Nur Halteplag war fie den Karamanen, Doch nit bewohnt. Dort an Bananen Uns labten wir und fchlürften fchmelgerifch Vom Naß der Quelle, welche friich Durh Grün hinſprudelte. Dann auf dem Gras Im breiten Schatten einer QTamarınde Sant Schlaf auf uns beim Säuſeln fühler Winde.

„Aus der Erfchöpfung Uebermaß, Erft als es wieder Nacht geworden, Erwachten wir, um an der Quelle Borden Uns für die weitre Fahrt zu rüften. Da lagen fie vor ung, die werten Wüften, Bon Raubgethier und wilden Bölkerhorden Allein durchfchweift! Und wo ein Stern, ein Bol, Um uns zu leiten? Bagen mußte wohl Bei dem Gedanken, wen nicht Muth Dreifach mit jeinem Schild die Bruft umerzte;

3%

Allein Aguri, da er ausgeruht

Und wieder frifh der Jugend Blut

Durch feine Adern ftrömen fühlte, fcherzte

Die Sorgen mir hinweg und flößte

Bon Neuem mir Bertraun ind Herz. Er löjte Bon Hand und Fuß mir ab die Kettenrefte Und klomm, an Kletterluft dem Eichhorn gleich, Empor bis in der Bäume höchfte Aefte,

Uns Datteln oder Nüffe vom Gezweig

Als Vorrath für die Reife jammelnd.

„Im Oſten eben durch die Dämmerung Hob fih der Morgen; athemlos und ftammelnd Herab vom Wipfel fam in haft’gem Sprung Bu mir der Knabe da und ftieß Schredrufe aus, indem er weſtwärts wies: „Da! da! fie fommen!“ und im Frühmind drang Fernher zu unferm Ohre Scellenflang, Das Nahen einer Karawane kündend. Alsbald nach Often, wo, den Tag entzündend, Die Sonne an den Wüftenrändern ftieg, Aufbrachen wir; denn hier, wo ew'gen Krieg Die Menfchen mit den Menfchen führen, Mehr fliehen mußten wir vor ihrem Tritt, Als vor Hyänen oder Pantberthieren. Schnell durch den heißen Kies trug uns der Schritt, Und eh’ der Karamanenzug Noch den Dafenrand erreichte, ſchlug Um und das Sandmeer feine Wogen, Allein begränzt vom blauen Himmeldbogen. Froh an dem jelbftgebrochnen PBalmenftabe Bon Hügel hin zu Hügel fprang der Knabe; Nah Kinderart an Alles, was vergangen, Und die erlittnen Leiden dacht’ er kaum. Bisweilen nur, wenn wie ein güftrer Traum

397

Ihm das Geſchick der Seinen, der gefangen Hinweggeſchleppten, ins Gedächtniß kam, Glitts über ſeine Stirne hin wie Gram; Doch glätteten ſich wieder ſchnell die Falten, Und ſeinen muntern Rufen widerhallten

Die ſand'gen Höhn. Scherzworte ſprühten Reichlich von ſeinem Mund, und um vom Brüten, In das ich oft verſank, mich abzulenken, Hört' er nicht auf mit ſeinen Schwänken, Bis lächelnd ich die Hand ihm gab.

Von ſeinem Heimathland dann ſprach er viel, Wie er den Bergespfad hinauf, hinab

Getobt in wildem Knabenſpiel

Und in den Höhlen ſich verſteckt;

Von Zwergen, hauſend in den Felſenklüften, Und von dem Kobold, der ihn auf den Triften Dei feiner Heerde oft genedt. -

Bergebeng, feine Kraft zu fchonen,

Dat ich ihn oft; denn weithin, grauenhaft Noch ftredten fi) vor uns die Wüftenzonen. Wenn ich, von Sonnengluth erjchlafft,

Der Ruhe pflag, bald wieder mir vorauf Sprang er mit der Gazelle Lauf.

„Rod im Beginn, uns labend, blies Ein friiher Wind daher von Often, Und Palmen boten, die dem dürren Kies Bereinzelt hier und da entjproßten, Uns ihre Früchte dar. Dann ließ Zwei lange, lange Wandertage Sih Sand und Himmel nur gewahren, Und von Aguri® Mund die erfte Klage Bernahm ich; feine Augen waren Glanzlos und hohl, die Glieder ſterbensmüd. Heiß, alles Leben fengend, blies der Süd,

398

Das letzte Naß vertrocknend auf der Lippe. Die Wüſte lag vor uns gleich dem Gerippe Von einer todten Welt, doch rothgeglüht

Im Sonnenbrand. Selbſt wenns zu nachten Begann, vergebens hofften wir auf Kühle; Kein Schlummer ſchloß die überwachten Auglider auf des Bodens heißem Pfühle,

Auf den die Sterne, die wie Feuer brannten, Glühende Pfeile niederſandten.

Ein Tropfen Waſſer, der den Mund uns netze, Mehr werth als alle Erdenſchätze,

Erſchien er uns; oft kaum noch dachten

Wir wieder zu erſtehn, und im Verſchmachten Als Retter riefen wir herbei den Tod.

Die kurze Friſche nur vor Morgenroth,

Wenn kühle Tropfen Thaues niederrannen, Gab uns die Kraft, uns nochmals zu ermannen, Und weiter ſchleppten wir uns fort.

Wohl ſuchte manchmal durch ein heitres Wort Aguri mich zu täuſchen, doch vergebens;

Ich ſah das Welken ſeines theuren Lebens, Und daß, noch weiter ſeinen Schritt zu lenken, Er nur, von mir geſtützt, vermochte.

Doch ich, dem matt das Herz und matter pochte, Wie lang mit den erſchlaffenden Gelenken Konnt' ich des Knaben Stütze fein?

„Dor und auf der bewegten, gelben Fluth, Welch Gligern in der Mittagsgluth ? Nah, näher nun das dörrende Gebein Bon fturmverfchütteten Kameelen, Halb aufwärts ragend aus dem Sand, Erkennen wir, und drauf in langen Reihn Mit weißem flatterndem Gewand Die Reiter, aus den leeren Augenhöhlen

39

Herniederftarrend noch von den Skeletten.

ALS das wir fahn, wie ung zu retten

Wir Weltverlagnen hätten wir gehofft?

Schon voll von banger Ahnung fchaut’ ich oft, Wie über ung, die nahe Beute witternd,

Ein Geier fich auf fehwarzen Flügeln wiegte Und bang, an allen Gliedern zitternd,

Aguri fih an meine Seite jchmiegte,

Indeſſen nah und näher ftet3 die Schwingen Des Knaben fintend Haupt umjchatteten.

„Sn meinen Armen den Ermatteten Forttrug ich, denn fich felbft emporzuringen Blieb feine Kraft ihm mehr. Ein Flammenhauch War allumber die Luft! als flöffe Ein Feuerftrom, gemifcht mit Schwefelraud, MWirbelnd hervor aus einer Eſſe,

Sah ich den gift’gen Dampf am Boden leden, Und Tod jchien jeder Athemzug.

Wohin den Blid das Auge fchlug,

Nicht eine Zufluchtsftätte zu entdeden!

Kein Quell, um noch ein legtegmal

Tem Sterbenden des Durſtes Dual

Zu Iimdern; feiner Palme Dach,

Um unter ihrem Schatten ihn zu betten!

„Ob faft ih auch zufammenbrad, Doch trieb die Hoffnung, ihn zu retten, Mich weiter auf dem Pfad. Die Zunge lechzend Am trodnen Gaumen feftgeffebt Und von dem Geier fort und fort umjchmwebt, Wankt' ich dahin, im Arm mir ächzend Der unglüdfelge Knabe. Dann entlräftet Sanf auf den Boden ich zurüd Und lag verzweifelnd da, den Blid

0

Starr auf den gelben Sand geheftet.

Auf einmal vor mir auf der öden Fläche

Was für ein Glanz? Kaum traut’ ich meinen Sinnen. Ih ſah an grünen Ufern Silberbäche

Dahin mit Haren Wellen rinnen

Und mit der Fluth, der frifchen, Fühlen, feuchten, Zum Trunke ladend, mir herüberleuchten.

Das riejelte, das fchimmerte und quoll

In langen Strömen hin und überjchwoll

Der Ufer Borde. Quellen von Kryftall Rannen und murmelten im hurt’gen Fall Herunter zu den blühenden Geftaden,

Und Fruchtbaummipfel ſenkten Aft an At, Mit goldnen Aepfeln ſchwer beladen.

Aufrafft? ich mich mit meiner Laft,

Und nad dem vielerfehnten Naß vor mir Stredt’ ich die Rechte mit Begier;

Doc vor den Augen blaß und blafler Schwand hin was ich gefehn; da war fein Wafler, Kein Grün und feine Früchte mehr zu ſchaun. Dürr wieder lag und fahl und braun

Die MWüfte vor mir; ferneher

Am Himmel 3098 empor verderbenjchwer; Zuerft ein Heiner Punkt; dann hoch und höher Hob fi) der Sand in dichten Knäulen,

Und durh den Staub bin jchoffen Yeuerjäulen. Das war der Samum; nah und näher

Kam mit dem lohen Flammenodem Zodbringend er herangefchnaubt.

Aguri mit mir ‚reißend, Haupt an Haupt

Mit ihm das Antlıg preßt’ ich auf den Boden Und fühlte über mich die heißen Wellen Hinfluthen und des MWüftendämong Flug,

Wie er den Staub mit feinen Flügeln jchlug Und Katarakten gleih in Wirbelfällen

401

Den Sand ergoß. Auf dem Berheerungszug Dann trugen weiter ihn die Schwingen.

„Da horch! wars nicht wie Schellenklingen, Was uns von MWeften ber zum Ohre drang? In Paufen, bald fernhin verhallend,

Bald in des Windes Hauch herüberjchallend, Ebbte und fluthete der Klang.

Fa, eine Karawane mußt’ es fein;

Ich hörte, wie in Todespein

Aguri feufzte: „Einen Zropfen nur,

Nur einen Tropfen Waſſer gieb zu trinken!“ Matt auf die Schulter ſah fein Haupt ich finfen, Indeß die Hand frampfhaft zum Herzen fuhr. Da mit der legten Kraft empor mich rang ich, Den Sterbenden auf meine Schulter ſchwang ich Und wankte bin, von wo dag Klingen fcholl. Ya, nah und näher fommt der Ton,

Die rothe Fahne flattern ſeh' ich ſchon,

Sie naht, fie naht, die Rettung bringen foll, Die Karawane; nun herab die Schläude!

Bon fühlen Wafler find fie ütbervoll;

D Schnell doch, fchneller! Wie ich immer feuche, Die Kraft verfagt mir; hört doch, hört,

Ihr Mitleidlofen! Einen Trunk begehrt

Bon euch ein Sterbender als letzte Yabe,

Und ihr könnt zögern bis fein Auge bricht?

„Ah! daß mein Ohr, daß mein Geficht Getäufcht mich hatte. Noch in Stunden nicht Erreichen konnt’ ich fi. Da fchlang der Knabe Die Arme um den Leib mir und hielt feit Auf meine Hand fein Lippenpaar gepreßt. Dann, beide Augen zu mir aufgefchlagen,

Sah er mich an, ald wollt! er Dank mir fagen;

Schad, Ge. Werke. 1. 26

Doch nicht fein Mund, nur feine Lippen jprachen, Und rlidwärts glitt er hin in jähem Krampf. Mir war, da feine Augen brachen,

ALS wär's mein eigner Todeskampf.

Ohnmacht rann hin durch alle meine Glieder, Und über den Entfeelten ſank ich nieder.“

11.

„Die Karawane hatt’ auf ihrer Fahrt Am Boden liegend mich gewahrt. Durch Trank, den mir die Mauren reichten, fam Mir die Befinnung wieder, doch der Granı Zugleih mit ihr. Da lag er ftarr und alt, Der meinem tieferftorbnen Herzen Geweſen, was dem mwinteröden Wald Des Frühlings Hauch; der durch fein Scherzen, Durch meiner Sprache lang entbehrten Laut Mich meinem trüben Dafein neu verjühnt! Und diefen Klang, fo lieb, fo traut, Der ihm vom Munde, vafch erlernt, getönt, Nun ſollt' ich nie mehr hören, ſollt' allein Und ohne Troft, an dieſes herbe Sein Gebannt, das graufe Afrika durchirren ! Noch einmal auf die todte Hülle warf Ich mich; doch bei der Ketten Klirren, Die fie mir angelegt und die mir fcharf In alle Glieder fehnitten, riß ein Mohr Mit Fluchen wieder mich empor, Und kurze Zeit nur auf mein Flehn zuletzt Ward mir gegönnt, den Todten zu beitatten. Im heißen Sande, den fein Thau benekt, Lag er fortan, wo nie ein andrer Schatten

403

Herniederfällt, als wenn mit irrem Ylügel Darüber hin ein Wüftenvogel ſchwebt;

Vom Sturmmwind, der den Sand in Wirbeln hebt, Längſt nun vermweht fein Grabeshügel!

„Wie dann, in Ketten neu gejocht, Ich Jahre bier zu dulden noch vermocht Und nicht des Daſeins trauriges Geſchenk Wegwarf, felbft faſſ' ichs nicht. Doch du bedent, Devor du meiter noch zu athmen wagſt: Nur neues Weh, wohin du gehen magft, Ermartet did! In frühem Tode fuche Erlöſung von des Lebens Fluche, Denn der Erbarmungsliofe, der uns ſchuf, Fit taub für der Gefchöpfe Jammerruf. Leb wohl! Zu Ende geht mein Sein; Ins große Nichts mit Wolluft geh’ ich ein.”

Er jhwieg. Stumm wantte Morgens noch der Bleiche Zum Bmwingerthor hinaus. Am zweiten Tag, Als zu der Arbeit man mit Geißelichlag Ihn weden wollte, war ex eine Leiche.

Ziebenter Gefang.

————

1.

NYäachte auf Nächte, Tage hinter Tagen Mein herbes Loos hatt' ich getragen Und wankte, ſiech von allen den erlittnen

404

Mühialen, wie ein Schattenbild.

Ta einft am Morgen von Berittuen

Sah ih den Zwingerhof erfüllt;

Ter Führer winfte mir vom folgen Verber, Und o! mir ahnte, daß ein Schickſal, herber Als das erfittne, meiner harrte.

Turchs Thor trat ih, und fieh! von Mauren ſtarrte, Bon Reifigen zu Roß, zu Tromedar

Ter ganze Raum. Mit Yärm und Edhreien Fortwälzte fi die wilde Schaar;

Und ih zu Buße in den Hintern Reihen Nacheilen mußt’ ich, um zum Sflavenfrohn ern, fern ind tiefe Afrika zu wandern. Aus jenem Zwinger folgte von den Andern Mir Keiner nad; der trauten Sprade Ton, Daran Europas Eöhne fich erkennen,

Nicht ferner hören ſollt' ich ihn.

Den Pfad, den fie den Pfad der Wüſte nennen, Begann die Karawane hinzuziehn, Tas Grin der Uferberge ſchwand; Und hoch von eines Hügeld Rand Gewahrt' ich in des Morgens Strahl . Bielleiht war e3 zum letztenmal Das blaue Mittelmeer, das hellbeſonnt Entlang den Hügelküften ſchäumte; Jenſeits in blaffer Ferne fäumte Ein ſchmaler Streif den Horizont; Dort lag, in Nebel halb verhüllt, der Strand Des Welttheild, der Verwandte, Vaterland Und Freunde mir umſchloß; an jenen Küften Hatt’ ich, jo wie das Kind an Mutterbriften, Gehangen; Alles, was auf Erden Mir lieb und theuer, bargen fie ; Und nie fie wiederfehn nun follt’ ich, nie,

405

Un o mohin, wohin gejchleppt zu werden?

Lang, an den Horizont den Blick gebannt, Starrt’ ih ind Weite jo; was ich empfand, Kein Menjchenlaut vermag es auszufprechen, Mir war, ald müßte Weh das Herz mir brechen. Da, als ih noch wie feftgewurzelt ftand,

Gebot mir, daß ich mit dem Zuge ginge,

Der Mauren Einer; mit erhobner Klinge

Trieb er mich drohend vor fich ber,

Und hinter uns verſank da8 Meer.

Geſchwunden nun das Grün, das lippig Das Uferland ummuchert; fteil und Elippig Hob fi) der Atlas Kuppe Hinter Kuppe, Darauf nur felten eine Palmengruppe, Ein Tamariskenſtrauch den Schatten warf. Hin über Felsgeſtein, das fcharf Den Fuß vermundete bei jedem Schritt, Gings ohne Raft; und wenn in hurt'gem Ritt Bon Berg zu Berg fih wand der Zug der Heiter, Ich mußte folgen, weiter, immer weiter; Menfh und Natur war wider mich verfchworen; Nur Spott und Hohn für was ich litt Band ich bei diefen unbarmherz’gen Mohren, Und, ſank ich blutend nieder: „Auf, du Träger, Du Hund!“ zuriefen mir die Neger, Zu neuem Yauf in glühnder Julihitze Aufftachelnd mich mit ihrer Yanzen Spike.

Biel Tage feit dem Aufbruch wars der neunte Hin über fteile Gipfel, fonngebräunte Derghalden war hinab, empor Die Fahrt gegangen; durch ein Feljenthor Da traten wir, und vor und unabfehbar Tag wie ein ödes Meeresbeden

406

Die Wüſte da; fein Baum, fein Straudy erfpähbar; Weit, gränzenlos das Auge ſahs mit Schreden Schien ſich der heiße Flugſand zu erftreden,

Der hoch im Windhauch Wellen fchlug,

Und gift’ge Dinfte hingen, drüber bleich

Hinzitternd, ob dem großen Todtenreich.

Dahin, dahin durch das bewegte Sandmeer, Wo nicht die Wüſte, nicht den Himmelsrand mehr Das Auge fheiden konnte, ging der Zug,

Und Mübfal, wie nur je ein Menfch ertrug, Erduldet’ ich, des Durftes graufe Qualen,

Den Brand der feheitelrechten Sonnenftrahlen, Und Schimpf und Schmad und Geißelfchläge. Der Tröfter jelbft, der jeden Abend mild

Des Tages Pein mit feinem Balfam ftillt,

Der Schlummer, felten nur auf feinem Wege Bon Haupt zu Haupt der Müden macht' er Halt An meiner harten LTagerftatt.

Wenn Nachts wir rafteten, wenn fterbensmatt Ich auf den Sand mich ftredte und alsbald Ringsum am Boden meine Bein’ger fchliefen, Bernahm ich Stimmen, die mich riefen

Und wieder riefen: „Schlummerft du? wir wachen!“ Und finftre, graufige Geftalten

Sah ich, die um mich her mit Lachen

Im wilden Reigen auf- und niedermwallten.

Des Abends einft an einer Halteſtelle, Wo hin durch fpärliches Lentisfgefträuch Ein Brunnen rann mit falz’ger Welle, Gelagert waren wir. Da mit. Geleud) Der Dromedare und mit Schellenklang Kam eine Karawane her von Norden, Zu lagern an derjelben Duelle Borden.

1907

Getümmel, wüſtes Schreien und Gefang Ertönte, und bis fpät noch um mich ber Berhallen wollte nicht der Lärm, der laute. Ih lag, die Augenlider überſchwer

Bon wachen Gram; fein Schlummer thaute Auf fie herab; ich dacht' an das Geſchick, Das fern dem Baterland, fern allen Lieben Dualvoll von Land zu Lande mich getrieben, Und wieder ftieg vor meinem ©eiftesblid Die Heimath auf, ich ſah mit feinen Eichen Den grünen Odenwald, den fhattenreichen, Ich ruhte wiederum auf blühnden Wiefen Dei Duellgemurmel, und erfrijchend bliefen Mir kühle Bergeswinde dur das Haar.

Als ich in Träume fo verfunfen war Und matt am Boden dalag, einen Arm Fühlt' ih um meinen Hals fidh fchlingen; Ich fuhr jo wie aus Schlaf empor, und warn Bon Lippen, die an meinen hingen, Empfand ich einen Kup. „Lothar! Lothar!” Scholl eine Stimme, die ich kannte, Und die jo fremd doch Hang; Jahr über Jahr Schien mir geflohn, feit fie zulegt mich nannte. Wars möglich? konnt’ ers fein? In das Geficht Des Rufers, der umhalst mich bielt, Sucht' ih zu ſchauen von dem Licht Des Monds, der eben ftieg, nur matt umfpielt, Kaum dur) das Dunkel dämmerten die Züge, Und doch erfannt’ ich ihn, er war es, ja, Mein Freund, mein Hugo! Wenn nicht Alles Lüge, Ihn drüdt ich an die Bruft, ihm ſah Ich in die lieben, treuen Augen wieder. Yang Arm in Arm, indeß bernieder Uns von den Wimpern heiße Thränen tropften,

408

Schmweigend uns hielten wir umfchlungen ;

Tie Herzen, wie fie an einander Hlopften,

Nur fpraden aus was Menfchenzungen

Nicht jagen konnten. Endlich, als die Fluth Des erften ftürmifchen Empfindens ebbte, Erzäblte Hugo mit gebrohnem Muth

Bon feinen Leiden. Ihn auch fchleppte

Ein Maurenfhwarm, ihn quälend bis aufs Blut, Nah unbelanntem Ziel, und kaum den Siechen Noch trug der müde Fuß. Mit einem Heer Bon Philhellenen übers Mittelmeer Hinfegelnd zum Befreiungstampf der Griechen, Bei Malta dann gefangen von Piraten,

War er in feiner Pein’ger Hand gerathen.

„Mein Hugo!“ fo mit Händedrud und Kuß Ihn tröſtet' id „fer munter doch! fei heiter!” Nun für das Kommende nicht bangt mir weiter, Und, wenn uns ferner Elend treffen muß,

Wir tragen e3 vereint, die Beiden.

Iſt ſchwere Arbeit unfer Loos,

Ich helfe dir, du mir, und nicht zu groß

Kann ſie uns ſein. Ja jedes Leiden,

Jedwede Trübſal wird geheilt,

Sie wird zur Luſt, wenn mit dem Freund getheilt; Und wer vermöcht' es, uns zu ſcheiden,

Nun nach Gefahr und Irrfal, kühn beſtanden,

Wir uns in dieſer Wildniß wieder fanden? Vielleicht gelingt uns auch ſind wir nicht zwei? Uns zu befreien aus der Sklaverei.

Denk, welche Wonne, wenn, aus dieſen Wüſten Entronnen, wir die Heimath wieder grüßten!“

Wir ſaßen nieder, Hand in Hand, Hugo an meine Bruſt gelehnt,

409

Und ih das Antlig, freudennaß-bethränt,

Zu ihm geneigt. Rings um ung auf dem Sand Entihlummert ruhten unfre Quäler,

Aufreht nur ftanden drei, die und bewachten; "Wir aber zwiſchen Schmerz und Luft gedadten Der alten Zeit, wie durch Gebirg und Thäler Am ſchönen Nedar wir dahingejchweift,

Wie jugendlic) begeiftert wir zufammen

Des Willens unermefines Yeld durchftreift; Wie an des traulihen Kamine Flammen

Nah Winternähten ohne Schlaf

Uns oft beim Lernen noch der Morgen traf. Wir mahnten ung der Tage, als kein Müffen, Kein Zwang uns noch gebeugt, da von Entſchlüſſen Und feur’gem Streben unfer Geift gefprüht. Und nun, die Plane, denen wir geglüht,

Wo blieben fie und die geträumten Thaten? Das war zu viel für Hugo; als die Bilder Glückſel'ger Tage wieder vor ihn traten,

Paut ſchluchzend ſank er nieder, und in wilder Berzweiflung jedem Tröftungswort dag Ohr Schloß er fortan. Wars möglih? Er, zuvor In feinem Geiftesflug fo fühn,

Daß er mit Seherworten oft verfündigt,

Die Welt, die Menfchheit werd’ entfündigt

In neuer, reinrer Jugend bald erblühn,

Nun lag er da, an Geift und Leib gebrochen; Sein Schluchzen nur und feines Herzend Pochen Bernahm ich, doch mit feinem Laute Gab er mir Antwort. Schon im Often graute Indeß der Tag empor; um ung zu wogen Begann e8 von Erwachten, und die Fahne, Des Aufbruchs Zeichen für die Karawane, Ward vor dem Lager aufgezogen.

Mühſam den Franken Freund, der wie vernichtet Noch lang gelegen, hatt’ ich aufgerichtet Und mahnt’ ihn, daß er auf dem fernern Pfad Auf mich ſich ſtütze. Da gebietrifch trat Ein Mohr heran, der den zum Sinten Müden Ihm folgen bie. Bald ward mir Har, Die eine Karawane ging nad) Süden, Nach Sonnenaufgang die, bei der ich war, Und auseinander wollten jie ung reißen. Bei dem Gedanken fchon zum Tod erblaffend, Mit beiden Armen feft den Freund umfaflend, Bot dem, der foldhe Trennung ung geheißen, Ich Widerftand. Doch mit Gewalt Und andre Helfer nahten ihm alsbald Entriß der Wüthrich meinen Armen ihn. Der Ohnmacht nah und auf den Knien Nief ih: „Wollt ihr vom Leib die Seele trennen? Welch einen Gott ihr immer mögt befennen, Es wird fein Fluch auf folder Unthat laften!“ Und, von den Pein’gern los mi ringend, jammernd, Nochmals zum Freunde ſtürzt' ich, ihn unklammernd; Umfonft; die Unbarmherz'gen faßten Aud mich mit Macht, daß ich zu Boden fiel, Und fortgefchleppt vom Karawanenvogt Ward Hugo, dicht vom Maurenvolk ummogt; Bald mir verfhmunden war er im Gewühl.

Dem Zug, der mir den Fugendfreund entriß, Lang ftarrt’ ich nach in ftummem Jammer; Dann preßte der Berzweiflung ehrne Klammer Mein Herz zufammen, und in Finfterniß Erloſch mein Bid. Als die Befinnung kehrte, Zwang mid ein Neger mit gezüdtem Schwerte

41

Zum Aufbruch mit dem Mohrenvolte. Ich wankte weiter; unverwandt

Nah Süden war mein Blid gewandt, Doch nicht die Karawane, eine Wolfe Bon Staub nur an des Himmeld Rand Gewahrt’ ich, bis auch fie verfchwand.

3.

Zu Häupten ung der Himmel, ſchwer und bleiern, Und fengend, nie verhüllt von Schleiern, Die glühnde Sonne, die da8 Mark der Knochen, Der Aern Blut, ein gier’ger Vampyr, fog! Raftlos, wie Wochen hinter Wochen Die Karamane weiter 309, Mußt' ich mit blut'gem Fuß dem Schritt der jchnellen Kameele folgen; ringsum feine Spur Des Lebens, als, von ferne nur Borüberfliehnd, ein fcheuer Trupp Gazellen.

Indeß zu meinem Ohr fein Ton Erklang, als nur die Flüche und das Drohn Des wilden Mohrenvolks; indeffen nichts Die fchmerzerfüllten Augen ſahn, Als nur den weiten Sandes⸗Ocean Und drüberhin den Schein des Lichts, Den ewig gleichen, blendend hellen, War mir zulegt, als fühlt’ ich in den Wellen Dewegten Staubes auch mein Herz verjanden; So wie die Wuſte um mich ber Mir in der Seele ward e3 öd' und leer; Fremd lag vor mir und unverftanden

412

Die Welt, ein hohler Schatten; ohne Sinn

Am Himmel gingen Mond und Sonne hin; Und, wie das Naß der Brunnen, fchnell verzehrt, Menn drüber hin der Hauch des Samum fährt, Sp in den Adern mir, verdorrt und troden, Begann des Lebens Puls zu ftoden.

Nicht auf den Tag, nicht auf die Nacht, Auf Frühroth nicht noch Abend hatt’ ich Acht, Und, wie an einen halbvergeßnen Traum, Matt dämmert vor der Seele kaum Mir die Erinnrung no, daß durd) die Reihn Der Karamane einft beim Morgenjchein Ein Freudeftammeln ging. „Seht, jeht!“ Rief jubelnd Diejer Jenem zu Und wies nah Oſten hin; und „Allahhu!“ Erſcholls von Mund zu Mund, und im Gebet, Die Hände freuzend, häuptlings ſanken Die Mauren in den Staub, um Gott zu danken. Gieh! vor uns aus der Wüfte tauchte Ein Streif empor gleich fernen Uferhügeln; Ein friiher Wind, der uns entgegenhauchte, Strid fühl um unfre Stirnen; wie auf Flügeln Durchmaßen wir den jand’gen Plan, Und hoch und immer höher ftiegen Hellgrüne Wipfel vor uns auf; wir fahn Ihr Haupt in freier Luft die Palme wiegen, Und friiher Bäche Murmeln tönte An unfer Ohr, das lang dem Klang entwöhnte. Da lag fie vor uns, klar und hell, Die jchattenduftende Dafe; Sanftriefelnd zmwifchen hohem Graje Glitt filberhell der Sprudelquell, Und oben flochten rantende Lianen Der Sylomoren Häupter, der Bananen

43

Zum dichtverfchlungnen Schattendad, Durch das nur matt der Sonne Schimmer brad).

Ein Jeder beugte fich zur Fluth Und trank in langen, durft’gen Zügen; Kaum ſchien die Quelle zu genügen, Zu löſchen unfrer Yippen Gluth. Drauf als geftillt dag Dürften war, Bot duft'ges Schlingfraut auf den weichen Halmen Am Fuße Schlanker Dattelpalmen Ein Yager für die Müden dar, Und nad der Wandrung ruhelojer Qual Sant wieder nun zum erftenmal Zu meinen müden Augenliden Ein Traum herab von Glück und Frieden. Tod in der Frühe, ala voll Tropfen Thans Das Gras in Strahl der Morgenfonne glänzte, Aus der Dafe in die unbegrängzte Eindde wieder gings hinaus, Und, weil mein Fuß zu ſchwach zum Gehen war, Ward mir ein Plag auf einem “Dromedar.

Wenn ich bis an die Himmelsränder Das Auge fchweifen ließ, wohl fragte Mein Geift, der zmeifelnde, verzagte, Ob jenfeit noch die Erde andre Länder Mit Menfchen, die wie Menfchen fühlen, berge, Ob ihre Thäler, ihre Berge Die Wüſte nicht verjchlungen habe Und nun allmädtig über ihrem Grabe Eich bis ins Unernießne breite.

Aus Halbichlaf, drin ich hingefunfen war, Ward ich emporgefchredt. In wildem Streite Tag mit den Unfern eine Schaar,

Die nordwärtd zog mit andrer Karamane.

414

Hoc wirbelten des Staubes Wogen,

Und zwiſchendurch gejhwungne Ataghane Gewahri' ich, Pfeile, wie fie flogen,

Und hochgeworfner Lanzen Blitz.

D daß empor zu meinem Sitz

Nicht eine flog, um mit dem feharfen Stahl Mich zu befreien von des Lebens Dual!

Wild Ioderte, in immer mwildrer Wuth

Der Kampf empor, und mit der Streiter Blut War allumher der Wüftenfand geröthet;

Die Unjern aber unterlagen.

Vom Dromedar, das mich getragen

Und unter mir, durch einen Speer getödtet, BZufammenftürzte, ward ich losgeſchnürt

Und nach des neuen Vogts Gebot

Auf anderm Laftthier fortgeführt.

So Fahrt voll Schreden! zwiſchen Tod Und Leben ſchwankt' ih Monde lang, Jedweden Tages träger Stundengang Genügend, um ein Kind zum Greis zu machen. Bald daß ich ftarr dalag und regungslos, Bald, daß Verzweiflung riefengroß

Sid in mir hob und ich mit wildem Lachen Die Stirne mit den Fäuften ſchlug,

Indeß fi mir aufs Weltgeſchick ein Fluch Bom Munde rang. Nicht mehr Bemwußtjein blieb mir Bon falih und wahr; hin durch die Seele trieb mir Der Wahnfinn einen graufen Zug

Bon Spufgeftalten, die im Neigentanz

Sih um mich ſchwangen, zu mir niederbeugten Und mir, ein toller Mummenſchanz,

Berzerrte Bilder meines Lebens zeigten.

Wir machten Halt, doch hört’ ich nicht noch fah, Was meiter um mich ber gefchab;

45

Die ganze Welt war mir wie hingeſchwunden, Und aus dem dumpfen Starren bier und da Nur fuhr ich auf beim Brennen meiner Wunden, Zulegt nad) langen, langen Stunden

Kam das Bewußtſein mir zurüd; gebunden An einen Pfeiler fand ich mich; mir blieb, Mich zu bewegen, eine Handbreit kaum,

Und ringsher ballte in dem düftern Raum Mein eignes Wechzen mir verdoppelt, Berdreifacht mir zurüd. Nun ward mir Mar, Daß ich durch einen Halsring feftgefoppelt An einen andern Sklaven war,

Und daß im Zwinger Baar an Paar

Gleich mir noch viel Gefangne lagen.

Zuletzt, von außen hergetragen,

Ertönte Stimmenruf, das Thor erfchloß fich, Und auf den Sammer um mich ber ergoß fich Des Tages Licht. Eintraten Sklavenvögte, Die von den Pfeilern ung die Glieder löſten Und die Ermatteten, die Hülfentblößten

Zum Gehen trieben. Langſam dann bewegte Durdy enger Straßen düfteres Gewirr

Der jammerpvolle Zug fi beim Geklirr

Der Ketten auf den Marft.

In langen Reihn Bei der Verkäufer und der Käufer Schrein Dort ftanden wir, dem Hohn und dem Gelächter Des Volks zum Ziele, hinter uns ein Wächter, Der Solche, die erfchöpft zu Boden fanken, Aufgeißelte mit feiner Eifenruthe. Die Augen ſchlug mit zagem Muthe Ein Jeder nieder, als die Schranten Des Markts ſich öffneten. Da kamen Franken, Mauren und Neger, längs der erzbelajteten

46

Hagern Geftalten aufs und niederwandelnd Und um die Menjchenwaare handeln.

Die Bruft, den Arm, den Fuß betafteten Sie Jedem prüfend, eh’ fie einen Preis,

Nur halb fo hoch wie für ein Laſtthier, boten. An mi auch Hand zu legen drohten

Zwei Mauren ſchon; da aus dem Kreis

Der Käufer trat in Tracht der Europäer Ein Mann von grauen Haaren, Näher Ins Antlig blickte mir der hohe Greis

Und fragte in der Sprache mich der Britten Nah dem Geihid, das ich erlitten,

Und welches Yandes Sohn ich fei.

Dann, hingewendet zu den Bütteln,

Sprad er: „Sch heiſche Diefen; er ift frei!“ Die Häupter anfangs fah ich Jene jchütteln, Allein gebieterifch zum zweitenmal

Im Namen Englands, deſſen Recht er wahre, Berlangt’ er meine Freiheit und befahl

Mich in fein Haus auf einer Zragebahre Alsbald zu führen. Wohl geflucht

Ward von den Mauren auf die Chriftenhunde, Allein fein Widerftand verfucht;

Dr ſchlug die faum gehoffte Freiheitsftunde, Und unter meines edlen Schützers Dad Nahm mich im fehattigen Gemach

Ein Lager auf.

D lang entbehrte Labe Für den Erjhöpften, nahe ſchon den Grabe Hinwankenden! Wenn, wie den eignen Sohn Mich pflegend, neben mir der Alte ſaß, Wenn Jane, fein Töchterchen, her vom Balkon Bol lodendsfrifchen Trunks ein Glas Mir holte aus dem Krug von Kennes Thon,

47

Wie pried ich nicht des Himmels Schidung, Die mich hiehergeführt! Der milde Ton

Der Stimmen ſchon war mir Erquidung,

Der ich feit lange nichts als Drohn

Und Schmähungen vernommen und das Wüthen Entmenſchter Henker! Was der Thau

Auf dürrer Flur den welken Blüthen,

Iſt Mitleid für das Herz, wenn wild und rau) Das Leben es umftürmt hat, und der Glaube An Gott und Menfchheit ihm verloren ging.

Bor meines Wirthes Thür in eine Yaube, Die breiten Schattendach8 den Hof umfing, Bald trug man mich hinaus auf eine Bank; Und während, rüdgelehnt auf weiche Pfühle, Ich dort des Morgens erfte Kühle Mit langen durft'gen Bügen tranl,

Hin auf die Fluth des gelben Nils,

Die leichtbewegten Wogenfpiels

Borüberrann, ließ ich die Blicke jchmeifen,

Und über Palmen voll von reifen

Fruchttrauben, bis wo fernebin

Aufdämmerte der Wüfte bleiher Saum.

Bon Neuem wie ein graujer Traum

Trat das Erlittne dann vor meinen Sinn;

Abwandte fih mein Blid mit Schauder

Und foheuchen mußte mir die Heine Jane

Das Schredensbild durch ihr Geplauder.

Das blonde Lodenhaar im leiten Fall

Bom Haupte niederwallend und im Wehn

Des Morgens flatternd, mit dem Yederball

Sah id) fie um mich her im muntern Spiel

Sich tummeln; aber rief ich fie,

Alsbald kam fie gehüpft: „O Herr, befiehl!“

Und mir zur Seite oder auf mein Knie Schack, Geſ. Werke. 11. 27

48

Hieß ich das Kind fich jegen. O noch nie

Sah dieſe Welt ein holdres Wefen!

Bon reinrer Luft ſchien fie umgeben, ALS ſonſt auf Erden weht, und neu zum Leben Glaubt’ ich, der Halbgeftorbne, zu genejen, Menn ihre Athenızüge mich ummehten.

Nach allen den verzerrten Menjchenbilvern,

Die ich gefhaut in Wüften und in Städten, Bon andern Stoff fait ſchien fie mir; fie jchildern, So wie fie war, ein Goethe könnt’ es nur.

Sah ic) fie vor mir ftehn in unbewußter Holdjeligkeit, oft dacht’ ich dann: als Mufter Für alle Sterblichen hat die Natur

Dies Kind geprägt und auf die Stirn das Siegel Ihm aufgedrüdt: fo ſollt ihr jein!

Der ganze Himmel, blau und rein,

Lag tief in ihrer Augen Spiegel,

Drin unergriindlid Sphäre hinter Sphäre

Und Kreis mit Kreifen fich vermob.

Dit wenn die Wimper fie erhob,

Fühlt' ich, wie brennend eine Zähre

Mir auf die Wange niederthaute;

Bon einem andern Blid den Widerſchein Glaubt’ ih zu fehen; aljo blaute

dern, fern am heimathlichen Rhein

Ein andre Auge, das mir einft die Leuchte

Auf meinem Erdenpfade däuchte:

Erloſchen nun für mid ihr Strahl,

Und ich in hoffnungslofer Dual

Durchs Leben irrend!

Kam in meine Seele So wieder die Erinnrung an Adele Und dag verlorne Glüd, in Trauer ftumm Mein Haupt verhüllt' ich, und umfonft, warum

49

Sch jo betrübt ei, fragte mich das Kind, Indeß mein Geift das Yabyrinth

Bergangner Tage ruhelos durchirrte.

Wohl dann von Williams, meinem guten Wirthe, Ward ich ein Thor, ein Sonderling geheißen. „Auf! dieſem Brüten müßt Ihr Euch entreißen! Faſt ſündlich dünkt mich ſolche ſtete

Melancholie für Einen, der ſo jung;

Wenn Euch Geſpenſter der Erinnerung

Durchs Leben folgen, wohl! ich weiß ein Lethe, In welchem ſolche Schatten unterſinken.“

Oft ſo mit Lachen ſprach er, lud

Den Becher füllend mich zum Trinken,

Und ließ nicht ab, bis, friſchen Lebensmuth Entzündend, mich die flüſſ'ge Gluth durchwallte. Froh mir zur Seite ſaß der Alte

Und redete von Schottlands Nebelhöhn Noch einmal hofft’ er wieder fie zu jehn

Und dort die Glieder auszuruhn, die mübden, Die ihm gedörrt der heiße Süden.

Dann wie, jo weit Britanniag Wimpel mwehn, Er ſchon als Knabe jedes Meer durchfteuert, Erzählt’ er mir, wie Jugendmuth-befeuert

Er von Canadiens eif’gen Seen

Bis an den Ganges Albions Panier Geſchwungen und von Flug zu Flug

Dem Adler Nelſon nachgefolgt. Hoch jchlug Des Greifes Herz beim Namen Abukir,

Wo dem Gekrach von taufend Feuerjchlünden Tas Meer gebebt bis zu den tiefften Gründen, Und auf die Fluth voll Sterbender und Todter Der brennenden Geſchwader rother

Gluthſchein geflammt. „O“ rief er „nimmer Kommt folde Schau auf Erden abermals,

Wie da das Schiff des Admirals

420

Stolz durch der Franfenflotte Triimmer

Des Wegs binzog im Giegezlauf.

Rings Qualm und Afche; hier und da noch flogen Im graufen Feuerwerte Schiffe auf,

Und bei dem Licht, das bis zum Himmelsbogen Lodernd emporftieg, ſah man auf den Planten Noch einzle Tricoloren ſchwanken;

Tann wurde matt und matter auf den Wogen Der Brände Schein, die Fahnen ſanken

Und taufendftimmig zu den Wolfen ftieg

Der Jubel: „England body! für ung der Sieg!" Nochmals dann: „England hoch!“ rief er, „ftoßt an Auf die Beherrfcherin der Wellen,

Daß von des Orinoko Wafferfällen

Bi8 an den Palmenftrand von Hindoftan,

Dom Nord» zum Südpol ihre Segel jchwellen. Nun? thut Ihr nicht Beſcheid?“ Die Gläfer Fangen, Allein wie Stiche in da8 Herz mir drangen

Die Worte, die von feinem Vaterlande

Er ſprach, und trieben ob des meinen Schande Mir hoch das Schamroth in die Wangen.

Oft aud, die Stimme faſt erftidt von Thränen, Las Williams mir aus Beitungsblättern, Wie fih im Heldenfampfe die Hellenen Berbluteten und fih umfonft nach Rettern Umblidten bei den feigen Chrijten, Die läffig von des Abendlandes Küften Hinſchauten auf der Brüder Untergang. Allein vorüber an dem Ohre glitten Die Kunden mir, ein leerer Klang. Den Nerv des Lebens fühlt’ ich wie zerfchnitten, Erlojchen meiner Jugend Thatendrang Und die Begeifterung, mit der ſich trunfen Bordem die Seele mir zum Himmel ſchwang.

421

Aus meines Herzens Ajche einen Funken Nur zu entfachen eines Gottes Hauch Selbft hätt’ es nicht vermodht. War nicht wie Rau Mein Streben al in nichtS zerfloffen ?

Und lagen nicht im Staube mit der Fahne, Für die mein bejtes Herzblut ich vergofjen, AU meine Hoffnungen und Plane?

Nur eins erjehnend, ewiges Vergeſſen,

ALS hätt’ ich nimmerdar gelebt,

Hinftarrt’ ih auf die Trümmer alles Deflen, Was ich geliebt, was ich erftrebt!

Die Flagge Albion? an den Geftaden Des Rothen Meers zu fehligen, ward nach Aden Williams berufen für ein neues Amt; Und id, konnt’ ich bei jeinem Scheiben Noch zögern, dieſes Nubien zu meiden, Deß Himmel, ewig gluthentflammt, Dem Sieden die Genefung hemmte? Fest, wo der Nil die Ufer überſchwemmte, Zur Stromfahrt günftig war die Zeit; Zum Aufbruch rüfter ich mich drum nach Norden; Noch gab mein Wirth mir dag Geleit Mit feiner Kleinen zu des Fluffes Borden; Dod in der Trennung Augenblid Wie wäre feucht mein Auge nicht geworden? Auf ihn, der mir das düftere Gefchid Mit einem LTichtftrahl wiederum erhellt, Der mich in diefer großen Wüfte Welt Gelabt mit feiner Milde Frühlingsregen, Fleht' ich herab des Himmels reichften Segen Für alle Huld, die er an mir gethan. Umklammert bielt mich lange Jane mit Weinen, Und, um binabzufteigen in den Kahn, Kaum konnt' ich los mich machen von der Kleinen.

422

Dann, während leichter Ruderſchlag im Flug Mich ſchon ſtromabwärts auf den Wellen trug, Sah ih am Ufer lang noch beide ftehn

Und grüßend mit den weißen Tüchern mwehn.

Achter Gelang.

——

1.

Rwei Araber, die nilbinab mit rafchen Taktſchlägen ruderten, doch achtſam fpähten, Um alle Hauche, die von Süden wehten,

Im ausgeſpannten Segel zu erhaſchen Ich rückwärts an den Bord gelehnt

So ging in des gewalt'gen Stromes Mitten Die Fahrt dahin. Das Auge noch bethränt, Ließ auf die Ufer, die nach Süden glitten, Den Blick ich ſchweifen, wie bald auf die Wogen Der Schatten ſchlanker Minarete fiel,

Bald Palmenhaine mir vorüberzogen.

Hoch fluthete der alte Nil,

Den Ufern Segen ſpendend für das Jahr; Ein friſcher Oſtwind kräuſelte mein Haar, Und aus der Waſſerlilien Kelch umhauchten, Wie ſie den Wellen um mich her enttauchten, Mich Düfte fremd und wunderbar.

Dann plögli blidten mit jahrtaufendalten Granitnen Häuptern riefige Geftalten

Vom Feljenftrand auf mich hernieder;

423

Mein Auge mit dem Maße von Pygmäen Vermochte ſchwindelnd nur emporzufehen ; Nicht fchienen diefe Himmelhohen Glieder Bon Menjchenhand geformt; al8 wären Titanen Stein geworden, ftanden

Urweltlih groß und riefenhaft die hehren Koloffe da; Reiche und Völker ſchwanden Zu ihren Füßen hin; fie fahn die Wellen Des heil’gen Stromes hoch vom Blute fchwellen, Sahn Städte, Teinpel und Paläfte Aufblühen und vergehn, big felbft die Reſte Der Wind verweht; doch nur Minute

War ein Jahrtauſend ihnen, und, als rubte Die Ewigkeit auf ihren hohen Brauen,

Noch ftehn fie wandellos und fchauen

Hin auf dag Land, das im Berftörungsgrauen Ein weites Gräberreich vor ihnen liegt.

Sn einem Staube ruhn befiegt

Heroen, Öötter, Pharaonen,

Und eingefargt ift drunten, wo in Krypten Der Todten ſchweigende Gefchlechter wohnen, So mie fie jelbft ihr heiliges Aegypten.

Das Abendroth verglühte ſchwach und fchwächer Un Libyens Bergen; über Palmenfächer Hinfäufelnd flieg im Purpurflor Die königlihe Nacht empor.

Wie flüffig Gold dahingeftrömt, umwob

Der Mondichein Thal und Fluß und Felfenfpalte; Der bleiche Dunft des Thierkreislichtes ftob

Bom Horizont herab; in Ringen mwallte

Die Stromfluth bei der Ruder leifem Schlag, Und, wie fih gligernden Gewimmels

Der Sternglanz in dem Wellenfpiegel brach,

War mir, ich fchiffte durch des Himmels

41214

Milchſtraßen hin. Bon Lotusgruppe

Zu Yotußgruppe trug mich die Schaluppe,

Und, während um mid her gemefjen

Der Schiffer Lied erfhol zum Rudertakt,

Verſank mein Geift in dämmerndes Bergeffen.

Auf einmal ftiegen wildgezadt

Felswände vor mir auf, und dumpfe Laute

Bon einem nahen Katarakt

Bernahm mein Ohr. Mit Tempeltriimmern graute Ein Eiland auf und warf den Schatten fteil Hernieder auf die Fluth; doch wie ein Pfeil Borüber ſchoß durch jähe Stromesfchnellen

Das Boot, und rechts und links hört’ ich die Wellen Um hochbeſchäumte Klippen fieden;

Dann, frei von Felleln, wieder breiter

Dem Meer entgegen rinnt der Strom, und heiter In feinen Fluthen fpiegeln ihren Frieden

Die Pifangftämme und das zarte Grün

Des Zuderfchilfs. Langſam vorüber ziehn

Den Blide mächt'ge Pyramiden,

Und Sphinre feh’ ih an den Ufern brüten,

Die hohe Stirn gedanfenvoll,

Als müßten noch fie das Geheimniß hüten,

Das, wenn im Frühlicht Strom und Berge glühten, Don Memnons Lippen niederquoll.

Da, welches ungeheure Trümmerfeld Bon Säulenftürzen, Marmorblöden, Die unabfehbar weit den Boden deden, Wie eine eingefunfne Welt! Und aus den Trümmern aufwärt3 vagen, Gleich einem Traum aus Urmwelttagen, Paläfte noch und Hallen und Pylonen, Und Säle, werth, daß Götter fie bewohnen, Und Siegespforten, deren mächt’ge Bogen

425

Die Heere all, die unterjocdhten, Zu überjpannen nicht vermodhten, Die hinter Rhamſes' Schladhtenwagen zogen.

An Luxors Ufer ausgeftiegen, Ein niedres Hüttendach von Lehm, Armſel'ger Fellah Wohnſitz, ſah ich liegen Und drüberhin das mächt'ge Ehedem In Rieſenbauten, Blod auf Block gethürmt. Von Kriegsorkanen und Verheerung Seit vier Jahrtauſenden umſtürmt, Und doch noch trotzend der Zerſtörung, Iſt endlos zu des Flufſes beiden Seiten Mit ihren Tempeln und Granitkoloſſen Die Stadt der Pharaonen hingegoffen.

Bon eines Trümmerhügel® Rand Hin fiber fie ließ ich die Blide gleiten Und blieb lang von Erftaunen übermannt, Gleich Einem, der zuerft den fternbejäten Nachthimmel ſchaut. Bon allen Ervenftädten Die erftgeborene, der Fabelwelt Erft halb entftiegen und vom Dämmerlichte Der ältiten Völkerſage faum erhellt, Wie über alle Wunder der Gejchichte Ragſt du empor, o hundertthor’ges Theben! Bor deinen Trümmern, die wie Berge Zum Himmel fteigen, nur als Zwerge Daftehen wir; all unfer Streben Und unfer Schaffen Angefichts Des Großen, was ſchon war, wie ganz in Nichts Sinkt e8 zurüd!

An himmelhohen Mauern Und Sphinren, die im Sande fauern

46

Wie ein verfteinter Urmelttraum,

Schritt ich dahin zu Karnaks Thor,

Und mid umfing, ausmeßbar dem Gedanken faum, Ein Saal, in deffen ungeheuerm Raum " Ich mich mit Zagen, wie ein Kind, verlor.

In Barben, die das Auge blenden

Und Hin und ber wie Sommerfalter

Zu gaufeln jcheinen, lebt noch an den Wänden

Ein lang verſunknes Menfchenalter.

Sieh! Opferzüige, die nicht enden,

Feftmahle, wo der Becher noch in Händen

Der Gäfte blinkt, Fungfraun im weißen Schleier, Die Braut geleitend zu der Hochzeitfeier,

Und Flötenipieler von den Sängerdören Glaubt noch mein Ohr das Lied zu hören.

Und Völker, deren Name jelbft verklungen,

Seh’ ich von des Seſoſtris Schwert bezwungen, Wie er vom Yand der äußerften Yethiopen

Jenſeits des fabelhaften Auxumä

Hinzieht bis an der Schthen ew’gen Schnee.

Borbei an Himmelsfugeln und Canopen, Durch Säulenftraßen dann und Königshallen, Wo Räthfelichrift-bevedte Jaspis-Platten Noch von den Wundern alter Zeiten lallen, Und Obelisken ihren Riefenfchatten Bis in die Wüfte werfen! Sonnverbrannt Ragt vor mir Libyens kahle Bergeswand, Und arme Fellahs, Troglodyten,

Die in den Felſen haufen, bieten

Mir Mil als Yabung; ihre Yadeln leuchten Den Weg zur Stadt der Todten mir hinab, Die meilentief fih Grab an Grab

In das Gebirge fentt. Bon aufgefcheuchten

Nachtvögeln flattert aus den Felfenhöhlen

427

Ein Schwarm an uns vorbei, und gränzenlos Erfchließt fih mir im Erdenſchooß

Ein Labyrinth von Kammern und von Sälen, Aegyptend ungeheure Nekropole

Was ift vor ihr ſogar das Theben droben ?

Bom Staube der Fahrtaufende umftoben, Schreit' ich dahin; der Boden dröhnt, der hohle, Zu meinen Füßen, wo in tiefern Schachten Neue, ſtets neue Grabgewölbe nachten,

Und dämmernd ſchauen myſtiſche Symbole Verſchollner Weisheit von den Wänden.

Dann weiter fort durch unterird'ſche Gaſſen, Durch Kammern und Gemächer, die nicht enden Und dennoch kaum der Leichen Menge faſſen, Hinab auf ſteiler Wendelſtiege

In andre Hallen tret' ich ein und Gänge,

Voll von der Mumien wimmelndem Gedränge: Als ob des Todes Weltall vor mir liege.

Da ſteht, vergoldet und bemalt,

Sarg neben Sarg; die langen Reihn

Mißt kaum der Blick, und wenn mit hellem Schein, Von Fellah-Hand geſchürt, die Flamme ſtrahlt, Aufthun ſich neue Felſenthore

Mit Steinkoloſſen, die als Wächter

Das Grab der hingeſchwundenen Geſchlechter Behüten; und dahinter Corridore

Und weite Säle ſeh' ich, die in Särgen

Das ſtumme Volk der Todten bergen.

Mit ſich herab von ihrem Hausgeräthe,

Was ihnen theuer, haben ſie genommen;

Noch ruht die Rolle in der Hand der Frommen, Daß beim Erwachen ihnen die Gebete,

Mit denen jonft ihr Tag begann, nicht fehlen: So feit Jahrtauſenden erwarten fie,

428

Daß von der Wandrung ihre Seelen Heimfehren follen. O ihr Thoren! nie

Bricht jener Morgen an, auf den ihr harrt! Mit euch Liegt eure Welt im Staube;

Zur kaum verftandnen Fabel ward

Eur Leben, eure Sprade, euer Glaube.

Und du, o Menfch, der hier vernichtet

Ein ganzes Bolt du fchauft, mit Harem Blick, Frei von den Märchen, die Betrug erdictet, Erkenne dich, dein Wefen, dein Geſchick!

Den Regenbogen gleich, die bei Gemittern

Am Saum der Wolfe flüchtig zittern,

Leer und beftandlos ift dein Leben;

Und dennoch geht in nie geftilltem Streben Nach Werken für die Ewigkeit dein Ringen? Thor! auch dem Höchſten, was du magft vollbringen, Der Untergang ift ihm, wie dir, gewiß,

Im ew'gen Kreislauf von Bergehn und Werden, In welchen Weltfyfteme, Sonnen, Erden Aufflammen und in Finfterniß

Erlöſchen, du ein Sonnenftäubchen nur, Auflehne nicht dich wider die Natur!

Bon den Gefchlechtern, die der Strom der Zeiten, Der ungeheure, ſchon verfchlang,

Die vordern einzig, mit den Untergang

Noch ringend, fiehft du auf den Wellen gleiten, Naht ewigen Vergeſſens ruht

Auf Allen fonft. Und wider jene Yluth,

Die, raftlos brandend an den Weltgeftaden, Die Sterne löfcht, ald wärend Funken,

Was trogeft du, von Hochmuth trunken?

Bor dir fhon hofften Myriaden,

E3 würden mit Unfterblichkeit

Ste Götter, die ihr Wahn erjchuf, begnaden, Doch Alle ftürzten in Bergefienheit.

429

Auch du, ftumm bald und namenlos

Ruhn wirft du in des Grabes Schooß; Der du geträumt vom Ruhme von Aeonen Und von des Plato Riefenjahr:

Bevor der legte Sarg der Pharaonen Berbrödelte, verliert dein Staub fogar

Sih mit dem Staube ganzer Nationen Im großen Schutte Deffen, mas ſchon war.

2.

Berfhmwunden, wie ein nächtliche Phantom, Tag hinter mir die Gräberftadt, Und den Zurücdgefunfenen, der matt Im Nachen lehnte, trug der Strom Hinunter zu Aegypten Niederungen. Im Haupte wars mir dumpf: langjam und träge Nur gingen meines Herzend Schläge. Die Biele all, um die ich fonft gerungen, Nicht werth, fi nod darum zu mühn, Mir jchienen fie. Wenn einft ich kühn Gehofft auf hohes Wirken, mächt'ges Schaffen, Nun alle Sehnen fühlt’ ich mir erjchlaffen, Des Dajeins Flamme nad) und nach verglühn.

Sp nahm den Schwindenden, den Lebensmüden Die hehre Stadt der Fatimiden Sn ihrer Gärten Baradiefe, In ihrer Bazars bunte Räume auf Und lud ihn bald auf Auen, die am Lauf Dez Nils fich gleich der Asphodelenwieſe Der Sel’gen breiten, in den Südfruchtwald Der Bauberinfel Raudha bald,

4130

Wo Myrtendüfte durch das Tidicht mallen, Und leuchtend aus den Yaubenhallen

Hernieder zu den frhattenreichen Gängen

Die Burpurfrüchte der Granate hängen.

Als ob fie mich zu heilen dächte,

Den lauen Lufthauch ihrer Sommernädte,

Die thau’ge Friſche ihrer Morgenftunden

Wie Balfam legte fie auf meine Wunden,

Und führte mid) durch das Gewühl der Gajfen, Dur die in buntem Schwarm, des Lärmens voll, Der Völker trachtverfchiedne Menge ſchwoll, Empor zu hängenden Zerraffen

Und Saladins geihitrmter Burg.

Bor mir in unermefine Weiten Sah ich durch grünes Wipfellaub Hindurd) Der Häufer ungeheure Fluth ſich breiten, Wie fie mit Kuppeln, Minareten, Zinnen Sich über Thäler wälzt und Kuppen, Indeß fernher aus PBalnıengruppen Herüberfchaun die ew’gen Pyramiden Dh! jehn wohl mag e8 mit beraufchten Sinnen, Wer noch im Herzen trägt den Frieden; Mir aber, der vergebens nach Vergeſſen Ich rang, wob die Erinnrung deſſen, Was ich erlitten, eine trübe Hülle Um Aug’ und Geift, und all die Wunderfülle, In der des Menfchen Werke, der Natur Rings um mid) wucherten und blübten, Ich ſah, verfenkt in trauernd Brüten, Sie wie durch einen Schleier nur.

Wohin von bier? Ded lag vor mir die Welt; AU’ ihre Länder fpiegelten und Meere, Die grängenlofen, mir allein die Leere

431

In meiner Bruft zurüd. Vergällt

Für immer war mir der Gedanke

Ans Baterland, das mich verftoßen

Und mich den Kelch, randvoll von bitterm Trante, Bur Hefe leeren ließ. Bon allem Großen, Was ich gehofft, was ich geträumt,

Nicht einen Schemen, wie der Nebelftreif, Der blaß des Herbftes Abendhimmel fäunt, Hatt’ ich erreicht; wie Winterreif

Auf meinem Herzen lag e8 eifigefalt;

Und wäre jelbft von Engelzungen

Der Auferwedungsruf an mid) erklungen, Er wäre lautlo8 mir verhallt.

So, da fein Bol nad) anderswo mich zog, Hielt die Chalifenftadt mich feſt. Ich pflog Mit Keinem Zwieſprach, und, indeß die Schmärme Des turbanhäupt’gen Volkes mit Gelärme An mir vorüberwogten in den Gaffen, Fühlt' ich mich einfam und verlaffen,

Wie in der Wüſte. Ruhelos,

Um den Gefpenftern zu entrinnen,

Die vor dem Geift mir, vor den Sinnen Aufwirbelten aus des Vergangnen Schooß, Hin eilt’ ih durch der Märkte laute Hallen, Die nimmer leer von der Bebuinen, Kurden, Der Mauren, Syrer bunten Schaaren wurden, Und wo des Oſtens reihe Waarenballen Aethiopen mit den krauſen Wollenhaaren Abluden von den Dromedaren.

Ich ließ mich nieder auf die Bank,

Wo mir zur Seite in die Marmorfchale Des Brunnens Mares Waffer niederfant Und leuchtend in des Morgens Strahle Haſſans Mofchee die ſchlanken Mlinarete

432

Zum Himmel bob. Der Muezzin

Rief von der Warte mahnend zum Gebete, Indeß die heil’gen Tauben ihn

Umflatterten und auf den Knien,

Das Haupt gebeugt, die Gläub’gen lagen. Dder den Sykomorenweg entlang

Zur Nachtzeit macht’ ich einen Gang,

Wenn, wie ein Bild aus Schehrezades Sagen, Die Straßen dämmerten und Pläße

Und durch der Bäume Blätternebe

Die Mondenftrahlen niederzitterten.

Am Springquell unter den vergitterten Thorbögen lag im Häuferichatten

Das Volk auf palmenftrobgeflochtnen Matten; Um einen Scheich mit filberweißem Bart Sah ich die horchenden Bebuinen,

Die weiße Binde um das Haupt, gefchaart Und laufchend mich gefellt’ ich ihnen.

Von Sindbad da, von Aladdin

Begann der Greiß uns zu erzählen,

Wie in den vierundzwanzig Sälen

Der Glanz von taujend Kerzen jchien;

Und ſtets um mehr, um Antara Thaten

Und Haruns Streiferein, wie der Vermummte

Durch Bagdads Sommernacht gejchweift, noch baten

Die Hörer, wenn der Scheich verftummte.

Schon waren Wochen, Monde mir verftrichen, Und zu mir ſprach ih: „Noch im jugendlichen Frohſinne lebt der Menfch im Orient;

Noch hangend an der großen Mutter Bruft, Sid feiner felbft noch kaum bewußt, Verworrnem Streben ift er fern und fennt Die Zweifel nit und Wiffensqualen,

Die und im Abendland verzehren.

433

Sp mie es ziemt für Ephemeren,

Die einen Tag lang in der Sonne Strahlen Nur fpielen und vergehen, im Genuß

Des Augenblides fühlt er ſich zufrieden

Und ftredt fich, forglo8 was ihm der Beſchluß Des finfteren Geſchicks nachher bejchieden, Zum Tod hin, wie zum Schlaf des Lebens. Sei mir dies Morgenland bis an die Gruft Alyl denn, daß ich aus der reinen Luft

Des Oſtens meines wirren Geelenftrebens Vergeſſen fchlürfe! Für die herben Erinnerungen, die mein Geift vergebens

Zu bammen vingt, fließt einzig bier

Die langerjehnte Yethe. Leben, fterben,

So wie die Hunderttaufende vor mir,

Nichts fonft begehr’ ich von den Schidjalgmädhten. Al Märchen aus den taufend Nächten

Sol mir hinfort das Dafein gelten,

Dies Firmament mit allen feinen Sternen, Der ganze Bau von Sonnen, Welten

Als Schattenfpiel von magischen Laternen, Das bald in Nichts erlifcht. Dem Schidfal danken Will ichs, wenn es nur an den Nebelftrand Europas und zu feinem fieberfranten Geſchlechte nie zuriid mich bannt.

Tief, tiefer foll ins Sonnenaufgangslan

Der Pfad mich führen, daß fortan

Des fernen Welttheild Bild, von bleichen Geſpenſtern nur bemohnt und Leichen,

Selbſt meine Träume nicht mehr ftören kann.“

Schad, Gef. Werke. II. 28

44

3.

Auf buntgezäumten Roß nad) Landesſitte Piftol und Dold zur Seite geht im Ritte Nordwärts mein Zug, ein fchlauer Syrer, Abdallah, neben mir als Führer.

Am Brunnen, während Mittags heiß

Die Sonne brennt, von Datteln und von Mais Ein Mahl beftellt er mir, auch laden

In ihre Zelte gaftlich mich Nomaden,

Nachts, wenn empor die ew'gen Sterne ziehn, Den Teppich breiten wir als Lagerftätte,

Und wer von allen Erdenkön'gen hätte

Zu Häupten einen gleihen Baldadin,

Wie jene lichtgewebte Dede

Des Orients, an welcher flammenhell

Die näht’gen Sonnen prangen und ein Quell Strahlenden Glanzes auch die Nebelflede

Im tiefften Blau umſpuült? Indeß ich lag Und michs von oben wie ein fehönrer Tag Umleuchtete, mit rüdgelehntem Haupte

Zum Himmel blidt’ ih auf und glaubte

. Geliebte Züge wieder zu erfennen,

Die über meiner Wiege fchon gelacht;

Dann wieder ward, ich fähe durch die Nacht Die Lichter meines Baterhaufes brennen; Zur ältern Heimath, draus als Knabe

Ich in die Fremde mich verirrt,

Sei ich zurüdgelehrt; hier mit dem Stabe Müſſ' ich fortan als Wanderhirt

Bon Hügel hin zu Hügel ziehn

Und an den hohen Felsaltären

Anbetend vor des Himmels Heeren,

So mie die erften Menfchen, knien.

135

Sobald mein Roß den Morgen witterte, Dem Tag, der durch der Frühe Nebel zitterte, Entgegen trug e8 mich im muth’gen Lauf. Berfunten hinter mir mit blaffen Rändern Das Flachland ſchon; im Schmud der Rhododendren Stieg das Gebirge mir zu Seiten auf;

Der Waldbach ftürzte ſich vom Fels mit Tofen, Und durd das Didicht blühnder Xorbeerrofen Drang aus der Schlucht fein Widerhal

D wie ein Laut aus langverfchwundnen Tagen Ertönte meinem Ohr der Schall

Und machte höher mir die Pulſe ſchlagen.

Weinlaubbedeckte Höhn dann, grüne Triften, Fruchtreiche Thäler, heerdenüberdeckt! Die Ceder wiegt ihr Haupt in lauen Lüften, Und, in den Schatten bingeftredt, Berträumt der Hirt die Sonnengluth. Das ift Judäa. Noch bei ihrer Brut Girrt in der Felſen Spalt die Turteltaube, Wie da die Braut im Hohenliede Den Bräutigam gefudht. Ein fanfter Friede Ruht auf den Aun und faftig fchwillt die Traube Aus Blätterfülle. Mir zu Seiten Wie Bilder auß der Erde Jugendzeiten Gewahr' ih Brunnen, und an ihrem Rand Männer im weißen faltigen Gewand Und hohe Fraun mit Wafferkrügen, Rebekka gleih.

Entlang den Höhenzügen Führt fort mein Pfad beim glühnden Sonnenftrahl, Und vor mir ſeh' ich Hebrong Feljenthal Im Mittagsfchlummer liegen. Alles ftumm, Nur dag der Weftwind das Gefumm

436

Bon Honigbienen, die um Blüthen irren,

Zu mir heranträgt mit dem Duft von Myrrhen. „Hier“, ſprach Abdallah, gegen Oſten zeigend, „riegt Mamres Hain, dort weiter hinten Abrahams Grab im Wald der Terebinthen!“ Und mir, der ich an feiner Seite fchmeigend Hinritt, durdhzitterten die Raute

Das tieffte Herz. BZurüdgetragen

Fühlt' ich mich zu den alten Tagen;

Das Meine Pfarrhaus ſah ich wieder ragen, Ich dacht' and Stühchen wiederum, das traute, Wo ih als Kind fo glüdlich war,

Und an den frommen Greis mit Silberhaar, Der mir der grauen Vorzeit Sagen

Zuerft erzählt. Wie mit Verwandten

Mit euch, ihr heiligen Geftalten,

Dort wandelt’ ih und dem PVerbannten, Unfel’gen, den mit düfterm Walten

Durchs Leben hinjagt das Geſchick,

Nun hier begegnet ihr aufs neu?

Seid mir gefegnet! Doch mit Scheu

Nur tret’ ih und verhülltem Blid

Bor euch dahin, ihr Heilig-Öroßen!

Ad, jene Welt des Friedens und der Stille, Darin ihr wohnt, für immerdar verftoßen

Hat mich aus ihr des Himmels dunkler Wille, Der, für der Menfchen Flehen taub,

Mit ihnen fpielt wie Sturmmwind mit dem Laub.

Ded ward der Boden, da wir meiter zogen; Gleich einem Meerfhwall von verfteinten Wogen Der Grund mit fahlen Blöden überdedt. Abwendet ſich der Blick erfchredt;

Bon einer todten Erde das Gerippe Glaubt er zu ſchaun. Kein Baum, fein Straud),

431

Kaum niedres, dorrendes Geſtrüppe,

Schon angeweht vom Todeshauch!

Aufftiegen wir auf fteilgemundnem Pfad,

Und vor uns lag auf nadtem Yeljengrat

Ein unermeßnes Steingewirre,

Sp wie das Spufgebild von einer Stadt, Die dort geftanden. Gränzenloſe Dürre

Und Leere allumber; nur matt

Wie um dag Antlig Todter, fpielt

Um das Gemäur ein fahler Leichenſchimmer Und gleitet zitternd läng® der Trümmer,

Die, von der Zeiten Sturmfluth aufgewühlt, Weithin den Boden überfärn. Das ift Der Städte heiligfte, auf welche Chriſt, Moslem und Jude von den fernften Gränzen Der Welt mit Andacht ſchaun. Noch kränzen Moriag, Zion? Mauerthürme

Ihr Lönigliches Haupt, doch wie zum Hohn. Durch Kriegsortane, Bölkerftürme Herabgeftürzt von ihrem Thron

Liegt fie im Staub, und wigeln mag der Spötter, Daß keiner fie gefchütt der Götter,

So viele wechjelnd fie bekannt.

Mit Wucher aufgegangen ift die Saat,

Die fie gefät; vom Fadelbrand,

Den in die Völker fie gefehleudert hat,

Daß gegenfeit? im Glaubenshader

Sie fid erwürgt, nun ward fie felbft verheert. D hätten ganz da8 euer fie, dag Schwert Hinweggetilgt; denn an der legten Quader Die von ihr bleibt, klebt der Geruch

Der Gräuel all, die fie gelibt, erlitten!

Dod ihrem Sohn gleich, den des Himmels Fluch, Den ew’gen Wanderer, mit ſchwanken Schritten Bon Yand zu Yand dahinjagt, muß

438

Auch fie bis an der Zeiten Schluß

Des Daſeins Bürde tragen. Afrikas, Europas, Aſiens Heere warfen

Zu Boden ihre Mauern; gierig fraß

Der Hunger ihre Kinder mit dem fcharfen Schneidigen Zahn; die übrig noch geblieben, Als Sklaven wurden fie hinmweggetrieben,

Und nur im Klagelied zum Schall der Harfen An Babels Wäffern tünte noch der Name Serufalem. Ein neuer Same

Trieb neue Frucht; neu war die Stadt erftanden, Dod wieder ftarrte Schreden mit dem blaffen Antlig auf ihren Plägen, ihren Gaffen; Einander würgend zogen Mörderbanden

Bon Haus zu Haus; aufthürmten zu Terraffen Die Todten fi; durdy einen breiten Strom Bon Blut hielt jeinen Einzug Rom

Und dennoch war das Sterben dir verjagt, Unfelige! In ew'gem Kreislauf brachten

Nur neues Würgen, neues Schlachten

Dir die Jahrhunderte; und wo verzagt

Bor einer Schandthat noch gebebt der Heide, Da zog der Ehrift das Mordſchwert aus der Scheibe Und kniete, wenn von Blut die Klinge fatt, Bol Fnbrunft an der heil'gen Grabesftatt.

Ein Klofter bot mir kurze Raſt. Dann ruhlos, wie in Fieberhaft, Forttriebs mich durch der Straßen Enge, Die mit der Menfchen wogendem Gedränge Mir öder als die Wüfte fchienen. Borbei an Nömerbauten in Ruinen, An Kirchen und Mofcheen, daraus der Klang Des Allah-hu! und Pfalmgefang Bermifcht herüberfcholl, fam ich zu fchroffen

439

Bergwänden, die von ihrer eignen Wucht

Zu ftürzen drohten; eine düftre Schlucht, Kahl, wie von der Verödung Fluch getroffen, Lag zwifchen ihnen eingefargt. Entgegen Mir wehten kalte Todesfchauer,

Und doch hinunter an der Felſenmauer

Mich trieb auf ſchwindelſteilen Wegen.

Der Fuß in ſtaubgewordnen Knochen Berfintend, neben mir der Berge Wand

Mit Gräberhöhlen tief durchbrochen,

Trat ih an eines Strombett3 Rand;

Es war des Kidron altgepriefner Bach, Allein kaum einzeln eine Welle

Noch ſickerte durch Steingerölle.

Daneben mit gejtürzten Dad

Stand einjam eine Betlapelle,

Zu welcher afchenbleiche Wipfel Herniederfchauerten vom Delberggipfel,

Und aus der Nifche fah ein Chriſtusbild Auf mich herab fo fanft, fo mild;

Yang blidt’ ich auf in feiner Augen Blau, Und, wie die dürre Flur nad Thau,

Co dürftete nad) einem Troftesmorte

Mein Herz, das ſchmachtende, verdorrte; Allein in feinen halberlofchnen Zügen

Schien namenlofer Schmerz zu liegen.

Da aus des Herzens Tiefe quoll

Mirs feuht empor, und andachtsvoll,

Wie einft ala Knabe, Iniet’ ich hin zum Beten: „O Heiligfter, Gottähnlichiter von Allen, Die diefe niedre Erde noch betreten!

Hier, wo im Geift ich in des Tempels Hallen Mit dir und deinen Jüngern oft gemeilt Und in Gethſemane dein Weh getbeilt,

Darf ich dir wieder nahn? Bei diefer Zähre

40

An meiner Wimper ſchwör' ichs, jene Lehre, Die auf des Berges Höhen du verkündet, Der Liebe und der Milde heil'ges Wort

Im Herzen trug ichs fort und fort!

Doch ach! die ſanfte Gluth, die du entzündet, Wie hat der Menſch ſie zum Zerſtörungsfeuer Verwandelt, daß der Name Chriſt

Zum Fluche ward! Du ſelbſt, Erhabner, biſt Vom Glaubenswahn, dem Ungeheuer,

Zum Götzen umgeſchaffen worden,

Vor dem im Stumpfſinn ganze Völker knien! Dich rufen ſie, wenn ſie zum Morden

Bon Andersgläubigen das Würgſchwert ziehn Und hoch des Scheiterhaufens Flamme

Bei des Tedeum Klang zum Himmel leckt. Ein rieſ'ger Giftbaum iſt dem Kreuzesſtamme Entſproſſen, deſſen Wipfel, weitgeſtreckt,

Die halbe Erde überdeckt,

Und wo du Freiheit, Licht und Recht gewollt, Entſtand ein Reich der Knechtſchaft und der Lüge, Ein nächtig dunkles, das des Himmels Züge Gottläſternd äfft. Wohl heiß vom Auge rollt Die Thräne dir und deine Wunden brennen Aufs Neue, wenn du denkſt, wie Heuchelei Und blinder Wahn ſich frevelnd Glauben nennen, Und ſolche, die mit Lippen dich bekennen, Dich ſelber gern nochmals mit Wuthgeſchrei Ins Grab verfolgten. Aber wende

Dein Antlitz nicht von uns, o Herr! Entſende Ein Heer von Jüngern, das dein Werk vollende! Dein erftes, oberſtes Gebot,

Die Liebe einzig, fei Gefeß auf Erben,

Und alle Religionen werden

Erblaffen vor dem großen Möorgenroth!

Nicht Kirchen, drin ein unverftandner Glaube

441

Der Menge dumpfen Sinn gefangen hält, Dein Tempel ſei das hohe Himmelszelt,

Der Berge ew'ge Säulenlaube,

Die Menſchheit die Gemeinde, die dich preist, Und du bis an den Schluß der Zeiten

Bei ihr in Wahrheit und im Geiſt,

Um auf den Weg des Heiles ſie zu leiten!“

4.

Ins Kloſter kehrt' ich Abends. Auf dem Dach War mir gebettet in der Kühle; Allein das Wogen der Gefühle Verſcheuchte mir den Schlaf, und ſpät noch wach Lehnt' ich an des Geländers Gittern. Entſchlummert tief die Stadt; ich ſah Mit ungewiſſem Schimmer hier und da Nur eine Fackel in den Gaſſen zittern Und hörte durch des Windes leiſes Wehn Die heil'gen Brunnen der Moſcheen. Doch über mir hell und kryſtallen Mit ſeinen unermeßnen Hallen Hing das Gewölb der Juninacht Und zog die Seele mir empor mit Macht. In heitre Klarheit hingeronnen Schien droben alles Sein und aus dem Bronnen Der Ewigkeit ein Strom von Sonnen Und Wandelſternen fort und fort zu fluthen. Da, während in dem unermeßnen Raum Bald hier mir und bald dort die Blicke ruhten, O was gewahrt' ich an des Himmels Saum? Im Dunſt des Horizonts noch ſichtbar kaum, Stieg er empor, der König unſrer Nächte,

442

Der leuchtende Drion; feine Rechte,

Hob ſchon den Stab, die Keule weit Hinaus in die Unendlichkeit;

Empor da funtelte an feinem Fuß

Der Ylammenftern und vor mir ftand daß ganze Göttliche Bild in wunderbarem Glanze

Und fandte mir den Strablengruß.

Dod feinen Anblid konnt' ih kaum ertragen Und dachte, in Erinnerung verloren,

Der Nacht, als dem Drion ich gejchworen, Mein Leben hohem Ziel zu weihn.

Wie ftand ich nun vor ihm fo Hein!

Nicht eine That, auf die ich weiſen konnte, Um ftolz zu fagen: fie iſt mein,

Und leuchten wird am Erdenhorizonte, Wenn ich gefchieden, lange noch ihr Schein. Da wälzt’ ich wieder mächtige Entwürfe Und wendete den Bli nach oben,

Um meines Schwurs Erfüllung zu geloben; Allein, al ob ich nicht emporfchaun dürfe, Beihämt von Neuem auf den Boden ſanken Die Blide mir; nur die Gedanken,

Durh alle Räume fohmeifend, fahn

Den Strahblenden hinziehn die hohe Bahn.

Yang fo von der Gefühle Wellenfturz In Wirbeln ward ich fortgerifien Und ſank zulegt erfchöpft aufs Lagerkiſſen. Da, als die Augenlider kurz Der Schlaf mir ſchloß, auf einmal ftand Hugos Geftalt an meines Lager Rand; Klar fah ih ihn. Im Kriegsgewand, Auf feiner Stirne eine blut’ge Wunde, Sprach er zu mir: „Erkennſt du nid? Den Eid Zu löſen, den ich ſchwur in ernfter Stunde,

43

Bring’ ih dir meines Sterben Kunde.

Bom Skflavenfrohn dur Flucht befreit,

Band ich den Tod im Kampf für die Hellenen; Doc mweilt mein Geift auf Erden nod) bei denen, Die ich geliebt in diefer Endlichkeit.

Ich mahne dich, Tothar, an jene Zeit,

ALS noch dein Herz begeiftrungstrunfen

Dem Volke ſchlug, für das ich fiel:

Auf nun, entfache neu den heil’gen Funken, Und mit dem Schwert, da8 mir entſunken, Nah Hella zieh! dir winkt ein herrlich Ziel!“

Ich fuhr empor, als Hugo alfo ſprach; Da ſchwand der Schatten in die graue Ferne, Und bei dem letzten Zitterlicht der Sterne Die Arme breitet’ ich ihm nad). Dann, in der Philhellenen Reihen Der Griechen heil'ger Sache mich zu meihen, Gelobt' ich, während mir ein Strom von Zähren Heißfluthend aus den Augen brach Und um mich ber der junge Tag Flammend emporftieg von den Bergaltären.

44

Neunter Gefang.

1.

Da liegen fie wie Blumen eines Kranzes Dahingeftreut auf blaue Meer, Die Infeln Griechenlands, und hehren Glanzes Beitrahlt fie noch die Sonne des Homer! Warum fo langfam, träge Wellen? Komm, frifcher Oftwind! laß die Segel fchwellen Und trage mich zu den Geftaden, An die der Knabe jchon fich hingeträumt! Auf all den göttlichen Cycladen, So viel der Pater Dcean umſchäumt, Die Stätten will ich ſchaun, die Heldenthum Und Dichterwort verflärt mit ew'gem Ruhm. Borbei an Suniums hohem Yelsaltar, An Salami, das noch der Siegesaar Blatternd umfchwebt, zur Mutter der Heroen Hinführe mich, der Wiege alles Hohen Und Großen, was auf Erden war!

Ja leuchtend fteigt ihr nah und näher, Ihr alle, wie, ein trunfner Seher, Ich euch im Geift gefehaut, vor mir empor! Did feh’ ich, Naxos, blühnder Südfruchtgarten! Di, heil'ges Delos, deine Felſenwarten Umbrandet von der Wogen Hymnenchor, Und, Paros, dich, in deren Marmorfchooß Die Bilder all verborgen waren,

4

Die nach Fahrtaufenden noch wandellog,

Der Welt die ew'ge Schönheit offenbaren!

Sei, buchtenreiches Milos, im Geſchmeide

Des Dceans du ftrahlender Saphir,

Und Syros du, der Bienen duft’ge Weide,

Und Tinos feid gegrüßt ihr alle mir,

Der Erde fchönfte Zierden, reicher

An hohen Thaten, Helden, Weifen,

Als mander Welttheil, der vom Pol zum leicher Sid endlos dehnt! Wie dich die Sänger preifen, Glorreich, o Hellas, aus der Trümmerſchichte Von zwei Jahrtauſenden erhebſt du dich! Erwachend in der Freiheit Morgenlichte

Auf Land und Inſel regt ſich jugendlich

Des alten Lebens fröhliches Gewimmel

Und rauſcht und wogt um deine Kiüften,

Wie da der Menſch, vertrauter mit dem Himmel, Noch kindlich fpielte an der Mutter Brüften. Bon heiligen PBropbetenftimmen hallt

Aufs neu Dodonas Eichenwald,

Zur Götter und Heroenfeier

Befaitet wieder ſich der Dichter Yeier,

Neu fteigt die Halle auf, der Hippodrom,

Und Heroldruf ertönt in allen Städten,

Und jubelnd ziehen die Athleten

Zum großen Feftftreit am Alpheusftrom.

Ach! kurz der Traum, der mich berüdt, Als von des Schiffes Rand entzückt Hin auf den blauen Archipelagus Mein Auge ftreifte und beim Strahlentuß Des Morgens die Cycladen um mich her Wie Wafferrofen aus den Wellen tauchten. Die Sonne ftieg, und, wie wir mehr Den Inſeln nahbten, öd' und leer

46

Gewahrt' ih Alles; an den Ufern rauchten Berbrannte Hütten; bleichendes Gebein Erſchlagner glaubt’ ich auf dem Felsgeftein Zu ſchaun, und bier und da mir wars Als hört’ ich aus den Klippenfpalten MWehrufe, die im Wind berüberhallten,

Als ſäh' ich Weiber aufgelöften Haar Am Ufer irren oder unter Jammern

Die Leichen von Gefallenen umflammern.

Wir Ichifften Hin am Strand von Santorin; Da binterm Cap. aus einer Bucht, Gebauſchten Segels ſchoß in fchneller Flucht Ein ſchwankes Boot hervor; es ſchien,

Bon flücht’gen Griechen übervoll,

Den Lauf gradhin auf unfer Schiff zu lenken; Wir fahen weiße Tücher fchwenten ;

Geborften war der Kiel, bedrohlich ſchwoll Das Wafler hoch und höher durch den Leck, Und ſchon dem Untergang des Boots mit Grauen Entgegen ſahen wir. Zulest an Tauen Gelangs, die Flüchtigen auf unfer Ded Heraufzuziehen. Männer, Kinder, Frauen, Diht um ung ber gedrängt, betäubten

Mit Rufen der Verzweiflung unſer Obr

Und fündeten von Gräueln, die empor

Uns jedes Haar des Hauptes fträubten.

Die Inſel, hoch von Felſen rings umbordet Und vieler Chriſten Zufluchtsſtätte, war

Von einer wilden Türkenſchaar

Mit Feur und Schwert verwüſtet, ausgemordet, Zur Oede umgewandelt worden;

Zu Tauſenden die Wohner hingeſchlachtet, Ins Meer hinabgeſtürzt; als Huld erachtet Noch hattens die Barbarenhorden,

441

Wenn feine fchlimmern Martern fie verhängt, ALS hinter fih an Pferdefchweifen

Die Aechzenden auf felſ'gem Grund zu fchleifen. Zulegt mit Blute wie mit Thau befprengt

War allumber die Inſel, Dorf und Stadt

Und Wald und Gärten biß zum Grund verfengt; Da trieben, des Gewürges fatt,

Den Reſt der Rajas die Vermüfter

Gleich einer Heerde fort, um Mann und Greis, Sünglinge, Jungfraun, Edle, Priefter

Für eine Drachme, eine Hand voll Reis

Auf nähften Markte zu verkaufen.

Nur die wir vor und ſahn, der Meine Haufen, In mweltentlegnem Felsverſteck

Gerettet hatten ſie das nackte Daſein.

Mit Stammeln, halb gelähmt vom Schreck, ALS fürchteten fie noch der Türken Nahſein, Uns gaben vom Gejchehnen fie Bericht.

Da bob ein junges Weib, das finnberaubt

Auf dem Verdeck gelegen, wild das Haupt. Mit ftierem Blid, todblaß das Angeſicht,

Ein weinend Kind auf ihrem Arm,

Nief fie, emporgerafft, dem Schwarm

Der andern Flücht’gen zu: „Warum

Zu längerm Leben habt ihr mich geſpart?

Mit Willen nicht, in Ohnmacht ftumm

Ließ ichs gefchehn; wenn ihr barmberzig wart, Nun wären ich und dieſes Kind

Da drüben, wo die Unfern alle find!

In Chios beide Eltern mir erträntt,

Des Gatten Haupt in Stambul aufgefpießt Wie wollt ihr, daß mein Herz nicht daran denkt, So oft das Blut durdy meine Adern fchießt ? Und diefen Sohn zu gleihem Jammerloos

448

Aufſäugen ſollt' ich mitleidslos?

Komm, Tod, du großer Tröſter! Voll Erbarmen Zu dir hinab mit den gewalt'gen Armen

Zieh mich und ihn! Wohl wird uns in der Gruft Dort unten ſein! Nicht, wie das Licht hier oben, Von Blutqualm iſt dein ſtilles Reich umwoben, Nicht Mordgeruch vergiftet dort die Luft!“

Sie riefs und ſtürzte ſich vom Schiffsrand jäh, Eh ſie zu hemmen Einer noch vermochte,

Mit ihrem Kind in die beſchäumte See,

Die ſturmgepeitſcht in Wirbeln gohr und kochte. Durch unſre Reihn ſcholl ein Entſetzensſchrei, Doch ſchon verſunken waren jene Zwei.

2.

An Klippe und Korallenriff Borüber glitt das Philhellenenſchiff, Geführt von wadern Hyprioten, Die bald ung ficher mit den Booten Hinlootften auf der Wellenbahn, Bald luft’gen Singens auf den Raan Sich fchaufelten. Schon füdlih um das Cap Der Belopsinfel waren wir gebogen; Sein Schneehaupt fpiegelnd in den Wogen, Sah der Taygetos auf uns herab, Und nordwärts wendete fi) die Corvette. „Rah Miffolunghi!“ rief vom Steuerbord, Und wie ein Echo um die Wette Bon allen Tippen fcholl das Loſungswort: „Nah Miffolunghi!”

Noch als letter Hort- Der Ehriften ragte jene Veſte,

449

Und alle Griechenfreunde fannen, Sie ftarf und ſtärker zu bemannen, Da Tag für Tag zu kleinerm Reſte Das Heer der Freiheitsfämpfer ſchmolz. „Weh!“ rief der wadre Franke Delamare, Der unſres Häufleing Hauptmann war „Web über Hellas, wenn fein Ruhm und Stolz, Dies märtgrblutbegofine Bollwerk fiele! Selbft ſänk' e8 mit. Wohl weiß der Moslem das, Heron drum wälzen zu dem einen Biele Bon rings fich feine Heere, glühnd von Haß. Aus Thracien, wo fie ein Mordfeft hielten Und mit den Chriftenhäuptern Kugel fpielten, Nahn, noch nicht fatt von den vollbradhten Thaten, Zmeihunderttaufend wilde Afiaten. Schiff über Schiff, mit Feuerfchlünden ſchwer Befrachtet, fenden Libyens Räuberftaaten, Und jubelnd, gleich dem alten Tiger, der Zum erftenmal des jungen Blutdurſt fieht, , Schaut Mehemet den Sohn, wie er nach Norden Mit feiner Meute grimmer Negerhorden, Um Chriftenjagd zu balten, zieht. Europas Herrfher aber o der Schande! Shaun wohlgefällig zu der Wirgerbande, Und bei Gefangbud) oder Rofentranz Sitzt andachtvoll die heilige Allianz, Indefien unter Allah-Ruf die Heiden Sich an der Todesnoth der Chriften meiden. Weil fie dem Sklavenjoh von Menfchenaltern, Dem jhmählichen, fich zu entziehn gewagt, Sind vor den legitimen Sklavenhaltern Die Griehen als Rebellen angeflagt, Und all ihr Hoffen, auf dem Helfer droben, Der eignen Kraft und ung nur ruhts. Laßt ung denn feierlich geloben,

Schad, Gef. Werke. I. 29

—- 490

Daß wir der Freiheit feften Muths

Uns weihn bis auf den legten Tropfen Bluts. Sei Hein auch unfere Gemeinde,

So wie der erften Chriften: ftarf, ihr Freunde, Macht Todesmuth, und höhern Ruhm

Noch, als der Sieg, verleiht da8 Märtyrthum!“

Er ſprachs, und von begeiftrungspollen Zurufen, die von allen Seiten fehollen, Erzitterte die Luft. Einft in der Helle Des Morgens da fernab am Horizonte Auftauchen ſahn wir Miffolunghis Wälle AB blaffen Streifen noh. Nicht Einer konnte Die Thränen hemmen; in die Arme fanken Einander wir, und höher beim Gedanken Der nahen Thaten Klopfte jedes Herz.

Noch blidten Alle küſtenwärts, Als es vom Maft eriholl: „Auf! auf! Ein Schiff in Siht! Es naht in vollem Lauf, In feiner Flagge trägt den halben Mond; Sudt zu entrinnen! auf! fein Segel ſchont!“ Schnell auf des Capitäns Geheiß Bon Segeln wurden alle Maften weiß, Und mit den Flügeln, die der Südwind bauſchte, In Haft auf feiner Silberftraße raufchte Der Kiel von dannen. Doc noch fchneller ſahn Bon Süden das Barbarenfchiff wir nahn; Klar, immer Harer war die rothe Fahne Zu ſchaun, der Blitz der Ataghane Auf dem Berded und das Gedränge | Der turbanhäupt’gen, beutegier’gen Menge. ı

„Sucht ift vergebens!” ruft der Capitän. Auf fein Signal fchnell beim Geſchütze ftehn

41

Die Mannen all und greifen zu den unten, Zum Schuß bereit; am Buge drunten

Die Luken klappen auf und drohend künden Die Mündungen von ehrnen Feuerſchlünden, Daß unbewehrt nicht der Themiftofles.

Genaht war uns das Turkenſchiff indeß

Bis auf die Yänge eines Kabeltaus,

Und von dem rief’gen Bretterhaug:

„Ergebt euch!“ ſcholl es durch ein Rohr

Zu uns berüber. Hundertfaches Krachen

Und Blitz und Rauch aus der Kanonen Rachen War unfre Antwort. Augenblids, bevor

Dem Donnerflang die Wogenhügel

Noch widerhallten, loderte der Kampf

Sn wilder Gluth empor. Dicht ward von Dampf Und Qualm das Himmelslicht, der Wellenfpiegel Mit Naht umhüllt; der Feuerfchlünde Blitze Nur warfen LTichter durch die Finfterniß,

Und, wenn der Hagel der Gefchüge

Den dichten Wirbelrauch zerriß,

Gewahrten wir, noch halb gehüllt in Nebel, Das Bligen frummer Türkenſäbel,

Und unter uns Qurbane, die gemifcht

Mit weißen Griechentaftans in dem Giſcht Des Meeres kreisten. Maftenfplitter

Und Segelfegen, durch das Kampfgewitter Hinabgefchleudert, und zerftücte Glieder Gefallner trieb die Brandung auf und nieder. Angftvoll in der Geſchütze Paufen

Ertönte, unferm Ohr. ein Graufen,

Das Wehgefchrei von Sterbenden, dann wieder Verklang es in des Kampfes Sturmgeheutle. Mann mit dem Mann, Schiff mit dem Schiff verfchlang Die Wuth der Schlacht zum wirren Knäule, Und Allen ſchien ein Untergang

42

Gewiß zu fein. Auf einmal ſchwieg

Das feindliche Geſchütz; hoch ftieg

Durch Wollen Dampfes eine Yeuerfäule

Vom Türkenſchiff empor; ein mächt’ger Hauch Des Windes Tüftete den Rauch,

Und vor uns da lag unfer ganzes Zerſtörungswerk; zur Flucht gewendet hatte Nach Süden fi) die brennende Yregatte,

Und eine Furche rothen Glanzes

Zog hinter ihr auf der befchäumten Yluth. Hoch, höher aufwärts ſchlug die Gluth,

Aus allen Luken ledten feur’ge Schlangen

Und züngelten an Maft empor und Stangen; Die Segel glänzten roth wie Blut,

Bis fie verkohlt ala wehnde Afche

Aufs Meer hinftoben; gleich Verdammten Berzweifelnd rannten auf dem rings umflammten Verdeck die Türken, und der Wind, der raſche, Entzündete zu lohem Ylammenbrand

Die faltigen Gewänder; dann vom Rand

Des Schiffes ftürzten fich die Schredensbleichen Hinunter in die Fluth, die ſchon von Leichen Und Trümmern mwogte. Krampfhaft dort die Planken Umklammern fahn wir fie, bis fie verjanten.

Durchbohrt von vielen Kugeln, war Auch unfer Schiff zu finfen in Gefahr. Nah einer von Moread Buchten Bom Sturm ded Kampf uns fanden wir getrieben, Und feine Rettung ſchien uns mehr geblieben, Als dag am Ufer wir verfuchten, Den leden Kiel zur Ueberfahrt Nah Miffolunghi neu zu rüften. Doch ſchnell mußt’ es gefchehn, denn von den Küften

453

Euböas nahte dichtgejchaart Zum Sturz der Zeftung eine Türkenflotte.

So an der Belopsinfel durch die Brandung Und Sturm und Klippen mwagten wir die Yandung, Und fie gelang an einer Zelfengrotie, Wo fteil ing Meer hinab dag Ufer fiel. Ans Land gezogen ward der Kiel, Und, während die Matrofen an dem morjchen Tiefleden Schiffewrad flugs ihr Werk begannen, Mit einer Kriegerfchaar fchritt ic) von dannen, Um an der Küfte nachzuforjchen, Db nit Gefahr von Türken nahe fei.

Auf fteilen Pfaden von der Felſenbai Aufflommen wir. Wohin wir famen, Stille Und Todesöde; das Gefchrille Bon dürftenden Cikaden unterbrac)

Nur hier und da das Schweigen. Nach und nad Erftiegen mar die Höhe; dort auch nadt

Und kahl der Boden; und zur Seite that

Ein Schlund fi plögli auf, mo wildgezadt Ins Meer hinunterfant der Felfengrat.

Der Unfern Einer deutete hinab.

„Gewahrt ihr fie?” Sprach er mit bleichen Lippen, „Es ift ein fürchterliches Grab!“

Und längs des Abhangs ſahen wir die Klippen Bedeckt mit hangenden Gerippen;

Die Tracht gab fie als Griechen fund,

Die von der Türken Wuth in jenen Schlund Hinabgefchleudert worden. Auf den Rüden

Die Arme feftgefehnürt mit Striden

Und mit gebundnen Füßen fchmebten fie,

Nur von den Zeljennadeln feftgebalten,

Noch wie in Todezängften ob den Spalten,

Die drunten gähnten.

454

Das Entſetzen lieh Uns ſchnellern Schritt; fort von den Schredgeftalten, Den Opfern graufer Rachbegier, Durch neue Bergeswüſten zogen wir Landeinwärts fort. Aus einem Feljenpaffe Bortretend, plöglich eine wirre Maſſe Bon Trümmern, Steine über Steinen, Sahn wir vor und und auf der Erde Haufen von bleichenden Gebeinen. Bon dannen ſcheu floh eine Schafal-Heerde, Durch unfer Nahn geftört bei ihrem Schmaug, Und vor uns dehnten, wie wir weiter fchritten, Sih Straßen von zerftörten Hütten, Bon halbverbrannten Häufern aus. Gefeiert hatt’ ihr Jubelfeſt Hier die Verwüſtung; nit ein Reſt Bon Leben war geblieben; nur Stelette Noch lagen auf der Schredenzftätte. Kein Ton ringsum; von unfrer Tritte Fall Allein drang uns zu Ohr der Widerhall. Da unter ausgebrannten Mauern Und Haufen Schutt ſah ich ein Wefen fauern Es Menſch zu nennen, wagt’ ich nicht. Todbleich und tiefgerungelt das Geficht, Das Hauptbaar und der Bart wie Schnee jo weiß, Langſam, langfam erhob fich die Geftalt Und ſchritt uns näher; ja e8 war ein Greis, Wohl mehr als ein Jahrhundert alt. Die Augen, draus der Wahnfinn ftierte, Auf uns gebeftet hielt er lang, Indeß die hagre Hand den Mund berübrte. Kaum hörbar dann von feinen Lippen drang Ein Seufzer: „Einen Trank! gebt einen Trank!“ Wir hatten feinen ihm zu reichen Und fahn ihn neu von dannen fchleichen,

455

Dis er nicht ferne niederfanf.

Hinunter über eines Grabens Rand,

Wie waflerfchöpfend, ftredt’ er feine Hand,

Dod fuhr mit Schauder wiederum zurück.

Er hatte Blut geſchöpft, das roth

Den Graben füllte; mit gebrochnem Blid

Dann ſank fein Haupt nad rückwärts; er war todt.

3.

Als wir vom Streifzug an das Ufer Fehrten, Entgegen winften froh ung die Gefährten. Schon mwogte wieder um den Kiel die Fluth, Und in die See hinaus mit frifhem Muth Bald Tichteten die Anker wir. Vielleicht Um Abend hatten wir das Biel erreicht.

Bon Barken Flücht’ger war bedeckt das Meer, Die, zwifchen Tod und Leben hin und ber Gefchleudert, eine Zuflucht fuchten.

Aus Elis' und Arkadiens Bergesſchluchten Geflohn vor der Aegypter Würgerjchmwert,

Auf Zante hatten fie am Brittenherd

Aſyl für ſich erfleht; doch von dem fchnöden England verftogen, auf den Meeresöden Umirrten nun die Angftverftörten, Siechen Hülflos auf ihren ſchwanken Booten

Und war noch irgendwo für Griechen

Ein andrer Rettungsport, als bei den Todten?

Auf einem Eiland nah der Veſte ward Bon und gelandet; dort in leichten Kähnen Empfingen und befreundete Hellenen,

456

Die unfrer Ankunft längft geharrt.

Im Schuß des Dunfeld nur der Veſte nähern Uns durften wir, denn rings von Türkenſpähern Und Feindesſchiffen war der Port umlauert. Doch fiher brachten ung durch jede

Gefahr die wadern Schiffer auf die Rhede,

Wo Miffolunghis Thürme, hochummauert,

Bor und empor in? Nachtblau dunkelten

Und längs der Batterien und Ballifaden

Der Wachen lohe Feuer funfelten.

Entgegen und von den Geftaden Scholl Kriegsgelärm und Trommelſchlag, Ranonendonner, Ruf der Runden. „Seit Monden ſchon bei Nadıt und Tag Nicht Ruhe haben wir gefunden“ So fündeten die Schiffer „wie ein Alp Preßt der Gedanke an den nahen Sturz Der Veſte jede Bruft; denn nur für kurz Iſt fpärlich fie verforgt, und unterhalb Der Mauern drängt in ungezählten Schaaren Sid des Seraskiers wildes Heer; Gelbft die Panagia kann vor den Barbaren Der Chriften legte8 Bollwerk nicht bewahren, Kommt uns nicht Rettung bald vom Meer.“

4

Auf Miffolunghis hoher Litadelle, Bon der die Kreuzesfahne leuchtend weht, Knien Tag und Naht in St. Georg Capelle Die Weiber und die Kinder im Gebet, Doch zu dem Hymnenklang, dem Glodenjchall

457

Tönt der Geſchütze Krachen ber vom Wall, Und Roßgeſchnaube und das dumpfe Braufen Bon wildbewegten Heeresmaflen,

Die auf und nieder wogen durch die Gaflen. Dazwiſchen hört man hohles Saufen,

Wenn eine Bombe niederfällt,

Und prafjelnd jchlägt aus einer Scheuer, Aus einem Pulverthurm empor das Feuer, Indeſſen Weheruf zum Himmel gellt.

Dur alle Straßen, alle Gänge Bon Kriegern meld ein bunt Gedränge! Hier, wild wie ihre Berge, die Mainotten, Bei deren Namen die Osmanenrotten Bor Schred erbeben; dort der Pallifar, Der mit Georgis’ wilder Männerfchaar Die Türkenreihn gemäht, ein wadrer Schnitter; Hier der Suliote mit dem Schlachtenbeil, Der durchs Dsmanenheer im Kampfgewitter Berheerend hinfaust wie der Donnerleil. Sp weit da8 Meer im Reigentanz Um Hellas’ Infeln wallt und fluthet, Nicht fehlen will wer hochgemuthet Bon allen Söhnen Griechenlands.

Mein Stand war unter eines Thurmes Dad) Hoch auf dem Feſtungswall, wo die Baftionen Erzitterten vom Brüllen der Kanonen,

Und oft bei der Granaten Krach

Steintrümmer in die Tiefe ſanken.

Noch ragten unfre Mauern ohne Wanten,

Und auf der Türken Flammengruß

Die Antwort gaben unjere Karthaunen;

Doch hemmen konnt’ ich nicht ein banges Staunen, Wenn unten an der Wälle Fuß

45983

Ich unabjehbar des Seraskiers Heer

Sich dehnen ſah. Da bligten Speer an Speer, Da ftarrten zehnmaltaufend Yeuerrohre,

Die jeden Stein in Staub zu wandeln drohten, Wenn Miffolunghi feine Thore

Nicht öffne nach des Sultans Machtgeboten;; Da tummelten fih unter Halbmondfahnen Schypetars, Albanejen, Turkomanen; Roßſchweife wehten; Araber, Tartaren

Auf wilden Pferden und auf Dromedaren Durcftreiften das Gewühl; an Minengängen, Die Mauern in die Luft zu fprengen,

Mühten Eunuchen fih und Neger,

Und von dem Lärm der Trommelfchläger,

Dem Waffenklirren, dem Gefchmetter

Der ehernen Drommeten ftieg,

Wenn der Geſchütze Donner ſchwieg,

Ein Braufen auf, wie Grollen ferner Wetter.

Schon ftanden unfre Vorrathöhäufer leer, Und alle Zufuhr fingen ung vom Meer Die Türkenboote auf; fam bald als Retter Miaulis nicht mit feinen Schiffsgejchwadern, Erfüllen mußte fih der Stadt Geſchick; Denn, trogten auch die Mlauerquadern, Die Noth verſchwur ſich mit der Führer Hadern Zum Sturz der Veſte. Feder Blick War ſeewärts drum erwartungsvoll gewandt;

Doch Tag auf Tag und Woch' auf Woche ſchwand,

Kein Griechenjegel war zu ſchauen.

Einft da beim erften Dämmergrauen Gewahrt' ich von dem höchſten Thurm, Bahllog wie Wolfen beim Gewitterfturm, Schiff neben Schiff am Horizont

459

Du kommſt, du bifts, Miaulis! nun zu Siegen Bald werden unfre Banner fliegen!

Ach kurze Täuſchung! Hoc und höher fliegen Die Maften auf und, morgendlich befonnt, Sah ich die grünen Wimpel des Propheten, Die Halbmondflaggen, die auf jedem wehten. Ein unermeßliches Gewühl

Von Galeaſſen, Caravellen,

Gabarren und Fregatten, Kiel an Kiel,

Zog, Miſſolunghis Stolz zu fällen,

Die Flotte der Osmanen auf die Rhede

Und jperrte der Yagunen jede.

Wohl ahnt’ ich, als fie nahte den Geftaden, Sie fei mit unferm Untergang beladen. -

Nicht lange, und von allen Erdenſchätzen Der köftlichfte erfchien ein Biſſen Brod; Wohin du fchrittft, auf Straßen und auf Plägen, Entgegen ftarrte dir die bleiche Noth; An dir vorüber fchattengleich Die Weiber und die Kinder fahft du wanken; Ihr Auge ftarr, die Wangen todtenbleich, Wenn mit der Lippe nicht, doch in Gedanken Dich flehten fie um Lindrung ihrer Dual. Selbft einzelne der Krieger ſanken Erſchöpft zu Boden hin, und wenn der Strahl Der Lagerfeuer fahle Lichter Hinftreute auf die blafjen Angefichter, Wohl mußte Graun das kühnfte Herz beichleichen; Bewohnt von Sterbenden und Leichen Nur fchien die Stadt noch. Da von Mund zu Mund Erfhol der Auf: „Nah ift Miaulis’ Flotte Und bohrt die Türkenjchiffe in den Grund; Zu Schanden wird vor dem Iebend’gen Gotte Der Heiden Hochmuth nun!” Auf jedes Wort,

460

Auf alle Thürme Komm das Volk empor; Mit athemlojfem Hoffen meerwärts fpähend, Hinab faft ftürzten fih die Ungeftümen.

Ya, nicht die Fahne der Moglimen,

Des Kreuzes Banner, herrlich wehend,

FM an den Maſten aufgehißt;

Sie find e8, Hydras meervertraute Männer. Miaulis felbft, der Türkenſchiffverbrenner, Der nie die Zahl der Feinde mißt,

Seht! zieht heran mit feinem Brander! Anftürmend hoch die Yadel ſchwingt er; Scheu weicht der Feinde Flotte auseinander, Wo er fi naht, und vorwärts dringt er, Ob hundertfach aus der Kanonen Rachen Auch wider ihn die Salven krachen;

Er wirft den Enterhafen an den Bord,

Hoch jchlägt die Flamme auf und tanzt

Bon Schiff zu Schiffen der Osmanen fort; Heil, Heil, Miaulis! o wer pflanzt

Soldy leuchtend Stegesbanner auf wie du? Die Seinen folgen nad; fie werfen Brüden, Sie Flettern aufwärts an den Striden, Verrammt ift Bord mit Borde, und im Nu Mann gegen Dann entbrennt der Kampf, Schwerter und Säbel bligen, und in Dampf Und Feuersbrunft, die hoch zu ihren Häupten Aufwirbeln, kämpfen fort die Wuthbetäubten. Wo blieb Miaulis? Ueber Scheiter Berftörter Schiffe weiter, immer weiter

Sih Bahn erzwingend durdy der Feinde Reihn Bringt er und Rettung!

Über nein! Zu früh der Jubel; wider die Osmanen Was will das Häuflein Griechen? Bald umſchließt

41

Ein dichter Kreis von Türkenfahnen

Das Kreuzpanier; mit vollen Segeln jchießt Schiff über Schiff, den Türken Hülfe bringend, Aus Bucht und Felsverſteck hervor; Kanonenkrach betäubt das Ohr,

Und Meer und Flotte dicht umfchlingend, Hüllt Schwefeldampf die Kämpfenden in Nacht. Fort, immer fort dröhnt das Gebrülle

Der Feuerſchlünde; endlich ſchweigt die Schlacht Und aus des Pulverrauches Hülle

Almählig tauchen neu empor die Maften; Wir jpähn und fpähen, ach! das Sreuzpanier Nur ferne noch, vor dem verhaßten

Halbmonde fliehnd, gewahren wir;

Born aber hat der Großvezir

Die Fahne mit der Königin des Himmels

Als Siegstrophäe an jein Schiff gehängt,

Und höhnend um die Heil’ge drängt

Das Heidenvolf fich Iuftigen Getümmels.

Bernichtet war und alles Hoffen jegt, Daß uns noch Hülfe käme, und entjegt Dem nahen Untergang entgegenftarrte Schon mander Blid; doch bald, emporgerafft, Gelobten Treue wir der Kreuzftandarte, So lang in uns ein Funke Kraft. Mit friiher Wuth, zu Land zu Meer Wälzte fi) wider ung das Türkenheer; Schwimmende Batterien, Brander drangen In die Kanäle, die Yagunen ein, Und einen Kranz von biutigrothem Schein, Den um die Stadt die Feuersbrünfte fchlangen, Gewahrten wir in jeder Naht. Den Wall Umbrandete wie Meereswogenſchwall Die turbanhäupt’ge Menge; von dem Ziſchen

42

Der Flammen, dem Gekrach der mörderiſchen Haubigen und dem Sturze der Baftionen Erzitterte weithin die Luft;

Doch ihnen Halt zubrüllten die Kanonen Bon unjern Wällen, und, wo eine Kluft Die Bomben riffen, in die Spalten

Uns warfen wir den dichtgeballten Rauchwirbeln und dem Kugelfturm entgegen, Daß ausgefüllt von unjern Kolbenjchlägen Die Brefche ward mit Türkenleichen.

Hinaus dann trieb Berzweiflungsmuth

Ung über fie, und einen Weg von Blut Uns bahnten wir mit Schwertesftreichen

Bis in der Feinde Yager; glüdlich dann, Wer eine Handvoll Brod nur in die Befte Heimtrug denn drinnen berrfchte als Tyrann Der grimme Hunger; bis zum legten Reſte War aller Vorrath aufgezehrt,

Berödet längft von Flammen jeder Herd, Und jeden Morgen wandten wir erjchredt Das Auge von der Ernte, die bei Nacht Der Tod gehalten o kein Feld der Schladht, Ob auch mit Leichenhaufen hoch bededt, Noch flößte mir ins Herz fo tiefe® Grauen, Wie Miffolunghis halbzerftörte Gaffen,

Wo mit gebrochnen Augen, leichenblaffen Gefihtern Männer lagen, Greife, Frauen, Und todte Kinder nody den Müttern

An der verdorrten Bruft zu ſaugen fchienen. Im bleihen Strahl der Eonne über ihnen Sah man die faulen Dünfte zittern,

Die er aus dem zerjtörten Leben jog; Vergiftet war mit Tod die Luft,

Und felbft den Muthigften betrog

Die Hoffnung länger nicht, daß noch auf Erden

465

Uns Hülfe käme. Bald zur großen Gruft Für Alle mußte Miffolunghi werden.

Entjegt erzählten ſich die Wachen fchon, Nachts flattre ob den Leichenhügeln

Die Peftjungfrau dahin mit fhwarzen Flügeln; Wer noch dem Hungertod entflohn,

Zum Raub für fie fei er verdammt.

Wenn wir die Feſtung allgefammt Mit unfern todten Leibern auch verfchanzten, Befiegelt dennoch war ihr Fall, Und über unfern Häuptern pflanzten Die Türken ihre Fahne auf den Wall. Drum blieb und Eins nur: durd der Feinde Reihn Ung mit dem Schwerte Bahn zu brechen. Sp, ſollt' e8 Aller Tod auch fein, Doch konnten wir noch fterbend Hellas rächen. Mit ernftem Muth gefaßt ward der Entfchluß, Und zum Empfang der Todesweihe Zog Krieger, Greis und Weib in langer Reihe Zur Kirche hin beim Schall des Angelus.

Dort vor dem Bild des heiligen Georg Erflehten von dem Schugpatron der Griechen Sich Troft und Kraft die Wellen, Siechen Für ihren großen Gang und horch! Indeß fie Inieen im Gebet,

Hin durchs Gewölbe braust und hallt

Der Orgelllang; am Altar fteht,

Das Haupt von mildem Glanz ummallt,

Der Patriarch; er ruft heran die Matten,

Und, Paar an Paar ihm nahend, bleidy wie Schatten, Noch einmal laſſen fie von feinen Händen

Des Sakramentes Gnadengut ſich fpenden.

464

Des Abzugs Stunde fam. Tiefſchwarz die Nacht. Wir fchleuderten, eh wir der biut’gen Taufe Entgegenzogen, Fadeln, hell entfacht,

Rings in die Häufer, daß ein Afchenhaufe Allein von Miffolunghi übrig bliebe,

Und ein Vulkan aus taufend Pulverminen Aufiprühend, unter den Ruinen

Das freche Heidenvolk begrübe.

Dann, als e3 zwölf vom Thurme ſchlug Nie einen weitern Schlag that jene Uhr, Nach außen zu, doch langfam nur,

Bewegte fih der ernfte Zug.

Die Weiber und die Schwachen in der Mitte Santen zu Boden faft bei jedem Schritte;

Die Bordern zogen endlich durch das Thor,

Ich folgte mit der Hinterhut,

Der mir vertrauten; da zum Ohr

Scholl uns ein Lärm, der uns das Blut

In allen Adern ftarren ließ; Geklirr

Bon Säbeln, Stampfen ehrner Hufe

Und taufendftimm’ge Allah-Atbars-Rufe

Ertönten graufenvol. Im Kampfgewirr

Sahn wir und rückwärts in die Stadt gedrängt, Und wild herein durchs Thor gejprengt

Kam uns entgegen eine Reiterfchaar.

Nun ward uns Alles plöglich Har;

Verrathen war der Plan dem Feinde worden, Gefallen unterm Schwert der Türkenhorden

Die Vorderhut. Dumpf durch das Dunkel jcholl Der Trommelwirbel, und mit dem Geroll

Der Räder Hang der Flintenſchüſſe Knattern, Der Hörner fchriller Ton zufammen.

Dann während aus den Häufern rings die Flammen Aufloderten, der Halbmondfahnen Flattern

45

Gewahrten wir, der Ataghane Bligen. In unfre Reihn wie wüth'ge Xeoparden Eindrangen des Seraskiers wilde Garden, Und, hingewürgt von ihren Yanzenfpigen, Bededten Sterbende den Grund. Das Schrein Der Weiber tönte fehredlich im Verein Mit dem Gebrülle der Haubigen, Und rings heran gleich Wetterbächen Schwillt es, durch alle Thore brechen Demanenfchaaren. Arm mit Arm Und Fuß mit Fuß verjchlingen fih im Kampf; Auf leichten Rennern braust ein Spahi-Schwarm Heran, und unterm Roßgeftampf Bermalmte Kinder hört man wimmern: Durch alle Straßen, in den Trümmern Berbrannter Häufer, auf Bafter und Wall Wälzt fi das Megeln, das Gewürge; Dazmwifchen dann ein Blig, ein Knall, Bon den der Boden bebt, als ob Gebirge In Trümmer ſänken; aus den Erdenadern Bricht fürchterlich der Minen Pulver [os Und ſchleudert Mauern, Menjchen, Duadern Gen Himmel mit gewalt’gem Stoß, Die Sieger in denfelben Tod Mit den Befiegten reißend; weithin roth Erglänzt die Luft, der Himmelsbogen, In Flammen fcheint da8 Meer zu wogen, Und mit Gebäll und Steinen fallen Glieder Berrifiner Leiber auf den Boden nieder. Kurz währt die Helle nur, der Glanz erbleicht, Und Qualm und Schwefelraudy bedecken Mit tiefer Nacht die Statt der Schreden. Doch dort, wohin die Mine nicht gereicht, Tobt fort und fort da8 Schlachtgetiimmel, Jungfrauen bliden flehnd zum Himmel,

Shad, Bel. Werke. I, 90

466

Daß er fie vor der Sieger Lüften rette,

Und fuchen Tod in den Yagunenteichen,

Und ftürzen, weil fie ſchon zu voll von Leichen, Sich jelber in die Zürfenbajonette.

Hoch thürmen auf den blutgerötheten Schutthaufen fi die Leichen der Getödteten.

Die Klinge feft in meiner Fauft, Ward ih, vom Kampfeswirbel dicht umfaust, Hierhin gejchleudert bald, bald dorthin. Zulegt riß mich das Schlachtgemwühl Durchs Thor hindurch zum Meeresbord hin; Die Nachtluft fächelte die Stirn mir fühl, Und plöglich ſah ich, wie die Beutegier Die Türken wieder in die Feſtung trieb, Und Keiner mehr zur Seite mir, Als nur ein Häuflein Griechen bfieb. „Die Bahn ift frei, wad zögern wir?” Nief ich zu ihnen „rettungslos Iſt dieſe Veſte doch verloren; Laßt uns in der Gebirge Schooß Die Fahne, welcher Treue wir geſchworen, Zu freien Brüdern tragen, um vereint Mit ihnen Miſſolunghis Fall zu rächen!“

Entſchloſſen mit dem Schwert uns Bahn zu brechen, Am Strand hin eilten wir; allein kein Feind Trat, wie wir weiter zogen, uns entgegen. Zum Tod erſchöpft und überwacht Zuletzt zur Ruhe wollten wir uns legen, Da hinter ung von Neuem radıt Es auf; der Boden unter uns erzittert As jchlüg’ er Wogen; bis zum Grund erjchüttert, In Strudeln wallt da8 Meer und durd die Nacht Steigt praffelnd eine graufe Girandole,

67

Lichtgarben ſchießen Hin von Pol zu Bole Und taufend leuchtende Raketen,

Die fih mie fliegende Kometen

Den Sternen mengen. Wieder Finfterniß; Und über uns fällt heißer Aichenregen,

Und aus den Bergen dröhnt gleich Donnerfchlägen Der Widerhall. Des Marlos Bozzaris Baftion, von Pulverminen ganz durchzogen, War in die Luft emporgeflogen,

Und Miffolunghi eine wirre Maſſe

Fortan von Trümmern und von Veichen nur.

Auf wilden Pfaden ohne Menichenipur Fortwankten wir. Im einer Veljengaffe Dann übermannte uns der Schlaf, und hell, Al wir erwadten, ftrahlte ſchon Ins Antlig ung die Sonne, Wieder fchnell Dann triebs ung weiter, aber Stunden flohn Auf Stunden hin, und nirgend fanden Die Griechen wir, die wir erhofft. Bereinzelt bald und bald in Banden An uns vorüber zogen Türken oft,

Doch ohne Kampf mit uns zu wagen. Plötzlich Drang Hohngelächter ung, mit Wehgefchrei Bermifcht, zum Ohr, und o entſetzlich! Was drauf wir fahen, als vorbei

Der Weg uns führt’ an einem Weiler!

Mit jungen Griechen, die an Pfeiler

Bor eines Haufes Thor gebunden waren, Trieb feinen Scherz ein Haufe von Barbaren Und fchleuderte die Dolche und die Meſſer Auf fie, wie auf ein Scheibenziel;

Die wilde Rotte wettete, wer beffer

Zu treffen wiſſe bei dem Schredengipiel. Taut ſchrie der Unfern Einer auf und warf

468

Sich über einen Jüngling, welchen fcharf

Ein Meſſer ſchon verwundet hatte.

Das Angeficht bleich wie ein Schatte,

Auft er: „Mein Bruder ift eg! Sei verfludt Wer wider ihn die Hand erhebt!" Er fucht Ihn mit dem eignen Leib zu fehirmen;

Doch, ihn hinwegzutreiben, ſchwingen

Die Wüther lachend über ihm die Klingen. Wir mit gezüdten Schwertern ftürmen

Heran, um die Mißhandelten zu ſchützen,

Und wider ung mit Ingrimm kehrt

Der Schwarm der Türken fich, die Säbel bligen, Piftolen Inallen eben noch das Schwert Hab’ ich erhoben; plöglich in die Seite Dringt brennend mir ein Türkenſchuß,

Und, während ich zur Erde gleite,

Borftrömt mein Blut in rothem Guß.

Mir jehwindelt; bei dem mattern Klopfen Der Pulſe nicht? empfind’ ıch mehr,

Als fort und fort das Riefeln heißer Tropfen, Und Duntel legt fi um mich ber.

Behnter Gefang.

1.

Ein Drud von Händen wedte mi; ich ſchlug Die Augen auf, und mir zur Seite fnieten Zwei Mönche, die fi) emfig um mich mühten. - Nah Wafler feufz’ ich, und aus einem Krug Die Lippen feuchtete mit Kühler Fluth

469

Ein Dritter mir. „Freund, habe Muth!” Hört’ ich fie flüftern „Ihon verbunden Und bald geheilt find deine Wunden.

Ein ſichrer Zufluchtsort dir wird

Das nahe Klofter fein; in weltentlegner Bergwildniß liegt e8, und nie hat ein Gegner Des Kreuzes fich dorthin verirrt.“

Sie richteten mich auf. Die Schredengfcene, Bevor mir Nacht den Sinn umflort, Trat wieder vor mich hin. Noch ſah ich Jene, Die mitleidlos der Türken Dolch durchbohrt, Mit Striden an die Pfeiler feitgefchnürt Und nun entfeelt; doch meine braven Begleiter hatte, aljo ſchiens, als Sklaven Der Türkenſchwarm binweggeführt.

Nochmals zu Boden fiel ih und verfant In dumpfed Starren. Als mir wieder Bemwußtfein Fehrte, trugen mich die Britder Hin durchs Gebirg auf einer Tragebanf; Noch Andre folgten mit den Todten nad), Um in geweihten Grumd fie zu beftatten, Und widerhallend an den Schluchten brach Sid ihr Gefang; mir war, als gäben Schatten Der Unterwelt zur ew’gen Ruheſtatt Mir das Geleit. Zuletzt, dad Haupt tobmatt Burüdgefunten, hinter elfenwarten, Die düfter auf vom Boden ftarrten, Sah ich ein wald’ged Thal fich breiten, Durchbraust von wilden Alpenftrom. Auf Klippen dort, Abgründe zu den Seiten, Mit Glodentburm und bleigededtem Dom Hob fi das Kloſter St. Gregor, Und bei der Mönde Litanein

40

Auf teilen Pfade durch das Erkerthor In das Cönobium z0g ich ein.

2.

Welch trauliches Aſyl! Der Welt entriüdt Und den Orlanen, weldhe drunten braufen, Euch, Cönobiten, in den ftillen Klaufen Nenn’ ich vor allen Sterblichen beglüdt. Den Finger an die Tippen legend, ſtumm Durch Safriftei und Refectorium Hinwandelt leifen Tritts die Einfanteit; Sie wacht bei euch in euren Zellen,

Die Nifchen hat fie, die Kapellen

Zum Sit der Andacht, des Gebet? geweiht, Und, bricht ein Laut von ihr die tiefe Stille, Mit ernften Worten der Sibylle

Meist fie prophetifch auf die Ewigkeit.

Früh Schon, von träumelofem Schlaf erquidt, Hinknieen vor der Mutter aller Gnaden, Im Kreuzgang unter den Arkaden Euch laben an der frifhen Morgenluft, Bis euch die Hora in die Kirche ruft, Dann einfam in den Stebelein Euch heiliger Betrachtung mweihn, Das ift eur Leben. Bon dem wüſten Treiben Der Menfchheit und den Schlachten, die fie Tämpft, Halt faum ein Ton zu euch; nur fanft gedämpft Fällt felbft das Licht durch bunte Fenfterfcheiben In Dämmerhallen, wo euch aus den Blenden Heiligenbilver ihren Segen fpenden.

41

Wohl, während mich des Klofter8 Mauern hegten, Fühlt' ih nach all dem Leiden, all dem Streit In diefer fel’gen Abgefchiedenheit Des Friedens Glüd. Die Mönche pflegten Mich liebevoll auf meinem Ruhebette,

Und, während Chorgefang der Mette Herübertönte und der Jungfrau Bild

Sanſt aus der Nifche zu mir niederlächelte, Hing, wie der Frühling über den Gefild, Genefung über mir und fächelte

Die Stirn mir mit den Echwingen mild.

Dft dann ftieg heimlich Sehnſucht in mir auf, Hier meines Lebens mwechjelvollen Lauf

In Stile und Verborgenheit zu enden.

Für immer, dacht’ ich, will ich meinen Blick Hinweg vom unbeftänd’gen Weltlauf wenden Und von der Menfchheit ſchwankendem Geſchick. Nicht Ruhmbegier noch Thatenmuth,

Und nicht der Liebe Fiebergluth

Mehr follen meines Herzens Ruhe ftören.

In meiner Zelle mit der Weisheit Lehren Den Geiſt aus alten Bücherrollen nähren; Mich mit den Brüdern in dem Slofter-Saal Bereinen um ein einfach Mahl,

Und im Voraus mir im Chpreffengarten Mein Grab beftellend, ſchon des Tages warten, Der mich erlöfen ſoll vom Lebensjoch,

Was wünſch' ich mehr auf Erden noch?

Nein! vief in andern Stunden wieder dann Aus meinem Herzen eine Stimme, Der ich im Leiden mich geftählt zum Mann Und kuühn getrogt des Schidfald Grimme, Teig nun in thatenlofer Haft Schleppt' ich mein Leben hin? Nicht fo!

412

Ob auch die erfte Jugend floh,

Als ich in wilder Gluth geliebt, gehaßt

Und mid im Sturm des Kampfs zur Luſt gewiegt, Doh wohnt im innerft Innern unbefiegt

Mir noch das befire Selbft, das gottentftammt Schon früh für alles Heilige geflammt

Und mich zum Ringen für der Völker Wohl,

Für Freiheit und für Baterland befeuert.

Du bober Angelftern, du Bol,

Nach dem durch Sturm und Klippen ich gefteuert, Steig aus dem Nebel, der dich lang umpfchleiert! Anftatt der Priefter Pfalmodien

Thatlos zu lauſchen mit verdumpftem Geift,

Laß mich zu Kampf hinaus und Schlachttod ziehn, Wohin der Gott in meiner Bruft mich meist.

3

Im friedlichen Afyl des Kloſters ſchon War Mond an Mond mir bingeflohn. Auf Briefe, die an Williams ich von dort gejandt, Kam Antwort mir: ind Vaterland Den!’ er die Meerfahrt nächftend anzutreten, Und dort bei ihm auf feinem Landſitz Gaft Zur Sommerzeit zu fein wird’ ich gebeten. Gefolgt wär’ ich der Ladung fall, Nur daß in feiner Noth dag unterjochte Hellenenvolf ich nicht verlaffen mochte.

Hinfchweifend dur Gebirg und Wald Mit jungen Männern hatt’ ich mich verbunden, Und unfern meinem ftillen Aufenthalt In einem Felsverſteck in nächt'gen Stunden

413

Rathichlagten wir, wie wir aufs neu

Tas Griechenbanner flattern. ließen.

Erft einzeln nur, do dann in Schaaren ftießen Thatdurft’ge Jünglinge heran, die treu

Zu ung zu ftehn gelobten. Alle brachten Musteten, Schwerter, Lanzen mit und machten Zum großen Waffen-Arjenal die Höhle,

Daß nichts am Tag der Schilderhebung fehle. Derftohlen dann vor Morgenhelle

Heimkehrten wir ich in die Klofterzelle.

Einft eben hatten fic zu kurzem Schlaf Die Augen mir gefhloffen plöglich traf Ein Lärm mein Ohr; ich fuhr vom Pfühl empor; Laut ward an meine Thür gepocht: „Auf! auf! entflieh! Noch offen ift das Thor, Doch bald nicht ferner. Alle, die's vermocht, Sind ſchon entflohn.” Hin durch den Corridor Ertönte haſt'ger Schritte Klang. Tann wieder ward e3 todtenftill. Bom Lager aufgerafft, den Zellengang Stürz' ich, fo ſchnell ich Tann, hinab und will Durchs Thor entfliehn, als mir ein Schwarm Gemwaffneter in Tracht der Janitſcharen Entgegentritt. Mit ausgeftredtem Arm Hinweist auf mich der Häuptling: „Seht! wir waren Auf rechter Fährte! Dies ift der Verräther, Der neu des Aufruhrs Flamme fchürt; Ergreift ihn! und zum 2008 der Miffethäter Sei er in das Gefängniß abgeführt!” Bergebens hätt’ ich Trotz geboten, Ich einzeln gegen Viele. Yeft mit Knoten Ward Arm an Arm nad) rüdwärts mir gefchnürt; Zum Marſche winkt der Häuptling; um mich her Im Kreife reihn die Krieger fih und mahnen

414

Mich mit gezüdten Ataghanen, Tod fei für mich jedwede Gegenmehr.

Auf unwegſamem Yelfenpfade, Wo jeder Fußtritt Dualen fchafft, Hinwankend mit erichöpfter Kraft, Bulegt gelangt’ ih an das Meergeftabe; Die Krieger brachten mich in einen Rachen, Er flog durchs Meer trog Fluth und Sturm, Und bald vor mir aufftieg ein Thurm, Bon Janitſcharen rings umftelt und Wachen. Auf einer Inſel ftand der finftre Bau, Und fah von Klippen, wild und raub, ah nieder in der Wogen Brandung, Die fchäumend ihm zu Füßen fiedeten.

Zu Boden warfen nach der Landung Mich Kerkerknechte hin und fchmiedeten Mir Arm’ und Füße feft mit Eifenringen, Bon denen ſchwere Ketten niederhingen. Durchs Thor des Thurms, empor auf Wendeltreppen Dann mußten auf des Vogts Geheiß Bei Fadeljcheine mich zwei Schergen jchleppen. Es klirrten Riegel, und ein Greis In ihm erkannt’ ich den Gefangenwächter Sprad, nad) dem Kerker deutend: „dort hinein!“

Die Thür fprang auf, und wüſtes Schrein, Wehrufe, Kettenraffeln und Gelächter Ertönten aus dem düfteren Berließ,

In das man mich hinunterftieß.

Die Thür aufs neu verriegelte der Alte, Und, während fernehin fein Tritt verhallte, Im dumpfigen Gewölb, auf Stroh gebettet, Blieb id) allein nein, nicht allein;

Ich fchaute bei der Strahlen mattem Schein,

415

Die durch die Yenftergitter floffen,

Noch eine Reihe Yeidgenoffen,

Mit Eifen an die Mauer feitgefettet,

Wilde, entjegliche Geftalten,

Die in Berzmeiflungsmuth und Haß

Die Ketten fehüttelten, die Fäuſte ballten;

Andern war tief von Gramesfalten

Die Stirn gefurdt, das Antlıg todtenblaß ;

Noch ſchwerer ſchien ihr Geiſt gebrüdt von Jammer, Als ihre Glieder von der Eiſenklammer.

Erſchüttert mußte ſelbſt wer felſenſtark Von ſolchem Anblick werden; Bein und Mark Durchrieſelten mir kalte Schauer; Erſchöpfung und des Ortes Grauſen Betäubten mich; mir ging durchs Haupt ein Brauſen, Und rückwärts fank ich an die Mauer.

Tiefdunkel ſand ichs beim Erwachen. Verworrne Stimmen, Flüche, wüſtes Lachen Vernahm ich, und mich übermannte Ein jäher Schreck, als ich erkannte,

Daß niedre Schurken und Verbrecher

Mit Freiheitskämpfern ein Verließ umſchloß. Da war ein Wettkampf, wer ſich frecher Begangner Frevel rühmte, da ergoß

Ein Mörder ſich in Läſterungen

Auf alles Heil’ge, die das Haar mir fträubten. Gotthöhnende Geſänge übertäubten

Die Reden oft; wenn fie verflungen,

Bon Neuem hört’ ich die Banditen

Einander lachend Wetten bieten,

Wie oft ein Jeder Brand geftiftet,

Wie viele Opfer er erdolcht, vergiftet. BZulegt allmälig ward es um mich ſtummer,

416

Die Stimmen ſchwiegen, und fo tiefer Schlummer, Wie der Gerechte nur ihn wünfjchen mag, Sank auf die Böfewichte nad) und nad).

Da neben mir ward ein Gewimmer, Ein halb erftidtes Weinen laut; Auf Augenblide wohl verfiummend, immer Bon Neuem hub es an, und, ob vertraut Mit Elend auch und jedem Schmerz, Ich fühlte doch bis in das tieffte Herz Mich von dem Klang gerührt. „Was mweinft du?“ Fragt’ ih „fürmahr recht unglüdfelig ſcheinſt du, Doch fafle dich! vertrau dein Leid mir an! Vielleicht, daß ich dir Tröftung bieten kann.“ Da ſprach der Schluchzende: „Ein Stein wohl wär’ ich, Wenn ich nicht jammerte. Ach, daß jo jung Ich fterben muß, faum fechzehnjährig! Schon bei der nächſten Morgendämmerung Mich Holen fie zum Tod. Die armen Meinen, Wie werden fie mein traur'ges Loos beweinen! Wer jol nun Nährer fein den Hülfentblößten, Wer fie in ihren Elend tröften‘? Und was verbrach ih? Faſt ein kind'ſches Spiel Nur war e8, daß im Schießen nad) dem Ziel Ich mich geübt mit andern Griechenknaben. Dafür zum Tode als Empörer haben Die Unbarmberz’gen mich verdammt. Weh, wehe! Iſt das der Tag fchon, den ich dämmern jehe? Sie finds, ſie kommen!“ Auf den Lippen zitterten Die Laute ihm, doch fort und fort Sein Schluchzen hört’ ih. Mir, den Tieferſchütterten, Starb auf den Rippen jedes Tröftungsmwort; Hohn konnte Hier der Troft nur fcheinen. Dann mälig hörte auf das Weinen Und todtenftill ward es. Frühmorgens that

477

Die Thür ſich auf, und in den Kerker trat Der Wärter ein, um der Gefangnen vier Hinwegzuführen. Bei der Lampe Licht

Sah ich des Knaben Auge ſtier

Und halb erloſchen blicken; ſein Geſicht

War leichenblaß, wie er mit ſchwankem Tritt Zum Henkertod von dannen ſchritt.

4.

Als mit den andern Drei er fortgegangen, Stahl dämmernd durch der Fenſter Gitterſtangen In unſern Kerker ſich der Morgenftrafl, Allein das Licht nicht mocht' ich ſehen Und ſchloß die Augen, bis zum zweitenmal Der Wärter eintrat. Aufzuſtehen Befahl er mir, und in den Richterſaal Mußt' ich ihm folgen. Das Verhör war kurz; Daß ich der Türkenherrſchaft Sturz Mit aller Kraft erſtrebt, bekannt' ich frei Und ward zum Kerker noch zur ſelben Stunde Zurückgeführt. Wohl mußt’ ich, Rettung ſei Fur mich nicht anders aus dem dunkeln Schlunde, Als durch den Tod; doch Sehnſucht faſt Empfand ich nach dem finſtern Gaſt,

Der mich entbürde von des Lebens Yaft;

Denn, dacht’ ich meines Zugs von Volk zu Volke, Was waren meined® Weges Spuren,

Als Trümmer, Leichen und verheerte Fluren? Einjam, wie des Gemitters legte Wolke,

War ich zurüdgeblieben und verlaffen,

Erlofhen faft zum Lieben wie zum Haffen

Die Kraft in mir; und wenn noch Eine lebte,

48

Bei deren Namen mir das Herz erbebte, Erftiden mußt’ ich, gleich ala hätt’ ich nie Bon ihr vernommen, das Gefühl für fie.

Gepeinigt vom Gedächtniß des Vergangnen, Bar alles Troſtes, lag ich ſo Beim wilden Lärmen der Gefangnen Auf meines Lagers faulem Stroh. Rings aus der Mauer, ſchwarz von Rauch, Quoll es auf mich herab wie Moderhauch; Feuchtqualmend ftieg e8 auf vom Kerkergrumd, Und auf die Glieder, fettenwund, Fühlt' ich8 wie kalte Grabesfchauer thaun.

Tag ſchwand auf Tag, und imnter dacht’ ich, Mein letter würd’ e8 fein; bein Morgengraun Aus wüſtem Fiebertraum erwacht’ ich; Aufthat die Thür fi, und mit jedem Mal Genindert wurde der Gefangnen Zahl. Bald Diefen zum Schaffot entbot Der Auf des Wärterd und bald Jenen, Und ohne Abfchied, ohne Thränen Entgegen fchritten fie dem Top;

An mid nur fam zu größrer Marter, Daß ich des Sterbens Qualen täglich fühlte, Die Reihe nicht; ein Frofterftarrter

Am Boden lag ich da, dann wieder withlte Des Fieber Gluth durch) mein Gebein, Und aus dem Haffenden Geftein

Sah ih aus allen Mauereden Berzmeiflung ihre Arme nad mir ftreden. Wie viele Zeit ich aljo zugebracht,

Ob Wochen, Monde, weiß ich nicht;

Gleich war mir Finfternig und Tageslicht In meinem Elend. Nur von einer Nacht

49

ft mir Erinnerung geblieben;

Die Glieder von den Ketten mund gerieben, Geächzt wohl hatt! ich; ein Gefangner brad)

Das Schweigen da mit dumpfem aut und fprad: „Du bift ein Kind; hör’ auf zu jammern

Und uch’ zu fchlafen bi8 zum Meorgenroth! Warum did) an das Leben Hammern?

Ein Sprung in? Dunfel nur ift diefer Tod, Ropfüber wohl und etwas fteil hinab,

Allein nur Memmen zagen, ihn zu thun.

Wer ihn gewagt, im ftillen, prächt’gen Grab,

Bar jeder Trübfal wird er ruhn;

Da ift nicht Schuld und nicht Gewiſſensbiß,

Nicht Lug noch Trug, nur ew’ge Finfterniß,

Die Alles dedt. Faſſ' dir ein Herz, mein Junge! Die Augen zugedrüdt, und alles Leid

Schaff dir vom Halje mit dem einen Sprunge! Nun gute Nacht! längft ift es Schlafens Zeit; Früh Morgens wird man zum Schaffot ung mweden, Die beiden legten find wir bier.“

Er ſprachs: ich fühlte feinen Schreden; In Halbfchlaf ſchwanden neu die Sinne mir. ALS fie mir wiederfehrten, ganz allein Im Kerker fand ich mich; der Ketten Klirren, Das Lärmen war verfiummt; im Dämmerjcein Ließ ich umber die Blicke irren; Da fühlt’ ich auf der meinen eine Hand Und fah ein Antlıg, dag zu meinem Haupte Sich niederbeugte. Bald erkannt Hatt’ ich des Wärters Angefiht und glaubte, Er komme um zum Tod mich abzuholen; Allein er ſprach: „Seid ohne Sorgen! Aus diefem Thurme will ih Euch verftohlen Zur Flucht verhelfen, daß Ihr wohlgeborgen

480 —.

Noch beut, wohin hr wollt, die Schritte lenkt. Schon hingerichtet ward ein ganzes Heer Verbrecher, und der Richter keiner denkt,

Ob Einer wen’ger oder mehr

Zum Tod gefördert wird. Da nehmt!“

Ich ftarrte, von Erftaunen wie gelähmt, Als er aus einem Korbe ftarte Seile Mir bot und eine Eifenfeile. Zum Gehn dann wandt’ er fi und ſprach: „sch ſelber folgt‘ Euch gerne nad) In Ener Abendland; vor langen Jahren Dft an Italiens Küften führt ich Waaren. Nur Schade, dag man Allah dort nicht ehrt! Sonft, wenn ihr feine Gößendiener wärt, In Allem beffer wohl gefiel's mir drüben, Als hier bei und. Mein Amt noch fortzuüben, Iſt mir zur Qual; anwidern muß michs, traun, Dem ewigen Gemegel zuzuſchaun. Dod nun genug, und an die Arbeit eilt, Daß Ihr bis Abend fertig werdet! eilt Mit diefem Eifen, das ich Euch gegeben, Eifrig an jenen Fenftergitterftäben; Die Ketten löſ' ich Euch fchon jet.“

Er thats und reichte noch zulekt Geheimnißvoll mir ein Papier: „Das Weitere fagt Euch das Briefen bier.“ Spradlos ftarrt’ ich ihn an; noch faßt' ich faum Was ich gehört; auch als allein ich blieb, Lang lag ich faſſungslos; ich rieb Die Stirn mir zmeifelnd, ob ein Traum Mich nicht berüde; meine Rechte zitterte Und konnte lange nicht das Blatt Entfalten; endlich bei dem Licht, das matt

481

Zu mir hernieder durchs vergitterte Thurmfenſter brach, las ich die Worte:

„Tief dunkel wird die Nacht; bis dahin rüſte Zum Fliehen dich von dieſem Schreckensorte! Wenn an der Klippe nächſt der Küſte

Dreimal ein Licht aufflammt, laß an dem Seil Hinunter dich! Ein Boot wird dich empfangen; Ich unterdeß, in namenloſem Bangen

Bet' ich zum Himmel für dein Heil.“

Wilde und wildere Gedanken, Als ich es las, durchſtrömten mein Gehirn; Ich faßte zweifelnd meine Stirn Und fühlte unter mir den Boden ſchwanken. Umfing auf einmal mich ein Wunderland? Bekannt mir waren dieſe Züge; So ſchrieb nur eine, eine Hand. Und doch was konnt’ es fein, als Lüge, Mir vorgegaufelt vom bethörten Sinne? Bon Zweifel hin zu Zweifel irrend, Und mehr mid) ftet3, je mehr ich fann, verwirrend, Wie finnlos blieb ich fo; dann ward ich inne, Daß ich noch Alles nicht gelefen, Denn; weiter auf dem Blatte ftand: „O mein Lothar, nun ich dich endlich fand, Vernimm, wie elend ich geweſen, Seit meinen Augen deine Spur verfchwand! Mit Grauen jener unglüdjel'gen Nacht Den’ ih, als todt zu uns ins Schloß gebracht Mein Bruder ward. Sofort erfranfte Mein Bater ſchwer. Er hatte bald entdedt, Daß deine Hand den Sohn ihm hingeftredt, Und nahm, indem am Grabesrand er fehwantte, Den Eid von mir, für immer dich zu fliehn. Mit Halbgebrochnem Herzen ſchwur ich ihn Shad, Gef. Werke I. 3l

482

Und weigerte dir felbjt das Lebewohl,

Denn er gebotd. Do unverrüdt,

Beim ew’gen Gott, der ind Verborgne blidt! Stand mir im Bufen gleich dem Himmelspol Der Glaub' an did. In der Gefühle Kampf Durchzudte meine Glieder oft ein Krampf, Und nur mit matten Schlägen maß

Das Herz mir noch den Reſt des Lebens zu, Indeß mein Vater nad) und nad) genas. Mein Denten al und Fühlen warft nur du, Allein da zwifchen dir und mir der Schwur, Den ich gethan, wie eine Hölle Maffte,

Das Eine mir erjehnt’ ich nur,

Daß mich der Tod von binnen raffte.

Da, tief erregt, zu mir trat einft

Mein Bater ein und jchlang den Arm

Um meine Bruft und ſprach: ‚Mein Kind, du weinft? D ſei getroft! Nun endet aller Harm!

Bon deinem Schwure kann ich dich entbinden. Bernimm, daß unter jenen Linden,

Wo todt Sylveſter hinſank durch den Schuß, Der alte Gärtner Julius

Geheim des blut'gen Streites Zeuge war Und mir betheuert hat, lang widerſetzt

Dem Zweikampf habe ſich Lothar

Und nur dem Zwange ſich gefügt zuletzt.

So iſt er ſchuldlos denn, und käme

Der Flüchtling uns zurück, ich nähme

Ihn freudig wieder auf. Neu blühte Das Leben mir empor feit diefer Stunde; Wir fandten Boten in die Runde,

Did aufzufinden; angftvoll eine Funde Erhofft' ich, doch vergebens. Im Gemuüthe Mir wieder ward es Nacht. Als dann das Grab Den Bater mir hinweggenommen hatte,

483

Dich fuchend brach ich auf am Wanderftab; Bon Yand zu Yand, mir treu fo wie mein Schatte, Mitpilgerte der Gram; umfonft mein Forſchen, Mein Fragen all; ſchon ftürzten meine morjchen Hoffruungsgebäude; düfter fchattend hingen

Mir überm Haupte der Verzweiflung Schwingen. Da in Trieft ward mir aus William!’ Munde Bon deinem Aufenthalt im Klofter Runde,

Und leuchtend wie ein Blig durchfuhr

Die Freudenbotſchaft meinen Janımer,

Ich folgte weiter deiner Spur;

Der Sargesdedel, welcher lang

Auf meinen Herzen rubte, jprang,

Und bald gelöst ift aud) die legte Klammer. Schon jauchzend ftrömt in jugendlichem Schlage Das Blut mir wieder durch die Adern bin, Und fel’ger hier in enger Kammer

Mich fühl’ ich als am Thronbefteigungstage Im Saal der Krönung eine Kaiferin,

Indem ich dent’, o Liebling meiner Eeele,

Daß bald du mir im Arme ruhſt. Adele.“

5.

Wenn plöglid Einem, der noch eben An Gott verzweifelte und Welt und Leben, Dem diefe weite Erde nur Ein Friedhof ſchien und die Natur Berhängt mit fehmarzen Trauerflören, Wenn plöglih nun ein Klang von Engelchören Bon oben fih zu ihm ergöſſe Und über feinem Haupt in Strahlenpradit Des Himmels Glorie fich erfchlöffe, Ihm möchte fein wie mir. Die tiefe Nacht

44

Der Seele ward mit einemmal

Glorreicher Tag mir durch Adelens Worte, ALS dränge durch die Paradiefespforte

Ein Lichtftrahl in die Stadt der ew'gen Qual.

Betäubt gleich einem Blißgetroffnen Noch ftand ich lange; in den weiten, offnen Glanzhimmel ftarrte mir der Blid, Geblendet von dem ungeahnten Glüd.

D, daß der Wonne Uebermaß

Zod bringen kann, wohl faſſ' ih es! Ich las Und las von Neuem ftet3, und felig machte

Don Neuem mich ein jedes Wort.

Aus feinem Taumel mählig dann erwachte Mein Geift; emporgerafft, zum Zenfterbord Zrat ih und hub das Feilen an.

Stab neben Stab des Gitters fiel

Und, eh's zu dunfeln noch begann,

Schon ftand ich an der Arbeit Biel.

Als dann die Nacht auf Yand und Meer Ten Schleier breitete und allumber Sih Schweigen legte, achtſam ſpäht' ich, Um das bejtimmte Zeichen zu gewahren, Und an der Klippe hing der Blick mir ftätig. Nicht war es Furcht vor drohenden Gefahren, Erwartung nur und Ungeduld, was hod) Das Herz mir Hopfen machte. Siehe! Sm Dunkel ſchaut' ih8 nur mit Mühe Durchs Meer mit leichten Ruderſchlägen flog Ein Kahn, und leis, als ſei Gefahr von Spähern, Sah ich ihn fich der Küfte nähern. Da flammte an der Klippe bel Dreimal ein Licht empor, und fchnell Auf das Signal ließ id) vom Thurme fteil

485

Hinab mich gleiten an dem Geil.

Hold war das Glück mir, mich empfing der Kahn, Und hurtig auf der Wellenbahn

Forttrug er mid. Wir bogen um das Riff,

Und dämmernd ftieg vor mir empor ein Schiff.

Als nah dem Bord ich fam, von ferne ſchon Hört’ ich mich rufen 0! der Stimme Ton Hätt’ ich vor taufenden erkannt

Durchs Dunkel ftredten von des Schiffes Rand Sid weiße Arme mir entgegen;

Ich klomm empor, ich fühlte weich

Sie fih um meine Schultern legen,

An meinem Herzen ſchlug mit vollen Schlägen Adelend Herz o Himmel! du bift reich, Und weißt mit eines Augenblides Segen

Das Weh von Fahren aufzumwiegen,

Daß hoch empor des Glüdes Schale fchnellt! Aus der Geliebten Athemzügen

Quoll warmer Hauch, der die erftorbne Welt Mir nen erblühen ließ; ein Schimmer lag

Um fie gebreitet wie ein Morgenroth,

Tas meine lange Finfterniß in Tag Berwandelte; ich fühlte, Dual und Tod Bernichtend drang der Liebe Macht

Siegreich herab in meine Staubesnad)t;

Aus der Verzweiflung, aus des Todes Banden Zu neuem Leben war ic) auferftanden.

Stumm blieben lang wir Bruft an Bruft; Die Thränen einzig, die dem Aug’. entbrachen, Die Pulfe, an einander Flopfend, ſprachen; D! Worte find für Heine Exrdenluft,

Nicht für die großen, gottentftammten Entzüdungen, die und durchflammten!

46

Noh an Adelens Hals wie feitgebannt, Auf meiner Schulter fühlt’ ich eine Hand; Ich wandte mich und fah ein Greifenhaupt, Ummallt von langen weißen Yoden; Zurück fuhr ich und hätte faft, erichroden, Daß mir ein Geift erfchienen fei, geglaubt Und dennoch nein! Indeß ich fchaute, ward Mirs Kar, der alte Pfarrer Eberhard, Der erfte Freund und Lehrer meiner Kindheit, Stand vor mir da; ed war fein Traumgebild, So freundlich blickt' er noch wie einſt und mild, Allein gebeugt ihn fand ich, halb in Blindheit Sein Aug’ erlojhen. Dank, o Tank! Nichts konnt’ ich ftammeln, als nur das, und janf Mit Schludzen an die Bruft dem guten Greife. Unmöglich ſchiens! Er, der fid) ehemals Nie au dem Umkreis feines Pfälzer Thals Hinausgewagt, den faft als eine Reife Der Gang auf unfer Schloß erjchienen war, Kun meinethalb im fiebenzigften Jahr Hatt’ er zu Yand und auf den Wogen Drangfal beftanden, Aengfte und Gefahr ALS ich es dachte, durch die Seele zogen Mir Ehrfurchtſchauer; hin vor ihn So wie vor Heil’gen, zwang es mich zu knien.

6.

Indeß wir unterm Plaggenfhug der Britten Auf der Felucke weiter glitten, Zu minder hohen Wellen fant allmählig Des eriten ftürmifchen Entzüidens Fluth, Und dennod tiefer, immer tiefer jelig

487

Mic fühlt ich, ala dag wildbewegte Blut

In allen Adern mir befänftigt ward

Und nad dem Sturm fih meine Seele Härte. Mir war, ala ob ich feinen Wunfch mehr nährte, Als ob die eine, wonn'ge Gegenwart Vergangenheit und Zukunft mir verzehrte.

Wenn auf dem Schiffe, daS uns leife Bon dannen trug auf feuchtem Gleife, Ih Arm in Arm mit der Geliebten ging Und ſchwelgend Blid am Blide hing, Wie überreich war jegliche Sekunde Mit Glüd befradhtet! Bald daß mit dem Munde Der Mund des Kuffes jüße Spende taujchte, Bald daß ich der Geliebten laufchte, Die mir erzählte, wie auf flücht'ge Kunde, Mich ſuchend, fie von Yand zu Yand gefchmweift, Bis endlich die Gewißheit ihr gereift, Taß jenes Thurmes Nacht mich berge, Und, durch ihr Gold gewonnen, mich der Scherge Bon Haft und Tod befreit. Dann wiederum Bon dem, was ich erlebt, mußt’ ich Adelen, Bon Abenteuern und Gefahr erzählen, Die ich beftanden; in Erwartung ftumm Ein jedes Wort von meinen Yippen fog fie, Und oft vor Rührung oder Bangen Erblaßten plöglich ihre Wangen, Oft wieder hohe Röthe überflog fie.

Tod nun hinunter, greller Tag, ind Meer Und tiefe Dunkel fei umber, Daß unfer Glüd in voller Glorie prange, So wie der Mond nah Sonnenuntergange! Entfchlummert Alle, nur der Himmel wacht AS Zeuge bei der heil’gen Liebesfeier,

488

Und droben mit dem mwehnden Sternenfchleier Die hohepriefterlihe Nacht,

Indeß wir Beide andadtftumm

Die Häupter neigen vor dem hohen Walten, Das ung zu folhem Ziel geführt.

O göttlihes Myfterium

Der Liebe, wie wir uns umſchlungen halten Und jelbft von ihrem Kleid, das mich berührt, Ein Feuer hin durch all mein Weſen fprüht! Wie Seele tiefer ſich in Seele jentt,

Bis nur noch eine in den beiden denkt

Und fühlt und liebt und wonnetrunfen glübt! Was heiß auf meiner Wange brennt,

Iſts ihre oder meine Freudenzähre?

Wie ſollt' ichs wiſſen? In dem großen Meere Der Seligkeit, die feine Gränzen Tennt, Berfinfen ich und du; füßer als je

Das Glück war, ift in ihm vergangnes Web, Und jelbft Verzweiflung, drin dag Herz geblutet, Macht, daß der Wogenſchwall noch höher fluthet.

Wohl mußten wir, auf Erden war fein Band Um fefter unfern Bund zu flechten, Doch Eberhard hielt feit an feinen Rechten Und ließ mich in der Theuern Hand, Indeß er felbft der Kirche Segen Uns fpendete, die meine legen.

Die fo Vereinten mwiegte fanft der Kiel Dahin auf leichtem Wellenfpiel. Wir fahen aus dem blauen Meeresplan Die Tag- und Nachtgeftirne fteigen Und der Delphine Iuft’gen Reigen, Wie ſie uns folgten auf der flüff’gen Bahn; Und jeis, daß nächtlich weißer Silberglanz

489

Hinhüpfte auf der Wellen Tanz,

Geis, daß herab der Sonne Gluthſtrahl fiel Und Himmel, Meer in lichter Glorie brannte, Wir wünſchten ferne noch der Reife Biel.

Beim erften Schimmer, den der Morgen fandte, Enttauchte da vor ung die ſchöne Zante Tem Fluthenfhoog, und allumber Strahlten die Infeln, die Joniens Meer Gleich einem bligenden Juwelenſchmucke Auf feinem Wogenmantel trägt. Kurz ankern mußte die Felude, Und Stadt und Hafen, als wir angelegt, Bon Feftluft fanden wir bemegt. Mit bunten Flaggen prangten alle Maften, Die Straßen und die Pläge faßten Die frohe Menge kaum, und: Navarin! Der eine Yaut nur jcholl von jedem Munde, Und höher aufzuleuchten ſchien Ein jedes Auge von der Siegeskunde. Gebrochen war der Türken Tyrannei, Und von Athens, von Salamis’ Geftaden Bis zu der fernften der Sporaden Tas Volk der Griechen wieder frei. D Gott! die Fülle deiner Gnaden Auf einmal fchütteft du auf mich herab! Der eben ſelbſt ich erft erftand vom Grab, Nun aud die Auferftehung der Hellenen Begrüß' ich unter Freudenthränen Und fühle ftolz: umſonſt nicht hat Mein Herz fein Blut in diefem Kampf vergoffen! Neichblühend ift der Freiheit Saat, Bon ihm geträntt, enporgefchoffen.

490

T.

Und weiter trägt auf blauer Meeresflur Das Schiff ung durch den leuchtenden Azur, Bis wir Neapel3 duftberaufchte Bucht Ans Nebelfchleiern, die im Morgenwehn Sanftwallend zittern, tauchen jehn.

Bon Bajä und vom fonn’gen Cap Mijen

Bis an Sorrents Orangenſchlucht

Siehft du das Meer von Häufern, unermeflen Hinfluthend zwiſchen Myrtengrün,

Die Villen, ragend aus Cypreſſen,

Die hangenden Terraſſen, kühn

Von Fels zu Felſen hingeſpannt.

Du hörſt das Melodienſpiel der Wellen

Die trunken um den blum'gen Strand,

Um Procidas und Jschias Ufer ſchwellen, Indeß der Erde Feuerquellen

Aufſprudeln aus dem flammenden Vulkane. Vor dir den Wundergarten der Armide Glaubſt du zu ſehn, der aus des Sängers Liede Ins Sein getreten, eine Fee Morgane,

Die, zitternd an der Wolke Rand,

Beim erſten Hauch der Morgenwinde

Gleich einem Traum der Nacht verſchwinde Doch, wie durch eines Zaubrers Stab gebannt, Ein ew'ges Wunder, ſteht ſie da.

Wenn auf das Meer, das ſchmachtend unten blaute, Auf Golf und Cap und Inſeln, fern und nah, Vom Grab Virgils das Auge niederſchaute, Indeß von Stadt und Inſeln und Veſuv Und all den villenüberſäten, Reichblühnden Ufern tauſendſtimm'gen Ruf

491

Des Jubels zu und auf die Winde wehten Wenn unterm buchtenreichen Pofilipp

Die hochbefhäumte Fluth im ſchwanken Kahne Uns wiegte, und vom Yelögeflipp

Die Iuft’gen Säulendäder und Altane

Durch Lorbeergrün zu ung herniederglänzten Wenn wir die rebenlaubbefrängten, Goldfruchtbehängten Schattenpfade Hinmwandelten am hallenden Geftade

O! waren wir auf Erden noh? Uns däuchte, Tag ſchon auf Asphodillen-Mlatten

Inmitten von beglüdten Schatten

Des Fenfeit3 reine Sonne und umleudte.

Dann durd die große Ruhmeshalle Italien ging weiter unfre Fahrt; Die hohen Wunderwerte alle, Die ftart und lieblich, kühn und zart Der Binjel und der Meißel ſchuf, wir fahn Sie hehren Zugs an ung vorübergleiten, Und ſchauten andachtvoll empor und weibten Im Anblid unfern Geiſt. Im Vatikan Die Götter des Olymp, die langgereihten, Der Weltenrichter, der wie ein Orkan Heranbraust bei des jüngften Tags Drommeten, Indeſſen die Sibyllen und Propheten Bon oben unter ihren mächt'gen Brauen Wie aus der Emigfeit herniederfchauen Und Tabors felige Bifion, In der des Himmeld Glorie fich entjchleiert Und Raphael nun mit dem Gottesjohn Die eigne, ewige Verklärung feiert Wie ftrahlten all die göttlichen Gebilde In ihrer Hoheit, ihrer Milde Muth in das Herz uns und Begeifterung!

492

Wenn ich vor ihnen daftand mit Adelen, War mir, ala ob zu höherm Schwung Bereint die Flügel höben unfre Seelen.

Doch nordwärt3 nun, ein mächtiger Magnet, Bieht mich das deutſche Vaterland, dag große, Das mich jo lang verbannt aus feinem Schooße. Wie weit der Sturm bei wilden Wellenffope Auch meines Lebens ſchwankes Schiff vermweht, Mir vor dem Geift hat feit und ftet Hoch über Klippen und der Wogen Branden, Ein Polftern, immerdar fein Bild geftanden, Und jest in ernſter Majeftät Mahnt michs, zurüdzufehren aus der Weite, Daß feiten Schrittes auf dem hoben Pfad, Den ſchwankend nur des Jünglings Fuß betrat, Der Mann dem großen Ziel entgegenfchreite, Und einft ich jener edlen Spanierin,

Die fi für mich den Tod geweiht,

Ins Auge Schauen kann: „Sieh, wie dem Eid, Den ich dir ſchwur, ich treu geblieben bin! Dein bin ich werth, Dolores, und vergebens Nicht war das Opfer deines theuern Lebens!“

Die Wiederfehrenden umfängt Germaniens Riejenfchweiter fchon, Die edle Schweiz, und mir zu Füßen fprengt Der jugendliche Rhein, der Gletſcherſohn, Die Eifesbande, die ihn halten wollen. Hoch von der Schneebruft des Erispalt Ringt er fi) los und ſchäumt und mwallt Durh Klippen hin mit wildem Wogenrollen, Und, während auf der nie erftürmten Befte Der Herricherin Natur die Eispaläfte

493

Des ew'gen Winters um mich ſchimmern

Und unter mir im Abgrund jäh

Die Waſſer ſchwinden zwiſchen Felſentrümmern, Schwingt jauchzend über Eis und Urweltſchnee Und himmelnahe Gletſcherdome,

O Heimath, dir mein Herz ſich zu

Und gleitet, wo in blauem Dufte du Ferndämmernd ruhſt, mit deinem Lieblingsſtrome An Burgen, die von Felſen niederſchauen,

Und Rebenhügeln hin und grünen Auen.

O nimm mich wieder auf an deinem Herde, Mein deutſches Land, du herrlichſtes der Erde! Wo wär' ein edler Volk als deins,

Vom traubenduftenden Geſtad des Rheins

Bis zu der Oſtmark fernſten Gauen?

Wo ſtrahlt der ganze Himmel ſo aus blauen, Aus unergründlich klaren Tiefen wieder,

Wie aus den Augen deiner Frauen?

In deinem Schooß dereinſt die müden Glieder Zu betten gönne mir! Allein nicht eher

Laß ſchließen mich die Augenlider,

Bis jenen neuen Morgen, den als Seher

Mein Vater ſterbend prophezeite,

Ich über dich, das einige, befreite

Aufſteigen ſah! Verraucht iſt mir der Wahn, Der nur vom allzerſtörenden Orkan Verjüngung hofft; doch jener Genius,

Der früh auf mich gedrückt den Flammenkuß, Ich fühl's, umrauſcht mich noch mit ſeinen Schwingen Und mahnt mich, neu zu ſtreben und zu ringen, Damit das heiße Sehnen deiner Söhne

Die endliche Erfüllung kröne.

Er leihe Milde mir zur Stärke

Und weiſes Maß zum Thatendrang

Dann nach vollbrachtem Tagewerke,

4941

Wie follt’ ich zagen vor dem legten Gang? Ein froher Zeuge noch im Tod

Bon meines Volkes Auferftehn,

In feiner Größe Morgenroth

Werd’ ich beglüdt von Hinnen gehn.

Nachwort zum zweiten Bande.

Durch alle Wetter.

Man pflegt von humoriſtiſchen erzählenden Ge— dichten in Octaven zu ſagen, ſie ſeien im Style von Byrons Don Juan geſchrieben, und bezeichnet ſie wohl gar als Nachahmungen dieſes berühmten Epos. Ich kann nicht umhin, Diejenigen, die dergleichen ausſprechen, großer Unkenntniß zu zeihen. Dieſe Gattung halb ernſter, halb komiſcher Ottaverime iſt faſt ſo alt wie die neuere Poeſie und nahm ihren Urſprung in Italien, wo be reit3 im 15. Jahrhundert Pulci feinen Morgante in folder Weife dichtete. Später traten Berni und Fortis guerra neben Anderen mit großem Erfolge in feine Fußſtapfen. In England fchrieb nah ihrem Mufter zuerſt Whiftlecraft ein humoriftiiches Epos Anster fair mit baroden Keimen, wie fie fich auch ſchon hier und « da bei den talienern finden, aber von dem Engländer mit mehr Vorliebe ausgebildet wurden. Der Genannte nun war der unmittelbare Vorgänger Byrons, und Lepterer nahm auch für ſich das Verdienſt der Neuheit oder Originalität fo menig in Anſpruch, daß er von feinem Beppo und Don Juan fagte, fie feien im Ber- nesfen- oder Whiftlecraft-Styl gefchrieben. Dabei ift

496

noch zu bemerken, daß Byron auch die Novelle galanti des Abbate Caſti ftark vor Augen gehabt hat, und daß er durch eine von dieſen, la Diavolessa, melde die Tiebesabenteuer eines Vetter von Don Yuan fchilvert, augenscheinlich zu feinem Gedicht angeregt worden ift. Da mir die italienifshe Sprache früher geläufig war als die englifhe, lernte ich die genannten italienischen Dichter lange vor Byron fennen. So übel einige der: jelben auch berufen find, ſchäme ih mich nicht zu ge- jtehen, daß fie mich durch ihre wundervoll hingleitenden Dttaverime und den anmuthigen Wechjel von Scherz und Ernft, der in ihnen herricht, ungemein feflelten. Schon in meinem erften Univerfitätsjahre fchrieb ich eine Erzählung, bei welcher fie mir, nicht dem Inhalte, aber der Vortragsmeife nach, als Sterne vorleuchteten, und eine beträchtliche Anzahl von Strophen aus diefem Jugendverſuche habe ich fpäter in „Durch alle Wetter“ aufgenommen. Wie ich verfichern kann, ift Byron ohne jeden Einfluß auf diefen Roman in Berfen, jowie auf das in ähnlichem Tone gehaltene „Ebenbürtig“ ge: blieben, und wenn ich mich gegen einen anderen Autor als verpflichtet befennen fol, jo muß man diefen unter den Italienern fuchen.

Barode Reime finden fi, wie gejagt, auch bei den Lesteren, wenngleich nicht fo häufig wie bei Whiftlecraft und Byron. ch bin ihnen hierin nachgefolgt. Dan hat mich getadelt, daß ich zu diefem Behufe zu großen Gebrauch von Fremdwörtern gemacht habe ein felt- ſamer Tadel, da Gedichte ernten Inhalts, deren Reime faft nur aus erotifhen Worten beftehen, jo beliebt bei uns geworden find, und bumoriftifche Verſe fidh doch fo viel mehr für derartige Gleichflänge eignen! Uebrigens habe ic) immer vor Augen zu behalten ge= uht, daß die Octave der Kunftpoefie angehört und daher feine ganz feurrilen Reime verträgt, wie fie 3.2.

4917

Heine in feinem Wintermärchen gebraucht, wenn er „Mondſchein“ auf „verwunfchen”, „preußiſch“ auf „Bei- chaiſ'“ reimt.

Dog in „Dur alle Wetter” ftellenmweife, wenn auch keineswegs durchgehends, die modernen Senfations- romane parodirt werden, kann wohl Keinem entgehen und ift in einigen Strophen deutlih an den Tag ge- legt. ch bin daher höchft überrafcht gemefen, von ver- ſchiedenen Leſern „Unmwahrjcheinlichleiten“ hervorgehoben zu ſehen, die fie in dem Roman entvedt zu haben glauben. Worin diefelben beftehen, weiß ich nicht vecht; aber auch wenn ich e8 wüßte, würde ich nicht daran ändern, denn ich möchte beinahe bedauern, die fchöne Gelegenheit nicht benugt zu haben, um die Unmahr- icheinlichfeiten bergehoch zu thürmen, wozu mir die parodifche Form ficher das Necht gegeben hätte Man fönnte auf diefe Art einer Erzählung aus dem modernften Leben durch Häufung der unglaublichften Abenteuer den höchften Reiz des Wunderbaren verleihen, Hinter dem ſelbſt Arioſts Epos zurücdbliebe.

Satyrifche Anfpielungen auf Zeitumftände zu tilgen, nachdem diefe fich geändert haben, wird man feinem Autor anfinnen. So habe auch ich die betreffenden Stellen ftehen Iafjen, in der Borausfegung, daß die Teer nicht außer Augen laffen werden, in welder Zeit das Gedicht entftanden ift.

kothar.

Ueber die Entftehung des Lothar fpricht ſich ſchon die Widmung aus. Er ift, wenn ihm auch viele andere Dichtungen vorhergegangen waren, doch die ältefte der- jenigen, die in diefe Sammlung aufgenommen worden

Shad, Be. Werke. 11. 82%

48

find. Bon dem Schluffe, in welchem die Wiederaufer: ftehung Deutjchlandg verkündigt wird, hat man häufig gemeint, ich hätte ihm erft nachträglid im Jahre 1370 hinzugefügt, aber ich fann nicht nur verfichern, daß er weit früher geſchrieben ift, fondern auch für den Augen» ſchein mindeftens feine Entftehung vor dem genannten Jahre beweifen, da ein nicht in den Buchhandel ge- fommener Drud vom Jahre 1869 eriftirt, worin fid die Schlußverſe vollftändig finden.

Es ift vielfach vermuthet worden, ich hätte im Lothar eigene Erlebniffe geſchildert. Dies iſt jedoch nur im Nebenfächlichen der Fall. Ich war zur Zeit des grie- hijchen Freiheitsfriege und der fpanifchen Revolution unter Riego noch ein Heiner Knabe; perjönliche Erinne- rungen an meine Reifen aber habe ich theilmeife in das Gedicht verwebt, und auch einige in demfelben vor- fommende Figuren find nah den Leben copirt. So bat zu dem enthufiaftifchen Hugo, abgejehen von den Abenteuern, durch die ich ihn führe, ein Jugendfreund von mir Modell geftanden. Ich führe dies an, weil es unglaublidy gefunden worden ift, daß ein junger Student eine foldhe Fülle von Kenutniffen befeflen habe. Nun befaß aber mein Freund ſolche Kenntniffe in allen möglichen Fächern in wirflich erſtaunlichem Maße. Die: jelben waren gewiß nicht fehr gründlich und tief, allein wenn er fie mit feiner binreißenden Beredtſamkeit vor- trug, machte er dadurch einen blendenden und beraufcden: den Eindrud.

Ein Vorwurf, welcher gegen dag Gedicht erhoben worden iſt, befteht darin: der Figur des Helden fehle e8 „an einer Charafterentwidlung“. Ob dies heißen fol, der Charakter Lothars fei überhaupt unflar und mangelhaft gezeichnet, ift mir unbelannt, und es hätte angegeben werden follen, in welchen Punkten die Zei: nung Lücken aufweiſe. Wenn übrigens dabei gemeint

499

ift, die Geftalt meines Helden fei nicht mit allen mög: (then fleinen Zügen in realiftifcher Weiſe individualifirt, wie das mir weit mehr für einen Roman, als für ein Gedicht paſſend fcheint, fo gebe ich dies zu. Wahr: icheinlih aber liegt jener Kritif die Forderung zu Grunde, ein Charakter müſſe fih im Portgange der Erzählung verändern oder zum Mindeften mobdificiren. Diefes Verlangen wird jest häufig ausgeſprochen; doc) möchten Diejenigen, welche dasjelbe ftellen, fich über deffen Sinn nicht recht Har fein. Da ein Charakter in feinen Grundzügen ftet3 verfelbe bleibt, da wir von Dem, den wir einmal als Böjewicht erkannt, nie für

möglich halten, er könne noch ein guter Menfch wer-

den, da der Grauſame fih nie in einen Milden und Weichherzigen verwandeln kann, fo könnte nur von einer Mopvifilation der fecundären, mehr äußerlichen Eigenfchaften die Rede fein, wie der Yeichtfinnige, durch das Leben gewisigt, bejonnener werden kann, der Un- gefellige fi wohl jpäter zum Umgange mit Menfchen befehrt. Zufällig findet nun bei meinem Yothar eine Wandlung ftatt, infofern fich feine ſtürmiſche Jugend— begeifterung legt und größerer Mäßigung weicht. Sn: deffen wird mohl Niemand behaupten wollen, es fei die nothmwendige Aufgabe eines jeden Gedichts, eine jolhe Mopififation, welche der Charakter feines Helden dur die Umftände erfährt, darzuftellen.. Was würde aus dem bereiten Jeruſalem, was aus dem rafenden Roland, aus Byrons Childe Harold oder irgend einem anderen feiner Gedichte, wenn man fie auf ‘die „Cha- rafterentwidlung” ihrer Helden Hin prüfte? Taſſos Gottfried ift zu Anfang des Epos derfelbe } fromme gottergebene, fi) ganz feinem großen Werfe mweihende Ritter wie an deſſen Schluffe, Childe Harold erfcheint unverändert als melancholiſch, mit Gott und der” Welt zerfallen. Don Juan bleibt durch alle Gefänge der

50 , leichtfinnige liederliche Menſch, als welcher er ſich jchon in der Knabenzeit angelündigt. Bon Ariofts Nittern endlich zeigt feiner eine bemerfenswertbe Wandlung des Charakters im Laufe des Gedichtes. In allen den genannten Meifterwerten, ſowie in vielen andern mit Recht bemunderten, die ich noch nennen könnte, find, um dies bier zugleich zu erwähnen, die Charaktere nur mit höchſt allgemeinen Strichen gefchildert und, wenn es auf die nach Art von Denner durch genaue Wieder: gabe der Poren, Falten und Warzen auf den Gefichtern bergeftellte Lebenswahrheit der Yiguren ankäme, fo würden mande Romane dritten Ranges vorzüglichere Dichtwerke fein als jene.